Das Thierreich nimmt in der den Menſchen umgebenden Natur eine ſo hervorragende Stelle ein, daß die Geſchichte der Kenntniß des - ſelben, die Entwickelung einer Wiſſenſchaft von den Thieren ohne ein Eingehen auf die Stellung, welche der allgemeine Culturzuſtand dem Menſchen den Thieren gegenüber anweiſt, nicht zu geben iſt. Die Möglichkeit des Auftretens beſtimmter wiſſenſchaftlicher Fragen hängt hiervon und damit von dem Culturzuſtande ſelbſt ab. Die Geſchichte der Zoologie iſt nur aus einer allgemeinen Geſchichte der Cultur zu ver - ſtehn. Dies wird um ſo deutlicher, je weiter man ſich rückwärts nach Zeiten hin bewegt, welchen mit den Unterſuchungs - und Beobachtungs - mitteln auch die ſpeciellen leitenden Geſichtspunkte fehlten. Es mußte daher in der vorliegenden Darſtellung eingehende Rückſicht auf die Cul - turgeſchichte genommen und zu zeigen verſucht werden, wie dieſelbe all - mählich jene ſpecielleren Ideen entſtehn ließ. Es war dies eine, zwar fruchtbare, aber durch kaum irgend eine nennenswerthe Vorarbeit er - leichterte Unterſuchung.
Es könnte trotzdem vielleicht befremden, daß von dem für die Ge - ſchichte der Zoologie in neuerer Zeit beſtimmten Raume ein reichliches Drittel dem Alterthum und Mittelalter gewidmet iſt. Und doch bedarf dies wohl kaum der Rechtfertigung. Denn abgeſehen davon, daß das Wiederaufleben der Wiſſenſchaft nicht mit dem Eintritte der ſogenanntenVIVorwort.neuern Zeit zuſammen, ſondern bereits in das dreizehnte Jahrhundert fällt, konnte eine Darſtellung der nicht bloß für die Geſchichte der Zoo - logie wichtigen Erſcheinungen, welche jenen Wendepunkt in der Cultur - geſchichte auszeichnen, nicht ohne eingehende Unterſuchung der noch weiter zurückliegenden Aeußerungen wiſſenſchaftlichen Lebens gegeben werden. Wenn auch der Entwickelung der Vorſtellungen von einzelnen Thieren, der Anſichten vom Leben und Treiben ſpecieller Formen, welche häufig den Inhalt allgemeiner Anſchauungen bedingt haben, nach dem Plane der vorliegenden Geſammtſchilderung nicht nachgegangen werden konnte, ſo durfte doch eine ausführliche Beſprechung der Lehr - und Unterrichtsmittel und Schriftwerke aus früherer Zeit, welche die Continuität jener zum großen Theile erhalten haben, um ſo weniger vermieden werden, als gerade dieſer Seite der Geſchichte der eigenen Wiſſenſchaft von den Fachmännern ſo gut wie gar keine Aufmerkſamkeit geſchenkt worden iſt. Es mag hier beiſpielsweiſe nur an die Zoologie der Araber und an den Phyſiologus erinnert werden. Jene kennt man auch heute meiſt nur aus den von Bochartund einigen wenigen Andern gegebenen Auszügen; dieſer war wohl den Philologen in einzelnen Bearbeitungen bekannt, doch dürfte es auch für die Zoologen nicht unwichtig ſein zu ſehn, wie eine kleine Anzahl nicht einmal kritiſch und vorurtheilsfrei zuſammengeſtellter Angaben ein volles Jahrtauſend hindurch den allgemeinen Anforderungen an ein populäres Thierbuch genügt zu haben ſcheint. Es galt hier aber nicht bloß den Fachgenoſſen Auskunft über im Ganzen wohl an Entdeckungen unfruchtbare Jahr - hunderte zu geben. Man begegnet gleich in den erſten Werken der neueren Zeit einer Menge höchſt eigenthümlicher Anſchauungen und wunderbarer Mittheilungen, welche für den Fortſchritt nicht unweſent - liche Momente aus dem Zuſtande der Wiſſenſchaft in jener Zeit ſelbſt nicht, wohl aber aus ihrer Vorgeſchichte zu erklären ſind. Da dieſe in einer allgemeinen Culturgeſchichte des Mittelalters höchſtens andeutungs - weiſe berührt werden könnten, durfte die Schwierigkeit, den rothenVIIVorwort.Faden auch durch ein ſonſt ſteriles Jahrtauſend zu verfolgen nicht ge - ſcheut werden. Viele befreundete Männer habe ich, und in keinem Falle vergebens, um Rath und Auskunft gebeten. Ob ich das mir Dargebotene überall richtig verwandt habe, vermag ich ſelbſt nicht zu entſcheiden. Sollten die früheren Jahrhunderte des Mittelalters für die Geſchichte der Thierkunde heller geworden ſein, ſo verdanke ich es vorzüglich ihrer Hülfe.
Noch weniger bedarf es einer Darlegung der Gründe, weshalb die Geſchichte nicht bis auf das letzte Jahrzehnt fortgeführt worden iſt. Was die Gegenwart bewegt und ihren wiſſenſchaftlichen Gährungen als Ferment dient, kann wohl auf ſeine Quellen und auf ſeinen Zu - ſammenhang mit dem allgemeinen Culturfortſchritt unterſucht, aber nicht hiſtoriſch dargeſtellt werden. Erleichtert wurde der Abſchluß durch den Umſtand, daß durch das Erſcheinen des Darwin 'ſchen Werkes über den Urſprung der Arten, welches faſt genau mit dem leider für die Wiſſenſchaft zu früh erfolgten Tode Johannes Müller'szuſammen - fiel, eine neue Periode der Geſchichte der Zoologie anhebt. Mitten in der Geburtszeit derſelben drin ſtehend iſt es dem Jetztlebenden ſchwerer, als es ſpäteren Hiſtorikern werden wird, mit ruhiger Objectivität die weſentlichen von den unweſentlichen Momenten zu ſcheiden, die mannich - fachen Ueberſtürzungen, zu denen das plötzlich ſo unendlich erweiterte Geſichts - und Arbeitsfeld verführt hat, von den haltbaren, den Sturm des Meinungsſtreites überdauernden wirklichen Fortſchritten zu ſondern.
Die moderne Naturforſchung hat ſich bis jetzt einer hiſtoriſchen Behandlung ihrer eignen Vorzeit wenig geneigt gezeigt. Wie ihr aber das Bewußtſein, daß ſie nur eine Entwickelungsſtufe in dem Fortgange der betreffenden Ideen darſtellt, den directen Vortheil bringt, daß ſie dieſe, wie früheren Keimen entſprungen, ſo auch weiterer Ausbildung fähig erkennt und daß ſie durch Einſicht in das Entwickelungsgeſetz derſelben zu weiteren Schritten geführt wird, ſo würde mancher StreitVIIIVorwort.mit andern Geiſtesrichtungen eine mildere Form annehmen, wenn der von der andern Seite ſo ſcharf betonten Nothwendigkeit einer Pflege idealiſtiſcher Bedürfniſſe durch geſchichtliche Unterſuchungen Rechnung getragen würde, welche ja ſowohl durch die Methode als auch durch die zu erlangenden Reſultate jenem Zuge zum Idealismus ſo ausnehmend Vorſchub leiſten. Wie hier der Geſchichte im Allgemeinen wohl einſt noch eine weitere Rolle zufallen dürfte, ſo ſollten die, den geiſtigen Fort - ſchritt ſo weſentlich mit beſtimmenden Naturwiſſenſchaften zeigen, daß ſie außer durch ihren poſitiven Inhalt auch durch die Behandlungs - weiſe ihrer eigenen Entwickelung fördernd auf die Entwickelung der Cultur zu wirken im Stande ſind.
VorwortS. V.
Einleitung.
Die verſchiedenen Seiten einer wiſſenſchaftlichen Betrachtung des Thierreichs, S. 1. Kenntniß der thieriſchen Formen, Syſteme; Kenntniß des thieriſchen Baues, Morphologie, S 2. Verhältniß des Thierreichs zur Erdoberfläche, Geſchichte des Thierreichs, S. 5.
Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Die Urzeit. S. 9. 1 ) Sprachliche Begründung einer den Urvölkern eigenen Thierkenntniß, früheſte Hausthiere, S. 10. 2 ) Eintritt der Thiere in den religiöſen Vorſtellungskreis, S. 15. 3 ) Alter und Verbreitung der Thierfabel, geographiſche Färbungen derſelben, S. 18. 4 ) Litterariſche Quellen der vorclaſſiſchen Zeit: Bibel, indiſche Litteratur, ägyptiſche und aſiatiſche Bildwerke, S. 22.
Das claſſiſche Alterthum, S. 26. Griechen und Römer, S. 26. Beob - achtungsmittel und Methode, S. 29. Unterſchied von Pflanze und Thier, S. 31. 1 ) Kenntniß der Thierformen. Fehlen des Begriffs thieriſcher Arten, S. 32, und einer wiſſenſchaftlichen Nomenclatur, S. 34. Hausthiere, S. 35. Ueberſicht nach den Claſſen, S. 39. Menſch, S. 44; Wirbelthiere, S. 46; Wir - belloſe Thiere, S. 53. 2 ) Kenntniß des thieriſchen Baues, S. 56. Die älteren griechiſchen Naturphiloſophen, S. 58. Ariſtoteles, S. 63; die nachari - ſtoteliſche Zeit, S. 72. 3 ) Verſuche zur Syſtematik, S. 76. Ariſtoteles, S. 77. Plinius, S. 85. 4 ) Anſichten über das Verhältniß der Thiere zur Erdoberfläche. Geographiſche Verbreitung, S. 88. Foſſile Thiere, S. 89.
Ausgang des Alterthums, S. 89.
Die Zoologie des Mittelalters.
Periode des Stillſtands bis zum zwölften Jahrhundert, S. 96. Kirchlicher Einfluß: Mönchthum und Macht der Kirche; Unterricht, S. 99. Boë - thius, Caſſiodor, Marcianus Capella, S. 104. Iſidorvon Sevilla, S. 105.
Der Phyſiologus. Elementarbuch der Zoologie, S. 108; Verbreitung deſſelben, S. 109. Die erwähnten Thiere, S. 118. Entſtehung, S. 139, Ge - ſchicke des Buches, S. 143. Symboliſche Zoologie, S. 144.
Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des zwölften Jahrhunderts, S. 145. Höhe der päbſtlichen Gewalt, S. 146. RealismusXInhalt.und Nominalismus, S. 148. Scholaſtik, S. 148. Reformatoriſche Verſuche S. 150. Franziskaner und Dominikaner, S. 150.
Zoologie der Araber, S. 151. Culturhiſtoriſche Charakteriſtik der Araber, S. 151. Originalarbeiten, S. 158. Ueberſetzungen, S. 170. Ariſtotelesund Plinius, S. 175. Apolloniusvon Tyana, S. 176.
Das dreizehnte Jahrhundert, S. 178. Erweiterung der ſpeciellen Thier - kenntniß, S. 178. Reiſen; Marco Polo, S. 195. Wiederauftritt des Ariſtoteles, S. 201. Michael Scotusund Wilhelm von Moerbeke, S. 208. Die drei Hauptwerke des dreizehnten Jahrhunderts: Thomasvon Cantimpré, S. 211; Albertder Große, S. 223; Vincenzvon Beauvais. S. 238.
Weitere Zeichen einer litterariſchen Thätigkeit, S. 242. Bartholomäus Anglicus, S. 245.
Ausgang des Mittelalters, S. 247. Conradvon Megenberg, S. 248. Jacobvon Maerlandt, S. 251. Univerſitäten, S. 254. Humanismus, S. 255. Buchdruck, S. 257. Entdeckungsfahrten, S. 257.
Die Zoologie der Neuern Zeit.
Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Allgemeine Charakteriſtik des Zeitraums, S. 259. Syſtematik: E. Wot - ton, S. 265. Verbreitete Anſchauungen vom Thierreich, S. 268. Adam Lonicer, S. 271.
Geſammtdarſtellungen: C. Gesner, S. 274. Ul[.]Aldrovandi, S. 288. J. Jonſtonus, S. 297. Handbücher: J. Sperling, S. 305. Bibli - ſche Zoologie: H. H. Frey, S. 310. Wolfg. Franz, S. 312; Sam. Bochart, S. 315. — Die Zoologie in der allgem. Litteratur, S. 317. Abbildungen, S. 318.
Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß, S. 321. Reiſen, S. 322. Amerika: Oviedo, Acoſta, Hernandez, S. 324. Marcgravund Piſo, S. 326. Oſt-Indien: Bontius, S. 330. Afrika: Joh. Leo, Prosper Al - pinus, S. 331. Mittelmeerküſten: P. Belon, S. 332. Nord-Europa: Ol. Magnus, S. 335; S. von Herberſtein, S. 336. Fauniſtiſches: S. 337.
Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen, S. 339. Säuge - thiere, S. 340. Vögel, S. 347; Schlangen, S. 354; Fiſche, S. 355. Mollus - ken, S. 368. Inſecten, S. 369. Würmer, S. 372. — Foſſile Formen, S. 374.
Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen, S. 376. Volcher Coiter, S. 377. Fabricius ab Aquapendente, S. 379. Severino, S. 381. Thom. Willis, S. 383.
Periode der Syſtematik.
Allgemeine Charakteriſtik des Zeitraumes, S. 386.
Fortſchritte der Anatomie: Einführung des Mikroſkops, S. 392. Malpighi, S. 394; Leeuwenhoek, S. 399; Swammerdam, S. 400; Redi, S. 403. — Blaes, S. 406; Valentini, S. 406.
Gründung der naturwiſſenſchaftlichen Akademien, S. 407. XIInhalt.Academia Naturae Curiosorum, S. 409; Royal Society, S. 413; Académie des Sciences, S. 415. Französische Provincialakademien, S. 417; Akademien in Berlin, Petersburg, Stockholm, Kopenhagen, Bologna, S. 418.
Localnaturgeſchichten, S. 420. — Pflege der Muſeen und Thiergärten, S. 422. Duverney, Meryund Perrault, S. 424. — An - zeichen des Fortſchritts, S. 425. Walter Charleton, S. 426.
John Ray, S. 428. Franc. Willughby, S. 430. Arbeiten Ray's, S. 431. Martin Liſter, S. 447. Die Zeit von Raybis Klein, S. 449. — Jak. Theod. Klein, S. 472.
Karl von Linné, S. 492. Seine Verdienſte, S. 497; ſein Syſtem, S. 503. Anregungen, welche die Zoologie Nicht-Syſtematikern verdankt: Buffon, S. 522; Bonnet, S. 526. — De Mailletund Robinet, S. 527.
Erweiterung der Thierkenntniß durch Reiſen und Faunen, S. 528. Zoogeographie, S. 534.
Peter Simon Pallas, S. 535.
Fortbildung der Syſtematik; M. J. Briſſon, S. 539. J. Her - mann, S. 542. — Phyſikotheologie, S. 543.
Fortſchritte der Kenntniß einzelner Claſſen: Menſch, S. 544. Säugethiere, S. 546. Vögel, S. 549. Reptilien und Amphibien, S. 551. Fiſche, S. 553. Mollusken, S. 555. Gliederthiere, S. 557. Würmer, S. 561. Polypen, S. 562. Infuſorien, S. 564. — Foſſilien, S. 565.
Vergleichende Anatomie: P. Camper, S. 566; A. von Haller, S. 567; L. Spallanzani, S. 568; C. F. Wolff, S. 568; J. Hunter, S. 568; F. Vicq d'Azyr, S. 569. — Thierſeelenkunde, S. 570.
Auftreten wiſſenſchaftlicher Zeitſchriften, S. 571.
Periode der Morphologie.
Allgemeine Charakteriſtik des Zeitraums, S. 573.
Die deutſche Naturphiloſophie, S. 576. Schelling, S. 576; Oken, S. 579; Schubert, Burbach, C. G. Carus, S. 589. — Goethe, S. 589.
Fortbildung der vergleichenden Anatomie. Kielmeyer, S. 592. Geoffroy-Saint-Hilaire, S. 593. G. Cuvier, S. 597. Bichat, S. 603. Blu - menbach, S. 603. Döllinger, Burbach, G. Fiſcher, S. 604. Tiedemann, Bo - janus, S. 605. C. G. Carus, S. 605. J. Fr. Meckel, S. 606. Rudolphi, E. H. Weber, S. 609. Blainville, S. 610.
Die Lehre von den thieriſchen Typen, S. 612. Lamarck, S. 612. G. Cuvier, S. 614. Blainville, S. 615. C. E. von Baer, S. 616.
Entwicklungsgeſchichte, S. 619. Oken, S. 620; Pander, S. 621; C. E. von Baer, S. 622; H. Rathke, S. 625. — Entdeckung des Säugethiereies, S. 628; Furchung, S. 629.
Zellentheorie, Th. Schwann, S. 629.
Morphologie und vergleichende Anatomie, S. 633; Rathke, S. 635; Joh. Müller, S. 635; Rich. Owen, S. 638. Savigny, S. 641. M. Sars, S. 643. Generationswechſel, S. 644. Handbücher, S. 646.
XIIInhalt.Paläontologie, S. 647.
Erweiterung der Thierkenntniß durch Reiſen und Faunen, S. 651. Expeditionen der Franzoſen, S. 652, der Engländer, S. 653, der Ruſſen, S. 654, der Deutſchen, S. 655, der Schweden, S. 656, der Nordamerikaner, S. 656. — Specielle Reiſen und Faunen, S. 656. Süd-Amerika, S. 656. Nord-Amerika, S. 658. Auſtralien, S. 660. Süd-Aſien, S. 660. Afrika, S. 661. Europa, S. 663. — Zoogeographie, S. 664.
Fortbildung des Syſtems, S. 666. Syſteme nach einzelnen Organen, S. 669. Naturphiloſophiſche Syſteme, S. 672. Weitere Begründung der Typen, S. 676.
Fortſchritte der Kenntniß einzelner Claſſen, S. 680. Proto - zoen, S. 680. Coelenteraten, S. 684. Echinodermen, S. 687. Würmer, S. 688. Arthropoden, S. 693. Mollusken, S. 698. Wirbelthiere, S. 702. Menſch, S. 714.
Hiſtoriſche Zoologie, S. 717.
Entwickelung der Thierwelt, S. 720. Lamarck, S. 721. F. S. Voigt, S. 723, Et. Geoffroy St. Hilaire, S. 724, Darwin, S. 725.
Schlußbemerkungen, S. 727.
Da der Druck dieſes Bandes ſchon vor dem Kriege begonnen, aber in Folge dieſes ſowie einer längern Erkrankung des Verf. unterbrochen wurde, können noch folgende Verbeſſerungen gegeben werden.
S. 20. Anm. 21. Ueber Klagen gegen Thiere ſ. noch Menabréa, de l'origine des jugements contre les animaux, in Mém. Soc. acad. Savoie. T. XII. 1846.
S. 32. Anm. 33. Die zweite Auflage von Wackernagel's Voces anima - lium iſt inzwiſchen erſchienen.
S. 37. Anm. 44. Meine Anſicht unterſtützt eine Angabe Geſner's, welcher (Hist. animal. lib. I. p. 215) Μελίτη für die Inſel Meledabei Raguſa hält.
S. 105. Z. 7 v. o. l. Werk ſtatt Schrift.
S. 125. Aehnliches von dem was hier der Phyſiologus vom Biber erzählt, führt Rafael. Volaterranus(teste Gesner, Quadruped. p. 838) von Poëphagus (Yak?) an: praescindit sibi sponte caudam.
S. 193. Von der Baumgans handelt noch ausführlich Bonanni, Recreatio mentis et oculi. Romae 1684. p. 96.
S. 281. Die hier erwähnte Schrift von Mich. Herroder Herusiſt gedruckt: „ Gründlicher Underricht, wahrhaffte und eygentliche Beſchreibung wunderbarlicher ſeltzſamer Art, Natur, Krafft und Eygenſchafft aller vierfüſſigen Thier “u. ſ. w. Straßburg, 1546, gedruckt bei Balth. Beck. Das Buch iſt ſelten.
Es iſt nicht anders zu erwarten, als daß der Menſch, welcher mitten in die belebte Natur hineingeſtellt ſich als Theil derſelben fühlen mußte, ſchon ſehr früh die Formen der Thiere, ihr Leben und Treiben, ihr Vorkommen und ihre Verbreitung mit der größten Aufmerkſamkeit und Hingebung betrachtet hat. Mag die Thierwelt ihm in ihren leichter bezwingbaren Gliedern Mittel zur Befriedigung ſeiner materiellen Be - dürfniſſe wie Nahrung und Kleidung dargeboten haben, oder mögen die Thiere, welche „ nicht an den Boden gebannt, neben voller Freiheit der Bewegung, die Gewalt der Stimme haben und zur Seite des Menſchen als mitthätige Geſchöpfe in dem Stillleben einer gleichſam leidenden Pflanzenwelt auftreten “1) J. Grimm, Einleitung zum Reinhart Fuchs. S. I., ihn durch die Mannichfaltigkeit ihrer Lebensäußerungen zum neugierigen Beobachten oder auch zur Ab - wehr ihrer Angriffe angeregt haben, immer werden ſich zu Worten füh - rende Begriffe gebildet haben, welche entweder den ſinnlichen Eindrücken entſprechend oder über dieſe hinausgehend zu den früheſten Beſitzthü - mern des Bewußtſeins gehörten. Es wird dies ſchon in Zeiten ge - ſchehen ſein, wo nur wenig andere Beziehungen, wie etwa die des Menſchen zum Menſchen, der Familienglieder zu einander, dem Vor - ſtellungskreis des Menſchen begrifflich eingereiht waren.
Dürfen wir den Urſprung einer Wiſſenſchaft in die Zeit des erſten Bekanntwerden mit dem Gegenſtande derſelben ſetzen, dann iſt die Zoo - logie wenn nicht die älteſte doch eine der älteſten Wiſſenſchaften. Frei - lich enthält ſie zunächſt nichts als Kenntniſſe einzelner Thierformen, V. Carus, Geſch. d. Zool. 12Einleitung.welche unverbunden und nur zufälligen Erfahrungen entſprungen wa - ren. Doch iſt das, was wir aus den in der Sprache niedergelegten Er - gebniſſen jener anfänglichen Bekanntſchaft mit den Thieren abzuleiten im Stande ſind, auch für rein zoologiſche Fragen von wiſſenſchaftlichem Werthe.
In Folge des gegen ſpätere Zeiten ungleich innigeren Anſchluſſes an die Natur, von welcher den Menſchen weder Verweichlichung und Verfeinerung der Sitten noch Beſchäftigung mit nicht ſtreng zu ihr Ge - hörigem geſchieden hatte, entwickelte ſich allmählich ein nicht bloß äußer - liches Vertrautſein mit dem Leben der Thiere. Wie der Menſch bei Thie - ren gemüthliche Aeußerungen, Neigungen und Abneigungen, häusliches oder geſelliges Leben beobachtete, Erſcheinungen, welche dem von und an ihm ſelbſt Gefühlten und Erlebten wenn auch nicht dem Inhalte doch der Form nach ähnlich waren, ſo trat die Veranlaſſung wohl nicht unbe - gründet an ihn heran, ähnliche äußere Wirkungen auch auf ähnliche innere Urſachen zurückzuführen und die bei Thieren geſehenen Regun - gen geiſtigen Lebens mit einem ſeiner Seelenthätigkeit entſprechenden Maßſtab zu meſſen. Miſchte auch die Einbildungskraft ein reichliches Theil völlig Unhaltbaren der Geſammtheit des richtig Beobachteten zu, ſo gehören doch die über das Seelenleben einzelner Thiere gewonnenen Kenntniſſe zu dem Werthvollſten, was uns die ſchöne ſagenreiche Ur - zeit, „ als noch die Thiere ſprachen “, überliefert hat. Auch hiervon hat eine Geſchichte der Zoologie manches Bedeutungsvolle aufzunehmen.
Führte ſo die erſte Bekanntſchaft mit Thieren zu einer Kenntniß der äußeren Geſtalt derſelben und derjenigen ihrer Eigenſchaften, welche weſentlich die Art ihres Verhältniſſes zum Menſchen beſtimmten, ſo konnte das gliedernde und ordnende Denkvermögen dem ſich immer reicher entfaltenden Bilde des Thierlebens gegenüber nicht hierbei bloß ſtehen bleiben. Wie ſchon die Sprache in ihren Bezeichnungen für die verſchiedenen Thiere keine Namen für Einzelweſen, ſondern Geſammt - ausdrücke für ſämmtliche gleichgeſtaltete, gleichgefärbte, gleichlebende Thiere ſchuf, ſo wurden dieſelben allmählich zu der Bedeutung erwei - tert, daß ſie gewiſſermaßen als Fächer zur Aufnahme neuer, nach und nach in die Erfahrung des Menſchen eintretender Thiere dienen konn -3Einleitung.ten. Es entſtanden Worte wie Vogel, Fiſch, Wurm u. ſ. w., welche urſprünglich, d. h. durch die zu ihrer Bildung benutzten Wurzeln, an hervorſtechende Eigenthümlichkeiten gewiſſer Thiere erinnernd allmäh - lich zu Namen für Thiergruppen wurden, zuweilen ſelbſt mit Verluſt ihrer erſten Bedeutung. Aber auch dieſe faſt unbewußte, jedenfalls nicht wiſſenſchaftlich beabſichtigte Sammlung des Gleichen und Aehn - lichen unter gemeinſame Bezeichnungen konnte dem Bedürfniß einer bewußten Anordnung nicht genügen. Dieſes mußte aber eintreten, ſo - bald Thiere bekannt wurden, welche ſich nicht ohne weiteres in das ſprachlich entwickelte Fachwerk fügen wollten. Vielleicht ſind einige der von Alters her als fabelhaft bezeichneten Thiere als ſolche anzuſehen, für welche in der Sprache noch keine Gattungsbezeichnungen vorhan - den waren.
Dieſem ſelben Drange, in die Mannichfaltigkeit des Geſehenen nicht bloß Ordnung zu bringen ſondern auch Sinn, entſprangen die bis in unſere Zeit hineinreichenden Verſuche das Thierreich einzutheilen oder zu claſſificiren. Der Wunſch, die Menge der Geſtalten überſicht - lich und ſo zu ordnen, daß Bekanntes leicht zu erkennen, Unbekanntes bequem unterzubringen ſei, führte zu der Form von Syſtemen, welche wir mit mehr oder weniger Recht künſtliche nennen. Iſt auch nicht zu verkennen, daß manche Verſuche, derartige Gebäude aufzuführen, äußerſt ſinnreich waren, ſo kommt doch in das Syſtem ſelbſt erſt da - durch wahrer Sinn, daß nicht willkürlich einzelne Merkmale vorweg zu Eintheilungsgründen gemacht werden und nach ihnen die Stellung des Thieres beſtimmt wird, ſondern daß die Thiere nach allen ihren Eigen - thümlichkeiten und Beziehungen unterſucht und mit einander verglichen werden.
Von größter Bedeutung iſt hierbei das Eintreten eines Wortes zur Bezeichnung des Verhältniſſes der Thiere zu einander, welches in einzelnen Ableitungen allerdings wohl ſchon bald in die Sprachweiſe der Schulphiloſophie übergieng und damit ſeine anfängliche Bedeutung in Vergeſſenheit treten ließ, welches aber dennoch ſowohl dem Syſteme Sinn, als der auffallenden Aehnlichkeit vieler Thiere Erklärung brachte, das Wort „ Verwandtſchaft “. Bei den Alten beherrſchte das1*4Einleitung.Sinnliche den Gedanken; die Speculation ſchloß ſich daher der Form ſtarr an. Doch konnte ſie ſich der Leitung durch den Sprachgebrauch nicht entziehen; und dieſer führte durch ſo eine bedeutungsvolle Reihe von Worten, wie „ Gattung “, „ Gattungsgenoſſen “, „ verwandt “2)Wenn noch bei Homerγένος άνϑρώπων, βοῶν u. ſ. f. die auf gemein - ſamer Zeugung ruhende Geſammtheit einzelner Formen bezeichnet, ſo wird von Herodotan γένος zur Bezeichnung der Familienſippſchaft erweitert, woraus ſich allmählich der Begriff der Verwandtſchaft im Allgemeinen entwickelte Es erhalten daher die γένη μέγιστα, die συγγενεῖα, die μορφἠ συγγενετικἡ des Ariſtoteleseinen Sinn, welcher unſerem naturhiſtoriſchen Ausdruck „ verwandt “um ſo mehr entſpricht, als ja auch uns die Bedeutung des Wortes „ Gattung “bei Ausſprache und Leſung deſſelben kaum mehr gegenwärtig iſt. Vor den Griechen fand ſich nichts dem ähnliches. Den alten Indern fehlte der Ausdruck für dieſen weiteren Grad der Zuſammengehörigkeit. Die Sanskritworte kula und gotra laſſen keinen „ gemeinſa - men Urſprung “durchblicken, und gâti, welches der Wurzel nach zu γένος gehört, wird nur im philoſophiſchen Sinne gebraucht., auf die Muthmaßung oder wohl nur unbewußte Ahnung einer Zuſammen - gehörigkeit ähnlicher Thierformen in einem Sinne, welcher erſt in neueſter Zeit Quell für viele anregende und fördernde Betrachtungen geworden iſt.
Mit der Erkennung und Unterſcheidung der Thiere gieng aber von Anfang an eine Reihe von Beobachtungen Hand in Hand, welche nicht wie jene allein auf das Aeußere, ſondern vorzüglich auf die innere Zu - ſammenſetzung des Thierkörpers gerichtet waren. Zunächſt kam es wohl nur darauf an, die zur Befriedigung der wichtigſten Bedürfniſſe des Menſchen brauchbaren Theile kennen und irgendwie kunſtgerecht ſondern zu lernen. Dem ſein Vieh oder ſein Wild abbalgenden und ausweidenden Hirten und Jäger folgte bald der Haruſpex, welcher zwar die Eingeweide und das Blut der Thiere3)auch der Menſchen bei den Cimbern, ſ. Strabo, 7, 2: ἐκ δὲ τοῦ προ - χεομένου αἵματος εἰς τὸν κρατῆρα μαντείαν τινὰ ἐποιοῦντο, nämlich aus dem Blute geſchlachteter Gefangenen. Weiſſagung aus den Eingeweiden Erſchlage - ner findet ſich noch im frühen Mittelalter. nur um die Geheimniſſe der Zukunft befragte, durch die Uebung ſeines Handwerks aber doch eine allgemeine Kenntniß ihrer Form und Lagerung erlangen mußte. Da - bei konnte denn die auffallende Aehnlichkeit mancher Thiere mit einander5Einleitung.nicht entgehen. Was anfangs nur zufällig gefunden wurde, gab Ver - anlaſſung zum ſpäter beabſichtigten, wenn auch noch nicht planvollen Suchen. Das Ziel, was man hier verfolgte, war die Begründung der auf anderem Wege erlangten Eintheilung der Thiere. So erweiterte zunächſt die Thieranatomie den Kreis der bei Anordnung der Thier - gruppen verwerthbaren Merkmale.
Das ſich immer mehr vertiefende Nachdenken über die den Men - ſchen täglich umgebenden, aber doch mit einem ſo dichten Schleier ver - hüllten Erſcheinungen des Lebens mußte allmählich zu Verſuchen füh - ren, das Beſtändige aus der Maſſe des Wechſelnden auszuſcheiden, Formen und Leiſtungen der Thierkörper auf gemeinſame Grundverhält - niſſe zurückzuführen, überhaupt das nachzuweiſen, was man trotz der ſcheinbaren Willkür des beweglichen Lebendigen Geſetzmäßigkeit in und an ihm nennen zu dürfen glaubte. Auch hier trat eine der täglichen Erfahrung entſpringende Mahnung an den Beobachter. Der regel - mäßige Ablauf der Lebensvorgänge wurde häufig geſtört; gewaltſame Eingriffe oder langſam wirkende Urſachen führten Krankheiten des Menſchen und ſeiner Thiere herbei; es traten angeborene Fehler und Misbildungen auf. Allem dieſen Abhülfe zu ſchaffen wurde von denen erwartet, welchen Beruf und Gewerbe, erſt ſpäter ausdrücklich darauf gerichtete Beſchäftigung Bekanntſchaft mit dem Körper des Menſchen und der Thiere einbrachten. So trat die Lehre vom Leben und die Wiſſenſchaft von den Trägern deſſelben in Abhängigkeit von der Krank - heits - und Heilungslehre, ein Verhältniß, deſſen Innigkeit zu lockern zwar vorübergehend verſucht wurde, deſſen Löſung aber zum Nachtheil beider Theile noch nicht völlig erfolgt iſt. Sicher iſt, daß entſcheidende Wendepunkte zum Fortſchritt dahin fallen, wo ſich die Vertreter der Naturwiſſenſchaften als freie Forſcher der Verbindung mit der Medi - cin entſchlugen.
Es mußte von vornherein einleuchten, daß die frei beweglichen Thiere ihre Wohnplätze nach Umſtänden wechſeln, daß ſie wandern konnten. Als aber die Weidethiere, nach Abnutzung der alten, neue Weideſtätten aufſuchten und ihnen die Raubthiere nachzogen, fand man bald auch fremde Thierformen am neuen Ort. Nicht ohne Einfluß auf6Einleitung.die Anſichten über die Verbreitung der Thiere waren die wohl ſchon lange vor Hippokratesbeobachteten Einwirkungen der „ Luft, des Waſſers und der Ortslage “auf die belebten Weſen. Man fand, daß nicht Alles überall gedeihen konnte; Pflanzen wie Thiere hatten ihre beſtimmten Verbreitungsgrenzen. Zu Urkund deſſen wurden Naturſchil - derungen ferner Länder durch Erwähnung der eigenthümlichen fremdar - tigen Thiere belebt. Doch gelangte man erſt ſpät zum Nachweiſe eines geſetzlichen Verhaltens der Vertheilung der Thiere auf beſtimmte Bezirke. Natürlich mußte die Entwicklung richtiger Anſichten über dieſen Gegenſtand hindern, daß man noch nicht die natürlichen Beziehun - gen der verſchiedenen Thierformen zu einander und zur umgebenden Pflanzenwelt würdigte, und daß beim Mangel einer genügenden Kennt - niß der Erdform und - oberfläche auch die hieraus fließenden Bedingun - gen für das Leben einzelner Thiergruppen unbekannt bleiben mußten.
Daß Ueberreſte von Thieren in Steinen eingeſchloſſen oder zu Stein geworden vorkommen, konnte ſelbſtverſtändlich erſt gefunden werden, als großartige Bauten Steinbrüche in Betrieb ſetzen ließen oder der Bergbau die Eingeweide der Erde zu durchwühlen begann. Zuweilen mag es wohl ſchon bei Brunnengrabungen ſich ergeben ha - ben, daß die Erdrinde Knochen und Muſcheln birgt. Von zufälligen, in noch älteren Zeiten gemachten Funden ſolcher Zeugen vergangener Ge - ſchlechter in loſem Geröll oder beim Pflügen hat ſich keine ſichere Kunde erhalten. Als Geſteinsmaſſen reichlicher erſchloſſen, Geſchiebe emſiger durchſucht wurden, dienten die hier entdeckten Verſteinerungen entweder zur Stütze beſonderer Anſichten über die Bildung der Erd - rinde, oder ſie wurden, von der Einbildungskraft mit allem Reize des Wunderbaren geſchmückt, zu abenteuerlichen Erzählungen über vorge - ſchichtliches Leben benutzt, oder als Naturſpiele bewundert. Daß die verſteinerten Thiere mit den jetzt lebenden in ein großes Syſtem gehö - ren, daß ſie mit den letzteren verwandt ſind, lernte man erſt ſpät ein - ſehen. Und der neueſten Zeit hängt noch als Mahnung an alte Ver - gangenheit die ungerechtfertigte Arbeitstheilung an, welche die Unter - ſuchung foſſiler Pflanzen und Thiere der Geologie zuweiſt. Kann auch dieſe in einzelnen Fällen kaum beſſere Merkzeichen für einzelne Schichten7Einleitung.aufſtellen, als deren organiſche Einſchlüſſe, ſo kann die Zoologie wegen der ihr eigen angehörigen Aufgabe einer Geſchichte des Thierreichs des eingehendſten Befaſſens mit ausgeſtorbenen Formen ebenſowenig ent - rathen, als ein genaues Eindringen in die Natur der foſſilen Formen ohne Beherrſchung der vergleichend-anatomiſchen Einzelheiten mög - lich iſt.
Das Thierreich bietet hiernach der wiſſenſchaftlichen Betrachtung verſchiedene Seiten dar. Anfänglich verbunden wurden ſie ſpäter ein - zeln unterſucht; es bildeten ſich beſondere Lehren. Dieſe ſind dann ſämmtlich eine Zeit lang getrennt gewachſen und haben ihre beſondere Geſchichte. Wie aber die aufeinanderfolgenden Verſuche, die verſchiede - nen einzelnen Thierformen in vollſtändige Syſteme zu bringen, den jedesmaligen Stand des zoologiſchen Wiſſens in ſeiner Geſammtheit repräſentiren, wie die Kenntniß des thieriſchen Baues und der thieri - ſchen Form im weitern Sinne zur Entwickelung der thieriſchen Mor - phologie, die Kenntniß der geographiſchen Verbreitung der Thiere zur Aufklärung des Verhältniſſes der Thiere zur Oberfläche der Erde und zu allem dem, was auf ihr ſich findet, wie endlich das Bekanntwerden mit verſteinerten Thierformen zu einem Einblick in den Zuſammenhang der Thierwelten verſchiedener Erdalter und dadurch zu einer Geſchichte des nun wieder zur Einheit verbundenen Thierreichs führte, — ſo ſind dieſe verſchiedenen Theile unſeres Wiſſens von den Thieren eben nicht als unverbindbare, auseinander ſtrebende Zweige, ſondern als die zum Stamm einer einheitlichen Wiſſenſchaft zuſammentretenden Wurzeln zu betrachten.
Undankbar wäre es, ſollte bei dem erfreuenden Blick auf die jetzige Ausbildung der Zoologie nicht der Hülfe gedacht werden, welche die Schweſterwiſſenſchaften ihr geleiſtet haben. Nirgend wohl iſt die Schwierigkeit, zäh eingewurzelten Vorurtheilen entgegenzuarbeiten, ſo groß als wo es ſich um Erklärungen von Lebensvorgängen handelt, beſonders wenn dieſe Vorgänge zu den immer noch räthſelhaften, aber deshalb doch nicht als Wunder zu betrachtenden Geſtaltungen führen, wie ſie ſowohl in der Entwickelungsgeſchichte einzelner Thierformen, als in dem ganzen Bildungsgange der Thierwelt vorliegen. In nicht8Einleitung.geringerem Grade weigert ſich die geiſtige und ſittliche Trägheit, dem ſtreng folgerichtigen Denken auf das Gebiet jener nicht materiellen aber von körperlichen Grundlagen ausgehenden Bewegungserſcheinungen zu folgen, welche gemeinhin als ſeeliſche bezeichnet durch Eintreten des freien Willens wie großer Abſtractionsfähigkeit zwar vorläufig einer ins Einzelne gehenden Erklärung ausweichen, aber doch untrennbar mit den übrigen Theilvorgängen des Lebens verbunden ſind. Incon - ſequent war es, den jetzt ſchon rechnen und meſſen könnenden Natur - wiſſenſchaften die Erlaubniß zur Anwendung metaphyſiſcher Begriffe zuzugeſtehen, und den nach dem Bedürfniß etwas erweiterten Gebrauch ſolcher den Unterſuchungen über die belebte Natur verweigern zu wollen. In allem dieſem hilft verwandter Fächer Rath und Beiſpiel; an ihnen erſtarkt die Methodik auch zur Bewältigung noch dunkler Fragen. Der Zoologie liegt wegen der Natur ihres Gegenſtandes die Gefahr nahe, von dem Hülfsmittel allgemeiner Annahmen, deren ſich indeß auch an - dere Wiſſenſchaften nicht entſchlagen, einen zu reichlichen Gebrauch zu machen4)» Man is prone to become a deductive reasoner; as soon as he obtains principles which can be traced to details by logical consequence, he sets about forming a body of science, by making a system of such reasonings «. Whewell, History of the induct. Scienc. 3. ed. Vol. I. p. 115. . Wie ihr aber hier die ſtrenger vom Einzelnen zum Allge - meinen fortſchreitenden Wiſſenſchaften Lehren geben, können dieſe um - gekehrt von der Wiſſenſchaft der lebenden Natur lernen, daß es außer Zahl und Maß noch andere Erkenntnißquellen gibt, durch welche die Vielheit auf eine Einheit, das Mannichfaltige auf ein Geſetz geführt wird. So ſchürzen ſich auch über dem Thierreich von neuem die Bande, welche vorübergehend zwar gelockert, aber je länger deſto inniger die verſchiedenen auf Erforſchung der Natur gerichteten Beſtrebungen zu einer einzigen Naturwiſſenſchaft vereinigen.
Wie im Mittelalter die Zoologie da wiſſenſchaftlich zu werden be - ginnt, wo daſſelbe den von den Griechen erworbenen, von den Arabern behüteten Schatz von Thatſachen zu heben verſucht, ſo konnte auch das claſſiſche Alterthum keine Wiſſenſchaft von den Thieren entſtehen laſſen, ohne daß hier wiederum eine einfache und anſpruchsloſe Kenntniß von Thieren vorausgegangen wäre. Ueberall geht ja dem Naturwiſſen eine Naturbetrachtung voraus, welche, vor jeder Verwerthung des Geſehe - nen zu Nutz und Frommen einer nur in ſich ſelbſt Zweck und Befrie - digung findenden Wiſſenſchaft, je nach den geiſtigen und körperlichen Bedürfniſſen des Menſchen nutzbringend zu machen verſucht wird.
Den Anſtoß zu einer wiſſenſchaftlichen Behandlung gibt der erſte Verſuch, eine beobachtete Erſcheinung zu erklären. Von der eigenthüm - lichen Natur des Betrachteten hängt es ab, ob eine Erklärung ſchon früher oder erſt ſpäter verlangt und demgemäß verſucht wird. Bei den ſinnvoll ſogenannten Natur - „ vorgängen “waren die dieſelben als ſolche auszeichnenden Bewegungen das Auffallendere, ſich nicht von ſelbſt Er - gebende, daher zunächſt der Erklärung Bedürftige. Hier verſuchte ſich daher ſchon früh Scharfſinn und Witz in Aufſtellung von Deutungen und Lehrſätzen. Die Thierwelt bot vor Allem Mannichfaltigkeit der Form dar; dieſe verſuchte man aufzufaſſen; die an den Thieren beo - bachteten Bewegungen wurden aus ihrer Menſchenähnlichkeit erklärt1)Die Beurtheilung der Thiere, ihres Lebens, ihres Baues u. ſ. w. geſchah noch bis in die neuere Zeit im Anſchluß an das vom Menſchen her Bekannte. Wie. 10Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Während daher bei andern Naturwiſſenſchaften ſchon die früheſten über - lieferten Zeugniſſe darauf ausgehen, etwa Bewegungserſcheinungen, wie Stromlauf, Blitz und Donner, Fall und ähnliches zu erklären oder wenigſtens Anſichten über derartige meiſt nur theilweis und unvoll - ſtändig beobachtete Vorgänge zu entwickeln, überhaupt aber Allgemei - nes hinzuſtellen, hebt die Zoologie damit an, Thierformen zu unter - ſcheiden und zu beſchreiben. Selbſtverſtändlich kann dies in den früheſten Zeiten nichts mehr geweſen ſein als die Thiere zu benennen.
Auf dem Beſtande der Kenntniß einzelner Thiere erhebt ſich die ſpätere wiſſenſchaftliche Betrachtung derſelben. Es iſt daher für die früheſte Geſchichte der Zoologie von Wichtigkeit zu unterſuchen, welche Thiere den Culturvölkern zuerſt bekannt wurden. Da die Semiten für dieſe Seite des Naturwiſſens durchaus nicht begründend, kaum för - dernd eingreifen, ſind die für die neuere Wiſſenſchaft überhaupt allein maßgebenden Indogermanen oder Arier hierauf zu befragen. Aus den Thiernamen, welche in ihren Wurzeln oder thematiſchen Formen den verſchiedenen ariſchen Sprachen gemeinſam ſind, deren Träger alſo den Ariern vor ihrer Trennung bereits bekannt geweſen ſein müſſen, erge - ben ſich Hinweiſe nicht bloß auf urſprüngliche geographiſche Verbrei - tung einzelner Thiere und deren etwaige Veränderungen, ſondern auch auf den Urſprung der Hausthiere. Nach beiden Richtungen hin ver - dient der Gehalt der älteſten Sprachen an Thiernamen von der Ge - ſchichte der Thiere ſorgfältiger geprüft zu werden2)Eine Vergleichung ſämmtlicher im Wortſchatz einer Sprache enthaltener Thiernamen, welche nicht in eine Geſchichte der Zoologie, ſondern in eine Geſchichte der Thierwelt gehört, würde auch außer den oben erwähnten Vortheilen noch an - dere bieten, ſo das kürzere oder längere Zuſammenbleiben einzelner Völker und da -. Es ergibt ſich1) Ariſtotelesdies damit begründet, daß er ſagt (Hist. Animal. I, 6): ὁ δ ἄν - θρωπος τῶν ζῴων γνωριμώτατον ἡμῖν ἐξ ἀνάγκης ἐστίν, ſo war die verglei - chende Anatomie urſprünglich nichts als eine Vergleichung des Baues einzelner Thiere mit dem des Menſchen. Die vergleichende Pſychologie ſteht noch auf dieſem Standpunkte, wenn ſie danach fragt, ob gewiſſe Theile der menſchlichen Pſyche ſich bei Thieren finden.111. Sprachliche Begründung älteſter Thierkenntniß.ferner wieder aus dem geographiſchen Verhalten der Thiere, welche hierbei genannt werden, nicht bloß eine Hindeutung auf den vermuth - lichen Urſitz der Völker, ſondern, was hier zunächſt in Betracht kommt, es ſtellt ſich darin der Kern dar, um welchen ſich bei der ſpäteren Ent - wickelung die weiteren zoologiſchen Kenntniſſe anſammelten3)Den erſten Verſuch zu einer ſolchen Zuſammenſtellung machte A. W. von Schlegelin ſeiner Indiſchen Bibliothek, Bd. 1. 1823. S. 238, Ueber Thierna - men. — Außer Curtius, Griechiſche Etymologie, ſind zu vergleichen: Kuhn, Zur älteſten Geſchichte der indogermaniſchen Völker. Programm. Berlin, 1845, abgedruckt in Weber's Indiſchen Studien, Bd. 1. S. 321. Förſtemann, Sprachlich-naturhiſtoriſches, in: Kuhn's Zeitſchr. für vergleich. Sprachforſchung, 1. Jahrg. 1852. S. 491. 3. Jahrg. 1854. S. 43. J. Grimm, Geſchichte der deutſchen Sprache, S. 28 u. flgde (Namen des Viehs). Pictet, Les Origines indo-européennes ou les Aryas primitifs. Paris, 1859. I. Partie, p. 329-410. M. Müller, Chips from a German Workshop. Vol. II. p. 42. (1. ed.). Bruno Kneiſel, Culturzuſtand der indogermaniſchen Völker vor ihrer Trennung. Pro - gramm. Naumburg, 1867. Bacmeiſter, Urſprung der Thiernamen, in: Aus - land, 1866, S. 924. 997. 1867, S. 91. 472. 507. 1133. — Ueber Hausthiere ſ. auch Link, Urwelt und Alterthum, 1. Bd. 2. Aufl. S. 369 u. flgde..
Ungemein merkwürdig iſt es, daß die Thiere, welche noch heute als Hausthiere werthvoll und zum Theil unentbehrlich ſind, auch die am älteſten bekannten waren. Schon das Wort Vieh iſt ſelbſt ein altes (Sanskrit paçu, griech. πῶν, latein. pecus, gothiſch faihu, fihu). Das Rind geht in verſchiedenen Alters - und Geſchlechtsnamen, welche zuweilen wechſeln, durch die meiſten hierhergehörigen Sprachen (ſo: Skrt. go, griech. βοῦς, lat. bos, hochdeutſch chuo, Kuh; Skrt. ukshan, lat. vacca, goth. auhsan, hd. Ochs; Skrt. sthûra, griech. und lat. taurus, hd. Stier). Das Schaf, deſſen ariſche Urbenen - nung uns verloren gegangen iſt, heißt Skrt. avi, griech. ὄϊς, latein. ovis; im Gothiſchen heißt ein Schafſtall noch avistr; das hochdeutſche Aue wird nur dialektiſch für Lamm gebraucht. Die Bezeichnungen für Ziege haben ſich geſpalten; möglicherweiſe ſtanden ſie, bei der ſo2)mit deren Urgeſchichte aufklären oder wenigſtens neben anderen Beweismitteln auf - klären helfen, z. B. die längere Verbindung der ſlaviſchen mit den indiſchen oder perſiſchen Stämmen, wie ſie bereits Kuhnangedeutet hat (Indiſche Studien von Weber, 1. Bd. S. 324 Anm.). Eine ſolche Unterſuchung könnte indeß nur von zwei zu dieſem Zwecke ſich verbindenden Forſchern, einem Sprachforſcher und Na - turforſcher ausgeführt werden.12Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.äußerſt nahen Verwandtſchaft von Schaf und Ziege, in gleichem Ver - hältniß zu dem Namen avi oder ὄϊς, wie die Geſchlechtsbezeichnung der Rinder zu go oder vielleicht zu paçu. Es führt Skrt. aga nur auf αἴξ und litt. ožys; latein. hoedus hängt mit goth. gaitei, hd. Geis zu - ſammen, Skrt. chaga mit hd. Ziege. Dagegen geht das Schwein gleichmäßig durch; Skrt. sû-kara (d. h. ein Thier, welches sû macht), griech. ὗς, lat. sus, hd. Sau und Schwein. Ueberall bekannt war auch der Hund, deſſen hochdeutſcher Name auf lat. canis, griech. κύων, Skrt. çvan zurückführt. Das Pferd, deſſen jetzt geläufiger deutſcher Name dem baſtardirten unſchönen parafredus entſprang, heißt im Skrt. açu, griech. ἴππος, lat. equus, nach den Geſetzen der Lautverwand - lung verſchiedener Formen deſſelben Wortes, welches auch noch im Gothiſchen wiedergefunden wurde. Für den gleichfalls zur Urzeit ſchon gezähmten Eſel fehlt die zu dem griech. ὄνος (für ὀσνος) gehörige Sanskritform4) Pictetführt (a. a. O. S. 355) eine Sanskritform für Eſel an, khara, welche in das Perſiſche, Kurdiſche, Afghaniſche, Oſſetiſche u. ſ. f. übergegangen ſein ſoll. Benfeywill ὄνος, asinus auf eine ſemitiſche Stammform zurückführen, die in der hebräiſchen Bezeichnung für Eſelin, athon, noch erkennbar ſei.; aus dieſem leiten ſich asinus und gothiſch asilu, hd. Eſel ab. Vom Hausgeflügel iſt nur ſicher, daß die Gans (Skrt. hansa, griech. χήν, latein. mit erweitertem Stamm anser, wie engl. gander, hd. Gans) ein urbekanntes Thier iſt. Ob die Ente ein gleich hohes Al - terthum beanſpruchen kann, iſt zweifelhaft5)Skrt. âti (anti) bedeutet zwar einen Waſſervogel und hiermit ſcheint anas und Ente zuſammenzuhängen; νῆσσα führt aber auf νήχω. Das im Amarako - ſcha als Ente aufgeführte kâdamba iſt wohl Ausgangsform für κόλυμβος, viel - leicht columba, welchem möglicherweiſe das deutſche Lumme anzuſchließen iſt. Als „ Taucher “(vom Hinabſtürzen) iſt vielleicht die den Römern erſt ſpäter bekannt ge - wordene Taube von dieſen mit dem griechiſchen Namen, gewiſſermaßen als „ Luft - taucher “benannt worden. Das goth. dubo, hd. Taube, ſteht noch unvermittelt da. V. Hehnführt es (in dem unten beim Huhn anzuführenden Werke, S. 245) auf Adj. daubs, taub, ſtumm, blind, düſterfarbig, wie πέλεια auf πελός, πελίος u. ſ. f. zurück..
Befremdend iſt es, wenn nun zu den nicht gezähmten aber dem Menſchen ſonſt näher tretenden Thieren übergegangen werden ſoll, daß zwar der Name für den „ ſüßen “Honig (Skrt. madhu, griech. μέθυ,131. Sprachliche Begründung älteſter Thierkenntniß.übertragen Meth), aber nicht für das ſo früh bewunderte Honig ſam - melnde Inſect Allgemeingut geworden iſt6)Skrt. bhramara führt auf βρέμω, Bremſe; druṇa Skrt. kann nicht Drohne ſein; Imme iſt griech. ἔμπις, lat. apis; auch Biene ſchließt ſich vielleicht an apis. . Dagegen iſt es ein an - heimelnder Gedanke, daß auch unſern Urſtammvätern jene zudringlichen kleinen Diebe nicht gefehlt haben, zu deren Verfolgung im Laufe der Thiergeſchichte bereits ein Thier ein früheres abgelöſt hat. Das Sans - kritwort mûsh wird griech. μυς, bleibt latein. mus und iſt das hd. Maus. Die Katze hat erſt ſpäter die Rolle der Mäuſevertilgerin übernommen, obſchon ſie bereits in Indien altbekannt war7)catus und Katze ſtammen aus einer ſemitiſchen Quelle. (vgl. indeß den Artikel Katze von Hildebrandin Grimm's Wörterbuch, 5. Bd.). Das gewöhn - lich als Katze gedeutete αἴλουρος iſt Mustela foina, der Hausmarder, wie Rolle - ſton nachgewieſen hat (Journ. of Anat. and Physiol. Vol. II. (2. Ser. ) 1867, p. 47. 437. Die ägyptiſche Katze erhielt ſpäter den Namen von ihrem Vorgänger in den griechiſchen Häuſern, γαλῆ.. Den Mäuſen als läſtige Begleiter des Menſchen nicht unähnlich iſt die Fliege oder Mücke zu erwähnen, welche durch musca, griech. μυῖα, Skrt. makshika ihr hohes Alterthum (wenn auch in dieſem Falle natürlich nicht in einer nachweisbar beſtimmten Art) beſtätigt8)Gleich alt iſt vielleicht der Floh (ψύλλα, pulex, Floh) und die Laus, für deren Eier (Niſſe) der Name in denſelben Sprachen ſich findet.. Auch der Aus - druck für das Gewürm im Allgemeinen iſt alt: Skrt. kṛmi wird ἕλμις, vermis, goth. vaurmi, hd. Wurm (littauiſch noch kirminis).
Von wilden Thieren iſt zunächſt des Bären zu gedenken, deſſen jetziger hochdeutſcher Name zwar andern Urſprung hat9)ſ. Grimm's deutſches Wörterbuch Bd. 1. u. d. W., welcher aber durch Skrt. ṛksha, griech. ἄρκτοσ, latein. ursus, celtiſch art, auf die urſprünglich weite Verbreitung hinweiſt. Während der Bär von An - fang an erkannt wurde und keiner Verwechſelung mit andern großen Thieren unterlag, ſcheint ſich die Reihe von Namen für Wolf und Fuchs trotz ihres ſpätern Gegenſatzes früher noch vermiſcht zu haben. Von dem Stamm vṛka, zerreiſſen im Skrt., iſt durch griech. λύκος das latein. lupus, andrerſeits hircus, dann aber (wohl auch ἀλώπηξ und) vulpes, Wolf abzuleiten. Ein hohes Alter hat auch der Biber zu14Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.beanſpruchen, deſſen hochdeutſcher Name durch fiber auf Skt. babhru, braun (auch ein Thiername) führt. Für die Schlange weiſt vielleicht noch unſer Unke auf anguis und hängt wie Aal, anguilla, ἔγχελυς, mit griech. ἔχις und Skrt. ahi zuſammen, während ein anderes Sans - kritwort sarpa zu griech. ἕρπετον, lat. serpens, wäliſch sarff führt. Wenn dieſem Verzeichniß noch der Otter (Skrt. udras, griech. ὕδρα, Waſſerſchlange, litt. udra, ahd. Otter), der Kuckuck oder Gauch (Skrt. kokila, griech. κόκκυξ, lat. cuculus) und der Rabe (Skrt. kâravas, griech. κόραξ, lat. corvus, goth. hraban) angeſchloſſen wird, ſo vervollſtändigt ſich das Bild des den Ariern geläufigen Thier - lebens ſo ziemlich. Da natürlich hier keine Etymologie der Thiernamen gegeben werden kann und ſoll, darf nur noch daran erinnert werden, daß eine nicht unbedeutende Anzahl ſolcher, mehreren zum ariſchen Stamm gehörigen Sprachfamilien gemeinſam iſt, während einzelne Thiere, wie z. B. der Elch (Skrt. ṛc̣as, griech. und lat. alces, ahd. elaho), erſt ſpäter einen im ariſchen Wurzelvorrath ſich findenden Na - men erhielten. Eine Unterſuchung derartiger Verhältniſſe nach den oben genannten Geſichtspunkten dürfte ſehr lohnend werden. Hier mag nur Folgendes noch eine Stelle finden.
Es fällt auf, daß in der obigen Liſte manche Thiere fehlen, welche man gern als älteſte Geſellen des Menſchen oder als Mitbewohner der früheſten Höfe betrachten möchte und deren Vorhandenſein an den Stätten der erſten Wohnſitze gemuthmaßt wird. Das Huhn, deſſen Stammform man jetzt mit Recht in dem indiſchen Gallus bankiva ſieht, war zwar den Alten bekannt. Doch fehlt es nicht bloß im alten Teſtamente, ſondern auch im Homerund Heſiod; erſt bei den griechi - ſchen Lyrikern erſcheint es der gewöhnlichen Annahme zufolge, noch ſicherer bei den Tragikern und Komikern, ebenſo mit der bei letzteren auftretenden Bezeichnung im neuen Teſtament. Die Namen gehen aber nirgends zuſammen; meiſt liegt Nachahmung des Krähens den Namen des Hahns zu Grunde10)Das Wort ὄργις, welches bei den Lyrikern gewöhnlich für Huhn genom - men wird, vielleicht aber nur kleinere Vögel bezeichnet (ſo z. B. Alkman, 24. Fragm. ὥστ᾿ ὄρνιθες ἱ〈…〉〈…〉 ρακος ὑπερπταμέυω; ähnlich bei Alkaeos, 27. Frag -. Eigenthümlich iſt endlich, daß das Kamel152. Eintritt der Thiere in den religiöſen Vorſtellungskreis.für deſſen Bezeichnung alte, mehreren ariſchen Völkergruppen gemein - ſame Wörter ſich finden ſollen11) Pictet, Origines indo-europ. p. 382 flgde., ſeinen ſemitiſchen Namen, welcher in Indien mit Hülfe einer Volksethymologie dem Sanskrit angepaßt und von den meiſten übrigen Sprachen faſt unverändert aufgenommen wurde12)Aus dem arabiſchen Gamal wurde Skrt. krâmela, im Anſchluß an die Wurzel kram, ſchreiten. Im Gothiſchen heißt das Kamel ulbandus und wird dieſes offenbar mit Elefant identiſche Wort gewöhnlich als Beweis dafür vor - gebracht, daß Namen großer Thiere oft ineinander überlaufen. Es ſchließt ſich gelſ. olfend., ahd. olpenta an. Sprachlich iſt es nicht möglich, hiervon die Namen für den Elefant, angelſächſ. ylpend, ahd. helfant, und das ſlaviſche Wort für Ka - mel, velblud oder verbud, zu trennen. Ulfilasbraucht dies Wort bei der Stelle Marc. 10, 25, „ es iſt leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe “. Nun gibt es zwar eine chaldäiſche Redensart: einen Elefanten durch ein Nadelöhr bringen (Buxtorf, Lex. Chald. Talmud. s. v. phila, citirt von Schleusner, Nov. Lex. graeco-latin. in N. T. 4. ed. Tom I. s. v. κάμηλ᾿ος; weitere Belege ſ. in dem unten erwähnten Aufſatz von Caſſel S. 16). Dieſe könnte Ulfilasbekannt geweſen ſein und die Verwechſlung veranlaßt haben. Doch benutzt er das Wort ulbandus auch Marc. 1, 6, und dies, ſowie der ſlaviſche Name für das Kamel werden hierdurch nicht erklärt Es wurde alſo der Name wirklich übertragen, wie es auch ſonſt noch vorkommt. So heißt der Moſchus, deſſen Namen im Skrt. durch das Wort mushka, Hode, gegeben iſt, doch hier kasturi nach dem in Kleinaſien bekannteren Biber; ſ. Laſſen, Indiſche Alterthumskunde 1. Bd. 2. Aufl. S. 368. Ueber den Namen des Elefanten ſ. die vor dem Aufblühen der wiſſenſchaftlichen Etymologie geſchriebenen Bemerkungen von A. W. von Schlegelin ſeiner In - diſchen Bibliothek, Bd. 1. 1823. S. 241. Ueber den gothiſchen Namen des Ka - mels ſ. auch den (freilich etymologiſch nicht ganz kritiſchen) Aufſatz von P. Caſſel, Ulbandaos. Sonderabdruck aus den Märkiſchen Forſchungen Bd. IX. (1866)., auch in den germaniſchen Sprachen wieder erhalten hat, nachdem im Mittelalter der Name des Elefanten dafür eingetreten war.
Der lebendige unbefangene Sinn der jugendlichen inmitten der Naturwunder aufwachſenden Menſchheit konnte ſich nun aber durch10)ment), gehört mit unſerm Aar, angelſächſ. earn, ſlav. orl, zur Skrtwurzel ar, ſich erheben. Es iſt hier alſo ein auch ſonſt nicht ſeltener Wechſel in der Bedeutung ein - getreten. Ueber das Huhn in der Bibel ſ. Bochart, Hierozoicum; Tom. II. lib. I. cap. 16. — Ueber das Haushuhn ſ. auch Victor Hehn, Culturpflanzen und Hausthiere in ihrem Uebergang aus Aſien nach Griechenland und Italien, ſo - wie in das übrige Europa. Berlin 1870, S. 225.16Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.eine bloße Formbekanntſchaft mit den Thieren um ſo weniger befriedigt fühlen, als dieſe „ keine charakterloſen Bewohner des Feldes und Wal - des “waren, ſondern die werkthätige Kraftanſtrengung, den Scharfſinn und in nicht geringem Maße die innere Theilnahme des Menſchen her - ausforderten. Wie auch jetzt noch, trotzdem daß „ die wiſſenſchaftliche Forſchung überall den Schein zerſtört hat und der alte Glaube an die götterbeſeelte Natur längſt gebrochen iſt “, die in dem Gefühle der Zu - ſammengehörigkeit wurzelnde Befreundung mit der Natur und ihren Heimlichkeiten eine Wahrheit iſt, ſo mußte in Zeiten, wo die Berüh - rung des Menſchen mit der Natur eine äußerſt innige war, auch das Thierleben in nähere Verbindung mit den übrigen Naturvorgängen treten. Die Thiere waren nicht bloß der Ausdruck der Bewegung in der irdiſchen Natur, ſie bezeichneten nicht allein durch ihr Auftreten und Verſchwinden den Wechſel der Jahreszeiten u. ſ. f., die in Folge engern Zuſammenlebens ſorgfältiger beobachteten Sitten, das ſich über - haupt weiter erſchließende Leben der Thiere bot auch der dichteriſchen Einbildungskraft, welche in allen Zeiten und Breiten das beſtändige Werden in der Natur mit einem erſten Gewordenen in Verbindung zu bringen verſuchte, reichlichen Stoff zur Belebung jetzt als todt erkann - ter, ſtarren Geſetzen gehorchender Vorgänge dar. „ Werden nun aber die Naturerſcheinungen als perſönliche göttliche Weſen oder als von ihnen ausgehend gedacht, ſo liegt es nahe, zwiſchen dem Thier, in dem ſich eine natürliche Fähigkeit am energiſchſten und kräftigſten zu erken - nen gibt, und der verwandten Naturerſcheinung eine tiefere Beziehung ſich zu denken; das Thier wird zum Ausdruck der Naturerſcheinung, zum Träger oder Begleiter ihrer Gottheit; es wird leicht auch zu deren Bilde. “13) Laſſen, Indiſche Alterthumskunde 1. Bd. 2. Aufl. S. 346.. So kommt es, daß es außer der jüdiſchen Schöpfungsſage wohl kaum eine Urform religiöſer Vorſtellungskreiſe gibt, in welcher nicht auf eine oder die andere Weiſe Thiere als Träger, Begleiter, Sinnbilder der Gottheiten erſcheinen. Zur Erklärung dieſer Verbindung ſcheinbar gar nüchterner, doch im Grunde tief poetiſcher Verkörperun - gen gewiſſer Ideen mit den höchſten ſittlichen und geiſtigen Vorſtellungen172. Eintritt der Thiere in den religiöſen Vorſtellungskreis.braucht man nicht einen urſprünglich hohen, ſpäter verlornen Entwicke - lungszuſtand der Naturwiſſenſchaften bei den Urvölkern anzunehmen, wie es ſeit Creuzer hier und da nur zu bereitwillig ohne jeglichen Nachweis geſchah.
Ein Beweis dafür, daß der Eintritt von Thieren in allgemeine kosmogoniſche oder mythologiſche Bilder erſt nach der Trennung der Urvölker, erſt nach weiterer Entwickelung einzelner derſelben erfolgte, liegt in der geographiſchen Färbung derartiger Sagen, wogegen ſich ge - wiſſe gemeinſame Züge aus der Zeit des urſprünglichen Zuſammen - lebens erhalten haben mögen. Es finden ſich daher in denſelben neben den urbekannten Hausthieren nur Thiere, welche in ihrem Vorkommen gewiſſen Ländern oder gewiſſen Breiten eigen ſind. Beiſpielsweiſe mag hier nur auf Einzelnes hingewieſen werden. Die Inder ließen ihre Welt von vier Elefanten getragen ſein, welche wiederum auf einer Rie - ſenſchildkröte ſtanden; dagegen wurden die Flüſſe Nahrung ſpendenden Kühen verglichen. Lakſchmi, Viſchnu’s Frau, hat als Symbol eine Kuh. Dieſem Zeichen der völlig unterworfenen Hausthierwelt ſtehen die im Gefolge Çiva’s ebenſo wie des griechiſchen Dionyſos erſchei - nenden Löwen und Panther gegenüber als Symbol weiterer Gewalt über wilde Naturkräfte. Den Sonnenwagen Mithra’s wie des grie - chiſchen Helios ziehen Roſſe; ebenſo reitet Wuotan der nordiſche Zeus auf einem Roſſe, während Donar in einem von zwei Böcken gezogenen Wagen fährt. Den Wagen des Freyr, des nordiſchen Gottes der Sonne, zieht ein Eber; doch auch ihm als Gott der Fruchtbarkeit war die Kuh geweiht. Dem Ormuzd und Zeus war der Adler, dem Don - nergott Donar das Rothkehlchen heilig. Während in ſüdlichen Bildern der Löwe erſcheint (Sphinx als Löwenleib mit Menſchenkopf, nemäi - ſcher Löwe u. a.), läßt die nordiſche Mythologie das Ende der Welt dadurch hereinbrechen, daß ein Wolf die Sonne, ein anderer den Mond verſchlingt. Dagegen war die Gans (Schwan) ſowohl bei den In - dern der Göttin der Rede, bei den Römern der Juno geweiht, als ſie bei den Griechen die Gabe der Weiſſagung und des Geſanges er - hielt, ebenſo wie ſie auch bei den alten Deutſchen als weiſſagender Vogel galt. — So finden ſich denn in den religiöſen Stammſagen der V. Carus, Geſch. d. Zool. 218Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Menſchheit zahlreiche, hier nur in Andeutungen zu berührende Hin - weiſe auf die Tiefe des Eindrucks, welchen die Thierwelt auf das em - pfängliche Gemüth des Menſchen gemacht hat14)Für Weiteres verweiſe ich auf Jac. Grimm’s Deutſche Mythologie 3. Aufl. 2. Bd. S. 620-660. ferner: A. Baſtian, Das Thier in ſeiner mytho - logiſchen Bedeutung. in: Baſtian u. Hartmann’s Zeitſchrift für Ethnologie. 1. Jahrg. 1. Heft. 1869. S. 45-66.. Gemeinſam iſt indeß dieſem mythologiſchen Auftreten der Thiere, daß ſie hier gewiſſermaßen nur in ihrer Geſammterſcheinung verwerthet werden, ohne überall eine eingehendere Beſchäftigung mit allen kleinen Zügen ihres Weſens durch - ſcheinen zu laſſen.
Wird ſich auch nicht läugnen laſſen, daß die als Attribute von Gottheiten oder als lebendige Abbilder von Naturgewalten mit einer weihevollen Stimmung betrachteten Thiere ebenſo wie die Opferthiere einen beſtimmten Einfluß auf das zoologiſche Bewußtſein des Men - ſchen, wenn der Ausdruck geſtattet iſt, geäußert haben werden, ſo iſt in der Thierfabel ein ungleich bedeutungsvollerer Schatz wirklicher Beobachtungen enthalten, welcher nicht bloß das Thier nach der allge - meinen Wirkung ſeiner Erſcheinung und ſeines Auftretens in der Natur darſtellt, ſondern auf eine häufig in’s Einzelne gehende Kenntniß ſeiner körperlichen und beſonders ſeiner geiſtigen Eigenſchaften hinweiſt.
Zwar liegt auch der Thierfabel, und namentlich der weiter ent - wickelten Form derſelben, dem Thierepos, jene poetiſche Anſchmiegung an alles Natürliche zu Grunde, welche in dem reizvollen, dem menſch - lichen ähnlich wechſelvollen Leben der Thiere einen wirklichen Hinter - grund und ſtets neue Nahrung fand15)Vergl. L. Uhland, Schriften zur Geſchichte der Dichtung und Sage 3. Bd. (Alte hoch - und niederdeutſche Volkslieder. 2. Bd. Abhandlung.) Stuttgart, 1866.. Es lebte ja für die dichteriſche Einbildungskraft der Menſchen die ganze Natur. Der Wald ſelbſt wurde in der finniſchen Götterlehre zu einer Perſon, Tapio. Die Thiere des Waldes ſtehen unter dem Schutze oder auch der Zucht be -193. Alter und Verbreitung der Thierfabel.ſonderer Perſonen, des Thiermanns, zuweilen der Thiermutter (zu welcher der junge Sämung kommt), auch der Wolfsmutter. Weiter verbinden ſich dann beſtimmte Thiere mit einzelnen Naturerſcheinun - gen. So kommt nach einem Eddaliede der Wind, der über das Waſſer fährt den Menſchen unſichtbar, von den Schwingen des Jötun Hräs - velg, der in Adlersgeſtalt an des Himmels Ende ſitzt. Die Jahreszei - ten, das Wechſelnde in der unbelebten Natur, werden an das Erſchei - nen und Verſchwinden der Thiere geknüpft, am häufigſten beſtimmter. Der Kuckuck kündet das Jahr16)Bei Alkman heißt der κηρύλος, dort identiſch mit ἀλκύων dem Eis - vogel: ἁλυπόρφυρος εἴαρος ὄρνις; 21. Fragm. Die Schwalbe erſcheint als Früh - lingsbote in den χελιδονίσματα und ſelbſt in Vaſenbildern.; ihm folgt bei uns die Nachtigall, während in England, wo die Nachtigall ſeltner iſt, der Kuckuck feſter gehalten wird. Den Winter über herrſcht die Eule.
Am nächſten berührt uns aber hier das Verhältniß des Menſchen zu den Thieren. Manche Thiere werden für edler gehalten, als andre, daher auch für würdiger bekämpft zu werden. So iſt vor Allen bei den alten Deutſchen der Bär der Heldenwaffe kampfgerecht. Aehnlicher Ehre wird indeß auch der Eber theilhaft, ſowohl in Deutſchland(Sieg - fried) als in England(Guy von Warwick), vielleicht im Zuſammen - hange mit dem der Freya geweihten Eber des nordiſchen Heidenthums. Dieſer wird zum Juleber, deſſen Kopf früher in Oxford zum Weih - nachtsfeſte in feierlicher Proceſſion hereingetragen wurde17)Caput apri defero reddens laudes domino. Sandy, Christmas Carols, LIX, 19. . Auf ein - gehendere Beobachtungen ſind manche der den Thieren beigegebenen Eigenſchaftsworte zurückzuführen18)Am reichlichſten iſt mit ſolchen bereits im Alterthum die Nachtigall ver - ſehen; nur aus den griechiſchen Lyrikern mag z. B. angeführt werden: λιγυφθόγ - γος, ἰμερόφωνος, πολυκώτιλος, χλωραύχην u. ſ. w. Freilich werden bei Alk - man auch die Rebhühner (κακκαβῖδες) γλυκυστόποι genannt. 60. Fragm..
Die Beziehungen wurden aber noch inniger dadurch, daß man ſich die Thiere menſchenähnlich mit Charakter, Geiſt und Sprache aus - gerüſtet vorſtellte. „ Wie durch ein Mißgeſchick ſind die Thiere nachher verſtummt oder halten vor den Menſchen, deren Schuld gleichſam dabei2 *20Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.wirkte, ihre Sprache zurück “19In der bereits angeführten außerordentlich ſchönen Einleitung J. Grimm's zu ſeiner Ausgabe des Reinhart Fuchs p. V. . Beſonders hören und verſtehen die Vögel menſchlicher Sprache Laut und Sinn; ſie reden ihr eigen „ La - tein “, was nur geſcheidte Leute verſtehn20Deſſen rühmt ſich Alkman, 61. Fragm. : οἰδα δ᾿ ὀρνίχων νόμως πάντων.. Am reichſten iſt der Rabe und die Nachtigall bedacht. Sprachen aber die Thiere, ſo mußten ſie auch denken und fühlen wie Menſchen. Ergötzlich ſind die Thierhoch - zeiten, bedeutungsvoller die Streitigkeiten zwiſchen ihnen und den Men - ſchen oder unter einander. Hier erſcheinen ſie vor menſchlichem Rich - ter21)Klagen gegen Thiere ſind vom 8. bis 18. Jahrhundert wiederholt erhoben und Prozeſſe mit allen Regeln der Kunſt angeſtrengt worden. Eine Zuſammenſtel - lung ſolcher gibt Berriat de Saint Prix, Rapport et Recherches sur les procès et jugemens relatifs aux animaux in: Mém. de la Soc. Roy. des An - tiquaires de France. Tom. 8. Paris, 1829, p. 403-450. In England ſcheint ſich dieſer Gebrauch noch weiter herab erhalten zu haben; ſ. Allgem. deutſche Straf - rechtszeitung 1861. S. 32. Weitere Litteratur über dieſen culturhiſtoriſch intereſſan - ten Gegenſtand ſ. in Geib, Lehrb. d. deutſchen Strafrechts. Bd. 2. S. 197 und Oſenbrüggen, Studien zur deutſchen u. ſchweizer. Rechtsgeſchichte. Schaffhau - ſen, 1868. VII. Die Perſonificirung der Thiere. S. 139. oder auch vor thieriſchem (ſo Wolf und Pfaſſe vor dem Bären). Auch werden Thiere mit dem Banne belegt.
Auch Thierfabel und Thierſage „ muß durch die Vorſtellung an Be - deutſamkeit gewinnen, daß ihr ein Gemeingut zu Grunde liege, das ſeit früheſter Zeit ſtammverwandten Völkern, ohne nachweisbare Uebergänge von einem auf das andere, zugehöre “. Die früheſte erhaltene Form dieſes gemeinſamen Sagenkreiſes, deſſen urſprüngliche Kraft und Fülle nirgend mehr anzutreffen iſt, bietet Indien dar. Doch entſpricht dieſelbe ver - muthlich nicht der reinen älteſten Geſtalt. Denn wenn auch im Pant - ſchatantra und Hitopadeſa, ebenſo wie in den aus erſterem entnomme - nen Fabeln des Mahabharata Thiere redend und handelnd eingeführt werden, ſo treten dieſelben hier nur als willkürlich gewählte Bilder auf. Es werden ihnen menſchliche Rede und Handlungsweiſe zugeſchrieben, um irgend eine Lehre zu verſinnlichen, aber ohne daß dabei an die Ei - genartigkeit des Thieres gedacht würde, ſo z. B. in der Erzählung von213. Alter und Verbreitung der Thierfabel.den beiden Fiſchen, deren Namen ſchon, Vorſicht und Schlauheit, die allegoriſche Bedeutung verrathen; der Hauptzweck der Fabel iſt ein didaktiſcher. Reiner hat ſich die individualiſirende, an die entſprechende Charakteriſtik einzelner Thiere anſchließende Form bei den Griechen er - halten. Erſcheint auch die Wahl einzelner Thiere in früheren Fällen noch willkürlich, wie bei der Fabel vom Habicht und der Nachtigall, welche in den Erga des Heſiod(V. 200-210) erzählt wird, ſo finden ſich doch hier ſchon Thiere, welche mit ihrer ganzen Eigenthümlichkeit erſcheinen und von nun an zu Haupthelden des auf anderm Boden erwachſenden Thierepos werden.
Es wäre überflüſſig, hier mehr zu thun, als an Reineke Fuchs zu erinnern, welcher zwar nicht ausſchließlich deutſch, aber doch in deut - ſchen Grenzgebieten entſtanden iſt. Wichtig iſt, daß in etwas anderer Form einzelne Züge ſchon früher ſprüchwörtlich verbreitet waren22)Manches erinnert hierbei an die naturwüchſige Derbheit unſerer heutigen, beſonders niederdeutſchen Sprüchwörter; ſo eins der Skolien des Alkaios (16. Fragm. ): „ Geradezu muß der Freund ſein und keine Schliche machen, ſagte der Krebs und packte die Schlange mit der Scheere “. Andre Redensarten ſind gelegent - lich verwendbare Bruchſtücke aus Fabeln geweſen; ſo τέττιγες χαμόθεν ᾄδωσιν des Steſichoros, oder τέττιγα δ̕ εἴληφας πτεροῦ des Archilochos und das πόλλ̕ οἰδ̕ ἀλώπηξ deſſelben., noch wichtiger, daß durch die Verſchiedenheit der Länder, in denen die Sagen ſpielen, auch in die dramatis personae einige Verſchiedenheit kommt. So hat J. Grimmnachgewieſen, daß die deutſche Vorſtel - lung im zehnten Jahrhundert das Königthum über die Thiere nicht dem Löwen, ſondern dem heimiſchen Bären beilegte, welcher entſprechend auch im finniſchen Epos Kalevala eine hervorragende Stellung ein - nimmt. Ferner ſind in der indiſchen Fabel Schakale Stellvertreter des Fuchſes, wenn auch nicht mit gleich treuer Charakterzeichnung. Im Hitopadeſa wird der Eſel in eine Tigerhaut geſteckt. Es gehen aber auch in den ſpäteren occidentaliſchen Thierfabeln Wolf und Fuchs häufig durcheinander, wie ihre Namen23)So enthalten die Narrationes des Odo de Ciringtonia (Shirton) eine Fabel von Iſegrimms Begräbniß, nicht Reinekes ( Grimm, Reinhart Fuchs, Ein - leitung, p. CCXXI, und Lemcke's Jahrb. für romaniſche u. engl. Literatur, 9. Bd.. Zu bemerken iſt endlich, daß nicht22Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.bloß große auffallende, ſondern auch kleine Thiere beachtet wurden. Dies beweiſt ſchon das Auftreten von Cicaden, Grillen u. ſ. w., es ſpricht auch der Froſchmäuſekrieg dafür. Doch iſt derſelbe, wie wohl auch manche Fabel in den arabiſchen und perſiſchen Sammlungen, mo - derner ganz zu geſchweigen, nicht dem urſprünglichen Sagenkreis ange - hörig geweſen, ſondern im Anſchluß an vorgefundene Muſter ſpäter abſichtlich nachgedichtet worden.
