PRIMS Full-text transcription (HTML)
Die Cultur der Renaiſſance in Italien.
Ein Verſuch
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Baſel,Druck und Verlag der Schweighauſer'ſchen Verlagsbuchhandlung.1860.

Luigi Picchioni zum ſiebenundſiebzigſten Geburtstag gewidmet.

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Erſter Abſchnitt. Der Staat als Kunſtwerk.

Im wahren Sinne des Wortes führt dieſe Schrift denVorbemer - kung. Titel eines bloßen Verſuches, und der Verfaſſer iſt ſich deutlich genug bewußt, daß er mit ſehr mäßigen Mitteln und Kräften ſich einer überaus großen Aufgabe unterzogen hat. Aber auch wenn er mit ſtärkerer Zuverſicht auf ſeine Forſchung hinblicken könnte, ſo wäre ihm der Beifall der Kenner kaum ſicherer. Die geiſtigen Umriſſe einer Cultur - epoche geben vielleicht für jedes Auge ein verſchiedenes Bild, und wenn es ſich vollends um eine Civiliſation handelt, welche als nächſte Mutter der unſrigen noch jetzt fortwirkt, ſo muß ſich das ſubjektive Urtheilen und Empfinden jeden Augenblick beim Darſteller wie beim Leſer einmiſchen. Auf dem weiten Meere in welches wir uns hinauswagen, ſind der möglichen Wege und Richtungen viele, und leicht könnten dieſelben Studien, welche für dieſe Arbeit gemacht wurden, unter den Händen eines Andern nicht nur eine ganz andere Benützung und Behandlung erfahren, ſondern auch zu weſentlich verſchiedenen Schlüſſen Anlaß geben. Der Gegen - ſtand an ſich wäre wichtig genug, um noch viele Bearbei - tungen wünſchbar zu machen, Forſcher der verſchiedenſten Standpuncte zum Reden aufzufordern. Einſtweilen ſind wir zufrieden, wenn uns ein geduldiges Gehör gewährt und dieſes Buch als ein Ganzes aufgefaßt wird. Es iſt die weſentlichſte Schwierigkeit der Culturgeſchichte, daß ſieCultur der Renaiſſance. 121. Abſchnitt. ein großes geiſtiges Continuum in einzelne ſcheinbar oft willkürliche Categorien zerlegen muß, um es nur irgendwie zur Darſtellung zu bringen. Der größten Lücke des Buches gedenken wir in einiger Zeit durch ein beſonderes Werk über die Kunſt der Renaiſſance abzuhelfen.

Politiſcher Zu - ſtand im XIII. Jahrh.Der Kampf zwiſchen den Päpſten und den Hohenſtaufen hinterließ zuletzt Italien in einem politiſchen Zuſtande, welcher von dem des übrigen Abendlandes in den weſent - lichſten Dingen abwich. Wenn in Frankreich, Spanien, England das Lehnsſyſtem ſo geartet war, daß es nach Ab - lauf ſeiner Lebenszeit dem monarchiſchen Einheitsſtaat in die Arme fallen mußte, wenn es in Deutſchland wenigſtens die Einheit des Reiches äußerlich feſthalten half, ſo hatte Italien ſich ihm faſt völlig entzogen. Die Kaiſer des XIV. Jahrhunderts wurden im günſtigſten Falle nicht mehr als Oberlehnsherrn, ſondern als mögliche Häupter und Verſtärkungen ſchon vorhandener Mächte empfangen und geachtet; das Papſtthum aber mit ſeinen Creaturen und Stützpunkten war gerade ſtark genug, jede künftige Einheit zu verhindern ohne doch ſelbſt eine ſchaffen zu können. 1)Macchiavelli, Discorsi L. I. c. 12. Die nothwen - dige Vielheit.Zwiſchen den beiden waren eine Menge politiſcher Geſtal - tungen Städte und Gewaltherrſcher theils ſchon vor - handen theils neu emporgekommen, deren Daſein rein that - ſächlicher Art war. 2)Die Herrſchenden und ihr Anhang heißen zuſammen lo stato, und dieſer Name durfte dann die Bedeutung des geſammten Daſeins eines Territoriums uſurpiren.In ihnen erſcheint der moderne europäiſche Staatsgeiſt zum erſtenmal frei ſeinen eigenen Antrieben hingegeben; ſie zeigen oft genug die feſſelloſe Selbſtſucht in ihren furchtbarſten Zügen, jedes Recht ver - höhnend, jede geſunde Bildung im Keim erſtickend; aber3 wo dieſe Richtung überwunden oder irgendwie aufgewogen1. Abſchnitt. wird, da tritt ein neues Lebendiges in die Geſchichte: Der Staat als berechnete, bewußte Schöpfung, als Kunſtwerk. In den Stadtrepubliken wie in den Tyrannenſtaaten prägt ſich dieß Leben hundertfältig aus, und beſtimmt ihre innere Geſtalt ſowohl als ihre Politik nach außen. Wir begnügen uns mit der Betrachtung des vollſtändigern, deutlicher aus - geſprochenen Typus deſſelben in den Tyrannenſtaaten.

Der innere Zuſtand der von Gewaltherrſchern regiertenDer Staat Friedrichs II. Territorien hatte ein berühmtes Vorbild an dem Norman - nenreiche von Unteritalien und Sicilien, wie Kaiſer Frie - drich II. es umgeſtaltet hatte. 1)Höfler: Kaiſer Friedrich II., S. 39 u. ff.Aufgewachſen unter Ver - rath und Gefahr in der Nähe von Saracenen, hatte er ſich frühe gewöhnt an eine völlig objective Beurtheilung und Behandlung der Dinge, der erſte moderne Menſch auf dem Throne. Dazu kam eine nahe, vertraute Kenntniß von dem Innern der ſaraceniſchen Staaten und ihrer Verwal - tung, und jener Exiſtenzkrieg mit den Päpſten, welcher beide Parteien nöthigte, alle denkbaren Kräfte und Mittel auf den Kampfplatz zu führen. Friedrichs Verordnungen (beſonders ſeit 1231) laufen auf die völlige Zernichtung des Lehnſtaates, auf die Verwandlung des Volkes in eine willenloſe, unbewaffnete, im höchſten Grade ſteuerfähige Maſſe hinaus. Er centraliſirte die ganze richterliche Ge - walt und die Verwaltung in einer bisher für das Abend - land unerhörten Weiſe; kein Amt mehr durfte durch Volks - wahl beſetzt werden, bei Strafe der Verwüſtung des betref - fenden Ortes und Degradation der Bürger zu Hörigen. Die Steuern, beruhend auf einem umfaſſenden KataſterMohammeda - niſche Einwir - kung. und auf mohammedaniſcher Routine, wurden beigetrieben mit jener quäleriſchen und grauſamen Art, ohne welche1*41. Abſchnitt. man dem Orientalen freilich kein Geld aus den Händen bringt. Hier iſt kein Volk mehr, ſondern ein controlirbarer Haufe von Unterthanen, die z. B. ohne beſondere Erlaubniß nicht auswärts heirathen und unbedingt nicht auswärts ſtudiren durften; die Univerſität Neapel übte den frühſten bekannten Studienzwang, während der Orient ſeine Leute wenigſtens in dieſen Dingen frei ließ. Echt mohammedaniſch dagegen war es wiederum, daß Friedrich nach dem ganzen Mittelmeer eige - nen Handel trieb, viele Gegenſtände ſich vorbehielt und den Handel der Unterthanen hemmte. Die fatimidiſchen Khalifen mit ihrer Geheimlehre des Unglaubens waren (wenigſtens Anfangs) tolerant geweſen gegen die Religionen ihrer Unter - thanen; Friedrich dagegen krönt ſein Regierungsſyſtem durch eine Ketzerinquiſition, die nur um ſo ſchuldvoller erſcheint, wenn man annimmt, er habe in den Ketzern die Vertreter frei - ſinnigen ſtädtiſchen Lebens verfolgt. Als Polizeimannſchaft im Innern und als Kern der Armee nach außen dienten ihm endlich jene aus Sicilien nach Luceria und nach No - cera übergeſiedelten Saracenen, welche gegen allen Jammer taub und gegen den kirchlichen Bann gleichgültig waren. Die Unterthanen, der Waffen entwöhnt, ließen ſpäter den Sturz Manfreds und die Beſitznahme des Anjou leicht und willenlos über ſich ergehen; letzterer aber erbte dieſen Re - gierungsmechanismus und benützte ihn weiter.

Die Herrſchaft Ezzelino's.Neben dem centraliſirenden Kaiſer tritt ein Uſurpator der eigenthümlichſten Art auf: ſein Vicarius und Schwieger - ſohn Ezzelino da Romano. Er repräſentirt kein Regierungs - und Verwaltungsſyſtem, da ſeine Thätigkeit in lauter Kämpfen um die Herrſchaft im öſtlichen Oberitalien aufging, allein er iſt als politiſches Vorbild für die Folgezeit nicht minder wichtig als ſein kaiſerlicher Beſchützer. Alle bisherige Eroberung und Uſurpation des Mittelalters war entweder auf wirk - liche oder vorgegebene Erbſchaft und andere Rechte hin oder gegen die Ungläubigen oder Excommunicirten voll - bracht worden. Hier zum erſtenmal wird die Gründung5 eines Thrones verſucht durch Maſſenmord und endloſe1. Abſchnitt. Scheußlichkeiten, d. h. durch Aufwand aller Mittel mit alleiniger Rückſicht auf den Zweck. Keiner der Spätern hat den Ezzelino an Coloſſalität des Verbrechens irgendwie erreicht, auch Ceſare Borgia nicht, aber das Beiſpiel war gegeben, und Ezzelino's Sturz war für die Völker keine Herſtellung der Gerechtigkeit und für künftige Frevler keine Warnung.

Umſonſt ſtellte in einer ſolchen Zeit S. Thomas vonEinfluß Frie - drichs und Ezzelino's. Aquino, der geborene Unterthan Friedrichs, die Theorie einer conſtitutionellen Herrſchaft auf, wo der Fürſt durch ein von ihm ernanntes Oberhaus und eine vom Volk ge - wählte Repräſentation unterſtützt gedacht wird. Dergleichen verhallte in den Hörſälen, und Friedrich und Ezzelino waren und blieben für Italien die größten politiſchen Erſcheinungen des XIII. Jahrhunderts. Ihr Bild, ſchon halb fabelhaft wiedergeſpiegelt, iſt der wichtigſte Inhalt der hundert alten Novellen , deren urſprüngliche Redaction gewiß noch in dieß Jahrhundert fällt. 1)Cento novelle antiche, Nov. 1, 6, 20, 21, 22, 23, 29, 30, 45, 56, 83, 88, 98. Ezzelino wird hier bereits mit einer ſcheuen Ehrfurcht geſchildert, welche der Niederſchlag jedes ganz großen Eindruckes iſt. Eine ganze Literatur, von der Chronik der Augenzeugen bis zur halbmythologiſchen Tragödie, ſchloß ſich an ſeine Perſon an. 2)Scardeonius, de urbis Patav. antiqu., im Theſaurus des Grä - vius VI., III., p. 259.

Die größern und kleinern Gewaltherrſchaften desHerrſcher des XIV. Jahrh. XIV. Jahrhunderts verrathen es häufig genug, daß Ein - drücke dieſer Art nicht verloren waren. Ihre Miſſethaten ſchrien laut und die Geſchichte hat ſie umſtändlich verzeich -61. Abſchnitt. net, aber als ganz auf ſich ſelbſt geſtellte und danach orga - niſirte Staaten haben ſie immerhin ein höheres Intereſſe.

Die bewußte Berechnung aller Mittel, wovon kein da - maliger außeritaliſcher Fürſt eine Idee hatte, verbunden mit einer innerhalb der Staatsgrenzen faſt abſoluten Macht - vollkommenheit, brachte hier ganz beſondere Menſchen und Lebensformen hervor. 1)Sismondi, hist. des rép. italiennes, IV, p. 420; VIII, p. 1. s. Das Hauptgeheimniß der Herr - ſchaft lag für die weiſern Tyrannen darin, daß ſie dieFinanzen. Steuern möglichſt ſo ließen, wie ſie dieſelben angetroffen oder am Anfang eingerichtet hatten: eine Grundſteuer, ba - ſirt auf einen Kataſter; beſtimmte Conſumoſteuern, und Zölle auf Ein - und Ausfuhr, wozu noch die Einnahmen von dem Privatvermögen des herrſchenden Hauſes kamen; die einzige mögliche Steigerung hing ab von der Zunahme des allgemeinen Wohlſtandes und Verkehres. Von Anleihen, wie ſie in den Städten vorkamen, war hier nicht die Rede; eher erlaubte man ſich hier und da einen wohlberechneten Gewaltſtreich, vorausgeſetzt daß er den ganzen Zuſtand unerſchüttert ließ, wie z. B. die echt ſultaniſche Abſetzung und Ausplünderung des oberſten Finanzbeamten. 2)Franco Sacchetti, novelle. (61, 62)[. ]

Mit dieſen Einkünften ſuchte man auszureichen umDer Hof. den kleinen Hof, die Leibwache, die geworbene Mannſchaft, die Bauten und die Spaßmacher ſowohl als die Leute von Talent zu bezahlen, die zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gehörten. Die Illegitimität, von dauernden Gefahren umſchwebt, vereinſamt den Herrſcher; das ehren - vollſte Bündniß, welches er nur irgend ſchließen kann, iſt das mit der höhern geiſtigen Begabung, ohne Rückſicht auf die Herkunft. Die Liberalität (Miltekeit) der nordiſchen Fürſten des XIII. Jahrhunderts hatte ſich auf die Ritter, auf das dienende und ſingende Adelsvolk beſchränkt. Anders7 der monumental geſinnte, ruhmbegierige italieniſche Tyrann,1. Abſchnitt. der das Talent als ſolches braucht. Mit dem Dichter oder Gelehrten zuſammen fühlt er ſich auf einem neuen Boden, ja faſt im Beſitz einer neuen Legitimität.

Weltbekannt iſt in dieſer Beziehung der Gewaltherrſcher von Verona, Can Grande della Scala, welcher in den aus - gezeichneten Verbannten an ſeinem Hofe ein ganzes Italien beiſammen unterhielt. Die Schriftſteller waren dankbar; Petrarca, deſſen Beſuche an dieſen Höfen ſo ſtrenge Tadler gefunden haben, ſchilderte das ideale Bild eines FürſtenDas damalige Ideal des Herrſchers. des XIV. Jahrhunderts. 1)Petrarca, de rep. optime administranda, ad Franc. Carraram. (Opera, p. 372, s.) Er verlangt von ſeinem Adreſſa - ten dem Herrn von Padua Vieles und Großes, aber auf eine Weiſe als traute er es ihm zu. Du mußt nicht Herr deiner Bürger, ſondern Vater des Vaterlandes ſein und jene wie deine Kinder lieben,2)Erſt hundert Jahre ſpäter wird dann auch die Fürſtinn zur Landes - mutter. Vgl. Hieron. Crivelli's Leichenrede auf Bianca Maria Visconti, bei Muratori, XXV, Col. 429. Eine ſpöttiſche Ueber - tragung hievon iſt es, wenn eine Schweſter Papſt Sixtus IV. bei Jac. Volaterranus (Murat. XXIII. Col. 109) mater ecclesiae genannt wird. ja wie Glieder deines Leibes. Waffen, Trabanten und Söldner magſt du gegen die Feinde wenden gegen deine Bürger kommſt du mit dem bloßen Wohlwollen aus; freilich meine ich nur die Bürger welche das Beſtehende lieben, denn wer täglich auf Veränderungen ſinnt, der iſt ein Rebell und Staatsfeind und gegen ſolche mag ſtrenge Gerechtigkeit walten! Im Einzelnen folgt nun die echt moderne Fiction der Staats - allmacht; der Fürſt ſoll für Alles ſorgen, Kirchen und öffentliche Gebäude herſtellen und unterhalten, die Gaſſen - polizei aufrecht halten,3)Mit dem beiläufigen Wunſch, es möchte das Lagern der Schweine in den Gaſſen von Padua verboten werden, da der Anblick an ſich unerfreulich ſei und die Pferde davon ſcheu würden. Sümpfe austrocknen, über Wein81. Abſchnitt. und Getreide wachen, die Steuern gerecht vertheilen, Hülf - loſe und Kranke unterſtützen, und ausgezeichneten Gelehrten ſeinen Schutz und Umgang widmen, indem dieſelben für ſeinen Nachruhm ſorgen würden.

Gefahren der Tyrannis.Aber welches auch die allgemeinen Lichtſeiten und die Verdienſte Einzelner geweſen ſein mögen, ſo erkannte oder ahnte doch ſchon das XIV. Jahrhundert die geringe Dauer, die Garantieloſigkeit der meiſten dieſer Tyrannien. Da aus innern Gründen politiſche Verfaſſungen wie dieſe genau um ſo viel haltbarer ſind als das Gebiet größer iſt, ſo waren die mächtigern Gewaltherrſchaften ſtets geneigt, die kleinern zu verſchlingen. Welche Hekatombe kleiner Herrſcher iſt nur allein den Visconti in dieſer Zeit geopfert worden! Dieſer äußern Gefahr aber entſprach gewiß faſt jedesmal eine innere Gährung, und die Rückwirkung dieſer Lage auf das Gemüth des Herrſchers mußte in den meiſten Fällen überaus verderblich ſein. Die falſche Allmacht, die Auf - forderung zum Genuß und zu jeder Art von Selbſtſucht von der einen, die Feinde und Verſchwörer von der andern Seite machten ihn faſt unvermeidlich zum Tyrannen im übeln Sinne. Wäre nur wenigſtens den eigenen nächſten Blutsverwandten zu trauen geweſen! Allein wo Alles ille -Mangelhaftes Erbrecht. gitim war, da konnte ſich auch kein feſtes Erbrecht, weder für die Succeſſion in der Herrſchaft noch für die Theilung der Güter bilden, und vollends in drohenden Augenblicken ſchob den unmündigen oder untüchtigen Fürſtenſohn ein entſchloſſener Vetter oder Oheim bei Seite, im Intereſſe des Hauſes ſelbſt. Auch über Ausſchluß oder Anerkennung der Baſtarde war beſtändiger Streit. So kam es, daß eine ganze Anzahl dieſer Familien mit unzufriedenen, rach - ſüchtigen Verwandten heimgeſucht waren; ein Verhältniß das nicht eben ſelten in offenen Verrath und in wilden Familienmord ausbrach. Andere, als Flüchtlinge auswärts lebend, faſſen ſich in Geduld und behandeln auch dieſe Sachlage objectiv, wie z. B. jener Visconti, der am Garda -9 ſee Fiſchnetze auswarf;1)Petrarca, rerum memorandar. liber III. p. 460. Es iſt wahrſcheinlich Matteo II. Visconti und der damals in Mailand herrſchende Erzbiſchof Giovanni Visconti gemeint, um 1354. der Bote ſeines Gegners fragte1. Abſchnitt. ihn ganz direct: wann er wieder nach Mailand zurückzukehren gedenke? und erhielt die Antwort: nicht eher als bis die Schandthaten Jenes über meine Verbrechen das Ueber - gewicht erlangt haben werden . Bisweilen opfern auch die Verwandten den regierenden Herrn der allzuſehr beleidigten öffentlichen Moral, um dadurch das Geſammthaus zu retten. 2)Matteo Villani, V, 81: die geheime Ermordung deſſelben Matteo II. Visconti durch ſeine Brüder.Hie und da ruht die Herrſchaft noch ſo auf der Geſammtfamilie, daß das Haupt an deren Beirath gebun - den iſt; auch in dieſem Falle veranlaßte die Theilung des Beſitzes und des Einfluſſes leicht den bitterſten Hader.

Bei den damaligen florentiniſchen Autoren begegnetDer Pomp. man einem durchgehenden tiefen Haß gegen dieſes ganze Weſen. Schon das pomphafte Aufziehen, das Prachtcoſtüm, wodurch die Gewaltherrſcher vielleicht weniger ihrer Eitel - keit Genüge thun als vielmehr Eindruck auf die Phantaſie des Volkes machen wollten, erweckt ihren ganzen Sarcas - mus. Wehe wenn ihnen gar ein Emporkömmling in die Hände fällt wie der neugebackene Doge Agnello von Piſa (1364), der mit dem goldenen Scepter auszureiten pflegte und ſich dann wieder zu Hauſe am Fenſter zeigte wie man Reliquien zeigt , auf Teppich und Kiſſen von Goldſtoff ge - lehnt; knieend mußte man ihn bedienen wie einen Papſt oder Kaiſer. 3)Filippo Villani, istorie XI, 101. Auch Petrarca findet die Tyrannen geputzt wie Altäre an Feſttagen . Den antiken Triumphzug des Caſtracane in Lucca findet man umſtändlich be - ſchrieben in deſſen Leben von Tegrimo, bei Murat. XI, Col. 1340. Oefter aber reden dieſe alten Florentiner101. Abſchnitt. in einem erhabenen Ernſt. Dante1)De vulgari eloquio, I, c. 12: qui non heroico more, sed plebeo sequuntur superbiam etc. erkennt und benenntAbſcheu der Florentiner. vortrefflich das Unadliche, Gemeinverſtändige der neufürſt - lichen Hab - und Herrſchgier. Was tönen ihre Poſaunen, Schellen, Hörner und Flöten anders als: herbei zu uns, ihr Henker! ihr Raubvögel! Man malt ſich die Burg des Tyrannen hoch und iſolirt, voller Kerker und Lauſch - röhren,2)Dieß zwar erſt in Schriften des XV. Jahrh., aber gewiß nach frühern Phantaſien: L. B. Alberti, de re aedif. V, 3. Franc. di Giorgio, Trattato, bei Della Valle, Lettere sanesi, III., 121. als einen Aufenthalt der Bosheit und des Elends. Andere weiſſagen Jedem Unglück, der in Tyrannendienſte gehe3)Franco Sacchetti, Nov. 61. und bejammern am Ende den Tyrannen ſelbſt, wel - cher unvermeidlich der Feind aller Guten und Tüchtigen ſei, ſich auf Niemanden verlaſſen dürfe, und den Unter - thanen die Erwartung ſeines Sturzes auf dem Geſicht leſen könne. So wie die Tyrannien entſtehen, wachſen und ſich befeſtigen, ſo wächſt auch in ihrem Innern verborgen der Stoff mit, welcher ihnen Verwirrung und Untergang bringen muß. 4)Matteo Villani, VI, 1. Der tiefſte Gegenſatz wird nicht deutlich her - vorgehoben: Florenz war damals mit der reichſten Ent - wicklung der Individualitäten beſchäftigt, während die Ge - waltherrſcher keine andere Individualität gelten und gewähren ließen als die ihrige und die ihrer nächſten Diener. War doch die Controle des einzelnen Menſchen bis auf's Paß - weſen herab ſchon völlig durchgeführt. 5)Das Paßbureau von Padua um die Mitte des XIV. Jahrh. als quelli delle bullette bezeichnet bei Franco Sacchetti, Nov. 117. In den letzten zehn Jahren Friedrichs II., als die perſönlichſte Con - trole herrſchte, muß das Paßweſen ſchon ſehr ausgebildet geweſen ſein.

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Das Unheimliche und Gottverlaſſene dieſer Exiſtenz1. Abſchnitt. bekam in den Gedanken der Zeitgenoſſen noch eine beſondere Farbe durch den notoriſchen Sternglauben und Unglauben mancher Herrſcher. Als der letzte Carrara in ſeinem peſt - verödeten Padua (1405) die Mauern und Thore nicht mehr beſetzen konnte, während die Venezianer die Stadt umzingel - ten, hörten ihn ſeine Leibwachen oft des Nachts dem Teufel rufen: er möge ihn tödten!

Die vollſtändigſte und belehrendſte Ausbildung dieſerDie Visconti; Bernabò. Tyrannis des XIV. Jahrhunderts findet ſich wohl unſtreitig bei den Visconti in Mailand, von dem Tode des Erz - biſchofs Giovanni (1354) an. Gleich meldet ſich in Ber - nabò ganz unverkennbar eine Familienähnlichkeit mit den ſchrecklichſten römiſchen Imperatoren;1)Corio, Storia di Milano, Fol. 247, s. der wichtigſte Staats - zweck iſt die Eberjagd des Fürſten; wer ihm darein greift, wird martervoll hingerichtet; das zitternde Volk muß ihm 5000 Jagdhunde füttern, unter der ſchärfſten Verantwort - lichkeit für deren Wohlbefinden. Die Steuern werden mit allen denkbaren Zwangsmitteln emporgetrieben, ſieben Töch - ter jede mit 100,000 Goldgulden ausgeſtattet und ein enormer Schatz geſammelt. Beim Tode ſeiner Gemahlinn (1384) erſchien eine Notification an die Unterthanen , ſie ſollten, wie ſonſt die Freude, ſo jetzt das Leid mit ihm theilen und ein Jahr lang Trauer tragen. Unvergleich - lich bezeichnend iſt dann der Handſtreich, womit ihn ſein Neffe Giangaleazzo (1385) in ſeine Gewalt bekam, eines jener gelungenen Complotte, bei deren Schilderung noch ſpäten Geſchichtſchreibern das Herz ſchlägt. 2)Auch z. B. dem Paolo Giovio. Viri illustres, Jo. Galeatius. Bei Gianga -Giangaleazzo. leazzo tritt der echte Tyrannenſinn für das Coloſſale ge - waltig hervor. Er hat mit Aufwand von 300,000 Gold -121. Abſchnitt. gulden rieſige Dammbauten unternommen, um den Mincio von Mantua, die Brenta von Padua nach Belieben ableiten und dieſe Städte wehrlos machen zu können,1)Corio, Fol. 272, 285. ja es wäre nicht undenkbar, daß er auf eine Trockenlegung der Lagunen von Venedig geſonnen hätte. Er gründete2)Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 23. das wun - derbarſte aller Klöſter , die Certoſa von Pavia, und den Dom von Mailand, der an Größe und Pracht alle Kirchen der Chriſtenheit übertrifft , ja vielleicht iſt auch der Palaſt in Pavia, den ſchon ſein Vater Galeazzo begonnen, und den er vollendete, weitaus die herrlichſte Fürſtenreſidenz des damaligen Europa's geweſen. Dorthin verlegte er auch ſeine berühmte Bibliothek und die große Sammlung von Reliquien der Heiligen, welchen er eine beſondere Art vonDeſſen letzte Pläne. Glauben widmete. Bei einem Fürſten von dieſer Sinnes - art wäre es befremdlich, wenn er nicht auch im politiſchen Gebiet nach den höchſten Kronen gegriffen hätte. König Wenzel machte ihn (1395) zum Herzog; er aber hatte nichts geringeres als das Königthum von Italien3)So Corio, Fol. 286 und Poggio, hist. Florent. IV, bei Murat. XX., Col. 290. Von Plänen auf das Kaiſerthum redet Cag - nola. a. a. O[.]und das Sonett bei Trucchi, Poesie ital. inedite II, p. 118:Stan le città lombarde con le chiave In man per darle a voi .... etc. Roma vi chiama: Cesar mio novello Jo sono ignuda, et l'anima pur vive: Or mi coprite col vostro mantello etc. oder die Kaiſerkrone im Sinne, als er (1402) erkrankte und ſtarb. Seine ſämmtlichen Staaten ſollen ihm einſt in einem Jahre außer der regelmäßigen Steuer von 1,200,000 Goldgulden noch weitere 800,000 an außerordentlichen Subſidien bezahlt haben. Nach ſeinem Tode ging das Reich, das er durch jede Art von Gewaltthaten zuſammengebracht, in Stücken13 und vor der Hand konnten kaum die ältern Beſtandtheile1. Abſchnitt. deſſelben behauptet werden. Was aus ſeinen Söhnen Gio - van Maria (ſt. 1412) und Filippo Maria (ſt. 1447) ge - worden wäre, wenn ſie in einem andern Lande und ohne von ihrem Hauſe zu wiſſen, gelebt hätten, wer weiß es? Doch als Erben dieſes Geſchlechtes erbten ſie auch das un - geheure Kaptial von Grauſamkeit und Feigheit, das ſich hier von Generation zu Generation aufgeſammelt hatte.

Giovan Maria iſt wiederum durch ſeine Hunde be -Giovan Maria. rühmt, aber nicht mehr durch Jagdhunde, ſondern durch Thiere die zum Zerreißen von Menſchen abgerichtet waren und deren Eigennamen uns überliefert ſind wie die der Bären Kaiſer Valentinians I. 1)Corio, Fol. 301 u. ff. Vgl. Ammian. Marcellin. XXIX, 3.Als im Mai 1409 während des noch dauernden Krieges das verhungernde Volk ihm auf der Straße zurief: Pace! Pace! ließ er ſeine Söldner ein - hauen, die 200 Menſchen tödteten; darauf war bei Galgen - ſtrafe verboten, die Worte Pace und Guerra auszuſprechen und ſelbſt die Prieſter angewieſen, ſtatt dona nobis pacem, zu ſagen tranquillitatem! Endlich benützten einige Ver - ſchworne den Augenblick, da der Großcondottiere des wahn - ſinnigen Herzogs, Facino Cane, todtkrank zu Pavia lag, und machten den Giovan Maria bei der Kirche S. Got - tardo in Mailand nieder; der ſterbende Facino aber ließ am ſelbigen Tage ſeine Officiere ſchwören, dem Erben Filippo Maria zu helfen, und ſchlug ſelber2)So Paul. Jovius, viri illustres, Jo. Galeatius, Philippus. noch vor, ſeine Gemahlin möge ſich nach ſeinem Tode mit dieſem ver - mählen, wie denn auch baldigſt geſchah; es war Beatrice di Tenda. Von Filippo Maria wird noch weiter zu reden ſein.

Und in ſolchen Zeiten getraute ſich Cola Rienzi auf den hinfälligen Enthuſiasmus der verkommenen Stadt - bevölkerung von Rom eine neue Herrſchaft über Italien zu141. Abſchnitt. bauen. Neben Herrſchern wie jene iſt er von Anfang an ein armer verlorener Thor.

Herrſcher des XV. Jahrh.Die Gewaltherrſchaft im XV. Jahrhundert zeigt einen veränderten Character. Viele von den kleinen Tyrannen und auch einige von den größern, wie die Scala und Car - rara, ſind untergegangen; die mächtigen haben ſich arron - dirt und innerlich characteriſtiſcher ausgebildet; Neapel er - hält durch die neue aragoneſiſche Dynaſtie eine kräftigere Richtung. Vorzüglich bezeichnend aber iſt für dieſes Jahr - hundert das Streben der Condottieren nach unabhängiger Herrſchaft, ja nach Kronen; ein weiterer Schritt auf der Bahn des rein Thatſächlichen, und eine hohe Prämie für das Talent wie für die Ruchloſigkeit. Die kleinern Tyrannen, um ſich einen Rückhalt zu ſichern, gehen jetzt gern in Dienſte der größern Staaten und werden Condottieren derſelben, was ihnen etwas Geld und auch wohl Strafloſigkeit für manche Miſſethaten verſchafft, vielleicht ſogar Vergrößerung ihres Gebietes. Im Ganzen genommen mußten Große und Kleine ſich mehr anſtrengen, beſonnener und berechneter ver - fahren und ſich der gar zu maſſenhaften Gräuel enthalten; ſie durften überhaupt nur ſo viel Böſes üben als nach - weisbar zu ihren Zwecken diente ſo viel verzieh ihnen auch die Meinung der Unbetheiligten. Von dem Capital von Pietät, welches den legitimen abendländiſchen Fürſten - häuſern zu Statten kam, iſt hier keine Spur, höchſtens eine Art von hauptſtädtiſcher Popularität; was den Fürſten Italiens weſentlich weiter helfen muß, iſt immer TalentContraſt mit Carl d. Kühnen. und kühle Berechnung. Ein Character wie derjenige Carls des Kühnen, der ſich mit wüthender Leidenſchaft in völlig unpractiſche Zwecke hinein verbiß, war den Italienern ein wahres Räthſel. Die Schweizer ſeien ja lauter Bauern, und wenn man ſie auch alle tödte, ſo ſei dieß ja keine Ge - nugthuung für die burgundiſchen Magnaten, die im Kampfe15 umkommen möchten! Beſäße auch der Herzog die Schweiz1. Abſchnitt. ohne Widerſtand, ſeine Jahreseinkünfte wären deßhalb um keine 5000 Ducaten größer ꝛc. 1)De Gingins: dépêches des ambassadeurs milanais, II, p. 200 (N. 213). Vgl. II, 3 (N. 144) und II, 212 (N. 218). Was in Carl Mittelalter - liches war, ſeine ritterlichen Phantaſien oder Ideale, dafür hatte Italien längſt kein Verſtändniß mehr. Wenn er aber vollends den Unteranführern Ohrfeigen ertheilte2)Paul. Jovius, Elogia. und ſie dennoch bei ſich behielt, wenn er ſeine Truppen mißhandelte um ſie wegen einer Niederlage zu ſtrafen, und dann wieder ſeine Geheimräthe vor den Soldaten blamirte dann mußten ihn die Diplomaten des Südens verloren geben. Ludwig XI. aber, der in ſeiner Politik die italieniſchen Fürſten innerhalb ihrer eigenen Art übertrifft, und der vor Allem ſich als Bewunderer des Francesco Sforza bekannte, iſt im Gebiet der Bildung durch ſeine vulgäre Natur weit von jenen Herrſchern geſchieden.

In ganz merkwürdiger Miſchung liegt Gutes und Böſes in den italieniſchen Staaten des XV. Jahrhunderts durchein - ander. Die Perſönlichkeit der Fürſten wird eine ſo durch - gebildete, eine oft ſo hochbedeutende, für ihre Lage und Aufgabe ſo characteriſtiſche,3)Dieſer Verein von Kraft und Talent iſt es, was bei Macchiavell virtù heißt und auch mit scelleratezza verträglich gedacht wird, z. B. Discorsi I, 10, bei Anlaß des Sept. Severus. daß das ſittliche Urtheil ſchwer zu ſeinem Rechte kömmt.

Grund und Boden der Herrſchaft ſind und bleiben ille -Illegitimität; Einmiſchung der Kaiſer. gitim und ein Fluch haftet daran und will nicht davon weichen. Kaiſerliche Gutheißungen und Belehnungen ändern dieß nicht, weil das Volk keine Notiz davon nimmt, wenn ſeine Herrſcher ſich irgendwo in fernen Landen oder von einem durchreiſenden Fremden ein Stück Pergament gekauft161. Abſchnitt. haben. 1)Hierüber Franc. Vettori, arch. stor. VI, p. 293, s. Die Be - lehnung durch einen Mann der in Deutſchland wohnt und von einem römiſchen Kaiſer nichts als den eiteln Namen hat, iſt nicht im Stande einen Böſewicht zum wahren Signore einer Stadt zu machen. Wären die Kaiſer etwas nütze geweſen, ſo hätten ſie die Gewaltherrn gar nicht emporkommen laſſen, ſo lautete die Logik des unwiſſenden Menſchenverſtandes. Seit dem Römerzuge Carls IV. haben die Kaiſer in Italien nur noch den ohne ſie entſtandenen Gewaltzuſtand ſanctionirt, ohne ihn jedoch im Geringſten anders als durch Urkunden garantiren zu können. Carls ganzes Auftreten in Italien iſt eine der ſchmählichſten politiſchen Comödien; man mag im Matteo Villani2)M. Villani, IV, 38. 39. 56. 77. 78. 92 ; V, 1, 2. 21, 36, 54. nachleſen, wie ihn die Visconti in ihrem Gebiete herum und endlich daraus weg escortiren, wie er eilt gleich einem Meßkaufmann, um nur recht bald für ſeine Waare (die Privilegien nämlich) Geld zu erhalten, wie kläglich er in Rom auftritt, und wie er endlich ohne einen Schwertſtreich gethan zu haben, mit ſeinem vollen Geldſack wieder über die Alpen zieht. 3)Ein Italiener war es, Fazio degli Uberti (Dittamondo, L. VI., cap. 5, um d. J. 1360) welcher Carl IV. noch einen Kreuzzug nach dem heiligen Lande zumuthen wollte. Die Stelle iſt eine der beſten in dem betreffenden Gedichte und auch ſonſt bezeichnend. Der Dichter wird durch einen trotzigen Turcomannen vom heil. Grab weggewieſen:Coi passi lunghi e con la testa bassa Oltre passai e dissi: ecco vergogna Del cristian che'l saracin quì lassa! Poscia al pastor (den Papſt) mi volsi per rampogna: E tu ti stai, che sei vicar di Cristo Co 'frati tuoi a ingrassar la carogna? Similimente dissi a quel sofisto (Carl IV.) Che sta in Buemme (Böhmen) a piantar vigne e fichi, E che non cura di caro acquisto:Sigismund kam17 wenigſtens das erſtemal (1414) in der guten Abſicht,1. Abſchnitt. Johann XXIII. zur Theilnahme an ſeinem Concil zu be - wegen; damals war es, als Kaiſer und Papſt auf dem hohen Thurm von Cremona das Panorama der Lombardie genoſſen, während ihren Wirth, den Stadttyrannen Gabrino Fondolo, das Gelüſte ankam, beide herunter zu werfen. Das zweitemal erſchien Sigismund völlig als Abenteurer; mehr als ein halbes Jahr hindurch ſaß er in Siena wie in einem Schuldgefängniß, und konnte nachher nur mit Noth zur Krönung in Rom gelangen. Was ſoll man vol - lends von Friedrich III. denken? ſeine Beſuche in ItalienFriedrich III. in Italien. haben den Character von Ferien - oder Erholungsreiſen auf Unkoſten derer, die ihre Rechte von ihm verbrieft haben wollten, oder ſolcher denen es ſchmeichelte einen Kaiſer recht pomphaft zu bewirthen. So verhielt es ſich mit Alfons von Neapel, der ſich den kaiſerlichen Beſuch 150,000 Gold - gulden koſten ließ. 1)Das Nähere bei Vespaſiano Fiorent. p. 84. Vgl. 150.In Ferrara2)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 215. s. hat Friedrich bei ſeiner zweiten Rückkehr von Rom (1469) einen ganzen Tag lang, ohne das Zimmer zu verlaſſen, lauter Beförderungen, acht - zig an der Zahl, ausgeſpendet; da ernannte er cavalieri, conti, dottori, Notare, und zwar conti mit verſchiedenen Schattirungen, als da waren: conte palatino, conte mit dem Recht dottori, ja bis auf fünf dottori zu ernennen, conte mit dem Recht Baſtarde zu legitimiren, Notare zu creiren, unehrliche Notare ehrlich zu erklären u. ſ. w. Nur verlangte ſein Kanzler für die Ausfertigung der betreffenden3)Che fai? perchè non segui i primi antichi Cesari de' Romani, e che non siegui, Dico, gli Otti, i Corradi, i Federichi? E che pur tieni questo imperio in tregui? E se non hai lo cuor d'esser Augusto, Che nol rifiuti? o che non ti dilegui? etc. Cultur der Renaiſſance. 2181. Abſchnitt. Urkunden eine Erkenntlichkeit die man in Ferrara etwas ſtark fand. 1)Haveria voluto scortigare la brigata. Was Herzog Borſo dabei dachte, als ſein kaiſerlicher Gönner dergeſtalt urkundete und der ganze kleine Hof ſich mit Titeln verſah, wird nicht gemeldet. Die Hu - maniſten, welche damals das große Wort führten, waren je nach den Intereſſen getheilt. Während die einen2)Annales Estenses, bei Murat. XX, Col. 41. den Kaiſer mit dem conventionellen Jubel der Dichter des kaiſer - lichen Roms feiern, weiß Poggio3)Poggii Hist. Florent. pop., L. VII, bei Murat. XX, Col. 381. gar nicht mehr, was die Krönung eigentlich ſagen ſolle; bei den Alten ſei ja nur ein ſiegreicher Imperator gekrönt worden und zwar mit Lorbeer.

Das Kaiſer - thum und die Intervention.Mit Maximilian I. beginnt dann eine neue kaiſer - liche Politik gegen Italien, in Verbindung mit der allgemeinen Intervention fremder Völker. Der Anfang die Belehnung des Lodovico Moro mit Beſeitigung ſeines unglücklichen Neffen war nicht von der Art, welche Segen bringt. Nach der modernen Interventionstheorie darf, wenn Zweie ein Land zerreißen wollen, auch ein Dritter kommen und mithalten, und ſo konnte auch das Kaiſerthum ſein Stück begehren. Aber von Recht u. dgl. mußte man nicht mehr reden. Als Ludwig XII. 1502 in Genua erwartet wurde, als man den großen Reichsadler von der Fronte des Hauptſaales im Dogenpalaſt wegtilgte und alles mit Lilien bemalte, frug der Geſchichtſchreiber Senarega4)Senarega, de reb. Genuens., bei Murat. XXIV, Col. 575. überall herum, was jener bei ſo vielen Revo - lutionen ſtets geſchonte Adler eigentlich bedeute und was für Anſprüche das Reich auf Genua habe? Niemand wußte etwas anderes als die alte Rede: Genua ſei eine camera imperii. Niemand wußte überhaupt in Italien irgend welchen ſichern Beſcheid über ſolche Fragen. Erſt als Carl V.19 Spanien und das Reich zuſammen beſaß, konnte er mit1. Abſchnitt. ſpaniſchen Kräften auch kaiſerliche Anſprüche durchſetzen. Aber was er ſo gewann, kam bekanntlich nicht dem Reiche, ſondern der ſpaniſchen Macht zu Gute.

Mit der politiſchen Illegitimität der Dynaſten desDie uneheliche Erbfolge. XV. Jahrhunderts hing wiederum zuſammen die Gleich - gültigkeit gegen die legitime Geburt, welche den Ausländern, z. B. einem Comines, ſo ſehr auffiel. Sie ging gleichſam mit in den Kauf. Während man im Norden, im Haus Burgund etwa, den Baſtarden eigene beſtimmt abgegrenzte Apanagen, Bisthümer u. dgl. zuwies, während in Portugal eine Baſtardlinie ſich nur durch die größte Anſtrengung auf dem Throne behauptete, war in Italien kein fürſtliches Haus mehr, welches nicht in der Hauptlinie irgend eine unechte Descendenz gehabt und ruhig geduldet hätte. Die Arago - neſen von Neapel waren die Baſtardlinie des Hauſes, denn Aragon ſelbſt erbte der Bruder des Alfons I. Der große Federigo von Urbino war vielleicht überhaupt kein Monte - feltro. Als Pius II. zum Congreß von Mantua (1459) reiſte ritten ihm bei der Einholung in Ferrara ihrer acht Baſtarde vom Haus Eſte entgegen,1)Aufgezählt im Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 203. Vgl. Pii II. Comment. II, p. 102. darunter der regierende Herzog Borſo ſelbſt und zwei uneheliche Söhne ſeines ebenfalls unehelichen Bruders und Vorgängers Leonello. Letzterer hatte außerdem eine rechtmäßige Gemahlin gehabt, und zwar eine uneheliche Tochter Alfons I. von Neapel von einer Africanerin. 2)Marin Sanudo, vita de' duchi di Venezia, bei Murat. XXII, Col. 1113.Die Baſtarde wurden auch ſchon deß - halb öfter zugelaſſen, weil die ehelichen Söhne minorenn und die Gefahren dringend waren; es trat eine Art von Seniorat ein, ohne weitere Rückſicht auf echte oder unechte2*201. Abſchnitt. Geburt. Die Zweckmäßigkeit, die Geltung des Individuums und ſeines Talentes ſind hier überall mächtiger als die Geſetze und Bräuche des ſonſtigen Abendlandes. War esDenkweiſe des XVI. Jahrh. doch die Zeit da die Söhne der Päpſte ſich Fürſtenthümer gründeten! Im XVI. Jahrhundert unter dem Einfluß der Fremden und der beginnenden Gegenreformation wurde die ganze Angelegenheit ſtrenger angeſehen; Varchi findet, die Succeſſion der ehelichen Söhne ſei von der Vernunft ge - boten und von ewigen Zeiten her der Wille des Himmels . 1)Varchi, stor. Fiorent. I, p. 8.Cardinal Ippolito Medici gründete ſein Anrecht auf die Herrſchaft über Florenz darauf, daß er aus einer vielleicht rechtmäßigen Ehe entſproßt, oder doch wenigſtens Sohn einer Adlichen und nicht (wie der Herzog Aleſſandro) einer Dienſtmagd ſei. 2)Soriano, relaz. di Roma 1533, bei Tommaso Gar, relazioni, p. 281.Jetzt beginnen auch die morganatiſchen Gefühlsehen, welche im XV. Jahrhundert aus ſittlichen und politiſchen Gründen kaum einen Sinn gehabt hätten.

Condottieren als Staaten - gründer.Die höchſte und meiſtbewunderte Form der Illegitimität iſt aber im XV. Jahrhundert der Condottiere, der ſich welches auch ſeine Abkunft ſei ein Fürſtenthum erwirbt. Im Grunde war ſchon die Beſitznahme von Unteritalien durch die Normannen im XI. Jahrhundert nichts anderes geweſen; jetzt aber begannen Projecte dieſer Art die Halb - inſel in dauernder Unruhe zu erhalten.

Die Feſtſetzung eines Soldführers als Landesherrn konnte auch ohne Uſurpation geſchehen, wenn ihn der Brodherr aus Mangel an Geld mit Land und Leuten ab - fand;3)Für das Folgende vgl. Caneſtrini, in der Einleitung zu Tom. XV. des Archiv. stor. ohnehin bedurfte der Condottiere, ſelbſt wenn er für den Augenblick ſeine meiſten Leute entließ, eines ſichern Ortes, wo er Winterquartier halten und die nothwendigſten21 Vorräthe bergen konnte. Das erſte Beiſpiel eines ſo aus -1. Abſchnitt. geſtatteten Bandenführers iſt John Hawkwood, welcher von Papſt Gregor XI. Bagnacavallo und Cotignola erhielt. Als aber mit Alberigo da Barbiano italieniſche Heere und Heerführer auf den Schauplatz traten, da kam auch die Gelegenheit viel näher, Fürſtenthümer zu erwerben, oder wenn der Condottiere ſchon irgendwo Gewaltherrſcher war, das Ererbte zu vergrößern. Das erſte große Bacchanal dieſer ſoldatiſchen Herrſchbegier wurde gefeiert in dem Her - zogthum Mailand nach dem Tode des Giangaleazzo (1402); die Regierung ſeiner beiden Söhne (S. 13) ging haupt - ſächlich mit der Vertilgung dieſer kriegeriſchen Tyrannen dahin, und der größte derſelben, Facino Cane, wurde ſammt ſeiner Wittwe, ſammt einer Reihe von Städten und 400,000 Goldgulden ins Haus geerbt; überdieß zog Bea - trice di Tenda die Soldaten ihres erſten Gemahls nach ſich. 1)Cagnola, archiv. stor. III, p. 28: et (Filippo Maria) da lei (Beatr. ) ebbe molto texoro e dinari, e tutte le giente d'arme del dicto Facino, che obedivano a lei. Von dieſer Zeit an bildete ſich dann jenes über alle Maßen unmoraliſche Verhältniß zwiſchen den Regierungen undVerhältniß der Condottieren zum Brodherrn. ihren Condottieren aus, welches für das XV. Jahrhundert characteriſtiſch iſt. Eine alte Anecdote,2)Infessura, bei Eccard, scriptores II, Col. 1911. Die Alterna - tive, welche Macchiavell dem ſiegreichen Condottiere ſtellt, ſ. Dis - corsi, I, 30. von jenen die nirgends und doch überall wahr ſind, ſchildert daſſelbe un - gefähr ſo: Einſt hatten die Bürger einer Stadt es ſoll Siena gemeint ſein einen Feldherrn, der ſie von feind - lichem Druck befreit hatte; täglich beriethen ſie, wie er zu belohnen ſei und urtheilten, keine Belohnung, die in ihren Kräften ſtände, wäre groß genug, ſelbſt nicht wenn ſie ihn zum Herrn der Stadt machten. Endlich erhob ſich Einer und meinte: Laßt uns ihn umbringen und dann als221. Abſchnitt. Stadtheiligen anbeten. Und ſo ſei man mit ihm verfahren ungefähr wie der römiſche Senat mit Romulus. In der That hatten ſich die Condottieren vor Niemand mehr zu hüten als vor ihren Brodherren; kämpften ſie mit Erfolg, ſo waren ſie gefährlich und wurden aus der Welt geſchafft wie Roberto Malateſta gleich nach dem Siege den er für Sixtus IV. erfochten (1482); beim erſten Unglück aber rächte man ſich bisweilen an ihnen wie die Venezianer am Carmagnola (1432). 1)Ob ſie auch den Alviano 1516 vergiftet, und ob die dafür angege - benen Gründe richtig ſind? vgl. Prato im Archiv. stor. III, p. 348. Von Colleoni ließ ſich die Republik zur Erbin einſetzen und nahm nach ſeinem Tode 1475 erſt noch eine förmliche Confis - cation vor. Vgl. Malipiero, Annali Veneti, im Archiv. stor. VII, I, p. 244. Sie liebte es, wenn die Condottieren ihr Geld in Venedig anlegten, ibid. p. 351.Es zeichnet die Sachlage in mo - raliſcher Beziehung, daß die Condottieren oft Weib und Kind als Geiſeln geben mußten und dennoch weder Zu - trauen genoſſen noch ſelber empfanden. Sie hätten Heroen der Entſagung, Charactere wie Beliſar ſein müſſen, wenn ſich der tiefſte Haß nicht in ihnen hätte ſammeln ſollen; nur die vollkommenſte innere Güte hätte ſie davon abhalten können, abſolute Frevler zu werden. Und als ſolche, voller Hohn gegen das Heilige, voller Grauſamkeit und Verrath gegen die Menſchen, lernen wir manche von ihnen kennen, faſt lauter Leute denen es nichts ausmachte, im päpſtlichen Banne zu ſterben. Zugleich aber entwickelt ſich in manchen die Perſönlichkeit, das Talent, bis zur höchſten Virtuoſität und wird auch in dieſem Sinne von den Soldaten aner - kannt und bewundert; es ſind die erſten Armeen der neuern Geſchichte wo der perſönliche Credit des Anführers ohneDie Familie Sforza. weitere Nebengedanken die bewegende Kraft iſt. Glänzend zeigt ſich dieß z. B. im Leben des Francesco Sforza;2)Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 121, s. 23 da iſt kein Standesvorurtheil, das ihn hätte hindern können,1. Abſchnitt. die allerindividuellſte Popularität bei jedem Einzelnen zu erwerben und in ſchwierigen Augenblicken gehörig zu be - nützen; es kam vor, daß die Feinde bei ſeinem Anblick die Waffen weglegten und mit entblößtem Haupt ihn ehrerbietig grüßten, weil ihn jeder für den gemeinſamen Vater der Kriegerſchaft hielt. Dieſes Geſchlecht Sforza gewährt überhaupt das Intereſſe, daß man die Vorbereitung auf das Fürſtenthum von Anfang an glaubt durchſchimmern zu ſehen. 1)Wenigſtens bei Paul. Jovius, in ſeiner Vita magni Sfortiæ (Viri illustres), einer der anziehendſten von ſeinen Biographien.Das Fundament dieſes Glückes bildete die großeJacopo Sforza. Fruchtbarkeit der Familie; Francesco's bereits hochberühmter Vater Jacopo hatte zwanzig Geſchwiſter, alle rauh erzogen in Cotignola bei Faenza, unter dem Eindruck einer jener endloſen romagnoliſchen Vendetten zwiſchen ihnen und dem Hauſe der Paſolini. Die ganze Wohnung war lauter Ar - ſenal und Wachtſtube, auch Mutter und Töchter völlig kriegeriſch. Schon im dreizehnten Jahre ritt Jacopo heim - lich von dannen, zunächſt nach Panicale zum päpſtlichen Condottiere Boldrino, demſelben welcher dann noch im Tode ſeine Schaar anführte, indem die Parole von einem fahnen - umſteckten Zelte aus gegeben wurde, in welchem der ein - balſamirte Leichnam lag bis ſich ein würdiger Nachfolger fand. Jacopo, als er in verſchiedenen Dienſten allmählig emporkam, zog auch ſeine Angehörigen nach ſich und genoß durch dieſelben die nämlichen Vortheile, die einem Fürſten eine zahlreiche Dynaſtie verleiht. Dieſe Verwandten ſind es, welche die Armee beiſammen halten, während er im Caſtel dell 'uovo zu Neapel liegt; ſeine Schweſter nimmt eigenhändig die königlichen Unterhändler gefangen und rettet ihn durch dieſes Pfand vom Tode. Es deutet ſchon aufSeine Aus - ſichten. Abſichten von Dauer und Tragweite, daß Jacopo in Geld - ſachen äußerſt zuverläſſig war und deßhalb auch nach241. Abſchnitt. Niederlagen Credit bei den Banquiers fand; daß er überall die Bauern gegen die Licenz der Soldaten ſchützte, und die Zerſtörung eroberter Städte nicht liebte; vollends aber, daß er ſeine ausgezeichnete Concubine Lucia (die Mutter Fran - cesco's) an einen Andern verheirathete, um für einen fürſt - lichen Ehebund verfügbar zu bleiben. Auch die Vermäh - lungen ſeiner Verwandten unterlagen einem gewiſſen Plan. Von der Gottloſigkeit und dem wüſten Leben ſeiner Fach - genoſſen hielt er ſich ferne; die drei Lehren, womit er ſeinen Francesco in die Welt ſandte, lauten: rühre keines Andern Weib an; ſchlage keinen von deinen Leuten oder, wenn es geſchehen, ſchicke ihn weit fort; endlich: reite kein hartmäu - liges Pferd und keines das gerne die Eiſen verliert. Vor Allem aber beſaß er die Perſönlichkeit wenn nicht eines großen Feldherrn doch eines großen Soldaten, einen mäch - tigen, allſeitig geübten Körper, ein populäres Bauerngeſicht, ein wunderwürdiges Gedächtniß, das alle Soldaten, alle ihre Pferde und ihre Soldverhältniſſe von vielen Jahren her kannte und aufbewahrte. Seine Bildung war nur italieniſch; alle Muße aber wandte er auf Kenntniß der Geſchichte und ließ griechiſche und lateiniſche Autoren fürFranc. Sforza und Giacomo Piccinino. ſeinen Gebrauch überſetzen. Francesco, ſein noch ruhm - vollerer Sohn, hat von Anfang an deutlich nach einer großen Herrſchaft geſtrebt und das gewaltige Mailand durch glänzende Heerführung und unbedenklichen Verrath auch erhalten (1447 1450).

Sein Beiſpiel lockte. Aeneas Sylvius1)Aen. Sylvius: De dictis et factis Alphonsi, Opera, Fol. 475. ſchrieb um dieſe Zeit: in unſerm veränderungsluſtigen Italien, wo nichts feſt ſteht und keine alte Herrſchaft exiſtirt, können leicht aus Knechten Könige werden . Einer aber, der ſich ſelber den Mann der Fortuna nannte, beſchäftigte damals vor allen die Phantaſie des ganzen Landes: Giacomo Pic - cinino, der Sohn des Nicolò. Es war eine offene und25 brennende Frage: ob auch ihm die Gründung eines Fürſten -1. Abſchnitt. thumes gelingen werde oder nicht? Die größern Staaten hatten ein einleuchtendes Intereſſe es zu verhindern, und auch Francesco Sforza fand, es wäre vortheilhaft, wenn die Reihe der ſouverän gewordenen Soldführer mit ihm ſelber abſchlöſſe. Aber die Truppen und Hauptleute, dieUntergang des Letztern. man gegen Piccinino abſandte, als er z. B. Siena hatte für ſich nehmen wollen, erkannten1)Pii II. Comment. I, p. 46, vgl. 69 ihr eigenes Intereſſe darin, ihn zu halten: Wenn es mit ihm zu Ende ginge, dann könnten wir wieder den Acker bauen . Während ſie ihn in Orbetello eingeſchloſſen hielten, verproviantirten ſie ihn zugleich und er kam auf das Ehrenvollſte aus der Klemme. Endlich aber entging er ſeinem Verhängniß doch nicht. Ganz Italien wettete was geſchehen werde, als er (1465) von einem Beſuch bei Sforza in Mailand nach Neapel zum König Ferrante reiſte. Trotz aller Bürgſchaften und hohen Verbindungen ließ ihn dieſer im Caſtel nuovo ermorden. 2)Sismondi X, p. 258. Corio, Fol. 412, wo Sforza als mit - ſchuldig gilt, weil er von P.'s kriegeriſcher Popularität Gefahren für ſeine eigenen Söhne gefürchtet. Storia Bresciana, bei Murat. XXI, Col. 902. Wie man 1466 den venezianiſchen Groß - condottiere Colleoni in Verſuchung führte, erzählt Malipiero, An - nali veneti, arch. stor. VII, I, p. 210.Auch die Condottieren, welche ererbte Staaten beſaßen, fühlten ſich doch nie ſicher; als Roberto Malateſta und Federigo von Urbino (1482) an Einem Tage, jener in Rom, dieſer in Bologna ſtarben, fand es ſich, daß Jeder im Sterben dem Andern ſeinen Staat empfehlen ließ! 3)Allegretti, Diarii Sanesi, bei Murat. XXIII, p. 811.Gegen einen Stand der ſich ſo Vieles erlaubte, ſchien Alles erlaubt. Francesco Sforza war noch ganz jung mit einer reichen calabreſiſchen Erbin, Poliſſena Ruffa, Gräfin von Montalto, verheirathet worden, welche ihm ein Töchterchen261 Abſchnitt. gebar; eine Tante vergiftete die Frau und das Kind und zog die Erbſchaft an ſich. 1)Orationes Philelphi, Fol. 9, in der Leichenrede auf Francesco.

Spätere Ver - ſuche der Con - dottieren.Vom Untergang Piccinino's an galt das Aufkommen von neuen Condottierenſtaaten offenbar als ein nicht mehr zu duldender Scandal; die vier Großſtaaten Neapel, Mailand, Kirche und Venedig ſchienen ein Syſtem des Gleichgewichtes zu bilden, welches keine jener Störungen mehr vertrug. Im Kirchenſtaat, wo es von kleinen Tyran - nen wimmelte, die zum Theil Condottieren geweſen oder es noch waren, bemächtigten ſich ſeit Sixtus IV. die Nepoten des Alleinrechtes auf ſolche Unternehmungen. Aber die Dinge brauchten nur irgendwo in's Schwanken zu gerathen, ſo meldeten ſich auch die Condottieren wieder. Unter der kläglichen Regierung Innocenz VIII. war es einmal nahe daran, daß ein früher in burgundiſchen Dienſten geweſener Hauptmann Boccalino ſich mit ſammt der Stadt Oſimo, die er für ſich genommen, den Türken übergeben hätte;2)Marin Sanudo, vite de' Duchi di Ven., bei Murat. XXII, Col. 1241. man mußte froh ſein, daß er ſich auf Vermittlung des Lorenzo magnifico hin mit Geld abfinden ließ und ab - zog. Im Jahr 1495, bei der Erſchütterung aller Dinge in Folge des Krieges Carls VIII. verſuchte ſich ein Con - dottiere Vidovero von Brescia;3)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 407. er hatte ſchon früher die Stadt Ceſena durch Mord vieler Edeln und Bürger ein - genommen, aber das Caſtell hielt ſich und er mußte wieder fort; jetzt, begleitet von einer Truppe, die ihm ein anderer böſer Bube, Pandolfo Malateſta von Rimini, Sohn des erwähnten Roberto und venezianiſcher Condottiere, abgetreten, nahm er dem Erzbiſchof von Ravenna die Stadt Caſtel - nuovo ab. Die Venezianer, welche Größeres beſorgten und ohnehin vom Papſt gedrängt wurden, befahlen dem Pan -27 dolfo wohlmeinend , den guten Freund bei Gelegenheit zu1. Abſchnitt. verhaften; es geſchah, obwohl mit Schmerzen , worauf die Ordre kam, ihn am Galgen ſterben zu laſſen. Pan - dolfo hatte die Rückſicht, ihn erſt im Gefängniß zu erdroſſeln und dann dem Volk zu zeigen. Das letzte bedeutendere Beiſpiel ſolcher Uſurpationen iſt der berühmte Caſtellan von Muſſo, der bei der Verwirrung im Mailändiſchen nach der Schlacht bei Pavia (1525) ſeine Souveränetät am Comer - ſee improviſirte.

Im Allgemeinen läßt ſich von den GewaltherrſchernDie kleineren Herrſchaften. des XV. Jahrhunderts ſagen, daß die ſchlimmſten Dinge in den kleinern und kleinſten Herrſchaften am meiſten ſich häuften. Namentlich lagen hier für zahlreiche Familien, deren einzelne Mitglieder alle ranggemäß leben wollten, die Erbſtreitigkeiten nahe; Bernardo Varano von Camerino ſchaffte (1434) zwei Brüder aus der Welt,1)Chron. Eugubinum, bei Murat. XXI, Col. 972. weil ſeine Söhne mit deren Erbe ausgeſtattet ſein wollten. Wo ein bloßer Stadtherrſcher ſich auszeichnet durch practiſche, ge - mäßigte, unblutige Regierung und Eifer für die Cultur zugleich, da wird es in der Regel ein ſolcher ſein, der zu einem großen Hauſe gehört oder von der Politik eines ſol - chen abhängt. Dieſer Art war z. B. Aleſſandro Sforza,2)Vespasiano Fiorent. p. 148. Fürſt von Peſaro, Bruder des großen Francesco und Schwie - gervater des Federigo von Urbino (ſt. 1473). Als guter Verwalter, als gerechter und zugänglicher Regent genoß er nach langem Kriegsleben eine ruhige Regierung, ſammelte eine herrliche Bibliothek und brachte ſeine Muße mit ge - lehrten und frommen Geſprächen zu. Auch Giovanni II. Bentivoglio von Bologna (1462 1506), deſſen Politik von der der Eſte und Sforza bedingt war, läßt ſich hieher zählen. Welche blutige Verwilderung dagegen finden wir in den281. Abſchnitt. Häuſern der Varani von Camerino, der Malateſta von Rimini, der Manfreddi von Faenza, vor Allem der Baglioni von Perugia. Ueber die Ereigniſſe im Hauſe der letztern gegen Ende des XV. Jahrhunderts ſind wir durch ausge - zeichnete Geſchichtsquellen die Chroniken des Graziani und des Matarazzo1)Archiv. stor. VXI, Parte I. et II. beſonders anſchaulich unterrichtet.

Die Baglionen von Perugia.Die Baglionen waren eines von jenen Häuſern, deren Herrſchaft ſich nicht zu einem förmlichen Fürſtenthum durch - gebildet hatte, ſondern mehr nur in einem ſtädtiſchen Primat beſtand und auf großem Familienreichthum und thatſäch - lichem Einfluß auf die Aemterbeſetzung beruhte. Innerhalb der Familie wurde Einer als Geſammtoberhaupt anerkannt; doch herrſchte tiefer verborgener Haß zwiſchen den Mit - gliedern der verſchiedenen Zweige. Ihnen gegenüber hielt ſich eine gegneriſche Adelspartei unter Anführung der Fa - milie Oddi; Alles ging (um 1487) in Waffen und alle Häuſer der Großen waren voller Bravi; täglich gab es Gewaltthaten; bei Anlaß der Beerdigung eines ermordeten deutſchen Studenten ſtellten ſich zwei Collegien in Waffen gegeneinander auf; ja bisweilen lieferten ſich die Bravi verſchiedener Häuſer Schlachten auf offener Piazza. Ver - gebens jammerten Kaufleute und Handwerker; die päpſt - lichen Governatoren und Nepoten ſchwiegen oder machtenBertreibung der Oddi. ſich bald wieder davon. Endlich müßen die Oddi Perugia verlaſſen und nun wird die Stadt eine belagerte Feſte unter der vollendeten Gewaltherrſchaft der Baglionen, wel - chen auch der Dom als Caſerne dienen muß. Complotten und Ueberfällen wird mit furchtbarer Rache begegnet; nach - dem man (im J. 1491) 130 Eingedrungene zuſammenge - hauen und am Staatspalaſt gehenkt, wurden auf der Piazza 35 Altäre errichtet und drei Tage lang Meſſen geleſen und Proceſſionen gehalten um den Fluch von der Stätte weg - zunehmen. Ein Nepot Innocenz VIII. wurde am hellen29 Tage auf der Gaſſe erſtochen, einer Alexanders VI., der1. Abſchnitt. abgeſandt war um zu ſchlichten, erntete nichts als offenen Hohn. Dafür hatten die beiden Häupter des regierenden Hauſes Guido und Ridolfo häufige Unterredungen mit der heiligen wunderthätigen Dominicanernonne Suor Colomba von Rieti, welche unter Androhung großen künftigen Un - heils zum Frieden rieth, natürlich vergebens. Immerhin macht der Chroniſt bei dieſem Anlaß aufmerkſam auf die Andacht und Frömmigkeit der beſſern Peruginer in dieſen Schreckensjahren. Während (1494) Carl VIII. heranzog, führten die Baglionen und die in und um Aſſiſi gelagerten Verbannten einen Krieg von ſolcher Art, daß im Thal alle Gebäude dem Boden eben, die Felder unbebaut lagen, die Bauern zu kühnen Räubern und Mördern verwilderten, und Hirſche und Wölfe das emporwuchernde Geſtrüpp be - völkerten, wo letztere ſich an den Leichen der Gefallenen, an Chriſtenfleiſch , gütlich thaten. Als Alexander VI.Abſichten des Papſtes. vor dem von Neapel zurückkehrenden Carl VIII. (1495) nach Umbrien entwich, fiel es ihm in Perugia ein, er könnte ſich der Baglionen auf immer entledigen; er ſchlug dem Guido irgend ein Feſt, ein Turnier oder etwas dergleichen vor, um ſie irgendwo alle beiſammen zu haben, aber Guido war der Meinung, das allerſchönſte Schauſpiel wäre, alle bewaffnete Mannſchaft von Perugia beiſammen zu ſehen , worauf der Papſt ſeinen Plan fallen ließ. Bald darauf machten die Verbannten wieder einen Ueberfall, bei welchem nur der perſönlichſte Heldenmuth der Baglionen den Sieg gewann. Da wehrte ſich auf der Piazza der achtzehnjährige Simonetto Baglione mit Wenigen gegen mehrere Hunderte, und ſtürzte mit mehr als zwanzig Wunden, erhob ſich aber wieder, als ihm Aſtorre Baglione zu Hülfe kam, hoch zu Roß in vergoldeter Eiſenrüſtung mit einem Falken auf dem Helm; dem Mars vergleichbar an Anblick und an Thaten ſprengte er in das Gewühl.

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1. Abſchnitt. Damals war Rafael als zwölfjähriger Knabe in der Lehre bei Pietro Perugino. Vielleicht ſind Eindrücke dieſer Tage verewigt in den frühen kleinen Bildchen des heil. Georg und des heil. Michael; vielleicht lebt noch etwas davon unvergänglich fort in dem großen St. Michaelsbilde, und wenn irgendwo Aſtorre Baglione ſeine Verklärung ge - funden hat, ſo iſt es geſchehen in der Geſtalt des himm - liſchen Reiters im Heliodor.

Zwietracht im Haus der Baglionen.Die Gegner waren theils umgekommen theils in pani - ſchem Schrecken gewichen, und fortan keines ſolchen Angriffes mehr fähig. Nach einiger Zeit wurde ihnen eine partielle Verſöhnung und Rückkehr gewährt. Aber Perugia wurde nicht ſicherer noch ruhiger; die innere Zwietracht des herr - ſchenden Hauſes brach jetzt in entſetzlichen Thaten aus. Gegenüber Guido, Ridolfo und ihren Söhnen Gianpaolo, Simonetto, Aſtorre, Gismondo, Gentile, Marcantonio u. A. thaten ſich zwei Großneffen, Grifone und Carlo Barciglia zuſammen; letzterer zugleich Neffe des Fürſten Varano von Camerino und Schwager eines der früheren Verbannten, Jeronimo dalla Penna. Vergebens bat Simonetto, der ſchlimme Ahnungen hatte, ſeinen Oheim kniefällig, dieſen Penna tödten zu dürfen, Guido verſagte es ihm. Das Complott reifte plötzlich bei der Hochzeit des Aſtorre mitPeruginer Bluthochzeit. der Lavinia Colonna, Mitte Sommers 1500. Das Feſt nahm ſeinen Anfang und dauerte einige Tage unter düſtern Anzeichen, deren Zunahme bei Matarazzo vorzüglich ſchön geſchildert iſt. Der anweſende Varano trieb ſie zuſammen; in teufliſcher Weiſe wurde dem Grifone die Alleinherrſchaft und ein erdichtetes Verhältniß ſeiner Gemahlin Zenobia mit Gianpaolo vorgeſpiegelt und endlich jedem Verſchworenen ſein beſtimmtes Opfer zugetheilt. (Die Baglionen hatten lauter geſchiedene Wohnungen, meiſt an der Stelle des jetzigen Caſtells.) Von den vorhandenen Bravi bekam Jeder 15 Mann mit; der Reſt wurde auf Wachen ausgeſtellt. In der Nacht vom 15. Juli wurden die Thüren eingerannt31 und der Mord an Guido, Aſtorre, Simonetto und Gis -1. Abſchnitt. mondo vollzogen; die Andern konnten entweichen.

Als Aſtorre's Leiche mit der des Simonetto auf der Gaſſe lag, verglichen ihn die Zuſchauer und beſonders die fremden Studenten mit einem alten Römer; ſo würdig und groß war der Anblick; in Simonetto fanden ſie noch das Trotzigkühne, als hätte ihn ſelbſt der Tod nicht ge - bändigt. Die Sieger gingen bei den Freunden der Familie herum und wollten ſich empfehlen, fanden jedoch Alles in Thränen und mit der Abreiſe auf die Landgüter beſchäftigt. Aber die entronnenen Baglionen ſammelten draußen Mann - ſchaft, und drangen, Gianpaolo an der Spitze, des folgen - den Tages in die Stadt, wo andere Anhänger, ſo eben von Bareiglia mit dem Tode bedroht, ſchleunig zu ihm ſtießen; als bei S. Ercolano Grifone in ſeine Hände fiel, überließ er es ſeinen Leuten, ihn niederzumachen; Barciglia und Penna aber flüchteten ſich nach Camerino zum Hauptanſtifter des Unheils, Varano; in einem Augenblick, faſt ohne Ver - luſt, war Gianpaolo Herr der Stadt.

Atalanta, Grifone's noch ſchöne und junge Mutter,Atalanta Ba - glione. die ſich Tags zuvor ſammt ſeiner Gattin Zenobia und zwei Kindern Gianpaolo's auf ein Landgut zurückgezogen und den ihr nacheilenden Sohn mehrmals mit ihrem Mutter - fluche von ſich gewieſen, kam jetzt mit der Schwiegertochter herbei und ſuchte den ſterbenden Sohn. Alles wich vor den beiden Frauen auf die Seite; Niemand wollte als der erkannt ſein, der den Grifone erſtochen hätte, um nicht die Verwünſchung der Mutter auf ſich zu ziehen. Aber man irrte ſich; ſie ſelber beſchwor den Sohn, denjenigen zu ver - zeihen, welche die tödtlichen Streiche geführt, und er ver - ſchied unter ihren Segnungen. Ehrfurchtsvoll ſahen die Leute den beiden Frauen nach, als ſie in ihren blutigen Kleidern über den Platz ſchritten. Dieſe Atalanta iſt es, für welche ſpäter Rafael die weltberühmte Grablegung ge -321. Abſchnitt. malt hat. Damit legte ſie ihr eigenes Leid dem höchſten und heiligſten Mutterſchmerz zu Füßen.

Der Dom, welcher das meiſte von dieſer Tragödie in ſeiner Nähe geſehen, wurde mit Wein abgewaſchen und neu geweiht. Noch immer ſtand von der Hochzeit her der Triumphbogen, bemalt mit den Thaten Aſtorre's und mit den Lobverſen deſſen, der uns dieſes Alles erzählt, des guten Matarazzo.

Es entſtand eine ganz ſagenhafte Vorgeſchichte der Baglionen, welche nur ein Reflex dieſer Gräuel iſt. Alle von dieſem Hauſe ſeien von jeher eines böſen Todes ge - ſtorben, einſt 27 miteinander; ſchon einmal ſeien ihre Häuſer geſchleift und mit den Ziegeln davon die Gaſſen gepflaſtert worden u. dgl. Unter Paul III. trat dann die Schleifung ihrer Paläſte wirklich ein.

Fortwirken des Fluches.Einſtweilen aber ſcheinen ſie gute Vorſätze gefaßt, in ihrer eignen Partei Ordnung geſchafft und die Beamten gegen die adlichen Böſewichter geſchützt zu haben. Allein der Fluch brach ſpäter doch wieder wie ein nur ſcheinbar gedämpfter Brand hervor; Gianpaolo wurde unter Leo X. 1520 nach Rom gelockt und enthauptet; der eine ſeiner Söhne, Orazio, der Perugia nur zeitweiſe und unter den gewaltſamſten Umſtänden beſaß, nämlich als Parteigänger des ebenfalls von den Päpſten bedrohten Herzogs von Ur - bino, wüthete noch einmal im eigenen Hauſe auf das Gräßlichſte. Ein Oheim und drei Vettern wurden ermordet, worauf ihm der Herzog ſagen ließ, es ſei jetzt genug. 1)Varchi, stor. fiorent. I, p. 242, s. Sein Bruder Malateſta Baglione iſt der florentiniſche Feld - herr, welcher durch den Verrath von 1530 unſterblich ge - worden, und deſſen Sohn Ridolfo iſt jener letzte des Hauſes welcher in Perugia durch Ermordung des Legaten und der33 Beamten im Jahr 1534 eine nur kurze aber ſchreckliche1. Abſchnitt. Herrſchaft übte.

Den Gewaltherrſchern von Rimini werden wir nochDie Malateſten von Rimini. hie und da begegnen. Frevelmuth, Gottloſigkeit, kriegeriſches Talent und höhere Bildung ſind ſelten ſo in einem Menſchen vereinigt geweſen wie in Sigismondo Malateſta (ſt. 1467). Aber wo die Miſſethaten ſich häufen wie in dieſem Hauſe geſchah, da gewinnen ſie das Schwergewicht auch über alles Talent und ziehen die Tyrannen in den Abgrund. Der ſchon erwähnte Pandolfo, Sigismondo's Enkel, hielt ſich nur noch weil Venedig ſeinen Condottiere trotz aller Ver - brechen nicht wollte fallen laſſen; als ihn ſeine Unterthanen (1497) aus hinreichenden Gründen1)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 498. in ſeiner Burg zu Rimini bombardirten und dann entwiſchen ließen, führte ein venezianiſcher Commiſſär den mit Brudermord und allen Gräueln befleckten wieder zurück. Nach drei Jahrzehnden waren die Malateſten arme Verbannte. Die Zeit um 1527Untergang der Kleinen. war wie die des Ceſare Borgia eine Epidemie für dieſe kleinen Dynaſtien, nur ſehr wenige überlebten ſie und nicht einmal zu ihrem Glück. In Mirandola, wo kleine Fürſten aus dem Hauſe Pico herrſchten, ſaß im Jahr 1533 ein armer Gelehrter, Lilio Gregorio Giraldi, der aus der Ver - wüſtung von Rom ſich an den gaſtlichen Heerd des hoch - bejahrten Giovan Francesco Pico (Neffen des berühmten Giovanni) geflüchtet hatte; bei Anlaß ihrer Beſprechungen über das Grabmal, welches der Fürſt für ſich bereiten wollte, entſtand eine Abhandlung,2)Lil. Greg. Giraldus, de vario sepeliendi ritu. Schon 1470 war in dieſem Hauſe eine Miniaturkataſtrophe vorgefallen, vgl. Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 225. deren Dedication vom April jenes Jahres datirt iſt. Aber wie wehmüthig lautet die Nachſchrift: im October deſſelben Jahres iſt der un -Cultur der Renaiſſance. 3341. Abſchnitt. glückliche Fürſt durch nächtlichen Mord von ſeinem Bruder - ſohn des Lebens und der Herrſchaft beraubt worden, und ich ſelber bin in tiefem Elend kaum mit dem Leben davon - gekommen .

Eine characterloſe Halbtyrannie, wie ſie Pandolfo Pe - trucci ſeit den 1490er Jahren in dem von Factionen zer - riſſenen Siena ausübte, iſt kaum der nähern Betrachtung werth. Unbedeutend und böſe, regierte er mit Hülfe eines Profeſſors der Rechte und eines Aſtrologen und verbreitete hie und da einigen Schrecken durch Mordthaten. Sein Sommervergnügen war, Steinblöcke vom Monte Amiata herunter zu rollen, ohne Rückſicht darauf, was und wen ſie trafen. Nachdem ihm gelingen mußte, was den Schlauſten mißlang er entzog ſich den Tücken des Ceſare Borgia ſtarb er doch ſpäter verlaſſen und verachtet. Seine Söhne aber hielten ſich noch lange mit einer Art von Halbherrſchaft.

