Die in dieſem Buche geſammelten Einacter ſind den Bühnen gegenüber Manuſcript.
Alle Rechte vorbehalten.
Hohe Gitter, Taxushecken, Wappen nimmermehr vergoldet Sphinxe, durch das Dickicht ſchimmernd … … Knarrend öffnen ſich die Thore. — Mit verſchlafenen Cascaden Und verſchlafenen Tritonen, Rococco, verſtaubt und lieblich Seht … das Wien des Canaletto, Wien von Siebzehnhundertſechzig … … Grüne, braune, ſtille Teiche, Glatt und marmorweiß umrandet, In dem Spiegelbild der Nixen Spielen Gold - und Silberfiſche … Auf dem glattgeſchor’nen Raſen Liegen zierlich gleiche Schatten Schlanker Oleanderſtämme;1*4Zweige wölben ſich zur Kuppel, Zweige neigen ſich zur Niſche Für die ſteifen Liebespaare Heroinen und Heroen … Drei Delphine gießen murmelnd Fluthen in ein Muſchelbecken … Duftige Kaſtanienblüten Gleiten, ſchwirren leuchtend nieder Und ertrinken in dem Becken … … Hinter einer Taxusmauer Tönen Geigen, Clarinetten …, Und ſie ſcheinen den graziöſen Amoretten zu entſtrömen, Die rings auf der Rampe ſitzen Fiedelnd oder Blumen windend, Selbſt von Blumen bunt umgeben Die aus Marmorvaſen ſtrömen: Goldlack und Jasmin und Flieder .. … Auf der Rampe, zwiſchen ihnen Sitzen auch coquette Frauen, Violette Monſignori … Und im Gras, zu ihren Füßen Und auf Polſtern, auf den Stufen: Cavaliere und Abbati … And’re heben and’re Frauen Aus den parfümirten Sänften …5 … Durch die Zweige brechen Lichter, Flimmernd auf den blonden Köpfchen; Scheinen auf den bunten Polſtern, Gleiten über Kies und Raſen Gleiten über das Gerüſte, Das wir flüchtig aufgeſchlagen. Wein und Winde klettert aufwärts Und umhüllt die lichten Balken. Und dazwiſchen, farbenüppig Flattert Teppich und Tapete, Schäferſcenen, keck gewoben Zierlich von Watteau entworfen … Eine Laube ſtatt der Bühne, Sommerſonne ſtatt der Lampen, Alſo ſpielen wir Theater, Spielen unſ’re eig’nen Stücke, Frühgereift und zart und traurig, Die Komödie unſ’rer Seele, Unſ’res Fühlen’s Heut’ und Geſtern, Böſer Dinge hübſche Formel, Glatte Worte, bunte Bilder Halbes, heimliches Empfinden, Agonien, Epiſoden … Manche hören zu, nicht Alle … Manche träumen, manche lachen, Manche eſſen Eis … und manche6 Sprechen ſehr galante Dinge … … Nelken wiegen ſich im Winde, Hochgeſtielte, weiße Nelken Wie ein Schwarm von weißen Faltern … Und ein Bologneſerhündchen Bellt verwundert einen Pfau an …
Herbſt 1892.
Loris.
Wahrhaftig, Anatol, ich beneide Dich …
Nun, ich muß Dir ſagen, ich war erſtarrt. Ich habe ja doch bisher das Ganze für ein Märchen gehalten. Wie ich das nun aber ſah, … wie ſie vor meinen Augen einſchlief … wie ſie tanzte, als Du ihr ſagteſt, ſie ſei eine Ballerine, und wie ſie weinte, als Du ihr ſagteſt, ihr Ge - liebter ſei geſtorben, und wie ſie einen Verbrecher begnadigte, als Du ſie zur Königin machteſt …
Ja, ja.
Ich ſehe, es ſteckt ein Zauberer in Dir!
In uns allen!
Unheimlich!
Das kann ich nicht finden … Nicht unheim - licher als das Leben ſelbſt. Nicht unheimlicher, als Vieles, auf das man erſt im Laufe der Jahrhunderte gekommen. Wie, glaubſt Du wohl, war unſeren Voreltern zu Muthe, als ſie10 plötzlich hörten, die Erde drehe ſich? Sie müſſen Alle ſchwindlig geworden ſein:
Ja … aber es bezog ſich auf Alle!
Und wenn man den Frühling neu entdeckte! … Man würde auch an ihn nicht glauben! Trotz der grünen Bäume, trotz der blühenden Blumen und trotz der Liebe.
Du verirrſt Dich; all’ das iſt Gefaſel. Mit dem Magnetismus …
Hypnotismus …
Nein, mit dem iſt’s ein ander Ding. Nie und nimmer würde ich mich hypnotiſiren laſſen. —
Kindiſch! Was iſt daran, wenn ich Dich ein - ſchlafen heiße, und Du legſt Dich ruhig hin.
Ja, und dann ſagſt Du mir: „ Sie ſind ein Rauchfangkehrer “, und ich ſteige in den Kamin und werde rußig! …
Nun, das ſind ja Scherze … Das Große an der Sache iſt die wiſſenſchaftliche Verwerthung. — Aber ach, allzuweit ſind wir ja doch nicht.
Wieſo …?
Nun, ich, der jenes Mädchen heute in hundert andere Welten verſetzen konnte, wie bring’ ich mich ſelbſt in eine andere?
Iſt das nicht möglich?
Ich hab’ es ſchon verſucht, um die Wahrheit zu ſagen. Ich habe dieſen Brillantring minutenlang angeſtarrt und habe mir ſelbſt die Idee eingegeben: Anatol! ſchlafe ein! Wenn Du aufwachſt, wird der Gedanke an … ach an jenes11 Weib, das Dich wahnſinnig macht, aus Deinem Herzen ge - ſchwunden ſein.
Nun, als Du aufwachteſt?
Oh, ich ſchlief gar nicht ein.
Jenes Weib … jenes Weib? … Alſo noch immer!
Ja, mein Freund! … noch immer! Ich bin unglücklich, bin toll.
Noch immer alſo … im Zweifel?
Nein … nicht im Zweifel. Ich weiß, daß ſie mich betrügt! Während ſie an meinen Lippen hängt, während ſie mir die Haare ſtreichelt … während wir ſelig ſind … weiß ich, daß ſie mich betrügt.
Wahn!
Nein!
Und Deine Beweiſe …
Ich ahne es … ich fühle es … darum weiß ich es!
Sonderbare Logik!
Immer ſind dieſe Frauenzimmer uns untreu. Es iſt ihnen ganz natürlich … ſie wiſſen es gar nicht … So wie ich zwei oder drei Bücher zugleich leſen muß, müſſen dieſe Weiber zwei oder drei Liebſchaften haben.
Sie liebt Dich doch?
Unendlich … Aber das iſt gleichgiltig. Sie iſt mir untreu.
Und mit wem?
Weiß ich’s? Vielleicht mit einem Fürſten, der12 ihr auf der Straße nachgegangen, vielleicht mit einem Poëten aus einem Vorſtadthauſe, der ihr vom Fenſter aus zugelächelt hat, als ſie in der Früh vorbei ging!
Du biſt ein Narr!
Und was für einen Grund hätte ſie, mir nicht untreu zu ſein? Sie iſt wie jede, liebt das Leben, und denkt nicht nach. Wenn ich ſie frage: Liebſt Du mich? — ſo ſagt ſie ja — und ſpricht die Wahrheit; und wenn ich ſie frage, biſt Du mir treu, ſo ſagt ſie wieder ja — und wieder ſpricht ſie die Wahrheit, weil ſie ſich gar nicht an die Andern erinnert — in dem Augenblick wenigſtens. Und dann, hat Dir je Eine geantwortet: Mein lieber Freund, ich bin Dir untreu? Woher ſoll man alſo die Gewißheit nehmen? Und wenn ſie mir treu iſt —
Alſo doch! —
So iſt es der reine Zufall … Keineswegs denkt ſie: Oh ich muß ihm die Treue halten, meinem lieben Anatol … keineswegs …
Aber wenn ſie Dich liebt?
O, mein naiver Freund! wenn das ein Grund wäre!
Nun?
Warum bin ich ihr nicht treu? … ich liebe ſie doch gewiß!
Nun ja! ein Mann!
Die alte dumme Phraſe! Immer wollen wir uns einreden, die Weiber ſeien darin anders als wir! Ja, manche … die, welche die Mutter einſperrt, oder die, welche13 kein Temperament haben … Ganz gleich ſind wir. Wenn ich Einer ſage: Ich liebe Dich, nur Dich, — ſo fühle ich nicht, daß ich ſie belüge, auch wenn ich in der Nacht vorher am Buſen einer Andern geruht.
Ja … Du!
Ich … ja! Und Du vielleicht nicht? Und ſie, meine angebetete Cora, vielleicht nicht? Oh! Und es bringt mich zur Raſerei. Wenn ich auf den Knien vor ihr läge, und ihr ſagte: Mein Schatz, mein Kind — Alles iſt Dir im Vorhin verziehen — aber ſag’ mir die Wahrheit — was hälfe es mir? Sie würde lügen, wie vorher — und ich wäre ſoweit wie vorher. Hat mich noch Keine an - gefleht: „ Um Himmelswillen! Sag mir … biſt Du mir wirklich treu? Kein Wort des Vorwurfs, wenn Du’s nicht biſt; aber die Wahrheit! ich muß ſie wiſſen “… Was hab’ ich drauf gethan? Gelogen … ruhig, mit einem ſeligen Lächeln … mit dem reinſten Gewiſſen. Warum ſoll ich Dich betrüben, hab’ ich mir gedacht? Und ich ſagte: Ja, mein Engel! Treu bis in den Tod. Und ſie glaubte mir und war glücklich!
Nun alſo!
Aber ich glaube nicht und bin nicht glücklich! Ich wär’ es, wenn es irgend ein untrügliches Mittel gäbe, dieſe dummen, ſüßen, haſſenswerthen Geſchöpfe zum Sprechen zu bringen oder auf irgend eine andere Weiſe die Wahrheit zu erfahren … Aber es giebt keines, außer dem Zufall.
Und die Hypnoſe?
Wie?
Nun … die Hypnoſe … Ich meine das ſo: Du ſchläferſt ſie ein und ſprichſt: Du mußt mir die Wahrheit ſagen.
Hm …
Du mußt … Hörſt Du …
Sonderbar! …
Es müßte doch gehen … Und nun frägſt Du ſie weiter … Liebſt Du mich? … Einen Andern? … Woher kommſt Du? … Wohin gehſt Du? … Wie heißt jener Andere? … Und ſo weiter.
Max! Max!
