Sr. Excellenz, dem Koͤnigl. Staatsminiſter Freiherrn von Zedlitz.
Den Wachsthum der Wiſſenſchaften an ſeinem Theile befoͤrdern, heißt, an Ew. Excellenz eigenem Intereſſe arbeiten; denn dieſes iſt mit ienen, nicht blos durch den erhabenen Poſten eines Beſchuͤtzers, ſon - dern durch das viel vertrautere eines Lieb - habers und erleuchteten Kenners innigſt verbunden. Deswegen bediene ich mich auch des einigen Mittels, das gewiſſer - maſſen in meinem Vermoͤgen iſt, meine Dankbarkeit vor das gnaͤdige Zutrauen zu bezeigen, womit Ew. Excellenz michbeeh -beehren, als koͤnte ich zu dieſer Abſicht etwas beitragen.
Wen das ſpeculative Leben vergnuͤgt, dem iſt, unter maͤſſigen Wuͤnſchen, der Beifall eines aufgeklaͤrten, guͤltigen Rich - ters eine kraͤftige Aufmunterung zu Be - muͤhungen, deren Nutze groß, obzwar ent - fernt iſt, und daher von gemeinen Au - gen gaͤnzlich verkant wird.
Einem Solchen und Deſſen gnaͤdi - gem Augenmerke widme ich nun dieſe Schrift und, Seinem Schutze, alle uͤbri -a 3gege Angelegenheit meiner literaͤriſchen Be - ſtimmung und bin mit der tiefſten Ver - ehrung
Ew. Excellenz
Koͤnigsberg den 29ſten Merz 1781.unterthaͤniggehorſamſter Diener Immanuel Kant.
Die menſchliche Vernunft hat das beſonde - re Schickſal in einer Gattung ihrer Er - kentniſſe: daß ſie durch Fragen belaͤſtigt wird, die ſie nicht a weiſen kan; denn ſie ſind ihr durch die Natur der Vernunft ſelbſt aufgegeben, die ſie aber auch nicht beantworten kan, denn ſie uͤberſteigen alles Vermoͤgen der menſchlichen Vernunft.
In dieſe Verlegenheit geraͤth ſie ohne ihre Schuld. Sie faͤngt von Grundſaͤtzen an, deren Ge - brauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zu - gleich durch dieſe hinreichend bewaͤhrt iſt. Mit die - ſen ſteigt ſie (wie es auch ihre Natur mit ſich bringt) immer hoͤher, zu entferneteren Bedingungen. Daa 4ſieVorrede. ſie aber gewahr wird, daß auf dieſe Art ihr Geſchaͤfte iederzeit unvollendet bleiben muͤſſe, weil die Fragen niemals aufhoͤren, ſo ſieht ſie ſich genoͤthigt, zu Grundſaͤtzen ihre Zuflucht zu nehmen, die allen moͤg - lichen Erfahrungsgebrauch uͤberſchreiten und gleich - wol ſo unverdaͤchtig ſcheinen, daß auch die gemeine Menſchenvernunft damit im Einverſtaͤndniſſe ſtehet. Dadurch aber ſtuͤrzt ſie ſich in Dunkelheit und Wider - ſpruͤche, aus welchen ſie zwar abnehmen kan, daß irgendwo verborgene Irrthuͤmer zun Grunde liegen muͤſſen, die ſie aber nicht entdecken kan, weil die Grundſaͤtze, deren ſie ſich bedien, da ſie uͤber die Graͤnze aller Erfahrung hinausgehen, keinen Probier - ſtein der Erfahrung mehr anerkennen. Der Kampf - platz dieſer endloſen Streitigkeiten heißt nun Meta - phyſik.
Es war eine Zeit, in welcher ſie die Koͤnigin aller Wiſſenſchaften genant wurde und, wenn man den Willen vor die That nimt, ſo verdiente ſie, we - gen der vorzuͤglichen Wichtigkeit ihres Gegenſtandes, allerdings dieſen Ehrennahmen. Jezt bringt es der Modeton des Zeitalters ſo mit ſich, ihr alle Verach - tung zu beweiſen und die Matrone klagt, verſtoſſen und verlaſſen, wie Hecuba: mod[o]maxima rerum,totVorrede. tot generis natisque potens — nunc trahor exul, inops — Ovid. Metam.
Anfaͤnglich war ihre Herrſchaft, unter der Ver - waltung der Dogmatiker, deſpotiſch. Allein, weil die Geſetzgebung noch die Spur der alten Barbarey an ſich hatte, ſo artete ſie durch innere Kriege nach und nach in voͤllige Anarchie aus und die Sceptiker, eine Art Nomaden, die allen beſtaͤndigen Anbau des Bodens verabſcheuen, zertrenneten von Zeit zu Zeit die buͤrgerliche Vereinigung. Da ihrer aber zum Gluͤck nur wenige waren, ſo konten ſie nicht hindern, daß iene ſie nicht immer aufs neue, obgleich nach keinem unter ſich einſtimmigen Plane, wieder anzubauen ver - ſuchten. In neueren Zeiten ſchien es zwar einmal, als ſolte allen dieſen Streitigkeiten durch eine gewiſſe Phyſiologie des menſchlichen Verſtandes (von dem beruͤhmten Locke) ein Ende gemacht und die Recht - maͤſſigkeit iener Anſpruͤche voͤllig entſchieden werden; es fand ſich aber, daß, obgleich die Geburt iener vor - gegebenen Koͤnigin, aus dem Poͤbel der gemeinen Er - fahrung abgeleitet wurde und dadurch ihre Anmaſſung mit Recht haͤtte verdaͤchtig werden muͤſſen, dennoch, weil dieſe Genealogie ihr in der That faͤlſchlich ange - dichtet war, ſie ihre Anſpruͤche noch immer behaupte -a 5te,Vorrede. te, wodurch alles wiederum in den veralteten wurm - ſtichigen Dogmatism und daraus in die Geringſchaͤ - tzung verfiel, daraus man die Wiſſenſchaft hatte zie - hen wollen. Jezt, nachdem alle Wege (wie man ſich uͤberredet) vergeblich verſucht ſind, herrſcht Ueber - druß und gaͤnzlicher Indifferentism, die Mutter des Chaos und der Nacht, in Wiſſenſchaften, aber doch zugleich der Urſprung, wenigſtens das Vorſpiel einer nahen Umſchaffung und Aufklaͤrung derſelben, wenn ſie durch uͤbel angebrachten Fleiß dunkel, verwirrt und unbrauchbar geworden.
Es iſt n[em]lich umſonſt, Gleichguͤltigkeit in Anſehung ſolcher Nachforſchungen erkuͤnſteln zu wollen, deren Gegenſtand der menſchlichen Natur nicht gleich - guͤltig ſeyn kan. Auch fallen iene vorgebliche In - differentiſten, ſo ſehr ſie ſich auch durch die Veraͤn - derung der Schulſprache in einem populaͤren Ton un - kentlich zu machen gedenken, wofern ſie nur uͤberall etwas denken, in metaphyſiſche Behauptungen unver - meidlich zuruͤck, gegen die ſie doch ſo viel Verachtung vorgaben. Indeſſen iſt dieſe Gleichguͤltigkeit, die ſich mitten in dem Flor aller Wiſſenſchaften eraͤugnet und gerade dieienige trift, auf deren Kentniſſe, wenn der - gleichen zu haben waͤren, man unter allen am wenig -ſtenVorrede. ſten Verzicht thun wuͤrde, doch ein Phaͤnomen, das Aufmerkſamkeit und Nachſinnen verdient. Sie iſt offenbar die Wirkung nicht des Leichtſinns, ſondern der gereiften Urtheilskraft*)Man hoͤrt hin und wieder Klagen uͤber Seichtigkeit der Denkungsart unſerer Zeit und den Verfall gruͤndlicher Wiſſenſchaft. Allein ich ſehe nicht, daß die, deren Grund gut gelegt iſt, als Mathematik, Naturlehre ꝛc. dieſen Vorwurf im mindeſten verdienen, ſondern vielmehr den alten Ruhm der Gruͤndlichkeit behaupten, in der lezte - ren aber ſogar uͤbertreffen. Eben derſelbe Geiſt wuͤrde ſich nun auch in anderen Arten von Erkentniß wirkſam beweiſen, waͤre nur allererſt vor die Berichtigung ihrer Principien geſorgt worden. In Ermangelung derſel - ben ſind Gleichguͤltigkeit und Zweifel und endlich, ſtrenge Critik, vielmehr Beweiſe einer gruͤndlichen Denkungs - art. Unſer Zeitalter iſt das eigentliche Zeitalter der Critik, der ſich alles unterwerfen muß. Religion, durch ihre Heiligkeit, und Geſetzgebung durch ihre Maieſtaͤt, wollen ſich gemeiniglich derſelben entziehen. Aber alsdenn erregen ſie gerechten Verdacht wider ſich, und koͤnnen auf unverſtellte Achtung nicht Anſpruch machen, die die Vernunft nur demienigen bewilligt, was ihre freie und oͤffentliche Pruͤfung hat aushalten koͤnnen. des Zeitalters, wel - ches ſich nicht laͤnger durch Scheinwiſſen hinhalten laͤßt und eine Auffoderung an die Vernunft, das be - ſchwerlichſte aller ihrer Geſchaͤfte, nemlich das der Selbſterkentniß aufs neue zu uͤbernehmen und einen Gerichtshof einzuſetzen, der ſie bey ihren gerechten Anſpruͤchen ſichere, dagegen aber alle grundloſe An -maſ -Vorrede. maſſungen, nicht durch Machtſpruͤche, ſondern nach ihren ewigen und unwandelbaren Geſetzen, abfertigen koͤnne und dieſer iſt kein anderer als die Critik der reinen Vernunft ſelbſt.
Ich verſtehe aber hierunter nicht eine Critik der Buͤcher und Syſteme, ſondern die des Vernunftver - moͤgens uͤberhaupt, in Anſehung aller Erkentniſſe, zu denen ſie, unabhaͤngig von aller Erfahrung, ſtreben mag, mithin die Entſcheidung der Moͤglichkeit oder Unmoͤglichkeit einer Metaphyſik uͤberhaupt und die Beſtimmung ſo wol der Quellen, als des Umfanges und der Graͤnzen derſelben, alles aber aus Principien.
Dieſen Weg, den einzigen, der uͤbrig gelaſſen war, bin ich nun eingeſchlagen und ſchmeichle mir, auf demſelben die Abſtellung aller Irrungen angetrof - fen zu haben, die bisher die Vernunft im erfahrungs - freien Gebrauche mit ſich ſelbſt entzweiet hatten. Ich bin ihren Fragen nicht dadurch etwa ausgewichen, daß ich mich mit dem Unvermoͤgen der menſchlichen Ver - nunft entſchuldigte; ſondern ich habe ſie nach Prin - cipien vollſtaͤndig ſpecificirt und, nachdem ich den Punct des Mißverſtandes der Vernunft mit ihr ſelbſt entdeckt hatte, ſie zu ihrer voͤlligen Befriedigung auf -geloͤſt.Vorrede. geloͤſt. Zwar iſt die Beantwortung iener Fragen gar nicht ſo ausgefallen, als dogmatiſchſchwaͤrmende Wiß - begierde erwarten mogte; denn die koͤnte nicht anders als durch Zauberkuͤnſte, darauf ich mich nicht ver - ſtehe, befriedigt werden. Allein, das war auch wol nicht die Abſicht der Naturbeſtimmung unſerer Ver - nunft und die Pflicht der Philoſophie war: das Blend - werk, das aus Mißdeutung entſprang, aufzuheben, ſolte auch noch ſo viel geprieſener und beliebter Wahn dabey zu nichte gehen. In dieſer Beſchaͤftigung habe ich Ausfuͤhrlichkeit mein groſſes Augenmerk ſeyn laſ - ſen und ich erkuͤhne mich zu ſagen, daß nicht eine ein - zige metaphyſiſche Aufgabe ſeyn muͤſſe, die hier nicht aufgeloͤſt, oder zu deren Aufloͤſung nicht wenigſtens der Schluͤſſel dargereicht worden. In der That iſt auch reine Vernunft eine ſo vollkommene Einheit: daß, wenn das Princip derſelben auch nur zu einer einzigen aller der Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur auf - gegeben ſind, unzureichend waͤre, man dieſes immer - hin nur wegwerfen koͤnte, weil es alsdenn auch keiner der uͤbrigen mit voͤlliger Zuverlaͤſſigkeit gewachſen ſeyn wuͤrde.
Ich glaube, indem ich dieſes ſage, in dem Ge - ſichte des Leſers einen mit Verachtung vermiſchten Un -willenVorrede. willen uͤber, dem Anſcheine nach, ſo ruhmredige und unbeſcheidene Anſpruͤche wahrzunehmen, und gleich - wol ſind ſie ohne Vergleichung gemaͤſſigter, als die, eines ieden Verfaſſers des gemeineſten Programs, der darin etwa die einfache Natur der Seele, oder die Nothwendigkeit eines erſten Weltanfanges zu bewei - ſen vorgiebt. Denn dieſer macht ſich anheiſchig, die menſchliche Erkentniß uͤber alle Graͤnzen moͤglicher Er - fahrung hinaus zu erweitern, wovon ich demuͤthig ge - ſtehe: daß dieſes mein Vermoͤgen gaͤnzlich uͤberſteige, an deſſen Statt ich es lediglich mit der Vernunft ſelbſt und ihrem reinen Denken zu thun habe, nach deren ausfuͤhrlicher Kentniß ich nicht weit um mich ſuchen darf, weil ich ſie in mir ſelbſt antreffe und wovon mir auch ſchon die gemeine Logik ein Beiſpiel giebt, daß ſich alle ihre einfache Handlungen voͤllig und ſyſtema - tiſch aufzaͤhlen laſſen; nur daß hier die Frage aufge - worfen wird, wie viel ich mit derſelben, wenn mir aller Stoff und Beiſtand der Erfahrung genommen wird, etwa auszurichten hoffen duͤrfe.
So viel von der Vollſtaͤndigkeit in Erreichung eines ieden, und der Ausfuͤhrlichkeit in Erreichung aller Zwecke zuſammen, die nicht ein beliebiger Vor - ſatz, ſondern die Natur der Erkentniß ſelbſt uns auf - giebt, als der Materie unſerer critiſchen Unterſuchung.
NochVorrede.Noch ſind Gewißheit und Deutlichkeit zwey Stuͤcke, die die Form derſelben betreffen, als weſentli - che Foderungen anzuſehen, die man an den Verfaſ - ſer, der ſich an eine ſo ſchluͤpfriche Unternehmung wagt, mit Recht thun kan.
Was nun die Gewißheit betrift, ſo habe ich mir ſelbſt das Urtheil geſprochen: daß es in dieſer Art von Betrachtungen auf keine Weiſe erlaubt ſey, zu mei - nen und daß alles, was darin einer Hypotheſe nur aͤhnlich ſieht, verbotene Waare ſey, die auch nicht vor den geringſten Preiß feil ſtehen darf, ſondern, ſo bald ſie entdeckt wird, beſchlagen werden muß. Denn das kuͤndigt eine iede Erkentniß, die a priori feſt ſtehen ſoll, ſelbſt an: daß ſie vor ſchlechthinnothwendig ge - halten werden will, und eine Beſtimmung aller reinen Erkentniſſe a priori noch vielmehr, die das Richtmaaß, mithin ſelbſt das Beiſpiel aller apodictiſchen (philoſo - phiſchen) Gewißheit ſeyn ſoll. Ob ich nun das, wozu ich mich anheiſchig mache, in dieſem Stuͤcke geleiſtet habe, das bleibt gaͤnzlich dem Urtheile des Leſers an - heim geſtellt, weil es dem Verfaſſer nur geziemet, Gruͤnde vorzulegen, nicht aber uͤber die Wirkung der - ſelben bey ſeinen Richtern zu urtheilen. Damit aber nicht etwas unſchuldigerweiſe an der Schwaͤchung der -ſelbenVorrede. ſelben Urſache ſey, ſo mag es ihm wol erlaubt ſeyn, dieienige Stellen, die zu einigem Mißtrauen Anlaß ge - ben koͤnten, ob ſie gleich nur den Nebenzweck ange - hen, ſelbſt anzumerken, um den Einfluß, den auch nur die mindeſte Bedenklichkeit des Leſers in dieſem Puncte auf ſein Urtheil, in Anſehung des Hauptzwecks, haben moͤchte, bey zeiten abzuhalten.