Die Aragoneſen von Neapel. Alfons der Große.Von den wichtigern Dynaſtien ſind die Aragoneſen geſondert zu betrachten. Das Lehnsweſen, welches hier ſeit der Normannenzeit als Grundherrſchaft der Barone fort - dauert, färbt ſchon den Staat eigenthümlich, während im übrigen Italien, den ſüdlichen Kirchenſtaat und wenige andere Gegenden ausgenommen, faſt nur noch einfacher Grundbeſitz gilt und der Staat keine Befugniſſe mehr erb - lich werden läßt. Sodann iſt der große Alfons, welcher ſeit 1435 Neapel in Beſitz genommen (ſt. 1458), von einer andern Art als ſeine wirklichen oder vorgeblichen Nach - kommen. Glänzend in ſeinem ganzen Daſein, furchtlos unter ſeinem Volke, von einer großartigen Liebenswürdigkeit im Umgang, und ſelbſt wegen ſeiner ſpäten Leidenſchaft für Lucrezia d'Alagna nicht getadelt, ſondern bewundert, hatte er die eine üble Eigenſchaft der Verſchwendung,1)Jovian. Pontan. de liberalitate, und: de obedientia, 1. 4. Vgl. Sismondi X, p. 78, s.35 an welche ſich dann die unvermeidlichen Folgen hingen. 1. Abſchnitt. Frevelhafte Finanzbeamte wurden zuerſt allmächtig, bis ſie der bankerott gewordene König ihres Vermögens beraubte; ein Kreuzzug wurde gepredigt, um unter dieſem Vorwand den Clerus zu beſteuern; bei einem großen Erdbeben in den Abruzzen mußten die Ueberlebenden die Steuer für die Umgekommenen weiter bezahlen. Unter ſolchen Umſtänden war Alfons für hohe Gäſte der prunkhafteſte Wirth ſeiner Zeit (S. 17) und froh des unaufhörlichen Spendens an Jedermann, auch an Feinde; für literariſche Bemühungen hatte er vollends keinen Maßſtab mehr, ſo daß Poggio für die lateiniſche Ueberſetzung von Xenophon's Cyropädie 500 Goldſtücke erhielt.

Ferrante,1)Tristano Caracciolo: de varietate fortunæ, bei Murat. XXII. Jovian. Pontanus: de prudentia, 1. IV; de magnanimitate, 1. I.; de liberalitate, de immanitate. Cam. Porzio, con - giura de' Baroni, passim. Comines, Charles VIII, chap. 17, mit der allgem. Characteriſtik der Aragoneſen. der auf ihn kam, galt als ſein BaſtardFerrante. von einer ſpaniſchen Dame, war aber vielleicht von einem valencianiſchen Marranen erzeugt. War es nun mehr das Geblüt oder die ſeine Exiſtenz bedrohenden Complotte der Barone, was ihn düſter und grauſam machte, jedenfalls iſt er unter den damaligen Fürſten der ſchrecklichſte. Raſtlos thätig, als einer der ſtärkſten politiſchen Köpfe anerkannt, dabei kein Wüſtling, richtet er alle ſeine Kräfte, auch die eines unverſöhnlichen Gedächtniſſes und einer tiefen Ver - ſtellung, auf die Zernichtung ſeiner Gegner. Beleidigt in allen Dingen, worin man einen Fürſten beleidigen kann, indem die Anführer der Barone mit ihm verſchwägert und mit allen auswärtigen Feinden verbündet waren, gewöhnte er ſich an das Aeußerſte als an ein Alltägliches. Für dieSein Zwang - ſtaat. Beſchaffung der Mittel in dieſem Kampfe und in ſeinen auswärtigen Kriegen wurde wieder etwa in jener moham -3*361. Abſchnitt. medaniſchen Weiſe geſorgt, die Friedrich II. angewandt hatte: mit Korn und Oel handelte nur die Regierung; den Handel überhaupt hatte Ferrante in den Händen eines Ober - und Großkaufmanns, Francesco Coppola, centraliſirt, welcher mit ihm den Nutzen theilte und alle Rheder in ſeinen Dienſt nahm; Zwangsanleihen, Hinrichtungen und Confiscationen, grelle Simonie und Brandſchatzung der geiſtlichen Corporationen beſchufen das Uebrige. Nun über - ließ ſich Ferrante außer der Jagd, die er rückſichtslos übte, zweierlei Vergnügungen: ſeine Gegner entweder lebend in wohlverwahrten Kerkern oder todt und einbalſamirt, in der Tracht die ſie bei Lebzeiten trugen,1)Paul. Jovius, Histor. I, p. 14, in der Rede eines mailändiſchen Geſandten; Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 294. in ſeiner Nähe zu haben. Er kicherte, wenn er mit ſeinen Vertrauten von den Gefangenen ſprach; aus der Mumiencollection wurde nicht einmal ein Geheimniß gemacht. Seine Opfer waren faſt lauter Männer, deren er ſich durch Verrath, ja an ſeiner königlichen Tafel bemächtigt. Völlig infernal war das Verfahren gegen den in Dienſt grau und krank gewor - denen Premierminiſter Antonello Petrucci, von deſſen wach - ſender Todesangſt Ferrante immerfort Geſchenke annahm, bis endlich ein Anſchein von Theilnahme an der letzten Baronenverſchwörung den Vorwand gab zu ſeiner Verhaf - tung und Hinrichtung, zugleich mit Coppola. Die Art wie dieß Alles bei Caracciolo und Porzio dargeſtellt iſt,Alfonſo von Calabrien. macht die Haare ſträuben. Von den Söhnen des Königs genoß der ältere, Alfonſo Herzog von Calabrien, in den ſpätern Zeiten eine Art Mitregierung; ein wilder, grau - ſamer Wüſtling, der vor dem Vater die größere Offenheit voraus hatte, und ſich auch nicht ſcheute, ſeine Verachtung gegen die Religion und ihre Bräuche an den Tag zu legen. Die beſſern, lebendigen Züge des damaligen Tyrannenthums muß man bei dieſen Fürſten nicht ſuchen; was ſie von der37 damaligen Kunſt und Bildung an ſich nehmen, iſt Luxus1. Abſchnitt. oder Schein. Schon die echten Spanier treten in Italien faſt immer nur entartet auf, vollends aber zeigt der Aus - gang dieſes Marranenhauſes (1494 und 1503) einen augen - ſcheinlichen Mangel an Race. Ferrante ſtirbt vor innerer Sorge und Qual; Alfonſo traut ſeinem eigenen Bruder Federigo, dem einzigen Guten der Familie, Verrath zu, und beleidigt ihn auf die unwürdigſte Weiſe; endlich flieht Er, der bisher als einer der tüchtigſten Heerführer Italiens ge - golten, beſinnungslos nach Sicilien und läßt ſeinen Sohn, den jüngern Ferrante, den Franzoſen und dem allgemeinen Verrath zur Beute. Eine Dynaſtie, welche ſo regiert hatte wie dieſe, hätte allermindeſtens ihr Leben theuer verkaufen müſſen, wenn ihre Kinder und Nachkommen eine Reſtau - ration hoffen ſollten. Aber: jamais homme cruel ne fut hardi, wie Comines bei dieſem Anlaß etwas einſeitig und im Ganzen doch richtig ſagt.

Echt italieniſch im Sinne des XV. Jahrhunderts er -Der letzte Bis - conti. ſcheint das Fürſtenthum in den Herzogen von Mailand ausgebildet, deren Herrſchaft ſeit Giangaleazzo ſchon eine völlig ausgebildete abſolute Monarchie darſtellt. Vor Allem iſt der letzte Visconti, Filippo Maria (1412 1447) eine höchſt merkwürdige, glücklicher Weiſe vortrefflich geſchilderte1)Petri Candidi Decembrii Vita Phil. Mariae Vicecomitis, bei Murat. XX. Perſönlichkeit. Was die Furcht aus einem Menſchen von bedeutenden Anlagen in hoher Stellung machen kann, zeigt ſich hier, man könnte ſagen mathematiſch vollſtändig; alle Mittel und Zwecke des Staates concentriren ſich in dem einen der Sicherung ſeiner Perſon, nur daß ſein grauſamer Egoismus doch nicht in Blutdurſt überging. Im Caſtell von Mailand, das die herrlichſten Gärten, Laubgänge und Tummelplätze mit umfaßte, ſitzt er ohne die Stadt in vielen381. Abſchnitt. Jahren auch nur zu betreten; ſeine Ausflüge gehen nach den Landſtädten, wo ſeine prächtigen Schlöſſer liegen; die Barkenflottille die ihn, von raſchen Pferden gezogen, auf eigens gebauten Canälen dahin führt, iſt für die Hand - habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Caſtell betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand ſollte auch nur am Fenſter ſtehen, damit nicht nach außen gewinkt würde. Ein künſtliches Syſtem von Prüfungen erging über die, welche zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gezogen werden ſollten; dieſen vertraute er dann die höchſten diplo - matiſchen wie die Lakaiendienſte an, denn Beides war ja hier gleich ehrenvoll. Und dieſer Mann führte lange, ſchwierige Kriege und hatte beſtändig große politiſche Dinge unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit umfaſſenden Vollmachten ausſenden. Seine Sicherheit lag nun darin, daß keiner von dieſen keinem traute, daß die Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern Beamten durch künſtlich genährte Zwietracht, namentlich durch Zuſammenkoppelung je eines Guten und eines Böſen irre gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in ſeinem Innerſten iſt Filippo Maria bei den entgegengeſetzten Polen der Weltanſchauung verſichert; er glaubt an Geſtirne und an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth - helfern; er lieſt alte Autoren und franzöſiſche Ritterromane. Und zuletzt hat derſelbe Menſch, der den Tod nie wollte erwähnen hören1)Ihn ängſtigte, quod aliquando non esse necesse esset. und ſelbſt ſeine ſterbenden Günſtlinge aus dem Caſtell ſchaffen ließ, damit Niemand in dieſer Burg des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und Verweigerung des Aderlaſſes ſeinen Tod abſichtlich beſchleunigt und iſt mit Anſtand und Würde geſtorben.

Franceseo Sforza.Sein Schwiegerſohn und endlicher Erbe, der glückliche Condottiere Francesco Sforza (1450 1466, S. 24) war39 vielleicht von allen Italienern am Meiſten der Mann nach1. Abſchnitt. dem Herzen des XV. Jahrhunderts. Glänzender als in ihm war der Sieg des Genies und der individuellen Kraft nirgends ausgeſprochen, und wer das nicht anzuerkennen geneigt war, durfte doch immerhin den Liebling der Fortuna in ihm verehren. Mailand empfand es offenbar als Ehre, wenigſtens einen ſo berühmten Herrſcher zu erhalten; hatte ihn doch bei ſeinem Einritt das dichte Volksgedränge zu Pferde in den Dom hineingetragen, ohne daß er abſteigen konnte. 1)Corio, Fol. 400; Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 125.Hören wir die Bilanz ſeines Lebens, wie ſie Papſt Pius II, ein Kenner in ſolchen Dingen, uns vor -Sein Glück. rechnet. 2)Pii II. Comment. III, p. 130. Vgl. II. 87. 106. Eine andere, noch mehr ins Düſtere fallende Taration vom Glücke des Sforza giebt Caracciolo, de varietate fortunæ, bei Murat. XXII, Col. 74. Im Jahr 1459, als der Herzog zum Fürſten - congreß nach Mantua kam, war er 60 (eher 58) Jahre alt; als Reiter einem Jüngling gleich, hoch und äußerſt impoſant an Geſtalt, von ernſten Zügen, ruhig und leut - ſelig im Reden, fürſtlich im ganzen Benehmen, ein Ganzes von leiblicher und geiſtiger Begabung ohne Gleichen in unſerer Zeit, im Felde unbeſiegt das war der Mann der von niedrigem Stande zur Herrſchaft über ein Reich emporſtieg. Seine Gemahlin war ſchön und tugendhaft, ſeine Kinder anmuthig wie Engel vom Himmel; er war ſelten krank; alle ſeine weſentlichen Wünſche erfüllten ſich. Doch hatte auch er einiges Mißgeſchick; ſeine Gemahlin tödtete ihm aus Eiferſucht die Geliebte; ſeine alten Waffen - genoſſen und Freunde Troilo und Brunoro verließen ihn und gingen zu König Alfons über; einen andern, Ciar - pollone mußte er wegen Verrathes henken laſſen; von ſeinem Bruder Aleſſandro mußte er erleben, daß derſelbe einmal die Franzoſen gegen ihn aufſtiftete; einer ſeiner Söhne401. Abſchnitt. zettelte Ränke gegen ihn und kam in Haft; die Mark An - cona, die er im Krieg erobert, verlor er auch wieder im Krieg. Niemand genießt ein ſo ungetrübtes Glück, daß er nicht irgendwo mit Schwankungen zu kämpfen hätte. Der iſt glücklich, der wenige Widerwärtigkeiten hat. Mit dieſer negativen Definition des Glückes entläßt der gelehrte Papſt ſeinen Leſer. Wenn er hätte in die Zukunft blicken können oder auch nur die Conſequenzen der völlig unbeſchränkten Fürſtenmacht überhaupt erörtern wollen, ſo wäre ihm eine durchgehende Wahrnehmung nicht entgangen: die Garantie - loſigkeit der Familie. Jene engelſchönen, überdieß ſorgfältig und vielſeitig gebildeten Kinder unterlagen, als ſie Männer wurden,Galeazzo Maria. der ganzen Ausartung des ſchrankenloſen Egoismus. Galeazzo Maria (1466 1476), ein Virtuoſe der äußern Erſcheinung, war ſtolz auf ſeine ſchöne Hand, auf die hohen Beſoldun - gen die er bezahlte, auf den Geldcredit den er genoß, auf ſeinen Schatz von zwei Millionen Goldſtücken, auf die namhaften Leute die ihn umgaben, und auf die Armee und die Vogeljagd die er unterhielt. Dabei hörte er ſich gerne reden, weil er gut redete, und vielleicht am allerfließendſten wenn er etwa einen venezianiſchen Geſandten kränken konnte. 1)Malipiero, Ann. veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 216. 221.Dazwiſchen aber gab es Launen wie z. B. die, ein Zimmer in einer Nacht mit Figuren ausmalen zu laſſen; es gab entſetzliche Grauſamkeiten gegen Naheſtehende, und beſin - nungsloſe Ausſchweifung. Einigen Phantaſten ſchien er alle Eigenſchaften eines Tyrannen zu beſitzen; ſie brachten ihn um und lieferten damit den Staat in die Hände ſeiner Brüder, deren einer, Lodovico il Moro, nachher mit Ueber - gehung des eingekerkerten Neffen die ganze Herrſchaft an ſich riß. An dieſe Uſurpation hängt ſich dann die Inter - vention der Franzoſen und das böſe Schickſal von ganzLodovico Moro. Italien. Der Moro iſt aber die vollendetſte fürſtliche Cha - racterfigur dieſer Zeit, und erſcheint damit wieder wie ein41 Naturproduct, dem man nicht ganz böſe ſein kann. Bei1. Abſchnitt. der tiefſten Immoralität ſeiner Mittel erſcheint er in deren Anwendung völlig naiv; er würde wahrſcheinlich ſich ſehr verwundert haben, wenn ihm Jemand hätte begreiflich machen wollen, daß nicht nur für die Zwecke ſondern auch für die Mittel eine ſittliche Verantwortung exiſtirt; ja er würde vielleicht ſeine möglichſte Vermeidung aller Bluturtheile als eine ganz beſondere Tugend geltend gemacht haben. Den halbmythiſchen Reſpect der Italiener vor ſeiner politiſchen Force nahm er wie einen ſchuldigen Tribut1)Chron. venetum, bei Murat. XXIV, Col. 65. an; noch 1496 rühmte er ſich: Papſt Alexander ſei ſein Caplan, Kaiſer Max ſein Condottiere, Venedig ſein Kämmerer, der König von Frankreich ſein Courier, der da kommen und gehen müſſe wie ihm beliebe. 2)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 492. Vgl. 481. 561.Mit einer erſtaunlichen Beſonnenheit wägt er noch in der letzten Noth (1499) die möglichen Ausgänge ab, und verläßt ſich dabei, was ihm Ehre macht, auf die Güte der menſchlichen Natur; ſeinen Bruder Cardinal Ascanio, der ſich erbietet, im Caſtell von Mailand auszuharren, weiſt er ab, da ſie früher bittern Streit gehabt hatten: Monſignore, nichts für ungut, Euch traue ich nicht, wenn Ihr ſchon mein Bruder ſeid be - reits hatte er ſich einen Commandanten für das Caſtell, dieſe Bürgſchaft ſeiner Rückkehr ausgeſucht, einen Mann, dem er nie Uebles, ſtets nur Gutes erwieſen. 3)Seine letzte Unterredung mit demſelben, echt und merkwürdig, bei Senarega, Murat. XXIV, Col. 567.Derſelbe verrieth dann gleichwohl die Burg. Im Innern warInnere Regie - rung. der Moro bemüht, gut und nützlich zu walten, wie er denn in Mailand und auch in Como noch zuletzt auf ſeine Be - liebtheit rechnete; doch hatte er in den ſpätern Jahren (ſeit 1496) die Steuerkraft ſeines Staates übermäßig an -421. Abſchnitt. geſtrengt und z. B. in Cremona einen angeſehenen Bürger, der gegen die neuen Auflagen redete, aus lauter Zweck - mäßigkeit insgeheim erdroſſeln laſſen; auch hielt er ſich ſeitdem bei Audienzen die Leute durch eine Barre weit vom Leibe,1)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 336. 367. 369. Das Volk glaubte, er theſaurire. ſodaß man ſehr laut reden mußte, um mit ihm zu verhandeln. An ſeinem Hofe, dem glanzvollſten von Europa da kein burgundiſcher mehr vorhanden war, ging es äußerſt unſittlich her; der Vater gab die Tochter, der Gatte die Gattin, der Bruder die Schweſter Preis. 2)Corio, Fol. 448. Die Nachwirkungen dieſes Zuſtandes ſind beſon - ders kenntlich in den auf Mailand bezüglichen Novellen und Intro - ductionen der Bandello.Allein der Fürſt wenigſtens blieb immer thätig und fand ſich als Sohn ſeiner Thaten Denjenigen verwandt, welche ebenfalls aus eigenen geiſtigen Mitteln exiſtirten: den Gelehrten, Dichtern, Muſikern und Künſtlern. Die von ihm geſtiftete Academie3)Amoretti, memorie storiche sulla vita ecc. di Lionardo da Vinci, p. 35, s. 83, s. iſt in erſter Linie in Bezug auf ihn, nicht auf eine zu unterrichtende Schülerſchaft vorhanden; auch bedarf er nicht des Ruhmes der betreffenden Männer, ſondern ihres Umganges und ihrer Leiſtungen. Es iſt gewiß, daß Bramante am Anfang ſchmal gehalten wurde;4)S. deſſen Sonette bei Trucchi, Poesie inedite. aber Lio - nardo iſt doch bis 1496 richtig beſoldet worden und was hielt ihn überhaupt an dieſem Hofe wenn er nicht freiwillig blieb? Die Welt ſtand ihm offen wie vielleicht überhaupt Keinem von allen damaligen Sterblichen, und wenn irgend Etwas dafür ſpricht, daß in Lodovico Moro ein höheres Element lebendig geweſen, ſo iſt es dieſer lange Aufenthalt des räthſelhaften Meiſters in ſeiner Umgebung. Wenn Lionardo ſpäter dem Ceſare Borgia und Franz I.43 gedient hat, ſo mag er auch an dieſen das außergewöhnliche1. Abſchnitt. Naturell geſchätzt haben.

Von den Söhnen des Moro, die nach ſeinem SturzDie letzten Sforza. von fremden Leuten ſchlecht erzogen waren, ſieht ihm der ältere, Maſſimiliano, gar nicht mehr ähnlich; der jüngere, Francesco, war wenigſtens des Aufſchwunges nicht unfähig. Mailand, das in dieſen Zeiten ſo viele Male die Gebieter wechſelte und dabei unendlich litt, ſucht ſich wenigſtens gegen die Reactionen zu ſichern; die im Jahre 1512 vor der ſpaniſchen Armee und Maſſimiliano abziehenden Franzoſen werden bewogen, der Stadt einen Revers darüber auszu - ſtellen, daß die Mailänder keinen Theil an ihrer Vertreibung hätten und ohne Rebellion zu begehen ſich einem neuen Eroberer übergeben dürften. 1)Prato, im Archiv. stor. III, p. 298. vgl. 302.Es iſt auch in politiſcher Beziehung zu beachten, daß die unglückliche Stadt in ſolchen Augenblicken des Ueberganges, gerade wie z. B. Neapel bei der Flucht der Aragoneſen, der Plünderung durch Rotten von Böſewichtern (auch ſehr vornehmen) anheimzufallen pflegte.

Zwei beſonders wohl geordnete und durch tüchtigeDie Gonzagen von Mantua. Fürſten vertretene Herrſchaften ſind in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts die der Gonzagen von Mantua und der Montefeltro von Urbino. Die Gonzagen waren ſchon als Familie ziemlich einträchtig; es gab bei ihnen ſeit langer Zeit keine geheimen Mordthaten und ſie durften ihre Todten zeigen. Marcheſe Francesco Gonzaga2)Geb. 1466, verlobt mit der ſechsjährigen Iſabella 1480, ſuccedirt 1484, vermählt 1490, ſt. 1519; Iſabellens Tod 1539. Ihre Söhne Federigo 1519 1540, zum Herzog erhoben 1530, und der berühmte Ferrante Gonzaga[.]Das Folgende aus der Correſpondenz Iſabellens, nebſt Beilagen, Archiv. stor. Append. Tom. II, mit - getheilt von d'Arco. und ſeine441. Abſchnitt. Gemahlin Iſabella von Eſte ſind, ſo locker es bisweilen hergehen mochte, ein würdevolles und einiges Ehepaar ge - blieben und haben bedeutende und glückliche Söhne erzogen in einer Zeit, da ihr kleiner, aber hochwichtiger Staat oft in der größten Gefahr ſchwebte. Daß Francesco als Fürſt und als Condottiere eine beſonders gerade und redliche Politik hätte befolgen ſollen, das würde damals weder der Kaiſer, noch die Könige von Frankreich, noch Venedig ver - langt oder gar erwartet haben, allein er fühlte ſich wenig - ſtens ſeit der Schlacht am Taro (1495), ſoweit es die Waffenehre betraf, als italieniſchen Patrioten und theilte dieſe Geſinnung auch ſeiner Gemahlin mit. Sie empfindet fortan jede Aeußerung heldenmüthiger Treue, wie z. B. die Vertheidigung von Faenza gegen Ceſare Borgia als eine Ehrenrettung Italiens. Unſer Urtheil über ſie braucht ſich nicht auf die Künſtler und Schriftſteller zu ſtützen, welche der ſchönen Fürſtin ihr Mäcenat reichlich vergalten; ihre eigenen Briefe ſchildern uns die unerſchütterlich ruhige, im Beobachten ſchalkhafte und liebenswürdige Frau hinlänglich. Bembo, Bandello, Arioſto und Bernardo Taſſo ſandten ihre Arbeiten an dieſen Hof, obſchon derſelbe klein und macht - los und die Kaſſe oft ſehr leer war; einen feinern ge - ſelligen Kreis als dieſen gab es eben ſeit der Auflöſung des alten urbinatiſchen Hofes (1508) doch nirgends mehr, und auch der ferrareſiſche war wohl hier im Weſentlichen übertroffen, nämlich in der Freiheit der Bewegung. Specielle Kennerin war Iſabella in der Kunſt, und das Verzeichniß ihrer kleinen, höchſt ausgeſuchten Sammlung wird kein Kunſtfreund ohne Bewegung leſen.

Federigo von Urbino.Urbino beſaß in dem großen Federigo (1444 1482), mochte er nun ein echter Montefeltro ſein oder nicht, einen der vortrefflichſten Repräſentanten des Fürſtenthums. Als Condottiere hatte er die politiſche Moralität der Condottieren, woran ſie nur zur Hälfte Schuld ſind; als Fürſt ſeines45 kleinen Landes befolgte er die Politik, ſeinen auswärts ge -1. Abſchnitt. wonnenen Sold im Lande zu verzehren und daſſelbe mög - lichſt wenig zu beſteuern. Von ihm und ſeinen beiden Nachfolgern Guidobaldo und Francesco Maria heißt es: ſie errichteten Gebäude, beförderten den Anbau des Landes, lebten an Ort und Stelle und beſoldeten eine Menge Leute; das Volk liebte ſie . 1)Franc. Vettori, im Archiv. stor. Append. Tom. VI, p. 321. Ueber Federigo insbeſondere: Vespasiano Fiorent. p. 132. s. Aber nicht nur der Staat war ein wohl berechnetes und organiſirtes Kunſtwerk, ſondern auch der Hof, und zwar in jedem Sinne. Federigo unterhieltDer vollkom - mene Hof. 500 Köpfe; die Hofchargen waren ſo vollſtändig wie kaum an den Höfen der größten Monarchen, aber es wurde nichts vergeudet, Alles hatte ſeinen Zweck und ſeine genaue Con - trole. Hier wurde nicht geſpielt, geläſtert und geprahlt, denn der Hof mußte zugleich eine militäriſche Erziehungs - anſtalt für die Söhne anderer großer Herrn darſtellen, deren Bildung eine Ehrenſache für den Herzog war. Der Palaſt, den er ſich baute, war nicht der prächtigſte, aber claſſiſch durch die Vollkommenheit ſeiner Anlage; dort ſam - melte er ſeinen größten Schatz, die berühmte Bibliothek. Da er ſich in einem Lande wo Jeder von ihm Vortheil oder Verdienſt zog und Niemand bettelte, vollkommen ſicher fühlte, ſo ging er beſtändig unbewaffnet und faſt unbegleitet; keiner konnte ihm das nachmachen, daß er in offenen Gär - ten wandelte, in offenem Sale ſein frugales Mahl hielt, während aus Livius (zur Faſtenzeit aus Andachtsſchriften) vorgeleſen wurde. An demſelben Nachmittag hörte er eine Vorleſung aus dem Gebiet des Alterthums und ging dann in das Kloſter der Clariſſen um mit der Oberin am Sprach - gitter von heiligen Dingen zu reden. Abends leitete er gerne die Leibesübungen der jungen Leute ſeines Hofes auf der Wieſe bei S. Francesco mit der herrlichen Ausſicht, und ſah genau zu, daß ſie ſich bei den Fang - und Lauf -461. Abſchnitt. ſpielen vollkommen bewegen lernten. Sein Streben ging beſtändig auf die höchſte Leutſeligkeit und Zugänglichkeit; er beſuchte die welche für ihn arbeiteten, in der Werkſtatt, gab beſtändig Audienzen, und erledigte die Anliegen der Einzelnen womöglich am gleichen Tage. Kein Wunder, daß die Leute, wenn er durch die Straßen ging, nieder - knieten und ſagten: Dio ti mantenga, Signore! Die Denkenden aber nannten ihn das Licht Italiens. 1)Castiglione, Cortigiano, L. I. Guidobaldo. Sein Sohn Guidobaldo, bei hohen Eigenſchaften von Krank - heit und Unglück aller Art verfolgt, hat doch zuletzt (1508) ſeinen Staat in ſichere Hände, an ſeinen Neffen Francesco Maria, zugleich Nepoten des Papſtes Julius II. übergeben können, und dieſer wiederum das Land wenigſtens vor dauernder Fremdherrſchaft geborgen. Merkwürdig iſt die Sicherheit, mit welcher dieſe Fürſten, Guidobaldo vor Ce - ſare Borgia, Francesco Maria vor den Truppen Leo's X. unterducken und fliehen; ſie haben das Bewußtſein, daß ihre Rückkehr um ſo leichter und erwünſchter ſein werde, je weniger das Land durch fruchtloſe Vertheidigung gelitten hat. Wenn Lodovico Moro ebenfalls ſo rechnete, ſo vergaß er die vielen andern Gründe des Haſſes die ihm entgegen - wirkten. Guidobaldo's Hof iſt als hohe Schule der feinſten Geſelligkeit durch Baldaſſar Caſtiglione unſterblich gemacht worden, der ſeine Ecloge Tirſi (1506) vor jenen Leuten zu ihrem Lobe aufführte, und ſpäter (1518) die Geſpräche ſeines Cortigiano in den Kreis der hochgebildeten Herzogin (Gliſabetta Gonzaga) verlegte.

Die Eſte in Ferrara. Hausgräuel.Die Regierung der Eſte in Ferrara, Modena und Reggio hält zwiſchen Gewaltſamkeit und Popularität eine merkwürdige Mitte. 2)Das Folgende beſ. nach den Annales Estenses bei Muratori, XX. und dem Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV. Im Innern des Palaſtes gehen ent -47 ſetzliche Dinge vor; eine Fürſtin wird wegen vorgeblichen1. Abſchnitt. Ehebruches mit einem Stiefſohn enthauptet (1425); eheliche und uneheliche Prinzen fliehen vom Hof und werden auch in der Fremde durch nachgeſandte Mörder bedroht (letzteres 1471); dazu beſtändige Complotte von außen; der Baſtard eines Baſtardes will dem einzig rechtmäßigen Erben (Ercole I.) die Herrſchaft entreißen; ſpäter (1493) ſoll der letztere ſeine Gemahlin vergiftet haben nachdem er erkundet, daß ſie ihn vergiften wollte, und zwar im Auftrag ihres Bruders Ferrante von Neapel. Den Schluß dieſer Tragödien macht das Complott zweier Baſtarde gegen ihre Brüder, den re - gierenden Herzog Alfons I. und den Cardinal Ippolito (1506) welches bei Zeiten entdeckt und mit lebenslänglichem Kerker gebüßt wurde. Ferner iſt die Fiscalität in dieſem StaateFiscalität. höchſt ausgebildet und muß es ſein ſchon weil er der be - drohteſte unter allen großen und mittlern Staaten von Italien iſt und der Rüſtungen und Befeſtigungen in hohem Grade bedarf. Allerdings ſollte in gleichem Maße mit der Steuerkraft auch der natürliche Wohlſtand des Landes ge - ſteigert werden, und Marcheſe Nicolò (ſt. 1441) wünſchte ausdrücklich, daß ſeine Unterthanen reicher würden als an - dere Völker. Wenn die raſch wachſende Bevölkerung einen Beleg für den wirklich erreichten Wohlſtand abgiebt, ſo iſt es in der That ein wichtiges Factum, daß (1497) in der außerordentlich erweiterten Hauptſtadt keine Häuſer mehr zu vermiethen waren. 1)Diario Ferr. l. c. Col. 347.Ferrara iſt die erſte moderne Stadt Europa's; hier zuerſt entſtanden auf den Wink der Fürſten ſo große, regelmäßig angelegte Quartiere; hier ſammelte ſich durch Concentration der Beamtenſchaft und künſtlich herbeigezogene Induſtrie ein Reſidenzvolk; reiche Flüchtlinge aus ganz Italien, zumal Florentiner, wurden veranlaßt, ſich hier anzuſiedeln und Paläſte zu bauen. Allein die in - directe Beſteuerung wenigſtens muß einen eben nur noch481. Abſchnitt. erträglichen Grad von Ausbildung erreicht haben. Der Fürſt übte wohl eine Fürſorge, wie ſie damals auch bei andern italieniſchen Gewaltherrſchern, z. B. bei Galeazzo Maria Sforza vorkam: bei Hungersnöthen ließ er Getreide aus der Ferne kommen1)Paul. Jovius: vita Alfonsi ducis, in den viri illustres. und theilte es, wie es ſcheint, umſonſt aus; allein in gewöhnlichen Zeiten hielt er ſich ſchad - los durch das Monopol wenn nicht des Getreides doch vieler andern Lebensmittel: Salzfleiſch, Fiſche, Früchte, Ge - müſe, welche letztere auf und an den Wällen von FerraraAemterverkauf. ſorgfältig gepflanzt wurden. Die bedenklichſte Einnahme aber war die von dem Verkauf der jährlich neu beſetzten Aemter, ein Gebrauch der durch ganz Italien verbreitet war, nur daß wir über Ferrara am beſten unterrichtet ſind. Zum Neujahr 1502 heißt es z. B.: Die Meiſten kauften ihre Aemter um geſalzene Preiſe (salati); es werden Factoren verſchiedener Art, Zolleinnehmer, Domänenverwalter (mas - sarî), Notare, Podeſtàs, Richter und ſelbſt Capitani, d. h. herzogliche Oberbeamte von Landſtädten einzeln angeführt. Als einer von den Leutefreſſern , welche ihr Amt theuer bezahlt haben und welche das Volk haßt mehr als den Teufel , iſt Tito Strozza genannt, hoffentlich nicht der be - rühmte lateiniſche Dichter. Um dieſelbe Jahreszeit pflegte der jeweilige Herzog in Perſon eine Runde durch Ferrara zu machen, das ſog. Andar per ventura, wobei er ſich wenigſtens von den Wohlhabendern beſchenken ließ. Doch wurde dabei kein Geld, ſondern nur Naturalien geſpendet.

Ordnung und Berechnung.Der Stolz des Herzogs2)Paul. Jovius l. c. war es nun, wenn man in ganz Italien wußte, daß in Ferrara den Soldaten ihr Sold, den Profeſſoren der Univerſität ihr Gehalt immer auf den Tag ausbezahlt wurde, daß die Soldaten ſich nie - mals eigenmächtig am Bürger und Landmann erholen durften, daß Ferrara uneinnehmbar ſei und daß im Caſtell49 eine gewaltige Summe gemünzten Geldes liege. Von einer1. Abſchnitt. Scheidung der Kaſſen war keine Rede; der Finanzminiſter war zugleich Hausminiſter. Die Bauten des Borſo (1450 1471) Ercole I. (bis 1505) und Alfons I. (bis 1534) waren ſehr zahlreich, aber meiſt von geringem Umfang; man er - kennt darin ein Fürſtenhaus, das bei aller Prachtliebe Borſo erſchien nie anders als in Goldſtoff und Juwelen ſich auf keine unberechenbare Ausgabe einlaſſen will. Alfonſo mag von ſeinen zierlichen kleinen Villen ohnehin gewußt haben, daß ſie den Ereigniſſen unterliegen würden, Belvedere mit ſeinen ſchattigen Gärten, wie Montana mit den ſchönen Fresken und Springbrunnen.

Die dauernd bedrohte Lage entwickelte in dieſen FürſtenAusbildung der Perſönlichkeit. unläugbar eine große perſönliche Tüchtigkeit; in einer ſo künſtlichen Exiſtenz konnte ſich nur ein Virtuoſe mit Erfolg bewegen, und Jeder mußte ſich rechtfertigen und erweiſen als den der die Herrſchaft verdiene. Ihre Charactere haben ſämmtlich große Schattenſeiten, aber in Jedem war etwas von dem was das Ideal der Italiener ausmachte. Welcher Fürſt des damaligen Europa's hat ſich ſo ſehr um die eigene Ausbildung bemüht wie z. B. Alfonſo I.? Seine Reiſe nach Frankreich, England und den Niederlanden war eine eigentliche Studienreiſe, die ihm eine genauere Kennt - niß von Handel und Gewerben jener Länder eintrug. 1)Bei dieſem Anlaß mag auch die Reiſe Leo's X. als Cardinal er - wähnt werden. Vgl. Paul. Jovii vita Leonis X, Lib. I. Die Abſicht war minder ernſt, mehr auf Zerſtreuung und allgemeine Welt - kenntniß gerichtet, übrigens völlig modern. Kein Nordländer reiſte damals weſentlich zu ſolchen Zwecken.Es iſt thöricht, ihm die Drechslerarbeit ſeiner Erholungs - ſtunden vorzuwerfen, da ſie mit ſeiner Meiſterſchaft im Kanonengießen und mit ſeiner vorurtheilsloſen Art, die Meiſter jedes Faches um ſich zu haben, zuſammenhing. Die italieniſchen Fürſten ſind nicht wie die gleichzeitigen nordiſchenCultur der Renaiſſance. 4501. Abſchnitt. auf den Umgang mit einem Adel angewieſen, der ſich für die einzige beachtenswerthe Claſſe der Welt hält und auch den Fürſten in dieſen Dünkel hineinzieht; hier darf und muß der Fürſt Jeden kennen und brauchen, und ebenſo iſt auch der Adel zwar der Geburt nach abgeſchloſſen, aber in geſelliger Beziehung durchaus auf perſönliche, nicht auf Kaſten-Geltung gerichtet, wovon unten weiter zu handeln ſein wird.

Loyalität.Die Stimmung der Ferrareſen gegen dieſes Herrſcher - haus iſt die merkwürdigſte Miſchung aus einem ſtillen Grauen, aus jenem echtitalieniſchen Geiſt der wohlausge - ſonnenen Demonſtration, und aus völlig moderner Unter - thanenloyalität; die perſönliche Bewunderung ſchlägt in ein neues Pflichtgefühl um. Die Stadt Ferrara ſetzte 1451 dem (1441) verſtorbenen Fürſten Nicolò eine eherne Reiter - ſtatue auf der Piazza; Borſo genirte ſich (1454) nicht, ſeine eigene ſitzende Bronzeſtatue in die Nähe zu ſetzen, und über - dieß decretirte ihm die Stadt gleich am Anfang ſeiner Re - gierung eine marmorne Triumphſäule . Ein Ferrareſe, der im Auslande, in Venedig, über Borſo öffentlich ſchlecht geredet, wird bei der Heimkehr denuncirt und vom Gericht zu Verbannung und Gütereinziehung verurtheilt, ja beinahe hätte ihn ein loyaler Bürger vor dem Tribunal niederge - ſtoßen; mit dem Strick um den Hals geht er zum Herzog,Polizei und Be - amtencontrole. und erfleht völlige Verzeihung. Ueberhaupt iſt dieß Fürſten - thum mit Spähern gut verſehen, und der Herzog in Perſon prüft täglich den Fremdenrapport, auf welchen die Wirthe ſtreng verpflichtet ſind. Bei Borſo1)Jovian. Pontan. de liberalitate. wird dieß noch in Verbindung gebracht mit ſeiner Gaſtfreundſchaft, die keinen bedeutenden Reiſenden ungeehrt wollte ziehen laſſen; für Ercole I.2)Giraldi, Hecatommithi, VI, Nov. 1. dagegen war es reine Sicherheitsmaßregel. Auch in Bologna mußte damals, unter Giovanni II. Bentivoglio,51 jeder durchpaſſirende Fremde an dem einen Thor einen1. Abſchnitt. Zettel löſen um wieder zum andern hinauszudürfen. 1)Vasari XII, 166, v. di Michelangelo. Höchſt populär wird der Fürſt, wenn er drückende Beamte plötzlich zu Boden ſchmettert, wenn Borſo ſeine erſten und geheimſten Räthe in Perſon verhaftet, wenn Ercole I. einen Einnehmer, der ſich lange Jahre hindurch vollgeſogen, mit Schanden abſetzt; da zündet das Volk Freudenfeuer an und läutet die Glocken. Mit Einem ließ es aber Ercole zu weit kommen, mit ſeinem Polizeidirector oder wie man ihn nennen will (capitaneo di giustizia) Gregorio Zampante aus Lucca (denn für Stellen dieſer Art eignete ſich kein Einheimiſcher). Selbſt die Söhne und Brüder des Herzogs zitterten vor demſelben; ſeine Bußen gingen immer in die Hunderte und Tauſende von Ducaten und die Tortur be - gann ſchon vor dem Verhör. Von den größten Verbrechern ließ er ſich beſtechen und verſchaffte ihnen durch Lügen die herzogliche Begnadigung. Wie gerne hätten die Unterthanen dem Herzog 10,000 Ducaten und drüber bezahlt, wenn er dieſen Feind Gottes und der Welt caſſirt hätte! Aber Er - cole hatte ihn zu ſeinem Gevatter und zum Cavaliere ge - macht, und der Zampante legte Jahr um Jahr 2000 Du - caten bei Seite; freilich er nur noch Tauben, die im Hauſe gezogen wurden und ging nicht mehr über die Gaſſe ohne eine Schaar von Armbruſtſchützen und Sbirren. Es wäre Zeit geweſen, ihn zu beſeitigen; da machten ihn (1496) zwei Studenten und ein getaufter Jude, die er tödtlich be - leidigt, in ſeinem Hauſe während der Sieſta nieder und ritten auf bereit gehaltenen Pferden durch die Stadt, ſin - gend: Heraus, Leute, laufet! wir haben den Zampante umgebracht. Die nachgeſandte Mannſchaft kam zu ſpät, als ſie bereits über die nahe Gränze in Sicherheit gelangtTheilnahme des Publicums an der Trauer der Fürſten. waren. Natürlich regnete es nun Pasquille, die einen als Sonette, die andern als Canzonen. Andererſeits iſt es4*521. Abſchnitt. ganz im Geiſte dieſes Fürſtenthums, daß der Souverän ſeine Hochachtung vor nützlichen Dienern auch dem Hof und der Bevölkerung dictirt. Als 1469 Borſo's Geheim - rath Lodovico Caſella ſtarb, durfte am Begräbnißtage kein Tribunal und keine Bude in der Stadt und kein Hörſaal in der Univerſität offen ſtehen; Jedermann ſollte die Leiche nach S. Domenico begleiten, weil auch der Herzog mitziehen würde. In der That ſchritt er der erſte vom Haus Eſte, der einem Unterthan an die Leiche gegangen in ſchwarzem Gewande weinend hinter dem Sarge her, hinter ihm je ein Verwandter Caſella's von einem Herrn vom Hof geführt; Adliche trugen dann die Leiche des Bürger - lichen aus der Kirche in den Kreuzgang, wo ſie beigeſetzt wurde. Ueberhaupt iſt das officielle Mitempfinden fürſt - licher Gemüthsbewegungen zuerſt in dieſen italieniſchen Staaten aufgekommen. 1)Ein frühes Beiſpiel, Bernabò Visconti, S. 11.Der Kern hievon mag ſeinen ſchönen menſch - lichen Werth haben, die Aeußerung, zumal bei den Dichtern, iſt in der Regel zweideutig. Eines der Jugendgedichte Arioſto's,2)Als Capitolo 19, und in den opere minori, ed. Lemonnier, Vol. I, p.[]245 als Elegia 17 betitelt. Ohne Zweifel war dem 19jährigen Dichter die Urſache dieſes Todesfalles (S. 47) nicht bekannt. auf den Tod der Lianora von Aragon, Ge - mahlin des Ercole I., enthält, außer den unvermeidlichen Trauerblumen wie ſie in allen Jahrhunderten geſpendet werden, ſchon einige völlig moderne Züge: dieſer Todes - fall habe Ferrara einen Schlag verſetzt, den es in vielen Jahren nicht verwinden werde; ſeine Wohlthäterin ſei jetzt Fürbitterin im Himmel geworden, da die Erde ihrer nicht würdig geweſen; freilich, die Todesgöttin ſei ihr nicht wie uns gemeinen Sterblichen mit blutiger Senſe genaht, ſon - dern geziemend (onesta) und mit ſo freundlichem Antlitz,Verherrlichung fürſtlicher Lieb - ſchaften. daß jede Furcht verſchwand. Aber wir treffen noch auf ganz andere Mitgefühle; Novelliſten, welchen an der Gunſt der betreffenden Häuſer alles liegen mußte und welche auf53 dieſe Gunſt rechnen, erzählen uns die Liebesgeſchichten der1. Abſchnitt. Fürſten zum Theil bei deren Lebzeiten,1)In den Hecatommithi des Giraldi handeln I, Nov. 8 und VI, Nov. 1, 2, 3, 4 und 10 von Ercole I, Alfonſo I, und Ercole II, Alles verfaßt bei Lebzeiten der beiden letztern Vieles über fürſtliche Zeitgenoſſen auch im Bandello. in einer Weiſe die ſpätern Jahrhunderten als der Gipfel aller Indiscretion, damals als harmloſe Verbindlichkeit erſchien. Ja lyriſche Dichter bedichteten die beiläufigen Paſſionen ihrer hohen, dabei legitim vermählten Herrn, Angelo Poliziano die des Lorenzo magnifico, und mit beſonderem Accent Gioviano Pontano die des Alfonſo von Calabrien. Das betreffende Gedicht2)U. a. in den Deliciæ poetar. italor. verräth wider Willen die ſcheußliche Seele des Aragoneſen; er muß auch in dieſem Gebiete der Glücklichſte ſein, ſonſt wehe denen die glücklicher wären! Daß die größten Maler, z. B. Lionardo, die Maitreſſen ihrer Herrn malten, verſteht ſich von ſelbſt.

Das eſtenſiſche Fürſtenthum wartete aber nicht dieDer Pomp der Eſte. Verherrlichung durch Andere ab, ſondern es verherrlichte ſich ſelbſt. Borſo ließ ſich im Palazzo Schifanoja in einer Reihe von Regentenhandlungen abmalen und Ercole feierte (zuerſt 1472) den Jahrestag ſeines Regierungsantrittes mit einer Proceſſion welche ausdrücklich mit der des Frohn - leichnamsfeſtes verglichen wird; alle Buden waren geſchloſſen wie an einem Sonntag; mitten im Zuge marſchirten alle vom Haus Eſte, auch die Baſtarde, in Goldſtoff. Daß alle Macht und Würde vom Fürſten ausgehe, eine perſönliche Auszeichnung von ſeiner Seite ſei, war an dieſem Hofe ſchon längſt3)Bereits 1367 bei Nicolò dem Aeltern erwähnt, im Polistore, bei Murat. XXIV, Col. 848. verſinnbildlicht durch einen Orden vom goldenen Sporn, der mit dem mittelalterlichen Ritterthum nichts mehr zu thun hatte. Ercole I. gab zum Sporn noch einen Degen,541. Abſchnitt. einen goldgeſtickten Mantel und eine Dotation, wofür ohne Zweifel eine regelmäßige Aufwartung verlangt wurde.

Das Mäcenat.Das Mäcenat wofür dieſer Hof weltberühmt geworden iſt, knüpfte ſich theils an die Univerſität, welche zu den vollſtändigſten Italiens gehörte, theils an den Hof - und Staatsdienſt; beſondere Opfer wurden dafür kaum gebracht. Bojardo gehörte als reicher Landedelmann und hoher Be - amter durchaus nur in dieſe Sphäre; als Arioſt anfing etwas zu werden, gab es, wenigſtens in der wahren Be - deutung, keinen mailändiſchen und keinen florentiniſchen, bald auch keinen urbinatiſchen Hof mehr, von Neapel nicht zu reden, und er begnügte ſich mit einer Stellung neben den Muſikern und Gauklern des Cardinals Ippolito, bis ihn Alfonſo in ſeine Dienſte nahm. Anders war es ſpäter mit Torquato Taſſo, auf deſſen Beſitz der Hof eine wahre Eiferſucht zeigte.

Reſte der alten Parteien.Gegenüber von dieſer concentrirten Fürſtenmacht war jeder Widerſtand innerhalb des Staates erfolglos. Die Elemente zur Herſtellung einer ſtädtiſchen Republik waren für immer aufgezehrt, Alles auf Macht und Gewaltübung orientirt. Der Adel, politiſch rechtlos auch wo er noch feudalen Beſitz hatte, mochte ſich und ſeine Bravi als Guelfen und Ghibellinen eintheilen und coſtumiren, ſie die Feder am Barett oder die Bauſchen an den Hoſen1)Burigozzo, im Archiv. stor. III, p. 432. ſo oder anders tragen laſſen die Denkenden wie z. B. Macchiavell2)Discorsi I, 17. wußten ein für allemal, daß Mailand oder Neapel für eine Republik zu corrumpirt waren. Es kommen wunderbare Gerichte über jene vorgeblichen zwei Parteien, die längſt nichts mehr als alte, im Schatten der Gewalt am Spalier gezogene Familiengehäſſigkeiten waren. 55Ein italieniſcher Fürſt, welchem Agrippa von Nettesheim1)De incert. et vanitate scientiar. cap. 55.1. Abſchnitt. die Aufhebung derſelben anrieth, antwortete: ihre Händel tragen mir ja bis 12000 Ducaten Bußgelder jährlich ein! Und als z. B. im Jahr 1500 während der kurzen Rück - kehr des Moro in ſeine Staaten die Guelfen von Tortona einen Theil des nahen franzöſiſchen Heeres in ihre Stadt riefen, damit ſie den Ghibellinen den Garaus machten, plünderten und ruinirten die Franzoſen zunächſt allerdings dieſe, dann aber auch die Guelfen ſelbſt, bis Tortona völlig verwüſtet war. 2)Prato, im Archiv. stor. III, p. 241. Auch in der Romagna, wo jede Leiden - ſchaft und jede Rache unſterblich waren, hatten jene beiden Namen den politiſchen Inhalt vollkommen eingebüßt. Es gehörte mit zum politiſchen Irrſinn des armen Volkes, daß die Guelfen hie und da ſich zur Sympathie für Frank - reich, die Ghibellinen für Spanien verpflichtet glaubten. Ich ſehe nicht, daß die welche dieſen Irrſinn ausbeuteten, beſonders weit damit gekommen wären. Frankreich hat Italien nach allen Interventionen immer wieder räumen müſſen und was aus Spanien geworden iſt, nachdem es Italien umgebracht hat, das greifen wir mit den Händen.

Doch wir kehren zum Fürſtenthum der RenaiſſanceDie Verſchwö - rungen. zurück. Eine vollkommen reine Seele hätte vielleicht auch damals raiſonnirt, daß alle Gewalt von Gott ſei, und daß dieſe Fürſten, wenn Jeder ſie gutwillig und aus redlichem Herzen unterſtütze, mit der Zeit gut werden und ihren ge - waltſamen Urſprung vergeſſen müßten. Aber von leiden - ſchaftlichen, mit ſchaffender Gluth begabten Phantaſien und Gemüthern iſt dieß nicht zu verlangen. Sie ſahen, wie ſchlechte Aerzte, die Hebung der Krankheit in der Beſeitigung des Symptoms und glaubten, wenn man die Fürſten er - morde, ſo gebe ſich die Freiheit von ſelber. Oder ſie dachten auch nicht ſo weit, und wollten nur dem allgemein ver -561. Abſchnitt. breiteten Haß Luft machen, oder nur eine Rache für Fa - milienunglück oder perſönliche Beleidigungen üben. So wie die Herrſchaft eine unbedingte, aller geſetzlichen Schranken entledigte, ſo iſt auch das Mittel der Gegner ein unbeding - tes. Schon Boccaccio ſagt es offen:1)De casibus virorum illustrium, L. II, cap. 15. Soll ich den Ge - waltherrn König, Fürſt heißen und ihm Treue bewahren als meinem Obern? Nein! denn er iſt Feind des ge - meinen Weſens. Gegen ihn kann ich Waffen, Verſchwörung, Späher, Hinterhalt, Liſt gebrauchen; das iſt ein heiliges, nothwendiges Werk. Es giebt kein lieblicheres Opfer als Tyrannenblut . Die einzelnen Hergänge dürfen uns hier nicht beſchäftigen; Macchiavell hat in einem allbekannten Capitel2)Discorsi III, 6. Womit storie fior. L. VIII. zu vergleichen. ſeiner Discorſi die antiken und modernen Ver - ſchwörungen von der alten griechiſchen Tyrannenzeit an be - handelt und ſie nach ihrer verſchiedenen Anlage und ihren Chancen ganz kaltblütig beurtheilt. Nur zwei Bemerkungen: über die Mordthaten beim Gottesdienſt und über die Ein - wirkung des Alterthums mögen hier geſtattet ſein.

Der Kirchen - mord.Es war faſt unmöglich, der wohlbewachten Gewalt - herrſcher anderswo habhaft zu werden als bei feierlichen Kirch - gängen, vollends aber war eine ganze fürſtliche Familie bei keinem andern Anlaß beiſammenzutreffen. So ermor - deten die Fabrianeſen3)Corio, fol. 333. Das folgende ibid. fol. 305. 422, s. 440. (1435) ihr Tyrannenhaus, die Chiavelli, während eines Hochamtes, und zwar laut Abrede bei den Worten des Credo: Et incarnatus est. In Mai - land wurde (1412) Herzog Giovan Maria Visconti am Eingang der Kirche S. Gottardo, (1476) Herzog Galeazzo Maria Sforza in der Kirche S. Stefano ermordet, und Lodovico Moro entging einſt (1484) den Dolchen der An - hänger der verwittweten Herzogin Bona nur dadurch, daß er die Kirche S. Ambrogio durch eine andere Thür betrat57 als dieſelben erwartet hatten. Eine beſondere Impietät1. Abſchnitt. war dabei nicht beabſichtigt; die Mörder Galeazzo's beteten noch vor der That zu dem Heiligen der betreffenden Kirche und hörten noch die erſte Meſſe daſelbſt. Doch war es bei der Verſchwörung der Pazzi gegen Lorenzo und Giuliano Medici (1478) eine Urſache des theilweiſen Mißlingens, daß der Bandit Monteſecco ſich zwar für die Ermordung bei einem Gaſtmahl verdungen hatte, den Vollzug im Dom von Florenz dagegen verweigerte; an ſeiner Stelle verſtan - den ſich dann Geiſtliche dazu, welche der heiligen Orte gewohnt waren und ſich deßhalb nicht ſcheuten. 1)So das Citat aus Gallus, bei Sismondi XI, 93.

Was das Alterthum betrifft, deſſen Einwirkung aufEinwirkung des Alterthums. die ſittlichen und ſpeciell auf die politiſchen Fragen noch öfter berührt werden wird, ſo gaben die Herrſcher ſelbſt das Beiſpiel, indem ſie in ihrer Staatsidee ſowohl als in ihrem Benehmen das alte römiſche Imperium oft ausdrück - lich zum Vorbild nahmen. Ebenſo ſchloſſen ſich nun ihre Gegner, ſobald ſie mit theoretiſcher Beſinnung zu Werke gingen, den antiken Tyrannenmördern an. Es wird ſchwer zu beweiſen ſein, daß ſie in der Hauptſache, im Entſchluß zur That ſelbſt, durch dieß Vorbild ſeien beſtimmt worden, aber reine Phraſe und Stylſache blieb die Berufung auf das Alterthum doch nicht. Die merkwürdigſten Aufſchlüſſe ſind über die Mörder Galeazzo Sforza's, Lampugnani, Olgiati und Visconti vorhanden. 2)Corio, fol. 422. Allegretto, Diarî Sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 777.Sie hatten alle drei ganz perſönliche Motive und doch kam der Entſchluß viel - leicht aus einem allgemeinern Grunde. Ein Humaniſt und Lehrer der Eloquenz, Cola de' Montani, hatte unter einer Schaar von ſehr jungen mailändiſchen Adlichen eine unklare Begier nach Ruhm und nach großen Thaten für das Vater - land entzündet und war endlich gegen die zwei erſtgenannten581. Abſchnitt. mit dem Gedanken einer Befreiung Mailands herausgerückt. Bald kam er in Verdacht, wurde ausgewieſen und mußte die Jünglinge ihrem lodernden Fanatismus überlaſſen. EtwaDer Stadtpatron. zehn Tage vor der That verſchworen ſie ſich feierlich im Kloſter S. Ambrogio; dann, ſagt Olgiati, in einem abge - legenen Raum vor einem Bilde des heiligen Ambroſius er - hob ich meine Augen und flehte ihn um Hülfe für uns und ſein ganzes Volk . Der himmliſche Stadtpatron ſoll die That ſchützen, gerade wie nachher S. Stephan in deſſen Kirche ſie geſchieht. Nun zogen ſie noch viele Andere halb in die Sache hinein, hatten im Hauſe Lampugnani ihr all - nächtliches Hauptquartier und übten ſich mit Dolchſcheiden im Stechen. Die That gelang, aber Lampugnani wurde gleich von den Begleitern des Herzogs niedergemacht und die andern ergriffen. Visconti zeigte Reue, Olgiati blieb trotz aller Tortur dabei, daß die That ein Gott wohlge - fälliges Opfer geweſen und ſagte noch während ihm der Henker die Bruſt einſchlug: Nimm dich zuſammen, Giro - lamo! man wird lange an dich denken; der Tod iſt bitter, der Ruhm ewig!

Catilinarier.So ideal aber die Vorſätze und Abſichten hier ſein moch - ten, ſo ſchimmert doch aus der Art und Weiſe wie die Ver - ſchwörung betrieben wird, das Bild gerade des heilloſeſten aller Conſpiratoren hervor, der mit der Freiheit gar nichts gemein hat: des Catilina. Die Jahrbücher von Siena ſagen ausdrücklich, die Verſchwörer hätten den Salluſt ſtudirt, und aus Olgiati's eigenem Bekenntniß erhellt es mittelbar. 1)Man vergleiche in dem eigenen Bericht Olgiati's, bei Corio, einen Satz wie folgenden: Quisque nostrum magis socios potissime et infinitos alios sollicitare, infestare, alter alteri benevolos se facere cœpit. Aliquid aliquibus parum donare; simul ma - gis noctu edere, bibere, vigilare, nostra omnia bona polli - ceri, etc. Auch ſonſt werden wir dieſem furchtbaren Namen wieder59 begegnen. Für das geheime Complottiren gab es eben1. Abſchnitt. doch, wenn man vom Zweck abſah, kein ſo einladendes Muſter mehr wie dieſes.

Bei den Florentinern, ſo oft ſie ſich der Medici ent -Florenz und die Tyrannen. ledigten oder entledigen wollten, galt der Tyrannenmord als ein offen zugeſtandenes Ideal. Nach der Flucht der Medici im J. 1494 nahm man aus ihrem Palaſt Dona - tello's Bronzegruppe1)Vasari, III, 251, Nota, zur v. di. Donatello. der Judith mit dem todten Holofernes und ſetzte ſie vor den Signorenpalaſt an die Stelle wo jetzt Michelangelo's David ſteht, mit der Inſchrift: exemplum salutis publicæ cives posuere 1495. Ganz beſonders aber berief man ſich jetzt auf den jüngern Brutus, der noch bei Dante2)Inferno XXXIV, 64. mit Caſſius und Judas Iſcharioth im unter - ſten Schlund der Hölle ſteckt weil er das Imperium ver - rathen. Pietro Paolo Boscoli, deſſen Verſchwörung gegen Giuliano, Giovanni und Giulio Medici (1513) mißlang, hatte im höchſten Grade für Brutus geſchwärmt und ſich vermeſſen ihn nachzuahmen wenn er einen Caſſius fände; als ſolcher hatte ſich ihm dann Agoſtino Capponi ange - ſchloſſen. Seine letzten Reden im Kerker,3)Aufgezeichnet von dem Ohrenzeugen Luca della Robbia, Archiv. stor. I, p. 273. Vgl. Paul. Jovius, vita Leonis X, L. III, in den Viri illustres. eines der wich - tigſten Actenſtücke über den damaligen Religionszuſtand zeigen mit welcher Anſtrengung er ſich jener römiſchen Phantaſien wieder entledigte, um chriſtlich zu ſterben. Ein Freund und der Beichtvater müſſen ihn verſichern, S. Tho - mas von Aquino verdamme die Verſchwörungen überhaupt, aber der Beichtvater hat in ſpäterer Zeit demſelben Freunde insgeheim eingeſtanden, S. Thomas mache eine Diſtinction und erlaube die Verſchwörung gegen einen Tyrannen, der ſich dem Volk gegen deſſen Willen mit Gewalt aufgedrungen. 601. Abſchnitt. Als Lorenzino Medici den Herzog Aleſſandro (1537) um - gebracht und ſich geflüchtet hatte, erſchien eine wahrſcheinlich echte, mindeſtens in ſeinem Auftrag verfaßte Apologie1)Bei Roscoe, vita di Lorenzo de' Medici, vol. IV, Beilage 12. der That, worin er den Tyrannenmord an ſich als das verdienſtlichſte Werk preiſt; ſich ſelbſt vergleicht er, auf den Fall daß Aleſſandro wirklich ein echter Medici und alſo (wenn auch weitläufig) mit ihm verwandt geweſen, unge - ſcheut mit Timoleon, dem Brudermörder aus Patriotismus. Andere haben auch hier den Vergleich mit Brutus gebraucht, und daß ſelbſt Michelangelo noch ganz ſpät Gedanken dieſer Art nachgehangen hat, darf man wohl aus ſeiner Brutus - büſte (in den Uffizien) ſchließen. Er ließ ſie unvollendet wie faſt alle ſeine Werke, aber gewiß nicht weil ihm der Mord Cäſar's zu ſchwer auf das Herz gefallen, wie das darunter angebrachte Diſtichon meint.

Das Volk u. die Verſchwörer.Einen Maſſenradicalismus, wie er ſich gegenüber den neuern Monarchien ausgebildet hat, würde man in den Fürſten - ſtaaten der Renaiſſance vergebens ſuchen. Jeder Einzelne pro - teſtirte wohl in ſeinem Innern gegen das Fürſtenthum, aber er ſuchte viel eher ſich leidlich oder vortheilhaft unter demſelben einzurichten als es mit vereinten Kräften anzugreifen. Es mußte ſchon ſo weit kommen wie damals in Camerino, in Fabriano, in Rimini (S. 33), bis eine Bevölkerung ihr regierendes Haus zu vertilgen oder zu verjagen unternahm. Auch wußte man in der Regel zu gut, daß man nur den Herrn wechſeln würde. Das Geſtirn der Republiken war entſchieden im Sinken.

Untergang der freien Städte.Einſt hatten die italieniſchen Städte in höchſtem Grade jene Kraft entwickelt, welche die Stadt zum Staate macht. Es bedurfte nichts weiter als daß ſich dieſe Städte zu einer großen Föderation verbündeten; ein Gedanke, der in Italien61 immer wiederkehrt, mag er im Einzelnen bald mit dieſen1. Abſchnitt. bald mit jenen Formen bekleidet ſein. In den Kämpfen des XII. und XIII. Jahrhunderts kam es wirklich zu großen, kriegeriſch gewaltigen Städtebünden, und Sismondi (II. 174) glaubt, die Zeit der letzten Rüſtungen des Lombardenbundes gegen Barbaroſſa (ſeit 1168) wäre wohl der Moment ge - weſen, da eine allgemeine italieniſche Föderation ſich hätte bilden können. Aber die mächtigern Städte hatten bereits Characterzüge entwickelt, welche dieß unmöglich machten: ſie erlaubten ſich als Handelsconcurrenten die äußerſten Mittel gegen einander, und drückten ſchwächere Nachbar - ſtädte in rechtloſe Abhängigkeit nieder; d. h. ſie glaubten am Ende doch einzeln durchzukommen und des Ganzen nicht zu bedürfen, und bereiteten den Boden vor für jede andere Gewaltherrſchaft. Dieſe kam, als innere Kämpfe zwiſchen den Adelsparteien unter ſich und mit den Bürgern die Sehnſucht nach einer feſten Regierung weckten und die ſchon vorhandenen Soldtruppen jede Sache um Geld unterſtützten, nachdem die einſeitige Parteiregierung ſchon längſt das all - gemeine Bürgeraufgebot unbrauchbar zu finden gewohnt war. 1)Ueber letztern Punkt ſ. Jac. Nardi, vita di Ant. Giacomini, p. 18.Die Tyrannis verſchlang die Freiheit der meiſten Städte; hie und da vertrieb man ſie, aber nur halb, oder nur auf kurze Zeit; ſie kam immer wieder, weil die innern Bedingungen für ſie vorhanden und die entgegenſtrebenden Kräfte aufgebraucht waren.

Unter den Städten welche ihre Unabhängigkeit bewahr - ten, ſind zwei für die ganze Geſchichte der Menſchheit von höchſter Bedeutung: Florenz, die Stadt der beſtändigen Bewegung, welche uns auch Kunde hinterlaſſen hat von allen Gedanken und Abſichten der Einzelnen und der Ge - ſammtheit, die drei Jahrhunderte hindurch an dieſer Be - wegung theilnahmen; dann Venedig, die Stadt des ſchein -621. Abſchnitt. baren Stillſtandes und des politiſchen Schweigens. Es ſind die ſtärkſten Gegenſätze die ſich denken laſſen, und beide ſind wiederum mit nichts auf der Welt zu vergleichen.

Venedig.Venedig erkannte ſich ſelbſt als eine wunderbare, ge - heimnißvolle Schöpfung, in welcher noch etwas Anderes als Menſchenwitz von jeher wirkſam geweſen. Es gab einen Mythus von der feierlichen Gründung der Stadt: am 25. März 413 um Mittag hätten die Ueberſiedler aus Padua den Grundſtein gelegt am Rialto, damit eine un - angreifbare, heilige Freiſtätte ſei in dem von den Barbaren zerriſſenen Italien. Spätere haben in die Seele dieſer Gründer alle Ahnungen der künftigen Größe hineingelegt; M. Antonio Sabellico, der das Ereigniß in prächtig ſtrö - menden Hexametern gefeiert hat, läßt den Prieſter, der die Stadtweihe vollzieht, zum Himmel rufen: Wenn wir einſt Großes wagen, dann gieb Gedeihen! jetzt knien wir nur vor einem armen Altar, aber wenn unſere Gelübde nicht umſonſt ſind, ſo ſteigen Dir, o Gott, hier einſt hun - dert Tempel von Marmor und Gold empor!1)Genethliacon, in ſeinen carmina. Vgl. Sanſovino, Venezia, fol. 203. Die älteſte venezian. Chronik, bei Pertz, Monum. IX, p. 5. 6. verlegt die Gründung der Inſelorte erſt in die longobar - diſche Zeit und die von Rialto ausdrücklich noch ſpäter. DieDie Stadt. Inſelſtadt ſelbſt erſchien zu Ende des XV. Jahrhunderts wie das Schmuckkäſtchen der damaligen Welt. Derſelbe Sabellico ſchildert ſie als ſolches2)De situ venetæ urbis. mit ihren uralten Kup - pelkirchen, ſchiefen Thürmen, incruſtirten Marmorfaſſaden, mit ihrer ganz engen Pracht, wo die Vergoldung der Decken und die Vermiethung jedes Winkels ſich mit einander ver - trugen. Er führt uns auf den dichtwogenden Platz vor S. Giacometto am Rialto, wo die Geſchäfte einer Welt ſich nicht durch lautes Reden oder Schreien, ſondern nur63 durch ein vielſtimmiges Summen verrathen, wo in den1. Abſchnitt. Portiken1)Dieſe ganze Gegend wurde dann durch die Neubauten des beginnen - den XVI. Jahrh. verändert. ringsum und in denen der anſtoßenden Gaſſen die Wechsler und die Hunderte von Goldſchmieden ſitzen, über ihren Häuptern Läden und Magazine ohne Ende; jenſeits von der Brücke beſchreibt er den großen Fondaco der Deutſchen, in deſſen Hallen ihre Waaren und ihre Leute wohnen, und vor welchem ſtets Schiff an Schiff im Canal liegt; von da weiter aufwärts die Wein - und Oelflotte und parallel damit am Strande, wo es von Facchinen wimmelt, die Gewölbe der Händler; dann vom Rialto bis auf den Marcusplatz die Parfümeriebuden und Wirthshäuſer. So geleitet er den Leſer von Quartier zu Quartier bis hinaus zu den beiden Lazarethen, welche mit zu den Inſtituten hoher Zweckmäßigkeit gehörten, die man nur hier ſo aus - gebildet vorfand. Fürſorge für die Leute war überhaupt ein Kennzeichen der Venezianer, im Frieden wie im Kriege, wo ihre Verpflegung der Verwundeten, ſelbſt der feindlichen, für Andere ein Gegenſtand des Erſtaunens war. 2)Benedictus: Carol. VIII, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1597. 1601. 1621. Im Chron. Venetum, Murat. XXIV, Col. 26. ſind die politiſchen Tugenden der Venezianer aufgezählt: bontà, innocenza, zelo di carità, pietà, misericordia. Was irgend öffentliche Anſtalt hieß, konnte in Venedig ſein Muſter finden; auch das Penſionsweſen wurde ſyſtematiſch gehandhabt, ſogar in Betreff der Hinterlaſſenen. Reichthum, politiſche Sicherheit und Weltkenntniß hatten hier das Nach - denken über ſolche Dinge gereift. Dieſe ſchlanken, blondenDie Einwohner. Leute mit dem leiſen, bedächtigen Schritt und der beſon - nenen Rede, unterſchieden ſich in Tracht und Auftreten nur wenig von einander; den Putz, beſonders Perlen, hingen ſie ihren Frauen und Mädchen an. Damals war das all - gemeine Gedeihen, trotz großer Verluſte durch die Türken,641. Abſchnitt. noch wahrhaft glänzend; aber die aufgeſammelte Energie und das allgemeine Vorurtheil Europa's genügten auch ſpäter noch, um Venedig ſelbſt die ſchwerſten Schläge lange überdauern zu laſſen: die Entdeckung des Seeweges nach Oſtindien, den Sturz der Mamelukenherrſchaft von Aegypten und den Krieg der Liga von Cambray.

Der Staat.Sabellico, der aus der Gegend von Tivoli gebürtig und an das ungenirte Redewerk der damaligen Philologen gewöhnt war, bemerkt an einem andern Orte1)Epistolæ, lib. V, fol. 28. mit einigem Erſtaunen, daß die jungen Nobili, welche ſeine Morgen - vorleſungen hörten, ſich gar nicht auf das Politiſiren mit ihm einlaſſen wollten: wenn ich ſie frage, was die Leute von dieſer oder jener Bewegung in Italien dächten, ſprächen und erwarteten, antworten ſie mir alle mit Einer Stimme, ſie wüßten nichts. Man konnte aber von dem demorali - ſirten Theil des Adels trotz aller Staatsinquiſition mancherleiDie Verräther. erfahren, nur nicht ſo wohlfeilen Kaufes. Im letzten Viertel des XV. Jahrhunderts gab es Verräther in den höchſten Behörden;2)Malipiero, ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 377. 431. 481. 493. 530. II, p. 661. 668. 679. Chron. venetum, bei Murat. XXIV. Col. 57. Diario Ferrarese, ib. Col. 240. die Päpſte, die italieniſchen Fürſten, ja ganz mittelmäßige Condottieren im Dienſt der Republik hatten ihre Zuträger, zum Theil mit regelmäßiger Beſoldung; es war ſo weit gekommen, daß der Rath der Zehn für gut fand, dem Rath der Pregadi wichtigere politiſche Nach - richten zu verbergen, ja man nahm an daß Lodovico Moro in den Pregadi über eine ganz beſtimmte Stimmenzahl ver - füge. Ob das nächtliche Aufhenken einzelner Schuldigen und die hohe Belohnung der Angeber (z. B. ſechszig Du - caten lebenslängliche Penſion) viel fruchteten, iſt ſchwer zu ſagen; eine Haupturſache, die Armuth vieler Nobili, ließ ſich nicht plötzlich beſeitigen. Im J. 1492 betrieben zwei65 Nobili einen Vorſchlag, der Staat ſolle jährlich 70,000 Du -1. Abſchnitt. caten zur Vertröſtung derjenigen armen Adlichen auswerfen welche kein Amt hätten; die Sache war nahe daran vor den großen Rath zu kommen, wo ſie eine Majorität hätte erhalten können als der Rath der Zehn noch zu rechter Zeit eingriff und die beiden auf Lebenszeit nach Nicoſia auf Cypern verbannte. 1)Malipiero, im Arch. stor. VII, II. p. 691. Vgl. 694. 713 und I, 535.Um dieſe Zeit wurde ein So - ranzo auswärts als Kirchenräuber gehenkt, und ein Con - tarini wegen Einbruchs in Ketten gelegt; ein anderer von derſelben Familie trat 1499 vor die Signorie und jammerte, er ſei ſeit vielen Jahren ohne Amt, habe nur 16 Ducaten Einkünfte und 9 Kinder, dazu 60 Ducaten Schulden, ver - ſtehe kein Geſchäft und ſei neulich auf die Gaſſe geſetzt worden. Man begreift, daß einzelne reiche Nobili Häuſer bauten um die armen darin gratis wohnen zu laſſen. Der Häuſerbau um Gotteswillen, ſelbſt in ganzen Reihen, kommt in Teſtamenten als gutes Werk vor. 2)Marin Sanudo, vite de' Duchi, Murat. XXII, Col. 1194.

Wenn die Feinde Venedigs auf Uebelſtände dieſer ArtDie geſunden Kräfte. jemals ernſtliche Hoffnungen gründeten, ſo irrten ſie ſich gleichwohl. Man könnte glauben, daß ſchon der Schwung des Handels, der auch dem Geringſten einen reichlichen Gewinn der Arbeit ſicherte, daß die Colonien im öſtlichen Mittelmeer die gefährlichen Kräfte von der Politik abgelenkt haben möchten. Hat aber nicht Genua, trotz ähnlicher Vor - theile, die ſturmvollſte politiſche Geſchichte gehabt? Der Grund von Venedigs Unerſchütterlichkeit liegt eher in einem Zuſammenwirken von Umſtänden, die ſich ſonſt nirgends vereinigten. Unangreifbar als Stadt, hatte es ſich von je - her der auswärtigen Verhältniſſe nur mit der kühlſten Ueber - legung angenommen, das Parteiweſen des übrigen Italiens faſt ignorirt, ſeine Allianzen nur für vorübergehende ZweckeCultur der Renaiſſance. 5661. Abſchnitt. und um möglichſt hohen Preis geſchloſſen. Der Grundton des venezianiſchen Gemüthes war daher der einer ſtolzen, ja verachtungsvollen Iſolirung und folgerichtig einer ſtär - kern Solidarität im Innern, wozu der Haß des ganzen übrigen Italiens noch das Seine that. In der Stadt ſelbſt hatten dann alle Einwohner die ſtärkſten gemeinſchaftlichen Intereſſen gegenüber den Colonien ſowohl als den[Be - ſitzungen der] Terraferma, indem die Bevölkerung der letztern (d. h. der Städte bis Bergamo) nur in Venedig kaufen und verkaufen durfte. Ein ſo künſtlicher Vortheil konnte nur durch Ruhe und Eintracht im Innern aufrecht erhal - ten werden das fühlte gewiß die übergroße Mehrzahl und für Verſchwörer war ſchon deßhalb hier ein ſchlechter Boden. Und wenn es Unzufriedene gab, ſo wurden ſie durch die Trennung in Adliche und Bürger auf eine Weiſe auseinandergehalten die jede Annäherung ſehr erſchwerte. Innerhalb des Adels aber war den möglicherweiſe Gefähr - lichen, nämlich den Reichen eine Hauptquelle aller Ver - ſchwörungen, der Müſſiggang, abgeſchnitten durch ihre großen Handelsgeſchäfte und Reiſen und durch die Theilnahme an den ſtets wiederkehrenden Türkenkriegen. Die Commandan - ten ſchonten ſie dabei, ja bisweilen in ſtrafbarer Weiſe, und ein venezianiſcher Cato weiſſagte den Untergang der Macht, wenn dieſe Scheu der Nobili einander irgend wehe zu thun, auf Unkoſten der Gerechtigkeit fortdauern würde. 1)Chron. Venetum, Mur. XXIV, Col. 105.Immer - hin aber gab dieſer große Verkehr in der freien Luft dem Adel von Venedig eine geſunde Richtung im Ganzen. UndDer Rath der Zehn. wenn Neid und Ehrgeiz durchaus einmal Genugthuung be - gehrten, ſo gab es ein officielles Opfer, eine Behörde und legale Mittel. Die vieljährige moraliſche Marter, welcher der Doge Francesco Foscari (ſt. 1457) vor den Augen von ganz Venedig unterlag, iſt vielleicht das ſchrecklichſte Bei - ſpiel dieſer nur in Ariſtokratien möglichen Rache. Der Rath67 der Zehn, welcher in Alles eingriff, ein unbedingtes Recht1. Abſchnitt. über Leben und Tod, über Kaſſen und Armeebefehl beſaß, die Inquiſitoren in ſich enthielt, und den Foscari wie ſo manchen Mächtigen ſtürzte, dieſer Rath der Zehn wurde all - jährlich von der ganzen regierenden Kaſte, dem gran con - ſiglio neu gewählt, und war ſomit der unmittelbarſte Ausdruck derſelben. Große Intriguen mögen bei dieſen Wahlen kaum vorgekommen ſein, da die kurze Dauer und die ſpätere Verantwortlichkeit das Amt nicht ſehr begehrens - werth machten. Allein vor dieſen und andern venezianiſchen Behörden, mochte ihr Thun noch ſo unterirdiſch und ge - waltſam ſein, flüchtete ſich doch der echte Venezianer nicht, ſondern er ſtellte ſich; nicht nur weil die Republik lange Arme hatte und ſtatt ſeiner die Familie plagen konnte, ſondern weil in den meiſten Fällen wenigſtens nach Grün - den und nicht aus Blutdurſt verfahren wurde. 1)Chron. Venetum, Murat. XXIV. Col. 123, s. und Malipiero, a. a. O. VII, I, p. 175, s. erzählen den ſprechenden Fall des Ad - mirals Antonio Grimani.Ueber - haupt hat wohl kein Staat jemals eine größere moraliſche Macht über ſeine Angehörigen in der Ferne ausgeübt. Wenn es z. B. Verräther in den Pregadi gab, ſo wurde dieß reichlich dadurch aufgewogen, daß jeder Venezianer in der Fremde ein geborner Kundſchafter für ſeine Regierung war. Von den venezianiſchen Cardinälen in Rom verſtand es ſich von ſelbſt, daß ſie die Verhandlungen der geheimen päpſtlichen Conſiſtorien nach Hauſe meldeten. Cardinal Domenico Grimani ließ in der Nähe von Rom (1500) die Depeſchen wegfangen, welche Ascanio Sforza an ſeinen Bruder Lodovico Moro abſandte, und ſchickte ſie nach Ve - nedig; ſein eben damals ſchwer angeklagter Vater machte dieß Verdienſt des Sohnes öffentlich vor dem gran con - ſiglio d. h. vor der ganzen Welt geltend. 2)Chron. Ven. l. c. Col. 166.

