Luigi Picchioni zum ſiebenundſiebzigſten Geburtstag gewidmet.
Im wahren Sinne des Wortes führt dieſe Schrift denVorbemer - kung. Titel eines bloßen Verſuches, und der Verfaſſer iſt ſich deutlich genug bewußt, daß er mit ſehr mäßigen Mitteln und Kräften ſich einer überaus großen Aufgabe unterzogen hat. Aber auch wenn er mit ſtärkerer Zuverſicht auf ſeine Forſchung hinblicken könnte, ſo wäre ihm der Beifall der Kenner kaum ſicherer. Die geiſtigen Umriſſe einer Cultur - epoche geben vielleicht für jedes Auge ein verſchiedenes Bild, und wenn es ſich vollends um eine Civiliſation handelt, welche als nächſte Mutter der unſrigen noch jetzt fortwirkt, ſo muß ſich das ſubjektive Urtheilen und Empfinden jeden Augenblick beim Darſteller wie beim Leſer einmiſchen. Auf dem weiten Meere in welches wir uns hinauswagen, ſind der möglichen Wege und Richtungen viele, und leicht könnten dieſelben Studien, welche für dieſe Arbeit gemacht wurden, unter den Händen eines Andern nicht nur eine ganz andere Benützung und Behandlung erfahren, ſondern auch zu weſentlich verſchiedenen Schlüſſen Anlaß geben. Der Gegen - ſtand an ſich wäre wichtig genug, um noch viele Bearbei - tungen wünſchbar zu machen, Forſcher der verſchiedenſten Standpuncte zum Reden aufzufordern. Einſtweilen ſind wir zufrieden, wenn uns ein geduldiges Gehör gewährt und dieſes Buch als ein Ganzes aufgefaßt wird. Es iſt die weſentlichſte Schwierigkeit der Culturgeſchichte, daß ſieCultur der Renaiſſance. 121. Abſchnitt. ein großes geiſtiges Continuum in einzelne ſcheinbar oft willkürliche Categorien zerlegen muß, um es nur irgendwie zur Darſtellung zu bringen. — Der größten Lücke des Buches gedenken wir in einiger Zeit durch ein beſonderes Werk über „ die Kunſt der Renaiſſance “abzuhelfen.
Politiſcher Zu - ſtand im XIII. Jahrh.Der Kampf zwiſchen den Päpſten und den Hohenſtaufen hinterließ zuletzt Italien in einem politiſchen Zuſtande, welcher von dem des übrigen Abendlandes in den weſent - lichſten Dingen abwich. Wenn in Frankreich, Spanien, England das Lehnsſyſtem ſo geartet war, daß es nach Ab - lauf ſeiner Lebenszeit dem monarchiſchen Einheitsſtaat in die Arme fallen mußte, wenn es in Deutſchland wenigſtens die Einheit des Reiches äußerlich feſthalten half, ſo hatte Italien ſich ihm faſt völlig entzogen. Die Kaiſer des XIV. Jahrhunderts wurden im günſtigſten Falle nicht mehr als Oberlehnsherrn, ſondern als mögliche Häupter und Verſtärkungen ſchon vorhandener Mächte empfangen und geachtet; das Papſtthum aber mit ſeinen Creaturen und Stützpunkten war gerade ſtark genug, jede künftige Einheit zu verhindern ohne doch ſelbſt eine ſchaffen zu können. 1)Macchiavelli, Discorsi L. I. c. 12. Die nothwen - dige Vielheit.Zwiſchen den beiden waren eine Menge politiſcher Geſtal - tungen — Städte und Gewaltherrſcher — theils ſchon vor - handen theils neu emporgekommen, deren Daſein rein that - ſächlicher Art war. 2)Die Herrſchenden und ihr Anhang heißen zuſammen lo stato, und dieſer Name durfte dann die Bedeutung des geſammten Daſeins eines Territoriums uſurpiren.In ihnen erſcheint der moderne europäiſche Staatsgeiſt zum erſtenmal frei ſeinen eigenen Antrieben hingegeben; ſie zeigen oft genug die feſſelloſe Selbſtſucht in ihren furchtbarſten Zügen, jedes Recht ver - höhnend, jede geſunde Bildung im Keim erſtickend; aber3 wo dieſe Richtung überwunden oder irgendwie aufgewogen1. Abſchnitt. wird, da tritt ein neues Lebendiges in die Geſchichte: Der Staat als berechnete, bewußte Schöpfung, als Kunſtwerk. In den Stadtrepubliken wie in den Tyrannenſtaaten prägt ſich dieß Leben hundertfältig aus, und beſtimmt ihre innere Geſtalt ſowohl als ihre Politik nach außen. Wir begnügen uns mit der Betrachtung des vollſtändigern, deutlicher aus - geſprochenen Typus deſſelben in den Tyrannenſtaaten.
Der innere Zuſtand der von Gewaltherrſchern regiertenDer Staat Friedrichs II. Territorien hatte ein berühmtes Vorbild an dem Norman - nenreiche von Unteritalien und Sicilien, wie Kaiſer Frie - drich II. es umgeſtaltet hatte. 1)Höfler: Kaiſer Friedrich II., S. 39 u. ff.Aufgewachſen unter Ver - rath und Gefahr in der Nähe von Saracenen, hatte er ſich frühe gewöhnt an eine völlig objective Beurtheilung und Behandlung der Dinge, der erſte moderne Menſch auf dem Throne. Dazu kam eine nahe, vertraute Kenntniß von dem Innern der ſaraceniſchen Staaten und ihrer Verwal - tung, und jener Exiſtenzkrieg mit den Päpſten, welcher beide Parteien nöthigte, alle denkbaren Kräfte und Mittel auf den Kampfplatz zu führen. Friedrichs Verordnungen (beſonders ſeit 1231) laufen auf die völlige Zernichtung des Lehnſtaates, auf die Verwandlung des Volkes in eine willenloſe, unbewaffnete, im höchſten Grade ſteuerfähige Maſſe hinaus. Er centraliſirte die ganze richterliche Ge - walt und die Verwaltung in einer bisher für das Abend - land unerhörten Weiſe; kein Amt mehr durfte durch Volks - wahl beſetzt werden, bei Strafe der Verwüſtung des betref - fenden Ortes und Degradation der Bürger zu Hörigen. Die Steuern, beruhend auf einem umfaſſenden KataſterMohammeda - niſche Einwir - kung. und auf mohammedaniſcher Routine, wurden beigetrieben mit jener quäleriſchen und grauſamen Art, ohne welche1*41. Abſchnitt. man dem Orientalen freilich kein Geld aus den Händen bringt. Hier iſt kein Volk mehr, ſondern ein controlirbarer Haufe von Unterthanen, die z. B. ohne beſondere Erlaubniß nicht auswärts heirathen und unbedingt nicht auswärts ſtudiren durften; — die Univerſität Neapel übte den frühſten bekannten Studienzwang, während der Orient ſeine Leute wenigſtens in dieſen Dingen frei ließ. Echt mohammedaniſch dagegen war es wiederum, daß Friedrich nach dem ganzen Mittelmeer eige - nen Handel trieb, viele Gegenſtände ſich vorbehielt und den Handel der Unterthanen hemmte. Die fatimidiſchen Khalifen mit ihrer Geheimlehre des Unglaubens waren (wenigſtens Anfangs) tolerant geweſen gegen die Religionen ihrer Unter - thanen; Friedrich dagegen krönt ſein Regierungsſyſtem durch eine Ketzerinquiſition, die nur um ſo ſchuldvoller erſcheint, wenn man annimmt, er habe in den Ketzern die Vertreter frei - ſinnigen ſtädtiſchen Lebens verfolgt. Als Polizeimannſchaft im Innern und als Kern der Armee nach außen dienten ihm endlich jene aus Sicilien nach Luceria und nach No - cera übergeſiedelten Saracenen, welche gegen allen Jammer taub und gegen den kirchlichen Bann gleichgültig waren. Die Unterthanen, der Waffen entwöhnt, ließen ſpäter den Sturz Manfreds und die Beſitznahme des Anjou leicht und willenlos über ſich ergehen; letzterer aber erbte dieſen Re - gierungsmechanismus und benützte ihn weiter.
Die Herrſchaft Ezzelino's.Neben dem centraliſirenden Kaiſer tritt ein Uſurpator der eigenthümlichſten Art auf: ſein Vicarius und Schwieger - ſohn Ezzelino da Romano. Er repräſentirt kein Regierungs - und Verwaltungsſyſtem, da ſeine Thätigkeit in lauter Kämpfen um die Herrſchaft im öſtlichen Oberitalien aufging, allein er iſt als politiſches Vorbild für die Folgezeit nicht minder wichtig als ſein kaiſerlicher Beſchützer. Alle bisherige Eroberung und Uſurpation des Mittelalters war entweder auf wirk - liche oder vorgegebene Erbſchaft und andere Rechte hin oder gegen die Ungläubigen oder Excommunicirten voll - bracht worden. Hier zum erſtenmal wird die Gründung5 eines Thrones verſucht durch Maſſenmord und endloſe1. Abſchnitt. Scheußlichkeiten, d. h. durch Aufwand aller Mittel mit alleiniger Rückſicht auf den Zweck. Keiner der Spätern hat den Ezzelino an Coloſſalität des Verbrechens irgendwie erreicht, auch Ceſare Borgia nicht, aber das Beiſpiel war gegeben, und Ezzelino's Sturz war für die Völker keine Herſtellung der Gerechtigkeit und für künftige Frevler keine Warnung.
Umſonſt ſtellte in einer ſolchen Zeit S. Thomas vonEinfluß Frie - drichs und Ezzelino's. Aquino, der geborene Unterthan Friedrichs, die Theorie einer conſtitutionellen Herrſchaft auf, wo der Fürſt durch ein von ihm ernanntes Oberhaus und eine vom Volk ge - wählte Repräſentation unterſtützt gedacht wird. Dergleichen verhallte in den Hörſälen, und Friedrich und Ezzelino waren und blieben für Italien die größten politiſchen Erſcheinungen des XIII. Jahrhunderts. Ihr Bild, ſchon halb fabelhaft wiedergeſpiegelt, iſt der wichtigſte Inhalt der „ hundert alten Novellen “, deren urſprüngliche Redaction gewiß noch in dieß Jahrhundert fällt. 1)Cento novelle antiche, Nov. 1, 6, 20, 21, 22, 23, 29, 30, 45, 56, 83, 88, 98. Ezzelino wird hier bereits mit einer ſcheuen Ehrfurcht geſchildert, welche der Niederſchlag jedes ganz großen Eindruckes iſt. Eine ganze Literatur, von der Chronik der Augenzeugen bis zur halbmythologiſchen Tragödie, ſchloß ſich an ſeine Perſon an. 2)Scardeonius, de urbis Patav. antiqu., im Theſaurus des Grä - vius VI., III., p. 259.
Die größern und kleinern Gewaltherrſchaften desHerrſcher des XIV. Jahrh. XIV. Jahrhunderts verrathen es häufig genug, daß Ein - drücke dieſer Art nicht verloren waren. Ihre Miſſethaten ſchrien laut und die Geſchichte hat ſie umſtändlich verzeich -61. Abſchnitt. net, aber als ganz auf ſich ſelbſt geſtellte und danach orga - niſirte Staaten haben ſie immerhin ein höheres Intereſſe.
Die bewußte Berechnung aller Mittel, wovon kein da - maliger außeritaliſcher Fürſt eine Idee hatte, verbunden mit einer innerhalb der Staatsgrenzen faſt abſoluten Macht - vollkommenheit, brachte hier ganz beſondere Menſchen und Lebensformen hervor. 1)Sismondi, hist. des rép. italiennes, IV, p. 420; VIII, p. 1. s. Das Hauptgeheimniß der Herr - ſchaft lag für die weiſern Tyrannen darin, daß ſie dieFinanzen. Steuern möglichſt ſo ließen, wie ſie dieſelben angetroffen oder am Anfang eingerichtet hatten: eine Grundſteuer, ba - ſirt auf einen Kataſter; beſtimmte Conſumoſteuern, und Zölle auf Ein - und Ausfuhr, wozu noch die Einnahmen von dem Privatvermögen des herrſchenden Hauſes kamen; die einzige mögliche Steigerung hing ab von der Zunahme des allgemeinen Wohlſtandes und Verkehres. Von Anleihen, wie ſie in den Städten vorkamen, war hier nicht die Rede; eher erlaubte man ſich hier und da einen wohlberechneten Gewaltſtreich, vorausgeſetzt daß er den ganzen Zuſtand unerſchüttert ließ, wie z. B. die echt ſultaniſche Abſetzung und Ausplünderung des oberſten Finanzbeamten. 2)Franco Sacchetti, novelle. (61, 62)[. ]
Mit dieſen Einkünften ſuchte man auszureichen umDer Hof. den kleinen Hof, die Leibwache, die geworbene Mannſchaft, die Bauten — und die Spaßmacher ſowohl als die Leute von Talent zu bezahlen, die zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gehörten. Die Illegitimität, von dauernden Gefahren umſchwebt, vereinſamt den Herrſcher; das ehren - vollſte Bündniß, welches er nur irgend ſchließen kann, iſt das mit der höhern geiſtigen Begabung, ohne Rückſicht auf die Herkunft. Die Liberalität (Miltekeit) der nordiſchen Fürſten des XIII. Jahrhunderts hatte ſich auf die Ritter, auf das dienende und ſingende Adelsvolk beſchränkt. Anders7 der monumental geſinnte, ruhmbegierige italieniſche Tyrann,1. Abſchnitt. der das Talent als ſolches braucht. Mit dem Dichter oder Gelehrten zuſammen fühlt er ſich auf einem neuen Boden, ja faſt im Beſitz einer neuen Legitimität.
Weltbekannt iſt in dieſer Beziehung der Gewaltherrſcher von Verona, Can Grande della Scala, welcher in den aus - gezeichneten Verbannten an ſeinem Hofe ein ganzes Italien beiſammen unterhielt. Die Schriftſteller waren dankbar; Petrarca, deſſen Beſuche an dieſen Höfen ſo ſtrenge Tadler gefunden haben, ſchilderte das ideale Bild eines FürſtenDas damalige Ideal des Herrſchers. des XIV. Jahrhunderts. 1)Petrarca, de rep. optime administranda, ad Franc. Carraram. (Opera, p. 372, s.) Er verlangt von ſeinem Adreſſa - ten — dem Herrn von Padua — Vieles und Großes, aber auf eine Weiſe als traute er es ihm zu. „ Du mußt nicht Herr deiner Bürger, ſondern Vater des Vaterlandes ſein und jene wie deine Kinder lieben,2)Erſt hundert Jahre ſpäter wird dann auch die Fürſtinn zur Landes - mutter. Vgl. Hieron. Crivelli's Leichenrede auf Bianca Maria Visconti, bei Muratori, XXV, Col. 429. Eine ſpöttiſche Ueber - tragung hievon iſt es, wenn eine Schweſter Papſt Sixtus IV. bei Jac. Volaterranus (Murat. XXIII. Col. 109) mater ecclesiae genannt wird. ja wie Glieder deines Leibes. Waffen, Trabanten und Söldner magſt du gegen die Feinde wenden — gegen deine Bürger kommſt du mit dem bloßen Wohlwollen aus; freilich meine ich nur die Bürger welche das Beſtehende lieben, denn wer täglich auf Veränderungen ſinnt, der iſt ein Rebell und Staatsfeind und gegen ſolche mag ſtrenge Gerechtigkeit walten! “ Im Einzelnen folgt nun die echt moderne Fiction der Staats - allmacht; der Fürſt ſoll für Alles ſorgen, Kirchen und öffentliche Gebäude herſtellen und unterhalten, die Gaſſen - polizei aufrecht halten,3)Mit dem beiläufigen Wunſch, es möchte das Lagern der Schweine in den Gaſſen von Padua verboten werden, da der Anblick an ſich unerfreulich ſei und die Pferde davon ſcheu würden. Sümpfe austrocknen, über Wein81. Abſchnitt. und Getreide wachen, die Steuern gerecht vertheilen, Hülf - loſe und Kranke unterſtützen, und ausgezeichneten Gelehrten ſeinen Schutz und Umgang widmen, indem dieſelben für ſeinen Nachruhm ſorgen würden.
Gefahren der Tyrannis.Aber welches auch die allgemeinen Lichtſeiten und die Verdienſte Einzelner geweſen ſein mögen, ſo erkannte oder ahnte doch ſchon das XIV. Jahrhundert die geringe Dauer, die Garantieloſigkeit der meiſten dieſer Tyrannien. Da aus innern Gründen politiſche Verfaſſungen wie dieſe genau um ſo viel haltbarer ſind als das Gebiet größer iſt, ſo waren die mächtigern Gewaltherrſchaften ſtets geneigt, die kleinern zu verſchlingen. Welche Hekatombe kleiner Herrſcher iſt nur allein den Visconti in dieſer Zeit geopfert worden! Dieſer äußern Gefahr aber entſprach gewiß faſt jedesmal eine innere Gährung, und die Rückwirkung dieſer Lage auf das Gemüth des Herrſchers mußte in den meiſten Fällen überaus verderblich ſein. Die falſche Allmacht, die Auf - forderung zum Genuß und zu jeder Art von Selbſtſucht von der einen, die Feinde und Verſchwörer von der andern Seite machten ihn faſt unvermeidlich zum Tyrannen im übeln Sinne. Wäre nur wenigſtens den eigenen nächſten Blutsverwandten zu trauen geweſen! Allein wo Alles ille -Mangelhaftes Erbrecht. gitim war, da konnte ſich auch kein feſtes Erbrecht, weder für die Succeſſion in der Herrſchaft noch für die Theilung der Güter bilden, und vollends in drohenden Augenblicken ſchob den unmündigen oder untüchtigen Fürſtenſohn ein entſchloſſener Vetter oder Oheim bei Seite, im Intereſſe des Hauſes ſelbſt. Auch über Ausſchluß oder Anerkennung der Baſtarde war beſtändiger Streit. So kam es, daß eine ganze Anzahl dieſer Familien mit unzufriedenen, rach - ſüchtigen Verwandten heimgeſucht waren; ein Verhältniß das nicht eben ſelten in offenen Verrath und in wilden Familienmord ausbrach. Andere, als Flüchtlinge auswärts lebend, faſſen ſich in Geduld und behandeln auch dieſe Sachlage objectiv, wie z. B. jener Visconti, der am Garda -9 ſee Fiſchnetze auswarf;1)Petrarca, rerum memorandar. liber III. p. 460. — Es iſt wahrſcheinlich Matteo II. Visconti und der damals in Mailand herrſchende Erzbiſchof Giovanni Visconti gemeint, um 1354. der Bote ſeines Gegners fragte1. Abſchnitt. ihn ganz direct: wann er wieder nach Mailand zurückzukehren gedenke? und erhielt die Antwort: „ nicht eher als bis die Schandthaten Jenes über meine Verbrechen das Ueber - gewicht erlangt haben werden “. Bisweilen opfern auch die Verwandten den regierenden Herrn der allzuſehr beleidigten öffentlichen Moral, um dadurch das Geſammthaus zu retten. 2)Matteo Villani, V, 81: die geheime Ermordung deſſelben Matteo II. Visconti durch ſeine Brüder.Hie und da ruht die Herrſchaft noch ſo auf der Geſammtfamilie, daß das Haupt an deren Beirath gebun - den iſt; auch in dieſem Falle veranlaßte die Theilung des Beſitzes und des Einfluſſes leicht den bitterſten Hader.
Bei den damaligen florentiniſchen Autoren begegnetDer Pomp. man einem durchgehenden tiefen Haß gegen dieſes ganze Weſen. Schon das pomphafte Aufziehen, das Prachtcoſtüm, wodurch die Gewaltherrſcher vielleicht weniger ihrer Eitel - keit Genüge thun als vielmehr Eindruck auf die Phantaſie des Volkes machen wollten, erweckt ihren ganzen Sarcas - mus. Wehe wenn ihnen gar ein Emporkömmling in die Hände fällt wie der neugebackene Doge Agnello von Piſa (1364), der mit dem goldenen Scepter auszureiten pflegte und ſich dann wieder zu Hauſe am Fenſter zeigte „ wie man Reliquien zeigt “, auf Teppich und Kiſſen von Goldſtoff ge - lehnt; knieend mußte man ihn bedienen wie einen Papſt oder Kaiſer. 3)Filippo Villani, istorie XI, 101. — Auch Petrarca findet die Tyrannen geputzt „ wie Altäre an Feſttagen “. — Den antiken Triumphzug des Caſtracane in Lucca findet man umſtändlich be - ſchrieben in deſſen Leben von Tegrimo, bei Murat. XI, Col. 1340. Oefter aber reden dieſe alten Florentiner101. Abſchnitt. in einem erhabenen Ernſt. Dante1)De vulgari eloquio, I, c. 12: … qui non heroico more, sed plebeo sequuntur superbiam etc. erkennt und benenntAbſcheu der Florentiner. vortrefflich das Unadliche, Gemeinverſtändige der neufürſt - lichen Hab - und Herrſchgier. „ Was tönen ihre Poſaunen, Schellen, Hörner und Flöten anders als: herbei zu uns, ihr Henker! ihr Raubvögel! “ Man malt ſich die Burg des Tyrannen hoch und iſolirt, voller Kerker und Lauſch - röhren,2)Dieß zwar erſt in Schriften des XV. Jahrh., aber gewiß nach frühern Phantaſien: L. B. Alberti, de re aedif. V, 3. — Franc. di Giorgio, Trattato, bei Della Valle, Lettere sanesi, III., 121. als einen Aufenthalt der Bosheit und des Elends. Andere weiſſagen Jedem Unglück, der in Tyrannendienſte gehe3)Franco Sacchetti, Nov. 61. und bejammern am Ende den Tyrannen ſelbſt, wel - cher unvermeidlich der Feind aller Guten und Tüchtigen ſei, ſich auf Niemanden verlaſſen dürfe, und den Unter - thanen die Erwartung ſeines Sturzes auf dem Geſicht leſen könne. „ So wie die Tyrannien entſtehen, wachſen und ſich befeſtigen, ſo wächſt auch in ihrem Innern verborgen der Stoff mit, welcher ihnen Verwirrung und Untergang bringen muß. “ 4)Matteo Villani, VI, 1. Der tiefſte Gegenſatz wird nicht deutlich her - vorgehoben: Florenz war damals mit der reichſten Ent - wicklung der Individualitäten beſchäftigt, während die Ge - waltherrſcher keine andere Individualität gelten und gewähren ließen als die ihrige und die ihrer nächſten Diener. War doch die Controle des einzelnen Menſchen bis auf's Paß - weſen herab ſchon völlig durchgeführt. 5)Das Paßbureau von Padua um die Mitte des XIV. Jahrh. als quelli delle bullette bezeichnet bei Franco Sacchetti, Nov. 117. In den letzten zehn Jahren Friedrichs II., als die perſönlichſte Con - trole herrſchte, muß das Paßweſen ſchon ſehr ausgebildet geweſen ſein.
11Das Unheimliche und Gottverlaſſene dieſer Exiſtenz1. Abſchnitt. bekam in den Gedanken der Zeitgenoſſen noch eine beſondere Farbe durch den notoriſchen Sternglauben und Unglauben mancher Herrſcher. Als der letzte Carrara in ſeinem peſt - verödeten Padua (1405) die Mauern und Thore nicht mehr beſetzen konnte, während die Venezianer die Stadt umzingel - ten, hörten ihn ſeine Leibwachen oft des Nachts dem Teufel rufen: er möge ihn tödten!
Die vollſtändigſte und belehrendſte Ausbildung dieſerDie Visconti; Bernabò. Tyrannis des XIV. Jahrhunderts findet ſich wohl unſtreitig bei den Visconti in Mailand, von dem Tode des Erz - biſchofs Giovanni (1354) an. Gleich meldet ſich in Ber - nabò ganz unverkennbar eine Familienähnlichkeit mit den ſchrecklichſten römiſchen Imperatoren;1)Corio, Storia di Milano, Fol. 247, s. der wichtigſte Staats - zweck iſt die Eberjagd des Fürſten; wer ihm darein greift, wird martervoll hingerichtet; das zitternde Volk muß ihm 5000 Jagdhunde füttern, unter der ſchärfſten Verantwort - lichkeit für deren Wohlbefinden. Die Steuern werden mit allen denkbaren Zwangsmitteln emporgetrieben, ſieben Töch - ter jede mit 100,000 Goldgulden ausgeſtattet und ein enormer Schatz geſammelt. Beim Tode ſeiner Gemahlinn (1384) erſchien eine Notification „ an die Unterthanen “, ſie ſollten, wie ſonſt die Freude, ſo jetzt das Leid mit ihm theilen und ein Jahr lang Trauer tragen. — Unvergleich - lich bezeichnend iſt dann der Handſtreich, womit ihn ſein Neffe Giangaleazzo (1385) in ſeine Gewalt bekam, eines jener gelungenen Complotte, bei deren Schilderung noch ſpäten Geſchichtſchreibern das Herz ſchlägt. 2)Auch z. B. dem Paolo Giovio. Viri illustres, Jo. Galeatius. Bei Gianga -Giangaleazzo. leazzo tritt der echte Tyrannenſinn für das Coloſſale ge - waltig hervor. Er hat mit Aufwand von 300,000 Gold -121. Abſchnitt. gulden rieſige Dammbauten unternommen, um den Mincio von Mantua, die Brenta von Padua nach Belieben ableiten und dieſe Städte wehrlos machen zu können,1)Corio, Fol. 272, 285. ja es wäre nicht undenkbar, daß er auf eine Trockenlegung der Lagunen von Venedig geſonnen hätte. Er gründete2)Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 23. „ das wun - derbarſte aller Klöſter “, die Certoſa von Pavia, und den Dom von Mailand, „ der an Größe und Pracht alle Kirchen der Chriſtenheit übertrifft “, ja vielleicht iſt auch der Palaſt in Pavia, den ſchon ſein Vater Galeazzo begonnen, und den er vollendete, weitaus die herrlichſte Fürſtenreſidenz des damaligen Europa's geweſen. Dorthin verlegte er auch ſeine berühmte Bibliothek und die große Sammlung von Reliquien der Heiligen, welchen er eine beſondere Art vonDeſſen letzte Pläne. Glauben widmete. Bei einem Fürſten von dieſer Sinnes - art wäre es befremdlich, wenn er nicht auch im politiſchen Gebiet nach den höchſten Kronen gegriffen hätte. König Wenzel machte ihn (1395) zum Herzog; er aber hatte nichts geringeres als das Königthum von Italien3)So Corio, Fol. 286 und Poggio, hist. Florent. IV, bei Murat. XX., Col. 290. — Von Plänen auf das Kaiſerthum redet Cag - nola. a. a. O[.]und das Sonett bei Trucchi, Poesie ital. inedite II, p. 118:Stan le città lombarde con le chiave In man per darle a voi .... etc. Roma vi chiama: Cesar mio novello Jo sono ignuda, et l'anima pur vive: Or mi coprite col vostro mantello etc. oder die Kaiſerkrone im Sinne, als er (1402) erkrankte und ſtarb. Seine ſämmtlichen Staaten ſollen ihm einſt in einem Jahre außer der regelmäßigen Steuer von 1,200,000 Goldgulden noch weitere 800,000 an außerordentlichen Subſidien bezahlt haben. Nach ſeinem Tode ging das Reich, das er durch jede Art von Gewaltthaten zuſammengebracht, in Stücken13 und vor der Hand konnten kaum die ältern Beſtandtheile1. Abſchnitt. deſſelben behauptet werden. Was aus ſeinen Söhnen Gio - van Maria (ſt. 1412) und Filippo Maria (ſt. 1447) ge - worden wäre, wenn ſie in einem andern Lande und ohne von ihrem Hauſe zu wiſſen, gelebt hätten, wer weiß es? Doch als Erben dieſes Geſchlechtes erbten ſie auch das un - geheure Kaptial von Grauſamkeit und Feigheit, das ſich hier von Generation zu Generation aufgeſammelt hatte.
Giovan Maria iſt wiederum durch ſeine Hunde be -Giovan Maria. rühmt, aber nicht mehr durch Jagdhunde, ſondern durch Thiere die zum Zerreißen von Menſchen abgerichtet waren und deren Eigennamen uns überliefert ſind wie die der Bären Kaiſer Valentinians I. 1)Corio, Fol. 301 u. ff. Vgl. Ammian. Marcellin. XXIX, 3.Als im Mai 1409 während des noch dauernden Krieges das verhungernde Volk ihm auf der Straße zurief: Pace! Pace! ließ er ſeine Söldner ein - hauen, die 200 Menſchen tödteten; darauf war bei Galgen - ſtrafe verboten, die Worte Pace und Guerra auszuſprechen und ſelbſt die Prieſter angewieſen, ſtatt dona nobis pacem, zu ſagen tranquillitatem! Endlich benützten einige Ver - ſchworne den Augenblick, da der Großcondottiere des wahn - ſinnigen Herzogs, Facino Cane, todtkrank zu Pavia lag, und machten den Giovan Maria bei der Kirche S. Got - tardo in Mailand nieder; der ſterbende Facino aber ließ am ſelbigen Tage ſeine Officiere ſchwören, dem Erben Filippo Maria zu helfen, und ſchlug ſelber2)So Paul. Jovius, viri illustres, Jo. Galeatius, Philippus. noch vor, ſeine Gemahlin möge ſich nach ſeinem Tode mit dieſem ver - mählen, wie denn auch baldigſt geſchah; es war Beatrice di Tenda. Von Filippo Maria wird noch weiter zu reden ſein.
Und in ſolchen Zeiten getraute ſich Cola Rienzi auf den hinfälligen Enthuſiasmus der verkommenen Stadt - bevölkerung von Rom eine neue Herrſchaft über Italien zu141. Abſchnitt. bauen. Neben Herrſchern wie jene iſt er von Anfang an ein armer verlorener Thor.
Herrſcher des XV. Jahrh.Die Gewaltherrſchaft im XV. Jahrhundert zeigt einen veränderten Character. Viele von den kleinen Tyrannen und auch einige von den größern, wie die Scala und Car - rara, ſind untergegangen; die mächtigen haben ſich arron - dirt und innerlich characteriſtiſcher ausgebildet; Neapel er - hält durch die neue aragoneſiſche Dynaſtie eine kräftigere Richtung. Vorzüglich bezeichnend aber iſt für dieſes Jahr - hundert das Streben der Condottieren nach unabhängiger Herrſchaft, ja nach Kronen; ein weiterer Schritt auf der Bahn des rein Thatſächlichen, und eine hohe Prämie für das Talent wie für die Ruchloſigkeit. Die kleinern Tyrannen, um ſich einen Rückhalt zu ſichern, gehen jetzt gern in Dienſte der größern Staaten und werden Condottieren derſelben, was ihnen etwas Geld und auch wohl Strafloſigkeit für manche Miſſethaten verſchafft, vielleicht ſogar Vergrößerung ihres Gebietes. Im Ganzen genommen mußten Große und Kleine ſich mehr anſtrengen, beſonnener und berechneter ver - fahren und ſich der gar zu maſſenhaften Gräuel enthalten; ſie durften überhaupt nur ſo viel Böſes üben als nach - weisbar zu ihren Zwecken diente — ſo viel verzieh ihnen auch die Meinung der Unbetheiligten. Von dem Capital von Pietät, welches den legitimen abendländiſchen Fürſten - häuſern zu Statten kam, iſt hier keine Spur, höchſtens eine Art von hauptſtädtiſcher Popularität; was den Fürſten Italiens weſentlich weiter helfen muß, iſt immer TalentContraſt mit Carl d. Kühnen. und kühle Berechnung. Ein Character wie derjenige Carls des Kühnen, der ſich mit wüthender Leidenſchaft in völlig unpractiſche Zwecke hinein verbiß, war den Italienern ein wahres Räthſel. „ Die Schweizer ſeien ja lauter Bauern, und wenn man ſie auch alle tödte, ſo ſei dieß ja keine Ge - nugthuung für die burgundiſchen Magnaten, die im Kampfe15 umkommen möchten! Beſäße auch der Herzog die Schweiz1. Abſchnitt. ohne Widerſtand, ſeine Jahreseinkünfte wären deßhalb um keine 5000 Ducaten größer ꝛc. “ 1)De Gingins: dépêches des ambassadeurs milanais, II, p. 200 (N. 213). Vgl. II, 3 (N. 144) und II, 212 (N. 218). Was in Carl Mittelalter - liches war, ſeine ritterlichen Phantaſien oder Ideale, dafür hatte Italien längſt kein Verſtändniß mehr. Wenn er aber vollends den Unteranführern Ohrfeigen ertheilte2)Paul. Jovius, Elogia. und ſie dennoch bei ſich behielt, wenn er ſeine Truppen mißhandelte um ſie wegen einer Niederlage zu ſtrafen, und dann wieder ſeine Geheimräthe vor den Soldaten blamirte — dann mußten ihn die Diplomaten des Südens verloren geben. Ludwig XI. aber, der in ſeiner Politik die italieniſchen Fürſten innerhalb ihrer eigenen Art übertrifft, und der vor Allem ſich als Bewunderer des Francesco Sforza bekannte, iſt im Gebiet der Bildung durch ſeine vulgäre Natur weit von jenen Herrſchern geſchieden.
In ganz merkwürdiger Miſchung liegt Gutes und Böſes in den italieniſchen Staaten des XV. Jahrhunderts durchein - ander. Die Perſönlichkeit der Fürſten wird eine ſo durch - gebildete, eine oft ſo hochbedeutende, für ihre Lage und Aufgabe ſo characteriſtiſche,3)Dieſer Verein von Kraft und Talent iſt es, was bei Macchiavell virtù heißt und auch mit scelleratezza verträglich gedacht wird, z. B. Discorsi I, 10, bei Anlaß des Sept. Severus. daß das ſittliche Urtheil ſchwer zu ſeinem Rechte kömmt.
Grund und Boden der Herrſchaft ſind und bleiben ille -Illegitimität; Einmiſchung der Kaiſer. gitim und ein Fluch haftet daran und will nicht davon weichen. Kaiſerliche Gutheißungen und Belehnungen ändern dieß nicht, weil das Volk keine Notiz davon nimmt, wenn ſeine Herrſcher ſich irgendwo in fernen Landen oder von einem durchreiſenden Fremden ein Stück Pergament gekauft161. Abſchnitt. haben. 1)Hierüber Franc. Vettori, arch. stor. VI, p. 293, s. „ Die Be - „ lehnung durch einen Mann der in Deutſchland wohnt und von „ einem römiſchen Kaiſer nichts als den eiteln Namen hat, iſt nicht „ im Stande einen Böſewicht zum wahren Signore einer Stadt zu „ machen. “Wären die Kaiſer etwas nütze geweſen, ſo hätten ſie die Gewaltherrn gar nicht emporkommen laſſen, — ſo lautete die Logik des unwiſſenden Menſchenverſtandes. Seit dem Römerzuge Carls IV. haben die Kaiſer in Italien nur noch den ohne ſie entſtandenen Gewaltzuſtand ſanctionirt, ohne ihn jedoch im Geringſten anders als durch Urkunden garantiren zu können. Carls ganzes Auftreten in Italien iſt eine der ſchmählichſten politiſchen Comödien; man mag im Matteo Villani2)M. Villani, IV, 38. 39. 56. 77. 78. 92 ; V, 1, 2. 21, 36, 54. nachleſen, wie ihn die Visconti in ihrem Gebiete herum und endlich daraus weg escortiren, wie er eilt gleich einem Meßkaufmann, um nur recht bald für ſeine Waare (die Privilegien nämlich) Geld zu erhalten, wie kläglich er in Rom auftritt, und wie er endlich ohne einen Schwertſtreich gethan zu haben, mit ſeinem vollen Geldſack wieder über die Alpen zieht. 3)Ein Italiener war es, Fazio degli Uberti (Dittamondo, L. VI., cap. 5, um d. J. 1360) welcher Carl IV. noch einen Kreuzzug nach dem heiligen Lande zumuthen wollte. Die Stelle iſt eine der beſten in dem betreffenden Gedichte und auch ſonſt bezeichnend. Der Dichter wird durch einen trotzigen Turcomannen vom heil. Grab weggewieſen:Coi passi lunghi e con la testa bassa Oltre passai e dissi: ecco vergogna Del cristian che'l saracin quì lassa! Poscia al pastor (den Papſt) mi volsi per rampogna: E tu ti stai, che sei vicar di Cristo Co 'frati tuoi a ingrassar la carogna? Similimente dissi a quel sofisto (Carl IV.) Che sta in Buemme (Böhmen) a piantar vigne e fichi, E che non cura di sì caro acquisto:Sigismund kam17 wenigſtens das erſtemal (1414) in der guten Abſicht,1. Abſchnitt. Johann XXIII. zur Theilnahme an ſeinem Concil zu be - wegen; damals war es, als Kaiſer und Papſt auf dem hohen Thurm von Cremona das Panorama der Lombardie genoſſen, während ihren Wirth, den Stadttyrannen Gabrino Fondolo, das Gelüſte ankam, beide herunter zu werfen. Das zweitemal erſchien Sigismund völlig als Abenteurer; mehr als ein halbes Jahr hindurch ſaß er in Siena wie in einem Schuldgefängniß, und konnte nachher nur mit Noth zur Krönung in Rom gelangen. Was ſoll man vol - lends von Friedrich III. denken? ſeine Beſuche in ItalienFriedrich III. in Italien. haben den Character von Ferien - oder Erholungsreiſen auf Unkoſten derer, die ihre Rechte von ihm verbrieft haben wollten, oder ſolcher denen es ſchmeichelte einen Kaiſer recht pomphaft zu bewirthen. So verhielt es ſich mit Alfons von Neapel, der ſich den kaiſerlichen Beſuch 150,000 Gold - gulden koſten ließ. 1)Das Nähere bei Vespaſiano Fiorent. p. 84. Vgl. 150.In Ferrara2)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 215. s. hat Friedrich bei ſeiner zweiten Rückkehr von Rom (1469) einen ganzen Tag lang, ohne das Zimmer zu verlaſſen, lauter Beförderungen, acht - zig an der Zahl, ausgeſpendet; da ernannte er cavalieri, conti, dottori, Notare, und zwar conti mit verſchiedenen Schattirungen, als da waren: conte palatino, conte mit dem Recht dottori, ja bis auf fünf dottori zu ernennen, conte mit dem Recht Baſtarde zu legitimiren, Notare zu creiren, unehrliche Notare ehrlich zu erklären u. ſ. w. Nur verlangte ſein Kanzler für die Ausfertigung der betreffenden3)Che fai? perchè non segui i primi antichi Cesari de' Romani, e che non siegui, Dico, gli Otti, i Corradi, i Federichi? E che pur tieni questo imperio in tregui? E se non hai lo cuor d'esser Augusto, Che nol rifiuti? o che non ti dilegui? etc. Cultur der Renaiſſance. 2181. Abſchnitt. Urkunden eine Erkenntlichkeit die man in Ferrara etwas ſtark fand. 1)Haveria voluto scortigare la brigata. Was Herzog Borſo dabei dachte, als ſein kaiſerlicher Gönner dergeſtalt urkundete und der ganze kleine Hof ſich mit Titeln verſah, wird nicht gemeldet. Die Hu - maniſten, welche damals das große Wort führten, waren je nach den Intereſſen getheilt. Während die einen2)Annales Estenses, bei Murat. XX, Col. 41. den Kaiſer mit dem conventionellen Jubel der Dichter des kaiſer - lichen Roms feiern, weiß Poggio3)Poggii Hist. Florent. pop., L. VII, bei Murat. XX, Col. 381. gar nicht mehr, was die Krönung eigentlich ſagen ſolle; bei den Alten ſei ja nur ein ſiegreicher Imperator gekrönt worden und zwar mit Lorbeer.
Das Kaiſer - thum und die Intervention.Mit Maximilian I. beginnt dann eine neue kaiſer - liche Politik gegen Italien, in Verbindung mit der allgemeinen Intervention fremder Völker. Der Anfang — die Belehnung des Lodovico Moro mit Beſeitigung ſeines unglücklichen Neffen — war nicht von der Art, welche Segen bringt. Nach der modernen Interventionstheorie darf, wenn Zweie ein Land zerreißen wollen, auch ein Dritter kommen und mithalten, und ſo konnte auch das Kaiſerthum ſein Stück begehren. Aber von Recht u. dgl. mußte man nicht mehr reden. Als Ludwig XII. 1502 in Genua erwartet wurde, als man den großen Reichsadler von der Fronte des Hauptſaales im Dogenpalaſt wegtilgte und alles mit Lilien bemalte, frug der Geſchichtſchreiber Senarega4)Senarega, de reb. Genuens., bei Murat. XXIV, Col. 575. überall herum, was jener bei ſo vielen Revo - lutionen ſtets geſchonte Adler eigentlich bedeute und was für Anſprüche das Reich auf Genua habe? Niemand wußte etwas anderes als die alte Rede: Genua ſei eine camera imperii. Niemand wußte überhaupt in Italien irgend welchen ſichern Beſcheid über ſolche Fragen. Erſt als Carl V.19 Spanien und das Reich zuſammen beſaß, konnte er mit1. Abſchnitt. ſpaniſchen Kräften auch kaiſerliche Anſprüche durchſetzen. Aber was er ſo gewann, kam bekanntlich nicht dem Reiche, ſondern der ſpaniſchen Macht zu Gute.
Mit der politiſchen Illegitimität der Dynaſten desDie uneheliche Erbfolge. XV. Jahrhunderts hing wiederum zuſammen die Gleich - gültigkeit gegen die legitime Geburt, welche den Ausländern, z. B. einem Comines, ſo ſehr auffiel. Sie ging gleichſam mit in den Kauf. Während man im Norden, im Haus Burgund etwa, den Baſtarden eigene beſtimmt abgegrenzte Apanagen, Bisthümer u. dgl. zuwies, während in Portugal eine Baſtardlinie ſich nur durch die größte Anſtrengung auf dem Throne behauptete, war in Italien kein fürſtliches Haus mehr, welches nicht in der Hauptlinie irgend eine unechte Descendenz gehabt und ruhig geduldet hätte. Die Arago - neſen von Neapel waren die Baſtardlinie des Hauſes, denn Aragon ſelbſt erbte der Bruder des Alfons I. Der große Federigo von Urbino war vielleicht überhaupt kein Monte - feltro. Als Pius II. zum Congreß von Mantua (1459) reiſte ritten ihm bei der Einholung in Ferrara ihrer acht Baſtarde vom Haus Eſte entgegen,1)Aufgezählt im Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 203. Vgl. Pii II. Comment. II, p. 102. darunter der regierende Herzog Borſo ſelbſt und zwei uneheliche Söhne ſeines ebenfalls unehelichen Bruders und Vorgängers Leonello. Letzterer hatte außerdem eine rechtmäßige Gemahlin gehabt, und zwar eine uneheliche Tochter Alfons I. von Neapel von einer Africanerin. 2)Marin Sanudo, vita de' duchi di Venezia, bei Murat. XXII, Col. 1113.Die Baſtarde wurden auch ſchon deß - halb öfter zugelaſſen, weil die ehelichen Söhne minorenn und die Gefahren dringend waren; es trat eine Art von Seniorat ein, ohne weitere Rückſicht auf echte oder unechte2*201. Abſchnitt. Geburt. Die Zweckmäßigkeit, die Geltung des Individuums und ſeines Talentes ſind hier überall mächtiger als die Geſetze und Bräuche des ſonſtigen Abendlandes. War esDenkweiſe des XVI. Jahrh. doch die Zeit da die Söhne der Päpſte ſich Fürſtenthümer gründeten! Im XVI. Jahrhundert unter dem Einfluß der Fremden und der beginnenden Gegenreformation wurde die ganze Angelegenheit ſtrenger angeſehen; Varchi findet, die Succeſſion der ehelichen Söhne ſei „ von der Vernunft ge - boten und von ewigen Zeiten her der Wille des Himmels “. 1)Varchi, stor. Fiorent. I, p. 8.Cardinal Ippolito Medici gründete ſein Anrecht auf die Herrſchaft über Florenz darauf, daß er aus einer vielleicht rechtmäßigen Ehe entſproßt, oder doch wenigſtens Sohn einer Adlichen und nicht (wie der Herzog Aleſſandro) einer Dienſtmagd ſei. 2)Soriano, relaz. di Roma 1533, bei Tommaso Gar, relazioni, p. 281.Jetzt beginnen auch die morganatiſchen Gefühlsehen, welche im XV. Jahrhundert aus ſittlichen und politiſchen Gründen kaum einen Sinn gehabt hätten.
Condottieren als Staaten - gründer.Die höchſte und meiſtbewunderte Form der Illegitimität iſt aber im XV. Jahrhundert der Condottiere, der ſich — welches auch ſeine Abkunft ſei — ein Fürſtenthum erwirbt. Im Grunde war ſchon die Beſitznahme von Unteritalien durch die Normannen im XI. Jahrhundert nichts anderes geweſen; jetzt aber begannen Projecte dieſer Art die Halb - inſel in dauernder Unruhe zu erhalten.
Die Feſtſetzung eines Soldführers als Landesherrn konnte auch ohne Uſurpation geſchehen, wenn ihn der Brodherr aus Mangel an Geld mit Land und Leuten ab - fand;3)Für das Folgende vgl. Caneſtrini, in der Einleitung zu Tom. XV. des Archiv. stor. ohnehin bedurfte der Condottiere, ſelbſt wenn er für den Augenblick ſeine meiſten Leute entließ, eines ſichern Ortes, wo er Winterquartier halten und die nothwendigſten21 Vorräthe bergen konnte. Das erſte Beiſpiel eines ſo aus -1. Abſchnitt. geſtatteten Bandenführers iſt John Hawkwood, welcher von Papſt Gregor XI. Bagnacavallo und Cotignola erhielt. Als aber mit Alberigo da Barbiano italieniſche Heere und Heerführer auf den Schauplatz traten, da kam auch die Gelegenheit viel näher, Fürſtenthümer zu erwerben, oder wenn der Condottiere ſchon irgendwo Gewaltherrſcher war, das Ererbte zu vergrößern. Das erſte große Bacchanal dieſer ſoldatiſchen Herrſchbegier wurde gefeiert in dem Her - zogthum Mailand nach dem Tode des Giangaleazzo (1402); die Regierung ſeiner beiden Söhne (S. 13) ging haupt - ſächlich mit der Vertilgung dieſer kriegeriſchen Tyrannen dahin, und der größte derſelben, Facino Cane, wurde ſammt ſeiner Wittwe, ſammt einer Reihe von Städten und 400,000 Goldgulden ins Haus geerbt; überdieß zog Bea - trice di Tenda die Soldaten ihres erſten Gemahls nach ſich. 1)Cagnola, archiv. stor. III, p. 28: et (Filippo Maria) da lei (Beatr. ) ebbe molto texoro e dinari, e tutte le giente d'arme del dicto Facino, che obedivano a lei. Von dieſer Zeit an bildete ſich dann jenes über alle Maßen unmoraliſche Verhältniß zwiſchen den Regierungen undVerhältniß der Condottieren zum Brodherrn. ihren Condottieren aus, welches für das XV. Jahrhundert characteriſtiſch iſt. Eine alte Anecdote,2)Infessura, bei Eccard, scriptores II, Col. 1911. Die Alterna - tive, welche Macchiavell dem ſiegreichen Condottiere ſtellt, ſ. Dis - corsi, I, 30. von jenen die nirgends und doch überall wahr ſind, ſchildert daſſelbe un - gefähr ſo: Einſt hatten die Bürger einer Stadt — es ſoll Siena gemeint ſein — einen Feldherrn, der ſie von feind - lichem Druck befreit hatte; täglich beriethen ſie, wie er zu belohnen ſei und urtheilten, keine Belohnung, die in ihren Kräften ſtände, wäre groß genug, ſelbſt nicht wenn ſie ihn zum Herrn der Stadt machten. Endlich erhob ſich Einer und meinte: Laßt uns ihn umbringen und dann als221. Abſchnitt. Stadtheiligen anbeten. Und ſo ſei man mit ihm verfahren ungefähr wie der römiſche Senat mit Romulus. In der That hatten ſich die Condottieren vor Niemand mehr zu hüten als vor ihren Brodherren; kämpften ſie mit Erfolg, ſo waren ſie gefährlich und wurden aus der Welt geſchafft wie Roberto Malateſta gleich nach dem Siege den er für Sixtus IV. erfochten (1482); beim erſten Unglück aber rächte man ſich bisweilen an ihnen wie die Venezianer am Carmagnola (1432). 1)Ob ſie auch den Alviano 1516 vergiftet, und ob die dafür angege - benen Gründe richtig ſind? vgl. Prato im Archiv. stor. III, p. 348. — Von Colleoni ließ ſich die Republik zur Erbin einſetzen und nahm nach ſeinem Tode 1475 erſt noch eine förmliche Confis - cation vor. Vgl. Malipiero, Annali Veneti, im Archiv. stor. VII, I, p. 244. Sie liebte es, wenn die Condottieren ihr Geld in Venedig anlegten, ibid. p. 351.Es zeichnet die Sachlage in mo - raliſcher Beziehung, daß die Condottieren oft Weib und Kind als Geiſeln geben mußten und dennoch weder Zu - trauen genoſſen noch ſelber empfanden. Sie hätten Heroen der Entſagung, Charactere wie Beliſar ſein müſſen, wenn ſich der tiefſte Haß nicht in ihnen hätte ſammeln ſollen; nur die vollkommenſte innere Güte hätte ſie davon abhalten können, abſolute Frevler zu werden. Und als ſolche, voller Hohn gegen das Heilige, voller Grauſamkeit und Verrath gegen die Menſchen, lernen wir manche von ihnen kennen, faſt lauter Leute denen es nichts ausmachte, im päpſtlichen Banne zu ſterben. Zugleich aber entwickelt ſich in manchen die Perſönlichkeit, das Talent, bis zur höchſten Virtuoſität und wird auch in dieſem Sinne von den Soldaten aner - kannt und bewundert; es ſind die erſten Armeen der neuern Geſchichte wo der perſönliche Credit des Anführers ohneDie Familie Sforza. weitere Nebengedanken die bewegende Kraft iſt. Glänzend zeigt ſich dieß z. B. im Leben des Francesco Sforza;2)Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 121, s. 23 da iſt kein Standesvorurtheil, das ihn hätte hindern können,1. Abſchnitt. die allerindividuellſte Popularität bei jedem Einzelnen zu erwerben und in ſchwierigen Augenblicken gehörig zu be - nützen; es kam vor, daß die Feinde bei ſeinem Anblick die Waffen weglegten und mit entblößtem Haupt ihn ehrerbietig grüßten, weil ihn jeder für den gemeinſamen „ Vater der Kriegerſchaft “hielt. Dieſes Geſchlecht Sforza gewährt überhaupt das Intereſſe, daß man die Vorbereitung auf das Fürſtenthum von Anfang an glaubt durchſchimmern zu ſehen. 1)Wenigſtens bei Paul. Jovius, in ſeiner Vita magni Sfortiæ (Viri illustres), einer der anziehendſten von ſeinen Biographien.Das Fundament dieſes Glückes bildete die großeJacopo Sforza. Fruchtbarkeit der Familie; Francesco's bereits hochberühmter Vater Jacopo hatte zwanzig Geſchwiſter, alle rauh erzogen in Cotignola bei Faenza, unter dem Eindruck einer jener endloſen romagnoliſchen Vendetten zwiſchen ihnen und dem Hauſe der Paſolini. Die ganze Wohnung war lauter Ar - ſenal und Wachtſtube, auch Mutter und Töchter völlig kriegeriſch. Schon im dreizehnten Jahre ritt Jacopo heim - lich von dannen, zunächſt nach Panicale zum päpſtlichen Condottiere Boldrino, demſelben welcher dann noch im Tode ſeine Schaar anführte, indem die Parole von einem fahnen - umſteckten Zelte aus gegeben wurde, in welchem der ein - balſamirte Leichnam lag — bis ſich ein würdiger Nachfolger fand. Jacopo, als er in verſchiedenen Dienſten allmählig emporkam, zog auch ſeine Angehörigen nach ſich und genoß durch dieſelben die nämlichen Vortheile, die einem Fürſten eine zahlreiche Dynaſtie verleiht. Dieſe Verwandten ſind es, welche die Armee beiſammen halten, während er im Caſtel dell 'uovo zu Neapel liegt; ſeine Schweſter nimmt eigenhändig die königlichen Unterhändler gefangen und rettet ihn durch dieſes Pfand vom Tode. Es deutet ſchon aufSeine Aus - ſichten. Abſichten von Dauer und Tragweite, daß Jacopo in Geld - ſachen äußerſt zuverläſſig war und deßhalb auch nach241. Abſchnitt. Niederlagen Credit bei den Banquiers fand; daß er überall die Bauern gegen die Licenz der Soldaten ſchützte, und die Zerſtörung eroberter Städte nicht liebte; vollends aber, daß er ſeine ausgezeichnete Concubine Lucia (die Mutter Fran - cesco's) an einen Andern verheirathete, um für einen fürſt - lichen Ehebund verfügbar zu bleiben. Auch die Vermäh - lungen ſeiner Verwandten unterlagen einem gewiſſen Plan. Von der Gottloſigkeit und dem wüſten Leben ſeiner Fach - genoſſen hielt er ſich ferne; die drei Lehren, womit er ſeinen Francesco in die Welt ſandte, lauten: rühre keines Andern Weib an; ſchlage keinen von deinen Leuten oder, wenn es geſchehen, ſchicke ihn weit fort; endlich: reite kein hartmäu - liges Pferd und keines das gerne die Eiſen verliert. Vor Allem aber beſaß er die Perſönlichkeit wenn nicht eines großen Feldherrn doch eines großen Soldaten, einen mäch - tigen, allſeitig geübten Körper, ein populäres Bauerngeſicht, ein wunderwürdiges Gedächtniß, das alle Soldaten, alle ihre Pferde und ihre Soldverhältniſſe von vielen Jahren her kannte und aufbewahrte. Seine Bildung war nur italieniſch; alle Muße aber wandte er auf Kenntniß der Geſchichte und ließ griechiſche und lateiniſche Autoren fürFranc. Sforza und Giacomo Piccinino. ſeinen Gebrauch überſetzen. Francesco, ſein noch ruhm - vollerer Sohn, hat von Anfang an deutlich nach einer großen Herrſchaft geſtrebt und das gewaltige Mailand durch glänzende Heerführung und unbedenklichen Verrath auch erhalten (1447 — 1450).
Sein Beiſpiel lockte. Aeneas Sylvius1)Aen. Sylvius: De dictis et factis Alphonsi, Opera, Fol. 475. ſchrieb um dieſe Zeit: „ in unſerm veränderungsluſtigen Italien, wo nichts feſt ſteht und keine alte Herrſchaft exiſtirt, können leicht aus Knechten Könige werden “. Einer aber, der ſich ſelber „ den Mann der Fortuna “nannte, beſchäftigte damals vor allen die Phantaſie des ganzen Landes: Giacomo Pic - cinino, der Sohn des Nicolò. Es war eine offene und25 brennende Frage: ob auch ihm die Gründung eines Fürſten -1. Abſchnitt. thumes gelingen werde oder nicht? Die größern Staaten hatten ein einleuchtendes Intereſſe es zu verhindern, und auch Francesco Sforza fand, es wäre vortheilhaft, wenn die Reihe der ſouverän gewordenen Soldführer mit ihm ſelber abſchlöſſe. Aber die Truppen und Hauptleute, dieUntergang des Letztern. man gegen Piccinino abſandte, als er z. B. Siena hatte für ſich nehmen wollen, erkannten1)Pii II. Comment. I, p. 46, vgl. 69 ihr eigenes Intereſſe darin, ihn zu halten: „ Wenn es mit ihm zu Ende ginge, dann könnten wir wieder den Acker bauen “. Während ſie ihn in Orbetello eingeſchloſſen hielten, verproviantirten ſie ihn zugleich und er kam auf das Ehrenvollſte aus der Klemme. Endlich aber entging er ſeinem Verhängniß doch nicht. Ganz Italien wettete was geſchehen werde, als er (1465) von einem Beſuch bei Sforza in Mailand nach Neapel zum König Ferrante reiſte. Trotz aller Bürgſchaften und hohen Verbindungen ließ ihn dieſer im Caſtel nuovo ermorden. 2)Sismondi X, p. 258. — Corio, Fol. 412, wo Sforza als mit - ſchuldig gilt, weil er von P.'s kriegeriſcher Popularität Gefahren für ſeine eigenen Söhne gefürchtet. — Storia Bresciana, bei Murat. XXI, Col. 902. — Wie man 1466 den venezianiſchen Groß - condottiere Colleoni in Verſuchung führte, erzählt Malipiero, An - nali veneti, arch. stor. VII, I, p. 210.Auch die Condottieren, welche ererbte Staaten beſaßen, fühlten ſich doch nie ſicher; als Roberto Malateſta und Federigo von Urbino (1482) an Einem Tage, jener in Rom, dieſer in Bologna ſtarben, fand es ſich, daß Jeder im Sterben dem Andern ſeinen Staat empfehlen ließ! 3)Allegretti, Diarii Sanesi, bei Murat. XXIII, p. 811.Gegen einen Stand der ſich ſo Vieles erlaubte, ſchien Alles erlaubt. Francesco Sforza war noch ganz jung mit einer reichen calabreſiſchen Erbin, Poliſſena Ruffa, Gräfin von Montalto, verheirathet worden, welche ihm ein Töchterchen261 Abſchnitt. gebar; eine Tante vergiftete die Frau und das Kind und zog die Erbſchaft an ſich. 1)Orationes Philelphi, Fol. 9, in der Leichenrede auf Francesco.
Spätere Ver - ſuche der Con - dottieren.Vom Untergang Piccinino's an galt das Aufkommen von neuen Condottierenſtaaten offenbar als ein nicht mehr zu duldender Scandal; die vier „ Großſtaaten “Neapel, Mailand, Kirche und Venedig ſchienen ein Syſtem des Gleichgewichtes zu bilden, welches keine jener Störungen mehr vertrug. Im Kirchenſtaat, wo es von kleinen Tyran - nen wimmelte, die zum Theil Condottieren geweſen oder es noch waren, bemächtigten ſich ſeit Sixtus IV. die Nepoten des Alleinrechtes auf ſolche Unternehmungen. Aber die Dinge brauchten nur irgendwo in's Schwanken zu gerathen, ſo meldeten ſich auch die Condottieren wieder. Unter der kläglichen Regierung Innocenz VIII. war es einmal nahe daran, daß ein früher in burgundiſchen Dienſten geweſener Hauptmann Boccalino ſich mit ſammt der Stadt Oſimo, die er für ſich genommen, den Türken übergeben hätte;2)Marin Sanudo, vite de' Duchi di Ven., bei Murat. XXII, Col. 1241. man mußte froh ſein, daß er ſich auf Vermittlung des Lorenzo magnifico hin mit Geld abfinden ließ und ab - zog. Im Jahr 1495, bei der Erſchütterung aller Dinge in Folge des Krieges Carls VIII. verſuchte ſich ein Con - dottiere Vidovero von Brescia;3)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 407. er hatte ſchon früher die Stadt Ceſena durch Mord vieler Edeln und Bürger ein - genommen, aber das Caſtell hielt ſich und er mußte wieder fort; jetzt, begleitet von einer Truppe, die ihm ein anderer böſer Bube, Pandolfo Malateſta von Rimini, Sohn des erwähnten Roberto und venezianiſcher Condottiere, abgetreten, nahm er dem Erzbiſchof von Ravenna die Stadt Caſtel - nuovo ab. Die Venezianer, welche Größeres beſorgten und ohnehin vom Papſt gedrängt wurden, befahlen dem Pan -27 dolfo „ wohlmeinend “, den guten Freund bei Gelegenheit zu1. Abſchnitt. verhaften; es geſchah, obwohl „ mit Schmerzen “, worauf die Ordre kam, ihn am Galgen ſterben zu laſſen. Pan - dolfo hatte die Rückſicht, ihn erſt im Gefängniß zu erdroſſeln und dann dem Volk zu zeigen. — Das letzte bedeutendere Beiſpiel ſolcher Uſurpationen iſt der berühmte Caſtellan von Muſſo, der bei der Verwirrung im Mailändiſchen nach der Schlacht bei Pavia (1525) ſeine Souveränetät am Comer - ſee improviſirte.
Im Allgemeinen läßt ſich von den GewaltherrſchernDie kleineren Herrſchaften. des XV. Jahrhunderts ſagen, daß die ſchlimmſten Dinge in den kleinern und kleinſten Herrſchaften am meiſten ſich häuften. Namentlich lagen hier für zahlreiche Familien, deren einzelne Mitglieder alle ranggemäß leben wollten, die Erbſtreitigkeiten nahe; Bernardo Varano von Camerino ſchaffte (1434) zwei Brüder aus der Welt,1)Chron. Eugubinum, bei Murat. XXI, Col. 972. weil ſeine Söhne mit deren Erbe ausgeſtattet ſein wollten. Wo ein bloßer Stadtherrſcher ſich auszeichnet durch practiſche, ge - mäßigte, unblutige Regierung und Eifer für die Cultur zugleich, da wird es in der Regel ein ſolcher ſein, der zu einem großen Hauſe gehört oder von der Politik eines ſol - chen abhängt. Dieſer Art war z. B. Aleſſandro Sforza,2)Vespasiano Fiorent. p. 148. Fürſt von Peſaro, Bruder des großen Francesco und Schwie - gervater des Federigo von Urbino (ſt. 1473). Als guter Verwalter, als gerechter und zugänglicher Regent genoß er nach langem Kriegsleben eine ruhige Regierung, ſammelte eine herrliche Bibliothek und brachte ſeine Muße mit ge - lehrten und frommen Geſprächen zu. Auch Giovanni II. Bentivoglio von Bologna (1462 — 1506), deſſen Politik von der der Eſte und Sforza bedingt war, läßt ſich hieher zählen. Welche blutige Verwilderung dagegen finden wir in den281. Abſchnitt. Häuſern der Varani von Camerino, der Malateſta von Rimini, der Manfreddi von Faenza, vor Allem der Baglioni von Perugia. Ueber die Ereigniſſe im Hauſe der letztern gegen Ende des XV. Jahrhunderts ſind wir durch ausge - zeichnete Geſchichtsquellen — die Chroniken des Graziani und des Matarazzo1)Archiv. stor. VXI, Parte I. et II. — beſonders anſchaulich unterrichtet.
Die Baglionen von Perugia.Die Baglionen waren eines von jenen Häuſern, deren Herrſchaft ſich nicht zu einem förmlichen Fürſtenthum durch - gebildet hatte, ſondern mehr nur in einem ſtädtiſchen Primat beſtand und auf großem Familienreichthum und thatſäch - lichem Einfluß auf die Aemterbeſetzung beruhte. Innerhalb der Familie wurde Einer als Geſammtoberhaupt anerkannt; doch herrſchte tiefer verborgener Haß zwiſchen den Mit - gliedern der verſchiedenen Zweige. Ihnen gegenüber hielt ſich eine gegneriſche Adelspartei unter Anführung der Fa - milie Oddi; Alles ging (um 1487) in Waffen und alle Häuſer der Großen waren voller Bravi; täglich gab es Gewaltthaten; bei Anlaß der Beerdigung eines ermordeten deutſchen Studenten ſtellten ſich zwei Collegien in Waffen gegeneinander auf; ja bisweilen lieferten ſich die Bravi verſchiedener Häuſer Schlachten auf offener Piazza. Ver - gebens jammerten Kaufleute und Handwerker; die päpſt - lichen Governatoren und Nepoten ſchwiegen oder machtenBertreibung der Oddi. ſich bald wieder davon. Endlich müßen die Oddi Perugia verlaſſen und nun wird die Stadt eine belagerte Feſte unter der vollendeten Gewaltherrſchaft der Baglionen, wel - chen auch der Dom als Caſerne dienen muß. Complotten und Ueberfällen wird mit furchtbarer Rache begegnet; nach - dem man (im J. 1491) 130 Eingedrungene zuſammenge - hauen und am Staatspalaſt gehenkt, wurden auf der Piazza 35 Altäre errichtet und drei Tage lang Meſſen geleſen und Proceſſionen gehalten um den Fluch von der Stätte weg - zunehmen. Ein Nepot Innocenz VIII. wurde am hellen29 Tage auf der Gaſſe erſtochen, einer Alexanders VI., der1. Abſchnitt. abgeſandt war um zu ſchlichten, erntete nichts als offenen Hohn. Dafür hatten die beiden Häupter des regierenden Hauſes Guido und Ridolfo häufige Unterredungen mit der heiligen wunderthätigen Dominicanernonne Suor Colomba von Rieti, welche unter Androhung großen künftigen Un - heils zum Frieden rieth, natürlich vergebens. Immerhin macht der Chroniſt bei dieſem Anlaß aufmerkſam auf die Andacht und Frömmigkeit der beſſern Peruginer in dieſen Schreckensjahren. Während (1494) Carl VIII. heranzog, führten die Baglionen und die in und um Aſſiſi gelagerten Verbannten einen Krieg von ſolcher Art, daß im Thal alle Gebäude dem Boden eben, die Felder unbebaut lagen, die Bauern zu kühnen Räubern und Mördern verwilderten, und Hirſche und Wölfe das emporwuchernde Geſtrüpp be - völkerten, wo letztere ſich an den Leichen der Gefallenen, an „ Chriſtenfleiſch “, gütlich thaten. Als Alexander VI.Abſichten des Papſtes. vor dem von Neapel zurückkehrenden Carl VIII. (1495) nach Umbrien entwich, fiel es ihm in Perugia ein, er könnte ſich der Baglionen auf immer entledigen; er ſchlug dem Guido irgend ein Feſt, ein Turnier oder etwas dergleichen vor, um ſie irgendwo alle beiſammen zu haben, aber Guido war der Meinung, „ das allerſchönſte Schauſpiel wäre, alle bewaffnete Mannſchaft von Perugia beiſammen zu ſehen “, worauf der Papſt ſeinen Plan fallen ließ. Bald darauf machten die Verbannten wieder einen Ueberfall, bei welchem nur der perſönlichſte Heldenmuth der Baglionen den Sieg gewann. Da wehrte ſich auf der Piazza der achtzehnjährige Simonetto Baglione mit Wenigen gegen mehrere Hunderte, und ſtürzte mit mehr als zwanzig Wunden, erhob ſich aber wieder, als ihm Aſtorre Baglione zu Hülfe kam, hoch zu Roß in vergoldeter Eiſenrüſtung mit einem Falken auf dem Helm; „ dem Mars vergleichbar an Anblick und an Thaten ſprengte er in das Gewühl. “
301. Abſchnitt. Damals war Rafael als zwölfjähriger Knabe in der Lehre bei Pietro Perugino. Vielleicht ſind Eindrücke dieſer Tage verewigt in den frühen kleinen Bildchen des heil. Georg und des heil. Michael; vielleicht lebt noch etwas davon unvergänglich fort in dem großen St. Michaelsbilde, und wenn irgendwo Aſtorre Baglione ſeine Verklärung ge - funden hat, ſo iſt es geſchehen in der Geſtalt des himm - liſchen Reiters im Heliodor.