Nun …
Du haſt Recht! … man könnte ein Zauberer ſein! Man könnte ſich ein wahres Wort aus einem Weiber - mund hervorhexen …
Nun alſo? Ich ſehe Dich gerettet! Cora iſt ja gewiß ein geeignetes Medium … heute Abend noch kannſt Du wiſſen, ob Du ein Betrogener biſt … oder ein …
Oder ein Gott! … Max! … Ich um - arme Dich! … Ich fühle mich wie befreit … ich bin ein ganz Anderer. Ich habe ſie in meiner Macht …
Ich bin wahrhaftig neugierig …
Wieſo? Zweifelſt Du etwa?
Ach ſo, die Andern dürfen nicht zweifeln, nur Du …
Gewiß! … Wenn ein Ehemann aus dem Hauſe tritt, wo er eben ſeine Frau mit ihrem Liebhaber15 entdeckt hat und ein Freund tritt ihm entgegen mit den Worten: Ich glaube, Deine Gattin betrügt Dich, ſo wird er nicht antworten: Ich habe ſoeben die Ueberzeugung ge - wonnen … ſondern: Du biſt ein Schurke …
Ja, ich hatte faſt vergeſſen, daß es die erſte Freundes - pflicht iſt — dem Freund ſeine Illuſionen zu laſſen.
Still doch …
Was iſt’s?
Hörſt Du ſie nicht? Ich kenne die Schritte, auch wenn ſie noch in der Hausflur hallen.
Ich höre nichts.
Wie nahe ſchon! … Auf dem Gange …
Cora!
Guten Abend! O Du biſt nicht allein …
Freund Max!
Guten Abend! Ei, im Dunklen? …
Ach, es dämmert ja noch. Du weißt, das liebe ich.
Mein kleiner Dichter!
Meine liebſte Cora!
Aber ich werde immerhin Licht machen … Du erlaubſt.
Iſt ſie nicht reizend?
Oh!
Nun wie geht’s? Dir, Anatol — Ihnen, Max? — Plaudert Ihr ſchon lange?
Eine halbe Stunde.
So.
Und worüber?
Ueber dies und Jenes.
Ueber die Hypnoſe.
O ſchon wieder die Hypnoſe! man wird ja ſchon ganz dumm davon.
Nun …
Du, Anatol, ich möchte, daß Du einmal mich hypnotiſirſt.
Ich … Dich …?
Ja, ich ſtelle mir das ſehr hübſch vor. Das heißt, — von Dir.
Danke.
Von einem Fremden … nein, nein, das wollt’ ich nicht.
Nun, mein Schatz … wenn Du willſt, hypnotiſire ich Dich.
Wann?
Jetzt! Sofort, auf der Stelle.
Ja! Gut! Was muß ich thun?
Nichts Anderes, mein Kind, als ruhig auf dem Fauteuil ſitzen bleiben und den guten Willen haben, einzuſchlafen.
O ich habe den guten Willen!
Ich ſtelle mich vor Dich hin, Du ſiehſt mich an … nun … ſieh’ mich doch an … ich ſtreiche Dir über Stirne und Augen. So …
Nun ja, und was dann …
Nichts … Du mußt nur einſchlafen wollen.
Du, wenn Du mir ſo über die Augen ſtreichſt, wird mir ganz ſonderbar …
Ruhig … nicht reden … Schlafen. Du biſt ſchon recht müde.
Nein.
Ja! … ein wenig müde.
Ein wenig, ja …
… Deine Augenlider werden Dir ſchwer … ſehr ſchwer, Deine Hände kannſt Du kaum mehr erheben …
Wirklich.
Müd … ganz müd’ biſt Du … nun ſchlafe ein, mein Kind … Schlafe.
Schlafen … Nun ſind die Augen feſt ge - ſchloſſen … Du kannſt ſie nicht mehr öffnen …
Es geht nicht … Du ſchläfſt … Nur ruhig weiter ſchlafen … So …
Du …
Ruhig
… Schlafen … feſt, tief ſchlafen.
So … nun kannſt Du fragen.
Ich wollte nur fragen, ob ſie wirklich ſchläft.
Du ſiehſt doch … Nun wollen wir ein paar Augenblicke warten.
Cora! … Du wirſt mir nun antworten … Ant - worten. Wie heißt Du?
Cora.
Cora, wir ſind im Wald.
O … im Wald … wie ſchön! Die grünen Bäume … und die Nachtigallen.
Cora … Du wirſt mir nun in Allem die Wahrheit ſagen … Was wirſt Du thun, Cora?
Ich werde die Wahrheit ſagen.
Du wirſt mir alle Fragen wahrheitsgetreu be - antworten, und wenn Du aufwachſt, wirſt Du wieder Alles vergeſſen haben! Haſt Du mich verſtanden?
Ja.
Nun ſchlafe … ruhig ſchlafen
Jetzt alſo werde ich ſie fragen …
Du, wie alt iſt ſie denn?
Neunzehn … Cora, wie alt biſt Du?
Einundzwanzig Jahre.
Haha.
Pſt … das iſt ja außerordentlich … Du ſiehſt daraus …
O, wenn ſie gewußt hätte, daß ſie ein ſo gutes Medium iſt!
Die Suggeſtion hat gewirkt. Ich werde ſie weiter fragen. — Cora, liebſt Du mich …? Cora, … liebſt Du mich?
Ja!
Hörſt Du’s?
Nun alſo, die Hauptfrage, ob ſie treu iſt.
Cora!
Die Frage iſt dumm.
Warum?
So kann man nicht fragen!
…?
Ich muß die Frage anders faſſen.
Ich denke doch, ſie iſt präcis genug.
Nein, das iſt eben der Fehler, ſie iſt nicht präcis genug!
Wieſo?
Wenn ich ſie frage: biſt Du treu, ſo meint ſie dies vielleicht im allerweiteſten Sinne.
Nun?
Sie umfaßt vielleicht die ganze … Ver - gangenheit … Sie denkt möglicherweiſe an eine Zeit, wo ſie einen Andern liebte … und wird antworten: Nein.
Das wäre ja auch ganz intereſſant.
Ich danke … Ich weiß, Cora iſt Andern begegnet vor mir … Sie hat mir ſelbſt einmal geſagt: Ja, wenn ich gewußt hätte, daß ich Dich einmal treffe … dann …
Aber ſie hat es nicht gewußt.
Nein …
Und was Deine Frage anbelangt …
Ja … Dieſe Frage … Ich finde ſie plump, in der Faſſung wenigſtens.
Nun ſo ſtelle ſie etwa ſo: Cora, warſt Du mir treu, ſeit Du mich kennſt?
Hm … Das wäre etwas.
Cora! warſt Du .. Auch das iſt ein Unſinn!
Ein Unſinn!?
Ich bitte … man muß ſich nur vorſtellen, wie wir uns kennen lernten. Wir ahnten ja ſelbſt nicht, daß wir uns einmal ſo wahnſinnig lieben würden. Die erſten Tage betrachteten wir Beide die ganze Geſchichte als etwas Vorübergehendes. Wer weiß …
Wer weiß …?
Wer weiß, ob ſie nicht mich erſt zu lieben an - fing, — als ſie einen Andern zu lieben aufhörte. Was er - lebte dieſes Mädchen einen Tag, bevor ich ſie traf, bevor wir das erſte Wort mit einander ſprachen? War es möglich, ſich da ſo ohne Weiteres los zu reißen? Hat ſie nicht vielleicht Tage und Wochen lang noch eine alte Kette nachſchleppen müſſen, müſſen ſag’ ich.
Hm.
Ich will ſogar noch weiter gehen … Die erſte Zeit war es ja nur eine Laune von ihr — wie von mir. Wir haben es Beide nicht anders angeſehen, wir haben nichts Anderes von einander verlangt, als ein flüchtiges ſüßes Glück. Wenn ſie zu jener Zeit ein Unrecht begangen hat, was kann ich ihr vorwerfen? Nichts — gar nichts.
Du biſt eigenthümlich mild.
Nein, durchaus nicht, ich finde es nur un - edel, die Vortheile einer augenblicklichen Situation in dieſer Weiſe auszunützen.
Nun, das iſt ſicher vornehm gedacht. Aber ich will Dir aus der Verlegenheit helfen.
—?
Du fragſt ſie, wie folgt: Cora, ſeit Du mich liebſt … biſt Du mir treu?
Das klingt zwar ſehr klar.
… Nun?
Iſt es aber durchaus nicht.
Oh!
Treu! Wie heißt das eigentlich: treu? Denke Dir … ſie iſt geſtern in einem Eiſenbahnwaggon gefahren, und ein gegenüberſitzender Herr berührte mit ſeinem Fuße die Spitze des ihren. Jetzt mit dieſem eigenthümlichen, durch den Schlafzuſtand in’s Unendliche geſteigerten Auffaſſungsvermögen, in dieſer verfeinerten Empfindungsfähigkeit, wie ſie ein Me - dium zweifellos in der Hypnoſe beſitzt, iſt es gar nicht aus - geſchloſſen, daß ſie auch das ſchon als einen Treubruch an - ſieht.
Na höre!
Um ſo mehr, als ſie in unſeren Geſprächen über dieſes Thema, wie wir ſie manchmal zu führen pflegten, meine vielleicht etwas übertriebenen Anſichten kennen lernte. Ich ſelbſt habe ihr geſagt: Cora, auch wenn Du einen andern Mann einfach anſchauſt, iſt es ſchon eine Untreue gegen mich!
Und ſie?
Und ſie, ſie lachte mich aus und ſagte, wie ich nur glauben könne, daß ſie einen Andern anſchaue.
Und doch glaubſt Du —?
Es giebt Zufälle — denke Dir, ein Zudring - licher geht ihr Abends nach und drückt ihr einen Kuß auf den Hals.
Nun — das …
Nun — das iſt doch nicht ganz unmöglich!
Alſo Du willſt ſie nicht fragen.
Oh doch … aber …
Alles, was Du vorgebracht haſt, iſt ein Unſinn. Glaube mir, die Weiber mißverſtehen uns nicht, wenn wir ſie um ihre Treue fragen. Wenn Du ihr jetzt zuflüſterſt mit zärtlicher verliebter Stimme: Biſt Du mir treu … ſo wird ſie an keines Herrn Fußſpitzen und keines Zudringlichen Kuß auf den Nacken denken — ſondern nur an das, was wir gemeiniglich unter Untreue verſtehen, wobei Du noch immer den Vortheil haſt, bei ungenügenden Antworten weitere Fragen ſtellen zu können, die Alles aufklären müſſen. —
Alſo Du willſt durchaus, daß ich ſie fragen ſoll …
Ich? … Du wollteſt doch!
Mir iſt nämlich ſoeben noch etwas eingefallen.
Und zwar …?
Das Unbewußte!
