PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Anſichten von der Nachtſeite der Naturwiſſenſchaft
Mit 2 Kupfertafeln.
Dresden,1808,in der Arnoldiſchen Buchhandlung.
[II][III]

Seinem Freunde und Zuhoͤrer Herrn J. Gerhard von Kuͤgelgen beruͤhmten Hiſtorienmahler der Verfaſſer.

[IV]
[V]

Sey denn, wuͤrdiger Meiſter! der geringen Gabe freundlich.

Feldblumen ſind es, geſammlet in der fruͤ - hen Daͤmmerung eines neuen Tages, ehe uns die Morgenroͤthe zu einem ernſteren Tagewerk gerufen. Wir finden unter ihnen nicht die Blumen, welche Du liebſt: nicht die hohe Li - lie oder die gluͤhende Roſe, ſelbſt die Blaͤtter des wildwachſenden Lorbeers werden vermißt; ſey es, daß der Boden dieſen Gewaͤchſen un - guͤnſtig, und daß die Jahreszeit ſolchen Zaͤrt - lingen noch zu rauh war; oder daß wir ſelbſt beym eiligen Aufraffen jene uͤbergangen. Viel -[VI] mehr erblicken wir unter den laͤndlichen Blu - men einige ohne Duft, und leicht verwelklich. Doch laß ſie welken! Das Leben wird noch andre Bluͤthen tragen. Die Liebe aber zu Dir wird beſſer und unvergaͤnglicher ſeyn als dieſe Gabe, beſſer und unvergaͤnglicher als das Leben.

[VII]

Bey dem Leſen dieſer Vorleſungen moͤge man nicht vergeſſen: daß ſie zunaͤchſt einem ſehr gemiſchten Krei - ſe, von verſchiedenem Alter, Geſchlecht, Stand und Denkweiſe beſtimmt waren. Wenn daher die Ausfuͤh - rung zuweilen eine andre geworden, als ſie zum Theil noch die erſte Vorleſung verſpricht; ſo hat die Schuld nicht ganz an dem Verfaſſer gelegen. Eine blos zum Druck beſtimmte Schrift darf wohl eher jenes Publi - kum allein vor Augen haben, dem ſich die Seele tief im Innern geneigt fuͤhlt; Arbeiten von der Beſtim - mung der jetzigen, werden, auch gegen unſren Willen, die Farbe der Umgebungen, der Aufnahme und der Zelt an ſich tragen. Moͤgen ſich daher dieſe Vorle - ſungen daſſelbe gemiſchte, vielartige Publicum wie - der ſuchen, dem ſie im kleineren Kreiſe zu gefallen ſtrebten!

Die Thatſachen bey der Geſchichte der Orakel, Vorahndungen u. a. haͤtten ſich freylich um Vieles vermehren laſſen, doch haben mich einige Gruͤnde bewogen, ſelbſt beym Druck maͤßig damit zu ſeyn.

VIII

Noch bemerke ich, daß der wiſſenſchaftliche An - hang zur ſechsten Vorleſung auch als ein beſondres Werk, unter dem Titel:

Neue Unterſuchungen uͤber die Ver - haͤltniſſe der Groͤßen und Eccentricitaͤ - ten der Weltkoͤrper, abgedruckt iſt.

Dresden, im July 1808.

der Verfaſſer.

[1]

Erſte Vorleſung, welche eine kurze Ueberſicht des Inn - halts dieſer Unterſuchungen giebt.

Wenn vielleicht die Forderungen, welche ein Theil meiner Zuhoͤrer an die Naturwiſſenſchaftlichen Vorle - ſungen die ich heute beginne, machen wird, in der Folge unbefriedigt bleiben muͤßten, ſo will ich wenig - ſtens, ſo viel an mir iſt, dieſe Unzufriedenheit nicht unvorbereitet laſſen, und gleich am Anfange unver - hohlen ſagen, was diesmal von mir zu erwarten ſey, und was nicht?

Die Naturwiſſenſchaft bey ihrem jetzigen Umfange, ſelbſt nur in einem duͤrftigen Umriſſe, in einem gerin - gen Auszuge darzuſtellen, wuͤrde mit den aͤußerlichen Graͤnzen ſolcher Vorleſungen, wie die meinigen ſeyn muͤſſen, in voͤlligem Misverhaͤltniſſe ſtehen; auch ſind in neuerer Zeit Werke, welche ſich dieſes Ziel vorge - ſetzet, in ſo hinlaͤnglicher Menge geſchrieben, daß ichA2eine ſolche Arbeit fuͤr ſehr entbehrlich halten wuͤrde. Wenn man ſich daher in meinen Vortraͤgen eine voll - ſtaͤndige Ueberſicht uͤber den Innhalt der geſammten Naturwiſſenſchaft, ſeit den vielfaͤltigen Entdeckungen und Erweiterungen der letzten Jahrzehende verſpro - chen, ſo wird man ſich getaͤuſcht finden. Nicht minder werden vielleicht ſelbſt die Gegenſtaͤnde von de - nen ein großer Theil dieſer Vorleſungen handeln wird, Einigen unerwartet und ungelegen kommen. Wir werden naͤmlich in dieſen Abendſtunden, jene Nachtſei - te der Naturwiſſenſchaft, welche bisher oͤfters außer Acht gelaſſen worden, mit nicht geringerem Ernſt als andre allgemeiner anerkannte Gegenſtaͤnde betrachten, und von verſchiedenen jener Gegenſtaͤnde die man zu dem Gebiet des ſogenannten Wunderglaubens gezaͤhlt hat, handeln. Nicht in der Abſicht, daß durch dieſe Unterſuchungen vergeſſene oder muͤßig gelegene Thatſa - chen blos einmal hervorgeholt, und der Menge gezeigt wuͤrden, oder daß ich in ihnen eine Vertheidigung und Rechtfertigung derſelben uͤbernaͤhme, deren reine That - ſachen niemals beduͤrfen werden. Vielmehr habe ich meinen Vorleſungen zum Theil dieſen Innhalt ge - waͤhlt, weil es mir ſchien, als ob aus der Zuſammen - ſtellung jener, von Vielen verkannten Erſcheinungen, ein eigenthuͤmliches Licht, auch uͤber alle andren Thei - le der Naturwiſſenſchaft verbreitet wuͤrde, in welchem ſich dieſe leichter und gluͤcklicher zu jenem Ganzen verei - nigen ließen, das ich in dem kurzen Umfang dieſer Unterſuchungen aufzuſtellen bemuͤht ſeyn werde.

3

Das aͤlteſte Verhaͤltniß des Menſchen zu der Na - tur, die lebendige Harmonie des Einzelnen mit dem Ganzen, der Zuſammenhang eines jetzigen Daſeyns mit einem zukuͤnftigen hoͤheren, und wie ſich der Keim des neuen zukuͤnftigen Lebens in der Mitte des jetzigen allmaͤlig entfalte, werden demnach die Hauptgegen - ſtaͤnde dieſer meiner Arbeit ſeyn. Damit ich meine Zu - hoͤrer ſo weit als moͤglich in den Stand ſetzen moͤge, gleich Anfangs uͤber den Gang dieſer Unterſuchungen zu urtheilen, will ich jezt den Innhalt derſelben wie in einem Gemaͤhlde der Seele voruͤber fuͤhren, damit zugleich der Sinn des Ganzen, welcher aus dem Geſammtein - druck von der Phantaſie leicht ergriffen wird, hernach auch in den einzelnen Theilen leichter verſtanden wer - de. Und zwar werde ich hierbey vorzuͤglich jene Zuͤge hervorheben, aus welchen der Zweck des Ganzen am leichteſten erkannt wird, und mich deshalb bey dem Innhalt einiger der naͤchſten Vorleſungen, welche von dem aͤlteſten und urſpruͤnglichen Verhaͤltniß des Men - ſchen zur Natur (von ſeinem Naturzuſtand) handeln werden, am laͤngſten verweilen.

Wir werden zuerſt, uͤber den Urſprung unſres Geſchlechts, uͤber das aͤlteſte Verhaͤltniß deſſelben zur Natur, die heilige Sage der aͤlteſten Voͤlker befragen. Einſtimmig werden uns Alle, Egypter und Indier, Chineſen und Mexicaner, ja Islaͤnder und Schweden, die Kunde einer hohen, untergegangenen Naturweisheit, und einer fruͤhen Bluͤthenzeit der Cultur unſres Ge -A 24ſchlechts bringen. Hierauf ſehen wir uns, jenſeit der Kluft vieler Jahrtauſende, nahe am Pol, in dem Wun - derlande Atlantis, wo die Gluth der noch jugendli - chen Erde, einen beſtaͤndigen Fruͤhling, und dort wo jezt das Land von beſtaͤndigem Eiſe ſtarrt, hohe Pal - menwaͤlder erzeugt. Es wohnt hier mit den Thieren des Suͤdens, jenes der Erde geweihte Urvolk, wel - ches, einen Theil des Jahres nur von dem Licht der Geſtirne geſehen, der Sonne vergeblich entgegen harrt. Noch in der erſten heiligen Harmonie mit der Natur, ohne eignen Willen, erfuͤllt von dem goͤttlichen In - ſtinkt der Weiſſagung und Dichtkunſt, ſehen wir unſer noch junges Geſchlecht, unter dem Scepter des Ura - nus froh. Damals hat nicht der Geiſt des Menſchen die Natur, ſondern dieſe den Geiſt des Menſchen lebendig erfaßt, und die Mutter, welche das wunder - bare Weſen gebohren, hat es noch einige Zeit aus der Tiefe ihres Daſeyns ernaͤhrt. Es hat in jenen Tagen nicht der Geiſt des Menſchen den Geſtirnen, ſondern dieſe dem Daſeyn des Menſchen Geſetze gegeben, wie den Bewegungen der Erde, und die Weisheit der alten Welt war: Alles und ganz zu thun, was ihr die Na - tur gelehrt.

Auf einen ſchnellen Blick wird das alte Ideal der Koͤnige in erhabenem Glanz geſehen, wie ſie, ein Vorbild des Goͤttlichen, Vermittler und Erhalter der alten Harmonie mit der Natur geweſen. Das Geſetz der Natur und der hoͤhere Einfiuß, waren die erſten Herrſcher der Menſchen, und als Stellvertreter ſind5 diejenigen gewaͤhlt worden, welchen ſich, als den rein - ſten Organen, der hoͤhere Einfluß am innigſten mitge - theilt. Nicht den Herren ſondern das getreue Organ der hoͤheren Natur, hat jene Zeit in ihren Koͤnigen ver - ehrt, und wir ſehen noch in der aͤlteſten Geſchichte ei - niger Voͤlker, den ehrwuͤrdigen Koͤnig ſelber, als Prieſter dem Dienſte der Natur vorſtehen, ſein graues Haupt auf hoher Sternwarte der Kaͤlte der Nacht Preiß ge - ben, und das geweihte Auge fuͤr ſein ſchlummerndes Volk den alten Bund des Menſchen mit der Natur be - wahren. Von den Arbeiten der alten Koͤnige, un - ſterblich wie dieſe Erde, und wie die ewigen Geſtirne ſelber, wird hierauf ein ernſtes Wort zu reden ver - goͤnnt ſeyn.

Von dem urſpruͤnglichen Verhaͤltniß des Menſchen zur Natur, von welchem wir, damit das eigentliche Weſen der Naturwiſſenſchaft, und das der Natur ſel - ber, in ſeiner ganzen Tiefe ergriffen werde, ausgehen, ſagt uns die aͤlteſte Geſchichte nur dunkle Worte. In den Myſterien und der heiligen Weihe jener Voͤlker, welche dem Urvolk der Welt noch am naͤchſten ver - wandt geweſen, vernimmt die Seele einige halbver - ſtaͤndliche Toͤne, welche tief aus der Natur unſers Weſens gekommen, dieſes tief erſchuͤttern, und wir fuͤhlen bald von den Klagetoͤnen des erſten Menſchen - geſchlechts und der Natur, unſer Herz zerſchnitten, bald den Geiſt von einer hohen Naturandacht bewegt, und von dem Wehen einer ewigen Begeiſterung durch -6 drungen. Aus dem Tempel der Iſis, von den reden - den Saͤulen des Thot, in den Geſaͤngen der egypti - ſchen Prieſter, werden wir jenen dunklen Laut verneh - men. An einſamer Kuͤſte, unter den ſchwarzen Ge - birgen Islands, wird uns die Edda jene Stimme aus den Graͤbern deuten, und die Phantaſie wird noch ein - mal jene Prieſter herauffuͤhren, welche die heilige Kunſt ihres Gottesdienſtes durch ſtrenges Schweigen der kuͤnftigen Zeit verborgen. Ja an den Altaͤren Mexicos, unter jenen Saͤulen, welche das Blut und die Thraͤnen von tauſend Menſchenopfern geſehen, wird das Auge noch die letzten Zuͤge der hohen Vergan - genheit erkennen.

Hierauf moͤge die Seele, auf dem vielbeſungenen Felſen zu Delphi, in einſamen Wald, ſich Stille zu einer neuen Betrachtung ſammlen. Aus der Ferne grauer Jahrtauſende, wird in der Tiefe der Grotte, die Stimme der Orakel, und die Begeiſterung der Pythia vernommen. Dann, nicht ohne Beruf, dringen wir tiefer in den heiligen Hayn zu Dodona, als den Fra - genden vergoͤnnt war. Auf einſamen Berg, von wei - ſen Felſenmaſſen umgeben, ſehen wir bey ſtiller Nacht, noch von der heiligen Quelle berauſcht, den Einge - weihten in die Hoͤhle des Trophonius hinabſteigen, wo ihn, fern von dem letzten Schimmer der Sterne, eine ungeſehene Gewalt in das innre Heiligthum der Viſionen und dumpfen Stimmen hinabreißt. Von aͤhnlicher Natur, als dieſe aͤlteſten Orakel, wird uns7 in den Waͤldern Virginiens, und in der geweihten Verſammlung nordiſcher Barden, prophetiſcher Wahn - ſinn, und eine wilde Weiſſagung begegnen.

So fuͤhren wir die Geſchichte jener Zeit, wo der Menſch noch Eins mit der Natur geweſen, und wo ſich die ewigen Harmonien und Geſetze derſelben, deut - licher als ſonſt je in ſeinem eignen Weſen ausgeſpro - chen, dem Geiſt voruͤber, damit nachher an dieſem großen Beyſpiel auch in der untergeordneten Natur die Einheit aller Einzelnen mit dem Ganzen verſtanden werde.

Wir nennen noch jetzt jene Augenblicke, wo ſich unſer Weſen im innigſten Einklange mit der ganzen aͤußern Natur befindet, die der hoͤchſten Luſt, des hoͤchſtens Wohlſeyns. Auch jene erſte Zeit, welche unſer Geſchlecht in tiefer Harmonie mit der ganzen Natur verlebt, wird uns von allen Voͤlkern der darauf folgenden Vorwelt, als eine Zeit des ſeeligen Friedens, und paradieſiſcher Freuden beſchrieben. Sie iſt es, welche die Griechen und einige noch viel aͤltere Voͤlker, unter dem Nahmen des goldenen Zeitalters preiſen. Eine Zeit der Kindheit iſt es geweſen, hoͤher aber als dieſe huͤlfloſe Kindheit, welche wir jezt kennen. Sterb - liche Muͤtter ſind es, welche jetzt gebaͤhren, jener Kindheit hat eine unſterbliche Mutter gepflegt, und der Menſch iſt von jener unmittelbaren Anſchauung eines ewigen Ideals ausgegangen, iſt unbewußt in der Mit -8 te jener hoͤchſten Erkenntniſſe und Kraͤfte geweſen, wel - che nun das ſpaͤtere Geſchlecht in hohen aber muͤhſeeli - gen Kampfe wieder erringen muß.

Es pflegen die Weſen in der ganzen Natur nur dann eines vollkommenen Vereins faͤhig zu ſeyn, wenn ſich das eine dem andern vollkommen unterordnet. Der Menſch iſt im Anfang ein untergeordnetes Organ der Natur geweſen. Nicht aber jenes Theils derſelben, welcher nur die Baſis der eigentlichen hoͤheren iſt, ſon - dern jenes ewigen und goͤttlichen Geſetzes, nach wel - chem der Menſch ward. Unſer Geſchlecht, aufangs nur ein Theil der Mutter, aus welcher es der hoͤhere Einfluß gezeuget, hat an dem Daſeyn, an dem voll - kommenen Weſen derſelben Theil genommen, und oh - ne ſein Verdienſt, wie alles von außen Geliehene, war an ihm die hohe Vollendung und heilige Harmonie der hoͤchſten Natur ſichtbar. Damals iſt der Fatalis - mus, das voͤllige Dahingeben alles Willens in ein ewiges Geſetz an ſeinem Ort geweſen. Noch er - ſchien die Natur dem Menſchen goͤttlich und rein, alſo war es auch der Einklang mit ihr.

Allmaͤlig hat in ſolcher unmittelbarer Mittheilung, der Menſch das hoͤhere Weſen der Natur ſelbſtſtaͤn - dig in ſein eignes aufgenommen. Der goͤttliche Keim, deſſen zartes Beginnen die Mutter gepflegt, wird im Gemuͤth des Menſchen ſtark, und ſiehe! der Bruſt und des Beduͤrfniſſes der Mutter entwachſen, fragt9 der junge Knabe nach ſeinem Vater, und nach jenem goͤttlicheren Ideal, durch welches dieſe Natur, und aus ihr der Menſch geworden. Hierauf ſehen wir in der Geſchichte der Naturwiſſenſchaft, welche mit der Urgeſchichte unſres Geſchlechts Eins iſt, den alten Bund des Menſchen mit der Natur uͤbertreten. Wie die Nacht mit ihren hohen Geſtirnen, verbleicht in der Morgendaͤmmerung eines neuen, hoͤheren Beduͤrfniſ - ſes, die alte Abhaͤngigkeit und Harmonie mit der Natur.

Aber vor der Morgendaͤmmerung geht das kalte Wehen der letzten Nachtwache vorher, und verlaſſen von der muͤtterlichen Schwinge, erſtarrt auf einige Momente das noch zarte Geſchlecht. Unter dem Scepter der ehernen Zeit, als das kuͤhne Volk die Stimme in ſeinem Buſen verſtehen gelernt, und der eigne Wille ſich der Stimme der Mutter widerſetzet, ſieht die Natur mit traurigem Unwillen den Geiſt des Menſchen ſich ihren Armen entwinden, und ein an - dres Geſetz, eine andre Heimath als die Erde ſelber ſuchen. Da ſchweigt die Stimme der kuͤhnen Begei - ſterung, der Menſch verſteht die Natur nicht mehr, und durch ſein eignes Streben, verſtoßen aus der Mit - te der ſeeligen Anſchauung, iſt die alte Weisheit, nur noch in der Aſche glimmend, ihrem Untergange nahe. Es verlaͤugnen nun die Herrſcher die alte Beſtimmung, und, vorhin ein Vorbild der Ergebung und heiligen Anſchauung, wird der Koͤnig als Eroberer, ein Vor -10 bild des eignen Willens. Es gefaͤllt dem Menſchen, die Erde, welche vorhin anzubauen heiliges Geſetz war, zu zerſtoͤren, der Fruchtbarkeit ſeines Ge - ſchlechts, vorhin als ein Symbol des Goͤttlichen ver - ehrt, durch blutige Kriege Einhalt zu thun, und wie in der alten Zeit das Einzelne vollkommen dem Bun - de mit dem Ganzen ſich ergeben, ſo kaͤmpft dieſe nach - folgende, daß die Natur, daß das ganze Geſchlecht dem Einzelnen untergeordnet ſey.

In jenem dumpfen Kampfe, noch ohne Bewußt - ſeyn, iſt die hohe Kultur, welche der urſpruͤngliche Zuſtand des Menſchen war, bey ganzen Voͤlkern un - tergegangen, und in entarteter Rohheit, harren dieſe noch jezt des neuen Morgens. Andre ſind in gewalti - gem Ungluͤck fruͤher gereift, und wir ſehen den harten Kampf und die wuͤſte Zerſtoͤrung jener Zeit, nir - gends ſo maͤchtig wuͤthen, als im weſtlichſten Aſien und im ſuͤdlichen Europa. Da wird ploͤtzlich, aus den Truͤmmern der alten Zeit, wie die Stimme eines Traͤumenden, die Sehnſucht des Menſchen nach dem hoͤheren und goͤttlicheren Ideal vernommen, und die zerſtoͤrte Welt von dem erſten matten Schimmer des neuen Morgens erhellt. Einzelne Weiſe, welche wie Waͤchter auf der Zinne, die Stunden der Nacht bewah - ren, verkuͤnden die Naͤhe des Morgenroths. Hierauf werden von einem bangen Sehnen nach etwas Hoͤhe - rem, ganze damalige Voͤlker ergriffen, und unter der eiſernen Laſt des Roͤmerreichs, unter dem blutigen11 Stachel der kleineren Fuͤrſten, wird, noch ohne Klar - heit, in dem Buſen der Welt die Gluth einer ewigen Liebe wach. Da iſt der Blick der ſterbenden alten Zeit nach dem Orient gewendet, aus welchem, wie einzel - ne Stimmen verkuͤndigten, das neue Heil aufgehen wird. Endlich, ſtehe! iſt die Stunde der Erfuͤllung gekommen, und mitten unter blutiger Verfolgung, unter der Geißel der Tyranney, wird mit erhabenem Jubel die Vermaͤhlung des menſchlichen Gemuͤths mit dem goͤttlichen Ideal gefeyert. Hierauf ſchweigen ge - gen Chriſti Geburt die Orakel alle, und die geheime Gewalt der Natur uͤber den Menſchen wird zerſtoͤrt. Nur noch in einzelnen Lichtblicken, nie im alten Glanz, erhebt ſich das Heydenthum auf der weſtlichen Erde, und zuletzt iſt in der neugebildeten Naturwiſſenſchaft, aus der alten Zeit nur noch ein verſtuͤmmelter und ver - kannter Schatten der alten Anſtrologie und Alchymie, im Mittelalter zuruͤck.

Nur bis dahin, wo der Menſch nun aufhoͤrte, Eins mit der Natur zu ſeyn, und wo dieſe als etwas Aeußeres, als Gegenſtand vor ihn hintrat, ſehen wir die Geſchichte der Naturwiſſenſchaft mit der Urge - ſchichte unſres Geſchlechts unzertrennlich vereint. Von hier an begegnen wir dieſer nicht weiter, und was vor - hin als Naturcultus mit dem beſſeren Daſeyn des Menſchen, ja mit jedem Augenblick ſeines Lebens in - nigſt verſchmolzen war, tritt nun als Naturwiſſen - ſchaft auf, ohne ſichtlichen Zuſammenhang mit12 den weiteren Schickſalen des Menſchen, in ſeinen neuen, kuͤnſtlicheren Verhaͤltniſſen.

Wir folgen derſelben nun nur noch in einigen Zuͤ - gen, bis zu jener Zeit, wo wieder deutlicher wird, daß jenes, wovon die Naturwiſſenſchaft ausgegangen die Harmonie des Einzelnen mit dem Ganzen das eigenthuͤmliche Weſen und letzte Streben derſelben ſey, und wie ſich in ihrer Mitte, aus jenen Materialien, welche auch der Innhalt dieſer Unterſuchungen ſind, eine neue hoͤhere Zeit derſelben bereitet. Doch wird dieſes eigenthumliche Streben erſt ſpaͤt deutlich ſichtbar.

Fuͤr das Ganze iſt der Anfang der neueren Zeit, wo der Wille des Menſchen gleichſam muͤndig gewor - den, der Eintritt des Chriſtenthums; einzelne Voͤlker aber ſind einſeitig und in einigen Beſtrebungen, jener neuen Zeit fruͤher entgegengereift, und ſind wie in den Kuͤnſten, ſo in der eigentlich ſogenannten Naturwiſſen - ſchaft, unſre Vorgaͤnger geweſen. Von jenen einzel - nen Beſtrebungen aus, wird der Geiſt ſogleich in die Zeiten des Mittelalters gefuͤhrt, wo der bis dahin ver - borgene Keim ſich in der erſten Hoffnung zeigt. Es pflegen jederzeit große und kuͤhne Ideen, wenn ſie ſich, kaum im Gemuͤth empfangen, nur noch als Ahndungen regen, fuͤr den Mund unausſprechlich zu ſeyn, und den Geiſt wie formloſe Weſen, wie eine Gluth ohne Licht zu umſchweben. So haben auch das13 goͤttliche Ideal der neuen Zeit, faſt anderthalb Jahrtau - ſende mit tiefer Innigkeit in ihrem Schooß ernaͤhrt, ohne daß es gelungen waͤre, weder in den Kuͤnſten noch in den Wiſſenſchaften, es auszuſprechen. Als hierauf die erſten Verſuche gemacht worden, das bis dahin blos Empfundene zu geſtalten, geſchahen dieſe in tiefer Einfalt. Wir nennen naͤmlich einfaͤltig, wo die noch kindliche und unvollendete Form einem zu großen, zu erhabenem Innhalt unterliegt, wo das unerreichte Ideal unmittelbar zu uns ſpricht, und der Geiſt des Kuͤnſtlers oder des Weiſen in frommer Erge - bung ſchweigend, und faſt blos paſſiv erſcheint. Al - les Große erſcheint zuerſt in dem Gewand der Einfalt, und nur ein geringer Innhalt iſt es, deſſen ſich der Geiſt des Menſchen ſogleich bemeiſtein, den er ſogleich in vollendete Form zu zwingen vermag.

Zu jener Zeit, als in Italien der Lehrer des Ra - phael und ſeine Zeitgenoſſen in frommer Einfalt die neue Kunſt hervorgerufen, hat ſich in Deutſchland der Geiſt der neuen Naturkunde zuerſt geregt. Hierauf wurde zugleich in den Kuͤnſten und in der Naturkunde das hohe Ideal der neuern Zeit ausgeſprochen. Ein Zeitgenoſſe des Raphael und Michel Angelo, wagt es der unſterbliche Kopernikus die erſtorbene Naturweis - heit mit dem hohen Geiſt und Sinn der neuen Zeit wie - der zu beleben. Der alte Wahn, daß die Sonne und alle ewigen Gewalten des Himmels ſich um unſre klei - ne Erde bewegten, welcher in der alten Zeit, wo der14 Menſch ſelber noch ganz von der Erde abhaͤngig war, geherrſcht hatte, wird von ihm zerſtoͤrt. Nicht mehr die Erde, ſondern des Univerſum, nicht mehr die ein - zelne Erſcheinung, ſondern das Ideal, fuͤhren als Genien die Herrſchaft der neuen Zeit.

Endlich wird von dem groͤßten Aſtronomen aller Zeiten, von Kepler, das ewige Geſetz des Him - mels, und mit ihm der Eingang in das innerſte Hei - ligthum der Naturwiſſenſchaft gefunden. Der Vor - hang oͤffnet ſich ein wenig, um hernach, vielleicht auf Jahrhunderte, das innre Licht wieder deſto dichter zu verhuͤllen. Wie der Menſch in der neueren Zeit als etwas Beſonderes aus der Harmonie mit dem Ganzen hervorgetreten, hat ſein Verſtand alle andre Weſen in dieſen Abfall mit verſtrickt, und ſehr vielfaͤltig abge - riſſene, blos durch einigen mechaniſchen Zuſammen - hang verbundene Dinge in die lebendige Natur hinein - gedichtet. Deshalb iſt jener Rieſenſchritt Keplers, iſt das Licht, welches der deutſche Sinn fuͤr alle Zeiten angezuͤndet, Anfangs dem Anſchein nach ohne Einfluß geblieben, und neben Keplers erhabenen Anſichten, hat ſich noch zu derſelben Zeit, in Frankreich, eine mecha - niſche und handwerksmaͤßige Anſicht einer todten Na - tur gebildet, in welcher ſich wie Wuͤrmer, welche ein moderndes Gebein benagen nur noch die mechaniſchen Kraͤfte bewegen. Wir ſehen die Geſchichte der Wiſ - ſenſchaft, nicht ohne Zuſammenhang mit der Bildungs - geſchichte unſres Geſchlechts auf einen ſcheinbaren Ab -15 weg gerathen, damit erſt im Kleinen und Einzelnen jene Materialien ausgearbeitet wuͤrden, welche der Genius einer kuͤnftige Zeit zum hohen Bund zuſammen - fuͤgen wird. Nicht die Entdeckung des Geſetzes der Schwere, nicht die der Electricitaͤt und verwandter Naturerſcheinungen, die man ſaͤmmtlich mechaniſch zu deuten gewußt, konnten jenem allgemeinen Gange der Meinungen Einhalt thun, bis endlich in der letz - ten Zeit, bey einer Hoͤhe der einzelnen Erkenntniſſe wie ſie vorhin noch nie erreichte, die rechte Naturanſicht, zum Theil noch einzeln und in zerſtreuten Funken wie - der hervorbricht, und ſich dem Geiſt, in Thatſachen, welche die andre Parthey nur vergeblich zu laͤugnen be - muͤht iſt, aufdringt.

Dieſen bedeutungsvollen Zuſtand der jetzigen Na - turwiſſenſchaft, das vielſeitige Hervorblicken einer neuen Zeit aus ihrer Mitte, werde ich dann, ſo viel es der Umfang und die Beſtimmung dieſer Arbeit er - lauben, bemuͤht ſeyn, meinen Zuhoͤrern darzuſtellen, und ich werde ſchon in der fuͤnften Vorleſung mit dem was aus der heutigen Aſtronomie hieher gehoͤrt, be - ginnen.

Wir ſehen in unermeßlichen Fernen jene tauſende der Milchſtraßen, welche nach dunklen Geſetz und in unbekannten Bahnen ſich bewegen. Die Geſchichte un - ſers Planetenſyſtems beginnt mit der der Sonne. Dann ſieht das Auge, von der Ferne ungehindert, die jetzi -16 ge Natur und Ausbildung der Planeten, und es fuͤh - ren uns Spuren einer dunklen Analogie in das nur zum Theil erforſchte Reich der Kometen. Hierauf ſchließt ſich unmittelbar an die Aſtronomie die Phyſik im Großen an, es begegnet uns hier zuerſt das Geſetz der Schwere, und wie die große magnetiſche Periode aus andern Naturverhaͤltniſſen der Erde, als Plane - ten, hergeleitet zu werden vermag, zeigt ſich der Magnetismus uͤberhaupt als das erſte Kosmiſche, das heißt auf die Verbindung aller einzelnen Weltkoͤrper zu Einem Ganzen hindeutende Phaͤnomen. Wir vertrauen uns ſeiner Fuͤhrung an, und ſiehe auf einfachem Wege, fuͤhrt uns derſelbe zu der erhabenen Quelle des Lichts und der Waͤrme. Wenn hierauf in einem etwas groͤßeren Zuſammenhang, dem innern Sinn Vieles klar geworden, was einzeln ſtehend ſchwerer zu faſſen ſcheint, wenden wir uns von dem unermeßlichen Gan - zen zu dem Einzelnen, und der Blick, welchen ein graͤnzenloſer Umfang nur zu leicht zerſtreut, ſammlet ſich wieder auf unſrer kleinen Erde.

Wir ſehen dieſe, in den Tagen der Urzeit noch fluͤſſig, und wenn wir uͤber Einiges, das noch dunkel ſchien, die jetzige Beſchaffenheit einiger andern Plane - ten befragt haben, wird der Seele jene Zeit, wo aus der alten Fluth die Gebirge ſich gebildet, klar und lebendig. Noch findet das Auge kein organiſches Leben uͤber der graͤnzenloſen Fluth, und dieſe wird nur nach chemiſchen Geſetz bewegt. So tritt uns, in der17 Geſchichte jener dunklen Zeit, die Chemie als Lehrerin und Fuͤhrerin auf, und wenn wir ihr Gebiet, wie es ſeit den letzten Jahren ſich ungemein bedeutend erwei - tert darſtellt, uͤberblicken, bringt es der Standpunkt, welcher hierzu noͤthig iſt, von ſelber mit ſich, von dem Geſetz der Bildung und der Geſtalten einige Zuͤge zu entwerfen.

Wir ſehen uns von neuem auf dem muͤtterlichen Planeten. Die Gewaͤſſer haben unter dem Einfluß der Zeiten ſich vermindert, und ſchon bewegt das erſte Vorbild unſrer jetzigen Atmosphaͤre ſeine muͤtterliche Schwinge. Siehe da regt ſich das Gewaͤſſer von tau - ſend Lebendigen, deren wunderbare Formen jetzt nicht mehr auf Erden geſehen werden, und in denen die Na - tur, an der Graͤnze zwiſchen Thier - und Pflanzenwelt, unentſchieden zwiſchen zweyen Richtungen ſchwebt. Jene Geſtalten und den Boden welcher ſie gezeugt, begraͤbt ein neuer Kampf der Elemente, und unver - ſtaͤndlich, mit wunderbaren Zuͤgen, ſpricht der Geiſt einer grauen Vergangenheit nur noch aus ſeinen Fel - ſenhoͤhlen herauf. Das friedliche Leben, das ſchon einheimiſch auf der Erde geweſen, ſcheint von neuem von dem Streben der todten Maſſe verdraͤngt. Da waͤchſt, eben durch die Zunahme der tiefen Empfaͤng - lichkeit, die Macht des Lichts, und in einem neuen Kreißlauf der entgegengeſetzten Kraͤfte, wird das Anor - giſche zum zweytenmal beſiegt.

B18

Vielartiger und maͤchtiger, bey einem ſchon freyer und groͤßer gewordnen Spielraum, erhebt ſich jetzt die anorgiſche Welt von neuem. An den Polen wie es ſcheint, zuerſt, weil auf eine Weiſe die wir noch jetzt bey Jupiter und Saturn finden, durch den taͤglichen Umſchwung die allgemeine Waſſermaſſe nach dem Aequator hin noch uͤber den hoͤchſten Gebirgen geſtan - den, waͤhrend das Land der Pole ſchon frey aus der Fluth hervortrat. Schon ſehen wir den Geiſt der Natur, durch zum Theil jetzt untergegangene Formen, nach dem hoͤchſten Punkt der irdiſchen Bildung einen hohen Anlauf nehmen, und wo nicht ſchon der Menſch ſelber, wie aus Verſchiedenem nicht unwahrſcheinlich iſt, aufgetreten war, ſo ſchien doch bis zu ſeinem Erſcheinen nur noch ein Schritt zu ſeyn. Da ſinkt die Welt noch einmal, wie von langer Anſtrengung er - muͤdet, in die Tiefe des muͤtterlichen Elements, und die vielſtrebenden Kraͤfte, umfaͤngt noch einmal der alte chaotiſche Schlummer. Bis endlich, geſtaͤrkt zu dem letzten hoͤchſten Werk, die wieder erwachende Natur den Menſchen, und das Angeſicht der jetzigen organiſchen Welt erzeugt. Von dieſer, von dem Rei - che der Pflanzen, ſeinen mannigfaltigen Geſtalten und Geſetz der Bildungen, hierauf von der Thierwelt und dem Geſetz ihrer Entwicklung von dem Wurm bis hin - auf zum Menſchen, wird ein großer Theil dieſer Vor - leſungen handeln. Endlich, wenn in einigen Zuͤgen die allgemeine Geſchichte des Lebens, ſo weit ſie uns klar zu werden vermag, voruͤbergefuͤhrt iſt, wird die19 Unterſuchung uͤber die Beſtimmung des Menſchen und uͤber die Bedeutung einiger ſeiner Anlagen, uͤber ſeine Vergangenheit und Zukunft, ſich ſchuͤchtern, in dem Bewußtſeyn ihrer Mangelhaftigkeit, dieſem anſchließen.

Wir wuͤrden bey der großen Mannigfaltigkeit der Gegenſtaͤnde, bey dem ungeheurem Umfange des Ge - biets der Wiſſenſchaft, nicht im Stande ſeyn, mit der gewoͤhnlichen Weiſe der Darſtellung etwas Ganzes und lebendig Anſchauliches zu geben, wohl aber hoffen wir von jenem Geſichtspunkt aus, den wir gleich Anfangs bezeichneten, dieſen Bemuͤhungen einigen Zuſammenhalt und feſten Mittelpunkt zu geben. Eben jene oft verſaͤumten Thatſachen des Wunderglaubens, und was ihnen gleicht, (denn wenn man einmal einige Thatſa - chen hieher rechnet, moͤge man auch erlauben daß wir alle andre ihnen nahe verwandte mit ihnen zuſammen - ſtellen) werden uns jenen lichten Punkt gewaͤhren.

So, um wieder mit der erhabenſten Naturwiſſen - ſchaft zu beginnen, laſſen es in der Aſtronomie das Geſetz der Schwere, und zum Theil ſelbſt die Keple - riſchen Geſetze, wenn man bey der gewoͤhnlichen Er - klaͤrung derſelben ſtehen bleibt, noch unentſchieden, ob das Syſtem der Weltkoͤrper ein nach nothwendigen Geſetz verbundenes Ganze bildet, wo ein Glied das andre vorausſetzt, oder ob blos die Anziehung der Ma - terie, die durch hoͤheren Zufall einzeln entſtandenen Maſſen, mechaniſch zuſammenhaͤlt. Unmittelbar ausB 220der gewoͤhnlichen Theorie, laͤßt ſich wenigſtens gegen die mechaniſche Hypotheſe, wenn ſie nur etwas vor - ſichtiger iſt als die von Buͤffon aufgeſtellte, nichts Gruͤndliches einwenden. Nimmt man aber ſelbſt nur das ſchoͤne von Bode aufgeſtellte Verhaͤltniß der Ent - fernungen, von welchem es neuerdings erweisbar iſt, daß ſelbſt die Differenzen an die man ſich bisher ge - ſtoßen, aus einem nothwendigen Geſetz entſtehn; nimmt man einige andre, neuerlich zur Sprache gekom - mene Verhaͤltniſſe der Groͤßen, Sonnenfernen, Ec - centricitaͤten und Tageslaͤngen der einzelnen Planeten hinzu; ſo zeigt ſich auf einmal das Planetenſyſtem als ein organiſch verbundenes Ganze, wo jedes Einzelne in der innigſten und nothwendigſten Beziehung auf die uͤbrigen Glieder, und auf das Ganze ſteht. In der Phyſik werden die Phaͤnomene des Magnetismus, der Elektricitaͤt, der Waͤrme und des Lichts, warrlich nicht aus der Annahme eigenthuͤmlicher, halbkoͤrperli - cher Stoffe, ſondern einzig aus der Beziehung des Ein - zelnen auf das All deutlich.

So ſind auch in der Meteorologie die Lehre von den Perioden, dann das Phaͤnomen der Vorempfindung kuͤnftiger Wetterveraͤnderungen, das bey einer Menge von Thieren und Pflanzen, und an kranken organiſchen Theilen wahrgenommen wird, in der Geognoſie unter andern die bekannte Beziehung, in welcher alle Vul - kane und Erdbraͤnde auf unſern ganzen Planeten mit - einander zu ſtehen ſcheinen, obgleich dabey durchaus21 an keine unterirdiſche Communication zu denken iſt, blos aus einer innigen Harmonie des Einzeinen mit dem Ganzen zu erklaͤren.

Es laſſen uns in der Chemie jene oft beobachteten Phaͤnomene, welche dem der ſogenannten Abſtum - pfung gleichen, auf Ein allgemeines Geſetz, auf Einen Grund der Wechſelwirkung, ſo wie viele andre That - ſachen auf Eine allen Irdiſchen gemeinſchaftliche Grund - form ſchließen, von welcher die Dinge bey ihrem Ent - ſtehen ausgehen, und zu welcher ſie bey dem Ueber - gang in ein neues hoͤheres Daſeyn, zuruͤckkehren. Je - ne Grundform aber iſt nichts anders als derjenige Zu - ſtand des Einzelnen, wo daſſelbe auf dem hoͤchſten Gipfel der Negativitaͤt, der Empfaͤnglichkeit fuͤr hoͤhere Ein - fluͤſſe, mit dem Ganzen wieder am innigſten ver - eint iſt.

Wem hat nicht in der ſchoͤnen Zeit des Fruͤhlings der ſogenannte Pflanzenſchlaf, und das zarte Geheim - niß der Blumenliebe, welches die weit getrennten Ge - ſchlechter bald durch Inſekten, bald durch andre noch wunderbarer ſcheinende Mittel zu vereinen weiß, von tiefen Sinn geſchienen, oder wem waͤren jene Sym - pathien des Pflanzenreichs, worunter die des ſchon lange aufbewahrten Weins mit der Rebe von welcher er genommen iſt, in der Zeit ihrer Bluͤthe gehoͤrt, un - bekannt? Nicht minder ſind auch die Sympathien des Thierreichs mit der aͤußern Natur, wo z. B. das Be -22 duͤrfniß und ſeine aͤußre Befriedigung zugleich aufwa - chen, bekannt. Wir werden von dieſen Erſcheinungen einige der Bedeutendſten herausheben, und ſo auch in der Botanik eine hohe Beſtaͤtigung der Harmonie des Einzelnen mit dem Ganzen finden.

Die Geſchichte jener Reihen, in denen die Natur im Pflanzen-wie im Thierreich von den unterſten zu den hoͤchſten Formen aufſteigt, wird uns hierauf die innige Beziehung der verſchiednen Geſchlechter der Dinge auf einander deutlich machen. Endlich werden wir in mannigfaltigen Erſcheinungen, das Eingreifen eines kuͤnftigen hoͤheren Daſeyns, in das jetzige minder vollkommene anerkennen, und wie der tief im Innern unſers Weſens ſchlummernde Keim eines neuen Lebens, in gewißen Momenten, wo die Kraͤfte des jetzigen ruhen, deutlich hervorblickt. Hier iſt es vorzuͤglich, wo alle die Erſcheinungen, welche jenen Thatſachen eigentlich ihren Nahmen gegeben haben, die des thieriſchen Magnetismus, der Vorahndungen, Traͤume, Sym - pathien und dergleichen, zuſammen eintreten werden.

So geſchieht es, daß indem wir uns gerade an den bisher in den einzelnen Naturwiſſenſchaften am mei - ſten verſaͤumten, oder dunkel gebliebenen Phaͤnomenen feſthalten, die Natur, von welcher ſonſt nur zerſtreu - te Theile, welche wiederum das Gemuͤth nur zerſtreuen, nicht lebendig anſprechen koͤnnen, ſichtbar wuͤrden, unſre Seele als ein lebendiges harmoniſch verbundnes23 Ganze anſpricht, Ein Grund, Ein Geſetz, und Ei - ne allgemeine Geſchichte alles Lebens und Daſeyns klar hervortritt.

Ich will den Sinn meiner heutigen Vorleſung und zugleich den Plan meiner ganzen Arbeit, noch ein - mal in wenig Worte zuſammenfaßen. Zuerſt ſoll in der Urgeſchichte des Menſchen erkannt werden: daß die innigſte Harmonie ſeines Weſens mit der ganzen aͤußern Natur, der urſpruͤngliche Zuſtand deſſelben war. Hierauf ſoll in aller Naturwiſſenſchaft derſelbe ewige Bund, dieſelbe Beziehung des Einzelnen auf das Gan - ze wiedergefunden werden, und wenn ſich hierdurch auf einen Moment der allgemeine Sinn und Geiſt der Natur vor der Seele verklaͤrt, moͤge das Gemuͤth ler - nen, daß die Kraͤfte des Einzelnen nur fuͤr das Gan - ze, nur in Harmonie mit dieſem ſind, und daß es das hoͤchſte Ziel, der hoͤchſte Beruf des Lebens ſey, daß das Einzelne ſich ſelber und ſein ganzes Streben, dem allgemeinen, heiligen Werk des Guten und Wahren zum Opfer bringe.

24

Zweyte Vorleſung. Von dem urſpruͤnglichen Verhaͤltniß des Menſchen zu der Natur, oder von ſeiner aͤlteſten Cultur.

Unter jenen Thatſachen, welche der jetzt noch herr - ſchenden Anſicht am meiſten widerſtreben, und welche bis - her noch am wenigſten aus der Theorie zu erklaͤren wa - ren, gehoͤren die aus der aͤlteſten Geſchichte unſres Geſchlechts, welche ich zum Theil in meiner heutigen Vorleſung auffuͤhren werde. Denn noch immer ſcheint zu unſrer Zeit die Frage, ob der Menſch bey ſeinem Eintritt in dieſe Natur von dem Zuſtand der Wildheit und Rohheit ausgegangen, oder von dem Genuß jezt verlohren gegangner Kraͤfte und Erkenntniſſe? bey den Meiſten unentſchieden, und es hat ſogar jene Parthey, welche das Erſtere behauptet, ſeit einem Jahrhundert die meiſten Anhaͤnger gefunden.

25

Man gab hierbey vor, der Erfahrung gefolgt zu ſeyn, welche uns den Urzuſtand des Menſchen in je - nen ſogenannten wilden Voͤlkern vorbildete, die abge - ſondert von andern gebildeteren, wie Kinder, noch zu den Fuͤßen der Cultur ſaͤßen. Der Mangel und ein taͤgliches Beduͤrfniß; die Furcht, welche einem von der Natur unbewaffnet und unbekleidet gelaſſenen We - ſen vor andern eigenthuͤmlich geweſen ſey, das freund - liche oder feindliche Zuſammentreffen der verſchiedenen Individuen und Familien, haͤtten zuletzt Gewerbe, Religion, Cultus, Sitten und andre hoͤchſte Vorrech - te unſrer Natur erzeugt. Aber eben dieſer Meynung, die ſich ſo ſehr auf Erfahrung beruft, wird von aller Erfahrung am meiſten widerſprochen, und ſchon der erſte Blick auf die heilige Sage aller beſſeren Voͤlker, welche warrlich auf etwas Tieferen und Unvergaͤngli - cheren beruht, als daß ſie die Schluͤſſe eines ausſchwei - fenden Verſtandes erreichen moͤchten; auf die Werke der Dichter, deren Begeiſtrung nicht ohne Grund die Offenbarung des Wahren, und die Gabe des Sehens genannt wird, und aller ins Tiefe gehenden Geſchichts - forſcher der aͤlteren Zeit, ſo wie auf eine Menge hiſto - riſcher Denkmaͤhler, widerlegt ſie.

Wenn Religion, ein Erzeugniß der Furcht, aus rohem Anfange entſtanden, wie kommt es denn, daß die Religionen, je aͤlter ſie ſind, deſto reinere und er - habnere Anſichten enthalten? wie man z. B. von der Re - ligion der Indier ſeit einiger Zeit zugeſtehen muͤſſen, ſie26 ſey bisher faſt durchaus verkannt worden, und erſt bey den vielſeitigeren Anſichten der letzten Jahrzehende er - oͤffne ſich das Innre ihres tiefen, weiſen Sinnes. Wenn die Sprache durch Mittheilung der von ver - ſchiednen Individuen verſchieden aufgefaßten Natur - laute (thieriſcher Stimmen z. B.) entſtanden, als die Menſchen von der aͤußren Noth zur Geſellſchaft ge - zwungen worden, und ſich von den unvollkommenſten Anfaͤngen allmaͤhlig entwickelt hat, wie kommt es, daß, wie ſich beweiſen laͤßt, die vollkommnere Spra - che die metriſche, fruͤher geweſen als die Proſa? Denn nicht etwa Griechenland allein erwaͤhnt des er - ſten Gebrauchs der ungebundnen Rede als einer neuen Erfindung, ſondern es iſt die Mythologie, dieſe aͤlte - ſte hiſtoriſche Urkunde der alten Welt, von den Ufern des Ganges bis zu der Kuͤſte des Eismeers, in Verſen enthalten, und auch die aͤlteſten aſtronomiſchen Beob - achtungen und Naturtheorien der aſiatiſchen Voͤlker, ſind in Gedichten bewahrt.

Wenn Mangel und Duͤrftigkeit dem Menſchen die Wiſſenſchaften gelehrt, warum hat ſich die alte Welt gerade mit ſolchen Unterſuchungen am meiſten und an - gelegentlichſten beſchaͤftigt, welche, wie zum Theil mei - ne heutige Vorleſung zeigen wird, mit der Nothdurft des Lebens in gar keinem unmittelbaren Zuſammenhang ſtunden?

Selbſt jene ſogenannten wilden Voͤlker, die zu der gewoͤhnlichen Vorſtellung von dem Naturzuſtand des27 Menſchen Veranlaſſung gegeben, deuten durch Mythen die ſie aus alter Zeit bewahren, durch hiſtoriſche Denk - maͤhler, oder durch einige Zuͤge ihrer Sprache, auf ei - nen fruͤhen Zuſammenhang mit Voͤlkern, bey de - nen ein viel hoͤherer Grad von Bildung nicht zu ver - kennen iſt, ſo daß ſie uns vielmehr als ausgeartete, von einer viel hoͤheren Bildung ihrer Uraͤltern herabge - ſunkne Staͤmme, denn als Naturmenſchen erſcheinen muͤſſen. So muͤſſen wir mithin mehr der andern Par - they Recht geben, welche den Menſchen von dem Ge - nuß hoͤherer Erkenntniſſe und Kraͤfte ausgehen laͤſſet. Und fuͤr dieſe ſehen wir die ganze Natur ſelber Zeugniß geben.

Es begegnet uns naͤmlich uͤberall zuerſt die natuͤr - liche Nothwendigkeit, und im Thierreich der Inſtinkt, ehe ſich die Weſen zu einiger Selbſtſtaͤndigkeit erheben. So wird auf den niedrigſten Stufen der Natur, im Steinreich, ein ſtrenges und klares Geſetz der Formen, die Kriſtalliſation gefunden, waͤhrend die freyeren Ge - ſtalten des Pflanzenreichs jenen natuͤrlichen Zwang ſchon in etwas uͤberwinden. Das nothwendige Geſetz der Wechſelwirkung mit der aͤußeren Natur, wird im Thierreich Inſtinkt genannt, und dieſer tritt anfangs in ſeiner ganzen Strenge und Haͤrte als Kunſttrieb auf, bis er hernach in den hoͤheren Organiſationen als eigentlich ſogenannter Inſtinkt erkannt wird. Endlich wacht der Wille, und die Selbſtſtaͤndigkeit des natuͤrli - chen Strebens erſt ganz zuletzt im Menſchen auf. 28Und in der Geſchichte des Menſchen ſelber, ſehen wir das neugebohrne Kind zuerſt durch den Inſtinkt in ſei - ne neue Heymath eingefuͤhrt, und dieſer fruͤheſte Be - gleiter pflegt ſpaͤter, wo der Wille ſich entwicklet, blos ohnmaͤchtiger zu werden, nie ſich ganz zu entfernen.

Es pflegt das, was unmittelbar nach einem noth - wendigen Naturgeſetz geſchieht, jene eigenthuͤmliche Vollendung, Selbſtſtaͤndigkeit und Zweckmaͤßigkeit in ſich zu vereinen, welche der Natur ſelber in allen ih - ren Wirkungen eigenthuͤmlich iſt. Wir finden ſelten, daß der natuͤrliche Trieb Taͤuſchungen oder Misgriffen ausgeſetzt ſey, wohl aber iſt dieſes in gewiſſer Hinſicht der Wille. Es muͤſſen die Dinge, welche einen ſol - chen Kunſttrieb oder Inſtinkt ausuͤben, als unmittel - bare Organe der Natur betrachtet werden, welche ſich die Einzelnen um ſo mehr unterordnet, je unvollkomm - ner ſie ſind. Wenn es die eigenthuͤmliche Beſtim - mung und das Weſen unſrer Natur iſt, wodurch ſie ſich von der Natur andrer Weſen unterſcheidet, daß ſie zur Selbſtſtaͤndigkeit, zu einer freyen harmoniſchen Ausuͤbung eines guten und harmoniſchen Willens zu gelangen ſtrebt, wenn hierinn unſre hoͤchſte Vollen - dung, unſer hoͤchſtes Ziel beſteht, ſo muß, wie in der Natur Alles von einem geringeren Anfang ausgeht, die Ausuͤbung des freyen Willens bey dem erſten Ein - tritt des Menſchengeſchlechts, eben ſo wie bey dem des Kindes, unvollkommener geweſen ſeyn als ſie es nun iſt, in demſelben Verhaͤltniß aber iſt der Menſch mehr der29 natuͤrlichen Nothwendigkeit und der Abhaͤngigkeit von der Natur unterlegen.

Wenn damals der Menſch ein Organ der Natur geweſen, ſo war er dieſes auf ſeine Weiſe, menſch - lich. Es hat ſich daher die natuͤrliche Nothwendigkeit und der Kunſttrieb des Menſchen viel erhabener ge - aͤußert als der des Thieres, und nach der Meynung eines meiner Freunde, (Carl v. Raumer) welcher zu beweiſen pflegt was er behauptet, war Aſtronomie das Aelteſte was der Menſch als Organ des Planeten aus welchem er erzeugt worden, ausgeſprochen (of - fenbarte).

Schon die aͤlteſte Geſchichte der Aſtronomie, wie uns dieſelbe Bailly, Montucla und andre beruͤhmte Schriftſteller gegeben haben, vermag dieſe Anſicht zu bezeugen.

Moͤge man immer jene Angaben von dem Alter der aſtronomiſchen Beobachtungen, welches die Chal - daͤer bis auf 473 ja auf 493*)Nach Epigenes. und 720**)Nach Beroſus bey Bailly. Jahr - tauſende vor Alexander hinaufſetzen, und welches an - dre alte Voͤlker nicht viel geringer angeben (die Egypter, Chineſen u. a.) weil wie es ſcheint in einigen alten Sprachen das Wort Jahr von ſchwankender Bedeutung30 iſt, fuͤr unzuverlaͤſſig halten;*)Verſchiedene, ſonſt ziemlich uͤbereinſtimmende Schrift - ſteller, die z. B. von der egyptiſchen Geſchichte handeln, ſetzen dieſelben Zeitraͤume, einige auf 48863, andre auf 23000 Jahre. M. ſ. Bailly. moͤge ſelbſt die et - was beſcheidnere Erzaͤhlung der epytiſchen Prieſter, welche, da ſie, auf die Wandelbarkeit ihrer bewegli - chen Jahre deutend, dem Herodot berichtet, daß die Sonne ſchon viermal den gewoͤhnlichen Lauf ver - aͤndert habe, ſich hierbey auf eine mehr als eilftau - ſendjaͤhrige Erfahrung beriefen, unglaublich gefunden werden; ſo wird man wenigſtens eine Menge von Thatſachen, welche Bailly, der ja ſelbſt die Zahlen der Jahre in der alten Geſchichte ſo ſehr als moͤglich her - unter zu ſetzen ſuchte, aufgeſtellt hat, und welche ſaͤmmtlich das Alter der Aſtronomie auf 7000 Jahre ſetzen, nicht laͤugnen moͤgen. So wenn man ſelbſt jene drey und zwanzig und ein halb Jahrtauſend alte Beobachtung der Indier, nach welcher alle fuͤnf aͤlte - ren Planeten an einem Punkt des Himmels vereinigt waren, kuͤhn genug erſt aus ſpaͤteren Rechnungen auf - geſtellt glaubte, blieben doch wenigſtens jene Tafeln von der Zunahme der Tage, welche die Braminen noch jetzt haben, in ihrem 7600jaͤhrigen Alter unbeſtrit - ten,**)Dieſe Tafeln ſetzen naͤmlich die Schiefe der Ecliptik uͤber 25 Grad, mithin anderthalb Grad mehr als ſie jezt be - traͤgt. Da ſie nun in 1900 Jahren (von Hipparch bis zu uns) um 23 Minuten abgenommen hat, haͤtte ſie, wenn und eben ſo alt ſcheint eine aͤhnliche Beobach -31 tung auf die ſich Theon Smyrneus bezieht. *)Er ſcheint naͤmlich auch auf eine Schiefe der Ecliptik von 25 Grad zu deuten.Auch jene beſtaͤndige Correktion, welche die Indier an der Bewegung der Sonne anbringen, und welche durch die Vermindrung der Dauer des Sonnenjahres hervor - gebracht ſcheint, deutet auf ein gleiches Alter der aſtro - nomiſchen Beobachtungen, da jene Verminderung ſich erſt nach vier Jahrtauſenden beſtimmen ließ. Eine andre Correktion, welche in den aſtronomiſchen Tafeln der Indier, fuͤr den wahren Ort der Sonne unſrer Mittelpunktsgleichung entſpricht, und welche auch in andrer Hinſicht ſehr merkwuͤrdig iſt, ſcheint ſich auf eine gegen ſechstauſend Jahre alte Beobachtung zu gruͤn - den. (6029) **)Das Apogaeum der Sonne ſcheint darin in den 200 der Fiſche geſetzt, was, wenn man auf ein Jahrhundert 10 49′ 10″ Bewegung der Sonnenferne rechnet, jene Beobachtung in das 4221ſte Jahr vor Chriſto zuruͤcke ſetzt. (S. Bailly.)

Obgleich die Zeit der Erfindung des Thierkreißes in Egypten, die von Einigen auf 15 Jahrtauſende geſchaͤtzt wird, (ſo von Dupuis) von Andern um Vie - les vermindert iſt, obgleich auch das eigentliche Zeit - alter des Uranus und Atlas, denen die Sage verſchiede -**)ſie wie man voraus zu ſetzen pflegt gleichfoͤrmig ab - naͤhme, 7600 Jahre gebraucht, um von ihrem damaligen Werth auf den jezigen herunter zu fallen.32 ne Erfindungen in der Aſtronomie, und eine ſehr voll - kommene Ausuͤbung derſelben zuſchreibt, ſo wie dieſe Zueignung jener Entdeckungen etwas ungewiß iſt, ge - hen doch die Beobachtungen von dem Aufgang des Si - rius, und die Erfindung des großen Egyptiſchen Jah - res (von 1460 Jahren) in das fuͤnfte Jahrtauſend vor unſrer Zeit hinauf, und dieſes Volk rechnete einem Bruchſtuͤck des Beroſus nach zu ſchließen, ſeit jener Zeit ſchon nach Sonnenjahren. Auch die Beobachtun - gen, welche Calliſthenes dem Ariſtoteles ſendete, fien - gen ſich von dem 4042 ſten Jahre vor unſrer Zeit an. Ueber fuͤnf Jahrtauſende alt wird die Intercalations - periode der Perſer geſchaͤtzt, und eine Angabe ihrer aſtronomiſchen Schriften, welche vier Sterne der er - ſten Groͤße in die vier Cardinalpunkte des Thierkreißes ſetzt, iſt faſt von demſelben Alter. An dieſe Zeit rei - chen auch faſt die aͤlteſten Beobachtungen der Chineſen hinan,*)Die neuerlich fuͤr wahr anerkannte Beobachtung der merkwuͤrdigen Conjunktion am Tage des Neumonds iſt 4257 Jahr alt, die aͤlteſte von Gaubil als richtig bewieſene Sonnenfinſterniß Beobachtung. 3962 Jahre. und das Zeitalter des Fohi, welchen die alte Sage als einen großen Aſtronomen und den Erfin - der der Sphaͤre ruͤhmt, faͤllt noch um einige Jahrhunderte weiter hinaus (auf 4731 Jahre) und ſchon in dem fuͤnften Jahrtauſend vor unſrer Zeit lebten die wegen ihrer tiefen aſtronomiſchen Kenntniſſe am meiſten ge - prieſenen Koͤnige dieſes Volkes. Ja ſelbſt bey den33 alten Scandinaviern war die Einfuͤhrung ihres bretter - nen Calenders wenigſtens drei und ein halb Jahrtau - ſende alt, wie ſich aus dem kleinen Unterſchied ihres vorausgeſetzten und des wahren Jahres, welcher in ei - nem Jahre nur Minuten betraͤgt, und erſt in vielen Jahrhunderten zu Tagen anwaͤchſt, erkennen laͤßt. Endlich erſcheint auch in der Geſchichte von Mexico die Aſtronomie ſehr fruͤhe.

Keine der hier angefuͤhrten Thatſachen beweißt, daß die Aſtronomie in jenen fernen Zeiten erſt im Be - ginnen, im Begriff ſich auszubilden geweſen ſey, viel - mehr ſcheinen einige der wichtigſten unter ihnen zu be - zeugen: daß dieſe Wiſſenſchaft damals ſchon auf dem hoͤchſten Gipfel ihrer Vollendung geſtanden, ja daß ſie ſelbſt von dort an ſchon im Abnehmen geweſen ſey. Jene aſtronomiſchen Tafeln der Indier, die ſich auf die Schiefe der Ecliptik beziehen, waren blos vor 7000 Jahren genau, und die ſpaͤteren Zeiten haben die Abweichung derſelben von der Wahrheit nicht mehr zu berichtigen vermocht. Eben ſo iſt jene, wahrſchein - lich ſehr alte Weiſe, die Finſterniſſe zu berechnen, von der ich nachher reden werde, von den ſpaͤteren Men - ſchenaltern mechaniſch nachgeſprochen worden, ohne daß dieſe ihren Sinn verſtanden, oder ihre Abweichung von der Beobachtung zu berichtigen vermocht haͤtten. *)Auch die eine Mittelpunktsgleichung, deren ſich die Indiex bey Berechnung des wahren Orts der Sonne bedienen.C34Und doch bluͤheten in Indien die Aſtronomie und die ketzten Ueberreſte des alten Naturcultus ſpaͤt noch ein - mal auf, als Salivaganan, der faſt zu Chriſti Zei - ten lebte,*)Er ſtarb 78 p. Ch. die untergehende Herrlichleit der alten Welt durch ſeine Reformation noch einmal zuruckzufuͤh - ren geſucht.

Auch die Calender der alten Scandinavier, deren ich eben erwaͤhnte, beweiſen ſo wie andre Thatſachen der Art blos daß ſeit vier Jahrtauſenden die Beobach - tung unterlaſſen und ſo die feſtgeſetzte Zeitrechnung zu berichtigen verſaͤumt ſey, nicht aber daß ſie erſt ſeit jener Zeit Aſtronomie zu uͤben angefangen.

Ja was noch mehr iſt, die noch uͤbergebliebenen Arbeiten der Aſtronomie jener fernen Jahrtauſende, laſſen mit Sicherheit auf eine Vollendung derſelben ſchließen, die in gewiſſer Hinſicht die der jetzigen Aſtro - nomie, wo nicht uͤbertraf, doch mit ihr wetteifern konnte. Merkwuͤrdig iſt in dieſer Hinſicht die Weiſe wie die Indier noch jezt die Finſterniſſe berechnen, wel - che mit nicht geringer Klarheit fuͤr die Hoͤhe der fruͤhen Aſtronomie dieſes Volks zu ſprechen vermag. Wir danken die erſte aͤußerliche Kenntniß dieſer Berech - nungsweiſe vorzuͤglich dem gelehrten Le Gentil, der ſei -*)ſcheint erſt ſpaͤter zu einer ſchon vor 6000 Jahren vollen - deten Theorie hinzugekommen.35 ner Gelehrſamkeit und ſeiner europaͤiſchen Cultur nichts zu vergeben glaubte, indem er bey einem Tamuler im indiſchen aſtronomiſchen Calcul Unterricht nahm. Auf Le Gentils Bericht gruͤndet ſich auch die hiervon han - delnde Stelle in Baillys ſchon oft angefuͤhrtem Werke, die ich ihrer Wichtigkeit halber ganz herſetzen werde:

Was der Aſtronomie der Indier zur groͤßten Ehre gereicht, ſind ihre Methoden die Finſterniſſe zu berech - nen. Sie calculiren mit einer großen Geſchwindig - keit, und dabey mit vieler Genauigkeit. Die Brahmi - nen ſcheinen aufgezogene Uhrwerke zur Berechnung der Finſterniſſe zu ſeyn. Ihre Regeln ſind in Verſen, die ſie bey der Operation recitiren. Ihre Verfahrungs - arten ſcheinen von außerordentlicher Einfachheit zu ſeyn. Die Theorie des Mondes, die verwickeltſte un - ſrer neuen Theorien, verlangt bey ihnen keine ſchwie - rigen und muͤhſamen Berechnungen. Man kann nicht umhin zu glauben, daß dieſe Tafeln und Regeln der Brahminen von einer gelehrten Theorie herruͤhren. Die Principien derſelben ſind heut zu Tage unter einer blinden Fertigkeit verſteckt, welche die große Kunſt der fruͤheren Zeit einfach und ſicher gemacht hat. Herr Le Gentil hat nicht mehr als 22 bis 24 Minuten Un - terſchied zwiſchen ihrem Calcul und der Beobachtung zweyer von ihm hiermit verglichenen Mondfinſterniſſe gefunden. Es iſt bemerkenswerth, daß die Brahmi - nen bey dieſen beyden Finſterniſſen mit groͤßerer Ge - nauigkeit die Zeit der Dauer angegeben haben, als dieC 236Tafeln von Maier, die genaueſten, welche wir be - ſitzen.

Aber ungeachtet dieſes hohen Alters einer Theo - rie, die fuͤr uns noch unter der mechaniſch gewordnen, von einem Zeitalter an das andre (zuletzt ſelbſt ohne den eigentlichen Sinn zu verſtehen) uͤberlieferten Ausuͤbung verborgen iſt, haben dennoch die Verfahrungsarten, deren ſie ſich jezt zur Berechnung der Finſterniſſe be - dienen, einen Nahmen, welcher in ihrer Sprache neu bedeutet. Zu Benares in Bengalen beſitzen die Brahminen andre, welche man alte nennt.

Wir werden anderwaͤrts belehrt *) daß die Brah - minen bey dieſen Berechnungen vorzuͤglich Zahlen zu Grunde legen, welche die Dauer der verſchiednen Zeit - alter der Erdgeſchichte bezeichnen ſollen. Die Haupt - zahl hierbey iſt 432, und es betraͤgt das erſte und laͤngſte Zeitalter viermal, das 2te drey, das 3te zwey, das 4te einmal 432000 Jahre (1728 -- 1296 -- 864 und 432000) ſo daß die ganze Dauer der Welt wie - derum 4320000 Jahre begreift. Wir leben nach der Meynung der Indier jetzt in dem vierten Weltalter, (dem des Elends) von welchem jetzt (1808) viertau - tauſend neunhundert und neun Jahre verſtrichen ſind. Es beruht die Zahl dieſes letzten Zeitalters, welches auf das 3101ſte Jahr vor Chriſto hinaufgeht, nach der Meynung der Aſtronomen auf einer wahrhaften hiſtoriſchen Epoche, und iſt nach wirklichen Sonnen -37 jahren gerechnet. Die Zahlen der uͤbrigen Zeitalter hat man aber bald halbe Tage (ſo die erſte von 1728000 Jahren, welche man mit den Angaben der von Erſchaffung der Welt bis zur Suͤndfluth verſtri - chenen Zeit bey andern Voͤlkern zuſammen zu ſtimmen ſuchte) bald Achttheile eines Tages bedeuten laſſen. Es ſcheint nicht ſchwer zu beweiſen, daß dieſe Zahlen nichts Willkuͤhrliches, ſondern unmittelbar wenigſtens aus der Natur des Planeten genommen ſind.

Auf eine tiefe Bedeutung derſelben ließ ſchon die Uebereinſtimmung ſchließen, vermoͤge welcher wir die Zahl 432 bey mehreren Voͤlkern verehrt finden. Nicht blos wurde in Griechenland von einem Nachfolger des Cleoſtratus, von Meton, welcher ſich außer dieſem durch die Einfuͤhrung des 19jaͤhrigen Mondcyclus be - ruͤhmt gemacht, die Zahl 432 in dem ſogenannten goldnen Cyclus verherrlicht; ſondern wir finden die Zahl 432000 auch in der babyloniſchen Geſchichte, in der Zahl der erſten Periode, und noch mehr ſchei - nen die Zahlen der Jahre der alten egyptiſchen Chronik aus der Zahl 432 zuſammengeſetzt. Dieſe Chronik zaͤhlt uͤberhaupt 36525 Jahre,*)365,25 bekanntlich die Zahl eines Jahrs in Tagen. hiervon erfuͤllte 30000 die Regierung der Sonne, 3984 die der 12 großen Goͤtter, 217 die der 8 Halbgoͤtter, und es blieb dann 2324 fuͤr die uͤbrige bis auf Nectanebus38 verfloßne Zeit. Nun iſt aber die Zahl 432, oder aus Gruͤnden die ich ſpaͤter anfuͤhren werde 432,8 in 3984 = 9,20464 mal enthalten. Das Quadrat hier - von iſt 84,725 waͤhrend 432,8 in 36525 = 84,3875 mal enthalten iſt. Daß dies wirklich der Sinn dieſer Zahlen ſey, erkennen wir aus der gleich darauf fol - genden 217. Nehmen wir naͤmlich 2 mal 217 oder 434 (genauer 434,56) ſo iſt die Zahl wie oft 434,56 in 36525 enthalten iſt, genau das Quadrat von der, wie oft jene Summe in 3984 enthalten war. Ande - rer, wahrſcheinlich aus 432 zuſammengeſetzten Zahlen*)Z. B. der jener perſiſchen Sage die den Berg Albordi 800 Jahre (wahrſcheinlich 864 was zweymal 432 oder der magnetiſchen Periode gleich iſt) bis zu ſeiner jetzigen Hoͤhe anwachſen laͤſſet. nicht zu gedenken.

Es iſt jene Zahl 432 aus den Naturverhaͤltniſſen unſers Planeten zu andern Weltkoͤrpern, beſonders zu Sonne und Mond entlehnt, und ich habe anderwaͤrts gezeigt,**)In meinen Ahndungen einer allg. Geſch. d. Lcb. II. daß die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne 216 Sonnen, die des Mondes von der Erde wenn man dabey der Einen dort gebrauchten An - gabe folgt, 216 Mondenhalbmeſſer betraͤgt, daß man mithin, wenn man von der elliptiſchen Form der Bahnen abſieht, dieſe als Kreiſe betrachten kann, von denen jener 432 Sonnen, dieſer 432 Mondenhalbmeſ - ſer im Durchmeſſer hat. Die Zahlen der Zeit und39 Raumverhaͤltniſſe der einzelnen Planeten, ſind ſich, wie ich an dem angefuͤhrten Ort gezeigt habe, haͤufig ver - wandt. So betraͤgt unter andern auch die von Burk - hard berechnete große magnetiſche Periode, 864, oder zweymal 432 Jahre. (gewoͤhnlich nimmt man nur 860) Es wird hieraus erkannt, wie ſehr die Zahlen 216 und 217*)Die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne be - traͤgt, wenn wir, wie in einer der nachfolgenden Vorle - ſungen geſchehen iſt, den Halbmeſſer des feſten Kerns der Sonne nach Abzug der leuchtenden Atmosphere 96376 Meilen ſetzen, 216,41 ſolcher Sonnenhalbmeſſer. Die Egypter ſcheinen dieſe Entfernung, oder irgend ein andres mit ihr in Beziehung ſtehendes Verhaͤltniß unſers Plane - ten, das ihrer Angabe zu Grunde lag, zu 217, oder den oben erwaͤhnten Zahlen zu Folge genauer 217,78 angenommen zu haben. Vielleicht daß dies mit einer andern Sage die - ſes Volks, welche die beſtaͤndige Abnahme der Jahreslaͤn - ge, und mithin auch der mittleren Entfernung der Erde von der Sonne lehrte, in einigen Zuſammenhang ſtund. 432 und andre aus ihnen zuſam - mengeſetzte Zahlen genau nach der Natur, nicht will - kuͤhrlich aufgeſtellt waren, und daß ſchon die Indier auf Verhaͤltniſſe Ruͤckſicht genommen haben, auf wel - che wir kaum ſeit einem Jahrzehend wieder aufmerkſam geworden ſind.

So wird uns erſt noch die Zukunft die Gruͤnde je - ner einfachen Berechnung des wahren Durchmeſſers des Mondes und der Sonne, wovon es auch zwey verſchiedene Arten (wahrſcheinlich eine aͤltere und eine neuere) giebt, lehren, und die Erkenntniß dieſer Gruͤnde wuͤrde von40 nicht geringerer Wichtigkeit ſeyn, als es allem Anſchein nach die der Berechnung der Finſterniſſe ſeyn muß.

Wenn in einiger Hinſicht jene aͤlteſten Aſtronomen der Erde, allem Anſchein nach Kenntniſſe beſeſſen ha - ben, die uns jezt noch erſt zu erringen ſind, ſcheinen ſie in andrer wenigſtens nicht hinter der jetzigen Theo - rie zuruͤck geweſen zu ſeyn. Das Kopernicaniſche Syſtem iſt nach Bailly bey den Indiern urſpruͤnglich einheimiſch, obgleich ein Theil der Brahminen die Erde fuͤr unbeweglich haͤlt. Die jaͤhrliche Bewegung der Fixſterne und das Vorruͤcken der Nachtgleichen, iſt nicht minder bey mehreren jener alten aſtronomiſchen Voͤlker, vorzuͤglich bey den Indiern, ziemlich genau be - kannt geweſen, nicht minder wurde, wie ſchon fruͤher erwaͤhnt iſt, auf die Neigung der Erdaxe genau Ruͤck - ſicht genommen. Selbſt die Geſtalt und der Umfang der Erdkugel muͤſſen, nach Einigen zu ſchließen, je - nen Zeiten nicht unbekannt geweſen ſeyn, jenes laͤßt ſich aus der Lehre der von den egyptiſchen Prieſtern un - terrichteten griechiſchen Aſtronomen, welche die Ausdeh - nung der Erde von Oſt nach Weſt fuͤr groͤßer hielten, als die von Nord nach Suͤd, dieſes aus einer in mehr als einer Hinſicht merkwuͤrdigen Angabe der Chaldaͤer ſchließen. Die Aſtronomen dieſes Volks pflegten naͤm - lich den Umfang der Erdkugel beylaͤufig ſo zu beſtim - men, daß ein Menſch, wenn er einen maͤßig guten Schritt hielte, ſie in einem Jahr (von 365¼ Tag) umgehen koͤnnte. Rechnen wir aber den Umfang der41 Erde zu 9000 Lieues, eine Lieue auf eine Stunde, ſo kommt jene Angabe der Wahrheit wirklich bis auf den 38ſten Theil nahe, indem 24mal 365¼ Lieues 8766 iſt, und der geringe Unterſchied gruͤndet ſich vielleicht darin, daß die Menſchen jener Zeit beſſer zu Fuße waren als die jetzigen es ſind, oder daß es der vollkommen geſun - de Menſch, deſſen natuͤrliche Groͤße und Geſchwindigkeit demnach ſogar mit der Groͤße des Planeten den er be - wohnt, in einem merkwuͤrdigen Verhaͤltniß ſtehen, uͤber - haupt iſt. *)Es kommen nach jener chaldaͤiſchen Rechnung 24,64 jetzi - ge Lieues auf den Tag, oder rechnet man nur 24, ſo be - traͤgt ein ſolcher Stundenweg 14088 alte Pariſer Fuß, mithin 366 mehr als eine Lieue. (der Unterſchied betraͤgt nur 〈…〉 ,49.)

Viele jener Kenntniſſe finden ſich gemeinſchaftlich bey mehreren von einander ſehr entfernten Voͤlker, andre ſcheinen, einige an dieſes, andre an jenes Volk vertheilt. Zu jenen gehoͤrt unter andern die Bezeich - nung der Wochentage durch die verſchiednen Planeten, und die bey allen, ſelbſt den entfernteſten Voͤlkern glei - che Aufeinanderfolge der zur Bezeichnung gebrauchten Weltkoͤrper. **)Sonne Mond Mars Mereur Jupiter Venus Saturn.So willkuͤhrlich dieſe Anordnung ſcheint, da ſie ſich weder auf die Verſchiedenheit der Entfernungen, noch auf ſonſt etwas, worauf man ge - woͤhnlich Ruͤckſicht zu nehmen pflegt, gruͤndet, iſt ſie42 dies doch nicht, wie vielleicht ſchon aus dem erhellen wird, was ich in meiner angefuͤhrten Schrift uͤber die ſehr natuͤrliche Beziehung, in welcher Sonne und Mond, Jupiter und Merkur, Saturn und Venus ſte - hen, erwieſen habe. *)Man hat bekanntlich noch einen andern Grund dieſer An - einanderſtellung der Planeten in der Eintheilung der Stun - den gefunden.

Gemeinſchaftlich war auch uͤberdies allen Voͤlkern der alten Welt der Gebrauch der Zahlen 7 9 60 und andrer aus ihnen zuſammengeſetzten Zahlen, und auch von dieſen ſcheint es, als ob ſie aus tiefen Na - turverhaͤltniſſen entlehnt waͤren. **)Die 60jaͤhrige Periode wird von Einigen von dem Jupi - ter hergeleitet, der ſich dann jedesmal in Beziehung auf die Erde wieder an derſelben Stelle des Himmels befindet. Doch hat die Zahl 60 wahrſcheinlich noch eine bey weitem vielſeitigere Bedeutung gehabt.Dagegen bedien - ten ſich die aſtronomiſchen Voͤlker der neuen Welt, wie wir wenigſtens von den Mexikanern wiſſen, vorzuͤg - lich der ſonderbaren Zahl 13, und pflegten ſtatt den ſiebentaͤgigen der oͤſtlichen Voͤlkerſtaͤmme, dreyzehntaͤ - gige Wochen u. ſ. w. anzunehmen. Man koͤnnte ver - ſucht werden, dieſe Zahlen fuͤr eben ſo willkuͤhrlich zu halten, als die der decadiſchen Eintheilung, die man vor einiger Zeit in Frankreich gebraucht, wenn nicht die Ausuͤbung bewieſen haͤtte, wie bedeutend die Zahl 13 in den Zahlenverhaͤltniſſen des Planeten iſt, indem43 die Mexikaner mit Huͤlfe dieſer Zahl nicht nur eine eben ſo genaue Zeiteintheilung als die Voͤlker der oͤſtli - chen Welt erlangt haben, ſondern ſich derſelben auch bey Berechnung der Finſterniſſe mit einem aͤhnlichen Gluͤck bedienten, als andre Voͤlker der ihrigen. Es iſt naͤmlich nicht blos die Zahl der Umlaͤufe des Mon - des, oder der Rotationen der Sonne (von der Erde aus geſehen) waͤhrend eines Erdenjahres, eine Annaͤhe - rung an 13, ſondern auch eine Menge andrer Verhaͤlt - niſſe des Planeten, von denen ich einige anderwaͤrts (a. a. O.) aufgeſtellt habe, ſind von der Natur durch die Zahl 13 ausgedruͤckt.

Gewiſſe Kenntniſſe, welche nicht minder mehreren Boͤlkern gemeinſchaftlich waren, ſind von Etlichen als ein Beweis angeſehen, daß man ſich in der aͤlteſten Zeit der Teleſcope bediente. So die Annahme von Ge - buͤrgen im Monde*)M. ſ. Bailly. und die Kenntniß der eigentlichen Beſchaffenheit der Milchſtraße, die man als aus lauter kleinen Sternen zuſammengeſetzt betrachtete. Beſon - ders in den Sternverzeichniſſen der Indier finden ſich eine Menge Sterne angegeben, die jezt blos Teleſco - piſch ſind. Doch ſcheint das eigentliche Fernrohr dem ganzen Orient unbekannt geweſen, und jene tibetani - ſchen Aſtronomen, deren ich ſchon anderwaͤrts erwaͤhnt habe, kannten die 4 Jupitersmonde blos aus alter Ueberlieferung, und erſtaunten nicht wenig, als ſie die44 Eigenſchaft eines Teleſcops, die Gegenſtaͤnde naͤher zu bringen, bemerkten. Ich habe in meiner ſchon angefuͤhrten Schrift dieſe gluͤckliche Scharfſichtigkeit der Vorwelt aus der damaligen Beſchaffenheit der At - mosphaͤre hergeleitet.

Andre Kenntniſſe ſcheinen an verſchiedene Voͤlker vertheilt, und nach Baillys Meynung erſcheinen dieſe wie Bruchſtuͤcke aus dem großen Ganzen einer fruͤhen Theorie, welche Einem Urvolk eigenthuͤmlich war, deſſen nach verſchiedenen Gegenden auswandernden Staͤmme, einige dieſe, andre jene Reſultate oder Re - geln einer vollenderen Theorie mit ſich fuͤhrten. Wie von einer Verſchiedenheit der innern Naturanlage ge - trieben, finden wir die einen Voͤlker blos Sonnen-an - dre blos Mondfinſterniſſe beobachten (jene die Chineſer, dieſe die Chaldaͤer, in Indien u. a. beyde) ſo wie eini - ge Voͤlker ſich vorzuͤglich Einen Planeten waͤhlten, deſ - ſen Lauf und uͤbrige Verhaͤltniſſe ſie beſtaͤndig beobach - teten. (die Chaldaͤer den Saturn.)

Gewiß iſt es, daß ſelbſt da, wo jene Ueberreſte einer alten Aſtronomie noch am vielſeitigſten und vol - lendetſten vorhanden ſind, ihre wahre Bedeutung fuͤr unſre jetzigen Kenntniſſe nur erſt ſehr dunkel aus den Irrthuͤmern der ſpaͤteren Zeit hervortritt. Wenn man lieſt, daß die Egypter den Mond fuͤr den 72ſten Theil der Erde hielten, da ſeine Maſſe nach Bernoulli wirk - lich der 71ſte Theil der Erdmaſſe iſt, koͤmmt man in45 Verſuchung, bey den Alten Kenntniſſe der wahren Groͤße und Dichtigkeit dieſes Weltkoͤrpers vorauszuſetzen, und nicht minder laſſen, wie ſchon erwaͤhnt, die ſo oft gebrauchten Zahlen 216 und 432 auf eine Kenntniß des Halbmeſſers der Sonne und des Mondes ſchließen, ob - gleich dieſe Vermuthung auf der andern Seite wieder entkraͤftet wird, wenn man findet, daß dieſelben Egypter und Indier (freylich wohl immer die ſpaͤteren) jene den Mond nur 49 Meilen von der Erde entfernt, dieſe den Mond ferner glaubten als die Sonne. Es iſt aber auch leicht moͤglich, daß dieſe Zahlen aus and - ren noch unbeſtimmten Verhaͤltniſſen der Erde zu jenen Weltkoͤrpern entlehnt ſind, in denen ſie ſich (wie ſchon die magnetiſche Periode vermuthen laͤßt) wieder - finden, und vielleicht wird uns ihre Erforſchung in der Folge noch von der groͤßten Wichtigkeit ſeyn.

Wenn auch die Aſtronomie im engern Sinne, und zwar in einer Vollendung wie ſie bey uns nach einigen Seiten hin kaum jetzt noch erreichte, am deutlichſten aus der Kulturgeſchichte des fruͤheſten Alterthums her - vorblickt, und das hoͤchſte Lebenswerk des damaligen Menſchengeſchlechts geweſen ſcheint, ſind doch naͤchſt ihr auch Spuren in der Geſchichte jener Vorzeit ent - halten, welche auf eine aͤhnliche fleißige Ausuͤbung und Kenntniß auch andrer Naturwiſſenſchaften ſchließen laſſen. Naͤchſt den Verhaͤltniſſen ſeines Planeten zu andern Weltkoͤrpern, hat ſich der menſchliche Geiſt von Anfang auf die Geſchichte der Erde ſelber gewen -46 det. Die alten Sagen der von einander entfernteſten Voͤlker, der Indier wie der Islaͤnder, der Chineſen wie der Mexikaner, ſprechen bald dunkler bald dentli - cher von großen Naturrevolutionen. Auch dieſe Sa - gen gehoͤren zu jenen Wundern der Geſchichte, Naͤthſeln des Alterthums, die Unwiſſenheit verwarf, und welche die Natur uns aufſchließen wird. *)Schelling.

Wir wollen hier nur Einer ſolchen Sage gedenken, welche ſich in der Islaͤndiſchen Edda befindet. Gang - ler, ein alter nordiſcher Koͤnig, fragt daſelbſt die drey ſymboliſchen Geſtalten der Gottheit, in dem Pallaſt zu Asgarten, uͤber den Anfang der Dinge. Jene antworten: Im Anfang, ehe noch irgend ein Ding war, gab es eine leuchtende feurige Materie. **)Dieſe findet ſich bey den meiſten Voͤlkern in den religioͤ - ſen Sagen uͤber den Urſprung der Welt. Wir werden ſie hernach auch in der Natur wiederfinden.Hernach als die Stroͤme der Fluthen ſich ausbreiteten von ihrem Urſprung, ward das geheimnißvolle***)Gift. Weſen, das ſie enthielten, zu einer feſten Maſſe, welche anfieng ſtille zu ſtehn, und nicht weiter floß. Es vermiſchte ſich mit ihnen (ein Gift) der geheimniß - volle Einfluß, daß ſich das Feſte vollends nach allen Seiten gebildet, wie Eis. Da entſtunden, heißt es ferner, in dem weiten leeren Abgrund verſchiedene La -47 ger der feſt gewordnen Maſſe, eins uͤber dem andern. Es war ein Theil der neuentſtandenen Materie nach jenem feurigen Quell des gemeinſchaftlichen Urſprungs gewendet, ein andrer entbehrte dieſes Einfluſſes, und es wehte von dem letzteren ein gewaltiger Sturm nach jenem hin. Was zwiſchen beyden lag war ruhig wie ein ſtilles Meer. Da gieng aus dem ewigen Urſprung ein Hauch von Waͤrme aus, uͤber die feſt gewordnen Maſſen, daß die erkalteten Duͤnſte derſelben in Tro - pfen zerronnen, aus welchen ſich ein Menſch bildete, durch die Kraft Deſſen, welcher jenen Hauch der Waͤr - me geſendet. Der erſte Menſch hieß Ymer.