Zwietracht im Haus der Baglionen.Die Gegner waren theils umgekommen theils in pani - ſchem Schrecken gewichen, und fortan keines ſolchen Angriffes mehr fähig. Nach einiger Zeit wurde ihnen eine partielle Verſöhnung und Rückkehr gewährt. Aber Perugia wurde nicht ſicherer noch ruhiger; die innere Zwietracht des herr - ſchenden Hauſes brach jetzt in entſetzlichen Thaten aus. Gegenüber Guido, Ridolfo und ihren Söhnen Gianpaolo, Simonetto, Aſtorre, Gismondo, Gentile, Marcantonio u. A. thaten ſich zwei Großneffen, Grifone und Carlo Barciglia zuſammen; letzterer zugleich Neffe des Fürſten Varano von Camerino und Schwager eines der früheren Verbannten, Jeronimo dalla Penna. Vergebens bat Simonetto, der ſchlimme Ahnungen hatte, ſeinen Oheim kniefällig, dieſen Penna tödten zu dürfen, Guido verſagte es ihm. Das Complott reifte plötzlich bei der Hochzeit des Aſtorre mitPeruginer Bluthochzeit. der Lavinia Colonna, Mitte Sommers 1500. Das Feſt nahm ſeinen Anfang und dauerte einige Tage unter düſtern Anzeichen, deren Zunahme bei Matarazzo vorzüglich ſchön geſchildert iſt. Der anweſende Varano trieb ſie zuſammen; in teufliſcher Weiſe wurde dem Grifone die Alleinherrſchaft und ein erdichtetes Verhältniß ſeiner Gemahlin Zenobia mit Gianpaolo vorgeſpiegelt und endlich jedem Verſchworenen ſein beſtimmtes Opfer zugetheilt. (Die Baglionen hatten lauter geſchiedene Wohnungen, meiſt an der Stelle des jetzigen Caſtells.) Von den vorhandenen Bravi bekam Jeder 15 Mann mit; der Reſt wurde auf Wachen ausgeſtellt. In der Nacht vom 15. Juli wurden die Thüren eingerannt31 und der Mord an Guido, Aſtorre, Simonetto und Gis -1. Abſchnitt. mondo vollzogen; die Andern konnten entweichen.
Als Aſtorre's Leiche mit der des Simonetto auf der Gaſſe lag, verglichen ihn die Zuſchauer „ und beſonders die fremden Studenten “mit einem alten Römer; ſo würdig und groß war der Anblick; in Simonetto fanden ſie noch das Trotzigkühne, als hätte ihn ſelbſt der Tod nicht ge - bändigt. Die Sieger gingen bei den Freunden der Familie herum und wollten ſich empfehlen, fanden jedoch Alles in Thränen und mit der Abreiſe auf die Landgüter beſchäftigt. Aber die entronnenen Baglionen ſammelten draußen Mann - ſchaft, und drangen, Gianpaolo an der Spitze, des folgen - den Tages in die Stadt, wo andere Anhänger, ſo eben von Bareiglia mit dem Tode bedroht, ſchleunig zu ihm ſtießen; als bei S. Ercolano Grifone in ſeine Hände fiel, überließ er es ſeinen Leuten, ihn niederzumachen; Barciglia und Penna aber flüchteten ſich nach Camerino zum Hauptanſtifter des Unheils, Varano; in einem Augenblick, faſt ohne Ver - luſt, war Gianpaolo Herr der Stadt.
Atalanta, Grifone's noch ſchöne und junge Mutter,Atalanta Ba - glione. die ſich Tags zuvor ſammt ſeiner Gattin Zenobia und zwei Kindern Gianpaolo's auf ein Landgut zurückgezogen und den ihr nacheilenden Sohn mehrmals mit ihrem Mutter - fluche von ſich gewieſen, kam jetzt mit der Schwiegertochter herbei und ſuchte den ſterbenden Sohn. Alles wich vor den beiden Frauen auf die Seite; Niemand wollte als der erkannt ſein, der den Grifone erſtochen hätte, um nicht die Verwünſchung der Mutter auf ſich zu ziehen. Aber man irrte ſich; ſie ſelber beſchwor den Sohn, denjenigen zu ver - zeihen, welche die tödtlichen Streiche geführt, und er ver - ſchied unter ihren Segnungen. Ehrfurchtsvoll ſahen die Leute den beiden Frauen nach, als ſie in ihren blutigen Kleidern über den Platz ſchritten. Dieſe Atalanta iſt es, für welche ſpäter Rafael die weltberühmte Grablegung ge -321. Abſchnitt. malt hat. Damit legte ſie ihr eigenes Leid dem höchſten und heiligſten Mutterſchmerz zu Füßen.
Der Dom, welcher das meiſte von dieſer Tragödie in ſeiner Nähe geſehen, wurde mit Wein abgewaſchen und neu geweiht. Noch immer ſtand von der Hochzeit her der Triumphbogen, bemalt mit den Thaten Aſtorre's und mit den Lobverſen deſſen, der uns dieſes Alles erzählt, des guten Matarazzo.
Es entſtand eine ganz ſagenhafte Vorgeſchichte der Baglionen, welche nur ein Reflex dieſer Gräuel iſt. Alle von dieſem Hauſe ſeien von jeher eines böſen Todes ge - ſtorben, einſt 27 miteinander; ſchon einmal ſeien ihre Häuſer geſchleift und mit den Ziegeln davon die Gaſſen gepflaſtert worden u. dgl. Unter Paul III. trat dann die Schleifung ihrer Paläſte wirklich ein.
Fortwirken des Fluches.Einſtweilen aber ſcheinen ſie gute Vorſätze gefaßt, in ihrer eignen Partei Ordnung geſchafft und die Beamten gegen die adlichen Böſewichter geſchützt zu haben. Allein der Fluch brach ſpäter doch wieder wie ein nur ſcheinbar gedämpfter Brand hervor; Gianpaolo wurde unter Leo X. 1520 nach Rom gelockt und enthauptet; der eine ſeiner Söhne, Orazio, der Perugia nur zeitweiſe und unter den gewaltſamſten Umſtänden beſaß, nämlich als Parteigänger des ebenfalls von den Päpſten bedrohten Herzogs von Ur - bino, wüthete noch einmal im eigenen Hauſe auf das Gräßlichſte. Ein Oheim und drei Vettern wurden ermordet, worauf ihm der Herzog ſagen ließ, es ſei jetzt genug. 1)Varchi, stor. fiorent. I, p. 242, s. Sein Bruder Malateſta Baglione iſt der florentiniſche Feld - herr, welcher durch den Verrath von 1530 unſterblich ge - worden, und deſſen Sohn Ridolfo iſt jener letzte des Hauſes welcher in Perugia durch Ermordung des Legaten und der33 Beamten im Jahr 1534 eine nur kurze aber ſchreckliche1. Abſchnitt. Herrſchaft übte.
Den Gewaltherrſchern von Rimini werden wir nochDie Malateſten von Rimini. hie und da begegnen. Frevelmuth, Gottloſigkeit, kriegeriſches Talent und höhere Bildung ſind ſelten ſo in einem Menſchen vereinigt geweſen wie in Sigismondo Malateſta (ſt. 1467). Aber wo die Miſſethaten ſich häufen wie in dieſem Hauſe geſchah, da gewinnen ſie das Schwergewicht auch über alles Talent und ziehen die Tyrannen in den Abgrund. Der ſchon erwähnte Pandolfo, Sigismondo's Enkel, hielt ſich nur noch weil Venedig ſeinen Condottiere trotz aller Ver - brechen nicht wollte fallen laſſen; als ihn ſeine Unterthanen (1497) aus hinreichenden Gründen1)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 498. in ſeiner Burg zu Rimini bombardirten und dann entwiſchen ließen, führte ein venezianiſcher Commiſſär den mit Brudermord und allen Gräueln befleckten wieder zurück. Nach drei Jahrzehnden waren die Malateſten arme Verbannte. Die Zeit um 1527Untergang der Kleinen. war wie die des Ceſare Borgia eine Epidemie für dieſe kleinen Dynaſtien, nur ſehr wenige überlebten ſie und nicht einmal zu ihrem Glück. In Mirandola, wo kleine Fürſten aus dem Hauſe Pico herrſchten, ſaß im Jahr 1533 ein armer Gelehrter, Lilio Gregorio Giraldi, der aus der Ver - wüſtung von Rom ſich an den gaſtlichen Heerd des hoch - bejahrten Giovan Francesco Pico (Neffen des berühmten Giovanni) geflüchtet hatte; bei Anlaß ihrer Beſprechungen über das Grabmal, welches der Fürſt für ſich bereiten wollte, entſtand eine Abhandlung,2)Lil. Greg. Giraldus, de vario sepeliendi ritu. — Schon 1470 war in dieſem Hauſe eine Miniaturkataſtrophe vorgefallen, vgl. Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 225. deren Dedication vom April jenes Jahres datirt iſt. Aber wie wehmüthig lautet die Nachſchrift: „ im October deſſelben Jahres iſt der un -Cultur der Renaiſſance. 3341. Abſchnitt. glückliche Fürſt durch nächtlichen Mord von ſeinem Bruder - ſohn des Lebens und der Herrſchaft beraubt worden, und ich ſelber bin in tiefem Elend kaum mit dem Leben davon - gekommen “.
Eine characterloſe Halbtyrannie, wie ſie Pandolfo Pe - trucci ſeit den 1490er Jahren in dem von Factionen zer - riſſenen Siena ausübte, iſt kaum der nähern Betrachtung werth. Unbedeutend und böſe, regierte er mit Hülfe eines Profeſſors der Rechte und eines Aſtrologen und verbreitete hie und da einigen Schrecken durch Mordthaten. Sein Sommervergnügen war, Steinblöcke vom Monte Amiata herunter zu rollen, ohne Rückſicht darauf, was und wen ſie trafen. Nachdem ihm gelingen mußte, was den Schlauſten mißlang — er entzog ſich den Tücken des Ceſare Borgia — ſtarb er doch ſpäter verlaſſen und verachtet. Seine Söhne aber hielten ſich noch lange mit einer Art von Halbherrſchaft.
Die Aragoneſen von Neapel. Alfons der Große.Von den wichtigern Dynaſtien ſind die Aragoneſen geſondert zu betrachten. Das Lehnsweſen, welches hier ſeit der Normannenzeit als Grundherrſchaft der Barone fort - dauert, färbt ſchon den Staat eigenthümlich, während im übrigen Italien, den ſüdlichen Kirchenſtaat und wenige andere Gegenden ausgenommen, faſt nur noch einfacher Grundbeſitz gilt und der Staat keine Befugniſſe mehr erb - lich werden läßt. Sodann iſt der große Alfons, welcher ſeit 1435 Neapel in Beſitz genommen (ſt. 1458), von einer andern Art als ſeine wirklichen oder vorgeblichen Nach - kommen. Glänzend in ſeinem ganzen Daſein, furchtlos unter ſeinem Volke, von einer großartigen Liebenswürdigkeit im Umgang, und ſelbſt wegen ſeiner ſpäten Leidenſchaft für Lucrezia d'Alagna nicht getadelt, ſondern bewundert, hatte er die eine üble Eigenſchaft der Verſchwendung,1)Jovian. Pontan. de liberalitate, und: de obedientia, 1. 4. Vgl. Sismondi X, p. 78, s.35 an welche ſich dann die unvermeidlichen Folgen hingen. 1. Abſchnitt. Frevelhafte Finanzbeamte wurden zuerſt allmächtig, bis ſie der bankerott gewordene König ihres Vermögens beraubte; ein Kreuzzug wurde gepredigt, um unter dieſem Vorwand den Clerus zu beſteuern; bei einem großen Erdbeben in den Abruzzen mußten die Ueberlebenden die Steuer für die Umgekommenen weiter bezahlen. Unter ſolchen Umſtänden war Alfons für hohe Gäſte der prunkhafteſte Wirth ſeiner Zeit (S. 17) und froh des unaufhörlichen Spendens an Jedermann, auch an Feinde; für literariſche Bemühungen hatte er vollends keinen Maßſtab mehr, ſo daß Poggio für die lateiniſche Ueberſetzung von Xenophon's Cyropädie 500 Goldſtücke erhielt.
Ferrante,1)Tristano Caracciolo: de varietate fortunæ, bei Murat. XXII. — Jovian. Pontanus: de prudentia, 1. IV; de magnanimitate, 1. I.; de liberalitate, de immanitate. — Cam. Porzio, con - giura de' Baroni, passim. — Comines, Charles VIII, chap. 17, mit der allgem. Characteriſtik der Aragoneſen. der auf ihn kam, galt als ſein BaſtardFerrante. von einer ſpaniſchen Dame, war aber vielleicht von einem valencianiſchen Marranen erzeugt. War es nun mehr das Geblüt oder die ſeine Exiſtenz bedrohenden Complotte der Barone, was ihn düſter und grauſam machte, jedenfalls iſt er unter den damaligen Fürſten der ſchrecklichſte. Raſtlos thätig, als einer der ſtärkſten politiſchen Köpfe anerkannt, dabei kein Wüſtling, richtet er alle ſeine Kräfte, auch die eines unverſöhnlichen Gedächtniſſes und einer tiefen Ver - ſtellung, auf die Zernichtung ſeiner Gegner. Beleidigt in allen Dingen, worin man einen Fürſten beleidigen kann, indem die Anführer der Barone mit ihm verſchwägert und mit allen auswärtigen Feinden verbündet waren, gewöhnte er ſich an das Aeußerſte als an ein Alltägliches. Für dieSein Zwang - ſtaat. Beſchaffung der Mittel in dieſem Kampfe und in ſeinen auswärtigen Kriegen wurde wieder etwa in jener moham -3*361. Abſchnitt. medaniſchen Weiſe geſorgt, die Friedrich II. angewandt hatte: mit Korn und Oel handelte nur die Regierung; den Handel überhaupt hatte Ferrante in den Händen eines Ober - und Großkaufmanns, Francesco Coppola, centraliſirt, welcher mit ihm den Nutzen theilte und alle Rheder in ſeinen Dienſt nahm; Zwangsanleihen, Hinrichtungen und Confiscationen, grelle Simonie und Brandſchatzung der geiſtlichen Corporationen beſchufen das Uebrige. Nun über - ließ ſich Ferrante außer der Jagd, die er rückſichtslos übte, zweierlei Vergnügungen: ſeine Gegner entweder lebend in wohlverwahrten Kerkern oder todt und einbalſamirt, in der Tracht die ſie bei Lebzeiten trugen,1)Paul. Jovius, Histor. I, p. 14, in der Rede eines mailändiſchen Geſandten; Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 294. in ſeiner Nähe zu haben. Er kicherte, wenn er mit ſeinen Vertrauten von den Gefangenen ſprach; aus der Mumiencollection wurde nicht einmal ein Geheimniß gemacht. Seine Opfer waren faſt lauter Männer, deren er ſich durch Verrath, ja an ſeiner königlichen Tafel bemächtigt. Völlig infernal war das Verfahren gegen den in Dienſt grau und krank gewor - denen Premierminiſter Antonello Petrucci, von deſſen wach - ſender Todesangſt Ferrante immerfort Geſchenke annahm, bis endlich ein Anſchein von Theilnahme an der letzten Baronenverſchwörung den Vorwand gab zu ſeiner Verhaf - tung und Hinrichtung, zugleich mit Coppola. Die Art wie dieß Alles bei Caracciolo und Porzio dargeſtellt iſt,Alfonſo von Calabrien. macht die Haare ſträuben. — Von den Söhnen des Königs genoß der ältere, Alfonſo Herzog von Calabrien, in den ſpätern Zeiten eine Art Mitregierung; ein wilder, grau - ſamer Wüſtling, der vor dem Vater die größere Offenheit voraus hatte, und ſich auch nicht ſcheute, ſeine Verachtung gegen die Religion und ihre Bräuche an den Tag zu legen. Die beſſern, lebendigen Züge des damaligen Tyrannenthums muß man bei dieſen Fürſten nicht ſuchen; was ſie von der37 damaligen Kunſt und Bildung an ſich nehmen, iſt Luxus1. Abſchnitt. oder Schein. Schon die echten Spanier treten in Italien faſt immer nur entartet auf, vollends aber zeigt der Aus - gang dieſes Marranenhauſes (1494 und 1503) einen augen - ſcheinlichen Mangel an Race. Ferrante ſtirbt vor innerer Sorge und Qual; Alfonſo traut ſeinem eigenen Bruder Federigo, dem einzigen Guten der Familie, Verrath zu, und beleidigt ihn auf die unwürdigſte Weiſe; endlich flieht Er, der bisher als einer der tüchtigſten Heerführer Italiens ge - golten, beſinnungslos nach Sicilien und läßt ſeinen Sohn, den jüngern Ferrante, den Franzoſen und dem allgemeinen Verrath zur Beute. Eine Dynaſtie, welche ſo regiert hatte wie dieſe, hätte allermindeſtens ihr Leben theuer verkaufen müſſen, wenn ihre Kinder und Nachkommen eine Reſtau - ration hoffen ſollten. Aber: jamais homme cruel ne fut hardi, wie Comines bei dieſem Anlaß etwas einſeitig und im Ganzen doch richtig ſagt.
Echt italieniſch im Sinne des XV. Jahrhunderts er -Der letzte Bis - conti. ſcheint das Fürſtenthum in den Herzogen von Mailand ausgebildet, deren Herrſchaft ſeit Giangaleazzo ſchon eine völlig ausgebildete abſolute Monarchie darſtellt. Vor Allem iſt der letzte Visconti, Filippo Maria (1412 — 1447) eine höchſt merkwürdige, glücklicher Weiſe vortrefflich geſchilderte1)Petri Candidi Decembrii Vita Phil. Mariae Vicecomitis, bei Murat. XX. Perſönlichkeit. Was die Furcht aus einem Menſchen von bedeutenden Anlagen in hoher Stellung machen kann, zeigt ſich hier, man könnte ſagen mathematiſch vollſtändig; alle Mittel und Zwecke des Staates concentriren ſich in dem einen der Sicherung ſeiner Perſon, nur daß ſein grauſamer Egoismus doch nicht in Blutdurſt überging. Im Caſtell von Mailand, das die herrlichſten Gärten, Laubgänge und Tummelplätze mit umfaßte, ſitzt er ohne die Stadt in vielen381. Abſchnitt. Jahren auch nur zu betreten; ſeine Ausflüge gehen nach den Landſtädten, wo ſeine prächtigen Schlöſſer liegen; die Barkenflottille die ihn, von raſchen Pferden gezogen, auf eigens gebauten Canälen dahin führt, iſt für die Hand - habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Caſtell betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand ſollte auch nur am Fenſter ſtehen, damit nicht nach außen gewinkt würde. Ein künſtliches Syſtem von Prüfungen erging über die, welche zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gezogen werden ſollten; dieſen vertraute er dann die höchſten diplo - matiſchen wie die Lakaiendienſte an, denn Beides war ja hier gleich ehrenvoll. Und dieſer Mann führte lange, ſchwierige Kriege und hatte beſtändig große politiſche Dinge unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit umfaſſenden Vollmachten ausſenden. Seine Sicherheit lag nun darin, daß keiner von dieſen keinem traute, daß die Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern Beamten durch künſtlich genährte Zwietracht, namentlich durch Zuſammenkoppelung je eines Guten und eines Böſen irre gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in ſeinem Innerſten iſt Filippo Maria bei den entgegengeſetzten Polen der Weltanſchauung verſichert; er glaubt an Geſtirne und an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth - helfern; er lieſt alte Autoren und franzöſiſche Ritterromane. Und zuletzt hat derſelbe Menſch, der den Tod nie wollte erwähnen hören1)Ihn ängſtigte, quod aliquando „ non esse “necesse esset. und ſelbſt ſeine ſterbenden Günſtlinge aus dem Caſtell ſchaffen ließ, damit Niemand in dieſer Burg des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und Verweigerung des Aderlaſſes ſeinen Tod abſichtlich beſchleunigt und iſt mit Anſtand und Würde geſtorben.
Franceseo Sforza.Sein Schwiegerſohn und endlicher Erbe, der glückliche Condottiere Francesco Sforza (1450 — 1466, S. 24) war39 vielleicht von allen Italienern am Meiſten der Mann nach1. Abſchnitt. dem Herzen des XV. Jahrhunderts. Glänzender als in ihm war der Sieg des Genies und der individuellen Kraft nirgends ausgeſprochen, und wer das nicht anzuerkennen geneigt war, durfte doch immerhin den Liebling der Fortuna in ihm verehren. Mailand empfand es offenbar als Ehre, wenigſtens einen ſo berühmten Herrſcher zu erhalten; hatte ihn doch bei ſeinem Einritt das dichte Volksgedränge zu Pferde in den Dom hineingetragen, ohne daß er abſteigen konnte. 1)Corio, Fol. 400; — Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 125.Hören wir die Bilanz ſeines Lebens, wie ſie Papſt Pius II, ein Kenner in ſolchen Dingen, uns vor -Sein Glück. rechnet. 2)Pii II. Comment. III, p. 130. Vgl. II. 87. 106. Eine andere, noch mehr ins Düſtere fallende Taration vom Glücke des Sforza giebt Caracciolo, de varietate fortunæ, bei Murat. XXII, Col. 74.„ Im Jahr 1459, als der Herzog zum Fürſten - congreß nach Mantua kam, war er 60 (eher 58) Jahre alt; als Reiter einem Jüngling gleich, hoch und äußerſt impoſant an Geſtalt, von ernſten Zügen, ruhig und leut - ſelig im Reden, fürſtlich im ganzen Benehmen, ein Ganzes von leiblicher und geiſtiger Begabung ohne Gleichen in unſerer Zeit, im Felde unbeſiegt — das war der Mann der von niedrigem Stande zur Herrſchaft über ein Reich emporſtieg. Seine Gemahlin war ſchön und tugendhaft, ſeine Kinder anmuthig wie Engel vom Himmel; er war ſelten krank; alle ſeine weſentlichen Wünſche erfüllten ſich. Doch hatte auch er einiges Mißgeſchick; ſeine Gemahlin tödtete ihm aus Eiferſucht die Geliebte; ſeine alten Waffen - genoſſen und Freunde Troilo und Brunoro verließen ihn und gingen zu König Alfons über; einen andern, Ciar - pollone mußte er wegen Verrathes henken laſſen; von ſeinem Bruder Aleſſandro mußte er erleben, daß derſelbe einmal die Franzoſen gegen ihn aufſtiftete; einer ſeiner Söhne401. Abſchnitt. zettelte Ränke gegen ihn und kam in Haft; die Mark An - cona, die er im Krieg erobert, verlor er auch wieder im Krieg. Niemand genießt ein ſo ungetrübtes Glück, daß er nicht irgendwo mit Schwankungen zu kämpfen hätte. Der iſt glücklich, der wenige Widerwärtigkeiten hat. “ Mit dieſer negativen Definition des Glückes entläßt der gelehrte Papſt ſeinen Leſer. Wenn er hätte in die Zukunft blicken können oder auch nur die Conſequenzen der völlig unbeſchränkten Fürſtenmacht überhaupt erörtern wollen, ſo wäre ihm eine durchgehende Wahrnehmung nicht entgangen: die Garantie - loſigkeit der Familie. Jene engelſchönen, überdieß ſorgfältig und vielſeitig gebildeten Kinder unterlagen, als ſie Männer wurden,Galeazzo Maria. der ganzen Ausartung des ſchrankenloſen Egoismus. Galeazzo Maria (1466 — 1476), ein Virtuoſe der äußern Erſcheinung, war ſtolz auf ſeine ſchöne Hand, auf die hohen Beſoldun - gen die er bezahlte, auf den Geldcredit den er genoß, auf ſeinen Schatz von zwei Millionen Goldſtücken, auf die namhaften Leute die ihn umgaben, und auf die Armee und die Vogeljagd die er unterhielt. Dabei hörte er ſich gerne reden, weil er gut redete, und vielleicht am allerfließendſten wenn er etwa einen venezianiſchen Geſandten kränken konnte. 1)Malipiero, Ann. veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 216. 221.Dazwiſchen aber gab es Launen wie z. B. die, ein Zimmer in einer Nacht mit Figuren ausmalen zu laſſen; es gab entſetzliche Grauſamkeiten gegen Naheſtehende, und beſin - nungsloſe Ausſchweifung. Einigen Phantaſten ſchien er alle Eigenſchaften eines Tyrannen zu beſitzen; ſie brachten ihn um und lieferten damit den Staat in die Hände ſeiner Brüder, deren einer, Lodovico il Moro, nachher mit Ueber - gehung des eingekerkerten Neffen die ganze Herrſchaft an ſich riß. An dieſe Uſurpation hängt ſich dann die Inter - vention der Franzoſen und das böſe Schickſal von ganzLodovico Moro. Italien. Der Moro iſt aber die vollendetſte fürſtliche Cha - racterfigur dieſer Zeit, und erſcheint damit wieder wie ein41 Naturproduct, dem man nicht ganz böſe ſein kann. Bei1. Abſchnitt. der tiefſten Immoralität ſeiner Mittel erſcheint er in deren Anwendung völlig naiv; er würde wahrſcheinlich ſich ſehr verwundert haben, wenn ihm Jemand hätte begreiflich machen wollen, daß nicht nur für die Zwecke ſondern auch für die Mittel eine ſittliche Verantwortung exiſtirt; ja er würde vielleicht ſeine möglichſte Vermeidung aller Bluturtheile als eine ganz beſondere Tugend geltend gemacht haben. Den halbmythiſchen Reſpect der Italiener vor ſeiner politiſchen Force nahm er wie einen ſchuldigen Tribut1)Chron. venetum, bei Murat. XXIV, Col. 65. an; noch 1496 rühmte er ſich: Papſt Alexander ſei ſein Caplan, Kaiſer Max ſein Condottiere, Venedig ſein Kämmerer, der König von Frankreich ſein Courier, der da kommen und gehen müſſe wie ihm beliebe. 2)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 492. Vgl. 481. 561.Mit einer erſtaunlichen Beſonnenheit wägt er noch in der letzten Noth (1499) die möglichen Ausgänge ab, und verläßt ſich dabei, was ihm Ehre macht, auf die Güte der menſchlichen Natur; ſeinen Bruder Cardinal Ascanio, der ſich erbietet, im Caſtell von Mailand auszuharren, weiſt er ab, da ſie früher bittern Streit gehabt hatten: „ Monſignore, nichts für ungut, Euch traue ich nicht, wenn Ihr ſchon mein Bruder ſeid “— be - reits hatte er ſich einen Commandanten für das Caſtell, dieſe „ Bürgſchaft ſeiner Rückkehr “ausgeſucht, einen Mann, dem er nie Uebles, ſtets nur Gutes erwieſen. 3)Seine letzte Unterredung mit demſelben, echt und merkwürdig, bei Senarega, Murat. XXIV, Col. 567.Derſelbe verrieth dann gleichwohl die Burg. — Im Innern warInnere Regie - rung. der Moro bemüht, gut und nützlich zu walten, wie er denn in Mailand und auch in Como noch zuletzt auf ſeine Be - liebtheit rechnete; doch hatte er in den ſpätern Jahren (ſeit 1496) die Steuerkraft ſeines Staates übermäßig an -421. Abſchnitt. geſtrengt und z. B. in Cremona einen angeſehenen Bürger, der gegen die neuen Auflagen redete, aus lauter Zweck - mäßigkeit insgeheim erdroſſeln laſſen; auch hielt er ſich ſeitdem bei Audienzen die Leute durch eine Barre weit vom Leibe,1)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 336. 367. 369. Das Volk glaubte, er theſaurire. ſodaß man ſehr laut reden mußte, um mit ihm zu verhandeln. — An ſeinem Hofe, dem glanzvollſten von Europa da kein burgundiſcher mehr vorhanden war, ging es äußerſt unſittlich her; der Vater gab die Tochter, der Gatte die Gattin, der Bruder die Schweſter Preis. 2)Corio, Fol. 448. Die Nachwirkungen dieſes Zuſtandes ſind beſon - ders kenntlich in den auf Mailand bezüglichen Novellen und Intro - ductionen der Bandello.Allein der Fürſt wenigſtens blieb immer thätig und fand ſich als Sohn ſeiner Thaten Denjenigen verwandt, welche ebenfalls aus eigenen geiſtigen Mitteln exiſtirten: den Gelehrten, Dichtern, Muſikern und Künſtlern. Die von ihm geſtiftete Academie3)Amoretti, memorie storiche sulla vita ecc. di Lionardo da Vinci, p. 35, s. 83, s. iſt in erſter Linie in Bezug auf ihn, nicht auf eine zu unterrichtende Schülerſchaft vorhanden; auch bedarf er nicht des Ruhmes der betreffenden Männer, ſondern ihres Umganges und ihrer Leiſtungen. Es iſt gewiß, daß Bramante am Anfang ſchmal gehalten wurde;4)S. deſſen Sonette bei Trucchi, Poesie inedite. aber Lio - nardo iſt doch bis 1496 richtig beſoldet worden — und was hielt ihn überhaupt an dieſem Hofe wenn er nicht freiwillig blieb? Die Welt ſtand ihm offen wie vielleicht überhaupt Keinem von allen damaligen Sterblichen, und wenn irgend Etwas dafür ſpricht, daß in Lodovico Moro ein höheres Element lebendig geweſen, ſo iſt es dieſer lange Aufenthalt des räthſelhaften Meiſters in ſeiner Umgebung. Wenn Lionardo ſpäter dem Ceſare Borgia und Franz I.43 gedient hat, ſo mag er auch an dieſen das außergewöhnliche1. Abſchnitt. Naturell geſchätzt haben.
Von den Söhnen des Moro, die nach ſeinem SturzDie letzten Sforza. von fremden Leuten ſchlecht erzogen waren, ſieht ihm der ältere, Maſſimiliano, gar nicht mehr ähnlich; der jüngere, Francesco, war wenigſtens des Aufſchwunges nicht unfähig. Mailand, das in dieſen Zeiten ſo viele Male die Gebieter wechſelte und dabei unendlich litt, ſucht ſich wenigſtens gegen die Reactionen zu ſichern; die im Jahre 1512 vor der ſpaniſchen Armee und Maſſimiliano abziehenden Franzoſen werden bewogen, der Stadt einen Revers darüber auszu - ſtellen, daß die Mailänder keinen Theil an ihrer Vertreibung hätten und ohne Rebellion zu begehen ſich einem neuen Eroberer übergeben dürften. 1)Prato, im Archiv. stor. III, p. 298. vgl. 302.Es iſt auch in politiſcher Beziehung zu beachten, daß die unglückliche Stadt in ſolchen Augenblicken des Ueberganges, gerade wie z. B. Neapel bei der Flucht der Aragoneſen, der Plünderung durch Rotten von Böſewichtern (auch ſehr vornehmen) anheimzufallen pflegte.
Zwei beſonders wohl geordnete und durch tüchtigeDie Gonzagen von Mantua. Fürſten vertretene Herrſchaften ſind in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts die der Gonzagen von Mantua und der Montefeltro von Urbino. Die Gonzagen waren ſchon als Familie ziemlich einträchtig; es gab bei ihnen ſeit langer Zeit keine geheimen Mordthaten und ſie durften ihre Todten zeigen. Marcheſe Francesco Gonzaga2)Geb. 1466, verlobt mit der ſechsjährigen Iſabella 1480, ſuccedirt 1484, vermählt 1490, ſt. 1519; Iſabellens Tod 1539. Ihre Söhne Federigo 1519 — 1540, zum Herzog erhoben 1530, und der berühmte Ferrante Gonzaga[.]Das Folgende aus der Correſpondenz Iſabellens, nebſt Beilagen, Archiv. stor. Append. Tom. II, mit - getheilt von d'Arco. und ſeine441. Abſchnitt. Gemahlin Iſabella von Eſte ſind, ſo locker es bisweilen hergehen mochte, ein würdevolles und einiges Ehepaar ge - blieben und haben bedeutende und glückliche Söhne erzogen in einer Zeit, da ihr kleiner, aber hochwichtiger Staat oft in der größten Gefahr ſchwebte. Daß Francesco als Fürſt und als Condottiere eine beſonders gerade und redliche Politik hätte befolgen ſollen, das würde damals weder der Kaiſer, noch die Könige von Frankreich, noch Venedig ver - langt oder gar erwartet haben, allein er fühlte ſich wenig - ſtens ſeit der Schlacht am Taro (1495), ſoweit es die Waffenehre betraf, als italieniſchen Patrioten und theilte dieſe Geſinnung auch ſeiner Gemahlin mit. Sie empfindet fortan jede Aeußerung heldenmüthiger Treue, wie z. B. die Vertheidigung von Faenza gegen Ceſare Borgia als eine Ehrenrettung Italiens. Unſer Urtheil über ſie braucht ſich nicht auf die Künſtler und Schriftſteller zu ſtützen, welche der ſchönen Fürſtin ihr Mäcenat reichlich vergalten; ihre eigenen Briefe ſchildern uns die unerſchütterlich ruhige, im Beobachten ſchalkhafte und liebenswürdige Frau hinlänglich. Bembo, Bandello, Arioſto und Bernardo Taſſo ſandten ihre Arbeiten an dieſen Hof, obſchon derſelbe klein und macht - los und die Kaſſe oft ſehr leer war; einen feinern ge - ſelligen Kreis als dieſen gab es eben ſeit der Auflöſung des alten urbinatiſchen Hofes (1508) doch nirgends mehr, und auch der ferrareſiſche war wohl hier im Weſentlichen übertroffen, nämlich in der Freiheit der Bewegung. Specielle Kennerin war Iſabella in der Kunſt, und das Verzeichniß ihrer kleinen, höchſt ausgeſuchten Sammlung wird kein Kunſtfreund ohne Bewegung leſen.
Federigo von Urbino.Urbino beſaß in dem großen Federigo (1444 — 1482), mochte er nun ein echter Montefeltro ſein oder nicht, einen der vortrefflichſten Repräſentanten des Fürſtenthums. Als Condottiere hatte er die politiſche Moralität der Condottieren, woran ſie nur zur Hälfte Schuld ſind; als Fürſt ſeines45 kleinen Landes befolgte er die Politik, ſeinen auswärts ge -1. Abſchnitt. wonnenen Sold im Lande zu verzehren und daſſelbe mög - lichſt wenig zu beſteuern. Von ihm und ſeinen beiden Nachfolgern Guidobaldo und Francesco Maria heißt es: „ ſie errichteten Gebäude, beförderten den Anbau des Landes, lebten an Ort und Stelle und beſoldeten eine Menge Leute; das Volk liebte ſie “. 1)Franc. Vettori, im Archiv. stor. Append. Tom. VI, p. 321. — Ueber Federigo insbeſondere: Vespasiano Fiorent. p. 132. s. Aber nicht nur der Staat war ein wohl berechnetes und organiſirtes Kunſtwerk, ſondern auch der Hof, und zwar in jedem Sinne. Federigo unterhieltDer vollkom - mene Hof. 500 Köpfe; die Hofchargen waren ſo vollſtändig wie kaum an den Höfen der größten Monarchen, aber es wurde nichts vergeudet, Alles hatte ſeinen Zweck und ſeine genaue Con - trole. Hier wurde nicht geſpielt, geläſtert und geprahlt, denn der Hof mußte zugleich eine militäriſche Erziehungs - anſtalt für die Söhne anderer großer Herrn darſtellen, deren Bildung eine Ehrenſache für den Herzog war. Der Palaſt, den er ſich baute, war nicht der prächtigſte, aber claſſiſch durch die Vollkommenheit ſeiner Anlage; dort ſam - melte er ſeinen größten Schatz, die berühmte Bibliothek. Da er ſich in einem Lande wo Jeder von ihm Vortheil oder Verdienſt zog und Niemand bettelte, vollkommen ſicher fühlte, ſo ging er beſtändig unbewaffnet und faſt unbegleitet; keiner konnte ihm das nachmachen, daß er in offenen Gär - ten wandelte, in offenem Sale ſein frugales Mahl hielt, während aus Livius (zur Faſtenzeit aus Andachtsſchriften) vorgeleſen wurde. An demſelben Nachmittag hörte er eine Vorleſung aus dem Gebiet des Alterthums und ging dann in das Kloſter der Clariſſen um mit der Oberin am Sprach - gitter von heiligen Dingen zu reden. Abends leitete er gerne die Leibesübungen der jungen Leute ſeines Hofes auf der Wieſe bei S. Francesco mit der herrlichen Ausſicht, und ſah genau zu, daß ſie ſich bei den Fang - und Lauf -461. Abſchnitt. ſpielen vollkommen bewegen lernten. Sein Streben ging beſtändig auf die höchſte Leutſeligkeit und Zugänglichkeit; er beſuchte die welche für ihn arbeiteten, in der Werkſtatt, gab beſtändig Audienzen, und erledigte die Anliegen der Einzelnen womöglich am gleichen Tage. Kein Wunder, daß die Leute, wenn er durch die Straßen ging, nieder - knieten und ſagten: Dio ti mantenga, Signore! Die Denkenden aber nannten ihn das Licht Italiens. 1)Castiglione, Cortigiano, L. I. —Guidobaldo. Sein Sohn Guidobaldo, bei hohen Eigenſchaften von Krank - heit und Unglück aller Art verfolgt, hat doch zuletzt (1508) ſeinen Staat in ſichere Hände, an ſeinen Neffen Francesco Maria, zugleich Nepoten des Papſtes Julius II. übergeben können, und dieſer wiederum das Land wenigſtens vor dauernder Fremdherrſchaft geborgen. Merkwürdig iſt die Sicherheit, mit welcher dieſe Fürſten, Guidobaldo vor Ce - ſare Borgia, Francesco Maria vor den Truppen Leo's X. unterducken und fliehen; ſie haben das Bewußtſein, daß ihre Rückkehr um ſo leichter und erwünſchter ſein werde, je weniger das Land durch fruchtloſe Vertheidigung gelitten hat. Wenn Lodovico Moro ebenfalls ſo rechnete, ſo vergaß er die vielen andern Gründe des Haſſes die ihm entgegen - wirkten. — Guidobaldo's Hof iſt als hohe Schule der feinſten Geſelligkeit durch Baldaſſar Caſtiglione unſterblich gemacht worden, der ſeine Ecloge Tirſi (1506) vor jenen Leuten zu ihrem Lobe aufführte, und ſpäter (1518) die Geſpräche ſeines Cortigiano in den Kreis der hochgebildeten Herzogin (Gliſabetta Gonzaga) verlegte.
Die Eſte in Ferrara. Hausgräuel.Die Regierung der Eſte in Ferrara, Modena und Reggio hält zwiſchen Gewaltſamkeit und Popularität eine merkwürdige Mitte. 2)Das Folgende beſ. nach den Annales Estenses bei Muratori, XX. und dem Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV. Im Innern des Palaſtes gehen ent -47 ſetzliche Dinge vor; eine Fürſtin wird wegen vorgeblichen1. Abſchnitt. Ehebruches mit einem Stiefſohn enthauptet (1425); eheliche und uneheliche Prinzen fliehen vom Hof und werden auch in der Fremde durch nachgeſandte Mörder bedroht (letzteres 1471); dazu beſtändige Complotte von außen; der Baſtard eines Baſtardes will dem einzig rechtmäßigen Erben (Ercole I.) die Herrſchaft entreißen; ſpäter (1493) ſoll der letztere ſeine Gemahlin vergiftet haben nachdem er erkundet, daß ſie ihn vergiften wollte, und zwar im Auftrag ihres Bruders Ferrante von Neapel. Den Schluß dieſer Tragödien macht das Complott zweier Baſtarde gegen ihre Brüder, den re - gierenden Herzog Alfons I. und den Cardinal Ippolito (1506) welches bei Zeiten entdeckt und mit lebenslänglichem Kerker gebüßt wurde. — Ferner iſt die Fiscalität in dieſem StaateFiscalität. höchſt ausgebildet und muß es ſein ſchon weil er der be - drohteſte unter allen großen und mittlern Staaten von Italien iſt und der Rüſtungen und Befeſtigungen in hohem Grade bedarf. Allerdings ſollte in gleichem Maße mit der Steuerkraft auch der natürliche Wohlſtand des Landes ge - ſteigert werden, und Marcheſe Nicolò (ſt. 1441) wünſchte ausdrücklich, daß ſeine Unterthanen reicher würden als an - dere Völker. Wenn die raſch wachſende Bevölkerung einen Beleg für den wirklich erreichten Wohlſtand abgiebt, ſo iſt es in der That ein wichtiges Factum, daß (1497) in der außerordentlich erweiterten Hauptſtadt keine Häuſer mehr zu vermiethen waren. 1)Diario Ferr. l. c. Col. 347.Ferrara iſt die erſte moderne Stadt Europa's; hier zuerſt entſtanden auf den Wink der Fürſten ſo große, regelmäßig angelegte Quartiere; hier ſammelte ſich durch Concentration der Beamtenſchaft und künſtlich herbeigezogene Induſtrie ein Reſidenzvolk; reiche Flüchtlinge aus ganz Italien, zumal Florentiner, wurden veranlaßt, ſich hier anzuſiedeln und Paläſte zu bauen. Allein die in - directe Beſteuerung wenigſtens muß einen eben nur noch481. Abſchnitt. erträglichen Grad von Ausbildung erreicht haben. Der Fürſt übte wohl eine Fürſorge, wie ſie damals auch bei andern italieniſchen Gewaltherrſchern, z. B. bei Galeazzo Maria Sforza vorkam: bei Hungersnöthen ließ er Getreide aus der Ferne kommen1)Paul. Jovius: vita Alfonsi ducis, in den viri illustres. und theilte es, wie es ſcheint, umſonſt aus; allein in gewöhnlichen Zeiten hielt er ſich ſchad - los durch das Monopol wenn nicht des Getreides doch vieler andern Lebensmittel: Salzfleiſch, Fiſche, Früchte, Ge - müſe, welche letztere auf und an den Wällen von FerraraAemterverkauf. ſorgfältig gepflanzt wurden. Die bedenklichſte Einnahme aber war die von dem Verkauf der jährlich neu beſetzten Aemter, ein Gebrauch der durch ganz Italien verbreitet war, nur daß wir über Ferrara am beſten unterrichtet ſind. Zum Neujahr 1502 heißt es z. B.: Die Meiſten kauften ihre Aemter um geſalzene Preiſe (salati); es werden Factoren verſchiedener Art, Zolleinnehmer, Domänenverwalter (mas - sarî), Notare, Podeſtàs, Richter und ſelbſt Capitani, d. h. herzogliche Oberbeamte von Landſtädten einzeln angeführt. Als einer von den „ Leutefreſſern “, welche ihr Amt theuer bezahlt haben und welche das Volk haßt „ mehr als den Teufel “, iſt Tito Strozza genannt, hoffentlich nicht der be - rühmte lateiniſche Dichter. Um dieſelbe Jahreszeit pflegte der jeweilige Herzog in Perſon eine Runde durch Ferrara zu machen, das ſog. Andar per ventura, wobei er ſich wenigſtens von den Wohlhabendern beſchenken ließ. Doch wurde dabei kein Geld, ſondern nur Naturalien geſpendet.
Ordnung und Berechnung.Der Stolz des Herzogs2)Paul. Jovius l. c. war es nun, wenn man in ganz Italien wußte, daß in Ferrara den Soldaten ihr Sold, den Profeſſoren der Univerſität ihr Gehalt immer auf den Tag ausbezahlt wurde, daß die Soldaten ſich nie - mals eigenmächtig am Bürger und Landmann erholen durften, daß Ferrara uneinnehmbar ſei und daß im Caſtell49 eine gewaltige Summe gemünzten Geldes liege. Von einer1. Abſchnitt. Scheidung der Kaſſen war keine Rede; der Finanzminiſter war zugleich Hausminiſter. Die Bauten des Borſo (1450 — 1471) Ercole I. (bis 1505) und Alfons I. (bis 1534) waren ſehr zahlreich, aber meiſt von geringem Umfang; man er - kennt darin ein Fürſtenhaus, das bei aller Prachtliebe — Borſo erſchien nie anders als in Goldſtoff und Juwelen — ſich auf keine unberechenbare Ausgabe einlaſſen will. Alfonſo mag von ſeinen zierlichen kleinen Villen ohnehin gewußt haben, daß ſie den Ereigniſſen unterliegen würden, Belvedere mit ſeinen ſchattigen Gärten, wie Montana mit den ſchönen Fresken und Springbrunnen.
Die dauernd bedrohte Lage entwickelte in dieſen FürſtenAusbildung der Perſönlichkeit. unläugbar eine große perſönliche Tüchtigkeit; in einer ſo künſtlichen Exiſtenz konnte ſich nur ein Virtuoſe mit Erfolg bewegen, und Jeder mußte ſich rechtfertigen und erweiſen als den der die Herrſchaft verdiene. Ihre Charactere haben ſämmtlich große Schattenſeiten, aber in Jedem war etwas von dem was das Ideal der Italiener ausmachte. Welcher Fürſt des damaligen Europa's hat ſich ſo ſehr um die eigene Ausbildung bemüht wie z. B. Alfonſo I.? Seine Reiſe nach Frankreich, England und den Niederlanden war eine eigentliche Studienreiſe, die ihm eine genauere Kennt - niß von Handel und Gewerben jener Länder eintrug. 1)Bei dieſem Anlaß mag auch die Reiſe Leo's X. als Cardinal er - wähnt werden. Vgl. Paul. Jovii vita Leonis X, Lib. I. Die Abſicht war minder ernſt, mehr auf Zerſtreuung und allgemeine Welt - kenntniß gerichtet, übrigens völlig modern. Kein Nordländer reiſte damals weſentlich zu ſolchen Zwecken.Es iſt thöricht, ihm die Drechslerarbeit ſeiner Erholungs - ſtunden vorzuwerfen, da ſie mit ſeiner Meiſterſchaft im Kanonengießen und mit ſeiner vorurtheilsloſen Art, die Meiſter jedes Faches um ſich zu haben, zuſammenhing. Die italieniſchen Fürſten ſind nicht wie die gleichzeitigen nordiſchenCultur der Renaiſſance. 4501. Abſchnitt. auf den Umgang mit einem Adel angewieſen, der ſich für die einzige beachtenswerthe Claſſe der Welt hält und auch den Fürſten in dieſen Dünkel hineinzieht; hier darf und muß der Fürſt Jeden kennen und brauchen, und ebenſo iſt auch der Adel zwar der Geburt nach abgeſchloſſen, aber in geſelliger Beziehung durchaus auf perſönliche, nicht auf Kaſten-Geltung gerichtet, wovon unten weiter zu handeln ſein wird.
Loyalität.Die Stimmung der Ferrareſen gegen dieſes Herrſcher - haus iſt die merkwürdigſte Miſchung aus einem ſtillen Grauen, aus jenem echtitalieniſchen Geiſt der wohlausge - ſonnenen Demonſtration, und aus völlig moderner Unter - thanenloyalität; die perſönliche Bewunderung ſchlägt in ein neues Pflichtgefühl um. Die Stadt Ferrara ſetzte 1451 dem (1441) verſtorbenen Fürſten Nicolò eine eherne Reiter - ſtatue auf der Piazza; Borſo genirte ſich (1454) nicht, ſeine eigene ſitzende Bronzeſtatue in die Nähe zu ſetzen, und über - dieß decretirte ihm die Stadt gleich am Anfang ſeiner Re - gierung eine „ marmorne Triumphſäule “. Ein Ferrareſe, der im Auslande, in Venedig, über Borſo öffentlich ſchlecht geredet, wird bei der Heimkehr denuncirt und vom Gericht zu Verbannung und Gütereinziehung verurtheilt, ja beinahe hätte ihn ein loyaler Bürger vor dem Tribunal niederge - ſtoßen; mit dem Strick um den Hals geht er zum Herzog,Polizei und Be - amtencontrole. und erfleht völlige Verzeihung. Ueberhaupt iſt dieß Fürſten - thum mit Spähern gut verſehen, und der Herzog in Perſon prüft täglich den Fremdenrapport, auf welchen die Wirthe ſtreng verpflichtet ſind. Bei Borſo1)Jovian. Pontan. de liberalitate. wird dieß noch in Verbindung gebracht mit ſeiner Gaſtfreundſchaft, die keinen bedeutenden Reiſenden ungeehrt wollte ziehen laſſen; für Ercole I.2)Giraldi, Hecatommithi, VI, Nov. 1. dagegen war es reine Sicherheitsmaßregel. Auch in Bologna mußte damals, unter Giovanni II. Bentivoglio,51 jeder durchpaſſirende Fremde an dem einen Thor einen1. Abſchnitt. Zettel löſen um wieder zum andern hinauszudürfen. 1)Vasari XII, 166, v. di Michelangelo. — Höchſt populär wird der Fürſt, wenn er drückende Beamte plötzlich zu Boden ſchmettert, wenn Borſo ſeine erſten und geheimſten Räthe in Perſon verhaftet, wenn Ercole I. einen Einnehmer, der ſich lange Jahre hindurch vollgeſogen, mit Schanden abſetzt; da zündet das Volk Freudenfeuer an und läutet die Glocken. Mit Einem ließ es aber Ercole zu weit kommen, mit ſeinem Polizeidirector oder wie man ihn nennen will (capitaneo di giustizia) Gregorio Zampante aus Lucca (denn für Stellen dieſer Art eignete ſich kein Einheimiſcher). Selbſt die Söhne und Brüder des Herzogs zitterten vor demſelben; ſeine Bußen gingen immer in die Hunderte und Tauſende von Ducaten und die Tortur be - gann ſchon vor dem Verhör. Von den größten Verbrechern ließ er ſich beſtechen und verſchaffte ihnen durch Lügen die herzogliche Begnadigung. Wie gerne hätten die Unterthanen dem Herzog 10,000 Ducaten und drüber bezahlt, wenn er dieſen Feind Gottes und der Welt caſſirt hätte! Aber Er - cole hatte ihn zu ſeinem Gevatter und zum Cavaliere ge - macht, und der Zampante legte Jahr um Jahr 2000 Du - caten bei Seite; freilich aß er nur noch Tauben, die im Hauſe gezogen wurden und ging nicht mehr über die Gaſſe ohne eine Schaar von Armbruſtſchützen und Sbirren. Es wäre Zeit geweſen, ihn zu beſeitigen; da machten ihn (1496) zwei Studenten und ein getaufter Jude, die er tödtlich be - leidigt, in ſeinem Hauſe während der Sieſta nieder und ritten auf bereit gehaltenen Pferden durch die Stadt, ſin - gend: „ Heraus, Leute, laufet! wir haben den Zampante umgebracht. “ Die nachgeſandte Mannſchaft kam zu ſpät, als ſie bereits über die nahe Gränze in Sicherheit gelangtTheilnahme des Publicums an der Trauer der Fürſten. waren. Natürlich regnete es nun Pasquille, die einen als Sonette, die andern als Canzonen. — Andererſeits iſt es4*521. Abſchnitt. ganz im Geiſte dieſes Fürſtenthums, daß der Souverän ſeine Hochachtung vor nützlichen Dienern auch dem Hof und der Bevölkerung dictirt. Als 1469 Borſo's Geheim - rath Lodovico Caſella ſtarb, durfte am Begräbnißtage kein Tribunal und keine Bude in der Stadt und kein Hörſaal in der Univerſität offen ſtehen; Jedermann ſollte die Leiche nach S. Domenico begleiten, weil auch der Herzog mitziehen würde. In der That ſchritt er — „ der erſte vom Haus Eſte, der einem Unterthan an die Leiche gegangen “— in ſchwarzem Gewande weinend hinter dem Sarge her, hinter ihm je ein Verwandter Caſella's von einem Herrn vom Hof geführt; Adliche trugen dann die Leiche des Bürger - lichen aus der Kirche in den Kreuzgang, wo ſie beigeſetzt wurde. Ueberhaupt iſt das officielle Mitempfinden fürſt - licher Gemüthsbewegungen zuerſt in dieſen italieniſchen Staaten aufgekommen. 1)Ein frühes Beiſpiel, Bernabò Visconti, S. 11.Der Kern hievon mag ſeinen ſchönen menſch - lichen Werth haben, die Aeußerung, zumal bei den Dichtern, iſt in der Regel zweideutig. Eines der Jugendgedichte Arioſto's,2)Als Capitolo 19, und in den opere minori, ed. Lemonnier, Vol. I, p.[]245 als Elegia 17 betitelt. Ohne Zweifel war dem 19jährigen Dichter die Urſache dieſes Todesfalles (S. 47) nicht bekannt. auf den Tod der Lianora von Aragon, Ge - mahlin des Ercole I., enthält, außer den unvermeidlichen Trauerblumen wie ſie in allen Jahrhunderten geſpendet werden, ſchon einige völlig moderne Züge: „ dieſer Todes - fall habe Ferrara einen Schlag verſetzt, den es in vielen Jahren nicht verwinden werde; ſeine Wohlthäterin ſei jetzt Fürbitterin im Himmel geworden, da die Erde ihrer nicht würdig geweſen; freilich, die Todesgöttin ſei ihr nicht wie uns gemeinen Sterblichen mit blutiger Senſe genaht, ſon - dern geziemend (onesta) und mit ſo freundlichem Antlitz,Verherrlichung fürſtlicher Lieb - ſchaften. daß jede Furcht verſchwand. “ Aber wir treffen noch auf ganz andere Mitgefühle; Novelliſten, welchen an der Gunſt der betreffenden Häuſer alles liegen mußte und welche auf53 dieſe Gunſt rechnen, erzählen uns die Liebesgeſchichten der1. Abſchnitt. Fürſten zum Theil bei deren Lebzeiten,1)In den Hecatommithi des Giraldi handeln I, Nov. 8 und VI, Nov. 1, 2, 3, 4 und 10 von Ercole I, Alfonſo I, und Ercole II, Alles verfaßt bei Lebzeiten der beiden letztern — Vieles über fürſtliche Zeitgenoſſen auch im Bandello. in einer Weiſe die ſpätern Jahrhunderten als der Gipfel aller Indiscretion, damals als harmloſe Verbindlichkeit erſchien. Ja lyriſche Dichter bedichteten die beiläufigen Paſſionen ihrer hohen, dabei legitim vermählten Herrn, Angelo Poliziano die des Lorenzo magnifico, und mit beſonderem Accent Gioviano Pontano die des Alfonſo von Calabrien. Das betreffende Gedicht2)U. a. in den Deliciæ poetar. italor. verräth wider Willen die ſcheußliche Seele des Aragoneſen; er muß auch in dieſem Gebiete der Glücklichſte ſein, ſonſt wehe denen die glücklicher wären! — Daß die größten Maler, z. B. Lionardo, die Maitreſſen ihrer Herrn malten, verſteht ſich von ſelbſt.
Das eſtenſiſche Fürſtenthum wartete aber nicht dieDer Pomp der Eſte. Verherrlichung durch Andere ab, ſondern es verherrlichte ſich ſelbſt. Borſo ließ ſich im Palazzo Schifanoja in einer Reihe von Regentenhandlungen abmalen und Ercole feierte (zuerſt 1472) den Jahrestag ſeines Regierungsantrittes mit einer Proceſſion welche ausdrücklich mit der des Frohn - leichnamsfeſtes verglichen wird; alle Buden waren geſchloſſen wie an einem Sonntag; mitten im Zuge marſchirten alle vom Haus Eſte, auch die Baſtarde, in Goldſtoff. Daß alle Macht und Würde vom Fürſten ausgehe, eine perſönliche Auszeichnung von ſeiner Seite ſei, war an dieſem Hofe ſchon längſt3)Bereits 1367 bei Nicolò dem Aeltern erwähnt, im Polistore, bei Murat. XXIV, Col. 848. verſinnbildlicht durch einen Orden vom goldenen Sporn, der mit dem mittelalterlichen Ritterthum nichts mehr zu thun hatte. Ercole I. gab zum Sporn noch einen Degen,541. Abſchnitt. einen goldgeſtickten Mantel und eine Dotation, wofür ohne Zweifel eine regelmäßige Aufwartung verlangt wurde.
Das Mäcenat.Das Mäcenat wofür dieſer Hof weltberühmt geworden iſt, knüpfte ſich theils an die Univerſität, welche zu den vollſtändigſten Italiens gehörte, theils an den Hof - und Staatsdienſt; beſondere Opfer wurden dafür kaum gebracht. Bojardo gehörte als reicher Landedelmann und hoher Be - amter durchaus nur in dieſe Sphäre; als Arioſt anfing etwas zu werden, gab es, wenigſtens in der wahren Be - deutung, keinen mailändiſchen und keinen florentiniſchen, bald auch keinen urbinatiſchen Hof mehr, von Neapel nicht zu reden, und er begnügte ſich mit einer Stellung neben den Muſikern und Gauklern des Cardinals Ippolito, bis ihn Alfonſo in ſeine Dienſte nahm. Anders war es ſpäter mit Torquato Taſſo, auf deſſen Beſitz der Hof eine wahre Eiferſucht zeigte.
Reſte der alten Parteien.Gegenüber von dieſer concentrirten Fürſtenmacht war jeder Widerſtand innerhalb des Staates erfolglos. Die Elemente zur Herſtellung einer ſtädtiſchen Republik waren für immer aufgezehrt, Alles auf Macht und Gewaltübung orientirt. Der Adel, politiſch rechtlos auch wo er noch feudalen Beſitz hatte, mochte ſich und ſeine Bravi als Guelfen und Ghibellinen eintheilen und coſtumiren, ſie die Feder am Barett oder die Bauſchen an den Hoſen1)Burigozzo, im Archiv. stor. III, p. 432. ſo oder anders tragen laſſen — die Denkenden wie z. B. Macchiavell2)Discorsi I, 17. wußten ein für allemal, daß Mailand oder Neapel für eine Republik zu „ corrumpirt “waren. Es kommen wunderbare Gerichte über jene vorgeblichen zwei Parteien, die längſt nichts mehr als alte, im Schatten der Gewalt am Spalier gezogene Familiengehäſſigkeiten waren. 55Ein italieniſcher Fürſt, welchem Agrippa von Nettesheim1)De incert. et vanitate scientiar. cap. 55.1. Abſchnitt. die Aufhebung derſelben anrieth, antwortete: ihre Händel tragen mir ja bis 12000 Ducaten Bußgelder jährlich ein! — Und als z. B. im Jahr 1500 während der kurzen Rück - kehr des Moro in ſeine Staaten die Guelfen von Tortona einen Theil des nahen franzöſiſchen Heeres in ihre Stadt riefen, damit ſie den Ghibellinen den Garaus machten, plünderten und ruinirten die Franzoſen zunächſt allerdings dieſe, dann aber auch die Guelfen ſelbſt, bis Tortona völlig verwüſtet war. 2)Prato, im Archiv. stor. III, p. 241.— Auch in der Romagna, wo jede Leiden - ſchaft und jede Rache unſterblich waren, hatten jene beiden Namen den politiſchen Inhalt vollkommen eingebüßt. Es gehörte mit zum politiſchen Irrſinn des armen Volkes, daß die Guelfen hie und da ſich zur Sympathie für Frank - reich, die Ghibellinen für Spanien verpflichtet glaubten. Ich ſehe nicht, daß die welche dieſen Irrſinn ausbeuteten, beſonders weit damit gekommen wären. Frankreich hat Italien nach allen Interventionen immer wieder räumen müſſen und was aus Spanien geworden iſt, nachdem es Italien umgebracht hat, das greifen wir mit den Händen.
Doch wir kehren zum Fürſtenthum der RenaiſſanceDie Verſchwö - rungen. zurück. Eine vollkommen reine Seele hätte vielleicht auch damals raiſonnirt, daß alle Gewalt von Gott ſei, und daß dieſe Fürſten, wenn Jeder ſie gutwillig und aus redlichem Herzen unterſtütze, mit der Zeit gut werden und ihren ge - waltſamen Urſprung vergeſſen müßten. Aber von leiden - ſchaftlichen, mit ſchaffender Gluth begabten Phantaſien und Gemüthern iſt dieß nicht zu verlangen. Sie ſahen, wie ſchlechte Aerzte, die Hebung der Krankheit in der Beſeitigung des Symptoms und glaubten, wenn man die Fürſten er - morde, ſo gebe ſich die Freiheit von ſelber. Oder ſie dachten auch nicht ſo weit, und wollten nur dem allgemein ver -561. Abſchnitt. breiteten Haß Luft machen, oder nur eine Rache für Fa - milienunglück oder perſönliche Beleidigungen üben. So wie die Herrſchaft eine unbedingte, aller geſetzlichen Schranken entledigte, ſo iſt auch das Mittel der Gegner ein unbeding - tes. Schon Boccaccio ſagt es offen:1)De casibus virorum illustrium, L. II, cap. 15. „ Soll ich den Ge - waltherrn König, Fürſt heißen und ihm Treue bewahren als meinem Obern? Nein! denn er iſt Feind des ge - meinen Weſens. Gegen ihn kann ich Waffen, Verſchwörung, Späher, Hinterhalt, Liſt gebrauchen; das iſt ein heiliges, nothwendiges Werk. Es giebt kein lieblicheres Opfer als Tyrannenblut “. Die einzelnen Hergänge dürfen uns hier nicht beſchäftigen; Macchiavell hat in einem allbekannten Capitel2)Discorsi III, 6. Womit storie fior. L. VIII. zu vergleichen. ſeiner Discorſi die antiken und modernen Ver - ſchwörungen von der alten griechiſchen Tyrannenzeit an be - handelt und ſie nach ihrer verſchiedenen Anlage und ihren Chancen ganz kaltblütig beurtheilt. Nur zwei Bemerkungen: über die Mordthaten beim Gottesdienſt und über die Ein - wirkung des Alterthums mögen hier geſtattet ſein.
Der Kirchen - mord.Es war faſt unmöglich, der wohlbewachten Gewalt - herrſcher anderswo habhaft zu werden als bei feierlichen Kirch - gängen, vollends aber war eine ganze fürſtliche Familie bei keinem andern Anlaß beiſammenzutreffen. So ermor - deten die Fabrianeſen3)Corio, fol. 333. Das folgende ibid. fol. 305. 422, s. 440. (1435) ihr Tyrannenhaus, die Chiavelli, während eines Hochamtes, und zwar laut Abrede bei den Worten des Credo: Et incarnatus est. In Mai - land wurde (1412) Herzog Giovan Maria Visconti am Eingang der Kirche S. Gottardo, (1476) Herzog Galeazzo Maria Sforza in der Kirche S. Stefano ermordet, und Lodovico Moro entging einſt (1484) den Dolchen der An - hänger der verwittweten Herzogin Bona nur dadurch, daß er die Kirche S. Ambrogio durch eine andere Thür betrat57 als dieſelben erwartet hatten. Eine beſondere Impietät1. Abſchnitt. war dabei nicht beabſichtigt; die Mörder Galeazzo's beteten noch vor der That zu dem Heiligen der betreffenden Kirche und hörten noch die erſte Meſſe daſelbſt. Doch war es bei der Verſchwörung der Pazzi gegen Lorenzo und Giuliano Medici (1478) eine Urſache des theilweiſen Mißlingens, daß der Bandit Monteſecco ſich zwar für die Ermordung bei einem Gaſtmahl verdungen hatte, den Vollzug im Dom von Florenz dagegen verweigerte; an ſeiner Stelle verſtan - den ſich dann Geiſtliche dazu, „ welche der heiligen Orte gewohnt waren und ſich deßhalb nicht ſcheuten. “1)So das Citat aus Gallus, bei Sismondi XI, 93.
Was das Alterthum betrifft, deſſen Einwirkung aufEinwirkung des Alterthums. die ſittlichen und ſpeciell auf die politiſchen Fragen noch öfter berührt werden wird, ſo gaben die Herrſcher ſelbſt das Beiſpiel, indem ſie in ihrer Staatsidee ſowohl als in ihrem Benehmen das alte römiſche Imperium oft ausdrück - lich zum Vorbild nahmen. Ebenſo ſchloſſen ſich nun ihre Gegner, ſobald ſie mit theoretiſcher Beſinnung zu Werke gingen, den antiken Tyrannenmördern an. Es wird ſchwer zu beweiſen ſein, daß ſie in der Hauptſache, im Entſchluß zur That ſelbſt, durch dieß Vorbild ſeien beſtimmt worden, aber reine Phraſe und Stylſache blieb die Berufung auf das Alterthum doch nicht. Die merkwürdigſten Aufſchlüſſe ſind über die Mörder Galeazzo Sforza's, Lampugnani, Olgiati und Visconti vorhanden. 2)Corio, fol. 422. — Allegretto, Diarî Sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 777.Sie hatten alle drei ganz perſönliche Motive und doch kam der Entſchluß viel - leicht aus einem allgemeinern Grunde. Ein Humaniſt und Lehrer der Eloquenz, Cola de' Montani, hatte unter einer Schaar von ſehr jungen mailändiſchen Adlichen eine unklare Begier nach Ruhm und nach großen Thaten für das Vater - land entzündet und war endlich gegen die zwei erſtgenannten581. Abſchnitt. mit dem Gedanken einer Befreiung Mailands herausgerückt. Bald kam er in Verdacht, wurde ausgewieſen und mußte die Jünglinge ihrem lodernden Fanatismus überlaſſen. EtwaDer Stadtpatron. zehn Tage vor der That verſchworen ſie ſich feierlich im Kloſter S. Ambrogio; „ dann, ſagt Olgiati, in einem abge - legenen Raum vor einem Bilde des heiligen Ambroſius er - hob ich meine Augen und flehte ihn um Hülfe für uns und ſein ganzes Volk “. Der himmliſche Stadtpatron ſoll die That ſchützen, gerade wie nachher S. Stephan in deſſen Kirche ſie geſchieht. Nun zogen ſie noch viele Andere halb in die Sache hinein, hatten im Hauſe Lampugnani ihr all - nächtliches Hauptquartier und übten ſich mit Dolchſcheiden im Stechen. Die That gelang, aber Lampugnani wurde gleich von den Begleitern des Herzogs niedergemacht und die andern ergriffen. Visconti zeigte Reue, Olgiati blieb trotz aller Tortur dabei, daß die That ein Gott wohlge - fälliges Opfer geweſen und ſagte noch während ihm der Henker die Bruſt einſchlug: Nimm dich zuſammen, Giro - lamo! man wird lange an dich denken; der Tod iſt bitter, der Ruhm ewig!
Catilinarier.So ideal aber die Vorſätze und Abſichten hier ſein moch - ten, ſo ſchimmert doch aus der Art und Weiſe wie die Ver - ſchwörung betrieben wird, das Bild gerade des heilloſeſten aller Conſpiratoren hervor, der mit der Freiheit gar nichts gemein hat: des Catilina. Die Jahrbücher von Siena ſagen ausdrücklich, die Verſchwörer hätten den Salluſt ſtudirt, und aus Olgiati's eigenem Bekenntniß erhellt es mittelbar. 1)Man vergleiche in dem eigenen Bericht Olgiati's, bei Corio, einen Satz wie folgenden: Quisque nostrum magis socios potissime et infinitos alios sollicitare, infestare, alter alteri benevolos se facere cœpit. Aliquid aliquibus parum donare; simul ma - gis noctu edere, bibere, vigilare, nostra omnia bona polli - ceri, etc. Auch ſonſt werden wir dieſem furchtbaren Namen wieder59 begegnen. Für das geheime Complottiren gab es eben1. Abſchnitt. doch, wenn man vom Zweck abſah, kein ſo einladendes Muſter mehr wie dieſes.
