Luigi Picchioni zum ſiebenundſiebzigſten Geburtstag gewidmet.
Im wahren Sinne des Wortes führt dieſe Schrift denVorbemer - kung. Titel eines bloßen Verſuches, und der Verfaſſer iſt ſich deutlich genug bewußt, daß er mit ſehr mäßigen Mitteln und Kräften ſich einer überaus großen Aufgabe unterzogen hat. Aber auch wenn er mit ſtärkerer Zuverſicht auf ſeine Forſchung hinblicken könnte, ſo wäre ihm der Beifall der Kenner kaum ſicherer. Die geiſtigen Umriſſe einer Cultur - epoche geben vielleicht für jedes Auge ein verſchiedenes Bild, und wenn es ſich vollends um eine Civiliſation handelt, welche als nächſte Mutter der unſrigen noch jetzt fortwirkt, ſo muß ſich das ſubjektive Urtheilen und Empfinden jeden Augenblick beim Darſteller wie beim Leſer einmiſchen. Auf dem weiten Meere in welches wir uns hinauswagen, ſind der möglichen Wege und Richtungen viele, und leicht könnten dieſelben Studien, welche für dieſe Arbeit gemacht wurden, unter den Händen eines Andern nicht nur eine ganz andere Benützung und Behandlung erfahren, ſondern auch zu weſentlich verſchiedenen Schlüſſen Anlaß geben. Der Gegen - ſtand an ſich wäre wichtig genug, um noch viele Bearbei - tungen wünſchbar zu machen, Forſcher der verſchiedenſten Standpuncte zum Reden aufzufordern. Einſtweilen ſind wir zufrieden, wenn uns ein geduldiges Gehör gewährt und dieſes Buch als ein Ganzes aufgefaßt wird. Es iſt die weſentlichſte Schwierigkeit der Culturgeſchichte, daß ſieCultur der Renaiſſance. 121. Abſchnitt. ein großes geiſtiges Continuum in einzelne ſcheinbar oft willkürliche Categorien zerlegen muß, um es nur irgendwie zur Darſtellung zu bringen. — Der größten Lücke des Buches gedenken wir in einiger Zeit durch ein beſonderes Werk über „ die Kunſt der Renaiſſance “abzuhelfen.
Politiſcher Zu - ſtand im XIII. Jahrh.Der Kampf zwiſchen den Päpſten und den Hohenſtaufen hinterließ zuletzt Italien in einem politiſchen Zuſtande, welcher von dem des übrigen Abendlandes in den weſent - lichſten Dingen abwich. Wenn in Frankreich, Spanien, England das Lehnsſyſtem ſo geartet war, daß es nach Ab - lauf ſeiner Lebenszeit dem monarchiſchen Einheitsſtaat in die Arme fallen mußte, wenn es in Deutſchland wenigſtens die Einheit des Reiches äußerlich feſthalten half, ſo hatte Italien ſich ihm faſt völlig entzogen. Die Kaiſer des XIV. Jahrhunderts wurden im günſtigſten Falle nicht mehr als Oberlehnsherrn, ſondern als mögliche Häupter und Verſtärkungen ſchon vorhandener Mächte empfangen und geachtet; das Papſtthum aber mit ſeinen Creaturen und Stützpunkten war gerade ſtark genug, jede künftige Einheit zu verhindern ohne doch ſelbſt eine ſchaffen zu können. 1)Macchiavelli, Discorsi L. I. c. 12. Die nothwen - dige Vielheit.Zwiſchen den beiden waren eine Menge politiſcher Geſtal - tungen — Städte und Gewaltherrſcher — theils ſchon vor - handen theils neu emporgekommen, deren Daſein rein that - ſächlicher Art war. 2)Die Herrſchenden und ihr Anhang heißen zuſammen lo stato, und dieſer Name durfte dann die Bedeutung des geſammten Daſeins eines Territoriums uſurpiren.In ihnen erſcheint der moderne europäiſche Staatsgeiſt zum erſtenmal frei ſeinen eigenen Antrieben hingegeben; ſie zeigen oft genug die feſſelloſe Selbſtſucht in ihren furchtbarſten Zügen, jedes Recht ver - höhnend, jede geſunde Bildung im Keim erſtickend; aber3 wo dieſe Richtung überwunden oder irgendwie aufgewogen1. Abſchnitt. wird, da tritt ein neues Lebendiges in die Geſchichte: Der Staat als berechnete, bewußte Schöpfung, als Kunſtwerk. In den Stadtrepubliken wie in den Tyrannenſtaaten prägt ſich dieß Leben hundertfältig aus, und beſtimmt ihre innere Geſtalt ſowohl als ihre Politik nach außen. Wir begnügen uns mit der Betrachtung des vollſtändigern, deutlicher aus - geſprochenen Typus deſſelben in den Tyrannenſtaaten.
Der innere Zuſtand der von Gewaltherrſchern regiertenDer Staat Friedrichs II. Territorien hatte ein berühmtes Vorbild an dem Norman - nenreiche von Unteritalien und Sicilien, wie Kaiſer Frie - drich II. es umgeſtaltet hatte. 1)Höfler: Kaiſer Friedrich II., S. 39 u. ff.Aufgewachſen unter Ver - rath und Gefahr in der Nähe von Saracenen, hatte er ſich frühe gewöhnt an eine völlig objective Beurtheilung und Behandlung der Dinge, der erſte moderne Menſch auf dem Throne. Dazu kam eine nahe, vertraute Kenntniß von dem Innern der ſaraceniſchen Staaten und ihrer Verwal - tung, und jener Exiſtenzkrieg mit den Päpſten, welcher beide Parteien nöthigte, alle denkbaren Kräfte und Mittel auf den Kampfplatz zu führen. Friedrichs Verordnungen (beſonders ſeit 1231) laufen auf die völlige Zernichtung des Lehnſtaates, auf die Verwandlung des Volkes in eine willenloſe, unbewaffnete, im höchſten Grade ſteuerfähige Maſſe hinaus. Er centraliſirte die ganze richterliche Ge - walt und die Verwaltung in einer bisher für das Abend - land unerhörten Weiſe; kein Amt mehr durfte durch Volks - wahl beſetzt werden, bei Strafe der Verwüſtung des betref - fenden Ortes und Degradation der Bürger zu Hörigen. Die Steuern, beruhend auf einem umfaſſenden KataſterMohammeda - niſche Einwir - kung. und auf mohammedaniſcher Routine, wurden beigetrieben mit jener quäleriſchen und grauſamen Art, ohne welche1*41. Abſchnitt. man dem Orientalen freilich kein Geld aus den Händen bringt. Hier iſt kein Volk mehr, ſondern ein controlirbarer Haufe von Unterthanen, die z. B. ohne beſondere Erlaubniß nicht auswärts heirathen und unbedingt nicht auswärts ſtudiren durften; — die Univerſität Neapel übte den frühſten bekannten Studienzwang, während der Orient ſeine Leute wenigſtens in dieſen Dingen frei ließ. Echt mohammedaniſch dagegen war es wiederum, daß Friedrich nach dem ganzen Mittelmeer eige - nen Handel trieb, viele Gegenſtände ſich vorbehielt und den Handel der Unterthanen hemmte. Die fatimidiſchen Khalifen mit ihrer Geheimlehre des Unglaubens waren (wenigſtens Anfangs) tolerant geweſen gegen die Religionen ihrer Unter - thanen; Friedrich dagegen krönt ſein Regierungsſyſtem durch eine Ketzerinquiſition, die nur um ſo ſchuldvoller erſcheint, wenn man annimmt, er habe in den Ketzern die Vertreter frei - ſinnigen ſtädtiſchen Lebens verfolgt. Als Polizeimannſchaft im Innern und als Kern der Armee nach außen dienten ihm endlich jene aus Sicilien nach Luceria und nach No - cera übergeſiedelten Saracenen, welche gegen allen Jammer taub und gegen den kirchlichen Bann gleichgültig waren. Die Unterthanen, der Waffen entwöhnt, ließen ſpäter den Sturz Manfreds und die Beſitznahme des Anjou leicht und willenlos über ſich ergehen; letzterer aber erbte dieſen Re - gierungsmechanismus und benützte ihn weiter.
Die Herrſchaft Ezzelino's.Neben dem centraliſirenden Kaiſer tritt ein Uſurpator der eigenthümlichſten Art auf: ſein Vicarius und Schwieger - ſohn Ezzelino da Romano. Er repräſentirt kein Regierungs - und Verwaltungsſyſtem, da ſeine Thätigkeit in lauter Kämpfen um die Herrſchaft im öſtlichen Oberitalien aufging, allein er iſt als politiſches Vorbild für die Folgezeit nicht minder wichtig als ſein kaiſerlicher Beſchützer. Alle bisherige Eroberung und Uſurpation des Mittelalters war entweder auf wirk - liche oder vorgegebene Erbſchaft und andere Rechte hin oder gegen die Ungläubigen oder Excommunicirten voll - bracht worden. Hier zum erſtenmal wird die Gründung5 eines Thrones verſucht durch Maſſenmord und endloſe1. Abſchnitt. Scheußlichkeiten, d. h. durch Aufwand aller Mittel mit alleiniger Rückſicht auf den Zweck. Keiner der Spätern hat den Ezzelino an Coloſſalität des Verbrechens irgendwie erreicht, auch Ceſare Borgia nicht, aber das Beiſpiel war gegeben, und Ezzelino's Sturz war für die Völker keine Herſtellung der Gerechtigkeit und für künftige Frevler keine Warnung.
Umſonſt ſtellte in einer ſolchen Zeit S. Thomas vonEinfluß Frie - drichs und Ezzelino's. Aquino, der geborene Unterthan Friedrichs, die Theorie einer conſtitutionellen Herrſchaft auf, wo der Fürſt durch ein von ihm ernanntes Oberhaus und eine vom Volk ge - wählte Repräſentation unterſtützt gedacht wird. Dergleichen verhallte in den Hörſälen, und Friedrich und Ezzelino waren und blieben für Italien die größten politiſchen Erſcheinungen des XIII. Jahrhunderts. Ihr Bild, ſchon halb fabelhaft wiedergeſpiegelt, iſt der wichtigſte Inhalt der „ hundert alten Novellen “, deren urſprüngliche Redaction gewiß noch in dieß Jahrhundert fällt. 1)Cento novelle antiche, Nov. 1, 6, 20, 21, 22, 23, 29, 30, 45, 56, 83, 88, 98. Ezzelino wird hier bereits mit einer ſcheuen Ehrfurcht geſchildert, welche der Niederſchlag jedes ganz großen Eindruckes iſt. Eine ganze Literatur, von der Chronik der Augenzeugen bis zur halbmythologiſchen Tragödie, ſchloß ſich an ſeine Perſon an. 2)Scardeonius, de urbis Patav. antiqu., im Theſaurus des Grä - vius VI., III., p. 259.
Die größern und kleinern Gewaltherrſchaften desHerrſcher des XIV. Jahrh. XIV. Jahrhunderts verrathen es häufig genug, daß Ein - drücke dieſer Art nicht verloren waren. Ihre Miſſethaten ſchrien laut und die Geſchichte hat ſie umſtändlich verzeich -61. Abſchnitt. net, aber als ganz auf ſich ſelbſt geſtellte und danach orga - niſirte Staaten haben ſie immerhin ein höheres Intereſſe.
Die bewußte Berechnung aller Mittel, wovon kein da - maliger außeritaliſcher Fürſt eine Idee hatte, verbunden mit einer innerhalb der Staatsgrenzen faſt abſoluten Macht - vollkommenheit, brachte hier ganz beſondere Menſchen und Lebensformen hervor. 1)Sismondi, hist. des rép. italiennes, IV, p. 420; VIII, p. 1. s. Das Hauptgeheimniß der Herr - ſchaft lag für die weiſern Tyrannen darin, daß ſie dieFinanzen. Steuern möglichſt ſo ließen, wie ſie dieſelben angetroffen oder am Anfang eingerichtet hatten: eine Grundſteuer, ba - ſirt auf einen Kataſter; beſtimmte Conſumoſteuern, und Zölle auf Ein - und Ausfuhr, wozu noch die Einnahmen von dem Privatvermögen des herrſchenden Hauſes kamen; die einzige mögliche Steigerung hing ab von der Zunahme des allgemeinen Wohlſtandes und Verkehres. Von Anleihen, wie ſie in den Städten vorkamen, war hier nicht die Rede; eher erlaubte man ſich hier und da einen wohlberechneten Gewaltſtreich, vorausgeſetzt daß er den ganzen Zuſtand unerſchüttert ließ, wie z. B. die echt ſultaniſche Abſetzung und Ausplünderung des oberſten Finanzbeamten. 2)Franco Sacchetti, novelle. (61, 62)[. ]
Mit dieſen Einkünften ſuchte man auszureichen umDer Hof. den kleinen Hof, die Leibwache, die geworbene Mannſchaft, die Bauten — und die Spaßmacher ſowohl als die Leute von Talent zu bezahlen, die zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gehörten. Die Illegitimität, von dauernden Gefahren umſchwebt, vereinſamt den Herrſcher; das ehren - vollſte Bündniß, welches er nur irgend ſchließen kann, iſt das mit der höhern geiſtigen Begabung, ohne Rückſicht auf die Herkunft. Die Liberalität (Miltekeit) der nordiſchen Fürſten des XIII. Jahrhunderts hatte ſich auf die Ritter, auf das dienende und ſingende Adelsvolk beſchränkt. Anders7 der monumental geſinnte, ruhmbegierige italieniſche Tyrann,1. Abſchnitt. der das Talent als ſolches braucht. Mit dem Dichter oder Gelehrten zuſammen fühlt er ſich auf einem neuen Boden, ja faſt im Beſitz einer neuen Legitimität.
Weltbekannt iſt in dieſer Beziehung der Gewaltherrſcher von Verona, Can Grande della Scala, welcher in den aus - gezeichneten Verbannten an ſeinem Hofe ein ganzes Italien beiſammen unterhielt. Die Schriftſteller waren dankbar; Petrarca, deſſen Beſuche an dieſen Höfen ſo ſtrenge Tadler gefunden haben, ſchilderte das ideale Bild eines FürſtenDas damalige Ideal des Herrſchers. des XIV. Jahrhunderts. 1)Petrarca, de rep. optime administranda, ad Franc. Carraram. (Opera, p. 372, s.) Er verlangt von ſeinem Adreſſa - ten — dem Herrn von Padua — Vieles und Großes, aber auf eine Weiſe als traute er es ihm zu. „ Du mußt nicht Herr deiner Bürger, ſondern Vater des Vaterlandes ſein und jene wie deine Kinder lieben,2)Erſt hundert Jahre ſpäter wird dann auch die Fürſtinn zur Landes - mutter. Vgl. Hieron. Crivelli's Leichenrede auf Bianca Maria Visconti, bei Muratori, XXV, Col. 429. Eine ſpöttiſche Ueber - tragung hievon iſt es, wenn eine Schweſter Papſt Sixtus IV. bei Jac. Volaterranus (Murat. XXIII. Col. 109) mater ecclesiae genannt wird. ja wie Glieder deines Leibes. Waffen, Trabanten und Söldner magſt du gegen die Feinde wenden — gegen deine Bürger kommſt du mit dem bloßen Wohlwollen aus; freilich meine ich nur die Bürger welche das Beſtehende lieben, denn wer täglich auf Veränderungen ſinnt, der iſt ein Rebell und Staatsfeind und gegen ſolche mag ſtrenge Gerechtigkeit walten! “ Im Einzelnen folgt nun die echt moderne Fiction der Staats - allmacht; der Fürſt ſoll für Alles ſorgen, Kirchen und öffentliche Gebäude herſtellen und unterhalten, die Gaſſen - polizei aufrecht halten,3)Mit dem beiläufigen Wunſch, es möchte das Lagern der Schweine in den Gaſſen von Padua verboten werden, da der Anblick an ſich unerfreulich ſei und die Pferde davon ſcheu würden. Sümpfe austrocknen, über Wein81. Abſchnitt. und Getreide wachen, die Steuern gerecht vertheilen, Hülf - loſe und Kranke unterſtützen, und ausgezeichneten Gelehrten ſeinen Schutz und Umgang widmen, indem dieſelben für ſeinen Nachruhm ſorgen würden.