Freylich iſt an dieſer alten Sage nur Einiges ganz begreiflich, was mit unſern jetzigen Anſichten von der Entſtehung und Bildung des Planeten wohl uͤberein - ftimmt. Vor wenig Jahren wuͤrde auch dieſer Theil der alten Sage noch wenig verſtaͤndlich geweſen ſeyn, denn laͤnger iſt es kaum, ſeitdem die eigentliche Geo - gnoſie bey uns entſtanden. Wir koͤnnen deshalb kuͤhn hoffen, daß auch der uͤbrige fuͤr uns noch dunkle Theil, der Zukunft klaͤrer ſeyn werde. Viel verſtaͤndlicher und ausfuͤhrlicher ſollen von der erſten Entſtehung der feſten Erdmaſſe aus den Fluthen, die Sagen der In - dier reden.

Auch einige andre Naturwiſſenſchaften ſind von nicht geringerem Alter als die ſchon erwaͤhnten. Ein uraltes indiſches Gedicht enthaͤlt ſchon eine Art von48 Botanik, wo, wie aus andren aͤhnlichen Arbeiten der Vorwelt ſcheint, von den Naturkraͤften der Pflanzen, und von der Bedeutung ihrer Geſtalten und Farben ge - redet iſt. Einen wenigſtens eben ſo alten Urſprung, in der tiefſten Vorzeit, hat die Geſchichte des Stein - reichs, beſonders der Edelſteine und Metalle, von de - nen jene wiederum eine ſymboliſche Bedeutung beka - men. Auch einige Grundlehren der Chemie und Phy - ſik, die von dem Urſprung und dem Weſen des Lichts, und von jenem Urſtoff, welcher als derſelbe allen ver - ſchiedenen Koͤrpern zu Grunde liegt, handeln, finden ſich klar in den religioͤſen Sagen der Vorzeit, wobey ich nur an die vorhin erwaͤhnte Stelle der Edda, und an jenen bekannten indiſchen Mythos von der Entſte - hung des Mondes und anderer Sterne aus einem fluͤſſi - gen Element, und von jener wunderthaͤtigen Subſtanz welche die Genien aus der Tiefe deſſelben her - vorziehen, erinnere. *)In Bhogovotgita finden ſich mehrere merkwuͤrdige Anſich - ten uͤber das Licht, den Aether u. ſ. w.Die Geſchichte der Thier - welt iſt in den Naturcultus der Vorzeit ſo innig ver - webt, daß wir auch dieſe Naturwiſſenſchaft, und zwar in einem tiefen, uͤber die Eigenſchaften und in - nern Anlagen der einzelnen Geſchlechter ein klares Licht verbreitenden Sinne, im hoͤchſten Alterthume wieder - finden.

Der gemeinſchaftliche Beſitz dieſer Erkenntniſſe, der ſich bey vielen der weit entlegenſten Voͤlker findet,49 die Bemerkung: daß, wie durch eine zufaͤllige Ver - theilung, einzelne Voͤlker dieſes, andre jenes Fragment einer fruͤhen Naturtheorie bewahrt haben, davon im - mer Eins das Andre zu ergaͤnzen vermag, fuͤhrten ſchon laͤngſt auf die Vermuthung, daß jene tiefen Na - turkenntniſſe von Einem, hoͤchſtgebildeten Urvolk her - ſtammen. Verſchiedene Thatſachen, die ich ſpaͤter anfuͤhren werde, verſetzen den Wohnort dieſes Volks, und wie es ſcheint, den Ausgangspunkt unſres Ge - ſchlechts, weit hinauf nach Norden, und das im Al - terthum viel geprieſene Land Atlantis, (es ſcheint daſ - ſelbe was auch bey vielen andern orientaliſchen Voͤl - kern unter andern Nahmen in der alten Sage vor - koͤmmt,) war vielleicht unter einem Grade der Breite gelegen, der jezt der Bevoͤlkerung wenig guͤnſtig ſeyn wuͤrde.

So reicht, wie es ſcheint, der Beſitz jener Kennt - niſſe ſelbſt noch uͤber die aͤlteſte Geſchichte der einzelnen (von dem Urvolk ſchon getrennten) Voͤlkerſtaͤmme hin - aus: und es waren jene (wenn wir ſie ſo nennen wol - len) Wiſſenſchaften, der fernſten Vorzeit eigenthuͤm - lich. Von der Aſtronomie beſonders ſcheint es gewiß, daß ſie ſo alt ſey als unſer Geſchlecht ſelber. Denn wenn wir der einen oder andern Angabe von dem Al - ter der Welt, oder vielmehr von dem Eintritt des Men - ſchen in dieſelbe folgen, begleiten uns immer die erſten und zwar oͤfters gerade die wichtigſten aſtrono - miſchen Arbeiten, bis an den aͤußerſten Anfang dieſerD50Zeit hinauf. So, wenn wir nun mit Bailly den An - fang der Geſchichte bis auf das 7te oder 8te Jahrtau - ſend herunterſetzen, finden ſich gleich aus jener Zeit die indiſche Beobachtung von der Schiefe der Ecliptik und die dazu gehoͤrigen Tafeln der Tageslaͤnge, und andre Arbeiten denen ſchon Zahlenverhaͤltniſſe zu Grunde lie - gen, die wir erſt jezt zu verſtehen anfangen. Weiter herunter, von Geſchlecht zu Geſchlecht, ſehen wir die eigentliche tiefe Wiſſenſchaft ſtatt zunehmen immer ab - nehmen, und die Voͤlker, welche ſowohl in Hinſicht ihres Alters als Charakters der neuen Weltperiode am naͤchſten verwandt ſind, waren wie ich in der naͤchſten Vorleſung zeigen werde, am unwiſſendſten darinnen. So erſcheint das, was bey uns Wiſſenſchaft iſt, in jener aͤlteſten Zeit mehr als Offenbarung eines hoͤheren Geiſtes an den des Menſchen. Denn was waͤre das fuͤr eine Wiſſenſchaft die gleich oder nahe bey ih - rem Entſtehen am vollkommenſten, ſpaͤter immer un - vollkommner gefunden wuͤrde?

Eine gewoͤhnliche Anſicht laͤßt jene alte Ausuͤbung der Aſtronomie aus ihrem Beduͤrfniß beym Ackerbau entſtehen. Obgleich eine vollſtaͤndige Widerlegung derſelben nicht hieher gehoͤrt, ſey es doch erlaubt nur Einiges hieruͤber zu ſagen.

Gerade der Ackerbau, zu deſſen Gunſten die Aſtro - nomie erfunden ſeyn ſoll, iſt offenbar ſpaͤteren Ur - ſprunges, und ſcheint ſo wie der Bau des Weines und51 uͤberhaupt jede Kunſt der Cultur des Landes, erſt zu der Zeit der Entſtehung und Verbreitung der Myſterien unter den Voͤlkern entſtanden und verbreitet. Von dieſen aber werden wir ſpaͤter ſehen, daß ſie ſich erſt aus den Zeiten des Verfalls und Untergangs der ei - gentlichen alten Zeit, und jenes Naturcultus von deſ - ſen letzten Ueberreſten wir vorhin ſprachen, erhoben ha - ben.

Wenn, nach einer allgemeinen Sage, die Erde im Anfang in der hoͤchſten Fuͤlle und Ueppigkeit die Le - bensbeduͤrfniſſe hervorbrachte, und jener kraͤftige Trieb der erſten Zeit allmaͤhlig abnahm, ſo kam ſich die Natur durch den Menſchen, den ſie den Ackerbau ge - lehrt, erſt dann zu Huͤlfe, als die Zeit des erſten Ueberfluſſes ſchon voruͤber war.

Wir haben in den aͤlteſten Sagen der meiſten oder aller Voͤlker, Beweiſe, daß die erſte Vorwelt von freywachſenden Fruͤchten, und naͤchſt dem von der Milch der Kuͤhe gelebt habe. Doch gehoͤrt hierher nicht die Verehrung der Kuh, welche dem ganzen aͤl - teren Orient ein Symbol der ernaͤhrenden muͤtterlichen Erde iſt, vielmehr hat dieſe eine viel tiefere Bedeutung in der Geſchichte des Planeten und der Thierwelt, und uͤberhaupt ſcheint aus ſpaͤter anzufuͤhrenden Gruͤnden der Gebrauch der Milch als Nahrung ſchon viel ſpaͤter als der urſpruͤngliche der Fruͤchte, doch ſind gewiß bey - de in der Geſchichte des Ganzen aͤlter als der Ackerbau.

D 252

In dem neulich bekannt gewordnen, aber wie man ſagt vielleicht nicht durchaus aͤchtindiſchem*)Es iſt wahrſcheinlich etwas moderni - und angliſirt. Gedicht Chartah Bhade, ſtellt der Gott Parabrahma, als er nach einer vieltauſendjaͤhrigen Anſchauung ſeiner ſelbſt den Entſchluß gefaßt, den abgefallenen Geiſtern eine Staͤtte der Laͤuterung und Wiedergeburt zur erſten Reinheit, das Weltall und die 87 Wege der See - lenwanderung zu erſchaffen, den Stier unmittelbar neben den Menſchen, als Gefaͤhrten und Ernaͤhrer. Es war, wie wir aus demſelben Gedicht ſehen, dem aͤl - teren Orient geboten, von den freywachſenden Fruͤchten und naͤchſt dem von der Milch der Kuͤhe zu leben, und in einigen Laͤndern hat ſich erſt, wie es ſcheint in einer viel ſpaͤteren Zeit, der Stamm der Ackersleute (von[auswaͤrts] her?) angeſchloſſen. Auch in der alten perſiſchen Sage, die uͤbrigens noch von andrer Bedeu - tung iſt, fieng der Menſch erſt im dritten Weltal - ter (jedes zu dreytauſend Jahren) an das Land zu bauen, nachdem er, mit dem Stier zugleich an einem erhabenen Ort[geſchaffen], daſelbſt in ſeeligen Frieden 3000 Jahre, und andre 3000 Jahre mit demſelben auf der Erde, ohne Leid und Anfechtung gelebt hatte. Nach der Edda war mit dem erſten Menſchen Ymer zugleich als Gefaͤhrtin die heilige Kuh Oedumla aus je - ner fruchtbaren Fluͤſſigkeit gebildet, und ernaͤhrte den Ymer, und des Ackerbaues geſchieht erſt bey ſpaͤteren Generationen Erwaͤhnung.

53

So wuͤrde ohnfehlbar auch der Vorwand wegfal - len, daß die Noth, die man ja zu unſrer Zeit fuͤr die Lehrerin alles moͤglichen Guten haͤlt, den erſten Men - ſchen die Aſtronomie zum Behufe ihrer Feldarbeit ge - lehrt habe. Man hat bey dieſen und andern aͤhnlichen Anſichten zu wenig auch auf den damaligen Charakter jener ſogenannten Wiſſenſchaften Ruckſicht genommen. So gieng das was wir jezt Aſtronomie nennen, im Al - terthum wie es ſcheint, von einer beſſeren Art der Aſt - rologie aus, das heißt: von dem Zuſammenhang der Geſchichte alles Einzelnen, mit den Bewegungen der Geſtirne mit der Geſchichte des Ganzen. *)Wenn dieſe Art von Aſtrologie (die man ja nicht mit ih - rem ſpaͤteren, ausgearteten Schatten verwechſeln moͤge) nicht fruͤher war als die Aſtronomie im engeren Sinne, ſo war ſie wenigſtens mit ihr von gleichem Alter.Selbſt der Menſch erkannte ſich als einen Theil der in der ewi - gen Nothwendigkeit der Zeiten wandelnden Weltkraͤfte, und das Geſetz dieſer Nothwendigkeit, an jenen er - kannt, wurde ihm der Maasſtab ſeines eignen Schick - ſals. **)Aehnliche Anſichten die noch Kepler, den man deshalb oͤfters der Schwaͤrmerey beſchuldigt, die Seele und das Leben der Aſtronomie nannte, herrſchten damals allge - mein.Auch von den uͤbrigen Naturwiſſenſchaften iſt es ſchon erwaͤhnt, wie ſie Anfangs von der An - ſchauung der innern Naturkraͤfte und der hoͤhern Be - deutung der einzelnen Dinge fuͤr das Ganze aus - giengen.

54

Auf der andern Seite unterſcheidet ſich jener aͤlteſte Anfang der Naturwiſſenſchaft von dem jetzigen Zuſtand derſelben darinnen, daß jener eigentlich zunaͤchſt nicht Wiſſenſchaft, ſondern vielmehr Naturcultus, Reli - gionslehre der Voͤlker war. Viele religioͤſe Sagen der Indier, handeln von der Geſchichte des Pla - neten und ſeiner Ausbildung, die Aſtronomie und alle jene Lehren derſelben, von denen wir hier gehandelt haben, waren nicht allein in Indien, Egypten, und bey andern alten Voͤlkern ein Eigenthum der Prieſter, und in den Religionsbuͤchern der Voͤlker aufbewahrt, ſondern faſt alle Feſte und Religionsuͤbungen waren, wo nicht aſtronomiſchen Urſprungs, doch in Bezie - hung auf die Geſchichte des Planeten und ſein Verhaͤlt - niß zur Sonne.

Nur ein fluͤchtiger Blick auf die aͤlteſte Geſchichte der Voͤlker, nur einzelne Zuͤge aus derſelben, koͤnnen uns belehren, wie die Aſtronomie und uͤberhaupt Na - turcultus, nicht Mittel zu irgend einem aͤußerlichen Zweck, ſondern hoͤchſtes, heiligſtes Werk des Lebens, der erhabenſte Beruf des damaligen Menſchen war. Bey vielen Voͤlkern wo die Claſſe der Prieſter nicht die - ſen hoͤchſten Beruf uͤbernommen, waren die Koͤnige zugleich Oberprieſter, und als ſolche uͤbten ſie vor allem Volke den aſtronomiſchen Cultus. So werden die Nahmen der alten Koͤnige Uranus, Saturn und Atlas, welche ſich in der Naturweisheit vor andern Sterblichen hervorgethan, ſo unſterblich ſeyn als die55 Aſtronomie und das Menſchengeſchlecht ſelber. Ja als ſchon etwas ſpaͤter die Cultur des Landes, auch als neuer Religionscultus, den Voͤlkern gegeben wurde, zeigten ſich abermals die Koͤnige als wohlthaͤtige Ver - breiter und Oberprieſter deſſelben. In dieſer Hinſicht iſt die Wallfahrt der Iſis, welche bey andern Voͤlkern als Ceres verehrt worden, von dem Alterthum geprie - ſen. Aus der Nacht der Vergangenheit ſpricht von jenen Saͤulen, die uns Diodor von Sicilien beſchreibt, der Mund jener mit Recht vergoͤtterten Gatten (Iſis und Oſiris), welche nach der alten Sage den Thron der Egypter beſeſſen. Unſre Geſetze, rufen ſie uns zu, ſind ewig. Wir ſind es, welche den Menſchen erhabene Naturweisheit, und den Anbau des Landes gelehrt haben. Von dem Eiſe des Pols bis zu den Wuͤſten Indiens, von der Quelle der Donau bis zu dem einſamen Geſtade ſuͤdlicher Meere, haben wir die Welt, nicht als Eroberer, ſondern als wohlthaͤtige Genien durchwandelt.

Ja ſelbſt in der Geſchichte Chinas wird einer der aͤlteſten Koͤnige, Hoangti, welcher in dem 5ten Jahr - tauſend vor unſrer Zeit gelebt, als Urheber mehrerer aſtronomiſchen Entdeckungen geprieſen. Mit ihm zu - gleich wird ſein Miniſter Yuchi, welcher der alten Sage nach den Polarſtern beſtimmt, und die Sphere erfunden hat, in der Geſchichte der Wiſſenſchaft ſtets beruͤhmt bleiben. In dieſer hat ſich auch der Koͤnig Chueni, welchen einige Jahrhunderte ſpaͤter das chine -56 ſiſche Volk um ſeiner tiefen aſtronomiſchen Kenntniſſe willen auf den Thron erhoben, als Urheber der erſten aſtronomiſchen Tafeln welche die Chineſen kennen, und als Beobachter der ſchon erwaͤhnten Conjunction der 5 Planeten hervorgethan. Nicht minder groß in der Aſtronomie war der Koͤnig Yao. Ueberhaupt waren, wie bey einigen andern Voͤlkern des Orients (Chal - daͤern, Babyloniern, und zum Theil auch Perſern,*)Evechous und Belus bey den Chaldaͤern, bey den Per - ſen Dſiemſchied u. ſ. w. ſo auch in China die Aſtronomie und der Naturcultus eine Hauptangelegenheit des Regenten, und noch im zten Jahrtauſend vor unſrer Zeit, wallfahrtete der Koͤnig mit ſeinem ganzen Hof an jedem erſten Tage des Neumonds in das Haus der Vorfahren, wo bey dem Schlachten eines Lammes von dem erſten Miniſter die Zeit und der Tag des Jahrs feyerlich, wie ein Ge - heimniß, verkuͤndigt wurde. Hierauf ſtieg der Koͤnig ſelber mit den Miniſtern auf die Sternwarte, und was nach allen vier Gegenden des Himmels beobachtet, oder Neues geſehen war, verzeichnete man in einem hierzu beſtimmten Buche. Nicht minder beruͤhmt ſind die Nahmen der Chaldaͤiſchen und Perſiſchen Koͤnige, in der Geſchichte der Aſtronomie, und Belus ſo wie Dſiemſchied ſind unſterblich geworden wie Sterne. Auf dieſe Weiſe haben die alten Koͤnige ihr eignes Daſeyn mit der Geſchichte des Himmels und der irdiſchen Na - tur verwebt, und indem ſie, wohlthaͤtig wie die ſchaf -57 fende Natur, deren Organe und Symbole ſie gewor - den, ganzen Voͤlkern und kunftigen Jahrtauſenden die hohe Gabe der Cultur und der heiligen Gebraͤuche ver - liehen, waren ſie ein wahrhaftes Abbild des Goͤttlichen und ſind unſterblich geworden wie die Natur. Es hat hierin das Alterthum eine viel wahrhaftere Anſicht von der Beſtimmung der Koͤnige (Stellvertreter des Goͤttli - chen auf Erden zu ſeyn) gezeigt, als die neuere Zeit ja wenn in der Klarheit der kuͤnftigen Jahr - tauſende der Ruhm einer ſolchen neueren Groͤße zer - rinnen wird wie Rauch, ſtehen jene glaͤnzend wie ho - he Eisgebirge.

So war, was jezt nur Einzelne beſchaͤftigt, in der aͤltern Zeit die hoͤchſte Angelegenheit ganzer Voͤlker, der erhabenſte Beruf ihrer Koͤnige, und was jezt als Wiſſenſchaft mehr aͤußerlich iſt, war aufs innigſte mit dem Weſen und ganzem Daſeyn des Menſchen verwebt. Es fuͤhrt uns dieſes auf den tiefen Urſprung jenes aͤl - teſten Naturcultus, von welchem wir in der naͤchſten Vorleſung handeln werden.

58

Dritte Vorleſung. Urſprung der Sprache und des Natur - cultus. Untergang des Letzteren. Die Myſterien.

Nach dem Ausdruck einiger Weltweiſen, wird ſich die Natur im Menſchen ihrer ſelber erſt bewußt, dieſes iſt der Sinn, durch welchen ſie nach Vollendung ihres eignen Weſeus endlich ſich ſelber betrachtet. Dieſe er - ſte Beſtimmung des Menſchen, Organ zu ſeyn, durch welches die Natur ſich ſelber anſchauet, hat im An - fange ſein ganzes Weſen, ſein ganzes Daſeyn erfuͤllt, und er hat uͤber der Natur ſich ſelber vergeſſen, waͤh - rend ſich das Streben der ſpaͤteren Zeit in einer An - ſchauung dieſer Anſchauung verlohren.

Schon eine der aͤlteſten Weiſſagungen, die Ge - ſaͤnge der Whole (Voluspa), welche in der fruͤheren Edda, wie es ſcheint das Aelteſte ſind, ſagen daſſel -59 be. Vor Anbruch der Zeit, heißt es, war weder Sand noch Meer, weder Sturm noch Wind; noch war keine Erde und kein Himmel, ſondern nur ein empfaͤngliches Chaos. Da erſchien die Sonne vom Mittag her, und es keimte das erſte Gruͤn. Als nun die Sonne zuerſt mit ihren Strahlen den links ſtehen - den Mond, nach der Rechten die Heere des Himmels erleuchtete, da wußte die Sonne ihren Saal noch nicht noch der Mond ſeine Veſte, die Sterne kannten ihre Staͤtte noch nicht. Bis die Soͤhne der Goͤtter zu dem Thron des hoͤchſten Gottes giengen, welcher fuͤr das Dunkel den Nahmen der Nacht offenbarte, und den Morgen, Mittag und Abend, die Zeiten und den Wandel der Geſtirne mit ihrem Nahmen benannte.

So ſcheint dieſe alte Sage zu verkuͤnden, wie die Natur durch das lebendige Wort, durch den Geiſt des Menſchen erſt ihr eignes Weſen erkannt habe, ſich ih - rer gleichſam erſt ſelber bewußt worden ſey. Das Wort aber, die Rede, erſcheint als hoͤhere Offenba - rung. Eine aͤhnliche Anſicht von dem goͤttlichen Urſprung und der Heiligkeit der menſchlichen Rede, findet ſich bey vielen alten Voͤlkern. Wir wiſſen daß bey den Perſern dem lebendigen Wort eine ſchaffende Kraft, und die hoͤchſte Gewalt uͤber den Geiſt und das Weſen der Dinge zugeſchrieben worden. Das Sprechen geſchahe durch hoͤhere Begeiſterung, wie die des Dichters oder Sehers; dem Sprecher des leben - digen Worts waren die Zukunft und Vergangenheit pf -60 fenbart, weil der ewige Geiſt, in welchem das Kuͤnf - tige iſt, wie das Vergangene, durch ihn ſprach. Es wurde von der ganzen aͤlteren Zeit der Rede ein unmit - telbarer Urſprung aus dem hoͤheren Einfluß gegeben, und fuͤrwahr die Meynung; es habe die geſellſchaftli - che Noth dieſelbe, aus einzeln aufgefaßten und ge - ſtammleten Naturlauten erfunden, konnte nur in neue - rer Zeit erdichtet werden. Hierin glich die Sprache der Vorwelt dem Dichten, daß, wie es ſcheint, alle Rede metriſch, in Verſen ausgeſprochen war, und die aͤlteſte Sprache die wir kennen, die Sanſcrit, iſt nicht etwa die unvollkommenſte, wie nach der gemeinen An - ſicht zu vermuthen waͤre, ſondern gerade die vollkom - menſte, reichſte, und doch einfaͤltigſte, die wohlklin - gendſte und rythmiſchſte. *)M. ſ. Jones Werke.

Es wird dieſe Anſicht der alten Zeit, welche die erſte Sprache aus unmittelbarer Offenbarung herleitet, nur aus der aͤlteſten Naturphiloſophie verſtanden. Nach dieſer ſind und beſtehen alle Weſen in jedem Augenblick ihres Daſeyns nur in und durch den hoͤheren Einfluß, welcher nur Einer, allen gemeinſchaftlich iſt. In den Augenblicken wo ſich das Daſeyn der Dinge am hoͤch - ſten entfaltet, iſt es der Geiſt dieſes hoͤheren Einfluſſes, welcher an ihnen offenbar wird, dieſer iſt das Licht in der Flamme, in der Rede der Geiſt, in der Vermaͤh - lung die Liebe. Es leuchtet dieſe Anſicht des Einen61 Geiſtes in Allen, aus den Religionslehren der Perſer und Indier, ja vielleicht aus denen der Egpter hervor.

Aus dieſen Lehren des Alterthums wurde begreif - lich, wie dem Menſchen in den Augenblicken der Begeiſt - rung und Weiſſagung das Geheimniß der Natur, der Zukunft und Vergangenheit offenbar wuͤrde, und dem Blick das Entfernteſte in nahe Anſchauung traͤte. Je - ner hoͤhere, Allen gemeinſchaftliche Geiſt, in welchem das Geſetz alles Wandels der Zeiten iſt, der Grund des Kuͤnftigen wie des Gegenwaͤrtigen, wird das ver - einigende Mittel, durch welches die Seelen der von Zeit und Raum getrennten Dinge ſich nahe treten, und das Gemuͤth, wenn es in den Augenblicken der Begei - ſterung in die Tiefe jenes Naturgeiſtes verſunken, tritt wie dieſer ſelber mit den einzelnen Dingen in einen geiſtigen Zuſammenhang, und empfaͤngt die Gabe gleich ihm in das Weſen derſelben zu wirken.

Dieſes iſt die Meynung uͤber den Urſprung der Sprache und des Naturcultus, welche anderen Anſich - ten des Alterthums am meiſten angemeſſen iſt, oder aus dieſen ſelber hervorgeht, und es iſt billig, daß wir dieſe zuerſt vernehmen, wie in der Geſchichte eines einzelnen Menſchen, das was er uͤber ſich ſelber gedacht und geſprochen, zunaͤchſt beruͤckſichtigt wird.

Wir ſehen uns durch verſchiedene dunkle Spuren in der Geſchichte der Natur, und vielleicht auch der des62 Alterthums, noch auf eine andre Meynung von dem Ur - ſprung der Sprache und zugleich jener Naturweisheit, welche das erſte war was der Menſch ausgeſprochen, hingefuͤhrt. Dieſe Meynung ſcheint der gewoͤhnlichen, welche die Sprache aus Naturtoͤnen herleitet, etwas naͤher verwandt, aber zugleich beſtaͤtigt ſie auch, viel - mehr als auf den erſten Blick ſcheinen koͤnnte, die An - ſichten des Alterthums. Es wird angenommen, daß die Atmosphaͤre das Mittelglied einer beſtaͤndigen Wechſelwirkung zwiſchen unſrem Planeten und denen andern Weltkoͤrpern ſey. Wie der Mond und die Sonne noch jezt einen ſichtbaren und merklichen Ein - fluß auf die Veraͤnderungen des Luftkreißes haben, wie nach Einigen noch jezt verſchiedene Stellungen und wechſelſeitige Beziehungen der entfernteren Planeten auf einander durch verſchiedene neue Bewegungen in der Atmosphaͤre ausgezeichnet ſind; ſo muͤſſe dieſer Einfluß fruͤher, bey einem, wie ſich beweiſen ließe, viel empfaͤnglicherem Zuſtand des Luftkreißes, viel merk - licher geweſen ſeyn. Man faͤnde noch jezt in der Bildungsgeſchichte des Planeten Spuren der heftigſten Bewegungen in der fluͤſſigen Atmosphaͤre, einige Pla - neten unſres Syſtems, deren Beſchaffenheit dem Urzu - ſtande des Unſrigen noch nahe ſcheint, gaͤben noch jezt faſt taͤglich ein Beyſpiel von ſolchen heftigen Bewegun - gen in ihre Atmosphaͤre, welche die mittlere Geſchwin - digkeit des Schalles bey uns ſieben, ja elfmal uͤber - traͤfe, waͤhrend die heftigſten Bewegungen in unſern jezigen Luftkreiſe 12 ja 13 mal langſamer waͤren als63 der Schall. Wenn es[wahrſcheinlich] ſey, daß jene aͤußern Einfluͤſſe, welche Veraͤnderungen in der At - mosphaͤre zu bewirken pflegen, in jenem Zuſtand der Erde, welcher dem jetzigen des Jupiter naͤher ſtund, Bewegungen der Luft erzeugten, die an Geſchwindig - keit dem Schalle wenigſtens gleich kamen, ſo ſey die Frage nicht ungereimt: ob nicht das, was jezt als Sturm mit einem rohen und anorgiſchen Laut erſcheint, damals als wirklicher Ton vernommen ſey, ob nicht die alten Sagen von der Harmonie der Weltkoͤrper, von den Toͤnen des Univerſums, wirklich einige Wah - heit enthielten? Hieraus wuͤrde dann begreiflich, war - um Aſtronomie unter den Wiſſenſchaften, Muſik unter den Kuͤnſten das Aelteſte ſey. *)Das muſicaliſche Syſtem der Chineſen faͤngt nach Rouſ - ſier eben da an, wo das der Griechen aufhoͤret.Den Rythmus der Bewegungen der Welten, wie er ſich in der Atmos - phaͤre abſpiegelt, habe der Menſch zuerſt nachgeſpro - chen, und hierdurch eingeweihet in das harmoniſche Geſetz des Ganzen, habe ſein Gemuͤth den Zuſammen - hang der Naturereigniſſe, und die Beziehung der ein - zelnen Dinge auf das Ganze erkannt. Auf dieſe Wei - ſe ſey die aͤlteſte Naturweisheit und die Sprache ſel - ber, durch unmittelbare Offenbarung der Natur an den Menſchen entſtanden.

Es laſſen ſich freylich zur Beſtaͤtigung dieſer Mey - nung keine direkten Beweiſe fuͤhren. Doch wird zu64 unſrer Zeit von allen Seiten anerkannt, daß, wenn der Natur bey dem erſten Entſtehen der organiſchen und lebendigen Koͤrper aus ihr, einige Mitwirkung zuge - ſchrieben werde, wie dies nicht anders moͤglich iſt, hierbey die Atmosphaͤre vorzuͤglich thaͤtig geweſen ſeyn muͤſſe, aus deren Wechſelwirkung mit etwas Fluͤſſigem wir noch jezt die erſten Anfaͤnge des Thier und Pflan - zenreichs hervorgehen, und das Leben in dem beſtaͤn - digen Beduͤrfniß des Athmens erhalten ſehen. Dieſes laͤßt allerdings eine viel vollkommnere und wirkſamere Natur der Atmosphaͤre in jener fruͤheren Zeit voraus - ſetzen. Auf der andern Seite kennen wir noch jezt ei - nige merkwuͤrdige Naturereigniſſe, bey denen die Bewe - gungen der Luft noch von einem wirklichen, gleichſam articulirten Ton begleitet ſind. Von dieſer Art iſt vornehmlich jenes merkwurdige Phaͤnomen, welches unter dem Nahmen Luftmuſic, oder Teufelsſtim - me auf Ceylon und in den benachbarten Laͤndern wahrgenommen iſt. Es iſt dieſes, den Eingebohr - nen wohlbekannte Phaͤnomen, noch bis in die neue - ſte Zeit von ſo vielen glaubwuͤrdigen Reiſenden beob - achtet, daß ſich an ihm ſchon laͤngſt nicht mehr zwei - feln laͤßt. Wir wollen es nach dem Bericht eines Augenzeugen, welcher der Erzaͤhlung der Eingebohr - nen und aller fruͤheren Reiſenden nicht glauben moͤgen bis er es ſelber beobachtet, beſchreiben:

Es laͤßt ſich dieſe Naturſtimme vorzuͤglich in ſtil - len heitren Naͤchten, doch, wie aus andren aͤhnlichen65 Naturerſcheinungen wahrſcheinlich iſt, vor nahen Wit - terungswechſeln hoͤren. Sie hat es mit elektriſchen Lufterſcheinungen gemein, daß ſie mit Blitzesſchnelle bald wie aus ungeheurer Ferne, bald ganz in der Naͤhe vernommen wird. Am meiſten Aehnlichkeit hat ſie mit einer tiefen klagenden Menſchenſtimme,*)Klagend, wie alle Toͤne der jetzigen planetariſchen Na - tur. Zuweilen ſpielt jene Stimme wie in den Toͤnen ei - ner raſchen Menuet, wobey ſie eine eben ſo graͤßliche Wirkung auf die Sinnen der Zuhoͤrer aͤußert. (S. Wolf.) hierbey aber pflegt ſie, wie alle Naturtoͤne, eine ſo tiefe Wirkung auf das menſchliche Gemuͤth zu aͤußern, daß ſelbſt die ru - higſten und verſtaͤndigſten Beobachter, welche die na - tuͤrliche Eutſtehung dieſer Naturbegebenheit wohl ein - ſehen, ſich eines tiefen Entſetzens, und gleichſam ei - nes zerſchneidenden Mitleids mit jenen, den menſchli - chen Jammer ſo entſetzlich nachahmenden Naturtoͤnen nicht erwehren koͤnnen. Wir kennen auch in unſern Himmelsſtrichen, wo die Atmosphaͤre doch zu allen elektriſchen und aͤhnlichen Erſcheinungen weit weniger geeignet iſt, einige jenem verwandte Phaͤnomene, die wirklich atmosphaͤriſchen Urſprungs ſind, mit de - nen man aber viele andre, die von Thieren herruͤhren, und die doch eigentlich (durch ihre Langſamkeit und ganz andern Ton) von jenen leicht zu unterſcheiden waͤren, oͤfters verwechſelt hat. Auch die meiſten an -E66erkannt elektriſchen Meteore ſind bekanntlich von einem eigenthuͤmlichen Ton begleitet. *)Vor Zeiten muß die Atmosphaͤre viel mehr Anlage zu ſol - chen toͤnenden Lufterſcheinungen gehabt haben. Man fin - det davon viele Berichte bey den Alten (z. B. bey roͤmi - ſchen Schriftſtellern) denen man nicht immer den Glauben verſagen kann.

Ein drittes Zeugniß, welches fuͤr jene Meynung zu ſprechen ſcheint, empfangen wir aus der Geſchichte der alten Orakel. Bey einem der aͤlteſten, dem zu Dodona, war es der Klang der vom Wind bewegten Metallbecken, und das Rauſchen der Luft in den Zwei - gen der hohen Eichbaͤume, aus welchen von den Prie - ſtern das Zukuͤnftige geweiſſagt wurde. Dieſe Art der Weiſſagung aus den Naturtoͤnen der Atmosphaͤre, ſcheint unter allen die aͤlteſte. Auch die Wahrſager des aͤlteſten Nordens haben aus dem Rauſchen der ho - hen Baͤume das Zukuͤnftige verkuͤndigt. Darum heißt es noch in einer der fruͤheſten Weiſſagungen in der viele Jahrtauſende alten Voluspa :

Siehe ich kenne einen Eſchenbaum, ſein Nahme heiſſet Gottlich, Hocherhaben. Er ſtehet ewig gruͤne an wohlverwahrten Brunnen,**)Urdarbrunne, von Einigen wird Urdar durch Neceſſi - tas uͤberſetzt. Dieſer Brunnen und jener Eſchenbaum mit ſeinen drey myſtiſchen Wurzeln ſcheinen uͤberyaupt in der nordiſchen Mythologie eine ſehr tiefe Bedeutung zu haben. in Gottes Haus,67 hoch in dem weiten Himmel, und von ihm gehet der Regen aus uͤber alle Thaͤler. Von ihm ſtammen drey weiſſagende Jungfrauen her, entſprun - gen aus jenem See, der uͤber dem Stamme des Bau - mes fluthet, die eine die heiſſet Vergangen, die andre Jetzt, die dritte heiſſet Fernkuͤnftig.

Vielleicht ſpricht dieſe alte Weiſſagung noch viel mehr fuͤr jene Meynung, als auf den erſten Anblick ſcheint. Doch die Erklaͤrung ſey welche ſie wolle, jene Thatſachen, welche einen tieferen Blick des Men - ſchen in die Natur bey der erſten Vorwelt vorausſetzen, bleiben unlaͤugbar und dieſelben. Jene Guͤter des Wiſſens, welche bey uns jetzt eine lange und muͤhſam fortgeſetzte Beobachtung, einzeln wieder hervorgezo - gen, und noch mehr als dieſe, hat das Alterthum in einem lebendigeren Zuſammenhange als wir beſeſſen.

Sey es aber, daß der Geiſt des erſten Menſchen, wie der der Kinder, empfaͤnglicher und abhaͤngiger von der Gewalt der Natur, ein Inſtrument geworden, auf welchem der Geiſt derſelben ſeine ewigen Harmo - nien ausgeſprochen, oder ſey es daß die Natur noch in der Kraft der eben vollendeten Schoͤpfung, einer tie - feren Einwirkung auf ihr letztes Werk faͤhig war und daß ſo die Gewalt der noch jugendlichen Mutter uͤber das neugebohrne, noch zarte Kind groͤßer, der Zu - ſammenhang zwiſchen beyden inniger war: ſo muß - te entweder der ſelbſtſtaͤndiger und vollendeter werden -E 268de Menſch ſich jener Obergewalt mehr entziehen, oder der Menſch wurde allmaͤhlig, waͤhrend die Gewalt jenes hoͤheren Einfluſſes der (veraltenden) Natur abnahm, auf ſeine eigne Kraft zuruͤckgewieſen, und zur Selbſt - ſtaͤndigkeit genoͤthigt. Sey es nun, daß eins oder das andre, oder was wahrſcheinlicher iſt, beydes zu - gleich ſtatt gefunden, ſo mußte, je eigenthuͤmlicher ſich die Natur des Menſchen im Verlauf der Zeiten entwickelte, deſto mehr jene urſpruͤngliche Vollkom - menheit deſſelben, die nicht ſein ſelbſtſtaͤndiges Eigen - thum war, abnehmen. Der eigne Wille iſt es gewe - ſen, der den Fall des Menſchen aus ſeiner damaligen Hoͤhe bewirkt hat, und eine eigenthuͤmlichere Vollen - dung ſeines Weſens hat ihn gegen den hoͤheren Einfluß der Natur unempfaͤnglicher und unabhaͤngiger ge - macht.

So hat die Geſchichte des Menſchen, als das ho - he Gluͤck der alten Zeit von dem hoͤheren Streben der neueren, welches den Menſchen zur Selbſtſtaͤndigkeit erhebt, verdraͤngt war, durch vielfaͤltiges Ungluͤck und den Untergang ganzer Voͤlker, zu der hoͤchſten Bluͤthe der neuen Welt, dem Chriſtenthum, den Uebergang ge - funden, und die neue Zeit giebt auf eine eigenthuͤmli - chere und ſelbſtſtaͤndigere Weiſe dem Menſchen zuruͤck, was er in der alten verlohren. Die wichtige Frage, was der Grund geweſen ſey, daß jene hohe Natur - weisheit, einmal erſchienen, wieder untergieng? daß das hohe Gluͤck der Urzeit ſich unſrem Geſchlecht nur69 zeigte, ſo daß der Verluſt nur um ſo ſchmerzlicher ge - worden? laͤßt ſich demnach beantworten: daß auch hier, wie dies ein allgemeines Naturgeſetz iſt, ein ſchon vorhandnes hohes Streben, durch ein neues hoͤ - heres verdraͤngt ſey.

Obgleich ich von dieſem Verhaͤltniß der neuen Zeit zur alten noch in der naͤchſten Vorleſung handeln werde, ſcheint mir es doch hier am rechten Orte, zu zeigen: daß auch ſchon in der fruͤheren Welt dieſe An - ſicht uͤber den Untergang des hohen Gluͤckes der alten Zeit, und uͤber Untergang und Tod uͤberhaupt ge - herrſcht habe. Fuͤr mich liegt ſie in den Myſterien, welche die ſcheidende alte Zeit, wie eine ſcheidende Mutter, den traurenden ungluͤckſeeligen Geſchlecht der ſpaͤteren Weltalter zum Troſt zuruͤckgelaſſen.

Es iſt ein ewiges Naturgeſetz, das ſo klar da liegt, daß es ſich dem Geiſt des Menſchen zuerſt aufdringen muͤſſen, daß die vergaͤngliche Form der Dinge unter - geht, wenn ein neues, hoͤheres Streben in ihnen er - wacht, und daß nicht die Zeit, nicht die Außenwelt, ſondern die Pſyche ſelber ihre Huͤlle zerſtoͤrt, wenn die Schwingen eines neuen, freyeren Daſeyns ſich in ihr entfalten. Ich habe in dem erſten Theil meiner ſchon angefuͤhrten Schrift, da wo ich von einem ſcheinbaren Streben der Dinge nach ihrer eignen Vernichtung ge - handelt, in vielen Veyſpielen gezeigt, daß gerade in der Gluth der ſeeligſten und am meiſten erſtrebten Au -70 genblicke des Daſeyns, dieſes ſich ſelber aufloͤſet und zerſtoͤrt. Es welkt die Blume ſogleich, wenn der hoͤchſte Augenblick des Bluͤhens voruͤber iſt, und das bunte Inſekt ſucht in der einen Stunde der Liebe zu - gleich die ſeines Todes, und empfaͤngt in dem Tempel der Hochzeit ſelber ſein Grab. Ja es ſind bey dem Menſchen gerade die ſeeligſten und geiſtigſten Augen - blicke des Lebens, fuͤr dieſes ſelber die zerſtoͤrendſten, und wir finden oͤfters in dem hoͤchſten und heiligſten Streben unſres Weſens, einen ſeeligen Untergang. Die erhabenſten und goͤttlichſten Bluͤthen in der Ge - ſchichte unſres Geſchlechts, ſind am ſchnellſten ver - gangen, am ſchnellſten von dem Andrange ihrer Zeit, oder vielmehr von ihrem eignen Streben zerſtoͤrt wor - den, obwohl das Werk ſelber das ſie gethan, fuͤr alle Zeiten gethan iſt. So wird, wenn die Weſen mit al - len Kraͤften gerungen, daß ſie den Geiſt einer hoͤheren Vollendung ergreifen moͤchten, der Genuß ſelber der Tod, und nur das Streben nach jenem hoͤchſten Mo - ment hat das Leben aufrecht erhalten. Jedoch iſt je - nes Streben nicht vergeblich geweſen, und eben die Gluth jener zerſtoͤrenden Augenblicke, fuͤr die bisheri - ge Form des Daſeyns zu erhaben, erzeugt den Keim eines neuen hoͤheren Lebens in der Aſche des unterge - gangenen vorigen, und das Vergaͤngliche wird, (be - ruͤhrt und verzehrt von dem Ewigen) aus dieſem von neuem wieder verjuͤngt. Auf dieſe Weiſe wird uns ei - ne der kuͤnftigen Vorleſungen in vielen Thatſachen die aus der Natur ſelber geſchoͤpft ſind, zeigen, wie ge -71 rade in den hoͤchſten Augenblicken des jetzigen Daſeyns der Dinge, die Anlagen zu einem kuͤnftigen hoͤheren erzeugt werden, und oft in dieſen ſelber, oder bald nach - her ſichtbar werden. Aus dieſem Grunde ſind jene hoͤchſten Augenblicke zerſtoͤrend, weil ein neuaufgehen - des hoͤheres Streben das alte verdraͤngt, weil von nun an die Empfaͤnglichkeit fuͤr die Einfluͤſſe des jetzigen Daſeyns ſich vermindert.

Es hat auch die Vorwelt in dieſem Geſetz, welches die hoͤchſten Momente des Lebens unmittelbar mit dem Tode verknuͤpft, das Geheimniß der Liebe und des Todes, die Hoffnung einer unſterblichen Fortdauer unſres Weſens, und den Troſt uͤber den Untergang der hohen alten Vergangenheit gefunden. Es wurde des - halb in den Myſterien der Egypter und zu Eleuſis, auf die Geſchichte der alten Zeit gedeutet,*)Plutarch. Iſis et Oſiris und den Eingeweiheten die Zuverſicht einer ſeeligen Fortdauer nach dem Tode gegeben. Das Bild, unter welchem in den Myſterien der Tod erſchien, ſtellte dieſen dem Gemuͤth vielmehr lieblich und ſuͤß, als ſchrecklich dar, und die Einweihung wurde deshalb als ein Mittel gegen die Furcht vor dem Tode geprieſen. **)Heyne ad Apollodor. Ja es ward noch den Sterbenden, und nach einem frommen Glau -72 ben ſelbſt den Todten der Hinuͤbertritt in ein neues Da - ſeyn durch die heilige Weihe erleichtert. *)Beſonders wurde dieſes von dem Samothraciſchen gehei - men Gottesdienſt geglaubt. M. vergl. Saint-Croix.

Doch ich will jetzt Einiges hieher gehoͤrige aus den Myſterien ſelber erzaͤhlen. In einem traurigen Spie - le, ſtellten die egyptiſchen Prieſter in ſtillen Fruͤhlings - naͤchten die Leiden und den Tod des Oſiris vor. Ein ſchoͤner See an dem Tempel bey Sais war der Schau - platz, und es erſchienen in dieſen Myſterien Saͤrge und Graͤber. Zugleich bedeutete Oſiris die zeugende, hervorbringende Kraft. **)Ueberhaupt war der Phallusdienſt, der ſich in allen My - ſterien fand, uͤberall mit Symbolen des Unterganges und Todes verbunden.Nach der gewoͤhnlichen Sage war dieſer Gatte der Iſis von dem Typhon zer - riſſen, und dieſes erhabene Goͤtterpaar erſchien dem Alterthum zugleich als Vorbild der hoͤchſten Vollendung und der tiefſten Leiden. Den Leichnam des Oſiris trie - ben die Wellen an die phoͤniciſche Kuͤſte bey Biblos, wo eine junge Staude den Sarg und den Leichnam in ſich empfaͤngt und voll Mitleid in ihrem Stamm be - graͤbt. Als den heiligen Stamm der Koͤnig des Lan - des umzuhauen befohlen, da erſcheint ploͤtzlich die einſame, in Schmerzen verſunkene Goͤttin, erſt in Ge - ſtalt eines Weibes, ſchweigend, nur durch himmli - ſchen Duft ſich verrathend, auf dem Brunnen ſitzend,73 hierauf als Schwalbe, ſeufzend auf dem geliebten Baume. Der offenbar gewordnen Gottheit wird der theure Leichnam zuruͤckgegeben.

Dieſe Wanderungen der Iſis ſind in die Elenſinien uͤbergegangen, wo die Iſis als Ceres, Oſiris als Proſerpina erſcheint. *)S. Saint Croix. Die Beerdigung des Oſiris und die Entfuͤhrung der Proſerpina in die Unterwelt, hatten die - ſelbe Bedeutung.Es war die Proſerpina eine Goͤttin des Todes und der ewig neuentſtehenden Keime, ihr Nahme von Phosphorus hergeleitet, welcher ſchon im Alterthum als eine Fackel des Todes und der Liebe verehrt war. Nach einer egyptiſchen Sage war auch, um die Leiden der ewigen Goͤttin zu vermehren, der junge Sohn der Iſis, Horus, von dem Typhon getoͤdtet. In den Eleuſinien war er durch den jungen Jachus dargeſtellt. Dieſer, bald ein Sohn der Ce - res, bald der Proſerpina genannt, wird als Saͤug - ling abgebildet. Jener Tag, wo man den Tod des jungen Jachus beweinte, war in den Myſterien der Heiligſte. Zugleich wurde an ihm, in Koͤrben ver - wahrt, das Symbol der ewigen Wiederverjuͤngung der Natur und des Schaffenden verehrt (der Lingam). Die Blumen der Liebe Myrten und Roſen, deute - ten in den Myſterien auf den Tod. So erſchienen Liebe und Tod, das ſeeligſte Streben des Gemuͤths und der Untergang des Individuums vereint.

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Auch in den Feſten des Adonis, wurden die ſuͤße Liebe und der Tod zugleich verherrlicht, und in den Myſterien der Cureten wurde Jaſion, welcher in der Liebe der großen Goͤttin ſeinen Untergang gefunden, beweint. Waͤhrend die Klagen um die Liebe und den Tod des Adonis, von den phoͤniciſchen Frauen in freyer Natur, die an dieſen Klagen Theil genommen, gefuͤhrt wurden, geſchahen die Myſterien der Coryban - ten, in denen der junge Cadmillus an die Stelle des Adonis trat, bey ſtiller Nacht, in einſamer Hoͤhle. Dieſer fruͤhe hingeſchiedene Juͤngling, wurde in einer ſpaͤteren Umwandlung dieſes Gottesdienſtes, als Cu - pido, als hervorbringende, ſchaffende Liebe darge - ſtellt, welches er, wie aus einigen andern ſcheint, auch ſchon fruͤher andeutete. *)Der junge Cadmillus wurde (ſo erzaͤhlte man dem Volk) von ſeinen beyden Bruͤdern ermordet, welche die Zeu - gungstheile in einer Kiſte mit ſich entfuͤhrten. Eine Kiſte mit einem aͤhnlichen Inhalt ſpielte bey allen jenen Cere - monien eine ganz vorzuͤglich wichtige Rolle.Auf aͤhnliche Weiſe wird in den Myſterien der Daktylen, welche den Berg Ida in Phrygien durch ihre geheime Lehre verherrli - chet, durch den jungen Celmis das Sehnen der ju - gendlichen Liebe, und der fruͤhe Untergang derſelben bezeichnet. In der Nachtgleiche des Fruͤhlings, wur - de, gleichfalls in Phrygien, von den Korybanten das Trauerfeſt des Attis gefeyert, welcher, wie Adonis, in der erhabenen Liebe einer Goͤttin eine kurze Seelig - keit genoſſen. Blos der erſte Tag war traurig, an75 ihm wurde eine Pinje mit dem Bild des Attis umge - hauen, am zweyten wurde auf Hoͤrnern geblaſen, endlich am dritten, zugleich mit der Einweihung, wie es ſcheint, die Wiederkehr ins Leben gefeyert. Ein ſol - ches Wiederaufleben des geliebten Geſchiedenen, eine ewige Wiedererneuung aus dem Tode, wurde in allen Myſterien verherrlicht. Erſt in den Zeiten des Ver - falls der Myſterien, wurde dieſes Feſt von den Prie - ſtern mit einem blutigen Wahnſinn gefeyert, und mit einem traurigen Geſange, mit zerſtreueten Haaren, mit bloßem Schwerd und brennenden Fackeln, irrten ſie durch Wald und Berg, bis dieſer Wahnſinn einen grau - ſamen Ausgang nahm. *)Selbſtentmannung.Fruͤhere Zeiten hatten hier - mit einen ſowohl erhabneren als lieblicheren Sinn ver - bunden.

Nach der heiligen Reinigung im Fluſſe Meilichus, mit Epheu begraͤnzt, feyerte die zarte Jugend zu Pa - trae, in dem Feſte des Bachus oͤffentlich, wie es ſcheint, mehr ein Feſt der Liebe als des Todes. Es ſollte dieſe Gottheit den jungen fruͤhe untergegangenen Jachus in den Myſterien andeuten.

In den Myſterien des Mithra iſt das untergehen - de Streben der alten Zeit durch den heiligen Stier, welchen der aͤltere Orient als ein Symbol der hervor - bringenden Erde verehrt, dargeſtellt. Es wird hier76 durch den Scorpion und die Schlange daſſelbe bezeich - net, was in den egyptiſchen Myſterien Typhon iſt*)Dieſe werden an den Geſchlechtstheilen des Stieres na - gend dargeſtellt. und aus dem gemarterten Leibe des untergehenden Thieres, erhebt ſich, ewig, und zur Schoͤpfung der neuen Zeit thaͤtig, die hervorbringende Kraft, aus welcher Blumen und Thiere aufkeimen. Auf dem Aſte eines neuausſchlagenden Baumes, verkuͤndet mit prophetiſchem Geſange ein Rabe das Aufleben der neuen Zeit aus der untergehenden alten, und waͤh - rend der Genius der Zeit den Stier erlegt, wird in Oſten das Bild der aufgehenden Sonne, in Weſten das des niedergehenden Mondes geſehen.

So iſt in allen jenen Myſterien, der Tod und die Liebe, der Untergang und die Wiedererneuung der Dinge, zu Einem Bild vereint, dargeſtellt worden. Dieſe Vereinigung ſo entgegengeſetzt ſcheinender Dinge, iſt in der indiſchen Mythologie wo moͤglich noch deutlicher. Eben der Gott Shiven, welcher mit ſei - ner Gattin das Bild des Zerſtoͤrenden, des Untergan - ges, des Todes iſt, wird zugleich als Sinnbild der allerzeugenden Urkraft verehrt. Die Gemahlin des Gottes iſt zugleich Koͤnigin des Schreckens, des Todes und Goͤttin der Liebe, des ſinnlichen Vergnuͤgens und des Urſprungs der Dinge. **)S. d. P. Paulinus ſyſtema Brahmanicum. Uebrigens ſind beyde Gottheiten wie uͤberhaupt die Myſterien undWenn bey dem großen77 Feſte dieſer Goͤttin, welche alle Schrecken und alle Liebreize in ſich vereint, ihr ſchweres Bildniß auf ei - nem Wagen mit ſchneidenden Raͤdern nach dem Gan - ges gefuͤhrt wird, ſieht man, mit Bluͤthen begraͤnzt, in froͤlichem Wahnſinn, als ob ſie zum Hochzeitaltar giengen, eine Schaar Begeiſterter, welche ſich unter die Raͤder des Wagens werfen, und bey dem Klange der Hoͤrner von den Meſſern derſelben in Stuͤcke zer - ſchnitten, ſich ſelber zum Opfer bringen. Auf dem Berge Meru, auf goldenem Tiſche, ſteht in der ewi - gen Lotosbluͤthe das Symbol des Gottes Shiven, wel - ches das in den griechiſchen Myſterien verehrte des ir - diſchen Urſprungs iſt*)Ein Lingam. zugleich mit dem heiligen Dreyeck, dem Symbol der zerſtoͤrenden und zeugen - den Goͤttin Bhovani. **)Dieſes wird fuͤr ein Symbol der weiblichen Zeugungs - kraft gehalten.Dieſe Vereinigung des Zer - ſtoͤrenden und Zeugenden, des Todes und der Liebe, iſt nach dem Ausſpruch eines indiſchen Dichters nicht allein den Menſchen, ſondern ſelbſt den Goͤttern als ein Raͤthſel voll tiefen heiligen Sinnes hingeſtellet.

Endlich, damit ich das Uebrige kurz faſſe, ge - hen, abgeſehen von etwas Aehnlichem bey den Mexi -**)noch mehr alle Menſchenopfer, in der indiſchen Mytholo - gie ſehr ſpaͤt entſtanden und gehoͤren allerdings ſchon den Zeiten des Verfalls an.78 canern*)Doch wird in der merkwuͤrdigen Sage von dem Gott der Luft faſt noch mehr eine entfernte Aehnlichkeit mit der hei - ligen Sage vom Idris oder Henoch gefunden. die Zuͤge jenes Inhalts der Myſterien, bis in die heilige Sage der Scandinavier, und der alten deutſchen Staͤmme hinuͤber. Balder, der ſchoͤnſte und beſte unter allen Goͤtterſoͤhnen, iſt vor Allen zu einem fruͤhen Tod erſehen. Was hilfts daß ſein Va - ter die alte Whole, deren Leichnam Jahrhunderte lang der Schnee und das Eis bedeckt, und der Thau des Himmels benetzt hat, durch grauſamen Zauber in der letzten Ruhe ſtoͤrt, und zum Weiſſagen zwingt, was hilfts, daß alle Dinge, das Waſſer und die Luft, Erde, Feuer und Eiſen, alle Gifte, Pflanzen, Thie - re und Menſchen, außer der kleinen Staude Miſtilteire vor dem Pallaſt des Odin, welche zu jung zum Schwur geachtet war, mit heiligem Eide geloben, den Balder nicht zu toͤden, es wird doch der Sichere, allen Elementen Unverletzliche, durch die zu gering ge - achtete Pflanze, von einem Blinden erſchlagen. Hier - auf, als mit dem unſterblichen Ring des Odin in die Unterwelt hinabgeſendet, der ſchnelle Hermode um die Gunſt der großen Goͤttin mit lauterem Getoͤs als fuͤnfmal fuͤnftauſend Tode die Bruͤcke zum Schatten - reich durchſtuͤrmet, als die ganze Natur durch ihre Thraͤnen den jungen Halbgott zuruͤckruft, bleibt aller dieſer Jammer vergeblich, weil ein einziges feindliches Weib in die Klagen der ganzen Natur nicht einſtimmt,79 und nur der ewige Ring des Odin, der, jeden neun - ten Tag einen ihm aͤhnlichen Ring gebaͤhrend, ſeit - dem zugleich ein Sinnbild der neuen Erzeugung aus ſich ſelber und des Todes iſt, wird zuruͤckgebracht.

So iſt es ein Hauptinnhalt der meiſten Myſterien und heiligen Sagen, daß der Tod aus der Liebe, Un - tergang des Individuellen aus dem hoͤchſten Streben der Seele hervorgienge. Hiermit verliert der Tod ſeine Schrecken, und es erſcheint in ihm der Moment, wo jene hoͤheren Organe, jene hoͤheren Kraͤfte, die wir waͤhrend des Lebens vergeblich erſtrebt haben, in uns durch die Flamme eines großen Augenblicks er - weckt werden. Alsdann wird der Pſyche dieſe Huͤlle zu enge, es vergeht dieſe Form, damit eine neue hoͤ - here aus ihr wiederkehre.

Es deuteten die alten Myſterien, wie wir es von den meiſten wiſſen,*)Man hat deshalb in ſo vielen nichts andres als ein An - denken an einen Religionskrieg zwiſchen den Anhaͤngern der neueingefuͤhrten Gottheiten der Myſterien und denen der alten, worinnen jene anfangs noch unterlagen, zu ſe - hen geglaubt. außer dieſem noch ganz vor - zuͤglich auf die Geſchichte der hohen, untergegangenen Urzeit, und auf die Gruͤnde dieſes Unterganges. Nach dem ewigen Naturgeſetz unterlag die große Vor - welt, als ſie ihre letzten und hoͤchſten Kraͤfte an das kuͤhnſte und erhabenſte Werk gewagt. Es wird die -80 ſes in verſchiedenen Sagen angedeutet (als jener Thurmbau, Kampf der Titanen u. ſ. w.) am haͤufig - ſten jedoch wird das Bild gebraucht, daß der Menſch in der Liebe und der innigen Gemeinſchaft einer Gottheit eine kurze Seeligkeit, und fruͤhen Tod gefunden. Aber eben in jenem Naturgeſetz, deſſen tiefer Sinn in den Myſterien gedeutet wurde, lag der Troſt uͤber das fruͤ - he Verſinken des alten Gluͤcks. Nur die alte Form war vernichtet, weil ſie dem hoͤheren Streben der neuen Zeit, das in dem naͤmlichen großen Moment, welcher die alte zur letzten Bluͤthe und zugleich zum Tode ge - fuͤhrt hatte erwachte, zu enge war. So wurde in dem Untergang der alten Herrlichkeit, die Zuverſicht ei - ner hoͤheren, unvergaͤnglicheren gefunden.

Und dieſes iſt der alte Weihgeſang der Myſterien, ein Brautlied und ein Lieb der Graͤber: Wer hat dich heraufgefuͤhrt hoher Frieden, wer hat dich uns gezeigt heilige Wonne! Als unſre Seele ſich erhub dich zu er - faſſen, ſtarbſt du, in der Gluth unſers Sehnens, der Kranz der Liebe ſank auf Graͤber. Dein eignes Streben o Menſch! hat mich, heilige Wonne herauf - gefuͤhrt, in deinem eignen, noch hoͤherem Streben, bin ich untergegangen. Eile hinaus zu immer hoͤhe - rem Ziel! ſiehe bald bluͤhet der Kranz deines Sehnens von neuem. Der Winter eilet ſchnell voruͤber, die Stunde des Todes und der Liebe koͤmmt nahe!

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Wir finden, daß gerade das hoͤchſte Streben in uns, jenes Sehnen, das ſich bey Einigen an mehr, bey Ande - ren an minder wuͤrdigem Gegenſtand, an groͤberem oder geiſtigerem Genuß erſchoͤpft, uns zum Grabe fuͤhret; auf daß wir aus dieſem zu immer hoͤherem Streben, immer hoͤherem Sehnen wiedergebohren wuͤrden. Die Gluth aber jener hoͤchſten Augenblicke, welche das Vergaͤngliche an uns verzehrt, weil dieſes das Ewige nicht faſſen koͤnnen, iſt das einzige Unvergaͤngliche in uns. Dieſe ſchwebt heilig und ſchoͤn uͤber dem zerfloſ - ſenem Angeſicht der Gruft, und ſie gehet mit uns hin - uͤber, durch die Thore eines neuen, hoͤheren Aufgangs. Das andre Alles iſt vergangen, den Glanz jener heili - gen Augenblicke, welche uns zugleich gelaͤutert und zerſtoͤrt, bringen wir mit uns hinauf. Wir halten die Weihe eines wahrhaft guten und heiligen Strebens, mit dem Leben nicht zu theuer bezahlt, und finden in dem Gelingen eines goͤttlichen Werkes, einen ſeeligen Untergang. Auf dieſe Weiſe pflegt ein kuͤhnes Gemuͤth mit der Flamme zu ſcherzen, welche es verzehrt, und es erkennet in ſeinem Untergange den Aufgang eines neuen, immer beſſeren Strebens, in dem Grabe die hoͤhere Wiedergeburt unſres unvergaͤnglichen Sehnens.

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Vierte Vorleſung. Das juͤngere Heydenthum. Die Ora - kel. Aufgang der neuen Zeit.

Wir ſahen im Vorhergehenden, wie die zunehmende Selbſtſtaͤndigkeit des Menſchen, dieſen der Obergewalt der Natur, zugleich aber auch den paradieſiſchen Freu - den der erſten goldnen Zeit entzogen. Zugleich hatte die ſchaffende Gewalt der Natur, der Einfluß derſel - ben auf den Menſchen, an Intenſitaͤt verlohren, und der Menſch wurde ſelbſt aͤußerlich, in Hinſicht der er - ſten Lebensbeduͤrfniſſe, auf ſeine eigenen Kraͤfte zuruͤck - gewieſen, als die Mutter, welche ihn in der Fuͤlle der erſten Zeit uͤberfluͤſſig ernaͤhrt, mit ihren Gaben ſpar - ſamer geworden. Es wurde jetzt die Kultur des Landes noͤthig,*)Im Schweiß deines Angeſichts ſollſt du dein Brod eſſen. und es iſt einer der bedeutendſten Zuͤge der Geſchichte, daß die Entſtehung und Verbreitung der83 Myſterien, deren Bedeutung wir im Vorhergehenden kennen lernten, mit der des Ackerbaues zuſammen - faͤllt, und daß viele jener heiligen Gebraͤuche, die doch ſelbſt nach den Alten auf das Beginnen einer neuen Zeit und auf den Untergang eines ſchoͤnen ſeeligen Be - ſitzes unſres Geſchlechts deuteten, zugleich mit dem Ackerbau in Beziehung ſtunden. Von dieſem wurden ſehr oft Bilder hergenommen, und die in die Unter - welt verſunkene Perſephone mit dem in die Erde ge - legten Saamenkorn, das Wiederaufleben einer als tod beklagten Gottheit, mit dem Hervorſproſſen deſſelben verglichen. In andren Myſterien wurden die Bilder aus der Aſtronomie genommen, und Anſpielungen auf die Abweſenheit der Sonne und das Wiedererſcheinen derſelben gemacht. (Wenigſtens iſt es Einigen vor - zuͤglich Gatterer eben ſo gut gelungen, die egypti - ſchen Myſterien aſtronomiſch zu erklaͤren, als Andern jene oͤkonomiſche Erklaͤrung der Eleuſinien.) Die Be - deutung der Iſis und Ceres in der ganzen alten Welt, die Einfuͤhrung des Ackerbaues, welche ihr, die zu - gleich den Myſterien ihren Urſprung gegeben, allge - mein zugeſchrieben wurde,*)Selbſt nach jenen alten Inſchriften auf ſteinernen Saͤu - len, zu Niſa in Arabien, die Diodor von Sieilien[b]e - ſchreibt. laſſen leicht den Zuſam - menhang der Cultur des Landes und der Myſterien er - kennen.

F 284

Wenn aber, wie wir im Vorhergehenden ſahen, jene Weihungen die Klagen und den Troſt uͤber den Untergang der alten herrlichen Vorwelt, und des In - dividuums uͤberhaupt enthielten, wenn ſie zugleich troͤ - ſtend auf die aufgehende neue Zeit, deren maͤchtigeres Licht ja allein das ſchon verbleichende Geſtirn der alten Zeit vertrieben, hindeuteten, ſo war jener Zuſammen - hang ſehr natuͤrlich. Allerdings war in den Myſterien ungleich mehr bewahrt als Regeln des Landbaues: die Zuverſicht des kuͤnftigen Heils das aus dem neuen Streben des Menſchen erbluͤhen ſollte. Aber die Stifter der Myſterien, welche uͤbrigens auch die Cul - tur des Landes als Religionscultus einfuͤhrten, haben hiermit den Voͤlkern die noͤthigen Huͤlfsmittel zu der nun noͤthig gewordnen aͤußeren Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhaͤngigkeit des Menſchen von der ungleichen Gunſt der Natur (die man nun mehr nach eignen Willen zu erzwingen gewußt) in die Hand gegeben. Der Acker - bau iſt, wie wir ſchon fruͤher ſahen, fuͤr die neue Zeit charakteriſtiſch.

Die Myſterien bilden einen ſchoͤnen Uebergang der alten Welt zur neuen. In ihnen, oder mit ihnen zu - gleich, bewahrten die egyptiſchen Prieſter die noch uͤbrig - gebliebenen Truͤmmer der alten Naturweisheit. Die - ſe wurden nicht auf jene Weiſe mitgetheilt, wie wir zu unſrer Zeit die Wiſſenſchaft mittheilen, ſie wurden allem Anſchein nach im gewoͤhnlichen Sinne weder ge - lehrt noch gelernt; ſondern ein Abbild der alten Natur -85 offenbarungen, mußte das Verſtehen aus der Seele des Schuͤlers ſelber, als Begeiſterung kommen.

Aus dieſem Grunde ſcheinen jene vielfaͤltigen Vor - bereitungen und Laͤuterungen gekommen, deren Stren - ge Viele von der Einweihung der egyptiſchen Prieſter zuruͤckgeſchreckt, ja nicht ſelten den Schuͤlern das Le - ben geraubt hat. Ein langes Faſten und die hoͤchſte Nuͤchternheit, ſchienen vorzuͤglich noͤthig, außer dieſem wurde der Leib durch die haͤrteſten Anſtrengungen, und ſelbſt durch willkuͤhrlich hervorgerufene Schmerzen ohn - maͤchtig, und ſo fuͤr aͤußere Einfluͤſſe und die Bewe - gungen des Gemuͤths empfaͤnglicher gemacht. Es wur - de hernach der Phantaſie in Bildern (wie noch ſelbſt aus der Beſchreibung der Eleuſinien ſcheint) der tiefſte Innhalt der Myſterien vorgefuͤhrt, und der innre Sinn mehr durch den Geſamteindruck des Ganzen ent - flammt als (wie bey uns geſchieht) durch ein Ausein - anderſetzen der einzelnen Thatſachen unterrichtet. Auf dieſe Weiſe wurde den Eingeweihten nicht der tode Koͤrper der Wiſſenſchaft uͤbergeben, und es ſo dem Zu - falle uͤberlaſſen, ob dieſer ſich bey ihnen beſeelen wuͤr - de oder nicht, ſondern der lebendige Geiſt der alten Naturweisheit ſelber.

Aus dieſem Grunde, weil naͤmlich der Innhalt der Myſterien mehr offenbart werden mußte, als ge - lehrt, mehr von innen aus der Begeiſterung und goͤtt - lichen Trunkenheit des Gemuͤths kam, als von außen86 durch muͤndlichen Unterricht, durfte dieſelbe auch dem Volk nicht oͤffentlich verkuͤndigt werden. Es wurde bey allen Prieſtern dieſer Zeit, von den Egyptern bis zu den alten Scandinaviern mit dem Tode beſtraft, wenn die Eingeweiheten den Innhalt der Myſterien durch kalte Rede oder Beſchreibung, an Solche, welche die Begeiſterung der Weihe nicht empfiengen, entheilig - ten. *)S. Olaus Rudbeck. Die Hauptlehren ihrer alten Religion ſind deshalb mit ihnen untergegangen.Dem Volke durfte die Wahrheit nur in dunk - len Bildern und Beyſpielen dargeſtellt werden, und ſelbſt dieſe Gleichniſſe durften bey den alten Scandina - viſchen Prieſtern nicht dem todten Buchſtaben anvertraut werden. **)Nach Demſelben. Jene Mythen waren in Verſen.So feſt war noch bey jener alten Welt der Glaube: die wahre Weisheit koͤnne nicht ſowohl von dem Menſchen an den Menſchen mitgetheilt, als vielmehr einem empfaͤnglichen Gemuͤth durch den hoͤhe - ren (goͤttlichen) Einfluß offenbart werden.

So erſcheinen uns die Myſterien noch als das letz - te Denkmahl ihres Daſeyns das die ſcheidende alte Zeit der neuen hinterlaſſen. Schon tragen die Voͤlker bey denen jene heilige Weihe vorzuͤglich gebluͤhet, einen von dem der alten Welt ſehr verſchiedenen Charakter, und die Myſterien ſelber deren edlerer Urſprung wohl gewiß ſcheint, ſind bey Vielen in die wildeſten Graͤuel ausgeartet. Man befrage uͤber jene Voͤlker die Ge -87 ſchichte der Aſtronomie und des Naturcultus, ſo wird man dieſen angebohrnen Vorzug des Menſchen bey ih - nen allen weit unvollkommner und[unausgebildeter] finden.

Es iſt bekannt, welche große Muͤhe und lange Verſuche in Griechenland blos die einfache Eintheilung der Zeit gekoſtet hat. Noch ſind die Gedichte des Orpheus und Linus aſtronomiſchen Innhalts geweſen, und wir wiſſen aus der Tradition, die uns von ihnen noch Zahlen der Zeitrechnung aufbewahrt hat, daß ſie die Bedeutung jener merkwuͤrdigen Zahl 432, deren Kenntniß nach unſrer Meynung ſchon ein tieferes Ver - ſtehen der alten Naturweisheit vorausſetzte, gekannt haben. *)Sie bedienten ſich bey der Zeiteintheilung der Zahlen 120 und 3600, beyde multiplicirt ſind die indiſche Zahl 432000.Doch tritt bald nachher uͤber dieſe Gegen - ſtaͤnde die groͤßte Ungewißheit ein. Als vorzuͤglich ungeſchickt und unbequem faͤllt die zweyjaͤhrige Inter - calationsmethode auf, die wir noch zu unſers Aelter - vaters Hippocrates Zeiten finden**)Alle 2 Jahre mußte ein ganzer Monat eingeſchaltet werden. und wenn nicht die Olympiſchen Spiele der Chronologie zu Huͤlfe kaͤ - men, wuͤrde dieſe bey den Griechen noch ungleich ſchwieriger ſeyn als ſie es ſchon iſt. Jene wahrhaften und tiefen Kenntniſſe der Natur und des Weltgebaͤu -88 des, welche Thales von den egyptiſchen Prieſtern, in deren Geheimniſſe er eingeweihet war, mitbrachte, vermochten ſich doch auf griechiſchem Boden nicht lange zu erhalten und ſchon ſeine naͤchſten Nachfolger und Schuͤler (beſonders Araximenes*)Er lehrte wieder, die Erde ſey platt, das Himmelsge - woͤlbe feſt, nachdem Thales ſchon die wahren Anſichten vorgetragen.) erlaubten ſich wieder die Natur auf ihre Weiſe zu dichten.

Ueberhaupt hat man mit Recht anerkannt, daß die Aſtronomie der Griechen blos aus den verſchiedenen Meynungen ihrer Philoſophen beſtehe.

So waren, waͤhrend bey andren aͤlteren Voͤlkern die Kenntniß von der Umlaufszeit der Weltkoͤrper, der Perioden, der wahren Geſtalt und andrer Verhaͤltniſ - ſe derſelben, ein allgemeines Eigenthum geweſen, die Griechen Jahrhunderte lang vergeblich bemuͤht, nur die eigentliche Dauer des Jahres aufzufinden, und uͤber die Geſchichte des Weltgebaͤudes, die jenen allge - mein nach ihren Grundzuͤgen bekannt war, erlaubten ſich dieſe nach Willkuͤhr, jetzt dieſe dann jene Meynung zu hegen.

Eine nicht geringere Ungewißheit in der Einthei - lung der Zeit, herrſchte bey den alten italiaͤniſchen Voͤlkern, bis Numa hierin einige Abaͤnderung traf. 89 Wenn ſich bey den Juden, wie Joſephus berich - tet, die Sage erhalten hatte, daß die Patriarchen be - ſonders hohe Kenntniſſe der Natur, vornehmlich aſtro - nomiſche beſeſſen haͤtten, ſo waren doch dieſe ſpaͤter bey dieſem Volke wieder ganz zuruͤckgetreten, und wir finden bey ihm keine Spuren des von uns ſo genannten aſtronomiſchen Inſtinkts.

So hatte ſich gerade bey jenen Voͤlkern, wo der hoͤchſte Moment der neuen Zeit (das Chriſtenthum) am vollkommenſten vorbereitet war, wo dieſer am fruͤheſten und maͤchtigſten eintrat, der natuͤrliche Charakter der alten Zeit (die Abhaͤngigkeit von der Natur) ſchon am meiſten verlohren.

Schon war im juͤngeren Heydenthum der Charak - ter der neuen Zeit, welchen die Macht des eignen Wil - lens und das Streben nach der Vollendung deſſelben bezeichnet, erwacht, und dieſer iſt dem Weſen der al - ten Zeit, das in gaͤnzlicher Hingebung des Einzelnen in die Einfluͤſſe des Ganzen beſtund, geradehin entge - gengeſetzt. Deshalb ſehen wir ſogar in China die vieltauſendjaͤhrige Reihe der aſtronomiſchen Beobach - tungen, und mit ihr den alten Naturcultus, mit dem Eintritt des beruͤhmten Confucius und ſeiner neuen Leh - re auf einmal gaͤnzlich abgebrochen; ſo daß auch hier das Erwachen des menſchlichen Forſchungsgeiſtes und des freyen Strebens, zugleich den Untergang des alten Naturcultus bezeichnet.

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Wo bey Voͤlkern, an denen ſich der Charakter der neuen Zeit ſchon zu entfalten angefangen, noch Etwas aus der alten Zeit uͤbrig geblieben, erſchien dieſes mehr krankhaft. Von der Art krankhafter Erſcheinungen waren vorzuͤglich die Orakel, welche im juͤngeren Hey - denthum nach einen Nachhall des eigentlichen und al - ten erkuͤnſtelten. Krankhafte Erſcheinungen in der Ge - ſchichte des menſchlichen Geiſtes ſind ſie geweſen, nicht aber durchaus Betruͤgerey, wie Einige Erklaͤrer des Al - terthums gewollt haben. Denn wenn auch in den letzten Zeiten des Verfalls dieſer heydniſchen Inſtitute, der Eigennutz und die Hinterliſt der Prieſter oft genug das ſeit Jahrhunderten begruͤndete Anſehen der Orakel zu Vetruͤgereyen misbrauchte, iſt doch eben dieſes langdauernde Anſehen bey ganzen Generationen, ſind viele Thatſachen, die wir noch aus der Geſchichte der Orakel wiſſen, eben ſo wenig aus Taͤuſchung zu er - klaͤren, als alle Erſcheinungen des Somnambulismus. Dieſer groben Anſicht, welche den Knoten, den ſie nicht zu loͤſen vermag, geradezu zerhaut, iſt die der erſten Chriſten, welche jene dunklen Erſcheinungen ge - radezu aus der Einwirkung eines ſchlimmen (krankhaf - ten) Naturgeiſtes herleiteten, noch weit vorzuziehen.

Der Blick in das Zukuͤnftige, die Gabe der Vor - ahndungen, iſt der menſchlichen Natur nicht fremd. Doch giebt es eben ſowohl eine von kranker und fal - ſcher als eine von geſunder und wahrhaft aͤchter Art,91 obwohl jene fuͤr den aͤchten Forſcher eben ſowohl ein wahrhaftes Intereſſe haben muß, als dieſe, wie auch der Naturforſcher denſelben Bau der Bluͤthe er - kennt, ſey es, daß dieſe der geſunde Baum in ſeinem natuͤrlichen Boden und Clima getragen, oder daß ſie dem zarten, kraͤnklichen Fremdling in einer unguͤnſtigen Heimath abgezwungen worden; nur daß jene an Duft und Glanz der Farben und durch die nachfolgende Frucht die innere geſunde Fuͤlle vor dieſer andeutet, welche ſelten fruchtbar, das Licht der fremden Sonne mit matteren Farben erwiedert. Geſunder Art iſt allerdings jene prophetiſche Anſchauung der Natur und Geſchichte, welche der erſten Vorwelt eigenthuͤmlich war, und dieſe ſcheint noch jetzt der Natur beſſerer Menſchen in dem Augenblick einer hoͤheren Begeiſterung nicht fremdartig. Geſunder und kraͤftiger Art ſcheint auch der Geiſt der Vorahndungen da geweſen, wo er, wie oft geſchehen, ganze Voͤlker, ja ganze Welttheile ergriffen. Eine ſolche Vorahndung hat bekanntlich die Amerikaniſchen Voͤlker in den entfernteſten Theilen des Welttheils, die untereinander ſchwerlich in unmittel - barer Verbindung geweſen, gleichzeitig auf die An - kunft der Europaͤer und des Chriſtenthums vorbereitet. Von einer alten, den verſchiedenſten Voͤlkern bekann - ten Weiſſagung angekuͤndigt, trafen dieſe Kinder der Sonne ganze Laͤnder ſchon im Voraus zum Gehorſam oder doch zur Furcht geneigt, und ohne jenen dunklen Geiſt der Ahndung, welcher ihnen vorausgegangen, haͤtten ihre Waffen jene Wunderwirkungen kaum ver -92 mocht. Eine aͤhnliche Vorahndung bey vielen Voͤl - kern, gieng auch dem Chriſtenthum ſelber, bey ſeiner er - ſten Verbreitung voraus.

Krankhafter Art dagegen ſind jene Vorahndungen, von denen ich mehrere Faͤlle in einer der ſpaͤtern Vor - leſungen auffuͤhren werde, und vielleicht daß von dort - aus auch einiges Licht uͤber die Natur der Orakel gewon - nen wird. Es giebt hier eine Menge Thatſachen, welche der Natur der Orakel verwandt ſind, ſo daß, wenn dieſe nicht gelaͤugnet werden koͤnnen, auch jene nichts Unbegreifliches mehr behalten. Am naͤchſten aber ſtimmen mit der Natur der alten Orakel und mit der des Daͤmonismus jene Erſcheinungen uͤberein, deren Mehrere Beda aus der Geſchichte der amerikaniſchen Voͤlker, andre und neuere Reiſebeſchreiber aus der Ge - ſchichte der wilden Bewohner von Madagascar, Bor - neo und Java erzaͤhlen. Auch hier ſehen wir wahn - ſinnig Begeiſterte ſich und Andren das zukuͤnftige Schick - ſal, oder auch die krankhafte menſchliche Natur, die be - vorſtehende Witterung,*)In einem Fall bey Beda ſelbſt den Untergang einer na - hen Kirche durch Erderſchuͤtterungen. ja ſogar die Ankunft fremder Schiffe voraus verkuͤnden. (Merkwuͤrdig iſt vorzuͤglich die bekannte Geſchichte der Virginianerin.)

Dieſe Anſicht, welche die Orakel als krankhafte Erſcheinungen betrachtet, iſt ſchon in den fruͤheſten Zeiten des Chriſtenthums herrſchend geweſen, und es wird die Begeiſterung der weiſſagenden Prieſterinnen93 von den damaligen Chriſten mit jenem krankhaften Wahnſinn verglichen, welchen ſie Daͤmonismus ge - nannt; beyde zeigten dieſelben Symptome, und wur - den auf dieſelbe Weiſe geheilt. Ja ſelbſt Lucan be - ſchreibt die Begeiſterung der Pythia wie einen dem epi - leptiſchen nicht unaͤhnlichen Zuſtand, waͤhrend derſelbe bey Virgil freylich unter einem edleren, erhabneren Bilde erſcheint, obgleich der uͤbereinſtimmende Bericht aller Schriftſteller der damaligen Kirche, naͤher mit Lu - cans Beſchreibung uͤbereintrifft.

Einige Erſcheinungen aus der Geſchichte der Ora - kel, ſind gewiſſen bey dem Somnambulismus beobach - teten nicht unaͤhnlich. Es gehoͤrt hieher ſelbſt die aller - dings merkwuͤrdige Gewalt der erſten Chriſten uͤber Daͤmoniſche und uͤber die von Apoll Erfuͤllten. Die - ſe merkwuͤrdige Thatſache laͤßt ſich ſchwerlich laͤugnen, da ſich die damaligen Kirchenvaͤter hierauf ſo haͤufig wie auf etwas allgemein Bekanntes berufen, die Hei - den ſelber zu Zeugen auffordern, und eine Menge vor aller Augen geſchehene Thatſachen, welche hieher ge - hoͤren, aufuͤhren. So haͤlt Tertullian die Gewalt uͤber Daͤmoniſche und Begeiſterte von der erwaͤhnten Art, fuͤr eine ſo unausbleibliche Eigenſchaft der Chriſten, daß er verlangte, diejenigen (als ſchlechte unglaͤubige Chriſten) mit dem Tode zu beſtrafen, denen jene Ge - walt fehlte. Wir finden dieſe Eigenſchaft der Chriſten bey Lactantius auf die vom Apoll Erfuͤllten angewen - det, und Minutius Felix erwaͤhnt gegen die Heiden94 ſelber, als einer ihnen Allen bekannten und unlaͤugba - ren Thatſache, die Ohumacht ihrer Goͤtter, des Ju - piter wie des Saturn und Serapis, wenn dieſe einen Menſchen mit dem Geiſt der Wahrſagung erfuͤllten, gegen die Gewalt der Chriſten. Eine Menge Faͤlle im ganzen Land und in Rom ſelber bekannt, wo der von Aerzten und Magiern vergeblich bekaͤmpfte krankhafte Wahrſagergeiſt, dem Draͤuen eines einfaͤltigen Chriſten gewichen war, erzaͤhlt Juſtinus in ſeiner vor dem roͤ - miſchen Volk gehaltnen Schutzrede, andre, damals ſehr verbuͤrgte, Tertullian in ſeinem Schreiben an den heidniſchen Landpfleger Scapula. Es wird dieſes von Athanaſius, Cyprian und Euſebius haͤufig beſtaͤtigt, und man kann bey dieſen vielfaͤltigen Berichten an nichts weniger als Betrug denken, da jene Thatſachen vor unzaͤhligen nuͤchternen und den Chriſten nicht guͤn - ſtigen Augenzeugen geſchahen.

Wie nun jene krankhaften Erſcheinungen auch in ihrer aͤußern Form einigen unter uns bekannten Nerven - krankheiten, und dem Zuſtand des kuͤnſtlichen Som - nambulismus aͤhnlich ſind, kommen ſie auch darin uͤber - ein, daß uͤber magnetiſch Schlafende wie uͤber Ner - venkranke ein fremder feſter Wille nicht ſelten eine be - wundernswuͤrdige Gewalt aͤußert. Es beruhen bey dieſen hierauf einige Heilarten, welche das Volk an - zuwenden pflegt, bey jenen iſt es bekannt genug, wie die Naͤhe einer Perſon von einem feſten und entſchiede - nen Unglauben, die beſten Somnambuͤlen, die in95 andern Faͤllen oft genug bewieſen hatten, daß ihr Zu - ſtand keine Taͤuſchung war, in einen ſolchen unange - nehmen geiſtigen Zuſtand ſetzt, wie die Annaͤherung eines geſunden und ſtarken Menſchen, der mit ihnen in keinem Rapport ſteht, ſie koͤrperlich beaͤngſtigt.

Es wirkte in jenen Faͤllen die Annaͤherung eines einzelnen Chriſten daſſelbe, was der Eintritt des Chri - ſtenthums im Ganzen. Denn obgleich die Orakel und alle mit ihnen verwandte Erſcheinungen des juͤngern Heidenthums, noch in einigen ſchwachen Ueberreſten in die erſten Zeiten des Chriſtenthums hinuͤberlebten, ſehen wir doch dieſen Anfang der neuen Weltperiode zerſtoͤrend auf jene Truͤmmer der alten wirken, und jenes Orakel, das zu den Zeiten des Conſtantius*)Vater des Conſtantin. von Delphi ausgegangen, wie die im ganzen damaligen Rom und ſelbſt an dem Hof des Tiberius Aufſehen er - regende Geſchichte des Schiffer Thamus, die uns Plutarch behalten, ſind, wenn auch nicht ganz zu - verlaͤſſig, doch wenigſtens nicht ohne Sinn. Es war allerdings die Obergewalt der Natur uͤber den Men - ſchen, zugleich mit dem Eintritt des Chriſtenthums (in jener Sage der große Pan) unterlegen.

So muͤſſen wir, ſchon was die aͤußere Form an - betrifft, in den Orakeln die Wirkungen einer krankhaf - ten menſchlichen Natur erkennen. Wenigſtens ſind ſie96 dieſes in den ſpaͤtern Zeiten durchaus geweſen, wenn auch noch einige Spuren eines edleren Urſprungs und einer fruͤheren Verwandſchaft mit der beſſeren Vorwelt in ihnen gefunden werden, wohin vielleicht die An - fangs unwillkuͤhrliche, aus der Natur der Sache ſelber hervorgehende metriſche Form der Orakel, und die Einrichtung einiger der aͤlteſten Orakel deutet, obgleich auch die metriſche Form ſpaͤter blos willkuͤhrlich, als eine einmal hergebrachte Gewohnheit beybehalten ſcheint.