Bei den Florentinern, ſo oft ſie ſich der Medici ent -Florenz und die Tyrannen. ledigten oder entledigen wollten, galt der Tyrannenmord als ein offen zugeſtandenes Ideal. Nach der Flucht der Medici im J. 1494 nahm man aus ihrem Palaſt Dona - tello's Bronzegruppe1)Vasari, III, 251, Nota, zur v. di. Donatello. der Judith mit dem todten Holofernes und ſetzte ſie vor den Signorenpalaſt an die Stelle wo jetzt Michelangelo's David ſteht, mit der Inſchrift: exemplum salutis publicæ cives posuere 1495. Ganz beſonders aber berief man ſich jetzt auf den jüngern Brutus, der noch bei Dante2)Inferno XXXIV, 64. mit Caſſius und Judas Iſcharioth im unter - ſten Schlund der Hölle ſteckt weil er das Imperium ver - rathen. Pietro Paolo Boscoli, deſſen Verſchwörung gegen Giuliano, Giovanni und Giulio Medici (1513) mißlang, hatte im höchſten Grade für Brutus geſchwärmt und ſich vermeſſen ihn nachzuahmen wenn er einen Caſſius fände; als ſolcher hatte ſich ihm dann Agoſtino Capponi ange - ſchloſſen. Seine letzten Reden im Kerker,3)Aufgezeichnet von dem Ohrenzeugen Luca della Robbia, Archiv. stor. I, p. 273. Vgl. Paul. Jovius, vita Leonis X, L. III, in den Viri illustres. eines der wich - tigſten Actenſtücke über den damaligen Religionszuſtand zeigen mit welcher Anſtrengung er ſich jener römiſchen Phantaſien wieder entledigte, um chriſtlich zu ſterben. Ein Freund und der Beichtvater müſſen ihn verſichern, S. Tho - mas von Aquino verdamme die Verſchwörungen überhaupt, aber der Beichtvater hat in ſpäterer Zeit demſelben Freunde insgeheim eingeſtanden, S. Thomas mache eine Diſtinction und erlaube die Verſchwörung gegen einen Tyrannen, der ſich dem Volk gegen deſſen Willen mit Gewalt aufgedrungen. 601. Abſchnitt. Als Lorenzino Medici den Herzog Aleſſandro (1537) um - gebracht und ſich geflüchtet hatte, erſchien eine wahrſcheinlich echte, mindeſtens in ſeinem Auftrag verfaßte Apologie1)Bei Roscoe, vita di Lorenzo de' Medici, vol. IV, Beilage 12. der That, worin er den Tyrannenmord an ſich als das verdienſtlichſte Werk preiſt; ſich ſelbſt vergleicht er, auf den Fall daß Aleſſandro wirklich ein echter Medici und alſo (wenn auch weitläufig) mit ihm verwandt geweſen, unge - ſcheut mit Timoleon, dem Brudermörder aus Patriotismus. Andere haben auch hier den Vergleich mit Brutus gebraucht, und daß ſelbſt Michelangelo noch ganz ſpät Gedanken dieſer Art nachgehangen hat, darf man wohl aus ſeiner Brutus - büſte (in den Uffizien) ſchließen. Er ließ ſie unvollendet wie faſt alle ſeine Werke, aber gewiß nicht weil ihm der Mord Cäſar's zu ſchwer auf das Herz gefallen, wie das darunter angebrachte Diſtichon meint.
Das Volk u. die Verſchwörer.Einen Maſſenradicalismus, wie er ſich gegenüber den neuern Monarchien ausgebildet hat, würde man in den Fürſten - ſtaaten der Renaiſſance vergebens ſuchen. Jeder Einzelne pro - teſtirte wohl in ſeinem Innern gegen das Fürſtenthum, aber er ſuchte viel eher ſich leidlich oder vortheilhaft unter demſelben einzurichten als es mit vereinten Kräften anzugreifen. Es mußte ſchon ſo weit kommen wie damals in Camerino, in Fabriano, in Rimini (S. 33), bis eine Bevölkerung ihr regierendes Haus zu vertilgen oder zu verjagen unternahm. Auch wußte man in der Regel zu gut, daß man nur den Herrn wechſeln würde. Das Geſtirn der Republiken war entſchieden im Sinken.
Untergang der freien Städte.Einſt hatten die italieniſchen Städte in höchſtem Grade jene Kraft entwickelt, welche die Stadt zum Staate macht. Es bedurfte nichts weiter als daß ſich dieſe Städte zu einer großen Föderation verbündeten; ein Gedanke, der in Italien61 immer wiederkehrt, mag er im Einzelnen bald mit dieſen1. Abſchnitt. bald mit jenen Formen bekleidet ſein. In den Kämpfen des XII. und XIII. Jahrhunderts kam es wirklich zu großen, kriegeriſch gewaltigen Städtebünden, und Sismondi (II. 174) glaubt, die Zeit der letzten Rüſtungen des Lombardenbundes gegen Barbaroſſa (ſeit 1168) wäre wohl der Moment ge - weſen, da eine allgemeine italieniſche Föderation ſich hätte bilden können. Aber die mächtigern Städte hatten bereits Characterzüge entwickelt, welche dieß unmöglich machten: ſie erlaubten ſich als Handelsconcurrenten die äußerſten Mittel gegen einander, und drückten ſchwächere Nachbar - ſtädte in rechtloſe Abhängigkeit nieder; d. h. ſie glaubten am Ende doch einzeln durchzukommen und des Ganzen nicht zu bedürfen, und bereiteten den Boden vor für jede andere Gewaltherrſchaft. Dieſe kam, als innere Kämpfe zwiſchen den Adelsparteien unter ſich und mit den Bürgern die Sehnſucht nach einer feſten Regierung weckten und die ſchon vorhandenen Soldtruppen jede Sache um Geld unterſtützten, nachdem die einſeitige Parteiregierung ſchon längſt das all - gemeine Bürgeraufgebot unbrauchbar zu finden gewohnt war. 1)Ueber letztern Punkt ſ. Jac. Nardi, vita di Ant. Giacomini, p. 18.Die Tyrannis verſchlang die Freiheit der meiſten Städte; hie und da vertrieb man ſie, aber nur halb, oder nur auf kurze Zeit; ſie kam immer wieder, weil die innern Bedingungen für ſie vorhanden und die entgegenſtrebenden Kräfte aufgebraucht waren.
Unter den Städten welche ihre Unabhängigkeit bewahr - ten, ſind zwei für die ganze Geſchichte der Menſchheit von höchſter Bedeutung: Florenz, die Stadt der beſtändigen Bewegung, welche uns auch Kunde hinterlaſſen hat von allen Gedanken und Abſichten der Einzelnen und der Ge - ſammtheit, die drei Jahrhunderte hindurch an dieſer Be - wegung theilnahmen; dann Venedig, die Stadt des ſchein -621. Abſchnitt. baren Stillſtandes und des politiſchen Schweigens. Es ſind die ſtärkſten Gegenſätze die ſich denken laſſen, und beide ſind wiederum mit nichts auf der Welt zu vergleichen.
Venedig.Venedig erkannte ſich ſelbſt als eine wunderbare, ge - heimnißvolle Schöpfung, in welcher noch etwas Anderes als Menſchenwitz von jeher wirkſam geweſen. Es gab einen Mythus von der feierlichen Gründung der Stadt: am 25. März 413 um Mittag hätten die Ueberſiedler aus Padua den Grundſtein gelegt am Rialto, damit eine un - angreifbare, heilige Freiſtätte ſei in dem von den Barbaren zerriſſenen Italien. Spätere haben in die Seele dieſer Gründer alle Ahnungen der künftigen Größe hineingelegt; M. Antonio Sabellico, der das Ereigniß in prächtig ſtrö - menden Hexametern gefeiert hat, läßt den Prieſter, der die Stadtweihe vollzieht, zum Himmel rufen: „ Wenn wir einſt Großes wagen, dann gieb Gedeihen! jetzt knien wir nur vor einem armen Altar, aber wenn unſere Gelübde nicht umſonſt ſind, ſo ſteigen Dir, o Gott, hier einſt hun - dert Tempel von Marmor und Gold empor!”1)Genethliacon, in ſeinen carmina. — Vgl. Sanſovino, Venezia, fol. 203. — Die älteſte venezian. Chronik, bei Pertz, Monum. IX, p. 5. 6. verlegt die Gründung der Inſelorte erſt in die longobar - diſche Zeit und die von Rialto ausdrücklich noch ſpäter. — DieDie Stadt. Inſelſtadt ſelbſt erſchien zu Ende des XV. Jahrhunderts wie das Schmuckkäſtchen der damaligen Welt. Derſelbe Sabellico ſchildert ſie als ſolches2)De situ venetæ urbis. mit ihren uralten Kup - pelkirchen, ſchiefen Thürmen, incruſtirten Marmorfaſſaden, mit ihrer ganz engen Pracht, wo die Vergoldung der Decken und die Vermiethung jedes Winkels ſich mit einander ver - trugen. Er führt uns auf den dichtwogenden Platz vor S. Giacometto am Rialto, wo die Geſchäfte einer Welt ſich nicht durch lautes Reden oder Schreien, ſondern nur63 durch ein vielſtimmiges Summen verrathen, wo in den1. Abſchnitt. Portiken1)Dieſe ganze Gegend wurde dann durch die Neubauten des beginnen - den XVI. Jahrh. verändert. ringsum und in denen der anſtoßenden Gaſſen die Wechsler und die Hunderte von Goldſchmieden ſitzen, über ihren Häuptern Läden und Magazine ohne Ende; jenſeits von der Brücke beſchreibt er den großen Fondaco der Deutſchen, in deſſen Hallen ihre Waaren und ihre Leute wohnen, und vor welchem ſtets Schiff an Schiff im Canal liegt; von da weiter aufwärts die Wein - und Oelflotte und parallel damit am Strande, wo es von Facchinen wimmelt, die Gewölbe der Händler; dann vom Rialto bis auf den Marcusplatz die Parfümeriebuden und Wirthshäuſer. So geleitet er den Leſer von Quartier zu Quartier bis hinaus zu den beiden Lazarethen, welche mit zu den Inſtituten hoher Zweckmäßigkeit gehörten, die man nur hier ſo aus - gebildet vorfand. Fürſorge für die Leute war überhaupt ein Kennzeichen der Venezianer, im Frieden wie im Kriege, wo ihre Verpflegung der Verwundeten, ſelbſt der feindlichen, für Andere ein Gegenſtand des Erſtaunens war. 2)Benedictus: Carol. VIII, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1597. 1601. 1621. — Im Chron. Venetum, Murat. XXIV, Col. 26. ſind die politiſchen Tugenden der Venezianer aufgezählt: bontà, innocenza, zelo di carità, pietà, misericordia. Was irgend öffentliche Anſtalt hieß, konnte in Venedig ſein Muſter finden; auch das Penſionsweſen wurde ſyſtematiſch gehandhabt, ſogar in Betreff der Hinterlaſſenen. Reichthum, politiſche Sicherheit und Weltkenntniß hatten hier das Nach - denken über ſolche Dinge gereift. Dieſe ſchlanken, blondenDie Einwohner. Leute mit dem leiſen, bedächtigen Schritt und der beſon - nenen Rede, unterſchieden ſich in Tracht und Auftreten nur wenig von einander; den Putz, beſonders Perlen, hingen ſie ihren Frauen und Mädchen an. Damals war das all - gemeine Gedeihen, trotz großer Verluſte durch die Türken,641. Abſchnitt. noch wahrhaft glänzend; aber die aufgeſammelte Energie und das allgemeine Vorurtheil Europa's genügten auch ſpäter noch, um Venedig ſelbſt die ſchwerſten Schläge lange überdauern zu laſſen: die Entdeckung des Seeweges nach Oſtindien, den Sturz der Mamelukenherrſchaft von Aegypten und den Krieg der Liga von Cambray.
Der Staat.Sabellico, der aus der Gegend von Tivoli gebürtig und an das ungenirte Redewerk der damaligen Philologen gewöhnt war, bemerkt an einem andern Orte1)Epistolæ, lib. V, fol. 28. mit einigem Erſtaunen, daß die jungen Nobili, welche ſeine Morgen - vorleſungen hörten, ſich gar nicht auf das Politiſiren mit ihm einlaſſen wollten: „ wenn ich ſie frage, was die Leute von dieſer oder jener Bewegung in Italien dächten, ſprächen und erwarteten, antworten ſie mir alle mit Einer Stimme, ſie wüßten nichts”. Man konnte aber von dem demorali - ſirten Theil des Adels trotz aller Staatsinquiſition mancherleiDie Verräther. erfahren, nur nicht ſo wohlfeilen Kaufes. Im letzten Viertel des XV. Jahrhunderts gab es Verräther in den höchſten Behörden;2)Malipiero, ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 377. 431. 481. 493. 530. II, p. 661. 668. 679. — Chron. venetum, bei Murat. XXIV. Col. 57. — Diario Ferrarese, ib. Col. 240. die Päpſte, die italieniſchen Fürſten, ja ganz mittelmäßige Condottieren im Dienſt der Republik hatten ihre Zuträger, zum Theil mit regelmäßiger Beſoldung; es war ſo weit gekommen, daß der Rath der Zehn für gut fand, dem Rath der Pregadi wichtigere politiſche Nach - richten zu verbergen, ja man nahm an daß Lodovico Moro in den Pregadi über eine ganz beſtimmte Stimmenzahl ver - füge. Ob das nächtliche Aufhenken einzelner Schuldigen und die hohe Belohnung der Angeber (z. B. ſechszig Du - caten lebenslängliche Penſion) viel fruchteten, iſt ſchwer zu ſagen; eine Haupturſache, die Armuth vieler Nobili, ließ ſich nicht plötzlich beſeitigen. Im J. 1492 betrieben zwei65 Nobili einen Vorſchlag, der Staat ſolle jährlich 70,000 Du -1. Abſchnitt. caten zur Vertröſtung derjenigen armen Adlichen auswerfen welche kein Amt hätten; die Sache war nahe daran vor den großen Rath zu kommen, wo ſie eine Majorität hätte erhalten können — als der Rath der Zehn noch zu rechter Zeit eingriff und die beiden auf Lebenszeit nach Nicoſia auf Cypern verbannte. 1)Malipiero, im Arch. stor. VII, II. p. 691. Vgl. 694. 713 und I, 535.Um dieſe Zeit wurde ein So - ranzo auswärts als Kirchenräuber gehenkt, und ein Con - tarini wegen Einbruchs in Ketten gelegt; ein anderer von derſelben Familie trat 1499 vor die Signorie und jammerte, er ſei ſeit vielen Jahren ohne Amt, habe nur 16 Ducaten Einkünfte und 9 Kinder, dazu 60 Ducaten Schulden, ver - ſtehe kein Geſchäft und ſei neulich auf die Gaſſe geſetzt worden. Man begreift, daß einzelne reiche Nobili Häuſer bauten um die armen darin gratis wohnen zu laſſen. Der Häuſerbau um Gotteswillen, ſelbſt in ganzen Reihen, kommt in Teſtamenten als gutes Werk vor. 2)Marin Sanudo, vite de' Duchi, Murat. XXII, Col. 1194.
Wenn die Feinde Venedigs auf Uebelſtände dieſer ArtDie geſunden Kräfte. jemals ernſtliche Hoffnungen gründeten, ſo irrten ſie ſich gleichwohl. Man könnte glauben, daß ſchon der Schwung des Handels, der auch dem Geringſten einen reichlichen Gewinn der Arbeit ſicherte, daß die Colonien im öſtlichen Mittelmeer die gefährlichen Kräfte von der Politik abgelenkt haben möchten. Hat aber nicht Genua, trotz ähnlicher Vor - theile, die ſturmvollſte politiſche Geſchichte gehabt? Der Grund von Venedigs Unerſchütterlichkeit liegt eher in einem Zuſammenwirken von Umſtänden, die ſich ſonſt nirgends vereinigten. Unangreifbar als Stadt, hatte es ſich von je - her der auswärtigen Verhältniſſe nur mit der kühlſten Ueber - legung angenommen, das Parteiweſen des übrigen Italiens faſt ignorirt, ſeine Allianzen nur für vorübergehende ZweckeCultur der Renaiſſance. 5661. Abſchnitt. und um möglichſt hohen Preis geſchloſſen. Der Grundton des venezianiſchen Gemüthes war daher der einer ſtolzen, ja verachtungsvollen Iſolirung und folgerichtig einer ſtär - kern Solidarität im Innern, wozu der Haß des ganzen übrigen Italiens noch das Seine that. In der Stadt ſelbſt hatten dann alle Einwohner die ſtärkſten gemeinſchaftlichen Intereſſen gegenüber den Colonien ſowohl als den[Be - ſitzungen der] Terraferma, indem die Bevölkerung der letztern (d. h. der Städte bis Bergamo) nur in Venedig kaufen und verkaufen durfte. Ein ſo künſtlicher Vortheil konnte nur durch Ruhe und Eintracht im Innern aufrecht erhal - ten werden — das fühlte gewiß die übergroße Mehrzahl und für Verſchwörer war ſchon deßhalb hier ein ſchlechter Boden. Und wenn es Unzufriedene gab, ſo wurden ſie durch die Trennung in Adliche und Bürger auf eine Weiſe auseinandergehalten die jede Annäherung ſehr erſchwerte. Innerhalb des Adels aber war den möglicherweiſe Gefähr - lichen, nämlich den Reichen eine Hauptquelle aller Ver - ſchwörungen, der Müſſiggang, abgeſchnitten durch ihre großen Handelsgeſchäfte und Reiſen und durch die Theilnahme an den ſtets wiederkehrenden Türkenkriegen. Die Commandan - ten ſchonten ſie dabei, ja bisweilen in ſtrafbarer Weiſe, und ein venezianiſcher Cato weiſſagte den Untergang der Macht, wenn dieſe Scheu der Nobili einander irgend wehe zu thun, auf Unkoſten der Gerechtigkeit fortdauern würde. 1)Chron. Venetum, Mur. XXIV, Col. 105.Immer - hin aber gab dieſer große Verkehr in der freien Luft dem Adel von Venedig eine geſunde Richtung im Ganzen. UndDer Rath der Zehn. wenn Neid und Ehrgeiz durchaus einmal Genugthuung be - gehrten, ſo gab es ein officielles Opfer, eine Behörde und legale Mittel. Die vieljährige moraliſche Marter, welcher der Doge Francesco Foscari (ſt. 1457) vor den Augen von ganz Venedig unterlag, iſt vielleicht das ſchrecklichſte Bei - ſpiel dieſer nur in Ariſtokratien möglichen Rache. Der Rath67 der Zehn, welcher in Alles eingriff, ein unbedingtes Recht1. Abſchnitt. über Leben und Tod, über Kaſſen und Armeebefehl beſaß, die Inquiſitoren in ſich enthielt, und den Foscari wie ſo manchen Mächtigen ſtürzte, dieſer Rath der Zehn wurde all - jährlich von der ganzen regierenden Kaſte, dem gran con - ſiglio neu gewählt, und war ſomit der unmittelbarſte Ausdruck derſelben. Große Intriguen mögen bei dieſen Wahlen kaum vorgekommen ſein, da die kurze Dauer und die ſpätere Verantwortlichkeit das Amt nicht ſehr begehrens - werth machten. Allein vor dieſen und andern venezianiſchen Behörden, mochte ihr Thun noch ſo unterirdiſch und ge - waltſam ſein, flüchtete ſich doch der echte Venezianer nicht, ſondern er ſtellte ſich; nicht nur weil die Republik lange Arme hatte und ſtatt ſeiner die Familie plagen konnte, ſondern weil in den meiſten Fällen wenigſtens nach Grün - den und nicht aus Blutdurſt verfahren wurde. 1)Chron. Venetum, Murat. XXIV. Col. 123, s. und Malipiero, a. a. O. VII, I, p. 175, s. erzählen den ſprechenden Fall des Ad - mirals Antonio Grimani.Ueber - haupt hat wohl kein Staat jemals eine größere moraliſche Macht über ſeine Angehörigen in der Ferne ausgeübt. Wenn es z. B. Verräther in den Pregadi gab, ſo wurde dieß reichlich dadurch aufgewogen, daß jeder Venezianer in der Fremde ein geborner Kundſchafter für ſeine Regierung war. Von den venezianiſchen Cardinälen in Rom verſtand es ſich von ſelbſt, daß ſie die Verhandlungen der geheimen päpſtlichen Conſiſtorien nach Hauſe meldeten. Cardinal Domenico Grimani ließ in der Nähe von Rom (1500) die Depeſchen wegfangen, welche Ascanio Sforza an ſeinen Bruder Lodovico Moro abſandte, und ſchickte ſie nach Ve - nedig; ſein eben damals ſchwer angeklagter Vater machte dieß Verdienſt des Sohnes öffentlich vor dem gran con - ſiglio d. h. vor der ganzen Welt geltend. 2)Chron. Ven. l. c. Col. 166.
5*681. Abſchnitt. Verhältniß zu den Condottieren.Wie Venedig ſeine Condottieren hielt, iſt oben (S. 22) angedeutet worden. Wenn es noch irgend eine beſondere Garantie ihrer Treue ſuchen wollte, ſo fand es ſie etwa in ihrer großen Anzahl, welche den Verrath ebenſoſehr er - ſchweren als deſſen Entdeckung erleichtern mußte. Beim Anblick venezianiſcher Armeerollen frägt man ſich nur, wie bei ſo bunt zuſammengeſetzten Schaaren eine gemeinſame Action möglich geweſen? In derjenigen des Krieges von 1495 figuriren1)Malipiero, l. c. VII, I, p. 349. Andere Verzeichniſſe dieſer Art bei Marin Sanudo, vite de' Duchi, Mur. XXII, Col. 990 (vom J. 1426), Col. 1088 (vom J. 1440), bei Corio fol. 435 — 438 (von 1483), bei Guazzo, Historie, fol. 151, s. 15,526 Pferde in lauter kleinen Poſten; nur der Gonzaga von Mantua hatte davon 1200, Gioffredo Borgia 740; dann folgen ſechs Anführer mit 700 — 600, zehn mit 400, zwölf mit 400 — 200, etwa vierzehn mit 200 — 100, neun mit 80, ſechs mit 60 — 50 ꝛc. Es ſind theils alte venezianiſche Truppenkörper, theils ſolche unter venezianiſchen Stadtadlichen und Landadlichen, die meiſten Anführer aber ſind Fürſten und Stadthäupter oder Ver - wandte von ſolchen. Dazu kommen 24,000 M. Infanterie, über deren Beiſchaffung und Führung nichts bemerkt wird, nebſt weitern 3,300 Mann wahrſcheinlich beſonderer Waf - fengattungen. Im Frieden waren die Städte der Terra - ferma gar nicht oder mit unglaublich geringen Garniſonen beſetzt. Venedig verließ ſich nicht gerade auf die Pietät, wohl aber auf die Einſicht ſeiner Unterthanen; beim KriegeAuswärtige Politik. der Liga von Cambray (1509) ſprach es ſie bekanntlich vom Treueid los, und ließ es darauf ankommen, daß ſie die Aunehmlichkeiten einer feindlichen Occupation mit ſeiner milden Herrſchaft vergleichen würden; da ſie nicht mit Ver - rath von S. Marcus abzufallen nöthig gehabt hatten und alſo keine Strafe zu fürchten brauchten, kehrten ſie mit dem größten Eifer wieder unter die gewohnte Herrſchaft zurück. 69Dieſer Krieg war, beiläufig geſagt, das Reſultat eines hun -1. Abſchnitt. dertjährigen Geſchreies über die Vergrößerungsſucht Vene - digs. Letzteres beging bisweilen die Fehler allzukluger Leute, welche auch ihren Gegnern keine nach ihrer Anſicht thörichten, rechnungswidrigen Streiche zutrauen wollen. 1)Guicciardini (Ricordi, N. 150) bemerkt vielleicht zuerſt, daß das politiſche Rachebedürfniß auch die deutliche Stimme des eignen Inter - eſſes übertäuben könne.In dieſem Optimismus, der vielleicht den Ariſtokratien am eheſten eigen iſt, hatte man einſt die Rüſtungen Moham - meds II. zur Einnahme von Conſtantinopel, ja die Vor - bereitungen zum Zuge Carl's VIII. völlig ignorirt, bis das Unerwartete doch geſchah. 2)Malipiero, l. c. VII, I, p. 328.Ein ſolches Ereigniß war nun auch die Liga von Cambray, inſofern ſie dem klaren Intereſſe der Hauptanſtifter Ludwigs XII. und Julius II. entgegenlief. Im Papſt war aber der alte Haß von ganz Italien gegen die erobernden Venezianer aufgeſammelt, ſo - daß er über den Einmarſch der Fremden die Augen ſchloß, und was die Politik des Cardinals Amboiſe und ſeines Königs betraf, ſo hätte Venedig deren bösartigen Blödſinn ſchon lange als ſolchen erkennen und fürchten ſollen. Die meiſten Uebrigen nahmen an der Liga Theil aus jenem Neid, der dem Reichthum und der Macht als nützliche Zuchtruthe geſetzt, an ſich aber ein ganz jämmerliches Ding iſt. Venedig zog ſich mit Ehren, aber doch nicht ohne bleibenden Schaden aus dem Kampfe.
Eine Macht deren Grundlagen ſo complicirt, derenDie Heimath der Statiſtik. Thätigkeit und Intereſſen auf einen ſo weiten Schauplatz ausgedehnt waren, ließe ſich gar nicht denken ohne eine großartige Ueberſicht des Ganzen, ohne eine beſtändige Bilanz der Kräfte und Laſten, der Zunahme und Abnahme. Venedig möchte ſich wohl als den Geburtsort der modernen Statiſtik geltend machen dürfen, mit ihm vielleicht Florenz701. Abſchnitt. und in zweiter Linie die entwickeltern italieniſchen Fürſten - thümer. Der Lehnsſtaat des Mittelalters bringt höchſtens Geſammt-Verzeichniſſe der fürſtlichen Rechte und Nutzbar - keiten (Urbarien) hervor; er faßt die Production als eine ſtehende auf, was ſie annäherungsweiſe auch iſt, ſo lange es ſich weſentlich um Grund und Boden handelt. Dieſem gegenüber haben die Städte im ganzen Abendlande wahr - ſcheinlich von frühe an ihre Production, die ſich auf In - duſtrie und Handel bezog, als eine höchſt bewegliche erkannt und danach behandelt, allein es blieb — ſelbſt in den Blüthe - zeiten der Hanſa — bei einer einſeitig commerciellen Bilanz. Flotten, Heere, politiſcher Druck und Einfluß kamen einfach unter das Soll und Haben eines kaufmännniſchen Haupt - buches zu ſtehen. Erſt in den italieniſchen Staaten ver - einigen ſich die Conſequenzen einer völligen politiſchen Be - wußtheit, das Vorbild mohammedaniſcher Adminiſtration und ein uralter ſtarker Betrieb der Production und des Handels ſelbſt, um eine wahre Statiſtik zu begründen. 1)Noch in ziemlich beſchränktem Sinne entworfen und doch ſchon ſehr wichtig iſt die ſtatiſt. Ueberſicht von Mailand, im Manipulus Florum (bei Murat. XI, 711, s.) vom Jahre 1288. Sie zählt auf: Hausthüren, Bevölkerung, Waffenfähige, Loggien der Adlichen, Brunnen, Oefen, Schenken, Fleiſcherbuden, Fiſcher, Kornbedarf, Hunde, Jagdvögel, Preiſe von Holz, Heu, Wein und Salz, — ferner Richter, Notare, Aerzte, Schullehrer, Abſchreiber, Waffen - ſchmiede, Hufſchmiede, Hoſpitäler, Klöſter, Stifte und geiſtliche Corporationen.Der unteritaliſche Zwangsſtaat Kaiſer Friedrichs II. (S. 3) war einſeitig auf Concentration der Macht zum Zwecke eines Kampfes um Sein oder Nichtſein organiſirt geweſen. In Venedig dagegen ſind die letzten Zwecke Genuß der Macht und des Lebens, Weiterbildung des von den Vor - fahren Ererbten, Anſammlung der gewinnreichſten Induſtrien und Eröffnung ſtets neuer Abſatzwege.
71Die Autoren ſprechen ſich über dieſe Dinge mit größter1. Abſchnitt. Populationiſtik. Unbefangenheit aus1)Vorzüglich Marin Sanudo, in den vite de' Duchi di Venezia, Murat. XXII, passim. . Wir erfahren, daß die Bevölkerung der Stadt im Jahr 1422 190,000 Seelen betrug; vielleicht hat man in Italien am frühſten angefangen, nicht mehr nach Feuerherden, nach Waffenfähigen, nach Solchen, die auf eigenen Beinen gehen konnten u. dgl., ſondern nach anime zu zählen und darin die neutralſte Baſis aller wei - tern Berechnungen anzuerkennen. Als die Florentiner um dieſelbe Zeit ein Bündniß mit Venedig gegen Filippo Maria Visconti wünſchten, wies man ſie einſtweilen ab, in der klaren, hier, durch genaue Handelsbilanz belegten Ueber - zeugung, daß jeder Krieg zwiſchen Mailand und Venedig, d. h. zwiſchen Abnehmer und Verkäufer, eine Thorheit ſei. Schon wenn der Herzog nur ſein Heer vermehre, ſo werde das Herzogthum wegen ſofortiger Erhöhung der Steuern ein ſchlechterer Conſument. „ Beſſer man laſſe die Floren - tiner unterliegen, dann ſiedeln ſie, des freiſtädtiſchen Lebens gewohnt, zu uns über und bringen ihre Seiden - und Wollenweberei mit, wie die bedrängten Luccheſen gethan haben.” Das merkwürdigſte aber iſt die Rede des ſterben - den Dogen Mocenigo (1423) an einige Senatoren, die er vor ſein Bett kommen ließ2)Bei Sanudo l. c. Col. 958. Das auf den Handel bezügliche iſt daraus mitgetheilt bei Scherer, Allg. Geſch. des Welthandels, I, 326. Anm.. Sie enthält die wichtigſten Elemente einer Statiſtik der geſammten Kraft und Habe Venedigs. Ich weiß nicht, ob und wo eine gründliche Er - läuterung dieſes ſchwierigen Actenſtückes exiſtirt; nur als Curioſität mag Folgendes angeführt werden. Nach ge -Das Soll und Haben. ſchehener Abbezahlung von 4 Millionen Ducaten eines Kriegs-Anleihens betrug die Staatsſchuld (il monte) da - mals noch 6 Mill. Ducaten. Der Geſammtumlauf des721. Abſchnitt. Handels (wie es ſcheint) betrug 10 Mill., welche 4 Mill. abwarfen. (So heißt es im Text.) Auf 3000 Navigli, 300 Navi und 45 Galere fuhren 17,000, reſp. 8000 und 11000 Seeleute. (Ueber 200 M. pr. Galera.) Dazu kamen 16,000 Schiffszimmerleute. Die Häuſer von Venedig hatten 7 Mill. Schatzungswerth und trugen an Miethe eine halbe Million ein1)Hiemit ſind doch wohl die ſämmtlichen Häuſer und nicht bloß die dem Staat gehörenden gemeint. Letztere rendirten bisweilen aller - dings enorm; vgl. Vasari, XIII, 83. v. d. Jac. Sansovino. . Es gab 1000 Adliche von 70 bis 4000 Ducaten Einkommen. — An einer andern Stelle wird die ordentliche Staatseinnahme in jenem ſelben Jahre auf 1,100,000 Ducaten geſchätzt; durch die Handelsſtörungen in Folge der Kriege war ſie um die Mitte des Jahrhunderts auf 800,000 Ducaten gefunken2)Dieß bei Sanudo, Col. 963. Eine Staatsrechnung von 1490 Col. 1245..
Verſpätung der Renaiſſance.Wenn Venedig durch derartige Berechnungen und deren practiſche Anwendung eine große Seite des modernen Staatsweſens am frühſten vollkommen darſtellte, ſo ſtand es dafür in derjenigen Cultur, welche man damals in Italien als das Höchſte ſchätzte, einigermaßen zurück. Es fehlt hier der literariſche Trieb im Allgemeinen und ins - beſondere jener Taumel zu Gunſten des claſſiſchen Alter - thums3)Ja dieſe Abneigung ſoll in dem Venezianer Paul II. bis zum Haß ausgebildet geweſen ſein, ſo daß er die Humaniſten ſämmtlich Ketzer nannte. Platina, vita Pauli, p. 323.. Die Begabung zu Philoſophie und Beredſamkeit, meint Sabellico, ſei hier an ſich ſo groß als die zum Handel und Staatsweſen; ſchon 1459 legte Georg der Trapezuntier die lateiniſche Ueberſetzung von Plato's Buch über die Geſetze dem Dogen zu Füßen und wurde mit 150 Ducaten jährlich als Lehrer der Philologie angeſtellt, dedicirte auch der Signorie ſeine Rhetorik4)Sanudo, l. c. Col. 1167.. Durchgeht man aber die73 venezianiſche Literaturgeſchichte, welche Francesco Sanſovino1. Abſchnitt. ſeinem bekannten Buche1)Sansovino Venezia, Lib. XIII. angehängt hat, ſo ergeben ſich für das XIV. Jahrhundert faſt noch lauter theologiſche, juridiſche und mediciniſche Fachwerke nebſt Hiſtorien, und auch im XV. Jahrhundert iſt der Humanismus im Ver - hältniß zur Bedeutung der Stadt bis auf Ermolao Barbaro und Aldo Manucci nur äußerſt ſpärlich vertreten. Die Bibliothek, welche der Cardinal Beſſarion dem Staat ver - machte, wurde kaum eben vor Zerſtreuung und Zerſtörung geſchützt. Für gelehrte Sachen hatte man ja Padua, wo freilich die Mediciner und die Juriſten als Verfaſſer ſtaats - rechtlicher Gutachten weit die höchſten Beſoldungen hatten. Auch die Theilnahme an der italieniſchen Kunſtdichtung iſt lange Zeit eine geringe, bis dann das beginnende XVI. Jahrhundert alles Verſäumte nachholt. Selbſt den Kunſt - geiſt der Renaiſſance hat ſich Venedig von außen her zu - bringen laſſen, und erſt gegen Ende des XV. Jahrhunderts ſich mit voller eigener Machtfülle darin bewegt. Ja es giebt hier noch bezeichnendere geiſtige Zögerungen. Der -Officielle An - dacht. ſelbe Staat, welcher ſeinen Clerus ſo vollkommen in der Gewalt hatte, die Beſetzung aller wichtigen Stellen ſich vorbehielt, und der Curie einmal über das andere Trotz bot, zeigte eine officielle Andacht von ganz beſonderer Fär - bung. Heilige Leichen und andere Reliquien aus dem von den Türken eroberten Griechenland werden mit den größten Opfern erworben und vom Dogen in großer Proceſſion empfangen2)Sanudo, l. c. Col. 1158. 1171. 1177. Als die Leiche des S. Lu - cas aus Bosnien kam, gab es Streit mit den Benedictinern von S. Giuſtina zu Padua, welche dieſelbe ſchon zu beſitzen glaubten, und der päpſtliche Stuhl mußte entſcheiden[.]Vgl. Guicciardini, Ricordi, Nr. 401.. Für den ungenähten Rock beſchloß man (1455) bis 10,000 Ducaten aufzuwenden, konnte ihn aber741. Abſchnitt. nicht erhalten. Es handelt ſich hier nicht um eine popu - läre Begeiſterung, ſondern um einen ſtillen Beſchluß der höhern Staatsbehörde, welcher ohne alles Aufſehen hätte unterbleiben können, und in Florenz unter gleichen Um - ſtänden gewiß unterblieben wäre. Die Andacht der Maſſen und ihren feſten Glauben an den Ablaß eines Alexander VI. laſſen wir ganz außer Betrachtung. Der Staat ſelber aber, nachdem er die Kirche mehr als anderswo abſorbirt, hatte wirklich hier eine Art von geiſtlichem Element in ſich und das Staatsſymbol, der Doge trat bei zwölf großen Pro - zeſſionen1)Sansovino, Venezia, Lib. XII. (andate) in halbgeiſtlicher Function auf. Es waren faſt lauter Feſte zu Ehren politiſcher Erinnerungen, welche mit den großen Kirchenfeſten concurrirten; das glän - zendſte derſelben die berühmte Vermählung mit dem Meere jedesmal am Himmelfahrtstage.
Florenz.Die höchſte politiſche Bewußtheit, den größten Reich - thum an Entwicklungsformen findet man vereinigt in der Geſchichte von Florenz, welches in dieſem Sinne wohl den Namen des erſten modernen Staates der Welt verdient. Hier treibt ein ganzes Volk das was in den Fürſtenſtaaten die Sache einer Familie iſt. Der wunderbare florentiniſche Geiſt, ſcharf raiſonnirend und künſtleriſch ſchaffend zugleich, geſtaltet den politiſchen und ſocialen Zuſtand unaufhörlich um und beſchreibt und richtet ihn eben ſo unaufhörlich. So wurde Florenz die Heimath der politiſchen Doctrinen und Theorien, der Experimente und Sprünge, aber auch mit Venedig die Heimath der Statiſtik und allein und vor allen Staaten der Welt die Heimath der geſchichtlichen Darſtellung im neuern Sinne. Der Anblick des alten Roms und die Kenntniß ſeiner Geſchichtſchreiber kam hinzu, und Giovanni Villani geſteht2)G. Villani, VIII, 36. — Das Jahr 1300 iſt zugleich das feſtge - haltene Datum in der Divina Commedia., daß er beim Jubiläum des Jahres 130075 die Anregung zu ſeiner großen Arbeit empfangen und gleich1. Abſchnitt. nach der Heimkehr dieſelbe begonnen habe; allein wie Manche unter den 200,000 Rompilgern jenes Jahres mögen ihm an Begabung und Richtung ähnlich geweſen ſein und haben doch die Geſchichte ihrer Städte nicht ge - ſchrieben! Denn nicht Jeder konnte ſo troſtvoll beifügen: „ Rom iſt im Sinken, meine Vaterſtadt aber im Aufſteigen und zur Ausführung großer Dinge bereit, und darum habe ich ihre ganze Vergangenheit aufzeichnen wollen und gedenke damit fortzufahren bis auf die Gegenwart und ſo weit ich noch die Ereigniſſe erleben werde. “ Und außer dem Zeug - niß von ſeinem Lebensgange erreichte Florenz durch ſeine Geſchichtſchreiber noch etwas Weiteres: einen größeren Ruhm als irgend ein anderer Staat von Italien1)Dieß ſchon um 1470 conſtatirt bei Vespaſiano Fiorent. p. 554..
Nicht die Geſchichte dieſes denkwürdigen Staates, nurObjectives politiſches Be - wußtſein, einige Andeutungen über die geiſtige Freiheit und Objecti - vität, welche durch dieſe Geſchichte in den Florentinern wach geworden, ſind hier unſere Aufgabe.
Um das Jahr 1300 beſchrieb Dino Compagni die ſtädtiſchen Kämpfe ſeiner Tage. Die politiſche Lage der Stadt, die innern Triebfedern der Parteien, die Charactere der Führer, genug das ganze Gewebe von nähern und ent - ferntern Urſachen und Wirkungen ſind hier ſo geſchildert, daß man die allgemeine Superiorität des florentiniſchen Ur - theilens und Schilderns mit Händen greift. Und das größte Opfer dieſer Kriſen, Dante Alighieri, welch ein Po - litiker, gereift durch Heimath und Exil! Er hat den Hohn über das beſtändige Aendern und Experimentiren an der Verfaſſung in eherne Terzinen gegoſſen2)Purgatorio VI, Ende., welche ſprich - wörtlich bleiben werden wo irgend Aehnliches vorkommen will; er hat ſeine Heimath mit Trotz und mit Sehnſucht angeredet, daß den Florentinern das Herz beben mußte. 761. Abſchnitt. und allgemeines RaiſonnementAber ſeine Gedanken dehnen ſich aus über Italien und die Welt und wenn ſeine Agitation für das Imperium, wie er es auffaßte, nichts als ein Irrthum war, ſo muß man bekennen, daß das jugendliche Traumwandeln der kaum geborenen politiſchen Speculation bei ihm eine poetiſche Größe hat. Er iſt ſtolz, der erſte zu ſein, der dieſen Pfad betritt1)De Monarchia, I, 1. , allerdings an der Hand des Ariſtoteles, aber in ſeiner Weiſe ſehr ſelbſtändig. Sein Idealkaiſer iſt ein ge - rechter, menſchenliebender, nur von Gott abhängender Ober - richter, der Erbe der römiſchen Weltherrſchaft, welche eine vom Recht, von der Natur, und von Gottes Rathſchluß gebilligte war. Die Eroberung des Erdkreiſes ſei nämlich eine rechtmäßige, ein Gottesurtheil zwiſchen Rom und den übrigen Völkern geweſen, und Gott habe dieſes Reich an - erkannt, indem er unter demſelben Menſch wurde und ſich bei ſeiner Geburt der Schatzung des Kaiſers Auguſtus, bei ſeinem Tode dem Gericht des Pontius Pilatus unterzog u. ſ. w. Wenn wir dieſen und andern Argumenten nur ſchwer folgen können, ſo ergreift Dante's Leidenſchaft immer. In ſeinen Briefen2)Dantis Alligherii epistolæ, cum notis C. Witte. Wie er den Kaiſer durchaus in Italien haben wollte, ſo auch den Papſt, ſ. d. Brief S. 35 während des Conclave's von Carpentras 1314. iſt er einer der frühſten aller Publi - ciſten, vielleicht der frühſte Laie, der Tendenzſchriften in Briefform auf eigene Hand ausgehen ließ. Er fing damit bei Zeiten an; ſchon nach dem Tode Beatrice's erließ er ein Pamphlet über den Zuſtand von Florenz „ an die Großen des Erdkreiſes “, und auch die ſpätern offenen Schreiben aus der Zeit ſeiner Verbannung ſind an lauter Kaiſer, Fürſten und Cardinäle gerichtet. In dieſen Briefen und in dem Buche „ von der Vulgärſprache “kehrt unter ver - ſchiedenen Formen das mit ſo vielen Schmerzen bezahlte Gefühl wieder, daß der Verbannte auch außerhalb der77 Vaterſtadt eine neue geiſtige Heimath finden dürfe in der1. Abſchnitt. Sprache und Bildung, die ihm nicht mehr genommen werden könne, und auf dieſen Punkt werden wir noch einmal zurückkommen.
Den Villani, Giovanni ſowohl als Matteo, verdankenFlorentiniſche Statiſtik. wir nicht ſowohl tiefe politiſche Betrachtungen als vielmehr friſche, practiſche Urtheile und die Grundlage zur Statiſtik von Florenz, nebſt wichtigen Angaben über andere Staaten. Handel und Induſtrie hatten auch hier neben dem politi - ſchen Denken das ſtaatsöconomiſche geweckt. Ueber die Geldverhältniſſe im Großen wußte man nirgends in der Welt ſo genauen Beſcheid, anzufangen von der päpſtlichen Curie zu Avignon, deren enormer Kaſſenbeſtand (25 Mill. Goldgulden beim Tode Johann's XXII. ) nur aus ſo guten Quellen1)Giov. Villani XI, 20. Vgl. Matt. Villani IX, 93. glaublich wird. Nur hier erhalten wir Beſcheid über coloſſale Anleihen z. B.: des Königs von England bei den florentiniſchen Häuſern Bardi und Peruzzi, welche ein Guthaben von 1,365,000 Goldgulden — eigenes und Com - pagnie-Geld — einbüßten (1338) und ſich dennoch wieder erholten2)Dieſe und ähnliche Notizen bei Giov. Villani XI, 87. XII, 54.. Das wichtigſte aber ſind die auf den Staat bezüglichen Angaben3)Giov. Villani XI, 91, s. — Abweichend davon Macchiavelli, stor. fiorent. lib. II. aus jener nämlichen Zeit: Die Staatseinnahmen (über 300,000 Goldgulden) und Aus - gaben; die Bevölkerung der Stadt (hier noch ſehr unvoll - kommen nach dem Brodconſum in bocche, d. h. Mäulern berechnet auf 90,000), und die des Staates; der Ueber - ſchuß von 300 bis 500 männlichen Geburten unter den 5800 bis 6000 alljährlichen Täuflingen des Battiſtero4)Der Pfarrer legte für jeden Knaben eine ſchwarze, für jedes Mäd - chen eine weiße Bohne bei Seite; dieß war die ganze Controle.; die Schulkinder, von welchen 8 bis 10,000 leſen, 1000781. Abſchnitt. bis 1200 in 6 Schulen rechnen lernten; dazu gegen 600 Schüler, welche in vier Schulen in (lateiniſcher) Gram - matik und Logik unterrichtet wurden. Es folgt die Sta - tiſtik der Kirchen und Klöſter, der Spitäler (mit mehr als 1000 Betten im Ganzen); die Wollen-Induſtrie, mit äußerſt werthvollen Einzelangaben; die Münze, die Verprovianti - rung der Stadt, die Beamtenſchaft u. A. m. 1)Es gab in dem ſolid gebauten Florenz bereits eine ſtehende Löſch - mannſchaft, ibid. XII, 35.Anderes erfährt man beiläufig: wie z. B.: bei der Einrichtung der neuen Staatsrenten (monte) im Jahr 1353 u. f. auf den Kanzeln gepredigt wurde, von den Franciscanern dafür, von den Dominicanern und Auguſtinern dagegen2)Matteo Villani, III, 106.; vollendsDer ſchwarze Tod. haben in ganz Europa die öconomiſchen Folgen des ſchwarzen Todes nirgends eine ſolche Beachtung und Darſtellung ge - funden noch finden können wie hier3)Matteo Villani, I, 2 — 7, vgl. 58.. Nur ein Flo - rentiner konnte uns überliefern: wie man erwartete, daß bei der Wenigkeit der Menſchen Alles wohlfeil werden ſollte, und wie ſtatt deſſen Lebensbedürfniſſe und Arbeits - lohn auf das Doppelte ſtiegen; wie das gemeine Volk Anfangs gar nicht mehr arbeiten ſondern nur gut leben wollte; wie zumal die Knechte und Mägde in der Stadt nur noch um ſehr hohen Lohn zu haben waren; wie die Bauern nur noch das allerbeſte Land bebauen mochten und das geringere liegen ließen u. ſ. w.; wie dann die enormen Vermächtniſſe für die Armen, die während der Peſt gemacht wurden, nachher zwecklos erſchienen, weil die Armen theils geſtorben theils nicht mehr arm waren. Endlich wird ein - mal bei Gelegenheit eines großen Vermächtniſſes, da ein kinderloſer Wohlthäter allen Stadtbettlern je ſechs Denare hinterließ, eine umfaſſende Bettelſtatiſtik4)Gio. Villani X, 164. von Florenz verſucht.
79Dieſe ſtatiſtiſche Betrachtung der Dinge hat ſich in der1. Abſchnitt. Verbindung von Statiſtik u. Cultur. Folge bei den Florentinern auf das Reichſte ausgebildet; das Schöne dabei iſt, daß ſie den Zuſammenhang mit dem Geſchichtlichen im höhern Sinne, mit der allgemeinen Cul - tur und mit der Kunſt in der Regel durchblicken laſſen. Eine Aufzeichnung vom Jahre 14221)Ex annalibus Ceretani, bei Fabroni, Magni Cosmi vita, Adnot. 34. berührt mit einem und demſelben Federzug die 72 Wechſelbuden rings um den Mercato nuovo, die Summe des Baarverkehres (2 Mill. Goldgulden), die damals neue Induſtrie des geſponnenen Goldes, die Seidenſtoffe, den Filippo Brunellesco, der die alte Architectur wieder aus der Erde hervorgräbt, und den Lionardo Aretino, Secretär der Republik, welcher die antike Literatur und Beredſamkeit wieder erweckt; endlich das all - gemeine Wohlergehen der damals politiſch ruhigen Stadt und das Glück Italiens, das ſich der fremden Soldtruppen entledigt hatte. Jene oben (S. 71) angeführte Statiſtik von Venedig, die faſt aus demſelben Jahre ſtammt, offen - bart freilich einen viel größern Beſitz, Erwerb und Schau - platz; Venedig beherrſcht ſchon lange die Meere mit ſeinen Schiffen, während Florenz (1422) ſeine erſte eigene Galeere (nach Aleſſandria) ausſendet. Allein wer erkennt nicht in der florentiniſchen Aufzeichnung den höhern Geiſt? Solche und ähnliche Notizen finden ſich hier von Jahrzehnd zu Jahrzehnd, und zwar ſchon in Ueberſichten geordnet, wäh - rend anderwärts im beſten Falle einzelne Ausſagen vor - handen ſind. Wir lernen das Vermögen und die Geſchäfte der erſten Medici approximativ kennen; ſie gaben an Al -Der Reichthum der Medici. moſen, öffentlichen Bauten und Steuern von 1434 bis 1471 nicht weniger als 663,755 Goldgulden aus, wovon auf Coſimo allein über 400,000 kamen2)Ricordi des Lorenzo, bei Fabroni, Laur. Med. magnifici vita, Adnot. 2 und 25. — Paul. Jovius: Elogia, Cosmus. , und Lorenzo magnifico801. Abſchnitt. freut ſich, daß das Geld ſo gut ausgegeben ſei. Nach 1478 folgt dann wieder eine höchſt wichtige und in ihrer Art vollſtändige Ueberſicht1)Von Benedetto Dei, bei Fabroni, ibid. Adnot. 200. Die Zeit - beſtimmung geht aus Varchi III, p. 107 hervor. — Das Finanz - project eines gewiſſen Lodovico Ghetti, mit wichtigen Angaben, bei Roscoe, vita di Lor. de Medici, Bd. II, Beilage 1. des Handels und der Gewerbe der Stadt, darunter mehrere, welche halb oder ganz zur Kunſt gehören: die Gold - und Silberſtoffe und Damaſte; die Holzſchnitzerei und Marketterie (Intarsia); die Arabesken - ſculptur in Marmor und Sandſtein; die Porträtfiguren in Wachs; die Goldſchmiede - und Juwelierkunſt. Ja das angeborene Talent der Florentiner für die Berechnung des ganzen äußern Daſeins zeigt ſich auch in ihren Haus -, Geſchäfts - und Landwirthſchaftsbüchern, die ſich wohl vor denen der übrigen Europäer des XV. Jahrhunderts um ein namhaftes auszeichnen mögen. Mit Recht hat man angefangen, ausgewählte Proben davon zu publiciren2)z. B. im Archivio stor. IV. ; nur wird es noch vieler Studien bedürfen, um klare all - gemeine Reſultate daraus zu ziehen. Jedenfalls giebt ſich auch hier derjenige Staat zu erkennen, wo ſterbende Väter teſtamentariſch3)Libri, histoire des sciences mathém. II, 163, s. den Staat erſuchten ihre Söhne um 1000 Goldgulden zu büßen, wenn ſie kein regelmäßiges Gewerbe treiben würden.
Für die erſte Hälfte des XVI. Jahrhunderts beſitzt dann vielleicht keine Stadt der Welt eine ſolche Urkunde wie die herrliche Schilderung von Florenz bei Varchi iſt4)Varchi, stor. fiorent. III, p. 56, s. zu Ende des IX. Buches. Einige offenbar irrige Zahlen möchten wohl auf Schreib - oder Druck - fehlern beruhen.. Auch in der beſchreibenden Statiſtik wie in ſo manchen andern Beziehungen wird hier noch einmal ein Muſter hin -81 geſtellt, ehe die Freiheit und Größe dieſer Stadt zu Grabe1. Abſchnitt. geht1)Ueber Werthverhältniſſe und Reichthum in Italien überhaupt kannGeldwerth in Italien. ich, in Ermangelung weiterer Hülfsmittel, hier nur einige zerſtreute Data zuſammenſtellen, wie ich ſie zufällig gefunden habe. Offenbare Uebertreibungen ſind bei Seite zu laſſen. Die Goldmünzen, auf welche die meiſten Angaben lauten, ſind: Der Ducato, der Zecchino, der Fiorino d'oro und der Scudo d'oro. Ihr Werth iſt annäherungs - weiſe derſelbe, eilf bis zwölf Franken unſeres Geldes. In Venedig galt z. B. der Doge Andrea Vendramin (1476) mit 170,000 Ducati für ſehr reich. (Malipiero, l. c. VII, II, p. 666.) In den 1460er Jahren heißt der Patriarch von Aquileja, Lod. Patavino, „ faſt der reichſte aller Italiener “mit 200,000 Ducaten. (Gasp. Veronens., vita Pauli II, bei Mur. III, II, Col. 1027.) Anderswo fabelhafte Angaben. Antonio Grimani (S. 67) ließ ſich die Erhebung ſeines Sohnes Domenico zum Cardinal 30,000 Duc. koſten. Er ſelbſt wurde bloß an Baarſchaft auf 100,000 Duc. geſchätzt. (Chron. Venetum, Mur. XXIV, Col. 125.) Ueber das Getreide im Handel und im Marktpreis zu Venedig ſ. beſ. Malipiero l. c. VII, II, p, 709, s. (Notiz von 1498.) Schon um 1522 gilt nicht mehr Venedig ſondern Genua nächſt Rom als die reichſte Stadt Italiens. (Nur glaublich durch die Autorität eines Franc. Vettori; ſ. deſſen Storia, im Archiv. stor. Append. Tom. VI, p. 343.) Bandello, Parte II, Nov. 34 und 42, erwähnt den reichſten genueſiſchen Kaufmann ſeiner Zeit, Anſaldo Grimaldi. Zwiſchen 1400 und 1580 nimmt Franc. Sanſovino ein Sinken des Geldwerthes auf die Hälfte an. (Venezia, fol. 151, bis.) In der Lombardei glaubt man ein Verhältniß der Getreide - preiſe um die Mitte des XV. zu denjenigen der Mitte unſeres Jahr - hunderts annehmen zu müſſen wie 3 zu 8. (Sacco di Piacenza, im Archiv. stor. append. Tom. V, Nota des Herausgebers Sca - rabelli.) In Ferrara gab es zur Zeit des Herzogs Borſo reiche Leute bis 50 und 60,000 Ducati. (Diario Ferrarese, Mur. XXIV, Col. 207, 214, 218; eine fabelhafte Angabe Col. 187.).
Cultur der Renaiſſance. 6821. Abſchnitt. Die Verfaſſun - gen. Neben dieſer Berechnung des äußern Daſeins geht aber jene fortlaufende Schilderung des politiſchen Lebens einher, von welcher oben die Rede war. Florenz durchlebt nicht nur mehr politiſche Formen und Schattirungen, ſon - dern es giebt auch unverhältnißmäßig mehr Rechenſchaft davon als andere freie Staaten Italiens und des Abend - landes überhaupt. Es iſt der vollſtändigſte Spiegel des Verhältniſſes von Menſchenklaſſen und einzelnen Menſchen zu einem wandelbaren Allgemeinen. Die Bilder der gro - ßen bürgerlichen Demagogien in Frankreich und Flandern, wie ſie Froiſſart entwirft, die Erzählungen unſerer deutſchen Chroniken des XIV. Jahrhunderts ſind wahrlich bedeu -1)Für Florenz kommen Angaben ganz exceptioneller Art vor, welche nicht zu durchſchnittlichen Schlüſſen führen. So jene An - leihen fremder Fürſten, die wohl nur auf ein oder wenige Häuſer lauten, factiſch aber große Compagniegeſchäfte waren[.]So auch jene enorme Beſteuerung unterliegender Parteien; wie z. B. von 1430 bis 1453 von 77 Familien 4,875,000 Goldgulden bezahlt wurden. (Varchi III, p. 115, s.) Das Vermögen des Giovanni Medici betrug bei deſſen Tode (1428) 179,221 Goldgulden, aber von ſeinen beiden Söhnen Co - ſimo und Lorenzo hinterließ der letztere allein bei ſeinem Tode (1440) bereits 235,137. (Fabroni, Laur. Med., Adnot. 2.) Von dem allgemeinen Schwung des Erwerbes zeugt es z. B. daß ſchon im XIV. Jahrh. die 44 Goldſchmiedebuden auf Ponte vecchio dem Staat 800 Goldgulden Jahresmiethe eintrugen. (Va - sari II, 114, v. di Taddeo Gaddi. ) — Das Tagebuch des Buo - naccorſo Pitti (bei Delécluze, Florence et ses vicissitudes, vol. II. ) iſt voll Zahlenangaben, welche indeß nur im Allgemeinen die hohen Preiſe aller Dinge und den geringen Geldwerth beweiſen. Für Rom geben natürlich die Einnahmen der Curie, da ſie europäiſch waren, gar keinen Maßſtab; auch iſt den Angaben über päpſtliche Schätze und Cardinalsvermögen wenig zu trauen. Der bekannte Banquier Agoſtino Chigi hinterließ (1520) eine Geſammt - habe im Werth von 800,000 Ducati. (Lettere pittoriche, I. Append. 48.)83 tungsvoll genug, allein an geiſtiger Vollſtändigkeit, an viel -1. Abſchnitt. ſeitiger Begründung des Herganges ſind die Florentiner allen unendlich überlegen. Adelsherrſchaft, Tyrannis, Kämpfe des Mittelſtandes mit dem Proletariat, volle, halbe und Scheindemocratie, Primat eines Hauſes, Theokratie (mit Savonarola), bis auf jene Miſchformen, welche das me - diceiſche Gewaltfürſtenthum vorbereiteten, Alles wird ſo beſchrieben, daß die innerſten Beweggründe der Betheiligten dem Lichte bloß liegen1)Was Coſimo (1433 — 1465) und ſeinen Enkel Lorenzo magnifico (ſt. 1492) betrifft, ſo verzichtet der Verfaſſer auf jedes Urtheil über die innere Politik derſelben. Eine anklagende Stimme von Gewicht (Gino Capponi) ſ. im Archiv. stor. I, p. 315, s. . Endlich faßt Macchiavelli inDie Geſchicht - ſchreiber. ſeinen florentiniſchen Geſchichten (bis 1492) ſeine Vater - ſtadt vollkommen als ein lebendiges Weſen und ihren Ent - wicklungsgang als einen individuell naturgemäßen auf; der erſte unter den Modernen, der dieſes ſo vermocht hat. Es liegt außer unſerm Bereich, zu unterſuchen ob und in welchen Punkten Macchiavell willkürlich verfahren ſein mag, wie er im Leben des Caſtruccio Caſtracane — einem von ihm eigenmächtig colorirten Tyrannentypus — notoriſcher Weiſe gethan hat. Es könnte in den Storie fiorentine gegen jede Zeile irgend etwas einzuwenden ſein und ihr hoher, ja einziger Werth im Ganzen bliebe dennoch beſte - hen. Und ſeine Zeitgenoſſen und Fortſetzer: Jacopo Pitti, Guicciardini, Segni, Varchi, Vettori, welch ein Kranz von erlauchten Namen! Und welche Geſchichte iſt es, die dieſe Meiſter ſchildern! Die letzten Jahrzehnde der florentiniſchen Republik, ein unvergeßlich großes Schauſpiel, ſind uns hier vollſtändig überliefert. In dieſer maſſenhaften Tradition über den Untergang des höchſten, eigenthümlichſten Lebens der damaligen Welt mag der Eine nichts erkennen als eine Sammlung von Curioſitäten erſten Ranges, der Andere mit teufliſcher Freude den Bankerott des Edeln und Er -6*841. Abſchnitt. habenen conſtatiren, ein Dritter die Sache als einen großen gerichtlichen Proceß auseinanderlcgen — jedenfalls wird ſie ein Gegenſtand nachdenklicher Betrachtung bleiben bis ansDas Grundübel des Staates. Ende der Tage. Das Grundunglück, welches die Sachlage ſtets von Neuem trübte, war die Herrſchaft von Florenz über unterworfene, ehemals mächtige Feinde wie die Piſaner, was einen beſtändigen Gewaltzuſtand zur nothwendigen Folge hatte. Das einzige, freilich ſehr heroiſche Mittel, das nur Savonarola hätte durchführen können und auch nur mit Hülfe beſonders glücklicher Umſtände, wäre die rechtzeitige Auflöſung Toscana's in eine Föderation freier Städte geweſen; ein Gedanke, der erſt als weit verſpäteter Fiebertraum einen patriotiſchen Luccheſen1)Franc. Burlamacchi, den Vater des Hauptes der luccheſiſchen Pro - teſtanten Michele B. Vgl. Archiv. stor. Append. Tom. II, p. 176. — Wie Mailand durch ſeine Härte gegen die Schweſter - ſtädte im XI. bis XIII. Jahrh. die Bildung eines großen Despo - tenſtaates erleichterte, iſt bekannt genug. Noch beim Ausſterben der Visconti 1447 verſcherzte Mailand die Freiheit Oberitaliens haupt - ſächlich dadurch, daß es von einer Föderation gleichberechtigter Städte nichts wiſſen wollte. Vgl. Corio, fol. 358, s. (1548) auf das Schaffot bringt. Von dieſem Unheil und von der unglück - lichen Guelfenſympathie der Florentiner für einen fremden Fürſten und der daherigen Gewöhnung an fremde Inter - ventionen hängt alles Weitere ab. Aber wer muß nicht dieſes Volk bewundern, das unter der Leitung ſeines hei - ligen Mönches in einer dauernd erhöhten Stimmung das erſte italieniſche Beiſpiel von Schonung der beſiegten Gegner giebt? während die ganze Vorzeit ihm nichts als Rache und Vertilgung predigt! Die Gluth, welche hier Patriotismus und ſittlich-religiöſe Umkehr in ein Ganzes ſchmilzt, ſieht von Weitem wohl bald wieder wie erloſchen aus, aber ihre beſten Reſultate leuchten dann in jener denkwürdigen Be - lagerung von 1529 — 30 wieder neu auf. Wohl waren es „ Narren “, welche dieſen Sturm über Florenz herauf be -85 ſchworen, wie Guicciardini damals ſchrieb, aber ſchon er1. Abſchnitt. geſteht zu, daß ſie das unmöglich Geglaubte ausrichteten; und wenn er meint, die Weiſen wären dem Unheil aus - gewichen, ſo hat dies keinen andern Sinn als daß ſich Florenz völlig ruhmlos und lautlos in die Hände ſeiner Feinde hätte liefern ſollen. Es hätte dann ſeine prächtigen Vorſtädte und Gärten und das Leben und die Wohlfahrt unzähliger Bürger bewahrt und wäre dafür um eine der größten ſittlichen Erinnerungen ärmer.
Die Florentiner ſind in manchen großen Dingen Vor -Die Verfaſſungsän - derungen. bild und frühſter Ausdruck der Italiener und der moder - nen Europäer überhaupt, und ſo ſind ſie es auch mannig - fach für die Schattenſeiten. Wenn ſchon Dante das ſtets an ſeiner Verfaſſung beſſernde Florenz mit einem Kranken verglich, der beſtändig ſeine Lage wechſelt um ſeinen Schmer - zen zu entrinnen, ſo zeichnete er damit einen bleibenden Grundzug dieſes Staatslebens. Der große moderne Irr - thum, daß man eine Verfaſſung machen, durch Berechnung der vorhandenen Kräfte und Richtungen neu produziren könne1)Am dritten Adventsſonntag 1494 predigte Savonarola über den Modus, eine neue Verfaſſung zu Stande zu bringen wie folgt: Die 16 Compagnien der Stadt ſollten jede ein Project ausarbeiten, die Gonfalonieren die 4 beſten auswählen, und aus dieſen die Signorie die allerbeſte! — Es kam dann doch Alles anders, und zwar unter dem Einfluß des Predigers ſelbſt., taucht zu Florenz in bewegten Zeiten immer wieder auf und auch Macchiavell iſt davon nicht frei ge - weſen. Es bilden ſich Staatskünſtler, welche durch künſt - liche Verlegung und Vertheilung der Macht, durch höchſt filtrirte Wahlarten, durch Scheinbehörden u. dgl. einen dauerhaften Zuſtand begründen, Groß und Klein gleich - mäßig zufriedenſtellen oder auch täuſchen wollen. Sie exempliren dabei auf das Naivſte mit dem Alterthum und entlehnen zuletzt auch ganz officiell von dort die Partei -861. Abſchnitt. namen, z. B. ottimati, aristocrazia1)Letzteres zuerſt 1527, nach der Verjagung der Medici; ſ. Varchi I, 121 etc. u. ſ. w. Seitdem erſt hat ſich die Welt an dieſe Ausdrücke gewöhnt und ihnen einen conventionellen, europäiſchen Sinn verliehen, während alle frühern Parteinamen nur dem betreffenden Lande gehörten und entweder unmittelbar die Sache be - zeichneten oder dem Spiel des Zufalls entſtammten. Wie ſehr färbt und entfärbt aber der Name die Sache!
Macchiavelli.Von allen jedoch, die einen Staat meinten conſtruiren zu können2)Macchiavelli, storie fior. l. III. „ Un savio dator delle leggi “könnte Florenz retten., iſt Macchiavell ohne Vergleich der Größte. Er faßt die vorhandenen Kräfte immer als lebendige, active, ſtellt die Alternativen richtig und großartig und ſucht weder ſich noch andere zu täuſchen. Es iſt in ihm keine Spur von Eitelkeit noch Plusmacherei, auch ſchreibt er ja nicht für das Publicum, ſondern entweder für Behörden und Fürſten oder für Freunde. Seine Gefahr liegt nie in falſcher Genialität, auch nicht im falſchen Ausſpinnen von Begriffen, ſondern in einer ſtarken Phantaſie, die er offenbar mit Mühe bändigt. Seine politiſche Objectivität iſt allerdings bisweilen entſetzlich in ihrer Aufrichtigkeit, aber ſie iſt entſtanden in einer Zeit der äußerſten Noth und Gefahr, da die Menſchen ohnehin nicht mehr leicht an das Recht glauben noch die Billigkeit vorausſetzen konnten. Tugendhafte Empörung gegen dieſelbe macht auf uns, die wir die Mächte von rechts und links in unſerem Jahrhundert an der Arbeit geſehen haben, keinen beſondern Eindruck. Macchiavell war wenigſtens im Stande, ſeine eigene Per - ſon über den Sachen zu vergeſſen. Ueberhaupt iſt er ein Patriot im ſtrengſten Sinne des Wortes, obwohl ſeine Schriften (wenige Worte ausgenommen) alles directen Enthuſiasmus bar und ledig ſind und obwohl ihn die87 Florentiner ſelber zuletzt als einen Verbrecher anſahen1)Varchi, stor. fiorent. I, p. 210.. Wie1. Abſchnitt. ſehr er ſich auch, nach der Art der Meiſten, in Sitte und Rede gehen ließ, — das Heil des Staates war doch ſein erſter und letzter Gedanke. Sein vollſtändigſtes Programm über die Ein -Seine Verfaf - ſung. richtung eines neuen florentiniſchen Staatsweſens iſt niederge - legt in der Denkſchrift an Leo X.2)Discorso sopra il riformar lo stato di Firenze, in den Opere minori p. 207., verfaßt nach dem Tode des jüngern Lorenzo Medici, Herzogs von Urbino (ſt. 1519), dem er ſein Buch vom Fürſten gewidmet hatte. Die Lage der Dinge iſt eine ſpäte und ſchon total verdorbene, und die vorgeſchlagenen Mittel und Wege ſind nicht alle moraliſch; aber es iſt höchſt intereſſant zu ſehen wie er als Erbinn der Medici die Republik und zwar eine mittlere Democratie einzuſchieben hofft. Ein kunſtreicheres Gebäude von Con - ceſſionen an den Papſt, die ſpeciellen Anhänger deſſelben und die verſchiedenen florentiniſchen Intereſſen iſt gar nicht denkbar; man glaubt in ein Uhrwerk hineinzuſehen. Zahl - reiche andere Principien, Einzelbemerkungen, Parallelen, politiſche Perſpectiven u. ſ. w. für Florenz finden ſich in den Discorſi, darunter Lichtblicke von erſter Schönheit; erSeine Discorſt. erkennt z. B. das Geſetz einer fortſchreitenden, und zwar ſtoßweiſe ſich äußernden Entwicklung der Republiken an und verlangt, daß das Staatsweſen beweglich und der Veränderung fähig ſei, indem nur ſo die plötzlichen Blut - urtheile und Verbannungen vermieden würden. Aus einem ähnlichen Grunde, nämlich um Privat-Gewaltthaten und fremde Intervention („ den Tod aller Freiheit “) abzuſchneiden, wünſcht er gegen verhaßte Bürger eine gerichtliche Anklage (accusa) eingeführt zu ſehen, an deren Stelle Florenz von jeher nur die Uebelreden gehabt habe. Meiſterhaft characteriſirt er die unfreiwilligen, verſpäteten Entſchlüſſe, welche in Republiken bei kritiſchen Zeiten eine ſo große Rolle ſpielen. Dazwiſchen einmal verführt ihn die Phan -881. Abſchnitt. taſie und der Druck der Zeiten zu einem unbedingten Lob des Volkes, welches ſeine Leute beſſer wähle als irgend ein Fürſt und ſich „ mit Zureden “von Irrthümern abbringen laſſe1)Dieſelbe Anſicht, ohne Zweifel hier entlehnt, findet ſich bei Montes - quieu wieder.. In Betreff der Herrſchaft über Toscana zweifelt er nicht, daß dieſelbe ſeiner Stadt gehöre und hält (in einem beſondern Discorſo) die Wiederbezwingung Piſa's für eine Lebensfrage; er bedauert, daß man Arezzo nach der Rebellion von 1502 überhaupt habe ſtehen laſſen; er giebt ſogar im Allgemeinen zu, italieniſche Republiken müßten ſich lebhaft nach außen bewegen und vergrößern dürfen, um nicht ſelber angegriffen zu werden und um Ruhe im Innern zu haben; allein Florenz habe die Sache immer verkehrt angefangen und ſich Piſa, Siena und Lucca von jeher tödtlich verfeindet, während das „ brüder - lich behandelte “Piſtoja ſich freiwillig untergeordnet habe.