Das Unbewußte?
Ich glaube nämlich an unbewußte Zuſtände.
So.
Solche Zuſtände können aus ſich ſelbſt heraus entſtehen, ſie können aber auch erzeugt werden, künſtlich, … durch betäubende, durch berauſchende Mittel.
Willſt Du Dich nicht näher erklären …?
Vergegenwärtige Dir ein dämmeriges, ſtimmungs - volles Zimmer.
Dämmerig … ſtimmungsvoll … ich vergegen - wärtige mir.
In dieſem Zimmer ſie … und irgend ein Anderer.
Ja, wie ſollte ſie da hinein gekommen ſein?
Ich will das vorläufig offen laſſen. Es giebt ja Vorwände … Genug! So etwas kann vorkommen. Nun — ein Paar Gläſer Rheinwein … eine eigenthümlich ſchwüle Luft, die über dem Ganzen laſtet, ein Duft von Ci - garetten, parfumirten Tapeten, ein Lichtſchein von einem matten Glasluſter und rothe Vorhänge — Einſamkeit — Stille — nur Flüſtern von ſüßen Worten …
…!
Auch Andere ſind da ſchon erlegen! Beſſere, ruhigere als ſie!
Nun ja, nur kann ich es mit dem Begriffe der Treue noch immer nicht vereinbar finden, daß man ſich mit einem Andern in ſolch’ ein Gemach begiebt.
Es giebt ſo räthſelhafte Dinge …
Nun, mein Freund, Du haſt die Löſung eines jener Räthſel, über das ſich die geiſtreichſten Männer den Kopf zerbrochen, vor Dir; Du brauchſt nur zu ſprechen, und Du weißt Alles, was Du wiſſen willſt. Eine Frage — und Du erfährſt, ob Du Einer von den Wenigen biſt, die allein geliebt werden, kannſt erfahren, wo Dein Nebenbuhler iſt, erfahren, wodurch ihm der Sieg über Dich gelungen, — und Du ſprichſt dieſes Wort nicht aus! — Du haſt eine Frage frei an das Schickſal! Du ſtellſt ſie nicht! Tage und Nächte24 lang quälſt Du Dich, Dein halbes Leben gäbſt Du hin für die Wahrheit, — nun liegt ſie vor Dir, Du bückſt Dich nicht, um ſie aufzuheben! Und warum? Weil es ſich viel - leicht fügen kann, daß eine Frau, die Du liebſt, wirklich ſo iſt, wie ſie ja alle Deiner Idee nach ſein ſollen — und weil Dir Deine Illuſion doch tauſendmal lieber iſt, als die Wahrheit. Genug alſo des Spiels, wecke dieſes Mädchen auf und laſſe Dir an dem ſtolzen Bewußtſein genügen, daß Du ein Wunder — hätteſt vollbringen können.
Max!
Nun, habe ich vielleicht Unrecht? Weißt Du nicht ſelbſt, daß Alles, was Du mir früher ſagteſt, Ausflüchte waren, leere Phraſen, mit denen Du weder mich noch Dich täuſchen konnteſt?
Max … Laß Dir nur ſagen, ich will; ja ich will ſie fragen!
Ah!
Aber ſei mir nicht böſe — nicht vor Dir!
Nicht vor mir?
Wenn ich es hören muß, das Furchtbare, wenn ſie mir antwortet: Nein, ich war Dir nicht treu — ſo ſoll ich allein es ſein, der es hört. Unglücklich ſein — iſt erſt das halbe Unglück, bedauert werden: das iſt das ganze! — Das will ich nicht. Du biſt ja mein beſter Freund, aber gerade darum will ich nicht, daß Deine Augen mit jenem Ausdruck von Mitleid auf mir ruhen, der dem Unglücklichen erſt ſagt, wie elend er iſt. Vielleicht iſt’s auch noch etwas Anderes — vielleicht ſchäme ich mich vor Dir. Die Wahr -25 heit wirſt Du ja doch erfahren, Du haſt dieſes Mädchen heute zum letzten Mal bei mir geſehen, wenn ſie mich betrogen hat! Aber Du ſollſt es nicht mit mir zugleich hören; das iſt’s, was ich nicht ertragen könnte. Begreifſt Du das …?
Ja, mein Freund,
und ich laſſe Dich auch mit ihr allein.
Mein Freund!
In weniger als einer Minute ruf’ ich Dich herein! —
Cora …!
Cora! —
Cora! Meine ſüße Cora! — Cora!
Wach auf … und küſſe mich!
Ana - tol! Hab’ ich lang geſchlafen? … Wo iſt denn Max?
Max!
Da bin ich!
Ja … ziemlich lang haſt Du geſchlafen — Du haſt auch im Schlafe geſprochen.
Um Gotteswillen! Doch nichts Unrechtes? —
Sie haben nur auf ſeine Fragen geantwortet!
Was hat er denn gefragt?
Tauſenderlei! …
Und ich habe immer geantwortet? Immer?
Immer.
Und was Du gefragt haſt, das darf man nicht wiſſen? —
Nein, das darf man nicht! Und morgen hyp - notiſire ich Dich wieder!
O nein! Nie wieder! Das iſt ja Hexerei. Da wird man gefragt und weiß nach dem Erwachen nichts da - von. — Gewiß hab’ ich lauter Unſinn geplauſcht.
Ja … zum Beiſpiel, daß, Du mich liebſt …
Wirklich!
Sie glaubt es nicht! Das iſt ſehr gut!
Aber ſchau … das hätte ich Dir ja auch im Wachen ſagen können!
Mein Engel!
Meine Herrſchaften … adieu! —
Du gehſt ſchon?
Ich muß.
Sei nicht böſe, wenn ich Dich nicht begleite. —
Auf Wiederſehen!
Durchaus nicht.
Eines iſt mir klar: Daß die Weiber auch in der Hypnoſe lügen … Aber ſie ſind glücklich — und das iſt die Hauptſache. Adieu, Kinder.
Gnädige Frau, gnädige Frau …!
Wie? … Ah, Sie ſind’s!
Ja! … Ich verfolge Sie! — Ich kann das nicht mit anſehen, wie Sie all’ dieſe Dinge ſchleppen! — Geben Sie mir doch Ihre Packete!
Nein, nein, ich danke! — Ich trage das ſchon ſelber!
Aber ich bitte Sie, gnädige Frau, machen Sie mir’s doch nicht gar ſo ſchwer, wenn ich einmal galant ſein will —
Na — das eine da …
Aber das iſt ja gar nichts … Geben Sie nur … So … dies … und dies …
Genug, genug — Sie ſind zu liebenswürdig!
Wenn man’s nur einmal ſein darf — das thut ja ſo wohl!
Das beweiſen Sie aber nur auf der Straße und — wenn’s ſchneit.
… und wenn es ſpät Abends — und wenn es zufällig Weihnachten iſt — wie?
Es iſt ja das reine Wunder, daß man Sie einmal zu Geſicht bekommt!
Ja, ja … Sie meinen, daß ich heuer noch nicht einmal meinen Beſuch bei Ihnen gemacht habe —
Ja, ſo etwas Aehnliches meine ich!
Gnädige Frau — ich mache heuer gar keine Beſuche — gar keine! Und — wie geht’s denn dem Herrn Gemahl? — Und was machen die lieben Kleinen —?
Dieſe Frage können Sie ſich ſchenken! — Ich weiß ja, daß Sie das Alles ſehr wenig intereſſirt!
Es iſt unheimlich, wenn man auf ſo eine Menſchenkennerin trifft!
Sie — kenne ich!
Nicht ſo gut, als ich es wünſchte!
Laſſen Sie Ihre Bemerkungen! Ja —?
Gnädige Frau — das kann ich nicht!
Geben Sie mir meine Päckchen wieder!
Nicht bös ſein — nicht bös ſein!! — Ich bin ſchon wieder brav …
Irgend etwas dürfen Sie ſchon reden!
Irgend etwas — ja — aber Ihre Cenſur iſt ſo ſtrenge …
Erzählen Sie mir doch was. Wir haben31 uns ja ſchon ſo lange nicht geſehen … Was machen Sie denn eigentlich? —
Ich mache nichts, wie gewöhnlich!
Nichts?
Gar nichts!
Es iſt wirklich ſchad’ um Sie!
Na … Ihnen iſt das ſehr gleichgiltig!
Wie können Sie das behaupten —?
Warum verbummle ich mein Leben? — Wer iſt Schuld? — Wer?!
Geben Sie mir die Packete! —
Ich habe ja Niemandem die Schuld gegeben … Ich fragte nur ſo in’s Blaue …
Sie gehen wohl immerfort ſpazieren —!
Spazieren! Da legen Sie ſo einen verächt - lichen Ton hinein! Als wenn es was Schöneres gäbe! — Es liegt ſo was herrlich Planloſes in dem Wort! — Heut’ paßt es übrigens gar nicht auf mich — heut’ bin ich be - ſchäftigt, gnädige Frau — genau ſo wie Sie!
Wieſo?!
Ich mache auch Weihnachtseinkäufe! —
Sie!?
Ich finde nur nichts Rechtes! — Dabei ſtehe ich ſeit Wochen jeden Abend vor allen Auslagefenſtern in allen Straßen! — Aber die Kaufleute haben keinen Geſchmack und keinen Erfindungsgeiſt.
Den muß eben der Käufer haben! Wenn man ſo wenig zu thun hat wie Sie, da denkt man nach,32 erfindet ſelbſt — und beſtellt ſeine Geſchenke ſchon im Herbſt. —
Ach, dazu bin ich nicht der Menſch! — Weiß man denn überhaupt im Herbſt, wem man zu Weihnachten etwas ſchenken wird? — Und jetzt iſt’s wieder einmal zwei Stunden vor Chriſtbaum — und ich habe noch keine Ahnung, keine Ahnung —!
Soll ich Ihnen helfen?
Gnädige Frau … Sie ſind ein Engel — aber nehmen Sie mir die Päckchen nicht weg …
Nein, nein …
Alſo Engel! darf man ſagen. — Das iſt ſchön — Engel! —
Wollen Sie gefälligſt ſchweigen? —
Ich bin ſchon wieder ganz ruhig!
Alſo — geben Sie mir irgend einen An - haltspunkt … Für wen ſoll Ihr Geſchenk gehören?
… Das iſt … eigentlich ſchwer zu ſagen …
Für eine Dame natürlich?!
Na, ja — daß Sie eine Menſchenkennerin ſind — hab’ ich Ihnen heut’ ſchon einmal geſagt!
Aber was … für eine Dame? — Eine wirkliche Dame?!
… Da müſſen wir uns erſt über den Begriff einigen! Wenn Sie meinen, eine Dame der großen Welt, — da ſtimmt es nicht vollkommen …
Alſo … der kleinen Welt? …
Gut — ſagen wir der kleinen Welt —
Das hätt’ ich mir eigentlich denken können …!