Ich kenne keine Unterſuchungen, die zu Ergruͤn - dung des Vermoͤgens, welches wir Verſtand nennen, und zugleich zu Beſtimmung der Regeln und Graͤn - zen ſeines Gebrauchs, wichtiger waͤren, als die, wel - che ich in dem zweiten Hauptſtuͤcke der transſcendenta - len Analytik, unter dem Titel der Deduction der reinen Verſtandesbegriffe, angeſtellt habe; auch haben ſie mir die meiſte, aber, wie ich hoffe, nicht unvergoltene Muͤhe gekoſtet. Dieſe Betrachtung, die etwas tief angelegt iſt, hat aber zwey Seiten. Die eine bezieht ſich auf die Gegenſtaͤnde des reinen Verſtandes, und ſoll die obiective Guͤltigkeit ſeiner Begriffe a priori dar - thun und begreiflich machen; eben darum iſt ſie auch weſentlich zu meinen Zwecken gehoͤrig. Die andere geht darauf aus, den reinen Verſtand ſelbſt, nach ſeiner Moͤglichkeit und den Erkentnißkraͤften, auf de - nen er ſelbſt beruht, mithin ihn in ſubiectiver Bezie -hungVorrede. hung zu betrachten und, obgleich dieſe Eroͤrterung in Anſehung meines Hauptzwecks von groſſer Wichtig - keit iſt, ſo gehoͤret ſie doch nicht weſentlich zu demſel - ben; weil die Hauptfrage immer bleibt, was und wie viel kan Verſtand und Vernunft, frey von aller Er - fahrung, erkennen und nicht, wie iſt das Vermoͤgen zu Denken ſelbſt moͤglich? Da das leztere gleichſam eine Aufſuchung der Urſache zu einer gegebenen Wir - kung iſt, und in ſo fern etwas einer Hypotheſe Aehn - liches an ſich hat (ob es gleich, wie ich bey anderer Gelegenheit zeigen werde, ſich in der That nicht ſo verhaͤlt), ſo ſcheint es, als ſey hier der Fall, da ich mir die Erlaubniß nehme, zu meinen, und dem Leſer alſo auch frey ſtehen muͤſſe, anders zu meinen. In Betracht deſſen muß ich dem Leſer mit der Erinnerung zuvorkommen: daß, im Fall meine ſubiective De - duction nicht die ganze Ueberzeugung, die ich erwarte, bey ihm gewirkt haͤtte, doch die obiective, um die es mir hier vornemlich zu thun iſt, ihre ganze Staͤrke be - komme, wozu allenfals dasienige, was Seite 92 bis 93 geſagt wird, allein hinreichend ſeyn kan.
Was endlich die Deutlichkeit betrift, ſo hat der Leſer ein Recht, zuerſt die diſcurſive (logiſche) Deut - lichkeit, durch Begriffe, denn aber auch eine in -btuiti -Vorrede. tuitive (aͤſthetiſche) Deutlichkeit, durch Anſchau - ungen, d. i. Beiſpiele oder andere Erlaͤuterungen, in concreto zu fodern. Vor die erſte habe ich hinrei - chend geſorgt. Das betraf das Weſen meines Vor - habens, war aber auch die zufaͤllige Urſache, daß ich der zweiten, obzwar nicht ſo ſtrengen, aber doch bil - ligen Foderung nicht habe Gnuͤge leiſten koͤnnen. Ich bin faſt beſtaͤndig im Fortgange meiner Arbeit unſchlieſ - ſig geweſen, wie ich es hiemit halten ſolte. Beiſpiele und Erlaͤuterungen ſchienen mir immer noͤthig und floſſen daher auch wirklich im erſten Entwurfe an ih - ren Stellen gehoͤrig ein. Ich ſahe aber die Groͤſſe meiner Aufgabe und die Menge der Gegenſtaͤnde, womit ich es zu thun haben wuͤrde, gar bald ein und, da ich gewahr ward, daß dieſe ganz allein, im trocke - nen, blos ſcholaſtiſchen Vortrage, das Werk ſchon gnug ausdehnen wuͤrden, ſo fand ich es unrathſam, es durch Beiſpiele und Erlaͤuterungen, die nur in po - pulaͤrer Abſicht nothwendig ſind, noch mehr anzu - ſchwellen, zumal dieſe Arbeit keinesweges dem popu - laͤren Gebrauche angemeſſen werden koͤnte und die ei - gentliche Kenner der Wiſſenſchaft dieſe Erleichterung nicht ſo noͤthig haben, ob ſie zwar iederzeit angenehm iſt, hier aber ſogar etwas zweckwidriges nach ſich zie - hen konte. Abt Terraſſon ſagt zwar: wenn mandieVorrede. die Groͤſſe eines Buchs nicht nach der Zahl der Blaͤt - ter, ſondern nach der Zeit mißt, die man noͤthig hat, es zu verſtehen, ſo koͤnne man von manchem Buche ſagen: daß es viel kuͤrzer ſeyn wuͤrde, wenn es nicht ſo kurz waͤre. Anderer Seits aber, wenn man auf die Faßlichkeit eines weitlaͤuftigen, dennoch aber in einem Princip zuſammenhaͤngenden Ganzen ſpeculativer Erkentniß ſeine Abſicht richtet, koͤnte man mit eben ſo gutem Rechte ſagen: manches Buch waͤre viel deutlicher geworden, wenn es nicht ſo gar deutlich haͤtte werden ſollen. Denn die Huͤlfs - mittel der Deutlichkeit fehlen zwar in Theilen, zer - ſtreuen aber oͤfters im Ganzen, indem ſie den Leſer nicht ſchnell gnug zu Ueberſchauung des Ganzen ge - langen laſſen und durch alle ihre helle Farben gleichwol die Articulation, oder den Gliederbau des Syſtems verkleben und unkentlich machen, auf den es doch, um uͤber die Einheit und Tuͤchtigkeit deſſelben urtheilen zu koͤnnen, am meiſten ankomt.
Es kan, wie mich duͤnkt, dem Leſer zu nicht ge - ringer Anlockung dienen, ſeine Bemuͤhung mit der des Verfaſſers, zu vereinigen, wenn er die Ausſicht hat, ein groſſes und wichtiges Werk, nach dem vorgelegten Entwurfe, ganz und doch dauerhaft zu vollfuͤhren. b 2NunVorrede. Nun iſt Metaphyſik, nach den Begriffen, die wir hier davon geben werden, die einzige aller Wiſſen - ſchaften, die ſich eine ſolche Vollendung und zwar in kurzer Zeit, und mit nur weniger, aber vereinigter Bemuͤhung, verſprechen darf, ſo daß nichts vor die Nachkommenſchaft uͤbrig bleibt, als in der didacti - ſchen Manier alles nach ihren Abſichten einzurichten, ohne darum den Inhalt im mindeſten vermehren zu koͤnnen. Denn es iſt nichts als das Inventarium aller unſerer Beſitze durch reine Vernunft, ſyſte - matiſch geordnet. Es kan uns hier nichts entgehen, weil, was Vernunft gaͤnzlich aus ſich ſelbſt hervor - bringt, ſich nicht verſtecken kan, ſondern ſelbſt durch Vernunft ans Licht gebracht wird, ſobald man nur das gemeinſchaftliche Princip deſſelben entdeckt hat. Die vollkommene Einheit dieſer Art Erkentniſſe, und zwar aus lauter reinen Begriffen, ohne daß irgend etwas von Erfahrung, oder auch nur beſondere An - ſchauung, die zur beſtimten Erfahrung leiten ſolte, auf ſie einigen Einfluß haben kan, ſie zu erweitern und zu vermehren, machen dieſe unbedingte Vollſtaͤn - digkeit nicht allein thunlich, ſondern auch nothwendig. Tecum habita et noris, quam ſit tibi curta ſupellex. Perſ[iu]s.
EinVorrede.Ein ſolches Syſtem der reinen (ſpeculativen) Vernunft hoffe ich unter dem Titel: Metaphyſik der Natur, ſelbſt zu liefern, welches, bey noch nicht der Haͤlfte der Weitlaͤuftigkeit, dennoch ungleich reicheren Inhalt haben ſoll, als hier die Critik, die zuvoͤrderſt die Quellen und Bedingungen ihrer Moͤglichkeit dar - legen mußte, und einen ganz verwachſenen Boden zu reinigen und zu ebenen noͤthig hatte. Hier erwarte ich an meinem Leſer die Gedult und Unpartheylichkeit eines Richters, dort aber die Willfaͤhrigkeit und den Beiſtand eines Mithelfers; denn, ſo vollſtaͤndig auch alle Principien zu dem Syſtem in der Critik vorge - tragen ſind, ſo gehoͤrt zur Ausfuͤhrlichkeit des Syſtems ſelbſt doch noch, daß es auch an keinen abgeleiteten Begriffen mangele, die man a priori nicht in Ueber - ſchlag bringen kan, ſondern die nach und nach aufge - ſucht werden muͤſſen, imgleichen, da dort die ganze Syntheſis der Begriffe erſchoͤpft wurde, ſo wird uͤber - dem hier gefodert, daß eben daſſelbe auch in Anſe - hung der Analyſis geſchehe, welches alles leicht und mehr Unterhaltung als Arbeit iſt.
Ich habe nur noch Einiges in Anſehung des Drucks anzumerken. Da der Anfang deſſelben etwas verſpaͤtet war, ſo konte ich nur etwa die Haͤlfte derb 3Aus -Vorrede. Aushaͤngebogen zu ſehen bekommen, in denen ich zwar einige, den Sinn aber nicht verwirrende, Druckfehler antreffe, auſſer demienigen, der S. 379. Zeile 4 von unten vorkomt, da ſpecifiſch an ſtatt ſceptiſch gele - ſen werden muß. Die Antinomie der reinen Ver - nunft, von Seite 425 bis 461, iſt ſo, nach Art einer Tafel, angeſtellt, daß alles, was zur Theſis gehoͤrt, auf der linken, was aber zur Antitheſis gehoͤrt, auf der rechten Seite immer fortlaͤuft, welches ich dar - um ſo anordnete, damit Satz und Gegenſatz deſto leichter mit einander verglichen werden koͤnte.
Erfahrung iſt ohne Zweifel das erſte Product, welches unſer Verſtand hervorbringt, indem er den rohen Stoff ſinnlicher Empfindungen bearbeitet. Sie iſt eben dadurch die erſte Belehrung, und im Fortgange ſo unerſchoͤpflich an neuem Unterricht, daß das zuſammengekettete Leben aller kuͤnftigen Zeugungen an neuen Kentniſſen, die auf dieſem Boden geſammlet werden koͤnnen, niemals Mangel haben wird. Gleich - wohl iſt ſie bey weitem nicht das einzige Feld, darinn ſich unſer Verſtand einſchraͤnken laͤßt. Sie ſagt uns zwar, was da ſey, aber nicht, daß es nothwendiger Weiſe, ſo und nicht anders, ſeyn muͤſſe. Eben darum giebt ſie u[n]s auch keine wahre Allgemeinheit, und die Vernunft, welche nach dieſer Art von Erkentniſſen ſo begierig iſt,Awird2Einleitung.wird durch ſie mehr gereizt, als befriediget. Solche allgemeine[Erkentniſſe] nun, die zugleich den Character der innern Nothwendigkeit haben, muͤſſen, von der Er - fahrung unabhaͤngig, vor ſich ſelbſt klar und gewis ſeyn; man nennt ſie daher Erkentniſſe a priori: da im Gegen - theil das, was lediglich von der Erfahrung erborgt iſt, wie man ſich ausdruͤkt, nur a poſteriori, oder empiriſch erkannt wird.
Nun zeigt es ſich, welches uͤberaus merkwuͤrdig iſt, daß ſelbſt unter unſere Erfahrungen ſich Erkentniſſe men - gen, die ihren Urſprung a priori haben muͤſſen, und die vielleicht nur dazu dienen, um unſern Vorſtellungen der Sinne Zuſammenhang zu verſchaffen. Denn, wenn man aus den erſteren auch alles wegſchaft, was den Sin - nen angehoͤrt, ſo bleiben dennoch gewiſſe urſpruͤngliche Begriffe und aus ihnen erzeugte Urtheile uͤbrig, die gaͤnzlich a priori, unabhaͤngig von der Erfahrung ent - ſtanden ſeyn muͤſſen, weil ſie machen, daß man von den Gegenſtaͤnden, die den Sinnen erſcheinen, mehr ſagen kan, wenigſtens es ſagen zu koͤnnen glaubt, als bloße Erfahrung lehren wuͤrde, und daß Behauptungen wah - re Allgemeinheit und ſtrenge Nothwendigkeit enthalten, dergleichen die blos empiriſche Erkentniß nicht liefern kan.
Was aber noch weit mehr ſagen will, iſt dieſes, daß gewiſſe Erkentniſſe ſo gar das Feld aller moͤglichen Er -fah -3Einleitung.fahrungen verlaſſen, und durch Begriffe, denen uͤberall kein entſprechender Gegenſtand in der Erfahrung gege - ben werden kan, den Umfang unſerer Urtheile uͤber alle Grenzen derſelben zu erweitern den Anſchein haben.
Und gerade in dieſen lezteren Erkentniſſen, welche uͤber die Sinnenwelt hinausgehen, wo Erfahrung gar keinen Leitfaden noch Berichtigung geben kan, liegen die Nachforſchungen unſrer Vernunft, die wir der Wichtig - keit nach vor weit vorzuͤglicher, und ihre Endabſicht vor viel erhabener halten, als alles, was der Verſtand im Felde der Erſcheinungen lernen kan, wobey wir, ſogar auf die Gefahr zu irren, eher alles wagen, als daß wir ſo angelegene Unterſuchungen aus irgend einem Grunde der Bedenklichkeit, oder aus Geringſchaͤtzung und Gleichguͤltigkeit aufgeben ſollten.