Siena.Es wäre unbillig, die wenigen übrigen Republiken, die im XV. Jahrhundert noch exiſtirten, mit dieſem einzi - gen Florenz auch nur in Parallele ſetzen zu wollen, welches bei Weitem die wichtigſte Werkſtätte des italieniſchen, ja des modernen europäiſchen Geiſtes überhaupt war. Siena litt an den ſchwerſten organiſchen Uebeln und ſein relatives Gedeihen in Gewerben und Künſten darf hierüber nicht täuſchen. Aeneas Sylvius2)Aen. Sylvii apologia ad Martinum Mayer, p. 701. — Aehnlich noch Macchiavelli, Discorsi I, 55 u. a. a. O. ſchaut von ſeiner Vaterſtadt aus wahrhaft ſehnſüchtig nach den „ fröhlichen “deutſchen Reichsſtädten hinüber, wo keine Confiscationen von Habe und Erbe, keine gewaltthätigen Behörden, keine FactionenGenua. das Daſein verderben3)Wie völlig moderne Halbbildung und Abſtraction bisweilen in das politiſche Weſen hineingriffen, zeigt die Parteiung von 1535, Della Valle, lettere sanesi III, p. 317. Eine Anzahl von Krämern, aufgeregt durch Livius und Macchiavell's Discorſi, verlangen alles. Genua gehört kaum in den Kreis89 unſerer Betrachtung, da es ſich an der ganzen Renaiſſance1. Abſchnitt. vor den Zeiten des Andrea Doria kaum betheiligte, weß - halb der Riviereſe in Italien als Verächter aller höhern Bildung1)Pierio Valeriano, de infelicitate literator., bei Anlaß des Bar - tolommeo della Rovere. galt. Die Parteikämpfe zeigen hier einen ſo wilden Character und waren von ſo heftigen Schwankungen der ganzen Exiſtenz begleitet, daß man kaum begreift wie die Genueſen es anfingen um nach allen Revolutionen und Occupationen immer wieder in einen erträglichen Zuſtand einzulenken. Vielleicht gelang es weil alle, die ſich beim Staatsweſen betheiligten, faſt ohne Ausnahme zugleich als Kaufleute thätig waren2)Senarega, de reb. Genuens. bei Murat. XXIV, Col. 548. Ueber die Unſicherheit vgl. beſ. Col. 519. 525. 528 etc. Die ſehr offen - herzige Rede der Geſandten bei der Uebergabe des Staates an Francesco Sforza 1464 ſ. bei Cagnola, Archiv. stor. III, p. 165, s. . Welchen Grad von Unſicher - heit der Erwerb im Großen und der Reichthum aushalten können, mit welchem Zuſtand im Innern der Beſitz ferner Colonien verträglich iſt, lehrt Genua in überraſchender Weiſe.
Lucca bedeutet im XV. Jahrhundert nicht viel.
Wie nun die meiſten italieniſchen Staaten in ihremAuswärtige Politik. Innern Kunſtwerke, d. h. bewußte, von der Reflexion ab - hängige, auf genau berechneten ſichtbaren Grundlagen ru - hende Schöpfungen waren, ſo mußte auch ihr Verhältniß zu einander und zum Ausland ein Werk der Kunſt ſein. Daß ſie faſt ſämmtlich auf ziemlich neuen Uſurpationen beruhen, iſt für ihre auswärtigen Beziehungen ſo verhäng - nißvoll als für das Innere. Keiner erkennt den andern3)Ernſtes Volkstribunen u. a. römiſche Magiſtrate gegen die Miß - regierung der Vornehmen und Beamten.901. Abſchnitt. ohne Rückhalt an; daſſelbe Glücksſpiel, welches bei Grün - dung und Befeſtigung der eigenen Herrſchaft gewaltet hat, mag auch gegen den Nachbar walten. Hängt es doch gar nicht immer von dem Gewaltherrſcher ab, ob er ruhig ſitzen wird oder nicht. Das Bedürfniß ſich zu vergrößern, ſich überhaupt zu rühren iſt allen Illegitimen eigen. So wird Italien die Heimath einer „ auswärtigen Politik “, welche dann allmälig auch in andern Ländern die Stelle eines anerkannten Rechtszuſtandes vertreten hat. Die völlig ob - jective, von Vorurtheilen wie von ſittlichen Bedenken freie Behandlung der internationalen Dinge erreicht bisweilen eine Vollendung, in welcher ſie elegant und großartig er - ſcheint, während das Ganze den Eindruck eines bodenloſen Abgrundes hervorbringt.
Bedrohung Ve - nedigs.Dieſe Ränke, Liguen, Rüſtungen, Beſtechungen und Verräthereien machen zuſammen die äußere Geſchichte des damaligen Italiens aus. Lange Zeit war beſonders Ve - nedig der Gegenſtand allgemeiner Anklagen, als wollte es ganz Italien erobern oder allgemach ſo herunterbringen, daß ein Staat nach dem andern ihm ohnmächtig in die Arme fallen müſſe1)So noch ganz ſpät Varchi, stor. fiorent. I, 57.. Bei näherm Zuſehen wird man je - doch inne, daß dieſer Weheruf ſich nicht aus dem Volk ſondern aus der Umgebung der Fürſten und Regierungen erhebt, welche faſt ſämmtlich bei ihren Unterthanen ſchwer verhaßt ſind, während Venedig durch ſein leidlich mildes Regiment ein allgemeines Zutrauen genießt2)Galeazzo Maria Sforza ſagt 1467 dem venezian. Agenten wohl das Gegentheil, allein dieß iſt nur ergötzliche Prahlerei. Vgl. Mali - piero, Annali veneti, arch. stor. VII, I, p. 216 u. f. Bei jedem Anlaß ergeben ſich Städte und Landſchaften freiwillig an Vene - dig, freilich meiſt ſolche, die aus tyranniſchen Händen kommen, wäh - rend Florenz freiheitsgewohnte Nachbarrepubliken darnieder halten muß, wie Guicciardini (Ricordi, N. 29) bemerkt.. Auch Flo - renz, mit ſeinen knirſchenden Unterthanenſtädten fand ſich91 Venedig gegenüber in mehr als ſchiefer Stellung, ſelbſt1. Abſchnitt. wenn man den Handelsneid und das Fortſchreiten Venedigs in der Romagna nicht in Betracht zog. Endlich brachte es die Liga von Cambray (S. 69) wirklich dahin, den - jenigen Staat zu ſchwächen, den ganz Italien mit vereinten Kräften hätte ſtützen ſollen.
Allein auch alle übrigen verſehen ſich des Allerſchlimm -Die Fremden. ſten zu einander, wie das eigene böſe Gewiſſen es jedem eingiebt, und ſind fortwährend zum Aeußerſten bereit. Lodovico Moro, die Aragoneſen von Neapel, Sixtus IV. hielten in ganz Italien die allergefährlichſte Unruhe wach, der Kleinern zu geſchweigen. Hätte ſich dieſes entſetzliche Spiel nur auf Italien beſchränkt! allein die Natur der Dinge brachte es mit ſich, daß man ſich nach fremder In - tervention und Hülfe umſah, hauptſächlich nach Franzoſen und Türken.
Zunächſt ſind die Bevölkerungen ſelber durchweg für Frankreich eingenommen. Mit einer grauenerregenden Naive -Franzöſiſche Sympathien. tät geſteht Florenz von jeher ſeine alte guelfiſche Sympathie für die Franzoſen ein1)Vielleicht das Stärkſte dieſer Art in einer Inſtruction an die zu Carl VII. gehenden Geſandten im J. 1452, bei Fabroni, Cos - mus, Adnot. 107.. Und als Carl VIII. wirklich im Süden der Alpen erſchien, fiel ihm ganz Italien mit einem Jubel zu, welcher ihm und ſeinen Leuten ſelber ganz wun - derlich vorkam2)Comines, Charles VIII, chap. 10: man hielt die Franzoſen comme saints. — Vgl. Chap. 17. — Chron. Venetum bei Murat. XXIV, Col. 5, 10, 14, 15. — Matarazzo, Cron. di Perugia, arch. stor. XVI, II, p. 23. Zahlloſer anderen Ausſagen nicht zu gedenken.. In der Phantaſie der Italiener (man denke an Savonarola) lebte das Idealbild eines großen, weiſen und gerechten Retters und Herrſchers, nur war es nicht mehr wie bei Dante der Kaiſer, ſondern der capetin -921. Abſchnitt. giſche König von Frankreich. Mit ſeinem Rückzug war die Täuſchung im Ganzen dahin, doch hat es noch lange ge - dauert bis man einſah, wie vollſtändig Carl VIII., Lud - wig XII. und Franz I. ihr wahres Verhältniß zu Italien verkannten und von welch untergeordneten Beweggründen ſie ſich leiten ließen. Anders als das Volk ſuchten die Fürſten ſich Frankreichs zu bedienen. Als die franzöſiſch - engliſchen Kriege zu Ende waren, als Ludwig XI. ſeine diplomatiſchen Netze nach allen Seiten hin auswarf, als vollends Carl von Burgund ſich in abenteuerlichen Plänen wiegte, da kamen ihnen die italieniſchen Cabinete von allen Seiten entgegen und die franzöſiſche Intervention mußte früher oder ſpäter eintreten, auch ohne die Anſprüche auf Neapel und Mailand, ſo gewiß als ſie z. B. in Genua und Piemont ſchon längſt ſtattgefunden hatte. Die Vene - zianer erwarteten ſie ſchon 14621)Pii II. Commentarii, X, p. 492.. Welche Todesangſt Herzog Galeazzo Maria von Mailand während des Bur - gunderkrieges ausſtand, als er, ſcheinbar ſowohl mit Lud - wig XI. als mit Carl verbündet, den Ueberfall Beider fürchten mußte, zeigt ſeine Correſpondenz2)Gingins, dépêches des ambassadeurs Milanais etc. I, p. 26. 153, 279. 283. 285. 327. 331. 345. 359. II, p. 29. 37. 101. 217. 306. Carl ſprach bereits einmal davon, Mailand dem jungen Ludwig von Orleans zu geben. in ſchlagenderVerſuch eines Gleichgewich - tes. Weiſe. Das Syſtem eines Gleichgewichtes der vier italie - niſchen Hauptſtaaten, wie Lorenzo magnifico es verſtand, war doch nur das Poſtulat eines lichten, optimiſtiſchen Geiſtes, welcher über frevelnde Experimental-Politik wie über florentiniſchen Guelfen-Aberglauben hinaus war und ſich bemühte, das Beſte zu hoffen. Als Ludwig XI. ihm im Kriege gegen Ferrante von Neapel und Sixtus IV. Hülfstruppen anbot, ſagte er: „ ich vermag noch nicht, „ meinen Nutzen der Gefahr ganz Italiens vorzuziehen;93 „ wollte Gott, es fiele den franzöſiſchen Königen niemals1. Abſchnitt. „ ein, ihre Kräfte in dieſem Lande zu verſuchen! wenn es „ dazu kömmt, ſo iſt Italien verloren. “ 1)Nicolò Valori, Vita di Lorenzo. Für andere Für - ſten dagegen iſt der König von Frankreich abwechſelnd Mittel oder Gegenſtand des Schreckens und ſie drohen mit ihm ſobald ſie aus irgend einer Verlegenheit keinen beque - mern Ausweg wiſſen. Vollends glaubten die Päpſte, ohne alle eigene Gefahr mit Frankreich operiren zu dürfen, und Innocenz VIII. meinte noch, er könne ſchmollend ſich nach dem Norden zurückziehen, um von da mit einem franzöſi - ſchen Herr als Eroberer nach Italien zurückzukehren2)Fabroni: Laurentius magnificus, Adnot. 205, s. .
Denkende Menſchen ſahen alſo die fremde EroberungDie Aera der Interven - tionen. ſchon lange vor dem Zuge Carls VIII. voraus3)Z. B. Jovian. Pontanus in ſeinem Charon. Am Ende erwartet er einen Einheitsſtaat.. Und als Carl wieder über die Alpen zurück war, lag es erſt recht klar vor aller Augen, daß nunmehr eine Aera der Interventionen begonnen habe. Fortan verflicht ſich Un - glück mit Unglück, man wird zu ſpät inne, daß Frankreich und Spanien, die beiden Hauptintervenienten, inzwiſchen moderne Großmächte geworden ſind, daß ſie ſich nicht mehr mit oberflächlichen Huldigungen begnügen können, ſondern um Einfluß und Beſitz in Italien auf den Tod kämpfen müſſen. Sie haben angefangen, den centraliſirten italie - niſchen Staaten zu gleichen, ja dieſelben nachzuahmen, nur in coloſſalem Maßſtab. Die Abſichten auf Länderraub und Ländertauſch nehmen eine Zeitlang einen Flug ins Unbe - dingte hinaus. Das Ende aber war bekanntlich ein totales Uebergewicht Spaniens, welches als Schwert und Schild der Gegenreformation auch das Papſtthum in eine lange Abhängigkeit brachte. Die traurige Reflexion der Philo - ſophen beſtand dann einzig darin, nachzuweiſen wie alle941. Abſchnitt. die, welche die Barbaren gerufen, ein ſchlechtes Ende ge - nommen hätten.
Verbindungen mit den Türken.Offen und ohne alle Scheu ſetzte man ſich im XV. Jahrhundert auch mit den Türken in Verbindung; es ſchien dieß ein Mittel politiſcher Wirkung wie ein anderes. Der Begriff einer ſolidariſchen „ abendländiſchen Chriſtenheit “hatte ſchon im Verlauf der Kreuzzüge bisweilen bedenklich gewankt und Friedrich II. mochte demſelben bereits ent - wachſen ſein, allein das erneute Vordringen des Orientes, die Noth und der Untergang des griechiſchen Reiches hatte im Ganzen wieder die frühere Stimmung der Abendländer (wenn auch nicht ihren Eifer) erneuert. Hievon macht Italien eine durchgängige Ausnahme; ſo groß der Schrecken vor den Türken und die wirkliche Gefahr ſein mochte, ſoDie Regierun - gen; iſt doch kaum eine bedeutendere Regierung, welche nicht irgend einmal frevelhaft mit Mohammed II. und ſeinen Nachfolgern einverſtanden geweſen wäre gegen andere ita - lieniſche Staaten. Und wo es nicht geſchah, da traute es doch jeder dem andern zu — es war noch immer nicht ſo ſchlimm als was z. B. die Venezianer dem Thronerben Alfons von Neapel Schuld gaben, daß er Leute geſchickt habe, um die Ciſternen von Venedig zu vergiften1)Comines, Charles VIII. chap. 7. — Wie Alfons im Kriege ſei - nen Gegner bei einer Unterredung wegzufangen ſuchte erzählt Nan - tiporto, bei Murat. III, II, Col. 1073. Er iſt der wahre Vor - läufer des Ceſare Borgia.. Von einem Verbrecher wie Sigismondo Malateſta erwartete man nichts Beſſeres, als daß er die Türken nach Italien rufen möchte2)Pii II. Commentarii X, p. 492. — Was Galeazzo Maria von Mailand 1467 einem venezian. Agenten ſagte, war wohl nur Prahlerei. Vgl. Malipiero, ann. veneti, archiv. stor. VII, I, p. 222. — Ueber Boccalino ſ. S. 26.. Aber auch die Aragoneſen von Neapel, welchen Mohammed — angeblich von andern italieniſchen Regie -95 rungen1)Porzio, congiura de' baroni, l. I, p. 4. Daß Lorenzo magnifico die Hand im Spiel gehabt habe, iſt ſchwer glaublich. aufgereizt — eines Tages Otranto wegnahm,1. Abſchnitt. hetzten hernach den Sultan Bajazeth II. gegen Venedig2)Chron. Venetum, bei Murat. XXIV, Col. 14 und 76.. Ebendaſſelbe ließ ſich Lodovico Moro zu Schulden kommen; „ Das Blut der Gefallenen und der Jammer der bei den „ Türken Gefangenen ſchreit gegen ihn zu Gott um Rache “, ſagt der Annaliſt des Staates. In Venedig, wo man Alles wußte, war es auch bekannt, daß Giovanni Sforza, Fürſt von Peſaro, der Vetter des Moro, die nach Mailand reiſenden türkiſchen Geſandten beherbergt hatte3)Malipiero, a. a. O., p. 565. 568.. Von den Päpſten des XV. Jahrhunderts ſind die beiden ehren -Die Päpſte; wertheſten, Nicolaus V. und Pius II. in tiefſtem Kummer wegen der Türken geſtorben, letzterer ſogar unter den An - ſtalten einer Kreuzfahrt, die er ſelber leiten wollte; ihre Nachfolger dagegen veruntreuen die aus der ganzen Chri - ſtenheit geſammelten Türkengelder, und entweihen den dar - auf gegründeten Ablaß zu einer Geldſpeculation für ſich4)Trithem. Annales Hirsaug. ad a. 1490, Tom. II, p. 535, s. . Innocenz VIII. giebt ſich zum Kerkermeiſter des geflüchte - ten Prinzen Dſchem her, gegen ein von deſſen Bruder Bajazeth II. zu zahlendes Jahrgeld, und Alexander VI. unterſtützt in Conſtantinopel die Schritte des Lodovico Moro zur Förderung eines türkiſchen Angriffes auf Venedig (1498), worauf ihm dieſes mit einem Concil droht5)Malipiero, a. a. O. p. 161. Vgl. p. 152. — Die Auslieferung des Dſchem an Carl VIII. ſ. p. 145, wo es klar wird, daß eine Correſpondenz der ſchimpflichſten Art zwiſchen Alexander und Baja - zeth exiſtirte, wenn auch die Actenſtücke bei Burcardus unterg eſchoben ſein ſollten.. Man ſieht, daß das berüchtigte Bündniß Franz I. mit Soliman II. nichts in ſeiner Art Neues und Unerhörtes war.
Uebrigens gab es auch einzelne Bevölkerungen, welchenDie Bevölke - rungen.961. Abſchnitt. ſogar der Uebergang an die Türken nicht mehr als etwas beſonders Schreckliches erſchien. Selbſt wenn ſie nur gegen drückende Regierungen damit gedroht haben ſollten, ſo wäre dieß doch ein Zeichen, daß man mit dem Gedanken halben - weges vertraut geworden war. Schon um 1480 giebt Battiſta Mantovano deutlich zu verſtehen, daß die meiſten Anwohner der adriatiſchen Küſte etwas der Art vorausſähen und daß namentlich Ancona es wünſche1)Bapt. Mantuanus, de calamitatibus temporum, zu Ende des zweiten Buches, im Geſang der Nereide Doris an die türkiſche Flotte.. Als die Ro - magna unter Leo X. ſich ſehr bedrückt fühlte, ſagte einſt ein Abgeordneter von Ravenna dem Legaten Cardinal Giulio Medici ins Geſicht: „ Monſignore, die erlauchte „ Republik Venedig will uns nicht, um keinen Streit mit „ der Kirche zu bekommen, wenn aber der Türke nach Ra - „ guſa kommt, ſo werden wir uns ihm übergeben2)Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 55.. “
Eine Aufgabe Spaniens.Angeſichts der damals ſchon begonnenen Unterjochung Italiens durch die Spanier iſt es ein leidiger aber doch gar nicht grundloſer Troſt, daß nunmehr das Land wenig - ſtens vor der Barbariſirung durch die Türken-Herrſchaft geſchützt war3)Ranke, Geſchichten der romaniſchen und germaniſchen Völker. — Michelet's Anſicht (Réforme, p. 467), die Türken würden ſich in Italien occidentaliſirt haben, überzeugt mich nicht. — Vielleicht zum erſtenmal iſt jene Beſtimmung Spaniens angedeutet in der Feſtrede welche Fedra Inghirami 1510 vor Julius II. hielt, zur Feier der Einnahme von Bugia durch die Flotte Ferdinands d. Cath. Vgl. Anecdota litteraria II, p. 149.. Sich ſelber hätte es bei der Entzweiung ſeiner Herrſcher ſchwerlich vor dieſem Schickſal bewahrt.
Objectivität der Politik.Wenn man nach all Dieſem von der damaligen ita - lieniſchen Staatskunſt etwas Gutes ſagen ſoll, ſo kann ſich dies nur auf die objective, vorurtheilsloſe Behandlung ſolcher Fragen beziehen, welche nicht durch Furcht, Leiden -97 ſchaft oder Bosheit bereits getrübt waren. Hier giebt es1. Abſchnitt. kein Lehnsweſen im nordiſchen Sinn mit künſtlich abgelei - teten Rechten, ſondern die Macht, welche jeder beſitzt, be - ſitzt er (in der Regel) wenigſtens factiſch ganz. Hier giebt es keinen Geleitsadel, welcher im Gemüth der Fürſten den abſtracten Ehrenpunkt mit all ſeinen wunderlichen Folge - rungen aufrecht hielte, ſondern Fürſten und Rathgeber ſind darin eins, daß nur nach der Lage der Dinge, nach den zu erreichenden Zwecken zu handeln ſei. Gegen die Men - ſchen, die man benützt, gegen die Verbündeten, woher ſie auch kommen mögen, exiſtirt kein Kaſtenhochmuth, der irgend Jemanden abſchrecken könnte, und zu allem Ueberfluß redet der Stand der Condottieren, wo die Herkunft völlig gleich - gültig iſt, vernehmlich genug von der wirklichen Macht. Endlich kennen die Regierungen, als gebildete Despoten, ihr eigenes Land und die Länder ihrer Nachbarn ungleich genauer als ihre nordiſchen Zeitgenoſſen die ihrigen, und berechnen die Leiſtungsfähigkeit von Freund und Feind in öconomiſcher wie in moraliſcher Hinſicht bis ins Einzelſte; ſie erſcheinen, trotz den ſchwerſten Irrthümern, als geborene Statiſtiker.
Mit ſolchen Menſchen konnte man unterhandeln, manDie Unterhand - lung. konnte ſie zu überzeugen, d. h. durch thatſächliche Gründe zu beſtimmen hoffen. Als der große Alfonſo von Neapel (1434) Gefangener des Filippo Maria Visconti geworden war, wußte er dieſen zu überzeugen, daß die Herrſchaft des Hauſes Anjou über Neapel ſtatt der ſeinigen die Fran - zoſen zu Herrn von Italien machen würde, und Jener ließ ihn ohne Löſegeld frei und ſchloß ein Bündniß mit ihm1)U. a. Corio, fol. 333. Vgl. das Benehmen gegen Sforza, fol. 329.. Schwerlich hätte ein nordiſcher Fürſt ſo gehandelt und ge - wiß keiner von der ſonſtigen Moralität des Visconti. Ein feſtes Vertrauen auf die Macht thatſächlicher Gründe be - weist auch der berühmte Beſuch, welchen Lorenzo magnificoCultur der Renaiſſance. 7981. Abſchnitt. — unter allgemeiner Beſtürzung der Florentiner — dem treuloſen Ferrante in Neapel abſtattete, der gewiß in der Verſuchung und nicht zu gut dazu war, ihn als Gefan - genen da zu behalten1)Nic. Valori, vita di Lorenzo. — Paul. Jovius, vita Leonis X, L. I. letzterer gewiß nach guten Quellen, obwohl nicht ohne Rhetorik.. Denn daß man einen mächtigen Fürſten verhaften und dann nach Ausſtellung einiger Unter - ſchriften und andern tiefen Kränkungen wieder lebendig entlaſſen könne, wie Carl der Kühne mit Ludwig XI. zu Péronne that (1468), erſchien den Italienern als Thorheit2)Wenn Comines bei dieſem und hundert andern Anläſſen ſo objectiv beobachtet und urtheilt als irgend ein Italiener, ſo iſt dabei ſein italieniſcher Umgang, zumal mit Angelo Catto, gewiß ſehr in Be - tracht zu ziehen, ſo daß Lorenzo entweder gar nicht mehr oder ruhmbedeckt zurück erwartet wurde. Es iſt in dieſer Zeit zumal von venezianiſchen Geſandten eine Kunſt der politiſchen Ueber - redung aufgewandt worden, von welcher man dieſſeits der Alpen erſt durch die Italiener einen Begriff bekam, und welche ja nicht nach den officiellen Empfangsreden beur - theilt werden darf, denn dieſe gehören der humaniſtiſchen Schulrhetorik an. An Derbheiten und Naivetäten fehlte es im diplomatiſchen Verkehr auch nicht3)Vgl. z. B. Malipiero, a. a. O. p. 216. 221. 236. 237. 478, etc. , trotz aller ſonſt ſehr entwickelten Etikette. Faſt rührend aber erſcheint uns ein Geiſt wie Macchiavell in ſeinen „ Legazioni “. Mangel - haft inſtruirt, kümmerlich ausgeſtattet, als untergeordneter Agent behandelt, verliert er niemals ſeinen freien, hohen Beobachtungsgeiſt und ſeine Luſt des anſchaulichen Berich - tens. — Von dem Studium des Menſchen, als Volk wie als Individuum, welches mit dem Studium der Verhält - niſſe bei dieſen Italienern Hand in Hand ging, wird in einem beſondern Abſchnitte die Rede ſein.
Der Krieg als Kunſtwerk.Auf welche Weiſe auch der Krieg den Character eines99 Kunſtwerkes annahm, ſoll hier nur mit einigen Worten1. Abſchnitt. angedeutet werden. Im abendländiſchen Mittelalter war die Ausbildung des einzelnen Kriegers eine höchſt vollendete innerhalb des herrſchenden Syſtemes von Wehr und Waffen, auch gab es gewiß jederzeit geniale Erfinder in der Be - feſtigungs - und Belagerungskunſt, allein Strategie ſowohl als Tactik wurden in ihrer Entwicklung geſtört durch die vielen ſachlichen und zeitlichen Beſchränkungen der Kriegs - pflicht, und durch den Ehrgeiz des Adels, welcher z. B. Angeſichts der Feinde um den Vorrang im Streit haderte und mit ſeinem bloßen Ungeſtüm gerade die wichtigſten Schlachten, wie die von Crécy und Maupertuis, verdarb. Bei den Italienern dagegen herrſchte am frühſten das in ſolchen Dingen anders geartete Söldnerweſen vor, und auch die frühe Ausbildung der Feuerwaffen trug ihrerſeits dazuFeuerwaffen. bei, den Krieg gleichſam zu democratiſiren, nicht nur weil die feſteſten Burgen vor den Bombarden erzitterten, ſondern weil die auf bürgerlichem Wege erworbene Geſchicklichkeit des Ingenieurs, Stückgießers und Artilleriſten in den Vor - dergrund trat. Man empfand dabei nicht ohne Schmerz, daß die Geltung des Individuums, — die Seele der kleinen, trefflich ausgebildeten italieniſchen Söldnerheere — durch jene von ferne her wirkenden Zerſtörungsmittel beeinträch - tigt wurde, und es gab einzelne Condottieren, welche ſich wenigſtens gegen das unlängſt in Deutſchland erfundene1)Pii II, Commentarii L. IV. p. 190 ad a. 1459. Handrohr aus Kräften verwahrten; ſo ließ Paolo Vitelli2)Paul. Jovius, elogia. Man wird an Federigo von Urbino erin - innert, „ welcher ſich geſchämt hätte “, in ſeiner Bibliothek ein ge - drucktes Buch zu dulden. Vgl. Vespas. Fiorent. den gefangenen feindlichen Schioppettieri die Augen aus - ſtechen und die Hände abhauen, während er die Kanonen als berechtigt anerkannte und gebrauchte. Im Großen und Ganzen aber ließ man die Erfindungen walten und nützte7*1001. Abſchnitt. ſie nach Kräften aus, ſo daß die Italiener für die Angriffs - mittel wie für den Feſtungsbau die Lehrer von ganz EuropaKenner und Dilettanten. wurden. Fürſten wie Federigo von Urbino, Alfonſo von Ferrara, eigneten ſich eine Kennerſchaft des Faches an, gegen welche ſelbſt die eines Maximilian I. nur oberfläch - lich erſchienen ſein wird. In Italien gab es zuerſt eine Wiſſenſchaft und Kunſt des geſammten im Zuſammenhang behandelten Kriegsweſens; hier zuerſt begegnen wir einer neutralen Freude an der correcten Kriegführung als ſolcher, wie dieß zu dem häufigen Parteiwechſel und zu der rein ſachlichen Handlungsweiſe der Condottieren paßte. Während des mailändiſch-venezianiſchen Krieges von 1451 und 1452, zwiſchen Francesco Sforza und Jacopo Picinino, folgte dem Hauptquartier des letztern der Literat Porcellio, mit dem Auftrage des Königs Alfonſo von Neapel, eine Relation1)Porcellii commentaria Jac. Picinini, bei Murat. XX. Eine Fortſetzung für den Krieg von 1453 ibid. XXV. zu verfaſſen. Sie iſt in einem nicht ſehr reinen aber fließenden Latein im Geiſte des damaligen humaniſti - ſchen Bombaſtes geſchrieben, im Ganzen nach Caeſar's Vor - bild, mit eingeſtreuten Reden, Prodigien u. ſ. w.; und da man ſeit hundert Jahren ernſtlich darob ſtritt, ob Scipio Africanus maior oder Hannibal größer geweſen2)Aus Mißverſtand nennt Porcellio den Scipio „ Aemilianus “, wäh - rend er den Africanus major meint., muß ſich Picinino bequemen, durch das ganze Werk Scipio zu heißen und Sforza Hannibal. Auch über das mailändiſche Heer mußte objectiv berichtet werden; der Sophiſt ließ ſich bei Sforza melden, wurde die Reihen entlang geführt, lobte Alles höchlich und verſprach, was er hier geſehen ebenfalls der Nachwelt zu überliefern3)Simonetta, Hist. Fr. Sfortiæ, bei Murat. XXI, Col. 630.. Auch ſonſt iſt die damalige Literatur Italiens reich an Kriegsſchilderungen und Auf - zeichnungen von Stratagemen zum Gebrauch des beſchau -101 lichen Kenners ſowohl als der gebildeten Welt überhaupt,1. Abſchnitt. während gleichzeitige nordiſche Relationen, z. B.: Diebold Schillings Burgunderkrieg noch ganz die Formloſigkeit und protocollariſche Treue von Chroniken an ſich haben. Der größte Dilettant, der je als ſolcher1)Als ſolcher wird er dann doch behandelt. Vgl. Bandello, Parte I, Nov. 40. im Kriegsweſen auf - getreten iſt, Macchiavelli, ſchrieb damals ſeine „ arte della guerra “. Die ſubjective Ausbildung des einzelnen KriegersZweikämpfe. aber fand ihre vollendetſte Aeußerung in jenen feierlichen Kämpfen von einem oder mehrern Paaren, dergleichen ſchon lange vor dem berühmten Kampfe bei Barletta (1503) Sitte geweſen iſt2)Vgl. z. B.: De obsidione Tiphernatium, im 2. Band der rer. italicar. scriptores ex codd. florent. Col. 690. Ein ſehr be - zeichnendes Ereigniß vom J. 1474. — Der Zweikampf des Mar - ſchalls Boucicault mit Galeazzo Gonzaga 1406 bei Cagnola, Arch. stor. III, p. 25. — Wie Sixtus IV. die Duelle ſeiner Gardiſten ehrte, erzählt Infeſſura. Seine Nachfolger erließen Bullen gegen das Duell überhaupt. Sept. Decretal. V. Tit. 17.. Der Sieger war dabei einer Verherrlichung gewiß, die ihm im Norden fehlte: durch Dichter und Hu - maniſten. Es liegt im Ausgang dieſer Kämpfe kein Gottes - urtheil mehr, ſondern ein Sieg der Perſönlichkeit und — für die Zuſchauer — der Entſcheid einer ſpannenden Wette nebſt einer Genugthuung für die Ehre des Heeres oder der Nation.
Es verſteht ſich, daß dieſe ganze rationelle Behand -Kriegsgräuel. lung der Kriegsſachen unter gewiſſen Umſtänden den ärgſten Gräueln Platz machte, ſelbſt ohne Mitwirkung des politiſchen Haſſes, bloß etwa einer verſprochenen Plünderung zu Liebe. Nach der vierzigtägigen Verheerung Piacenza's (1447), welche Sforza ſeinen Soldaten hatte geſtatten müſſen, ſtand die Stadt geraume Zeit leer und mußte mit Gewalt wieder bevölkert werden3)Das Nähere Arch. stor. Append. Tom. V. . Doch will dergleichen wenig ſagen im1021. Abſchnitt. Vergleich mit dem Jammer, den nachher die Truppen der Fremden über Italien brachten; beſonders jene Spanier, in welchen vielleicht ein nicht abendländiſcher Zuſatz des Geblütes, vielleicht die Gewöhnung an die Schauſpiele der Inquiſition die teufliſche Seite der Natur entfeſſelt hatte. Wer ſie kennen lernt bei ihren Gräuelthaten von Prato, Rom u. ſ. w., hat es ſpäter ſchwer, ſich für Ferdinand den Catholiſchen und Carl V. in höherm Sinne zu intereſſiren. Dieſe haben ihre Horden gekannt und dennoch losgelaſſen. Die Laſt von Acten aus ihrem Cabinet, welche allmälig zum Vorſchein kömmt, mag eine Quelle der wichtigſten Notizen bleiben — einen belebenden politiſchen Gedanken wird Niemand mehr in den Scripturen ſolcher Fürſten ſuchen.
Das Papſt - thum.Papſtthum und Kirchenſtaat1)Ein für allemal iſt hier auf Ranke's Päpſte, Bd. I, und auf Su - genheim, Geſchichte der Entſtehung und Ausbildung des Kirchenſtaates, zu verweiſen., als eine ganz aus - nahmsweiſe Schöpfung, haben uns bisher, bei der Feſt - ſtellung des Characters italieniſcher Staaten überhaupt, nur beiläufig beſchäftigt. Gerade das, was ſonſt dieſe Staaten intereſſant macht, die bewußte Steigerung und Concentration der Machtmittel, findet ſich im Kirchenſtaat am wenigſten, indem hier die geiſtliche Macht die mangel - hafte Ausbildung der weltlichen unaufhörlich decken und erſetzen hilft. Welche Feuerproben hat der ſo conſtituirte Staat im XIV. und beginnenden XV. Jahrhundert aus - gehalten! Als das Papſtthum nach Südfrankreich gefangen geführt wurde, ging Anfangs Alles aus den Fugen, aber Avignon hatte Geld, Truppen und einen großen Staats - und Kriegsmann, der den Kirchenſtaat wieder völlig unter - warf, den Spanier Albornoz. Noch viel größer war die103 Gefahr einer definitiven Auflöſung, als das Schisma hin -1. Abſchnitt. zutrat, als weder der römiſche noch der avignoneſiſche Papſt reich genug war um den von Neuem verlorenen Staat zu unterwerfen, aber nach der Herſtellung der Kircheneinheit gelang dieß unter Martin V. doch wieder, und gelang abermals nachdem ſich die Gefahr unter Eugen IV. er - neuert hatte. Allein der Kirchenſtaat war und blieb einſt - weilen eine völlige Anomalie unter den Ländern Italiens; in und um Rom trotzten dem Papſtthum die großen Adels - familien der Colonna, Savelli, Orſini, Anguillara u. ſ. w.; in Umbrien, in der Mark, in der Romagna gab es zwar jetzt faſt keine jener Stadt-Republiken mehr, welchen einſt das Papſtthum für ihre Anhänglichkeit ſo wenig Dank ge - wußt hatte, aber dafür eine Menge großer und kleiner Fürſtenhäuſer, deren Gehorſam und Vaſallentreue nicht viel beſagen wollte. Als beſondere, aus eigener Kraft beſtehende Dynaſtien haben ſie auch ihr beſonderes Intereſſe und in dieſer Beziehung iſt oben (S. 28, 44) bereits von den wichtigſten derſelben die Rede geweſen.
Gleichwohl ſind wir auch dem Kirchenſtaat als GanzemSeine beſonde - ren Gefahren. hier eine kurze Betrachtung ſchuldig. Neue merkwürdige Kriſen und Gefahren kommen ſeit der Mitte des XV. Jahr - hunderts über ihn, indem der Geiſt der italieniſchen Politik von verſchiedenen Seiten her ſich auch ſeiner zu bemächtigen, ihn in die Pfade ſeiner Raiſon zu leiten ſucht. Die ge - ringern dieſer Gefahren kommen von außen oder aus dem Volke, die größern haben ihre Quelle in dem Gemüth der Päpſte ſelbſt.
Das transalpiniſche Ausland darf zunächſt außer Be - tracht bleiben. Wenn dem Papſtthum in Italien eine tödtliche Bedrohung zuſtieß, ſo hätte ihm weder Frankreich unter Ludwig XI., noch England beim Beginn der Roſen - kriege, noch das einſtweilen gänzlich zerrüttete Spanien, noch auch das um ſein Basler Concil betrogene Deutſchland die geringſte Hülfe gewährt oder auch nur gewähren können. 1041. Abſchnitt. In Italien ſelber gab es eine gewiſſe Anzahl GebildeterStützpunkte. und auch wohl Ungebildeter, welche eine Art von National - ſtolz darein ſetzten, daß das Papſtthum dem Lande gehöre; ſehr Viele hatten ein beſtimmtes Intereſſe dabei, daß es ſo ſei und bleibe; eine gewaltige Menge glaubten auch noch an die Kraft der päpſtlichen Weihen und Segnungen1)Der Eindruck der Benedictionen Eugen's IV. in Florenz, Vespa - siano Fiorent. p. 18. — Die Majeſtät der Functionen Nicolaus V, ſ. Infessura (Eccard, II, Col. 1883, seq.) und J. Manetti, Vita Nicolai V. (Murat. III, II, Col. 923). — Die Huldigungen an Pius II, ſ. Diario Ferrarese (Murat. XXIV. Col. 205) und Pii II. Comment. passim, beſ. IV, 201. 204. XI, 562. Auch Mörder vom Fach wagen ſich nicht an den Papſt. — Die großen Functionen wurden als etwas ſehr weſentliches behandelt von dem pomphaften Paul II. (Platina l. c. 321) und von Sixtus IV, welcher die Oſtermeſſe trotz des Podagras ſitzend hielt (Jac. Volaterran. diarium, Murat. XXIII. Col. 131). Merk - würdig unterſcheidet das Volk zwiſchen der magiſchen Kraft des Se - gens und der Unwürdigkeit des Segnenden; als er 1481 die Him - melfahrtsbenediction nicht geben konnte, murrten und fluchten ſie über ihn (Ibid. Col. 133). , darunter auch große Frevler, wie jener Vitellozzo Vitelli, der noch um den Ablaß Alexanders VI. flehte als ihn der Sohn des Papſtes erwürgen ließ2)Macchiavelli, Scritti minori, p. 142, in dem bekannten Aufſatz über die Kataſtrophe von Sinigaglia. — Freilich waren Spanier und Franzoſen noch eifriger als italieniſche Soldaten. Vgl. bei Paul. Jov. vita Leonis X. (L. II. ) die Scene vor der Schlacht bei Ravenna, wo das ſpaniſche Herr den vor Freude weinenden Le - gaten wegen der Abſolution umdrängt. Ferner (ibid.) die Franzoſen in Mailand.. Allein alle dieſe Sym - pathien zuſammen hätten wiederum das Papſtthum nicht gerettet gegenüber von wahrhaft entſchloſſenen Gegnern, die den vorhandenen Haß und Neid zu benützen gewußt hätten.
Und bei ſo geringer Ausſicht auf äußere Hülfe ent - wickeln ſich gerade die allergrößten Gefahren im Innern105 des Papſtthums ſelber. Schon indem daſſelbe jetzt weſent -1. Abſchnitt. lich im Geiſt eines weltlichen italieniſchen Fürſtenthums lebte und handelte, mußte es auch die düſtern Momente eines ſolchen kennen lernen; ſeine eigenthümliche Natur aber brachte noch ganz beſondere Schatten hinein.
Was zunächſt die Stadt Rom betrifft, ſo hat man vonDie Stadt Rom un - ter Nicolaus V. jeher dergleichen gethan, als ob man ihre Aufwallungen wenig fürchte, da ſo mancher durch Volkstumult vertriebene Papſt wieder zurückgekehrt ſei und die Römer um ihres eigenen Intereſſes willen die Gegenwart der Curie wünſchen mußten. Allein Rom entwickelte nicht nur zu Zeiten einen ſpecifiſch antipäpſtlichen Radicalismus1)Bei jenen Ketzern aus der Campagna, von Poli, welche glaubten, ein rechter Papſt müßte die Armuth Chriſti zum Kennzeichen haben, darf man dagegen ein einfaches Waldenſerthum vermuthen. Wie ſie unter Paul II. verhaftet wurden, erzählen Infessura (Eccard II, Col. 1893), Platina, p. 317, etc. , ſondern es zeigte ſich auch mitten in den bedenklichſten Complotten die Wir - kung unſichtbarer Hände von außen. So bei der Ver - ſchwörung des Stefano Porcari gegen denjenigen Papſt, welcher gerade der Stadt Rom die größten Vortheile ge - währt hatte, Nicolaus V. (1453). Porcari bezweckte einen Umſturz der päpſtlichen Herrſchaft überhaupt und hatte dabei große Mitwiſſer, die zwar nicht genannt werden2)L. B. Alberti: de Porcaria coniuratione, bei Murat. XXV. Col. 309 seqq. — P. wollte: omnem pontificiam turbam fun - ditus exstinguere. Der Autor ſchließt: Video sane, quo stent loco res Italiæ; intelligo, qui sint, quibus hic perturbata esse omnia conducat … Er nennt ſie: extrinsecos impulsores und meint, Porcari werde noch Nachfolger ſeiner Miſſethat finden. P.'s eigene Phantaſien glichen freilich denjenigen des Cola Rienzi., ſicher aber unter den italieniſchen Regierungen zu ſuchen ſind. Unter demſelben Pontificat ſchloß Lorenzo Valla ſeine berühmte Declamation gegen die Schenkung Conſtan -1061. Abſchnitt. tin's mit einem Wunſch um baldige Säculariſation des Kirchenſtaates1)Ut Papa tantum vicarius Christi sit et non etiam Cæsaris … Tunc Papa et dicetur et erit pater sanctus, pater omnium, pater ecclesiæ etc. .
Unter Pius II. Auch die catilinariſche Rotte, mit welcher Pius II. (1459) kämpfen mußte2)Pii II. Commentarii IV. p. 208, seqq. , verhehlte es nicht, daß ihr Ziel der Sturz der Prieſter-Herrſchaft im Allgemeinen ſei, und der Hauptanführer Tiburzio gab Wahrſagern die Schuld, welche ihm die Erfüllung dieſes Wunſches eben auf dieſes Jahr verheißen hätten. Mehrere Römiſche Große, der Fürſt von Tarent und der Condottiere Jacopo Piccinino waren die Mitwiſſer und Beförderer. Und wenn man be - denkt, welche Beute in den Paläſten reicher Prälaten bereit lag (Jene hatten beſonders den Cardinal von Aquileja im Auge), ſo fällt es eher auf, daß in der faſt ganz un - bewachten Stadt ſolche Verſuche nicht häufiger und erfolg - reicher waren. Nicht umſonſt reſidirte Pius lieber überall als in Rom, und noch Paul II. hat (1468) einen heftigen Schrecken wegen eines wirklichen oder vorgegebenen Com - plottes ähnlicher Art ausgeſtanden3)Platina, Vitæ Papar. p. 318.. Das Papſtthum mußte entweder einmal einem ſolchen Anfall unterliegen oder gewaltſam die Factionen der Großen bändigen, unter deren Schutz jene Räuberſchaaren heranwuchſen.
Sixtus IV. Dieſe Aufgabe ſetzte ſich der ſchreckliche Sixtus IV. Er zuerſt hatte Rom und die Umgegend faſt völlig in der Gewalt, zumal ſeit der Verfolgung der Colonneſen, und deßhalb konnte er auch in Sachen des Pontificates ſowohl als der italieniſchen Politik mit ſo kühnem Trotz verfahren und die Klagen und Concils-Drohungen des ganzen Abend - landes verachten. Die nöthigen Geldmittel lieferte eine plötzlich ins Schrankenloſe wachſende Simonie, welche von107 den Cardinals-Ernennungen bis auf die kleinſten Gnaden1. Abſchnitt. und Bewilligungen herunter ſich Alles unterwarf1)Battista Mantovano, de calamitatibus temporum, L. III. Der Araber verkauft Weihrauch, der Tyrier Purpur, der Inder Elfen - bein: venalia nobis Templa, sacerdotes, altaria, sacra, coronæ, Ignes, thura, preces, cœlum est venale, Deusque. . Sixtus ſelbſt hatte die päpſtliche Würde nicht ohne Beſtechung er - halten.
Eine ſo allgemeine Käuflichkeit konnte einſt dem römi - ſchen Stuhl üble Schickſale zuziehen, doch lagen dieſelben in unberechenbarer Ferne. Anders war es mit dem Ne -Der Nepotis - mus. potismus, welcher das Pontificat ſelber einen Augenblick aus den Angeln zu heben drohte. Von allen Nepoten genoß Anfangs Cardinal Pietro Riario bei Sixtus die größte und faſt ausſchließliche Gunſt; ein Menſch, welcher binnen Kurzem die Phantaſie von ganz Italien beſchäftigte2)Man ſehe z. B. die Annales Placentini, bei Murat. XX, Col. 943., theils durch ungeheuern Luxus, theils durch die Gerüchte, welche über ſeine Gottloſigkeit und ſeine politiſchen Pläne laut wurden. Er hat ſich (1473) mit Herzog Galeazzo Maria von Mailand dahin verſtändigt, daß dieſer König der Lombardie werden und ihn, den Nepoten, dann mit Geld und Truppen unterſtützen ſolle, damit er bei ſeiner Heimkehr nach Rom den päpſtlichen Stuhl beſteigen könne; Sixtus würde ihm denſelben, ſcheint es, freiwillig abge - treten haben3)Corio, storia di Milano, fol. 416 bis 420. Pietro hatte ſchon die Papſtwahl des Sixtus leiten helfen, ſ. Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1895. — Laut Macchiav. storie fior. L. VII. hätten die Venezianer den Cardinal vergiftet. Gründe dazu fehlten ihnen in der That nicht.. Dieſer Plan, welcher wohl auf eine Sä - culariſation des Kirchenſtaates als Folge der Erblichmachung des Stuhles hinausgelaufen wäre, ſcheiterte dann durch Pietro's plötzliches Abſterben. Der zweite Nepot, Girolamo Riario, blieb weltlichen Standes und taſtete das Pontificat1081. Abſchnitt. nicht an; ſeit ihm aber vermehren die päpſtlichen NepotenDer Nepot als Fürſt. die Unruhe Italiens durch das Streben nach einem großen Fürſtenthum. Früher war es etwa vorgekommen, daß die Päpſte ihre Oberlehnsherrlichkeit über Neapel zu Gunſten ihrer Verwandten geltend machen wollten1)Schon Honorius II. wollte nach dem Tode Wilhelms I. 1127 Apu - lien einziehen, als „ dem h. Petrus heimgefallen “.; ſeit Calixt III. aber war hieran nicht mehr ſo leicht zu denken und Giro - lamo Riario mußte, nachdem die Ueberwältigung von Florenz (und wer weiß wie mancher andere Plan) miß - lungen war, ſich mit Gründung einer Herrſchaft auf Grund und Boden des Kirchenſtaates ſelber begnügen. Man mochte dieß damit rechtfertigen, daß die Romagna mit ihren Fürſten und Stadt-Tyrannen der päpſtlichen Oberherrſchaft völlig zu entwachſen drohte, oder daß ſie in Kurzem die Beute der Sforza und der Venezianer werden konnte, wenn Rom nicht auf dieſe Weiſe eingriff. Allein wer garantirte in jenen Zeiten und Verhältniſſen den dauernden Gehorſam ſolcher ſouverän gewordener Nepoten und ihrer Nachkommen gegen Päpſte, die ſie weiter nichts mehr angingen? Selbſt der noch lebende Papſt war nicht immer ſeines eigenen Sohnes oder Neffen ſicher, und vollends lag die Verſuchung nahe, den Nepoten eines Vorgängers durch den eigenen zu verdrängen. Die Rückwirkungen dieſes ganzen Verhält - niſſes auf das Papſtthum ſelbſt waren von der bedenklich - ſten Art; alle, auch die geiſtlichen Zwangsmittel wurden ohne irgend welche Scheu an den zweideutigſten Zweck ge - wandt, welchem ſich die andern Zwecke des Stuhles Petri unterordnen mußten, und wenn das Ziel unter heftigen Erſchütterungen und allgemeinem Haß erreicht war, ſo hatte man eine Dynaſtie geſchaffen, welche das größte Intereſſe am Untergang des Papſtthums hatte.
Als Sixtus ſtarb, konnte ſich Girolamo nur mit äu - ßerſter Mühe und nur durch den Schutz des Hauſes Sforza109 (dem ſeine Gemahlin angehörte) in ſeinem erſchwindelten1. Abſchnitt. Fürſtenthum (Forli und Imola) halten. Bei dem nun (1484) folgenden Conclave — in welchem Innocenz VIII.Innocenz VIII. und die Simonie. gewählt wurde — trat eine Erſcheinung zu Tage, welche beinahe einer neuen äußern Garantie des Papſtthums ähn - lich ſieht: zwei Cardinäle, welche Prinzen regierender Häuſer ſind, laſſen ſich ihre Hülfe auf das Schamloſeſte durch Geld und Würden abkaufen, nämlich Giovanni d'Aragona, Sohn des Königs Ferrante, und Ascanio Sforza, Bruder des Moro1)Fabroni: Laurentius magn., Adnot. 130. Ein Kundſchafter meldet von dieſen beiden: hanno in ogni elezione a mettere a sacco questa corte, e sono i maggior ribaldi del mondo. . So waren wenigſtens die Herrſcherhäuſer von Neapel und Mailand durch Theilnahme an der Beute beim Fortbeſtand des päpſtlichen Weſens intereſſirt. Noch einmal beim folgenden Conclave, als alle Cardinäle bis auf fünf ſich verkauften, nahm Ascanio ungeheure Be - ſtechungen an, und behielt ſich außerdem die Hoffnung2)Corio, fol. 450. vor, das nächſtemal ſelber Papſt zu werden.
Auch Lorenzo magnifico wünſchte, daß das Haus Medici nicht leer ausgehe. Er vermählte ſeine Tochter Maddalena mit dem Sohn des neuen Papſtes, Franceſchetto Cybò, und erwartete nun nicht bloß allerlei geiſtliche Gunſt für ſeinen eigenen Sohn Cardinal Giovanni (den künftigen Leo X.), ſondern auch eine raſche Erhebung des Schwiegerſohns3)Ein höchſt bezeichnender Mahnbrief Lorenzo's bei Fabroni, Lauren - tius magn. Adnot. 217 und im Auszug bei Ranke, Päpſte, I, p. 45.. Allein in letzterm Betracht verlangte er Unmögliches. Bei Innocenz VIII. konnte von dem kecken, ſtaatengründenden Nepotismus deßhalb nicht die Rede ſein, weil Franceſchetto ein ganz kümmerlicher Menſch war, dem es, wie ſeinem Vater dem Papſte, nur um den Genuß der Macht im1101. Abſchnitt. niedrigſten Sinne, namentlich um den Erwerb großer Geld - maſſen1)Um etwa noch neapolitaniſcher Lehen, weßhalb denn auch Innocenz die Anjou von Neuem gegen den in ſolchem Betracht harthörigen König Ferrante aufrief. zu thun ſein konnte. Die Art jedoch, wie Vater und Sohn dieß Geſchäft trieben, hätte auf die Länge zu einer höchſt gefährlichen Kataſtrophe, zur Auflöſung des Staates, führen müſſen.
Verkauf der Be - gnadigungen.Hatte Sixtus das Geld beſchafft durch den Verkauf aller geiſtlichen Gnaden und Würden, ſo errichten Innocenz und ſein Sohn eine Bank der weltlichen Gnaden, wo gegen Erlegung von hohen Taxen Pardon für Mord und Todt - ſchlag zu haben iſt; von jeder Buße kommen 150 Ducaten an die päpſtliche Kammer, und was darüber geht, an Franceſchetto. Rom wimmelt namentlich in den letzten Zeiten dieſes Pontificates von protegirten und nicht prote - girten Mördern; die Factionen, mit deren Unterwerfung Sixtus den Anfang gemacht, ſtehen wieder in voller Blüthe da; dem Papſt in ſeinem wohlverwahrtem Vatican genügt es, da und dort Fallen aufzuſtellen, in welchen ſich zahlungs - fähige Verbrecher fangen ſollen. Für Franceſchetto aber gab es nur noch eine Hauptfrage: auf welche Art er ſich, wenn der Papſt ſtürbe, mit möglichſt großen Kaſſen aus dem Staube machen könne? Er verrieth ſich einmal bei Anlaß einer falſchen Todesnachricht (1490); alles überhaupt vorhandene Geld — den Schatz der Kirche — wollte er fortſchaffen, und als die Umgebung ihn daran hinderte, ſollte wenigſtens der Türkenprinz Dſchem mitgehen, ein lebendiges Capital, das man um hohen Preis etwa an Ferrante von Neapel verhandeln konnte2)Vgl. beſ. Infessura, bei Eccard, scriptores, II, passim. . Es iſt ſchwer, politiſche Möglichkeiten in längſt vergangenen Zeiten zu berechnen; unabweisbar aber drängt ſich die Frage auf, ob Rom noch zwei oder drei Pontificate dieſer Art ausgehalten111 hätte? Auch gegenüber dem andächtigen Europa war es1. Abſchnitt. unklug, die Dinge ſo weit kommen zu laſſen, daß nicht bloß der Reiſende und der Pilger, ſondern eine ganze Am - baſſade des römiſchen Königs Maximilian in der Nähe von Rom bis aufs Hemde ausgezogen wurde und daß manche Geſandte unterweges umkehrten ohne die Stadt betreten zu haben.
Mit dem Begriff vom Genuß der Macht, welcher inAlexander VI. dem hochbegabten Alexander VI. (1492 — 1503) lebendig war, vertrug ſich ein ſolcher Zuſtand freilich nicht, und das Erſte was geſchah, war die einſtweilige Herſtellung der öffentlichen Sicherheit und das präciſe Auszahlen aller Beſoldungen.
Strenge genommen, dürfte dieſes Pontificat hier, wo es ſich um italieniſche Culturformen handelt, übergangen werden, denn die Borgia ſind ſo wenig Italiener als das Haus von Neapel. Alexander ſpricht mit Ceſare öffentlich ſpaniſch, Lucrezia wird bei ihrem Empfang in Ferrara, wo ſie ſpaniſche Toilette trägt, von ſpaniſchen Buffonen angeſungen; die vertrauteſte Hausdienerſchaft beſteht aus Spaniern, ebenſo die verrufenſte Kriegerſchaar des Ceſare im Krieg des Jahres 1500, und ſelbſt ſein Henker, Don Micheletto, ſo wie der Giftmiſcher Sebaſtian Pinzon ſchei - nen Spanier geweſen zu ſein. Zwiſchen all ſeinem ſonſti - gen Treiben erlegt Ceſare auch einmal ſpaniſch kunſtgerecht ſechs wilde Stiere in geſchloſſenem Hofraum. Allein die Corruption, als deren Spitze dieſe Familie erſcheint, hatten ſie in Rom ſchon ſehr entwickelt angetroffen.
Was ſie geweſen ſind und was ſie gethan haben, iſt oft und viel geſchildert worden. Ihr nächſtes Ziel, welches ſie auch erreichten, war die völlige Unterwerfung des Kir - chenſtaates, indem die ſämmtlichen1)Mit Ausnahme der Bentivoglî von Bologna und des Hauſes Eſte zu Ferrara. Letzteres wurde zur Verſchwägerung genöthigt; Lucrezia Borgia heirathete den Prinzen Alfonſo. kleinen Herrſcher —1121. Abſchnitt. meiſt mehr oder weniger unbotmäßige Vaſallen der Kirche — vertrieben oder zernichtet und in Rom ſelbſt beide große Fac - tionen zu Boden geſchmettert wurden, die angeblich guelfi - ſchen Orſinen ſo gut wie die angeblich ghibelliniſchen Co - lonneſen. Aber die Mittel, welche angewandt wurden, waren ſo ſchrecklich, daß das Papſtthum an den Conſe - quenzen derſelben nothwendig hätte zu Grunde gehen müſſen, wenn nicht ein Zwiſchen-Ereigniß (die gleichzeitige Vergif - tung von Vater und Sohn) die ganze Lage der DingeGefahren von außen. plötzlich geändert hätte. — Auf die moraliſche Entrüſtung des Abendlandes allerdings brauchte Alexander nicht viel zu achten; in der Nähe erzwang er Schrecken und Huldi - gung; die ausländiſchen Fürſten ließen ſich gewinnen und Ludwig XII. half ihm ſogar aus allen Kräften, die Be - völkerungen aber ahnten kaum was in Mittelitalien vor - ging. Der einzige in dieſem Sinne wahrhaft gefährliche Moment, als Carl VIII. in der Nähe war, ging uner - wartet glücklich vorüber, und auch damals handelte es ſich wohl nicht um das Papſtthum als ſolches1)Laut Corio (Fol. 479) dachte Carl an ein Concil, an die Abſetzung des Papſtes, ja an ſeine Wegführung nach Frankreich, und zwar erſt bei der Rückkehr von Neapel. Laut Benedictus: Carolus VIII. (bei Eccard, scriptores, II, Col. 1584) hätte Carl in Neapel, als ihm Papſt und Cardinäle die Anerkennung ſeiner neuen Krone verweigerten, ſich allerdings Gedanken gemacht de Italiæ imperio deque pontificis statu mutando, allein gleich darauf gedachte er ſich wieder mit Alexanders perſönlicher Demüthigung zu begnügen. Der Papſt entwiſchte ihm jedoch. ſondern nur um Verdrängung Alexanders durch einen beſſern Papſt. Die große, bleibende und wachſende Gefahr für das Pon - tificat lag in Alexander ſelbſt und vor allem in ſeinem Sohne Ceſare Borgia.
Simonie.In dem Vater waren Herrſchbegier, Habſucht und Wolluſt mit einem ſtarken und glänzenden Naturell ver - bunden. Was irgend zum Genuß von Macht und Wohl -113 leben gehört, das gönnte er ſich vom erſten Tage an im1. Abſchnitt. weiteſten Umfang. In den Mitteln zu dieſem Zwecke er - ſcheint er ſogleich völlig unbedenklich; man wußte auf der Stelle, daß er die für ſeine Papſtwahl aufgewandten Opfer mehr als nur wieder einbringen würde1)Corio, fol. 450. — Malipiero, Ann. veneti, arch. stor. VII, I, p. 318. — Welche Raubſucht die ganze Familie ergriffen haben muß, ſieht man u. a. aus Malipiero, a. a. O. p. 565. Ein Nepot wird als päpſtlicher Legat in Venedig herrlich empfangen, und macht durch Ertheilung von Dispenſen ungeheures Geld; ſeine Dienerſchaft ſtiehlt beim Abziehen Alles deſſen ſie habhaft werden kann, auch ein Stück Goldſtoff vom Hauptaltar einer Kirche in Murano., und daß die Simonie des Kaufes durch die des Verkaufes weit würde überboten werden. Es kam hinzu, daß Alexander von ſeinem Vice-Cancellariat und andern frühern Aemtern her die möglichen Geldquellen beſſer kannte und mit größerm Geſchäftstalent zu handhaben wußte als irgend ein Curiale. Schon im Lauf des Jahres 1494 geſchah es, daß ein Carmeliter Adamo von Genua, der zu Rom von der Si - monie gepredigt hatte, mit zwanzig Wunden ermordet in ſeinem Bette gefunden wurde. Alexander hat kaum einen Cardinal außer gegen Erlegung hoher Summen ernannt.
Als aber der Papſt mit der Zeit unter die HerrſchaftCeſare Borgia. ſeines Sohnes gerieth, nahmen die Mittel der Gewalt jenen völlig ſataniſchen Character an, der nothwendig auf die Zwecke zurückwirkt. Was im Kampf gegen die römiſchen Großen und gegen die romagnoliſchen Dynaſten geſchah, überſtieg im Gebiet der Treuloſigkeit und Grauſamkeit ſo - gar dasjenige Maaß, an welches z. B. die Aragoneſen von Neapel die Welt bereits gewöhnt hatten, und auch das Talent der Täuſchung war größer. Vollends grauenhaft iſt die Art und Weiſe, wie Ceſare den Vater iſolirt, indem er den Bruder, den Schwager und andere Verwandte und Höflinge ermordet, ſobald ihm deren Gunſt beim PapſtCultur der Renaiſſance. 81141. Abſchnitt. oder ihre ſonſtige Stellung unbequem wird. Alexander mußte zu der Ermordung ſeines geliebteſten Sohnes, des Duca di Gandia, ſeine Einwilligung geben1)Dieß bei Panvinio (Contin. Platinæ. p. 339): insidiis Cæsaris fratris interfectus … connivente … ad scelus patre. Ge - wiß eine authentiſche Ausſage, gegen welche die Darſtellungen bei Malipiero und Matarazzo (wo dem Giovanni Sforza die Schuld gegeben wird) zurückſtehen müſſen. — Auch die tiefe Erſchütterung Alexanders deutet[auf] Mitſchuld. Vom Auffiſchen der Leiche in der Tiber ſagte Sannazaro: Piscatorem hominum ne te non, Sexte, putemus, Piscaris natum retibus, ecce, tuum. , weil er ſelber ſtündlich vor Ceſare zitterte.
Welches waren nun die tiefſten Pläne des Letztern? Noch in den letzten Monaten ſeiner Herrſchaft, als er eben die Condottieren zu Sinigaglia umgebracht hatte und factiſch Herr des Kirchenſtaates war (1503), äußerte man ſich in ſeiner Nähe leidlich beſcheiden: Der Herzog wolle bloßSeine Abſich - ten Factionen und Tyrannen unterdrücken, Alles nur zum Nutzen der Kirche; für ſich bedinge er ſich höchſtens die Romagna aus, und dabei könne er des Dankgefühles aller folgenden Päpſte ſicher ſein, da er ihnen Orſinen und Co - lonneſen vom Halſe geſchafft2)Macchiavelli, opere, ed. Milan. Vol. V. p. 387. 393. 395, in der Legazione al Duca Valentino. . Aber Niemand wird dieß als ſeinen letzten Gedanken gelten laſſen. Schon etwas weiter ging einmal Papſt Alexander ſelbſt mit der Sprache heraus, in der Unterhaltung mit dem venezianiſchen Ge - ſandten, indem er ſeinen Sohn der Protection von Venedigauf den päpſt - lichen Thron empfahl: „ ich will dafür ſorgen, ſagte er, daß einſt das „ Papſtthum entweder an ihn oder an Eure Republik fällt. “ 3)Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 12, in der Rel. des P. Capello. Wörtlich: „ Der Papſt achtet Venedig wieCeſare freilich fügte bei: es ſolle nur Papſt werden, wen Venedig wolle, und zu dieſem Endzweck brauchten nur die venezianiſchen Cardinäle recht zuſammenzuhalten. Ob er115 damit ſich ſelbſt gemeint, mag dahin geſtellt bleiben; jeden -1. Abſchnitt. falls genügt die Ausſage des Vaters, um ſeine Abſicht auf die Beſteigung des päpſtlichen Thrones zu beweiſen. Wie - derum etwas mehr erfahren wir mittelbar von Lucrezia Borgia, inſofern gewiſſe Stellen in den Gedichten des Ercole Strozza der Nachklang von Aeußerungen ſein dürften, die ſie als Herzogin von Ferrara ſich wohl erlauben konnte. Zunächſt iſt auch hier von Ceſare's Ausſicht auf das Papſtthum die Rede1)Strozzii poetæ, p. 19, in der Venatio des Ercole Strozza: … cui triplicem fata invidere coronam. Dann in dem Trauerge - dicht auf Ceſare's Tod p. 31, seq.: speraretque olim solii decora alta paterni. , allein dazwiſchen tönt etwas von einer gehofften Herrſchaft über Italien im Allgemeinen2)Ebenda: Jupiter habe einſt verſprochen: Affore Alexandri so - bolem, quæ poneret olim Italiæ leges, atque aurea sæcla referret etc. , und am Ende wird angedeutet, daß Ceſare gerade als weltlicher Herrſcher das Größte vorgehabt und deßhalb einſt den Cardinalshut niedergelegt habe3)Ebenda: sacrumque decus maiora parantem Deposuisse. . In der That kann kein Zweifel darüber walten, daß Ceſare, nach Alexan - ders Tode zum Papſt gewählt oder nicht, den Kirchenſtaat um jeden Preis zu behaupten gedachte und daß er dieß,und deſſen Sä - culariſation. nach Allem was er verübt hatte, als Papſt unmöglich auf die Länge vermocht hätte. Wenn irgend Einer, ſo hätte er den Kirchenſtaat ſäculariſirt4)Er war bekanntlich mit einer franzöſiſchen Prinzeſſin aus dem Hauſe Albret vermählt und hatte eine Tochter von ihr; auf irgend eine Weiſe hätte er wohl eine Dynaſtie zu gründen verſucht. Es iſt nicht bekannt, daß er Anſtalten gemacht, den Cardinalshut wieder und hätte es thun müſſen3)keinen Potentaten der Welt, e però desidera, che ella (Signoria di Venezia) protegga il figliuolo, e dice voler fare tale or - dine, che il papato o sia suo, ovvero della Signoria nostra. “ Das suo kann ſich doch wohl nur auf Ceſare beziehen. Das Pron. poſſeſſivum ſtatt des Perſonale ſteht häufig ſo.8*1161. Abſchnitt. um dort weiter zu herrſchen. Trügt uns nicht Alles, ſo iſt dieß der weſentliche Grund der geheimen Sympathie, womit Macchiavell den großen Verbrecher behandelt; von Ceſare oder von Niemand durfte er hoffen, daß er „ das Eiſen aus der Wunde ziehe “, d. h. das Papſtthum, die Quelle aller Intervention und aller Zerſplitterung Italiens zernichte. — Die Intriganten, welche Ceſare zu errathen glaubten, wenn ſie ihm das Königthum von Toscana ſpie - gelten, wies er, ſcheint es mit Verachtung von ſich1)Macchiavelli, a. a. O. S. 334. Pläne auf Siena und eventuell auf ganz Toscana waren vorhanden aber noch nicht ganz gereift; die Zuſtimmung Frankreichs war dazu nothwendig..
Doch alle logiſchen Schlüſſe aus ſeinen Prämiſſen ſind vielleicht eitel — nicht wegen einer ſonderlichen dämoniſchen Genialität, die ihm ſo wenig innewohnte als z. B. dem Herzog von Friedland — ſondern weil die Mittel, die er anwandte, überhaupt mit keiner völlig conſequenten Hand - lungsweiſe im Großen verträglich ſind. Vielleicht hätte in dem Uebermaß von Bosheit ſich wieder eine Ausſicht der Rettung für das Papſtthum aufgethan, auch ohne jenen Zufall, der ſeiner Herrſchaft ein Ende machte.