Aber auch dieſe Ausſpruͤche der Orakel ſelber be - ſtaͤtigen jene Anſicht, indem in ihnen die Zukunft truͤ - be, und in einem zweydeutigen Lichte, gleich den Phantaſien im Traume erſcheint. Noch mehr beſtaͤ - tigt ſie die Weiſe wie jener Zuſtand der Begeiſtrung der Prieſter, in welchem ſie das Zukuͤnftige vorausſag - ten, bey den meiſten Orakeln hervorgerufen wurde. Es geſchahe dieſes naͤmlich ſehr haͤufig durch gewaltſa - me Mittel.

Am reinſten, und der Natur der alten Zeit noch am meiſten verwandt, war in dieſer Hinſicht noch das Orakel zu Dodona, in ſeiner erſten und urſpruͤnglichen Geſtalt, wovon ich ſchon weiter oben geredet habe. Bey andren Orakeln wurden die Ausſpruͤche in einem Zuſtand des kuͤnſtlichen Wahnſinns gegeben, der nach dem Zeugniß der Alten bald durch Daͤmpfe, welche ge - wiſſen Oeffnungen der Erde entſtiegen, bald durch be -97 rauſchende Quellen hervorgerufen wurde. In dem all - maͤligen Aufhoͤren jener Ausfluͤſſe der Erde, wurde auch von den Alten der Grund des Verfalls der Orakel in ſpaͤterer Zeit gefunden. Vor Zeiten ſagt ein ſpaͤ - terer Ausſpruch eines Orakels ſelber,*)Bey Porphirius. entquollen der Erde eine Menge von Orakeln, Quellen und Daͤm - pfen, welche mit goͤttlichem Wahnſinn erfuͤllten. Die Erde aber, vermoͤge jener Veraͤnderungen, welche die Zeit herbeyfuͤhrt, hat jene Quellen, Daͤmpfe und Orakel wieder in ſich aufgenommen. Nur noch die zu Micale, in den Gefilden von Didime, jene von Cla - ros und das Orakel des Parnaß ſind geblieben. Die - ſe und aͤhnliche Anſichten von dem Entſtehen und end - lichen Aufhoͤren der Orakel, wird man haͤufig im Alter - thum finden.

Wenn auch bey einigen Orakeln, wo ſich dem Fra - genden die Zukunft unmittelbar in ſich ſelber (durch Traͤume oder Viſionen) offenbarte, die Vorbereitung durch Faſten und Enthaltſamkeit geſchahe,**)Wie bey dem des Amphiaraus in Attica und bey dem des Trophonius. wurde doch auch dieſe Nuͤchternheit zuletzt durch Einwirkun - gen von berauſchender Natur unterbrochen. So fin - den wir uͤberall den Zuſtand jener wilden Begeiſterung, welchem ſich die Zukunft in truͤben Lichte oͤffnet, durch ge - waltſame Mittel herbeygefuͤhrt, unter denen wohl dasG98Schlimmſte das Vergießen von Menſchenblut ge - weſen.

Wir wiſſen naͤmlich aus der Geſchichte jener Zeit, daß die Orakel mit den Menſchenopfern zugleich auf - hoͤrten, daß beyde innig zuſammenhiengen. Beyſpie - le, wo Menſchenopfer durch Ausſpruͤche des Orakels ſel - ber verlangt wurden, ſind aus dem Alterthum haͤufig bekannt. Es giebt uͤberall nicht blos in Griechen - land das juͤngere Heydenthum ſein innres Verder - ben in Menſchenopfern und andren Grauſamkeiten zu er - kennen, welche durch Schauder und durch das Ent - ſetzen des Gemuͤths vor grauſam vergoßnem Blute, jenen Wahnſinn und die ſchlimme Gewalt der Natur uͤber die menſchliche Seele unterhielten. So wurde auch der Goͤtzendienſt zu Mexico, in welchem das ſpaͤtere Heidenthum in ſeiner tiefſten Verworfenheit er - ſcheint, mit jener blutigen Vermaͤhlung einer unſchuldi - gen Jungfrau begonnen, womit dieſes Reich ſeine Groͤße und ſeine fuͤrchterliche Gewalt uͤber andre Voͤl - ker begruͤndet, und der blutgierige Kriegergeiſt dieſes Volkes durch unzaͤhlige jaͤhrliche Menſchenopfer groß genaͤhrt. Es wurde hier, wie anderwaͤrts, die wilde Gluth eines an der menſchlichen Natur, wenn dieſe als durchaus gutartig angenommen wird un - begreiflichen Greueldienſtes, durch das rauchende Blut des eignen Geſchlechts angefacht, und die Naͤhe der hoͤheren Welt, die ſich jener ausgearteten Zeit entzo - gen, in dem Anblick und beſtaͤndigen Umgang des To -99 des geſucht. Und doch haben ſich ſelbſt mitten in dem mexikaniſchen Goͤtzendienſt, wie ihn uns Clavigero be - ſchreibt, durch einige alte Sagen Spuren einer viel hoͤheren, beſſeren Weisheit erhalten, die auch an je - nen Voͤlkern in der aͤlteſten Zeit voruͤbergegangen ſeyn muß. *)Doch iſt die Wahrheit, beſonders in den religioͤſen Sagen dieſer amerikaniſchen Voͤlker wie durch einen Geiſt der der Wahrheit geradezu entgegen ſtrebt, ſonderbar verkehrt und verdreht, und das Beſte, wie durch die Einwirkung eines unbegreiflichen ſchlimmen Willens, gerade zum Schlimmſten gewendet.

Es koͤnnen uns die gewaltſamen Mittel, wodurch das juͤngere Heidenthum jene falſche Begeiſterung er - zwungen, belehren, wie verſchieden der hoͤhere Ein - fluß, welcher die aͤltere Welt begeiſtert, von jenem ge - weſen, dem ſich die ſchon aus der erſten Unſchuld ab - gewichene juͤngere ergeben. Wir finden allerdings (ſelbſt aus der Sage jener begeiſternden Daͤmpfe und Quellen leuchtet dieſes hervor) auch dieſe in einem Zuſammenhang und innigen Verein mit der Natur, aber mit der untergeordneten, mit der Natur im en - geren Sinne. Dagegen war es, wie wir ſchon fruͤher geſehen, der hoͤhere (goͤttliche) Einfluß, aus welchem dieſe Natur und der Menſch geworden, deſſen Licht der Menſch Anfangs in der Natur geſehen. Bis, als bey dem Erwachen des eignen Willens dem Menſchen der Gott aus der Natur gewichen war, das leicht ir -G 2100rende Geſchlecht das verlohrne Gut noch in der leeren Huͤlle ſuchte, und ſich ſo der Gewalt einer an ſich un - ter ihm ſtehenden Natur hingegeben, welche das Edlere in ihm zu niedrigem Goͤtzendienſt herabwuͤrdiget.

Es hat ſich das aͤltere und beſſere Heidenthum, vor jedem Blutvergießen ſchaudernd, blos durch Nuͤch - ternheit und in frommer Unſchuld der Offenbarungen der hoͤheren Natur wuͤrdig gemacht, und auf dieſe Weiſe tiefe und lichte Blicke in ihr Innres gethan. Als ſich aber dem allmaͤlig reifer werdenden menſchlichen Geiſt, die Thore in das innre Heiligthum der Natur ge - ſchloſſen, hat dieſer, aus einem noch unmaͤnnlichen Trieb, von der Tiefe hinauf einen Weg in daſſelbe, durch die Pforte des Todes und des Entſetzens, uͤber blutige Leichname und zerfleiſchte Sterbende geſucht. Vergeblich die alte Sonne gieng nicht mehr auf, und nur ſchwacher Schimmer wird in dem Grabgewoͤl - be der alten Natur geſehen, die geſunde Begeiſtrung artet aus in kranken Wahnſinn.

Endlich hat ſich in dem verarmten menſchlichen Gemuͤth, der blutige Widerſtreit durch den Eintritt des Chriſtenthums gaͤnzlich gelegt. Der Stern, wel - chen jene Weiſen aufgehen ſahen, iſt zur Sonne ge - worden, und ſiehe, ſchon erfreuet ſich ein großer Theil der Erde ihres Lichts. Der blutduͤrſtige Wahnſinn des ſpaͤteren Heydenthums, das vielfaͤltige ſchmerzliche101 Sehnen nach etwas Beſſerem und Gewiſſerem, iſt in der Klarheit des neuen Tages wie ein Traum vergan - gen; wo ſonſt ein trauriger Felß von Menſchenblut geraucht, ſtehet friedlich, und in erhabener Ruhe, das Kreuz, und jene grauen Schreckniſſe der Natur, wel - che ein zerruͤttetes Gemuͤth vergoͤtterte, ſind von ei - nem wahrhaft goͤttlichen Ideal verdrungen.

102

Fuͤnfte Vorleſung. Das Weltgebaͤude.

Wenn uns die Geſchichte der alten Welt den Men - ſchen als Einzelnes in dem innigſten Einklange mit der ganzen Natur kennen lehrt, ſo wird nun die Betrach - tung der Natur ſelber uͤberall ein gemeinſchaftliches Geſetz alles Daſeyns, und einen gemeinſchaftlichen hoͤheren Einfluß, in welchem alle Einzelnen vereint ſind, anerkennen laſſen. Wir gehen hierbey von der Betrachtung des Weltgebaͤudes und ſeiner Entſtehung aus.

Nach der noch immer faſt allgemein herrſchenden mechaniſchen Anſicht, entſtund das Weltgebaͤude, ver - moͤge der aͤller Materie eingepflanzten Anziehung, aus Atomen, welche vom Anfange her in dem Weltenraum zerſtreut waren. Dieſe Atomen ſollen kleine, den Sinnen nicht mehr wahrnehmbare Koͤrperchen, von ſehr verſchiedener Geſtalt, und weiter nicht mehr theil -103 bar ſeyn. Aus ihrer verſchiedenen Form, welche bald viereckt, bald achteckig, bald rund oder ſonſt et - was ſeyn ſoll, leiten Einige die verſchiednen regelmaͤßi - gen Geſtalten der Koͤrper her. Wenn im Anfange, als jene zerſtreueten Staͤubchen hie und da in zufaͤllige Bewegung geſetzt worden, einige von ihnen, vermoͤ - ge der ihnen eingepflanzten Anziehungskraft ſich ver - einten, wuchs dieſe Kraft mit jedem neu hinzukom - menden Staͤubchen, weil die Anziehung um ſo ſtaͤrker iſt, je groͤßer die Maſſen ſind. Die dichteſten und ſo - lideſten Staͤubchen, denn es wird ſchon unter den einzelnen Atomen eine verſchiedene Dichtigkeit fuͤr moͤg - lich gehalten, ſenkten ſich zuerſt nach jenem am fruͤ - heſten entſtandenen Grundkeime der kuͤnftigen Welt - koͤrper hin, die weniger dichten ſpaͤter, woher es an den einzelnen Welten zu erklaͤren ſey, warum der Kern von der ſolideſten, die nach der Oberflaͤche zu befind - liche Maſſe von der leichteſten und lockerſten Beſchaf - fenheit waͤre. In einem beſtimmten Raume muͤßten ſich die Grundkoͤrper meiſtens nach jenem Punkt hinge - ſenkt haben, wo die Anziehung durch das Zuſammen - treffen der dichteſten Atomen zuerſt, und am ſtaͤrkſten eingetreten, es muͤſſe ſich deshalb die groͤßeſte Maſſe gegen den Mittelpunkt eines Syſtems finden. Die allgemeine Bewegung aller Atomen, welche der ganze Raum des jetzigen Planetenſyſtems vordem enthalten, nach dem zuerſt entſtandnen Mittelpunkt nach der Sonne hin, waͤre durch das Mitwirken der abſtoßen - den Kraft, welche ihnen eben ſo wie die anziehende104 urſpruͤnglich eigenthuͤmlich geweſen ſey, ſeitwaͤrts ab - gelenkt worden, hierdurch ſey eine kreisfoͤrmige Bewe - gung um jenen allgemeinen Mittelpunkt entſtanden, und die einzelnen Weltkoͤrper, welche ſich in verſchie - denen Entfernungen von der Sonne, mitten in einer ſolchen wirbelnden Bewegung bildeten, haͤtten dieſe noch jetzt, in ihrem Umlauf beybehalten. *)Man ſehe uͤber dieſes alles Kant.

Dieſe Meynung, und wenn ſie ſelbſt die Regeln der mechaniſchen Wechſelwirkung der Dinge noch beſſer beobachtete als ſie ſchon gethan, widerſtreitet doch aller Analogie, ja aller wahren Natur geradezu. Wir wiſſen kein Beyſpiel weiter, daß irgend ein Weſen aus zerſtreuetem Unrath, welcher ſich durch wechſelſeitige Anziehung hier oder dorthin gehaͤuft, entſtuͤnde, und dieſer Urſprung waͤre nur dem hoͤchſten Gipfel der Koͤr - perwelt, dem Weltgebaͤude, einzig eigenthuͤmlich. Jener loſe Staub, welcher unter dem Nahmen der Atomen allen Koͤrpern zu Grunde liegen ſoll, hat ſich, ſo oft man ihn auch citirt, noch nicht vor den Rich - terſtuhl der Sinne ſtellen moͤgen, und die, welche ſeine Parthey genommen, haben dieſes durch ſeine un - gemeine Kleinheit, welche ihn faſt zu einen unkoͤrper - lichen Koͤrper macht, entſchuldigt. Aller andern nie aufzuloͤſenden Schwuͤrigkeiten nicht zu gedenken, in welche uns die Annahme der Atomen verſtrickt; ſo wird der Entſtehung der Weltkoͤrper durch ein ſolches zufaͤl -105 liges Zuſammenballen der zerſtreueten Grundſtoffe, auch noch durch ein Geſetz und mehr als mechaniſches Ver - haͤltniß der Groͤßen der einzelnen Weltkoͤrper wider - ſprochen, das uns unter andern in der naͤchſten Vor - leſung beſchaͤftigen wird, und welches den Durchmeſſer derſelben, wenn die Elementc der Entfernung genau bekannt ſind, bis auf 100,000 Theile einer Meile anzugeben vermag.

Doch wir beduͤrften ſelbſt dieſer direkten Gegenbe - weiſe nicht, um jener Philoſophie des Unraths zu wi - derſtreiten, da ſchon die Analogie, bey Solchen wel - che ſie achten, zu ihrer Widerlegung hinreicht. Wir ſehen in der ganzen Natur, ſo weit wir ſie kennen, die Dinge ihren Anfang aus einer gewiſſen geſtaltloſen Fluͤſſigkeit nehmen, und bey allmaͤliger Ausbildung aus einem fluͤſſigeren in einen immer feſteren Zuſtand uͤbergehen. Die ganze Erdmaſſe, wie der einzelne Kri - ſtall, die organiſche Welt von den Fruͤchten der Pflan - ze bis herauf zum Menſchen, ſind aus jener Fluͤſſig - keit entſtanden, und die organiſche Welt zeigt uns das allgemeine Geſetz der irdiſchen Entſtehung ſo deutlich, daß wir es nachher auch im Anorgiſchen leichter zu fin - den vermoͤgen. Einzelne Weltkoͤrper unſres Syſtems ſcheinen noch zum Theil in fluͤſſigem Zuſtand, und wie wir nachher ſehen werden, allem Anſchein nach ganze Weltſyſteme.

Jener fluͤſſige Zuſtand, (um ihn ſo zu nennen) aus welchem die Weſen in der ganzen koͤrperlichen Na -106 tur entſtehen, iſt bey allen irdiſchen Dingen ſich nahe verwandt, und wahrſcheinlich iſt er ſich dies uͤberall. Die irdiſchen Weſen nehmen bey ihrem Entſtehen und Vergehen einen allen gemeinſchaftlichen koͤrperlichen Charakter an, den ich anderwaͤrts (im 2ten Band mei - ner Ahndungen e. a. G. d. L.) beſchrieben habe. Je - nes anfaͤngliche Element, in welchem die Dinge begin - nen und enden, wird als die Urſache aller Fluͤſſigkeit, nicht eigentlich als eine Fluͤſſigkeit ſelber betrachtet, und es hat daſſelbe faſt in der ganzen Natur die Eigen - ſchaft fuͤr ſich ſelber zu leuchten. Ueberhaupt iſt daſ - ſelbe nichts anders, als der Zuſtand der hoͤchſten Lebens - empfaͤnglichkeit, Bildungsfaͤhigkeit der Dinge, der innigſten und tiefſten Ergebung in den hoͤheren Lebens - einfluß, aus welchem ſie ſind. *)Dieſer Zuſtand iſt in der Koͤrperwelt das, was der reine und hohe Urzuſtand des Menſchen, wo derſelbe noch ganz dem goͤttlichen Einfluß ergeben war, in der Geſchichte.

Es ſey um ſo gewiſſer, behauptet die andre Par - they, welche der mechaniſchen Anſicht entgegenſtrebt, daß auch das Weltgebaͤude aus einem aͤhnlichen Zu - ſtand hervorgegangen waͤre, da ſich allem Anſchein nach ganze kuͤnftige Weltſyſteme noch jetzt darinne be - faͤnden. In dieſer Hinſicht ſey vorzuͤglich der ſonder - bare Nebelfleck im Orion, den neuerlich Schroͤter ſo vielfaͤltig beobachtet hat, bedeutend. Dieſer merk - wuͤrdige Naturgegenſtand gehoͤrt zu jenen fixen Licht -107 nebeln, die ſich nicht in Sterne aufloͤſen laſſen. Sei - ne unregelmaͤßige Geſtalt iſt veraͤuderlich, und oft in wenig Tagen ſieht man ihn nach einigen Seiten ſich ungeheuer ausdehnen, nach andern ſich zuſammenzie - hen. Die Stellen, innerhalb welchen ſolche ploͤtzliche Veraͤnderungen vorgehen, uͤbertreffen oͤfters an Um - fang unſer ganzes Planetenſyſtem bey weitem, und nicht ſelten ſieht man ſolche ungeheure Strecken mit ei - nem ungewoͤhnlichen Lichte aufflammen, andre dage - gen verloͤſchen, wie dieſes beſonders die merkwuͤrdigen Schroͤterſchen Beobachtungen eines zur Seite gleich - ſam herauswachſenden Zweiges jener Nebelſubſtanz im Jahr 1797, und der nach 6 Tagen wieder verſchwin - denden Lichtmaſſe, die ſich mitten in der uͤbrigen durch helleren Glanz auszeichnete, und die aufs geringſte ge - ſchaͤtzt, einen Durchmeſſer von 418 Millionen Meilen hatte, und noch mehr jene im Durchmeſſer wenigſtens 29000 Millionen Meilen betragende Contraktion des ganzen Lichtnebels, nach einer Seite hin, im Jahr 1800, gezeigt haben.

Dieſer Lichtnebel des Orion wird um ſo bedeu - tender, da einige Aſtronomen aus Gruͤnden jenen hoͤ - heren Centralkoͤrper, um welchen ſich unſre Sonne zu bewegen ſcheinet, in dieſe Gegend geſetzt haben. Der Mittelpunkt unſers Fixſternenſyſtems, von welchem allem Anſchein nach unſre Sonne verhaͤltnißmaͤßig nicht ſehr fern iſt, faͤllt naͤmlich nach der Gegend des Stiers oder Orions hin, und man hat ſogar das merkwuͤrdige108 Nebellicht im Schwerdt des Orions ſchon fuͤr den hoͤ - heren Centralkoͤrper ſelber gehalten. *)S. Fr. Theodor Schuberts theor. Aſtron. p. 56.

Es giebt dieſes jenem allgemeinen Element alles koͤrperlichen Urſprungs, aus welchem wahrſcheinlich auch dieſer (vermuthliche) Centralkorper beſteht, eine tiefe Bedeutung. **)In derſelben Bedeutung habe ich es auch ſchon ander - waͤrts a. a. O. beſonders am Ende des erſten Abſchnitts dargeſtellt.Der ewige Urſprung der Dinge wirkt am maͤchtigſten und reinſten aus dieſen hervor, wenn ſie, noch nicht als etwas Beſonderes, ſelbſt - ſtaͤndig Belebtes aus ihm herausgetreten, wenn ſie (in dem Zuſtand der hoͤchſten Lebensempfaͤnglichkeit) noch innig mit ihm vereint, von ihm durchdrungen ſind. Alsdann wirkt noch nicht das ohnmaͤchtigere und blos ſymboliſche individuelle Leben, ſondern annoch das urſpruͤngliche und Goͤttliche in und aus ihnen. ***)Wie nach der alten Sage aus dem erſten Menſchen in ſeinem urſpruͤnglichen Zuſtand, welcher hierdurch Herr der Außenwelt wurde.Die - ſes iſt es, welches ſelbſt noch in der Sonne, nur ſchon weit mehr in die Welt des Beſonderen herabgeſunken und unreiner, und im Organiſchen im Gehirn, als herrſchende und belebende Kraft ſichtbar wird, und es ſind der Sonne die uͤbrigen Weltkoͤrper, dem Gehirn alle andre Theile nur darum untergeordnet, weil dieſe fruͤher und tiefer aus der erſten Reinheit des Elements109 und aus der Gemeinſchaft des hoͤheren Einfiuſſes her - abgeſunken ſind, in welcher ſich jene mehr erhalten ha - ben. So erinnert uns dieſes Verhaͤltniß an jene my - ſtiſche Figur, wo mitten in dem Kreiße der lebendigen, gewaltigen Kraͤfte, ein zartes Kind als Herrſcher ſitzt, und es bleibt die kindliche und mehr empfaͤngliche Na - tur dem hoͤheren Einfluß uͤberall am naͤchſten verwandt.

Es iſt jener Lichtnebel im Orion, ſchon ſo weit wir den Himmel kennen, nicht der einzige in ſeiner Art, und wir finden in einer der letzten Herrſcheiſchen Abhandlung uͤber den Bau des Himmels, mehrere aͤhn - liche Erſcheinungen aufgefuͤhrt. Es gehoͤren hieher unter andern jene milchweißen Nebelmaſſen, von run - der Geſtalt, welche in ihrer Mirte einen kleinen hellen Stern enthalten, indem ſich eben aus der Sichtbarkeit des Sterns in ihrer Mitte beweiſen laͤſſet, daß ſie nicht aus ſehr entfernten, nicht mehr erkennbaren Sternen be - ſtehen. Auch dieſe Weltſyſteme, die noch faſt ganz im (um uns ſo auszudruͤcken) fluͤſſigen Zuſtand ſchei - nen, indem nur erſt in der Mitte die Ausbildung zu Sonnen ihren Anfang genommen, uͤbertreffen nach ei - ner beylaͤufigen Schaͤtzung im Durchmeſſer die Entfer - nung des Sirius von uns mehrere hundertmale.

Ungewiſſer iſt es, ob jener milchweiſe Nebel, der ſich in dem merkwuͤrdigen Nebelfleck im Fuchs befin - det, wirklich auch von jener Art ſey, oder ob er blos der Unvollkommenheit unſerer Inſtrumente ſo erſcheine,110 eigentlich aber aus ſehr entfernten Sternen beſtehe. Doch iſt das erſtere ungleich wahrſcheinlicher, und es waͤre auch dieſes ein Beyſpiel von einem erſt zum Theil zu Weltkoͤrpern ausgebildeten Weltſyſteme, wo die Ent - wicklung nicht ſowohl in der Mitte, als nach einer Sei - te hin ſchon begonnen hat. Ueberhaupt duͤrfen wir nicht fern nach Faͤllen, welche eine ſolche ungleiche Entwicklung beſtaͤtigen ſuchen, da das Weltſyſtem ſelber, zu welchem unſer Planetenſyſtem gehoͤrt, ein Beyſpiel dieſer Art gewaͤhrt, und in vielen Spuren ein ungleiches Alter und eine ungleiche Ausbildung der Sonnen aus denen es beſteht zu verrathen ſcheint.

Es hat Herſchel aus einigen Gruͤnden unſrem Weltſyſtem einen jugendlicheren Zuſtand als den meiſten andern zugeſchrieben. Viele von dieſen werden naͤm - lich von einer mehr runden Form gefunden, und es ſcheint, als ob dieſe in Hinſicht der innern Vollendung weiter vorgeruͤckt waͤren als andre, denen dieſe runde Form noch fehlt. Es wird hierbey die Vorausſetzung gemacht, daß die Sonnen Anfangs ohne Ordnung durch einander geſtreut waren, und daß hernach die ihnen eingepflanzte Anziehungskraft die zu den einzel - nen Syſtemen gehoͤrigen Sonnen um einen gemein - ſchaftlichen (maͤchtigeren) Mittelpunkt verſammlete, mithin in eine runde Form zuſammenfuͤgte. Eine erſt ſeit kurzem wirkende Anziehungskraft, konnte die ſeit der Zeit ihres neulichen Entſtehens noch zerſtreut ſtehenden Sonnen noch nicht zur Ordnung bringen. 111Unter dieſe gehoͤrt, nebſt mehreren andern, auch unſer Fixſternenſyſtem, wo nach Herſchels Vorausſetzung die Sonnen noch in einem zweyarmigen laͤnglichten Streifen beyſammenſtehen; waͤhrend andre entferntere Fixternenſyſteme zum Theil ſchon die Vollendung des rei - feren Alters (Kreiß - oder Elliptiſche Geſtalt) einige ſchon die des hohen Alters zeigen (wo die Anziehungs - kraft die einzelnen Sonnen ſchon enge um den gemein - ſchaftlichen Mittelpunkt zuſammengedraͤngt hat) noch andre vielleicht ſchon in dem Zuſtand des endlichen Un - terganges und Verſinkens ſtehen, wohin der beruͤhmte Beobachter jene merkwuͤrdigen Koͤrper von ungeheu - rem Umfange und von matten planetariſchem Lichte zaͤhlt, deren ich ſchon anderwaͤrts erwaͤhnt habe, und die von ihm fuͤr zuſammengeſunkene Fixſternenſyſteme gehalten werden.

Doch ſcheint die wahre Geſtalt unſres Planetenſy - ſtems, die uns ſpaͤter von der aͤußerſten Wichtigkeit wer - den wird, eine etwas andre zu ſeyn, als die von Her - ſchel angegebene. Aber obgleich dieſe in etwas von der Herſchelſchen Vorausſetzung abweicht, iſt doch dieſe in andrer Hinſicht ſehr gegruͤndet, und es ſcheint unſer Fixſternenſyſtem, ſo wie wiederum in dem noch unermeßlicherem Ganzen, die einzelnen Fixſternenſyſte - me unter ſich, ein Garten voller Gewaͤchſe jedes Alters, eben aufkeimende, ſchon bluͤhende, reife und wieder - um verwelkende; ſo daß alle jene Zuſtaͤnde, welche das einzelne Syſtem, oder die einzelne Sonne vielleicht112 kaum in Millionen Jahren durchlaufen konnte, hier an den verſchiedenen Individuen und Syſtemen zu Ei - ner Zeit gefunden wuͤrden; ſo daß das kurze Men - ſchenleben die Erfahrungen von Weltenaltern umfaßt.

Fuͤr dieſen ungleichartigen Zuſtand, fuͤr eine ſol - che verſchiedne Entwicklungsſtufe der verſchiednen Wel - ten unſers Fixſternenſyſtems, ſprechen mehrere That - ſachen. Wir finden naͤmlich auch verſchiedene andere ferne Fixſternenſyſteme, allem Anſcheine nach erſt zum Theil zu Soͤnnen ausgebildet, waͤhrend der uͤbrige Theil noch aus jener obenerwaͤhnten Nebelartig leuchten - den Subſtanz beſteht, und es gehoͤren hieher unter an - drem jene rundlichen und unaufloͤslichen Nebel, die blos in ihrer Mitte ſchon ausgebildete Sterne enthalten, und der merkwuͤrdige Nebelfleck im Fuchs, wovon ich vorhin ſprach. So finden wir auch auf der einen Sei - te mitten in unſerem Fixſternenſyſtem gewiſſe Stern - haufen, die ſich ſchon mehr zu einem beſondern Gan - zen abſondern,*)Ein ſolcher Sternhaufen iſt in dem Sternbild der Krippe. zwiſchen denen mithin die anziehen - de Kraft laͤnger ſchon wirken mußte, und die man da - her von aͤlterer Entſtehung ſchaͤtzen koͤnnte, als andre, wo dieſe Vereinigung noch nicht Statt gefunden; waͤh - rend auf der andern Seite allem Anſchein nach noch ganze kuͤnftige Weltgebaͤude ſich mitten in unſerem113 Fixſternenſyſteme eben neu erzeugen, wohin der er - waͤhnte Lichtnebel im Orion gehoͤrt. *)Schon Herſchel haͤlt jene unaufloͤslichen Lichtnebel, da wo ſie um einen Stern in ihrer Mitte angehaͤuft ſind, fuͤr neuentſtehende Weltgebaͤude.

Fuͤr eben neuentſtehende oder untergehende Son - nen, koͤnnten jene merkwuͤrdigen Sterne gehalten wer - den, welche auf einmal an irgend einer Stelle des Himmels mit hellem Glanze erſchienen, hernach ganz wieder verſchwanden, oder doch an Licht abnahmen. Unter denen ganz wieder verſchwindenden ſind die bey - den bekannteſten und ausgezeichnetſten der 1572 im Stuhl der Kaſſiopea beobachtete, der die groͤßten und hellſten Sterne an Glanze noch uͤbertraf, nach 2 Jah - ren aber wieder verſchwand, und der 1604 von Kep - ler im Ophiochus beobachtete, der ſchon nach einem Jahre wieder unſichtbar wurde. Andre neuerſchiene - ne Sterne ſind geblieben, und haben nur in etwas an Groͤße abgenommen, und dieſe koͤnnten vorzugsweiſe fuͤr neuentſtanden gehalten werden.

Einige Fixſterne hat ſelbſt ſchon die doch erſt we - nige Jahrtauſende alte Beobachtung der neuen Aſtro - nomie merklich an Lichte zunehmen ſehen, waͤhrend ſie andre eben ſo merklich daran abnehmen fand. Unter andern war der helle Stern im Adler, der jetzt faſt von der erſten Groͤße iſt, noch zu den Zeiten des Pro -H114lemaͤus nur von der dritten, waͤhrend ein andrer Stern im großen Baͤren ſeit wenig Jahrhunderten von der 2ten bis zur 3ten Groͤße abgenommen hat.

Schon die wahrſcheinliche Verſchiedenheit der Groͤße und der Rotationsperioden, laſſen eben ſo wie in unſern Planetenſyſtem, auf einen verſchiednen Zuſtand der Vollendung, und auf eine verſchiedne Lebensdauer der einzelnen Sonnen ſchließen, vermoͤge welcher ſelbſt unter den zu gleicher Zeit entſtandenen, einige noch im erſten Wachsthum ſind, waͤhrend bey andern das kuͤr - zere Leben ſchon am Ende ſteht. Auf eine Verſchie - denheit der Groͤße der einzelnen Sonnen, hat man aus einigen Herſchelſchen Beobachtungen geſchloſſen, wel - che freylich noch nicht zu den ſichern gehoͤren, da unſre Inſtrumente und die ſchwankende Angabe der Paralla - re hierin noch keine große Sicherheit erlauben. So muͤßte Wega, die nach Herſchels Beobachtungen den dritten Theil einer Secunde im ſcheinbaren Halbmeſſer hat, wenn nach der allgemeinen Vorausſetzung die jaͤhrliche Parallaxe der naͤchſten Fixſterne nicht uͤber 1 Sec. betraͤgt (mithin der ſcheinbare Durchmeſſer der Erdbahn*)Dieſer wird hier in einer geraden Zahl zu 40 Millionen Meilen angenommen. in der Gegend jener Sterne 2 Sec. ) im wirklichen Durchmeſſer 7 Millionen Meilen, oder 36 Sonnenhalbmeſſer betragen. Ja der Aldebaran, welchen Herſchel anderthalb, die Kapella, welche115 er gar drittehalb Sec. im ſcheinbaren Durchmeſſer ge - funden, muͤßten nach derſelben Vorausſetzung, jene im wahren Durchmeſſer 30, dieſe 50 Millionen Mei - len, oder jene 161, dieſe 269 Sonnenhalbmeſſer be - tragen, mithin die letztere am Umfang ihres Aequators 1 / 5 mehr als unſre Erdbahn.

So ungeheuer im Vergleich mit den Welkoͤrpern unſers Syſtems eine ſolche Groͤße jener Sonnen waͤre, ſtuͤnde ſie doch ſelbſt mit den Groͤßenverhaͤltniſſen, die wir hier finden, nicht in Widerſpruch. Abgeſehen ſelbſt von dem Verhaͤltniß der Halbmeſſer der Plane - ten zu dem der Sonne, worinnen jene noch viel klei - ner erſcheinen als unſre Sonne im Verhaͤltniß zu jenen Rieſenſonnen (ſchon der Halbmeſſer des Mercurs als der 314te, der der Juno als der 621ſte, ja der der Ve - ſta nicht einmal als der 3000te Theil des Sonnenhalb - meſſers) finden wir ſelbſt die einzelnen Planetenhalb - meſſer unter ſich in einem Verhaͤltniß, welches jenem wenig nachgiebt, ja dieſes noch uͤbertrifft. So iſt Jupiter ſchon in Hinſicht des Halbmeſſers 63 mal groͤßer als Juno, ja 326 mal groͤßer als Veſta (wenn wir dieſe 30 Meilen im Halbmeſſer ſetzen.)

Auf eine ſolche koͤrperliche Verſchiedenheit der ein - zelnen Sonnen, laͤßt nun auch, wie ſchon erwaͤhnt, die Verſchiedenheit ihrer Rotationsperioden ſchließen. Denn obgleich die Dauer einer Umdrehung der Welt - koͤrper um ihre eigne Axe, oder eines Tages derſelben,H 2116in keinem unmittelbaren Zuſammenhange mit ihren Groͤßenverhaͤltniſſen ſteht, ſteht ſie doch, wie aus an - dern ſpaͤter anzufuͤhrenden Gruͤnden ſcheint, mit der Stufe ihrer Ausbildung und Naturbeſchaffenheit in Ver - haͤltniß, und es deutet ſchon in unſern Planetenſyſte - me die ziemlich uͤbereinſtimmende Tageslange der drey letzten Planeten, welche von der der vier zunaͤchſt an der Sonne ſtehenden ſehr verſchieden iſt, eine ſolche Verſchiedenheit an. So dauert nun auch eine Um - drehung unſrer Sonne um ihre eigne Axe 25 Tage 14 Stunden; waͤhrend die Umdrehung andrer Sonnen von der kurzen Zeit von 3 Tagen, bis zu der von 13 Monaten zu waͤhren ſcheint. Denn wenn wir mit vielen beruͤhmten Aſtronomen, wie dies am wahrſchein - lichſten iſt, die Lichtveraͤnderungen einiger Sterne von ihrer Umdrehung herleiten, welche uns bald eine hellre bald eine dunkler leuchtende Seite ihrer Oberflaͤche zukehrt, ſo muͤſſen wir unter andern bey dem veraͤn - derlichen Stern Algol eine 3taͤgige, bey jenem im Antinous eine 7taͤgige, bey dem in der Lyra eine 13taͤgige Tagesdauer vorausſetzen, ſo daß demnach dieſe Sonnen einen viel kuͤrzeren Tag haͤtten, als unſre Sonne. Dagegen aber giebt es wieder veraͤnderliche Sterne, bey denen man aus denſelben Gruͤnden auf eine 12 ja 14 mal laͤngere Dauer des Tages ſchließen muß als bey unſrer Sonne. So haͤlt der Stern Mira im Wallfiſch eine 11, der im Halſe des Schwanes eine 13 monatliche Periode der Lichtveraͤnderung, und mithin eine eben ſo lange der Umdrehung um die eigne Axe.

117

So laͤßt ſich aus Allem, in dem unermeßlichen Gan - zen aller Fixſternenſyſteme, und in den einzelnen Sy - ſtemen insbeſondre, auf eine unendliche Verſchieden - heit in Hinſicht der Ausbildung ſchließen, und wir ſe - hen eine nimmer ſtille ſtehende Schoͤpfung, hier ganze Weltgebaͤude neu aus dem ewigen Element hervorru - fen, waͤhrend andre im Verlauf von vielleicht Millio - nen Weltenaltern die Zeit ſchon wieder heimgerufen hat. Eine gleiche Verſchiedenheit der Ausbildung laͤßt uns ganz in der Naͤhe, an den Weltkoͤrpern unſers eignen Syſtems ſelber, noch denſelben Zuſtand erblicken, in welchem ſich die Erde vor Jahrtauſenden befunden, ja ſie laͤßt uns einige noch von den Gewaͤſſern der Tie - fe bedeckt, wuͤſte und leer, bewegt von dem Geiſt der erſten Schoͤpfung ſehen, waͤhrend andre ſchon ſo veraltet ſind, wie dies die Erde erſt in fernen Jahr - tauſenden ſeyn wird. Wir werden hiervon nachher re - den, zuvor aber wollen wir noch Einiges uͤber die Ge - ſtalt der Weltſyſteme vorausſenden.

Nach einer andren, und in ſich ſelber klaͤreren Anſicht, welche uͤbrigens der Herſchelſchen im Ganzen nicht widerſpricht, iſt die Geſtalt unſers Fixſternenſy - ſtems nicht die von Herſchel angenommene eines laͤnge. lichen unregelmaͤßigen Doppelſtreifens, ſondern die ei - ner wirklichen Sphere, deren Mittelpunkt unſre Son - ne ziemlich nahe ſteht. *)Wenn einer von jenen Nebelartigen Weltkoͤrpern im Orion, von deſſen einem wir fruͤher geſprochen haben, derEs bewegen ſich auch nach118 dieſer Anſicht, die Fixſterne um einen gemeinſchaftlichen Mittelpunkt, und es haben hierbey die Bahnen derſelben eine aͤhnliche Lage gegeneinander als die Planetenbahnen, das heißt, ſie liegen ſaͤmtlich faſt in einer Ebne, ſind nur wenig gegen einander geneigt, ſo daß die Geſtalt unſers ganzen Fixſternenſyſtems, oder unſerer Milchſtraße, nicht Kugel - ſondern Scheibenfoͤrmig iſt. Die meiſten Fix - ſternenbahnen unſers Syſtems, haben einen gemein - ſchaftlichen Knoten, wie wir dieſes ſpaͤter (im Anhang) auch bey den meiſten Planetenbahneu finden werden. An der Stelle dieſes Knotens erſcheint die Milchſtraße mehr zuſammengezogen und glaͤnzender, und es fallen die zwey zuſammengezogenſten und glaͤnzendſten Stel - len der Milchſtraße wirklich (wie entgegengeſetzte Kno - ten) 180° von einander entfernt, gegen den 160ſten und 340ſten Grad der Rektascenſion. Das getheilte Ausſehen der Milchſtraße nach einer Seite hin, wird dadurch erklaͤrt, daß eine große Anzahl der Fixſternen - bahnen in eine gemeinſchaftliche Ebne faͤllt, die von einer andern, in welche ebenfalls eine große Anzahl von Bahnen faͤllt, etwas entfernt iſt, waͤhrend in der*)Mittelpunkt des Syſtems waͤre; ſo betruͤge auch die Ent - fernung der Sonne von dieſem wahrſcheinlich nicht viel mehr als etliche Fixſternenweiten. Das Minimum der Ent - fernung jenes Nebellichts im Orion betraͤgt nach Schroͤters Angabe ohngefaͤhr Eine Fixſternenweite (bey der gewoͤhn - lichen Vorausſetzung der jaͤhrlichen Parallaxe) indem nach ihm die Parallaxe der Erdbahn in der Entfernung jenes Nebellichts hoͤchſtens eine Seeunde betraͤgt.119 Mitte zwiſchen beyden Ebenen nur wenige gefunden werden, ſo daß dieſer mittlere Raum dem Auge in der Milchſtraße leer erſcheint. *)Man ſehe uͤber dieſes alles F. Th. Schuberts theoreti - ſche Aſtronomie.Auch hiervon werden wir ſpaͤter in den Neigungen der Planetenbahnen et - was Aehnliches finden. Obgleich unſre Sonne nicht ſehr weit von dem[Mittelpunkt] des ganzen Syſtems entfernt ſcheint, ſteht ſie doch nicht genau in demſel - ben,[und] dieſer muß aller Analogie nach zu ſchließen, nach jener Seite des Himmels hinfallen, wo der Him - mel am dichteſten mit Sternen beſaͤet iſt, (da nach der Seite wo der Mittelpunkt hinliegt, die groͤßere Haͤlfte des ganzen Syſtems iſt) mithin, wie ſchon weiter oben erwaͤhnt, ohngefaͤhr in die Gegend des Stiers oder Orions.

Vielleicht daß dieſe Geſtalt der Sonnenſyſteme, naͤmlich die Scheibenfoͤrmige, allgemeiner iſt, als man bisher geglaubt, und daß ſie, eben ſo wie ſie ſich in dem Verhaͤltniß der Planetenbahnen unſers Syſtems, und in dem der Fixſternenbahnen findet, auch bey den meiſten andren Fixſternenſyſtemen Statt findet. Jene verſchiednen Geſtalten unter denen die fernen Milch - ſtraßen von Herſchel beobachtet worden, koͤnnen dann blos von den verſchiednen Stellungen, unter denen ſie geſehen werden, herruͤhren, und jene runden oder elliptiſchen Fixſternenſyſteme, werden von uns vielleicht120 von oben her (in der Richtung der Axe), die mehr in die Laͤnge gedehnten, von der Seite her geſehen. Jene Erſcheinung, aus welcher er auf eine wirklich kugelfoͤr - mige Geſtalt jener runden Fixſternenſyſteme geſchloſſen, das dichtere Beyſammenſtehen der einzelnen Sonnen nach dem Mittelpunkte hin, wuͤrde ſich auch mit der Scheibenfoͤrmigen Geſtalt der Syſteme vereinigen laßen, indem hier eben ſo wie bey dem aͤhnlichen Ver - haͤltniß der Planetenbahnen und vermoͤge deſſelben Ge - ſetzes, die Bahnen nach dem Mittelpunkte hin dichter zuſammenfallen muͤßten; ſo daß der Abſtand eines Fixſternes zu einem andern nach der Peripherie der Sphaͤre hin, aller Analogie zu Folge ungleich bedeuten - der iſt, als nach der Mitte hin.

In vielen jener rundlichen Weltgebaͤude, ſieht man mitten unter den kleinen teleſcopiſchen Sternen einen groͤßern und ſehr hellglaͤnzenden, welcher der Wahr - ſcheinlichkeit nach fuͤr den Centralkoͤrper des ganzen Syſtems gehalten wird. Dieſer vorzuͤglich glaͤnzende Punkt, findet ſich nicht ſelten, beſonders bey elliptiſch geſtalteten, etwas außerhalb der Mitte, mehr nach dem einen Brennpunkt hin, und es iſt wahrſcheinlich, daß dieſes Verhaͤltniß, ſo wie bey allen Planeten und Trabantenbahnen in Hinſicht auf die Stellung des Centralkoͤrpers, ſo auch in der Anordnung der Fixſter - nenſyſteme Statt finde, und daß aus Gruͤnden die ich anderwaͤrts (in meiner angefuͤhrten Schrift) aus einem ſehr allgemeinen Geſetz hergeleitet habe, der eigentlich121 herrſchende Mittelpunkt niemals mit dem mathemati - ſchen zuſammenfaͤllt.

Es bilden jene Weltgebaͤude, bey denen der vor - zuͤglich glaͤnzende Punkt, welches der wahrſcheinliche Mittelpunkt iſt, ſchon den Sinnen wahrnehmbar et - was außerhalb des mathematiſchen Centrums faͤllt, den Uebergang zu jenen ſonderbaren Formen, wo der - ſelbe, wie der Kern bey den Kometen im Verhaͤltniß zum Schweife, faſt ganz nach dem einen Ende des mehr laͤnglicht (Faͤcherartig) ausgedehnten Syſtems hin - faͤllt, nach welchem Punkte hin die Sterne dichter zu - fammengedraͤngt ſcheinen, weil ſie nach dem andern hin weiter auseinander gelegen ſind.

Es ſcheinen jene lichten Punkte fuͤr das Daſeyn wirklicher Centralſonnen in einigen Syſtemen zu ſpre - chen, obgleich ſie auch von dem vereinten Licht dicht gegen die Mitte zuſammenſtehender Sterne herruͤhren koͤnnen. In dem merkwuͤrdigen ringfoͤrmigen Nebel in der Leyer dagegen, der noch ganz oder groͤßtentheils aus der fruͤher erwaͤhnten leuchtenden Nebelſubſtanz zu beſtehen ſcheint, findet ſich die lichtere Maſſe des Ganzen nach dem Umfang hin verſammlet, waͤhrend die Mitte nicht leer, ſondern nach Schroͤters Beobach - tungen von einer weniger leuchtenden Subſtanz erfuͤllt ſcheint.

So ſcheint es, daß in Hinſicht der Geſtalten und Anordnung, im Bau der unermeßlichen Fixſternenſyſte -122 me dieſelben Geſetze walten, wie in jener des Plane - tenſyſtems. Vielleicht, und ſehr wahrſcheinlich iſt es, daß auch dort, ſo wie hier die Bahnen der Kometen, viele Fixſterne außerhalb der allgemeinen Ebene der Anordnung, nach andern Richtungen (mehr nach den Polen des Syſtems) hinfallen, und daß hierdurch wirk - lich einige Syſteme, bey denen (ſo wie bey den Neigungen der Uranustrabantenbahnen) die Tendenz zu einer ſol - chen Anordnung vorherrſcht, ſich mehr der Kugelform naͤhern. Uebrigens ſind die Einwuͤrfe, welche man wohl ſonſt gegen die Lage der einzelnen Weltkoͤrper der Fixſternenſyſteme in einer Ebene zu machen pflegt, von mindrer Bedeutung. Denn jener, daß die Natur uͤberall den Raum ſpare, und daß ſich deshalb eine ſolche Raumverſchwendende Anordnung ſchwerer be - greifen laſſe, moͤchte wohl nur von einem ſehr be - ſchraͤnkten Standpunkte aus noch Statt finden; waͤh - rend ein andrer wichtigerer, welcher aus den Herſchel - ſchen Beobachtungen hervorgienge, aus jener Annahme ſelber beſeitigt wuͤrde. Herſchel fand naͤmlich eine ungemeine große Zahl*)Gegen 1000. (faſt die Haͤlfte) der von ihm be - obachteten Milchſtraßen, von runder Geſtalt, zugleich aber lagen auch bey weitem die meiſten von dieſen nach den Polen unſers Fixſternenſyſtems, das heißt, nach jener Seite des Himmels hin, die am meiſten von der Milchſtraße, und mithin von der Ebne der allgemei - nen Anordnung der Sonnen entfernt, von nur weni -123 gen und naͤheren Sonnen ſparſam erhellt iſt. Hieher gehoͤren die mehrere hunderte Fixſternenſyſteme enthal - tenden Nebelmaſſen im Haupthaar der Berenice, und gegenuͤber nach dem andern Pol des Syſtoms hin, eine faſt eben ſo große, nur etwas weniger dicht zuſammen - ſtehende Menge von Weltgebaͤuden. Nehmen wir nun an: daß die Ebenen der einzelnen Fixſternenſyſteme im Ganzen wieder eben ſo wie im Einzelnen in einer Richtung liegen, und daß mithin auch die Pole eine gleiche Rich - tung haben, ſo muͤſſen uns alle oder die meiſten nach den Polen unſers Syſtems hinfallenden Syſteme, trotz ihrer eigentlich Scheibenfoͤrmigen Geſtalt, rund er - ſcheinen.

Wir werden anderwaͤrts tiefere Gruͤnde fuͤr die An - ordnung aller Hauptkoͤrper eines einzelnen Syſtems in Einer beſtimmten Richtung, in Einer Ebene aufſtellen, und daſelbſt mehr von der Natur jener Kraft, welche in ihren Wirkungen ſich immer ſo ſtreng der geraden Linie naͤhert, handeln. Es laͤßt die Stellung der Weltkoͤrper und ihrer Bahnen, welche von den klein - ſten Syſtemen (von dem Planeten ja ſogar von den Tra - bantenſyſtemen) an, bis zu dem hoͤheren Ganzen der Milchſtraßen, ein und daſſelbe Verhaͤltniß zeiget (wie ſpaͤter noch deutlicher wird) auf eine gemeinſchaft - liche Richtung, auf einen Ausgangspunkt der ſchaffen - den und herrſchenden Kraft, auf eine gemeinſchaftli - che Urſache des Daſeyns ſchließen, nach welcher ſich Alle hinwenden, daß ſie (aus dem nicht mehr Koͤrper -124 lichen die Koͤrper) aus jener Leben empfiengen und Daſeyn.

Wir finden in unſrem Planetenſyſtem, ſchon ſo weit wir daſſelbe ſeit den meiſterhaften Beobachtungen vorzuͤglich zweyer Deutſchen, die ſich hierin ein un - ſterbliches Verdienſt erworben haben, (Herſchels und Schroͤters) kennen, eine aͤhnliche Verſchiedenheit der Entwicklungsſtufen und des Naturzuſtandes als in dem Syſtem der Sonnen. Wir ſehen die Groͤßen der Planeten von der im Halbmeſſer noch nicht 30 Mei - len großen Veſta bis zu dem 9783 Meilen großen Ju - piter differiren, waͤhrend die uͤbrigen Naturverhaͤltniſ - ſe nicht minder bedeutend abweichen. So hat der viel kleinere Mercur nach Schroͤters Beobachtungen im Ver - haͤltniß zu ſeinem Halbmeſſer 8 mal hoͤhere Gebirge als die Erde, und es ſteht ihm hierinnen, ſo wie an der ewigen Heiterkeit der Atmosphaͤre, Venus wenig nach; einige andre Planeten, vorzuͤglich einige der neuent - deckten (Pallas und Ceres) naͤhern ſich durch die Be - ſchaffenheit ihrer verhaͤltnißmaͤßig ungeheuer großen und dichten Atmosphaͤre faſt den Cometen. Endlich ſo iſt ganz vor kurzem ein Planet entdeckt worden, der nicht blos durch ſeine ungemeine Kleinheit, ſondern mehr noch durch eine andre merkwuͤrdige Eigenſchaft, al - le Graͤnzon der planetariſchen Natur uͤberſchreitet.

Es iſt die Veſta von der ich rede. Dieſer kleine Weltkoͤrper hat, wie wir anderwaͤrts ſehen werden,125 nur 29½ Meile im Halbmeſſer, iſt mithin mehr als 29 mal im Durchmeſſer, faſt 25tauſend mal im koͤr - perlichen Innhalt kleiner als die Erde. *)(24651)Ohnerachtet dieſer außerordentlichen Kleinheit, faͤllt er aber mit ei - nem ſo hellen, faſt Fixſternenartigen Licht in die Au - gen, wie dieſes die Erfahrung kaum an 10 mal im Durchmeſſer groͤßeren planetariſchen Koͤrpern zu zeigen pflegt, und ohne dieſe merkwuͤrdige Eigenſchaft wuͤrde ſeine Entdeckung ungleich ſchwerer, ja faſt unmoͤglich ge - weſen ſeyn. **)Gleich bey ihrer Entdeckung erſchien die Veſta als ein heller Stern wenigſtens von der 6ſten Groͤße, waͤhrend Pallas, Ceres und Juno wovon doch die erſtere faſt 8 die 2te 6, die 3te mehr als 5 mal im Durchmeſſer groͤßer iſt, in einer nicht viel groͤßern Entfernung kaum als Sterne der 7ten und 8ten Groͤße erſcheinen. Trotz dieſes lebhaf - ten Lichts erſchien ſie in den beſten Teleſcopen nur wie ein kaum noch ſichtbarer Fixſternenpunkt von nicht einmal ½ Secunde im Durchmeſſer. Dieſer hoͤchſt merkwuͤrdige Umſtand, ſchreibt Schroͤter vom 6ſten May, daß ein ſo kleiner Koͤrper ein ſo fixſternaͤhnliches Licht, als Sonnen - licht zu reflectiren im Stande iſt, wird noch in Zukunft zu wichtigen Betrachtungen Anlaß geben. Es ſcheint mithin hier wirklich ein Planet mit der deutlichen Eigenſchaft des Selberleuch - tens aufgefunden, (obgleich er wohl hierinnen bey weitem den Sonnen - oder den Kometenartigen Koͤrpern nachſteht) die man aus einzelnen Beobachtungen, an der Nachtſeite der Venuskugel u. a. gemacht, ſchon fruͤher in einem ſchwachen Grad an den Planeten un - ſers Syſtems gekannt hat.

126

Es ſcheint aus Vielen, daß nicht alle Planeten auf einer gleichen Stufe der planetariſchen Vollendung ſtehen, daß einige noch in der Zeit der erſten Ausbil - dung, andre im Zuſtand der ſchoͤnſten Vollendung, noch andre ſchon dem Untergange nahe ſind. Es iſt naͤmlich der Weltkoͤrper, welchen wir bewohnen, und aller vernuͤnftigen Analogie zu Folge alle Weltkoͤrper unſers Syſtems, aus fluͤſſigem Zuſtand (durch Nieder - ſchlag aus dem Gewaͤſſer) entſtanden. Die Waſſer - menge war, wie uns die ganze Natur des Planeten in tauſend Thatſachen lehrt, in den erſten Zeiten der Erd - bildung verhaͤltnißmaͤßig ungemein haͤufig, ſo daß ſie noch fern uͤber dem Gipfel der hoͤchſten Gebirge geſtan - den. Im Verlauf von Jahrtauſenden hat ſie hierauf allmaͤlig, bis zu ihrem jetzigen Stande abgenommen, und es ſcheint, daß ſie auch hiermit noch bey weitem nicht ihr Minimum erreicht habe, ſondern daß ſie noch immer abnehmen muͤſſe. (Ich werde hiervon noch weiter unten reden.) Die groͤßere Waſſermenge, der fluͤſſigere Zuſtand, bezeichnen uns mithin den Zuſtand der fruͤhen Jugend der planetariſchen Natur, waͤhrend der mehr Waſſerleere, trocknere Zuſtand, ein hoͤheres Al - ter dieſer Welten andeutet.

In dem Zuſtand des hohen Alters finden wir dem - nach den Mond, von dem ich anderwaͤrts erwaͤhnt ha - be, daß er faſt gaͤnzlich ohne Waſſer, faſt ganz in dem letzten ſtarren und trocknen Zuſtand ſey, welcher aller Analogie zu Folge zuletzt alle Planeten erwartet. 127Auf der Stufe einer ſpaͤteren Vollendung als die Erde, ſtehen auch ſchon Venus und Mercur, bey denen uns die ſtets heitre, Wolkenleere Atmosphaͤre, auf eine gerin - gere Menge der allgemeinen Waſſermaſſe ſchließen laͤßt, als die der Erde iſt. In dem Zuſtand der mittleren Vollendung, ſtehn wie es ſcheint, vorzuͤglich Mars und die Erde, obgleich die letztere ſchon etwas weiter in der planetariſchen Reife vorgeruͤckt iſt als jener, und ſchon mehr nach der zweyten Lebenshaͤlfte hinſteht. Dagegen ſind, wie ich dieſes anderwaͤrts aus vielen Erſcheinungen geſchloſſen habe, Jupiter, Saturn und Uranus noch an ihrer ganzen Oberflaͤche mit Waſſer bedeckt, und dieſe Planeten ſcheinen noch auf einem dem anfaͤnglichen Zuſtand der Erde (we ſich noch ein Theil der feſten Oberflaͤche aus den Gewaͤſſern nieder - ſchlug) verwandten Stufe der Entwickelung zu ſte - hen. *)Ich will mich hier, wo dieſe Vorleſungen gedruckt wer - den, ſtatt der weiteren Ausfuͤhrung, auf den 2ten Band m. A. beziehen, und auch die Thatſachen die ich bey dieſer Gelegenheit noch neu hinzufuͤgte, bis an einen andern Ort verſparen.

Vorzuͤglich merkwuͤrdige Koͤrper unſers Syſtems ſind die Kometen. Wir ſehen dieſe auf einmal in ihrer ſinnlichen Geſtalt wie in der ganzen Beſchaffenheit ei - ner ganz andern Ordnung der Dinge angehoͤren als die Planeten. Wenn ſich dieſe in wenig elliptiſchen Bah - nen, die groͤßtentheils nicht ſehr bedeutend von der128 Kreisform abweichen, bewegen, ſehen wir dieſe in Ellipſen von ungeheurer Eccentricitaͤt ihren ſonderbaren Umlauf nehmen, der ſie nach der Meynung Einiger bald in das ferne Gebiet fremder Sonnen hinuͤber - fuͤhrt, bald ſie wieder mitten in die Tiefe unſres Sy - ſtems hinein, der Sonne naͤher bringt, als irgend ein Planet ihr ſtehet. Doch ſcheinen ſie auf dieſem, wie wir gleich nachher ſehen werden, ſehr langen Umlauf, das Licht der Sonne, die ihnen an der aͤußerſten Graͤn - ze ihrer Bahn nur noch als Stern der erſten Groͤße glaͤnzt, nicht zunaͤchſt ſo zu beduͤrfen wie die Planeten, (wenn wir von der halben Ausnahme bey der Veſta ab - ſehen) und es iſt wenigſtens ſeit den neuen Schroͤter - ſchen Beobachtungen uͤber Cometen gewiß, daß ſie von der Natur der ſelberleuchtenden Koͤrper ſind. Zwar wollten Caſſini und Calandrin Phaſen an dem Ko - meten von 1744 bemerkt haben, oder vielmehr einen dunklen Zwiſchenraum im Schweife nach dem Kern hin, den ſie fuͤr den Schatten des Kerns hielten, aber ſchon zwey wenigſtens nicht minder ſorgfaͤltige Mitbe - obachter, Cheſeaux und Heinſius laͤugneten dieſes gaͤnzlich, und der Letztere der den Kern oval ſahe, fand ſtets den groͤßeren Durchmeſſer deſſelben gegen die Son - ne gerichtet. Wenn ſich jener dunkle Zwiſchenraum zufaͤllig wirklich gerade hinter dem Kern gefunden, ſo iſt er demohnerachtet wohl von derſelben Natur gewe - ſen, wie mehrere aͤhnliche von Schroͤter in der leuch - tenden Atmosphaͤre des von ihm beobachteten Come - ten beſchriebene. Auch außer dieſem hat man noch nie,129 ſelbſt bey den groͤßten Kometen, Phaſen oder wirkliche Schatten beobachtet,[und] Meſſier, der doch mit ſehr guten Inſtrumenten und der groͤßten Sorgfalt den ziemlich großen Kometen von 1769 und mehrere andre beobachtete, bemerkte nie eine Spur von einer Phaſe oder einem Schatten, ſo wie auch Schroͤter bey dem von ihm ſo genau beobachteten Kometen, nichts der Art bemerkte.

Es ſcheint aus den Unterſuchungen des zuletzt er - waͤhnten Aſtronomen, daß der Kern der Kometen die Eigenſchaft des Selberleuchtens am vorzuͤglichſten be - ſitzt. Dieſes eigenthuͤmliche Licht mußte durch die ziem - lich dichte Atmosphaͤre, die den Kern ringsum ein - ſchloß, zwar bedeutend geſchwaͤcht werden, war aber demohnerachtet unverhaͤltnißmaͤßig viel ſtaͤrker als das Sonnenlicht, das erſt durch jenes dichte Medium zu dem Kern, von da noch einmal geſchwaͤcht durch dieſel - be Atmosphaͤre zu nus hatte gelangen koͤnnen, wo - durch es dem Auge des Beobachters bis zum unmerk - lichen Daͤmmerungsſchein haͤtte erloͤſchen muͤſſen. In einem mindern Grade beſitzt die Eigenſchaft des Leuch - tens der ſphaͤriſche Lichtnebel, in deſſen Mitte der Kern liegt, den hiervon eine dazwiſchen gelegne, zur Erzeugung von nicht leuchtenden Meteoren (unſern Wolken aͤhnlich) geneigte Atmosphaͤre abſondert, und in einem noch minderen beſitzt ſie der Schweif, der ſich, allezeit in der Richtung der von der Sonne abge -J130wendeten Seite, in ungeheuer ferne Raͤume des Welt - ſyſtemes verbreitet.

Der ſphaͤriſche Lichtnebel der den Kern umgiebt, iſt zwar nach der von der Sonne abgekehrten Seite des Kometen (nach der Seite des Schweifes) hin dichter, und faͤllt daſelbſt durch ein helleres Licht in die Augen, er hatte aber, wenigſtens in den Schroͤterſchen Beob - achtungen des Kometen von 1799, nach der der Son - ne zuwendeten Seite eine eben ſo große Ausdehnung, (nur daß er daſelbſt durch ſeine Feinheit undeutlicher wurde); ſo daß der Kern genau in ſeiner Mitte lag. Andre Beobachtungen, ſelbſt die Schroͤterſchen eines fruͤher erſchienenen Kometen, ſchienen die Stellung des Kerns etwas außerhalb der Mitte jener Glanzſphaͤ - re, naͤher nach der Sonne hin zu ſetzen. Es hat jene leuchtende Atmosphaͤre einen Umfang, deſſen Graͤnze durch unſre beſten Inſtrumente noch bey weitem nicht zu erreichen iſt, und der nach Schroͤters Mey - nung vielleicht bis an die Graͤnze der andern Weltkoͤr - per reicht. Sein Verhaͤltniß zum Durchmeſſer des Kerns, uͤberſteigt alle Graͤnzen die wir die Natur in aͤhnlichen Faͤllen beobachten ſehen, und waͤhrend der Halbmeſſer des eigentlichen Koͤrpers nur 186½ Mei - len betrug (etwas mehr als der der Ceres) wurde ſelbſt ſchon in der bedeutenden Entfernung des Kometen von der Erde, die Lichtſphaͤre bis zu einer Hoͤhe von 21797 Meilen ſichtbar, waͤhrend der Schweif ſchon bis zu einer Ferne von mehr als 600000 Meilen deutlich in131 die Sinnen fiel, und es wird mit Recht vermuthet, daß die eigentliche Ausdehnung beyder, gegen Millionen Meilen betraͤgt.

Denn es gehoͤrte der Komet von dem wir hier ſpre - chen, und den die Schroͤterſchen Beobachtungen ſo merkwuͤrdig gemacht haben, noch immer nicht zu den groͤßten und augenfaͤlligſten Koͤrpern dieſer Art. Man hat einige geſehen, welche im Durchmeſſer des Kerns ſo groß und noch groͤßer als Jupiter geſchaͤtzt wurden, und nicht ſelten hat man den Schweif bis zu einer meß - baren Groͤße von vielen Millionen Meilen ausgedehnt gefunden (bey dem Kometen von 1769 betrug die ſicht - bare Extenſion deſſelben gegen 40 Millionen Meilen) und dieſe in die Augen fallende, ſcheinbare Graͤnze der Erſtreckungen, war vielleicht nur ein ſehr geringer Theil der wirklichen. Doch ſind dieſe Weltkoͤrper, wenn auch an Umfang des Kerns zuweilen den großen Planeten aͤhn - lich, doch gewiß an Dichtigkeit und Maſſe ſehr von ihnen unterſchieden.

Man hat naͤmlich ſchon das gleiche Leuchten der Kometen nach allen Seiten, aus der durchſichtigen Beſchaffeuheit dieſer Koͤrper, die man zum Theil als fluͤſſig angenommen, hergeleitet, doch wuͤrde ſelbſt ein Waſſerball von jener bedeutenden Groͤße, die man bey ei - nigen Kometen beobachtet, denen Sonnenſtrahlen gegen die andre Seite hin undurchſichtig werden, und die Annahme der Fluͤſſigkeit, die uͤbrigens Vieles fuͤr ſichJ 2132hat, kann die Nothwendigkeit, jenen Weltkoͤrpern ein Selberleuchten zuzugeſtehen, nicht aufheben. Der Komet von 1799, der einzige bis jetzt mit einer aͤhnlichen Genauigkeit beobachtete und gemeſſene, behielt nach Schroͤter gegen 15 Tage lang, vom 30ſten Auguſt bis zum 14ten September, in 7 verſchiedenen Meſſungen, einen ziemlich unveraͤnderten Durchmeſſer. Hierauf aber zeigte er ſich auf einmal, am 16ten September, unter den guͤnſtigſten Umſtaͤnden, um mehr als den 3ten Theil kleiner als ihn die bisherigen Meſſungen gaben, und dieſe Vermindrung der Groͤße nahm noch zu, ſo daß er (wenn man hierbey die geringe Verſchiedenheit der Entfernung in Rechnung brachte) am 19ten nicht einmal halb ſo groß als vorher erſchien. Hierauf nahm er bis zum 25ſten auf einmal ploͤtzlich wieder bis auf drey Viertheile ſeiner vorigen Groͤße zu, ſank aber hernachmals, in nicht minder kurzer Zeit wieder bis[auf] die Haͤlfte der vorigen Groͤße herunter.

Aus der beſtaͤndigen Groͤße, die der Komet in 7 Meſſungen behalten, ſchloß Schroͤter auf einen feſten Zuſtand deſſelben, waͤhrend er das ſchleunige Abneh - men dieſer Groͤße aus einer atmosphaͤriſchen Verhuͤl - lung deſſelben (wie bey den Jupitertrabanten) herlei - tete. Zwar ſcheinen viele fruͤhere Beobachtungen groͤ - ßerer Kometen die Moͤglichkeit einer ſolchen atmosphaͤ - riſchen Verdunkelung zu beſtaͤtigen, doch ſcheint es aus andern Gruͤnden und bis zu weitern Beobachtungen der Art, nicht wahrſcheinlich, daß die Kometenkerne von133 einer aͤhnlichen beſtaͤndigen Natur wie die planetari - ſchen Weltkoͤrper ſind. Die ſo haͤufig beobachtete, in die Sinnen fallende ungeheure Abplattung, welche ſie nicht mehr als Sphaͤroide, ſondern als Ellipſen, deren groͤßere Axe nach der Sonne zugekehrt iſt (wo mithin die kleine Axe die eigentliche der Pole iſt) erſcheinen laͤßt;*)Wie auch Heinſius den von 1744 beſchreibt. das beſtaͤndige undeutliche verwaſchene Ausſehen der meiſten Kometenkerne, die nicht ganz zu laͤugnende Beobachtung von Kometen ohne Kern (wovon ſpaͤter mehr) die ungemein haͤufige und dichte Atmosphaͤre, wie es ſcheint von einer der unſrigen aͤhnlichen Natur, die den Kern umgiebt; endlich noch mehr die Eigenſchaft des Sel - berleuchtens, die auf eine Stufe der koͤrperlichen Bil - dung ſchließen laͤßt, auf der die Koͤrper uͤberall in fluͤſ - ſigem Zuſtand erſcheinen; machen es viel wahrſcheinli - cher, daß die Kometen nicht zu den entwickelten und ausgebildeten Koͤrpern unſers Syſtems gehoͤren, ſondern daß ſie ſich noch im Zuſtand der erſten Bildungsfaͤhig - keit befinden. Es wird dieſes noch durch andre Gruͤnde beſtaͤtigt, die vielleicht nicht minder wichtig ſind.

Man hat naͤmlich bekanntlich die Bahnen, auch der Kometen, ziemlich genau berechnen wollen, und nebſt den uͤbrigen Elementen auch die Umlaufszeit beſtimmt. Es geben dieſe Berechnungen faſt ſaͤmmtlich den Kome - ten eine Dauer des Umlaufs, und eine mittlere Ent - fernung, welche die aller andern Weltkoͤrper unſers134 Syſtems ungeheuer weit uͤbertrifft. So betraͤgt nach Beſſels Berechnung die mittlere Entfernung des Kome - ten von 1769 uͤber 3409 Millionen Meilen, ſeine Umlaufszeit 2089 Jahre,*)Wenn man die Graͤnzen, innerhalb welchen bey dieſen genauen Berechnungen noch ein Irrthum moͤglich war, in Anſchlag bringt, und welche fuͤr die Umlaufszeit von 1691 bis 2673 Jahre betragen, iſt das Mittel aus beyden 2182. und dieſer Komet gehoͤrt vielleicht noch immer nicht zu den (nach ſolchen Rech - nungen) am entfernteſten. Auch einer der groͤßten Kome - ten unter allen, welche, ſo viel wir wiſſen, jemals be - obachtet ſind, der von 1680, ſoll nach einer maͤßigen und wie aus Einigen ſcheint, viel zu kurzen Angabe, mehr als 1700 Jahre zu einem Umlaufe brauchen, und man hat ihn fuͤr denſelben gehalten, welcher nach dem Tode des Julius Caͤſar erſchien, und welcher we - nige Umlaͤufe fruͤher, nach der Meynung Einiger, die Suͤndfluth bewirkt haben ſoll.

Kometen dieſer Art haben daher freylich eine Zeit, um unſre Rechnungen zu beſtaͤtigen oder vernichten uͤbrig, die uͤber das Alter unſrer Beobachtungen unge - mein weit hinausliegt. Doch hat es auch andre ge - geben, welche die Rechnungen der paraboliſchen und elliptiſchen Hypotheſen der Aſtronomen wohl ſchon haͤt - ten beſtaͤtigen koͤnnen, wenn ſie in dieſem Falle auf ſo guten Grund gebaut waͤren als anderwaͤrts.

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So wurde die Bahn des merkwuͤrdigen Kometen von 1770, von verſchiednen Aſtronomen, vorzuͤglich aber von den beruͤhmten und geſchickten Herrn Meſſier und Lexel ſehr ſorgfaͤltig beobachtet und (nach der el - liptiſchen Hypotheſe) berechnet. Da dieſer Komet waͤhrend ſeiner ziemlich langen Sichtbarkeit (vom 14ten Julius bis zum 2ten Oktober) einen Winkel um die Sonne von mehr als 170° beſchrieb, und da ſeine Sonnennaͤhe uͤberdies die der Beobachtung guͤnſtigſte La - ge, die ihn nicht in den Sonnenſtrahlen verſchwinden ließ, hatte, gab er hierdurch Gelegenheit, ſo genau wie dies ſonſt ſelten moͤglich iſt, ſeine Bahn zu berechnen. Aus allen Beobachtungen erhielt man einſtimmig das Reſultat: daß dieſer Komet Jahr zu ſeiner Umlaufs - zeit brauchte. Und doch iſt dieſer ſo genau und von ſo treflichen Aſtronomen berechnete Komet weder vorher noch nachher erſchienen, ein Umſtand, der nach den Worten eines beruͤhmten Aſtronomen da man ſo we - nig in die Genauigkeit der Beobachtungen als der Be - rechnungen den geringſten Zweifel ſetzen kann, dieſe Erſcheinung zu einem unaufloͤslichen Naͤthſel macht. *)F. Th. Schubert a. a. O.

Zwar haben Einige dieſes unverhoffte Außenblei - ben jenes Kometen aus der Stoͤrung oder der Anzie - hung, welche Jupiter, dem derſelbe in ſeiner Sonnen - ferne ziemlich nahe koͤmmt, auf ihn ausgeuͤbt habe,136 hergeleitet; allein ſchon Lexel hatte dieſes bey ſeiner Berechnung erinnert, und zugleich dadurch widerlegt, daß er die Beobachtungen des Kometen ſowohl vor als nach ſeiner Konjunction mit dem Jupiter beſonders berechnete und mit einander verglich, und beyde mit derſelben Ellipſe uͤbereinſtimmend fand. *)Man ſehe Lexels ganzes Verfahren in den Act. Acad. Petropol. nach, und ſuche doch einmal, ob man bey der ſelrnen Guͤnſtigkeit und Klarheit der dazu noͤthigen Ele - mente der Beobachtung, und bey der Konſequenz der Me - thode etwas Gruͤndliches daran ausſetzen koͤnne. (Die ge - ringe Neigung der Bahn kann, wie ſchon von Andern er - wieſen iſt, der Rechnung keinen erheblichen Eintrag thun.)Auch ge - hoͤrte dieſer Komet immer nicht zu den kleinſten, da einer Meſſung zu Folge, ſein Kern noch groͤßer als die Erde geſchaͤtzt wurde, und wir haben, ſo oft auch Ko - meten in der naͤchſten Nachbarſchaft der uns naͤheren Weltkoͤrper voruͤbergiengen, noch nie Spuren einer ſolchen auffallenden Stoͤrung oder Unterbrechung des gewoͤhnlichen Laufs, ſowohl bey den Kometen als bey den Planeten in deren Naͤhe ſie kamen, bemerkt. Denn ſo gieng der Komet von 1540 zwiſchen Mond und Erde hindurch, und ſo nahe an dem Mond vor - uͤber, daß er einen großen Schatten auf dieſen warf, ohne daß der Lauf des Mondes oder der Erde, und ſelbſt der des Kometen waͤre geſtoͤrt worden, und der Komet von 1744 erfreute die Mercurbewohner, wenn dieſe gleich uns an aſtronomiſchen Beobachtungen Ge - fallen finden, mit einem ſo ungemein nahen Voruͤber -137 gange, als, ſo weit wir die Geſchichte derſelben wiſ - ſen, noch kein Komet die Erde, ohne daß man an bey - den ſonderliche Veraͤnderungen wahrgenommen haͤtte. Wo ſollen wir demnach, bey der anerkannten Regel - maͤßigkeit und weiſen Vorherbeſtimmung des Laufs, der Stellungen (und Groͤßen) aller Weltkoͤrper gegen einan - der auch nur Wahrſcheinlichkeiten finden um daraus Beweiſe fuͤr eine ſolche Stoͤrung zu nehmen, da jene Re - gelmaͤßigkeit es unmoͤglich macht, daß zwey Weltkoͤr - per von gleicher Beſtimmtheit und Feſtſetzung der Bah - nen und andren kosmiſchen Verhaͤltniſſe, jemals, wie zwey voͤllig nach Zufall geſchleuderte Koͤrper, mecha - niſch zuſammenſtoßen, oder was in ſeiner Wirkung daſſelbe waͤre, ſich ſo nahe kommen koͤnnten, daß einer den Umlauf des andern (das beſtimmte Daſeyn, die Individualitaͤt deſſelben) ganz aufheben oder veraͤn - dern koͤnnte. Nun iſt zwar dieſe Zufaͤlligkeit, dieſer blinde Mechanismus, den ſie ja an Seiten in die Na - tur hineingedichtet haben, wo ſie ſeiner gar nicht be - durft haͤtten, den meiſten Aſtronomen eben recht, und gar nicht unerwartet, doch werden ſchon die Beſſeren unter ihnen, die Moͤglichkeit eines ſolchen zerſtoͤrenden Zufalls nicht zugeben moͤgen.

So ſcheint uns ſchon dieſer eine Fall zu belehren, wie ſelbſt die klarſten und ſchaͤrfſten Berechnungen der Kometenbahnen, nicht immer untruͤglich ſind. Zwar iſt es nun bekannt: wie auf der andern Seite eine ge - naue Durchſicht des Verzeichniſſes aller bis zu unſrer138 Zeit erſchienenen Kometen eine Uebereinſtimmung der Elemente (beſonders der Neigung der Bahnen, wel - che bey den Kometen das Wichtigſte ſcheint) der von 1456, 1531, 1607, 1682, jener von 1264 und 1556 endlich der von 1532 und 1661 gezeigt hat, und wie wirklich der erſte, der mithin eine et - was mehr als 75jaͤhrige Umlaufszeit hat,*)Von einer merkwuͤrdigen Verwandſchaft dieſer Periode, ſo wie der des 2ten, weiter unten. von Hal - ley auf das Jahr 1759 vorausgeſagt wurde, und auch wirklich kam, waͤhrend der zweyte, der ſeiner 129jaͤh - gen Umlaufszeit zu Folge, im Jahr 1790 erwartet wurde, ausblieb, ſtatt ſeiner aber in dieſem einen Jah - re 3 Kometen ſendete, die ſaͤmmtlich in ihren Elemen - ten von ihm verſchieden waren. Auch der von 1759 war das eine Mal 13, ja ein andres Mal 18 Monate laͤnger aus, als von 1607 zu 1682, was den Stoͤ - rungen der groͤßeren Weltkoͤrper zugeſchrieben worden.

Beſtimmte Meſſungen des Kerns, von Aſtrono - men wie Schroͤter, wenn ſie ſich von einem Umlauf zum andern gleich blieben, wuͤrden vielleicht Aufſchluͤſ - ſe uͤber die beſtaͤndigere oder unbeſtaͤndigere Natur des Kerns geben koͤnnen. Doch waͤre ſelbſt ein ziemlich uͤbereinſtimmendes Verhaͤltniß der Groͤßen, der An - ſicht, die wir nachher aufſtellen werden, nicht entgegen. Daß derſelbe Komet bey dem einen Umlauf mit einem Schweif erſchien, den er, als er von ſeinem langen Zug zuruͤckkehrte, wir wiſſen nicht wo? verlohren139 hatte, koͤnnte gegen ſeine Identitaͤt noch nichts bewei - ſen, es zeigte nur, da aus weiter unten anzufuͤhren - den Gruͤnden der Schweif eine elektriſche Erſcheinung iſt, daß derſelbe Koͤrper das eine Mal ſich (vielleicht zur Erde, von wo aus wir den Schweif beobachten) poſi - tiv, das andre mal negativ verhalten.

Wenn aber das ſchon erwaͤhnte Ausbleiben wenig - ſtens des einen Kometen, des von 1770, deſſen Bahn doch ſo klar beſtimmt war, wie es wahrſcheinlich iſt, nicht ohne weitere Beyſpiele bleiben ſollte, wenn in Zukunft ſo mancher, deſſen Bahn genau berechnet ſchien nicht wiederkehrte, dann wuͤrde vielleicht das, was die bloße Mathematik uͤber die Kometenbahnen aus - ſagt, eine etwas tiefere Bedeutung erhalten. Es muß naͤmlich, wenn man die Umlaufszeit aus Beob - achtungen unmittelbar beſtimmen will, die elliptiſche Theorie zu Grunde gelegt werden. Wie unſicher aber dieſe Rechnungen ſeyn muͤſſen, erkennt man ſchon da - durch, daß man ohne merklichen Fehler, den beobach - teten Theil der Bahn als paraboliſch betrachten, mit - hin die Umlaufszeit unendlich annehmen kann. Es iſt wahr, die Anomalie, der Radius Vector u. a. wer - den aus den Beobachtungen nach der elliptiſchen Theo - rie anders berechnet als nach der paraboliſchen, allein der Unterſchied iſt in der Kometenbahn ſo gerin - ge, daß ſich die Beobachtungen um eine Kleinigkeit aͤndern duͤrfen, um eine Umlaufszeit von etwa 100 Jah - ren in eine unendliche zu verwandlen, und daß die ge -140 ringſten Fehler die Umlaufszeit um mehrere Jahrhunder - te, oder um eine Ewigkeit vergroͤßern koͤnnen. So er - ſcheint nach dieſen Worten eines geiſtreichen Aſtronomen, ſelber die Bahn der Kometen als etwas Unbeſtimmtes, noch Formloſes Fluͤſſiges, und obgleich ſolche Ko - meten wie der oft erwaͤhnte von 1770, deren mittle - re Entfernung ſo geringe, deren Eccentricitaͤt ver - haͤltnißmaͤßig ſo unbedeutend iſt, in Hinſicht ihrer Bahn ſich den feſten Bahnen der Planeten vielmehr naͤhern, und mithin leichter zu berechnen ſind, hat uns doch ſelbſt dieſer eine mit unſern Rechnungen im Sti - che gelaſſen, wie vielmehr werden es andre, viel ſchwe - rer zu berechnende. Wir wollen daher jenen Kometen, die oft viel kleiner im Durchmeſſer des Kerns als der von 1770*)Schon der von Schroͤter beobachtete. erſt in Jahrtauſenden wieder zu kehren verſprochen, hierin keinen Glauben beymeſſen, und auf ſolche ſeltne Beſuche gar nicht erſt warten. Wenn ſchon in einem Umlauf von 5 Jahren ſo ſehr ſtoͤrende Urſachen kommen koͤnnen, welche Stoͤrungen werden erſt jenen begegnen, die ganzen Jahrtauſenden die Ge - legenheit dazu anbieten, und die noch dazu ſich ſo weit uͤber das Gebiet unſers Sonnenſyſtems hinauswagen. Was fuͤr anziehende oder abſtoßende Gewalten moͤgen erſt draußen auf ſie warten, wo, wie wir geſehen ha - ben, noch ganz andre Weltenmaſſen ſind, als die un - ſers Syſtems. Denn wenn ſchon die mittlere Entfer - nung des Kometen von 1769, der gar nicht zu den141 groͤßten gehoͤrte (in Hinſicht des wahren Kerndurchmeſ - ſers) wenigſtens 3409 Millionen Meilen betraͤgt, ſo belaͤuft ſich ſeine weiteſte Entfernung gar auf 6816 Millionen Meilen, und andre Kometen ſind noch wei - ter uͤber unſre Graͤnze hinaus geweſen. *)Wiewohl Platz waͤre allenfalls genug zu ſolchen Exeurſio - nen da. Wenn wir das Sonnenſyſtem mit dem Uranus in gewiſſer Hinſicht geſchloſſen annehmen, die koͤrperliche Laͤnge des Ganzen 800 Millionen Meilen, ſo iſt nach der gewoͤhnlichen Rechnung der naͤchſte Fixſtern noch 10000 mal weiter entfernt. Vergleichen wir, verſteht ſich bild - lich, das Planetenſyſtem mit organiſchen Weſen, ſo be - traͤgt dieſe Entfernung einer Sonne von einer andern ſo viel, als wenn Weſen unſrer Art auf der Erde ſo placirt waͤren, daß von einem zum andern Meile Platz waͤre. So waͤre das Weltgebaͤude etwas ſchlecht bevoͤlkert. Nach einer maͤßigeren Angabe verhielte ſich dieſe Entfernung von einem Syſtem zum andern wie die zwiſchen Weſen unſrer Groͤße, die auf der Erde etwa den 6ten Theil einer Stun - de, oder 10 Minuten Weges von einander wohnten. So naͤmlich nach der Huyghenſchen Angabe, die man aber fuͤr zu klein haͤlt. Freylich muß man hier nicht die koͤr - perliche Groͤße, ſondern die Wirkungsſphaͤre in Anſchlag bringen.

Wie die Bahn ſelber nur zu ſehr an das Formloſe und Fluͤſſige graͤnzt, ſo ſcheint, man erlaube uns die - ſen Ausdruck, die ganze Natur der Kometen fuͤr unſer Weltgebaͤude das Syſtem des Fluͤſſigen zu bezeichnen. Man hat ſchon von allen Seiten die Kometen als das allgemeine Band angeſehen, welches das ganze Son - nenſyſtem umſchlingt, und eine naͤhere Verbindung zwiſchen den Planeten und der Sonne bewirkt in der142 ganzen Natur finden wir aber, daß bey einem aͤhnlichen lebendig zuſammenwirkenden Ganzen, die Verbindung zwiſchen den feſten und beſtaͤndigen Theilen, durch ein dem Feſten entgegengeſetztes Fluͤſſiges geſchieht, daß uͤberhaupt eine ſolche ſich immer wieder erzeugende Verbindung der Theile, nur durch den Gegenſatz zwi - ſchen Fluͤſſigem und Feſtem moͤglich iſt. Man hat fer - ner ſchon behauptet, daß die leuchtende Atmosphaͤre die den Kern der Kometen, gegen dieſen hin immer dichter werdend, umgiebt, nichts anders als der Aether ſey, oder wie man ſonſt das allgemeine Medium nen - nen will, in welchem alle Weltkoͤrper unſers Syſtems enthalten ſind, welches ſonſt außer der Beobachtung der Sinnen liegende Element, jetzt durch die ſich in ihm bewegenden Kometen ſichtbar und ſinnlich gemacht wuͤrde. So waͤre, wenn auch der Schweif daſſelbe waͤre, das was uns an den Kometen am meiſten in die Augen faͤllt, eine oft ungeheure Strecke (die wie er - waͤhnt uͤber 40 Millionen Meilen betragen kann) des fuͤr uns ſinnlich gewordenen Elements, das alle Pla - neten in ſich faßt, das ein runder Koͤrper von oft un - verhaͤltnißmaͤßig geringem Umfang mit ſich fort beweg - te. Wenn die erwaͤhnte, oft ungeheuer ausgedehnte Atmosphaͤre, von einer aͤhnlich leuchtenden Beſchaffen - heit wie der Kern, indem ſie nach dieſem hin ſich im - mer mehr verdichtet, zuletzt die eigenthuͤmliche At - mosphaͤre, die Atmosphaͤre deſſelben im engern Sinne bildet die doch wiederum ein Theil des Kometen ſelber iſt, ſollte nicht zuletzt auch der Kern der am meiſten143 verdichtete Theil deſſelben Elements, das hier noch im - mer ſeine vorige Eigenſchaften beybehalten, ſeyn? Wenn nun die Erfahrung der Kometen ohne Kern, oder jener wo der Scheinkern ſo wenig dicht geweſen, daß er die Strahlen der kleinen Sterne durchgelaſſen, wirklich mehr als ein Mal wahrgeweſen waͤre? oder viel - mehr auf der andern Seite, ohne daß wir uns auf je - ne verdachtigen Beobachtungen beziehen wollen, wenn nun der Kern ſeine ſcheinbar dichtere, fuͤr das Licht der bedeckten Geſtirne undurchſichtige Beſchaffenheit, wirklich nur als einen hoͤheren Grad derſelben. Eigen - ſchaft, die auch ſchon in einem minderen die leuchten - de Atmosphaͤre beſaͤße, haͤtte? Man moͤge nicht ver - geſſen, daß auch in den Schroͤterſchen Beobachtungen, kleine Sterne, die an der Graͤnze der leuchtenden Sphaͤre noch durchſchimmerten, in dem dichtern Thei - le derſelben verſchwanden, obgleich dieſer wohl noch fuͤr groͤßere, ſo wie fuͤr den Kern, durchſichtig geweſen waͤre. Zwar wurde nun hier dieſe ſtaͤrkere Undurch - ſichtigkeit dem ſtaͤrkeren Lichte dieſes Theils der Sphaͤre zugeſchrieben, aber koͤnnte nicht die ſcheinbar dichte Beſchaffenheit des Kerns aus derſelben Urſache herruͤh - ren? Muͤßte nicht auch eine beſtimmte Quantitaͤt Fluͤſ - ſigkeit, ſey es daß das Quantum von außen (gleich - ſam durch das Gefaͤß, wie bey dem Blutumlauf) oder durch die herbeyfuͤhrende Kraft beſtimmt ſey, wenn ſie ſich zu einer Kugel geformt durch den ewigen Aether bewegte, auch auf einem Theile ihrer Bahn, wo gleichſam wenig oder nichts von ihr conſumirt wuͤrde,144 von einer beſtimmten Groͤße erſcheinen? Koͤnnte nicht ſelbſt, man erlaube mir das Bild, die Groͤße der Ko - meten ohngefaͤhr eben ſo mit der Bahn (von der wir nur den Ort des Kometens und die Neigung meinen) im Verhaͤltniß ſtehen, wie die Groͤße der Blutwelle die ſich durch dieſe oder jene Region des Koͤrpers bewegt, davon abhaͤngt, daß ſich in dieſer Region groͤßere oder kleinere Gefaͤße befinden?