Nur nicht ſarkaſtiſch werden!
Ich kenne ja Ihren Geſchmack … Wird wohl wieder irgend was vor der Linie ſein — dünn und blond!
Blond — gebe ich zu …!
… Ja, ja … blond … es iſt merk - würdig, daß Sie immer mit ſolchen Vorſtadtdamen zu thun haben — aber immer!
Gnädige Frau — meine Schuld iſt es nicht.
Laſſen Sie das — mein Herr! — Oh, es iſt auch ganz gut, daß Sie bei Ihrem Genre bleiben … es wäre ein großes Unrecht, wenn Sie die Stätte Ihrer Triumphe verließen …
Aber was ſoll ich denn thun — man liebt mich nur da draußen …
Verſteht man Sie denn … da draußen? —
Keine Idee! — Aber, ſehen Sie … in der kleinen Welt werd’ ich nur geliebt; in der großen — nur verſtanden — Sie wiſſen ja …
Ich weiß gar nichts … und will weiter nichts wiſſen! — Kommen Sie … hier iſt gerade das richtige Geſchäft … da wollen wir Ihrer Kleinen was kaufen …
Gnädige Frau! —
Nun ja … ſehen Sie einmal … da … ſo eine kleine Schatulle mit drei verſchiedenen Parfüms … oder dieſe hier mit den ſechs Seifen .... Patchouli …Arthur Schnitzler, Anatol. 334Chypre … Jockey-Club — das müßte doch was ſein — nicht?!
Gnädige Frau — ſchön iſt das nicht von Ihnen!
Oder warten Sie, hier …! — Sehen Sie doch … Dieſe kleine Broche mit ſechs falſchen Brillanten — denken Sie — ſechs! — Wie das nur glitzert! — Oder dieſes reizende, kleine Armband mit den himmliſchen Breloques … ach, — eins ſtellt gar einen veritablen Mohrenkopf vor! — Das muß doch rieſig wirken … in der Vorſtadt! …
Gnädige Frau — Sie irren ſich! Sie kennen dieſe Mädchen nicht — die ſind anders, als Sie ſich vor - ſtellen ..
Und da … ach, wie reizend — Kommen Sie doch näher — nun — was ſagen Sie zu dem Hut!? — Die Form war vor zwei Jahren höchſt modern! Und die Federn — wie die wallen — nicht?! — Das müßte ein koloſſales Aufſehen machen — in Hernals?!
Gnädige Frau … von Hernals war nie die Rede … und übrigens unterſchätzen Sie wahrſcheinlich auch den Hernalſer Geſchmack …
Ja … es iſt wirklich ſchwer mit Ihnen — ſo kommen Sie mir doch zu Hilfe — geben Sie mir eine Andeutung —
Wie ſoll ich das …?! Sie würden ja doch überlegen lächeln — jedenfalls!
Oh nein, oh nein! — Belehren Sie mich35 nur …! Iſt ſie eitel — oder beſcheiden? — Iſt ſie groß oder klein? — Schwärmt ſie für bunte Farben …?
Ich hätte Ihre Freundlichkeit nicht annehmen ſollen! — Sie ſpotten nur!
Oh nein, ich höre ſchon zu! — Erzählen Sie mir doch was von ihr!
Ich wage es nicht —
Wagen Sie’s nur! … Seit wann …?
Laſſen wir das!
Ich beſtehe darauf! — Seit wann kennen Sie ſie?
Seit — längerer Zeit!
Laſſen Sie ſich doch nicht in dieſer Weiſe ausfragen …! Erzählen Sie mir einmal die ganze Ge - ſchichte …!
Es iſt gar keine Geſchichte!
Aber, wo Sie ſie kennen gelernt haben, und wie und wann, und was das überhaupt für eine Perſon iſt — das möcht’ ich wiſſen!
Gut — aber es iſt langweilig — ich mache Sie darauf aufmerkſam!
Mich wird es ſchon intereſſiren. Ich möchte wirklich einmal was aus dieſer Welt erfahren! — Was iſt das überhaupt für eine Welt? — Ich kenne ſie ja gar nicht!
Sie würden ſie auch gar nicht verſtehn!
Oh, mein Herr!
Sie haben eine ſo ſummariſche Verachtung für Alles, was nicht Ihr Kreis iſt! — Sehr mit Unrecht.
Aber ich bin ja ſo gelehrig! — Man erzählt mir ja nichts aus dieſer Welt! — Wie ſoll ich ſie kennen?
Aber … Sie haben ſo eine unklare Em - pfindung, daß — man Ihnen dort etwas wegnimmt. Stille Feindſchaft!
Ich bitte — mir nimmt man nichts weg — wenn ich etwas behalten will.
Ja … aber, wenn Sie ſelber irgend was nicht wollen, … es ärgert Sie doch, wenn’s ein Anderer kriegt? —
Oh —!
Gnädige Frau … Das iſt nur echt weiblich! Und da es echt weiblich iſt — iſt es ja wahrſcheinlich auch höchſt vornehm und ſchön und tief …!
Wo Sie nur die Ironie herhaben!!
Wo ich ſie herhabe? — Ich will es Ihnen ſagen. Auch ich war einmal gut — und voll Vertrauen — und es gab keinen Hohn in meinen Worten … Und ich habe manche Wunde ſtill ertragen —
Nur nicht romantiſch werden!
Die ehrlichen Wunden — ja! — Ein „ Nein “zur rechten Zeit, ſelbſt von den geliebteſten Lippen — ich konnte es verwinden. — Aber ein „ Nein “, wenn die Augen hundert Mal „ Vielleicht! “geſagt — wenn die Lippen hundert Mal „ Mag ſein! “gelächelt, — wenn der Ton der Stimme hundert Mal nach „ Gewiß! “geklungen — ſo ein „ Nein “macht einen —
Wir wollten ja was kaufen!
So ein Nein macht einem zum Narren … oder zum Spötter!
… Sie wollten mir ja … erzählen —
Gut — wenn Sie durchaus etwas erzählt haben wollen …
Gewiß will ich es! … Wie lernten Sie ſie kennen …?
Gott — wie man eben Jemand kennen lernt! — Auf der Straße — beim Tanz — in einem Omnibus — unter einem Regenſchirm —
Aber — Sie wiſſen ja — der ſpecielle Fall intereſſirt mich. Wir wollen ja dem ſpeciellen Fall etwas kaufen!
Dort, in der … „ kleinen Welt “giebt’s ja keine ſpeciellen Fälle — eigentlich auch in der großen nicht … Ihr ſeid ja Alle ſo typiſch!
Mein Herr! Nun fangen Sie an —
Es iſt ja nichts Beleidigendes — durchaus nicht! — Ich bin ja auch ein Typus!
Und was für einer denn?
… Leichtſinniger Melancholiker!
… Und … und ich?
Sie? — ganz einfach: Mondaine!
So …! … Und ſie!?
Sie …? Sie …, das ſüße Mädl!
Süß! Gleich „ ſüß “? — Und ich — die „ Mondaine “ſchlechtweg —
Böſe Mondaine — wenn Sie durchaus wollen …
Alſo … erzählen Sie mir endlich von dem … ſüßen Mädl!
Sie iſt nicht fascinirend ſchön — ſie iſt nicht beſonders elegant — und ſie iſt durchaus nicht geiſtreich …
Ich will ja nicht wiſſen, was ſie nicht iſt —
Aber ſie hat die weiche Anmuth eines Früh - lingsabends … und die Grazie einer verzauberten Prin - zeſſin … und den Geiſt eines Mädchens, das zu lieben weiß!
Dieſe Art von Geiſt ſoll ja ſo ſehr verbreitet ſein … in Ihrer kleinen Welt! …
Sie können ſich da nicht hinein denken! … Man hat Ihnen zu viel verſchwiegen, als Sie junges Mädchen waren — und hat Ihnen zu viel geſagt, ſeit Sie junge Frau ſind! … darunter leidet die Naivetät Ihrer Betrachtungen —
Aber Sie hören doch — ich will mich be - lehren laſſen … Ich glaube Ihnen ja auch ſchon die „ ver - zauberte Prinzeſſin “! — Erzählen Sie mir nur, wie der Zaubergarten ausſchaut, in dem ſie ruht —
Da dürfen Sie ſich freilich nicht einen glän - zenden Salon vorſtellen, wo die ſchweren Portièren nieder - fallen — mit Makartbouquets in den Ecken, Bibelôts, Leucht - thürmen, mattem Sammt … und dem affectirten Halb - dunkel eines ſterbenden Nachmittags …
Ich will ja nicht wiſſen, was ich mir nicht vorſtellen ſoll …
Alſo — denken Sie ſich — ein kleines, dämmeriges Zimmer — ſo klein — mit gemalten Wänden —39 und noch dazu etwas zu licht — ein paar alte, ſchlechte Kupferſtiche mit verblaßten Aufſchriften hängen da und dort. — Eine Hängelampe mit einem Schirm. — Vom Fenſter aus, wenn es Abend wird, die Ausſicht auf die im Dunkel verſinkenden Dächer und Rauchfänge! … Und — wenn der Frühling kommt, da wird der Garten gegenüber blüh’n und duften …
Wie glücklich müſſen Sie ſein, daß Sie ſchon zu Weihnachten an den Mai denken!
Ja — dort bin ich auch zuweilen glück - lich! …
Genug, genug! — Es wird ſpät … wir wollten ihr was kaufen! … Vielleicht etwas für das Zimmer mit den gemalten Wänden …
Es fehlt nichts darin!
Ja … ihr! — das glaub’ ich wohl! — Aber ich möchte Ihnen — ja Ihnen! das Zimmer ſo recht nach Ihrer Weiſe ſchmücken!
Mir? —
Mit perſiſchen Teppichen …
Aber ich bitte Sie — da hinaus!
Mit einer Ampel von gebrochenem, roth - grünem Glas …?
Hm!
Ein paar Vaſen mit friſchen Blumen? —
Ja … aber ich will ja ihr was bringen —
Ach ja … es iſt wahr — wir müſſen uns entſcheiden — ſie wartet wohl ſchon auf Sie?
Gewiß!
Sie wartet?! — Sagen Sie … wie em - pfängt ſie Sie denn? —
Ach — wie man eben empfängt. —
Sie hört Ihre Schritte ſchon auf der Treppe … nicht wahr?
Ja … zuweilen …
Und ſteht bei der Thüre? …
Ja!
Und fällt Ihnen um den Hals — und küßt Sie — und ſagt … Was ſagt ſie denn …?
Was man eben in ſolchen Fällen ſagt …
Nun … zum Beiſpiel!