Die irrationel - len Mittel.Wenn man auch annimmt, daß die Zernichtung aller Zwiſchenherrſcher im Kirchenſtaate dem Ceſare nichts als Sympathie eingetragen hätte, wenn man auch die Schaar die 1503 ſeinem Glücke folgte — die beſten Soldaten und Offiziere Italiens mit Lionardo da Vinci als Ober-Inge - nieur — als Beweis ſeiner großen Ausſichten gelten läßt, ſo gehört doch Anderes wieder ins Gebiet des Irrationellen, ſo daß unſer Urtheil darob irre wird wie das der Zeit - genoſſen. Von dieſer Art iſt beſonders die Verheerung und Mißhandlung des eben gewonnenen Staates2)Macchiavelli, a. a. O. S. 326. 351. 414. — Matarazzo, cro - naca di Perugia, arch. stor. XVI, II. p. 157 und 221: „ Er, den4)anzunehmen, obſchon er (laut Macchiav. a a O. S. 285) auf einen baldigen Tod ſeines Vaters rechnen mußte.117 Ceſare doch zu behalten und zu beherrſchen gedenkt. So -1. Abſchnitt. dann der Zuſtand Roms und der Curie in den letztenErmordungen. Jahren des Pontificates. Sei es, daß Vater und Sohn eine förmliche Proſcriptions-Liſte entworfen hatten1)So Pierio Valeriano, de infelicitate literat., bei Anlaß des Gio - vanni Regio., ſei es, daß die Mordbeſchlüſſe einzeln gefaßt wurden — die Borgia legten ſich auf heimliche Zernichtung aller derer, welche ihnen irgendwie im Wege waren oder deren Erb - ſchaft ihnen begehrenswerth ſchien. Capitalien und fahrende Habe waren noch das wenigſte dabei; viel einträglicher für den Papſt war es, daß die Leibrenten der betreffenden geiſt - lichen Herren erloſchen und daß er die Einkünfte ihrer Aemter während der Vacanz und den Kaufpreis derſelben bei neuer Beſetzung einzog. Der venezianiſche Geſandte Paolo Capello2)Tommaſo Gar, a. a. O. S. 11. meldet im Jahr 1500 wie folgt: „ Jede „ Nacht findet man zu Rom 4 oder 5 Ermordete, nämlich „ Biſchöfe, Prälaten und Andere, ſo daß ganz Rom davor „ zittert, von dem Herzog (Ceſare) ermordet zu werden. “ Er ſelber zog des Nachts mit ſeinen Garden in der er - ſchrockenen Stadt herum3)Paulus Jovius, Elogia, Cæsar Borgia. — In den Commentarii urbani des Raph. Volaterranus enthält Lib. XXII. eine unter Julius II. und doch noch ſehr behutſam abgefaßte Charakteriſtik Alexanders. Hier heißt es: Roma .. nobilis iam carnificina facta erat. , und es iſt aller Grund vor - handen zu glauben, daß dieß nicht bloß geſchah, weil er, wie Tiberius, ſein ſcheußlich gewordenes Antlitz bei Tage nicht mehr zeigen mochte, ſondern um ſeiner tollen Mordluſt ein Genüge zu thun, vielleicht auch an ganz Unbekannten. Schon im Jahr 1499 war die Desperation hierüber ſo groß und allgemein, daß das Volk viele päpſtliche Gardiſten2)wollte, daß ſeine Soldaten ſich nach Belieben einquartirten, ſodaß ſie in Friedenszeiten noch mehr gewannen als Kriege “.1181. Abſchnitt. überfiel und umbrachte1)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 362.. Wem aber die Borgia mit offenerVergiftungen. Gewalt nicht beikamen, der unterlag ihrem Gift. Für diejenigen Fälle, wo einige Discretion nöthig ſchien, wurde jenes ſchneeweiße, angenehm ſchmeckende Pulver2)Paul. Jovius, Histor. II, fol. 47. gebraucht, welches nicht blitzſchnell, ſondern allmälig wirkte und ſich unbemerkt jedem Gericht oder Getränk beimiſchen ließ. Schon Prinz Dſchem hatte davon in einem ſüßen Trank mit bekommen, bevor ihn Alexander an Carl VIII. aus - lieferte (1495), und am Ende ihrer Laufbahn vergifteten ſich Vater und Sohn damit, indem ſie zufällig von dem für einen reichen Cardinal beſtimmten Wein genoſſen. Der officielle Epitomator der Papſtgeſchichte, Onufrio Panvinio3)Panvinius, Epitome pontificum p. 359. Der Giftverſuch gegen den ſpätern Julius II. ſ. p. 363. — Laut Sismondi XIII, 246 ſtarb auch der langjährige Vertraute aller Geheimniſſe, Lopez, Car - dinal von Capua, auf dieſelbe Weiſe; laut Sanuto (bei Ranke, Päpſte, I, S. 52, Anm.) auch der Cardinal von Verona. nennt drei Cardinäle, welche Alexander hat vergiften laſſen (Orſini, Ferrerio und Michiel) und deutet einen vierten an, welchen Ceſare auf ſeine Rechnung nahm (Giovanni Borgia); es möchten aber damals ſelten reichere Prälaten in Rom geſtorben ſein ohne einen Verdacht dieſer Art. Auch ſtille Gelehrte, die ſich in eine Landſtadt zurückge - zogen, erreichte ja das erbarmungsloſe Gift. Es fing an, um den Papſt herum nicht mehr recht geheuer zu werden; Blitzſchläge und Sturmwinde, von welchen Mauern und Gemächer einſtürzten, hatten ihn ſchon früher in auffallender Weiſe heimgeſucht und in Schrecken geſetzt; als 15004)Prato, arch. stor. III, p. 254. ſich dieſe Erſcheinungen wiederholten, fand man darin „ cosaDie letzten Jahre. diabolica “. Das Gerücht von dieſem Zuſtande der Dinge ſcheint durch das ſtarkbeſuchte5)Und ſtark vom Papſt ausgebeutete. Vgl. Chron. Venetum, bei Murat. XXIV, Col. 133. Jubiläum von 1500 doch119 endlich weit unter den Völkern herumgekommen zu ſein und1. Abſchnitt. die ſchmachvolle Ausbeutung des damaligen Ablaſſes that ohne Zweifel das Uebrige um alle Augen auf Rom zu lenken1)Anshelm, Berner Chronik, III, Seite 146 bis 156. — Trithem. Annales Hirsaug. Tom. II, p. 579. 584. 586.. Außer den heimkehrenden Pilgern kamen auch ſonderbare weiße Büßer aus Italien nach dem Norden, darunter verkappte Flüchtlinge aus dem Kirchenſtaat, welche nicht werden geſchwiegen haben. Doch wer kann berechnen, wie lange und hoch das Aergerniß des Abendlandes noch hätte ſteigen müſſen, ehe es für Alexander eine unmittel - bare Gefahr erzeugte. „ Er hätte, ſagt Panvinio anders - „ wo,2)Panvin. contin. Platinæ, p. 341. auch die noch übrigen reichen Cardinäle und Prälaten „ aus der Welt geſchafft um ſie zu erben, wenn er nicht, „ mitten in den größten Abſichten für ſeinen Sohn, dahin - „ gerafft worden wäre “. Und was würde Ceſare gethan haben, wenn er im Augenblicke, da ſein Vater ſtarb, nicht ebenfalls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein Conclave wäre das geworden, wenn er ſich einſtweilen, mit all ſeinen Mitteln ausgerüſtet, durch ein mit Gift zweck - mäßig reducirtes Cardinals-Collegium zum Papſt wählen ließ, zumal in einem Augenblick da keine franzöſiſche Armee in der Nähe geweſen wäre! Die Phantaſie verliert ſich, ſo - bald ſie dieſe Hypotheſen verfolgt, in einen Abgrund.
Statt deſſen folgte das Conclave Pius III. und nachJulius II. deſſen baldigem Tode auch dasjenige Julius II. unter dem Eindruck einer allgemeinen Reaction.
Welches auch die Privatſitten Julius II. ſein mochten, in den weſentlichen Beziehungen iſt er der Retter des Papſt - thums. Die Betrachtung des Ganges der Dinge in den Pontificaten ſeit ſeinem Oheim Sixtus hatte ihm einen tiefen Einblick in die wahren Grundlagen und Bedingungen des päpſtlichen Anſehens gewährt, und danach richtete er1201. Abſchnitt. nun ſeine Herrſchaft ein und widmete ihr die ganze Kraft und Leidenſchaft ſeiner unerſchütterlichen Seele. Ohne Si - monie, unter allgemeinem Beifall ſtieg er die Stufen des Stuhles Petri hinan und nun hörte wenigſtens der eigent - liche Handel mit den höchſten Würden gänzlich auf. JuliusSeine Reaction. hatte Günſtlinge und darunter ſehr unwürdige, allein des Nepotismus war er durch ein beſonderes Glück überhoben: ſein Bruder Giovanni della Rovere war der Gemahl der Erbinn von Urbino, Schweſter des letzten Montefeltro Guidobaldo, und aus dieſer Ehe war ſeit 1491 ein Sohn, Francesco Maria della Rovere vorhanden, welcher zugleich rechtmäßiger Nachfolger im Herzogthum Urbino und päpſt - licher Nepot war. Was nun Julius ſonſt irgend erwarb, im Cabinet oder durch ſeine Feldzüge, das unterwarf er mit hohem Stolz der Kirche und nicht ſeinem Hauſe; den Kirchenſtaat, welchen er in voller Auflöſung angetroffen, hinterließ er völlig gebändigt und durch Parma und Pia - cenza vergrößert. Es lag nicht an ihm, daß nicht auch Ferrara für die Kirche eingezogen wurde. Die 700,000 Ducaten, welche er beſtändig in der Engelsburg liegen hatte, ſollte der Caſtellan einſt Niemanden als dem künftigen Papſt ausliefern. Er erbte die Cardinäle, ja Alle Geiſt - lichen, die in Rom ſtarben und zwar auf rückſichtsloſe Weiſe1)Daher jene Pracht der bei Lebzeiten geſetzten Prälatengräber; ſo entzog man den Päpſten wenigſtens einen Theil der Beute., aber er vergiftete und mordete Keinen. Daß er ſelber zu Felde zog, war für ihn unvermeidlich und hat ihm in Italien ſicher nur genützt zu einer Zeit da man entweder Ambos oder Hammer ſein mußte, und da die Perſönlichkeit mehr wirkte als das beſterworbene Recht. Wenn er aber trotz all ſeines hochbetonten: „ Fort mit den Barbaren! “gleichwohl am meiſten dazu beitrug, daß die Spanier in Italien ſich recht feſtſetzten, ſo konnte dieß für das Papſtthum gleichgültig, ja vielleicht relativ vortheilhaft121 erſcheinen. Oder war nicht bis jetzt von der Krone Spa -1. Abſchnitt. nien am eheſten ein dauernder Reſpect vor der Kirche zu erwarten1)Ob Julius wirklich gehofft hat, Ferdinand der Cath. werde ſich von ihm beſtimmen laſſen, die verdrängte aragoniſche Nebenlinie wieder auf den Thron von Neapel zu ſetzen, bleibt trotz Giovio's Ausſage (Vita Alfonsi Ducis) ſehr zweifelhaft., während die italieniſchen Fürſten vielleicht nur noch frevelhafte Gedanken gegen letztere hegten? — WiePerſönlichkeit. dem aber ſei, der mächtige originelle Menſch, der keinen Zorn herunterſchlucken konnte und kein wirkliches Wohl - wollen verbarg, machte im Ganzen den für ſeine Lage höchſt wünſchbaren Eindruck eines „ Pontefice terribile “. Er konnte ſogar wieder mit relativ gutem Gewiſſen die Beru - fung eines Concils nach Rom wagen, womit dem Concils - Geſchrei der ganzen europäiſchen Oppoſition Trotz geboten war. Ein ſolcher Herrſcher bedurfte auch eines großartigen äußern Symboles ſeiner Richtung; Julius fand daſſelbe im Neubau von St. Peter; die Anlage deſſelben, wie ſie Bramante wollte, iſt vielleicht der größte Ausdruck aller einheitlichen Macht überhaupt. Aber auch in den übrigen Künſten lebt Andenken und Geſtalt dieſes Papſtes im höch - ſten Sinne fort, und es iſt nicht ohne Bedeutung, daß ſelbſt die lateiniſche Poeſie jener Tage für Julius in andere Flammen geräth als für ſeine Vorgänger. Der Einzug in Bologna, am Ende des „ Iter Julii secundi “, von Cardi - nal Adriano da Corneto, hat einen eigenen prachtvollen Ton, und Giovan Antonio Flaminio hat in einer der ſchönſten Elegien2)Beide Gedichte z. B. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi IV, 257 und 297. — Freilich als Julius im Aug. 1511 einmal in mehr - ſtündiger Ohnmacht lag und für todt galt, wagten ſogleich die un - ruhigſten Köpfe aus den vornehmſten Familien — Pompeo Colonna und Antimo Savelli — das „ Volk “aufs Capitol zu rufen und zur Abwerfung der päpſtlichen Herrſchaft anzufeuern, a vendicarsi den Patrioten im Papſt um Schutz für Italien angerufen.
1221. Abſchnitt. Julius hatte durch eine donnernde Conſtitution1)Septimo decretal. L. I, Tit. 3, Cap. 1 bis 3. ſeines lateranenſiſchen Concils die Simonie bei der PapſtwahlLeo X. verboten. Nach ſeinem Tode (1513) wollten die geldluſtigen Cardinäle dieß Verbot dadurch umgehen, daß eine allge - meine Abrede proponirt wurde, wonach die bisherigen Pfründen und Aemter des zu Wählenden gleichmäßig unter ſie vertheilt werden ſollten; ſie würden dann den pfründen - reichſten Cardinal (den ganz untüchtigen Rafael Riario) gewählt haben2)Franc. Vettori, im Arch. stor. VI, 297.. Allein ein Aufſchwung hauptſächlich der jüngern Mitglieder des heil. Collegiums, welche vor Allem einen liberalen Papſt wollten, durchkreuzte jene jämmerliche Combination; man wählte Giovanni Medici, den berühm - ten Leo X.
Wir werden ihm noch öfter begegnen, wo irgend von der Sonnenhöhe der Renaiſſance die Rede ſein wird; hier iſt nur darauf hinzuweiſen, daß unter ihm das Papſtthum wieder große innere und äußere Gefahren erlitt. Darunter iſt nicht zu rechnen die Verſchwörung der Cardinäle Pe - trucci, Sauli, Riario und Corneto, weil dieſe höchſtens einen Perſonenwechſel zur Folge haben konnte; auch fand Leo das wahre Gegenmittel in Geſtalt jener unerhörten Creation von 31 neuen Cardinälen, welche noch dazu einen guten Effect machte, weil ſie zum Theil das wahre Ver - dienſt belohnte.
Pläne auf ganz Italien.Höchſt gefährlich aber waren gewiſſe Wege, auf wel - chen Leo in den zwei erſten Jahren ſeines Amtes ſich be - treten ließ. Durch ganz ernſtliche Unterhandlungen ſuchte er ſeinem Bruder Giuliano das Königreich Neapel und ſeinem Neffen Lorenzo ein großes oberitaliſches Reich zu verſchaffen, welches Mailand, Toscana, Urbino und Ferrara2)in libertà .. a publica ribellione, wie Guicciardini im zehnten Buch meldet.123 umfaßt haben würde1)Franc. Vettori, a. a. O. p. 301. — Arch. stor. append. I, p. 293, s. — Roscoe, Leone X, ed. Bossi VI, p. 232, s. — Tommaso Gar, a. a. O. p. 42.. Es leuchtet ein, daß der Kirchen -1. Abſchnitt. ſtaat, auf ſolche Weiſe eingerahmt, eine mediceiſche Apanage geworden wäre, ja man hätte ihn kaum mehr zu ſäculari - ſiren nöthig gehabt.
Der Plan ſcheiterte an den allgemeinen politiſchen Verhältniſſen; Giuliano ſtarb bei Zeiten; um Lorenzo den - noch auszuſtatten unternahm Leo die Vertreibung des Her - zogs Francesco Maria della Rovere von Urbino, zog ſich durch dieſen Krieg unermeßlichen Haß und Armuth zu, und mußte, als Lorenzo 1519 ebenfalls ſtarb2)Ariosto, sat. VI. vs. 106. Tutti morrete, ed è fatal che muoja Leone appresso … das mühſelig Eroberte an die Kirche geben; er that ruhmlos und ge - zwungen, was ihm, freiwillig gethan, ewigen Ruhm ge - bracht haben würde. Was er dann noch gegen Alfonſo von Ferrara probirte und gegen ein paar kleine Tyrannen und Condottieren wirklich ausführte, war vollends nicht von der Art, welche die Reputation erhöht. Und dieß Alles während die Könige des Abendlandes ſich von JahrDie Großmächte. zu Jahr mehr an ein coloſſales politiſches Kartenſpiel ge - wöhnten, deſſen Einſatz und Gewinn immer auch dieſes oder jenes Gebiet von Italien war3)Eine Combination dieſer Art ſtatt mehrerer: Lettere de' principi I, 46 in einer Pariſer Depeſche des Card. Bibiena 1518.. Wer wollte dafür bürgen, daß ſie nicht, nachdem ihre heimiſche Macht in den letzten Jahrzehnden unendlich gewachſen, ihre Abſichten auch einmal auf den Kirchenſtaat ausdehnen würden? Noch Leo mußte ein Vorſpiel deſſen erleben, was 1527 ſich er - füllte; ein paar Haufen ſpaniſcher Infanterie erſchienen gegen Ende d. J. 1520 — aus eigenem Antrieb, ſcheint es — an den Grenzen des Kirchenſtaates um den Papſt1241. Abſchnitt. einfach zu brandſchatzen1)Franc. Vettori, a. a. O. p. 333., ließen ſich aber durch päpſtliche Truppen zurückſchlagen. Auch die öffentliche Meinung ge - genüber der Corruption der Hierarchie war in den letzten Zeiten raſcher gereift als früher, und ahnungsfähige Men - ſchen wie z. B. der jüngere Pico von Mirandola2)Bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VIII, p. 105 u. f. findet ſich eine Declamation, welche Pico 1517 an Pirkheimer ſandte. Er fürchtet, daß noch unter Leo das Böſe förmlich über das Gute ſiegen möchte, et in te bellum a nostræ religionis hostibus ante audias geri quam parari. , riefen dringend nach Reformen. Inzwiſchen war bereits Luther aufgetreten.
Hadrian VI. Unter Hadrian VI. (1521 — 1523) kamen auch die ſchüchternen und wenigen Reformen gegenüber der großen deutſchen Bewegung ſchon zu ſpät. Er konnte nicht viel mehr als ſeinen Abſcheu gegen den bisherigen Gang der Dinge, gegen Simonie, Nepotismus, Verſchwendung, Ban - ditenweſen und Unſittlichkeit an den Tag legen. Die Ge - fahr vom Lutherthum her erſchien nicht einmal als die größte; ein geiſtvoller venezianiſcher Beobachter, Girolamo Negro, ſpricht Ahnungen eines nahen, ſchrecklichen Unheils für Rom ſelber aus3)Lettere de' principi, I. Rom 17. März 1523: „ Dieſer Staat ſteht aus vielen Gründen auf einer Nadelſpitze, und Gott gebe daß wir nicht bald nach Avignon fliehen müſſen oder bis an die Enden des Oceans. Ich ſehe den Sturz dieſer geiſtlichen Monarchie nahe vor mir … Wenn Gott nicht hilft, ſo iſt es um uns geſchehen “..
Clemens VII. Unter Clemens VII. erfüllt ſich der ganze Horizont von Rom mit Dünſten gleich jenem graugelben Scirocco - ſchleier, welcher dort bisweilen den Spätſommer ſo ver - derblich macht. Der Papſt iſt in der nächſten Nähe wie in der Ferne verhaßt; während das Uebelbefinden der Denkenden fortdauert4)Negro a. a. O. zum 24. Oct. (ſoll Sept. heißen) und 9. Nov. 1526, 11. April 1527., treten auf Gaſſen und Plätzen125 predigende Eremiten auf, welche den Untergang Italiens,1. Abſchnitt. ja der Welt weiſſagen und Papſt Clemens den Antichriſt nennen1)Varchi, stor. fiorent. I, 43. 46, s. ; die colonneſiſche Faction erhebt ihr Haupt in trotzigſter Geſtalt; der unbändige Cardinal Pompeo Colonna, deſſen Daſein2)Paul. Jovius: vita Pomp. Columnæ. allein ſchon eine dauernde Plage für das Papſtthum war, darf Rom (1526) überfallen in der Hoff - nung, mit Hülfe Carls V. ohne Weiteres Papſt zu werden, ſobald Clemens todt oder gefangen wäre. Es war kein Glück für Rom, daß dieſer ſich in die Engelsburg flüchten konnte; das Schickſal aber, für welches er ſelber aufgeſpart ſein ſollte, darf ſchlimmer als der Tod genannt werden.
Durch eine Reihe von Falſchheiten jener Art, welcheDie Verwü - ſtung Roms. nur dem Mächtigen erlaubt iſt, dem Schwächern aber Ver - derben bringt, verurſachte Clemens den Anmarſch des ſpa - niſch-deutſchen Heeres unter Bourbon und Frundsberg (1527). Es iſt gewiß3)Ranke, Deutſche Geſchichte, II, 375 ff. , daß das Cabinet Carls V. ihm eine große Züchtigung zugedacht hatte und daß es nicht voraus berechnen konnte, wie weit ſeine unbezahlten Horden in ihrem Eifer gehen würden. Die Werbung faſt ohne Geld wäre in Deutſchland erfolglos geblieben, wenn man nicht gewußt hätte, es gehe gegen Rom. Vielleicht finden ſich noch irgendwo die ſchriftlichen eventuellen Aufträge an Bourbon und zwar ſolche, die ziemlich gelinde lauten, aber die Geſchichtforſchung wird ſich davon nicht bethören laſſen. Der katholiſche König und Kaiſer verdankte es rein dem Glücke, daß Papſt und Cardinäle nicht von ſeinen Leuten ermordet wurden. Wäre dieß geſchehen, keine Sophiſtik der Welt könnte ihn von der Mitſchuld losſprechen. Der Mord zahlloſer geringern Leute und die Brandſchatzung der Uebrigen mit Hülfe von Tortur und Menſchenhandel zeigen deutlich genug, was beim „ Sacco di Roma “überhaupt möglich war.
1261. Abſchnitt. Den Papſt, der wieder in die Engelsburg geflüchtetFolgen und Re - action. war, wollte Carl V., auch nachdem er ihm ungeheure Summen abgepreßt, wie es heißt, nach Neapel bringen laſſen, und daß Clemens ſtatt deſſen nach Orvieto floh, ſoll ohne alle Connivenz von ſpaniſcher Seite geſchehen ſein1)Varchi, stor. fiorent. II, 43, s. . Ob Carl einen Augenblick an die Säculariſation des Kir - chenſtaates dachte (worauf alle Welt2)Ebenda, und: Ranke, Deutſche Geſch. II, S. 394, Anm. Man glaubte, Carl würde ſeine Reſidenz nach Rom verlegen. gefaßt war), ob er ſich wirklich durch Vorſtellungen Heinrichs VIII. von Eng - land davon abbringen ließ, dieß wird wohl in ewigem Dunkel bleiben.
Wenn aber ſolche Abſichten vorhanden waren, ſo haben ſie in keinem Falle lange angehalten; mitten aus der Ver - wüſtung von Rom ſteigt der Geiſt der kirchlich-weltlichen Reſtauration empor. Augenblicklich ahnte dieß z. B.: Sa - doleto3)Sein Brief an den Papſt, d. d. Carpentras 1. Sept. 1527, in den Anecdota litt. IV, p. 335.. „ Wenn durch unſern Jammer, ſchreibt er, dem „ Zorn und der Strenge Gottes genuggethan iſt, wenn dieſe „ furchtbaren Strafen uns wieder den Weg öffnen zu beſſern „ Sitten und Geſetzen, dann iſt vielleicht unſer Unglück „ nicht das größte geweſen … Was Gottes iſt, dafür mag „ Gott ſorgen, wir aber haben ein Leben der Beſſerung vor „ uns, das uns keine Waffengewalt entreißen mag; richten „ wir nur Thaten und Gedanken dahin, daß wir den wahren „ Glanz des Prieſterthums und unſere wahre Größe und „ Macht in Gott ſuchen. “
Von dieſem kritiſchen Jahre 1527 an war in der That ſo viel gewonnen, daß ernſthafte Stimmen wieder einmal ſich hörbar machen konnten. Rom hatte zuviel gelitten um ſelbſt unter einem Paul III. je wieder das heitere grund - verdorbene Rom Leo's X. werden zu können.
127Sodann zeigte ſich für das Papſtthum, ſobald es ein -1. Abſchnitt. mal tief im Leiden war, eine Sympathie theils politiſcherVerhältniß zu Carl V. theils kirchlicher Art. Die Könige konnten nicht dulden, daß einer von ihnen ſich ein beſonderes Kerkermeiſter-Amt über den Papſt anmaßte und ſchloſſen u. a. zu deſſen Be - freiung den Vertrag von Amiens (18. Aug. 1527). Sie beuteten damit wenigſtens die Gehäſſigkeit aus, welche auf der That der kaiſerlichen Truppen ruhte. Zugleich aber kam der Kaiſer in Spanien ſelbſt empfindlich ins Gedränge, indem ſeine Prälaten und Granden ihm die nachdrücklichſten Vorſtellungen machten ſo oft ſie ihn zu ſehen bekamen. Als eine große allgemeine Aufwartung von Geiſtlichen und Weltlichen in Trauerkleidern bevorſtand, gerieth Carl in Sorgen, es möchte daraus etwas Gefährliches entſtehen in der Art des vor wenigen Jahren gebändigten Comunidaden - Aufruhrs; die Sache wurde unterſagt1)Lettere di principi, I, 72. Caſtiglione an den Papſt, Burgos 10. Dec. 1527.. Er hätte nicht nur die Mißhandlung des Papſtes auf keine Weiſe ver - längern dürfen, ſondern es war, abgeſehen von aller aus - wärtigen Politik, die ſtärkſte Nothwendigkeit für ihn vor - handen, ſich mit dem furchtbar gekränkten Papſtthum zu verſöhnen. Denn auf die Stimmung Deutſchlands, welche ihm wohl einen andern Weg gewieſen hätte, wollte er ſich ſo wenig ſtützen als auf die deutſchen Verhältniſſe über - haupt. Es iſt auch möglich, daß er ſich, wie ein Venezianer meint, durch die Erinnerung an die Verheerung Roms in ſeinem Gewiſſen beſchwert fand2)Tommaso Gar, relaz. della corte di Roma I, 299. , und deßhalb jene SühneDas Sühngeld. beſchleunigte, welche beſiegelt werden mußte durch die blei - bende Unterwerfung der Florentiner unter das Haus des Papſtes, die Medici. Der Nepot und neue Herzog, Aleſſandro Medici, wird vermählt mit der natürlichen Tochter des Kaiſers.
1281. Abſchnitt. In der Folge behielt Carl durch die Concils-Idee das Papſtthum weſentlich in der Gewalt und konnte es zugleich drücken und beſchützen. Jene größte Gefahr aber, die Sä - culariſation, vollends diejenige von innen heraus, durch die Päpſte und ihre Nepoten ſelber, war für Jahrhunderte be - ſeitigt durch die deutſche Reformation. So wie dieſe allein dem Zug gegen Rom (1527) Möglichkeit und Erfolg ver - liehen hatte, ſo nöthigte ſie auch das Papſtthum, wieder der Ausdruck einer geiſtigen Weltmacht zu werden, indemDas Papſt - thum d. Gegen - reformation. es ſich an die Spitze aller ihrer Gegner ſtellen, ſich aus der „ Verſunkenheit in lauter factiſchen Verhältniſſen “empor - raffen mußte. Was nun in der ſpätern Zeit des Clemens VII., unter Paul III., Paul IV. und ihren Nachfolgern mitten im Abfall halb Europa's allmälig heranwächst, iſt eine ganz neue, regenerirte Hierarchie, welche alle großen, gefähr - lichen Aergerniſſe im eigenen Hauſe, beſonders den ſtaaten - gründenden Nepotismus vermeidet und im Bunde mit den katholiſchen Fürſten, getragen von einem neuen geiſtlichen Antrieb, ihr Hauptgeſchäft aus der Wiedergewinnung der Verlorenen macht. Sie iſt nur vorhanden und nur zu verſtehen in ihrem Gegenſatz zu den Abgefallenen. In dieſem Sinne kann man mit voller Wahrheit ſagen, daß das Papſtthum in moraliſcher Beziehung durch ſeine Tod - feinde gerettet worden iſt. Und nun befeſtigte ſich auch ſeine politiſche Stellung, freilich unter dauernder Aufſicht Spaniens, bis zur Unantaſtbarkeit; faſt ohne alle Anſtren - gung erbte es beim Ausſterben ſeiner Vaſallen (der legiti - men Linie von Eſte und des Hauſes della Rovere) die Herzogthümer Ferrara und Urbino. Ohne die Reformation dagegen — wenn man ſie ſich überhaupt wegdenken kann — wäre der ganze Kirchenſtaat wahrſcheinlich ſchon längſt in weltliche Hände übergegangen.
129Zum Schluß betrachten wir noch in Kürze die Rück -1. Abſchnitt. wirkung dieſer politiſchen Zuſtände auf den Geiſt der Nation im Allgemeinen.
Es leuchtet ein, daß die allgemeine politiſche Unſicher -Der Patriotis - mus. heit in dem Italien des XIV. und XV. Jahrhunderts bei den edlern Gemüthern einen patriotiſchen Unwillen und Widerſtand hervorrufen mußte. Schon Dante und Pe - trarca1)Petrarca: epist. fam. I, 3, p. 574, worin er Gott dafür preist als Italiener geboren zu ſein. Sodann: Apologia contra cuius - dam anonymi Galli calumnias, vom J. 1367, p. 1068, s. proclamiren laut ein Geſammt-Italien, auf welches ſich alle höchſten Beſtrebungen zu beziehen hätten. Man wendet wohl ein, es ſei dieß nur ein Enthuſiasmus einzelner Hochgebildeten geweſen, von welchem die Maſſe der Nation keine Kenntniß nahm, allein es möchte ſich damals mit Deutſchland kaum viel anders verhalten haben, obwohl es wenigſtens dem Namen nach die Einheit und einen aner - kannten Oberherrn, den Kaiſer hatte. Die erſte laute lite - rariſche Verherrlichung Deutſchlands (mit Ausnahme einiger Verſe bei den Minneſängern) gehört den Humaniſten der Zeit Maximilians I. an2)Ich meine beſonders die Schriften von Wimpheling, Bebel, u. A. im I. Bande der scriptores des Schardius. und erſcheint faſt wie ein Echo italieniſcher Declamationen. Und doch war Deutſchland früher factiſch in einem ganz andern Grade ein Volk ge - weſen als Italien jemals ſeit der Römerzeit. Frankreich verdankt das Bewußtſein ſeiner Volkseinheit weſentlich erſt den Kämpfen gegen die Engländer, und Spanien hat auf die Länge nicht einmal vermocht, das engverwandte Portugal zu abſorbiren. Für Italien waren Exiſtenz und Lebensbe -Unmöglichkeit der Einheit. dingungen des Kirchenſtaates ein Hinderniß der Einheit im Großen, deſſen Beſeitigung ſich kaum jemals hoffen ließ. Wenn dann im politiſchen Verkehr des XV. Jahrhunderts gleichwohl hie und da des Geſammtvaterlandes mit EmphaſeCultur der Renaiſſance. 91301. Abſchnitt. gedacht wird, ſo geſchieht dieß meiſt nur um einen andern, gleichfalls italieniſchen Staat zu kränken1)Ein Beiſpiel ſtatt vieler: Die Antwort des Dogen von Venedig an einen florentiniſchen Agenten wegen Piſa's 1496, bei Malipiero, ann. veneti, arch. stor. VII, I, p. 427.. Die ganz ernſten, tiefſchmerzlichen Anrufungen an das Nationalgefühl laſſen ſich erſt im XVI. Jahrhundert wieder hören, als es zu ſpät war, als Franzoſen und Spanier das Land über - zogen hatten. Von dem Local-Patriotismus kann man etwa ſagen, daß er die Stelle dieſes Gefühles vertritt ohne daſſelbe zu erſetzen.
In der Beſchaffenheit dieſer Staaten, Republiken wie Ty -2. Abſchnitt. rannien liegt nun zwar nicht der einzige aber der mächtigſte Grund der frühzeitigen Ausbildung des Italieners zum modernen Menſchen. Daß er der Erſtgeborne unter den Söhnen des jetzigen Europas werden mußte, hängt an dieſem Punkte.
Im Mittelalter lagen die beiden Seiten des Bewußt -Gegenſatz zum Mittelalter. ſeins — nach der Welt hin und nach dem Innern des Menſchen ſelbſt — wie unter einem gemeinſamen Schleier träumend oder halbwach. Der Schleier war gewoben aus Glauben, Kindesbefangenheit und Wahn; durch ihn hin - durchgeſehen erſchienen Welt und Geſchichte wunderſam ge - färbt, der Menſch aber erkannte ſich nur als Race, Volk, Partei, Corporation, Familie oder ſonſt in irgend einer Form des Allgemeinen. In Italien zuerſt verweht dieſer Schleier in die Lüfte; es erwacht eine objective Betrach - tung und Behandlung des Staates und der ſämmtlichen Dinge dieſer Welt überhaupt; daneben aber erhebt ſich mit voller Macht das Subjective; der Menſch wird geiſtiges Individuum1)Man beachte die Ausdrücke uomo singolare, uomo unico für die höhere und höchſte Stufe der individuellen Ausbildung. und erkennt ſich als ſolches. So hatte ſich einſt erhoben der Grieche gegenüber den Barbaren, der9*1322. Abſchnitt. individuelle Araber gegenüber den andern Aſiaten als Racenmenſchen. Es wird nicht ſchwer ſein nachzuweiſen, daß die politiſchen Verhältniſſe hieran den ſtärkſten Antheil gehabt haben.
Das Erwachen der Perſönlich - keit.Schon in viel frühern Zeiten giebt ſich ſtellenweiſe eine Entwicklung der auf ſich ſelbſt geſtellten Perſönlichkeit zu erkennen, wie ſie gleichzeitig im Norden nicht ſo vor - kömmt oder ſich nicht ſo enthüllt. Der Kreis kräftiger Frevler des X. Jahrhunderts, welchen Liutprand ſchildert, einige Zeitgenoſſen Gregors VII. (man leſe Benzo von Alba), einige Gegner der erſten Hohenſtaufen zeigen Phyſiogno - mien dieſer Art. Mit Ausgang des XIII. Jahrhunderts aber beginnt Italien plötzlich von Perſönlichkeiten zu wim - meln; der Bann, welcher auf dem Individualismus gele - gen, iſt hier völlig gebrochen; ſchrankenlos ſpecialiſiren ſich tauſend einzelne Geſichter. Dante's große Dichtung wäre in jedem andern Lande ſchon deßhalb unmöglich geweſen, weil das übrige Europa noch unter jenem Banne der Race lag; für Italien iſt der hehre Dichter ſchon durch die Fülle des Individuellen der nationalſte Herold ſeiner Zeit ge - worden. Doch die Darſtellung des Menſchenreichthums in Literatur und Kunſt, die vielartig ſchildernde Characteriſtik wird in beſondern Abſchnitten zu beſprechen ſein; hier han - delt es ſich nur um die pſychologiſche Thatſache ſelbſt. Mit voller Ganzheit und Entſchiedenheit tritt ſie in die Geſchichte ein; Italien weiß im XIV. Jahrhundert wenig von fal - ſcher Beſcheidenheit und von Heuchelei überhaupt; kein Menſch ſcheut ſich davor, aufzufallen, anders zu ſein und zu ſcheinen1)In Florenz gab es um 1390 deßhalb keine herrſchende Mode der männlichen Kleidung mehr, weil Jeder ſich auf beſondere Weiſe zu tragen ſuchte. Vgl. die Canzone des Franco Sacchetti: contro alle nuove foggie, in den Rime, publ. dal Poggiali, p. 52. als die andern.
Die Gewalt - herrſcher.Zunächſt entwickelt die Gewaltherrſchaft, wie wir ſahen,133 im höchſten Grade die Individualität des Tyrannen, des2. Abſchnitt. Condottiere1)Auch wohl die ihrer Gemahlinnen, wie man im Hauſe Sforza und in verſchiedenen oberitaliſchen Herrſcherfamilien bemerkt. Man vgl. in den Claræ mulieres des Jacobus Bergomenſis die Biographien der Battiſta Malateſta, Paola Gonzaga, Orſina Torella, Bona Lom - barda, Riccarda von Eſte und der wichtigern Frauen der Familie Sforza. Es iſt mehr als eine wahre Virago darunter und auch die Ergänzung der individuellen Entwicklung durch hohe humaniſtiſche Cultur fehlt nicht. ſelbſt, ſodann diejenige des vom ihm prote - girten aber auch rückſichtslos ausgenützten Talentes, des Geheimſchreibers, Beamten, Dichters, Geſellſchafters. Der Geiſt dieſer Leute lernt nothgedrungen alle ſeine innern Hülfsquellen kennen, die dauernden wie die des Augen - blickes; auch ihr Lebensgenuß wird ein durch geiſtige Mittel erhöhter und concentrirter, um einer vielleicht nur kurzen Zeit der Macht und des Einfluſſes einen größtmöglichen Werth zu verleihen.
Aber auch die Beherrſchten gingen nicht völlig ohneDie Unterthanen. einen derartigen Antrieb aus. Wir wollen diejenigen ganz außer Berechnung laſſen, welche ihr Leben in geheimem Widerſtreben, in Verſchwörungen verzehrten, und bloß derer gedenken, die ſich darein fügten, reine Privatleute zu blei - ben etwa wie die meiſten Städtebewohner des byzantiniſchen Reiches und der mohammedaniſchen Staaten. Gewiß wurde es z. B. den Unterthanen der Visconti oft ſchwer genug ge - macht, die Würde des Hauſes und der Perſon zu behaupten, und Unzählige mögen durch die Knechtſchaft am ſittlichen Character Einbuße erlitten haben. Nicht ſo an dem, was man individuellen Character nennt, denn gerade innerhalbDeren Privat - leben. der allgemeinen politiſchen Machtloſigkeit gediehen wohl die verſchiedenen Richtungen und Beſtrebungen des Privatlebens um ſo ſtärker und vielſeitiger. Reichthum und Bildung, ſo weit ſie ſich zeigen und wetteifern durften, in Verbin -1342. Abſchnitt. dung mit einer noch immer großen municipalen Freiheit und mit dem Daſein einer Kirche, die nicht, wie in Byzanz und in der islamitiſchen Welt, mit dem Staat identiſch war — alle dieſe Elemente zuſammen begünſtigten ohne Zweifel das Aufkommen individueller Denkweiſen, und gerade die Abweſenheit des Parteikampfes fügte hier die nöthige Muße hinzu. Der politiſch indifferente Privatmenſch mit ſeinen theils ernſten theils dilettantiſchen Beſchäftigungen möchte wohl in dieſen Gewaltſtaaten des XIV. Jahrhunderts zuerſt vollkommen ausgebildet aufgetreten ſein. Urkund - liche Ausſagen hierüber ſind freilich nicht zu verlangen; die Novelliſten, von welchen man Winke erwarten könnte, ſchildern zwar manchen bizarren Menſchen, aber immer nur in ein - ſeitiger Abſicht und nur ſo weit dergleichen die zu erzäh - lende Geſchichte berührt; auch ſpielt ihre Scene vorwiegend in republicaniſchen Städten.
Die Republiken.In dieſen letztern waren die Dinge wieder auf andere Weiſe der Ausbildung des individuellen Characters günſtig. Je häufiger die Parteien in der Herrſchaft abwechſelten, um ſo viel ſtärker war der Einzelne veranlaßt, ſich zuſam - menzunehmen bei Ausübung und Genuß der Herrſchaft. So gewinnen zumal in der florentiniſchen Geſchichte1)Franco Sacchetti, in ſeinem Capitolo (Rime, publ. dal Poggiali, p. 56) zählt um 1390 über hundert Namen von bedeutenden Leuten der herrſchenden Parteien auf, welche bei ſeinen Gedenkzeiten geſtorben ſeien. So viele Mediocritäten darunter ſein mochten, ſo iſt doch das Ganze ein ſtarker Beleg für das Erwachen der Individualität. — Ueber die „ Vite “des Filippo Villani ſ. unten. die Staatsmänner und Volksführer ein ſo kenntliches perſön - liches Daſein wie ſonſt in der damaligen Welt kaum aus - nahmsweiſe Einer, kaum ein Jacob von Arteveldt.
Die Leute der unterlegenen Parteien aber kamen oft in eine ähnliche Stellung wie die Unterthanen der Tyran - nenſtaaten, nur daß die bereits gekoſtete Freiheit oder Herr -135 ſchaft, vielleicht auch die Hoffnung auf deren Wiedergewinn2. Abſchnitt. ihrem Individualismus einen höhern Schwung gab. Gerade unter dieſen Männern der unfreiwilligen Muße findet ſich z. B. ein Agnolo Pandolfini (ſt. 1446), deſſen Schrift „ vom Hausweſen “1)Trattato del governo della famiglia. Es giebt eine neuere Hy - potheſe, wonach dieſe Schrift von dem Baumeiſter L. B. Alberti verfaßt wäre. Vgl. Vasari IV, 54, Nota 5 ed. Lemonnier. — Ueber Pandolfini vgl. Vespas. Fiorent. p. 379. das erſte Programm einer vollendet durchgebildeten Privatexiſtenz iſt. Seine Abrechnung zwi - ſchen den Pflichten des Individuums und dem unſichern und undankbaren öffentlichen Weſen2)Trattato p. 65, s. iſt in ihrer Art ein wahres Denkmal der Zeit zu nennen.
Vollends aber hat die Verbannung die Eigenſchaft,Das Exil. daß ſie den Menſchen entweder aufreibt oder auf das Höchſte ausbildet. „ In all unſern volkreichern Städten, ſagt Gio - „ viano Pontano3)Jov. Pontanus de fortitudine, L. II. Siebzig Jahre ſpäter konnte Cardanus (de vita propria, Cap. 32) bitter fragen: Quid est patria, nisi consensus tyrannorum minutorum ad opprimen - dos imbelles timidos, et qui plerumque sunt innoxii? , ſehen wir eine Menge Leute, die frei - „ willig ihre Heimath verlaſſen haben; die Tugenden nimmt „ man ja überall hin mit. “ In der That waren es bei Weitem nicht bloß förmlich Exilirte, ſondern Tauſende hatten die Vaterſtadt ungeheißen verlaſſen, weil der politiſche oder öconomiſche Zuſtand an ſich unerträglich wurde. Die aus - gewanderten Florentiner in Ferrara, die Luccheſen in Ve - nedig u. ſ. w. bildeten ganze Colonien.
Der Cosmopolitismus, welcher ſich in den geiſtvollſtenDer Cosmopo - litismus. Verbannten entwickelt, iſt eine höchſte Stufe des Indivi - dualismus. Dante findet, wie ſchon erwähnt wurde (S. 76) eine neue Heimath in der Sprache und Bildung Italiens, geht aber doch auch darüber hinaus mit den Worten:1362. Abſchnitt. „ meine Heimath iſt die Welt überhaupt! “1)De vulgari eloquio Lib. I, cap. 6. — Ueber die italieniſche Ideal - ſprache cap. 17. Die geiſtige Einheit der Gebildeten cap. 18. — Aber auch das Heimweh in der berühmten Stelle Purg. VIII, I. u. ff. und Parad. XXV, I. — Und als man ihm die Rückkehr nach Florenz unter unwürdigen Be - dingungen anbot, ſchrieb er zurück: „ kann ich nicht das „ Licht der Sonne und der Geſtirne überall ſchauen? nicht „ den edelſten Wahrheiten überall nachſinnen, ohne deßhalb „ ruhmlos, ja ſchmachvoll vor dem Volk und der Stadt zu „ erſcheinen? nicht einmal mein Brod wird mir fehlen! “ 2)Dantis Alligherii Epistolæ, ed. Carolus Witte, p. 65. Mit hohem Trotz legen dann auch die Künſtler den Accent auf ihre Freiheit vom Ortszwang. „ Nur wer Alles gelernt „ hat, ſagt Ghiberti3)Ghiberti, secondo commentario, cap. XV. (Vasari, ed. Le - monnier, I, p. XXIX. , iſt draußen nirgends ein Fremdling; „ auch ſeines Vermögens beraubt, ohne Freunde, iſt er doch „ der Bürger jeder Stadt und kann furchtlos die Wande - „ lungen des Geſchickes verachten. “ Aehnlich ſagt ein ge - flüchteter Humaniſt: „ Wo irgend ein gelehrter Mann ſeinen „ Sitz aufſchlägt, da iſt gute Heimath4)Codri Urcei vita, vor deſſen Opera. — Freilich grenzt dieß ſchon an das: Ubi bene, ibi patria. Die Maſſe neutralen geiſtigen Genuſſes, der von keiner Oertlichkeit abhängt, und deſſen die gebil - deten Italiener mehr und mehr fähig wurden, erleichterte ihnen das Exil beträchtlich. Uebrigens iſt der Cosmopolitismus ein Zeichen jeder Bildungsepoche, da man neue Welten entdeckt und ſich in der alten nicht mehr heimiſch fühlt. Er tritt bei den Griechen ſehr deutlich hervor nach dem peloponneſiſchen Kriege; Platon war, wie Niebuhr ſagt, kein guter Bürger und Xenophon ein ſchlechter; Dio - genes proclamirte vollends die Heimathloſigkeit als ein wahres Ver - gnügen und nannte ſich ſelber ἄπολις, wie man beim Laertius liest.. “
Vollendung der Perſönlichkeit.Ein ſehr geſchärfter culturgeſchichtlicher Blick dürfte wohl im Stande ſein, im XV. Jahrhundert die Zunahme völlig ausgebildeter Menſchen ſchrittweiſe zu verfolgen. Ob dieſelben das harmoniſche Ausrunden ihres geiſtigen und137 äußern Daſeins als bewußtes, ausgeſprochenes Ziel vor ſich2. Abſchnitt. gehabt, iſt ſchwer zu ſagen; Mehrere aber beſaßen die Sache, ſo weit dieß bei der Unvollkommenheit alles Irdiſchen mög - lich iſt. Mag man auch z. B. verzichten auf eine Geſammt - bilanz für Lorenzo magnifico, nach Glück, Begabung und Character, ſo beobachte man dafür eine Individualität wie die des Arioſto hauptſächlich in ſeinen Satiren. Bis zu welchem Wohllaut ſind da ausgeglichen der Stolz des Menſchen und des Dichters, die Ironie gegen die eigenen Genüſſe, der feinſte Hohn und das tiefſte Wohlwollen.
Wenn nun dieſer Antrieb zur höchſten Ausbildung derDie Vielſeitigen. Perſönlichkeit zuſammentraf mit einer wirklich mächtigen und dabei vielſeitigen Natur, welche ſich zugleich aller Ele - mente der damaligen Bildung bemeiſterte, dann entſtand der „ allſeitige Menſch “, l'uomo universale, welcher aus - ſchließlich Italien angehört. Menſchen von encyclopädiſchem Wiſſen gab es durch das ganze Mittelalter in verſchiedenen Ländern, weil dieſes Wiſſen nahe beiſammen war; ebenſo kommen noch bis ins XII. Jahrhundert allſeitige Künſtler vor, weil die Probleme der Architectur relativ einfach und gleichartig waren und in Sculptur und Malerei die dar - zuſtellende Sache über die Form vorherrſchte. In dem Italien der Renaiſſance dagegen treffen wir einzelne Künſtler, welche in allen Gebieten zugleich lauter Neues und in ſeiner Art Vollendetes ſchaffen und dabei noch als Menſchen den größten Eindruck machen, Andere ſind allſeitig außerhalb der ausübenden Kunſt, ebenfalls in einem ungeheuer weiten Kreiſe des Geiſtigen.
Dante, welcher ſchon bei Lebzeiten von den Einen Poet, von den Andern Philoſoph, von Dritten Theologe genannt wurde1)Boccaccio, vita di Dante, p. 16. , ſtrömt in all ſeinen Schriften eine Fülle von zwingender perſönlicher Macht aus, der ſich der Leſer unter - worfen fühlt auch abgeſehen vom Gegenſtande. Welche Willens -1382. Abſchnitt. kraft ſetzt ſchon die unerſchütterlich gleichmäßige Ausarbei - tung der Divina Commedia voraus. Sieht man aber auf den Inhalt, ſo iſt in der ganzen äußern und geiſtigen Welt kaum ein wichtiger Gegenſtand, den er nicht ergründet hätte und über welchen ſeine Ausſage — oft nur wenige Worte — nicht die gewichtigſte Stimme aus jener Zeit wäre. Für die bildende Kunſt iſt er Urkunde — und wahrlich noch um wichtigerer Dinge willen als wegen ſeiner paar Zeilen über die damaligen Künſtler; bald wurde er aber auch Quelle der Inſpiration1)Die Engel, welche er am Jahrestag von[Beatrice's] Tode auf Täfel - chen zeichnete (Vita nuova, p. 61), könnten wohl mehr als Di - lettantenarbeit geweſen ſein. Lion. Aretino ſagt, er habe egregia - mente gezeichnet und ſei ein großer Liebhaber der Muſik geweſen..
Character des XV. Jahrh.Das XV. Jahrhundert iſt zunächſt vorzüglich das - jenige der vielſeitigen Menſchen. Keine Biographie, welche nicht weſentliche, über den Dilettantismus hinausgehende Nebenbeſchäftigungen des Betreffenden namhaft machte. Der florentiniſche Kaufmann und Staatsmann iſt oft zu - gleich ein Gelehrter in beiden alten Sprachen; die berühm - teſten Humaniſten müſſen ihm und ſeinen Söhnen des Ariſtoteles Politik und Ethik vortragen2)Für dieſes und das Folgende vgl[.]beſ Vespaſiano Fiorentino, für die florentiniſche Bildung des XV. Jahrhunderts eine Quelle erſten Ranges. Hieher p. 359, 379, 401 etc. — Sodann die ſchöne und lehrreiche Vita Jannoctii Manetti (geb. 1396) bei Murat. XX. ; auch die Töchter des Hauſes erhalten eine hohe Bildung, wie denn über - haupt in dieſen Sphären die Anfänge der höhern Privat - erziehung vorzüglich zu ſuchen ſind. Der Humaniſt ſeiner - ſeits wird zur größten Vielſeitigkeit aufgefordert, indem ſein philologiſches Wiſſen lange nicht bloß wie heute der objec - tiven Kenntniß des claſſiſchen Weltalters, ſondern einer täglichen Anwendung auf das wirkliche Leben dienen muß. 139Neben ſeinen plinianiſchen Studien1)Das folgende beiſpielsweiſe aus Perticari's Characteriſtik des Pan - dolfo Collenuccio, bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi III, p. 197, s., und in den Opere del Conte Perticari, Mil. 1823, vol. II. z. B. ſammelt er ein2. Abſchnitt. Muſeum von Naturalien; von der Geographie der Alten aus wird er moderner Kosmograph; nach dem Muſter ihrer Geſchichtſchreibung verfaßt er Zeitgeſchichten; als Ueberſetzer plautiniſcher Comödien wird er wohl auch der Regiſſeur bei den Aufführungen; alle irgend eindringlichen Formen der antiken Literatur bis auf den lucianiſchen Dialog bildet er ſo gut als möglich nach, und zu dem Allen functionirt er noch als Geheimſchreiber und Diplomat, nicht immer zu ſeinem Heil.
Ueber dieſe Vielſeitigen aber ragen einige wahrhaftDie Allſeitigen; L. B. Alberti. Allſeitige hoch empor. Ehe wir die damaligen Lebens - und Bildungs-Intereſſen einzeln betrachten, mag hier, an der Schwelle des XV. Jahrhunderts, das Bild eines jener Gewaltmenſchen ſeine Stelle einnehmen: Leon (Battiſta Alberti. Seine Biographie2)Bei Muratori, XXV, Col. 295, s. Hiezu als Ergänzung Va - sari IV, 52, s. — Ein allſeitiger Dilettant wenigſtens, und zu - gleich in mehreren Fächern Meiſter, war z. B. Mariano Socini, wenn man deſſen Characteriſtik bei Aeneas Sylvius (Opera, p. 622, Epist. 112) Glauben ſchenken darf. — nur ein Fragment — ſpricht von ihm als Künſtler nur wenig und erwähnt ſeine hohe Bedeutung in der Geſchichte der Architectur gar nicht, es wird ſich nun zeigen, was er auch ohne dieſen ſpeciellen Ruhm geweſen iſt.
In allem was Lob bringt, war Leon Battiſta von Kindheit an der Erſte. Von ſeinen allſeitigen Leibesübun - gen und Turnkünſten wird Unglaubliches berichtet, wie er mit geſchloſſenen Füßen den Leuten über die Schultern hinwegſprang, wie er im Dom ein Geldſtück emporwarf, bis man es oben an den fernen Gewölben anklingen hörte,1402. Abſchnitt. wie die wildeſten Pferde unter ihm ſchauderten und zitterten —L. B. Alberti. denn in drei Dingen wollte er den Menſchen untadelhaft erſcheinen: im Gehen, im Reiten und im Reden. Die Muſik lernte er ohne Meiſter, und doch wurden ſeine Com - poſitionen von Leuten des Faches bewundert. Unter dem Drucke der Dürftigkeit ſtudirte er beide Rechte, viele Jahre hindurch, bis zu ſchwerer Krankheit durch Erſchöpfung; und als er im 24ſten Jahre ſein Wort-Gedächtniß ge - ſchwächt, ſeinen Sachenſinn aber unverſehrt fand, legte er ſich auf Phyſik und Mathematik und lernte daneben alle Fertigkeiten der Welt, indem er Künſtler, Gelehrte und Handwerker jeder Art bis auf die Schuſter um ihre Ge - heimniſſe und Erfahrungen befragte. Das Malen und Modelliren — namentlich äußerſt kenntlicher Bildniſſe, auch aus dem bloßen Gedächtniß — ging nebenein. Beſondere Bewunderung erregte der geheimnißvolle Guckkaſten, in welchem er bald die Geſtirne und den nächtlichen Mond - aufgang über Felsgebirgen erſcheinen ließ, bald weite Land - ſchaften mit Bergen und Meeresbuchten bis in duftige Fernen hinein, mit heranfahrenden Flotten, im Sonnenglanz wie im Wolkenſchatten. Aber auch was Andere ſchufen, erkannte er freudig an und hielt überhaupt jede menſchliche Hervorbringung, die irgend dem Geſetze der Schönheit folgte, beinah für etwas Göttliches1)Quicquid ingenio esset hominum cum quadam effectum ele - gantia, id prope divinum ducebat. . Dazu kam eine ſchrift - ſtelleriſche Thätigkeit zunächſt über die Kunſt ſelber, Mark - ſteine und Hauptzeugniſſe für die Renaiſſance der Form, zumal der Architectur. Dann lateiniſche Proſadichtungen, Novellen u. dgl., von welchen man Einzelnes für antik gehalten hat, auch ſcherzhafte Tiſchreden, Elegien und Eclo - gen; ferner ein italieniſches Werk „ vom Hausweſen “in vier Büchern2)Dieſes verlorene Werk iſt es (vgl. S. 135 Anm.), welches von, ja eine Leichenrede auf ſeinen Hund. Seine141 ernſten und ſeine witzigen Worte waren bedeutend genug,2. Abſchnitt. um geſammelt zu werden; Proben davon, viele ColumnenL. B. Alberti. lang, werden in der genannten Lebensſchilderung mitgetheilt. Und Alles was er hatte und wußte, theilte er, wie wahr - haft reiche Naturen immer thun, ohne den geringſten Rück - halt mit, und ſchenkte ſeine größten Erfindungen umſonſt weg. Endlich aber wird auch die tiefſte Quelle ſeines Weſens nahmhaft gemacht: ein faſt nervös zu nennendes, höchſt ſympathiſches Mitleben an und in allen Dingen. Beim Anblick prächtiger Bäume und Erntefelder mußte er weinen; ſchöne, würdevolle Greiſe verehrte er als eine „ Wonne der Natur “und konnte ſie nicht genug betrachten; auch Thiere von vollkommener Bildung genoſſen ſein Wohl - wollen, weil ſie von der Natur beſonders begnadigt ſeien; mehr als einmal, wenn er krank war, hat ihn der Anblick einer ſchönen Gegend geſund gemacht1)In ſeinem Werke De re ædificatoria, L. VIII, cap. 1 findet ſich eine Definition von dem was ein ſchöner Weg heißen könne: si modo mare, modo montes, modo lacum fluentem fontesve, modo aridam rupem aut planitiem, modo nemus vallemque exhibebit. . Kein Wunder wenn die, welche ihn in ſo räthſelhaft innigem Verkehr mit der Außenwelt kennen lernten, ihm auch die Gabe der Vor - ahnung zuſchrieben. Eine blutige Criſis des Hauſes Eſte, das Schickſal von Florenz und das der Päpſte auf eine Reihe von Jahren hinaus ſoll er richtig geweiſſagt haben, wie ihm denn auch der Blick ins Innere des Menſchen, die Phyſiognomik jeden Moment zu Gebote ſtand. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß eine höchſt intenſive Willens - kraft dieſe ganze Perſönlichkeit durchdrang und zuſammen - hielt; wie die Größten der Renaiſſance ſagte auch er: „ Die „ Menſchen können von ſich aus Alles, ſobald ſie wollen. “
Und zu Alberti verhielt ſich Lionardo da Vinci, wie2)Neuern für weſentlich identiſch mit dem Trattato des Pandolfini gehalten wird.1422. Abſchnitt. zum Anfänger der Vollender, wie zum Dilettanten der Meiſter. Wäre nur Vaſari's Werk hier ebenfalls durch eine Schilderung ergänzt wie bei Leon Battiſta! Die un - geheuern Umriſſe von Lionardo's Weſen wird man ewig nur von ferne ahnen können.
Der Ruhm.Der bisher geſchilderten Entwicklung des Individuums entſpricht auch eine neue Art von Geltung nach außen: der moderne Ruhm1)Ein Autor ſtatt Vieler: Blondus, Roma triumphans, L. V, p. 117, s., wo die Definitionen der Gloria aus den Alten geſam - melt ſind und auch dem Chriſten ausdrücklich die Ruhmbegier ge - ſtattet wird. — Cicero's Schrift de gloria, welche noch Petrarca beſaß, iſt bekanntlich ſeitdem verloren gegangen..
Außerhalb Italiens lebten die einzelnen Stände jeder für ſich mit ſeiner einzelnen mittelalterlichen Standesehre. Der Dichterruhm der Troubadours und Minneſänger z. B. exiſtirt nur für den Ritterſtand. In Italien dagegen iſt Gleichheit der Stände vor der Tyrannis oder vor der De - mokratie eingetreten; auch zeigen ſich bereits Anfänge einer allgemeinen Geſellſchaft, die ihren Anhalt an der italieni - ſchen und lateiniſchen Literatur hat, wie hier in vorgreifender Weiſe bemerkt werden muß; dieſes Bodens aber bedurfte es, um jenes neue Element im Leben zum Keimen zu brin - gen. Dazu kam, daß die römiſchen Autoren, welche man emſig zu ſtudiren begann, von dem Begriff des Ruhmes erfüllt und getränkt ſind und daß ſchon ihr Sachinhalt — das Bild der römiſchen Weltherrſchaft — ſich dem italie - niſchen Daſein als dauernde Parallele aufdrängte. Fortan iſt alles Wollen und Vollbringen der Italiener von einer ſittlichen Vorausſetzung beherrſcht, die das übrige Abend - land noch nicht kennt.
Dante.Wiederum muß zuerſt Dante gehört werden, wie bei143 allen weſentlichen Fragen. Er hat nach dem Dichterlorbeer1)Paradiſo XXV, Anfang: Se mai continga etc. — Vgl. Boccac - cio, vita di Dante, p. 49. Vaghissimo fu e d'onore e di pompa, e per avventura più che alla sua inclita virtù non si sarebbe richiesto. 2. Abſchnitt. geſtrebt mit aller Kraft ſeiner Seele; auch als Publiciſt und Literator hebt er hervor, daß ſeine Leiſtungen weſent - lich neu, daß er der erſte auf ſeinen Bahnen nicht nur ſei, ſondern heißen wolle2)De vulgari eloquio, L. I, Cap. I. Ganz beſonders de Monar - chia, L. I. Cap. I, wo er den Begriff der Monarchie darſtellen will, nicht bloß um der Welt nützlich zu ſein, ſondern auch: ut palmam tanti bravii primus in meam gloriam adipiscar. . Doch berührt er ſchon in ſeinen Proſaſchriften auch die Unbequemlichkeiten eines hohen Ruhmes; er weiß, wie Manche bei der perſönlichen Bekanntſchaft mit dem berühmten Mann unbefriedigt blei - ben, und ſetzt auseinander, daß hieran theils die kindiſche Phantaſie der Leute, theils der Neid, theils die eigene Un - lauterheit des Betreffenden Schuld ſei3)Convito, ed. Venezia 1529, fol. 5 und 6.. Vollends aber hält ſein großes Gedicht die Anſchauung von der Nichtigkeit des Ruhmes feſt, wenn gleich in einer Weiſe, welche ver - räth, daß ſein Herz ſich noch nicht völlig von der Sehnſucht danach losgemacht. Im Paradies iſt die Sphäre des Mercur der Wohnſitz ſolcher Seligen4)Paradiso VI, 112, s. , die auf Erden nach Ruhm geſtrebt und dadurch den „ Strahlen der wahren Liebe “Eintrag gethan haben. Hochbezeichnend aber iſt, daß die armen Seelen im Inferno von Dante verlangen, er möge ihr Andenken, ihren Ruhm auf Erden erneuern und wach halten5)Z. B.: Inferno VI, 89. XIII, 53. XVI, 85. XXXI, 127. , während diejenigen im Purgatorio nur um Für - bitte flehen6)Purgatorio V, 70. 87. 133. VI, 26. VIII, 71. XI, 31. XIII, 147. ; ja in einer berühmten Stelle7)Purgatorio XI, 79 — 117. Außer gloria finden ſich hier beiſam - wird die1442. Abſchnitt. Ruhmbegier — lo gran disio dell 'eccellenza — ſchon deßhalb verworfen, weil der geiſtige Ruhm nicht abſolut, ſondern von den Zeiten abhängig ſei und je nach Umſtänden durch größere Nachfolger überboten und verdunkelt werde.
Die Celebrität d. Humaniſten.Raſch bemächtigt ſich nun das neu aufkommende Ge - ſchlecht von Poeten-Philologen, welches auf Dante folgt, des Ruhmes in doppeltem Sinn: indem ſie ſelber die aner - kannteſten Berühmtheiten Italiens werden und zugleich als Dichter und Geſchichtſchreiber mit Bewußtſein über den Ruhm Anderer verfügen. Als äußeres Symbol dieſer Art von Ruhm gilt beſonders die Poetenkrönung, von welcher weiter die Rede ſein wird.
Ein Zeitgenoſſe Dante's, Albertinus Muſattus oder Muſſatus, zu Padua von Biſchof und Rector als Dichter gekrönt, genoß bereits einen Ruhm, der an die Vergötterung ſtreifte; jährlich am Weihnachtstage kamen Doctoren und Scholaren beider Collegien der Univerſität in feierlichem Aufzug mit Poſaunen und, ſcheint es, mit brennenden Kerzen vor ſein Haus um ihn zu begrüßen1)Scardeonius, de urb. Patav. antiq. (Graev. Thesaur. VI, III, Col. 260). Ob cereis, muneribus oder etwa certis muneribus zu leſen, laſſe ich dahingeſtellt. und zu be - ſchenken. Die Herrlichkeit dauerte bis er (1318) bei dem regierenden Tyrannen aus dem Hauſe Carrara in Un - gnade fiel.
Petrarca.In vollen Zügen genießt auch Petrarca den neuen, früher nur für Helden und Heilige vorhandenen Weihrauch und überredet ſich ſogar in ſeinen ſpätern Jahren, daß ihm derſelbe ein nichtiger und läſtiger Begleiter ſcheine. Sein7)ſammen: Grido, fama, rumore, nominanza, onore, lauter Um - ſchreibungen derſelben Sache. — Boccaccio dichtete, wie er in dem Brief an Joh. Pizinga (Opere volgari, Vol. XVI. ) geſteht, perpetuandi nominis desiderio. 145 Brief „ an die Nachwelt “1)Epistola de origine et vita etc., am Eingang der Opera: „ Franc. Petrarca Posteritati salutem “. Gewiſſe neuere Tadler von P.'s Eitelkeit würden an ſeiner Stelle ſchwerlich ſo viele Güte und Offenheit behalten haben wie er. iſt die Rechenſchaft des alten,2. Abſchnitt. hochberühmten Mannes, der die öffentliche Neugier zufrie - den ſtellen muß; bei der Nachwelt möchte er wohl Ruhm genießen, bei den Zeitgenoſſen aber ſich lieber denſelben verbitten2)Opera, p. 177: de celebritate nominis importuna. ; in ſeinen Dialogen von Glück und Unglück3)De remediis utriusque fortunæ, passim. hat bei Anlaß des Ruhmes der Gegenredner, welcher deſſen Nichtigkeit beweist, den ſtärkern Accent für ſich. Soll man es aber ſtrenge nehmen, wenn es Petrarca noch immer freut, daß der paläologiſche Autokrator von Byzanz4)Epist. seniles III, 5. Einen Maßſtab von Petrarca's Ruhm giebt z. B. Blondus (Italia illustrata, p. 416) hundert Jahre nachher, durch ſeine Verſicherung, daß auch kaum ein Gelehrter mehr etwas von König Robert dem Guten wüßte, wenn Petrarca ſeiner nicht ſo oft und freundlich gedacht hätte. ihn durch ſeine Schriften ſo genau kennt wie Kaiſer Carl IV. ihn kennt? Denn in der That ging ſein Ruf ſchon bei Lebzeiten über Italien hinaus. Und empfand er nicht eine gerechte Rührung als ihn bei einem Beſuch in ſeiner Hei - math Arezzo die Freunde zu ſeinem Geburtshaus führtenCultus der Ge - burtshäuſer. und ihm meldeten, die Stadt ſorge dafür, daß nichts daran verändert werden dürfe? 5)Epist. seniles XIII, 3. p. 918. Früher feierte und conſervirte man die Wohnungen einzelner großer Heiligen, wie z. B. die Zelle des S. Thomas von Aquino bei den Domini - canern in Neapel, die Portiuncula des S. Franciscus bei Aſſiſi; höchſtens genoſſen noch einzelne große Rechtsgelehrte jenes halbmythiſche Anſehen, welches zu dieſer Ehre führte; ſo benannte das Volk noch gegen Ende des XIV. Jahr - hunderts zu Bagnolo unweit Florenz ein altes GebäudeCultur der Renaiſſance. 101462. Abſchnitt. als „ Studio “des Accurſius (geb. um 1150), ließ aber doch geſchehen, daß es zerſtört wurde1)Filippo Villani, vite, p. 19. . Wahrſcheinlich frappirten die hohen Einnahmen und die politiſchen Ver - bindungen einzelner Juriſten (als Conſulenten und Deduc - tionenſchreiber) die Einbildungskraft der Leute auf lange hinaus.