Gefahren der Tyrannis.Aber welches auch die allgemeinen Lichtſeiten und die Verdienſte Einzelner geweſen ſein mögen, ſo erkannte oder ahnte doch ſchon das XIV. Jahrhundert die geringe Dauer, die Garantieloſigkeit der meiſten dieſer Tyrannien. Da aus innern Gründen politiſche Verfaſſungen wie dieſe genau um ſo viel haltbarer ſind als das Gebiet größer iſt, ſo waren die mächtigern Gewaltherrſchaften ſtets geneigt, die kleinern zu verſchlingen. Welche Hekatombe kleiner Herrſcher iſt nur allein den Visconti in dieſer Zeit geopfert worden! Dieſer äußern Gefahr aber entſprach gewiß faſt jedesmal eine innere Gährung, und die Rückwirkung dieſer Lage auf das Gemüth des Herrſchers mußte in den meiſten Fällen überaus verderblich ſein. Die falſche Allmacht, die Auf - forderung zum Genuß und zu jeder Art von Selbſtſucht von der einen, die Feinde und Verſchwörer von der andern Seite machten ihn faſt unvermeidlich zum Tyrannen im übeln Sinne. Wäre nur wenigſtens den eigenen nächſten Blutsverwandten zu trauen geweſen! Allein wo Alles ille -Mangelhaftes Erbrecht. gitim war, da konnte ſich auch kein feſtes Erbrecht, weder für die Succeſſion in der Herrſchaft noch für die Theilung der Güter bilden, und vollends in drohenden Augenblicken ſchob den unmündigen oder untüchtigen Fürſtenſohn ein entſchloſſener Vetter oder Oheim bei Seite, im Intereſſe des Hauſes ſelbſt. Auch über Ausſchluß oder Anerkennung der Baſtarde war beſtändiger Streit. So kam es, daß eine ganze Anzahl dieſer Familien mit unzufriedenen, rach - ſüchtigen Verwandten heimgeſucht waren; ein Verhältniß das nicht eben ſelten in offenen Verrath und in wilden Familienmord ausbrach. Andere, als Flüchtlinge auswärts lebend, faſſen ſich in Geduld und behandeln auch dieſe Sachlage objectiv, wie z. B. jener Visconti, der am Garda -9 ſee Fiſchnetze auswarf;1)Petrarca, rerum memorandar. liber III. p. 460. — Es iſt wahrſcheinlich Matteo II. Visconti und der damals in Mailand herrſchende Erzbiſchof Giovanni Visconti gemeint, um 1354. der Bote ſeines Gegners fragte1. Abſchnitt. ihn ganz direct: wann er wieder nach Mailand zurückzukehren gedenke? und erhielt die Antwort: „ nicht eher als bis die Schandthaten Jenes über meine Verbrechen das Ueber - gewicht erlangt haben werden “. Bisweilen opfern auch die Verwandten den regierenden Herrn der allzuſehr beleidigten öffentlichen Moral, um dadurch das Geſammthaus zu retten. 2)Matteo Villani, V, 81: die geheime Ermordung deſſelben Matteo II. Visconti durch ſeine Brüder.Hie und da ruht die Herrſchaft noch ſo auf der Geſammtfamilie, daß das Haupt an deren Beirath gebun - den iſt; auch in dieſem Falle veranlaßte die Theilung des Beſitzes und des Einfluſſes leicht den bitterſten Hader.
Bei den damaligen florentiniſchen Autoren begegnetDer Pomp. man einem durchgehenden tiefen Haß gegen dieſes ganze Weſen. Schon das pomphafte Aufziehen, das Prachtcoſtüm, wodurch die Gewaltherrſcher vielleicht weniger ihrer Eitel - keit Genüge thun als vielmehr Eindruck auf die Phantaſie des Volkes machen wollten, erweckt ihren ganzen Sarcas - mus. Wehe wenn ihnen gar ein Emporkömmling in die Hände fällt wie der neugebackene Doge Agnello von Piſa (1364), der mit dem goldenen Scepter auszureiten pflegte und ſich dann wieder zu Hauſe am Fenſter zeigte „ wie man Reliquien zeigt “, auf Teppich und Kiſſen von Goldſtoff ge - lehnt; knieend mußte man ihn bedienen wie einen Papſt oder Kaiſer. 3)Filippo Villani, istorie XI, 101. — Auch Petrarca findet die Tyrannen geputzt „ wie Altäre an Feſttagen “. — Den antiken Triumphzug des Caſtracane in Lucca findet man umſtändlich be - ſchrieben in deſſen Leben von Tegrimo, bei Murat. XI, Col. 1340. Oefter aber reden dieſe alten Florentiner101. Abſchnitt. in einem erhabenen Ernſt. Dante1)De vulgari eloquio, I, c. 12: … qui non heroico more, sed plebeo sequuntur superbiam etc. erkennt und benenntAbſcheu der Florentiner. vortrefflich das Unadliche, Gemeinverſtändige der neufürſt - lichen Hab - und Herrſchgier. „ Was tönen ihre Poſaunen, Schellen, Hörner und Flöten anders als: herbei zu uns, ihr Henker! ihr Raubvögel! “ Man malt ſich die Burg des Tyrannen hoch und iſolirt, voller Kerker und Lauſch - röhren,2)Dieß zwar erſt in Schriften des XV. Jahrh., aber gewiß nach frühern Phantaſien: L. B. Alberti, de re aedif. V, 3. — Franc. di Giorgio, Trattato, bei Della Valle, Lettere sanesi, III., 121. als einen Aufenthalt der Bosheit und des Elends. Andere weiſſagen Jedem Unglück, der in Tyrannendienſte gehe3)Franco Sacchetti, Nov. 61. und bejammern am Ende den Tyrannen ſelbſt, wel - cher unvermeidlich der Feind aller Guten und Tüchtigen ſei, ſich auf Niemanden verlaſſen dürfe, und den Unter - thanen die Erwartung ſeines Sturzes auf dem Geſicht leſen könne. „ So wie die Tyrannien entſtehen, wachſen und ſich befeſtigen, ſo wächſt auch in ihrem Innern verborgen der Stoff mit, welcher ihnen Verwirrung und Untergang bringen muß. “ 4)Matteo Villani, VI, 1. Der tiefſte Gegenſatz wird nicht deutlich her - vorgehoben: Florenz war damals mit der reichſten Ent - wicklung der Individualitäten beſchäftigt, während die Ge - waltherrſcher keine andere Individualität gelten und gewähren ließen als die ihrige und die ihrer nächſten Diener. War doch die Controle des einzelnen Menſchen bis auf's Paß - weſen herab ſchon völlig durchgeführt. 5)Das Paßbureau von Padua um die Mitte des XIV. Jahrh. als quelli delle bullette bezeichnet bei Franco Sacchetti, Nov. 117. In den letzten zehn Jahren Friedrichs II., als die perſönlichſte Con - trole herrſchte, muß das Paßweſen ſchon ſehr ausgebildet geweſen ſein.
11Das Unheimliche und Gottverlaſſene dieſer Exiſtenz1. Abſchnitt. bekam in den Gedanken der Zeitgenoſſen noch eine beſondere Farbe durch den notoriſchen Sternglauben und Unglauben mancher Herrſcher. Als der letzte Carrara in ſeinem peſt - verödeten Padua (1405) die Mauern und Thore nicht mehr beſetzen konnte, während die Venezianer die Stadt umzingel - ten, hörten ihn ſeine Leibwachen oft des Nachts dem Teufel rufen: er möge ihn tödten!
Die vollſtändigſte und belehrendſte Ausbildung dieſerDie Visconti; Bernabò. Tyrannis des XIV. Jahrhunderts findet ſich wohl unſtreitig bei den Visconti in Mailand, von dem Tode des Erz - biſchofs Giovanni (1354) an. Gleich meldet ſich in Ber - nabò ganz unverkennbar eine Familienähnlichkeit mit den ſchrecklichſten römiſchen Imperatoren;1)Corio, Storia di Milano, Fol. 247, s. der wichtigſte Staats - zweck iſt die Eberjagd des Fürſten; wer ihm darein greift, wird martervoll hingerichtet; das zitternde Volk muß ihm 5000 Jagdhunde füttern, unter der ſchärfſten Verantwort - lichkeit für deren Wohlbefinden. Die Steuern werden mit allen denkbaren Zwangsmitteln emporgetrieben, ſieben Töch - ter jede mit 100,000 Goldgulden ausgeſtattet und ein enormer Schatz geſammelt. Beim Tode ſeiner Gemahlinn (1384) erſchien eine Notification „ an die Unterthanen “, ſie ſollten, wie ſonſt die Freude, ſo jetzt das Leid mit ihm theilen und ein Jahr lang Trauer tragen. — Unvergleich - lich bezeichnend iſt dann der Handſtreich, womit ihn ſein Neffe Giangaleazzo (1385) in ſeine Gewalt bekam, eines jener gelungenen Complotte, bei deren Schilderung noch ſpäten Geſchichtſchreibern das Herz ſchlägt. 2)Auch z. B. dem Paolo Giovio. Viri illustres, Jo. Galeatius. Bei Gianga -Giangaleazzo. leazzo tritt der echte Tyrannenſinn für das Coloſſale ge - waltig hervor. Er hat mit Aufwand von 300,000 Gold -121. Abſchnitt. gulden rieſige Dammbauten unternommen, um den Mincio von Mantua, die Brenta von Padua nach Belieben ableiten und dieſe Städte wehrlos machen zu können,1)Corio, Fol. 272, 285. ja es wäre nicht undenkbar, daß er auf eine Trockenlegung der Lagunen von Venedig geſonnen hätte. Er gründete2)Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 23. „ das wun - derbarſte aller Klöſter “, die Certoſa von Pavia, und den Dom von Mailand, „ der an Größe und Pracht alle Kirchen der Chriſtenheit übertrifft “, ja vielleicht iſt auch der Palaſt in Pavia, den ſchon ſein Vater Galeazzo begonnen, und den er vollendete, weitaus die herrlichſte Fürſtenreſidenz des damaligen Europa's geweſen. Dorthin verlegte er auch ſeine berühmte Bibliothek und die große Sammlung von Reliquien der Heiligen, welchen er eine beſondere Art vonDeſſen letzte Pläne. Glauben widmete. Bei einem Fürſten von dieſer Sinnes - art wäre es befremdlich, wenn er nicht auch im politiſchen Gebiet nach den höchſten Kronen gegriffen hätte. König Wenzel machte ihn (1395) zum Herzog; er aber hatte nichts geringeres als das Königthum von Italien3)So Corio, Fol. 286 und Poggio, hist. Florent. IV, bei Murat. XX., Col. 290. — Von Plänen auf das Kaiſerthum redet Cag - nola. a. a. O[.]und das Sonett bei Trucchi, Poesie ital. inedite II, p. 118:Stan le città lombarde con le chiave In man per darle a voi .... etc. Roma vi chiama: Cesar mio novello Jo sono ignuda, et l'anima pur vive: Or mi coprite col vostro mantello etc. oder die Kaiſerkrone im Sinne, als er (1402) erkrankte und ſtarb. Seine ſämmtlichen Staaten ſollen ihm einſt in einem Jahre außer der regelmäßigen Steuer von 1,200,000 Goldgulden noch weitere 800,000 an außerordentlichen Subſidien bezahlt haben. Nach ſeinem Tode ging das Reich, das er durch jede Art von Gewaltthaten zuſammengebracht, in Stücken13 und vor der Hand konnten kaum die ältern Beſtandtheile1. Abſchnitt. deſſelben behauptet werden. Was aus ſeinen Söhnen Gio - van Maria (ſt. 1412) und Filippo Maria (ſt. 1447) ge - worden wäre, wenn ſie in einem andern Lande und ohne von ihrem Hauſe zu wiſſen, gelebt hätten, wer weiß es? Doch als Erben dieſes Geſchlechtes erbten ſie auch das un - geheure Kaptial von Grauſamkeit und Feigheit, das ſich hier von Generation zu Generation aufgeſammelt hatte.
Giovan Maria iſt wiederum durch ſeine Hunde be -Giovan Maria. rühmt, aber nicht mehr durch Jagdhunde, ſondern durch Thiere die zum Zerreißen von Menſchen abgerichtet waren und deren Eigennamen uns überliefert ſind wie die der Bären Kaiſer Valentinians I. 1)Corio, Fol. 301 u. ff. Vgl. Ammian. Marcellin. XXIX, 3.Als im Mai 1409 während des noch dauernden Krieges das verhungernde Volk ihm auf der Straße zurief: Pace! Pace! ließ er ſeine Söldner ein - hauen, die 200 Menſchen tödteten; darauf war bei Galgen - ſtrafe verboten, die Worte Pace und Guerra auszuſprechen und ſelbſt die Prieſter angewieſen, ſtatt dona nobis pacem, zu ſagen tranquillitatem! Endlich benützten einige Ver - ſchworne den Augenblick, da der Großcondottiere des wahn - ſinnigen Herzogs, Facino Cane, todtkrank zu Pavia lag, und machten den Giovan Maria bei der Kirche S. Got - tardo in Mailand nieder; der ſterbende Facino aber ließ am ſelbigen Tage ſeine Officiere ſchwören, dem Erben Filippo Maria zu helfen, und ſchlug ſelber2)So Paul. Jovius, viri illustres, Jo. Galeatius, Philippus. noch vor, ſeine Gemahlin möge ſich nach ſeinem Tode mit dieſem ver - mählen, wie denn auch baldigſt geſchah; es war Beatrice di Tenda. Von Filippo Maria wird noch weiter zu reden ſein.
Und in ſolchen Zeiten getraute ſich Cola Rienzi auf den hinfälligen Enthuſiasmus der verkommenen Stadt - bevölkerung von Rom eine neue Herrſchaft über Italien zu141. Abſchnitt. bauen. Neben Herrſchern wie jene iſt er von Anfang an ein armer verlorener Thor.