Ich weiß kein Beiſpiel!
Was ſagte ſie geſtern?
Ach — nichts Beſonderes … das klingt ſo einfältig, wenn man nicht den Ton der Stimme dazu hört …!
Ich will mir ihn ſchon dazu denken: Nun — was ſagte ſie?
… „ Ich bin ſo froh, daß ich Dich wieder hab’! “
„ Ich bin ſo froh “— wie?! —
— „ daß ich Dich wieder hab’ “! …
… das iſt eigentlich hübſch — ſehr hübſch! —
Ja … es iſt herzlich und wahr!
Und ſie iſt … immer allein? — Ihr könnt Euch ſo ungeſtört ſehen!? —
Nun ja — ſie lebt ſo für ſich — ſie ſteht41 ganz allein — keinen Vater, keine Mutter … nicht einmal eine Tante!
Und Sie … ſind ihr Alles …?
… Möglich! … Heute …
… Es wird ſo ſpät — ſehen Sie, wie leer es ſchon in den Straßen iſt …
Oh — ich hielt Sie auf! — Sie müſſen ja nach Hauſe. —
Freilich — freilich! Man wird mich ſchon erwarten! — Wie machen wir das nur mit dem Geſchenk …?
Oh — ich finde ſchon noch irgend eine Kleinigkeit …!
Wer weiß, wer weiß! — Und ich habe mir ſchon einmal in den Kopf geſetzt, daß ich Ihrer … daß ich dem … Mädel — was ausſuchen will …!
Aber, ich bitte Sie, gnädige Frau!
.. Ich möchte am Liebſten dabei ſein, wenn Sie ihr das Weihnachtsgeſchenk bringen! … Ich habe eine ſolche Luſt bekommen, das kleine Zimmer und das ſüße Mädl zu ſehen! — Die weiß ja gar nicht, wie gut ſie’s hat!
…!
Nun aber, geben Sie mir die Päckchen! — Es wird ſo ſpät …
Ja, ja! Hier ſind ſie — aber …
Bitte — winken Sie dem Wagen dort, der uns entgegen kommt …
Dieſe Eile mit einem Mal?!
Bitte, bitte!
Ich danke Ihnen …! Aber was machen wir nun mit dem Geſchenk …?
Warten Sie! — … Ich möchte ihr ſelbſt was ſchicken!
Sie …?! Gnädige Frau, Sie ſelbſt …
Was nur?! — Hier … nehmen Sie … dieſe Blumen … ganz einfach, dieſe Blumen …! Es ſoll nichts Anderes ſein, als ein Gruß, gar nichts weiter … Aber … Sie müſſen ihr was dazu ausrichten. —
Gnädige Frau — Sie ſind ſo lieb —
Verſprechen Sie mit, ihr’s zu beſtellen … und mit den Worten, die ich Ihnen mitgeben will —
Gewiß!
Verſprechen Sie’s mir? —
Ja … mit Vergnügen! — Warum denn nicht!
So ſagen Sie ihr …
Nun …?
Sagen Sie ihr: „ Dieſe Blumen, mein … ſüßes Mädl, ſchickt Dir eine Frau, die vielleicht ebenſo lieben kann wie Du und die den Muth dazu nicht hatte … “
Gnädige … Frau!? — —
„ Mein lieber Max! Ich bin wieder da. Unſere Ge - ſellſchaft bleibt drei Monate hier, wie Sie wohl in der Zeitung geleſen haben. Der Abend gehört der Freundſchaft. Heute Abends bin ich bei Ihnen. Bibi … “Bibi … alſo Bianca … Nun, ich werde ſie erwarten.
Sollte ſie es ſchon ſein …? Herein!
Guten Abend!
Ah — Du! Was bringſt Du?
Ich ſuche ein Aſyl für meine Vergangenheit.
Wie ſoll ich das verſtehen?
Nun?
Hier bringe ich Dir meine Vergangenheit, mein ganzes Jugendleben: nimm es bei Dir auf.
Mit Vergnügen. Aber Du wirſt Dich doch näher erklären?
Darf ich mich ſetzen?
Gewiß. Warum biſt Du übrigens ſo feierlich?
Darf ich mir eine Cigarre anzünden?
Da! Nimm, ſie ſind von der heurigen Ernte.
Ah — ausgezeichnet!
Und …?
Dieſes Jugendleben hat in meinem Haufe kein Quartier mehr! Ich verlaſſe die Stadt.
Ah!
Ich beginne ein neues Leben auf unbeſtimmte Zeit. Dazu muß ich frei und allein ſein, und darum löſe ich mich von der Vergangenheit los.
Du haſt alſo eine neue Geliebte.
Nein — ich habe nur vorläufig die alte nicht mehr …
— bei Dir, mein lieber Freund, darf ich all’ dieſen Tand ruhen laſſen.
Tand, ſagſt Du —! Warum verbrennſt Du ihn nicht?
Ich kann nicht.
Das iſt kindiſch.
Oh nein: das iſt ſo meine Art von Treue. 47Keine von Allen, die ich liebte, kann ich vergeſſen. Wenn ich ſo in dieſen Blättern, Blumen, Locken wühle — Du mußt mir geſtatten, manchmal zu Dir zu kommen, nur um zu wühlen — dann bin ich wieder bei ihnen, dann leben ſie wieder, und ich bete ſie auf’s Neue an.
Du willſt Dir alſo in meiner Behauſung ein Stelldichein mit alten Geliebten geben …?
Ich habe manchmal ſo eine Idee … Wenn es irgend ein Machtwort gäbe, daß Alle wieder erſcheinen müßten! Wenn ich ſie hervorzaubern könnte aus dem Nichts!
Dieſes Nichts wäre etwas verſchiedenartig.
Ja, ja … denke Dir, ich ſpräche es aus, dieſes Wort …
Vielleicht findeſt Du ein wirkſames … zum Beiſpiel: Einzig Geliebte!
Ich rufe alſo: Einzig Geliebte …! Und nun kommen ſie; die Eine aus irgend einem kleinen Häuschen in der Vorſtadt, die Andere aus dem prunkenden Salon ihres Herrn Gemahls — Eine aus der Garderobe ihres Theaters —
Mehrere!
Mehrere — gut … Eine aus dem Mo - diſtengeſchäft —
Eine aus den Armen eines neuen Geliebten —
Eine aus dem Grabe … Eine von da — Eine von dort — und nun ſind ſie Alle da …
Sprich das Wort lieber nicht aus. Dieſe Ver - ſammlung könnte ungemüthlich werden. Denn ſie haben48 vielleicht Alle aufgehört, Dich zu lieben — aber Keine, eifer - ſüchtig zu ſein.
Sehr weiſe .. Ruhet alſo in Frieden.
Nun heißt es aber einen Platz für dieſes ſtatt - liche Päckchen zu finden.
Du wirſt es vertheilen müſſen.
Ah!
Es iſt Alles hübſch geordnet.
Nach Namen?
O nein. Jedes Päckchen trägt irgend eine Aufſchrift: einen Vers, ein Wort, eine Bemerkung, die mir das ganze Erlebniß in die Erinnerung zurückrufen. Niemands Namen — denn Marie oder Anna könnte ſchließlich Jede heißen.
Laß ſehen.
Werde ich Euch Alle wieder kennen? Manches liegt jahrelang da, ohne daß ich es wieder angeſehen habe.
… Das iſt ja doch ein Name —? Mathilde!
Ja, Mathilde. — Sie hieß aber anders. Immerhin habe ich ihren Hals geküßt.
Wer war ſie?
Frage das nicht. Sie iſt in meinen Armen gelegen, das genügt.
Alſo fort mit der Mathilde. — Uebrigens ein recht ſchmales Päckchen.
Ja, es iſt nur eine Locke darin.
Gar keine Briefe?
Oh — von Der! Das hätte ihr die rieſigſte Mühe gemacht. Wo kämen wir aber hin, wenn uns alle Weiber Briefe ſchrieben! Alſo weg mit der Mathilde.
„ In einer Beziehung ſind alle Weiber gleich: ſie werden impertinent, wenn man ſie auf einer Lüge ertappt. “
Ja, das iſt wahr!
Wer war Die? Ein gewichtiges Päckchen!
Lauter acht Seiten lange Lügen! Weg damit.
Und impertinent war ſie auch?
Als ich ihr d’rauf kam. Weg mit ihr.
Weg mit der impertinenten Lügnerin.
Keine Beſchimpfungen. Sie lag in meinen Armen; — ſie iſt heilig.
Das iſt wenigſtens ein guter Grund. Alſo weiter.
Ach ja, das war ſie.
Ah, — was iſt denn da drin?
Eine Photographie. Sie mit dem Bräutigam.
Kannteſt Du ihn?
Natürlich, ſonſt hätte ich ja nicht lächeln können. Er war ein Dummkopf.
Er iſt in ihren Armen gelegen; er iſt heilig.
Genug.
Weg mit dem luſtigen ſüßen Kind ſammt lächer - lichem Bräutigam.
Was iſt das? Nur ein Wort?
Welches denn?
„ Ohrfeige. “
Oh, ich erinnere mich ſchon.
Das war wohl der Schluß?
Oh nein, der Anfang.
Ach ſo! Und hier … „ Es iſt leichter, die Richtung einer Flamme zu verändern, als ſie zu entzünden. — “Was bedeutet das?
Nun, ich habe eben die Richtung der Flamme verändert: entzündet hat ſie ein Anderer.
Fort mit der Flamme … „ Immer hat ſie ihr Brenneiſen mit. “
Nun ja; ſie hatte eben immer ihr Brenneiſen mit — für alle Fälle. Aber ſie war ſehr hübſch. Uebrigens hab’ ich nur ein Stück Schleier von ihr.
Ja, es fühlt ſich ſo an …
„ Wie hab’ ich Dich verloren? “ … Nun, wie haſt Du ſie verloren?
Das weiß ich eben nicht. Sie war fort, — plötzlich fort aus meinem Leben. Ich verſichere Dich, das kommt manchmal vor. Es iſt, wie wenn man irgendwo einen51 Regenſchirm ſtehen läßt und ſich erſt viele Tage ſpäter er - innert … Man weiß dann nicht mehr, wann und wo.
Ade, verlorene.
„ Warſt ein ſüßes, liebes Ding — “
„ Mädel mit den zerſtochenen Fingern. “
Das war Cora — nicht?
Ja — Du haſt ſie ja gekannt.
Weißt Du, was aus ihr geworden iſt?
Ich habe ſie ſpäter wieder getroffen — als Gattin eines Tiſchlermeiſters.
Wahrhaftig!
Ja, ſo enden dieſe Mädel mit den zerſtochenen Fingern. In der Stadt werden ſie geliebt und in der Vor - ſtadt geheiratet … ’s war ein Schatz!