Mit den letzterwähnten Stücken des ganzen Fabel - und Sagen - kreiſes betreten wir einen andern Boden. Bis jetzt konnte aus ſprach - licher Uebereinſtimmung und aus dem Durchgehen gewiſſer Sagen, dem Inhalt oder der Form nach, auf eine urſprünglich vorhanden ge - weſene gemeinſame Thierkenntniß geſchloſſen werden. Mit dem Auftre - ten des Schriftthums eröffnen ſich andere Quellen. Jedenfalls erhält damit die geſchichtliche Betrachtung einen andern Hintergrund. Die Entwickelung der Wiſſenſchaft, deren Vorbedingung, die Kenntniß der wiſſenſchaftlich zu behandelnden Gegenſtände, bisher in allen Zweigen eines Sprach - und Volksſtammes zu ſuchen war, knüpft ſich nun be - ſtimmter an einzelne Völker, deren Cultur mittelſt der Schriftſprache der anderer Stämme vorauszueilen befähigt wurde. Dies iſt aber nicht der einzige hier in Betracht zu ziehende Umſtand. Es kann die Thier - kenntniß ſich ja auch durch andere, mit den Fortſchritten eines Volkes zuſammenhängende Verhältniſſe erweitert haben. Vor Allem können die Verkehrswege ausgedehnter geworden, damit eine größere Zahl von Thieren in den Vorſtellungskreis einzelner Völker eingetreten ſein. Dabei werden geographiſche Lage und damit in Zuſammenhang ſtehende Naturerſcheinungen beſtimmend gewirkt haben. So hat z. B. das regelmäßige Abwechſeln der Nordwinde auf dem rothen Meere und der23)1868. S. 133). Am letztgenannten Orte, welcher die Narrationes in der Ausgabe des H. Oeſterley enthält, findet ſich S. 139 unter Nr. XXI eine Fabel, wo ſich der Fuchs, nicht der Wolf, in eine Schafhaut ſteckt, um Schafe und Lämmer beſſer erwürgen zu können.234. Schriftquellen der vorclaſſiſchen Zeit.Südweſt-Monſune auf dem indiſchen Meere vom April bis October mit dem Nordoſt-Monſun und den Südwinden auf dem rothen Meere vom October bis April den Verkehr der Aegypter, Hebräer, Araber mit Indien weſentlich erleichtert und die Bekanntſchaft des Weſtens mit manchen Erzeugniſſen Indiens ſchon früh ermöglicht. Aber un - gleich wichtiger iſt, daß ja erſt mit der Schriftſprache die Möglichkeit eintritt, das zu überliefern, was eigentliche Wiſſenſchaft ausmacht: die Verbindung der ſinnlichen Erfahrung mit ſpeculativen Denkpro - ceſſen, durch welche die einzelnen mit der Beobachtung ſich ergebenden Thatſachen zu einem wohlgegliederten, der Natur dieſer Thatſachen ent - ſprechende allgemeine Geſetze entwickelnden einheitlichen Ganzen ver - bunden werden. Wenn es daher auch in einzelnen Fällen von Inter - eſſe, ja für das hiſtoriſche Verſtändniß gewiſſer Erſcheinungen geboten ſein kann, neben dem Hinweis auf das mit der Ausbreitung des Men - ſchen auch reichlicher zufließende zoologiſche Material, auf den genaueren Beſtand an bekannten Thierformen oder auf einzelne ſolche näher ein - zugehen, ſo kann es von nun an im Allgemeinen nicht mehr darauf ankommen, durch Mittheilung vollſtändiger Verzeichniſſe der von ein - zelnen Schriftſtellern erwähnten Thiere den Umfang ihrer Thierkennt - niß zu belegen. Der Fortſchritt der Zoologie hängt nicht von der Zahl der bekannten Arten, ſondern von der Auffaſſung der thieriſchen For - men ab. Doch ſind jene Verzeichniſſe und die Deutungen der in ihnen vorkommenden Thiernamen für eine Geſchichte der Thiere von Werth.
Nach dem eben Geſagten wird man inmitten der an Ausdehnung beſtändig zunehmenden Litteratur dort vorzüglich nach dem rothen Faden zu ſuchen haben, an dem ſich die Wiſſenſchaft fortſpinnt, wo unbeein - flußt von Nebenzwecken die Erforſchung der thieriſchen Natur ſelbſt zum Zwecke erhoben wird. Dies wird nur dann erſt möglich, wenn nicht bloß die allgemeine Bildung einer Nation auf Gegenſtände einzu - gehen Intereſſe gewinnt, welche nicht mit den täglichen Bedürfniſſen des Lebens und Treibens in directem Zuſammenhange ſtehen, ſondern beſonders, als der geſteigerte Wohlſtand eines Volkes es erlaubte, einen Theil des baaren Capitalbeſtandes, gewiſſermaßen als Ueber - ſchuß, vorläufig unproductiv zu verwenden, ſei es im Leben einzelner,24Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.erſt allmählich zu einem beſondern Stand erſtehender Gelehrten, ſei es durch Gründung rein wiſſenſchaftlicher Unterrichtsanſtalten24)Auf dieſe Abhängigkeit der Entwickelung wiſſenſchaftlichen Lebens vom Wohlſtand haben bereits Tennemann (Geſchichte der Philoſophie, Bd. 1. S. 30), neuerdings auch H. Th. Buckle (History of civilization in England. Vol. I. Chapt. II. Leipzig, 1865, S. 38) aufmerkſam gemacht..
Wie ſich dies im Mittelalter bewahrheitet, wo nur die andern Beſtrebungen zugewendeten religiöſen Körperſchaften den Beſtand des Wiſſens zu bewahren die Fähigkeit und, wie man dann gern ſagt, die Aufgabe hatten, bis zunächſt ſie die Neubelebung auch der Naturwiſ - ſenſchaften fördern halfen, ſo gilt dies in gleich ſtrenger Weiſe für das frühe Alterthum. Enthalten auch ohne Zweifel die religiös-poetiſchen Bücher ſowohl der Inder als der Hebräer, ebenſo die großen epiſchen Dichtungen manchen Zug, welcher auf eine nähere Bekanntſchaft mit der Natur der Thiere ſchließen läßt, ſo ſind doch naturwiſſenſchaftliche Betrachtungen ihnen fremd. Die hohe Achtung und religiöſe Ehrfurcht, mit welcher die Bibel angeſehen wird, hat es häufig veranlaßt, von ihr aus die Geſchichte beginnen zu laſſen. Sieht man aber von der Er - währung einer Anzahl von Thieren ab, ſo kann man aus ihr höchſtens ein Urtheil über die Naturanſchauung der alten Hebräer ſich bilden. In der moſaiſchen Schöpfungsgeſchichte werden die Thiere zwar in verſchiedenen Gruppen aufgeführt, wie: kleine Waſſerthiere, größere Waſſerthiere, Vögel, vierfüßige Thiere, Gewürm, ebenſo bei der noachi - ſchen Fluth. Indeß ſoll dies ſelbſtverſtändlich kein Verſuch zu einer Eintheilung der Thiere ſein im Sinne eines zoologiſchen Syſtems. Der Theilung der Thiere in reine und unreine, bei welcher das Wie - derkäuen und die geſpaltenen Klauen erwähnt werden (3. Moſ. 11. Cap.) liegt theils alter Gebrauch, theils wahrſcheinlich jene dem Alterthum charakteriſtiſche Auffaſſung des Unterſchieds zwiſchen Menſchen und Thier zu Grunde, welche in einer weiteren Entwickelung zu jener „ wun - derbaren Annahme der Seelenwanderung “führt. Fehlen auch in der Bibel Anklänge an die Fabeln und Sagen, welche ſich mehr oder we - niger eng an Beobachtungen des Thierlebens anſchließen, ſo iſt ſie doch reich an Bildern und Gleichniſſen, deren Ausgangspunkte Thiere ſind;254. Schriftquellen der vorclaſſiſchen Zeit.und einzelne Schilderungen (ſo z. B. die des Schlachtroſſes im Buche Hiob, 39, 19-25) gehören zu den poetiſchſten und lebendigſten Stücken morgenländiſcher Dichtung, die auf uns gekommen ſind.
In ähnlicher Weiſe enthält die Schrift des älteſten indiſchen Lexi - kographen, des Amarakoſha, wo man dem Charakter der übrigen in - diſchen Litteratur nach noch am eheſten Andeutungen einer wiſſenſchaft - lichen Behandlungsweiſe des Gegenſtandes begegnen zu können ver - muthen möchte, eine Aufzählung von Thiernamen in gewiſſen Gruppen, welche indeſſen nicht nach Eigenthümlichkeiten der Thiere ſelbſt, ſondern nach ihren verſchiedenen Beziehungen zum Menſchen beſtimmt ſind, alſo ebenſowenig wie die Thiergruppen der Bibel einer Eintheilung des Thierreichs im Sinne eines Syſtems entſprechen. Unmittelbar hinter den Nahrungsmitteln führt Amara-ſinha als Hausthiere das Rind, das Kamel, die Ziege, das Schaf, den Eſel auf; dann unter den Werkzeugen des Krieges den Elefanten und das Pferd. Dann folgen wilde Thiere, unter welchen das Schwein, der Büffel und der Yak (deſſen Schweif ſeit uralter Zeit im Gebrauche war), die Katze und die Taube neben Löwe, Tiger, Panther, Hyäne ſtehen. Der Hund wird beim Jäger erwähnt. Den Beſchluß bilden Luxusthiere, Affen, Pfauen, Papageyen, der Kokila u. a.25)Vgl. Amarakosha, publié par A. Loiseleur-Deslongchamps. Paris, 1839. P. 1. und Laſſen, Indiſche Alterthumskunde 1. Bd. 2. Aufl. S. 348, 367, 368.. Im Uebrigen verdiente wohl auch die indiſche Litteratur, ſoweit die ungemein ſchwierige Chronologie es ge - ſtattet, in Bezug auf eine Geſchichte der Thiere einmal ſorgfältig durch - gearbeitet zu werden. Um hier nur beiläufig an Einzelnes zu erinnern: es ergibt ſich, daß z. B. die Bekanntſchaft mit dem Lack-Inſecte und der Perlmuſchel ſehr alt iſt, daß man den Byſſus der Steckmuſchel ſchon ſehr früh zu Geweben verwendete; u. a.26) Laſſen, a. a. O. 3. Bd. S. 46 u. a. O..
Endlich iſt wenigſtens einer hinweiſenden Erwähnung nicht ganz unwerth, daß uns in den ägyptiſchen und aſiatiſchen Bildwerken die älteſten bildlichen Darſtellungen von Thieren begegnen, welche freilich ohne irgend welche zoologiſche Nebengedanken ganz andern Zwecken zu26Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.dienen hatten, aber für die Wiedererkennung und Beſtimmung mancher von Schriftſtellern des Alterthums erwähnten Thiere nicht ganz ohne Bedeutung ſind. Bei einer Beſprechung der Urzeit konnte eine Berüh - rung thiergeſchichtlicher mit zoologiſch-hiſtoriſchen Geſichtspunkten nicht vollſtändig vermieden werden. Mit dem ſelbſtändigen Auftreten der Zoo - logie als Wiſſenſchaft erhalten die Arbeiten über Geſchichte der Thiere, in welche ſich bis jetzt leider Philologen und Zoologen getheilt haben, ihre beſondere Stellung.
Die Stellung der Culturvölker des claſſiſchen Alterthums über - haupt ſowohl zur Natur als beſonders zum Thierreich intereſſirt hier nicht ſo ſehr wie ihr allmähliches Erfaſſen der Naturkörper als Gegen - ſtände wiſſenſchaftlicher Betrachtung. Griechen und Römer tragen zwar in geiſtiger Hinſicht ein ſie beide in ziemlich gleicher Weiſe von den Neueren unterſcheidendes Gepräge. Schon die wenigen oben ange - führten Stellen griechiſcher Schriftſteller zeigen, daß die Naturan - ſchauung der Alten jener poetiſchen gemüthlichen Vertiefung in die Na - tur nicht ermangelte, welche man ſo gern erſt den modernen Völkern, beſonders den Deutſchen zuſchreibt. Sehr ſchön ſagt Goethe27)Werke, 37. Bd. (Winkelmann) S. 20. Man vergleiche hiermit das jedenfalls zu einſeitig ausgebeutete Urtheil Schiller's (Ueber naive und ſentimen - taliſche Dichtung) Werke, Ausg. in 12 Bdn. Stuttgart, 1847. 12. Bd. S. 178. Von Neueren ſ. A. von Humboldtim Kosmos, 2. Bd. S. 6-25. Motz, Ueber die Empfindung der Naturſchönheit bei den Alten. Leipzig, 1865. In letzter Schrift wird die ungerechtfertigte Aeußerung Gervinus ': „ Das Alterthum kannte keine Freude an der Natur “(Geſchichte der deutſchen Dichtung. 4. Ausg. Bd. 1. S. 132) ebenſo widerlegt, wie die von unrichtigen Vorausſetzungen aus - gehende Abhandlung von Pazſchke, über die homeriſche Naturanſchauung, Stettin, 1849. Gerechter iſt das Programm von E. Müller, Ueber Sophokleiſche Naturanſchauung. Liegnitz, 1842.; „ Wirft ſich der Neuere faſt bei jeder Betrachtung in's Unendliche, um zuletzt,27Das claſſiſche Alterthum.wenn es ihm glückt, auf einen beſchränkten Punkt wieder zurückzukeh - ren: ſo fühlten die Alten ohne weitern Umweg ſogleich ihre einzige Behaglichkeit in den lieblichen Grenzen der ſchönen Welt “. Doch zeich - nete die Griechen eine ſchärfer bewahrte Individualiſirung, eine glück - liche Bewahrung vor einer Alles ebnenden und ausgleichenden Einför - migkeit ſtaatlicher Einrichtungen, vor Allem eine Phantaſie aus, welche, wie überall die Erzeugerin des Schaffens, auch des wiſſenſchaftlichen, ohne ſich durch nüchterne Rückſichtnahme auf praktiſche Zwecke ge - fangen nehmen zu laſſen, die Erſcheinungen der umgebenden Welt zu deuten und zu ordnen unternahm. Dies konnte und mußte für die Auf - nahme rein wiſſenſchaftlicher Arbeiten nur förderlich wirken. Fehlte es auch den Römern nicht an Objectivität, dem andern Bedingniß wiſſen - ſchaftlicher Thätigkeit, ſo gieng der hieraus entſpringende Vortheil durch die Nüchternheit ihrer Anſchauung von Welt, Staat und Volk wieder verloren. Daß bei den Griechen kein geſchloſſener Prieſterſtand vor - handen war, welcher ſich im ausſchließlichen Beſitz alles Wiſſens und beſonders der ſich zunächſt mit religiöſen Vorſtellungen verbindenden Geheimniſſe der Natur zu ſein rühmen durfte, daß ſich dagegen die Bürger geiſtig frei regen konnten, war eine weitere Urſache ihres frühen Erhebens zu wiſſenſchaftlicher Höhe. Denn wenn auch die etruskiſche Prieſterherrſchaft nicht direct als ſolche in die römiſche Verfaſſung über - gieng, ſo fehlte doch der freie Bürgerſtand, welcher in Griechenland das Aufblühen von Gewerb - und Kunſtthätigkeit, von Handel und Wiſſen - ſchaft begünſtigte. Daß eine Lostrennung der rein wiſſenſchaftlichen Betrachtung von praktiſchen Bedürfniſſen, welche jene zwar erſt mög - lich gemacht, aber nicht bedingt hatten, nur dann durchzuführen war, als ſich ein Gelehrtenſtand herausgebildet hatte, welcher die wiſſenſchaft - liche Erkenntniß zu ſeinem eigentlichen Zwecke erhob, wurde bereits an - gedeutet28)Nach Welcker (die Heſiodiſche Theogonie, S. 73) hat ſich ein Gelehrten - ſtand erſt ſeit Pherekydes, dem erſten Proſaſchriftſteller (ungefähr 544 v. Chr.) herauszubilden begonnen..
War es demnach natürlich, daß das vorzugsweiſe organiſatoriſche Talent der Römer durch griechiſche Cultur ſich befruchten laſſen mußte,28Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.um die Blüthen einer höheren, aber immerhin mehr auf das Formale gerichteten geiſtigen Entwickelung zu entfalten (wie ja Spuren griechi - ſchen Einfluſſes weit in das italiſche Alterthum hinaufreichen), ſo war es ebenſo erklärliche Folge der ſich ſtetig ausbreitenden römiſchen Herr - ſchaft, daß mit der Einwirkung ihrer centraliſirenden und gleichmachen - den ſtaatlichen Methode auch das Geiſtesleben der im Weltreich der Römer aufgehenden Griechen andere Richtungen einſchlug. Charakte - riſtiſch für die alexandriniſche Zeit iſt, daß hier wie im Mittelalter Rhetorik, Grammatik und Dialektik in Verbindung mit Muſik und Geometrie die Lehrgegenſtände wurden, welche der Jugend den Eintritt in die gebildete Welt verſchafften. Es iſt kein Wunder, daß unter jenen Verhältniſſen auch die wiſſenſchaftliche Thierkunde, deren Gründung in einer ſo überaus glänzenden Weiſe erfolgt war, ſtill ſtand. War es ja doch nur möglich geweſen von einer ſolchen zu ſprechen, als das ſelbſtändige Intereſſe freier nach reinem Wiſſen ſtrebender Männer die Beſchäftigung mit nicht ſtreng zunftmäßigen Gegenſtänden geſtattet hatte. Hierzu kommt noch die dem alexandriniſchen Zeitalter eigene Richtung der grammatikaliſchen Behandlung der Gegenſtände, welche, verbunden mit der Sorge für die Erhaltung älterer Schriften ſelbſt die ſtrengere Fachlitteratur zu didaktiſchen Zwecken umzumodeln begann und im Ganzen, wir möchten ſagen, eine Scholaſtik des Alterthums hervorrief. Ferner laſſen ſich die fabelhaften Angaben, welche vom ſpätern Alterthum an ſich durch das ganze Mittelalter hindurchziehen, vielleicht nicht mit Unrecht auf die Sammlungen von Wundern, Para - doxen und überhaupt Merkwürdigkeiten aller Art zurückführen, welche jene Zeit hervorbrachte.
Im eigentlichen Sinne des Wortes Gründer der Zoologie iſt Ariſtoteles, indem er zum erſtenmale alle zu ſeiner Zeit oder we - nigſtens ihm bekannten hierher gehörigen Thatſachen ſammelte, ordnete und zu einem Syſtem verband. Sein Einfluß auf die Weiterentwicke - lung der Zoologie war indeß während des Alterthums nicht nachhaltig. Hat er auch wie kaum Jemand vor und nach ihm mächtig dazu beige - tragen, die allgemeinen Anſchauungen der gebildeten Welt umzugeſtal - ten, ſo wäre es doch eben verkehrt, in ihm ſchon Andeutungen einer29Das claſſiſche Alterthum.Naturwiſſenſchaft im modernen Sinne zu ſuchen. Er konnte ſich als Individuum dem Einfluſſe ſeiner Zeit nicht entziehen und wirkte nur wie alle großen Individualitäten aus dem nationalen Zeitgeiſte heraus auf ihn zurück. Der Werth der Ariſtoteliſchen Arbeiten ſoll am Ende dieſes Abſchnittes bezeichnet werden. Es iſt zunächſt zu unterſuchen, wie ſich die einzelnen Seiten des zoologiſchen Wiſſens während des Al - terthums entwickelt und zu einander geſtellt haben.
Faſt iſt es überflüſſig darauf hinzuweiſen, wie unvollkommen die Hülfsmittel der Beobachtung bei den Alten waren. Wenn auch in ſpä - teren römiſchen Zeiten Piscinen, Aviarien und andere derartige Samm - lungen lebender Thiere angelegt und unterhalten wurden, ſo werden doch nur ſelten Vorrichtungen zur Aufbewahrung und Beobachtung be - ſonderer Thierarten, beſonders kleinerer erwähnt. Nur die Bienen ha - ben hier wohl eine Ausnahme gemacht. Ariſtoteleserwähnt Mehreres über Beobachtungen an Bienen; ſo gedenkt er z. B. des Bauens in ihnen dargebotene leere Stöcke u. a.29)Histor. Anim. IX, 40. 166 ( Aubertund Wimmer). Doch haben die Bienen ihrer ökonomiſchen und techniſchen Bedeutung wegen eine eigne Stellung. Es wurde ja auch der Honig vielfach zur Aufbewahrung von Leichen, Früchten, Purpurſaft, Arzneimitteln u. dergl. benutzt30) Plinius, Hist. nat. XXIX, 4. Auch erwähnt er VII, 3 die Aufbewah - rung eines Hippocentaurs in Honig. Salz erwähnt er XXXI, 9 u. 10., um ſie vor Fäulniß zu ſchützen. Länger erhielt ſich das ſchon früh hierzu benutzte Wachs in dieſem Gebrauch, durch welches Mittel z. B. die im Grabe des Numa gefundenen Bücher nach fünfhundert Jahren noch friſch er - halten gefunden worden ſein ſollen31)Livius, XI, 29. Plinius, hist. nat. XIII, 13. Noch im vorigen Jahr - hundert wurden die Leichen der Könige von England in mit Wachs durchtränkte Zeuge eingewickelt.. Kannten aber auch ferner die Alten im Salz eine fäulnißwidrige Subſtanz, ſo fehlten ihnen doch alle bequemen Conſervirungsmethoden. Die Beobachtungen an ſeltneren, nicht friſch getödteten größeren, oder kleineren weichen und zerfließlichen Thieren, welche in dem ſüdlichen Klima ſchneller Zerſetzung unterlagen, konnten daher nur ſehr oberflächliche oder zufällige ſein. Mit dieſer30Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Unkenntniß von Mitteln zur zweckmäßigen Aufbewahrung von Natur - gegenſtänden hängt auch der Mangel an Naturalienſammlungen zuſam - men. Gewiß erregten die als Weihgeſchenke in Tempel geſtifteten Merkwürdigkeiten die Aufmerkſamkeit und wurden wohl auch gelegent - lich zur wiſſenſchaftlichen Betrachtung benutzt. Doch hatten derartige Anſammlungen wunderlicher Dinge kaum eine Bedeutung als Hülfs - mittel des Studium. Eben ſo hülflos waren die Alten kleinen und kleinſten Gegenſtänden gegenüber. Es fehlten ihnen nicht bloß die feinen Werkzeuge zum Feſthalten, Zergliedern u. ſ. w., ſondern beſonders kannten ſie keine Mittel zur Vergrößerung des zu Unterſuchenden. Sie mußten daher über die feinere Zuſammenſetzung größerer eben ſo wie über die Form, ja Exiſtenz kleinſter Thiere im Dunkel bleiben.
Eng mit dieſem Fehlen von Beobachtungsmitteln hängt der Man - gel einer ſtreng durchführbaren Methodik zuſammen, welcher die alten Naturforſcher nicht über ein gewiſſes Ziel hinaus gehen ließ. Stellte auch Ariſtotelesdie Erfahrung an die Spitze der Erkenntnißquellen und verſchob er dem entſprechend das Urtheil über eine Erſcheinung bis dahin, wo die Erfahrungen vollſtändiger ſein würden, ſo erhob ſich doch die in formaler Hinſicht ſo bewundernswerthe Speculation nicht bis zur völligen Freiheit von den Feſſeln der durch die Erfahrung ver - anlaßten Verbalbezüge. Und wo ſich die Philoſophie über die ſyſtema - tiſirende Form erhob, wo es ſich darum handelte, zuſammengeſetzte Erſcheinungen in ihre einzelnen Momente aufzulöſen und zu erklären, trat jener der ganzen Weltanſchauung zu Grunde liegende Anthropo - morphismus vor, welcher ja auch der Ausgangspunkt der Teleologie iſt. Daß ſich den Forſchern des Alterthums die Thatſachen nicht in immer reinerer Form und reichlicher darboten, daß die Kunſt des Experimen - tirens bei ihnen noch nicht oder kaum exiſtirte, verhinderte die Bildung von Ideen, welche der jedesmal in Betracht kommenden Gruppe von Thatſachen angemeſſen waren, wie es Whewell richtig bezeichnete. Natürlich traf dies aber alle Naturwiſſenſchaften. Aber gerade die ge - ringere Entwickelung der verwandten Wiſſenszweige ließ auch die Zoo - logie nicht zur Aufſtellung von allgemein bedeutungsvollen Fragen kommen.
31Das claſſiſche Alterthum.Es iſt nicht ohne Intereſſe zu ſehen, wie ſchon bei Ariſtotelesdie Frage nach dem Unterſchiede zwiſchen Thier und Pflanze berührt wird. Bei - den gemeinſam iſt das Leben; doch iſt ſelbſt der Uebergang von den unbelebten Körpern zu den Pflanzen nur allmählich. Im Ganzen er - ſcheinen die Pflanzen den andern Körpern gegenüber beſeelt, den Thie - ren gegenüber unbeſeelt zu ſein. Von allen belebten Weſen unterſcheidet ſich aber das Thier allein durch die Empfindung; willkürliche Bewe - gung iſt nicht nothwendig bei allen Thieren. Ueber die Natur mancher Seegewächſe kann man zweifelhaft ſein, ob ſie pflanzlich oder thieriſch iſt. Die hier gemeinten ſind aber nicht die ſpäter ſogenannten Zoophy - ten (wenn ſchon der Ariſtoteliſche Zweifel der Bildung dieſer Gruppe zu Grunde lag), ſondern Schalthiere (Pinna, Solen). Auch die Asci - dien, ſagt Ariſtoteles, kann man mit Recht pflanzlich nennen, da ſie, wie die Pflanzen, keine Ausſcheidung (Excremente) von ſich geben .32)Die Hauptſtellen des Ariſtotelesſind: De anima, cap. 2 u. 3. Hist. anim. VIII, 1. 4-8. (Aub. u. Wimm.). De gener. anim. I, 23. 103 (Aub. u. Wimm.). De part. anim. IV, 5. 681 a, b. . Man ſieht, wie Ariſtoteleshier in denſelben Fehler verfallen iſt, wie faſt alle Neueren. Der ſprachlich überlieferte Ausdruck „ Pflanze “wurde als ein ſolcher aufgefaßt, welcher eine von der Natur gegebene Claſſe von Körpern decken müſſe. Daſſelbe trat für die Späteren mit dem Begriff der „ Art “ein. Statt zu unterſuchen, ob etwas dem Wort ent - ſprechendes Unveränderliches oder feſt Abgeſchloſſenes in der Natur vorhanden ſei, und dann beim Mangel eines ſolchen die Freiheit der Natur zu wahren und bloß künſtlich nach dem Stande der Kenntniſſe dem Ausdrucke einen Inhalt anzuweiſen, glaubte man das Wort als das Symbol eines in der Natur liegenden Geheimniſſes betrachten zu müſſen, welches man doch noch entſchleiern zu können hoffte.
Weniger Schwierigkeit als die Grenzbeſtimmung des Thierreichs gegen die Pflanzen hin machte die Abgrenzung deſſelben nach oben. Ariſtotelesſowohl als Pliniusgehen bei ihren Schilderungen von oben nach unten. Erſterer ſagt ausdrücklich, daß man von dem Bekannteſten ausgehen müſſe; und der Menſch ſei das bekannteſte Thier. In allen ſeinen Schriften, wo von anatomiſchen oder entwickelungsgeſchichtlichen32Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Verhältniſſen die Rede iſt, beginnt er mit dem Menſchen. Aehnlich be - ginnt Pliniusdas auf die Beſchreibung des Menſchen folgende Buch mit den Worten: „ Wir gehen nun zu den übrigen Thieren über “. Doch iſt beiden und mit ihnen natürlich dem ganzen Alterthum der Menſch der Mittelpunkt der ganzen Schöpfung, „ von göttlicher Natur “( Ariſto - teles), „ um deſſen willen die Natur alles Uebrige erzeugt zu haben ſcheint “( Plinius).
Alle fruchtbringenden wiſſenſchaftlichen Wahrheiten ſind allgemei - ner Art. Sie werden entweder inductiv gefunden oder divinatoriſch er - faßt; in beiden Fällen ruhen ſie auf dem beſtätigenden Zeugniß einzel - ner Thatſachen. Die elementarſte Art ſolcher Thatſachen bietet für die Zoologie die Kenntniß einzelner Thierformen dar. Es wurde im An - fang der vorliegenden Darſtellung zu zeigen verſucht, wie die Beweiſe für die Kenntniß einzelner Thiere ſchon in der Sprache niedergelegt ſind. In gleicher Weiſe ſind noch ſpäter und bis jetzt, ohne Rückſicht auf wiſſenſchaftliche Geſichtspunkte zu nehmen, in beſtändiger Folge neue Thierformen aufgeführt, entweder nur beiläufig erwähnt oder mehr oder weniger ausführlich geſchildert worden. Es gieng ja auch im Alterthum, wie es noch heutzutage der Fall iſt, die oberflächliche Be - kanntſchaft mit mancherlei neuen Thieren einem bewußten fachgemäßen Einordnen des über ſie Erfahrenen in den Kreis der bereits vorhandenen ſyſtematiſcheren zoologiſchen Kenntniſſe voraus33)Einen weitern auch ſprachlich intereſſanten Beleg über die populäre Kennt - niß der Thiere geben die Ausdrücke über Thierſtimmen. Siehe hierüber die Schrift von Wackernagel, Voces animalium, deren erneute Herausgabe der Tod des Verfaſſers wohl leider vereitelt hat. Nicht berückſichtigt hat Wackernageleine reiche Sammlung von Ausdrücken in: Fr. Guil. Sturziiopuscula nonnulla. Lipsiae, 1825 (8) p. 131-228. Bei Sturzfehlt: IsidorusHispal., de sonitu avium (auch anderer Thiere) Opera ed. Areval. Rom. 1801. Tom. IV. Etymol. p. 523. Vincent. Bellovac., Specul. natur. lib. XXIII. cap. VI. Physiologus syrus ed. Tychsen. p. 128. Aretin, Beiträge VII. S. 257, aus einem Freiſinger, jetzt Münchner Codex des 11. Jahrhund. Auszüge aus griechiſchen Handſchriften gibt: Iriarte, Regiae Biblioth. Matritensis Codices graeci. Tom. I. p. 306-314, 371 u. a. O. Ueber die Bezeichnung der Thierſtimmen in der Bibel und.
331. Kenntniß thieriſcher Formen.Leicht ſcheint es uns jetzt, ein Thier zu benennen. Alljährlich füllen ſich die Liſten unſerer Klaſſen und Ordnungen immer mehr mit den Namen neuer Thiere. Zwei Umſtände mußten aber den Alten ſchon die wiſſenſchaftliche Bezeichnung ihnen als neu erſcheinender, ebenſo wie der bereits länger bekannten Thiere erſchweren, in ähnlicher Weiſe wie ſie uns die Wiedererkennung der von den Alten gemeinten Thiere oft unmöglich machen. Es fehlte ihnen der Begriff der naturwiſſen - ſchaftlichen Art und eine ſtreng durchführbare Nomenclatur. Was das erſtere betrifft, ſo kommt in den alten Schriftſtellern nicht einmal ein Wort vor, welches ausnahmslos den Begriff einer Gruppe einander in den wichtigſten Beziehungen ähnlicher Thiere ausdrückte, gleichviel ob dabei an beſondere Merkmale für die Zugehörigkeit zu einer ſolchen zu denken ſei oder nicht. Man hat vielfach das ariſtoteliſche „ Eidos “, welchem, freilich ſehr verflacht, die „ Species “des Pliniusentſpricht, für den die neuere Art bezeichnenden Ausdruck oder wenigſtens für deren Vorläufer anſehen zu dürfen geglaubt. Doch iſt dies ſicher unrichtig. Die beiden Ausdrücke „ Genos “und „ Eidos “werden von Ariſtotelesnur im ſtreng logiſchen Sinne einer Ueber - und Unterordnung ge - braucht, ſo daß ein Eidos wiederum zu einem Genos wird, ſobald es mehrere Unterabtheilungen, welche dann wieder Eidos heißen, umfaßt, wie auch umgekehrt ein Genos zu einem Eidos herabſinkt, ſobald es von einer höheren Abtheilung aufgenommen wird, die dann Genos ge - nannt wird. Am deutlichſten wird dieſe Anwendungsweiſe und die Un - möglichkeit, unter einem Eidos auch nur annähernd etwas an unſere Art erinnerndes zu vermuthen, dadurch, daß Ariſtoteleszuweilen ein Eidos dem andern unterordnet. Pliniusſchließt ſich ganz an Ariſtote - lesan, ohne deſſen Schärfe der Unterordnung überall durchblicken zu laſſen34)Vergl. Spring, Ueber die naturhiſtoriſchen Begriffe von Gattung, Art und Abart. Leipzig, 1838. S. 10. J. B. Meyer, Ariſtoteles 'Thierkunde. Ber - lin, 1855. S. 348. ſ. auch Ariſtoteles, Hist. anim. I, 6. 33 (A. u. W.): „ τῶν δὲ λοιπῶν ζῴων οὐκέτι τὰ γένη μεγάλα οὐ γάρ περιέχει πολλὰ. Auch eine Charakteriſirung dieſes Eidos, wie etwa durch33)dem Talmud ſ. Lewyſohn, Zoologie des Talmud § 38. S. 23. § 520. S. 366 (aus dem zweiten Targum zu Eſther 1, 2). V. Carus, Geſch. d. Zool. 334Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Fähigkeit fruchtbarer Begattung, fehlt bei den Schriftſtellern der claſ - ſiſchen Zeit. Es werden Begattungen verwandter und nicht verwandter Thiere angenommen und deren Erzeugniſſe beſchrieben, ohne auch nur das geringſte Bedenken durchſchimmern zu laſſen, daß außer der zu verſchiedenen Körpergröße noch ein anderartiges Hinderniß beſtehen könnte35)Solchen Kreuzungen gegenüber hießen die Individuen einer Art ὁμογενῆ (ſo bei der Maulthiererzeugung, Hist. anim. VI, 23. 161); der hier zu Grunde liegende Gedanke wird aber nicht weiter verfolgt. De gener. anim. II, 4. 53 ſagt Ariſtotelesgeradezu: μίγνυται δὲ ὧν ... τὰ μεγέ〈…〉〈…〉 η τῶν σωμάτων μὴ πολὺ διέστηκεν. Ueber indiſche Hunde ſ. Hist. anim. VIII, 28, 167. und de gener. anim. II, 7. 118. . So entſpringen z. B. die indiſchen Hunde einer Begattung des Tigers (nach einer andern Stelle des Ariſtoteleseines hundeähn - lichen Thieres) mit dem Hunde, der Rhinobatis einer Begattung der Rhine mit der Batis u. ſ. f.
Eine wiſſenſchaftliche Nomenclatur kannten die Alten ebenſowenig. Ihre Namengebung war die populäre. Dies wird bewieſen durch das Vorhandenſein einmal mehrerer Namen in einer und derſelben Sprache für ein Thier, dann verſchiedener Bezeichnungen für verſchiedne Alters - zuſtände eines und deſſelben Thieres36)Derartige Synonyme ſind γλάνος und ὕαινα, λάταξ und κάστωρ, Apus und Cypselus u. ſ. w. Die verſchiedenen Alterszuſtände des Thunfiſches haben bei Ariſtotelesund Pliniusverſchiedene Namen.. Die Namen werden von keiner irgendwie ausführlichen Beſchreibung eingeführt, ſondern als durch den Volksgebrauch bekannt vorausgeſetzt. Die zugehörigen Thiere können daher nur nach den ſich meiſt an verſchiedenen Stellen finden - den Angaben über einzelne Eigenſchaften derſelben wiedererkannt wer - den. Wie ſehr dies die Beſtimmung der Thiere erſchwert, wird noch ſpäter zu erwähnen ſein. Selbſt bei der Bezeichnung größerer ſyſte - matiſcher Einheiten verfuhr Ariſtotelesnicht ſtreng nach Grundſätzen.
34)εἴδη ἓν εἰδος. u. a. Pliniusſpricht z. B. X, 8. 9 von dem genus accipi - trum und wenige Blätter ſpäter X, 19. 22 ſagt er nunc de secundo genere di - camus, quod in duas dividitur species, oscines et alites, wo jedenfalls die letzt - erwähnten Species weitere Abtheilungen bezeichnen als das erſtere Genus.
Natürlich gieng die Thierkenntniß zunächſt von den Hausthie - ren aus. Wenn jetzt der Verſuch gemacht werden ſoll, einen kurzen Ueberblick über die von den claſſiſchen Schriftſtellern erwähnten For - men der Hausthiere zu geben, ſo kann es nicht der Zweck deſſelben ſein, in größter Vollſtändigkeit eine Geſchichte der Raſſen zuſammenzuſtellen. Vielmehr ſoll nur im Allgemeinen auf das hinſichtlich der Formkennt - niß Wichtigſte hingewieſen werden.
Was zunächſt das Rind betrifft, ſo werden außer dem gewöhn - lichen Hausrind, deſſen Raſſe indeß ſchwer zu beſtimmen ſein dürfte, von ſeinen nächſten Verwandten noch das Buckelrind, und zwar bei Ariſtote - lesals ſyriſches, bei Pliniusals ſyriſches und kariſches, und der Wiſent, bonasus und bison, erwähnt. Zu letzterem tritt bei Pliniusnoch der Ur oder Auerochs. Beide haben auch den Büffel gekannt. Den Yak, über welchen orientaliſche Angaben noch weiter zurückreichen, erwähnt Aelian(XV, 14). Natürlich fehlt es (abgeſehen von den hier nicht in Betracht kommenden ökonomiſchen Angaben) auch beim Rinde nicht an Fabeln; ſo erzählt Aelian(XVI, 33), daß in Phönicien die Kühe ſo groß ſeien, daß die Menſchen, um nur beim Melken das Euter erreichen zu können, auf eine Bank ſteigen müſſen. Von Schafen erwähnt be - kanntlich Herodotfettſchwänzige aus Arabien, deren Schwänze man auf kleine nachgeſchleppte Wagen band37)Daſſelbe erzählt Ruſſellin der Natural History of Aleppo. S. 52; auch wird das Gleiche in der Miſchna (Sabbat. 5, 4) und bei deren Commentato - ren zu dieſer Stelle erwähnt.. Auch Ariſtotelesführt dick - und dünnſchwänzige, kurz - und langwollige Raſſen auf. Bei Pliniuskommt der Muſimon vor (VIII, 49. 75), welchen ſpäter Iſidorvon Sevilla als Baſtard von Ziege und Widder deutet. Unter den An - gaben über Ziegen finden ſich ſolche über langohrige in Syrien und über Ziegen in Lycien ( Ariſtoteles) oder Phrygien ( Varro), welche ge - ſchoren werden wie Schafe. Waren auch die Kamele keine Hausthiere bei den Griechen ſelbſt, ſo geſchieht doch ihrer ausgedehnten Benutzung im Orient häufig Erwähnung und zwar ſowohl des Kamels als des3*36Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Dromedars. Später wurden ſie eingeführt und in größerer Zahl gehalten38)Nach Aurelius Victor(Caes. 41) war der UſurpatorCalocerusauf Zypern Aufſeher der kaiſerlichen Dromedare, magister pecoris camelorum (335 n. Chr.)..
Von Einhufern waren den Alten das Pferd, der Eſel, der Kulan und Dſchiggetai bekannt. Unter den Pferden rühmt Ariſtotelesbe - ſonders die niſäiſchen ihrer Schnelligkeit wegen (Hist. anim. IX, 50. 251). Gleichen Vorzug ſchreibt Aelianden libyſchen zu, welche außer - dem gar keine Pflege bedürften oder genöſſen (de nat. anim. III, 2). Ob die von Archilochos angeführten „ neunſtreifigen magneſiſchen “und prieniſchen Eſel39)Μάγνης ἐννεάμυκλος ὄνος; 183. Hartung überſetzt (die griech. Ly - riker) „ mit neun Wülſten “; es ſind aber jedenfalls die Streifen gemeint. beſonders ausgezeichnete Raſſen waren, iſt nicht zu entſcheiden. Im Verhältniß zu den übrigen Säugethieren kleine Eſel erwähnt Ariſtotelesvon Epirus, wogegen Eſel ihrer Empfindlichkeit gegen Kälte wegen weder in Skythien noch am Pontus vorkommen ſollen. Ungemeine Schnelligkeit, aber dann plötzliches Ermüden ſchil - dert Aelian(XIV, 10) von den mauritaniſchen Eſeln. Wildeſel (onager, jetzt Kulan) kommen bei Xenophon, Varro, Pliniusund Aelianvor. Auf den Dſchiggetai bezieht man den Ausdruck „ Hemionus “(Halbeſel) bei Ariſtoteles(Hist. anim. VI, 24. 163), worunter er indeß an an - dern Stellen die Baſtarde von Pferden und Eſeln, alſo faſt ſynonym mit „ Oreus “, verſteht. Die Kreuzung des Pferdes mit dem Eſel zur Erzeugung der in manchen Beziehungen jenen beiden an Brauchbarkeit vorzuziehenden Maulthieren und Mauleſeln iſt jedenfalls ſehr alt, doch nur bei den Ariern, den Semiten war ſie verboten. Anakreon ſchreibt ihre Erfindung den Myſiern zu40)ἱπποθόρον δὲ Μυσοὶ εὗρον μῖξιν ὄνων (πρὸς ἴππους) 35. Fragm.. Aelianerzählt, daß in den großen Heerden wilder Pferde und Eſel Indiens die Stuten häufig Eſelhengſte zuließen und gutlaufende braune Maulthiere erzeugten (XVI, 9). Ari - ſtotelesmacht noch keinen Unterſchied zwiſchen Maulthier (von Eſel - hengſt und Pferdeſtute) und Mauleſel (von Pferdehengſt und Eſelin), ſondern bezeichnet beide mit „ Oreus “oder „ Hemionus “. Er meint aber,37Hausthiere der Griechen und Römer.daß ſich die Jungen in ihrer Form nach der Mutter richten41)Hist. anim. VI, 23. 162. Im Gegenſatz hierzu führt Columella (9. Cap.) an, daß die Zucht meiſt nach dem Vater arte., muß alſo doch die Unterſchiede bemerkt haben. Später heißt Maulthier mu - lus, Mauleſel hinnus (burdo bei Iſidorvon Sevilla). Als „ Ginnos “(hinnus) bezeichnet Ariſtotelesdas Product von Maulthier und Stute. Fruchtbare Maulthiere erwähnt Plinius(VIII, 44. 69), doch ohne Zu - verläſſigkeit.
Bekannt iſt, daß Schweine ſchon in den älteſten griechiſchen Zeiten gehalten wurden. Beſondere Reſultate einer ſorgfältigen Zucht, für welche Columella Anweiſung gibt, ſind nicht weiter bekannt gewor - den. Doch erwähnt Barro Schweine in Gallien, welche ſo fett ſeien, daß ſie ſich nicht mehr ſelbſt von der Stelle bewegen können. Einhufige Schweine führt Ariſtotelesals in Päonien und Illyrien vorkommend an (Hist. anim. II, 1. 17). Den Babyruſſa ſchildert Plinius.
Die Sagen vom kalydoniſchen und erymantiſchen Eber führen mit ihren Jagdabenteuern auf das zuletzt noch zu erwähnende Hausſäuge - thier, den Hund. Als gute Jagdhunde führt Ariſtotelesdie lakoniſchen Hunde an42)vielleicht dieſelbe Raſſe, welche Simonides als κύων Ἀμυκλαίος erwähnt., welche aus einer Kreuzung des Fuchſes mit dem Hunde hervorgegangen ſein ſollen. Die moloſſiſchen Hunde ſind theils Jagd -, theils gute Wächterhunde. Ob das Malteſerhündchen43)κυνίδιον μελιταῖον. Hist. anim. IX, 6. 50. Aelian, de nat. anim. XVI, 6. des Ariſtote - les, welcher Name bei ſpäteren Schriftſtellern wiederkehrt (z. B. Pli - nius, Aelian), dieſelbe oder eine ähnliche Raſſe iſt, welche Linnéals Canis familiaris melitaeus aufführt, iſt, da ſowohl Beſchreibung als genauere Angaben über das eigentliche Vaterland fehlen, kaum zu be - ſtimmen44) Aubertund Wimmer( Ariſtot.Thierkunde, I. S. 72) glauben mög - licherweiſe an Canis Zerda denken zu dürfen, welcher über Malta aus Afrika ge - bracht worden wäre. Der Name Μελίτη kommt aber öfter vor, und es liegt daher wohl näher, an eine griechiſche Raſſe kleiner Schoßhunde zu denken.. Außer der erwähnten Kreuzung von Hund und Fuchs (und früher von Hund und Tiger oder vielleicht Schakal) gedenkt Ari - ſtotelesnoch der Kreuzungen zwiſchen Hund und Wolf, und zwar läßt38Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.er die aus beiden entſpringenden Nachkommen wieder fruchtbar ſein, da er nur die Hemionoi als unfruchtbar ausnimmt (De gener. anim. II, 7. 118.).
Nicht ſo zahlreich waren urſprünglich bei den Alten die Vögel im Hausweſen vertreten; doch erreichte bei den Römern die Zahl der wenn nicht völlig gezähmten doch gehaltenen eine auch jetzt vielleicht kaum übertroffene Höhe. Bereits erwähnt wurde, daß das Huhn erſt ſpäter eingeführt geworden ſein kann; noch bei Ariſtophanesheißt es der „ perſiſche Vogel “, ſeinen öſtlichen Urſprung andeutend. Doch er - wähnt bereits Ariſtotelesedler Zuchthühner mit bunten Farben, leider ohne einzelne Angaben über Form, Größe u. ſ. f. zu machen. (Hist. anim. VI, 1. 1). Die einzige von ihm benannte Raſſe waren die klei - nen adriatiſchen, über deren ſonſtige Art und Abſtammung nichts be - kannt iſt. Auch damals benutzte man ſchon den Inſtinct brütiger Hen - nen, um ihnen untergelegte Eier anderer Vögel (bei Ariſtotelesfindet ſich eine Angabe über Pfaueneier) ausbrüten zu laſſen. Die Kampf - ſucht der Hähne entgieng der Aufmerkſamkeit der Alten nicht. Es wird mehrfach erzählt, daß nach den Perſerkriegen in Athen Hahnenkämpfe als Volksbeluſtigungen aufgekommen ſeien. Außer dieſen Hahnenkäm - pfen hatten die Römer noch Kämpfe von Wachteln und Rebhühnern (ſ. Plinius, hist. nat. XI, 51. 112)45)Ueber Hahnen - und Wachtelkämpfe bei den Alten ſ. Beckmann, Bei - träge zur Geſchichte der Erfindungen 5. Bd. S. 446..
Berühmt als Hausvogel, bei den Römern heilig gehalten, war auch die Gans, welcher bereits Ariſtotelesals gezähmten Vogels ge - denkt. Die Wohlſchmeckerei der Römer brachte ſchon ziemlich bald das künſtliche Fetten der Gänſe durch Nudeln auf; fette Gänſelebern beſon - ders der rein weißen Gänſe waren bereits damals geſchätzt. Der Gänſefeder als Schreibwerkzeug gedenkt erſt Iſidorvon Sevilla; doch wird die Benutzung der Feder zu dieſem Zwecke damals ſchon als be - kannt erwähnt. Als wilde Gans iſt wahrſcheinlich die kleine in Heer - den lebende Gans des Ariſtoteles, chenerotes des Pliniusanzuſehen. Der Chenalopex iſt wohl ſicher die ägyptiſche Entengans. Wenn auch39Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.nicht ſtreng hierher gehörig, mag doch die Trappe hier erwähnt wer - den, da ſie Pliniusals verwandt in die Nähe der Gans bringt. Nach Xenophon(Anabaſis 1, 5) waren Trappen in den arabiſchen baum - loſen Ebenen zahlreich. Die ariſtoteliſchen Angaben über ſie ſind nur dürftig. Ein anderer Hausvogel war ferner die Ente; von beſondern Formen derſelben erwähnt Pliniusnur die pontiſchen Enten, jedoch nur, um ihr Blut als Heilmittel anzuführen. Von Tauben kommen bei AriſtotelesHaustauben als gezähmte Form, Holztauben, Ringel - und Turteltauben vor. Von beſonderen Raſſen oder auffallenden Formen iſt nichts bekannt. Wenn auch nicht als völlig gezähmte Haus - vögel erſcheinen doch auf dem Geflügelhof der Alten noch Pfauen und Perlhühner; endlich ſind noch die Schwäne wegen der verſchieden an ſie ſich knüpfenden Sagen und die periodiſch verſchwindenden Störche zu erwähnen.
Nicht unerwähnt darf bleiben, daß die Alten bereits die Jagd mit Falken oder Sperbern und Habichten kannten. Mag das Verfahren hierbei urſprünglich auch nur darin beſtanden haben, daß man (wie es AriſtotelesHist. anim. IX, 36. 131.46)Durch dies Citat ſoll übrigens nicht die Aechtheit dieſes 9. Buches be - hauptet werden, ſ. auch Antigonus Carystius, Histor. mirabil. Cap. XXXIV. erzählt) die kleinen Vögel aus Gebüſch und Rohr den anfangs vielleicht nur zufällig in der Nähe kreiſenden Raubvögeln zutrieb, worauf ſie ſich von Angſt getrieben auf die Erde warfen und ſo fangen oder tödten ließen, ſo deutet doch eine Erzählung des Aelian(aus Kteſias) darauf hin, daß in Indien die Ab - richtung kleiner Raubvögel, unter denen neben Habicht und Sperber auch Raben und Krähen erſcheinen, zur Jagd auf Haſen, ja ſelbſt Füchſe, planmäßig betrieben wurde.
Aus den meiſten Thierclaſſen nun die den Alten bekannten Ver - treter auch nur in annähernder Vollſtändigkeit aufzuführen, iſt für jetzt noch nicht möglich; es wäre auch hier der Ort nicht, die Reſultate etwa beſonders auf die Zuſammenſtellung und das Beſtimmen der von den40Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Schriftſtellern des Alterthums erwähnten Thiere gerichteter Arbeiten in Ausführlichkeit mitzutheilen. Die Sache hat große Schwierigkeiten. Männer wie Johann Gottlob Schneider, Saxo, welcher als tüchtiger Philolog eingehende naturhiſtoriſche Kenntniſſe beſaß, ſind ſel - ten; und doch gehört eine innige, nur zum Theil durch das Zuſammen - arbeiten zweier Individuen zu erſetzende Verbindung jener beiden Eigen - ſchaften nothwendig dazu, die Aufgabe wenigſtens befriedigend zu löſen. Der aus einer ſolchen Unterſuchung entſpringende Gewinn iſt in mehrfachen Beziehungen nicht zu unterſchätzen. Es gewinnt nicht bloß die phyſiſche Geographie dadurch, daß eine Ueberſicht des fauniſtiſchen Verhaltens der alten bekannten Erde wenigſtens in großen Zügen für mindeſtens zwei Jahrtauſende feſtgeſtellt werden könnte; es wäre auch für die Geſchichte der Thiere und deren etwaige Wandlungen und Wan - derungen von großem Werthe, alle Notizen mit den Thieren, wie und wo ſie ſich jetzt finden, vergleichen zu können. Vor Allem aber würde ſelbſt die Geſchichte der Zoologie bei den Alten einen großen Vortheil aus dem Umſtande zu ziehen haben, daß es möglich wäre, das Bild des von den ſogenannten claſſiſchen Völkern gekannten Thierreichs etwas vollſtändiger als jetzt überſehen zu können. Freilich würden immer viele Lücken bleiben, theils weil uns die Texte der alten Schrift - ſteller häufig nur unvollſtändig oder in dritter Hand erhalten, manche möglicherweiſe ſehr wichtige Schriften, wie die des Appulejusganz verloren ſind, theils und vornehmlich weil gar zu oft nur die Namen ohne irgend welche leitende, oder mit gar zu allgemeinen Bemerkungen gegeben, wie im Ovid, Athenaeus, Auſonius, im Deipnon des Philo - xenusu. a., Thiere überhaupt nur beiläufig erwähnt werden, wie im Caſſius Dio, Seneca u. a. Beſonders intereſſant müßte es ſein, und zwar, wie ſich bald zeigen wird, nicht bloß für das Alterthum, ſondern ganz vorzüglich für das frühe Mittelalter, die ausführlichen wahren und fabelhaften Angaben, welche ſich von Ariſtoteleseinerſeits, andrer - ſeits von Kteſiasan durch Plinius, Oppianund Aelian47)Betreffs der beiden letzten ſ. den Aufſatz von J. G. Schneider, Ueber Oppian's und Aelian's Verdienſte um die Naturgeſchichte in: Allerneueſte Man - nigfaltigkeiten 2. Jahrg. 1783. S. 392.u. a. bis41Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.auf noch ſpätere Zeiten erhalten haben, einzeln rückwärts auf ihren Ausgang und vorwärts auf ihre Verbreitung zu verfolgen. Es würde ſich daraus der Urſprung des ſchon in der früheſten chriſtlichen Zeit (ſchon von Origenes) erwähnten ſogenannten „ Phyſiologus “, jedenfalls ein zu didaktiſchen Zwecken zuſammengeſtelltes Büchlein von den Thie - ren ſicherer erklären laſſen, was um ſo wichtiger wäre, da derſelbe ſpäter vollſtändig oder in Trümmern in den verſchiedenſten Sprachen wiedererſcheint (ſ. unten).
Die geringe Ausdehnung des den Alten bekannten Ländergebietes ſetzte auch der Kenntniß des Formenreichthums der Thiere eine natürliche Grenze. Mögen auch ſchon in ſehr früher Zeit durch die kleinaſiatiſchen Colonien und durch beſtändige Berührung mit Phönicien und Aegypten Nachrichten über aſiatiſche und afrikaniſche Thiere in das griechiſche Volksbewußtſein und die Sprache der Hellenen eingedrungen ſein, im - merhin blieben die der poſitiven Grundlage eigener Betrachtung und perſönlicher Erfahrung entbehrenden Erzählungen unſicher und der be - ſtändigen Ausſchmückung mit fabelhaften Zuthaten ausgeſetzt. Es wur - den auch nicht bloß eine Anzahl rein mythiſcher Weſen aus derartigen Nachrichten zuſammengeſetzt, ſondern in einzelnen Fällen wurden irriger Weiſe ſogar fremde Thiere als in Europa vorkommend aufgeführt48)Dies gilt vorzüglich vom Löwen, der nach Herodots Erzählung zwiſchen den Flüſſen Acheloos und Neſtos in Thrakien vorgekommen ſein ſoll. Sundevall(die Thierarten des Ariſtoteles. Stockholm, 1863. S. 47) hat gewiß Recht, wenn er die in der Historia animalium des Ariſtoteleszweimal vorkommende Stelle, worin dieſelbe Oertlichkeit mit Anführung derſelben Flüſſe als europäiſcher Wohn - ort des Löwen bezeichnet wird (VI, 31. 178 u. VIII, 28. 165) als dem Herodotentnommen annimmt. Plinius, der jene Angabe auch wiederholt, ſagt ausdrück - lich: is tradit ... inter Acheloum etc. Icones esse. Nun war zu Homer's Zeit der Wolf das größte in Griechenland einheimiſche Raubthier, trotzdem daß in den Homeriſchen Geſängen der den ioniſchen Griechen aus Vorder-Aſien (Syrien) be - kannte Löwe als Sinnbild des Muthes und unbezähmter Kraft häufig vorkommt. Jene Angabe des Herodot, die ſich auf eine kurz nach ſeiner Geburt (480 v. Chr.) vorgefallne, aber erſt viel ſpäter, vielleicht in Thurii am Buſen von Tarent, nie - dergeſchriebene Begebenheit bezieht, liegt aller Wahrſcheinlichkeit nach eine Verwech - ſelung entweder ſeitens des Erzählers oder ſchon der dabei betheiligt geweſenen Perſonen oder der Zwiſchenträger, durch die ſie zu Herodot's Kenntniß kam, zu Grunde.. 42Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Abgeſehen von der Erweiterung geographiſcher und zoologiſcher Kennt - niſſe, welche der ſich langſam und allmählich ausbreitende Handel und Verkehr mit ſich brachten, ſind vorzugsweiſe die Perſerkriege und Alex - ander's des Großen Zug nach Indien für die ältere, die Ausbreitung des Römerreichs für die ſpätere Zeit als die Hauptmomente zu betrach - ten, durch welche unbekannte Stücke der Erdoberfläche der übrigen alten Welt bekannt wurden und, wenn auch nicht im heutigen Sinne durch - forſcht, doch aufmerkſam auf ihre Naturerzeugniſſe beobachtet werden konnten. Die rege Verbindung, in welcher aber ſchon vor dem Aus - bruch der zum Untergang der griechiſchen Selbſtändigkeit führenden Kämpfe die Hellenen mit dem Orient geſtanden hatten, die häufig da - hin unternommenen Reiſen hatten ſchon vorher manches über das auch den Griechen als Wunderland erſcheinende „ Land der Sonne “bekannt werden laſſen. Und nicht bloß Süd-Aſien war das Ziel der Wande - rung geweſen; nicht weniger reizte das von Geheimniſſen erfüllte Nil - thal, nicht minder auch das mit der Urgeſchichte griechiſchen Seins ver - webte Geſtade des Pontos.
Was von ſolchen Nachrichten auf die Nachwelt gekommen iſt, trägt nun allerdings den Stempel des nicht ganz Zuverläſſigen zu deut - lich, als daß es als Quelle für naturgeſchichtliche Kenntniß angeſehen werden könnte. Man wollte eben keine wiſſenſchaftlichen Darſtellungen geben, ſondern flocht Schilderungen von Menſchen und Thieren der Erzählung mehr zufällig ein. Der Werth der einzelnen hier in Betracht kommenden Schriftſteller iſt nun zwar ein verſchiedener: Herodotwird im Ganzen mehr Vertrauen erwecken als Kteſiasund Megaſthenes. Doch dürfen alle drei nicht unterſchätzt werden. Brauchbare zoologiſche (und wie gleich gezeigt werden ſoll, anthropologiſche) Angaben ſind frei - lich nicht bei ihnen zu ſuchen. Dagegen findet ſich bei ihnen manches, was auf ihre Zeit, und zwar nicht bloß culturgeſchichtlich, Licht wirft. Und Kteſiasiſt beſonders deshalb wichtig, als, wie A. W. von Schlegeltreffend ſagt49)ſ. deſſen Aufſatz: Zur Geſchichte des Elefanten in ſeiner Indiſchen Bi - bliothek Bd. 1. 1823. S. 149., „ ſein Buch über Indien die große Schatz -43Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.kammer für alle folgenden Fabelkreiſe geworden iſt “. Charakteriſtiſch für das naturgeſchichtliche Urtheil jener Zeiten iſt, daß Angaben, welche Ariſtotelesmit Recht bezweifelt oder geradezu widerlegt hatte, ohne Be - denken von Plinius, Aelian, und was für die Entwickelung der zoolo - giſchen Vorbegriffe im Mittelalter von Einfluß iſt, von dem Ordner des „ Phyſiologus “wieder aufgetiſcht werden, zuweilen mit Uebertra - gung der von einem Thier erzählten Geſchichte auf ein ganz anderes.
Plinius, Aelian, Athenaeusund andere ſpätere Schriftſteller hät - ten nun aber außer den genannten älteren litterariſchen Quellen noch andere Mittel haben können, ihre Thierkenntniß wiſſenſchaftlich zu er - weitern, wenn ſie dieſelben fruchtbringend benutzen zu können in der Lage geweſen wären. Einmal iſt zu bemerken, daß mit der Ausdehnung der römiſchen Herrſchaft die officielle Sendung oder die Reiſen gebil - deter Römer Hand in Hand giengen und zwar in alle Theile der da - mals bekannten Welt, welche nun faſt ganz Europa, Weſt - und Süd - Aſien bis nach Hinter-Indien, Africa von dem Atlas bis zu den „ Quellen “des Nils umfaßt. Hierdurch kamen doch ſicher zahlreiche und wohl auch oft beſtätigte Nachrichten in Rom zuſammen. Dann aber trug vor Allem der ſteigende Luxus ſowohl der Mahlzeiten als der öffentlichen Feſte und Spiele, Thierkämpfe u. ſ. f. dazu bei, Gelegen - heit zur ſorgfältigen und verhältnißmäßig bequemen Beobachtung leben - der Thiere, ſowie zur Zergliederung der ja oft maſſenhaft getödteten reichlich darzubieten. Wie wenig aber dieſe Gelegenheit benutzt worden iſt und warum man das Material, was kaum je wieder in ſolcher Fülle zuſammengebracht worden iſt, unbenutzt gelaſſen hat, wird ſpäter zu erörtern ſein.
Auch Ariſtoteleswollte in ſeiner Thiergeſchichte keine vollzählige Beſchreibung der ihm bekannten Thiere geben. Eine Angabe über die Zahl der von ihm erwähnten Thiere hat daher nur eine relative Be - deutung. Im Ganzen kommen etwas über fünfhundert Thiere in ſeinen Schriften vor, von denen indeß nicht alle mit gleicher Ausführlichkeit geſchildert, daher auch nicht alle wiederzuerkennen ſind. Der hauptſäch - lichſte Zuwachs, welchen die Thierkenntniß von Ariſtotelesbis zum Ausgang des Alterthums erfuhr, betrifft die Wirbelthiere. Dieſe konnten44Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.wegen ihrer durchgängig bedeutenderen Größe leichter beobachtet werden, fielen daher auch den Cultur - wie Naturvölkern im Ganzen mehr auf. Dann aber boten zumal hier die Möglichkeit, die Thiere lebend von einem Ort zum andern zu bringen, ſowie ihre ausgedehntere Benutzung als Nahrungsmittel (man denke nur an Fiſche) der nach immer neuen Sinnesreizen lüſternen römiſchen Welt Beweggründe dar, noch nicht Dageweſenes herbeizuſchaffen.
Wie oben bei Erwähnung der Hausthiere ſoll auch hier nur das Wichtigſte hervorgehoben werden. Die Reihe beginnt am füglichſten der Menſch. Während bei Ariſtoteleskeiner beſondern Raſſe Erwäh - nung geſchieht (da die Stelle im achten Buche der Thiergeſchichte, wo von den Pygmäen geſprochen wird, ſicher unecht iſt), kommen ſchon im HerodotBeſchreibungen verſchiedener Völker vor. Wahrheit und Dich - tung wechſeln hier mit einander ab. Die Schilderung der einzelnen ſkythiſchen Stämme, wie der Boryſtheniden, Kallipiden, Alapen, Olbio - politen u. ſ. w., der aus einer Miſchung von Hellenen mit den Ama - zonen hervorgegangenen Sauromaten, iſt ebenſo wie die der libyſchen Adyrmachiden, Giligammen, Asbyſten u. a. nicht ſcharf genug, um in ihnen mit Sicherheit den Ausdruck beſonderer Raſſeneigenthümlich - keiten finden zu können. Bei Erwähnung der Neuren, einer gleich - falls ſkythiſchen Nation, wird der Sage von der Verwandlung der Men - ſchen in Wölfe gedacht, und dieſe Mittheilung iſt vielleicht die älteſte Notiz über Wehrwölfe. Die Budinen werden als blond und blauäugig hervorgehoben. Als nicht ſkythiſch werden die Androphagen, Menſchen - freſſer bezeichnet. So weit bewegt ſich die Erzählung in den Grenzen der Wahrſcheinlichkeit. Entweder mythiſche Entſtellungen oder lügen - hafte Berichte liegen aber den Nachrichten zu Grunde, welche Herodotvon den Argippäern, welche von Geburt an kahlköpfig ſein ſollen, den einäugigen Arimaspen, welche in Inner-Aſien mit den Greifen das Gold behüten ſollen, von den Hundsköpfen und den die Augen auf der Bruſt tragenden Ohneköpfen vorbringt. Von den letzteren bemerkt He - rodotübrigens ſelbſt, daß ſie von den Libyern ſo geſchildert würden, und ſetzt hinzu: „ noch andere Thiere, welche nicht erlogen ſind “, ſo daß er doch kritiſche Bedenken bei der Wiederholung jener Angaben45Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.hatte50) Herodot, IV. Buch, Cap. 191. vgl. auch Cap. 17-27, 103-110. und III. Buch, Cap. 116. und andere Stellen.. Zu den Hundsköpfen und Kopfloſen, welche aber von Libyen, dem einen Wunderlande, in das andere, Indien, verſetzt werden, fügt Kteſiasnoch die auf Kranichen reitenden Pygmäen, „ die einbeinigen behenden Läufer, die Plattfüße, die ſich auf den Rücken legten und die Beine emporſtreckten, um ihre großen Füße als Sonnenſchirme zu ge - brauchen, und vieles andere, was nachher theilweiſe in den falſchen Kalliſthenes, in die Legende vom heiligen Brandanus, in die Reiſe des Sindbad und Maundeville, und bei uns in die Abenteuer des Herzog Ernſt übergegangen iſt “51) A. W. von Schlegela. a. O. S. 149. ſ. auch Laſſen, Indiſche Al - terthumskunde 2. Bd. S. 651.. Aehnliche Fabeln wiederholt auch Mega - ſthenes.
Schwer iſt es, derartige Fabeln auf ihren Urſprung zurückzufüh - ren, noch ſchwerer vielleicht, zu entſcheiden, ob dabei abſichtlich Unge - heuerlichkeiten erzählt oder beſtimmte Naturerſcheinungen flüchtig oder unrichtig beobachtet und leichtſinnig weiter erzählt worden ſind. Die erſt genannte Aufgabe dürfte dadurch um ein Kleines ihrer Löſung ge - nähert werden, daß ſich Momente ergeben, welche auf einen aſiatiſchen Urſprung hinweiſen. In dem chineſiſchen Chan-haï-king, dem zwar apokryphen, aber doch in die erſten Jahrhunderte unſerer Zeitrechnung zurückzuverlegenden „ Buche der Berge und Meere “, werden Dämonen geſchildert und abgebildet, welche ſogar in vielen Einzelheiten an die Fabelthiere und fabelhaften Menſchen des Kteſiaserinnern52) Bazin, aîné, Du Chan-haï-king, cosmographie fabuleuse attribuée au grand Yu in: Journ. asiat. 3. Sér. T. 8. 1839. p. 337-382. . Und was den zweiten Umſtand betrifft, ſo hat man von verſchiedenen Seiten her verſucht, jene Wunderformen auf beſtimmte, der Uebertreibung oder falſchen Deutung unterlegenen Erſcheinungen zurückzuführen53)So z. B. H. H. Wilson, Notes on the Indica of Ctesias. Oxford (Ashmolean Soc.) 1836.. Doch iſt nicht zu leugnen, daß bei manchen dieſer Ungeheuer eine Er - klärung wohl unmöglich, dagegen die Annahme wohl erlaubt ſein dürfte, die Einbildungskraft habe hier eine größere Thätigkeit entwickelt,46Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.als nach den empfangenen Sinneseindrücken der Erzähler hätte vor - ausgeſetzt werden können.
Unter den Nachfolgern des Kteſiasfindet ſich kaum einer, welcher ſich in ſeinen Schilderungen verſchiedener Menſchenſtämme ganz von den Uebertreibungen, welche naturgemäß die oberflächlichen Beobach - tungen zu ergänzen beſtimmt waren, hätte frei machen können. Doch gewinnt es den Anſchein, als ob doch im Allgemeinen eine etwas nüch - ternere Anſchauung allmählich Platz gegriffen hätte. So ſind die Ich - thyophagen, Chelonophagen und andere Völker, welche Agatharchideserwähnt, wohl nur deshalb nicht weiter zu beſtimmen, als bei dem Mangel treffender Geſichtspunkte die Schilderung ſich nur auf einzelne Aeußerlichkeiten erſtreckt. Ob dagegen die Hylophagen, welche völlig nackt auf Bäumen wohnen, ſich auf dieſen behend bewegen und von den ſaftigen Trieben und Blättern derſelben ernähren, Affen oder eine wunderbare Menſchenraſſe darſtellen, iſt nicht auszumachen. Schon Herodotverſucht, aus phyſiognomiſchen und culturhiſtoriſchen Momen - ten die Zuſammengehörigkeit einzelner Völker zu begründen; eine na - turgeſchichtliche Betrachtung des Menſchen war aber den Alten fremd. Pliniuswiederholt noch die Erzählungen aus Kteſias, Megaſthenes, Artemidorosu. a.; aber ohne Bedenken hält er die Wundermenſchen für Naturſpiele54)Hist. natur. VII, 2. 2. Haec atque talia ex hominum genere ludi - bria sibi, nobis miracula, ingeniosa fecit natura. Selbſt Antigonus Karyſtiushatte dem Kteſiasgegenüber mehr Kritik, wenn er nach Anführung einer Erzählung deſſelben in bezeichnender Weiſe noch hinzufügt: „ διὰ δὲ τὸ αὐτὸν πολλὰ ψεύ - δεσθαι, παρελε〈…〉〈…〉 πομεν τὴν ἐκλογήν “.. Dagegen kommen bei ArrianSchilderungen der Neger vor; auch bemerkt er, die Indier ſeien den Aethiopiern ähnlich. Albinos in Indien erwähnt ſchon Kteſias; Neger-Albinos ſchildert Philoſtratos in ſeiner Lebensbeſchreibung des Apolloniosvon Tyana; ſein Bericht iſt aber ſicher wie das Meiſte derartiger Merkwürdigkeiten aus älteren Quellen entnommen.
Von Affen kannten die Alten Paviane, Makaken, lang - und kurzſchwänzige Arten, und Cerkopitheken. Daß ſie von den jetzt ſoge - nannten Anthropomorphen keine Form geſehen, wenigſtens nicht be -47Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.ſchrieben und noch weniger zergliedert haben, iſt ſicher. Galen's Affe war nicht der Orang-Utang, wie eine Zeitlang geglaubt wurde55)Die Chineſen ſollen aus Affenblut purpurne Färbſtoffe bereitet haben ſ. Erasm. Francisci, Oſt - und Weſtindiſcher Luſtgarten. S. 390.. Fledermäuſe beſchreibt ſchon Ariſtoteles; einzelne Formen ſind nicht zu unterſcheiden. Inſektenfreſſer waren bekannt; Maulwurf (wahrſcheinlich nur die ſüdeuropäiſche Form), Igel und vielleicht Spitz - maus. Die Nagethiere boten im Haſen, der Maus und Ratte, dem Siebenſchläfer, Biber u. a. Vertreter dar. Die Zahl der gekann - ten Nager nahm verhältnißmäßig am geringſten zu56)Die Martichora des Kteſiaswird zuweilen mit dem Stachelſchweine in Verbindung gebracht; doch können nur ganz einzelne Züge zu jenem abenteuer - lichen Bilde verwendet worden ſein.. Für eine Kennt - niß von Halbaffen im Alterthume fehlt jede Notiz. Die Carnivoren mußten zu den römiſchen Thierkämpfen den bedeutendſten Beitrag lie - fern. Schon früher erwähnt Megaſthenesden Tiger; den erſten in Rom zeigte Pompejus57)Schon der König Seleukosſoll den Athenern einen Tiger als Geſchenk geſchickt haben, der bei AthenaeusXIII, Ausg. von Schweighäuſer, 5. Bd. S. 133 erwähnt wird. — In Bezug auf die in den Thierkämpfen erſchienenen Thiere ſ. beſonders Mongez, Mém. sur les animaux promenés ou tués dans les cir - ques. in: Mém. de l'Instit. Acad. d. Inscript. T. X. 1833. p. 360-460; und hieran ſich anlehnend: Friedländer, Darſtellung aus der Sittengeſchichte Roms 2. Thl. (1. Ausgabe) S. 332.. Aelianerzählt, daß die Indier Löwen zur Jagd abrichten. Dies iſt vermuthlich der Guepard. Coelius beſtellt bei Cicero, als dieſer Proconſul in Cilicien war, Panther. Im Jahre 168 v. Chr. kämpften große afrikaniſche Katzenarten, Panther, Leoparden, und vermuthlich auch Hyänen unter dem Conſulate von Scipio Naſica und Lentulus. Löwen erſchienen im Kampfe zuerſt 185 v. Chr. in Rom. Eine neue Fangart derſelben kam unter Kaiſer Claudius auf. Der „ Lynx “der Alten iſt ſicher der Caracal; der Luchs erſchien zuerſt unter Pompejus in Rom58)Die von Aubertund Wimmer(Thierkunde S. 72) zu λύγξ angezogene Stelle aus Plinius(VIII, 19. 28) bezieht ſich gar nicht auf den lynx des Plinius, ſondern auf ein Thier, was er chama oder chaus, die Gallier rufius nennen, un - ſern Luchs, den er weiterhin (VIII, 22. 34) lupus cervarius nennt.. Nimmt man Katze, Viverre, Herpeſtes, Marder, Fuchs, Wolf, Hund (wilde Hunde kamen aus Schottland),48Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Bären und Dachſe hinzu, ſo ſind die hauptſächlichſten Gruppen der Fleiſchfreſſer vertreten59)Zu ihnen gehören wohl auch die μύρμηκες des Herodotu. A., welche in Indien Gold graben. Sie werden größer als die Füchſe geſchildert, auch wird ihrer Felle gedacht. Schon Nearchus ſagt aber, daß ſie ſich Höhlen graben und dabei zu - fällig Gold aufwühlen (ſ. Arrian, Hist. Ind.). Vergl. auch Graf Veltheim, Von den goldgrabenden Ameiſen und Greifen. Helmſtädt, 1799., ebenſo wie es auch die Robben waren. Von Elefanten wurde zunächſt der indiſche bekannt; auf ihn allein beziehen ſich die Angaben des Ariſtoteles. Zur Römerzeit kamen durch die Kar - thager afrikaniſche nach Italien. Die römiſchen Soldaten ſahen die erſten Elefanten 286 v. Chr. in Lukanien (daher hoves lucani) in Pyrrhus 'Heer; 274 v. Chr. hatte Curius Dentatus Elefanten vor ſeinen Triumphwagen geſpannt. Ihre Zähmung und Abrichtung zu Kunſtſtücken erwähnt ſchon Plinius. Abbildungen ſind häufig, auch vom afrikaniſchen. Ein Hippopotamus kam 58 v. Chr. nach Rom; frühere Erwähnungen der Nilpferde ſind unſicher. Ammianus Mar - cellinusſagt aber bereits (4. Jahrhundert nach Chr.), daß ſie nicht mehr unterhalb der Katarakten des Nils vorkommen; und Arrianhebt hervor, daß ſie in Indien fehlen. Ein Rhinoceros beſchreibt Agathar - chides(71. Cap. der Ausgabe der Geogr. min. von C. Müller), das zweihörnige zuerſt Pauſanias. Es kommt auf Münzen des Domitian vor; aber ſchon PtolemaeusPhiladelphus hatte den Alexandrinern ein Nashorn gezeigt. Ueber die Einhufer iſt das früher Angeführte zu vergleichen. Das Zebra (? hippotigris) kam unter Caracalla nach Rom. Außer den Hausſchweinen kannte man das Wildſchwein und wie bereits erwähnt den Babyruſſa. Des in der Bibel vorkommenden Klippdachſes („ Saphan “, nach LutherKaninchen) geſchieht bei den claſſiſchen Völkern keine Erwähnung. Von Wiederkäuern waren, außer den hierher - gehörigen Hausthieren60)Die von Theſſaliern erfundenen Stierkämpfe führte Caeſar in Rom ein. und deren näheren Verwandten, Hirſch, Reh, Dammhirſch, Elenn ( Plinius, Pauſanias), Rennthier und meh - rere Antilopenarten bekannt. Vom Schelch kommt nichts bei den Alten vor. Die Giraffe beſchreibt Agatharchides(72. Cap.); PtolemaeusPhiladelphus brachte ſie nach Alexandrien. In Rom erſchien ſie unter49Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.Caeſar (diversum confusa genus panthera camelo, ſagt Horazvon ihr). Alte Abbildungen derſelben finden ſich öfter, ſo z. B. auf einem antiken Moſaik (allerdings wenigſtens wohl nachhadrianiſch) und einem Sarkophag mit dem indiſchen Triumph des Bacchus61)Das präneſtiner Moſaik abgebildet von Barthélemyin: Mém. de l'Acad. d. Inscr. T. XXX, 1760. p. 334; auch auf einem Wandgemälde eines Columbarium der Villa Panfili. ſ. O. Jahn, in: Abhandlg. d. K. Bayer. Akad. Philoſ. hiſt. Kl. Bd. 8. 1858. Taf. I. Fig. 1.; ferner auf Münzen, und zwar vor - chriſtlichen der Cyrenaika (ſ. Liebe, Gotha numm. S. 393), wo Cavedoni, der das Thier für eine Giraffe hält, jedenfalls Recht hat gegen Liebe und Eckhel, und auf alexandriniſchen aus Antoninus Pius 'Zeit. Wegen des Sarkophags ſ. Bullet. dell' Istit. arch. 1858. p. 40; ferner ebend. p. 125. Der Kamele wurde bereits früher gedacht. Von Walthieren waren Del - phin, Tümmler, und die Exiſtenz von Bartenwalen bekannt. Die coloſſalen Knochen, welche M. Aemilius Scaurus83 n. Chr. zur Schau brachte, waren vielleicht die eines großen geſtrandeten Wales. Walartige Thiere in Indien erwähnt Arrian; Pliniusgedenkt der Pla - taniſta als im Ganges vorkommend, mit Rüſſel und Schwanz des Delphins.