Selbſt das Periodiſche der Wiederkehr der Kome - ten (der periodiſche Umlauf) hienge damit zuſammen, und vielleicht ließe ſich dieſe ſelbſt noch auf eine andre Weiſe als aus der elliptiſchen oder paraboliſchen Be - rechnung der Bahn finden, ja vielleicht daß ſelbſt das was neulich ein Arzt in einer erdichteten Witterungs - prophezeihung uͤber die periodiſche Wiederkunft der Kometen, ohngefaͤhr wie die der Nordlichter im Scherze geſagt hat, im Ernſte wahr waͤre.

Merkwuͤrdig iſt es in dieſer Hinſicht, daß jene Pe - riode des Umlaufs des Kometen von 1759 dem 12ten Theil der großen magnetiſchen Periode oder dem 6ten ihrer Haͤlfte (der Zeit von 432 Jahren) ſo nahe iſt, waͤhrend die des Kometen von 1556, welche 292 Jahre betraͤgt, ſo nahe der 3te Theil der großen mag - netiſchen Periode, mithin der 6te der noch groͤßern doppelten (1728jaͤhrigen) iſt. Denn 292 differirt von 288 nur 4 Jahre, mithin nur 〈…〉 , waͤhrend wie ſchon erinnert die Umlaufszeit des Kometen von 1759145 mehrere Male ungleich betraͤchtlichere Differenzen, die bis auf den 50ſten Theil ſtiegen, was fuͤr die Periode von 292 Jahren 6 Jahre betruͤge, gezeigt hat, und wahrſcheinlich, wenn ſeine Umlaufszeit im Mittel wirklich an 72 Jahre graͤnzt, noch viel betraͤchtlicheren unterworfen iſt (die bis auf 〈…〉 gehen koͤnnen, ſo daß auch in den angezeigten Zahlen der Differenz 75 50 25 das Verhaͤltniß 1 2 3 iſt.)

So giebt es denn, wie ich hier an mir gezeigt ha - be, und zwar hier nur ganz beylaͤufig und oberflaͤch - lich, anderwaͤrts aber gruͤndlicher zeigen werde, Leute, welche noch im Ernſt behaupten koͤnnen die Kometen waͤren nichts anders als Meteore in einem weiteren hoͤ - heren Sinne, uͤbrigens aber in ihrer Art (als dieſer be - ſtimmte Koͤrper) eben ſo wenig beſtaͤndig als die Wolke oder in einem noch craſſeren Bilde, als die Blutwel - le, die ſchon in dem naͤchſten Umlauf eine ganz an - dre iſt. Die Bahnen der Kometen ſind im Verhaͤltniß zu den Bahnen der Planeten eben ſo wenig beſtimmt, als die Richtungen der nach allen Dimenſionen auslau - fenden, und an der Graͤnze des Koͤrpers auf einmal (erſt als Arterie dann als Vene) und ohne alle Vorbe - reitung in die gerade entgegengeſetzte Richtung umkeh - renden Blutgefaͤße, die in dieſem Verhaͤltniß auch das ausdruͤcken, was die Kometenbahnen in ihrer faſt pa - taboliſchen Geſtalt.

Noch unausgebildete Weltkoͤrper, oder vielmehr Weltenmaſſe, ſind die Kometen allerdings, wie EinigeK146behauptet haben, nur werden ſie ſo fuͤr ſich auch nie zur feſten Exiſtenz der uͤbrigen Weltkoͤrper gelangen. Neuen Lebensſtoff dieſen zufuͤhrend, von jenen den alten wieder zuruͤcknehmend, treibt dieſes ſeltſame Ge - ſchlecht ſein dunkles Spiel mitten in dem ewigen Aether.

Merkwuͤrdig iſt noch das Verhaͤltniß der Zahl der ruͤcklaͤufigen und vorwaͤrtsgehenden, was ohngefaͤhr iſt wie das der Venen und Arterien naͤmlich ſich gleich, und was auch von Zeit zu Zeit bey den vielen neuer - ſcheinenden Kometen, ſich immer gleich bleibt. Be - kanntlich haben naͤmlich nicht blos alle 11 Planeren unſers Syſtems, und alle Trabanten deſſelben, die ge - meinſchaftliche Bewegung von Weſt nach Oſt in ihren Bahnen, ſondern dieſe iſt ſelbſt allen ihren Rotationen ſo wie der der Sonne eingepflanzt. Man hat deshalb in fruͤheren noch mechaniſcheren Zeiten, dieſe gemeinſchaft - liche Richtung von einem allen gemeinſchaftlich von der Guͤte Gottes zuertheilten Stoße hergeleitet. Doch fand ſich ſpaͤter auf einmal daß ein großer Theil der Kometen, naͤmlich faſt genau die Haͤlfte, eine dieſer ge - meinſchaftlichen Bewegung gerade entgegengeſetzte zei - gen, die von Oſt nach Weſt, eben ſo wie waͤhrend ſonſt alle Lebenseinfluͤſſe von innen nach außen gehen (vom Gehirn oder ſeinen Repraͤſentanten nach den Theilen) nur im Blutgefaͤßſyſtem eine ſolche Bewegung, und zwar gerade in der ganzen einen Haͤlfte deſſelben, nach der entgegengeſetzten Richtung gefunden wird. Merkwuͤrdig iſt es nun in mehr als einer Hinſicht, daß147 waͤhrend 1790 von den bis dahin berechneten 78 Ko - meten faſt gerade die Haͤlfte, 40, vorwaͤrts liefen, die andern 38 verkehrt, jetzt unter den bis 1806 be - rechneten 95 Kometen, 48 vorwaͤrts, 47 ruͤckwaͤrts laufen; daß ferner, waͤhrend von jenen 78, 44 den Knoten auf der noͤrdlichen Seite der Ecliptic hatten, 34 auf der ſuͤdlichen, unter den letzteren 95, 54 ih - ren Knoten noͤrdlich, 41 ſuͤdlich hatten, ſo daß unter bey - den Zahlen ziemlich das Verhaͤltniß von 2 zu 3 iſt.

So hat ſich auch in dieſem Punkt in der Geſchich - te der Kometen eine Art von hoͤherer Periodicitaͤt ge - zeigt, die ich anderwaͤrts noch auf eine viel evidentere Weiſe nachzuweiſen gedenke, wo ich die Moͤglichkeit zeigen werde, aus den Hauptelementen (Neigung, Ort der Sonnennaͤhe und des Kuotens) der beyden zu - letzt erſchienenen Kometen, die des zunaͤchſt kuͤnftigen bis auf einen gewiſſen Punkt vorauszuſagen.

Die Knoten haben ſich auch noch in einem Stuͤck den elektriſchen Meteoren aͤhnlich gezeigt, das ich hier nicht ganz uͤbergehen darf, beſonders da ein Beobach - ter wie Schroͤter neuerdings wieder darauf aufmerkſam gemacht hat. Es haben naͤmlich nach dem uͤberein - ſtimmenden Zeugniß mehrerer der beſten Beobachter*)Kepler, Cardanus, Cyſatus, Wendelin, Snell u. A. die Schweife mehrerer großer Kometen eine eigenthuͤm -K 2148liche fluctuirende und vibrirende Bewegung gezeigt, als ob ſie in ſolchen Momenten neue Strahlen ſchoͤſſen, ſo daß jetzt der Schweif ſich verkuͤrzte und zuruͤckezog, dann in einem Augenblick durch einen neuen Strahlen - ſchuß wieder verlaͤngerte und ausbreitete. Dieſe ei - genthuͤmliche Bewegung, war ſich nicht jedem Tag gleich, obwohl der Himmel unveraͤndert heiter war. Selbſt Schroͤter beobachtete mit ſeinem großen 27fuͤßigen Reflector an dem kleinen von ihm beſchrie - benen Kometen eine ſolche Bewegung, nur in einem minder deutlichen Grade. Zuweilen zeigten ſich noch außer dem Kern, und ſelbſt mit dieſem in entgegen - geſetzter Richtung, neue Lichtſtrahlen, die wohl mehre - re Tage anhielten, wie Corn. Gemma und andre Augenzeugen von dem von 1577 verſichern, und ſelbſt Meſſier ſahe an dem von 1769 etwas Aehnliches.

Es wird jene pulſirende Bewegung des Schweifs ſchon von Schroͤter mit den elektriſchen Phaͤnomenen dieſer Art verglichen, mit welchen ſie auch einerley Urſache und einerley Bedeutung zu haben ſcheint. Hierauf deutet ſchon die Geſtalt der Schweife, welche nicht ſelten den elektriſchen poſitiven Strahlenbuͤſcheln ungemein aͤhnlich iſt. Die von der Sonne abgekehrte Seite des Kometen, an der ſich noch bisher immer ohne Ausnahme der Schweif aller beobachteten Kome - ten gezeigt hat, ſcheint ſich demnach poſitiv elektriſch zu verhalten, zu welcher wahrſcheinlich die andre Sei - te negativ iſt. Vielleicht daß auch kuͤnftige Be -149 obachtungen in der pulſirenden Bewegung der Kome - tenſchweife, jene Periodicitaͤt anerkennen, die Rit - ter in allen kosmiſchen Phaͤnomenen der anorgiſchen Natur, von dem Galvanismus (im Magnetismus iſt er allgemeln bekannt) bis zur Flamme, ſo ſchoͤn nach - gewieſen hat, und daß ſich auch hier in einem groͤßeren Maasſtabe, der Lebenspuls der ganzen Natur wird nachweiſen laſſen.

Es ſind die Kometen, wie wir oben erwaͤhnten, Welten von ſelberleuchtender Natur. Von der Son - ne ſind ſie darinnen unterſchieden, daß bey jener, wie bekannt genug iſt, der Kern von dunkler Natur iſt, und daß die ihn umhuͤllende Atmosphaͤre durch ihre Wechſelwirkung mit dem Kern, von der ich anderwaͤrts gehandelt habe,*)A. a. O. die Eigenſchaft des Leuchtens em - pfaͤngt. Dagegen iſt bey den Kometen der Kern leuch - tender Natur, wo ſie naͤmlich einen haben, denn die Moͤglichkeit der Exiſtenz von manchen ganz fluͤſſigen, voͤllig kernloſen Kometen, wie ſie fruͤheren Beobach - tungen erſchienen ſind, wird ſelbſt von dem eifrigſten Vertheidiger eines fixen Kerns der meiſten Kometen, von Schroͤter, nicht gelaͤugnet. **)Neueſte Beytraͤge, zweyte Abtheilung p. 165. Bey ſolchen Kometen ohne allen Kern, war blos die erwaͤhnte leuchtende Atmosphaͤre nach der Mitte hin etwas verdichtet.Dagegen iſt gera - de umgekehrt, bey den Kometen die den Kern zunaͤchſt150 umhuͤllende Atmosphaͤre, von dunkler oder weniger durchſichtiger Natur, und erſt außerhalb dieſer er - ſcheint wieder nebſt dem Schweif die ſelberleuchtende feine Dunſtkugel, die gleichſam um den Kometen mit - ten im Aether ein kleines Syſtem bildet, waͤhrend in einem groͤßeren Maasſtabe dieſe dritte Atmosphaͤre um die Sonne das Planetenſyſtem (mit dunklen Koͤrpern gleich dem Kern der Sonne) iſt.

So verhalten ſich hierinnen die Kometen zu den uͤbrigen Koͤrpern des Syſtems, wie das 3te Glied ei - ner in der ganzen Natur vorhandenen Wechſelwirkung. Dieſes iſt naͤmlich, wie ich ſchon in meiner erwaͤhnten Schrift darauf hingedeutet habe, und im naͤchſten Bande derſelben noch weiter zeigen werde, das noch Geſtaltloſe, urſpruͤngliche Element, oder in der ſicht - baren Natur Etwas das dieſes repraͤſentirt. In der organiſchen Natur iſt es das Fluͤſſige, das Blut, das mit dem Gehirn in einem aͤhnlichen Gegenſatz ſteht, wie die Kometen mit der Sonne.

Es ſind die Kometen, die uns in gewiſſen Perio - den*)Sie laſſen ſich vielleicht mit denen der Lebensaction der verſchiedenen Organe im thieriſchen Koͤrper vergleichen, die auch zu verſchiednen Zeiten ihre Maxima erreichen. ſichtbar werdende, unaufhoͤrliche Bewegung der Lebenselemente**)Des Aethers im hoͤheren Sinne. unſers Planetenſyſtems, die151 jetzt von außen nach innen, dann von innen nach außen, allbelebend ſtroͤmen. Vielleicht, und wahrſcheinlich iſt es, daß ſie uns dieſe feſte Geſtalt nur heucheln, daß ſie dieſe uͤberhaupt nur auf einem Theil ihres Laufs anneh - men, waͤhrend hernach, wie bey Wolken oder Meteoren in groͤßerem Maasſtabe, Bahn und Geſtalt ſich wieder in die alte Unbeſtimmtheit aufloͤſen, was vielleicht uͤberhaupt immer an einer gewiſſen Graͤnze ihres Laufs geſchieht, und daß ſo in der Aufloͤſung und Wiedererneuung der - ſelben, der Kreislauf des Ganzen unterhalten wird. Wo auch wirkliche Kerne in der Mitte der Kometennebel er - ſcheinen, geben dieſe durch ihre Haupteigenſchaft, das Element aus dem ſie beſtehen, und die aller dauernden Geſtaltung widerſtrebende Natur deſſelben zu erkennen, und es iſt ihnen auch dann die untergeordnete Function, den allgemeinen Kreislauf zu unterhalten aufgetragen.

So haben wir in dieſer heutigen Vorleſung, eine ewig neue, nie ſtille ſtehende Schoͤpfung ihr unendli - ches Tagewerk fuͤhren ſehen, und wie hier ganze Welt - gebaude noch im Entſtehen, noch tief im Schooße des ewigen gemeinſchaftlichen Elements ruhen, andre hier in der hoͤchſten Vollendung ihrer Kraͤfte das Lebens - werk des Umlaufs fuͤhren, waͤhrend dort ganze Welt - gebaͤude in das Element des Urſprungs zuruͤckſinkend, einer hoͤheren Verwandlung entgegen gehen.

Es muß ſich das Auge zuerſt an jene unwandelba - re Gleichartigkeit und Beſtaͤndigkeit der Natur in der152 Zeit gewoͤhnen, welche ſie ewig, mit friſcher Fuͤlle ſchaf - fend zeigt, wie vom Anfang. Die Anſicht jener Gleich - artigkeit, wird uns vor jener Beſchraͤnktheit ſichern, welche, auf der freylich veraltenden Natur der Erde al - lein haftend, dieſe, wie Greiſe die Abnahme der eignen Lebenskraft und das Herabſinken des eignen Daſeyns, ſo leicht in das Ganze hineindichtet. Wenn auch hier ganze Generationen veralten, keimen doch dort andre mit neuer Lebensfuͤlle auf, denen das Daſeyn wieder eben ſo friſch und herrlich bluͤhen wird, wie es jenen gethan, und wenn auch hier eine ganze Welt in der letzten Unfruchtbarkeit des Alters ihren Kindern ſelbſt die letzte Nothdurft nur karg gewaͤhrt, ſo laͤßt doch dort die Natur eine ganze Schoͤpfung in der erſten Un - ſchuld der Urzeit, erſt erwachen. Wenn auch auf Er - den die goldne Zeit, die Zeit des Paradieſes laͤngſt ver - gangen, und der Menſch hinaus getrieben worden in die letzten Kaͤmpfe der Geſchichte, ſo erfreut ſich viel - leicht ſelbſt noch auf Planeten unſers Syſtems, die Na - tur ihrer erſten, noch nicht aus dem ewigen Urſprung abgewichenen Bewohner, waͤhrend vielleicht auf an - dern der Kampf der Geſchichte ſchon geendet, und der Menſch ſchon zur letzten, hoͤchſten Klarheit des Lebens durchgedrungen iſt.

Wir wollen uns deshalb huͤten, jene Schranken, welche das lange Werk der Zeiten zuletzt der Natur un - ſres Planeten geſetzet, auf die Geſchichte des Ganzen uͤberzutragen, und in der ewigen Wiedererneuung der153 Welten zu immer hoͤherem Daſeyn, die Zuverſicht einer ſolchen unendlichen Wiedererneuung auch des einzelnen Daſeyns aus ſich ſelber finden.

Außer dieſem moͤge uns der Innhalt der heutigen Vorleſung ein nicht nach mechaniſchen Kraͤften ſich hier und dahin untereinander bewegendes, ſondern lebendig zuſammenwirkendes Weltganze, und in dem Reich der Kometen, ein ſolches gemeinſchaftliches, um Alle geſchlungenes Band anerkennen laſſen.

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Sechste Vorleſung. Ueber einige Geſetze des Planeten - ſyſtems.

Bekanntlich war am Anfange der neuen Zeit jenes Vorurtheil faſt allgemein herrſchend, daß die Sonne und alle Weltkoͤrper unſers Syſtems, ja ſelbſt die un - geheuer fernen Fixſterne, ſich taͤglich, und in einer groͤße - ren Periode jaͤhrlich um unſre kleine Erde, die in der Mitte ſtill ſtuͤnde, bewegten. So weit hatte der ſchlimme Geiſt des Egoismus den Menſchen von der einfaͤltigen, klaren Wahrheit, die ihm von Anfang an gar nicht unbekannt war, abgefuͤhrt.

So nahe auf der andern Seite die Wahrheit gele - gen, daß ſie dem einfaͤltigen, wenn auch zugleich un - unterrichteten Gemuͤth ſich von ſelber aufdringen muͤß - te, wenn man ihm nur die zu jeder Zeit bekannten Thatſachen vorlegte; iſt doch der erſte Schritt zu ihr zuruͤck, dem menſchlichen Geiſt ſo unbegreiflich ſchwer155 geweſen, daß ſelbſt, als ſie nun wieder ſo rein und uͤberzeugend ausgeſprochen war, daß eine Selbſtver - laͤugnung dazu zu gehoͤren ſcheint ſie nicht anzuerken - nen, noch ein Jahrhunderte langer Kampf dazu gehoͤr - te, ehe ſie allgemein anerkannt worden, und daß ſelbſt noch viele der Beſſeren und Unterrichteten ihr noch lange hartnaͤckig widerſtraͤubten.

Kopernicus war der erſte, der, wie man ſagt, durch das Leſen der Alten ſchon fruͤher wieder auf die rechte Bahn der Unterſuchungen geleitet, die ſo einfache wahre Weltordnug wieder anerkannte, die ſeitdem von ihm den Nahmen hat. Die Erde nicht minder als alle Planeten, gehen in dem Kreißlauf ihrer Jahre um die Sonne, es bleibt hierbey der Erde nur der Mond als Begleiter, und die Taͤuſchung des taͤg - lichen Umlaufs des Weltganzen um das Staͤubchen Erde, loͤs ſich durch eine allgemein an faſt allen Weltkoͤrpern bemerkte taͤgliche Bewegung um die eigne Axe.

Die Gleichfoͤrmigkeit der Bewegungen aller Plane - ten um den gemeinſchaftlichen Centralkoͤrper, erlaub - te nun dem kuͤhnen menſchlichen Geiſt, der, wenn ein - mal nur der erſte Schritt geſchehen, eben ſo unauf - haltſam zur Wahrheit ſtrebt, als leider im entgegen - geſetzten Falle zum Irrthum, weiter zu ſteigen, und die tief unter der Weisheit der alten Zeit verborge -156 nen*)Es iſt naͤmlich nicht unwahrſcheinlich, daß jene weiſen Alten, von denen ich in der 2ten Vorleſung ſprach, auch die Kepleriſchen Geſetze gekannt haben. Verſchiedne Spu - ren leiten uns hierauf, wovon anderwaͤrts gehandelt werden wird. Beſonders deutlich ſcheint es, daß ihnen die ellip - tiſche Geſtalt der Planetenbahnen bekannt war. Geſetze der Bewegungen und Entfernungen der Planeten ſelbſtſtaͤndig und von neuem zu entdecken. Es war dieſes Keplern vorbehalten, deſſen Ent - deckungen ſchon faſt vor 2 Jahrhunderten eine Bahn in das Innerſte der hoͤheren Naturwiſſenſchaft eroͤfnet haben, auf welcher erſt die jetzige Zeit, durch jene Arbeiten, welche in Phyſik, Chemie und anderwaͤrts geſchehen, weiter fortzuſchreiten anfaͤngt, nachdem fuͤr die Ungeduld des menſchlichen Strebens die etwas ſpaͤteren Neutoniſchen Entdeckungen ein nicht unnuͤtzli - cher Hemmungspunkt geworden. Es pflegt naͤmlich der Genius der Welt, wenn in Wiſſenſchaft oder Ge - ſchichte den kuͤnftigen Jahrhunderten ein großes Werk obliegt, den Plan und die Graͤnzen des Ganzen in einzelnen großen Menſchen ſchnell zu uͤberblicken, wie auch im Einzelnen ein wiſſenſchaftliches Gemuͤth bey irgend einer geiſtigen Arbeit am ſchicklichſten zuerſt nach einer ſchnellen Ueberſicht des Planes ſtrebt. Her - nach wird langſam, durch die langfortgeſetzte Arbeit ganzer Zeitalter, das im Einzelnen ausgebildet, was der gewaltige Geiſt jener ſeltenen Menſchen im Ganzen erfaßte, und erſt ins Daſeyn rief. Allerdings iſt durch das gluͤckſeelige Werk jener Einzelnen hiebey das Hoͤch -157 ſie und Meiſte geſchehen, wie auch in der phyſiſchen und geiſtigen Welt, der ſpaͤteren langſamen Entwicklung, erſt der Moment der Erzeugung und der lebendigen Idee des Ganzen vorausgehen mußte, ohne welchen jene nur krankhafte Auswuͤchſe und Molen erzeugt, und es wuͤrde ein Jahrtauſende langes, noch ſo langſa - mes und muͤhſeeliges Fortarbeiten der untergeordneten Geiſter, das Werk des Ganzen nicht um ein Haar - breit foͤrdern, wenn nicht aus jenen ſeltneren Genien der belebende, geſtaltende und ordnende Funke aus - gienge. Was uns der Geiſt der Welt aus Jenen wahr - haf Berufenen und Begeiſterten, und was er uns in jenen hoͤheren Momenten des Empfangens der Ideen offenbart, iſt das wahrhaft Goͤttliche unſrer Natur, und erſt ſpaͤter fuͤgt ſich dieſem, allmaͤlig in der Welt des Beſondern fortbildend, das Menſchliche an.

Was Kepler als Fuͤhrer und Urheber des Ganzen den kuͤnftigen Zeiten zur weitern Ausarbeitung uͤberge - ben, das große Ganze, wozu er jenen die Ausfuͤhrung und Anwendung im Einzelnen uͤbertragen, fieng ſchon das ſeltne mathematiſche Talent des Neuton an, muͤh - ſam und mit tiefer Gruͤndlichkeit auszuarbeiten. Die - ſer war berufen, zuerſt Hand an das maͤchtige Werk zu legen, wozu der Baumeiſter nicht allein den Plan und Umriß, ſondern auch den noͤthigen Boden und die Materialien gegeben. Dem Beyſpiele dieſes Mannes, deſſen Streben und deſſen Werk dem Geiſt des Zeital - ters und der Menge naͤher verwandt war, als der des158 nur erſt ſpaͤt erkannten Kepler, iſt nun bis zu unſrer Zeit eine große Zahl ſcharfſinniger und fleißiger Maͤn - ner gefolgt, und ihnen danken wir es, daß die Kep - leriſchen Entdeckungen nach einer Seite hin mit einer Gruͤndlichkeit und Vielſeitigkeit angewendet und aus - gefuͤhrt ſind, welche nichts oder wenig mehr zu wuͤn - ſchen uͤbrig laͤßt.

Wenn von dieſen nur zu oft Keplers Verdienſt verkannt, und das des Neuton dagegen zu ſehr erho - ben iſt, wenn ſo uͤber dem erſten Gehuͤlfen der Meiſter verkannt und vergeſſen, uͤber dem Medio, welches die Strahlen einer der Welt zu fernen Sonne, dieſer mit - getheilt, die erſte Urſache des Lichts ſelber vergeſſen iſt, ſo hat man hierin freylich unrecht gethan, doch wird ſich nur zu leicht, wo das Urtheil in den Haͤnden der Mehrzahl iſt, dieſes gegen die Weiſe und das Stre - ben der groͤßern Zahl guͤnſtig zeigen. Die Neutone waͤren haͤufiger, wenn die Kepler haͤufiger waͤren. Ein Neuton koͤnnte nicht ſeyn, ohne einen Kepler als Vor - gaͤnger, oder alle ſeine muͤhſeeligen Beſtrebungen muͤß - ten nur taube unfruchtbare Gewaͤchſe bringen. Dage - gen wird ein Kepler jederzeit ſeinen Neuton finden, und koͤnnte eher, wo es noͤthig waͤre, eine ganze Welt voller Neutone hervorrufen, als dieſer einen einzigen Kepler, wie denn unter den Mitarbeiten und Nachfol - gern jenes großen Mathematikers viele ſind, die ihm an Talent und Muͤhſeeligkeit des Beſtrebens, wenn159 auch nicht an dem Gluͤck des fruͤheſten Erwachens zum neuen Tagewerk zur Seite ſtehen duͤrfen.

Es waͤre laͤcherlich, dem Kepler die Kenntniß der allgemeinen Anziehung und Schwere abzuſprechen. Sogar den Hauptinnhalt und das endliche Reſultat der Arbeiten des Neuton, von den Neutonianen ſelber verkannt, und erſt kuͤnftigen Zeiten zum Ausſprechen gegeben, hat Kepler deutlicher gekannt, und in die Urſa - che der Bewegung der untergeordneten Welten um ei - nen Centralkoͤrper und der elliptiſchen Geſtalt der Bahnen, in die Urſache der allgemeinen Anziehung, tie - fere Blicke gethan, als Neuton, wie ſich dieſes ander - waͤrts wird zeigen laſſen. *)Er leitete die Bewegung der Weltkoͤrper um die Sonne, in einem ſpaͤtern Werke ſchon ſehr deutlich aus der Wech - ſelwirkung beyder her.Ja ſelbſt die Ausfuͤh - rung jener Ideen, in dem Geſetz der Schwere, hat ſei - nem ſeltnen Geiſt ſo nahe gelegen, daß er es nicht oh - ne Ausfuͤhrung gelaſſen haͤtte, wenn ſeine weiterſtre - bende Natur uͤberhaupt zu dem Ausarbeiten des Einzel - nen und Beſondern waͤre gemacht geweſen. Denn es kann in der zeugenden und belebenden Urſache nicht zu - gleich die Eigenſchaft des langſamen muͤtterlichen Aus - bildens liegen, und wozu die geringere Kraft der groͤßern Menge, in einer lang anhaltenden Arbeit wohl hinreicht, das traͤgt die Natur nicht jenen Seltenen auf, deren hoͤheres Tagewerk kein Andrer vollenden160 wuͤrde, wie ein weiſer Regent nicht den Fuͤhrer des Heeres zu dem Dienſt des gemeinen Kriegers, den Baumeiſter zum Handlanger misbranchen wird. Da - gegen hat ſich, obgleich kein Verſtaͤndiger dem großen Neuton die Entdeckung des Geſetzes der Schwere ſtrei - tig machen wird, doch ohnſtreitig die Grundanſicht derſelben bey mehrern Zeitgenoſſen zugleich geregt, und der Keim zu den mathematiſchen Arbeiten jenes ſcharf - ſinnigen Mannes, war in einem ganzen Zeitalter zu - gleich vorbereitet, waͤhrend Kepler noch immer nur zu einzig ſteht.

Stellen aus Keplers Werken, die mir eben zur Hand ſind, und die unter andern beweiſen koͤnnen, wie nahe Kepler der Entdeckung des Geſetzes der Schwere geweſen, und wie er ihr unwillkuͤhrlich im - mer ſelber wieder ausgewichen, ſind ſelbſt einige aus ſeinem fruͤhern Werk de motibus stellae Martis, die ich hier anfuͤhren will. Er beweißt im 33ſten Capitel dieſes Buchs, daß die Kraft, welche die Planeten in ihren Bahnen bewegt, in der Sonne wohne, von der Sonne ausgehe, und daß deshalb jene Bewegung um ſo ſchneller ſey, je naͤher die Planeten der Sonne ſte - hen. Er vergleicht die anziehende und bewegende Kraft der Sonne mit dem Lichte, und bemerkt, daß obgleich ſie ein immaterieller Ausfluß wie das Licht ſey, doch ihre Wirkungen eben ſo wie die des Lichts, geo - metriſch unterſucht werden koͤnnten. Aus der Ver - gleichung mit dem Magnete ſchließt er, daß die Kraft161 der Sonne ihrer Maſſe proportional ſey. (cum ejus mole crescit.) Am merkwuͤrdigſten iſt aber in dieſer Hinſicht, was er im 36ſten Capitel deſſelben Werkes ſagt, wo er das Geſetz der Schwere, daß dieſe im um - gekehrten Verhaͤltnis des Quadrats der Entfernungen ſteht, woͤrtlich ausſpricht, dann aber ſelber wieder von ſich weißt. Er erzaͤhlt naͤmlich daſelbſt, wie er ſich ſo lange mit dem Einwurf gequaͤlt habe, daß aus der Vergleichung der Anziehungskraft der Sonne ge - gen die Planeten mit dem Lichte (eine Vergleichung, die er, wie ich oben ſchon erwaͤhnte, oͤfters macht) zu folgen ſcheine, daß dieſelbe im verkehrten Verhaͤltnis der Quadrate oder Wuͤrfel der Entfernungen ſeyn muͤſſe, da es doch gewiß ſey, daß ſie, ſo wie die Geſchwindigkeit der Planeten in der Sonnennaͤhe und Sonnenferne, nur dem ein - fachen Verhaͤltnis der Entfernungen folgen koͤnne. Er hebt dieſen Einwurf, der ihm aus der rechten Erkennt - niß der Wahrheit ſelber entgegen kam, zuletzt dadurch, daß er durch verſchiedne unrichtige Saͤtze zu beweiſen ſucht, daß dieſes Verhaͤltnis auch nur bey der Erleuch - tung eigentlich Statt finde.

So hat, kann man ſagen, Kepler das Geſetz der Schwere nicht blos geahndet, ſondern woͤrtlich und klar ausgeſprochen, wie der erwaͤhnte Innhalt des 36ſten Capitels ſeines Werks uͤber Mars noch viel deutlicher zeigt, als die gewoͤhnlich aus ſeiner Harmo - nie der Welten angefuͤhrte Stelle uͤber die AnziehungL162welche der Mond gegen das Meerwaſſer ausuͤbt, wo - durch er Ebbe und Fluth bewirkt. *)Sein Werk uͤber Mars iſt bekanntlich eines der fruͤheren. Vielleicht ließen ſich aus den ſpaͤteren Werken noch viel evi - dentere und deutlichere Stellen auswaͤhlen.Die Wahrheit des Geſetzes, die ihm aber fuͤr die Anſicht, die ſich ſchon fruͤher in ihm uͤber das 2te von ihm entdeckte Geſetz gebildet hatte, nicht guͤnſtig ſeyn konnte, war ihm demohnerachtet ſo einleuchtend, daß ihm nach ſeinem eignen Ausdruck dieſer Streit des wahren Ge - ſetzes gegen eine fruͤher gebildete Anſicht, wirklich quaͤlend war, und daß er ihn deshalb auf alle Wei - ſe auszuweichen geſucht. Es wird dieſes hoͤchſt be - greiflich, wenn man ſieht, wie der Schluß, den er aus ſeinem 2ten Geſetz, das ſich, wie Neuton gezeigt hat, ſehr gut auch aus dem Geſetz der Schwere erklaͤ - ren laͤßt, gezogen, daß naͤmlich die durch die Kraft der Sonne bewirkte Geſchwindigkeit der Planeten bey ihrem Umlauf um dieſelbe, in den verſchiednen Thei - len der Bahn, dem einfachen Verhaͤltnis der Entfer - nung folgen muͤſſe, aus der freylich viel weniger kuͤnſt - lichen von ihm gewaͤhlten mathematiſchen Methode nothwendig folgte. Er hielt ſich, indem er das, was er mit tiefen und wahrhaften Schluͤſſen uͤber das Ge - ſetz der Schwere gefunden verwarf, nach ſeiner Ueber - zeugung mehr an das, was ihm die Natur unmittel - bar zu lehren ſchien, und es wuͤrde wohl jeder aͤchte Naturforſcher, wo in einem aͤhnlichen Fall zwiſchen163 den auch noch ſo wohl zuſammenhaͤngenden Schluͤſſen des Verſtandes, und dem unmittelbaren Zeugniß der Natur gewaͤhlt werden muß, auf dieſelbe Weiſe handeln.

So weit war Kepler ohne Vorgaͤnger, fuͤr ſich ſelbſt gekommen, zu einer Zeit, wo man noch nicht angefangen, die Mathematik auf die Geſetze der Bewegung anzu - wenden, waͤhrend Neuton nicht blos von Kepler alle Materialien, ſondern in Galilei, Huyghens, Hoo - ke u. A. ſelbſt Vorgaͤnger in der Methode der Ausfuͤh - rung gehabt hatte.

Wenn man daher Neutons großes Verdienſt, das wir ja mit aller Achtung anerkennen, von einer Seite etwas zu ſehr und uͤber Gebuͤhr uͤber das Kepleriſche erhoben, ſo kann es auf der andern Seite nicht fehlen, daß ſich Einzelne durch ein natuͤrliches Gefuͤhl von Billigkeit zum Widerſpruch geneigt fuͤhlen. Und weit entfernt vor der Gruͤndlichkeit der Neutoniſchen Werke, die ſie ja nicht an ſich ſelber, ſondern nur die Alles hemmen - de, ſich aller lebendigen Totalanſicht entgegenſetzende Beſchraͤnktheit, die daraus auf die Zeitgenoſſen uͤber - gegangen, bekaͤmpfen moͤchten, zu erſchrecken , ſetzen ſie dieſer Drohung eines uͤbrigens ehrwuͤrdi - gen Phyſikers, die eines andern wenigſtens eben ſo ehrwuͤrdigen entgegen: Noch konntet ihr Worte ohne Anſchauung nachreden. Gienge auch heu - te der Sinn der Natur auf, ihr wuͤrdet erſchrecken,L 2164und die Haͤlfte wenigſtens fliehen von der heiligen Staͤtte.

Zwar iſt ſelbſt von Keplers aſtronomiſchen Ar - beiten,*)Seine Verſuche in der Phyſik und Geognoſie koͤnnen frey - lich nur zeigen, daß dieſe Wiſſenſchaften bey ihrem damali - gen Stand, noch nicht fuͤr ihn eroͤfnet waren. ein großer Theil noch nicht bekannt, und noch viel weniger wie er es verdiente, gewuͤrdiget, be - ſonders enthaͤlt meines Beduͤnkens nebſt einigen ſeiner letzten Werke, ſein Buch uͤber die Harmonie der Welten unſchaͤtzbare noch ganz verſaͤumte Wahrheiten, doch ſind diejenigen ſeiner Arbeiten, die allerdings fuͤr die ganze hoͤhere Naturkunde von den wichtigſten Folgen waren, und noch vielmehr ſeyn werden, die 3 nach ihm be - nannten Geſetze des Umlaufs der Planeten, allgemein bekannt genug.

Es gruͤndet ſich das erſte von ihm entdeckte, die elliptiſche Geſtalt der Bahnen, wie ich dieſes in mei - ner oͤfters erwaͤhnten Schrift aus verſchiedenen Gruͤn - den hergeleitet habe, auf die allgemeine Nothwendig - keit der Wechſelwirkung der Gegenſaͤtze, und Kepler ſelbſt ſcheint dieſes, wie ſich aus Vielen ſchließen laͤßt, ſchon anerkannt zu haben. Die Wechſelwirkung der Gegenſaͤtze hat zur Folge, daß der untergeordnete, weibliche, in ſeiner Art zu einer aͤhnlichen (zeugenden) Thaͤtigkeit beſtimmt wird, wie die war, die der hoͤhere165 Gegenſatz an ihm geuͤbt. Hierdurch wird die Baſis auf ihre Weiſe dem hoͤheren Gegenſatz gleich, unab - haͤngig von ihm, und dieſer, dem ſich ſeine Baſis, das Material ſeiner Thaͤtigkeit entzogen, iſt hierdurch nicht allein außer Stand geſetzt aktiv zu ſeyn, ſon - dern er wird auch nun zu ſeiner Baſis, die gerade dann den hoͤchſten Gipfel ihrer Activitaͤt erreicht hat, paſ - ſiv. So folgt, wo die Gegenſaͤtze in laͤngerer und innigerer Wechſelwirkung vereinigt ſind, uͤberall auf die Einwirkung des hoͤheren Gegenſatzes ein Moment der verhaͤltnißmaͤßigen Zuruͤckwirkung der Baſis. Hier - durch aber wird dem hoͤheren Gegenſatz ſelber jene Le - beusempfaͤnglichkeit zuruͤckgegeben, ohne welche das Leben und die laͤngere Wechſelwirkung in ihrer weiteren Fortdauer nicht beſtehen koͤnnten.

Die weitere Ausfuͤhrung dieſer Anſicht des erſten Kepleriſchen Geſetzes, durch mehrere analoge Thatſa - chen aus verſchiedenen Naturwiſſenſchaften, kann man an dem angefuͤhrten Orte leſen, wo man auch das 2te Kepleriſche Geſetz, daß die elliptiſchen Sectoren, wel - che die Planeten bey ihrem Umlauf, um die Sonne be - ſchreiben, den Zeiten, worin ſie beſchrieben ſind, proportional ſind, aus gleichen Gruͤnden hergeleitet finden wird.

Das 3te Kepleriſche Geſetz, daß die Quadrate der periodiſchen Umlaufszeiten verſchiedner Planeten ſich verhalten: wie die Kubikzahlen der großen Axen ihrer166 Ellipſen, erklaͤrt ſich bekanntlich aus dem Geſetz der Schwere, daß naͤmlich die Schwere im umgekehrten Verhaͤltnis des Quadrats der Entfernung iſt. *)Ich werde jedoch in dem naͤchſtfolgenden Band m. A. dieſes Geſetz noch von einer andern Seite anwenden.Die Neutoniſche Theorie hat ſogar aus dieſem Geſetz einen ihrer Hauptbeweiſe genommen.

Das Geſetz der Schwere iſt bekannt genug, und wie ſeine Form auch auf andre Naturkraͤfte uͤbergeht. Es laͤßt ſich daſſelbe mathematiſch, ſchon aus der el - liptiſchen Geſtalt der Bahnen herleiten, und ich habe zugleich anderwaͤrts den Verſuch gemacht, es auf die noch allgemeinere und verſtaͤndlichere Form der Wech - ſelwirkung zuruͤckzufuͤhren. Denn daß dieſe bey den Bewegungen der Weltkoͤrper nicht blos ein leeres Wort ſey, ſondern recht eigentlich ſtatt finde, koͤnnen unter andern einige neuerlich entdeckte Verhaͤltniſſe, die an den Groͤßen und Eccentricitaͤten der Planeten ſtatt finden, deutlicher beweiſen, als bisher moͤglich war. Ich habe dieſe Verhaͤltniſſe, welche freylich ihrer ganzen Natur und ihrer Form nach nicht zu dem gehoͤren koͤn - nen, was vor der Hand auf allgemeineren Beyfall hof - fen kann, etwas unvollkommen im 2ten Band m. A. mitgetheilt. Die falſche Vorausſetzung, daß in jenem Verhaͤltnis eine geometriſche Progreſſion ſtatt finde, auf welche ich erſt (nachdem ich vorher der Wahrheit naͤher geweſen) durch die Entdeckung der Veſta gekom -167 men, hatte verurſacht, daß ich bey Beſtimmung des Veſtahalbmeſſers einen 8 mal groͤßern Werth angege - ben, und derſelbe Irrthum hatte den Uebergang, der von der erſten Reihe zur zweyten gefunden wird, und den Anfang der letzteren zu ſehen gehindert, obgleich dieſes ſpaͤter die vorzuͤglichſten Stuͤtzen jenes Verhaͤlt - niſſes geworden ſind. Ich habe deshalb in einem An - hange zu dieſen Vorleſungen, beſonders das Verhaͤltnis der Groͤßen noch einmal gruͤndlicher und in ſich ſelber zuſammenhaͤngender durchgearbeitet, als es in meiner erwaͤhnten Schrift geſchehen, und obgleich hierbey nur erſt die gewoͤhnliche Annahme der Sonnenparallaxe vor - zuͤglich gewaͤhlt iſt, da vielleicht bei einer geringen Ver - aͤnderung der mittlern Entfernung der Erde, ſich vieles noch beſſer fuͤgen wuͤrde, leuchtet doch ſchon aus die - ſer vorlaͤufigen Anordnung, ein Geſetz der Groͤßen deut - lich genug hervor.

Ich zweifle auch nicht, daß man es anerkennen wuͤrde, wenn nicht das Daſeyn der beyden Reihen die ſich ja auch nicht in dem von Planetenbahn zu Plane - tenbahn beſtaͤndig bleibenden Geſetz der Schwere fin - den, Vielen zuwider waͤre. Man moͤchte gar zu gern auch dieſe Verhaͤltniſſe, damit ſie nur aus der Neu - tonſchen Theorie der Schwungkraͤfte erklaͤrt werden koͤnnten, auf einerley Weiſe von Mercur bis zum Ura - nus ablaufen laſſen, wobey es freylich recht bequem beym Alten bleiben koͤnnte. Doch wollte dieſes diesmal nicht wohl gehen, da dieſe Verhaͤltniſſe noch168 auf eine etwas allgemeiner durch die ganze Natur ver - breitete Nothwendigkeit zuruͤckfubren als ſelbſt das Ge - ſetz der Schwere.

Wenn nun das Daſeyn der beyden Reihen, wie ich ſchon anderwaͤrts gezeigt habe und noch zeigen wer - de, auch in den Verhaͤltniſſen der Eccentricitaͤten, Ro - tationen und andrer hiermit verwandten Erſcheinungen wieder gefunden wird, wenn daſſelbe die Lage der Ko - meten und Planetenbahnen auf der Ebne des Sonnen - aͤquators, und der Sonnennaͤhenpunkte bezeugen, wie ſchon aus dem Anhang erhellen wird, wenn end - lich auch die Neigungen der Axen und Bahnen und al - le andre hieher gehoͤrigen Verhaͤltniſſe das Daſeyn der beyden Reihen beſtaͤtigen, ſo gehoͤrt ein ſehr ungerechter Widerwille gegen alle Uebereinſtimmung der ſogenann - ten anorganiſchen Natur mit der Organiſchen dazu, um Alles zu laͤugnen.

Und auf dieſe Uebereinſtimmung brauchte hiebey noch gar nicht einmal Ruͤckſicht genommen zu werden, wenn man nur an die ſelbſt nach Neuton der allgemei - nen Schwere ſo nahe verwandten Phaͤnomene des Magnetismus und aͤhnliche Naturwirkungen denken wollte, aus denen ſich das Daſeyn der beyden Reihen im Planetenſyſtem eben ſo nothwendig ableiten laͤſſet, als aus der hoͤheren organiſchen Natur. Ja es laͤßt ſich vielleicht in der Folge bey einer andern Gelegenheit zeigen, daß ſchon aus den Kepleriſchen Geſetzen, und169 aus dem der Schwere, obgleich dieſe allgemein und unveraͤndert auf alle Koͤrper unſers Syſtems, ſelbſt auf das Verhaͤltnis der Trabanten zu ihrem Hauptkoͤr - per anzuwenden ſind, wenn man ſie nur recht verſteht, das Daſeyn zweyer Reihen im Planetenſyſtem noth - wendig folgt.

Daß die Rotationsperioden, die bey den 4 der Sonne am naͤchſten ſtehenden Planeten uͤbereinſtim - mend nahe an 24 Stunden ſind, bey den 3 letzten (wenn man Herſchels neuen Entdeckungen uͤber die Ro - tation des Uranus hinzunimmt) eben ſo uͤbereinſtim - mend nahe an 10 Stunden; daß die 3 letzten ſo wie jene 4 erſten in Hinſicht der Seltenheit der Monde auf der einen,*)Der Mond unſrer Erde iſt, wie ſchon anderwaͤrts er - waͤhnt, nicht nur in der erſten Reihe eben ſo einzig als der Ring des Saturn in der 2ten; ſondern er iſt auch fuͤr jene gerade das, was dieſe fuͤr die 2te iſt. der Menge derſelben auf der andern Sei - te; daß die Zonenartigen atmosphaͤriſchen Streifen, die ſtarke Abplattung und die geringere Neigung der Axe auf der Bahn die 2te, das Daſeyn von mehr Wolkenartigen nach allen Richtungen bewegten Flecken, die aͤußerſt geringe Abplattung und die groͤßere Nei - gung der Axe auf der Bahn, die erſte Reihe auszeich - nen; Erſcheinungen, welche gleich auf den erſten Blick Jedem auffallen muͤſſen, hat ſchon laͤngſt den tiefer Forſchenden jenen Gegenſatz verrathen. Zwi - ſchen beyden ſich entgegenſetzten Reihen, im Indiffe -170 renzpunkt ſind nun jene merkwuͤrdigen 4 neuen Plane - ten entdeckt, die ihre Kleinheit und Naturbeſchaffen - heit von den andern Planeten des Syſtems ſo ſehr un - terſcheidet, daß man ſie Anfangs gar nicht mit dieſen zuſammenſtellen, ſondern (als Aſteroiden) in eine ganz neue Ordnung ſetzen wollte. Dieſe 4 Weltkoͤr - per ſind uns erſt der Schluͤſſel zu jenen tieferliegenden Verhaͤltniſſen des Planetenſyſtems geworden, und oh - ne ſie waͤre hierinnen kein Fortſchritt moͤglich ge - weſen.

Einige der von uns bis jetzt ſchon durchgearbeite - ten Verhaͤltniſſe, koͤnnen von den allgemeiner bekann - ten Kepleriſchen Geſetzen und von dem der Schwere, den Uebergang zu jenen machen, wo die beyden Rei - hen ſchon vollkommen entwickelt hervortreten. Zu den letzteren, wo ſich jener Gegenſatz der ſich unter den Pla - neten ſelber findet, in ſeinem ganzen Gewicht darſtellt, gehoͤren die Verhaͤltniſſe der Groͤßen und Eccentricitaͤ - ten, die ich beyde im Anhange auffuͤhren werde. Aus jenen aber, welche den Uebergang zur Erkenntniß der beyden Reihen machen koͤnnen, indem ſie in gewiſſer Hinſicht allen Gliedern des ganzen Syſtems gemein - ſchaftlich, vom Mercur bis Uranus dieſelben ſcheinen, wie das Geſetz der Schwere, zugleich aber von einer andern Seite ſehr deutlich ſchon den Gegenſatz zwiſchen den Gliedern der erſten und zweyten Reihe, und zwi - ſchen dieſen im Ganzen hervorblicken laſſen, werde ich diesmal nur das Verhaͤltnis der Neigungen und des171 Orts der Sonnenfernen herausheben, indem ich an - derwaͤrts dieſe Arbeit noch vielſeitiger und vollſtaͤndi - ger, als ein vollkommneres Ganze aufzuſtellen ge - denke.

Die ausfuͤhrliche Aufſtellung einiger dieſer Verhaͤlt - niſſe, wird demnach im Anhange erfolgen, auf welchen ich mich auch hier bey einigen allgemeinen Bemerkun - gen uͤber das Verhaͤltnis der Halbmeſſer berufe.

Man findet den Halbmeſſer des naͤchſtfolgenden Planeten nach Meilen, wenn man die weiteſte Ent - fernung des vorhergehenden von der Sonne nach Son - nenhalbmeſſern mißt, dieſe Zahl mit einer andern, deren Urſprung in der weiteren Ausfuͤhrung angegeben iſt, multiplieirt, und alsdann mit der erhaltnen Summe in die Sonnenferne des zu beſtimmenden Planeten nach Meilen, dividirt. Man braucht hierbey in der erſten Reihe nur die Groͤße des erſten Gliedes (des Mercurs) zu kennen, und die Elemente der Entfernungen; in der 2ten Reihe muß aber außer den Elementen der Bahn zugleich die Groͤße des naͤchſtvorhergehenden Glie - des bekannt ſeyn.

Denn hierin beſteht der Unterſchied der beyden Rei - hen, daß in der einen die Halbmeſſer durch eine Zahl beſtimmt werden, welche aus dem Verhaͤltnis des er - ſten Gliedes zur Sonne hervorgeht, und die mithin von der Sonne aus erhalten wird, waͤhrend in der an -172 dern dieſe Zahl aus den Verhaͤltniſſen der Halbmeſſer der Planeten ſelber zu ihrer Entfernung erhalten wird. Dieſes iſt aber auch zugleich der Unterſchied der Son - nennaͤhe und Sonnenferne bey jedem einzelnen Plane - ten. Es erſcheint naͤmlich in einem Verhaͤltnis der Eccentricitaͤten, das wir mit dem der Groͤßen zugleich ausfuͤhrlich mittheilen werden, an der Sonnennaͤhe je - des einzelnen Planeten das Verhaͤltnis dieſer Entfer - nung zum Sonnenhalbmeſſer bedeutend, waͤhrend die - ſes in der Sonnenferne das Verhaͤltnis der Zunahme der Entfernung zum Halbmeſſer des Planeten iſt; ſo daß die in jenem Verhaͤltnis noͤthigen Zahlen in der Sonnenferne der Planet, in der Sonnennaͤhe die Son - ne hergiebt.

In den einzelnen Planetenbahnen bezeichnet naͤm - lich der Punkt der Sonnennaͤhe den der vor - herrſchenden Aktion der Sonne, der der Sonnenferne den der vorherrſchenden Reaction des Planeten, wie im Ganzen die Glieder der 2ten Reihe eben ſo wie das Aphelium in der einzelnen Bahn, eine vorherrſchende Reaction, die der erſten eine uͤberwiegende Aktion der Sonne auszeichnet.

Die Weiſe, wie die Groͤßen der einzelnen Halb - meſſer von einem vorhergehenden Glied zum naͤchſtfol - genden beſtimmt werden, laͤßt noch auf eine viel inni - gere und tiefere Vereinigung aller einzelnen Glieder unſers Syſtems zu Einem Ganzen ſchließen, als die173 Gemeinſchaftlichkeit der Centalkraft. Es wird hier ſogar in den Verhaͤltniſſen der entfernteren Planeten, das Daſeyn der vorhergehenden Glieder ſchon als noth - wendig vorausgeſetzt, und der Halbmeſſer eines Pla - neten hat gerade dieſes Verhaͤltnis zu ſeiner weite - ſten Entfernung von der Sonne, weil dieſes letztere Element bey dem naͤchſt vorhergehenden gerade jenes beſtimmte war. Dagegen waͤre (naͤmlich dem aͤußern Anſchein und der gewoͤhnlichen Meynung nach) bey den Kepleriſchen Geſetzen und dem der Schwere bey irgend zwey einzelnen Planeten, oder ſelber bey einem allein das Verhaͤltnis daſſelbe, wenn auch weder das naͤchſtvorhergehende noch das naͤchſtfolgende Glied vor - handen waͤren, und dieſem aͤußern Anſchein nach, koͤnn - te ſehr wohl ein einzelner Weltkoͤrper in ſeinem Ver - haͤltniß zur Sonne beſtehen, ohne daß dabey das Da - ſeyn der andern nothwendig waͤre.

Es wird in dem Verhaͤltnis der Groͤßen noch außer dem was die Sonnenferne des naͤchſtvorhergehenden Gliedes hierzu beytraͤgt, ein nach beſtimmten Geſetz fortgeſetztes Steigen jener Zahl, welche die Reaction der Planeten auszudruͤcken ſcheint, deutlich gefunden, ſo daß dieſe Summe in einem folgenden Gliede nicht gerade dieſe beſtimmte ſeyn koͤnnte, wenn ſie nicht ſchon in dem vorhergehenden Glied jene beſtimmte gewe - ſen waͤre. Dem Anſchein nach waͤchſt dieſe Zahl von Glied zu Glied in dem Verhaͤltnis der Dimenſionen, oder der Potenzen, und ſie iſt bey dem naͤchſtfolgen -174 den Glied das Quadrat, oder in einem Fall der einzig bey der Veſta gefunden wird, der Wuͤrfel jener des naͤchſtvorhergehenden Gliedes.

Es ſcheint ſich dieſes alles darauf zu gruͤnden, daß (da die Sonnenferne den Moment der Reaction der Planeten bezeichnet) die Reaction des naͤchſtfolgen - den Planeten um ſo viel ſtaͤrker zu ſeyn vermag, je - mehr die Action der Sonne ſchon in der Wechſelwir - kung mit dem naͤchſtvorhergehenden Glied vermindert war. Aus dieſem Grunde muß, damit die Verhaͤlt - niszahl des Halbmeſſers der Planeten zu ihrer weite - ſten Entfernung von der Sonne erhalten werde, jene in dem Verhaͤltnis der Potenzen wachſende Zahl mit einer andern multiplicirt werden, welche den Grad bezeichnet, bis zu welchem die urſpruͤngliche Summe der Action des gemeinſchaftlichen Centralkoͤrpers ſchon durch das vorhergehende Glied vermindert iſt. Es iſt dieſe Zahl keine andre, als die weiteſte Entfernung des naͤchſt vorhergehenden Gliedes, nach Halbmeſſern des Centralkoͤrpers, weil in dieſer Entfernung die Action des letzteren um ſo viel geringer iſt als an ſeiner Ober - flaͤche, je vielmal groͤßer der Abſtand eines in die - ſem Punkte ſtehenden Koͤrpers iſt, als der eines an ſeiner Oberflaͤche ſtehenden. Wie naͤmlich Venus in ihrer weiteſten Entfernung von der Sonne 157 Halbmeſſer derſelben entfernt iſt, findet ſie auch an dieſem Punkt nur eine 157 mal geringre Action der Sonne, als wenn ſie an der Oberflaͤche derſelben175 ſtuͤnde. Der naͤchſtfolgende Planet Erde findet nun außer der ihm eigenthuͤmlichen Summe der Reaction, auch nur den 157 ſten Theil der urſpruͤnglichen Wir - kungskraft des Centralkoͤrpers u. ſ. w.

Ich habe dieſes alles an dem oͤfter erwaͤhnten Ort ſchon ſo weit auseinander geſetzt, daß ich mich hier einſtweilen (bis ich eine andre Weiſe der Darſtellung verſuchen werde) darauf berufen kann.

Es kommen alle jene Verhaͤltniſſe und Geſetze auf Eins zuruͤck, das eigentlich nicht mehr Geſetz, ſondern innre, allen Weſen auf mehr oder minder vollkommne Weiſe eingebohrne Nothwendigkeit des Lebens und Da - ſeyns iſt. Ueberhaupt erſcheint uns in der hoͤheren Na - tur jene innre Nothwendigkeit nur von einem unterge - ordneten Standpunkt aus als Geſetz, als Etwas den Dingen von außen Aufgedrungenes, waͤhrend uns, wenn wir weiter gehen, der Begriff von Geſetzen hier ganz verſchwindet. Nicht weil die Schwere im umge - kehrten Verhaͤltnis des Quadrats der Entfernung ab - nimmt, muͤſſen die Weltkoͤrper ſich in elliptiſchen Bah - nen bewegen, oder umgekehrt, nicht weil die beſchleu - nigende Centralkraft die Weltkoͤrper zwingt gerade dieſe geometriſche Figur um den Centralkoͤrper zu be - ſchreiben, muß ſie ſich verkehrt wie die Quadrate der Entfernung verhalten; ſondern beydes, die elliptiſche Geſtalt der Bahn und das Geſetz der Schwere gehen, wie ich anderwaͤrts gezeigt habe, aus einer allgemeinen Nothwendigkeit der Wechſelwirkung hervor.

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Das Beduͤrfnis eines hoͤheren Einfluſſes, aus wel - chem das Einzelne hervorgegangen, und durch welchen es beſteht, vermag bey dem pofitiven Gegenſatz allein durch die Ruͤckwirkung der Baſis, (die ihm neue Le - bensempfaͤnglichkeit zuruͤckgiebt) befriedigt zu werden. So wird durch dieſe Wechſelwirkung der Gegenſaͤtze al - lein eine Fortdauer des Lebens und Daſeyns derſelben moͤglich, und es loͤſen ſich auf dieſe Weiſe alle Verhaͤlt - niſſe, alle Geſetze der in Wechſelwirkung begriffenen Natur, in das Verhaͤltnis des Einzelnen zu ſeinem hoͤ - heren Urſprung auf.

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Siebente Vorleſung. Von der ſogenannten anorganiſchen Natur.

Wenn die Materie, je naͤher ſie ihrem Urſprung, jenem Zuſtand der reinen Lebensempfaͤnglichkeit der ſie bey ihrem Entſtehen auszeichnet, ſtehet, einer um ſo vollkommneren und hoͤheren Lebenswirkung faͤhig, wenn ſie auf dieſer fruͤhern Stufe ihres Daſeyns einer viel innigeren Gemeinſchaft mit dem hoͤheren Einfluß theilhaftig iſt; ſo finden wir ſie dagegen in jenem Zu - ſtand, worinnen wir den groͤßten Theil der uns um - gebenden Natur erblicken, dem Anſchein nach aller ſelbſtſtaͤndigen Thaͤtigkeit nach außen beraubt, und gleichſam gefuͤhllos fuͤr alle hoͤheren Einfluͤſſe. Nur in Einem beſtaͤndigen Streben, dem der Schwere, der innigen Vereinigung mit der Geſammtmaſſe des Pla - neten, ſehen wir jede andre Thaͤtigkeit verſchlungen, und die Welt der anorganiſchen Koͤrper ſcheint zu be -M178kennen, daß ſie nur in Beziehung und Wechſelwirkung mit dem Planeten uͤberhaupt etwas iſt.

Wenn man dieſen Zuſtand der anorganiſchen Welt mit jenem urſpruͤnglichen vollkommneren vergleicht, er - ſcheint derſelbe als ein tiefes Herabſinken von einer hoͤ - heren und fruͤheren Stufe; und ſchon jene chemiſchen Gegenſaͤtze, wenn ſie vorher fluͤſſig, und mit den er - ſten Spuren einer hoͤheren ſelbſtſtaͤndigen Thaͤtigkeit, jetzt in der gegenſeitigen Vermiſchung ſich zu einem fe - ſten Koͤrper geſtalten, verlieren alle ihre fruͤhere Thaͤ - tigkeit nach außen.

Es iſt, wie anderwaͤrts gezeigt worden, jeder le - bendigen Natur, ſo wie auf der einen Seite der hoͤhere Einfluß, ſo auf der andern ein untergeordnetes Mate - rial, eine Baſis noͤthig, an welcher ſie das innre Le - ben ſchaffend (nach dem Vorbild des hoͤheren Einfluſſes) uͤbt und vollendet. Zu dieſer Baſis verhalten ſich je - ne ſchon untergeordneten Naturen wie hoͤherer Einfluß; und wenn ſich nun ſo die Natur bis ins Unendliche aus ſich ſelber entfaltet, und das Bild des hoͤheren Einfluſ - ſes ſich immer mehr in endlichen Formen darſtellt, truͤbt und verfinſtert ſich zuletzt die Klarheit des urſpruͤnglichen Zuſtandes, in dem der Materie.

Wir ſehen die Koͤrper der anorganiſchen Welt nur dann wieder zu einer ſelbſtſtaͤndigeren Thaͤtigkeit und Empfaͤnglichkeit nach außen zuruͤckkehren, wenn ſie179 auf irgend eine Weiſe dem Erdganzen, dem ſie als un - ſelbſtſtaͤndige Theile untergeordnet ſind, gleich, und hierdurch von der Abhaͤngigkeit von demſelben frey ge - worden ſind. Auf der einen Seite geſchieht dieſes (wie anderwaͤrts gezeigt iſt) in dem Magnetismus und der Electricitaͤt, auf der andern, jener entgegengeſetzten Seite, nach dem Uebergang in den fluͤſſigen und endlich am meiſten in den luftfoͤrmigen Zuſtand, im chemiſchen Proceß. In dieſen kosmiſchen Momenten des Da - ſeyns werden die Einzelnen in die innige Vereinigung des Ganzen, und in das Geſammtleben der hoͤheren Natur aufgenommen, und das magnetiſche Eiſen zeigt nun dieſelben Perioden des Daſeyns und der Wechſel - wirkung, welche das Erdganze in ſeinem Zuſammen - hange mit andern Weltkoͤrpern zeigt, und es wird an allen, in dem Moment der Wechſelwirkung begriffnen Gegenſaͤtzen die lebendige Harmonie des Ganzen wahr - genommen. *)Ich berufe mich hier bey dem Druck dieſer Vorleſungen, ſtatt einer weitern Ausfuͤhrung, auf den Inhalt meiner oͤf - ter erwaͤhnten Schrift, da ich in den Vorleſungen ſelbſt nur wenig von dieſer abgewichen bin.

Wenn uns auch die jetzige irdiſche Natur in einem großen Theil ihres Umfanges nur einen ſtarren und unwirkſamen Zuſtand der Koͤrper zeigt, ſo iſt ihr doch dieſer Zuſtand nicht immer eigenthuͤmlich geweſen, und es finden ſich von allen Seiten Spuren eines viel bild -M 2180ſameren, und an den Einfluͤſſen des hoͤheren Ganzen theilnehmenderen Zuſtandes: jenes der allgemeinen Auf - loͤſung und Fluͤſſigkeit.

Denn es liegt die Entſtehung der Erde durch Nie - derſchlag aus dem Fluͤſſigen den Augen ſo nahe, daß ſchon eine kurze Beobachtung derſelben den Menſchen davon uͤberzeugen mußte. Das allgemeine Gewaͤſſer, das wir jetzt in ſeinen ungleich engeren Graͤnzen, als Meer kennen, hat Anfangs uͤber dem Gipfel der hoͤch - ſten Gebirge geſtanden. Die Gebirgsmaſſen, aus welchen der feſte Erdkoͤrper beſteht, ſind ſaͤmmtlich auf dem ſogenannten naſſem Wege gebildet, wie ihre Ge - ſtalt im Einzelnen und Ganzen, ihr Gehalt an Waſſer und alle andre Eigenſchaften zeigen. Es ſieht der Menſch auf den Gipfeln der Gebirge, welche jetzt mehr als 13000 Fuß uͤber der Meeresflaͤche erhoͤht ſind, die Ueberreſte von Thieren und Pflanzenartigen Weſen, welche den Grund des ehemaligen Meeres bewohnt ha - ben. Verſteinerungen von ſolchen Meerthieren, fand Ulloa auf einem uͤber 13000 Fuß hohem Gebirge der peruaniſchen Cordilleren, und Molina auf dem Gipfel des noch viel hoͤheren Deſcabeſado, welcher in der Mitte der großen amerikaniſchen Gebirgskette ſteht.

Nicht minder hat man ſolche ehemalige Bewohner des Meergrundes auf dem Gipfel einiger der hoͤchſten ſavoyiſchen Alpen, und auf den hoͤchſten Gebirgs - ſpitzen der Pyrenaͤen, ſo wie auf den Hoͤhen des ſuͤdli -181 chen und noͤrdlichen Afrikas gefunden. Zuweilen in ungeheurer Menge, ſelten oder nie einzeln, wie vom Zufall dahin gefuͤhrt, und ſtets in eine harte Stein - maſſe, welche der Schlamm des ehemaligen Gewaͤſſers geweſen, feſtgekittet. Wie jene Thiere oder Thierpflan - zen, welche noch zu unſrer Zeit jenen jetzt untergegan - genen Weſen entſprechen, ſich in großer Menge und in ganzen Kolonien an Einem Ort verſammlet finden, ſo ſcheint auch jenes ſonderbare Geſchlecht der unterge - gangenen Vorwelt, in ganzen Schaaren den gewe - ſenen Meeresgrund bedeckt zu haben. Am ausgezeich - netſten ſieht man dieſes in dem bekannten Thale des Trento, das von maͤchtigen Kalkgebirgen gebildet wird. Es liegen daſelbſt wie von der Hand eines kuͤnſtleriſchen Rieſen geordnet an der Oberflaͤche des ganzen Grundes, und an der Seite der kahlen Gebirge hinauf, Tauſende von Ammonsmuſcheln, von einer Rieſengroͤße, zum Theil wie in Reihen oder Strahlenweis, kleinere um die Großen verſammlet. Dieſe ungeheure Taͤfeley reicht bis 500 Fuß hoch an den Abhang der Berge hinan, wo in einer wilden Unordnung, wie nahe am Stran - de, wo die Bewegung der an der Kuͤſte anbrandenden Wellen, die ruhige Anhaͤufung an dem Boden hindert, eine Menge Muſcheln und Pflanzenthiere von jetzt un - tergegangnen Geſchlechtern gefunden werden. Endlich verraͤth an dem Gipfel der Gebirge, ein in ruhiger Ord - nung liegendes Heer von Lenticuliten, daß auch hier in noch fruͤheren Zeiten ruhiger Meeresgrund ge - weſen.

182

Von andern Bergen, welche oft viel niedriger ſind als die vorhin erwaͤhnten, hat die Fluth, wel - che nach verſchiedenen Richtungen hin einen lebhafte - ren Zug genommen, die ehemaligen Meeresproduckte hinweggeriſſen, und dieſe, von den Fluthen ſelbſt der juͤngern Gebirgsarten, welche ſonſt von allgemeiner Verbreitung, auch uͤber ihnen ſich abſetzen mußten ent - bloͤſt, bieten wie nackte Geſchiebe, welche oͤfters in Fluͤſſen und Baͤchen unmittelbar neben kleinen Anhaͤu - fungen und Inſeln von Schlamm, und niedriger als dieſe gefunden werden, dem Auge den unmittelbaren Anblick der Urgebirge dar. Wir haben ein Beyſpiel davon ganz in der Nachbarſchaft dieſer Stadt, wo das aͤlteſte Urgebirge, der Granit, in niedrigen Berg - kuppen hervortritt.

Wie aber noch jetzt die Thiere, welche in unſern Meeren jenen erwaͤhnten Ueberreſten der ehemaligen Thierwelt entſprechen, gewoͤhnlich nur an dem tiefſten Grund des Meers gefunden werden, ſo iſt es wahr - ſcheinlich, daß jene Gebirgsgipfel, die von ſolchen Meer - thieren bedeckt ſind, vorhin an dem tiefſten Grund des ehemaligen ungeheuren Meeres gelegen waren. So iſt da ehedem tiefes Weltmeer geweſen, wo jetzt in ungeheurer Hoͤhe uͤber dem Meere Waͤlder ſtehen, oder die hohen Felſenſcheitel ein ewiger Schnee bedeckt.

Wenn jenes ehemalige Meer, wie hernach gezeigt werden wird, von dem jetzigen an Gehalt ungemein183 verſchieden war, ſo finden ſich doch an ſehr vielen Or - ten der Erde noch deutliche Spuren, daß ſie von einem Meere bedeckt waren, das dem unſrigen an Gehalt vollkommen glich. So ſtehen jetzt an der ſuͤdlichen Spitze von Afrika Waͤlder von Mimoſen an Thon und Salzgebirgen, welche in allen ihren Beſtandtheilen dem Bodenſatz der jetzigen Meere gleichen. Zwiſchen den Huͤgelreihen von ſolcher Beſchaffenheit, welche wie Mauern die immer hoͤher und hoͤher hinter einander ſtehen, die Ebenen der Suͤdſpitze von Afrika in mehre - re große Felder abſchneiden, liegt wuͤſte, und nur nach einigen Gegenden von durchziehenden Stroͤmen, deren Waſſer jedoch der ſtarke Salzgehalt fuͤr Menſchen und Thiere ungenießbar macht in etwas befeuchtet, der Meeresſand, aus einer ſehr jungen Zeit.

Die große Wuͤſte Saarah in der noͤrdlichen Haͤlfte von Afrika, iſt offenbar auch der Grund eines Meeres von der Beſchaffenheit des jetzigen geweſen. Mitten in dieſer, an einigen Stellen faſt 100 Meilen breiten Sandebene, liegen einzeln zerſtreut ganze Berge von Seeſalz, aus deren Mitte ein klarer Quell entſpringt, um welchen her ſich oͤfters wie Inſeln mitten im Meer kleine Palmenwaͤlder gebildet haben, welche innerhalb eines ungeheuren Umfangs, der kein kleines Gras, kein Geſtraͤuch hervorbringt, dem Auge wieder den Ge - nuß des Gruͤnen gewaͤhren. Auf der mehr als 12 taͤ - gigen Reiſe durch eine traurige Oede, finden hier, wo kaum einige verirrte Voͤgel hinkommen, die Carava -184 nen, welche vom noͤrdlichen Afrika der Goldſtaub der ſuͤdlichen Laͤnder herablockt, einige Erquickung, und das Salz, welches den Gegenſtand ihres Handels aus - macht.

Ohngefaͤhr von aͤhnlicher Beſchaffenheit, und ent - weder der jetzt ausgetrocknete Grund eines ehemaligen ungemein großen Landſees, oder eines abgeſonderten Mittelmeeres, iſt die Wuͤſte Shamo, oder Cobi in Aſien. Jone faſt unerſchoͤpflichen Salzmaſſen, wel - che ſich noch jetzt in einigen Theilen von Pohlen z. B. bey Wilizka finden, ſind es nicht allein, welche uns verrathen, daß dieſes Land vor nicht gar fernen Jahr - tauſenden Meeresgrund geweſen, ſondern es zeigen uns eine Menge ſehr ſichre Thatſachen, daß nicht allein der Aralſee mit dem Caspiſchen, und dieſes mit dem ſchwarzen Meer in Verbindung ſtund, ſondern dieſes Meer hieng durch die moraſtig tiefen Ebenen von Poh - len und einiger Theile des europaͤiſchen Rußlands mit dem Ocean der noͤrdlichſten Welt zuſammen.

So iſt in den fruͤheren Zeiten, wie es ſcheint, ſchneller, das allgemeine Gewaͤſſer Schritt vor Schritt zuruͤck getreten, und dieſem iſt die juͤngere organi - ſche Welt auf dem Fuße nachgefolgt. Wir ſehen ein ſolches deutliches Zuruͤcktreten des Meeres an ei - nigen Stellen ſchon im Verlauf von wenigen Jahr - hunderten merklich. So finden ſich in Nordamerika und in einigen nordlichen europaͤiſchen Laͤndern, unter185 andern in Weſtgothland, in einer ziemlichen Entfernung von der Meereskuͤſte, ganze Huͤgel, welche aus Mu - ſcheln von der Art beſtehen, wie ſie noch jetzt jene Meere hervorbringen, und oͤfters eine Lage von Sand, von einer Dicke von 30 Fuß uͤber ſich haben. So iſt Preußen, wie an dem Bernſtein erkannt wird, welcher oft gegen 20 Meilen von der Kuͤſte entfernt gegraben wird, groͤßtentheils neu aus dem Meer hervorgegan - gen (das Meer ſoll nach einer allgemeinen Sage bis Culm gereicht haben) und Schweden, von welchem nach alten Sagen vor Zeiten nur der hoͤchſte Ruͤcken des Hochlandes aus dem Meer hervorſtund, zeigt uns noch jetzt Staͤdte auf, welche nun faſt in der Mitte des Landes gelegen, vor wenig Jahrhunderten an der Kuͤſte ſtunden. Es ſollen dahin alle die Staͤdte gehoͤ - ren, die den Beynahmen Sund fuͤhren, welchen ſie nur von ihrer Lage am Ufer erhalten konnten. Paͤſſe in den Scheeren, welche kaum vor einem Menſchenalter große Schiffe hindurch ließen, ſind kaum noch Boten gangbar, und jene Gegend von Fellbaka die zu der naͤmlichen Zeit noch Meerbuſen war, iſt jetzt fruchtbare Wieſe. Ehemalige Buchten an einigen lapplaͤndiſchen Staͤdtchen, liegen jetzt tief im Meer, anderwaͤrts ſte - hen Eiſenhaͤmmer wo ſonſt Meeresgrund war. Der ehe - malige Hafen zu Aiguemortes in dem ſich Ludwig der Heilige einſchiffte, liegt jetzt eine Stunde vom Meer, und ſelbſt das tiefer gelegne Pſalnodie lag ehehin an der Kuͤſte. Der arabiſche Meerbuſen hat ſeit einigen Jahrhunderten an Ausdehnung ungemein viel verloh -186 ren, und die ehemalige Communication wuͤrde ſchon aus Mangel der Waſſerhoͤhe nicht mehr gelingen, ja das benachbarte Damiate, das noch im 13ten Jahr - hundert an einem Hafen lag, ſteht jetzt 10 Meilen vom Lande entfernt. Eine Menge aͤhnliche Beyſpiele ließen ſich aus allen Weltgegenden anfuͤhren. *)Sehr viele davon wird man in der neuen Bearbeitung von Kants phyſiſcher Erdbeſchreibung, von dem Heraus - geber hinzugefuͤgt finden, andre in Bergmanns phyſicali - ſcher Erdbeſchreibung. Die neuen Unterſuchungen in Schwe - den uͤber die immer weitere Abnahme des Meeres ſind be - kannt.

Freylich ſcheint auch anderwaͤrts das Meer noch bey ſeinem jetzigen niedrigen Stand, dem feſten Lan - de Abbruch zu thun, und die Ausdehnung der Kuͤſten zu vermindern. Es geſchieht dieſes an Stellen, wo ei - ne beſtimmte Stroͤmung das Waſſer mit vorzuͤglicher Gewalt gegen das Land treibt, wodurch Auswaſchun - gen entſtehen, welche die allmaͤlig untergrabenen Ebe - nen und Huͤgel durch ihre eigene Laſt einbrechen ma - chen. So ſtuͤrzen, wie es ſcheint, an der Kuͤſte von Daͤnnemark einige Anhoͤhen, allmaͤlig unterwuͤhlt ins Meer. Die Inſel Ruͤgen ſo wie andre benachbarte Gegenden, hat das Meer durch Hinwegſpuͤlen und Unter - graben bedeutend verringert. An den Kuͤſten Dalina - tiens iſt das Meer an einigen Stellen, wie es ſcheint, weiter eingedrungen als vor Alters, daſſelbe[findet] ſich bey Venedig und an den Ufern von Crain. Ueber -187 haupt ſcheint erſt in neuerer Zeit die Anſtroͤmung des Meeres nach dieſen Gegenden hin an Gewalt zugenom - men zu haben, welches wahrſcheinlich auch von der allgemeinen Abnahme der Gewaͤſſer herruͤhrt.

Solche Verwuͤſtungen des Meeres, welche uͤbri - gens weder ſo allgemein noch von ſo weitem Umfange ſind als der Anbau eines neuen Landes aus demſelben, entſtehen wohl vorzuͤglich da, wo eine juͤngere lockere und leichter aufloͤsbare Gebirgsart, zu B. Kalk oder Kreide - gebirge, auf aͤlteren und feſteren aufliegen. Das nahe Meer draͤngt ſich allmaͤlig an der Auflagerungsflaͤche hinein, und zerſtoͤrt ſo ſein eignes Werk an verſchiede - nen Orten wieder.

Obgleich die Abnahme des allgemeinen Gewaͤſſers, die aus Vielem zu ſchließen, in den aͤlteſten Zeiten viel ſchneller vor ſich gegangen ſeyn muß, jetzt nur ſehr langſam geſchieht, ſo iſt ſie doch deutlich vorhan - den. Und dieſe muß unſrer Phantaſie zu Huͤlfe kom - men, wenn dieſe nun in jene Zeiten zuruͤckkehrt, wo noch die ganze Oberflaͤche der Erde, ſelbſt die hoͤchſten Gebirgshoͤhen derſelben, tiefer Grund einer unermeßli - chen Fluth geweſen, und wo jene Gebirge, wo die ganze Ausdehnung des feſten Landes, aus dem Waſſer niederſank.

So ſieht das Auge in jenen Gebirgsmaſſen, in de - nen ſich der Bildungstrieb der Erde zuerſt ausgeſpro -188 chen, den Boden und die zu Stein erſtarrten Wogen eines ungeheuren Meeres. Es ſehen dieſe Haͤupter der Gebirge, mit einem traurigen Unwillen auf das friſche Leben, das ſich zu ihren Fuͤßen verbreitet und das ſie zuletzt uͤberall aus dem unmittelbaren Anblick des Lichts hinwegzudraͤngen droht, hernieder. Einſt haben ſie auch, lebendige Theile der Erde, mitten in dem froͤlichen Kreiſe der Wechſelwirkung und des allge - meinen Lebens geſtanden, als ſie, noch nicht zu dieſen einzelnen Maſſen erſtarret, Theile der von dem Geiſt des allgemeinen Lebens bewegten Fluth waren. Als aber die Erde, zur Selbſtſtaͤndigkeit und dem beſon - dern Daſeyn erwachend, immer mehr aus der Ab - haͤngigkeit und der unmittelbaren Verbindung mit dem hoͤheren Weltganzen hervorgetreten, als das aͤußere Zei - chen und Mittelglied dieſer Vereinigung, der fluͤſſige Zuſtand und die allgemeine Waſſermenge, immer mehr abnahmen, da geſtalteten ſich aus dem abnehmenden Gewaͤſſer die erſten Bildungen des Planeten, die Ge - birge.

Wie die Pflanze, in einem unendlich kleineren Maasſtabe die Verſchiedenheit der Zeiten (beſonders der Tage und des Jahres) und der aͤußeren Einfluͤſſe, welche die Zeiten charakteriſiren, in ihrer Form und gan - zen Weſen ausſprechen, ſo zeugen uns auch die Gebir - ge in ihren ſo ungemein charakteriſtiſchen Geſtalten von den verſchiedenen Weltaltern, und dem Geiſt des hoͤ - heren Einfluſſes, welcher in ihnen geherrſcht. Auch189 in ihnen muß ſich ſchon die nothwendige Aufeinander - folge der Formen, und der Stufe der Entfaltung, wel - che der Bildungstrieb des Planeten uͤberall von den tieferen zu den hoͤheren Bildungen durchgehen muß, er - kennen laſſen. Wir wollen deshalb, ehe wir die Ge - ſtalten und aͤußern Eigenſchaften der Dinge im Ein - zelnen und Kleinen betrachten, die Grundformen der planetariſchen Schoͤpfung, und die Geſtalten der Erd - oberflaͤche, wie ſie fuͤr ſich allein iſt, zuerſt ſchnell uͤberblicken, hernach zu der Welt der einzelnen Ge - ſtalten zuruͤckkehren. Wir wollen bey dieſer Beſchrei - bung der einzelnen Gebirgsformen, nach der Folge des vermuthlichen Alters gehen, und hierbey blos auf die allgemeinſte Vegetation der Gebirge, und nur ſo weit ſie fuͤr dieſe charakteriſtiſch iſt, Ruͤckſicht nehmen.

In haͤufig zerſprungenen maſſiven Klippen, in rundlichen Felſenmaſſen, welche wie zu einem Rieſen - bau uͤbereinander gehaͤuft liegen, kuͤndigt ſich das aͤl - teſte Gebirge der Erde das wir kennen, das Granit - gebirge, ſchon von ferne an. Nicht ſowohl die chemi - ſche Beſchaffenheit des Bodens, der durch Verwitte - rung aus dieſem Geſtein entſteht, als vielmehr die Hoͤ - he, in welcher der Granit aus den uͤbrigen Urgebirgen hervorragt, ſcheint die Urſache jener Unfruchtbarkeit, welche dieſem Gebirge gewoͤhnlich zugeſchrieben wird. Doch ſehen wir in unſern Gegenden die Granitberge meiſt mit Waͤldern von hohen Tannen und Fichten be -190 deckt, uͤber deren Gipfel die Felſenwaͤnde wie die Truͤmmer alter Burgen hervorſehen. Das von oͤftern Riſſen und Kluͤften haͤufig zerſpaltene Granitgebirge, welches noch uͤberdies durch die haͤufige Neigung ſeiner Felſenmaſſen zu der kugelfoͤrmigen Abſondrung zu ei - ner Trennung der einzelnen Stuͤcken geneigt iſt, findet ſich, bis zu ſeinem Fuß hinab, von losgeriſſenen, un - ordentlich umhergeſtreueten Felſenſtuͤcken umgeben, welche ſeinen Thaͤlern, die nur ſelten große Fluͤſſe, meiſt nur Bergſtroͤme in ſich enthalten, ein wildes und wuͤſtes Ausſehen giebt. Die hoͤchſten Punkte des ſaͤch - ſiſchen Ergebirges, und ein Theil des angraͤnzenden Boͤhmen, zeigen dieſe eigenthuͤmliche Geſtalt und Um - gebung der Granitgebirge deutlich, und die meiſten unſrer Gebirgsgegenden danken ihre eigenthuͤmlichen romantiſchen Umriſſe, den Granitgebirgen, zwiſchen welchen ſie liegen. So iſt der Hauptcharakter des Granitgebirges, der zu ſeiner jetzigen aͤußeren Geſtalt das Meiſte beytraͤgt, die Tendenz der Hauptmaſſe zur Kugelform, die ſich ſelbſt noch an dem meiſt nur noch uͤbrig gebliebnen feſteren Kern, deſſen weichere Schaa - le durch Verwitterung zerſtoͤrt iſt, zeigt. Doch wird ſchon mitten in dieſer Kugelgeſtalt des Ganzen, eine in - dividuellere Ausbildung der einzelnen Beſtandtheile wahrgenommen.

Schon ungleich weniger ausgezeichnet, von min - der auffallender und mahleriſcher Geſtalt, erſcheinen die darauf folgenden Urgebirge des Gneißes, Glim -191 mer - und Urthonſchiefers. Meiſt ſchieferartig ge - ſchichtet, ſchließen ſich dieſe den Formen des aͤlteren Gebirges an, und der emporſtrebende kuͤhnere Geiſt, der ſich im Granit in eigenthuͤmlicher Wildheit, der allgemeinen Schwere durch eine beſondere trotzend er - hoben, ſcheint in dieſen ſpaͤteren Gliedern ſchon zu un - terliegen, und in jenen Schichten, wo ſich alle ein - zelnen Theile mit gleicher Staͤrke nach dem allgemei - nen Mittelpunkte draͤngen, ſchließen ſie ſich, ſo innig als moͤglich, der Oberflaͤche der Erde an.