Fahr’ wohl —! Und was iſt das? … „ Epi - ſode “— da iſt ja nichts darin? … Staub!
Staub —? Das war einmal eine Blume!
Was bedeutet das: Epiſode?
Ach nichts; ſo ein zufälliger Gedanke. Es war nur eine Epiſode, ein Roman von zwei Stunden … nichts! … Ja, Staub! — Daß von ſo viel Süßigkeit nichts Anderes zurückbleibt, iſt eigentlich traurig. — Nicht?
Ja, gewiß iſt das traurig … Aber wie kamſt Du zu dem Worte? Du hätteſt es doch überall hinſchreiben können?
Jawohl; aber niemals kam es mir zu Be -4*52wußtſein, wie damals. Häufig, wenn ich mit Der oder Jener zuſammen war, beſonders in früherer Zeit, wo ich noch ſehr Großes von mir dachte, da lag es mir auf den Lippen: Du armes Kind — Du armes Kind —!
Wieſo?
Nun, ich kam mir ſo vor, wie einer von den Gewaltigen des Geiſtes. Dieſe Mädchen und Frauen — ich zermalmte ſie unter meinen ehernen Schritten, mit denen ich über die Erde wandelte. Weltgeſetz, dachte ich, — ich muß über Euch hinweg.
Du warſt der Sturmwind, der die Blüthen weg - fegte … nicht?
Ja! So brauſte ich dahin. Darum dachte ich eben: Du armes, armes Kind. Ich habe mich eigentlich ge - täuſcht. Ich weiß heute, daß ich nicht zu den Großen gehöre, und, was gerade ſo traurig iſt, — ich habe mich darein ge - funden. Aber damals!
Nun, und die Epiſode?
Ja, das war eben auch ſo … Das war ſo ein Weſen, das ich auf meinem Wege fand.
Und zermalmte.
Du, wenn ich mir’s überlege, ſo ſcheint mir: Die habe ich wirklich zermalmt.
Ah!
Ja, höre nur. Es iſt eigentlich das Schönſte von Allem, was ich erlebt habe … Ich kann es Dir gar nicht erzählen.
Warum?
Weil die Geſchichte ſo gewöhnlich iſt, als nur möglich … Es iſt … nichts. Du kannſt das Schöne gar nicht herausempfinden. Das Geheimniß der ganzen Sache iſt, daß ich’s erlebt habe.
Nun —?
Alſo da ſitze ich vor meinem Clavier … In dem kleinen Zimmer war es, das ich damals bewohnte … Abend … Ich kenne ſie ſeit zwei Stunden … Meine grün-rothe Ampel brennt — ich erwähne die grün-rothe Ampel; ſie gehört auch dazu.
Nun?
Nun! Alſo ich am Clavier. Sie — zu meinen Füßen, ſo daß ich das Pedal nicht greifen konnte. Ihr Kopf liegt in meinem Schooß, und ihre verwirrten Haare funkeln grün und roth von der Ampel. Ich phantaſire auf dem Flügel, aber nur mit der linken Hand; meine rechte hat ſie an ihre Lippen gedrückt …
Nun?
Immer mit Deinem erwartungsvollen „ Nun “… Es iſt eigentlich nichts weiter … Ich kenne ſie alſo ſeit zwei Stunden, ich weiß auch, daß ich ſie nach dem heutigen Abend wahrſcheinlich niemals wieder ſehen werde — das hat ſie mir geſagt — und dabei fühle ich, daß ich in dieſem Augenblick wahnſinnig geliebt werde. Das hüllt mich ſo ganz ein — die ganze Luft war trunken und duftete von dieſer Liebe … Verſtehſt Du mich?
— Und ich hatte wieder dieſen thörichten göttlichen Gedanken: Du armes, — armes Kind! Das Epiſodenhafte der Geſchichte kam mir ſo54 deutlich zu Bewußtſein. Während ich den warmen Hauch ihres Mundes auf meiner Hand fühlte, erlebte ich das Ganze ſchon in der Erinnerung. Es war eigentlich ſchon vorüber. Sie war wieder Eine von Denen geweſen, über die ich hin - wegmußte. Das Wort ſelbſt fiel mir ein, das dürre Wort: Epiſode. Und dabei war ich ſelber irgend etwas Ewiges … Ich wußte auch, daß das „ arme Kind “nimmer dieſe Stunde aus ihrem Sinn ſchaffen könnte — gerade bei Der wußt’ ich’s. Oft fühlt man es ja: Morgen Früh bin ich vergeſſen. Aber da war es etwas Anderes. Für Dieſe, die da zu meinen Füßen lag, bedeutete ich eine Welt; ich fühlte es, mit welch’ einer heiligen, unvergänglichen Liebe ſie mich in dieſem Momente umgab. Das empfindet man nämlich; ich laſſe es mir nicht nehmen. Gewiß konnte ſie in dieſem Augen - blick nicht Anderes denken, als mich — nur mich. Sie aber war für mich jetzt ſchon das Geweſene, Flüchtige, die Epiſode.
Was war ſie denn eigentlich?
Was ſie war —? Nun, Du kannteſt ſie. — Wir haben ſie eines Abends in einer luſtigen Geſellſchaft kennen gelernt, Du kannteſt ſie ſogar ſchon von früher her, wie Du mir damals ſagteſt.
Nun, wer war ſie denn? Ich kenne ſehr Viele von früher her. Du ſchilderſt ſie ja in Deinem Ampellicht wie eine Märchengeſtalt.
Ja — im Leben war ſie das nicht. Weißt Du, was ſie war —? Ich zerſtöre jetzt eigentlich den ganzen Nimbus.
Sie war alſo —?
Sie war — vom —
Vom Theater —?
Nein — vom Circus.
Iſt’s möglich!
Ja — Bianca war es. Ich hab’ es Dir bis heute nicht erzählt, daß ich ſie wieder traf — nach jenem Abend, an dem ich mich um ſie gar nicht gekümmert hatte.
Und Du glaubſt wirklich, daß Dich — Bibi ge - liebt hat —?
Ja, gerade Die! Acht oder zehn Tage nach jenem Feſte begegneten wir uns auf der Straße … Am Morgen darauf mußte ſie mit der ganzen Geſellſchaft nach Rußland.
Es war alſo die höchſte Zeit.
Ich wußt’ es ja; nun iſt für Dich das Ganze zerſtört. Du biſt eben noch nicht auf das wahre Geheimniß der Liebe gekommen.
Und worin löſt ſich für Dich das Räthſel der Frau?
In der Stimmung.
Ah — Du brauchſt das Halbdunkel, Deine grün - rothe Ampel … Dein Clavierſpiel.
Ja, das iſt’s. Und das macht mir das Leben ſo vielfältig und wandlungsreich, daß mir eine Farbe die ganze Welt verändert. Was wäre für Dich, für tauſend Andere dieſes Mädchen geweſen mit den funkelnden Haaren; was für Euch dieſe Ampel, über die Du ſpotteſt! Eine Circus - reiterin und ein roth-grünes Glas mit einem Licht dahinter! 56Dann iſt freilich der Zauber weg; dann kann man wohl leben, aber man wird nimmer was erleben. Ihr tappt hinein in irgend ein Abenteuer, brutal, mit offenen Augen, aber mit verſchloſſenem Sinn, und es bleibt farblos für Euch! Aus meiner Seele aber, ja, aus mir heraus blitzen tauſend Lichter und Farben d’rüber hin, und ich kann empfinden, wo Ihr nur — genießt!
Ein wahrer Zauberborn, Deine „ Stimmung “, Alle, die Du liebſt, tauchen darin unter und bringen Dir nun einen ſonderbaren Duft von Abenteuern und Seltſamkeit mit, an dem Du Dich berauſcheſt.
Nimm es ſo, wenn Du willſt.
Was nun aber Deine Circusreiterin anbelangt, ſo wirſt Du mir ſchwerlich erklären können, daß ſie unter der grün-rothen Ampel daſſelbe empfinden mußte, wie Du.
Aber ich mußte empfinden, was ſie in meinen Armen fühlte!
Nun, ich habe ſie ja auch gekannt, Deine Bianca, und beſſer als Du.
Beſſer?
Beſſer; weil wir einander nicht liebten. Für mich iſt ſie nicht die Märchengeſtalt; für mich iſt ſie eine von den tauſend Gefallenen, denen die Phantaſie eines Träumers neue Jungfräulichkeit borgt. Für mich iſt ſie nichts Beſſeres, als hundert Andere, die durch Reifen ſpringen oder kurzgeſchürzt in der letzten Quadrille ſtehen.
So … ſo …
Und ſie war nichts Anderes. Nicht ich habe57 etwas überſehen, was an ihr war; ſondern Du ſahſt, was nicht an ihr war. Aus dem reichen und ſchönen Leben Deiner Seele haſt Du Deine phantaſtiſche Jugend und Gluth in ihr nichtiges Herz hineinempfunden, und was Dir ent - gegenglänzte, war Licht von Deinem Lichte.
Nein. Auch das iſt mir ja zuweilen geſchehen. Aber damals nicht. Ich will ſie ja nicht beſſer machen, als ſie war. Ich war weder der Erſte, noch der Letzte … ich war —
Nun, was warſt Du? … Einer von Vielen. Daſſelbe war ſie in Deinen Armen, wie in denen der An - deren. Das Weib in ſeinem höchſten Augenblick!
Warum hab’ ich Dich eingeweiht? Du haſt mich nicht verſtanden.
O nein — Du haſt mich mißverſtanden. Ich wollte nur ſagen, Du magſt den ſüßeſten Zauber empfunden haben, während es ihr daſſelbe bedeutete, wie viele Male zuvor. Hatte denn für ſie die Welt tauſend Farben?
Du kannteſt ſie ſehr gut?
Ja; wir begegneten uns häufig in der luſtigen Geſellſchaft, in welche Du einmal mit mir kamſt.
Das war Alles?
Alles. Aber wir waren gute Freunde. Sie hatte Witz; wir plauderten gern mit einander.
Das war Alles?
Alles …
… Und dennoch … ſie hat mich geliebt
Wollen wir nicht weiter leſen …
„ Wüßt’ ich doch, was Dein Lächeln bedeutet, Du grünäugige … “
… Weißt Du übrigens, daß die ganze Ge - ſellſchaft wieder hier eingetroffen iſt?
Gewiß. Sie auch.
Jedenfalls.
Ganz beſtimmt. Und ich werde ſie ſogar heute Abend wiederſehen.
Wie? Du? Weißt Du, wo ſie wohnt?
Nein. Sie hat mir geſchrieben; ſie kommt zu mir.
Wie? Und das ſagſt Du mir erſt jetzt?