Nun ſcheint es zwar natuͤrlich, daß, ſo bald man den Boden der Erfahrung verlaſſen hat, man doch nicht mit Erkentniſſen, die man beſizt, ohne zu wiſſen woher, und auf den Credit der Grundſaͤtze, deren Urſprung man nicht kennt, ſo fort ein Gebaͤude errichten werde, ohne der Grundlegung deſſelben durch ſorgfaͤltige Unterſuchungen vorher verſichert zu ſeyn, daß man alſo die Frage vor - laͤngſt werde aufgeworfen haben, wie denn der Verſtand zu allen dieſen Erkentniſſen a priori kommen koͤnne, und welchen Umfang, Guͤltigkeit und Werth ſie haben moͤgen. A 2In4Einleitung.In der That iſt auch nichts natuͤrlicher, wenn man un - ter dieſem Wort das verſteht, was billiger und vernuͤnf - tiger Weiſe geſchehen ſollte; verſteht man aber darunter das, was gewoͤhnlicher Maaßen geſchieht, ſo iſt hinwie - derum nichts natuͤrlicher und begreiflicher, als daß dieſe Unterſuchung lange Zeit unterbleiben mußte. Denn ein Theil dieſer Erkentniſſe, die mathematiſche, iſt im alten Beſitze der Zuverlaͤßigkeit, und giebt dadurch eine guͤnſtige Erwartung auch vor andere, ob dieſe gleich von ganz verſchiedener Natur ſeyn moͤgen. [Ueberdem], wenn man uͤber den Kreis der Erfahrung hinaus iſt, ſo iſt man ſicher, durch Erfahrung nicht widerſprochen zu werden. Der Reiz, ſeine Erkentniſſe zu erweitern, iſt ſo groß, daß man nur durch einen klaren Widerſpruch, auf den man ſtoͤßt, in ſeinem Fortſchritt aufgehalten wer - den kan. Dieſer aber kan vermieden werden, wenn man ſeine Erdichtungen behutſam macht, ohne daß ſie deswegen weniger E[r]dichtungen bleiben. Die Mathe - matik giebt uns ein glaͤnzendes Beyſpiel, wie weit wir es unabhaͤngig von der Erfahrung in der Erkentniß a priori bringen koͤnnen. Nun beſchaͤftigt ſie ſich zwar mit Ge - genſtaͤnden und Erkentniſſen, blos ſo weit als ſich ſolche in der Anſchauung darſtellen laſſen. Aber dieſer Um - ſtand wird leicht uͤberſehen, weil gedachte Anſchauung ſelbſt a priori gegeben werden kan, mithin von einem bloſſen reinen Begriff kaum unterſchieden wird. Durch einen ſolchen Beweis von der Macht der Vernunft auf -gemun -5Einleitung.gemuntert, ſieht der Trieb zur Erweiterung keine Gren - zen. Die leichte Taube, indem ſie im freyen Fluge die Luft theilt, deren Widerſtand ſie fuͤhlt, koͤnte die Vor - ſtellung faſſen, daß es ihr im Luftleeren Raum noch viel beſſer gelingen werde. Eben ſo verließ Plato die Sin - nenwelt, weil ſie dem Verſtande ſo vielfaͤltige Hinder - niſſe legt, und wagte ſich ienſeit derſelben auf den Fluͤ - geln der Ideen, in den leeren Raum des reinen Ver - ſtandes. Er bemerkte nicht, daß er durch ſeine Bemuͤ - hungen keinen Weg gewoͤnne, denn er hatte keinen Wie - derhalt, gleichſam zur Unterlage, worauf er ſich ſteifen, und woran er ſeine Kraͤfte anwenden konte, um den Ver - ſtand von der Stelle zu bringen. Es iſt aber ein gewoͤhn - liches Schickſal der menſchlichen Vernunft in der Specula - tion ihr Gebaͤude ſo fruͤh, wie moͤglich, fertig zu machen, und hintennach allererſt zu unterſuchen, ob auch der Grund dazu gut geleget ſey. Alsdenn aber werden allerley Be - ſchoͤnigungen herbey geſucht, um uns wegen deſſen Tuͤch - tigkeit zu troͤſten, oder eine ſolche ſpaͤte und gefaͤhrliche Pruͤfung abzuweiſen. Was uns aber waͤhrend dem Bauen von aller Beſorgniß und Verdacht frey haͤlt, und mit ſcheinbarer Gruͤndlichkeit ſchmeichelt, iſt dieſes. Ein groſ - ſer Theil, und vielleicht der groͤßte, von dem Geſchaͤfte unſerer Vernunft beſteht in Zergliederungen der Begriffe, die wir ſchon von Gegenſtaͤnden haben. Dieſes liefert uns eine Menge von Erkentniſſen, die, ob ſie gleich nichts weiter als Aufklaͤrungen oder Erlaͤuterungen desienigenA 3ſind,6Einleitung.ſind, was in unſern Begriffen, (wiewohl noch auf verworr - ne Art) ſchon gedacht worden, doch wenigſtens der Form nach neuen Einſichten gleich geſchaͤtzet werden, wie - wohl ſie der Materie oder dem Inhalte nach die Begriffe, die wir haben, nicht erweitern, ſondern nur aus einan - der ſetzen. Da dieſes Verfahren nun eine wirkliche Er - kentniß a priori giebt, die einen ſichern und nuͤzlichen Fort - gang hat, ſo erſchleicht die Vernunft, ohne es ſelbſt zu merken, unter dieſer Vorſpiegelung Behauptungen von ganz anderer Art, wo die Vernunft zu gegebenen Begrif - fen a priori ganz fremde hinzu thut, ohne daß man weiß, wie ſie dazu gelange, und ohne ſich dieſe Frage auch nur in die Gedanken kommen zu laſſen. Ich will daher gleich anfangs von dem Unterſchiede dieſer zwiefachen Erkentniß - art handeln.
In allen Urtheilen, worinnen das Verhaͤltniß eines Subjects zum Praͤdicat gedacht wird, (wenn ich nur die beiahende erwege: denn auf die verneinende iſt die An - wendung leicht) iſt dieſes Verhaͤltniß auf zweierley Art moͤglich. Entweder das Praͤdicat B gehoͤret zum Subiect A als etwas, was in dieſem Begriffe A (verſteckter Weiſe) enthalten iſt; oder B liegt ganz auſſer dem Begriff A, ob es zwar mit demſelben in Verknuͤpfung ſteht. Im erſten Fall nenne ich das Urtheil analytiſch, im andern ſynthe -tiſch.7Einleitung.tiſch. Analytiſche Urtheile (die beiahende) ſind alſo dieie - nige, in welchen die Verknuͤpfung des Praͤdicats mit dem Subiect durch Identitaͤt, dieienige aber, in denen dieſe Verknuͤpfung ohne Identitaͤt gedacht wird, ſollen ſynthe - tiſche Urtheile heiſſen. Die erſtere koͤnte man auch Er - laͤuterungs - die andere Erweiterungs-Urtheile heiſſen, weil iene durch das Praͤdicat nichts zum Begriff des Subiects hinzuthun, ſondern dieſen nur durch Zergliederung in ſeine Theilbegriffe zerfaͤllen, die in ſelbigen ſchon, (obſchon verworren) gedacht waren: dahingegen die leztere zu dem Begriffe des Subiects ein Praͤdicat hinzuthun, wel - ches in ienem gar nicht gedacht war, und durch keine Zer - gliederung deſſelben haͤtte koͤnnen herausgezogen werden, z. B. wenn ich ſage: alle Koͤrper ſind ausgedehnt, ſo iſt dies ein analytiſch Urtheil. Denn ich darf nicht aus dem Begriffe, den ich mit dem Wort Koͤrper verbinde, hinaus - gehen, um die Ausdehnung als mit demſelben verknuͤpft zu finden, ſondern ienen Begriff nur zergliedern, d. i. des Mannigfaltigen, welches ich jederzeit in ihm denke, nur bewuſt werden, um dieſes Praͤdicat darin anzutreffen; es iſt alſo ein analytiſches Urtheil. Dagegen, wenn ich ſage: alle Koͤrper ſind ſchwer, ſo iſt das Praͤdicat etwas ganz anders, als das, was ich in dem bloſſen Begriff eines Koͤrpers uͤberhaupt denke. Die Hinzufuͤgung eines ſolchen Praͤdicats giebt alſo ein ſynthetiſch Urtheil.
Nun iſt hieraus klar: 1) daß durch analytiſche Ur - theile unſere Erkentniß gar nicht erweitert werde, ſondernA 4der8Einleitung.der Begriff, den ich ſchon habe, aus einander geſezt, und mir ſelbſt verſtaͤndlich gemacht werde. 2) daß bey ſynthe - tiſchen Urtheilen ich auſſer dem Begriffe des Subiects noch etwas anderes (X) haben muͤſſe, worauf ſich der Ver - ſtand ſtuͤzt, um ein Praͤdicat, das in ienem Begriffe nicht liegt, doch als dazu gehoͤrig zu erkennen.
Bey empiriſchen oder Erfahrungsurtheilen hat es hiemit gar keine Schwierigkeit. Denn dieſes X iſt die vollſtaͤndige Erfahrung von dem Gegenſtande, den ich durch einen Begriff A denke, welcher nur einen Theil dieſer Er - fahrung ausmacht. Denn ob ich ſchon in dem Begriff eines Koͤrpers uͤberhaupt das Praͤdicat der Schwere gar nicht einſchlieſſe, ſo bezeichnet er doch die vollſtaͤndige Er - fahrung durch einen Theil derſelben, zu welchem alſo ich noch andere Theile eben derſelben Erfahrung, als zu dem erſteren gehoͤrig, hinzufuͤgen kan. Ich kan den Begriff des Koͤrpers vorher analytiſch durch die Merkmale der Aus - dehnung, der Undurchdringlichkeit, der Geſtalt ꝛc. die alle in dieſem Begriff gedacht werden, erkennen. Nun erweitere ich aber meine Erkentniß, und, indem ich auf die Erfahrung zuruͤck ſehe, von welcher ich dieſen Begriff des Koͤrpers abgezogen hatte, ſo finde ich mit obigen Merk - malen auch die Schwere iederzeit verknuͤpft. Es iſt alſo die Erfahrung ienes X, was auſſer dem Begriffe A liegt, und worauf ſich die Moͤglichkeit der Syntheſis des Praͤ - dicats der Schwere B mit dem Begriffe A gruͤndet.
Aber9Einleitung.Aber bey ſyntheti[ſch]en Urtheilen a priori fehlt dieſes Huͤlfsmittel ganz und gar. Wenn ich auſſer dem Begriffe A hinaus gehen ſoll, um einen andern B, als damit verbunden zu erkennen, was iſt das, worauf ich mich ſtuͤtze, und wodurch die Syntheſis moͤglich wird, da ich hier den Vortheil nicht habe, mich im Felde der Er - fahrung darnach umzuſehen. Man nehme den Satz: „ Alles, was geſchieht, hat ſeine Urſache. “ In dem Begriff von Etwas, das geſchieht, denke ich zwar ein Daſeyn, vor welchem eine Zeit vorhergehet ꝛc. und daraus laſſen ſich analytiſche Urtheile ziehen. Aber der Begriff einer Urſache zeigt Etwas von dem, was geſchieht, verſchie - denes an, und iſt in dieſer lezteren Vorſtellung gar nicht mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem, was uͤberhaupt geſchiehet, etwas davon ganz verſchiedenes zu ſagen, und den Begriff der Urſachen, ob zwar in ienen nicht enthalten, dennoch, als dazu gehoͤrig, zu erkennen. Was iſt hier das X, worauf ſich der Verſtand ſtuͤzt, wenn er auſſer dem Begriff von A ein demſelben fremdes Praͤ - dicat aufzufinden glaubt, das gleichwohl damit verknuͤpft ſey. Erfahrung kan es nicht ſeyn, weil der angefuͤhrte Grundſaz nicht allein mit groͤſſerer Allgemeinheit, als die Erfahrung verſchaffen kan, ſondern auch mit dem Aus - druck der Nothwendigkeit, mithin gaͤnzlich a priori und aus bloſſen Begriffen dieſe zweyte Vorſtellungen zu der erſteren hinzufuͤgt. Nun beruhet auf ſolchen ſynthetiſchen d. i. Erweiterungs-Grundſaͤtzen die ganze Endabſicht unſe -A 5rer10Einleitung.rer ſpeculativen Erkentniß a priori; denn die analytiſchen ſind zwar hoͤchſt wichtig und noͤthig, aber nur um zu der - ienigen Deutlichkeit der Begriffe zu gelangen, die zu einer ſicheren und ausgebreiteten Syntheſis, als zu einem wirklich neuen Anbau, erforderlich iſt.
Es liegt alſo hier ein gewiſſes Geheimniß verborgen*)Waͤre es einem von den Alten eingefallen, auch nur dieſe Frage aufzuwerfen, ſo wuͤrde dieſe allein allen Sy - ſtemen der reinen Vernunft bis auf unſere Zeit maͤchtig widerſtanden haben, und haͤtte ſo viele eitele Verſuche erſpahrt, die, ohne zu wiſſen, womit man eigentlich[zu]thun hat, blindlings unternommen worden., deſſen Aufſchluß allein den Fortſchritt in dem grenzenloſen Felde der reinen Verſtandeserkentniß ſicher und zuverlaͤßig machen kan: nemlich mit gehoͤriger Allgemeinheit den Grund der Moͤglichkeit ſynthetiſcher Urtheile a priori auf - zudecken, die Bedingungen, die eine jede Art derſelben moͤglich machen, einzuſehen, und dieſe ganze Erkentniß (die ihre eigene Gattung ausmacht) in einem Syſtem nach ihren urſpruͤnglichen Quellen, Abtheilungen, Umfang und Grenzen, nicht durch einen fluͤchtigen Umkreis zu bezeich - nen, ſondern vollſtaͤndig und zu iedem Gebrauch hinrei - chend zu beſtimmen. So viel vorlaͤufig von dem Eigen - thuͤmlichen, was die ſynthetiſchen Urtheile an ſich haben.
Aus dieſem allen ergiebt ſich nun die Idee einer be - ſondern Wiſſenſchaft, die zur Critik der reinen Vernunftdie -11Einleitung.dienen koͤnne. Es heißt aber iede Erkentniß rein, die mit nichts Fremdartigen vermiſcht iſt. Beſonders aber wird eine Erkentniß ſchlechthin rein genannt, in die ſich uͤberhaupt keine Erfahrung oder Empfindung einmiſcht, welche mithin voͤllig a priori moͤglich iſt. Nun iſt Ver - nunft das Vermoͤgen, welches die Principien der Erkent - niß a priori an die Hand giebt. Daher iſt reine Vernunft dieienige, welche die Principien etwas ſchlechthin a priori zu erkennen, enthaͤlt. Ein Organon der reinen Vernunft wuͤrde ein Inbegriff derienigen Principien ſeyn, nach de - nen alle reine Erkentniſſe a priori koͤnnen erworben und wirklich zu Stande gebracht werden. Die ausfuͤhrliche Anwendung eines ſolchen Organon wuͤrde ein Syſtem der reinen Vernunft verſchaffen. Da dieſes aber ſehr viel verlangt iſt, und es noch dahin ſteht, ob auch uͤberhaupt eine ſolche Erweiterung unſerer Erkentniß, und in welchen Faͤllen ſie moͤglich ſey; ſo koͤnnen wir eine Wiſſenſchaft der bloſſen Beurtheilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen, als die Propaͤdevtick zum Syſtem der rei - nen Vernunft anſehen. Eine ſolche wuͤrde nicht eine Doctrin, ſondern nur Critik der reinen Vernunft heiſſen muͤſſen, und ihr Nutze wuͤrde wirklich nur negativ ſeyn, nicht zur Erweiterung, ſondern nur zur Laͤuterung unſerer Vernunft dienen, und ſie von Irrthuͤmern frey halten, welches ſchon ſehr viel gewonnen iſt. Ich nenne alle Er - kentniß transſcendental, die ſich nicht ſo wohl mit Gegen - ſtaͤnden, ſondern mit unſern Begriffen a priori von Gegen -ſtaͤn -12Einleitung.ſtaͤnden uͤberhaupt beſchaͤftigt. Ein Syſtem ſolcher Be - griffe wuͤrde Transſcendental-Philoſophie heißen. Dieſe iſt aber wiederum vor den Anfang zu viel. Denn weil eine ſolche Wiſſenſchaft ſo wol die analytiſche Erkentniß, als die ſynthetiſche a priori vollſtaͤndig enthalten muͤßte, ſo iſt ſie, in ſo fern es unſre Abſicht betrift, von zu wei - tem Umfange, indem wir die Analyſis nur ſo weit treiben duͤrfen, als ſie unentbehrlich noͤthig iſt, um die Principien der Syntheſis a priori, als warum es uns nur zu thun iſt, in ihrem ganzen Umfange einzuſehen. Dieſe Unter - ſuchung, die wir eigentlich nicht Doctrin, ſondern nur transcendentale Critik nennen koͤnnen, weil ſie nicht die Erweiterung der Erkentniſſe ſelbſt, ſondern nur die Be - richtigung derſelben zur Abſicht hat, und den Probierſtein des Werths oder Unwerths aller Erkentniſſe a priori abge - ben ſoll, iſt das, womit wir uns iezt beſchaͤftigen. Eine ſolche Critik iſt demnach eine Vorbereitung, wo moͤglich, zu einem Organon, und, wenn dieſes nicht gelingen ſollte, wenigſtens zu einem Canon derſelben, nach welchen allen - falls dereinſt das vollſtaͤndige Syſtem der Philoſophie der reinen Vernunft, es mag nun in Erweiterung oder bloſſer Begrenzung ihrer Erkentniß beſtehen, ſo wol analytiſch, als ſynthetiſch dargeſtellt werden koͤnnte. Denn daß die - ſes moͤglich ſey, ia daß ein ſolches Syſtem von nicht gar groſſem Umfange ſeyn koͤnne, um zu hoffen, es ganz zu vollenden, laͤßt ſich ſchon zum voraus daraus ermeſſen, daß hier nicht die Natur der Dinge, welche unerſchoͤpflichiſt,13Einleitung.iſt, ſondern der Verſtand, der uͤber die Natur der Dinge urtheilt, und auch dieſer wiederum nur in Anſehung ſei - ner Erkentniß a priori den Gegenſtand ausmacht, deſſen Vorrath, weil wir ihn doch nicht auswaͤrtig ſuchen duͤr - fen, uns nicht verborgen bleiben kan, und allem Vermu - then nach klein genug iſt, um vollſtaͤndig aufgenommen, nach ſeinem Werthe oder Unwerthe beurtheilt und unter richtige Schaͤtzung gebracht zu werden.