Meiſt in niedrigeren Bergen als der Granit, wel - cher als Regent aus den hoͤchſten Punkten hervorſieht, zeichnet dieſe Gebirgsarten die Neigung Ebenen zu bil - den, mitten uͤber den Gebirgsruͤcken hinweg oder zu ſeiner Seite, dem Auge von fernen aus. Hervorſtehen - de ſteile Klippen ſind in ihnen ſeltener, ſeltener die einzeln herumgeſtreuten Felſenſtuͤcke, an welchen ſich der Lauf der ſchon groͤßeren Nebenfluͤſſe, die in ihren Thaͤlern gehen, brechen koͤnnte. Nur die ſchwarzen, von ferne glaͤnzenden Felſenwaͤnde des Thonſchiefers, werden zuweilen durch umherliegende in laͤngliche Plat - ten geſpaltene Steine, welche aus der eigenthuͤmlichen Abſondrung dieſer Gebirgsart entſtehen, etwas unzu - gaͤnglich gemacht, doch ſind dieſe Geſteinſtuͤcke bey weitem weder ſo groß noch ſo kuͤhn und weit umher ge - ſtreut wie die des Granits. Das Gneisgebirge iſt in unſren Gegenden, vielleicht aus aͤhnlichen Gruͤnden als der Granit, meiſt blos mit Schwarzwald bedeckt,192 und wo dieſer ausgerottet worden, erſcheint der Bo - den, dem Ackerbau weniger guͤnſtig, in einer eigen - thuͤmlichen oͤden Geſtalt. Meiſt fruchtbarer und in unſrer Zeit ſchon mehr angebaut, ſind die Gegenden, deren Boden die beyden zuletzt genannten Gebirgsarten bilden.

So erſcheint ſchon in den zunaͤchſt auf den Granit folgenden Gliedern, die kraͤftig entwickelte Individua - litaͤt des aͤlteſten Urgebirges, das in ſeinen runden Formen das Streben der Maſſe, eine ſelbſtſtaͤndige kleinere Erde, mitten in der groͤßeren zu bilden aus - ſpricht, der allgemeinen Schwere wieder ganz unterle - gen, und es ſcheint uͤberhaupt die Hauptmaſſe der anor - ganiſchen Welt im Granit, oder auf der weſtlichen Erde im Porphyr, das Maximum ihrer Vollendung, und zugleich die maͤchtigſte koͤrperliche Hoͤhe erreicht zu haben, waͤhrend im Einzelnen und nach der einen Sei - te hin, ein neues Maximum des Anorgiſchen, in den Trappgebirgen der Floͤzzeit erreicht iſt.

Ausgezeichneter fuͤr das Auge, und zum Theil kuͤhner und romantiſcher, treten die darauf folgenden Bildungen des Porphyrs und Sienits auf. Es bilden dieſe Gebirge, unter denen der Urzeit, zu welcher ſie gehoͤren, eine zweyte merkwuͤrdige Reihe, und wir ſe - hen ſie mit einem viel hoͤherem Niveau uͤber einen großen Theil, (beſonders der weſtlichen) Erde verbreitet, als die zuletzt erwaͤhnten Glieder der Urzeit.

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Von neuem, in der Hauptmaſſe zerſtreut, wird die Kriſtallgeſtalt einzelner Beſtandtheile, die ſich in den vorhergehenden Gliedern verlohren, wieder haͤu - figer, und die hohen Felſen des Porphyr, der ſich nach einigen neueren Beobachtungen auf der weſtlichen Erde ſo hoch erhebt wie keine andre Gebirgsart, und daſelbſt die Gipfel der hoͤchſten Gebirge bildet, zeigen zum Theil jene Geſtalt der hohen Saͤulen und Pfeiler, welche einigen juͤngeren Gebirgsarten eigenthuͤmlich iſt. In den Gebirgen von hoͤheren Alter zerſtreut, und meiſt in einzelnen Huͤgelgruppen hervortretend, bildet der Porphyr mitten in den Bergen anderer Art, einſam hervorſtehende Kuppen, welche das Auge, mit - ten aus einer gerade fortlaufenden Gebirgsflaͤche vor - ragend, und die Einfoͤrmigkeit der alten Bildungen unterbrechend, leicht auf ſich ziehen. Das Porphyr - gebirge ſcheint den zerſtoͤrenden Einfluͤſſen der Zeit und ihrer ſpaͤteren Waſſerfluthen an vielen Stellen unter - legen, und wie ſeine Bildungen ſehr oft in abgeriſ - ſenen, von einander durch weite Entfernungen getrenn - ten Huͤgeln erſcheinen, werden ſeine Gebirge ſelber von haͤufigen Riſſen zerſpalten geſehen, die ſich als erzfuͤh - rende Gaͤnge zum Theil wieder ausgefuͤllt haben, oͤf - ters aber noch offen ſtehen. Die gewaltigſten Kluͤfte des Porphyrgebirges, und uͤberhaupt wohl die maͤch - tigſten unſers Planeten, ſind die beyden bekannten amerikaniſchen, welche neuerlich wieder von Humbold beſchrieben. Jene von Chota, deren ſteil und glatt emporſteigende Mauern gegen 5000 Fuß, mithin halbN194ſo hoch ſind, als der Gotthard, laͤuft mehrere Meilen weit mitten durch den zerſpaltenen Bergruͤcken hin - durch, und das kaum 2000 Fuß breite Thal, durch die Ausfuͤllung von Gebirgsſtuͤcken Sand und Damm - erde entſtanden, ſteht mit ſeinen einſamen Chinawaͤl - dern einen großen Theil des Tages vor dem Sonnen - licht verborgen, in einer tiefen Nacht, waͤhrend zu andrer Zeit die Hitze zwiſchen dieſen engen Felſen - mauern unertraͤglich faͤllt. Der Unterſchied der ſuͤd - amerikaniſchen und der europaͤiſchen Alpengebirge, in Hinſicht der Geſtalt, wird darinnen gefunden, daß dieſe in ihren hoͤchſten Punkten aus Granit, jene aus Urporphyr beſtehen. Nicht jene ungeheuren hoch em - porſtehenden Klippen, welche in der deutſchen Schweiz den einzelnen Bergen den Beynahmen Horn erworben haben, ſondern ein runder Umriß ſelbſt der hoͤchſten Gebirgshaͤupter, zeichnet die hoͤchſten americaniſchen Alpen im Ganzen vor denen der Schweiz aus.

Auch der Sienit, faͤllt wieder mit kuͤhnen ſchrof - fen Felſenwaͤnden ins Auge, ſo wie auch der einſam ſtehende, durch ſchneeweiſe Farbe und den eigenthuͤm - lichen Glanz, nicht minder als durch ſeine zerſprun - genen und zerriſſenen Waͤnde charakteriſirte Quarz - felſen.

Wir finden, wenn wir die aͤußere Geſtalt, wel - che ganze Gebirgsarten angenommen, ferner verglei - chen, um zuerſt mit der ganzen Maſſe von dem Um -195 riß des unfoͤrmlichen Felſen, bis zu der Geſtalt der organiſchen Koͤrper aufwaͤrts zu ſteigen, die Gebirge der zweyten Periode, der ſogenannten Uebergangszeit, wenig vor andern Gebirgen ausgezeichnet. Dagegen zeigen die der Floͤzzeit faſt alle einen eigenthuͤmlichen Charakter. Mit ſchroff emporſtehenden Bergwaͤnden, oben ſelten zugerundet, oder ſpitz, ſondern eben, voller Hoͤhlen und Kluͤfte, mit Thaͤlern, deren Seiten ſel - tener ſanft emporſteigen, oͤfterer hohen geraden Mauern gleichen, haͤufig in faſt viereckten Felſen, welcher hier einer und dort einer hohen Rieſengebaͤuden gleichen, zeichnet ſich das Sandſteingebirge gleich auf den erſten Blick aus. Wir haben ein ſolches in der Naͤhe, an der ſogenannten ſaͤchſiſchen Schweiz. Doch verdankt der Sandſtein dieſe ausgezeichneten Geſtalten nicht der Feſtigkeit ſeines Charakters allein, wie der Granit, ſondern das Waſſer mußte ſeiner Anlage zur verticalen Zerkluͤftung zu Huͤlfe kommen, indem es, bey einem hoͤheren Stand mitten durch die zerkluͤfteten und erhaͤrteten Sandmaſſen hindurchbrechend, nach zerriſſener Verbindung, die einzelnen ſchroffen Felſen - maſſen zuruͤckließ.

In ſteil aufſteigenden nach oben oͤfters ſcharf zu - ſammenlaufenden Bergen, welche nicht wie das Sand - ſteingebirge in einzelne abgerißne Felſenwaͤnde zertheilt ſind, ſondern in langen Reihen zuſammenhaͤngen, nicht mehr mit jenem etwas runderen und doch ſcharfenN 2196Umriß des Porphyrgebirges, tritt nun das Kalkge - birge auf.

In weißen Felſen, welche, meiſt an der Seekuͤſte gelegen, dem Schiffer wie ferne Schneeberge erſchei - nen; uͤber das tiefe Gruͤn der nordiſchen Eichenwaͤlder einſam hervorragend, oͤfters mit ſchroff abgeſchnittnen aber in laͤngeren Zuge zuſammenhaͤngenden Waͤnden, er - ſcheint das noch juͤngere Kreidegebirge, wie hohe Gra - besſteine einer untergegangenen Rieſenwelt, und uͤber ihm die Graͤber der Huͤnen. Ein Naturmahler unſrer Zeit, deſſen Gemuͤth mit dem innerſten Sinn der Na - tur tief vertraut ſcheint, hat in einigen ſeiner Ge - maͤhlde, welche meinen Zuhoͤrern hinlaͤnglich bekannt ſind, den Charakter der Kreidegebirge ſo meiſterhaft dargeſtellt, daß ich mich hierin blos auf ihn berufen darf. *)Der Landſchaftsmahler Friedrich zu Dresden.

Endlich, nachdem in einigen andern Gebirgen, unter andern im Gipsgebirge, der eigenthuͤmliche Cha - rakter ſchwaͤcher geworden, und dieſe den kraͤftigeren Bildungen der uͤbrigen Gebirge gleichſam nachahmend, dieſen nur untergeordnet erſcheinen, zeigt ſich wieder in den Trappgebirgen der Floͤzzeit, ein ſo deutlicher und beſtimmter Charakter als nur ſonſt irgendwo. Wer kennt nicht die ausgezeichneten Kegelgebirge des Ba - ſalts, welche unter andern durch einen Theil von Boͤh -197 men gefunden werden. Auch die Baſaltberge unſres Erzgebirges zeichnen ſich unter allen andern Bergen deſſelben, wenn es fern von Norden her betrachtet wird, aus. Von haͤufigen Nebel und Hoͤhenrauch bedeckt, weil der Baſalt, vermoͤge ſeiner bedeutenden Dichtigkeit die Duͤnſte ſehr anzieht, an ſeinem Fuß von Moor und Quellen umgeben, ſchwarz von Farbe, kahl, nur ſel - ten von einigen einſamen Straͤuchern bekraͤnzt, tragen die kegelfoͤrmig zugerundeten Baſaltberge ſtatt der uͤppi - gen Vegetation andrer Gebirge, oben auf ihren Hoͤhen jene haͤufigen hohen Saͤulen, welche wie die Ueberre - ſte alter Naturtempel bald uͤbereinander geſchichtet, bald einzeln umhergeworfen liegen. Dieſe eigenthuͤm - liche Neigung zur Saͤulenform, bildet in den Baſalt - gebirgen bald jene Hoͤhlen mit hohen maͤchtigen Pfei - lern, wie die merkwuͤrdigen Hoͤhlen in Schottland und Irrland, bald beſtreut ſie ganze Thaͤler mit abgebroch - nen gewaltigen Saͤulen, deren untere Haͤlfte noch auf - recht aus dem Boden hervorſteht. Zuweilen beſtehen, wenn eine jedoch ſeltnere Neigung zur kugelfoͤr - migen Abſondrung mitwirkt, die einzelnen Saͤulen, aus rundlich uͤbereinandergehaͤuften Gliedern.

Doch verſucht, nach dieſen vielfachen Geſtalten, welche der Baſalt angenommen, die Natur noch eine kuͤhnere und romantiſchere Form, in dem noch juͤngeren Porphyrſchiefer. Den Werken der Menſchenhaͤnde nachahmend, gleich hohen feſten Thuͤrmen, von gro - tesker abentheuerlicher Form, ſtehen die ungeheuren198 Klippen des Porphyrſchiefers hoch uͤber den runden Gebirgshaͤuptern und den Schneehauben der ſuͤdamerika - niſchen Alpen empor. Die Porphyrſchieferklippen (welche auch einen Theil des boͤhmiſchen Mittelgebir - ges bilden) zeigen ſich ſo wie der Baſalt, oͤfters in Saͤulen zerſpalten. Aus dieſer Gebirgsart, wenn es nicht Sandſtein iſt, wie die Adersbacher Felſengrup - pen, ſcheinen jene abentheuerlichen Gebirge im nordweſt - lichen China zu beſtehen, welche an Geſtalt in andern Weltgegenden nichts Gleiches haben ſollen. Wir ken - nen ſie vorzuͤglich aus Neumanns Reiſe. Die Geſetze der allgemeinen Schwere und der Gebirgsbildung, gleichſam im abentheuerlichen Spiel verletzend, ſehen wir dieſe Berge, an deren unzugaͤnglichen Waͤnden die Aloe mit purpurnen Bluͤthen herabhaͤngt, bald nach der Spitze zu faſt breiter als gegen den Fuß hin, bald krumm uͤberhaͤngend, jeden Augenblick Einſturz dro - hend, und dieſe abentheuerlichen Thurmartigen Felſen - maſſen durch die ſich der große Strom oft muͤhſam hin - durchdraͤngt, ſcheinen den Chineſen zuerſt ein Vorbild jener ſonderbaren Geſtalten gegeben zu haben, welche ſie durch muͤhſame Bearbeitung einigen ihrer Berge zu geben pflegen.

Faſt ganz charakterlos, nur zu kleinen Huͤgeln, deren kleinliches Emporſtreben gleich im Entſtehen wie - der platt niedergedruͤckt ſcheint, zeigen ſich die letzten Bildungen der Fluthen, die der aufgeſchwemmten Zeit.

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Dieſes waͤre das Angeſicht der Erdoberflaͤche, oh - ne Pflanzen und Thierwelt. Jede vorzuͤgliche Ge - birgsart hat ihren beſtimmten, von denen der andern weſentlich verſchiedenen Charakter, ihre beſtimmte Grundgeſtalt, der ſie ſich in der Form der Berge und der einzelnen Felſenmaſſen zu naͤhern ſtrebt. Wir ſe - hen gegen Ende der Urzeit, im Porphyr, endlich aber noch vielmehr zu Ende der Floͤzzeit, und hiermit der groͤßern Fluthen uͤberhaupt, die Neigung der Gebirge zur Saͤulenform ganz vorzuͤglich maͤchtig.

Von dem Symbol der allgemeinen Schwere, und der Vereinigung aller Theile zu einem einſtimmigen Ganzen, von der Kugelform, geht zuerſt in der Grund - geſtalt der Erde, dann im Einzelnen in der Abſondrung des Granits, die bildende Natur aus. Hierauf wen - det ſie ſich in den darauf folgenden Gliedern zur Flaͤche, bis ſie endlich zuerſt als Annaͤherung, in der Geſtalt der ganzen Gebirge, dann immer vollkommener, auch in den einzelnen Theilen der Maſſe, die der allgemeinen Schwere entgegen, emporſtrebende, laͤngliche Geſtalt des Pfeilers erreicht. Dieſe iſt wiederum Symbol des Magnetismus oder uͤberhaupt des Gegenſatzes. So finden wir ſelbſt in den Geſtalten der ganzen Maſſe die Naͤhe der angraͤnzenden organiſchen Welt voraus - verkuͤndiget, die Saͤulenform der Baͤume und die For - men in denen ſich zuerſt das Thierreich ausſpricht. Doch liegt dieſe Annaͤherung hier nur in dem allgemei - nen aͤußern Umriß, ein deutlicherer Uebergang wird200 gefunden, wenn wir die einzelnen Bildungen betrachten, wovon ich hier nur noch einige Worte hinzufuͤgen will.

Der Quarz, welcher ſchon einen Beſtandtheil des Granits ausmacht, pflegt als Kriſtall in ſcharfen ſechsſeitigen Saͤulen, und in Pyramiden aufzutreten, waͤhrend der Glimmer, welcher der 3te Beſtandtheil des Granits iſt, die Flaͤche in der Tafelform ſucht. Doch beginnen ſchon in dem Schoͤrl, und noch mehr in den angraͤnzenden Geſchlechtern, jene mehr abgerundeten, ſchilfartigen Kriſtalle, wel - che eine innigere Annaͤherung an die Geſtalt der Pflanzen ſcheinen. Es bleibt auch hierbey die im Ein - zelnen bildende Natur nicht ſtehen, wir ſehen die Ge - ſtalten der Oberwelt in dem Reich der Metalle noch vollkommener abgeſpiegelt. Ueberhaupt muß, wie ich anderwaͤrts gezeigt habe, der Uebergang aus dem Steinreich in das der Pflanzen und Thiere, in jeder Hinſicht in den Metallen geſucht werden. Die ſchoͤnſten Farben, von dem Purpurroth der Granaten oder dem Roſenroth des Rubins bis zu dem ſchoͤnen Gruͤn des Schmaragds, treten im Steinreich blos durch die Ein - miſchung der Metalle auf. Das Brennbare, im Phosphor oder einigen dieſem nahe verwandten Metal - len, im Arſenik und Zink, dann im Schwefel, im Kohlenſtoff, der wenigſtens im geſaͤuerten Zuſtand ge - funden wird, begleiten die Metalle von ihrem Entſte - hen in dem aͤlteren Urgebirge, bis zu ihren letzten und juͤn gſten Bildungen, und bezeugt auch hierdurch ihre chemiſche Verwandſchaft mit dem Organiſchen. Die201 Baumfoͤrmigen, Blaͤtterartigen, unter einander ge - webten und hierin dem Bau des Thieriſchen Zellgewe - bes aͤhnlichen Bildungen einiger, beſonders der gedie - genen Metalle, ahmen die hoͤhere organiſche Welt, oft bis zur Taͤuſchung nach. Das ganze Reich der Me - talle, ſcheint an den Graͤnzen der beyden Welten, aus dem Untergang und einer der Verweſung aͤhnlichen Vernichtung des Anorganiſchen entſtanden, und in ſich den Keim der neuen, organiſchen Zeit zu tragen.

Die Natur ſteht in der organiſchen Welt wieder aus einem Grabe und einem der Verweſung aͤhnlichen Zuſtande auf, und der Grund ihres Entſtehens iſt zu - gleich der des Unterganges der anorganiſchen Welt gewe - ſen. So bauet ſich froͤlich eine neue Zeit aus den Truͤmmern der verſunkenen alten auf, hoffend wenn auch nicht durch die Dauer der koͤrperlichen Maſſe, doch durch die Kraft des Geiſtes das Werk ihrer Haͤnde feſter in die Tiefe der fernſten Zeit zu gruͤnden, als je - ne untergangne Vorzeit.

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Achte Vorleſung. Die organiſche Welt.

Wenn uns auch, bey dem Eintritt in das Reich der Kriſtalliſationen, ganz andre Geſetze und Weiſen des Daſeyns zu begegnen ſcheinen, als in dem Syſtem der Welten; ſo iſt doch nirgends ein Mangel an Beruͤh - rungspunkten, an Uebereinſtimmungen, ja an unmit - telbaren Uebergaͤngen. Es gehoͤrt dahin jenes ſchoͤne von Kepler entdeckte Verhaͤltnis einiger Grundgeſtal - ten der Kriſtalle, das in ſeinem Werk uͤber die Har - monie der Welten ſteht, und lange Zeit ganz vergeſſen ſchien. Er zeigt naͤmlich daſelbſt zwiſchen 5 Grund - geſtalten der Kriſtalliſation daſſelbe Verhaͤltnis, was zwiſchen den 5 damals bekannten Planetenbahnen ſtatt findet. *)a, a + b, a + 2. b, a + 4. b, a + 8. b u. ſ. w. wiewohl gerade das Glied 8 mal b, das be - kanntlich in die 4 zuletzt entdeckten Planeten faͤllt, ſo wie auch Uranus oder a + 64 mal b damals noch fehl -Dieſes fuͤhrt aber, wie ich in meiner fruͤher203 erwaͤhnten Schrift gezeigt habe, in ſeiner Form und Bedeutung auf jene allgemeine Nothwendigkeit der Wechſelwirkung zuruͤck, aus welcher ſich alle Geſetze des Planetenſyſtems herleiten laſſen, und es folgt das Daſeyn aller dieſer Geſetze ſchon aus jenem oft ver - kannten Verhaͤltnis der Bahnen. Wir duͤrften alſo auch in den Kriſtalliſationen und jenen merkwuͤrdigen Reihen (Suiten) die ſie oft bey einer einzigen Steinart bilden, den Spuren, die uns aus jenem Verhaͤltnis entgegen kommen, mit Sicherheit folgen, um bald eine tiefe und allgemeine Uebereinſtimmung, auch aller an - dren Verhaͤltniſſe zu finden. Es wird dieſe Arbeit durch einen meiner Freunde geſchehen, der hierin die Ent - deckungen der beyden vorzuͤglichſten Schulen (der Wer - neriſchen und Hauyſchen,) zu verbinden ſtrebt.

Ja dieſe Uebereinſtimmung geht noch weiter in die Lebensverhaͤltniſſe der organiſchen Welt hinuͤber, wo ich ſie anderwaͤrts aufzuzeigen angefangen habe. So zeigt ſich uͤberall derſelbe Geiſt des Daſeyns und Le - bens, uͤberall Eine Nothwendigkeit, unter welcher ſeine Aeußerungen ſtehen.

Der Uebergang zum organiſchen Leben wird in den kosmiſchen Momenten der anorganiſchen Koͤrper gefun -*)ten. Das Verhaͤltnis der Grundformen ließe ſich ohnge - faͤhr auf eben ſo viele Hauptglieder ausdehnen als das Pla - netenſyſtem in ſich faßt. (auf 8.)204 den, in denen wir an einem andren Orte jenen Zuſtand derſelben erkannt haben, wo das Einzelne in die Ge - meinſchaft des Lebens und Daſeyns eines hoͤheren Gan - zen tritt.

Es ſtellt in der gegenſeitigen Wirkung der hoͤhere Gegenſatz dem niederen die belebende Urſache dar, wie in der Schwere die Sonne den Planeten, die Erde den einzelnen Koͤrpern. Hierdurch wird an ihnen der Geiſt des Ganzen wie an dem Menſchen in den Momenten ei - ner aͤhnlichen geiſtigen Wirkung das Goͤttliche offenbart, und was dort als Magnetismus, Licht u. ſ. w. erſcheint, wird hier als Begeiſterung geſehen.

Die organiſche Welt iſt, wie es ſcheint, mit der jetzigen Atmosphaͤre zugleich aufgetreten. Dieſe iſt erſt das hoͤhere und vollkommnere Mittelglied einer Wechſelwirkung der beſondern irdiſchen Natur mit dem hoͤheren Weltganzen, und wenn es auch den Einfluͤſ - ſen deſſelben zuzuſchreiben iſt, daß ſchon in den fruͤhe - ren Zeiten der Gebirgsbildung, wo die Atmosphaͤre wenigſtens noch nicht mit der Erdflaͤche (die noch vom Waſſer bedeckt war) in Beruͤhrung ſtund, die Nieder - ſchlaͤge der verſchiednen Perioden von ſo ganz verſchie - dener Beſchaffenheit gefunden werden, ſo daß mit Recht auf einen in andren Zeiten ganz veraͤnderten Ge - halt der Fluthen geſchloſſen wird; ſo hat ſich wenig - ſtens vor dem Auftreten der Atmosphaͤre, bei einem noch fluͤſſigeren Zuſtand des Erdkoͤrpers, jener Einfluß eines hoͤheren Ganzen nicht an die Einzelnen ſondern an die Geſammtmaſſe wenden muͤſſen. Erſt die At -205 mosphaͤre laͤßt auch die einzelnen irdiſchen Dinge un - mittelbar in Gemeinſchaft mit jenem hoͤheren Einfluß treten, und macht hierdurch das beſondre, organiſche Leben moͤglich.

Es wird naͤmlich auch ſchon in den kosmiſchen Momenten der anorganiſchen Natur, jenes momenta - ne Leben des Einzelnen durch die Vermittlung eines hoͤheren Ganzen erhalten.

Im Magnetismus ſind es die beyden phyſicali - ſchen Erdpole, oder die beyden erregbarſten Punkte des Planeten, durch deren Vermittlung der Magnet, deſſen herrſchender Pol ſich ſtets nach dem naͤchſten von jenen Punkten hinwendet, den hoͤheren Lebenseinfluß empfaͤugt, und auch in der Elektricitaͤt iſt es der Erd - koͤrper, aus deſſen mittelbarer oder unmittelbarer Ge - meinſchaft die Koͤrper den Schimmer des erſten ſelbſt - ſtaͤndigen Lebens empfangen. In beyden Proceſſen iſt es der eine, der poſitive Pole, welcher dem andern das Erdganze in ſich darſtellt, deshalb iſt der herr - ſchende Pol des Magnets durch eine unmittelbarere Abhaͤngigkeit von dem Planeten, die ſich in ſeiner Neigung als groͤßere Schwere ausdruͤckt, der poſitiv elektriſche Koͤrper durch groͤßere Cohaͤrenz, welche daſſelbe, naͤmlich eine innigere Gemeinſchaft des Ein - zelnen mit dem Ganzen ausſpricht, vor dem negati - ven ausgezeichnet. Im chemiſchen Proceß ſchon, kehrt ſich dieſes Verhaͤltniß, wie Ritter gezeigt hat,206 gaͤnzlich um, und die Koͤrper, welche in der Elektri - citaͤt poſitiv waren, werden nun negativ und umge - kehrt. Gerade die minder ſchweren und minder feſten Koͤrper ſtellen nun in der Wechſelwirkung den hoͤheren Einfluß in ſich dar, bis dieſer endlich im Verbren - nungsproceß als Atmosphaͤre auftritt. Der poſitive Gegenſatz, in der Elektricitaͤt und im Magnetismus, repraͤſentirte die Erde in ſich, im chemiſchen Proceß, beſonders aber erſt beym Verbrennen, wird von dem po - ſitiven Gegenſatz das hoͤhere Weltganze, zu welchem ſich wieder die Erde als Theil verhaͤlt, die Sonne dar - geſtellt. Es iſt mithin uͤberall derſelbe Grund des Le - bens, daß naͤmlich das Einzelne durch die Wechſel - wirkung der Gegenſaͤtze, in die Harmonie des allgemei - nen Lebens hineintrit, nur das hoͤhere Mittelglied iſt verſchieden. Schon das Waſſer, oder uͤberhaupt das Fluͤſſige, vertritt im chemiſchen Proceß die Stelle der Atmosphaͤre, endlich aber mit dem vollkommenen Ein - treten des Luftkreißes in die Wechſelwirkung mit der feſten Maſſe, wird in dem Licht die aͤußerſte Graͤnze der Wirkſamkeit der anorganiſchen Natur erreicht, es tritt nun, ein Bildniß der auf der Erde einheimiſch gewordnen Soune, das organiſche Leben mit ſeinen mannichfaltigen Geſtalten auf.

Dieſes iſt der Weg, welchen das Leben, uͤberall daſſelbe, von den Lebensbewegungen des Magnets bis zu denen des Thieres, nimmt. Ich werde die innre Uebereinſtimmung des organiſchen Lebens mit den kos -207 miſchen Momenten der anorganiſchen Natur noch an - derwaͤrts deutlicher entwicklen, zugleich mit der Be - ſtaͤtigung, daß jene große Verwandlung, durch welche daſſelbe Leben, das ſich vorhin als Wechſelwirkung des Anorganiſchen gezeigt, nun als Organiſches auftritt, durch das Hinzukommen des jetzigen Luftkreißes be - wirkt iſt. Dieſes gleichzeitige Hervorgehen der orga - niſchen Welt und der Atmosphaͤre, zeigt ſich auch im Großen, in der Geſchichte des Erdkoͤrpers.

Obgleich naͤmlich ſchon in der Urzeit, in welcher angenommen wird, daß die Erde, noch ganz von Waſſer bedeckt, von der unmittelbaren Beruͤhrung des Luftkreißes ausgeſchloſſen war, das noch kuͤnftige Erſcheinen des Thier und Pflanzenreichs ſchon vorbe - reitet erſcheint, finden wir doch die Spuren einer ge - weſenen organiſchen Welt erſt in der 2ten Periode, wo, nach zum Theil verſchwundenem Gewaͤſſer, ein Theil des Erdbodens frey in die Luft hervorragte. Von jenen Spuren, welche die Pflanzen und Thier - welt der ſpaͤteren Perioden ſchon in der Urzeit voraus - verkuͤnden, treten die des Pflanzenreichs zuerſt auf, und ſchon der Schoͤrl, welcher in einigen Gegenden im Granit ſehr haͤufig iſt, ſcheint in ſeiner Geſtalt, inn - ren Textur und Farbe auf die kuͤnftige Vegetation hin - zudeuten.

Wir ſehen jedoch gleich das erſte Glied der neuen Periode, wo der Uebergang zu der Zeit des Organi -208 ſchen gefunden wird, voller Ueberreſte von Pflanzen - thieren, von jenen Mittelweſen, welche weder Thiere noch Pflanzen, ſondern auf eine unvollkommene Weiſe beydes ſind. Sie haben nur einige ſehr entfernte Aehn - lichkeit mit Thierarten, die noch jetzt in den Tiefen der Meere gefunden werden, jedoch ſind die Geſchlechter, zu welchen ſie gehoͤrten, als untergegangen zu betrach - ten. Wenn zu derſelben Zeit die Erde an einigen hoͤ - her liegenden Stellen Gewaͤchſe getragen, ſo waren es vorzuͤglich Waſſerpflanzen, und jene Rohrgewaͤchſe die in der Grauwacke der Uebergangszeit verſteinert lie - gen, erzaͤhlen von einem uͤppig gruͤnenden Kuͤſtenland. Gleich die erſten Fluthen der 3ten Periode, naͤmlich die der Floͤzzeit, fanden jedoch ſchon ein gruͤnendes und von bluͤhenden Waͤldern bedecktes Land, welches ſie in das von neuem anſtroͤmende Gewaͤſſer begruben. Die haͤufigen Kalkgebirge dieſer Zeit, enthalten in ih - ren aͤlteſten Gliedern die Verſteinerungen von Meerthie - ren, deren Geſchlechter auch untergegangen ſcheinen, ſpaͤter naͤhern ſich dieſe Denkmaͤhler einer fruͤheren Thierwelt in Hinſicht ihrer Form den noch jetzt vorhan - denen Thierarten. Zuletzt ſehen wir gegen Ende die - ſer Periode, die Geſchichte einer ſehr vollkommenen Thierwelt, welcher nichts mehr zu fehlen ſcheint als die hoͤchſte Bluͤthe der Menſch, in den ſteinernen Urkun - den jener voruͤbergegangenen Fluth aufbewahrt, und dieſe melden von hohen Palmenwaͤldern, in Gegenden, wo jetzt ſelbſt ein niedriges Gebuͤſch ſich zu wachſen weigert, von Elephanten und Nashoͤruern, Tapiren,209 Giraffen und Antilopen, von ehemaligen Fluͤſſen voller Flußpferde und Krocodile, da wo jetzt nur noch der noͤrdliche Eisbaͤr und das Rennthier wohnen.

Es iſt naͤmlich aus dem Vorhandenſeyn jener haͤu - figen Ueberreſte organiſcher Weſen, in der Naͤhe der Pole, wovon wir hernach reden werden, gewiß, daß jene Gegenden in der fruͤheſten Zeit, und wie es ſcheint, fruͤher als alle andre Erdſtriche, der Aufenthalt und das Geburtsland einer ſehr vollkommenen organiſchen Welt waren. Die im Allgemeinen viel geringere Hoͤ - he der Gebirge nach den Polen hin, im Vergleich mit denen der Aequatorealgegenden, und verſchiedne andre Thatſachen machen es wahrſcheinlich, daß die Po - le bey der allmaͤligen Abnahme des (uͤber ihnen ungleich niedriger ſtehenden) Gewaͤſſers, aus dieſem ſchon her - vortraten, als die, vermoͤge des taͤglichen Um - ſchwungs nach dem Aequator angehaͤufte Fluth, da - ſelbſt noch hoch uͤber den Bergen ſtund. Die duͤnnere Luftſchicht in der Hoͤhe der Schneeregion, die dichtere in den tiefen Thaͤlern, ſind bekanntlich die Urſache des Temperaturunterſchieds der zwiſchen dem Gipfel der hohen Berge und den Ebenen ſtatt findet. Eine groͤße - re allgemeine Waſſermenge in fruͤheren Zeiten, hatte auch eine groͤßere Dichtigkeit der Atmosphaͤre zur noth - wendigen Folge, dieſe aber mußte wiederum eine viel ſtaͤrkere (Waͤrmeerzeugende) Wirkung der Sonnenſtrah - len bewirken. Bey einer ungeheuer viel groͤßeren Waſ - ſermenge und mithin eben ſo viel dichteren AtmosphaͤreO210in den fruͤheren Weltperioden, mußte mithin die Wir - kung der auch damals ſchon an den Polen nur ſenkrecht auffallendern Sonnenſtrahlen, ohne daß wir deshalb ei - ne veraͤnderte Neigung der Erdaxe zu Huͤlfe zu nehmen brauchten, ſo heftig ſeyn, als bey dem jetzigen Zu - ſtand des Luftkreißes zwiſchen den Wendekreißen.

Die Pole waren mithin, in den erſten Weltperio - den, ſowohl wegen des noch vom Waſſer bedeckten Zu - ſtandes der Erdoberflaͤche, nach den Wendekreißen hin, als auch vielleicht ſelbſt wegen des zu hohen Waͤrme - grades jener Gegenden, nicht allein der Geburtsort, ſon - dern der vorzuͤglichſte und einzige Aufenthalt organiſcher Weſen. Ja nicht allein die Thier - und Pflanzenwelt, ſondern ſelbſt der Menſch ſcheint nach Einigen mehr von der Naͤhe der Pole als der Wendekreiße, ausgegangen, und der Aufenthalt jenes vorzuͤglich gebildeten Urvolks, von dem wir fruͤher ſprachen, wird von Bailly, Rud - beck u. A. weit hinauf nach dem Nordpol verſetzt. Wir wollen wenigſtens einige der Gruͤnde die dafuͤr zu ſpre - chen ſcheinen, vernehmen.

Wie die Lehren und der Kultus der alten Prieſter der noͤrdlichen Welt, vornehmlich der Schweden, mit denen der Egypter in Vielen uͤbereinſtimmen, wurde auch von den alten Schweden ein Feſt, das wie das des Oſiris in Egypten 40 Tage dauerte, und dieſem in verſchiedenen Umſtaͤnden glich, gefeyert. Statt des Oſiris wurde aber die in jenem noͤrdlichen Himmel 40211 Tage abweſende Sonne beklagt, und hierauf am 40ſten das Wiedererſcheinen der Sonne, wie in Egypten das Wiederaufleben des Oſiris gefeyert. Oſiris war ein Sinnbild der Sonne, und die aͤußere Form dieſes Cultus ſcheint demnach unter dem 68ſten Grade der Breite, mithin noͤrdlicher als Umba am weißen Meere entſtanden. Die Fabel vom Vogel Phoͤnix, vom Her - cules, der Gottesdienſt des Janus, ſind von Bailly und Andern ſaͤmintlich aus jenem noͤrdlichen Himmels - ſtriche hergeleitet worden, wo die Sonne einige Zeit abweſend iſt. Die Verehrung des Saturn, ja der Iſis und des Oſiris, ſind, wie es ſcheint, aus Norden ge - kommen, und die des Saturn hatte ſich bis zu den ſpaͤteren Zeiten auf den noͤrdlichen europaͤiſchen Inſeln erhalten. *)Nach Plutarch. Der Dienſt band ſich an den 30jaͤhrigen Umlauf des Saturn.Ich koͤnnte, wenn es hier am rechten Orte ſchiene, noch eine Menge Thatſachen anfuͤhren, welche alle Daſſelbe bewieſen; doch will ich nur noch eine in dieſer Hinſicht ganz vorzuͤglich merkwuͤrdige Sa - ge der Mexicaner hinzufuͤgen.

Die Halbgoͤtter, mit welchen der Himmel und die Erde nach ihrer dritten Verwandlung bevoͤlkert worden, und von denen das jetzige Menſchengeſchlecht abſtammt, befanden ſich Anfangs in einem Lande wo keine Sonne war, das heißt, in der langen Polarnacht. Als ein junger Held dem erſehnten Licht ſich ſelber zum OpferO 2212gebracht, wird ihnen die Gewißheit der Wiederkehr der Sonne. Hierauf, in einer langen Daͤmmerung, wie ſie an den Polen herrſcht, wird der Aufgang bald da bald dort erwartet, und die Helden ſtellen mit verſchie - denen Thieren eine Wette an, wo die Sonne ſich zu - erſt zeigen wuͤrde, und der Irrthum des thieriſchen Vorgefuͤhls wird mit dem Tode beſtraft. Endlich als die Sonne, wo ſie noch jetzt aufgeht, ſich gezeigt, erhebt ſie ſich, wie dies an den Polen geſchieht, nur in einem ſehr niedrigen Bogen, und die Helden uͤber den ſcheinbaren Stillſtand ungedultig, finden durch Citlis Kuͤhnheit einen fruͤhen Untergang. Einer von den Dienern, heißt es in jener Sage ferner, wird hin - ab in das Haus der Sonne geſendet. Es wandelt die - ſer mit dem Geſange eines Liedes, das ihm der Halb - gott gelehrt, auf einer Bruͤcke von Wallfiſchen und Schildkroͤten hinab, womit die Sage anzudeuten ſcheint, daß der Suͤden noch vom Meere bedeckt war.

Doch verſetzen auch viele andre wichtige Thatſa - chen, den Wohnſitz jenes Urvolks unter den 49° der Breite, aus welcher Gegend viele aſtronomiſche Beob - achtungen, die uns Ptolemaͤus u. A. aufbehalten ha - ben, und unter andern das aͤlteſte Urbild des Zend Aveſta herſtammen. *)Wie ſich ſchon aus dem im Zend-Aveſta angegebnen Ver - haͤltnis des laͤngſten zu dem kuͤrzeſten Tage (2 zu 1) ſchlieſ - ſen laͤßt.Es koͤnnte demnach ſehr wohl213 ſeyn, daß unſer Geſchlecht im mittlern Aſien (wie Vie - le behaupten) entſtanden, erſt ſpaͤter, wo die ganze or - ganiſche Schoͤpfung der fruͤhern Welt ſchon unter den neuentſtandnen Sandwuͤſten des noͤrdlichen Aſiens be - graben war, in jenen Gegenden, die nicht auf einmal ſondern nur in ſehr allmaͤligen Uebergaͤngen kaͤlter wur - den, ſeinen Aufenthalt nahm.

Es laͤßt ſich deshalb aus jenen Thatſachen weder et - was fuͤr noch gegen die Vermuthung ſchließen, ob der Menſch zu jener Zeit, wo jene maͤchtige organiſche Welt gegen Ende der 3ten Weltperiode unter den (meiſt me - chaniſchen) Niederſchlaͤgen der neuen Fluth begraben wurde,*)Die meiſten jener vollkommenen Landthiere, deren Gerip - pe wir noch jetzt im Norden finden, ſcheinen erſt nach Ver - lauf der 3ten Weltperiode, in einer noch ſpaͤtern Fluth unter deren aufgeſchwemmten Sand ſie begraben ſind, un - tergegangen, doch finden ſich die Thieruͤberreſte, die man im noͤrdlichen Frankreich ausgegrahen, ſchon in einem juͤn - geren Gebirge der Floͤzzeit ſelber. ſchon auf der Erde vorhanden war, und ob auch ſeine Geſchichte ſchon in die 3te Weltperiode (die Floͤzzeit) hinaufreicht?

Gewiß iſt es, daß man bisher unter den vielen Ueberreſten groͤßerer Landthiere noch keine gefunden, welche Menſchen zugeſchrieben werden koͤnnten, aͤltere Naturforſcher hatten, von einer leichten Aehnlichkeit getaͤuſcht, bald die Knochen von Elephanten fuͤr Ge -214 beine von ungeheuren Rieſen, bald Schildkroͤtenſchaa - len, ja den breitgedruͤckten Kopf eines Wels fuͤr Men - ſchenſchadel gehalten, doch will noch neuerlich Spal - lanzani auf einer Inſel des mittellaͤndiſchen Meeres zahlreiche Menſchengebeine gefunden haben, an welche noch unſichere Beobachtung jene aus der Gegend von Cadix ſich anſchließt. Aber geſetzt auch, es faͤnden ſich in ganz Europa, welcher Welttheil, und zwar nicht einmal ganz, ſondern nur zum Theil, bisher allein gruͤndlich durchforſcht worden, gar keine Ueber - reſte von Menſchen, ſo waͤre dieſes noch immer nicht hinlaͤnglich, um zu beweiſen, daß zu jener Zeit noch gar keine vorhanden waren. Das Geburtsland des Menſchen ſcheint aus verſchiedenen Aſien, wohin unſre Forſchungen bisher doch nur wenig eingedrungen ſind. Vielleicht daß das damalige Geſchlecht der Menſchen ſich nur erſt uͤber einen geringen Theil der alten Welt ausgebreitet hatte, und daß jenes große Grab, das die Gewaͤſſer dem untergegangenen Urvolk erbaueten, dereinſt an den bluͤhenden Quellen des Ganges oder In - dus gefunden wird.

Außer dieſem hat vielleicht auch die leichtere Zer - ſtoͤrbarkeit des menſchlichen Koͤrpers, worinnen ſich dieſer vor allen groͤßern Thieren auszeichnet, die Ueber - reſte jener fruͤheren Voͤlker ſpaͤteren Nachforſchungen entzogen. Man hat zwar allerdings menſchliche Koͤr - per zu Mumien ausgetrocknet, lange Jahrtauſende aufbewahrt, bey einiger Beguͤuſtigung aber von215 außen, wie die des Waſſers oder der feuch - ten Luft, verweſt der Leichnam des Menſchen viel ſchneller als der der Thiere, unter Knochen von ver - ſchiedenen Arten, zerfallen die menſchlichen am erſten, und die Natur ſcheint durch den groͤßeren Phosphorge - halt ſeines Koͤrpers, fuͤr ihren Liebling, den Men - ſchen, die Zeit der letzten Verwandlung verkuͤrzt zu haben. Ja es ſcheinen jene aͤußeren Einfluͤſſe, welche die Verweſung von den thieriſchen Koͤrpern der fruͤhern Weltperioden, ſo lange Jahrtauſende abgehalten ha - ben, nicht hinreichend, um der Zerſtoͤrung des menſchli - chen eine viel kuͤrzere Zeit zu wehren. In dem Gips und Salzgebirge des noͤrdlichen Frankreichs, ſind die Gebeine einiger Landthiere noch ziemlich wohl erhalten, dagegen ſahe man jenen im Salzburgiſchen gefundenen menſchlichen Koͤrper, der vielleicht ſeit einigen Jahr - hunderten in einer aͤhnlichen Salz und Gipsaufloͤſung, als die, woraus die erwaͤhuten Gebirge entſtunden, gelegen, ſchon nach einigen Tagen an der Luft zer - fließen.

Auf gleiche Weiſe zerfiel auch jener merkwuͤrdige Leichnam, von welchem Huͤlpher, Cronſtedt und die ſchwediſchen gelehrten Tagebuͤcher erzaͤhlen, in eine Art von Aſche, nachdem man ihn, dem Anſcheine nach in feſten Stein verwandelt, unter einem Glas - ſchrank vergeblich vor dem Zutritt der Luft geſichert hatte. Man fand dieſen ehemaligen Bergmann, in der ſchwediſchen Eiſengrube zu Falun, als zwiſchen216 zween Schachten ein Durchſchlag verſucht wurde. Der Leichnam, ganz mit Eiſenvitriol durchdrungen, war Anfangs weich, wurde aber, ſo bald man ihn an die Luft gebracht, ſo hart als Stein. Funfzig Jahre hatte derſelbe in einer Tiefe von 300 Ellen, in jenem Vitriolwaſſer gelegen, und niemand haͤtte die noch un - veraͤnderten Geſichtszuͤge des verungluͤckten Juͤnglings erkannt, niemand die Zeit, ſeit welcher er in dem Schachte gelegen, gewußt, da die Bergchronicken ſo wie die Volksſagen bey der Menge der Ungluͤcksfaͤlle in Ungewißheit waren, haͤtte nicht das Andenken der ehe - mals geliebten Zuͤge eine alte treue Liebe bewahrt. Denn als um den kaum hervorgezogenen Leichnam, das Volk, die unbekannten jugendlichen Geſichtszuͤge be - trachtend ſteht, da koͤmmt an Kruͤcken und mit grauem Haar ein altes Muͤtterchen, mit Thraͤnen uͤber den ge - liebten Toden, der ihr verlobter Braͤutigam geweſen, hinſinkend, die Stunde ſegnend, da ihr noch an den Pforten des Grabes ein ſolches Wiederſehen gegoͤnnt war, und das Volk ſahe mit Verwunderung die Wie - dervereinigung dieſes ſeltnen Paares, davon das Eine, im Tode und in tiefer Gruft das jugendliche Ausſehen, das Andre, bey dem Verwelken und Veralten des Leibes die jugendliche Liebe, treu und unveraͤndert erhalten hatte, und wie bey der 50jaͤhrigen Silberhochzeit der noch jugendliche Braͤutigam ſtarr und kalt, die al - te und graue Braut voll warmer Liebe gefunden wurden.

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Andre Beyſpiele von lange unverweſten Leichnamen, welche an der Luft ſehr ſchnell zerſtoͤrt wurden, kann man in meiner Geſchichte der Verweſung leſen. Es muß daher ſelbſt dieſe leichtere Verwesbarkeit der menſchlichen Koͤrper, dieſe, wenn in den Niederſchlaͤ - gen der Fluthen - welche ihr Grab fanden, viel ſelt - ner gemacht haben, als die der Thiere, und wir duͤr - fen es aus einigen wenigen negativen Beobachtungen nicht geradezu laͤugnen, daß zu jener Zeit Menſchen vorhanden waren. Um ſo mehr da ſich viele von jenen Thieren, welche wie es ſcheint, dem Menſchen in der Reihe der Weſen am naͤchſten ſtehen, in den Gebirgen und Sandlagern jener Perioden finden. So iſt der Elephant, wie aus den vielen Ueberreſten dieſes Thier - geſchlechts erhellet, in jenen Zeiten ungemein haͤufig verbreitet geweſen. Mit ihm zugleich findet fich das Nashorn und der indiſche Buͤffel, der Tapir und das Flußpferd, Antilopen und andre vierfuͤſſige Thiere der Wendekreiße unter den juͤngern Gebirgsſchichten der noͤrdlichen Welt begraben. Einige von den Thierar - ten, welche mit dieſen als Verſteinerung gefunden wer - den, ſind nun untergegangen. So jenes merkwuͤrdi - ge Thier von Cuvier beſchrieben, das in einigen Zuͤ - gen, beſonders in dem Bau und Verhaͤltnis ſeiner Zaͤhne, welches bekanntlich in der Charakteriſtik der Thiere von hoͤchſter Wichtigkeit und Bedeutung iſt, eine ſo nahe Aehnlichkeit mit dem Menſchen hat, wie kein andres jetzt lebendes Thier, ſelbſt die Affen nicht. So ſind auch jene merkwuͤrdigen Thierarten unterge -218 gangen, welche in der Einrichtung ihres Gerippes dem Faulthier gleichen, und deren einige von der Groͤße des Nashorns, andre von der Groͤße des Pferdes, andre noch kleiner waren. Wir ſehen von allen dieſen zahl - reichen, und in Hinſicht ihres Baues einzigen Thier - gattungen, in der ganzen Natur nichts Aehnliches mehr, außer in dem Ai und Unau, und ein neuerer Natur - forſcher bemerkt mit Recht, daß dieſe ungluͤckſeelig - ſten und traͤgeſten Thiere unter allen, darum mit dem Angeſicht und der Kraftloſigkeit der Greiſe gebohren wuͤrden, weil ihr Geſchlecht, ein trauriger und veral - teter Ueberreſt einer fruͤheren Zeit, in die Reihe der jetzi - gen Weſen nicht hineinpaſſe, und gleichſam unwillig, wie Greiſe, denen unter den Zeitgenoſſen keine Gefaͤhr - ten und Zeugen ihrer Jugend mehr uͤbrig geblieben, in dieſe fremdartige Natur hineinſaͤhe.

Merkwuͤrdig iſt es, daß alle, oder doch faſt alle Landthiere, deren Gerippe aus jener Zeit uͤbrig geblie - ben, Pflanzenfreſſende ſind. Denn jene Gebeine von Baͤren, die man in den Kalkhoͤhlen zu Gaͤylenreuth, Scharzfeld und anderwaͤrts gefunden hat, ſind offen - bar aus einer viel juͤngeren Zeit, und wenn ſie uͤber - haupt durch eine Fluth umkamen, ſo war dies eine viel ſpaͤtere, blos oͤrtliche. Denn ſie liegen weder verſteinert noch ſelbſt zum Theil nur von dem herabſin - ternden Waſſer incruſtirt, frey in den Hoͤhlen, wohin ſich die Thiere vielleicht bey einer ſolchen oͤrtlichen Fluth wie die Cimbriſche, gerettet hatten. Zwar hat man219 die Ueberreſte einer Art von Elephanten gefunden, welche ſich im Bau der Zaͤhne den fleiſchfreſſenden Thie - ren naͤherte, allein man hat mit Recht bemerkt, daß ſowohl die Schwerfaͤlligkeit des Baues, als der Ruͤßel, der doch das einzige Organ iſt, mit deſſen Huͤlfe der Elephant Speiſe nehmen kann, dieſes Thier hoͤchſtens zum Fiſchfang faͤhig gemacht haben. Die Gebeine aus der Scharzfelder Hoͤhle, die man fuͤr die einer Art von Loͤwen gehalten, werden neuerdings fuͤr die eines Seehunds oder eines aͤhnlichen Thieres anerkannt. Es waͤre doch zu verwundern, wenn unter den vielen Ueberreſten von großen Landthieren einer ſuͤdlichen Zo - ne, welche jetzt an Raubthieren Ueberfluß hat, nicht von einem einzigen Fleiſchfreſſenden Thiere jener Clima - ten Spuren gefunden wuͤrden, wenn uͤberhaupt welche vorhanden geweſen waͤren. Wir werden aber ſpaͤter noch andre Thatſachen anfuͤhren, die es wahrſcheinlich machen, daß die Pflanzeneſſenden Thiere vor dem Menſchen, die Fleiſchfreſſenden ſammt den Affen nach dem Menſchen entſtanden ſind, und daß der Menſch zwar das oberſte Glied der ganzen Schoͤpfung ſey, daß es aber eben ſowohl von ihm hinabwaͤrts eine gleichſam zuruͤckſinkende Thierreihe gaͤbe, als es eine zu ihm hinaufſteigende giebt. Jene anjetzt ganz un - tergegangene Menſchenart, von welcher noch einige Individuen unter den egyptiſchen Mumien erhalten ſind, unterſcheidet ſich nicht blos im Bau der Stirne, der Naſe, der Backenknochen und durch die wie nach Galls Schaͤdellehre bey den Pflanzenfreſſenden Thie -220 ren, weiter nach voruen und hoͤher liegenden Ohren vor allen Varietaͤten des jetzigen Menſchengeſchlechts, ſon - dern ſelbſt darin, worin ſich die Menſchen in allen Zo - nen gleich ſind, und was fuͤr den natuͤrlichen Charak - ter des ganzen Geſchlechts gehalten wird, in dem Bau der Zaͤhne, weichen ſie gaͤnzlich ab. Es ſind naͤhm - lich die Eckzaͤhne, die wir mit den Raubthieren gemein haben, von den Backzaͤhnen nicht zu unterſcheiden, und auch die Schneidezaͤhne haben platte Kronen. Dieſes, wahrſcheinlich aͤlteſte Menſchengeſchlecht, iſt demnach blos Pflanzeneſſend geweſen, und auch in der Geſchichte des Menſchen wie in der der vollkommneren Thiere, iſt das Leben von Vegetabilien aͤlter geweſen als das vom Raube.

So wie jene Pfianzenfreſſenden Thiere an koͤrper - licher Groͤße und Maſſe das juͤngere Geſchlecht der Raubthiere weit uͤbertreffen, ſo zeichnen ſich uͤberhaupt alle Bildungen jener fruͤheren Zeit durch eine viel groͤße - re Maſſe vor den jetzigen aus. Wo kann die jetzige Natur Elephanten von jener ungeheuren Groͤße auf - weiſen, wie diejenigen, deren Ueberreſte noch in den Gebirgen der noͤrdlichen Welt gefunden werden? Jene Hirſche, deren Geweihe ſich, wie an den in Irrland gefundenen Schedeln, gegen 11 Fuß ausbreiteten, oder von denen das Geweih, wie jenes bey Worms gefun - dene, gegen 50 Pfund wog, jene Tapire, welche das Nashorn noch um den 4ten Theil an Groͤße uͤbertref - fen, jene indiſchen Buͤffel, die noch viel groͤßer gewe -221 ſen ſeyn muͤſſen, als der amerikaniſche Biſon, haben jetzt unter ihren Geſchlechtern nichts aufzuweiſen, das ihnen gliche. Man wird faſt bewogen, auch in der Vorwelt unſres Geſchlechts an Rieſen zu glauben, und obgleich viele von den Faͤllen, die man in neuerer Zeit, unter andern bey Calmet aus der alten Geſchichte ge - ſammlet findet, ſehr zweifelhaft ſcheinen, ſo laͤßt ſich doch nicht gegen alle etwas Gruͤndliches einwenden. Von ſehr zweifelhafter Art iſt die Geſchichte jenes Rie - ſengerippes, welches wegen einer nahen Inſchrift dem altdeutſchen Koͤnig Theutobochus zugeſchrieben wurde, und das den Denkſchriften von Trevour zu Folge gegen 13 Ellen lang und um die Schultern 5 Ellen breit war, obgleich dieſer Rieſe gegen jenen, deſſen Gerippe in der Gegend von Smyrna hinter einer Mauer ausgegraben ſeyn ſol[lte,]und den man im franzoͤſiſchen Mercur vom Jahr 1727 beſchrieben findet, nur ein kleiner Zwerg geweſen waͤre.

Auch an Menge der Individuen hat das Thierreich, an Ueppigkeit der Vegetation, das Pflanzenreich jener Zeit, vor denen jetzigen einen ungemeinen Vorzug ge - habt. Wo faͤnden ſich jetzt noch ſolche ungeheure Heer - den von Elephanten, wie die, deren Gebeine im noͤrd - lichen Amerika und in Sibirien ganze kleine Berge bil - den, wo jene unzaͤhligen indiſchen Buͤffel und Nashoͤr - ner, aus deren Ueberreſten, mit denen der Elephan - ten vermiſcht, Cap. Billings im noͤrdlichen Eismeer222 ganze Inſeln gebildet fand? Ueberall wo, beſonders in dem noͤrdlichſten Theil von Sibirien, das jetzt nur an der Oberflaͤche aufthauende Land etwas entbloͤſt wird, ſieht man Ueberreſte von jenen Thieren hervor - ragen; ſo daß das Volk ſie fuͤr die Gebeine von Unge - heuern haͤlt, welche wie der Maulwurf und einige Wuͤrmer, tief unter der Erde lebten, und ſich nur zu - weilen nach der Oberflaͤche herauf wuͤhlten. Das mei - ſte und beſte Elfenbein das in Europa verarbeitet wird, kommt von den in dem noͤrdlichſten Sibirien ausgegra - benen Elephantenzaͤhnen. So findet ſich auch jetzt in den Waͤldern großer Laͤnderſtriche nicht ſo viel Holz mehr, als nur einzelne Berge derſelben in Steinkohlen verwandelt enthalten. Dieſe Bemerkung hat man un - ter andern von Heſſen gemacht. Wo finden ſich auch jetzt, ſelbſt in den fruchtbarſten Gegenden der Wende - kreiße, ſolche unermeßliche Waldungen, wie die gewe - ſen ſeyn muͤſſen, deren Kohlen ganz Island bis zu ei - ner ungemeinen Tiefe erfuͤllen? Einen großen Theil dieſer verkohlten Holzmaſſen, die ſich in allen Laͤndern der noͤrdlichen Welt finden, haben Erdbraͤnde verzehrt, andre ſtreben aus ihren Graͤbern, die ſie in vulkani - ſchen Bergen gefunden, durch gewaltſame Ausbruͤche hervor, doch hat uns nach dieſem allen die Vorwelt noch einen ſo großen Vorrath ehemaliger Waͤlder auf - bewahrt, daß dieſe in einigen Laͤndern dem bloßen Be - duͤrfniß der Einwohner auf viele Jahrhunderte hinrei - chen koͤnnen.

223

Alle Ueberreſte von Pflanzen, welche in den noͤrd - lichen Laͤndern wirklich aus jener Zeit herruͤhren, und nicht etwa durch ſpaͤtere, blos oͤrtliche Fluthen im Sand verſchlemmt worden, ſind denen aͤhnlich, die wir jetzt nur zwiſchen den Wendekreißen finden. Baumartige Farrenkraͤuter, hohe Palmenbaͤume, wer - den als ehedem einheimiſche Gewaͤchſe nicht allein in Deutſchland und beſonders in den Rheingegenden, ſon - dern bis hinauf an den noͤrdlichen Polarkreis gefunden. Ja ſelbſt Sibirien hat Ebenholz und Zuckerrohrartige Gewaͤchſe, anjetzt Verſteinerungen geworden, aufzu - weiſen. Die ganze Natur der noͤrdlichen Welt hat ſeit - dem eine veraͤnderte Geſtalt angenommen. Wir fin - den in Frankreich, der Schweiz und Deutſchland, Fiſch - und Schneckenverſteinerungen, deren Originale jetzt nur im indiſchen Meere wohnen, die Fluͤſſe von Deutſchland ſo wie ſelbſt die des noͤrdlichen Sibiriens, haben Crocodile und Flußpferde enthalten; in Deutſch - land weideten ſo haͤufige Heerden von Elephanten, daß man, unter andern in der obern Grafſchaft Katzenel - lenbogen, in einem Umkreiß von wenig Stunden die Ge - rippe von mehr als 50 Stuͤck gefunden. Irrland und England, Pohlen, Island, das noͤrdliche Rußland und Sibirien, ſo wie das noͤrdlichſte Amerika, ſind voll geweſen von den meiſten Pflanzenfreſſenden Thieren der Wendekreiße, und wo jetzt ſelbſt die Birke nicht mehr gut gedeihen will, finden ſich die Ueberreſte von Palmenwaͤldern. Dieſe Thiere koͤnnen nicht durch Zu - fall dahin gerathen ſeyn, am wenigſten durch Kriege,224 da niemand noch gehoͤrt hat, daß Krocodile, Fluß - pferde, Nashoͤrner und aͤhnliche Thiere im Krieg ge - braucht worden waͤren. Oefters hat man Spuren ge - funden, daß jene Thiere in ganzen Heerden, die Al - ten mit den Jungen, von der ſchnell uͤberhandnehmen - den Fluth auf der Weide ergriffen wurden. Jener Kalktuff mit vielen Abdruͤcken auslandiſcher Sumpf - gewaͤchſe, wo man in Sibirien oͤfters die Gerippe von ganzen Elephantenheerden gefunden hat, iſt damals Sumpf geweſen, wo dieſe Thiere noch jetzt zu weiden pflegen.

Auch von einer Fluth die von Suͤden herkam, koͤnnen jene Weſen der ſuͤdlichen Laͤnder nicht nach Nor - den heraufgefuͤhrt ſeyn. Es iſt gaͤnzlich falſch anzu - nehmen, daß die Fluthen aus Suͤden gekommen waͤ - ren, vielmehr haben ſie, wo ſie nicht durch beſondre Umſtaͤnde von dieſer Richtung abgelenkt worden, ei - nen faſt umgekehrten Lauf, den von Nordoſt nach Suͤd - weſt genommen. Denn der ſteile Abfall nicht blos al - ler großen, ſondern auch der meiſten mittleren und klei - nen Gebirge iſt nach Suͤdweſt, das allmaͤlige Anſtei - gen nach Nordoſt, welches Verhaͤltniß, beylaͤufig, auch auf dem Monde beobachtet wird. Man findet im noͤrdlichen Aſien die Ueberreſte der ehemaligen Thier und Pflanzenwelt, blos unter den obern Lagern der Steppen und Ebenen, bis hinan zu dem huͤglichen Land, das die letzte Graͤnze des noͤrdlichen Abfalls des hohen Gebirgsruͤckens bildet; ein ſehr großer Theil des225 mitlern Aſiens, der meiſt aus reinen Urgebirgen be - ſteht, iſt von jener Fluth gar nicht beruͤhrt worden, ſondern hat frey uͤber dieſelbe emporgeſtanden, ſo wie auch anderwaͤrts die Gewaͤſſer, aus welchen die Floͤz - gebirge gebildet ſind, nicht an die hoͤheren Gebirgsruͤ - cken hinanreichten. Ein mehr als hundert Meilen breiter Damm hinderte mithin das Anſtroͤmen einer Fluth aus dem ſuͤdlichen Aſien ins noͤrdliche. Ueber - dies iſt es ganz unwahrſcheinlich, daß ſich bey einem ſolchen langen Umherfluthen jene Thiergerippe ſo wohl erhalten haͤtten, wie ſie noch oft gefunden werden, daß Mutter und Junges, ſo wie ganze Heerden bey - ſammen geblieben waͤren, oder daß ſich ſogar einige von ihnen, wie das junge Nashorn, das man in Si - birien ausgrub, noch mit Fell und Haaren, und mit dem nur zum Theil verdorbenen Fleiſch haͤtten erhalten koͤnnen.

Auch die Erdaxe kann, dieſes iſt die letzte Hypo - theſe, durch welche man jene Thatſachen zu erklaͤren geſucht hat, ihre Lage nicht ſo ſehr veraͤndert haben, daß der Aequator durch die Gegend der jetzigen Pole gieng.

Die Erde wird auch, ſeit ihrem Entſtehen, nie ohne eine der jetzigen aͤhnliche Neigung ihrer Axe gewe - ſen ſeyn, und dieſe kann in gewiſſen großen Perioden nur wenig zu oder abnehmen. Wir haben geſehen, daß die Richtung der Erdaxe ſeit den aͤlteſten aſtrono -P226miſchen Beobachtungen, mithin ſeit etwa ſechstauſend Jahren, ſich nur um anderthalb Grad veraͤndert hat, und es iſt wahrſcheinlich, daß die Abnahme der Schie - fe der Eclipfik ihre Graͤnzen habe, jenſeit welcher ſie wiederum zunimmt. Ich habe ſchon anderwaͤrts darauf aufmerkſam gemacht, daß die Neigung der Erdaxe mit andern Naturverhaͤltniſſen unſers Planeten in einer in - nigen Harmonie ſtehe, und daß, wenn dieſes aſtrono - miſche Element ein andres werden ſollte, auch das Verhaͤltnis der Erde zur Sonne und zum Mond ſich zu - gleich veraͤndern muͤßte.

Außer dieſem muͤßte ſich der ehemalige Aequator ſo wie der jetzige durch jene groͤßere Hoͤhe der Gebirge auszeichnen, welche durch den taͤglichen Umſchwung der noch fluͤſſigen Maſſe erzeugt wird, und die Abplat - tung an den Polen, welche ſchon den aͤlteſten Urgebir - gen, die viele Weltenalter vor jener Naturbegebenheit vorhanden waren, eingedruͤckt iſt, koͤnnte nicht ſtatt finden.

Es bleibt uns mithin nichts anders zur Erklaͤrung uͤbrig, als die Annahme, daß die Erde vor Zeiten waͤrmer geweſen ſey. Wir haben ſchon fruͤher den Grund davon in einer dichteren Atmosphaͤre gefunden. Die Schneelinie, welche jetzt in jenem Clima ſchon durch die Hoͤhe von 8000 Fuß erreicht iſt, muß vor Zeiten in der Schweiz uͤber ein halbmal ſo hoch gelegen haben, mithin dieſes Land um mehr als ein halbmal waͤr -227 mer geweſen ſeyn, da man mehr als 4000 Fuß uͤber der Region, wo jetzt noch Baͤume wachſen koͤnnen, er - hoͤht, große, noch unveraͤnderte Baumſtaͤmme findet. Dieſe Thatſache iſt unter andern von dem Alpenberge Stella bekannt. Das Eis der Gletſcher nimmt auch nach einer durchgaͤngigen Erfahrung der Einge - bohrnen mit jedem Jahre zu, und ehehin gruͤne Wie - ſen ſind jetzt von Eisflaͤchen verdraͤngt, ſo wie das noch vor einigen Jahrhunderten bluͤhende Groͤnland, jetzt eine traurige Wildniß voller Schnee und Eis iſt, wie die noch vor einem Menſchenalter freyen Haͤfen noͤrdlicher Kuͤſten jetzt von Eis verſperrt ſind, und von Norden abwaͤrts, ein Wald nach dem andern aus - ſtirbt, ohne daß die Beduͤrfniſſe des Menſchen der ver - nichtenden Natur vorgriffen.

Es muß auch nach dem Suͤdpol hin vor Zeiten das Land von uͤppiger Vegetation und einer reichen Thierwelt geſchmuͤckt geweſen ſeyn. Zwar hat man auf dem Feuerland und den angraͤnzenden Gegenden nach Verſteinerungen noch nicht nachſuchen koͤnnen, da ſelbſt in den langen Sommertagen dieſes traurige Land, das die ſchaffende Natur zu verlaſſen anfaͤngt, von oͤfteren Schnee erſtarrt, man hat aber faſt auf jeder Seereiſe in dieſes Clima, die ſchwarzen und kah - len Klippen jener Wildniß von haͤufigen vulkaniſchen Feuer rauchen ſehen, und das zerſpaltene jaͤhe Ausſe - hen der Felſen ſpricht von einer langen Arbeit der Vul - kane. Dieſes Eyland ſcheint mithin an Brennmate -P 2228rialien, und an Fuͤlle der Vorraͤthe, die aus einer fruͤ - heren Vegetation erhalten ſind, Island nichts nachzu - geben.

Der Menſch allein, wenn die Weſen aller Art der veraͤnderten Welt entfliehen, und die ganze lebende Natur ſich zum Hinwegziehen ruͤſtet, bleibt noch zuletzt auf den einſamen Truͤmmern zuruͤck, weil die Liebe und die alte Anhaͤnglichkeit des Gemuͤths die ſtarren Felſen ver - ſchoͤnern. Andre Weſen ſehen die Welt nur in ihrem natuͤrlichen Reiz, der Geiſt des Menſchen fuͤgt dieſem noch einen neuen Schimmer hinzu. So iſt jetzt jene nordiſche Nachtigall, deren einfach klagende Toͤne die Reiſenden fruͤher Jahrhunderte beſchrieben, ſammt den dunkelgruͤnen Waͤldern, und den Roſenlauben, aus Island verſchwunden. Auf oͤdem Gebirge, welchem der Sommer jetzt kein gruͤnes Laub ſondern nur Gras und Blumen zuruͤckbringt, ſingt der Menſch noch im - mer froͤlich, den allgemeinen Verfall nicht bemerkend, die alten Lieder ſeiner Vaͤter, von jenen anjetzt ver - ſchwundenen Lauben, dem tiefen Gruͤn und dem Geſang der Nachtigall.

229

Neunte Vorleſung. Das Pflanzenreich.

Wenn ſich auch in einigen aͤußeren Verhaͤltniſſen zwi - ſchen dem wie es ſcheint, zunaͤchſt anſtehenden Pflan - zenreich, und der anorganiſchen Welt der Gebirge, ge - wiſſe Aehnlichkeiten faͤnden, ſo zeigt ſich doch gleich in einer Hinſicht, welche zuerſt in die Sinnen faͤllt, eine ſehr tiefgehende Verſchiedenheit.

Es iſt die anorganiſche Koͤrperwelt nichts fuͤr ſich allein, ſondern nur in Beziehung auf das Erdganze, und wo ſie ihre ſchoͤnſten Bluͤthen entfaltet iſt es doch nur ein Schein von ſelbſtſtaͤndiger Individualitaͤt, zu welchem ſie zu gelangen vermag. Wenn auch die Ver - ſchiedenheit der aͤußern Einfluͤſſe, welche von dem Weltganzen auf die Erde geſchahen, ſich in den verſchiednen Gebirgsbildungen der einzelnen Weltpe - rioden verkuͤndet; ſo konnten doch jederzeit dieſe hoͤheren Einfluͤſſe ſich der einzelnen Maſſe nur durch das Erdganze mittheilen; es war die Erde, welche230 afficirt worden, und das Einzelne nahm nur mittelſt der Vereinigung mit ihr an jener Affection Theil. Es wird daher in allen Theilen der Erde, von den Kuͤſten des Feuerlandes bis an die Groͤnlaͤndiſchen Huͤgel, von den ſuͤdlichſten Inſeln des indiſchen Meeres bis an die noͤrdlichſte Kuͤſte von Aſien, derſelbe Granit oder Gneis, derſelbe Baſalt auf Ceylon und auf Island u. ſ. w. gefunden, ein Zeichen, daß uͤberall nur durch dieſelbe Erde, durch dieſes Eine Ganze gewirkt wurde. Ja ſelbſt wo noch jetzt große Veraͤnderungen dem Anſchein nach in einem einzelnen Theil der anorganiſchen Welt vor ſich gehen, ſehen wir ſogleich das Erdganze daran Theil nehmen, und kein einzelner Theil vermag fuͤr ſich allein, ſondern nur in Verbindung mit dem Gan - zen bedeutende[Veraͤnderungen] zu erleiden. Wir ſehen dieſes vornehmlich bey bedeutenden Ausbruͤchen der Vulkane, wo durch eine tiefe Sympathie die zu aͤhnli - chen innern Bewegungen geneigten Gegenden der ent - fernteſten Erdſtrecken zugleich mit afficirt werden, wel - che Mitleidenſchaft, nur zum Theil durch die Atmos - phaͤre, durch die jenem Oxydationsproceß guͤnſtiger ge - wordne Stimmung derſelben, bewirkt werden kann.

Dagegen zeigt ſich in der organiſchen Welt die Er - de auf einmal wie von einem neuen fremden Willen, von dem Einfluß der Sonne ergriffen. Schon die Ve - getation gehoͤrt nicht mehr der Erde allein, ſondern dem Einfluß eines hoͤhern Weltganzen an, der ſich nun vermittelſt der Atmosphaͤre nicht mehr blos der gan -231 zen Erde, ſondern dem einzelnen Daſeyn unmittelbar mittheilt. Waͤhrend daher die Bildungen der anorgani - ſchen Welt uͤberall als dieſelben erſcheinen, iſt die Pflanzenwelt in jedem Theil, ja faſt in jeder kleinen Gegend der Erde eine andre. Nur in Gegenden wo der Einfluß der Sonne geringer iſt, nach den Polen hin, oder auf hohen Gebuͤrgsruͤcken, ſieht man, wie noch neuerlich Humbold erinnert, einfoͤrmig, in unzaͤhli - gen Individuen, einzelne Pflanzengeſchlechter ganze Erdſtrecken ausſchließend bewohnen; naͤher nach dem Aequator, oder nach den waͤrmeren Gegenden des Fuſ - ſes der Gebirge hin, ſtehen die mannigfaltigſten Pflan - zenarten untereinander gemiſcht, und jeder Huͤgel, je - des Thal, traͤgt ſeine eignen Kraͤuter.

So ſpricht ſich die Verſchiedenheit der einzelnen Gegenden, gegruͤndet auf die verſchiednen Modificatio - nen, welche die Einwirkung der Sonne durch die Um - gebungen der Berge und des Waſſers, und im Allge - meinen durch ihre Lage unter verſchiednen Graden der Breite erleidet, deutlich in den verſchiednen Pflanzen aus, welche ſie tragen.

Aber nicht blos die Beziehung einzelner Gegen - den der Erde auf die Sonne im Allgemeinen, ſondern jene beſondre und in jedem Augenblick ſich veraͤndernde, in welcher dieſelben in verſchiednen Zeiten mit der Son - ne ſtehen, oder mit andern Worten die nie fuͤr die gan - ze Erde ſondern nur fuͤr einzelne Theile gleichzeitig ſtatt232 findende Veraͤndrung der Tages - und Jahreszeiten, zu - gleich aber auch wie aus einigen ſcheint, ſelbſt die der groͤßern Weltperioden, wie ſie ſich einzelnen Erdſtri - chen darſtellen, ſpricht ſich in den Bildungen des Pflan - zenreichs aus. So wird in der ganzen Pflanzenwelt uͤberall derſelbe hoͤhere Einfluß der Sonne, in allen ſeinen verſchiedenen Geſtalten, in allen ſeinen Modifi - cationen durch Raum und Zeit ausgeſprochen.

Bekanntlich haben viele Blumen die Eigenſchaft, ihre Kronen zu gewiſſen Stunden des Tages zu ſchlieſ - ſen und zu oͤffnen. Die Stunden des Erwachens und des Wiedereinſchlummerns (was ſich damit ausſpricht) ſind bey verſchiednen verſchieden, einige oͤffnen ſich ſchon gegen Sonnenaufgang und ſchließen ſich ſpaͤt, andre oͤffnen ſich nur den Strahlen der heißeſten Mit - tagsſtunden, noch andre ſchließen ſich dann ſchon wie - der. Man hat hieraus eine Blumenuhr zuſammenge - ſetzt, wo aus dem allmaͤligen Erwachen und Wieder - einſchlummern der einzelnen Blumen auf die verſchied - nen Tageszeiten geſchloſſen wird. So hat auch jeder Monat, ja in Jahren von beſtaͤndiger Witterung bey uns, ſtets aber zwiſchen den Wendekreißen, jede Woche ihre beſondern Kraͤuter, welche dann in der Bluͤthe ſte - hen, und man wuͤrde in jenen Gegenden einen einfa - chen und untruͤglichen Blumenkalender bilden koͤnnen. Wir ſehen in vorzuͤglich feuchten oder heißen Jahren gewiſſe Gegenden voller Kraͤuter, von denen in andern Jahren keine Spur da war. Man hat dieſes be -233 ſonders auf Aeckern, an einigen Arten von Unkraut be - merkt. Einige ſind wenigſtens in Hinſicht der Haͤufig - keit, in welcher ſie erſcheinen, an die allgemeine Stim - mung der Witterung einzelner Jahre gebunden, und ſo wird in der Vegetation, und in den bunten Zuͤgen ihrer Blumen die Geſchichte der Zeiten und der in ihnen herrſchenden Stimmung beſchrieben.

Ja ſelbſt die Modificationen des Einfluſſes der Sonne auf gewiſſe Gegenden, die noch kuͤnftig geſche - hen ſollen, werden oͤfters ſchon durch das Pflanzenreich voraus verkuͤndigt. Man erkennt in der Weiſe des Bluͤhens einiger Pflanzen die Witterung der noch kuͤnf - tigen Jahreszeiten. So wiſſen die Jaͤger und Land - leute aus dem Bluͤhen des Heydekrauts im Herbſte, die Strenge des darauf folgenden Winters zu beſtim - men, und irren ſich hierinnen ſelten. Jener empfind - liche Strauch in Suͤdamerika, von welchem Humbold erzaͤhlt, verkuͤndigt durch das Oeffnen oder Zuſammen - falten ſeiner Blaͤtter ſicherer als irgend ein Wetterglas die kuͤnftigen Witterungsveraͤnderungen voraus.

Aber auch groͤßere Zeitraͤume, ſcheinen wie die kleineren durch das Erſcheinen oder Verſchwinden ge - wiſſer Pflanzengattungen angezeigt zu werden. Man hat hierauf ſchon von mehreren Seiten aufmerkſam ge - macht, und jene Pflanzen zum Beyſpiel angefuͤhrt, welche von den ſorgfaͤltigſten Botanikern auf den gan - zen beſuchten Theil der Erde nur einmal gefunden wor -234 den ſind. Merkwuͤrdiger als die gewoͤhnlich angefuͤhr - ten kleinen Kraͤuter, davon einige die man in ſehr ent - legenen und wenig beſuchten Laͤndern gefunden, viel - leicht ſchon deshalb ſo ſelten ſcheinen koͤnnten, ſind je - ne Baͤume, von denen es wahrſcheinlich nur Ein In - dividuum auf der Erde giebt.

Es gehoͤrt hierhin der ungeheure Baum von Tolu - ea der in ſeinem Bau und den Verhaͤltniſſen ſeiner Bluͤthentheile ſich ſo ſehr vor allen bekannten Pflanzen auszeichnet, und in der jetzigen Pflanzenwelt eben ſo als Fremdling, als Uebriggebliebner einer fernen Vor - zeit daſteht, als das Faulthier in der Thierwelt. Dieſer merkwuͤrdige Baum, iſt, ſeiner Rieſengroͤße nach zu ſchließen, von einem ungeheuren Alter, und nebſt dem bekannten Baume Bacbab in Senegambien, und zwey andern Rieſenbaͤumen der bekannten Welt, gehoͤrt er un - ter die aͤlteſten Bewohner unſers Planeten. Nahe an den Mauern von Toluca, in einer Hoͤhe wo jetzt keine hohen Baͤume mehr wachſen koͤnnen, ſteht dieſer Fremd - ling einer fernen Vorzeit, noch einzig in ſeiner Art. Und wenn jene juͤngeren Individuen, die man, wie - wohl in allen nur zwey, in Guatimala gefunden, von derſelben oder einer aͤhnlichen Art ſind, ſo verkuͤnden ſie vielleicht nur, daß dieſes alte, ſchon einmal ver - draͤngte Geſchlecht, von neuem in dem Kreiße der or - ganiſchen Welt wieder erſcheine, den es vielleicht in großen Perioden verlaͤßt und wieder betritt.

235

So iſt das Erſte, was uns im Pflanzenreich, und uͤberhaupt in der Welt des Organiſchen begegnet, jene Uebereinſtimmung der Lebensperioden der Einzelnen und ganzen Geſchlechter derſelben, mit den kleinern und groͤßern Naturperioden. Wie der Stand der Son - ne von den Blumen durch die Zeiten ihres Erwachens und Wiedereinſchlummerns angezeigt wird, einige in den Stunden der Nacht, andre in beſtimmten Zeiten des Tages das ſtille Feſt ihrer Blumenliebe feyern, ſo verkuͤndigen ſie auch durch ihr Wiedererſcheinen die Zei - ten des Jahres, ja den Verlauf groͤßrer Perioden, wel - che uͤber das Alter des Menſchen, und vielleicht uͤber die Beobachtungen eines einzelnen Jahrhunderts weit hinausreichen. Auf dieſe Weiſe knuͤpfen wir das orga - niſche Leben ſchon von einer Seite, obgleich nur aͤußer - lich, an die Erſcheinungen des Magnetismus, der Elek - tricitaͤt und des Lichtes an, von welchen wir eine aͤhn - liche Uebereinſtimmung der Perioden, an welche ihre Veraͤnderungen gebunden ſind, mit den Zeitraͤumen der ganzen Natur, fruͤher erwaͤhnt haben.

Das Leben zeigt ſich ſo zuerſt als kosmiſche Er - ſcheinung, bey welcher ſich das Einzelne ſelbſtſtaͤndig und unmittelbar von demſelben Geiſt des Lebens ergrif - fen zeigt, welcher die ganze Natur bewegt. Das Einſtimmen in die Harmonie der allgemeinen Wechſel - wirkung der Weltkraͤfte, iſt das Leben.

Die einzelne Pflanze iſt nicht in jedem Moment ih - res Daſeyns in einer gleich deutlichen Harmonie mit236 dem hoͤheren Weltganzen. Am ſchoͤnſten zeigt ſich die - ſe, in der Zeit ihrer Liebe, in der Zeit des Bluͤhens, und wir ſehen dann auch zugleich die Pflanzen nach ei - ner andern Seite hin in eine merkwuͤrdige Beziehung und Sympathie mit ihren Umgebungen treten, welche noch mehr die Selbſtſtaͤndigkeit ihres Lebens und die unmittelbare Wechſelwirkung mit dem aͤußern Einfluß bezeugen. Erſt die Bluͤthen empfangen bey den mei - ſten Pflanzen die Eigenſchaft des Schlummers, und die Empfindlichkeit gegen Beruͤhrungen. Erſt in der Zeit des Bluͤhens tritt jene merkwuͤrdige Sympathie mit dem Thierreich, vornehmlich mit dem Reiche der Inſekten ein, welche, wenn ſie den Blumenſtaub der einſam ſtehenden maͤnnlichen Bluͤthen geſammlet ha - ben, dieſen den ferneſtehenden weiblichen uͤberbringen, und hierdurch die Befruchtung bewirken. Eben ſo er - wacht dann die Sympathie zwiſchen den verſchiednen Pflanzen und Pflanzentheilen ſelber. Um nur eines Beyſpiels der Art zu gedenken: ſo iſt bey der merk - wuͤrdigen Waſſerpflanze, Vallisneria, welche in eini - gen franzoͤſiſchen Fluͤſſen und Seen waͤchſt, der Stiel der maͤnulichen Bluͤthe ganz kurz, ſo daß die noch un - aufgeſchloßne Bluͤthe tief am Boden des Waſſers ſitzend, nur wenig Zoll uͤber den ſumpfigen Grund hervorragt. Wenn ſich aber die Bluͤthe oͤfnet, und ihre Blaͤtter, welche unaufhoͤrlich Luft entwicklen, ausbreitet, wird ſie durch ihre eigene Leichtigkeit emporgezogen, und der leicht zerbrechliche Stiel zerreißt. Die weibliche Bluͤthe, welche von Natur einen ſtaͤrkeren und laͤnge -237 ren Stiel, der von dem Boden bis zur Oberflaͤche des Waſſers heraufreicht, beſitzt, hat zu gleicher Zeit, oͤf - ters in großer Entfernung von jenen, ihre roͤthlichen Blumen entfaltet. Zu dieſen ſchwimmen die losgeriſ - ſenen maͤnnlichen Bluͤthen, von einer innern Sympa - thie getrieben, hinan, und auf dieſe ſonderbare Weiſe geſchieht hier die Befruchtung.

Es pflegen alle ausgepreßten Pflanzenſaͤfte, de - nen die Moͤglichkeit einer Gaͤhrung nicht ganz genom - men iſt, zu jener Zeit, wenn die Pflanzen von denen ſie herkommen, bluͤhen, eine neue Gaͤhrung zu erlei - den, und viele koͤnnen nur bis zu dieſer Zeit aufbe - wahrt werden.

Eben in der Zeit, wenn die Bluͤthen, von denen ſie ſich zu naͤhren pflegen, ſich eroͤffnen, ſieht man auch die verſchiedenen Arten der Inſekten aus ihren Graͤbern hervorgehen. Die ſchoͤne Sympathie der Nachtigall und der Roſe, iſt von den Perſern in unzaͤh - ligen Liedern beſungen, wie in dem bluͤhenden Hayn der kleine Saͤnger von der Liebe zur ſchoͤnen Blume er - griffen, die ferne Kluft, welche die Natur zwiſchen der Bluͤthe und dem Thiere befeſtiget, beklagt. Die Sympathie zwiſchen den verſchiedenen Pflanzen iſt be - kannt genug. Einige nuͤtzliche Pflanzenarten haben irgend ein beſtimmtes Unkraut bey ſich, welches ge - woͤhnlich in keinen andern Pflanzungen gedeiht. Vie - le Rankengewaͤchſe werden zwar vermiſcht, bald um238 dieſen bald um jenen Baum geſchlungen geſehen, ei - nige ſchoͤne Windenarten der ſuͤdlichen Welt, pflegen ſich aber nur an gewiſſe Baͤume zu halten, und wer - den ſonſt nirgends gefunden. Die hohen einſam ſtehen - den Palmen, haben faſt ſtets einige Arten von Lilien um ihren Stamm verſammlet, welche in der gemein - ſchaftlichen Zeit der Bluͤthe an Duft und Farben - pracht, mit dem bunten Bluͤthenſchaft der Palmen wetteifern.

Ja eine ſolche Sympathie der Bluͤthen mit der aͤußern Natur, geht oft noch viel weiter. Die Bewoh - ner von Kamtſchatka, ein duͤrftiges verlaſſenes Volk, haben faſt keine andre Nahrung, als die Fiſche, die ſie an den langen Sommertagen aus den Fluͤſſen nehmen, welche kaum den 4ten Theil des Jahres von Eiſe frey ſind, und außer dieſem die Zwiebeln eines purpurro - then Liliengewaͤchſes, das unter den wenigen Graͤſern und Schneeblumen die einzige Zierde ihrer bemoſten Thaͤler iſt. Steller der ſich nothgedrungen ziemlich lange dort aufhalten mußte, fand aus eigner Erfah - rung die Naturregel, welche allen Eingebohrnen be - kannt iſt, beſtaͤtigt, daß naͤmlich gerade dann, wenn die Jahre dem Fiſchfang unguͤnſtig ſind, und wenn die Fluͤſſe ihrer gewoͤhnlichen Bewohner entbehren, je - nes Zwiebelgewaͤchs in ganz vorzuͤglicher Menge waͤchſt, und umgekehrt, wenn die Fluͤſſe reicher als gewoͤhnlich an Fiſchen erſcheinen, und der Vorrath an dieſen haͤufiger eingeſammlet wurde, gedeiht jene Li -239 lie nur ſparſam und duͤrftig, ſo daß die Natur ſtets den Mangel auf der einen Seite, durch den Ueberfluß auf der andern erſetzt, und guͤtig fuͤr die Ernaͤhrung der Bewohner in dem langen Winter ſorgt.