Ungleich ſchwerer als in Bezug auf die Säugethiere iſt es, eine kurze Ueberſicht der Formen zu geben, welche den Völkern des Alter - thums aus den übrigen Wirbelthierklaſſen bekannt waren. Zweck dieſer Zuſammenſtellung iſt indeß nicht eine vollſtändige Aufzählung der etwa wiedererkennbaren Arten, ſondern ein Hinweis auf den ungefähren Umfang der Formkenntniß der Alten. Es wird daher das Folgende genügen. Was die Vögel betrifft, ſo führt ſchon AriſtotelesPapa - geyen als indiſche Vögel an; ähnlich Arrian; doch waren auch aus Afrika ſolche bekannt. Außer dem Kuckuck, deſſen Gewohnheit ſeine Eier in fremde Neſter zu legen der Aufmerkſamkeit der Alten nicht entgangen war, werden noch aus der Ordnung der Kuckucks - artigen Eisvögel62)Nach der oben angeführten Stelle des Alkman (Anm. 16. S. 19) wird es wahrſcheinlich, daß Antigonus CaryſtiusRecht hat, wenn er den κήρυλος als Männ - chen von ἀλκύων bezeichnet. Im Ariſtoteleskommt er nur einmal vor (Hist. anim. VIII, 3. 47)., Bienenfreſſer und der Wiedehopf mehr oder we - niger ausführlich geſchildert. Die Ordnung der Spechte kannte man V. Carus, Geſch. d. Zool. 450Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.in mehreren Arten echter Spechte ſowie im Wendehals. Aus der Ord - nung der Makrochiren laſſen ſich Ziegenmelker und Segler mit Sicher - heit wiedererkennen; in Bezug auf letztere beſtand eine ähnliche Ver - wechſelung mit den Schwalben, wie ſie bis auf die neueſte Zeit geherrſcht hat. In beträchtlicher Anzahl erſcheinen die Sperlingsartigen, und zwar ſowohl Schreier als Sänger. Sperlinge, Meiſen, Bachſtelzen, Droſſeln, Nachtigall, Lerche, Schwalben, Pirol waren bekannte Re - präſentanten dieſer formenreichen Gruppe. Die Rückſichtsloſigkeit rö - miſcher Wohlſchmecker brachte ſchon in der alten Zeit, wie leider noch heute in ganz Italien, den durch oder nach Süd-Europa ziehenden Vö - geln reichlichen Tod. Man lieſt von Gerichten auf römiſchen Tafeln, welche in nichts den ausgeſuchten Gaumenreizen neuerer Zeiten nach - ſtehen. Nachtigallen wurden ihres Geſanges wegen gehalten; Droſſeln wurden gemäſtet. Von rabenartigen Paſſerinen werden angeführt: Ei - chelheher, Raben und Krähen. Unter den Raubvögeln unterſchied man Geier, Adler, Falken und Eulen; die Beſtimmung einzelner Formen iſt nicht ganz leicht; doch dürfte eine Vergleichung verſchiedener Schrift - ſteller noch weiter führen als zu dem bis jetzt Ermittelten. Eines ge - zähmten und vielleicht abgerichteten Adlers, der einen Knaben mit ſeinen Fängen in die Luft erhob, gedenkt Martialisan zwei Stellen. Der Tauben, ſowie des Haushuhns, der Wachteln und Rebhühner wurde bereits gedacht. Faſanen waren bekannt; die Meleagris der Alten war das Perlhuhn. Strauße ſpielten in den römiſchen Thier - kämpfen eine große Rolle. Intereſſant iſt eine Angabe Herodian's, nach welcher Strauße, denen Commodus im Circus die Köpfe abge - ſchlagen hatte, noch nachher eine Strecke weit gelaufen ſeien, als ob nichts vorgefallen ſei63)προϊέναι δέ ποι τὸ σῶμα τῆς κεφαλῆς άφῃρημ〈…〉〈…〉 νης οὐδὲν ἄλογον, ſagt Ariſtoteles, de partibus III, 10. 673 a. . Von Wadvögeln werden außer den erwähn - ten und dem Storch noch Reiher, Löffelreiher, Ibis, Rohrdommel, und Kraniche angeführt. Letztere wurden nach Caſſius Dio zu Kämpfen gegen einander abgerichtet. Schnepfen und mehrere Verwandte waren gleichfalls bekannt. Die Ordnungen der Schwimmvögel waren51Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.durch mehrere Formen vertreten. Ob der Flamingo, deſſen Zunge Pli - niusnach dem Apicius als Leckerbiſſen rühmt, ſchon dem Ariſtotelesbekannt war, iſt zweifelhaft. Dagegen waren außer den früher ange - führten Schwänen, Gänſen und Enten noch der Pelikan, Scharben, Taucher und Möven bekannt.
Am dürftigſten iſt bei den alten Schriftſtellern im Verhältniſſe zu den übrigen Wirbelthieren die Bekanntſchaft mit Reptilien und Am - phibien vertreten. Man kannte zwar See -, Land - und Süßwaſſer - ſchildkröten, aber nur in einzelnen nicht ſcharf beſtimmten Formen. Nil-Crocodile kamen ſogar nach Rom in den Circus. Daß ſie gezähmt worden ſind, beweiſen die in verſchiedenen ägyptiſchen Städten gehal - tenen und verehrten Crocodile; ſelbſt aus ſpäterer Zeit wird manches erzählt, ſo daßFirmusin Alexandrien (272 n. Chr.) nach der Erzäh - lung des Vopiscusunter einer Anzahl von Crocodilen herumgeſchwom - men ſei, daß in Arſinoë die Prieſter die Crocodile wenigſtens fütterten (4. Jahrhundert). Crocodilartige Thiere aus Indien erwähnt bereits Arrian, eine Angabe, welche ſpäter erſt von den arabiſchen Geographen wiederholt wurde. Von Schlangen ſind die gekannten europäiſchen Arten ſchwer mit Sicherheit zu beſtimmen. Außer der ſüdeuropäiſchen kannte man die ägyptiſche Schild-Viper und wahrſcheinlich noch ein Paar indiſche, zum Theil giftige Schlangen64)Eine Anzahl von Schlangen, welche indeß nur dem Namen nach ange - führt werden, erwähnt Andromachus, Leibarzt des Kaiſers Nero, in ſeinem berühm - ten Theriak: θηριακὴ δἰ ἐχίδνων.. Unter Auguſtuswurde eine coloſſale Schlange im Circus gezeigt (? Python). Kleine Eidechſenfor - men, Stellionen65) Apollonius Dyskoloscitirt (Hist. mirab. 39) aus Ariſtoteles(ἐν ταῖς ἐκλογαῖς τῶν Ἀνατομῶν) eine Stelle, wo letzterer erzählt, in Paphos ſei eine Schlange mit zwei Füßen, denen des Landcrocodils (Stellio) ähnlich, geſehen wor - den. Ob hier eine unvollſtändige Beobachtung einer Skinkoiden-Form zu Grunde liegt?, das Chamaeleon und einige andere ſchwer zu deu - tende Arten repräſentiren die Saurier. Von Amphibien wurde der jedenfalls geſehene und beobachtete Salamander mit vielen fabelhaften Uebertreibungen geſchildert. Außer ihm kannte man kaum eine andere geſchwänzte Form. Fröſche und Kröten waren dagegen wohlbekannt.
4*52Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Zahlreich war die Reihe der Fiſche, welche allmählich bekannt wurden. Es trug zur näheren Bekanntſchaft mit ihnen wohl ebenſo die Feinſchmeckerei der Römer als ſpäter die ſeit dem Aufkommen der chriſtlichen Faſten ihnen beſonders als Faſtenſpeiſe zugewandte Auf - merkſamkeit nicht wenig bei. Wird aber die Zahl der angeführten Arten immer größer, ſo wächſt mit ihr die Schwierigkeit, ſie einigermaßen mit Sicherheit wiederzuerkennen. Nirgends ſo häufig wie hier kommen Liſten bloßer Namen66)So z. B. in dem Fragmente περὶ ἰχθύων des Marcellus Sidites, in der Moſella des Auſoniusu. a. vor, höchſtens mit ganz allgemeinen, nichts - ſagenden und dadurch leicht irreführenden, zur Ausſchmückung beigege - benen Zuſätzen. Am lohnendſten würde es hier noch ſein, nach und nach einzelne geographiſch begrenzte Gebiete ſorgfältig zu durchforſchen, wobei die mönchiſche bis in frühe Jahrhunderte hinabreichende Ueber - lieferung als Hülfsmittel benutzt werden muß. Ueber einzelne Namen geben dann Gloſſen gute Auskunft oder wenigſtens ſicherere Anhalte - punkte als Urtheile über Geſchmack, Nutzen oder Schaden67)Um unter vielen Beiſpielen falſcher Deutungen nur eines anzuführen, ſoll auf Ausonius, Mosella, verwieſen werden. Dort heißt es V. 89: et nullo spinae nociturus acumine Redo. Böcking erklärt dies als „ grätenlos “, und darauf hin ſuchen Schäfer (in der Moſelfauna) und Florencourt (Jahrbücher d. Rheinl. V. u. VI. S. 202) den Redo unter den Knorpelfiſchen, etwa Neunauge oder Pricke. Nun weiſt ſchon Forcelliniauf eine Stelle in den Halieutica des Ovid(?) hin, wo es V. 128 heißt: et spina nocuus non Gobius ulla. Gobius iſt aber ein bekannter Grätenfiſch. Ferner ſagt Pliniusvom Araneus, einem nicht näher zu beſtimmenden Seethier, (nach Cuvierder Fiſch Trachinus vipera): spinae in dorso aculeo noxius (IX, 48. 72). Es kann daher in der Stelle des Auſoniusdas „ spinae acumine nullo “nur heißen: „ ohne Rückenſtachel “. Es über - ſetzt aber nun weiter eine althochdeutſche Gloſſe (11. Jahrhundert, Haupt, Zeitſchr. f. deutſch. Alterth. Bd. 9. S. 392) redo mit munewa. Für muniwa gibt ſchon Graffdie Form munwa. Dieſer mittelrhein. Name, der auch in der Physica der h. Hildegardvorkommt, wird von Nau(Oekon. Naturgeſch. d. Fiſche um Mainz. 1787) in der Form „ Mulbe “einem Cyprinoiden beigelegt, der in dem ganzen Fluß - gebiet des Rheins gefunden wird, dem C. aspius. Hiernach iſt es mindeſtens nicht unwahrſcheinlich, daß Redo dieſer Fiſch, dagegen ſicher, daß es kein Knorpelfiſch iſt.. — Hai - fiſche ſowohl als Rochen kommen vielfach bei den Claſſikern vor und zwar in mehreren Arten, von denen einige, durch auffallende Eigen - thümlichkeiten charakteriſirt, ſicher wiedererkannt werden können. 53Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.Elektriſche Rochen kennt Ariſtotelesaus dem mittelländiſchen, Mega - ſthenes(bei Aelian) aus dem indiſchen Meere. Von Ganoiden wa - ren vermuthlich ein Paar Störarten bekannt. Hier gehen aber bereits im Alterthume (wie ſpäter im Mittelalter) die Namen ſehr durcheinan - der. Anthias und Elops bei Ariſtoteles, das dem lateiniſchen nachge - bildete Akkipeſios des Athenaeus, esox. silurus und acipenser des Plinius, welcher als Synonym noch elops beibringt, ſind wahrſchein - lich Namen für verſchiedene Arten von Stören, von denen der Sterlet am geſchätzteſten war68)Es iſt hiernach ſprachlich nicht unmöglich, daß, wie Florencourt aus andern Gründen vermuthet, Auſoniusunter Silurus den Stör verſtanden, aber in Folge einer Verwechſelung den Wels beſchrieben habe, ſchon durch die Worte: „ velut actaeo perducta tergora olivo “, V. 135.. Cycloſtomen ſcheinen die Alten nicht gekannt zu haben. Dagegen ſind Knochenfiſche ſehr zahlreich vertreten bei den Schriftſtellern des Alterthums. Erwähnt mögen nur werden: Wels (glanis), Hecht (lucius und lupus), Karpfen, Weißfiſche, Barben, Barſche, Aale, Muränen, Lachſe, Lachsforellen, Forellen und andere Salmoniden aus dem Süßwaſſer, Thunfiſche, Makrelen, Serranus, Häring, Sardelle und viele andere aus dem Meere, welche einzeln zu bezeichnen nur mit kritiſcher Ausführlichkeit möglich, aber hier nicht am Orte wäre. Der Neſtbau einzelner Fiſche war beobachtet worden69) Ovid, Halieut. V. 122: „ atque avium dulces nidos imitata sub undis. “. Auch war bekannt, daß einzelne Fiſche Laute von ſich geben70)vergl. den Aufſatz von Johannes Müller, über die Fiſche, welche Töne von ſich geben, in ſeinem Archiv, 1857. S. 249, wo die Beobachtungen der Alten kri - tiſch zuſammengeſtellt ſind.. Fiſch - behälter dienten, wie heute meiſt, nur Küchenzwecken.
Unter den Mollusken waren ſicher die Cephalopoden am beſten gekannt, von denen allein ſchon Ariſtotelesdie wichtigſten Gattungen unterſchied und deren Lebensweiſe gut kannte. Ja, nach einer Stelle der Thiergeſchichte (IV, 1. 15) könnte man faſt meinen, er habe den echten Nautilus geſehen. Auffallend wenig wird von den Schnecken mitgetheilt. Obſchon einige Namen erwähnt werden und zwar zum Theil ſolche, welche jetzt in die wiſſenſchaftliche Nomenclatur aufgenommen ſind, läßt ſich doch nur über wenige etwas Beſtimmtes ſagen. Selbſt die ſo54Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.vielfach beſprochene Purpurſchnecke iſt nicht mit Sicherheit ermittelt; doch neigen ſich jetzt wohl die Meiſten der Anſicht zu, daß es Murex brandaris oder trunculus ſei; es können indeß auch Purpura-Arten in Betracht kommen, vielleicht auch Buccinum. Von Muſcheln kannten die Alten wohl die Miesmuſchel, den Pecten, Pinna, Solen, die Perlmuſchel, die Auſter; letztere wurde gepflegt in Auſternbehältern. Von Tunicaten findet ſich nur bei Ariſtoteleseine die Gruppe über - haupt (beſonders die Ascidien) kennzeichnende Schilderung. Spätere ſchweigen völlig über ſie.
Die Kenntniß der Arthropoden war ſchon durch die verhält - nißmäßige Kleinheit der auf dem Lande lebenden, alſo zugänglicheren Formen ſehr beſchränkt. Finden ſich auch Bemerkungen über Inſecten, ſo ſind es meiſt nur mehr oder weniger allgemein gehaltene Angaben und über auffallendere Formen. Leuchtkäfer, Holzwürmer, Scara - bäen, Cetonien, Hirſchkäfer vertreten die Ordnung der Käfer. Unter den Hymenopteren war die Biene ihrem Haushalte nach leidlich be - kannt; doch wurde wie bis in neuere Zeiten herab das Geſchlecht der verſchiedenen Individuenformen verwechſelt. Aehnlich wird das Leben der geſelligen Wespen geſchildert. Schmetterlinge waren den Alten wohl im Allgemeinen aufgefallen; auch findet ſich ihre Verwandlung erwähnt; ſpecielle Formen ſind indeß nicht wiederzuerkennen. Höch - ſtens könnte man bei Ariſtotelesauf Kenntniß der Geometra-Larven ſchließen. Vom Seidenwurm, deſſen Geſpinſt zu Alexanderdes Großen Zeiten als von einer Raupe herſtammend bekannt wurde, waren viel - leicht ſchon früher Notizen von China aus durch Central-Aſien weſt - wärts gedrungen. Nach den Iraniſchen Ländern wurde er noch ſpäter, früheſtens in der letzten Zeit der Saſſaniden gebracht71)ſ. Laſſen, Indiſche Alterthumskunde. 1. Bd. 2. Aufl. S. 372. 369.. Ariſtotelestheilt ſicher nur unvollſtändige ihm berichtete Angaben über ihn mit. Es beſchränkt ſich überhaupt, wie es ſcheint, die Kenntniß der Alten von dieſem Thiere faſt nur darauf, daß es ein Inſect ſei, welches den Cocon liefere. Die Form deſſelben aber, ebenſo wie die Reihenfolge der einzelnen Stände iſt ihnen kaum ganz klar geworden. Heuſchrecken,55Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.Grillen, Wanzen, Cicaden (Anakreon!), Fliegen vertreten andere In - ſectenordnungen. Daß Läuſe und Flöhe bekannt waren, wurde bereits erwähnt. Zu erſteren rechnete man auch die Schmarotzer der Fiſche, von denen aber keine einzelnen Formen unterſchieden werden. Auch das Lackinſect war ſchon früh von Indien nach dem Weſten verbreitet wor - den. Spinnen, Phalangien, Skorpione, auch der kleine Bücherſkorpion finden ſich erwähnt. Tauſendfüße waren in mehreren Formen bekannt. Weniger zahlreich ſind die angeführten Formen von Kruſtern, unter denen Hummer, Flußkrebs, Languſten, Squillen, mehrere Krabben her - vortreten. Von den ſelbſtverſtändlich noch nicht hierher gerechneten Rankenfüßlern werden Meereicheln, Balanen, erwähnt. Die Ariſtote - liſchen Lepaden ſind Napfſchnecken, Patellen.
Ganz gering iſt die Kenntniß der Alten von den Würmern ge - weſen. Außer den Erdwürmern finden ſich nur Angaben (zweifelhaft über Meerwürmer und) über ſchmarotzende Band - und Rundwürmer. Die Echinodermen ſind im Thierſchatze der Alten durch Holothu - rien, Seeigel und Seeſterne vertreten; doch war das, was man von ihnen wußte, zu unbedeutend, als daß es hätte zur Unterſcheidung be - ſtimmter Formen verwendet werden können. Von Actinien und Me - duſen kann man kaum mehr ſagen, als daß einzelne Formen derſelben Ariſtotelesaufgefallen ſind und ihn veranlaßt haben, ſie ſich einmal anzuſehen; in Bezug auf die Meduſen iſt dies ſogar noch zweifelhaft. Die Koralle kannte man wohl, war aber über ihre Natur nicht klar (tempore durescit, mollis fuit herba sub undis. Ovid.). Auf die zweifelhafte Stellung der Schwämme, von denen einzelne Formen an - geführt werden, wird zwar hingewieſen; indeß natürlich ohne dieſer Frage die Bedeutung beizulegen, welche ſie ſachlich und formal in neuerer Zeit erhalten hat.
Nach dieſer flüchtigen Muſterung der Formen, aus welchen ſich das Bild des Thierreichs bei den Alten zuſammenſtellte, bleibt nur noch übrig, daran zu erinnern, daß trotz der Kritik, welche Ariſtoteles(frei - lich auch nur er) falſchen oder geradezu fabelhaften Erzählungen entge - gengehalten hatte, derartige Ausſchmückungen ſonſt vielleicht zu nüchtern erſcheinender Berichte ſich lebendig erhielten und durch das ganze Alter -56Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.thum bis in das Mittelalter hineinreichten. Knüpft ſich die Geſchichte einer Wiſſenſchaft, deren Objecte nicht erſt durch künſtlich angeſtellte Verſuche und durch ſpeculative Operationen zu entdecken ſind, zu einem guten Theil an die allmähliche Aufklärung früher herrſchender Irrthü - mer, ſo kann eine in's Einzelne gehende Aufzählung ſolcher hier um ſo mehr unterlaſſen werden, als die Beſprechung der mittelalterlichen Quellen zur Geſchichte der Zoologie ebenſo wie die Geſchichte der Kennt - niß einzelner Klaſſen mehrfach Gelegenheit bieten wird, auf die äußerſt langſam erfolgende Beſeitigung derartiger in's Volksbewußtſein einge - wurzelter Mythen hinzuweiſen.
Verkehrt wäre es, im Alterthum ſchon zootomiſches Material in genügender Menge zu erwarten, um die Bildung allgemeiner morpho - logiſcher Anſichten inductiv auf ſolchen ſich erheben zu ſehen. Um ſo merkwürdiger iſt es, daß auch hier Ariſtotelesin wunderbar klarer Weiſe ſchon manche Geſetze erkannte, welche als erſte Fälle einer be - wußten Anwendung des ſpäter ſogenannten Geſetzes der Correlation der Theile ſicher auch ſeine ſyſtematiſchen Anſichten beſtätigen halfen. Es wurde früher darauf hingewieſen, wie zunächſt die ſich zufällig bie - tenden Erſcheinungen bei dem Opfern und Schlachten von Thieren auf gewiſſe allgemeine anatomiſche Anſchauungen führten. Das mediciniſche Bedürfniß nach Kenntniß des menſchlichen Körpers ließ dann die Un - terſuchungen planmäßig weiter führen. Endlich kamen noch allgemeine philoſophiſche und beſonders pſychologiſche Fragen auf, deren Beant - wortung (z. B. die Sinneswahrnehmungen) aus einer Betrachtung der betreffenden Organe herzuleiten für möglich gehalten wurde. Die beiden letzten Geſichtspunkte waren aber ihres ſubjectiven Hintergrun - des wegen bedenkliche Quellen von Täuſchung. Die Uebertragung des bei Thieren Gefundenen auf den Menſchen und die Deutung thieriſcher Organe nach der (oft nur hypothetiſch vorausgeſetzten) Leiſtung der für entſprechend gehaltenen menſchlichen mußte häufig zu Irrthümern füh - ren. Die Sinnesorgane konnten ohne einen einigermaßen vorgeſchritte - nen Entwickelungszuſtand der Phyſik keine richtigen Anhaltepunkte zur572. Kenntniß des thieriſchen Baues.Beurtheilung des pſychiſchen Antheils an den Wahrnehmungen darbie - ten. Endlich war man, um das grob ſinnliche zuletzt zu erwähnen, viel zu wenig vorbereitet, die Veränderungen der Theile nach dem Tode und die davon abhängenden Erſcheinungen (z. B. die Blutleere der Arterien) als ſolche aufzufaſſen und demgemäß beim Aufbau anatomi - ſcher Syſteme richtig verwenden zu können.
Hätte die vergleichende Anatomie ſich in ähnlicher Weiſe entwickeln können, wie in neueren Zeiten die allmähliche Complication der thie - riſchen Organismen aufgefaßt wird, hätte ſie nach den einfachſten Bei - ſpielen eines thieriſchen Baues geſucht, um von dieſen in der Erkennt - niß zu immer zuſammengeſetzteren Formen vorſchreiten zu können, dann würden manche derartige Fehler zu vermeiden geweſen ſein. Es lag aber der ganzen Ideenwelt des Alterthums, welche wie auch gar zu häufig noch die der Neuzeit mit einem ſtarren Anthropomorphismus an die Naturerſcheinungen herantrat, zunächſt der Drang am nächſten, womöglich ſofort über Formen und Vorgänge der Natur Rechenſchaft zu fordern und zu geben. Dieſe fiel denn je nach dem Wege, auf welchem man meiſt beiläufig, ſelten direct zu einem Erklärungsverſuch gekommen war, grob mechaniſch oder rein ſpiritualiſtiſch, immer aber von der vorgefaßten Anſicht des allgemeinen Zuſammenhanges befangen aus. Verſuche, eine Erklärung inductiv zu entwickeln, waren äußerſt ſelten. Wenn auch hier wieder auf Ariſtotelesgewieſen wird, ſo ge - ſchieht es, weil er derjenige war, welcher den dem richtigen Erfaſſen des thieriſchen Baues entgegenſtehenden Schwierigkeiten unter allen Natur - kundigen des Alterthums am glücklichſten zu begegnen wußte. Auch er konnte ſich zwar von manchen Vorurtheilen ſeiner Zeit nicht völlig frei machen; doch ſichern ihm ſeine Leiſtungen das Recht, auch als Begrün - der der vergleichenden Anatomie gefeiert zu werden.
Es iſt allerdings von mehreren Philoſophen aus der Zeit vor Ari - ſtotelesbekannt, daß ſie ſich auch mit Beobachtungen über den Bau, ſelbſt über Entwickelung der Thiere beſchäftigt haben. Keiner hat aber wie Ariſtotelesdieſe Beobachtungen von einer ſo breiten Anlage aus und als ihr eigenes Intereſſe in ſich tragend angeſehen und dargeſtellt. Meiſt wurden die anatomiſchen Anſichten von jenen nur als Stützen58Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.ihrer allgemeinen naturphiloſophiſchen Syſteme benutzt. Ihnen dahin - ein zu folgen verbietet der Ort. Es gewinnt aber auch die Geſchichte der Zootomie wenig durch Erklärung ihrer Mittheilungen aus jenen Syſtemen. Da ſich das von dieſen Männern Erhaltene höchſtens auf Fragmente beſchränkt, von denen Ariſtotelesſelbſt eine ziemliche Zahl aufbewahrt hat, ſoll hier nur in Kürze auf einige Thatſachen hingewie - ſen werden.
Der älteſte Forſcher, von dem nicht bloß erzählt wird, daß er ſich mit Zergliederung von Thieren beſchäftigt habe, ſondern von welchem auch Ariſtoteleseinzelne Meinungen in ſeinen zoologiſchen Schriften anführt, iſt Alkmaeonvon Kroton (um 520 v. Chr.). Das von ihm Ueberlieferte iſt aber zu unbedeutend, als daß es möglich wäre, ein zutreffendes Bild ſeiner Anſichten über den thieriſchen Bau und deſſen Leiſtungen zu geben. Er ſetzt den Unterſchied der menſchlichen Seele von dem allgemeinen Lebensprincip in die Fähigkeit, das ſinnlich Wahrgenommene zu verſtehen ( Theophr. de sensu)72) Theophrasti Opera. ed J. G. SchneiderT. I. p. 657. 25. . Bei Erwäh - nung der Zeit, in welcher die Geſchlechtseigenthümlichkeiten auftreten, führt Ariſtotelesan, daß Alkmaeondarauf hingewieſen habe, wie auch die Pflanzen erſt blühen, wenn ſie Samen zu tragen im Begriff ſeien. Eine Angabe Alkmaeon's, daß die Ziegen durch die Ohren athmen (eine Meinung, welche Pliniusohne ſie zu widerlegen dem Archelaos zuſchreibt, Hist. nat. VIII, 50. 76)73)Dieſelbe Anſicht kommt wieder bei Origenesvor; Philosophumena, lib. IV, cap. 31. (p. 67. ed. Miller): Αἰγῶν δὲ κἂν ἐπιπάσῃ τις κηρωτῇ τὰς ἀκόας φασὶ θνησκειν μετ̕ ὀλίγον ἀναπνεῖν κωλυομένας. Ὁδὸν γὰρ αὐταῖς ταύτην εἶναι λέγουσι τοῦ δἰ ἀναπνοῆς ἑλκομένου πνεύματος., weiſt Ariſtotelesals unrichtig zurück (Hist. anim. I, 11. 45). In ähnlicher Weiſe glaubt aber Ari - ſtotelesauch den Alkmaeonberichtigen zu müſſen, wenn dieſer an - giebt74) Ariſtoteles, de generat. anim. III, 2. 33. , in den Eiern entſpreche das Weiße der Milch, d. h. der den jungen Thieren mitgegebenen Nahrung. Schon nach dieſen verſchiedenen Seiten des thieriſchen Lebens angehörigen Beobachtungen läßt ſich an - nehmen, daß Alkmaeonin ziemlicher Ausdehnung Erfahrungen zu ſam - meln verſucht habe.
592. Kenntniß des thieriſchen Baues.Etwas zuſammenhängender iſt das, was ſich von Empedokles(um 440 v. Chr. blühend) erhalten hat. Seiner philoſophiſchen Rich - tung nach gewiſſermaßen einen Uebergang von den Pythagoräern zu den Atomikern bildend, ſuchte er die Zuſammenſetzung der gleichartigen Theile des Thierkörpers, wie Fleiſch, Blut, Knochen, nicht auf eines oder auf mehrere Elemente, ſondern auf gewiſſe Miſchungsverhältniſſe derſelben zurückzuführen, welche letztere er zuerſt in der Vierzahl und ſo auffaßte, wie ſie dann ſeit Ariſtotelesbis in das ſpätere Mittelalter (und volksthümlich bis in die neuere Zeit) als Elemente galten. Der Menge der veränderlichen Thiergeſtalten gegenüber war es wichtig, daß er zuerſt dem Stoffe eine die Urſache der Bewegung enthaltende Kraft an die Seite ſtellte. Von einer ſtreng folgerichtigen Anwendung dieſes Begriffes war er jedoch natürlich noch fern. Den Bau der Thiere ſuchte er ſich zwar zum Theil mechaniſch zu erklären. So führt Ariſto - telestadelnd an75)De partibus anim. I, 1. 640 a. Die Anſicht von der Betheiligung der Elemente führt Ariſtotelesin derſelben Schrift an, I, 1. 642 a. , Empedoklesſage, es gäbe Vieles bei den Thieren nur darum, weil es ſich bei der Entſtehung ſo gefügt habe, das Rück - grat der Säugethiere z. B. ſei zufällig beim Werden in einzelne Wirbel gebrochen. Wo ihm aber die Möglichkeit einer derartigen, wenn auch noch ſo wunderlichen Erklärung nicht nahe liegt, verliert er ſich in ge - haltloſe Speculationen. Er ſagt, daß bei der Zeugung ſowohl vom Männchen als vom Weibchen ein Antheil auf den Abkömmling komme; die Entſtehung der Geſchlechter erklärt er indeß dadurch, daß das, was in einen warmen Uterus gelange, männlich, das was in einen kälteren Uterus komme weiblich werde. Bei den Pflanzen ſind ſeiner Anſicht nach die Geſchlechter noch nicht getrennt. Die Unfruchtbarkeit der Mauleſel leitet er davon ab, daß die Miſchung beider Samenflüſſigkei - ten dick werde. Blaue Augen enthalten mehr Waſſer als Feuer, ſehen daher am Tage nicht ſcharf76) Ariſtoteles, de generat. anim. I, 18. 41 und IV, 1. 10 ; I, 18. 45 und V, 1. 3 ; I, 23. 100 ; II, 8. 127 ; V, 1. 14. .
Anaxagoras, welcher zwar etwas älter als Empedoklesdoch ſpäter gewirkt zu haben ſcheint, trennte die bewegende Urſache völlig60Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.als „ Geiſt “(νοῦς) vom Stoffe. Er nahm noch jenſeits der Elemente gleichartige unſichtbare Theile (Homoiomeren) an, aus denen die Ele - mente ſelbſt wieder beſtänden. Dieſe Anſicht wird dann auf den thie - riſchen Körper übertragen. Gleichartige Theile entſtehen nicht; es tritt z. B. Fleiſch aus der Nahrung zum Fleiſche, welches hierdurch wächſt. Dunklen Fragen gegenüber iſt er ein Kind ſeiner Zeit. Die die Ge - müther auch damals ſchon ſo mächtig erregende Frage nach der Ent - ſtehung der Geſchlechter beantwortet er dahin, daß der Samen vom Männchen komme, das Weibchen den Ort beſtimme; von der rechten Seite kommen die Männchen, von der linken die Weibchen, und ebenſo liegen beide Geſchlechter im Uterus. Wie wenig er wirkliches Verſtändniß der Lebensvorgänge hatte, beweiſt die Angabe, Raben und der Ibis begatten ſich mit den Schnäbeln, auch das Wieſel bringe ſeine Jungen durch das Maul zur Welt77)Die betreffenden Stellen bei Ariſtoteles, de gener. anim. I, 18, 44; IV, 1, 2; III, 6, 66. Die letzte Angabe wiederholt Plinius, aber nicht vom Wieſel, ſondern von Eidechſen und fügt auch hier hinzu: Ariſtotelesnegat. Hist. nat. X, 65, 85. .
Gering iſt das thatſächliche Material, welches bei den bis jetzt Genannten zu finden war; unbedeutend iſt auch die Hülfe, welche ihre Lehre der naturwiſſenſchaftlichen Methode brachte. Auch die Atomiker haben ſelbſt wenig zootomiſche oder phyſiologiſche Thatſachen an's Licht gefördert; der Einfluß ihrer Anſchauungen war aber fruchtbringend. „ Wo die Verlegenheit nicht vergeſſen iſt, in welche das Denken der Er - fahrung gegenüber durch die Annahme eines Seienden oder auch der qualitativen Veränderung gebracht wird, da muß nothwendig der for - male d. h. der mechaniſche Erklärungsverſuch ohne Rückſicht auf die ſcheinbare Unterſchiedlichkeit zwiſchen Stoff und Geiſt ... jedem an - dern vorgezogen und conſequent zur reinen Atomiſtik ausgebildet wer - den “. „ Die Atomiſtik hat darum nicht geringe Bedeutung, weil aus ihr in der Geſchichte der inductiven Wiſſenſchaften die Grundbegriffe zu denjenigen Hypotheſen der Phyſiker und Chemiker entlehnt ſind, durch welche die Verbindung der Mathematik mit der Naturforſchung mög - lich und für die formale Erklärung der Erſcheinungen fruchtbar geworden612. Kenntniß des thieriſchen Baues.iſt “78)L. Strümpell, Geſchichte der griechiſchen Philoſophie. 1. Abth. Leipzig, 1854. S. 69 u. 70.. Bezeichnend iſt es, daß ſchon Demokritzwar die Organe in Bezug auf ihre Functionen betrachtet und wie geeignet ſie für letztere ſeien bewundert, aber doch nur materielle Erklärungsgründe zuläßt. Es beklagt ſich daher Ariſtoteles(de generat. anim. V, 8, 101) dar - über, daß Demokritdie Zweckurſache (das τὸ οὗ ἕνεκα) außer Acht gelaſſen habe und Alles was die Natur gebrauche auf die Nothwendig - keit zurückführe. Dies tritt z. B. ſpeciell bei den Entwickelungsvorgän - gen entgegen; hier behauptet Ariſtoteles, die unteren Körpertheile ſeien um der oberen willen (Kopf, Augen), welche anfangs ſo viel größer ſeien, da, während Demokritbetont, daß der Stoff unbegrenzt und an - fangslos, alſo auch grundlos ſei ( Ariſtot.a. a. O. II, 6.80). Demo - krit, welcher ſtarb, als Ariſtotelesvierzehn Jahre alt war (370 v. Chr.) hat den Ueberlieferungen zufolge Thierzergliederungen vorgenommen (wie ja noch Severinoihm zu Ehren ſein Buch Zootomia Democritea nannte). Ariſtotelescitirt ihn verhältnißmäßig öfter als andere. Von dem auf dieſe Weiſe Erhaltenen ſpricht Manches für eine klare Einſicht, Anderes dagegen ruht auf unvollſtändiger Beobachtung und auf irrigen Vorausſetzungen. Folgende, dem Ariſtotelesentnommene Bemerkungen werden ihn für vorliegenden Zweck hinreichend kennzeichnen. Er glaubt, daß bei den Blutloſen die Eingeweide (vorzüglich Leber, Milz, Niere) nur der Kleinheit der Thiere wegen nicht wahrnehmbar ſeien, während Ariſtotelesausdrücklich ſagt: „ von den Blutloſen hat keines ein Einge - weide “. Bei der Entwickelung bilden ſich ihm zufolge erſt die äußeren, dann die inneren Theile. Das Gewebe der Spinnen entſteht wie ein Ausſcheidungsſtoff von innen heraus. Ariſtotelesglaubt hier, es löſe ſich das Gewebe von der Haut wie eine Rinde oder wie die Stacheln des Stachelſchweins, welches ja bekanntlich einer ziemlich verbreiteten Mythe zufolge die Fähigkeit haben ſollte, ſeine Stacheln wie Pfeile fort - zuſchleudern. Die Unfruchtbarkeit der Mauleſel hängt davon ab, daß die Canäle in der Gebärmutter des Mauleſels verdorben ſeien (alſo doch ein Verſuch zu einer Erklärung aus fehlerhafter oder mangelhafter62Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Entwickelung). Unklar oder falſch ſind andere Angaben; ſo ſoll der Un - terſchied der Geſchlechter ſich danach richten, bei welchem der beiden Erzeuger der von den unterſcheidenden Geſchlechtstheilen herkommende Same überwiege. Die Nabelſtranggefäße gehen an die Gebärmutter - wand, damit die Theile des Jungen nach den Theilen der Mutter ge - formt werden (hier erklärt Ariſtotelesrichtig, daß ſie der Ernährung wegen dahin gehen). Die Zähne endlich ſollen deswegen ausfallen, weil ſie in Folge des Säugens vorzeitig entſtehen; naturgemäß wäre es, wenn ſie erſt dann wüchſen, wenn das Thier faſt in der Blüthe ſei - nes Lebens ſtände79)Die Stellen finden ſich bei Ariſtoteles, Hist. anim. IX, 39, 162; de partibus, III, 4, 665a; de gener. anim. II, 4, 64; II, 4, 67; II, 6, 86; II, 8, 126; IV, 1, 4; V, 8, 95; V, 8, 101. .
Der Hippokratiker hier zu gedenken, könnte natürlich ſcheinen, da ja die menſchliche Anatomie ihnen beſonders nahe lag. Der ganze Ge - winn, welchen Zootomie und vergleichende Anatomie dieſer Schule ver - dankt, iſt aber keineswegs nennenswerth. Es läßt ſich auch bei den Späteren kaum ein Einfluß eines ſolchen nachweiſen. Polybus(un - gefähr 380 v. Chr.) ſoll freilich auch die Entwickelung des Hühnchens unterſucht haben. Die über ihn und die Reſultate ſeiner Unterſuchungen auf die Nachwelt gekommenen Angaben ſind aber nicht bedeutend ge - nug, um hier mehr zu thun, als an ihn zu erinnern.
Die Akademiker waren eigentlicher Naturforſchung vollſtändig fremd. Der teleologiſche Idealismus Plato's, welcher eine Einſicht in den Cauſalzuſammenhang der Erſcheinungen beim Fehlen des Cauſali - tätsbegriffs nicht aufkommen ließ, konnte keine Erklärung, auch keinen Verſuch einer ſolchen vornehmen. Wo das Bedürfniß einer Verſtän - digung nahe trat, wie im Timaeos, ſpielen Anklänge an pythagoräiſche Zahlen, an das ewige Fließen der Erſcheinungen im Sinne Heraklit's, ja ſelbſt das abſolute Sein der Eleaten in die Erörterung hinein. Für die Auffaſſung des thieriſchen Lebens war Plato's Anſicht, daß alle Theile des Leibes von dem, aus Elementardreiecken beſtehenden Marke ihren Urſprung nehmen, völlig unfruchtbar.
632. Kenntniß des thieriſchen Baues.Ganz anders erſcheint Ariſtoteles. Eine Schilderung ſeiner allgemeinen philoſophiſchen Bedeutung für die Geſchichte der geiſtigen Entwickelung der Menſchheit kann hier um ſo eher übergangen werden, als eine ſolche, an ſich ſchon der Aufgabe vorliegenden Buches fern lie - gend, von Andern in zum Theil trefflicher Weiſe gegeben iſt. Es war aber nothwendig, von ſeinen Vorgängern zu erwähnen, wie ſie der Na - tur gegenübergetreten waren. Nicht unterlaſſen darf es daher werden, auch von dem „ Maestro di color che sanno “anzugeben, welche Grund - anſchauungen er vom Weſen der Natur hatte und welche Methode er anwandte, ſie zu erklären. Aus den im Vorhergehenden angeführten einzelnen Urtheilen des Ariſtotelesgeht ſchon hervor, daß er kein ſtren - ger Atomiker war, daß er alſo nicht mehr oder noch nicht verſuchte, die Erſcheinungen mit Nothwendigkeit auf ihre Bedingungen zurückzufüh - ren. Glaubt man daher, daß ein Fortſchritt nur da zu ſuchen ſei, wo ſich Andeutungen des jetzt für richtig Erkannten auffinden laſſen, dann wäre im Ariſtoteleskein Anknüpfungspunkt für moderne Forſchung nachzuweiſen. Nun ſind aber nicht, wie oben in kurz bezeichnender Weiſe angeführt worden, die Grundbegriffe der heutigen Wiſſenſchaft aus der Atomiſtik entlehnt, ſondern, hiſtoriſch betrachtet, es haben die Thatſachen in ihrer inductiven Verwendung zur Aufſtellung allgemeiner Geſetze auf die Atomiſtik geführt. Es kommt folglich einmal auf die Art an, wie die Thatſachen erfaßt, und ob oder wie ſie zu Verallgemei - nerungen benutzt wurden. Wenn man auch in Bezug auf Einzelheiten zugeben muß, daß Ariſtotelestrotz ſeines Kämpfens gegen die plato - niſche Ideenlehre (welche die Erzeugerin des bis in die neueſte Zeit hin - ein auch auf naturwiſſenſchaftlichem Gebiete ſein Unweſen treibenden, jede geſunde Naturphiloſophie untergrabenden „ Dinges an ſich “iſt) einen gewiſſen Idealismus beibehalten hat, ſo iſt doch im Allge - meinen mit dankbarer Anerkennung hervorzuheben, daß er von der Ueberzeugung durchdrungen war, der Natur wohne eine vom vorſtellen - den Subjecte völlig unabhängige Realität bei, die ſinnliche Wahrneh - mung habe demnach eine objective Wahrheit. Er ſchaffte ſich hierdurch den einzig richtigen Boden für eine mögliche Naturforſchung. Ferner geht er zu allgemeinen Sätzen nur von einzelnen Thatſachen aus. Daß64Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.jene bei ihm noch häufig falſch ſind, hängt davon ab, daß er dem noch wenig entwickelten Zuſtand der formalen Logik und Beobachtungskunſt entſprechend noch keine angemeſſenen Begriffe von den Erſcheinungen zu bilden im Stande war und daß er das populäre Wiſſen von einer Sache noch nicht vom wiſſenſchaftlichen Erkennen derſelben trennte.
Ariſtotelesmuß nun aber nicht bloß aus den angeführten Grün - den (die durch ſeine Zeit bedingten Mängel in Rechnung gezogen) ohne allen Zweifel als der größte Naturforſcher des Alterthums angeſehen werden; er verdient, gerade in Hinblick auf die ihm zu Gebote ſtehen - den geringen Mittel, eine gleiche Bezeichnung auch dem heutigen Em - pirismus gegenüber, welcher ein Zerſplittern in endloſe Einzelheiten, einen kaum zu befriedigenden Drang nach Anhäufung von immer neuen und neuen Erfahrungen als die Aufgabe und das Zeichen eines wahr - haft wiſſenſchaftlichen Strebens erſcheinen läßt, welchem aber leider nur gar zu häufig der geiſtige Hintergrund fehlt, von dem aus die Thatſachen erſt zu wiſſenſchaftlich verwerthbaren erhellt werden. Dieſer war bei Ariſtotelesvorhanden, aber allerdings mit einem von den Ein - flüſſen ſeiner Zeit beſtimmten Lichte. Das erſte Hinderniß einer tiefer gehenden Erfaſſung der belebten Natur bei Ariſtotelesliegt in der Mehrſinnigkeit des Wortes Urſache. Wenn auch der Cauſalitätsbegriff bei ihm hervortritt, ſo führt ihn doch ſein logiſcher Formalismus zur Annahme vier verſchiedener urſächlicher Momente; es ſind dies: der Stoff, woraus, die Form, wonach, die Bewegung, wodurch, und der Zweck, wozu etwas entſteht oder geſchieht. Aus dieſen vier Theilfragen ſetzt ſich dann die Geſammtfrage der Phyſik, das Warum zuſammen80)Physic. II, 7. 198a. Die vier Urſachen ſind ὕλη, εἶδος, κίνησις, und τὸ οὗ ἕνεκα; auf ſie alle führt der Phyſiker das διὰ τί zurück.. Selbſtverſtändlich liegt hier die Gefahr nahe, welcher auch Ariſtotelesnicht zu entgehen wußte, da wo eine oder die andere dieſer Urſachen nicht zu ermitteln war, wenigſtens für die letzte, den Zweck, etwas zu erſinnen. Hierdurch verlieren manche ſeiner Erörterungen jeden Boden. Ferner wird zwar von Hiſtorikern häufig auf eine Stelle verwieſen, wo er (wie oben ſchon angedeutet) ausdrücklich hervorhebt, daß man652. Kenntniß des thieriſchen Baues.der Beobachtung mehr Glauben ſchenken ſoll als der Theorie81)de gener. anim. III, 10, 101. Lewes führt noch andere Stellen ähn - lichen Sinnes an in ſeinem Buche: Ariſtoteles. (Ueberſetzung) S. 111. ſ. auch J. B. Meyer, Ariſtoteles 'Thierkunde. Berlin, 1855. S. 508.. Hier - aus darf man aber nicht ſchließen, daß Ariſtotelesganz im Empiris - mus aufgegangen wäre. Vielmehr liegt hier nur die Andeutung vor, daß das Wiſſen durch Speculation zu erweitern, dieſe aber ſo weit als möglich durch ſinnliche Wahrnehmung zu beſtätigen ſei82)So ſagt er ausdrücklich z. B. de partibus III, 4, 666a: οὐ μόνον δὲ κατὰ τὸν λόγον οὕτως ἔχειν φαίνεται, ἀλλὰ καὶ κατὰ τὴν αἴσθησιν..
Noch in einer anderen Weiſe greift Ariſtotelesbei der Betrachtung lebender Weſen über das ſinnlich Wahrnehmbare hinaus und geräth damit in Gefahr, von der Erklärung derſelben völlig abgezogen zu wer - den. Es iſt der hier zu erwähnende Punkt deshalb von geſchichtlichem Intereſſe, als manche jetzt freilich wohl nur noch in formell verſchiedener Weiſe gebrauchte Ausdrücke, wie Lebenskraft, Typus u. a., lange Zeit ziemlich genau in einer der Ariſtoteliſchen Auffaſſung des Beſeeltſeins entſprechenden Deutung angewendet wurden. Ariſtotelestheilt nämlich die Naturkörper in beſeelte und unbeſeelte. Das Beſeelte iſt das Ge - formte, Lebendige. Wäre das Beſeeltſein nur das weſentliche Merkmal der beſeelten Körper im formal-logiſchen Sinne der Definition (alſo ein ἴδιον Ariſtoteles '), ſo würde natürlich nichts dagegen einzuwenden ſein. Bei näherer Beſtimmung des Begriffs Seele wird derſelbe aber als Entelechie der lebensfähigen Materie hingeſtellt. Da nun die ver - ſchiedenen Formen des Beſeeltſeins (Pflanze, Thier, Menſch) auf ver - ſchiedene Vermögen zurückgeführt werden, denen ebenſoviele Entelechien entſprechen, ſo löſt ſich der Begriff der letztern von der Betrachtung des Stoffes leicht ab und verleitet noch mehr, als es ſchon die Begriffe der Möglichkeit und Wirklichkeit thun, dazu, die Seele (oder Form oder Lebenskraft) als immateriellen, außerhalb der Natur ſtehenden Grund der Belebung zu betrachten. Es iſt indeß wohl nichts weiter nöthig, als auf dieſen aus Ariſtotelesformalem Standpunkt zu erklärenden Umſtand hinzuweiſen83)Schon aus Stellen, wie de partibus II, 1, 646 a. b. (τῷ μὲν οὖν χρόνῳ προτέραν τὴν ὕλην ἀναγκαῖον εἶναι καὶ τὴν γένεσιν, τῷ λόγῳ δὲ τὴν οὐσίαν.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 566Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Nicht mit Unrecht hat man nun aber bei Ariſtotelesnicht bloß den wiſſenſchaftlichen Gehalt ſeiner zahlreichen die Thiere betreffenden Schriften bewundert, ſondern beſonders auch den Reichthum der letz - teren an Einzelangaben über ſo viele Thiere namentlich der höheren Claſſen. Es iſt daher von je, wenigſtens von der Römerzeit an, ſowohl von Zoologen als von Biographen des Ariſtotelesder Verſuch gemacht worden, das außerordentlich reiche Material, über welches er geboten zu haben ſcheint, zu erklären. Zu bedauern iſt dabei, daß von gleich - zeitigen Schriftſtellern nichts erwähnt worden iſt, was Licht auf dieſe Frage werfen könnte. Die beiden Angaben, welche am meiſten ver - breitet ſind und meiſt ohne Bedenken für wahr, wenigſtens in der Hauptſache, gehalten werden, rühren von Schriftſtellern her, von wel - chen der eine vierhundert, der andere fünfhundert Jahre nach dem Tode des Ariſtotelesgelebt hat. Pliniuserzählt, Alexanderhabe einige Tau - ſend Menſchen unter den Befehl des Ariſtotelesgeſtellt, um ihm aus ganz Aſien und Griechenland alle möglichen Mittheilungen naturge - ſchichtlicher Art zu machen, damit ihm nichts in der ganzen Welt unbe - kannt bleibe. Athenaeusdagegen führt an, Alexanderhabe dem Stagi - riten achthundert Talente geſchenkt. Was das erſte betrifft, ſo iſt an und für ſich die Beauftragung einer Menge Leute, welche Gelegenheit hat - ten, Thiere zu beobachten oder zu fangen, mit der beſtimmten Aufgabe, alles Mögliche an Ariſtotelesmitzutheilen oder zu ſchicken, immerhin ganz wahrſcheinlich. Nur muß man dabei Aſien weglaſſen. Denn ein - mal iſt ziemlich ſicher, daß Ariſtotelesan der Niederſchrift ſeiner Bü - cher über Thiere bereits in Makedonien gearbeitet und daß er ſie bei83)καὶ τὴν ἑκάστου μορφήν) geht hervor, daß Ariſtotelesunter der Form das im - materielle Bild verſteht, nach welchem die Materie ſich ordnet, da er unmittelbar darauf ſagt, daß der λόγος des Hausbauers den λόγος des Hauſes enthalte. Noch deutlicher wird dies durch ſolche Stellen, wie de partibus I, 1, 641a: ὥστε καὶ οὕτως ἂν λεκτέον εἴη τῷ περὶ φύσεως θεωρητικῷ περὶ ψυχῆς μᾶλλον ἢ περὶ τῆς ὕλης, ὅσῳ μᾶλλον ἡ ὕλη δἰ ἐκείνην φύσις ἐστὶν ἢ ἀνάπαλιν. Was das δἰ ἐκείνην heißt, wird klar, wenn gleich die nächſten Worte ſagen: καὶ γὰρ κλίνη καὶ τρίπους τὸ ξύλον ἐστίν, ὅτι δυνάμει ταῦτά ἐστιν, wo v. Frantziusfalſch überſetzt „ weil es durch [Künſtlers] Kraft das iſt “, während ſchon Gazarichtig wiedergibt: quia idem potentia illa est. 672. Kenntniß des thieriſchen Baues.ſeiner Rückkehr nach Athen fortgeſetzt hat, zu einer Zeit alſo, wo Alex - andernoch nicht über Klein-Aſien hinaus gekommen war. Und während des ſpäteren Verlaufs des aſiatiſchen Heerzuges kühlte ſich das Ver - hältniß zwiſchen Ariſtotelesund Alexanderbekanntlich ziemlich bald ab. Schon hiernach iſt es kaum glaublich, daß Ariſtotelesplanmäßig aus Aſien viel Neues erhalten habe. Es wird nun noch eine andere Mei - nung angeführt, wonach Ariſtotelesanfangs den Alexanderbegleitet haben und erſt 331 v. Chr. aus Aegypten „ mit einem reichen Material zu ſeiner Thiergeſchichte “nach Athen zurückgekommen ſein ſoll84) Fabricius, Bibliotheca graeca, Vol. III. p. 204, Anm. y, und Schöll, Geſchichte der griech. Literatur, 2. Bd. S. 156; letzterer nennt im fran - zöſiſchen Original (III, p. 258) dieſe Meinung ſogar „ plus vraisemblable “, auf welche Angaben geſtützt, hat er nicht angeführt.. Ab - geſehen aber davon, daß ſich hierfür keine ſichern hiſtoriſchen Angaben beibringen laſſen, ſprechen auch innere Gründe gegen die Wahrſchein - lichkeit dieſes Aufenthaltes, von welchem ſofort zu reden ſein wird. In Bezug auf die zweite jener Erzählungen wird allerdings an einer großen, wahrhaft königlichen Liberalität ſowohl ſeitens des mit Ariſto - telesbefreundeten Philippusals Alexander's gegen Ariſtotelesnicht zu zweifeln ſein. Aber einmal iſt jene Summe entſchieden zu hoch. Die Angabe des allgemein für zuverläſſig gehaltenen Ariſtobulos (bei Plu - tarch), daß nach Beendigung der Rüſtungen zum aſiatiſchen Feldzug noch ſiebzig Talente im makedoniſchen Staatsſchatz vorhanden geweſen ſeien, iſt ſicher nicht ganz zu vernachläſſigen. Dann aber erſcheint, ſelbſt wenn man das überhaupt dem AriſtotelesGewährte um nur we - niges verkleinert, der Theil, welcher davon auf ſeine zoologiſchen Un - terſuchungen verwendet werden konnte, immer klein gegenüber den Ausgaben, welche ſeine andern Studien, beſonders aber die Herbei - ſchaffung der damals ſo koſtbaren Bücher in Anſpruch nahmen85) Ariſtotelesſoll die Schriften des Speuſippusfür drei Talente, Platondie des Philolaus für 100 Minen oder auch für drei Talente gekauft haben. ſ. Stahr, Ariſtotelia. 1. Bd. S. 116, 2. Bd. S. 289.. Und daß er deren viele beſaß, beweiſen außer ſeiner Beleſenheit alte Zeugniſſe.
5*68Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Wenn nun aber auch zugegeben werden muß, daß dieſe Zurück - führung der ihm gewährten directen oder indirecten Begünſtigungen auf ein den damaligen Verhältniſſen entſprechendes Maß nur auf, allerdings nicht geringer Wahrſcheinlichkeit beruht, ſo geben doch die auf die Jetztzeit noch gekommenen Bruchſtücke ſeiner zoologiſch-ſchrift - ſtelleriſchen Thätigkeit86)Von den fünfzig Büchern, welche Plinius, oder den ſiebzig, welche Anti - gonus Caryſtiusanführt, ſind nur wenige erhalten, und manches davon ſicher nicht mehr in der urſprünglichen Form. hinreichende Belege dafür, daß er kaum ein Thier ſelbſt geſehen oder zergliedert habe, was nicht dem griechiſch - ioniſchen Faunengebiet angehörte oder in dieſes ſchon vor ſeiner Zeit eingeführt worden war87) A. von Humboldthat entſchieden Recht, daß in den Schriften des Ari - ſtotelesnichts vorkomme, was auf Selbſtbeobachtung oder gar Zergliederung des Elefanten zu ſchließen nöthigte (Kosmos, 2. Bd. S. 428), wenngleich freilich andrerſeits auch die Unmöglichkeit ſolcher nicht zu beweiſen iſt. Die Angaben über das Schlafen des Elefanten, die ſchwankenden Angaben über die Zeit der Ge - ſchlechtsreife deſſelben machen indeß Humboldt's Anſicht eher wahrſcheinlich. Für den Strauß gilt daſſelbe; die drei Stellen, wo Ariſtotelesdenſelben erwähnt (de partibus, IV, 14. 697b, de gener. anim. III, 1. 5., hist. anim. IX, 15. 88) laſſen nicht mit Gewißheit auf eigne Anſchauung ſchließen.. Zu letzteren gehören beiſpielsweiſe unter den Vögeln Perlhuhn, Faſan und Pfau; dagegen hat er den Strauß kaum ſelbſt unterſucht, und ſo fort in andern Claſſen.
Fragt man nun nach den Quellen, aus denen Ariſtotelesgeſchöpft hat, ſo iſt zunächſt ſeine außerordentliche Beleſenheit, welche aus den in dem Früheren angeführten Citaten ſchon ſichtbar wird, zu erwähnen. Bei der Wiedergabe von Erzählungen und Meinungen Anderer ver - fuhr er mit Kritik, was kaum einem ſeiner antiken Nachfolger nachge - rühmt werden kann. Freilich konnte er eben nur den Maßſtab anlegen, den ihm neben ſeinem ganzen philoſophiſchen Standpunkte ſeine Zeit ermöglichte. Es tritt aber ſeine Skepſis um ſo anerkennenswerther hervor, als Spätere trotz der ihnen möglichen eigenen Erfahrung die Kritik ganz vernachläſſigten. Dieſelbe Vorſicht zeigte Ariſtotelesferner den vielfachen mündlichen, und wohl auch brieflichen, Mittheilungen gegenüber, welche jedenfalls die Hauptquelle ſeiner zoologiſchen und zootomiſchen Kenntniſſe ausmachten. Seine eigenen Unterſuchungen,692. Kenntniß des thieriſchen Baues.deren Ausdehnung durch das eben Geſagte nicht über Gebühr verrin - gert werden ſoll, aber auch auf keinen Fall ſo hoch angeſchlagen werden darf, als es vielleicht nur zu allgemein geſchieht, leiden ſämmtlich an dem Hauptfehler, daß ſie nicht einzeln planmäßig durchgeführt ſind. Mag es ſein, daß gegen das Zergliedern von Thieren ein von ihm allein nicht zu überwindendes Vorurtheil herrſchte, oder daß er aus Mangel geeigneter techniſcher Methoden die durch das Klima oder ſon - ſtige locale Verhältniſſe gegebenen Schwierigkeiten nicht zu überwinden verſtand: er würde durch das ſyſtematiſche Zergliedern eines Säuge - thiers, eines Fiſches u. ſ. f. in den Stand geſetzt worden ſein, manche der auch ſeiner Anatomie noch anhängenden Grundirrthümer zu beſei - tigen. In manchen Punkten waren da die Hippokratiker ſicher auf einem richtigeren Wege. Trotz alledem iſt es merkwürdig, was er ge - leiſtet hat88)vergl. das bereits erwähnte Werk von J. B. Meyer, AriſtotelesThier - kunde..
Vergleicht man freilich des Ariſtoteles 'Anſichten über thieriſchen Bau mit den Reſultaten neuerer exacter Unterſuchungen, dann ſtellen ſie ſich zum Theil als ſo fremdartig dar, daß man faſt zu fragen ver - ſucht werden könnte, wie von ihnen ein Uebergang zu richtigerer Ein - ſicht überhaupt möglich war. Was er aber im Einzelnen verfehlte, er - ſetzte er reichlich durch den Geſammtüberblick, den er für ſeine und kom - mende Zeiten ſchuf. Wenn er Nerven und Sehnen noch nicht ſtreng unterſcheiden konnte, den Urſprung der erſteren aus dem Gehirn89)Den wunderbaren Fehler, in welchen alle Ueberſetzer, auch die neueſten gerathen ſind, wonach Ariſtotelesgeſagt haben ſoll, der Hinterkopf ſei leer (Hist. anim. I, 7. 39. I, 16. 66, de partibus II, 10. 656b), während er doch das kleine Gehirn (παρεγκεφαλίς) beſchreibt, hat bereits Sonnenburg, Zoolog. krit. Be - merkungen zu AriſtotelesThiergeſch. Bonn, 1857 nachgewieſen und berichtigt. nicht kannte, ja die Betheiligung des letzteren an den Empfindungen geradezu bekämpfte, wenn er ferner das Herz als Quelle der Wärme für den ganzen Körper anſieht, Puls und Athmung von einer Auf - dampfung der im Herzen gekochten Blutflüſſigkeit ableitet, die Sehnen mit dem Herzen verbindet und die Bewegung der Glieder und des gan - zen Körpers auf Adern und Sehnen zurückführt, ohne die wahre Be -70Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.deutung des Fleiſches zu kennen, dann kann man wohl nicht erwarten, ſpeciell vergleichend angiologiſche und neurologiſche Thatſachen bei ihm verzeichnet zu finden. Auf der andern Seite kannte er aber die Ver - dauungsorgane ziemlich gut mit ihren Drüſen und verfolgte ſie auch bei einigen Wirbelloſen, wenn auch nicht immer mit richtiger Deutung. Das Verhältniß der Geſchlechtsfunctionen hat er gleichfalls in ziem - licher Ausdehnung durch das Thierreich verfolgt: auch hier freilich irrt er zuweilen durch teleologiſche Betrachtungen verleitet in der Be - ſtimmung der betreffenden Organe. Seine Befruchtungstheorie iſt ſelbſt heutzutage anſprechender, als manches unterdeß Vorgebrachte. Auch waren ihm die Entwickelungsvorgänge ſowohl der Wirbelthiere als man - cher niederer Formen nicht unbekannt. Manche ſeiner Angaben wurden merkwürdigerweiſe erſt in neueſter Zeit beſtätigt.
Es iſt unmöglich, die Fülle der von Ariſtoteleshinterlaſſenen anatomiſchen Thatſachen auch nur in einem Auszuge hier mitzutheilen. Der Hauptwerth ſeiner Arbeiten liegt auch nicht in der bloßen Auf - ſpeicherung unverbundener Angaben, ſondern darin, daß er dieſelben wiſſenſchaftlich verwerthete. Wenn ihm auch die thieriſche Organiſation allgemein als Beweis dafür galt, daß in der Natur alles ſchön und zweckmäßig eingerichtet ſei, die Organe ſogar ihrer Bedeutung nach an beſtimmte Stellen im Thierkörper gebracht wären, ſo hinderte ihn doch dieſe Teleologie nicht daran, gewiſſe Geſetze aufzuſtellen, welche in ihrer Tragweite erſt viel ſpäter erkannt und gewürdigt und vielſeitig verwen - det wurden. Er bezeichnete nun allerdings dieſe Verallgemeinerungen nicht mit dem ausdrücklichen Namen von Bildungsgeſetzen; doch ſpricht ſchon die Thatſache, daß er aus der Menge von einzelnen Beobachtun - gen das Allen Gemeinſame hervorhob, ſowie die Verwendung dieſer allgemeinen Anſchauungen für ſein Syſtem wie für ſeine, allerdings einſeitig teleologiſch gefärbte Phyſiologie dafür, daß ihm die Conſtanz gewiſſer Verhältniſſe, ſowie die in ihren letzten Gründen ja auch jetzt noch dunkle Nöthigung zu einer ſolchen nicht entgangen war. Für den teleologiſchen Weg, auf welchem Ariſtoteleszu dieſen Bildungsgeſetzen gelangt war, iſt es bezeichnend, daß er das, was man ſeit CuvierTypus oder Bildungsplan nennt, was ja auch ſtreng hiſtoriſch genom -712. Kenntniß des thieriſchen Baues.men nur ein Durchgangsſtadium in der Aufſtellung des thieriſchen Baues darſtellen kann, nicht an die Spitze ſeiner Betrachtungen ſtellte, überhaupt nur beiläufig auf derartige allgemeine Bildungsverhältniſſe zu ſprechen kommt. Dagegen führt er für die Geſetze der Correlation der Theile wie für das der Correlation oder Compenſation des Wachs - thums mehrfache Belege auf. Die zweiflügligen Inſecten haben den Stachel vorn, die vierflügligen am hintern Körperende; kein ſcheiden - flügliges hat einen Stachel. Alle lebendiggebärenden Vierfüßer haben Haare, alle eierlegenden Vierfüßer haben Schuppen. Hauzähne und Hörner zugleich beſitzt kein Thier. Die meiſten hörnertragenden ſind zweihufig. Die inductive Entſtehung ſolcher allgemeinen Sätze wird deutlich durch Bemerkungen wie z. B. die auf die letzte Angabe unmit - telbar folgende: „ Ein Einhufer mit zwei Hörnern iſt uns niemals zu Geſicht gekommen “. Laſſenſich dieſe Angaben, welche freilich bei Ari - ſtoteleszunächſt Ausflüſſe einer teleologiſchen Betrachtung waren, als Ausdrücke allgemeiner morphologiſcher Verhältniſſe hinnehmen, wie ſie ja (erſt ſehr ſpät) eine derartige Bedeutung erlangt haben, ſo bleiben die bei ihm vorkommenden Beiſpiele für die Oekonomie des Wachsthums (oder das Geſetz ausgleichender Harmonie, wie es J. B. Meyernennt) ſtrenger mit ſeiner Anſicht von der Zweckmäßigkeit der Natur verwebt. Immerhin aber ſprechen dieſelben für den umfaſſenden Stand - punkt, welchen Ariſtotelesbei der Betrachtung der Thiere einnahm.
Wenn man nun aber auch ganz bei Seite laſſen wollte, daß ſich in Ariſtoteles 'Anſichten über thieriſchen Bau und thieriſches Leben be - reits Andeutungen finden, welche auf ſpäteren Entwicklungsſtufen der Zoologie eine weitere Begründung und Bedeutung gefunden haben, ſo würde doch der Werth ſeiner Arbeiten ſchon aus dem Grunde ein großer bleiben, als er überhaupt eine planmäßige, wiſſenſchaftliche Behand - lung des Thierreichs erſt ſchuf, welche nicht bloß als Ausgangspunkt für ſpätere, mit Entdeckung neuer oder Vervollkommnung älterer Un - terſuchungsmittel ſicher begründete Unterſuchungen dienen konnte und wirklich diente, ſondern welche vor Allem die Zoologie und vergleichende Anatomie zum erſtenmal in die Reihe der inductiven Wiſſenſchaften einordnete und damit auch die Entwickelung jener Anſchauungen ermög -72Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.lichte. Was ſeine Darſtellung der betreffenden Fächer betrifft, ſo ſind wie bekannt nur einzelne Schriften auf die Neuzeit gekommen. Der Verluſt der übrigen Schriften zur Thierkunde90)Außer den in der reichen Litteratur über Ariſtoteleszerſtreuten Angaben über nicht auf ſpätere Zeiten gekommene Schriften deſſelben ſ. E. Heitz, Die verlornen Schriften des Ariſtoteles. Leipzig, 1865. S. 70 und 220 flgde. iſt um ſo mehr zu be - dauern, als ſie nähere Beſchreibungen (die Zoica) und anatomiſche Schilderungen (die Anatomae und Eclogae anatomon) der Thiere enthalten haben und man außerdem nicht mehr im Stande iſt, ſich über die Art, wie er ſeine Schriften an geeigneter Stelle durch Zeichnungen zu erläutern verſuchte, ein gehöriges Bild zu machen. Doch ſteht ſo viel feſt, daß er auch in dieſer Hinſicht den Spätern vorangieng und ein Hülfsmittel der Verdeutlichung einführte, welches in der neueſten Zeit häufig über alle Gebühr ausgedehnt benutzt der ohnehin ſchon durch unzuſammenhängendes Stückwerk ſchwerfälligen Litteratur einen weiteren Ballaſt anhängt.
Nicht ohne Abſicht iſt die Bedeutung des Ariſtotelesfür die Zoo - logie des Alterthums gerade hier hervorgehoben worden, wo es ſich um Erwähnung deſſen handelte, was den Alten vom Bau der Thiere bekannt war. Die Kenntniß des Baues der lebenden Weſen war und iſt der Mittelpunkt, um welchen ſich die andern Seiten der Betrachtung theils zu ſelbſtändigen Wiſſenszweigen entwickelt, theils in feſterem Anſchluß ordnen. Was von der Lebensweiſe, den Sitten der Thiere erzählt und in Schulſchriften anekdotenhaft zuſammengeſtellt wurde, fand ſeine Prü - fung und ſcheinbare Begründung in dem als bekannt vorausgeſetzten, häufig erdichteten anatomiſchen Verhalten der Thiere. Und wie ſehr die Organiſation der Thiere als Grundlage des ariſtoteliſchen Thierſyſtems anzuſehen iſt, wird bald zu erörtern ſein.
Zunächſt iſt noch ein Blick auf die weitere Entwickelung der Thier - anatomie im Alterthum zu werfen. Gern würde man an Ariſtotelesſelbſt anknüpfen, um von ihm aus eine Kette von Naturforſchern we - nigſtens bis dahin zu verfolgen, wo die Wiſſenſchaften ſämmtlich zum Stillſtande kamen unter den mit dem Zerfall des in ſeinem Sturze gleichzeitig die antike Culturwelt begrabenden Römerreichs und mit dem732. Kenntniß des thieriſchen Baues.langſamen Aufkeimen der chriſtlichen Saat hereinbrechenden äußeren und inneren Kämpfen. Doch iſt die Reihe nicht bloß vielfach unterbro - chen, ſie ſchließt überhaupt bald ganz und gar ab. Wenn auch das Exil, in welches ſich die Wiſſenſchaften nach den Umwälzungen auf dem alten europäiſchen und vorderaſiatiſchen Culturheerd zurückzogen, Alexandria, nicht unfruchtbar für das Fortbeſtehen und die weitere Verbreitung griechiſchen Wiſſens war91) Bernhardyſagt (Grundriß der griech. Litter. 4. Bearbeit. 1. Thl. S. 363): „ Wenig von griechiſcher Litteratur wäre nach Byzanz gelangt und die mo - derne Bildung bodenlos geworden, wenn nicht eine dichte Kette von Gelehrten recht emſige Studien der in Alexandria gehäuften Bücherſchätze unter den Ptolemäern und noch lange nach ihrem Ausſterben betrieb “. Iſt auch das letztere in Bezug auf die hiſtoriſche Gründung der modernen Cultur richtig, ſo ſcheint doch der Weg über Byzanz, wenigſtens für die Naturwiſſenſchaften, nicht bewieſen werden zu können., ſo war das eigentliche Fort - leben deſſelben nur ein dürftiges. Doch iſt hervorzuheben, daß gerade für Anatomie die alexandriniſche Schule ein Lichtpunkt wurde. Der beſonders unterPtolemaeus Philadelphusgepflegte Sinn für natur - hiſtoriſche Studien, welcher freilich auch der an und für ſich ſchon regen Sucht nach Wunderbarem neue Nahrung gab, rief auch die Leiſtungen der bedeutendſten aller vorchriſtlichen Anatomen des Alterthums her - vor, des Herophilusund Eraſiſtratus(letzterer ein Schüler und nach Angaben Früherer ſogar Enkel des Ariſtoteles). Der Nach - weis des Urſprungs der Nerven als empfindender Theile vom Gehirn, die Erkennung der Muskeln als der eigentlichen activ bewegenden Theile, das Auffinden von Milchgefäßen außer den bisher gekannten Röhren, den mit Pneuma erfüllten Arterien und den blutführenden Venen (natürlich ohne Ahnung ihres Zuſammenhangs) waren That - ſachen, welche dem ganzen anatomiſchen Lehrgebäude neue ſicherere Grundlagen gaben. Für vergleichende Anatomie war der Gewinn freilich gering. Es ſoll zwar Eraſiſtratusvergleichende Unterſuchungen über den Hirnbau angeſtellt haben, wobei er die Entdeckungen des Herophi - lus benutzen konnte. Doch ſind die etwaigen Niederſchriften hierüber ebenſo wie die aus denſelben vielleicht abzuleitenden Anregungen ſchon früh verloren gegangen.
74Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Man ſpricht nun zwar von einer Schule der Eraſiſtratäer, ohne daß es jedoch möglich wäre, andere als ärztliche Leiſtungen derſelben anzuführen. Es war vielmehr der Einfluß der Alexandriner im Gan - zen, welcher ſowohl nach Athen zurückwirkte als auch Wiſſenſchaftlich - keit und Studieneifer nach einigen kleinaſiatiſchen Staaten hinüber - führte, unter denen Bithynien und beſonders Pergamum, in Folge des Ehrgeizes ſeiner Könige, mit Alexandria wetteifern zu wollen, hervor - ragen. Ein Pergamener war auch Claudius Galenus(131-201 n. Chr.), der größte aber letzte Anatom des Alterthums. Schon machte ſich aber die praktiſche Richtung der Zeit geltend, inſofern als Galenzwar Zergliederungen empfiehlt und, da das Zergliedern menſch - licher Leichen noch nicht geſtattet war, Thiere als Gegenſtand der Un - terſuchung theils ſelbſt anwendet, theils anräth, indeß ohne die Aus - beute der Thieranatomie anders zu verwerthen, als für ärztliche Zwecke. Galen's Verdienſte um die menſchliche Anatomie (vielleicht richtiger all - gemein geſprochen: Säugethieranatomie) ſind groß genug, daß ohne ſeinem Namen zu nahe zu treten, hier, wo es ſich um zootomiſche Lei - ſtungen handelt, verſichert werden kann, daß für die Entwickelung der vergleichenden Anatomie er nur in untergeordneter Weiſe in Betracht kommt. Speciellere Angaben, zuweilen den Ariſtotelesbeſtätigend, über Verdauungswerkzeuge, das Herz und die Reſpirationsorgane an - derer Säugethiere als des vorzugsweiſe benutzten Affen finden ſich im ſechſten bis achten Buche ſeiner „ Anatomiſchen Anleitungen “.
Bis hierher waren Griechen die Träger der Wiſſenſchaft. Aus der ganzen römiſchen Geſchichte iſt kein Name anzuführen, welcher ſich mit Rückſicht auf ein ſelbſtändiges Weiterführen der Zootomie (wie ſchon früher der beſchreibenden Zoologie) auch nur entfernt den genann - ten griechiſchen Philoſophen an die Seite ſtellen ließe. Nur unter den Encyklopädiſten der Kaiſerzeit tritt ein Mann hervor, welcher mit völliger Beherrſchung des vor ihm Geleiſteten eigne Unterſuchungen im Intereſſe der Sache ſelbſt vorgenommen zu haben ſcheint, L. Appu - lejusvon Madaura. Es enthält wenigſtens ſeine zur Vertheidigung gegen die Anklage der Magie verfaßte Apologie mehrere Angaben, welche auf eine eingehende Beſchäftigung nicht bloß mit den Thieren im All -75Kenntniß des thieriſchen Baues.gemeinen, ſondern beſonders auch mit deren Anatomie hinweiſen92)So z. B. die Stelle im 40. Kapitel, wo er vom lepus marinus angibt: er allein habe, trotzdem er ſonſt knochenlos ſei, zwölf Knochen „ ad similitudinem talorum suillorum in ventre connexa et catenata, “was Ariſtotelesnicht gewußt habe. Cuvierbezieht die Angabe unbedenklich auf Aplysia. (Hist. d. scienc. natur. T. 1. p. 287). . Als Anhänger Plato's hätte ihm eine warme Begeiſterung für Ariſto - telesnicht gerade nahe liegen können. Und doch ſpricht er in Bezug auf ſeine naturhiſtoriſchen Studien mit der größten Verehrung vom Stagiriten. Seine naturhiſtoriſchen Schriften93)ſ. Stahr, Ariſtotelesbei den Römern. S. 141 flgde. — Daß Appulejuszoologiſche Schriften verfaßt hat, geht aus ſeiner Apologie hervor. So erzählt er im 37. Kapitel, daß Sophokles der Geiſtesſchwäche angeklagt, ſeinen Richtern als ein - zige Vertheidigung ſeinen Koloneus vorgeleſen habe, und fährt dann fort: cedo enim experiamur, an et mihi possint in iudicio litterae meae prodesse. Lege pauca de principio, dein quaedam de piscibus. ſind leider nicht er - halten, ſo daß die Römer in der Litteratur der wiſſenſchaftlichen Bear - beitung des Thierreichs auch nicht mit einem Namen vertreten ſind.
Noch wäre, wenn es hier auf eine vollſtändige Ueberſicht deſſen ankäme, was im Alterthum überhaupt über Thiere gedacht und ge - ſchrieben worden iſt, der Schriften zu gedenken, welche das Thierleben von der pſychologiſchen Seite zu betrachten ſich zum Vorwurf genom - men hatten. Wenn aber hier die Sammlungen von wunderbaren Din - gen ausgenommen werden, in denen ſich neben manchen aus Ariſtotelesund andern Schriftſtellern entlehnten Angaben auch einzelne Züge aus dem Thierleben geſchildert finden, welche entweder ſelbſt beobachtet oder der Volksüberlieferung eigen geweſen zu ſein ſcheinen, ſo bleiben ſtreng genommen nur die beiden Schriften des Plutarchübrig, welche ge - wöhnlich als „ Ueber die Klugheit der Thiere “und „ Daß die Thiere Ver - nunft haben “angeführt werden. Doch ſind in beiden eingehendere wiſſenſchaftliche Betrachtungen nicht nachzuweiſen. Während in der letztgenannten nach Analogie mit menſchlichem Thun gewiſſe geiſtige Eigenſchaften auch den Thieren zugeſchrieben werden, wie Muth, Ueber - legung u. ſ. f., iſt die erſtere mehr oder weniger als Anekdotenſamm - lung anzuſehen, deren einzelne Stücke weder einer planmäßigen Beob -76Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.achtung, vielmehr vorzüglich einer großen Beleſenheit entſpringen, noch methodiſch weiter verwendet werden.
Es wurde ſchon früher darauf hingewieſen, wie in dem natürlichen Hergang der volksthümlichen Namengebung allmählich Ausdrücke ent - ſtanden, welche kleinere oder größere Gruppen von Thieren bezeichne - ten. War nun auch die Anzahl der den Alten bekannt gewordenen Thiere nicht ſo groß, daß ſie allein hätte dazu drängen können, auf irgend welche künſtliche Weiſe Ordnung in die Anſchauungen zu brin - gen, ſo trat doch einmal mit den Anregungen einer immer ſchärfer beobachtenden und unterſcheidenden Naturbetrachtung das Bedürfniß hervor, das mehreren Thieren Gemeinſame zur Scheidung dieſer von andern zu benutzen. Aber ſelbſt abgeſehen von dieſer im Gegenſtand liegenden Nöthigung zu einer Aufſtellung beſtimmter Gruppen, welche dann wieder in der Sprache eine größere Leichtigkeit und freiere Bewe - gung geſtatteten, lag ſchon in der formalen Richtung der Philoſophie ein Beweggrund, die Gegenſtände, welche den realen Inhalt der ein - zelnen Gebiete ausmachten, zu definiren und zu claſſificiren.
Es macht ſich der Unterſchied zwiſchen der Syſtematik der Alten, auch des Ariſtoteles, und der der Jetztzeit zunächſt darin geltend, daß die letztere nicht ſowohl ein fein logiſch gegliedertes Gebäude, ſondern die Form iſt, in welcher die Kenntniß der Thiere, welche ſo unendlich an Zahl zugenommen haben, am überſichtlichſten geordnet und am be - quemſten dargeſtellt werden kann, mit andern Worten, daß das Sy - ſtem gewiſſermaßen den Geſammtausdruck von dem darſtellt, was man von den Thieren weiß; während die Syſtematik der Naturforſcher des Alterthums mehr oder weniger nichts anderes iſt, als ein beſonderer Theil einer angewandten Logik. Nur im Anſchluß hieran iſt es zu deu - ten, wenn Ariſtotelesz. B. ſich über gewiſſe Principien der Einthei - lung kritiſch äußert. Es ſollte damit nicht ſowohl auf die beſondern Eigenthümlichkeiten der einzutheilenden Gegenſtände hingewieſen wer - den (wie man es jetzt vielleicht thun würde), ſondern auf die logiſche Berechtigung zu einer beſtimmten Eintheilungsart.