Die Transſcendental-Philoſophie iſt hier nur eine Idee, wozu die Critik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektoniſch d. i. aus Principien entwerfen ſoll, mit voͤlliger Gewaͤrleiſtung der Vollſtaͤndigkeit und Sicher - heit aller Stuͤcke, die dieſes Gebaͤude ausmacht. Daß dieſe Critik nicht ſchon ſelbſt Transſcendental-Philoſophie heißt, beruhet lediglich darauf, daß ſie, um ein vollſtaͤn - dig Syſtem zu ſeyn, auch eine ausfuͤhrliche Analyſis der ganzen menſchlichen Erkentniß a priori enthalten muͤßte. Nun muß zwar unſre Critik allerdings auch eine vollſtaͤn - dige Herzehlung aller Stammbegriffe, welche die gedachte reine Erkentniß ausmachen, vor Augen legen. Allein der ausfuͤhrlichen Analyſis dieſer Begriffe ſelbſt, wie auch der vollſtaͤndigen Recenſion der daraus abgeleiteten, enthaͤlt ſie ſich billig, theils weil dieſe Zergliederung nicht zweck -maͤßig14Einleitung.maͤßig waͤre, indem ſie die Bedenklichkeit nicht hat, wel - che bey der Syntheſis angetroffen wird, um deren willen eigentlich die ganze Critik da iſt, theils, weil es der Ein - heit des Plans zuwider waͤre, ſich mit der Verantwortung der Vollſtaͤndigkeit einer ſolchen Analyſis und Ableitung zu befaſſen, deren man in Anſehung ſeiner Abſicht doch uͤberhoben ſeyn konte. Dieſe Vollſtaͤndigkeit der Zerglie - derung ſo wohl, als der Ableitung aus den kuͤnftig zu liefernden Begriffen a priori, iſt indeſſen leicht zu ergaͤn - zen, wenn ſie nur allererſt als ausfuͤhrliche Principien der Syntheſis da ſind, und ihnen in Anſehung dieſer weſent - lichen Abſicht nichts ermangelt.
Zur Critik der reinen Vernunft gehoͤrt demnach alles, was die Transſcendental-Philoſophie ausmacht, und ſie iſt die vollſtaͤndige Idee der Transſcendental-Philoſophie, aber dieſe Wiſſenſchaft noch nicht ſelbſt, weil ſie in der Analyſis nur ſo weit geht, als es zur vollſtaͤndigen Beur - theilung der ſynthetiſchen Erkentniß a priori erforder - lich iſt.
Das vornehmſte Augenmerk bey der Eintheilung einer ſolchen Wiſſenſchaft iſt: daß gar keine Begriffe hin - einkommen muͤſſen, die irgend etwas Empiriſches in ſich enthalten, oder daß die Erkentnis a priori voͤllig rein ſey. Daher, ob zwar die oberſten Grundſaͤtze der Moralitaͤt, und die Grundbegriffe derſelben, Erkentniſſe a priori ſind,ſo15Einleitung.ſo gehoͤren ſie doch nicht in die Transſcendental-Philoſo - phie, weil die Begriffe der Luſt und Unluſt, der Begier - den und Neigungen, der Willkuͤhr ꝛc. die insgeſammt em - piriſchen Urſprunges ſind, dabey vorausgeſetzt werden muͤßten. Daher iſt die Transſcendental-Philoſophie eine Weltweisheit der reinen blos ſpeculativen Vernunft. Denn alles Praktiſche, ſo fern es Bewegungsgruͤnde ent - haͤlt, bezieht ſich auf Gefuͤhle, welche zu empiriſchen Er - kentnißquellen gehoͤren.
Wenn man nun die Eintheilung dieſer Wiſſenſchaft aus dem allgemeinen Geſichtspuncte eines Syſtems uͤber - haupt anſtellen will, ſo muß die, welche wir iezt vortra - gen, erſtlich eine Elementar-Lehre, zweitens eine Metho - den-Lehre der reinen Vernunft enthalten. Jeder dieſer Haupttheile wuͤrde ſeine Unterabtheilung haben, deren Gruͤnde ſich gleichwohl hier noch nicht vortragen laſſen. Nur ſo viel ſcheint zur Einleitung oder Vorerinnerung noͤ - thig zu ſeyn, daß es zwey Staͤmme der menſchlichen Er - kentniß gebe, die vielleicht aus einer gemeinſchaftlichen, aber uns unbekanten Wurzel entſpringen, nemlich, Sinn - lichkeit und Verſtand, durch deren erſteren uns Gegen - ſtaͤnde gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden. Sofern nun die Sinnlichkeit[Vorſtellungen] a priori ent - halten ſollte, welche die Bedingungen ausmachen, unter[denen] uns Gegenſtaͤnde gegeben werden, ſo wuͤrde ſie zur Transſcendental-Philoſophie gehoͤren. Die transſcen -den -16Einleitung.dentale Sinnenlehre wuͤrde zum erſten Theile der Elemen - tarwiſſenſchaft gehoͤren muͤſſen, weil die Bedingungen, worunter allein die Gegenſtaͤnde der menſchlichen Erkent - niß gegeben werden, denienigen vorgehen, unter welchen ſelbige gedacht werden.
Auf welche Art und durch welche Mittel ſich auch immer eine Erkentniß auf Gegenſtaͤnde beziehen mag, ſo iſt doch dieienige, wodurch ſie ſich auf dieſelbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzwekt, die Anſchauung. Dieſe findet aber nur ſtatt, ſo fern uns der Gegenſtand gegeben wird; dieſes aber iſt wiederum nur dadurch moͤglich, daß er das Gemuͤth auf gewiſſe Weiſe afficire. Die Faͤhigkeit, (Receptivitaͤt) Vorſtellungen durch die Art, wie wir von Gegenſtaͤnden afficirt werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermit - telſt der Sinnlichkeit alſo werden uns Gegenſtaͤnde gegeben, und ſie allein liefert uns Anſchauungen, durch den Ver - ſtand aber werden ſie gedacht, und von ihm entſpringen Begriffe. Alles Denken aber muß ſich, es ſey gerade zu (directe) oder im Umſchweife (indirecte) zulezt auf An - ſchauungen, mithin, bey uns, auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weiſe kein Gegenſtand gegeben wer - den kan.
Die Wirkung eines Gegenſtandes auf die Vorſtellungs - faͤhigkeit, ſo fern wir von demſelben afficirt werden, iſtB 2Em -20Elementarlehre I. Theil.Empfindung. Dieienige Anſchauung, welche ſich auf den Gegenſtand durch Empfindung bezieht, heißt empi - riſch. Der unbeſtimmte Gegenſtand einer empiriſchen Anſchauung, heißt Erſcheinung.
In der Erſcheinung nenne ich das, was der Empfin - dung correſpondirt, die Materie derſelben, dasienige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erſcheinung in gewiſſen Verhaͤltniſſen geordnet, angeſchauet wird, nenne ich die Form der Erſcheinung. Da das, worinnen ſich die Empfindungen allein ordnen, und in gewiſſe Form ge - ſtellet werden koͤnnen, nicht ſelbſt wiederum Empfindung ſeyn kan, ſo iſt uns zwar die Materie aller Erſcheinung nur a poſteriori gegeben, die Form derſelben aber muß zu ihnen insgeſamt im Gemuͤthe a priori bereit liegen, und dahero abgeſondert von aller Empfindung koͤnnen betrach - tet werden.
Ich nenne alle Vorſtellungen rein (im transſcen - dentalen Verſtande) in denen nichts, was zur Empfindung gehoͤrt, angetroffen wird. Demnach wird die reine Form ſinnlicher Anſchauungen uͤberhaupt im Gemuͤthe a priori angetroffen werden, worinnen alles Mannigfaltige der Er - ſcheinungen in gewiſſen Verhaͤltniſſen angeſchauet wird. Dieſe reine Form der Sinnlichkeit wird auch ſelber reine Anſchauung heiſſen. So, wenn ich von der Vorſtellung eines Koͤrpers das, was der Verſtand davon denkt, als Subſtanz, Kraft, Theilbarkeit, ꝛc. imgleichen, was davon zur Empfindung gehoͤrt, als Undurchdringlichkeit, Haͤrte,Far -21Die Transſcendentale Aeſthetik.Farbe ꝛc. abſondere, ſo bleibt mir aus dieſer empiriſchen Anſchauung noch etwas uͤbrig, nemlich Ausdehnung und Geſtalt. Dieſe gehoͤren zur reinen Anſchauung, die a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenſtand der Sinne oder Empfindung, als eine bloſſe Form der Sinnlichkeit im Gemuͤthe ſtatt findet.
Eine Wiſſenſchaft von allen Principien der Sinnlich - keit a priori nenne ich die transſcendentale Aeſthetik. *)Die Deutſchen ſind die einzige, welche ſich iezt des Worts Aeſthetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andre Critik des Geſchmacks heiſſen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortrefliche Ana - lyſt Baumgarten faßte, die critiſche Beurtheilung des Schoͤnen unter Vernunftprincipien zu bringen, und die Regeln derſelben zur Wiſſenſchaft zu erheben. Allein dieſe Bemuͤhung iſt vergeblich. Denn gedachte Regeln, oder Criterien ſind ihren Quellen. nach blos empiriſch, und koͤnnen alſo niemals zu Geſetzen a priori dienen, wor - nach ſich unſer Geſchmacksurtheil richten muͤßte, vielmehr macht das letztere den eigentlichen Probierſtein der Richtig - keit der erſteren aus. Um deswillen iſt es rathſam, dieſe Benennung wiederum eingehen zu laſſen, und ſie derie - nigen Lehre aufzubehalten, die wahre Wiſſenſchaft iſt, wodurch man auch der Sprache und dem Sinne der Al - ten naͤher treten wuͤrde, bey denen die Eintheilung der Erkentniß in ἀιϑητὰ καὶ νόητα ſehr beruͤhmt war.Es muß alſo eine ſolche Wiſſenſchaft geben, die den erſten Theil der transſcendentalen Elementar-Lehre ausmacht, im Gegenſatz mit derienigen, welche die Principien des reinen Denkens enthaͤlt, und transſcendentale Logik genannt wird.
B 3In22Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.In der tranſcendentalen Aeſthetik alſo werden wir zuerſt die Sinnlichkeit iſoliren, dadurch, daß wir alles abſondern, was der Verſtand durch ſeine Begriffe dabey denkt, damit nichts als empiriſche Anſchauung uͤbrig bleibe. Zweitens werden wir von dieſer noch alles, was zur Em - pfindung gehoͤrt, abtrennen, damit nichts als reine An - ſchauung und die bloſſe Form der Erſcheinungen uͤbrig bleibe, welches das einzige iſt, das die Sinnlichkeit a priori liefern kan. Bey dieſer Unterſuchung wird ſich finden, daß es zwey reine Formen ſinnlicher Anſchauung, als Principien der Erkentniß a priori gebe, nemlich, Raum und Zeit, mit deren Erwegung wir uns jezt beſchaͤftigen werden.
Vermittelſt des aͤuſſeren Sinnes, (einer Eigenſchaft unſres Gemuͤths) ſtellen wir uns Gegenſtaͤnde als auſſer uns, und dieſe insgeſamt im Raume vor. Dar - innen iſt ihre Geſtalt, Groͤße und Verhaͤltniß gegen ein - ander beſtimmt, oder beſtimmbar. Der innere Sinn, ver - mittelſt deſſen das Gemuͤth ſich ſelbſt, oder ſeinen inneren Zuſtand anſchauet, giebt zwar keine Anſchauung von der Seele ſelbſt, als einem Obiect, allein es iſt doch eine be -ſtimmte23I. Abſchnitt. Von dem Raume.ſtimmte Form, unter der die Anſchauung ihres innern Zuſtandes allein moͤglich iſt, ſo, daß alles, was zu den innern Beſtimmungen gehoͤrt, in Verhaͤltniſſen der Zeit vorgeſtellt wird. Aeuſſerlich kan die Zeit nicht angeſchaut werden, ſo wenig wie der Raum, als etwas in uns. Was ſind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Weſen? Sind es zwar nur Beſtimmungen, oder auch Verhaͤltniſſe der Dinge, aber doch ſolche, welche ihnen auch an ſich zukommen wuͤrden, wenn ſie auch nicht angeſchaut wuͤr - den, oder ſind ſie ſolche, die nur an der Form der An - ſchauung allein haften, und mithin an der ſubiectiven Be - ſchaffenheit unſeres Gemuͤths, ohne welche dieſe Praͤdicate gar keinem Dinge beygeleget werden koͤnnen? Um uns hieruͤber zu belehren, wollen wir zuerſt den Raum be - trachten.
1) der Raum iſt kein empiriſcher Begriff, der von aͤuſſeren Erfahrungen abgezogen worden. Denn damit ge - wiſſe Empfindungen auf etwas auſſer mich bezogen wer - den, (d. i. auf etwas in einem andern Orte des Raumes,) als darinnen ich mich befinde,) imgleichen damit ich ſie als auſſer einander, mithin nicht blos verſchieden, ſondern als in verſchiedenen Orten vorſtellen koͤnne, dazu muß die Vorſtellung des Raumes ſchon zum Grunde liegen. Dem - nach kan die Vorſtellung des Raumes nicht aus den Ver - haͤltniſſen der aͤuſſern Erſcheinung durch Erfahrung er - borgt ſeyn, ſondern dieſe aͤuſſere Erfahrung iſt ſelbſt nur durch gedachte Vorſtellung allererſt moͤglich.
B 42) Der24Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.2) Der Raum iſt eine nothwendige Vorſtellung, a priori, die allen aͤuſſeren Anſchauungen zum Grunde liegt. Man kan ſich niemals eine Vorſtellung davon machen, daß kein Raum ſey, ob man ſich gleich ganz wohl denken kan, daß keine Gegenſtaͤnde darin angetroffen werden. Er wir[d]alſo als die Bedingung der Moͤglichkeit der Erſcheinungen, und nicht als eine von ihnen abhaͤngende Beſtimmung an - geſehen, und iſt eine Vorſtellung a priori, die nothwendi - ger Weiſe aͤuſſeren Erſcheinungen zum Grunde liegt.
3) Auf dieſe Nothwendigkeit a priori gruͤndet ſich die apodictiſche Gewißheit aller geometriſchen Grundſaͤtze, und die Moͤglichkeit ihrer Conſtructionen a priori. Waͤre nemlich dieſe Vorſtellung des Raums ein a poſteriori er - worbener Begriff, der aus der allgemeinen aͤuſſeren Er - fahrung geſchoͤpft waͤre, ſo wuͤrden die erſten Grundſaͤtze der mathematiſchen Beſtimmung nichts als Wahrnehmun - gen ſeyn. Sie haͤtten alſo alle Zufaͤlligkeit der Wahrneh - mung, und es waͤre eben nicht nothwendig, daß zwiſchen zween Puncten nur eine gerade Linie ſey, ſondern die Erfahrung wuͤrde es ſo iederzeit lehren. Was von der Erfahrung entlehnt iſt, hat auch nur comparative Allge - meinheit, nemlich durch Induction. Man wuͤrde alſo nur ſagen koͤnnen, ſo viel zur Zeit noch bemerkt worden, iſt kein Raum gefunden worden, der mehr als drey Ab - meſſungen haͤtte.