Was geht es Dich an? Du willſt ja — „ frei und allein “ſein!
Ach was!
Und dann iſt nichts trauriger, als ein aufge - wärmter Zauber.
Du meinſt —?
Ich meine, daß Du Dich in Acht nehmen ſollſt, ſie wieder zu ſehen.
Weil ſie mir von Neuem gefährlich werden könnte?
Nein; — weil es damals zu ſchön war. Geh’ nach Hauſe mit Deiner ſüßen Erinnerung. Man ſoll nichts wiedererleben wollen.
Du kannſt nicht im Ernſt glauben, daß ich auf ein Wiederſehen verzichten ſoll, das mir ſo leicht gemacht wird.
Sie iſt klüger als Du. Sie hat Dir nicht ge - ſchrieben … Vielleicht übrigens nur, weil ſie Dich ver - geſſen hat.
Unſinn.
Du hältſt es für unmöglich?
Ich lache darüber.
Nicht bei Allen trinkt die Erinnerung von dem Lebenselixir Stimmung, das der Deinen ihre ewige Friſche verleiht.
Oh — jene Stunde damals!
Nun?
Es war eine von den unſterblichen Stunden.
Ich höre Schritte im Vorzimmer.
Sie iſt es am Ende.
Gehe, entferne Dich durch mein Schlafzimmer.
Daß ich ein Narr wäre.
Geh’ — was willſt Du Dir den Zauber zer - ſtören laſſen.
Ich bleibe.
Geh’! Gehe raſch!
So ſtelle Dich hierher, daß ſie Dich wenigſtens nicht gleich ſieht — hieher …
Meinetwegen.
Herein!
Guten Abend, lieber Freund; da bin ich wieder.
Guten Abend, liebe Bianca, das iſt ſchön von Ihnen, wirklich ſchön!
Meinen Brief haben Sie doch erhalten? Sie ſind der Allererſte — der Einzige überhaupt.
Und Sie können ſich denken, wie ſtolz ich bin.
Und was machen die Anderen? Unſere Sacher - Geſellſchaft? Exiſtirt ſie noch? Werden wir wieder jeden Abend nach der Vorſtellung beiſammen ſein?
Es gab aber Abende, wo Sie nicht zu finden waren.
Nach der Vorſtellung?
Ja, wo Sie gleich nach der Vorſtellung ver - ſchwanden.
Ach ja … natürlich … Wie ſchön das iſt, wenn Einem das ſo geſagt wird — ohne die ge - ringſte Eiferſucht! Man muß auch ſolche Freunde haben wie Sie …
Ja, ja, das muß man.
Die Einen lieben, ohne Einen zu quälen!
Das ward Ihnen ſelten!
Sie ſind ja nicht allein.
Ein alter Bekannter.
Ah …
Fräulein …
Was ſagen Sie zu der Ueberraſchung, Bibi?
Ah, wahrhaftig, wir kennen uns ja …
Gewiß — Bianca.
Natürlich — wir kennen uns ſehr gut …
Bianca …
Wo war es nur, daß wir uns trafen … wo nur … ach ja!
Erinnern Sie ſich …
Freilich … Nicht wahr … es war in St. Petersburg …?
Es war … nicht in Petersburg, mein Fräulein …
Was hat er denn? … Hab’ ich ihn beleidigt?
Da ſchleicht er davon …
Ja, was bedeutet denn das?
Ja, haben Sie ihn denn nicht erkannt?
Erkannt … ja, ja. Aber ich weiß nicht recht, wo und wann?
Aber, Bibi, es war Anatol!
Anatol —? … Anatol …?
Anatol — Clavier — Ampel … ſo eine rot - grüne … hier in der Stadt — vor drei Jahren …
Wo hatte ich denn meine Augen? Anatol!
Ich muß ihn zurückrufen …
Anatol!
Anatol! Anatol!
Nun?
Er muß ſchon auf der Straße ſein. Erlauben Sie!
Da unten geht er.
Ja, das iſt er.
Anatol!
Er hört Sie nicht mehr.
Wie ſchade … Sie müſſen mich bei ihm entſchuldigen. Ich habe ihn verletzt, den guten, lieben Menſchen.
Alſo Sie erinnern ſich doch ſeiner?
Nun, gewiß. Aber … er ſieht irgend Je - mandem in Petersburg zum Verwechſeln ähnlich.
Ich werde es ihm ſagen.
Und dann: wenn man drei Jahre lang an Jemanden nicht denkt, und er ſteht plötzlich da — man kann ſich doch nicht an Alles erinnern.
Ich werde das Fenſter ſchließen. Eine kalte Luft kommt herein.
Ich werde ihn doch noch ſehen, während ich hier bin?
Vielleicht. Aber etwas will ich Ihnen zeigen.
Was iſt das?
Das iſt die Blume, die Sie an jenem Abend — — an jenem Abend trugen.
Er hat ſie aufbewahrt?
Wie Sie ſehen.
Er hat mich alſo geliebt?
Heiß, unermeßlich, ewig — — wie alle dieſe.
Wie … alle dieſe! … Was heißt das? Sind das lauter Blumen?
Blumen, Briefe, Locken, Photographien. Wir waren eben daran, ſie zu ordnen.
In verſchiedene Rubriken.
Ja, offenbar.
Und in welche komme ich?
Ich glaube … in dieſe!
Oh!
Ich räche Dich, ſo gut ich kann, Freund Anatol …
So, und nun ſeien Sie nicht böſe … Setzen Sie ſich zu mir her und erzählen Sie mir etwas aus den letzten drei Jahren.
Jetzt bin ich gerade aufgelegt! Wenn man ſo empfangen wird!
Ich bin doch Ihr Freund … Kommen Sie, Bianca … Erzählen Sie mir was!
Was denn?
Zum Beiſpiel von dem „ Aehnlichen “in Petersburg.
Unausſtehlich ſind Sie!
Alſo …
Aber was ſoll ich denn erzählen?
Beginnen Sie nur … Es war einmal … nun … Es war einmal eine große, große Stadt …
Da ſtand ein großer, großer Circus.
Und da war ferner eine kleine, kleine Künſtlerin.
Die ſprang durch einen großen, großen Reif …
Sehen Sie … Es geht ſchon!
In einer Loge … nun … in einer Loge ſaß jeden Abend …
In einer Loge ſaß jeden Abend ein ſchöner, ſchöner … Ach!
Nun … Und …?
… Ah … hier find’ ich Dich —! Und vor meinem Schreibtiſch …? Ja, was machſt Du denn? Du ſtöberſt meine Laden durch? … Anatol!
Es war mein gutes Recht — und ich hatte Recht, wie ſich ſoeben zeigt.
Nun — was haſt Du gefunden —? Deine eigenen Briefe …!
Wie? — Und das hier —?
Dies hier —?
Dieſe zwei kleinen Steine …? der eine ein Rubin, und dieſer andere, dunkle? — Ich kenne ſie Beide nicht, ſie ſtammen nicht von mir …!
… Nein … ich hatte … vergeſſen …
Vergeſſen? … So wohl verwahrt waren ſie; da in dem Winkel dieſer unterſten Lade. Geſteh’ es doch lieber gleich, ſtatt zu lügen, wie Alle … So … Du ſchweigſt? … Oh, über die wohlfeile Entrüſtung …5*68Es iſt ſo leicht, zu ſchweigen, wenn man ſchuldig und ver - nichtet iſt! … Nun aber will ich weiter ſuchen. Wo haſt Du Deinen anderen Schmuck verborgen?
Ich habe keinen anderen.
Nun —
Such’ nicht … ich ſchwöre Dir, daß ich nichts habe.
Und dieſes hier … warum dieſes hier?
Ich hatte Unrecht … vielleicht …!
Vielleicht! … Emilie! wir ſind an dem Vorabend des Tages, wo ich Dich zu meinem Weibe machen wollte. Ich glaubte wahrhaftig alles Vergangene getilgt … Alles … Alles! … Mit Dir zuſammen hab’ ich die Briefe, die Fächer, die tauſend Nichtigkeiten, die mich an die Zeit erinnerten, in der wir uns noch nicht kannten … mit Dir zuſammen habe ich all’ das in das Feuer des Camin’s geworfen … Die Armbänder, die Ringe, die Ohrgehänge … wir haben ſie verſchenkt, verſchleudert, ſie ſind über die Brücke in den Fluß, durch’s Fenſter auf die Straße geflogen … Hier lagſt Du vor mir und ſchwurſt mir … „ Alles, Alles iſt vorbei — und in Deinen Armen erſt hab’ ich empfunden, was Liebe iſt … “Ich natürlich habe Dir geglaubt … weil wir Alles glauben, was uns die Weiber ſagen, von der erſten Lüge an, die uns beſeligt …
Soll ich Dir von Neuem ſchwören?
Was hilft es? … Ich bin fertig … fertig mit Dir … Oh, wie gut Du das geſpielt haſt! Fieberiſch, als ob Du jeden Flecken abwaſchen wollteſt von69 Deiner Vergangenheit, biſt Du hier vor den Flammen ge - ſtanden, als die Blätter und Bänder und Nippes ver - glühten … Und wie Du in meinen Armen ſchluchzteſt, damals, als wir am Ufer des Fluſſes luſtwandelten und wir jenes koſtbare Armband in das graue Waſſer hinabwarfen, wo es alsbald verſank … wie Du da weinteſt, Thränen der Läuterung, der Reue … Dumme Comödie! Siehſt Du, daß Alles vergebens war? Daß ich Dir dennoch mißtraute? Und daß ich mit Recht da herumwühlte? … Warum ſprichſt Du nicht? … warum vertheidigſt Du Dich nicht? …
Da Du mich doch verlaſſen willſt —
Aber wiſſen will ich, was dieſe zwei Steine bedeuten … warum Du gerade dieſe aufbewahrt haſt?
Du liebſt mich nicht mehr …?
Die Wahrheit, Emilie … die Wahrheit will ich wiſſen!
Wozu, wenn Du mich nicht mehr liebſt.
Vielleicht ſteckt in der Wahrheit irgend etwas —
Nun, was?
Was mich die Sache … begreifen macht … Hörſt Du, Emilie, ich habe keine Luft, Dich für eine Elende zu halten!
Du verzeihſt mir?
Du ſollſt mir ſagen, was dieſe Steine be - deuten!
Und dann wirſt Du mir verzeihen —?
Dieſer Rubin, was er bedeutet, warum Du ihn aufbewahrt —
— Und wirſt mich ruhig anhören?
… Ja! … Aber ſprich’ endlich …
… Dieſer Rubin … er ſtammt aus einem Medaillon … er iſt … herausgefallen …
Von wem war dieſes Medaillon —?