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1. Abſchnitt. Verhältniß zu den Condottieren.Wie Venedig ſeine Condottieren hielt, iſt oben (S. 22) angedeutet worden. Wenn es noch irgend eine beſondere Garantie ihrer Treue ſuchen wollte, ſo fand es ſie etwa in ihrer großen Anzahl, welche den Verrath ebenſoſehr er - ſchweren als deſſen Entdeckung erleichtern mußte. Beim Anblick venezianiſcher Armeerollen frägt man ſich nur, wie bei ſo bunt zuſammengeſetzten Schaaren eine gemeinſame Action möglich geweſen? In derjenigen des Krieges von 1495 figuriren1)Malipiero, l. c. VII, I, p. 349. Andere Verzeichniſſe dieſer Art bei Marin Sanudo, vite de' Duchi, Mur. XXII, Col. 990 (vom J. 1426), Col. 1088 (vom J. 1440), bei Corio fol. 435 438 (von 1483), bei Guazzo, Historie, fol. 151, s. 15,526 Pferde in lauter kleinen Poſten; nur der Gonzaga von Mantua hatte davon 1200, Gioffredo Borgia 740; dann folgen ſechs Anführer mit 700 600, zehn mit 400, zwölf mit 400 200, etwa vierzehn mit 200 100, neun mit 80, ſechs mit 60 50 ꝛc. Es ſind theils alte venezianiſche Truppenkörper, theils ſolche unter venezianiſchen Stadtadlichen und Landadlichen, die meiſten Anführer aber ſind Fürſten und Stadthäupter oder Ver - wandte von ſolchen. Dazu kommen 24,000 M. Infanterie, über deren Beiſchaffung und Führung nichts bemerkt wird, nebſt weitern 3,300 Mann wahrſcheinlich beſonderer Waf - fengattungen. Im Frieden waren die Städte der Terra - ferma gar nicht oder mit unglaublich geringen Garniſonen beſetzt. Venedig verließ ſich nicht gerade auf die Pietät, wohl aber auf die Einſicht ſeiner Unterthanen; beim KriegeAuswärtige Politik. der Liga von Cambray (1509) ſprach es ſie bekanntlich vom Treueid los, und ließ es darauf ankommen, daß ſie die Aunehmlichkeiten einer feindlichen Occupation mit ſeiner milden Herrſchaft vergleichen würden; da ſie nicht mit Ver - rath von S. Marcus abzufallen nöthig gehabt hatten und alſo keine Strafe zu fürchten brauchten, kehrten ſie mit dem größten Eifer wieder unter die gewohnte Herrſchaft zurück. 69Dieſer Krieg war, beiläufig geſagt, das Reſultat eines hun -1. Abſchnitt. dertjährigen Geſchreies über die Vergrößerungsſucht Vene - digs. Letzteres beging bisweilen die Fehler allzukluger Leute, welche auch ihren Gegnern keine nach ihrer Anſicht thörichten, rechnungswidrigen Streiche zutrauen wollen. 1)Guicciardini (Ricordi, N. 150) bemerkt vielleicht zuerſt, daß das politiſche Rachebedürfniß auch die deutliche Stimme des eignen Inter - eſſes übertäuben könne.In dieſem Optimismus, der vielleicht den Ariſtokratien am eheſten eigen iſt, hatte man einſt die Rüſtungen Moham - meds II. zur Einnahme von Conſtantinopel, ja die Vor - bereitungen zum Zuge Carl's VIII. völlig ignorirt, bis das Unerwartete doch geſchah. 2)Malipiero, l. c. VII, I, p. 328.Ein ſolches Ereigniß war nun auch die Liga von Cambray, inſofern ſie dem klaren Intereſſe der Hauptanſtifter Ludwigs XII. und Julius II. entgegenlief. Im Papſt war aber der alte Haß von ganz Italien gegen die erobernden Venezianer aufgeſammelt, ſo - daß er über den Einmarſch der Fremden die Augen ſchloß, und was die Politik des Cardinals Amboiſe und ſeines Königs betraf, ſo hätte Venedig deren bösartigen Blödſinn ſchon lange als ſolchen erkennen und fürchten ſollen. Die meiſten Uebrigen nahmen an der Liga Theil aus jenem Neid, der dem Reichthum und der Macht als nützliche Zuchtruthe geſetzt, an ſich aber ein ganz jämmerliches Ding iſt. Venedig zog ſich mit Ehren, aber doch nicht ohne bleibenden Schaden aus dem Kampfe.

Eine Macht deren Grundlagen ſo complicirt, derenDie Heimath der Statiſtik. Thätigkeit und Intereſſen auf einen ſo weiten Schauplatz ausgedehnt waren, ließe ſich gar nicht denken ohne eine großartige Ueberſicht des Ganzen, ohne eine beſtändige Bilanz der Kräfte und Laſten, der Zunahme und Abnahme. Venedig möchte ſich wohl als den Geburtsort der modernen Statiſtik geltend machen dürfen, mit ihm vielleicht Florenz701. Abſchnitt. und in zweiter Linie die entwickeltern italieniſchen Fürſten - thümer. Der Lehnsſtaat des Mittelalters bringt höchſtens Geſammt-Verzeichniſſe der fürſtlichen Rechte und Nutzbar - keiten (Urbarien) hervor; er faßt die Production als eine ſtehende auf, was ſie annäherungsweiſe auch iſt, ſo lange es ſich weſentlich um Grund und Boden handelt. Dieſem gegenüber haben die Städte im ganzen Abendlande wahr - ſcheinlich von frühe an ihre Production, die ſich auf In - duſtrie und Handel bezog, als eine höchſt bewegliche erkannt und danach behandelt, allein es blieb ſelbſt in den Blüthe - zeiten der Hanſa bei einer einſeitig commerciellen Bilanz. Flotten, Heere, politiſcher Druck und Einfluß kamen einfach unter das Soll und Haben eines kaufmännniſchen Haupt - buches zu ſtehen. Erſt in den italieniſchen Staaten ver - einigen ſich die Conſequenzen einer völligen politiſchen Be - wußtheit, das Vorbild mohammedaniſcher Adminiſtration und ein uralter ſtarker Betrieb der Production und des Handels ſelbſt, um eine wahre Statiſtik zu begründen. 1)Noch in ziemlich beſchränktem Sinne entworfen und doch ſchon ſehr wichtig iſt die ſtatiſt. Ueberſicht von Mailand, im Manipulus Florum (bei Murat. XI, 711, s.) vom Jahre 1288. Sie zählt auf: Hausthüren, Bevölkerung, Waffenfähige, Loggien der Adlichen, Brunnen, Oefen, Schenken, Fleiſcherbuden, Fiſcher, Kornbedarf, Hunde, Jagdvögel, Preiſe von Holz, Heu, Wein und Salz, ferner Richter, Notare, Aerzte, Schullehrer, Abſchreiber, Waffen - ſchmiede, Hufſchmiede, Hoſpitäler, Klöſter, Stifte und geiſtliche Corporationen.Der unteritaliſche Zwangsſtaat Kaiſer Friedrichs II. (S. 3) war einſeitig auf Concentration der Macht zum Zwecke eines Kampfes um Sein oder Nichtſein organiſirt geweſen. In Venedig dagegen ſind die letzten Zwecke Genuß der Macht und des Lebens, Weiterbildung des von den Vor - fahren Ererbten, Anſammlung der gewinnreichſten Induſtrien und Eröffnung ſtets neuer Abſatzwege.

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Die Autoren ſprechen ſich über dieſe Dinge mit größter1. Abſchnitt. Populationiſtik. Unbefangenheit aus1)Vorzüglich Marin Sanudo, in den vite de' Duchi di Venezia, Murat. XXII, passim. . Wir erfahren, daß die Bevölkerung der Stadt im Jahr 1422 190,000 Seelen betrug; vielleicht hat man in Italien am frühſten angefangen, nicht mehr nach Feuerherden, nach Waffenfähigen, nach Solchen, die auf eigenen Beinen gehen konnten u. dgl., ſondern nach anime zu zählen und darin die neutralſte Baſis aller wei - tern Berechnungen anzuerkennen. Als die Florentiner um dieſelbe Zeit ein Bündniß mit Venedig gegen Filippo Maria Visconti wünſchten, wies man ſie einſtweilen ab, in der klaren, hier, durch genaue Handelsbilanz belegten Ueber - zeugung, daß jeder Krieg zwiſchen Mailand und Venedig, d. h. zwiſchen Abnehmer und Verkäufer, eine Thorheit ſei. Schon wenn der Herzog nur ſein Heer vermehre, ſo werde das Herzogthum wegen ſofortiger Erhöhung der Steuern ein ſchlechterer Conſument. Beſſer man laſſe die Floren - tiner unterliegen, dann ſiedeln ſie, des freiſtädtiſchen Lebens gewohnt, zu uns über und bringen ihre Seiden - und Wollenweberei mit, wie die bedrängten Luccheſen gethan haben. Das merkwürdigſte aber iſt die Rede des ſterben - den Dogen Mocenigo (1423) an einige Senatoren, die er vor ſein Bett kommen ließ2)Bei Sanudo l. c. Col. 958. Das auf den Handel bezügliche iſt daraus mitgetheilt bei Scherer, Allg. Geſch. des Welthandels, I, 326. Anm.. Sie enthält die wichtigſten Elemente einer Statiſtik der geſammten Kraft und Habe Venedigs. Ich weiß nicht, ob und wo eine gründliche Er - läuterung dieſes ſchwierigen Actenſtückes exiſtirt; nur als Curioſität mag Folgendes angeführt werden. Nach ge -Das Soll und Haben. ſchehener Abbezahlung von 4 Millionen Ducaten eines Kriegs-Anleihens betrug die Staatsſchuld (il monte) da - mals noch 6 Mill. Ducaten. Der Geſammtumlauf des721. Abſchnitt. Handels (wie es ſcheint) betrug 10 Mill., welche 4 Mill. abwarfen. (So heißt es im Text.) Auf 3000 Navigli, 300 Navi und 45 Galere fuhren 17,000, reſp. 8000 und 11000 Seeleute. (Ueber 200 M. pr. Galera.) Dazu kamen 16,000 Schiffszimmerleute. Die Häuſer von Venedig hatten 7 Mill. Schatzungswerth und trugen an Miethe eine halbe Million ein1)Hiemit ſind doch wohl die ſämmtlichen Häuſer und nicht bloß die dem Staat gehörenden gemeint. Letztere rendirten bisweilen aller - dings enorm; vgl. Vasari, XIII, 83. v. d. Jac. Sansovino. . Es gab 1000 Adliche von 70 bis 4000 Ducaten Einkommen. An einer andern Stelle wird die ordentliche Staatseinnahme in jenem ſelben Jahre auf 1,100,000 Ducaten geſchätzt; durch die Handelsſtörungen in Folge der Kriege war ſie um die Mitte des Jahrhunderts auf 800,000 Ducaten gefunken2)Dieß bei Sanudo, Col. 963. Eine Staatsrechnung von 1490 Col. 1245..

Verſpätung der Renaiſſance.Wenn Venedig durch derartige Berechnungen und deren practiſche Anwendung eine große Seite des modernen Staatsweſens am frühſten vollkommen darſtellte, ſo ſtand es dafür in derjenigen Cultur, welche man damals in Italien als das Höchſte ſchätzte, einigermaßen zurück. Es fehlt hier der literariſche Trieb im Allgemeinen und ins - beſondere jener Taumel zu Gunſten des claſſiſchen Alter - thums3)Ja dieſe Abneigung ſoll in dem Venezianer Paul II. bis zum Haß ausgebildet geweſen ſein, ſo daß er die Humaniſten ſämmtlich Ketzer nannte. Platina, vita Pauli, p. 323.. Die Begabung zu Philoſophie und Beredſamkeit, meint Sabellico, ſei hier an ſich ſo groß als die zum Handel und Staatsweſen; ſchon 1459 legte Georg der Trapezuntier die lateiniſche Ueberſetzung von Plato's Buch über die Geſetze dem Dogen zu Füßen und wurde mit 150 Ducaten jährlich als Lehrer der Philologie angeſtellt, dedicirte auch der Signorie ſeine Rhetorik4)Sanudo, l. c. Col. 1167.. Durchgeht man aber die73 venezianiſche Literaturgeſchichte, welche Francesco Sanſovino1. Abſchnitt. ſeinem bekannten Buche1)Sansovino Venezia, Lib. XIII. angehängt hat, ſo ergeben ſich für das XIV. Jahrhundert faſt noch lauter theologiſche, juridiſche und mediciniſche Fachwerke nebſt Hiſtorien, und auch im XV. Jahrhundert iſt der Humanismus im Ver - hältniß zur Bedeutung der Stadt bis auf Ermolao Barbaro und Aldo Manucci nur äußerſt ſpärlich vertreten. Die Bibliothek, welche der Cardinal Beſſarion dem Staat ver - machte, wurde kaum eben vor Zerſtreuung und Zerſtörung geſchützt. Für gelehrte Sachen hatte man ja Padua, wo freilich die Mediciner und die Juriſten als Verfaſſer ſtaats - rechtlicher Gutachten weit die höchſten Beſoldungen hatten. Auch die Theilnahme an der italieniſchen Kunſtdichtung iſt lange Zeit eine geringe, bis dann das beginnende XVI. Jahrhundert alles Verſäumte nachholt. Selbſt den Kunſt - geiſt der Renaiſſance hat ſich Venedig von außen her zu - bringen laſſen, und erſt gegen Ende des XV. Jahrhunderts ſich mit voller eigener Machtfülle darin bewegt. Ja es giebt hier noch bezeichnendere geiſtige Zögerungen. Der -Officielle An - dacht. ſelbe Staat, welcher ſeinen Clerus ſo vollkommen in der Gewalt hatte, die Beſetzung aller wichtigen Stellen ſich vorbehielt, und der Curie einmal über das andere Trotz bot, zeigte eine officielle Andacht von ganz beſonderer Fär - bung. Heilige Leichen und andere Reliquien aus dem von den Türken eroberten Griechenland werden mit den größten Opfern erworben und vom Dogen in großer Proceſſion empfangen2)Sanudo, l. c. Col. 1158. 1171. 1177. Als die Leiche des S. Lu - cas aus Bosnien kam, gab es Streit mit den Benedictinern von S. Giuſtina zu Padua, welche dieſelbe ſchon zu beſitzen glaubten, und der päpſtliche Stuhl mußte entſcheiden[.]Vgl. Guicciardini, Ricordi, Nr. 401.. Für den ungenähten Rock beſchloß man (1455) bis 10,000 Ducaten aufzuwenden, konnte ihn aber741. Abſchnitt. nicht erhalten. Es handelt ſich hier nicht um eine popu - läre Begeiſterung, ſondern um einen ſtillen Beſchluß der höhern Staatsbehörde, welcher ohne alles Aufſehen hätte unterbleiben können, und in Florenz unter gleichen Um - ſtänden gewiß unterblieben wäre. Die Andacht der Maſſen und ihren feſten Glauben an den Ablaß eines Alexander VI. laſſen wir ganz außer Betrachtung. Der Staat ſelber aber, nachdem er die Kirche mehr als anderswo abſorbirt, hatte wirklich hier eine Art von geiſtlichem Element in ſich und das Staatsſymbol, der Doge trat bei zwölf großen Pro - zeſſionen1)Sansovino, Venezia, Lib. XII. (andate) in halbgeiſtlicher Function auf. Es waren faſt lauter Feſte zu Ehren politiſcher Erinnerungen, welche mit den großen Kirchenfeſten concurrirten; das glän - zendſte derſelben die berühmte Vermählung mit dem Meere jedesmal am Himmelfahrtstage.

Florenz.Die höchſte politiſche Bewußtheit, den größten Reich - thum an Entwicklungsformen findet man vereinigt in der Geſchichte von Florenz, welches in dieſem Sinne wohl den Namen des erſten modernen Staates der Welt verdient. Hier treibt ein ganzes Volk das was in den Fürſtenſtaaten die Sache einer Familie iſt. Der wunderbare florentiniſche Geiſt, ſcharf raiſonnirend und künſtleriſch ſchaffend zugleich, geſtaltet den politiſchen und ſocialen Zuſtand unaufhörlich um und beſchreibt und richtet ihn eben ſo unaufhörlich. So wurde Florenz die Heimath der politiſchen Doctrinen und Theorien, der Experimente und Sprünge, aber auch mit Venedig die Heimath der Statiſtik und allein und vor allen Staaten der Welt die Heimath der geſchichtlichen Darſtellung im neuern Sinne. Der Anblick des alten Roms und die Kenntniß ſeiner Geſchichtſchreiber kam hinzu, und Giovanni Villani geſteht2)G. Villani, VIII, 36. Das Jahr 1300 iſt zugleich das feſtge - haltene Datum in der Divina Commedia., daß er beim Jubiläum des Jahres 130075 die Anregung zu ſeiner großen Arbeit empfangen und gleich1. Abſchnitt. nach der Heimkehr dieſelbe begonnen habe; allein wie Manche unter den 200,000 Rompilgern jenes Jahres mögen ihm an Begabung und Richtung ähnlich geweſen ſein und haben doch die Geſchichte ihrer Städte nicht ge - ſchrieben! Denn nicht Jeder konnte ſo troſtvoll beifügen: Rom iſt im Sinken, meine Vaterſtadt aber im Aufſteigen und zur Ausführung großer Dinge bereit, und darum habe ich ihre ganze Vergangenheit aufzeichnen wollen und gedenke damit fortzufahren bis auf die Gegenwart und ſo weit ich noch die Ereigniſſe erleben werde. Und außer dem Zeug - niß von ſeinem Lebensgange erreichte Florenz durch ſeine Geſchichtſchreiber noch etwas Weiteres: einen größeren Ruhm als irgend ein anderer Staat von Italien1)Dieß ſchon um 1470 conſtatirt bei Vespaſiano Fiorent. p. 554..

Nicht die Geſchichte dieſes denkwürdigen Staates, nurObjectives politiſches Be - wußtſein, einige Andeutungen über die geiſtige Freiheit und Objecti - vität, welche durch dieſe Geſchichte in den Florentinern wach geworden, ſind hier unſere Aufgabe.

Um das Jahr 1300 beſchrieb Dino Compagni die ſtädtiſchen Kämpfe ſeiner Tage. Die politiſche Lage der Stadt, die innern Triebfedern der Parteien, die Charactere der Führer, genug das ganze Gewebe von nähern und ent - ferntern Urſachen und Wirkungen ſind hier ſo geſchildert, daß man die allgemeine Superiorität des florentiniſchen Ur - theilens und Schilderns mit Händen greift. Und das größte Opfer dieſer Kriſen, Dante Alighieri, welch ein Po - litiker, gereift durch Heimath und Exil! Er hat den Hohn über das beſtändige Aendern und Experimentiren an der Verfaſſung in eherne Terzinen gegoſſen2)Purgatorio VI, Ende., welche ſprich - wörtlich bleiben werden wo irgend Aehnliches vorkommen will; er hat ſeine Heimath mit Trotz und mit Sehnſucht angeredet, daß den Florentinern das Herz beben mußte. 761. Abſchnitt. und allgemeines RaiſonnementAber ſeine Gedanken dehnen ſich aus über Italien und die Welt und wenn ſeine Agitation für das Imperium, wie er es auffaßte, nichts als ein Irrthum war, ſo muß man bekennen, daß das jugendliche Traumwandeln der kaum geborenen politiſchen Speculation bei ihm eine poetiſche Größe hat. Er iſt ſtolz, der erſte zu ſein, der dieſen Pfad betritt1)De Monarchia, I, 1. , allerdings an der Hand des Ariſtoteles, aber in ſeiner Weiſe ſehr ſelbſtändig. Sein Idealkaiſer iſt ein ge - rechter, menſchenliebender, nur von Gott abhängender Ober - richter, der Erbe der römiſchen Weltherrſchaft, welche eine vom Recht, von der Natur, und von Gottes Rathſchluß gebilligte war. Die Eroberung des Erdkreiſes ſei nämlich eine rechtmäßige, ein Gottesurtheil zwiſchen Rom und den übrigen Völkern geweſen, und Gott habe dieſes Reich an - erkannt, indem er unter demſelben Menſch wurde und ſich bei ſeiner Geburt der Schatzung des Kaiſers Auguſtus, bei ſeinem Tode dem Gericht des Pontius Pilatus unterzog u. ſ. w. Wenn wir dieſen und andern Argumenten nur ſchwer folgen können, ſo ergreift Dante's Leidenſchaft immer. In ſeinen Briefen2)Dantis Alligherii epistolæ, cum notis C. Witte. Wie er den Kaiſer durchaus in Italien haben wollte, ſo auch den Papſt, ſ. d. Brief S. 35 während des Conclave's von Carpentras 1314. iſt er einer der frühſten aller Publi - ciſten, vielleicht der frühſte Laie, der Tendenzſchriften in Briefform auf eigene Hand ausgehen ließ. Er fing damit bei Zeiten an; ſchon nach dem Tode Beatrice's erließ er ein Pamphlet über den Zuſtand von Florenz an die Großen des Erdkreiſes , und auch die ſpätern offenen Schreiben aus der Zeit ſeiner Verbannung ſind an lauter Kaiſer, Fürſten und Cardinäle gerichtet. In dieſen Briefen und in dem Buche von der Vulgärſprache kehrt unter ver - ſchiedenen Formen das mit ſo vielen Schmerzen bezahlte Gefühl wieder, daß der Verbannte auch außerhalb der77 Vaterſtadt eine neue geiſtige Heimath finden dürfe in der1. Abſchnitt. Sprache und Bildung, die ihm nicht mehr genommen werden könne, und auf dieſen Punkt werden wir noch einmal zurückkommen.

Den Villani, Giovanni ſowohl als Matteo, verdankenFlorentiniſche Statiſtik. wir nicht ſowohl tiefe politiſche Betrachtungen als vielmehr friſche, practiſche Urtheile und die Grundlage zur Statiſtik von Florenz, nebſt wichtigen Angaben über andere Staaten. Handel und Induſtrie hatten auch hier neben dem politi - ſchen Denken das ſtaatsöconomiſche geweckt. Ueber die Geldverhältniſſe im Großen wußte man nirgends in der Welt ſo genauen Beſcheid, anzufangen von der päpſtlichen Curie zu Avignon, deren enormer Kaſſenbeſtand (25 Mill. Goldgulden beim Tode Johann's XXII. ) nur aus ſo guten Quellen1)Giov. Villani XI, 20. Vgl. Matt. Villani IX, 93. glaublich wird. Nur hier erhalten wir Beſcheid über coloſſale Anleihen z. B.: des Königs von England bei den florentiniſchen Häuſern Bardi und Peruzzi, welche ein Guthaben von 1,365,000 Goldgulden eigenes und Com - pagnie-Geld einbüßten (1338) und ſich dennoch wieder erholten2)Dieſe und ähnliche Notizen bei Giov. Villani XI, 87. XII, 54.. Das wichtigſte aber ſind die auf den Staat bezüglichen Angaben3)Giov. Villani XI, 91, s. Abweichend davon Macchiavelli, stor. fiorent. lib. II. aus jener nämlichen Zeit: Die Staatseinnahmen (über 300,000 Goldgulden) und Aus - gaben; die Bevölkerung der Stadt (hier noch ſehr unvoll - kommen nach dem Brodconſum in bocche, d. h. Mäulern berechnet auf 90,000), und die des Staates; der Ueber - ſchuß von 300 bis 500 männlichen Geburten unter den 5800 bis 6000 alljährlichen Täuflingen des Battiſtero4)Der Pfarrer legte für jeden Knaben eine ſchwarze, für jedes Mäd - chen eine weiße Bohne bei Seite; dieß war die ganze Controle.; die Schulkinder, von welchen 8 bis 10,000 leſen, 1000781. Abſchnitt. bis 1200 in 6 Schulen rechnen lernten; dazu gegen 600 Schüler, welche in vier Schulen in (lateiniſcher) Gram - matik und Logik unterrichtet wurden. Es folgt die Sta - tiſtik der Kirchen und Klöſter, der Spitäler (mit mehr als 1000 Betten im Ganzen); die Wollen-Induſtrie, mit äußerſt werthvollen Einzelangaben; die Münze, die Verprovianti - rung der Stadt, die Beamtenſchaft u. A. m. 1)Es gab in dem ſolid gebauten Florenz bereits eine ſtehende Löſch - mannſchaft, ibid. XII, 35.Anderes erfährt man beiläufig: wie z. B.: bei der Einrichtung der neuen Staatsrenten (monte) im Jahr 1353 u. f. auf den Kanzeln gepredigt wurde, von den Franciscanern dafür, von den Dominicanern und Auguſtinern dagegen2)Matteo Villani, III, 106.; vollendsDer ſchwarze Tod. haben in ganz Europa die öconomiſchen Folgen des ſchwarzen Todes nirgends eine ſolche Beachtung und Darſtellung ge - funden noch finden können wie hier3)Matteo Villani, I, 2 7, vgl. 58.. Nur ein Flo - rentiner konnte uns überliefern: wie man erwartete, daß bei der Wenigkeit der Menſchen Alles wohlfeil werden ſollte, und wie ſtatt deſſen Lebensbedürfniſſe und Arbeits - lohn auf das Doppelte ſtiegen; wie das gemeine Volk Anfangs gar nicht mehr arbeiten ſondern nur gut leben wollte; wie zumal die Knechte und Mägde in der Stadt nur noch um ſehr hohen Lohn zu haben waren; wie die Bauern nur noch das allerbeſte Land bebauen mochten und das geringere liegen ließen u. ſ. w.; wie dann die enormen Vermächtniſſe für die Armen, die während der Peſt gemacht wurden, nachher zwecklos erſchienen, weil die Armen theils geſtorben theils nicht mehr arm waren. Endlich wird ein - mal bei Gelegenheit eines großen Vermächtniſſes, da ein kinderloſer Wohlthäter allen Stadtbettlern je ſechs Denare hinterließ, eine umfaſſende Bettelſtatiſtik4)Gio. Villani X, 164. von Florenz verſucht.

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Dieſe ſtatiſtiſche Betrachtung der Dinge hat ſich in der1. Abſchnitt. Verbindung von Statiſtik u. Cultur. Folge bei den Florentinern auf das Reichſte ausgebildet; das Schöne dabei iſt, daß ſie den Zuſammenhang mit dem Geſchichtlichen im höhern Sinne, mit der allgemeinen Cul - tur und mit der Kunſt in der Regel durchblicken laſſen. Eine Aufzeichnung vom Jahre 14221)Ex annalibus Ceretani, bei Fabroni, Magni Cosmi vita, Adnot. 34. berührt mit einem und demſelben Federzug die 72 Wechſelbuden rings um den Mercato nuovo, die Summe des Baarverkehres (2 Mill. Goldgulden), die damals neue Induſtrie des geſponnenen Goldes, die Seidenſtoffe, den Filippo Brunellesco, der die alte Architectur wieder aus der Erde hervorgräbt, und den Lionardo Aretino, Secretär der Republik, welcher die antike Literatur und Beredſamkeit wieder erweckt; endlich das all - gemeine Wohlergehen der damals politiſch ruhigen Stadt und das Glück Italiens, das ſich der fremden Soldtruppen entledigt hatte. Jene oben (S. 71) angeführte Statiſtik von Venedig, die faſt aus demſelben Jahre ſtammt, offen - bart freilich einen viel größern Beſitz, Erwerb und Schau - platz; Venedig beherrſcht ſchon lange die Meere mit ſeinen Schiffen, während Florenz (1422) ſeine erſte eigene Galeere (nach Aleſſandria) ausſendet. Allein wer erkennt nicht in der florentiniſchen Aufzeichnung den höhern Geiſt? Solche und ähnliche Notizen finden ſich hier von Jahrzehnd zu Jahrzehnd, und zwar ſchon in Ueberſichten geordnet, wäh - rend anderwärts im beſten Falle einzelne Ausſagen vor - handen ſind. Wir lernen das Vermögen und die Geſchäfte der erſten Medici approximativ kennen; ſie gaben an Al -Der Reichthum der Medici. moſen, öffentlichen Bauten und Steuern von 1434 bis 1471 nicht weniger als 663,755 Goldgulden aus, wovon auf Coſimo allein über 400,000 kamen2)Ricordi des Lorenzo, bei Fabroni, Laur. Med. magnifici vita, Adnot. 2 und 25. Paul. Jovius: Elogia, Cosmus. , und Lorenzo magnifico801. Abſchnitt. freut ſich, daß das Geld ſo gut ausgegeben ſei. Nach 1478 folgt dann wieder eine höchſt wichtige und in ihrer Art vollſtändige Ueberſicht1)Von Benedetto Dei, bei Fabroni, ibid. Adnot. 200. Die Zeit - beſtimmung geht aus Varchi III, p. 107 hervor. Das Finanz - project eines gewiſſen Lodovico Ghetti, mit wichtigen Angaben, bei Roscoe, vita di Lor. de Medici, Bd. II, Beilage 1. des Handels und der Gewerbe der Stadt, darunter mehrere, welche halb oder ganz zur Kunſt gehören: die Gold - und Silberſtoffe und Damaſte; die Holzſchnitzerei und Marketterie (Intarsia); die Arabesken - ſculptur in Marmor und Sandſtein; die Porträtfiguren in Wachs; die Goldſchmiede - und Juwelierkunſt. Ja das angeborene Talent der Florentiner für die Berechnung des ganzen äußern Daſeins zeigt ſich auch in ihren Haus -, Geſchäfts - und Landwirthſchaftsbüchern, die ſich wohl vor denen der übrigen Europäer des XV. Jahrhunderts um ein namhaftes auszeichnen mögen. Mit Recht hat man angefangen, ausgewählte Proben davon zu publiciren2)z. B. im Archivio stor. IV. ; nur wird es noch vieler Studien bedürfen, um klare all - gemeine Reſultate daraus zu ziehen. Jedenfalls giebt ſich auch hier derjenige Staat zu erkennen, wo ſterbende Väter teſtamentariſch3)Libri, histoire des sciences mathém. II, 163, s. den Staat erſuchten ihre Söhne um 1000 Goldgulden zu büßen, wenn ſie kein regelmäßiges Gewerbe treiben würden.

Für die erſte Hälfte des XVI. Jahrhunderts beſitzt dann vielleicht keine Stadt der Welt eine ſolche Urkunde wie die herrliche Schilderung von Florenz bei Varchi iſt4)Varchi, stor. fiorent. III, p. 56, s. zu Ende des IX. Buches. Einige offenbar irrige Zahlen möchten wohl auf Schreib - oder Druck - fehlern beruhen.. Auch in der beſchreibenden Statiſtik wie in ſo manchen andern Beziehungen wird hier noch einmal ein Muſter hin -81 geſtellt, ehe die Freiheit und Größe dieſer Stadt zu Grabe1. Abſchnitt. geht1)Ueber Werthverhältniſſe und Reichthum in Italien überhaupt kannGeldwerth in Italien. ich, in Ermangelung weiterer Hülfsmittel, hier nur einige zerſtreute Data zuſammenſtellen, wie ich ſie zufällig gefunden habe. Offenbare Uebertreibungen ſind bei Seite zu laſſen. Die Goldmünzen, auf welche die meiſten Angaben lauten, ſind: Der Ducato, der Zecchino, der Fiorino d'oro und der Scudo d'oro. Ihr Werth iſt annäherungs - weiſe derſelbe, eilf bis zwölf Franken unſeres Geldes. In Venedig galt z. B. der Doge Andrea Vendramin (1476) mit 170,000 Ducati für ſehr reich. (Malipiero, l. c. VII, II, p. 666.) In den 1460er Jahren heißt der Patriarch von Aquileja, Lod. Patavino, faſt der reichſte aller Italiener mit 200,000 Ducaten. (Gasp. Veronens., vita Pauli II, bei Mur. III, II, Col. 1027.) Anderswo fabelhafte Angaben. Antonio Grimani (S. 67) ließ ſich die Erhebung ſeines Sohnes Domenico zum Cardinal 30,000 Duc. koſten. Er ſelbſt wurde bloß an Baarſchaft auf 100,000 Duc. geſchätzt. (Chron. Venetum, Mur. XXIV, Col. 125.) Ueber das Getreide im Handel und im Marktpreis zu Venedig ſ. beſ. Malipiero l. c. VII, II, p, 709, s. (Notiz von 1498.) Schon um 1522 gilt nicht mehr Venedig ſondern Genua nächſt Rom als die reichſte Stadt Italiens. (Nur glaublich durch die Autorität eines Franc. Vettori; ſ. deſſen Storia, im Archiv. stor. Append. Tom. VI, p. 343.) Bandello, Parte II, Nov. 34 und 42, erwähnt den reichſten genueſiſchen Kaufmann ſeiner Zeit, Anſaldo Grimaldi. Zwiſchen 1400 und 1580 nimmt Franc. Sanſovino ein Sinken des Geldwerthes auf die Hälfte an. (Venezia, fol. 151, bis.) In der Lombardei glaubt man ein Verhältniß der Getreide - preiſe um die Mitte des XV. zu denjenigen der Mitte unſeres Jahr - hunderts annehmen zu müſſen wie 3 zu 8. (Sacco di Piacenza, im Archiv. stor. append. Tom. V, Nota des Herausgebers Sca - rabelli.) In Ferrara gab es zur Zeit des Herzogs Borſo reiche Leute bis 50 und 60,000 Ducati. (Diario Ferrarese, Mur. XXIV, Col. 207, 214, 218; eine fabelhafte Angabe Col. 187.).

Cultur der Renaiſſance. 682

1. Abſchnitt. Die Verfaſſun - gen. Neben dieſer Berechnung des äußern Daſeins geht aber jene fortlaufende Schilderung des politiſchen Lebens einher, von welcher oben die Rede war. Florenz durchlebt nicht nur mehr politiſche Formen und Schattirungen, ſon - dern es giebt auch unverhältnißmäßig mehr Rechenſchaft davon als andere freie Staaten Italiens und des Abend - landes überhaupt. Es iſt der vollſtändigſte Spiegel des Verhältniſſes von Menſchenklaſſen und einzelnen Menſchen zu einem wandelbaren Allgemeinen. Die Bilder der gro - ßen bürgerlichen Demagogien in Frankreich und Flandern, wie ſie Froiſſart entwirft, die Erzählungen unſerer deutſchen Chroniken des XIV. Jahrhunderts ſind wahrlich bedeu -1)Für Florenz kommen Angaben ganz exceptioneller Art vor, welche nicht zu durchſchnittlichen Schlüſſen führen. So jene An - leihen fremder Fürſten, die wohl nur auf ein oder wenige Häuſer lauten, factiſch aber große Compagniegeſchäfte waren[.]So auch jene enorme Beſteuerung unterliegender Parteien; wie z. B. von 1430 bis 1453 von 77 Familien 4,875,000 Goldgulden bezahlt wurden. (Varchi III, p. 115, s.) Das Vermögen des Giovanni Medici betrug bei deſſen Tode (1428) 179,221 Goldgulden, aber von ſeinen beiden Söhnen Co - ſimo und Lorenzo hinterließ der letztere allein bei ſeinem Tode (1440) bereits 235,137. (Fabroni, Laur. Med., Adnot. 2.) Von dem allgemeinen Schwung des Erwerbes zeugt es z. B. daß ſchon im XIV. Jahrh. die 44 Goldſchmiedebuden auf Ponte vecchio dem Staat 800 Goldgulden Jahresmiethe eintrugen. (Va - sari II, 114, v. di Taddeo Gaddi. ) Das Tagebuch des Buo - naccorſo Pitti (bei Delécluze, Florence et ses vicissitudes, vol. II. ) iſt voll Zahlenangaben, welche indeß nur im Allgemeinen die hohen Preiſe aller Dinge und den geringen Geldwerth beweiſen. Für Rom geben natürlich die Einnahmen der Curie, da ſie europäiſch waren, gar keinen Maßſtab; auch iſt den Angaben über päpſtliche Schätze und Cardinalsvermögen wenig zu trauen. Der bekannte Banquier Agoſtino Chigi hinterließ (1520) eine Geſammt - habe im Werth von 800,000 Ducati. (Lettere pittoriche, I. Append. 48.)83 tungsvoll genug, allein an geiſtiger Vollſtändigkeit, an viel -1. Abſchnitt. ſeitiger Begründung des Herganges ſind die Florentiner allen unendlich überlegen. Adelsherrſchaft, Tyrannis, Kämpfe des Mittelſtandes mit dem Proletariat, volle, halbe und Scheindemocratie, Primat eines Hauſes, Theokratie (mit Savonarola), bis auf jene Miſchformen, welche das me - diceiſche Gewaltfürſtenthum vorbereiteten, Alles wird ſo beſchrieben, daß die innerſten Beweggründe der Betheiligten dem Lichte bloß liegen1)Was Coſimo (1433 1465) und ſeinen Enkel Lorenzo magnifico (ſt. 1492) betrifft, ſo verzichtet der Verfaſſer auf jedes Urtheil über die innere Politik derſelben. Eine anklagende Stimme von Gewicht (Gino Capponi) ſ. im Archiv. stor. I, p. 315, s. . Endlich faßt Macchiavelli inDie Geſchicht - ſchreiber. ſeinen florentiniſchen Geſchichten (bis 1492) ſeine Vater - ſtadt vollkommen als ein lebendiges Weſen und ihren Ent - wicklungsgang als einen individuell naturgemäßen auf; der erſte unter den Modernen, der dieſes ſo vermocht hat. Es liegt außer unſerm Bereich, zu unterſuchen ob und in welchen Punkten Macchiavell willkürlich verfahren ſein mag, wie er im Leben des Caſtruccio Caſtracane einem von ihm eigenmächtig colorirten Tyrannentypus notoriſcher Weiſe gethan hat. Es könnte in den Storie fiorentine gegen jede Zeile irgend etwas einzuwenden ſein und ihr hoher, ja einziger Werth im Ganzen bliebe dennoch beſte - hen. Und ſeine Zeitgenoſſen und Fortſetzer: Jacopo Pitti, Guicciardini, Segni, Varchi, Vettori, welch ein Kranz von erlauchten Namen! Und welche Geſchichte iſt es, die dieſe Meiſter ſchildern! Die letzten Jahrzehnde der florentiniſchen Republik, ein unvergeßlich großes Schauſpiel, ſind uns hier vollſtändig überliefert. In dieſer maſſenhaften Tradition über den Untergang des höchſten, eigenthümlichſten Lebens der damaligen Welt mag der Eine nichts erkennen als eine Sammlung von Curioſitäten erſten Ranges, der Andere mit teufliſcher Freude den Bankerott des Edeln und Er -6*841. Abſchnitt. habenen conſtatiren, ein Dritter die Sache als einen großen gerichtlichen Proceß auseinanderlcgen jedenfalls wird ſie ein Gegenſtand nachdenklicher Betrachtung bleiben bis ansDas Grundübel des Staates. Ende der Tage. Das Grundunglück, welches die Sachlage ſtets von Neuem trübte, war die Herrſchaft von Florenz über unterworfene, ehemals mächtige Feinde wie die Piſaner, was einen beſtändigen Gewaltzuſtand zur nothwendigen Folge hatte. Das einzige, freilich ſehr heroiſche Mittel, das nur Savonarola hätte durchführen können und auch nur mit Hülfe beſonders glücklicher Umſtände, wäre die rechtzeitige Auflöſung Toscana's in eine Föderation freier Städte geweſen; ein Gedanke, der erſt als weit verſpäteter Fiebertraum einen patriotiſchen Luccheſen1)Franc. Burlamacchi, den Vater des Hauptes der luccheſiſchen Pro - teſtanten Michele B. Vgl. Archiv. stor. Append. Tom. II, p. 176. Wie Mailand durch ſeine Härte gegen die Schweſter - ſtädte im XI. bis XIII. Jahrh. die Bildung eines großen Despo - tenſtaates erleichterte, iſt bekannt genug. Noch beim Ausſterben der Visconti 1447 verſcherzte Mailand die Freiheit Oberitaliens haupt - ſächlich dadurch, daß es von einer Föderation gleichberechtigter Städte nichts wiſſen wollte. Vgl. Corio, fol. 358, s. (1548) auf das Schaffot bringt. Von dieſem Unheil und von der unglück - lichen Guelfenſympathie der Florentiner für einen fremden Fürſten und der daherigen Gewöhnung an fremde Inter - ventionen hängt alles Weitere ab. Aber wer muß nicht dieſes Volk bewundern, das unter der Leitung ſeines hei - ligen Mönches in einer dauernd erhöhten Stimmung das erſte italieniſche Beiſpiel von Schonung der beſiegten Gegner giebt? während die ganze Vorzeit ihm nichts als Rache und Vertilgung predigt! Die Gluth, welche hier Patriotismus und ſittlich-religiöſe Umkehr in ein Ganzes ſchmilzt, ſieht von Weitem wohl bald wieder wie erloſchen aus, aber ihre beſten Reſultate leuchten dann in jener denkwürdigen Be - lagerung von 1529 30 wieder neu auf. Wohl waren es Narren , welche dieſen Sturm über Florenz herauf be -85 ſchworen, wie Guicciardini damals ſchrieb, aber ſchon er1. Abſchnitt. geſteht zu, daß ſie das unmöglich Geglaubte ausrichteten; und wenn er meint, die Weiſen wären dem Unheil aus - gewichen, ſo hat dies keinen andern Sinn als daß ſich Florenz völlig ruhmlos und lautlos in die Hände ſeiner Feinde hätte liefern ſollen. Es hätte dann ſeine prächtigen Vorſtädte und Gärten und das Leben und die Wohlfahrt unzähliger Bürger bewahrt und wäre dafür um eine der größten ſittlichen Erinnerungen ärmer.

Die Florentiner ſind in manchen großen Dingen Vor -Die Verfaſſungsän - derungen. bild und frühſter Ausdruck der Italiener und der moder - nen Europäer überhaupt, und ſo ſind ſie es auch mannig - fach für die Schattenſeiten. Wenn ſchon Dante das ſtets an ſeiner Verfaſſung beſſernde Florenz mit einem Kranken verglich, der beſtändig ſeine Lage wechſelt um ſeinen Schmer - zen zu entrinnen, ſo zeichnete er damit einen bleibenden Grundzug dieſes Staatslebens. Der große moderne Irr - thum, daß man eine Verfaſſung machen, durch Berechnung der vorhandenen Kräfte und Richtungen neu produziren könne1)Am dritten Adventsſonntag 1494 predigte Savonarola über den Modus, eine neue Verfaſſung zu Stande zu bringen wie folgt: Die 16 Compagnien der Stadt ſollten jede ein Project ausarbeiten, die Gonfalonieren die 4 beſten auswählen, und aus dieſen die Signorie die allerbeſte! Es kam dann doch Alles anders, und zwar unter dem Einfluß des Predigers ſelbſt., taucht zu Florenz in bewegten Zeiten immer wieder auf und auch Macchiavell iſt davon nicht frei ge - weſen. Es bilden ſich Staatskünſtler, welche durch künſt - liche Verlegung und Vertheilung der Macht, durch höchſt filtrirte Wahlarten, durch Scheinbehörden u. dgl. einen dauerhaften Zuſtand begründen, Groß und Klein gleich - mäßig zufriedenſtellen oder auch täuſchen wollen. Sie exempliren dabei auf das Naivſte mit dem Alterthum und entlehnen zuletzt auch ganz officiell von dort die Partei -861. Abſchnitt. namen, z. B. ottimati, aristocrazia1)Letzteres zuerſt 1527, nach der Verjagung der Medici; ſ. Varchi I, 121 etc. u. ſ. w. Seitdem erſt hat ſich die Welt an dieſe Ausdrücke gewöhnt und ihnen einen conventionellen, europäiſchen Sinn verliehen, während alle frühern Parteinamen nur dem betreffenden Lande gehörten und entweder unmittelbar die Sache be - zeichneten oder dem Spiel des Zufalls entſtammten. Wie ſehr färbt und entfärbt aber der Name die Sache!

Macchiavelli.Von allen jedoch, die einen Staat meinten conſtruiren zu können2)Macchiavelli, storie fior. l. III. Un savio dator delle leggi könnte Florenz retten., iſt Macchiavell ohne Vergleich der Größte. Er faßt die vorhandenen Kräfte immer als lebendige, active, ſtellt die Alternativen richtig und großartig und ſucht weder ſich noch andere zu täuſchen. Es iſt in ihm keine Spur von Eitelkeit noch Plusmacherei, auch ſchreibt er ja nicht für das Publicum, ſondern entweder für Behörden und Fürſten oder für Freunde. Seine Gefahr liegt nie in falſcher Genialität, auch nicht im falſchen Ausſpinnen von Begriffen, ſondern in einer ſtarken Phantaſie, die er offenbar mit Mühe bändigt. Seine politiſche Objectivität iſt allerdings bisweilen entſetzlich in ihrer Aufrichtigkeit, aber ſie iſt entſtanden in einer Zeit der äußerſten Noth und Gefahr, da die Menſchen ohnehin nicht mehr leicht an das Recht glauben noch die Billigkeit vorausſetzen konnten. Tugendhafte Empörung gegen dieſelbe macht auf uns, die wir die Mächte von rechts und links in unſerem Jahrhundert an der Arbeit geſehen haben, keinen beſondern Eindruck. Macchiavell war wenigſtens im Stande, ſeine eigene Per - ſon über den Sachen zu vergeſſen. Ueberhaupt iſt er ein Patriot im ſtrengſten Sinne des Wortes, obwohl ſeine Schriften (wenige Worte ausgenommen) alles directen Enthuſiasmus bar und ledig ſind und obwohl ihn die87 Florentiner ſelber zuletzt als einen Verbrecher anſahen1)Varchi, stor. fiorent. I, p. 210.. Wie1. Abſchnitt. ſehr er ſich auch, nach der Art der Meiſten, in Sitte und Rede gehen ließ, das Heil des Staates war doch ſein erſter und letzter Gedanke. Sein vollſtändigſtes Programm über die Ein -Seine Verfaf - ſung. richtung eines neuen florentiniſchen Staatsweſens iſt niederge - legt in der Denkſchrift an Leo X.2)Discorso sopra il riformar lo stato di Firenze, in den Opere minori p. 207., verfaßt nach dem Tode des jüngern Lorenzo Medici, Herzogs von Urbino (ſt. 1519), dem er ſein Buch vom Fürſten gewidmet hatte. Die Lage der Dinge iſt eine ſpäte und ſchon total verdorbene, und die vorgeſchlagenen Mittel und Wege ſind nicht alle moraliſch; aber es iſt höchſt intereſſant zu ſehen wie er als Erbinn der Medici die Republik und zwar eine mittlere Democratie einzuſchieben hofft. Ein kunſtreicheres Gebäude von Con - ceſſionen an den Papſt, die ſpeciellen Anhänger deſſelben und die verſchiedenen florentiniſchen Intereſſen iſt gar nicht denkbar; man glaubt in ein Uhrwerk hineinzuſehen. Zahl - reiche andere Principien, Einzelbemerkungen, Parallelen, politiſche Perſpectiven u. ſ. w. für Florenz finden ſich in den Discorſi, darunter Lichtblicke von erſter Schönheit; erSeine Discorſt. erkennt z. B. das Geſetz einer fortſchreitenden, und zwar ſtoßweiſe ſich äußernden Entwicklung der Republiken an und verlangt, daß das Staatsweſen beweglich und der Veränderung fähig ſei, indem nur ſo die plötzlichen Blut - urtheile und Verbannungen vermieden würden. Aus einem ähnlichen Grunde, nämlich um Privat-Gewaltthaten und fremde Intervention ( den Tod aller Freiheit ) abzuſchneiden, wünſcht er gegen verhaßte Bürger eine gerichtliche Anklage (accusa) eingeführt zu ſehen, an deren Stelle Florenz von jeher nur die Uebelreden gehabt habe. Meiſterhaft characteriſirt er die unfreiwilligen, verſpäteten Entſchlüſſe, welche in Republiken bei kritiſchen Zeiten eine ſo große Rolle ſpielen. Dazwiſchen einmal verführt ihn die Phan -881. Abſchnitt. taſie und der Druck der Zeiten zu einem unbedingten Lob des Volkes, welches ſeine Leute beſſer wähle als irgend ein Fürſt und ſich mit Zureden von Irrthümern abbringen laſſe1)Dieſelbe Anſicht, ohne Zweifel hier entlehnt, findet ſich bei Montes - quieu wieder.. In Betreff der Herrſchaft über Toscana zweifelt er nicht, daß dieſelbe ſeiner Stadt gehöre und hält (in einem beſondern Discorſo) die Wiederbezwingung Piſa's für eine Lebensfrage; er bedauert, daß man Arezzo nach der Rebellion von 1502 überhaupt habe ſtehen laſſen; er giebt ſogar im Allgemeinen zu, italieniſche Republiken müßten ſich lebhaft nach außen bewegen und vergrößern dürfen, um nicht ſelber angegriffen zu werden und um Ruhe im Innern zu haben; allein Florenz habe die Sache immer verkehrt angefangen und ſich Piſa, Siena und Lucca von jeher tödtlich verfeindet, während das brüder - lich behandelte Piſtoja ſich freiwillig untergeordnet habe.

Siena.Es wäre unbillig, die wenigen übrigen Republiken, die im XV. Jahrhundert noch exiſtirten, mit dieſem einzi - gen Florenz auch nur in Parallele ſetzen zu wollen, welches bei Weitem die wichtigſte Werkſtätte des italieniſchen, ja des modernen europäiſchen Geiſtes überhaupt war. Siena litt an den ſchwerſten organiſchen Uebeln und ſein relatives Gedeihen in Gewerben und Künſten darf hierüber nicht täuſchen. Aeneas Sylvius2)Aen. Sylvii apologia ad Martinum Mayer, p. 701. Aehnlich noch Macchiavelli, Discorsi I, 55 u. a. a. O. ſchaut von ſeiner Vaterſtadt aus wahrhaft ſehnſüchtig nach den fröhlichen deutſchen Reichsſtädten hinüber, wo keine Confiscationen von Habe und Erbe, keine gewaltthätigen Behörden, keine FactionenGenua. das Daſein verderben3)Wie völlig moderne Halbbildung und Abſtraction bisweilen in das politiſche Weſen hineingriffen, zeigt die Parteiung von 1535, Della Valle, lettere sanesi III, p. 317. Eine Anzahl von Krämern, aufgeregt durch Livius und Macchiavell's Discorſi, verlangen alles. Genua gehört kaum in den Kreis89 unſerer Betrachtung, da es ſich an der ganzen Renaiſſance1. Abſchnitt. vor den Zeiten des Andrea Doria kaum betheiligte, weß - halb der Riviereſe in Italien als Verächter aller höhern Bildung1)Pierio Valeriano, de infelicitate literator., bei Anlaß des Bar - tolommeo della Rovere. galt. Die Parteikämpfe zeigen hier einen ſo wilden Character und waren von ſo heftigen Schwankungen der ganzen Exiſtenz begleitet, daß man kaum begreift wie die Genueſen es anfingen um nach allen Revolutionen und Occupationen immer wieder in einen erträglichen Zuſtand einzulenken. Vielleicht gelang es weil alle, die ſich beim Staatsweſen betheiligten, faſt ohne Ausnahme zugleich als Kaufleute thätig waren2)Senarega, de reb. Genuens. bei Murat. XXIV, Col. 548. Ueber die Unſicherheit vgl. beſ. Col. 519. 525. 528 etc. Die ſehr offen - herzige Rede der Geſandten bei der Uebergabe des Staates an Francesco Sforza 1464 ſ. bei Cagnola, Archiv. stor. III, p. 165, s. . Welchen Grad von Unſicher - heit der Erwerb im Großen und der Reichthum aushalten können, mit welchem Zuſtand im Innern der Beſitz ferner Colonien verträglich iſt, lehrt Genua in überraſchender Weiſe.

Lucca bedeutet im XV. Jahrhundert nicht viel.

Wie nun die meiſten italieniſchen Staaten in ihremAuswärtige Politik. Innern Kunſtwerke, d. h. bewußte, von der Reflexion ab - hängige, auf genau berechneten ſichtbaren Grundlagen ru - hende Schöpfungen waren, ſo mußte auch ihr Verhältniß zu einander und zum Ausland ein Werk der Kunſt ſein. Daß ſie faſt ſämmtlich auf ziemlich neuen Uſurpationen beruhen, iſt für ihre auswärtigen Beziehungen ſo verhäng - nißvoll als für das Innere. Keiner erkennt den andern3)Ernſtes Volkstribunen u. a. römiſche Magiſtrate gegen die Miß - regierung der Vornehmen und Beamten.901. Abſchnitt. ohne Rückhalt an; daſſelbe Glücksſpiel, welches bei Grün - dung und Befeſtigung der eigenen Herrſchaft gewaltet hat, mag auch gegen den Nachbar walten. Hängt es doch gar nicht immer von dem Gewaltherrſcher ab, ob er ruhig ſitzen wird oder nicht. Das Bedürfniß ſich zu vergrößern, ſich überhaupt zu rühren iſt allen Illegitimen eigen. So wird Italien die Heimath einer auswärtigen Politik , welche dann allmälig auch in andern Ländern die Stelle eines anerkannten Rechtszuſtandes vertreten hat. Die völlig ob - jective, von Vorurtheilen wie von ſittlichen Bedenken freie Behandlung der internationalen Dinge erreicht bisweilen eine Vollendung, in welcher ſie elegant und großartig er - ſcheint, während das Ganze den Eindruck eines bodenloſen Abgrundes hervorbringt.

Bedrohung Ve - nedigs.Dieſe Ränke, Liguen, Rüſtungen, Beſtechungen und Verräthereien machen zuſammen die äußere Geſchichte des damaligen Italiens aus. Lange Zeit war beſonders Ve - nedig der Gegenſtand allgemeiner Anklagen, als wollte es ganz Italien erobern oder allgemach ſo herunterbringen, daß ein Staat nach dem andern ihm ohnmächtig in die Arme fallen müſſe1)So noch ganz ſpät Varchi, stor. fiorent. I, 57.. Bei näherm Zuſehen wird man je - doch inne, daß dieſer Weheruf ſich nicht aus dem Volk ſondern aus der Umgebung der Fürſten und Regierungen erhebt, welche faſt ſämmtlich bei ihren Unterthanen ſchwer verhaßt ſind, während Venedig durch ſein leidlich mildes Regiment ein allgemeines Zutrauen genießt2)Galeazzo Maria Sforza ſagt 1467 dem venezian. Agenten wohl das Gegentheil, allein dieß iſt nur ergötzliche Prahlerei. Vgl. Mali - piero, Annali veneti, arch. stor. VII, I, p. 216 u. f. Bei jedem Anlaß ergeben ſich Städte und Landſchaften freiwillig an Vene - dig, freilich meiſt ſolche, die aus tyranniſchen Händen kommen, wäh - rend Florenz freiheitsgewohnte Nachbarrepubliken darnieder halten muß, wie Guicciardini (Ricordi, N. 29) bemerkt.. Auch Flo - renz, mit ſeinen knirſchenden Unterthanenſtädten fand ſich91 Venedig gegenüber in mehr als ſchiefer Stellung, ſelbſt1. Abſchnitt. wenn man den Handelsneid und das Fortſchreiten Venedigs in der Romagna nicht in Betracht zog. Endlich brachte es die Liga von Cambray (S. 69) wirklich dahin, den - jenigen Staat zu ſchwächen, den ganz Italien mit vereinten Kräften hätte ſtützen ſollen.

Allein auch alle übrigen verſehen ſich des Allerſchlimm -Die Fremden. ſten zu einander, wie das eigene böſe Gewiſſen es jedem eingiebt, und ſind fortwährend zum Aeußerſten bereit. Lodovico Moro, die Aragoneſen von Neapel, Sixtus IV. hielten in ganz Italien die allergefährlichſte Unruhe wach, der Kleinern zu geſchweigen. Hätte ſich dieſes entſetzliche Spiel nur auf Italien beſchränkt! allein die Natur der Dinge brachte es mit ſich, daß man ſich nach fremder In - tervention und Hülfe umſah, hauptſächlich nach Franzoſen und Türken.

Zunächſt ſind die Bevölkerungen ſelber durchweg für Frankreich eingenommen. Mit einer grauenerregenden Naive -Franzöſiſche Sympathien. tät geſteht Florenz von jeher ſeine alte guelfiſche Sympathie für die Franzoſen ein1)Vielleicht das Stärkſte dieſer Art in einer Inſtruction an die zu Carl VII. gehenden Geſandten im J. 1452, bei Fabroni, Cos - mus, Adnot. 107.. Und als Carl VIII. wirklich im Süden der Alpen erſchien, fiel ihm ganz Italien mit einem Jubel zu, welcher ihm und ſeinen Leuten ſelber ganz wun - derlich vorkam2)Comines, Charles VIII, chap. 10: man hielt die Franzoſen comme saints. Vgl. Chap. 17. Chron. Venetum bei Murat. XXIV, Col. 5, 10, 14, 15. Matarazzo, Cron. di Perugia, arch. stor. XVI, II, p. 23. Zahlloſer anderen Ausſagen nicht zu gedenken.. In der Phantaſie der Italiener (man denke an Savonarola) lebte das Idealbild eines großen, weiſen und gerechten Retters und Herrſchers, nur war es nicht mehr wie bei Dante der Kaiſer, ſondern der capetin -921. Abſchnitt. giſche König von Frankreich. Mit ſeinem Rückzug war die Täuſchung im Ganzen dahin, doch hat es noch lange ge - dauert bis man einſah, wie vollſtändig Carl VIII., Lud - wig XII. und Franz I. ihr wahres Verhältniß zu Italien verkannten und von welch untergeordneten Beweggründen ſie ſich leiten ließen. Anders als das Volk ſuchten die Fürſten ſich Frankreichs zu bedienen. Als die franzöſiſch - engliſchen Kriege zu Ende waren, als Ludwig XI. ſeine diplomatiſchen Netze nach allen Seiten hin auswarf, als vollends Carl von Burgund ſich in abenteuerlichen Plänen wiegte, da kamen ihnen die italieniſchen Cabinete von allen Seiten entgegen und die franzöſiſche Intervention mußte früher oder ſpäter eintreten, auch ohne die Anſprüche auf Neapel und Mailand, ſo gewiß als ſie z. B. in Genua und Piemont ſchon längſt ſtattgefunden hatte. Die Vene - zianer erwarteten ſie ſchon 14621)Pii II. Commentarii, X, p. 492.. Welche Todesangſt Herzog Galeazzo Maria von Mailand während des Bur - gunderkrieges ausſtand, als er, ſcheinbar ſowohl mit Lud - wig XI. als mit Carl verbündet, den Ueberfall Beider fürchten mußte, zeigt ſeine Correſpondenz2)Gingins, dépêches des ambassadeurs Milanais etc. I, p. 26. 153, 279. 283. 285. 327. 331. 345. 359. II, p. 29. 37. 101. 217. 306. Carl ſprach bereits einmal davon, Mailand dem jungen Ludwig von Orleans zu geben. in ſchlagenderVerſuch eines Gleichgewich - tes. Weiſe. Das Syſtem eines Gleichgewichtes der vier italie - niſchen Hauptſtaaten, wie Lorenzo magnifico es verſtand, war doch nur das Poſtulat eines lichten, optimiſtiſchen Geiſtes, welcher über frevelnde Experimental-Politik wie über florentiniſchen Guelfen-Aberglauben hinaus war und ſich bemühte, das Beſte zu hoffen. Als Ludwig XI. ihm im Kriege gegen Ferrante von Neapel und Sixtus IV. Hülfstruppen anbot, ſagte er: ich vermag noch nicht, meinen Nutzen der Gefahr ganz Italiens vorzuziehen;93 wollte Gott, es fiele den franzöſiſchen Königen niemals1. Abſchnitt. ein, ihre Kräfte in dieſem Lande zu verſuchen! wenn es dazu kömmt, ſo iſt Italien verloren. 1)Nicolò Valori, Vita di Lorenzo. Für andere Für - ſten dagegen iſt der König von Frankreich abwechſelnd Mittel oder Gegenſtand des Schreckens und ſie drohen mit ihm ſobald ſie aus irgend einer Verlegenheit keinen beque - mern Ausweg wiſſen. Vollends glaubten die Päpſte, ohne alle eigene Gefahr mit Frankreich operiren zu dürfen, und Innocenz VIII. meinte noch, er könne ſchmollend ſich nach dem Norden zurückziehen, um von da mit einem franzöſi - ſchen Herr als Eroberer nach Italien zurückzukehren2)Fabroni: Laurentius magnificus, Adnot. 205, s. .

Denkende Menſchen ſahen alſo die fremde EroberungDie Aera der Interven - tionen. ſchon lange vor dem Zuge Carls VIII. voraus3)Z. B. Jovian. Pontanus in ſeinem Charon. Am Ende erwartet er einen Einheitsſtaat.. Und als Carl wieder über die Alpen zurück war, lag es erſt recht klar vor aller Augen, daß nunmehr eine Aera der Interventionen begonnen habe. Fortan verflicht ſich Un - glück mit Unglück, man wird zu ſpät inne, daß Frankreich und Spanien, die beiden Hauptintervenienten, inzwiſchen moderne Großmächte geworden ſind, daß ſie ſich nicht mehr mit oberflächlichen Huldigungen begnügen können, ſondern um Einfluß und Beſitz in Italien auf den Tod kämpfen müſſen. Sie haben angefangen, den centraliſirten italie - niſchen Staaten zu gleichen, ja dieſelben nachzuahmen, nur in coloſſalem Maßſtab. Die Abſichten auf Länderraub und Ländertauſch nehmen eine Zeitlang einen Flug ins Unbe - dingte hinaus. Das Ende aber war bekanntlich ein totales Uebergewicht Spaniens, welches als Schwert und Schild der Gegenreformation auch das Papſtthum in eine lange Abhängigkeit brachte. Die traurige Reflexion der Philo - ſophen beſtand dann einzig darin, nachzuweiſen wie alle941. Abſchnitt. die, welche die Barbaren gerufen, ein ſchlechtes Ende ge - nommen hätten.

Verbindungen mit den Türken.Offen und ohne alle Scheu ſetzte man ſich im XV. Jahrhundert auch mit den Türken in Verbindung; es ſchien dieß ein Mittel politiſcher Wirkung wie ein anderes. Der Begriff einer ſolidariſchen abendländiſchen Chriſtenheit hatte ſchon im Verlauf der Kreuzzüge bisweilen bedenklich gewankt und Friedrich II. mochte demſelben bereits ent - wachſen ſein, allein das erneute Vordringen des Orientes, die Noth und der Untergang des griechiſchen Reiches hatte im Ganzen wieder die frühere Stimmung der Abendländer (wenn auch nicht ihren Eifer) erneuert. Hievon macht Italien eine durchgängige Ausnahme; ſo groß der Schrecken vor den Türken und die wirkliche Gefahr ſein mochte, ſoDie Regierun - gen; iſt doch kaum eine bedeutendere Regierung, welche nicht irgend einmal frevelhaft mit Mohammed II. und ſeinen Nachfolgern einverſtanden geweſen wäre gegen andere ita - lieniſche Staaten. Und wo es nicht geſchah, da traute es doch jeder dem andern zu es war noch immer nicht ſo ſchlimm als was z. B. die Venezianer dem Thronerben Alfons von Neapel Schuld gaben, daß er Leute geſchickt habe, um die Ciſternen von Venedig zu vergiften1)Comines, Charles VIII. chap. 7. Wie Alfons im Kriege ſei - nen Gegner bei einer Unterredung wegzufangen ſuchte erzählt Nan - tiporto, bei Murat. III, II, Col. 1073. Er iſt der wahre Vor - läufer des Ceſare Borgia.. Von einem Verbrecher wie Sigismondo Malateſta erwartete man nichts Beſſeres, als daß er die Türken nach Italien rufen möchte2)Pii II. Commentarii X, p. 492. Was Galeazzo Maria von Mailand 1467 einem venezian. Agenten ſagte, war wohl nur Prahlerei. Vgl. Malipiero, ann. veneti, archiv. stor. VII, I, p. 222. Ueber Boccalino ſ. S. 26.. Aber auch die Aragoneſen von Neapel, welchen Mohammed angeblich von andern italieniſchen Regie -95 rungen1)Porzio, congiura de' baroni, l. I, p. 4. Daß Lorenzo magnifico die Hand im Spiel gehabt habe, iſt ſchwer glaublich. aufgereizt eines Tages Otranto wegnahm,1. Abſchnitt. hetzten hernach den Sultan Bajazeth II. gegen Venedig2)Chron. Venetum, bei Murat. XXIV, Col. 14 und 76.. Ebendaſſelbe ließ ſich Lodovico Moro zu Schulden kommen; Das Blut der Gefallenen und der Jammer der bei den Türken Gefangenen ſchreit gegen ihn zu Gott um Rache , ſagt der Annaliſt des Staates. In Venedig, wo man Alles wußte, war es auch bekannt, daß Giovanni Sforza, Fürſt von Peſaro, der Vetter des Moro, die nach Mailand reiſenden türkiſchen Geſandten beherbergt hatte3)Malipiero, a. a. O., p. 565. 568.. Von den Päpſten des XV. Jahrhunderts ſind die beiden ehren -Die Päpſte; wertheſten, Nicolaus V. und Pius II. in tiefſtem Kummer wegen der Türken geſtorben, letzterer ſogar unter den An - ſtalten einer Kreuzfahrt, die er ſelber leiten wollte; ihre Nachfolger dagegen veruntreuen die aus der ganzen Chri - ſtenheit geſammelten Türkengelder, und entweihen den dar - auf gegründeten Ablaß zu einer Geldſpeculation für ſich4)Trithem. Annales Hirsaug. ad a. 1490, Tom. II, p. 535, s. . Innocenz VIII. giebt ſich zum Kerkermeiſter des geflüchte - ten Prinzen Dſchem her, gegen ein von deſſen Bruder Bajazeth II. zu zahlendes Jahrgeld, und Alexander VI. unterſtützt in Conſtantinopel die Schritte des Lodovico Moro zur Förderung eines türkiſchen Angriffes auf Venedig (1498), worauf ihm dieſes mit einem Concil droht5)Malipiero, a. a. O. p. 161. Vgl. p. 152. Die Auslieferung des Dſchem an Carl VIII. ſ. p. 145, wo es klar wird, daß eine Correſpondenz der ſchimpflichſten Art zwiſchen Alexander und Baja - zeth exiſtirte, wenn auch die Actenſtücke bei Burcardus unterg eſchoben ſein ſollten.. Man ſieht, daß das berüchtigte Bündniß Franz I. mit Soliman II. nichts in ſeiner Art Neues und Unerhörtes war.

Uebrigens gab es auch einzelne Bevölkerungen, welchenDie Bevölke - rungen.961. Abſchnitt. ſogar der Uebergang an die Türken nicht mehr als etwas beſonders Schreckliches erſchien. Selbſt wenn ſie nur gegen drückende Regierungen damit gedroht haben ſollten, ſo wäre dieß doch ein Zeichen, daß man mit dem Gedanken halben - weges vertraut geworden war. Schon um 1480 giebt Battiſta Mantovano deutlich zu verſtehen, daß die meiſten Anwohner der adriatiſchen Küſte etwas der Art vorausſähen und daß namentlich Ancona es wünſche1)Bapt. Mantuanus, de calamitatibus temporum, zu Ende des zweiten Buches, im Geſang der Nereide Doris an die türkiſche Flotte.. Als die Ro - magna unter Leo X. ſich ſehr bedrückt fühlte, ſagte einſt ein Abgeordneter von Ravenna dem Legaten Cardinal Giulio Medici ins Geſicht: Monſignore, die erlauchte Republik Venedig will uns nicht, um keinen Streit mit der Kirche zu bekommen, wenn aber der Türke nach Ra - guſa kommt, ſo werden wir uns ihm übergeben2)Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 55..

Eine Aufgabe Spaniens.Angeſichts der damals ſchon begonnenen Unterjochung Italiens durch die Spanier iſt es ein leidiger aber doch gar nicht grundloſer Troſt, daß nunmehr das Land wenig - ſtens vor der Barbariſirung durch die Türken-Herrſchaft geſchützt war3)Ranke, Geſchichten der romaniſchen und germaniſchen Völker. Michelet's Anſicht (Réforme, p. 467), die Türken würden ſich in Italien occidentaliſirt haben, überzeugt mich nicht. Vielleicht zum erſtenmal iſt jene Beſtimmung Spaniens angedeutet in der Feſtrede welche Fedra Inghirami 1510 vor Julius II. hielt, zur Feier der Einnahme von Bugia durch die Flotte Ferdinands d. Cath. Vgl. Anecdota litteraria II, p. 149.. Sich ſelber hätte es bei der Entzweiung ſeiner Herrſcher ſchwerlich vor dieſem Schickſal bewahrt.

Objectivität der Politik.Wenn man nach all Dieſem von der damaligen ita - lieniſchen Staatskunſt etwas Gutes ſagen ſoll, ſo kann ſich dies nur auf die objective, vorurtheilsloſe Behandlung ſolcher Fragen beziehen, welche nicht durch Furcht, Leiden -97 ſchaft oder Bosheit bereits getrübt waren. Hier giebt es1. Abſchnitt. kein Lehnsweſen im nordiſchen Sinn mit künſtlich abgelei - teten Rechten, ſondern die Macht, welche jeder beſitzt, be - ſitzt er (in der Regel) wenigſtens factiſch ganz. Hier giebt es keinen Geleitsadel, welcher im Gemüth der Fürſten den abſtracten Ehrenpunkt mit all ſeinen wunderlichen Folge - rungen aufrecht hielte, ſondern Fürſten und Rathgeber ſind darin eins, daß nur nach der Lage der Dinge, nach den zu erreichenden Zwecken zu handeln ſei. Gegen die Men - ſchen, die man benützt, gegen die Verbündeten, woher ſie auch kommen mögen, exiſtirt kein Kaſtenhochmuth, der irgend Jemanden abſchrecken könnte, und zu allem Ueberfluß redet der Stand der Condottieren, wo die Herkunft völlig gleich - gültig iſt, vernehmlich genug von der wirklichen Macht. Endlich kennen die Regierungen, als gebildete Despoten, ihr eigenes Land und die Länder ihrer Nachbarn ungleich genauer als ihre nordiſchen Zeitgenoſſen die ihrigen, und berechnen die Leiſtungsfähigkeit von Freund und Feind in öconomiſcher wie in moraliſcher Hinſicht bis ins Einzelſte; ſie erſcheinen, trotz den ſchwerſten Irrthümern, als geborene Statiſtiker.

Mit ſolchen Menſchen konnte man unterhandeln, manDie Unterhand - lung. konnte ſie zu überzeugen, d. h. durch thatſächliche Gründe zu beſtimmen hoffen. Als der große Alfonſo von Neapel (1434) Gefangener des Filippo Maria Visconti geworden war, wußte er dieſen zu überzeugen, daß die Herrſchaft des Hauſes Anjou über Neapel ſtatt der ſeinigen die Fran - zoſen zu Herrn von Italien machen würde, und Jener ließ ihn ohne Löſegeld frei und ſchloß ein Bündniß mit ihm1)U. a. Corio, fol. 333. Vgl. das Benehmen gegen Sforza, fol. 329.. Schwerlich hätte ein nordiſcher Fürſt ſo gehandelt und ge - wiß keiner von der ſonſtigen Moralität des Visconti. Ein feſtes Vertrauen auf die Macht thatſächlicher Gründe be - weist auch der berühmte Beſuch, welchen Lorenzo magnificoCultur der Renaiſſance. 7981. Abſchnitt. unter allgemeiner Beſtürzung der Florentiner dem treuloſen Ferrante in Neapel abſtattete, der gewiß in der Verſuchung und nicht zu gut dazu war, ihn als Gefan - genen da zu behalten1)Nic. Valori, vita di Lorenzo. Paul. Jovius, vita Leonis X, L. I. letzterer gewiß nach guten Quellen, obwohl nicht ohne Rhetorik.. Denn daß man einen mächtigen Fürſten verhaften und dann nach Ausſtellung einiger Unter - ſchriften und andern tiefen Kränkungen wieder lebendig entlaſſen könne, wie Carl der Kühne mit Ludwig XI. zu Péronne that (1468), erſchien den Italienern als Thorheit2)Wenn Comines bei dieſem und hundert andern Anläſſen ſo objectiv beobachtet und urtheilt als irgend ein Italiener, ſo iſt dabei ſein italieniſcher Umgang, zumal mit Angelo Catto, gewiß ſehr in Be - tracht zu ziehen, ſo daß Lorenzo entweder gar nicht mehr oder ruhmbedeckt zurück erwartet wurde. Es iſt in dieſer Zeit zumal von venezianiſchen Geſandten eine Kunſt der politiſchen Ueber - redung aufgewandt worden, von welcher man dieſſeits der Alpen erſt durch die Italiener einen Begriff bekam, und welche ja nicht nach den officiellen Empfangsreden beur - theilt werden darf, denn dieſe gehören der humaniſtiſchen Schulrhetorik an. An Derbheiten und Naivetäten fehlte es im diplomatiſchen Verkehr auch nicht3)Vgl. z. B. Malipiero, a. a. O. p. 216. 221. 236. 237. 478, etc. , trotz aller ſonſt ſehr entwickelten Etikette. Faſt rührend aber erſcheint uns ein Geiſt wie Macchiavell in ſeinen Legazioni . Mangel - haft inſtruirt, kümmerlich ausgeſtattet, als untergeordneter Agent behandelt, verliert er niemals ſeinen freien, hohen Beobachtungsgeiſt und ſeine Luſt des anſchaulichen Berich - tens. Von dem Studium des Menſchen, als Volk wie als Individuum, welches mit dem Studium der Verhält - niſſe bei dieſen Italienern Hand in Hand ging, wird in einem beſondern Abſchnitte die Rede ſein.