Gewiſſe Kraͤuter, unter andern das Heydekraut, welche im Herbſte bluͤhen, und von der Natur zur Ernaͤhrung des Wildes und der Voͤgel beſtimmt ſind, bluͤhen nach einer allgemeinen Erfahrung des Landvol - kes, wenn ein milder Winter bevorſteht, nur ſehr ſparſam, und die Natur verſpricht alsdann fuͤr die Nahrung der Thiere durch andre Kraͤuter, und durch einen vom Schnee freyen Boden zu ſorgen.

Einige Pflanzen, deren Saamen mitten im Win - ter reifen oder die alsdann bluͤhen, ſtimmen hierinnen mit einigen Thierarten uͤberein, deren Bruͤtezeit oder Zeit des Gebaͤhrens um dieſelbe Zeit faͤllt, und ſie dann eines reichlicheren Futters beduͤrftig macht.

So iſt es hier wie uͤberall, die Zeit des Bluͤhens, und der ſchoͤnſte Moment des Lebens, wenn die Weſen am innigſten in den Einklang mir der ganzen Natur einſtimmen, wie wir dieſes kuͤnftig noch deutlicher ſe - hen werden, und das Einzelne erkennt dann den hoͤ - heren Einfluß unmittelbar und ohne die (der Mannig - faltigkeit und Individualitaͤt widerſtrebende) Vermitt - lung des Erdganzen.

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Zehnte Vorleſung. Einige Bemerkungen uͤber die Annaͤhe - rungen des Pflanzen - zum Thierreich.

Die erſten Anfaͤnge des organiſchen Lebens, entſte - hen vor unſren Augen faſt uͤberall, wo brennbare und gaͤhrungsfaͤhige Stoffe, in Waſſer aufgeloͤſt, mit der Atmosphaͤre in Wechſelwirkung treten. Jene kleinen organiſchen Weſen, erſcheinen gleich Anfangs mit thie - riſcher Beweglichkeit, bald als kleine Kugeln, die ſich unaufhoͤrlich umkreißen, bald als laͤnglichte faſernar - tige Koͤrper, deren beyde Enden ſich immer einander naͤhern und ſich wieder entfernen, und noch außer dieſem in ſo vielartigen, mannigfaltigen Formen, daß unter den unzaͤhligen Infuſionsthierchen, von denen jene Aufloͤſungen wimmeln, nur ſehr wenige ſich gleichen. Wenn jene vielbelebte Fluͤſſigkeit fich ſelber uͤberlaſſen bleibt, und die Verduͤnſtung derſelben uͤberhand nimmt, verſchwinden jene kleinen beweglichen Koͤrper allmaͤlig,241 und die Oberflaͤche des Waſſers nimmt, indem ſie ei - nigen Zuſammenhang gewinnt, die Geſtalt kleiner, pflanzenartiger Weſen an. So findet ſich am erſten Anfange aller Organiſation, fruͤher eine ſehr unvoll - kommene Thierwelt, ehe die erſten Keime der Pflan - zenwelt ſich entwicklen, und auch im Großen ſcheint die Natur wenigſtens zum Theil einen aͤhnlichen Gang genommen zu haben, indem an verſchiedenen Orten einige Geſchlechter der Wuͤrmer und Pflanzenthiere, fruͤher die allgemeine Fluth belebten, ehe ſich Pflanzen aus ihr erzeugten.

Wir ſehen aber auch anderwaͤrts die Natur einen hiervon ganz verſchiednen Gang nehmen. Der Feld - ſpath beſonders, welcher einen Gemengtheil vieler Ge - birgsarten ausmacht, enthaͤlt einen Antheil von Kali, welcher ihn zum Verwittern geneigt macht. Wo nun die nackten Felſen, den Einwirckungen der Luft und des Waſſers ausgeſetzt, an ihrer Oberflaͤche durch Verwit - terung in Staub zerfallen, pflegen ſich jene gelben, rothen oder ſonſt auf eine auffallende Weiſe gefaͤrbten, oͤfters faſt lederartigen Weſen zu erzeugen, die wir Flechten nennen. Wir finden dieſes Pflanzengeſchlecht, welches die naͤchſte Graͤnze der Vegetation und des Steinreichs bildet, an den Rinden der Baͤume, und an der Oberflaͤche der Steine ſehr haͤufig. Die unvoll - kommenſten Flechtenarten werden auf den erſten Blick kaum von[] einigen Formen des Steinreichs unter - ſchieden, und weichen zum Beyſpiel von den Salzbluͤ -Q242then, blos durch eine etwas andre Form ab. Noch findet ſich hier kein zellichter Bau, keine Faſern und ſonſt nichts was ſie im innern Bau mit andern organi - ſchen Koͤrpern gemein haͤtten. Wo dagegen das Geſchlecht der Flechten bey ſeinem Wachsthum hinlaͤnglich von Feuchtigkeit beguͤnſtigt, ſeine vollkommenſten Formen ent - wicklet, ſehen wir es durch die Lebermooſe in die gewoͤhnli - chen Laubmooſe uͤbergehen, welche wiederum mit vielen Polarpflanzen von viel vollkommneren Pflanzenge - ſchlechtern, eine genaue aͤußre Verwandſchaft zeigen. So findet ſich von den Flechten aus, ein Uebergang in die ſtarren Geſtalten des Steinreichs auf der einen, in die des vollkommneren Pflanzereiches auf der andern Seite, ohne daß von Weſen mit thieriſcher Beweglichkeit be - gabt, etwas wahrgenommen wuͤrde.

So ſcheint der erſte Schritt der bildenden Natur, von den ſteinernen Formen des Anorganiſchen, zu der belebten Welt der Pflanzen und Thiere, zufaͤlli - gen Abaͤnderungen unterworfen, und unter verſchiede - nen aͤußern Umſtaͤnden, ſich bald mehr der thieriſchen bald der vegetabiliſchen Welt zu naͤhern. Die unvoll - kommenſten Thiere graͤnzen eben ſo nahe an die anor - giſche Welt als die unvollkommenſten Pflanzen, und die gewoͤhnliche Vorſtellung einer in der Natur vo[m]Steine bis zu den vollkommenſten Formen des Lebens aufſteigenden Reihe, irrt darinnen, daß ſie den Ueber - gang des Pflanzen - in das Thierreich ſo darſtellt, als ob die Natur erſt von den Flechten bis hinauf zu den Palmen bildend fortſchritte, dann von dieſen wieder243 in die unvollkommenſten und niedrigſten Stufen des Thierreichs herabſaͤnke, oder als ob uͤberhaupt das ganze Pflanzenreich mit allen ſeinen majeſtaͤtiſchen For - men vorausgehen muͤßte, ehe das Thierreich, ſelbſt nur im erſten Keime, ſich entwickeln koͤnnte.

Die unvollkommenſten Thiere, jene, welche die korallenartigen Meeresprodukte bilden, und ihre Ver - wandten, ſind allerdings halb von thieriſcher halb von pflanzenartiger Natur, und werden deshalb Thier - pflanzen genannt. Auf der einen Seite laͤßt ſich aus ihnen durch verſchiedene Geſchlechter der Wuͤrmer ein Uebergang in das vollkommnere Thierreich finden, auf der andern graͤnzen ſie an gewiſſe unvollkommene, gal - lertartige Seepflanzen, welche in einigen ihrer voll - kommenſten Formen unter andern einen Uebergang zu den Farrenkraͤutern zu bilden ſcheinen. Die Farren - kraͤuter, welche bey uns ſich nur ein wenig uͤber den Boden erheben, erſcheinen nach dem Aequatar hin, wo ihre Arten, ſo bald ſich nur hinlaͤnglich feuchter Bo - den findet, ungemein haͤufig werden, in hohen baum - artigen Formen, welche unmittelbar an die vollkom - menſten Pflanzen unter allen, an die Palmen, unter andern an die Sagopalmen angraͤnzen.

Wenn, wie es ſcheint, die Palmen nebſt den Pi - ſanggewaͤchſen, den hoͤchſten und vollendetſten Gipfel der Vegetation bilden, ſo wird in dieſer Reihe, welche in Mittelweſen zwiſchen Thier und Pflanze, unmittel -Q 2244bar an das Anorgiſche angraͤnzend, beginnt, und mit den Palmen endigt, der Gipfel ſehr ſchnell erreicht. In dieſe einfache Reihe, griffen keine andern Pflan - zeng ſchlechter, mit denen die Farrenkraͤuter faſt durch - aus in keiner Verwandſchaft ſtehen, ein.

Wenn wir aber auf der andern Seite die Palmen und mehrere ſehr vollkommene Baͤume, in der Ge - ſtalt der Bluͤthen, und ſelbſt im ganzen Bau, ſich wieder an andre Pflanzen anſchließen ſehen, welche durch anders bluͤhende Baͤume und Straͤucher, bis hin - ab zu den kleinen Feldblumen, und hiermit wie es ſcheint, durch die Mooſe bis zu den Flechten, ſchein - bare Uebergaͤnge bilden; ſo gewinnt hierdurch die bil - dende Natur vielmehr das Anſehen einer in Kreißen, oder in einem Bogen fortſchreitenden Kraft, als das - jenige einer in gerader Linie von dem tiefſten bis zu dem hoͤchſten aufwaͤrtsſtrebenden. Das Pflanzenreich erhebt ſich erſt an der Graͤnze des Steinreichs von den Flechten bis hinauf zu den Palmen, in langen und allmaͤlig aufſteigenden Reihen, dann kehrt es auf ein - mal ſchneller als es hinaufgeſtiegen wieder herabſin - kend, durch die Farrenkraͤuter zu den unvollkommen - ſten Waſſerpflanzen und hiermit von neuem zu den Graͤnzen der anorganiſchen Welt zuruͤck, wie auch die Weltkoͤrper, beſonders bey einer bedeutenden Eccentri - citaͤt, den Theil ihrer Bahn, welcher naͤher an dem allgemeinen Mittelpunkt liegt als der andre, in viel kuͤrzerer Zeit zuruͤcklegen als dieſen.

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Und vielleicht nicht von einer, ſondern von vie - len Seiten naͤhert ſich das Pflanzenreich ſeinen hoͤchſten Formen, und entfernet ſich hernach auf der andern Seite wieder eben ſo weit von denſelben. Die niedri - gen Grasarten, welche einen großen Theil unſrer nor - diſchen Ebenen und Huͤgel bedecken, ſind mit andern Grasarten der ſuͤdlichen Laͤnder verwandt, welche von baumartiger Geſtalt erſcheinen, und oͤfters von einer Hoͤhe ſind, welche die unſrer Eichen uͤbertrift. Dieſe ſcheinen, durch einige Mittelglieder, Uebergaͤnge wiederum in die vollendetſten Pflanzenformen zu bil - den, ſo daß vielleicht auch hier von den unvollkommen - ſten Grasarten, die kaum eine Stufe hoͤher zu ſtehen ſcheinen als die niedrigen Mooſe, eine ſtettige Reihe, bis hinauf zu den Palmengewaͤchſen aufgezeigt werden koͤnnte.

So muͤſſen wir ſchon im Pflanzenreich, bey einer genauen Betrachtung ſeiner Formen, die Meynung von der in nur einer ununterbrochner Richtung fortgehen - den Ausbildung von unvollendeteren Formen zu immer vollkommneren aufgeben, und wir werden daſſelbe her - nach auch im Thierreich muͤſſen.

Wenn aber Uebergaͤnge von der Pflanze zum Thier ſollen aufgezeigt werden, ſo laſſen ſich dieſe faſt von jeder oder doch vielen Pflanzen von vollkommnerer Art finden. Nicht blos die empfindlichen Mimoſen, deren Blaͤtter bey jeder aͤußeren Beruͤhrung, wie ein em -246 pfindliches Thier ſich zuſammenziehen, nicht jene ziem - lich zahlreichen Pflanzen aus ſehr verſchiednen Ge - ſchlechtern, welche den Mimoſen an Empfindlichkeit gleichen, bilden die einzige Annaͤherung der Pflanzen - natur an die thieriſche, ſondern in den meiſten Bluͤthen der vollkommener organiſirten Kraͤuter, wird, in den hoͤchſten Augenblicken des Bluͤhens, welche zugleich die des Abſterbens der Blume ſind, eine thieriſche Reiz - barkeit und wie von einem Inſtinkt getriebene Beweg - lichkeit, wenigſtens einzelner Theile gefunden.

Die Spuren einer ſolchen thieriſchen Reizbarkeit, laſſen ſich in der Pflanzenwelt ziemlich weit herab ver - folgen. Wir muͤſſen jedoch mit denen eigentlich dahin gehoͤrigen Erſcheinungen nicht die Bewegungen ver - wechſeln, die wir ſchon bey einigen moosartigen Ge - waͤchſen, oder bey den ſogenannten Kryptogamiſten finden, weil dieſe auf eine ſonderbare Weiſe nach me - chaniſchen Geſetzen geſchehen. So wuͤrde die vollkom - menſte Mechanik kaum jene merkwuͤrdigen Vorrichtungen hervorbringen, welche Sprengel an den reifen Fruͤch - ten der Jungermannien, einer Art von Aftermoos be - ſchreibt. Die reifen Fruchtkoͤrner erſcheinen dem un - bewaffneten Auge, nur als brauner Staub, durch das Vergroͤßerungsglas geſehen, findet ſich jedes einzelne mit einer kettenfoͤrmigen Schleuder verſehen, welches, wie es ſcheint wegen ſeiner hygrometriſchen Beſchaf - fenheit, bey jedem Hauche ſich windet und huͤpfet, wodurch die Saamen ausgeſtreut werden, Eine aͤhn -247 liche Vorrichtung beſchreibt derſelbe Beobachter bey ei - ner Flechtenart. Der Bluͤthenſtaub der meiſten Pflan - zen nimmt nach neuen Verſuchen, eine gewiſſe huͤ - pfende Bewegung an, wenn man ihn mit Weingeiſt benetzt, und von dieſem Verſuch kann man ſich leicht ſelber uͤberzeugen. Bey jenen Gewaͤchſen wo die Bluͤ - then von entgegengeſetzten Geſchlecht getrennt ſind, und oͤfters in einer gewiſſen Entfernung, wenn auch bey - de auf derſelben Pflanze ſtehen, ſieht man an heitern Tagen den Staub der maͤnnlichen Bluͤthen, welcher durch die Elaſtizitaͤt der haͤutigen Behaͤltniſſe in denen er ſich befindet, ausgeſtreut wird, in kleinen Wolken um die Pflanze ſchweben, doch iſt noch nicht durch Er - fahrung hinlaͤnglich bewieſen, obgleich wahrſcheinlich, daß die weiblichen Bluͤthen eine ſichtbare beſondre An - ziehung dagegen ausuͤben. Deutlicher dagegen iſt ei - ne der thieriſchen aͤhnliche Reizbarkeit und Beweglich - keit, bey den entgegengeſetzten Bluͤthentheilen ſelber. Nicht allein bey der Berberis, richten ſich die Staub - faͤden wenn ſie mit einer Borſte, oder einer feinen Na - del an ihrer innren Seite beruͤhrt werden, ſchnell em - por, und naͤhern ſich dem Piſtill, ſondern bey einigen andern, wie bey der Chondrilla, ſoll dieſe Reizbarkeit ſo weit gehen, daß ſie noch an denen von der Bluͤthe getrennten Staubfaͤden wahrgenommen wird. Daſ - ſelbe verſichert ein italiaͤniſcher Schriftſteller von den Filamenten der Artiſchoken, Kugeldiſteln, und einiger Arten von Centaureen. Bey einer Art von Marchan - tia, findet ſich nach Murray, innerhalb der maͤnnli -248 chen Bluͤthentheile eine zarte Wolle, die ſich, in der Zeit wo der Bluthenſtaub ausgeſtreut wird, unaufhoͤrlich und willkuͤhrlich bewegt.

Bey vielen Blumen, wie bey der Glorioſa, bey der perſiſchen Kaiſerkrone, dem Steinbrech, der Kal - mia und andren, gelangen die Antheren nicht alle zu gleicher Zeit zur Reife. Man ſieht dieſe hier einzeln, ſo bald ſie den hoͤchſten Augenblick des Bluͤhens erreich - ten, durch eine eigenthuͤmliche und freywillige Bewe - gung dem Piſtill ſich naͤhern, von welchem ſie nach verlohrenem Bluͤthenſtaub wieder zuruͤckſinken, und waͤhrend ſie ſchon verwelken, wird ihre Stelle von juͤngeren Antheren erſetzt. Bey dem großen gelbbluͤ - henden Cactus aus Jamaica, deſſen ſchoͤne Bluͤthen, welche einen Fuß im Durchmeſſer halten, ſich erſt ge - gen Abend aufſchließen, und ſchon vor Sonnenauf - gang verbluͤhen, bey den lieblichen aber eben ſo ſchnell vergaͤnglichen Ciſtusbluͤthen, ſieht man, ſo lange die kurze Zeit der Liebe dauert, unaufhoͤrlich einige Anthe - ren in Beruͤhrung mit dem Piſtill.

Doch ſind es nicht allein die maͤnnlichen Blumen - theile, welche in der hoͤchſten Zeit des Bluͤhens eine ſolche thieriſche Beweglichkeit zeigen; bey einigen Blu - menarten wird dieſe auch an dem Piſtill bemerkt. Das der Collinſonia bewegt ſich erſt nach dem einen, dann nach einiger Zeit nach dem andern Staubfaden hin. So koͤmmt auch in allen jenen Blumen, deren Fila -249 mente von ungleicher Groͤße ſind, das Piſtill den auch zu ungleicher Zeit reifenden Antheren, wenigſtens durch allmaͤlige Ausdehnung entgegen.

Ja es zeigen bey vielen vollkommneren Pflanzen ſelbſt noch die Behaͤltniſſe der reifen Fruͤchte eine ſol - che thieriſche Reizbarkeit. So bey der Impatiens, wo die einzelnen Kapſeln bey der leiſeſten Beruͤhrung die Fruͤchte in weiter Entfernung ausſtreuen, bey eini - gen Geranien, und ſelbſt bey der gemeinen Gerſte, de - ren Bart ſich bey feuchtem Wetter ausdehnt, und ſo die Fruͤchte aus dem Boden ihres Behaͤltniſſes hervor - zieht, bey trocknem Wetter ſich verkuͤrzt, und ſie ſo zuruͤckhaͤlt. Ueberhaupt finden wir bey allen dieſen, dem Anſcheine nach reizbaren Fruchtbehaͤltniſſen, jene hygrometriſche Beſchaffenheit, vermoͤge welcher ſie, gerade nur in feuchtem Wetter, wo die ausgeſaͤeten Fruͤchte allein einen guͤnſtigen Boden finden, das Ausſtreuen derſelben befoͤrdern, bey trocknem ſich ver - ſchloſſen halten.

Es ſind dieſe Erſcheinungen, in der Geſchichte des allgemeinen Lebens von einer tiefen Bedeutung. Ge - rade in dem hoͤchſten Moment des Bluͤhens, welcher auch zugleich der des Verwelkens und des Todes iſt, zeigt ſich im Pflanzengeſchlecht eine Vorahndung des hoͤheren thieriſchen Daſeyns. Es erwacht auf einmal eine vollkommnere Naturkraft, als Empfindlichkeit und Bewegung ſich aͤußernd, welche bisher nie an der250 Pflanze hervorgetreten war. So hat die Bluͤthe, noch in dem Augenblick ihres Sterbens, ein deutliches Vorgefuͤhl, und ſelbſt den lebendigen Ausdruck eines hoͤ - heren Lebens, wie ſich auch bey dem Menſchen gerade in den hoͤchſten, geiſtigſten Augenblicken ſeines Da - ſeyns, welche fuͤr dieſes zugleich die zerſtoͤrendſten ſind, die Vorahndung eines hoͤheren kuͤnftigen Zuſtan - des zu entfalten ſcheint. Es werden in ſolchen Mo - menten das Organ und die bisher tief im Innern ver - borgnen Kraͤfte eines vollkommneren Lebens aufgeweckt und belebt, und wir erkennen ſie oͤfters in jenen Aeuße - rungen, welche wunderbar uͤber die gewoͤhnlichen Graͤn - zen unſrer Natur hinuͤberreichen. Die einmal erwach - te Pſyche des hoͤheren Lebens, bildet ſich nun mitten in der alten Huͤlle aus, und zerſtoͤrt dieſe, wie die wachſenden Fluͤgel des Schmetterlings die ihrige, bald ſchneller bald allmaͤliger. Auf ſolche Weiſe wirken die hoͤchſten Momente des individuellen Daſeyns, fuͤr dieſes ſelber zerſtoͤrend, weil in ihnen ein kuͤnftiger hoͤherer Zuſtand, in dem vorhergehenden unvollkomm - neren eingreift. Hierinnen bezeugt die Natur oͤfters, durch deutliche Thatſachen, die Unſterblichkeit der inn - ren Lebensurſache, und wir ſehen ein Daſeyn in das andre uͤbergehen, ein kuͤnftiges in das vorhergehende hineinreichen, worauf wir noch kuͤnftig zuruͤckkommen werden.

Wir ſehen dem zu Folge faſt jede vollkommnere Pflanze, wenigſtens in ihrer Bluͤthe, an das Thierreich251 angraͤnzen. Und zwar ſcheint aus Verſchiednen die benachbarte Graͤnze des Thierreichs hier durch die Welt der Inſekten und zum Theil der Wuͤrmer gebildet zu werden. Einige haben die Inſekten loßgeriſſene, gleich - ſam nun erſt vom Boden frey und ſelbſtſtaͤndig beweg - lich gewordne Theile der Blumen genannt, und man hat noch neuerlich die Meynung vertheidigt, als ent - ſtuͤnden zuweilen die Inſekten auch außer dem gewoͤhn - lichen Wege durch eine zufaͤllige Hervorbringung, aus den krankenden Pflanzentheilen unmittelbar. Als Be - weis hat man einige auslaͤndiſche Inſekten angefuͤhrt, welche mit dem Anbau der Pflanzen, die ſie zu bewoh - nen pflegen, und die man durch Saamen aus fernen Welttheilen zu uns brachte, zugleich bey uns er - ſchienen.

Es haben faſt alle vollkommneren Pflanzen ihre beſondern Inſekten, die ſich im Raupenzuſtande von ihnen naͤhren, und als gefluͤgelte Pſyche ihre Bluͤthen beſuchen. Unvollkommnere Pflanzen ernaͤhren und hegen nur ſelten Inſekten oder Wuͤrmer, doch fand Sprengel, außerdem daß die Schwaͤmme unzaͤhligen Wuͤrmchen zur Wohnung dienen, ſogar in den maͤnn - lichen Bluͤthentrieben eines kleinen Mooſes, der Barbu - la unguicularis, gegen den Herbſt eine Menge kleiner Wuͤrmchen, die den aalartigen Vibrionen des Eſſigs und Mehlkleiſters glichen. Der Nutzen oder vielmehr die Bedeutung dieſer kleinen Wuͤrmchen in dem Daſeyn je - ner Pflanze, iſt noch unbekannt. Wahrſcheinlich abor252 ſtehen ſie mit dieſem in einer eben ſo nothwendigen Be - ziehung, als ſo viele Inſekten mit dem der vollkommne - ren Blumen, welche die Natur im Pflanzenreich, wo die maͤnnlichen und weiblichen Bluͤthen an weit ent - fernten Baͤumen ſtehen, als Boten der Liebe braucht, die der einſam, mitten in der Sandwuͤſte ſtehenden weiblichen Palme, den Bluͤthenſtaub der maͤnnlichen uͤberbringen, und ſo dem Araber, der ſich daſſelbe zum Geſchaͤft macht, zu Huͤlfe kommen.

Sehr merkwuͤrdig, und wie es ſcheint, nicht ohne tiefe Bedeutung, iſt die große Aehnlichkeit einiger Blumen, welche Blumenhonig hervorbringen, mit den Inſekten die ſie gewoͤhnlich zu berauben pflegen. Einige Orchisarten, unter andern die, welche deshalb Bienenorchis heißt, verſchiedene Arten des Ritterſporns, gleichen in ge - wiſſen Theilen ihrer Bluͤthe, nicht allein an Farbe, ſondern auch an Geſtalt, vollkommen den Inſekten, die ſich im gefluͤgelten Zuſtand gewoͤhnlich zu ihnen ge - ſellen. Die Fruchtbehaͤltniſſe jener veraͤnderlichen Art des Medicago, gleichen in einigen ihrer Metamorphoſen ganz einer Raupe, die ſich oͤfters auf ihm aufhaͤlt, und dieſe thieriſche Geſtalt nehmen auch die Saamen der Calendula an. Der untere Theil der Blumenkro - ne einer perſiſchen Irisart, gleicht in ſeinen bunten Farben und in der fluͤgelartigen Ausbreitung ſeiner bey - den Haͤlften, vollkommen einem Schmetterling jener Gegenden. Die Nectareen einer ſuͤdamerika iſchen Art von Frauenſchuh (Cypripedium) ſind in Geſtalt, Far -253 Farbe und Groͤße ſehr genau einer großen Spinne je - nes Landes aͤhnlich, die ſich, auf Beute lauernd, oͤf - ters unter den Blumen verbirgt. Nicht minder bemerkt man, daß das Gruͤn der gruͤnen Raupen ſich nach dem Gruͤn der Pflanzen richtet, von denen ſie ſich naͤhren, doch geſchieht dieſes wahrſcheinlich durch eine aͤhnliche Uebereinſtimmung, wie diejenige iſt, die wir auch noch im hoͤheren Thierreich finden, wo viele die Farbe ih - res gewohnlichen Aufenthalts tragen, wie die Polar - thiere waͤhrend des langen Winters ſogar die Farbe des Schnees annehmen.

Jene genauere Uebereinſtimmung der aͤußern Ge - ſtalt einiger Pflanzentheile, mit der gewiſſer Inſek - ten, von der ich nur einige Beyſpiele angefuͤhrt habe, nebſt jenen Spuren eines Zuſtandes der Bluͤthentheile, welcher gleichſam die Vorahndung des thieriſchen iſt, ſcheinen auf eine naͤhere Verwandſchaft der Pflanzen und der Inſekt[en]hinzudeuten, und auf eine andre, als die iſt, welche aus der gewoͤhnlichen Annahme einer aufſteigenden Naturreihe hervorgienge. Die Blume ſcheint in dem hoͤchſten Augenblick ihres Bluͤhens, wel - cher zugleich das Ende ihres ſtillen Daſeyns iſt, das ſcheidende Leben den Inſekten zu uͤbertragen, und in dieſe auszuhauchen, welche gerade in der Zeit ihrer Lie - be und ihrer eignen Vermaͤhlung den Kelch der Blume beſuchen, und ſo, keines langen Zwiſchenzuſtandes beduͤrftig, ſcheint der entweichende Geiſt, durch neue Zeugung ſchnell in ein hoͤheres Daſeyn hinuͤber zu ge -254 hen. Den Schmetterling mitten in dem Koͤrper der Raupe, haben Schwammerdamm und andre geſchickte Anatomen aufgezeigt, vielleicht daß noch kuͤnftig, nicht zwar die Anatomie, ſondern vielmehr die tiefere Geſchichte des Lebens, ſchon in der Bluͤthe der Pflan - zen, die nahe Verwandſchaft und Angraͤnzung an den Zuſtand des Raupeneyes nachweiſen wird.

Gewiß iſt es, daß wenn wir dem erſten Anſchein nach urtheilen, keine groͤßere Verſchiedenheit ſeyn koͤnne, als die zwiſchen dem Bau des Thieres und der Pflan - ze. Lang gedehnte, mit einander verbundene Zellen, bilden die Laͤngengefaͤße. Die einzelnen Zellen ſind nach der Wurzel zu breiter gedruͤckt, und minder lang, ſo daß ſie, beſonders bey unvollkommneren Pflanzen, faſt den Bienenzellen gleichen; weiter nach der Bluͤthe zu, dehnen ſie ſich mehr in die Laͤnge, und wechslen nun mit andern Gefaͤßen ab, die ſich in Geſtalt der Schrauben mitten unter jenen hinaufwinden. Mit Recht hat man dieſen Bau der Pflanzentheile, die zur Geſtalt gewordenen innern Bewegungen des Thiers ge - nannt, indem ſich die Oscillationen der innren thieri - ſchen Theile, der beſtaͤndige Wechſel von Ausdehnung und Zuſammenziehung, welcher das Leben derſelben unterhaͤlt, hier in dem beſtaͤndigen Wechſel der beyden Gegenſaͤtze, die uͤberall daſſelbe ausdruͤcken, dem Raume nach, dem Auge darſtellt. Jede kleine Ab - theilung jener Laͤngengefaͤße, iſt gleichſam ein kleiner Magnet, deſſen oberer oder poſitiver Pol, ſtets wie -255 der den untern oder negativen des naͤchſtfolgenden her - vorruft. Dieſelbe Oscillation, die ſich in der Bewe - gung der beyden thieriſchen Haͤlften ausdruͤckt, wird in dem Bau jener Spiralgefaͤße wiedergefunden.

So ſcheint ſich, was ſich im Thier noch uͤberdies als Bewegung aͤußert, in der Pflanze ſchon allein im Wachsthum auszuſprechen. Nur bey einigen weni - gen Pflanzen tritt dieſer lebendige Geiſt, der ſich ſonſt nur in dem ſtillen Werk des Vegetirens erſchoͤpft, auch als wirkliche, nach außen ſichtbare Bewegung auf. Zu dieſen gehoͤrt vorzuͤglich das merkwuͤrdige Hediſa - rum gyrans, welches in unſern Gewaͤchshaͤuſern nicht eben ſelten iſt. Man ſieht die groͤßern Blaͤtter dieſer Pflanze, ohne daß ſie das leiſeſte Luͤftchen beruͤhrt, ganz von ſelber und mit einander abwechſelnd, bald ſich erheben bald wieder ſinken, waͤhrend andere kleinere Blaͤtter ſich unaufhoͤrlich in kreisfoͤrmiger Bewegung ſchwingen. Die Bewegung der Blaͤtter nach jedem aͤußern Reiz, iſt, wie ſchon erwaͤhnt, nicht allein bey den Mimoſen, ſondern auch bey einigen andern Pflan - zen nichts ſeltnes. Noch weniger iſt es jene Bewe - gung der Bluͤthen, die ſich nach dem Stand der Son - ne richtet.

Ja gerade bey einer der unvollkommenſten Pflan - zenarten, bey den Conferven, einem kleinen faſt durchſichtigen Weſen, das oͤfters nur aus einigen zar - ten Faͤdchen beſteht, und an feuchten Orten waͤchſt,256 findet ſich noch eine wahrhaft thieriſche Beweglichkeit, die ſie, ſo bald das Licht auf ſie faͤllt, unaufhoͤrlich zu einem unregelmaͤßigen Zittern und Schwanken nach al - len Seiten treibt.

Ueberhaupt wird jener Gegenſatz zwiſchen der Thier - und Pflanzenwelt, erſt in den hoͤheren Ge - ſchlechtern ausgebildet. Der Kohlenſtoff und ſeine Verbindungen, welche die chemiſchen Beſtandtheile der vollkommneren Pflanzen ausmachen, ſind bey den Flechten und Mooſen, mithin auf den tiefſten Stufen des Pflanzenreichs, ſeltener, dagegen findet ſich bey den letzteren haͤufige Kalkerde, welche ſonſt das Thierreich auszeichnet, und die Flechten gleichen in ihren Be - ſtandtheilen, ſo wie auch in ihren bunten, praͤchtigen Farben, den Bluͤthen und Fruͤchten der vollkommenen Pflanzen, welche auch in Hinſicht der Beſtandtheile die naͤchſte Graͤnze des Thierreichs bilden.

Die Natur geht uͤberall, ehe die vollkommneren Gegenſaͤtze ſich ausbilden, von unvollkommenen Mit - telweſen aus, welche jedoch von der hoͤchſten Wichtig - keit ſind, weil ſie die nahe Verwandſchaft der beyden entgegengeſetzten Richtungen bezeugen, und hierdurch auf das gemeinſchaftliche Eine, welches beyden zu Grunde liegt, hindeuten. Es wird ſpaͤter im Thier - reich, daſſelbe in der Zeit, in einer Aufeinander - folge von verſchiedenen Bewegungen ausgedruͤckt, was257 ſich im Pflanzenreich nebeneinander, im Raume zu er - kennen giebt.

Die erſten Anfaͤnge des Thierreichs gleichen eben ſo ſehr den Pflanzen als den Thieren, wie bey den er - ſten Anfaͤngen des Pflanzenreichs dieſelbe Unentſchie - denheit ſtatt gefunden. Gallertartig, durchſichtig, gleichſam aus kleineren und groͤßeren Koͤrnern unregel - maͤßig zuſammengeſetzt, erſcheinen die Polypen, an dem Pflaͤnzchen oder ſonſt feſten Gegenſtand worauf ſie ſitzen, noch feſt gewachſen, und in ihm pflanzen - artig wurzelnd. Ein bloßer Darmkanal mit Armen, pflegen ſie immer begierig nach den kleinen Gegenſtaͤn - den, welche im Waſſer umherſchwimmen, zu haſchen, und das Verzehrte geht ſchnell und unmittelbar in die allgemeine Maſſe des kleinen Koͤrpers uͤber. Die Jun - gen wachſen, wie Zweige und Sproͤßlinge bey den Pflanzen, aus dem Koͤrper des alten Polypen hervor, und erreichen oͤfters dieſelbe Groͤße wie der alte, ehe ſie ſich von dieſem trennen. Oefters ſieht man aus den noch im vaͤterlichen Koͤrper feſtſitzenden Jungen, wie - derum neue Junge hervortreiben, und dem mit Kind und Enkel verbundenen Alten, wird von ſeiner Nach - kommenſchaft das Futter, nach welchem alle zugleich haſchen, ſtreitig gemacht. Bekannt ſind die Verſuche des Bonnet und Anderer, die ſeitdem unzaͤhlig oft wie - derholt ſind, daß man den Polypen nach allen Rich - tungen zerſchneiden, ja umwenden kann wie einen Handſchuh, ſo daß die innre Hoͤhle des Leibes heraus -R258koͤmmt, ohne daß ſich derſelbe in allen Gewohnheiten ſeines Lebens ſtoͤren laͤßt. So iſt dieſe ſonderbare Thier - art den Pflanzen eben ſo verwandt als den Thieren, und nur darinn, daß ſie Futter von außen nimmt, wird ſie den letztern aͤhnlich.

Bekanntlich findet ſich auch bey dem Polypen, und dieſes iſt der merkwuͤrdigſte Theil ſeines Lebens, in der Naͤhe ſeines Todes, im Herbſt, wenn die Pflan - zen an denen er wohnte und er ſelber der uͤberhandneh - menden Kaͤlte weichen muͤſſen, eine Vorahndung des hoͤheren thieriſchen Daſeyns. Er legt alsdann nach Bonnets Beobachtungen ein Ey, wie vollkommne Thiere, die ſich nicht durch Sproſſen fortpflanzen. Auch bey den meiſten Aphisarten, welche die Blattſtiele unſrer Pflanzen oͤfters bedecken, findet ſich eine aͤhnli - che merkwuͤrdige Erſcheinung. Dieſe Thiere, indem ſie lebendige Junge gebaͤhren, gleichen hierinnen den durch lebendige Sproſſen ſich fortpflanzenden, indem ſie eigentlich Geſchlechtslos ſind. Erſt im Herbſt, nahe vor dem gemeinſchaftlichen Untergang, bemerkt man, daß die zuletzt lebende Generation aus Maͤnn - chen und Weibchen beſteht, und dieſe pflanzen ſich nach der Weiſe der vollkommnen Thierklaſſen, durch Eyer fort.

So wird auch hier, wie in einigen Erſcheinungen, die wir ſpaͤter aus der vollkommneren Thierwelt an - fuͤhren werden, das Eingreifen eines naͤchſtfolgenden259 Daſeyns in das vorhergehende wahrgenommen, und dieſe ſind ſo wie die Glieder einer Kette verbunden.

Wenn wir den Weg, welchen die bildende Natur auf den erſten Stufen des Thierreichs nimmt, genau beobachten, ſehen wir, wie in der Geſchichte des ein - zelnen Thieres, gleichſam das Herz zuerſt auftreten. Denn das ganze Daſeyn einiger microſcopiſchen Thie - re, von der Art jener aus Aufguͤſſen erzeugten, be - ſteht in einer beſtaͤndigen Aufeinanderfolge von Aus - dehnung und Zuſammenziehung, was ſich oͤfters als ein beſtaͤndiges Umkreißen ſelbſt noch bey den Raͤder - thierchen andeutet. Noch iſt bey vielen dieſer Thier - chen kein thieriſches Nahrungsnehmen beobachtet, und ſie ſcheinen wie kleine Pflanzen durch ein unmerkliches Einſaugen der Fluͤſſigkeit in der ſie leben, zu vegetiren. Obgleich bey den zunaͤchſt angraͤnzenden Zoophyten und einigen Wuͤrmern, weder Nerven noch Muskelartige Or - gane zu beobachten ſind, laͤßt ſich der Gegenſatz zwi - ſchen Nerven und Muskeln doch ſchon in ihnen vermu - then, weil ſie, wie Humbold in einem ſeiner fruͤheren Werke gezeigt hat, ſich gegen den Metallreiz auf die - ſelbe Weiſe empfindlich zeigen, wie hoͤher ausgebilde - te, und offenbar mit Nerven und Muskeln verſehene Thiere. Dieſer Gegenſatz ſcheint mithin im Thierreich ſehr fruͤhe, und faſt mit ihm zugleich einzutreten. Der Sinn fuͤr das Licht wird ſchon bey den Polypen, und aͤhnlichen unvollkommenen Thieren ſehr deutlich bemerkt, ohne daß doch irgend ein Organ vorhandenR 2260waͤre, welches einem Auge gliche. Es ſcheint die gan - ze Oberflaͤche des Koͤrpers jener Thiere, die Empfind - lichkeit fuͤr das Licht zu beſitzen, welche bey andern nur dem Auge eigenthuͤmlich iſt. Nicht minder wird bey einigen, wie ſchon erwaͤhnt, ein unvollkommenes Ver - dauungsſyſtem gefunden.

Bey den Wuͤrmern, welche hierauf folgen, ſehen wir in allmaͤligen Uebergaͤngen ein deutlicheres Nerven - ſyſtem, mit jenen vielen Abſaͤtzen hervorgehen, wel - che fuͤr kleine fuͤr ſich beſtehende Gehirne koͤnnten gehal - ten werden. Die Organe der Verdauung ſind vollkom - mener ausgebildet, und es zeigt ſich, noch ohne Spu - ren eines Kreißlaufs, das Beduͤrfnis des Athmens, welches vermoͤge kleiner Oefnungen an den Seiten des Koͤrpers, befriedigt wird. Unter den Sinnesorga - nen iſt das erſte, welches in ſeinen unvollkommenſten Spuren auftritt, das Auge. Fuͤr dieſe, oder fuͤr Re - praͤſentanten derſelben, werden naͤmlich von Cuvier und Andern jene kleinen dunkel gefaͤrbten Huͤgel gehalten, die an dem Kopfe vieler articulirter Wuͤrmer, da wo bey den Inſekten die Augen liegen, gefunden werden. Einige Arten von Blutigeln haben 2, andre 4, 6 oder 8, und eine aͤhnliche gleichſam zufaͤllige Abaͤndrung der Zahl, findet ſich auch bey den Augenartigen Organen der verſchiedenen Nereiden, waͤhrend die Naiden und andre Wuͤrmer nur 2 beſitzen.

Auch bey den Inſekten, welche ſchon um eine Stu - fe hoͤher ſtehen als die Wuͤrmer, finden ſich unter allen261 Sinnesorganen die des Geſichts am vollkommenſten, und dem Auge der hoͤheren Thierklaſſen am analogeſten ausgebildet. Denn ob es gleich gewiß iſt, daß die Antennen an dem Kopf derſelben ihnen zum Fuͤhlen gegeben ſind, weicht doch bey ihnen die Natur, in der Lage und Anordnung dieſer Theile, aus den Graͤnzen der Analogie mit der hoͤheren Thierwelt heraus. Ein ſcharfer Geruch ſehr entfernter riechbarer Gegenſtaͤnde, iſt bey verſchiedenen Inſekten bemerkt worden, ohne daß die Organe deſſelben entdeckt waͤren. So zieht die Bienen der Geruch der bluͤhenden Linden in einer bedeutenden Entfernung an, und jene auslaͤndiſchen Inſekten, die ſich ſeitdem bey uns eingefunden haben, ſeitdem die Pflanzen, auf denen ſie ſich gewoͤhnlich aufhalten, bey uns ausgeſaͤet wurden, koͤnnte nur dieſer Sinn aus jenen großen Fernen hergefuͤhrt haben, wenn man ihre ſelbſtſtaͤndige Erzeugung aus den Pflan - zen nicht zugeben will.

Noch vollkommener organiſirt als die Inſekten, ſind die Mollusken, zu denen die Schnecken, die Muſcheln und andre Schaalenthiere, und die Tinten - fiſche gehoͤren. Mit Recht hat Cuvier dieſe Thierar - ten von den Wuͤrmern, zu denen ſie andre Naturfor - ſcher geſellten, getrennt, und eine eigne Thierklaſſe aus ihnen gebildet, welche einen vollkommnen Ueber - gang von den Fiſchen zu den unterſten Thierklaſſen, den Inſekten und Wuͤrmern macht. Das Nervenſyſtem nimmt auf einmal eine ganz andre Geſtalt an, die vie -262 len Abſaͤtze deſſelben, welche kleinen Gehirnen gleichen, haben ſich faſt bis auf 2 vermindert, und waͤhrend noch bey den Inſekten kein eigentlicher Kreißlauf der Saͤfte entdeckt iſt, und uͤber jenen laͤnglichten, beſtaͤn - dig oscillirenden Kanal, am Ruͤcken derſelben, den man fuͤr ein Herz gehalten, noch immer viele Unge - wißheit herrſchet, findet ſich bey den Mollusken ſchon ein vollkommenes Herz, mit großen Blutgefaͤßen, die in der Anordnung ſowohl als im Bau ihrer einzelnen Theile, dem Herzen und den Gefaͤßen der vollkommneren Thiere gleichen. Auch die uͤbrigen Eingeweide, der Magen, die Leber, zeigen eine große Aehnlichkeit mit denen der hoͤheren Klaſſen. Aber ohngeachtet dieſer vollkommnen Ausbildung in den innern Theilen, fin - den wir bey verſchiedenen Geſchlechtern dieſer Thier - klaſſe, keine Spuren mehr von jenen Sinnesorganen, die ſich auf den vorigen Stufen wenigſtens ſchon an - gekuͤndigt hatten. Bey den Auſtern, Ascidien, En - ten - und Perlenmuſcheln, ſo wie bey vielen andern Schaalenthieren, fehlt der Kopf ganz, und mit ihm zugleich alle Sinnesorgane, welche ſich bey vollkomm - neren Thieren an dieſem finden. Man hat dieſe Ge - ſchlechter unter dem Nahmen der Acephalen oder Hauptloſen zuſammengefaßt. Hierauf gleich in jenen zunaͤchſt angraͤnzenden Schaalenthieren, welche zu dem Geſchlecht der Schnecken gehoͤren, oder dieſen aͤhnlich ſind, finden ſich wieder die erſten Spuren eines Au - ges, welches endlich in den Tintenfiſchen faſt ſo voll - kommen ausgebildet iſt, wie bey den Fiſchen. Zu -263 gleich findet ſich bey dieſer Thierart ein Gehoͤrorgan, welches zwar in ſeinem ganzen Bau dem der Fiſche ziemlich nahe ſteht, jedoch nicht ſo vollkommen aus - gebildet erſcheint, als das Auge.

So tritt auch hier, nachdem in einigen Geſchlech - tern, wo ſich die bildende Kraft ganz auf die Vollen - dung der innern Theile gewendet, und die Ausbildung der aͤußern verſaͤumt zu haben ſcheint, die Sinnesor - gane gaͤnzlich verſchwunden waren, zuerſt wieder das Auge, und naͤchſt ihm das Ohr auf.

Ueberhaupt erkennen wir deutlich in der merkwuͤr - digen Klaſſe der Mollusken einen Wendepunkt, an welchem ſich die Klaſſen der Thiere mit rothen kalten Blut (Fiſche und Amphibien) von denen der Thiere mit weißen kaltem Blut, ohne eigentlichen Kreißlauf, ſcheiden. Ein Theil der Schaalenthiere, mit noch un - vollkommenem Kreißlauf, gehoͤrt noch herunter zu den tiefer ſtehenden Thierklaſſen der Inſekten, Wuͤrmer und Pflanzenthiere, bey dieſen ſehen wir allmaͤlig die Sinnorgane, welche bey den Inſekten ſchon vor - handen waren, wieder verſchwinden, und es bleibt bey den Hauptloſen nur noch der Sinn des Geſchmacks, als der, welcher ſich, wie wir ſehen werden, zuletzt ausbildet, zuruͤck. Dagegen zeigen ſich die Eingewei - de, welche mit dem Syſtem der Sinnen und des Em - pfindens in einem beſtaͤndigen Gegenſatz ſtehen, und welche dann am lebendigſten wirken, wenn jene unthaͤ -264 tiger oder ohnmaͤchtiger ſind, auf eine Weiſe ausgebil - det, wie in keinem der fruͤhern Geſchlechter. So er - reicht die erſte Thierreihe ihren hoͤchſten Gipfel in We - ſen, welche allen Eindruͤcken der Außenwelt, dem Licht und den Toͤnen verſchloſſen ſind, und der Geiſt der Natur ſcheint ſich, ermuͤdet von dem erſten Tage - werk, in ſich ſelber zu vertiefen, betrachtend, und zum neuem Werke ſich bereitend. Eine ſolche Stille und Abgeſchiedenheit gegen die Außenwelt, ſcheint uͤber - haupt oͤfters den letzten Ausgang des bisherigen und die Vorbereitung zu dem hoͤheren Daſeyn zu bezeich - nen, und auch das Gemuͤth des Menſchen, ermuͤdet von dem Streben nach außen, ruhet zuletzt in ſich ſel - ber aus.

Hierauf jenſeits dieſes erſten Wendepunktes des Thierreichs, begruͤßt die neuentſtandene hoͤhere Reihe zuerſt wieder das Licht, jedoch mit vollkommneren Or - ganen, als in den tiefer ſtehenden Weſen. Es wird nun von der abentheuerlichen Geſtalt der Sepien der Uebergang zu den Fiſchen gefunden, und jenes ſonder - bare Geſchlecht der Knorpelfiſche, das unter dem all - gemeinen Nahmen der Meernadeln zuſammengefaßt wird, und zu welchem unter andern das Meerpferd - chen gehoͤrt, bey dem die Naturforſcher lange in Un - gewißheit geweſen, ob ſie es zu den Fiſchen oder zu den Wuͤrmern zaͤhlen ſollten, ſteht wenigſtens nicht fern von der Graͤnze der niedrigeren Organiſationen. Noch finden wir hier die Ueberreſte jenes fleiſchigen Mantels,265 welcher den Tintenfiſchen eigenthuͤmlich iſt, in einer Haut, welche von dem hintern Theil des Kopfes nach dem Rumpfe hinlaͤuft, und nur einen kleinen Zwi - ſchenraum fuͤr die Kiemenoͤfnung uͤbrig laͤſſet.

Die Natur erringt nun in den Fiſchen, durch all - maͤliges Weiterbilden, die erſten Anfaͤnge eines wirk - lichen Gehirns, die ſich noch in einigen kleinen Kuͤgel - chen, meiſt 5 an der Zahl, darſtellen, und ein voll - kommneres in ſeiner Anordnung dem der Saͤugethiere aͤhnlicheres Nervenſyſtem. Der Kreißlauf naͤhert ſich nicht minder, beſonders in den hoͤheren Geſchlechtern, dem der Saͤugethiere immer mehr, und das Blut hat bey allen die vollkommenere rothe Farbe, waͤhrend bey den Schaalenthieren blos in der gefaͤrbten Fluͤſſigkeit des ſogenannten Purpurbeutels, der ſich faſt bey allen findet, und bey den Sepien die ſchwarze Fluͤſſigkeit enthielt, eine Annaͤherung an das rothe Blut der hoͤ - heren Thiere gefunden wird. Es finden ſich bey den Fiſchen alle Sinnesorgane, außer dem des Geſchmacks, in ziemlicher Vollendung, noch fehlen aber dem Rumpf die aͤußeren Glieder, die ſich bey den Schaalenthieren faſt gaͤnzlich verlohren, waͤhrend ſie bey den Inſekten ſchon ſehr ausgezeichnet hervortraten, und nur die Floſ - ſen deuten auf die aͤußern Glieder der darauf folgenden hoͤheren Geſchlechter hin.

Aus jener Abtheilung der Knorpelfiſche, welche feſtgewachsne Branchien hat, findet ſich der Ueber -266 gang in die Klaſſe der Amphibien. Es tritt hier wie - der als der zuletzt ausgebildete Sinn, ein vollkomm - neres Organ des Geſchmacks zu den ſchon fruͤher vor - handnen Sinnen. Einige Amphibien, unter andern einige groͤßere Eydexenarten und Schildkroͤten, zeigen in dem Bau der innern Theile, eine große Verwand - ſchaft mit dem Bau der Voͤgel, und ſo wird hier ein zweyter, hoͤherer Wendepunkt gefunden, welcher die Klaſſen der Thiere mit kalten rothen Blut, von den hoͤheren der Thiere mit warmen rothen Blute ſcheidet. Jenes ſtille in ſich gekehrte Leben, die Stumpfheit der Sinnen, bey einigen die Langſamkeit der Bewegungen, bezeichnen auch hier die Vorbereitung zu einem hoͤheren vollkommneren Daſeyn. Abermals hat ſich, wie bey den Mollusken, die ganze Lebenskraft nach der Aus - bildung der innern Theile des Rumpfes hingewendet, und es ſcheint bey vielen Amphibien der Kopf und der Vereinigungspunkt des Nervenſyſtems nicht der leben - digſte und nothwendigſte Mittelpunkt des Daſeyns zu ſeyn, wie bey andern Thieren, woher auch die erſtaun - liche Ausdauer dieſer Thiere koͤmmt. Man hat Schild - kroͤten lange Zeit leben, und Speiſe nehmen ſehen, de - nen man den Schedel geoͤffnet, und das Gehirn her - ausgenommen hatte, andre lebten und bewegten ſich noch Wochen lang, nachdem man ihnen den Kopf abge - ſchnitten.

Wie uͤberall, finden ſich in der neubeginnenden hoͤheren Thierreihe, welche durch die Klaſſe der Voͤgel267 an die Amphibien anſchließt, zuerſt die Sinnen, und vornehmlich das Auge und Ohr, und naͤchſt ihnen der Geruch ausgebildet. Die meiſten Voͤgel beſitzen dieſe Sinnen in einer anderwaͤrts beyſpielloſen Schaͤrfe. Mit einem vollkommneren Athmen, zeigt ſich hier ein vollkommnerer Blutumlauf verbunden, der Bau der innern und aͤußern Theile iſt nun faſt gaͤnzlich dem der Saͤugethiere analog. Durch den merkwuͤrdigen Ornitho - rinchus paradoxus, jenes ſonderbare neuerlich entdeck - te Thier, das durch ſeinen Entenſchnabel und Enten - fuͤße ſo wie im Bau einiger innren Theile den Voͤ - geln, uͤbrigens den Saͤugethieren gleicht, findet ſich deutlich der Uebergang von der Geſtalt des Vogels, in die des Saͤugethieres. Zu den uͤbrigen Sinnesorganen tritt nun auch wieder die Zunge, deren hoͤchſte Bedeutung erſt im Menſchen, wo ſie als Sprachorgan erſcheint, er - kannt wird. Ueberhaupt findet ſich dieſes merkwuͤrdige Organ bey dem Menſchen, und hoͤchſtens nur noch bey ei - nigen Affengeſchlechtern zu einer Vollkommenheit ausge - bildet, wie ſonſt nirgends, und gerade die Zunge iſt das einzige Sinnesorgan das der Menſch in einer groͤßern Vollendung beſitzt als die uͤbrigen Thiere,*)Man vergl. Cuvier. waͤhrend er an Schaͤrfe des Geſichts, des Gehoͤrs und Geruchs und an der Vollkommenheit des Baues dieſer Organe ſelber, von andern Thiergeſchlechtern vielfaͤltig uͤber - troffen wird.

268

Es iſt die Gabe des Sprechens, welche zugleich mit jener der Vernunft, den hohen Vorzug unſrer Na - tur vor der der andern Weſen bildet.

Dieſes iſt, nur in einigen duͤrftigen Zuͤgen, der Gang des allgemeinen Lebens von einer geringeren Vollendung zu immer hoͤherer. Das Leben des gan - zen Thierreichs ſcheint ſich durch ein ſtetes Vorwaͤrts - ſtreben nach dem des Menſchen hinzudraͤngen, und nach dieſem gleichſam zu ſehnen. In einzelnen lichten Blicken ſehen wir die Vorahndung des menſchlichen Da - ſeyns an dem thieriſchen voruͤbergehen, und oͤfters wird dieſes noch im Scheiden gleichſam durch ein fer - ne daͤmmerndes Bewußtſeyn verklaͤrt, wovon ich noch kuͤnftig reden werde. Endlich tritt unſer Weſen in die lange Reihe der Lebendigen ein, wir wiſſen nicht woher, noch wohin? wir eilen. Der Weg hinter uns iſt dun - kel, und nur zuweilen wird er durch Traͤume von ei - ner ſonderbaren Innigkeit und Klarheit, die wohl un - tereinander, nicht aber mit dem jetzigen Daſeyn in Be - ziehung ſtehen, aufgehellt. Wir muͤſſen in dieſen, noch mehr aber in dem tiefen und dunklen Geheimniß der Sympathien und Antipathien, oͤfters die Erinn - rung an einen vorhergegangnen Zuſtand anerkennen. Endlich tritt noch die tiefere Naturwiſſenſchaft, Auf - ſchluͤſſe und gewiſſe Merkzeichen gebend hinzu, ſo daß der zuruͤckgelegte Weg wie ein ferner dunkler Schatten von der Seele wahrgenommen wird. Was aber jen - ſeit iſt, wird uns nicht in dunklem Traum, nicht in269 dumpfen Vorahndungen verkuͤndigt, ſondern nur in dem klaren lichten Werk des Lebens, in dem tiefen und heitren Streben des Gemuͤths verſtanden, und aus dieſem faͤllt ein ſeeliger Schimmer auf die dunkle Kluft jenſeits, welcher uns mit froͤlichem Vertrauen hinuͤber - ſchauen laͤſſet.

270

Elfte Vorleſung. Bemerkungen uͤber zwey Reihen in der Klaſſe der Saͤugethiere. *)Der Hauptinnhalt dieſer Vorleſung ſollte eigentlich in einem 2ten Anhang weiter ausgefuͤhrt werden. Doch er - laubt dies ſein Umfang und das Verhaͤltnis deſſelben zu den Graͤnzen dieſes Buchs fuͤr diesmal nicht.

Wir haben jenes geiſtige Band, welches die Natur von Glied zu Glied gehend, um alle Lebendige ge - ſchlungen, und wodurch die einzelnen Zuͤge zu einer großen Schrift voll tiefen Sinnes werden, in einigen aͤußeren Umriſſen des Naturreichs, kaum geahndet, und es kann daſſelbe auch in den ferneren Unterſuchun - gen, die wir nun an jene anknuͤpfen wollen, nicht ſo dargeſtellt werden, wie es nur bey einem tieferen und laͤngeren Verweilen bey dieſem Gegenſtand moͤglich waͤ - re; doch wollen wir, ſo weit unſer Plan es erlaubt,271 noch ferner in andren Naturverhaͤltniſſen auf jenen großen Zuſammenhang aller Einzelnen hindeuten.

Das Pflanzenreich nimmt ſeine Nahrung noch ein - zig aus dem Boden, in welchem es wurzelt, und aus der feuchten Luft, oder dem Waſſer, welche es umge - ben, und lebt ſo noch unmittelbar von dem Anorgi - ſchen. Wie immer die darauf folgende hoͤhere Stufe gaͤnzlich auf der vorhergehenden niedrigeren ruht, und erſt durch dieſe moͤglich wird, ſo wird die Vegetation noch gaͤnzlich von der anorganiſchen Welt des Plane - ten getragen. Die Flechten und einige andre unvoll - kommene Pflanzen, ſcheinen noch Theile des vewitter - ten Felſen den ſie bedecken.

Das Waſſer iſt es vornehmlich, welches der Ve - getation zum Nahrungsmittel dient. Dieſer merkwuͤr - dige Stoff geht, wenn man ihn auch noch ſo ſehr von fremden Beſtandtheilen gereinigt, durch die Vegetation in einen Zuſtand der Verwandlung uͤber, welchen man an ihm dem Anſchein nach, ſchwerlich fuͤr moͤglich gehal - ten haͤtte. Die bekannten Verſuche einiger Chemiker, welche Pflanzenſaamen in deſtillirtem Waſſer und in verſchloſſenen, der Sonne ausgeſetzten Gefaͤßen keimen und aufwachſen ließen, lehrten: daß die ſo erhaltenen Pflanzen alle jene Erden und ſonſtigen Beſtandtheile enthielten, welche in der Aſche der freywachſenden ge - funden werden. Das Waſſer waͤre mithin in dieſen Verſuchen durch die Vegetation in Stoffe von feſter272 Natur uͤbergegangen, von denen es vorhin keine Spur zeigte. Doch waͤre dieſer Fall nicht einzig. Wenn, wie die Geſchichte der Erde lehrt, einſt die Bildung der ganzen jetzigen feſten Maſſe aus dem Fluͤſſigen moͤglich war, wenn die Beſtandtheile dieſer feſten Maſſe, nicht alle zugleich in dem fluͤſſigen Chaos enthalten ſeyn konnten, ſondern der Gehalt der allgemeinen Fluthen zu verſchiedenen Zeiten verſchieden ſeyn mußte, ſo zei - gen ſich ſchon hierinnen eine Menge Erſcheinungen, welche unſre jetzige Chemie noch nicht zu loͤſen vermag, und welche fuͤr die Moͤglichkeit des Ueberganges einer fuͤr einfach gehaltnen Grundform in die andre ſprechen.

Auch ſelbſt im Thierreich muß das Waſſer in ge - wiſſen Faͤllen noch ernaͤhrend wirken, wie im Pflan - zenreich, ja ſelbſt fuͤr die Natur des Menſchen ſcheint ihm dieſes Vermoͤgen nicht ganz abzuſprechen, und wir finden in den Buͤchern der Aerzte mehrere Beyſpiele verzeichnet, in denen ohne einigen Genuß von Nah - rungsmitteln, durch bloßes Waſſertrinken das Leben lange Zeit gefriſtet wurde. Vier und zwanzig Tage erhielt ſich jener Schwermuͤthige, welcher aus Duͤrf - tigkeit und Lebensuͤberdruß den Hungertod erwaͤhlt hat - te, blos bey dem Genuß des Waſſers kraͤftig, und als nach dieſer Zeit die hinzukommenden Freunde ihn von neuem Speiſe zu nehmen noͤthigten, geſchahe der Ueber - gang zu der gewoͤhnlichen Weiſe des Lebens leicht, und in wenigen Tagen. Jener Wahnſinnige zu Haarlem, der ſich in ſeinem Wahn, an einen einſamen Ort be -273 geben, lebte hier noch laͤngere Zeit blos vom Waſſer - trinken, wozu er noch Tabak geraucht. Mehrere aͤhn - liche Faͤlle kann man in Smiths Werk uͤber die Tugen - den des gemeinen Waſſers leſen. Zur See ſind Etli - che, ſelbſt nicht einmal durchs Waſſertrinken, ſondern blos durch das Anfeuchten der Kleider mit Seewaſſer, das von der Haut eingeſogen worden, mehrere Tage bey Kraͤften erhalten u. ſ. w.

In der Klaſſe der Wuͤrmer, der Thierpflanzen und ſelbſt noch der Mollusken, iſt es nichts ſeltenes einzelne Gattungen ganz, oder doch groͤßtentheils vom Waſſer leben zu ſehen, welches dann durch den Ver - dauungsproceß einer aͤhnlichen Verwandlung faͤhig ſeyn muß, als durch den der Vegetation. Nur in dieſen unterſten Klaſſen des Thierreichs findet man auch jene Gattungen, welche wie die Pflanzen noch ganz von der anorganiſchen Koͤrperwelt leben, und ſich nebſt dem Waſſer blos von Steinen ernaͤhren. Es gehoͤren dahin unter andern jene Bohrmuſcheln, die ſich mitten in den haͤrteſten Felſen, wie Wuͤrmer in eine weiche Maſſe hineinzehren, ſo wie jene kleinen Thiere, welche blos von der feuchten Erde leben. In dem hoͤheren Thier - reich erlaubt die Natur eine ſolche Genuͤgſamkeit nicht mehr, oder doch nur in ſeltnen Faͤllen, und dieſes kann auch hierinnen eine hoͤhere Potenz des Pflanzen - reichs oder der vorhergehenden organiſchen Welt ge - nannt werden, weil es blos von dieſer ſich naͤhrt.

S274

Wenn die erſte Stufe eines hoͤher organiſirten Thierreichs die Klaſſe der Inſekten iſt, ſo finden wir hier, zugleich mit der vollkommneren Organiſation, beſonders der Eingeweide, die Ernaͤhrung von organi - ſchen Koͤrpern, von Pflanzen. Die vollkommneren Waſſerthiere, welche ſich in Hinſicht der Organiſation hier - an anſchließen, leben in den unterſten Geſchlechtern von Wuͤrmern, hernach jenſeit des erſten Wendepunktes, in dem Reiche der Fiſche, finden wir, daß die kleine - ren und ſchwaͤcheren Geſchlechter, den groͤßeren und ſtaͤrkeren zur Nahrung dienen, und wirklich folgen ſich auch in Hinſicht der Ausbildung die Glieder einiger Reihen dieſer Klaſſe, ſo wie in der Groͤße.

Endlich ſo iſt auch in den hoͤheren Klaſſen wieder der eine Theil an die Pflanzen, ein anderer an thieri - ſche Nahrung angewieſen; ſo daß wir in Hinſicht der Nahrung 3[Hauptabtheilungen] finden, davon die eine noch blos von der anorgiſchen Welt, vornehmlich vom Waſſer lebt, die andre von Pflanzen, eine dritte am andern Ende gelegene von Thieren.

Die Nahrung, welche jeder Thierklaſſe angewieſen iſt, wird uns von der groͤßten Wichtigkeit, wenn wir, wie jetzt geſchehen ſoll, die große Verſchiedenheit, wel - che in allen Verhaͤltniſſen an den Thiergeſchlechtern der verſchiednen Abtheilungen gefunden wird, betrachten. Wir wollen uns dabey nur an die von Pflanzen - und Thieren lebenden Weſen und zwar vorzugsweiſe wieder275 nur an die aus der Klaſſe der Saͤugethiere halten. Wir ſehen in dieſer Klaſſe die von Pflanzen und die vom Raube lebenden Thiere, ſowohl ihrem jetzigen Beſtand als auch der Zeit des Entſtehens nach, zwey verſchiedne Reihen bilden.

Der gemeinſchaftliche hoͤchſte Gipfel der Vollen - dung beyder, iſt der Menſch, waͤhrend auch die aͤußer - ſten Enden beyder, welche in die Klaſſe der Voͤgel uͤbergehen, in gewiſſer Hinſicht uͤbereinſtimmen. Es lehrt naͤmlich ſchon die Geognoſie, daß vor jener großen Revolution, welche faſt die ganze damalige Organiſation unter ihren Niederſchlaͤgen begrub, ent - weder gar keine oder nur wenige Raubthiere vorhan - den waren. Denn obgleich in allen Welttheilen, ſo weit man die juͤngſten Gebirge der Floͤzzeit, oder die aͤlteſten der aufgeſchwemmten durchforſcht hat, die Ueberreſte von unzaͤhligen Saͤugthieren, deren Ge - ſchlechter von Vegetabilien leben, gefunden werden, hat man doch von Raubthieren bisher faſt nur in den Hoͤhlen, wie es ſcheint aus einer ſehr ſpaͤten Zeit, Ueber - reſte gefunden. Die vielen Baͤrenknochen, nur ſelten vermiſcht mit einigen vom Geſchlechte der Hunde, die man meiſtens unverſteinert, und auf dem Boden frey liegend, zum Theil aber durch das kalkhaltige Waſſer, das an den Waͤnden jener Hoͤhlen beſtaͤndig niederſin - tert incruſtirt gefunden, ruͤhren offenbar von Baͤren her, welche lange Jahrtauſende nach jener Naturbege - benheit, durch welche Elephanten und andre ThiereS 2276der Wendekreiße in denſelben Gegenden ihren Untergang fanden, die deutſchen Waͤlder bewohnten, und bey einer ſehr ſpaͤten oͤrtlichen Ueberſchwemmung, in die, zum Theil noch jetzt offenen Hoͤhlen fluͤchteten. Die Natur erlaubt nicht, daß der nordiſche Baͤr und die Thiere der heißeſten Laͤuder in einer Gegend wohnen. Schon die - ſes macht einen gleichzeitigen Urſprung der Ueberreſte ſo verſchiedener Thiergattungen unwahrſcheinlich. Doch verſchwindet der Irrthum gaͤnzlich, wenn wir die Ge - birgsarten, in denen das aͤltere Thierreich begraben liegt, mit dem offenbar ſpaͤt entſtandenen, allem An - ſchein nach von keiner jener großen Fluthen beruͤhr - ten knoͤchernen Tafelwerk jener Hoͤhlen vergleichen.

Ein einziges Thier, aus einer Gattung, von wel - cher es, wie wir eben ſehen werden, mehr als zwei - felhaft iſt, ob ſie zu der einen oder der andern Reihe muͤſſe geſtellt werden, naͤmlich aus der der Beutelthie - re, iſt offenbar von ſehr altem Urſprung, und dieſes hat unter andern mit den Tapiren und andren Ver - wandten des Elephanten das damals ſehr heiß gelege - ne Frankreich bewohnt. Waͤhrend ſo, von allen Ge - ſchlechtern der Raubthiere, ſo wie von denen der Af - fen, in der aͤltern Geſchichte der Erde keine Spuren gefunden werden, zeigen ſich dagegen die Ueberreſte von allen vollkommneren Pflanzenfreſſenden Thieren, vornehmlich von einer Menge, zum Theil gaͤnzlich ausgeſtorbener Gattungen der ſogenannten Pachyder -277 men, wohin der Elephant ſammt dem Rhinoceros, ſo wie alle Schweinartigen Thiere gehoͤren.

Außer dieſem, abgeſehen von der Geognoſie, de - ren Ausſpruch hier allerdings von der hoͤchſten Bedeu - tung iſt, verhalten ſich ſchon zoologiſch beyde Reihen ganz verſchieden, und in einiger Hinſicht ganz entge - gengeſetzt. Wir finden naͤmlich, um nur Eins zu erwaͤhnen, daß die Zahl der Ruͤckenwirbel bey den von Vegetabilien lebenden Saͤug thieren immer zu - nimmt, je vollkommner die Organiſation der innern Theile iſt, umgekehrt aber nimmt ſie bey den Raub - thieren immer mehr ab, je vollkommener ſie ſind. So finden ſich bey den meiſten Nagethieren, unter andern bey den Haaſengeſchlechtern, wie bey vielen maͤuſearti - gen Thieren, nur 12 Ruͤckenwirbel, bey andren Thie - ren dieſer Abtheilung, wie bey dem zunaͤchſt angraͤn - zenden wiederkaͤuenden Thieren, finden wir 13, bey den ſchon vollkommner organiſirtem Schweine, und einigen ſeiner Verwandten 14, endlich 18 bey dem Zebra, 19 bey dem Rhinoceros, 20 bey dem noch vollkommneren Tapir und Elephanten. Umgekehrt fin - den wir bey allen Raubthieren von hoͤherer Vollkom - menheit, bey dem Loͤwen, Tiger, ſo wie bey den an - dern vornehmſten Katzengeſchlechtern, nicht minder bey den vollkommenſten Geſchlechtern der Hundeartigen Thie - re, nur 13 Wirbelbeine, waͤhrend die unvollkomme - nen Raubthiere von dem Geſchlechte der Marder und Fiſchottern, ſo wie die unvollkommenſten Gattungen278 der Hunde und Baͤrenartigen Thiere 14 15 und 16 beſitzen. Zugleich nimmt bey den Pflanzenfreſſenden Thieren der Darmkanal an Ausdehnung und Laͤnge im - mer mehr zu, je vollkommner die Gattungen werden, bey den Ranbthieren findet gerade das Umgekehrte ſtatt. Der Menſch befindet ſich an dem Uebergange beyder Reihen, wo beyde an ihrem hoͤchſten Gipfel zuſammentreffen. Er hat nur 12 Ruͤckenwirbel, und der Sprung von der bey dem Elephanten bemerkten Zahl, zu dieſer geringen, waͤre zu groß, wenn nicht ſehr deutlich ein Herabſinken jener Zahl durch Mittel - glieder, von denen einige Geſchlechter nur noch aus Verſteinerungen bekannt, andre wie wie hernach ſehen werden, vielleicht noch vorhanden ſind, bemerkt wuͤrde. Bey den meiſten und vollkommenſten Affen - geſchlechtern, in denen, von dem gemeinſchaftlichen Gipfel wieder abwaͤrts, die zweyte Reihe beginnt, fin - det ſich dieſelbe Zahl wie bey dem Menſchen; wir ſe - hen dieſe aber in dem boshaften und ungelehrigen Ge - ſchlecht der Macaquen, wozu der haͤßliche chineſiſche Affe gehoͤrt, noch weiter, bis auf 11 herunter ſinken, waͤhrend ſie in andern Geſchlechtern, die zunaͤchſt an die Raubthiere angraͤnzen, ſchon wieder auf 13 ſteigt. So wird ſelbſt ſchon in dieſem an ſich unwichtig ſchei - nenden Zahlenverhaͤltnis, das Daſeyn jener beyden Rei - hen wenigſtens wahrſcheinlich, es wird daſſelbe aber ganz gewiß und klar, wenn wir die Verwandtſchaften der verſchiedenen Geſchlechter unter einander, die279 Uebergaͤnge und das allmaͤlige Aufwaͤrtsſteigen derſelben betrachten.

Bekanntlich graͤnzt in ſeinem innren und aͤußren Bau unter allen Voͤgeln der Strauß zunaͤchſt an die Saͤugethiere an, und es kommen ihm hierinnen, wie wir hernach ſehen werden, nur einige Waſſervoͤgel gleich, bey denen ſich jedoch dieſe Annaͤherung auf ei - ne ganz andere Weiſe aͤußert. Es giebt unter den Saͤugethieren einige Geſchlechter, die in ihrer Geſtalt wie zum Theil noch im innren Bau, eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Strauße haben, auf welche Aehn - lichkeit ſchon von Anderen aufmerkſam gemacht iſt. Sie gehoͤren, wenigſtens hat man ſie bisher dahin gerech - net, zu den merkwuͤrdigen Geſchlechtern der Beutel - thiere, mit denen ſie jedoch nur durch das Organ, wornach dieſe ganze Abtheilung genannt iſt, uͤberein - ſtimmen, anderwaͤrts aber ganz abweichen. Vorzuͤg - lich ſind es die Phalangiſten, wozu der Coscoes von Amboina gehoͤrt, und die Neuhollaͤndiſchen Kaͤnguruhs, welche dieſe Aehnlichkeit zeigen. Eine Uebereinſtim - mung, welche von viel tieferer Bedeutung iſt, als auf den erſten Anblick ſcheint, naͤhert dieſe Thiere dem Strauß und den ihm naheſtehenden Voͤgelgeſchlechtern noch mehr. Waͤhrend naͤmlich bey den meiſten Voͤgeln die Jungen nach dem Ausbruͤten zuerſt nackt und huͤlf - los erſcheinen, und einer langen Vorſorge der Alten beduͤrfen, ſehen wir die Jungen der vollkommner orga - niſirten Voͤgel von dem Geſchlecht der Huͤner, und dem280 zunaͤchſt angraͤnzendem der Straußen, ſogleich vollkom - men ausgebildet, faͤhig ſich ſelbſt, unter der Anfuͤhrung der Mutter die Nahrung zu ſuchen, aus dem Ey her - vorgehen, und das muͤtterliche Neſt verlaſſen. Es iſt nun nur noch ein Schritt bis dahin, wo auch die Noth - wendigkeit des Bruͤtens allmaͤlig verſchwindet, und die Jungen ſogleich lebend, nicht mehr als Ey gebohren werden. Noch graͤnzt aber der nur halb vollendete, unreife Zuſtand, in welchem die Jungen der Phalan - giſten und Kaͤnguruhs auf die Welt kommen, zunaͤchſt an jenen der in Eyern eingeſchloſſenen, und des Aus - bruͤtens beduͤrftigen, an. Ungeſtaltet und uͤberaus klein gebohren, kaum noch mit Spuren der Vorder - und Hinterfuͤße, und hierinnen faſt in jenem Zuſtand, in welchem das junge Huͤhnchen im Ey am vierten Tage des Bruͤtens iſt, werden die Neugebohrnen von der Mutter in jene haͤutige Taſche, darinnen ſich die Bruͤſte befinden, gelegt, worinnen ſie zugleich ausge - bruͤtet und ernaͤhrt werden. Endlich faͤllt bey voll - kommneren Saͤugethieren, dieſer dem Ausbruͤten der Voͤgel in etwas aͤhnliche Mittelzuſtand der Jungen, allmaͤlig hinweg; die der zunaͤchſt angraͤnzenden Ge - ſchlechter, werden zwar noch blind und zum Laufen noch unfaͤhig gebohren, doch zeigen ſich ſchon alle Thei - le vollkommen entwickelt.

So beduͤrfen die Jungen der meiſten Voͤgel, nach - dem ſie als Eyer gebohren worden, nicht blos des Aus - bruͤtens, ſondern auch nach demſelben noch, erſchei -281 nen ſie unvollkommen entwicklet und der aͤußern Pfle - ge beduͤrftig. Bey den Huͤnern und Straußenartigen Voͤgeln, wird das Junge zwar auch noch als Ey, und ohne Spuren des innern Lebens gebohren, doch zeigt ſich daſſelbe, unmittelbar nach dem Ausbruͤten, voll - kommen entwicklet, und ſeiner ſelber maͤchtig. End - lich graͤnzen hieran Thiere, deren Junge ſchon mit al - len Zeichen des Lebens, nicht mehr als Ey gebohren werden, aber nur noch zum Theil ausgebildet ſind, waͤhrend von Stufe zu Stufe immer mehr die Thiere nicht blos lebendig, ſondern auch vollkommen entwick - let zur Welt kommen.

Von den Geſchlechtern der Phalangiſten und Kaͤn - guruhs finden wir einen deutlichen Uebergang zu den Nagethieren. Der gelblich weiſe Coscoes von Amboi - na hat die Groͤße eines Pferdes, das große Kaͤngu - ruh, das ſchon in ſeinen ungemein langen Hinter - fuͤßen, die ihm allein zum Laufen dienen, waͤhrend die muͤßig herabhaͤngenden kleinen Vorderfuͤße, hier - bey eben ſo unthaͤtig ſind, wie die kleinen Fluͤgel beym Strauße, den Anſtand dieſes zunaͤchſt angraͤnzenden Vogels nachahmt, uͤbertrifft oͤfters noch den Strauß an Hoͤhe. Die uͤbrigen Geſchlechter der Phalangiſten und Kaͤnguruhs, von denen erſt vor kurzem einige neue entdeckt wurden, ſind kleiner. Einige von ihnen naͤhern ſich auch noch dadurch den Voͤgeln, daß ſie durch die lange Haut, welche, wie bey den Fleder - maͤuſen von den vordern und hintern Fuͤßen ausge -282 ſpannt iſt, noch vom Baum zu Baum zu flattern ver - moͤgen. So der fliegende Phalangiſt des Cuvier. Ei - nige kleinere Geſchlechter der Kaͤnguruhs, unter an - dern das bekannte Potoru, ſind nur wenig groͤßer als eine Ratte, und naͤhern ſich auch ſchon im Bau und Zahl der Zaͤhne, ſo wie in der aͤußern Geſtalt, den Na - gethieren. Aus dieſer Thierabtheilung graͤnzen zunaͤchſt die maͤnſeartigen Nagethiere an. Viele von ihnen ſind bekanntlich zum Fliegen oder wenigſtens zum Flattern faͤhig, doch gehoͤren wahrſcheinlich von ihnen zu der erſten Reihe nur die Fledermaͤuſe im engſten Sinne, das heißt, die außer der Flughaut gaͤnzlich den maͤuſe - artigen Thieren gleichen, waͤhrend die groͤßeren und anders geſtalteten Fledermaͤuſe an die Glieder der 2ten Reihe, wo dieſe ſich der Klaſſe der Voͤgel naͤhert, an - ſchließen. Es gehen jene Geſchlechter durch die der Eichhoͤrnchen, unter denen es noch ein fliegendes giebt, wie es ſcheint, in die der Cabiais, endlich in die der Haaſen uͤber, aus welchen ein Uebergang zu den wie - derkaͤuenden Thieren gefunden wird. Nicht allein die kleinen Geweihe, die man zuweilen, wenn auch nur in ſeltenen und abnormen Faͤllen, an dem Kopf der Haaſen gefunden hat, ſondern andre Verhaͤltniſſe im Bau, naͤhern die Geſchlechter der Haaſen einigen Ar - ten von wiederkaͤuenden Thieren, und zwar ſind die, welche zunaͤchſt angraͤnzen, die Moſchusthiere. Kaum von der Groͤße eines Haaſen, mit hervorſtehenden Hundezaͤhnen, noch ohne Geweih, erſcheint dieſes Ge - ſchlecht zuerſt in dem kleinen indiſchen Memina, dann283 im eigentlichen Moſchusthier. Die Uebergaͤnge in die Geſchlechter der Hirſche, Giraffen, Antilopen, Zie - gen und Stiere, liegen dem Auge ſehr nahe. Nicht minder deutlich iſt der Uebergang von den wiederkaͤuen - den Thieren zu den Schweineartigen, und nicht allein der Hirſcheber naͤhert ſich an Geſtalt den Hirfchen, ſondern das merkwuͤrdige Schwein Tajaſſu, hat ſchon den innren Bau des Magens, welcher aus mehreren Abtheilungen beſteht, mit dem einiger wiederkaͤuenden Thiere, die bekanntlich 4 Maͤgen beſitzen, gemein. Der Elephant iſt in der Abtheilung der Saͤugethiere, welche mit den Schweineartigen beginnt, der hoͤchſte Gipfel. Es treten nun in dem Verlauf der Reihe, die untergegangenen Geſchlechter der Palaͤotherien und Anoplotherien ein, von denen Cuvier viele Arten unter den Verſteinerungen von Montmartre entdeckt hat, doch iſt es von den erſteren wahrſcheinlich, daß ſie zwiſchen Rhinoceros und Tapir geſtanden haben. Durch ein nicht minder verlohren gegangenes Geſchlecht, je - nes Rieſenthier, das Cuvier Megatherium nennt, und das in ſeinem Bau von allen jetzt vorhandenen Thier - gattungen ungemein weit abweicht, ſieht man in vie - len der erwaͤhnten Verhaͤltniſſe, ein Weiterſchreiten der Reihe. Dieſes Thiergeſchlecht, von welchem die Ueberreſte mehrerer Arten vorhanden ſind, iſt ſeinem ganzen Bau nach nicht minder ungeſchickt zum Gehen geweſen als das Faulthier, und bey der Groͤße ſeines Koͤrpers, welche die natuͤrliche Beſchwerde noch ver - mehren mußte, iſt es von der Natur auf einen engen284 Raum, auf oas Thal oder den Sumpf, in welchen es gebohren worden, beſchraͤnkt geweſen. Es giebt uns die ganze merkwuͤrdige Familie der Faulthierartigen Geſchlechter, von welcher alle, bis auf einige wenige untergegangen ſind, ein Beyſpiel von einem nach einer Seite uͤber die Graͤnze hinausgehenden, und darum mislingenden Streben der bildenden Natur. Die gan - ze Lebenskraft ſcheint ſich in den zuletzt aus der erſten Reihe hervorgehenden Geſchlechtern, mehr nach innen zuruͤckzuziehen, die Thaͤtigkeit nach außen nimmt ab, ja wie wir nachher ſehen werden, verſchwinden zuletzt ſelbſt die zu dieſer Thaͤtigkeit noͤthigen Glieder. Die Natur bereitet ſich, gleichſam tief in ſich gekehrt, zu ihrem letzten, hoͤchſten Werke vor, damit aber uͤber - haupt dieſer neue Schritt moͤglich werde, muß ſie in das Element, aus welchem Alles hervorgegangen, zu - ruͤckkehren. Die Graͤnze der auf dem Lande lebenden Thiere der erſten Reihe, ſcheint in den Elephantenarti - gen, von da ſchließt ſie an die Cetaceen an. Dagegen hat die Natur in den Faulthierartigen Geſchlechtern, die erſte Reihe nach der einen Seite hin noch fortzufuͤhren geſucht, und wir ſehen in dieſen z. B. die Zahl der Ruͤckenwirbel auf 23 ſteigen. Es ſtrebt der Bildungs - trieb der Erde, ohne erſt in das Meer und die alte In - differenz der Geſtaltungen zuruͤckzukehren, gleich in der Richtung der erſten Reihe das hoͤchſte Ziel den Menſchen zu erreichen. Vergeblich, ſie bringt es mit ihrer letzten Anſtrengung nur zur Affenaͤhnlichkeit (in den noch jetzt lebenden Faulthieren) und die Glieder, die285 ſie dem hoͤheren Geſetz entgegen hartnaͤckig behauptete, find dieſen armſeeligen Thieren voͤllig unbrauchbar. Bis zuletzt in dieſen Geſchlechtern, jener falſche Bil - dungstrieb der Natur, der ſich auf dem Lande, und in der einmal eingeſchlagenen Richtung behaupten wol - len, kraftlos, in zwergartigen, gleich mit der Kraft - loſigkeit der Greiſe gebohrenen Weſen erliſcht.

Dieſes Beyſpiel eines ſolchen einſeitigen, und des - halb verungluͤckten Strebens der bildenden Natur, iſt nicht einzig. Wir ſehen nach mehreren Richtungen hin die Natur einſeitig von dem allgemeinen Geſetz ihrer Bildungen abweichen, und ſtatt aufwaͤrts zu ſteigen, ſich allezeit in unvollkommnere Formen verirren. Eigent - lich iſt die ganze zweyte Reihe der Saͤugethiere, die der Raubthiere, ein ſolcher Abweg*)Recht im Großen, das was Auswuͤchſe des organiſchen Koͤrpers, die mitten in dieſem und auf ihm einen kleinen fuͤr ſich beſtehenden Organismus bilden wollen, im Klei - nen ſind. wie ſich an ei - nem andern Ort deutlicher zeigen wird, und im Gan - zen genommen eben ſo ſehr nur das Einzelne angehend, als alle ſolche Abweichungen (man denke nur an die ungeheure Zahl der Geſchlechter ſowohl als Individuen in der erſten Reihe, an die geringe Zahl in der zwey - ten.) Eigentlich iſt die Schoͤpfung der Lebendigen mit dem Menſchen geſchloſſen, doch gehoͤrt dieſes zweyle - bige Weſen der Erde kaum noch halb an. Es verſucht286 nun aber auch die Erde (gleichſam ohne jene hoͤhere Beyhuͤlfe, die ihr bey der Schoͤpfung des Menſchen noͤthig war, durch ihre eignen Kraͤfte) die einmal ſo weit gerathene Schoͤpfung immer weiter (einſeitig) fortzu - fuͤhren. Doch das an dem Gipfel der erſten Reihe voruͤbergegangene Ideal war uͤber die Natur des Pla - neten erhaben. Es gelingen nur Affen ſtatt der Ge - ſtalt des Menſchen, und auch von dieſen muß der in - nere noch in ſeiner Einſeitigkeit beharrende Bildungs - trieb immer tiefer herab ſinken.

Die Geſchlechter der Meerthiere von den Verwand - ten des Seehundes ſcheinen ein aͤhnlicher Abweg von den Formen der Cetaceen aus, wenn ſie nicht ganz in die zweyte Reihe gehoͤren. Ueberhaupt ſcheinen die haͤufigen Verwandtſchaften, und vielleicht ſelbſt Ueber - gaͤnge die ſich bey vielen Geſchlechtern der erſten Reihe in ſolche der zweyten (beſonders in den niedern Klaſſen) finden, haͤufig durch eine ſolche Verirrung entſtanden. Vielleicht daß ſo angeſehen einige Glieder noch in die erſte Reihe (als Ausartungen) heruͤber gehoͤren, die wir hernach in die zweyte aufnehmen werden. Solche Uebergaͤnge machen vornehmlich die Rattenartigen und Nagethiere und ſie finden ſich am haͤufigſten gleich beym Beginnen der Saͤugethiere, in der Naͤhe der Klaſſe der Voͤgel, mithin in den zweydeutigen Fledermausge - ſchlechtern, und ihren ungefluͤgelten Verwandten.