Herrſcher des XV. Jahrh.Die Gewaltherrſchaft im XV. Jahrhundert zeigt einen veränderten Character. Viele von den kleinen Tyrannen und auch einige von den größern, wie die Scala und Car - rara, ſind untergegangen; die mächtigen haben ſich arron - dirt und innerlich characteriſtiſcher ausgebildet; Neapel er - hält durch die neue aragoneſiſche Dynaſtie eine kräftigere Richtung. Vorzüglich bezeichnend aber iſt für dieſes Jahr - hundert das Streben der Condottieren nach unabhängiger Herrſchaft, ja nach Kronen; ein weiterer Schritt auf der Bahn des rein Thatſächlichen, und eine hohe Prämie für das Talent wie für die Ruchloſigkeit. Die kleinern Tyrannen, um ſich einen Rückhalt zu ſichern, gehen jetzt gern in Dienſte der größern Staaten und werden Condottieren derſelben, was ihnen etwas Geld und auch wohl Strafloſigkeit für manche Miſſethaten verſchafft, vielleicht ſogar Vergrößerung ihres Gebietes. Im Ganzen genommen mußten Große und Kleine ſich mehr anſtrengen, beſonnener und berechneter ver - fahren und ſich der gar zu maſſenhaften Gräuel enthalten; ſie durften überhaupt nur ſo viel Böſes üben als nach - weisbar zu ihren Zwecken diente — ſo viel verzieh ihnen auch die Meinung der Unbetheiligten. Von dem Capital von Pietät, welches den legitimen abendländiſchen Fürſten - häuſern zu Statten kam, iſt hier keine Spur, höchſtens eine Art von hauptſtädtiſcher Popularität; was den Fürſten Italiens weſentlich weiter helfen muß, iſt immer TalentContraſt mit Carl d. Kühnen. und kühle Berechnung. Ein Character wie derjenige Carls des Kühnen, der ſich mit wüthender Leidenſchaft in völlig unpractiſche Zwecke hinein verbiß, war den Italienern ein wahres Räthſel. „ Die Schweizer ſeien ja lauter Bauern, und wenn man ſie auch alle tödte, ſo ſei dieß ja keine Ge - nugthuung für die burgundiſchen Magnaten, die im Kampfe15 umkommen möchten! Beſäße auch der Herzog die Schweiz1. Abſchnitt. ohne Widerſtand, ſeine Jahreseinkünfte wären deßhalb um keine 5000 Ducaten größer ꝛc. “ 1)De Gingins: dépêches des ambassadeurs milanais, II, p. 200 (N. 213). Vgl. II, 3 (N. 144) und II, 212 (N. 218). Was in Carl Mittelalter - liches war, ſeine ritterlichen Phantaſien oder Ideale, dafür hatte Italien längſt kein Verſtändniß mehr. Wenn er aber vollends den Unteranführern Ohrfeigen ertheilte2)Paul. Jovius, Elogia. und ſie dennoch bei ſich behielt, wenn er ſeine Truppen mißhandelte um ſie wegen einer Niederlage zu ſtrafen, und dann wieder ſeine Geheimräthe vor den Soldaten blamirte — dann mußten ihn die Diplomaten des Südens verloren geben. Ludwig XI. aber, der in ſeiner Politik die italieniſchen Fürſten innerhalb ihrer eigenen Art übertrifft, und der vor Allem ſich als Bewunderer des Francesco Sforza bekannte, iſt im Gebiet der Bildung durch ſeine vulgäre Natur weit von jenen Herrſchern geſchieden.
In ganz merkwürdiger Miſchung liegt Gutes und Böſes in den italieniſchen Staaten des XV. Jahrhunderts durchein - ander. Die Perſönlichkeit der Fürſten wird eine ſo durch - gebildete, eine oft ſo hochbedeutende, für ihre Lage und Aufgabe ſo characteriſtiſche,3)Dieſer Verein von Kraft und Talent iſt es, was bei Macchiavell virtù heißt und auch mit scelleratezza verträglich gedacht wird, z. B. Discorsi I, 10, bei Anlaß des Sept. Severus. daß das ſittliche Urtheil ſchwer zu ſeinem Rechte kömmt.
Grund und Boden der Herrſchaft ſind und bleiben ille -Illegitimität; Einmiſchung der Kaiſer. gitim und ein Fluch haftet daran und will nicht davon weichen. Kaiſerliche Gutheißungen und Belehnungen ändern dieß nicht, weil das Volk keine Notiz davon nimmt, wenn ſeine Herrſcher ſich irgendwo in fernen Landen oder von einem durchreiſenden Fremden ein Stück Pergament gekauft161. Abſchnitt. haben. 1)Hierüber Franc. Vettori, arch. stor. VI, p. 293, s. „ Die Be - „ lehnung durch einen Mann der in Deutſchland wohnt und von „ einem römiſchen Kaiſer nichts als den eiteln Namen hat, iſt nicht „ im Stande einen Böſewicht zum wahren Signore einer Stadt zu „ machen. “Wären die Kaiſer etwas nütze geweſen, ſo hätten ſie die Gewaltherrn gar nicht emporkommen laſſen, — ſo lautete die Logik des unwiſſenden Menſchenverſtandes. Seit dem Römerzuge Carls IV. haben die Kaiſer in Italien nur noch den ohne ſie entſtandenen Gewaltzuſtand ſanctionirt, ohne ihn jedoch im Geringſten anders als durch Urkunden garantiren zu können. Carls ganzes Auftreten in Italien iſt eine der ſchmählichſten politiſchen Comödien; man mag im Matteo Villani2)M. Villani, IV, 38. 39. 56. 77. 78. 92 ; V, 1, 2. 21, 36, 54. nachleſen, wie ihn die Visconti in ihrem Gebiete herum und endlich daraus weg escortiren, wie er eilt gleich einem Meßkaufmann, um nur recht bald für ſeine Waare (die Privilegien nämlich) Geld zu erhalten, wie kläglich er in Rom auftritt, und wie er endlich ohne einen Schwertſtreich gethan zu haben, mit ſeinem vollen Geldſack wieder über die Alpen zieht. 3)Ein Italiener war es, Fazio degli Uberti (Dittamondo, L. VI., cap. 5, um d. J. 1360) welcher Carl IV. noch einen Kreuzzug nach dem heiligen Lande zumuthen wollte. Die Stelle iſt eine der beſten in dem betreffenden Gedichte und auch ſonſt bezeichnend. Der Dichter wird durch einen trotzigen Turcomannen vom heil. Grab weggewieſen:Coi passi lunghi e con la testa bassa Oltre passai e dissi: ecco vergogna Del cristian che'l saracin quì lassa! Poscia al pastor (den Papſt) mi volsi per rampogna: E tu ti stai, che sei vicar di Cristo Co 'frati tuoi a ingrassar la carogna? Similimente dissi a quel sofisto (Carl IV.) Che sta in Buemme (Böhmen) a piantar vigne e fichi, E che non cura di sì caro acquisto:Sigismund kam17 wenigſtens das erſtemal (1414) in der guten Abſicht,1. Abſchnitt. Johann XXIII. zur Theilnahme an ſeinem Concil zu be - wegen; damals war es, als Kaiſer und Papſt auf dem hohen Thurm von Cremona das Panorama der Lombardie genoſſen, während ihren Wirth, den Stadttyrannen Gabrino Fondolo, das Gelüſte ankam, beide herunter zu werfen. Das zweitemal erſchien Sigismund völlig als Abenteurer; mehr als ein halbes Jahr hindurch ſaß er in Siena wie in einem Schuldgefängniß, und konnte nachher nur mit Noth zur Krönung in Rom gelangen. Was ſoll man vol - lends von Friedrich III. denken? ſeine Beſuche in ItalienFriedrich III. in Italien. haben den Character von Ferien - oder Erholungsreiſen auf Unkoſten derer, die ihre Rechte von ihm verbrieft haben wollten, oder ſolcher denen es ſchmeichelte einen Kaiſer recht pomphaft zu bewirthen. So verhielt es ſich mit Alfons von Neapel, der ſich den kaiſerlichen Beſuch 150,000 Gold - gulden koſten ließ. 1)Das Nähere bei Vespaſiano Fiorent. p. 84. Vgl. 150.In Ferrara2)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 215. s. hat Friedrich bei ſeiner zweiten Rückkehr von Rom (1469) einen ganzen Tag lang, ohne das Zimmer zu verlaſſen, lauter Beförderungen, acht - zig an der Zahl, ausgeſpendet; da ernannte er cavalieri, conti, dottori, Notare, und zwar conti mit verſchiedenen Schattirungen, als da waren: conte palatino, conte mit dem Recht dottori, ja bis auf fünf dottori zu ernennen, conte mit dem Recht Baſtarde zu legitimiren, Notare zu creiren, unehrliche Notare ehrlich zu erklären u. ſ. w. Nur verlangte ſein Kanzler für die Ausfertigung der betreffenden3)Che fai? perchè non segui i primi antichi Cesari de' Romani, e che non siegui, Dico, gli Otti, i Corradi, i Federichi? E che pur tieni questo imperio in tregui? E se non hai lo cuor d'esser Augusto, Che nol rifiuti? o che non ti dilegui? etc. Cultur der Renaiſſance. 2181. Abſchnitt. Urkunden eine Erkenntlichkeit die man in Ferrara etwas ſtark fand. 1)Haveria voluto scortigare la brigata. Was Herzog Borſo dabei dachte, als ſein kaiſerlicher Gönner dergeſtalt urkundete und der ganze kleine Hof ſich mit Titeln verſah, wird nicht gemeldet. Die Hu - maniſten, welche damals das große Wort führten, waren je nach den Intereſſen getheilt. Während die einen2)Annales Estenses, bei Murat. XX, Col. 41. den Kaiſer mit dem conventionellen Jubel der Dichter des kaiſer - lichen Roms feiern, weiß Poggio3)Poggii Hist. Florent. pop., L. VII, bei Murat. XX, Col. 381. gar nicht mehr, was die Krönung eigentlich ſagen ſolle; bei den Alten ſei ja nur ein ſiegreicher Imperator gekrönt worden und zwar mit Lorbeer.
Das Kaiſer - thum und die Intervention.Mit Maximilian I. beginnt dann eine neue kaiſer - liche Politik gegen Italien, in Verbindung mit der allgemeinen Intervention fremder Völker. Der Anfang — die Belehnung des Lodovico Moro mit Beſeitigung ſeines unglücklichen Neffen — war nicht von der Art, welche Segen bringt. Nach der modernen Interventionstheorie darf, wenn Zweie ein Land zerreißen wollen, auch ein Dritter kommen und mithalten, und ſo konnte auch das Kaiſerthum ſein Stück begehren. Aber von Recht u. dgl. mußte man nicht mehr reden. Als Ludwig XII. 1502 in Genua erwartet wurde, als man den großen Reichsadler von der Fronte des Hauptſaales im Dogenpalaſt wegtilgte und alles mit Lilien bemalte, frug der Geſchichtſchreiber Senarega4)Senarega, de reb. Genuens., bei Murat. XXIV, Col. 575. überall herum, was jener bei ſo vielen Revo - lutionen ſtets geſchonte Adler eigentlich bedeute und was für Anſprüche das Reich auf Genua habe? Niemand wußte etwas anderes als die alte Rede: Genua ſei eine camera imperii. Niemand wußte überhaupt in Italien irgend welchen ſichern Beſcheid über ſolche Fragen. Erſt als Carl V.19 Spanien und das Reich zuſammen beſaß, konnte er mit1. Abſchnitt. ſpaniſchen Kräften auch kaiſerliche Anſprüche durchſetzen. Aber was er ſo gewann, kam bekanntlich nicht dem Reiche, ſondern der ſpaniſchen Macht zu Gute.
Mit der politiſchen Illegitimität der Dynaſten desDie uneheliche Erbfolge. XV. Jahrhunderts hing wiederum zuſammen die Gleich - gültigkeit gegen die legitime Geburt, welche den Ausländern, z. B. einem Comines, ſo ſehr auffiel. Sie ging gleichſam mit in den Kauf. Während man im Norden, im Haus Burgund etwa, den Baſtarden eigene beſtimmt abgegrenzte Apanagen, Bisthümer u. dgl. zuwies, während in Portugal eine Baſtardlinie ſich nur durch die größte Anſtrengung auf dem Throne behauptete, war in Italien kein fürſtliches Haus mehr, welches nicht in der Hauptlinie irgend eine unechte Descendenz gehabt und ruhig geduldet hätte. Die Arago - neſen von Neapel waren die Baſtardlinie des Hauſes, denn Aragon ſelbſt erbte der Bruder des Alfons I. Der große Federigo von Urbino war vielleicht überhaupt kein Monte - feltro. Als Pius II. zum Congreß von Mantua (1459) reiſte ritten ihm bei der Einholung in Ferrara ihrer acht Baſtarde vom Haus Eſte entgegen,1)Aufgezählt im Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 203. Vgl. Pii II. Comment. II, p. 102. darunter der regierende Herzog Borſo ſelbſt und zwei uneheliche Söhne ſeines ebenfalls unehelichen Bruders und Vorgängers Leonello. Letzterer hatte außerdem eine rechtmäßige Gemahlin gehabt, und zwar eine uneheliche Tochter Alfons I. von Neapel von einer Africanerin. 2)Marin Sanudo, vita de' duchi di Venezia, bei Murat. XXII, Col. 1113.Die Baſtarde wurden auch ſchon deß - halb öfter zugelaſſen, weil die ehelichen Söhne minorenn und die Gefahren dringend waren; es trat eine Art von Seniorat ein, ohne weitere Rückſicht auf echte oder unechte2*201. Abſchnitt. Geburt. Die Zweckmäßigkeit, die Geltung des Individuums und ſeines Talentes ſind hier überall mächtiger als die Geſetze und Bräuche des ſonſtigen Abendlandes. War esDenkweiſe des XVI. Jahrh. doch die Zeit da die Söhne der Päpſte ſich Fürſtenthümer gründeten! Im XVI. Jahrhundert unter dem Einfluß der Fremden und der beginnenden Gegenreformation wurde die ganze Angelegenheit ſtrenger angeſehen; Varchi findet, die Succeſſion der ehelichen Söhne ſei „ von der Vernunft ge - boten und von ewigen Zeiten her der Wille des Himmels “. 1)Varchi, stor. Fiorent. I, p. 8.Cardinal Ippolito Medici gründete ſein Anrecht auf die Herrſchaft über Florenz darauf, daß er aus einer vielleicht rechtmäßigen Ehe entſproßt, oder doch wenigſtens Sohn einer Adlichen und nicht (wie der Herzog Aleſſandro) einer Dienſtmagd ſei. 2)Soriano, relaz. di Roma 1533, bei Tommaso Gar, relazioni, p. 281.Jetzt beginnen auch die morganatiſchen Gefühlsehen, welche im XV. Jahrhundert aus ſittlichen und politiſchen Gründen kaum einen Sinn gehabt hätten.
Condottieren als Staaten - gründer.Die höchſte und meiſtbewunderte Form der Illegitimität iſt aber im XV. Jahrhundert der Condottiere, der ſich — welches auch ſeine Abkunft ſei — ein Fürſtenthum erwirbt. Im Grunde war ſchon die Beſitznahme von Unteritalien durch die Normannen im XI. Jahrhundert nichts anderes geweſen; jetzt aber begannen Projecte dieſer Art die Halb - inſel in dauernder Unruhe zu erhalten.