Der Krieg als Kunſtwerk.Auf welche Weiſe auch der Krieg den Character eines99 Kunſtwerkes annahm, ſoll hier nur mit einigen Worten1. Abſchnitt. angedeutet werden. Im abendländiſchen Mittelalter war die Ausbildung des einzelnen Kriegers eine höchſt vollendete innerhalb des herrſchenden Syſtemes von Wehr und Waffen, auch gab es gewiß jederzeit geniale Erfinder in der Be - feſtigungs - und Belagerungskunſt, allein Strategie ſowohl als Tactik wurden in ihrer Entwicklung geſtört durch die vielen ſachlichen und zeitlichen Beſchränkungen der Kriegs - pflicht, und durch den Ehrgeiz des Adels, welcher z. B. Angeſichts der Feinde um den Vorrang im Streit haderte und mit ſeinem bloßen Ungeſtüm gerade die wichtigſten Schlachten, wie die von Crécy und Maupertuis, verdarb. Bei den Italienern dagegen herrſchte am frühſten das in ſolchen Dingen anders geartete Söldnerweſen vor, und auch die frühe Ausbildung der Feuerwaffen trug ihrerſeits dazuFeuerwaffen. bei, den Krieg gleichſam zu democratiſiren, nicht nur weil die feſteſten Burgen vor den Bombarden erzitterten, ſondern weil die auf bürgerlichem Wege erworbene Geſchicklichkeit des Ingenieurs, Stückgießers und Artilleriſten in den Vor - dergrund trat. Man empfand dabei nicht ohne Schmerz, daß die Geltung des Individuums, die Seele der kleinen, trefflich ausgebildeten italieniſchen Söldnerheere durch jene von ferne her wirkenden Zerſtörungsmittel beeinträch - tigt wurde, und es gab einzelne Condottieren, welche ſich wenigſtens gegen das unlängſt in Deutſchland erfundene1)Pii II, Commentarii L. IV. p. 190 ad a. 1459. Handrohr aus Kräften verwahrten; ſo ließ Paolo Vitelli2)Paul. Jovius, elogia. Man wird an Federigo von Urbino erin - innert, welcher ſich geſchämt hätte , in ſeiner Bibliothek ein ge - drucktes Buch zu dulden. Vgl. Vespas. Fiorent. den gefangenen feindlichen Schioppettieri die Augen aus - ſtechen und die Hände abhauen, während er die Kanonen als berechtigt anerkannte und gebrauchte. Im Großen und Ganzen aber ließ man die Erfindungen walten und nützte7*1001. Abſchnitt. ſie nach Kräften aus, ſo daß die Italiener für die Angriffs - mittel wie für den Feſtungsbau die Lehrer von ganz EuropaKenner und Dilettanten. wurden. Fürſten wie Federigo von Urbino, Alfonſo von Ferrara, eigneten ſich eine Kennerſchaft des Faches an, gegen welche ſelbſt die eines Maximilian I. nur oberfläch - lich erſchienen ſein wird. In Italien gab es zuerſt eine Wiſſenſchaft und Kunſt des geſammten im Zuſammenhang behandelten Kriegsweſens; hier zuerſt begegnen wir einer neutralen Freude an der correcten Kriegführung als ſolcher, wie dieß zu dem häufigen Parteiwechſel und zu der rein ſachlichen Handlungsweiſe der Condottieren paßte. Während des mailändiſch-venezianiſchen Krieges von 1451 und 1452, zwiſchen Francesco Sforza und Jacopo Picinino, folgte dem Hauptquartier des letztern der Literat Porcellio, mit dem Auftrage des Königs Alfonſo von Neapel, eine Relation1)Porcellii commentaria Jac. Picinini, bei Murat. XX. Eine Fortſetzung für den Krieg von 1453 ibid. XXV. zu verfaſſen. Sie iſt in einem nicht ſehr reinen aber fließenden Latein im Geiſte des damaligen humaniſti - ſchen Bombaſtes geſchrieben, im Ganzen nach Caeſar's Vor - bild, mit eingeſtreuten Reden, Prodigien u. ſ. w.; und da man ſeit hundert Jahren ernſtlich darob ſtritt, ob Scipio Africanus maior oder Hannibal größer geweſen2)Aus Mißverſtand nennt Porcellio den Scipio Aemilianus , wäh - rend er den Africanus major meint., muß ſich Picinino bequemen, durch das ganze Werk Scipio zu heißen und Sforza Hannibal. Auch über das mailändiſche Heer mußte objectiv berichtet werden; der Sophiſt ließ ſich bei Sforza melden, wurde die Reihen entlang geführt, lobte Alles höchlich und verſprach, was er hier geſehen ebenfalls der Nachwelt zu überliefern3)Simonetta, Hist. Fr. Sfortiæ, bei Murat. XXI, Col. 630.. Auch ſonſt iſt die damalige Literatur Italiens reich an Kriegsſchilderungen und Auf - zeichnungen von Stratagemen zum Gebrauch des beſchau -101 lichen Kenners ſowohl als der gebildeten Welt überhaupt,1. Abſchnitt. während gleichzeitige nordiſche Relationen, z. B.: Diebold Schillings Burgunderkrieg noch ganz die Formloſigkeit und protocollariſche Treue von Chroniken an ſich haben. Der größte Dilettant, der je als ſolcher1)Als ſolcher wird er dann doch behandelt. Vgl. Bandello, Parte I, Nov. 40. im Kriegsweſen auf - getreten iſt, Macchiavelli, ſchrieb damals ſeine arte della guerra . Die ſubjective Ausbildung des einzelnen KriegersZweikämpfe. aber fand ihre vollendetſte Aeußerung in jenen feierlichen Kämpfen von einem oder mehrern Paaren, dergleichen ſchon lange vor dem berühmten Kampfe bei Barletta (1503) Sitte geweſen iſt2)Vgl. z. B.: De obsidione Tiphernatium, im 2. Band der rer. italicar. scriptores ex codd. florent. Col. 690. Ein ſehr be - zeichnendes Ereigniß vom J. 1474. Der Zweikampf des Mar - ſchalls Boucicault mit Galeazzo Gonzaga 1406 bei Cagnola, Arch. stor. III, p. 25. Wie Sixtus IV. die Duelle ſeiner Gardiſten ehrte, erzählt Infeſſura. Seine Nachfolger erließen Bullen gegen das Duell überhaupt. Sept. Decretal. V. Tit. 17.. Der Sieger war dabei einer Verherrlichung gewiß, die ihm im Norden fehlte: durch Dichter und Hu - maniſten. Es liegt im Ausgang dieſer Kämpfe kein Gottes - urtheil mehr, ſondern ein Sieg der Perſönlichkeit und für die Zuſchauer der Entſcheid einer ſpannenden Wette nebſt einer Genugthuung für die Ehre des Heeres oder der Nation.

Es verſteht ſich, daß dieſe ganze rationelle Behand -Kriegsgräuel. lung der Kriegsſachen unter gewiſſen Umſtänden den ärgſten Gräueln Platz machte, ſelbſt ohne Mitwirkung des politiſchen Haſſes, bloß etwa einer verſprochenen Plünderung zu Liebe. Nach der vierzigtägigen Verheerung Piacenza's (1447), welche Sforza ſeinen Soldaten hatte geſtatten müſſen, ſtand die Stadt geraume Zeit leer und mußte mit Gewalt wieder bevölkert werden3)Das Nähere Arch. stor. Append. Tom. V. . Doch will dergleichen wenig ſagen im1021. Abſchnitt. Vergleich mit dem Jammer, den nachher die Truppen der Fremden über Italien brachten; beſonders jene Spanier, in welchen vielleicht ein nicht abendländiſcher Zuſatz des Geblütes, vielleicht die Gewöhnung an die Schauſpiele der Inquiſition die teufliſche Seite der Natur entfeſſelt hatte. Wer ſie kennen lernt bei ihren Gräuelthaten von Prato, Rom u. ſ. w., hat es ſpäter ſchwer, ſich für Ferdinand den Catholiſchen und Carl V. in höherm Sinne zu intereſſiren. Dieſe haben ihre Horden gekannt und dennoch losgelaſſen. Die Laſt von Acten aus ihrem Cabinet, welche allmälig zum Vorſchein kömmt, mag eine Quelle der wichtigſten Notizen bleiben einen belebenden politiſchen Gedanken wird Niemand mehr in den Scripturen ſolcher Fürſten ſuchen.

Das Papſt - thum.Papſtthum und Kirchenſtaat1)Ein für allemal iſt hier auf Ranke's Päpſte, Bd. I, und auf Su - genheim, Geſchichte der Entſtehung und Ausbildung des Kirchenſtaates, zu verweiſen., als eine ganz aus - nahmsweiſe Schöpfung, haben uns bisher, bei der Feſt - ſtellung des Characters italieniſcher Staaten überhaupt, nur beiläufig beſchäftigt. Gerade das, was ſonſt dieſe Staaten intereſſant macht, die bewußte Steigerung und Concentration der Machtmittel, findet ſich im Kirchenſtaat am wenigſten, indem hier die geiſtliche Macht die mangel - hafte Ausbildung der weltlichen unaufhörlich decken und erſetzen hilft. Welche Feuerproben hat der ſo conſtituirte Staat im XIV. und beginnenden XV. Jahrhundert aus - gehalten! Als das Papſtthum nach Südfrankreich gefangen geführt wurde, ging Anfangs Alles aus den Fugen, aber Avignon hatte Geld, Truppen und einen großen Staats - und Kriegsmann, der den Kirchenſtaat wieder völlig unter - warf, den Spanier Albornoz. Noch viel größer war die103 Gefahr einer definitiven Auflöſung, als das Schisma hin -1. Abſchnitt. zutrat, als weder der römiſche noch der avignoneſiſche Papſt reich genug war um den von Neuem verlorenen Staat zu unterwerfen, aber nach der Herſtellung der Kircheneinheit gelang dieß unter Martin V. doch wieder, und gelang abermals nachdem ſich die Gefahr unter Eugen IV. er - neuert hatte. Allein der Kirchenſtaat war und blieb einſt - weilen eine völlige Anomalie unter den Ländern Italiens; in und um Rom trotzten dem Papſtthum die großen Adels - familien der Colonna, Savelli, Orſini, Anguillara u. ſ. w.; in Umbrien, in der Mark, in der Romagna gab es zwar jetzt faſt keine jener Stadt-Republiken mehr, welchen einſt das Papſtthum für ihre Anhänglichkeit ſo wenig Dank ge - wußt hatte, aber dafür eine Menge großer und kleiner Fürſtenhäuſer, deren Gehorſam und Vaſallentreue nicht viel beſagen wollte. Als beſondere, aus eigener Kraft beſtehende Dynaſtien haben ſie auch ihr beſonderes Intereſſe und in dieſer Beziehung iſt oben (S. 28, 44) bereits von den wichtigſten derſelben die Rede geweſen.

Gleichwohl ſind wir auch dem Kirchenſtaat als GanzemSeine beſonde - ren Gefahren. hier eine kurze Betrachtung ſchuldig. Neue merkwürdige Kriſen und Gefahren kommen ſeit der Mitte des XV. Jahr - hunderts über ihn, indem der Geiſt der italieniſchen Politik von verſchiedenen Seiten her ſich auch ſeiner zu bemächtigen, ihn in die Pfade ſeiner Raiſon zu leiten ſucht. Die ge - ringern dieſer Gefahren kommen von außen oder aus dem Volke, die größern haben ihre Quelle in dem Gemüth der Päpſte ſelbſt.

Das transalpiniſche Ausland darf zunächſt außer Be - tracht bleiben. Wenn dem Papſtthum in Italien eine tödtliche Bedrohung zuſtieß, ſo hätte ihm weder Frankreich unter Ludwig XI., noch England beim Beginn der Roſen - kriege, noch das einſtweilen gänzlich zerrüttete Spanien, noch auch das um ſein Basler Concil betrogene Deutſchland die geringſte Hülfe gewährt oder auch nur gewähren können. 1041. Abſchnitt. In Italien ſelber gab es eine gewiſſe Anzahl GebildeterStützpunkte. und auch wohl Ungebildeter, welche eine Art von National - ſtolz darein ſetzten, daß das Papſtthum dem Lande gehöre; ſehr Viele hatten ein beſtimmtes Intereſſe dabei, daß es ſo ſei und bleibe; eine gewaltige Menge glaubten auch noch an die Kraft der päpſtlichen Weihen und Segnungen1)Der Eindruck der Benedictionen Eugen's IV. in Florenz, Vespa - siano Fiorent. p. 18. Die Majeſtät der Functionen Nicolaus V, ſ. Infessura (Eccard, II, Col. 1883, seq.) und J. Manetti, Vita Nicolai V. (Murat. III, II, Col. 923). Die Huldigungen an Pius II, ſ. Diario Ferrarese (Murat. XXIV. Col. 205) und Pii II. Comment. passim, beſ. IV, 201. 204. XI, 562. Auch Mörder vom Fach wagen ſich nicht an den Papſt. Die großen Functionen wurden als etwas ſehr weſentliches behandelt von dem pomphaften Paul II. (Platina l. c. 321) und von Sixtus IV, welcher die Oſtermeſſe trotz des Podagras ſitzend hielt (Jac. Volaterran. diarium, Murat. XXIII. Col. 131). Merk - würdig unterſcheidet das Volk zwiſchen der magiſchen Kraft des Se - gens und der Unwürdigkeit des Segnenden; als er 1481 die Him - melfahrtsbenediction nicht geben konnte, murrten und fluchten ſie über ihn (Ibid. Col. 133). , darunter auch große Frevler, wie jener Vitellozzo Vitelli, der noch um den Ablaß Alexanders VI. flehte als ihn der Sohn des Papſtes erwürgen ließ2)Macchiavelli, Scritti minori, p. 142, in dem bekannten Aufſatz über die Kataſtrophe von Sinigaglia. Freilich waren Spanier und Franzoſen noch eifriger als italieniſche Soldaten. Vgl. bei Paul. Jov. vita Leonis X. (L. II. ) die Scene vor der Schlacht bei Ravenna, wo das ſpaniſche Herr den vor Freude weinenden Le - gaten wegen der Abſolution umdrängt. Ferner (ibid.) die Franzoſen in Mailand.. Allein alle dieſe Sym - pathien zuſammen hätten wiederum das Papſtthum nicht gerettet gegenüber von wahrhaft entſchloſſenen Gegnern, die den vorhandenen Haß und Neid zu benützen gewußt hätten.

Und bei ſo geringer Ausſicht auf äußere Hülfe ent - wickeln ſich gerade die allergrößten Gefahren im Innern105 des Papſtthums ſelber. Schon indem daſſelbe jetzt weſent -1. Abſchnitt. lich im Geiſt eines weltlichen italieniſchen Fürſtenthums lebte und handelte, mußte es auch die düſtern Momente eines ſolchen kennen lernen; ſeine eigenthümliche Natur aber brachte noch ganz beſondere Schatten hinein.

Was zunächſt die Stadt Rom betrifft, ſo hat man vonDie Stadt Rom un - ter Nicolaus V. jeher dergleichen gethan, als ob man ihre Aufwallungen wenig fürchte, da ſo mancher durch Volkstumult vertriebene Papſt wieder zurückgekehrt ſei und die Römer um ihres eigenen Intereſſes willen die Gegenwart der Curie wünſchen mußten. Allein Rom entwickelte nicht nur zu Zeiten einen ſpecifiſch antipäpſtlichen Radicalismus1)Bei jenen Ketzern aus der Campagna, von Poli, welche glaubten, ein rechter Papſt müßte die Armuth Chriſti zum Kennzeichen haben, darf man dagegen ein einfaches Waldenſerthum vermuthen. Wie ſie unter Paul II. verhaftet wurden, erzählen Infessura (Eccard II, Col. 1893), Platina, p. 317, etc. , ſondern es zeigte ſich auch mitten in den bedenklichſten Complotten die Wir - kung unſichtbarer Hände von außen. So bei der Ver - ſchwörung des Stefano Porcari gegen denjenigen Papſt, welcher gerade der Stadt Rom die größten Vortheile ge - währt hatte, Nicolaus V. (1453). Porcari bezweckte einen Umſturz der päpſtlichen Herrſchaft überhaupt und hatte dabei große Mitwiſſer, die zwar nicht genannt werden2)L. B. Alberti: de Porcaria coniuratione, bei Murat. XXV. Col. 309 seqq. P. wollte: omnem pontificiam turbam fun - ditus exstinguere. Der Autor ſchließt: Video sane, quo stent loco res Italiæ; intelligo, qui sint, quibus hic perturbata esse omnia conducat Er nennt ſie: extrinsecos impulsores und meint, Porcari werde noch Nachfolger ſeiner Miſſethat finden. P.'s eigene Phantaſien glichen freilich denjenigen des Cola Rienzi., ſicher aber unter den italieniſchen Regierungen zu ſuchen ſind. Unter demſelben Pontificat ſchloß Lorenzo Valla ſeine berühmte Declamation gegen die Schenkung Conſtan -1061. Abſchnitt. tin's mit einem Wunſch um baldige Säculariſation des Kirchenſtaates1)Ut Papa tantum vicarius Christi sit et non etiam Cæsaris Tunc Papa et dicetur et erit pater sanctus, pater omnium, pater ecclesiæ etc. .

Unter Pius II. Auch die catilinariſche Rotte, mit welcher Pius II. (1459) kämpfen mußte2)Pii II. Commentarii IV. p. 208, seqq. , verhehlte es nicht, daß ihr Ziel der Sturz der Prieſter-Herrſchaft im Allgemeinen ſei, und der Hauptanführer Tiburzio gab Wahrſagern die Schuld, welche ihm die Erfüllung dieſes Wunſches eben auf dieſes Jahr verheißen hätten. Mehrere Römiſche Große, der Fürſt von Tarent und der Condottiere Jacopo Piccinino waren die Mitwiſſer und Beförderer. Und wenn man be - denkt, welche Beute in den Paläſten reicher Prälaten bereit lag (Jene hatten beſonders den Cardinal von Aquileja im Auge), ſo fällt es eher auf, daß in der faſt ganz un - bewachten Stadt ſolche Verſuche nicht häufiger und erfolg - reicher waren. Nicht umſonſt reſidirte Pius lieber überall als in Rom, und noch Paul II. hat (1468) einen heftigen Schrecken wegen eines wirklichen oder vorgegebenen Com - plottes ähnlicher Art ausgeſtanden3)Platina, Vitæ Papar. p. 318.. Das Papſtthum mußte entweder einmal einem ſolchen Anfall unterliegen oder gewaltſam die Factionen der Großen bändigen, unter deren Schutz jene Räuberſchaaren heranwuchſen.

Sixtus IV. Dieſe Aufgabe ſetzte ſich der ſchreckliche Sixtus IV. Er zuerſt hatte Rom und die Umgegend faſt völlig in der Gewalt, zumal ſeit der Verfolgung der Colonneſen, und deßhalb konnte er auch in Sachen des Pontificates ſowohl als der italieniſchen Politik mit ſo kühnem Trotz verfahren und die Klagen und Concils-Drohungen des ganzen Abend - landes verachten. Die nöthigen Geldmittel lieferte eine plötzlich ins Schrankenloſe wachſende Simonie, welche von107 den Cardinals-Ernennungen bis auf die kleinſten Gnaden1. Abſchnitt. und Bewilligungen herunter ſich Alles unterwarf1)Battista Mantovano, de calamitatibus temporum, L. III. Der Araber verkauft Weihrauch, der Tyrier Purpur, der Inder Elfen - bein: venalia nobis Templa, sacerdotes, altaria, sacra, coronæ, Ignes, thura, preces, cœlum est venale, Deusque. . Sixtus ſelbſt hatte die päpſtliche Würde nicht ohne Beſtechung er - halten.

Eine ſo allgemeine Käuflichkeit konnte einſt dem römi - ſchen Stuhl üble Schickſale zuziehen, doch lagen dieſelben in unberechenbarer Ferne. Anders war es mit dem Ne -Der Nepotis - mus. potismus, welcher das Pontificat ſelber einen Augenblick aus den Angeln zu heben drohte. Von allen Nepoten genoß Anfangs Cardinal Pietro Riario bei Sixtus die größte und faſt ausſchließliche Gunſt; ein Menſch, welcher binnen Kurzem die Phantaſie von ganz Italien beſchäftigte2)Man ſehe z. B. die Annales Placentini, bei Murat. XX, Col. 943., theils durch ungeheuern Luxus, theils durch die Gerüchte, welche über ſeine Gottloſigkeit und ſeine politiſchen Pläne laut wurden. Er hat ſich (1473) mit Herzog Galeazzo Maria von Mailand dahin verſtändigt, daß dieſer König der Lombardie werden und ihn, den Nepoten, dann mit Geld und Truppen unterſtützen ſolle, damit er bei ſeiner Heimkehr nach Rom den päpſtlichen Stuhl beſteigen könne; Sixtus würde ihm denſelben, ſcheint es, freiwillig abge - treten haben3)Corio, storia di Milano, fol. 416 bis 420. Pietro hatte ſchon die Papſtwahl des Sixtus leiten helfen, ſ. Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1895. Laut Macchiav. storie fior. L. VII. hätten die Venezianer den Cardinal vergiftet. Gründe dazu fehlten ihnen in der That nicht.. Dieſer Plan, welcher wohl auf eine - culariſation des Kirchenſtaates als Folge der Erblichmachung des Stuhles hinausgelaufen wäre, ſcheiterte dann durch Pietro's plötzliches Abſterben. Der zweite Nepot, Girolamo Riario, blieb weltlichen Standes und taſtete das Pontificat1081. Abſchnitt. nicht an; ſeit ihm aber vermehren die päpſtlichen NepotenDer Nepot als Fürſt. die Unruhe Italiens durch das Streben nach einem großen Fürſtenthum. Früher war es etwa vorgekommen, daß die Päpſte ihre Oberlehnsherrlichkeit über Neapel zu Gunſten ihrer Verwandten geltend machen wollten1)Schon Honorius II. wollte nach dem Tode Wilhelms I. 1127 Apu - lien einziehen, als dem h. Petrus heimgefallen .; ſeit Calixt III. aber war hieran nicht mehr ſo leicht zu denken und Giro - lamo Riario mußte, nachdem die Ueberwältigung von Florenz (und wer weiß wie mancher andere Plan) miß - lungen war, ſich mit Gründung einer Herrſchaft auf Grund und Boden des Kirchenſtaates ſelber begnügen. Man mochte dieß damit rechtfertigen, daß die Romagna mit ihren Fürſten und Stadt-Tyrannen der päpſtlichen Oberherrſchaft völlig zu entwachſen drohte, oder daß ſie in Kurzem die Beute der Sforza und der Venezianer werden konnte, wenn Rom nicht auf dieſe Weiſe eingriff. Allein wer garantirte in jenen Zeiten und Verhältniſſen den dauernden Gehorſam ſolcher ſouverän gewordener Nepoten und ihrer Nachkommen gegen Päpſte, die ſie weiter nichts mehr angingen? Selbſt der noch lebende Papſt war nicht immer ſeines eigenen Sohnes oder Neffen ſicher, und vollends lag die Verſuchung nahe, den Nepoten eines Vorgängers durch den eigenen zu verdrängen. Die Rückwirkungen dieſes ganzen Verhält - niſſes auf das Papſtthum ſelbſt waren von der bedenklich - ſten Art; alle, auch die geiſtlichen Zwangsmittel wurden ohne irgend welche Scheu an den zweideutigſten Zweck ge - wandt, welchem ſich die andern Zwecke des Stuhles Petri unterordnen mußten, und wenn das Ziel unter heftigen Erſchütterungen und allgemeinem Haß erreicht war, ſo hatte man eine Dynaſtie geſchaffen, welche das größte Intereſſe am Untergang des Papſtthums hatte.

Als Sixtus ſtarb, konnte ſich Girolamo nur mit äu - ßerſter Mühe und nur durch den Schutz des Hauſes Sforza109 (dem ſeine Gemahlin angehörte) in ſeinem erſchwindelten1. Abſchnitt. Fürſtenthum (Forli und Imola) halten. Bei dem nun (1484) folgenden Conclave in welchem Innocenz VIII.Innocenz VIII. und die Simonie. gewählt wurde trat eine Erſcheinung zu Tage, welche beinahe einer neuen äußern Garantie des Papſtthums ähn - lich ſieht: zwei Cardinäle, welche Prinzen regierender Häuſer ſind, laſſen ſich ihre Hülfe auf das Schamloſeſte durch Geld und Würden abkaufen, nämlich Giovanni d'Aragona, Sohn des Königs Ferrante, und Ascanio Sforza, Bruder des Moro1)Fabroni: Laurentius magn., Adnot. 130. Ein Kundſchafter meldet von dieſen beiden: hanno in ogni elezione a mettere a sacco questa corte, e sono i maggior ribaldi del mondo. . So waren wenigſtens die Herrſcherhäuſer von Neapel und Mailand durch Theilnahme an der Beute beim Fortbeſtand des päpſtlichen Weſens intereſſirt. Noch einmal beim folgenden Conclave, als alle Cardinäle bis auf fünf ſich verkauften, nahm Ascanio ungeheure Be - ſtechungen an, und behielt ſich außerdem die Hoffnung2)Corio, fol. 450. vor, das nächſtemal ſelber Papſt zu werden.

Auch Lorenzo magnifico wünſchte, daß das Haus Medici nicht leer ausgehe. Er vermählte ſeine Tochter Maddalena mit dem Sohn des neuen Papſtes, Franceſchetto Cybò, und erwartete nun nicht bloß allerlei geiſtliche Gunſt für ſeinen eigenen Sohn Cardinal Giovanni (den künftigen Leo X.), ſondern auch eine raſche Erhebung des Schwiegerſohns3)Ein höchſt bezeichnender Mahnbrief Lorenzo's bei Fabroni, Lauren - tius magn. Adnot. 217 und im Auszug bei Ranke, Päpſte, I, p. 45.. Allein in letzterm Betracht verlangte er Unmögliches. Bei Innocenz VIII. konnte von dem kecken, ſtaatengründenden Nepotismus deßhalb nicht die Rede ſein, weil Franceſchetto ein ganz kümmerlicher Menſch war, dem es, wie ſeinem Vater dem Papſte, nur um den Genuß der Macht im1101. Abſchnitt. niedrigſten Sinne, namentlich um den Erwerb großer Geld - maſſen1)Um etwa noch neapolitaniſcher Lehen, weßhalb denn auch Innocenz die Anjou von Neuem gegen den in ſolchem Betracht harthörigen König Ferrante aufrief. zu thun ſein konnte. Die Art jedoch, wie Vater und Sohn dieß Geſchäft trieben, hätte auf die Länge zu einer höchſt gefährlichen Kataſtrophe, zur Auflöſung des Staates, führen müſſen.

Verkauf der Be - gnadigungen.Hatte Sixtus das Geld beſchafft durch den Verkauf aller geiſtlichen Gnaden und Würden, ſo errichten Innocenz und ſein Sohn eine Bank der weltlichen Gnaden, wo gegen Erlegung von hohen Taxen Pardon für Mord und Todt - ſchlag zu haben iſt; von jeder Buße kommen 150 Ducaten an die päpſtliche Kammer, und was darüber geht, an Franceſchetto. Rom wimmelt namentlich in den letzten Zeiten dieſes Pontificates von protegirten und nicht prote - girten Mördern; die Factionen, mit deren Unterwerfung Sixtus den Anfang gemacht, ſtehen wieder in voller Blüthe da; dem Papſt in ſeinem wohlverwahrtem Vatican genügt es, da und dort Fallen aufzuſtellen, in welchen ſich zahlungs - fähige Verbrecher fangen ſollen. Für Franceſchetto aber gab es nur noch eine Hauptfrage: auf welche Art er ſich, wenn der Papſt ſtürbe, mit möglichſt großen Kaſſen aus dem Staube machen könne? Er verrieth ſich einmal bei Anlaß einer falſchen Todesnachricht (1490); alles überhaupt vorhandene Geld den Schatz der Kirche wollte er fortſchaffen, und als die Umgebung ihn daran hinderte, ſollte wenigſtens der Türkenprinz Dſchem mitgehen, ein lebendiges Capital, das man um hohen Preis etwa an Ferrante von Neapel verhandeln konnte2)Vgl. beſ. Infessura, bei Eccard, scriptores, II, passim. . Es iſt ſchwer, politiſche Möglichkeiten in längſt vergangenen Zeiten zu berechnen; unabweisbar aber drängt ſich die Frage auf, ob Rom noch zwei oder drei Pontificate dieſer Art ausgehalten111 hätte? Auch gegenüber dem andächtigen Europa war es1. Abſchnitt. unklug, die Dinge ſo weit kommen zu laſſen, daß nicht bloß der Reiſende und der Pilger, ſondern eine ganze Am - baſſade des römiſchen Königs Maximilian in der Nähe von Rom bis aufs Hemde ausgezogen wurde und daß manche Geſandte unterweges umkehrten ohne die Stadt betreten zu haben.

Mit dem Begriff vom Genuß der Macht, welcher inAlexander VI. dem hochbegabten Alexander VI. (1492 1503) lebendig war, vertrug ſich ein ſolcher Zuſtand freilich nicht, und das Erſte was geſchah, war die einſtweilige Herſtellung der öffentlichen Sicherheit und das präciſe Auszahlen aller Beſoldungen.

Strenge genommen, dürfte dieſes Pontificat hier, wo es ſich um italieniſche Culturformen handelt, übergangen werden, denn die Borgia ſind ſo wenig Italiener als das Haus von Neapel. Alexander ſpricht mit Ceſare öffentlich ſpaniſch, Lucrezia wird bei ihrem Empfang in Ferrara, wo ſie ſpaniſche Toilette trägt, von ſpaniſchen Buffonen angeſungen; die vertrauteſte Hausdienerſchaft beſteht aus Spaniern, ebenſo die verrufenſte Kriegerſchaar des Ceſare im Krieg des Jahres 1500, und ſelbſt ſein Henker, Don Micheletto, ſo wie der Giftmiſcher Sebaſtian Pinzon ſchei - nen Spanier geweſen zu ſein. Zwiſchen all ſeinem ſonſti - gen Treiben erlegt Ceſare auch einmal ſpaniſch kunſtgerecht ſechs wilde Stiere in geſchloſſenem Hofraum. Allein die Corruption, als deren Spitze dieſe Familie erſcheint, hatten ſie in Rom ſchon ſehr entwickelt angetroffen.

Was ſie geweſen ſind und was ſie gethan haben, iſt oft und viel geſchildert worden. Ihr nächſtes Ziel, welches ſie auch erreichten, war die völlige Unterwerfung des Kir - chenſtaates, indem die ſämmtlichen1)Mit Ausnahme der Bentivoglî von Bologna und des Hauſes Eſte zu Ferrara. Letzteres wurde zur Verſchwägerung genöthigt; Lucrezia Borgia heirathete den Prinzen Alfonſo. kleinen Herrſcher 1121. Abſchnitt. meiſt mehr oder weniger unbotmäßige Vaſallen der Kirche vertrieben oder zernichtet und in Rom ſelbſt beide große Fac - tionen zu Boden geſchmettert wurden, die angeblich guelfi - ſchen Orſinen ſo gut wie die angeblich ghibelliniſchen Co - lonneſen. Aber die Mittel, welche angewandt wurden, waren ſo ſchrecklich, daß das Papſtthum an den Conſe - quenzen derſelben nothwendig hätte zu Grunde gehen müſſen, wenn nicht ein Zwiſchen-Ereigniß (die gleichzeitige Vergif - tung von Vater und Sohn) die ganze Lage der DingeGefahren von außen. plötzlich geändert hätte. Auf die moraliſche Entrüſtung des Abendlandes allerdings brauchte Alexander nicht viel zu achten; in der Nähe erzwang er Schrecken und Huldi - gung; die ausländiſchen Fürſten ließen ſich gewinnen und Ludwig XII. half ihm ſogar aus allen Kräften, die Be - völkerungen aber ahnten kaum was in Mittelitalien vor - ging. Der einzige in dieſem Sinne wahrhaft gefährliche Moment, als Carl VIII. in der Nähe war, ging uner - wartet glücklich vorüber, und auch damals handelte es ſich wohl nicht um das Papſtthum als ſolches1)Laut Corio (Fol. 479) dachte Carl an ein Concil, an die Abſetzung des Papſtes, ja an ſeine Wegführung nach Frankreich, und zwar erſt bei der Rückkehr von Neapel. Laut Benedictus: Carolus VIII. (bei Eccard, scriptores, II, Col. 1584) hätte Carl in Neapel, als ihm Papſt und Cardinäle die Anerkennung ſeiner neuen Krone verweigerten, ſich allerdings Gedanken gemacht de Italiæ imperio deque pontificis statu mutando, allein gleich darauf gedachte er ſich wieder mit Alexanders perſönlicher Demüthigung zu begnügen. Der Papſt entwiſchte ihm jedoch. ſondern nur um Verdrängung Alexanders durch einen beſſern Papſt. Die große, bleibende und wachſende Gefahr für das Pon - tificat lag in Alexander ſelbſt und vor allem in ſeinem Sohne Ceſare Borgia.

Simonie.In dem Vater waren Herrſchbegier, Habſucht und Wolluſt mit einem ſtarken und glänzenden Naturell ver - bunden. Was irgend zum Genuß von Macht und Wohl -113 leben gehört, das gönnte er ſich vom erſten Tage an im1. Abſchnitt. weiteſten Umfang. In den Mitteln zu dieſem Zwecke er - ſcheint er ſogleich völlig unbedenklich; man wußte auf der Stelle, daß er die für ſeine Papſtwahl aufgewandten Opfer mehr als nur wieder einbringen würde1)Corio, fol. 450. Malipiero, Ann. veneti, arch. stor. VII, I, p. 318. Welche Raubſucht die ganze Familie ergriffen haben muß, ſieht man u. a. aus Malipiero, a. a. O. p. 565. Ein Nepot wird als päpſtlicher Legat in Venedig herrlich empfangen, und macht durch Ertheilung von Dispenſen ungeheures Geld; ſeine Dienerſchaft ſtiehlt beim Abziehen Alles deſſen ſie habhaft werden kann, auch ein Stück Goldſtoff vom Hauptaltar einer Kirche in Murano., und daß die Simonie des Kaufes durch die des Verkaufes weit würde überboten werden. Es kam hinzu, daß Alexander von ſeinem Vice-Cancellariat und andern frühern Aemtern her die möglichen Geldquellen beſſer kannte und mit größerm Geſchäftstalent zu handhaben wußte als irgend ein Curiale. Schon im Lauf des Jahres 1494 geſchah es, daß ein Carmeliter Adamo von Genua, der zu Rom von der Si - monie gepredigt hatte, mit zwanzig Wunden ermordet in ſeinem Bette gefunden wurde. Alexander hat kaum einen Cardinal außer gegen Erlegung hoher Summen ernannt.

Als aber der Papſt mit der Zeit unter die HerrſchaftCeſare Borgia. ſeines Sohnes gerieth, nahmen die Mittel der Gewalt jenen völlig ſataniſchen Character an, der nothwendig auf die Zwecke zurückwirkt. Was im Kampf gegen die römiſchen Großen und gegen die romagnoliſchen Dynaſten geſchah, überſtieg im Gebiet der Treuloſigkeit und Grauſamkeit ſo - gar dasjenige Maaß, an welches z. B. die Aragoneſen von Neapel die Welt bereits gewöhnt hatten, und auch das Talent der Täuſchung war größer. Vollends grauenhaft iſt die Art und Weiſe, wie Ceſare den Vater iſolirt, indem er den Bruder, den Schwager und andere Verwandte und Höflinge ermordet, ſobald ihm deren Gunſt beim PapſtCultur der Renaiſſance. 81141. Abſchnitt. oder ihre ſonſtige Stellung unbequem wird. Alexander mußte zu der Ermordung ſeines geliebteſten Sohnes, des Duca di Gandia, ſeine Einwilligung geben1)Dieß bei Panvinio (Contin. Platinæ. p. 339): insidiis Cæsaris fratris interfectus connivente ad scelus patre. Ge - wiß eine authentiſche Ausſage, gegen welche die Darſtellungen bei Malipiero und Matarazzo (wo dem Giovanni Sforza die Schuld gegeben wird) zurückſtehen müſſen. Auch die tiefe Erſchütterung Alexanders deutet[auf] Mitſchuld. Vom Auffiſchen der Leiche in der Tiber ſagte Sannazaro: Piscatorem hominum ne te non, Sexte, putemus, Piscaris natum retibus, ecce, tuum. , weil er ſelber ſtündlich vor Ceſare zitterte.

Welches waren nun die tiefſten Pläne des Letztern? Noch in den letzten Monaten ſeiner Herrſchaft, als er eben die Condottieren zu Sinigaglia umgebracht hatte und factiſch Herr des Kirchenſtaates war (1503), äußerte man ſich in ſeiner Nähe leidlich beſcheiden: Der Herzog wolle bloßSeine Abſich - ten Factionen und Tyrannen unterdrücken, Alles nur zum Nutzen der Kirche; für ſich bedinge er ſich höchſtens die Romagna aus, und dabei könne er des Dankgefühles aller folgenden Päpſte ſicher ſein, da er ihnen Orſinen und Co - lonneſen vom Halſe geſchafft2)Macchiavelli, opere, ed. Milan. Vol. V. p. 387. 393. 395, in der Legazione al Duca Valentino. . Aber Niemand wird dieß als ſeinen letzten Gedanken gelten laſſen. Schon etwas weiter ging einmal Papſt Alexander ſelbſt mit der Sprache heraus, in der Unterhaltung mit dem venezianiſchen Ge - ſandten, indem er ſeinen Sohn der Protection von Venedigauf den päpſt - lichen Thron empfahl: ich will dafür ſorgen, ſagte er, daß einſt das Papſtthum entweder an ihn oder an Eure Republik fällt. 3)Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 12, in der Rel. des P. Capello. Wörtlich: Der Papſt achtet Venedig wieCeſare freilich fügte bei: es ſolle nur Papſt werden, wen Venedig wolle, und zu dieſem Endzweck brauchten nur die venezianiſchen Cardinäle recht zuſammenzuhalten. Ob er115 damit ſich ſelbſt gemeint, mag dahin geſtellt bleiben; jeden -1. Abſchnitt. falls genügt die Ausſage des Vaters, um ſeine Abſicht auf die Beſteigung des päpſtlichen Thrones zu beweiſen. Wie - derum etwas mehr erfahren wir mittelbar von Lucrezia Borgia, inſofern gewiſſe Stellen in den Gedichten des Ercole Strozza der Nachklang von Aeußerungen ſein dürften, die ſie als Herzogin von Ferrara ſich wohl erlauben konnte. Zunächſt iſt auch hier von Ceſare's Ausſicht auf das Papſtthum die Rede1)Strozzii poetæ, p. 19, in der Venatio des Ercole Strozza: cui triplicem fata invidere coronam. Dann in dem Trauerge - dicht auf Ceſare's Tod p. 31, seq.: speraretque olim solii decora alta paterni. , allein dazwiſchen tönt etwas von einer gehofften Herrſchaft über Italien im Allgemeinen2)Ebenda: Jupiter habe einſt verſprochen: Affore Alexandri so - bolem, quæ poneret olim Italiæ leges, atque aurea sæcla referret etc. , und am Ende wird angedeutet, daß Ceſare gerade als weltlicher Herrſcher das Größte vorgehabt und deßhalb einſt den Cardinalshut niedergelegt habe3)Ebenda: sacrumque decus maiora parantem Deposuisse. . In der That kann kein Zweifel darüber walten, daß Ceſare, nach Alexan - ders Tode zum Papſt gewählt oder nicht, den Kirchenſtaat um jeden Preis zu behaupten gedachte und daß er dieß,und deſſen - culariſation. nach Allem was er verübt hatte, als Papſt unmöglich auf die Länge vermocht hätte. Wenn irgend Einer, ſo hätte er den Kirchenſtaat ſäculariſirt4)Er war bekanntlich mit einer franzöſiſchen Prinzeſſin aus dem Hauſe Albret vermählt und hatte eine Tochter von ihr; auf irgend eine Weiſe hätte er wohl eine Dynaſtie zu gründen verſucht. Es iſt nicht bekannt, daß er Anſtalten gemacht, den Cardinalshut wieder und hätte es thun müſſen3)keinen Potentaten der Welt, e però desidera, che ella (Signoria di Venezia) protegga il figliuolo, e dice voler fare tale or - dine, che il papato o sia suo, ovvero della Signoria nostra. Das suo kann ſich doch wohl nur auf Ceſare beziehen. Das Pron. poſſeſſivum ſtatt des Perſonale ſteht häufig ſo.8*1161. Abſchnitt. um dort weiter zu herrſchen. Trügt uns nicht Alles, ſo iſt dieß der weſentliche Grund der geheimen Sympathie, womit Macchiavell den großen Verbrecher behandelt; von Ceſare oder von Niemand durfte er hoffen, daß er das Eiſen aus der Wunde ziehe , d. h. das Papſtthum, die Quelle aller Intervention und aller Zerſplitterung Italiens zernichte. Die Intriganten, welche Ceſare zu errathen glaubten, wenn ſie ihm das Königthum von Toscana ſpie - gelten, wies er, ſcheint es mit Verachtung von ſich1)Macchiavelli, a. a. O. S. 334. Pläne auf Siena und eventuell auf ganz Toscana waren vorhanden aber noch nicht ganz gereift; die Zuſtimmung Frankreichs war dazu nothwendig..

Doch alle logiſchen Schlüſſe aus ſeinen Prämiſſen ſind vielleicht eitel nicht wegen einer ſonderlichen dämoniſchen Genialität, die ihm ſo wenig innewohnte als z. B. dem Herzog von Friedland ſondern weil die Mittel, die er anwandte, überhaupt mit keiner völlig conſequenten Hand - lungsweiſe im Großen verträglich ſind. Vielleicht hätte in dem Uebermaß von Bosheit ſich wieder eine Ausſicht der Rettung für das Papſtthum aufgethan, auch ohne jenen Zufall, der ſeiner Herrſchaft ein Ende machte.

Die irrationel - len Mittel.Wenn man auch annimmt, daß die Zernichtung aller Zwiſchenherrſcher im Kirchenſtaate dem Ceſare nichts als Sympathie eingetragen hätte, wenn man auch die Schaar die 1503 ſeinem Glücke folgte die beſten Soldaten und Offiziere Italiens mit Lionardo da Vinci als Ober-Inge - nieur als Beweis ſeiner großen Ausſichten gelten läßt, ſo gehört doch Anderes wieder ins Gebiet des Irrationellen, ſo daß unſer Urtheil darob irre wird wie das der Zeit - genoſſen. Von dieſer Art iſt beſonders die Verheerung und Mißhandlung des eben gewonnenen Staates2)Macchiavelli, a. a. O. S. 326. 351. 414. Matarazzo, cro - naca di Perugia, arch. stor. XVI, II. p. 157 und 221: Er, den4)anzunehmen, obſchon er (laut Macchiav. a a O. S. 285) auf einen baldigen Tod ſeines Vaters rechnen mußte.117 Ceſare doch zu behalten und zu beherrſchen gedenkt. So -1. Abſchnitt. dann der Zuſtand Roms und der Curie in den letztenErmordungen. Jahren des Pontificates. Sei es, daß Vater und Sohn eine förmliche Proſcriptions-Liſte entworfen hatten1)So Pierio Valeriano, de infelicitate literat., bei Anlaß des Gio - vanni Regio., ſei es, daß die Mordbeſchlüſſe einzeln gefaßt wurden die Borgia legten ſich auf heimliche Zernichtung aller derer, welche ihnen irgendwie im Wege waren oder deren Erb - ſchaft ihnen begehrenswerth ſchien. Capitalien und fahrende Habe waren noch das wenigſte dabei; viel einträglicher für den Papſt war es, daß die Leibrenten der betreffenden geiſt - lichen Herren erloſchen und daß er die Einkünfte ihrer Aemter während der Vacanz und den Kaufpreis derſelben bei neuer Beſetzung einzog. Der venezianiſche Geſandte Paolo Capello2)Tommaſo Gar, a. a. O. S. 11. meldet im Jahr 1500 wie folgt: Jede Nacht findet man zu Rom 4 oder 5 Ermordete, nämlich Biſchöfe, Prälaten und Andere, ſo daß ganz Rom davor zittert, von dem Herzog (Ceſare) ermordet zu werden. Er ſelber zog des Nachts mit ſeinen Garden in der er - ſchrockenen Stadt herum3)Paulus Jovius, Elogia, Cæsar Borgia. In den Commentarii urbani des Raph. Volaterranus enthält Lib. XXII. eine unter Julius II. und doch noch ſehr behutſam abgefaßte Charakteriſtik Alexanders. Hier heißt es: Roma .. nobilis iam carnificina facta erat. , und es iſt aller Grund vor - handen zu glauben, daß dieß nicht bloß geſchah, weil er, wie Tiberius, ſein ſcheußlich gewordenes Antlitz bei Tage nicht mehr zeigen mochte, ſondern um ſeiner tollen Mordluſt ein Genüge zu thun, vielleicht auch an ganz Unbekannten. Schon im Jahr 1499 war die Desperation hierüber ſo groß und allgemein, daß das Volk viele päpſtliche Gardiſten2)wollte, daß ſeine Soldaten ſich nach Belieben einquartirten, ſodaß ſie in Friedenszeiten noch mehr gewannen als Kriege .1181. Abſchnitt. überfiel und umbrachte1)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 362.. Wem aber die Borgia mit offenerVergiftungen. Gewalt nicht beikamen, der unterlag ihrem Gift. Für diejenigen Fälle, wo einige Discretion nöthig ſchien, wurde jenes ſchneeweiße, angenehm ſchmeckende Pulver2)Paul. Jovius, Histor. II, fol. 47. gebraucht, welches nicht blitzſchnell, ſondern allmälig wirkte und ſich unbemerkt jedem Gericht oder Getränk beimiſchen ließ. Schon Prinz Dſchem hatte davon in einem ſüßen Trank mit bekommen, bevor ihn Alexander an Carl VIII. aus - lieferte (1495), und am Ende ihrer Laufbahn vergifteten ſich Vater und Sohn damit, indem ſie zufällig von dem für einen reichen Cardinal beſtimmten Wein genoſſen. Der officielle Epitomator der Papſtgeſchichte, Onufrio Panvinio3)Panvinius, Epitome pontificum p. 359. Der Giftverſuch gegen den ſpätern Julius II. ſ. p. 363. Laut Sismondi XIII, 246 ſtarb auch der langjährige Vertraute aller Geheimniſſe, Lopez, Car - dinal von Capua, auf dieſelbe Weiſe; laut Sanuto (bei Ranke, Päpſte, I, S. 52, Anm.) auch der Cardinal von Verona. nennt drei Cardinäle, welche Alexander hat vergiften laſſen (Orſini, Ferrerio und Michiel) und deutet einen vierten an, welchen Ceſare auf ſeine Rechnung nahm (Giovanni Borgia); es möchten aber damals ſelten reichere Prälaten in Rom geſtorben ſein ohne einen Verdacht dieſer Art. Auch ſtille Gelehrte, die ſich in eine Landſtadt zurückge - zogen, erreichte ja das erbarmungsloſe Gift. Es fing an, um den Papſt herum nicht mehr recht geheuer zu werden; Blitzſchläge und Sturmwinde, von welchen Mauern und Gemächer einſtürzten, hatten ihn ſchon früher in auffallender Weiſe heimgeſucht und in Schrecken geſetzt; als 15004)Prato, arch. stor. III, p. 254. ſich dieſe Erſcheinungen wiederholten, fand man darin cosaDie letzten Jahre. diabolica . Das Gerücht von dieſem Zuſtande der Dinge ſcheint durch das ſtarkbeſuchte5)Und ſtark vom Papſt ausgebeutete. Vgl. Chron. Venetum, bei Murat. XXIV, Col. 133. Jubiläum von 1500 doch119 endlich weit unter den Völkern herumgekommen zu ſein und1. Abſchnitt. die ſchmachvolle Ausbeutung des damaligen Ablaſſes that ohne Zweifel das Uebrige um alle Augen auf Rom zu lenken1)Anshelm, Berner Chronik, III, Seite 146 bis 156. Trithem. Annales Hirsaug. Tom. II, p. 579. 584. 586.. Außer den heimkehrenden Pilgern kamen auch ſonderbare weiße Büßer aus Italien nach dem Norden, darunter verkappte Flüchtlinge aus dem Kirchenſtaat, welche nicht werden geſchwiegen haben. Doch wer kann berechnen, wie lange und hoch das Aergerniß des Abendlandes noch hätte ſteigen müſſen, ehe es für Alexander eine unmittel - bare Gefahr erzeugte. Er hätte, ſagt Panvinio anders - wo,2)Panvin. contin. Platinæ, p. 341. auch die noch übrigen reichen Cardinäle und Prälaten aus der Welt geſchafft um ſie zu erben, wenn er nicht, mitten in den größten Abſichten für ſeinen Sohn, dahin - gerafft worden wäre . Und was würde Ceſare gethan haben, wenn er im Augenblicke, da ſein Vater ſtarb, nicht ebenfalls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein Conclave wäre das geworden, wenn er ſich einſtweilen, mit all ſeinen Mitteln ausgerüſtet, durch ein mit Gift zweck - mäßig reducirtes Cardinals-Collegium zum Papſt wählen ließ, zumal in einem Augenblick da keine franzöſiſche Armee in der Nähe geweſen wäre! Die Phantaſie verliert ſich, ſo - bald ſie dieſe Hypotheſen verfolgt, in einen Abgrund.

Statt deſſen folgte das Conclave Pius III. und nachJulius II. deſſen baldigem Tode auch dasjenige Julius II. unter dem Eindruck einer allgemeinen Reaction.

Welches auch die Privatſitten Julius II. ſein mochten, in den weſentlichen Beziehungen iſt er der Retter des Papſt - thums. Die Betrachtung des Ganges der Dinge in den Pontificaten ſeit ſeinem Oheim Sixtus hatte ihm einen tiefen Einblick in die wahren Grundlagen und Bedingungen des päpſtlichen Anſehens gewährt, und danach richtete er1201. Abſchnitt. nun ſeine Herrſchaft ein und widmete ihr die ganze Kraft und Leidenſchaft ſeiner unerſchütterlichen Seele. Ohne Si - monie, unter allgemeinem Beifall ſtieg er die Stufen des Stuhles Petri hinan und nun hörte wenigſtens der eigent - liche Handel mit den höchſten Würden gänzlich auf. JuliusSeine Reaction. hatte Günſtlinge und darunter ſehr unwürdige, allein des Nepotismus war er durch ein beſonderes Glück überhoben: ſein Bruder Giovanni della Rovere war der Gemahl der Erbinn von Urbino, Schweſter des letzten Montefeltro Guidobaldo, und aus dieſer Ehe war ſeit 1491 ein Sohn, Francesco Maria della Rovere vorhanden, welcher zugleich rechtmäßiger Nachfolger im Herzogthum Urbino und päpſt - licher Nepot war. Was nun Julius ſonſt irgend erwarb, im Cabinet oder durch ſeine Feldzüge, das unterwarf er mit hohem Stolz der Kirche und nicht ſeinem Hauſe; den Kirchenſtaat, welchen er in voller Auflöſung angetroffen, hinterließ er völlig gebändigt und durch Parma und Pia - cenza vergrößert. Es lag nicht an ihm, daß nicht auch Ferrara für die Kirche eingezogen wurde. Die 700,000 Ducaten, welche er beſtändig in der Engelsburg liegen hatte, ſollte der Caſtellan einſt Niemanden als dem künftigen Papſt ausliefern. Er erbte die Cardinäle, ja Alle Geiſt - lichen, die in Rom ſtarben und zwar auf rückſichtsloſe Weiſe1)Daher jene Pracht der bei Lebzeiten geſetzten Prälatengräber; ſo entzog man den Päpſten wenigſtens einen Theil der Beute., aber er vergiftete und mordete Keinen. Daß er ſelber zu Felde zog, war für ihn unvermeidlich und hat ihm in Italien ſicher nur genützt zu einer Zeit da man entweder Ambos oder Hammer ſein mußte, und da die Perſönlichkeit mehr wirkte als das beſterworbene Recht. Wenn er aber trotz all ſeines hochbetonten: Fort mit den Barbaren! gleichwohl am meiſten dazu beitrug, daß die Spanier in Italien ſich recht feſtſetzten, ſo konnte dieß für das Papſtthum gleichgültig, ja vielleicht relativ vortheilhaft121 erſcheinen. Oder war nicht bis jetzt von der Krone Spa -1. Abſchnitt. nien am eheſten ein dauernder Reſpect vor der Kirche zu erwarten1)Ob Julius wirklich gehofft hat, Ferdinand der Cath. werde ſich von ihm beſtimmen laſſen, die verdrängte aragoniſche Nebenlinie wieder auf den Thron von Neapel zu ſetzen, bleibt trotz Giovio's Ausſage (Vita Alfonsi Ducis) ſehr zweifelhaft., während die italieniſchen Fürſten vielleicht nur noch frevelhafte Gedanken gegen letztere hegten? WiePerſönlichkeit. dem aber ſei, der mächtige originelle Menſch, der keinen Zorn herunterſchlucken konnte und kein wirkliches Wohl - wollen verbarg, machte im Ganzen den für ſeine Lage höchſt wünſchbaren Eindruck eines Pontefice terribile . Er konnte ſogar wieder mit relativ gutem Gewiſſen die Beru - fung eines Concils nach Rom wagen, womit dem Concils - Geſchrei der ganzen europäiſchen Oppoſition Trotz geboten war. Ein ſolcher Herrſcher bedurfte auch eines großartigen äußern Symboles ſeiner Richtung; Julius fand daſſelbe im Neubau von St. Peter; die Anlage deſſelben, wie ſie Bramante wollte, iſt vielleicht der größte Ausdruck aller einheitlichen Macht überhaupt. Aber auch in den übrigen Künſten lebt Andenken und Geſtalt dieſes Papſtes im höch - ſten Sinne fort, und es iſt nicht ohne Bedeutung, daß ſelbſt die lateiniſche Poeſie jener Tage für Julius in andere Flammen geräth als für ſeine Vorgänger. Der Einzug in Bologna, am Ende des Iter Julii secundi , von Cardi - nal Adriano da Corneto, hat einen eigenen prachtvollen Ton, und Giovan Antonio Flaminio hat in einer der ſchönſten Elegien2)Beide Gedichte z. B. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi IV, 257 und 297. Freilich als Julius im Aug. 1511 einmal in mehr - ſtündiger Ohnmacht lag und für todt galt, wagten ſogleich die un - ruhigſten Köpfe aus den vornehmſten Familien Pompeo Colonna und Antimo Savelli das Volk aufs Capitol zu rufen und zur Abwerfung der päpſtlichen Herrſchaft anzufeuern, a vendicarsi den Patrioten im Papſt um Schutz für Italien angerufen.

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1. Abſchnitt. Julius hatte durch eine donnernde Conſtitution1)Septimo decretal. L. I, Tit. 3, Cap. 1 bis 3. ſeines lateranenſiſchen Concils die Simonie bei der PapſtwahlLeo X. verboten. Nach ſeinem Tode (1513) wollten die geldluſtigen Cardinäle dieß Verbot dadurch umgehen, daß eine allge - meine Abrede proponirt wurde, wonach die bisherigen Pfründen und Aemter des zu Wählenden gleichmäßig unter ſie vertheilt werden ſollten; ſie würden dann den pfründen - reichſten Cardinal (den ganz untüchtigen Rafael Riario) gewählt haben2)Franc. Vettori, im Arch. stor. VI, 297.. Allein ein Aufſchwung hauptſächlich der jüngern Mitglieder des heil. Collegiums, welche vor Allem einen liberalen Papſt wollten, durchkreuzte jene jämmerliche Combination; man wählte Giovanni Medici, den berühm - ten Leo X.

Wir werden ihm noch öfter begegnen, wo irgend von der Sonnenhöhe der Renaiſſance die Rede ſein wird; hier iſt nur darauf hinzuweiſen, daß unter ihm das Papſtthum wieder große innere und äußere Gefahren erlitt. Darunter iſt nicht zu rechnen die Verſchwörung der Cardinäle Pe - trucci, Sauli, Riario und Corneto, weil dieſe höchſtens einen Perſonenwechſel zur Folge haben konnte; auch fand Leo das wahre Gegenmittel in Geſtalt jener unerhörten Creation von 31 neuen Cardinälen, welche noch dazu einen guten Effect machte, weil ſie zum Theil das wahre Ver - dienſt belohnte.

Pläne auf ganz Italien.Höchſt gefährlich aber waren gewiſſe Wege, auf wel - chen Leo in den zwei erſten Jahren ſeines Amtes ſich be - treten ließ. Durch ganz ernſtliche Unterhandlungen ſuchte er ſeinem Bruder Giuliano das Königreich Neapel und ſeinem Neffen Lorenzo ein großes oberitaliſches Reich zu verſchaffen, welches Mailand, Toscana, Urbino und Ferrara2)in libertà .. a publica ribellione, wie Guicciardini im zehnten Buch meldet.123 umfaßt haben würde1)Franc. Vettori, a. a. O. p. 301. Arch. stor. append. I, p. 293, s. Roscoe, Leone X, ed. Bossi VI, p. 232, s. Tommaso Gar, a. a. O. p. 42.. Es leuchtet ein, daß der Kirchen -1. Abſchnitt. ſtaat, auf ſolche Weiſe eingerahmt, eine mediceiſche Apanage geworden wäre, ja man hätte ihn kaum mehr zu ſäculari - ſiren nöthig gehabt.

Der Plan ſcheiterte an den allgemeinen politiſchen Verhältniſſen; Giuliano ſtarb bei Zeiten; um Lorenzo den - noch auszuſtatten unternahm Leo die Vertreibung des Her - zogs Francesco Maria della Rovere von Urbino, zog ſich durch dieſen Krieg unermeßlichen Haß und Armuth zu, und mußte, als Lorenzo 1519 ebenfalls ſtarb2)Ariosto, sat. VI. vs. 106. Tutti morrete, ed è fatal che muoja Leone appresso das mühſelig Eroberte an die Kirche geben; er that ruhmlos und ge - zwungen, was ihm, freiwillig gethan, ewigen Ruhm ge - bracht haben würde. Was er dann noch gegen Alfonſo von Ferrara probirte und gegen ein paar kleine Tyrannen und Condottieren wirklich ausführte, war vollends nicht von der Art, welche die Reputation erhöht. Und dieß Alles während die Könige des Abendlandes ſich von JahrDie Großmächte. zu Jahr mehr an ein coloſſales politiſches Kartenſpiel ge - wöhnten, deſſen Einſatz und Gewinn immer auch dieſes oder jenes Gebiet von Italien war3)Eine Combination dieſer Art ſtatt mehrerer: Lettere de' principi I, 46 in einer Pariſer Depeſche des Card. Bibiena 1518.. Wer wollte dafür bürgen, daß ſie nicht, nachdem ihre heimiſche Macht in den letzten Jahrzehnden unendlich gewachſen, ihre Abſichten auch einmal auf den Kirchenſtaat ausdehnen würden? Noch Leo mußte ein Vorſpiel deſſen erleben, was 1527 ſich er - füllte; ein paar Haufen ſpaniſcher Infanterie erſchienen gegen Ende d. J. 1520 aus eigenem Antrieb, ſcheint es an den Grenzen des Kirchenſtaates um den Papſt1241. Abſchnitt. einfach zu brandſchatzen1)Franc. Vettori, a. a. O. p. 333., ließen ſich aber durch päpſtliche Truppen zurückſchlagen. Auch die öffentliche Meinung ge - genüber der Corruption der Hierarchie war in den letzten Zeiten raſcher gereift als früher, und ahnungsfähige Men - ſchen wie z. B. der jüngere Pico von Mirandola2)Bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VIII, p. 105 u. f. findet ſich eine Declamation, welche Pico 1517 an Pirkheimer ſandte. Er fürchtet, daß noch unter Leo das Böſe förmlich über das Gute ſiegen möchte, et in te bellum a nostræ religionis hostibus ante audias geri quam parari. , riefen dringend nach Reformen. Inzwiſchen war bereits Luther aufgetreten.

Hadrian VI. Unter Hadrian VI. (1521 1523) kamen auch die ſchüchternen und wenigen Reformen gegenüber der großen deutſchen Bewegung ſchon zu ſpät. Er konnte nicht viel mehr als ſeinen Abſcheu gegen den bisherigen Gang der Dinge, gegen Simonie, Nepotismus, Verſchwendung, Ban - ditenweſen und Unſittlichkeit an den Tag legen. Die Ge - fahr vom Lutherthum her erſchien nicht einmal als die größte; ein geiſtvoller venezianiſcher Beobachter, Girolamo Negro, ſpricht Ahnungen eines nahen, ſchrecklichen Unheils für Rom ſelber aus3)Lettere de' principi, I. Rom 17. März 1523: Dieſer Staat ſteht aus vielen Gründen auf einer Nadelſpitze, und Gott gebe daß wir nicht bald nach Avignon fliehen müſſen oder bis an die Enden des Oceans. Ich ſehe den Sturz dieſer geiſtlichen Monarchie nahe vor mir Wenn Gott nicht hilft, ſo iſt es um uns geſchehen ..

Clemens VII. Unter Clemens VII. erfüllt ſich der ganze Horizont von Rom mit Dünſten gleich jenem graugelben Scirocco - ſchleier, welcher dort bisweilen den Spätſommer ſo ver - derblich macht. Der Papſt iſt in der nächſten Nähe wie in der Ferne verhaßt; während das Uebelbefinden der Denkenden fortdauert4)Negro a. a. O. zum 24. Oct. (ſoll Sept. heißen) und 9. Nov. 1526, 11. April 1527., treten auf Gaſſen und Plätzen125 predigende Eremiten auf, welche den Untergang Italiens,1. Abſchnitt. ja der Welt weiſſagen und Papſt Clemens den Antichriſt nennen1)Varchi, stor. fiorent. I, 43. 46, s. ; die colonneſiſche Faction erhebt ihr Haupt in trotzigſter Geſtalt; der unbändige Cardinal Pompeo Colonna, deſſen Daſein2)Paul. Jovius: vita Pomp. Columnæ. allein ſchon eine dauernde Plage für das Papſtthum war, darf Rom (1526) überfallen in der Hoff - nung, mit Hülfe Carls V. ohne Weiteres Papſt zu werden, ſobald Clemens todt oder gefangen wäre. Es war kein Glück für Rom, daß dieſer ſich in die Engelsburg flüchten konnte; das Schickſal aber, für welches er ſelber aufgeſpart ſein ſollte, darf ſchlimmer als der Tod genannt werden.

Durch eine Reihe von Falſchheiten jener Art, welcheDie Verwü - ſtung Roms. nur dem Mächtigen erlaubt iſt, dem Schwächern aber Ver - derben bringt, verurſachte Clemens den Anmarſch des ſpa - niſch-deutſchen Heeres unter Bourbon und Frundsberg (1527). Es iſt gewiß3)Ranke, Deutſche Geſchichte, II, 375 ff. , daß das Cabinet Carls V. ihm eine große Züchtigung zugedacht hatte und daß es nicht voraus berechnen konnte, wie weit ſeine unbezahlten Horden in ihrem Eifer gehen würden. Die Werbung faſt ohne Geld wäre in Deutſchland erfolglos geblieben, wenn man nicht gewußt hätte, es gehe gegen Rom. Vielleicht finden ſich noch irgendwo die ſchriftlichen eventuellen Aufträge an Bourbon und zwar ſolche, die ziemlich gelinde lauten, aber die Geſchichtforſchung wird ſich davon nicht bethören laſſen. Der katholiſche König und Kaiſer verdankte es rein dem Glücke, daß Papſt und Cardinäle nicht von ſeinen Leuten ermordet wurden. Wäre dieß geſchehen, keine Sophiſtik der Welt könnte ihn von der Mitſchuld losſprechen. Der Mord zahlloſer geringern Leute und die Brandſchatzung der Uebrigen mit Hülfe von Tortur und Menſchenhandel zeigen deutlich genug, was beim Sacco di Roma überhaupt möglich war.

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1. Abſchnitt. Den Papſt, der wieder in die Engelsburg geflüchtetFolgen und Re - action. war, wollte Carl V., auch nachdem er ihm ungeheure Summen abgepreßt, wie es heißt, nach Neapel bringen laſſen, und daß Clemens ſtatt deſſen nach Orvieto floh, ſoll ohne alle Connivenz von ſpaniſcher Seite geſchehen ſein1)Varchi, stor. fiorent. II, 43, s. . Ob Carl einen Augenblick an die Säculariſation des Kir - chenſtaates dachte (worauf alle Welt2)Ebenda, und: Ranke, Deutſche Geſch. II, S. 394, Anm. Man glaubte, Carl würde ſeine Reſidenz nach Rom verlegen. gefaßt war), ob er ſich wirklich durch Vorſtellungen Heinrichs VIII. von Eng - land davon abbringen ließ, dieß wird wohl in ewigem Dunkel bleiben.

Wenn aber ſolche Abſichten vorhanden waren, ſo haben ſie in keinem Falle lange angehalten; mitten aus der Ver - wüſtung von Rom ſteigt der Geiſt der kirchlich-weltlichen Reſtauration empor. Augenblicklich ahnte dieß z. B.: Sa - doleto3)Sein Brief an den Papſt, d. d. Carpentras 1. Sept. 1527, in den Anecdota litt. IV, p. 335.. Wenn durch unſern Jammer, ſchreibt er, dem Zorn und der Strenge Gottes genuggethan iſt, wenn dieſe furchtbaren Strafen uns wieder den Weg öffnen zu beſſern Sitten und Geſetzen, dann iſt vielleicht unſer Unglück nicht das größte geweſen Was Gottes iſt, dafür mag Gott ſorgen, wir aber haben ein Leben der Beſſerung vor uns, das uns keine Waffengewalt entreißen mag; richten wir nur Thaten und Gedanken dahin, daß wir den wahren Glanz des Prieſterthums und unſere wahre Größe und Macht in Gott ſuchen.

Von dieſem kritiſchen Jahre 1527 an war in der That ſo viel gewonnen, daß ernſthafte Stimmen wieder einmal ſich hörbar machen konnten. Rom hatte zuviel gelitten um ſelbſt unter einem Paul III. je wieder das heitere grund - verdorbene Rom Leo's X. werden zu können.

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Sodann zeigte ſich für das Papſtthum, ſobald es ein -1. Abſchnitt. mal tief im Leiden war, eine Sympathie theils politiſcherVerhältniß zu Carl V. theils kirchlicher Art. Die Könige konnten nicht dulden, daß einer von ihnen ſich ein beſonderes Kerkermeiſter-Amt über den Papſt anmaßte und ſchloſſen u. a. zu deſſen Be - freiung den Vertrag von Amiens (18. Aug. 1527). Sie beuteten damit wenigſtens die Gehäſſigkeit aus, welche auf der That der kaiſerlichen Truppen ruhte. Zugleich aber kam der Kaiſer in Spanien ſelbſt empfindlich ins Gedränge, indem ſeine Prälaten und Granden ihm die nachdrücklichſten Vorſtellungen machten ſo oft ſie ihn zu ſehen bekamen. Als eine große allgemeine Aufwartung von Geiſtlichen und Weltlichen in Trauerkleidern bevorſtand, gerieth Carl in Sorgen, es möchte daraus etwas Gefährliches entſtehen in der Art des vor wenigen Jahren gebändigten Comunidaden - Aufruhrs; die Sache wurde unterſagt1)Lettere di principi, I, 72. Caſtiglione an den Papſt, Burgos 10. Dec. 1527.. Er hätte nicht nur die Mißhandlung des Papſtes auf keine Weiſe ver - längern dürfen, ſondern es war, abgeſehen von aller aus - wärtigen Politik, die ſtärkſte Nothwendigkeit für ihn vor - handen, ſich mit dem furchtbar gekränkten Papſtthum zu verſöhnen. Denn auf die Stimmung Deutſchlands, welche ihm wohl einen andern Weg gewieſen hätte, wollte er ſich ſo wenig ſtützen als auf die deutſchen Verhältniſſe über - haupt. Es iſt auch möglich, daß er ſich, wie ein Venezianer meint, durch die Erinnerung an die Verheerung Roms in ſeinem Gewiſſen beſchwert fand2)Tommaso Gar, relaz. della corte di Roma I, 299. , und deßhalb jene SühneDas Sühngeld. beſchleunigte, welche beſiegelt werden mußte durch die blei - bende Unterwerfung der Florentiner unter das Haus des Papſtes, die Medici. Der Nepot und neue Herzog, Aleſſandro Medici, wird vermählt mit der natürlichen Tochter des Kaiſers.

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1. Abſchnitt. In der Folge behielt Carl durch die Concils-Idee das Papſtthum weſentlich in der Gewalt und konnte es zugleich drücken und beſchützen. Jene größte Gefahr aber, die - culariſation, vollends diejenige von innen heraus, durch die Päpſte und ihre Nepoten ſelber, war für Jahrhunderte be - ſeitigt durch die deutſche Reformation. So wie dieſe allein dem Zug gegen Rom (1527) Möglichkeit und Erfolg ver - liehen hatte, ſo nöthigte ſie auch das Papſtthum, wieder der Ausdruck einer geiſtigen Weltmacht zu werden, indemDas Papſt - thum d. Gegen - reformation. es ſich an die Spitze aller ihrer Gegner ſtellen, ſich aus der Verſunkenheit in lauter factiſchen Verhältniſſen empor - raffen mußte. Was nun in der ſpätern Zeit des Clemens VII., unter Paul III., Paul IV. und ihren Nachfolgern mitten im Abfall halb Europa's allmälig heranwächst, iſt eine ganz neue, regenerirte Hierarchie, welche alle großen, gefähr - lichen Aergerniſſe im eigenen Hauſe, beſonders den ſtaaten - gründenden Nepotismus vermeidet und im Bunde mit den katholiſchen Fürſten, getragen von einem neuen geiſtlichen Antrieb, ihr Hauptgeſchäft aus der Wiedergewinnung der Verlorenen macht. Sie iſt nur vorhanden und nur zu verſtehen in ihrem Gegenſatz zu den Abgefallenen. In dieſem Sinne kann man mit voller Wahrheit ſagen, daß das Papſtthum in moraliſcher Beziehung durch ſeine Tod - feinde gerettet worden iſt. Und nun befeſtigte ſich auch ſeine politiſche Stellung, freilich unter dauernder Aufſicht Spaniens, bis zur Unantaſtbarkeit; faſt ohne alle Anſtren - gung erbte es beim Ausſterben ſeiner Vaſallen (der legiti - men Linie von Eſte und des Hauſes della Rovere) die Herzogthümer Ferrara und Urbino. Ohne die Reformation dagegen wenn man ſie ſich überhaupt wegdenken kann wäre der ganze Kirchenſtaat wahrſcheinlich ſchon längſt in weltliche Hände übergegangen.

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Zum Schluß betrachten wir noch in Kürze die Rück -1. Abſchnitt. wirkung dieſer politiſchen Zuſtände auf den Geiſt der Nation im Allgemeinen.

Es leuchtet ein, daß die allgemeine politiſche Unſicher -Der Patriotis - mus. heit in dem Italien des XIV. und XV. Jahrhunderts bei den edlern Gemüthern einen patriotiſchen Unwillen und Widerſtand hervorrufen mußte. Schon Dante und Pe - trarca1)Petrarca: epist. fam. I, 3, p. 574, worin er Gott dafür preist als Italiener geboren zu ſein. Sodann: Apologia contra cuius - dam anonymi Galli calumnias, vom J. 1367, p. 1068, s. proclamiren laut ein Geſammt-Italien, auf welches ſich alle höchſten Beſtrebungen zu beziehen hätten. Man wendet wohl ein, es ſei dieß nur ein Enthuſiasmus einzelner Hochgebildeten geweſen, von welchem die Maſſe der Nation keine Kenntniß nahm, allein es möchte ſich damals mit Deutſchland kaum viel anders verhalten haben, obwohl es wenigſtens dem Namen nach die Einheit und einen aner - kannten Oberherrn, den Kaiſer hatte. Die erſte laute lite - rariſche Verherrlichung Deutſchlands (mit Ausnahme einiger Verſe bei den Minneſängern) gehört den Humaniſten der Zeit Maximilians I. an2)Ich meine beſonders die Schriften von Wimpheling, Bebel, u. A. im I. Bande der scriptores des Schardius. und erſcheint faſt wie ein Echo italieniſcher Declamationen. Und doch war Deutſchland früher factiſch in einem ganz andern Grade ein Volk ge - weſen als Italien jemals ſeit der Römerzeit. Frankreich verdankt das Bewußtſein ſeiner Volkseinheit weſentlich erſt den Kämpfen gegen die Engländer, und Spanien hat auf die Länge nicht einmal vermocht, das engverwandte Portugal zu abſorbiren. Für Italien waren Exiſtenz und Lebensbe -Unmöglichkeit der Einheit. dingungen des Kirchenſtaates ein Hinderniß der Einheit im Großen, deſſen Beſeitigung ſich kaum jemals hoffen ließ. Wenn dann im politiſchen Verkehr des XV. Jahrhunderts gleichwohl hie und da des Geſammtvaterlandes mit EmphaſeCultur der Renaiſſance. 91301. Abſchnitt. gedacht wird, ſo geſchieht dieß meiſt nur um einen andern, gleichfalls italieniſchen Staat zu kränken1)Ein Beiſpiel ſtatt vieler: Die Antwort des Dogen von Venedig an einen florentiniſchen Agenten wegen Piſa's 1496, bei Malipiero, ann. veneti, arch. stor. VII, I, p. 427.. Die ganz ernſten, tiefſchmerzlichen Anrufungen an das Nationalgefühl laſſen ſich erſt im XVI. Jahrhundert wieder hören, als es zu ſpät war, als Franzoſen und Spanier das Land über - zogen hatten. Von dem Local-Patriotismus kann man etwa ſagen, daß er die Stelle dieſes Gefühles vertritt ohne daſſelbe zu erſetzen.

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Zweiter Abſchnitt. Entwicklung des Individuums.

In der Beſchaffenheit dieſer Staaten, Republiken wie Ty -2. Abſchnitt. rannien liegt nun zwar nicht der einzige aber der mächtigſte Grund der frühzeitigen Ausbildung des Italieners zum modernen Menſchen. Daß er der Erſtgeborne unter den Söhnen des jetzigen Europas werden mußte, hängt an dieſem Punkte.

Im Mittelalter lagen die beiden Seiten des Bewußt -Gegenſatz zum Mittelalter. ſeins nach der Welt hin und nach dem Innern des Menſchen ſelbſt wie unter einem gemeinſamen Schleier träumend oder halbwach. Der Schleier war gewoben aus Glauben, Kindesbefangenheit und Wahn; durch ihn hin - durchgeſehen erſchienen Welt und Geſchichte wunderſam ge - färbt, der Menſch aber erkannte ſich nur als Race, Volk, Partei, Corporation, Familie oder ſonſt in irgend einer Form des Allgemeinen. In Italien zuerſt verweht dieſer Schleier in die Lüfte; es erwacht eine objective Betrach - tung und Behandlung des Staates und der ſämmtlichen Dinge dieſer Welt überhaupt; daneben aber erhebt ſich mit voller Macht das Subjective; der Menſch wird geiſtiges Individuum1)Man beachte die Ausdrücke uomo singolare, uomo unico für die höhere und höchſte Stufe der individuellen Ausbildung. und erkennt ſich als ſolches. So hatte ſich einſt erhoben der Grieche gegenüber den Barbaren, der9*1322. Abſchnitt. individuelle Araber gegenüber den andern Aſiaten als Racenmenſchen. Es wird nicht ſchwer ſein nachzuweiſen, daß die politiſchen Verhältniſſe hieran den ſtärkſten Antheil gehabt haben.

Das Erwachen der Perſönlich - keit.Schon in viel frühern Zeiten giebt ſich ſtellenweiſe eine Entwicklung der auf ſich ſelbſt geſtellten Perſönlichkeit zu erkennen, wie ſie gleichzeitig im Norden nicht ſo vor - kömmt oder ſich nicht ſo enthüllt. Der Kreis kräftiger Frevler des X. Jahrhunderts, welchen Liutprand ſchildert, einige Zeitgenoſſen Gregors VII. (man leſe Benzo von Alba), einige Gegner der erſten Hohenſtaufen zeigen Phyſiogno - mien dieſer Art. Mit Ausgang des XIII. Jahrhunderts aber beginnt Italien plötzlich von Perſönlichkeiten zu wim - meln; der Bann, welcher auf dem Individualismus gele - gen, iſt hier völlig gebrochen; ſchrankenlos ſpecialiſiren ſich tauſend einzelne Geſichter. Dante's große Dichtung wäre in jedem andern Lande ſchon deßhalb unmöglich geweſen, weil das übrige Europa noch unter jenem Banne der Race lag; für Italien iſt der hehre Dichter ſchon durch die Fülle des Individuellen der nationalſte Herold ſeiner Zeit ge - worden. Doch die Darſtellung des Menſchenreichthums in Literatur und Kunſt, die vielartig ſchildernde Characteriſtik wird in beſondern Abſchnitten zu beſprechen ſein; hier han - delt es ſich nur um die pſychologiſche Thatſache ſelbſt. Mit voller Ganzheit und Entſchiedenheit tritt ſie in die Geſchichte ein; Italien weiß im XIV. Jahrhundert wenig von fal - ſcher Beſcheidenheit und von Heuchelei überhaupt; kein Menſch ſcheut ſich davor, aufzufallen, anders zu ſein und zu ſcheinen1)In Florenz gab es um 1390 deßhalb keine herrſchende Mode der männlichen Kleidung mehr, weil Jeder ſich auf beſondere Weiſe zu tragen ſuchte. Vgl. die Canzone des Franco Sacchetti: contro alle nuove foggie, in den Rime, publ. dal Poggiali, p. 52. als die andern.

Die Gewalt - herrſcher.Zunächſt entwickelt die Gewaltherrſchaft, wie wir ſahen,133 im höchſten Grade die Individualität des Tyrannen, des2. Abſchnitt. Condottiere1)Auch wohl die ihrer Gemahlinnen, wie man im Hauſe Sforza und in verſchiedenen oberitaliſchen Herrſcherfamilien bemerkt. Man vgl. in den Claræ mulieres des Jacobus Bergomenſis die Biographien der Battiſta Malateſta, Paola Gonzaga, Orſina Torella, Bona Lom - barda, Riccarda von Eſte und der wichtigern Frauen der Familie Sforza. Es iſt mehr als eine wahre Virago darunter und auch die Ergänzung der individuellen Entwicklung durch hohe humaniſtiſche Cultur fehlt nicht. ſelbſt, ſodann diejenige des vom ihm prote - girten aber auch rückſichtslos ausgenützten Talentes, des Geheimſchreibers, Beamten, Dichters, Geſellſchafters. Der Geiſt dieſer Leute lernt nothgedrungen alle ſeine innern Hülfsquellen kennen, die dauernden wie die des Augen - blickes; auch ihr Lebensgenuß wird ein durch geiſtige Mittel erhöhter und concentrirter, um einer vielleicht nur kurzen Zeit der Macht und des Einfluſſes einen größtmöglichen Werth zu verleihen.