So ſcheint denn, wie oben erwaͤhnt, das Stre - ben der bildenden Natur, welches die erſte Reihe in287 ihrer Aufeinanderfolge hervorgerufen, in den letzten Geſchlechtern allmaͤlig zu ermatten, und was ſich in den vorhergehenden Geſchlechtern jugendlich und kraͤftig in raſchen Bewegungen geregt, iſt hier zu der Gebrech - lichkeit und Traͤgheit des ſpaͤten Alters herabgeſunken. Die Natur muß ſich nach einem neuen und hoͤheren Ideal umſehen, welches die ſchon erſtorbene Gluth von neuem anfacht, und die verlohrene Jugend hoͤher und kraͤftiger zuruͤckgiebt. Endlich tritt der Menſch auf, und es erringt mit ihm die Natur das hoͤhere Gei - ſterreich. Hoͤheres vermag ſie nun nichts mehr, es ſinkt die bildende Kraft von dem Gipfel den ſie errun - gen, wieder abwaͤrts, und wir ſehen hernach nicht minder eine abwaͤrts ſinkende Thierreihe, wie wir eine aufſteigende geſehen.

Ehe wir aber zu den Gliedern der zweyten Reihe uͤbergehen, iſt es noͤthig, eines aͤußerſt problemati - ſchen Umſtandes bey der erſten zu gedenken, den wir ſchon oben beruͤhrt haben.

Schon die zuletzt erwaͤhnten Glieder der erſten Reihe, faſſen lauter ſolche Thiere in ſich, welche Suͤmpfe und waſſerreiche Gegenden lieben. Alle Schweineartigen, alle dem Elephanten verwandten Ge - ſchlechter zeigen dieſe Neigung zu feuchten Plaͤtzen. End - lich findet ſich in dem dem Tapir und den Geſchlechtern der Elephantenartigen Thiere ungemein nahe verwand - ten Flußpferd oder Hippopotamus ein Thier, welches faſt288 ſchon ganz im Waſſer lebt. Schon verkuͤrzen ſich die Vorder - und Hinterfuͤße ſo ſehr, daß der Leib beym Ge - hen an der Erde ſtreift, die ganze Geſtalt iſt geſchick - ter zum Schwimmen als zum Gehen. An dieſe jetzt blos in Afrika lebende Thierart, graͤnzen nun unmit - telbar die indiſchen und amerikaniſchen Geſchlechter der Seekuͤhe, vornehmlich die der Duͤgongs und Lamanti - ne an. Das zuletzt genannte ſinnreiche Thier, das blos von Pflanzen lebt, und oft am Ufer weidet, liebt die Geſellſchaft der Menſchen und die Muſik in ei - nem hohen Grade, und die Amerikaner gewoͤhnen es ſehr leicht an ſich.

Schon ſind in dieſen Thierarten die Hinterfuͤße gaͤnzlich verſchwunden, welche mit dem fiſchartigen Schwanz des nach hinten ſpitzig zulaufenden Leibes, unter der Haut zu einem Stuͤck verwachſen ſind. Es ſchließen ſich nun unmittelbar die Cetaceen oder Wall - fiſchartigen Thiere an, welche keine Spur der Hinter - fuͤße mehr zeigen.

Bekanntlich gehoͤren nicht allein die Wallfiſche und Cachelotten, ſondern auch die Delphine und Narwhals zu jenen im Waſſer lebenden warmbluͤtigen Thieren, welche lebendige Junge gebaͤhren, die ſie an ihren Bruͤ - ſten groß ſaͤugen, und welche ſonſt im ganzen Bau mit den vollkommenſten Saͤugethieren uͤbereinſtimmen. Der Wallfiſch iſt noch immer nicht hinlaͤnglich anato - miſch unterſucht, dagegen hat die Zergliederung bey289 dem Delphin, einige der merkwuͤrdigſten Thatſachen der Zoologie entdeckt.

Dieſes ſinnreiche Thier, deſſen beſtaͤndige Liebe zu dem Menſchen und zur Muſik, ſchon von den Alten geprieſen war, geſellt ſich wirklich im Meere immer zu den Schiffen, und das vom feſten Lande verbannte Geſchlecht ſcheint ſich in ſeiner oͤden nur von einer un - vollkommenen Natur bewohnten Heimath, der Naͤhe des Menſchen vor allen andern Thieren zu freuen.

Im Bau ſeines Gehirns zeigt ſich dieſes Thier dem Menſchen naͤher verwandt als alle andre Thiere, naͤ - her als der Elephant und die Affen. Wenigſtens zeigt ſich dieſe nahe Verwandſchaft in einigen Hauptzuͤgen. Waͤhrend naͤmlich bey den unvollkommneren Thieren, die Form des Gehirns mehr in die Laͤnge, von vorne nach hinten gedehnt erſcheint, waͤhrend der hintere Abſchnitt des großen Gehirns bey den meiſten ganz verſchwindet, und das kleine Gehirn unmittelbar nach dem Hinweg - nehmen des Schedels ſichtbar wird, findet ſich bey dem Menſchen eine vollkommnere Entwicklung nach den beyden Seiten (der Durchmeſſer nach dieſen, nimmt im Ganzen und in den einzelnen Theilen zu) und das kleine Gehirn zeigt ſich voͤllig von den Fortſaͤtzen des großen nach hinten bedeckt. Bey dem Delphin hat die Aus - bildung des Gehirns nach beyden Seiten den hoͤchſten Gipfel erreicht, und nicht minder findet ſich, wie bey dem Menſchen, das kleine Gehirn von den FortſaͤtzenT290des großen bedeckt. Ferner ſind es die tieferen und zahlreicheren Windungen, welche das Gehirn des Men - ſchen ſchon aͤußerlich vor dem aller andern Thiere aus - zeichnen. Schon die Affen haben bey weitem weniger Windungen, die hintern Theile des Gehirns bey den meiſten gar keine. Ja man hat bey dem Gehirn der verſchiednen Menſchen ſelber, je nachdem es von mehr oder minder geiſtreichen Menſchen war, mehrere oder mindere Windungen gefunden, und die Bloͤdſinnigen zeigten an ihrem Gehirn die wenigſten und flaͤchſten. Deshalb iſt es hoͤchſt merkwuͤrdig, daß gerade an dem Gehirn des Delphins, und wahrſcheinlich an dem der mei - ſten andern Cetaceen, eine ſo große Menge und ſo tiefe Windungen beobachtet werden. Man kann dieſe und andre Eigenſchaften, welche das Gehirn des Delphins auszeichnen, in Cuviers vergleichender Anatomie nach - leſen.

Es erhaͤlt, wenn wir jene natuͤrliche Beſchaffen - heit vorausſenden, eine andre Thatſache, welche Au - tenrieth in ſeiner Phyſiologie erzaͤhlt, eine um ſo tiefe - re Bedeutung. Der ſterbende Delphin ſoll ſeine Jaͤ - ger, in deren Naͤhe ihn ein unwiderſtehlicher Natur - trieb gefuͤhrt, und an welche ihn ſeine eigne Zunei - gung verrathen, mit einem Blicke anſehen, in welchem ſich der Schmerz und gleichſam ein ſanfter Vorwurf oder ein Flehen um Mitleid ſo tief ausdruͤcken, als in dem menſchlichen, und in welchem durchaus keine Spur des Thieriſchen iſt. Es hat dieſer tiefe, ſinnige291 Blick, den man ſonſt noch an keinem Thiere ſo deutlich bemerkt hat, viele Beobachter in Staunen geſetzt, da man ihn am wenigſten bey einem Weſen erwartet, das die Natur der beſchraͤnkteſten haͤßlichſten Thierklaſſe, den Fiſchen, aͤußerlich aͤhnlich gemacht hat. Vielleicht daͤmmert auch hier, in der Natur des ſterbenden Thie - res der erſte Strahl eines Bewußtſeyns, und die Vor - ahndung eines kuͤnftigen hoͤheren, des menſchlichen Lebens.

Bey den Alten war der Delphin heilig, und noch iſt er es bey einigen heydniſchen Kuͤſtenvoͤlkern der alten Welt.

Jener Uebergang der Elephantenartigen Thiere, durch das Flußpferd und die Lamantine in die Ge - ſchlechter der Cetaceen, von denen noch einige, die Narwhalls naͤmlich, das Hervorſtehen der Eckzaͤhne, die von einer dauerhafteren Maſſe ſind als das Elfen - bein, jenen vollkommenſten Landthieren aͤhnlicher macht, der hoͤchſt merkwuͤrdige, Menſchenaͤhnliche Bau des Gehirns, andrer Uebereinſtimmungen der innren Thei - le gar nicht zu gedenken, laſſen uns die Cetaceen als eine merkwuͤrdigere Abtheilung der Saͤugethiere betrach - ten, als ſie gewoͤhnlich ſcheinen. Vielleicht daß auch hier, wie in andern Thierklaſſen, die Natur, ehe ſie ihr hoͤchſtes Werk beginnt, einer Wiedergeburt aus dem Element, aus welchem im Anfang Alles ward, be - darf. Doch will ich mich aller weiteren FolgerungenT 2292uͤber dieſe Thatſachen enthalten, da das, was die Zoologie vielleicht in wenig Jahren unwiderſprechlich wird beweiſen koͤnnen, jetzt allerdings paradox und laͤ - cherlich erſcheinen muß.

Wenn auch die letzten Glieder, welche zwiſchen den Elephantenartigen Thieren und dem Menſchen mit - ten innen liegen, etwas dunkel ſind, es ſey nun daß einige durch voruͤbergegangene Naturrevolutionen, ſo wie die oben genannten Geſchlechter, untergegangen ſind, oder daß wirklich erſt noch ein Uebergang in die Cetaceen noͤthig iſt; ſo iſt doch die zweyte Reihe von ih - rem Beginnen, bis zu den letzten Gliedern, durchaus deutlich und verſtaͤndlich. Sie ſcheint, wie ſchon er - waͤhnt, ſpaͤter entſtanden, als die erſte, und wir ver - miſſen nirgends ein vielleicht verlohren gegangenes Glied in ihr, wie in der erſten. Die Geſchlechter der Affen bilden die erſten zunaͤchſt an den gemeinſchaftlichen Gi - pfel angraͤnzenden Glieder der zweyten Reihe. Die Natur vermag in ihnen ihrem hoͤchſten Werk nur noch nachzuahmen, und wie die einzelnen Fluthen, nachdem ſie erſt allmaͤlig ſtiegen, dann wieder ſchneller abnah - men, nimmt die Vollkommenheit ihrer Gebilde, nach - dem ſie von den tieferen Stufen bis zu der hoͤchſten ge - ſtiegen, ſchneller wieder ab als ſie gewachſen. Von einigen Affengeſchlechtern findet ſich der Uebergang in die Hundeartigen Thiere, von andern in die Katzenar - tigen. An die zuerſt genannten ſchließen ſich die Baͤ - ren an, die ſchon durch das Geſchlecht der Mangu -293 ſten, oder Ichneumons, welches Cuvier aus Gruͤn - den unter die Verwandten des Baͤrengeſchlechtes ſtellt, einen Uebergang zu den Mardern und Fiſchottern ma - chen. Gegen das Ende der Reihe erſcheinen wieder jene Arten von Beutelratten, welche deutlich zu den Raubthieren gezaͤhlt werden muͤſſen, wie auch am An - fange der erſten Reihe Thiere von der Verwandſchaft der Beutelthiere, jedoch von Pflanzen lebend, erſchie - nen. Einige von ihnen, unter dem Nahmen der flie - genden Katzen bekannt, ſind mit Flughaͤuten verſehen. Es ſchließen ſich von einer andern Seite wieder in ge - wiſſer Hinſicht faſt den Maͤuſeartigen aͤhnliche Ge - ſchlechter an, meiſt groͤßer von Koͤrper als die der er - ſten Reihe, und die groͤßten von ihnen gehoͤren als Vampire, Phylloſtomen und Rhinolophen zu den Fle - dermaͤuſen. So kuͤndigt ſich von dieſer Seite die aber - malige Naͤhe der Klaſſe der Voͤgel, durch die Eigen - ſchaft des Fliegens an. Von der andern Seite machen aber den Beſchluß der zweyten Reihe, jene Raubthie - re, die man ihres langgedehnten Koͤrpers wegen, Wurmfoͤrmige genannt hat. Es gehoͤren dahin die Geſchlechter der Wieſel, Marder, Iltiſſe und Fiſch - ottern. Aus dieſen findet ſich endlich in dem merk - wuͤrdigen Schnabelthier, das ſeinem Entenſchnabel und dem Bau der Fuͤße nach, ſo wie durch den Nath - loſen Schedel, und durch die knoͤcherne Scheidewand zwiſchen beyden Hirnhaͤlften, ſchon den Waſſervoͤgeln, ſonſt aber den Fiſchottern oder aͤhnlichen Thieren gleicht, ein deutlicher Uebergang aus den vierfuͤßigen Thieren294 zu den Waſſervoͤgeln. So graͤnzt die Klaſſe der Saͤu - gethiere zweymal an die der Voͤgel an, einmal durch die Kaͤnguruhs und Phalangiſten an die Straußenar - tigen, ein andresmal durch das Schnabelthier an die Waſſervoͤgel. Ein bemerkenswuͤrdiger Umſtand ſcheint es, daß dieſe beyden von ſo verſchiednen Seiten an ei - ne andre Klaſſe anſchließenden Thiergeſchlechter, davon das eine aus einer Menge verſchiedner Arten beſteht, beyde blos in Neuholland und den benachbarten Welt - gegenden gefunden werden, und dieſer auch in andrer Hinſicht merkwuͤrdige Welttheil, den ſeine Lage durch weite Meere von beyden Continenten trennt, ſo daß keine Einwandrung fremder Thiergattungen moͤglich war, bildet durch ſeine einfoͤrmige Thierwelt die Ver - einigung zwiſchen den Voͤgeln und Saͤugethieren, und lehrt zugleich, daß bedeutende Erdſtrecken, wenn ſie von andern voͤllig abgeſchnitten ſind, in den Thierge - ſchlechtern die ſie bewohnen jene Mannigfaltigkeit der Bildungen und Kraͤfte nicht zeigen, welche durch die Einmiſchung fremder Gattungen moͤglich wird.

Auch Frankreich, und ein geringer Theil des an - graͤnzenden Landes, hat, wie Cuvier bemerkt, in je - nen Zeiten, wo die Thiere lebten, deren Reſte jetzt in den Gipsbruͤchen zu Montmartre gefunden werden, eine eben ſo einfoͤrmige Thierwelt gehabt, als Neuhol - land, und die 20 oder 30 jetzt untergegangenen Thier - arten von den obengenannten Geſchlechtern, waren ſich295 alle in ihrer Bildung und in der Stufe die ſie in der Thierreihe einnahmen, ſo aͤhnlich, wie die verſchiede - nen Arten der Kaͤnguruhs und Phalangiſten von Neu - holland. Alle ſtunden an der Graͤnze jener bedeuten - den Kluft, die zwiſchen den Elephantenartigen Thie - ren und dem Menſchen iſt.

Auch bey den Voͤgeln ließen ſich jene merkwuͤrdigen zwey Reihen, mit leichter Muͤhe nachweiſen. Nur zeigen jene beyden Enden, womit ſie an die Saͤugethie - re angraͤnzen, auf gleiche Weiſe eine dieſer hoͤheren Thierklaſſe aͤhnliche, und hiermit nach dem gewoͤhnli - chen Maasſtab vollkommnere Organiſation. Man koͤnnte ſomit verſucht werden, zwey Gipfel der Aus - bildung anzunehmen. Die Zahl der Halswirbel (denn dieſe druͤckt hier das Verhaͤltnis der beyden Reihen am leichteſten aus) waͤchſt in der einen Reihe von den un - terſten Gliedern bis zum Strauß, von 11 bis auf 18, waͤhrend ſie in der andern, von einem der vollkommen - ſten Waſſervoͤgel, dem Schwan, bis zu dem letzten Glied dieſer Reihe, das in die Amphibien uͤbergeht, von 23 bis auf 9 herabſinkt.

Die obige Aufſtellung jener beyden Reihen bey den Saͤugethieren, wird aber fuͤr unſern diesmaligen Zweck ſchon hinreichen, beſonders da ſich eine Gelegenheit finden wird, dieſen Gegenſtand der fuͤr die ganze Zoo - logie ohnſtreitig ſehr wichtig und bisher noch ſehr im296 Dunkeln geblieben iſt, etwas ausfuͤhrlicher zu be - handeln.

Wir finden zuerſt, wenn wir nun den Hauptcha - rakter der beyden Reihen betrachten, daß die Geſchlech - ter der erſten eine auffallend viel groͤßere Koͤrpermaſſe vor denen der andern auszeichnet. Die groͤßten Thie - re der zweyten Reihe ſind der Eisbaͤr und der große bengaliſche Tieger, waͤhrend ſich die koͤrperliche Groͤße in der erſten Reihe, nachdem ſchon fruͤher die Geſchlech - ter der Stiere und des Roſſes, das Kameel und die Giraffen, ja gleich beym Beginnen das Rieſenhafte Kaͤnguruh, das zuweilen gegen 10 Fuß Hoͤhe hat, aufgetreten, noch bis zu dem Elephanten, ja bis zu dem groͤßten bekannten Thier der Erde, (wenn wir den fabelhaften Kraken ausnehmen) zum Wallfiſch erhebt. Die Glieder der erſten Reihe leben, wie ſchon erwaͤhnt, faſt blos von Pflanzen, und nur einige Geſchlechter an beyden Graͤnzen, davon die einen an die Klaſſen der Voͤgel angraͤnzen, die andern nach dem Ende der erſten Reihe hinſtehen, naͤhren ſich, jene von Inſekten, dieſe von kleinen Meerthieren. Der große Wallfiſch ſelber begnuͤgt ſich, eine in den nordiſchen Meere un - gemein haͤufige Schaalenloſe Molluske, die Clio borea - lis zur Nahrung zu nehmen. Dagegen ſind die Ge - ſchlechter der zweyten Reihe, welche gleichſam eine zweyte neue Thierwelt mitten in der alten iſt, und das ſchon vorhergegangene Thierreich eben ſo zu ſeiner Ba -297 ſis hat, als die erſte Reihe die Vegetation, eben ſo durchgaͤngig fleiſchfreſſende.

Bey den Gliedern der erſten Reihe finden wir im Verhaͤltniß zu ihrer bedeutenden Koͤrpergroͤße, ein nur ſchwaches Muskelſyſtem, waͤhrend die Muskeln bey den Geſchlechten der zweyten, im Verhaͤltniß zu der viel geringeren Koͤrpergroͤße, zum Theil ganz vorzuͤg - lich ſtark find. Ein viermal ſo kleines Raubthier be - zwingt und toͤdtet oͤfters ein Pflanzenfreſſendes, das gegen ihm ein Rieſe ſcheint. Dagegen ſind die von Vegetabilien lebenden Thiere im Durchſchnitt ſinnvol - ler, gelehriger und kluͤger.

Die aͤußren Sinnen nehmen in der erſten Reihe, gegen den Gipfel hin, an Schaͤrfe ab, die Bewegun - gen werden langſamer oder doch durch den ſchwerfalli - gen Bau des Koͤrpers gehinderter, waͤhrend ſich die Geſchlechter der zweyten Reihe durch eine muntre un - ermuͤdete Beweglichkeit, Leichtigkeit und Schnelle aus - zeichnen.

So ſcheint es ein allgemeines Naturgeſetz, dem wir in der Geſchichte alles Irdiſchen von neuem wie - der begegnen, daß die Weſen von einer groͤßeren Ab - haͤngigkeit von dem Planeten, von einer innigeren Ein - heit mit demſelben ausgehen muͤſſen, ehe ſie, wie nachher auf einer zweyten Stufe geſchicht, von jener Abhaͤngigkeit zur Selbſtſtaͤndigkeit, und zu einem ei -298 genthuͤmlichen Daſeyn gelangen. Die Schieferartig geſchichteten Gebirgsarten, welche in der erſten Haͤlf - te der Urzeit ſo haͤufig ſind, zeigen den großen und faſt ausſchließenden Einfluß der Schwere auf die Bil - dung derſelben, waͤhrend ſich erſt in der zweyten Haͤlf - te der Urzeit die Gebirge zu etwas freyeren und ſelbſt - ſtaͤndigeren Formen erheben, uͤberhaupt aber in der juͤng - ſten Hauptperiode, in der der Floͤzzeit, dieſe freyeren und kuͤhneren Formen am haͤufigſten werden. So zeichnet auch die Pflanzenwelt im Ganzen vor dem Thierreich ihre Abhaͤngigkeit von dem Planeten, und die Einheit mit demſelben aus. Erſt das Thier wird vom Boden frey und ſelbſtſtaͤndig be - weglich, waͤhrend die Pflanze gleichſam nur noch ein Theil des Bodens iſt, in welchem ſie wurzelt. Es geht alſo auch in der organiſchen Welt jener paſſivere Zuſtand, wo das Einzelne nur noch in unmittelbarer Vereinigung mit ſeinem Ganzen beſteht, jenem vor - aus, wo das Einzelne ein Ganzes in ſich, und unab - haͤngig wird. Endlich haben wir im Thierreich, und zwar vorzuͤglich in der Klaſſe der Saͤugethiere ſowohl der Zeit nach als dem Gange der allmaͤligen Ausbil - dung der Formen, eine Reihe vorausgehen ſehen, wo die Geſchlechter durch ihre groͤßere Koͤrpermaſſe und Schwerfaͤlligkeit, durch die Langſamkeit ihrer Bewe - gungen, ja wie zum Beyſpiel die untergegangenen Rie - ſenthiere von dem Bau der Faulthiere, durch die Un - faͤhigkeit zum eigentlichen Gehen, ſtatt deſſen nur ein muͤhſames Kriechen moͤglich war, von dem Boden ab -299 haͤngiger, der allgemeinen Schwere mehr unterworfen waren, welches ſich auch in dem durchgaͤngig paſſiven Weſen und in der Pflanzennahrung ausſpricht. Erſt in der zweyten Reihe zeigt ſich der thieriſche Charakter freyer und ſelbſtſtaͤndiger entwicklet. Darum iſt es je - nem allgemeinen Naturgeſetz gemaͤß, daß auch in der Geſchichte des Menſchen zuerſt eine lange Periode der Hingebung und der Abhaͤngigkeit von der aͤußren Na - tur, jener der Freyheit und Selbſtſtaͤndigkeit voraus - gieng. Wie die Kunſttriebe, die ſich blind und be - wußtlos in dem Bau kunſtreicher Hoͤhlen und andrer Wohnungen aͤußern, am vollkommenſten gleich am Anfang der erſten Reihe, und hiermit der ganzen Klaſ - ſe der Saͤugethiere, in dem Biber und einigen andern Nagethieren erſcheinen, ſo zeigt ſich auch in der Ge - ſchichte des Menſchen gleich Anfangs jener mathema - tiſch aſtronomiſche Kunſttrieb, den wir noch jetzt in den wiſſenſchaftlichen Denkmaͤhlern der aͤlteſten Vor - welt bewundern.

Die hoͤchſte Vollkommenheit ſcheint in der Mitte zu ſchweben, und wenn auch der Menſch in ſeinem ganzen Bau ſich mehr nach der erſten Reihe heruͤber - neigt, deren Gipfel er iſt, ſo ſcheint doch auch die hoͤchſte Bluͤthe der zweyten, die Vollendung des Mus - kelſyſtems und der innren Theile, in ihm zugleich ent - faltet. Die vollkommenſte Harmonie des Nervenſy - ſtems und der Sinnen, mit dem Muskelſyſtem, iſt es, welche den Menſchen vor allen Thieren auszeich - net. Es iſt die hoͤchſte Thaͤtigkeit und Wirkung des300 Einen, nicht ohne die Ruͤckwirkung des andern moͤg - lich, und aus dieſem Geſetz der Wechſelwirkung, ge - hen jene großen und bedeutungsvollen Erſcheinungen hervor, die uns in der natuͤrlichen Geſchichte des Men - ſchen beſchaͤftigen werden.

301

Zwoͤlfte Vorleſung. Ueber die in einem jetzigen Daſeyn ſchlummernden Kraͤfte eines kuͤnftigen.

Wir ſprachen in einigen der vorhergehenden Vorle - ſungen von Reihen organiſcher Weſen, davon wir noch in der letzten die eine bis wenigſtens in die Naͤhe des Menſchen hinauffuͤhrten. Nicht ohne Bedeutung war hierbey das Wort aufſteigend, denn es ſcheint mehr als wahrſcheinlich, daß das allgemeine Leben wie aus einem tiefen Schlaf an der Graͤnze des Anorgiſchen erwachend, aus der Tiefe des Materiellen, in wel - cher es der Planet dem es vorhin untergeordnet gewe - ſen, mit ſich hinabgezogen, eines allmaͤligen Hinauf - ſteigens und mannigfaltiger Uebergaͤnge bis zum Da - ſeyn des Menſchen beduͤrfe. Vielleicht daß in kurzen wiſſenſchaftliche Beweiſe andrer Art fuͤr den tiefen Zu - ſammenhang des (z. B. thieriſchen) Daſeyns auf einer niedern Stufe mit dem auf einer hoͤheren, und wie ſich dieſes ſchon aus jenem nothwendig herleiten laſſe, ge - geben werden koͤnnen, hier aber ſey es erlaubt, einige Worte von einem Zuſammenhange andrer Art, der302 zwiſchen einem kuͤnftigen hoͤheren und einem vorherge - henden niederen Daſeyn ſtatt findet, zu reden, wie naͤmlich das, was in dem kuͤnftigen als wahrhaftes Vermoͤgen, als Kraft in Erfuͤllung gehet, in einem vorhergehenden ſich als unbefriedigtes, ja ſelbſt fuͤr jetzt zweckloſes Streben voraus verkuͤndigt. So iſt deutlich der Keim eines kuͤnftigen Lebens (gleichſam als Embryo) ſchon in dem vorhergehenden enthalten.

Es werden zwar die noch ungebohrnen Kraͤfte ei - nes kuͤnftigen Daſeyns vornehmlich in einem krankhaf - ten oder ohnmaͤchtigen Zuſtand des jetzigen ſichtbar, wie ich dieſes in der naͤchſten Vorleſung zeigen werde, doch ſoll uns die heutige ſolche Vorboten eines neuen noch zukuͤnftigen Lebens auch im geſunden Zuſtand der lebendigen Weſen zeigen.

Fuͤr das menſchliche Gemuͤth iſt die Betrachtung eines ſolchen Zuſammenhanges der verſchiednen Stu - fen des Daſeyns von einem ganz vorzuͤglichen Intereſ - ſe, da ſich nirgends ſo deutlich und innig als in ſeiner Natur, eine kuͤnftige Welt, mit ihren tiefen noch un - enthuͤllten Kraͤften, als bloßes Streben, und eine jetzi - ge als bluͤhender froͤlicher Genuß vermiſcht zeigen. Wir erkennen dieſe verſchiedenartige Miſchung nur zu deutlich in der Bildungsgeſchichte unſrer Natur, wo ſich dieſe etwas vielſeitig zu entfalten ſtrebt. Hiermit muͤſſen wir beginnen.

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Wie kann ich aber hierbey beſſer thun, als wenn ich mich treu an die Arbeit eines meiner Freunde (des Landſchaftsmahlers Friedrich) anſchließe, und treu - lich die Bildungsgeſchichte unſrer Natur, wie ſie von ihm in den 4 Jahres - und Lebenszeiten dargeſtellt iſt, erzaͤhle; ſollte es auch geſchehen, daß die Worte hinter ſeinem Pinſel weit zuruͤckblieben.

Wir wiſſen nicht, welcher tiefe Reiz uͤber der er - ſten Kindheit ruhet. Sey es daß ein Nachklang jenes unbekannten Traumes, aus welchem wir kamen, oder daß jener Abglanz des Goͤttlichen ſie verherrlicht, welcher am reinſten uͤber dem Stillen und Kindlichen ſchwebet. Wir finden uns da, wo wir aus jenem Traum erwachen, wie in der Morgenroͤthe eines be - ſtaͤndigen Fruͤhlingstages, deſſen heitres Gruͤn keine Spur eines ſchon voruͤbergegangnen Herbſtes unter - bricht. Am klaren Quell des Lebens, in welchem ſich der ewige Himmel noch in der erſten Reinheit abſpie - gelt, unter Blumen erwachen wir. Noch ſtrebt der Sinn nicht uͤber den Saum der nahen Huͤgel hinaus, wir ſuchen und erkennen in der Natur nur die Bluͤthen, und das Leben erſcheint uns noch unter dem Bild der ſpielenden, unſchuldigen Laͤmmer. Da beruͤhrt ein fruͤhe aufbluͤhendes Gemuͤth der erſte Strahl jenes Seh - nens*)Einem von den Kindern fallen die erſten Strahlen der aufgehenden Sonne an die Stirne. Es will ihr mit aus - das uns von der Wiege bis zum Grabe fuͤhrt,304 und unbewußt der unendlichen Ferne, die uns von dem ewigen Quell des Lichtes trennt, breiten ſich die kind - lichen Arme aus, das nahe geglaubte zu umfaſſen. Doch ſchon die erſten Schritte ſind ein Irrthum, und wir eilen von dem einſamen Huͤgel der kindlichen Traͤu - me, auf dem wir die erſten aufgehenden Strahlen empfiengen, hinabwaͤrts, in das tiefe Gewuͤhl des Le - bens, wo uns neue Daͤmmerung umfaͤngt.

Der klare Quell wuchs bald zum Fluſſe an, das innre Streben, ſtaͤrker und kraͤftiger geworden, fuͤhr - te uns immer ferner mit ſich hinaus. Zwar voruͤber waren ſchnell die Stunden der Morgenroͤthe, es blie - ben fern hinter uns die gruͤnen Huͤgel der Kindheit, mit ihren Fruͤhlingsblumen und dem Traum von ſpielenden Laͤmmern; doch heitrer und herrlicher ſcheint die zum Scheitel ſteigende Sonne, und der gruͤnende Pfad iſt noch durch keine Klippen unterbrochen. Wenn ſich dann, in den Stunden des glaͤnzenden Mittags, die Welt ſo frey und bluͤhend dem innern Sinne oͤffnet, wenn dem kuͤhnen Gemuͤth, das noch nirgends die Graͤnze ſeines Strebens gefunden, das ferne hohe Ge - woͤlk noch als fernes Gebuͤrge erſcheint, das es zuletzt noch leicht zu erreichen waͤhnt, da ſcheint in der ſuͤßen Zeit der Roſen alles tiefe Sehnen ſein Ziel gefunden zu haben. Dort wo die Lilie der Roſe ſich vermaͤhlt, wo*)gebreiteten Armen entgegen, eilt aber, ſtatt zuruͤck und weiter aufwaͤrts auf den Huͤgel, gerade vor - und herab - waͤrts, wo noch Schatten iſt.305 jene ſchlanken Baͤume mit dunkelgruͤnen Zweigen ſich umfaſſen, ſchlingt die jugendliche Liebe ihren Arm um uns. Da bedarf der alsdann vollkommen ſeelige Sinn nicht mehr der Welt außer ſich, wir traͤumen nur von der ſtillen einſamen Huͤtte auf gruͤnem Huͤgel, von dem laͤndlichen Liede der Turteltaube, und dem einſa - men Thale; vergeſſen iſt auf Augenblicke alles fernere Streben, und wir ruhen zum erſten, und vielleicht wohl zum letzten Male aus, in einer gaͤnzlich ſeeligen Gnuͤge. Denn ſiehe unter den Roſen und Lilien, ſtund auch die hohe Sonnenblume, welche mit treuem Haupt dem Gange des ewigen Lichtes folgt. Ein tieferes Seh - nen in uns ward noch nicht befriedigt, und mit ernſtem Ruf weckt es das ewige Ideal von neuem auf.

Da gieng unter dem vielfaͤltigen Streben, die Stun - de des Mittags voruͤber, voruͤber die Zeit der Roſen und Lilien. Der Abend laͤßt die Flur in ihrer letzten, kraͤftigſten Geſtalt, in der Zeit der Reife ſehen. Die Bluͤthen, welche einſt das Gemuͤth erfreuten, ſind vor - uͤber, nur einige haben Fruͤchte getragen, die meiſten waren fruchtlos, und auf dem herbſtlichen Boden bluͤ - het nur noch einſam, mit der Farbe des Abendroths, die ſpaͤte Zeitloſe, deren Fruͤchte erſt in einem andern Fruͤhling reifen. Die Traͤume von ſtillen Huͤtten auf bluͤhenden Huͤgel, das Lied der Turteltauben, hat das wuͤſte Geraͤuſch der Stadt verdraͤngt. *)Im Kindesalter ſieht man am gruͤnen Quell noch bloß Bluͤthengehuͤſche, im Juͤnglingsalter jenſeit des FluſſesEndlich aberU306iſt, jenſeit des Mittags, dem Gemuͤth klar geworden, was jenes tiefe Streben, jenes Sehnen in uns begehrt. Siehe mit dreygetheiltem Gipfel, erhaben uͤber den Flug der Wolken, von ewigen Schnee ver - huͤllt, blickt dort ein Sinnbild des Ueberirdiſchen und Unvergaͤnglichen, das Alpengebuͤrge heruͤber. Zwar die ehehin friedliche Blaͤue des Himmels iſt verhuͤllt, je - ne unvergaͤnglichen Hoͤhen ſtehen aber noch in ungetruͤb - ter Heiterkeit, von dem Glanz der Sonne ſtrahlend, ein hohes Sinnbild des ewigen Lichts. Da ſtrebt das Gemuͤth mit ſeinen hoͤchſten Kraͤften nach dem unver - gaͤnglichen Gipfel; doch der Drang der Leidenſchaften in uns iſt zum Strom geworden, welcher Schiffe mit ſich hinabfuͤhrt. Wir ringen oͤfters fruchtlos mit ſeinen Wellen, hinuͤber nach dem jenſeitigen Ufer und dem hohen Gebuͤrge, und nur in den Stunden der Be - geiſterung hebt ſich das Gemuͤth, wie jener Adler, wel - cher die Wolken und den Strom ferne zuruͤckgelaſſen, nach den unvergaͤnglichen Hoͤhen. Wenn nun das inn - re Streben ermattete, von dem letzten Theil des Weges, welcher voller Felſen war und Klippen, da wird hier, am dieſſeitigen Ufer, ein Ruheort gefunden, unter dem Kreuz, welches friedlich uͤber Felſen ſteht. Endlich erkennt das Gemuͤth an, daß die Heymath jenes Seh - nens, das uns bis hieher gefuͤhrt, nicht auf der Erde ſey. Eile dann hinab Strom! wo deine Wogen in*)einzelne Huͤtten, im Mannsalter am Ufer des Stromes ei - ne große Stadt, im Greiſenalter ſieht man ſich in einem Kirchhof.307 das ewige Meer gehen, an ferner Kuͤſte, vernahmen wir von einem letzten Ruheort. Wird doch dort die innre Gluth ſich kuͤhlen, die tiefe Wunde heilen! Bluͤ - he dann ab arme Zeitloſe, wenn der Winter naht, ein - zige ſpaͤte Bluͤthe, welche keine Fruͤchte traͤgt. Deine Fruͤchte, du wunderbare Blume! wird jenſeit des Winters ein neuer ferner Fruͤhling reifen.

Endlich ſiehe, die Sonne der hohen Mannskraft iſt hinunter. Des Weges letzter Theil war oͤde und einſam. Alle Bluͤthen waren voruͤber, und ſelbſt die Fruͤchte die ſie uns getragen! denn was wir fuͤr unſer ewiges Eigenthum gehalten, hat das Schickſal, deſſen freye Gabe es geweſen, zuruͤckgenommen. Noch vor unſren Augen iſt in Truͤmmer geſunken ein Theil unſres Tagewerks, das fuͤr die Ewigkeit gebaut ſchien, und von der jungen Welt vergeſſen. Nur der Wille, das Streben in uns, das ſich bis ans Grab nur immer rei - ner und beſſer geworden, erhalten, war unſer, und an dieſem haͤlt ſich das innre Vertrauen feſt. Erreicht iſt die ſtille Kuͤſte, wo ſich der einſt ſo maͤchtige Strom ins Meer verlohren, und der graue Wandrer ſiehet ſich einſam unter Graͤbern. Noch iſt das tiefe Sehnen, das uns bis hieher gefuͤhrt, nicht geſaͤttigt, ach ſelbſt die Hofnung des Sommers, welcher es reifen ſollte, iſt nun voruͤber, und die Zeit des Schnees bedeckt die Saat eines kuͤnftigen Fruͤhlings. Da blickt durch die Truͤmmer einer alten hohen Vergangenheit, der Mond mit vollem Licht herein. Der Himmel oͤffnet ſich dortU 2308uͤber dem Meer, und zeigt ſich noch einmal in ſeinem klaren Blau, wie in der fruͤhen Kindheit. Da wird in prophetiſchem Schimmer, jenſeit des Meeres die Kuͤ - ſie eines fernen Landes geahndet. Von ſeinem ewigen Fruͤhling haben wir vernommen, und wie in ihm jenes tief im Innern wohnende, das wir als Knospe hin - uͤberbringen, reifen wird. Nimm dann hinweg Zeit, auch die letzten Truͤmmer unſers Daſeyns, nimm hin - weg auch die Erinnrung des zuruͤckgelegten Weges, und laß uns, wenn dein ewiges Geſetz es ſo gebent, ſchlummernd in dem lang erſehnten Vaterland an - kommen!

So wird, wenn wir die Bildungsgeſchichte des menſchlichen Gemuͤths, wenn wir ſeine Entwicklung von der Wiege bis zum Grabe betrachten, mitten in dem Gang des irdiſchen Strebens, ein andres hoͤheres er - kannt, welches mit jenem faſt in Widerſpruch zu ſte - hen ſcheint, oder welches wenigſtens in dem Gedraͤng des Lebens, ſelten oder nie aufzubluͤhen vermag. Die hohe Welt der Poeſie und des Kuͤnſtlerideals, noch mehr die Welt der Religion, vermag in dem irdiſchen Da - ſeyn nie ganz einheimiſch zu werden, und pflegt der Vermiſchung mit den Elementen deſſelben zu widerſtre - ben. Auch ſehen wir nicht ſelten auf einzelne Momen - te, oͤfters durch gewaltſamer Weiſe, gewiſſe tiefe Kraͤf - te unſres Weſens hervorſchimmern, welche an geiſti - gem Umfange weit uͤber die Graͤnzen unſrer jetzigen Faͤ - higkeiten hinausgehen, und die wir uns doch vergeblich309 bemuͤhen, im Gang des gewoͤhnlichen Lebens feſt zu halten.

Es wird uns nicht an Beyſpielen, aus allen Theilen der Naturwiſſenſchaft mangeln, welche vielleicht eben uͤber dieſe dunkle und tief liegende Eigenſchaft unſres Gemuͤths, einiges Licht verbreiten koͤnnen. Mit Recht iſt dieſelbe das Beginnen eines hoͤheren uͤberirdiſchen Daſeyns, und der Menſch ein zweylebendes Weſen, welches auf dem hoͤchſten Gipfel der irdiſchen Natur, zugleich die erſten Anlagen der uͤberirdiſchen in ſich ver - einte, genannt worden. Wir ſehen in ihm jenes Stre - ben nach geiſtiger Vollendung kaum erwachen, waͤh - rend des kurzen Daſeyns aber nie erfuͤllt werden. So greift aber in der ganzen Natur, ein hoͤheres kuͤnftiges Daſeyn, in das vorhergehende unvollkommnere ein, bald als Vorahndung, bald ſchon deutlich in ſeinem erſten lebendigen Beginnen ſich regend. Moͤge es jetzt mei - nen Zuhoͤrern gefallen, mir auch zu einigen andern Thatſachen, aus andren Gebieten der Natur zu folgen.

Es ſcheinen in gewiſſen Verhaͤltniſſen, welche ich anderwaͤrts entwickelt habe, die Planeten unſres Sy - ſtems in einer ſo innigen Beziehung auf einander zu ſte - hen, daß gewiſſe Eigenſchaften des naͤchſtfolgenden, entferntern Gliedes, aus denen des vorhergehenden be - ſtimmt werden koͤnnen, ſo daß ein fortſchreitendes Ver - haͤltniß von dem naͤheren zu dem entfernteren Nachbar - planeten gefunden wird, und daß der entferntere eine310 hoͤhere und vollkommnere Entwicklungsſtufe des allge - meinen planetariſchen Charakters, ein hoͤheres Daſeyn deſſelben genannt werden kann. Merkwuͤrdig iſt es, daß wenn man blos die Zahlen der Entfernung des naͤchſtfolgenden Planeten in Sonnenhalbmeſſern, mit der Zahl der eignen Tage des vorhergehenden waͤhrend eines ſeiner Jahre vergleicht, beyde nahe uͤbereinſtim - mend gefunden werden. So betraͤgt die weiteſte Ent - fernung der Erde von der Sonne, gegen 220 Sonnen - halbmeſſer, und von dieſer Zahl iſt die der eignen Tage des naͤchſtvorhergehenden Gliedes der Venus waͤhrend eines ihrer Jahre, nur wenig verſchieden. Die Zahl der Erdentage waͤhrend eines Jahres, betraͤgt bekanntlich etwas uͤber 365, die der weiteſten Entfer - nung des naͤchſtfolgenden Gliedes, des Mars von der Sonue, etwas uͤber 360, mithin iſt zwiſchen beyden Zahlen nur wenig Unterſchied. Nun bezeichnet aber, wie ich dieſes auch an einem andren Orte entwickelt ha - be, die weiteſte Entfernung der Planeten von der Son - ne, nach Halbmeſſern derſelben ausgedruͤckt, das Maas der ſelbſtſtaͤndigen Vollendung der Planeten, und der Zuruͤckwirkung auf den Centralkoͤrper, waͤhrend der Gegenſatz der beyden Seitenhaͤlften, welcher die Be - wegung um die eigne Axe bewirkt, und hiermit auch die Zahl der eignen Tage der Planeten, auf ein viel tieferes und geiſtigeres Verhaͤltniß derſelben, auf jenes zu dem hoͤheren Einfluß hindeuten, wodurch ſie nicht allein mit dem hoͤheren Centralkoͤrper, ſondern durch dieſen mit einem viel hoͤheren Ganzen in einen geiſti -311 gen und harmoniſchen Zuſammenhang treten. So be - zeichnet die Zahl der Sonnenferne nach Sonnenhalb - meſſern, bey dem naͤchſtfolgenden Glied, die ſchon wirklich erreichte Vollendung, das wirklich vorhandene Maas der innern Kraͤfte, waͤhrend die der eignen Tage des vorhergehenden durch eine uͤber das jetzige Daſeyn hinausgehende Gabe des hoͤheren Einfluſſes beſtimmt iſt, ſo daß ſie mit Recht eine Vorahndung der wirkli - chen Vollendung auf der naͤchſtfolgenden hoͤheren Stu - fe genannt werden muß, und daß, was auf dieſer in wirkliche Erfuͤllung gegangen, auf einer vorhergehen - den ſich als bloßes Streben voraus verkuͤndigt.

Es wird noch aus dem, was ich uͤber Geognoſie geſagt, erinnerlich ſeyn, daß in den aͤlteren Perioden der Erdbildung vornehmlich die Kieſelerde enthaltenden Gebirgsarten gefunden werden, waͤhrend in den ſpaͤte - ren die haͤufigen Maſſen der Kalkgebirge vorherrſchen. Nahe aber an dem vollkommenſten und hoͤchſten Gipfel der alten Zeit der Kieſelbildung, kuͤndigt ſich im Gnei - ſe die darauf folgende ſpaͤtere Welt in den Lagern des erſten Urkalks an, ſo daß, dem Streben der aͤlteren Zeit noch untergeordnet, nahe an dem hoͤchſten Mo - ment jener fruͤhern Schoͤpfung ſchon eine Vorahndung der ſpaͤteren gefunden wird.

So kuͤndigt ſich auch in der Elektricitaͤt, ja viel - leicht ſchon im Magnetismus, die tiefere chemiſche Wechſelwirkung der vollkommneren Koͤrper an. Jedoch312 blos als Streben, als Vorahndung. Wenn naͤmlich die in der Cohaͤrenz und Schwere unbewegt ruhenden Koͤrper, eine ſtaͤrkere Kraft als die ihrer Schwere iſt, gegen einander bewegt, wenn auf dieſe Weiſe gleich - ſam eine hoͤhere geiſtigere Welt in die groͤbere des jetzi - gen Daſeyns eingreift, wird als Elektricitaͤt, die wech - ſelſeitige Anziehung, das Streben nach Vereinigung erregt, und ſelbſt das, was auf den hoͤchſten Stufen des chemiſchen Proceſſes, als wirkliches innres Weſen der Koͤrper hervortritt, das Licht, wird im elektriſchen Proceß ſchon als Funke geſehen. Doch iſt die Verei - nigung in der Elektricitaͤt nur an der Oberflaͤche moͤg - lich, ſie bleibt bey dem bloßen Streben ſtehen, waͤh - rend die innigſte Vereinigung der ganzen Maſſe, in al - len ihren Theilen, das eigenthuͤmliche Weſen des che - miſchen Proceſſes iſt. Dagegen greift hier, abermals nur als Streben, die erſte Vorahndung der darauf folgenden hoͤheren Welt, des organiſchen ein, die ſich von den Geſtalten des an dem Gipfel der anorganiſchen Welt ſtehenden Waſſers, welche dieſes beym Gefrieren annimmt, bis zu der Ritterſchen Lehre der Perioden des Verbrennungsproceſſes, deutlich zeigt.

Hoͤchſt merkwuͤrdige, und hieher vorzuͤglich paſ - ſende Thatſachen ſind es, welche Sprengel aus der Ge - ſchichte der Laubmooſe aufgeſtellt hat, um damit die Hedwigſche Befruchtungstheorie zu widerlegen. Jene kleinen laͤnglichten Koͤrper, die man fuͤr Antheren gehal - ten hat, und die ſich in den Bluͤthemtheilen einiger313 Moosarten finden, ſind dieſes in gewiſſer Hinſicht wirklich, ſie ſcheinen aber zu jener Beſtimmung, die ſie bey den vollkommneren Pflanzen haben, noch unfaͤ - hig. Die Fruͤchte reifen bey den meiſten Mooſen, ohne daß ſich bey ihnen, oder ſelbſt bey andern in der Naͤhe ſtehenden Individuen, eine Spur jener Koͤrper gefun - den haͤtte, ja was noch merkwuͤrdiger iſt, Sprengel bemerkte, daß in einigen Geſchlechtern jene Theile vorzuͤglich nur ſolchen Individuen eigenthuͤmlich waren, welche aus Schwaͤchlichkeit fruͤher zu verwelken pfleg - ten als andre, ohne Fruͤchte zu reifen. Der Gegen - ſatz, der ſich in vollkommnen Blumen ſpaͤter in ſo bun - ter und herrlicher Mannichfaltigkeit entwicklet, iſt demnach hier in den Laubmooſen nur eben angedeutet, er tritt nur als unvollkommneres Streben nach der ei - gentlichen Beſtimmung der hoͤheren Gegenſaͤtze auf, oh - ne daß er je dieſe Beſtimmung wirklich zu erfuͤllen ver - moͤchte. Ja das deutliche Hervortreten jenes hoͤheren, uͤber das jetzige Daſeyn hinausgehenden Strebens, iſt wie auch meiſt bey dem Menſchen, nur in einem krank - haften Zuſtand moͤglich, oder wirkt vielleicht ſelber erſt zerſtoͤrend.

Im Pflanzenreich beſonders, iſt es recht deutlich, wie bey den ſogenannten aufwaͤrtsſteigenden Reihen, deren Geſchichte ich mir einſt auf eine andre Gelegen - heit vorbehalte, auf einer vorhergehenden Stufe das als bloßes, nicht gelingendes Streben angedeutet iſt, was auf einer darauf folgenden hoͤheren, wirklich als Organ, und in ſeiner ganzen Erfuͤllung auftritt.

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Faſt das ganze Pflanzenreich zeigt, wie ich ſchon in einer fruͤheren Vorleſung erwaͤhnt habe, in dem hoͤch - ſten Moment ſeines Daſeyns eine Vorahndung des thie - riſchen Lebens, die erſten noch unvollkommenen Spu - ren einer ſelbſtſtaͤndigen Beweglichkeit und Reizbarkeit, und zugleich ſieht man bey dieſer erſten Daͤmmerung ei - nes kuͤnftigen hoͤheren Daſeyns, das jetzige erkranken und aufgeloͤst werden. Ich habe ebenfalls etwas aͤhn - liches, als ich eben von den Laubmooſen erwaͤhnte, auch von einigen unvollkommenen Thieren, die auf den unterſten Stufen der Organiſation zu ſtehen ſcheinen angefuͤhrt, daß ſie naͤmlich in der Naͤhe ihres Todes die erſten unvollkommenen Uebereinſtimmungen mit voll - kommneren Thieren zeigen.

Die Augen der hoͤheren Gattungen ſind bey einigen Mollusken blos durch unvollkommene rundliche Koͤrper angedeutet, welche zu nichts weniger als zu der eigentli - chen Beſtimmung der Augen organiſirt ſcheinen. Dieſe Augenartigen Koͤrper erſcheinen aber bey dieſer Thier - klaſſe eben da, wenn ſie den Uebergang zu jenen Ge - ſchlechtern zu machen im Begriff iſt, welche aller Sin - nen, außer vielleicht des Geſchmacks beraubt ſcheint, waͤhrend nun gleich darauf die Geſchlechter mit voll - kommen organiſirten Augen, die ſich im Bau denen der Fiſche naͤhern, auftreten. Jene Organe zeigen ſich mithin, kurz vor ihrem voͤlligen Verſchwinden, noch einmal in einer unvollkommenen Annaͤherung an die hoͤhere Verwandlung, die ſie auf einer kuͤnftigen Stufe erwartet.

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Ich wuͤrde zu weitlaͤuftig werden, wenn ich, was indeß anderwaͤrts geſchehen ſoll, auseinanderſetzte, wie ſich im ganzen Thierreich, das was auf den hoͤheren Stufen vollkommen, und zu ſeiner Beſtimmung taug - lich hervortritt, in den fruͤheren als bloßes Streben, als unvollkommene dem Anſchein nach zweckloſe Anlage zeigt, wie ſich zum Beyſpiel, in den Geſchlechtern der Fiſche, beſonders in jenen, welche dem egyptiſchen Biſchir verwandt ſind, auf eine aͤhnliche Weiſe, die erſten Anfaͤnge der kuͤnftigen Gliedmaſſen, wie ſie bey den Amphibien hervortreten, unvollkommen voraus verkuͤndigen. Nichts weniger als zu dem eigentlichen Gebrauch der Glieder faͤhig, jedoch auch ſchon als Floſſe nicht mehr ſo wie in fruͤheren Geſchlechtern taug - lich. Bey den Amphibien ſind gerade die Theile, wel - che ſchon Uebereinſtimmungen mit dem Bau der Voͤgel zeigen, dem Anſcheine nach die nutzloſeſten, ſo wie die Anlage der kuͤnftigen Finger die ſich bekanntlich ſchon an dem Fluͤgel der Voͤgel zeigt, fuͤr das Daſeyn des Vogels ſelber voͤllig zwecklos iſt.

Man wird ſich erinnern, wie ich in meiner letz - ten Vorleſung von zwey entgegengeſetzten Reihen des Thierreichs ſprach, die beſonders in der Klaſſe der Saͤugethiere aufgezeigt wurden. Da wo die erſte Klaſ - ſe, die der Pflanzenfreſſenden Thiere, ihrem Gipfel na - he iſt, in dem Geſchlecht der Elephanten, hat in fruͤ - heren Zeiten das jetzt untergegangene Thier geſtanden, welches ſchon die erſten Anlagen der darauf folgenden316 2ten Reihe zeigt. Allem Anſchein nach zwecklos. Denn obgleich dieſe Elephantenart im Bau der Zaͤhne den Fleiſchfreſſenden Thieren nahe ſteht, hat ſie doch nicht allein die Schwerfaͤlligkeit des Baues, ſondern noch mehr die Nothwendigkeit, alles vermittelſt des Ruͤßels zu ſich zu nehmen, der Mangel an Klauen, und der ganze uͤbrige Bau, zu einem hoͤchſt unvollkommenen Raubthier machen muͤſſen. Wahrſcheinlich hat ſich dieſes Thier hoͤchſtens auf die Nahrung von Schaal - thieren und andern unvollkommenen Uferthieren einge - ſchraͤnkt geſehen, wie auch der ungeheure Wallfiſch faſt blos von einer kleinen Molluskenart lebt. So hat ſich der Charakter der 2ten Reihe hier blos als Streben, als unvollkommene Anlage angekuͤndigt, welche an ſich ganz unerreicht geblieben ſcheint. In ſolcher Hinſicht muͤſſen uns viele Naturanlagen, die uns in einzelnen Weſen ohne Beſtimmung und unnuͤtz erſcheinen, eine tiefere Bedeutung erhalten. Was ſcheint auf den er - ſten Anblick zweckloſer als jene den Antheren aͤhnliche Koͤrper bey den Mooſen, da ſie offenbar, ſelbſt bey dem Streben nach der Beſtimmung der Antheren ſo - wohl durch ihren Bau als durch ihre Stellung, endlich durch die fruͤhere Vergaͤnglichkeit der Individuen, die ſie trugen, zu derſelben ganzlich unfaͤhig ſind. Was ſcheint ferner zweckloſer, als der ſogenannte Mittelkno - chen der Sepien, der ohne allen bemerkbaren Nutzen, und ohne einigen Zuſammenhang mit dem dermaligen Daſeyn, da liegt, wo ſich in den hoͤhern Klaſſen die Wirbelſaͤule findet. Wie ſcheint die kleine und unvoll -317 kommene Lunge einiger Amphibien, die nicht wie voll - kommnere Thiere dieſer Klaſſe durch Lungen, ſondern noch durch Kiemen athmen, welche denen der Fiſche aͤhnlich ſind, und welche das Thier behaͤlt, ſo lange es lebt, ſo ohne allen Zweck! So die der amerikaniſchen Gat - tung Proteus, und die der Sirene lacertina. Bey an - dren Amphibien, wie bey den Fiſchen und Salaman - dern, ſind zwar die Lungen in den erſten Tagen des Le - bens, wo das Thier im Larvenzuſtande auftritt, auch noch unnoͤthig, indem daſſelbe zugleich mit Kiemen ver - ſehen iſt, durch welche es athmet, aber dieſe Kiemen verſchwinden doch wenigſtens ſpaͤter, und das Thier hat nun einen wirklichen Nutzen von ſeinen Lungen, die ſich allmaͤlig vollkommen entwicklen; bey jenen Thierarten dagegen, bleibt die kleine Lunge waͤhrend des ganzen Lebens ohne alle Anwendung. Und doch ſind eben jene dem Anſcheine nach nutzloſen Anlagen, jenes bloße Streben das in dem dermaligen Daſeyn durchaus ohne Befriedigung bleibt, vielleicht gerade das Wichtigſte im ganzen Thier, indem ſie der unvoll - kominne Keim des kuͤnftigen hoͤheren Daſeyns ſind, wel - cher ſich mitten in der Huͤlle des alten ſchon zu regen anfaͤngt.

Es ſcheint, daß in jedem Weſen zwey verſchiedene und oͤfters entgegengeſetzte Naturen ſich beruͤhren. Das jetzige Daſeyn, das ſich in allen ſeinen Beſtrebungen vollkommen ausſpricht, und ſich voͤllig zu vollenden vermag, und außer dieſem noch in bald deutlicheren318 bald minder deutlichen Spuren, ein Streben, das in dem jetzigen Daſeyn ohne Erfuͤllung bleiben muß, wohl aber in einem kuͤnftigen ſich vollenden wird. Es greift uͤberall die hoͤhere geiſtigere Welt eines kuͤnftigen Da - ſeyns ein. Jener hoͤhere Keim, der noch ein Fremd - ling in den jetzigen Lebensverhaͤltniſſen iſt, ſcheint ge - rade in den hoͤchſten Augenblicken des jetzigen Daſeyns, bey der Pflanze zum Beyſpiel in dem hoͤchſten Moment des Bluͤhens, aufzuwachen, und dieſe Augenblicke ſchei - nen deshalb, wie ich ſchon fruͤher erwaͤhnte, fuͤr das individuelle Leben ſo zerſtoͤrend, weil der hoͤhere fremd - artige Keim, die alte, fuͤr ihn gleichſam zu enge, zu unvollkommene Huͤlle, ſelber aufloͤſt. Hierdurch wird das Gemuͤth auch mit jenem tiefen Sehnen, mit jenem Streben in ſeinem Innern ausgeſoͤhnt, was doch durch - aus ein armer verwaiſter Fremdling in dem jetzigen Da - ſeyn ſcheint, und welches in ihm nur ſelten oder nie die geſuchte Gnuͤge findet. Es greift nur zu offenbar, auch bey dem Menſchen, in das jetzige unvollkommnere Daſeyn, ſchon die Anlage eines kuͤnftigen hoͤheren ein. Wer hat nicht davon gehoͤrt, wie bey Bloͤdſinnigen, wenn ſelbſt noch nach dem Tode das Geſicht jenes thie - riſche Ausſehen, jene duͤſtere und gleichſam verſchloſ - ſene Zuſammengezogenheit aller ſeiner Theile behielt, die Mienen ſogleich ſich veredeln, und das ganze Ge - ſicht ſich zuweilen faſt ſchoͤn entfaltet, ſobald man von dem eingeengten Gehirn den oberen Theil des Schedels hinweggenommen? Der Schedel, der ſich in der erſten Haͤlfte des Lebens genau nach der Geſtalt des Gehirus319 gebildet, war ſpaͤter dem in der Naͤhe eines hoͤheren Da - ſeyns nach vollkommener Entfaltung ſtrebenden, gleich - ſam zu eng geworden, und dieſes war vielleicht oͤfters die naͤchſte Urſache des Todes.

Jene Sterbenden, von denen ich in der naͤchſten Vorleſung erzaͤhlen werde, erhielten noch kurz vor dem Tode einen freyeren Gebrauch der Zunge, der ihnen waͤhrend des Lebens, ungeachtet aller Muͤhe die ſie zu ihrer Bildung angewendet hatten, gaͤnzlich verſagt war. Wie oͤfters ſehen wir in Menſchen, die ſich waͤh - rend ihres ganzen Lebens in einem wuͤſten und freu - denloſen Spiel der Leidenſchaften umhergetrieben, den innigſten Wunſch, das lebhafteſte Streben nach ei - nem in ſich vollenderen und beſſeren Zuſtand erwachen, welches in dem jetzigen Daſeyn, das ſich aus ſeinem tiefen Irrthum nicht mehr zu retten vermag, durch - aus ohne Befriedigung bleibt. Bey Einigen ſcheint, jenſeit der Mitte des Lebens, auf einmal ein neues mit dem vorhergehenden faſt im Widerſpruch ſtehendes Streben, mit einer ſolchen Heftigkeit hervorzubrechen, daß wir noch faſt an der Graͤnze des Lebens eine hoͤhe - re Metamorphoſe ihres Weſen eintreten ſehen. Die Geſchichte einiger ſolcher Menſchen, hat Georg Muͤller in ſeinen Lebensbeſchreibungen merkwuͤrdiger Maͤnner aufbehalten. Bey den Meiſten aber ſcheint das Leben erſt fern in der 2ten Haͤlfte, etwas klarer zu werden, und das Gemuͤth will nun oͤfters erſt eine hoͤhere und gluͤcklichere Richtung nehmen. Doch meiſt vergeblich. 320Die Schranken der jetzigen Verhaͤltniſſe laſſen das ar - me Streben nicht mehr zum Durchbruch kommen, und die meiſten ſelbſt der gluͤcklicheren, gehen nur mit halb - zerſprengter Chryſalide, aus welcher ſchon der Saum der kuͤnftigen Fittiche hervorblickt, zu Grabe. Was will ein ſolches, dem irdiſchen Leben ſo fremdartiges Streben, was will jene Pflanze, die einen gluͤcklicheren Sommer bedarf, um zu bluͤhen, in dieſem unguͤnſti - gen Clima! Die Natur antwortet darauf wie wir zum geringen Theil ſchon vorher ſahen, durch tauſend That - ſachen.

Im Allgemeinen ſcheint ſich der Geiſt des hoͤheren kuͤnftigen Daſeyns, jener geiſtigen Welt, welche an die jetzige angraͤnzt, in dem meuſchlichen Weſen als Religion oder als Begeiſterung, es ſey der Kuͤnſte oder des Wiſſens auszuſprechen. Dieſes hoͤchſte und ſeelig - ſte Eigenthum des Menſchen, ſcheint auf der Erde nicht voͤllig einheimiſch zu ſeyn. Wir ſehen das tiefe Streben nach religioͤſer Vollendung, und nach der Naͤ - he des goͤttlichen Ideals, welches dem Gemuͤth beſtaͤn - dig vorſchwebt, meiſt vergeblich mit der Zeit und Außen - welt ringen, und dieſe Eigenſchaft unſrer Natur ge - winnt auf Erden kaum die erſten Knospen, nur ſelten einige fruͤhe Bluͤthen. Dieſes Sehnen aber iſt es eben, welches, wenn es uns nur einmal mit ſeinen warmen Strahlen anblickte, die Banden loͤſt, die uns an der Erde gehalten, und von ihm durchdrungen, wird als - bald das Gemuͤth von ſeiner eignen uͤberirdiſchen Leich -321 tigkeit, wie die Flamme des brennenden Koͤrpers em - porgetragen. Die Pſyche, von der Kaͤlte der langen Nacht erſtarrt, ſchlief noch ihren tiefen Schlummer unter den welken Blumen, bis der erſte Fruͤhlingsſtrahl ſie beruͤhrte, und die gebundnen Schwingen ſich loͤſten, und die Befreyte froͤlich zuruͤckkehrte in die alte Hey - math.

So lange in der thieriſchen, oder vielleicht ſelbſt der thieriſch menſchlichen Natur der hoͤhere Geiſt, wel - cher uns uͤber die Kluft zwiſchen dem jetzigen und einem kuͤnftigen Daſeyn hinuͤberfuͤhrt, noch nicht erwachte, ſcheint es nach einer alten Meynung der Weltweiſen, daß der Planet noch nicht ſein Recht verlohren, und daß die Weſen durch den Tod nur in die Verwandlung einer neuen irdiſchen Form eingehen. Aber die Augen - blicke jener hoͤheren Begeiſterung, welche das menſch - liche Daſeyn zu ſeinem hoͤchſten Gipfel zu fuͤhren, und unſer eigentliches Weſen erſt zur Bluͤthe zu bringen ſcheinen, ſind unſrer Natur nichts Fremdes, und oͤfters werden ſie ſelbſt in einer ſonſt irren und wuͤſten Natur geſehen. Wenn es auch nur ein Augenblick des Bluͤ - hens waͤre, dieſer wird vielfaͤltig in der menſchlichen Natur gefunden, und mit Recht fuͤr die beſte und ſee - ligſte Zeit des Lebens gehalten.

Aber was iſt es, wenn wir hieruͤber ſelbſt nur das Geſetz der aͤußeren Natur befragen, was in der Natur der Weſen jene am tiefſten liegende Eigenſchaft, jenenX322Keim eines hoͤhern Daſeyns hervorruft? Nichts anders, als[eine] thaͤtige und kraͤftige Ausbildung des jetzigen, in allen Anlagen. Nicht ein Verachten des irdiſchen Tagewerks und ein unthaͤtiges unſrer Natur nicht zie - mendes Schmachten nach dem hoͤheren, nicht die all - zueinſeitig nach innen gerichtete Beſchauung, ruft jenes aͤchte hohe Sehnen, jenes Streben, welches uͤber die Graͤnzen der Zeit hinausgeht, in em Gemuͤth hervor, vielmehr wird dieſes nur in einem froͤlichen Foͤrdern des jetzigen Tagewerks gefunden. Denn ſo iſt es zwar der negative Pol des naͤchſt vorhergehenden Magnets, wel - cher in einer Reihe aneinanderſtehender Magnete, mit dem poſitiven des naͤchſten in Beziehung ſteht, es iſt gerade der negative Theil des vorigen unvollkommnen Daſeyns, welcher mit dem ſelbſtthaͤtigen des Hoͤheren in Beruͤhrung getreten. Oder mit andren Worten es tritt oͤfters die tiefer liegende Anlage des kuͤnftigen Da - ſeyns, vorzuͤglich nur in einem paſſiveren Zuſtand des jetzigen hervor, und die wunderbare kaum geahndete Tiefe unſrer Natur, offenbart ſich am meiſten in den Augenblicken der gaͤnzlichen Hingebung oder ſelbſt des Schlummerns des jetzigen Strebens. Dieſes mag uns in der naͤchſten Vorleſung ſelbſt in einem andren Ge - biet die Geſchichte des thieriſchen Magnetismus und der Vorahndungen bezeugen, die ich dort ausfuͤhrli - cher aufſtellen werde. Gewiß iſt es ferner, daß, wie jenes unendliche Weltall das uns die Nacht mit ihren Geſtirnen offenbart, in dem Licht des Tages verſchwin - det, ſo auch die Stimme des hoͤheren Einfluſſes und323 jener hoͤheren Welt, die ſich in der Tiefe des Gemuͤths wiederſpiegelt, in den Augenblicken der hoͤchſten irdi - ſchen Thaͤtigkeit unvernehmlich wird, aber ſo wie der negative Pol des Magnets und uͤberhaupt jedes Gegen - ſatzes um ſo ſtaͤrker iſt, je ſtaͤrker der poſitive, ſo wird auch jene Hingebung, jene wahrhafte Paſſivitaͤt, wel - che uns der hoͤheren Einwirkung fahig macht, erſt durch vorhergegangene Selbſtthaͤtigkeit, und nur im Maaße derſelben moͤglich. Ueberhaupt muͤſſen die krankhaf - ten Zuſtaͤnde, von denen ich naͤchſtens reden werde, nicht mit jener edlen und hohen Empfaͤnglichkeit und wahrhaften Hingebung des ganzen Gemuͤths fuͤr den goͤttlichen Einfluß zuſammengeſtellt werden, die nur durch einen edlen Kampf nach außen zu erringen ſind, vielmehr gleichen ſie jenen gewaltſamen Mitteln, durch welche in dem Koͤrper der zerſchnittenen Raupe die Fluͤ - gel des kuͤnftigen Schmetterlings ſichtbar gemacht werden.

Endlich, wie in der Geſchichte des einzelnen Men - ſchen, jener am tiefſten liegende Keim ſich in der 2ten Haͤlfte des Daſeyns, und gegen das Ende des Lebens immer deutlicher entfaltet, und um ſo ſchoͤner, je klaͤ - rer der Menſch in der Wechſelwirkung mit der Außen - welt ſich ſelber geworden, ſo ſcheint auch in der Ge - ſchichte ſeines ganzen Geſchlechts jener Baum des Pa - radieſes, wie ihn die Dichter nannten, jene unſterbli - che Gabe einer hoͤheren Welt zuletzt immer froͤlicher und allgemeiner gedeihen zu muͤſſen. Wie in jenem Maͤhr -X 2324chen, von Goͤthe,*)In den Horen. deſſen tiefer Innhalt alle Ge - heimniſſe unſter Natur umfaßt, liegt zwar der ewige Tempel noch jenſeit des großen Stromes, welcher das Irdiſche von dem Ueberirdiſchen, die Welt des Mate - riellen von der Geiſterwelt trennt, und nur Ein Faͤhr - mann faͤhret Alle hinuͤber, wo keiner wieder zuruͤck - koͤmmt, waͤhrend nur in der Klarheit des Mittags die tiefe Betrachtung, und in phantaſtiſcher Daͤmmrung der Aberglauben auf unvollkommene Momente uͤber die ewige Kluft hinuͤberſchauen. Ach noch pflegt die tie - fe ewige Liebe in uns, jenes unſterbliche Sehnen, un - ter dem Bild der ſchoͤnen Lilie nur zu toͤdten was ſie ergriffen, ſie, welche doch alles Leben aus dem Schoos der ewigen Nacht hervorgerufen. Aber ſiehe, ſchon ward die Stimme im Tempel vernommen, es iſt an der Zeit. Die ſchoͤne gruͤne Schlange das klare Selbſt - bewußtſeyn, die Reſtexion, jene, welche einſt den Geiſt des Menſchen von der Unſchuld der erſten Kindheit her - abgezogen, iſt in der Wechſelwirkung mit der Außen - welt, und durch den edlen Egoismus, der nur, wo er ausartet, als Eigennutz erſcheint, immer klarer und ſich ſelber durchſichtiger geworden, und die in der Fel - ſenkluft ſchlummernde, hat einſt der Klang des her - einſtuͤrzenden Goldes geweckt. **)Wie am Anfang der neueren Zeit. (Verleſ. 2 3.)

Wenn nun der ſchoͤne Juͤngling mit deutſchem Ei - chenlaube begraͤnzt, wenn der Geiſt jenes edlen Lan -325 des den jetzt die innren Kraͤfte gelaͤhmt ſcheinen, dem eignen hohen Streben erlegen, und durch die Hand der ſchoͤnen Lilie, der er vor allen treu geweſen in Schlum - mer verſenkt iſt, dann wird die Zeit naͤher kommen wo der Tempel, welcher das Eigenthum einer andern Welt geſchienen, uͤber den Strom heruͤber, in das jetzige Daſeyn eintreten wird. Dann werden beyde Welten tief im innern Weſen ſich vereinen, die ewige Bruͤcke iſt gebaut, wenn die bloße Reflexion in der Zeit ihrer ſchoͤnſten Bluͤthe in den Haͤnden der Lilie ſich ſelber auf - opfern, wenn jene tief im Innern liegende ewige Lie - be aus dem Daſeyn des Menſchen hervortreten, und das irdiſche Streben verzehren wird. Dann erwacht der ſchoͤne Juͤngling wieder, und wird herrſchen. Der graue alte Faͤhrmann wird verherrlicht. Ja die Stimme hat ſchon einmal gerufen, es iſt an der Zeit. Schon erſchien der Mann mit der Leuchte im Tempel, auch die Irwiſche kamen ſchon heruͤber, welche die Banden dieſes letzten ſeltſam zuſammengemiſchten Welt - alters zerſtoͤren, daß dieſes in ſich ſelber zuſammenfal - len muß. Alsdann erſt, werden die beſſeren Genien unſres Geſchlechts, welche die fruͤhere Welt beherrſcht, wieder in dem alten Glanze hervortreten.

326

Dreyzehnte Vorleſung. Von dem thieriſchen Magnetismus und einigen ihm verwandten Erſchei - nungen.

Ich weiß zwar wohl, daß die Gegenſtaͤnde meiner heutigen Vorleſung, zu den am meiſten anſtoͤßigen und verkannten gehoͤren, und daß man ſie, weil ſie aus der gewoͤhnlichen Theorie nicht wohl zu erklaͤren ſind, lieber gaͤnzlich abzulaͤugnen pflegt, ich werde mich je - doch hierbey mehr an dasjenige halten was wahr iſt, als an das was mit der gewoͤhnlichen Meynung uͤber - einſtimmt.

Es iſt zwar gewiß, daß jede neue Entdeckung in unſrer Wiſſenſchaft, welche uͤber die vorigen Graͤnzen etwas ſchnell hinaustrat, Anfangs mit einem blinden Enthuſiasmus uͤbertrieben iſt, und daß oͤfters erſt ſpaͤt das was eigentlich beſtehend und wahr in ihr geweſen, anerkannt wurde, ſo hat ſich auch der thieriſche Mag - netismus, deſſen Geſchichte einen großen Theil meiner heutigen Vorleſung ausfuͤllen wird, in den Haͤnden327 ſeiner erſten Juͤnger, durch eine Menge laͤcherliche Ueber - treibungen mit Recht verdaͤchtig gemacht. Denn was konnte laͤcherlicher ſeyn als die vornehmen Perſonen einer ganzen anſehnlichen Stadt, um eine ſogenannte Hellſe - hende verſammlet zu ſehen, welche die voller Vertrauen an ſie gerichteten Fragen mit einem ſich ſelber wider - ſprechenden Unſinn beantwortete, waͤhrend jene die verworrenen Recepte, welche ſie verordnet, die ſon - derbaren Viſionen und Wahrſagungen der Traumredne - rin, nicht ſelten mit einem blinden Glauben hinnah - men. Doch leſe man nur die Schriften eines der wuͤr - digſten Magnetiſeurs der damaligen Zeit, des aͤlteren Gmelin, und man wird finden, wie die beſſeren An - haͤnger jener neuen Entdeckung ſchon damals uͤber die - ſen Misbrauch derſelben dachten. Fragen aus der Me - taphyſik, deren Bedeutung von den Fragenden oͤfters ſelber nicht verſtanden war, phyſikaliſcher Irthum, uͤber welchen man Auskunft verlangte, Fragen uͤber kuͤnftige politiſche Ereigniſſe, endlich ſelbſt die uͤber Krankheiten gaͤnzlich fremder Perſonen, und ihre Hei - lung, waren allerdings hier an ſehr unrechten Ort, man verlangte von einem Inſtrument von beſtimmter Ein - richtung, daß es nicht allein die Toͤne aller andren In - ſtrumente in ſich vereinen, ſondern außer den Toͤnen zugleich die Erſcheinungen des Lichts, der Waͤrme, ja der Elektricitaͤt gewaͤhren ſolle. Meine Zuhoͤrer wer - den hernach aus der Geſchichte des ſogenannten Som - nambulismus und des Hellſehens ſelber entſcheiden koͤnnen, wohin ſich der Geiſt in ſolchen Zuſtand ei -328 gentlich und ausſchließend richte, und woruͤber man fragen muͤſſe? Ich will nicht von einem noch ſchlim - meren Misbrauch jener Entdeckung ſprechen, welchen die Verdorbenheit und Sittenloſigkeit der Zeit und der Gegenden, in welchen man zuerſt Gebrauch davon machte, alsbald herbeyfuͤhrte. Man wird von ſelber einſehen, wie wenig derſelbe mit dem Magnetismus zuſammenhieng, wie wenig er dieſem ſelber zuzuſchrei - ben ſey.

Jene unſchuldigen Uebertreibungen, der et - was uͤber die rechte Graͤnze gehende Enthuſiasmus, werden uͤbrigens denjenigen nicht befremden, welcher die Geſchichte der Naturwiſſenſchaften und ihrer Ent - deckungen kennt. Als an der Graͤnze des Mittelal - ters die Verſuche mit dem gewoͤhnlichen Magnet, un - ter den Aerzten der damaligen Zeit allgemeiner und be - kannter wurden, fehlte es nicht minder an jenem etwas uͤbertriebenen Enthuſiasmus, welcher mit dieſer einen Entdeckung alle Geheimniſſe der Natur erklaͤrt, das verborgenſte Innre derſelben geoͤffnet glaubte. Die Syſteme des Kircher, Helmont und einer Menge andrer, ſonſt mit Recht beruͤhmter Naturforſcher der damaligen Zeit, enthalten eine ſolche Menge wunderbare Eigen - ſchaften, die man dem Magnet zugeſchrieben, ſo viele ſeltſame Erſcheinungen, die man aus magnetiſchen Kraͤften herleitete, daß die Zeit der erſten Entdeckung des thieriſchen Magnetismus ſchwerlich mehrere aufzu - weiſen hat. Und doch blieb die Haupterſcheinung ſel -329 ber, auf welche die Phantaſie ſo Vieles gebaut hatte, unwiderſprechlich und wahr, ja was noch mehr iſt, man ſehe, ob nicht eine Menge jener Meynungen und Vermuthungen, ob die Anſichten, welche damals er - wachten, nicht zum großen Theil durch die Entdeckun - gen der ſpaͤtern Zeitalter gerechtfertiget ſind. Viele Erſcheinungen, welche damals ſchon anerkannt, ſpaͤter wieder vergeſſen und verkannt wurden, ſind in der letz - ten Zeit wieder ernſtlich zur Sprache gekommen, waͤh - rend freylich, als der erſte Enthuſiasmus erloſchen war, in dem Magnet nicht mehr, ſowohl der Schluͤſ - ſel vieler Naturgeheimniſſe, als ein Eiſen, welches andres Eiſen anzieht und abſtoͤßt, und ſich frey aufge - richtet nach Nord und Suͤden wendet, mithin blos die Erſcheinungen, nicht mehr ihre Bedeutung geſehen wurde.

Man wird ſich noch erinnern, mit welchem Ent - huſiasmus vor wenig Jahren die Entdeckung des Gal - vanismus aufgenommen wurde, wie man nun alle Ge - heimniſſe des thieriſchen Lebens geloͤſt, das Mittelglied zwiſchen Seele und Leib, zwiſchen Nerven und Mus - keln, und das Heilungsmittel der meiſten fuͤr unheil - bar gehaltnen Krankheiten gefunden glaubte. Die Haupterſcheinung indeß iſt geblieben, obgleich der erſte Enthuſiasmus voruͤber iſt, und dieſe Entdeckung hat allerdings ſo viele wichtige Folgen fuͤr die Naturwiſſen - ſchaft gehabt, daß ſie, ſo lange dieſe beſteht, nie zu - ruͤckgeſetzt werden wird. Einen aͤhnlichen blinden An -330 hang hatten ſich ein Menſchenalter fruͤher diejenigen er - worben, welche die damals in ihrer jetzigen Geſtalt noch neue Elektricitaͤt auf eine aͤhnliche uͤbertriebene Weiſe zu dem einzig wichtigen Mittelpunkt aller Na - turweisheit machen wollten. Man hat in dieſem allen nur darinnen gefehlt, daß man in dem einem gluͤcklich gefundenem Punkte den ganzen Umfang der Naturwiſ - ſenſchaft gegeben glaubte.

Doch wir taͤuſchen[uns] nur zu leicht, da wo wir innig wuͤnſchen, mit uͤbertriebener Hoffnung, und das Streben aller Jahrhunderte, endlich in das Innre dieſer dunkelſten Wiſſenſchaft unter allen einzudringen, hofft ſich in jeder neuen Entdeckung befriedigt zu ſehen. Es moͤge daher auch der thieriſche Magnetismus, bey welchem jene Hoffnung gerechter ſchien, als ſonſt je - mals bey irgend einer andren Entdeckung, durch jenen uͤbertriebenen Enthuſiasmus ſeiner erſten Juͤnger nicht verkannt werden. Wie bey andern Entdeckungen, moͤ - ge man auch hier das was bleibend und wahr iſt, end - lich anerkenuen.

Damit ich bey einer treuen Erzaͤhlung der vorzuͤg - lichſten Erſcheinungen, die man im Zuſtand des mag - netiſchen Schlafs beobachtet hat, um ſo ſicherer gehe, will ich aus allen Schriften der aͤltern Magnetiſeurs, die noch in die Zeiten des erſten geiſtigen Aufruhrs, den jene neue Entdeckung machte, hineinreichen, blos die des Heilbronner Gmelin zu Grunde legen, der, ob -331 wohl er nicht unter die ausgezeichnetſten Magnetiſeurs ſeiner Zeit gehoͤrte, doch allgemein als einer der wahr - haftigſten und ſtrengſten anerkannt wird. Vielmehr will ich mich an die Schriften der Magnetiſeurs unſrer Zeit halten, welche Muth genug hatten, dieſe ſchon vergeſſene und zuruͤckgeſetzte Bereicherung der Wiſſen - ſchaft, treulich zu benutzen und zu vermehren, theils weil dieſe beſonnener und kuͤhler zu Werke giengen, theils weil die aufgeklaͤrten und unglaͤubigen Zeugen unter deren Augen ein großer Theil ihrer Verſuche ge - ſchahe, dieſe um ſo ſichrer machen.

Einer der gelehrteſten und wahrheitsliebenden Magnetiſeurs der ſpaͤtern Zeit, lebt in unſrer Stadt, und ſeine Verſuche ſtehen in Reils Archiv. Ich wer - de mich auch haͤufig auf Heineckens*)Oeffentlicher Lehrer und Phyſicus zu Bremen. vor einigen Jah - ren erſchienene vortrefliche Schrift berufen, da ſeine Beobachtungen zu den vollſtaͤndigſten gehoͤren, die in der neuen Zeit angeſtellt ſind:

Reizbare und kraͤnkliche Perſonen vom andern Ge - ſchlecht, beſonders ſolche, welche an unheilbaren Ner - venkrankheiten leiden, ſind zum Magnetiſiren am ſchick - lichſten, weil dieſes zugleich heilſamer auf ſie wirkt als alle Mittel. Gewoͤhnlich bringt ſelbſt ein ſonſt gluͤcklicher Magnetiſeur, in den erſten Tagen nichts anders hervor, als eine gewiſſe Muͤdigkeit und Schwe -332 re in den Gliedern, und einige Neigung zum Schlafe, So erregte Heinecken bey ſeiner erſten Kranken, wo ſich doch alle Umſtaͤnde vereinigten um die gluͤcklichſten Wirkungen hervorzubringen, durch die lang anhalten - den Bemuͤhungen des erſten Tages nur einige Muͤdig - keit und Brennen in den beruͤhrten Daumen, der ei - gentliche Somnambulismus trat erſt am 4ten Tage ein. Ja bey der 2ten, nicht minder reizbaren Kran - ken, dauerte es 14 Tage ehe das taͤglich und lang fort - geſetzte Magnetiſiren nur den eigentlichen magnetiſchen Schlaf bewirkte, und erſt am 18ten Tag trat von ſelbſt der eraltirte Zuſtand des Somnambulismus ein, wo die Kranke viel und lebhaft ſprach. Doch ſcheint hier - bey die Conſtitution des Magnetiſeurs einen Unter - ſchied zu machen. Gmelin und Pezold brachten oͤfters gleich beym erſtenmal Magnetiſiren auffallende Wir - kungen hervor.

Der Zuſtand des eigentlichen Somnambulismus ſelber, tritt Anfangs mit jenen Zeichen ein, die dem gewoͤhnlichen Schlaf, beſonders nach einer Anſtren - gung vorausgehen. Die Glieder ſinken ermattet, die Augenlieder koͤnnen nicht mehr offen gehalten werden. Endlich ſchließen ſich die Augen, gemeiniglich mit ei - nem tiefem Odemholen. Der Gefuͤhl - und bewußtloſe Zuſtand, welcher jetzt zuerſt eintritt, iſt dem gewoͤhn - lichen Schlaf ſehr aͤhnlich. Er dauert zuweilen nur Minuten, zuweilen Stunden. Waͤhrend deſſelben fragt man die Kranken eben ſo vergeblich als natuͤrlich333 Schlafende. Wenn aber nach einer mehr oder minder langen Dauer dieſes Zwiſchenzuſtaudes abermals ein tieferes Odemhohlen bemerkt wird, wenn jetzt ſich auf einmal die Geſichtszuͤge ungemein erheitern, und alle Mienen eine gewiſſe hohe geiſtige Spannung verrathen, iſt gewoͤhnlich der eigentliche Somnambulismus einge - treten. Die Kranken beantworteten nun alle ihnen vorgelegte Fragen mit einer Klarheit und Lebhaftigkeit des Geiſtes, die man ſonſt nie an ihnen bemerkte. Sie beſchreiben ihren Zuſtand ſelber als den ſeeligſten den ſie jemals erfahren. Ihre Sprache veredelt ſich, Maͤdchen, welche das Hochdeutſche nur aus Buͤchern kannten, ſprachen es nun nach Heineckens Beobach - tungen fertig, zugleich wird die wunderbare Eigen - ſchaft des Vorherſehens koͤrperlicher Ereigniſſe erhalten, wovon ich ſpaͤter ſprechen werde. Dieſer Zuſtand geht zuletzt wieder in einen aͤhnlichen, von dem gewoͤhnlichen Schlaf nicht mehr unterſcheidbaren uͤber, als der zu An - fang war, aus welchem nundie Kranken erwachen. Zu - weilen ſahe aber auch Heinecke ſtatt des Erwachens, nun jenen noch mehr exaltirten Zuſtand eintreten, den er Doppelſchlaf nannte, wovon ich hernach reden werde. Bey dem Erwachen fuͤhlen ſich die Kranken wie neu be - lebt. Alle Schmerzen ſind gelindert, die Verdauung und Ernaͤhrung iſt ungewoͤhnlich erhoͤht und verbeſſert. Die Kraͤfte nehmen bey laͤngerem Magnetiſiren taͤglich zu, die Nervenzufaͤlle verliehren ſich, und ſehr oft be - wirkt ſo der Magnetismus was kein andres Heilmittel vermochte.