773. Verſuche zur Syſtematik.In einer zuſammenhängenden Form läßt ſich nur dasjenige Sy - ſtem des Alterthums überſehen, welches Ariſtotelesſeinen Darſtellun - gen zu Grunde legte. Doch dürfte es verfehlt ſein, ihn allein als den Schöpfer eines ſolchen überhaupt hinzuſtellen. Wenn er, wie erwähnt, den Demokrittadelt, daß dieſer die Blutloſen nur deshalb als ohne Eingeweide erſcheinend bezeichnet, weil ſie zu klein wären, ſo geht doch hieraus hervor, daß eben Demokritbereits von „ Blutloſen “geſprochen haben muß. Daſſelbe wird ſicher auch bei manchen andern Gruppen der Fall geweſen ſein. Doch würde es auf der andern Seite ungerecht ſein, wenn man glauben wollte, Ariſtoteleshabe nur den einen Ge - ſichtspunkt im Auge gehabt, ein etwa vorhandenes Syſtem zu ver - beſſern. Von den Verſuchen Früherer, das Thierreich einzutheilen94)Ob Ariſtotelesderartige Verſuche, nicht bloß logiſch-formell, ſondern fach - gemäß angeſtellt, vor ſich gehabt hat, iſt ſchwer zu entſcheiden. Er ſpricht zwar von „ οἱ διχοτομοῦντες “, „ διαιρούμενοι εἰς δύο διαφοράς “, „ συμβαίνει τοῖς διαι - ρουμένοις τὸ μὲν ἄπτερον κτλ “; es kann hier aber beides gemeint ſein (de par - tibus 1, 2 und 3, 642b und 643b)., iſt, höchſtens mit Ausnahme einzelner Ausdrücke, kein Zeichen auf die Nachwelt gekommen. Was aber bei Ariſtoteleszu finden iſt, ſpricht entſchieden dafür, daß bei ihm, welcher allein unter ſämmtlichen Na - turforſchern des Alterthums ein Material überſah, welches in ſeiner Ausdehnung wohl zur Ordnung auffordern konnte, neben jenem logiſch - formalen Streben auch die Ueberzeugung entwickelt war, daß das Thierreich beſtimmte in verſchiedenem Grade verwandte Gruppen dar - böte, welche zwar vielleicht mit verſchiedenen andern in einzelnen Merk - malen oberflächlich übereinſtimmten, aber doch ihrem Geſammtcharakter nach ſcharf und deutlich gegen andere abgegrenzt waren. Dem Um - ſtande, daß in den Stellen, wo er über die Grundſätze ſeiner Einthei - lung ſpricht, jenes formale Element ſehr in den Vordergrund tritt, daß ferner das bereits erwähnte Schwanken in dem Gebrauch der ſyſtema - tiſchen Ausdrücke „ Eidos “und „ Genos “den Eindruck der Unſicherheit in der Beurtheilung der einzelnen Abtheilungen hervorruft, während es doch nur Folge davon iſt, daß ihm keine Terminologie für die zu coor - dinirenden oder zu ſubordinirenden Gruppen zu Gebote ſtand, wie78Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Familie, Ordnung, Claſſe, ja nicht einmal Art und Gattung, — die - ſem Allen iſt es wohl zuzuſchreiben, daß die Urtheile über das Syſtem des Ariſtoteles, ob überhaupt eins und welches er denn aufgeſtellt habe, ſo außerordentlich auseinandergehen.
Es würde eine unnütze Wiederholung ſein, wenn die Stellen aus den zoologiſchen Schriften des Ariſtotelesnoch einmal hier neben ein - ander abgedruckt werden ſollten, aus welchen hervorgeht, daß derſelbe nicht bloß die Fehler einer dichotomiſchen Eintheilung und des Benutzens einzelner Merkmale ausdrücklich als ſolche bezeichnete und vor denſelben warnte, ſondern daß er in der That ein natürliches Syſtem zu Grunde legte, welches in den Hauptzügen als Ausgangspunkt der jetzigen na - türlichen Syſteme anzuſehen iſt. J. B. Meyerhat dieſen Gegenſtand in einer ſo erſchöpfenden Art behandelt95) J. B. Meyer's wiederholt angeführtes Werk enthält im erſten Theile auch eine Geſchichte der Anſichten über Ariſtoteliſche Syſtematik., daß nur auf ſeine Dar - ſtellung verwieſen zu werden braucht. Es iſt indeß nicht ohne Intereſſe für die ſpätern Unterſuchungen, hier in Kürze die Hauptzüge des Ari - ſtoteliſchen Syſtems zu ſchildern.
Zunächſt iſt mit Rückſicht auf häufig dem Ariſtotelesgemachte Vorwürfe hervorzuheben, daß er ſolche Ausdrücke wie Blutthiere und Blutloſe, Landthiere und Waſſerthiere, Lebendiggebärende und Eier - legende u. ſ. f. nicht als Bezeichnungen für ſeine großen „ Gattungen “, d. i. ſeine größten ſyſtematiſchen Abtheilungen anwendet, ſondern ſie nur als Unterſchiede auffaßt, wie ſie als weſentliche oder unweſentlichere Merkmale zur näheren Charakteriſirung jener „ Gattungen “benutzt werden können. Bereits Meyerhat überzeugend nachgewieſen, daß die ſo häufig (ohne ſelbſtändige Prüfung) wiederholte Angabe, Ariſto - teleshabe das Thierreich in Blutthiere und Blutloſe eingetheilt, ent - ſprechend der ſpätern Eintheilung in Wirbelthiere und Wirbelloſe, ent - ſchieden unrichtig iſt. Mit demſelben Rechte könnte man behaupten, er habe die Thiere in Flugthiere, Landthiere, Waſſerthiere u. ſ. w. ein - getheilt. Derartige Bezeichnungen braucht er indeß nur, um die in ge - wiſſen Eigenthümlichkeiten übereinſtimmenden Gattungen gemeinſam zu793. Verſuche zur Syſtematik.bezeichnen. Er nennt dieſe Abtheilungen, welche ſich nach ſolchen Ge - ſichtspunkten ergeben, nie Gattungen, höchſtens im Sinne einer rein formalen Co - oder Subordination (wie oben erörtert wurde) und ver - wechſelt niemals Ausdrücke, wie Fiſch und Vogel mit Waſſerthier oder Flugthier96)So ſagt er von der Fledermaus, ſie habe gewiſſe Merkmale gemeinſam mit andern „ Flugthieren “, aber nicht mit „ Vögeln “. Die in letzterer Bezeichnung liegende Verwechſelung war ſicher volksthümlich. Antigonus Caryſtiusführt von der Fledermaus an, ſie habe allein unter den Vögeln (μόνον τῶν ὀρνέων) Zähne. So braucht ferner Plinius(IX, 28, 44) den Ausdruck piscis als gleichbedeutend mit Waſſerthier, wogegen Ariſtotelesniemals ἰχθύς mit ἔνυδρον verwechſelt.. Mit Recht hat bereits Cuvierhervorgehoben, daß in der Thiergeſchichte des Ariſtoteleskeine Darſtellung des Syſtems gege - ben werden ſollte, ſondern eine Schilderung des Baues und der Ver - richtungen der Thiere. Hier konnten alſo neben den ſyſtematiſchen Na - men einzelner Gruppen Ausdrücke nicht entbehrt werden, welche die, der Eintheilung ſelbſt gegenüber mehr zufällige Uebereinſtimmung meh - rerer ſolcher Gruppen in gewiſſen Merkmalen bezeichnen ſollten.
Eines ferneren Einwandes gegen die Wiſſenſchaftlichkeit des Ari - ſtoteliſchen Syſtems iſt noch zu gedenken, der Misdeutungen nämlich, welchen gewiſſermaßen die ſpeciellen Anwendungen des eben geſchilderten Verfahrens ausgeſetzt geweſen ſind. Man hört gar nicht ſelten behaup - ten, Ariſtoteleshabe die Walthiere zu den Fiſchen, die Fledermäuſe zu den Vögeln geſtellt u. a. dergl. Es läßt ſich aber auch hier mit Sicher - heit aus dem über dieſe Gruppen Geſagten nachweiſen, daß Ariſtotelesnicht bloß genau gewußt hat, was die Walthiere von den Fiſchen, die Fledermäuſe von den Vögeln trennt und was ſie mit beiden gemeinſam haben, ſondern daß er auch über ihre ſyſtematiſche Stellung nicht im Unklaren war. Die Fledermaus iſt ihm geradezu ein Säugethier, wel - ches auch in ſeiner Hauptdefinition der letztern, als lebendiggebärende Vierfüßer, ſich vollſtändig der Gruppe anſchließt. Da dieſes Merkmal den Walthieren fehlt, werden ſie von Ariſtoteles, nicht etwa zu den Fiſchen, ſondern als beſondere ſelbſtändige „ Gattung “neben die eigent - lichen (vierfüßigen) Säugethiere hingeſtellt.
Nach den von Ariſtoteleshervorgehobenen Grundſätzen, beſonders80Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthumsdem, das Ganze gleich nach vielen Merkmalen einzutheilen (de partibus I, 3. 643b), erhält er größere Abtheilungen, welche ganz nach Art der neueren Syſtematik durch die Geſammtheit der Lebenserſcheinungen charakteriſirt ſind. Daß ihm dabei noch manche Eigenthümlichkeiten entgiengen, welche der Organiſation mehrerer ſeiner Gattungen ge - meinſam waren, darf nicht überraſchen. Es konnte z. B. die Anſicht, daß ſich die verſchiedenen Formen des Knochen - und Knorpelgerüſtes, welche bei Säugethieren, Vögeln, Reptilien und Fiſchen vorkommen, nur wie Entwickelungszuſtände eines gleichmäßig angelegten Apparates zu einander verhalten, erſt dann ſich bilden, als einerſeits ein reicheres Material einzelner Skeletformen in ausgiebigem Detail, andrerſeits die Entwickelung des Knochengerüſtes bekannt geworden war. Ferner darf man nicht erwarten, Thiergruppen in ſeinem Syſtem ſicher unterge - bracht, ja nur einigermaßen eingehend geſchildert zu finden, deren Kör - perform, Bau und Lebensweiſe erſt durch weiter entwickelte Unterſu - chungsmethoden erſchloſſen werden konnte. Es werden hier beſonders die niederen Formen der Wirbelloſen gemeint, welche nach Ariſtotelesſelbſt einen Uebergang von den Pflanzen zu den Thieren darſtellen, welche er aber nicht in eine große Gattung zuſammenfaßt, ſondern als Anhang zu ſeiner unterſten Gruppe, der der Schalthiere, betrachtete.
Die einzelnen von ihm angenommenen großen Gattungen (Claſſen) ſind nun folgende:
a) Die lebendig gebärenden Vierfüßer, die jetzigen Säugethiere mit Ausſchluß der Walthiere, aber mit Einſchluß der Robben97)Die einzige Stelle, wo Ariſtotelesdie Robbe zu den Walen bringt: „ die mit Haaren bedeckten Thiere, z. B. der Menſch und das Pferd, und die Wale, wie der Delphin, die Robbe und die Phalaena “(Hist. anim. III, 20, 99) will Meyerſo leſen, daß er „ καὶ φώκμ “verſetzt und hinter das vorausgehende καὶ ἵππος, zu denen bringt, ὅσα τε τρίχας ἔχει. In zwei Leipziger Handſchriften des Wilhelm von Moerbekeſteht: sicut delphis et balaena et bos marinus; in einer Hand - ſchrift des Michael Scotusdagegen findet ſich nur:. .pilos habent sicut homo et equus, et cete sicut delphinus et kolli (ſoll koki heißen) AlbertusMagnus ſagt in dem dieſer Stelle entſprechenden Abſchnitt im 3. Buch, (Opera ed. Jammy, T. VI. p. 150b): pilos autem habet homo et equus et hujusmodi; .. adhuc. Sie werden als behaart bezeichnet, haben einhufige,813. Verſuche zur Syſtematik.zweihufige oder geſpaltene Füße, haben Zähne u. ſ. f. Es läßt ſich aber nicht nachweiſen, daß Ariſtotelesauf eines dieſer Merkmale eine wei - tere Eintheilung begründet hätte, trotzdem er mehrere kleine Gruppen, aber keine von der Bedeutung jetziger Ordnungen oder Unterordnun - gen annahm. Es mögen ihm wohl einzelne ſolcher größerer Abtheilun - gen vorgeſchwebt haben; doch waren ſie namenlos (Hist. anim. I, 6, 35), d. h. der populäre Sprachgebrauch, dem er ſelbſt zu folgen räth, bot ihm keine Bezeichnung dar. Nur für Pferd, Eſel, Hemionus u. ſ. w. gibt es einen Namen, Lophuren oder Schweifſchwänze; er konnte ſie deshalb nicht Einhufer nennen, weil er ja ſelbſt einhufige Schweine anführt, welche nicht hierhergehören.
b) Die Vögel, mit Einſchluß des Straußen. Sie ſind Flug - thiere, befiedert, zweifüßig und eierlegend. Von den Ordnungen unter - ſchied Ariſtotelesnur drei ſicher: die Raubvögel, die er Gampſonycha, die Schwimmvögel, die er Steganopoda, und die Stelzvögel, die er Makroſkelen nennt. Er charakteriſirt ſie ſo, daß ſie gut umgrenzt ſind. Neben ihnen erwähnt er noch mehrere kleinere Gruppen, ohne aber für mehrere derſelben gemeinſame größere „ Gattungen “(Ordnungen) auf-zuſtellen. Auch bildet der Strauß eine Gruppe für ſich.
c) Die eierlegenden Vierfüßer, die Reptilien und Am - phibien, mit Einſchluß der Schlangen und des Krokodils. Sie heißen auch Pholidota, ſind ausnahmsweiſe fußlos, auch lebendiggebärend, athmen aber durch Lungen. Ariſtoteleskannte und unterſchied auch als ſelbſtändige Gruppen: das Krokodil, die Schildkröten, die Sauren, Schlangen und Fröſche. Doch iſt die Charakteriſtik dieſer Abtheilungen nicht in einer Weiſe gegeben, daß man ſagen könnte, er habe die auch97)autem et marina magna mamillas habent sicut balaena secundum genus suum et delphinus et id quod vocatur chochi (oder koki, wie es in einem Ve - netianer Druck von 1495 heißt). Dieſes Thier nun nennt er (p. 655b, koki): vi - tulus marinus, de hoc jam superius diximus, quod vocatur latine helcus. Das Wort helcus fehlt im Ducange. „ Kuki “kommt im Damiriund Kazwinivor und iſt nach Freytag's Lexikon: nomen piscis unicornis et validi. Um die frag - liche Stelle mit andern in Uebereinſtimmung zu bringen, wäre wohl das nächſtlie - gende ſtatt φώκη zu leſen φώκαινα an welches Wort ſich vielleiht die Abſchreiber wegen der zweimal hintereinander vorkommenden Endung — αινα geſtoßen haben. V. Carus, Geſch. d. Zool. 682Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.jetzt noch verbreitete Eintheilung aufgeſtellt. Mit Ausnahme der Schlangen und Schildkröten bilden die andern Gruppen nur kleinere Gattungen, denen Verwandtes zugeſtellt wird.
d) Die Walthiere. Sie werden geſchildert als durch Lungen luftathmend, lebendig gebärend, mit Milch und Zitzen, fußlos. Er ſtellt ſie den Fiſchen gegenüber; ſpricht er von beiden, ſo nennt er ſie zuſammen Waſſerthiere.
e) Die Fiſche. Sie ſind eierlegend oder lebendiggebärend, ath - men durch Kiemen, ſind fußlos, haben dagegen meiſt (paarige) Floſſen98) Ariſtotelesſcheint doch ſchon die Floſſen als Extremitäten, homolog den Füßen, Flügeln u. ſ. w. aufgefaßt zu haben, er wendet den Ausdruck „ Fuß “nur für eine Form des Bewegungsorgans an (ſ. de incessu anim. cap. V. 706a, 26-32). Er ſagt von den Fiſchen: (de partibus VI, 13. 695b): ἐπεὶ δ̕ ἔναιμα ἐστι κατὰ τὴν οὐσίαν, διὰ μὲν τὸ νευστικὰ εἶναι πτερύγια ἔχει, διὰ δὲ τὸ μὴ πεζεύειν οὐκ ἔχει πόδας. Zu vergleichen iſt auch Hist. anim. I, 5, 31. . Ariſtotelestheilte ſie in Knorpel - und Grätenfiſche; unter den erſteren verſtand er die Selachier oder Plagioſtomen, rechnete in - deß, wie noch Linné, den Froſchfiſch, Lophius, zu ihnen. Unter den Grätenfiſchen ſchilderte er mehrere kleine Gattungen, ohne jedoch auf beſtimmte Merkmalgruppen beſonderes Gewicht zu legen.
Die bis jetzt aufgezählten fünf Claſſen oder „ Gattungen “nennt Ariſtoteles„ blutführend “. Daß damit keine Haupteintheilung des Thierreichs geſchaffen werden ſollte, wurde bereits erwähnt. Die fol - genden ſeiner Gattungen ſind ihm „ blutlos “.
f) Die Weichthiere, die Cephalopoden der jetzigen Syſteme. Sie haben die Füße um den Kopf, entweder im Körper oder im Kopfe etwas Hartes und haben einen Tintenbeutel. Nach der Form des ein - gelagerten Skeletſtückes, der Art der Füße, dem Vorhandenſein zweier längerer „ Rüſſel “außer den acht Füßen und floſſenförmiger Anhänge unterſcheidet er die Gattungen der Sepien, Loliginen und Oktopoden.
g) Die vielfüßigen Weichſchalthiere, den höheren Cru - ſtaceen entſprechend. Da es für die von ihm hierhergebrachten Formen noch keinen gemeinſchaftlichen Namen gab, ſchuf er einen und nennt ſie Malakoſtraka (Hist. anim. I, 6, 32). Die weiche Maſſe ihres Körpers833. Verſuche zur Syſtematik.liegt innen, die feſte, nicht ſpröde, ſondern zerreibliche Maſſe außen (ebend. IV, 1, 1). Unterſchieden werden Karaben, Aſtaken, Kariden und Karkinen. Doch iſt es ſchwer zu entſcheiden, ob dieſe zwar häufig als Gattungen bezeichneten Abtheilungen mit Gruppen zu paralleliſiren ſind, welche jetzt noch als natürlich angeſehen werden.
h) Die vielfüßigen Kerbthiere, Entoma, die Inſecten, Arachniden, Myriapoden und Würmer umfaſſend. Außer der Viel - füßigkeit und der Gliederung des Körpers iſt kein Charakter durch - gehend angewendet; und ſelbſt die genannten treten als nicht durchaus conſtante auf, da Eingeweidewürmer mit hierher gebracht werden. Ebenſo unſicher iſt die Beſtimmung der Unterabtheilungen. Es erſchei - nen zwar mehrere „ Gattungen “, die meiſten aber wohl ohne ſyſtema - tiſche Bedeutung. Nur ſolche Gruppen, wie Scheidenflügler (Käfer), Schmetterlinge, Läuſe ſind vielleicht nicht bloß nach biologiſchen Cha - rakteren zuſammengefaßte Formen.
i) Die fußloſen Schalthiere (Oſtrakodermata), mit inne - rem weichen Körper und harter, brüchiger äußern Schale. Im Allge - meinen entſprechen ſie den jetzigen Cephalophoren und Acephalen. Auch unter ihnen nimmt Ariſtotelesmehrere „ Gattungen “an. Ihre Beſtim - mung fällt aber deshalb ſchwer, als er keine überall conſtant wieder erſcheinenden Charaktere aufſtellt, ſondern mehr vergleichend-anatomiſch und biologiſch bald die einen, bald die andern zu Gruppen vereint. Am meiſten Conſtanz zeigen noch die Stromboden (Gewundenen, Schnecken), Einſchalige (Patellen und Haliotis),99)Daß die λεπὰς ἀγρία, ἥν τινες καλοῦσι θαλάττιον οὖς, nicht die Ha - liotis ſein könne, wie Meyerund Aubertes bezweifeln, iſt nicht recht einleuchtend. Ariſtotelesſagt an der Stelle (Hist. anim. IV, 4, 51), bei den übrigen (nämlich den einſchaligen) treten die Excremente ſeitlich aus, durch einen Kanal, bei dem Meerohr aber unterhalb der Schale (ὑποκάτω τοῦ ὀστράκου) aber doch immer auf der Seite. Aubertund Wimmerwollen ſtatt ὑποκάτω leſen δἰ αὐτοῦ; dies würde die Anſicht, daß hier Haliotis gemeint iſt nur beſtätigen; denn τετρύπεται heißt doch nur durchbohrt, nicht mit einem Loche verſehen. Es wird alſo geſagt, mag nun die eine oder die andere Leſung richtig ſein, beim Meerohr tritt das περίττωμα ſeitlich aus und zwar unmittelbar an der durchbohrten Schale. Dies paßt auf keinen Fall auf Fissurella. , Zweiſchalige und6*84Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.die Echinen. Zu ihnen kommen aber noch einzelne kleinere Gattungen, wie die Balanen und Tethyen (Ascidien).
Endlich reiht wie erwähnt Ariſtotelesden Schalthieren noch eine Anzahl „ eigenthümlicher Gattungen “an, ohne ſie direct zu denſelben zu rechnen. Es ſind dieſelben, aus welchen ſpäter die Abtheilung der Zoo - phyten gebildet wurde, Thiere, auf deren zweifelhafte Stellung zwiſchen dem Thier - und Pflanzenreich Ariſtoteleshingewieſen hatte, ohne ſich jedoch über ihre definitive Stellung auszuſprechen. Es ſind dies vor - züglich die Holothurien, Seeſterne, Akalephen und Schwämme (Aka - lephen nicht im modernen Sinne).
Unverkennbar liegen in dem hier flüchtig ſkizzirten Syſteme die Keime zur Entwickelung der natürlichen Anordnung des Thierreichs, wie ſie nach Perioden der ſtärkſten Trübung der Anſichten erſt in neue - rer Zeit wieder angeſtrebt wurde, als man mit neu herzuſtrömendem Material ariſtoteliſche Methodik zu befolgen begann, als man die na - turgemäß in den Beobachtungen bleibenden Lücken auf logiſch-inducti - vem Wege zu füllen verſuchte, die Unterſuchung alſo da aufnahm, wo ſie Ariſtoteleshatte abbrechen müſſen.
Wie die Beſtrebungen, genauere Kenntniß der Thierformen und ihres Baues zu erlangen, im Alterthum mit Ariſtotelesabſchloſſen, ſo endet auch die Geſchichte der Syſtematik im Alterthum mit ihm. Die alexandriniſche Schule ſucht ihn zu commentiren oder zu paraphraſiren. Was aus der Blüthezeit derſelben erhalten iſt, läßt keinen günſtigen Schluß auf die Erfaſſung wiſſenſchaftlicher Aufgaben ziehn. Bis zum Beginn der römiſchen Kaiſerzeit bewegt ſich die zoologiſche Litteratur, (wenn man überhaupt von einer ſolchen ſprechen kann) nur in Aus - zügen und Commentaren des Ariſtoteles( Antigonus Caryſtius, Ariſto - phanesvon Byzanz, Pompejus Trogus, der von AthenaenscitirteDo - rionu. a.)100)Der Verluſt eines griechiſch geſchriebenen Werkes des mauritaniſchen Kö - nigs Juba(ſtarb 23 oder 24 n. Chr.) ſcheint nach den bei Pliniusu. a. vorkom - menden Citaten wirklich zu bedauern zu ſein.. Vielfach verwebt mit den Berichten über wunderbare Sachen bieten dieſe Schriften wenig erfreuliches dar, wenn man ſich vergegenwärtigt, daß Ariſtotelesvorangegangen war. Aber auch in853. Verſuche zur Syſtematik.der ſpätern Römerzeit erhob ſich die Beſchäftigung mit der Natur nur äußerſt vereinzelt bis zum Ernſt wiſſenſchaftlicher Forſchung. Appu - lejusiſt verloren gegangen, nur Pliniusblieb erhalten.
Lieſt man den rühmenden Bericht von Féeüber Plinius101) A. L. A. Fée, Éloge de Plinele Naturaliste. 2. éd. Lille, 1827. oder Cuvier's Schilderung ſeiner Verdienſte102) Cuvier, Histoire des sciences naturelles. T. I. p. 223 flgde. Cuvierſpricht ſich im Ganzen noch richtiger über Pliniusaus., ſelbſt die ihn betref - fenden Stellen bei Spix103)I. Spix, Geſchichte und Beurtheilung aller Syſteme in der Zoologie. Nürnberg 1811., ſo möchte man glauben, es hier mit einem Manne zu thun zu haben, der mit genialem Blick das Gebiet des gan - zen menſchlichen Wiſſens umfaſſend überall Bahn brach, überall ord - nete und ſchuf und namentlich für die Zoologie einen nachhaltigen Ab - ſchluß mit ſeinen Arbeiten bewirkte. Unter ſeinen Zeitgenoſſen und näheren Angehörigen (man vergleiche den Brief ſeines Neffen, des jüngern Plinius, über ihn an Macer) mag es allerdings Aufſehen ge - macht haben, wie er, ein römiſcher Ritter, oft in Kriegs - und Staats - dienſten verwendet, in ſtetem Drange öffentlicher Geſchäfte, zuletzt Flot - tencapitain, nicht bloß die Idee faſſen, eine Encyklopädie des menſch - lichen Wiſſens zu ſchreiben, ſondern ſie auch ausführen konnte. Wie man aber jetzt noch ſagen kann, daß ein Verluſt ſeiner Schriften ein unerſetzlicher Verluſt für die ganze menſchliche Geſellſchaft wäre, iſt ſchwer zu begreifen. Es würde dem Geſchichtsfreunde Manches über den Stand der damaligen Kenntniſſe entgehen, weil bei Beurtheilung damaliger culturhiſtoriſcher Zuſtände erleichterndes Detail fehlt. Han - delt es ſich aber um genaue Unterſuchung über den Stand irgend einer beſondern Wiſſenſchaft, ſo kann man nicht einmal behaupten, daß Pli - niuswirklich die Wiſſenſchaft ſo dargeſtellt hätte, daß man ſicher an - nehmen könne, wie weit ihre Entwickelung zu ſeiner Zeit vorgeſchritten ſei. Zu bewundern iſt allerdings, wie er ſeine Zeit zu benutzen verſtand, wie er aus Allem für ſein Vorhaben Nutzen zog, wie er ſo viel leſen, ſo viele Notizen machen konnte. In der Dedication und dem Inhaltsverzeich - niß ſeiner Naturgeſchichte hat er genau angegeben, wie viel Autoren er86Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.ausgezogen, wie viel Thatſachen er mitgetheilt habe. Das hat er nun wohl gethan, aber ohne jedes Urtheil. Für Zoologie iſt ſein Werk nichts als eine kritikloſe, unzuverläſſige Compilation. Er beruft ſich häufig auf Ariſtoteles104) I. G. Schneiderbehauptet ( Aristot. Hist. anim. I. Praef. p. XVIII), daß Pliniusſelten oder nie die Ariſtoteliſchen Schriften angeſehen oder benutzt habe, ſondern daß Alles, was er den Ariſtotelesbezeugen ließ, ausFabianus Papi - riusund Pompejus Trogusübernommen ſei. Dieſer Angabe folgt auch Stahr (Ariſtotelia 2. Bd. S. 98). A. von Gutſchmidweiſt aber nach, daß Plinius, deſſen Kenntniß des Griechiſchen übrigens eine ſehr mäßige war, neben dem Trogusauch den Ariſtotelesſelbſt eingeſehen habe. Beſonders geht dies z. B. aus der Pa - rallelſtelle (Hist. nát. XI, 39, 94 und Aristot., de gener. anim. IV, 5, 774a) her - vor, wo neben dasypus, dem ariſtoteliſchen Wort für den Haſen noch lepus ge - nannt wird. ſ. A. von Gutſchmid, Ueber die Fragmente des TrogusPompeius. Leipzig, 1857 (beſonderer Abdruck aus dem 2. Suppltbd. der Jahrbücher für claſ - ſiſche Philologie)., verſteht ihn aber oft falſch und ſchenkt ihm nicht mehr Glauben als andern Erzählern. Angaben über fabelhafte Thiere, welche Ariſtoteleszurückgewieſen hatte, nimmt er ruhig ohne Zweifel zu äußern wieder auf. Aus ſeiner Naturgeſchichte geht allerdings hervor, daß man zu ſeiner Zeit wohl einige Thiere mehr kannte, als Ariſtoteles(vierhundert Jahre liegen zwiſchen beiden), ſeine Beſchreibungen ſind aber zu unvollſtändig und ungenau, als daß man ſie brauchen könnte. Faßt man die Eigenthümlichkeiten ſeiner Naturgeſchichte ſo (wie Ajaſſon) zuſammen, daß er häufig nicht glücklich in der Wahl ſeiner Gewährs - männer war, daß er meiſt Sachen beſchrieb, die er nicht ſelbſt geſehen hatte, es ihm dabei auf richtige Angaben über Namen und Größenver - hältniſſe nicht ankam, daß er ſich häufig wiederholte und dabei wider - ſprach, ſo wird man hieraus auf die wiſſenſchaftliche Bedeutſamkeit ſeiner Arbeit ſchließen können.
Da man dem Pliniushäufig noch ein ihm eigenthümliches Sy - ſtem zuſchreibt, mögen hierüber noch einige Bemerkungen Platz finden. Faſt ſcheint es, als ſei die Meinung, Pliniushabe ſein eignes Syſtem gehabt, nur eine Folge der traditionell gewordenen Anſicht, daß ſein Auftreten eine Epoche in der Geſchichte der Thierkunde bezeichne. Ein unbefangenes Leſen ſeiner Naturgeſchichte rechtfertigt dieſe Anſicht nicht. Nachdem er im ſiebenten Buche den Menſchen beſprochen, ſeine Geburt,873. Verſuche zur Syſtematik.Aehnlichkeiten, Lebensdauer, Größe, verſchiedenen Fähigkeiten durchge - gangen und auch hier viel Fabelhaftes beigemiſcht hat, beginnt er das achte Buch mit den Worten: „ Ich will nun zu den übrigen Thieren weitergehen. Der Elefant iſt das größte und durch ſeine Fähigkeiten dem Menſchen am nächſten ſtehende Thier “. Nun führt zwar dies Buch die Aufſchrift: von der Natur der Landthiere, ebenſo wie im neunten, zehn ten und elften Buche die Waſſerthiere, Vögel und Inſecten eingeführt werden. Es lagen aber Gedanken, die Thiere etwa nach der Art des Me - dium in dem ſie leben einzutheilen, dem Pliniusfern. Jene vier Rubri - ken ſind ihm nur Abtheilungen, in welchen er das für ſeine Erzählungen zuſammengebrachte Material bequem abhandeln konnte. Ein Zuſam - mentreffen mit ariſtoteliſchen Claſſen wäre ſchon deshalb rein zufällig, als bei Pliniusder von Ariſtotelesſo ſcharf feſtgehaltene Unterſchied zwiſchen Claſſe und formaler Abtheilung ganz wegfällt.
Ueberhaupt iſt es unrichtig, Pliniusals Zoologen aufzufaſſen. Er war Encyklopädiſt, wie hundert Jahre ſpäter Appulejus. Nur ſtanden letzterem mehr eigene Beobachtungen und demzufolge bei ſeinen zoologiſchen Arbeiten mehr Kritik zu Gebote. Nach Abzug dieſes wich - tigen Unterſchiedes gilt das über Appulejusgefällte Urtheil auch für Plinius, wenn man ſagt: „ In jedem Falle ſpricht ſich in dieſer ſchrift - ſtelleriſchen Thätigkeit die eigenthümliche praktiſch-encyklopädiſche Rich - tung aus. Betrachtet man aber den Sinn, in welchem dieſe Schriften verfaßt, und die Mittel, welche dafür angewendet ſind, ſo erſcheint Ap - pulejusals Repräſentant einer Zeit, in welcher alle Elemente der eigentlichen nationalen Exiſtenz in der Zerſetzung begriffen waren, in welcher man im Ueberfluß einer raffinirten Ueberbildung von allen Seiten her das verſchiedenartigſte zuſammentrug und vermiſchte, um die Ueberſättigung zu reizen und zu täuſchen und namentlich um der ausgelebten heidniſchen Religion dem ſiegreichen Chriſtenthum gegen - über neue Kraft zu geben “105) O. Jahn, Ueber römiſche Encyklopädiſten. in: Berichte über die Ver - handl. d. K. Sächſ. Geſellſch. d. Wiſſ. Philol. hiſt. Kl. 2. Bd. 1850. S. 263.. Wird ſich auch die letzte Beziehung kaum als nothwendig ergeben, wenn die ganze Richtung der geiſtigen88Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.Bewegung im zweiten und dritten Jahrhundert nach Chriſti Geburt im Auge behalten wird, ſo findet doch die Leichtgläubigkeit, Oberfläch - lichkeit und Unzuverläſſigkeit des Pliniusin den aufgeführten Verhält - niſſen ihre ausreichende Erklärung.
Es bleibt noch übrig, die Meinungen der Alten von der geogra - phiſchen Verbreitung und dem foſſilen Vorkommen der Thiere kurz zu erwähnen. Was das erſtere betrifft, ſo finden ſich zwar im Ariſtoteles(Hist. anim. VIII, 28) Notizen über das Vorkommen gewiſſer Thiere in verſchiedenen Ländern. Doch wird weder auf ein allgemeines geſetz - liches Verhalten, noch, was jenes vorausſetzen würde, auf die Urſachen ſolchen Vorkommens hingewieſen. Es heißt zwar dort (28, 162), daß in vielen Gegenden das Klima die Urſache ſei; doch wird dieſer Ge - danke nicht weiter ausgeführt. Natürlich gibt auch hiervon Pliniusnur einen dürftigen Auszug mit beſonderer Berückſichtigung des Wun - derbaren an der Sache (VIII, 58). Eine Beziehung des Vorkommens gewiſſer Thiere an einzelnen Orten zu deren geographiſcher Lage hebt zwar Ptolemaeushervor. So ſollen den Parallelkreis von Agiſymba Rhinoceros und Elefant nicht überſchreiten können106) PtolemaeiGeographia. ed. Nobbe(ed. Tauchnitz). lib. 1. cap. 9. § 9 (p. 21), cap. 12. § 2. (p. 25). . Doch geht er einerſeits zu weit, wenn er dieſen Specialfall als ausnahmslos bezeich - net; andrerſeits waren die fauniſtiſchen Verhältniſſe überhaupt zu we - nig erforſcht, um Allgemeines aufſtellen zu können. Auch die Anſicht, daß die Thiere deſto rieſenhafter würden, je näher man dem Aequator komme, iſt natürlich nicht haltbar. Für den Menſchen nahm man einen Einfluß des Bodens und Klima's auf Geſittung und Intelligenz an, während in Bezug auf das Körperliche auch hier die größere Sonnen - nähe z. B. für die Urſache der beſondern Beſchaffenheit der kraushaa - rigen Neger gehalten wurde. Wenn ſich daher in Beſchreibungen frem - der Länder bei den Alten Schilderungen von Thieren finden, ſo fehlen894. Anſichten über das Verhältniß der Thiere zur Erdoberfläche.noch die Hinweiſe auf geographiſche Verbreitung einzelner Formen wie ganzer Gruppen. Die Aufzählung erfolgt mehr zufällig, um das Ge - ſammtbild zu vervollſtändigen.
Die Kenntniß foſſiler Formen war im Alterthum ſchon aus der einen Urſache, daß man nicht auf die Verſchiedenheit derſelben von lebenden Arten aufmerkſam wurde, für eine Geſchichte der Thierwelt völlig unfruchtbar. Denn die Geſchichte des Auftretens der organiſchen Weſen, wie ſie Empedokleserzählt, iſt auf metaphyſiſche Voraus - ſetzungen begründet, nicht aus directen Beobachtungen einer früher an - dersartigen Thierwelt erſchloſſen. Die ſchon von Xenophanesausge - ſprochene Anſicht, daß die Erde urſprünglich von Waſſer bedeckt geweſen ſei, blieb durch das ganze Alterthum beſtehen; ſpäter trat dann wohl auch noch die Annahme hinzu, daß auch Land wieder unterſinken könne107) Ovidii Metamorph. XV. v. 262-264: vidi ego, quod fuerat quondam solidissima tellus esse fretum. . Hieraus wurde das Vorkommen von Muſcheln, Fiſchreſten u. ſ. w. auf Bergen erklärt, wie es ſchon Herodotaus Aegypten be - richtet hatte, wie es dann Eratoſthenes, Ovid, Tertulliananführen und wie es Origenesdem Xenophanesnoch nacherzählt108) Herodot, 2. Buch, 12. Kap. ; Eratosthenes, Geograph. fragm. ed. Seidel, p. 28-33; G. Bernhardy, Eratosthenica, p. 46-48. Appu - lejus, Opera, ed. Hildebrand. T. II. p. 534 (Apologie, cap. 41). Tertul - liani[]lib. de pallio, ed. Claud. Salmasius. Lugd. Bat. 1656. cap. II. p. 6: Mutavit et totus orbis aliquando, aquis omnibus obsitus: adhuc maris con - chae et buccinae peregrinantur in montibus. Origenes, Philosophumena. ed. Miller. p. 19. (περὶ Ξενοφάνους). Wie man ſpäter durch Verallgemeinerung der noachiſchen Fluth den Untergang vieler Thiergeſchlechter erklären zu können meinte, ſo wurde früher die deukalioniſche Fluth wenigſtens dafür als Urſache angeſehen, daß man Reſte von Meerthieren auf Bergen und in Steinbrüchen finde.
Wie die Entwickelung eines organiſchen Weſens eine nothwendige iſt, durch die Beſchaffenheit ſeines Keimes und die Art äußerer Ein -90Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.flüſſe bedingt, ſo iſt auch die Geſchichte einer Wiſſenſchaft nicht eine auf zufällig eintretenden Entdeckungen beruhende Reihe unverbunden auf einander folgender Erſcheinungen. Auch die Wiſſenſchaft entwickelt ſich unter nothwendigen äußeren und inneren Bedingungen. Vielleicht ſchärfer als bei andern tritt dies bei den Naturwiſſenſchaften hervor, deren Gegenſtand in einem überall ſcharf zu bezeichnenden Verhältniß zu den ſittlichen und religiöſen Anſchauungen der Völker ſtand. Und von dieſen hängt die Freiheit der geiſtigen Bewegung ab.
Unrecht wäre es daher, die Wiſſenſchaft des Alterthums einem künſtlich aber haltlos aufgeführten Gebäude zu vergleichen, nach deſſen Einſturz das Mittelalter einzelne Säulen und Bogenſtücke aus den Trümmern hervorgeſucht hätte, um den Bau von Neuem zu verſuchen. Es hat vielmehr die alte Welt den ſichern Grund gelegt. Vulkaniſchen Ausbrüchen vergleichbar, in ihren Wirkungen ungeheure Erſchütterun - gen der ja nicht bloß Wiſſenſchaft treibenden Menſchheit haben dieſen Grund mit Schlacken und Aſche überdeckt. Das Mittelalter fängt an, ihn zu ſäubern; die neuere Zeit baut auf ihm fort.
Zum Verſtändniß der Art und Weiſe, in welcher im Mittelalter an das Alterthum angeknüpft wurde, iſt es wichtig, in wenig Worten den Ausgang des Alterthums zu verfolgen. Die Auferſtehung war keine plötzliche. Um ſo mehr empfiehlt es ſich, die Bildungsgeſchichte jener die alte von der anbrechenden neuen Welt ſcheidenden Hülle zu betrachten, welche in mehr als einer Beziehung ſelbſt jetzt noch nicht völlig abzuſtreifen gelungen iſt.
Von großer Bedeutung waren ſchon die äußeren Verhältniſſe. Im Aufblühen des römiſchen Weltreiches gelang es den Lateinern, ihr Land, ihre Hauptſtadt nicht bloß zum Mittelpunkt des politiſch ſtraff centraliſirten Staates zu machen, ſondern auch in geiſtiger Beziehung zum tonangebenden Vorbilde zu erheben. Die Bildung ſelbſt war frei - lich griechiſch; ohne Selbſtändiges zu erreichen nahm Rom mit den Blüthen griechiſcher Wiſſenſchaftlichkeit auch griechiſche Sprache und Art in die Kreiſe auf, in denen überhaupt nur von Pflege der Wiſſen - ſchaft zu ſprechen war. Nun war zwar Athen trotz mancher Geſchicke immer noch als hohe Schule der Bildung in Anſehn. Die Förderung91Ausgang des Alterthums.der Wiſſenſchaft, richtiger geſagt die Verbreitung derſelben, gieng aber von Alexandria aus. Bald aber verlor dies in Folge ſeines politiſchen Werthes ſeine geiſtige Bedeutung. Aegypten war der Schlüſſel zu den öſtlichen Provinzen Roms. Die Lage Alexandria's am Ausgang des ſtrategiſch ſchon früh für wichtig erkannten Nilthales machte es zu einem politiſch werthvollen Punkte. Es ſtrömten auch dort die verſchiedenar - tigſten Elemente zuſammen. Den als Träger der Cultur anerkannten Griechen ſtanden ſchroff die Eingebornen gegenüber, die ſich in ihrem innerſten Weſen gegen das Fremde um ſo mehr abſchließend verhalten mußten, als ihre an Thiergottheiten ſo reiche Religion ſchon ſeit der Zeit der Perſerkriege durch die mit dieſen ihnen nahe gerückten Licht - religion beeinträchtigt zu werden drohte. Dazu kamen zahlreiche Juden; endlich die Römer ſelbſt. Unter dieſen einander drängenden und trei - benden Intereſſen und der politiſch gebotenen polizeilichen Ueber - wachung konnte eine freie wiſſenſchaftliche Regung nicht gedeihen.
Was aber das Loos dieſes einen, durch ſeine Beziehungen zu By - zanz culturhiſtoriſch ſo wichtigen Landes war, das trat auch an andern Punkten auf und mußte ſchließlich auf Rom zurückwirken. Mit der Aufnahme eines Theiles der beſiegten Völkerſchaften in das römiſche Heer wurden zunächſt die Beſatzungen der Grenzprovinzen und bald dieſe ſelbſt barbariſirt, ſelbſt wo vielleicht vorher durch römiſche Colo - nien römiſche Bildung Fuß gefaßt hatte. Es dauerte aber nur eine kurze Zeit und das Heer war zum größten Theile fremder Herkunft, fremder Sitte, Bildung und Sprache; bei ſeinen häufigen Berührun - gen mit der Hauptſtadt entfremdete es auch bald dieſe ſelbſt ihren alten Ueberlieferungen. Die nächſte Folge hiervon war, daß die Kenntniß der griechiſchen Sprache zurücktrat und die lateiniſche als äußeres eini - gendes Band allgemeiner verbreitet wurde. Neben dieſer gewannen aber auch die Landesſprachen an Intereſſe. Ueberall, wo es nicht auf ein Anknüpfen an alte traditionell gewordene Bildung ankam, fiengen Einzelne an, ſich ihrer den Römern fremden Landesſprachen zu bedie - nen. Beſonders wichtig wegen des ſpäter auftretenden Verhältniſſes zu den Arabern ſind hier die Syrer, von denen der Gnoſtiker Barde - ſanes ſchon im zweiten, Ephräm im vierten Jahrhundert der chriſt -92Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.lichen Zeitrechnung in ihrer Mutterſprache zu ſchreiben begannen. Von andern Erſcheinungen dieſer Art iſt nur die Arbeit des Gothen Ulfilasnoch erhalten.
Bieten nun dieſe natürlich hier nur in den allgemeinſten Umriſſen angedeuteten ſtaatlichen Verſchiebungen ſchon Momente genug dar, die durchgreifenden Umgeſtaltungen im wiſſenſchaftlichen Leben der Völker zu erklären, ſo wird auch deutlich, daß die Veränderungen in den ſo - cialen Verhältniſſen und vor Allem in der Cultur der Einzelnen wie des Volkes, welche zur Zeit des ſinkenden Römerreichs eintraten, völlig hinreichten, eine weitere Entwickelung der Wiſſenſchaft in dieſer Zeit unmöglich zu machen. Es wurde ſchon des Unterſchiedes zwiſchen dem griechiſchen und römiſchen Volksleben rückſichtlich der geiſtigen Stellung gedacht. Noch ſchlimmer machte ſich derſelbe in ſeinen Folgen geltend, als mit der geſteigerten Bedeutung des römiſchen Heeres die Legionen den Mittelſtand aufzehrten, ſo daß neben einer überreichen und deshalb häufig von oben her in ihrer Sicherheit gefährdeten Ariſtokratie nur ein Proletariat beſtand, was von Almoſen unter der entſittlichenden Form ſtaatlicher Geldvertheilung lebte. Dem Handwerk und der Arbeit fehlte die Anerkennung der Ehrenhaftigkeit, dem Handel der ihn zu allen Zeiten über die Natur engherziger Krämerei hebende geiſtige Sporn.
Gleich trübe Bilder bietet ein Blick auf die geiſtige Entwickelung. Dem Griechen war die menſchliche Geſtalt die begreiflichſte. Das Weſen einer Naturerſcheinung, die er ihrem wirklichen Gehalte nach nicht erkannte, wurde ihm auch erſt nach und durch Verdichtung zur menſch - lichen Geſtalt begreiflich. Daher rührte der pſychologiſche Gehalt ſeiner anthropomorphen Naturreligion. Dem Römer waren die Gottheiten an und für ſich mehr zufällige Perſonificationen beſtimmter, häufig hiſtoriſcher Ereigniſſe. Als nach dem Bekanntwerden mit griechiſchen Geiſteserzeugniſſen eine formale griechiſche Bildung Mode wurde, trat auch in den religiöſen Vorſtellungen eine Miſchung ein, welche ſich nach Berührung mit aſiatiſchen Cultusformen zu einem förmlichen Religionsmoſaik ſteigerte. Während im frühen Alterthum die Bildung weſentlich von dem mythologiſchen Ideenkreiſe geleitet und getragen93Ausgang des Alterthums.wurde, ſchwand nun die geiſtige Vertiefung unter dem Formalismus der Bildung und den Einflüſſen eines nur den Augenblick befriedigen - den Aberglaubens. Wenn nun auch die Myſterien neben der viel - leicht von ihnen ausgehenden Belebung des Nationalgefühls gegenüber dem zum Kosmopolitismus verflachenden römiſchen Staatsbürgerthum eine Zeitlang auf Hebung eines ſittlichen Gefühls wirken konnten, ſo verfehlten doch auch ſie ihren Einfluß, als die reine Geſtalt der menſch - lich in ihnen erſcheinenden und wirkenden Götter verloren gieng und Dämonen Platz machte. Jede Form von Aberglauben iſt ja mit dem Begriff eines geordneten Verlaufes der Naturerſcheinungen unverein - bar. Wer den ganzen Olymp als Gebilde des Aberglaubens betrachten will, wird ihm wenigſtens die menſchliche Form laſſen, in welche ſich das Geſtändniß der Unwiſſenheit kleidete. Aber ſchon zur alexandrini - ſchen Zeit treten verdächtige Zeichen auf, von denen nur an die Stern - deuterei, an die Incubation und ähnliches erinnert werden mag. Daß ſich allen dieſen Erſcheinungen gegenüber diejenigen, welche noch auf geiſtige Erhebung Anſpruch machen zu können glaubten, dem Volks - glauben entfremden mußten, wird durch die Formloſigkeit deſſelben ver - ſtändlich. Ein Cultus der Natur, welcher nun dem weder im Volks - glauben Erhebung noch in philoſophiſcher Aufklärung Befriedigung Findenden für beides hätte Erſatz bieten können, war nicht mehr mög - lich: die Natur war dem Menſchen fremd und unheimlich geworden.
Für die Weiterentwickelung der Naturwiſſenſchaften war es von tiefgreifendſter Wirkung, daß auch das ſich nun ausbreitende Chriſten - thum dieſe Entfremdung nicht hob. Im Gegentheil, es mußte die Menſchheit ſich geraume Zeit erſt an die neue Denkweiſe gewöhnen, um mit ihr nach Ueberwindung des urſprünglich ſchroffen Gegenſatzes auch eine vernünftige Naturbetrachtung vereinen zu können. Die ganze geiſtige Kraft des Alterthums wurzelte in der religiöſen Uranſchauung vom Weſen der Natur. „ An dieſe Wurzel legte das Chriſtenthum die Hand “. Es hob den religiöſen Glauben an die Natur, die Grundan - ſchauung vom Weſen derſelben auf, und „ verdrängte ihn durch einen neuen Glauben, durch eine neue Anſchauungsweiſe, die den alten94Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.ſchnurgerade entgegengeſetzt waren “109)Wie ſich dies auch in Aeußerlichkeiten zeigte, beweiſt die Umwandlung in der Bedeutung des Wortes Kosmos, welches bei den alten Schriftſtellern ſtets die wohlgeordnete, ſchöne Welt, das Weltganze bezeichnet. Schon im neuen Teſtament wird es zur Bezeichnung der irdiſchen Welt gegenüber der himmliſchen verwendet, und bei den frühen chriſtlichen Schriftſtellern wird dieſer Kosmos zum Ausdruck für die zu fliehende Sündenwelt.. Dabei übernahm man noch ein gut Stück Aberglauben. Zu Conſtantin's Zeit ſchlug man den Vir - gilauf, wie ſpäter die Bibel, um aus zufällig ſich dem Auge darbie - tenden Stellen Vorbedeutungen zu erhalten. Lactantius und Arnobius glauben an Zauberei und Magie. Letzterer ſagt, der Unterſchied zwi - ſchen Chriſtus und einem Zauberer beruht darauf, daß Chriſtus die Wunder durch die Kraft ſeines Namens, letzterer mit Hülfe von Dä - monen bewirke. Wo für griechiſches und römiſches Heidenthum, für Mithras - und Iſisdienſt, für puniſche und perſiſche Religionsbilder Platz war, da konnte auch das Chriſtenthum Raum finden. Die Sorge für ein Jenſeits, auf welches ſchon ältere Philoſophen hingewieſen hat - ten, war um ſo lebendiger geworden, als ſich das Diesſeits kaum noch zu durchleben verlohnte. Die Verfolgungen der Chriſten in den erſten zwei Jahrhunderten waren entweder rein politiſche Acte (wie z. B. der oft angeführte Brief des jüngeren Pliniusoffenbar zeigt), oder man griff der rohen nach Gräueln und Blut gierigen Menge gegenüber zu denen, welche ſich zum Tode drängten. Wenn die Biſchöfe ſelbſt ſich dagegen erklären müſſen, diejenigen als Märtyrer zu feiern, welche ſich ohne Noth dem Tode weihn, ſo läßt ſich wohl annehmen, daß die faſt allein von chriſtlichen Schriftſtellern ausgehenden Schilderungen nicht die Stimmung der Majorität des Volkes darſtellen.
Es mußte aber das durch Verachtung und Verfolgung verſchärfte Gefühl der Abneigung gegen das Alte bei den Chriſten um ſo ſicherer zur entſchiedenen Feindſchaft ausarten, als die in dem gemeinſamen menſchlichen Bewußtſein liegenden Anknüpfungspunkte zu einer Ver - ſtändigung ohne die Gefahr, beiden Seiten noch tiefere Wunden beizu - bringen, nicht benutzt werden konnten. „ Jede Zeile aus der früheren Zeit, von der Hieroglyphe bis zur griechiſchen Currentſchrift war mit95Ausgang des Alterthums.Heidenthum, Götzendienſt oder Zauberlehre getränkt “110) J. Burckhardt, Die Zeit Conſtantin's des Großen. Baſel, 1853. S. 442.. Gegen die heidniſchen Schriften richtete ſich daher der fanatiſche Eifer. Es wurde die Brücke zur alten Culturwelt abgebrochen, um mit der neuen Gottes - anſchauung durch ſtrenge Aſkeſe und durch ein von Liebe durchdrunge - nes Gemeinweſen die Stellung des Menſchen zur Welt neu zu begrün - den. Die belebte Welt, welche bei den Alten von Göttern erfüllt war, die zwar menſchlich fühlten und handelten aber doch immer als ideale Geſtalten das Natürliche weihten, ſank zur ſündigen Creatur herab und ließ daher auch ernſte Beſchäftigung mit ihr nicht zu. Die Werke der Alten verbargen ſich; ein Glück für die Nachwelt, daß ſie nicht ganz der Vernichtung anheim fielen. Die Erzählungen über die Geſchicke der Bibliothek des Ariſtotelesund Theophraſt, die Rollen, welche ein Neleus, Apellikon u. A. bei ihrer Erhaltung und Verbreitung ſpielten, ſind zum Theil mythiſch. Sicher iſt, daß des AriſtotelesWerke den Römern bekannt waren, daß ſeine zoologiſchen Schriften, als exote - riſche vielleicht noch leichter zugänglich, mit andern in Aegypten, in Nord-Afrika (zur Zeit des Appulejusdort verbreitet), in Rom geleſen wurden. Auch ſie verſchwanden, um erſt ſpät an andern Orten wieder aufzutauchen. Mit ihrer Wiedererſcheinung hebt die Neubelebung zoo - logiſcher Arbeiten im Mittelalter an.
Nach dem Sturze des Römerreichs, nach dem Untergange des von dieſem eine Zeitlang noch gehaltenen, im Heidenthum wurzelnden antiken Culturlebens und mit dem ſich nur unter ſchweren Kämpfen Bahn brechenden Chriſtenthum konnte eine neue Ordnung der Dinge ſich nur langſam und allmählich herausbilden. Es wäre unnatürlich geweſen, wenn die Menſchheit den von den Alten geſammelten Schatz des eigentlichen Naturwiſſens ungeſtört gepflegt und ſo verwaltet hätte, daß eine ununterbrochene Förderung der Erkenntniß den langſamen Neubau ſtaatlicher und ſocialer Zuſtände begleitet hätte. Der Grund jeder wiſſenſchaftlichen Erhebung liegt in der allgemeinen Bildung; wo derſelbe mit dieſer verloren gegangen war, konnte die Wiſſenſchaft allein und losgelöſt keine Lebensäußerung zeigen.
Oft genug bezeichnet man die Zeit vom vierten oder fünften bis zum dreizehnten oder vierzehnten Jahrhundert als die Periode des Ver - falls der Wiſſenſchaft. Das einmal Errungene geht aber nicht wieder verloren; die einmal ausgeſprochenen wiſſenſchaftlichen Wahrheiten ziehen ſich zwar wohl zurück an Orte, wo ihnen die, andern Intereſſen nacheilenden Völker nicht ſofort folgen können; ſie werden zeitweiſe vergeſſen. Doch deshalb die Wiſſenſchaft verfallen nennen zu wollen wäre unrichtig. Nur die ſie fördernden äußern Hülfsmittel unterliegen in Zeiten nationaler Bedrängniß dem zerſetzenden Einfluſſe ſtaatlicher Gährungen. Daß gerade bei den Naturwiſſenſchaften die Ungunſt97Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.äußerer Verhältniſſe ein Fortleben unmöglich machten, darauf wurde zum Theil bereits hingewieſen; weiteres wird ſich ſogleich ergeben. Es fehlte für ſie nicht bloß an Lebensbedingungen und äußeren Mitteln, ſondern es war ja auch die ganze Stellung des Menſchen zur Natur verrückt worden.
Die Entwickelung auch der Zoologie war zum Stillſtand gekom - men. Mit ihren Schweſterwiſſenſchaften hatte ſie, einſt von der bele - benden Koſt griechiſchen Geiſtes genährt, ſich nun in eine fremdartige Puppenhülle zurückgezogen. Dieſe durchbrach ſie zwar erſt ſpät, erſt am Schluſſe des großen nun zu ſchildernden Zeitraumes. Aber in der dann ſchnell von drückenden Nebeldünſten ſich reinigenden Luft geiſtigen Auflebens erhebt ſie ihre Schwingen zu einem ſo mächtigen Fluge, daß ſie in den letztverfloſſenen fünf Jahrhunderten größere Strecken ihrer Entwickelung zurücklegte, als in den vorausgehenden zwei Jahrtau - ſenden.
Es wäre traurig, wenn man annehmen müßte, daß mit dem Sinken der allgemeinen Bildung zur Zeit des Untergangs des weſt - römiſchen Kaiſerthums und im Beginn des Mittelalters auch jedes Gefühl für Natur, jede gemüthliche Erregung durch die belebte Pflan - zen - und Thierwelt verloren gegangen wäre. Einzelne Erſcheinungen — und mehrere derſelben wurden bereits erwähnt — laſſen immer noch den nie ganz zu unterdrückenden Quell des geſunden natürlichen Sinns durchblicken. Die geiſtige Thätigkeit erhielt aber nun in ihrem Weſen eine andere Richtung.
Von größter Bedeutung iſt es hier, einen kurzen Blick auf die Er - ziehungs - und Unterrichtsweiſe jener Zeiten zu werfen. Die im Haus und in den Schulen erhaltenen Eindrücke beſtimmen ja ſelbſt bei ausge - ſprochenen Anlagen für einzelne Wiſſenſchaften nur zu häufig die be - ſondere Richtung des ſpätern geiſtigen Lebens, ein Umſtand, welcher in Zeiten politiſcher und ſocialer Zerſetzungen und Neubildungen Ge - nerationen ihr Gepräge verleiht.
Die römiſche Jugend war behufs ihrer Erziehung ſchon während der ſpätern Kaiſerzeit aus den Händen der Mütter in die von Sklaven übergegangen. Schon dies mußte den ſittlichen Gehalt der Erziehung V. Carus, Geſch. d. Zool. 798Die Zoologie des Mittelalters.mindern. Man braucht ſich nur daran zu erinnern, wie in den ſpätern Jahrhunderten des abſterbenden Heidenthums über die Stellung der Sklaven gedacht und geurtheilt wurde1)Themiſtius, welcher von ſeiner Behandlung der Sklaven geradezu den Namen Baſaniſtes erhielt, ſpricht den gebornen Sklaven jede Fähigkeit zu höheren menſchlichen Geſinnungen ab. Macrobiusverhandelt ganz ernſtlich darüber, ob die Sklaven überhaupt Menſchenrang hätten und ob ſich die Götter um ſie küm - merten. Saturn. I, 11. vergl. Burckhardt, a. a. O. S. 427.. Aber auch ſchon früher war durch vorwiegende Richtung der Erziehung auf Entwickelung ſogenannter Bürgertugenden weder dafür geſorgt worden, daß der im Hinaustreten an die Oeffentlichkeit ſtets neue Nahrung findende Egoismus durch Er - weckung eines wahrhaft menſchlichen Bewußtſeins gezügelt werde, noch hatte man für den völligen Mangel eines das Gemüthsleben veredeln - den Familienlebens in der Form und dem Gehalt des Unterrichts einen Erſatz zu finden gewußt2)vergl. C. Schmidt, Essai historique sur la société civile dans le monde remain. Strasbourg, 1853. S. 64 u. a. a. O.. Grammatik, als die elementarſte Kunde von der äußern Form, den Geſetzen der Sprache und deren Litteratur, war die Grundlage, mit welcher verſehen der Jüngling der Rhetoren - ſchule zueilte, um hier durch hohlen Schwall prunkender Phraſen das überdecken zu lernen, daß man möglichſt wenig ſagte und ſagen durfte. Die meiſtens daneben getriebene Philoſophie ſpitzte ſich bald zu einer Dialektik zu. Bei der Unthätigkeit, zu welcher während des ſtraff des - potiſchen Regiments die Mehrheit der Staatsbürger in Betreff der öffentlichen Angelegenheiten verurtheilt war, beſchränkte ſich auch das früher allgemeinere, nun mehr zünftig werdende Studium der Rechts - kunde immer mehr oder wurde zu einer bloßen Kenntniß der wichtigſten Geſetze herabgedrückt. Die früher wegen ihrer Beziehung zur Aſtrono - mie gepflegten Fächer der Geometrie und Arithmetik wurden allmählich verlaſſen. Je mehr die Bevölkerung mit fremden Elementen durchſetzt wurde, deſto mehr ſchwand der Sinn für litterariſche Bildung, welcher ſelbſt durch die ſtrengere Zucht, der die kaiſerlichen Schulen, z. B. das Athenäum in Rom, unterworfen wurden, nicht zu beleben war. So war der Zuſtand in Italien. Aber auch die in den meiſten größeren Städten der einzelnen Provinzen eingerichteten Schulen, an denen99Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.Grammatiker und Rhetoren aus öffentlichen Mitteln Beſoldungen er - hielten, erlagen dem Andrange der ſich weſtwärts ausbreitenden Völ - kerſtämme.
Selbſtverſtändlich fand unter ſolchen Verhältniſſen keine einzige Wiſſenſchaft irgend eine Förderung durch den Schulunterricht. Ein ferneres directes Hinderniß für die Weiterentwickelung der Naturwiſ - ſenſchaften lag noch darin, daß auch da, wo überhaupt noch Bildung angeſtrebt wurde, dieſelbe ſich immer ſtrenger formal an die in der alexandriniſchen Zeit entwickelte, ſeitdem in immer einſeitigerer Geltung ſich ausbreitende Encyklopädie der Disciplinen anſchloß. Außer den ſieben freien Künſten ward nur Jurisprudenz und Medicin und zwar aus nahe liegenden praktiſchen Gründen getrieben. Und wie wenig die Medicin der erſten Jahrhunderte der chriſtlichen Zeitrechnung auf wiſ - ſenſchaftliche Begründung Anſpruch machte und machen konnte, bewei - ſen die Schriften eines Serenus Sammonicus, Sextus Placitus, Marcellus Empiricusu. A. Hier werden zwar auch Thiere und die von ihnen hergenommenen Heilmittel aufgeführt, aber in einer Weiſe, welche nur zu deutlich zeigt, wie ſehr theils eine wunderſüchtige und abergläubiſche Geheimmittellehre, theils eine gedankenloſe Nachbeterei jede geſunde Betrachtung des thieriſchen Lebens und ſeiner Träger zu überwuchern angefangen hatte. Leider blieb eine ſolche Richtung ſehr lange vorherrſchend, auch nachdem bereits von anderer Seite her der Reform der Heilkunde vorgearbeitet worden war.
Drohte nun Bildung und Unterricht der gänzlichen Zerſtörung entgegenzugehen, ſo entſtand von einer andern Seite her ein in ſeinem nächſten und unmittelbaren Einfluß zwar zweifelhafter, für die Erhal - tung der Denkmäler früherer litterariſcher Leiſtungen aber äußerſt wich - tiger Schutz in der Vermehrung und Ausbreitung chriſtlicher Gemein - den. Es war freilich nicht zu erwarten, daß die erſten Lehrer der jungen Chriſtenſchulen mehr als Feſtigung der Glaubenslehren im Auge gehabt haben ſollten, beſonders bei dem ſo nahe liegenden mehr apologetiſchen Charakter ihres etwa öffentlichen Auftretens. Manche Apologeten ver - fuhren geradezu aggreſſiv und ſuchten die heidniſche Mythologie und mit ihr das heidniſche Wiſſen als Ausflüſſe dämoniſchen Unweſens darzu -7*100Die Zoologie des Mittelalters.ſtellen, z. B. Tatian. Hierdurch vollzog ſich in einzelnen Fällen der Bruch mit der antiken Wiſſenſchaft vollſtändig. Doch waren es vor - züglich zwei Punkte, welche neben ihrem tiefeingreifenden culturge - ſchichtlichen Einfluſſe für die Stellung und Weiterentwickelung der Na - turwiſſenſchaften von größter und leider nicht bloß im frühen Mittel - alter verhängnißvoller Bedeutung wurden: die Entwickelung des Mönchthums und die Erhebung der Kirche zu einer prieſterlichen und biſchöflichen Anſtalt, welche nicht bloß die Glaubenslehren zu beſtim - men und zu befeſtigen ſuchte, ſondern auch in Wiſſensgebieten die ihr eigentlich fern lagen ſich eine Ausſchlag gebende Stimme zu ſichern wußte, häufig freilich mit Mitteln, welche den Vertretern der Religion der Liebe wenig ziemte.
Je ſchwärzer das geiſtige Unheil des Alterthums von eifernden Vertheidigern des Chriſtenthums dargeſtellt wurde, je herrlicher die opferfreudige Dienſtbarkeit gegen Gott und Mitmenſchen den Jüngern des Kreuzes erſchien, deſto mehr mußte in leicht entzündbaren Ge - müthern der Entſchluß reifen, durch völliges Hingeben an ein Leben voll Büßungen und Gebet, durch Entſagung alles irdiſchen Genuſſes der endlichen Seligkeit um ſo ſicherer theilhaft zu werden. Namentlich wa - ren es die einer beſchaulichen Lebensweiſe und ſchwärmeriſchen Aſkeſe ohnehin geneigten Morgenländer, welche in einem Abſterben der Welt die wahre Tugendfülle bethätigen zu können meinten. Dem erſten Ein - ſiedler Paulusund ſeinem Schüler Antonius, welcher wegen der ihm vorgeblich erſchienenen wunderbaren Thier - und Menſchengeſtalten noch im dreizehnten Jahrhundert vielfach erwähnt wird, folgten bald zahl - reiche Jünger. Ihnen gab Pachomius die erſte Regel eines gemeinſa - men Lebens; derſelbe wurde dadurch Gründer des Kloſterthums. Lagen auch litterariſche Beſchäftigungen den einſiedleriſch oder gemeinſam lebenden Mönchen urſprünglich fern, ſo zeichneten ſich doch unter den vom vierten Jahrhundert an durch ganz Vorderaſien bis in das Saſſa - nidenreich verbreiteten Mönche die ſyriſchen zu Edeſſa durch ihre Ge - lehrſamkeit rühmlich aus. Durch die Syrer lernten überhaupt ſchon in der vormuhammedaniſchen Zeit die Orientalen den Ariſtotelesund andere griechiſche Schriftſteller kennen.
101Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.Das Abendland kam zuerſt mit dem Mönchsleben in Berührung, als der durch das nicäaniſche Concil nur zeitweiſe äußerlich beigelegte Streit der Arianer mit ihren Gegnern die vorübergehende Verbannung des Athanaſius und deſſen Aufenthalt in Gallien und Deutſchlandnach ſich gezogen hatte. Dem morgenländiſchen Fanatismus wenigſtens anfangs fremd, ſuchten die abendländiſchen Mönchsgenoſſenſchaften die Grundſätze des urſprünglichen Gemeindelebens mit Gütergemeinſchaft und völliger Gleichheit aller Genoſſen als oberſtes Geſetz durchzuführen, dabei nach außen die idealen Aufgaben der Heilsbringer zu bethätigen, wie ſie als Seelſorge, Hülfe bei äußerer und innerer Noth und Unterricht erſchienen.
Von durchgreifendſter Bedeutung für die Ausbildung der Rolle, welche das Mönchsthum in der Culturentwickelung des nächſten Jahr - tauſends zu erfüllen hatte, war die Aufſtellung der erſten abendlän - diſchen Ordensregel. Die Gründung des Kloſters auf dem Monte Caſſinodurch Benediktvon Nurſia (529) ſchuf einen für Er - haltung der ſchlummernden Reſte antiker Wiſſenſchaft unendlich wich - tigen Factor, welcher in ſeinem Einfluß noch beſtärkt wurde, als ſehr bald ſchon auf Caſſiodor's Anregung die Mönche zur Pflege der Wiſ - ſenſchaften und Vervielfältigung der Handſchriften angehalten wurden. Da bereits Benediktſelbſt die Aufnahme von Kindern in die ſich früh mehrenden Klöſter gebilligt hatte, entſtanden hierdurch die erſten Klo - ſterſchulen, welche neben den biſchöflichen bei den größeren Kirchen be - ſtehenden Unterrichtsanſtalten eine um ſo größere Wichtigkeit erlangten, als gar bald die von Rom aus unterhaltenen kaiſerlichen Schulen ein - giengen. Da die Kloſterſchulen zunächſt im Sinne einer Erziehung zum geiſtlichen Stande thätig waren, die Kathedralſchulen dagegen auch weltliche Wiſſenſchaften zuweilen mit großem Erfolg pflegten, entſtand nach kurzer Zeit an vielen Kloſterſchulen der Eifer, auch in Bezug auf die letztern es den übrigen Schulen gleich zu thun.
Mit der Verbreitung der Benediktiner wurde überhaupt der Sinn für Bildung wenigſtens in den Klöſtern angeregt. Die erſten iriſchen Glaubensboten in Burgund, Deutſchlandund der Schweiz, Columban, Gallus und Kilian waren zwar keine Benediktiner; doch gehörte der große Apoſtel der Deutſchen Bonifacius dieſem Orden an. Auf ihn102Die Zoologie des Mittelalters.wird die Gründung, wie vieler andern, ſo die der Abtei Fulda zurück - geführt, des Sitzes jenes größten deutſchen Schulmannes des neunten Jahrhunderts, Hrabanus Maurus. Die Belebung des Unterrichts - eifers, welcher die ſpätere Zeit der Regierung Karldes Großen aus - zeichnete, geſchah vorzüglich mit Hülfe von Benediktinern, Alcuin und Paulus Diaconus. Wurde auch von einzelnen Congregationen die Pflege der Schulen, ſo theils ſchon durch die Beſchlüſſe der Aachener Synode (817) theils von den Cluniacenſern und Ciſtercienſern, Zweigen der Benediktiner, ihrer Regel gemäß wenig gefördert, ſo begünſtigten doch die meiſten den Betrieb der Wiſſenſchaften und Künſte. Es braucht hier nur an York und St. Alban, Le Bec, Fulda, Hirſchau, Reichenau, Corvey u. a. erinnert zu werden. Erſt als im zwölften Jahr - hundert die reichen Einkünfte der alten Abteien, die Vorrechte der Klöſter, die Betheiligung der meiſt aus den höheren Ständen entſtam - menden Würdenträger der Klöſter an weltlichen Händeln den alten Grundſatz des Ordens: ex scholis omnis nostra salus, omnis gloria, omnis felicitas, vergeſſen ließen, übernahmen die nun entſtehenden volksthümlicheren Orden der Dominikaner und Franciskaner die Sorge für die Bildung des Volkes.
Der Umſtand, daß der Unterricht in den Händen geiſtlicher Or - den war, wird aber in ſeinen Wirkungen erſt dadurch erklärt, daß ein Blick auf die Entwickelung der kirchlichen Macht das erkennen läßt, was überhaupt gelehrt wurde und gelehrt werden durfte3)Es kam hier beſonders darauf an, den Boden kennen zu lernen, auf wel - chem die für Geſchichte der Naturwiſſenſchaften merkwürdigen Erzeugniſſe der erſten zehn bis zwölf chriſtlichen Jahrhunderte entſtehen konnten. Ein volles Bild des Culturlebens der abendländiſchen Menſchheit ließ ſich nur auf weiteren Umwegen erlangen. Für viele Partien fehlen noch Vorarbeiten. Von Werth waren hier neben der erwähnten Schrift von C. Schmidtdie Arbeiten von Ozanam, la civilisa - tion chrétienne chez les Francs. (Oeuvres. T. IV) Paris, 1855. Léon Maitre, Les Écoles épiscopales et monastiques de l'Occident depuis Char - lemagne. Paris, 1866 H. Heppe, Das Schulweſen des Mittelalters. Mar - burg, 1860. Böck, Die ſieben freien Künſte im elften Jahrhundert. Donauwörth, 1847. H. Kämmel, Artikel: „ Mittelalterliches Schulweſen “in: Schmid, En - cyklopädie des geſammten Erziehungs - und Unterrichtsweſens. 1. Bd. Gotha, 1865. S. 766-826.. Die Zu -103Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.nahme der chriſtlichen Gemeinden unter verſchiedenen Völkern brachte die neue Lehre der Gefahr nahe, durch Aufnahme zahlreicher mehr oder weniger tief eingreifender Verſchiedenheiten in Glaubensſachen und im Ritual in ebenſoviele einzelne Kirchen geſpalten zu werden. Es hatten ja ohnedies die vom Polytheismus zum Chriſtenthum Uebergetretenen einen ſehr natürlichen Hang, die neue Religion wenigſtens der äußern Glaubensform nach der alten anzuſchließen. Dies konnte aber leicht auseinander führen. Und wenn auch ſchon ſeit der Zeit der Alexandri - ner Clemensund Origenesdie gnoſtiſchen Lehren mit ihren an polythei - ſtiſche Ideen ſtreifenden Anſichten trotz ihres befruchtenden Einfluſſes auf die geiſtige Weiterbildung des Chriſtenthums äußerlich zurückge - drängt worden waren, ſo blieben doch in der Trinitätslehre, dem Ma - rien - und Heiligen-Cultus Momente übrig, welche den Tauſch des götterbelebten Olymps gegen den von einem Gott durchwehten Himmel nach Umſtänden mehr oder weniger erleichterten. Je weiter nun aber der Spielraum war, welchen die von verſchiedenen Punkten ausgehen - den Traditionen darboten, je mehr die ungleiche Befähigung der Be - kehrten eine Theilnahme aller Gemeindemitglieder an der äußeren Ver - waltung und dem innern Weiterbau des kirchlichen Lebens unmöglich machte, deſto mehr Grund gewannen die Beſtrebungen, feſte Glau - bensſätze aufzuſtellen, nach deren Anerkennung anders Denkende als Ketzer aus der Gemeinſchaft der Gläubigen ausgeſchloſſen wurden. Dies ſuchten zunächſt die ſchon ſeit der apoſtoliſchen Zeit her in Ge - brauch gekommenen allgemeinen Kirchenverſammlungen zu beſtimmen. Eine weitere Kraft erhielten aber dieſe Verſuche mit der Ausbildung des Epiſkopats, welches unter Annahme einer directen apoſtoliſchen Nachfolge nicht bloß die Ueberlieferungen in formeller Weiſe feſtſetzte, ſondern beſonders durch Herauslöſen des Geiſtlichen aus der Gemeinde die Selbſtbeſtimmung der letztern allmählich zurückdrängte und ſich nicht bloß in Bezug auf Kirchenzucht, ſondern auch in Punkten kirchlichen und wiſſenſchaftlichen Zweifels allmählich immer entſchiedener einen Ausſchlag gebenden Einfluß beizulegen wußte.
Welcher Art aber dieſe Einwirkungen auf die Anſchauungen der belebten Natur ſein mußten, davon gibt der Umſtand ein ſprechendes104Die Zoologie des Mittelalters.Zeugniß, wie allmählich die freiere und natürlichere Auffaſſung der erſten Jahrhunderte von der Stellung des Menſchen, ſeinem freien Willen und ſeiner Selbſtändigkeit, von der Auferſtehungslehre u. ſ. f. über - giengen in die finſtern Anſichten von Erbſünde und Unfreiheit, von der Auferſtehung des Fleiſches u. ſ. w. Kaum braucht hier daran erinnert zu werden, welche Macht der Kirche aus der Lehre von den Gnaden - mitteln zuwuchs, wie ſich ſolche im nothwendigen Anſchluß an die er - wähnte Umſtimmung der Anſichten entwickelte. Selbſtverſtändlich hieng auch die Anſchauung des Thierreichs weſentlich von der übrigen gei - ſtigen Richtung der Zeit ab. Freilich finden ſich bei frühen chriſtlichen Schriftſtellern Schilderungen genug, welche eine weiche, zuweilen bei - nahe ſentimentale Stimmung der Natur im Allgemeinen gegenüber bekunden4) A. von Humboldt, Kosmos. 2. Bd. S. 26-31.. Von einem concreten Erfaſſen einzelner Erſcheinungen, einer beſtimmten wiſſenſchaftlichen Stellung oder einer höheren philoſo - phiſchen Auffaſſung der Natur iſt aber kaum die Rede. Und wäre auch bei Einzelnen etwa eine Regung erwacht, ſich einer ſolchen wenigſtens zu nähern: die Maſſe des Volkes, ſelbſt die unterrichtete, war einer ſolchen fremd.
Erklärlich wird dies aus einem Blick auf die litterariſchen Hülfs - mittel des Unterrichts und den weſentlichen Inhalt derſelben. Wenn von wirklichem Wiſſen geſprochen werden ſollte, konnte man des Cultur - ſchatzes der Alten nicht entrathen; und doch mußte derſelbe in die neue Form gezwängt werden. Von größter Bedeutung für die geiſtige Rich - tung des Mittelalters iſt hier zunächſt Boëthiusgeweſen, welcher an die claſſiſche Vergangenheit direct anknüpfend, nicht bloß eine Reihe ſich lange in hohem Anſehen erhaltender Schriften verfaßte, ſondern durch den Verſuch, die orthodoxen Glaubensſätze mit Hülfe ariſtote - liſcher Formeln zu begründen und durch dialektiſche Erklärungen die Anſichten früherer Philoſophen untereinander und mit dem Kirchen - glauben zu verſöhnen, den Grund legte, auf dem ſich ſpäter die Scho - laſtik erhob. Seine Ueberſetzungen einzelner Schriften des Ariſtoteles, welche lange Zeit die einzige Quelle für das Studium ariſtoteliſcher105Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.Philoſophie5)Eine arabiſch-lateiniſche Ueberſetzung der Ariſtoteliſchen logiſchen Schriften benutzte wohl zuerſt Ottovon Freiſing im 12. Jahrhundert. ſ. Pertz, Monumenta. Scriptores, Vol. XX. p. 96. (Wilman's Einleitung zum Chronicon des Otto). waren, des Euklid, Nikomachus, Ptolemaeusu. a. über die ſieben freien Künſte galten als Grundlagen der geiſtigen Erziehung, wie ſeine, ſchon im frühen Mittelalter in faſt alle europäiſchen Spra - chen überſetzte Schrift de consolatione philosophiae ein Lieblingsbuch der Gebildeten Jahrhunderte hindurch geweſen iſt. Gleich bedeutend in ſeinem Einfluſſe und ſeiner Verbreitung als Schulbuch war des ſchon genannten CaſſiodorusSchrift Institutiones ad divinas lectiones. Zunächſt einen theologiſchen Lehrplan entwerfend, weiſt er darauf hin, daß in der heiligen Schrift viele Wahrheiten figürlich aus - gedrückt und nur durch Grammatik, Rhetorik, Dialektik u. ſ. f. ver - ſtändlich ſind. Er behandelt daher die Schulwiſſenſchaften, die ſieben freien Künſte, eingehend und ſeine Darſtellung iſt „ ein Geſetzbuch für den ganzen Unterricht der mittelalterlichen Kloſterſchulen geblieben “. Als ähnliche Fundgrube der Gelehrſamkeit galt Jahrhunderte lang die Schrift des Marcianus Capella6)Ob Marcianus Capellagleichfalls Chriſt geweſen iſt, bleibt zweifelhaft. WieE. Böttgerbemerkt ( Jahn's neue Jahrbücher für Philol. 13. Suppltbd. 1847. S. 592) und wie ſchon Caspar Barth (in den Adversar. comment. ) andeutet, kannte er wenigſtens chriſtliche Meinungen.über die Vermählung der Philologie und des Merkur, in welcher er dieſelben Wiſſenſchaften als Dienerinnen der im Olymp eingeführten Philologie auftreten läßt. An dieſe drei ſchloſſen ſich dann ſpeciellere Schulbücher in ähnlichem Geiſte, wie der Donat, Priscian, ſpäter das Doctrinale puerorum des Alex - ander de Villa Deiund andere an, welche die Disciplinen des Trivium und Quadrivium in mehr oder weniger pedantiſcher Weiſe vortrugen.