Aber auch die Beherrſchten gingen nicht völlig ohneDie Unterthanen. einen derartigen Antrieb aus. Wir wollen diejenigen ganz außer Berechnung laſſen, welche ihr Leben in geheimem Widerſtreben, in Verſchwörungen verzehrten, und bloß derer gedenken, die ſich darein fügten, reine Privatleute zu blei - ben etwa wie die meiſten Städtebewohner des byzantiniſchen Reiches und der mohammedaniſchen Staaten. Gewiß wurde es z. B. den Unterthanen der Visconti oft ſchwer genug ge - macht, die Würde des Hauſes und der Perſon zu behaupten, und Unzählige mögen durch die Knechtſchaft am ſittlichen Character Einbuße erlitten haben. Nicht ſo an dem, was man individuellen Character nennt, denn gerade innerhalbDeren Privat - leben. der allgemeinen politiſchen Machtloſigkeit gediehen wohl die verſchiedenen Richtungen und Beſtrebungen des Privatlebens um ſo ſtärker und vielſeitiger. Reichthum und Bildung, ſo weit ſie ſich zeigen und wetteifern durften, in Verbin -1342. Abſchnitt. dung mit einer noch immer großen municipalen Freiheit und mit dem Daſein einer Kirche, die nicht, wie in Byzanz und in der islamitiſchen Welt, mit dem Staat identiſch war alle dieſe Elemente zuſammen begünſtigten ohne Zweifel das Aufkommen individueller Denkweiſen, und gerade die Abweſenheit des Parteikampfes fügte hier die nöthige Muße hinzu. Der politiſch indifferente Privatmenſch mit ſeinen theils ernſten theils dilettantiſchen Beſchäftigungen möchte wohl in dieſen Gewaltſtaaten des XIV. Jahrhunderts zuerſt vollkommen ausgebildet aufgetreten ſein. Urkund - liche Ausſagen hierüber ſind freilich nicht zu verlangen; die Novelliſten, von welchen man Winke erwarten könnte, ſchildern zwar manchen bizarren Menſchen, aber immer nur in ein - ſeitiger Abſicht und nur ſo weit dergleichen die zu erzäh - lende Geſchichte berührt; auch ſpielt ihre Scene vorwiegend in republicaniſchen Städten.

Die Republiken.In dieſen letztern waren die Dinge wieder auf andere Weiſe der Ausbildung des individuellen Characters günſtig. Je häufiger die Parteien in der Herrſchaft abwechſelten, um ſo viel ſtärker war der Einzelne veranlaßt, ſich zuſam - menzunehmen bei Ausübung und Genuß der Herrſchaft. So gewinnen zumal in der florentiniſchen Geſchichte1)Franco Sacchetti, in ſeinem Capitolo (Rime, publ. dal Poggiali, p. 56) zählt um 1390 über hundert Namen von bedeutenden Leuten der herrſchenden Parteien auf, welche bei ſeinen Gedenkzeiten geſtorben ſeien. So viele Mediocritäten darunter ſein mochten, ſo iſt doch das Ganze ein ſtarker Beleg für das Erwachen der Individualität. Ueber die Vite des Filippo Villani ſ. unten. die Staatsmänner und Volksführer ein ſo kenntliches perſön - liches Daſein wie ſonſt in der damaligen Welt kaum aus - nahmsweiſe Einer, kaum ein Jacob von Arteveldt.

Die Leute der unterlegenen Parteien aber kamen oft in eine ähnliche Stellung wie die Unterthanen der Tyran - nenſtaaten, nur daß die bereits gekoſtete Freiheit oder Herr -135 ſchaft, vielleicht auch die Hoffnung auf deren Wiedergewinn2. Abſchnitt. ihrem Individualismus einen höhern Schwung gab. Gerade unter dieſen Männern der unfreiwilligen Muße findet ſich z. B. ein Agnolo Pandolfini (ſt. 1446), deſſen Schrift vom Hausweſen 1)Trattato del governo della famiglia. Es giebt eine neuere Hy - potheſe, wonach dieſe Schrift von dem Baumeiſter L. B. Alberti verfaßt wäre. Vgl. Vasari IV, 54, Nota 5 ed. Lemonnier. Ueber Pandolfini vgl. Vespas. Fiorent. p. 379. das erſte Programm einer vollendet durchgebildeten Privatexiſtenz iſt. Seine Abrechnung zwi - ſchen den Pflichten des Individuums und dem unſichern und undankbaren öffentlichen Weſen2)Trattato p. 65, s. iſt in ihrer Art ein wahres Denkmal der Zeit zu nennen.

Vollends aber hat die Verbannung die Eigenſchaft,Das Exil. daß ſie den Menſchen entweder aufreibt oder auf das Höchſte ausbildet. In all unſern volkreichern Städten, ſagt Gio - viano Pontano3)Jov. Pontanus de fortitudine, L. II. Siebzig Jahre ſpäter konnte Cardanus (de vita propria, Cap. 32) bitter fragen: Quid est patria, nisi consensus tyrannorum minutorum ad opprimen - dos imbelles timidos, et qui plerumque sunt innoxii? , ſehen wir eine Menge Leute, die frei - willig ihre Heimath verlaſſen haben; die Tugenden nimmt man ja überall hin mit. In der That waren es bei Weitem nicht bloß förmlich Exilirte, ſondern Tauſende hatten die Vaterſtadt ungeheißen verlaſſen, weil der politiſche oder öconomiſche Zuſtand an ſich unerträglich wurde. Die aus - gewanderten Florentiner in Ferrara, die Luccheſen in Ve - nedig u. ſ. w. bildeten ganze Colonien.

Der Cosmopolitismus, welcher ſich in den geiſtvollſtenDer Cosmopo - litismus. Verbannten entwickelt, iſt eine höchſte Stufe des Indivi - dualismus. Dante findet, wie ſchon erwähnt wurde (S. 76) eine neue Heimath in der Sprache und Bildung Italiens, geht aber doch auch darüber hinaus mit den Worten:1362. Abſchnitt. meine Heimath iſt die Welt überhaupt! 1)De vulgari eloquio Lib. I, cap. 6. Ueber die italieniſche Ideal - ſprache cap. 17. Die geiſtige Einheit der Gebildeten cap. 18. Aber auch das Heimweh in der berühmten Stelle Purg. VIII, I. u. ff. und Parad. XXV, I. Und als man ihm die Rückkehr nach Florenz unter unwürdigen Be - dingungen anbot, ſchrieb er zurück: kann ich nicht das Licht der Sonne und der Geſtirne überall ſchauen? nicht den edelſten Wahrheiten überall nachſinnen, ohne deßhalb ruhmlos, ja ſchmachvoll vor dem Volk und der Stadt zu erſcheinen? nicht einmal mein Brod wird mir fehlen! 2)Dantis Alligherii Epistolæ, ed. Carolus Witte, p. 65. Mit hohem Trotz legen dann auch die Künſtler den Accent auf ihre Freiheit vom Ortszwang. Nur wer Alles gelernt hat, ſagt Ghiberti3)Ghiberti, secondo commentario, cap. XV. (Vasari, ed. Le - monnier, I, p. XXIX. , iſt draußen nirgends ein Fremdling; auch ſeines Vermögens beraubt, ohne Freunde, iſt er doch der Bürger jeder Stadt und kann furchtlos die Wande - lungen des Geſchickes verachten. Aehnlich ſagt ein ge - flüchteter Humaniſt: Wo irgend ein gelehrter Mann ſeinen Sitz aufſchlägt, da iſt gute Heimath4)Codri Urcei vita, vor deſſen Opera. Freilich grenzt dieß ſchon an das: Ubi bene, ibi patria. Die Maſſe neutralen geiſtigen Genuſſes, der von keiner Oertlichkeit abhängt, und deſſen die gebil - deten Italiener mehr und mehr fähig wurden, erleichterte ihnen das Exil beträchtlich. Uebrigens iſt der Cosmopolitismus ein Zeichen jeder Bildungsepoche, da man neue Welten entdeckt und ſich in der alten nicht mehr heimiſch fühlt. Er tritt bei den Griechen ſehr deutlich hervor nach dem peloponneſiſchen Kriege; Platon war, wie Niebuhr ſagt, kein guter Bürger und Xenophon ein ſchlechter; Dio - genes proclamirte vollends die Heimathloſigkeit als ein wahres Ver - gnügen und nannte ſich ſelber ἄπολις, wie man beim Laertius liest..

Vollendung der Perſönlichkeit.Ein ſehr geſchärfter culturgeſchichtlicher Blick dürfte wohl im Stande ſein, im XV. Jahrhundert die Zunahme völlig ausgebildeter Menſchen ſchrittweiſe zu verfolgen. Ob dieſelben das harmoniſche Ausrunden ihres geiſtigen und137 äußern Daſeins als bewußtes, ausgeſprochenes Ziel vor ſich2. Abſchnitt. gehabt, iſt ſchwer zu ſagen; Mehrere aber beſaßen die Sache, ſo weit dieß bei der Unvollkommenheit alles Irdiſchen mög - lich iſt. Mag man auch z. B. verzichten auf eine Geſammt - bilanz für Lorenzo magnifico, nach Glück, Begabung und Character, ſo beobachte man dafür eine Individualität wie die des Arioſto hauptſächlich in ſeinen Satiren. Bis zu welchem Wohllaut ſind da ausgeglichen der Stolz des Menſchen und des Dichters, die Ironie gegen die eigenen Genüſſe, der feinſte Hohn und das tiefſte Wohlwollen.

Wenn nun dieſer Antrieb zur höchſten Ausbildung derDie Vielſeitigen. Perſönlichkeit zuſammentraf mit einer wirklich mächtigen und dabei vielſeitigen Natur, welche ſich zugleich aller Ele - mente der damaligen Bildung bemeiſterte, dann entſtand der allſeitige Menſch , l'uomo universale, welcher aus - ſchließlich Italien angehört. Menſchen von encyclopädiſchem Wiſſen gab es durch das ganze Mittelalter in verſchiedenen Ländern, weil dieſes Wiſſen nahe beiſammen war; ebenſo kommen noch bis ins XII. Jahrhundert allſeitige Künſtler vor, weil die Probleme der Architectur relativ einfach und gleichartig waren und in Sculptur und Malerei die dar - zuſtellende Sache über die Form vorherrſchte. In dem Italien der Renaiſſance dagegen treffen wir einzelne Künſtler, welche in allen Gebieten zugleich lauter Neues und in ſeiner Art Vollendetes ſchaffen und dabei noch als Menſchen den größten Eindruck machen, Andere ſind allſeitig außerhalb der ausübenden Kunſt, ebenfalls in einem ungeheuer weiten Kreiſe des Geiſtigen.

Dante, welcher ſchon bei Lebzeiten von den Einen Poet, von den Andern Philoſoph, von Dritten Theologe genannt wurde1)Boccaccio, vita di Dante, p. 16. , ſtrömt in all ſeinen Schriften eine Fülle von zwingender perſönlicher Macht aus, der ſich der Leſer unter - worfen fühlt auch abgeſehen vom Gegenſtande. Welche Willens -1382. Abſchnitt. kraft ſetzt ſchon die unerſchütterlich gleichmäßige Ausarbei - tung der Divina Commedia voraus. Sieht man aber auf den Inhalt, ſo iſt in der ganzen äußern und geiſtigen Welt kaum ein wichtiger Gegenſtand, den er nicht ergründet hätte und über welchen ſeine Ausſage oft nur wenige Worte nicht die gewichtigſte Stimme aus jener Zeit wäre. Für die bildende Kunſt iſt er Urkunde und wahrlich noch um wichtigerer Dinge willen als wegen ſeiner paar Zeilen über die damaligen Künſtler; bald wurde er aber auch Quelle der Inſpiration1)Die Engel, welche er am Jahrestag von[Beatrice's] Tode auf Täfel - chen zeichnete (Vita nuova, p. 61), könnten wohl mehr als Di - lettantenarbeit geweſen ſein. Lion. Aretino ſagt, er habe egregia - mente gezeichnet und ſei ein großer Liebhaber der Muſik geweſen..

Character des XV. Jahrh.Das XV. Jahrhundert iſt zunächſt vorzüglich das - jenige der vielſeitigen Menſchen. Keine Biographie, welche nicht weſentliche, über den Dilettantismus hinausgehende Nebenbeſchäftigungen des Betreffenden namhaft machte. Der florentiniſche Kaufmann und Staatsmann iſt oft zu - gleich ein Gelehrter in beiden alten Sprachen; die berühm - teſten Humaniſten müſſen ihm und ſeinen Söhnen des Ariſtoteles Politik und Ethik vortragen2)Für dieſes und das Folgende vgl[.]beſ Vespaſiano Fiorentino, für die florentiniſche Bildung des XV. Jahrhunderts eine Quelle erſten Ranges. Hieher p. 359, 379, 401 etc. Sodann die ſchöne und lehrreiche Vita Jannoctii Manetti (geb. 1396) bei Murat. XX. ; auch die Töchter des Hauſes erhalten eine hohe Bildung, wie denn über - haupt in dieſen Sphären die Anfänge der höhern Privat - erziehung vorzüglich zu ſuchen ſind. Der Humaniſt ſeiner - ſeits wird zur größten Vielſeitigkeit aufgefordert, indem ſein philologiſches Wiſſen lange nicht bloß wie heute der objec - tiven Kenntniß des claſſiſchen Weltalters, ſondern einer täglichen Anwendung auf das wirkliche Leben dienen muß. 139Neben ſeinen plinianiſchen Studien1)Das folgende beiſpielsweiſe aus Perticari's Characteriſtik des Pan - dolfo Collenuccio, bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi III, p. 197, s., und in den Opere del Conte Perticari, Mil. 1823, vol. II. z. B. ſammelt er ein2. Abſchnitt. Muſeum von Naturalien; von der Geographie der Alten aus wird er moderner Kosmograph; nach dem Muſter ihrer Geſchichtſchreibung verfaßt er Zeitgeſchichten; als Ueberſetzer plautiniſcher Comödien wird er wohl auch der Regiſſeur bei den Aufführungen; alle irgend eindringlichen Formen der antiken Literatur bis auf den lucianiſchen Dialog bildet er ſo gut als möglich nach, und zu dem Allen functionirt er noch als Geheimſchreiber und Diplomat, nicht immer zu ſeinem Heil.

Ueber dieſe Vielſeitigen aber ragen einige wahrhaftDie Allſeitigen; L. B. Alberti. Allſeitige hoch empor. Ehe wir die damaligen Lebens - und Bildungs-Intereſſen einzeln betrachten, mag hier, an der Schwelle des XV. Jahrhunderts, das Bild eines jener Gewaltmenſchen ſeine Stelle einnehmen: Leon (Battiſta Alberti. Seine Biographie2)Bei Muratori, XXV, Col. 295, s. Hiezu als Ergänzung Va - sari IV, 52, s. Ein allſeitiger Dilettant wenigſtens, und zu - gleich in mehreren Fächern Meiſter, war z. B. Mariano Socini, wenn man deſſen Characteriſtik bei Aeneas Sylvius (Opera, p. 622, Epist. 112) Glauben ſchenken darf. nur ein Fragment ſpricht von ihm als Künſtler nur wenig und erwähnt ſeine hohe Bedeutung in der Geſchichte der Architectur gar nicht, es wird ſich nun zeigen, was er auch ohne dieſen ſpeciellen Ruhm geweſen iſt.

In allem was Lob bringt, war Leon Battiſta von Kindheit an der Erſte. Von ſeinen allſeitigen Leibesübun - gen und Turnkünſten wird Unglaubliches berichtet, wie er mit geſchloſſenen Füßen den Leuten über die Schultern hinwegſprang, wie er im Dom ein Geldſtück emporwarf, bis man es oben an den fernen Gewölben anklingen hörte,1402. Abſchnitt. wie die wildeſten Pferde unter ihm ſchauderten und zitterten L. B. Alberti. denn in drei Dingen wollte er den Menſchen untadelhaft erſcheinen: im Gehen, im Reiten und im Reden. Die Muſik lernte er ohne Meiſter, und doch wurden ſeine Com - poſitionen von Leuten des Faches bewundert. Unter dem Drucke der Dürftigkeit ſtudirte er beide Rechte, viele Jahre hindurch, bis zu ſchwerer Krankheit durch Erſchöpfung; und als er im 24ſten Jahre ſein Wort-Gedächtniß ge - ſchwächt, ſeinen Sachenſinn aber unverſehrt fand, legte er ſich auf Phyſik und Mathematik und lernte daneben alle Fertigkeiten der Welt, indem er Künſtler, Gelehrte und Handwerker jeder Art bis auf die Schuſter um ihre Ge - heimniſſe und Erfahrungen befragte. Das Malen und Modelliren namentlich äußerſt kenntlicher Bildniſſe, auch aus dem bloßen Gedächtniß ging nebenein. Beſondere Bewunderung erregte der geheimnißvolle Guckkaſten, in welchem er bald die Geſtirne und den nächtlichen Mond - aufgang über Felsgebirgen erſcheinen ließ, bald weite Land - ſchaften mit Bergen und Meeresbuchten bis in duftige Fernen hinein, mit heranfahrenden Flotten, im Sonnenglanz wie im Wolkenſchatten. Aber auch was Andere ſchufen, erkannte er freudig an und hielt überhaupt jede menſchliche Hervorbringung, die irgend dem Geſetze der Schönheit folgte, beinah für etwas Göttliches1)Quicquid ingenio esset hominum cum quadam effectum ele - gantia, id prope divinum ducebat. . Dazu kam eine ſchrift - ſtelleriſche Thätigkeit zunächſt über die Kunſt ſelber, Mark - ſteine und Hauptzeugniſſe für die Renaiſſance der Form, zumal der Architectur. Dann lateiniſche Proſadichtungen, Novellen u. dgl., von welchen man Einzelnes für antik gehalten hat, auch ſcherzhafte Tiſchreden, Elegien und Eclo - gen; ferner ein italieniſches Werk vom Hausweſen in vier Büchern2)Dieſes verlorene Werk iſt es (vgl. S. 135 Anm.), welches von, ja eine Leichenrede auf ſeinen Hund. Seine141 ernſten und ſeine witzigen Worte waren bedeutend genug,2. Abſchnitt. um geſammelt zu werden; Proben davon, viele ColumnenL. B. Alberti. lang, werden in der genannten Lebensſchilderung mitgetheilt. Und Alles was er hatte und wußte, theilte er, wie wahr - haft reiche Naturen immer thun, ohne den geringſten Rück - halt mit, und ſchenkte ſeine größten Erfindungen umſonſt weg. Endlich aber wird auch die tiefſte Quelle ſeines Weſens nahmhaft gemacht: ein faſt nervös zu nennendes, höchſt ſympathiſches Mitleben an und in allen Dingen. Beim Anblick prächtiger Bäume und Erntefelder mußte er weinen; ſchöne, würdevolle Greiſe verehrte er als eine Wonne der Natur und konnte ſie nicht genug betrachten; auch Thiere von vollkommener Bildung genoſſen ſein Wohl - wollen, weil ſie von der Natur beſonders begnadigt ſeien; mehr als einmal, wenn er krank war, hat ihn der Anblick einer ſchönen Gegend geſund gemacht1)In ſeinem Werke De re ædificatoria, L. VIII, cap. 1 findet ſich eine Definition von dem was ein ſchöner Weg heißen könne: si modo mare, modo montes, modo lacum fluentem fontesve, modo aridam rupem aut planitiem, modo nemus vallemque exhibebit. . Kein Wunder wenn die, welche ihn in ſo räthſelhaft innigem Verkehr mit der Außenwelt kennen lernten, ihm auch die Gabe der Vor - ahnung zuſchrieben. Eine blutige Criſis des Hauſes Eſte, das Schickſal von Florenz und das der Päpſte auf eine Reihe von Jahren hinaus ſoll er richtig geweiſſagt haben, wie ihm denn auch der Blick ins Innere des Menſchen, die Phyſiognomik jeden Moment zu Gebote ſtand. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß eine höchſt intenſive Willens - kraft dieſe ganze Perſönlichkeit durchdrang und zuſammen - hielt; wie die Größten der Renaiſſance ſagte auch er: Die Menſchen können von ſich aus Alles, ſobald ſie wollen.

Und zu Alberti verhielt ſich Lionardo da Vinci, wie2)Neuern für weſentlich identiſch mit dem Trattato des Pandolfini gehalten wird.1422. Abſchnitt. zum Anfänger der Vollender, wie zum Dilettanten der Meiſter. Wäre nur Vaſari's Werk hier ebenfalls durch eine Schilderung ergänzt wie bei Leon Battiſta! Die un - geheuern Umriſſe von Lionardo's Weſen wird man ewig nur von ferne ahnen können.

Der Ruhm.Der bisher geſchilderten Entwicklung des Individuums entſpricht auch eine neue Art von Geltung nach außen: der moderne Ruhm1)Ein Autor ſtatt Vieler: Blondus, Roma triumphans, L. V, p. 117, s., wo die Definitionen der Gloria aus den Alten geſam - melt ſind und auch dem Chriſten ausdrücklich die Ruhmbegier ge - ſtattet wird. Cicero's Schrift de gloria, welche noch Petrarca beſaß, iſt bekanntlich ſeitdem verloren gegangen..

Außerhalb Italiens lebten die einzelnen Stände jeder für ſich mit ſeiner einzelnen mittelalterlichen Standesehre. Der Dichterruhm der Troubadours und Minneſänger z. B. exiſtirt nur für den Ritterſtand. In Italien dagegen iſt Gleichheit der Stände vor der Tyrannis oder vor der De - mokratie eingetreten; auch zeigen ſich bereits Anfänge einer allgemeinen Geſellſchaft, die ihren Anhalt an der italieni - ſchen und lateiniſchen Literatur hat, wie hier in vorgreifender Weiſe bemerkt werden muß; dieſes Bodens aber bedurfte es, um jenes neue Element im Leben zum Keimen zu brin - gen. Dazu kam, daß die römiſchen Autoren, welche man emſig zu ſtudiren begann, von dem Begriff des Ruhmes erfüllt und getränkt ſind und daß ſchon ihr Sachinhalt das Bild der römiſchen Weltherrſchaft ſich dem italie - niſchen Daſein als dauernde Parallele aufdrängte. Fortan iſt alles Wollen und Vollbringen der Italiener von einer ſittlichen Vorausſetzung beherrſcht, die das übrige Abend - land noch nicht kennt.

Dante.Wiederum muß zuerſt Dante gehört werden, wie bei143 allen weſentlichen Fragen. Er hat nach dem Dichterlorbeer1)Paradiſo XXV, Anfang: Se mai continga etc. Vgl. Boccac - cio, vita di Dante, p. 49. Vaghissimo fu e d'onore e di pompa, e per avventura più che alla sua inclita virtù non si sarebbe richiesto. 2. Abſchnitt. geſtrebt mit aller Kraft ſeiner Seele; auch als Publiciſt und Literator hebt er hervor, daß ſeine Leiſtungen weſent - lich neu, daß er der erſte auf ſeinen Bahnen nicht nur ſei, ſondern heißen wolle2)De vulgari eloquio, L. I, Cap. I. Ganz beſonders de Monar - chia, L. I. Cap. I, wo er den Begriff der Monarchie darſtellen will, nicht bloß um der Welt nützlich zu ſein, ſondern auch: ut palmam tanti bravii primus in meam gloriam adipiscar. . Doch berührt er ſchon in ſeinen Proſaſchriften auch die Unbequemlichkeiten eines hohen Ruhmes; er weiß, wie Manche bei der perſönlichen Bekanntſchaft mit dem berühmten Mann unbefriedigt blei - ben, und ſetzt auseinander, daß hieran theils die kindiſche Phantaſie der Leute, theils der Neid, theils die eigene Un - lauterheit des Betreffenden Schuld ſei3)Convito, ed. Venezia 1529, fol. 5 und 6.. Vollends aber hält ſein großes Gedicht die Anſchauung von der Nichtigkeit des Ruhmes feſt, wenn gleich in einer Weiſe, welche ver - räth, daß ſein Herz ſich noch nicht völlig von der Sehnſucht danach losgemacht. Im Paradies iſt die Sphäre des Mercur der Wohnſitz ſolcher Seligen4)Paradiso VI, 112, s. , die auf Erden nach Ruhm geſtrebt und dadurch den Strahlen der wahren Liebe Eintrag gethan haben. Hochbezeichnend aber iſt, daß die armen Seelen im Inferno von Dante verlangen, er möge ihr Andenken, ihren Ruhm auf Erden erneuern und wach halten5)Z. B.: Inferno VI, 89. XIII, 53. XVI, 85. XXXI, 127. , während diejenigen im Purgatorio nur um Für - bitte flehen6)Purgatorio V, 70. 87. 133. VI, 26. VIII, 71. XI, 31. XIII, 147. ; ja in einer berühmten Stelle7)Purgatorio XI, 79 117. Außer gloria finden ſich hier beiſam - wird die1442. Abſchnitt. Ruhmbegier lo gran disio dell 'eccellenza ſchon deßhalb verworfen, weil der geiſtige Ruhm nicht abſolut, ſondern von den Zeiten abhängig ſei und je nach Umſtänden durch größere Nachfolger überboten und verdunkelt werde.

Die Celebrität d. Humaniſten.Raſch bemächtigt ſich nun das neu aufkommende Ge - ſchlecht von Poeten-Philologen, welches auf Dante folgt, des Ruhmes in doppeltem Sinn: indem ſie ſelber die aner - kannteſten Berühmtheiten Italiens werden und zugleich als Dichter und Geſchichtſchreiber mit Bewußtſein über den Ruhm Anderer verfügen. Als äußeres Symbol dieſer Art von Ruhm gilt beſonders die Poetenkrönung, von welcher weiter die Rede ſein wird.

Ein Zeitgenoſſe Dante's, Albertinus Muſattus oder Muſſatus, zu Padua von Biſchof und Rector als Dichter gekrönt, genoß bereits einen Ruhm, der an die Vergötterung ſtreifte; jährlich am Weihnachtstage kamen Doctoren und Scholaren beider Collegien der Univerſität in feierlichem Aufzug mit Poſaunen und, ſcheint es, mit brennenden Kerzen vor ſein Haus um ihn zu begrüßen1)Scardeonius, de urb. Patav. antiq. (Graev. Thesaur. VI, III, Col. 260). Ob cereis, muneribus oder etwa certis muneribus zu leſen, laſſe ich dahingeſtellt. und zu be - ſchenken. Die Herrlichkeit dauerte bis er (1318) bei dem regierenden Tyrannen aus dem Hauſe Carrara in Un - gnade fiel.

Petrarca.In vollen Zügen genießt auch Petrarca den neuen, früher nur für Helden und Heilige vorhandenen Weihrauch und überredet ſich ſogar in ſeinen ſpätern Jahren, daß ihm derſelbe ein nichtiger und läſtiger Begleiter ſcheine. Sein7)ſammen: Grido, fama, rumore, nominanza, onore, lauter Um - ſchreibungen derſelben Sache. Boccaccio dichtete, wie er in dem Brief an Joh. Pizinga (Opere volgari, Vol. XVI. ) geſteht, perpetuandi nominis desiderio. 145 Brief an die Nachwelt 1)Epistola de origine et vita etc., am Eingang der Opera: Franc. Petrarca Posteritati salutem . Gewiſſe neuere Tadler von P.'s Eitelkeit würden an ſeiner Stelle ſchwerlich ſo viele Güte und Offenheit behalten haben wie er. iſt die Rechenſchaft des alten,2. Abſchnitt. hochberühmten Mannes, der die öffentliche Neugier zufrie - den ſtellen muß; bei der Nachwelt möchte er wohl Ruhm genießen, bei den Zeitgenoſſen aber ſich lieber denſelben verbitten2)Opera, p. 177: de celebritate nominis importuna. ; in ſeinen Dialogen von Glück und Unglück3)De remediis utriusque fortunæ, passim. hat bei Anlaß des Ruhmes der Gegenredner, welcher deſſen Nichtigkeit beweist, den ſtärkern Accent für ſich. Soll man es aber ſtrenge nehmen, wenn es Petrarca noch immer freut, daß der paläologiſche Autokrator von Byzanz4)Epist. seniles III, 5. Einen Maßſtab von Petrarca's Ruhm giebt z. B. Blondus (Italia illustrata, p. 416) hundert Jahre nachher, durch ſeine Verſicherung, daß auch kaum ein Gelehrter mehr etwas von König Robert dem Guten wüßte, wenn Petrarca ſeiner nicht ſo oft und freundlich gedacht hätte. ihn durch ſeine Schriften ſo genau kennt wie Kaiſer Carl IV. ihn kennt? Denn in der That ging ſein Ruf ſchon bei Lebzeiten über Italien hinaus. Und empfand er nicht eine gerechte Rührung als ihn bei einem Beſuch in ſeiner Hei - math Arezzo die Freunde zu ſeinem Geburtshaus führtenCultus der Ge - burtshäuſer. und ihm meldeten, die Stadt ſorge dafür, daß nichts daran verändert werden dürfe? 5)Epist. seniles XIII, 3. p. 918. Früher feierte und conſervirte man die Wohnungen einzelner großer Heiligen, wie z. B. die Zelle des S. Thomas von Aquino bei den Domini - canern in Neapel, die Portiuncula des S. Franciscus bei Aſſiſi; höchſtens genoſſen noch einzelne große Rechtsgelehrte jenes halbmythiſche Anſehen, welches zu dieſer Ehre führte; ſo benannte das Volk noch gegen Ende des XIV. Jahr - hunderts zu Bagnolo unweit Florenz ein altes GebäudeCultur der Renaiſſance. 101462. Abſchnitt. als Studio des Accurſius (geb. um 1150), ließ aber doch geſchehen, daß es zerſtört wurde1)Filippo Villani, vite, p. 19. . Wahrſcheinlich frappirten die hohen Einnahmen und die politiſchen Ver - bindungen einzelner Juriſten (als Conſulenten und Deduc - tionenſchreiber) die Einbildungskraft der Leute auf lange hinaus.

Cultus der Gräber.Zum Cultus der Geburtshäuſer gehört der der Gräber berühmter Leute2)Beides beiſammen in der Grabſchrift auf Boccaccio: Nacqui in Firenze al Pozzo Toscanelli; Di fuor sepolto a Certaldo giaccio, etc. Vgl. Opere volgari di Bocc., vol. XVI, p. 44. ; für Petrarca kommt auch noch der Ort wo er geſtorben überhaupt hinzu, indem Arquato ſeinem Andenken zu Ehren ein Lieblings-Aufenthalt der Paduaner und mit zierlichen Wohngebäuden geſchmückt wurde3)Mich. Savonarola, de laudibus Patavii, bei Murat. XXIV, Col. 1157. zu einer Zeit da es im Norden noch lange keine claſſiſchen Stellen ſondern nur Wallfahrten zu Bildern und Reli - quien gab. Es wurde Ehrenſache für die Städte, die Ge - beine eigener und fremder Celebritäten zu beſitzen, und man erſtaunt zu ſehen, wie ernſtlich die Florentiner ſchon im XIV. Jahrhundert lange vor S. Croce ihren Dom zum Pantheon zu erheben ſtrebten. Accorſo, Dante, Petrarca, Boccaccio und der Juriſt Zanobi della Strada ſollten dort Prachtgräber erhalten4)Der motivirte Staatsbeſchluß von 1396 bei Gaye, carteggio, I, p. 123. . Noch ſpät im XV. Jahrhundert verwandte ſich Lorenzo magnifico in Perſon bei den Spole - tinern, daß ſie ihm die Leiche des Malers Fra Filippo Lippi für den Dom abtreten möchten, und erhielt die Antwort: ſie hätten überhaupt keinen Ueberfluß an Zierden, beſonders nicht an berühmten Leuten, weßhalb er ſie verſchonen möge; in der That mußte man ſich mit einem Kenotaphium be - gnügen. Und auch Dante blieb trotz allen Verwendungen,147 zu welchen ſchon Boccaccio mit emphatiſcher Bitterkeit die2. Abſchnitt. Vaterſtadt aufſtachelte1)Boccaccio, vita di Dante, p. 39. , ruhig bei S. Francesco in Ra - venna ſchlafen, zwiſchen uralten Kaiſergräbern und Heiligen - grüften, in ehrenvollerer Geſellſchaft als du, o Heimath, ihm bieten könnteſt . Es kam ſchon damals vor, daß ein wunderlicher Menſch ungeſtraft die Lichter vom Altar des Crucifixes wegnahm und ſie an das Grab ſtellte mit den Worten: Nimm ſie, du biſt ihrer würdiger als Jener der Gekreuzigte2)Franco Sacchetti, Nov. 121. .

Nunmehr gedenken auch die italiſchen Städte wiederBerühmte Männer des Alterthums. ihrer Mitbürger und Einwohner aus dem Alterthum. Neapel hatte vielleicht ſein Grab Virgil's nie ganz vergeſſen, ſchon weil ſich ein halbmythiſcher Begriff an den Namen geknüpft hatte. Padua glaubte vollends noch im XVI. Jahrhundert nicht nur die echten Gebeine ſeines trojaniſchen Gründers Antenor, ſondern auch die des Titus Livius zu beſitzen3)Erſtere in dem bekannten Sarcophag bei S. Lorenzo, letztere am Palazzo della ragione über einer Thür. Das Nähere über deren Auffindung 1413 ſ. bei Misson, voyage en Italie, vol. I. . Sulmona, ſagt Boccaccio4)Vita di Dante, l. c. Wie die Leiche des Caſſius nach der Schlacht bei Philippi wieder nach Parma gelangt ſein mag?, klagt, daß Ovid fern in der Verbannung begraben ſei, Parma freut ſich, daß Caſſius in ſeinen Mauern ſchlummere . Die Man - tuaner prägten im XIV. Jahrhundert eine Münze mit dem Bruſtbild Virgil's und ſtellten eine Statue auf, die ihn vorſtellen ſollte; aus mittelalterlichem Junkerhochmuth5)Nobilitatis fastu, und zwar sub obtentu religionis, ſagt Pius II. (Comment. X, p. 473). Die neue Gattung von Ruhm mußte wohl vielen Leuten unbequem erſcheinen, die an Anderes gewöhnt waren. ließ ſie der Vormund des damaligen Gonzaga, Carlo Ma - lateſta, 1392 umſtürzen und mußte ſie, weil der Ruhm10*1482. Abſchnitt. des alten Dichters ſtärker war, wieder aufrichten laſſen. Vielleicht zeigte man ſchon damals zwei Miglien von der Stadt die Grotte, wo einſt Virgil meditirt haben ſollte1)Vgl. Keyßler's Neueſte Reiſen, p. 1016. , gerade wie bei Neapel die Scuola di Virgilio. Como eignete ſich die beiden Plinius zu2)Der ältere war bekanntlich von Verona. und verherrlichte ſie gegen Ende des XV. Jahrhunderts durch ſitzende Statuen in zierlichen Baldachinen an der Vorderſeite ſeines Domes.

Der Ruhm in der Topogra - phie.Auch die Geſchichtſchreibung und die neugeborene To - pographie richten ſich fortan darauf ein, keinen einheimiſchen Ruhm mehr unverzeichnet zu laſſen, während die nordiſchen Chroniken nur erſt hie und da zwiſchen Päpſten, Kaiſern, Erdbeben und Kometen die Bemerkung machen, zu dieſer Zeit habe auch dieſer oder jener berühmte Mann geblüht . Wie ſich eine ausgezeichnete Biographik, weſentlich unter der Herrſchaft des Ruhmes-Begriffes, entwickelte, wird bei einem andern Anlaß zu betrachten ſein; hier beſchränken wir uns auf den Ortspatriotismus des Topographen, der die Ruhmesanſprüche ſeiner Stadt verzeichnet.

Im Mittelalter waren die Städte ſtolz geweſen auf ihre Heiligen und deren Leichen und Reliquien in den Kirchen3)So verhält es ſich auch weſentlich noch in der merkwürdigen Schrift: De laudibus Papiæ (bei Murat. X.) aus dem XIV. Jahrh. ; viel municipaler Stolz aber noch kein ſpecieller Ruhm.. Damit beginnt auch noch der Panegyriſt vonPadua und M. Savonarola. Padua um 1450, Michele Savonarola4)De laudibus Patavii, bei Murat. XXIV, Col. 1151, ff. ſeine Aufzählung; dann aber geht er über auf berühmte Männer, welche keine Heiligen geweſen ſind, jedoch durch ausgezeichneten Geiſt und hohe Kraft (virtus) verdient haben, den Heiligen ange - ſchloſſen zu werden (adnecti) ganz wie im Alterthum der berühmte Mann an den Heros angrenzt5)Nam et veteres nostri tales aut Divos aut æterna memoria. Die weitere149 Aufzählung iſt für jene Zeit bezeichnend im höchſten Grade. 2. Abſchnitt. Zuerſt folgen Antenor, der Bruder des Priamus, der mit einer Schaar flüchtiger Troer Padua gegründet; König Dardanus, der den Attila in den euganeiſchen Bergen be - ſiegte, ihn weiter verfolgte und zu Rimini mit einem Schachbrett todtſchlug; Kaiſer Heinrich IV., der den Dom erbaut hat; ein König Marcus, deſſen Haupt in MonſeliceLegende und Geſchichte. aufbewahrt wird; dann ein paar Cardinäle und Prä - laten als Stifter von Pfründen, Collegien und Kirchen; der berühmte Theologe Fra Alberto der Auguſtiner; eine Reihe von Philoſophen mit Paolo Veneto und dem welt - bekannten Pietro von Abano beginnend; der Juriſt Paolo Padovano; ſodann Livius, und die Dichter Petrarca, Muſſato, Lovato. Wenn an Kriegs-Celebritäten einiger Mangel zu verſpüren, ſo tröſtet ſich der Autor mit dem Erſatz von gelehrter Seite und mit der größern Dauer - haftigkeit des geiſtigen Ruhmes, während der Kriegsruhm oft mit dem Leibe begraben werde und, wenn er daure, dieß doch nur den Gelehrten verdanke. Immerhin aber gereiche es der Stadt zur Ehre, daß wenigſtens berühmte auswärtige Krieger auf eigenes Begehren in ihr begraben lägen: ſo Pietro de Roſſi von Parma, Filippo Arcelli von Piacenza, beſonders Gattamelata von Narni (ſt. 1442), deſſen ehernes Reiterbild gleich einem triumphirenden Cäſar bereits bei der Kirche des Santo aufgerichtet ſtand. Dann nennt der Verfaſſer Schaaren von Juriſten und Medicinern, Adlige, welche nicht bloß wie ſo viele die Ritterwürde empfangen ſondern ſie auch verdient hatten , endlich berühmte Mechaniker, Maler und Tonkünſtler. Den Beſchluß macht ein Fechtmeiſter Michele Roſſo, welcher als der berühmteſte ſeines Faches an vielen Orten gemalt zu ſehen war.

5)dignos non immerito prædicabant. Quum virtus summa sancti - tatis sit consocia et pari emantur pretio.

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2. Abſchnitt. Neben ſolchen localen Ruhmeshallen, bei deren Aus -Allgemeines Pantheon. ſtattung Mythus, Legende, literariſch hervorgebrachte Re - nommee und populäres Erſtaunen zuſammenwirken, bauen die Poeten-Philologen an einem allgemeinen Pantheon des Weltruhms; ſie ſchreiben Sammelwerke: von berühmten Männern, von berühmten Frauen, oft in unmittelbarer Abhängigkeit von Corn. Nepos, Pſeudo-Sueton, Valerius Maximus, Plutarch (Mulierum virtutes) u. ſ. w. Oder ſie dichten von viſionären Triumphzügen und idealen, olym - piſchen Verſammlungen, wie Petrarca namentlich in ſeinem Trionfo della fama, Boccaccio in ſeiner Amoroſa viſione, mit hunderten von Namen, wovon mindeſtens drei Vier - theile dem Alterthum, die übrigen dem Mittelalter ange - hören1)In den casus virorum illustrium des Boccaccio gehört nur das letzte, neunte Buch der nachantiken Zeit an. Ebenſo noch viel ſpäter in den Commentarii urbani des Raph. Volaterranus nur das 21ſte Buch, welches das neunte der Anthropologie iſt; Päpſte und Kaiſer behandelt er im 22. und 23. Buch beſonders. In dem Werke de claris mulieribus des Auguſtiners Jacobus Bergomenſis (um 1500) überwiegt das Alterthum und noch mehr die Legende, dann folgen aber einige werthvolle Biogra - phien von Italienerinnen. Bei Scardeonius (de urb. Patav. antiq., Græv. thesaur. VI, III, Col. 405, s.) werden lauter be - rühmte Paduanerinnen aufgezählt: Zuerſt eine Legende oder eine Sage aus der Völkerwanderung; dann leidenſchaftliche Tragödien aus den Parteikämpfen des XIII. und XIV. Jahrh; hierauf an - dere kühne Heldenweiber; die Kloſterſtifterin, die politiſche Rathge - berin, die Aerztin, die Mutter vieler und ausgezeichneter Söhne, die gelehrte Frau, das Bauermädchen das für ſeine Unſchuld ſtirbt, endlich die ſchöne hochgebildete Frau des XVI. Jahrh., auf welche Jedermann Gedichte macht; zum Schluß die Dichterin und Novel - liſtin. Ein Jahrhundert ſpäter wäre zu all dieſen berühmten patavi - niſchen Frauen noch die Profeſſorin hinzugekommen. Die berühm - ten Frauen des Hauſes Eſte, bei Arioſto, Orl. XIII. . Allmälig wird dieſer neuere, relativ moderne Beſtandtheil mit größerem Nachdruck behandelt; die Ge - ſchichtſchreiber legen Characteriſtiken in ihre Werke ein, und151 es entſtehen Sammlungen von Biographien berühmter Zeit -2. Abſchnitt. genoſſen wie die von Filippo Villani, Vespaſiano Fiorentino und Bartolommeo Facio1)Die viri illustres des B. Facius, herausg. von Mehus, eines der wichtigſten Werke dieſer Art aus dem XV. Jahrh., habe ich leider nie zu ſehen bekommen., zuletzt die von Paolo Giovio.

Der Norden aber beſaß, bis Italien auf ſeine AutorenDer Ruhm im Norden. (z. B. auf Trithemius) einwirkte, nur Legenden der Hei - ligen und vereinzelte Geſchichten und Beſchreibungen von Fürſten und Geiſtlichen, die ſich noch deutlich an die Le - gende anlehnen und vom Ruhm, d. h. von der perſönlich errungenen Notorietät weſentlich unabhängig ſind. Der Dichterruhm beſchränkt ſich noch auf beſtimmte Stände und die Namen der Künſtler erfahren wir im Norden faſt aus - ſchließlich nur inſofern ſie als Handwerker und Zunft - menſchen auftreten.

Der Poet-Philolog in Italien hat aber, wie bemerkt,Die Literatur als Austheile - rin d. Ruhmes. auch ſchon das ſtärkſte Bewußtſein davon, daß er der Aus - theiler des Ruhmes, ja der Unſterblichkeit ſei; und ebenſo der Vergeſſenheit2)Schon ein lateiniſcher Sänger des XII. Jahrh. ein fahrender Scholar der mit ſeinem Lied um ein Kleid bettelt droht damit. S. Carmina Burana, p. 76.. Schon Boccaccio klagt über eine von ihm gefeierte Schöne, welche hartherzig blieb um immer weiter von ihm beſungen und dadurch berühmt zu werden, und verdeutet ihr, er wolle es fortan mit dem Tadel ver - ſuchen3)Boccaccio, opere volgari, Vol. XVI, im 13. Sonett: Pallido, vinto etc. . Sannazaro droht dem vor Carl VIII. feig ge - flohenen Alfonſo von Neapel in zwei prächtigen Sonetten mit ewiger Obscurität4)U. a. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi IV, p. 203.. Angelo Poliziano mahnt (1491) den König Johann von Portugal5)Angeli Politiani epp. Lib. X. in Betreff der Ent - deckungen in Africa ernſtlich daran, bei Zeiten für Ruhm und Unſterblichkeit zu ſorgen und ihm das Material zum1522. Abſchnitt. Styliſiren (operosius excolenda) nach Florenz zu über - ſenden; ſonſt möchte es ihm ergehen wie all Jenen, deren Thaten, von der Hülfe der Gelehrten entblößt, im großen Schutthaufen menſchlicher Gebrechlichkeit verborgen liegen bleiben . Der König (oder doch ſein humaniſtiſch ge - ſinnter Kanzler) ging darauf ein und verſprach wenigſtens, es ſollten die bereits portugieſiſch abgefaßten Annalen über die africaniſchen Dinge in italieniſcher Ueberſetzung nach Florenz zur lateiniſchen Bearbeitung verabfolgt werden; ob dieß wirklich geſchah, iſt nicht bekannt. So ganz leer, wie dergleichen Prätenſionen auf den erſten Blick ſcheinen, ſind ſie keinesweges; die Redaction, in welcher die Sachen (auch die wichtigſten) vor Mit - und Nachwelt treten, iſt nichts weniger als gleichgültig. Die italieniſchen Humaniſten mit ihrer Darſtellungsweiſe und ihrem Latein haben lange genug die abendländiſche Leſewelt wirklich beherrſcht und auch die italieniſchen Dichter ſind bis ins vorige Jahrhundert weiter in allen Händen herumgekommen als die irgend einer Na - tion. Der Taufname des Amerigo Vespucci von Florenz wurde ſeiner Reiſebeſchreibung wegen zum Namen des vierten Welttheils, und wenn Paolo Giovio mit all ſeiner Flüchtigkeit und eleganten Willkür ſich dennoch die Unſterb - lichkeit verſprach1)Paul. Jov. de romanis piscibus, Præfatio (1525): Die erſte Decade ſeiner Hiſtorien werde nächſtens herauskommen non sine aliqua spe immortalitatis. , ſo iſt er dabei nicht ganz fehlgegangen.

Unbedingte Ruhmſucht.Neben ſolchen Anſtalten den Ruhm äußerlich zu ga - rantiren, wird hie und da ein Vorhang hinweg gezogen und wir ſchauen den coloſſalſten Ehrgeiz und Durſt nach Größe, unabhängig von Gegenſtand und Erfolg, in er - ſchreckend wahrem Ausdruck. So in Macchiavell's Vorrede zu ſeinen florentiniſchen Geſchichten, wo er ſeine Vorgänger (Lionardo Aretino, Poggio) tadelt wegen des allzurückſichts - vollen Schweigens in Betreff der ſtädtiſchen Parteiungen. 153 Sie haben ſich ſehr geirrt und bewieſen, daß ſie den Ehr -2. Abſchnitt. geiz der Menſchen und die Begier nach Fortdauer des Namens wenig kannten. Wie Manche, die ſich durch Löbliches nicht auszeichnen konnten, ſtrebten danach durch Schmähliches! Jene Schriftſteller erwogen nicht, daß Handlungen, welche Größe an ſich haben, wie dieß bei den Handlungen der Regenten und Staaten der Fall iſt, immer mehr Ruhm als Tadel zu bringen ſcheinen, welcher Art ſie auch ſeien und welches der Ausgang ſein möge1)Hiezu vgl. Discorſi I. 27. Die tristizia, Verbrechen, kann gran - dezza haben und in alcuna parte generosa ſein; die grandezza kann von einer That jede infamia entfernen; der Menſch kann onorevolmente tristo ſein, im Gegenſatz zum perfettamente buono. . Bei mehr als einem auffallenden und ſchrecklichen Unter - nehmen wird von beſonnenen Geſchichtſchreibern als Beweg - grund das brennende Verlangen nach etwas Großem undDas Heroſtratiſche. Denkwürdigem angegeben. Hier offenbart ſich nicht eine bloße Ausartung der gemeinen Eitelkeit, ſondern etwas wirklich Dämoniſches, d. h. Unfreiheit des Entſchluſſes ver - bunden mit Anwendung der äußerſten Mittel und Gleich - gültigkeit gegen den Erfolg als ſolchen. Macchiavell ſelber faßt z. B. den Character des Stefano Porcari (S. 105) ſo auf2)Storie fiorentine, L. VI. ; von den Mördern des Galeazzo Maria Sforza (S. 57) ſagen ungefähr daſſelbe die Actenſtücke; die Er - mordung des Herzogs Aleſſandro von Florenz (1537) ſchreibt ſelbſt Varchi (im V. Buch) der Ruhmſucht des Thäters Lorenzino Medici (S. 60) zu. Noch viel ſchärfer hebt aber Paolo Giovio3)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Marius Molſa. dieß Motiv hervor; Lorenzino, wegen der Verſtümmelung antiker Statuen in Rom durch ein Pamphlet des Molza an den Pranger geſtellt, brütet über einer That, deren Neuheit jene Schmach in Ver - geſſenheit bringen ſollte, und ermordet ſeinen Verwandten1542. Abſchnitt. und Fürſten. Es ſind echte Züge dieſer Zeit hoch auf - geregter, aber bereits verzweifelnder Kräfte und Leiden - ſchaften, ganz wie einſt die Brandſtiftung im Tempel von Epheſus zur Zeit des Philipp von Macedonien.

Spott u. Witz.Das Correctiv nicht nur des Ruhmes und der modernen Ruhmbegier, ſondern des höher entwickelten Individualismus überhaupt iſt der moderne Spott und Hohn, womöglich in der ſiegreichen Form des Witzes. Wir erfahren aus dem Mittelalter, wie feindliche Heere, verfeindete Fürſten und Große einander mit ſymboliſchem Hohn auf das Aeußerſte reizen, oder wie der unterlegene Theil mit höchſter ſymbo - liſcher Schmach beladen wird. Daneben beginnt in theo - logiſchen Streitigkeiten ſchon hie und da, unter dem Ein - fluß antiker Rhetorik und Epiſtolographie, der Witz eine Waffe zu werden und die provenzaliſche Poeſie entwickelt eine eigene Gattung von Trotz - und Hohnliedern; auch den Minneſingern fehlt gelegentlich dieſer Ton nicht, wie ihreDer Spott und das Indivi - duum. politiſchen Gedichte zeigen1)Das Mittelalter iſt reich an ſogenannten ſatiriſchen Gedichten, allein es iſt noch nicht individuelle ſondern faſt lauter allgemeine, auf Stände, Kategorien, Bevölkerungen ꝛc. gemünzte Satire, welche denn auch leicht in den lehrhaften Ton übergeht. Der allgemeine Nieder - ſchlag dieſer ganzen Richtung iſt vorzüglich die Fabel vom Reineke Fuchs in all ihren Redactionen bei den verſchiedenen Völkern des Abendlandes. Für die franzöſiſche Literatur dieſes Zweiges iſt eine treffliche neuere Arbeit vorhanden: Lenient, la satire en France au moyen-âge. . Aber ein ſelbſtändiges Element des Lebens konnte der Witz doch erſt werden als ſein regel - mäßiges Opfer, das ausgebildete Individuum mit perſön - lichen Anſprüchen, vorhanden war. Da beſchränkt er ſich auch bei Weitem nicht mehr auf Wort und Schrift, ſondern wird thatſächlich: er ſpielt Poſſen und verübt Streiche, die ſogenannten burle und beffe, welche einen Hauptinhalt mehrerer Novellenſammlungen ausmachen.

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Die hundert alten Novellen , welche noch zu Ende2. Abſchnitt. des XIII. Jahrhunderts entſtanden ſein müſſen, haben noch nicht den Witz, den Sohn des Contraſtes, und noch nicht die Burla zum Inhalt1)Ausnahmsweiſe kommt auch ſchon ein inſolenter Witz vor, Nov. 37.; ihr Zweck iſt nur, weiſe Reden und ſinnvolle Geſchichten und Fabeln in einfach ſchönem Ausdruck wiederzugeben. Wenn aber irgend etwas das hohe Alter der Sammlung beweist, ſo iſt es dieſer Mangel an Hohn. Denn gleich mit dem XIV. Jahrhundert folgt Dante, der im Ausdruck der Verachtung alle Dichter der Welt weit hinter ſich läßt und z. B. ſchon allein wegen jenes großen hölliſchen Genrebildes von den Betrügern2)Inferno XXI. XXII. Die einzige mögliche Parallele wäre Ari - ſtophanes. der höchſte Meiſter coloſſaler Komik heißen muß. Mit Petrarca beginnen3)Ein ſchüchterner Anfang Opera p. 421 u. f., in Rerum memo - randarum libri IV. Anderes z. B.: p. 868, in Epp. senil. X, 2. Der Wortwitz ſchmeckt bisweilen noch ſehr nach ſeinem mittelalter - lichen Aſyl, dem Kloſter. ſchon die Witzſammlungen nach dem Vorbilde des Plutarch (Apophthegmata, ꝛc.). Was dann während des genannten Jahrhunderts ſich in FlorenzDer floren - tiniſche Hohn. von Hohn aufſammelte, davon giebt Franco Sacchetti in ſeinen Novellen die bezeichnendſte Auswahl. Es ſind meiſt keine eigentlichen Geſchichten, ſondern Antworten, die unter gewiſſen Umſtänden gegeben werden, horrible Naivetäten, womit ſich Halbnarren, Hofnarren, Schälke, liederliche Weiber ausreden; das Komiſche liegt dann in dem ſchreien - den Gegenſatz dieſer wahren oder ſcheinbaren Naivetät zu den ſonſtigen Verhältniſſen der Welt und zur gewöhnlichen Moralität; die Dinge ſtehen auf dem Kopf. Alle Mittel der Darſtellung werden zu Hülfe genommen, auch z. B. ſchon die Nachahmung beſtimmter oberitalieniſcher Dialecte. Oft tritt an die Stelle des Witzes die baare freche Inſo - lenz, der plumpe Betrug, die Blasphemie und die Unfläterei;1562. Abſchnitt. ein paar Condottierenſpäße1)Nov. 40. 41; es iſt Ridolfo da Camerino. gehören zum Roheſten und Böſeſten was aufgezeichnet iſt. Manche Burla iſt hoch - komiſch, manche aber auch ein bloß vermeintlicher Beweis der perſönlichen Ueberlegenheit, des Triumphes über einen Andern. Wie viel man einander zu Gute hielt, wie oft das Schlachtopfer durch einen Gegenſtreich die Lacher wieder auf ſeine Seite zu bringen ſich begnügte, wiſſen wir nicht; es war doch viele herzloſe und geiſtloſe Bosheit dabei, und das florentiniſche Leben mag hiedurch oft recht unbequemDie Witzmacher. geworden ſein2)Die bekannte Poſſe von Brunellesco und dem dicken Holzſchnitzer, ſo geiſtreich erfunden, iſt doch wohl grauſam zu nennen.. Bereits iſt der Spaßerfinder und Spaß - erzähler eine unvermeidliche Figur geworden, und es muß darunter claſſiſche gegeben haben, weit überlegen allen bloßen Hofnarren, welchen die Concurrenz, das wechſelnde Publicum und das raſche Verſtändniß der Zuhörer (lauter Vorzüge des Aufenthaltes in Florenz) abgingen. Deßhalb reisten auch einzelne Florentiner auf Gaſtrollen an den Tyrannenhöfen der Lombardie und Romagna herum3)Ibid. Nov. 49. Und doch hatte man laut Nov. 67 das Gefühl, daß hie und da ein Romagnole auch dem ſchlimmſten Florentiner überlegen ſei., und fanden ihre Rechnung dabei, während ſie in der Vaterſtadt, wo der Witz auf allen Gaſſen lief, nicht viel gewannen. Der beſſere Typus dieſer Leute iſt der des amüſanten Menſchen (l'uomo piacevole), der geringere iſt der des Buffone und des gemeinen Schmarotzers, der ſich an Hoch - zeiten und Gaſtmählern einfindet mit dem Raiſonnement! wenn ich nicht eingeladen worden bin, ſo iſt das nicht meine Schuld. Da und dort helfen dieſe einen jungen Verſchwender ausſaugen4)Agn. Pandolfini, del governo della famiglia, p. 48., im Ganzen aber werden ſie als Paraſiten behandelt und verhöhnt, während höher ſtehende Witzbolde ſich fürſtengleich dünken und ihren Witz für etwas157 wahrhaft Souveränes halten. Dolcibene, welchen Kaiſer2. Abſchnitt. Carl IV. zum König der italieniſchen Spaßmacher er - klärt hatte, ſagte in Ferrara zu ihm: Ihr werdet die Welt beſiegen, da Ihr mein und des Papſtes Freund ſeid; Ihr kämpft mit dem Schwert, der Papſt mit dem Bullenſiegel, ich mit der Zunge! 1)Franco Sacchetti, Nov. 156; vgl. Nov. 24. Die Facetiae des Poggio ſind dem Inhalt nach mit Sacchetti nahe verwandt: burle, Inſolenzen, Mißverſtändniſſe einfacher Menſchen gegenüber der raffinirten Zote, dann aber mehr Wortwitze, die den Philologen verrathen. Ueber L. B. Alberti vgl. S. 141.Dieß iſt kein bloßer Scherz, ſondern eine Vorahnung Pietro Aretino's.

Die beiden berühmteſten Spaßmacher um die MitteArlotto und Gonnella. des XV. Jahrhunderts waren ein Pfarrer in der Nähe von Florenz, Arlotto, für den feinern Witz (facezie), und der Hofnarr von Ferrara, Gonnella für die Buffonerien. Es iſt bedenklich, ihre Geſchichten mit denjenigen des Pfaf - fen von Kalenberg und des Till Eulenſpiegel zu vergleichen; letztere ſind eben auf ganz andere, halbmythiſche Weiſe entſtanden, ſo daß ein ganzes Volk daran mitgedichtet hat, und daß ſie mehr auf das Allgemeingültige, Allverſtändliche hinauslaufen, während Arlotto und Gonnella hiſtoriſch und local bekannte und bedingte Perſönlichkeiten waren. Will man aber einmal die Vergleichung zulaſſen und ſie auf die Schwänke der außeritaliſchen Völker überhaupt ausdehnen, ſo wird es ſich im Ganzen finden, daß der Schwank in den franzöſiſchen Fabliaux2)Folgerichtig auch in denjenigen Novellen der Italiener, deren Inhalt von dort entlehnt iſt. wie bei den Deutſchen in erſter Linie auf einen Vortheil oder Genuß berechnet iſt, während der Witz des Arlotto, die Poſſen des Gonnella ſich gleich - ſam Selbſtzweck, nämlich um des Triumphes, um der Sa - tisfaction willen vorhanden ſind. (Till Eulenſpiegel erſcheint dann wieder als eine eigenthümliche Nuance, nämlich als der perſonificirte, meiſt ziemlich geiſtloſe Schabernack gegen1582. Abſchnitt. beſondere Stände und Gewerbe.) Der Hofnarr des Hauſes Eſte hat ſich mehr als einmal durch bittern Hohn und ausgeſuchte Rache ſchadlos gehalten1)Laut Bandello IV, Nov. 2 konnte Gonnella auch ſein Geſicht in die Züge Anderer verſtellen und alle Dialecte Italiens nachmachen..

Die Species des uomo piacevole und des Buffone haben die Freiheit von Florenz lange überdauert. Unter Herzog Coſimo blühte der Barlacchia, zu Anfang des XVII. Jahrhunderts Francesco Ruspoli und Curzio Ma -Die Späße Leo's X. rignolli. Ganz merkwürdig zeigt ſich in Papſt Leo X. die echt florentiniſche Vorliebe für Spaßmacher. Der auf die feinſten geiſtigen Genüſſe gerichtete und darin unerſättliche Fürſt erträgt und verlangt doch an ſeiner Tafel ein paar witzige Poſſenreißer und Freßkünſtler, darunter zwei Mönche und ein Krüppel2)Paul. Jovius, vita Leonis X. ; bei feſtlichen Zeiten behandelte er ſie mit geſucht antikem Hohn als Paraſiten, indem ihnen Affen und Raben unter dem Anſchein köſtlicher Braten aufgeſtellt wurden. Ueberhaupt behielt ſich Leo die Burle für eigenen Gebrauch vor; namentlich gehörte es zu ſeiner Art von Geiſt, die eigenen Lieblingsbeſchäftigungen Dichtung und Muſik bisweilen ironiſch zu behandeln, indem er und ſein Factotum Cardinal Bibiena die Cari - caturen derſelben beförderten3)Erat enim Bibiena mirus artifex hominibus ætate vel pro - fessione gravibus ad insaniam impellendis. Man erinnert ſich dabei an den Scherz welchen Chriſtine von Schweden mit ihren Philologen trieb.. Beide fanden es nicht unter ihrer Würde einen guten alten Secretär mit allen Kräften ſo lange zu bearbeiten, bis er ſich für einen großen Muſiktheore -Baraballo. tiker hielt. Den Improviſator Baraballo von Gaeta hetzte Leo durch beſtändige Schmeicheleien ſo weit, daß ſich derſelbe ernſtlich um die capitoliniſche Dichterkrönung bewarb; am Tage der mediceiſchen Hauspatrone S. Cosmas und S. Da -159 mian mußte er erſt, mit Lorbeer und Purpur ausſtaffirt,2. Abſchnitt. das päpſtliche Gaſtmahl durch Recitationen erheitern, und als Alles am Berſten war, im vaticaniſchen Hof den gold - geſchirrten Elephanten beſteigen, welchen Emanuel der Große von Portugal nach Rom geſchenkt hatte; während deſſen ſah der Papſt von oben durch ſein Lorgnon1)Das Lorgnon entnehme ich nicht bloß aus Rafaels Porträt, wo es eher als Loupe zur Betrachtung der Miniaturen des Gebetbuches gedeutet werden kann, ſondern aus einer Notiz des Pellicanus, wonach Leo eine aufziehende Proceſſion von Mönchen durch ein Specillum betrachtete, (vgl Zürcher Taſchenbuch auf 1858, S. 177) und aus der cristal - lus concava, die er laut Giovio auf der Jagd brauchie. her - unter. Das Thier aber wurde ſcheu vom Lärm der Pauken und Trompeten und vom Bravorufen und war nicht über die Engelsbrücke zu bringen.

Die Parodie des Feierlichen und Erhabenen, welcheDie Parodie. uns hier in Geſtalt eines Aufzuges entgegentritt, hatte da - mals bereits eine mächtige Stellung in der Poeſie einge - nommen2)Auch in der bildenden Kunſt fehlt ſie nicht; man erinnere ſich z. B. jenes bekannten Stiches welcher die Laocoonsgruppe in drei Affen überſetzt darſtellt. Nur ging dergleichen ſelten über eine flüchtige Handzeichnung hinaus; Manches mag auch zernichtet worden ſein. Die Caricatur iſt wieder weſentlich etwas Anderes; Lionardo in ſeinen Grimaſſen (Ambroſiana) ſtellt das Häßliche dar wenn und weil es komiſch iſt und erhöht dabei dieſen komiſchen Character nach Belieben.. Freilich mußte ſie ſich ein anderes Opfer ſuchen als z. B. Ariſtophanes durfte, da er die großen Tragiker in ſeiner Comödie auftreten ließ. Aber dieſelbe Bildungsreife, welche bei den Griechen zu einer beſtimmten Zeit die Parodie hervortrieb, brachte ſie auch hier zur Blüthe. Schon zu Ende des XIV. Jahrhunderts werden im Sonett petrarchiſche Liebesklagen und anderes der Art durch Nachahmung ausgehöhnt; ja das Feierliche der vier - zehnzeiligen Form an ſich wird durch geheimthuenden Unſinn1602. Abſchnitt. verſpottet. Ferner lud die göttliche Comödie auf das Stärkſte zur Parodirung ein, und Lorenzo magnifico hat im Styl des Inferno die herrlichſte Komik zu entwickeln gewußt. (Simpoſio, oder: i Beoni.) Luigi Pulci ahmt in ſeinem Morgante deutlich die Improviſatoren nach, und überdieß iſt ſeine und Bojardo's Poeſie, ſchon inſofern ſie über dem Gegenſtande ſchwebt, ſtellenweiſe eine wenigſtens halbbewußte Parodie der mittelalterlichen Ritterdichtung. Der große Parodiſt Teofilo Folengo (blühte um 1520) greift dann ganz unmittelbar zu. Unter dem Namen Li - merno Pitocco dichtet er den Orlandino, wo das Ritter - weſen nur noch als lächerliche Rococoeinfaſſung um eine Fülle moderner Einfälle und Lebensbilder herum figurirt; unter dem Namen Merlinus Coccajus ſchildert er die Thaten und Fahrten ſeiner Bauern und Landſtreicher, ebenfalls mit ſtarker tendenziöſer Zuthat, in halblateiniſchen Hexametern, unter dem komiſchen Scheinapparat des damaligen gelehrten Epos. (Opus Macaronicorum). Seitdem iſt die Parodie auf dem italiſchen Parnaß immerfort, und bisweilen wahr - haft glanzvoll vertreten geweſen.

Theorie des Witzes.In der Zeit der mittlern Höhe der Renaiſſance wird dann auch der Witz theoretiſch zergliedert und ſeine prac - tiſche Anwendung in der feinern Geſellſchaft genauer feſt - geſtellt. Der Theoretiker iſt Gioviano Pontano1)Jovian. Pontan. de Sermone. Er[conſtatiert] eine beſondere Be - gabung zum Witz außer bei den Florentinern auch bei den Sieneſen und Peruginern; den ſpaniſchen Hof fügt er dann noch aus Höf - lichkeit bei.; in ſeiner Schrift über das Reden, namentlich im vierten Buch, ver - ſucht er durch Analyſe zahlreicher einzelner Witze oder fa - cetiæ zu einem allgemeinen Princip durchzudringen. Wie der Witz unter Leuten von Stande zu handhaben ſei, lehrt Baldaſſar Caſtiglione in ſeinem Cortigiano2)Il cortigiano, Lib. II. fol. 74, s. Die Herleitung des Witzes aus dem Contraſt, obwohl noch nicht völlig klar, fol. 76.. Natürlich161 handelt es ſich weſentlich nur um Erheiterung dritter Per -2. Abſchnitt. ſonen durch Wiedererzählung von komiſchen und graziöſen Geſchichten und Worten; vor directen Witzen wird eher gewarnt, indem man damit Unglückliche kränke, Verbrechern zu viele Ehre anthue und Mächtige und durch Gunſt ver - wöhnte zur Rache reize, und auch für das Wiedererzählen wird dem Mann von Stande ein weiſes Maßhalten in der nachahmenden Dramatik, d. h. in den Grimaſſen empfohlen. Dann folgt aber, nicht bloß zum Wiedererzählen, ſondern als Paradigma für künftige Witzbildner, eine reiche Samm - lung von Sach - und Wortwitzen, methodiſch nach Gattun - gen geordnet, darunter viele ganz vortreffliche. Viel ſtrenger und behutſamer lautet etwa zwei Jahrzehnde ſpäter die Doctrin des Giovanni della Caſa in ſeiner Anweiſung zur guten Lebensart1)Gal ateo del Casa, ed. Venez. 1789, p. 26, s. 48.; im Hinblick auf die Folgen will er aus Witzen und Burle die Abſicht des Triumphirens völlig verbannt wiſſen. Er iſt der Herold einer Reaction, welche eintreten mußte.

In der That war Italien eine Läſterſchule gewordenDie Läſterung, wie die Welt ſeitdem keine zweite mehr aufzuweiſen gehabt hat, ſelbſt in dem Frankreich Voltaire's nicht. Am Geiſt des Verneinens fehlte es dem letztern und ſeinen Genoſſen nicht, aber wo hätte man im vorigen Jahrhundert die Fülle von paſſenden Opfern hernehmen ſollen, jene zahlloſen hoch und eigenartig entwickelten Menſchen, Celebritäten jeder Gattung, Staatsmänner, Geiſtliche, Erfinder und Entdecker, Literaten, Dichter und Künſtler, die obendrein ihre Eigen - thümlichkeit ohne Rückhalt walten ließen? Im XV. und XVI. Jahrhundert exiſtirte dieſe Heerſchaar, und neben ihr hatte die allgemeine Bildungshöhe ein furchtbares Ge - ſchlecht von geiſtreichen Ohnmächtigen, von geborenen Kritt - lern und Läſterern groß gezogen, deren Neid ſeine Heka - tomben verlangte; dazu kam aber noch der Neid derCultur der Renaiſſance. 111622. Abſchnitt. Berühmten unter einander. Mit letzterem haben notoriſch die Philologen angefangen: Filelfo, Poggio, Lorenzo Valla u. a., während z. B. die Künſtler des XV. Jahrhunderts noch in faſt völlig friedlichem Wettſtreit neben einander lebten, wovon die Kunſtgeſchichte Act nehmen darf.

in Florenz;Der große Ruhmesmarkt Florenz geht hierin, wie ge - ſagt, allen andern Städten eine Zeitlang voran. Scharfe Augen und böſe Zungen iſt das Signalement der Floren - tiner1)Lettere pittoriche I, 71, in einem Briefe des Vinc. Borghini 1577. Macchiavelli, stor. fior. L. VII. ſagt von den jungen Herrn in Florenz nach der Mitte des XV. Jahrh. : gli studî loro erano apparire col vestire splendidi, e col parlare sagaci ed astuti, e quello che più destramente mordeva gli altri, era più savio e da più stimato. . Ein gelinder Hohn über Alles und Jedes mochte der vorherrſchende Alltagston ſein. Macchiavelli, in dem höchſt merkwürdigen Prolog ſeiner Mandragola, leitet mit Recht oder Unrecht von der allgemeinen Mediſance das ſichtbare Sinken der moraliſchen Kraft her, droht übrigens ſeinen Verkleinerern damit, daß auch er ſich auf Uebelredenin Rom. verſtehe. Dann kommt der päpſtliche Hof, ſeit lange ein Stelldichein der allerſchlimmſten und dabei geiſtreichſten Zungen. Schon Poggio's Facetiae ſind ja aus dem Lügen - ſtübchen (bugiale) der apoſtoliſchen Schreiber datirt, und wenn man erwägt, welche große Zahl von enttäuſchten Stellenjägern, von hoffnungsvollen Feinden und Concur - renten der Begünſtigten, von Zeitvertreibern ſittenloſer Prälaten beiſammen war, ſo kann es nicht auffallen, wenn Rom für das wilde Pasquill wie für die beſchaulichere Satire eine wahre Heimath wurde. Rechnet man noch gar hinzu was der allgemeine Widerwille gegen die Prieſter - herrſchaft und was das bekannte Pöbel-Bedürfniß, den Mächtigen das Gräßlichſte anzudichten, beifügte, ſo ergiebt163 ſich eine unerhörte Summe von Schmach1)Vgl. Fedra Inghirami's Leichenrede auf Lodovico Podocataro (1505), in den Anecdd. litt. I, p. 319. Der Scandalſammler Maſſa - ino erwähnt bei Paul. Jov. Dialogus de viris litt. illustr. (Tiraboschi, Tom. VII, parte IV. p. 1631.). Wer konnte,2. Abſchnitt. ſchützte ſich dagegen am Zweckmäßigſten durch Verachtung, ſowohl was die wahren als was die erlogenen Beſchuldi - gungen betraf, und durch glänzenden, fröhlichen Aufwand2)So hielt es im Ganzen Leo X. und er rechnete damit im Ganzen richtig; ſo ſchrecklich die Pasquillanten zumal nach ſeinem Tode mit ihm umgingen, ſie haben die Geſammtanſchauung ſeines Weſens nicht dominiren können.. Zartere Gemüther aber konnten wohl in eine Art von Ver - zweiflung fallen wenn ſie tief in Schuld und noch tiefer in üble Nachrede verſtrickt waren3)In dieſem Falle war wohl Cardinal Ardicino della Porta, der 1491 ſeine Würde niederlegen und in ein fernes Kloſter flüchten wollte. Vgl. Infessura, bei Eccard II, Col. 2000.. Allmälig ſagte man Jedem das Schlimmſte nach und gerade die ſtrengſte Tu - gend weckte die Bosheit am ſicherſten. Von dem großen Kanzelredner Fra Egidio von Viterbo, den Leo um ſeiner Verdienſte willen zum Cardinal erhob und der ſich bei dem Unglück von 1527 auch als tüchtiger populärer Mönch zeigte4)S. deſſen Leichenrede in den Anecdd. litt. IV, p. 315. Er brachte in der ſüdlichen Mark Ancona ein Bauernheer zuſammen, das nur durch den Verrath des Herzogs von Urbino am Handeln verhindert wurde. Seine ſchönen hoffnungsloſen Liebesmadrigale bei Trucchi, poesie ined. III, p. 123., giebt Giovio zu verſtehen, er habe ſich die ascetiſcheGiovio. Bläſſe durch Qualm von naſſem Stroh u. dgl. conſervirt. Giovio iſt bei ſolchen Anläſſen ein echter Curiale5)Wie er an der Tafel Clemens VII. ſeine Zunge brauchte, ſ. bei Giraldi, Hecatommithi, VII, Nov. 5.; in der Regel erzählt er ſein Hiſtörchen, fügt dann bei, er glaube es nicht, und läßt endlich in einer allgemeinern Bemerkung durchblicken, es möchte doch etwas dran ſein. Das wahre11*1642. Abſchnitt. Brandopfer des römiſchen Hohnes aber war der gute Ha -Hohn auf Ha - drian VI. drian VI. ; es bildete ſich ein Uebereinkommen, ihn durch - aus nur von der burlesken Seite zu nehmen. Mit der furchtbaren Feder eines Francesco Berni verdarb er es gleich von Anfang an, indem er drohte nicht die Statue des Pasquino, wie man1)Die ganze angebliche Berathung über das Verſenken des Pasquino bei Paul. Jov., vita Hadriani, iſt von Sixtus IV. auf Hadrian über - getragen. Vgl. Lettere di principi I, Brief des Negro vom 7. Apr. 1523. Pasquino hatte am St. Marcustag ein beſonderes Feſt, welches der Papſt verbot. ſagte ſondern die Pasquillanten ſelber in die Tiber werfen zu laſſen. Die Rache dafür war das berühmte Capitolo gegen Papſt Adriano , dictirt nicht eigentlich vom Haß, ſondern von der Verachtung gegen den lächerlichen holländiſchen Barbaren; die wilde Drohung wird aufgeſpart für die Cardinäle, die ihn gewählt haben. Berni und Andere2)Z. B.: Firenzuola, opere, vol. I, p. 116, im Discorso degli animali. malen auch die Umgebung des Papſtes mit derſelben pikanten Lügenhaftigkeit aus, mit welcher das heutige Pariſer Feuilleton das So zum Anders und das Nichts zum Etwas verkünſtelt. Die Biographie, welche Paolo Giovio im Auftrag des Cardinals von Tortoſa verfaßte, und welche eigentlich eine Lobſchrift vorſtellen ſollte, iſt für Jeden, der zwiſchen den Zeilen leſen kann, ein wahrer Ausbund von Hohn. Es liest ſich (zumal für das damalige Italien) ſehr komiſch, wie Hadrian ſich beim Domcapitel von Saragoſſa um die Kinnlade des S. Lam - bert bewirbt, wie ihn dann die andächtigen Spanier mit Schmuck und Zeug ausſtatten bis er einem wohlheraus - geputzten Papſt recht ähnlich ſieht , wie er ſeinen ſtürmi - ſchen und geſchmackloſen Zug von Oſtia gen Rom hält, ſich über die Verſenkung oder Verbrennung des Pasquino beräth, die wichtigſten Verhandlungen wegen Meldung des165 Eſſens plötzlich unterbricht und zuletzt nach unglücklicher2. Abſchnitt. Regierung an allzuvielem Biertrinken verſtirbt; worauf das Haus ſeines Leibarztes von Nachtſchwärmern bekränzt und mit der Inſchrift Liberatori Patriæ S. P. Q. R. geſchmückt wird. Freilich Giovio hatte bei der allgemeinen Renten - einziehung auch ſeine Rente verloren und nur deßhalb zur Entſchädigung eine Pfründe erhalten, weil er kein Poet , d. h. kein Heide ſei. Es ſtand aber geſchrieben, daß Hadrian das letzte große Opfer dieſer Art ſein ſollte. Seit dem Unglück Roms (1527) ſtarb mit der äußerſten Ruchloſig - keit des Lebens auch die frevelhafte Rede ſichtlich ab.

Während ſie aber noch in Blüthe ſtand, hatte ſich,Pietro Aretino. hauptſächlich in Rom, der größte Läſterer der neuern Zeit, Pietro Aretino, ausgebildet. Ein Blick auf ſein Weſen erſpart uns die Beſchäftigung mit manchen Geringern ſeiner Gattung.

Wir kennen ihn hauptſächlich in den letzten drei Jahr - zehnden ſeines Lebens (1527 1556), die er in dem für ihn einzig möglichen Aſyl Venedig zubrachte. Von hier aus hielt er das ganze berühmte Italien in einer Art von Belagerungszuſtand; hieher mündeten auch die Geſchenke auswärtiger Fürſten, die ſeine Feder brauchten oder fürch - teten. Carl V. und Franz I. penſionirten ihn beide zugleich, weil Jeder hoffte, Aretino würde dem Andern Verdruß machen; Aretino ſchmeichelte Beiden, ſchloß ſich aber natür - lich enger an Carl an, weil dieſer in Italien Meiſter blieb. Nach dem Sieg über Tunis (1535) geht dieſer Ton in den der lächerlichſten Vergötterung über, wobei zu erwägen iſt, daß Aretino fortwährend ſich mit der Hoffnung hinhalten ließ, durch Carl's Hülfe Cardinal zu werden. Vermuth - lich genoß er eine ſpecielle Protection als ſpaniſcher Agent, indem man durch ſein Reden oder Schweigen auf die klei - nern italieniſchen Fürſten und auf die öffentliche Meinung drücken konnte. Das Papſtweſen gab er ſich die Miene1662. Abſchnitt. gründlich zu verachten, weil er es aus der Nähe kenne; der wahre Grund war, daß man ihn von Rom aus nicht mehr honoriren konnte und wollte1)An den Herzog von Ferrara, 1. Januar 1536: Ihr werdet nun von Rom nach Neapel reiſen, ricreando la vista avvilita nel mirar le miserie pontificali con la contemplatione delle ec - cellenze imperiali.. Venedig, das ihn beherbergte, beſchwieg er weislich. Der Reſt ſeines Ver - hältniſſes zu den Großen iſt lauter Bettelei und gemeine Erpreſſung.