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Dieſes ſind die fuͤr die Geſundheit ungemein wohl - thaͤtigen Wirkungen des organiſchen Magnetismus, die ihn zu einem der wirkſamſten Heilmittel gemacht haben. Doch ſollen uns dieſe mediciniſchen Wirkungen hier zu - naͤchſt nicht beſchaͤftigen, und wir gedachten ihrer blos ſo fern ſie dienen koͤnnen, um uͤber das Weſen und die Urſache der Haupterſcheinungen Aufſchluͤſſe zu geben; vielmehr wenden wir uns zu jenen tiefer gehenden Wir - kungen des thieriſchen Magnetismus, durch welche Ei - genſchaften unſerer Natur erweckt werden, welche ſonſt nie oder nur undeutlich hervortreten.

Der Somnambulismus kuͤndigt ſich ſogleich als eine mit dem gewoͤhnlichen Daſeyn nicht unmittelbar zu - ſammenhaͤngende Erſcheinung an. Denn obgleich die Somnambuͤlen mit der groͤßten Lebendigkeit und Klar - heit auf alle ihnen vorgelegte Fragen antworten, und in jeder Hinſicht witziger ſinn - und geiſtreicher er - ſcheinen als jemals im Wachen, ſo daß ſelbſt Naturen von ſehr mittelmaͤßigem Umfang, in dieſem Zuſtand, faſt uͤber die Graͤnzen der gewoͤhnlichen menſchlichen Kraͤfte hinaustreten, bleibt doch von dieſem allen bey dem Erwachen noch weniger zuruͤck, als von dunklen Traͤumen.

Und doch iſt es ſo vielmehr als ein gewoͤhnlicher Traum, daß man nicht in Verſuchung geraͤth, es da - mit zu vergleichen. Die erſte Kranke des Heinecken antwortete immer, wenn ſie gefragt wurde, ob ihr jetziger Zuſtand einem Traum gliche, daß derſelbe da -335 mit nichts gemein haͤtte, indem ſie vielmehr alles leb - hafter und tiefer empfaͤnde, ſich ihrer ſelber viel klaͤrer bewußt ſey, als jemals in Wachen. Ja der Som - nambulismus ſcheint alles das was im Wachen unſer iſt, in einem vorzuͤglich hohen Grade in ſich zu ver - einigen. Die magnetiſch Schlafenden erinnern ſich nicht allein aller Umſtaͤnde, die ihnen waͤhrend des Wachens begegneten, mit einer ganz vorzuͤglichen Leb - haftigkeit und Genauigkeit, ſo daß ſie in Zeiten zuruͤck, wohin die gewoͤhnliche Erinnerung nicht reicht, die kleinſten Begebenheiten, welche mit ihrer Krankheit in Beziehung ſtehen, angeben koͤnnen; ſondern wir ſe - hen ſie auch außer den zuſammenhaͤngenden Geſpraͤchen wie ſie nur ein Wachender zu fuͤhren vermag, waͤh - rend des Somnambulismus in dem Zimmer, und ſo - gar außer dem Hauſe herumgehen, von allen Gegen - ſtaͤnden die ihnen begegnen, Rechenſchaft geben, Be - ſuche machen, und die gewoͤhnlichen Arbeiten verrich - ten. Man kann alles dieſes in den beyden erſten Kran - kengeſchichten des Bremer Heinecken leſen. Was das wunderbarſte iſt, ſo haben ſie bey dieſem allen die Au - gen eben ſo feſt verſchloſſen, als die gewoͤhnlichen Nachtwandler, und wenn man die krampfhaft ver - ſchloſſenen Augenlieder auch gewaltſam ein wenig oͤfnet, ſieht man die Augenſterne wie im Schlaf weit nach oben verdreht. Doch ich werde hiervon noch weiter unten reden.

Alle Sinnen ſind in dieſem Zuſtand in einer ſolchen Schaͤrfe zugegen, wie ſonſt nie im Wachen. Magne -336 tiſirtes Waſſer wird, wenn die Verſuche auch noch ſo ſorgfaͤltig gemacht werden, ſogleich durch den Ge - ſchmack erkannt, obgleich der Magnetiſeur nur das Ge - faͤß von außen beruͤhrt hat; jemand der ins Haus hin - eingieng, wurde von der erſten Kranken des Heinecken ſogleich angemeldet, obgleich niemand andres ſein Kommen bemerkt hatte. Der Geruch iſt ſo fein, daß dieſelbe Kranke, die waͤhrend des Somnambulismus mit ihrem Vater ausgegangen war, in der Naͤhe eines Todtenackers nicht ausdauern konnte, obgleich die Be - gleiter durchaus keinen uͤblen Geruch bemerkten. End - lich ſo muß es auch einem vorzuͤglich reizbar gewordnen Gefuͤhl zugeſchrieben werden, daß die Somnambuͤlen nicht blos die unmittelbare Beruͤhrung, ſondern ſelbſt die Annaͤherung von Metallen ſehr deutlich, und oft ſchmerzhaft empfinden. Merkwuͤrdig iſt es hierbey, daß das Gold, wenn es rein angewendet wird, den magnetiſch Schlummernden immer ein angenehmes Ge - fuͤhl macht, ohngefaͤhr wie die Beruͤhrung des Mag - netiſeurs. Wir ſehen dieſes bey Gmelin und einigen andern Aerzten immer, Heinecken aber erſchwerte ſich den Verſuch dadurch, daß er eine goldne Uhr anwen - dete, wo das innre Triebwerk von andrem Metall war. Silber iſt wenigſtens in den meiſten Faͤllen nicht ſchmerz - haft, dagegen verurſachen die ſogenannten unedlen Me - talle, vorzuͤglich Eiſen und Zink, die lebhafteſten Schmerzen, und werden hieran von den Somnambuͤ - len, wenn man ſie ihnen auch noch ſo unvermerkt nahe brachte, ſogleich erkannt. Dieſer Unterſchied der Me -337 talle in ihrer Wirkung, wird aus vielen andren Ver - haͤltniſſen beſonders auch aus dem Galvanismus be - greiflich, wo die edlen Metalle, beſonders das Gold an die aͤußerſte Graͤnze der einen, die unedlen Metal - le, beſonders Zink und Eiſen, an die der andren Reihe fallen, und wo beyde ſich voͤllig entgegengeſetzt verhal - ten. Es iſt dieſes Gefuͤhl fuͤr Metalle, welches wie ich hernach erwaͤhnen werde, in gewiſſen Faͤllen auch an geſunden und wachenden Perſonen bemerkt wird, um ſo merkwuͤrdiger, da es darauf hindeutet, daß je - nes Wohlgefallen, welches der Anblick und die Beruͤh - rung der edlen Metalle, beſonders des Goldes bey Vie - len hervorbringt, vielleicht einen tieferen Grund in den Eigenſchaften unſrer Natur hat, als gewoͤhnlich geglaubt wird, und da der dunkle Trieb der die Men - ſchen Metalle zu ſuchen, und ihren Werth beſtimmen lehrte, ja ſelbſt der ſonſt raͤthſelhafte Geiz, hieraus be - greiflich werden.

In dieſem allen hat jedoch der Somnambulismus noch nichts, was mit den gewoͤhnlichen Eigenſchaften des lebenden und wachenden Menſchen außer Bezie - hung waͤre, jene ſcheinen nur in einem ganz vorzuͤgli - chen Grad erhoͤht und verfeinert, ich wende mich aber nun zu Eigenſchaften andrer Art, wovon ſich im ge - woͤhnlichen Leben nichts Aehnliches zeigt.

Es gehoͤrt dahin zuerſt vornehmlich jene, welche man einem geſchaͤrſten Gemeingefuͤhl zuſchreibt, und welche außerdem auch zum Theil bey Nachtwandlern gefunden wird, die Eigenſchaft aͤußere Gegenſtaͤnde zuY338bemerken, ohne ſie zu ſehen. Die Augen ſind im ei - gentlichen Somnambulismus immer ſo feſt verſchloſ - ſen, daß ſie mit aller Gewalt kaum einige Linien weit geoͤffnet werden koͤnnen. Die magnetiſch Schlafenden haben vor denſelben einen lichten Schein, der zuwei - len einem oͤfteren Blitzen gleicht. *)Auch von Gmelin oft bemerkt.Zugleich aber ver - moͤgen ſie mit ihnen durchaus nichts zu ſehen.

Das 16jaͤhrige Maͤdchen, das Heinecken faſt ein ganzes Jahr lang magnetiſirte, und hierdurch vom Tode rettete, hatte oͤfters, waͤhrend des magnetiſchen Schlafs verſichert, daß ſie nichts mit den Augen ſehen koͤnnte. Dennoch ſtund ſie, wie ſchon erwaͤhnt, mit verſchloſſenen Augen auf, verrichtete weibliche Arbei - ten, ſchrieb, ja ſie gieng ſogar aus, wußte auf der Straße immer wo ſie war, und erkannte und bemerkte alle Gegenſtaͤnde die ihr begegneten. Von dem Mag - netiſeur oͤfters befragt, wie ſie dieſes vermoͤchte, ver - ſicherte ſie immer, daß ſie zwar trotz jenem beſtaͤndi - gen Licht vor dem Augen, dieſe nicht gebrauchen koͤn - ne, daß ſie aber alles, was ihr begegnete und in ihrer Naͤhe waͤre, auf eine andre Weiſe als durchs Geſicht, aber eben ſo als wenn ſie es ſaͤhe, wahrnaͤhme, dieſe Weiſe ſelber bliebe ihr uͤbrigens dunkel und unbegreif - lich. Ihr ganzer Koͤrper verſicherte ſie andre Ma - le, ſey in jenem angenehmen Zuſtand wie von Licht und Waͤrme durchfloſſen. Dieſe ſeltſame Eigenſchaft, die ſich uͤbrigens bey allen hoͤheren Graden des Som -339 nambulismus findet, wurde bey Heineckens Kranken oͤfters auf die Probe geſtellt. Man verband die oh - nehin ſchon feſt verſchloſſenen Augen noch zum Ueber - fluß mit einem Tuch, und dennoch erkannte ſie die ſtillſchweigend in das Zimmer hereintretenden Perſonen ſogleich. Beſonders wurde der Magnetiſeur ſelber, wenn er ſo unkenntlich als moͤglich hereinkam, und von den Anweſenden mit einem fremden Nahmen begruͤßt ward, von ihr ſogleich erkannt.

Ich will hier nicht einmal jener raͤthſelhafteren Verſuche gedenken, die uͤbrigens von einigen ſehr glaub - wuͤrdigen Aerzten aufgefuͤhrt werden, wozu jener ge - hoͤrt, wo ein in die Gegend der Herzgrube gehaltner Brief von der magnetiſch Schlafenden geleſen wurde, welcher Verſuch auch neuerlich in der Naͤhe von Jena von einigen verdienſtvollen Maͤnnern wiederholt iſt. Ohnehin iſt das allgemeiner bekannte Vermoͤgen der magnetiſch Schlafenden, in das Innre ihres eignen Koͤrpers zu ſehen, ſchon befremdend genug. Eine vor wenigen Jahren in einer beruͤhmten Univerſitaͤts - ſtadt magnetiſirte junge Baͤuerin, die von der innern Beſchaffenheit ihres Koͤrpers auch nicht den mindeſten Begriff hatte, beſchrieb dem Magnetiſeur alle innre Theile der Bruſthoͤhle und des Unterleibes auf eine zwar bildliche, aber leicht verſtaͤndliche Weiſe. Jene oft erwaͤhnte junge Somnambuͤle des Bremer Heine - cken, verſicherte, daß ſie waͤhrend des magnetiſchen Schlafs, wenn alle ihre Glieder, wie von Licht und Waͤrme durchdrungen waͤren, das Blut in ihren AdernY 2340fließen ſaͤhe, ja ſie beſchrieb deutlich das große Ner - vengeflecht, welches den Magen und einen Theil der andern Eingeweide mit Nerven verſorgt, und das beym Magnetiſiren ganz vorzuͤglich afficirt ſcheint. Außer dieſem bemerkte ſie auch nach ihrer Verſicherung meh - rere vom[ Ruͤckenmark] herkommende Nerven. Im Ko - pfe ſelber waren ihr nur 2 Nerven ſichtbar, wahr - ſcheinlich jene beyden gleichnahmigen Aeſte des merk - wuͤrdigen 5ten Paares, welche mit dem großen ſympa - thetiſchen Nerven in einigen Zuſammenhang ſtehen. Wenn auch dieſes junge Frauenzimmer, das wahr - ſcheinlich im Wachen nicht einmal wußte was ein Ner - ve war, vielleicht einmal zufaͤllig bey dem Oeffnen ei - nes Thieres die Eingeweide geſehen hatte, ſo hatte ſie doch gewiß nie von der Geſtalt jener Nerven durch die Sinnen eine Vorſtellung erhalten.

Nicht minder wunderbar als dieſe Eingenſchaft des Nach - innen Sehens, iſt jene merkwuͤrdige des Vorherſagens aller koͤrperlichen Veraͤnderungen, welche auf die Krankheit Beziehung haben, und das Selber - verordnen der Arzneyen. Waͤhrend naͤmlich die Som - nambuͤlen, wie ſchon erwaͤhnt, bey dem Erwachen ſich kaum erinnern koͤnnen, daß ſie geſchlafen haben, wiſſen ſie jedesmal, wenn ſie ſich im magnetiſchen Schlaf befinden, ſehr wohl, was ſie ſonſt in dieſem Zuſtand geſagt und empfunden haben. Sie knuͤpfen deshalb oͤfters ein Geſpraͤch an, das ſie erſt einige Zeit darauf wenn ſie wieder im Somnambulismus ſind, fortfuͤh - ren. Aber was dabey das Wunderbarſte iſt, und im341 Wachen nichts aͤhnliches hat, dieſe Zuſtaͤnde haͤngen nicht blos ruͤckwaͤrts, ſondern auch vorwaͤrts ungemein unter ſich ſelber und mit allen ihnen verwandten koͤrperli - chen Ereigniſſen zuſammen. Kaum war das junge Maͤd - chen, deſſen Geſchichte uns hier vorzuͤglich beſchaͤftigt, zum erſten Male durch das Magnetiſiren in jenen Zuſtand des hoͤheren Bewußtſeyns verſetzt worden, wo ſie aber anfaͤnglich noch nicht zu ſprechen vermochte, als ſie durch Zeichen zu verſtehen gab, daß ſie nach 3 Wochen, waͤhrend des magnetiſchen Schlafes, wer - de ſprechen koͤnnen. Dieſe Vorherſagung traf genau ein, und der erſte Gebrauch, welchen ſie von dieſer neuerlangten Gabe machte, war, daß ſie andre koͤr - perliche Veraͤnderungen, und neue Perioden des mag - netiſchen Schlafs vorausſagte, und ſich ſelber Mittel verordnete, die bey der Anwendung uͤberaus wohlthaͤ - tig befunden wurden. Ein andres Mal ſagte ſie voraus daß die ſchlimmen Zufaͤlle ihrer Krankheit noch 4 Mo - nate anhalten wuͤrden, daß ſie aber nur noch 3 Mona - te lang anhaltend magnetiſirt werden muͤſſe. Oefters ſagte ſie, voraus, daß ſie heute frey von Kopfſchmer - zen ſeyn wuͤrde, und eben ſo oft kuͤndigte ſie bevorſte - hende Ohnmachten genau bis auf die Minute voraus an. Merkwuͤrdig war es in dieſer Hinſicht beſonders, daß ſie, als einſt das von ihr ſelber verordnete Fußbad vergeſſen war, ſich dieſes Vergeſſens im magnetiſchen Schlaf erinnerte, und ſich ſchmerzlich daruͤber beklag - te, weil ſie nun Abends um 8 Uhr fuͤrchterliche Kraͤm - pfe mit Bewußtloſigkeit bekommen wuͤrde, die genau342 eintrafen. Oefters, wenn ſie ſolche Krankheitsanfaͤl - le vorausſahe, gab ſie zugleich Mittel an, ſie zu lin - dern, welche dann wohlthaͤlig befunden wurden. Bey dem Erwachen wußte ſie nie etwas von ihren Vorher - ſagungen, und die Anfaͤlle, die ſie ihren Verwandten ſo genau vorausgeſagt hatte, kamen ihr ſelber voͤllig unerwartet.

Dieſe Vorherſagungen, die immer ſo puͤnktlich ein - trafen, giengen oͤfters uͤber mehrere Monate hinaus. So kuͤndigte ſie ſchon am 25ſten Maͤrz, mithin 7 Wo - chen vorher an, daß am 14ten May ihr magnetiſcher Schlaf ſeinen hoͤchſten Gipfel erreichen,[und daß] ſie dann einen ganzen Tag ſchlafen wuͤrde, ja den Tag darauf, als ſie wieder im Somnambulismus zum Sprechen kam, beſtaͤtigte ſie nicht blos dieſes, ſondern fuͤgte noch hinzu, daß ſie uͤber 18 Wochen wahrſcheinlich zum letzten Mal in dieſem Jahr magnetiſch ſchlafen wuͤrde, dann erſt wieder im kuͤnftigen Jahr am letzten Oſtertage. Dieſes alles wurde genau erfuͤllt, und der 14te May war einer der merkwuͤrdigſten Tage in dieſer ganzen Krankengeſchichte.

Zuweilen ſagen die Kranken nicht blos koͤrperliche Veraͤnderungen, ſondern ſelbſt tieferliegende, geiſtige voraus. So wußte das oft erwaͤhnte junge Maͤdchen die Fragen des Magnetiſeurs beſonders ſolche, welche die Beſchaffenheit ihres Zuſtandes angiengen, zu ge - wiſſen Zeiten noch nicht zu beantworten, ſie vertroͤſtete ihn dann aber immer auf irgend eine andre Zeit, die ſie genau angab, wo ſie auch wirklich deutlicher dar -343 uͤber zu ſprechen vermochte. Sie fieng dann immer von ſelber an, den Faden des neulich abgebrochnen Geſpraͤchs wieder aufzufaßen, und loͤſte mit wenig Worten alles dunkel gebliebne auf. So wußte ſie vor - aus, wenn ihr geiſtiges Vermoͤgen jenen Zuſtand einer hoͤheren Klarheit erlangt haben wuͤrde, wo demſelben tiefer liegende Gegenſtaͤnde deutlicher ſeyn muͤßten.

Nur einmal ſehen wir in Heineckens Krankenge - ſchichten eine ſolche Vorherſagung unerfuͤllt geblieben, doch war auch da wirklich der magnetiſche Schlaf, waͤh - rend welchem ſie geſchahe, unvollkommner geweſen als ſonſt. Als naͤmlich das junge reizbare Fraͤulein, de - ren Krankengeſchichte die zweyte von ihm erzaͤhlte iſt, eines Tages viele Stunden lang ſich in einem unvoll - kommnen Somnambulismus befand, wo ſie die Au - gen zuweilen geoͤffnet hatte wie beym Wachen, und nur durch die eigenthuͤmliche Sprache, die ſie jedesmal im magnetiſchen Schlaf zu ſprechen pflegte, dieſen Zu - ſtand verrieth, ſahe ſie, waͤhrend eines ſolchen unvoll - kommnen Zwiſchenzuſtandes, einen Schieferdecker, der auf der Spitze des nahen Thurms arbeitete. Hier - durch wurden in ihr ſo viele traurige Vorſtellungen von Gefahren und ploͤtzlichen Todesfaͤllen erregt, daß ſie ſich dieſer Gedanken bald nachher auch im vollkommnen magnetiſchen Schlafe nicht entſchlagen konnte, wo ſie wie eine Sterbende von ihren Verwanden Abſchied nahm, und ihren Tod auf die naͤchſte Nacht voraus - verkuͤndigte. Als ſie am andern Tag wo ſie geſund und heiter, und von dem was ſie im magnetiſchen344 Schlaf geſprochen nichts wiſſend, wieder erwacht war, von neuem magnetiſirt wurde, gab ſie dieſe Urſache ihrer geſtrigen Aengſtlichkeit ſelber an.

Unter die merkwuͤrdigſten Vorherſagungen gehoͤren wohl die, wo die Kranken ſich auf einen gewiſſen Tag Arzneyen verordneten, die auch dann wirklich indicirt ſchienen. So verordnete ſich die zuerſt erwaͤhnte Kran - ke einmal auf einen der naͤchſten Tage ein Brechmittel. Als der beſtimmte Tag kam, waren wirklich jene Be - ſchwerden da, welche das Erbrechen rathſam machten. Die Wirkung der Arzneyen ward von ihr immer be - ſtimmt vorausgeſagt, und zwar ſogar jene, welche durchaus zufaͤllig ſcheint, z. B. wie oft eine Purganz die ſie ſich nach einigen Tagen verordnet hatte, wirken wuͤrde. Bey dem Erwachen wußte ſie wie von allem, ſo auch von ihren eigenen Vorſchriften nichts, vielmehr ſtraͤubte ſie ſich, die nie gern Arzneyen nahm, gegen die Mittel um die ſie vorher ſo angelegentlich gebeten, im Wachen ſo ſehr, daß ſie zuweilen Kraͤmpfe bekam.

Es bleibt nun vorzuͤglich nur noch eine Erſchei - nung des magnetiſchen Schlafs uͤbrig, die ohnſtreitig zu den merkwuͤrdigſten unter allen gehoͤrt, jene tiefe Sympathie der Somnambuͤle mit dem Magnetiſeur und andern mit ihr und ihm im Rapport ſtehenden Per - ſonen. Die junge 12jaͤhrige Rathsherren Tochter, von welcher der Heilbronner Gmelin erzaͤhlt, befand ſich in jenem Zuſtand, deſſen ich nachher noch mit ei - nigen Worten gedenken werde, wo ſie nur die Stimme der mit ihr in Beziehung geſetzten Perſonen verſtund. 345Mit ihrer aͤlteren Schweſter, einer Woͤchnerin, durf - re ſie jedoch nicht erſt in dieſe Beziehung geſetzt werden, vielmehr befand ſie ſich ſchon von ſelbſt darinnen, und zwar in einer eben ſo innigen, oder faſt noch innige - ren als mit dem Magnetiſeur. Als die neben ihr ſte - hende Schweſter ihren kleinen Saͤngling an die Bruſt legte, glaubte das junge Maͤdchen, vermoͤge dieſer wunderbaren Sympathie, die hiermit verbundene Em - pfindung an ihrer eignen Bruſt zu fuͤhlen. Als die Schweſter unverſehens mit einer Nadel am Arm ver - letzt worden, beklagte ſich die magnetiſch Schlafende, daß ſie jemand an dem entgegengeſetzten Arm geſtochen habe, und dieſer Verſuch zeigte, ſo oft man ihn mach - te, dieſelbe Wirkung. Die magnetiſch Schlafenden wiſſen, vermoͤge dieſer Sympathie, um alle Bewegun - gen, welche der Magnetiſeur ſelbſt hinter ihren Ruͤcken vornimmt, ja es ſcheint zuweilen als ob ſie die tiefſten Gedanken deſſelben erriethen. Zugleich ſcheint, wie ſie dieſes ſelber bezeugen, waͤhrend jenes Zuſtandes ihr Wille mit dem des Magnetiſeurs nur einer.

Es ſcheint hieraus unter andern jene unſchuldige Zuneigung zu kommen, welche die Somnambuͤlen an den Magnetiſeur und an Alles was ſein iſt, feſſelt.

Jene Sympathie mit dem Magnetiſeur geht oͤfters ſo weit, daß die magnetiſch Schlafenden nur ſolches Waſſer zu trinken verlangen, welches von ihm vorher beruͤhrt war. Die oft erwaͤhnte Kranke wußte, ſo oft auch die Verſuche damit gemacht wurden, das magne - tiſirte Waſſer immer von dem gewoͤhnlichen zu unter -346 ſcheiden. Ja Dinge, welche von dem Magnetiſeur beruͤhrt waren, wirken, wenn die Empfaͤnglichkeit in dieſen Zuſtand verſetzt zu werden, ihren hoͤchſten Grad erreicht hat, gleich ihm ſelber magnetiſchen Schlaf. So die magnetiſirten Flaſchen, bey Heineckens Kran - ker, die ſie vorher aus vielen nicht magnetiſirten her - aus zu finden wußte. Ja die ſchon wiedererwachte Kranke, fiel von neuen in magnetiſchen Schlaf, als ſie die noch zufaͤllig daſtehende Flaſche im Eifer des Geſpraͤchs unvermerkt beruͤhrt hatte.

Ich weiß nicht ob aus dieſer ſonderbaren Sympa - thie mit dem Magnetiſeur, nicht zum Theil das er - klaͤrt werden muß, was die magnetiſch Schlafenden zur Heilung ihrer Krankheit vorſchlagen. Heineckens Kran - ke verlangten ſtets die Mittel, welche im Geiſt der Heilmethode waren, die ſich ihr Arzt zu eigen gemacht hatte. Aderlaͤſſe, Brechmittel und Abfuͤhrungen wa - ren faſt der ganze Kreiß, um welchen ſich ihr Wiſſen bewegte, und im Geiſt der Schule, zu welchen ihr Magnetiſeur gehoͤrte, waren auch die Anſichten, die ſie von ihrer Krankheit gaben. Dagegen wurde von den Kranken, die man vor einigen Jahren auf einer Academie magnetiſirte, wo der Magnetiſeur und alle ſei - ne junge Gehuͤlfen einer andern Schule zugethan waren, von den magnetiſch Schlafenden nie ein Vorſchlag zu Brechmitteln oder Abfuͤhrungen gehoͤrt, vielmehr ver - langten ſie immer ſogenannte ſtaͤrkende Mittel, welche bey der Anwendung wenigſtens eben ſo vortheilhaft ge - funden wurden, als die von andren Somnambuͤlen347 verlangten Abfuͤhrungen. Auch aͤußerten ſie ſich uͤber ihre Krankheit auf eine Weiſe, daß ihre Aerzte damit zufrieden ſeyn konnten. Doch laͤßt ſich vielleicht fuͤr dieſe Verſchiedenheit der Verordnungen der Somnam - buͤlen ein noch andrer naͤherer Grund finden. Vielleicht erfinden die magnetiſch Schlafenden, trotz der Klarheit, mit welcher ſie ſich ihrer ſelber, und alles deſſen was ſie zunaͤchſt angeht, bewußt ſind, niemals etwas das uͤber die Graͤnzen ihres eigenen Weſens hinaus liegt. Ueber ihre eigne Natur und uͤber das was ſie zunaͤchſt beruͤhrt, wiſſen ſie dagegen auf eine bewundernswuͤr - dige Weiſe Auskunft zu geben, und uͤber die Veraͤnde - rungen, welche ſelbſtſtaͤndig in dieſer vorgehen, belehrt ſie ein unerklaͤrliches dunkles Gefuͤhl, lange voraus. Dagegen giebt ihnen vielleicht das, was durch eine zu - faͤllige Kenntniß der entfernt liegenden aͤußern Natur bey der Heilung hinzugethan wird, eine vorhergegang - ne Erfahrung. Wie ſchon erwaͤhnt, weiß ſich die Somnambuͤle an alles was ſie jemals im wachenden Zuſtand in Beziehung auf ihre Krankheit erfahren, mit einer beſondern Klarheit, und ungemein weit ruͤck - waͤrts zu erinnern. Sie weiß wohl, wie alle bey ihr angewendeten Mittel gewirkt haben, und vermoͤge die - ſer Kenntniß ihrer Wirkungen, ſchlaͤgt ſie die Arzneyen vor, die bey den koͤrperlichen Umſtaͤnden deren Annaͤhe - rung ſie fuͤhlt, angewendet werden ſollen. Deshalb koͤnnte auch jene junge neuerdings auf einer gewiſſen Academie magnetiſirte Baͤuerin, ſtets hartnaͤckig auf ſtaͤrkenden Mitteln beſtanden haben, weil ſie aus348 Erfahrung, waͤhrend der vorhergehenden Behandlung, keine andern kennen gelernt hatte, und aus demſelben Grund konnten andre Kranke blos Abfuͤhrungen, Brech - mittel und Blutlaſſen verlangen.

Doch wenn auch dieſer Fall noch anders als aus der Sympathie der Somnambuͤle mit dem Magnetiſeur erklaͤrt werden koͤnnte, ſo iſt doch dieſe ſelber in andern Faͤllen, die ich ſchon oben anfuͤhrte, unverkennbar. Eben ſo unverkennbar iſt die der Somnambuͤlen unter einan - der ſelber, wenn ſie von demſelben Magnetiſeur behan - delt ſind. Gmelins Patientinnen wurden durch eine beſondre und unwiderſtehliche Zuneigung aneinander gefeſſelt, und eben ſo fuͤhlten ſich die beyden erſten von Heinecken magnetiſirten, innig aneinander ange - zogen. Ihre Naͤhe wirkte, wenn ſie beyde im mag - netiſchen Schlafe waren, ſo wunderbar, daß ſie bey - de nicht aus demſelben zu erwachen vermochten, bis man ſie getrennt hatte.

Jene tiefe Sympathie der magnetiſch Schlafen - den mit dem ihr innig Befreundeten, und mit dem Magnetiſeur, zeigt ſich in einem andern Zuſtand, der von ihnen ſelber Doppelſchlaf genannt iſt, noch deutlicher. Es ſcheint dieſer eine hoͤhere Potenz des gewoͤhnlichen Somnambulismus, ſo wie dieſer eine hoͤhere Stufe des wahren Zuſtandes der Seele iſt. So wie naͤmlich im Som - nambulismus alle die Eigenſchaften, welche die menſch - liche Natur beym Wachen beſitzt, in einem viel hoͤhe - ren Grad zugegen ſind, wie in ihm alles was die See - le wachend weiß, mit einer ganz beſondern Klarheit uͤberblickt wird; ſo ſind im Doppelſchlaf alle Eigen -349 ſchaften die ſich im gewoͤhnlichen Somnambulismus zeigen, in einer vorzuͤglichen Staͤrke da, und die in ihm Begriffenen wiſſen alles was ſie in jenem Zuſtand gedacht und geſprochen haben. Dagegen findet ſich, was wohl zu bemerken iſt, im gewoͤhnlichen Wachen auch nicht die Spur einer Erinnerung an den Zuſtand des Somnambulismus, eben ſo wenig als ſich in dieſem eine an das zeigt, was im Doppelſchlaf mit den Kranken vorgieng. Was uns hier dieſen Zuſtand vorzuͤglich merkwuͤrdig macht, iſt, daß die im Dop - pelſchlaf befindlichen, nur fuͤr ihren Magnetiſeur Sinn haben, nur ſeinen Fragen antworten, und nur ſeine Naͤhe mit dem gewoͤhnlichen Wohlgefallen ertragen, waͤhrend ihnen andre Perſonen, ſelbſt wenn ſie ſich nur unvermerkt naͤhern, Angſt und Schmerzen verurſachen. Wenn dieſe ſelbſt mit lauter Stimme und ganz nahe ſtehend, die Schlafenden anreden, werden ſie von ihr eben ſo wenig vernommen, als von einer feſt Schla - fenden oder Ohnmaͤchtigen.

In Beziehung mit ihr geſetzt, ſcheinen ſie ihr aus weiter Ferne und unvernehmlich, oder in einem unver - ſtaͤndlichen Dialekt zu ſprechen. In dieſem Zuſtand nimmt die Somnambuͤle nur durch jene innige Verbin - dung der beyden Seelen, an dem Wachen des Magne - tiſeurs Theil, fuͤr die uͤbrige Außenwelt iſt ſie im tie - fen Schlaf. In Gmelins Krankengenſchichten ſehen wir dieſen Zuſtand, wo die magnetiſch Schlafenden nur noch fuͤr ihren Magnetiſeur, mit deſſen Seele die ihrige Eins ſcheint, Sinn und Bewußtſeyn haben, oͤf -350 ters eingetreten. Wahrſcheinlich blos deswegen, weil ſich Gmelin das Magnetiſiren durch einen Iſolirtiſch erleichterte, waͤhrend Heinecken der im freyen Zimmer magnetiſirte, hierdurch die Verbindung der Schlafen - den mit der Außenwelt unterhielt.

Wenn nun ſchon im thieriſchen Magnetismus, wie offenbar in der oben erzaͤhlten Geſchichte der beyden Schweſtern, eine ſolche innige Vereinigung zweyer menſchlicher Weſen moͤglich iſt, wo das Eine an allen Bewegungen und Gefuͤhlen des andern ſo Theil nimmt, als ob es ihm ſelbſt geſchaͤhe; wenn dieſes tiefe Mitge - fuͤhl das ſich zwiſchen Magnetiſeur und Somnambuͤle zeigt, oͤfters noch in einiger[Entfernung] beyder wirk - ſam iſt, und das was mit jenem in unmittelbarer Be - ziehung war, auf dieſe einen eigenthuͤmlichen Einfluß zeigt; ſo iſt von hieraus nur noch ein Schritt zu dem wunderbaren Mitwiſſen eines Entfernten um die Schick - ſale, vornehmlich aber um den Tod einer geliebten, nahe verwandten Perſon. Wir ſahen die Moͤglich - keit daß uͤberhaupt zwey getrennte menſchliche Weſen in gewiſſer Hinſicht Eins zu ſeyn vermoͤgen. Das Geiſtige in uns, ſelbſt wenn es hierin nur den koͤrper - lichen Kraͤften des Anorgiſchen, z. B. dem Licht, dem Magnetismus, der Elektricitaͤt gliche, wirkt durch kei - ne Entfernung gehindert, auf Alles Verwandte hin - uͤber. Oefters befinden ſich dabey die Perſonen denen ein ſolcher ungewoͤhnlicher Zufall begegnet, in einem dem magnetiſchen Schlaf ahnlichen Zuſtand. So war ein Freund von mir, der als Schriftſteller be -351 kannt iſt, von der gefaͤhrlichen Krankheit ſeiner weit entfernten geliebten Schweſter nicht unter - richtet. In derſelben Nacht aber wo ſie ſtarb, ſieht ihn ſein in demſelben Zimmer ſchlafender Mitſchuͤler mit verſchloſſenen Augen aufſtehen, und mit vielen Klagen etwas niederſchreiben. Jener erinnert ſich am andern Morgen an nichts mehr, ſelbſt nicht daß ihm etwas Aehnliches getraͤumt habe. Das Papier das er in der vergangnen Nacht beſchrieben, wird hervorge - holt, um ihn mit den Zuͤgen ſeiner eignen Hand zu uͤberzeugen, und man findet ein Gedicht auf den Tod einer geliebten Schweſter.

Es iſt bekannt, wie ſelbſt einer unſern Kantiſchen Philoſophen, einen aͤhnlichen Fall, wo ein junger Menſch den Tod ſeiner Geliebten durch eine Viſion vor - aus wußte, ſelber bezeugt. Doch ungleich merkwuͤr - diger als dieſe Faͤlle, deren es eine unzaͤhlige Menge giebt, ſind die zum Theil von Aerzten bezeugten, wo, beſonders Wahnſinnige oder Nervenkranke, zuweilen aber auch geſunde Perſonen, ein ſeltſames Vorgefuͤhl von dem nahen Tod andrer ganz fremder Menſchen zeigten. Die Geſchichte jenes roͤmiſchen Moͤnches, der dieſes Vorgefuͤhl auf dem Krankenlager hatte, und deſſen Vorherſagung bey allen genau eintraf, iſt be - kannt. Merkwuͤrdig iſt auch in dieſer Hinſicht die Peſt zu Baſel (am Ende des 16ten Jahrhunderts) wo die Anſteckung mit einer Art von Bewußtſeyn geſchahe, und wo faſt jeder Sterbende, ſelbſt in den bewußtlo - ſen Phantaſien der letzten Augenblicke, den Nahmen352 deſſen anrief, der zunaͤchſt nach ihm ſterben mußte. Jener Wahnſinnige, den Moriz anfuͤhrt, wußte auch den nahen Tod fremder Perſonen voraus, und ſchien die nahe Aufloͤſung ihres Koͤrpers an dem Geruch der Ausduͤnſtungen zu bemerken. Dieſer dunkle, am we - nigſten verſtandene Sinn, ſcheint es auch, der eini - gen andern Perſonen, deren Geſchichte mir bekannt iſt, noch ganz Geſunden, das nahe Ende vorausſagen ließ.

Zwey von ihnen, davon ſich der eine in Berlin, ſo viel ich weiß, noch lebend befindet, der andre Schul - lehrer im Erzgebuͤrge war, hatten dieſe Gabe in vor - zuͤglich hohem Grade, und erſchreckten oͤfters ſich und ihre Verwandten durch eine ſolche ungluͤckliche Vorher - ſagung. Obgleich, wie es ſcheint, durch den Geruch erweckt, ſtellten ſich dieſe Phantaſien auch andern Sin - nen dar.

Wenn die magnetiſch Schlafenden ſich ſelber den Ausgang ihrer Krankheit, auf laͤnger als ein Jahr vorausſagen, wenn ſie alles, ſelbſt was durchaus zufaͤllig ſcheint, wenn es nur auf ihre Krankheit Be - ziehung hat, genau voraus wiſſen, ſo muß auch das dunkle Gebiet der Vorahndungen hierdurch einiges Licht erhalten. Meiſtens empfaͤngt ſie die Seele im Trau - me oder in einem dem Traume ahnlichen Zuſtand, und es gleicht dieſer Zuſtand auch durch die Erhoͤhung aller geiſtigen Krafte, und durch das Wonnegefuͤhl, wo - mit er meiſtens begleitet war, dem magnetiſchen Schlafe.

353

Ich koͤnnte auch aus dieſem dunklen Gebiet unſrer Natur eine Menge auffallende Thatſachen anfuͤhren, doch begnuͤge ich mich an einigen, welche die Verwand - ſchaft mit dem thieriſchen Magnetismus am meiſten zeigen.

Es geſchahen die meiſten und merkwuͤrdigſten Vor - ahndungen dieſer Art, in den Augenblicken einer from - men Begeiſterung, oder pflegten die Geſtalt einer ſol - chen anzunehmen (recht nach der Meynung der Alten, welche allen Blick in die Zukunft dem Geiſt des hoͤheren, alle Dinge umfaſſenden Einfluſſes zugeſchrieben.) So verkuͤndigte ſich dem Philipp Melanchton der nahe Tod in einem alten Kirchengeſange, worin er im Traume das Sehnen nach der letzten Aufloͤſung beſungen, dem bekannten Hottinger auf aͤhnliche Weiſe in einem Spruch aus der Bibel. Jene Woͤchnerinn*)Nach Seelmann. ſo wie die Euphro - ſine Elvers, und die Predigerstochter zu Schmoͤlln haben die Naͤhe des Todes in dem Zuſtand einer nie ge - fuͤhlten Wonne voraus geſehen, und nicht ſelten haben ſelbſt Kinder in dieſem Zuſtand mit einer Klarheit und Staͤrke, welche uͤber ihre Jahre erhaben war, den Ver - wandten und andern Gegenwaͤrtigen, ſo wie ſich ſelber, das kuͤnftige Schickſal voraus geſagt. **)Ein Fall der Art bey Michael Sachs.Haͤufig iſt beſonders eine ſolche Vorahndung des nahen Todes bey unſchuldigen Kindern, wovon mehrere Faͤlle bekannt ſind.

Dem alten Chryſoſtomus kuͤndigt ſich die nahe Be - freyung aus den Banden des Irdiſchen durch ein from - mes feuriges Geſpraͤch mit dem laͤngſt verſtorbnen Leh - rer an, und ein aͤhnliches Gluͤck, nur ſanfter und jung -Z354fraͤulicher, wiederfaͤhrt dem jungen Maͤdchen, von wel - chem Gregorius ſchreibt.

Vielen hat ſich die Naͤhe der letzten Aufloͤſung durch eine ſuͤße Muſik offenbart. In den letzten Stunden iſt dieſe Erſcheinung haͤufiger und allgemeiner bekannt. Bey vollkommen Unpoetiſchen nimmt oͤfters eine ſolche Offenbarung des Zukuͤnftigen die Geſtalt der Begeiſte - rung und Poeſie an, und jenem Domherrn zu Werda am Rhein, ſpricht ſich die Vorempfindung des unver - muthet nahen Endes in Verſen aus.

Selbſt die Sprache und das klare Bewußtſeyn kehrt bey ſolchen, welche ſie ſeit langer Zeit verlohren, in ſolchen Augenblicken der Vorahndung wieder. So je - nem kranken Greis zu Buzow, der ſeit 28 Jahren ge - laͤhmt und gaͤnzlich ſprachlos war, und dem ein freu - diger Traum, der ihm das Ende ſeiner langen Leiden verkuͤndigte, die verlohrne Rede auf den letzten Lebens - tag zuruͤckgab. Selbſt einem wirklichen Taubſtummen (Krauſe) der vor einigen Jahren zu Jena ſtarb, hat man gleich am Anfang der letzten Krankheit ſeinen na - hen Tod mit einem von ihm noch nie ſo deutlich ver - nommenen Wort verkuͤndigen hoͤren. Dieſer war naͤm - lich in einen beruͤhmten Taubſtummeninſtitut zwar un - terrichtet, hatte aber wegen eines fehlerhaften Organs nie vernehmlich ſprechen gelernt; jetzt aber in der Be - geiſtrung der letzten Stunden wurde die bis dahin ge - bundne Zunge geloͤſt*)Merkwuͤrdige Faͤlle von Vorahndungen, oder von einer momentanen Zuruͤckkehr der Sprache bey ſtumm ge - wordnen ſind mehrere bekannt, obwohl ſie nicht zunaͤchſt hieher gehoͤren. So iſt es die Vorahndung einer Taub - ſtumm en, welche die Madame Beaumont erzaͤhlt, wo ein naher Verwandter durch die ſtummen unablaͤſſigen Bitten von einer nahen Gefahr in die er ſich begeben wollen zu - ruͤck gehalten wurde; bekannt iſt auch wenigſtens in unſrer wie ſich auch bey Bloͤdſinnigen355 nach dem Tode, und ſelbſt nach zerſtoͤrtem Schedel das Geſicht noch auf einmal veredelt und verklart.

Eine andre Verwandſchaft zeigt der Somnambu - lismus mit dem neuerlich ſehr zur Sprache gekommenen Gefuͤhl fuͤr Metalle.

Wenn es naͤmlich unlaͤugbar iſt, daß die Metalle auf alle magnetiſch Schlafenden, ſelbſt aus einiger Ent - fernung, wie ſchon in Heineckens vielfaͤltigen, und bis zur hoͤchſten Qual der Somnambuͤlen wiederholten Ver - ſuchen ſichtbar wird, heftig einwirken, ſo wird hier - aus dieſe Gabe, die ſich an gewiſſen Menſchen auch im geſunden Zuſtand gezeigt hat, begreiflicher. Es iſt ſchon aus Humbolds fruͤheren Verſuchen bekannt, daß ſelbſt die vom Koͤrper getrennten, ſchon faſt toden Nerven, bey der Wirkung der Metalle im Galvanismus, eine Art von Atmosphaͤre um ſich zeigen, und daß des -*)Gegend, die Geſchichte des Fraͤuleins Ludwiger zu Deſſau, wovon einige Zeugen noch leben. Dieſe hatte einſt in ih - rer fruͤheſten Kindheit, die Unachtſamkeit der Waͤrterin der ſie die eben abweſende Mutter vertraut taͤuſchend, eine große Menge ſehr ſtarken Brandwein getrunken, und die nur mit Muͤhe vom Tode Gerettete, erhielt ſeitdem nie wie - der Bewußtſeyn, Sprache und Beweglichkeit der Glie - der, und an Geſtalt immer einem Kinde aͤhnlich bleibend, lag ſie verſchiedene Jahre in dumpfer Starrheit zu Bette. Die Pflege des huͤlfloſen Kindes, befiehlt die ſterbende Mut - ter ihren andern Toͤchtern noch in der letzten Stunde an, und dieſe nehmen ſich des zuruͤckgelaſſenen Kindes mit un - ermuͤdeter Sorgfalt an. Nur an einem einzigen Tage, (dem Hochzeittag der einen Schweſter) vergißt man dem Kinde ſeine Nahrung zu reichen. Zuletzt, mitten in den Zerſtreuungen des Feſtes, erinnern ſich alle drey Schwe - ſtern zugleich der verſaͤumten Pflicht, und zugleich nach dem Zimmer der Kranken hineilend, ſehen ſie das Kind, das ſich ſonſt nie ohne fremde Hulfe aufrichten konnte, ſich frey und mit einer heitern Miene emporheben, und den ſtaunenden Schweſtern verſichern: die Mutter ſey eben hier geweſen und habe ihr ſchon ihr Eſſen gereicht. Es war dieſes das erſte und das letzte Wort des kranken Kindes, das einige Zeit hernach ſtarb, ohne daß ſich jemals wieder etwas Aehnliches an ihm gezeigt haͤtte.Z 2356halb ſchon die angenaͤherten Metalle dieſelben Zuckungen hervorbringen, wie in andern Faͤllen die unmittelbar beruͤhrten. Auch iſt es bekannt, daß im Galvanis - mus die edlen Metalle, die ſich von den unedlen ſchon dadurch unterſcheiden, daß ſie unter der Einwirkung der Luft und des Waſſers nicht ſo verkalken (roſten) als die unedlen, ſich zu dieſen auf ganz entgegengeſetz - te Weiſe verhalten, eben ſo wie im magnetiſchen Schlaf. Jene Atmosphaͤre, wenn wir dieſen Ausdruck hier brau - chen wollen, iſt nun bey einigen lebenden und ſonſt ge - ſunden Perſonen von ſolchem Umfang, daß dieſe ſelbſt von ziemlich entfernt unter ihren Fuͤßen, oder neben ihnen verborgnen Metallen einige deutliche Empfindung haben.

Jenes geſchaͤrfte Gemeingefuͤhl, durch welches die magnetiſch Schlafenden außer ihnen befindliche Gegen - ſtaͤnde erkennen, ohne ſie eigentlich zu ſehen, iſt, wie ſchon erwaͤhnt, auch den gewoͤhnlichen Nachtwandlern eigen. Auch dieſe ſieht man mit verſchloſſenen Augen herumgehen, und dabey alle ihnen entgegenſtehende Gegenſtaͤnde ſorgfaͤltig vermeiden, oder beym Klet - tern, die feſten Stellen fuͤr den Fuß gluͤcklich heraus - waͤhlen. Sie ſchreiben in dieſem Zuſtand ſo deutlich als ſonſt, ſehen nach der Uhr, und ſagen genau die Stunde an, und benehmen ſich in Allem, als ob ſie ſaͤhen. Auch in Krankheiten iſt zuweilen, wenn ſonſt alle Sinne unwirkſam wurden, noch ein ſolches ſehr geſchaͤrftes Gemeingefuͤhl uͤbrig. So erkannte das kranke Maͤdchen, deſſen Geſchichte der Irrlaͤnder Ec - cles aufbehalten hat, nachdem auf dem laugen Kran - kenlager das Geſicht, und zuletzt auch das Gehoͤr ver - gangen waren, die eintretenden Bekannten eben ſo durch ein gewiſſes dunkles Gefuͤhl, ſobald ſie in ihre Naͤhe traten. Ein ſolches Gemeinfuͤhl wird auch zuwei -357 len bey Ohnmachten, und vielleicht bey einem ihnen verwandten noch tieferen Zuſtand, bey dem angehenden Tod gefunden.

Vorzuͤglich merkwuͤrdig iſt aber jenes innre Licht, welches nach der Ausſage der magnetiſch Schlafenden ihren ganzen Koͤrper durchſtroͤmt, und das nicht min - der in den zuletzt erwaͤhnten Zuſtaͤnden gefunden wird. Es wird bey tiefen Ohnmachten oͤfters ein eigenthuͤmli - ches Leuchten vor den Augen geſehen, und die aus tie - ſen Ohnmachten und Scheintod Erwachenden, beſchrel - ben den nach der Ausſage faſt Aller ungemein ſeeligen Zuſtand, in welchem ſie ſich befanden, oͤfters ſo, daß ſie von einem hellen glaͤnzenden Schein umfloſſen gewe - ſen waͤren.

Ueberhaupt iſt es dieſe Verwandſchaft des thieri - ſchen Magnetismus mit dem Tode, welche die vorzuͤg - lichſte Aufmerkſamkeit verdient. Die Natur hebt ſol - che ſonſt unheilbaren Krankheiten, die nur dem Mag - netismus weichen, durch den Tod, und giebt ſo durch eine vollkommene Umwandlung, der kranken menſch - lichen Natur die verlohrne innre Harmonie zuruͤck. Der Magnetismus, welcher nicht ſelten ein Erſtarren der Glieder wie im Tode, und andre hiermit verwanden Symptome zur erſten Wirkung hat, iſt auch hierin das im Kleinen, was der Tod im Großen und auf eine voll - kommnere Weiſe iſt. Auch Ohnmachten und der noch tiefer mit dem eigentlichen Tod verwandte Scheintod ohne Bewußtſeyn, zeigen ſich, ſo wie ſie von einem glei - chen, oder vielmehr noch viel hoͤheren Wonnefuͤhl beglei - tet ſind als der Somnambulismus, nicht minder heil - ſam als der magnetiſche Schlaf, und die aus ihm Er - wachenden ſind meiſt von der vorhergegangenen Krank - heit, die ſie in dieſen Zuſtand verſetzt, vollkommen be - freyt, ja auf eine unbegreifliche Weiſe geſtaͤrkt.

358

Ja ſelbſt jenes innre Licht und Hellſehen, erinnert an den Phosphor und an den leuchtenden Zuſtand, wel - chen die Verweſung an den toden organiſchen Koͤrpern hervorruft. Von den Phaͤnomenen der Elektricitaͤt, und wohl noch tiefer hinab, bis hinauf zu denen der Vereinigung der Geſchlechter im Organiſchen, ſehen wir uͤberall das brennbare Weſen auf dem hoͤchſten Gi - pfel des Daſeyns und der Wechſelwirkung erſcheinen, durch die hoͤchſte Thaͤtigkeit des Lebens hervorgerufen werden. Zugleich werden in jenen Augenblicken, wo der Phosphor in ihnen erwacht, die Weſen einer wei - teren und allſeitigeren Wechſelwirkung mit der Außen - welt faͤhig, und dieſe tritt den vorhin auf die naͤchſte Beruͤhrung beſchraͤnkten Koͤrpern, dann erſt in wirkli - che Anſchauung, faͤngt dann erſt an fuͤr ſie zu exiſti - ren. So tritt der verbrennende Koͤrper, wie die Pflan - ze und das Thier in der Zeit des Bluͤhens und der Be - gattung (der Erſcheinung des Phosphors) mit einer ſonſt fuͤr ihn nicht vorhandnen Außenwelt und mit ei - nem hoͤheren Ganzen in innige Beziehung. Das Sehen ſelber iſt, wie wir anderwarts ſahen, mit Recht ein Selberleuchten des Auges genannt worden, welches mithin blos durch die Eigenſchaft des Leuchtens mit der Außenwelt in jene Beziehung tritt, die wir An - ſchauen nennen.

Auf der andern Seite ſehen wir durch alles das, was das brennbare Weſen erweckt, die Thaͤtigkeit des Lebens erhoͤht, und in einem hoͤheren Maas das Leben ſelber zerſtoͤrr werden. Auf die letzte Weiſe bewirken die Gifte, von der Verwandſchaft des Phosphors, und der Blitz, auf gleiche Weiſe als ein zu hoher Grad von Leidenſchaften eine augenblickliche Vernichtung des organiſchen Lebens, und bey vielen Weſen faͤllt der Moment wo das thieriſche oder vegetabiliſche Leben am359 maͤchtigſten erhoͤht iſt, der Moment der Begattung, mit dem des Todes zuſammen. Wenn daher bey je - nem unmaͤßigen Grade der Leidenſchaften oder der Er - hoͤhung der Lebenskraͤfte, das brennbare Weſen deutlich hervortritt, muß dieſes auch anderwaͤrts, bey jeder vorzuͤglichen Erhoͤhung der Lebenskraͤfte, wenn auch minder nach außen bemerkbar, erwacht ſeyn. Wie da - her das Sehen bey dem Auge, ſcheint auch jenes Se - hen der Somnambuͤlen nach Innen, und mit verſchloßnen Augen nach außen, und alle andere Phaͤnomene des Hellſehens, durch das Freywerden jenes merkwuͤrdigen brennbaren Weſens bewirkt zu werden.

Auch bey jenen dem Tode oͤfters vorausgehenden Erſcheinungen einer hohen Begeiſterung, der Vorahn - dungen, und andern Zuſtaͤnden die dem Somnambu - lismus und dem Hellſehen ſo nahe verwandt ſind, ſcheint jenes brennbare Weſen,*)Da auf dieſe Weiſe der Tod dem Zuſtand des Somnam - bulismus ſo nahe verwand iſt, muß auch jene ſo klare Ueber - ſicht uͤber alle untergeordnete Zuſtaͤnde, und alles was im Wachen geſchehen, die beym Hellſehen ſtatt findet, ohne das zugleich im Wachen Erinnerung an das Hellſehen da iſt, ſehr bedeutend werden. Nur moͤge man nicht alles was bey dem noch lebenden und unzerſtoͤrtem Koͤrper ſtatt fin - det, auf einen Zuſtand ausdehnen, wo der Organismus dem wir die Details der Erinnerung anvertrauen, nicht mehr iſt. Gewiß iſt es aber, daß, wie ſelbſt im gewoͤhnlichen Zuſtand des Somnambulismus keine Erinnerung an das iſt, was im Doppelſchlaf geſchehen, wir uns wohl an der Graͤnze des jetzigen Daſeyns in Zuſtaͤnden befunden haben koͤnnen, die uns ſelbſt in den hoͤchſten Augenblicken des Lebens nur dunkle Ahndung werden, und die vielleicht erſt im Tode, wo wir wieder in einen gleichen Zuſtand treten, von uns wieder uͤberblickt werden. das im Tode und in der erſten Periode der letzten Aufloͤſung ſo vorzuͤglich bedeutend wird, ſchon Theilweiſe und auf Momente frey zu werden, und jene Momente ſind daher nicht Vorahndungen des Todes, ſondern der angehende, auf360 Augenblicke, oder Theilweiſe ſchon eintretende Tod ſel - ber. Sie ſind, wie wir in der vorhergehenden Vorle - ſung ſahen, die Momente wo die menſchliche Natur die Anker nach einer ſchoͤneren Heymath lichtet, und wo die Schwingen des neuen Daſeyns ſich regen.

So bezeichnet das Erwachen des brennbaren We - ſens, wie im Anorgiſchen das Erſcheinen des Lichts,*)Nach dem 1ſten Theil m. Ahnd. uͤberall den Moment, wo die irdiſchen Dinge ſich uͤber die Natur des Planeten erheben, wo ſie von dieſem frey werden, und in eine hoͤhere Ordnung der Dinge eintreten. Auch fuͤr das menſchliche Daſeyn ſcheint ſich zuletzt die Befreyung von dem Planeten auf eine aͤhnliche Weiſe nach Außen kund zu geben, und viel - leicht iſt die Geſchichte unſrer letzten Verwandlung, ſchon mit dem Erſcheinen des Phosphors geendigt.

361

Vierzehnte Vorleſung. Schluß.

Es blieb uns noch Einiges zur Loͤſung der in der letz - ten Vorleſung aufgeſtellten Erſcheinungen uͤbrig, viel - leicht daß uns ſchon dieſes am Schluß des Ganzen noch einmal zu dem Hauptinnhalt dieſer Unterſuchungen, und zu ihren endlichen allgemeinen Folgen zuruͤckfuͤhrt. Jene aͤußerliche Weiſe, wie der organiſche Magnetis - mus in einem hierzu empfaͤnglichen Koͤrper hervorge - bracht wird, ſcheint nur die natuͤrliche Wirkung des Nervenſyſtems auf die untergeordneten Theile, in ei - nem vorzuͤglichen Grade zu erhoͤhen. Die Bewegung, welche der Magnetiſeur von dem Haupte des zu Mag - netiſirenden nach den unteren Theilen deſſelben aͤußer - lich macht, ſcheint der innern Wirkung des Gehirns nach denſelben Theilen, welch in einer gleichen Rich - tung geſchieht, zu Huͤlfe zu kommen, und die gewoͤhn - liche Wirkung des Gehirns auf die Muskeln uͤber die gewoͤhnliche Graͤnze hinaus zu verſtaͤrken. Nach dem allgemeinen, fruͤher ſchon oft erwaͤhnten Geſetz, er - folgt dann, wenn die Einwirkung des Nervenſyſtems auf den untergeordneten Gegenſatz ihren hoͤchſten Gipfel erreicht hat, die Ruͤckwirkung des letzteren, und in dieſem Fall um ſo ſchneller und ſtaͤrker, jemehr die ſchwache Lebenskraft des Nervenſyſtems der kraͤnklichen Som - nambuͤle durch die uͤber das gewoͤhnliche Maas erregte362 Wechſelwirkung erſchoͤpft war. Hieraus iſt anderwaͤrts der Schlaf, und ſelbſt der Tod hergeleitet worden. Ei - ne ſolche Ruͤckwirkung der untergeordneten Theile, be - ſonders des Magens und der mit ihm zunaͤchſt verbund - nen Organe auf das Gehirn, waͤhrend welcher ſich die - ſes paſſiv verhaͤlt, iſt auch die Urſache des magneti - ſchen Schlafs und ſeiner merkwuͤrdigen Erſcheinungen. Es wird an dieſem, ſo wie an den mit ihm verwandten Phaͤnomenen erkannt, daß eine gaͤnzliche Paſſivitaͤt, gleichſam eine Abweſenheit der hoͤheren Kraͤfte in uns noͤthig ſey, damit jene fremdartige, tief im Innern ſchlummernde Natur ſichtbar werde.

Was zuerſt jene Sympathien angeht, die Wir - kung entfernter und unter ſich verwander Weſen auf einander, ſo gruͤndet ſich dieſe auf die verſchiedenen Grade der geiſtigen Erregbarkeit der einzelnen Organe, oder Individuen. Die unſelbſtſtaͤndigſten, wie dieſe ſchon an ſich dem hoͤheren Einfluß am meiſten unterge - ordnet ſind, werden auch fuͤr alle aͤußeren Einwirkun - gen am leichteſten afficirbar ſeyn; in organiſchen Koͤr - pern wird der unvollkommenere Gegenſatz dieſe groͤßere Erregbarkeit beſitzen. Dagegen wird zwar die Leben - digkeit des vollkommneren Gegenſatzes (des Nervenſy - ſtems) minder leicht von außen erweckt, ſie iſt aber alsdann auch um ſo ſtaͤrker, ſo daß vor ihr die des untergeordneten verſchwindet. Es wirken aber in der Koͤrperwelt nach einem bekannten Naturgeſetz, dieſel - ben Weſen deſto ſtaͤrker auf einander, je naͤher ſie ſich beruͤhren; je mehr ſie fich dagegen entfernen, deſto ſchwaͤcher wird die Wechſelwirkung. Waͤhrend nun die vollkommneren Organe die dem Geiſtigen in uns un - mittelbarer und naͤher verwand ſind, von denſelben Gegenſtaͤnden nur dann afficirt werden, wenn ſie ih - nen naͤher ſind, wird auf die untergeordneten Organe,363 die, wie wir anderwaͤrts ſehen, im Traume und den ihm verwanden Zuſtaͤnden zum Gemuͤth ſprechen, auch von den Entfernten gewirkt. Doch wird dieſe ſchwaͤ - chere Wechſelwirkung dem Gemuͤth nur dann vernehm - lich, wenn die ſtaͤrkere der vollkommneren Organe we - nigſtens auf Momente, aufgehoben iſt oder ruhet. Es geſchieht dieſes auf dieſelbe Weiſe, nach welcher jene entfernten Sonnen die uns nur als Sterne erſcheinen, erſt dann ſichtbar werden, wenn die unſrige, naͤhere, untergegangen iſt. Es iſt daſſelbe allgemeine Geſetz, nach welchem jene an ſich eben ſo ſtark oder noch ſtaͤrker leuchtenden Sonnen, blos weil ſie viel entfernter ſind, auf die Erde und unſre Augen ſchwaͤcher wirken, als die naͤhere Sonne, und nach welchem die ſtaͤrkere Wech - ſelwirkung derſelben mit der Erde am Tage, die ſchwaͤ - chere der andern Geſtirne unvernehmlich macht. Wie dieſe auch am Tage vorhanden iſt, mag auch im ge - ſunden und wachen Zuſtand der vollkommneren Orga - ne, jene dunklere Sympathie entfernter Weſen immer wirkſamer ſeyn, ſie vermag aber erſt in ſolchen Mo - menten wie die des magnetiſchen Schlafs, des Nacht - wandlens, Wahnſinns und andern aͤhnlichen krank - haften Zuſtaͤnden hervorzutreten.

Auch einige Phaͤnomene jenes von innen ausgehen - den Lichts, laſſen ſich vielleicht hierans erklaͤren. Waͤh - rend naͤmlich die Einwirkungen aͤußerer naher Gegenſtaͤn - de, welche durchs Auge geſehen werden, zwar viel ſtaͤrker ſind, als die, welche vermittelſt des Gemeingefuͤhls zu uns gelangen, ſind doch auch dieſe, zugleich mit jenen, immer vorhanden. Das Gemuͤth hat in der Erinnerung die Einwirkungen der nahen Gegenſtaͤnde, welche durchs Auge geſchahen, mit der gleichzeitigen Wirkung derſelben aufs Gemeinfuͤhl ſo vereint, daß jetzt, wenn im magnetiſchen Schlaf die Außenwelt blos364 noch auf das allgemeine Gefuͤhl einwirkt, in der See - le die gleichnahmigen Vorſtellungen, welche ehedem zu derſelben Zeit durch das Sehen erweckt wurden, zu - gleich hervortreten, ſo daß ſie das vermittelſt des Ge - meinfuͤhls Erkannte zu ſehen glaubt. Ueberdies ſind ſich die Weiſe wie wir mit aͤußern Gegenſtaͤnden ver - mittelſt des allgemeinen Gefuͤhls in Wechſelwirkung treten, und die, wie ſie uns bey dem Sehen afficiren, viel naͤher verwandt als es ſcheint, und auch die Wir - kungen des Gemeingefuͤhls geſchehen durch eine aͤhnli - che Thaͤtigkeit des Brennbaren als die des Auges. Zu wuͤnſchen waͤre es in dieſer Hinſicht ſehr, daß Verſu - che mit dem organiſchen Magnetismus bey Blindge - bohrnen gemacht wurden, weil hier vielleicht der Zu - ſtand des Somnambulismus, in der erwaͤhnten Hin - ſicht, ſonderbare Erſcheinungen zeigen wuͤrde.

Wie ſchon erwaͤhnt, erwachen aber auch zuweilen in jenen von dem geſunden Leben abweichenden Zuſtaͤn - den viel tiefer liegende Kraͤfte unſrer Natur, deren Wirk - ſamkeit von einem viel erhabeneren Umfange iſt. Wir haben in ihnen aus der Analogie des Ganzen die noch unausgebildeten Organe eines kuͤnftigen hoͤheren Da - ſeyns geſehen. Auch in ihnen pflegt das eigentliche innre Leben noch ſo ſchwach zu wirken, daß es dann wenn das ſtaͤrkere, des jetzt noch uͤbermaͤchtigen irdi - ſchen Daſeyns, in voller Kraft wirkt, nicht zu erken - nen iſt, und nur dann ſeine hohe Schwinge regt, wenn dieſes gehemmt iſt.

Auch die Vorahndungen muͤſſen aus denſelben oder aͤhnlichen Urſachen hergeleitet werden. Wir werden dieſe dunkle Erſcheinung der Seelenlehre leichter ver - ſtehen, wenn wir ſie mit verwandten Phaͤnomenen der untergeordneten Koͤrperwelt zuſammenſtellen.

365

Veraͤnderungen des Wetters, die noch kuͤnftig ſind, und von denen wir ſelbſt durch die beſten Werkzeuge in der ganzen uͤbrigen Natur noch keine Anzeichen bemer - ken, werden durch gewiſſe Pflanzen, unter welche der merkwuͤrdige weſtindiſche Wetterſtrauch (Poriera hygro - metrica) gehoͤrt, nicht minder als durch verſchiedne ganze Thierarten, mehrere Tage vorher, ehe ſie ein - treten vorausverkuͤndiget. Dieſe Thierarten gehoͤren meiſt zu der Claſſe der Inſekten, und zwar was vor - zuͤglich zu bemerken iſt, zu jenen Gattungen, wo die meiſten Individuen geſchlechtslos ſind, oder doch von unvollkommner Entwicklung des Geſchlechts. Solche thieriſche Witterungsverkuͤnder, ſind naͤmlich vorzuͤg - lich einige Arten von Ameiſen und Bienen. Da nun in der ganzen organiſchen Natur, jene Ausbildung ein ganz vorzuͤgliches Zeichen der innren, ſelbſtſtaͤndigen Vollendung iſt, ſo wird hiermit jene Eigenſchaft, als eine Gabe, gerade der unvollkommenſten Thiere er - kannt. Unter den Voͤgeln ſoll es aus aͤhnlichen Gruͤn - den vorzuͤglich der Kukuk ſeyn, an welchem eine ſolche Vorempfindung der noch kuͤnftigen Witterungsveraͤnde - rungen wahrgenommen wird, und es iſt bekannt, daß dieſes Thier, vermoͤge einer minder vollkommnen Or - ganiſation, ſelten, oder wie Einige behaupten, niemals, die eignen Jungen auszubruͤten vermag.

Hiermit ſteht in Verbindung, daß eine aͤhnliche Vorempfindung der nahen Wetterveraͤndrungen, auch ſehr haͤufig an einzelnen kranken Theilen des lebenden, und ſonſt geſunden Organismus wahrgenommen wird. Es iſt naͤmlich bekannt, daß langwierige Wunden oder Narben ehemaliger tiefer Verletzungen es mit einigen andern organiſchen Fehlern des menſchlichen Koͤrpers ge - mein haben, oͤfters einige Tage ſpaͤter eintretende Kaͤlte oder auch eine ploͤtzliche Abnahme der Kaͤlte durch366 Schmerzen vorauszuſagen. Dieſe Schmerzen bewirkt auch eine zufaͤllige ſchnelle Abwechslung der Tempera - tur, in welcher ſich jene Theile befinden, unmittelbar. Es ſcheint demnach etwas, wovon noch keine einzige Spur vorhanden iſt, auf dieſe Organe ſchon zu wirken, welches ein Widerſpruch waͤre, wenn dieſe Naturer - ſcheinung ſich nicht auf andre Weiſe loͤſen ließe.

Auch bey jenen allgemein verbreiteten Volkskrank - heiten, welche eine Folge der in gewiſſen Jahren herr - ſchenden Witterung ſind, ſieht man kraͤnklichere und reizbarere Individuen fruͤher davon ergriffen werden, ehe vielleicht ſelbſt jene Stimmung der Witterung oder doch wenigſtens die allgemeine, vielen gleichzeitige Seuche, eingetreten iſt. Andre vorzuͤglich unreizbare Naturen, oder ſolche, bey denen wenigſtens die Orga - ne, welche jene Krankheit am meiſten afficirt, im vor - zuͤglichſten Grade unreizbar ſind, ſehen wir noch ſpaͤt an der allgemeinen Krankheit darniederliegen, wenn dieſe bey der Menge ſchon laͤngſt voruͤber iſt. Nach demſelben Geſetz ſehen wir auch, wenn dem Koͤrper ei - ne allgemeine und heftige Krankheit bevorſteht, dieſe zuerſt nur gewiſſe Organe, mehr oder minder afficiren, und ſo ihre Annaͤherung dem Arzte durch gewiſſe einzel - ne Vorboten vorausverkuͤndigen. Dieſer Theil der Leh - re von den Symptomen haͤngt unmittelbar mit der Leh - re von den Perioden der Ausbildung und der Funktio - nen der einzelnen Organe zuſammen, denn es geſchieht dieſes nach demſelben Geſetz, nach welchem die zarte - ren und ſchwaͤchlichern Individuen derſelben Art, fruͤ - her ſich entwicklen, und fruͤher wieder verbluͤhen, als die ſtaͤrkeren und geſuͤnderen, oder nach welchem die minder ſelbſtſtaͤndigen Organe fruͤher ausgebildet und fruͤher wieder zu ihrer Beſtimmung untuͤchtiger werden, als die vollkommneren, ſelbſtſtaͤndig entwickleten.

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Wir erkennen naͤmlich aus einfachen Thatſachen, von denen mehrere im Laufe dieſer Unterſuchungen auf - geſtellt ſind, daß alle einzelne, ſelbſtſtaͤndig belebten Weſen, untereinander und mit ihrem Ganzen in einer eben ſolchen innigen vorherbeſtimmten Harmonie ſte - hen, wo daſſelbe Leben in Allen zugleich, ohne daß des von einem andern hierzu beſtimmt werden muͤßte ſich vollendet, wie die einzelnen Theile eines lebenden or - ganiſchen Koͤrpers. Bey dieſem wird, wenn ihm ei - ne Krankheit, oder eine andre bedeutende Veraͤnderung ſeiner Natur nahe iſt, die Dispoſition dazu in allen einzelnen Theilen zugleich entwicklet, und nur bey eini - gen fruͤher, bey andern energiſcheren ſpaͤter vollendet und aͤußerlich ſichtbar, bey jenen mehr wichtigen Thei - len nur als minder bedeutendes Symptom, bey dieſen als Hauptcharakter der Krankheit. So zeigen ſich auch die verſchiedenen Lebensperioden des geſunden Or - ganismus, in allen Theilen auf gleiche Weiſe vorberei - tet, obgleich ihnen einige fruͤher andre ſpaͤter entgegen - reifen. Auf dieſelbe Weiſe ſind nun auch gewiſſe Na - turveraͤnderungen, welche ſich den Sinnen vorzuͤglich in der Atmosphaͤre, als Witterungswechſel ſichtbar ma - chen, in allen Lebendigen ſelbſtſtaͤndig vorbereitet. Es muͤſſen ſelbſt dieſe Naturbegebenheiten an ein nothwen - diges Geſetz gebunden ſeyn, in einer nothwendigen Aufeinanderfolge ſtehen, obgleich dieſes Geſetz nur erſt durch die genaueren Forſchungen der neuen Zeit, aus einzelnen Thatſachen geahndet wird. Derſelbe Lebens - geiſt, der in der aͤußern Natur die einzelnen Veraͤnde - rungen, in nothwendiger Aufeinanderfolge hervorruft, wohnt auch in allen einzelnen organiſchen Weſen, und erzeugt in ihnen, harmoniſch mit jenen, und nach demſelben Geſetz der Aufeinanderfolge, jenen entſpre - chende Veraͤnderungen; das was in den organiſchen368 Weſen eine Folge der aͤußern Naturwechſel ſcheint, wird in dieſen ſelbſtſtaͤndig, und ohne von jenen be - ſtimmt zu ſeyn, entwicklet; die Pflanze oder das In - ſect, deren Leben nur ein Jahr dauert, ſind auch, von demſelben Geiſt, welcher die Wechſel der aͤußern Na - tur leitet, beſeelt, ein Bild des Jahrs in welchen ſie gebohren wurden, und die Perioden und Naturwechſel, welche waͤhrend dieſem eine nach der anderen hervorge - hen, werden auch ſelbſtſtaͤndig in dem kurzen Leben jener Dinge entwicklet. So traͤgt jedes Leben die Zeit und den Grund ihres Wechſels ſelbſtſtaͤndig in ſich, wie die aͤußere Geſchichte des einzelnen Menſchen ei - gentlich aus ſeinen innern Weſen hervorgeht.

Wie nun uͤberall das Leben der minder vollkomm - nen Weſen ſich fruͤher entwicklet, die einzelnen Wech - ſel deſſelben fruͤher eintreten und einen kuͤrzern Verlauf halten, ſo geſchicht es, daß jene unvollkommnen Or - ganismen von allen jenen Wechſeln, die in ihnen, wie in der aͤußern Natur von den hoͤhern Einfluß geweckt werden, fruͤher ergriffen werden, waͤhrend die voll - kommneren mit der ganzen Natur gleichen Schritt hal - ten, mit ihr zugleich jene allgemeine Veraͤnderungen erleiden, und zugleich mit ihr wieder in den vorigen gleichmaͤßigen Zuſtand zuruͤckkehren. Daſſelbe iſt der Fall bey kranken Theilen des organiſchen Koͤrpers. So erſcheint das als Vorempfindung der kuͤnftigen Witte - rungswechſel, was ſchon die dieſen entſprechende und unabhaͤngig von den Veraͤnderungen der Atmoſphaͤre in jenen Weſen entſtehende Naturveraͤnderung ſelbſt iſt.

Auf dieſelbe Weiſe laſſen ſich nun auch die in der vorhergehenden Vorleſung aufgeſtellten merkwuͤrdigen Thatſachen der Vorahndungen und das Vorauswiſſen bevorſtehender koͤrperlicher Veraͤnderungen im thieri - ſchen Magnetismus erklaͤren. Ich habe daſelbſt noch369 unterlaſſen zu erwaͤhnen, daß dieſe Erſcheinung dem magnetiſchen Schlaf nicht allein eigenthuͤmlich iſt, ſon - dern daß ſie ſich auch in einigen Nervenkrankheiten, vor - zuͤglich in ſolchen die mit der Epilepſie verwandt ſind, zeigt, wo ſie oft eben ſo merkwuͤrdig hervortritt, als das ſchon einige Mal erwaͤhnte Vorauswiſſen des na - hen Todes, von welchem eine Menge Faͤlle bekannt ſind. Nach dem ſchon erwaͤhnten Geſetz, muͤſſen ei - nige unvollkommene Organe, die bevorſtehenden Ver - aͤnderungen, die ſich dann, wenn von ihnen auch die wichtigeren, dem Leben nothwendigeren Organe ergriffen werden, als heftige Krankheitsanfaͤlle darſtellen, fruͤher erleiden. Es ließen ſich hiervon viele Beyſpiele aus der Lehre der Symptome und erſten Vorboten der Krankhei - ten anfuͤhren. Da aber die eigenthuͤmliche Thaͤtigkeit jener unvollkommneren Organe fuͤr das Ganze nur von geringerer Bedeutung iſt, und mit dem Leben deſſel - ben in keiner ſo nothwendigen Beziehung ſteht, werden auch die an ihnen ſchon eingetretnen Veraͤndrungen nicht bemerkt, vielmehr werden ſie durch die ſtaͤrkere, noch unveraͤnderte Wechſelwirkung der wichtigeren Thei - le, eben ſo unmerklich gemacht, wie ein fernes ſchwaͤche - res Licht von einem maͤchtigeren naͤhern, ein leiſeres Geraͤuſch von einem ſtaͤrkern. Wenn aber im thieri - ſchen Magnetismus und den ihm verwanden Zuſtaͤn - den, jene ſtaͤrkere Wechſelwirkung der innern Lebens - kraͤfte momentan aufgehoben wurde, werden nun auch jene Veraͤnderungen der ſchwaͤchern Organe, die nach einem nothwendigen Geſetz gerade dann wachen, wenn die hoͤheren Organe ſchlummern, der Seele vernehm - lich. Nun hatte aber jenes fruͤhere Eintreten der Krankheiten und koͤrperlichen Veraͤnderungen, bey ein - zelnen reizbaren Organen, auch ſchon ſonſt, im ge - woͤhnlichen Zuſtand des Lebens ſtatt, nur war ſich dieA a370Seele deſſelben nicht klar bewußt geworden. Dieſe, wenn auch nur dunkel gemachte Erfahrung, kommt derſelben jetzt zu Huͤlfe, wenn ſie die Zeit, welche ſonſt ver - ſtrichen, ehe das, was jene einzelnen ergriffen, ſich des ganzen Organismus bemaͤchtiget, auch auf den jetzi - gen Fall anwendet. Auf dieſe Weiſe ſcheint den mag - netiſch Schlafenden jenes wunderbare, und fuͤr ſich al - lein unglaublich ſcheinende Vorherwiſſen moͤglich.

Selbſt jenes etwas lange Vorherwiſſen, von wel - chem ich etliche Faͤlle Heinecken nacherzaͤhlte, welches oͤfters uͤber mehrere Monate hinausreichte, wird uns weniger befremden, wenn wir bemerken, wie einzel - ne Organe anderen in Hinſicht der Entwicklung ſelbſt um viele Jahre vorausgehen. Und zwar dieſes im ge - ſunden Zuſtande des Koͤrpers. Es iſt daſſelbe Leben, das ſich in den einzelnen Organen eines und deſſelben individuellen Weſens ausſpricht, und in ihnen entwick - let, und dennoch bildet ſich daſſelbe, wie ich ander - waͤrts gezeigt habe, z. B. an dem Auge, ſchon in den erſten Jahren der Kindheit aus, waͤhrend es ſich an andern, z. B. an dem Magen, erſt gegen die Mitte des Lebens, bey andern Organen noch ſpaͤter vollendet. Daſſelbe individuelle Leben, das aus der ganzen Na - tur des Individuums hervorgegangen, an allen Orga - nen denſelben beſtimmten Charakter zeigt, haͤlt mithin bey jenen fruͤher reifenden Theilen, von ſeinem Begin - nen bis zu ſeinem hoͤchſten Gipfel, einen, wenig Jahre dauernden Verlauf, waͤhrend welchem aber alles das, mit ſeinem beſtimmten Charakter, und in ſeiner beſtimm - ten Aufeinanderfolge hervortritt, was bey vollkomm - neren Organen in dem langen Verlauf eines halben Menſchenlebens entwicklet wird. Ein aufmerkſamer Sinn koͤnnte in dem kurzen Lebenslauf jener einzelnen371 Theile, den des ganzen Organismus, mit allen ſeinen einzelnen Begebenheiten leſen, und wirklich iſt es be - kannt, daß gewiſſe krankhafte Zufaͤlle, welche in fruͤ - heren Jahren an einzelnen, minder wichtigen Organen wahrgenommen werden, auf Krankheiten hindeuten, von welchen andre wichtigere Theile in einem ſpaͤtern Alter befallen werden. So erfolgen bey jenen, wel - che Anlage zu den Haͤmorrhoiden haben, oͤfters in fruͤ - hern Jahren Blutungen aus der Naſe, im Juͤnglings - alter, wo die Lunge ihre hoͤchſte Ausbildung erreicht, aus dieſer, bis endlich erſt ſpaͤter die Krankheit an an - dre, langſamer ſich entwicklende Organe uͤbergeht.

So behalten jene merkwuͤrdigen Thatſachen nichts mehr, was mit den unveraͤnderlichen Geſetzen der Na - tur, und mit andern Erſcheinungen derſelben in Wider - ſpruch ſtuͤnde. Vielmehr koͤnnen ſie uns zu einem der wichtigſten und klareſten Beweiſe jener vorherbeſtimmten Harmonie des Lebens aller Einzelnen, mit dem ihres Ganzen dienen, welche ein Hauptgegenſtand dieſer Unterſuchungen geweſen. Dieſe wuͤrde aber ſelber oh - ne jene tiefere Bedeutung bleiben, welche ihr eigen - thuͤmlich iſt, wenn ſie uns nicht zuletzt auf ihren innern Grund zuruͤckwieſe.

In dem Organiſchen iſt es die inwohnende Lebens - urſache, die Seele, welche, indem ſie in allen einzel - nen Theilen ihr eigenthuͤmliches Weſen, ihr eignes inn - res Leben ausſpricht, jene Harmonie des Lebens aller Einzelnen, und die tiefe Sympathie deſſelben moͤglich macht. In der aͤußeren Natur iſt es nicht minder je - ner allgemeine hoͤhere Einfluß, welcher bald mehr bald minder mittelbar das Leben der Einzelnen hervorruft, und in jedem Moment erhaͤlt. Dieſer iſt das unſicht -A a 2372bare Band, welches um alle Beſonderen geſchlungen, den Uebergang von einem Daſeyn zu einem andern, und das ewig harmoniſche Zuſammenwirken des Welt - alls in allen ſeinen Theilen moͤglich macht. Er iſt die Lebensſeele, welche von oben ausgehend, alle Natur bis in das Aeußerſte und Kleinſte durchdringt.

Jenes allgemeine geiſtige Band, von einer gemein - ſchaftlichen Lebensurſache nach Allen ausgehend, ver - mag auch allein alles das zu loͤſen, was in jenen That - ſachen, welche dieſe Unterſuchungen enthielten, noch dunkel geblieben. Moͤge es vergoͤnnt ſeyn, den Inn - halt derſelben noch einmal kurz zuruͤckzurufen, um aus ihm ſelber jene letzte Aufloͤſung zu finden, welche wir geſucht haben. Wir ſehen hiebey noch von dem In - halt der Einleitung, welcher das aͤlteſte Verhaͤltniß des Menſchen zur Natur war, einſtweilen ab, weil wir ihn am Schluſſe wiederfinden werden.

Zuerſt ſahen wir am Anfange des naturwiſſen - ſchaftlichen Theiles dieſer Unterſuchungen, wie im ganzen unendlichen Weltall nirgends ein Stillſtand des ſchaffenden, ſich immer neu wiedergebaͤhrenden Lebens ſey. Jene Weltſyſteme, welche wie das wozu unſre Sonne, mit allen jenen Millionen der Milchſtraße ge - hoͤrt, im Vergleich mit dem kurzen enge beſchraͤnkten Daſeyn des Menſchen, von ewiger und unendlicher Na - tur geſchienen, ſind, wie aus vielen damals ange - fuͤhrten Thatſachen ſchien, nicht alle von gleichem Al - ter, oder von gleichem Stande der Ausbildung. Eini - ge ſcheinen den Kraͤften der allgemeinen Anziehung ſchon unterlegen, und die einzelnen Welten aus dem gemeinſchaftlichen Untergange einer neuen hoͤheren Ver - wandlung entgegen zu gehen, andre tragen das Anſe -373 hen der ſchoͤnſten Bluͤthe eines noch jugendlichen Da - ſeyns, an deſſen fruͤheſten Eingang noch andre ſtehen, welche noch eben aus dem allgemeinen Element der Koͤr - perwelt, in ihren erſten, noch undeutlichen Umriſſen her - vortreten. Es ſcheinen aber auch die einzelnen Plane - tenſyſteme, und in ihnen wieder die verſchiedenen Weltkoͤrper, von einer aͤhnlichen ungleichen Vollen - dung, und einige der letzteren ſind ſchon der aͤußerſten Graͤnze des planetariſchen Daſeyns nahe, waͤhrend andre noch in der erſten Ausbildung deſſelben begriffen ſind. Es verhaͤlt ſich hiermit, wie mit den einzelnen Theilen des lebenden organiſchen Koͤrpers, von welchen ſich auch die minder ſelbſtſtaͤndigen viel fruͤher ausbil - den, andre ſpaͤter, waͤhrend zuletzt doch alle zugleich mit dem Ganzen untergehen.

So wurde aus dieſen zuerſt aufgeſtellten Thatſa - chen erkannt, daß jener ſchaffende Lebensgeiſt, welcher auch dieſe Welt einſt aus ihrem Element hervorgeru - fen, nie ruhet; ſondern ewig in neuen Schoͤpfungen begriffen, iſt ſein Tagewerk eben ſo ewig und endlos der Zeit als dem Raume nach. Er iſt es, welcher dieſe hier erweckend aus dem Schlummer der Elemen - te, in jenen das Leben ſeiner letzten Vollendung, und der neuen, immer hoͤheren Verwandlung entgegen fuͤhrt.

Hierauf ſahen wir, wie die einzelnen Weltkoͤrper unſres Syſtems einem allgemeinen Geſetz gehorchen, und wie nicht allein jeder einzelne mit dem naͤchſt vor - hergehenden und mit dem darauf folgenden in einem genauen Zuſammenhang ſteht, ſondern wie alle Glie - der des Syſtems, durch die Scheidung in zween Rei - hen, in eine innige Beziehung und Wechſelwirkung tre -374 ten. Hieraus mußte erkannt werden, daß nicht allein Eine Urſache Alle zum Daſeyn hervorgerufen, ſondern daß dieſe ewig allgegenwaͤrtig noch in ihnen wirkt, ſie erhaͤlt, indem ſie die nur in ihr Lebenden unter ſich vereint, und zu unaufhoͤrlicher Wechſelwirkung be - wegt. Denn der hoͤhere Einfluß iſt es allein, deſſen unaufhoͤrliche Gegenwart die Gegenſaͤtze erweckt, und ihre Wechſelwirkung moͤglich macht, durch ihn allein empfaͤngt, wie im lebenden organiſchen Koͤrper durch die Seele, der hoͤhere Gegenſatz das Leben, welches er dem untergeordneten mittheilt.

Die endlichen Weſen vermoͤgen das Unendliche und Goͤttliche, aus welchem ſie ſind, nicht unmittelbar anzuſchauen, nicht unmittelbar das Leben aus ihm zu empfangen, ſondern dieſes wird ihnen, nach dem Maaße ihrer Empfaͤnglichkeit, durch andre hoͤhere ver - mittelt. Den einzelnen Koͤrpern, welche zu dem Pla - neten gehoͤren, welchen wir bewohnen, ſtellt dieſer die allgemeine Lebensurſache in ſich dar, welche ſie einſt hervorgerufen, und in welcher ſie allein beſtehen und erhalten werden. Es ſpricht ſich dieſes Verhaͤltniß durch die Schwere aus, welche die Koͤrper unaufhoͤr - lich nach dem gemeinſchaftlichen Mittelpunkte hintreibt, worinnen dieſe zu erkennen geben, daß ſie nur in und durch ihren Planeten ſind. Die Schwere iſt das erſte und