Eine hervorragende Stellung nimmt neben den genannten noch das Werk des Iſidorvon Sevilla aus dem Anfang des ſiebenten Jahrhunderts ein, welches nicht bloß die ſieben freien Künſte, ſondern auch Theologie, Jurisprudenz, Medicin, Naturgeſchichte, Geographie u. ſ. f. umfaßt, aber wie ſchon ſein Titel Origeness. etymologiae be - ſagt mehr nach Art eines erklärenden etymologiſchen Realwörterbuches (vergl. z. B. das zehnte Buch). Sein Einfluß war bedeutend und106Die Zoologie des Mittelalters.noch in den naturhiſtoriſchen Compilationen des dreizehnten Jahrhun - derts wird Iſidorneben Ariſtotelesund Pliniusam häufigſten citirt. Freilich iſt für die Geſchichte der Zoologie das Werk des Iſidorusnur von rein äußerer Bedeutung. Es enthält eine Menge einzelner Notizen aus alten Schriftſtellern, aber es hat ſich nicht die Aufgabe geſtellt, die Summe des zoologiſchen Wiſſens ſeiner Zeit darzuſtellen. Es wäre daher zunächſt verfehlt, in der Reihenfolge, welche Iſidorbei ſeiner Darſtellung befolgt hat, etwa den Verſuch eines Syſtems erblicken zu wollen. Und auch in Bezug auf die Thatſachen, welche er mittheilt, war es ihm nicht darum zu thun, irgend ein naturhiſtoriſches Bild des betreffenden Thieres zu geben; ſondern neben der Etymologie des Na - mens, welche überall an der Spitze der einzelnen Artikel ſteht und oft das einzig Mitgetheilte iſt, macht er bald naturhiſtoriſche, bald medici - niſche, bald fabelhafte Angaben, nur ſelten unter Anführung von Ge - währsmännern. Unter dieſen erſcheinen Dichter, wie Horatius, Nae - vius, Lucanus, Lucretius, Macer, Virgiliusu. a. ebenſo häufig oder ſelbſt häufiger, als Ariſtoteles, welcher im zwölften den Thieren ge - widmeten Buche nur einmal angeführt wird, und Plinius. Da Iſidornicht ſelbſt Naturforſcher war, ſondern ſein Werk zu Unterrichts - zwecken nur aus andern Schriftſtellern zuſammentrug, kann man nicht erwarten, bei ihm einen ſelbſtändigen Standpunkt vertreten zu ſehen. Er war litterariſcher Sammler, wie von Pliniusan bis in das drei - zehnte Jahrhundert alle Schriftſteller über Zoologie. In einer Be - ziehung weicht aber Iſidorusvon den ihm zunächſt vorausgehenden und folgenden Verfaſſern ähnlich allgemeiner Werke ab: es fehlt bei ihm völlig an jener ſymboliſirenden und allegoriſirenden Auslegung, wo - durch man ſich beſtrebte, alle Thatſachen der belebten (oft auch der un - belebten) Natur in ein Verhältniß zum Menſchen zu bringen.
Hat ſich auch aus den früheren Jahrhunderten des Mittelalters noch manches andere Zeugniß für den eigenthümlichen Geiſt des Unter - richts erhalten, ſo bieten ſie doch alle dieſelben Bilder dar. Es iſt hier nur von untergeordnetem Intereſſe, daß zeitweiſe der Unterricht in den Klöſtern vernachläſſigt wurde, wofür die wiederholten Klagen der Päbſte und Biſchöfe ſprechen (z. B. in den Jahren 826 und 850), daß auch107Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.zuweilen die weltlichen Claſſen der Kloſterſchulen, die in Folge der erwähnten Aachener Synode eingeführten scholae exteriores, geſchloſ - ſen wurden, um das asketiſche Leben der Mönche vor äußern Einflüſſen beſſer wahren zu können (wie es z. B. ſelbſt im Monte Caſſino geſchah). Wichtiger iſt es, daß das Verſtändniß der nur von Einzelnen einem wirklichen Studium unterworfenen griechiſchen Sprache immer ſeltener wurde. Byzanz ſelbſt hatte zwar ſeine eigene, immer noch inniger mit dem griechiſchen Alterthum zuſammenhängende Tradition; auch übte es in andern Beziehungen ziemlichen Einfluß auf das Abendland aus. Moden und höfiſche Sitten, die Muſter und Modelle zu Luxus - und Hausgeräthen, zu Zeugen u. ſ. f. kamen aus Byzanz. Seine Sprache aber blieb fremd trotz der nahen Beziehungen, in welche das deutſche Kaiſerhaus wiederholt zu Conſtantinopel getreten war. Erklär - lich wird dies wenigſtens zum großen Theil durch das langſam er - wachende Nationalbewußtſein, durch die Entwickelung der Städte und des in ihnen ſich regenden Bürgerſinns, ſowie durch den mit dem Lo - calpatriotismus auch die Mutterſprache pflegenden Ritterſtand.
In wie weit ſich die Verhältniſſe einer Aufnahme der Naturge - ſchichte als Zweig des regelmäßigen Unterrichts günſtig oder ungünſtig erwieſen, wird ſchon aus der Bedeutung erkennbar, welche man den ſieben freien Künſten gab. Hier iſt das Urtheil des Hrabanus Maurusvon Intereſſe, eines Mannes, deſſen für ſeine Zeit vorur - theilsfreie Richtung aus dem Verhalten hervorgeht, welches er gegen die Prädeſtinationslehre Gottſchalk's ſowie gegen die Transſubſtantia - tionslehre des Paſchaſius Radbertuseinſchlug. In ſeiner Schrift de institutione clericorum wird bei der Erwähnung der encyklopädiſchen Wiſſenſchaften ſtets auf ihren beſondern kirchlichen oder religiöſen Ge - brauch hingewieſen. Grammatik dient zum Verſtändniß des Lateini - ſchen, der Kirchenſprache, zur Kenntniß der Versart der Pſalmen und anderer poetiſcher Bücher, Arithmetik führt in die Zahlengeheimniſſe ein, Aſtronomie lehrt die Kirchenzeitrechnung verſtehen, Muſik wird gelehrt, um die Würde des Gottesdienſtes begreifen und würdigen zu können. Ziel des ganzen Lernens war nur die Ehre Gottes, wie man ſie eben damals auffaßte. Und wie zäh derartige Anſichten eingewurzelt108Die Zoologie des Mittelalters.waren, beweiſen die Thatſachen, daß noch auf den Concilen von Tours und Paris (1163 und 1209) das ſündhafte Leſen phyſikaliſcher Schrif - ten den Mönchen unterſagt wurde. Daß dabei der Aberglaube in allen Geſtalten, Aſtrologie und Geheimmittel, Reliquiendienſt und Wunder - glaube üppig gedeihen konnte, verſteht ſich von ſelbſt.
Es iſt nun nicht zu verwundern, wenn bei dieſem engen Anſchluß alles ſogenannten Wiſſens an Gegenſtände der Kirche und des Glau - bens auch diejenige Richtung in der Bearbeitung der Natur - oder ſpe - ciell Thiergeſchichte die einzig geduldete war, welche ſich mit allerhand Allegorien den Bedürfniſſen des moraliſirenden und auf das Gewiſſen wirkenden Predigers anbequemte. Im achten und neunten Jahrhundert wurden zwar mehrere bedeutende Schriften über Natur und Welt ver - faßt; ſo von Beda(de natura rerum), von Hrabanus Maurus(de universo) und Johannes Scotus Erigena(de divisione naturae). Doch enthalten dieſe homiletiſchen oder philoſophiſchen Schriften entweder gar nichts von Thieren oder nur dogmatiſirend ſich an die Schöpfungsgeſchichte Anſchließendes.
Eine höchſt intereſſante Erſcheinung iſt dieſem Allen gegenüber das Vorhandenſein einer nun etwas genauer zu betrachtenden Schrift, welche faſt tauſend Jahre lang als elementares Lehrbuch für Zoologie in Geltung geſtanden zu haben ſcheint, deren früheſte Geſchichte aber immer noch in ziemliches Dunkel gehüllt iſt. Es iſt dies der ſogenannte
Aus einer Betrachtung der Culturverhältniſſe des früheren Mit - telalters geht hervor, daß der Unterricht in den erſten chriſtlichen Zeiten keinen Raum zu einem näheren Bekanntwerden mit der belebten Natur ließ und daß in Folge hiervon auch diejenigen, welche nach der über - haupt möglichen Bildung ſtrebten, unter dem immer ſchärfer ſich äußern - den Drucke kirchlicher Denkvorſchriften zu keiner freieren Auffaſſung lebender Weſen gelangen konnten, als ſie der Schöpfungsmythus ergab. Nun iſt aber in keiner Periode der Geſchichte der Menſchheit, aus welcher man litterariſche Zeugniſſe beſitzt, ein vollſtändiger Mangel109Phyſiologus.eines Sinnes für die Natur und deren Bewegungserſcheinungen nach - weisbar. Bei dem Widerſtand, welchen die erſten chriſtlichen Regungen allen aus dem Heidenthum herrührenden Schriften entgegenſetzten, war es daher für die Stellung der Naturgeſchichte, als eines Bildungsmo - ments, zur ganzen geiſtigen Entwickelung von außerordentlicher Bedeu - tung, daß eine Form der Darſtellung gefunden wurde, in welcher der Naturſinn unbeſchadet der kirchlichen Autorität wachgehalten wurde.
Dieſe bot der Phyſiologus dar7)Eine äußerſt ſorgfältige Bearbeitung der früheſten Geſchichte des Phyſiolo - gus mit Berückſichtigung der wichtigſten Fragen, jedoch mit Ausſchluß der natur - hiſtoriſchen hat Pitragegeben in: Spicilegium Solesmense. Tom. III. p. XLVII-LXXX. Eingehend iſt die Einleitung von C. Hippeauin ſeiner Aus - gabe des Bestiaire divin. (ſ. u.). Eine anziehend geſchriebene Schilderung der hiſtoriſchen Stellung des Phyſiologus, welche ſich vorzüglich an Pitraund die noch zu erwähnende Arbeit von Cahieranlehnt, enthält der Aufſatz von Kolloff, die ſagenhafte und ſymboliſche Thiergeſchichte des Mittelalters in F. v. Raumer's hiſtor. Taſchenb. 4. Folge, 8. Bd. 1867. S. 171-269. Vergl. auch den kurzen aber ſehr hübſchen Aufſatz von Thierfelder, eine Handſchrift des Physiologus Theobaldi beſchrieben und mit einer Abhandlung über die ſogenannten Phyſiolo - gen u. ſ. w. in: Serapeum von Naumann, 1862. Nr. 15 u. 16. S. 225-231. 241-249. Mehrere der betreffenden litterariſchen Nachweiſungen verdanke ich der Gefälligkeit des Herrn Dr. Hügel, welcher mit einer Geſchichte des Phyſiologus be - ſchäftigt iſt.. Für ſeine Bedeutung ſpricht ſchon ſeine große Verbreitung. Er iſt nicht bloß in den alten Cultur - ſprachen vorhanden, ſondern er erſcheint überall, wo die ſich abſondern - den Nationalitäten in den Kreis der chriſtlichen Cultur eintreten oder wo das Chriſtenthum mit ſeiner ſymboliſirenden Lehrhaftigkeit eindringt. Er findet ſich mehr oder weniger vollſtändig erhalten und zwar in ſeiner urſprünglichen Geſtalt proſaiſch oder, im Ganzen oder in Aus - zügen, metriſch in folgenden Sprachen: griechiſch, lateiniſch, ſyriſch, armeniſch, arabiſch, äthiopiſch, althochdeutſch, angelſächſiſch, altengliſch, isländiſch, provençaliſch und altfranzöſiſch. Mit dem vierzehnten Jahr - hundert verſchwindet er; denn wenn auch noch einzelne ſogenannte Phy - ſiologen ſpäter vorkommen und wenn gewiſſe litterariſche Erſcheinungen des dreizehnten Jahrhunderts und der dieſem zunächſt folgenden Zeit in eine gewiſſe verwandtſchaftliche Beziehung zu ihm gebracht werden110Die Zoologie des Mittelalters.müſſen, ſo hört doch von jenem Zeitraum an die weitere Verbreitung in ſeiner urſprünglichen Form auf, um andern Darſtellungen Platz zu machen.
Der Titel der Schrift ſchließt ſich zunächſt an den öfter wieder - kehrenden Gebrauch an, die Stellung oder den Beruf des bekannten oder unbekannten Verfaſſers, gewiſſermaßen die perſonificirte Aufgabe deſſelben als Bezeichnung des Buches zu geben. Nach der claſſiſchen Bedeutung des Wortes würde hier alſo eine Erklärung des Weſens der Natur überhaupt zu ſuchen geweſen ſein. Es ſtimmt nun allerdings hiermit überein, daß ſich in den Phyſiologen des Mittelalters häufig noch gewiſſe Steine, einzeln auch Bäume, aufgezählt finden. Doch tritt, wie ſich bald zeigen wird, abgeſehen von einer Beſchränkung des Inhalts auf eine Anzahl Thiere, die rein naturhiſtoriſche Seite ſehr bald mehr oder weniger in den Hintergrund. Selbſt jene, der „ Phyſio - logie “in den erſten Jahrhunderten der chriſtlichen Zeitrechnung geſtellte Aufgabe ſchwand, nicht bloß die antiken Götter - und Heldengeſchichten, ſondern ſelbſt bibliſche Wunder naturgemäß zu erklären. Noch Epi - phanius nannte ſeine ſofort zu erwähnende, ihm aber nur mit Un - recht zugeſchriebene Schrift in richtigerer Weiſe „ ad physiologum “; ſpätere Bearbeitungen laſſen aber das was hier ausdrücklich als Zu - that bezeichnet wird, mit dem eigentlichen und wahrſcheinlich alten Text ganz verſchmelzen und behalten den Titel für das nun aus zwei beſonders zu betrachtenden Abſchnitten beſtehende Werk bei. Nun läßt ſich zwar in Bezug auf die hiermit eintretende Erweiterung des Na - mens Phyſiologus im Allgemeinen etwa anführen, daß man, wie auch ſonſt in verſchiedener Weiſe geſchah, der Naturſchilderung eine entſpre - chende Betrachtung angehängt habe, welche als zum Gegenſtand gehörig mit zur „ Phyſiologie “zu rechnen geweſen ſei. Für die Vereinigung der letztern und zwar einer beſonderen religiöſen Betrachtung mit einer naturhiſtoriſchen Darſtellung zum Begriffe einer gewiſſermaßen chriſt - lichen Phyſiologie gibt es aber directe Zeugniſſe. So ſagt Clemens Alexandrinusausdrücklich, daß die Phyſiologie, welche auf die Regeln der Wahrheit ſich gründet, mit der Erzählung der urſprünglichen Er -111Phyſiologus.ſchaffung der Dinge zu beginnen, aber dann zur religiöſen Betrachtung ſich zu erheben habe8)ἡ κατὰ τὸν τῆς ἀληθείας κανόνα γνωστικῆς παραδόσεως φυσιολο - γία ἐκ τοῦ περὶ κοσμογονίας ἤρτηται λόγου〈…〉〈…〉 ἐνθένδε ἀναβαίνουσα ἐπὶ τὸ θεολογικὸν εἰδος. Clémens, Opp. ed. Potter, Oxonii 1715. Stromat. lib. IV. p. 564. vergl. Pitra, a. a. D. S. 2. Dies iſt die ſogenannte ἄνω θεωρία..
Es wird nun im Phyſiologus nicht bloß dieſe Aufgabe gelöſt und jeder Schilderung eines naturhiſtoriſchen Gegenſtandes eine erklärende Betrachtung zugefügt, ſondern er ſchließt ſich hierin der Richtung faſt der ganzen übrigen Litteratur jener Zeiten eng an, welche dem ur - ſprünglichen Sinn des Wortes Phyſiologie gerade entgegen theils alles Natürliche direct an Göttliches oder wenigſtens Bibliſches anzuknüpfen, theils die geſchichtlichen Erzählungen der Schrift und die kirchlichen Ge - bräuche durch Symboliſirungen und myſtiſch-allegoriſche Deutungen einer moraliſchen Nutzanwendung immer leichter und ſicherer zugäng - lich zu machen ſuchte. Es wird ſich zeigen, wie man hierbei urſprüng - lich einfacher verfuhr und wie man allmählich der älteren Vorlage als dem zu erklärenden Texte förmlicher gegenübertrat, wie es die häufig vorkommenden Wendungen beweiſen: „ der Phyſiologus ſagt “und am Schluſſe mancher Abſchnitte: „ ganz gut hat daher der Phyſiologus geſprochen “.
Die Darſtellung der Inhaltsüberſicht wird erleichtert werden, wenn vorher ein Blick auf das vorhandene litterariſche Material ge - worfen wird. Die verſchiedenen Bearbeitungen des Phyſiologus, welche ſich erhalten und bis jetzt eine Veröffentlichung erfahren haben, ſind die folgenden. Als älteſte Form deſſelben iſt, wie ſich zeigen wird, die griechiſche anzuſehen. Pitrahat den erſten Abdruck eines grie - chiſchen Phyſiologus beſorgt nach Handſchriften aus dem 13. bis 15. Jahrhundert, welche mindeſtens zwei verſchiedene Recenſionen enthal - ten9)Spicilegium Solesmense. Tom. III. p. 338-373. . Die meiſten Artikel ſind proſaiſch, einzelne aus einem metriſchen Phyſiologus (Handſchrift des 14. Jahrhunderts) ergänzt. Spricht auch entſchieden die Neuheit dieſer Handſchriften gegen die Benutzbar - keit dieſer Textesformen als älterer Ausgangspunkte, ſo wird dieſer112Die Zoologie des Mittelalters.Uebelſtand doch dadurch wieder aufgewogen, daß die armeniſche Be - arbeitung, welche gleichfalls Pitrazuerſt veröffentlicht hat10)ebend. S. 374-390., nach griechiſchen Handſchriften des vierten und fünften Jahrhunderts gemacht iſt und in den weſentlichſten Punkten des Inhalts und der Form mit dem griechiſch erhaltenen Phyſiologus übereinſtimmt. Dieſem anony - men Phyſiologus ſchließt ſich als eine Art Auszug die eben angedeutete, dem Epiphaniusuntergeſchobene Schrift an, welche nach dem Her - ausgeber Ponce de Leon39 Artikel enthalten haben ſoll; doch ſind von dieſen nur zwanzig veröffentlicht11)S. Epiphanii εἰς τὸν φυσιολόγον, ad physiologum etc. D. Con - sali Ponce de Leonotium Antverpiae, 1588. 8. mit eingedruckten Kupfern, Dar - ſtellungen der Thiere enthaltend. Hiervon ſind drei Handſchriften in Wien. — Das Gedicht des Manuel Phileaus Epheſus († 1321) περὶ ζῴων ἰδιότητος hat zwar einige Züge des Phyſiologus aufgenommen; doch fehlt ihm ſowohl die Mo - raliſation als die Beſchränkung auf einen gewiſſen Kreis von Thieren..
Wahrſcheinlich die nächſt älteſte und jedenfalls als Ausgangspunkt der orientaliſchen Bearbeitungen die wichtigſte iſt die ſyriſche Ueber - ſetzung. Hiervon iſt bis jetzt nur die im Anfangstheil nicht ganz voll - ſtändige Recenſion aus einer Handſchrift des Vatican herausgegeben worden12)Physiologus Syrus seu Historia Animalium in S. S. memoratorum, syriace e codice bibl. Vatic. ed. O. G. Tychsen. Rostochii, 1795. 8. Eine andere Handſchrift eines ſyriſchen Phyſiologus aus dem 12. Jahrh. in Leyden be - ſchreibt Land (Anecdota Syriaca T. I. p. 5). Das Original wird dem Baſiliuszugeſchrieben. Ich verdanke der Güte des Prof. Land das Inhaltsverzeichniß dieſes Phyſiologus, welches ihn als vollſtändiger hinſtellt, als den vaticaniſchen. Ueber einzelnes Merkwürdige ſ. unten. Eine ſyriſche Historia Animalium (Handſchrift im British Museum, add. Mss. 25878), deſſen Inhaltsverzeichniß mir gleichfalls Prof. Land gütigſt mitgetheilt hat, ſcheint nicht in die Reihe der eigentlichen Phy - ſiologi zu gehören.. Das einzige publicirte Bruchſtück eines arabiſchen Phyſiologus13) Pitra, a. a. D. S. 535, nach einer pariſer Handſchrift. Ein anderer arabiſcher Phyſiologus, deſſen Original dem „ Theologen Gregorius “zugeſchrieben wird, befindet ſich handſchriftlich in Leyden. ſ. de Jonge, Catal. codd. orient. bibl. Acad. Scient. Lugd. Bat. 1862. p. 186 läßt keinen Schluß auf die Ausdehnung und die genea - logiſchen Beziehungen der Bearbeitung zu; nur eins iſt ſicher, daß der Verfaſſer Chriſt war. Der äthiopiſche „ Fiſalogus “iſt nur in einem113Phyſiologus.Artikel gedruckt (in Ueberſetzung), welcher ſich in den übrigen Bearbei - tungen nicht findet mit Ausnahme einer griechiſchen Handſchrift in Ox - ford. Er ſchließt ſich dem griechiſchen Texte eng an14) Pitra, a. a. D. S. 416. — Das Britiſche Muſeum beſitzt eine Hand - ſchrift des äthiopiſchen Phyſiologus, welcher 48 Thiere enthält. Abgeſehen davon, daß der „ Fiſalegos “hier zu einem Heiligen gemacht wird, iſt Form und Inhalt mit der älteren griechiſchen Form nahe übereinſtimmend. Die Thiernamen ſchließen ſich eng an das griechiſche Original, ſo karâdyôn, Charadrios, nîkîtîko, Ryſtiſorax, fîneks, Phoenix aspadaklônî, Aspidochelone u. ſ. w. Ich verdanke der großen Ge - fälligkeit des Herrn W. Wrightdie Kenntniß von Form und Inhalt dieſer Bearbei - tung, welche bei einer vergleichenden Ueberſicht der Entwickelung der verſchiedenen Recenſionen eingehend berückſichtigt zu werden verdient., ſo daß er nach Pitrawohl direct aus demſelben überſetzt ſein kann.
Das Datum der betreffenden Handſchriften weiſt zwar dem latei - niſchen Phyſiologus ein höheres Alter an als dem griechiſchen; doch wird er in Bezug auf ſeine Entſtehungszeit dem ſyriſchen mindeſtens gleich zu ſtellen ſein. Die älteſte Recenſion aus dem achten Jahrhundert enthält die aus einem Codex des Vatican nicht vollſtändig von Angelo Maiabgedruckte, von Pitranach einer Pariſer Handſchrift des Glos - sarium Ansileubi ergänzte Bearbeitung15) Ang. Mai, Classicorum Autorum Tom. VII. Romae 1835. p. 589-596. Pitra, a. a. D. p. 418-419. . Dieſer ſtehen am nächſten zwei Berner Handſchriften, welche kleine Verſchiedenheiten von ihr dar - bieten und von Cahierherausgegeben ſind16)Le Physiologus ou Bestiaire von Charles Cahierin: Cahieret Martin, Mélanges d'Archéologie, d'histoire et de littérature. Tom. 2. Paris, 1851. Introduction, p. 85-100. Texte (altfranzöſiſch und lateiniſch) p. 106-232. Tom. 3.1853. p. 203-288. Tom. 4. 1856. p. 55-87. (mit Thier - abbildungen im 2. Bde); verwandt hiermit ſind die gleichfalls von Cahierverglichenen Handſchriften aus dem zehnten (Brüſſel) und dreizehnten Jahrhundert (Paris). Einen andern nach Form und Inhalt nur in untergeordneten Punkten abweichenden lateiniſchen Phyſiologus nach einer Handſchrift des elften Jahrhunderts des Klo - ſters Göttweih hat G. Heiderveröffentlicht17)Mit einer geſchichtlichen Einleitung in: Archiv für Kunde öſterreich. Ge - ſchichtsquellen. 3. Jahrg. 1850. Bd. 2. S. 541-582. Mit Facſimile der Thierbilder. Hier wird wie in der eben erwähnten Pariſer Handſchrift als Verfaſſer Johannes Chryſoſto - musgenannt. Handſchriften dieſer letztern Bearbeitung ſind nicht ſelten.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 8114Die Zoologie des Mittelalters.Ein kurzer metriſcher Auszug, in welchem nur zwölf Thiere be - handelt werden, iſt der lateiniſche Phyſiologus eines gewiſſen Theo - bald. Wer dieſer Theobaldgeweſen ſei, iſt nicht ſicher ermittelt. Häu - fig heißt er Biſchof und wird, wie Pitraanführt, in Handſchriften bald als Senensis bald als Placentinus bezeichnet. Sein Phyſiologus iſt in Handſchriften vielfach verbreitet. In Folge des Umſtandes, daß er ſich in einer Handſchrift aus dem dreizehnten Jahrhundert unter den Schriften des Hildebertus Cenomanenſis vorfand, ſchrieb ihn deſſen Herausgeber Beaugendre dem letztern zu und ließ ihn, wie er fälſch - lich glaubte zum erſtenmale, in deſſen Werken (S. 173) mit ab - drucken18)Bereits Leſſing(Werke herausgeg. von Lachmann. Bd. 11. S. 309) hat darauf aufmerkſam gemacht, daß der bei Hildebert abgedruckte Phyſiologus nicht von dieſem herrühre, ingleichen, daß er ſchon früher gedruckt worden ſei. Ueber die Ausgaben des Theobaldſ. Choulant, Handbuch der Bücherkunde für die ältere Medicin. Leipzig, 1841. S. 310.. Man findet ihn indeſſen ſchon in Handſchriften aus dem elften Jahrhundert (Britiſh Muſeum), während Hildebert der erſten Hälfte des zwölften Jahrhunderts angehört. Es iſt daher auch eine hiſtoriſche Unmöglichkeit, daß TheobaldErzbiſchof von Paris geweſen ſei, wie Heiderihn nennt, da Paris zu jener Zeit nur Bisthum war und Erzbisthum erſt 1622 wurde. Dieſer Theobaldkann auch über - haupt kein Pariſer Biſchof geweſen ſein, da der einzige Biſchof dieſes Namens von 1143-1159 regierte. Thierfelder's Wink verdient daher alle Beachtung, daß der Verfaſſer des Phyſiologus wohl der - jenige Theobaldgeweſen ſein könne, welcher 1022-1035 Abt in Monte Caſſino war. Von dieſem findet ſich dort noch eine Handſchrift aus dem elften Jahrhundert, welche außer mehreren mediciniſchen Ab - handlungen auch eine naturwiſſenſchaftliche de quadrupedibus et al - tilibus in Verſen enthält19)ſ. Salv. de Renzi, Cellectio Salernit. Tom. I. Napoli, 1852, p. 39. Auch Pitraverweiſt ihn in die Zeit des Conſtantinus Africanusa. a. D. p. LXXI. . Die Beſtätigung dieſer Vermuthung würde freilich nur durch eine Vergleichung dieſer Handſchrift zu erhal - ten ſein. Eine ziemlich genau dem Original ſich anſchließende Ueber - ſetzung dieſes Theobaldſchen Phyſiologus in's Altengliſche iſt nach einem Manuſcript aus dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts in115Phyſiologus.neuerer Zeit wiederholt abgedruckt worden20)Zuerſt von Th. Wrightin Hauptund Hoffmann, altdeutſche Blätter. 2. Bd. Leipzig, 1840. S. 99-120; dann von Wrightnochmals in deſſen und HalliwellReliquiae antiquae. Vol. I. London, 1841. p. 208-227; endlich in Mätzneru. Goldbeck, Altengliſche Sprachproben. Bd. 1. Abth. 1. Berlin, 1867. S. 55-75; mit einer litterarhiſtoriſchen Einleitung. Es ſind in derſelben nur zwei Thiere (Hirſch und Fuchs) umgeſtellt; auch iſt hinter der Schil - derung des Panthers, welche im lateiniſchen Original den Schluß bil - det, noch außer dem vorher abgehandelten Turtur eine kurze Notiz: natura columbae et significatio angehängt. Die Ueberſetzung entſtand nach Morris im Süden von England21)Morris, Genesis and Exodus. London, 1865. Preface p. XV. „ in the dialect of Suffolk “. . Es iſt auch eine Nachah - mung des Theobaldſchen Phyſiologus in altfranzöſiſchen Verſen vor - handen22)Sensuyl le bestiaire d'amours, moralisé sur les bestes et oyseaulx le tout par figures et histoyres. Paris, s. a. 4°, von neuem gedruckt: Paris, 1529. 4. vergl. Thierfelderim Serapeum, 1862. S. 231..
Von Ueberſetzungen des älteren Phyſiologus in andere neuere Sprachen dürfte die althochdeutſche die älteſte ſein. Herausgegeben ſind: ein Bruchſtück aus dem elften Jahrhundert, der vollſtändige Phy - ſiologus in ungebundener Rede aus dem Anfang des zwölften Jahr - hunderts (beides Wiener Handſchriften)23)Das Bruchſtück, mitten im Satze abbrechend, zuerſt in: F. v. d. Hagen, Denkmale, Breslau, 1824. S. 50-56. dann von Hoffmann, Fundgruben. 1. Thl. Breslau, 1830. S. 17-22; endlich neuerdings in Müllenhoff und Scherer, Denkmäler deutſcher Poeſie und Proſa. Nr. LXXXI. S. 199-203. Der vollſtändige Phyſiologus erſchien zum erſtenmale in Hoffmann's Fundgru - ben, a. a. D. S. 22-37; faſt gleichzeitig in Graff's Diutis Bd. 3. 1829. S. 22-39; dann in Waßmann's deutſchen Gedichten des zwölften Jahrhun - derts. 2. Thl. Quedlinburg u. Leipzig, 1837. S. 311-325. und eine Bearbeitung des Ganzen in Verſen nach einer Klagenfurter (früher Millſtadter) Hand - ſchrift des zwölften Jahrhunderts24)Herausgegeben von Karajan in: deutſche Sprachdenkmale des zwölften Jahrhunderts. Mit 32 Bildern (den Thierzeichnungen) Wien, 1846. S. 71-106..
Der faſt vollſtändig erhaltene isländiſche Phyſiologus ſchließt ſich zwar in vielen allgemeinen Beziehungen dem lateiniſchen und alt - hochdeutſchen an, ſteht aber in Einzelheiten ziemlich ſelbſtändig da. 8*116Die Zoologie des Mittelalters.Eine Veröffentlichung deſſelben wäre in Rückſicht auf das große Inter - eſſe, welches dieſes Stück altnordiſcher Litteratur fachlich und formell darbietet, äußerſt wünſchenswerth25)Pergamenthandſchrift der Kopenhagener Bibliothek aus dem 13. Jahr - hundert. Der treuen Theilnahme meines lieben Freundes des Prof. Theodor Mö - biusin Kiel verdanke ich ein lithographirtes Facſimile dieſes merkwürdigen Stückes mit einer Ueberſetzung, ohne welche ich den koſtbaren Schatz nicht hätte heben kön - nen. Möchte er ſeinen Vorſatz bald ausführen, dieſen intereſſanten Beleg für die geographiſche Verbreitung des Phyſiologus herauszugeben..
Von einem angelſächſiſchen Phyſiologus ſind leider nur Bruchſtücke erhalten, Panther und Walfiſch vollſtändig und ein Frag - ment vom Rebhuhn. Das Vorhandene weiſt ihn in die Reihe der üb - rigen Bearbeitungen. Er iſt metriſch, ſchließt ſich aber nicht an Theo - bald, ſondern an den ausführlicheren anonymen Phyſiologus an26)Herausgegeben in: Grein, Bibliothek der angelſächſiſchen Poeſie. Bd. 1. Göttingen, 1857. S. 233-238..
Der Angabe des Herausgebers zufolge gehört der provença - liſche Phyſiologus dem dreizehnten Jahrhundert an. Er ſteht zwar ſeinem ganzen Inhalte nach nicht völlig iſolirt, nimmt aber doch durch ſeine etwas abweichende Form den andern Bearbeitungen gegenüber eine beſondere Stellung ein27)Abgedruckt in: Bartsch, Chrestomatie provençale. Elberfeld, 1868. Sp. 325-330. Auch fehlen ihm die Moraliſationen.
Schon früher war der Phyſiologus oder Beſtiarius in verſchiedne altfranzöſiſche Dialekte überſetzt worden. Als älteſte Bearbeitung iſt die metriſche normanniſche des Philippede Thaun zu nennen, welche 1121 verfaßt wurde und zwar im Ganzen ziemlich ausgeführt iſt, aber doch den lateiniſchen, überhaupt älteren Formen ſehr nahe ſteht28) PhilippusTaonensis, bestiarius. abgedruckt in: Th. Wright, Popular treatises on science written during the middle ages. London, 1841. p. 74-131; nach einem Cottonian Manuſcript in London. Eine andere Hand - ſchrift findet ſich in Kopenhagen. ſ. Abrahams, Descript. des Manuscr. franç. du moyen âge de la bibl. roy. de Copenhague. Copenh. 1844. Nr. XIX. p. 44. . Ziemlich hundert Jahre ſpäter (ungefähr 1210) brachte ein andrer Troudère normand, Guillaume, auch clerc de Normandie genannt, den Phyſiologus nochmals in Verſe29)Le bestiaire divin de GuillaumeClerc de Normandic. publié par. Faſt gleichzeitig mit117Phyſiologus.letzterem verfaßte ein Geiſtlicher aus der Picardie, Pierre, einen pro - ſaiſchen Phyſiologus in der Sprache des Beauvoiſis30)bei Cahiera. a. D. in einer der benutzten Handſchriften wird auch hier Johannes Chryſoſtomusals Verfaſſer des Originals genannt.. Es werden auch ſpäter franzöſiſche Umbildungen des lateiniſchen proſaiſchen Phy - ſiologus angeführt, deren Abfaſſungszeit indeſſen unbekannt iſt. Auch iſt ohne Kenntnißnahme der betreffenden Publicationen nicht zu ermit - teln, in welchem Verhältniß dieſelben zum Original ſtehen31)Hierher gehört die Schrift eines Ungenannten: Les dictz des bêtes et aussi des oyseaulx. Paris, s. a. 4°. wieder abgedruckt: Paris, 1830. 8°.. Eigen - thümlich iſt jener beſondere Zweig der Phyſiologus-Litteratur, bei wel - chem die Deutungen der Thiere nicht chriſtlich allegoriſch-myſtiſch, ſon - dern im Sinne eines ziemlich derben Minnedienſtes ausfielen. Hierher gehört die Schrift des Richardde Fournival32)Bestiaire d'amour par Richardde Fournival. publié par C. Hip - peau. Paris, 1860. .
Hiermit ſchließt die Reihe der eigentlichen Phyſiologi ab. Es fin - den ſich zwar wie ſich zeigen wird in ſpäteren allgemein culturgeſchicht - lichen oder ſpeciell zoologiſchen Schriften oder derartigen Theilen an - derer Werke des Mittelalters hinreichende Beweiſe für den nachhaltigen Einfluß der in dem Phyſiologus vertretenen Richtung. Die Dar - ſtellung erhielt aber eine andere Form.
Nach dem Titel der kleinen Schrift ſollte man nun wie erwähnt zunächſt eine allgemeine Naturgeſchichte erwarten, da ja auch ſowohl die täglichen Erfahrungen auf Erſcheinungen der belebten wie der un - belebten Natur hinwieſen, als auch die religiös-allegoriſche Betrachtung aus dieſen allen Nahrung ziehen konnte. In der That enthalten die älteren und vollſtändigeren Bearbeitungen neben den Thiergeſchichten29) C. Hippeau; Caen, 1852. mit ſehr guter Analyſe; wieder abgedruckt von Cahierin: Mélanges d'Archéol. a. a. D. Hieran würde ſich der leider nicht veröffentlichte metriſche Volucrarius desGuillaume Osmontſchließen, welcher ſehr beliebt und verbreitet geweſen ſein muß, da noch im 15. JahrhundertJohannde Beauveau, Biſchof von Angers eine proſaiſche Umarbeitung deſſelben unternahm. ſ. Roque - fort, de l'état de la poésie franç. dans les XII. et XIII. siècles. Paris, 1815. p. 254. 255. Hist. littér. de la France par les Bénédict. de St. Maur. T. XVI. Paris, 1825. p. 220. 118Die Zoologie des Mittelalters.auch Schilderungen einzelner Steine ebenſo wie ſolche einiger Pflanzen. Wie dieſelben aber an Zahl den aufgeführten Thieren in allen bekann - ten Phyſiologen außerordentlich nachſtehen, ſo verſchwinden ſie in ſehr vielen ganz oder es bleiben nur ganz beſtimmte übrig. Erſt wenn ſich in den jüngſten Bearbeitungen die Auffaſſung etwas erweitert, der Phy - ſiologus zu allgemeinen Naturſchilderungen zu verbreitern beginnt, er - halten Pflanzen und Steine einen größeren Platz eingeräumt. Von Pflanzen kommen vor: der indiſche Baum Peridexion, von deſſen ſüßen Früchten ſich die Tauben ernähren und in deſſen Schatten ſie vor dem ihnen nachſtellenden Drachen ſicher ſind33)Auf welche Stelle der Bibel ſich die Erwähnung dieſes Baumes gründet, iſt mir nicht gelungen zu ermitteln. Die Allegorie nimmt den Baum für Gott, den Schatten für den heiligen Geiſt und bezieht ſich auf Luc. 1, 35. Mit der Bezeich - nung des Baumes ſtehen vielleicht in Zuſammenhang die Worte des Clemens Alex.(Opp. Potter, Strom. lib. VI. p. 791): ὁ περιδέξιος ἡμῖν καὶ γνοστικὸς ἐν δικαιοσύνῃ ἀροκαλύπτετας δεδοξασμένος. Die Fabel reicht bis ins vierzehnte Jahrhundert. Die einzige Stelle, an welche man des verwandten Sinnes wegen denken könnte, findet ſich bei Plinius(XVI, 13, 64. Sillig), wo es heißt, daß die Schlangen den Baum fraxinus, ſelbſt deſſen Schatten fliehen.; der Feigenbaum; die Mandragora; endlich (in dem leydner ſyriſchen Phyſiologus) Schier - ling und Nieswurz. Unter den aufgeführten Steinen ſind die am häufigſten vorkommenden: die feuerbringenden oder entzündlichen; der eine derſelben iſt männlich, der andere weiblich; berühren ſich beide, ſo entſteht ein ſtarkes Feuer34)Bei der Beſchreibung des neuen Jeruſalem, Jeſaj. 54, 12, heißt es im Original, die Thore ſeien von Ekdach אֶקְדַּח, von קַדָח, entzünden. Vermuthlich gründet ſich das Vorhandenſein der lapides igniferi, λίθος πυροβόλος, turrobo - len, cerobolim in den Phyſiologis auf dieſe Stelle, in einer nicht nachweisbaren Uberſetzung. Die LXX hat λίθος κρυστάλλος; daß Kryſtall mit Karfunkel über - ſetzt wurde (wie bei Schleusner s. v. κρυσταλλον, wo er anführt: „ אֶקְדַּח, car - bunculus “) iſt doch nicht entſcheidend; auch hat die Vulgala lapides sculpti. . Außer dieſen werden noch Eigenſchaf - ten des Diamant, Achat, der Perlen und des „ indiſchen Steins “er - wähnt. Der Achat dient beim Perlenfang. Der „ indiſche Stein “iſt heilkräftig gegen die Waſſerſucht, eine Fabel, welche noch im 13. Jahr - hundert bei den Kyraniden und Thomasvon Cantimpré vorkommt. Ausführlicher, zahlreicher und beſtimmter ſind die Thierſchilderungen.
Werden aus den oben aufgezählten Ausgaben der in verſchiedenen119Phyſiologus.Sprachen verfaßten Phyſiologen die Thiere nach der Häufigkeit ihrer Er - wähnung angeordnet, ſo ergibt ſich folgende Reihe. 1. Säugethiere: Panther, Sirenen (und Onocentauren), Antilope, Elefant, Löwe, Fuchs, Biber, Hirſch, Igel, Einhorn, Hyäne, eine Delphinart, Säge genannt, Ziege (Steinbock), Walfiſch, Wildeſel, Affe und Wieſel; 2. Vögel: Adler, Charadrius, Nyktikorax, Pelikan, Phönix, Fulica, Rebhuhn, Wiedehopf, Krähe (oder ſpäter Turteltaube), Strauß, Taube, Ibis, Schwalbe; 3. Reptilien und Amphibien: Schlange, Hydrus, Salamander, Viper, Lacerta ſolaris, Aspis; 4. Arthropoden: Ameiſe. Außer dieſen 37 Arten werden noch einige vierzig andere, die meiſten aber nur in einzelnen Bearbeitungen, ſelten in zweien oder mehreren erwähnt. Als in den älteſten Phyſiologen vorkommend und wegen ihrer eigenthümlichen Geſchichte intereſſant verdienen nur noch der Ichneumon, die Turteltaube und der Ameiſenlöwe eine Erwähnung.
Schon die eigenthümliche Auswahl, welche die eben aufgezählten Thiere darbieten, führt zu der Annahme, daß es ſich hier um gewiſſe, nicht willkürlich aus der ganzen Thierwelt herausgegriffene Arten han - delt. Der erſte Schriftſteller, welcher hier wohl entſchieden das Rich - tige traf, war Tychſen, wenn auch der Beweis für ſeine Meinung nicht Stich hält. Er nannte in ſeiner Ausgabe des ſyriſchen Phyſiolo - gus denſelben: „ Geſchichte der in der Bibel erwähnten Thiere “und führt dazu den Umſtand an, daß bereits von Origenesder Phyſiologus als „ älteſter Schriftſteller über die Thiere der Bibel “angezogen ſei35)Vorrede zum Phyſiologus ſyrus. S. IX, X. . Origeneswill aber nur die betreffende Stelle durch einen Hinweis auf einen Naturkundigen im Allgemeinen erklären36)In der 17. Homilie, zu Geneſis 49, 9 (Opera ed. Delarue. T. II. p. 107) heißt es: nam physiologus de catulo leonis haec scribit. Dieſe Homilie iſt allerdings nicht mehr im griechiſchen Original, ſondern nur in der lateiniſchen Ueberſetzung des Rufinus erhalten; doch ſteht die Aechtheit derſelben, wie mir mein verehrter Freund Tiſchendorf mittheilt, außer Zweifel.; und es iſt wohl kaum anzunehmen, daß zu ſeiner Zeit eine beſondere Naturgeſchichte der Bibel entſtanden ſei. Auch Epiphaniusſagt37)nicht in dem ihm zugeſchriebenen Phyſiologus, ſondern adversus haeres. lib. I. Tom. III. (Opera ed. Petavius. p. 274). Auf dieſe Stelle hat ſchon Ponce bei Erwähnung120Die Zoologie des Mittelalters.der Eigenſchaften der Schlangen: „ wie die Naturkundigen ſagen (ὥς φασιν οἱ φυσιολόγοι) “.
Für die Anſicht, daß der Phyſiologus urſprünglich nur Thiere der Bibel enthalten habe, ſpricht zunächſt der Umſtand, daß in den ein - facheren älteren Formen deſſelben, z. B. dem ſyriſchen, jede Moraliſa - tion fehlt, dagegen bei der Mehrzahl der Thiere eine Bibelſtelle citirt oder wenigſtens durch einen allgemeinen Hinweis erwähnt wird, wie: „ das Geſetz ſagt “, oder „ Johannes, Salomon, David führt an “u. ſ. w. Faſt möchte man an einen bibelkundigen Verfaſſer denken, wenn es in einzelnen Fällen heißt: „ der Phyſiologus ſagt vom Vogel Ibis, daß er nach dem Geſetz ein unreiner Vogel ſei “38)So im Physiologus syrus; auch beginnt ein griechiſcher (Handſchrift des 15. Jahrh. ): όν ἐστι κατὰ τὸν νόμον ἡ ῖβις· κολυμβᾶν οὐκ οἦδε u. ſ. w.. Dies iſt indeß ſicher nicht die urſprüngliche Form, in welcher der betreffende Abſchnitt auftrat, ſondern wahrſcheinlich eine durch einen ſpätern Ueberſetzer hineinge - brachte Redeweiſe. Einen weiteren Beweis für die bibliſche Herkunft der Thiere im Phyſiologus ergibt die Thatſache, daß ſie faſt ſämmtlich auf Bibelſtellen zurückgeführt werden können. Hierdurch wird vor Allem die merkwürdige Zuſammenſtellung erklärt.
Nun enthält aber das von den Thieren Ausgeſagte nicht etwa eine vollſtändige Naturſchilderung, ja nicht einmal das die Arten vorzüg - lich Charakteriſirende, ſondern entweder einen durch die betreffende Bibelſtelle direct dargebotenen Zug aus der Lebensgeſchichte des Thie - res, welcher ſich durch naturgeſchichtliche Schriftſteller des Alterthums beſtätigen läßt, oder irgend eine Erzählung, welche, wenn ſie nur eini - germaßen mit dem über das Thier ſonſt Bekannten zu vereinigen iſt, der allegoriſchen Deutung eine bequeme Handhabe darbieten konnte. Dieſe letztere ſteht in den älteren Formen, z. B. dem griechiſchen Phy - ſiologus, noch ſelbſtändig der naturgeſchichtlichen Notiz gegenüber, drängte aber in den ſpätern Bearbeitungen das eigentlich „ Phyſiolo - giſche “immer mehr in den Hintergrund. Wie ſehr dieſe Allegorien und37) de Leonin der Vorrede zu ſeiner Ausgabe des Phyſiologus, neuerdings Goldbeck(bei Mätznera. a. O.) aufmerkſam gemacht.121Phyſiologus.Moraliſirungen im Charakter der erſten chriſtlichen Zeiten lagen, be - weiſt nicht bloß die reiche ſymboliſche Litteratur, welche von der „ Clavis “des heiligen Melito vom Ende des zweiten Jahrhunderts beginnend (von Pitrazuerſt herausgegeben) ſich immer ausgebreiteter entwickelte und zu welcher ſelbſt Männer wie Hrabanus Maurusſelbſtändig bei - trugen, hauptſächlich in Hinblick auf die in ihr liegende Förderung zum wirkſamen Predigen, ſondern vorzüglich auch der ausgedehnte Gebrauch, welchen die bildenden Künſte von den dargebotenen Symbolen machten. Es braucht hier beiſpielsweiſe nur an die eine Thatſache erinnert zu werden, wie ſehr der heilige Bernhardüber die übermäßigen Verwen - dungen von Thiergeſtalten bei Verzierung der Kloſtergebäude und Kir - chen ſich ereiferte. Die Thierſymbolik überhaupt und beſonders nach dieſer Richtung hin zu verfolgen, iſt indeß hier nicht der Ort39)vergl. unter andern die oben angeführten Arbeiten von Cahier, Heiderund Koloff. Ferner Mme Félicie d'Ayssac, sur les bestiaires in: Revue d'architecture. Tom. 7. 1847. p. 48. 66. 97. 123. 177. 321. .
Indem nun rückſichtlich der Darſtellungsweiſe in den Phyſiologis auf die oben angeführte Litteratur verwieſen wird, ſoll zunächſt der Verſuch gemacht werden, für die wichtigſten Thiere in der erwähnten Reihenfolge die betreffenden Bibelſtellen, ſowie die Quellen für die mitgetheilten Züge aus der Lebensgeſchichte der Thiere nachzuweiſen. Es wird ſich dabei, wie ſchon hier bemerkt werden mag, herausſtellen, daß ſowohl für den Phyſiologus als für die Bibelüberſetzungen noch ältere Zeugniſſe fehlen.
Vom Panther wird erzählt, daß er bunt ſei, nach der Sätti - gung drei Tage ſchlafe, dann mit Gebrüll erwache und einen ſo ange - nehmen Geruch von ſich ausgehen laſſe, daß alle Thiere zu ihm kom - men. Nur der Drache iſt ſein Feind. Ausdrücklich wird angeführt, der Prophet ſage: „ ich werde wie ein Löwe ſein dem Hauſe Juda und ein Panther dem Hauſe Ephraim “. Dies iſt die griechiſch-alexandriniſche Ueberſetzung der Stelle Hoſea 5, 14. Die Buntheit des Panthers (auch Pardalis) erwähnt Ariſtoteles(de gener. anim. 5, 69), den Geruch, der andern Thieren angenehm iſt, derſelbe (hist. anim. 9, 43) und Spätere (ſo Aelian, hist. anim. 5, 40). Der dreitägige Schlaf122Die Zoologie des Mittelalters.ſowie die Feindſchaft mit dem Drachen ſcheinen ſelbſtändige Zuſätze Späterer zu ſein.
Die Sirenen und Onocentauren ſind gleichfalls durch die griechiſch-alexandriniſche Bibelüberſetzung in den Phyſiologus gekom - men, da dieſelbe bei mehreren Stellen, z. B. Micha 1, 8, Hiob 33, 29, Jeſaja, 13, 22 und 34, 11, wo im Original entweder Strauß oder Walthier oder Steine erwähnt werden, die betreffenden Worte mit Sirenen oder Onocentauren wiedergibt. Die bekannte Fabel von die - ſen widernatürlichen Miſchweſen erwähnen viele alte Autoren, bei - ſpielsweiſe Aelian17, 9 und 17, 22.
Schwieriger iſt es, den Urſprung der Antilope im Phyſiologus nachzuweiſen. Zunächſt fällt ſchon die Verſchiedenheit der Namen auf. Bei Epiphaniusheißt das Thier Urus, bei den übrigen griechiſchen Phyſiologus-recenſionen Hydrops oder Hydrippus. Im Hexameron des Euſtathiuswird es Antholops genannt und aus dieſer letzteren Form iſt dann die Reihe allmählich immer mehr verſtümmelter Namen entſtanden, welche ſich in den armeniſchen, lateiniſchen, deutſchen und franzöſiſchen Phyſiologis finden, nämlich Utolphocha und Tolopha (ar - meniſch), Antalops, Autolops, Autula, Aptalon, Aptalops. Hierher gehört wohl auch die Form des Namens im ſyriſchen Phyſiologus: Rupes. Sicher iſt, daß dieſe verſchiedenen Namen das Thier bezeich - nen ſollen, welches im hebräiſchen Original Jachmur heißt und 5. Moſe 14, 5 unter den reinen Thieren angeführt wird. Denn dieſelbe Ge - ſchichte, daß es ein großes ochſenähnliches Thier ſei mit ſägeförmigen Hörnern, welches am Euphrat (oder am Meere) ſeinen Durſt löſcht und dann dort mit den Hörnern in den Zweigen eines (zuweilen be - nannten) Gebüſches verwickelt ſich fangen laſſe, erzählen ganz ähnlich Damiriund Kazwinivon dem arabiſchen Jamur, wie Bocharther - vorhebt40) Bochart, Hierozoicon. Tom. I. col. 912 (Frankfurter Ausgabe).. Weder die griechiſch-alexandriniſche Ueberſetzung noch die Vulgata, deren beider Worte ſonſt genau im Phyſiologus beim Anfüh - ren von Bibelſtellen wiedergegeben werden, kennen einen Antholops oder Urus. Talmudiſten und auch Tychſenhalten das Thier ebenſo ohne123Phyſiologus.Grund für den Dammhirſch, wie Berger de Xivreyfür das Elenn41)Traditions tératologiques. Paris, 1836. p. 299-302; aus der Schrift de monstris et belluis (Handſchrift des 10. Jahrhunderts).. Da mehrere andere Züge im Phyſiologus auf eine Ent - ſtehung deſſelben in Alexandrien unter der Wirkung nicht mehr (oder noch nicht) nachzuweiſender koptiſcher Einflüſſe hinweiſen (vergl. unten die Artikel Wildeſel und Phönix), ſo liegt der Gedanke nahe, auch hier der Andeutung Bochart's zu folgen42)a. a. O. col. 914. und das Wort Antholops auf das koptiſche Pantholops zurückzuführen, was an der erwähnten Stelle (und an andern, z. B. 1. Könige, 4, 23) für das, auch von der ſyriſchen Peſchito beibehaltene, Jachmur gewählt ſein dürfte. Das Naturgeſchichtliche iſt auf beſtimmte Angaben älterer Autoren nicht zu - rückzuführen, ſondern iſt aus Einzelheiten zuſammengeſetzt, welche an Factiſches anknüpfend in's Fabelhafte erweitert ſind.
Für den Elefanten brauchen keine bibliſchen Citate angeführt zu werden; ſeine Erwähnung im alten und neuen Teſtamente iſt zwei - fellos43)Intereſſant iſt es, daß der Elefant im isländiſchen Phyſiologus, wie ſchon im 10. Jahrhundert in der altisländiſchen Poeſie, mit dem perſiſchen Namen Phil benannt wird, welcher wohl ſicher mit der Verbreitung der Alexanderſage nach Norden gekommen war. Das hier über den Elefanten Geſagte iſt aber von den an - dern Phyſiologis verſchieden und ſchließt ſich an die Elefanten im 1. Maccab. 3,34; 8, 6, beſonders aber 6, 37 an.. Das Naturgeſchichtliche, was der Phyſiologus von ihm an - gibt, ſetzt ſich aus mehreren Angaben zuſammen. Daß er die Kniee nicht beugen kann (daher ſtehend ſchläft) erwähnen Strabo, Diodor, Aelian, Solinus, Agatharchides(nach Ariſtoteles, hist. anim. 2, 5 ſoll er ſich nur nicht zugleich auf beide Beine niederlaſſen können, wes - halb er ſich auf die eine oder die andere Seite neige). Die Mandra - gora (die Dudaim der Lea) wird allerdings bei andern Autoren nicht ſo wie im Phyſiologus direct mit der Fortpflanzung des Elefanten in Beziehung gebracht. Dagegen erwähnt Aelian(8, 17) ſeine Begattung und ſeine Schamhaftigkeit. Auch der Feindſchaft zwiſchen Elefant und Drachen gedenkt Aelian(6, 21).
Die Schilderung des Löwen, von dem gleichfalls mehrere „ Na -124Die Zoologie des Mittelalters.turen “erwähnt werden, wird meiſt mit einem Hinweis auf 1. Moſe 49, 9 eingeleitet. Die Einzelheiten aus ſeinem Leben ſind indeß wie die aus dem Leben des Elefanten Ausſchmückungen einfacherer älterer Angaben. So wird geſagt, daß der junge Löwe nach der Geburt drei Tage wie todt ſei, bis am dritten Tage ſein Vater kommt, ihm in's Geſicht bläſt und ihn dadurch belebt. Hierfür wird in der angehängten Moraliſation noch 4. Moſe 24, 9 angeführt (ein junger Löwe, wer wird ihn erwecken?). Thatſächlich führt aber Ariſtotelesnur an, daß der Löwe zu den Säugethieren gehöre, welche wie der Fuchs und Bär faſt ungegliederte Junge gebären44) Ponce de Leonführt zu den Worten des Phyſiologus an: ita edi leo - nem narrant Ariſtoteleset Plinius. Ariſtotelesſagt aber nur (de gener. anim. 4, 95:) τὰ μὲν ἀδιράθρωτα σχεδὸν γεννᾷ καθάπερ ἀλώπηξ ἄρκτος λέον. Heiderſchreibt dem Ponce de Leonnach: „ dies erzählen in gleicher Weiſe Ariſto - telesund Plinius“(a. a. O. S. 553), ohne ſich von der Unrichtigkeit dieſes Citats überzeugt zu haben.; hierin folgt ihm Plinius(8, 45). Statt der Angabe des Phyſiologus, daß der Löwe während des Schlafs mit den Augen wache45)„ Cum dormierit leo vigilant ejus oculi “. Etwas ähnliches findet ſich übrigens bei Plutarch, wie ſchon Ponce de Leonangibt., erzählt Aelian(5, 39), daß er während des Schlafes ſogar den Schwanz bewege. Nur die Liſt, beim Bemerken des Jägers die Spur zu verwiſchen, wird, freilich auch nicht ganz in der - ſelben Weiſe, aber doch dem Sinne nach übereinſtimmend von Aelianerzählt (hist. anim. 9, 30).
Häufig wird in der Bibel der Fuchs erwähnt. Was der Phyſio - logus von ihm erzählt, daß er ſich wenn er hungert todt ſtellt, um Vögel zu fangen, findet ſich im Oppian(Halieutika, 2, V. 107-119), welcher es jedenfalls aus älteren Quellen oder Volkserzählungen auf - nahm46)Im ſyriſchen Phyſiologus ( Tychſen) heißt der Fuchs „ Thalo “. In dem Londoner Manuſcript eines ſyriſchen Thierbuches wird wie es ſcheint dieſelbe Ge - ſchichte vom „ Elolo “erzählt. Letzteres iſt aber der Schakal. Es würde alſo hier eine ähnliche Stellvertretung des Fuchſes durch den Schakal vorliegen, wie in der Thierfabel..
Auf welche Stelle der Bibel ſich die Erwähnung des Bibers125Phyſiologus.im Phyſiologus gründet, iſt nicht ſicher nachzuweiſen, da in keiner der erhaltenen Ueberſetzungen dieſer Name vorkommt. Die einzige Erklä - rung würde, wenn ſich die Deutung auf frühere Quellen zurückführen ließe, die Ueberſetzung des hebräiſchen Anaka mit Biber darbieten, wie ſie, Kimchi zufolge, Rabbi Schalomon gibt47)vergl. Bochart, Hierozoicon. I. col. 1067. ſ. auch Lewyſohn, die Zoologie des Talmud. Frankfurt a. M. 1858. S. 98.. Die Geſchichte, welche der Phyſiologus von ihm vorbringt, daß er wenn er ſich verfolgt ſieht ſeine Teſtikel abbeißt und den Jägern hinwirft, welche ihn dann ruhig ziehen laſſen, wird von mehreren alten Schriftſtellern erzählt, ſo von Plinius(8, 109), Aelian(6, 34), Solinus(13, 2), Horapollo(2, 65).
Vom Hirſch wird in mehrfachen Abänderungen erzählt, daß er der Schlange Feind ſei, ſie aus ihrer Höhle hervortreibe und tödte und daß er dann zur Waſſerquelle gehe, um des Giftes ledig zu werden. Man bezieht ſich dabei meiſt auf den Anfang des 42. Pſalms. Eine ſolche Beziehung zwiſchen Hirſch und Schlange ſcheint im Alterthume mehrfach angenommen worden zu ſein. Dies geht aus Stellen hervor, wie Aelian2, 9 und 8, 6, Lucrez6, V. 766; Martial12, Ep. 29.
Der Igel, zu deſſen Erwähnung wohl Jeſajas 14, 23 Veran - laſſung gegeben hat, iſt nicht ohne Bedeutung, da die Art, wie er an - geführt wird, auf die Heimath des Phyſiologus einiges Licht wirft. Wenn nämlich der griechiſche Phyſiologus, ſowie Euſtathiusim Hexae - meron die Stacheln des Igels mit den Stacheln des Seeigels vergleicht, um die Beſchreibung anſchaulicher zu machen, ſo ſetzt dies jedenfalls beim Leſer nahe Bekanntſchaft mit Seethieren voraus. Und dieſe läßt ſich doch nur in einem Küſtenlande erwarten. Was übrigens der Phy - ſiologus vom Igel mittheilt, daß er auf Weinſtöcke ſteigt, die Beeren löſt und dieſe dann auf ſeine Stacheln ſpießt, führt ſchon Aelianan (3, 10), nur daß er ſtatt der Beeren Feigen als die Frucht bezeichnet.
Das an mehreren Stellen der Bibel erwähnte Einhorn wird von mittelalterlichen Schriftſtellern noch bis in das 15. Jahrhundert ſo geſchildert, wie es der Phyſiologus thut. Die Erzählung, daß das126Die Zoologie des Mittelalters.ſonſt unzähmbar wilde Thier ſich einer reinen Jungfrau in den Schooß lege, ſanft werde und einſchlafe, wo es dann von Jägern gefangen oder getödtet wird, findet ſich bei Euſtathius, Iſidorvon Sevilla, Petrus Demiani, u. A. Bei Autoren des Alterthums iſt ſie nicht zu finden. Nach Bochart48)a. a. D. I. col. 941. iſt die Sage nur Uebertragung einer ſich z. B. bei Aelian(16, 20) findenden Geſchichte, daß das Einhorn während der Brunftzeit zahm werde und ſanft mit ſeinem Weibchen lebe. Was das Einhorn für ein Thier ſei, ob der „ indiſche Eſel “wie bei Ariſtoteles, oder ein hirſchartiger Wiederkäuer, lag dem Phyſiologus fern. Bei Späteren wird es zum Rhinoceros.
Auch der die Hyäne betreffende Abſchnitt weiſt auf die Ent - ſtehungsweiſe des Phyſiologus hin. Die griechiſche Bearbeitung deſ - ſelben führt nämlich die Stelle Jeremiah 12, 9 mit den Worten der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung an; der lateiniſche Phyſiologus folgte dieſer, während die Vulgata anders überſetzt hat49)σπήλαιον ὑαίνης ἡ κληρονομία μου ἐμοί, LXX; die Vulgata ſagt: avis diversicolor und nach ihr Luther: ein ſprenklichter Vogel. Der Göttweiher lateiniſche und die althochdeutſchen Phyſiologi führen Jeſaias an, die andern latei - niſchen (älteren), der griechiſche (bei Pitra), die altfranzöſiſchen citiren richtig Jere - mias. Heidererwähnt, daß die Stelle ſich nicht bei Jeſaias finde; ein Blick in eine Concordanz würde ihm den Fehler gezeigt haben.. Daß die Hyäne ihr Geſchlecht abwechſelnd verändere und bald männlich bald weiblich ſei, weiſt ſchon Ariſtotelesals unrichtig zurück (de gener. anim. 3, 6, 68); Aelianerzählt es aber wieder (1, 25). Nach Cle - mens Alexandrinusſoll ſich die Unreinheit des Thieres hierauf grün - den. Er bezieht ſich dabei, wie der ſyriſche und die lateiniſchen Phyſio - logi auf 5. Moſe 14, 7. Das dort erwähnte Thier iſt aber nicht Hyäne, ſondern nur von der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung dahin gebracht.
Die in den meiſten Bearbeitungen des Phyſiologus vorkommende Serra iſt eine Delphinart, von welcher hier etwas erzählt wird, was in ganz übereinſtimmender Weiſe Pliniusvom Delphin ſelbſt an - führt (9, 24)50)ebenſo Kazwiniin ſeiner Kosmographie.. Auf welchem Wege das Thier in den Phyſiologus127Phyſiologus.unter einem Namen gekommen ſein mag, welcher kaum mit Sicherheit auf eine beſtimmte Art zu beziehen iſt, iſt trotz der großen Ueberein - ſtimmung zweifelhaft. Daſſelbe Thier wird auch in den Commentaren zu dem Sechstagewerk der Schöpfung erwähnt (z. B. Euſtathius); auch wird hier gleichfalls angegeben, daß es mit erhobenen Schwingen (oder Floſſen) mit voll unter Segel gehenden Schiffen gewiſſermaßen wettſchwimme, bis es ermüdet umkehre. An die Echeneis kann wohl ebenſo wenig gedacht werden, als an die Argonauta.
Die Schilderung des Steinbockes (caprea, dorcas oder dor - con gr. ), welcher in der Bibel an mehreren Stellen erwähnt wird, ſchließt ſich am meiſten an Hohes Lied 8, 14. Auf ſein ſcharfes Geſicht weiſen ſchon ältere Etymologien ſeines griechiſchen Namens, von wel - chem alſo auch wahrſcheinlich die Deutung ausgieng. Pliniusſagt gar, daß er ſelbſt des Nachts ſähe (28, 11).
Die Sage von einem großen Walfiſch findet ſich mit den beiden im Phyſiologus erwähnten Zügen bei Baſiliusund Euſtathiusgelegentlich des Schöpfungsberichtes51) Baſiliusin der 7. Homilie zu 1. Moſe 1, 20, 21 (Opera ed. Garnier, Paris, 1721. Tom. I. p. 68); Euſtathiusim Commentar zum Hexaemeron (ed. Leo Allatius. Lugduni, 1729. p. 19). Der Name ἀσπιδοχελώνη kehrt über - all wieder, zum Theil verſtümmelt, aspidohelune, aspis, ſyriſch espes, angelſäch - ſiſch fastitocalon, in einer Leipziger lateiniſchen Handſchrift fastilon, isländiſch aspedo. Den im altfranzöſiſchen proſaiſchen Phyſiologus des Pierre Picard vor - kommenden Namen Lacovie betrachtet Cahierals Umwandlung von Maclovie und bringt ihn mit der Legende in Verbindung, nach welcher S. Malo (Maclovius) auf dem Rücken eines ſolchen Walfiſches die Meſſe geleſen haben ſoll., die gleich zu erwähnende Ge - ſchichte von der Inſelbildung ſchon bei Nearchus, dem Zeitgenoſſen Alexander's des Großen52)in der Ausgabe von C. Müller(Didot), Script. rer. Alex. p. 66. 25. Fragm.. Sie wird von allen Bearbeitungen des Phyſiologus wiedergegeben mit Ausnahme der ſpäteren lateiniſchen und der althochdeutſchen, vielleicht weil am Entſtehungsorte dieſer eine Be - kanntſchaft mit dem Meere und ſeiner Bewohner kaum vorausgeſetzt werden konnte. Der Walfiſch ſoll ſo groß werden, daß er mit dem Rücken aus dem Waſſer emporragend von den Schiffern für eine Inſel128Die Zoologie des Mittelalters.gehalten wird. Dieſe befeſtigen ihr Schiff an ihm, zünden Feuer auf ihm an und werden dann, wenn dem Thiere die Gluth fühlbar wird, in die Tiefe hinabgezogen. Hungert der Walfiſch, ſo ſperrt er den Rachen auf und durch den ſüßen Geruch, der von ſeinem Munde aus - geht, werden Maſſen kleiner Fiſche herbeigelockt, die er verſchluckt. Die Bibelſtelle, auf welche man ſich in Bezug auf die Erwähnung der As - pidochelone beruft, iſt Hoſea 12, 12, wo aber wie in mehreren andern Fällen das betreffende Wort erſt durch die griechiſch-alexandriniſche Ueberſetzung hineingekommen iſt53)Der ſyriſche Phyſiologus beginnt: Datur cetus in mari dictus aspis (espes) quae ipsa illa testudo est. Für testudo ſteht im Texte golo; und dies iſt das hebräiſche Wort גל〈…〉〈…〉 ם, was die LXX mit χελῶναι überſetzten.. Und ſchon der Umſtand, daß die genannten Kirchenväter des Thieres bei der Schöpfung der Waſſer - thiere Erwähnung thun, weiſt darauf hin, daß es nur eines äußern Anhaltes bedurfte, um eine verbreitete Sage, an welche ſich treffliche Moraliſationen knüpfen ließen, in den Phyſiologus zu bringen. Dieſen fand man dann wohl in der erwähnten Stelle, obſchon die Sage ſelbſt in ihrem Urſprung nicht aufzuklären iſt. Wie ſo viele andere im Phy - ſiologus erwähnte Sagen gieng auch dieſe zu den Arabern, wo ſie ſich bei Damiri, Kazwiniu. ſ. w. findet.
Der Wildeſel wird an mehreren Stellen der Bibel als Bild un - gezähmter Wildheit erwähnt, ſo Hiob 24, 5; 39, 5; Jeſaias 32, 14 und an andern Orten. Der Phyſiologus erzählt zunächſt von ihm (griechiſch, altfranzöſiſch, äthiopiſch), daß er die neugebornen Männchen aus Eifer - ſucht kaſtrire. Dies berichtet Plinius(8, 108) und nach ihm So - linus(27, 27; p. 136), ferner Oppian(Cyneget. 3, 205), wäh - rend Ariſtoteles(de mirabil. auscult. cap. 9) daſſelbe von ſyriſchen Pferden erzählt. Ferner wird aber noch angegeben (ſämmtliche Bear - beitungen, wo der Onager erwähnt wird), daß er am 25. März zwölf - mal in der Nacht und zwölfmal am Tage brülle, um die Tagundnacht - gleiche anzuzeigen. Hierbei iſt nun merkwürdig, daß in den älteren Recenſionen (bis zum 11. Jahrhundert ungefähr), beſonders der grie - chiſchen und den früheren lateiniſchen, der gebrauchte Monatsname koptiſch iſt, Faminoth, während ſpäter dafür der früher nur zuweilen129Phyſiologus.als Erklärung beigefügte Name März eintritt. Die einzige Stelle der Bibel, wo mit dem Onager eine Hinweiſung auf eine Zeit vorkommt, iſt Jeremias 2, 24. Wo der Monatsname (an der erwähnten Stelle heißt es nur „ Monat “) und gar der koptiſche herkommt, iſt vorläufig unerklärt54)Der griechiſche Phyſiologus (bei Pitra) leitet zwar dieſe Erzählung mit den Worten ein: ἔστιν ἡ ἄλλη φύσις τοῦ ὀνάγρου, ὅτι ἐν τοῖς βασιλείοις εὑ - ρίσκεται. Doch iſt weder in den Büchern der Könige, noch in denen Samuelis noch in der Chronika eine hierauf anwendbare Stelle zu finden. Den koptiſchen Mo - natsnamen führt übrigens auch Abdallatif(Relation de l’égypte. par S. de Sacy. p. 140) an, der ihn durch Adar erklärt, wie der griechiſche Phyſiologus beim Phö - nix; ebenſo überſetzen ihn mehrere der ſpäteren mit März..
Der Affe wird im Phyſiologus zweimal angeführt, einmal nur als Allegorie (der Schilderung des Onager meiſt angeſchloſſen) und zwar die ungeſchwänzte Form des Pithekus (ſo in den meiſten älteren Bearbeitungen und der isländiſchen); dann in den ſpäteren Recenſio - nen, um ſeine Jungenliebe zu erwähnen, in einer Weiſe, wie es ähnlich ſchon Pliniusund Solinus(27, 57) thun.
Mit dem Wieſel iſt eine eigenthümliche Verwechſelung vorge - gangen. Es wird 3. Moſe, 11, 29 und an andern Stellen erwähnt55)Nach Bochartiſt das hier genannte Thier der Maulwurf; alle Ueber - ſetzer geben es aber als Wieſel.. Ariſtotelesweiſt (de gener. anim. 3, 6, 66) ausdrücklich die Annahme zurück, daß das Wieſel ſeine Jungen durch das Maul zur Welt bringe. Es wird aber von den griechiſchen, ſyriſchen, lateiniſchen und altfran - zöſiſchen Phyſiologis gerade umgekehrt angegeben (wie auch von den arabiſchen Schriftſtellern ſpäterer Zeit), daß das Wieſel ſich mit dem Mund begatte und durch das Ohr gebäre. Eine pariſer Handſchrift eines lateiniſchen Phyſiologus bezeichnet dies allerdings als falſch; doch wird ſonſt kein Zweifel ausgedrückt. Da das Wieſel meiſt mit der Schlange Aspis zuſammen genannt wird, ſo hat vielleicht die von der Viper erzählte Geſchichte auf die Darſtellung des Vorgangs beim Wieſel unwillkürlich Einfluß gehabt. Doch iſt auch eine alte Verwechſelung zwiſchen dem Wieſel (γαλὴ) und einem Hai (γαλέος) möglich.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 9130Die Zoologie des Mittelalters.Die übrigen nur ein - oder wenigemale erwähnten Säugethiere hier durchzugehen, würde zu weit führen, obſchon ſich auch bei ihnen manche Nachweiſe auf die verſchiedenen den Bearbeitungen des Phy - ſiologus zu Grunde liegenden bibliſchen Texte ergeben.
Unter den Vögeln wird am häufigſten der Adler genannt. Man hatte hier die Verjüngung im Auge, wie ſie Pſalm 103, 5 im Allge - meinen, oder Jeſajas 40, 36 in Bezug auf das Wiederwachſen der Federn erwähnt wird. Daneben wird auch das im Alter eintretende hakenförmige Ueberwachſen des Oberſchnabels angeführt, deſſen bereits Ariſtoteles(hist. anim. 9, 117), Plinius(10, 3), Antigonus Ca - ryſtius(cap. 52) gedenken. Das dreimalige Untertauchen in eine reine Quelle zum Zwecke der Verjüngung iſt eine chriſtlich-allegoriſche Zu - that des Phyſiologus.
Daß der Charadrius durch den bloßen Blick heile, iſt im Alter - thum auf eine Krankheit, die Gelbſucht, beſchränkt geweſen; es wird bei Pliniusvom Icterus, bei Aelianvom Charadrius erzählt. Die Erweiterung der Fabel lag nahe. Der Name des Vogels rührt von der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung her56)In Bezug auf die griechiſche Ueberſetzung des hebräiſchen א֗נפה mit χα - ράδριος iſt Bochart's Conjectur zu berückſichtigen, daß der Ueberſetzer אגפה geleſen habe. a. a. O. Tom. II. 4. col. 340. .
Aus der gleichen Quelle iſt auch der Nyktikorax an mehrere Stellen gekommen, ſo 3. Moſe 11, 17, 5. Moſe 14, 15 und Pſalm 102, 7. Schilderungen wie die bei Ariſtoteles(hist. anim. 9, 122) lagen der kurzen Notiz, daß er die Nacht (und die Dunkelheit) mehr als den Tag liebe, zu Grunde.
Die ſo vielfach verwendete Sage vom Pelikan, welcher ſeine Jungen mit ſeinem eigenen Blute nähren ſoll, iſt wohl, wie ſchon Ponce de Leonanführt, aus mehreren verſchiedenen Quellen zuſam - mengetragen. Die Liebe zu ſeiner Brut wird von mehreren Schrift - ſtellern des Alterthums erwähnt. Die Ernährung der Jungen mit Blut findet ſich bei Horapollovom Geier erzählt (ed. Leemans, p. 17). Der Name des Pelikan kommt an mehreren Stellen der griechiſch -131Phyſiologus.alexandriniſchen Bibelüberſetzung vor; z. B. Pſalm 102, 7 ( Luther: Rohrdommel)57)Im althochdeutſchen Phyſiologus iſt Pelikan mit Siſegoum überſetzt. Bei Pſalm 102, 7 wird πελεκάν für קאת gegeben, welches neuere hebräiſche Ueber - ſetzer oder Exegeten mit תנשמת erklären. Dies letztere Tinſemeth iſt Ardea stella - ris, aber auch das Chamaeleon ( Bochart). Es ſcheint alſo auch unter קאת ein Vo - gel verſtanden worden zu ſein, der neben andern Eigenthümlichkeiten auch durch die Farbe Aufmerkſamkeit erregte. Nun wird 2. Moſe 26, 14 und 29, 34 vorge - ſchrieben, dem Tabernakel Hüllen von Widderfellen, über dieſe eine zweite zu geben, welche die LXX δέρματα ὑακίντινα, die ſyriſche Peſchito „ pelles arietum sos - ganno “nennen. Iſt es möglich den althochdeutſchen Ausdruck mit dieſem ſyriſchen Worte hiſtoriſch-traditionell zu verknüpfen? Die Etymologie des Siſegoum iſt ſehr unſicher..
Daß der Phönix tauſend Jahre und länger lebe (weil er nicht vom Baume der Erkenntniß gegeſſen habe), führen ſchon alte Commen - tatoren zur Geneſis an (ſ. Bochart) und bringen damit die Stelle Hiob 29, 18 in Verbindung. Die bekannte Sage von ihm findet ſich bereits bei Herodot(2, 73), welcher indeß die Verbrennung nicht er - wähnt. Nach ihm erzählt ſie Plinius(10, 2), welcher aber an einer andern Stelle (29, 29) ſeiner Aſche gedenkt. Wichtig iſt für die Ent - ſtehungsgeſchichte des Phyſiologus, daß auch hier in allen älteren Bearbeitungen der Name des Monats, in welchem der Phönix in ſein Neſt kommt um ſich zu verbrennen, der koptiſche iſt, und zwar wie beim Onager Faminoth.
In Bezug auf das Rebhuhn gab Jeremias 17, 11 die Anknü - pfung. Die Erzählung, daß das Rebhuhn fremde Eier ausbrüte und dann von den Jungen verlaſſen wird, gründet ſich wohl auf die Beob - achtung, daß manche Vögel fremde Eier brüten, beſonders wenn das Neſt, wie hier, am Boden liegt. Die etwas ausgeſchmückte Verwen - dung ſolcher Erzählungen, wie ſie Antigonus Caryſtius, Cap. 45, gibt, iſt ziemlich deutlich.
Der Wiedehopf ſteht im Phyſiologus als erläuterndes Bei - ſpiel des vierten Gebotes (2. Moſe 20, 12). Seine Liebe zu den Eltern wird von Aelian(hist. anim. 10, 16) und ausführlicher Horapollo(1, 55 ed. Leemans, p. 54) erzählt.
9*132Die Zoologie des Mittelalters.Im griechiſchen Phyſiologus wird ſowohl von der Krähe als von der Turteltaube rühmend erwähnt, daß ſie nach dem Tode ihres Männchens den Witwenſtand bewahre und eheliche Treue ſelbſt nach dem Tode noch halte. Für die Krähe wird Jeremias 3, 2 ange - führt58) Pitravermuthet Jeſajas 59, 11; aber die angeführten Worte: ἐκάθισα ὡσεὶ κορώνη μεμονωμένη entſprechen der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung von Jerem. 3, 2 ſo genau, daß nicht daran zu zweifeln iſt, letztere Stelle ſei ge - meint. Sie lautet: ἐκάθισα αὐτοῖς ὡσεὶ κορώνη ἐρημουμένη (Ausgabe von Tiſchendorf).. Von der Turteltaube wird noch unter Bezugnahme auf Hohe - lied 2, 12 erzählt, daß ſie die Einſamkeit liebe. Die Keuſchheit und Treue der Tauben wird ſchon von Ariſtoteles(hist. anim. 9, 53 und 56) und Aelian(hist. anim. 3, 44) erwähnt, während letzterer (3, 9) Treue und Bewahrung des Witwenſtandes der Krähe beilegt. Im ſyriſchen Phyſiologus ( Tychſen) finden ſich beide Thiere, indeß die Tur - teltaube nur als ein die Einſamkeit liebender Vogel. Wo in ſpäteren Bearbeitungen der Turtur vorkommt, wird ihm unter Anführung der Stelle aus dem Hohenlied die Treue der Witwe nachgerühmt, ohne die aus dieſer Stelle entnommene Eigenſchaft zu erwähnen. Es iſt hier alſo durch die Aehnlichkeit der den beiden Thieren beigelegten Eigen - ſchaften veranlaßt eine Verwechſelung eingetreten, in Folge deren die Krähe ſpäter ganz ausfiel. Daß dieſe Verwechſelung dadurch entſtan - den ſei, daß man ſtatt Turteltaube „ ſchwarze Taube “ſagte, liegt zu weit ab59) Horapolloführt 2, 32 die περίστερα μέλαινα als treue Witwe an. Der Möglichkeit einer hieraus entſtandenen Verwechſelung gedenkt Cahier(Mélanges etc. T. 3. p. 264)..