Seine Publici - ſtik und ſein Werth.Bei Aretino findet ſich der erſte ganz große Mißbrauch der Publicität zu ſolchen Zwecken. Die Streitſchriften, welche hundert Jahre vorher Poggio und ſeine Gegner ge - wechſelt hatten, ſind in der Abſicht und im Ton eben ſo infam, allein ſie ſind nicht auf die Preſſe, ſondern auf eine Art von halber und geheimer Publicität berechnet; Aretino macht ſein Geſchäft aus der ganzen und unbedingten; er iſt in gewiſſem Betracht einer der Urväter der Journaliſtik. Periodiſch läßt er ſeine Briefe u. a. Artikel zuſammen - drucken, nachdem ſie ſchon vorher in weitern Kreiſen curſirt haben mochten2)Wie er ſich damit ſpeciell den Künſtlern furchtbar machte, wäre an - derswo zu erörtern. Das publiciſtiſche Vehikel der deutſchen Reformation iſt weſentlich die Broſchüre, in Beziehung auf beſtimmte einzelne Angelegenheiten; Aretino dagegen iſt Journaliſt in dem Sinne, daß er einen permanenten Anlaß des Publicirens in ſich hat..

Verglichen mit Voltaire hat Aretino den Vortheil, daß er ſich nicht mit Principien belädet, weder mit Aufklärung noch mit Philanthropie und ſonſtiger Tugend, noch auch mit Wiſſenſchaft; ſein ganzes Gepäck iſt das bekannte Motto: Veritas odium parit. Deßhalb gab es auch für ihn keine falſchen Stellungen, wie z. B. für Voltaire, der ſeine Pucelle ſchmählich verläugnen und Anderes lebenslang ver - ſtecken mußte; Aretino gab zu allem ſeinen Namen, und noch ſpät rühmt er ſich offen ſeiner berüchtigten Ragiona -167 menti. Sein literariſches Talent, ſeine lichte und pikante2. Abſchnitt. Proſa, ſeine reiche Beobachtung der Menſchen und Dinge würden ihn unter allen Umſtänden beachtenswerth machen, wenn auch die Conception eines eigentlichen Kunſtwerkes, z. B. die echte dramatiſche Anlage einer Comödie ihm völlig verſagt blieb; dazu kommt dann noch außer der gröbſten und feinſten Bosheit eine glänzende Gabe des grottesken Witzes, womit er im einzelnen Fall dem Rabelais nicht nachſteht1)Z. B. im Capitolo an den Albicante, einen ſchlechten Dichter; lei - der entziehen ſich die Stellen der Citation..

Unter ſolchen Umſtänden, mit ſolchen Abſichten undVerhältniß zu den italien. Fürſten Mitteln geht er auf ſeine Beute los oder einſtweilen um ſie herum. Die Art, wie er Clemens VII. auffordert, nicht zu klagen ſondern zu verzeihen2)Lettere, ed. Venez. 1539. Fol. 12, vom 31. Mai 1527., während das Jam - mergeſchrei des verwüſteten Roms zur Engelsburg, dem Kerker des Papſtes empordringt, iſt lauterer Hohn eines Teufels oder Affen. Bisweilen, wenn er die Hoffnung auf Geſchenke völlig aufgeben muß, bricht ſeine Wuth in ein wildes Geheul aus, wie z. B. in den Capitolo an den Fürſten von Salerno. Dieſer hatte ihn eine Zeitlang be - zahlt und wollte nicht weiter zahlen; dagegen ſcheint es, daß der ſchreckliche Pierluigi Farneſe, Herzog von Parma, niemals Notiz von ihm nahm. Da dieſer Herr auf gute Nach - rede wohl überhaupt verzichtet hatte, ſo war es nicht mehr leicht, ihm wehe zu thun; Aretino verſucht es, indem er3)Im erſten Capitolo an Coſimo. ſein äußeres Anſehen als das eines Sbirren, Müllers und Beckers bezeichnet. Poſſirlich iſt Aretino am eheſten im Ausdruck der reinen, wehmüthigen Bettelei, wie z. B. im Capitolo an Franz I., dagegen wird man die aus Dro - hung und Schmeichelei gemiſchten Briefe und Gedichte trotz aller Komik nie ohne tiefen Widerwillen leſen können. Einu. Celebritäten.1682. Abſchnitt. Brief wie der an Michelangelo vom November 15451)Gaye, carteggio II, p. 332. exiſtirt vielleicht nicht ein zweites Mal; zwiſchen alle Be - wunderung (wegen des Weltgerichtes) hinein droht er ihm wegen Irreligioſität, Indecenz und Diebſtahl (an den Er - ben Julius II. ) und fügt in einem begütigenden Poſtſcript bei: ich habe Euch nur zeigen wollen, daß wenn Ihr divino (di-vino) ſeid, ich auch nicht d'aqua bin . Are - tino hielt nämlich darauf man weiß kaum ob aus wahn - ſinnigem Dünkel oder aus Luſt an der Parodie alles Berühmten daß man ihn ebenfalls göttlich nenne, und ſo weit brachte er es in der perſönlichen Berühmtheit aller - dings, daß in Arezzo ſein Geburtshaus als Sehensmürdigkeit der Stadt galt2)S. den frechen Brief von 1536 in den Lettere pittor., I, Append., 34. . Andererſeits freilich gab es ganze Mo - nate, da er ſich in Venedig nicht über die Schwelle wagte um nicht irgend einem erzürnten Florentiner wie z. B. dem jüngern Strozzi in die Hände zu laufen; es fehlte nicht an Dolchſtichen und entſetzlichen Prügeln3)L'Aretin, per Dio grazia, è vivo e sano, Ma'l mostaccio ha fregiato nobilmente, E più colpi ha, che dita in una mano. Mauro, capitolo in lode delle bugie. , wenn ſie auch nicht den Erfolg hatten, welchen ihm Berni in einem fa - moſen Sonett weiſſagte; er iſt in ſeinem Hauſe am Schlag - fluß geſtorben.

In der Schmeichelei macht er beachtenswerthe Unter - ſchiede; für Nichtitaliener trägt er ſie plump und dick auf4)Man ſehe z. B. den Brief an den Cardinal von Lothringen, Let - tere, ed. Venez. 1539, vom 21. Nov. 1534, ſo wie die Briefe an Carl V. ,Verhältniß zu Herzog Coſimo. für Leute wie den Herzog Coſimo von Florenz weiß er ſich anders zu geben. Er lobt die Schönheit des damals noch jungen Fürſten, der in der That auch dieſe Eigenſchaft mit169 Auguſtus in hohem Grade gemein hatte; er lobt ſeinen2. Abſchnitt. ſittlichen Wandel mit einem Seitenblick auf die Geldgeſchäfte von Coſimo's Mutter Maria Salviati, und ſchließt mit einer wimmernden Bettelei wegen der theuren Zeiten u. ſ. w. Wenn ihn aber Coſimo penſionirte1)Für das Folgende ſ. Gaye, carteggio, II, p. 336. 337. 345. , und zwar im Ver - hältniß zu ſeiner ſonſtigen Sparſamkeit ziemlich hoch (in der letzten Zeit mit 160 Ducaten jährlich), ſo war wohl eine beſtimmte Rückſicht auf ſeine Gefährlichkeit als ſpani - ſcher Agent mit im Spiel. Aretino durfte in einem Athem - zug über Coſimo bitter ſpotten und ſchmähen und doch dabei dem florentiniſchen Geſchäftsträger drohen, daß er beim Herzog ſeine baldige Abberufung erwirken werde. Und wenn der Medici ſich auch am Ende von Carl V. durch - ſchaut wußte, ſo mochte er doch nicht wünſchen, daß am kaiſerlichen Hofe aretiniſche Witze und Spottverſe über ihn in Curs kommen möchten. Eine ganz hübſch bedingte Schmeichelei iſt auch diejenige an den berüchtigten Marcheſe von Marignano, der als Caſtellan von Muſſo einen eigenen Staat zu gründen verſucht hatte. Zum Dank für überſandte hundert Scudi ſchreibt Aretin: Alle Eigen - ſchaften, die ein Fürſt haben muß, ſind in Euch vorhan - den und Jedermann würde dieß einſehen, wenn nicht die bei allen Anfängen unvermeidliche Gewaltſamkeit Euch noch als etwas rauh (aspro) erſcheinen ließe 2)Lettere, ed. Venez. 1539. Fol. 15., vom 16. Juni 1529..

Man hat häufig als etwas Beſonderes hervorgehoben,Seine Religion. daß Aretino nur die Welt, nicht auch Gott geläſtert habe. Was er geglaubt hat, iſt bei ſeinem ſonſtigen Treiben völlig gleichgültig, ebenſo ſind es die Erbauungsſchriften, welche er nur aus äußern Rückſichten3)Mochte es die Hoffnung auf den rothen Hut oder die Furcht vor den beginnenden Bluturtheilen der Inquiſition ſein, welche er noch 1535 herb zu tadeln gewagt hatte (ſ. a. a. O. Fol. 37), welche aber ſeit verfaßte. Sonſt aber1702. Abſchnitt. wüßte ich wahrlich nicht, wie er hätte auf die Gottesläſterung verfallen ſollen. Er war weder Docent noch theoretiſcher Denker und Schriftſteller; auch konnte er von Gott keine Geldſummen durch Drohungen und Schmeicheleien erpreſſen, fand ſich alſo auch nicht durch Verſagung zur Läſterung gereizt. Mit unnützer Mühe aber giebt ſich ein ſolcher Menſch nicht ab.

Es iſt das beſte Zeichen des heutigen italieniſchen Geiſtes, daß ein ſolcher Character und eine ſolche Wirkungs - weiſe tauſendmal unmöglich geworden ſind. Aber von Seite der hiſtoriſchen Betrachtung aus wird dem Aretino immer eine wichtige Stellung bleiben.

3)der Reorganiſation des Inſtitutes 1542 plötzlich zunahmen und Alles zum Schweigen brachten.

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Dritter Abſchnitt. Die Wiedererweckung des Alterthums.

Auf dieſem Punkte unſerer culturgeſchichtlichen Ueber -3. Abſchnitt. ſicht angelangt, müſſen wir des Alterthums gedenken, deſſen Wiedergeburt in einſeitiger Weiſe zum Geſammtnamen des Zeitraums überhaupt geworden iſt. Die bisher ge -Concurrenz mit andern Kräften. ſchilderten Zuſtände würden die Nation erſchüttert und gereift haben auch ohne das Alterthum, und auch von den nachher aufzuzählenden neuen geiſtigen Richtungen wäre wohl das Meiſte ohne daſſelbe denkbar; allein wie das Bisherige ſo iſt auch das Folgende doch von der Einwirkung der antiken Welt mannigfach gefärbt, und wo das Weſen der Dinge ohne dieſelbe verſtändlich und vorhanden ſein würde, da iſt es doch die Aeußerungsweiſe im Leben nur mit ihr und durch ſie. Die Renaiſſance wäre nicht die hohe weltgeſchichtliche Nothwendigkeit geweſen die ſie war, wenn man ſo leicht von ihr abſtrahiren könnte. Darauf aber müſſen wir beharren, als auf einem Hauptſatz dieſes Buches, daß nicht ſie allein, ſondern ihr enges Bündniß mit dem neben ihr vorhandenen italieniſchen Volksgeiſt die abendländiſche Welt bezwungen hat. Die Freiheit, welche ſich dieſer Volksgeiſt dabei bewahrte, iſt eine ungleiche und ſcheint, ſobald man z. B. nur auf die neulateiniſche Litera -Grade der Ein - wirkung. tur ſieht, oft ſehr gering; in der bildenden Kunſt aber und in mehrern andern Sphären iſt ſie auffallend groß und das Bündniß zwiſchen zwei weit auseinander liegenden Cultur -1723. Abſchnitt. epochen deſſelben Volkes erweist ſich als ein, weil höchſt ſelbſtändiges, deßhalb auch berechtigtes und fruchtbares. Das übrige Abendland mochte zuſehen wie es den großen, aus Italien kommenden Antrieb abwehrte oder ſich halb oder ganz aneignete; wo letzteres geſchah, ſollte man ſich die Klagen über den frühzeitigen Untergang unſerer mittel - alterlichen Culturformen und Vorſtellungen erſparen. Hät - ten ſie ſich wehren können, ſo würden ſie noch leben. Wenn jene elegiſchen Gemüther, die ſich danach zurück - ſehnen, nur eine Stunde darin zubringen müßten, ſie würden heftig nach moderner Luft begehren. Daß bei großen Pro - ceſſen jener Art manche edle Einzelblüthe mit zu Grunde geht ohne in Tradition und Poeſie unvergänglich geſichert zu ſein, iſt gewiß; allein das große Geſammt-Ereigniß darf man deßhalb nicht ungeſchehen wünſchen. Dieſes Ge - ſammt-Ereigniß beſteht darin, daß neben der Kirche, welche bisher (und nicht mehr für lange) das Abendland zuſam - menhielt, ein neues geiſtiges Medium entſteht, welches, von Italien her ſich ausbreitend, zur Lebens-Atmosphäre für alle höher gebildeten Europäer wird. Der ſchärfſte Tadel, den man darüber ausſprechen kann, iſt der der Unvolks - thümlichkeit, der erſt jetzt nothwendig eintretenden Scheidung von Gebildeten und Ungebildeten in ganz Europa. Dieſer Tadel iſt aber ganz werthlos, ſobald man eingeſtehen muß, daß die Sache noch heute, obwohl klar erkannt, doch nicht beſeitigt werden kann. Und dieſe Scheidung iſt überdieß in Italien lange nicht ſo herb und unerbittlich als anders - wo. Iſt doch ihr größter Kunſtdichter Taſſo auch in den Händen der Aermſten.

Das Alterthum im Mittelalter.Das römiſch-griechiſche Alterthum, welches ſeit dem XIV. Jahrhundert ſo mächtig in das italieniſche Leben eingriff, als Anhalt und Quelle der Cultur, als Ziel und Ideal des Daſeins, theilweiſe auch als bewußter neuer Gegenſatz, dieſes Alterthum hatte ſchon längſt ſtellenweiſe173 auf das ganze auch außeritalieniſche Mittelalter eingewirkt. 3. Abſchnitt. Diejenige Bildung, welche Carl der Große vertrat, war weſentlich eine Renaiſſance, gegenüber der Barbarei des VII. und VIII. Jahrhunderts, und konnte nichts anderes ſein. Wie hierauf in die romaniſche Baukunſt des Nor - dens außer der allgemeinen, vom Alterthum ererbten For - mengrundlage auch auffallende direct antike Formen ſich einſchleichen, ſo hatte die ganze Kloſtergelehrſamkeit allmälig eine große Maſſe von Stoff aus römiſchen Autoren in ſich aufgenommen und auch der Styl derſelben blieb ſeit Ein - hard nicht ohne Nachahmung.

Anders aber als im Norden wacht das Alterthum inIn Italien. Italien wieder auf. Sobald hier die Barbarei aufhört, meldet ſich bei dem noch halb antiken Volk die Erkenntniß ſeiner Vorzeit; es feiert ſie und wünſcht ſie zu reproduciren. Außerhalb Italiens handelt es ſich um eine gelehrte, reflectirte Benützung einzelner Elemente der Antike, in Italien um eine gelehrte und zugleich populäre ſachliche Parteinahme für das Alterthum überhaupt, weil daſſelbe die Erinnerung an die eigene alte Größe iſt. Die leichte Verſtändlichkeit des Lateini - ſchen, die Menge der noch vorhandenen Erinnerungen und Denkmäler befördert dieſe Entwicklung gewaltig. Aus ihr und aus der Gegenwirkung des inzwiſchen doch anders gewor - denen Volksgeiſtes, der germaniſch-langobardiſchen Staats - Einrichtungen, des allgemein europäiſchen Ritterthums, der übrigen Cultureinflüſſe aus dem Norden und der Religion und Kirche erwächst dann das neue Ganze: der modern italieniſche Geiſt, welchem es beſtimmt war, für den ganzen Occident maßgebendes Vorbild zu werden.

Wie ſich in der bildenden Kunſt das Antike regt ſobald die Barbarei aufhört, zeigt ſich z. B. deutlich bei Anlaß der toscaniſchen Bauten des XII. und der Sculpturen des XIII. Jahrhunderts. Auch in der Dichtkunſt fehlen dieLateiniſche Poeſie der Va - ganten. Parallelen nicht, wenn wir annehmen dürfen, daß der größte lateiniſche Dichter des XII. Jahrhunderts, ja der,1743. Abſchnitt. welcher für eine ganze Gattung der damaligen lateiniſchen Poeſie den Ton angab, ein Italiener geweſen ſei. Es iſt derjenige, welchem die beſten Stücke der ſogenannten Car - mina Burana angehören. Eine ungehemmte Freude an der Welt und ihren Genüſſen, als deren Schutzgenien die alten Heidengötter wieder erſcheinen, ſtrömt in prachtvollem Fluß durch die gereimten Strophen. Wer ſie in einem Zuge liest, wird die Ahnung, daß hier ein Italiener, wahrſcheinlich ein Lombarde ſpreche, kaum abweiſen können; es giebt aber auch beſtimmte einzelne Gründe dafür1)Carmina Burana, in der Bibliothek des literariſchen Vereins in Stuttgart der XVI. Band. Der Aufenthalt in Pavia (p. 68. 69), die italieniſche Localität überhaupt, die Scene mit der pastorella unter dem Oelbaum (p. 145), die Anſchauung einer pinus als eines weitſchattigen Wieſenbaums (p. 156), der mehrmalige Gebrauch des Wortes bravium (p. 137. 144), namentlich aber die Form Madii für Maji (p. 141) ſcheinen für unſere Annahme zu ſprechen. Daß der Dichter ſich Walther nennt, giebt noch keinen Wink über ſeine Herkunft: Gewöhnlich identificirt man ihn mit Gual - terus de Mapes, einem Domherrn von Salisbury und Caplan der engliſchen Könige gegen Ende des XII. Jahrh.. Bis zu einem gewiſſen Grade ſind dieſe lateiniſchen Poeſien der Clerici vagantes des XII. Jahrhunderts allerdings ein gemeinſames europäiſches Product, mit ſammt ihrer großen auffallenden Frivolität, allein Der, welcher den Geſang de Phyllide et Flora und das Aestuans interius etc. ge - dichtet hat, war vermuthlich kein Nordländer, und auch der feine beobachtende Sybarit nicht, von welchem Dum DianæDie Renaiſſance in derſelben. vitrea sero lampas oritur (S. 124) herrührt. Hier iſt eine Renaiſſance der antiken Weltanſchauung, die nur um ſo klarer in die Augen fällt neben der mittelalterlichen Reimform. Es giebt manche Arbeit dieſes und der nächſten Jahrhunderte, welche Hexameter und Pentameter in ſorg - fältiger Nachbildung und allerlei antike, zumal mythologiſche Zuthat in den Sachen aufweist und doch nicht von ferne jenen antiken Eindruck hervorbringt. In den hexametriſchen175 Chroniken u. a. Productionen von Guilielmus Appulus an3. Abſchnitt. begegnet man oft einem emſigen Studium des Virgil, Ovid, Lucan, Statius und Claudian, allein die antike Form bleibt bloße Sache der Gelehrſamkeit, gerade wie der antike Stoff bei Sammelſchriftſtellern in der Weiſe des Vincenz von Beauvais oder bei dem Mythologen und Alle - goriker Alanus ab Inſulis. Die Renaiſſance iſt eben nicht ſtückweiſe Nachahmung und Aufſammlung, ſondern Wieder - geburt, und eine ſolche findet ſich in der That in jenen Gedichten des unbekannten Clericus aus dem XII. Jahr - hundert.

Die große, allgemeine Parteinahme der Italiener fürDas Alterthum im XIV. Ih. das Alterthum aber beginnt erſt mit dem XIV. Jahrhundert. Es war dazu eine Entwicklung des ſtädtiſchen Lebens nothwendig, wie ſie nur in Italien und erſt jetzt vorkam: Zuſammenwohnen und thatſächliche Gleichheit von Adlichen und Bürgern; Bildung einer allgemeinen Geſellſchaft (S. 142), welche ſich bildungsbedürftig fühlte und Muße und Mittel übrig hatte. Die Bildung aber, ſobald ſie ſich von der Phantaſiewelt des Mittelalters losmachen wollte, konnte nicht plötzlich durch bloße Empirie zur Erkenntniß der phyſiſchen und geiſtigen Welt durchdringen, ſie bedurfte eines Führers, und als ſolchen bot ſich das claſſiſche Alter - thum dar, mit ſeiner Fülle objectiver, evidenter Wahrheit in allen Gebieten des Geiſtes. Man nahm von ihm Form und Stoff mit Dank und Bewunderung an; es wurde einſtweilen der Hauptinhalt jener Bildung1)Wie das Alterthum in allen höhern Gebieten des Lebens als Lehrer und Führer dienen könne, ſchildert z. B. in raſcher Ueberſicht Aeneas Sylvius (opera p. 603 in der Epiſt. 105, an Erzherzog Sigismund).. Auch die allgemeinen Verhältniſſe Italiens waren der Sache günſtig; das Kaiſerthum des Mittelalters hatte ſeit dem Untergang der Hohenſtaufen entweder auf Italien verzichtet oder konnte ſich daſelbſt nicht halten; das Papſtthum war nach1763. Abſchnitt. Avignon übergeſiedelt; die meiſten thatſächlich vorhandenen Mächte waren gewaltſam und illegitim; der zum Bewußt - ſein geweckte Geiſt aber war im Suchen nach einem neuen haltbaren Ideal begriffen, und ſo konnte ſich das Schein -Die römiſche Weltherrſchaft. bild und Poſtulat einer römiſch-italiſchen Weltherrſchaft der Gemüther bemächtigen, ja eine practiſche Verwirklichung verſuchen mit Cola di Rienzo. Wie er, namentlich bei ſeinem erſten Tribunat, die Aufgabe anfaßte, mußte es allerdings nur zu einer wunderlichen Comödie kommen, allein für das Nationalgefühl war die Erinnerung an das alte Rom durchaus kein werthloſer Anhalt. Mit ſeiner Cultur aufs Neue ausgerüſtet fühlte man ſich bald in der That als die vorgeſchrittenſte Nation der Welt.

Dieſe Bewegung der Geiſter, nicht in ihrer Fülle, ſondern nur in ihren äußern Umriſſen, und weſentlich in ihren Anfängen zu zeichnen iſt nun unſere nächſte Aufgabe1)Für das Nähere möchte ich gerne auf eine gute und ausführliche Geſchichte der Philologie verweiſen, kenne aber die Literatur dieſes Faches nicht hinlänglich. Vieles findet ſich bei Roscoe: Lorenzo magnif. und: Leo X, ſowie in Voigt: Enea Silvio, und in Papen - cordt: Geſch. der Stadt Rom im Mittelalter. Wer ſich einen Begriff machen will von dem Umfang, welchen das Wiſſenswürdige bei den Gebildeten des beginnenden XVI. Jahrh. angenommen hatte, iſt am beſten auf die Commentarii urbani des Raphael Volaterranus zu verweiſen. Hier ſieht man, wie das Alterthum den Eingang und Hauptinhalt jedes Erkenntnißzweiges ausmachte, von der Geographie und Localgeſchichte durch die Biographien aller Mächtigen und Berühmten, die Populärphiloſophie, die Moral und die einzelnen Specialwiſſenſchaften hindurch bis auf die Analyſe des ganzen Ariſtoteles, womit das Werk ſchließt. Um die ganze Bedeutung deſſelben als Quelle der Bildung zu erkennen, müßte man es mit allen frühern Encyclopädien vergleichen..

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Vor Allem genießt die Ruinenſtadt Rom ſelber jetzt3. Abſchnitt. eine andere Art von Pietät als zu der Zeit da die Mira -Die Ruinen von Rom. bilia Romae und das Sammelwerk des Wilhelm von Mal - mesbury verfaßt wurden. Die Phantaſie des frommen Pilgers wie die des Zaubergläubigen und des Schatzgräbers tritt in den Aufzeichnungen zurück neben der des Hiſtorikers und Patrioten. In dieſem Sinne wollen Dante's Worte1)Dante, Convito, Tratt. IV, Cap. 5. verſtanden ſein: Die Steine der Mauern von Rom ver - dienten Ehrfurcht, und der Boden worauf die Stadt ge - baut iſt, ſei würdiger als die Menſchen ſagen. Die coloſſale Frequenz der Jubileen läßt in der eigentlichen Literatur doch kaum eine andächtige Erinnerung zurück; als beſten Gewinn vom Jubileum des Jahres 1300 bringt Giovanni Villani (S. 74) ſeinen Entſchluß zur Geſchichtſchreibung mit nach Hauſe, welchen der Anblick der Ruinen von Rom in ihm geweckt. Petrarca giebt uns noch Kunde von einer zwiſchen claſſiſchem und chriſtlichem Alterthum getheilten Stimmung; er erzählt, wie er oftmals mit Giovanni Co - lonna auf die rieſigen Gewölbe der Diocletiansthermen hinaufgeſtiegen2)Epp. familiares VI, 2 (pag. 657); Aeußerungen über Rom, bevor er es geſehen ibid. II, 9 (p. 600); vgl. II, 14.; hier, in der reinen Luft, in tiefer Stille, mitten in der weiten Rundſicht redeten ſie zuſammen, nicht von Geſchäften, Hausweſen und Politik, ſondern, mit dem Blick auf die Trümmer ringsum, von der Geſchichte, wobei Petrarca mehr das Alterthum, Giovanni mehr die chriſtliche Zeit vertrat; dann auch von der Philoſophie und von den Erfindern der Künſte. Wie oft ſeitdem bis auf Gibbon und Niebuhr hat dieſe Ruinenwelt die geſchichtliche Con - templation geweckt.

Dieſelbe getheilte Empfindung offenbart auch nochUberti. Fazio degli Uberti in ſeinem um 1360 verfaßten Ditta - mondo, einer fingirten viſionären Reiſebeſchreibung, wobeiCultur der Renaiſſance. 121783. Abſchnitt. ihn der alte Geograph Solinus begleitet wie Virgil den Dante. So wie ſie Bari zu Ehren des S. Nicolaus, Monte Gargano aus Andacht zum Erzengel Michael be - ſuchen, ſo wird auch in Rom die Legende von Araceli und die von S. Maria in Traſtevere erwähnt, doch hat die profane Herrlichkeit des alten Rom ſchon merklich das Uebergewicht; eine hehre Greiſinn in zerriſſenem Gewand es iſt Roma ſelber erzählt ihnen die glorreiche Geſchichte und ſchildert umſtändlich die alten Triumphe1)Dittamondo, II, cap. 3. Der Zug erinnert noch theilweiſe an die naiven Bilder der heil. drei Könige und ihres Gefolges. Die Schilderung der Stadt, II, cap. 31, iſt archäologiſch nicht ganz ohne Werth. Laut dem Polistore (Murat. XXIV, Col. 845) reisten 1366 Nicolò und Ugo von Eſte nach Rom: per vedere quelle magnificenze antiche, che al presente si possono ve - dere in Roma. ; dann führt ſie die Fremdlinge in der Stadt herum und erklärt ihnen die ſieben Hügel und eine Menge Ruinen che com - prender potrai, quanto fui bella!

Letzte große Zerſtörungen.Leider war dieſes Rom der avignoneſiſchen und ſchis - matiſchen Päpſte in Bezug auf die Reſte des Alterthums ſchon bei Weitem nicht mehr was es einige Menſchenalter vorher geweſen war. Eine tödtliche Verwüſtung, welche den wichtigſten noch vorhandenen Gebäuden ihren Character genommen haben muß, war die Schleifung von 140 feſten Wohnungen römiſcher Großen, durch den Senator Bran - caleone um 1258; der Adel hatte ſich ohne Zweifel in den beſterhaltenen und höchſten Ruinen eingeniſtet gehabt2)Beiläufig hier ein Beleg, wie auch das Ausland Rom im Mittel - alter als einen Steinbruch betrachtete: Der berühmte Abt Sugerius, der ſich (um 1140) für ſeinen Neubau von St. Denis um gewal - tige Säulenſchäfte umſah, dachte an nichts geringeres als an die Granitmonolithen der Diocletiansthermen, beſann ſich aber doch eines Andern. Sugerii libellus alter, bei Duchesne, scriptores, IV, p. 352. Carl d. Gr. war ohne Zweifel beſcheidener verfahren.. 179Gleichwohl blieb noch immer unendlich viel mehr übrig als3. Abſchnitt. was gegenwärtig aufrecht ſteht, und namentlich mögen viele Reſte noch ihre Bekleidung und Incruſtation mit Marmor, ihre vorgeſetzten Säulen u. a. Schmuck gehabt haben, wo jetzt nur der Kernbau aus Backſteinen übrig iſt. An dieſen Thatbeſtand ſchloß ſich nun der Anfang einer ernſthaften Topographie der alten Stadt an. In Poggio's Wande -Das Rom Poggio's. rung durch Rom1)Fabroni, Cosmus, Adnot. 86. Aus einem Brief des Alberto degli Alberti an Giovanni Medici. Ueber den Zuſtand Roms iſt zum erſtenmal das Studium der Reſte ſelbſt mit dem der alten Autoren und mit dem der Inſchriften (welchen er durch alles Geſtrüpp hindurch2)Poggio als frühſter Inſcriptionenſammler, in ſeinem Briefe in der vita Poggii, bei Murat. XX, Col. 177. Als Büſtenſammler Col. 183. nachging) inniger verbunden, die Phantaſie zurückgedrängt, der Gedanke an das chriſtliche Rom gefliſſentlich ausge - ſchieden. Wäre nur Poggio's Arbeit viel ausgedehnter und mit Abbildungen verſehen! Er traf noch ſehr viel mehr Erhaltenes an als achtzig Jahre ſpäter Rafael. Er ſelber hat noch das Grabmal der Caecilia Metella und die Säulenfronte eines der Tempel am Abhang des Capitols zuerſt vollſtändig und dann ſpäter bereits halbzerſtört wiedergeſehen, indem der Marmor noch immer den unglück - ſeligen Materialwerth hatte, leicht zu Kalk gebrannt werden zu können; auch eine gewaltige Säulenhalle bei der Mi - nerva unterlag ſtückweiſe dieſem Schickſal. Ein Bericht - erſtatter vom Jahre 1443 meldet die Fortdauer dieſes Kalkbrennens, welches eine Schmach iſt; denn die neuern Bauten ſind erbärmlich, und das Schöne an Rom ſind die Ruinen 3)Poggii opera, fol. 50, s. Ruinarum urbis Romæ descriptio. Um 1430, nämlich kurz vor dem Tode Martin's V. Die Ther - men des Caracalla und Diocletian hatten noch ihre Ineruſtation und ihre Säulen.. Die damaligen Einwohner in ihren12*1803. Abſchnitt. Campagnolenmänteln und Stiefeln kamen den Fremden vor wie lauter Rinderhirten, und in der That weidete das Vieh bis zu den Banchi hinein; die einzige geſellige Reunion waren die Kirchgänge zu beſtimmten Abläſſen; bei dieſer Gelegenheit bekam man auch die ſchönen Weiber zu ſehen.

In den letzten Jahren Eugens IV. (ſt. 1447) ſchrieb Blondus von Forli ſeine Roma inſtaurata, bereits mit Be - nützung des Frontinus und der alten Regionenbücher, ſo wie auch (ſcheint es) des Anaſtaſius. Sein Zweck iſt ſchon bei Weitem nicht bloß die Schilderung des Vorhandenen, ſondern mehr die Ausmittelung des Untergegangenen. Im Einklang mit der Widmung an den Papſt tröſtet er ſich für den allgemeinen Ruin mit den herrlichen Reliquien der Heiligen, welche Rom beſitze.

Die Päpſte.Mit Nicolaus V. (1447 1455) beſteigt derjenige neue monumentale Geiſt, welcher der Renaiſſance eigen war, den päpſtlichen Stuhl. Durch die neue Geltung und Ver - ſchönerung der Stadt Rom als ſolcher wuchs nun wohl einerſeits die Gefahr für die Ruinen, andererſeits aber auch die Rückſicht für dieſelben als Ruhmestitel der Stadt. Pius II. als Antiquar.Pius II. iſt ganz erfüllt von antiquariſchem Intereſſe, und wenn er von den Alterthümern Roms wenig redet, ſo hat er dafür denjenigen des ganzen übrigen Italiens ſeine Aufmerkſamkeit gewidmet und diejenigen der Umgebung der Stadt in weitem Umfange zuerſt genau gekannt und be - ſchrieben1)Das Folgende aus Jo. Ant. Campanus: Vita Pii II. bei Mura - tori III, II. Col. 980, s. Pii II. Commentarii p. 48. 72, s. 206. 248, s. 501. u. a. a. O.. Allerdings intereſſiren ihn als Geiſtlichen und Cosmographen antike und chriſtliche Denkmäler und Natur - wunder gleichmäßig, oder hat er ſich Zwang anthun müſſen,3)unter Martin V. ſ. Platina p. 277; während der Abweſenheit Eugen's IV. ſ. Vespasiano Fiorent. p. 21. 181 als er z. B. niederſchrieb: Nola habe größere Ehre durch3. Abſchnitt. das Andenken des S. Paulinus als durch die römiſchen Erinnerungen und durch den Heldenkampf des Marcellus? Nicht daß etwa an ſeinem Reliquienglauben zu zweifeln wäre, allein ſein Geiſt iſt ſchon offenbar mehr der Forſcher - theilnahme an Natur und Alterthum, der Sorge für das Monumentale, der geiſtvollen Beobachtung des Lebens zu - geneigt. Noch in ſeinen letzten Jahren als Papſt, podagriſch und doch in der heiterſten Stimmung, läßt er ſich auf dem Tragſeſſel über Berg und Thal nach Tusculum, Alba, Tibur, Oſtia, Falerii, Ocriculum bringen und verzeichnet Alles was er geſehen; er verfolgt die alten Römerſtraßen und Waſſerleitungen und ſucht die Grenzen der antiken Völkerſchaften um Rom zu beſtimmen. Bei einem Ausflug nach Tibur mit dem großen Federigo von Urbino vergeht die Zeit Beiden auf das Angenehmſte mit Geſprächen über das Alterthum und deſſen Kriegsweſen, beſonders über den trojaniſchen Krieg; ſelbſt auf ſeiner Reiſe zum Congreß von Mantua (1459) ſucht er, wiewohl vergebens, das von Plinius erwähnte Labyrinth von Cluſium und beſieht am Mincio die ſogenannte Villa Virgil's. Daß derſelbe Papſt auch von den Abbreviatoren ein claſſiſches Latein verlangte, verſteht ſich beinahe von ſelbſt; hat er doch einſt im nea - politaniſchen Krieg die Arpinaten amneſtirt als Landsleute des M. T. Cicero, ſo wie des C. Marius, nach welchen noch viele Leute dort getauft waren. Ihm allein als Ken - ner und Beſchützer konnte und mochte Blondus ſeine Roma triumphans zueignen, den erſten großen Verſuch einer Ge - ſammtdarſtellung des römiſchen Alterthums.

In dieſer Zeit war natürlich auch im übrigen ItalienDas Alterthum außerhalb Rom's. der Eifer für die römiſchen Alterthümer erwacht. Schon Boccaccio1)Boccaccio, Fiammetta, cap. 5. nennt die Ruinenwelt von Bajae altes Ge - mäuer, und doch neu für moderne Gemüther; ſeitdem1823. Abſchnitt. galten ſie als größte Sehenswürdigkeit der Umgegend Neapels. Schon entſtanden auch Sammlungen von Alterthümern jeder Gattung. Ciriaco von Ancona durchſtreifte nicht bloß Italien ſondern auch andere Länder des alten Orbis terrarum und brachte Inſchriften und Zeichnungen in Menge mit; auf die Frage, warum er ſich ſo bemühe, antwortete er: um die Todten zu erwecken1)Leandro Alberti, Descriz. di tutta l'Italia, fol. 285. . Die Hiſtorien der einzelnen Städte hatten von jeher auf einen wahren oder fingirten Zuſammenhang mit Rom, auf directe Grün - dung oder Coloniſation von dort aus hingewieſen2)Zwei Beiſpiele ſtatt vieler: die fabuloſe Urgeſchichte von Mailand, im Manipulus (Murat. XI, Col. 552) und die von Florenz, am Anfang der Chronik des Ricordano Malaspini, und dann bei Gio. Villani, laut welchem Florenz gegen das antirömiſche, rebelliſche Fieſole von jeher Recht hat, weil es ſo gut römiſch geſinnt iſt. (I, 9. 38. 41. II, 2). Dante, Inf. XV, 76. ; längſtAbſtammung von alten - mern. ſcheinen gefällige Genealogen auch einzelne Familien von berühmten römiſchen Geſchlechtern derivirt zu haben. Dieß lautete ſo angenehm, daß man auch im Lichte der begin - nenden Kritik des XV. Jahrhunderts daran feſthielt. Ganz unbefangen redet Pius II. in Viterbo3)Commentarii, p. 206, im IV. Buch. zu den - miſchen Oratoren, die ihn um ſchleunige Rückkehr bitten: Rom iſt ja meine Heimath ſo gut wie Siena, denn mein Haus, die Piccolomini, iſt vor Alters von Rom nach Siena gewandert, wie der häufige Gebrauch der Namen Aeneas und Sylvius in unſerer Familie beweist . Ver - muthlich hätte er nicht übel Luſt gehabt, ein Julier zu ſein. Auch für Paul II. Barbo von Venedig wurde geſorgt, indem man ſein Haus, trotz einer entgegenſtehenden Abſtammung aus Deutſchland, von den römiſchen Aheno - barbus ableitete, die mit einer Colonie nach Parma gerathen und deren Nachkommen wegen Parteiung nach Venedig183 ausgewandert ſeien1)Mich. Cannesius, Vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 993. Selbſt gegen Nero, den Sohn des Domitius Ahenobarbus, will Auter, der päpſtlichen Verwandtſchaft wegen, nicht unverbindlich ſein; er ſagt von demſelben nur: de quo rerum scriptores multa ac diversa commemorant. Noch ſtärker war es freilich z. B. wenn die Familie Plato in Mailand ſich ſchmeichelte von dem großen Plato abzuſtammen, wenn Filelfo in einer Hochzeitsrede und in einer Lobrede auf den Juriſten Teodoro Plato dieß ſagen durfte, und wenn ein Giovanantonio Plato der von ihm 1478 gemeißelten Relieffigur des Philoſophen (im Hof des Pal. Mazenta zu Mailand) die Inſchrift beifügen konnte: Platonem suum, a quo originem et ingenium refert . Daß die Maſſimi von O. Fabius3. Abſchnitt. Maximus, die Cornaro von den Corneliern abſtammen wollten, kann nicht befremden. Dagegen iſt es für das folgende XVI. Jahrhundert eine recht auffallende Aus - nahme, daß der Novelliſt Bandello ſein Geſchlecht von vornehmen Oſtgothen (I, Nov. 23.) abzuleiten ſucht.

Kehren wir nach Rom zurück. Die Einwohner, die ſich damals Römer nannten , gingen begierig auf das Hochgefühl ein, welches ihnen das übrige Italien entgegen - brachte. Wir werden unter Paul II., Sixtus IV. und Alexander VI. prächtige Carnevalsaufzüge ſtattfinden ſehen, welche das beliebteſte Phantaſiebild jener Zeit, den Triumph altrömiſcher Imperatoren, darſtellten. Wo irgend Pathos zum Vorſchein kam, mußte es in jener Form geſchehen. Bei dieſer Stimmung der Gemüther geſchah es am 18. AprilDie römiſche Leiche. 1485, daß ſich das Gerücht verbreitete, man habe die wunderbar ſchöne, wohl erhaltene Leiche einer jungen - merinn aus dem Alterthum gefunden2)Hierüber Nantiporto, bei Murat. III, II, Col. 1094; Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1951; Matarazzo, im Arch. stor. XVI, II, p. 180. . Lombardiſche Maurer, welche auf einem Grundſtück des Kloſters S. Ma - ria nuova, an der Via Appia, außerhalb der Caecilia Metella,1843. Abſchnitt. ein antikes Grabmal aufgruben, fanden einen marmornen Sarcophag angeblich mit der Aufſchrift: Julia, Tochter des Claudius. Das Weitere gehört der Phantaſie an; die Lombarden ſeien ſofort verſchwunden ſammt den Schätzen und Edelſteinen, welche im Sarcophag zum Schmuck und Geleit der Leiche dienten; letztere ſei mit einer ſichernden Eſſenz überzogen und ſo friſch, ja ſo beweglich geweſen wie die eines eben geſtorbenen Mädchens von 15 Jahren; dann hieß es ſogar, ſie habe noch ganz die Farbe des Lebens, Augen und Mund halb offen. Man brachte ſie nach dem Conſervatorenpalaſt auf dem Capitol, und dahin, um ſie zu ſehen, begann nun eine wahre Wallfahrt; Viele kamen auch um ſie abzumalen; denn ſie war ſchön, wie man es nicht ſagen noch ſchreiben kann, und wenn man es ſagte oder ſchriebe, ſo würden es, die ſie nicht ſahen, doch nicht glauben . Aber auf Befehl Innocenz VIII. mußte ſie eines Nachts vor Porta Pinciana an einem geheimen Ort verſcharrt werden; in der Hofhalle der Conſervatoren blieb nur der leere Sarcophag. Wahrſcheinlich war über den Kopf der Leiche eine farbige Maske des idealen Styles aus Wachs oder etwas Aehnlichem modellirt, wozu die vergoldeten Haare, von welchen die Rede iſt, ganz wohl paſſen würden. Das Rührende an der Sache iſt nicht der Thatbeſtand ſondern das feſte Vorurtheil, daß der antike Leib, den man endlich hier in Wirklichkeit vor ſich zu ſehen glaubte, nothwendig herrlicher ſein müſſe als Alles was jetzt lebe.

Die neuen Aus - grabungenInzwiſchen wuchs die ſachliche Kenntniß des alten Rom durch Ausgrabungen; ſchon unter Alexander VI. lernte man die ſog. Grottesken, d. h. die Wand - und Gewölbe - decoration der Alten kennen, und fand in Porto d'Anzo den Apoll vom Belvedere; unter Julius II. folgten die glorreichen Auffindungen des Laocoon, der vaticaniſchen Venus, des Torſo, der Cleopatra u. a. m.1)Schon unter Julius II. grub man nach in der Abſicht, Statuen zu finden. Vasari XI, p. 302, V. di Gio. da Udine. ; auch die185 Paläſte der Großen und Cardinäle begannen ſich mit an -3. Abſchnitt. tiken Statuen und Fragmenten zu füllen. Für Leo X. unternahm Rafael jene ideale Reſtauration der ganzen alten Stadt, von welcher ſein (oder Caſtiglione's) berühm - ter Brief ſpricht1)Quatremère, stor. della vita etc. di Rafaello, ed. Longhena, p. 531. . Nach der bittern Klage über die noch immer dauernden Zerſtörungen, namentlich noch unter Julius II., ruft er den Papſt um Schutz an für die we - nigen übriggebliebenen Zeugniſſe der Größe und Kraft jener göttlichen Seelen des Alterthums, an deren Andenken ſich noch jetzt diejenigen entzünden, die des Höhern fähig ſeien. Mit merkwürdig durchdringendem Urtheil legt er dann den Grund zu einer vergleichenden Kunſtgeſchichte überhaupt und ſtellt am Ende denjenigen Begriff von Aufnahme feſt,u. Aufnahmen. welcher ſeitdem gegolten hat: er verlangt für jeden Ueberreſt Plan, Aufriß und Durchſchnitt geſondert. Wie ſeit dieſer Zeit die Archäologie, in ſpeciellem Anſchluß an die gehei - ligte Weltſtadt und deren Topographie, zur beſondern Wiſſenſchaft heranwuchs, wie die vitruvianiſche Academie wenigſtens ein coloſſales Programm2)Lettere pittoriche II, I. Tolomei an Landi, 14. Nov. 1542. aufſtellte, kann nicht weiter aufgeführt werden. Hier dürfen wir bei Leo X.Das leoniſche Rom. ſtehen bleiben, unter welchem der Genuß des Alterthums ſich mit allen andern Genüſſen zu jenem wunderſamen Eindruck verflocht, welcher dem Leben in Rom ſeine Weihe gab. Der Vatican tönte von Geſang und Saitenſpiel; wie ein Gebot zur Lebensfreude gingen dieſe Klänge über Rom hin, wenn auch Leo damit für ſich kaum eben erreichte, daß ſich Sorgen und Schmerzen verſcheuchen ließen und wenn auch ſeine bewußte Rechnung, durch Heiterkeit das Daſein zu verlängern3)Er wollte curis animique doloribus quacunque ratione aditum intercludere, heitererer Scherz und Muſik feſſelten ihn und er hoffte auf dieſe Weiſe länger zu leben Leonis X. vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi XII, p. 169. , mit ſeinem frühen Tode fehlſchlug. 1863. Abſchnitt. Dem glänzenden Bilde des leoniſchen Rom, wie es Paolo Giovio entwirft, wird man ſich nie entziehen können, ſo gut bezeugt auch die Schattenſeiten ſind: die Knechtſchaft der Emporſtrebenden und das heimliche Elend der Prälaten, welche trotz ihrer Schulden ſtandesgemäß leben müſſen1)Von Arioſto's Satiren gehören hieher die I. (Perc 'ho molto etc.,) und die IV. (Poiche, Annibale etc.). , das Lotteriemäßige und Zufällige von Leo's literariſchem Mäcenat, endlich ſeine völlig verderbliche Geldwirthſchaft2)Ranke, Päpſte, I, 408 f. Lettere de' principi I, Brief des Negri 1. Sept. 1522: tutti questi cortigiani esausti da Papa Leone e falliti . Derſelbe Arioſt, der dieſe Dinge ſo gut kannte und ver - ſpottete, giebt doch wieder in der ſechsten Satire ein ganz ſehnſüchtiges Bild von dem Umgang mit den hochgebildeten Poeten, welche ihn durch die Ruinenſtadt begleiten würden, von dem gelehrten Beirath, den er für ſeine eigene Dich - tung dort vorfände, endlich von den Schätzen der vatica - niſchen Bibliothek. Dieß, und nicht die längſt aufgegebene Hoffnung auf mediceiſche Protection, meint er, wären die wahren Lockſpeiſen für ihn, wenn man ihn wieder bewegen wollte, als ferrareſiſcher Geſandter nach Rom zu gehen.

Ruinen - ſentimentalität.Außer dem archäologiſchen Eifer und der feierlich pa - triotiſchen Stimmung weckten die Ruinen als ſolche, in und außer Rom, auch ſchon eine elegiſch-ſentimentale. Bereits bei Petrarca und Boccaccio finden ſich Anklänge dieſer Art (S. 177, 181); Poggio (a. a. O.) beſucht oft den Tempel der Venus und Roma, in der Meinung es ſei der des Caſtor und Pollux, wo einſt ſo oft Senat gehalten worden, und vertieft ſich hier in die Erinnerung an die großen Redner Craſſus, Hortenſius, Cicero. Vollkommen ſentimental äußert ſich dann Pius II. zumal bei der Beſchreibung von Tibur3)Pii II. Commentarii p. 251, im V. Buch. Vgl. auch Sanna - zaro's Elegie in ruinas Cumarum, im 2. Buche., und bald darauf entſteht die erſte ideale Ruinenanſicht nebſt187 Schilderung bei Polifilo1)Polifilo, Hypnerotomachia, ohne Seitenzahlen. Im Auszug bei Temanza, p. 12. : Trümmer mächtiger Gewölbe3. Abſchnitt. und Colonnaden, durchwachſen von alten Platanen, Lor - beeren und Cypreſſen nebſt wildem Buſchwerk. In der heiligen Geſchichte wird es, man kann kaum ſagen wie, gebräuchlich, die Darſtellung der Geburt Chriſti in die möglichſt prachtvollen Ruinen eines Palaſtes zu verlegen2)Während alle Kirchenväter und alle Pilger nur von einer Höhle wiſſen. Auch die Dichter können des Palaſtes entbehren. Vgl. Sannazaro, de partu Virginis, L. II. . Daß dann endlich die künſtliche Ruine zum Requiſit präch - tiger Gartenanlagen wurde, iſt nur die practiſche Aeußerung deſſelben Gefühls.

Unendlich wichtiger aber als die baulichen und über -Die alten Autoren im XIV. Ih. haupt künſtleriſchen Reſte des Alterthums waren natürlich die ſchriftlichen, griechiſche ſowohl als lateiniſche. Man hielt ſie ja für Quellen aller Erkenntniß im abſoluteſten Sinne. Das Bücherweſen jener Zeit der großen Fünde iſt oft geſchildert worden: wir können nur einige weniger beachtete Züge hier beifügen3)Hauptſächlich aus Vespaſiano Fiorentino, im X. Bande des Spicileg. romanum von Mai. Der Autor war ein florentiniſcher Bücher - händler und Copienlieferant um die Mitte des XV. Jahrh. und nach derſelben..

So groß die Einwirkung der alten Schriftſteller ſeit langer Zeit und vorzüglich während des XIV. Jahrhunderts in Italien erſcheint, ſo war doch mehr das Längſtbekannte in zahlreichere Hände verbreitet als Neues entdeckt worden. Die gangbarſten lateiniſchen Dichter, Hiſtoriker, Redner und Epiſtolographen nebſt einer Anzahl lateiniſcher Ueber - ſetzungen nach einzelnen Schriften des Ariſtoteles, Plutarch und weniger andern Griechen bildeten weſentlich den Vor - rath, an welchem ſich die Generation des Boccaccio und1883. Abſchnitt. Petrarca begeiſterte. Letzterer beſaß und verehrte bekannt - lich einen griechiſchen Homer ohne ihn leſen zu können; die erſte lateiniſche Ueberſetzung der Ilias und Odyſſee hat Boccaccio mit Hülfe eines calabreſiſchen Griechen ſo gut es ging zu Stande gebracht. Erſt mit dem XV. Jahr - hundert beginnt die große Reihe neuer Entdeckungen, die ſyſtematiſche Anlage von Bibliotheken durch Copiren, und der eifrigſte Betrieb des Ueberſetzens aus dem Griechiſchen1)Bekanntlich wurde, um die Begier nach dem Alterthum zu täuſchen oder zu brandſchatzen, auch einiges Unechte geſchmiedet. Man ſehe in den literar-geſchichtlichen Werken ſtatt alles Uebrigen die Artikel über Annius von Viterbo..

Dieſelben im XV. Jahrh.Ohne die Begeiſterung einiger damaligen Sammler, welche ſich bis zur äußerſten Entbehrung anſtrengten, be - ſäßen wir ganz gewiß nur einen kleinen Theil zumal der griechiſchen Autoren, welche auf unſere Zeit gekommen ſind. Papſt Nicolaus V. hat ſich ſchon als Mönch in Schulden geſtürzt um Codices zu kaufen oder copiren zu laſſen; ſchon damals bekannte er ſich offen zu den beiden großen Paſſionen der Renaiſſance: Bücher und Bauten2)Vespas. Fior. p. 31. Tommaso da Serezana usava dire, che dua cosa farebbe, s'egli potesse mai spendere, ch'era in libri e murare. E l'una e l'altra fece nel suo pontificato. Seine Ueberſetzer ſ. bei Aen. Sylvius, de Europa, cap. 58, p. 459, und bei Papencordt, Geſch. der Stadt Rom, p. 502. . Als Papſt hielt er Wort; Copiſten ſchrieben und Späher ſuchten für ihn in der halben Welt, Perotto erhielt für die lateiniſche Ueberſetzung des Polybius 500 Ducaten, Guarino für die des Strabo 1000 Goldgulden und ſollte noch weitere 500 erhalten, als der Papſt zu früh ſtarb. Mit 5000 oder je nachdem man rechnete 9000 Bänden3)Vespas. Fior. p. 48 und 658. 665. Vgl. J. Mannetti, vita Ni - colai V. bei Murat. III, II, Col. 925, s. Ob und wie Calixt III. die Sammlung wieder theilweiſe verzettelte, ſ. Vespas. Fior., p 284, s. mit Mai's Anmerkung. hinterließ er die -189 jenige eigentlich für den Gebrauch aller Curialen beſtimmte3. Abſchnitt. Bibliothek, welche der Grundſtock der Vaticana gewordenDie Bibliothe - ken. iſt; im Palaſt ſelber ſollte ſie aufgeſtellt werden, als deſſen edelſte Zier, wie es einſt König Ptolemaeus Philadelphus zu Alexandrien gehalten. Als er wegen der Peſt mit dem Hofe nach Fabriano zog, nahm er ſeine Ueberſetzer und Compilatoren dahin mit, auf daß ſie ihm nicht wegſtürben.

Der Florentiner Niccolò Niccoli1)Vespas. Fior. p. 617, s. , Genoſſe des ge - lehrten Freundeskreiſes, welcher ſich um den ältern Coſimo Medici verſammelte, wandte ſein ganzes Vermögen auf Er - werb von Büchern; endlich, da er nichts mehr hatte, hielten ihm die Medici ihre Kaſſen offen für jede Summe, die er zu ſolchen Zwecken begehrte. Ihm verdankt man die Ver - vollſtändigung des Ammianus Marcellinus, des Cicero de oratore u. A. m.; er bewog den Coſimo zum Ankauf des trefflichſten Plinius aus einem Kloſter zu Lübeck. Mit einem großartigen Zutrauen lieh er ſeine Bücher aus, ließ die Leute auch bei ſich leſen ſo viel ſie wollten, und unter - redete ſich mit ihnen über das Geleſene. Seine Sammlung, 800 Bände zu 6000 Goldgulden gewerthet, kam nach ſei - nem Tode durch Coſimo's Vermittlung an das Kloſter S. Marco mit Bedingung der Oeffentlichkeit.

Von den beiden großen Bücherfindern Guarino undPoggio. Poggio iſt der letztere2)Vespas. Fior. p. 547, s. , zum Theil als Agent des Niccoli, bekanntlich auch in den ſüddeutſchen Abteien thätig gewe - ſen, und zwar bei Anlaß des Concils von Conſtanz. Er fand dort ſechs Reden des Cicero und den erſten vollſtän - digen Quintilian, die Sangallenſiſche, jetzt Zürcher Hand - ſchrift; binnen 32 Tagen ſoll er ſie vollſtändig und zwar ſehr ſchön abgeſchrieben haben. Den Silius Italicus, Ma - nilius, Lucretius, Val. Flaccus, Ascon. Pedianus, Columella, Celſus, A. Gellius, Statius u. m. A. konnte er weſentlich1903. Abſchnitt. vervollſtändigen; mit Lionardo Aretino zuſammen brachte er die zwölf letzten Stücke des Plautus zum Vorſchein, ſo wie die Verrinen des Cicero.

Aus antikem Patriotismus ſammelte der berühmte Grieche Cardinal Beſſarion1)Vespas. Fior. p. 193. Vgl. Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 1185, s. 600 Codices, heidniſchen wie chriſtlichen Inhalts, mit ungeheuren Opfern, und ſuchte nun einen ſichern Ort, wohin er ſie ſtiften könne, damit ſeine unglückliche Heimath, wenn ſie je wieder frei würde, ihre verlorene Literatur wieder finden möchte. Die Signorie von Venedig (S. 73) erklärte ſich zum Bau eines Locales bereit und noch heute bewahrt die Marcusbibliothek einen Theil jener Schätze2)Wie man einſtweilen damit umging, ſ. bei Malipiero, Ann. veneti, Arch. stor. VII, II, p. 653. 655. .

Das Zuſammenkommen der berühmten mediceiſchen Bibliothek hat eine ganz beſondere Geſchichte, auf welche wir hier nicht eingehen können; der Hauptſammler für Lorenzo magnifico war Johannes Lascaris. Bekanntlich hat die Sammlung nach der Plünderung des Jahres 1494 noch einmal ſtückweiſe durch Cardinal Giovanni Medici (Leo X.) erworben werden müſſen.

Die Bibliothek von Urbino.Die urbinatiſche Bibliothek3)Vespas. Fior. p. 124, s. (jetzt im Vatican) war durchaus die Gründung des großen Federigo von Monte - feltro (S. 45), der ſchon als Knabe zu ſammeln begonnen hatte, ſpäter beſtändig 30 bis 40 Scrittori an verſchiedenen Orten beſchäftigte, und im Verlauf der Zeit über 30,000 Ducaten daran wandte. Sie wurde, hauptſächlich mit Hülfe Vespaſiano's, ganz ſyſtematiſch fortgeſetzt und ver - vollſtändigt, und was dieſer davon berichtet, iſt beſonders merkwürdig als Idealbild einer damaligen Bibliothek. Man beſaß z. B. in Urbino die Inventarien der Vaticana, der191 Bibliothek von S. Marco in Florenz, der viscontiniſchen3. Abſchnitt. Bibliothek von Pavia, ja ſelbſt das Inventar von Oxford, und fand mit Stolz, daß Urbino in der Vollſtändigkeit der Schriften des einzelnen Autors jenen vielfach überlegen ſei. In der Maſſe wog vielleicht noch das Mittelalter und die Theologie vor; da fand ſich der ganze Thomas von Aquino, der ganze Albertus magnus, der ganze Bonaventura ꝛc. ; ſonſt war die Bibliothek ſehr vielſeitig und enthielt z. B. alle irgend beizuſchaffenden mediciniſchen Werke. Unter den Moderni ſtanden die großen Autoren des XIV. Jahr - hunderts, z. B. Dante, Boccaccio mit ihren geſammten Werken oben an; dann folgten 25 auserleſene Humaniſten, immer mit ihren lateiniſchen und italieniſchen Schriften und allem was ſie überſetzt hatten. Unter den griechiſchen Codices überwogen ſehr die Kirchenväter, doch heißt es bei den Claſſikern u. a. in einem Zuge: alle Werke des So - phokles, alle Werke des Pindar, alle Werke des Menan - der ein Codex, der offenbar frühe1)Etwa bei der Einnahme von Urbino durch das Heer Ceſare Borgia's? Mai bezweifelt die Exiſtenz der Handſchrift, ich kann aber nicht glauben, daß Vespaſiano etwa die bloßen Gnomenexcerpte aus Me - nander, bekanntlich nur ein paar hundert Verſe, mit tutte le opere und in jener Reihe umfangreicher Codices (mochte es auch nur unſer jetziger Sophokles und Pindar ſein) aufgeführt haben würde. Es iſt nicht undenkbar, daß jener Menander noch einmal zum Vorſchein kömmt. aus Urbino ver - ſchwunden ſein muß, weil ihn ſonſt die Philologen bald edirt haben würden.

Von der Art wie damals Handſchriften und Biblio -Copiſten und Scrittori. theken entſtanden, erhalten wir auch ſonſt einige Rechen - ſchaft. Der directe Ankauf eines ältern Manuſcriptes, welches einen raren oder allein vollſtändigen oder gar nur einzig vorhandenen Text eines alten Autors enthielt, blieb natürlich eine ſeltene Gabe des Glückes und kam nicht in Rechnung. Unter den Copiſten nahmen diejenigen, welche1923. Abſchnitt. griechiſch verſtanden, die erſte Stelle und den Ehrennamen Scrittori im vorzugsweiſen Sinne ein; es waren und blieben ihrer wenige, und ſie wurden hoch bezahlt1)Wenn Piero de' Medici beim Tode des bücherliebenden Königs Matthias Corvinus von Ungarn vorausſagt, die Scrittori würden fortan ihre Preiſe ermäßigen müſſen, da ſie ſonſt von Niemand mehr (scil. als von uns) beſchäftigt würden, ſo kann dieß nur auf die Griechen gehen, denn Kalligraphen, auf welche man es zu deuten verſucht wäre, gab es fortwährend viele in ganz Italien. Fa - broni, Laurent. magn. Adnot. 156. Vgl. Adnot. 154. . Die übrigen, Copiſti ſchlechtweg, waren theils Arbeiter, die einzig davon lebten, theils arme Gelehrte, die eines Nebengewinnes bedurften. Merkwürdiger Weiſe waren die Copiſten von Rom um die Zeit Nicolaus V. meiſt Deutſche und Fran - zoſen2)Gaye, Carteggio, I, p. 164. Ein Brief von 1455, unter Ca - lixt III. Auch die berühmte Miniaturenbibel von Urbino iſt von einem Franzoſen, Arbeiter Vespaſiano's, geſchrieben. S. D'Agin - court, Malerei, Tab. 78., wahrſcheinlich Leute, die etwas bei der Curie zu ſuchen hatten und ihren Lebensunterhalt herausſchlagen mußten. Als nun z. B. Coſimo Medici für ſeine Lieblings - gründung, die Badia unterhalb Fieſole raſch eine Biblio - thek gründen wollte, ließ er den Vespaſiano kommen und erhielt den Rath: auf den Kauf vorräthiger Bücher zu verzichten, da ſich, was man wünſche, nicht vorräthig finde, ſondern ſchreiben zu laſſen; darauf machte Coſimo einen Accord mit ihm auf tagtägliche Auszahlung, und Vespa - ſiano nahm 45 Schreiber und lieferte in 22 Monaten 200 fertige Bände3)Vespas. Fior. p. 335. . Das Verzeichniß, wonach man ver - fuhr, hatte Coſimo von Nicolaus V.4)Auch für die Bibliotheken von Urbino und Peſaro (die des Aleſſ. Sforza, S. 27) hatte der Papſt eine ähnliche Gefälligkeit. eigenhändig erhalten. (Natürlich überwog die kirchliche Literatur und die Aus - ſtattung für den Chordienſt weit das Uebrige.)

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Die Handſchrift war jene ſchöne neu italieniſche, die3. Abſchnitt. ſchon den Anblick eines Buches dieſer Zeit zu einem Genuß macht, und deren Anfang ſchon ins XIV. Jahrhundert hinaufreicht. Papſt Nicolaus V., Poggio, Giannozzo Man - netti, Niccolò Niccoli und andere berühmte Gelehrte waren von Hauſe aus Kalligraphen und verlangten und duldeten nur Schönes. Die übrige Ausſtattung, auch wenn keine Miniaturen dazu kamen, war äußerſt geſchmackvoll, wie beſonders die Codices der Laurenziana mit ihren leichten linearen Anfangs - und Schlußornamenten beweiſen. Das Material war, wenn für große Herrn geſchrieben wurde, immer nur Pergament, der Einband in der Vaticana und zu Urbino gleichmäßig ein Karmoſinſammet mit ſilbernem Beſchläge. Bei einer ſolchen Geſinnung, welche die Ehr - furcht vor dem Inhalt der Bücher durch möglichſt edle Ausſtattung an den Tag legen wollte, iſt es begreiflich, daß die plötzlich auftauchenden gedruckten Bücher Anfangs auf Widerſtand ſtießen. Federigo von Urbino hätte ſich geſchämt ein gedrucktes Buch zu beſitzen1)Vespas. Fior. p. 129. .

Die müden Abſchreiber aber nicht die welche vomBücherdruck. Copiren lebten, ſondern die Vielen, welche ein Buch ab - ſchreiben mußten um es zu haben jubelten über die deutſche Erfindung2)Artes Quîs labor est fessis demptus ab articulis, in einem Gedicht des Robertus Urſus um 1470, Rerum ital. scriptt. ex codd. Florent., Tom. II, Col. 693. Er freut ſich etwas früh über die zu hoffende raſche Verbreitung der claſſiſchen Autoren. Vgl. Libri, hist. des sciences mathématiques II, 278, s. Ueber die Drucker in Rom Gaspar. Veron. Vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 1046. Das erſte Privilegium in Venedig ſ. Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 1189. . Für die Vervielfältigung der Römer und dann auch der Griechen war ſie in Italien bald und lange nur hier thätig, doch ging es damit nicht ſo raſch als man bei der allgemeinen Begeiſterung für dieſe WerkeCultur der Renaiſſance. 131943. Abſchnitt. hätte denken ſollen. Nach einiger Zeit bilden ſich Anfänge der modernen Autors - und Verlagsverhältniſſe1)Eswas Aehnliches hatte ſchon zur Zeit des Schreibens exiſtirt, ſ. Vespas. Fior. p. 656, s. über die Weltchronik des Zembino von Piſtoja und unter Alexander VI. kam die präventive Cenſur auf, indem es jetzt nicht mehr leicht möglich war, ein Buch zu zernichten, wie noch Coſimo ſich es von Filelfo ausbedingen konnte2)Fabroni, Laurent. magn. Adnot. 212. Es geſchah in Betreff der Schmähſchrift de exilio. .

Wie ſich nun allmälig, im Zuſammenhang mit dem fortſchreitenden Studium der Sprachen und des Alterthums überhaupt, eine Kritik der Texte bildete, iſt ſo wenig ein Gegenſtand dieſes Buches als die Geſchichte der Gelehr - ſamkeit überhaupt. Nicht das Wiſſen der Italiener als ſolches, ſondern die Reproduction des Alterthums in Lite - ratur und Leben muß uns beſchäftigen. Doch ſei über die Studien an ſich noch eine Bemerkung geſtattet.

Ueberſicht des griechiſchen Studiums.Die griechiſche Gelehrſamkeit concentrirt ſich weſentlich auf Florenz und auf das XV. und den Anfang des XVI. Jahrhunderts. Was Petrarca und Boccaccio angeregt hatten3)Vgl. Sismondi VI, p. 149, s. , ſcheint noch nicht über die Theilnahme einiger begeiſterten Dilettanten hinausgegangen zu ſein; anderer - ſeits ſtarb mit der Colonie gelehrter griechiſcher Flüchtlinge auch das Studium des Griechiſchen in den 1520er Jahren weg4)Das Ausſterben dieſer Griechen conſtatirt Pierius Valerian. de in - felicitate literat. bei Anlaß der Lascaris. Und Paulus Jovius am Ende ſeiner Elogia literaria ſagt von den Deutſchen: quum literae non latinae modo cum pudore nostro, sed graecae et hebraicae in eorum terras fatali commigratione transierint. (Gegen 1540.), und es war ein rechtes Glück daß Nordländer (Erasmus, die Eſtienne, Budeus) ſich deſſelben inzwiſchen195 bemächtigt hatten. Jene Colonie hatte begonnen mit Ma -3. Abſchnitt. nuel Chryſoloras und ſeinem Verwandten Johannes, ſo wie mit Georg von Trapezunt, dann kamen um die Zeit der Eroberung Conſtantinopels und nachher Johannes Argyropulos, Theodor Gaza, Demetrios Chalcondylas, der ſeine Söhne Theophilos und Baſilios zu tüchtigen Griechen erzog, Andronikos Kalliſtos, Markos Muſuros und die Familie der Lascaris, nebſt andern mehr. Seit jedoch die Unterwerfung Griechenlands durch die Türken vollſtändig war, gab es keinen neuen gelehrten Nachwuchs mehr, aus - genommen die Söhne der Flüchtlinge und vielleicht ein paar Candioten und Cyprioten. Daß nun ungefähr mit dem Tode Leo's X. auch der Verfall der griechiſchen Stu -Deſſen frühe Abnahme. dien im Allgemeinen beginnt, hatte wohl zum Theil ſeinen Grund in einer Veränderung der geiſtigen Richtung über - haupt1)Ranke, Päpſte, I, 486. Man vgl. das Ende dieſes Abſchnittes., und in der bereits eingetretenen relativen Sätti - gung mit dem Inhalt der claſſiſchen Literatur, gewiß iſt aber auch die Coincidenz mit dem Ausſterben der gelehrten Griechen keine ganz zufällige. Das Studium des Griechi - ſchen unter den Italienern ſelbſt erſcheint, wenn man die Zeit um 1500 zum Maßſtab nimmt, gewaltig ſchwunghaft; damals lernten diejenigen Leute griechiſch reden, welche es ein halbes Jahrhundert ſpäter noch als Greiſe konnten, wie z. B. die Päpſte Paul III. und Paul IV. 2)Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 338. 379. Gerade dieſe Art von Theilnahme aber ſetzte den Umgang mit ge - bornen Griechen voraus.

Außerhalb Florenz hatten Rom und Padua faſt immer, Bologna, Ferrara, Venedig, Perugia, Pavia u. a. Städte wenigſtens zeitweiſe beſoldete Lehrer des Griechiſchen3)Georg von Trapezunt mit 150 Ducaten in Venedig 1459 als Pro - feſſor der Rhetorik beſoldet, Malipiero, Arch. stor. VII, II, p. 653. Ueber den griechiſchen Lehrſtuhl in Perugia ſ. Arch. stor. XVI,. 13*1963. Abſchnitt. Unendlich viel verdankte das griechiſche Studium der Officin des Aldo Manucci zu Venedig, wo die wichtigſten und umfangreichſten Autoren zum erſtenmal griechiſch gedruckt wurden. Aldo wagte ſeine Habe dabei; er war ein Editor und Verleger wie die Welt wenige gehabt hat.

Orientaliſche Studien.Daß neben den claſſiſchen Studien auch die orientali - ſchen einen ziemlich bedeutenden Umfang gewannen, iſt we - nigſtens hier mit einem Worte zu erwähnen. An die dogmatiſche Polemik gegen die Juden knüpfte ſich zuerſt bei Giannozzo Mannetti1)Vespas. Fior. p. 48. 476. 578. 614. Auch Fra Ambrogio Camaldoleſe konnte hebräiſch. Ibid. p. 320., einem großen florentiniſchen Gelehrten und Staatsmann (ſt. 1459), die Erlernung des Hebräiſchen und der ganzen jüdiſchen Wiſſenſchaft; ſein Sohn Agnolo mußte von Kindheit auf lateiniſch, griechiſch und hebräiſch lernen; ja Papſt Nicolaus V. ließ von Giannozzo die ganze Bibel neu überſetzen, indem die phi - lologiſche Geſinnung jener Zeit darauf hindrängte, die Vulgata aufzugeben2)[Sixtus] IV, der das Gebäude für die Vaticana errichtete und die - ſelbe durch viele Ankäufe vermehrte, warf auch Beſoldungen für la - teiniſche, griechiſche und hebräiſche Scriptoren (librarios) aus. Pla - tina, vita Sixti IV, p. 332.. Auch ſonſt nahm mehr als ein Humaniſt das Hebräiſche lange vor Reuchlin mit in ſeine Studien auf und Pico della Mirandola beſaß das ganze talmudiſche und philoſophiſche Wiſſen eines gelehrten Rab - biners. Auf das Arabiſche kam man am eheſten von Seiten der Medicin, welche ſich mit den ältern lateiniſchen Ueber - ſetzungen der großen arabiſchen Aerzte nicht mehr begnügen wollte; den äußern Anlaß boten etwa die venezianiſchen Conſulate im Orient, welche italieniſche Aerzte unterhielten. Hieronimo Ramuſio, ein venezianiſcher Arzt, überſetzte aus dem Arabiſchen und ſtarb in Damascus. Andrea Mongajo3)II, p. 19 der Einleitung. Für Rimini bleibt es ungewiß, ob griechiſch docirt wurde; vgl. Anced. litt. II, p. 300.197 von Belluno1)Pierius Valerian., de infelic. lit. bei Anlaß des Mongajo. Ueber Ramuſio, vgl. Sansovino, Venezia, Fol. 250. hielt ſich um Avicenna's willen lange in3. Abſchnitt. Damascus auf, lernte das Arabiſche und emendirte ſeinen Autor; die venezianiſche Regierung ſtellte ihn dann für dieſes beſondere Fach in Padua an.

Bei Pico müſſen wir hier noch verweilen, ehe wir zuPico della Mi - randola. der Wirkung des Humanismus im Großen übergehen. Er iſt der Einzige, welcher laut und mit Nachdruck die Wiſſen - ſchaft und Wahrheit aller Zeiten gegen das einſeitige Her - vorheben des claſſiſchen Alterthums verfochten hat2)Vorzüglich in dem wichtigen Briefe vom J. 1485 an Ermolao Barbaro, bei Ang. Politian. epistolæ, L. IX. Vgl. Jo. Pici oratio de hominis dignitate. . Nicht nur Averrhoes und die jüdiſchen Forſcher, ſondern auch die Scholaſtiker des Mittelalters ſchätzt er nach ihrem Sach - inhalt; er glaubt ſie reden zu hören: wir werden ewig leben, nicht in den Schulen der Sylbenſtecher, ſondern im Kreis der Weiſen, wo man nicht über die Mutter der Andromache oder über die Söhne der Niobe discutirt, ſondern über die tiefern Gründe göttlicher und menſchlicher Dinge; wer da näher tritt, wird merken, daß auch die Barbaren den Geiſt (Mercurium) hatten, nicht auf der Zunge, aber im Buſen . Im Beſitz eines kräftigen, durch - aus nicht unſchönen Lateins und einer klaren Darſtellung verachtet er den pedantiſchen Purismus und die ganze Ueberſchätzung einer entlehnten Form, zumal wenn ſie mit Einſeitigkeit und Einbuße der vollen großen Wahrheit in der Sache verbunden iſt. An ihm kann man inne werden, welche erhabene Wendung die italieniſche Philoſophie würde genommen haben, wenn nicht die Gegenreformation das ganze höhere Geiſtesleben geſtört hätte.

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3. Abſchnitt. Wer waren nun Diejenigen, welche das hochverehrteAntikiſirung der Bildung. Alterthum mit der Gegenwart vermittelten und das Erſtere zum Hauptinhalt der Bildung der letztern erhoben?

Es iſt eine hundert geſtaltige Schaar, die heute dieſes, morgen jenes Antlitz zeigt; ſo viel aber wußte die Zeit und wußten ſie ſelbſt, daß ſie ein neues Element der bür - gerlichen Geſellſchaft ſeien. Als ihre Vorläufer mögen am eheſten jene vagirenden Cleriker des XII. Jahrhunderts gelten, von deren Poeſie oben (S. 173, f.) die Rede geweſen iſt; daſſelbe unſtäte Daſein, dieſelbe freie und mehr als freie Lebensanſicht, und von derſelben Antikiſirung der Poeſie wenigſtens der Anfang. Jetzt aber tritt der ganzen weſentlich noch immer geiſtlichen und von Geiſtlichen ge - pflegten Bildung des Mittelalters eine neue Bildung ent - gegen, die ſich vorzüglich an dasjenige hält, was jenſeits des Mittelalters liegt. Die activen Träger derſelben werden wichtige Perſonen1)Wie ſie ſich ſelber taxirten verräth z. B. Poggio (de avaritia, Fol. 2), indem nach feiner Anſicht nur ſolche ſagen können, ſie hätten gelebt, se vixisse, welche gelehrte und beredte lateiniſche Bücher geſchrieben oder Griechiſches ins Lateiniſche überſetzt haben. weil ſie wiſſen was die Alten gewußt haben, weil ſie zu ſchreiben ſuchen wie die Alten ſchrieben, weil ſie zu denken und bald auch zu empfinden beginnen wie die Alten dachten und empfanden. Die Tradition, der ſie ſich widmen, geht an tauſend Stellen in die Reproduc - tion über.

Ihre Nach - theile.Es iſt von Neuern öfter beklagt worden, daß die An - fänge einer ungleich ſelbſtändigern, ſcheinbar weſentlich ita - lieniſchen Bildung, wie ſie um 1300 in Florenz ſich zeigten, nachher durch das Humaniſtenweſen ſo völlig überfluthet worden ſeien2)Beſ. Libri, histoire des sciences mathém. II, 159, s. 258, s. . Damals habe in Florenz Alles leſen können, ſelbſt die Eſeltreiber hätten Dante's Canzonen geſungen, und die beſten noch vorhandenen italieniſchen Manuſcripte199 hätten urſprünglich florentiniſchen Handarbeitern gehört;3. Abſchnitt. damals ſei die Entſtehung einer populären Encycloplädie wie der Teſoro des Brunetto Latini möglich geweſen; und dieß Alles habe zur Grundlage gehabt eine allgemeine Tüchtigkeit des Characters, wie ſie durch die Theilnahme an den Staatsgeſchäften, durch Handel und Reiſen, vor - züglich durch ſyſtematiſchen Ausſchluß alles Müſſigganges in Florenz zur Blüthe gebracht worden war. Damals ſeien denn auch die Florentiner in der ganzen Welt angeſehen und brauchbar geweſen und nicht umſonſt habe Papſt Bo - nifaz VIII. ſie in eben jenem Jahre das fünfte Element genannt. Mit dem ſtärkern Andringen des Humanismus ſeit 1400 ſei dieſer einheimiſche Trieb verkümmert, man habe fortan die Löſung jedes Problems nur vom Alterthum erwartet und darob die Literatur in ein bloßes Citiren aufgehen laſſen; ja der Untergang der Freiheit hänge hie - mit zuſammen, indem dieſe Erudition auf einer Knechtſchaft unter der Autorität beruhte, das municipale Recht dem römiſchen aufopferte und ſchon deßhalb die Gunſt der Ge - waltherrſcher ſuchte und fand.