4) Der Raum iſt kein diſcurſiver, oder, wie man ſagt, allgemeiner Begriff von Verhaͤltniſſen der Dingeuͤber -25I. Abſchnitt. Von dem Raume.uͤberhaupt, ſondern eine reine Anſchauung. Denn erſtlich kan man ſich nur einen einigen Raum vorſtellen, und wenn man von vielen Raͤumen redet, ſo verſtehet man darunter nur Theile eines und deſſelben alleinigen Raumes. Dieſe Theile koͤnnen auch nicht vor dem einigen allbefaſſenden Raume gleichſam als deſſen Beſtandtheile, (daraus ſeine Zuſammenſetzung moͤglich ſey) vorhergehen, ſondern nur in ihm gedacht werden. Er iſt weſentlich einig, das Man - nigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Raͤumen uͤberhaupt beruht lediglich auf Einſchraͤnkungen. Hieraus folgt, daß in Anſehung ſeiner eine Anſchauung a priori, (die nicht empiriſch iſt) allen Begriffen von den - ſelben zum Grunde liege. So werden auch alle geome - triſche Grundſaͤtze, z. E. daß in einem Triangel zwey Sei - ten zuſammen groͤßer ſeyn, als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, ſondern aus der Anſchauung und zwar a priori mit apodictiſcher Ge - wißheit abgeleitet.
5) Der Raum wird als eine unendliche Groͤße ge - geben vorgeſtellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum (der ſo wohl in dem Fuſſe, als einer Elle gemein iſt,) kan in Anſehung der Groͤſſe nichts beſtimmen. Waͤre es nicht die Grenzenloſigkeit im Fortgange der Anſchauung, ſo wuͤrde kein Begriff von Verhaͤltniſſen ein Principium der Unendlichkeit derſelben bey ſich fuͤhren.
B 5Schluͤſſe26Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.a) Der Raum ſtellet gar keine Eigenſchaft irgend einiger Dinge an ſich, oder ſie in ihrem Verhaͤltniß auf einander[vo]r, d. i. keine Beſtimmung derſelben, die an Ge - genſtaͤnden ſelbſt haftete, und welche bliebe, wenn man auch von allen ſubiectiven Bedingungen der Anſchauung abſtrahirte. Denn weder abſolute, noch relative Beſtim - mungen koͤnnen vor dem Daſeyn der Dinge, welchen ſie zukommen, mithin nicht a priori angeſchaut werden.
b) Der Raum iſt nichts anders, als nur die Form aller Erſcheinungen aͤuſſerer Sinne, d. i. die ſubiective Be - dingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns aͤuſſere An - ſchauung moͤglich iſt. Weil nun die Receptivitaͤt des Sub - iects, von Gegenſtaͤnden afficirt zu werden, nothwendi - ger Weiſe vor allen Anſchauungen dieſer Obiecte vorhergeht,〈…〉〈…〉 laͤßt ſich verſtehen, wie die Form aller Erſcheinungen[vor]allen wirklichen Wahrnehmungen, mithin a priori im Gemuͤthe gegeben ſeyn koͤnne, und wie ſie als eine reine Anſchauung, in der alle Gegenſtaͤnde beſtimmt werden muͤſſen, Principien der Verhaͤltniſſe derſelben vor aller Erfahrung enthalten koͤnne.
Wir koͤnnen demnach nur aus dem Standpuncte eines Menſchen vom Raum von ausgedehnten Weſen ꝛc. reden. Gehen wir von der ſubiectiven Bedingung ab, unter wel - cher wir allein aͤuſſere Anſchauung bekommen koͤnnen, ſo wie wir nemlich von den Gegenſtaͤnden afficirt werden moͤgen, ſo bedeutet die Vorſtellung vom Raume gar nichts. Dieſes27I. Abſchnitt. Von dem Raume.Dieſes Praͤdicat wird den Dingen nur in ſo fern beyge - legt, als ſie uns erſcheinen, d. i. Gegenſtaͤnde der Sinn - lichkeit ſind. Die beſtaͤndige Form dieſer Receptivitaͤt, welche wir Sinnlichkeit nennen, iſt eine nothwendige Be - dingung aller Verhaͤltniſſe, darinnen Gegenſtaͤnde als auſ - ſer uns, angeſchauet werden, und, wenn man von die - ſen Gegenſtaͤnden abſtrahirt, eine reine Anſchauung, wel - che den Namen Raum fuͤhret. Weil wir die beſonderen Bedingungen der Sinnlichkeit nicht zu Bedingungen der Moͤglichkeit der Sachen, ſondern nur ihrer Erſcheinungen machen koͤnnen, ſo koͤnnen wir wol ſagen, daß der Raum alle Dinge befaſſe, die uns aͤuſſerlich erſcheinen moͤgen, aber nicht alle Dinge an ſich ſelbſt, ſie moͤgen nun ange - ſchaut werden oder nicht, oder auch von welchem Subiect man wolle. Denn wir koͤnnen von den Anſchauungen an - derer denkenden Weſen gar nicht urtheilen, ob ſie an die nemlichen Bedingungen gebunden ſeyn, welche unſere An - ſchauung einſchraͤnken, und vor uns allgemein guͤltig ſeyn. Wenn wir die Einſchraͤnkung eines Urtheils zum Begriff des Subiects hinzufuͤgen, ſo gilt das Urtheil alsdenn unbedingt. Der Satz: Alle Dinge ſind neben einander im Raum, gilt nur unter der Einſchraͤnkung, wenn dieſe Dinge als Gegenſtaͤnde unſerer ſinnlichen Anſchauung genommen werden. Fuͤge ich hier die Bedingung zum Begriffe; und ſage: Alle Dinge, als aͤuſſere Erſcheinungen, ſind neben einander im Raum, ſo gilt dieſe Regel allgemein und ohne Einſchraͤnkung. Unſere Eroͤrterungen lehren demnachdie28Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.die Realitaͤt (d. i. die obiective Guͤltigkeit) des Raumes in Anſehung alles deſſen, was aͤuſſerlich als Gegenſtand uns vorkommen kann, aber zugleich die Idealitaͤt des Raums in Anſehung der Dinge, wenn ſie durch die Vernunft an ſich ſelbſt erwogen werden, d. i. ohne Ruͤckſicht auf die Be - ſchaffenheit unſerer Sinnlichkeit zu nehmen. Wir behaup - ten alſo die empiriſche Realitaͤt des Raumes (in Anſe - hung aller moͤglichen aͤuſſeren Erfahrung) ob zwar zugleich die transſcendentale Idealitaͤt deſſelben, d. i. daß er Nichts ſey, ſo bald wir die Bedingung der Moͤglichkeit aller Er - fahrung weglaſſen, und ihn als etwas, was den Dingen an ſich ſelbſt zum Grunde liegt, annehmen.
Es giebt aber auch auſſer dem Raum keine andere ſubiective und auf etwas aͤuſſeres bezogene Vorſtellung, die a priori obiectiv heiſſen koͤnte. Daher dieſe ſubiective Bedingung aller aͤuſſeren Erſcheinungen mit keiner andern kan verglichen werden. Der Wohlgeſchmack eines Weines gehoͤrt nicht zu den obiectiven Beſtimmungen des Weines, mithin eines Obiects ſo gar als Erſcheinung betrachtet, ſondern zu der beſondern Beſchaffenheit des Sinnes an dem Subiecte, was ihn genießt. Die Farben ſind nicht Be - ſchaffenheiten der Koͤrper, deren Anſchauung ſie anhaͤngen, ſondern auch nur Modificationen des Sinnes des Geſichts, welches vom Lichte auf gewiſſe Weiſe afficirt wird. Da - gegen gehoͤrt der Raum, als Bedingung auſſerer Obiecte, nothwendiger Weiſe zur Erſcheinung oder Anſchauung der - ſelben. Geſchmack und Farben ſind gar nicht nothwendigeBe -29I. Abſchnitt. Von dem Raume.Bedingungen, unter welchen die Gegenſtaͤnde allein vor uns Obiecte der Sinne werden koͤnnen. Sie ſind nur als zufaͤllig beygefuͤgte Wirkungen der beſondern Organi - ſation mit der Erſcheinung verbunden. Daher ſind ſie auch keine Vorſtellungen a priori, ſondern auf Empfin - dung, der Wohlgeſchmack aber ſo gar auf Gefuͤhl (der Luſt und Unluſt) als einer Wuͤrkung der Empfindung gegruͤndet. Auch kan niemand a priori weder eine Vor - ſtellung einer Farbe, noch irgend eines Geſchmacks haben: der Raum aber betrift nur die reine Form der Anſchauung, ſchließt alſo gar keine Empfindung (nichts empiriſches) in ſich, und alle Arten und Beſtimmungen des Raumes koͤn - nen und muͤſſen ſo gar a priori vorgeſtellt werden koͤnnen, wenn Begriffe der Geſtalten ſo wol, als Verhaͤltniſſe ent - ſtehen ſollen. Durch denſelben iſt es allein moͤglich, daß Dinge vor uns aͤuſſere Gegenſtaͤnde ſeyn.
Die Abſicht dieſer Anmerkung geht nur dahin, zu verhuͤten: daß man die behauptete Idealitaͤt des Raumes nicht durch bey weitem unzulaͤngliche Beyſpiele zu erlaͤutern ſich einfallen laſſe, da nemlich etwa Farben, Geſchmack ꝛc. mit Recht nicht als Beſchaffenheiten der Dinge, ſondern blos als Veraͤnderungen unſeres Subiects, die ſo gar bey verſchiedenen Menſchen verſchieden ſeyn koͤnnen, betrach - tet werden. Denn in dieſem Falle gilt das, was ur - ſpruͤnglich ſelbſt nur Erſcheinung iſt, z. B. eine Roſe, im empiriſchen Verſtande vor ein Ding an ſich ſelbſt, welchesdoch30Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.doch iedem Auge in Anſehung der Farbe anders erſchei - nen kan. Dagegen iſt der transſcendentale Begriff der Erſcheinungen im Raume eine critiſche Erinnerung, daß uͤberhaupt nichts, was im Raume angeſchaut wird, eine Sache an ſich, noch daß der Raum eine Form der Dinge ſey, die ihnen etwa an ſich ſelbſt eigen waͤre, ſondern daß uns die Gegenſtaͤnde an ſich gar nicht bekant ſeyn, und, was wir aͤuſſere Gegenſtaͤnde nennen, nichts anders als bloſſe Vorſtellungen unſerer Sinnlichkeit ſeyn, deren Form der Raum iſt, deren wahres Correlatum aber, d. i. das Ding an ſich ſelbſt, dadurch gar nicht erkant wird, noch erkant werden kan, nach welchem aber auch in der Erfah - rung niemals gefragt wird.
Die Zeit iſt kein empiriſcher Begriff, der irgend von einer Erfahrung abgezogen worden. Denn das Zu - gleichſeyn oder Aufeinanderfolgen wuͤrde ſelbſt nicht in die Wahrnehmung kommen, wenn die Vorſtellung der Zeit nicht a priori zum Grunde laͤge. Nur unter deren Boraus - ſetzung kan man ſich vorſtellen: daß einiges zu einer und derſelben Zeit (zugleich) oder in verſchiedenen Zeiten (nach einander) ſey.
2) Die31II. Abſchnitt. Von der Zeit.2) Die Zeit iſt eine nothwendige Vorſtellung, die al - len Anſchauungen zum Grunde liegt. Man kan in An - ſehung der Erſcheinungen uͤberhaupt die Zeit ſelbſten nicht aufheben, ob man zwar ganz wol die Erſcheinungen aus der Zeit wegnehmen kan. Die Zeit iſt alſo a priori ge - geben. In ihr allein iſt alle Wirklichkeit der Erſcheinun - gen moͤglich. Dieſe koͤnnen insgeſamt wegfallen, aber ſie ſelbſt, als die allgemeine Bedingung ihrer Moͤglichkeit,) kan nicht aufgehoben werden.
3) Auf dieſe Nothwendigkeit a priori gruͤndet ſich auch die Moͤglichkeit apodictiſcher Grundſaͤtze von den Ver - haͤltniſſen der Zeit, oder Axiomen von der Zeit uͤberhaupt. Sie hat nur eine Dimenſion: verſchiedene Zeiten ſind nicht zugleich, ſondern nach einander (ſo wie verſchiedene Raͤume nicht nach einander, ſondern zugleich ſeyn.) Dieſe Grund - ſaͤtze koͤnnen aus der Erfahrung nicht gezogen werden, denn dieſe wuͤrde weder ſtrenge Allgemeinheit, noch apodictiſche Gewißheit geben. Wir wuͤrden nur ſagen koͤnnen: ſo lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber, ſo muß es ſich verhalten. Dieſe Grundſaͤtze gelten als Regeln, unter denen uͤberhaupt Erfahrungen moͤglich ſind und be - lehren uns vor derſelben, und nicht durch dieſelbe.
4) Die Zeit iſt kein diſcurſiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, ſondern eine reine Form der ſinnlichen Anſchauung. Verſchiedene Zeiten ſind nur Theileeben32Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.eben derſelben Zeit. Die Vorſtellung, die nur durch einen einzigen Gegenſtand gegeben werden kan, iſt aber An - ſchauung. Auch wuͤrde ſich der Satz, daß verſchiedene Zei - ten nicht zugleich ſeyn koͤnnen, aus einem allgemeinen Be - griff nicht herleiten laſſen. Der Satz iſt ſynthetiſch, und kan aus Begriffen allein nicht entſpringen. Er iſt alſo in der Anſchauung und Vorſtellung der Zeit unmittelbar enthalten.
5) Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle beſtimmte Groͤſſe der Zeit nur durch Einſchraͤnkungen ei - ner einigen zum Grunde liegenden Zeit moͤglich ſey. Daher muß die urſpruͤngliche Vorſtellung Zeit, als uneingeſchraͤnkt gegeben ſeyn. Wovon aber die Theile ſelbſt, und iede Groͤße eines Gegenſtandes nur durch Einſchraͤnkung be - ſtimmt vorgeſtellt werden koͤnnen, da muß die ganze Vor - ſtellung nicht durch Begriffe gegeben ſeyn, (denn da gehen die Theilvorſtellungen vorher) ſondern es muß ihre un - mittelbare Anſchauung zum Grunde liegen.
a) Die Zeit iſt nicht etwas, was vor ſich ſelbſt be - ſtuͤnde, oder denen Dingen als obiective Beſtimmung an - hinge, mithin uͤbrig bliebe, wenn man von allen ſub - iectiven Bedingungen der Anſchauung derſelben abſtrahirt: denn im erſten Fall wuͤrde ſie etwas ſeyn, was ohne wirk - lichen Gegenſtand dennoch wirklich waͤre. Was aber daszweite33II. Abſchnitt. Von der Zeit.zweite betrift, ſo koͤnte ſie als eine den Dingen ſelbſt an - hangende Beſtimmung oder Ordnung nicht vor den Ge - genſtaͤnden, als ihre Bedingung vorhergehen, und a priori durch ſynthetiſche Saͤtze erkant und angeſchaut werden. Dieſe letztere findet dagegen ſehr wohl ſtatt, wenn die Zeit nichts als die ſubiective Bedingung iſt, unter der alle An - ſchauungen in uns ſtatt finden koͤnnen. Denn da kan dieſe Form der innern Anſchauung vor den Gegenſtaͤnden, mithin a priori vorgeſtellt werden.
b) Die Zeit iſt nichts anders, als die Form des in - nern Sinnes, d. i. des Anſchauens unſerer ſelbſt und unſers innern Zuſtandes. Denn die Zeit kan keine Beſtimmung aͤuſſerer Erſcheinungen ſeyn; Sie gehoͤret weder zu einer Geſtalt, oder Lage ꝛc. dagegen beſtimmt ſie das Verhaͤlt - niß der Vorſtellungen in unſerm innern Zuſtande. Und, eben weil dieſe innre Anſchauung keine Geſtalt giebt, ſuchen wir auch dieſen Mangel durch Analogien zu erſetzen, und ſtellen die Zeitfolge durch eine ins unendliche fortgehende Linie vor, in welcher das Mannigfaltige eine Reihe aus - macht, die nur von einer Dimenſion iſt, und ſchlieſſen aus den Eigenſchaften dieſer Linie auf alle Eigenſchaften der Zeit, auſſer dem einigen, daß die Theile der erſtern zugleich, die der letztern aber iederzeit nach einander ſind. Hieraus erhellet auch, daß die Vorſtellung der Zeit ſelbſt Anſchauung ſey, weil alle ihre Verhaͤltniſſe ſich an einer aͤuſſern Anſchauung ausdruͤcken laſſen.