Die Fulica der lateiniſchen und ſpäteren Phyſiologen iſt ur - ſprünglich ein anderes Thier, als etwa die jetzige Gattung dieſes Na - mens, nämlich das hebräiſche Chaſida. Der griechiſch-alexandriniſche Ueberſetzer hat Erodios. Daher erzählt ſowohl der griechiſche als ſyriſche Phyſiologus, daß der Erodius ein äußerſt kluger60) Tychſenüberſetzt zwar avis maligna. Die Uebereinſtimmung aller übrigen Phyſiologi ſpricht aber dafür, daß das ſyriſche Wort a̔rîm hier nur „ ſchlau “, „ klug “heißt. Vogel ſei, welcher133Phyſiologus.nicht umherſchweift, keine Leiche anrührt, ſondern an dem Orte ſeines Aufenthalts ſeine Nahrung finde. Aber ſchon Auguſtinusfolgte einem Ueberſetzer, welcher entweder Chaſida oder Erodius mit Fulica wieder - gab. In allen ſpäteren Phyſiologen wird daher das eben Mitgetheilte von dieſem Vogel aufgeführt61)Eine in dem Göttweiher lateiniſchen und dem althochdeutſchen Phyſiologus enthaltene, der Hyäne angefügte Notiz, daß auch die Fulica ein unreiner, das Ge - ſchlecht wechſelnder Vogel ſei, iſt in Bezug auf Urſprung und Deutung wahrſchein - lich darauf zurückzuführen, daß die Chaſida 3. Moſe, 11, 19 unter den unreinen Vögeln aufgezählt wird..
Durch ähnliche Wandlungen hat der Strauß in den Phyſiolo - gen eine Stelle gefunden. Auch er wird auf Chaſida zurückgeführt. Die im griechiſchen Phyſiologus erwähnte Vergeßlichkeit in Bezug auf ſeine Eier, welche hier mit ſeiner Gefräßigkeit allein als Eigenſchaft aufgezählt wird, gründet ſich auf die Schilderung in Hiob 39, 13-14. Daß er am Himmel ſeine Zeit erſieht, oder wie es die ſpätern Phyſio - logen erweitern, auf den Aufgang der Sterne Vigiliae warten, um ſeine Eier zu legen, bezieht ſich auf Jeremias 8, 9, wo der griechiſch-alex - andriniſche Ueberſetzer das hebräiſche Wort geradezu aufnimmt als Aſida, während Hieronymushier wie an andern Stellen milvus über - ſetzt62) Lutherüberſetzt richtig: „ ein Storch unter dem Himmel weiß ſeine Zeit “. Das Wort Aſſida gieng in die mittelalterlichen Thierbücher über. Der althochdeut - ſche Phyſiologus ſagt naiv: Struthio; das Thier heißt Strauß, im griechiſchen heißt es Aſida; ganz ähnlich Thomasvon Cantimpré. Papiasführt es im Vocabular an, und zwar einmal: Aſida Wido (das iſt milvus des Hieronymus), dann Asida animal est, quod graeci struthiocamelon latini strutionem di - cunt. Man ſieht, wie lange die verſchiedenen Auffaſſungen nachwirkten..
Von den oft in der Bibel erwähnten Tauben gründet ſich die eine Angabe, daß unter den verſchiedenfarbigen Arten nur eine gold - farbige zum Neſte eingelaſſen wird, wahrſcheinlich auf Angaben, wie ſie bei Aelian, 4, 2, vorkommen. Das Verhalten des Habichts gegen die Taube, welches Ariſtoteles(hist. anim. 9, 129) allgemein ſchil - dert, iſt in einer (wie Tychſenerwähnt auch bei Hieronymuszu fin - denden) Weiſe hier ſpeciell ausgeführt.
Unter den übrigen Vögeln, welche einzeln noch genannt werden,134Die Zoologie des Mittelalters.ſind einige für die beſondere Geſchichte der Phyſiologus-Bearbeitungen dadurch von Intereſſe, als ſie aus früheren Verwechſelungen ſelbſtän - dig ſich löſende Bilder darſtellen, wie z. B. Storch und Weihe, zwei Vögel, welche in den früheren Bearbeitungen unter Fulica und Strauß mit einbegriffen waren. Merkwürdig iſt, daß der im armeniſchen Phy - ſiologus vorkommende Vogel Zeraham im altfranzöſiſchen des Pierre Picard als „ indiſcher Vogel “wiedererſcheint. Daß endlich in letztge - nannter Bearbeitung auch die Baumgans vorkommt, ſpricht für das Volksthümliche dieſer Sage.
Unter den Reptilien werden die Schlangen am häufigſten an - geführt. Von den vier Eigenſchaften derſelben iſt die erſte die Häutung, welche ſich an ältere Angaben, freilich ausgeſchmückt anſchließt (z. B. Ariſtoteles, hist. anim. 9, 113, Aelian9, 13 u. a.). Zu zweit wird erzählt, daß die Schlange ihr Gift ablegt, ehe ſie trinkt. Dies iſt nur noch bei Kirchenvätern zu finden; auf welche ſonſtige Angabe ſich dies etwa gründen könnte, iſt nicht ermittelt. Ferner ſoll die Schlange nur den bekleideten Menſchen angreifen, den nackten dagegen fliehen, eine Schilderung, die ſich bei Epiphaniusgerade umgekehrt findet. Ob ſich dies mit der Sage von den Pſyllen in Verbindung bringen läßt, wie es Ponce de Leonthut, iſt zweifelhaft. Noch Damirierzählt es. End - lich ſoll die Schlange, wenn ſie verfolgt wird, den Kopf verbergen und den ganzen übrigen Körper Preis geben. Hierfür führt Ponce de Leoneine Stelle des Iſidorusan, wo er ſich auf Pliniusberuft63) IsidorusHisp. ſagt allerdings (XII, 4, 43): Pliniusdicit. Das Citat iſt aber aus Serviuszu Virgilius, Georgica III, 422 (timidum caput abdidit ille) und lautet: Serpentes caput etiam si duobus evaserit digitis nihilominus vivit. Die Stelle iſt im Plinius, ſo weit er erhalten iſt, nicht zu finden..
Von den Schlangen im Allgemeinen wird die Viper getrennt und von ihr erzählt, was ſich ſchon bei Herodot3, 109 findet. Bei der Be - gattung ſoll die weibliche Viper der männlichen, welche ihren Kopf in den Mund der erſtern ſtreckt, letzteren (bei Herodotden Hals ed. Baehr II. p. 214) abbeißen (vergl. das oben beim Wieſel Geſagte). Das Weibchen ſoll indeſſen auch bald ſterben, indem die Jungen die Geburt nicht er - warten, ſondern die Eingeweide ihrer Mutter zerfreſſen, um nach außen135Phyſiologus.zu gelangen. Daß der Kopf des Männchens in den Mund des Weib - chens gebracht wird, ſagen auch Plinius(10, 62), Aelian(1, 24), Galen(de theriaca cap. 9); daß das Weibchen den Kopf abbeißt führt noch Horapolloan (2, 59. ed Leemansp. 84), von den Phyſiologen nur der althochdeutſche; alle übrigen dagegen ſagen, daß das Weibchen dem Männchen die Genitalorgane abbeiße. Antigonus Caryſtiuser - zählt (Cap. 25), daß die Jungen im Mutterleibe die Mutter durch Auffreſſen der innern Theile tödten, was Ariſtoteles(hist. anim. 5, 150) als nur zuweilen vorkommend erwähnt.
Die Aufführung der Schlange Aſpis rührt von der griechiſch - alexandriniſchen Ueberſetzung der Stelle Pſalm 58, 5, 6 her, welcher auch die Vulgata folgt. Der altfranzöſiſche und provençaliſche Phyſio - logus laſſen dieſe Schlange den Balſambaum bewachen. Anhalt hierzu gab wohl eine Stelle im Pauſanias(9, 28, ed. Siebelis, IV. p. 99). In den übrigen Phyſiologen, welche der Aspis gedenken, wird nur be - richtet, daß ſie ihre Ohren gegen die Zaubertöne der Marſen ver - ſchließe; das eine drückt ſie auf den Boden, das andre hält ſie mit dem Schwanze zu. Die Erzählung findet ſich nur bei chriſtlichen Schrift - ſtellern.
Ein eigenthümliches Geſchick hat das Ichneumon erfahren. Von dieſem Säugethier wird im griechiſchen und ſyriſchen Phyſiologus angegeben, daß es ſich mit Lehm überkleide, um gegen die böſe Schlange zu kämpfen. Es iſt dies die bei Ariſtotelesgeſchilderte Weiſe, die Aſpis anzugreifen (9, 44), wiederholt im Antigonus Caryſtius, Cap. 38. Dieſes Ichneumon wird dann als Feind des Crocodils zu einer Schlange Enhydris oder Hydrus (im ſyriſchen noch getrennt aufge - führt unter dem veränderten Namen Andrion), im isländiſchen Phy - ſiologus gar zu einem Vogel, alſo mit dem „ Trochilus “verwechſelt. Das Thier dringt dem Crocodile in den Rachen und tödtet es durch Freſſen der Eingeweide64)Populatisque vitalibus erosa exit alvo, ſagt Solinus(32, 25. p. 160. Mommſen) nach Plinius.. Vermuthlich iſt dieſer Hydrus nur ein um - gewandeltes Ichneumon, welches eine Zeit lang noch daneben eine ſelb - ſtändige Stellung beibehielt.
136Die Zoologie des Mittelalters.Der Salamander, über deſſen Verhalten zum Feuer und in demſelben Ariſtoteles(hist. anim. 5, 106) und Plinius(10, 188; 29, 76), ſowie andere alte Schriftſteller ſprechen, wird von einem chaldäiſchen Gloſſator zu 3. Moſe 11, 29 angeführt ( Bochart), wäh - rend andere die in dem nächſten Verſe vorkommende Eidechſe hierauf beziehen. Dieſelbe Stelle wird auch zur Rechtfertigung der in mehreren Phyſiologen vorkommenden „ Sonneneidechſe “, wahrſcheinlich des Var - ans oder Landcrocodils angezogen, von welcher eine auf ihre Häutung ſich beziehende Erzählung gegeben wird.
Die Gliederthiere ſind allein durch die Ameiſe faſt durchgehend vertreten, welche nur im provençaliſchen und isländiſchen Phyſiologus fehlen. Die drei von ihnen angeführten Eigenſchaften finden ſich auch im Pliniusmehr oder weniger übereinſtimmend geſchildert. Guillaumele Normand knüpft außerdem die Schilderung der goldgrabenden Ameiſen an, wie ſie von Herodot, Kteſias, Megaſthenesu. a. gegeben wird.
Der in einigen Phyſiologis vorkommende Ameiſenlöwe iſt kaum das Inſect, vielmehr ein fabelhaftes Miſchweſen. Es gründet ſich ſeine Erwähnung auf Hiob 4, 11, wo die griechiſch-alexandriniſche Ueberſetzung das Wort Myrmekoleo gibt65)μυρμηκολέων ὤλετο παρὰ τὸ μὴ ἔχειν βοράν; die Vulgata hat tigris periit eo quod non haberet praedam;Luther: der Löwe iſt umgekommen..
Die nachſtehende Tabelle wird am beſten geeignet ſein, über die Zahl und die Aufeinanderfolge der erwähnten Thiere in den Haupt - gruppen der Phyſiologusrecenſionen eine Ueberſicht zu geben. Die nur einmal vorkommenden Thiere ſind dabei nicht berückſichtigt.
137Phyſiologus.Außer den Thierſchilderungen, deren litterar - und naturhiſtoriſche Begründung im Vorſtehenden kurz zu geben verſucht wurde, enthalten nun die ſpäteren Phyſiologi eine in den früheren Bearbeitungen feh - lende Anwendung. So heißt es z. B. beim Onager: Der Wildeſel hat daher die Figur des Teufels; wenn er merkt, daß Tag und Nacht gleich werden, d. h. wenn er ſieht, daß die Völker, welche in der Dun - kelheit wandelten, zum reinen Lichte ſich bekehren, ſo brüllt er Tag und Nacht zu den einzelnen Stunden und ſucht ſeine verlorene Beute. Oder beim Biber: So ſollen Alle, welche in Chriſto keuſch leben wollen, alle Fehler ihres Herzens und Körpers herausſchneiden und dem Teufel ins Geſicht werfen u. ſ. w. Der ſyriſche Phyſiologus und der älteſte erhaltene lateiniſche ( A. Maiund Pitra, Anſileubus) haben noch keine derartigen Moraliſationen, ſondern nur Verweiſungen auf die Bibel. Dieſe beiden Bearbeitungen werden daher jedenfalls zu den älteſten Formen gehören, in welchen der Phyſiologus noch erhalten iſt. Die andern Recenſionen, von denen mit Einrechnung der verſchiedenen be - nutzten Handſchriften kaum zwanzig publicirt ſind, nach ihrem genealo - giſchen Verhalten zu ordnen, iſt vorläufig faſt unausführbar, bis durch ein reicheres Material die offenbaren Lücken der allmählichen Verbrei - tungsgeſchichte ausgefüllt ſind. Um nur an Einzelnes hier zu erinnern, ſo ſtimmt zwar der ſyriſche und ältere griechiſche (armeniſche, ohne die Moraliſationen) in vielen Punkten überein; doch ſchon der ſogenannte Epiphaniusweicht weſentlich ab. Unter den lateiniſchen Bearbeitungen ſtellen die mit des ChryſoſtomusNamen verſehenen eine eigene Familie dar, während die von Maiund Pitra, die von Cahierherausgegebe - nen, ſowie eine ungedruckte der Leipziger Univerſitäts-Bibliothek (13-14. Jahrhundert) ſich wieder in Einzelheiten enger an die grie - chiſchen anſchließen. Ziemlich autochthon ſcheint auf den erſten Blick der isländiſche zu ſein. In mehreren Zügen ſtimmt er zwar mit allen übrigen überein, vor Allem in der eigenthümlichen Auswahl der ge - ſchilderten Thiere. Doch enthält er einerſeits auch Thiere, welche ſonſt nirgends vorkommen, wie den Eber, Bremſen u. a., andrerſeits ent - fernt ſich die Erzählung zuweilen völlig von allen übrigen; ſo z. B. die139Phyſiologus.ſchon angeführte Schilderung des Elefanten, welche bis jetzt nirgend wo anders zu finden iſt.
Es iſt jedoch hier nicht der Ort, dieſer an und für ſich äußerſt intereſſanten und für die Litteraturgeſchichte des früheren Mittelalters bedeutungsvollen Aufgabe näher zu treten. Dagegen iſt es wichtig, die Frage nach dem etwaigen Verfaſſer und der Entſtehungsgeſchichte des Phyſiologus überhaupt zu unterſuchen.
Zunächſt iſt hervorzuheben, daß man es hier nicht mit einer Schrift zu thun hat, welche als eine in ihrem Wortlaute im Allgemei - nen feſtſtehende in Zeiten klöſterlichen Schreiberfleißes treu vervielfäl - tigt worden wäre. Von den älteſten bis zu den neueſten Bearbei - tungen finden ſich zwar immer wohl einzelne übereinſtimmende Hand - ſchriften. Doch iſt im Ganzen genommen eine ſtete Aenderung und Umwandlung ſowohl im Ausdruck als in der Zahl der Thiere und der Form der angehängten Allegorien nachzuweiſen, da kaum zwei aus ver - ſchiedenen Zeiten herrührende Handſchriften genau übereinſtimmen. Spricht ſchon dies für die Anſicht, daß man ſelbſt im frühen Mittel - alter nicht an einen beſtimmten Verfaſſer geglaubt hat, ſo wird dies noch weiter dadurch beſtätigt, daß ſowohl in der pſeudoepiphaniſchen Schrift (welche aber doch dem vierten oder fünften Jahrhundert ange - hört) als im ſyriſchen Phyſiologus (ſpätere gar nicht zu erwähnen) häufig der „ Phyſiologus “ſelbſt citirt wird; d. h. in den Mittheilungen über die Thiere, welche unter den bibliſchen einer beſondern Aufmerk - ſamkeit werth zu ſein ſchienen, trug man zunächſt das zuſammen, was die Naturkundigen darüber geſagt hatten. An der weitern Compoſition konnte dann Jedermann, dem es überhaupt um eine ſolche Sammlung zu thun war, ändern und zuſetzen oder weglaſſen nach Gutdünken.
Hiermit hängt dann auch zuſammen, daß die Tradition mit oder ohne Grund einzelne Perſönlichkeiten als Verfaſſer des Phyſiologus bezeichnete. So finden ſich an der Spitze deſſelben außer den oftge - nannten Epiphaniusund Chryſoſtomusnoch Ambroſius66)Schon Pitramacht auf den einzigen Codex, der dieſen Namen trägt, aufmerkſam. Er findet ſich im S. Mary Magdalen College in Oxford, Nr. 27 (nicht 32, wie Pitraangibt). Der Güte meines Freundes Max Müllerverdanke ich, Baſilius140Die Zoologie des Mittelalters.Magnus67)ſ. oben S. 112, Anm. 12., Hieronymus, ſelbſt Iſidorusals Autoren angeführt, während man noch Andre ſtillſchweigend für die Verfaſſer anſehen zu dürfen glaubte68)ſ. Pitra, a. a. O. T. III. p. LXIII, flgde. Der ſogenannte Phyſiologus des Florinus der Leipziger Bibliothek, den Freytagerwähnt (Analecta p. 967) und deſſen Inhaltsverzeichniß bereits Thierfeldera. a. O. mitgetheilt hat, iſt völlig verſchieden. Er enthält 119 Thiere in fortlaufenden Diſtichen und trägt die Unterſchrift: Magister Florinus composuit. Explicit Physiologus. anno do - mini 1493. Er beginnt mit Homo. Bos. Ovis. Aries. Agnus. Hedus. Hircus. Capra u. ſ. f. Ebenſowenig gehört zu den Phyſiologen die Schrift eines Unge - nannten aus dem 11. Jahrhundert: περὶ ζῴων τινῶν ἰδιότητος, welche Matthaei in den Ποικιλα Ἑλληνικα. Moskau, 1811 herausgegeben hat. Es werden 53 Thiere geſchildert; drei fernere Beſchreibungen ſind nicht erhalten. Sie iſt der bereits erwähnten Schrift des Manuel Phileverwandt (ſ. S. 112. Anm. 12).. Es iſt immerhin möglich, daß alle die genannten Männer den Phyſiologus nicht bloß benutzt und erwähnt, ſondern auch vielleicht erweitert oder ſonſt in einer ihnen eigenthümlichen Weiſe ge - faßt haben. Verfaſſer im eigentlichen Sinne waren ſie aber nicht. Daß die handſchriftlichen Zeugniſſe für ſolche Autorſchaft in jeder Weiſe unzureichend ſind, braucht kaum erwähnt zu werden.
Aus gleichen Gründen kann man auch der Anſicht Cahier's nicht beitreten, daß Tatian(zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts) der Verfaſſer ſei. Es hat dies ſchon Pitrazurückgewieſen. Tatianſpricht zwar von einer von ihm verfaßten Schrift über die Thiere und führt einige Beiſpiele von Inſtinkt an69)Oratio ad Graecos. ed. Otto. Jenae 1851. p. 68. cap. 15 (n. 24. ed. 57. ed. Worth) καὶ περὶ μὲν τούτου ἐν τῲ περὶ ζῴων ἀκριβέστερον ἡμῖν συντέτακται. und p. 82: τίνος δὲ χάριν οὐ τῷ δυνατωτέρῳ προσέρχῃ δεσ - πότῃ, θεραπεύεις δὲ μᾶλλον αὐτὸν ὥσπερ ὁ μὲν κύων διὰ πόας, ὁ δὲ ἔλα - φος δἰ ἐχίδνης, ὁ δὲ σῦς διὰ τῶν ἐν ποτάμοις καρκίνων, ὁ δὲ λέων διὰ τῶν πιτήκων. Aehnliches kommt ſehr vielfach vor; ſo die Selbſtheilung der Hunde und Löwen ganz wie hier bei Cyrillus Alexandrinus, περὶ ζῴων ἰδιότητος. (Gre - gorii Nazianzeni Carmina selecta. Romae 1590. p. 95. v. 14-17. )). Aber abgeſehen davon, daß er die angezogene Schrift wahrſcheinlich noch als Heide verfaßt hat und daß ſie ſich dem ganzen Zuſammenhang der ihre Erwähnung enthal -66)ein Inhaltsverzeichniß dieſer aus dem 14. Jahrhundert ſtammenden Handſchrift. Wie ſchon die Ueberſchrift erkennen läßt (Excerptio de Hexaemeron Ambrosii, lib. 5. de natura bestiarum et piscium) und der Inhalt beſtätigt, gehört ſie entſchie - den nicht in die Reihe der Phyſiologi.141Phyſiologus.tenden Stelle nach vielmehr auf die Natur des Menſchen, auf Pneu - matologie und Metempſychoſe, als auf die Naturgeſchichte der Thiere bezogen haben mag70)ſ. Daniel, Tatiander Apologet. Halle, 1837. S. 112., weiſt ſchon Pitramit Recht darauf hin, daß die Thierſchilderungen älter, die angefügten Erklärungen oder Mora - liſationen jünger ſind, als Tatian, wie ja letztere ſelbſt noch im ſyri - ſchen und im älteſten lateiniſchen Phyſiologus fehlen.
Pitrahebt als Momente, welche auf die Art und den Ort der Entſtehung des Phyſiologus Licht werfen, hervor, daß die meiſten in demſelben erwähnten Thiere alten Göttern heilig geweſen wären, und daß deren ſo ſehr verſchiedenes Vaterland auf eine Stätte hinweiſen, wo gewiſſermaßen die von dem durch Titanen zerſtörten Olymp fliehen - den Götter Zuflucht und Schutz unter dem Abbild von Thieren gefun - den hätten. Dies würde von Belang ſein, wenn ſich keine andere ein - fachere Erklärung für die merkwürdige Zuſammenſetzung ergäbe. Be - trachtet man indeß die Thiere des Phyſiologus als bibliſche, ſo fällt jeder Grund, ſich nach andern Beweggründen für gerade dieſe aller - dings eigenthümliche Auswahl umzuſehen, fort. Nur das eine bleibt auf den erſten Blick wunderbar, daß die eigentliche Ekphraſis, die Na - turſchilderung, gegenüber der Hermeneia, der moraliſchen Auslegung, ſich kaum einmal an naturgeſchichtliche Autoritäten, wie Ariſtoteles, Theophraſtund ähnliche anſchließt. Wie aus dem obigen Quellennach - weiſe hervorgeht, laſſen ſich mehrere Angaben zwar im Allgemeinen auf Ariſtoteleszurückführen. Doch ſind die wahrſcheinlich direct be - nutzten Quellen unter jenen ſchon früher erwähnten alexandriniſchen Sammlungen zu ſuchen, welche, zur Zeit des Ausgangs des Alter - thums entſtanden, Zeugniß für den Mangel ſowohl kritiſchen Sinnes als überhaupt rein naturwiſſenſchaftlichen Intereſſes ablegen. Da das Gefühl noch nicht erwacht war, daß die bloße Mittheilung von That - ſachen als ſolcher zur Gründung einer wiſſenſchaftlichen Lehre nicht ge - nüge, da das Bedürfniß einer Beſtätigung der Angaben noch nicht vorhanden war, muthete das Wunderbare und dadurch an ſich Reiz - vollere mehr an, wie es auch nutzbringender verwendet werden konnte. 142Die Zoologie des Mittelalters.Außer dieſen inneren Gründen weiſen aber, wie oben mehrfach hervor - gehoben wurde, auch noch äußere auf eine Entſtehung der erſten als Phyſiologus bezeichneten Sammlung in Aegypten hin. Daß gerade Origenesder älteſte Schriftſteller iſt, welcher den Phyſiologus citirt, kann hierbei, als möglicherweiſe nur zufällig, nicht in Anſchlag gebracht werden. Dagegen ſind die ſprachlichen Beweiſe wohl entſcheidend. Faſt durchgehends iſt die griechiſch-alexandriniſche Bibelüberſetzung der commentirte Text geweſen. Und wenn auch dies bei der früh erlangten Autorität dieſer Ueberſetzung für nicht beſonders bedeutungsvoll gehal - ten werden ſollte, ſo gibt es doch für das Auftreten koptiſcher Wörter keinen andern haltbaren Erklärungsgrund als den, daß koptiſche Gloſſen oder Ueberſetzungen einzelner Abſchnitte vorgelegen haben.
Soll nun aber verſucht werden, ein Bild von der urſprünglichen Entſtehungsweiſe des Phyſiologus zu geben, ſo würde es nach den vor - liegenden Anhaltspunkten folgendes ſein. Lehrer orientaliſcher (alexan - driniſcher) Chriſtengemeinden der erſten Jahrhunderte griffen in rich - tiger Würdigung der Wirkſamkeit aus der Natur entlehnter Beiſpiele auf die Gemüther ihrer Hörer zu dieſer und beſonders zu den Thieren, von welchen ſchon die heidniſche Litteratur Wunderbares genug über - liefert hatte. Die an und für ſich einer Auslegung zu unterwerfenden Bibelſtellen boten die Thierformen, die alexandriniſchen Märchenſamm - lungen den naturhiſtoriſchen Gehalt, die ſinnlich gefaßte chriſtliche Lehre die Anwendung dar. Trotz aller Freiheit in der Wahl des Stoffes er - hielt die urſprünglich wohl zufällige und keiner beſtimmten Formulirung unterworfene Sammlung allmählich eine kanoniſch fixirte Geſtalt, an welcher dann nur Aeußerlichkeiten, durch Ort und Zeit veranlaßt, ge - ändert wurden. Wenn dann auch ſpäter das homiletiſche Bedürfniß die Allegoriſation auf alles Mögliche ausdehnen ließ, wodurch Erzeug - niſſe entſtanden wie die Melito'ſche Clavis, die distinctiones mona - sticae et morales, kurz Predigtapparate aller Art, ſo erhielt ſich doch abgeſondert von dieſen das auf Thiere Bezügliche ſelbſtändig als zoo - logiſches Elementarbuch, über welches hinaus keine weiteren Kenntniſſe wünſchenswerth erſchienen als höchſtens noch die etymologiſche Be -143Phyſiologus.gründung der Thiernamen. Aus dieſen Elementen zuſammengeſetzt er - ſcheinen dann noch die Thierbücher ſpäterer Jahrhunderte.
Es hängt vielleicht mit dieſer Entſtehungsweiſe aus heidniſchen Ueberlieferungen, die nur ſpäter erſt mit chriſtlichen Allegorien verbrämt wurden, zuſammen, daß das Urtheil der Kirche dem Phyſiologus nichts weniger als günſtig war. Spuren von Manichäismus, Priscillianis - mus und Gnoſticismus im Phyſiologus zu finden, iſt wohl dann nur möglich, wenn man auch die Moraliſationen einer rigoröſen Verbal - unterſuchung unterwirft. Aber ſchon bevor dieſe den Thierſchilderungen angehängt wurden (ſoweit es ſich wenigſtens bis jetzt überſehen läßt), ergieng ein Verbot gegen den Phyſiologus. Im Jahre 496 erſchien ein Concilbeſchluß des Pabſtes Gelaſiusde libris recipiendis et non recipiendis, worin es nach Aufzählung der annehmbaren und erlaubten Bücher weiter heißt: caetera quae ab haereticis sive schismaticis conscripta vel praedicata sunt, nullatenus recipit catholica et apo - stolica Romana ecclesia. Und unter dieſen proſcribirten findet ſich liber Physiologus, qui ab haereticis conscriptus est et B. Ambrosiinomine signatur, apocryphus71)Das Decret iſt abgedruckt in: Sedulii Opera ed. Arevalo. p. 424 (438). Zaccaria, Storia polem. delle proibizione de' libri p. 33 (38). Wei - tere Citate gibt Jaffé, Regesta Pontific. Romanor. p. 56. no. 378. . Pitrameint, dies Decret auf den Pabſt Damaſus zurückbeziehen zu können und ſagt, daß es von ſieben Päbſten entweder verſchärft oder wenigſtens erneuert worden ſei. Er erwähnt dabei ausdrücklich das ſogenannte Decret des Pabſtes Hormisda, des ſechſten nach Damaſus. Doch iſt dies Decret wörtlich daſſelbe, wie das Gelaſianiſche und nur durch handſchriftliche Bezeichnungen, vermuthlich irrigerweiſe, auch dem Hormisdazugeſchrieben72) VigiliusTapſenſis ſagt am Schluſſe des 6. Buches ſeiner Schrift De Trinitate: Si quis contra traditionem canonis haereticorum apocrypha, quae ecclesia catholica omnino non recipit, super haec praeponere vel de - fendere voluerit, anathema sit. Hierzu bemerkt P. F. Chifflet(Ausgabe von Victoris Vitensis et Vigilii Tapsensis, provinciae Bizacenae episcoporum opera. Divione 1664. Notae p. 149), daß der hier erwähnte Kanon wohl der des Pabſtes Gelaſiusvom Jahre 494 (6) ſei. Ein „ Jurensis codex pervetustus “legt denſelben dem Hormisdabei. Da dieſer Codex den Kanon „ tum ordinatius tum emendatius “enthält, druckt er ihn ab (p. 149-156). Alle übrigen Hand -. Aber die Zeiten und144Die Zoologie des Mittelalters.Anſichten ändern ſich und ſchon ein Jahrhundert ſpäter feierte der Phyſiologus ſeinen gewiſſermaßen officiellen Einzug in die ſymboliſche Litteratur. Gregorder Große citirt ihn wiederholt und hebt damit nicht bloß das Verbot ſeines Vorgängers auf, ſondern führt auch die Schrift unter die empfehlenswerthen und nutzbringenden ein.
Man könnte nun geneigt ſein, die ausführlichen Commentare zur Schöpfungsgeſchichte als weitere Ausführungen des Phyſiologus zu betrachten. Jedenfalls ſind auch ſie in gleichem Geiſte, wenn auch nicht in gleicher Form geſchrieben. Sie haben aber, beſonders in An - ſehung eines etwaigen Einfluſſes auf Förderung naturwiſſenſchaftlicher Meinungen keinen auch nur annähernd bedeutenden Einfluß geäußert. Citirt werden ſie freilich noch lange und die drei berühmteſten Hexae - mera, die des Baſilius, Ambroſiusund Pſeudo-Euſtathiushaben auch ſicher, ſchon ihrer Verfaſſer wegen, in hohem Anſehen geſtanden. Aber einmal ſchon die Thatſachen, daß ſie als Werke einzelner Männer erſchienen, daß ſie mehr nach Art der homiletiſchen Schrifterklärung Schritt für Schritt die ganze Schöpfung erläuternd durchgiengen, und endlich daß ſie in Folge des letzteren Umſtandes verhältnißmäßig um - fangreich und vielſeitig wurden, alles dies hinderte ihre allgemeine Verbreitung und ließ ſie nicht in gleichem Maße wie den Phyſiologus volksthümlich werden. Daſſelbe gilt für Schriften, wie das ange - führte Gedicht des Alexandriners Cyrillus, welches wohl moraliſirt und zur Bewunderung göttlicher Weisheit und Liebe in der Schöpfung auffordert, aber noch nicht in die Richtung einlenkt, welche, weitaus die wirkſamſte und verbreitetſte, beinahe den Charakter der einſchlägigen theologiſchen Litteratur für Jahrhunderte beſtimmte, die ſymboliſirende. Es würde nicht ſchwer ſein, eine beträchtliche Liſte derartiger ſymbo - liſcher Darſtellungen zuſammenzubringen. Tritt auch in den für die Geſchichte der Wiſſenſchaft wichtigſten Schriften des dreizehnten Jahr -72)ſchriften nennen Gelaſiusals Verfaſſer und noch Pabſt NicolausI. ſpricht in der 42. Epiſtel (ungefähr um 865) das Decret demſelben zu (p. 157). Nach Chiff - let's Anſicht iſt nun das Decret von Gelaſiusals concilii totius canon ausge - gangen, von Hormisdaals decretale pontificium beſtätigt worden. Vergl. auch die Notiz von Labbéin: Mansi Collect. Concilior. VIII. p. 531. 145Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des zwölften Jahrh.hunderts eine etwas verſchiedene Richtung auf, ſo erhält ſich doch die Symboliſirung noch lange, weit über den Zeitraum hinaus, welcher die Blüthe des Phyſiologus umfaßt. Wie noch das tridentiner Concil durch den römiſchen Katechismus die Bedeutſamkeit dieſer figürlichen Verwendung anerkennen ließ, ſo finden ſich vor und nach ihm zahl - reiche Belege für dieſe, eigentlicher Erkenntniß fremd gegenüberſtehende Erfaſſung der Natur. Beiſpielsweiſe mag hier nur auf Alanus ab In - ſulis73) Alanus ab Insulis, Oculus s. Summa. Argentor. s. a. ( Pitra)., Hildefonſus74)In den lib. II. itineris deserti quo pergitur post baptismum (Baluze, Miscellan. ed. Mansi T. II. p. 39) werden von Cap. LIII bis LXXI zunächſt das Solatium avium spiritualium, dann die significationes von Vögeln, Schlangen und Säugethieren angeführt. und Ioannes Inſtitor75)Derſelbe zählt im Breviloquium animi cujuslibet reformativum die ſymboliſchen Beziehungen von zwanzig Vögeln auf, zu denen er auch die Fleder - maus rechnet. ‒ Weiteres iſt bei Pitra, Spicilegium. Tom. III. zu finden. verwieſen werden.
Es wurde oben der Gründung der beiden Bettelorden gedacht, der Dominikaner und Franziskaner. Um die hervorragende Stellung, welche dieſelben im 13. Jahrhundert der Entwickelung der Wiſſenſchaf - ten gegenüber einnahmen, beurtheilen zu können, iſt eine flüchtige Er - innerung an die allgemeinen Culturverhältniſſe, unter denen ſie ent - ſtanden, nicht unzweckmäßig. Daß ſie den Benediktinern den Beruf der Lehrerſchaft für das Volk abnahmen, wurde nach den Zuſtänden dieſer Genoſſenſchaft oben kurz angedeutet. Tiefer liegende Gründe laſſen in ihnen die unabſichtlichen Verbreiter und Erhalter der Wiſſenſchaftlichkeit erkennen, ſelbſt in Zeiten, wo die Kirche durch ihre Satzungen mehr dahin zu wirken ſuchte, das Wiſſen vom Glauben abhängig zu machen, als den letzteren durch Erweiterung des Wiſſens zu ſtützen.
Hatte Karlder Große durch Gründung und Förderung von Schu - V. Carus, Geſch. d. Zool. 10146Die Zoologie des Mittelalters.len, durch Empfehlung ernſter claſſiſcher Studien, gegen welche indeß die heimatlichen Landesſprachen nicht zurücktreten ſollten, das nach den Stürmen der Völkerwanderung und den Kämpfen im Reich ſelbſt geſunkene geiſtige Leben wieder zu heben verſucht, ſo war er es doch auch, welcher den Keim zur Entwickelung jenes, Jahrhunderte lang das ganze europäiſche Abendland geiſtig und materiell erſchütternden Kampfes zwiſchen kirchlicher und weltlicher Macht gelegt hat. Die frei - lich in älteren Ueberlieferungen wurzelnde Ueberzeugung, daß der deutſche König durch Uebernahme der römiſchen Kaiſerwürde das Haupt der chriſtlichen Welt werde, hatte zwar ſo lange nichts Beunruhigendes, als ſeine Machtſtellung dem Pabſte und Klerus gegenüber noch Bürge ſeiner unbedingten Selbſtändigkeit war. Aber ſchon die Erneuerung des „ heiligen römiſchen Reiches deutſcher Nation “hundert und ſechzig Jahre ſpäter durch Ottoden Großen, die ſeiner Krönung vorausgehen - den und unmittelbar folgenden Ereigniſſe zeigen, daß die kirchliche Macht ſich nicht damit begnügt hatte, der geſammten Chriſtenheit allein Glaubenslehren vorzuſchreiben, ſondern daß ſie die pſeudoiſidoriſchen Ideen zu verwirklichen ſich anſchickte. Ein Jahrhundert ſpäter erſchien Heinrich IV büßend und reuig zu den Füßen GregorVII; und gerade wieder nach hundert Jahren erkannte FriedrichI, nicht in überwallen - der Bußfertigkeit, ſondern nach ruhiger Ueberlegung auf dem Congreſſe in Venedig die Gewalt des Pabſtes, damals AlexanderIII, an. Wie ſchon dieſer Aufſchwung des päbſtlichen Anſehens erkennen läßt, daß gegenüber der weltlichen Macht der Fürſten und Herren die Kirche mit ihrem Anhang einen entſcheidenden Einfluß auf die Gemüther der großen Maſſe zu äußern gelernt hatte, ſo begreift es ſich auch leicht, daß Un - terricht und Bildung nur ſoweit gedeihen konnten, als der vielfach ver - weltliche Klerus nicht durch andere Intereſſen von dem abgezogen wurde, was über die unmittelbare ſogenannte Seelſorge hinaus in gei - ſtiger Hinſicht für das Volk zu thun war. Die unter den Ottonen für kurze Zeit aufflackernde Flamme eines regeren geiſtigen Lebens erſtickte bald wieder unter den beſtändigen Kämpfen, die das ganze Abendland durchwühlten. Und als, wie im Gefühle der Nutzloſigkeit eines gegen - ſeitigen Aufreibens, der Gottesfriede zu Stande kam, wurde durch das147Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des zwölften Jahrh.eng mit ihm ſich verknüpfende Ideal eines allgemeinen Kampfes der Chriſtenheit gegen die Ungläubigen das Intereſſe für das nächſt Lie - gende wieder abgezogen.
Die Kreuzzüge brachten aber dem Abendlande eine Menge neuer Anſchauungen. Schon früher hatten zwar Wanderungen und Buß - fahrten nach dem heiligen Lande Gelegenheit gegeben, manche orienta - liſche Sage im Abendlande nicht abſterben zu laſſen. Zuweilen wurden durch Geſandſchaften zwiſchen morgen - und abendländiſchen Herrſchern (z. B. Karldem Großen und Harun al Raſchid) Geſchenke ausgetauſcht, welche auch die naturhiſtoriſchen Bilder des Volkes mit neuen Zutha - ten bereicherten. Die mythiſche Zurückführung weſteuropäiſcher Völker auf einzelne Theile des griechiſchen Sagenkreiſes, die Verbreitung man - cher alexandriniſchen Wundergeſchichte findet vielleicht durch Aehnliches ihre Erklärung. Eine wirkungsreichere und nachhaltigere Anregung er - hielt aber das Abendland doch erſt mit den Kreuzzügen, deren Folgen in geiſtiger Beziehung hier noch beſonders zu ſchildern kaum nöthig iſt. Während ſich aber durch dieſelben der Blick im Allgemeinen erweitern lernte, erwachte auch im Schoße des Klerus, beſonders des weſtfrän - kiſchen, der nur zeitweiſe zurückgetretene Speculationseifer von neuem. Dem unbedingten Autoritätsglauben traten immer häufiger Verſuche entgegen, durch eine ſelbſtändigere freiere Erfaſſung einzelner Lehren des Myſteriums daſſelbe zugänglicher, die Heilswahrheiten, in deren ausſchließlichem Beſitz zu ſein die römiſche Curie immer entſchiedener behauptete, menſchlich faßbarer zu machen. Wenn nun aber derartige, oft zu erbitterten Streiten führende Meinungsverſchiedenheiten dem ungebildeten großen Haufen gegenüber erſt nach und nach eine Wirkung äußerten, ſo daß die Theilnahme der weltlichen Bevölkerung erſt ſpät zu Tage trat, ſo war es vorzüglich das äußere Leben des niedern wie höchſten Klerus, welches zu Angriffen von allen Seiten dringend auf - forderte. Beide Momente waren für die Vorbereitung und Entwicke - lung der im dreizehnten Jahrhundert auftretenden litterariſchen Erſchei - nungen von größter Bedeutung.
Mit dem erſt erwähnten Umſtande hängt die Entwickelung einer allgemeinen philoſophiſchen Auffaſſung zuſammen, welche an die nur10*148Die Zoologie des Mittelalters.zum Theil zugänglich gebliebenen Philoſophen des Altherthums anknü - pfend, als eine nothwendige Folge des reichlich zuſtrömenden Stoffes eintreten mußte. Daß hierbei die Kirche ihr Intereſſe vor allen Dingen zu wahren ſuchte, war eine eben ſo nothwendige Lebenserſcheinung der - ſelben. In ihren Händen, nicht in denen der Laien lag die Pflege und die Erhaltung der Wiſſenſchaft. Die geſammte Chriſtenheit, „ welche beſtändig auseinander zu fallen drohte “, war in ihrer Vertretung und in ihrem Schutze gegen die zerſetzenden Parteieinflüſſe auf die Hierar - chie angewieſen. Da war denn das erſte und natürlichſte, daß einzelne Differenzpunkte, wie die bereits erwähnten Lehren Gottſchalk's, des Paſchaſius Ratpertus, die ſpäteren Streitigkeiten Berengar's von Tour u. a. ausgeglichen oder unterdrückt wurden. Wichtiger war, daß die ganze Philoſophie eine beſtimmte, der Kirche dienſtbare Form erhielt. Nun war aber nicht bloß der geſammte, von den Kirchenvätern, Sy - noden und Concilen beſtimmte, ſich nach und nach vermehrende und abrundende Glaubensinhalt philoſophiſch zu begründen, ſondern es galt vorzüglich auch, die platoniſche und ariſtoteliſche, die idealiſtiſche und rationaliſtiſche Anſicht von der Natur der Dinge zum Ausgleich zu bringen; — ein Ausgleich, welcher auch für die Entwickelung der wiſ - ſenſchaftlichen Erfaſſung der Natur von maßgebender Bedeutung ſein mußte.
Das ganze Gewicht der Philoſophie des Mittelalters, welche als mit der Theologie zuſammenfallend angeſehen wurde, wenn ſchon ein eigentliches Aufgehen derſelben in letzterer nur vorübergehend zu erreichen war, galt der Löſung des durch Porphyriusund Boëthiusüberlieferten Problems, ob die allgemeinen Begriffe der Arten und Gattungen eine von den wirklichen Dingen unabhängige Realität be - ſäßen oder ob ſie nur als ſubjective Vorſtellungen zu gelten hätten. Dies iſt die Grundfrage der Scholaſtik. Die erſte an Platoſich an - ſchließende Beantwortungsart ſtellt den von Wilhelmvon Champeaux beſonders vertretenen Realismus, die letztere den Nominalismus dar, deſſen Erneuerer, Roſcellinus, zum Widerruf ſeiner Lehre gezwungen wurde. Im Grunde war hiernach bereits Johannes Scotus ErigenaScholaſtiker. Ihm iſt Gott die einzig wahre Subſtanz; alle Geſchöpfe149Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des zwölften Jahrh.ſind intellectuelle Begriffe Gottes, welche ewiges Sein haben. Da in - deſſen dieſe und ähnliche Anſichten für zu frei und dem orthodoxen Glau - ben feindſelig gehalten wurden, wandte ſich der ganze Scharfſinn der an ariſtoteliſchen Geſetzen groß gezogenen Dialektik dem Ausbau des von Anſelmzuerſt mit Entſchiedenheit betonten Grundſatzes zu, daß die Erkenntniß auf dem Glauben beruhe. Hiermit war theologiſch das Vor - herrſchen der platoniſchen Auffaſſung der Welt und Schöpfung gege - ben, wiſſenſchaftlich durch Zurückſetzung des Werthes unmittelbar ſinn - licher Erfahrung die Ausſicht verſperrt. Die ganze Anſicht Anſelms ſchließt ſich noch eng an die Ueberlieferung der Kirchenväter an; es hat ſich daher noch lange nach ihm die Kirche geſträubt, dem immer drin - gender werdenden Bedürfniſſe nach Unterſuchungen über den natür - lichen Zuſammenhang der Dinge von einer andern Seite her entſprechen zu laſſen, wie es erſt nach dem Bekanntwerden des Ariſtotelesim drei - zehnten Jahrhundert möglich wurde. Wie ſehr die Erneuerung der Auf - faſſung der Natur im Sinne einer zunächſt ſinnlich gegebenen Erfah - rung für das Wiederaufleben der Wiſſenſchaft nothwendig war, geht unter anderm auch aus dem negativen Reſultate anderer abweichender Beſtrebungen hervor: es konnten weder der Rationalismus Abälard's und Arnold's von Brescia, noch die orthodoxe Myſtik Bernhard's von Clairvaux und der Victoriner, beſonders Hugo's76)Es mag hier auf die Schrift De bestiis hingewieſen werden, welche ge - wöhnlich dem Hugoa S. Victore zugeſchrieben wird und in deſſen Opera (1516) Tom. II. fol. CCXLI v. ſich findet. Sie iſt indeß nach Casimir Oudin (Com - ment. de Scriptor. eccles. Tom. II. p. 1107), dem die Herausgeber der Histoire littér. de la France (Tom. XIII, p. 498 und Tom. XVI. p. 422) folgen, von drei verſchiedenen Verfaſſern, Hugo de Folieto, Alanus ab Inſulisund Gulielmus Perrotenſis., von irgend wel - chem Einfluß auf Anregung oder Erneuerung einer erweiterten Natur - anſchauung ſein. Es wird ſich daher ſpäter vorzüglich darum handeln, das Eintreten der naturhiſtoriſchen Schriften des Ariſtotelesin den Wiſſenskreis des Mittelalters und ſeine Wirkungen zu ſchildern. Da - bei wird ſich zeigen, wie nach verſchiedenen, zum Theil für ihre Zeit ſehr glücklichen Verſuchen, den Realismus mit dem Nominalismus zu vereinigen, allmählich der letztere, wenn auch nicht immer unter dieſer150Die Zoologie des Mittelalters.prägnanten Bezeichnung ſeines philoſophiſchen Gehaltes, die Erfor - ſchung der Natur, als auf ſinnlicher Erfahrung beruhend, der welt - lichen Wiſſenſchaft überlieferte und durch dieſes Losmachen von den Feſſeln des Dogmenzwangs der neuen Zeit die Bahn brach.
Frägt man nun aber, von wem die Neuerungen, in früherer Zeit wenigſtens die Anregungen zu lebhafterem geiſtigem Kampfe ausgiengen, ſo waren es allerdings im Anfange noch Benediktiner, wenn man nur auf Lanfrancund Anſelm, die Gründer der Scholaſtik blickt. Doch gieng die Fortführung der Bewegung bald in andere Hände über. Die, wie ſchon oben erwähnt, des Lehramts nicht mehr pflegenden Genoſſen Benedikt's trieben die weniger aufregende Geſchichtſchreibung und über - ließen den eigentlichen Tummelplatz der Geiſter anderen Orden. Und hier tritt nun die Bedeutung der beiden Bettelorden hervor. Die Päbſte waren doch des ewigen Schleuderns von Bannſtrahlen gegen anders Denkende müde geworden und begrüßten in den neu entſtehen - den, freilich im Grunde durch Oppoſition gegen päbſtliches Unweſen veranlaßten Orden wirkſame Helfer bei der Arbeit, den Ketzereien zu ſteuern. Schon ſeit dem elften Jahrhundert war einzeln und zuſam - menhanglos, aber mitunter äußerſt heftig gegen das prunkhafte äußer - liche und weltliche Leben der Geiſtlichkeit und der Päbſte ſelbſt, ſowie gegen den ſtarren Dogmenzwang der Kirche angekämpft worden. Be - denklich wurden die Bewegungen zu Ende des zwölften und Anfang des dreizehnten Jahrhunderts. Es ergriff daher InnocenzIII das ſich ihm in Franciscus und Dominicus bietende Mittel, durch Anerkennung des Princips der Armuth und aufopfernden Entſagung nicht bloß den haupt - ſächlichſten Klagen gegen ſeine Kleriker gerecht zu werden, ſondern durch die ſich den bürgerlichen Verhältniſſen viel leichter und ſchneller anbe - quemenden Bettelmönche direct in Lehre und Predigt auf das Volk wirken zu können. Die ſchnelle Verbreitung beider Orden, die zuweilen faſt häretiſche Stellung der Franziskaner, die Betheiligung der Domi - nikaner an der Schürung der wahnſinnigen Ketzervertilgungen, der greulichen Albigenſerkriege, die ihnen bald überlaſſene Inquiſition mit allen den ſchaudervollen Ungeheuerlichkeiten, welche die Unterordnung der weltlichen Executive unter das geiſtliche Gericht mit ſich brachte,151Die Zoologie der Araber.ſind Thatſachen, an welche hier nur erinnert zu werden braucht. Es gehört aber eben ſo nothwendig in den ganzen Entwickelungsgang ihres allmählichen Einfluſſes, daß ſich die beiden Orden bald den Unterricht faſt ausſchließlich aneigneten. Wollten ſie hierbei einflußreich bleiben, ſo mußten ſie ſich der brennenden Streitfragen der einzelnen Zeiten bemächtigen und ſie im Sinne der ihnen gewordenen Aufgabe zu löſen ſuchen. Das haben ſie gethan; in welcher Weiſe — das zu unterſuchen gehört nur zum kleinſten Theile hierher. Sicher iſt aber, daß aus dem dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert kein für die Entwickelung der Naturwiſſenſchaften, beſonders der hier allein berückſichtigten Zoologie bedeutungsvoller Name zu nennen iſt, welcher nicht einem Franzis - kaner oder Dominikaner angehörte. ThomasCantipratenſis und ſein Ueberſetzer Jakobvon Maerland und Conradvon Megenberg, Albertder Große und Vincenzvon Beauvais waren Dominikaner, Roger Bacound Bartholomäus Anglicuswaren Franziskaner. Aber ehe ihre Behandlungsweiſe der Zoologie geſchildert werden kann, muß der Wege gedacht werden, auf welchen das Abendland mit den Schriften des Ariſtoteleswieder bekannt wurde.
Wo bis jetzt von wiſſenſchaftlicher Entwickelung zu ſprechen war, ſtellten ſich als Träger derſelben überall Glieder der großen ariſchen Völkerfamilie dar. Dazu trat dann als mächtigſtes Element der eigen - thümlichen Richtung einer neuen Culturbildung das dem ſemitiſchen Volksſtamme Paläſtina's entſpringende Chriſtenthum. Die Summe des antiken Wiſſens, welches anfangs vom Chriſtenthum feindlich zu - rückgewieſen doch als unentbehrlicher Grund eines Weiterbaues erkannt wurde, gelangte, faſt ausſchließlich in ſeinem formalen Theile, zur ein - ſeitigen Verbreitung durch den ſich aus dem übrigen Volke herauslö -152Die Zoologie des Mittelalters.ſenden geiſtlichen Stand. Noch war aber der Schatz von Thatſachen zu heben, welcher von den Schriftſtellern des Alterthums, beſonders Ariſtoteles, auf dem Gebiete der Naturkunde hinterlaſſen worden war.
Ein eigenthümliches Geſchick hat auch hier einen ſemitiſchen Volks - ſtamm, die Araber, zum Vermittler gemacht, freilich nicht ohne die bedeutende Hülfe anderer Elemente, namentlich der Syrer und Perſer. Denn wenn auch die leidenſchaftlichen, phantaſiereichen Araber wenig Jahrzehnte, nachdem Muhammed die verſchiedenen heidniſchen Stämme ſeines Volkes zum Glauben an einen Gott vereinigt hatte, ſich mit Eifer der ſprachlichen und ſachlichen Erklärung und Weiterbildung der im Koran niedergelegten Lehren annahmen, wenn ſie auch als Ueber - reſt ihres religiöſen Naturdienſtes die apotelesmatiſche Aſtrologie und damit auch die Aſtronomie ſelbſt aus eigenem Antriebe zu fördern ſuch - ten, ſo wären ſie doch wohl weder Gründer der Experimentalmedicin und der ſich an dieſe anſchließenden Naturwiſſenſchaften, noch Bewah - rer der ariſtoteliſchen Zoologie geworden, hätten nicht gelehrte Syrer ihnen die Schätze der griechiſchen Litteratur zugeführt, hätten nicht die ſchon vorher gleichfalls durch die Syrer mit den Griechen bekannt ge - wordenen Perſer durch ihren Eintritt in den Entwickelungsgang der arabiſchen Welt zu ſelbſtändigen Forſchungen, ſowie zur näheren Be - kanntſchaft mit den Reſultaten antiker Geiſtesarbeit angeregt. Es ge - hörte ja auch einer der größten Philoſophen und Paraphraſten der ari - ſtoteliſchen Zoologie, Avicenna, einer perſiſchen Familie an, wie auch die Mehrzahl der Ueberſetzer und Commentatoren keine Araber, ſon - dern vorzüglich Syrer waren.
Der Charakter der geiſtigen Richtung der Araber wird zum großen Theil ſchon durch die Art erklärt, wie Muhammed den Monotheismus erfaßte. Der Gott Muhammeds war zunächſt nicht wie der Gott Abrahams ein dem Volke der Araber ausſchließlich eigener und ihm allein offenbarter, er wurde gleich von Anfang an als ein die ganze Welt durchdringender erfaßt. Sein Anſehen, den Glauben an ihn zu verbreiten wurde heilige Sache der Araber, denen er durch Muhammed zuerſt wieder verkündigt war. So viel Anknüpfungspunkte aber auch zwiſchen Muhammedanismus einerſeits und Judenthum und Chriſten -153Die Zoologie der Araber.thum andererſeits vorhanden waren und ſo viel davon beſonders in der Ritualiſtik des religiöſen Lebens zur Erſcheinung kam, ſo lag doch darin ein großer Unterſchied, daß im jüdiſchen und chriſtlichen Gottesbegriff ein ziemlich weit gehender Anthropomorphismus auftrat, während der Muhammedaner ſich und die ganze Welt in einen viel ſchrofferen Ge - genſatz zu Gott ſtellte. Selbſtverſtändlich ſoll damit nicht geſagt ſein, daß ſich die dichteriſche Phantaſie der Araber nicht mit Bildern erfüllt hätte, welche Gott menſchlich faßbar darſtellten. Wichtig iſt aber dieſer Umſtand in Bezug auf die Beurtheilung des Verhältniſſes der Natur zu Gott.
Entſprechend der Verbreitungsweiſe des Islam durch das Schwert konnte beſonders im Anfange ſeiner Laufbahn ein reiches Erblühn wiſ - ſenſchaftlichen Lebens nicht erwartet werden. Die Verlegung des Cha - lifenſitzes von Mekka nach Damaskus unter Muawia I führte zwar dort die Araber nicht bloß mitten in eine griechiſch-chriſtliche Bevölke - rung, ſondern ließ auch unter dem genannten wie unter ſeinem Nach - folger Abd-el-Melik eine mediciniſche Schule entſtehen, in welcher jeden - falls griechiſche Autoren der Bildung werden zu Grunde gelegt worden ſein77)Sie wurde von einem griechiſchen Arzte Theodokos in der erſten Hälfte des 8. Jahrhunderts gegründet. Aus ihr gieng unter andern Schülern einer her - vor, den Häſer (Geſchichte der Medicin, 2. Aufl. 1. Bd. S. 128) irrig Jbn Schdinatha und einen der berühmteſten arabiſchen Aerzte und Naturforſcher nennt. Es iſt dies die Stelle aus Abulfaragii Hiſt. dynaſt. ed. Pococke, S. 200, Ueberſetzung S. 128, wo der unter Manſur lebende Jude,Phorat Ibn Schonatha(oderForat Jbn Schachnaſa, wie ihn Hammer von Purgſtall, Literaturgeſch. d. Araber I, 3. S. 270 nennt) einfach als Schüler dieſer Schule angeführt wird. vergl. über die Stelle bei Häſer: E. Meyer, Geſch. der Botanik 3. Bd. S. 92, wo der Irrthum bereits berichtigt wird.. Eine beſondere Anregung erhielt aber das Aufblühn der Wiſ - ſenſchaft, als unter den Abbaſiden die ſchon ſeit längerer Zeit an ſtren - gere geiſtige Arbeit gewöhnten griechiſchen Chriſten und die der Pflege der Gelehrſamkeit beſonders ergebenen Perſer in den Kreis der ara - biſchen Geiſtesbildung gezogen wurden. Freilich führte das Studium zunächſt zur Auslegung des Koran und Begründung einer aus dieſem abzuleitenden, für die Sicherung der ſich neu ordnenden ſocialen Ver -154Die Zoologie des Mittelalters.hältniſſe nothwendigen Geſetzkunde. Es konnte aber doch die Unter - ſuchung einmal angeregt hierbei nicht ſtehen bleiben, ſondern bediente ſich der ſchon zugänglich gewordenen ariſtoteliſchen Methodik zur philo - ſophiſchen Dogmatiſirung des neuen Glaubens. Damit verband ſich das Entſtehen weiterer philoſophiſcher Syſteme, von welchen für die Auffaſſung der belebten Natur beſonders die folgenden Bedeutung haben.
Der ſtarre Fatalismus, welcher die Lehre des Islam in ihrer or - thodoxen Form ſo ſcharf kennzeichnet, fand ſeine erſte philoſophiſche Begründung durch El Aſchariim zehnten Jahrhundert. Für die Aſchariten gipfelt ſich Alles in der abſoluten Unvereinbarkeit des Be - griffes Gottes mit dem Begriffe der Welt. Letztere iſt nicht bloß erſt geſchaffen, ſondern geradezu als bloße Emanation Gottes anzuſehen; ihr hängt alſo der Schein an. Kein Ding oder kein Atom der Subſtanz kann länger als ein Zeitatom exiſtiren, wenn es Gott nicht von Neuem ſchafft. Ein Verhältniß von Urſache und Wirkung beſteht nicht; die Dinge ſtehen unverbunden nur durch Gottes Willen ſo nebeneinander. Selbſt Gott iſt nicht Urſache der Dinge; dieſelben ſind nur ſeine Schaffungen. Einem geſetzlichen Zuſammenhange der Naturerſcheinun - gen von dieſem Grunde aus nachzuforſchen war natürlich unmöglich.
Eine vermittelnde Stellung zwiſchen platoniſchen und ariſtoteli - ſchen Anſichten nimmt El Farabiein, welcher gleichfalls dem zehn - ten Jahrhundert angehörig durch die der neuplatoniſchen Emanations - lehre gegebene Form der Aſtrologie ihre durch das ganze Mittelalter dauernde ſyſtematiſche Geſtalt gegeben hat78)Auch der menſchliche Verſtand iſt ein Theil des göttlichen thätigen Ver - ſtandes. Anfangs nur bildungsfähige Materie (intellectus possibilis) wird der Verſtand, wenn der Gedanke mit dem Gedachten eins wird, wenn wir in dem Ge - danken die innere Form des Gegenſtandes erfaſſen, gebildeter, geformter Verſtand (intellectus formatus). Lernen wir dieſen Verſtand bewahren und durch das Sy - ſtem der Gedanken, bereichert mit andern Arten des Verſtändniſſes, das ganze Sy - ſtem der Formen darſtellen, dann wird es erworbener Verſtand (intellectus adep - tus). Dies iſt der Urſprung des Wortes Adept in ſeinen verſchiedenen Bedeutungen. vergl. Ritter, die chriſtliche Philoſophie. Bd. 1, ein Werk, welches zu obiger, wie der vorausgehenden Schilderung vielfach benutzt wurde.. Zwiſchen Gott als die155Die Zoologie der Araber.erſte nothwendige Urſache und die Vielheit der zuſammengeſetzten Welt tritt der thätige Verſtand, eine Emanation Gottes. Aus dieſem fließen die Kräfte des phyſiſchen Weltſyſtems in den einzelnen auf einander folgenden Sphären bis zu den Bewegungen an der Oberfläche der im Mittelpunkte des Ganzen ruhenden Erde. Der thätige Verſtand „ durch - bringt die ganze Welt und alles Niedere daher, alles Irdiſche wird durch ihn, durch das allgemeine Geſetz der Welt zuſammengehalten “.
Bei Ibn Sina( Avicenna) löſt ſich die Materie von Gott ab und wird als zweites Princip das Subject der zufälligen Erſcheinungen. „ Sie iſt der Grund der beſondern Dinge, welche nur ein mögliches Daſein haben, oder der Grund der Individuation “. Dem entſprechend unterſcheidet er auch rückwärts in der erkennenden Seele die ſinnliche Form von der überſinnlichen, welche letztere allein den wahren Begriff der Sache gibt. Dabei findet ſich dieſelbe Vorſtellung des thätigen Verſtandes, welcher von den himmliſchen Sphären bis auf die Erde wirkt, und ebenſo die allmähliche Entwickelung unſeres Verſtandes; nur iſt bei ihm der Verſtand des Adepten „ die erworbene Wiſſenſchaft, welche wir aus unſern allgemein wiſſenſchaftlichen Grundſätzen durch den Beweis ziehen “.
Wird ſchon durch die bei Ibn Sinaauftretende Anſchauung eine Naturforſchung denkbarer als bei den Früheren, welche nur durch eine eigenthümliche Uebertragung metaphyſiſcher Vorſtellungen auf phyſiſche Grundkräfte dem Zuſammenhang der Dinge näher traten, ſo erhält die philoſophiſche Anſicht bei Ibn Roſchd( Averroës) eine Form, welche der modernen Naturanſchauung äußerſt nahe kommt und ſowohl durch ihre Einfachheit als durch ihre Natürlichkeit ſchon im Mittelalter Aufſehn erregte. Selbſtverſtändlich wurde ſie als ketzeriſch verrufen und ihr ver - dankt wohl hauptſächlich die mit ihr in enge Verbindung gebrachte Lehre des Ariſtotelesdie gegen deſſen phyſiſche Schriften erlaſſenen Verbote. Es kann nicht im Plane der gegenwärtigen Darſtellung liegen, das ganze philoſophiſche Syſtem dieſes ſelbſtändigſten Ariſtotelikers zu ſchil - dern; es mag hier auf die Arbeit Renan's verwieſen werden79) E. Renan, Averroeset l'Averroisme. Paris, 1852. . 156Die Zoologie des Mittelalters.Von Wichtigkeit iſt hier nur hervorzuheben, daß Ibn Roſchdſowohl Gott als die Materie für ewig erklärt; es wird nichts geſchaffen. Zeu - gung und Entwickelung ſind nur Bewegungen. Der bewegende (thätige) Verſtand bringt nur die Theile der Materie in andere Verhältniſſe, wodurch die in ihr liegenden Formen zur Erſcheinung kommen. Wie nun die Form das ſich in allen Dingen findende Immaterielle iſt, ſo iſt auch die immaterielle Seele nur eine Form des belebten Körpers; die Gedanken werden aus der Materie nach beſtimmter Ordnung ent - wickelt. Indem die kreiſende Bewegung des Himmels die in der Ma - terie liegenden Formen zur Erſcheinung kommen laſſen, löſt der erken - nende Verſtand durch Einſicht in die Urſachen der letzteren die Materie in die in ihr liegenden Formen auf. Sie wird daher nicht mehr als Schranke der Erkenntniß zu fürchten ſein. Man ſieht, daß Ibn RoſchdGrundſätze entwickelte, welche wohl, ſchon ihrer außerordentlichen me - thodiſchen Bedeutung wegen, zu einer freieren Auffaſſung des Lebens und der belebten Weſen hätten führen können, wenn die Anwendung derſelben auf lebende Formen in größerer Ausdehnung möglich geweſen wäre.
Das religiöſe und nationale Vorurtheil geſtattete indeſſen vor allem keine anatomiſchen Unterſuchungen, vor denen die Araber gera - dezu Abſcheu hatten80)Selbſtändige Erweiterung hat die Anatomie, ſelbſt die menſchliche, bei den Arabern kaum gefunden. Ihre Quellen waren Ariſtotelesund Galen. Unter der Liſte ſelbſtändiger Werke wird zwar auch eine Anatomie der Flugthiere erwähnt werden. In welchem Verhältniß aber die nur dem Titel nach bekannte Schrift zu einer wirklichen Anatomie der Vögel ſteht, iſt nicht zu entſcheiden.. Die Arbeiten, welche ſich auf Thiere bezogen, hatten daher weniger eine Erweiterung der Kenntniſſe von den betref - fenden Formen, als eine Zuſammenfaſſung alles deſſen zum Ziel, was über die Geſtalt, Lebensweiſe u. ſ. f. der einzelnen Thiere bereits be - kannt war, häufig verbunden mit einer Ueberſicht des ſich an dieſelben knüpfenden mythiſch-poetiſchen, religiöſen und hiſtoriſchen Details und beſonders ihrer mediciniſchen Wirkungen. Wie neben den techniſch-me - tallurgiſchen Arbeiten vorzüglich die pharmaceutiſchen Verſuche zu den erſten Anfängen der Chemie führten, ſo regten die Beſtrebungen, den157Die Zoologie der Araber.Heilmittelſchatz zu erweitern zu einer genaueren Kenntniß von Thieren und Pflanzen an. Aber ebenſo wie die Chemie und Aſtronomie kaum vom alchymiſtiſchen und aſtrologiſchen Aberglauben zu löſen war, ſo iſt auch das, was bei den Thierſchilderungen von eigenen Zuſätzen er - ſcheint, meiſt ſo vielfach mit abergläubiſchem Unſinn durchſetzt, daß da - mit nichts weniger als eine Bereicherung des Wiſſens gegeben wird. Derſelbe Aberglauben findet ſich dann noch bei den abendländiſchen Nachfolgern der Araber wieder, unter denen ſelbſt Geiſtliche in derſel - ben Weiſe die mediciniſche Verwendung ganzer Thiere oder einzelner Theile, häufig in Bezug auf Störungen im Geſchlechtsleben anführen, ſo beiſpielsweiſe Albertder Große.
Iſt nun auch der poſitive Gewinn an etwaigen neuen Thatſachen, welchen die Zoologie aus dem Studium der arabiſchen naturgeſchicht - lichen Litteratur ziehen kann, nicht gerade hoch anzuſchlagen, ſo iſt doch zu bedauern, daß von den Schriften der Orientalen überhaupt bis jetzt ſo äußerſt wenig zugänglich geworden iſt. Aus den an verſchiedenen Orten und zu verſchiedenen Zeiten überſetzten Bruchſtücken derſelben iſt zwar eine allgemeine Vorſtellung von der Auffaſſung des Thierreichs bei Muhammedanern wohl zu gewinnen. Für die ſpecielle Geſchichte der Kenntniß einzelner Formen, für den Urſprung und die Verbreitung vieler Sagen, ſelbſt für die Erklärung mancher der Producte der ſpät - griechiſchen Litteratur wäre aber ein weiteres Aufſchließen der betref - fenden Schriften dringend zu wünſchen. Die Continuität in der Ent - wickelung einzelner Vorſtellungen iſt noch immer durch eine Lücke von mehreren Jahrhunderten unterbrochen. Die Geſchichte der Zoologie wie die Geſchichte der Cultur überhaupt, namentlich aber die Littera - turgeſchichte des Mittelalters, welche noch immer an pſeudepigraphi - ſchen Ungeheuerlichkeiten reich iſt und durch das leidige Nachſchreiben Neuerer nicht geklärt wird, würde eine weſentliche Bereicherung erfah - ren, wenn die jetzt nur dem Titel nach angeführten Werke erſchloſſen würden. Man kann bei der gegenwärtigen Lage der Dinge weder ein zuſammenhängendes Bild erhalten, in wie weit die Kenntniß thieriſcher Formen durch die in wunderbarer Weiſe weit über bis dahin unbekannte Theile der Erde herumgekommenen Araber bereichert wurde, noch in158Die Zoologie des Mittelalters.welcher Weiſe ſie den nothwendig eintretenden Zuwachs zum Ausbau allgemeiner Anſichten benutzten. Ja, es iſt bis jetzt nicht einmal mög - lich, eine vollſtändige Ueberſicht über das litterariſche Material zu er - langen, welches die abendländiſchen Schriftſteller des dreizehnten Jahr - hunderts benutzen konnten.
Es wurde bereits angeführt, daß die Araber die Anregung zu wiſ - ſenſchaftlichen Arbeiten, ſo weit ſich dieſelben nicht auf den Koran be - ſchränkten, von außen erhielten. Schon vor dem Auftreten Muham - meds beſtanden in Syrien und Aegypten griechiſche chriſtliche und jü - diſche Schulen. Antiochien, Damaskus, Berytus u. a. waren oft genannte Orte. Eine der älteſten chriſtlichen Schulen war zu Riſibis, wo allerdings mit Ausſchluß der Profanwiſſenſchaften nur Theologie gelehrt wurde. Von hier ſoll Ephraim der Syrer die Schule nach Edeſſa verlegt haben, wo ſie ſich nicht mehr auf Theologie beſchränkte. Als Zenoder Iſaurier im J. 489 dieſe Schule aufhob, giengen viele ihrer Lehrer nach dem zwei Jahrhunderte vorher gegründeten Gondiſchapur; und dies iſt eine der älteſten Schulen, in welcher Perſer mit Griechen und Chriſten als Lehrer direct in Berührung kamen81)In Bezug auf die weitere Entwickelung der Schulen und Akademien, deren Schilderung hier zu weit führen würde, vergl. Wüſtenfeld, die Akademien der Araber und ihre Lehrer. Göttingen, 1837. Haneberg, Ueber das Schul - und Lehrweſen der Muhammedaner im Mittelalter. München, 1850. E. Meyer, Ge - ſchichte der Botanik. 3. Bd. S. 19 flgde, 102 flgde.. Fünfzig Jahre ſpäter flüchteten die von Juſtinianvertriebenen Philoſophen an den Hof des Kosru Ruſchirwan. Ueberſetzungen aus dem Syriſchen und aus dem Griechiſchen direct wurden nun veranlaßt. Als dann in der Mitte des ſiebenten Jahrhunderts das perſiſche Reich vor dem ſiegreich ſich ausbreitenden Islam zerfiel, fanden die Araber ein bereits reges geiſtiges Leben dort vor. Doch iſt nach der Natur der religiös fanatiſchen Kämpfe nicht zu erwarten, daß ein directes Anknüpfen hier eingetreten wäre; vielmehr gieng auch hier der ſpätern Wiederbelebung wiſſenſchaft -159Die Zoologie der Araber.licher Arbeiten wie an andern Orten eine Zerſtörung der früheren Cul - tur und namentlich Litteratur voraus.
Iſt es nun auch nicht möglich, eine Ueberſicht der Leiſtungen der einzelnen Verfaſſer, weder in Bezug auf das von ihnen bearbeitete Material, noch in Bezug auf die etwa den Einzelnen eigenen Richtun - gen zu geben, ſo mag doch, ſchon um die Aufmerkſamkeit auf die hier noch zu leiſtende Arbeit zu lenken, eine Aufzählung der Werke folgen, welche, wenn auch wohl vielfach als Compilationen ſich herausſtellend, doch den Ueberſetzungen gegenüber als ſelbſtändige Arbeiten angeſehen werden können. Die Liſte iſt chronologiſch geordnet82)Vorzüglich benutzt wurde: Wüſtenfeld, Geſchichte der arabiſchen Aerzte und Naturforſcher. Göttingen, 1840. Einzelnes iſt nach Hammer Purgſtall, Handſchriften. Wien, 1840 (aus dem 61-88. Bde der Wiener Jahrbücher) und Hadſchi Khalfa ergänzt. Es lag indeß nicht in der Abſicht, Vollſtändigkeit zu erreichen.. Berückſichtigt wurden nur Schriften, deren Titel auf einen mehr oder weniger ſpeciell zoologiſchen oder allgemein naturhiſtoriſchen Inhalt ſchließen ließen und welche in Handſchriften erreichbar ſind.
Die älteſte Schrift iſt eine von el-Razi( Rhaſes) citirte des als Arzt bekannten Abu Zakerija Jahja Ben Maſoweih( Meſuëder ältere), welcher im Jahre 857 ſtarb. Die Aufſchrift de animalibus läßt nicht erkennen, ob eine Aufzählung der in der Medicin verwend - baren Thiere oder eine naturhiſtoriſche Schilderung der Thiere über - haupt vorliegt83)Assemanni Biblioth. Naniana. II. p. 231. .
Ziemlich gleichzeitig wurden zwei Abhandlungen verfaßt, welche freilich nach Wüſtenfeldwohl mehr lexikaliſcher Art waren, immer aber ſowohl für die Wiedererkennung einzelner Formen als für die Ge - ſchichte der an ſolche ſich knüpfenden Erzählungen Intereſſe darbieten dürften. Beide ſtellen je zwei Bücher de feris und de apibus et melle dar. Ihre Verfaſſer ſind Abu Said Abdelmalik Ben Koris el-As - mai(geſtorben 832) undAbu Hakim Sahl Ben Muhammed el - Sedſchiſtani(geſtorben 864).
Der nächſte Schriftſteller iſt Abu Othman Amru el Kinani160Die Zoologie des Mittelalters. el Dſchahif( Dſchahidh Wüſtenfeld, Algiahid Bochart) geſtorben 868. Hammer-Purgſtallſagt zwar, daß die Schrift deſſelben „ nicht mit Un - recht in den meiſten Katalogen unter den philoſophiſchen Werken auf - geführt wird. Indeſſen ſind die Thiere der Hauptgegenſtand derſelben und es bleibt immer das Grundwerk arabiſcher Zoologie “. Der Titel kitab el-haiwán, Buch der Thiere, und die Citate, welche Bochartaus dem Werke gegeben hat, laſſen wohl wünſchen, von der Schrift mehr zu kennen, als den von Hammergegebenen Inhalt84)Das Werk findet ſich nach Wüſtenfeldauf der Hamburger Bibliothek. Auszüge hat Casiri, Bibl. Escurial. 892, 896 gegeben. ſ. Hammer-Purg - ſtall, Handſchriften. S. 127. Nr. 151. Auch Bochartcitirt es oft.. Daß die - ſelbe bei den Arabern ſelbſt verbreitet geweſen ſein muß, beweiſt der Umſtand, daß nach Oſſeibia's des Biographen der arabiſchen Aerzte Angabe Abdallatifein Compendium daraus zuſammengeſtellt hat, wel - ches aber bis jetzt ebenſowenig bekannt iſt.
Der als Ueberſetzer mathematiſcher und aſtronomiſcher Werke der Griechen gerühmte Abdul Haſſan Thabit Ben Korra(835-901) wird von Oſſeibia als Verfaſſer der bereits oben erwähnten Schrift de volucrum anatomia bezeichnet. Ob ſich die Schrift erhalten hat, iſt unbekannt.
Der Zeit nach der nächſte Autor würde der berüchtigte Abu Bekr Ahmed Ben Ali Ibn Wahſchijahſein, welcher zu Anfang des zehnten Jahrhunderts lebte. Die Leydener Bibliothek beſitzt eine Schrift deſſel - ben, welche im Katalog als descriptio animalium aufgeführt wird. Was aber ſonſt von Ibn Wahſchijahbekannt geworden iſt, verſpricht auch für dies Product kaum mehr als ein litterarhiſtoriſches Intereſſe85)Nachdem ſchon E. Meyerim 3. Bde ſeiner Geſchichte der Botanik in Be - treff der von Ibn Wahſchijahangeblich überſetzten Nabatäiſchen Landwirthſchaft zu zweifeln begonnen hatte, hat neuerdings A. v. Gutſchmiddie Betrügerei des Mannes aufgedeckt: Die nabatäiſche Landwirthſchaft und ihre Geſchwiſter in: Zeit - ſchrift d. deutſch. morgenländ. Geſellſch. 15. Bd. 1861. S. 1 108. Ueber das oben angeführte Werk ſ. Wüſtenfeld, a. a. O. S. 39..
Abu Dſchafer Ahmed Ibn Abul Aſch'ath, welcher im Jahre 970 ſtarb, hat eine in der Bodleyana in Oxford handſchriftlich vorhan -161Die Zoologie der Araber.dene Schrift: liber de animalibus verfaßt, von welcher gleichfalls Ab - dallatifeinen Auszug gemacht hat86)Der 923 oder 932 geſtorbene berühmte Arzt el-Razi( Rhaſes), welcher wie erwähnt ein zoologiſches Buch des Meſuecitirt, hat ſoviel man weiß, ſelbſt kein ſol - ches geſchrieben..
Der zu Cordova lebende berühmteſte Aſtronom und Mathematiker ſeiner Zeit, Abdul Kaſim Moslima el Madſchriti(ſtarb 1007) hat eine Schrift hinterlaſſen generatio animalium, von welcher ſich in Madrid eine Handſchrift findet87) Wüſtenfeld, a. a. O. S. 62; Biblioth. Escur. 895. .
Des Avicennawird ſeiner Paraphraſe der ariſtoteliſchen Zoo - logie wegen hier gedacht. Seine philoſophiſche Stellung, ſowie ſeine Berühmtheit als (galeniſcher) Arzt ſichern ihm auch unter den ſelbſtän - digen Forſchern einen Platz, obſchon er hier beſonders als Ueberſetzer erwähnt werden wird. Daſſelbe gilt von Averroës.
Kennt man von den bisher angeführten Werken kaum mehr als den Titel, ſo iſt von den Schriften des Abu Muhammed Abdallatif Ben Juſuf(1162 — 1231),[welcher] ſein Intereſſe für Zoologie durch mehrere Auszüge aus anderen arabiſchen wie aus griechiſchen Schrift - ſtellern bethätigt hat, eine Schilderung der Merkwürdigkeiten Aegyptens durch Ueberſetzungen in das Lateiniſche, Deutſche und Franzöſiſche be - kannt worden, welche im Jahre 1203 geſchrieben ein ganzes Kapitel den Thieren widmet88)Compendium memorabilium Aegypti, arabice et latine ed. J. White. Oxford, 1800. deutſch von S. F. Günther Wahl. Halle 1790. franzöſiſch von Sylv. de Sacy, Paris, 1810. . Da er auch die ariſtoteliſche Thiergeſchichte bearbeitet hat, iſt nicht zu verwundern, daß er, was Allgemeines betrifft, Homöo - merien (partes consimiles) und Anomöomerien (p. instrumentariae) unterſcheidet. Von Angaben über einzelne Thiere mögen die folgenden erwähnt werden. Hühner: hier ſchildert er ausführlich die künſtliche Ausbrütung der Eier. Eſel: zuweilen ſo hoch und faſt ſo ſchnell wie Maulthiere. Kühe: die geſchätzteſten ſind die ſogenannten khaïſijjhe, deren Hörner bogenförmig ſind. Krokodile: die Wirbelſäule ſoll aus einem einzigen Knochen beſtehen; auf der Bauchhaut ſollen ſie eine Art Moſchusbeutel tragen. Skink: weicht vom Waral durch den Wohnort V. Carus, Geſch. d. Zool. 11162Die Zoologie des Mittelalters.ab; erſterer lebt in offener Ebene und im Waſſer, der Waral auf Ber - gen; er lebt von der Eidechſe Adhayeh, Lacerta ocellata Forsk. Dieſe iſt der Sam-abras, dem Gecko, ähnlich, welche an einer ſpätern Stelle als mumificirt und eingeſargt vorkommend erwähnt wird. Hip - popotamus: die äußere Beſchreibung iſt im Allgemeinen leidlich. Das Innere ſoll nach Nitualis dem Schweine ähnlich ſein. Dieſer Nitualis iſt nach de Sacyder in den Geoponika erwähnte Anatolius, der ſonſt bei den Arabern auch Antulius heißt. Die erwähnten Fiſche ſind nicht ſämmtlich ſicher zu beſtimmen: Zitterwels und Aal (Waſſer - drache) finden ſich darunter. Eine ovale Muſchel, welche man nach dem Maße verkauft, nennt AbdallatifDelinas; es iſt Tellina.