Die Feſtſetzung eines Soldführers als Landesherrn konnte auch ohne Uſurpation geſchehen, wenn ihn der Brodherr aus Mangel an Geld mit Land und Leuten ab - fand;3)Für das Folgende vgl. Caneſtrini, in der Einleitung zu Tom. XV. des Archiv. stor. ohnehin bedurfte der Condottiere, ſelbſt wenn er für den Augenblick ſeine meiſten Leute entließ, eines ſichern Ortes, wo er Winterquartier halten und die nothwendigſten21 Vorräthe bergen konnte. Das erſte Beiſpiel eines ſo aus -1. Abſchnitt. geſtatteten Bandenführers iſt John Hawkwood, welcher von Papſt Gregor XI. Bagnacavallo und Cotignola erhielt. Als aber mit Alberigo da Barbiano italieniſche Heere und Heerführer auf den Schauplatz traten, da kam auch die Gelegenheit viel näher, Fürſtenthümer zu erwerben, oder wenn der Condottiere ſchon irgendwo Gewaltherrſcher war, das Ererbte zu vergrößern. Das erſte große Bacchanal dieſer ſoldatiſchen Herrſchbegier wurde gefeiert in dem Her - zogthum Mailand nach dem Tode des Giangaleazzo (1402); die Regierung ſeiner beiden Söhne (S. 13) ging haupt - ſächlich mit der Vertilgung dieſer kriegeriſchen Tyrannen dahin, und der größte derſelben, Facino Cane, wurde ſammt ſeiner Wittwe, ſammt einer Reihe von Städten und 400,000 Goldgulden ins Haus geerbt; überdieß zog Bea - trice di Tenda die Soldaten ihres erſten Gemahls nach ſich. 1)Cagnola, archiv. stor. III, p. 28: et (Filippo Maria) da lei (Beatr. ) ebbe molto texoro e dinari, e tutte le giente d'arme del dicto Facino, che obedivano a lei. Von dieſer Zeit an bildete ſich dann jenes über alle Maßen unmoraliſche Verhältniß zwiſchen den Regierungen undVerhältniß der Condottieren zum Brodherrn. ihren Condottieren aus, welches für das XV. Jahrhundert characteriſtiſch iſt. Eine alte Anecdote,2)Infessura, bei Eccard, scriptores II, Col. 1911. Die Alterna - tive, welche Macchiavell dem ſiegreichen Condottiere ſtellt, ſ. Dis - corsi, I, 30. von jenen die nirgends und doch überall wahr ſind, ſchildert daſſelbe un - gefähr ſo: Einſt hatten die Bürger einer Stadt — es ſoll Siena gemeint ſein — einen Feldherrn, der ſie von feind - lichem Druck befreit hatte; täglich beriethen ſie, wie er zu belohnen ſei und urtheilten, keine Belohnung, die in ihren Kräften ſtände, wäre groß genug, ſelbſt nicht wenn ſie ihn zum Herrn der Stadt machten. Endlich erhob ſich Einer und meinte: Laßt uns ihn umbringen und dann als221. Abſchnitt. Stadtheiligen anbeten. Und ſo ſei man mit ihm verfahren ungefähr wie der römiſche Senat mit Romulus. In der That hatten ſich die Condottieren vor Niemand mehr zu hüten als vor ihren Brodherren; kämpften ſie mit Erfolg, ſo waren ſie gefährlich und wurden aus der Welt geſchafft wie Roberto Malateſta gleich nach dem Siege den er für Sixtus IV. erfochten (1482); beim erſten Unglück aber rächte man ſich bisweilen an ihnen wie die Venezianer am Carmagnola (1432). 1)Ob ſie auch den Alviano 1516 vergiftet, und ob die dafür angege - benen Gründe richtig ſind? vgl. Prato im Archiv. stor. III, p. 348. — Von Colleoni ließ ſich die Republik zur Erbin einſetzen und nahm nach ſeinem Tode 1475 erſt noch eine förmliche Confis - cation vor. Vgl. Malipiero, Annali Veneti, im Archiv. stor. VII, I, p. 244. Sie liebte es, wenn die Condottieren ihr Geld in Venedig anlegten, ibid. p. 351.Es zeichnet die Sachlage in mo - raliſcher Beziehung, daß die Condottieren oft Weib und Kind als Geiſeln geben mußten und dennoch weder Zu - trauen genoſſen noch ſelber empfanden. Sie hätten Heroen der Entſagung, Charactere wie Beliſar ſein müſſen, wenn ſich der tiefſte Haß nicht in ihnen hätte ſammeln ſollen; nur die vollkommenſte innere Güte hätte ſie davon abhalten können, abſolute Frevler zu werden. Und als ſolche, voller Hohn gegen das Heilige, voller Grauſamkeit und Verrath gegen die Menſchen, lernen wir manche von ihnen kennen, faſt lauter Leute denen es nichts ausmachte, im päpſtlichen Banne zu ſterben. Zugleich aber entwickelt ſich in manchen die Perſönlichkeit, das Talent, bis zur höchſten Virtuoſität und wird auch in dieſem Sinne von den Soldaten aner - kannt und bewundert; es ſind die erſten Armeen der neuern Geſchichte wo der perſönliche Credit des Anführers ohneDie Familie Sforza. weitere Nebengedanken die bewegende Kraft iſt. Glänzend zeigt ſich dieß z. B. im Leben des Francesco Sforza;2)Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 121, s. 23 da iſt kein Standesvorurtheil, das ihn hätte hindern können,1. Abſchnitt. die allerindividuellſte Popularität bei jedem Einzelnen zu erwerben und in ſchwierigen Augenblicken gehörig zu be - nützen; es kam vor, daß die Feinde bei ſeinem Anblick die Waffen weglegten und mit entblößtem Haupt ihn ehrerbietig grüßten, weil ihn jeder für den gemeinſamen „ Vater der Kriegerſchaft “hielt. Dieſes Geſchlecht Sforza gewährt überhaupt das Intereſſe, daß man die Vorbereitung auf das Fürſtenthum von Anfang an glaubt durchſchimmern zu ſehen. 1)Wenigſtens bei Paul. Jovius, in ſeiner Vita magni Sfortiæ (Viri illustres), einer der anziehendſten von ſeinen Biographien.Das Fundament dieſes Glückes bildete die großeJacopo Sforza. Fruchtbarkeit der Familie; Francesco's bereits hochberühmter Vater Jacopo hatte zwanzig Geſchwiſter, alle rauh erzogen in Cotignola bei Faenza, unter dem Eindruck einer jener endloſen romagnoliſchen Vendetten zwiſchen ihnen und dem Hauſe der Paſolini. Die ganze Wohnung war lauter Ar - ſenal und Wachtſtube, auch Mutter und Töchter völlig kriegeriſch. Schon im dreizehnten Jahre ritt Jacopo heim - lich von dannen, zunächſt nach Panicale zum päpſtlichen Condottiere Boldrino, demſelben welcher dann noch im Tode ſeine Schaar anführte, indem die Parole von einem fahnen - umſteckten Zelte aus gegeben wurde, in welchem der ein - balſamirte Leichnam lag — bis ſich ein würdiger Nachfolger fand. Jacopo, als er in verſchiedenen Dienſten allmählig emporkam, zog auch ſeine Angehörigen nach ſich und genoß durch dieſelben die nämlichen Vortheile, die einem Fürſten eine zahlreiche Dynaſtie verleiht. Dieſe Verwandten ſind es, welche die Armee beiſammen halten, während er im Caſtel dell 'uovo zu Neapel liegt; ſeine Schweſter nimmt eigenhändig die königlichen Unterhändler gefangen und rettet ihn durch dieſes Pfand vom Tode. Es deutet ſchon aufSeine Aus - ſichten. Abſichten von Dauer und Tragweite, daß Jacopo in Geld - ſachen äußerſt zuverläſſig war und deßhalb auch nach241. Abſchnitt. Niederlagen Credit bei den Banquiers fand; daß er überall die Bauern gegen die Licenz der Soldaten ſchützte, und die Zerſtörung eroberter Städte nicht liebte; vollends aber, daß er ſeine ausgezeichnete Concubine Lucia (die Mutter Fran - cesco's) an einen Andern verheirathete, um für einen fürſt - lichen Ehebund verfügbar zu bleiben. Auch die Vermäh - lungen ſeiner Verwandten unterlagen einem gewiſſen Plan. Von der Gottloſigkeit und dem wüſten Leben ſeiner Fach - genoſſen hielt er ſich ferne; die drei Lehren, womit er ſeinen Francesco in die Welt ſandte, lauten: rühre keines Andern Weib an; ſchlage keinen von deinen Leuten oder, wenn es geſchehen, ſchicke ihn weit fort; endlich: reite kein hartmäu - liges Pferd und keines das gerne die Eiſen verliert. Vor Allem aber beſaß er die Perſönlichkeit wenn nicht eines großen Feldherrn doch eines großen Soldaten, einen mäch - tigen, allſeitig geübten Körper, ein populäres Bauerngeſicht, ein wunderwürdiges Gedächtniß, das alle Soldaten, alle ihre Pferde und ihre Soldverhältniſſe von vielen Jahren her kannte und aufbewahrte. Seine Bildung war nur italieniſch; alle Muße aber wandte er auf Kenntniß der Geſchichte und ließ griechiſche und lateiniſche Autoren fürFranc. Sforza und Giacomo Piccinino. ſeinen Gebrauch überſetzen. Francesco, ſein noch ruhm - vollerer Sohn, hat von Anfang an deutlich nach einer großen Herrſchaft geſtrebt und das gewaltige Mailand durch glänzende Heerführung und unbedenklichen Verrath auch erhalten (1447 — 1450).
Sein Beiſpiel lockte. Aeneas Sylvius1)Aen. Sylvius: De dictis et factis Alphonsi, Opera, Fol. 475. ſchrieb um dieſe Zeit: „ in unſerm veränderungsluſtigen Italien, wo nichts feſt ſteht und keine alte Herrſchaft exiſtirt, können leicht aus Knechten Könige werden “. Einer aber, der ſich ſelber „ den Mann der Fortuna “nannte, beſchäftigte damals vor allen die Phantaſie des ganzen Landes: Giacomo Pic - cinino, der Sohn des Nicolò. Es war eine offene und25 brennende Frage: ob auch ihm die Gründung eines Fürſten -1. Abſchnitt. thumes gelingen werde oder nicht? Die größern Staaten hatten ein einleuchtendes Intereſſe es zu verhindern, und auch Francesco Sforza fand, es wäre vortheilhaft, wenn die Reihe der ſouverän gewordenen Soldführer mit ihm ſelber abſchlöſſe. Aber die Truppen und Hauptleute, dieUntergang des Letztern. man gegen Piccinino abſandte, als er z. B. Siena hatte für ſich nehmen wollen, erkannten1)Pii II. Comment. I, p. 46, vgl. 69 ihr eigenes Intereſſe darin, ihn zu halten: „ Wenn es mit ihm zu Ende ginge, dann könnten wir wieder den Acker bauen “. Während ſie ihn in Orbetello eingeſchloſſen hielten, verproviantirten ſie ihn zugleich und er kam auf das Ehrenvollſte aus der Klemme. Endlich aber entging er ſeinem Verhängniß doch nicht. Ganz Italien wettete was geſchehen werde, als er (1465) von einem Beſuch bei Sforza in Mailand nach Neapel zum König Ferrante reiſte. Trotz aller Bürgſchaften und hohen Verbindungen ließ ihn dieſer im Caſtel nuovo ermorden. 2)Sismondi X, p. 258. — Corio, Fol. 412, wo Sforza als mit - ſchuldig gilt, weil er von P.'s kriegeriſcher Popularität Gefahren für ſeine eigenen Söhne gefürchtet. — Storia Bresciana, bei Murat. XXI, Col. 902. — Wie man 1466 den venezianiſchen Groß - condottiere Colleoni in Verſuchung führte, erzählt Malipiero, An - nali veneti, arch. stor. VII, I, p. 210.Auch die Condottieren, welche ererbte Staaten beſaßen, fühlten ſich doch nie ſicher; als Roberto Malateſta und Federigo von Urbino (1482) an Einem Tage, jener in Rom, dieſer in Bologna ſtarben, fand es ſich, daß Jeder im Sterben dem Andern ſeinen Staat empfehlen ließ! 3)Allegretti, Diarii Sanesi, bei Murat. XXIII, p. 811.Gegen einen Stand der ſich ſo Vieles erlaubte, ſchien Alles erlaubt. Francesco Sforza war noch ganz jung mit einer reichen calabreſiſchen Erbin, Poliſſena Ruffa, Gräfin von Montalto, verheirathet worden, welche ihm ein Töchterchen261 Abſchnitt. gebar; eine Tante vergiftete die Frau und das Kind und zog die Erbſchaft an ſich. 1)Orationes Philelphi, Fol. 9, in der Leichenrede auf Francesco.
Spätere Ver - ſuche der Con - dottieren.Vom Untergang Piccinino's an galt das Aufkommen von neuen Condottierenſtaaten offenbar als ein nicht mehr zu duldender Scandal; die vier „ Großſtaaten “Neapel, Mailand, Kirche und Venedig ſchienen ein Syſtem des Gleichgewichtes zu bilden, welches keine jener Störungen mehr vertrug. Im Kirchenſtaat, wo es von kleinen Tyran - nen wimmelte, die zum Theil Condottieren geweſen oder es noch waren, bemächtigten ſich ſeit Sixtus IV. die Nepoten des Alleinrechtes auf ſolche Unternehmungen. Aber die Dinge brauchten nur irgendwo in's Schwanken zu gerathen, ſo meldeten ſich auch die Condottieren wieder. Unter der kläglichen Regierung Innocenz VIII. war es einmal nahe daran, daß ein früher in burgundiſchen Dienſten geweſener Hauptmann Boccalino ſich mit ſammt der Stadt Oſimo, die er für ſich genommen, den Türken übergeben hätte;2)Marin Sanudo, vite de' Duchi di Ven., bei Murat. XXII, Col. 1241. man mußte froh ſein, daß er ſich auf Vermittlung des Lorenzo magnifico hin mit Geld abfinden ließ und ab - zog. Im Jahr 1495, bei der Erſchütterung aller Dinge in Folge des Krieges Carls VIII. verſuchte ſich ein Con - dottiere Vidovero von Brescia;3)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 407. er hatte ſchon früher die Stadt Ceſena durch Mord vieler Edeln und Bürger ein - genommen, aber das Caſtell hielt ſich und er mußte wieder fort; jetzt, begleitet von einer Truppe, die ihm ein anderer böſer Bube, Pandolfo Malateſta von Rimini, Sohn des erwähnten Roberto und venezianiſcher Condottiere, abgetreten, nahm er dem Erzbiſchof von Ravenna die Stadt Caſtel - nuovo ab. Die Venezianer, welche Größeres beſorgten und ohnehin vom Papſt gedrängt wurden, befahlen dem Pan -27 dolfo „ wohlmeinend “, den guten Freund bei Gelegenheit zu1. Abſchnitt. verhaften; es geſchah, obwohl „ mit Schmerzen “, worauf die Ordre kam, ihn am Galgen ſterben zu laſſen. Pan - dolfo hatte die Rückſicht, ihn erſt im Gefängniß zu erdroſſeln und dann dem Volk zu zeigen. — Das letzte bedeutendere Beiſpiel ſolcher Uſurpationen iſt der berühmte Caſtellan von Muſſo, der bei der Verwirrung im Mailändiſchen nach der Schlacht bei Pavia (1525) ſeine Souveränetät am Comer - ſee improviſirte.