Dieſe Anklagen werden uns noch hie und da beſchäfti -Ihre Unver - meidlichkeit. gen, wo dann ihr wahres Maaß und der Erſatz für die Einbuße zur Sprache kommen wird. Hier iſt nur vor Allem feſtzuſtellen, daß die Cultur des kräftigen XIV. Jahrhunderts ſelbſt nothwendig auf den völligen Sieg des Humanismus hindrängte und daß gerade die Größten im Reiche des ſpeciell italieniſchen Geiſtes dem ſchrankenloſen Alterthumsbetrieb des XV. Jahrhunderts Thür und Thor geöffnet haben.

Vor allen Dante. Wenn eine Reihenfolge von GenienDante. ſeines Ranges die italiſche Cultur hätte weiter führen können, ſo würde ſie ſelbſt bei der ſtärkſten Anfüllung mit antiken Elementen beſtändig einen hocheigenthümlichen nationalen Eindruck machen. Allein Italien und das ganze Abend - land haben keinen zweiten Dante hervorgebracht, und ſo2003. Abſchnitt. war und blieb er derjenige, welcher zuerſt das Alterthum nachdrücklich in den Vordergrund des Culturlebens herein - ſchob. In der Divina Commedia behandelt er die antike und die chriſtliche Welt zwar nicht als gleichberechtigt doch in beſtändiger Parallele; wie das frühere Mittelalter Typen und Antitypen aus den Geſchichten und Geſtalten des alten und des neuen Teſtamentes zuſammengeſtellt hatte, ſo ver - einigt er in der Regel ein chriſtliches und ein heidniſches Beiſpiel derſelben Thatſache1)Purgatorio XVIII. enthält z. B. ſtarke Belege: Maria eilt über das Gebirge, Cäſar nach Spanien; Maria iſt arm und Fabricius uneigennützig. Bei dieſem Anlaß iſt aufmerkſam zu machen auf die chronologiſche Einflechtung der Sibyllen in die antike Profan - geſchichte, wie ſie Uberti in ſeinem Dittamondo (I, Cap. 14. 15) um 1360 verſucht.. Nun vergeſſe man nicht, daß die chriſtliche Phantaſiewelt und Geſchichte eine bekannte, die antike dagegen eine relativ unbekannte, vielverſprechende und aufregende war und daß ſie in der allgemeinen Theil - nahme nothwendig das Uebergewicht bekommen mußte, als kein Dante mehr das Gleichgewicht erzwang.

Petrarca.Petrarca lebt in den Gedanken der Meiſten jetzt als großer italieniſcher Dichter; bei ſeinen Zeitgenoſſen dagegen kam ſein Ruhm in weit höherm Grade davon her, daß er das Alterthum gleichſam in ſeiner Perſon repräſentirte, alle Gattungen der lateiniſchen Poeſie nachahmte und Briefe ſchrieb, welche als Abhandlungen über einzelne Gegenſtände des Alterthums einen für uns unbegreiflichen, für jene Zeit ohne Handbücher aber ſehr erklärlichen Werth hatten.

Boccaccio.Mit Boccaccio verhält es ſich ganz ähnlich; er war 200 Jahre lang in ganz Europa berühmt ehe man dieſſeits der Alpen viel von ſeinem Decamerone wußte, bloß um ſeiner mythographiſchen, geographiſchen und biographiſchen Sammelwerke in lateiniſcher Sprache willen. Eines der - ſelben, De genealogia Deorum enthält im 14ten und201 15ten Buch einen merkwürdigen Anhang, worin er die Stel -3. Abſchnitt. lung des jugendlichen Humanismus zu ſeinem Jahrhundert erörtert. Es darf nicht täuſchen, daß er immerfort nur von der Poeſie ſpricht, denn bei näherm Zuſehen wird man bemerken, daß er die ganze geiſtige Thätigkeit des Poeten-Philologen meint1)Poeta bedeutet noch bei Dante (Vita nuova, p. 47) ohnedieß nur den lateiniſch Dichtenden, während für den italieniſchen die Ausdrücke Rimatore, Dicitore per rima gebraucht werden. Allerdings ver - miſchen ſich mit der Zeit Ausdrücke und Begriffe.. Dieſe iſt es, deren Feinde er auf das Schärfſte bekämpft: die frivolen Unwiſſenden, die nur für Schlemmen und Praſſen Sinn haben; die ſophi - ſtiſchen Theologen, welchen Helicon, der caſtaliſche Quell und der Hain des Phöbus als bloße Thorheiten erſcheinen; die goldgierigen Juriſten, welche die Poeſie für überflüſſig halten inſofern ſie kein Geld verdient; endlich die (in Um - ſchreibung, aber kenntlich gezeichneten) Bettelmönche, die gern über Heidenthum und Immoralität Klage führen2)Auch Petrarca auf dem Gipfel ſeines Ruhmes klagt in melancholi - ſchen Augenblicken: ſein übles Geſtirn habe gewollt, daß er in ſpäter Zeit unter Halunken extremi fures leben müſſe. In dem fingirten Brief an Livius, Opera, p. 704 seq. . Darauf folgt die poſitive Vertheidigung, das Lob der Poeſie, namentlich des tiefern, zumal allegoriſchen Sinnes, den man ihr überall zutrauen müſſe, der wohlberechtigten Dun - kelheit, die dem dumpfen Sinn der Unwiſſenden zur Ab - ſchreckung dienen dürfe. Und endlich rechtfertigt der Ver -Humanismus und Religion. faſſer das neue Verhältniß der Zeit zum Heidenthum überhaupt, in klarer Beziehung auf ſein gelehrtes Werk3)Strenger hält ſich Boccaccio an die eigentliche Poeſie in ſeinem (ſpätern) Brief an Jacobus Pizinga, in den opere volgari, Vol. XVI. Und doch erkennt er auch hier nur das für Poeſie, was von Alterthum Notiz nimmt, und ignorirt die Trovatoren.. Anders als jetzt möge es allerdings damals ſich verhalten haben, da die Urkirche ſich noch gegen die Heiden vertheidi -2023. Abſchnitt. gen mußte; heutzutage Jeſu Chriſto ſei Dank! ſei die wahre Religion erſtarkt, alles Heidenthum vertilgt, und die ſiegreiche Kirche im Beſitz des feindlichen Lagers; jetzt könne man das Heidenthum faſt (fere) ohne Gefahr be - trachten und behandeln. Es iſt daſſelbe Argument, mit welchem ſich dann die ganze Renaiſſance vertheidigt hat.

Es war alſo eine neue Sache in der Welt und eine neue Menſchenclaſſe, welche dieſelbe vertrat. Es iſt unnütz darüber zu ſtreiten ob dieſe Sache mitten in ihrem Sieges - lauf hätte ſtill halten, ſich gefliſſentlich beſchränken und dem rein Nationalen ein gewiſſes Vorrecht hätte wahren ſollen. Man hatte ja keine ſtärkere Ueberzeugung als die, daß das Alterthum eben der höchſte Ruhm der italieniſchen Nation ſei.

Die Poeten - krönung.Dieſer erſten Generation von Poeten-Philologen iſt weſentlich eine ſymboliſche Ceremonie eigen, die auch im XV. und XVI. Jahrhundert nicht ausſtirbt, aber ihr höheres Pathos einbüßt: die Poetenkrönung mit einem Lorbeerkranz. Ihre Anfänge im Mittelalter ſind dunkel und zu einem feſten Ritual iſt ſie nie gelangt; es war eine öffentliche Demonſtration, ein ſichtbarer Ausbruch des literariſchen Ruhmes1)Boccaccio, Vita di Dante, p. 50: la quale (laurea) non scienza accresce, ma è dell 'acquistata certissimo testimonio e orna - mento. und ſchon deßhalb etwas Wandel - bares. Dante z. B. ſcheint eine halbreligiöſe Weihe im Sinn gehabt zu haben; er wollte über dem Taufſtein von San Giovanni, wo er und wie hunderttauſende von flo - rentiniſchen Kindern getauft worden war, ſich ſelber den Kranz aufſetzen2)Paradiso XXV, 1, s. Boccaccio, Vita di Dante, p. 50: sopra le fonti di San Giovanni si era disposto di coronare. Vgl. Paradiso I, 25.. Er hätte, ſagt ſein Biograph, Ruhmes - halber den Lorbeer überall empfangen können, wollte es aber nirgends als in der Heimath und ſtarb deßhalb un -203 gekrönt. Weiter erfahren wir hier, daß der Brauch bis -3. Abſchnitt. her ungewöhnlich war und als von den Griechen auf die alten Römer vererbt galt. Die nächſte Reminiscenz ſtammte wohl in der That von dem nach griechiſchem Vorbild ge - ſtifteten capitoliniſchen Wettkampf der Ritharſpieler, Dichter und anderer Künſtler, welcher ſeit Domitian alle fünf Jahre gefeiert worden war und möglicher Weiſe den Untergang des römiſchen Reiches um einige Zeit überlebt hatte. Wenn nun doch nicht leicht wieder Einer wagte ſich ſelber zu krönen, wie es Dante gewollt, ſo entſtand die Frage, welches die krönende Behörde ſei? Albertino Muſſato (S. 144) wurde um 1310 zu Padua vom Biſchof und vom Rector der Univerſität gekrönt; um Petrarca's Krönung (1341) ſtritten ſich die Univerſität Paris, welche gerade einen Flo - rentiner zum Rector hatte, und die Stadtbehörde von Rom; ja ſein ſelbſtgewählter Examinator, König Robert von Anjou, hätte gerne die Ceremonie nach Neapel verlegt, Petrarca jedoch zog die Krönung durch den Senator von Rom auf dem Capitol jeder andern vor. Einige Zeit blieb dieſe in der That das Ziel des Ehrgeizes; als ſolches lockte ſie z. B. den Jacobus Pizinga, einen vornehmen ſiciliſchen Beamten1)Boccaccio's Brief an denſelben, in den Opere volgari, vol. XVI: si præstet Deus, concedente senatu Romuleo . Da erſchien aber Carl IV. in Italien, derAnſpruch der Kaiſer darauf. ſich ein wahres Vergnügen daraus machte, eiteln Menſchen und der gedankenloſen Maſſe durch Ceremonien zu impo - niren. Ausgehend von der Fiction, daß die Poetenkrönung einſt Sache der alten römiſchen Kaiſer geweſen und alſo jetzt die ſeinige ſei, bekränzte er in Piſa den florentiniſchen Gelehrten Zanobi della Strada2)Matt. Villani, V, 26. Es gab einen feierlichen Umritt durch die Stadt, wobei das Gefolge des Kaiſers, ſeine Baroni, den Poeten begleiteten. Auch Fazio degli Uberti wurde gekrönt, man weiß aber nicht wo und durch wen., zum großen Verdruß2043. Abſchnitt. Boccaccio's (a. a. O.) der dieſe laurea pisana nicht als vollgültig anerkennen will. Man konnte in der That fragen, wie der Halb-Slave dazu komme, über den Werth italie - niſcher Dichter zu Gerichte zu ſitzen. Allein fortan krönten doch reiſende Kaiſer bald hier bald dort einen Poeten, worauf im XV. Jahrhundert die Päpſte und andere Fürſten auch nicht mehr zurückbleiben wollten, bis zuletzt auf Ort und Umſtände gar nichts mehr ankam. In Rom ertheilte zur Zeit Sixtus IV. die Academie1)Jac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 185. des Pomponius Laetus von ſich aus Lorbeerkränze. Die Florentiner hatten den Tact, ihre berühmten Humaniſten zu krönen, aber erſt im Tode; ſo wurde Carlo Aretino, ſo Lionardo Aretino be - kränzt; dem erſtern hielt Matteo Palmieri, dem letztern Giannozzo Mannetti die Lobrede vor allem Volk, in Ge - genwart der Concilsherren; der Redner ſtand zu Häupten der Bahre, auf welcher im ſeidenen Gewande die Leiche lag2)Vespas. Fior. p. 575. 589. Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX, Col. 543. Die Berühmtheit Lion. Aretino's war bei Lebzeiten freilich ſo groß geweſen, daß Leute aus allen Gegenden kamen nur um ihn zu ſehen und daß ſich ein Spanier vor ihm auf die Knie warf. Vespas. p. 568. Für Guarino's Denkmal ſetzte der Magiſtrat von Ferrara 1461 die damals bedeutende Summe von 100 Ducaten aus.. Außerdem iſt Carlo Aretino durch ein Grabmal (in S. Croce) geehrt worden, welches zu den herrlichſten der ganzen Renaiſſance gehört.

Die Univerſi - täten.Die Einwirkung des Alterthumes auf die Bildung, wovon nunmehr zu handeln iſt, ſetzte zunächſt voraus, daß der Humanismus ſich der Univerſitäten bemächtigte. Dieß geſchah, doch nicht in dem Maaße und nicht mit der Wir - kung wie man glauben möchte.

Die meiſten Univerſitäten in Italien3)Vgl. Libri, Histoire des sciences mathém. II, p. 92. s. Bologna war bekanntlich älter, Piſa dagegen eine ſpäte Gründung tauchen im Lauf205 des XIII. und XIV. Jahrhunderts erſt recht empor, als3. Abſchnitt. der wachſende Reichthum des Lebens auch eine ſtrengere Sorge für die Bildung verlangte. Anfangs hatten ſie meiſt nur drei Profeſſuren: des geiſtlichen und weltlichen Rechtes und der Medicin; dazu kamen mit der Zeit ein Rhetoriker, ein Philoſoph und ein Aſtronom, letzterer in der Regel, doch nicht immer identiſch mit dem Aſtrologen. Die Beſoldungen waren äußerſt verſchieden; bisweilen wurde ſogar ein Capital geſchenkt. Mit der Steigerung der Bil - dung trat Wetteifer ein, ſo daß die Anſtalten einander be - rühmte Lehrer abſpenſtig zu machen ſuchten; unter ſolchen Umſtänden ſoll Bologna zu Zeiten die Hälfte ſeiner Staats - einnahme (20,000 Ducaten) auf die Univerſität gewandt haben. Die Anſtellungen erfolgten in der Regel nur auf Zeit1)Dieß iſt bei Aufzählungen zu beachten, wie z. B. bei dem Profeſ - ſorenverzeichniß von Pavia um 1400, (Corio, storia di Milano, fol. 290) wo u. a. 20 Juriſten vorkommen., ſelbſt auf einzelne Semeſter, ſo daß die Docenten ein Wanderleben führten wie Schauſpieler; doch gab es auch lebenslängliche Anſtellungen. Bisweilen verſprach man, das an einem Ort Gelehrte nirgend anderswo mehr vor - zutragen. Außerdem gab es auch unbeſoldete, freiwillige Lehrer.

Von den genannten Stellen war natürlich die desStellung der Humaniſten da ſelbſt. Profeſſors der Rhetorik vorzugsweiſe das Ziel des Huma -3)des Lorenzo magnifico, ad solatium veteris amissæ libertatis geſtiftet, wie Giovio, Vita Leonis X, L. I. ſagt. Die Univer - ſität Florenz (vgl. Gaye, carteggio, I, p. 461 bis 560 passim; Matteo Villani I, 8; VII, 90) ſchon 1321 vorhanden mit Stu - dienzwang für die Landeskinder, wurde neu geſtiftet nach dem ſchwarzen Tode 1348 und mit 2500 Goldgulden jährlich ausgeſtattet, ſchlief aber wieder ein und wurde 1357 abermals hergeſtellt. Der Lehr - ſtuhl für Erklärung des Dante, geſtiftet auf Petition vieler Bürger 1373, war in der Folge meiſt mit der Profeſſur der Philologie und Rhetorik verbunden, ſo noch bei Filelfo.2063. Abſchnitt. niſten; doch hing es ganz davon ab, wie weit er ſich den Sachinhalt des Alterthums angeeignet hatte, um auch als Juriſt, Mediciner, Philoſoph oder Aſtronom auftreten zu können. Die innern Verhältniſſe der Wiſſenſchaft wie die äußern des Docenten waren noch ſehr beweglich. So - dann iſt nicht zu überſehen, daß einzelne Juriſten und Mediciner weit die höchſten Beſoldungen hatten und behielten, erſtere hauptſächlich als große Conſulenten des ſie beſolden - den Staates für ſeine Anſprüche und Proceſſe. In Padua gab es im XV. Jahrhundert eine juridiſche Beſoldung von 1000 Ducaten jährlich1)Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 990. und einen berühmten Arzt wollte man mit 2000 Ducaten und dem Recht der Praxis an - ſtellen2)Fabroni, Laurent. magn. Adnot. 52, vom J. 1491., nachdem derſelbe bisher in Piſa 700 Goldgulden gehabt hatte. Als der Juriſt Bartolommeo Socini, Pro - feſſor in Piſa, eine venezianiſche Anſtellung in Padua an - nahm und dorthin reiſen wollte, verhaftete ihn die floren - tiniſche Regierung und wollte ihn nur gegen eine Caution von 18,000 Goldgulden freilaſſen3)Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 824.. Schon wegen einer ſolchen Werthſchätzung dieſer Fächer wäre es begreiflich, daß bedeutende Philologen ſich als Juriſten und Mediciner geltend machten; andererſeits mußte allmälig, wer in irgend einem Fache Etwas vorſtellen wollte, eine ſtarke huma - niſtiſche Farbe annehmen. Anderweitiger practiſcher Thä - tigkeiten der Humaniſten wird bald gedacht werden.

Die Anſtellungen der Philologen als ſolcher jedoch, wenn auch im einzelnen Fall mit ziemlich hohen Beſoldun - gen4)Filelfo hat bei ſeiner Berufung an die neugegründete Univerſität Piſa 500 Goldgulden wenigſtens verlangt. Vgl. Fabroni, Laurent. magn. Adnot. 41. und Nebenemolumenten verbunden, gehören im Ganzen zu den flüchtigen, vorübergehenden, ſo daß ein und derſelbe207 Mann an einer ganzen Reihe von Anſtalten thätig ſein3. Abſchnitt. konnte. Offenbar liebte man die Abwechſelung und hoffte von Jedem Neues, wie dieß bei einer im Werden begrif - fenen, alſo ſehr von Perſönlichkeiten abhängigen Wiſſenſchaft ſich leicht erklärt. Es iſt auch nicht immer geſagt, daß derjenige welcher über alte Autoren liest, wirklich der Univerſität der betreffenden Stadt angehört habe; bei der Leichtigkeit des Kommens und Gehens, bei der großen Anzahl verfügbarer Locale (in Klöſtern, u. ſ. w.) genügte auch eine Privatberufung. In denſelben erſten JahrzehndenNebenanſtalten. des XV. Jahrhunderts1)Vgl. Vespasian. Fior. p. 271. 572. 580. 625. Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX, Col. 531, s. , da die Univerſität von Florenz ihren höchſten Glanz erreichte, da die Hofleute Eugen's IV. und vielleicht ſchon Martin's V. ſich in den Hörſälen drängten, da Carlo Aretino und Filelfo mit einander in die Wette laſen, exiſtirte nicht nur eine faſt vollſtändige zweite Univerſität bei den Auguſtinern in S. Spirito, nicht nur ein ganzer Verein gelehrter Männer bei den Camal - dulenſern in den Angeli, ſondern auch angeſehene Privat - leute thaten ſich zuſammen oder bemühten ſich einzeln, um gewiſſe philologiſche oder philoſophiſche Curſe leſen zu laſſen für ſich und Andere. Das philologiſche und antiquariſche Treiben in Rom hatte mit der Univerſität (Sapienza) lange kaum irgend einen Zuſammenhang und ruhte wohl faſt ausſchließlich theils auf beſonderer perſönlicher Protection der einzelnen Päpſte und Prälaten, theils auf den Anſtel - lungen in der päpſtlichen Kanzlei. Erſt unter Leo X. er - folgte die große Reorganiſation der Sapienza, mit 88 Lehrern, worunter die größten Celebritäten Italiens auch für die Alterthumswiſſenſchaft; der neue Glanz dauerte aber nur kurze Zeit. Von den griechiſchen Lehrſtühlen in Italien iſt bereits (S. 194) in Kürze die Rede geweſen.

Im Ganzen wird man, um die damalige wiſſenſchaft -2083. Abſchnitt. liche Mittheilung ſich zu vergegenwärtigen, das Auge von unſern jetzigen academiſchen Einrichtungen möglichſt ent - wöhnen müſſen. Perſönlicher Umgang, Disputationen, be - ſtändiger Gebrauch des Lateiniſchen und bei nicht wenigen auch des Griechiſchen, endlich der häufige Wechſel der Lehrer und die Seltenheit der Bücher gaben den damaligen Studien eine Geſtalt, die wir uns nur mit Mühe verge - genwärtigen können.

Lateiniſche Schulen.Lateiniſche Schulen gab es in allen irgend namhaften Städten und zwar bei Weitem nicht bloß für die Vorbildung zu den höhern Studien, ſondern weil die Kenntniß des Lateiniſchen hier nothwendig gleich nach dem Leſen, Schrei - ben und Rechnen kam, worauf dann die Logik folgte. We - ſentlich erſcheint es, daß dieſe Schulen nicht von der Kirche abhingen ſondern von der ſtädtiſchen Verwaltung; mehrere waren auch wohl bloße Privatunternehmungen.

Nun erhob ſich aber dieſes Schulweſen, unter der Führung einzelner ausgezeichneter Humaniſten, nicht nur zu einer großen rationellen Vervollkommnung, ſondern es wurde höhere Erziehung. An die Ausbildung der Kinder zweier oberitalieniſcher Fürſtenhäuſer ſchließen ſich Inſtitute an, welche in ihrer Art einzig heißen konnten.

Freie Erzie - hung; Vitto - rino.An dem Hofe des Giovan Francesco Gonzaga zu Mantua (reg. 1407 bis 1444) trat der herrliche Vitto - rino da Feltre1)Vespas. Fior. p. 640. Die beſondern Biographien des Vittorino und des Guarino von Rosmini kenne ich nicht. auf, einer jener Menſchen, die ihr ganzes Daſein Einem Zwecke widmen, für welchen ſie durch Kraft und Einſicht im höchſten Grade ausgerüſtet ſind. Er erzog zunächſt die Söhne und Töchter des Herrſcherhauſes, und zwar auch von den letztern Eine bis zu wahrer Gelehr - ſamkeit; als aber ſein Ruhm ſich weit über Italien ver - breitete und ſich Schüler aus großen und reichen Familien von nahe und ferne meldeten, ließ es der Gonzaga nicht209 nur geſchehen, daß ſein Lehrer auch dieſe erzog, ſondern er3. Abſchnitt. ſcheint es als Ehre für Mantua betrachtet zu haben, daß es die Erziehungsſtätte für die vornehme Welt ſei. Hier zum erſtenmal war mit dem wiſſenſchaftlichen Unterricht auch das Turnen und jede edlere Leibesübung für eine ganze Schule ins Gleichgewicht geſetzt. Dazu aber kam noch eine andere Schaar, in deren Ausbildung Vittorino vielleicht ſein höchſtes Lebensziel erkannte: die Armen und Talentvollen, die er in ſeinem Hauſe nährte und erzog per l'amore di Dio , neben jenen Vornehmen, die ſich hier gewöhnen mußten mit dem bloßen Talent unter einem Dache zu wohnen. Der Gonzaga hatte ihm eigentlich 300 Goldgulden jährlich zu bezahlen, deckte ihm aber den ganzen Ausfall, welcher oft eben ſoviel betrug. Er wußte, daß Vittorino keinen Heller für ſich bei Seite legte und ahnte ohne Zweifel, daß die Miterziehung der Unbemittel - ten die ſtillſchweigende Bedingung ſei, unter welcher der wunderbare Mann ihm diente. Die Haltung des Hauſes war ſtreng religiös, wie kaum in einem Kloſter.

Mehr auf der Gelehrſamkeit liegt der Accent beiGuarino. Guarino von Verona1)Vespas. Fior. p. 646., der 1429 von Nicolò d'Eſte zur Erziehung ſeines Sohnes Lionello nach Ferrara be - berufen wurde und ſeit 1436, als ſein Zögling nahezu er - wachſen war, auch als Profeſſor der Beredſamkeit und der beiden alten Sprachen an der Univerſität lehrte. Schon neben Lionello hatte er zahlreiche andere Schüler aus ver - ſchiedenen Gegenden, und im eigenen Hauſe eine auserleſene Zahl von Armen, die er theilweiſe oder ganz unterhielt; ſeine Abendſtunden bis ſpät waren der Repetition mit dieſen gewidmet. Auch hier war eine Stätte ſtrenger Religion und Sittlichkeit; es hat an Guarino ſo wenig wie an Vittorino gelegen, wenn die meiſten Humaniſten ihres Jahrhunderts in dieſen Beziehungen kein Lob mehr davon -Cultur der Renaiſſance. 142103. Abſchnitt. trugen. Unbegreiflich iſt, wie Guarino neben einer Thätig - keit wie die ſeinige war, noch immerfort Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen und große eigene Arbeiten verfaſſen konnte.

Prinzen - erzieher.Außerdem kam an den meiſten Höfen von Italien die Erziehung der Fürſtenkinder wenigſtens zum Theil und auf gewiſſe Jahre in die Hände der Humaniſten, welche damit einen Schritt weiter in das Hofleben hinein thaten. Das Tractatſchreiben über die Prinzenerziehung, früher eine Auf - gabe der Theologen, wird jetzt natürlich ebenfalls ihre Sache, und Aeneas Sylvius hat z. B. zweien jungen deutſchen Fürſten vom Hauſe Habsburg1)An Erzherzog Sigismund, Epist. 105, p. 600, und an König La - dislaus den Nachgeborenen, p. 695, letzteres als Tractatus de liberorum educatione. umſtändliche Ab - handlungen über ihre weitere Ausbildung adreſſirt, worin begreiflicher Weiſe Beiden eine Pflege des Humanismus in italieniſchem Sinne an's Herz gelegt wird. Er mochte wiſſen, daß er in den Wind redete, und ſorgte deßhalb dafür, daß dieſe Schriften auch ſonſt herum kamen. Doch das Verhältniß der Humaniſten zu den Fürſten wird noch insbeſondere zu beſprechen ſein.

Florentiniſche Förderer des Alterthums.Zunächſt verdienen diejenigen Bürger, hauptſächlich in Florenz, Beachtung, welche aus der Beſchäftigung mit dem Alterthum ein Hauptziel ihres Lebens machten und theils ſelbſt große Gelehrte wurden, theils große Dilettanten, welche die Gelehrten unterſtützten. (Vgl. S. 188, f.). Sie ſind namentlich für die Uebergangszeit zu Anfang des XV. Jahrhunderts von höchſter Bedeutung geweſen, weil bei ihnen zuerſt der Humanismus practiſch als nothwendiges Element des täglichen Lebens wirkte. Erſt nach ihnen haben ſich Fürſten und Päpſte ernſtlich darauf eingelaſſen.

N. Niccoli.Von Niccolò Niccoli, von Giannozzo Mannetti iſt ſchon mehrmals die Rede geweſen. Den Niccoli ſchildert uns211 Vespaſiano (S. 625) als einen Mann, welcher auch in3. Abſchnitt. ſeiner äußern Umgebung nichts duldete was die antike Stimmung ſtören konnte. Die ſchöne Geſtalt in langem Gewande, mit der freundlichen Rede, in dem Hauſe voll herrlicher Alterthümer, machte den eigenthümlichſten Ein - druck; er war über die Maßen reinlich in allen Dingen, zumal beim Eſſen; da ſtanden vor ihm auf dem weißeſten Linnen antike Gefäße und kryſtallene Becher1)Die folgenden Worte Vespaſiano's ſind unüberſetzbar: a vederlo in tavola così antico come era, era una gentilezza.. Die Art, wie er einen vergnügungsſüchtigen jungen Florentiner für ſeine Intereſſen gewinnt2)Ebenda, p. 485., iſt gar zu anmuthig, um ſie hier nicht zu erzählen.

Piero de' Pazzi, Sohn eines vornehmen Kaufmanns und zu demſelben Stande beſtimmt, ſchön von Anſehen und ſehr den Freuden der Welt ergeben, dachte an nichts we - niger als an die Wiſſenſchaft. Eines Tages, als er am Palazzo del Podeſta3)Laut Vespas. p. 271 war hier ein gelehrtes Stelldichein, wo auch disputirt wurde. vorbeiging, rief ihn Niccoli zu ſich heran, und er kam auf den Wink des hochangeſehenen Mannes, obwohl er noch nie mit demſelben geſprochen hatte. Niccoli fragte ihn: wer ſein Vater ſei? er antwortete: Meſſer Andrea de' Pazzi; Jener fragte weiter: was ſein Geſchäft ſei? Piero erwiederte wie wohl junge Leute thun: ich laſſe mir es wohl ſein, attendo a darmi buon tempo. Niccoli ſagte: als Sohn eines ſolchen Vaters und mit ſolcher Geſtalt begabt, ſollteſt du dich ſchämen, die lateiniſche Wiſſenſchaft nicht zu kennen, die für dich eine ſo große Zierde wäre; wenn du ſie nicht erlernſt, ſo wirſt du nichts gelten, und ſobald die Blüthe der Jugend vorüber iſt, ein Menſch ohne alle Bedeutung (virtù) ſein. Als Piero dieſes hörte, erkannte er ſogleich,14*2123. Abſchnitt. daß es die Wahrheit ſei, und entgegnete: er würde ſich gerne dafür bemühen, wenn er einen Lehrer fände; Niccoli ſagte: dafür laſſe du mich ſorgen. Und in der That ſchaffte er ihm einen gelehrten Mann für das Latei - niſche und für das Griechiſche, Namens Pontano, welchen Piero wie einen Hausgenoſſen hielt und mit 100 Gold - gulden im Jahr beſoldete. Statt der bisherigen Ueppigkeit ſtudirte er nun Tag und Nacht und wurde ein Freund aller Gebildeten und ein großgeſinnter Staatsmann. Die ganze Aeneide und viele Reden des Livius lernte er aus - wendig, meiſt auf dem Wege zwiſchen Florenz und ſeinem Landhauſe zu Trebbio.

G. Mannetti.In anderm, höherm Sinne vertritt Giannozzo Man - netti1)S. deſſen Vita bei Murat. XX. Col. 532, s. das Alterthum. Frühreif, faſt als Kind, hatte er ſchon eine Kaufmannslehrzeit durchgemacht und war Buch - führer eines Bankiers; nach einiger Zeit aber erſchien ihm dieſes Thun eitel und vergänglich, und er ſehnte ſich nach der Wiſſenſchaft, durch welche allein der Menſch ſich der Unſterblichkeit verſichern könne; er zuerſt vom florentiniſchen Adel vergrub ſich nun in den Büchern und wurde, wie ſchon erwähnt, einer der größten Gelehrten ſeiner Zeit. Als ihn aber der Staat als Geſchäftsträger, Steuerbeamten und Statthalter (in Pescia und Piſtoja) verwandte, ver - ſah er ſeine Aemter ſo, als wäre in ihm ein hohes Ideal erwacht, das gemeinſame Reſultat ſeiner humaniſtiſchen Studien und ſeiner Religioſität. Er exequirte die gehäſſig - ſten Steuern, die der Staat beſchloſſen hatte, und nahm für ſeine Mühe keine Beſoldung an; als Provinzialvorſteher wies er alle Geſchenke zurück, ſorgte für Kornzufuhr, ſchlichtete raſtlos Proceſſe und that überhaupt Alles für die Bändigung der Leidenſchaften durch Güte. Die Piſtojeſen haben nie herausfinden können, welcher von ihren beiden Parteien er ſich mehr zuneige; wie zum Symbol des ge -213 meinſamen Schickſals und Rechtes Aller verfaßte er in3. Abſchnitt. ſeinen Mußeſtunden die Geſchichte der Stadt, welche dann in Purpureinband als Heiligthum im Stadtpalaſt aufbe - wahrt wurde. Bei ſeinem Weggang ſchenkte ihm die Stadt ein Banner mit ihrem Wappen und einen prachtvollen ſilbernen Helm.

Für die übrigen gelehrten Bürger von Florenz in dieſerVeſpaſiano von Florenz. Zeit muß ſchon deßhalb auf Vespaſiano (der ſie alle kannte) verwieſen werden, weil der Ton, die Atmosphäre, in wel - cher er ſchreibt, die Vorausſetzungen, unter welchen er mit jenen Leuten umgeht, noch wichtiger erſcheinen als die ein - zelnen Leiſtungen ſelbſt. Schon in einer Ueberſetzung, ge - ſchweige denn in den kurzen Andeutungen, auf welche wir hier beſchränkt ſind, müßte dieſer beſte Werth ſeines Buches verloren gehen. Er iſt kein großer Autor, aber er kennt das ganze Treiben und hat ein tiefes Gefühl von deſſen geiſtiger Bedeutung.

Wenn man dann den Zauber zu analyſiren ſucht,Die Medici. durch welchen die Medici des XV. Jahrhunderts, vor allen Coſimo der Aeltere (ſt. 1464) und Lorenzo magnifico (ſt. 1492) auf Florenz und auf ihre Zeitgenoſſen überhaupt gewirkt haben, ſo iſt neben aller Politik ihre Führerſchaft auf dem Gebiete der damaligen Bildung das Stärkſte dabei. Wer in Coſimo's Stellung als Kaufmann und locales Parteihaupt noch außerdem Alles für ſich hat[,]was denkt, forſcht und ſchreibt, wer von Hauſe aus als der erſte der Florentiner und dazu von Bildungswegen als der größte der Italiener gilt, der iſt thatſächlich ein Fürſt. Coſimo beſitzt dann den ſpeciellen Ruhm, in der platoni - ſchen Philoſophie1)Was man von derſelben vorher kannte, kann nur fragmentariſch ge - weſen ſein. Eine wunderliche Disputation über den Gegenſatz des Plato und Ariſtoteles fand 1438 zu Ferrara zwiſchen Hugo von Siena und den auf das Concil gekommenen Griechen ſtatt. Vgl. Aeneas Sylvius, De Europa, Cap. 52. (Opera, p. 450.) die ſchönſte Blüthe der antiken Gedan -2143. Abſchnitt. kenwelt erkannt, ſeine Umgebung mit dieſer Erkenntniß erfüllt, und ſo innerhalb des Humanismus eine zweite und höhere Neugeburt des Alterthums ans Licht gefördert zu haben. Der Hergang wird uns ſehr genau überliefert1)Bei Nic. Valori, im Leben des Lorenzo magn. Vgl. Vespas. Fior. p. 426. Die erſten Unterſtützer des Arg. waren die Accia - juoli. Ib. 192: Cardinal Beſſarion und ſeine Parallele zwiſchen Plato und Ariſtoteles. Ib. 223: Cuſanus als Platoniker Ib. 308: Der Catalonier Narciſo und ſeine Disputation mit Argyropulos. Ib. 571: Einzelne platon. Dialoge ſchon von Lionardo Aret. über - ſetzt. Ib. 298: Die beginnende Einwirkung des Neoplatonismus.; alles knüpfte ſich an die Berufung des gelehrten Johannes Argyropulos und an den perſönlichſten Eifer des Coſimo in ſeinen letzten Jahren, ſo daß, was den Platonismus betraf, der große Marſilio Ficino ſich als den geiſtigen Sohn Coſimo's bezeichnen durfte. Unter Pietro Medici ſah ſich Ficino ſchon als Haupt einer Schule; zu ihm gingLorenzo magni - fico. auch Pietro's Sohn, Coſimo's Enkel, der erlauchte Lorenzo von den Peripatetikern über; als ſeine namhafteſten Mit - ſchüler werden genannt Bartolommeo Valori, Donato Accia - juoli und Pierfilippo Pandolfini. Der begeiſterte Lehrer hat an mehrern Stellen ſeiner Schriften erklärt, Lorenzo habe alle Tiefen des Platonismus durchforſcht und ſeine Ueberzeugung ausgeſprochen, ohne denſelben wäre es ſchwer, ein guter Bürger und Chriſt zu ſein. Die berühmte Reunion von Gelehrten, welche ſich um Lorenzo ſammelte, war durch dieſen höhern Zug einer idealiſtiſchen Philoſophie verbunden und vor allen andern Vereinigungen dieſer Art ausgezeichnet. Nur in dieſer Umgebung konnte ein Pico della Mirandola ſich glücklich fühlen. Das Schönſte aber, was ſich ſagen läßt, iſt daß neben all dieſem Cultus des Alterthums hier eine geweihte Stätte italieniſcher Poeſie war und daß von allen Lichtſtrahlen, in die Lorenzo's Perſönlichkeit ausein - anderging, gerade dieſer der mächtigſte heißen darf. Als Staatsmann beurtheile ihn Jeder wie er mag (S. 83, 92);215 in die florentiniſche Abrechnung von Schuld und Schickſal3. Abſchnitt. miſcht ſich ein Ausländer nicht wenn er nicht muß; aber eine ungerechtere Polemik giebt es nicht als wenn man Lorenzo beſchuldigt, er habe im Gebiet des Geiſtes vorzüg - lich Mediocritäten beſchützt und durch ſeine Schuld ſeien Lionardo da Vinci und der Mathematiker Fra Luca Pac - ciolo außer Landes, Toscanella, Vespucci u. A. wenigſtens unbefördert geblieben. Allſeitig iſt er wohl nicht geweſen, aber von allen Großen, welche je den Geiſt zu ſchützen und zu fördern ſuchten, einer der vielſeitigſten, und derjenige bei welchem dieß vielleicht am meiſten Folge eines tiefern innern Bedürfniſſes war.

Laut genug pflegt auch unſer laufendes JahrhundertDas Alterthum als Lebens - intereſſe. den Werth der Bildung überhaupt und den des Alterthums insbeſondere zu proclamiren. Aber eine vollkommen enthu - ſiaſtiſche Hingebung, ein Anerkennen, daß dieſes Bedürfniß das erſte von allen ſei, findet ſich doch nirgends wie bei jenen Florentinern des XV. und beginnenden XVI. Jahr - hunderts. Hiefür giebt es indirecte Beweiſe, die jeden Zweifel beſeitigen: man hätte nicht ſo oft die Töchter des Hauſes an den Studien Theil nehmen laſſen, wenn letztere nicht abſolut als das edelſte Gut des Erdenlebens gegolten hätten; man hätte nicht das Exil zu einem Aufenthalt des Glückes gemacht wie Palla Strozzi; es hätten nicht Men - ſchen, die ſich ſonſt Alles erlaubten, noch Kraft und Luſt behalten die Naturgeſchichte des Plinius kritiſch zu behan - deln wie Filippo Strozzi1)Varchi, stor. fiorent. L. IV. p. 321. Ein geiſtvolles Lebensbild.. Es handelt ſich hier nicht um Lob oder Tadel, ſondern um Erkenntniß eines Zeitgeiſtes in ſeiner energiſchen Eigenthümlichkeit.

Außer Florenz gab es noch manche Städte in Italien, wo Einzelne und ganze geſellſchaftliche Kreiſe bisweilen mit Aufwand aller Mittel für den Humanismus thätig waren und die anweſenden Gelehrten unterſtützten. Aus den Brief -2163. Abſchnitt. ſammlungen jener Zeit kommt uns eine Fülle von perſön - lichen Beziehungen dieſer Art entgegen1)Die oben genannten Biographien Rosmini's (über Vittorino und Guarino) ſowie Shepherd, Leben des Poggio, müſſen Vieles hierüber enthalten.. Die officielle Geſinnung der höher Gebildeten trieb faſt ausſchließlich nach der bezeichneten Seite hin.

An den Für - ſtenhöfen.Doch es iſt Zeit, den Humanismus an den Fürſten - höfen ins Auge zu faſſen. Die innere Affinität des Ge - waltherrſchers mit dem ebenfalls auf ſeine Perſönlichkeit, auf ſein Talent angewieſenen Philologen wurde ſchon früher (S. 6, 139) angedeutet; der letztere aber zog die Höfe einge - ſtandener Maßen den freien Städten vor, ſchon um der reichlichern Belohnungen willen. Zu der Zeit, da es ſchien als könne der große Alfons von Aragon Herr von ganz Italien werden, ſchrieb Aeneas Sylvius2)Epist. 39; Opera, p. 526, an Mariano Socino. an einen andern Sieneſen: wenn unter ſeiner Herrſchaft Italien den Frie - den bekäme ſo wäre mir das lieber als (wenn es) unter Stadtregierungen (geſchähe), denn ein edles Königsgemüth belohnt jede Trefflichkeit 3)Es darf nicht irre machen, daß daneben eine fortlaufende Reihe von Klagen über die Geringfügigkeit des fürſtlichen Mäcenates und über die Gleichgültigkeit mancher Fürſten gegen den Ruhm ſich laut macht. So z. B. bei Bapt. Mantuan. Eclog V, noch aus dem XV. Jahrh. Es war nicht möglich Allen genug zu thun.. Auch hier hat man in neueſter Zeit die unwürdige Seite, das erkaufte Schmeicheln, zu ſehr hervorgehoben, wie man ſich früher von dem Humaniſtenlob allzugünſtig für jene Fürſten ſtimmen ließ. Alles in Allem genommen bleibt es immer ein überwiegend vortheilhaftes Zeugniß für letztere, daß ſie an der Spitze der Bildung ihrer Zeit und ihres Landes wie einſeitig dieſelbe ſeinBei den Päp - ſten. mochte glaubten ſtehen zu müſſen. Vollends bei einigen Päpſten4)Für das wiſſenſchaftliche Mäcenat der Päpſte bis gegen Ende des hat die Furchtloſigkeit gegenüber den Conſequenzen217 der damaligen Bildung etwas unwillkürlich Impoſantes. 3. Abſchnitt. Nicolaus V. war beruhigt über das Schickſal der Kirche, weil Tauſende gelehrter Männer ihr hülfreich zur Seite ſtänden. Bei Pius II. ſind die Opfer für die Wiſſenſchaft lange nicht ſo großartig, ſein Poetenhof erſcheint ſehr mäßig, allein er ſelbſt iſt noch weit mehr das perſönliche Haupt der Gelehrtenrepublik als ſein zweiter Vorgänger und ge - nießt dieſes Ruhmes in vollſter Sicherheit. Erſt Paul II. war mit Furcht und Mißtrauen gegen den Humanismus ſeiner Secretäre erfüllt, und ſeine drei Nachfolger Sixtus, Innocenz und Alexander nahmen wohl Dedicationen an und ließen ſich andichten ſo viel man wollte es gab ſo - gar eine Borgiade, wahrſcheinlich in Hexametern1)Lil. Gregor. Gyraldus, de poetis nostri temporis, bei Anlaß des Sphaerulus von Camerino. Der gute Mann wurde damit nicht zu rechter Zeit fertig und hatte ſeine Arbeit noch 40 Jahre ſpäter im Pult. Ueber die magern Honorare des Sixtus IV. vgl. Pierio Valer. de infelic. lit. bei Anlaß des Theodorus Gaza. Das abſichtliche Fernhalten der Humaniſten vom Cardinalat bei den Päpſten vor Leo, vgl. Lor. Grana's Leichenrede auf Card. Egidio, Anecd. litt. IV, p. 307. , waren aber zu ſehr anderweitig beſchäftigt und auf andere Stützpunkte ihrer Gewalt bedacht um ſich viel mit den Poeten-Philologen einzulaſſen. Julius II. fand Dichter, weil er ſelber ein bedeutender Gegenſtand war (S. 121), ſcheint ſich übrigens nicht viel um ſie gekümmert zu haben. Da folgte auf ihn Leo X. wie auf Romulus Numa ,Bei Leo X. d. h. nach dem Waffenlärm des vorigen Pontificates hoffte man auf ein ganz den Muſen geweihtes. Der Genuß ſchöner lateiniſcher Proſa und wohllautender Verſe gehörte mit zu Leo's Lebensprogramm und ſoviel hat ſein Mäcenat allerdings in dieſer Beziehung erreicht, daß ſeine lateiniſchen4)XV. Jahrh. muß hier der Kürze wegen auf den Schluß von Papencordt's Geſchichte der Stadt Rom im M. A. verwieſen werden.2183. Abſchnitt. Poeten in zahlloſen Elegien, Oden, Epigrammen, Sermo - nen jenen fröhlichen, glänzenden Geiſt der leoniſchen Zeit, welchen die Biographie des Jovius athmet, auf bildliche Weiſe darſtellten1)Das Beſte in den Deliciæ poetarum italorum und in den Bei - lagen zu den verſchiedenen Ausgaben von Roscoe, Leo X. . Vielleicht iſt in der ganzen abend - ländiſchen Geſchichte kein Fürſt, welchen man im Verhältniß zu den wenigen darſtellbaren Ereigniſſen ſeines Lebens ſo vielſeitig verherrlicht hätte. Zugang zu ihm hatten die Dichter hauptſächlich um Mittag, wann die Saitenvirtuoſen aufgehört hatten2)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Guido Poſthumus.; aber einer der Beſten aus der ganzen Schaar3)Pierio Valeriano in ſeiner Simia . giebt zu verſtehen, daß ſie ihm auch ſonſt auf Schritt und Tritt in den Gärten wie in den innerſten Ge - mächern des Palaſtes beizukommen ſuchten, und wer ihn da nicht erreichte verſuchte es mit einem Bettelbrief in Form einer Elegie, worin der ganze Olymp vorkam4)S. die Elegie des Joh. Aurelius Mutius, in den Deliciæ poet. ital. . Denn Leo, der kein Geld beiſammen ſehen konnte und lauter heitere Mienen zu erblicken wünſchte, ſchenkte auf eine Weiſe, deren Andenken ſich in den folgenden knappen Zeiten raſch zum Mythus verklärte5)Die bekannte Geſchichte von der purpurſammtnen Börſe mit Gold - päckchen verſchiedener Größe, in welche Leo blindlings hineingreift, bei Giraldi, Hecatommithi VI, Nov. 8. Dafür wurden Leo's lateiniſche Tafelimproviſatoren, wenn ſie gar zu hinkende Verſe mach - ten, mit Peitſchen geſchlagen. Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp. . Von ſeiner Reorganiſation der Sapienza iſt bereits (S. 207) die Rede geweſen. UmLeo's wahre Bedeutung. Leo's Einfluß auf den Humanismus nicht zu gering zu taxiren, muß man den Blick frei halten von den vielen Spielereien, die dabei mit unterliefen; man darf ſich nicht irre machen laſſen durch die bedenklich ſcheinende Ironie (S. 158), womit er ſelbſt dieſe Dinge bisweilen behandelt; das Urtheil219 muß ausgehen von den großen geiſtigen Möglichkeiten,3. Abſchnitt. welche in den Bereich der Anregung fallen und ſchlechter - dings nicht im Ganzen zu berechnen, wohl aber für die genauere Forſchung in manchen einzelnen Fällen thatſächlich nachzuweiſen ſind. Was die italieniſchen Humaniſten ſeit etwa 1520 auf Europa gewirkt haben, iſt immer irgend - wie von dem Antriebe bedingt, der von Leo ausging. Er iſt derjenige Papſt, welcher im Druckprivilegium für den neugewonnenen Tacitus1)Roscoe, Leone X, ed. Bossi IV, 181. ſagen durfte: Die großen Autoren ſeien eine Norm des Lebens, ein Troſt im Unglück; die Beförderung der Gelehrten und der Erwerb trefflicher Bücher habe ihm von jeher als ein höchſtes Ziel gegolten, und auch jetzt danke er dem Himmel, den Nutzen des Menſchenge - ſchlechtes durch Begünſtigung dieſes Buches befördern zu können.

Wie die Verwüſtung Roms 1527 die Künſtler zer - ſtreute, ſo trieb ſie auch die Literaten nach allen Winden auseinander und breitete den Ruhm des großen verſtor - benen Beſchützers erſt recht bis in die äußerſten Enden Italiens aus.

Von den weltlichen Fürſten des XV. JahrhundertsDas Alterthum bei Alfons von Aragon. zeigt den höchſten Enthuſiasmus für das Alterthum Alfons der Große von Aragon, König von Neapel (S. 34). Es ſcheint, daß er dabei völlig naiv war, daß die antike Welt in Denkmälern und Schriften ihm ſeit ſeiner Ankunft in Italien einen großen, überwältigenden Eindruck machte, welchem er nun nachleben mußte. Wunderbar leicht gab er ſein trotziges Aragon ſammt Nebenlanden an ſeinen Bruder auf, um ſich ganz dem neuen Beſitz zu widmen. Er hatte theils nach, theils neben einander in ſeinen Dien - ſten2)Vespas. Fior. p. 68, s. Die Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen die A. machen ließ, p. 93. Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX, Col. 541, s. 550, s. 595. Panormita: Dicta et Facta Al - phonsi, ſammt den Gloſſen des Aeneas Sylvius. den Georg von Trapezunt, den jüngern Chryſoloras,2203. Abſchnitt. den Lorenza Valla, den Bartolommeo Facio und den An - tonio Panormita, welche ſeine Geſchichtſchreiber wurden; der letztere mußte ihm und ſeinem Hofe täglich den Livius erklären, auch während der Feldzüge im Lager. Dieſe Leute koſteten ihn jährlich über 20,000 Goldgulden; dem Facio ſchenkte er für die Hiſtoria Alphonſi über die 500 Ducaten Jahresbeſoldung am Schluß der Arbeit noch 1500 Gold - gulden obendrein, mit den Worten: es geſchieht nicht um Euch zu bezahlen, denn Euer Werk iſt überhaupt nicht zu bezahlen, auch nicht, wenn ich Euch eine meiner beſten Städte gäbe; aber mit der Zeit will ich ſuchen Euch zu - frieden zu ſtellen . Als er den Giannozzo Mannetti unter den glänzendſten Bedingungen zu ſeinem Secretär nahm, ſagte er: mein letztes Brod würde ich mit Euch theilen . Schon als Gratulationsgeſandter von Florenz bei der Hoch - zeit des Prinzen Ferrante hatte Giannozzo einen ſolchen Eindruck auf den König gemacht, daß dieſer wie ein Erz - bild regungslos auf dem Throne ſaß und nicht einmal die Mücken abwehrte. Seine Lieblingsſtätte ſcheint die Bibliothek des Schloſſes von Neapel geweſen zu ſein, wo er an einem Fenſter mit beſonders ſchöner Ausſicht gegen das Meer ſaß und den Weiſen zuhörte, wenn ſie z. B. über die Trinität discutirten. Denn er war auch völlig religiös und ließ ſich außer Livius und Seneca auch die Bibel vortragen, die er beinah auswendig wußte. WerSein Cultus der Erinnerungen. will die Empfindung genau errathen, die er den vermeint - lichen Gebeinen des Livius zu Padua (S. 147) widmete? Als er auf große Bitten von den Venezianern einen Arm - knochen davon erhielt und ehrfurchtsvoll zu Neapel in Empfang nahm, mag in ſeinem Gemüthe Chriſtliches und Heidniſches ſonderbar durch einander gegangen ſein. Auf einem Feldzug in den Abruzzen zeigte man ihm das ferne Sulmona, die Heimath des Ovid, und er grüßte die Stadt und dankte dem Genius des Ortes; offenbar that es ihm wohl, die Weiſſagung des großen Dichters über ſeinen221 künftigen Ruhm1)Ovid. Amores III, 15, vs. 11. Jovian. Pontan., de principe. wahr machen zu können. Einmal gefiel3. Abſchnitt. es ihm auch, ſelber in antiker Weiſe aufzutreten, nämlich bei ſeinem berühmten Einzug in das definitiv eroberte Neapel (1443); unweit vom Mercato wurde eine 40 Ellen weite Breſche in die Mauer gelegt; durch dieſe fuhr er auf einem goldenen Wagen wie ein römiſcher Triumphator2)Giorn. napolet. bei Murat. XXI, Col. 1127.. Auch die Erinnerung hievon iſt durch einen herrlichen mar - mornen Triumphbogen im Caſtello nuovo verewigt. Seine neapolitaniſche Dynaſtie (S. 35) hat von dieſem antiken Enthuſiasmus wie von all ſeinen guten Eigenſchaften wenig oder nichts geerbt.

Ungleich gelehrter als Alfonſo war Federigo von Ur -Federigo von Urbino. bino3)Vespas. Fior. p. 3. 119, s. Volle aver piena notizia d'ogni cosa, così sacra come gentile. Vgl. oben S. 45., der weniger Leute um ſich hatte, gar nichts ver - ſchwendete und wie in allen Dingen ſo auch in der An - eignung des Alterthums planvoll verfuhr. Für ihn und für Nicolaus V. ſind die meiſten Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen und eine Anzahl der bedeutendſten Commentare, Bearbeitungen u. dgl. verfaßt worden. Er gab viel aus, aber zweckmäßig, an die Leute, die er brauchte. Von einem Poetenhof war in Urbino keine Rede; der Herr ſelber war der Gelehrteſte. Das Alterthum war allerdings nur ein Theil ſeiner Bildung; als vollkommener Fürſt, Feldherr und Menſch bemeiſterte er einen großen Theil der damaligen Wiſſenſchaft überhaupt und zwar zu practiſchen Zwecken, um der Sachen willen. Als Theologe z. B. verglich er Thomas und Scotus und kannte auch die alten Kirchen - väter des Orients und Occidents, erſtere in lateiniſchen Ueberſetzungen. In der Philoſophie ſcheint er den Plato gänzlich ſeinem Zeitgenoſſen Coſimo überlaſſen zu haben; von Ariſtoteles aber kannte er nicht nur Ethik und Politik2223. Abſchnitt. genau, ſondern auch die Phyſik und mehrere andere Schriften. In ſeiner ſonſtigen Lectüre wogen die ſämmtlichen antiken Hiſtoriker, die er beſaß, beträchtlich vor; dieſe und nicht die Poeten las er immer wieder und ließ ſie ſich vorleſen .

Die Sforza.Die Sforza1)Beim letzten Visconti ſtreiten ſich noch Livius und die franzöſiſchen Ritterromane nebſt Dante und Petrarca um die Theilnahme des Fürſten. Die Humaniſten, welche ſich bei ihm meldeten und ihn berühmt machen wollten, pflegte er nach wenigen Tagen wieder wegzuſchicken. Vgl. Decembrio, bei Murat. XX, Col. 1014. ſind ebenfalls alle mehr oder weniger gelehrt und erweiſen ſich als Mäcenaten (S. 27,39), wovon gelegentlich die Rede geweſen iſt. Herzog Francesco mochte bei der Erziehung ſeiner Kinder die humaniſtiſche Bildung als eine Sache betrachten, die ſich ſchon aus politiſchen Gründen von ſelbſt verſtehe; man ſcheint es durchgängig als Vortheil empfunden zu haben, wenn der Fürſt mit den Gebildetſten auf gleichem Fuße verkehren konnte. Lodovico Moro, ſelber ein trefflicher Latiniſt, zeigt dann eine Theil - nahme an allem Geiſtigen, die ſchon weit über das Alter - thum hinausgeht (S. 42).

Auch die kleinern Herrſcher ſuchten ſich ähnlicher Vor - züge zu bemächtigen und man thut ihnen wohl Unrecht, wenn man glaubt, ſie hätten ihre Hofliteraten nur genährt um von denſelben gerühmt zu werden. Ein Fürſt wieDie Eſte. Borſo von Ferrara (S. 49) macht bei aller Eitelkeit doch gar nicht mehr den Effect als erwartete er die Unſterblich - keit von den Dichtern, ſo eifrig ihm dieſelben mit einer Borſeïs u. dgl. aufwarteten; dazu iſt ſein Herrſchergefühl bei Weitem zu ſehr entwickelt; allein der Umgang mit Ge - lehrten, das Intereſſe für das Alterthum, das Bedürfniß nach eleganter lateiniſcher Epiſtolographie waren von dem damaligen Fürſtenthum unzertrennlich. Wie ſehr hat es noch der practiſch hochgebildete Herzog Alfonſo (S. 49) beklagt, daß ihn die Kränklichkeit in der Jugend einſeitig223 auf Erholung durch Handarbeit hingewieſen! 1)Paul. Jov. Vita Alfonsi ducis.Oder hat3. Abſchnitt. er ſich mit dieſer Ausrede doch eher nur die Literaten vom Leibe gehalten? In eine Seele wie die ſeinige ſchauten ſchon die Zeitgenoſſen nicht recht hinein.

Selbſt die kleinſten romagnoliſchen Tyrannen können nicht leicht ohne einen oder mehrere Hofhumaniſten aus - kommen; der Hauslehrer und Secretär ſind dann öfter Eine Perſon, welche zeitweiſe ſogar das Factotum des Hofes wird2)Ueber Collenuccio am Hofe des Giovanni Sforza von Peſaro, (Sohn des Aleſſandro, S. 27), der ihn zuletzt mit dem Tode lohnte, ſ. S. 139. Beim letzten Ordelaffo zu Forli verſah Codrus Ur - ceus die Stelle. Unter den gebildeten Tyrannen iſt auch der 1488 von ſeiner Gattin ermordete Galeotto Manfreddi von Faenza zu nennen; ebenſo einzelne Bentivoglî von Bologna.. Man iſt mit der Verachtung dieſer kleinen Verhältniſſe insgemein etwas zu raſch bei der Hand, indem man vergißt, daß die höchſten Dinge des Geiſtes gerade nicht an den Maßſtab gebunden ſind.

Ein ſonderbares Treiben muß jedenfalls an dem HofeSigismondo Malateſta. zu Rimini unter dem frechen Heiden und Condottiere Si - gismondo Malateſta geherrſcht haben. Er hatte eine Anzahl von Philologen um ſich und ſtattete einzelne derſelben reich - lich, z. B. mit einem Landgut aus, während andere als Offiziere wenigſtens ihren Lebensunterhalt hatten3)Anecdota literar. II, p. 305, s. 405. Baſinius von Parma ſpottet über Porcellio und Tommaſo Seneca: ſie als hungrige Pa - raſiten müßten in ihrem Alter noch die Soldaten ſpielen, indeß er mit ager und villa ausgeſtattet ſei. (Um 1460; ein belehrendes Aktenſtück, aus welchem hervorgeht, daß es noch Humaniſten, wie die zwei letztgenannten gab, welche ſich gegen das Aufkommen des Grie - chiſchen zu wehren ſuchten.). In ſeiner Burg arx Sismundea halten ſie ihre oft ſehr giftigen Disputationen, in Gegenwart des rex wie ſie ihn nennen; in ihren lateiniſchen Dichtungen preiſen ſie2243. Abſchnitt. natürlich ihn und beſingen ſeine Liebſchaft mit der ſchönen Iſotta, zu deren Ehren eigentlich der berühmte Umbau von San Francesco in Rimini erfolgte, als ihr Grabdenkmal, Divæ Jsottæ Sacrum. Und wenn die Philologen ſterben, ſo kommen ſie in (oder unter) die Sarcophage zu liegen, womit die Niſchen der beiden Außenwände dieſer nämlichen Kirche geſchmückt ſind; eine Inſchrift beſagt dann, der be - treffende ſei hier beigeſetzt worden zur Zeit da Sigismundus, Pandulfus 'Sohn, herrſchte. Man würde es heute einem Scheuſal, wie dieſer Fürſt war, ſchwerlich glauben, daß Bildung und gelehrter Umgang ihm ein Bedürfniß ſeien, und doch ſagt der, welcher ihn excommunicirte, in effigie verbrannte und bekriegte, nämlich Papſt Pius II. : Sigis - mondo kannte die Hiſtorien und beſaß eine große Kunde der Philoſophie; zu Allem was er ergriff, ſchien er ge - boren 1)Pii II. Comment. L. II, p. 92. Historiæ iſt hier der Inbegriff des ganzen Alterthums..

Reproduction d. Alterthums.Zu zweien Zwecken aber glaubten Republiken wie Fürſten und Päpſte des Humaniſten durchaus nicht ent - behren zu können: zur Abfaſſung der Briefe und zur öffent - lichen, feierlichen Rede.

Epiſtolo - graphie.Der Secretär muß nicht nur von Styleswegen ein guter Lateiner ſein, ſondern umgekehrt: nur einem Huma - niſten traut man die Bildung und Begabung zu, welche für einen Secretär nöthig iſt. Und ſo haben die größten Männer der Wiſſenſchaft im XV. Jahrhundert meiſt einen beträchtlichen Theil ihres Lebens hindurch dem Staat auf dieſe Weiſe gedient. Man ſah dabei nicht auf Heimath und Herkunft; von den vier großen florentiniſchen Secretären,225 die ſeit 1429 bis 1465 die Feder führten1)Fabroni, Cosmus Adnot. 117. Vespas. Fior. passim. Eine Hauptſtelle über das was die Florentiner von ihren Secre - tären verlangten, bei Aeneas Sylvius, De Europa, cap. 54. (Opera, p. 454)., ſind drei aus3. Abſchnitt. der Unterthanenſtadt Arezzo: nämlich Lionardo (Bruni), Carlo (Marzuppini) und Benedetto Accolti; Poggio war von Terra nuova, ebenfalls im florentiniſchen Gebiet. Hatte man doch ſchon lange mehrere der höchſten Stadtämter principiell mit Ausländern beſetzt. Lionardo, Poggio und Giannozzo Mannetti waren auch zeitweiſe Geheimſchreiber der Päpſte und Carlo Aretino ſollte es werden. Blondus von Forli und trotz allem zuletzt auch Lorenzo Valla rückten in dieſelbe Würde vor. Mehr und mehr zieht der päpſtliche Palaſt ſeit Nicolaus V. und Pius II.2)Vgl. S. 217 und Papencordt, Geſch. d. Stadt Rom, p. 512 über das neue Collegium der Abbreviatoren, welches Pius gründete. die bedeutendſten Kräfte in ſeine Kanzlei, ſelbſt unter jenen ſonſt nicht lite - rariſch geſinnten letzten Päpſten des XV. Jahrhunderts. In der Papſtgeſchichte des Platina iſt das Leben Paul's II. nichts anderes als die ergötzliche Rache des Humaniſten an dem einzigen Papſt, der ſeine Kanzlei nicht zu behandeln verſtand, jenen Verein von Dichtern und Rednern, die der Curie eben ſo viel Glanz verliehen als ſie von ihr empfin - gen . Man muß dieſe ſtolzen Herrn aufbrauſen ſehen,Hochgefühl der päpſtlichen Kanzlei. wann ein Präcedenzſtreit eintritt, wenn z. B. die Advocati conſiſtoriales gleichen Rang mit ihnen, ja den Vortritt in Anſpruch nehmen3)Anecdota lit. I, p. 119, s. Plaidoyer des Jacobus Volaterranus im Namen der Secretäre, ohne Zweifel aus der Zeit Sixtus IV. Der humaniſtiſche Anſpruch der Conſiſtorialadvocaten beruhte auf ihrer Redekunſt, wie der der Secretäre auf den Briefen.. In einem Zuge wird appellirt an den Evangeliſten Johannes, welchem die Secreta coeleſtia enthüllt geweſen, an den Schreiber des Porſenna, welchen M. Scävola für den König ſelber gehalten, an Mäcenas,Cultur der Renaiſſance. 152263. Abſchnitt. welcher Auguſts Geheimſchreiber war, an die Erzbiſchöfe, welche in Deutſchland Kanzler heißen u. ſ. w.1)Die wirkliche kaiſerliche Kanzlei unter Friedrich III. kannte Aeneas Sylvius am beſten. Vgl. Epp. 23 u. 105, Opera, p. 516 u. 607.. Die apoſtoliſchen Schreiber haben die erſten Geſchäfte der Welt in Händen, denn wer anders als ſie ſchreibt und verfügt in Sachen des katholiſchen Glaubens, der Bekämpfung der Ketzerei, der Herſtellung des Friedens, der Vermittlung zwi - ſchen den größten Monarchen? Wer als ſie liefert die ſtatiſtiſchen Ueberſichten der ganzen Chriſtenheit? Sie ſind es, die Könige, Fürſten und Völker in Bewunderung ver - ſetzen durch das was von den Päpſten ausgeht; ſie ver - faſſen die Befehle und Inſtructionen für die Legaten; ihre Befehle aber empfangen ſie nur vom Papſt, und ſind derſelben zu jeder Stunde des Tages und der Nacht ge - wärtig . Den Gipfel des Ruhmes erreichten aber doch erſt die beiden berühmten Secretäre und Styliſten Leo's X.: Pietro Bembo und Jacopo Sadoleto.

Nicht alle Kanzleien ſchrieben elegant; es gab einen ledernen Beamtenſtyl in höchſt unreinem Latein, welcher dieWerthſchätzung des Briefſtyls. Mehrheit für ſich hatte. Ganz merkwürdig ſtechen in den mailändiſchen Actenſtücken, welche Corio mittheilt, neben dieſem Styl die paar Briefe hervor, welche von den Mit - gliedern des Fürſtenhauſes ſelber, und zwar in den wich - tigſten Momenten verfaßt ſein müſſen2)Corio, storia di Milano, fol. 449 der Brief der Iſabella von Ara - gon an ihren Vater Alfons von Neapel; fol. 451. 464 zwei Briefe des Moro an Carl VIII. Womit zu vergleichen das Hiſtörchen in den Lettere pittoriche III, 86 (Sebaſt. del Piombo an Are - tino), wie Clemens VII. während der Verwüſtung Roms im Caſtell ſeine Gelehrten aufbietet, und ſie eine Epiſtel an Carl V. concipiren läßt, Jeden beſonders.; ſie ſind von der reinſten Latinität. Den Styl auch in der Noth zu wahren erſchien als ein Gebot der guten Lebensart, und als Folge der Gewöhnung.

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Man kann ſich denken, wie emſig in jenen Zeiten die3. Abſchnitt. Briefſammlungen des Cicero, Plinius u. A. ſtudirt wurden. Es erſchien ſchon im XV. Jahrhundert eine ganze Reihe von Anweiſungen und Formularen zum lateiniſchen Brief - ſchreiben, als Seitenzweig der großen grammaticaliſchen und lexicographiſchen Arbeiten, deren Maſſe in den Biblio - theken noch heute Erſtaunen erregt. Je mehr Unberufene aber mit dergleichen Hülfsmitteln ſich an die Aufgabe wagten, deſto mehr nahmen ſich die Virtuoſen zuſammen und die Briefe Poliziano's und im Beginn des XVI. Jahrhunderts die des Pietro Bembo erſchienen dann als die irgend er - reichbaren Meiſterwerke nicht nur des lateiniſchen Styles ſondern der Epiſtolographie als ſolcher.

Daneben meldet ſich mit dem XVI. Jahrhundert auch ein claſſiſcher italieniſcher Briefſtyl, wo Bembo wiederum an der Spitze ſteht. Es iſt eine völlig moderne, vom La - teiniſchen mit Abſicht fern gehaltene Schreibart, und doch geiſtig total vom Alterthum durchdrungen und beſtimmt.

Viel glänzender noch als der Briefſchreiber tritt derDie Redner. Redner1)Man vgl. die Reden in den Opera des Philelphus, Sabellicus, Be - roaldus d. ä. ꝛc. und die Schriften und Biographien des Jan. Mannetti, Aeneas Sylvius ꝛc. hervor, in einer Zeit und bei einem Volke, wo das Hören als ein Genuß erſten Ranges galt und wo das Phantaſiebild des römiſchen Senates und ſeiner Redner alle Geiſter beherrſchte. Von der Kirche, bei welcher ſie im Mittelalter ihre Zuflucht gehabt, wird die Eloquenz vollkommen emancipirt; ſie bildet ein nothwendiges Element und eine Zierde jedes erhöhten Daſeins. Sehr viele feſt - liche Augenblicke, die gegenwärtig mit der Muſik ausgefüllt werden, gehörten damals der lateiniſchen oder italieniſchen Rede, worüber ſich jeder unſerer Leſer ſeine Gedanken machen möge.

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3. Abſchnitt. Welches Standes der Redner war, galt völlig gleich; man bedurfte vor Allem des virtuoſenhaft ausgebildeten humaniſtiſchen Talentes. Am Hofe des Borſo von Ferrara hat der Hofarzt, Jeronimo da Caſtello, ſowohl Friedrich III. als Pius II. zum Willkomm anreden müſſen1)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 198. 205. ; verheira - thete Laien beſteigen in den Kirchen die Kanzeln bei jedem feſtlichen oder Traueranlaß, ja ſelbſt an Heiligenfeſten. Es war den außeritaliſchen Basler Concilsherren etwas Neues, daß der Erzbiſchof von Mailand am Ambroſius - tage den Aeneas Sylvius auftreten ließ, welcher noch keine Weihe empfangen hatte; trotz dem Murren der Theologen ließen ſie ſich es gefallen und hörten mit größter Begier zu2)Pii II. Comment. L. I, p. 10. .

Ueberblicken wir zunächſt die wichtigern und häufigern Anläſſe des öffentlichen Redens.

Feierliche Staatsreden.Vor Allem heißen die Geſandten von Staat an Staat nicht vergebens Oratoren; neben der geheimen Unterhand - lung gab es ein unvermeidliches Paradeſtück, eine öffentliche Rede, vorgetragen unter möglichſt pomphaften Umſtänden3)So groß der Succeß des glücklichen Redners war, ſo furchtbar war natürlich das Steckenbleiben vor großen und erlauchten Verſamm - lungen. Schreckensbeiſpiele ſind geſammelt bei Petrus Crinitus, de honesta disciplina V, cap. 3. Vgl. Vespas. Fior. p. 319. 430. . In der Regel führte von dem oft ſehr zahlreichen Perſonal Einer zugeſtandenermaßen das Wort, aber es paſſirte doch dem Kenner Pius II., vor welchem ſich gerne jeder hören laſſen wollte, daß er eine ganze Geſandtſchaft, Einen nach dem Andern, anhören mußte4)Pii II. Comment. L. IV. p. 205. Es waren noch dazu Römer, die ihn in Viterbo erwarteten. Singuli per se verba fecere, ne alius alio melior videretur, cum essent eloquentia ferme pares. Daß der Biſchof von Arezzo nicht das Wort führen durfte für die Collectivgeſandtſchaft der italieniſchen Staaten an den neuge - wählten Alexander VI, zählt Guicciardini (zu Anfang des I. B.). Dann redeten gelehrte229 Fürſten, die des Wortes mächtig waren, gerne und gut3. Abſchnitt. ſelber, italieniſch oder lateiniſch. Die Kinder des Hauſes Sforza waren hierauf eingeſchult, der ganz junge Galeazzo Maria ſagte ſchon 1455 im großen Rath zu Venedig ein fließendes Exercitium her1)Mitgetheilt von Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 1160. , und ſeine Schweſter Ippolita begrüßte den Papſt Pius II. auf dem Congreß zu Mantua 1459 mit einer zierlichen Rede2)Pii II. Comment. L. II. p. 107. Vgl. p. 87. Eine andere lateiniſche Rednerin fürſtlichen Standes war Madonna Battiſta Mon - tefeltro, vermählte Malateſta, welche Sigismund und Martin haran - guirte Vgl. Arch. stor. IV, I. p. 442, Nota. . Pius II. ſelbſt hat offen - bar als Redner in allen Zeiten ſeines Lebens ſeiner letzten Standeserhöhung mächtig vorgearbeitet; als größter curialer Diplomat und Gelehrter wäre er vielleicht doch nicht Papſt geworden ohne den Ruhm und den Zauber ſeiner Be - redſamkeit. Denn nichts war erhabener als der Schwung ſeiner Rede3)De expeditione in Turcas, bei Murat. XXIII, Col. 68. Nihil enim Pii concionantis maiestate sublimius. Außer dem naiven Wohlgefallen, womit Pius ſelbſt ſeine Erfolge ſchildert, vgl. Cam - panus, Vita Pii II, bei Murat. III, II, passim. . Gewiß galt er für Unzählige ſchon deß - halb als der des Papſtthums Würdigſte, bereits vor der Wahl.

Sodann wurden die Fürſten bei jedem feierlichenEmpfangs - reden ꝛc. Empfang angeredet und zwar oft in ſtundenlanger Oration. Natürlich geſchah dieß nur wenn der Fürſt als Redefreund bekannt war oder dafür gelten wollte4)Carl V. hat doch einmal, als er in Genua der Blumenſprache eines latein. Redners nicht folgen konnte, vor Giovio's Ohren geſeufzt: Ach wie hat mein Lehrer Hadrian einſt Recht gehabt, als er mir weiſſagte, ich würde für meinen kindiſchen Unfleiß im Lateiniſchen gezüchtigt werden! Paul. Jov. vita Hadriani VI. , und wenn man einen genügenden Redner vorräthig hatte, mochte es ein4)ganz ernſthaft unter den Urſachen auf, welche das Unglück Italiens 1494 herbeiführen halfen.2303. Abſchnitt. Hofliterat, Univerſitätsprofeſſor, Beamter, Arzt oder Geiſt - licher ſein.

Auch jeder andere politiſche Anlaß wird begierig er - griffen, und je nach dem Ruhm des Redners läuft Alles herbei was die Bildung verehrt. Bei alljährlichen Beamten - erneuerungen, ſogar bei Einführung neuernannter Biſchöfe muß irgend ein Humaniſt auftreten, der bisweilen1)Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp., bei Anlaß des Collenuccio. Filelfo, ein verheiratheter Laie, hielt im Dom von Como die Einführungsrede für den Biſchof Scarampi 1460. in ſapphiſchen Strophen oder Hexametern ſpricht; auch mancher neu antretende Beamte ſelbſt muß eine unumgängliche Rede halten über ſein Fach z. B. über die Gerechtigkeit ; wohl ihm wenn er darauf geſchult iſt. In Florenz zieht man auch die Condottieren ſie mögen ſein wer und wie ſie wollen in das landesübliche Pathos hinein und läßt ſie bei Ueberreichung des Feldherrenſtabes durch den ge - lehrteſten Staatsſecretär vor allem Volk haranguiren2)Fabroni, Cosmus, Adnot. 52. . Es ſcheint, daß unter oder an der Loggia de' Lanzi, der feierlichen Halle, wo die Regierung vor dem Volke aufzu - treten pflegte, eine eigentliche Rednerbühne (rostra, ringhiera) angebracht war.

Leichenreden ꝛc.Von Anniverſarien werden beſonders die Todestage der Fürſten durch Gedächtnißreden gefeiert. Auch die eigentliche Leichenrede iſt vorherrſchend dem Humaniſten anheimgefallen, der ſie in der Kirche, in weltlichem Ge - wande recitirt, und zwar nicht nur am Sarge von Fürſten, ſondern auch von Beamten u. a. namhaften Leuten3)Was doch z. B. dem Jac. Volaterranus (bei Murat. XXIII, Col. 171) bei Platina's Gedächtnißfeier einigen Anſtoß gab.. Ebenſo verhält es ſich oft mit Verlobungs - und Hochzeits - reden, nur daß dieſe (wie es ſcheint) nicht in der Kirche ſondern im Palaſt, z. B. die des Filelfo bei der Verlobung231 der Anna Sforza mit Alfonſo d'Eſte im Caſtell von Mai -3. Abſchnitt. land, gehalten wurden. (Es könnte immerhin in der Pa - laſtcapelle geſchehen ſein.) Auch angeſehene Privatleute ließen ſich wohl einen ſolchen Hochzeitsredner als vornehmen Luxus gefallen. In Ferrara erſuchte man bei ſolchen An - läſſen einfach den Guarino1)Anecdota lit. I, p. 299, in Fedra's Leichenrede auf Lod. Podoca - taro, welchen Guarino vorzugsweiſe zu ſolchen Aufträgen beſtimmte., er möchte einen ſeiner Schüler ſenden. Die Kirche als ſolche beſorgte bei Trauungen und Leichen nur die eigentlichen Ceremonien.

Von den academiſchen Reden ſind die bei Einführung neuer Profeſſoren und die bei Curseröffnungen2)Von ſolchen Einleitungsvorleſungen ſind viele[e]rhalten, in den Wer - ken des Sabellicus, Beroaldus maior, Codrus Urceus ꝛc. von den Profeſſoren ſelbſt gehaltenen mit dem größten rhetoriſchen Aufwand behandelt. Der gewöhnliche Cathedervortrag näherte ſich ebenfalls oft der eigentlichen Rede3)Den ausgezeichneten Ruhm von Pomponazzo's Vortrag ſ. bei Paul. Jov. Elogia. .

Bei den Advocaten gab das jeweilige Auditorium den Maßſtab für die Behandlung der Rede. Je nach Umſtän - den wurde dieſelbe mit dem vollen philologiſch-antiquari - ſchen Pomp ausgeſtattet.

Eine ganz eigene Gattung ſind die italieniſch gehalte -Soldatenreden. nen Anreden an die Soldaten, theils vor dem Kampf, theils nachher. Federigo von Urbino4)Vespas. Fior. p. 103. Vgl. die Geſchichte p. 598, wie Gianozzo Mannetti zu ihm ins Lager kömmt. war hiefür claſſiſch; einer Schaar nach der andern, wie ſie kampfgerüſtet da ſtanden, flößte er Stolz und Begeiſterung ein. Manche Rede in den Kriegsſchriftſtellern des XV. Jahrhunderts, z. B. bei Porcellius (S. 100) möchte nur theilweiſe fingirt ſein, theilweiſe aber auf wirklich geſprochenen Worten be - ruhen. Wieder etwas Anderes waren die Anreden an die ſeit 1506, hauptſächlich auf Macchiavell's Betrieb organiſirte2323. Abſchnitt. florentiniſche Miliz1)Archiv. stor. XV. p. 113. 121, Caneſtrini's Einleitung; p. 342, s. der Abdruck zweier Soldatenreden; die erſte von Alamanni, iſt aus - gezeichnet ſchön und des Momentes (1528) würdig., bei Anlaß der Muſterungen und ſpäter bei einer beſondern Jahresfeier. Dieſe ſind von allgemein patriotiſchem Inhalt; es hielt ſie in der Kirche jedes Quartiers vor den dort verſammelten Milizen ein Bürger im Bruſtharniſch, mit dem Schwert in der Hand.