Cc) Die34Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.c) Die Zeit iſt die formale Bedingung a priori aller Erſcheinungen uͤberhaupt. Der Raum, als die reine Form aller aͤuſſeren Anſchauung iſt als Bedingung a prio - ri blos auf aͤuſſere Erſcheinungen eingeſchraͤnkt. Dagegen weil alle Vorſtellungen, ſie moͤgen nun aͤuſſere Dinge zum Gegenſtande haben, oder nicht, doch an ſich ſelbſt, als Be - ſtimmungen des Gemuͤths, zum innern Zuſtande gehoͤren: dieſer innere Zuſtand aber, unter der formalen Bedingung der innern Anſchauung, mithin der Zeit gehoͤret, ſo iſt die Zeit eine Bedingung a priori von aller Erſcheinung uͤber - haupt, und zwar die unmittelbare Bedingung der inneren (unſerer Seelen) und eben dadurch mittelbar auch der aͤuſſern Erſcheinungen. Wenn ich a priori ſagen kan: alle aͤuſſere Erſcheinungen ſind im Raume, und nach den Verhaͤltniſſen des Raumes a priori beſtimmt, ſo kan ich aus dem Prin - cip des innern Sinnes ganz allgemein ſagen: alle Erſchei - nungen uͤberhaupt, d. i. alle Gegenſtaͤnde der Sinne, ſind in der Zeit, und ſtehen nothwendiger Weiſe in Ver - haͤltniſſen der Zeit.
Wenn wir von unſrer Art, uns ſelbſt innerlich an - zuſchauen, und vermittelſt dieſer Anſchauung auch alle aͤuſ - ſere Anſchauungen in der Vorſtellungs - Kraft zu befaſſen, abſtrahiren, und mithin die Gegenſtaͤnde nehmen, ſo wie ſie an ſich ſelbſt ſeyn moͤgen, ſo iſt die Zeit Nichts. Sie iſt nur von obiectiver Guͤltigkeit in Anſehung der Er - ſcheinungen, weil dieſes ſchon Dinge ſind, die wir als Ge - genſtaͤnde unſrer Sinne annehmen, aber ſie iſt nicht mehrob -35II Abſchnitt. Von der Zeit.obiectiv, wenn man von der Sinnlichkeit unſrer Anſchau - ung, mithin derienigen Vorſtellungsart, welche uns ei - genthuͤmlich iſt, abſtrahirt, und von Dingen uͤberhaupt redet. Die Zeit iſt alſo lediglich eine ſubiective Bedingung unſerer (menſchlichen) Anſchauung, (welche iederzeit ſinn - lich iſt, d. i. ſo fern wir von Gegenſtaͤnden afficirt werden) und an ſich, auſſer dem Subiecte, nichts. Nichts deſto weniger iſt ſie in Anſehung aller Erſcheinungen, mithin auch aller Dinge, die uns in der Erfahrung vorkommen koͤnnen, nothwendiger Weiſe obiectiv. Wir koͤnnen nicht ſagen: alle Dinge ſind in der Zeit, weil bey dem Begriff der Dinge uͤberhaupt von aller Art der Anſchauung der - ſelben abſtrahirt wird, dieſe aber die eigentliche Bedingung iſt, unter der die Zeit in die Vorſtellung der Gegenſtaͤnde gehoͤrt. Wird nun die Bedingung zum Begriffe hinzuge - fuͤgt, und es heißt: alle Dinge, als Erſcheinungen (Ge - genſtaͤnde der ſinnlichen Anſchauung) ſind in der Zeit, ſo hat der Grundſatz ſeine gute obiective Richtigkeit und All - gemeinheit a priori.
Unſere Behauptungen lehren demnach empiriſche Realitaͤt der Zeit, d. i. obiective Guͤltigkeit in Anſehung aller Gegenſtaͤnde, die iemals unſern Sinnen gegeben wer - den moͤgen. Und da unſere Anſchauung iederzeit ſinnlich iſt, ſo kan uns in der Erfahrung niemals ein Gegenſtand gegeben werden, der nicht unter die Bedingung der Zeit gehoͤrete. Dagegen ſtreiten wir der Zeit allen Anſpruch auf abſolute Realitaͤt, da ſie nemlich, auch ohne auf dieC 2Form36Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.Form unſerer ſinnlichen Anſchauung Ruͤckſicht zu nehmen, ſchlechthin den Dingen als Bedingung oder Eigenſchaft anhinge. Solche Eigenſchaften, die den Dingen an ſich zukommen, koͤnnen uns durch die Sinne auch niemals ge - geben werden. Hierin beſteht alſo die transſcendentale Idealitaͤt der Zeit, nach welcher ſie, wenn man von den ſubiectiven Bedingungen der ſinnlichen Anſchauung abſtra - hirt, gar nichts iſt, und den Gegenſtaͤnden an ſich ſelbſt (ohne ihr Verhaͤltniß auf unſere Anſchauung) weder ſub - ſiſtirend noch inhaͤrirend beygezaͤhlt werden kan. Doch iſt dieſe Idealitaͤt, eben ſo wenig wie die des Raumes, mit den Subreptionen der Empfindungen in Vergleichung zu ſtellen, weil man doch dabey von der Erſcheinung ſelbſt, der dieſe Praͤdicate inhaͤriren, vorausſezt, daß ſie ob - iective Realitaͤt habe, die hier gaͤnzlich wegfaͤllt, auſſer, ſo fern ſie blos empiriſch iſt, d. i. den Gegenſtand ſelbſt blos als Erſcheinung anſieht: wovon die obige Anmerkung des erſteren Abſchnitts nachzuſehen iſt.
Wider dieſe Theorie, welche der Zeit empiriſche Rea - litaͤt zugeſtehet, aber die abſolute und transſcendentale ſtreitet, habe ich von einſehenden Maͤnnern einen Einwurf ſo einſtimmig vernommen, daß ich daraus abnehme, er muͤſſe ſich natuͤrlicher Weiſe bey iedem Leſer, dem dieſe Betrachtungen ungewohnt ſind, vorfinden. Er lautet ſo: Veraͤnderungen ſind wirklich (dies beweiſet der Wechſelunſe -37II. Abſchnitt. Von der Zeit.unſerer eigenen Vorſtellungen, wenn man gleich alle aͤuſ - ſere Erſcheinungen, ſamt deren Veraͤnderungen leugnen wollte). Nun ſind Veraͤnderungen nur in der Zeit moͤg - lich, folglich iſt die Zeit etwas wirkliches. Die Beant - wortung hat keine Schwierigkeit. Ich gebe das ganze Argument zu. Die Zeit iſt allerdings etwas Wirkliches, nemlich die wirkliche Form der innern Anſchauung. Sie hat alſo ſubiective Realitaͤt in Anſehung der innern Er - fahrung, d. i. ich habe wirklich die Vorſtellung von der Zeit und meiner Beſtimmungen in ihr. Sie iſt alſo wirklich nicht als Obiect, ſondern als die Vorſtellungsart meiner Selbſt als Obiets anzuſehen. Wenn aber ich ſelbſt, oder ein an - der Weſen mich, ohne dieſe Bedingung der Sinnlichkeit, an - ſchauen koͤnte, ſo wuͤrden eben dieſelben Beſtimmungen, die wir uns iezt als Veraͤnderungen vorſtellen, eine Erkentniß geben, in welcher die Vorſtellung der Zeit, mithin auch der Veraͤnderung gar nicht vorkaͤme. Es bleibt alſo ihre empiriſche Realitaͤt als Bedingung aller unſrer Erfahrungen. Nur die abſolute Realitaͤt kan ihr nach dem oben angefuͤhrten nicht zugeſtanden werden. Sie iſt nichts, als die Form unſrer inneren Anſchauung. *)Ich kan zwar ſagen: meine Vorſtellungen folgen einander; aber das heißt nur, wir ſind uns ihrer, als in einer Zeitfolge, d. i. nach der Form des innern Sinnes be - wußt. Die Zeit iſt darum nicht etwas an ſich ſelbſt, auch keine den Dingen obiectiv anhaͤngende Beſtimmung.Wenn man von ihr die beſondere Bedingung unſerer Sinnlichkeit wegnimmt, ſo verſchwin - det auch der Begriff der Zeit, und ſie haͤngt nicht an denC 3Gegen -38Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.Gegenſtaͤnden ſelbſt, ſondern blos am Subiecte, welches ſie anſchauet.
Die Urſache aber, weswegen dieſer Einwurff ſo ein - ſtimmig gemacht wird, und zwar von denen, die gleichwol gegen die Lehre von der Idealitaͤt des Raumes nichts Ein - leuchtendes einzuwenden wiſſen, iſt dieſe. Die abſolute Realitaͤt des Raumes hoffeten ſie nicht apodictiſch darthun zu koͤnnen, weil ihnen der Idealismus entgegen ſteht, nach welchem die Wirklichkeit aͤuſſerer Gegenſtaͤnde keines ſtrengen Beweiſes faͤhig iſt: Dagegen die des Gegenſtandes unſerer innern Sinnen (meiner ſelbſt und meines Zuſtan - des) unmittelbar durchs Bewußtſeyn klar iſt. Jene kon - ten ein bloſſer Schein ſeyn, dieſer aber iſt, ihrer Meinung nach, unleugbar etwas wirkliches. Sie bedachten aber nicht, daß beyde, ohne daß man ihre Wirklichkeit als Vorſtellungen beſtreiten darf, gleichwol nur zur Erſchei - nung gehoͤren, welche iederzeit zwey Seiten hat, die eine, da das Obiect an ſich ſelbſt betrachtet wird, (unangeſehen der Art, daſſelbe anzuſchauen, deſſen Beſchaffenheit aber eben darum iederzeit problematiſch bleibt) die andere, da auf die Form der Anſchauung dieſes Gegenſtandes geſehen wird, welche nicht in dem Gegenſtande an ſich ſelbſt, ſon - dern im Subiecte, dem derſelbe erſcheint, geſucht werden muß, gleichwohl aber der Erſcheinung dieſes Gegenſtandes wirklich und nothwendig zukommt.
Zeit und Raum ſind demnach zwey Erkenntnißquellen, aus denen a priori verſchiedene ſynthetiſche Erkenntniſſege -39II. Abſchnitt. Von der Zeit.geſchoͤpft werden koͤnnen, wie vornemlich die reine Mathe - matik in Anſehung der Erkentniſſe vom Raume und deſſen Verhaͤltniſſen ein glaͤnzendes Beyſpiel giebt. Sie ſind nem - lich beyde zuſammen genommen reine Formen aller ſinnli - chen Anſchauung, und machen dadurch ſynthetiſche Saͤtze a priori moͤglich. Aber dieſe Erkentnißquellen a priori beſtimmen ſich eben dadurch (daß ſie blos Bedingungen der Sinnlichkeit ſeyn) ihre Grenzen, nemlich, daß ſie blos auf Gegenſtaͤnde gehen, ſo fern ſie als Erſcheinungen betrachtet werden, nicht aber Dinge an ſich ſelbſt darſtel - len. Jene allein ſind das Feld ihrer Guͤltigkeit, woraus wenn man hinausgehet, weiter kein obiectiver Gebrauch derſelben ſtatt findet. Dieſe Realitaͤt des Raumes und der Zeit laͤßt uͤbrigens die Sicherheit der Erfahrungser - kentniß unangetaſtet: denn wir ſind derſelben eben ſo ge - wiß, ob dieſe Formen den Dingen an ſich ſelbſt, oder nur unſrer Anſchauung dieſer Dinge nothwendiger Weiſe anhaͤngen. Dagegen die, ſo die abſolute Realitaͤt des Raumes und der Zeit behaupten, ſie moͤgen ſie nun als ſubſiſtirend, oder nur inhaͤrirend annehmen, mit den Principien der Erfahrung ſelbſt uneinig ſeyn muͤſſen. Denn, entſchlieſſen ſie ſich zum erſteren (welches gemeiniglich die Parthey der mathematiſchen Naturforſcher iſt,) ſo muͤſſen ſie zwey ewige und unendliche vor ſich beſtehende Undinge, (Raum und Zeit) annehmen, welche da ſind, (ohne daß doch etwas Wirkliches iſt), nur um alles wirkliche in ſich zu befaſſen. Nehmen ſie die zweite Parthey (vonC 4der40Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.der einige metaphyſiſche Naturlehrer ſind,) und Raum und Zeit gelten ihnen als von der Erfahrung abſtrahirte, obzwar in der Abſonderung verworren vorgeſtellte Ver - haͤltniſſe der Erſcheinungen (neben oder nach einander) ſo muͤſſen ſie den mathematiſchen Lehren a priori in An - ſehung wirklicher Dinge (z. E. im Raume) ihre Guͤltigkeit, wenigſtens die apodictiſche Gewißheit ſtreiten, indem dieſe a poſteriori gar nicht ſtatt findet, und die Begriffe a priori von Raum und Zeit dieſer Meinung nach, nur Ge - ſchoͤpfe der Einbildungskraft ſind, deren Quell wirklich in der Erfahrung geſucht werden muß, aus deren abſtrahir - ten Verhaͤltniſſen die Einbildung etwas gemacht hat, was zwar das Allgemeine derſelben enthaͤlt, aber ohne die Re - ſtrictionen, welche die Natur mit denſelben verknuͤpft hat, nicht ſtatt finden kan. Die erſtere gewinnen ſo viel, daß ſie vor die mathematiſche Behauptungen ſich das Feld der Erſcheinungen frey machen: Dagegen verwirren ſie ſich ſehr durch eben dieſe Bedingungen, wenn der Verſtand uͤber dieſes Feld hinausgehen will. Die zweite gewinnen zwar in Anſehung des lezteren, nemlich, daß die Vorſtel - lungen von Raum und Zeit ihnen nicht in den Weg kom - men, wenn ſie von Gegenſtaͤnden nicht als Erſcheinungen, ſondern blos im Verhaͤltniß auf den Verſtand urtheilen wollen; koͤnnen aber weder von der Moͤglichkeit mathema - tiſcher Erkentniſſe a priori (indem ihnen eine wahre und obiectiv guͤltige Anſchauung a priori fehlt) Grund ange - ben, noch die Erfahrungsſaͤtze mit ienen Behauptungen innoth -41II. Abſchnitt. Von der Zeit.nothwendige Einſtimmung bringen. In unſerer Theorie, von der wahren Beſchaffenheit dieſer zwey urſpruͤnglichen Formen der Sinnlichkeit, iſt beyden Schwierigkeiten ab - geholfen.