Daran liegt es nicht … Ich hatte es nur an einem … beſtimmten Tage um — an einer einfachen Kette … um den Hals.
Von wem Du es hatteſt —?
Das iſt gleichgültig … ich glaube, von meiner Mutter … Siehſt Du, wenn ich nun ſo elend wäre, als Du glaubſt, ſo könnte ich Dir ſagen: darum, weil es von meiner Mutter ſtammt, hab’ ich es aufbewahrt — und Du würdeſt mir glauben … Ich habe aber dieſen Rubin auf - bewahrt, weil er … an einem Tage aus meinem Medaillon fiel, deſſen Erinnerung … mir theuer iſt …
… Weiter!
Ach, es wird mir ſo leicht, wenn ich Dir’s erzählen darf. — Sag’, würdeſt Du mich nicht auslachen, wenn ich eiferſüchtig wäre auf Deine erſte Liebe?
Was ſoll das?
Und doch, die Erinnerung daran iſt etwas Süßes, einer von den Schmerzen, die uns zu liebkoſen ſcheinen … Und dann … für mich iſt der Tag von Bedeutung, an welchem ich das Gefühl kennen lernte, welches mich — Dir verbindet. Oh, man muß lieben gelernt haben, um zu lieben, wie ich Dich liebe! … Hätten wir uns Beide zu einer Zeit gefunden, wo uns die Liebe etwas71 Neues war, wer weiß, ob wir an einander nicht achtlos vor - übergegangen wären? … Oh, ſchüttle den Kopf nicht, Ana - tol; es iſt ſo, und Du ſelbſt haſt es einmal geſagt —
Ich ſelbſt —?
Vielleicht iſt es gut ſo, ſo ſprachſt Du, und wir mußten Beide erſt reif werden für dieſe Höhe der Leidenſchaft!
Ja, … wir haben immer irgend einen Troſt ſolcher Art bereit, wenn wir eine Gefallene lieben.
Dieſer Rubin, ich bin ganz offen mit Dir, be - deutet die Erinnerung an den Tag …
… So ſag’s, … ſag’s …
— Du weißt es ſchon … ja … Anatol … die Erinnerung an jenen Tag … Ach, … ich war ein dummes Ding … ſechzehn Jahre!
Und er zwanzig — und groß und ſchwarz! …
Ich weiß es nicht mehr, mein Ge - liebter … Nur an den Wald erinnere ich mich, der uns umrauſchte, an den Frühlingstag, der über den Bäumen lachte … ach, an einen Sonnenſtrahl erinnere ich mich, der zwiſchen dem Geſträuche hervorkam und über einen Haufen gelber Blumen glitzerte —
Und Du verfluchſt dieſen Tag nicht, der Dich mir nahm, bevor ich dich kannte?
Vielleicht gab er mich Dir …!
Nein, Anatol … wie immer es ſei, ich fluche jenem Tage nicht, und verſchmähe auch. Dir vorzulügen, daß ich es jemals that … Anatol, daß ich Dich liebe, wie keinen je — und ſo wie Du nie geliebt worden — Du weißt es ja …72 aber, wenn auch jede Stunde, die ich je erlebte, durch Deinen erſten Kuß bedeutungslos geworden, — jeder Mann, dem ich begegnete, aus meinem Gedächtnis ſchwand, — kann ich deß - wegen die Minute vergeſſen, die mich zum Weibe machte —?
Und Du giebſt vor, mich zu lieben —?
Ich kann mich der Geſichtszüge jenes Mannes kaum erinnern; ich weiß nicht mehr, wie ſeine Augen blickten —
Aber daß Du in ſeinen Armen die erſten Seufzer der Liebe gelacht haſt … daß von ſeinem Herzen zuerſt jene Wärme in das Deine überſtrömte, die das ahnungsvolle Mädchen zum wiſſenden Weibe machte, das kannſt Du ihm nicht vergeſſen, dankbare Seele! Und Du ſiehſt nicht ein, daß mich dies Geſtändniß toll machen muß, daß Du mit einem Male dieſe ganze ſchlummernde Vergangenheit wieder aufgeſtört haſt! … Ja, nun weiß ich’s wieder, daß Du noch von anderen Küſſen träumen kannſt, als von den meinen, und wenn Du Deine Augen in meinen Armen ſchließeſt, ſteht vielleicht ein anderes Bild vor ihnen als das meine!
Wie falſch Du mich verſtehſt! … Da haſt Du freilich recht, wenn Du meinſt, wir ſollten auseinandergehen …
Nun — wie denn ſoll ich Dich verſtehen …?
Wie gut haben es doch die Frauen, die lügen können. Nein … ihr vertragt ſie nicht, die Wahrheit …! Sag’ mir nur Eines noch: warum haſt Du mich immer darum angefleht? „ Alles würde ich Dir verzeihen, nur eine Lüge nicht “! … noch hör’ ich es, wie Du’s mir ſagteſt … Und ich … ich, die Dir Alles geſtand, die ſich vor Dir ſo niedrig, ſo elend machte, die es Dir in’s Angeſicht ſchrie:73 „ Anatol, ich bin eine Verlorene, aber ich liebe Dich …! “ Keine von den dummen Ausflüchten, die die Andern im Munde führen, kam über meine Lippen — Nein, ich ſprach es aus: Anatol, ich habe das Wohlleben geliebt, Anatol, ich war lüſtern, heißblütig — ich habe mich verkauft, verſchenkt — ich bin Deiner Liebe nicht werth … Erinnerſt Du Dich auch, daß ich Dir das ſagte, bevor Du mir das erſte Mal die Hand küßteſt? … Ja, ich wollte Dich fliehen, weil ich Dich liebte, und Du verfolgteſt mich … Du haſt um meine Liebe ge - bettelt … und ich wollte Dich nicht, weil ich mich den Mann nicht zu beflecken getraute, den ich mehr, den ich anders, — ach, den erſten Mann, den ich liebte …! Und da haſt Du mich genommen und ich war Dein! … Wie hab ich ge - ſchauert … gebebt … geweint … Und Du haſt mich ſo hoch gehoben, haſt mir Alles wieder zurückgegeben, Stück für Stück, was ſie mir genommen hatten … ich ward in Deinen wilden Armen, was ich nie geweſen: rein … und glücklich … Du warſt ſo groß, … Du konnteſt verzeihen … Und jetzt …
… Und jetzt …?
Und jetzt jagſt Du mich eben wieder davon, weil ich doch nur bin wie die Andern —
Nein, … nein, das biſt Du nicht.
Was willſt Du alſo …? Soll ich ihn wegwerfen … den Rubin ..?
Ich bin nicht groß, ach nein. … ſehr, ſehr kleinlich … wirf ihn weg dieſen Rubin …
Er iſt aus dem Medaillon gefallen … er lag im Graſe —74 unter den gelben Blumen … ein Sonnenſtrahl fiel darauf … da glitzerte er hervor …
— Komm’ Emilie, … es dunkelt draußen, wir wollen im Park ſpazieren gehen …
Wird es nicht zu kalt ſein …?
Ach nein, es duftet ſchon vom erwachenden Frühling …
Wie Du willſt, mein Geliebter!
Ja — und dieſes Steinchen …
Ach dies …
Ja, dieſes ſchwarze da — was iſt’s mit dem — was iſt’s …?
Weißt Du, was das für ein Stein iſt. ?
Nun —
Ein ſchwarzer Diamant!
Ah!
Selten!
Warum … hm, … warum haſt Du den … aufbewahrt?
Den … der iſt eine Viertel Million werth! …
Ah! …
Was thuſt Du!! …
Dirne!
Na — biſt Du nicht bald fertig —?
… Gleich, gleich! — Alſo alles ver - ſtanden? —
Und — wenn ſie gar nicht kommt!?
Warum denn „ gar nicht! “— Jetzt — jetzt iſt’s zehn Uhr! — Sie kann ja überhaupt noch gar nicht da ſein!
Das Ballet iſt ſchon lange aus!
Ich bitte Dich — bis ſie ſich abſchminkt — und umkleidet! — Ich will übrigens hinüber — ſie er - warten!
Verwöhne ſie nicht!
Verwöhnen!? — Wenn Du wüßteſt …
Ich weiß, ich weiß. — Du behandelſt ſie bru - tal … Als wenn das nicht auch eine Art von Verwöhnen wäre!
Ich wollte was ganz anderes ſagen! — Ja … wenn Du wüßteſt …
So ſag’s endlich einmal …
Mir iſt ſehr feierlich zu Muthe!
Du willſt Dich am Ende mit ihr verloben —?
Oh nein — viel feierlicher!
Du heiratheſt ſie morgen? —
Nein, wie Du äußerlich biſt! — Als wenn es keine Feierlichkeiten der Seele gäbe, die mit all’ dieſem Tand, der uns von dem Draußen kommt, gar nichts zu thun haben —
Alſo — Du haſt einen bisher ungekannten Winkel Deiner Gefühlswelt entdeckt — wie? Als wenn ſie davon etwas verſtände!
Du räthſt ungeſchickt … Ich feiere ganz einfach … das Ende!
Ah!
Abſchiedsſouper!
Na … und was ſoll da ich dabei —?
Du ſollſt unſerer Liebe die Augen zudrücken!
Ich bitte Dich, mach’ keine geſchmackloſen Ver - gleiche!
Ich verſchiebe dieſes Souper ſchon ſeit acht Tagen —
Da wirſt Du heute wenigſtens guten Appetit haben …
… Das heißt … wir ſoupirten jeden Abend mit einander … in dieſen acht Tagen — aber — ich fand79 das Wort nicht, das rechte! Ich wagte es nicht … Du haſt keine Ahnung, wie nervös das macht!
Wozu brauchſt Du mich eigentlich?! Soll ich Dir das Wort ſouffliren —?
Du ſollſt für alle Fälle da ſein — Du ſollſt mir beiſtehen, wenn es nothwendig iſt — Du ſollſt mildern, — beruhigen — begreiflich machen.
Möchteſt Du mir nicht zuerſt mittheilen, warum das alles geſchehen ſoll —?
Mit Vergnügen! … Weil ſie mich langweilt!
So amuſirt Dich alſo eine Andere —?
Ja …!
So … ſo …!
Und was für eine Andere!
Typus —?!
Gar keiner! … Etwas neues — etwas einziges!
Nun ja … Auf den Typus kommt man immer erſt gegen Schluß …
Stelle Dir ein Mädchen vor — wie ſoll ich nur ſagen … dreiviertel Tact —
Scheinſt doch noch unter dem Einfluß des Ballets zu ſtehen!
Ja … ich kann Dir nun einmal nicht helfen … ſie erinnert mich ſo an einen getragenen Wiener Walzer — ſentimentale Heiterkeit … lächelnde, ſchalkhafte Wehmuth …