Lateiniſche Pre - digt.Endlich iſt im XV. Jahrhundert die eigentliche Predigt bisweilen kaum mehr von der Rede zu ſcheiden, inſofern viele Geiſtliche in den Bildungskreis des Alterthums mit einge - treten waren und etwas darin gelten wollten. Hat doch ſelbſt der ſchon bei Lebzeiten heilige, vom Volk angebetete Gaſſenprediger Bernardino da Siena es für ſeine Pflicht gehalten, den rhetoriſchen Unterricht des berühmten Guarino nicht zu verſchmähen, obwohl er nur italieniſch zu predigen hatte. Die Anſprüche, zumal an die Faſtenprediger, waren damals ohne Zweifel ſo groß als je; hie und da gab es auch ein Auditorium, welches ſehr viel Philoſophie auf der Kanzel vertragen konnte und, ſcheint es, von Bildung wegen verlangte2)Hierüber Fauſtinus Terdoceus, in ſeiner Satire De triumpho stul - titiæ, lib. II. . Doch wir haben es hier mit den vornehmen lateiniſchen Caſualpredigern zu thun. Manche Gelegenheit nahmen ihnen, wie geſagt, gelehrte Laien vom Munde weg. Reden an beſtimmten Heiligentagen, Leichen - und Hochzeits - reden, Einführungen von Biſchöfen u. ſ. w., ja ſogar die Rede bei der erſten Meſſe eines befreundeten Geiſtlichen und die Feſtrede bei einem Ordenscapitel werden wohl Laien überlaſſen3)Dieſe beiden erſtaunlichen Fälle kommen bei Sabellicus vor (Opera, fol. 61 82, De origine et auctu religionis, zu Verona vor dem Capitel der Barfüßer von der Kanzel gehalten, und: De sacerdotii laudibus, zu Venedig gehalten). Vgl. S. 230, Anm. 1.. Doch predigten wenigſtens vor dem päpſt - lichen Hof im XV. Jahrhundert in der Regel Mönche,233 welches auch der feſtliche Anlaß ſein mochte. Unter3. Abſchnitt. Sixtus IV. verzeichnet und kritiſirt Giacomo da Volterra regelmäßig dieſe Feſtprediger, nach den Geſetzen der Kunſt1)Jac. Volaterrani Diar. roman., bei Mur. XXIII. passim. Col. 173 wird eine höchſt merkwürdige Predigt vor dem Hofe, doch bei zufälliger Abweſenheit Sixtus IV. erwähnt: Pater Paolo Tos - canella donnerte gegen den Papſt, deſſen Familie und die Cardinäle; Sixtus erfuhr es und lächelte.. Fedra Inghirami, als Feſtredner berühmt unter Julius II., hatte wenigſtens die geiſtlichen Weihen und war Chorherr am Lateran; auch ſonſt hatte man unter den Prälaten jetzt elegante Lateiner genug. Ueberhaupt erſcheinen mit dem XVI. Jahrhundert die früher übergroßen Vorrechte der profanen Humaniſten in dieſer Beziehung gedämpft wie in andern, wovon unten ein Weiteres.

Welcher Art und welches Inhaltes waren nun dieſeErneuerung der Rhetorik. Reden im Großen und Ganzen? Die natürliche Wohlreden - heit wird den Italienern das Mittelalter hindurch nie ge - fehlt haben, und eine ſogenannte Rhetorik gehörte von je - her zu den ſieben freien Künſten; wenn es ſich aber um die Auferweckung der antiken Methode handelt, ſo iſt dieſes Verdienſt nach Ausſage des Filippo Villani2)Fil. Villani, vite, p. 33. einem Flo - rentiner Bruno Caſini zuzuſchreiben, welcher noch in jungen Jahren 1348 an der Peſt ſtarb. In ganz practiſchen Ab - ſichten, um nämlich die Florentiner zum leichten, gewandten Auftreten in Räthen u. a. öffentlichen Verſammlungen zu befähigen, behandelte er nach Maßgabe der Alten die Er - findung, die Declamation, Geſtus und Haltung im Zu - ſammenhange. Auch ſonſt hören wir frühe von einer völlig auf die Anwendung berechneten rhetoriſchen Erziehung; nichts galt höher als aus dem Stegreif in elegantem La - tein das jedesmal Paſſende vorbringen zu können. Das wachſende Studium von Cicero's Reden und theoretiſchen Schriften, von Quintilian und den kaiſerlichen Panegyrikern,2343. Abſchnitt. das Entſtehen eigener neuer Lehrbücher1)Georg. Trapezunt. Rhetorica, das erſte vollſtändige Lehrgebäude. Aen. Sylvius: Artis rhetoricæ præcepta, in den Opera p. 992 bezieht ſich abſichtlich nur auf Satzbau und Wortfügung; übrigens bezeichnend für die vollkommene Routine hierin. Er nennt mehrere andere Theoretiker., die Benützung der Fortſchritte der Philologie im Allgemeinen und die Maſſe von antiken Ideen und Sachen, womit man die eigenen Gedanken bereichern durfte und mußte, dieß zuſammen vollendete den Character der neuen Redekunſt.

Form und Sachinhalt.Je nach den Individuen iſt derſelbe gleichwohl ſehr verſchieden. Manche Reden athmen eine wahre Beredſam - keit, namentlich diejenigen, welche bei der Sache bleiben; von dieſer Art iſt durchſchnittlich was wir von Pius II. übrig haben. Sodann laſſen die Wunderwirkungen, welche Giannozzo Mannetti2)Deſſen Vita bei Murat. XX. iſt ganz voll von den Wirkungen ſeiner Eloquenz. Vgl. Vespas. Fior. 592, s. erreichte, auf einen Redner ſchließen, wie es in allen Zeiten wenige gegeben hat. Seine großen Audienzen als Geſandter vor Nicolaus V., vor Dogen und Rath von Venedig waren Ereigniſſe, deren Andenken lange dauerte. Viele Redner dagegen benützten den Anlaß, um neben einigen Schmeicheleien für vornehme Zuhörer eine wüſte Maſſe von Worten und Sachen aus dem Alterthum vorzubringen. Wie es möglich war, dabei bis zwei, ja drei Stunden auszuhalten, begreift man nur wenn man das ſtarke damalige Sachintereſſe am Alterthum und die Mangelhaftigkeit und relative Seltenheit der Bearbeitungen vor der Zeit des allgemeinen Druckens in Betracht zieht. Solche Reden hatten noch immer den Werth, welchen wir (S. 200) manchen Briefen Petrarca's vindicirt haben. Die Citirſucht.Einige machten es aber doch zu ſtark. Filelfo's meiſte Orationen ſind ein abſcheuliches Durcheinander von claſſi - ſchen und bibliſchen Citaten, aufgereiht an einer Schnur von Gemeinplätzen; dazwiſchen werden die Perſönlichkeiten235 der zu rühmenden Großen nach irgend einem Schema3. Abſchnitt. z. B. der Cardinaltugenden geprieſen, und nur mit großer Mühe entdeckt man bei ihm und Andern die wenigen zeit - geſchichtlichen Elemente von Werth, welche wirklich darin ſind. Die Rede eines Profeſſors und Literaten von Pia - cenza z. B. für den Empfang des Herzogs Galeazzo Maria 1467 beginnt mit C. Julius Caeſar, miſcht einen Haufen antiker Citate mit ſolchen aus einem eigenen allegoriſchen Werk des Verfaſſers zuſammen, und ſchließt mit ſehr in - discreten guten Lehren an den Herrſcher1)Annales Placentini bei Murat. XX, Col. 918.. Glücklicher Weiſe war es ſchon zu ſpät am Abend und der Redner mußte ſich damit begnügen, ſeinen Panegyricus ſchriftlich zu überreichen. Auch Filelfo hebt eine Verlobungsrede mit den Worten an: Jener peripatetiſche Ariſtoteles ꝛc. ; Andere rufen gleich zu Anfang: Publius Cornelius Scipio u. dgl., ganz als könnten ſie und ihre Zuhörer das Citiren gar nicht erwarten. Mit dem Ende des XV. Jahrhunderts reinigte ſich der Geſchmack auf einmal, weſentlich durch das Verdienſt der Florentiner; im Citiren wird fortan ſehr be - hutſam Maß gehalten, ſchon weil inzwiſchen allerlei Nach - ſchlagewerke häufiger geworden ſind, in welchen der Erſte Beſte dasjenige vorräthig findet, womit man bis jetzt Fürſten und Volk in Erſtaunen geſetzt.

Da die meiſten Reden am Studirpult erarbeitet waren,Fingirte Reden. ſo dienten die Manuſcripte unmittelbar zur weitern Ver - breitung und Veröffentlichung. Großen Stegreifrednern dagegen mußte nachſtenographirt werden2)So dem Savonarola, vgl. Perrens, Vie de Savonarole I, p. 163. Die Stenographen konnten jedoch ihm und z. B. auch begeiſterten Improviſatoren nicht immer folgen.. Ferner ſind nicht alle Orationen, die wir beſitzen, auch nur dazu be - ſtimmt geweſen, wirklich gehalten zu werden; ſo iſt z. B. der Panegyricus des ältern Beroaldus auf Lodovico Moro2363. Abſchnitt. ein bloß ſchriftlich eingeſandtes Werk1)Und zwar keines von den beſſern. Das Bemerkenswertheſte iſt die Floskel am Schluſſe: Esto tibi ipsi archetypon et exemplar, teipsum imitare etc. . Ja wie man Briefe mit imaginären Adreſſen nach allen Gegenden der Welt componirte als Exercitium, als Formulare, auch wohl als Tendenzſchriften, ſo gab es auch Reden auf erdichtete Anläſſe2)Briefe ſowohl als Reden dieſer Art ſchrieb Alberto di Ripalta, vgl. die von ihm verfaßten Annales Placentini, bei Murat. XX, Col. 914, s. wo der Pedant ſeinen literariſchen Lebenslauf ganz lehrreich beſchreibt., als Formulare für Begrüßung großer Beamten, Fürſten und Biſchöfe u. dgl. m.

Verfall der Eloquenz.Auch für die Redekunſt gilt der Tod Leo's X. (1521) und die Verwüſtung von Rom (1527) als der Termin des Verfalls. Aus dem Jammer der ewigen Stadt kaum ge - flüchtet, verzeichnet Giovio3)Pauli Jovii Dialogus de viris literis illustribus, bei Tira - boschi, Tom. VII, Parte IV. Doch meint er noch wohl ein Jahrzehnd ſpäter, am Schluß der Elogia literaria: Tenemus ad - huc, nachdem das Primat der Philologie auf Deutſchland überge - gangen, sinceræ et constantis eloquentiæ munitam arcem etc. einſeitig und doch wohl mit überwiegender Wahrheit die Gründe dieſes Verfalls:

Die Aufführungen des Plautus und Terenz, einſt eine Uebungsſchule des lateiniſchen Ausdruckes für die vor - nehmen Römer, ſind durch italieniſche Comödien verdrängt. Der elegante Redner findet nicht mehr Lohn und Anerken - nung wie früher. Deßhalb arbeiten z. B. die Conſiſtorial - advocaten an ihren Vorträgen nur noch die Proömien aus und geben den Reſt als trüben Miſchmaſch nur noch ſtoß - weiſe von ſich. Auch Caſualreden und Predigten ſind tief geſunken. Handelt es ſich um die Leichenrede für einen Cardinal oder weltlichen Großen, ſo wenden ſich die Teſta - mentsexecutoren nicht an den trefflichſten Redner der Stadt, den ſie mit hundert Goldſtücken honoriren müßten, ſondern237 ſie miethen um ein Geringes einen hergelaufenen kecken3. Abſchnitt. Pedanten, der nur in den Mund der Leute kommen will, ſei es auch durch den ſchlimmſten Tadel. Der Todte, denkt man, ſpüre ja nichts davon wenn ein Affe in Trauerge - wand auf der Kanzel ſteht, mit weinerlichem heiſerm Ge - murmel beginnt und allmälig ins laute Gebell übergeht. Auch die feſtlichen Predigten bei den päpſtlichen Functionen werfen keinen rechten Lohn mehr ab; Mönche von allen Orden haben ſich wieder derſelben bemächtigt und predigen wie für die ungebildetſten Zuhörer. Noch vor wenigen Jahren konnte eine ſolche Predigt bei der Meſſe in Gegenwart des Papſtes der Weg zu einem Bisthum werden.

An die Epiſtolographie und die Redekunſt der Hu -Die Abhand - lung. maniſten ſchließen wir hier noch ihre übrigen Productionen an, welche zugleich mehr oder weniger Reproductionen des Alterthums ſind.

Hieher gehört zunächſt die Abhandlung in unmittel - barer oder in dialogiſcher Form1)Eine beſondere Gattung machen natürlich die halbſatiriſchen Dialoge aus, welche Collenuccio und beſonders Pontano dem Lucian nach - bildeten. Von ihnen ſind dann Erasmus und Hutten angeregt worden. Für die eigentlichen Abhandlungen mochten frühe ſchon Stücke aus den Moralien des Plutarch als Vorbild dienen., welche letztere man direct von Cicero herüber nahm. Um dieſer Gattung einiger - maßen gerecht zu werden, um ſie nicht als Quelle der Lan - genweile von vorn herein zu verwerfen, muß man zweierlei erwägen. Das Jahrhundert, welches dem Mittelalter ent - rann, bedurfte in vielen einzelnen Fragen moraliſcher und philoſophiſcher Natur einer ſpeciellen Vermittelung zwiſchen ſich und dem Alterthum, und dieſe Stelle nahmen nun die Tractat - und Dialogſchreiber ein. Vieles was uns in ihren Schriften als Gemeinplatz erſcheint, war für ſie und ihre Zeitgenoſſen eine mühſam neu errungene Anſchauung2383. Abſchnitt. von Dingen, über welche man ſich ſeit dem Alterthum noch nicht wieder ausgeſprochen hatte. Sodann hört ſich die Sprache hier beſonders gerne ſelber zu gleichviel ob die lateiniſche oder die italieniſche. Freier und vielſeitiger als in der hiſtoriſchen Erzählung oder in der Oration und in den Briefen bildet ſie hier ihr Satzwerk, und von den ita - lieniſchen Schriften dieſer Art gelten mehrere bis heute als Muſter der Proſa. Manche von dieſen Arbeiten wurden ſchon genannt oder werden noch angeführt werden ihres Sachinhaltes wegen; hier mußte von ihnen als Geſammt - gattung die Rede ſein. Von Petrarca's Briefen und Trac - taten an bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts wiegt bei den Meiſten auch hier das Aufſpeichern antiken Stoffes vor, wie bei den Rednern; dann klärt ſich die Gattung ab, zumal im Italieniſchen, und erreicht mit den Aſolani des Bembo, mit der Vita Sobria des Luigi Cornaro die volle Claſſicität. Auch hier war es entſcheidend, daß jener antike Stoff inzwiſchen ſich in beſondern großen Sammelwerken, jetzt ſogar gedruckt abzulagern begonnen hatte und dem Tractatſchreiber nicht mehr im Wege war.

Lateiniſche Ge - ſchichtſchrei - bung.Ganz unvermeidlich bemächtigte ſich der Humanismus auch der Geſchichtſchreibung. Bei flüchtiger Vergleichung dieſer Hiſtorien mit den frühern Chroniken, namentlich mit ſo herrlichen, farbenreichen, lebensvollen Werken wie die der Villani wird man dieß laut beklagen. Wie abgeblaßt und conventionell zierlich erſcheint neben dieſen Alles was die Humaniſten ſchreiben, und zwar z. B. gerade ihre näch - ſten und berühmteſten Nachfolger in der Hiſtoriographie von Florenz, Lionardo Aretino und Poggio. Wie un - abläſſig plagt den Leſer die Ahnung, daß zwiſchen den livianiſchen und den cäſariſchen Phraſen eines Facius, Sa - bellicus, Folieta, Senarega, Platina (in der mantuaniſchen Geſchichte), Bembo (in den Annalen von Venedig) und ſelbſt eines Giovio (in den Hiſtorien) die beſte individuelle und locale Farbe, das Intereſſe am vollen wirklichen Her -239 gang Noth gelitten habe. Das Mißtrauen wächst, wenn3. Abſchnitt. man inne wird, daß der Werth des Vorbildes Livius ſelbſt am unrechten Orte geſucht wurde, nämlich1)Benedictus: Caroli VIII. hist., bei Eccard, scriptt. II, Col. 1577. darin, daß er eine trockene und blutloſe Tradition in Anmuth und Fülle verwandelt habe; ja man findet (eben da) das bedenk - liche Geſtändniß, die Geſchichtſchreibung müſſe durch Styl - mittel den Leſer aufregen, reizen, erſchüttern, gerade als ob ſie die Stelle der Poeſie vertreten könnte. Man frägt ſich endlich, ob nicht die Verachtung der modernen Dinge, zu welcher dieſe nämlichen Humaniſten ſich bisweilen2)Petrus Crinitus beklagt dieſe Verachtung, de honesta discipl. L. XVIII, cap. 9. Die Humaniſten gleichen hierin den Autoren des ſpätern Alterthums, welche ebenfalls ihrer Zeit aus dem Wege gingen. Vgl. Burckhardt, die Zeit Conſtantin's d. Gr. S. 285 u. f. offen bekennen, auf ihre Behandlung derſelben einen ungünſtigen Einfluß haben mußte? Unwillkürlich wendet der Leſer den anſpruchloſen lateiniſchen und italieniſchen Annaliſten, die der alten Art treu geblieben, z. B. denjenigen von Bo - logna und Ferrara, mehr Theilnahme und Vertrauen zu, und noch viel dankbarer fühlt man ſich den beſten unter den italieniſch ſchreibenden eigentlichen Chroniſten verpflichtet, einem Marin Sanudo, einem Corio, einem Infeſſura, bis dann mit dem Anfang des XVI. Jahrhunderts die neue glanzvolle Reihe der großen italieniſchen Geſchichtſchreiber in der Mutterſprache beginnt.

In der That war die Zeitgeſchichte unwiderſprechlichAbſoluter Werth des La - teiniſchen. beſſer daran wenn ſie ſich in der Landesſprache erging, als wenn ſie ſich latiniſiren mußte. Ob auch für die Erzählung des Längſtvergangenen, für die geſchichtliche Forſchung das Italieniſche geeigneter geweſen wäre, iſt eine Frage, welche für jene Zeit verſchiedene Antworten zuläßt. Das Latei - niſche war damals die Lingua franca der Gelehrten lange2403. Abſchnitt. nicht bloß im internationalen Sinn, z. B. zwiſchen Eng - ländern, Franzoſen und Italienern, ſondern auch im inter - provincialen Sinne, d. h. der Lombarde, der Venezianer, der Neapolitaner wurden mit ihrer italieniſchen Schreibart auch wenn ſie längſt toscaniſirt war und nur noch ſchwache Spuren des Dialectes an ſich trug von dem Florentiner nicht anerkannt. Dieß wäre zu verſchmerzen geweſen bei örtlicher Zeitgeſchichte, die ihrer Leſer an Ort und Stelle ſicher war, aber nicht ſo leicht bei der Geſchichte der Vergangenheit, für welche ein weiterer Leſerkreis geſucht werden mußte. Hier durfte die locale Theilnahme des Volkes der allgemeinen der Gelehrten aufgeopfert werden. Wie weit wäre z. B. Blondus von Forli gelangt, wenn er ſeine großen gelehrten Werke in einem halbromagnoliſchen Italieniſch verfaßt hätte? Dieſelben wären einer ſichern Obscurität verfallen ſchon um der Florentiner willen, während ſie lateiniſch die allergrößte Wirkung auf die Gelehrſamkeit des ganzen Abendlandes ausübten. Und auch die Floren - tiner ſelbſt ſchrieben ja im XV. Jahrhundert lateiniſch, nicht bloß weil ſie humaniſtiſch dachten ſondern zugleich um der leichtern Verbreitung willen.

Monographie und Biographie.Endlich giebt es auch lateiniſche Darſtellungen aus der Zeitgeſchichte, welche den vollen Werth der trefflichſten ita - lieniſchen haben. Sobald die nach Livius gebildete fortlau - fende Erzählung, das Procruſtesbett ſo mancher Autoren, aufhört, erſcheinen dieſelben wie umgewandelt. Jener näm - liche Platina, jener Giovio, die man in ihren großen Ge - ſchichtswerken nur verfolgt, ſo weit man muß, zeigen ſich auf einmal als ausgezeichnete biographiſche Schilderer. Von Triſtan Caracciolo, von dem biographiſchen Werke des Facius, von der venezianiſchen Topographie des Sabellico ꝛc. iſt ſchon beiläufig die Rede geweſen und auf andere werden wir noch kommen.

Die lateiniſchen Darſtellungen aus der Vergangenheit betrafen natürlich vor Allem das claſſiſche Alterthum. Was241 man aber bei dieſen Humaniſten weniger ſuchen würde,3. Abſchnitt. ſind einzelne bedeutende Arbeiten über die allgemeine Ge -Arbeiten über das Mittelalter. ſchichte des Mittelalters. Das erſte bedeutende Werk dieſer Art war die Chronik des Matteo Palmieri, begin - nend wo Prosper Aquitanus aufhört. Wer dann zufällig die Decaden des Blondus von Forli öffnet, wird einiger - maßen erſtaunen, wenn er hier eine Weltgeſchichte ab in - clinatione Romanorum imperii wie bei Gibbon findet, voll von Quellenſtudien der Autoren jedes Jahrhunderts, wovon die erſten 300 Folioſeiten dem frühern Mittelalter bis zum Tode Friedrichs II. angehören. Und dieß während man ſich im Norden noch auf dem Standpuncte der be - kannten Papſt - und Kaiſerchroniken und des Fasciculus temporum befand. Es iſt hier nicht unſere Sache, kritiſch nachzuweiſen, welche Schriften Blondus im Einzelnen be - nützt hat, und wo er ſie beiſammen gefunden; in der Ge - ſchichte der neuern Hiſtoriographie aber wird man ihm dieſe Ehre wohl einmal erweiſen müſſen. Schon um dieſes einen Buches willen wäre man berechtigt zu ſagen: das Studium des Alterthums allein hat das des Mittelalters möglich gemacht; jenes hat den Geiſt zuerſt an objectives geſchicht - liches Intereſſe gewöhnt. Allerdings kam hinzu, daß das Mittelalter für das damalige Italien ohnehin vorüber war und daß der Geiſt es erkennen konnte, weil es nun außer ihm lag. Man kann nicht ſagen, daß er es ſogleich mit Gerechtigkeit oder gar mit Pietät beurtheilt habe; in den Künſten ſetzt ſich ein ſtarkes Vorurtheil gegen ſeine Her - vorbringungen feſt, und die Humaniſten datiren von ihrem eigenen Aufkommen an eine neue Zeit: Ich fange an, ſagt Boccaccio1)In dem Briefe an Pizinga, in den Opere volgari vol. XVI. Noch bei Raph. Volaterranus, L. XXI, fängt die geiſtige Welt mit dem XIV. Jahrh. an, alſo bei demſelben Autor, deſſen erſte Bücher ſo viele für jene Zeit treffliche ſpecialgeſchichtliche Ueberſichten für alle Länder enthalten., zu hoffen und zu glauben, Gott habeCultur der Renaiſſance. 162423. Abſchnitt. ſich des italiſchen Namens erbarmt, ſeit ich ſehe, daß ſeine reiche Güte in die Bruſt der Italiener wieder Seelen ſenkt, die denen der Alten gleichen, inſofern ſie den Ruhm auf andern Wegen ſuchen als durch Raub und Gewalt, nämlich auf dem Pfade der unvergänglich machenden Poeſie . Aber dieſe einſeitige und unbillige GeſinnungAnfänge der Kritik. ſchloß doch die Forſchung bei den Höherbegabten nicht aus, zu einer Zeit da im übrigen Europa noch nicht davon die Rede war; es bildete ſich für das Mittelalter eine geſchicht - liche Kritik ſchon weil die rationelle Behandlung aller Stoffe bei den Humaniſten auch dieſem hiſtoriſchen Stoffe zu Gute kommen mußte. Im XV. Jahrhundert durchdringt dieſelbe bereits die einzelnen Städtegeſchichten inſoweit, daß das ſpäte wüſte Fabelwerk aus der Urgeſchichte von Florenz, Venedig, Mailand ꝛc. verſchwindet, während die Chroniken des Nordens ſich noch lange mit jenen poetiſch meiſt werth - loſen, ſeit dem XIII. Jahrhundert erſonnenen Phantaſie - geſpinnſten ſchleppen müſſen.

Den engen Zuſammenhang der örtlichen Geſchichte mit dem Ruhm haben wir ſchon oben bei Anlaß von Florenz (S. 75) berührt. Venedig durfte nicht zurückbleiben; ſo wie etwa eine venezianiſche Geſandtſchaft nach einem großen florentiniſchen Rednertriumph1)Wie der des Giannozzo Mannetti in Gegenwart Nicolaus V[.], der ganzen Curie und zahlreicher, weit her gekommener Fremden; vgl. Vespas. Fior. p. 592 und die vita Jan. Man. eilends nach Hauſe ſchreibt, man möchte ebenfalls einen Redner ſchicken, ſo bedürfen die Venezianer auch einer Geſchichte, welche mit den Werken des Lionardo Aretino und Poggio die Vergleichung aus - halten ſoll. Unter ſolchen Vorausfetzungen entſtanden im XV. Jahrhundert die Decaden des Sabellico, im XVI. die Hiſtoria rerum venetarum des Pietro Bembo, beide Arbeiten in ausdrücklichem Auftrag der Republik, letztere als Fortſetzung der erſtern.

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Die großen florentiniſchen Geſchichtſchreiber zu Anfang3. Abſchnitt. des XVI. Jahrhunderts (S. 83) ſind dann von HauſeItalieniſche Geſchichtſchrei - bung. aus ganz andere Menſchen als die Lateiner Giovio und Bembo. Sie ſchreiben italieniſch, nicht bloß weil ſie mit der raffinirten Eleganz der damaligen Ciceronianer nicht mehr wetteifern können, ſondern weil ſie, wie Macchiavelli, ihren Stoff als einen durch lebendige Anſchauung1)Auch des Vergangenen, darf man bei Macchiavelli ſagen. ge - wonnenen auch nur in unmittelbarer Lebensform wieder - geben mögen und weil ihnen, wie Guicciardini, Varchi und den meiſten Uebrigen, die möglichſt weite und tiefe Wir - kung ihrer Anſicht vom Hergang der Dinge am Herzen liegt. Selbſt wenn ſie nur für wenige Freunde ſchreiben, wie Francesco Vettori, ſo müſſen ſie doch aus innerm Drange Zeugniß geben für Menſchen und Ereigniſſe, und ſich erklären und rechtfertigen über ihre Theilnahme an den letztern.

Und dabei erſcheinen ſie, bei aller Eigenthümlichkeit ihres Styles und ihrer Sprache, doch auf das Stärkſte vom Alterthum berührt und ohne deſſen Einwirkung gar nicht denkbar. Sie ſind keine Humaniſten mehr, allein ſie ſind durch den Humanismus hindurch gegangen und haben vom Geiſt der antiken Geſchichtſchreibung mehr an ſich als die meiſten jener livianiſchen Latiniſten: es ſind Bürger, die für Bürger ſchreiben, wie die Alten thaten.

In die übrigen Fachwiſſenſchaften hinein dürfen wirDas Alterthum als allgem. Vorausſetzung. den Humanismus nicht begleiten; jede derſelben hat ihre Specialgeſchichte, in welcher die italieniſchen Forſcher dieſer Zeit, hauptſächlich vermöge des von ihnen neu entdeckten Sachinhaltes des Alterthums2)Fand man doch bereits damals, daß ſchon Homer allein die Summe aller Künſte und Wiſſenſchaften enthalte, daß er eine Encyclopädie ſei. Vgl. Codri Urcei opera, Sermo XIII, Schluß., einen großen neuen Ab -16*2443. Abſchnitt. ſchnitt bilden, womit dann jedesmal das moderne Zeitalter der betreffenden Wiſſenſchaft beginnt, hier mehr, dort we - niger entſchieden. Auch für die Philoſophie müſſen wir auf die beſondern hiſtoriſchen Darſtellungen verweiſen. Der Einfluß der alten Philoſophen auf die italieniſche Cultur erſcheint dem Blicke bald ungeheuer groß, bald ſehr unter - geordnet. Erſteres beſonders, wenn man nachrechnet, wie die Begriffe des Ariſtoteles, hauptſächlich aus ſeiner früh - verbreiteten Ethik1)Ein Cardinal unter Paul II. ließ ſogar ſeinen Köchen des A. Ethik vortragen. Vgl. Gasp. Veron. vita Pauli II. bei Mura - tori III, II, Col. 1034. und Politik, Gemeingut der Gebildeten von ganz Italien wurden und wie die ganze Art des Ab - ſtrahirens von ihm beherrſcht war2)Für das Studium des Ariſtoteles im Allgemeinen iſt beſonders lehr - reich eine Rede des Hermolaus Barbarus.. Letzteres dagegen, wenn man die geringe dogmatiſche Wirkung der alten Phi - loſophen und ſelbſt der begeiſterten florentiniſchen Platoniker auf den Geiſt der Nation erwägt. Was wie eine ſolche Wirkung ausſieht, iſt in der Regel nur ein Niederſchlag der Bildung im Allgemeinen, eine Folge ſpeciell italieniſcher Geiſtesentwicklungen. Bei Anlaß der Religion wird hier - über noch Einiges zu bemerken ſein. Weit in den meiſten Fällen aber hat man es nicht einmal mit der allgemeinen Bildung ſondern nur mit der Aeußerung einzelner Perſonen oder gelehrter Kreiſe zu thun, und ſelbſt hier müßte jedes - mal unterſchieden werden zwiſchen wahrer Aneignung an - tiker Lehre und bloßem modemäßigem Mitmachen. Denn für Viele war das Alterthum überhaupt nur eine Mode, ſelbſt für Solche, die darin ſehr gelehrt wurden.

Antikiſirung der Namen.Indeß braucht nicht Alles, was unſerm Jahrhundert als Affectation erſcheint, damals wirklich affectirt geweſen zu ſein. Die Anwendung griechiſcher und römiſcher Namen als Taufnamen z. B. iſt noch immer viel ſchöner und245 achtungswerther als die heute beliebte von (zumal weib -3. Abſchnitt. lichen) Namen, die aus Romanen ſtammen. Sobald die Begeiſterung für die alte Welt größer war als die für die Heiligen, erſcheint es ganz einfach und natürlich, daß ein adliches Geſchlecht ſeine Söhne Agamemnon, Achill, und Tydeus taufen ließ1)Bursellis, ann. Bonon., bei Murat. XXIII. Col. 898., daß der Maler ſeinen Sohn Apelles nannte und ſeine Tochter Minerva ꝛc .2)Vasari XI, p. 189. 257, vite di Sodoma e di Garofalo. Begreiflicher Weiſe bemächtigten ſich die liederlichen Weibsperſonen in Rom der volltönendſten antiken Namen Giulia, Lucrezia, Caſ - ſandra, Porzia, Virginia, Penteſilea ꝛc., womit ſie bei Aretino auf - treten. Die Juden mögen vielleicht damals die Namen der großen ſemitiſchen Römerfeinde Amilcare, Annibale, Asdrubale an ſich ge - nommen haben, die ſie noch heute in Rom ſo häufig führen.. Auch ſoviel wird ſich wohl vertheidigen laſſen, daß ſtatt eines Hausnamens, welchem man überhaupt entrinnen wollte, ein wohllautender antiker angenommen wurde. Einen Heimathsnamen, der alle Mitbürger mitbezeichnete und noch gar nicht zum Fa - miliennamen geworden war, gab man gewiß um ſo lieber auf, wenn er zugleich als Heiligenname unbequem wurde; Filippo da S. Gemignano nannte ſich Callimachus. Wer von der Familie verkannt und beleidigt ſein Glück als Ge - lehrter in der Fremde machte, der durfte ſich, auch wenn er ein Sanſeverino war, mit Stolz zum Julius Pomponius Laetus umtaufen. Auch die reine Ueberſetzung eines Na - mens ins Lateiniſche oder ins Griechiſche (wie ſie dann in Deutſchland faſt ausſchließlich Brauch wurde) mag man einer Generation zu Gute halten, welche lateiniſch ſprach und ſchrieb und nicht bloß declinable ſondern leicht in Proſa und Vers mitgleitende Namen brauchte. Tadelhaft und oft lächerlich war erſt das halbe Aendern eines Na - mens, bis er einen claſſiſchen Klang und einen neuen Sinn hatte, ſowohl Taufnamen als Zunamen. So wurde aus Giovanni Jovianus oder Janus, aus Pietro Pierius oder2463. Abſchnitt. Petreius, aus Antonio Aonius u. dgl., ſodann aus Sanna - zaro Syncerus, aus Luca Graſſo Lucius Craſſus u. ſ. w. Arioſto, der ſich über dieſe Dinge ſo ſpöttiſch ausläßt1)Quasi che'l nome i buon giudicî inganni, E che quel meglio t'abbia a far poeta, Che non farà lo studio di molt 'anni! ſo ſpottet Arioſto, der freilich vom Schickſal einen wohllautenden Namen mitbekommen hatte, in der VII. Satire, Vs. 64.; hat es dann noch erlebt, daß man Kinder nach ſeinen Hel - den und Heldinnen benannte2)Oder ſchon nach denjenigen des Bojardo, die zum Theil die ſeinigen ſind..

Antike Umſchreibung vieler Dinge.Auch die Antikiſirung vieler Lebensverhältniſſe, Amts - namen, Verrichtungen, Ceremonien u. ſ. w. in den lateini - ſchen Schriftſtellern darf nicht zu ſtrenge beurtheilt werden. So lange man ſich mit einem einfachen, fließenden Latein begnügte, wie dieß bei den Schriftſtellern etwa von Petrarca bis auf Aeneas Sylvius der Fall war, kam dieß allerdings nicht in auffallender Weiſe vor, unvermeidlich aber wurde es, ſeit man nach einem abſolut reinen, zumal ciceroniſchen Latein ſtrebte. Da fügten ſich die modernen Dinge nicht mehr in die Totalität des Styles, wenn man ſie nicht künſtlich umtaufte. Pedanten machten ſich nun ein Ver - gnügen daraus, jeden Stadtrath als Patres conſcripti, jedes Nonnenkloſter als Virgines Veſtales, jeden Heiligen als Divus oder Deus zu betiteln, während Leute von feinerm Geſchmack wie Paolo Giovio damit wahrſcheinlich nur thaten was ſie nicht vermeiden konnten. Weil Giovio keinen Accent darauf legt, ſtört es auch nicht, wenn in ſeinen wohllau - tenden Phraſen die Cardinäle Senatores heißen, ihr Decan Princeps Senatus, die Excommunication Dirae3)So werden die Soldaten des franzöſ. Heeres 1512: omnibus diris ad inferos devocati. Den guten Domherrn Tizio, welcher es ernſtlicher meinte und gegen fremde Truppen eine Erecrationsformel aus Macrobius ausſprach, werden wir unten wieder erwähnen., der Car -247 neval Lupercalia u. ſ. w. Wie ſehr man ſich hüten muß,3. Abſchnitt. aus dieſer Stylſache einen voreiligen Schluß auf die ganze Denkweiſe zu ziehen, liegt gerade bei dieſem Autor klar zu Tage.

Die Geſchichte des lateiniſchen Styles an ſich dürfenAlleinherrſchaft. Lateiniſchen. wir hier nicht verfolgen. Volle zwei Jahrhunderte hindurch thaten die Humaniſten dergleichen, als ob das Lateiniſche überhaupt die einzige würdige Schriftſprache wäre und bleiben müßte. Poggio1)De infelicitate principum, in Poggii opera, fol. 152: Cuius (Dantis) exstat poema præclarum, neque, si literis latinis constaret, ulla ex parte poetis superioribus (den Alten) post - ponendum. Laut Boccaccio, vita di Dante, p. 74 warfen ſchon damals viele und darunter weiſe Leute die Frage auf, warum wohl Dante nicht lateiniſch gedichtet? bedauert, daß Dante ſein großes Gedicht italieniſch verfaßt habe, und bekanntlich hatte Dante es in der That mit dem Lateiniſchen verſucht und den Anfang des Inferno zuerſt in Hexametern gedichtet. Das ganze Schickſal der italieniſchen Poeſie hing davon ab, daß er nicht in dieſer Weiſe fortfuhr2)Seine Schrift de vulgari eloquio war lange Zeit faſt unbekannt und wäre auf keinen Fall der ſiegreichen Wirkung der Divina Com - media gleichgekommen, ſo werthvoll ſie für uns iſt., aber noch Petrarca verließ ſich mehr auf ſeine lateiniſchen Dichtungen als auf ſeine Sonette und Canzonen, und die Zumuthung lateiniſch zu dichten, iſt noch an Arioſto ergangen. Einen ſtärkern Zwang hat es in literariſchen Dingen nie gegeben3)Wer den vollen Fanatismus hierin will kennen lernen, vergleiche Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temporis, a. m. O., allein die Poeſie entwiſchte demſelben größtentheils und jetzt können wir wohl ohne allzugroßen Optimismus ſagen: es iſt gut daß die italieniſche Poeſie zweierlei Organe hatte, denn ſie hat in beiden Vortreffliches und Eigenthümliches geleiſtet, und zwar ſo, daß man inne wird, weßhalb hier italieniſch,2483. Abſchnitt. dort lateiniſch gedichtet wurde. Vielleicht gilt Aehnliches auch von der Proſa; die Weltſtellung und der Weltruhm der italieniſchen Bildung hing davon ab, daß gewiſſe Gegen - ſtände lateiniſch Urbi et orbi behandelt wurden1)Freilich giebt es auch zugeſtandene Stylübungen, wie z. B. in den Orationes etc. des ältern Beroaldus die zwei aus Boccaccio in's Lateiniſche überſetzten Novellen, ja eine Canzone aus Petrarca., während die italieniſche Proſa gerade von denjenigen am Beſten gehandhabt worden iſt, welchen es einen innern Kampf koſtete, nicht lateiniſch zu ſchreiben.

Quellen des Styles; Cicero.Als reinſte Quelle der Proſa galt ſeit dem XIV. Jahr - hundert unbeſtritten Cicero. Dieß kam bei Weitem nicht bloß von einer abſtracten Ueberzeugung zu Gunſten ſeiner Wörter, ſeiner Satzbildung und ſeiner literariſchen Com - poſitionsweiſe her, ſondern im italieniſchen Geiſte fand die Liebenswürdigkeit des Briefſchreibers, der Glanz des Red - ners, die klare beſchauliche Art des philoſophiſchen Dar - ſtellers einen vollen Wiederklang. Schon Petrarca erkannte vollſtändig die Schwächen des Menſchen und Staatsmannes Cicero2)Vgl. Petrarca's Briefe aus der Oberwelt an erlauchte Schatten. Opera, p. 704, s. Außerdem p. 372 in der Schrift de rep. op - time administranda: sic esse doleo, sed sic est ., er hatte nur zu viel Reſpect um ſich darüber zu freuen; ſeit ihm hat ſich zunächſt die Epiſtolographie faſt ausſchließlich nach Cicero gebildet und die andern Gat - tungen, mit Ausnahme der erzählenden, folgten nach. Doch der wahre Ciceronianismus, der ſich jeden Ausdruck ver - ſagte, wenn derſelbe nicht aus der Quelle zu belegen war, beginnt erſt zu Ende des XV. Jahrhunderts, nachdem die grammatiſchen Schriften des Lorenzo Valla ihre Wirkung durch ganz Italien gethan, nachdem die Ausſagen der - miſchen Literarhiſtoriker ſelbſt geſichtet und verglichen waren3)Ein burleskes Bild des[fanatiſchen] Purismus in Rom giebt Jovian. Pontanus in ſeinem Antonius .. Jetzt erſt unterſcheidet man genauer und bis auf das Ge -249 naueſte die Stylſchattirungen in der Proſa der Alten, und3. Abſchnitt. kommt mit tröſtlicher Sicherheit immer wieder auf das Er - gebniß, daß Cicero allein das unbedingte Muſter ſei, oder, wenn man alle Gattungen umfaſſen wollte: jenes unſterb - liche und faſt himmliſche Zeitalter Cicero's 1)Hadriani (Cornetani) Card. S. Chrysogoni de sermone latino liber. Hauptſächlich die Einleitung. Er findet in Cicero und ſeinen Zeitgenoſſen die Latinität an ſich .. Jetzt wandten Leute wie Pietro Bembo, Pierio Valeriano u. a. ihre beſten Kräfte auf dieſes Ziel; auch ſolche, die lange widerſtrebt und ſich aus den älteſten Autoren eine archaiſtiſche Diction zuſammengebaut2)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Bapt. Pius., gaben endlich nach und knieten vor Cicero; jetzt ließ ſich Longolius von Bembo beſtimmen, fünf Jahre lang nur Cicero zu leſen; derſelbe gelobte ſich gar kein Wort zu brauchen, welches nicht in dieſem Autor vorkäme, und ſolche Stimmungen brachen dann zu jenem großen gelehrten Streit aus, in welchem Erasmus und der ältere Scaliger die Schaaren führten.

Denn auch die Bewunderer Cicero's waren doch langeBedingte und unbedingte Ci - ceronianer. nicht alle ſo einſeitig, ihn als die einzige Quelle der Sprache gelten zu laſſen. Noch im XV. Jahrhundert wagten Po - liziano und Ermolao Barbaro, mit Bewußtſein nach einer eigenen, individuellen Latinität zu ſtreben3)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Naugerius. Ihr Ideal ſei geweſen: aliquid in stylo proprium, quod peculiarem ex certa nota mentis effigiem referret, ex naturæ genio effin -, natürlich auf der Baſis einer überquellend großen Gelehrſamkeit, und dieſes Ziel hat auch Derjenige verfolgt, welcher uns dieß meldet, Paolo Giovio. Er hat eine Menge moderner Ge - danken, zumal äſthetiſcher Art, zuerſt und mit großer An - ſtrengung lateiniſch wiedergegeben, nicht immer glücklich, aber bisweilen mit einer merkwürdigen Kraft und Eleganz. Seine lateiniſchen Characteriſtiken der großen Maler und2503. Abſchnitt. Bildhauer jener Zeit1)Paul. Jov. Dialogus de viris literis illustribus, bei Tiraboschi, ed. Venez. 1796, Tom. VII, parte IV. Bekanntlich wollte Giovio eine Zeitlang diejenige große Arbeit unternehmen, welche dann Va - ſari durchführte. In jenem Dialog wird auch geahnt und beklagt, daß das Lateinſchreiben ſeine Herrſchaft bald gänzlich verlieren werde. enthalten das Geiſtvollſte und das Mißrathenſte nebeneinander. Auch Leo X., der ſeinen Ruhm darein ſetzte ut lingua latina nostro pontificatu dica - tur facta auctior 2)In dem Breve von 1517 an Franc. de' Roſi, concipirt von Sado - leto, bei Roscoe, Leo X, ed. Bossi VI, p. 172., neigte ſich einer liberalen, nicht ausſchließlichen Latinität zu, wie dieß bei ſeiner Richtung auf den Genuß nicht anders möglich war; ihm genügte es,Die lateiniſche Converſation. wenn das was er anzuhören und zu leſen hatte, wahrhaft lateiniſch, lebendig und elegant erſchien. Endlich gab Cicero für die lateiniſche Converſation kein Vorbild, ſo daß man hier gezwungen war, andere Götter neben ihm zu verehren. In die Lücke traten die in und außerhalb Rom ziemlich häufigen Aufführungen der Comödien des Plautus und Terenz, welche für die Mitſpielenden eine unvergleichliche Uebung des Lateiniſchen als Umgangsſprache abgaben. Schon unter Paul II. wird3)Gasp. Veronens. vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 1031. Außerdem wurden etwa Seneca und lateiniſche Ueberſetzungen nach griechiſchen Dramen aufgeführt. der gelehrte Cardinal von Theanum (wahrſcheinlich Nicolò Fortiguerra von Piſtoja) gerühmt weil er ſich auch an die ſchlechterhaltenſten, der Perſonenverzeichniſſe beraubten plautiniſchen Stücke wage und dem ganzen Autor um der Sprache willen die größte Aufmerkſamkeit widme, und von ihm könnte wohl auch die Anregung zum Aufführen jener Stücke ausgegangen ſein. Dann nahm ſich Pomponius Laetus der Sache an und wo in den Säulenhöfen großer Prälaten Plautus über die Scene3)xisse. Poliziano genirte ſich bereits, wenn er Eile hatte, ſeine Briefe lateiniſch zu ſchreiben, vgl. Raph. Volat. comment. urban. L. XXI. 251 ging1)In Ferrara ſpielte man Plautus wohl meiſt in italieniſcher Bearbei - tung von Collenuccio, dem jüngern Guarino u. A., um des Inhaltes willen, und Iſabella Gonzaga erlaubte ſich, dieſen langweilig zu finden. Ueber Pomp. Laetus vgl. Sabellici opera, Epist. L. XI, fol. 56, s. , war er Regiſſeur. Daß man ſeit etwa 1520 da -3. Abſchnitt. von abkam, zählt Giovio, wie wir (S. 236) ſahen mit unter die Urſachen des Verfalls der Eloquenz.

Zum Schluß dürfen wir hier eine Parallele des Ci - ceronianismus aus dem Gebiete der Kunſt namhaft machen: den Vitruvianismus der Architecten. Und zwar erwahrt ſich auch hier das durchgehende Geſetz der Renaiſſance, daß die Bewegung in der Bildung durchgängig der analogen Kunſtbewegung vorangeht. Im vorliegenden Fall möchte der Unterſchied etwa zwei Jahrzehnde betragen, wenn man von Cardinal Hadrian von Corneto (1505?) bis auf die erſten abſoluten Vitruvianer rechnet.

Der höchſte Stolz des Humaniſten endlich iſt die neu -Lateiniſche Dichtung. lateiniſche Dichtung. So weit ſie den Humanismus cha - racteriſiren hilft, muß auch ſie hier behandelt werden.

Wie vollſtändig ſie das Vorurtheil für ſich hatte, wie nahe ihr der entſchiedene Sieg ſtand, wurde oben (S. 247) dargethan. Man darf von vornherein überzeugt ſein, daß die geiſtvollſte und meiſtentwickelte Nation der damaligen Welt nicht aus bloßer Thorheit, nicht ohne etwas Bedeu - tendes zu wollen, in der Poeſie auf eine Sprache verzich - tete wie die italieniſche iſt. Eine übermächtige Thatſache muß ſie dazu beſtimmt haben.

Dieß war die Bewunderung des Alterthums. Wie jede echte, rückhaltloſe Bewunderung erzeugte ſie nothwendig die Nachahmung. Auch in andern Zeiten und bei andern Völkern finden ſich eine Menge vereinzelter Verſuche nach dieſem nämlichen Ziele hin, nur in Italien aber waren2523. Abſchnitt. die beiden Hauptbedingungen der Fortdauer und Weiter - bildung für die neulateiniſche Poeſie vorhanden: ein allſei - tiges Entgegenkommen bei den Gebildeten der Nation und ein theilweiſes Wiedererwachen des antiken italiſchen Ge - nius in den Dichtern ſelbſt, ein wunderſames WeiterklingenIhr Werth. eines uralten Saitenſpiels. Das Beſte was ſo entſteht iſt nicht mehr Nachahmung ſondern eigene freie Schöpfung. Wer in den Künſten keine abgeleiteten Formen vertragen kann, wer entweder ſchon das Alterthum ſelber nicht ſchätzt oder es im Gegentheil für magiſch unnahbar und unnach - ahmlich hält, wer endlich gegen Verſtöße keine Nachſicht übt bei Dichtern, welche z. B. eine Menge Sylbenquanti - täten neu entdecken oder errathen mußten, der laſſe dieſe Literatur bei Seite. Ihre ſchönern Werke ſind nicht ge - ſchaffen um irgend einer abſoluten Kritik zu trotzen, ſondern um den Dichter und viele Tauſende ſeiner Zeitgenoſſen zu erfreuen1)Für das Folgende ſ. die Deliciæ poetarum italor. ; Paul. Jovius, elogia; Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temporis; die Beilagen zu Roscoe, Leone X, ed. Bossi..

Geſchichtliches Epos.Am wenigſten Glück hatte man mit dem Epos aus Geſchichten und Sagen des Alterthums. Die weſentlichen Bedingungen einer lebendigen epiſchen Poeſie werden be - kanntlich nicht einmal den römiſchen Vorbildern, ja außer Homer nicht einmal den Griechen zuerkannt; wie hätten ſie ſich bei den Lateinern der Renaiſſance finden ſollen. Indeß möchte doch die Africa des Petrarca im Ganzen ſo viele und ſo begeiſterte Leſer und Hörer gefunden haben als irgend ein Epos der neuern Zeit. Abſicht und Entſtehung des Gedichtes ſind nicht ohne Intereſſe. Das XIV. Jahr - hundert erkannte mit ganz richtigem Gefühl in der Zeit des zweiten puniſchen Krieges die Sonnenhöhe des Römer - thums, und dieſe wollte und mußte Petrarca behandeln. Wäre Silius Italicus ſchon entdeckt geweſen, ſo hätte er253 vielleicht einen andern Stoff gewählt, in deſſen Ermanglung3. Abſchnitt. aber lag die Verherrlichung des ältern Scipio Africanus dem XV. Jahrhundert ſo nahe, daß ſchon ein anderer Dichter, Zanobi di Strada, ſich dieſe Aufgabe geſtellt hatte; nur aus Hochachtung für Petrarca zog er ſein bereits vor - gerücktes Gedicht zurück1)Filippo Villani, vite, p. 5. . Wenn es irgend eine Berech - tigung für die Africa gab, ſo lag ſie darin, daß ſich da - mals und ſpäter Jedermann für Scipio intereſſirte als lebte er noch, daß er für größer galt als Alexander, Pom - pejus und Cäſar2)Franc. Aleardi oratio in laudem Franc. Sfortiæ bei Murat. XXV. Col. 384. Bei der Parallele zwiſchen Scipio und Cäſar war Guarino für den letztern, Poggio (Opera, epp. fol. 125. 134, s.) für erſtern als für den Größten. Scipio und Hannibal in den Miniaturen des Attavante, ſ. Vasari IV, 41, vita di Fiesole. Die Namen Beider für Picinino und Sforza gebraucht, S. 100.. Wie viele neuere Epopöen haben ſich eines für ihre Zeit ſo populären, im Grunde hiſtoriſchen und dennoch für die Anſchauung mythiſchen Gegenſtandes zu rühmen? An ſich iſt das Gedicht jetzt freilich ganz un - lesbar. Für andere hiſtoriſche Sujets müſſen wir auf die Literaturgeſchichten verweiſen.

Reicher und ausgiebiger war ſchon das WeiterdichtenMythologiſche und bucoliſche Poeſie. am antiken Mythus. das Ausfüllen der poetiſchen Lücken in demſelben. Hier griff auch die italieniſche Dichtung früh ein, ſchon mit der Teſeide des Boccaccio, welche als deſſen beſtes poetiſches Werk gilt. Lateiniſch dichtete Maffeo Vegio unter Martin V. ein dreizehntes Buch zur Aeneide; dann finden ſich eine Anzahl kleinerer Verſuche zumal in der Art des Claudian, eine Meleagris, eine Hesperis ꝛc. Das Merkwürdigſte aber ſind die neu erſonnenen Mythen, welche die ſchönſten Gegenden Italiens mit einer Urbevölkerung von Göttern, Nymphen, Genien und auch Hirten erfüllen, wie denn überhaupt hier das Epiſche und das Bucoliſche nicht mehr zu trennen ſind. Daß in den bald erzählenden,2543. Abſchnitt. bald dialogiſchen Eclogen ſeit Petrarca das Hirtenleben ſchon beinah völlig1)Die glänzenden Ausnahmen, wo das Landleben realiſtiſch behandelt auftritt, werden ebenfalls unten zu erwähnen ſein. conventionell, als Hülle beliebiger Phantaſien und Gefühle behandelt iſt, wird bei ſpäterm Anlaß wieder hervorzuheben ſein; hier handelt es ſich nur um die neuen Mythen. Deutlicher als ſonſt irgendwo ver - räth es ſich hier, daß die alten Götter in der Renaiſſance eine doppelte Bedeutung haben: einerſeits erſetzen ſie aller - dings die allgemeinen Begriffe und machen die allegoriſchen Figuren unnöthig, zugleich aber ſind ſie auch ein freies, ſelbſtändiges Element der Poeſie, ein Stück neutrale Schön - heit, welches jeder Dichtung beigemiſcht und ſtets neu com - binirt werden kann. Keck voran ging Boccaccio mit ſeiner imaginären Götter - und Hirtenwelt der Umgebung von Florenz, in ſeinem Ninfale d'Ameto und Ninfale fieſolano, welche italieniſch gedichtet ſind. Das Meiſterwerk aber möchte wohl der Sarca des Pietro Bembo2)Abgedruckt bei Mai, Spicilegium romanum, Vol. VIII. (Gegen 500 Hexameter ſtark.) Pierio Valeriano dichtete an dem Mythus weiter; ſein carpio in der Deliciæ poet. ital. Die Fresken des Bruſaſorci am Pal. Murari zu Verona ſtellen den Inhalt des Sarca vor. ſein: die Werbung des Flußgottes jenes Namens um die Nymphe Garda, das prächtige Hochzeitsmahl in einer Höhle am Monte Baldo, die Weiſſagung der Manto, Tochter des Tireſias, von der Geburt des Kindes Mincius, von der Gründung Mantua's, und vom künftigen Ruhme des Vir - gil, der als Sohn des Mincius und der Nymphe von Andes, Maja, geboren werden wird. Zu dieſem ſtattlichen huma - niſtiſchen Rococo fand Bembo ſehr ſchöne Verſe und eine Schlußanrede an Virgil, um welche ihn jeder Dichter be - neiden kann. Man pflegt dergleichen als bloße Declamation gering zu achten, worüber als über eine Geſchmacksſache, mit Niemanden zu rechten iſt.

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Ferner entſtanden umfangreiche epiſche Gedichte bibliſchen3. Abſchnitt. und kirchlichen Inhaltes in Hexametern. Nicht immer be -Chriſtliches Epos. zweckten die Verfaſſer damit eine kirchliche Beförderung oder die Erwerbung päpſtlicher Gunſt; bei den Beſten, und auch bei Ungeſchicktern wie Battiſta Mantuano, dem Verfaſſer der Parthenice, wird man ein ganz ehrliches Verlangen vorausſetzen dürfen, mit ihrer gelehrten lateiniſchen Poeſie dem Heiligen zu dienen, womit freilich ihre halbheidniſche Auffaſſung des Catholicismus nur zu wohl zuſammenſtimmte. Gyraldus zählt ihrer eine Anzahl auf, unter welchen Vida mit ſeiner Chriſtiade, Sannazaro mit ſeinen drei GeſängenSannazaro. De partu Virginis in erſter Reihe ſtehen. Sannazaro imponirt durch den gleichmäßigen gewaltigen Fluß, in wel - chen er Heidniſches und Chriſtliches ungeſcheut zuſammen - drängt, durch die plaſtiſche Kraft der Schilderung, durch die vollkommen ſchöne Arbeit. Er hatte ſich nicht vor der Vergleichung zu fürchten, als er die Verſe von Virgils vierter Ecloge in den Geſang der Hirten an der Krippe verflocht. Im Gebiet des Jenſeitigen hat er da und dort einen Zug dantesker Kühnheit, wie z. B. König David im Limbus der Patriarchen ſich zu Geſang und Weiſſagung erhebt, oder wie der Ewige thronend in ſeinem Mantel, der von Bildern alles elementaren Daſeins ſchimmert, die himm - liſchen Geiſter anredet. Andere Male bringt er unbedenklich die alte Mythologie mit ſeinem Gegenſtande in Verbindung, ohne doch eigentlich barock zu erſcheinen, weil er die Heiden - götter nur gleichſam als Einrahmung benutzt, ihnen keine Hauptrollen zutheilt. Wer das künſtleriſche Vermögen jener Zeit in ſeinem vollen Umfang kennen lernen will, darf ſich gegen ein Werk wie dieſes nicht abſchließen. Sannazaro's Verdienſt erſcheint um ſo viel größer, da ſonſt die Ver - miſchung von Chriſtlichem und Heidniſchem in der PoeſieEinmiſchung d. Mythologie. viel leichter ſtört als in der bildenden Kunſt; letztere kann das Auge dabei beſtändig durch irgend eine beſtimmte, greif - bare Schönheit ſchadlos halten und iſt überhaupt von der2563. Abſchnitt. Sachbedeutung ihrer Gegenſtände viel unabhängiger als die Poeſie, indem die Einbildungskraft bei ihr eher an der Form, bei der Poeſie eher an der Sache weiterſpinnt. Der gute Battiſta Mantuano in ſeinem1)De sacris diebus. Feſtkalender hatte einen andern Ausweg verſucht; ſtatt Götter und Halbgötter der heiligen Geſchichte dienen zu laſſen, bringt er ſie, wie die Kirchenväter thaten, in Gegenſatz zu derſelben; während der Engel Gabriel zu Nazareth die Jungfrau grüßt, iſt ihm Mercur vom Carmel her nachgeſchwebt und lauſcht nun an der Pforte; dann berichtet er das Gehörte den verſammelten Göttern und bewegt ſie damit zu den äußer - ſten Entſchlüſſen. Andere Male2)Z. B. in ſeiner achten Ecloge. freilich müſſen bei ihm Thetis, Ceres, Aeolus u. ſ. w. wieder der Madonna und ihrer Herrlichkeit gutwillig unterthan ſein.

Sannazaro's Ruhm, die Menge ſeiner Nachahmer, die begeiſterte Huldigung der Größten jener Zeit dieß Alles zeigt, wie ſehr er ſeinem Jahrhundert nöthig und werth war. Für die Kirche beim Beginn der Reformation löste er das Problem: völlig claſſiſch und doch chriſtlich zu dichten, und Leo ſowohl als Clemens ſagten ihm lauten Dank dafür.

Zeitgeſchicht - liche Dichtung.Endlich wurde in Hexametern oder Diſtichen auch die Zeitgeſchichte behandelt, bald mehr erzählend bald mehr panegyriſch, in der Regel aber zu Ehren eines Fürſten oder Fürſtenhauſes. So entſtand eine Sphorcias, eine Borſeïs, eine Borgias, eine Triultias u. ſ. w., freilich mit gänzlichem Verfehlen des Zweckes, denn wer irgend berühmt und un - ſterblich geblieben iſt, der blieb es nicht durch dieſe Art von Gedichten, gegen welche die Welt einen unvertilgbaren Widerwillen hat, ſelbſt wenn ſich gute Dichter dazu her - geben. Ganz anders wirken kleinere, genreartig und ohne Pathos ausgeführte Einzelbilder aus dem Leben der berühmten257 Männer, wie z. B. das ſchöne Gedicht von Leo's X. Jagd3. Abſchnitt. bei Palo1)Roscoe, Leone X, ed. Bossi VIII, 184; ſowie noch ein Gedicht ähnlichen Styles XII, 130. Wie nahe ſteht ſchon Angilberts Gedicht vom Hofe Carls des Großen dieſer Renaiſſance. Vgl. Pertz, monum. II. , oder die Reiſe Julius II. von Hadrian von Corneto (S. 121). Glänzende Jagdſchilderungen jener Art giebt es auch von Ercole Strozza, von dem eben ge - nannten Hadrian u. A. m., und es iſt Schade wenn ſich der moderne Leſer durch die zu Grunde liegende Schmeichelei abſchrecken oder erzürnen läßt. Die Meiſterſchaft der Be - handlung und der bisweilen nicht unbedeutende geſchichtliche Werth ſichern dieſen anmuthigen Dichtungen ein längeres Fortleben als manche jetzt namhafte Poeſien unſerer Zeit haben dürften.

Im Ganzen ſind dieſe Sachen immer um ſo viel beſſer, je mäßiger die Einmiſchung des Pathetiſchen und Allge - meinen iſt. Es giebt einzelne kleinere epiſche Dichtungen von berühmten Meiſtern, die durch barockes mythologiſchesMythologiſi - rung. Dreinfahren unbewußt einen unbeſchreiblich komiſchen Ein - druck hervorbringen. So das Trauergedicht des Ercole Strozza2)Strozii poetæ, p. 31. s. Cæsaris Borgiæ ducis epicedium. auf Ceſare Borgia (S. 115). Man hört die klagende Rede der Roma, welche all ihre Hoffnung auf die ſpaniſchen Päpſte Calixt III. und Alexander VI. geſetzt hatte und dann Ceſare für den Verheißenen hielt, deſſen Geſchichte durchgegangen wird bis zur Kataſtrophe des Jahres 1503. Dann frägt der Dichter die Muſe, welches in jenem Augenblick3)Pontificem addiderat, flammis lustralibus omneis Corporis ablutum labes, Diis Juppiter ipsis etc. die Rathſchlüſſe der Götter geweſen, und Erato erzählt: auf dem Olymp nahmen Pallas für die Spanier, Venus für die Italiener Partei; beide um - faßten Jupiters Knie, worauf er ſie küßte, begütigte und ſich ausredete, er vermöge nichts gegen das von den ParzenCultur der Renaiſſance. 172583. Abſchnitt. geſponnene Schickſal, die Götterverheißungen würden ſich aber erfüllen durch das Kind vom Hauſe Eſte-Borgia1)Es iſt der ſpätere Ercole II. von Ferrara, geb. 4. April 1508, wahrſcheinlich kurz vor oder nach Abfaſſung dieſes Gedichtes. Nas - cere magne puer matri exspectate patrique, heißt es gegen Ende.; nachdem er die abenteuerliche Urgeſchichte beider Familien erzählt, betheuert er, dem Ceſare ſo wenig die Unvergäng - lichkeit ſchenken zu können als einſt trotz großer Für - bitten einem Memnon oder Achill; endlich ſchließt er mit dem Troſte, Ceſare werde vorher noch im Krieg viele Leute umbringen. Nun geht Mars nach Neapel und be - reitet Krieg und Streit, Pallas aber eilt nach Nepi und erſcheint dort dem kranken Ceſare unter der Geſtalt Alexan - ders VI. ; nach einigen Vermahnungen, ſich zu ſchicken und ſich mit dem Ruhme ſeines Namens zu begnügen, ver - ſchwindet die päpſtliche Göttinn wie ein Vogel .

Man verzichtet indeß unnützer Weiſe auf einen bis - weilen großen Genuß, wenn man Alles perhorrescirt, worein antike Mythologie wohl oder übel verwoben iſt; bisweilen hat die Kunſt dieſen an ſich conventionellen Beſtandtheil ſo ſehr geadelt als in Malerei und Sculptur. Auch fehlt es ſogar für den Liebhaber nicht an Anfängen der Parodie (S. 160) z. B. in der Macaroneide, wozu dann das komiſche Götterfeſt des Giovanni Bellini bereits eine Parallele bildet.

Berechtigung d. poetiſchen Form für Zeit - geſchichte.Manche erzählende Gedichte in Hexametern ſind auch bloße Exercitien oder Bearbeitungen von Relationen in Proſa, welche letztere der Leſer vorziehen wird, wo er ſie findet. Am Ende wurde bekanntlich Alles, jede Fehde und jede Ceremonie beſungen, auch von den deutſchen Huma - niſten der Reformationszeit2)Vgl. die Sammlungen der Scriptores von Schardius, Freher ꝛc.. Indeß würde man Unrecht thun, dieß bloß dem Müſſiggang und der übergroßen Leich - tigkeit im Verſemachen zuzuſchreiben. Bei den Italienern259 wenigſtens iſt es ein ganz entſchiedener Ueberſchuß an Styl -3. Abſchnitt. gefühl, wie die gleichzeitige Maſſe von italieniſchen Berich - ten, Geſchichtsdarſtellungen und ſelbſt Pamphleten in Ter - zinen beweist. So gut Niccolo da Uzzano ſein Placat mit einer neuen Staatsverfaſſung, Macchiavelli ſeine Ueberſicht der Zeitgeſchichte, ein Dritter das Leben Savonarola's, ein Vierter die Belagerung von Piombino durch Alfons den Großen1)Uzzano ſ. Arch. IV, I, 296. Macchiavelli: i Decennali. Savonarola's Geſchichte u. d. Titel Cedrus Libani von Fra Benedetto. Assedio di Piombino, bei Murat. XXV. Hiezu als Parallele der Teuerdank und andere Reimwerke des Nordens. u. ſ. w. in dieſe ſchwierige italieniſche Versart goſſen, um eindringlicher zu wirken, eben ſo gut mochten viele Andere für ihr Publicum des Hexameters bedürfen um es zu feſſeln. Was man in dieſer Form vertragen konnte und begehrte, zeigt am beſten die didactiſche Poeſie. Didactiſche Poeſie.Dieſe nimmt im XVI. Jahrhundert einen ganz erſtaun - lichen Aufſchwung, um das Goldmachen, das Schachſpiel, die Seidenzucht, die Aſtronomie, die veneriſche Seuche u. dgl. in Hexametern zu beſingen, wozu noch mehrere umfaſſende italieniſche Dichtungen kommen. Man pflegt dergleichen heutzutage ungeleſen zu verdammen, und inwiefern dieſe Lehrgedichte wirklich leſenswerth ſind, wüßten auch wir nicht zu ſagen. Eins nur iſt gewiß, daß Epochen, die der unſrigen an Schönheitsſinn unendlich überlegen waren, daß die ſpätgriechiſche und die römiſche Welt und die Renaiſſance die betreffende Gattung von Poeſie nicht entbehren konnten. Man mag dagegen einwenden, daß heute nicht der Mangel an Schönheitsſinn ſondern der größere Ernſt und die uni - verſaliſtiſche Behandlung alles Lehrenswerthen die poetiſche Form ausſchlöſſen, was wir auf ſich beruhen laſſen.

Eines dieſer didactiſchen Werke wird noch jetzt hie und da wieder aufgelegt: der Zodiacus des Lebens, von Mar - cellus Palingenius, einem ferrareſiſchen Cryptoproteſtanten. 17*2603. Abſchnitt. An die höchſten Fragen von Gott, Tugend und Unſterb - lichkeit knüpft der Verfaſſer die Beſprechung vieler Ver - hältniſſe des äußern Lebens und iſt von dieſer Seite auch eine nichtzuverachtende ſittengeſchichtliche Autorität. Im Weſentlichen jedoch geht ſein Gedicht ſchon aus dem Rahmen der Renaiſſance heraus, wie denn auch, ſeinem ernſten Lehr - zweck gemäß, bereits die Allegorie der Mythologie den Rang abläuft.

Lateiniſche Lyrik.Weit am nächſten kam aber der Poet-Philolog dem Alterthum in der Lyrik, und zwar ſpeciell in der Elegie; außerdem noch im Epigramm.

In der leichtern Gattung übte Catull eine wahrhaft fascinirende Wirkung auf die Italiener aus. Manches elegante lateiniſche Madrigal, manche kleine Invective, manches boshafte Billet iſt reine Umſchreibung nach ihm; dann werden verſtorbene Hündchen, Papageien u. ſ. w. beklagt ohne ein Wort aus dem Gedicht von Lesbiens Sperling und doch in völliger Abhängigkeit von deſſen Gedankengang. Indeß giebt es kleine Gedichte dieſer Art, welche auch den Kenner über ihr wahres Alter täuſchen können, wenn nicht ein ſachlicher Bezug klar auf das XV. oder XVI. Jahr - hundert hinweist.

Dagegen möchte von Oden des ſapphiſchen, alcäiſchen ꝛc. Versmaßes kaum eine zu finden ſein, welche nicht irgend - wie ihren modernen Urſprung deutlich verriethe. Dieß geſchieht meiſt durch eine rhetoriſche Redſeligkeit, welche im Alterthum erſt etwa dem Statius eigen iſt, durch einen auffallenden Mangel an lyriſcher Concentration, wie dieſe Gattung ſie durchaus verlangt. Einzelne Partien einer Ode, 2 oder 3 Strophen zuſammen, ſehen wohl etwa wie ein antikes Fragment aus, ein längeres Ganzes hält dieſe Farbe ſelten feſt. Und wo dieß der Fall iſt, wie z. B. in der ſchönen Ode an Venus von Andrea Navagero, da er - kennt man leicht eine bloße Umſchreibung nach antiken261 Meiſterwerken1)Hier nach dem Eingang des Lucretius und nach Horat. Od. IV, I. . Einige Odendichter bemächtigen ſich des3. Abſchnitt. Heiligencultes und bilden ihre Invocationen ſehr geſchmack - voll den horaziſchen und catulliſchen Oden analogen In - haltes nach. So Navagero in der Ode an den ErzengelDie Oden auf Heilige. Gabriel, ſo beſonders Sannazaro, der in der Subſtituirung einer heidniſchen Andacht ſehr weit geht. Er feiert vor - züglich ſeinen Namensheiligen2)Das Hereinziehen eines Schutzheiligen in ein weſentlich heidniſches Beginnen haben wir S. 58 ſchon bei einem ernſtern Anlaß kennen gelernt., deſſen Capelle zu ſeiner herrlich gelegenen kleinen Villa am Geſtade des Poſilipp gehörte, dort wo die Meereswoge den Felsquell wegſchlürft und an die Mauer des kleinen Heiligthums anſchlägt . Seine Freude iſt das alljährliche St. Nazariusfeſt, und das Laubwerk und die Guirlanden, womit das Kirchlein zumal an dieſem Tage geſchmückt wird, erſcheinen ihm als Opfergaben. Auch fern auf der Flucht, mit dem verjagten Federigo von Aragon, zu St. Nazaire an der Loiremün - dung, bringt er voll tiefen Herzeleides ſeinem Heiligen am Namenstage Kränze von Bux und Eichenlaub; er gedenkt früherer Jahre, da die jungen Leute des ganzen Poſilipp zu ſeinem Feſte gefahren kamen auf bekränzten Nachen, und fleht um Heimkehr3)Si satis ventos tolerasse et imbres Ac minas fatorum hominumque fraudes, Da Pater tecto salientem avito Cernere fumum! .

Täuſchend antik erſcheinen vorzüglich eine Anzahl Ge -Gedichte elegi - ſcher Form. dichte in elegiſchem Versmaß oder auch bloß in Hexametern, deren Inhalt von der eigentlichen Elegie bis zum Epigramm herabreicht. So wie die Humaniſten mit dem Text der römiſchen Elegiker am allerfreiſten umgingen, ſo fühlten ſie ſich denſelben auch in der Nachbildung am Meiſten ge - wachſen. Navagero's Elegie an die Nacht iſt ſo wenig frei2623. Abſchnitt. von Reminiscenzen aus jenen Vorbildern als irgend ein Gedicht dieſer Art und Zeit, aber dabei vom ſchönſten an - tiken Klang. Ueberhaupt ſorgt Navagero1)Andr. Naugerii orationes duæ carminaque aliquot, Venet. 1530 in 4. Die wenigen Carmina auch größtentheils oder voll - ſtändig in den Deliciæ. immer zuerſt für einen echten poetiſchen Inhalt, den er dann nicht knech - tiſch ſondern mit meiſterhafter Freiheit im Styl der Antho - logie, des Ovid, des Catull, auch der virgiliſchen Eclogen wiedergiebt; die Mythologie braucht er nur äußerſt mäßig, etwa um in einem Gebet an Ceres u. a. ländliche Gott - heiten das Bild des einfachſten Daſeins zu entwickeln. Einen Gruß an die Heimath, bei der Rückkehr von ſeiner Geſandtſchaft in Spanien, hat er nur angefangen; es hätte wohl ein Ganzes werden können wie Bella Italia, amate sponde von Vincenzo Monti, wenn der Reſt dieſem An - fang entſprach: Salve cura Deûm, mundi felicior ora, Formosæ Veneris dulces salvete recessus; Ut vos post tantos animi mentisque labores Aspicio lustroque libens, ut munere vestro Sollicitas toto depello e pectore curas!

Die elegiſche oder hexametriſche Form wird ein Gefäß für jeden höhern pathetiſchen Inhalt, und die edelſte patrio - tiſche Aufregung (S. 121, die Elegie an Julius II. ) wie die pomphafteſte Vergötterung der Herrſchenden ſucht hier ihren Ausdruck2)Was man Leo X. bieten durfte, zeigt das Gebet des Guido Poſtumo Silveſtri an Chriſtus, Maria und alle Heiligen, ſie möchten der Menſchheit dieſes numen noch lange laſſen, da ſie ja im Himmel ihrer genug ſeien. Abgedr. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi V. 237., aber auch die zarteſte Melancholie eines Tibull. Mario Molſa, der in ſeiner Schmeichelei gegen Clemens VII. und die Farneſen mit Statius und Martial wetteifert, hat in einer Elegie an die Genoſſen , vom263 Krankenlager, ſo ſchöne und echt antike Grabgedanken als3. Abſchnitt. irgend einer der Alten und dieß ohne Weſentliches von letztern zu entlehnen. Am vollſtändigſten hat übrigens Sannazaro Weſen und Umfang der römiſchen Elegie er - kannt und nachgebildet, und von keinem Anderm giebt es wohl eine ſo große Anzahl guter und verſchiedenartiger Gedichte dieſer Form. Einzelne Elegien werden noch hie und da um ihres Sachinhaltes willen zu erwähnen ſein.

Endlich war das lateiniſche Epigramm in jenen ZeitenDas Epigramm. eine ernſthafte Angelegenheit, indem ein paar gut gebildete Zeilen, eingemeißelt an einem Denkmal oder von Mund zu Munde mit Gelächter mitgetheilt, den Ruhm eines Ge - lehrten begründen konnten. Ein Anſpruch dieſer Art meldet ſich ſchon früh; als es verlautete, Guido della Polenta wolle Dante's Grab mit einem Denkmal ſchmücken, liefen von allen Enden Grabſchriften ein1)Boccaccio, vita di Dante, p. 36. von ſolchen, die ſich zeigen oder auch den todten Dichter ehren oder die Gunſt des Polenta erwerben wollten . Am Grabmal des Erzbiſchofes Giovanni Visconti (ſt. 1354) im Dom von Mailand liest man unter 36 Hexametern: Herr Gabrius de Zamoreis aus Parma, Doctor der Rechte, hat dieſe Verſe gemacht . Allmälig bildete ſich, hauptſächlich unter dem Einfluß Martial's, auch Catull's eine ausgedehnte Literatur dieſes Zweiges; der höchſte Triumph war, wenn ein Epigramm für antik, für abgeſchrieben von einem alten Stein galt2)Sannazaro ſpottet über Einen, der ihm mit ſolchen Fälſchungen läſtig fiel: Sint vetera hæc aliis, nova semper erunt. , oder wenn es ſo vortrefflich erſchien, daß ganz Italien es auswendig wußte wie z. B. einige des Bembo. Wenn der Staat Venedig an Sannazaro für ſeinen Lobſpruch in drei Diſtichen 600 Ducaten Honorar bezahlte, ſo war dieß nicht etwa eine generöſe Verſchwendung, ſondern man würdigte das Epigramm als das was es für2643. Abſchnitt. alle Gebildeten jener Zeit war: als die concentrirteſte Form des Ruhmes. Niemand hinwiederum war damals ſo mächtig, daß ihm nicht ein witziges Epigramm hätte unangenehm werden können, und auch die Großen ſelber bedurften für jede Inſchrift, welche ſie ſetzten, ſorgfältigen und gelehrten Beirathes, denn lächerliche Epitaphien z. B. liefen Gefahr, in Sammlungen zum Zweck der Erheiterung aufgenommen zu werden1)Lettere de' principi, I, 88. 91.. Epigraphik und Epigrammatik reichten ein - ander die Hand; erſtere beruhte auf dem emſigſten Studium der antiken Steinſchriften.

In Rom.Die Stadt der Epigramme und der Inſcriptionen in vorzugsweiſem Sinne war und blieb Rom. In dieſem Staate ohne Erblichkeit mußte jeder für ſeine Verewigung ſelber ſorgen; zugleich war das kurze Spottgedicht eine Waffe gegen die Mitemporſtrebenden. Schon Pius II. zählt mit Wohlgefallen die Diſtichen auf, welche ſein Haupt - dichter Campanus bei jedem irgend geeigneten Momente ſeiner Regierung ausarbeitete. Unter den folgenden Päpſten blühte dann das ſatiriſche Epigramm und erreichte gegen - über von Alexander VI. und den Seinigen die volle Höhe des ſcandalöſen Trotzes