Im Allgemeinen läßt ſich von den GewaltherrſchernDie kleineren Herrſchaften. des XV. Jahrhunderts ſagen, daß die ſchlimmſten Dinge in den kleinern und kleinſten Herrſchaften am meiſten ſich häuften. Namentlich lagen hier für zahlreiche Familien, deren einzelne Mitglieder alle ranggemäß leben wollten, die Erbſtreitigkeiten nahe; Bernardo Varano von Camerino ſchaffte (1434) zwei Brüder aus der Welt,1)Chron. Eugubinum, bei Murat. XXI, Col. 972. weil ſeine Söhne mit deren Erbe ausgeſtattet ſein wollten. Wo ein bloßer Stadtherrſcher ſich auszeichnet durch practiſche, ge - mäßigte, unblutige Regierung und Eifer für die Cultur zugleich, da wird es in der Regel ein ſolcher ſein, der zu einem großen Hauſe gehört oder von der Politik eines ſol - chen abhängt. Dieſer Art war z. B. Aleſſandro Sforza,2)Vespasiano Fiorent. p. 148. Fürſt von Peſaro, Bruder des großen Francesco und Schwie - gervater des Federigo von Urbino (ſt. 1473). Als guter Verwalter, als gerechter und zugänglicher Regent genoß er nach langem Kriegsleben eine ruhige Regierung, ſammelte eine herrliche Bibliothek und brachte ſeine Muße mit ge - lehrten und frommen Geſprächen zu. Auch Giovanni II. Bentivoglio von Bologna (1462 — 1506), deſſen Politik von der der Eſte und Sforza bedingt war, läßt ſich hieher zählen. Welche blutige Verwilderung dagegen finden wir in den281. Abſchnitt. Häuſern der Varani von Camerino, der Malateſta von Rimini, der Manfreddi von Faenza, vor Allem der Baglioni von Perugia. Ueber die Ereigniſſe im Hauſe der letztern gegen Ende des XV. Jahrhunderts ſind wir durch ausge - zeichnete Geſchichtsquellen — die Chroniken des Graziani und des Matarazzo1)Archiv. stor. VXI, Parte I. et II. — beſonders anſchaulich unterrichtet.
Die Baglionen von Perugia.Die Baglionen waren eines von jenen Häuſern, deren Herrſchaft ſich nicht zu einem förmlichen Fürſtenthum durch - gebildet hatte, ſondern mehr nur in einem ſtädtiſchen Primat beſtand und auf großem Familienreichthum und thatſäch - lichem Einfluß auf die Aemterbeſetzung beruhte. Innerhalb der Familie wurde Einer als Geſammtoberhaupt anerkannt; doch herrſchte tiefer verborgener Haß zwiſchen den Mit - gliedern der verſchiedenen Zweige. Ihnen gegenüber hielt ſich eine gegneriſche Adelspartei unter Anführung der Fa - milie Oddi; Alles ging (um 1487) in Waffen und alle Häuſer der Großen waren voller Bravi; täglich gab es Gewaltthaten; bei Anlaß der Beerdigung eines ermordeten deutſchen Studenten ſtellten ſich zwei Collegien in Waffen gegeneinander auf; ja bisweilen lieferten ſich die Bravi verſchiedener Häuſer Schlachten auf offener Piazza. Ver - gebens jammerten Kaufleute und Handwerker; die päpſt - lichen Governatoren und Nepoten ſchwiegen oder machtenBertreibung der Oddi. ſich bald wieder davon. Endlich müßen die Oddi Perugia verlaſſen und nun wird die Stadt eine belagerte Feſte unter der vollendeten Gewaltherrſchaft der Baglionen, wel - chen auch der Dom als Caſerne dienen muß. Complotten und Ueberfällen wird mit furchtbarer Rache begegnet; nach - dem man (im J. 1491) 130 Eingedrungene zuſammenge - hauen und am Staatspalaſt gehenkt, wurden auf der Piazza 35 Altäre errichtet und drei Tage lang Meſſen geleſen und Proceſſionen gehalten um den Fluch von der Stätte weg - zunehmen. Ein Nepot Innocenz VIII. wurde am hellen29 Tage auf der Gaſſe erſtochen, einer Alexanders VI., der1. Abſchnitt. abgeſandt war um zu ſchlichten, erntete nichts als offenen Hohn. Dafür hatten die beiden Häupter des regierenden Hauſes Guido und Ridolfo häufige Unterredungen mit der heiligen wunderthätigen Dominicanernonne Suor Colomba von Rieti, welche unter Androhung großen künftigen Un - heils zum Frieden rieth, natürlich vergebens. Immerhin macht der Chroniſt bei dieſem Anlaß aufmerkſam auf die Andacht und Frömmigkeit der beſſern Peruginer in dieſen Schreckensjahren. Während (1494) Carl VIII. heranzog, führten die Baglionen und die in und um Aſſiſi gelagerten Verbannten einen Krieg von ſolcher Art, daß im Thal alle Gebäude dem Boden eben, die Felder unbebaut lagen, die Bauern zu kühnen Räubern und Mördern verwilderten, und Hirſche und Wölfe das emporwuchernde Geſtrüpp be - völkerten, wo letztere ſich an den Leichen der Gefallenen, an „ Chriſtenfleiſch “, gütlich thaten. Als Alexander VI.Abſichten des Papſtes. vor dem von Neapel zurückkehrenden Carl VIII. (1495) nach Umbrien entwich, fiel es ihm in Perugia ein, er könnte ſich der Baglionen auf immer entledigen; er ſchlug dem Guido irgend ein Feſt, ein Turnier oder etwas dergleichen vor, um ſie irgendwo alle beiſammen zu haben, aber Guido war der Meinung, „ das allerſchönſte Schauſpiel wäre, alle bewaffnete Mannſchaft von Perugia beiſammen zu ſehen “, worauf der Papſt ſeinen Plan fallen ließ. Bald darauf machten die Verbannten wieder einen Ueberfall, bei welchem nur der perſönlichſte Heldenmuth der Baglionen den Sieg gewann. Da wehrte ſich auf der Piazza der achtzehnjährige Simonetto Baglione mit Wenigen gegen mehrere Hunderte, und ſtürzte mit mehr als zwanzig Wunden, erhob ſich aber wieder, als ihm Aſtorre Baglione zu Hülfe kam, hoch zu Roß in vergoldeter Eiſenrüſtung mit einem Falken auf dem Helm; „ dem Mars vergleichbar an Anblick und an Thaten ſprengte er in das Gewühl. “
301. Abſchnitt. Damals war Rafael als zwölfjähriger Knabe in der Lehre bei Pietro Perugino. Vielleicht ſind Eindrücke dieſer Tage verewigt in den frühen kleinen Bildchen des heil. Georg und des heil. Michael; vielleicht lebt noch etwas davon unvergänglich fort in dem großen St. Michaelsbilde, und wenn irgendwo Aſtorre Baglione ſeine Verklärung ge - funden hat, ſo iſt es geſchehen in der Geſtalt des himm - liſchen Reiters im Heliodor.
Zwietracht im Haus der Baglionen.Die Gegner waren theils umgekommen theils in pani - ſchem Schrecken gewichen, und fortan keines ſolchen Angriffes mehr fähig. Nach einiger Zeit wurde ihnen eine partielle Verſöhnung und Rückkehr gewährt. Aber Perugia wurde nicht ſicherer noch ruhiger; die innere Zwietracht des herr - ſchenden Hauſes brach jetzt in entſetzlichen Thaten aus. Gegenüber Guido, Ridolfo und ihren Söhnen Gianpaolo, Simonetto, Aſtorre, Gismondo, Gentile, Marcantonio u. A. thaten ſich zwei Großneffen, Grifone und Carlo Barciglia zuſammen; letzterer zugleich Neffe des Fürſten Varano von Camerino und Schwager eines der früheren Verbannten, Jeronimo dalla Penna. Vergebens bat Simonetto, der ſchlimme Ahnungen hatte, ſeinen Oheim kniefällig, dieſen Penna tödten zu dürfen, Guido verſagte es ihm. Das Complott reifte plötzlich bei der Hochzeit des Aſtorre mitPeruginer Bluthochzeit. der Lavinia Colonna, Mitte Sommers 1500. Das Feſt nahm ſeinen Anfang und dauerte einige Tage unter düſtern Anzeichen, deren Zunahme bei Matarazzo vorzüglich ſchön geſchildert iſt. Der anweſende Varano trieb ſie zuſammen; in teufliſcher Weiſe wurde dem Grifone die Alleinherrſchaft und ein erdichtetes Verhältniß ſeiner Gemahlin Zenobia mit Gianpaolo vorgeſpiegelt und endlich jedem Verſchworenen ſein beſtimmtes Opfer zugetheilt. (Die Baglionen hatten lauter geſchiedene Wohnungen, meiſt an der Stelle des jetzigen Caſtells.) Von den vorhandenen Bravi bekam Jeder 15 Mann mit; der Reſt wurde auf Wachen ausgeſtellt. In der Nacht vom 15. Juli wurden die Thüren eingerannt31 und der Mord an Guido, Aſtorre, Simonetto und Gis -1. Abſchnitt. mondo vollzogen; die Andern konnten entweichen.
Als Aſtorre's Leiche mit der des Simonetto auf der Gaſſe lag, verglichen ihn die Zuſchauer „ und beſonders die fremden Studenten “mit einem alten Römer; ſo würdig und groß war der Anblick; in Simonetto fanden ſie noch das Trotzigkühne, als hätte ihn ſelbſt der Tod nicht ge - bändigt. Die Sieger gingen bei den Freunden der Familie herum und wollten ſich empfehlen, fanden jedoch Alles in Thränen und mit der Abreiſe auf die Landgüter beſchäftigt. Aber die entronnenen Baglionen ſammelten draußen Mann - ſchaft, und drangen, Gianpaolo an der Spitze, des folgen - den Tages in die Stadt, wo andere Anhänger, ſo eben von Bareiglia mit dem Tode bedroht, ſchleunig zu ihm ſtießen; als bei S. Ercolano Grifone in ſeine Hände fiel, überließ er es ſeinen Leuten, ihn niederzumachen; Barciglia und Penna aber flüchteten ſich nach Camerino zum Hauptanſtifter des Unheils, Varano; in einem Augenblick, faſt ohne Ver - luſt, war Gianpaolo Herr der Stadt.
Atalanta, Grifone's noch ſchöne und junge Mutter,Atalanta Ba - glione. die ſich Tags zuvor ſammt ſeiner Gattin Zenobia und zwei Kindern Gianpaolo's auf ein Landgut zurückgezogen und den ihr nacheilenden Sohn mehrmals mit ihrem Mutter - fluche von ſich gewieſen, kam jetzt mit der Schwiegertochter herbei und ſuchte den ſterbenden Sohn. Alles wich vor den beiden Frauen auf die Seite; Niemand wollte als der erkannt ſein, der den Grifone erſtochen hätte, um nicht die Verwünſchung der Mutter auf ſich zu ziehen. Aber man irrte ſich; ſie ſelber beſchwor den Sohn, denjenigen zu ver - zeihen, welche die tödtlichen Streiche geführt, und er ver - ſchied unter ihren Segnungen. Ehrfurchtsvoll ſahen die Leute den beiden Frauen nach, als ſie in ihren blutigen Kleidern über den Platz ſchritten. Dieſe Atalanta iſt es, für welche ſpäter Rafael die weltberühmte Grablegung ge -321. Abſchnitt. malt hat. Damit legte ſie ihr eigenes Leid dem höchſten und heiligſten Mutterſchmerz zu Füßen.
Der Dom, welcher das meiſte von dieſer Tragödie in ſeiner Nähe geſehen, wurde mit Wein abgewaſchen und neu geweiht. Noch immer ſtand von der Hochzeit her der Triumphbogen, bemalt mit den Thaten Aſtorre's und mit den Lobverſen deſſen, der uns dieſes Alles erzählt, des guten Matarazzo.
Es entſtand eine ganz ſagenhafte Vorgeſchichte der Baglionen, welche nur ein Reflex dieſer Gräuel iſt. Alle von dieſem Hauſe ſeien von jeher eines böſen Todes ge - ſtorben, einſt 27 miteinander; ſchon einmal ſeien ihre Häuſer geſchleift und mit den Ziegeln davon die Gaſſen gepflaſtert worden u. dgl. Unter Paul III. trat dann die Schleifung ihrer Paläſte wirklich ein.
Fortwirken des Fluches.Einſtweilen aber ſcheinen ſie gute Vorſätze gefaßt, in ihrer eignen Partei Ordnung geſchafft und die Beamten gegen die adlichen Böſewichter geſchützt zu haben. Allein der Fluch brach ſpäter doch wieder wie ein nur ſcheinbar gedämpfter Brand hervor; Gianpaolo wurde unter Leo X. 1520 nach Rom gelockt und enthauptet; der eine ſeiner Söhne, Orazio, der Perugia nur zeitweiſe und unter den gewaltſamſten Umſtänden beſaß, nämlich als Parteigänger des ebenfalls von den Päpſten bedrohten Herzogs von Ur - bino, wüthete noch einmal im eigenen Hauſe auf das Gräßlichſte. Ein Oheim und drei Vettern wurden ermordet, worauf ihm der Herzog ſagen ließ, es ſei jetzt genug. 1)Varchi, stor. fiorent. I, p. 242, s. Sein Bruder Malateſta Baglione iſt der florentiniſche Feld - herr, welcher durch den Verrath von 1530 unſterblich ge - worden, und deſſen Sohn Ridolfo iſt jener letzte des Hauſes welcher in Perugia durch Ermordung des Legaten und der33 Beamten im Jahr 1534 eine nur kurze aber ſchreckliche1. Abſchnitt. Herrſchaft übte.
Den Gewaltherrſchern von Rimini werden wir nochDie Malateſten von Rimini. hie und da begegnen. Frevelmuth, Gottloſigkeit, kriegeriſches Talent und höhere Bildung ſind ſelten ſo in einem Menſchen vereinigt geweſen wie in Sigismondo Malateſta (ſt. 1467). Aber wo die Miſſethaten ſich häufen wie in dieſem Hauſe geſchah, da gewinnen ſie das Schwergewicht auch über alles Talent und ziehen die Tyrannen in den Abgrund. Der ſchon erwähnte Pandolfo, Sigismondo's Enkel, hielt ſich nur noch weil Venedig ſeinen Condottiere trotz aller Ver - brechen nicht wollte fallen laſſen; als ihn ſeine Unterthanen (1497) aus hinreichenden Gründen1)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 498. in ſeiner Burg zu Rimini bombardirten und dann entwiſchen ließen, führte ein venezianiſcher Commiſſär den mit Brudermord und allen Gräueln befleckten wieder zurück. Nach drei Jahrzehnden waren die Malateſten arme Verbannte. Die Zeit um 1527Untergang der Kleinen. war wie die des Ceſare Borgia eine Epidemie für dieſe kleinen Dynaſtien, nur ſehr wenige überlebten ſie und nicht einmal zu ihrem Glück. In Mirandola, wo kleine Fürſten aus dem Hauſe Pico herrſchten, ſaß im Jahr 1533 ein armer Gelehrter, Lilio Gregorio Giraldi, der aus der Ver - wüſtung von Rom ſich an den gaſtlichen Heerd des hoch - bejahrten Giovan Francesco Pico (Neffen des berühmten Giovanni) geflüchtet hatte; bei Anlaß ihrer Beſprechungen über das Grabmal, welches der Fürſt für ſich bereiten wollte, entſtand eine Abhandlung,2)Lil. Greg. Giraldus, de vario sepeliendi ritu. — Schon 1470 war in dieſem Hauſe eine Miniaturkataſtrophe vorgefallen, vgl. Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 225. deren Dedication vom April jenes Jahres datirt iſt. Aber wie wehmüthig lautet die Nachſchrift: „ im October deſſelben Jahres iſt der un -Cultur der Renaiſſance. 3341. Abſchnitt. glückliche Fürſt durch nächtlichen Mord von ſeinem Bruder - ſohn des Lebens und der Herrſchaft beraubt worden, und ich ſelber bin in tiefem Elend kaum mit dem Leben davon - gekommen “.