Cultus der Gräber.Zum Cultus der Geburtshäuſer gehört der der Gräber berühmter Leute2)Beides beiſammen in der Grabſchrift auf Boccaccio: Nacqui in Firenze al Pozzo Toscanelli; Di fuor sepolto a Certaldo giaccio, etc. — Vgl. Opere volgari di Bocc., vol. XVI, p. 44. ; für Petrarca kommt auch noch der Ort wo er geſtorben überhaupt hinzu, indem Arquato ſeinem Andenken zu Ehren ein Lieblings-Aufenthalt der Paduaner und mit zierlichen Wohngebäuden geſchmückt wurde3)Mich. Savonarola, de laudibus Patavii, bei Murat. XXIV, Col. 1157. — zu einer Zeit da es im Norden noch lange keine „ claſſiſchen Stellen “ſondern nur Wallfahrten zu Bildern und Reli - quien gab. Es wurde Ehrenſache für die Städte, die Ge - beine eigener und fremder Celebritäten zu beſitzen, und man erſtaunt zu ſehen, wie ernſtlich die Florentiner ſchon im XIV. Jahrhundert — lange vor S. Croce — ihren Dom zum Pantheon zu erheben ſtrebten. Accorſo, Dante, Petrarca, Boccaccio und der Juriſt Zanobi della Strada ſollten dort Prachtgräber erhalten4)Der motivirte Staatsbeſchluß von 1396 bei Gaye, carteggio, I, p. 123. . Noch ſpät im XV. Jahrhundert verwandte ſich Lorenzo magnifico in Perſon bei den Spole - tinern, daß ſie ihm die Leiche des Malers Fra Filippo Lippi für den Dom abtreten möchten, und erhielt die Antwort: ſie hätten überhaupt keinen Ueberfluß an Zierden, beſonders nicht an berühmten Leuten, weßhalb er ſie verſchonen möge; in der That mußte man ſich mit einem Kenotaphium be - gnügen. Und auch Dante blieb trotz allen Verwendungen,147 zu welchen ſchon Boccaccio mit emphatiſcher Bitterkeit die2. Abſchnitt. Vaterſtadt aufſtachelte1)Boccaccio, vita di Dante, p. 39. , ruhig bei S. Francesco in Ra - venna ſchlafen, „ zwiſchen uralten Kaiſergräbern und Heiligen - „ grüften, in ehrenvollerer Geſellſchaft als du, o Heimath, „ ihm bieten könnteſt “. Es kam ſchon damals vor, daß ein wunderlicher Menſch ungeſtraft die Lichter vom Altar des Crucifixes wegnahm und ſie an das Grab ſtellte mit den Worten: Nimm ſie, du biſt ihrer würdiger als Jener — der Gekreuzigte2)Franco Sacchetti, Nov. 121. .
Nunmehr gedenken auch die italiſchen Städte wiederBerühmte Männer des Alterthums. ihrer Mitbürger und Einwohner aus dem Alterthum. Neapel hatte vielleicht ſein Grab Virgil's nie ganz vergeſſen, ſchon weil ſich ein halbmythiſcher Begriff an den Namen geknüpft hatte. Padua glaubte vollends noch im XVI. Jahrhundert nicht nur die echten Gebeine ſeines trojaniſchen Gründers Antenor, ſondern auch die des Titus Livius zu beſitzen3)Erſtere in dem bekannten Sarcophag bei S. Lorenzo, letztere am Palazzo della ragione über einer Thür. Das Nähere über deren Auffindung 1413 ſ. bei Misson, voyage en Italie, vol. I. . „ Sulmona, ſagt Boccaccio4)Vita di Dante, l. c. Wie die Leiche des Caſſius nach der Schlacht bei Philippi wieder nach Parma gelangt ſein mag?, klagt, daß Ovid „ fern in der Verbannung begraben ſei, Parma freut ſich, „ daß Caſſius in ſeinen Mauern ſchlummere “. Die Man - tuaner prägten im XIV. Jahrhundert eine Münze mit dem Bruſtbild Virgil's und ſtellten eine Statue auf, die ihn vorſtellen ſollte; aus mittelalterlichem Junkerhochmuth5)Nobilitatis fastu, und zwar sub obtentu religionis, ſagt Pius II. (Comment. X, p. 473). Die neue Gattung von Ruhm mußte wohl vielen Leuten unbequem erſcheinen, die an Anderes gewöhnt waren. ließ ſie der Vormund des damaligen Gonzaga, Carlo Ma - lateſta, 1392 umſtürzen und mußte ſie, weil der Ruhm10*1482. Abſchnitt. des alten Dichters ſtärker war, wieder aufrichten laſſen. Vielleicht zeigte man ſchon damals zwei Miglien von der Stadt die Grotte, wo einſt Virgil meditirt haben ſollte1)Vgl. Keyßler's Neueſte Reiſen, p. 1016. , gerade wie bei Neapel die Scuola di Virgilio. Como eignete ſich die beiden Plinius zu2)Der ältere war bekanntlich von Verona. und verherrlichte ſie gegen Ende des XV. Jahrhunderts durch ſitzende Statuen in zierlichen Baldachinen an der Vorderſeite ſeines Domes.
Der Ruhm in der Topogra - phie.Auch die Geſchichtſchreibung und die neugeborene To - pographie richten ſich fortan darauf ein, keinen einheimiſchen Ruhm mehr unverzeichnet zu laſſen, während die nordiſchen Chroniken nur erſt hie und da zwiſchen Päpſten, Kaiſern, Erdbeben und Kometen die Bemerkung machen, zu dieſer Zeit habe auch dieſer oder jener berühmte Mann „ geblüht “. Wie ſich eine ausgezeichnete Biographik, weſentlich unter der Herrſchaft des Ruhmes-Begriffes, entwickelte, wird bei einem andern Anlaß zu betrachten ſein; hier beſchränken wir uns auf den Ortspatriotismus des Topographen, der die Ruhmesanſprüche ſeiner Stadt verzeichnet.
Im Mittelalter waren die Städte ſtolz geweſen auf ihre Heiligen und deren Leichen und Reliquien in den Kirchen3)So verhält es ſich auch weſentlich noch in der merkwürdigen Schrift: De laudibus Papiæ (bei Murat. X.) aus dem XIV. Jahrh. ; viel municipaler Stolz aber noch kein ſpecieller Ruhm.. Damit beginnt auch noch der Panegyriſt vonPadua und M. Savonarola. Padua um 1450, Michele Savonarola4)De laudibus Patavii, bei Murat. XXIV, Col. 1151, ff. ſeine Aufzählung; dann aber geht er über auf „ berühmte Männer, welche keine Heiligen geweſen ſind, jedoch durch ausgezeichneten Geiſt und hohe Kraft (virtus) verdient haben, den Heiligen ange - ſchloſſen zu werden (adnecti) “— ganz wie im Alterthum der berühmte Mann an den Heros angrenzt5)Nam et veteres nostri tales aut Divos aut æterna memoria. Die weitere149 Aufzählung iſt für jene Zeit bezeichnend im höchſten Grade. 2. Abſchnitt. Zuerſt folgen Antenor, der Bruder des Priamus, der mit einer Schaar flüchtiger Troer Padua gegründet; König Dardanus, der den Attila in den euganeiſchen Bergen be - ſiegte, ihn weiter verfolgte und zu Rimini mit einem Schachbrett todtſchlug; Kaiſer Heinrich IV., der den Dom erbaut hat; ein König Marcus, deſſen Haupt in MonſeliceLegende und Geſchichte. aufbewahrt wird; — dann ein paar Cardinäle und Prä - laten als Stifter von Pfründen, Collegien und Kirchen; der berühmte Theologe Fra Alberto der Auguſtiner; eine Reihe von Philoſophen mit Paolo Veneto und dem welt - bekannten Pietro von Abano beginnend; der Juriſt Paolo Padovano; ſodann Livius, und die Dichter Petrarca, Muſſato, Lovato. Wenn an Kriegs-Celebritäten einiger Mangel zu verſpüren, ſo tröſtet ſich der Autor mit dem Erſatz von gelehrter Seite und mit der größern Dauer - haftigkeit des geiſtigen Ruhmes, während der Kriegsruhm oft mit dem Leibe begraben werde und, wenn er daure, dieß doch nur den Gelehrten verdanke. Immerhin aber gereiche es der Stadt zur Ehre, daß wenigſtens berühmte auswärtige Krieger auf eigenes Begehren in ihr begraben lägen: ſo Pietro de Roſſi von Parma, Filippo Arcelli von Piacenza, beſonders Gattamelata von Narni (ſt. 1442), deſſen ehernes Reiterbild „ gleich einem triumphirenden Cäſar “bereits bei der Kirche des Santo aufgerichtet ſtand. Dann nennt der Verfaſſer Schaaren von Juriſten und Medicinern, Adlige, welche nicht bloß wie ſo viele „ die Ritterwürde empfangen ſondern ſie auch verdient hatten “, endlich berühmte Mechaniker, Maler und Tonkünſtler. Den Beſchluß macht ein Fechtmeiſter Michele Roſſo, welcher als der berühmteſte ſeines Faches an vielen Orten gemalt zu ſehen war.
5)dignos non immerito prædicabant. Quum virtus summa sancti - tatis sit consocia et pari emantur pretio.
1502. Abſchnitt. Neben ſolchen localen Ruhmeshallen, bei deren Aus -Allgemeines Pantheon. ſtattung Mythus, Legende, literariſch hervorgebrachte Re - nommee und populäres Erſtaunen zuſammenwirken, bauen die Poeten-Philologen an einem allgemeinen Pantheon des Weltruhms; ſie ſchreiben Sammelwerke: von berühmten Männern, von berühmten Frauen, oft in unmittelbarer Abhängigkeit von Corn. Nepos, Pſeudo-Sueton, Valerius Maximus, Plutarch (Mulierum virtutes) u. ſ. w. Oder ſie dichten von viſionären Triumphzügen und idealen, olym - piſchen Verſammlungen, wie Petrarca namentlich in ſeinem Trionfo della fama, Boccaccio in ſeiner Amoroſa viſione, mit hunderten von Namen, wovon mindeſtens drei Vier - theile dem Alterthum, die übrigen dem Mittelalter ange - hören1)In den casus virorum illustrium des Boccaccio gehört nur das letzte, neunte Buch der nachantiken Zeit an. Ebenſo noch viel ſpäter in den Commentarii urbani des Raph. Volaterranus nur das 21ſte Buch, welches das neunte der Anthropologie iſt; Päpſte und Kaiſer behandelt er im 22. und 23. Buch beſonders. — In dem Werke „ de claris mulieribus “des Auguſtiners Jacobus Bergomenſis (um 1500) überwiegt das Alterthum und noch mehr die Legende, dann folgen aber einige werthvolle Biogra - phien von Italienerinnen. Bei Scardeonius (de urb. Patav. antiq., Græv. thesaur. VI, III, Col. 405, s.) werden lauter be - rühmte Paduanerinnen aufgezählt: Zuerſt eine Legende oder eine Sage aus der Völkerwanderung; dann leidenſchaftliche Tragödien aus den Parteikämpfen des XIII. und XIV. Jahrh; hierauf an - dere kühne Heldenweiber; die Kloſterſtifterin, die politiſche Rathge - berin, die Aerztin, die Mutter vieler und ausgezeichneter Söhne, die gelehrte Frau, das Bauermädchen das für ſeine Unſchuld ſtirbt, endlich die ſchöne hochgebildete Frau des XVI. Jahrh., auf welche Jedermann Gedichte macht; zum Schluß die Dichterin und Novel - liſtin. Ein Jahrhundert ſpäter wäre zu all dieſen berühmten patavi - niſchen Frauen noch die Profeſſorin hinzugekommen. — Die berühm - ten Frauen des Hauſes Eſte, bei Arioſto, Orl. XIII. . Allmälig wird dieſer neuere, relativ moderne Beſtandtheil mit größerem Nachdruck behandelt; die Ge - ſchichtſchreiber legen Characteriſtiken in ihre Werke ein, und151 es entſtehen Sammlungen von Biographien berühmter Zeit -2. Abſchnitt. genoſſen wie die von Filippo Villani, Vespaſiano Fiorentino und Bartolommeo Facio1)Die viri illustres des B. Facius, herausg. von Mehus, eines der wichtigſten Werke dieſer Art aus dem XV. Jahrh., habe ich leider nie zu ſehen bekommen., zuletzt die von Paolo Giovio.
Der Norden aber beſaß, bis Italien auf ſeine AutorenDer Ruhm im Norden. (z. B. auf Trithemius) einwirkte, nur Legenden der Hei - ligen und vereinzelte Geſchichten und Beſchreibungen von Fürſten und Geiſtlichen, die ſich noch deutlich an die Le - gende anlehnen und vom Ruhm, d. h. von der perſönlich errungenen Notorietät weſentlich unabhängig ſind. Der Dichterruhm beſchränkt ſich noch auf beſtimmte Stände und die Namen der Künſtler erfahren wir im Norden faſt aus - ſchließlich nur inſofern ſie als Handwerker und Zunft - menſchen auftreten.
Der Poet-Philolog in Italien hat aber, wie bemerkt,Die Literatur als Austheile - rin d. Ruhmes. auch ſchon das ſtärkſte Bewußtſein davon, daß er der Aus - theiler des Ruhmes, ja der Unſterblichkeit ſei; und ebenſo der Vergeſſenheit2)Schon ein lateiniſcher Sänger des XII. Jahrh. — ein fahrender Scholar der mit ſeinem Lied um ein Kleid bettelt — droht damit. S. Carmina Burana, p. 76.. Schon Boccaccio klagt über eine von ihm gefeierte Schöne, welche hartherzig blieb um immer weiter von ihm beſungen und dadurch berühmt zu werden, und verdeutet ihr, er wolle es fortan mit dem Tadel ver - ſuchen3)Boccaccio, opere volgari, Vol. XVI, im 13. Sonett: Pallido, vinto etc. . Sannazaro droht dem vor Carl VIII. feig ge - flohenen Alfonſo von Neapel in zwei prächtigen Sonetten mit ewiger Obscurität4)U. a. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi IV, p. 203.. Angelo Poliziano mahnt (1491) den König Johann von Portugal5)Angeli Politiani epp. Lib. X. in Betreff der Ent - deckungen in Africa ernſtlich daran, bei Zeiten für Ruhm und Unſterblichkeit zu ſorgen und ihm das Material „ zum1522. Abſchnitt. Styliſiren “(operosius excolenda) nach Florenz zu über - ſenden; ſonſt möchte es ihm ergehen wie all Jenen, deren Thaten, von der Hülfe der Gelehrten entblößt, „ im großen „ Schutthaufen menſchlicher Gebrechlichkeit verborgen liegen „ bleiben “. Der König (oder doch ſein humaniſtiſch ge - ſinnter Kanzler) ging darauf ein und verſprach wenigſtens, es ſollten die bereits portugieſiſch abgefaßten Annalen über die africaniſchen Dinge in italieniſcher Ueberſetzung nach Florenz zur lateiniſchen Bearbeitung verabfolgt werden; ob dieß wirklich geſchah, iſt nicht bekannt. So ganz leer, wie dergleichen Prätenſionen auf den erſten Blick ſcheinen, ſind ſie keinesweges; die Redaction, in welcher die Sachen (auch die wichtigſten) vor Mit - und Nachwelt treten, iſt nichts weniger als gleichgültig. Die italieniſchen Humaniſten mit ihrer Darſtellungsweiſe und ihrem Latein haben lange genug die abendländiſche Leſewelt wirklich beherrſcht und auch die italieniſchen Dichter ſind bis ins vorige Jahrhundert weiter in allen Händen herumgekommen als die irgend einer Na - tion. Der Taufname des Amerigo Vespucci von Florenz wurde ſeiner Reiſebeſchreibung wegen zum Namen des vierten Welttheils, und wenn Paolo Giovio mit all ſeiner Flüchtigkeit und eleganten Willkür ſich dennoch die Unſterb - lichkeit verſprach1)Paul. Jov. de romanis piscibus, Præfatio (1525): Die erſte Decade ſeiner Hiſtorien werde nächſtens herauskommen non sine aliqua spe immortalitatis. , ſo iſt er dabei nicht ganz fehlgegangen.
Unbedingte Ruhmſucht.Neben ſolchen Anſtalten den Ruhm äußerlich zu ga - rantiren, wird hie und da ein Vorhang hinweg gezogen und wir ſchauen den coloſſalſten Ehrgeiz und Durſt nach Größe, unabhängig von Gegenſtand und Erfolg, in er - ſchreckend wahrem Ausdruck. So in Macchiavell's Vorrede zu ſeinen florentiniſchen Geſchichten, wo er ſeine Vorgänger (Lionardo Aretino, Poggio) tadelt wegen des allzurückſichts - vollen Schweigens in Betreff der ſtädtiſchen Parteiungen. 153„ Sie haben ſich ſehr geirrt und bewieſen, daß ſie den Ehr -2. Abſchnitt. „ geiz der Menſchen und die Begier nach Fortdauer des „ Namens wenig kannten. Wie Manche, die ſich durch „ Löbliches nicht auszeichnen konnten, ſtrebten danach durch „ Schmähliches! Jene Schriftſteller erwogen nicht, daß „ Handlungen, welche Größe an ſich haben, wie dieß bei „ den Handlungen der Regenten und Staaten der Fall iſt, „ immer mehr Ruhm als Tadel zu bringen ſcheinen, welcher „ Art ſie auch ſeien und welches der Ausgang ſein möge1)Hiezu vgl. Discorſi I. 27. Die tristizia, Verbrechen, kann gran - dezza haben und in alcuna parte generosa ſein; die grandezza kann von einer That jede infamia entfernen; der Menſch kann onorevolmente tristo ſein, im Gegenſatz zum perfettamente buono. . “ Bei mehr als einem auffallenden und ſchrecklichen Unter - nehmen wird von beſonnenen Geſchichtſchreibern als Beweg - grund das brennende Verlangen nach etwas Großem undDas Heroſtratiſche. Denkwürdigem angegeben. Hier offenbart ſich nicht eine bloße Ausartung der gemeinen Eitelkeit, ſondern etwas wirklich Dämoniſches, d. h. Unfreiheit des Entſchluſſes ver - bunden mit Anwendung der äußerſten Mittel und Gleich - gültigkeit gegen den Erfolg als ſolchen. Macchiavell ſelber faßt z. B. den Character des Stefano Porcari (S. 105) ſo auf2)Storie fiorentine, L. VI. ; von den Mördern des Galeazzo Maria Sforza (S. 57) ſagen ungefähr daſſelbe die Actenſtücke; die Er - mordung des Herzogs Aleſſandro von Florenz (1537) ſchreibt ſelbſt Varchi (im V. Buch) der Ruhmſucht des Thäters Lorenzino Medici (S. 60) zu. Noch viel ſchärfer hebt aber Paolo Giovio3)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Marius Molſa. dieß Motiv hervor; Lorenzino, wegen der Verſtümmelung antiker Statuen in Rom durch ein Pamphlet des Molza an den Pranger geſtellt, brütet über einer That, deren „ Neuheit “jene Schmach in Ver - geſſenheit bringen ſollte, und ermordet ſeinen Verwandten1542. Abſchnitt. und Fürſten. — Es ſind echte Züge dieſer Zeit hoch auf - geregter, aber bereits verzweifelnder Kräfte und Leiden - ſchaften, ganz wie einſt die Brandſtiftung im Tempel von Epheſus zur Zeit des Philipp von Macedonien.
Spott u. Witz.Das Correctiv nicht nur des Ruhmes und der modernen Ruhmbegier, ſondern des höher entwickelten Individualismus überhaupt iſt der moderne Spott und Hohn, womöglich in der ſiegreichen Form des Witzes. Wir erfahren aus dem Mittelalter, wie feindliche Heere, verfeindete Fürſten und Große einander mit ſymboliſchem Hohn auf das Aeußerſte reizen, oder wie der unterlegene Theil mit höchſter ſymbo - liſcher Schmach beladen wird. Daneben beginnt in theo - logiſchen Streitigkeiten ſchon hie und da, unter dem Ein - fluß antiker Rhetorik und Epiſtolographie, der Witz eine Waffe zu werden und die provenzaliſche Poeſie entwickelt eine eigene Gattung von Trotz - und Hohnliedern; auch den Minneſingern fehlt gelegentlich dieſer Ton nicht, wie ihreDer Spott und das Indivi - duum. politiſchen Gedichte zeigen1)Das Mittelalter iſt reich an ſogenannten ſatiriſchen Gedichten, allein es iſt noch nicht individuelle ſondern faſt lauter allgemeine, auf Stände, Kategorien, Bevölkerungen ꝛc. gemünzte Satire, welche denn auch leicht in den lehrhaften Ton übergeht. Der allgemeine Nieder - ſchlag dieſer ganzen Richtung iſt vorzüglich die Fabel vom Reineke Fuchs in all ihren Redactionen bei den verſchiedenen Völkern des Abendlandes. Für die franzöſiſche Literatur dieſes Zweiges iſt eine treffliche neuere Arbeit vorhanden: Lenient, la satire en France au moyen-âge. . Aber ein ſelbſtändiges Element des Lebens konnte der Witz doch erſt werden als ſein regel - mäßiges Opfer, das ausgebildete Individuum mit perſön - lichen Anſprüchen, vorhanden war. Da beſchränkt er ſich auch bei Weitem nicht mehr auf Wort und Schrift, ſondern wird thatſächlich: er ſpielt Poſſen und verübt Streiche, die ſogenannten burle und beffe, welche einen Hauptinhalt mehrerer Novellenſammlungen ausmachen.
155Die „ hundert alten Novellen “, welche noch zu Ende2. Abſchnitt. des XIII. Jahrhunderts entſtanden ſein müſſen, haben noch nicht den Witz, den Sohn des Contraſtes, und noch nicht die Burla zum Inhalt1)Ausnahmsweiſe kommt auch ſchon ein inſolenter Witz vor, Nov. 37.; ihr Zweck iſt nur, weiſe Reden und ſinnvolle Geſchichten und Fabeln in einfach ſchönem Ausdruck wiederzugeben. Wenn aber irgend etwas das hohe Alter der Sammlung beweist, ſo iſt es dieſer Mangel an Hohn. Denn gleich mit dem XIV. Jahrhundert folgt Dante, der im Ausdruck der Verachtung alle Dichter der Welt weit hinter ſich läßt und z. B. ſchon allein wegen jenes großen hölliſchen Genrebildes von den Betrügern2)Inferno XXI. XXII. Die einzige mögliche Parallele wäre Ari - ſtophanes. der höchſte Meiſter coloſſaler Komik heißen muß. Mit Petrarca beginnen3)Ein ſchüchterner Anfang Opera p. 421 u. f., in Rerum memo - randarum libri IV. Anderes z. B.: p. 868, in Epp. senil. X, 2. Der Wortwitz ſchmeckt bisweilen noch ſehr nach ſeinem mittelalter - lichen Aſyl, dem Kloſter. ſchon die Witzſammlungen nach dem Vorbilde des Plutarch (Apophthegmata, ꝛc.). Was dann während des genannten Jahrhunderts ſich in FlorenzDer floren - tiniſche Hohn. von Hohn aufſammelte, davon giebt Franco Sacchetti in ſeinen Novellen die bezeichnendſte Auswahl. Es ſind meiſt keine eigentlichen Geſchichten, ſondern Antworten, die unter gewiſſen Umſtänden gegeben werden, horrible Naivetäten, womit ſich Halbnarren, Hofnarren, Schälke, liederliche Weiber ausreden; das Komiſche liegt dann in dem ſchreien - den Gegenſatz dieſer wahren oder ſcheinbaren Naivetät zu den ſonſtigen Verhältniſſen der Welt und zur gewöhnlichen Moralität; die Dinge ſtehen auf dem Kopf. Alle Mittel der Darſtellung werden zu Hülfe genommen, auch z. B. ſchon die Nachahmung beſtimmter oberitalieniſcher Dialecte. Oft tritt an die Stelle des Witzes die baare freche Inſo - lenz, der plumpe Betrug, die Blasphemie und die Unfläterei;1562. Abſchnitt. ein paar Condottierenſpäße1)Nov. 40. 41; es iſt Ridolfo da Camerino. gehören zum Roheſten und Böſeſten was aufgezeichnet iſt. Manche Burla iſt hoch - komiſch, manche aber auch ein bloß vermeintlicher Beweis der perſönlichen Ueberlegenheit, des Triumphes über einen Andern. Wie viel man einander zu Gute hielt, wie oft das Schlachtopfer durch einen Gegenſtreich die Lacher wieder auf ſeine Seite zu bringen ſich begnügte, wiſſen wir nicht; es war doch viele herzloſe und geiſtloſe Bosheit dabei, und das florentiniſche Leben mag hiedurch oft recht unbequemDie Witzmacher. geworden ſein2)Die bekannte Poſſe von Brunellesco und dem dicken Holzſchnitzer, ſo geiſtreich erfunden, iſt doch wohl grauſam zu nennen.. Bereits iſt der Spaßerfinder und Spaß - erzähler eine unvermeidliche Figur geworden, und es muß darunter claſſiſche gegeben haben, weit überlegen allen bloßen Hofnarren, welchen die Concurrenz, das wechſelnde Publicum und das raſche Verſtändniß der Zuhörer (lauter Vorzüge des Aufenthaltes in Florenz) abgingen. Deßhalb reisten auch einzelne Florentiner auf Gaſtrollen an den Tyrannenhöfen der Lombardie und Romagna herum3)Ibid. Nov. 49. Und doch hatte man laut Nov. 67 das Gefühl, daß hie und da ein Romagnole auch dem ſchlimmſten Florentiner überlegen ſei., und fanden ihre Rechnung dabei, während ſie in der Vaterſtadt, wo der Witz auf allen Gaſſen lief, nicht viel gewannen. Der beſſere Typus dieſer Leute iſt der des amüſanten Menſchen (l'uomo piacevole), der geringere iſt der des Buffone und des gemeinen Schmarotzers, der ſich an Hoch - zeiten und Gaſtmählern einfindet mit dem Raiſonnement! „ wenn ich nicht eingeladen worden bin, ſo iſt das nicht „ meine Schuld. “ Da und dort helfen dieſe einen jungen Verſchwender ausſaugen4)Agn. Pandolfini, del governo della famiglia, p. 48., im Ganzen aber werden ſie als Paraſiten behandelt und verhöhnt, während höher ſtehende Witzbolde ſich fürſtengleich dünken und ihren Witz für etwas157 wahrhaft Souveränes halten. Dolcibene, welchen Kaiſer2. Abſchnitt. Carl IV. zum „ König der italieniſchen Spaßmacher “er - klärt hatte, ſagte in Ferrara zu ihm: „ Ihr werdet die Welt „ beſiegen, da Ihr mein und des Papſtes Freund ſeid; Ihr „ kämpft mit dem Schwert, der Papſt mit dem Bullenſiegel, „ ich mit der Zunge! 1)Franco Sacchetti, Nov. 156; vgl. Nov. 24. — Die Facetiae des Poggio ſind dem Inhalt nach mit Sacchetti nahe verwandt: burle, Inſolenzen, Mißverſtändniſſe einfacher Menſchen gegenüber der raffinirten Zote, dann aber mehr Wortwitze, die den Philologen verrathen. — Ueber L. B. Alberti vgl. S. 141.“Dieß iſt kein bloßer Scherz, ſondern eine Vorahnung Pietro Aretino's.
Die beiden berühmteſten Spaßmacher um die MitteArlotto und Gonnella. des XV. Jahrhunderts waren ein Pfarrer in der Nähe von Florenz, Arlotto, für den feinern Witz (facezie), und der Hofnarr von Ferrara, Gonnella für die Buffonerien. Es iſt bedenklich, ihre Geſchichten mit denjenigen des Pfaf - fen von Kalenberg und des Till Eulenſpiegel zu vergleichen; letztere ſind eben auf ganz andere, halbmythiſche Weiſe entſtanden, ſo daß ein ganzes Volk daran mitgedichtet hat, und daß ſie mehr auf das Allgemeingültige, Allverſtändliche hinauslaufen, während Arlotto und Gonnella hiſtoriſch und local bekannte und bedingte Perſönlichkeiten waren. Will man aber einmal die Vergleichung zulaſſen und ſie auf die „ Schwänke “der außeritaliſchen Völker überhaupt ausdehnen, ſo wird es ſich im Ganzen finden, daß der „ Schwank “in den franzöſiſchen Fabliaux2)Folgerichtig auch in denjenigen Novellen der Italiener, deren Inhalt von dort entlehnt iſt. wie bei den Deutſchen in erſter Linie auf einen Vortheil oder Genuß berechnet iſt, während der Witz des Arlotto, die Poſſen des Gonnella ſich gleich - ſam Selbſtzweck, nämlich um des Triumphes, um der Sa - tisfaction willen vorhanden ſind. (Till Eulenſpiegel erſcheint dann wieder als eine eigenthümliche Nuance, nämlich als der perſonificirte, meiſt ziemlich geiſtloſe Schabernack gegen1582. Abſchnitt. beſondere Stände und Gewerbe.) Der Hofnarr des Hauſes Eſte hat ſich mehr als einmal durch bittern Hohn und ausgeſuchte Rache ſchadlos gehalten1)Laut Bandello IV, Nov. 2 konnte Gonnella auch ſein Geſicht in die Züge Anderer verſtellen und alle Dialecte Italiens nachmachen..
Die Species des uomo piacevole und des Buffone haben die Freiheit von Florenz lange überdauert. Unter Herzog Coſimo blühte der Barlacchia, zu Anfang des XVII. Jahrhunderts Francesco Ruspoli und Curzio Ma -Die Späße Leo's X. rignolli. Ganz merkwürdig zeigt ſich in Papſt Leo X. die echt florentiniſche Vorliebe für Spaßmacher. Der auf die feinſten geiſtigen Genüſſe gerichtete und darin unerſättliche Fürſt erträgt und verlangt doch an ſeiner Tafel ein paar witzige Poſſenreißer und Freßkünſtler, darunter zwei Mönche und ein Krüppel2)Paul. Jovius, vita Leonis X. ; bei feſtlichen Zeiten behandelte er ſie mit geſucht antikem Hohn als Paraſiten, indem ihnen Affen und Raben unter dem Anſchein köſtlicher Braten aufgeſtellt wurden. Ueberhaupt behielt ſich Leo die Burle für eigenen Gebrauch vor; namentlich gehörte es zu ſeiner Art von Geiſt, die eigenen Lieblingsbeſchäftigungen — Dichtung und Muſik — bisweilen ironiſch zu behandeln, indem er und ſein Factotum Cardinal Bibiena die Cari - caturen derſelben beförderten3)Erat enim Bibiena mirus artifex hominibus ætate vel pro - fessione gravibus ad insaniam impellendis. Man erinnert ſich dabei an den Scherz welchen Chriſtine von Schweden mit ihren Philologen trieb.. Beide fanden es nicht unter ihrer Würde einen guten alten Secretär mit allen Kräften ſo lange zu bearbeiten, bis er ſich für einen großen Muſiktheore -Baraballo. tiker hielt. Den Improviſator Baraballo von Gaeta hetzte Leo durch beſtändige Schmeicheleien ſo weit, daß ſich derſelbe ernſtlich um die capitoliniſche Dichterkrönung bewarb; am Tage der mediceiſchen Hauspatrone S. Cosmas und S. Da -159 mian mußte er erſt, mit Lorbeer und Purpur ausſtaffirt,2. Abſchnitt. das päpſtliche Gaſtmahl durch Recitationen erheitern, und als Alles am Berſten war, im vaticaniſchen Hof den gold - geſchirrten Elephanten beſteigen, welchen Emanuel der Große von Portugal nach Rom geſchenkt hatte; während deſſen ſah der Papſt von oben durch ſein Lorgnon1)Das Lorgnon entnehme ich nicht bloß aus Rafaels Porträt, wo es eher als Loupe zur Betrachtung der Miniaturen des Gebetbuches gedeutet werden kann, ſondern aus einer Notiz des Pellicanus, wonach Leo eine aufziehende Proceſſion von Mönchen durch ein Specillum betrachtete, (vgl Zürcher Taſchenbuch auf 1858, S. 177) und aus der cristal - lus concava, die er laut Giovio auf der Jagd brauchie. her - unter. Das Thier aber wurde ſcheu vom Lärm der Pauken und Trompeten und vom Bravorufen und war nicht über die Engelsbrücke zu bringen.
Die Parodie des Feierlichen und Erhabenen, welcheDie Parodie. uns hier in Geſtalt eines Aufzuges entgegentritt, hatte da - mals bereits eine mächtige Stellung in der Poeſie einge - nommen2)Auch in der bildenden Kunſt fehlt ſie nicht; man erinnere ſich z. B. jenes bekannten Stiches welcher die Laocoonsgruppe in drei Affen überſetzt darſtellt. Nur ging dergleichen ſelten über eine flüchtige Handzeichnung hinaus; Manches mag auch zernichtet worden ſein. Die Caricatur iſt wieder weſentlich etwas Anderes; Lionardo in ſeinen Grimaſſen (Ambroſiana) ſtellt das Häßliche dar wenn und weil es komiſch iſt und erhöht dabei dieſen komiſchen Character nach Belieben.. Freilich mußte ſie ſich ein anderes Opfer ſuchen als z. B. Ariſtophanes durfte, da er die großen Tragiker in ſeiner Comödie auftreten ließ. Aber dieſelbe Bildungsreife, welche bei den Griechen zu einer beſtimmten Zeit die Parodie hervortrieb, brachte ſie auch hier zur Blüthe. Schon zu Ende des XIV. Jahrhunderts werden im Sonett petrarchiſche Liebesklagen und anderes der Art durch Nachahmung ausgehöhnt; ja das Feierliche der vier - zehnzeiligen Form an ſich wird durch geheimthuenden Unſinn1602. Abſchnitt. verſpottet. Ferner lud die göttliche Comödie auf das Stärkſte zur Parodirung ein, und Lorenzo magnifico hat im Styl des Inferno die herrlichſte Komik zu entwickeln gewußt. (Simpoſio, oder: i Beoni.) Luigi Pulci ahmt in ſeinem Morgante deutlich die Improviſatoren nach, und überdieß iſt ſeine und Bojardo's Poeſie, ſchon inſofern ſie über dem Gegenſtande ſchwebt, ſtellenweiſe eine wenigſtens halbbewußte Parodie der mittelalterlichen Ritterdichtung. Der große Parodiſt Teofilo Folengo (blühte um 1520) greift dann ganz unmittelbar zu. Unter dem Namen Li - merno Pitocco dichtet er den Orlandino, wo das Ritter - weſen nur noch als lächerliche Rococoeinfaſſung um eine Fülle moderner Einfälle und Lebensbilder herum figurirt; unter dem Namen Merlinus Coccajus ſchildert er die Thaten und Fahrten ſeiner Bauern und Landſtreicher, ebenfalls mit ſtarker tendenziöſer Zuthat, in halblateiniſchen Hexametern, unter dem komiſchen Scheinapparat des damaligen gelehrten Epos. (Opus Macaronicorum). Seitdem iſt die Parodie auf dem italiſchen Parnaß immerfort, und bisweilen wahr - haft glanzvoll vertreten geweſen.
Theorie des Witzes.In der Zeit der mittlern Höhe der Renaiſſance wird dann auch der Witz theoretiſch zergliedert und ſeine prac - tiſche Anwendung in der feinern Geſellſchaft genauer feſt - geſtellt. Der Theoretiker iſt Gioviano Pontano1)Jovian. Pontan. de Sermone. Er[conſtatiert] eine beſondere Be - gabung zum Witz außer bei den Florentinern auch bei den Sieneſen und Peruginern; den ſpaniſchen Hof fügt er dann noch aus Höf - lichkeit bei.; in ſeiner Schrift über das Reden, namentlich im vierten Buch, ver - ſucht er durch Analyſe zahlreicher einzelner Witze oder fa - cetiæ zu einem allgemeinen Princip durchzudringen. Wie der Witz unter Leuten von Stande zu handhaben ſei, lehrt Baldaſſar Caſtiglione in ſeinem Cortigiano2)Il cortigiano, Lib. II. fol. 74, s. — Die Herleitung des Witzes aus dem Contraſt, obwohl noch nicht völlig klar, fol. 76.. Natürlich161 handelt es ſich weſentlich nur um Erheiterung dritter Per -2. Abſchnitt. ſonen durch Wiedererzählung von komiſchen und graziöſen Geſchichten und Worten; vor directen Witzen wird eher gewarnt, indem man damit Unglückliche kränke, Verbrechern zu viele Ehre anthue und Mächtige und durch Gunſt ver - wöhnte zur Rache reize, und auch für das Wiedererzählen wird dem Mann von Stande ein weiſes Maßhalten in der nachahmenden Dramatik, d. h. in den Grimaſſen empfohlen. Dann folgt aber, nicht bloß zum Wiedererzählen, ſondern als Paradigma für künftige Witzbildner, eine reiche Samm - lung von Sach - und Wortwitzen, methodiſch nach Gattun - gen geordnet, darunter viele ganz vortreffliche. Viel ſtrenger und behutſamer lautet etwa zwei Jahrzehnde ſpäter die Doctrin des Giovanni della Caſa in ſeiner Anweiſung zur guten Lebensart1)Gal ateo del Casa, ed. Venez. 1789, p. 26, s. 48.; im Hinblick auf die Folgen will er aus Witzen und Burle die Abſicht des Triumphirens völlig verbannt wiſſen. Er iſt der Herold einer Reaction, welche eintreten mußte.
In der That war Italien eine Läſterſchule gewordenDie Läſterung, wie die Welt ſeitdem keine zweite mehr aufzuweiſen gehabt hat, ſelbſt in dem Frankreich Voltaire's nicht. Am Geiſt des Verneinens fehlte es dem letztern und ſeinen Genoſſen nicht, aber wo hätte man im vorigen Jahrhundert die Fülle von paſſenden Opfern hernehmen ſollen, jene zahlloſen hoch und eigenartig entwickelten Menſchen, Celebritäten jeder Gattung, Staatsmänner, Geiſtliche, Erfinder und Entdecker, Literaten, Dichter und Künſtler, die obendrein ihre Eigen - thümlichkeit ohne Rückhalt walten ließen? Im XV. und XVI. Jahrhundert exiſtirte dieſe Heerſchaar, und neben ihr hatte die allgemeine Bildungshöhe ein furchtbares Ge - ſchlecht von geiſtreichen Ohnmächtigen, von geborenen Kritt - lern und Läſterern groß gezogen, deren Neid ſeine Heka - tomben verlangte; dazu kam aber noch der Neid derCultur der Renaiſſance. 111622. Abſchnitt. Berühmten unter einander. Mit letzterem haben notoriſch die Philologen angefangen: Filelfo, Poggio, Lorenzo Valla u. a., während z. B. die Künſtler des XV. Jahrhunderts noch in faſt völlig friedlichem Wettſtreit neben einander lebten, wovon die Kunſtgeſchichte Act nehmen darf.
in Florenz;Der große Ruhmesmarkt Florenz geht hierin, wie ge - ſagt, allen andern Städten eine Zeitlang voran. „ Scharfe Augen und böſe Zungen “iſt das Signalement der Floren - tiner1)Lettere pittoriche I, 71, in einem Briefe des Vinc. Borghini 1577. — Macchiavelli, stor. fior. L. VII. ſagt von den jungen Herrn in Florenz nach der Mitte des XV. Jahrh. : gli studî loro erano apparire col vestire splendidi, e col parlare sagaci ed astuti, e quello che più destramente mordeva gli altri, era più savio e da più stimato. . Ein gelinder Hohn über Alles und Jedes mochte der vorherrſchende Alltagston ſein. Macchiavelli, in dem höchſt merkwürdigen Prolog ſeiner Mandragola, leitet mit Recht oder Unrecht von der allgemeinen Mediſance das ſichtbare Sinken der moraliſchen Kraft her, droht übrigens ſeinen Verkleinerern damit, daß auch er ſich auf Uebelredenin Rom. verſtehe. Dann kommt der päpſtliche Hof, ſeit lange ein Stelldichein der allerſchlimmſten und dabei geiſtreichſten Zungen. Schon Poggio's Facetiae ſind ja aus dem Lügen - ſtübchen (bugiale) der apoſtoliſchen Schreiber datirt, und wenn man erwägt, welche große Zahl von enttäuſchten Stellenjägern, von hoffnungsvollen Feinden und Concur - renten der Begünſtigten, von Zeitvertreibern ſittenloſer Prälaten beiſammen war, ſo kann es nicht auffallen, wenn Rom für das wilde Pasquill wie für die beſchaulichere Satire eine wahre Heimath wurde. Rechnet man noch gar hinzu was der allgemeine Widerwille gegen die Prieſter - herrſchaft und was das bekannte Pöbel-Bedürfniß, den Mächtigen das Gräßlichſte anzudichten, beifügte, ſo ergiebt163 ſich eine unerhörte Summe von Schmach1)Vgl. Fedra Inghirami's Leichenrede auf Lodovico Podocataro (1505), in den Anecdd. litt. I, p. 319. — Der Scandalſammler Maſſa - ino erwähnt bei Paul. Jov. Dialogus de viris litt. illustr. (Tiraboschi, Tom. VII, parte IV. p. 1631.). Wer konnte,2. Abſchnitt. ſchützte ſich dagegen am Zweckmäßigſten durch Verachtung, ſowohl was die wahren als was die erlogenen Beſchuldi - gungen betraf, und durch glänzenden, fröhlichen Aufwand2)So hielt es im Ganzen Leo X. und er rechnete damit im Ganzen richtig; ſo ſchrecklich die Pasquillanten zumal nach ſeinem Tode mit ihm umgingen, ſie haben die Geſammtanſchauung ſeines Weſens nicht dominiren können.. Zartere Gemüther aber konnten wohl in eine Art von Ver - zweiflung fallen wenn ſie tief in Schuld und noch tiefer in üble Nachrede verſtrickt waren3)In dieſem Falle war wohl Cardinal Ardicino della Porta, der 1491 ſeine Würde niederlegen und in ein fernes Kloſter flüchten wollte. Vgl. Infessura, bei Eccard II, Col. 2000.. Allmälig ſagte man Jedem das Schlimmſte nach und gerade die ſtrengſte Tu - gend weckte die Bosheit am ſicherſten. Von dem großen Kanzelredner Fra Egidio von Viterbo, den Leo um ſeiner Verdienſte willen zum Cardinal erhob und der ſich bei dem Unglück von 1527 auch als tüchtiger populärer Mönch zeigte4)S. deſſen Leichenrede in den Anecdd. litt. IV, p. 315. Er brachte in der ſüdlichen Mark Ancona ein Bauernheer zuſammen, das nur durch den Verrath des Herzogs von Urbino am Handeln verhindert wurde. — Seine ſchönen hoffnungsloſen Liebesmadrigale bei Trucchi, poesie ined. III, p. 123., giebt Giovio zu verſtehen, er habe ſich die ascetiſcheGiovio. Bläſſe durch Qualm von naſſem Stroh u. dgl. conſervirt. Giovio iſt bei ſolchen Anläſſen ein echter Curiale5)Wie er an der Tafel Clemens VII. ſeine Zunge brauchte, ſ. bei Giraldi, Hecatommithi, VII, Nov. 5.; in der Regel erzählt er ſein Hiſtörchen, fügt dann bei, er glaube es nicht, und läßt endlich in einer allgemeinern Bemerkung durchblicken, es möchte doch etwas dran ſein. Das wahre11*1642. Abſchnitt. Brandopfer des römiſchen Hohnes aber war der gute Ha -Hohn auf Ha - drian VI. drian VI. ; es bildete ſich ein Uebereinkommen, ihn durch - aus nur von der burlesken Seite zu nehmen. Mit der furchtbaren Feder eines Francesco Berni verdarb er es gleich von Anfang an, indem er drohte — nicht die Statue des Pasquino, wie man1)Die ganze angebliche Berathung über das Verſenken des Pasquino bei Paul. Jov., vita Hadriani, iſt von Sixtus IV. auf Hadrian über - getragen. — Vgl. Lettere di principi I, Brief des Negro vom 7. Apr. 1523. Pasquino hatte am St. Marcustag ein beſonderes Feſt, welches der Papſt verbot. ſagte — ſondern die Pasquillanten ſelber in die Tiber werfen zu laſſen. Die Rache dafür war das berühmte Capitolo „ gegen Papſt Adriano “, dictirt nicht eigentlich vom Haß, ſondern von der Verachtung gegen den lächerlichen holländiſchen Barbaren; die wilde Drohung wird aufgeſpart für die Cardinäle, die ihn gewählt haben. Berni und Andere2)Z. B.: Firenzuola, opere, vol. I, p. 116, im Discorso degli animali. malen auch die Umgebung des Papſtes mit derſelben pikanten Lügenhaftigkeit aus, mit welcher das heutige Pariſer Feuilleton das So zum Anders und das Nichts zum Etwas verkünſtelt. Die Biographie, welche Paolo Giovio im Auftrag des Cardinals von Tortoſa verfaßte, und welche eigentlich eine Lobſchrift vorſtellen ſollte, iſt für Jeden, der zwiſchen den Zeilen leſen kann, ein wahrer Ausbund von Hohn. Es liest ſich (zumal für das damalige Italien) ſehr komiſch, wie Hadrian ſich beim Domcapitel von Saragoſſa um die Kinnlade des S. Lam - bert bewirbt, wie ihn dann die andächtigen Spanier mit Schmuck und Zeug ausſtatten „ bis er einem wohlheraus - geputzten Papſt recht ähnlich ſieht “, wie er ſeinen ſtürmi - ſchen und geſchmackloſen Zug von Oſtia gen Rom hält, ſich über die Verſenkung oder Verbrennung des Pasquino beräth, die wichtigſten Verhandlungen wegen Meldung des165 Eſſens plötzlich unterbricht und zuletzt nach unglücklicher2. Abſchnitt. Regierung an allzuvielem Biertrinken verſtirbt; worauf das Haus ſeines Leibarztes von Nachtſchwärmern bekränzt und mit der Inſchrift Liberatori Patriæ S. P. Q. R. geſchmückt wird. Freilich Giovio hatte bei der allgemeinen Renten - einziehung auch ſeine Rente verloren und nur deßhalb zur Entſchädigung eine Pfründe erhalten, weil er „ kein Poet “, d. h. kein Heide ſei. Es ſtand aber geſchrieben, daß Hadrian das letzte große Opfer dieſer Art ſein ſollte. Seit dem Unglück Roms (1527) ſtarb mit der äußerſten Ruchloſig - keit des Lebens auch die frevelhafte Rede ſichtlich ab.
Während ſie aber noch in Blüthe ſtand, hatte ſich,Pietro Aretino. hauptſächlich in Rom, der größte Läſterer der neuern Zeit, Pietro Aretino, ausgebildet. Ein Blick auf ſein Weſen erſpart uns die Beſchäftigung mit manchen Geringern ſeiner Gattung.
Wir kennen ihn hauptſächlich in den letzten drei Jahr - zehnden ſeines Lebens (1527 — 1556), die er in dem für ihn einzig möglichen Aſyl Venedig zubrachte. Von hier aus hielt er das ganze berühmte Italien in einer Art von Belagerungszuſtand; hieher mündeten auch die Geſchenke auswärtiger Fürſten, die ſeine Feder brauchten oder fürch - teten. Carl V. und Franz I. penſionirten ihn beide zugleich, weil Jeder hoffte, Aretino würde dem Andern Verdruß machen; Aretino ſchmeichelte Beiden, ſchloß ſich aber natür - lich enger an Carl an, weil dieſer in Italien Meiſter blieb. Nach dem Sieg über Tunis (1535) geht dieſer Ton in den der lächerlichſten Vergötterung über, wobei zu erwägen iſt, daß Aretino fortwährend ſich mit der Hoffnung hinhalten ließ, durch Carl's Hülfe Cardinal zu werden. Vermuth - lich genoß er eine ſpecielle Protection als ſpaniſcher Agent, indem man durch ſein Reden oder Schweigen auf die klei - nern italieniſchen Fürſten und auf die öffentliche Meinung drücken konnte. Das Papſtweſen gab er ſich die Miene1662. Abſchnitt. gründlich zu verachten, weil er es aus der Nähe kenne; der wahre Grund war, daß man ihn von Rom aus nicht mehr honoriren konnte und wollte1)An den Herzog von Ferrara, 1. Januar 1536: Ihr werdet nun von Rom nach Neapel reiſen, ricreando la vista avvilita nel mirar le miserie pontificali con la contemplatione delle ec - cellenze imperiali.. Venedig, das ihn beherbergte, beſchwieg er weislich. Der Reſt ſeines Ver - hältniſſes zu den Großen iſt lauter Bettelei und gemeine Erpreſſung.
Seine Publici - ſtik und ſein Werth.Bei Aretino findet ſich der erſte ganz große Mißbrauch der Publicität zu ſolchen Zwecken. Die Streitſchriften, welche hundert Jahre vorher Poggio und ſeine Gegner ge - wechſelt hatten, ſind in der Abſicht und im Ton eben ſo infam, allein ſie ſind nicht auf die Preſſe, ſondern auf eine Art von halber und geheimer Publicität berechnet; Aretino macht ſein Geſchäft aus der ganzen und unbedingten; er iſt in gewiſſem Betracht einer der Urväter der Journaliſtik. Periodiſch läßt er ſeine Briefe u. a. Artikel zuſammen - drucken, nachdem ſie ſchon vorher in weitern Kreiſen curſirt haben mochten2)Wie er ſich damit ſpeciell den Künſtlern furchtbar machte, wäre an - derswo zu erörtern. — Das publiciſtiſche Vehikel der deutſchen Reformation iſt weſentlich die Broſchüre, in Beziehung auf beſtimmte einzelne Angelegenheiten; Aretino dagegen iſt Journaliſt in dem Sinne, daß er einen permanenten Anlaß des Publicirens in ſich hat..
Verglichen mit Voltaire hat Aretino den Vortheil, daß er ſich nicht mit Principien belädet, weder mit Aufklärung noch mit Philanthropie und ſonſtiger Tugend, noch auch mit Wiſſenſchaft; ſein ganzes Gepäck iſt das bekannte Motto: „ Veritas “odium parit. Deßhalb gab es auch für ihn keine falſchen Stellungen, wie z. B. für Voltaire, der ſeine Pucelle ſchmählich verläugnen und Anderes lebenslang ver - ſtecken mußte; Aretino gab zu allem ſeinen Namen, und noch ſpät rühmt er ſich offen ſeiner berüchtigten Ragiona -167 menti. Sein literariſches Talent, ſeine lichte und pikante2. Abſchnitt. Proſa, ſeine reiche Beobachtung der Menſchen und Dinge würden ihn unter allen Umſtänden beachtenswerth machen, wenn auch die Conception eines eigentlichen Kunſtwerkes, z. B. die echte dramatiſche Anlage einer Comödie ihm völlig verſagt blieb; dazu kommt dann noch außer der gröbſten und feinſten Bosheit eine glänzende Gabe des grottesken Witzes, womit er im einzelnen Fall dem Rabelais nicht nachſteht1)Z. B. im Capitolo an den Albicante, einen ſchlechten Dichter; lei - der entziehen ſich die Stellen der Citation..
Unter ſolchen Umſtänden, mit ſolchen Abſichten undVerhältniß zu den italien. Fürſten Mitteln geht er auf ſeine Beute los oder einſtweilen um ſie herum. Die Art, wie er Clemens VII. auffordert, nicht zu klagen ſondern zu verzeihen2)Lettere, ed. Venez. 1539. Fol. 12, vom 31. Mai 1527., während das Jam - mergeſchrei des verwüſteten Roms zur Engelsburg, dem Kerker des Papſtes empordringt, iſt lauterer Hohn eines Teufels oder Affen. Bisweilen, wenn er die Hoffnung auf Geſchenke völlig aufgeben muß, bricht ſeine Wuth in ein wildes Geheul aus, wie z. B. in den Capitolo an den Fürſten von Salerno. Dieſer hatte ihn eine Zeitlang be - zahlt und wollte nicht weiter zahlen; dagegen ſcheint es, daß der ſchreckliche Pierluigi Farneſe, Herzog von Parma, niemals Notiz von ihm nahm. Da dieſer Herr auf gute Nach - rede wohl überhaupt verzichtet hatte, ſo war es nicht mehr leicht, ihm wehe zu thun; Aretino verſucht es, indem er3)Im erſten Capitolo an Coſimo. ſein äußeres Anſehen als das eines Sbirren, Müllers und Beckers bezeichnet. Poſſirlich iſt Aretino am eheſten im Ausdruck der reinen, wehmüthigen Bettelei, wie z. B. im Capitolo an Franz I., dagegen wird man die aus Dro - hung und Schmeichelei gemiſchten Briefe und Gedichte trotz aller Komik nie ohne tiefen Widerwillen leſen können. Einu. Celebritäten.1682. Abſchnitt. Brief wie der an Michelangelo vom November 15451)Gaye, carteggio II, p. 332. exiſtirt vielleicht nicht ein zweites Mal; zwiſchen alle Be - wunderung (wegen des Weltgerichtes) hinein droht er ihm wegen Irreligioſität, Indecenz und Diebſtahl (an den Er - ben Julius II. ) und fügt in einem begütigenden Poſtſcript bei: „ ich habe Euch nur zeigen wollen, daß wenn Ihr „ divino (di-vino) ſeid, ich auch nicht d'aqua bin “. Are - tino hielt nämlich darauf — man weiß kaum ob aus wahn - ſinnigem Dünkel oder aus Luſt an der Parodie alles Berühmten — daß man ihn ebenfalls göttlich nenne, und ſo weit brachte er es in der perſönlichen Berühmtheit aller - dings, daß in Arezzo ſein Geburtshaus als Sehensmürdigkeit der Stadt galt2)S. den frechen Brief von 1536 in den Lettere pittor., I, Append., 34. . Andererſeits freilich gab es ganze Mo - nate, da er ſich in Venedig nicht über die Schwelle wagte um nicht irgend einem erzürnten Florentiner wie z. B. dem jüngern Strozzi in die Hände zu laufen; es fehlte nicht an Dolchſtichen und entſetzlichen Prügeln3)L'Aretin, per Dio grazia, è vivo e sano, Ma'l mostaccio ha fregiato nobilmente, E più colpi ha, che dita in una mano. Mauro, capitolo in lode delle bugie. , wenn ſie auch nicht den Erfolg hatten, welchen ihm Berni in einem fa - moſen Sonett weiſſagte; er iſt in ſeinem Hauſe am Schlag - fluß geſtorben.
In der Schmeichelei macht er beachtenswerthe Unter - ſchiede; für Nichtitaliener trägt er ſie plump und dick auf4)Man ſehe z. B. den Brief an den Cardinal von Lothringen, Let - tere, ed. Venez. 1539, vom 21. Nov. 1534, ſo wie die Briefe an Carl V. ,Verhältniß zu Herzog Coſimo. für Leute wie den Herzog Coſimo von Florenz weiß er ſich anders zu geben. Er lobt die Schönheit des damals noch jungen Fürſten, der in der That auch dieſe Eigenſchaft mit169 Auguſtus in hohem Grade gemein hatte; er lobt ſeinen2. Abſchnitt. ſittlichen Wandel mit einem Seitenblick auf die Geldgeſchäfte von Coſimo's Mutter Maria Salviati, und ſchließt mit einer wimmernden Bettelei wegen der theuren Zeiten u. ſ. w. Wenn ihn aber Coſimo penſionirte1)Für das Folgende ſ. Gaye, carteggio, II, p. 336. 337. 345. , und zwar im Ver - hältniß zu ſeiner ſonſtigen Sparſamkeit ziemlich hoch (in der letzten Zeit mit 160 Ducaten jährlich), ſo war wohl eine beſtimmte Rückſicht auf ſeine Gefährlichkeit als ſpani - ſcher Agent mit im Spiel. Aretino durfte in einem Athem - zug über Coſimo bitter ſpotten und ſchmähen und doch dabei dem florentiniſchen Geſchäftsträger drohen, daß er beim Herzog ſeine baldige Abberufung erwirken werde. Und wenn der Medici ſich auch am Ende von Carl V. durch - ſchaut wußte, ſo mochte er doch nicht wünſchen, daß am kaiſerlichen Hofe aretiniſche Witze und Spottverſe über ihn in Curs kommen möchten. Eine ganz hübſch bedingte Schmeichelei iſt auch diejenige an den berüchtigten Marcheſe von Marignano, der als „ Caſtellan von Muſſo “einen eigenen Staat zu gründen verſucht hatte. Zum Dank für überſandte hundert Scudi ſchreibt Aretin: „ Alle Eigen - „ ſchaften, die ein Fürſt haben muß, ſind in Euch vorhan - „ den und Jedermann würde dieß einſehen, wenn nicht die „ bei allen Anfängen unvermeidliche Gewaltſamkeit Euch „ noch als etwas rauh (aspro) erſcheinen ließe “2)Lettere, ed. Venez. 1539. Fol. 15., vom 16. Juni 1529..
Man hat häufig als etwas Beſonderes hervorgehoben,Seine Religion. daß Aretino nur die Welt, nicht auch Gott geläſtert habe. Was er geglaubt hat, iſt bei ſeinem ſonſtigen Treiben völlig gleichgültig, ebenſo ſind es die Erbauungsſchriften, welche er nur aus äußern Rückſichten3)Mochte es die Hoffnung auf den rothen Hut oder die Furcht vor den beginnenden Bluturtheilen der Inquiſition ſein, welche er noch 1535 herb zu tadeln gewagt hatte (ſ. a. a. O. Fol. 37), welche aber ſeit verfaßte. Sonſt aber1702. Abſchnitt. wüßte ich wahrlich nicht, wie er hätte auf die Gottesläſterung verfallen ſollen. Er war weder Docent noch theoretiſcher Denker und Schriftſteller; auch konnte er von Gott keine Geldſummen durch Drohungen und Schmeicheleien erpreſſen, fand ſich alſo auch nicht durch Verſagung zur Läſterung gereizt. Mit unnützer Mühe aber giebt ſich ein ſolcher Menſch nicht ab.
Es iſt das beſte Zeichen des heutigen italieniſchen Geiſtes, daß ein ſolcher Character und eine ſolche Wirkungs - weiſe tauſendmal unmöglich geworden ſind. Aber von Seite der hiſtoriſchen Betrachtung aus wird dem Aretino immer eine wichtige Stellung bleiben.
3)der Reorganiſation des Inſtitutes 1542 plötzlich zunahmen und Alles zum Schweigen brachten.
Auf dieſem Punkte unſerer culturgeſchichtlichen Ueber -3. Abſchnitt. ſicht angelangt, müſſen wir des Alterthums gedenken, deſſen „ Wiedergeburt “in einſeitiger Weiſe zum Geſammtnamen des Zeitraums überhaupt geworden iſt. Die bisher ge -Concurrenz mit andern Kräften. ſchilderten Zuſtände würden die Nation erſchüttert und gereift haben auch ohne das Alterthum, und auch von den nachher aufzuzählenden neuen geiſtigen Richtungen wäre wohl das Meiſte ohne daſſelbe denkbar; allein wie das Bisherige ſo iſt auch das Folgende doch von der Einwirkung der antiken Welt mannigfach gefärbt, und wo das Weſen der Dinge ohne dieſelbe verſtändlich und vorhanden ſein würde, da iſt es doch die Aeußerungsweiſe im Leben nur mit ihr und durch ſie. Die „ Renaiſſance “wäre nicht die hohe weltgeſchichtliche Nothwendigkeit geweſen die ſie war, wenn man ſo leicht von ihr abſtrahiren könnte. Darauf aber müſſen wir beharren, als auf einem Hauptſatz dieſes Buches, daß nicht ſie allein, ſondern ihr enges Bündniß mit dem neben ihr vorhandenen italieniſchen Volksgeiſt die abendländiſche Welt bezwungen hat. Die Freiheit, welche ſich dieſer Volksgeiſt dabei bewahrte, iſt eine ungleiche und ſcheint, ſobald man z. B. nur auf die neulateiniſche Litera -Grade der Ein - wirkung. tur ſieht, oft ſehr gering; in der bildenden Kunſt aber und in mehrern andern Sphären iſt ſie auffallend groß und das Bündniß zwiſchen zwei weit auseinander liegenden Cultur -1723. Abſchnitt. epochen deſſelben Volkes erweist ſich als ein, weil höchſt ſelbſtändiges, deßhalb auch berechtigtes und fruchtbares. Das übrige Abendland mochte zuſehen wie es den großen, aus Italien kommenden Antrieb abwehrte oder ſich halb oder ganz aneignete; wo letzteres geſchah, ſollte man ſich die Klagen über den frühzeitigen Untergang unſerer mittel - alterlichen Culturformen und Vorſtellungen erſparen. Hät - ten ſie ſich wehren können, ſo würden ſie noch leben. Wenn jene elegiſchen Gemüther, die ſich danach zurück - ſehnen, nur eine Stunde darin zubringen müßten, ſie würden heftig nach moderner Luft begehren. Daß bei großen Pro - ceſſen jener Art manche edle Einzelblüthe mit zu Grunde geht ohne in Tradition und Poeſie unvergänglich geſichert zu ſein, iſt gewiß; allein das große Geſammt-Ereigniß darf man deßhalb nicht ungeſchehen wünſchen. Dieſes Ge - ſammt-Ereigniß beſteht darin, daß neben der Kirche, welche bisher (und nicht mehr für lange) das Abendland zuſam - menhielt, ein neues geiſtiges Medium entſteht, welches, von Italien her ſich ausbreitend, zur Lebens-Atmosphäre für alle höher gebildeten Europäer wird. Der ſchärfſte Tadel, den man darüber ausſprechen kann, iſt der der Unvolks - thümlichkeit, der erſt jetzt nothwendig eintretenden Scheidung von Gebildeten und Ungebildeten in ganz Europa. Dieſer Tadel iſt aber ganz werthlos, ſobald man eingeſtehen muß, daß die Sache noch heute, obwohl klar erkannt, doch nicht beſeitigt werden kann. Und dieſe Scheidung iſt überdieß in Italien lange nicht ſo herb und unerbittlich als anders - wo. Iſt doch ihr größter Kunſtdichter Taſſo auch in den Händen der Aermſten.
Das Alterthum im Mittelalter.Das römiſch-griechiſche Alterthum, welches ſeit dem XIV. Jahrhundert ſo mächtig in das italieniſche Leben eingriff, als Anhalt und Quelle der Cultur, als Ziel und Ideal des Daſeins, theilweiſe auch als bewußter neuer Gegenſatz, dieſes Alterthum hatte ſchon längſt ſtellenweiſe173 auf das ganze auch außeritalieniſche Mittelalter eingewirkt. 3. Abſchnitt. Diejenige Bildung, welche Carl der Große vertrat, war weſentlich eine Renaiſſance, gegenüber der Barbarei des VII. und VIII. Jahrhunderts, und konnte nichts anderes ſein. Wie hierauf in die romaniſche Baukunſt des Nor - dens außer der allgemeinen, vom Alterthum ererbten For - mengrundlage auch auffallende direct antike Formen ſich einſchleichen, ſo hatte die ganze Kloſtergelehrſamkeit allmälig eine große Maſſe von Stoff aus römiſchen Autoren in ſich aufgenommen und auch der Styl derſelben blieb ſeit Ein - hard nicht ohne Nachahmung.
Anders aber als im Norden wacht das Alterthum inIn Italien. Italien wieder auf. Sobald hier die Barbarei aufhört, meldet ſich bei dem noch halb antiken Volk die Erkenntniß ſeiner Vorzeit; es feiert ſie und wünſcht ſie zu reproduciren. Außerhalb Italiens handelt es ſich um eine gelehrte, reflectirte Benützung einzelner Elemente der Antike, in Italien um eine gelehrte und zugleich populäre ſachliche Parteinahme für das Alterthum überhaupt, weil daſſelbe die Erinnerung an die eigene alte Größe iſt. Die leichte Verſtändlichkeit des Lateini - ſchen, die Menge der noch vorhandenen Erinnerungen und Denkmäler befördert dieſe Entwicklung gewaltig. Aus ihr und aus der Gegenwirkung des inzwiſchen doch anders gewor - denen Volksgeiſtes, der germaniſch-langobardiſchen Staats - Einrichtungen, des allgemein europäiſchen Ritterthums, der übrigen Cultureinflüſſe aus dem Norden und der Religion und Kirche erwächst dann das neue Ganze: der modern italieniſche Geiſt, welchem es beſtimmt war, für den ganzen Occident maßgebendes Vorbild zu werden.
Wie ſich in der bildenden Kunſt das Antike regt ſobald die Barbarei aufhört, zeigt ſich z. B. deutlich bei Anlaß der toscaniſchen Bauten des XII. und der Sculpturen des XIII. Jahrhunderts. Auch in der Dichtkunſt fehlen dieLateiniſche Poeſie der Va - ganten. Parallelen nicht, wenn wir annehmen dürfen, daß der größte lateiniſche Dichter des XII. Jahrhunderts, ja der,1743. Abſchnitt. welcher für eine ganze Gattung der damaligen lateiniſchen Poeſie den Ton angab, ein Italiener geweſen ſei. Es iſt derjenige, welchem die beſten Stücke der ſogenannten Car - mina Burana angehören. Eine ungehemmte Freude an der Welt und ihren Genüſſen, als deren Schutzgenien die alten Heidengötter wieder erſcheinen, ſtrömt in prachtvollem Fluß durch die gereimten Strophen. Wer ſie in einem Zuge liest, wird die Ahnung, daß hier ein Italiener, wahrſcheinlich ein Lombarde ſpreche, kaum abweiſen können; es giebt aber auch beſtimmte einzelne Gründe dafür1)Carmina Burana, in der „ Bibliothek des literariſchen Vereins in Stuttgart “der XVI. Band. — Der Aufenthalt in Pavia (p. 68. 69), die italieniſche Localität überhaupt, die Scene mit der pastorella unter dem Oelbaum (p. 145), die Anſchauung einer pinus als eines weitſchattigen Wieſenbaums (p. 156), der mehrmalige Gebrauch des Wortes bravium (p. 137. 144), namentlich aber die Form Madii für Maji (p. 141) ſcheinen für unſere Annahme zu ſprechen. — Daß der Dichter ſich Walther nennt, giebt noch keinen Wink über ſeine Herkunft: Gewöhnlich identificirt man ihn mit Gual - terus de Mapes, einem Domherrn von Salisbury und Caplan der engliſchen Könige gegen Ende des XII. Jahrh.. Bis zu einem gewiſſen Grade ſind dieſe lateiniſchen Poeſien der Clerici vagantes des XII. Jahrhunderts allerdings ein gemeinſames europäiſches Product, mit ſammt ihrer großen auffallenden Frivolität, allein Der, welcher den Geſang de Phyllide et Flora und das Aestuans interius etc. ge - dichtet hat, war vermuthlich kein Nordländer, und auch der feine beobachtende Sybarit nicht, von welchem Dum DianæDie Renaiſſance in derſelben. vitrea sero lampas oritur (S. 124) herrührt. Hier iſt eine Renaiſſance der antiken Weltanſchauung, die nur um ſo klarer in die Augen fällt neben der mittelalterlichen Reimform. Es giebt manche Arbeit dieſes und der nächſten Jahrhunderte, welche Hexameter und Pentameter in ſorg - fältiger Nachbildung und allerlei antike, zumal mythologiſche Zuthat in den Sachen aufweist und doch nicht von ferne jenen antiken Eindruck hervorbringt. In den hexametriſchen175 Chroniken u. a. Productionen von Guilielmus Appulus an3. Abſchnitt. begegnet man oft einem emſigen Studium des Virgil, Ovid, Lucan, Statius und Claudian, allein die antike Form bleibt bloße Sache der Gelehrſamkeit, gerade wie der antike Stoff bei Sammelſchriftſtellern in der Weiſe des Vincenz von Beauvais oder bei dem Mythologen und Alle - goriker Alanus ab Inſulis. Die Renaiſſance iſt eben nicht ſtückweiſe Nachahmung und Aufſammlung, ſondern Wieder - geburt, und eine ſolche findet ſich in der That in jenen Gedichten des unbekannten Clericus aus dem XII. Jahr - hundert.