Daß ſchluͤßlich die transſcendentale Aeſthetik nicht mehr, als dieſe zwey Elemente, nemlich Raum und Zeit enthalten koͤnne, iſt daraus klar, weil alle andre zur Sinnlichkeit gehoͤrige Begriffe, ſelbſt der der Bewegung, welcher beyde Stuͤcke vereinigt, etwas Empiriſches vor - ausſetzen. Denn dieſe ſezt die Wahrnehmung von etwas beweglichen voraus. Im Raum, an ſich ſelbſt betrachtet, iſt aber nichts bewegliches: Daher das bewegliche Etwas ſeyn muß, was im Raume nur durch Erfahrung ge - funden wird, mithin ein empiriſches Datum. Eben ſo kan die transſcendentale Aeſthetik nicht den Begriff der Veraͤnderung unter ihre Data a priori zehlen: denn die Zeit ſelbſt veraͤndert ſich nicht ſondern etwas, das in der Zeit iſt. Alſo wird dazu die Wahrnehmung von irgend einem Daſeyn, und der Succeßion ſeiner Beſtimmungen, mithin Erfahrung erfordert.
Zuerſt wird es noͤthig ſeyn, uns ſo deutlich, als moͤglich, zu erklaͤren, was in Anſehung der Grundbeſchaf -C 5fen -42Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.fenheit der ſinnlichen Erkentniß uͤberhaupt unſre Meinung ſey, um aller Misdeutung derſelben vorzubeugen.
Wir haben alſo ſagen wollen: daß alle unſre An - ſchauung nichts als die Vorſtellung von Erſcheinung ſey: daß die Dinge, die wir anſchauen, nicht das an ſich ſelbſt ſind, wofuͤr wir ſie anſchauen, noch ihre Verhaͤltniſſe ſo an ſich ſelbſt beſchaffen ſind, als ſie uns erſcheinen, und daß, wenn wir unſer Subiect oder auch nur die ſubiective Beſchaffenheit der Sinne uͤberhaupt aufheben, alle die Beſchaffenheit, alle Verhaͤltniſſe der Obiecte im Raum und Zeit, ia ſelbſt Raum und Zeit verſchwinden wuͤrden, und als Erſcheinungen nicht an ſich ſelbſt, ſondern nur in uns exiſtiren koͤnnen. Was es vor eine Bewandniß mit den Gegenſtaͤnden an ſich und abgeſondert von aller dieſer Receptivitaͤt unſerer Sinnlichkeit haben moͤge, bleibt uns gaͤnzlich unbekant. Wir kennen nichts, als unſere Art, ſie wahrzunehmen, die uns eigenthuͤmlich iſt, die auch nicht nothwendig iedem Weſen, ob zwar iedem Menſchen zu - kommen muß. Mit dieſer haben wir es lediglich zu thun. Raum und Zeit ſind die reine Formen derſelben, Empfin - dung uͤberhaupt die Materie. Jene koͤnnen wir allein a priori d. i. vor aller wirklichen Wahrnehmung erkennen, und ſie heiſſet darum reine Anſchauung; dieſe aber iſt das in unſerm Erkentniß, was da macht, daß ſie Erkentniß a poſteriori d. i. empiriſche Anſchauung heißt. Jene haͤngen unſrer Sinnlichkeit ſchlechthin nothwendig an, welcher Art auch unſere Empfindungen ſeyn moͤgen; dieſekoͤn -43II. Abſchnitt. Von der Zeit.koͤnnen ſehr verſchieden ſeyn. Wenn wir dieſe unſre An - ſchauung auch zum hoͤchſten Grade der Deutlichkeit brin - gen koͤnten, ſo wuͤrden wir dadurch der Beſchaffenheit der Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt nicht naͤher kommen. Denn wir wuͤrden auf allen Fall doch nur unſre Art der Anſchau - ung d. i. unſere Sinnlichkeit vollſtaͤndig erkennen, und dieſe immer nur unter den, dem Subiect urſpruͤnglich an - haͤngenden Bedingungen, von Raum und Zeit; was die Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt ſeyn moͤgen, wuͤrde uns durch die aͤufgeklaͤrteſte Erkentniß der Erſcheinung derſelben, die uns allein gegeben iſt, doch niemals bekant werden.
Daß daher unſere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrene Vorſtellung der Dinge ſey, welche lediglich das enthaͤlt, was ihnen an ſich ſelbſt zukoͤmmt, aber nur un - ter einer Zuſammenhaͤufung von Merkmalen und Theil - vorſtellungen, die wir nicht mit Bewußtſeyn auseinander ſetzen, iſt eine Verfaͤlſchung des Begriffs von Sinnlichkeit und von[Erſcheinung], welche die ganze Lehre derſelben un - nuͤtz und leer macht. Der Unterſchied einer undeutlichen von der deutlichen Vorſtellung iſt blos logiſch, und betriſt nicht den Inhalt. Ohne Zweifel enthaͤlt der Begriff von Recht, deſſen ſich der geſunde Verſtand bedient, eben daſſelbe, was die ſubtileſte Speculation aus ihm entwickeln kan, nur daß im gemeinen und practiſchen Gebrauche man ſich dieſer mannigfaltigen Vorſtellungen in dieſen Gedanken, nicht bewußt iſt. Darum kan man nicht ſagen, daß der gemeine Begriff ſinnlich ſey, und eine bloſſe Erſcheinungent -44Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.enthalte, denn das Recht kan gar nicht erſcheinen, ſon - dern ſein Begriff liegt im Verſtande, und ſtellet eine Be - ſchaffenheit, ([die]moraliſche) der Handlungen vor, die ihnen an ſich ſelbſt zukommt. Dagegen enthaͤlt die Vor - ſtellung eines Coͤrpers in der Anſchauung gar nichts, was einem Gegenſtande an ſich ſelbſt zukommen koͤnte, ſondern blos die Erſcheinung von Etwas, und die Art, wie wir dadurch afficirt werden, und dieſe Receptivitaͤt unſerer Erkentnißfaͤhigkeit heißt Sinnlichkeit, und bleibt von der Erkentniß des Gegenſtandes an ſich ſelbſt, ob man iene (die Erſcheinung) gleich bis auf den Grund durchſchauen moͤchte, dennoch himmelweit unterſchieden.
Die Leibniz-wolfiſche Philoſophie hat daher allen Unterſuchungen uͤber die Natur und den Urſprung unſerer Erkentniſſe einen ganz unrechten Geſichtspunct angewieſen, indem ſie den Unterſchied der Sinnlichkeit vom Intellectuellen blos als logiſch betrachtete, da er offenbar transſcendental iſt, und nicht blos die Form der Deutlichkeit oder Undeut - lichkeit, ſondern den Urſprung und den Inhalt derſelben betrift, ſo daß wir durch die erſtere die Beſchaffenheit der Dinge an ſich ſelbſt nicht blos undeutlich, ſondern gar nicht erkennen, und, ſo bald wir unſre ſubiective Beſchaf - fenheit wegnehmen, das vorgeſtellte Obiect mit den Ei - genſchaften, die ihm die ſinnliche Anſchauung beylegte, uͤberall nirgend anzutreffen iſt, noch angetroffen werden kan, indem eben dieſe ſubiective Beſchaffenheit die Form deſſelben, als Erſcheinung beſtimmt.
Wir45II. Abſchnitt. Von der Zeit.Wir unterſcheiden ſonſt wohl unter Erſcheinungen, das, was der Anſchauung derſelben weſentlich anhaͤngt, und vor ieden menſchlichen Sinn uͤberhaupt gilt, von dem - ienigen, was derſelben nur zufaͤlliger Weiſe zukommt, in - dem es nicht auf die Beziehung der Sinnlichkeit uͤberhaupt, ſondern nur auf eine beſondre Stellung oder Organiſation dieſes oder ienes Sinnes guͤltig iſt. Und da nennt man die erſtere Erkentniß eine ſolche, die den Gegenſtand an ſich ſelbſt vorſtellt, die zweite aber nur die Erſcheinung deſſelben. Dieſer Unterſchied iſt aber nur empiriſch. Bleibt man dabey ſtehen, (wie es gemeiniglich geſchieht,) und ſieht iene empiriſche Anſchauung nicht wiederum (wie es geſchehen ſollte) als bloſſe Erſcheinung an, ſo daß dar - in gar nichts, was irgend eine Sache an ſich ſelbſt angin - ge, anzutreffen iſt, ſo iſt unſer transſcendentale Unterſchied verloren, und wir glauben alsdenn doch, Dinge an ſich zu erkennen, ob wir es gleich uͤberall (in der Sinnenwelt) ſelbſt bis zu der tiefſten Erforſchung ihrer Gegenſtaͤnde mit nichts, als Erſcheinungen zu thun haben. So werden wir zwar den Regenbogen eine bloſſe Erſcheinung bey einem Sonnregen nennen, dieſen Regen aber die Sache an ſich ſelbſt, welches auch richtig iſt, ſo fern wir den letztern Begriff nur phyſiſch verſtehen, als das, was in der allgemeinen Erfahrung unter allen verſchiedenen Lagen zu den Sinnen, doch in der Anſchauung ſo und nicht an - ders beſtimmt iſt. Nehmen wir aber dieſes Empiriſche uͤberhaupt, und fragen, ohne uns an die Einſtimmungdeſſel -46Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.deſſelben mit iedem Menſchenſinne zu kehren, ob auch dieſes einen Gegenſtand an ſich ſelbſt (nicht die Regentropfen, denn die ſind denn ſchon, als Erſcheinungen empiriſche Obiecte) vorſtelle, ſo iſt die Frage von der Beziehung der Vorſtel - lung auf den Gegenſtand transſcendental, und nicht allein dieſe Tropfen ſind bloſſe Erſcheinungen, ſondern ſelbſt ihre runde Geſtalt, ia ſo gar der Raum, in welchem ſie fal - len, ſind nichts an ſich ſelbſt, ſondern bloſſe Modificatio - nen, oder Grundlagen unſerer ſinnlichen Anſchauung, das transſcendentale Obiect aber bleibt uns unbekant.
Die zweite wichtige Angelegenheit unſerer tranſcen - dentalen Aeſthetik iſt, daß ſie nicht blos als ſcheinbare Hy - potheſe einige Gunſt erwerbe, ſondern ſo gewiß und un - gezweifelt ſey, als iemals von einer Theorie gefordert wer - den kan, die zum Organon dienen ſoll. Um dieſe Gewis - heit voͤllig einleuchtend zu machen, wollen wir irgend einen Fall waͤhlen, woran deſſen Guͤltigkeit augenſcheinlich wer - den kan.
Setzet demnach Raum und Zeit ſeyen an ſich ſelbſt obiectiv und Bedingungen der Moͤglichkeit der Dinge an ſich ſelbſt, ſo zeigt ſich erſtlich: daß von beyden a priori apodictiſche und ſynthetiſche Saͤtze in großer Zahl vornem - lich vom Raum vorkommen, welchen wir darum vorzuͤg - lich hier zum Beyſpiel unterſuchen wollen. Da die Saͤtze der Geometrie ſynthetiſch a priori, und mit apodictiſcherGewis -47II. Abſchnitt. Von der Zeit.Gewisheit erkant werden, ſo frage ich: woher nehmt ihr dergleichen Saͤtze, und worauf ſtuͤtzt ſich unſer Verſtand, um zu dergleichen ſchlechthin nothwendigen und allgemein guͤltigen Wahrheiten zu gelangen. Es iſt kein anderer Weg, als durch Begriffe oder durch Anſchauungen; beydes aber, als ſolche, die entweder a priori oder a poſteriori gegeben ſind. Die letztere, naͤmlich empiriſche Begriffe, im - gleichen das, worauf ſie ſich gruͤnden, die empiriſche An - ſchauung, koͤnnen keinen ſynthetiſchen Satz geben, als nur einen ſolchen, der auch blos empiriſch d. i. ein Er - fahrungsſatz iſt, mithin niemals Nothwendigkeit und abſo - lute Allgemeinheit enthalten kan, dergleichen doch das Characteriſtiſche aller Saͤtze der Geometrie iſt. Was aber das erſtere und einzige Mittel ſeyn wuͤrde, nemlich durch bloſſe Begriffe oder durch Anſchauungen a priori zu der - gleichen Erkentniſſen zu gelangen, ſo iſt klar, daß aus bloſſen Begriffen gar keine ſynthetiſche Erkentniß, ſondern lediglich analytiſche erlangt werden kan. Nehmet nur den Satz: daß durch zwey gerade Linien ſich gar kein Raum einſchlieſſen laſſe, mithin keine Figur moͤglich ſey, und ver - ſucht ihn, aus dem Begriff von geraden Linien und der Zahl zwey abzuleiten, oder auch, daß aus dreyen geraden Linien eine Figur moͤglich ſey, und verſucht es eben ſo, blos aus dieſen Begriffen. Alle eure Bemuͤhung iſt ver - geblich, und ihr ſeht euch genoͤthiget, zur Anſchauung eure Zuflucht zu nehmen, wie es die Geometrie auch iederzeit thut. Ihr gebt euch alſo einen Gegenſtand in der An -ſchau -48Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.ſchauung; von welcher Art aber iſt dieſe, iſt es eine reine Anſchauung a priori oder eine empiriſche? Waͤre das letzte, ſo koͤnte niemals ein allgemein guͤltiger, noch weni - ger ein apodictiſcher Satz daraus werden: denn Erfahrung kan dergleichen niemals liefern. Ihr muͤßt alſo euren Gegenſtand a priori in der Anſchauung geben, und auf dieſen euren ſynthetiſchen Satz gruͤnden. Laͤge nun in euch nicht ein Vermoͤgen, a priori anzuſchauen, waͤre die - ſe ſubiective Bedingung der Form nach nicht zugleich die allgemeine Bedingung a priori, unter der allein das Ob - iect dieſer (aͤuſſeren) Anſchauung ſelbſt moͤglich iſt, waͤre der Gegenſtand (der Triangel) etwas an ſich ſelbſt ohne Beziehung auf euer Subiect, wie koͤntet ihr ſagen, daß was in euren ſubiectiven Bedingungen einen Triangel zu con - ſtruiren nothwendig liegt, auch dem Triangel an ſich ſelbſt nothwendig zukommen muͤſſe; denn ihr koͤntet doch zu euren Begriffen (von drey Linien) nichts neues (die Figur) hin - zufuͤgen, welches darum nothwendig an dem Gegenſtande angetroffen werden muͤßte, da dieſer vor eurer Erkentniß, und nicht durch dieſelbe gegeben iſt. Waͤre alſo nicht der Raum (und ſo auch die Zeit) eine bloße Form eurer An - ſchauung, welche Bedingungen a priori enthaͤlt, unter denen allein Dinge vor euch aͤuſſere Gegenſtaͤnde ſeyn koͤn - nen, die ohne dieſe ſubiective Bedingungen an ſich nichts ſind, ſo koͤntet ihr a priori ganz und gar nichts uͤber aͤuſ - ſere Obiecte ſynthetiſch ausmachen. Es iſt alſo ungezwei - felt gewiß, und nicht blos moͤglich, oder auch wahrſchein -lich,49II. Abſchnitt. Von der Zeit.lich, daß Raum und Zeit, als die nothwendige Bedin - gungen aller (aͤuſſern und innern) Erfahrung, blos ſub - iective Bedingungen aller unſrer Anſchauung ſind, im Ver - haͤltniß auf welche daher alle Gegenſtaͤnde bloſſe Erſchei - nungen und nicht vor ſich in dieſer Art gegebene Dinge ſind, von denen ſich auch um deswillen, was die Form derſelben betrift, vieles a priori ſagen laͤßt, niemals aber das Mindeſte von dem Dinge an ſich ſelbſt, das dieſen Er - ſcheinungen zum Grunde liegen mag.