Eine characterloſe Halbtyrannie, wie ſie Pandolfo Pe - trucci ſeit den 1490er Jahren in dem von Factionen zer - riſſenen Siena ausübte, iſt kaum der nähern Betrachtung werth. Unbedeutend und böſe, regierte er mit Hülfe eines Profeſſors der Rechte und eines Aſtrologen und verbreitete hie und da einigen Schrecken durch Mordthaten. Sein Sommervergnügen war, Steinblöcke vom Monte Amiata herunter zu rollen, ohne Rückſicht darauf, was und wen ſie trafen. Nachdem ihm gelingen mußte, was den Schlauſten mißlang — er entzog ſich den Tücken des Ceſare Borgia — ſtarb er doch ſpäter verlaſſen und verachtet. Seine Söhne aber hielten ſich noch lange mit einer Art von Halbherrſchaft.
Die Aragoneſen von Neapel. Alfons der Große.Von den wichtigern Dynaſtien ſind die Aragoneſen geſondert zu betrachten. Das Lehnsweſen, welches hier ſeit der Normannenzeit als Grundherrſchaft der Barone fort - dauert, färbt ſchon den Staat eigenthümlich, während im übrigen Italien, den ſüdlichen Kirchenſtaat und wenige andere Gegenden ausgenommen, faſt nur noch einfacher Grundbeſitz gilt und der Staat keine Befugniſſe mehr erb - lich werden läßt. Sodann iſt der große Alfons, welcher ſeit 1435 Neapel in Beſitz genommen (ſt. 1458), von einer andern Art als ſeine wirklichen oder vorgeblichen Nach - kommen. Glänzend in ſeinem ganzen Daſein, furchtlos unter ſeinem Volke, von einer großartigen Liebenswürdigkeit im Umgang, und ſelbſt wegen ſeiner ſpäten Leidenſchaft für Lucrezia d'Alagna nicht getadelt, ſondern bewundert, hatte er die eine üble Eigenſchaft der Verſchwendung,1)Jovian. Pontan. de liberalitate, und: de obedientia, 1. 4. Vgl. Sismondi X, p. 78, s.35 an welche ſich dann die unvermeidlichen Folgen hingen. 1. Abſchnitt. Frevelhafte Finanzbeamte wurden zuerſt allmächtig, bis ſie der bankerott gewordene König ihres Vermögens beraubte; ein Kreuzzug wurde gepredigt, um unter dieſem Vorwand den Clerus zu beſteuern; bei einem großen Erdbeben in den Abruzzen mußten die Ueberlebenden die Steuer für die Umgekommenen weiter bezahlen. Unter ſolchen Umſtänden war Alfons für hohe Gäſte der prunkhafteſte Wirth ſeiner Zeit (S. 17) und froh des unaufhörlichen Spendens an Jedermann, auch an Feinde; für literariſche Bemühungen hatte er vollends keinen Maßſtab mehr, ſo daß Poggio für die lateiniſche Ueberſetzung von Xenophon's Cyropädie 500 Goldſtücke erhielt.
Ferrante,1)Tristano Caracciolo: de varietate fortunæ, bei Murat. XXII. — Jovian. Pontanus: de prudentia, 1. IV; de magnanimitate, 1. I.; de liberalitate, de immanitate. — Cam. Porzio, con - giura de' Baroni, passim. — Comines, Charles VIII, chap. 17, mit der allgem. Characteriſtik der Aragoneſen. der auf ihn kam, galt als ſein BaſtardFerrante. von einer ſpaniſchen Dame, war aber vielleicht von einem valencianiſchen Marranen erzeugt. War es nun mehr das Geblüt oder die ſeine Exiſtenz bedrohenden Complotte der Barone, was ihn düſter und grauſam machte, jedenfalls iſt er unter den damaligen Fürſten der ſchrecklichſte. Raſtlos thätig, als einer der ſtärkſten politiſchen Köpfe anerkannt, dabei kein Wüſtling, richtet er alle ſeine Kräfte, auch die eines unverſöhnlichen Gedächtniſſes und einer tiefen Ver - ſtellung, auf die Zernichtung ſeiner Gegner. Beleidigt in allen Dingen, worin man einen Fürſten beleidigen kann, indem die Anführer der Barone mit ihm verſchwägert und mit allen auswärtigen Feinden verbündet waren, gewöhnte er ſich an das Aeußerſte als an ein Alltägliches. Für dieSein Zwang - ſtaat. Beſchaffung der Mittel in dieſem Kampfe und in ſeinen auswärtigen Kriegen wurde wieder etwa in jener moham -3*361. Abſchnitt. medaniſchen Weiſe geſorgt, die Friedrich II. angewandt hatte: mit Korn und Oel handelte nur die Regierung; den Handel überhaupt hatte Ferrante in den Händen eines Ober - und Großkaufmanns, Francesco Coppola, centraliſirt, welcher mit ihm den Nutzen theilte und alle Rheder in ſeinen Dienſt nahm; Zwangsanleihen, Hinrichtungen und Confiscationen, grelle Simonie und Brandſchatzung der geiſtlichen Corporationen beſchufen das Uebrige. Nun über - ließ ſich Ferrante außer der Jagd, die er rückſichtslos übte, zweierlei Vergnügungen: ſeine Gegner entweder lebend in wohlverwahrten Kerkern oder todt und einbalſamirt, in der Tracht die ſie bei Lebzeiten trugen,1)Paul. Jovius, Histor. I, p. 14, in der Rede eines mailändiſchen Geſandten; Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 294. in ſeiner Nähe zu haben. Er kicherte, wenn er mit ſeinen Vertrauten von den Gefangenen ſprach; aus der Mumiencollection wurde nicht einmal ein Geheimniß gemacht. Seine Opfer waren faſt lauter Männer, deren er ſich durch Verrath, ja an ſeiner königlichen Tafel bemächtigt. Völlig infernal war das Verfahren gegen den in Dienſt grau und krank gewor - denen Premierminiſter Antonello Petrucci, von deſſen wach - ſender Todesangſt Ferrante immerfort Geſchenke annahm, bis endlich ein Anſchein von Theilnahme an der letzten Baronenverſchwörung den Vorwand gab zu ſeiner Verhaf - tung und Hinrichtung, zugleich mit Coppola. Die Art wie dieß Alles bei Caracciolo und Porzio dargeſtellt iſt,Alfonſo von Calabrien. macht die Haare ſträuben. — Von den Söhnen des Königs genoß der ältere, Alfonſo Herzog von Calabrien, in den ſpätern Zeiten eine Art Mitregierung; ein wilder, grau - ſamer Wüſtling, der vor dem Vater die größere Offenheit voraus hatte, und ſich auch nicht ſcheute, ſeine Verachtung gegen die Religion und ihre Bräuche an den Tag zu legen. Die beſſern, lebendigen Züge des damaligen Tyrannenthums muß man bei dieſen Fürſten nicht ſuchen; was ſie von der37 damaligen Kunſt und Bildung an ſich nehmen, iſt Luxus1. Abſchnitt. oder Schein. Schon die echten Spanier treten in Italien faſt immer nur entartet auf, vollends aber zeigt der Aus - gang dieſes Marranenhauſes (1494 und 1503) einen augen - ſcheinlichen Mangel an Race. Ferrante ſtirbt vor innerer Sorge und Qual; Alfonſo traut ſeinem eigenen Bruder Federigo, dem einzigen Guten der Familie, Verrath zu, und beleidigt ihn auf die unwürdigſte Weiſe; endlich flieht Er, der bisher als einer der tüchtigſten Heerführer Italiens ge - golten, beſinnungslos nach Sicilien und läßt ſeinen Sohn, den jüngern Ferrante, den Franzoſen und dem allgemeinen Verrath zur Beute. Eine Dynaſtie, welche ſo regiert hatte wie dieſe, hätte allermindeſtens ihr Leben theuer verkaufen müſſen, wenn ihre Kinder und Nachkommen eine Reſtau - ration hoffen ſollten. Aber: jamais homme cruel ne fut hardi, wie Comines bei dieſem Anlaß etwas einſeitig und im Ganzen doch richtig ſagt.
Echt italieniſch im Sinne des XV. Jahrhunderts er -Der letzte Bis - conti. ſcheint das Fürſtenthum in den Herzogen von Mailand ausgebildet, deren Herrſchaft ſeit Giangaleazzo ſchon eine völlig ausgebildete abſolute Monarchie darſtellt. Vor Allem iſt der letzte Visconti, Filippo Maria (1412 — 1447) eine höchſt merkwürdige, glücklicher Weiſe vortrefflich geſchilderte1)Petri Candidi Decembrii Vita Phil. Mariae Vicecomitis, bei Murat. XX. Perſönlichkeit. Was die Furcht aus einem Menſchen von bedeutenden Anlagen in hoher Stellung machen kann, zeigt ſich hier, man könnte ſagen mathematiſch vollſtändig; alle Mittel und Zwecke des Staates concentriren ſich in dem einen der Sicherung ſeiner Perſon, nur daß ſein grauſamer Egoismus doch nicht in Blutdurſt überging. Im Caſtell von Mailand, das die herrlichſten Gärten, Laubgänge und Tummelplätze mit umfaßte, ſitzt er ohne die Stadt in vielen381. Abſchnitt. Jahren auch nur zu betreten; ſeine Ausflüge gehen nach den Landſtädten, wo ſeine prächtigen Schlöſſer liegen; die Barkenflottille die ihn, von raſchen Pferden gezogen, auf eigens gebauten Canälen dahin führt, iſt für die Hand - habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Caſtell betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand ſollte auch nur am Fenſter ſtehen, damit nicht nach außen gewinkt würde. Ein künſtliches Syſtem von Prüfungen erging über die, welche zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gezogen werden ſollten; dieſen vertraute er dann die höchſten diplo - matiſchen wie die Lakaiendienſte an, denn Beides war ja hier gleich ehrenvoll. Und dieſer Mann führte lange, ſchwierige Kriege und hatte beſtändig große politiſche Dinge unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit umfaſſenden Vollmachten ausſenden. Seine Sicherheit lag nun darin, daß keiner von dieſen keinem traute, daß die Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern Beamten durch künſtlich genährte Zwietracht, namentlich durch Zuſammenkoppelung je eines Guten und eines Böſen irre gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in ſeinem Innerſten iſt Filippo Maria bei den entgegengeſetzten Polen der Weltanſchauung verſichert; er glaubt an Geſtirne und an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth - helfern; er lieſt alte Autoren und franzöſiſche Ritterromane. Und zuletzt hat derſelbe Menſch, der den Tod nie wollte erwähnen hören1)Ihn ängſtigte, quod aliquando „ non esse “necesse esset. und ſelbſt ſeine ſterbenden Günſtlinge aus dem Caſtell ſchaffen ließ, damit Niemand in dieſer Burg des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und Verweigerung des Aderlaſſes ſeinen Tod abſichtlich beſchleunigt und iſt mit Anſtand und Würde geſtorben.
Franceseo Sforza.Sein Schwiegerſohn und endlicher Erbe, der glückliche Condottiere Francesco Sforza (1450 — 1466, S. 24) war39 vielleicht von allen Italienern am Meiſten der Mann nach1. Abſchnitt. dem Herzen des XV. Jahrhunderts. Glänzender als in ihm war der Sieg des Genies und der individuellen Kraft nirgends ausgeſprochen, und wer das nicht anzuerkennen geneigt war, durfte doch immerhin den Liebling der Fortuna in ihm verehren. Mailand empfand es offenbar als Ehre, wenigſtens einen ſo berühmten Herrſcher zu erhalten; hatte ihn doch bei ſeinem Einritt das dichte Volksgedränge zu Pferde in den Dom hineingetragen, ohne daß er abſteigen konnte. 1)Corio, Fol. 400; — Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 125.Hören wir die Bilanz ſeines Lebens, wie ſie Papſt Pius II, ein Kenner in ſolchen Dingen, uns vor -Sein Glück. rechnet. 2)Pii II. Comment. III, p. 130. Vgl. II. 87. 106. Eine andere, noch mehr ins Düſtere fallende Taration vom Glücke des Sforza giebt Caracciolo, de varietate fortunæ, bei Murat. XXII, Col. 74.„ Im Jahr 1459, als der Herzog zum Fürſten - congreß nach Mantua kam, war er 60 (eher 58) Jahre alt; als Reiter einem Jüngling gleich, hoch und äußerſt impoſant an Geſtalt, von ernſten Zügen, ruhig und leut - ſelig im Reden, fürſtlich im ganzen Benehmen, ein Ganzes von leiblicher und geiſtiger Begabung ohne Gleichen in unſerer Zeit, im Felde unbeſiegt — das war der Mann der von niedrigem Stande zur Herrſchaft über ein Reich emporſtieg. Seine Gemahlin war ſchön und tugendhaft, ſeine Kinder anmuthig wie Engel vom Himmel; er war ſelten krank; alle ſeine weſentlichen Wünſche erfüllten ſich. Doch hatte auch er einiges Mißgeſchick; ſeine Gemahlin tödtete ihm aus Eiferſucht die Geliebte; ſeine alten Waffen - genoſſen und Freunde Troilo und Brunoro verließen ihn und gingen zu König Alfons über; einen andern, Ciar - pollone mußte er wegen Verrathes henken laſſen; von ſeinem Bruder Aleſſandro mußte er erleben, daß derſelbe einmal die Franzoſen gegen ihn aufſtiftete; einer ſeiner Söhne401. Abſchnitt. zettelte Ränke gegen ihn und kam in Haft; die Mark An - cona, die er im Krieg erobert, verlor er auch wieder im Krieg. Niemand genießt ein ſo ungetrübtes Glück, daß er nicht irgendwo mit Schwankungen zu kämpfen hätte. Der iſt glücklich, der wenige Widerwärtigkeiten hat. “ Mit dieſer negativen Definition des Glückes entläßt der gelehrte Papſt ſeinen Leſer. Wenn er hätte in die Zukunft blicken können oder auch nur die Conſequenzen der völlig unbeſchränkten Fürſtenmacht überhaupt erörtern wollen, ſo wäre ihm eine durchgehende Wahrnehmung nicht entgangen: die Garantie - loſigkeit der Familie. Jene engelſchönen, überdieß ſorgfältig und vielſeitig gebildeten Kinder unterlagen, als ſie Männer wurden,Galeazzo Maria. der ganzen Ausartung des ſchrankenloſen Egoismus. Galeazzo Maria (1466 — 1476), ein Virtuoſe der äußern Erſcheinung, war ſtolz auf ſeine ſchöne Hand, auf die hohen Beſoldun - gen die er bezahlte, auf den Geldcredit den er genoß, auf ſeinen Schatz von zwei Millionen Goldſtücken, auf die namhaften Leute die ihn umgaben, und auf die Armee und die Vogeljagd die er unterhielt. Dabei hörte er ſich gerne reden, weil er gut redete, und vielleicht am allerfließendſten wenn er etwa einen venezianiſchen Geſandten kränken konnte. 