Als ein Beiſpiel der allegoriſirenden Thierbeſchreibung führt Wüſtenfeld(a. a. O. S. 152) oratio avium von Ibn el Wardi(ſtarb 1349) an. Möglicherweiſe enthält das kosmographiſche Werk deſſelben Verfaſſers auch zoologiſche Angaben89) Wüſtenfeld, a. a. O. S. 151, bezeichnet es als „ über Geographie und Naturgeſchichte “und führt die daraus gedruckten Bruchſtücke an.. Wenigſtens dem Titel nach verwandt mit dem erſteren ſind die Vogelgeſpräche des Scheich Ferededdin Attar(perſiſch), welche zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts verfaßt wurden90)ſ. Hammer - Purgſtall, Handſchriften S. 95. Nr. 124. „ Mantik At - tair “. Es iſt dies eins der Hauptwerke der Schufiten, neuerdings herausgegeben und überſetzt von Garcin de Taſſy. Text: Paris, 1857. Ueberſetzung: 1864..
„ Eine Naturgeſchichte in vier Theilen: von den vierfüßigen Thie - ren, Vögeln, Fiſchen und Inſecten “ſchrieb der im Jahre 1361 zu Bagdad geſtorbene Abdulfath Ali Ibn el-Doreihim unter dem Titel utilitates animalium91) Wüſtenfeld, a. a. O. S. 153. Ein Bruchſtück iſt abgedruckt in Tych - ſen, Elementale arabic. p. 41. .
Dem Titel nach hiermit verwandt iſt ein Werk „ der Nutzen der Thiere “, welches der im Jahre 1324 geſtorbene Seineddin Mu - hammed Ben Huſſein el-Moſſuli el-Hanefi perſiſch verfaßt hat. Nach dem bei Hammer-Purgſtallgegebenen Inhaltsverzeichniß enthält es aber außer der Zoologie noch „ die Botanik, die Farbenlehre,163Die Zoologie der Araber.Fleckenausbringungskunſt, Phyſiognomik und einen Theil der natür - lichen Magie “92) Hammer-Purgſtall, Handſchriften. S. 147. Nr. 156..
Das ſpätere Hauptwerk über Zoologie iſt das Hayat ul-Haywàn das Leben der Thiere, von Abulbeka Muhammed Remaleddin el-Damiri, welcher 1405 in Kahira ſtarb. Er hat hiervon ſelbſt eine größere und eine kleinere Ausgabe beſorgt, von denen die er - ſtere 1371 vollendet wurde. Das vielfach von Bochartbenutzte und in einzelnen Stücken von Tychſenund S. de Sacyveröffent - lichte Werk iſt vor Kurzem vollſtändig gedruckt worden93)Hayat ul - Haîwân al Kubrâ l il Damiri. Bulaq, a. H. 1275 (a. Chr. 1857). 2. Bde Fol. 436 u. 480. SS. Die Auszüge ſind verzeichnet bei Wüſten - felda. a. O. S. 155. Ein vollſtändiges Verzeichniß der in lexikaliſcher Art abge - handelten Thiere gibt Hammer-Purgſtall, a. a. O. S. 132. Nr. 153.. Einer Ueberſetzung ſieht es noch entgegen. Einen (zoologiſchen?) Anhang zu des DamiriWerk hatDſchemaleddin el-Schebebi(geſtorben 1433) gegeben94) Wüſtenfeld, a. a. O. S. 156.. Der von Bochartunter dem Namen Abdar - rachmancitirte arabiſche Schriftſteller iſt Abderrachman Dſche - laleddin el-Sojuti(geſtorben 1445), welcher einen Auszug aus dem Hayat ul-Haywân unter dem Titel „ Diwan ul - Haywân “verfaßt hat. Er iſt lateiniſch gedruckt95)Nach Wüſtenfeld, a. a. O. S. 157: De proprietatibus et virtuti - bus medicis animalium. ed. Abr. Ecchellensis. Paris, 1647 mit Anmerkungen vonJ. Eliot, London, 1649 oder Leyden, 1699. Ich habe das Buch nicht geſehen.. Nach Hammer's Angabe gibt es auch eine perſiſche Abkürzung des Damiri.
Außer den vorſtehenden, wenn auch nicht ausſchließlich als Zoo - logen zu bezeichnenden, aber doch dieſen Namen in einem gewiſſen Sinne verdienenden Schriftſtellern muß zunächſt noch des als Botaniker be - kannten Abu Muhammed Abdallah Ibn el-Beitar(ſtarb 1248) gedacht werden. Nach den Citaten, welche Bochartaus ſeinem Cor - pus medicamentorum gibt, enthält daſſelbe auch zahlreiche zoologiſche Angaben, ebenſo wie Citate aus andern arabiſchen Quellen.
Von Intereſſe für die Geſchichte der arabiſchen Zoologie ſind aber auch die Geographen wegen der in ihren Schriften enthaltenen Angaben11 *164Die Zoologie des Mittelalters.über das Vorkommen einzelner Thiere. Doch erſchwert auch hier der Mangel einer wiſſenſchaftlichen Namengebung das Wiedererkennen der Thiere. Eines der älteſten bekannt gewordenen geographiſchen Werke iſt „ das Buch der Länder “des Scheich Abu Iſhak el-Farſi el-Ißtachri, geſchrieben um 95096)Das Buch der Länder von Schech Ebu Iſhak el Farſi el Ißtachri. Aus dem Arabiſchen überſetzt von A. D. Mordtmann. Hamburg 1845 (Schriften der Akademie von Ham, 1. Bd. 2. Abth.).. Zoologiſche Angaben finden ſich nur wenige. In Jemen ſind viele Affen, welche einem Anführer folgen, wie die Bienen der Königin. Auch iſt dort ein Thier, welches den Menſchen verwundet und ſeinen Leib mit Würmern füllt. Mordtmannglaubt hierbei, die Filaria medinensis, den Guineawurm, vermuthen zu kön - nen97)Es folgt hier (S. 14) folgende naive Stelle: „ Von einigen Hyänen wird aber etwas erzählt, was nicht erlaubt iſt, wieder zu erzählen; denn derjenige, der etwas läugnet und nicht berichtet, iſt eher zu entſchuldigen als derjenige, der etwas als wahr erzählt was er nicht weiß.. Bei Sirin (in Portugal) zeigt ſich zuweilen ein Seethier, aus deſſen abgeriebenen ſehr weichen goldgelben Haaren koſtbare Zeuge ge - webt werden. Die Nilkrokodile ſind nur unter den Vorder - und Hin - terfüßen und bei den Achſeln zu verwunden; es gibt am Nil Stellen, wo das Krokodil niemals Schaden thut. Auch im Fluſſe Mihram im Gebiete von Multan (Indien) gibt es ſo große Krokodile wie im Nil. In dem Süßwaſſerſee am untern Nilende finden ſich Fiſche von der Geſtalt einer Schildkröte, welche Delphine heißen. “ (Delphine an derſel - ben Oertlichkeit, bei Tennis und Damiette erwähnt auch Abdallatif). „ In Said gibt es Eſel, welche man Seklabie (Slavoniſche) nennt; man glaubt, daß ſie von einem wilden und einem gezähmten Thiere abſtam - men “(S. 33). Bei Nißibin in Dſcheſira finden ſich Schlangen, welche von allen Schlangen am ſchnellſten tödten, auch viele tödtliche Skor - pione. „ In Askar Mokrem gibt es eine Art kleiner Skorpione von der Größe eines Laſerpitiumblattes, welche Kerure heißen und von deren Biſſe Niemand geheilt werden kann, da derſelbe tödtlicher iſt als einiger Schlangenarten “(S. 59). „ Man fertigt dort Kermes (in De - bil). Ich habe gehört, daß es ein Wurm iſt, der ſich einſpinnt wie der Seidenwurm “.
165Die Zoologie der Araber.Ungefähr um dieſelbe Zeit entſtand das Werk des Abul Haſan el - Maſudi: „ die goldnen Wieſen “, welches kürzlich in franzöſiſcher Ueberſetzung erſchienen iſt98)Les Prairies d'or. Texte et traduction par C. Barbier de Meynardet Payet de Courtelle. Paris, 1863. T. I. II. III. . Es enthält ſo wenig wie das vorſtehend erwähnte allgemeine Angaben über Vorkommen und Verbreitung orga - niſcher Weſen und auch verhältnißmäßig wenig einzelne Angaben. Der Zitterwels wird hier ſchon erwähnt (ebenſo ſpäter bei Edriſiund Ab - dallatif). Eine merkwürdige Fabel von Meerthieren, welche Alexanderden Großen beim Bau der großen Nilſtadt beſtändig unterbrechen, würzt die Beſchreibung von Unterägypten.
Die Reiſeberichte desAbu Soleimannach Indien und China99)Relation des Voyages faits par les Arabes et les Persans dans l'Inde et la Chine etc. publié par Reinaud. Paris, 1845. 2 Vols. Einige zoolo - giſche Erläuterungen ſind vonRoulinbeigegeben. enthalten einige dürftige Angaben über Thiere, unter welchen die über das Moſchusthier herauszuheben iſt. Die Eckzähne werden hier als aus dem Unterkiefer entſpringend beſchrieben; ſie ſollen dem Geſichte anliegend nach oben wachſen und werden auch Hörner genannt. Es erinnert dies an die gleiche Bezeichnung der Elefantenzähne bei alten Schriftſtellern.
Die mit dem Titel „ Ergötzlichkeiten der Reiſeluſtigen “bezeichnete, im Jahre 1153 verfaßte Geographie des El-Scherif Abu Ab - dallah Muhammed ben Edris( Edriſi)100)Géographie d' Édrisi. trad. par P. A. Jaubert. 2 Vols. Paris, 1836, 40. 4° (Recueil des Voyages publ. par la Soc. de Géogr. T. 5. 6). enthält mehrere für die allgemeine Auffaſſung der Vertheilung thieriſcher Formen auf der Erdoberfläche nicht unintereſſante Angaben. Nach ihm iſt nur die nörd - liche Erdhälfte bewohnbar. Im Süden vom Aequator iſt die Hitze ſo groß, daß alles Waſſer auftrocknet. Wo aber weder Waſſer noch Küh - lung ſich findet, können keine Pflanzen und Thiere beſtehen. Ueberein - ſtimmend mit dieſer Auffaſſungsweiſe der klimatiſchen Wirkungen wird auch die Körperbeſchaffenheit der Neger auf äußere directe Urſachen zu - rückgeführt. Im Süden werden die Einwohner von der Sonne ver - brannt; ſie ſind daher von ſchwarzer Farbe und ihr Haar iſt kraus. 166Die Zoologie des Mittelalters.Bei den Schilderungen der einzelnen Länder werden häufig Thiere mit aufgezählt, ſo z. B. eine ganze Reihe von Nilfiſchen. Doch iſt aus derartigen Verzeichniſſen nicht eher ein hiſtoriſcher Gewinn zu ziehen, als bis einmal die Leiſtungen der übrigen arabiſchen Autoren werden überſichtlich zuſammengeſtellt werden können.
Von weniger Belang für zoologiſche Ausbeute ſind die beiden an - dern beſonders gerühmten arabiſchen Geographen, welche noch erwähnt werden mögen, Abulfedaund Ibn Batuta, wenn gleich auch ſie zu einem Geſammtbilde der arabiſchen Leiſtungen herangezogen werden müſſen.
Endlich iſt unter den ſelbſtändigen Arbeiten noch der Kosmogra - phien oder Wunderſammlungen zu gedenken, welche in einem Ueber - blicke über die ganze wunderbare Welt auch den Thieren eine zuweilen mehr als vorübergehende Aufmerkſamkeit widmen.
Das erſte von Litterarhiſtorikern erwähnte, aber noch nicht zu - gängliche Werk dieſer Art iſt von Muhammed ben Muhammed ben Achmed Tuſi Solmani und wurde im Jahre 1160 unter dem von Spätern wiederholten Titel der Wunder der Geſchöpfe (Adschaib el Machlukat) verfaßt101)Außer der Notiz im Hadſchi Khalfa (IV, 288) und bei Hammer - Purgſtall, a. a. O. S. 129, finde ich keine nähere Angabe über das Werk.. Es kann hier leider nur auf das Werk hinge - wieſen werden.
Bekannter iſt die unter demſelben Titel erſchienene Kosmographie des Zakarija ben Muhammed el Kazwini102)Nachdem Hammer-Purgſtallfrüher ſchon den Inhalt angegeben hatte (a. a. O. S. 149), einzelne Auszüge auch von de Sacyin der Chresto - mathie arabe mitgetheilt waren, iſt jetzt bereits der erſte Theil einer vollſtändigen deutſchen Ueberſetzung erſchienen: Zakarija ben Muhammed ben Mah - mud el-Kazwini's Kosmographie. Nach der Wüſtenfeld 'ſchen Textausgabe zum erſten Male vollſtändig überſetzt von Herm. Ethé. Die Wunder der Schö - pfung 1. Halbband. Leipzig, 1868. 8°. Möchte das lange mit Spannung erwartete Werk einen günſtigen Fortgang nehmen! Vielfache Citate aus Kazwini(wie aus Damiri, Dſchahifu. a.) führtBochartim Hierozoikon an. Wie Hammer - Purgſtallmittheilt (a. a. O. S. 142), iſt Kazwini's Werk auch in's Perſiſche überſetzt worden.. Für die Cha - rakteriſtik dieſes Werkes iſt wichtig, daß ſein Verfaſſer, welcher im167Die Zoologie der Araber.Jahre 1283 ſtarb, noch weniger als ſein Vorgänger Achmed von Tus der Blüthezeit der arabiſchen Wiſſenſchaften angehörte, ſondern vor - züglich durch ſeine Compilationen aus älteren Schriftſtellern von Werth iſt. So werden bei den Mittheilungen über Thiere von bekannten arabi - ſchen Schriftſtellern Avicenna(meiſt in Bezug auf die mediciniſche An - wendung der einzelnen Thiere) und der oben genannte Dſchahifcitirt; ferner noch Muhammed ben Zakarija el-Razi, Zakarija ben Jahja ben Chakan, „ der Spanier “ Abu Hamid(Verfaſſer eines Buchs der Wun - der, kitab el-Adschaib),Ibn Elfeki(Abubekr Achmed ibn Muhammed el Hamadani),Abderrachman ben Harun el Maghribi u. a. Oefter erwähnt werden auch die Verfaſſer zweier, zu Kazwini's Zeit wohlbe - kannter arabiſcher Werke, der Tuchfat el-Gharaib (Geſchenk der Wun - derbarkeiten) und der Adschaib el-achbar (wunderbare Geſchichten). Häufig beruft ſich Kazwiniauch auf den Bericht von Kaufleuten, alſo Reiſenden, deren Glaubwürdigkeit indeß nicht weiter unterſucht wird. Von Griechen werden (außer dem im aſtronomiſchen Theil vorkommen - den Ptolemaeus) nur Hippokratesund Ariſtotelescitirt, letz - terer nur bei Erwähnung der Kämpfe zwiſchen den Pygmäen und Kra - nichen nach einer untergeſchobenen oder wenigſtens jetzt nicht auffind - baren Stelle (häufiger wird er im Abſchnitt über die Mineralien ange - zogen). Endlich wird von Belinas ein Buch Chawass el-Haiwân (die beſondern Eigenthümlichkeiten der Thiere) angeführt. Ueber dieſen Schriftſteller wird ſpäter noch die Rede ſein müſſen.
Was nun des Kazwinizoologiſche Anſchauungen betrifft, ſo iſt von dem beſonnenen Urtheil des Ariſtoteles, welcher doch zu ſeiner Zeit bereits längſt bekannt und verbreitet war, allerdings nichts zu bemerken. Vielmehr werden nicht bloß die Thierſchilderungen häufig zu wirklich wunderbaren Geſchichten, ſondern es verräth ſich auch in den allgemei - neren Anſichten nur allzuoft der Einfluß der dogmatiſch beſchränkten Denkweiſe. Alle Körper, welche aus den urſprünglichen Elementen her - vorgegangen ſind, bilden eine ununterbrochene Stufenreihe vom Unvoll - kommnen zum Vollkommnen. Sie beginnt mit der Erde und den mit dieſer zuſammenhängenden Mineralien und geht dann weiter zu den Pflanzen, den Thieren, den Menſchen und ſchließt mit den Engeln. 168Die Zoologie des Mittelalters.Pflanzen und Thiere unterſcheiden ſich von den Mineralien dadurch, daß ſie des Wachstums fähig ſind. Die Thiere haben vor den Pflan - zen die Fähigkeit zu empfinden und ſich zu bewegen voraus. Das nie - drigſte Thier ähnelt den Pflanzen und hat nur einen Sinn (Gefühl). Es iſt ein im Innern einer ſteinernen Röhre lebender Wurm, der ſich an einigen Ufern findet. Die den Menſchen nächſten Thiere ſind die Affen, ſowohl wegen der Form ihres Leibes als ihrer Seele. Aber auch das Pferd und der Elefant nähern ſich durch ihre Seeleneigen - ſchaften dem Menſchen. Die allgemeinen anatomiſchen und phyſiolo - giſchen Anſichten laſſen ſich aus dem bis jetzt allein erſchienenen, nur die Waſſergeſchöpfe eingehender behandelnden erſten Theile nur einzeln erkennen. Doch weiſt hier Vieles auf ältere Anſchauungen hin. So ge - ſchieht die Athmung behufs der Abkühlung der ſich im Körper ent - wickelnden Hitze. Bei den Waſſerthieren gelangt nun die Kälte des Waſſers direct zu ihnen; ſie brauchen daher keine Lungen, da das Waſſer hier als Stellvertreter der Luft wirkt. Nicht zu verdunkeln war die Verallgemeinerung, daß ein Thier deſto zahlreichere Glied - maßen und verſchiedenartigſte Organe bedarf, je vollkommener es iſt. Der Verſuch aber, dieſe Organiſation zu erklären, wird wieder eigen - thümlich, wenn Kazwiniſagt, daß jedes Thier Glieder habe, die zu ſeinem Körper ſtimmen, und Gelenke, die zu ſeinen Bewegungen paſſen, und Häute, die zu ſeinem Schutz wohl geeignet ſind. Die foſſilen For - men ſcheint er durchaus nur als Verſteinerungen auch jetzt noch leben - der genommen zu haben. Er ſagt (bei der Erklärung des Wortes Gha - rib), daß einer Behauptung zufolge Dampf aus der Erde aufſteige, welcher alle Thiere und Pflanzen, die er treffe, in harten Stein ver - wandelte. Die Spuren davon liegen klar in Anſina im Lande Aegyp - ten und in Jaleh Beſchem im Lande Kazwin. Die Einzelangaben fin - den ſich theils bei der Aufzählung der Jahreszeiten und der ſyriſchen (Sonnen -) Monate, wo Kazwinieinzelne biologiſche Mittheilungen über Brunſt, Wachsthum, Wanderung von Thieren einflicht, theils bei der Schilderung der einzelnen Meere und Inſeln. Außerdem iſt aber noch ein beſonderer Abſchnitt den Waſſergeſchöpfen gewidmet. Da findet ſich freilich auch manches Wunderbare. So erzählt Kazwinidem169Die Zoologie der Araber. Dſchahifnach, daß jeder im ſüßen Waſſer lebende Fiſch (ob Dſchahifhier wirklich Fiſche oder nur Waſſerthiere meint, iſt zweifelhaft) eine Zunge und ein Gehirn habe, alle Fiſche im Meere aber weder das eine noch das andere. Doch begegnet man auch mehreren hiſtoriſch nicht unintereſſanten Angaben. Ob die Schilderung der Affen (oder Men - ſchenkinder, deren Charaktere denen wilder Thiere ähnlich ſind und die auf Bäumen der Inſeln Java und Sumatra wohnen) ſich auf den Orang-Utang beziehen, iſt nicht ganz ſicher. Dagegen erwähnt Kaz - winideutlich die Pteropen von Java als geflügelte Katzen. Ferner iſt wohl die Beſchreibung eines Fiſches (aus dem rothen Meere!) in der Geſtalt einer Kuh, welcher Junge zur Welt bringt und ſäugt, vielleicht auf den Dugong zu beziehen. Auch Kazwiniſagt, daß das Krokodil nur die obere Kinnlade bewege und im Rücken keine Wirbel habe. Deſ - ſen Freundſchaft mit einem Vogel, der ihm die Zähne reinigt, erwähnt er in einer oft wiederkehrenden Form. Manches im Phyſiologus Er - zählte findet ſich hier wieder, zuweilen mit eigenthümlicher Uebertra - gung der Geſchichte auf andere Thiere. Die Erzählung von der Selbſt - caſtration wird von Kazwininicht beim Biber, ſondern beim Waſſer - hund vorgebracht, bei demſelben auch das im Phyſiologus vom Hydrus Berichtete. Die Erzählung von der Serra findet ſich wie bei Pliniusauch hier vom Delphin mitgetheilt. Die täuſchende Inſelbildung wird hier nicht dem großen Walfiſch, ſondern der Meerſchildkröte zugeſchrie - ben, alſo mehr im Sinne der Etymologie des Wortes Aspidochelone. Für die Geſchichte einzelner Anſichten, der Erzählungen über einzelne Thiere iſt jedenfalls Kazwinivon größtem Intereſſe. Doch lag eine beſondere Darſtellung zoologiſcher Auffaſſungen nicht in ſeinem Plane.
Noch weniger thatſächliches Material zur Geſchichte der Thier - kenntniß bietet die dritte noch zu erwähnende Kosmographie dar, welche Schemseddin Abu Abdallah Muhammed el Dimeſchki(lebte 1256-1327) unter dem Titel Nukhbet el-dahr (Auswahl des Zeitlichen) geſchrieben hat103)Cosmographie. Texte arabe publié par Mehren. St. Pétersbourg, 1866. 4°. .
170Die Zoologie des Mittelalters.Außer den in dieſer Liſte aufgeführten Verfaſſern ſelbſtändiger Werke erſcheinen bei Bochartnoch einige Araber, über welche eine weitere Nachweiſung nicht zu erlangen war. Dahin gehören die beiden als Aſſeidalanius und Arruvianus Bezeichneten104)alſo: Einer aus Seidalan und Einer aus Ruvan (Rujan in Perſien?). Oder ſollte Aſſeidalani verſtellt ſein aus Sandalani, der Apotheker? vergl. E. Meyer, Geſchichte der Botanik. Bd. 3. S. 123. und Abulſapha105)Abulsapha lib. de animalibus, quem ex arabica lingua in he - braeam transtulit Kalonymus a. Chr. 1316 ( Bochart). .
Ungleich bedeutender als durch ihre Originalarbeiten haben die Araber auf die Wiederbelebung der Zoologie dadurch eingewirkt, daß ſie als Ueberſetzer die Vermittler zwiſchen Alterthum und neuerer Zeit wurden. War auch der Theil der Cultur, welcher mit der Entwickelung freierer ſocialer Zuſtände, geregelter Agrarverhältniſſe, kurz mit allem dem zuſammenhieng, was mehr von dem Charakter der Oertlichkeit be - ſtimmt wurde, vom Abendlande ſelbſtändig und allein zu erkämpfen, ſo bot es doch eben während dieſer Kämpfe keine geeignete Stätte dar für Bergung des Schatzes antiken Wiſſens, zu einer Zeit, wo die Wiſ - ſenſchaft ſich bei den Arabern zur reichſten Blüthe erhob. Die logiſchen Schriften des Ariſtoteleswaren, wie früher erwähnt wurde, durch mehrfache Bearbeitungen im Abendlande bekannt und in Wirkſamkeit geblieben. Die zoologiſchen Schriften deſſelben lernte es aber zuerſt wieder durch arabiſche und arabiſch-hebräiſche Ueberſetzungen kennen, bis in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts der griechiſche Text zum erſten Male direct in das Lateiniſche überſetzt wurde.
Die erſten Vermittler zwiſchen Griechenland und den Arabern waren die Syrer, durch welche die Bekanntſchaft mit griechiſchen Au - toren zu den arabiſchen und wohl auch jüdiſchen Schulen drang. Nach den Angaben, welche Ebedjeſus in dem von Aſſemani publicirten Kata - loge ſyriſcher Schriften106)Biblioth. Clement. Vatican. T. III. P. l. p. 85. nach Wenrich, macht, ſowie nach andern Notizen ſind171Die Zoologie der Araber.ſchon im fünften Jahrhundert Hibas, Vorſtand der Kirche in Edeſſa (435-457)Cumas,ProbusundManagleichfalls Lehrer in Edeſſa, als Ueberſetzer des Ariſtotelesaufgetreten107)vergl. auch E. Sachau, Ueber die Reſte der ſyriſchen Ueberſetzungen claſſiſch-griechiſcher nichtariſtoteliſcher Litteratur, in: Hermes von Hübner, 4. Bd. 1. Hft. 1869. S. 74. 75.. Ob ſie ſämmtliche, alſo auch die zoologiſchen Schriften des Ariſtotelesüber - ſetzt haben, iſt ebenſo wenig ſicher zu ermitteln, wie ob der SyrerUra - nius, welcher nach der Angabe des Agathias(II, 28) auf Geheiß desKosra Nuſhirwan(531-570) den Ariſtotelesins Perſiſche überſetzt hat, dieſe Schriften den Perſern zugänglich gemacht hat. Von Gelehr - ten der Schule zu Edeſſa werden nochSergiusvon Raſain, der Bi - ſchof JakobundGeorgBiſchof der Araber im ſechſten und ſiebenten Jahrhundert als Ueberſetzer des Ariſtoteleserwähnt. Man darf nun aber nicht glauben, daß die Ueberſetzungen dieſer früheren ſyriſchen Theologen und Aerzte erhalten ſind oder auch nur bis zu der Zeit er - halten waren, wo bei den Arabern der Eifer für wiſſenſchaftliche Ar - beiten erwachte. Wie ſchon früher angedeutet wurde, iſt bei dem erſten Anprall der Verbreiter des Islam dieſe ältere ſyriſche Litteratur zum größeren Theile zerſtört worden. Beſtätigt wird dieſe Vermuthung durch die ſonſt kaum zu erklärende Angabe, daß der Khalif El-Mamun(812-833) Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen (zunächſt in das Sy - riſche) veranlaßt habe. Von ihm an beginnt daher eine jüngere Ueber - ſetzungslitteratur ſich zu entwickeln, welche für die uns zugänglich ge - bliebenen arabiſchen Ueberlieferungen griechiſcher Werke von der größten Bedeutung geworden iſt.
Berühmtheit als Ueberſetzer aus dieſer zweiten Reihe erlangte der auch als Arzt unter dem Namen Joannitiusbekannte Abu Said Ho - nein ben Iſhak, deſſen ſyriſche Ueberſetzungen ariſtoteliſcher Schrif - ten ſein Sohn Iſhak ben Honein(geſtorben 910 oder 911) ins Arabiſche übertrug. Doch herrſcht bei dieſen beiden, ebenſo wie bei Abulfaradſch Abdullah ben Attajjeb(ſtarb 1044), welcher106)de auctorum Graecorum versionibus et commentariis syriacis, arabicis etc. Lipsiae, 1842. p. 130. 172Die Zoologie des Mittelalters.den Ariſtotelesaus dem Syriſchen ins Arabiſche überſetzt hat, in Be - zug auf ihre Berückſichtigung der Zoologie derſelbe Zweifel wie bei den früheren. Es finden ſich aber andererſeits ſchon im 9. Jahrhundert be - ſtimmte Nachweiſungen dafür, daß die zoologiſchen Bücher gleichfalls überſetzt wurden. Wenigſtens hat Jahia Ibn Albatrik(um 820-830) ſämmtliche neunzehn Bücher ins Syriſche überſetzt108) Wenrich, a. a. O. S. 129. Wüſtenfeld, Geſchichte der arab. Aerzte u. Naturf. S. 18. 19. Es wurden 19 Bücher gezählt, da außer den neun Büchern Thiergeſchichte bekanntlich noch das zehnte, ſchon vonCamusals unächt erkannte Buch dieſer Schrift, ferner die vier Bücher über die Theile und die fünf über die Zeugung und Entwickelung der Thiere angereiht wurden.; und ſchon Ende des zehnten und Anfang des elften Jahrhunderts er - ſchienen Ueberſetzungen in's Arabiſche. So hatAbu Ali Iſa ben Zara(ſtarb 1001) die Thiergeſchichte und die Bücher über die Theile der Thiere mit dem Commentar desJohannes Grammaticusaus dem Syriſchen in's Arabiſche überſetzt. Auch ſoll derſelbe das Compendium der ariſtoteliſchen Zoologie des Nikolaus (Damascenus) arabiſch her - ausgegeben und verbeſſert haben109) Wenrich, a. a. O. S. 300. 294.. Ferner wird angegeben, daß Abu Ali Haſan ben Haithem(ſtarb 1038) und ſpäter Moham - med ben Badſchah(bekannter durch die hebraiſirte Form ſeines Namens als Aven Pace, ſtarb 1138) die Thiergeſchichte mit Commen - taren erläutert haben, ſowie daß der früher erwähnte Abu Moham - med Abdallatifdie Thiergeſchichte in ein Compendium gebracht habe. Hält man nun hierzu, daß der als Arzt und Philoſoph bekannte Biſchof Abulfaradſch Dſchordſchis(häufiger als Gregorius Barhebräusaufgeführt, 1226-1286) in ſeinen Erläuterungen der ariſtoteliſchen Philoſophie auch die zoologiſchen Schriften bedacht hat, ſo ſtellt ſich eine Bekanntſchaft des Orients mit der Zoologie des Stagiriten dar in Ueberſetzung, Compendium und Commentaren ver - ſchiedner Art. Und doch haben alle die bisher erwähnten Ueberſetzer und Commentatoren bei weitem nicht denſelben Einfluß auf die Wie - deraufnahme ariſtoteliſcher Studien, beſonders der zoologiſchen Seiten ſolcher, im Abendlande gehabt wie die Ueberſetzungen des Ibn Sinaund Ibn Roſchd.
173Die Zoologie der Araber.Abu Ali el-Hoſein ben Adallah el-Scheich el-Reis Ibn Sina(nach der hebraiſirten Form Avicenna, 980-1037), deſſen philoſophiſche Stellung oben charakteriſirt wurde, ſoll ſämmtliche Schriften des Ariſtotelesin einem Werke von zwanzig Bänden com - mentirt haben. Daſſelbe iſt jedoch nach Oſſeibia unter dem Sultan Maſud verloren gegangen. Dagegen iſt noch ein Commentar von ihm über des AriſtotelesSchriften über die Thiere erhalten, welchen Mi - chael Scotusaus dem Arabiſchen in's Lateiniſche überſetzt hat. Es iſt derſelbe nicht in der ſtrengen Form eines den Text fortlaufend erläu - ternden Commentars, ſondern als eine freiere Paraphraſe verfaßt wor - den, bietet alſo dieſelbe Form dar, wie die Schriften Alberts des Großen. Die Schrift iſt nach der ſoeben angeführten Art in neunzehn Bücher eingetheilt, umfaßt alſo die Thiergeſchichten, über die Theile und über die Zeugung. Davon ſind jedoch, wenigſtens in der allein erhaltenen auszugsweiſen Ueberſetzung des Michael Scotus, ein - zelne Bücher ſehr kurze, zuweilen nur wenige Zeilen lange unvollſtän - dige Auszüge, wie z. B. das elfte, dem erſten der Schrift über die Theile entſprechende. Wo übrigens von Albertdem Großen Avicennacitirt wird, iſt es nicht bloß dieſe Paraphraſe, ſondern eben ſo oft ſein Canon, in welchem ſowohl Heilmittel von Thieren als giftige Thiere ihrem mediciniſchen Verhalten nach geſchildert werden. Man könnte nach der hebraiſirten Form des Namen, unter welcher Ibn Sinavom Mittelalter an meiſt genannt wird, vermuthen wollen, auch Mi - chael Scotushabe nach einer hebräiſchen Ueberſetzung ſeine lateiniſche Uebertragung angefertigt, eine Meinung, welcheCamusvertheidigt; doch hat ſchon Jourdaindie Benutzung des arabiſchen Originals wahrſcheinlich gemacht110) Jourdain, Recherches sur les traductions latines d' Aristote. Nouv. éd. 1843. p. 131. . Jedenfalls war Ibn Sinanach hebräiſchen Ueberſetzungen anderer Werke bereits als Avicennabekannt, welche auf Veranlaſſung des ErzbiſchofsRaimundvon Toledo von mehreren Ju - den, unter ihnen Johannvon Sevilla ( Avendeath) veranſtaltet wurden.
Abul Welid Muhammed ben Achmed Ibn Roſchd, hebraiſirt174Die Zoologie des Mittelalters. Averroes(1120-1198) iſt für die Entwickelung der mittelalter - lichen Philoſophie zwar von ungleich größerer Bedeutung geweſen als Avicenna; in Bezug auf ſeinen Einfluß als Verbreiter der ariſtoteli - ſchen Zoologie ſteht er aber dieſem nach. Die von ihm betonte und für ſein ganzes Syſtem charakteriſtiſche Trennung zwiſchen Philoſophie und Theologie hat vielleicht hauptſächlich dazu beigetragen, den nur oder vorwiegend in averroiſtiſchem Gewande bekannten Naturhiſtoriker Ari - ſtotelesim zwölften und dreizehnten Jahrhundert zu verbieten111)So verordnete noch 1215Robertus Carthonensis, legatus Papae den Pariſer Schülern und Lehrern: legant libros Aristotelisde dialectica tam ve - teri quam de nova in scholis ordinarie et non ad cursum; non legantur libri Aristotelisde metaphysica et naturali philosophia nec summa de eis - dem. vergl. Bulaeus, III, p. 82. , bis er beſonders durch die Form der Commentare des Averroesallgemeiner verbreitet von Albertdem Großen und Thomasvon Aquino zu Anſehn und ſelbſt kirchlicher Geltung gebracht wurde. Eine eingehende Kennt - niß der Zoologie des Ariſtoteleshat aber Averroesnicht vermittelt. Freilich hat er über ſämmtliche zoologiſche Schriften des Stagiriten Commentare verfaßt112)Belege ſ. bei Renan, Averroes. p. 47, 17. , welche ſich meiſt als exegetiſche Erklärungen dem Texte anfügten und dieſen nur ſeltener ausführlich paraphraſirten. Doch ſind dieſelben weder im Originale je gedruckt worden, noch jetzt ſämmtlich erhalten. Der Commentar zu der Thiergeſchichte fehlt und nur der zu den Schriften über die Theile und über die Zeugung iſt nach hebräiſchen Ueberſetzungen noch vorhanden, von denen bereits 1169 in Sevilla eine angefertigt wurde. Auch ſpäter noch werden hebräiſche Ueberſetzungen gerade dieſer Commentare, d. h. über das 11. bis 19. Buch der geſammten Zoologie des Ariſtoteleserwähnt, ſo die des Ja - cob ben-Machir(1300) und desAbba More Jarchi(um 1306), wäh - rend ſchon 1260 Moſes Aben Tibbonſeinen Religionsgenoſſen eine vollſtändige Ueberſetzung der Commentare des Averroesgegeben hatte.
Es iſt aus dem Vorhergehenden erſichtlich, daß die Araber durch ihre eigenen Arbeiten zur Förderung der Zoologie nur äußerſt wenig und nur in beſchränktem Sinne beitrugen, da ſich ſowohl in ihrem Na -175Die Zoologie der Araber.tionalcharakter als in ihrer in dieſem wurzelnden Religionsform Hin - derniſſe genug für eine wirkſame Behandlung einer von ſtrenger Beo - bachtung ausgehenden und wenig Anhaltepunkte für abergläubiſche Phantaſtereien darbietenden Wiſſenſchaft vorfanden. Dagegen iſt die culturhiſtoriſche Bedeutung der Araber und beſonders der Syrer, ſowie ihr Verdienſt um die Zoologie dadurch ſicher begründet, daß ſie dieſelbe durch Aufnahme und ſpätere Uebermittelung der Schriften des Alterthums entwickelungsfähig hielten und ihr Wiederaufleben in einer Zeit ermög - lichten, wo die Geiſter ſich kräftiger zu bewegen begannen, und daß ſie beſonders durch die Philoſophie des Averroes, welche eine wiſſenſchaft - liche Naturforſchung denkbar werden ließ, zu eingehender Beſchäftigung mit der Natur veranlaßt wurden. Freilich äußerte ſich die letztere mehr in dem Durchſuchen und der theilweiſen oder völligen Wiedergabe der Meiſterwerke des Alterthums. Aber gerade dieſer Umſtand, daß jenes durch poetiſche Erhebung und religiöſen Enthuſiasmus ſo ausgezeichnete Zeitalter die letztern wieder erhielt, war von durchgreifender Wichtigkeit.
Das Hauptgewicht wurde bis jetzt auf die Kenntniß der ariſtote - liſchen Schriften gelegt, wie ja zweifelsohne das Wiedererſcheinen der - ſelben in der Bildungsgeſchichte des Mittelalters den Eintritt einer neuen Periode bezeichnen muß. Nun wird aber einer weit verbreiteten Meinung zufolge häufig angeführt, Ariſtoteleshabe ſich im Mittelalter auf dem Gebiete der Zoologie mit Pliniusin die Herrſchaft getheilt. Es mag gleich hier bemerkt werden, daß allerdings ſeit dem dreizehnten Jahrhundert Pliniushäufig geleſen wurde. In Süddeutſchlandwar er ſchon im elften Jahrhundert113) Ellinger, Abt von Tegernſee, zierte die Naturgeſchichte des Pliniusmit Figuren der Thiere. Frhr. von Freyberg, Aelteſte Geſchichte von Tegernſee. München, 1822. S. 179.. Robert de Thorigny brachte ihn zu - erſt 1189 nach dem Kloſter Le Bec, wo hundert Jahre früher Lanfrancden Eifer für litterariſches Wiſſen geweckt hatte. Sein Anſehn ſtieg auch im Allgemeinen ſo, daß im fünfzehnten Jahrhundert für ihn in Brescia ein eigner Lehrſtuhl gegründet wurde. Um aber jene Behaup - tung rechtfertigen zu können, müßte ſich nachweiſen laſſen, daß der Ein - fluß des Pliniusnicht bloß im Ganzen auf die naturgeſchichtlichen176Die Zoologie des Mittelalters.Ideen jener Zeiten, ſondern beſonders auf die epochemachenden Werke des dreizehnten Jahrhunderts ein irgend wahrnehmbarer geweſen wäre. Es werden ſpäter die Quellen der letzteren einer Erörterung zu unter - werfen ſein. Was das erſtere betrifft, ſo iſt an Folgendes zu erinnern. Die zoologiſche Bildung und die dieſelbe allein oder vorzugsweiſe tra - gende ärztliche Wiſſenſchaft war in den Händen der Araber und gieng von ihnen auf die jüdiſchen Schulen des ſüdlichen Mitteleuropa's über. Dieſen Weg hatte auch Ariſtotelesgefunden. Sollte Pliniuseinen gleichen Einfluß gehabt haben, ſo müßte auch er den Arabern bekannt geweſen und von ihnen im Abendlande weiter verbreitet worden ſein.
Fabriciusführt in ſeiner Bibliotheca latina eine arabiſche Ueberſetzung des Pliniusvon Honiam, d. h. wohl von Joannitius( Abu Said Honein ben Iſhak) an; dieſe exiſtirt aber ſicher nicht. Dagegen kommen häufig in arabiſchen Schriftſtellern Verweiſungen auf einen gewiſſenBelinasoderBelinusoderBolonius, je nach der verſchiedenen Vocaliſation, vor. Von ihm werden verſchiedene Schrif - ten angeführt, ſo ein Buch: das Geheimniß der Natur, ein Buch der Eigenſchaften, ein Buch der Urſachen, ein Buch von den ſieben Kör - pern (d. i. Gold, Silber, Kupfer, Eiſen, Blei, „ chineſiſches Eiſen “und Zinn)114)Im Hadſchi Khalfa (Ausgabe von Flügel, Bd. 2. S. 48) wird ange - führt, daßAidemir ben Ali Dſchildekidieſes Buch commentirt habe (14. Jahrhun - dert). Die Astrologia apotelesmatica des Apolloniusüberſetzte Honein ben Iſhakin's Arabiſche. vergl. Wenrich, a. a. O. S. 240. 239. und in Kazwini's Schrift noch ein Buch: die beſondern Eigenthümlichkeiten der Thiere (Chawass el-Haiwân). Hier an Pliniuszu denken, lag aus mehreren Gründen nahe. Das Geheimniß (Sir) der Natur konnte leicht in eine Geſchichte (Siar) der Natur übergehen. Die Umwandlung des Namens konnte keine Schwierigkeit machen. Aus dem Alterthum war kein andrer Schriftſteller ähnlichen Namens und gleicher Richtung bekannt. Und daß dieſer ſogenannte Pliniuseine von dem hiſtoriſchen verſchiedene halb mythiſche Perſon geworden war, die zu den ſieben Weiſen gerechnet wurde, der Lehrer Alexanders des Großen geweſen ſein ſollte u. ſ. w., konnte bei Orientalen, welche Rom nicht kannten, ſondern unter ihrem „ Rum “Conſtantinopel ver -177Die Zoologie der Araber.ſtanden, nicht weiter befremden. Man hielt denn auch wirklich dieſenBelinuseine Zeit lang für Plinius. Doch hatte ſchon 1800 (an VII) Sylveſtre de Sacyrichtig den Namen auf Apolloniusvon Tyana gedeutet115)Notices et Extraits, Tom. 4. p. 107. Dieſer Anſicht folgte bereits Wenrich, a. a. O. S. 238, während Flügelim Hadſchi Khalfa (VII. 645) für Pliniusſich entſcheidet., was dadurch zur Evidenz bewieſen wird, daß in Jakut's geographiſchem Wörterbuch116)herausgegeben von Wüſtenfeld, Thl. 1. S. 729. Ich verdanke die betreffenden Nachweiſungen der Güte des Herrn Prof.Fleiſcher, welcher jetzt gleichfalls überzeugt iſt, daßBelinus Apolloniusiſt. Durch Vergleichung der demBelinuszugeſchriebenen Stellen kommt auch L. Leclerc zu derſelben Anſicht. ſ. Journal asiatique. 6. Sér. Tom. 14. 1869. p. 111-131. bei dem vollſtändig vocali - ſirten Namen Bolonias die Vermuthung ausgeſprochen wird, daß die Stadt dieſes Namens nach dem „ Sahib el-tilſamat “, dem Herrn der Talismane, ſo genannt ſei. Dies iſt aber Apollonius.
Auf das Leben und den Charakter dieſes ſo verſchieden beurtheil - ten Mannes, welcher, ein Zeitgenoſſe von Chriſtus117)Für die ſpätern Byzantiner genoß er, ähnlich wie bei den Arabern einen mythiſchen Ruf und wurde in das Zeitalter Conſtantin's verſetzt. Burckhardt, die Zeit Conſtantind. Gr. S. 467. In Bezug auf die Perſon und Geſchichte des Apolloniuskann hier nur auf die Schriften von Baurund Ed. Müller, ſowie auf den Aufſatz von Wellauerin Jahnund Klotz, Archiv für Philol. und Pädag. 10. Bd. (Neue Jahrbb. 10. Supplbd.) 1844. S. 418 verwieſen werden.häufig dieſem als letzte ideale Erſcheinung des Heidenthums gegenübergeſtellt worden iſt, hier näher einzugehn, wäre nicht am Orte. Iſt einmal nachgewie - ſen, daß er und nicht Pliniusden Arabern als naturhiſtoriſcher Schrift - ſteller bekannt war, ſo verliert das weitere Nachſuchen in den ihm zu - geſchriebenen Beobachtungen das Intereſſe für eine Geſchichte der Na - turwiſſenſchaften. In ſeinem von Philoſtratus im dritten Jahrhundert geſchilderten Leben werden auch ſeine Reiſen erzählt; und da finden ſich denn zahlreiche Züge aus Agatharchides, Kteſiasu. A., von der Martichora, den Pygmäen und Greifen, dem Phönix, der Drachenjagd, von einem bis auf die Bruſt ſchwarzen, von da abwärts weißen Weibe, u. ſ. w., Geſchichten, welche mehr oder weniger übereinſtimmend in den antiken Fabeln über Indien vorkommen, alſo hier kaum original ſind.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 12178Die Zoologie des Mittelalters.Wenn daher auch zugegeben werden muß, daß Pliniusim drei - zehnten Jahrhundert bekannt war, was ſchon durch die häufigen Citate bewieſen wird, ſo trat er doch erſt ſpäter in das litterariſche Leben des Mittelalters ein. Dies beherrſchte Ariſtotelesauch auf naturwiſſen - ſchaftlichem Gebiete, theils durch den von den Arabern überlieferten Text ſeiner Schriften, theils durch die ſich an ihn ſchließende Auffaſ - ſung der Methode, wie ſie beſonders von Averroesentwickelt wurde.
Iſt es auch immerhin mißlich, in einer allmählichen Entwickelung der Kenntniß feſte Abſchnitte unterſcheiden zu wollen, ſo bieten ſich doch für das dreizehnte Jahrhundert einzelne epochemachende Momente dar. Hierunter iſt das Wiedererſcheinen des Ariſtotelesdas wichtigſte. So nothwendig nämlich für die erneute Erhebung der allgemeinen Bil - dung im Abendlande das Wiederanknüpfen an die geiſtigen Leiſtungen der Alten war und ſo ſehr man wohl im Allgemeinen Recht hat, das eben von dieſem Standpunkte aus ſogenannte Wiederaufleben der Wiſ - ſenſchaften an das Auftreten der großen Humaniſten im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert zu knüpfen, da ſie im Großen und Gan - zen jenes Anknüpfen möglich machten, ſo war aus demſelben Grunde für die Geſchichte der Naturwiſſenſchaften das dreizehnte Jahrhundert ungleich wichtiger. Es liegt auch hier der Schwerpunkt in dem Wie - dererſcheinen des Ariſtoteles; er tritt zunächſt nicht in ſeiner antiken Geſtalt auf, welche bei der Unbekanntſchaft mit der griechiſchen Sprache nicht einmal allgemein hätte wirken können, ſondern er wirkte durch ſeinen, ſelbſt durch die orientaliſche Verbrämung und ſcholaſtiſche Ver - wäſſerung nicht völlig unterdrückbaren Geiſt. Ueberhaupt ſteht die ganze Zeit, in welcher er von neuem auftrat, in einem ſo directen, von keiner gewaltigen Erſchütterung des ganzen Erdtheils unterbrochenen179Das dreizehnte Jahrhundert.Zuſammenhange mit der modernen Welt, die ganzen Anſchauungen, Sitten, Beziehungen dieſer wurzeln ſo ſehr in der vorhumaniſtiſchen Zeit des Mittelalters, daß man trotz der bedeutenden Oede des vier - zehnten und fünfzehnten Jahrhunderts doch das dreizehnte mit Fug und Recht als Ausgangspunkt wie der naturwiſſenſchaftlichen Erhebung im Allgemeinen, ſo beſonders auch der Zoologie anſehen darf. Ueber den allerdings kaum hoch genug zu ſchätzenden, aber doch immer nur formalen Werth der mit dem Aufblühn des Humanismus erwachenden und durch ihn geförderten Bildung, welche beſonders der wiſſenſchaft - lichen Darſtellungsweiſe wieder Geſchmack und beſſere Form einbrachte, hat man nun aber leider verſäumt, tiefer eingehend ſich mit dem gei - ſtigen, jetzt nur in Schriften noch erkennbaren Leben jenes merkwür - digen Zeitalters auch auf anderm als theologiſchem Gebiete zu beſchäf - tigen und vor Allem die litterariſchen Fäden zu verfolgen, welche jetzt nicht bloß bei den einzelnen Schriftſtellern der betreffenden Zeit, ſon - dern auch in den wechſelſeitigen Verkehrserſcheinungen verwandter Lit - teraturen ſich zu faſt unlösbarem Knoten zu verſchlingen ſcheinen. Die nachher ſpecieller zu erwähnenden wichtigen Werke erhalten allerdings durch das Anknüpfen an Ariſtotelesihre größte Bedeutung. Da ſie aber in einer Zeit erſchienen, in welcher in Folge der Kreuzzüge, des regeren Verkehrs, des allgemeinen freieren Aufſchwungs eine lebendi - gere Theilnahme für die Natur rege wurde und in welcher daher auch die Litteratur ſich reichlicher auf Beſprechungen natürlicher Erſcheinun - gen einließ, ſo wäre es nicht bloß von litterariſchem Intereſſe, den Boden auf dem ſie ſich erheben, mehr in's Einzelne kennen zu lernen, als es für jetzt noch möglich iſt.
Wäre mit dem Bekanntwerden des Ariſtotelesgleich ſeine Me - thode oder wenigſtens ſeine Anſchauungsart überall zu Grunde gelegt worden, ſo würde eine Unterſuchung über das zu jener Zeit vorliegende Material an bekannten Thierformen beſondere Bedeutung erhalten. Es ließe ſich daraus ableiten, bis zu welchen wiſſenſchaftlichen Folge - rungen zu ſchreiten die Zeit in der Lage war. Nun gab es allerdings damals weder Zoologen von Fach noch ſich vorzüglich mit Thierge - ſchichte beſchäftigende Aerzte. Doch iſt es immerhin von Wichtigkeit,12 *180Die Zoologie des Mittelalters.einen kurzen Ueberblick über die Thiere zu erlangen, auf deren nähere Bekanntſchaft der allgemein philoſophiſch gebildete Schriftſteller ebenſo wie der gebildete Laie ſeine zoologiſchen Anſchauungen gründete.
Auch für das Mittelalter iſt noch das Fehlen des Begriffs einer naturhiſtoriſchen Art bezeichnend. Das Befangenſein im logiſchen For - malismus ließ den Beobachter, auf welchen doch die Gleichheit und we - ſentliche Uebereinſtimmung ſo mancher Thiergeſtalten einen Eindruck machen mußte, nicht aus dem Bereich rein formaler und verbaler Di - ſtinctionen und Definitionen heraustreten und zu der Frage nach dem natürlichen Grunde einer ſolchen Uebereinſtimmung kommen. Abälardſagt zwar ſchon: nihil omnino est praeter individuum. Was aber darüber hinausgieng, wird nur logiſch formal entwickelt, wofür ſich zahlreiche Belege anführen ließen118)So ſagt Adelardus Anglicus( Adélard de Bath) in ſeiner Schrift de eodem et diverso (verfaßt zwiſchen 1105 und 1116), daß die Philoſophen die der ſinnlichen Betrachtung ſich darbietenden Dinge, inſofern ſie verſchiedne Namen haben und der Zahl nach verſchieden ſind, Individuen nennen, wie Socrates, Platou. a. Betrachten ſie aber dieſelben Dinge nicht nach der Verſchiedenheit, ſon - dern inſofern ſie unter demſelben Namen begriffen werden, ſo nennen ſie dieſelben Species. ſ. Hauréau, De la philosophie scolastique. Paris, 1850. T. I. p. 253. Dieſelbe Stelle franzöſiſch bei Jourdain, Recherches etc. 2. éd. p. 267. . Mit dieſem Fehlen des Artbe - griffs hängt auch der Mangel einer wiſſenſchaftlichen Nomenclatur zu - ſammen. Die Thiere werden noch ganz nach antiker Art mit einem der gewöhnlichen Umgangsſprache entnommenen Namen bezeichnet. Die Wiedererkennung der Thiere war daher nur nach dem Grade ihrer Verbreitung und des davon abhängigen Bekanntſeins in weiteren Kreiſen möglich, da ja mit einem wiſſenſchaftlichen Namen auch eine wiſſen - ſchaftliche Beſchreibung oder Charakteriſirung fehlte. Folge hiervon war das häufige Schwanken der Bezeichnungen für ein und daſſelbe Thier nach Verſchiedenheit der Fundorte und iſt noch heute die Schwie - rigkeit der Nachbeſtimmung.
Unter den Hausthieren nahm im Mittelalter das Pferd die her - vorragende Stelle ein; ſeine Zucht war ſehr verbreitet119)Der Beſchäler hieß emissarius oder burdo (Specim. breviarii rerum und galt für181Das dreizehnte Jahrhundert.wichtig. Das Pferd war klein, ebenſo wie das Rind; es war Reit - und Zugpferd. Eſel werden im burgundiſchen Recht erwähnt; im Mon - ſeuer Gloſſar findet ſich auch der Onager als wilder Eſel120)In dem oben erwähnten Gedicht des Manuel Phile(ſtarb 1321) wird dem Onager, als τῶν μωνύχων (sic) τῶν ἄλλων μόνος, ein Aſtragalus, eine Gallenblaſe und ein Horn zugeſchrieben. Im Ruodlieb kommen gezähmte Wildeſel vor: mites onagri domitique. ſ. Latein. Gedichte des X. und XI. Jahr - hunderts. von J. Grimmu. Schmeller. S. 146. B. 168.; auch werden Eſelsmühlen erwähnt. Auch das Rind wurde als Zugvieh be - nutzt121)Das in England verbreitete Rindvieh war im 13. und 14. Jahrhun - dert wahrſcheinlich die kleine, jetzt noch exiſtirende Raſſe. Bei Verproviantirung der Flotte ergab ein Stück nur das Gewicht von vier Centnern, auch noch weniger. Rogers, History of Agriculture and Prices. Vol. I. p. 328. ; zur Zeit Chlotar's I. fuhr der König mit Ochſen zur Volks - verſammlung. Für die Verbreitung der Rinderzucht ſpricht auch das Auftreten von Viehſeuchen, von welchen aus den Jahren 809 und 994 Erwähnung gethan wird122) Anton, a. a. O. Bd. 1. S. 421. Bd. 2. S. 297.. Zur Beſtimmung der vorzüglich gezüch - teten oder gehaltenen Raſſen fehlt es an genauern Beſchreibungen und Abbildungen. Neben dem Hausrind wird noch der Ur (Bos primige - nius), der Wiſent (Bison europaeus)123)vergl. die häufig angeführte Stelle aus dem Nibelungenliede. und der Büffel als Jagd - thiere aufgeführt124)Den Büffel erwähnt zuerſt Paulus Diaconus, Hist. Longob. 4, 11.. Die Schafzucht ſtand noch zu Karl's des Großen Zeit der Schweinezucht nach und kam ihr erſt ſpät wenigſtens gleich125)ſo im 16. Jahrhundert, wo der Einführung engliſcher Zuchtböcke gedacht wird. ſ. Langethal, Geſchichte der teutſchen Landwirthſchaft. Bd. 1. S. 258. Baſtarde von Schaf und Ziegenbock heißen bei Iſidorvon Sevilla tityrus.. Auch Ziegen wurden gehalten, aber weder hier noch beim Schaf und Schwein werden Raſſen geſchildert. Zahlreich waren dagegen die Hun - deraſſen, obſchon auch hier beim Mangel eingehender Beſchreibungen eine genauere Vergleichung mit den jetzt lebenden, bekanntlich zum Theil noch immer verändernden Raſſen ſehr ſchwer ſein dürfte. Nach den Friſiſchen, Alemanniſchen und bayriſchen Geſetzbüchern werden fol -119)fiscalium Caroli M. IV). Burdo heißt aber ſonſt das Maulthier; ſo bei Iſidorvon Sevilla: burdo ex equo et asina. ſ. auch Anton, Geſchichte der teutſchen Landwirthſchaft. Bd. 1. S. 427.182Die Zoologie des Mittelalters.gende Raſſen zuſammengeſtellt126) Anton, a. a. O. Bd. 1. S. 151.: Leithund, Treibhund, Spürhund, Biberhund, Windſpiel, Habichthund (Hapihuhunt), Bären - und Büffel - fänger, Schweinhund, Schafhund, Viehhund, Hofhund (Hovawarth) und Barnbrake (nach Schilter ein kleiner Schoßhund). Es fällt auf, daß keine der älteren Verordnungen der Hundswuth irgend Erwähnung thut127)Von Philewird der „ Bauch des Hippocampus “als Mittel gegen Hunds - wuth angegeben.. Von jagdbaren Thieren nennt das bayeriſche Geſetz (Lex Baj. Tit. IX, VII) Bären und Büffel, Hoch - und Schwarzwild und das Alemanniſche Geſetz (Lex Alemann. Taf. 99. IV) hat gleichfalls bereits die Eintheilung in Schwarz - und Hochwild und thut auch der Büffel und Biſons Erwähnung. Außer dem Edelhirſch128)Nach der Chronik von Kolmar(Geſchichtſchreiber der deutſchen Vorzeit 13. Jahrhund. Bd. 7. S. 72) „ erkannte in dem Walde bei Hagenau ein Hirſch eine Kuh, die nachmals einen Hirſch geboren haben ſoll “(1294). kannte man den Elch (Elenn), den Schelch (Rieſenhirſch) und das Rennthier129) Paulus Diaconusſagt, im fernſten Weſten Deutſchlandsbei den Skrip - tovinen gebe es ein hirſchartiges Thier, aus deſſen rauhhaariger Haut ein Kleid ge - fertigt werde, das nach Art einer Tunica bis aufs Knie reiche. Histor. Longobard. I, 5; überſetzt von O. Abel, S. 13. Das Rennthier ſchildert Gaſton de Foix noch aus den Pyrenäen über ein Jahrtauſend nach Cäſar unter dem Namen Ran - gier oder Ranglier (nach Wildungen's Taſchenbuch für 1805 und 1806. S. 5). Bujack, Geſchichte des preuß. Jagdweſens. Königsberg, 1839. S. 17. Zu dem Elch gehört wohl auch das „ Helim “der Hildegard; ebenſo das Elo vel Schelo, was Ottod. Große in einer Urkunde für den Biſchof Balderich von Utrecht erwähnt (ſ. Bujack in den Preuß. Provinzialblättern, Bd. 17. 1837. S. 99).. Wölfe wurden zuweilen gezähmt130)Vom 14. Febr. 1276 erzählt die Kolmarer Chronik (a. a. O. S. 20), daß in Zürich eine zahme Wölfin zwei rothe Wölfe, zwei weiße Jagdhunde und drei gefleckte Hunde verſchiedener Art geworfen habe. Seit 959 iſt in England kein Wolf mehr geſehen worden, weil der KönigEdgarvon ſeinem VaſallenLudwal3000 Wölfe gefordert habe, wodurch ſie innerhalb vier Jahren in England vertilgt wur - den. ſ. Klein, Natürl. Ordnung der vierfüßigen Thiere. herausgeg. von RengerS. 74.. Bären gab es noch 1057 in Schottland (auch ſpäter, in Thüringen bis in's ſiebenzehnte Jahrhundert; im Fichtelgebirge wurde der letzte Bär 1769 erlegt131)Im Ruodlieb werden unter den königlichen Geſchenken auch abgerichtete. Eine beträcht -183Das dreizehnte Jahrhundert.liche Ausdehnung hatte der Pelzhandel; gröbere Pelze kamen aus Nor - den; Biber, Zobel, Hermelin (welcher auch in England geſchätzt war) aus Rußland und Vinland (Nord-Amerika)132)ſ. Fiſcher, Geſchichte des deutſchen Handels. 1. Bd. 2. Aufl. S. 94. Rogers, a. a. O. Vol. 2. S. 647. Die am letzteren Orte erwähnten Pelzarten ſind ſchwer zu deuten, miniver iſt Hermelin, dagegen bugeye, stanling und po - pul unbekannt.. Zu den bekannte - ren Thieren gehörten noch Elefant, Kamel, Leoparden, Luchſe133)Ruodlieb a. a. O. S. 146. B. 167 u. 169. Bei demſelben erſcheinen auch zwei Affen: simia nare brevi, nate nuda murcaque cauda, voceque mil - vina, cute crisa catta marina. a. a. O. S. 145. B. 131 u. 132..
Waren die erwähnten Thiere und deren Bekanntſchaft allgemeiner verbreitet, ſo entwickelte ſich nach Lage und Beſchäftigung der Einwoh - ner auch eine beſondere Kenntniß einzelner Gruppen. So weiſt der im dreizehnten Jahrhundert entſtandene nordiſche Königsſpiegel nach, daß man in dieſer Zeit im Norden eine ſehr genaue Kenntniß der einzelnen Walthierformen, beſaß. Das genannte Schriftſtück führt auf: Huiſa, Vogunhvalr, Hofrungar, Svinholr, Andvahlr, Hafrnhvalr, Hahiringr, Huitingar, Sildrecki, Buhrvalr, Sandlågia, Slottbakr, Geirhvalr, Hafrkiki, Hrosvalr, Randkembingr, Nachvalr, Skelinngr, Hafreidr, Reidr; außerdem werden noch erwähnt Troldhvale, Tröllhvalur, Stei - pereidar, Fifrrecki134)ſ. Fiſcher, Geſch. d. deutſch. Handels. Bd. 1. 2. Aufl. S. 699. 700..
Von Vögeln fanden ſich auf den Höfen des Mittelalters nach dem ſaliſchen Geſetze Hühner, Enten, Gänſe (wegen der Weichheit ihrer Fe - dern gerühmt), Kraniche und Schwäne. Nach Karls des Großen Aen - derung des erwähnten Geſetzes bleiben Schwan und Kranich weg (letz - terer wird noch 1279 als Zugvogel erwähnt). Doch empfahl derſelbe ſeinen Amtsleuten (in dem capitular. de vill. § 40), darauf zu ſehen, daß allerhand ſchönes und ſeltenes Geflügel das Gehöft verziere135)ſ. die Ueberſetzung bei Anton, a. a. O. Bd. 1. S. 209. Pfauen und Schwäne werden im 13. und 14. Jahrhundert in England gehalten. Rodgers, a. a. O. Vol. 1. S. 340. Ueber Taubenhäuſer ebenda S. 326., als Edelhühner, Pfauen, Faſanen, Enten, Tauben, Turteltauben und131)Bären genannt: ursi gemini multo variamine ludi. Latein. Gedichte des X. u. XI. Jahrhund. von J. Grimmu. Schmeller. S. 146. Fragm. III. B. 172.184Die Zoologie des Mittelalters.Rebhühner. Später werden auch Singvögel erwähnt. Als Vögel, welche ſprechen gelernt hatten, führt Ruodlieb an Raben, Dohlen, Staare und Papageyen. Als zur Jagd verwendete Vögel werden im bayriſchen Geſetze erwähnt: Kranichhabicht, Ganshabicht, Entenha - bicht und Sperber. Die ſeit dem vierten Jahrhundert in Europa ver - breitete Falkenbeize erhielt in dem vorliegenden Zeitraum durch Ein - führung einiger im Oriente verbreiteter Einrichtungen beſondere Ent - wickelung. So trat z. B. an die Stelle des ſogenannten „ Aufbräuens “(ciliatio), wobei mittelſt eines eingeſtochenen Fadens das untere Au - genlid über das Auge hinaufgezogen wurde, damit der Falke bei der Zähmung nichts ſehen könne, zur Zeit Friedrich's II. die Haube, welche im Orient allgemein verbreitet war136)ſ. Reliqua librorum Friderici II de arte venandi cum avibus. ed. J. G. Schneider. Tom. I. p. 97: de ciliatione seu bluitione falconum, p. 162: de mansuefactione falconum cum capello. . Wie hier eine beſondere Sitte, ſo waren es überhaupt Vögel, welche bei der häufigeren Be - rührung mit fremden Völkern eingeführt wurden. So erzählt beiſpiels - weiſe eine Schilderung des Zuſtandes des Elſaſſes im Beginn des drei - zehnten Jahrhunderts: „ Man hielt nur eine Art kleiner Hühner; erſt ſpäter wurden große Hühner mit Bart und Kämmen, ohne Schwänze mit gelben Beinen aus entfernten Gegenden eingeführt. Es gab nur eine Gattung von Ringel - und Holztauben; die griechiſchen Tauben, die Federn an den Füßen haben, und mehrere andere Sorten wurden erſt ſpäter in das Elſaß eingeführt. Faſanen brachte zuerſt ein Kleriker aus den überſeeiſchen Ländern mit “137)Annalen und Chronik von Kolmar. a. a. O. S. 110. Nr. 19..
Außer den Wunderberichten über einzelne Schlangen und Lind - würmer, welche nicht gar zu ſelten die mittelalterlichen Erzählungen ſchmücken, aber wenig eingehende Kenntniß von der Natur jener Thiere verrathen, ſind die Nachrichten, welche über eine Bekanntſchaft mit Reptilien und Amphibien Licht verbreiten könnten, ſehr dürftige. Daß Irland von Fröſchen, Kröten und Giftſchlangen frei ſei, beruht auf alten oft wiederholten Angaben. Sonſtige Einzelheiten werden nur ſelten berührt. Vom Jahre 1277 wird angeführt, daß ein herumſchwei -185Das dreizehnte Jahrhundert.fender Geiſtlicher in Baſel Schlangen gefangen habe, mit denen er nach Belieben verfahren ſei und wunderbare Sachen ausgeführt habe138)Chronik von Kolmar. a. a. O. S. 27..
Ungleich reichhaltiger ſind die Nachrichten über Fiſche. Doch er - ſchwert das Fehlen eingehender Beſchreibungen die nachträgliche Be - ſtimmung oft ſehr. Die Kenntniß dieſer Thiere verbreitet ſich mit den Mönchen, denen die Erlangung leicht zu erreichender Faſtenſpeiſen Be - dürfniß war. Die lateiniſch ſchreibenden, keltiſch ſprechenden iriſchen Mönche brachten viele Ausdrücke mit nach Deutſchland, welche ſich hier einbürgerten. Der Fiſchzug Trahte oder Trachte iſt tractus, das Netz iſt Segen, sagena. Einzelne Ortſchaften erhielten ihren Namen nach Fiſchen; ſo z. B. Jockrim zwiſchen Germersheim und Lauterburg, an deſſen Fuß einſt der Rhein gefloſſen iſt; es heißt auf deutſch Sal - meneck, iach iſt iriſch Salm, rhim Rand, Eck139)ſ. Mone, Zeitſchr. für d. Geſchichte des Oberrheins. Bd. 4. 1853. S. 68. Auch in England pflegten die Mönche die Fiſchgewäſſer, Teiche und Behäl - ter. Es wird auch angegeben, daß ausländiſche Fiſche nach England eingeführt worden ſeien, ſo die Aeſche, greyling, der Karpfen und die Forelle. S. Rodgers, a. a. O. Vol. 1. S. 607, 608, 614. . Selten wurden einzelne anatomiſche oder biologiſche Eigenthümlichkeiten beachtet, und dann mehr als wunderbare Erſcheinungen. So wird berichtet, daß im Bisthum Baſel im Thale der Süß in der Nähe von Granfelde ſich Weißfiſche ohne Schwimmblaſe finden140)Jahrbücher von Baſel in den Kolmarer Annalen, a. a. O. S. 16.. In ähnlicher Weiſe wird z. B. noch erwähnt, daß im Hauſe der Deutſchherren zu Weißenburg ein Aal auf einen Baum gekrochen ſei und in einem Neſte drei junge Vögelein verſchluckt habe141)ebenda S. 97. vergl. die Notiz über Pabſt Martinbei Erwähnung ſei - nes Todes ebenda S. 52.. Eigentliche Fiſchordnungen ſind erſt ſpäter aufgetreten; ſo iſt die älteſte des Dorfes Auenheim bei Kehl vom Jahre 1442142)Mone, a. a. O. S. 69.. Doch haben ſchon früher einzelne geſetzliche Be - ſtimmungen beſtanden. Es verbietet z. B. eine lex Wisigothorum, um das Aufſteigen des Lachſes in die Flüſſe nicht zu hindern, das An -186Die Zoologie des Mittelalters.bringen querer Einzüge in die Flußmündungen143) Lindenbrog, Codex leg. antiqu., leg. Wisigothor. lib. 8. Tit. IV. lex 29. . Gewiſſe Fiſcharten waren Regal; ſo war 1205 der Lachsfang an der Küſte pommerſches Kammergut; ebenſo waren Störe und andere große Fiſche, die ein Mann nicht tragen kann (ausdrücklich werden hier auch Walfiſche ge - nannt), Regal144 Fiſcher, Geſch. d. deutſchen Handels. 1. Bd. 2. Aufl. S. 691. In Bezug auf das Regal der Störe ſ. auch Weinhold, altnordiſches Leben. S. 71.. Genauere Beobachtungen riefen die wirthſchaftlich ſo wichtigen Züge der Häringe hervor. Bis zum dreizehnten Jahrhun - dert gieng ihr Zug nach der pommerſchen Küſte, und ſie waren manch - mal ſo gedrängt, daß man ſie mit den Händen auffangen konnte. Im Jahre 1124 koſtete dort ein ganzer Wagen voll friſcher Häringe einen Pfennig145) Ludewig, Scriptor. rer. Wirceburg. I. 690. Fiſcher, a. a. O. S. 689.. Im zehnten Jahrhundert war ihr Fang an den Küſten von Norwegen, von England und Schottland, bei Calais und Greve - lingen bedeutend. 1313 geriethen ſie nach ihrem Abzug von der Oſt - ſeeküſte nach Schonen und Norwegen. Auch die Pilchards verfolgte man aufmerkſam in Bezug auf ihre Wanderungen. 1310 wird er - wähnt, daß ſolche bei Elham in Kent, alſo viel weiter weſtlich als ſpä - ter gefangen worden ſeien. Der geſuchteſte Fiſch war im dreizehnten Jahrhundert in England die Lamprete. Eine beſondere Kunſt des Fiſch - fanges war der Fang mit der Bugloſſa, wofür aber die Erklärung fehlt146)Im Ruodlieb kommt eine Stelle vor, wo der Held ſeine Kunſt Fiſche zu fangen zeigt. Er bedient ſich dabei einer Ruthe und des pulvis buglossae. a. a. O. S. 183. Fragm. XII. B. 11. 12. Fragm. XIII. B. 1. Was dieſe buglossa ſei, iſt kaum zu ermitteln. In Aldrovandi, Quadruped. digit. vivip. lib. II. p. 342 wird bei der Felis civeta eine Pflanze angeführt: aelurogonum Magorum i. e. Buglossa. In einem mediciniſchen Recept aus einer Handſchrift des 15. Jahr - hunderts in Königsberg findet ſich: Lapatia acuta idem quod buglossa. ſiehe Haupt, Zeitſchr. für deutſch. Alterthum. Neue Folge. 1. Bd. 2. Hft. S. 382. Unter Lapatia acuta verſtand man in den Apotheken bis neuerdings noch verſchie - dene Chenopodium-Arten. — Darf man dabei an den πλόμος des Ariſtotelesden - ken (Hist. anim. VIII, 132. Aub. u. W.)? Pliniusüberſetzt Verbascum, 25, 8, 54.. Einzelne Fiſche hier aufzuzählen würde nicht am Orte ſein. Zu den meiſten Arten, welche früher als den Alten bekannt aufgeführt187Das dreizehnte Jahrhundert.wurden, über welche aber etwas Näheres jetzt nicht bekannt war, kamen noch viele Süßwaſſerfiſche. Doch wäre ein etwa zuſammenzuſtellendes Verzeichniß ſchon deshalb unvollſtändig, weil nur die zufällig in Ur - kunden, Annalen, Preisverzeichniſſen, Gedichten u. ſ. f. vorkommen - den aufgeführt werden könnten. Hierbei wäre außerdem Süddeutſch - landmit ungleich zahlreicheren Quellen vertreten, als andere Länder; und dies iſt wieder von Einfluß auf die vorkommenden Bezeichnungen der einzelnen Arten147)Um hier nur ein Beiſpiel der ſchwierigen Deutung zu geben, will ich zunächſt Silurus und Esox anführen. Nach Anton(a. a. O. Bd. 1. S. 21) ſoll Silurus der Haufen ſein (in früheren Gloſſarien escarus), esox der Lachs, letzte - res auch im Gloſſar bei Lindenbrog, a. a. O. S. 1395. und bei AlbertusMagnus. Es wird aber nicht bloß in ſüddeutſchen Gloſſen ipocus und esox mit Huſe überſetzt ( Graff's Diutiska, III, 154), ſondern Conradvon Megenberg überſetzt esox haizt ain haus, und in einer Tegernſeeer Urkunde heißt es gleich - falls membranae de esonibus quae dicuntur Husenwambe (Freyberg, a. a. O. S. 153). Silurus ſcheint auch bei der H. Hildegard(Physica) eine Störart zu ſein. Der Wels erhält hier wie bei Ruodlieb ſeinen deutſchen Namen walsa und welza. Der Hecht iſt lucius, auch lupus aquaticus. Sprachlich intereſſant wegen der deutſchen Fiſchnamen iſt überhaupt die citirte Stelle im Ruodlieb. Manche ſonſt vorkommende Namen ſind aber kaum zu deuten. Die bei Rodgers, a. a. O. Vol. 1. S. 616 erwähnten ling, melyng, grelyng, haburdenne, cropling ſind allerdings wohl nur Alterszuſtände oder Varietäten des Gadus Morrhua. Was aber Wemelinge und Munretten ſind, welche Anton, a. a. O. Bd. 2. S. 362 erwähnt und welche auch bei Seibertz, Landes - und Rechtsgeſchichte des Her - zogth. Weſtphalen. 1. Bd. 3. Abth. 3. Thl. S. 250 vorkommen, weiß ich nicht. Aehnlicherweiſe ſind auch ſpäter vorkommende Trivialnamen, wie ſie z. B. bei Hirſch, Handels - und Gewerbsgeſchichte Danzigs. 1858. S. 154, Note 418 vor - kommen, zum Theil Altersbezeichnungen für Fiſche, welche den Küſtenbewohnern ohnehin bekannter waren, z. B. Halfwaſſen, Croplinge, Lothfiſche, Tydlinge, Ra - kelfiſche, Ore. Daß die Bewohner der Küſtenländer überhaupt mit Fiſchen ver - trauter waren, beweiſt unter Andern die in Holland im Jahre 1350 übliche Be - zeichnung politiſcher Parteien als Huik und Kabeljau..
Ausnehmend dürftig ſind die Notizen, welche auf eine allgemeine Bekanntſchaft mit den Mollusken hindeuten. Schon im dreizehnten Jahrhundert erſcheinen Auſtern auf Rechnungen für gelieferte Waaren, im vierzehnten Jahrhundert außer denſelben auch Muſcheln148) Rodgers, a. a. O. Vol. 1. p. 617. Vol. 2. p. 558.. Die Naturgeſchichte der Weichthiere, für welche doch der Süden von Deutſch -188Die Zoologie des Mittelalters.land (von den Mittelmeerküſten ganz abgeſehen) mit manchen größeren Arten Beobachtungsmaterial hätte darbieten können, iſt ebenſowenig mit einer Bemerkung bedacht, als es deren Bau und Entwickelung ſind.
Unter den Inſecten ſind auch nur einzelne beobachtet worden. Im Capitular Karls des Großen § 43 werden Scharlachwürmer erwähnt ohne weitere Erklärung149)ſ. Fiſcher, Geſchichte des deutſchen Handels. 1. Bd. 2. Aufl. S. 85.. Im zwölften Jahrhunderte erhalten an manchen Orten die Klöſter beſtimmte Abgaben an Scharlachwürmern. Bereits im Jahre 550 hatten zwei Mönche die Eier des Seidenſpin - ners von China nach Conſtantinopel gebracht, wo Juſtiniandie Sei - denzucht als Geheimniß betrieb. Später kam der Seidenbau durch die Araber nach Spanien und 1130 durch König Rogernach Sicilien, aber erſt im fünfzehnten Jahrhunderte nach Oberitalien und 1470, ausgedehnter zu Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts, nach Südfrank - reich. (Die Wittwe des Herzogs Franz Ottovon Braunſchweig-Lüne - burg und Tochter des Churfürſten JoachimII von Brandenburg,Eli - ſabeth Magdalena, ſoll um 1590, wahrſcheinlich behufs eines Verſuchs zur Seidenzucht, Maulbeerbäume angepflanzt haben150)Nach einer Notiz in Krünitz, Encyklop. (Artikel: Seide und Seiden - bau) Bd. 152. S. 45.. — Für die Auffaſſung der ſyſtematiſchen Stellung der fliegenden Inſecten iſt es nicht ohne Intereſſe, daß dieſe häufig als Vögel aufgeführt wurden151)ſo die Biene. ſ. Wackernagel, Voces variae animantium. 1867. p. 30. Anm. 91. „ Rat, Ritter! Zehen Vögel guot. “ Antwort: „ der drit ein Bien “. Ferner die Ameiſe. ſ. geiſtlicher Vogelgeſang, bei Wackernagel, ebend. S. 49.. — Die größte Aufmerkſamkeit hatte die Biene erregt, deren Zucht ſchon alt und ſehr verbreitet war152)In England ſcheint ſie im 13. und 14. Jahrhundert ſelten geweſen zu ſein, denn Honig und Wachs waren theuer. ſ. Rodgers, a. a. O. Vol. 1. S. 18 und 66.. Schüttelte doch ſchon in der altgerma - niſchen Mythologie die Welteſche jeden Morgen Honigthau von ihren Blättern, von dem ſich die Bienen nährten! Bereits im ſaliſchen Ge - ſetz wird der Bienen gedacht. Man kannte die dreierlei Formen der Bienen, hielt aber die Königin für das Männchen, den König oder Weiſel, und die Arbeiter für eine eigne der Königin ähnliche Art (fucus189Das dreizehnte Jahrhundert.api similis). Man hatte verſchiedene Arten von Stöcken, ſolche von Holz, von Rinde und von Geflecht153)Lex Bajuw. in Pertz, Monumenta, Legum Tom. III. p. 333. (Erſter Text, Tit. XXII) und p. 448. (Dritter Text, Tit. XXI) cap. 9. .
In Bezug auf foſſile Formen hatte man keine Ahnung eines rich - tigen Verſtändniſſes. Der Bernſtein war zwar am geſchätzteſten, wenn ſich einige Inſecten von der Natur darauf gebildet fanden154) Fiſcher, Geſch. d. deutſch. Handels. 1. Bd. 2. Aufl. S. 182.. Doch machte man ſich über die Erklärung dieſer Erſcheinung keine Gedanken. Auch die Funde größerer Knochen wurden nur als merkwürdige Vor - kommniſſe chroniſtiſch verzeichnet155)So z. B. in den Kolmarer Annalen von 1253 und 1261. a. a. O. Vor - rede S. IX und S. 4..