Unſre Erkentniß entſpringt aus zwey Grundquellen des Gemuͤths, deren die erſte iſt, die Vorſtellungen zu empfangen, (die Receptivitaͤt der Eindruͤcke) die zweite, das Vermoͤgen, durch dieſe Vorſtellungen einen Gegenſtand zu erkennen: (Spontaneitaͤt der Begriffe); durch die erſtere wird uns ein Gegenſtand gegeben, durch die zweyte wird dieſer, im Verhaͤltniß auf iene Vorſtellung (als bloſſe Be - ſtimmung des Gemuͤths) gedacht. Anſchauung und Be - griffe machen alſo die Elemente aller unſrer Erkentniß aus, ſo daß weder Begriffe, ohne ihnen auf einige Art correſpon - dirende Anſchauung, noch Anſchauung, ohne Begriffe, ein Erkentniß abgeben kan. Beyde ſind entweder rein, oder empiriſch. Empiriſch, wenn Empfindung, (die die wirk - liche Gegenwart des Gegenſtandes vorausſezt) darinn ent - halten iſt: rein aber, wenn der Vorſtellung keine Empfin - dung beygemiſcht iſt. Man kan die leztere die Materie der ſinnlichen Erkentniß nennen. Daher enthaͤlt reine Anſchauung lediglich die Form, unter welcher etwas ange -ſchaut51Einleitung.ſchaut wird, und reiner Begriff allein die Form des Denkens eines Gegenſtandes uͤberhaupt. Nur allein reine[Anſchauun - gen] oder Begriffe ſind a priori moͤglich, empiriſche nur a poſteriori.
Wollen wir die Receptivitaͤt unſeres Gemuͤths, Vor - ſtellungen zu empfangen, ſo fern es auf irgend eine Weiſe afficirt wird, Sinnlichkeit nennen, ſo iſt dagegen das Ver - moͤgen, Vorſtellungen ſelbſt hervorzubringen, oder die Spon - taneitaͤt des Erkentniſſes, der Verſtand. Unſre Natur bringt es ſo mit ſich, daß die Anſchauung niemals an - ders als ſinnlich ſeyn kan, d. i. nur die Art enthaͤlt, wie wir von Gegenſtaͤnden afficirt werden. Dagegen iſt das Vermoͤgen, den Gegenſtand ſinnlicher Anſchauung zu den - ken, der Verſtand. Keine dieſer Eigenſchaften iſt der andern vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit wuͤrde uns kein Gegenſtand gegeben, und ohne Verſtand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt ſind leer, Anſchauungen ohne Begriffe, ſind blind. Daher iſt es eben ſo nothwen - dig, ſeine Begriffe ſinnlich zu machen, (d. i. ihnen den Ge - genſtand in der Anſchauung beyzufuͤgen), als ſeine An - ſchauungen ſich verſtaͤndlich zu machen,) d. i. ſie unter Be - griffe zu bringen). Beyde Vermoͤgen, oder Faͤhigkeiten, koͤnnen auch ihre Funetionen nicht vertauſchen. Der Ver - ſtand vermag nichts anzuſchauen, und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß ſie ſich vereinigen, kan Er - kentniß entſpringen. Deswegen darf man aber doch nicht ihren Antheil vermiſchen, ſondern man hat große Urſache,D 2iedes52Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik.iedes von dem andern ſorgfaͤltig abzuſondern, und zu un - terſcheiden. Daher unterſcheiden wir die Wiſſenſchaft der Regeln der Sinnlichkeit uͤberhaupt, d. i. Aeſthetik, von der Wiſſenſchaft der Verſtandesregeln uͤberhaupt, d. i. der Logik.
Die Logik kan nun wiederum in zwiefacher Abſicht unternommen werden, entweder als Logik des allgemeinen, oder des beſondern Verſtandesgebrauchs. Die erſte ent - haͤlt die ſchlechthin nothwendige Regeln des Denkens, ohne welche gar kein Gebrauch des Verſtandes ſtatt findet, und geht alſo auf dieſen, unangeſehen der Verſchiedenheit der Gegenſtaͤnde, auf welche er gerichtet ſeyn mag. Die Logik des beſondern Verſtandesgebrauchs enthaͤlt die Re - geln, uͤber eine gewiſſe Art von Gegenſtaͤnden richtig zu denken. Jene kan man die Elementarlogik nennen, die - ſe aber das Organon dieſer oder iener Wiſſenſchaft. Die leztere wird mehrentheils in den Schulen als Propaͤdevtik der Wiſſenſchaften vorangeſchikt, ob ſie zwar, nach dem Gange der menſchlichen Vernunft, das ſpaͤteſte iſt, wozu ſie allererſt gelangt, wenn die Wiſſenſchaft ſchon lange fer - tig iſt, und nur die lezte Hand zu ihrer Berichtigung und Vollkommenheit bedarf. Denn man muß die Gegenſtaͤnde ſchon in ziemlich hohem Grade kennen, wenn man die Re - geln angeben will, wie ſich eine Wiſſenſchaft von ihnen zu Stande bringen laſſe.
Die allgemeine Logik iſt nun entweder die reine, oder die angewandte Logik. In der erſteren abſtrahiren wirvon53Einleitung.von allen empiriſchen Bedingungen, unter denen unſer Verſtand ausgeuͤbet wird, z. B. vom Einfluß der Sinne, vom Spiele der Einbildung, den Geſetzen des Gedaͤcht - niſſes, der Macht der Gewohnheit, der Neigung ꝛc. mit - hin auch den Quellen der Vorurtheile, ia gar uͤberhaupt von allen Urſachen, daraus uns gewiſſe Erkentniſſe ent - ſpringen, oder unterſchoben werden moͤgen, weil ſie blos den Verſtand unter gewiſſen Umſtaͤnden ſeiner Anwendung betreffen, und, um dieſe zu kennen, Erfahrung erfordert wird. Eine allgemeine, aber reine Logik hat es alſo mit lauter Principien a priori zu thun, und iſt ein Canon des Verſtandes und der Vernunft, aber nur in An - ſehung des Formalen ihres Gebrauchs, der Inhalt mag ſeyn, welcher er wolle, (empiriſch oder transſcendental.) Eine allgemeine Logik heißt aber alsdenn angewandt, wenn ſie auf die Regeln des Gebrauchs des Verſtan - des unter den ſubiectiven empiriſchen Bedingungen, die uns die Pſychologie lehrt, gerichtet iſt. Sie hat al - ſo empiriſche Principien, ob ſie zwar in ſo fern allge - mein iſt, daß ſie auf den Verſtandesgebrauch ohne Unter - ſchied der Gegenſtaͤnde geht. Um deswillen iſt ſie auch weder ein Canon des Verſtandes uͤberhaupt, noch ein Or - ganon beſondrer Wiſſenſchaften, ſondern lediglich ein Ca - tharcticon des gemeinen Verſtandes.
In der allgemeinen Logik muß alſo der Theil, der die reine Vernunftlehre ausmachen ſoll, von demienigen gaͤnz - lich abgeſondert werden, welcher die angewandte (obzwarD 3noch54Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik.noch immer allgemeine) Logik ausmacht. Der erſtere iſt eigentlich nur allein Wiſſenſchaft, obzwar kurz und trocken, und wie es die ſchulgerechte Darſtellung einer Elementar - Lehre des Verſtandes erfordert. In dieſer muͤſſen alſo die Logiker iederzeit zwey Regeln vor Augen haben.
1) Als allgemeine Logik abſtrahirt ſie von allem In - halt der Verſtandeserkentniß, und der Verſchiedenheit ih - rer Gegenſtaͤnde, und hat mit nichts, als der bloſſen Form des Denkens zu thun.
2) Als reine Logik hat ſie keine empiriſche Princi - pien, mithin ſchoͤpft ſie nichts, (wie man ſich bisweilen uͤberredet hat) aus der Pſychologie, die alſo auf den Ca - non des Verſtandes gar keinen Einfluß hat. Sie iſt eine demonſtrirte Doctrin, und alles muß in ihr voͤllig a priori gewiß ſeyn.
Was ich die angewandte Logik nenne, (wider die ge - meine Bedeutung dieſes Worts, nach der ſie gewiſſe Exer - citien, dazu die reine Logik die Regel giebt, enthalten ſoll) ſo iſt ſie eine Vorſtellung des Verſtandes und der Regeln ſeines nothwendigen Gebrauchs in concreto, nemlich un - ter den zufaͤlligen Bedingungen des Subiects, die dieſen Gebrauch hindern oder befoͤrdern koͤnnen, und die insge - ſamt nur empiriſch gegeben werden. Sie handelt von der Aufmerkſamkeit, deren Hinderniß und Folgen, dem Ur - ſprunge des Irrthums, dem Zuſtande des Zweifels, des Scrupels, der Ueberzeugung u. ſ. w. und zu ihr verhaͤlt ſich die allgemeine und reine Logik, wie die reine Moral, wel -che55Einleitung.che blos die nothwendige ſittliche Geſetze eines freyen Wil - lens uͤberhaupt enthaͤlt, zu der eigentlichen Tugendlehre, welche dieſe Geſetze unter den Hinderniſſen der Gefuͤhle, Neigungen und Leidenſchaften, denen die Menſchen mehr oder weniger unterworfen ſind, erwaͤgt, und welche nie - mals eine wahre und demonſtrirte Wiſſenſchaft abgeben kan, weil ſie eben ſowol als iene angewandte Logik empi - riſche und pſychologiſche Principien bedarf.
Die allgemeine Logik abſtrahirt, wie wir gewieſen, von allem Inhalt der Erkentniß, d. i. von aller Beziehung derſelben auf das Obiect und betrachtet nur die logiſche Form im Verhaͤltniſſe der Erkentniſſe auf einander, d. i. die Form des Denkens uͤberhaupt. Weil es nun aber ſo wol reine, als empiriſche Anſchauungen giebt, (wie die trans - ſcendentale Aeſthetik darthut), ſo koͤnte auch wol ein Un - terſchied zwiſchen reinem und empiriſchem Denken der Gegenſtaͤnde angetroffen werden. In dieſem Falle wuͤrde es eine Logik geben, in der man nicht von allem Inhalt der Erkentniß abſtrahirte; denn dieienige, welche blos die Regeln des reinen Denkens eines Gegenſtandes enthiel - te, wuͤrde alle dieienige Erkentniſſe ausſchlieſſen, welche von empiriſchem Inhalte waͤren. Sie wuͤrde auch auf den Urſprung unſerer Erkentniſſe von Gegenſtaͤnden gehen,D 4ſo56Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik.ſo fern er nicht den Gegenſtaͤnden zugeſchrieben werden kan; dahingegen die allgemeine Logik mit dieſem Urſprunge der Erkentniß nichts zu thun hat, ſondern die Vorſtellun - gen, ſie moͤgen uranfaͤnglich a priori in uns ſelbſt, oder nur empiriſch gegeben ſeyn, blos nach den Geſetzen betrachtet, nach welchen der Verſtand ſie im Verhaͤltniß gegen einander braucht, wenn er denkt und alſo nur von der Verſtandes - form handelt, die den Vorſtellungen verſchaft werden kan, woher ſie auch ſonſt entſprungen ſeyn moͤgen.
Und hier mache ich eine Anmerkung, die ihren Ein - fluß auf alle nachfolgende Betrachtungen erſtreckt, und die man wol vor Augen haben muß, nemlich: daß nicht eine iede Erkentniß a priori, ſondern nur die, dadurch wir er - kennen, daß und wie gewiſſe Vorſtellungen (Anſchauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder moͤglich ſeyn, transſcendental (d. i. die Moͤglichkeit der Erkentniß oder der Gebrauch derſelben a priori) heiſſen muͤſſe. Daher iſt weder der Raum, noch irgend eine geo - metriſche Beſtimmung deſſelben a priori eine transſcenden - tale Vorſtellung, ſondern nur die Erkentniß, daß dieſe Vorſtellungen gar nicht empiriſchen Urſprungs ſeyn, und die Moͤglichkeit, wie ſie ſich gleichwol a priori auf Ge - genſtaͤnde der Erfahrung beziehen koͤnne, kan trans - ſcendental heiſſen. Imgleichen wuͤrde der Gebrauch des Raumes von Gegenſtaͤnden uͤberhaupt auch trans - ſcendental ſeyn: aber iſt er lediglich auf Gegenſtaͤn - de der Sinne eingeſchraͤnkt, ſo heißt er empiriſch. DerUnter -57Einleitung.Unterſchied des transſcendentalen und empiriſchen gehoͤrt alſo nur zur Critik der Erkentniſſe, und betrift nicht die Beziehung derſelben auf ihren Gegenſtand.
In der Erwartung alſo, daß es vielleicht Begriffe geben koͤnne, die ſich a priori auf Gegenſtaͤnde beziehen moͤgen, nicht als reine oder ſinnliche Anſchauungen, ſon - dern blos als Handlungen des reinen Denkens, die mit - hin Begriffe, aber weder empiriſchen noch aͤſthetiſchen Ur - prungs ſind, ſo machen wir uns zum voraus die Idee von einer Wiſſenſchaft des reinen Verſtandes und Vernunft - erkentniſſes, dadurch wir Gegenſtaͤnde voͤllig a priori denken. Eine ſolche Wiſſenſchaft, welche den Urſprung, den Umfang und die obiective Guͤltigkeit ſolcher Erkentniſſe beſtimmete, wuͤrde transſcendentale Logik heiſſen muͤſſen, weil ſie es blos mit den Geſetzen des Verſtandes und der Vernunft zu thun hat, aber lediglich, ſo fern ſie auf Ge - genſtaͤnde a priori bezogen wird, und nicht, wie die allge - meine Logik, auf die empiriſche ſo wol, als reine Ver - nunfterkentniſſe ohne Unterſchied.
Die alte und beruͤhmte Frage, womit man die Logi - ker in die Enge zu treiben vermeinte, und ſie dahin zu bringen ſuchte, daß ſie ſich entweder auf einer elenden Dialele mußten betreffen laſſen, oder ihre Unwiſſenheit,D 5mit -58Elementarlehre. II. Th. Tranſc. Logik.mithin die Eitelkeit ihrer ganzen Kunſt bekennen ſolten, iſt dieſe: Was iſt Wahrheit? Die Nahmenerklaͤrung der Wahrheit, daß ſie nemlich die Uebereinſtimmung der Er - kentniß mit ihrem Gegenſtande ſey, wird hier geſchenkt, und vorausgeſezt; man verlangt aber zu wiſſen, welches das allgemeine und ſichere Criterium der Wahrheit einer ieden Erkentniß ſey.
Es iſt ſchon ein großer und noͤthiger Veweis der Klugheit oder Einſicht, zu wiſſen, was man vernuͤnftiger Weiſe fragen ſolle. Denn wenn die Frage an ſich unge - reimt iſt, und unnoͤthige Antworten verlangt, ſo hat ſie, auſſer der Beſchaͤmung deſſen, der ſie auſwirft, bisweilen noch den Nachtheil, den unbehutſamen Anhoͤrer derſelben zu ungereimten Antworten zu verleiten, und den belachens - werthen Anblick zu geben, daß einer (wie die Alten ſagten) den Bock melkt, der andre ein Sieb unterhaͤlt.
Wenn Wahrheit in der Uebereinſtimmung einer Er - kentniß mit ihrem Gegenſtande beſteht, ſo muß dadurch dieſer Gegenſtand von andern unterſchieden werden; denn eine Erkentniß iſt falſch, wenn ſie mit dem Gegenſtande, worauf ſie bezogen wird, nicht uͤbereinſtimmt, ob ſie gleich etwas enthaͤlt, was wol von andern Gegenſtaͤnden gelten koͤnte. Nun wuͤrde ein allgemeines Criterium der Wahrheit dasienige ſeyn, welches von allen Erkentniſſen, ohne Unterſchied ihrer Gegenſtaͤnde, guͤltig waͤre. Es iſt aber klar, daß, da man bey demſelben von allem Inhalt der Erkentniß (Beziehung auf ihr Obiect) abſtrahirt, undWahr -59Einleitung.Wahrheit gerade dieſen Inhalt angeht, es ganz unmoͤglich und ungereimt ſey, nach einem Merkmale der Wahrheit dieſes Inhalts der Erkentniſſe zu fragen, und daß alſo ein hinreichendes, und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmoͤglich angegeben werden koͤnne. Da wir oben ſchon den Inhalt <