1)Malipiero, Ann. veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 216. 221.Dazwiſchen aber gab es Launen wie z. B. die, ein Zimmer in einer Nacht mit Figuren ausmalen zu laſſen; es gab entſetzliche Grauſamkeiten gegen Naheſtehende, und beſin - nungsloſe Ausſchweifung. Einigen Phantaſten ſchien er alle Eigenſchaften eines Tyrannen zu beſitzen; ſie brachten ihn um und lieferten damit den Staat in die Hände ſeiner Brüder, deren einer, Lodovico il Moro, nachher mit Ueber - gehung des eingekerkerten Neffen die ganze Herrſchaft an ſich riß. An dieſe Uſurpation hängt ſich dann die Inter - vention der Franzoſen und das böſe Schickſal von ganzLodovico Moro. Italien. Der Moro iſt aber die vollendetſte fürſtliche Cha - racterfigur dieſer Zeit, und erſcheint damit wieder wie ein41 Naturproduct, dem man nicht ganz böſe ſein kann. Bei1. Abſchnitt. der tiefſten Immoralität ſeiner Mittel erſcheint er in deren Anwendung völlig naiv; er würde wahrſcheinlich ſich ſehr verwundert haben, wenn ihm Jemand hätte begreiflich machen wollen, daß nicht nur für die Zwecke ſondern auch für die Mittel eine ſittliche Verantwortung exiſtirt; ja er würde vielleicht ſeine möglichſte Vermeidung aller Bluturtheile als eine ganz beſondere Tugend geltend gemacht haben. Den halbmythiſchen Reſpect der Italiener vor ſeiner politiſchen Force nahm er wie einen ſchuldigen Tribut1)Chron. venetum, bei Murat. XXIV, Col. 65. an; noch 1496 rühmte er ſich: Papſt Alexander ſei ſein Caplan, Kaiſer Max ſein Condottiere, Venedig ſein Kämmerer, der König von Frankreich ſein Courier, der da kommen und gehen müſſe wie ihm beliebe. 2)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 492. Vgl. 481. 561.Mit einer erſtaunlichen Beſonnenheit wägt er noch in der letzten Noth (1499) die möglichen Ausgänge ab, und verläßt ſich dabei, was ihm Ehre macht, auf die Güte der menſchlichen Natur; ſeinen Bruder Cardinal Ascanio, der ſich erbietet, im Caſtell von Mailand auszuharren, weiſt er ab, da ſie früher bittern Streit gehabt hatten: „ Monſignore, nichts für ungut, Euch traue ich nicht, wenn Ihr ſchon mein Bruder ſeid “— be - reits hatte er ſich einen Commandanten für das Caſtell, dieſe „ Bürgſchaft ſeiner Rückkehr “ausgeſucht, einen Mann, dem er nie Uebles, ſtets nur Gutes erwieſen. 3)Seine letzte Unterredung mit demſelben, echt und merkwürdig, bei Senarega, Murat. XXIV, Col. 567.Derſelbe verrieth dann gleichwohl die Burg. — Im Innern warInnere Regie - rung. der Moro bemüht, gut und nützlich zu walten, wie er denn in Mailand und auch in Como noch zuletzt auf ſeine Be - liebtheit rechnete; doch hatte er in den ſpätern Jahren (ſeit 1496) die Steuerkraft ſeines Staates übermäßig an -421. Abſchnitt. geſtrengt und z. B. in Cremona einen angeſehenen Bürger, der gegen die neuen Auflagen redete, aus lauter Zweck - mäßigkeit insgeheim erdroſſeln laſſen; auch hielt er ſich ſeitdem bei Audienzen die Leute durch eine Barre weit vom Leibe,1)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 336. 367. 369. Das Volk glaubte, er theſaurire. ſodaß man ſehr laut reden mußte, um mit ihm zu verhandeln. — An ſeinem Hofe, dem glanzvollſten von Europa da kein burgundiſcher mehr vorhanden war, ging es äußerſt unſittlich her; der Vater gab die Tochter, der Gatte die Gattin, der Bruder die Schweſter Preis. 2)Corio, Fol. 448. Die Nachwirkungen dieſes Zuſtandes ſind beſon - ders kenntlich in den auf Mailand bezüglichen Novellen und Intro - ductionen der Bandello.Allein der Fürſt wenigſtens blieb immer thätig und fand ſich als Sohn ſeiner Thaten Denjenigen verwandt, welche ebenfalls aus eigenen geiſtigen Mitteln exiſtirten: den Gelehrten, Dichtern, Muſikern und Künſtlern. Die von ihm geſtiftete Academie3)Amoretti, memorie storiche sulla vita ecc. di Lionardo da Vinci, p. 35, s. 83, s. iſt in erſter Linie in Bezug auf ihn, nicht auf eine zu unterrichtende Schülerſchaft vorhanden; auch bedarf er nicht des Ruhmes der betreffenden Männer, ſondern ihres Umganges und ihrer Leiſtungen. Es iſt gewiß, daß Bramante am Anfang ſchmal gehalten wurde;4)S. deſſen Sonette bei Trucchi, Poesie inedite. aber Lio - nardo iſt doch bis 1496 richtig beſoldet worden — und was hielt ihn überhaupt an dieſem Hofe wenn er nicht freiwillig blieb? Die Welt ſtand ihm offen wie vielleicht überhaupt Keinem von allen damaligen Sterblichen, und wenn irgend Etwas dafür ſpricht, daß in Lodovico Moro ein höheres Element lebendig geweſen, ſo iſt es dieſer lange Aufenthalt des räthſelhaften Meiſters in ſeiner Umgebung. Wenn Lionardo ſpäter dem Ceſare Borgia und Franz I.43 gedient hat, ſo mag er auch an dieſen das außergewöhnliche1. Abſchnitt. Naturell geſchätzt haben.
Von den Söhnen des Moro, die nach ſeinem SturzDie letzten Sforza. von fremden Leuten ſchlecht erzogen waren, ſieht ihm der ältere, Maſſimiliano, gar nicht mehr ähnlich; der jüngere, Francesco, war wenigſtens des Aufſchwunges nicht unfähig. Mailand, das in dieſen Zeiten ſo viele Male die Gebieter wechſelte und dabei unendlich litt, ſucht ſich wenigſtens gegen die Reactionen zu ſichern; die im Jahre 1512 vor der ſpaniſchen Armee und Maſſimiliano abziehenden Franzoſen werden bewogen, der Stadt einen Revers darüber auszu - ſtellen, daß die Mailänder keinen Theil an ihrer Vertreibung hätten und ohne Rebellion zu begehen ſich einem neuen Eroberer übergeben dürften. 1)Prato, im Archiv. stor. III, p. 298. vgl. 302.Es iſt auch in politiſcher Beziehung zu beachten, daß die unglückliche Stadt in ſolchen Augenblicken des Ueberganges, gerade wie z. B. Neapel bei der Flucht der Aragoneſen, der Plünderung durch Rotten von Böſewichtern (auch ſehr vornehmen) anheimzufallen pflegte.
Zwei beſonders wohl geordnete und durch tüchtigeDie Gonzagen von Mantua. Fürſten vertretene Herrſchaften ſind in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts die der Gonzagen von Mantua und der Montefeltro von Urbino. Die Gonzagen waren ſchon als Familie ziemlich einträchtig; es gab bei ihnen ſeit langer Zeit keine geheimen Mordthaten und ſie durften ihre Todten zeigen. Marcheſe Francesco Gonzaga2)Geb. 1466, verlobt mit der ſechsjährigen Iſabella 1480, ſuccedirt 1484, vermählt 1490, ſt. 1519; Iſabellens Tod 1539. Ihre Söhne Federigo 1519 — 1540, zum Herzog erhoben 1530, und der berühmte Ferrante Gonzaga[.]Das Folgende aus der Correſpondenz Iſabellens, nebſt Beilagen, Archiv. stor. Append. Tom. II, mit - getheilt von d'Arco. und ſeine441. Abſchnitt. Gemahlin Iſabella von Eſte ſind, ſo locker es bisweilen hergehen mochte, ein würdevolles und einiges Ehepaar ge - blieben und haben bedeutende und glückliche Söhne erzogen in einer Zeit, da ihr kleiner, aber hochwichtiger Staat oft in der größten Gefahr ſchwebte. Daß Francesco als Fürſt und als Condottiere eine beſonders gerade und redliche Politik hätte befolgen ſollen, das würde damals weder der Kaiſer, noch die Könige von Frankreich, noch Venedig ver - langt oder gar erwartet haben, allein er fühlte ſich wenig - ſtens ſeit der Schlacht am Taro (1495), ſoweit es die Waffenehre betraf, als italieniſchen Patrioten und theilte dieſe Geſinnung auch ſeiner Gemahlin mit. Sie empfindet fortan jede Aeußerung heldenmüthiger Treue, wie z. B. die Vertheidigung von Faenza gegen Ceſare Borgia als eine Ehrenrettung Italiens. Unſer Urtheil über ſie braucht ſich nicht auf die Künſtler und Schriftſteller zu ſtützen, welche der ſchönen Fürſtin ihr Mäcenat reichlich vergalten; ihre eigenen Briefe ſchildern uns die unerſchütterlich ruhige, im Beobachten ſchalkhafte und liebenswürdige Frau hinlänglich. Bembo, Bandello, Arioſto und Bernardo Taſſo ſandten ihre Arbeiten an dieſen Hof, obſchon derſelbe klein und macht - los und die Kaſſe oft ſehr leer war; einen feinern ge - ſelligen Kreis als dieſen gab es eben ſeit der Auflöſung des alten urbinatiſchen Hofes (1508) doch nirgends mehr, und auch der ferrareſiſche war wohl hier im Weſentlichen übertroffen, nämlich in der Freiheit der Bewegung. Specielle Kennerin war Iſabella in der Kunſt, und das Verzeichniß ihrer kleinen, höchſt ausgeſuchten Sammlung wird kein Kunſtfreund ohne Bewegung leſen.
Federigo von Urbino.Urbino beſaß in dem großen Federigo (1444 — 1482), mochte er nun ein echter Montefeltro ſein oder nicht, einen der vortrefflichſten Repräſentanten des Fürſtenthums. Als Condottiere hatte er die politiſche Moralität der Condottieren, woran ſie nur zur Hälfte Schuld ſind; als Fürſt ſeines45 kleinen Landes befolgte er die Politik, ſeinen auswärts ge -1. Abſchnitt. wonnenen Sold im Lande zu verzehren und daſſelbe mög - lichſt wenig zu beſteuern. Von ihm und ſeinen beiden Nachfolgern Guidobaldo und Francesco Maria heißt es: „ ſie errichteten Gebäude, beförderten den Anbau des Landes, lebten an Ort und Stelle und beſoldeten eine Menge Leute; das Volk liebte ſie “. 1)Franc. Vettori, im Archiv. stor. Append. Tom. VI, p. 321. — Ueber Federigo insbeſondere: Vespasiano Fiorent. p. 132. s. Aber nicht nur der Staat war ein wohl berechnetes und organiſirtes Kunſtwerk, ſondern auch der Hof, und zwar in jedem Sinne. Federigo unterhieltDer vollkom - mene Hof. 500 Köpfe; die Hofchargen waren ſo vollſtändig wie kaum an den Höfen der größten Monarchen, aber es wurde nichts vergeudet, Alles hatte ſeinen Zweck und ſeine genaue Con - trole. Hier wurde nicht geſpielt, geläſtert und geprahlt, denn der Hof mußte zugleich eine militäriſche Erziehungs - anſtalt für die Söhne anderer großer Herrn darſtellen, deren Bildung eine Ehrenſache für den Herzog war. Der Palaſt, den er ſich baute, war nicht der prächtigſte, aber claſſiſch durch die Vollkommenheit ſeiner Anlage; dort ſam - melte er ſeinen größten Schatz, die berühmte Bibliothek. Da er ſich in einem Lande wo Jeder von ihm Vortheil oder Verdienſt zog und Niemand bettelte, vollkommen ſicher fühlte, ſo ging er beſtändig unbewaffnet und faſt unbegleitet; keiner konnte ihm das nachmachen, daß er in offenen Gär - ten wandelte, in offenem Sale ſein frugales Mahl hielt, während aus Livius (zur Faſtenzeit aus Andachtsſchriften) vorgeleſen wurde. An demſelben Nachmittag hörte er eine Vorleſung aus dem Gebiet des Alterthums und ging dann in das Kloſter der Clariſſen um mit der Oberin am Sprach - gitter von heiligen Dingen zu reden. Abends leitete er gerne die Leibesübungen der jungen Leute ſeines Hofes auf der Wieſe bei S. Francesco mit der herrlichen Ausſicht, und ſah genau zu, daß ſie ſich bei den Fang - und Lauf -461. Abſchnitt. ſpielen vollkommen bewegen lernten. Sein Streben ging beſtändig auf die höchſte Leutſeligkeit und Zugänglichkeit; er beſuchte die welche für ihn arbeiteten, in der Werkſtatt, gab beſtändig Audienzen, und erledigte die Anliegen der Einzelnen womöglich am gleichen Tage. Kein Wunder, daß die Leute, wenn er durch die Straßen ging, nieder - knieten und ſagten: Dio ti mantenga, Signore! Die Denkenden aber nannten ihn das Licht Italiens. 1)Castiglione, Cortigiano, L. I. —Guidobaldo. Sein Sohn Guidobaldo, bei hohen Eigenſchaften von Krank - heit und Unglück aller Art verfolgt, hat doch zuletzt (1508) ſeinen Staat in ſichere Hände, an ſeinen Neffen Francesco Maria, zugleich Nepoten des Papſtes Julius II. übergeben können, und dieſer wiederum das Land wenigſtens vor dauernder Fremdherrſchaft geborgen. Merkwürdig iſt die Sicherheit, mit welcher dieſe Fürſten, Guidobaldo vor Ce - ſare Borgia, Francesco Maria vor den Truppen Leo's X. unterducken und fliehen; ſie haben das Bewußtſein, daß ihre Rückkehr um ſo leichter und erwünſchter ſein werde, je weniger das Land durch fruchtloſe Vertheidigung gelitten hat. Wenn Lodovico Moro ebenfalls ſo rechnete, ſo vergaß er die vielen andern Gründe des Haſſes die ihm entgegen - wirkten. — Guidobaldo's Hof iſt als hohe Schule der feinſten Geſelligkeit durch Baldaſſar Caſtiglione unſterblich gemacht worden, der ſeine Ecloge Tirſi (1506) vor jenen Leuten zu ihrem Lobe aufführte, und ſpäter (1518) die Geſpräche ſeines Cortigiano in den Kreis der hochgebildeten Herzogin (Gliſabetta Gonzaga) verlegte.