Bei der im Ganzen ſehr wenig ausgedehnten Bekanntſchaft mit der Eigenartigkeit der Thierwelt und dem Fehlen zuverläſſiger Berichte aus früherer Zeit war es nur natürlich, daß ſich Märchen und Fabeln von Thieren leicht verbreiten und in die Litteratur feſt einwurzeln konn - ten. Was von den Schriftſtellern des Alterthums bekannt war, be - ſchränkte ſich entweder auf Dinge, welche der Naturbeobachtung fern lagen, oder wo naturhiſtoriſche Autoren herangezogen wurden, waren es mit allerhand Zuthaten verbrämte Auszüge oder Pſeudepigrapha. So enthält z. B. das nach Letronne im Jahre 825 geſchriebene Werk des iriſchen Geiſtlichen Dicuil156)Letronne, Recherches géographiques et critiques sur le livre De mensura orbis terrae .. par Dicuil, suivies du texte restitué. Paris, 1814. p. 30, 40, 47, 48, 49, 52 u. a. O., wo meiſt Julius, d. i. Solinusals Gewährsmann für Angaben über Thiere in Deutſchland, Africa, über Elefanten Indiens und der Inſel Taprobane u. ſ. w. angezogen wird.vorzugsweiſe naturgeſchichtliche Auszüge aus Solinus, welcher ſelbſt wieder Epitomator des Pliniuswar. In die Reihe derartiger Schriften, durch welche mit andern nicht hiſtoriſchen Erzählungen auch zoologiſche Fabeln verbreitet wurden, ge - hört der Pſeudocalliſthenes, überhaupt die ganze Gruppe der die Alexanderſage bearbeitenden Schriftſteller157)Pſeudocalliſthenes. Forſchungen zur Kritik und Geſchichte der älte - ſten Aufzeichnung der Alexanderſage; von Jul. Zacher, Halle, 1867.. Die etwa um 200 n. Chr. in Aegypten entſtandene Sage wurde der nicht griechiſch verſtehen -190Die Zoologie des Mittelalters.den Leſewelt durch die lateiniſche Ueberſetzung des Julius Valerius(im vierten oder fünften Jahrhundert entſtanden) zugänglich und verbreitete ſich beſonders in dieſer vielfach überarbeiteten Form über ganz Europa, wie ſie denn im fünften Jahrhundert ſelbſt in das Armeniſche überſetzt wurde. Spätere Formen, welche ſie durch Palladius, den Archipres - byter Leo(Historia de preliis, zwiſchen 920-944) annahm, enthal - ten einzelne ſich allmählich erweiternde Zuſätze. Ziemlich ſelbſtändig ſteht neben der Sage der Briefwechſel zwiſchen Alexanderund dem Bragmanenkönig Dindimus da, welcher, ſeit dem 9. Jahrhundert in Handſchriften häufig, mit den Berichten über Alexander's Aufenthalt in Indien Quelle für manche ſpätere ethnographiſche Angabe geworden iſt158)Auf dieſe Quelle iſt die Notiz Hoffmann's von Fallersleben zurückzuführen, wonach die Hindus in Europa früh bekannt geweſen ſeien. ſiehe Mone, Anzeiger. 2. Jahrg. 1833. S. 164. Vergl. auch die ſelbſtändige, im Mittelalter öfter vorkommende Erzählung von den Oxydraken im Alexanderdes Pfaffen Lamprecht. Ausgabe von Weismann. 1. Bd. S. 259 flgde, V. 4609 bis 4952.. In der Alexanderſage kommen die Aspidochelone des Phyſiolo - gus, der Odontotyrannus, die Oxydraken und andere auf einzelne Be - obachtungen ſich gründende, aber durch die Phantaſie zu immer fabel - hafteren Weſen ſich erweiternde Gebilde vor. Ein ſpäterer Abſchnitt über die Leiſtungen der hiſtoriſchen Zoologie wird die Verſuche, dieſe Formen zu deuten und ihren naturhiſtoriſchen Gehalt nachzuweiſen, kurz anzuführen haben.
Mit eigenthümlicher Zähigkeit hat ſich eine von den manchen Fa - beln Jahrhunderte lang zu erhalten vermocht, trotzdem ſich ſchon früh einflußreiche Stimmen erhoben, welche das Unhaltbare der ganzen Er - zählung darzuthun verſuchten, die Fabel von der Baumgans oder überhaupt von gewiſſen, aus den Früchten an der Meeresküſte wach - ſender Bäume ſich entwickelnden Vögeln. Bei der großen Ueberein - ſtimmung, welche vorzüglich im zwölften und dreizehnten Jahrhundert Schriftſteller aus oder über Großbritannien in Bezug auf das Vor - kommen dieſer Vögel an Küſtentheilen jener Inſeln zeigten, hätte es faſt ſcheinen können, als ob die Fabel die Erfindung einzelner engliſcher191Das dreizehnte Jahrhundert.Mönche geweſen ſei, welche den Genuß von Vögeln an Faſttagen da - durch zu einem erlaubten zu machen geſucht hätten, daß ſie die Vögel als vegetabiliſche Erzeugniſſe hinſtellten. Nach jenen Berichten allein zu urtheilen wäre ungefähr das Ende des zwölften Jahrhunderts die Zeit der Entſtehung dieſer Fabel geweſen. Dieſe Annahme läßt ſich jedoch nicht halten; vielmehr weiſen andere Erſcheinungen auf ein höhe - res Alter der wunderſamen Geſchichte, ebenſo wie auf einen andern Entſtehungsort hin, wenngleich beides ſich leider nicht ſo feſt beſtimmen läßt, daß man die allmähliche Verbreitung Schritt für Schritt verfol - gen könnte.
In der nordeuropäiſchen Form der Fabel iſt die Bernikelgans (Anser bernicla L.) Gegenſtand derſelben geworden159)Ueber die nordiſche Verbreitung der Sage und die Etymologie des Na - mens ſ. M. Müller, Lectures on the science of language. 2. Series. Lon - don, 1864. S. 536 flgde.. Der älteſte für die Exiſtenz der muſchelentſpringenden Vögel angeführte Schrift - ſteller iſt im Norden Saxo Grammaticus; welches Land er aber als Heimath der Baumgänſe anführe, wird nicht berichtet160)citirt von Seb. Münster, Cosmographia p. 49. Es iſt mir nicht geglückt, die Stelle im Saxo aufzufinden. Münſterführt die Inſel Pomonia, quae haud procul abest a Scotiaversus aquilonem als Aufenthaltsort der Baumgans an, alſo die Orkney-Inſeln.. Ziem - lich weit ſüdlich verlegt das Vorkommen derſelben Gervaſius Til - borienſis (ſchrieb um 1210), welcher eine Küſtengegend des Erzbis - thums Canterbury in Kent in der Nähe der Abtei Faverthſam als Fund - ort bezeichnet161)Otia imperialia. Dec. III. cap. CXXIII (Druckfehler CXXXIII) in: Leibnitz, Scriptores rerum Brunsvicens. I. p. 1004: „ ad confinium al - baciae de Faverethsam “, ſoll wohl heißen abbatiae. Er nennt den Vogel Bar - neta. . Sylveſter Giraldus(Cambrenſis, geb. 1146, ſtarb nach 1220) ſchildert die Vögel als in Irland vorkommend162)Topographia Hiberniae cap. XI. De Bernacis ex abietibus nascen - tibus earumque natura in: Anglica, Hibernica, Normannica, Cambrica a veteribus scripta etc. Francofurt. 1602. p. 706. Er führt zuerſt den Genuß dieſer Vögel in den Faſten an, tadelt denſelben und meint, man hätte da auch von Adams Fleiſche eſſen dürfen, da auch er nicht de carne natus geweſen ſei.. An der flandriſchen Küſte ſollen ſie nach der Angabe des Jacobusde192Die Zoologie des Mittelalters.Vitriaco auf Bäumen entſtehen (ſtarb 1240)163)in der Historia Hierosolimitana, abgedruckt in den Gesta Dei per Francos. Hanoviae, 1611. p. 1112. . Hier wird überall eine beſtimmte Oertlichkeit angegeben und einer Erwähnung dieſer Vögel bei früheren Schriftſtellern nicht gedacht. Auch erwähnt noch ſpäter der im Jahre 1331 geſtorbene Odoricusvon Pordenone (de Porta Naonis, auch von Udinegenannt), daß ihn das in der Tartarei geſehene ſogenannte vegetabiliſche Lamm an die Baumvögel in Schottland erin - nert habe164) Ramusio, Secondo Volume delle navigatione et viaggi. Venetia, 1574. fol. 248 V. „ pomi violati e tondi alla guisa di una zucca, da quali quando sono maturi esce fuori un 'uccello “. Dieſelbe Geſchichte erwähnt bei gleicher Gelegenheit Sir John Maundeville, the voiage and travaile etc. ed. by J. O. Halliwell. London, 1839. p. 264. . Der erſte Schriftſteller, welcher ſich für die Erzählung auf ältere Quellen beruft, iſt der ſpäter ausführlich zu beſprechende Thomasvon Cantimpré. Er ſagt ausdrücklich, „ die Barliaten wachſen, wie Ariſtotelesſagt, auf Bäumen; es ſind die Vögel welche das Volk barnescas nennt “. Im Ariſtotelesfindet ſich keine auf die Fabel ſich beziehende Angabe; man könnte höchſtens die Behauptung des Ariſtoteleshier anführen wollen, daß Inſecten in faulendem Holze entſtänden. Daß der Gedanke an Inſecten nicht etwa weit hergeholt iſt, beweiſt ein Citat bei Michael Mayer, welcher ſagt, Plutarchhabe in dem Tractate über die Frage, ob das Ei älter ſei als die Henne, ſolcher Vögel Erwähnung gethan. Plutarchſpricht aber in der einzigen hierher zu beziehenden Stelle dieſer Schrift allein von der Entſtehung von Inſecten aus oder in Bäumen, welche nun wohl, wie es oben für Bienen und Ameiſen mitgetheilt wurde, als Vögel bezeichnet worden ſein können165) Mich. Maier, Tract. de volucri arborea absque patre et matre in insulis Orcadum forma anserculorum proveniente. Francofurti, 1619. Michael Mayerwar Leibarzt Rudolph's II und wurde als ſolcher Pfalzgraf. Einen Auszug aus ſeiner Schrift gab Joh. Johnstonus, Thaumatographia naturalis Amstelod. 1661. p. 277-292. Die Stelle im Plutarchfindet ſich: Ausgabe von Reiske. Bd. 8. S. 521. Dela Faille führt in einem Aufſatz (Mém. prés. Acad. d. Scienc. Paris T. 9. 1780. p. 331.) Pliniusund Aelianals Gewährsmänner an; in beiden findet ſich nichts einſchlägliches.. Es erzählt übrigens Thomasvon Cantimpré auch,193Das dreizehnte Jahrhundert.daß bereits InnocenzIII auf der Lateranſynode (alſo der vierten, 1215) den Genuß dieſer Vögel in der Faſtenzeit verboten habe. Nach allen dieſen Zeugniſſen ſcheint die Fabel vom dreizehnten Jahrhundert an auf den Nordweſten Europa's localiſirt geweſen zu ſein, was auch aus den Einwürfen hervorgeht, welche Albertder Große erhebt, der die Vögel bei der Begattung und dem Brüten der Eier ſelbſt geſehen zu haben berichtet, und wie auch ferner eine ſpätere Bemerkung beſtätigt, mit welcher der Holländer Gerard de Veradie Geſchichte zurückweiſt. Er ſagt, es ſei kein Wunder, daß bis jetzt (1597) noch Niemand die Vö - gel Eier legen geſehen habe, da noch Niemand bis zum achtzigſten Grade nördlich (Grönland) vorgedrungen ſei166) Gerardus de Vera, Diarium nauticum, seu vera descriptio trium navigationum admirandarum ad Septentrionem. Amstelod. 1598. fol. 15. (dritte Reiſe). Er nennt die Vögel barniclae oder Rotganſen.. Dieſe Zurückweiſung ſpricht mit den andern ſpäteren Berichten dafür, wie wenig die Widerlegungen der Sage durch Albertden Großen und Roger Baconver - breitet waren oder geglaubt wurden.
Es iſt nicht nöthig, die Verbreitung des Baumvogels durch die Litteratur noch weiter zu verfolgen; er findet ſich bei Aeneas Sylvius, Olaus Magnus, in dem Ortus ſanitatis, bei Mizaldus(in den Me - morabilien, Centurie 8, Nr. 18), bei Hector Boethius, Abraham Orte - liusu. ſ. w.167)In Bezug auf die Verbreitung der Fabel durch die Werke des ſechzehnten und ſiebenzehnten Jahrhunderts ſ. G. Funck(resp. G. Schmidt), de avis britannicae vulgo anseris arborei ortu et generatione. Regiomonti. 1689. und J. E. Hering(resp. Joh. Junghans) de ortu avis britannicae. Wite - bergae, 1665. Schneiderführt in den „ Litterariſchen Beiträgen zur Naturge - ſchichte aus den Alten “S. 36 an, Guettardſage, daß Alexanderab Alexandro zu dem Märchen Veranlaſſung gegeben habe, wovon die Muſchel den Namen habe. Doch kann dieſer Schriftſteller als viel zu ſpät gar nicht in Betracht kommen.. Von Intereſſe iſt es aber, nachzuweiſen, daß die Fabel ſchon früher beſtanden hat. Schon J. G. Schneidermachte in der Ausgabe des Werkes Friedrich's II über die Falkenjagd bei Erwähnung der naturhiſtoriſchen Notizen in Gervaſius Tilborienſis (Bd. 2. S. 86) auf eine Stelle des Peter Damianiaufmerkſam168)Das Citat Schneider's weiſt auf eine mir unbekannte Ausgabe. Ich fand die Stelle in den Opera P. Damianied. Constantinus Cajetanus. Bassani,. Dieſer einfluß - V. Carus, Geſch. d. Zool. 13194Die Zoologie des Mittelalters.reiche und durch ſeine Beziehungen zu GregorVII und deſſen Beſtre - bungen zur Erweiterung der päbſtlichen Macht für das Mittelalter ſo wichtige Mann (geb. 1006, geſt. 1072) hat unter ſeinen Schriften er - baulichen Inhalts auch eine Abhandlung hinterlaſſen darüber, daß der Schöpfer der Natur auch die Natur und ihre Wege abändern könne. Dies belegt er unter andern damit, daß auch an einem Baume Vögel entſtehen könnten, wie es auf der Inſel Thilon in Indien der Fall ſei. Wegen dieſer Verlegung der Fabel nach Indien hält Schneiderdie betreffende Stelle für verderbt, wofür indeß kein rechter Grund ange - führt werden kann. Ueber verſchiedene Handſchriften und Textrecenſio - nen des Peter Damianiiſt freilich nichts bekannt. Doch iſt dies nicht das einzige Zeugniß, welches die Fabel nach dem Orient verweiſt. In der Hauptſchrift der Kabbaliſtik, dem Sohar, wird II, 156 erzählt, der Rabbi Abba habe einen Baum geſehen, aus deſſen Früchten Vögel ab - geflogen ſeien. Der Sohar iſt in den Schulchan Aruch aufgenommen worden und ſo findet ſich denn jene Stelle auch in dieſem halachiſchen Hauptwerke wieder (Jore Deah, 84, 15)169)Die Stelle aus dem Sohar ſ. bei Jellinek, Beiträge zur Geſchichte der Kabbala. Leipzig, 1852. S. 48, aus dem Schulchan Aruch bei Lewyſohn, Zoo - logie des Talmud. Frankfurt a. M. 1858. S. 362. Hier wird übrigens Jacobusde Vitriaco (episcopus acconensis) zu einem episcopus atheniensis. . Nun wurde allerdings der Schulchan Aruch erſt 1522 von Joſef Karoin Nikopoli verfaßt; der Sohar wurde aber ganz in ihn einverleibt. Dieſer iſt der Sage nach ſchon im zweiten Jahrhundert von Simeon ben Jochaiverfaßt worden, der Kritik nach war er aber erſt im elften Jahrhundert fertig. Jellinekwill Moſes ben Schem Tob de Leonals Verfaſſer anſehen und weiſt ihn deshalb in das dreizehnte Jahrhundert. Doch hat dieſer, welcher wahrſcheinlich den ganzen Sohar beſaß, vermuthlich nach und nach einzelne Theile deſſelben handſchriftlich ausgegeben und dadurch den Schein erweckt, als habe er ihn verfertigt. Für dieſe Anſicht ſpricht beſonders die von Loria angeführte Thatſache, daß die rabbiniſchen Gutachten der Gaonim zu Babel, welche bis zum Jahre 1000, aber168)1783. Tom. III. p. 631: „ unde et terra illa (insula Indiae Thilon) occiduis partibus hanc consecuta est dignitatem ut ex arborum ramis volucres pro - deant “. 195Das dreizehnte Jahrhundert.nicht weiter herabreichen, den Sohar völlig unbefangen als Midraſch ha-nielam oder Midraſch Jeruſchalmi citiren170)ſ. Jellinek, Moſes ben Schem Tob de Leonund ſein Verhältniß zum Sohar. Leipzig, 1851. Loria, מַֽאַמר קךְמוּת ס֞ זֹהַר (Abhandlung über das hohe Alter des Buches Sohar) Johannisburg, 1857. Die Unterſuchung Loria's, welche mir mein verehrter College Dr. Fürſt zugänglich gemacht hat, führt zu dem Reſul - tate, daß der Sohar ſchon vor dem babyloniſchen Talmud (um 500), einzelnes jeden - falls ſchon zu den Zeiten Simeon ben Jochai's (zweites Jahrhundert) entſtanden iſt.. Wenn nun auch nicht zu entſcheiden iſt, ob der die Erwähnung der Baumgans enthaltende Theil zu dem ſchon vor dem babyloniſchen Talmud Fertigen gehört oder nicht, ſo iſt doch die Wahrſcheinlichkeit ſehr groß, daß er vor dem Jahre 1000 geſchrieben war. Und dies wäre dann der älteſte Nachweis für das Vorhandenſein einer Sage von Vögeln, welche aus den Früchten gewiſſer Bäume entſtehen, und zwar ein Nachweis aus einem Theile der Welt her, welcher überhaupt die Wiege ſo vieler Wundergeſchichten geweſen iſt, dem Oriente. Iſt auch hiermit noch nicht im Sinne einer ſtreng hiſtoriſchen Forſchung feſtgeſtellt, daß auch die Baumgans ein Kind orientaliſcher Fantaſie ſei, ſo durfte die Hinweiſung auf die jeden - falls völlig unbefangene jüdiſche Quelle nicht unterdrückt werden.
Derartige Erzählungen erhielten nun beſtändig neue Nahrung durch die ſeit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts immer häufiger und ausgedehnter unternommenen Reiſen und den durch dieſelben vermittelten Verkehr mit noch weniger bekannten Theilen des alten Continentes. Hier war es nicht bloß Aſien, welches in ſeinem cen - tralen Theile immer weiter durchwandert wurde, freilich um ſpäter in größerem oder geringerem Grade wieder verſchloſſen zu werden, es giengen auch zur Unterhaltung des Verkehrs mit Rom Miſſionen nach dem chriſtlichen Abeſſinien, wodurch auch Centralafrica wenigſtens theilweiſe mit in den Kreis des Beſprochenen eintrat. Fällt auch ein großer Theil dieſer Unternehmungen und ihre Ausbeute erſt in das vier - zehnte und das folgende Jahrhundert, ſo wurde doch von einzelnen der Schriftſteller, die hier vorzugsweiſe zu erwähnen ſind, manches Frühere davon ſchon benutzt. So kannte Roger Bacoſowohl den Joannes de Plano Carpini, welcher ſchon 1246 Karakorum erreichte, als Ruys-13*196Die Zoologie des Mittelalters.broeck(oder Wilhelm de Rubruquis), welcher 1253 im Auftrage Lud - wigdes Heiligen dahin gieng. Vincenzvon Beauvais benutzte Plan Carpin, den Benedictus Polonus, Nicolaus Aſcelinusu. a.171)ſ. über dieſe Peſchel, Geſchichte der Erdkunde. S. 150 u. flgde.. Waren die Genannten theils geradezu Miſſionare, theils Abgeſandte an einzelne ſich in Centralaſien anſäſſig gemachte religiöſe Genoſſen - ſchaften oder an aſiatiſche Fürſten, ſo knüpfte ſich doch auch bald ein kaufmänniſches Intereſſe an derartige Reiſen. Dies war nun wohl für die Erdkunde im Allgemeinen ein ihr Bereich erweiternder Gewinn, inſofern als theils die Ortsbeſtimmungen, die klimatiſchen und ſonſtigen phyſikaliſchen Verhältniſſe der erſchloſſenen Länder, die Verkehrſtraßen, theils auch die Naturerzeugniſſe eine beſondere Aufmerkſamkeit fanden. Die letztern waren indeſſen, beſonders was das Thierreich betrifft, in viel zu untergeordneter Weiſe mit dem eigentlichen Zwecke dieſer Reiſen verknüpft, als daß ſich wirkliche Bereicherungen hätten erwarten laſſen. Dies gilt nicht etwa bloß von einer etwaigen wiſſenſchaftlichen Erfaſ - ſung des nur Geſehenen, ſondern auch von einer allgemein populären Kenntniß. Auch war ja weder die naturwiſſenſchaftliche Methodik ſo weit entwickelt, daß die neuen Thatſachen entſprechend hätten ver - werthet werden können, noch waren die nothwendigen Grundlagen zur richtigen Beurtheilung des Geſehenen vorhanden. Es konnten in Folge hiervon die Reiſenden auch keine Kritik an das ihnen an Ort und Stelle über verſchiedene Naturerſcheinungen Mitgetheilte anlegen; ihr Bericht iſt daher von mancherlei Wunderbarem, von orientaliſchen Märchen wie von Fabeln aus antiken Quellen durchſetzt. Selbſt die Berichte über die verſchiedenen Menſchen, welche zum Theil gut beob - achtet wurden, blieben in Folge dieſes Hanges zum Wunderbaren nicht frei von Mythen. Wenn auch Plan Carpin die Charaktere der mongo - liſchen Raſſe im Ganzen ziemlich richtig angibt, ſo finden ſich doch ſelbſt bei Marco PoloErzählungen von geſchwänzten Menſchen, von Ohne - köpfen, von Hundsköpfen, zu denen bei Maundevillenoch die einfüßigen Schnellläufer, die Einäugigen und die Pygmäen und ihr Kampf mit Vögeln kommt.
197Das dreizehnte Jahrhundert.Die bedeutendſte Reiſe, welche im dreizehnten Jahrhundert aus - geführt wurde, iſt die der Gebrüder Poli, von denen der eine, Marco Polo, ſiebenzehn Jahre lang (1275-1292) im Dienſte des mongo - liſchen Großkhans, Kubilai, verblieb und das ganze Inneraſien vom Oſtrande des ſchwarzen Meeres bis nach Peking und der Oſtküſte, und vom Altai bis nach Sumatra kennen lernte. Um einen Beleg über die Beſchaffenheit der naturgeſchichtlichen Belehrungen jener Zeit zu geben, mag hier eine kurze Ueberſicht der wichtigſten zoologiſchen Mittheilun - gen Marco Polo's folgen172)Die Reiſen des Venezianers Marco Poloim dreizehnten Jahrhundert. Zum erſten Male vollſtändig nach den beſten Ausgaben deutſch mit einem Kom - mentar von Aug. Bürck. Leipzig, 1845. 80. italieniſch in: Ramusio, Secondo Volume delle Navigationi et Viaggi. Venetia, 1574. Fol. Ich habe beide Aus - gaben benutzt..
Was zunächſt die Hausthiere betrifft, ſo hatte bereits Ruysbroeckder wilden, auf den Steppen der Tartarei in großen Heerden lebenden Pferde gedacht. Marco Polorühmt die turkomaniſchen und perſi - ſchen; im Usbekenlande finde ſich eine edle Raſſe, welche vom Buce - phalus abſtammen ſoll. In der Stadt Schang-tu fand er einen großen Marſtall mit zehntauſend milchweißen Hengſten und Stuten. Die größten und ſchönſten Eſel waren in Perſien; ſie ſind ſchneller als die Kamele und werden daher häufiger zum Transport benutzt. Mauleſel wurden in Turkomanien gezüchtet. Den Buckelochſen oder Zebu ſchildert Marco Poloals in Kamandu, einer unbekannten per - ſiſchen Stadt geſehen. Den Grunzochſen oder Yak hatte bereits Ruys - broekaus dem Lande Tangut erwähnt. Marco Poloſchildert ihn bei Erginul (Liang-tſchéu) als an Größe dem Elefanten gleich, weiß und ſchwarz, an der Schulter mit drei Spannen langem Haar. Intereſſant iſt es, daß er bereits einer Kreuzung des Yak mit dem gewöhnlichen Rinde gedenkt; die hieraus entſpringenden Rinder ſollen eine edle Raſſe darſtellen. Von Perſien werden wiederum die großſchwänzigen Schafe geſchildert. Sie ſollen ſo groß wie die Eſel ſein mit langen, dicken, bis zu 30 Pfund ſchweren Schwänzen. Im Lande Vokan ſollen die großen Schafe bis zu drei bis ſechs Spannen lange Hörner tragen. Von198Die Zoologie des Mittelalters.Hunderaſſen erwähnt Marco PoloWindhunde, Dachſe und Dog - gen173)„ cani da caccia et da paisa, da lepori et mastini “bei Ramusio, fol. 27. v. Obige Ueberſetzung nach Bürck, S. 313.; auch erzählt er, daß im nördlichen Sibirien die Einwohner ihre Schlitten mit Hunden beſpannen. Die Mekriten (ſibiriſche Tar - taren) brauchen große hirſchähnliche Thiere zum Reiten, offenbar Rennthiere. Für die geographiſche Verbreitung der Thiere iſt die Angabe von Werth, daß Kubilai in der Nähe von Peking Jagdleopar - den in ſeinem Jagdparke gehabt habe; dieſe, alſo Guepards und Luchſe würden zur Jagd auf große Thiere gehalten. Der Kamelo - pard ſoll auf Madagaskar vorkommen. Elefanten und Rhino - ceros werden erwähnt aus dem Gebiete des (nicht namentlich bezeich - neten) Jrawaddi und von Sumatra. Hier hält es Marco Polofür ſeine Pflicht, eine Fabel zurückzuweiſen. Die Einhorne (Rhinoceros), ſagt er, laſſen ſich nicht durch Jungfrauen fangen, wie man bei uns wähnt174)vergl. das früher bei Erwähnung des Einhorns im Phyſiologus Geſagte. Intereſſant iſt auch die verſchiedene Schilderung des Moſchusthieres bei den einzel - nen Schriftſtellern des Mittelalters zu vergleichen.. Das Moſchusthier iſt in Tübet ſo verbreitet, daß der Geruch überall bemerkbar iſt; in Erginul (Liang-tſchéu) findet ſich der beſte Moſchus. Das Thier iſt nicht größer als eine Ziege, iſt einer Antilope ähnlich, ohne Hörner, mit vier, zwei obern und zwei untern Hauzähnen, welche drei Finger lang, ſchmal und weiß wie Elfenbein ſind. Zur Zeit des Vollmonds bildet ſich in der Nabelgegend eine Blaſe oder ein Schwär (apostema) voll geronnenen Blutes. Von jagdbaren Thieren erſcheinen Eber, Hirſche Damhirſche, Rehe, Bären, Zobel (Rondes), Pharaonismäuſe (Murmelthiere), ſchwarze Füchſe und Haſen. Schon Marco Polobringt Zeugniſſe für die weit nach Norden reichende Verbreitung des Tigers, welcher meiſt unter dem Namen Löwe erſcheint, der Beſchreibung nach indeß nicht zu verkennen iſt. Er erwähnt ihn noch aus dem Gebiete des Irawaddi und von Sumatra. In Sibirien kommen Bären mit weißem Pelze bis zu zwanzig Span - nen Länge vor. Bei der Stadt Scaſſem (im Usbekenlande?) finden ſich Stachelſchweine, welche, wenn ſie gejagt werden, die in ihrer199Das dreizehnte Jahrhundert.Haut befindlichen Stacheln als Pfeile ausſchießen. Während alſo Marco Polobeim Nashorn die Fabel zurückweiſt, erzählt er ſie hier ohne wei - tere Unterſuchung nach. In Indien kommen Fledermäuſe von der Größe der Geier vor. An der Südſpitze von Indien leben Affen von ſolcher Geſtalt und Größe, daß ſie den Menſchen ähnlich ſind, daneben aber auch langſchwänzige. Eine Geſchichte, welche Thomasvon Can - timpré von den Amazonen erzählt, daß die Frauen von ihren Männern getrennt leben und nur eine kurze Zeit des Jahres mit ihnen zuſammen kommen, berichtet Marco Polovon den Bewohnern zweier Inſeln im Ocean, zwiſchen Indien und Arabien; die eine ſoll von den Männern, die andere von den Frauen bewohnt werden.
Von Vögeln werden am häufigſten die durch ganz Aſien zur Jagd benutzten Falkenarten erwähnt. Die Tataren ſollen die beſten Jagdfalken haben. Kubilai hatte zehntauſend Falkner; dabei wird aus - drücklich der Pfeife und der Kappe Erwähnung gethan (richiamo und cappelletto). Ihr Vorkommen wird conſtatirt von Perſien an, in den Bergen von Balachſchan bis Schang-tu; in der Nähe des Oceans, an der Oſtküſte Aſiens iſt ein Berg, auf dem viele Geier - und Wander - falken niſten. Von Arten werden aufgeführt: Geierfalken, Wanderfal - ken, Sperber, Lanerfalken, Habichte, Sperberfalken, Sakerfalken. Ob auf dieſe Unterſcheidungen bis in's Einzelne Werth zu legen iſt, er - ſcheint darum zweifelhaft, als zuweilen die Bezeichnung „ Geier - (oder Gir -) falken “und „ Wanderfalken “ganz durcheinander für denſelben Vo - gel gebraucht wird. Die übrigen Angaben über Vögel ſind ziemlich dürftig. Erwähnt wird, daß während in Indien alle Thiere und Vö - gel von den unſrigen ganz verſchieden ſeien, die Wachteln hiervon eine Ausnahme machen, indem ſie ganz den unſrigen gleichen. In Quen - lin-fu gab es Haushühner ohne Federn, mit ſchwarzem Haar, welches dem Katzenfell glich. Faſanen, Birkhühner und in Perſien ungeheure Mengen von Turteltauben zogen die Aufmerkſamkeit auf ſich. An der Oſtküſte wurde von den Jagdfalken ein Vogel Bergelak gejagt, von der Größe eines Rebhuhns mit Schwalbenſchwanz und den Krallen eines Papageys. Am intereſſanteſten iſt die Angabe über den Vogel Ruth, welcher auf Madagaskar leben und ſo groß und ſtark ſein ſoll, daß er200Die Zoologie des Mittelalters.einen Elefanten ergreifen und durch die Luft führen kann. Seine Flü - gelweite mißt ſechszehn Schritt. Eine dem Großkhan mitgebrachte Feder maß neunzig Spannen175)Bereits Pouchet, Histoire des sciences naturelles au moyen age. Paris, 1853. p. 601, macht darauf aufmerkſam, daß bei dieſem Berichte Marco Polo's wohl an den Aepyornis gedacht werden könne.. — Von andern Wirbelthieren wer - den nur noch ungeheuer große Schlangen erwähnt, zehn Schritt lang und zehn Spannen im Umfang. Sie ſollen vorn neben dem Kopf zwei kurze Beine mit drei Klauen, wie die Tigerkatze haben und ſelbſt größere Thiere, wie Löwen und Wölfe freſſen. — Unter den wirbel - loſen Thieren waren nur die Muſcheln Gegenſtand der Aufmerkſamkeit Marco Polo 's. An der Südſpitze Indiens wurden ſchon damals Perl - muſcheln gefiſcht. Alle Porzellanmuſcheln (Cowries), welche in andere Länder ausgeführt und als Münze gebraucht werden, kommen von dem Lande Lochak (auf Borneo).
Verglichen mit den Reiſen des Marco Poloſind diejenigen, welche ihm in gleicher Richtung folgten, für Erweiterung der zoologiſchen Kenntniſſe von noch untergeordneter Bedeutung. Oderico de Por - denone hat nicht bloß, wie bereits erwähnt, die Reihe der zoologiſchen Fabeln noch mit dem vegetabiliſchen Lamm bereichert, ſondern auch ſeine übrigen Angaben ſind ſo mit Aberglauben und alten Wundergeſchichten durchwirkt, daß weder er noch ſein Plagiator oder Begleiter Sir John MaundevilleAnſpruch erheben können, hier noch mit Aus - führlichkeit erwähnt zu werden176) Odoricusſ. bei Ramusioa. a. O. Sir John Maundeville, The voiage and travaile. reprinted from the edition of 1725, with an Intro - duction by J. O. Halliwell. London, 1839. Manches iſt nicht unintereſſant; ſo die Erwähnung der künſtlichen Bebrütung, der Brieftauben (clovers) in Sy - rien; anderes iſt aber aus dem Alterthume herübergenommen, wie daß die Schlangen auf Sicilien (Cilicien?) die rechtmäßigen Kinder ſchonen, die unehelichen tödten; die großen albaneſiſchen Hunde, welche Löwen angreifen; dann die bereits erwähnten fabelhaften Menſchen. Statt der ſchwarzen Hühner mit katzenfellartigem Haar erſcheinen hier weiße Hühner mit Wolle ſtatt der Federn. Manches geht durch das ganze Mittelalter, wie das nur vom Geruch gewiſſer Aepfel lebende Zwergvolk, die goldbewachenden Ameiſen, das Fehlen der Fiſche in dem libyſchen Meer, weil dort das Waſſer wegen der großen Sonnenwärme beſtändig im Kochen ſei u. ſ. w..
201Das dreizehnte Jahrhundert.In Vorſtehendem wurde zu zeigen verſucht, welcher Art das Ma - terial war, welches einer wiſſenſchaftlichen Bearbeitung etwa zu unter - werfen geweſen wäre. Es frägt ſich aber nun zunächſt, ob und in welcher Weiſe die Culturverhältniſſe jener Zeit überhaupt eine ſolche Verwerthung möglich erſcheinen ließen. Es wurde früher auf die Ent - wickelung der Philoſophie und die Stellung der Natur in ihrem Sy - ſteme hingewieſen. Aus den Fortſchritten derſelben allein würde ſich kaum die Wiederaufnahme zoologiſcher Beobachtungen erklären laſſen. Es iſt daher nöthig, die andern einer ſolchen günſtigen und wichtigen Momente kurz zu beſprechen, ehe die Hauptwerke des dreizehnten Jahr - hunderts eingehender erörtert werden können.
Vor Allem war es für die Möglichkeit einer wiſſenſchaftlichen Er - faſſung der Natur, beſonders des belebten, mit geiſtigen Kräften und freiem Willen begabten Thierreichs verderblich, daß die Gelehrſamkeit früher ausſchließlich in den Händen der Geiſtlichkeit geblieben war, da - neben aber eigentliche Forſchung noch immer fehlte. Was die Philoſo - phie an weiterem Ausbau und Zuwachs erhielt, betraf faſt einzig und allein die metaphyſiſche Begründung des Glaubensgehaltes, welcher aber nicht etwa ſelbſtändig philoſophiſch aufgerichtet, ſondern fertig und abgeſchloſſen dem Klerus überliefert wurde. Dabei war natürlich an eine unbefangene Stellung des menſchlichen Geiſtes der Natur gegen - über, als einem zu erklärenden Gegenſtande nicht zu denken. Es hatte ſich ferner die Geiſtlichkeit nicht bloß, wie früher angedeutet wurde, von der Laienwelt ſtillſchweigend abgelöſt, ſo daß ſie mit den von ihr ver - tretenen Ideen dem übrigen Volke ſelbſt dann noch fremd gegenüber - ſtand, als das perſönliche Verhältniß der beiden Elemente durch die Ausbreitung der Bettelorden ein näheres geworden war, ſondern es mußte der Kampf zwiſchen der Hierarchie und weltlichen Macht, welcher im dreizehnten Jahrhundert (wie zum Theil ſchon im zwölften) zur Emancipation und Oberherrſchaft des Pabſtthums führte, den Abſtand noch fühlbarer machen.
202Die Zoologie des Mittelalters.Blickt man daneben auf die äußern politiſchen Verhältniſſe Mit - teleuropa's in der vorliegenden Periode, ſo bietet ſich in den beſtändigen Kämpfen der Parteien kein Punkt der Ruhe dar, welcher einen Auf - ſchwung wiſſenſchaftlichen Lebens hätte veranlaſſen können. Doch wur - den gerade in dieſer Unruhe die Keime zur Neugeſtaltung vorzüglich der ſo wichtigen ſocialen Verhältniſſe gelegt. Schon unter Friedrichdem Rothbart wurden die Freiheiten der lombardiſchen Städte gegründet und auf dem für die Stellung der kaiſerlichen Macht ſo traurigen Con - greſſe von Venedig zum erſtenmale officiell anerkannt. Nach dem Tode des genialſten, menſchen -, ſtaats -, und naturkundigen Kaiſers Fried - rich's II. fühlten auch die deutſchen Städte, theils wegen der Unſicher - heit ihrer Verkehrs - und Handelsbeziehungen, theils in Folge der wech - ſelnden Parteiſtellung ihrer nächſten Territorialfürſten, das Bedürfniß, eine ihrer immer wachſenden Bedeutung entſprechende äußere Stellung zu erringen. Wie die deutſchen Fürſten und weltlichen Herren je nach der Lage der Dinge und den aus derſelben für ihre Selbſtändigkeit her - zuleitenden Folgen gemeinſam bald für, bald gegen den Kaiſer eintra - ten, und eben ſo oft Bundesgenoſſen Roms wie deutſche Männer wa - ren, ſo ſchloſſen ſich auch die Städte einzelner Gaue enger aneinander und ſuchten ihre Intereſſen in die Wagſchale der Ereigniſſe zu legen.
Zunächſt nun erwuchs hieraus zwar ein neues Hinderniß allſei - tigen geiſtigen Fortſchritts. Die Abſonderung der Stände hatte anfangs die Folge, daß ſich ihre beſondern Leiſtungen nicht gegenſeitig durch - drangen. Der von den Rittern und fahrenden Leuten gepflegten Dicht - kunſt fehlte die „ Reife des wiſſenſchaftlichen Nachdenkens “; der Wiſſen - ſchaft dagegen, welche nur vom Klerus getrieben wurde, fehlte „ Ge - ſchmack, Phantaſie, künſtleriſche Geſtaltung und Abrundung “. Je ſchärfer ſich aber dieſer Gegenſatz herausbildete, deſto eher wurde es möglich, daß er überwunden wurde; und ſo kam es denn auch bald, daß Bürgerliche und Laien in den Gelehrtenſtand eintraten. Damit wurde der Grund gelegt, daß die Wiſſenſchaft volksthümlich177)nicht „ national “, wie man von gewiſſen Seiten dies Verhältniß auffaſſen möchte. wer - den konnte.
203Das dreizehnte Jahrhundert.Freilich dauerte es damit ſelbſt noch eine geraume Zeit. Denn die ſcharfe Sonderung der Stände hatte zur weiteren Folge, daß auch der nun nicht mehr ausſchließlich aus Geiſtlichen gebildete Gelehrtenſtand ſich zünftig abzuſchließen ſuchte. Die Gründung der Univerſitäten, d. h. urſprünglich die Privilegirung gewiſſer Lehrer - und Schülergemeinden war der nächſte Schritt. An die Stelle des Dogmenzwangs, oder, da derſelbe bei dem allgemeinen Einfluß des Klerus nicht ſofort zu beſei - tigen war, neben denſelben trat nun der Schul - und Autoritätenzwang. Es waren zwar weder die gelehrten Juriſten in Bologna, welche durch die Authentica Friedrich's I zur Bildung einer Univerſität privilegirt wurden, noch die ärztlichen Lehrer in Salerno Geiſtliche178)wie bereits Meiners, Geſchichte u. ſ. w. der hohen Schulen. 1. Bd. 1802. S. 7, hiſtor. Vergleichung der Sitten u. ſ. w. des Mittelalters. Bd. 2. 1793. S. 406. und Andere vor Häſer (Geſchichte der Medicin. 2. Aufl. S. 281) her - vorgehoben haben.; an einer freieren Entwickelung der Wiſſenſchaft hinderte aber das ſtrenge Feſt - halten an geſchriebenen Autoritäten, welche in den den Lehren zu Grunde gelegten „ Summen “über die einzelnen Wiſſenszweige eine Be - wegung nur in ſehr engen, durch das Vorwalten der Dialektik in noch ſchärfere Grenzen eingeſchränkten Kreiſen geſtatteten.
Man könnte nun vielleicht meinen, daß das Bedürfniß nach expe - rimenteller Grundlage wenigſtens die ſo häufig mit der Entwickelung der Naturwiſſenſchaften in Beziehung gebrachten Aerzte veranlaßt oder gedrängt hätte, in Bezug auf ihre Lehrweiſe einen Schritt weiter zu gehn. Nach Allem aber, was hierüber bekannt worden iſt, verſtanden die Aerzte der damaligen Zeit ebenſo wenig ſich der ſcholaſtiſchen Feſſeln zu entledigen, wie die Lehrer anderer Wiſſenſchaften. Der Aufſchwung, welchen die Phyſik in dem für ſein Zeitalter einzig daſtehenden Roger Bacoerhielt179)Zur Charakteriſirung der Kritik, welche etwa Roger Bacoanwandte, diene folgende Stelle aus der Schrift: De secretis operibus artis et naturae et de nullitate magiae. Hamburg, 1518. p. 30: Et ideo homo potest facere virtutem et speciem extra se quum sit nobilior aliis rebus corporalibus, et praecipue propter dignitatem animae rationalis, et nihilominus exeunt spi - ritus et calores ab eo sicut ab aliis animalibus. Et nos videmus, quod ali -, entſprang andern Momenten, zum Theil wenigſtens204Die Zoologie des Mittelalters.denſelben, welche das Vorherrſchen der ſymboliſchen Zoologie, die Ver - breitung der Alexanderſage und der Fabeln vom trojaniſchen Kriege allmählich beſeitigten.
Hierbei iſt zunächſt des Auftretens arabiſcher Autoren im Abend - lande zu gedenken, namentlich des Averroës. Hatte vom neunten bis zwölften Jahrhundert Alles platoniſirt und Niemand ariſtoteliſirt, ſo war die nüchterne, einer wiſſenſchaftlichen Forſchung zuſagendere philo - ſophiſche Weltanſchauung des Averroes, welche ja weit über Ariſtoteleshinausgieng, ein jedenfalls wirkſames Mittel, den Ariſtotelesſelbſt wieder möglich zu machen. Einzelne mehr oder minder deutliche An - klänge an ariſtoteliſche Denkweiſe waren zwar ſchon im zwölften Jahr - hundert, ſelbſt auf Seiten des platoniſchen Realismus erſchienen. So ſagt z. B. Gilbertus Porretanus, daß die Individuen der wahre Grund der ſinnlichen Welt ſeien, während die allgemeinen Be - griffe der Gattungen und Arten in den Individuen nur Subſtanz ge - winnen ſollen. Aehnliche Anſchauungen treten indeſſen in Folge des Uebergewichtes, welches die ſtrengeren Lehrſätze des Realismus erhiel - ten, zurück. Die der Naturlehre gewidmeten Arbeiten der arabiſchen Ariſtoteliker fanden bei den moraliſirenden Scholaſtikern Widerſpruch. Doch wurde „ der Sinn für Erkenntniß der Natur angeregt und mit phantaſtiſchen Ausſichten geſchmeichelt “. Und wenn auch jetzt noch die neu auftauchenden Lehren und Meinungen immer nur an den Prüf - ſtein der theologiſchen Dogmatik und Moral gehalten wurden, ſo haben „ die Gedanken der Averroiſten dazu beigetragen, die Hoffnungen auf eine fruchtbare Naturforſchung zu beleben “.
Am meiſten trug aber hierzu bei, daß man außer den bis dahin im Abendlande bereits verbreiteten philoſophiſchen Schriften des Ari - ſtotelesnun auch deſſen naturhiſtoriſche Werke kennen lernte. Die Kenntniß der griechiſchen Sprache war aber durchaus nicht ſo verbreitet,179)qua animalia immutant et alterant res sibi objectas, sicut basiliscus interficit solo visu et lupus reddit raucum si prius videat hominem, et hyaena intra umbram suam canem non permittit latrare, sicut Solinusde mirabilibus mundi narrat et alii Auctores ... et equae impregnantur in aliquibus regnis per odorem equorum ut Solinusnarrat. 205Das dreizehnte Jahrhundert.daß es nur gewiſſermaßen eines Fingerzeiges bedurft hätte, um die Zoologie des Stagiriten wieder hervortreten zu laſſen. Auch iſt es we - nigſtens nicht mit Sicherheit hiſtoriſch nachzuweiſen, daß nach und in Folge der Eroberung und Plünderung Conſtantinopels durch das Kreuz - heer im Jahre 1204 griechiſche Handſchriften der phyſiſchen Werke des Ariſtotelesetwa irgend wie reichlich nach dem Abendlande gekommen wären. Es wird ſich ſelbſt zeigen, daß ein abendländiſcher Geiſtlicher in Griechenland, alſo dem Sitze der griechiſchen Bildung näher, nicht völlig Herr ſeines Ueberſetzungsſtoffes war. Jedenfalls iſt aber dieſes Ereigniß mit ſeinen im Verkehr bemerkbaren Folgen der erſte Anſtoß geweſen, ſich der griechiſchen Quelle aller wiſſenſchaftlichen Bildung wieder zu nähern. Ehe dies aber nach den erſten Lebenszeichen des er - wachenden Humanismus durch einzelne nach Byzanz reiſende abend - ländiſche Gelehrte und ausgedehnter durch griechiſche in Italien ein - wandernde Lehrer in weitern Kreiſen möglich wurde, wie ſich ja die Zahl der letztern erſt nach der Eroberung Conſtantinopels durch die Türken vermehrte, lieferten die als Pfleger anderer Zweige der Natur - wiſſenſchaften bereits bekannten und gerühmten Araber auch für die Zoologie das litterariſche Material in ihren Ueberſetzungen des Ari - ſtoteles.
Wenn auch die arabiſche Gelehrſamkeit in einzelnen ihrer Leiſtun - gen ſchon früher den Weſteuropäern näher getreten war, ſo waren die naturgeſchichtlichen Verdienſte derſelben ihnen doch noch fremd. Schon ſeit einiger Zeit war das ärztliche Wiſſen, was vorzüglich in den Hän - den der Juden war, faſt ganz aus arabiſchen Meiſterwerken geſchöpft worden. Im zwölften Jahrhundert eröffnete dann Gerardusvon Cremona (ſtarb 1187) durch ſeine Ueberſetzungen, beſonders die des Almageſt des Ptolemäus, einen Einblick in die naturwiſſenſchaftlichen Schriften der Araber und durch dieſe in die der Alten. Die Zoologie des Ariſtotelesblieb aber damals noch verſchloſſen.
Hätte FriedrichII auch kein an Beobachtungen ſo reiches Werk geſchrieben, wie das über die Jagd mit Vögeln, ſein Verdienſt um die Zoologie würde ſchon darum hier anerkannt werden müſſen, daß ſich an ſeinen Namen die erſte Ueberſetzung der ariſtoteliſchen zoologiſchen206Die Zoologie des Mittelalters.Schriften knüpft. Es ſoll damit nicht geſagt ſein, daß die Ueberſetzung der Thiergeſchichten durch Michael Scotusauf ſeine Veranlaſſung entſtanden iſt. Dies läßt ſich nicht direct beweiſen. Gab er aber auch nicht dazu den Anſtoß, ſo hatte er ſie doch kennen gelernt und den Ge - nannten dann weitere Arbeiten in gleichem Sinne aufgetragen. Es iſt ja bekannt, daß er der Univerſität Bologna die Werke des Ariſtotelesin Ueberſetzung geſchenkt hat. Friedrich's Einſicht blieb es nicht ver - ſchloſſen, daß ſowohl die Heilkunde als die Kenntniß der Thiere von einem Verſtändniß des Baues der belebten Körper ausgehen muß. Er geſtattete daher zuerſt Sectionen menſchlicher Leichname; und wie ſehr er den zoologiſchen Betrachtungen eine zootomiſche Grundlage zu geben ſuchte, das beweiſt ſeine Schrift von der Falkenjagd180)Reliqua librorum Friderici II. imperatoris de arte venandi cum avibus. ed. J. G. Schneider. T. I. II. Lipsiae, 1788, 89. 4°. . Daß er bei ſolchen Beſchäftigungen und Anſichten, daneben auch der Aſtrologie zu - gethan, bei der Geiſtlichkeit und dem durch dieſe in ſeinem Urtheile ge - leiteten Theile des Volkes nicht in dem Rufe eines guten Chriſten ſtand und daß ſeine Helfer und Berather wohl in der Beurtheilung noch härter bedacht wurden, iſt erklärlich181) Danteläßt ihn daher in einem feurigen Grabe der Hölle ruhen, l'Inferno, Canto X: Qua entro è lo secondo Federico. Michael Scotuswird noch tiefer in der Hölle mit den Wahrſagern, Necromanten u. ſ. w. zuſammengeſtellt: l'Inferno, Canto XX: Quell 'altro che ne' fianchi è cosi poco, Michele Scottofu, che veramente Delle magiche frode seppe il giuoco. , noch dazu da mit ihm die Reaction gegen die päbſtliche Obergewalt lebendiger aufzuflackern beginnt, wenn er gleich in andern Zügen von kirchlicher Ergebenheit ein Kind ſeiner Zeit iſt. Erſt in zweiter Linie iſt ihm als Verdienſt anzurechnen, daß er eine Anzahl ausländiſcher Thiere nach Europa kommen ließ. Be - ſonders wird hier die Giraffe erwähnt. Es iſt aber weder bekannt, daß er die fremden Formen zur wiſſenſchaftlichen Vergleichung benutzt hätte, noch iſt der Eindruck, welchen jene hervorriefen, allgemeiner und nach - haltig geweſen.
Daß Ariſtoteleszuerſt in Ueberſetzungen bekannt wurde, welche207Das dreizehnte Jahrhundert.nach arabiſchen Bearbeitungen gemacht worden waren, hat bereits J. G. Schneiderin Bezug auf die von Albertden Großen benutzte Ueberſetzung der Thiergeſchichte bemerkt182)Litteräriſche Beiträge u. ſ. w. S. 10.. Seit der gründlichen Un - terſuchung Jourdain's183) Jourdain, Recherches critiques sur l'âge et l'origine des tra - ductions latines d' Aristote. Nouv. édit. Paris, 1843. Die erſte, 1819, erſchie - nene Ausgabe hat Stahr 1831 überſetzt. läßt ſich die Reihe der Ueberſetzungen leichter überſehen. Für die zoologiſchen Schriften, welche hier allein zu berückſichtigen ſind, iſt es ſicher, daß bis zum Anfang der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts nur nach dem Arabiſchen gemachte latei - niſche Uebertragungen bekannt und benutzt worden ſind184)Vom Organon wird ſchon im 12. Jahrhundert eine nach dem griechiſchen Original verfaßte Ueberſetzung von Ottovon Freyſing erwähnt; ſ. S. 105. Anm. 5., während ſpäter, wie man meiſt erzählt, auf Betrieb des Thomasvon Aquino das griechiſche Original direct überſetzt wurde. Aus der oben gegebenen Ueberſicht der arabiſchen Ueberſetzungslitteratur geht nun hervor, daß die zoologiſchen Schriften verſchiedene Male arabiſch bearbeitet worden ſind. Von arabiſch-lateiniſchen Ueberſetzungen dieſer Bücher iſt aber nur eine einzige bekannt, welche gewöhnlich dem Michael Scotusbeigelegt wird. Dieſelbe findet ſich nicht ſelten handſchriftlich, iſt aber noch ungedruckt185)Wie Jourdainmit Recht gegen Buhleund Schneiderbemerkt.. Daneben iſt noch die ſicher von Michael Sco - tusherrührende Ueberſetzung einer Paraphraſe der ariſtoteliſchen Zoo - logie von Avicennabekannt oder wie es ſcheint einer Abkürzung einer ſolchen, welche manche Handſchriften ausdrücklich als Abbreviationes Avicennaebezeichnen186)Oefters gedruckt: o. O. u. J. (Hain 2220), dann Venedig 1494, beide Ausgaben von Jourdainnicht erwähnt, welcher dagegen eine Ausgabe Vene - dig, 1509 anführt.. Von einigen nicht zoologiſchen Schriften des Ariſtotelesgab es nach dem Zeugniß des Thomasvon Aquino meh - rere griechiſch-lateiniſche Ueberſetzungen187) Jourdain, a. a. O. S. 40.; von den zoologiſchen kennt man nur eine ſolche, gleichfalls noch ungedruckte, von welcher Schnei - der nachgewieſen hat, daß ſie Wilhelm von Moerbekezum Ver -208Die Zoologie des Mittelalters.faſſer hat188) AristotelisHistoriae animalium ed. J. G. Schneider. Vol. I. p. CXXVI. . Dieſe von Schneiderbei ſeiner Ausgabe der Thierge - ſchichte benutzte, ſich Wort für Wort an das griechiſche Original an - ſchließende Ueberſetzung verdient doch wohl eine wiederholte eingehende Beachtung. Denn wenn auch Schneidereinzelne unhaltbare Schlüſſe auf ſie gegründet hat, wie Aubertund Wimmerhervorheben, ſo behält darum doch die Ueberſetzung immerhin einen hohen Werth; und es verlohnte ſich wohl, ſie (vielleicht nach und nach vollſtändig) zum Abdruck zu bringen.
Von den beiden Ueberſetzern, welche hier in Rede kommen, iſt der eine, Michael Scotus, unſchuldigerweiſe ſehr in üblen Ruf ge - kommen. Er wurde um das Jahr 1190 in Balwearie in der ſchotti - ſchen Grafſchaft Fife geboren, in welcher Angabe man jetzt ziemlich ein - ſtimmig iſt, während ihn früher einzelne in Durham (Dundmen, Zett - ler, territorium Dunelmense, Balaeus, Dérasmes, Jour - dain), ſelbſt in Salerno oder in Spanien geboren ſein laſſen woll - ten. In Spanien ſtudierte er die arabiſchen Quellen des damaligen exacten Wiſſens und überſetzte 1217 in Toledo die Schrift de sphaera des Nureddin Alpetrongiaus dem Arabiſchen ins Lateiniſche. Um 1240 war er am Hofe Friedrich's II in Neapel und ſoll nun von die - ſem aufgefordert worden ſein, ſämmtliche Werke des Ariſtoteleszu über - ſetzen. Später kam er an den Hof Eduard's I nach England, wo er ſehr bekannt und zu einer halb mythiſchen Perſönlichkeit geworden iſt. Sein Todesjahr iſt unbekannt. Manche wollen ihn noch 1286 eine Sendung Eduard's nach Schottland ausführen laſſen (alſo nach des Königs AlexanderIII Tode); doch iſt dies äußerſt unwahrſcheinlich. Wie es Allen ergieng, welche ſich in jener Zeit mit Aſtrologie, Phyſik u. dergl. beſchäftigten, wurde auch Michael Scotusder Magie und eines Bundes mit dem Teufel beſchuldigt. Sagenhafte Erzählungen, welche ſich an dieſe Anklage knüpfen, erwähnt unter Andern Walter Scott189)Lay of the last Minstrel. Notes XI, XIII and XIV to Canto II. . Außer dem angegebenen Datum der erſten kennt man die Chronologie ſeiner Ueberſetzungen nicht genau. Wenn aber die arabiſch-lateiniſche209Das dreizehnte Jahrhundert.Ueberſetzung der Thiergeſchichte, welche Thomasund Albertkannten, wirklich von ihm iſt, ſo muß er ſie vor 1233 gemacht haben; denn in dieſem Jahre fieng, wie ſich zeigen wird, Thomasvon Cantimpré ſein Werk zu ſchreiben an, in welchem Ariſtotelesnach einer ſolchen Bear - beitung citirt wird.
In einer ziemlich ähnlichen Unſicherheit findet ſich die Geſchichte in Bezug auf die ſpecielleren Lebensverhältniſſe Wilhelm's von Moerbeke. Sein Geburtsjahr iſt unbekannt; die älteren Angaben über ihn und ſein Leben ſind oft in Folge einer Verwechſelung mit Thomasvon Cantimpré, welcher wie er ſelbſt den Beinamen Braban - tinus häufig erhielt, völlig irrig. Im Jahre 1274 war er als des Griechiſchen Kundiger zur Aſſiſtenz des Pabſtes auf dem Concil in Lyon. Aber ſchon vorher, vermuthet Echard, wurde er in Miſſionen des päbſtlichen Stuhles nach Griechenland geſchickt. Ob möglicherweiſe eine aus „ Theben “datirte Handſchrift der Thiergeſchichte in griechiſch - lateiniſcher Ueberſetzung, auf einen ſolchen früheren Aufenthalt bezogen werden kann, iſt freilich fraglich; die Annahme iſt indeß nicht unwahr - ſcheinlich. Nach der Subſcription dieſer Handſchrift wurde die Ueber - ſetzung beendet X. Kalend. Januar. 1260190)wie Schneider(a. a. O. p. XXX) und Jourdain(a. a. O. S. 75) anführen (nach Zachariae itiner. litter. per Italiam, p. 95) und wie von Muccioli, Catal. Codd. MSS. biblioth. Malatest. Caesen. Vol. II. p. 41 beſtätigt wird.. Mehrere Angaben ſagen, daß Wilhelm von Moerbeke1273 von Thomasvon Aquino den Auf - trag erhalten habe oder gebeten worden ſei, Ueberſetzungen vorzunehmen. Im Jahre 1277 wird er als Erzbiſchof von Korinth erwähnt (die Quellen ſ. bei Schneider); in Korinth war er aber ſelbſt erſt 1280 und 1281, von welchen Jahren andere Ueberſetzungen von ihm aus jener Stadt datirt ſind. Mag nun Wilhelmdie Kenntniß des Griechi - ſchen auf dem von PhilippII Auguſt in Paris gegründeten griechiſchen Colleg oder auf andere Weiſe erlangt haben, jedenfalls war ſie keine ſo tief gehende, daß er mit der nöthigen Freiheit ſeinen Stoff bemeiſtern konnte. Bei der ſklaviſchen Weiſe, jedes Wort des griechiſchen Origi - nals durch ein lateiniſches decken zu wollen, konnte er natürlich auch V. Carus, Geſch. d. Zool. 14210Die Zoologie des Mittelalters.dem Geiſte des letzten Idioms nicht gerecht werden. Oft führt er ein - fach das griechiſche Wort ohne weiteres mit lateiniſchen Buchſtaben an ohne weitere Erklärung, die er wahrſcheinlich nicht überall geben konnte. So hart und unlateiniſch daher ſeine Ueberſetzung iſt, ſo iſt ſie doch gerade des genannten Umſtandes wegen ſehr wichtig191)Beiſpielsweiſe ſei hier angeführt: ἔτι τοῖς τόποις τὰ μὲν τρωγλοδυ - τικά u. ſ. w. iſt bei ihm: adhuc haec quidem cavernosa etc.; ἔτι τὰ μὲν ἀμυντικὰ τὰ δὲ φυλακτικά heißt: adhuc haec quidem amintica haec autem silactica. Oder weiter im 13. Kapitel des erſten Buches, wo die Ausdrücke bifies, monofies, itron (ἦτρον), epision, cholas, diazoma, cotilidon herübergenommen werden ohne Ueberſetzung. — Ich beſitze von einem Theile der Thiergeſchichte in dieſer Ueberſetzung Abſchrift nach zwei auf der Univerſitätsbibliothek befindlichen Handſchriften. Proben der Ueberſetzung hat auch Jourdain, a. a. O. S. 426 flgde, gegeben.. Handſchriften ſeiner, ſämmtliche zoologiſche Schriften des Ariſtotelesumfaſſenden Ueberſetzung ſind nicht eben ſelten.
Frägt man nun nach dem, was denn eigentlich den Eintritt des Ariſtoteleszu einem für die Geſchichte der Naturwiſſenſchaften, beſon - ders der Zoologie, ſo wichtigen Ereigniß gemacht hat, ſo könnte man vielleicht meinen, es würde ſchon hinreichen, einfach auf die Form und den Inhalt der betreffenden Schriften hinzuweiſen. So wenig indeſſen die bloße Kenntniß derſelben genügte, unter den Arabern eine wiſſen - ſchaftliche Zoologie erblühen zu laſſen, ſo unwirkſam ſein Einfluß für dieſe Seite des Wiſſens bei den Römern geweſen war, ſo waren ſicher - lich auch jetzt beſondere Umſtände für ſeine Wirkſamkeit bedingend. Nach den wiederholten Verboten, welche wie früher erwähnt den Aver - roësund durch ihn auch Ariſtotelesgetroffen hatten, muß man wohl annehmen, daß die platoniſirende Richtung der Realiſten die Jünger der Wiſſenſchaft nicht völlig befriedigte. Man hatte die ganze Kunſt der Dialektik auf ariſtoteliſche Vorſchriften gegründet und ſah nun zum erſten Male, daß eine ganze Summe werthvollſten Wiſſens von dem - ſelben Schriftſteller dargeboten wurde, welcher die formale Seite der Bildung ſo lange ſchon beherrſcht hatte. Als äußere Veranlaſſung zum lebendigen Ergreifen des ſich nun erſchließenden Stoffes mag wohl auch nicht mit Unrecht der Wetteifer einzelner Lehrer oder Lehrgemein -211Das dreizehnte Jahrhundert.den, Neues zu bieten, angeführt werden; es könnte hierfür vielleicht die auseinanderführende Richtung mancher Schulen ſprechen. Es galt nun zwar, die bisherigen Anſichten mit den neuen vermittelnd zu ver - binden; es wird ſich auch zeigen, welche Uebergangsſtellung zwiſchen Realismus und Nominalismus z. B. Albertder Große einnahm. Im Allgemeinen aber ſprang ſofort die Bemerkung entgegen, daß man es hier mit einer Fülle von Thatſachen zu thun hatte, welche je nach Um - ſtänden durch neue Beobachtungen entweder beſtätigt, oder widerlegt oder erweitert werden konnten. So kam die erſte Andeutung des ſo überaus wichtigen Momentes der ſichern Conſtatirung einer wirklich oder angeblich auf Beobachtung beruhenden Angabe, der Verificirung der Thatſachen und damit die erſte leiſe Spur der Kritik in die Zoolo - gie, welche ſich freilich noch nicht ſogleich ſoweit erheben konnte, alles Fabelhafte zurückzuweiſen.
Drei Dominikaner ſind es, welche in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ſich zuerſt die Aufgabe ſtellten, unter Benutzung des Ari - ſtotelesdas geſammte zoologiſche Wiſſen der damaligen Zeit in einer umfaſſenden Form zur Darſtellung zu bringen. Wenn bei der Schil - derung dieſer drei Männer die Zeitfolge des Erſcheinens ihrer zoologi - ſchen Schriften als beſtimmend angeſehen werden ſollte, ſo dürfte ver - muthlich Vincenzvon Beauvais zwiſchen die beiden andern zu ſtellen ſein. Doch ſchließt ſich Albertder Große ſo eng an Thomasvon Can - timpré an, daß er nicht von dieſem zu trennen iſt.
Als Hagiograph zwar nicht unbekannt iſt Thomasdoch auch für die Naturgeſchichte des Mittelalters von großer Bedeutung. Er ver - dient daher zunächſt einer eingehenden Erwähnung; er tritt nicht bloß zuerſt auf, ſondern hat den beiden andern vielfach als Quelle gedient.
Nach ſeinem Geburtsort Leeuw St. Peter bei Lüttich wird er häufig als Brabantinus bezeichnet, meiſt jedoch mit dem Namen ſeines Kloſters. Choulantgibt 1186 als ſein Geburtsjahr, 1263 als ſein14*212Die Zoologie des Mittelalters.Todesjahr an192)Die Anfänge wiſſenſchaftlicher Naturgeſchichte und naturhiſtoriſcher Ab - bildung im chriſtlichen Abendlande. Leipzig, 1856. S. 23.. Nach den aus Thomas 'eignen Schriften gezogenen Notizen, welche Colveneriuszur Schilderung von deſſen Leben be - nutzte193) ThomaeCantipratani Miraculorum et exemplorum mirabilium sui temporis libri duo (olim: Bonum universale de Apibus) Opera et studio Georg. Colvenerii. Duaci, 1597. Vita ThomaeCant. ex operibus ejus conscripta. , ſtellen ſich dieſe Daten indeß anders heraus. Hiernach hat er als kaum fünfzehnjähriger Jüngling den Jacobusde Vitriaco pre - digen hören, als dieſer in Lothringen war. Da ferner Thomasſelbſt die Schrift über die Bienen als in ſeinem neunundfünfzigſten Lebens - jahre verfaßt anführt194)a. a. O. Duaci, 1597. lib. 2. cap. 30. n. 46. p. 287. , dieſe aber nach den in ihr enthaltenen und andern Daten beinahe gewiß 1269 geſchrieben iſt, muß er 1210 gebo - ren ſein, alſo den Jacobusim Jahre 1225 gehört haben, wo dieſer von Ptolemaiszurückgekehrt in Ognies war195) E. Meyer(Geſch. der Botanik. Bd. 4. S. 93) gibt 1201 als Geburts - jahr an; auch dieſe Angabe iſt nach den im Bonum universale enthaltenen Anga - ben nicht haltbar.. Als Jüngling trat er als Canonicus in das Auguſtinerſtift Cantimpré bei Cambrai, verfaßte im Jahre 1231 zu den zwei Büchern der Lebensbeſchreibung der Marie von Ognies, welche Jacobusde Vitriaco verfaßt hatte, ein drittes und wurde dann in den Predigerorden aufgenommen. Im Jahre 1232 ſchrieb er das Leben der acht Jahre vorher geſtorbenen h. Chriſtine. Nachdem 1246 die h. Lutgardgeſtorben war, ſetzte er auch deren Leben auf, alſo vermuthlich 1247 oder 1248. Auf ſein Hauptwerk, das gleich zu beſprechende de naturis rerum, hat er ſeiner eigenen Angabe gemäß vierzehn oder fünfzehn Jahre verwandt. Dieſe Jahre fallen nun genau zwiſchen die Abfaſſungszeiten der oben erwähnten Biographien und würden alſo den Zeitraum 1233 bis 1247 oder 48 umfaſſen196) Hoffmannvon Fallersleben gelangte zu dem Reſultat, daß die Schrift von 1230 bis 1244 geſchrieben ſei. ſ. Horae belgicae, T. I. S. 36.. Wäh - rend dieſer Zeit hat er Auszüge gemacht und Materialien für ſein Werk geſammelt, hat Albertden Großen in Cöln gehört und ihn als Schüler beſucht, iſt auch in Paris geweſen, was er für 1238 ſelbſt erzählt,213Das dreizehnte Jahrhundert.und hat möglicherweiſe Theile ſeines allmählich dem Abſchluſſe näher rückenden Werkes ſeinem Lehrer Albertzugänglich gemacht. Erſt ſpäter hat er dann als ausführlichen moraliſirenden Commentar zu dem Ka - pitel über die Bienen aus ſeinem eigenen größeren Werke die ihn als Moraliſten bekannt machende Schrift verfaßt: bonum universale de apibus. Wäre nun Choulant's oder Meyer's Angabe ſeiner Geburt im Jahre 1186 oder 1201 richtig, ſo hätte er im neunundfünfzigſten Lebensjahre ſtehend dieſe Schrift 1245 oder 1260 abfaſſen müſſen. Es führt aber Thomasnicht bloß Ludwigdes Heiligen Kreuzzug (1248, die Ausgaben haben 1246), ſondern auch einzelne ſpäter eingetretene Ereigniſſe an. Colvenerhält ſie für im Jahr 1263 geſchrieben und gründet dies darauf, daß ſie dem (fünften) Dominikanergeneral Hum - bert dedicirt iſt, welcher nach den Angaben Einiger ſchon 1263 abge - treten ſei. Doch werden in ThomasSchrift nicht bloß Vorkommniſſe der Jahre 1265 und 1267197)Für MCCLXXI dürfte MCCLXVII zu leſen ſein nach den Angaben an - derer Chroniken über daſſelbe Ereigniß. In der Chronik des Christianus Massaeus Cameracensiswird der Abfaſſung der Schrift über die Bienen beim Jahre 1269 gedacht. angeführt, ſondern es ſoll auch nach Leander's Angabe Humbert bis 1273, nämlich neunzehn Jahre (und das Antrittsjahr 1254 iſt zweifellos) General geblieben ſein, wodurch jene Zahl noch wahrſcheinlicher würde. Das Todesjahr des Thomasiſt un - gewiß. Nicht ſo ſein Name; daß er Thomashieß und nicht Heinrich oder Wilhelm, wie ihn Spätere zuweilen nennen, geht aus ſeinen Schriften hervor. JohannesCantipratenſis, mit dem er gleichfalls verwechſelt wird, war ein anderes Mitglied ſeines Kloſters, welches er ſogar in der Schrift über die Bienen ſelbſt angeführt hat198)vergl. über Thomasund ſeine größere Schrift: Bormans, Tho - masde Cantimpré indiqué comme une des sources ou Albertle Grand .. ont puisé. in: Bull. Acad. Bruxell. T. XIX. P. 1. 1852. p. 132. .
Die ziemlich umfängliche Schrift des Thomasvon Cantimpré, welche ihn einer eingehenden Beſprechung werth macht, führt wie er - wähnt den Titel de naturis rerum und enthält nach einer Einleitung urſprünglich neunzehn Bücher, welchen er aber ſpäter noch ein zwan - zigſtes de ornatu coeli et motu siderum, vielleicht nach der 1256214Die Zoologie des Mittelalters.verfaßten Sphaera des Johannesa Sacroboſco199) Pfeiffer(in der Vorrede zu ſeiner Ausgabe des Buchs der Natur von Conradvon Megenberg S. XXXI) hält dies wie es ſcheint für ſicher., angefügt hat. Er beginnt mit der menſchlichen Anatomie, ſpricht dann im zweiten Buch von der Seele, handelt im dritten Buche die monſtröſen Menſchen des Orients, im vierten bis neunten die Thiere, im zehnten bis zwölf - ten die Bäume und Kräuter ab, beſpricht dann die Quellen, die Edel - ſteine, die ſieben Metalle, die ſieben Gegenden und humores der Luft, ſchildert das Himmelsgewölbe und die ſieben Planeten, den Donner und ähnliche Erſcheinungen und ſchließt mit den vier Elementen. Wie man hiernach ſieht, enthält alſo die Schrift eine vollſtändige Ueberſicht der belebten und unbelebten Natur, und zwar iſt dies die erſte der Art im Mittelalter. Außer der Einleitung intereſſirt hier beſonders das dritte bis neunte Buch200) Bormansführt ſieben Handſchriften an, in Breslau, Krakau, Wolfen - büttel, La Haye, Utrecht, Lüttich und Namur. Pitrabringt hierzu noch zwölf (Spicil. Solesm. T. III. p. LXXVI. Anm.): ſieben in Paris, eine in Compiegne (Carolopolis), Straßburg, zwei in Turin und eine in London (Arundel). Beide kannten alſo den Gothaer Codex nicht, welcher jedenfalls zu den beſſeren gehört. Pfeiffer(a. a. O.) wußte nur von dem Krakauer, hat aber in Stuttgart noch einen entdeckt, welchem das zwanzigſte Buch fehlt, ſeiner Angabe nach aus dem 15. Jahrhundert. Das von A. Wachler( Thomas Rhedigerund ſeine Bücherſamm - lung. S. 35) unrichtig angegebene Alter des Breslauer Codex berichtigte ſchon Hoffmann(Horae belgicae. T. I. p. 37). Er iſt um ein Jahrhundert jünger als der Gothaer. Ich habe Abſchrift genommen von der Einleitung und dem dritten bis neunten Buche nach dem Gothaer Codex, welcher mir, ebenſo wie der Rhedi - gerſche, deſſen Varianten zum Theil nicht ohne Werth ſind, mit dankbar zu rühmen - der Bereitwilligkeit zur Benutzung anvertraut wurde. Außer dem zoologiſchen In - tereſſe iſt die Schrift auch für die Litterärgeſchichte des dreizehnten Jahrhunderts von großem Werth..
Iſt auch der Verfaſſer noch von den Vorurtheilen einer Zeit be - fangen, welche ſich nicht frei an die Löſung der in der Natur ſich dar - bietenden Räthſel wagte, iſt auch an den mancherlei Moraliſationen und Gleichniſſen zu erkennen, daß der Verfaſſer ein Geiſtlicher war und wohl auch beſonders für Geiſtliche ſchrieb (wenigſtens für gelehrte, des Latein kundige Leute), ſo tritt doch in der ganzen Behandlung des Stoffes entſchieden eine natürliche Betrachtung, eine vergleichsweiſe215Das dreizehnte Jahrhundert.naturgemäße Auffaſſung der Thiere zu Tage. Der Verfaſſer legt ſich doch, wenn ihm in der Natur des gerade Behandelten etwas Auffälli - ges begegnet, oft Fragen vor, welche er, ſo gut es eben geht, zu beant - worten ſucht. Namentlich ſind aber die Einleitungen zu den den Thie - ren gewidmeten Büchern ſo rein naturhiſtoriſch gehalten und von den faſt nur allegoriſchen und myſtiſchen Betrachtungen der früheren Zeiten ſo verſchieden, daß man in ihnen in der That die erſten Beiſpiele allge - mein naturgeſchichtlicher Charakteriſirung einzelner Claſſen in neuerer Zeit findet. Freilich iſt dabei nicht etwa an eine ſyſtematiſche Schilde - rung zu denken. So wenig Ariſtotelesſeine großen Gattungen definirte, ſo wenig hält es Thomasfür nothwendig, die ſchon in der Sprache gegebenen und meiſt im Ariſtoteleswiedergefundenen allgemeinen Gruppen zunächſt als ſyſtematiſche Abtheilungen zu bezeichnen.
Beſonders das vierte, den vierfüßigen Thieren gewidmete Buch enthält ſowohl in der Einleitung, als in dem nach dem Alphabet der Thiernamen geordneten Texte zahlreiche Moraliſationen, welche ſich in den folgenden Büchern zwar auch, aber lange nicht ſo häufig finden. Den wichtigſten Theil der Einleitungen machen vergleichend zoologiſche Bemerkungen aus, vorzüglich nach Ariſtoteles; ſo z. B. alle Thiere mit zwei oder vier Füßen oder ohne ſolche haben Blut, die vielfüßigen haben kein Blut; alle Thiere mit Ohren haben dieſe beweglich, außer dem Menſchen; alle vierfüßigen Thiere mit Hörnern haben keine oberen Schneidezähne; alle Thiere mit Augenlidern ſchließen dieſe im Schlafe, außer dem Löwen und dem Haſen. Dazwiſchen kommen freilich auch an den praktiſchen Geiſtlichen erinnernde Betrachtungen vor; ſo wenn er unterſucht, ob die monſtröſen Menſchen von Adam abſtammen, oder warum der Menſch keine angeborenen Vertheidigungsmittel oder Waffen beſitzt. In Bezug auf die anatomiſchen Vorbegriffe ſteht Thomasnoch auf dem Standpunkte der Alten, wie die Sehnen z. B. bei ihm noch Ner - ven heißen. Die allgemeinen phyſiologiſchen Anſchauungen des Verfaſ - ſers ſind im Ganzen die des Ariſtoteles. Das Falſche wird hier mit dem Richtigen aus dieſer Quelle entnommen, wenn er z. B. vom Meer - thier Chilon (dem Chelon des Ariſtoteles, einer Art kestreus, Mugil) anführt, es ernähre ſich nur von ſeinem eigenen Schleim, ganz wie es216Die Zoologie des Mittelalters. Ariſtoteles(Hist. anim. VIII, 30) erzählt. Der Teleologie wird reich - lich Rechnung getragen und in vorkommenden Fällen die Unzweck - mäßigkeit nicht verſchwiegen, wie es z. B. als eine ſolche aufgefaßt wird, daß der Delphin ſeinen Mund an der untern Fläche der ſchnabel - artigen Schnauzenſpitze habe; dies ſei eine Unvorſichtigkeit der Natur, ſagt Thomas201)Improvidentia, nach anderer Lesart imprudentia naturae. . Eine nicht unbedeutende Rolle bei der Schilderung der einzelnen Thiere ſpielt auch deren mediciniſche Verwendung; doch tritt bei Anführung des Heilgebrauchs das eigentliche naturgeſchichtliche Intereſſe nicht ſo in den Hintergrund, daß etwa die betreffenden Ab - ſchnitte eine Art populärer Heilmittellehre, wie manche ſpätern Werke über Naturgeſchichte, geworden wäre.
Auf den Menſchen folgen zunächſt die vierfüßigen Thiere, dann die Vögel; die nächſt abgehandelten Seemonſtra umfaſſen theils Wal - thiere, theils Fiſche; das folgende Buch handelt von den Fluß - und Meerfiſchen. Dann folgen die Schlangen und den Beſchluß machen die Würmer, worunter Inſecten, Würmer, einige Mollusken, aber auch Fröſche und Kröten begriffen werden. Nimmt man alſo das erſte Buch hinzu, ſo enthält das Werk eine vollſtändige anatomiſche und zoologiſche Encyklopädie. Mit Ausnahme des Buches von den Menſchen ſind die einzelnen Schilderungen wie erwähnt alphabetiſch geordnet. Dabei wurden die Thiernamen ſo aufgenommen, wie ſie ſich in den ausſchließ - lich lateiniſchen Quellen vorfanden, welche der Verfaſſer benutzte. Denn daß Thomaskein Griechiſch verſtand, wie Frühere, ſogar Roger Baconbehaupten wollen, wird aus vielen Stellen ſeiner Schrift be - wieſen. So ſagt er, um ſtatt vieler Belege nur ein paar anzuführen, Agochiles (richtiger wohl Agothiles zu leſen, das griechiſche Aigothelas) ſei ein arabiſches Wort und bedeute: Milch der Ziegen ſaugend; ferner Cygnus komme von canere, ſingen, auf Griechiſch heiße er olor, was eigentlich ganz (ὄλος!) heiße; Schwäne ſeien nämlich ſtets ganz weiß.
Die Zahl der einzelnen von längeren oder kürzeren Beſchreibun - gen oder Erzählungen eingeführten Thiere iſt nicht unbedeutend; doch217Das dreizehnte Jahrhundert.iſt natürlich nicht zu erwarten, daß er ſämmtliche zu ſeiner Zeit be - kannte Formen aufzählt. Von vierfüßigen Thieren werden 110 er - wähnt, wobei jedoch zu bemerken iſt, daß, wahrſcheinlich nach der Ver - ſchiedenheit der benutzten Quellen, ein Thier zuweilen unter mehreren Namen vorkommt. So iſt bonachus (bonasus Ariſtoteles), duran und hemchires daſſelbe Thier, dieſelben Geſchichten werden auch von den zubrones angeführt (alſo Alles iſt der Wiſent oder Zubr), gali und mustela dürften gleichfalls auf dieſelbe Form oder nahe verwandte zurückzuführen ſein. Die