Die große, allgemeine Parteinahme der Italiener fürDas Alterthum im XIV. Ih. das Alterthum aber beginnt erſt mit dem XIV. Jahrhundert. Es war dazu eine Entwicklung des ſtädtiſchen Lebens nothwendig, wie ſie nur in Italien und erſt jetzt vorkam: Zuſammenwohnen und thatſächliche Gleichheit von Adlichen und Bürgern; Bildung einer allgemeinen Geſellſchaft (S. 142), welche ſich bildungsbedürftig fühlte und Muße und Mittel übrig hatte. Die Bildung aber, ſobald ſie ſich von der Phantaſiewelt des Mittelalters losmachen wollte, konnte nicht plötzlich durch bloße Empirie zur Erkenntniß der phyſiſchen und geiſtigen Welt durchdringen, ſie bedurfte eines Führers, und als ſolchen bot ſich das claſſiſche Alter - thum dar, mit ſeiner Fülle objectiver, evidenter Wahrheit in allen Gebieten des Geiſtes. Man nahm von ihm Form und Stoff mit Dank und Bewunderung an; es wurde einſtweilen der Hauptinhalt jener Bildung1)Wie das Alterthum in allen höhern Gebieten des Lebens als Lehrer und Führer dienen könne, ſchildert z. B. in raſcher Ueberſicht Aeneas Sylvius (opera p. 603 in der Epiſt. 105, an Erzherzog Sigismund).. Auch die allgemeinen Verhältniſſe Italiens waren der Sache günſtig; das Kaiſerthum des Mittelalters hatte ſeit dem Untergang der Hohenſtaufen entweder auf Italien verzichtet oder konnte ſich daſelbſt nicht halten; das Papſtthum war nach1763. Abſchnitt. Avignon übergeſiedelt; die meiſten thatſächlich vorhandenen Mächte waren gewaltſam und illegitim; der zum Bewußt - ſein geweckte Geiſt aber war im Suchen nach einem neuen haltbaren Ideal begriffen, und ſo konnte ſich das Schein -Die römiſche Weltherrſchaft. bild und Poſtulat einer römiſch-italiſchen Weltherrſchaft der Gemüther bemächtigen, ja eine practiſche Verwirklichung verſuchen mit Cola di Rienzo. Wie er, namentlich bei ſeinem erſten Tribunat, die Aufgabe anfaßte, mußte es allerdings nur zu einer wunderlichen Comödie kommen, allein für das Nationalgefühl war die Erinnerung an das alte Rom durchaus kein werthloſer Anhalt. Mit ſeiner Cultur aufs Neue ausgerüſtet fühlte man ſich bald in der That als die vorgeſchrittenſte Nation der Welt.
Dieſe Bewegung der Geiſter, nicht in ihrer Fülle, ſondern nur in ihren äußern Umriſſen, und weſentlich in ihren Anfängen zu zeichnen iſt nun unſere nächſte Aufgabe1)Für das Nähere möchte ich gerne auf eine gute und ausführliche Geſchichte der Philologie verweiſen, kenne aber die Literatur dieſes Faches nicht hinlänglich. Vieles findet ſich bei Roscoe: Lorenzo magnif. und: Leo X, ſowie in Voigt: Enea Silvio, und in Papen - cordt: Geſch. der Stadt Rom im Mittelalter. — Wer ſich einen Begriff machen will von dem Umfang, welchen das Wiſſenswürdige bei den Gebildeten des beginnenden XVI. Jahrh. angenommen hatte, iſt am beſten auf die Commentarii urbani des Raphael Volaterranus zu verweiſen. Hier ſieht man, wie das Alterthum den Eingang und Hauptinhalt jedes Erkenntnißzweiges ausmachte, von der Geographie und Localgeſchichte durch die Biographien aller Mächtigen und Berühmten, die Populärphiloſophie, die Moral und die einzelnen Specialwiſſenſchaften hindurch bis auf die Analyſe des ganzen Ariſtoteles, womit das Werk ſchließt. Um die ganze Bedeutung deſſelben als Quelle der Bildung zu erkennen, müßte man es mit allen frühern Encyclopädien vergleichen..
177Vor Allem genießt die Ruinenſtadt Rom ſelber jetzt3. Abſchnitt. eine andere Art von Pietät als zu der Zeit da die Mira -Die Ruinen von Rom. bilia Romae und das Sammelwerk des Wilhelm von Mal - mesbury verfaßt wurden. Die Phantaſie des frommen Pilgers wie die des Zaubergläubigen und des Schatzgräbers tritt in den Aufzeichnungen zurück neben der des Hiſtorikers und Patrioten. In dieſem Sinne wollen Dante's Worte1)Dante, Convito, Tratt. IV, Cap. 5. verſtanden ſein: Die Steine der Mauern von Rom ver - dienten Ehrfurcht, und der Boden worauf die Stadt ge - baut iſt, ſei würdiger als die Menſchen ſagen. Die coloſſale Frequenz der Jubileen läßt in der eigentlichen Literatur doch kaum eine andächtige Erinnerung zurück; als beſten Gewinn vom Jubileum des Jahres 1300 bringt Giovanni Villani (S. 74) ſeinen Entſchluß zur Geſchichtſchreibung mit nach Hauſe, welchen der Anblick der Ruinen von Rom in ihm geweckt. Petrarca giebt uns noch Kunde von einer zwiſchen claſſiſchem und chriſtlichem Alterthum getheilten Stimmung; er erzählt, wie er oftmals mit Giovanni Co - lonna auf die rieſigen Gewölbe der Diocletiansthermen hinaufgeſtiegen2)Epp. familiares VI, 2 (pag. 657); Aeußerungen über Rom, bevor er es geſehen ibid. II, 9 (p. 600); vgl. II, 14.; hier, in der reinen Luft, in tiefer Stille, mitten in der weiten Rundſicht redeten ſie zuſammen, nicht von Geſchäften, Hausweſen und Politik, ſondern, mit dem Blick auf die Trümmer ringsum, von der Geſchichte, wobei Petrarca mehr das Alterthum, Giovanni mehr die chriſtliche Zeit vertrat; dann auch von der Philoſophie und von den Erfindern der Künſte. Wie oft ſeitdem bis auf Gibbon und Niebuhr hat dieſe Ruinenwelt die geſchichtliche Con - templation geweckt.
Dieſelbe getheilte Empfindung offenbart auch nochUberti. Fazio degli Uberti in ſeinem um 1360 verfaßten Ditta - mondo, einer fingirten viſionären Reiſebeſchreibung, wobeiCultur der Renaiſſance. 121783. Abſchnitt. ihn der alte Geograph Solinus begleitet wie Virgil den Dante. So wie ſie Bari zu Ehren des S. Nicolaus, Monte Gargano aus Andacht zum Erzengel Michael be - ſuchen, ſo wird auch in Rom die Legende von Araceli und die von S. Maria in Traſtevere erwähnt, doch hat die profane Herrlichkeit des alten Rom ſchon merklich das Uebergewicht; eine hehre Greiſinn in zerriſſenem Gewand — es iſt Roma ſelber — erzählt ihnen die glorreiche Geſchichte und ſchildert umſtändlich die alten Triumphe1)Dittamondo, II, cap. 3. Der Zug erinnert noch theilweiſe an die naiven Bilder der heil. drei Könige und ihres Gefolges. — Die Schilderung der Stadt, II, cap. 31, iſt archäologiſch nicht ganz ohne Werth. — Laut dem Polistore (Murat. XXIV, Col. 845) reisten 1366 Nicolò und Ugo von Eſte nach Rom: per vedere quelle magnificenze antiche, che al presente si possono ve - dere in Roma. ; dann führt ſie die Fremdlinge in der Stadt herum und erklärt ihnen die ſieben Hügel und eine Menge Ruinen — che com - prender potrai, quanto fui bella! —
Letzte große Zerſtörungen.Leider war dieſes Rom der avignoneſiſchen und ſchis - matiſchen Päpſte in Bezug auf die Reſte des Alterthums ſchon bei Weitem nicht mehr was es einige Menſchenalter vorher geweſen war. Eine tödtliche Verwüſtung, welche den wichtigſten noch vorhandenen Gebäuden ihren Character genommen haben muß, war die Schleifung von 140 feſten Wohnungen römiſcher Großen, durch den Senator Bran - caleone um 1258; der Adel hatte ſich ohne Zweifel in den beſterhaltenen und höchſten Ruinen eingeniſtet gehabt2)Beiläufig hier ein Beleg, wie auch das Ausland Rom im Mittel - alter als einen Steinbruch betrachtete: Der berühmte Abt Sugerius, der ſich (um 1140) für ſeinen Neubau von St. Denis um gewal - tige Säulenſchäfte umſah, dachte an nichts geringeres als an die Granitmonolithen der Diocletiansthermen, beſann ſich aber doch eines Andern. Sugerii libellus alter, bei Duchesne, scriptores, IV, p. 352. — Carl d. Gr. war ohne Zweifel beſcheidener verfahren.. 179Gleichwohl blieb noch immer unendlich viel mehr übrig als3. Abſchnitt. was gegenwärtig aufrecht ſteht, und namentlich mögen viele Reſte noch ihre Bekleidung und Incruſtation mit Marmor, ihre vorgeſetzten Säulen u. a. Schmuck gehabt haben, wo jetzt nur der Kernbau aus Backſteinen übrig iſt. An dieſen Thatbeſtand ſchloß ſich nun der Anfang einer ernſthaften Topographie der alten Stadt an. In Poggio's Wande -Das Rom Poggio's. rung durch Rom1)Fabroni, Cosmus, Adnot. 86. Aus einem Brief des Alberto degli Alberti an Giovanni Medici. — Ueber den Zuſtand Roms iſt zum erſtenmal das Studium der Reſte ſelbſt mit dem der alten Autoren und mit dem der Inſchriften (welchen er durch alles Geſtrüpp hindurch2)Poggio als frühſter Inſcriptionenſammler, in ſeinem Briefe in der vita Poggii, bei Murat. XX, Col. 177. Als Büſtenſammler Col. 183. nachging) inniger verbunden, die Phantaſie zurückgedrängt, der Gedanke an das chriſtliche Rom gefliſſentlich ausge - ſchieden. Wäre nur Poggio's Arbeit viel ausgedehnter und mit Abbildungen verſehen! Er traf noch ſehr viel mehr Erhaltenes an als achtzig Jahre ſpäter Rafael. Er ſelber hat noch das Grabmal der Caecilia Metella und die Säulenfronte eines der Tempel am Abhang des Capitols zuerſt vollſtändig und dann ſpäter bereits halbzerſtört wiedergeſehen, indem der Marmor noch immer den unglück - ſeligen Materialwerth hatte, leicht zu Kalk gebrannt werden zu können; auch eine gewaltige Säulenhalle bei der Mi - nerva unterlag ſtückweiſe dieſem Schickſal. Ein Bericht - erſtatter vom Jahre 1443 meldet die Fortdauer dieſes Kalkbrennens, „ welches eine Schmach iſt; denn die neuern „ Bauten ſind erbärmlich, und das Schöne an Rom ſind „ die Ruinen “3)Poggii opera, fol. 50, s. Ruinarum urbis Romæ descriptio. Um 1430, nämlich kurz vor dem Tode Martin's V. — Die Ther - men des Caracalla und Diocletian hatten noch ihre Ineruſtation und ihre Säulen.. Die damaligen Einwohner in ihren12*1803. Abſchnitt. Campagnolenmänteln und Stiefeln kamen den Fremden vor wie lauter Rinderhirten, und in der That weidete das Vieh bis zu den Banchi hinein; die einzige geſellige Reunion waren die Kirchgänge zu beſtimmten Abläſſen; bei dieſer Gelegenheit bekam man auch die ſchönen Weiber zu ſehen.
In den letzten Jahren Eugens IV. (ſt. 1447) ſchrieb Blondus von Forli ſeine Roma inſtaurata, bereits mit Be - nützung des Frontinus und der alten Regionenbücher, ſo wie auch (ſcheint es) des Anaſtaſius. Sein Zweck iſt ſchon bei Weitem nicht bloß die Schilderung des Vorhandenen, ſondern mehr die Ausmittelung des Untergegangenen. Im Einklang mit der Widmung an den Papſt tröſtet er ſich für den allgemeinen Ruin mit den herrlichen Reliquien der Heiligen, welche Rom beſitze.
Die Päpſte.Mit Nicolaus V. (1447 — 1455) beſteigt derjenige neue monumentale Geiſt, welcher der Renaiſſance eigen war, den päpſtlichen Stuhl. Durch die neue Geltung und Ver - ſchönerung der Stadt Rom als ſolcher wuchs nun wohl einerſeits die Gefahr für die Ruinen, andererſeits aber auch die Rückſicht für dieſelben als Ruhmestitel der Stadt. Pius II. als Antiquar.Pius II. iſt ganz erfüllt von antiquariſchem Intereſſe, und wenn er von den Alterthümern Roms wenig redet, ſo hat er dafür denjenigen des ganzen übrigen Italiens ſeine Aufmerkſamkeit gewidmet und diejenigen der Umgebung der Stadt in weitem Umfange zuerſt genau gekannt und be - ſchrieben1)Das Folgende aus Jo. Ant. Campanus: Vita Pii II. bei Mura - tori III, II. Col. 980, s. — Pii II. Commentarii p. 48. 72, s. 206. 248, s. 501. u. a. a. O.. Allerdings intereſſiren ihn als Geiſtlichen und Cosmographen antike und chriſtliche Denkmäler und Natur - wunder gleichmäßig, oder hat er ſich Zwang anthun müſſen,3)unter Martin V. ſ. Platina p. 277; während der Abweſenheit Eugen's IV. ſ. Vespasiano Fiorent. p. 21. 181 als er z. B. niederſchrieb: Nola habe größere Ehre durch3. Abſchnitt. das Andenken des S. Paulinus als durch die römiſchen Erinnerungen und durch den Heldenkampf des Marcellus? Nicht daß etwa an ſeinem Reliquienglauben zu zweifeln wäre, allein ſein Geiſt iſt ſchon offenbar mehr der Forſcher - theilnahme an Natur und Alterthum, der Sorge für das Monumentale, der geiſtvollen Beobachtung des Lebens zu - geneigt. Noch in ſeinen letzten Jahren als Papſt, podagriſch und doch in der heiterſten Stimmung, läßt er ſich auf dem Tragſeſſel über Berg und Thal nach Tusculum, Alba, Tibur, Oſtia, Falerii, Ocriculum bringen und verzeichnet Alles was er geſehen; er verfolgt die alten Römerſtraßen und Waſſerleitungen und ſucht die Grenzen der antiken Völkerſchaften um Rom zu beſtimmen. Bei einem Ausflug nach Tibur mit dem großen Federigo von Urbino vergeht die Zeit Beiden auf das Angenehmſte mit Geſprächen über das Alterthum und deſſen Kriegsweſen, beſonders über den trojaniſchen Krieg; ſelbſt auf ſeiner Reiſe zum Congreß von Mantua (1459) ſucht er, wiewohl vergebens, das von Plinius erwähnte Labyrinth von Cluſium und beſieht am Mincio die ſogenannte Villa Virgil's. Daß derſelbe Papſt auch von den Abbreviatoren ein claſſiſches Latein verlangte, verſteht ſich beinahe von ſelbſt; hat er doch einſt im nea - politaniſchen Krieg die Arpinaten amneſtirt als Landsleute des M. T. Cicero, ſo wie des C. Marius, nach welchen noch viele Leute dort getauft waren. Ihm allein als Ken - ner und Beſchützer konnte und mochte Blondus ſeine Roma triumphans zueignen, den erſten großen Verſuch einer Ge - ſammtdarſtellung des römiſchen Alterthums.
In dieſer Zeit war natürlich auch im übrigen ItalienDas Alterthum außerhalb Rom's. der Eifer für die römiſchen Alterthümer erwacht. Schon Boccaccio1)Boccaccio, Fiammetta, cap. 5. nennt die Ruinenwelt von Bajae „ altes Ge - mäuer, und doch neu für moderne Gemüther; “ſeitdem1823. Abſchnitt. galten ſie als größte Sehenswürdigkeit der Umgegend Neapels. Schon entſtanden auch Sammlungen von Alterthümern jeder Gattung. Ciriaco von Ancona durchſtreifte nicht bloß Italien ſondern auch andere Länder des alten Orbis terrarum und brachte Inſchriften und Zeichnungen in Menge mit; auf die Frage, warum er ſich ſo bemühe, antwortete er: um die Todten zu erwecken1)Leandro Alberti, Descriz. di tutta l'Italia, fol. 285. . Die Hiſtorien der einzelnen Städte hatten von jeher auf einen wahren oder fingirten Zuſammenhang mit Rom, auf directe Grün - dung oder Coloniſation von dort aus hingewieſen2)Zwei Beiſpiele ſtatt vieler: die fabuloſe Urgeſchichte von Mailand, im Manipulus (Murat. XI, Col. 552) und die von Florenz, am Anfang der Chronik des Ricordano Malaspini, und dann bei Gio. Villani, laut welchem Florenz gegen das antirömiſche, rebelliſche Fieſole von jeher Recht hat, weil es ſo gut römiſch geſinnt iſt. (I, 9. 38. 41. II, 2). — Dante, Inf. XV, 76. ; längſtAbſtammung von alten Rö - mern. ſcheinen gefällige Genealogen auch einzelne Familien von berühmten römiſchen Geſchlechtern derivirt zu haben. Dieß lautete ſo angenehm, daß man auch im Lichte der begin - nenden Kritik des XV. Jahrhunderts daran feſthielt. Ganz unbefangen redet Pius II. in Viterbo3)Commentarii, p. 206, im IV. Buch. zu den rö - miſchen Oratoren, die ihn um ſchleunige Rückkehr bitten: „ Rom iſt ja meine Heimath ſo gut wie Siena, denn mein „ Haus, die Piccolomini, iſt vor Alters von Rom nach „ Siena gewandert, wie der häufige Gebrauch der Namen „ Aeneas und Sylvius in unſerer Familie beweist “. Ver - muthlich hätte er nicht übel Luſt gehabt, ein Julier zu ſein. Auch für Paul II. — Barbo von Venedig — wurde geſorgt, indem man ſein Haus, trotz einer entgegenſtehenden Abſtammung aus Deutſchland, von den römiſchen Aheno - barbus ableitete, die mit einer Colonie nach Parma gerathen und deren Nachkommen wegen Parteiung nach Venedig183 ausgewandert ſeien1)Mich. Cannesius, Vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 993. Selbſt gegen Nero, den Sohn des Domitius Ahenobarbus, will Auter, der päpſtlichen Verwandtſchaft wegen, nicht unverbindlich ſein; er ſagt von demſelben nur: de quo rerum scriptores multa ac diversa commemorant. — Noch ſtärker war es freilich z. B. wenn die Familie Plato in Mailand ſich ſchmeichelte von dem großen Plato abzuſtammen, wenn Filelfo in einer Hochzeitsrede und in einer Lobrede auf den Juriſten Teodoro Plato dieß ſagen durfte, und wenn ein Giovanantonio Plato der von ihm 1478 gemeißelten Relieffigur des Philoſophen (im Hof des Pal. Mazenta zu Mailand) die Inſchrift beifügen konnte: Platonem suum, a quo originem et ingenium refert …. Daß die Maſſimi von O. Fabius3. Abſchnitt. Maximus, die Cornaro von den Corneliern abſtammen wollten, kann nicht befremden. Dagegen iſt es für das folgende XVI. Jahrhundert eine recht auffallende Aus - nahme, daß der Novelliſt Bandello ſein Geſchlecht von vornehmen Oſtgothen (I, Nov. 23.) abzuleiten ſucht.
Kehren wir nach Rom zurück. Die Einwohner, „ die ſich damals Römer nannten “, gingen begierig auf das Hochgefühl ein, welches ihnen das übrige Italien entgegen - brachte. Wir werden unter Paul II., Sixtus IV. und Alexander VI. prächtige Carnevalsaufzüge ſtattfinden ſehen, welche das beliebteſte Phantaſiebild jener Zeit, den Triumph altrömiſcher Imperatoren, darſtellten. Wo irgend Pathos zum Vorſchein kam, mußte es in jener Form geſchehen. Bei dieſer Stimmung der Gemüther geſchah es am 18. AprilDie römiſche Leiche. 1485, daß ſich das Gerücht verbreitete, man habe die wunderbar ſchöne, wohl erhaltene Leiche einer jungen Rö - merinn aus dem Alterthum gefunden2)Hierüber Nantiporto, bei Murat. III, II, Col. 1094; Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1951; — Matarazzo, im Arch. stor. XVI, II, p. 180. . Lombardiſche Maurer, welche auf einem Grundſtück des Kloſters S. Ma - ria nuova, an der Via Appia, außerhalb der Caecilia Metella,1843. Abſchnitt. ein antikes Grabmal aufgruben, fanden einen marmornen Sarcophag angeblich mit der Aufſchrift: Julia, Tochter des Claudius. Das Weitere gehört der Phantaſie an; die Lombarden ſeien ſofort verſchwunden ſammt den Schätzen und Edelſteinen, welche im Sarcophag zum Schmuck und Geleit der Leiche dienten; letztere ſei mit einer ſichernden Eſſenz überzogen und ſo friſch, ja ſo beweglich geweſen wie die eines eben geſtorbenen Mädchens von 15 Jahren; dann hieß es ſogar, ſie habe noch ganz die Farbe des Lebens, Augen und Mund halb offen. Man brachte ſie nach dem Conſervatorenpalaſt auf dem Capitol, und dahin, um ſie zu ſehen, begann nun eine wahre Wallfahrt; Viele kamen auch um ſie abzumalen; „ denn ſie war ſchön, wie man es „ nicht ſagen noch ſchreiben kann, und wenn man es ſagte „ oder ſchriebe, ſo würden es, die ſie nicht ſahen, doch nicht „ glauben “. Aber auf Befehl Innocenz VIII. mußte ſie eines Nachts vor Porta Pinciana an einem geheimen Ort verſcharrt werden; in der Hofhalle der Conſervatoren blieb nur der leere Sarcophag. Wahrſcheinlich war über den Kopf der Leiche eine farbige Maske des idealen Styles aus Wachs oder etwas Aehnlichem modellirt, wozu die vergoldeten Haare, von welchen die Rede iſt, ganz wohl paſſen würden. Das Rührende an der Sache iſt nicht der Thatbeſtand ſondern das feſte Vorurtheil, daß der antike Leib, den man endlich hier in Wirklichkeit vor ſich zu ſehen glaubte, nothwendig herrlicher ſein müſſe als Alles was jetzt lebe.
Die neuen Aus - grabungenInzwiſchen wuchs die ſachliche Kenntniß des alten Rom durch Ausgrabungen; ſchon unter Alexander VI. lernte man die ſog. Grottesken, d. h. die Wand - und Gewölbe - decoration der Alten kennen, und fand in Porto d'Anzo den Apoll vom Belvedere; unter Julius II. folgten die glorreichen Auffindungen des Laocoon, der vaticaniſchen Venus, des Torſo, der Cleopatra u. a. m.1)Schon unter Julius II. grub man nach in der Abſicht, Statuen zu finden. Vasari XI, p. 302, V. di Gio. da Udine. ; auch die185 Paläſte der Großen und Cardinäle begannen ſich mit an -3. Abſchnitt. tiken Statuen und Fragmenten zu füllen. Für Leo X. unternahm Rafael jene ideale Reſtauration der ganzen alten Stadt, von welcher ſein (oder Caſtiglione's) berühm - ter Brief ſpricht1)Quatremère, stor. della vita etc. di Rafaello, ed. Longhena, p. 531. . Nach der bittern Klage über die noch immer dauernden Zerſtörungen, namentlich noch unter Julius II., ruft er den Papſt um Schutz an für die we - nigen übriggebliebenen Zeugniſſe der Größe und Kraft jener göttlichen Seelen des Alterthums, an deren Andenken ſich noch jetzt diejenigen entzünden, die des Höhern fähig ſeien. Mit merkwürdig durchdringendem Urtheil legt er dann den Grund zu einer vergleichenden Kunſtgeſchichte überhaupt und ſtellt am Ende denjenigen Begriff von „ Aufnahme “feſt,u. Aufnahmen. welcher ſeitdem gegolten hat: er verlangt für jeden Ueberreſt Plan, Aufriß und Durchſchnitt geſondert. Wie ſeit dieſer Zeit die Archäologie, in ſpeciellem Anſchluß an die gehei - ligte Weltſtadt und deren Topographie, zur beſondern Wiſſenſchaft heranwuchs, wie die vitruvianiſche Academie wenigſtens ein coloſſales Programm2)Lettere pittoriche II, I. Tolomei an Landi, 14. Nov. 1542. aufſtellte, kann nicht weiter aufgeführt werden. Hier dürfen wir bei Leo X.Das leoniſche Rom. ſtehen bleiben, unter welchem der Genuß des Alterthums ſich mit allen andern Genüſſen zu jenem wunderſamen Eindruck verflocht, welcher dem Leben in Rom ſeine Weihe gab. Der Vatican tönte von Geſang und Saitenſpiel; wie ein Gebot zur Lebensfreude gingen dieſe Klänge über Rom hin, wenn auch Leo damit für ſich kaum eben erreichte, daß ſich Sorgen und Schmerzen verſcheuchen ließen und wenn auch ſeine bewußte Rechnung, durch Heiterkeit das Daſein zu verlängern3)Er wollte curis animique doloribus quacunque ratione aditum intercludere, heitererer Scherz und Muſik feſſelten ihn und er hoffte auf dieſe Weiſe länger zu leben Leonis X. vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi XII, p. 169. , mit ſeinem frühen Tode fehlſchlug. 1863. Abſchnitt. Dem glänzenden Bilde des leoniſchen Rom, wie es Paolo Giovio entwirft, wird man ſich nie entziehen können, ſo gut bezeugt auch die Schattenſeiten ſind: die Knechtſchaft der Emporſtrebenden und das heimliche Elend der Prälaten, welche trotz ihrer Schulden ſtandesgemäß leben müſſen1)Von Arioſto's Satiren gehören hieher die I. (Perc 'ho molto etc.,) und die IV. (Poiche, Annibale etc.). , das Lotteriemäßige und Zufällige von Leo's literariſchem Mäcenat, endlich ſeine völlig verderbliche Geldwirthſchaft2)Ranke, Päpſte, I, 408 f. — Lettere de' principi I, Brief des Negri 1. Sept. 1522: … tutti questi cortigiani esausti da Papa Leone e falliti …. Derſelbe Arioſt, der dieſe Dinge ſo gut kannte und ver - ſpottete, giebt doch wieder in der ſechsten Satire ein ganz ſehnſüchtiges Bild von dem Umgang mit den hochgebildeten Poeten, welche ihn durch die Ruinenſtadt begleiten würden, von dem gelehrten Beirath, den er für ſeine eigene Dich - tung dort vorfände, endlich von den Schätzen der vatica - niſchen Bibliothek. Dieß, und nicht die längſt aufgegebene Hoffnung auf mediceiſche Protection, meint er, wären die wahren Lockſpeiſen für ihn, wenn man ihn wieder bewegen wollte, als ferrareſiſcher Geſandter nach Rom zu gehen.
Ruinen - ſentimentalität.Außer dem archäologiſchen Eifer und der feierlich pa - triotiſchen Stimmung weckten die Ruinen als ſolche, in und außer Rom, auch ſchon eine elegiſch-ſentimentale. Bereits bei Petrarca und Boccaccio finden ſich Anklänge dieſer Art (S. 177, 181); Poggio (a. a. O.) beſucht oft den Tempel der Venus und Roma, in der Meinung es ſei der des Caſtor und Pollux, wo einſt ſo oft Senat gehalten worden, und vertieft ſich hier in die Erinnerung an die großen Redner Craſſus, Hortenſius, Cicero. Vollkommen ſentimental äußert ſich dann Pius II. zumal bei der Beſchreibung von Tibur3)Pii II. Commentarii p. 251, im V. Buch. — Vgl. auch Sanna - zaro's Elegie in ruinas Cumarum, im 2. Buche., und bald darauf entſteht die erſte ideale Ruinenanſicht nebſt187 Schilderung bei Polifilo1)Polifilo, Hypnerotomachia, ohne Seitenzahlen. Im Auszug bei Temanza, p. 12. : Trümmer mächtiger Gewölbe3. Abſchnitt. und Colonnaden, durchwachſen von alten Platanen, Lor - beeren und Cypreſſen nebſt wildem Buſchwerk. In der heiligen Geſchichte wird es, man kann kaum ſagen wie, gebräuchlich, die Darſtellung der Geburt Chriſti in die möglichſt prachtvollen Ruinen eines Palaſtes zu verlegen2)Während alle Kirchenväter und alle Pilger nur von einer Höhle wiſſen. Auch die Dichter können des Palaſtes entbehren. Vgl. Sannazaro, de partu Virginis, L. II. . Daß dann endlich die künſtliche Ruine zum Requiſit präch - tiger Gartenanlagen wurde, iſt nur die practiſche Aeußerung deſſelben Gefühls.
Unendlich wichtiger aber als die baulichen und über -Die alten Autoren im XIV. Ih. haupt künſtleriſchen Reſte des Alterthums waren natürlich die ſchriftlichen, griechiſche ſowohl als lateiniſche. Man hielt ſie ja für Quellen aller Erkenntniß im abſoluteſten Sinne. Das Bücherweſen jener Zeit der großen Fünde iſt oft geſchildert worden: wir können nur einige weniger beachtete Züge hier beifügen3)Hauptſächlich aus Vespaſiano Fiorentino, im X. Bande des Spicileg. romanum von Mai. Der Autor war ein florentiniſcher Bücher - händler und Copienlieferant um die Mitte des XV. Jahrh. und nach derſelben..
So groß die Einwirkung der alten Schriftſteller ſeit langer Zeit und vorzüglich während des XIV. Jahrhunderts in Italien erſcheint, ſo war doch mehr das Längſtbekannte in zahlreichere Hände verbreitet als Neues entdeckt worden. Die gangbarſten lateiniſchen Dichter, Hiſtoriker, Redner und Epiſtolographen nebſt einer Anzahl lateiniſcher Ueber - ſetzungen nach einzelnen Schriften des Ariſtoteles, Plutarch und weniger andern Griechen bildeten weſentlich den Vor - rath, an welchem ſich die Generation des Boccaccio und1883. Abſchnitt. Petrarca begeiſterte. Letzterer beſaß und verehrte bekannt - lich einen griechiſchen Homer ohne ihn leſen zu können; die erſte lateiniſche Ueberſetzung der Ilias und Odyſſee hat Boccaccio mit Hülfe eines calabreſiſchen Griechen ſo gut es ging zu Stande gebracht. Erſt mit dem XV. Jahr - hundert beginnt die große Reihe neuer Entdeckungen, die ſyſtematiſche Anlage von Bibliotheken durch Copiren, und der eifrigſte Betrieb des Ueberſetzens aus dem Griechiſchen1)Bekanntlich wurde, um die Begier nach dem Alterthum zu täuſchen oder zu brandſchatzen, auch einiges Unechte geſchmiedet. Man ſehe in den literar-geſchichtlichen Werken ſtatt alles Uebrigen die Artikel über Annius von Viterbo..
Dieſelben im XV. Jahrh.Ohne die Begeiſterung einiger damaligen Sammler, welche ſich bis zur äußerſten Entbehrung anſtrengten, be - ſäßen wir ganz gewiß nur einen kleinen Theil zumal der griechiſchen Autoren, welche auf unſere Zeit gekommen ſind. Papſt Nicolaus V. hat ſich ſchon als Mönch in Schulden geſtürzt um Codices zu kaufen oder copiren zu laſſen; ſchon damals bekannte er ſich offen zu den beiden großen Paſſionen der Renaiſſance: Bücher und Bauten2)Vespas. Fior. p. 31. Tommaso da Serezana usava dire, che dua cosa farebbe, s'egli potesse mai spendere, ch'era in libri e murare. E l'una e l'altra fece nel suo pontificato. — Seine Ueberſetzer ſ. bei Aen. Sylvius, de Europa, cap. 58, p. 459, und bei Papencordt, Geſch. der Stadt Rom, p. 502. . Als Papſt hielt er Wort; Copiſten ſchrieben und Späher ſuchten für ihn in der halben Welt, Perotto erhielt für die lateiniſche Ueberſetzung des Polybius 500 Ducaten, Guarino für die des Strabo 1000 Goldgulden und ſollte noch weitere 500 erhalten, als der Papſt zu früh ſtarb. Mit 5000 oder je nachdem man rechnete 9000 Bänden3)Vespas. Fior. p. 48 und 658. 665. Vgl. J. Mannetti, vita Ni - colai V. bei Murat. III, II, Col. 925, s. — Ob und wie Calixt III. die Sammlung wieder theilweiſe verzettelte, ſ. Vespas. Fior., p 284, s. mit Mai's Anmerkung. hinterließ er die -189 jenige eigentlich für den Gebrauch aller Curialen beſtimmte3. Abſchnitt. Bibliothek, welche der Grundſtock der Vaticana gewordenDie Bibliothe - ken. iſt; im Palaſt ſelber ſollte ſie aufgeſtellt werden, als deſſen edelſte Zier, wie es einſt König Ptolemaeus Philadelphus zu Alexandrien gehalten. Als er wegen der Peſt mit dem Hofe nach Fabriano zog, nahm er ſeine Ueberſetzer und Compilatoren dahin mit, auf daß ſie ihm nicht wegſtürben.
Der Florentiner Niccolò Niccoli1)Vespas. Fior. p. 617, s. , Genoſſe des ge - lehrten Freundeskreiſes, welcher ſich um den ältern Coſimo Medici verſammelte, wandte ſein ganzes Vermögen auf Er - werb von Büchern; endlich, da er nichts mehr hatte, hielten ihm die Medici ihre Kaſſen offen für jede Summe, die er zu ſolchen Zwecken begehrte. Ihm verdankt man die Ver - vollſtändigung des Ammianus Marcellinus, des Cicero de oratore u. A. m.; er bewog den Coſimo zum Ankauf des trefflichſten Plinius aus einem Kloſter zu Lübeck. Mit einem großartigen Zutrauen lieh er ſeine Bücher aus, ließ die Leute auch bei ſich leſen ſo viel ſie wollten, und unter - redete ſich mit ihnen über das Geleſene. Seine Sammlung, 800 Bände zu 6000 Goldgulden gewerthet, kam nach ſei - nem Tode durch Coſimo's Vermittlung an das Kloſter S. Marco mit Bedingung der Oeffentlichkeit.
Von den beiden großen Bücherfindern Guarino undPoggio. Poggio iſt der letztere2)Vespas. Fior. p. 547, s. , zum Theil als Agent des Niccoli, bekanntlich auch in den ſüddeutſchen Abteien thätig gewe - ſen, und zwar bei Anlaß des Concils von Conſtanz. Er fand dort ſechs Reden des Cicero und den erſten vollſtän - digen Quintilian, die Sangallenſiſche, jetzt Zürcher Hand - ſchrift; binnen 32 Tagen ſoll er ſie vollſtändig und zwar ſehr ſchön abgeſchrieben haben. Den Silius Italicus, Ma - nilius, Lucretius, Val. Flaccus, Ascon. Pedianus, Columella, Celſus, A. Gellius, Statius u. m. A. konnte er weſentlich1903. Abſchnitt. vervollſtändigen; mit Lionardo Aretino zuſammen brachte er die zwölf letzten Stücke des Plautus zum Vorſchein, ſo wie die Verrinen des Cicero.
Aus antikem Patriotismus ſammelte der berühmte Grieche Cardinal Beſſarion1)Vespas. Fior. p. 193. Vgl. Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 1185, s. 600 Codices, heidniſchen wie chriſtlichen Inhalts, mit ungeheuren Opfern, und ſuchte nun einen ſichern Ort, wohin er ſie ſtiften könne, damit ſeine unglückliche Heimath, wenn ſie je wieder frei würde, ihre verlorene Literatur wieder finden möchte. Die Signorie von Venedig (S. 73) erklärte ſich zum Bau eines Locales bereit und noch heute bewahrt die Marcusbibliothek einen Theil jener Schätze2)Wie man einſtweilen damit umging, ſ. bei Malipiero, Ann. veneti, Arch. stor. VII, II, p. 653. 655. .
Das Zuſammenkommen der berühmten mediceiſchen Bibliothek hat eine ganz beſondere Geſchichte, auf welche wir hier nicht eingehen können; der Hauptſammler für Lorenzo magnifico war Johannes Lascaris. Bekanntlich hat die Sammlung nach der Plünderung des Jahres 1494 noch einmal ſtückweiſe durch Cardinal Giovanni Medici (Leo X.) erworben werden müſſen.
Die Bibliothek von Urbino.Die urbinatiſche Bibliothek3)Vespas. Fior. p. 124, s. (jetzt im Vatican) war durchaus die Gründung des großen Federigo von Monte - feltro (S. 45), der ſchon als Knabe zu ſammeln begonnen hatte, ſpäter beſtändig 30 bis 40 Scrittori an verſchiedenen Orten beſchäftigte, und im Verlauf der Zeit über 30,000 Ducaten daran wandte. Sie wurde, hauptſächlich mit Hülfe Vespaſiano's, ganz ſyſtematiſch fortgeſetzt und ver - vollſtändigt, und was dieſer davon berichtet, iſt beſonders merkwürdig als Idealbild einer damaligen Bibliothek. Man beſaß z. B. in Urbino die Inventarien der Vaticana, der191 Bibliothek von S. Marco in Florenz, der viscontiniſchen3. Abſchnitt. Bibliothek von Pavia, ja ſelbſt das Inventar von Oxford, und fand mit Stolz, daß Urbino in der Vollſtändigkeit der Schriften des einzelnen Autors jenen vielfach überlegen ſei. In der Maſſe wog vielleicht noch das Mittelalter und die Theologie vor; da fand ſich der ganze Thomas von Aquino, der ganze Albertus magnus, der ganze Bonaventura ꝛc. ; ſonſt war die Bibliothek ſehr vielſeitig und enthielt z. B. alle irgend beizuſchaffenden mediciniſchen Werke. Unter den „ Moderni “ſtanden die großen Autoren des XIV. Jahr - hunderts, z. B. Dante, Boccaccio mit ihren geſammten Werken oben an; dann folgten 25 auserleſene Humaniſten, immer mit ihren lateiniſchen und italieniſchen Schriften und allem was ſie überſetzt hatten. Unter den griechiſchen Codices überwogen ſehr die Kirchenväter, doch heißt es bei den Claſſikern u. a. in einem Zuge: alle Werke des So - phokles, alle Werke des Pindar, alle Werke des Menan - der — ein Codex, der offenbar frühe1)Etwa bei der Einnahme von Urbino durch das Heer Ceſare Borgia's? — Mai bezweifelt die Exiſtenz der Handſchrift, ich kann aber nicht glauben, daß Vespaſiano etwa die bloßen Gnomenexcerpte aus Me - nander, bekanntlich nur ein paar hundert Verſe, mit „ tutte le opere “und in jener Reihe umfangreicher Codices (mochte es auch nur unſer jetziger Sophokles und Pindar ſein) aufgeführt haben würde. Es iſt nicht undenkbar, daß jener Menander noch einmal zum Vorſchein kömmt. aus Urbino ver - ſchwunden ſein muß, weil ihn ſonſt die Philologen bald edirt haben würden.
Von der Art wie damals Handſchriften und Biblio -Copiſten und Scrittori. theken entſtanden, erhalten wir auch ſonſt einige Rechen - ſchaft. Der directe Ankauf eines ältern Manuſcriptes, welches einen raren oder allein vollſtändigen oder gar nur einzig vorhandenen Text eines alten Autors enthielt, blieb natürlich eine ſeltene Gabe des Glückes und kam nicht in Rechnung. Unter den Copiſten nahmen diejenigen, welche1923. Abſchnitt. griechiſch verſtanden, die erſte Stelle und den Ehrennamen Scrittori im vorzugsweiſen Sinne ein; es waren und blieben ihrer wenige, und ſie wurden hoch bezahlt1)Wenn Piero de' Medici beim Tode des bücherliebenden Königs Matthias Corvinus von Ungarn vorausſagt, die Scrittori würden fortan ihre Preiſe ermäßigen müſſen, da ſie ſonſt von Niemand mehr (scil. als von uns) beſchäftigt würden, ſo kann dieß nur auf die Griechen gehen, denn Kalligraphen, auf welche man es zu deuten verſucht wäre, gab es fortwährend viele in ganz Italien. — Fa - broni, Laurent. magn. Adnot. 156. Vgl. Adnot. 154. . Die übrigen, Copiſti ſchlechtweg, waren theils Arbeiter, die einzig davon lebten, theils arme Gelehrte, die eines Nebengewinnes bedurften. Merkwürdiger Weiſe waren die Copiſten von Rom um die Zeit Nicolaus V. meiſt Deutſche und Fran - zoſen2)Gaye, Carteggio, I, p. 164. Ein Brief von 1455, unter Ca - lixt III. Auch die berühmte Miniaturenbibel von Urbino iſt von einem Franzoſen, Arbeiter Vespaſiano's, geſchrieben. S. D'Agin - court, Malerei, Tab. 78., wahrſcheinlich Leute, die etwas bei der Curie zu ſuchen hatten und ihren Lebensunterhalt herausſchlagen mußten. Als nun z. B. Coſimo Medici für ſeine Lieblings - gründung, die Badia unterhalb Fieſole raſch eine Biblio - thek gründen wollte, ließ er den Vespaſiano kommen und erhielt den Rath: auf den Kauf vorräthiger Bücher zu verzichten, da ſich, was man wünſche, nicht vorräthig finde, ſondern ſchreiben zu laſſen; darauf machte Coſimo einen Accord mit ihm auf tagtägliche Auszahlung, und Vespa - ſiano nahm 45 Schreiber und lieferte in 22 Monaten 200 fertige Bände3)Vespas. Fior. p. 335. . Das Verzeichniß, wonach man ver - fuhr, hatte Coſimo von Nicolaus V.4)Auch für die Bibliotheken von Urbino und Peſaro (die des Aleſſ. Sforza, S. 27) hatte der Papſt eine ähnliche Gefälligkeit. eigenhändig erhalten. (Natürlich überwog die kirchliche Literatur und die Aus - ſtattung für den Chordienſt weit das Uebrige.)
193Die Handſchrift war jene ſchöne neu italieniſche, die3. Abſchnitt. ſchon den Anblick eines Buches dieſer Zeit zu einem Genuß macht, und deren Anfang ſchon ins XIV. Jahrhundert hinaufreicht. Papſt Nicolaus V., Poggio, Giannozzo Man - netti, Niccolò Niccoli und andere berühmte Gelehrte waren von Hauſe aus Kalligraphen und verlangten und duldeten nur Schönes. Die übrige Ausſtattung, auch wenn keine Miniaturen dazu kamen, war äußerſt geſchmackvoll, wie beſonders die Codices der Laurenziana mit ihren leichten linearen Anfangs - und Schlußornamenten beweiſen. Das Material war, wenn für große Herrn geſchrieben wurde, immer nur Pergament, der Einband in der Vaticana und zu Urbino gleichmäßig ein Karmoſinſammet mit ſilbernem Beſchläge. Bei einer ſolchen Geſinnung, welche die Ehr - furcht vor dem Inhalt der Bücher durch möglichſt edle Ausſtattung an den Tag legen wollte, iſt es begreiflich, daß die plötzlich auftauchenden gedruckten Bücher Anfangs auf Widerſtand ſtießen. Federigo von Urbino „ hätte ſich geſchämt “ein gedrucktes Buch zu beſitzen1)Vespas. Fior. p. 129. .
Die müden Abſchreiber aber — nicht die welche vomBücherdruck. Copiren lebten, ſondern die Vielen, welche ein Buch ab - ſchreiben mußten um es zu haben — jubelten über die deutſche Erfindung2)Artes — Quîs labor est fessis demptus ab articulis, in einem Gedicht des Robertus Urſus um 1470, Rerum ital. scriptt. ex codd. Florent., Tom. II, Col. 693. Er freut ſich etwas früh über die zu hoffende raſche Verbreitung der claſſiſchen Autoren. Vgl. Libri, hist. des sciences mathématiques II, 278, s. — Ueber die Drucker in Rom Gaspar. Veron. Vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 1046. Das erſte Privilegium in Venedig ſ. Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 1189. . Für die Vervielfältigung der Römer und dann auch der Griechen war ſie in Italien bald und lange nur hier thätig, doch ging es damit nicht ſo raſch als man bei der allgemeinen Begeiſterung für dieſe WerkeCultur der Renaiſſance. 131943. Abſchnitt. hätte denken ſollen. Nach einiger Zeit bilden ſich Anfänge der modernen Autors - und Verlagsverhältniſſe1)Eswas Aehnliches hatte ſchon zur Zeit des Schreibens exiſtirt, ſ. Vespas. Fior. p. 656, s. über die Weltchronik des Zembino von Piſtoja und unter Alexander VI. kam die präventive Cenſur auf, indem es jetzt nicht mehr leicht möglich war, ein Buch zu zernichten, wie noch Coſimo ſich es von Filelfo ausbedingen konnte2)Fabroni, Laurent. magn. Adnot. 212. — Es geſchah in Betreff der Schmähſchrift de exilio. .
Wie ſich nun allmälig, im Zuſammenhang mit dem fortſchreitenden Studium der Sprachen und des Alterthums überhaupt, eine Kritik der Texte bildete, iſt ſo wenig ein Gegenſtand dieſes Buches als die Geſchichte der Gelehr - ſamkeit überhaupt. Nicht das Wiſſen der Italiener als ſolches, ſondern die Reproduction des Alterthums in Lite - ratur und Leben muß uns beſchäftigen. Doch ſei über die Studien an ſich noch eine Bemerkung geſtattet.
Ueberſicht des griechiſchen Studiums.Die griechiſche Gelehrſamkeit concentrirt ſich weſentlich auf Florenz und auf das XV. und den Anfang des XVI. Jahrhunderts. Was Petrarca und Boccaccio angeregt hatten3)Vgl. Sismondi VI, p. 149, s. , ſcheint noch nicht über die Theilnahme einiger begeiſterten Dilettanten hinausgegangen zu ſein; anderer - ſeits ſtarb mit der Colonie gelehrter griechiſcher Flüchtlinge auch das Studium des Griechiſchen in den 1520er Jahren weg4)Das Ausſterben dieſer Griechen conſtatirt Pierius Valerian. de in - felicitate literat. bei Anlaß der Lascaris. Und Paulus Jovius am Ende ſeiner Elogia literaria ſagt von den Deutſchen: … quum literae non latinae modo cum pudore nostro, sed graecae et hebraicae in eorum terras fatali commigratione transierint. (Gegen 1540.), und es war ein rechtes Glück daß Nordländer (Erasmus, die Eſtienne, Budeus) ſich deſſelben inzwiſchen195 bemächtigt hatten. Jene Colonie hatte begonnen mit Ma -3. Abſchnitt. nuel Chryſoloras und ſeinem Verwandten Johannes, ſo wie mit Georg von Trapezunt, dann kamen um die Zeit der Eroberung Conſtantinopels und nachher Johannes Argyropulos, Theodor Gaza, Demetrios Chalcondylas, der ſeine Söhne Theophilos und Baſilios zu tüchtigen Griechen erzog, Andronikos Kalliſtos, Markos Muſuros und die Familie der Lascaris, nebſt andern mehr. Seit jedoch die Unterwerfung Griechenlands durch die Türken vollſtändig war, gab es keinen neuen gelehrten Nachwuchs mehr, aus - genommen die Söhne der Flüchtlinge und vielleicht ein paar Candioten und Cyprioten. Daß nun ungefähr mit dem Tode Leo's X. auch der Verfall der griechiſchen Stu -Deſſen frühe Abnahme. dien im Allgemeinen beginnt, hatte wohl zum Theil ſeinen Grund in einer Veränderung der geiſtigen Richtung über - haupt1)Ranke, Päpſte, I, 486. — Man vgl. das Ende dieſes Abſchnittes., und in der bereits eingetretenen relativen Sätti - gung mit dem Inhalt der claſſiſchen Literatur, gewiß iſt aber auch die Coincidenz mit dem Ausſterben der gelehrten Griechen keine ganz zufällige. Das Studium des Griechi - ſchen unter den Italienern ſelbſt erſcheint, wenn man die Zeit um 1500 zum Maßſtab nimmt, gewaltig ſchwunghaft; damals lernten diejenigen Leute griechiſch reden, welche es ein halbes Jahrhundert ſpäter noch als Greiſe konnten, wie z. B. die Päpſte Paul III. und Paul IV. 2)Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 338. 379. Gerade dieſe Art von Theilnahme aber ſetzte den Umgang mit ge - bornen Griechen voraus.
Außerhalb Florenz hatten Rom und Padua faſt immer, Bologna, Ferrara, Venedig, Perugia, Pavia u. a. Städte wenigſtens zeitweiſe beſoldete Lehrer des Griechiſchen3)Georg von Trapezunt mit 150 Ducaten in Venedig 1459 als Pro - feſſor der Rhetorik beſoldet, Malipiero, Arch. stor. VII, II, p. 653. — Ueber den griechiſchen Lehrſtuhl in Perugia ſ. Arch. stor. XVI,. 13*1963. Abſchnitt. Unendlich viel verdankte das griechiſche Studium der Officin des Aldo Manucci zu Venedig, wo die wichtigſten und umfangreichſten Autoren zum erſtenmal griechiſch gedruckt wurden. Aldo wagte ſeine Habe dabei; er war ein Editor und Verleger wie die Welt wenige gehabt hat.
Orientaliſche Studien.Daß neben den claſſiſchen Studien auch die orientali - ſchen einen ziemlich bedeutenden Umfang gewannen, iſt we - nigſtens hier mit einem Worte zu erwähnen. An die dogmatiſche Polemik gegen die Juden knüpfte ſich zuerſt bei Giannozzo Mannetti1)Vespas. Fior. p. 48. 476. 578. 614. — Auch Fra Ambrogio Camaldoleſe konnte hebräiſch. Ibid. p. 320., einem großen florentiniſchen Gelehrten und Staatsmann (ſt. 1459), die Erlernung des Hebräiſchen und der ganzen jüdiſchen Wiſſenſchaft; ſein Sohn Agnolo mußte von Kindheit auf lateiniſch, griechiſch und hebräiſch lernen; ja Papſt Nicolaus V. ließ von Giannozzo die ganze Bibel neu überſetzen, indem die phi - lologiſche Geſinnung jener Zeit darauf hindrängte, die Vulgata aufzugeben2)[Sixtus] IV, der das Gebäude für die Vaticana errichtete und die - ſelbe durch viele Ankäufe vermehrte, warf auch Beſoldungen für la - teiniſche, griechiſche und hebräiſche Scriptoren (librarios) aus. Pla - tina, vita Sixti IV, p. 332.. Auch ſonſt nahm mehr als ein Humaniſt das Hebräiſche lange vor Reuchlin mit in ſeine Studien auf und Pico della Mirandola beſaß das ganze talmudiſche und philoſophiſche Wiſſen eines gelehrten Rab - biners. Auf das Arabiſche kam man am eheſten von Seiten der Medicin, welche ſich mit den ältern lateiniſchen Ueber - ſetzungen der großen arabiſchen Aerzte nicht mehr begnügen wollte; den äußern Anlaß boten etwa die venezianiſchen Conſulate im Orient, welche italieniſche Aerzte unterhielten. Hieronimo Ramuſio, ein venezianiſcher Arzt, überſetzte aus dem Arabiſchen und ſtarb in Damascus. Andrea Mongajo3)II, p. 19 der Einleitung. — Für Rimini bleibt es ungewiß, ob griechiſch docirt wurde; vgl. Anced. litt. II, p. 300.197 von Belluno1)Pierius Valerian., de infelic. lit. bei Anlaß des Mongajo. — Ueber Ramuſio, vgl. Sansovino, Venezia, Fol. 250. hielt ſich um Avicenna's willen lange in3. Abſchnitt. Damascus auf, lernte das Arabiſche und emendirte ſeinen Autor; die venezianiſche Regierung ſtellte ihn dann für dieſes beſondere Fach in Padua an.
Bei Pico müſſen wir hier noch verweilen, ehe wir zuPico della Mi - randola. der Wirkung des Humanismus im Großen übergehen. Er iſt der Einzige, welcher laut und mit Nachdruck die Wiſſen - ſchaft und Wahrheit aller Zeiten gegen das einſeitige Her - vorheben des claſſiſchen Alterthums verfochten hat2)Vorzüglich in dem wichtigen Briefe vom J. 1485 an Ermolao Barbaro, bei Ang. Politian. epistolæ, L. IX. — Vgl. Jo. Pici oratio de hominis dignitate. . Nicht nur Averrhoes und die jüdiſchen Forſcher, ſondern auch die Scholaſtiker des Mittelalters ſchätzt er nach ihrem Sach - inhalt; er glaubt ſie reden zu hören: „ wir werden ewig leben, nicht in den Schulen der Sylbenſtecher, ſondern im Kreis der Weiſen, wo man nicht über die Mutter der Andromache oder über die Söhne der Niobe discutirt, ſondern über die tiefern Gründe göttlicher und menſchlicher Dinge; wer da näher tritt, wird merken, daß auch die Barbaren den Geiſt (Mercurium) hatten, nicht auf der Zunge, aber im Buſen “. Im Beſitz eines kräftigen, durch - aus nicht unſchönen Lateins und einer klaren Darſtellung verachtet er den pedantiſchen Purismus und die ganze Ueberſchätzung einer entlehnten Form, zumal wenn ſie mit Einſeitigkeit und Einbuße der vollen großen Wahrheit in der Sache verbunden iſt. An ihm kann man inne werden, welche erhabene Wendung die italieniſche Philoſophie würde genommen haben, wenn nicht die Gegenreformation das ganze höhere Geiſtesleben geſtört hätte.
1983. Abſchnitt. Wer waren nun Diejenigen, welche das hochverehrteAntikiſirung der Bildung. Alterthum mit der Gegenwart vermittelten und das Erſtere zum Hauptinhalt der Bildung der letztern erhoben?
Es iſt eine hundert geſtaltige Schaar, die heute dieſes, morgen jenes Antlitz zeigt; ſo viel aber wußte die Zeit und wußten ſie ſelbſt, daß ſie ein neues Element der bür - gerlichen Geſellſchaft ſeien. Als ihre Vorläufer mögen am eheſten jene vagirenden Cleriker des XII. Jahrhunderts gelten, von deren Poeſie oben (S. 173, f.) die Rede geweſen iſt; daſſelbe unſtäte Daſein, dieſelbe freie und mehr als freie Lebensanſicht, und von derſelben Antikiſirung der Poeſie wenigſtens der Anfang. Jetzt aber tritt der ganzen weſentlich noch immer geiſtlichen und von Geiſtlichen ge - pflegten Bildung des Mittelalters eine neue Bildung ent - gegen, die ſich vorzüglich an dasjenige hält, was jenſeits des Mittelalters liegt. Die activen Träger derſelben werden wichtige Perſonen1)Wie ſie ſich ſelber taxirten verräth z. B. Poggio (de avaritia, Fol. 2), indem nach feiner Anſicht nur ſolche ſagen können, ſie hätten gelebt, se vixisse, welche gelehrte und beredte lateiniſche Bücher geſchrieben oder Griechiſches ins Lateiniſche überſetzt haben. weil ſie wiſſen was die Alten gewußt haben, weil ſie zu ſchreiben ſuchen wie die Alten ſchrieben, weil ſie zu denken und bald auch zu empfinden beginnen wie die Alten dachten und empfanden. Die Tradition, der ſie ſich widmen, geht an tauſend Stellen in die Reproduc - tion über.
Ihre Nach - theile.Es iſt von Neuern öfter beklagt worden, daß die An - fänge einer ungleich ſelbſtändigern, ſcheinbar weſentlich ita - lieniſchen Bildung, wie ſie um 1300 in Florenz ſich zeigten, nachher durch das Humaniſtenweſen ſo völlig überfluthet worden ſeien2)Beſ. Libri, histoire des sciences mathém. II, 159, s. 258, s. . Damals habe in Florenz Alles leſen können, ſelbſt die Eſeltreiber hätten Dante's Canzonen geſungen, und die beſten noch vorhandenen italieniſchen Manuſcripte199 hätten urſprünglich florentiniſchen Handarbeitern gehört;3. Abſchnitt. damals ſei die Entſtehung einer populären Encycloplädie wie der „ Teſoro “des Brunetto Latini möglich geweſen; und dieß Alles habe zur Grundlage gehabt eine allgemeine Tüchtigkeit des Characters, wie ſie durch die Theilnahme an den Staatsgeſchäften, durch Handel und Reiſen, vor - züglich durch ſyſtematiſchen Ausſchluß alles Müſſigganges in Florenz zur Blüthe gebracht worden war. Damals ſeien denn auch die Florentiner in der ganzen Welt angeſehen und brauchbar geweſen und nicht umſonſt habe Papſt Bo - nifaz VIII. ſie in eben jenem Jahre das fünfte Element genannt. Mit dem ſtärkern Andringen des Humanismus ſeit 1400 ſei dieſer einheimiſche Trieb verkümmert, man habe fortan die Löſung jedes Problems nur vom Alterthum erwartet und darob die Literatur in ein bloßes Citiren aufgehen laſſen; ja der Untergang der Freiheit hänge hie - mit zuſammen, indem dieſe Erudition auf einer Knechtſchaft unter der Autorität beruhte, das municipale Recht dem römiſchen aufopferte und ſchon deßhalb die Gunſt der Ge - waltherrſcher ſuchte und fand.
Dieſe Anklagen werden uns noch hie und da beſchäfti -Ihre Unver - meidlichkeit. gen, wo dann ihr wahres Maaß und der Erſatz für die Einbuße zur Sprache kommen wird. Hier iſt nur vor Allem feſtzuſtellen, daß die Cultur des kräftigen XIV. Jahrhunderts ſelbſt nothwendig auf den völligen Sieg des Humanismus hindrängte und daß gerade die Größten im Reiche des ſpeciell italieniſchen Geiſtes dem ſchrankenloſen Alterthumsbetrieb des XV. Jahrhunderts Thür und Thor geöffnet haben.
Vor allen Dante. Wenn eine Reihenfolge von GenienDante. ſeines Ranges die italiſche Cultur hätte weiter führen können, ſo würde ſie ſelbſt bei der ſtärkſten Anfüllung mit antiken Elementen beſtändig einen hocheigenthümlichen nationalen Eindruck machen. Allein Italien und das ganze Abend - land haben keinen zweiten Dante hervorgebracht, und ſo2003. Abſchnitt. war und blieb er derjenige, welcher zuerſt das Alterthum nachdrücklich in den Vordergrund des Culturlebens herein - ſchob. In der Divina Commedia behandelt er die antike und die chriſtliche Welt zwar nicht als gleichberechtigt doch in beſtändiger Parallele; wie das frühere Mittelalter Typen und Antitypen aus den Geſchichten und Geſtalten des alten und des neuen Teſtamentes zuſammengeſtellt hatte, ſo ver - einigt er in der Regel ein chriſtliches und ein heidniſches Beiſpiel derſelben Thatſache1)Purgatorio XVIII. enthält z. B. ſtarke Belege: Maria eilt über das Gebirge, Cäſar nach Spanien; Maria iſt arm und Fabricius uneigennützig. — Bei dieſem Anlaß iſt aufmerkſam zu machen auf die chronologiſche Einflechtung der Sibyllen in die antike Profan - geſchichte, wie ſie Uberti in ſeinem Dittamondo (I, Cap. 14. 15) um 1360 verſucht.. Nun vergeſſe man nicht, daß die chriſtliche Phantaſiewelt und Geſchichte eine bekannte, die antike dagegen eine relativ unbekannte, vielverſprechende und aufregende war und daß ſie in der allgemeinen Theil - nahme nothwendig das Uebergewicht bekommen mußte, als kein Dante mehr das Gleichgewicht erzwang.
Petrarca.Petrarca lebt in den Gedanken der Meiſten jetzt als großer italieniſcher Dichter; bei ſeinen Zeitgenoſſen dagegen kam ſein Ruhm in weit höherm Grade davon her, daß er das Alterthum gleichſam in ſeiner Perſon repräſentirte, alle Gattungen der lateiniſchen Poeſie nachahmte und Briefe ſchrieb, welche als Abhandlungen über einzelne Gegenſtände des Alterthums einen für uns unbegreiflichen, für jene Zeit ohne Handbücher aber ſehr erklärlichen Werth hatten.
Boccaccio.Mit Boccaccio verhält es ſich ganz ähnlich; er war 200 Jahre lang in ganz Europa berühmt ehe man dieſſeits der Alpen viel von ſeinem Decamerone wußte, bloß um ſeiner mythographiſchen, geographiſchen und biographiſchen Sammelwerke in lateiniſcher Sprache willen. Eines der - ſelben, „ De genealogia Deorum “enthält im 14ten und201 15ten Buch einen merkwürdigen Anhang, worin er die Stel -3. Abſchnitt. lung des jugendlichen Humanismus zu ſeinem Jahrhundert erörtert. Es darf nicht täuſchen, daß er immerfort nur von der „ Poeſie “ſpricht, denn bei näherm Zuſehen wird man bemerken, daß er die ganze geiſtige Thätigkeit des Poeten-Philologen meint1)Poeta bedeutet noch bei Dante (Vita nuova, p. 47) ohnedieß nur den lateiniſch Dichtenden, während für den italieniſchen die Ausdrücke Rimatore, Dicitore per rima gebraucht werden. Allerdings ver - miſchen ſich mit der Zeit Ausdrücke und Begriffe.. Dieſe iſt es, deren Feinde er auf das Schärfſte bekämpft: die frivolen Unwiſſenden, die nur für Schlemmen und Praſſen Sinn haben; die ſophi - ſtiſchen Theologen, welchen Helicon, der caſtaliſche Quell und der Hain des Phöbus als bloße Thorheiten erſcheinen; die goldgierigen Juriſten, welche die Poeſie für überflüſſig halten inſofern ſie kein Geld verdient; endlich die (in Um - ſchreibung, aber kenntlich gezeichneten) Bettelmönche, die gern über Heidenthum und Immoralität Klage führen2)Auch Petrarca auf dem Gipfel ſeines Ruhmes klagt in melancholi - ſchen Augenblicken: ſein übles Geſtirn habe gewollt, daß er in ſpäter Zeit unter Halunken — extremi fures — leben müſſe. In dem fingirten Brief an Livius, Opera, p. 704 seq. . Darauf folgt die poſitive Vertheidigung, das Lob der Poeſie, namentlich des tiefern, zumal allegoriſchen Sinnes, den man ihr überall zutrauen müſſe, der wohlberechtigten Dun - kelheit, die dem dumpfen Sinn der Unwiſſenden zur Ab - ſchreckung dienen dürfe. Und endlich rechtfertigt der Ver -Humanismus und Religion. faſſer das neue Verhältniß der Zeit zum Heidenthum überhaupt, in klarer Beziehung auf ſein gelehrtes Werk3)Strenger hält ſich Boccaccio an die eigentliche Poeſie in ſeinem (ſpätern) Brief an Jacobus Pizinga, in den opere volgari, Vol. XVI. Und doch erkennt er auch hier nur das für Poeſie, was von Alterthum Notiz nimmt, und ignorirt die Trovatoren.. Anders als jetzt möge es allerdings damals ſich verhalten haben, da die Urkirche ſich noch gegen die Heiden vertheidi -2023. Abſchnitt. gen mußte; heutzutage — Jeſu Chriſto ſei Dank! — ſei die wahre Religion erſtarkt, alles Heidenthum vertilgt, und die ſiegreiche Kirche im Beſitz des feindlichen Lagers; jetzt könne man das Heidenthum faſt (fere) ohne Gefahr be - trachten und behandeln. Es iſt daſſelbe Argument, mit welchem ſich dann die ganze Renaiſſance vertheidigt hat.
Es war alſo eine neue Sache in der Welt und eine neue Menſchenclaſſe, welche dieſelbe vertrat. Es iſt unnütz darüber zu ſtreiten ob dieſe Sache mitten in ihrem Sieges - lauf hätte ſtill halten, ſich gefliſſentlich beſchränken und dem rein Nationalen ein gewiſſes Vorrecht hätte wahren ſollen. Man hatte ja keine ſtärkere Ueberzeugung als die, daß das Alterthum eben der höchſte Ruhm der italieniſchen Nation ſei.
Die Poeten - krönung.Dieſer erſten Generation von Poeten-Philologen iſt weſentlich eine ſymboliſche Ceremonie eigen, die auch im XV. und XVI. Jahrhundert nicht ausſtirbt, aber ihr höheres Pathos einbüßt: die Poetenkrönung mit einem Lorbeerkranz. Ihre Anfänge im Mittelalter ſind dunkel und zu einem feſten Ritual iſt ſie nie gelangt; es war eine öffentliche Demonſtration, ein ſichtbarer Ausbruch des literariſchen Ruhmes1)Boccaccio, Vita di Dante, p. 50: la quale (laurea) non scienza accresce, ma è dell 'acquistata certissimo testimonio e orna - mento. und ſchon deßhalb etwas Wandel - bares. Dante z. B. ſcheint eine halbreligiöſe Weihe im Sinn gehabt zu haben; er wollte über dem Taufſtein von San Giovanni, wo er und wie hunderttauſende von flo - rentiniſchen Kindern getauft worden war, ſich ſelber den Kranz aufſetzen2)Paradiso XXV, 1, s. — Boccaccio, Vita di Dante, p. 50: sopra le fonti di San Giovanni si era disposto di coronare. Vgl. Paradiso I, 25.. Er hätte, ſagt ſein Biograph, Ruhmes - halber den Lorbeer überall empfangen können, wollte es aber nirgends als in der Heimath und ſtarb deßhalb un -203 gekrönt. Weiter erfahren wir hier, daß der Brauch bis -3. Abſchnitt. her ungewöhnlich war und als von den Griechen auf die alten Römer vererbt galt. Die nächſte Reminiscenz ſtammte wohl in der That von dem nach griechiſchem Vorbild ge - ſtifteten capitoliniſchen Wettkampf der Ritharſpieler, Dichter und anderer Künſtler, welcher ſeit Domitian alle fünf Jahre gefeiert worden war und möglicher Weiſe den Untergang des römiſchen Reiches um einige Zeit überlebt hatte. Wenn nun doch nicht leicht wieder Einer wagte ſich ſelber zu krönen, wie es Dante gewollt, ſo entſtand die Frage, welches die krönende Behörde ſei? Albertino Muſſato (S. 144) wurde um 1310 zu Padua vom Biſchof und vom Rector der Univerſität gekrönt; um Petrarca's Krönung (1341) ſtritten ſich die Univerſität Paris, welche gerade einen Flo - rentiner zum Rector hatte, und die Stadtbehörde von Rom; ja ſein ſelbſtgewählter Examinator, König Robert von Anjou, hätte gerne die Ceremonie nach Neapel verlegt, Petrarca jedoch zog die Krönung durch den Senator von Rom auf dem Capitol jeder andern vor. Einige Zeit blieb dieſe in der That das Ziel des Ehrgeizes; als ſolches lockte ſie z. B. den Jacobus Pizinga, einen vornehmen ſiciliſchen Beamten1)Boccaccio's Brief an denſelben, in den Opere volgari, vol. XVI: si præstet Deus, concedente senatu Romuleo …. Da erſchien aber Carl IV. in Italien, derAnſpruch der Kaiſer darauf. ſich ein wahres Vergnügen daraus machte, eiteln Menſchen und der gedankenloſen Maſſe durch Ceremonien zu impo - niren. Ausgehend von der Fiction, daß die Poetenkrönung einſt Sache der alten römiſchen Kaiſer geweſen und alſo jetzt die ſeinige ſei, bekränzte er in Piſa den florentiniſchen Gelehrten Zanobi della Strada2)Matt. Villani, V, 26. Es gab einen feierlichen Umritt durch die Stadt, wobei das Gefolge des Kaiſers, ſeine Baroni, den Poeten begleiteten. — Auch Fazio degli Uberti wurde gekrönt, man weiß aber nicht wo und durch wen., zum großen Verdruß2043. Abſchnitt. Boccaccio's (a. a. O.) der dieſe laurea pisana nicht als vollgültig anerkennen will. Man konnte in der That fragen, wie der Halb-Slave dazu komme, über den Werth italie - niſcher Dichter zu Gerichte zu ſitzen. Allein fortan krönten doch reiſende Kaiſer bald hier bald dort einen Poeten, worauf im XV. Jahrhundert die Päpſte und andere Fürſten auch nicht mehr zurückbleiben wollten, bis zuletzt auf Ort und Umſtände gar nichts mehr ankam. In Rom ertheilte zur Zeit Sixtus IV. die Academie1)Jac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 185. des Pomponius Laetus von ſich aus Lorbeerkränze. Die Florentiner hatten den Tact, ihre berühmten Humaniſten zu krönen, aber erſt im Tode; ſo wurde Carlo Aretino, ſo Lionardo Aretino be - kränzt; dem erſtern hielt Matteo Palmieri, dem letztern Giannozzo Mannetti die Lobrede vor allem Volk, in Ge - genwart der Concilsherren; der Redner ſtand zu Häupten der Bahre, auf welcher im ſeidenen Gewande die Leiche lag2)Vespas. Fior. p. 575. 589. — Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX, Col. 543. — Die Berühmtheit Lion. Aretino's war bei Lebzeiten freilich ſo groß geweſen, daß Leute aus allen Gegenden kamen nur um ihn zu ſehen und daß ſich ein Spanier vor ihm auf die Knie warf. Vespas. p. 568. — Für Guarino's Denkmal ſetzte der Magiſtrat von Ferrara 1461 die damals bedeutende Summe von 100 Ducaten aus.. Außerdem iſt Carlo Aretino durch ein Grabmal (in S. Croce) geehrt worden, welches zu den herrlichſten der ganzen Renaiſſance gehört.