Die Eſte in Ferrara. Hausgräuel.Die Regierung der Eſte in Ferrara, Modena und Reggio hält zwiſchen Gewaltſamkeit und Popularität eine merkwürdige Mitte. 2)Das Folgende beſ. nach den Annales Estenses bei Muratori, XX. und dem Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV. Im Innern des Palaſtes gehen ent -47 ſetzliche Dinge vor; eine Fürſtin wird wegen vorgeblichen1. Abſchnitt. Ehebruches mit einem Stiefſohn enthauptet (1425); eheliche und uneheliche Prinzen fliehen vom Hof und werden auch in der Fremde durch nachgeſandte Mörder bedroht (letzteres 1471); dazu beſtändige Complotte von außen; der Baſtard eines Baſtardes will dem einzig rechtmäßigen Erben (Ercole I.) die Herrſchaft entreißen; ſpäter (1493) ſoll der letztere ſeine Gemahlin vergiftet haben nachdem er erkundet, daß ſie ihn vergiften wollte, und zwar im Auftrag ihres Bruders Ferrante von Neapel. Den Schluß dieſer Tragödien macht das Complott zweier Baſtarde gegen ihre Brüder, den re - gierenden Herzog Alfons I. und den Cardinal Ippolito (1506) welches bei Zeiten entdeckt und mit lebenslänglichem Kerker gebüßt wurde. — Ferner iſt die Fiscalität in dieſem StaateFiscalität. höchſt ausgebildet und muß es ſein ſchon weil er der be - drohteſte unter allen großen und mittlern Staaten von Italien iſt und der Rüſtungen und Befeſtigungen in hohem Grade bedarf. Allerdings ſollte in gleichem Maße mit der Steuerkraft auch der natürliche Wohlſtand des Landes ge - ſteigert werden, und Marcheſe Nicolò (ſt. 1441) wünſchte ausdrücklich, daß ſeine Unterthanen reicher würden als an - dere Völker. Wenn die raſch wachſende Bevölkerung einen Beleg für den wirklich erreichten Wohlſtand abgiebt, ſo iſt es in der That ein wichtiges Factum, daß (1497) in der außerordentlich erweiterten Hauptſtadt keine Häuſer mehr zu vermiethen waren. 1)Diario Ferr. l. c. Col. 347.Ferrara iſt die erſte moderne Stadt Europa's; hier zuerſt entſtanden auf den Wink der Fürſten ſo große, regelmäßig angelegte Quartiere; hier ſammelte ſich durch Concentration der Beamtenſchaft und künſtlich herbeigezogene Induſtrie ein Reſidenzvolk; reiche Flüchtlinge aus ganz Italien, zumal Florentiner, wurden veranlaßt, ſich hier anzuſiedeln und Paläſte zu bauen. Allein die in - directe Beſteuerung wenigſtens muß einen eben nur noch481. Abſchnitt. erträglichen Grad von Ausbildung erreicht haben. Der Fürſt übte wohl eine Fürſorge, wie ſie damals auch bei andern italieniſchen Gewaltherrſchern, z. B. bei Galeazzo Maria Sforza vorkam: bei Hungersnöthen ließ er Getreide aus der Ferne kommen1)Paul. Jovius: vita Alfonsi ducis, in den viri illustres. und theilte es, wie es ſcheint, umſonſt aus; allein in gewöhnlichen Zeiten hielt er ſich ſchad - los durch das Monopol wenn nicht des Getreides doch vieler andern Lebensmittel: Salzfleiſch, Fiſche, Früchte, Ge - müſe, welche letztere auf und an den Wällen von FerraraAemterverkauf. ſorgfältig gepflanzt wurden. Die bedenklichſte Einnahme aber war die von dem Verkauf der jährlich neu beſetzten Aemter, ein Gebrauch der durch ganz Italien verbreitet war, nur daß wir über Ferrara am beſten unterrichtet ſind. Zum Neujahr 1502 heißt es z. B.: Die Meiſten kauften ihre Aemter um geſalzene Preiſe (salati); es werden Factoren verſchiedener Art, Zolleinnehmer, Domänenverwalter (mas - sarî), Notare, Podeſtàs, Richter und ſelbſt Capitani, d. h. herzogliche Oberbeamte von Landſtädten einzeln angeführt. Als einer von den „ Leutefreſſern “, welche ihr Amt theuer bezahlt haben und welche das Volk haßt „ mehr als den Teufel “, iſt Tito Strozza genannt, hoffentlich nicht der be - rühmte lateiniſche Dichter. Um dieſelbe Jahreszeit pflegte der jeweilige Herzog in Perſon eine Runde durch Ferrara zu machen, das ſog. Andar per ventura, wobei er ſich wenigſtens von den Wohlhabendern beſchenken ließ. Doch wurde dabei kein Geld, ſondern nur Naturalien geſpendet.
Ordnung und Berechnung.Der Stolz des Herzogs2)Paul. Jovius l. c. war es nun, wenn man in ganz Italien wußte, daß in Ferrara den Soldaten ihr Sold, den Profeſſoren der Univerſität ihr Gehalt immer auf den Tag ausbezahlt wurde, daß die Soldaten ſich nie - mals eigenmächtig am Bürger und Landmann erholen durften, daß Ferrara uneinnehmbar ſei und daß im Caſtell49 eine gewaltige Summe gemünzten Geldes liege. Von einer1. Abſchnitt. Scheidung der Kaſſen war keine Rede; der Finanzminiſter war zugleich Hausminiſter. Die Bauten des Borſo (1450 — 1471) Ercole I. (bis 1505) und Alfons I. (bis 1534) waren ſehr zahlreich, aber meiſt von geringem Umfang; man er - kennt darin ein Fürſtenhaus, das bei aller Prachtliebe — Borſo erſchien nie anders als in Goldſtoff und Juwelen — ſich auf keine unberechenbare Ausgabe einlaſſen will. Alfonſo mag von ſeinen zierlichen kleinen Villen ohnehin gewußt haben, daß ſie den Ereigniſſen unterliegen würden, Belvedere mit ſeinen ſchattigen Gärten, wie Montana mit den ſchönen Fresken und Springbrunnen.
Die dauernd bedrohte Lage entwickelte in dieſen FürſtenAusbildung der Perſönlichkeit. unläugbar eine große perſönliche Tüchtigkeit; in einer ſo künſtlichen Exiſtenz konnte ſich nur ein Virtuoſe mit Erfolg bewegen, und Jeder mußte ſich rechtfertigen und erweiſen als den der die Herrſchaft verdiene. Ihre Charactere haben ſämmtlich große Schattenſeiten, aber in Jedem war etwas von dem was das Ideal der Italiener ausmachte. Welcher Fürſt des damaligen Europa's hat ſich ſo ſehr um die eigene Ausbildung bemüht wie z. B. Alfonſo I.? Seine Reiſe nach Frankreich, England und den Niederlanden war eine eigentliche Studienreiſe, die ihm eine genauere Kennt - niß von Handel und Gewerben jener Länder eintrug. 1)Bei dieſem Anlaß mag auch die Reiſe Leo's X. als Cardinal er - wähnt werden. Vgl. Paul. Jovii vita Leonis X, Lib. I. Die Abſicht war minder ernſt, mehr auf Zerſtreuung und allgemeine Welt - kenntniß gerichtet, übrigens völlig modern. Kein Nordländer reiſte damals weſentlich zu ſolchen Zwecken.Es iſt thöricht, ihm die Drechslerarbeit ſeiner Erholungs - ſtunden vorzuwerfen, da ſie mit ſeiner Meiſterſchaft im Kanonengießen und mit ſeiner vorurtheilsloſen Art, die Meiſter jedes Faches um ſich zu haben, zuſammenhing. Die italieniſchen Fürſten ſind nicht wie die gleichzeitigen nordiſchenCultur der Renaiſſance. 4501. Abſchnitt. auf den Umgang mit einem Adel angewieſen, der ſich für die einzige beachtenswerthe Claſſe der Welt hält und auch den Fürſten in dieſen Dünkel hineinzieht; hier darf und muß der Fürſt Jeden kennen und brauchen, und ebenſo iſt auch der Adel zwar der Geburt nach abgeſchloſſen, aber in geſelliger Beziehung durchaus auf perſönliche, nicht auf Kaſten-Geltung gerichtet, wovon unten weiter zu handeln ſein wird.
Loyalität.Die Stimmung der Ferrareſen gegen dieſes Herrſcher - haus iſt die merkwürdigſte Miſchung aus einem ſtillen Grauen, aus jenem echtitalieniſchen Geiſt der wohlausge - ſonnenen Demonſtration, und aus völlig moderner Unter - thanenloyalität; die perſönliche Bewunderung ſchlägt in ein neues Pflichtgefühl um. Die Stadt Ferrara ſetzte 1451 dem (1441) verſtorbenen Fürſten Nicolò eine eherne Reiter - ſtatue auf der Piazza; Borſo genirte ſich (1454) nicht, ſeine eigene ſitzende Bronzeſtatue in die Nähe zu ſetzen, und über - dieß decretirte ihm die Stadt gleich am Anfang ſeiner Re - gierung eine „ marmorne Triumphſäule “. Ein Ferrareſe, der im Auslande, in Venedig, über Borſo öffentlich ſchlecht geredet, wird bei der Heimkehr denuncirt und vom Gericht zu Verbannung und Gütereinziehung verurtheilt, ja beinahe hätte ihn ein loyaler Bürger vor dem Tribunal niederge - ſtoßen; mit dem Strick um den Hals geht er zum Herzog,Polizei und Be - amtencontrole. und erfleht völlige Verzeihung. Ueberhaupt iſt dieß Fürſten - thum mit Spähern gut verſehen, und der Herzog in Perſon prüft täglich den Fremdenrapport, auf welchen die Wirthe ſtreng verpflichtet ſind. Bei Borſo1)Jovian. Pontan. de liberalitate. wird dieß noch in Verbindung gebracht mit ſeiner Gaſtfreundſchaft, die keinen bedeutenden Reiſenden ungeehrt wollte ziehen laſſen; für Ercole I.2)Giraldi, Hecatommithi, VI, Nov. 1. dagegen war es reine Sicherheitsmaßregel. Auch in Bologna mußte damals, unter Giovanni II. Bentivoglio,51 jeder durchpaſſirende Fremde an dem einen Thor einen1. Abſchnitt. Zettel löſen um wieder zum andern hinauszudürfen. 1)Vasari XII, 166, v. di Michelangelo. — Höchſt populär wird der Fürſt, wenn er drückende Beamte plötzlich zu Boden ſchmettert, wenn Borſo ſeine erſten und geheimſten Räthe in Perſon verhaftet, wenn Ercole I. einen Einnehmer, der ſich lange Jahre hindurch vollgeſogen, mit Schanden abſetzt; da zündet das Volk Freudenfeuer an und läutet die Glocken. Mit Einem ließ es aber Ercole zu weit kommen, mit ſeinem Polizeidirector oder wie man ihn nennen will (capitaneo di giustizia) Gregorio Zampante aus Lucca (denn für Stellen dieſer Art eignete ſich kein Einheimiſcher). Selbſt die Söhne und Brüder des Herzogs zitterten vor demſelben; ſeine Bußen gingen immer in die Hunderte und Tauſende von Ducaten und die Tortur be - gann ſchon vor dem Verhör. Von den größten Verbrechern ließ er ſich beſtechen und verſchaffte ihnen durch Lügen die herzogliche Begnadigung. Wie gerne hätten die Unterthanen dem Herzog 10,000 Ducaten und drüber bezahlt, wenn er dieſen Feind Gottes und der Welt caſſirt hätte! Aber Er - cole hatte ihn zu ſeinem Gevatter und zum Cavaliere ge - macht, und der Zampante legte Jahr um Jahr 2000 Du - caten bei Seite; freilich aß er nur noch Tauben, die im Hauſe gezogen wurden und ging nicht mehr über die Gaſſe ohne eine Schaar von Armbruſtſchützen und Sbirren. Es wäre Zeit geweſen, ihn zu beſeitigen; da machten ihn (1496) zwei Studenten und ein getaufter Jude, die er tödtlich be - leidigt, in ſeinem Hauſe während der Sieſta nieder und ritten auf bereit gehaltenen Pferden durch die Stadt, ſin - gend: „ Heraus, Leute, laufet! wir haben den Zampante umgebracht. “ Die nachgeſandte Mannſchaft kam zu ſpät, als ſie bereits über die nahe Gränze in Sicherheit gelangtTheilnahme des Publicums an der Trauer der Fürſten. waren. Natürlich regnete es nun Pasquille, die einen als Sonette, die andern als Canzonen. — Andererſeits iſt es4*521. Abſchnitt. ganz im Geiſte dieſes Fürſtenthums, daß der Souverän ſeine Hochachtung vor nützlichen Dienern auch dem Hof und der Bevölkerung dictirt. Als 1469 Borſo's Geheim - rath Lodovico Caſella ſtarb, durfte am Begräbnißtage kein Tribunal und keine Bude in der Stadt und kein Hörſaal in der Univerſität offen ſtehen; Jedermann ſollte die Leiche nach S. Domenico begleiten, weil auch der Herzog mitziehen würde. In der That ſchritt er — „ der erſte vom Haus Eſte, der einem Unterthan an die Leiche gegangen “— in ſchwarzem Gewande weinend hinter dem Sarge her, hinter ihm je ein Verwandter Caſella's von einem Herrn vom Hof geführt; Adliche trugen dann die Leiche des Bürger - lichen aus der Kirche in den Kreuzgang, wo ſie beigeſetzt wurde. Ueberhaupt iſt das officielle Mitempfinden fürſt - licher Gemüthsbewegungen zuerſt in dieſen italieniſchen Staaten aufgekommen. 1)Ein frühes Beiſpiel, Bernabò Visconti, S. 11.Der Kern hievon mag ſeinen ſchönen menſch - lichen Werth haben, die Aeußerung, zumal bei den Dichtern, iſt in der Regel zweideutig. Eines der Jugendgedichte Arioſto's,2)Als Capitolo 19, und in den opere minori, ed. Lemonnier, Vol. I, p.[]245 als Elegia 17 betitelt. Ohne Zweifel war dem 19jährigen Dichter die Urſache dieſes Todesfalles (S. 47) nicht bekannt. auf den Tod der Lianora von Aragon, Ge - mahlin des Ercole I., enthält, außer den unvermeidlichen Trauerblumen wie ſie in allen Jahrhunderten geſpendet werden, ſchon einige völlig moderne Züge: „ dieſer Todes - fall habe Ferrara einen Schlag verſetzt, den es in vielen Jahren nicht verwinden werde; ſeine Wohlthäterin ſei jetzt Fürbitterin im Himmel geworden, da die Erde ihrer nicht würdig geweſen; freilich, die Todesgöttin ſei ihr nicht wie uns gemeinen Sterblichen mit blutiger Senſe genaht, ſon - dern geziemend (onesta) und mit ſo freundlichem Antlitz,Verherrlichung fürſtlicher Lieb - ſchaften. daß jede Furcht verſchwand. “ Aber wir treffen noch auf ganz andere Mitgefühle; Novelliſten, welchen an der Gunſt der betreffenden Häuſer alles liegen mußte und welche auf53 dieſe Gunſt rechnen, erzählen uns die Liebesgeſchichten der1. Abſchnitt. Fürſten zum Theil bei deren Lebzeiten,1)In den Hecatommithi des Giraldi handeln I, Nov. 8 und VI, Nov. 1, 2, 3, 4 und 10 von Ercole I, Alfonſo I, und Ercole II, Alles verfaßt bei Lebzeiten der beiden letztern — Vieles über fürſtliche Zeitgenoſſen auch im Bandello. in einer Weiſe die ſpätern Jahrhunderten als der Gipfel aller Indiscretion, damals als harmloſe Verbindlichkeit erſchien. Ja lyriſche Dichter bedichteten die beiläufigen Paſſionen ihrer hohen, dabei legitim vermählten Herrn, Angelo Poliziano die des Lorenzo magnifico, und mit beſonderem Accent Gioviano Pontano die des Alfonſo von Calabrien. Das betreffende Gedicht2)U. a. in den Deliciæ poetar. italor. verräth wider Willen die ſcheußliche Seele des Aragoneſen; er muß auch in dieſem Gebiete der Glücklichſte ſein, ſonſt wehe denen die glücklicher wären! — Daß die größten Maler, z. B. Lionardo, die Maitreſſen ihrer Herrn malten, verſteht ſich von ſelbſt.
Das eſtenſiſche Fürſtenthum wartete aber nicht dieDer Pomp der Eſte. Verherrlichung durch Andere ab, ſondern es verherrlichte ſich ſelbſt. Borſo ließ ſich im Palazzo Schifanoja in einer Reihe von Regentenhandlungen abmalen und Ercole feierte (zuerſt 1472) den Jahrestag ſeines Regierungsantrittes mit einer Proceſſion welche ausdrücklich mit der des Frohn - leichnamsfeſtes verglichen wird; alle Buden waren geſchloſſen wie an einem Sonntag; mitten im Zuge marſchirten alle vom