Die Univerſi - täten.Die Einwirkung des Alterthumes auf die Bildung, wovon nunmehr zu handeln iſt, ſetzte zunächſt voraus, daß der Humanismus ſich der Univerſitäten bemächtigte. Dieß geſchah, doch nicht in dem Maaße und nicht mit der Wir - kung wie man glauben möchte.
Die meiſten Univerſitäten in Italien3)Vgl. Libri, Histoire des sciences mathém. II, p. 92. s. — Bologna war bekanntlich älter, Piſa dagegen eine ſpäte Gründung tauchen im Lauf205 des XIII. und XIV. Jahrhunderts erſt recht empor, als3. Abſchnitt. der wachſende Reichthum des Lebens auch eine ſtrengere Sorge für die Bildung verlangte. Anfangs hatten ſie meiſt nur drei Profeſſuren: des geiſtlichen und weltlichen Rechtes und der Medicin; dazu kamen mit der Zeit ein Rhetoriker, ein Philoſoph und ein Aſtronom, letzterer in der Regel, doch nicht immer identiſch mit dem Aſtrologen. Die Beſoldungen waren äußerſt verſchieden; bisweilen wurde ſogar ein Capital geſchenkt. Mit der Steigerung der Bil - dung trat Wetteifer ein, ſo daß die Anſtalten einander be - rühmte Lehrer abſpenſtig zu machen ſuchten; unter ſolchen Umſtänden ſoll Bologna zu Zeiten die Hälfte ſeiner Staats - einnahme (20,000 Ducaten) auf die Univerſität gewandt haben. Die Anſtellungen erfolgten in der Regel nur auf Zeit1)Dieß iſt bei Aufzählungen zu beachten, wie z. B. bei dem Profeſ - ſorenverzeichniß von Pavia um 1400, (Corio, storia di Milano, fol. 290) wo u. a. 20 Juriſten vorkommen., ſelbſt auf einzelne Semeſter, ſo daß die Docenten ein Wanderleben führten wie Schauſpieler; doch gab es auch lebenslängliche Anſtellungen. Bisweilen verſprach man, das an einem Ort Gelehrte nirgend anderswo mehr vor - zutragen. Außerdem gab es auch unbeſoldete, freiwillige Lehrer.
Von den genannten Stellen war natürlich die desStellung der Humaniſten da ſelbſt. Profeſſors der Rhetorik vorzugsweiſe das Ziel des Huma -3)des Lorenzo magnifico, „ ad solatium veteris amissæ libertatis “geſtiftet, wie Giovio, Vita Leonis X, L. I. ſagt. — Die Univer - ſität Florenz (vgl. Gaye, carteggio, I, p. 461 bis 560 passim; Matteo Villani I, 8; VII, 90) ſchon 1321 vorhanden mit Stu - dienzwang für die Landeskinder, wurde neu geſtiftet nach dem ſchwarzen Tode 1348 und mit 2500 Goldgulden jährlich ausgeſtattet, ſchlief aber wieder ein und wurde 1357 abermals hergeſtellt. Der Lehr - ſtuhl für Erklärung des Dante, geſtiftet auf Petition vieler Bürger 1373, war in der Folge meiſt mit der Profeſſur der Philologie und Rhetorik verbunden, ſo noch bei Filelfo.2063. Abſchnitt. niſten; doch hing es ganz davon ab, wie weit er ſich den Sachinhalt des Alterthums angeeignet hatte, um auch als Juriſt, Mediciner, Philoſoph oder Aſtronom auftreten zu können. Die innern Verhältniſſe der Wiſſenſchaft wie die äußern des Docenten waren noch ſehr beweglich. So - dann iſt nicht zu überſehen, daß einzelne Juriſten und Mediciner weit die höchſten Beſoldungen hatten und behielten, erſtere hauptſächlich als große Conſulenten des ſie beſolden - den Staates für ſeine Anſprüche und Proceſſe. In Padua gab es im XV. Jahrhundert eine juridiſche Beſoldung von 1000 Ducaten jährlich1)Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 990. und einen berühmten Arzt wollte man mit 2000 Ducaten und dem Recht der Praxis an - ſtellen2)Fabroni, Laurent. magn. Adnot. 52, vom J. 1491., nachdem derſelbe bisher in Piſa 700 Goldgulden gehabt hatte. Als der Juriſt Bartolommeo Socini, Pro - feſſor in Piſa, eine venezianiſche Anſtellung in Padua an - nahm und dorthin reiſen wollte, verhaftete ihn die floren - tiniſche Regierung und wollte ihn nur gegen eine Caution von 18,000 Goldgulden freilaſſen3)Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 824.. Schon wegen einer ſolchen Werthſchätzung dieſer Fächer wäre es begreiflich, daß bedeutende Philologen ſich als Juriſten und Mediciner geltend machten; andererſeits mußte allmälig, wer in irgend einem Fache Etwas vorſtellen wollte, eine ſtarke huma - niſtiſche Farbe annehmen. Anderweitiger practiſcher Thä - tigkeiten der Humaniſten wird bald gedacht werden.
Die Anſtellungen der Philologen als ſolcher jedoch, wenn auch im einzelnen Fall mit ziemlich hohen Beſoldun - gen4)Filelfo hat bei ſeiner Berufung an die neugegründete Univerſität Piſa 500 Goldgulden wenigſtens verlangt. Vgl. Fabroni, Laurent. magn. Adnot. 41. und Nebenemolumenten verbunden, gehören im Ganzen zu den flüchtigen, vorübergehenden, ſo daß ein und derſelbe207 Mann an einer ganzen Reihe von Anſtalten thätig ſein3. Abſchnitt. konnte. Offenbar liebte man die Abwechſelung und hoffte von Jedem Neues, wie dieß bei einer im Werden begrif - fenen, alſo ſehr von Perſönlichkeiten abhängigen Wiſſenſchaft ſich leicht erklärt. Es iſt auch nicht immer geſagt, daß derjenige welcher über alte Autoren liest, wirklich der Univerſität der betreffenden Stadt angehört habe; bei der Leichtigkeit des Kommens und Gehens, bei der großen Anzahl verfügbarer Locale (in Klöſtern, u. ſ. w.) genügte auch eine Privatberufung. In denſelben erſten JahrzehndenNebenanſtalten. des XV. Jahrhunderts1)Vgl. Vespasian. Fior. p. 271. 572. 580. 625. — Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX, Col. 531, s. , da die Univerſität von Florenz ihren höchſten Glanz erreichte, da die Hofleute Eugen's IV. und vielleicht ſchon Martin's V. ſich in den Hörſälen drängten, da Carlo Aretino und Filelfo mit einander in die Wette laſen, exiſtirte nicht nur eine faſt vollſtändige zweite Univerſität bei den Auguſtinern in S. Spirito, nicht nur ein ganzer Verein gelehrter Männer bei den Camal - dulenſern in den Angeli, ſondern auch angeſehene Privat - leute thaten ſich zuſammen oder bemühten ſich einzeln, um gewiſſe philologiſche oder philoſophiſche Curſe leſen zu laſſen für ſich und Andere. Das philologiſche und antiquariſche Treiben in Rom hatte mit der Univerſität (Sapienza) lange kaum irgend einen Zuſammenhang und ruhte wohl faſt ausſchließlich theils auf beſonderer perſönlicher Protection der einzelnen Päpſte und Prälaten, theils auf den Anſtel - lungen in der päpſtlichen Kanzlei. Erſt unter Leo X. er - folgte die große Reorganiſation der Sapienza, mit 88 Lehrern, worunter die größten Celebritäten Italiens auch für die Alterthumswiſſenſchaft; der neue Glanz dauerte aber nur kurze Zeit. — Von den griechiſchen Lehrſtühlen in Italien iſt bereits (S. 194) in Kürze die Rede geweſen.
Im Ganzen wird man, um die damalige wiſſenſchaft -2083. Abſchnitt. liche Mittheilung ſich zu vergegenwärtigen, das Auge von unſern jetzigen academiſchen Einrichtungen möglichſt ent - wöhnen müſſen. Perſönlicher Umgang, Disputationen, be - ſtändiger Gebrauch des Lateiniſchen und bei nicht wenigen auch des Griechiſchen, endlich der häufige Wechſel der Lehrer und die Seltenheit der Bücher gaben den damaligen Studien eine Geſtalt, die wir uns nur mit Mühe verge - genwärtigen können.
Lateiniſche Schulen.Lateiniſche Schulen gab es in allen irgend namhaften Städten und zwar bei Weitem nicht bloß für die Vorbildung zu den höhern Studien, ſondern weil die Kenntniß des Lateiniſchen hier nothwendig gleich nach dem Leſen, Schrei - ben und Rechnen kam, worauf dann die Logik folgte. We - ſentlich erſcheint es, daß dieſe Schulen nicht von der Kirche abhingen ſondern von der ſtädtiſchen Verwaltung; mehrere waren auch wohl bloße Privatunternehmungen.
Nun erhob ſich aber dieſes Schulweſen, unter der Führung einzelner ausgezeichneter Humaniſten, nicht nur zu einer großen rationellen Vervollkommnung, ſondern es wurde höhere Erziehung. An die Ausbildung der Kinder zweier oberitalieniſcher Fürſtenhäuſer ſchließen ſich Inſtitute an, welche in ihrer Art einzig heißen konnten.
Freie Erzie - hung; Vitto - rino.An dem Hofe des Giovan Francesco Gonzaga zu Mantua (reg. 1407 bis 1444) trat der herrliche Vitto - rino da Feltre1)Vespas. Fior. p. 640. — Die beſondern Biographien des Vittorino und des Guarino von Rosmini kenne ich nicht. auf, einer jener Menſchen, die ihr ganzes Daſein Einem Zwecke widmen, für welchen ſie durch Kraft und Einſicht im höchſten Grade ausgerüſtet ſind. Er erzog zunächſt die Söhne und Töchter des Herrſcherhauſes, und zwar auch von den letztern Eine bis zu wahrer Gelehr - ſamkeit; als aber ſein Ruhm ſich weit über Italien ver - breitete und ſich Schüler aus großen und reichen Familien von nahe und ferne meldeten, ließ es der Gonzaga nicht209 nur geſchehen, daß ſein Lehrer auch dieſe erzog, ſondern er3. Abſchnitt. ſcheint es als Ehre für Mantua betrachtet zu haben, daß es die Erziehungsſtätte für die vornehme Welt ſei. Hier zum erſtenmal war mit dem wiſſenſchaftlichen Unterricht auch das Turnen und jede edlere Leibesübung für eine ganze Schule ins Gleichgewicht geſetzt. Dazu aber kam noch eine andere Schaar, in deren Ausbildung Vittorino vielleicht ſein höchſtes Lebensziel erkannte: die Armen und Talentvollen, die er in ſeinem Hauſe nährte und erzog „ per l'amore di Dio “, neben jenen Vornehmen, die ſich hier gewöhnen mußten mit dem bloßen Talent unter einem Dache zu wohnen. Der Gonzaga hatte ihm eigentlich 300 Goldgulden jährlich zu bezahlen, deckte ihm aber den ganzen Ausfall, welcher oft eben ſoviel betrug. Er wußte, daß Vittorino keinen Heller für ſich bei Seite legte und ahnte ohne Zweifel, daß die Miterziehung der Unbemittel - ten die ſtillſchweigende Bedingung ſei, unter welcher der wunderbare Mann ihm diente. Die Haltung des Hauſes war ſtreng religiös, wie kaum in einem Kloſter.
Mehr auf der Gelehrſamkeit liegt der Accent beiGuarino. Guarino von Verona1)Vespas. Fior. p. 646., der 1429 von Nicolò d'Eſte zur Erziehung ſeines Sohnes Lionello nach Ferrara be - berufen wurde und ſeit 1436, als ſein Zögling nahezu er - wachſen war, auch als Profeſſor der Beredſamkeit und der beiden alten Sprachen an der Univerſität lehrte. Schon neben Lionello hatte er zahlreiche andere Schüler aus ver - ſchiedenen Gegenden, und im eigenen Hauſe eine auserleſene Zahl von Armen, die er theilweiſe oder ganz unterhielt; ſeine Abendſtunden bis ſpät waren der Repetition mit dieſen gewidmet. Auch hier war eine Stätte ſtrenger Religion und Sittlichkeit; es hat an Guarino ſo wenig wie an Vittorino gelegen, wenn die meiſten Humaniſten ihres Jahrhunderts in dieſen Beziehungen kein Lob mehr davon -Cultur der Renaiſſance. 142103. Abſchnitt. trugen. Unbegreiflich iſt, wie Guarino neben einer Thätig - keit wie die ſeinige war, noch immerfort Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen und große eigene Arbeiten verfaſſen konnte.
Prinzen - erzieher.Außerdem kam an den meiſten Höfen von Italien die Erziehung der Fürſtenkinder wenigſtens zum Theil und auf gewiſſe Jahre in die Hände der Humaniſten, welche damit einen Schritt weiter in das Hofleben hinein thaten. Das Tractatſchreiben über die Prinzenerziehung, früher eine Auf - gabe der Theologen, wird jetzt natürlich ebenfalls ihre Sache, und Aeneas Sylvius hat z. B. zweien jungen deutſchen Fürſten vom Hauſe Habsburg1)An Erzherzog Sigismund, Epist. 105, p. 600, und an König La - dislaus den Nachgeborenen, p. 695, letzteres als Tractatus de liberorum educatione. umſtändliche Ab - handlungen über ihre weitere Ausbildung adreſſirt, worin begreiflicher Weiſe Beiden eine Pflege des Humanismus in italieniſchem Sinne an's Herz gelegt wird. Er mochte wiſſen, daß er in den Wind redete, und ſorgte deßhalb dafür, daß dieſe Schriften auch ſonſt herum kamen. Doch das Verhältniß der Humaniſten zu den Fürſten wird noch insbeſondere zu beſprechen ſein.
Florentiniſche Förderer des Alterthums.Zunächſt verdienen diejenigen Bürger, hauptſächlich in Florenz, Beachtung, welche aus der Beſchäftigung mit dem Alterthum ein Hauptziel ihres Lebens machten und theils ſelbſt große Gelehrte wurden, theils große Dilettanten, welche die Gelehrten unterſtützten. (Vgl. S. 188, f.). Sie ſind namentlich für die Uebergangszeit zu Anfang des XV. Jahrhunderts von höchſter Bedeutung geweſen, weil bei ihnen zuerſt der Humanismus practiſch als nothwendiges Element des täglichen Lebens wirkte. Erſt nach ihnen haben ſich Fürſten und Päpſte ernſtlich darauf eingelaſſen.
N. Niccoli.Von Niccolò Niccoli, von Giannozzo Mannetti iſt ſchon mehrmals die Rede geweſen. Den Niccoli ſchildert uns211 Vespaſiano (S. 625) als einen Mann, welcher auch in3. Abſchnitt. ſeiner äußern Umgebung nichts duldete was die antike Stimmung ſtören konnte. Die ſchöne Geſtalt in langem Gewande, mit der freundlichen Rede, in dem Hauſe voll herrlicher Alterthümer, machte den eigenthümlichſten Ein - druck; er war über die Maßen reinlich in allen Dingen, zumal beim Eſſen; da ſtanden vor ihm auf dem weißeſten Linnen antike Gefäße und kryſtallene Becher1)Die folgenden Worte Vespaſiano's ſind unüberſetzbar: a vederlo in tavola così antico come era, era una gentilezza.. Die Art, wie er einen vergnügungsſüchtigen jungen Florentiner für ſeine Intereſſen gewinnt2)Ebenda, p. 485., iſt gar zu anmuthig, um ſie hier nicht zu erzählen.
Piero de' Pazzi, Sohn eines vornehmen Kaufmanns und zu demſelben Stande beſtimmt, ſchön von Anſehen und ſehr den Freuden der Welt ergeben, dachte an nichts we - niger als an die Wiſſenſchaft. Eines Tages, als er am Palazzo del Podeſta3)Laut Vespas. p. 271 war hier ein gelehrtes Stelldichein, wo auch disputirt wurde. vorbeiging, rief ihn Niccoli zu ſich heran, und er kam auf den Wink des hochangeſehenen Mannes, obwohl er noch nie mit demſelben geſprochen hatte. Niccoli fragte ihn: wer ſein Vater ſei? — er antwortete: Meſſer Andrea de' Pazzi; — Jener fragte weiter: was ſein Geſchäft ſei? — Piero erwiederte wie wohl junge Leute thun: ich laſſe mir es wohl ſein, attendo a darmi buon tempo. — Niccoli ſagte: als Sohn eines ſolchen Vaters und mit ſolcher Geſtalt begabt, ſollteſt du dich ſchämen, die lateiniſche Wiſſenſchaft nicht zu kennen, die für dich eine ſo große Zierde wäre; wenn du ſie nicht erlernſt, ſo wirſt du nichts gelten, und ſobald die Blüthe der Jugend vorüber iſt, ein Menſch ohne alle Bedeutung (virtù) ſein. Als Piero dieſes hörte, erkannte er ſogleich,14*2123. Abſchnitt. daß es die Wahrheit ſei, und entgegnete: er würde ſich gerne dafür bemühen, wenn er einen Lehrer fände; — Niccoli ſagte: dafür laſſe du mich ſorgen. Und in der That ſchaffte er ihm einen gelehrten Mann für das Latei - niſche und für das Griechiſche, Namens Pontano, welchen Piero wie einen Hausgenoſſen hielt und mit 100 Gold - gulden im Jahr beſoldete. Statt der bisherigen Ueppigkeit ſtudirte er nun Tag und Nacht und wurde ein Freund aller Gebildeten und ein großgeſinnter Staatsmann. Die ganze Aeneide und viele Reden des Livius lernte er aus - wendig, meiſt auf dem Wege zwiſchen Florenz und ſeinem Landhauſe zu Trebbio.
G. Mannetti.In anderm, höherm Sinne vertritt Giannozzo Man - netti1)S. deſſen Vita bei Murat. XX. Col. 532, s. das Alterthum. Frühreif, faſt als Kind, hatte er ſchon eine Kaufmannslehrzeit durchgemacht und war Buch - führer eines Bankiers; nach einiger Zeit aber erſchien ihm dieſes Thun eitel und vergänglich, und er ſehnte ſich nach der Wiſſenſchaft, durch welche allein der Menſch ſich der Unſterblichkeit verſichern könne; er zuerſt vom florentiniſchen Adel vergrub ſich nun in den Büchern und wurde, wie ſchon erwähnt, einer der größten Gelehrten ſeiner Zeit. Als ihn aber der Staat als Geſchäftsträger, Steuerbeamten und Statthalter (in Pescia und Piſtoja) verwandte, ver - ſah er ſeine Aemter ſo, als wäre in ihm ein hohes Ideal erwacht, das gemeinſame Reſultat ſeiner humaniſtiſchen Studien und ſeiner Religioſität. Er exequirte die gehäſſig - ſten Steuern, die der Staat beſchloſſen hatte, und nahm für ſeine Mühe keine Beſoldung an; als Provinzialvorſteher wies er alle Geſchenke zurück, ſorgte für Kornzufuhr, ſchlichtete raſtlos Proceſſe und that überhaupt Alles für die Bändigung der Leidenſchaften durch Güte. Die Piſtojeſen haben nie herausfinden können, welcher von ihren beiden Parteien er ſich mehr zuneige; wie zum Symbol des ge -213 meinſamen Schickſals und Rechtes Aller verfaßte er in3. Abſchnitt. ſeinen Mußeſtunden die Geſchichte der Stadt, welche dann in Purpureinband als Heiligthum im Stadtpalaſt aufbe - wahrt wurde. Bei ſeinem Weggang ſchenkte ihm die Stadt ein Banner mit ihrem Wappen und einen prachtvollen ſilbernen Helm.
Für die übrigen gelehrten Bürger von Florenz in dieſerVeſpaſiano von Florenz. Zeit muß ſchon deßhalb auf Vespaſiano (der ſie alle kannte) verwieſen werden, weil der Ton, die Atmosphäre, in wel - cher er ſchreibt, die Vorausſetzungen, unter welchen er mit jenen Leuten umgeht, noch wichtiger erſcheinen als die ein - zelnen Leiſtungen ſelbſt. Schon in einer Ueberſetzung, ge - ſchweige denn in den kurzen Andeutungen, auf welche wir hier beſchränkt ſind, müßte dieſer beſte Werth ſeines Buches verloren gehen. Er iſt kein großer Autor, aber er kennt das ganze Treiben und hat ein tiefes Gefühl von deſſen geiſtiger Bedeutung.
Wenn man dann den Zauber zu analyſiren ſucht,Die Medici. durch welchen die Medici des XV. Jahrhunderts, vor allen Coſimo der Aeltere (ſt. 1464) und Lorenzo magnifico (ſt. 1492) auf Florenz und auf ihre Zeitgenoſſen überhaupt gewirkt haben, ſo iſt neben aller Politik ihre Führerſchaft auf dem Gebiete der damaligen Bildung das Stärkſte dabei. Wer in Coſimo's Stellung als Kaufmann und locales Parteihaupt noch außerdem Alles für ſich hat[,]was denkt, forſcht und ſchreibt, wer von Hauſe aus als der erſte der Florentiner und dazu von Bildungswegen als der größte der Italiener gilt, der iſt thatſächlich ein Fürſt. Coſimo beſitzt dann den ſpeciellen Ruhm, in der platoni - ſchen Philoſophie1)Was man von derſelben vorher kannte, kann nur fragmentariſch ge - weſen ſein. Eine wunderliche Disputation über den Gegenſatz des Plato und Ariſtoteles fand 1438 zu Ferrara zwiſchen Hugo von Siena und den auf das Concil gekommenen Griechen ſtatt. Vgl. Aeneas Sylvius, De Europa, Cap. 52. (Opera, p. 450.) die ſchönſte Blüthe der antiken Gedan -2143. Abſchnitt. kenwelt erkannt, ſeine Umgebung mit dieſer Erkenntniß erfüllt, und ſo innerhalb des Humanismus eine zweite und höhere Neugeburt des Alterthums ans Licht gefördert zu haben. Der Hergang wird uns ſehr genau überliefert1)Bei Nic. Valori, im Leben des Lorenzo magn. — Vgl. Vespas. Fior. p. 426. Die erſten Unterſtützer des Arg. waren die Accia - juoli. Ib. 192: Cardinal Beſſarion und ſeine Parallele zwiſchen Plato und Ariſtoteles. Ib. 223: Cuſanus als Platoniker Ib. 308: Der Catalonier Narciſo und ſeine Disputation mit Argyropulos. Ib. 571: Einzelne platon. Dialoge ſchon von Lionardo Aret. über - ſetzt. Ib. 298: Die beginnende Einwirkung des Neoplatonismus.; alles knüpfte ſich an die Berufung des gelehrten Johannes Argyropulos und an den perſönlichſten Eifer des Coſimo in ſeinen letzten Jahren, ſo daß, was den Platonismus betraf, der große Marſilio Ficino ſich als den geiſtigen Sohn Coſimo's bezeichnen durfte. Unter Pietro Medici ſah ſich Ficino ſchon als Haupt einer Schule; zu ihm gingLorenzo magni - fico. auch Pietro's Sohn, Coſimo's Enkel, der erlauchte Lorenzo von den Peripatetikern über; als ſeine namhafteſten Mit - ſchüler werden genannt Bartolommeo Valori, Donato Accia - juoli und Pierfilippo Pandolfini. Der begeiſterte Lehrer hat an mehrern Stellen ſeiner Schriften erklärt, Lorenzo habe alle Tiefen des Platonismus durchforſcht und ſeine Ueberzeugung ausgeſprochen, ohne denſelben wäre es ſchwer, ein guter Bürger und Chriſt zu ſein. Die berühmte Reunion von Gelehrten, welche ſich um Lorenzo ſammelte, war durch dieſen höhern Zug einer idealiſtiſchen Philoſophie verbunden und vor allen andern Vereinigungen dieſer Art ausgezeichnet. Nur in dieſer Umgebung konnte ein Pico della Mirandola ſich glücklich fühlen. Das Schönſte aber, was ſich ſagen läßt, iſt daß neben all dieſem Cultus des Alterthums hier eine geweihte Stätte italieniſcher Poeſie war und daß von allen Lichtſtrahlen, in die Lorenzo's Perſönlichkeit ausein - anderging, gerade dieſer der mächtigſte heißen darf. Als Staatsmann beurtheile ihn Jeder wie er mag (S. 83, 92);215 in die florentiniſche Abrechnung von Schuld und Schickſal3. Abſchnitt. miſcht ſich ein Ausländer nicht wenn er nicht muß; aber eine ungerechtere Polemik giebt es nicht als wenn man Lorenzo beſchuldigt, er habe im Gebiet des Geiſtes vorzüg - lich Mediocritäten beſchützt und durch ſeine Schuld ſeien Lionardo da Vinci und der Mathematiker Fra Luca Pac - ciolo außer Landes, Toscanella, Vespucci u. A. wenigſtens unbefördert geblieben. Allſeitig iſt er wohl nicht geweſen, aber von allen Großen, welche je den Geiſt zu ſchützen und zu fördern ſuchten, einer der vielſeitigſten, und derjenige bei welchem dieß vielleicht am meiſten Folge eines tiefern innern Bedürfniſſes war.
Laut genug pflegt auch unſer laufendes JahrhundertDas Alterthum als Lebens - intereſſe. den Werth der Bildung überhaupt und den des Alterthums insbeſondere zu proclamiren. Aber eine vollkommen enthu - ſiaſtiſche Hingebung, ein Anerkennen, daß dieſes Bedürfniß das erſte von allen ſei, findet ſich doch nirgends wie bei jenen Florentinern des XV. und beginnenden XVI. Jahr - hunderts. Hiefür giebt es indirecte Beweiſe, die jeden Zweifel beſeitigen: man hätte nicht ſo oft die Töchter des Hauſes an den Studien Theil nehmen laſſen, wenn letztere nicht abſolut als das edelſte Gut des Erdenlebens gegolten hätten; man hätte nicht das Exil zu einem Aufenthalt des Glückes gemacht wie Palla Strozzi; es hätten nicht Men - ſchen, die ſich ſonſt Alles erlaubten, noch Kraft und Luſt behalten die Naturgeſchichte des Plinius kritiſch zu behan - deln wie Filippo Strozzi1)Varchi, stor. fiorent. L. IV. p. 321. Ein geiſtvolles Lebensbild.. Es handelt ſich hier nicht um Lob oder Tadel, ſondern um Erkenntniß eines Zeitgeiſtes in ſeiner energiſchen Eigenthümlichkeit.
Außer Florenz gab es noch manche Städte in Italien, wo Einzelne und ganze geſellſchaftliche Kreiſe bisweilen mit Aufwand aller Mittel für den Humanismus thätig waren und die anweſenden Gelehrten unterſtützten. Aus den Brief -2163. Abſchnitt. ſammlungen jener Zeit kommt uns eine Fülle von perſön - lichen Beziehungen dieſer Art entgegen1)Die oben genannten Biographien Rosmini's (über Vittorino und Guarino) ſowie Shepherd, Leben des Poggio, müſſen Vieles hierüber enthalten.. Die officielle Geſinnung der höher Gebildeten trieb faſt ausſchließlich nach der bezeichneten Seite hin.
An den Für - ſtenhöfen.Doch es iſt Zeit, den Humanismus an den Fürſten - höfen ins Auge zu faſſen. Die innere Affinität des Ge - waltherrſchers mit dem ebenfalls auf ſeine Perſönlichkeit, auf ſein Talent angewieſenen Philologen wurde ſchon früher (S. 6, 139) angedeutet; der letztere aber zog die Höfe einge - ſtandener Maßen den freien Städten vor, ſchon um der reichlichern Belohnungen willen. Zu der Zeit, da es ſchien als könne der große Alfons von Aragon Herr von ganz Italien werden, ſchrieb Aeneas Sylvius2)Epist. 39; Opera, p. 526, an Mariano Socino. an einen andern Sieneſen: „ wenn unter ſeiner Herrſchaft Italien den Frie - „ den bekäme ſo wäre mir das lieber als (wenn es) unter „ Stadtregierungen (geſchähe), denn ein edles Königsgemüth „ belohnt jede Trefflichkeit “3)Es darf nicht irre machen, daß daneben eine fortlaufende Reihe von Klagen über die Geringfügigkeit des fürſtlichen Mäcenates und über die Gleichgültigkeit mancher Fürſten gegen den Ruhm ſich laut macht. So z. B. bei Bapt. Mantuan. Eclog V, noch aus dem XV. Jahrh. — Es war nicht möglich Allen genug zu thun.. Auch hier hat man in neueſter Zeit die unwürdige Seite, das erkaufte Schmeicheln, zu ſehr hervorgehoben, wie man ſich früher von dem Humaniſtenlob allzugünſtig für jene Fürſten ſtimmen ließ. Alles in Allem genommen bleibt es immer ein überwiegend vortheilhaftes Zeugniß für letztere, daß ſie an der Spitze der Bildung ihrer Zeit und ihres Landes — wie einſeitig dieſelbe ſeinBei den Päp - ſten. mochte — glaubten ſtehen zu müſſen. Vollends bei einigen Päpſten4)Für das wiſſenſchaftliche Mäcenat der Päpſte bis gegen Ende des hat die Furchtloſigkeit gegenüber den Conſequenzen217 der damaligen Bildung etwas unwillkürlich Impoſantes. 3. Abſchnitt. Nicolaus V. war beruhigt über das Schickſal der Kirche, weil Tauſende gelehrter Männer ihr hülfreich zur Seite ſtänden. Bei Pius II. ſind die Opfer für die Wiſſenſchaft lange nicht ſo großartig, ſein Poetenhof erſcheint ſehr mäßig, allein er ſelbſt iſt noch weit mehr das perſönliche Haupt der Gelehrtenrepublik als ſein zweiter Vorgänger und ge - nießt dieſes Ruhmes in vollſter Sicherheit. Erſt Paul II. war mit Furcht und Mißtrauen gegen den Humanismus ſeiner Secretäre erfüllt, und ſeine drei Nachfolger Sixtus, Innocenz und Alexander nahmen wohl Dedicationen an und ließen ſich andichten ſo viel man wollte — es gab ſo - gar eine Borgiade, wahrſcheinlich in Hexametern1)Lil. Gregor. Gyraldus, de poetis nostri temporis, bei Anlaß des Sphaerulus von Camerino. Der gute Mann wurde damit nicht zu rechter Zeit fertig und hatte ſeine Arbeit noch 40 Jahre ſpäter im Pult. — Ueber die magern Honorare des Sixtus IV. vgl. Pierio Valer. de infelic. lit. bei Anlaß des Theodorus Gaza. — Das abſichtliche Fernhalten der Humaniſten vom Cardinalat bei den Päpſten vor Leo, vgl. Lor. Grana's Leichenrede auf Card. Egidio, Anecd. litt. IV, p. 307. —, waren aber zu ſehr anderweitig beſchäftigt und auf andere Stützpunkte ihrer Gewalt bedacht um ſich viel mit den Poeten-Philologen einzulaſſen. Julius II. fand Dichter, weil er ſelber ein bedeutender Gegenſtand war (S. 121), ſcheint ſich übrigens nicht viel um ſie gekümmert zu haben. Da folgte auf ihn Leo X. „ wie auf Romulus Numa “,Bei Leo X. d. h. nach dem Waffenlärm des vorigen Pontificates hoffte man auf ein ganz den Muſen geweihtes. Der Genuß ſchöner lateiniſcher Proſa und wohllautender Verſe gehörte mit zu Leo's Lebensprogramm und ſoviel hat ſein Mäcenat allerdings in dieſer Beziehung erreicht, daß ſeine lateiniſchen4)XV. Jahrh. muß hier der Kürze wegen auf den Schluß von Papencordt's „ Geſchichte der Stadt Rom im M. A. “verwieſen werden.2183. Abſchnitt. Poeten in zahlloſen Elegien, Oden, Epigrammen, Sermo - nen jenen fröhlichen, glänzenden Geiſt der leoniſchen Zeit, welchen die Biographie des Jovius athmet, auf bildliche Weiſe darſtellten1)Das Beſte in den Deliciæ poetarum italorum und in den Bei - lagen zu den verſchiedenen Ausgaben von Roscoe, Leo X. . Vielleicht iſt in der ganzen abend - ländiſchen Geſchichte kein Fürſt, welchen man im Verhältniß zu den wenigen darſtellbaren Ereigniſſen ſeines Lebens ſo vielſeitig verherrlicht hätte. Zugang zu ihm hatten die Dichter hauptſächlich um Mittag, wann die Saitenvirtuoſen aufgehört hatten2)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Guido Poſthumus.; aber einer der Beſten aus der ganzen Schaar3)Pierio Valeriano in ſeiner „ Simia “. giebt zu verſtehen, daß ſie ihm auch ſonſt auf Schritt und Tritt in den Gärten wie in den innerſten Ge - mächern des Palaſtes beizukommen ſuchten, und wer ihn da nicht erreichte verſuchte es mit einem Bettelbrief in Form einer Elegie, worin der ganze Olymp vorkam4)S. die Elegie des Joh. Aurelius Mutius, in den Deliciæ poet. ital. . Denn Leo, der kein Geld beiſammen ſehen konnte und lauter heitere Mienen zu erblicken wünſchte, ſchenkte auf eine Weiſe, deren Andenken ſich in den folgenden knappen Zeiten raſch zum Mythus verklärte5)Die bekannte Geſchichte von der purpurſammtnen Börſe mit Gold - päckchen verſchiedener Größe, in welche Leo blindlings hineingreift, bei Giraldi, Hecatommithi VI, Nov. 8. Dafür wurden Leo's lateiniſche Tafelimproviſatoren, wenn ſie gar zu hinkende Verſe mach - ten, mit Peitſchen geſchlagen. Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp. . Von ſeiner Reorganiſation der Sapienza iſt bereits (S. 207) die Rede geweſen. UmLeo's wahre Bedeutung. Leo's Einfluß auf den Humanismus nicht zu gering zu taxiren, muß man den Blick frei halten von den vielen Spielereien, die dabei mit unterliefen; man darf ſich nicht irre machen laſſen durch die bedenklich ſcheinende Ironie (S. 158), womit er ſelbſt dieſe Dinge bisweilen behandelt; das Urtheil219 muß ausgehen von den großen geiſtigen Möglichkeiten,3. Abſchnitt. welche in den Bereich der „ Anregung “fallen und ſchlechter - dings nicht im Ganzen zu berechnen, wohl aber für die genauere Forſchung in manchen einzelnen Fällen thatſächlich nachzuweiſen ſind. Was die italieniſchen Humaniſten ſeit etwa 1520 auf Europa gewirkt haben, iſt immer irgend - wie von dem Antriebe bedingt, der von Leo ausging. Er iſt derjenige Papſt, welcher im Druckprivilegium für den neugewonnenen Tacitus1)Roscoe, Leone X, ed. Bossi IV, 181. ſagen durfte: Die großen Autoren ſeien eine Norm des Lebens, ein Troſt im Unglück; die Beförderung der Gelehrten und der Erwerb trefflicher Bücher habe ihm von jeher als ein höchſtes Ziel gegolten, und auch jetzt danke er dem Himmel, den Nutzen des Menſchenge - ſchlechtes durch Begünſtigung dieſes Buches befördern zu können.
Wie die Verwüſtung Roms 1527 die Künſtler zer - ſtreute, ſo trieb ſie auch die Literaten nach allen Winden auseinander und breitete den Ruhm des großen verſtor - benen Beſchützers erſt recht bis in die äußerſten Enden Italiens aus.
Von den weltlichen Fürſten des XV. JahrhundertsDas Alterthum bei Alfons von Aragon. zeigt den höchſten Enthuſiasmus für das Alterthum Alfons der Große von Aragon, König von Neapel (S. 34). Es ſcheint, daß er dabei völlig naiv war, daß die antike Welt in Denkmälern und Schriften ihm ſeit ſeiner Ankunft in Italien einen großen, überwältigenden Eindruck machte, welchem er nun nachleben mußte. Wunderbar leicht gab er ſein trotziges Aragon ſammt Nebenlanden an ſeinen Bruder auf, um ſich ganz dem neuen Beſitz zu widmen. Er hatte theils nach, theils neben einander in ſeinen Dien - ſten2)Vespas. Fior. p. 68, s. Die Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen die A. machen ließ, p. 93. — Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX, Col. 541, s. 550, s. 595. — Panormita: Dicta et Facta Al - phonsi, ſammt den Gloſſen des Aeneas Sylvius. den Georg von Trapezunt, den jüngern Chryſoloras,2203. Abſchnitt. den Lorenza Valla, den Bartolommeo Facio und den An - tonio Panormita, welche ſeine Geſchichtſchreiber wurden; der letztere mußte ihm und ſeinem Hofe täglich den Livius erklären, auch während der Feldzüge im Lager. Dieſe Leute koſteten ihn jährlich über 20,000 Goldgulden; dem Facio ſchenkte er für die Hiſtoria Alphonſi über die 500 Ducaten Jahresbeſoldung am Schluß der Arbeit noch 1500 Gold - gulden obendrein, mit den Worten: „ es geſchieht nicht um „ Euch zu bezahlen, denn Euer Werk iſt überhaupt nicht „ zu bezahlen, auch nicht, wenn ich Euch eine meiner beſten „ Städte gäbe; aber mit der Zeit will ich ſuchen Euch zu - „ frieden zu ſtellen “. Als er den Giannozzo Mannetti unter den glänzendſten Bedingungen zu ſeinem Secretär nahm, ſagte er: „ mein letztes Brod würde ich mit Euch theilen “. Schon als Gratulationsgeſandter von Florenz bei der Hoch - zeit des Prinzen Ferrante hatte Giannozzo einen ſolchen Eindruck auf den König gemacht, daß dieſer „ wie ein Erz - bild “regungslos auf dem Throne ſaß und nicht einmal die Mücken abwehrte. Seine Lieblingsſtätte ſcheint die Bibliothek des Schloſſes von Neapel geweſen zu ſein, wo er an einem Fenſter mit beſonders ſchöner Ausſicht gegen das Meer ſaß und den Weiſen zuhörte, wenn ſie z. B. über die Trinität discutirten. Denn er war auch völlig religiös und ließ ſich außer Livius und Seneca auch die Bibel vortragen, die er beinah auswendig wußte. WerSein Cultus der Erinnerungen. will die Empfindung genau errathen, die er den vermeint - lichen Gebeinen des Livius zu Padua (S. 147) widmete? Als er auf große Bitten von den Venezianern einen Arm - knochen davon erhielt und ehrfurchtsvoll zu Neapel in Empfang nahm, mag in ſeinem Gemüthe Chriſtliches und Heidniſches ſonderbar durch einander gegangen ſein. Auf einem Feldzug in den Abruzzen zeigte man ihm das ferne Sulmona, die Heimath des Ovid, und er grüßte die Stadt und dankte dem Genius des Ortes; offenbar that es ihm wohl, die Weiſſagung des großen Dichters über ſeinen221 künftigen Ruhm1)Ovid. Amores III, 15, vs. 11. — Jovian. Pontan., de principe. wahr machen zu können. Einmal gefiel3. Abſchnitt. es ihm auch, ſelber in antiker Weiſe aufzutreten, nämlich bei ſeinem berühmten Einzug in das definitiv eroberte Neapel (1443); unweit vom Mercato wurde eine 40 Ellen weite Breſche in die Mauer gelegt; durch dieſe fuhr er auf einem goldenen Wagen wie ein römiſcher Triumphator2)Giorn. napolet. bei Murat. XXI, Col. 1127.. Auch die Erinnerung hievon iſt durch einen herrlichen mar - mornen Triumphbogen im Caſtello nuovo verewigt. — Seine neapolitaniſche Dynaſtie (S. 35) hat von dieſem antiken Enthuſiasmus wie von all ſeinen guten Eigenſchaften wenig oder nichts geerbt.
Ungleich gelehrter als Alfonſo war Federigo von Ur -Federigo von Urbino. bino3)Vespas. Fior. p. 3. 119, s. — Volle aver piena notizia d'ogni cosa, così sacra come gentile. — Vgl. oben S. 45., der weniger Leute um ſich hatte, gar nichts ver - ſchwendete und wie in allen Dingen ſo auch in der An - eignung des Alterthums planvoll verfuhr. Für ihn und für Nicolaus V. ſind die meiſten Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen und eine Anzahl der bedeutendſten Commentare, Bearbeitungen u. dgl. verfaßt worden. Er gab viel aus, aber zweckmäßig, an die Leute, die er brauchte. Von einem Poetenhof war in Urbino keine Rede; der Herr ſelber war der Gelehrteſte. Das Alterthum war allerdings nur ein Theil ſeiner Bildung; als vollkommener Fürſt, Feldherr und Menſch bemeiſterte er einen großen Theil der damaligen Wiſſenſchaft überhaupt und zwar zu practiſchen Zwecken, um der Sachen willen. Als Theologe z. B. verglich er Thomas und Scotus und kannte auch die alten Kirchen - väter des Orients und Occidents, erſtere in lateiniſchen Ueberſetzungen. In der Philoſophie ſcheint er den Plato gänzlich ſeinem Zeitgenoſſen Coſimo überlaſſen zu haben; von Ariſtoteles aber kannte er nicht nur Ethik und Politik2223. Abſchnitt. genau, ſondern auch die Phyſik und mehrere andere Schriften. In ſeiner ſonſtigen Lectüre wogen die ſämmtlichen antiken Hiſtoriker, die er beſaß, beträchtlich vor; dieſe und nicht die Poeten „ las er immer wieder und ließ ſie ſich vorleſen “.
Die Sforza.Die Sforza1)Beim letzten Visconti ſtreiten ſich noch Livius und die franzöſiſchen Ritterromane nebſt Dante und Petrarca um die Theilnahme des Fürſten. Die Humaniſten, welche ſich bei ihm meldeten und ihn „ berühmt machen “wollten, pflegte er nach wenigen Tagen wieder wegzuſchicken. Vgl. Decembrio, bei Murat. XX, Col. 1014. ſind ebenfalls alle mehr oder weniger gelehrt und erweiſen ſich als Mäcenaten (S. 27,39), wovon gelegentlich die Rede geweſen iſt. Herzog Francesco mochte bei der Erziehung ſeiner Kinder die humaniſtiſche Bildung als eine Sache betrachten, die ſich ſchon aus politiſchen Gründen von ſelbſt verſtehe; man ſcheint es durchgängig als Vortheil empfunden zu haben, wenn der Fürſt mit den Gebildetſten auf gleichem Fuße verkehren konnte. Lodovico Moro, ſelber ein trefflicher Latiniſt, zeigt dann eine Theil - nahme an allem Geiſtigen, die ſchon weit über das Alter - thum hinausgeht (S. 42).
Auch die kleinern Herrſcher ſuchten ſich ähnlicher Vor - züge zu bemächtigen und man thut ihnen wohl Unrecht, wenn man glaubt, ſie hätten ihre Hofliteraten nur genährt um von denſelben gerühmt zu werden. Ein Fürſt wieDie Eſte. Borſo von Ferrara (S. 49) macht bei aller Eitelkeit doch gar nicht mehr den Effect als erwartete er die Unſterblich - keit von den Dichtern, ſo eifrig ihm dieſelben mit einer „ Borſeïs “u. dgl. aufwarteten; dazu iſt ſein Herrſchergefühl bei Weitem zu ſehr entwickelt; allein der Umgang mit Ge - lehrten, das Intereſſe für das Alterthum, das Bedürfniß nach eleganter lateiniſcher Epiſtolographie waren von dem damaligen Fürſtenthum unzertrennlich. Wie ſehr hat es noch der practiſch hochgebildete Herzog Alfonſo (S. 49) beklagt, daß ihn die Kränklichkeit in der Jugend einſeitig223 auf Erholung durch Handarbeit hingewieſen! 1)Paul. Jov. Vita Alfonsi ducis.Oder hat3. Abſchnitt. er ſich mit dieſer Ausrede doch eher nur die Literaten vom Leibe gehalten? In eine Seele wie die ſeinige ſchauten ſchon die Zeitgenoſſen nicht recht hinein.
Selbſt die kleinſten romagnoliſchen Tyrannen können nicht leicht ohne einen oder mehrere Hofhumaniſten aus - kommen; der Hauslehrer und Secretär ſind dann öfter Eine Perſon, welche zeitweiſe ſogar das Factotum des Hofes wird2)Ueber Collenuccio am Hofe des Giovanni Sforza von Peſaro, (Sohn des Aleſſandro, S. 27), der ihn zuletzt mit dem Tode lohnte, ſ. S. 139. — Beim letzten Ordelaffo zu Forli verſah Codrus Ur - ceus die Stelle. — Unter den gebildeten Tyrannen iſt auch der 1488 von ſeiner Gattin ermordete Galeotto Manfreddi von Faenza zu nennen; ebenſo einzelne Bentivoglî von Bologna.. Man iſt mit der Verachtung dieſer kleinen Verhältniſſe insgemein etwas zu raſch bei der Hand, indem man vergißt, daß die höchſten Dinge des Geiſtes gerade nicht an den Maßſtab gebunden ſind.
Ein ſonderbares Treiben muß jedenfalls an dem HofeSigismondo Malateſta. zu Rimini unter dem frechen Heiden und Condottiere Si - gismondo Malateſta geherrſcht haben. Er hatte eine Anzahl von Philologen um ſich und ſtattete einzelne derſelben reich - lich, z. B. mit einem Landgut aus, während andere als Offiziere wenigſtens ihren Lebensunterhalt hatten3)Anecdota literar. II, p. 305, s. 405. Baſinius von Parma ſpottet über Porcellio und Tommaſo Seneca: ſie als hungrige Pa - raſiten müßten in ihrem Alter noch die Soldaten ſpielen, indeß er mit ager und villa ausgeſtattet ſei. (Um 1460; ein belehrendes Aktenſtück, aus welchem hervorgeht, daß es noch Humaniſten, wie die zwei letztgenannten gab, welche ſich gegen das Aufkommen des Grie - chiſchen zu wehren ſuchten.). In ſeiner Burg — arx Sismundea — halten ſie ihre oft ſehr giftigen Disputationen, in Gegenwart des „ rex “wie ſie ihn nennen; in ihren lateiniſchen Dichtungen preiſen ſie2243. Abſchnitt. natürlich ihn und beſingen ſeine Liebſchaft mit der ſchönen Iſotta, zu deren Ehren eigentlich der berühmte Umbau von San Francesco in Rimini erfolgte, als ihr Grabdenkmal, Divæ Jsottæ Sacrum. Und wenn die Philologen ſterben, ſo kommen ſie in (oder unter) die Sarcophage zu liegen, womit die Niſchen der beiden Außenwände dieſer nämlichen Kirche geſchmückt ſind; eine Inſchrift beſagt dann, der be - treffende ſei hier beigeſetzt worden zur Zeit da Sigismundus, Pandulfus 'Sohn, herrſchte. Man würde es heute einem Scheuſal, wie dieſer Fürſt war, ſchwerlich glauben, daß Bildung und gelehrter Umgang ihm ein Bedürfniß ſeien, und doch ſagt der, welcher ihn excommunicirte, in effigie verbrannte und bekriegte, nämlich Papſt Pius II. : „ Sigis - „ mondo kannte die Hiſtorien und beſaß eine große Kunde „ der Philoſophie; zu Allem was er ergriff, ſchien er ge - „ boren “1)Pii II. Comment. L. II, p. 92. Historiæ iſt hier der Inbegriff des ganzen Alterthums..
Reproduction d. Alterthums.Zu zweien Zwecken aber glaubten Republiken wie Fürſten und Päpſte des Humaniſten durchaus nicht ent - behren zu können: zur Abfaſſung der Briefe und zur öffent - lichen, feierlichen Rede.
Epiſtolo - graphie.Der Secretär muß nicht nur von Styleswegen ein guter Lateiner ſein, ſondern umgekehrt: nur einem Huma - niſten traut man die Bildung und Begabung zu, welche für einen Secretär nöthig iſt. Und ſo haben die größten Männer der Wiſſenſchaft im XV. Jahrhundert meiſt einen beträchtlichen Theil ihres Lebens hindurch dem Staat auf dieſe Weiſe gedient. Man ſah dabei nicht auf Heimath und Herkunft; von den vier großen florentiniſchen Secretären,225 die ſeit 1429 bis 1465 die Feder führten1)Fabroni, Cosmus Adnot. 117. — Vespas. Fior. passim. — Eine Hauptſtelle über das was die Florentiner von ihren Secre - tären verlangten, bei Aeneas Sylvius, De Europa, cap. 54. (Opera, p. 454)., ſind drei aus3. Abſchnitt. der Unterthanenſtadt Arezzo: nämlich Lionardo (Bruni), Carlo (Marzuppini) und Benedetto Accolti; Poggio war von Terra nuova, ebenfalls im florentiniſchen Gebiet. Hatte man doch ſchon lange mehrere der höchſten Stadtämter principiell mit Ausländern beſetzt. Lionardo, Poggio und Giannozzo Mannetti waren auch zeitweiſe Geheimſchreiber der Päpſte und Carlo Aretino ſollte es werden. Blondus von Forli und trotz allem zuletzt auch Lorenzo Valla rückten in dieſelbe Würde vor. Mehr und mehr zieht der päpſtliche Palaſt ſeit Nicolaus V. und Pius II.2)Vgl. S. 217 und Papencordt, Geſch. d. Stadt Rom, p. 512 über das neue Collegium der Abbreviatoren, welches Pius gründete. die bedeutendſten Kräfte in ſeine Kanzlei, ſelbſt unter jenen ſonſt nicht lite - rariſch geſinnten letzten Päpſten des XV. Jahrhunderts. In der Papſtgeſchichte des Platina iſt das Leben Paul's II. nichts anderes als die ergötzliche Rache des Humaniſten an dem einzigen Papſt, der ſeine Kanzlei nicht zu behandeln verſtand, jenen Verein von „ Dichtern und Rednern, die der „ Curie eben ſo viel Glanz verliehen als ſie von ihr empfin - „ gen “. Man muß dieſe ſtolzen Herrn aufbrauſen ſehen,Hochgefühl der päpſtlichen Kanzlei. wann ein Präcedenzſtreit eintritt, wenn z. B. die Advocati conſiſtoriales gleichen Rang mit ihnen, ja den Vortritt in Anſpruch nehmen3)Anecdota lit. I, p. 119, s. Plaidoyer des Jacobus Volaterranus im Namen der Secretäre, ohne Zweifel aus der Zeit Sixtus IV. — Der humaniſtiſche Anſpruch der Conſiſtorialadvocaten beruhte auf ihrer Redekunſt, wie der der Secretäre auf den Briefen.. In einem Zuge wird appellirt an den Evangeliſten Johannes, welchem die Secreta coeleſtia enthüllt geweſen, an den Schreiber des Porſenna, welchen M. Scävola für den König ſelber gehalten, an Mäcenas,Cultur der Renaiſſance. 152263. Abſchnitt. welcher Auguſts Geheimſchreiber war, an die Erzbiſchöfe, welche in Deutſchland Kanzler heißen u. ſ. w.1)Die wirkliche kaiſerliche Kanzlei unter Friedrich III. kannte Aeneas Sylvius am beſten. Vgl. Epp. 23 u. 105, Opera, p. 516 u. 607.. „ Die „ apoſtoliſchen Schreiber haben die erſten Geſchäfte der Welt „ in Händen, denn wer anders als ſie ſchreibt und verfügt „ in Sachen des katholiſchen Glaubens, der Bekämpfung der „ Ketzerei, der Herſtellung des Friedens, der Vermittlung zwi - „ ſchen den größten Monarchen? Wer als ſie liefert die „ ſtatiſtiſchen Ueberſichten der ganzen Chriſtenheit? Sie ſind „ es, die Könige, Fürſten und Völker in Bewunderung ver - „ ſetzen durch das was von den Päpſten ausgeht; ſie ver - „ faſſen die Befehle und Inſtructionen für die Legaten; „ ihre Befehle aber empfangen ſie nur vom Papſt, und ſind „ derſelben zu jeder Stunde des Tages und der Nacht ge - „ wärtig “. Den Gipfel des Ruhmes erreichten aber doch erſt die beiden berühmten Secretäre und Styliſten Leo's X.: Pietro Bembo und Jacopo Sadoleto.
Nicht alle Kanzleien ſchrieben elegant; es gab einen ledernen Beamtenſtyl in höchſt unreinem Latein, welcher dieWerthſchätzung des Briefſtyls. Mehrheit für ſich hatte. Ganz merkwürdig ſtechen in den mailändiſchen Actenſtücken, welche Corio mittheilt, neben dieſem Styl die paar Briefe hervor, welche von den Mit - gliedern des Fürſtenhauſes ſelber, und zwar in den wich - tigſten Momenten verfaßt ſein müſſen2)Corio, storia di Milano, fol. 449 der Brief der Iſabella von Ara - gon an ihren Vater Alfons von Neapel; fol. 451. 464 zwei Briefe des Moro an Carl VIII. — Womit zu vergleichen das Hiſtörchen in den Lettere pittoriche III, 86 (Sebaſt. del Piombo an Are - tino), wie Clemens VII. während der Verwüſtung Roms im Caſtell ſeine Gelehrten aufbietet, und ſie eine Epiſtel an Carl V. concipiren läßt, Jeden beſonders.; ſie ſind von der reinſten Latinität. Den Styl auch in der Noth zu wahren erſchien als ein Gebot der guten Lebensart, und als Folge der Gewöhnung.
227Man kann ſich denken, wie emſig in jenen Zeiten die3. Abſchnitt. Briefſammlungen des Cicero, Plinius u. A. ſtudirt wurden. Es erſchien ſchon im XV. Jahrhundert eine ganze Reihe von Anweiſungen und Formularen zum lateiniſchen Brief - ſchreiben, als Seitenzweig der großen grammaticaliſchen und lexicographiſchen Arbeiten, deren Maſſe in den Biblio - theken noch heute Erſtaunen erregt. Je mehr Unberufene aber mit dergleichen Hülfsmitteln ſich an die Aufgabe wagten, deſto mehr nahmen ſich die Virtuoſen zuſammen und die Briefe Poliziano's und im Beginn des XVI. Jahrhunderts die des Pietro Bembo erſchienen dann als die irgend er - reichbaren Meiſterwerke nicht nur des lateiniſchen Styles ſondern der Epiſtolographie als ſolcher.
Daneben meldet ſich mit dem XVI. Jahrhundert auch ein claſſiſcher italieniſcher Briefſtyl, wo Bembo wiederum an der Spitze ſteht. Es iſt eine völlig moderne, vom La - teiniſchen mit Abſicht fern gehaltene Schreibart, und doch geiſtig total vom Alterthum durchdrungen und beſtimmt.
Viel glänzender noch als der Briefſchreiber tritt derDie Redner. Redner1)Man vgl. die Reden in den Opera des Philelphus, Sabellicus, Be - roaldus d. ä. ꝛc. und die Schriften und Biographien des Jan. Mannetti, Aeneas Sylvius ꝛc. hervor, in einer Zeit und bei einem Volke, wo das Hören als ein Genuß erſten Ranges galt und wo das Phantaſiebild des römiſchen Senates und ſeiner Redner alle Geiſter beherrſchte. Von der Kirche, bei welcher ſie im Mittelalter ihre Zuflucht gehabt, wird die Eloquenz vollkommen emancipirt; ſie bildet ein nothwendiges Element und eine Zierde jedes erhöhten Daſeins. Sehr viele feſt - liche Augenblicke, die gegenwärtig mit der Muſik ausgefüllt werden, gehörten damals der lateiniſchen oder italieniſchen Rede, worüber ſich jeder unſerer Leſer ſeine Gedanken machen möge.
15*2283. Abſchnitt. Welches Standes der Redner war, galt völlig gleich; man bedurfte vor Allem des virtuoſenhaft ausgebildeten humaniſtiſchen Talentes. Am Hofe des Borſo von Ferrara hat der Hofarzt, Jeronimo da Caſtello, ſowohl Friedrich III. als Pius II. zum Willkomm anreden müſſen1)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 198. 205. ; verheira - thete Laien beſteigen in den Kirchen die Kanzeln bei jedem feſtlichen oder Traueranlaß, ja ſelbſt an Heiligenfeſten. Es war den außeritaliſchen Basler Concilsherren etwas Neues, daß der Erzbiſchof von Mailand am Ambroſius - tage den Aeneas Sylvius auftreten ließ, welcher noch keine Weihe empfangen hatte; trotz dem Murren der Theologen ließen ſie ſich es gefallen und hörten mit größter Begier zu2)Pii II. Comment. L. I, p. 10. .
Ueberblicken wir zunächſt die wichtigern und häufigern Anläſſe des öffentlichen Redens.
Feierliche Staatsreden.Vor Allem heißen die Geſandten von Staat an Staat nicht vergebens Oratoren; neben der geheimen Unterhand - lung gab es ein unvermeidliches Paradeſtück, eine öffentliche Rede, vorgetragen unter möglichſt pomphaften Umſtänden3)So groß der Succeß des glücklichen Redners war, ſo furchtbar war natürlich das Steckenbleiben vor großen und erlauchten Verſamm - lungen. Schreckensbeiſpiele ſind geſammelt bei Petrus Crinitus, de honesta disciplina V, cap. 3. Vgl. Vespas. Fior. p. 319. 430. . In der Regel führte von dem oft ſehr zahlreichen Perſonal Einer zugeſtandenermaßen das Wort, aber es paſſirte doch dem Kenner Pius II., vor welchem ſich gerne jeder hören laſſen wollte, daß er eine ganze Geſandtſchaft, Einen nach dem Andern, anhören mußte4)Pii II. Comment. L. IV. p. 205. Es waren noch dazu Römer, die ihn in Viterbo erwarteten. Singuli per se verba fecere, ne alius alio melior videretur, cum essent eloquentia ferme pares. — Daß der Biſchof von Arezzo nicht das Wort führen durfte für die Collectivgeſandtſchaft der italieniſchen Staaten an den neuge - wählten Alexander VI, zählt Guicciardini (zu Anfang des I. B.). Dann redeten gelehrte229 Fürſten, die des Wortes mächtig waren, gerne und gut3. Abſchnitt. ſelber, italieniſch oder lateiniſch. Die Kinder des Hauſes Sforza waren hierauf eingeſchult, der ganz junge Galeazzo Maria ſagte ſchon 1455 im großen Rath zu Venedig ein fließendes Exercitium her1)Mitgetheilt von Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 1160. , und ſeine Schweſter Ippolita begrüßte den Papſt Pius II. auf dem Congreß zu Mantua 1459 mit einer zierlichen Rede2)Pii II. Comment. L. II. p. 107. Vgl. p. 87. — Eine andere lateiniſche Rednerin fürſtlichen Standes war Madonna Battiſta Mon - tefeltro, vermählte Malateſta, welche Sigismund und Martin haran - guirte Vgl. Arch. stor. IV, I. p. 442, Nota. . Pius II. ſelbſt hat offen - bar als Redner in allen Zeiten ſeines Lebens ſeiner letzten Standeserhöhung mächtig vorgearbeitet; als größter curialer Diplomat und Gelehrter wäre er vielleicht doch nicht Papſt geworden ohne den Ruhm und den Zauber ſeiner Be - redſamkeit. „ Denn nichts war erhabener als der Schwung „ ſeiner Rede3)De expeditione in Turcas, bei Murat. XXIII, Col. 68. Nihil enim Pii concionantis maiestate sublimius. — Außer dem naiven Wohlgefallen, womit Pius ſelbſt ſeine Erfolge ſchildert, vgl. Cam - panus, Vita Pii II, bei Murat. III, II, passim. . “ Gewiß galt er für Unzählige ſchon deß - halb als der des Papſtthums Würdigſte, bereits vor der Wahl.
Sodann wurden die Fürſten bei jedem feierlichenEmpfangs - reden ꝛc. Empfang angeredet und zwar oft in ſtundenlanger Oration. Natürlich geſchah dieß nur wenn der Fürſt als Redefreund bekannt war oder dafür gelten wollte4)Carl V. hat doch einmal, als er in Genua der Blumenſprache eines latein. Redners nicht folgen konnte, vor Giovio's Ohren geſeufzt: „ Ach wie hat mein Lehrer Hadrian einſt Recht gehabt, als er mir „ weiſſagte, ich würde für meinen kindiſchen Unfleiß im Lateiniſchen „ gezüchtigt werden! “— Paul. Jov. vita Hadriani VI. , und wenn man einen genügenden Redner vorräthig hatte, mochte es ein4)ganz ernſthaft unter den Urſachen auf, welche das Unglück Italiens 1494 herbeiführen halfen.2303. Abſchnitt. Hofliterat, Univerſitätsprofeſſor, Beamter, Arzt oder Geiſt - licher ſein.
Auch jeder andere politiſche Anlaß wird begierig er - griffen, und je nach dem Ruhm des Redners läuft Alles herbei was die Bildung verehrt. Bei alljährlichen Beamten - erneuerungen, ſogar bei Einführung neuernannter Biſchöfe muß irgend ein Humaniſt auftreten, der bisweilen1)Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp., bei Anlaß des Collenuccio. — Filelfo, ein verheiratheter Laie, hielt im Dom von Como die Einführungsrede für den Biſchof Scarampi 1460. in ſapphiſchen Strophen oder Hexametern ſpricht; auch mancher neu antretende Beamte ſelbſt muß eine unumgängliche Rede halten über ſein Fach z. B. „ über die Gerechtigkeit “; wohl ihm wenn er darauf geſchult iſt. In Florenz zieht man auch die Condottieren — ſie mögen ſein wer und wie ſie wollen — in das landesübliche Pathos hinein und läßt ſie bei Ueberreichung des Feldherrenſtabes durch den ge - lehrteſten Staatsſecretär vor allem Volk haranguiren2)Fabroni, Cosmus, Adnot. 52. . Es ſcheint, daß unter oder an der Loggia de' Lanzi, der feierlichen Halle, wo die Regierung vor dem Volke aufzu - treten pflegte, eine eigentliche Rednerbühne (rostra, ringhiera) angebracht war.
Leichenreden ꝛc.Von Anniverſarien werden beſonders die Todestage der Fürſten durch Gedächtnißreden gefeiert. Auch die eigentliche Leichenrede iſt vorherrſchend dem Humaniſten anheimgefallen, der ſie in der Kirche, in weltlichem Ge - wande recitirt, und zwar nicht nur am Sarge von Fürſten, ſondern auch von Beamten u. a. namhaften Leuten3)Was doch z. B. dem Jac. Volaterranus (bei Murat. XXIII, Col. 171) bei Platina's Gedächtnißfeier einigen Anſtoß gab.. Ebenſo verhält es ſich oft mit Verlobungs - und Hochzeits - reden, nur daß dieſe (wie es ſcheint) nicht in der Kirche ſondern im Palaſt, z. B. die des Filelfo bei der Verlobung231 der Anna Sforza mit Alfonſo d'Eſte im Caſtell von Mai -3. Abſchnitt. land, gehalten wurden. (Es könnte immerhin in der Pa - laſtcapelle geſchehen ſein.) Auch angeſehene Privatleute ließen ſich wohl einen ſolchen Hochzeitsredner als vornehmen Luxus gefallen. In Ferrara erſuchte man bei ſolchen An - läſſen einfach den Guarino1)Anecdota lit. I, p. 299, in Fedra's Leichenrede auf Lod. Podoca - taro, welchen Guarino vorzugsweiſe zu ſolchen Aufträgen beſtimmte., er möchte einen ſeiner Schüler ſenden. Die Kirche als ſolche beſorgte bei Trauungen und Leichen nur die eigentlichen Ceremonien.
Von den academiſchen Reden ſind die bei Einführung neuer Profeſſoren und die bei Curseröffnungen2)Von ſolchen Einleitungsvorleſungen ſind viele[e]rhalten, in den Wer - ken des Sabellicus, Beroaldus maior, Codrus Urceus ꝛc. von den Profeſſoren ſelbſt gehaltenen mit dem größten rhetoriſchen Aufwand behandelt. Der gewöhnliche Cathedervortrag näherte ſich ebenfalls oft der eigentlichen Rede3)Den ausgezeichneten Ruhm von Pomponazzo's Vortrag ſ. bei Paul. Jov. Elogia. .
Bei den Advocaten gab das jeweilige Auditorium den Maßſtab für die Behandlung der Rede. Je nach Umſtän - den wurde dieſelbe mit dem vollen philologiſch-antiquari - ſchen Pomp ausgeſtattet.
Eine ganz eigene Gattung ſind die italieniſch gehalte -Soldatenreden. nen Anreden an die Soldaten, theils vor dem Kampf, theils nachher. Federigo von Urbino4)Vespas. Fior. p. 103. Vgl. die Geſchichte p. 598, wie Gianozzo Mannetti zu ihm ins Lager kömmt. war hiefür claſſiſch; einer Schaar nach der andern, wie ſie kampfgerüſtet da ſtanden, flößte er Stolz und Begeiſterung ein. Manche Rede in den Kriegsſchriftſtellern des XV. Jahrhunderts, z. B. bei Porcellius (S. 100) möchte nur theilweiſe fingirt ſein, theilweiſe aber auf wirklich geſprochenen Worten be - ruhen. Wieder etwas Anderes waren die Anreden an die ſeit 1506, hauptſächlich auf Macchiavell's Betrieb organiſirte2323. Abſchnitt. florentiniſche Miliz1)Archiv. stor. XV. p. 113. 121, Caneſtrini's Einleitung; p. 342, s. der Abdruck zweier Soldatenreden; die erſte von Alamanni, iſt aus - gezeichnet ſchön und des Momentes (1528) würdig., bei Anlaß der Muſterungen und ſpäter bei einer beſondern Jahresfeier. Dieſe ſind von allgemein patriotiſchem Inhalt; es hielt ſie in der Kirche jedes Quartiers vor den dort verſammelten Milizen ein Bürger im Bruſtharniſch, mit dem Schwert in der Hand.
Lateiniſche Pre - digt.Endlich iſt im XV. Jahrhundert die eigentliche Predigt bisweilen kaum mehr von der Rede zu ſcheiden, inſofern viele Geiſtliche in den Bildungskreis des Alterthums mit einge - treten waren und etwas darin gelten wollten. Hat doch ſelbſt der ſchon bei Lebzeiten heilige, vom Volk angebetete Gaſſenprediger Bernardino da Siena es für ſeine Pflicht gehalten, den rhetoriſchen Unterricht des berühmten Guarino nicht zu verſchmähen, obwohl er nur italieniſch zu predigen hatte. Die Anſprüche, zumal an die Faſtenprediger, waren damals ohne Zweifel ſo groß als je; hie und da gab es auch ein Auditorium, welches ſehr viel Philoſophie auf der Kanzel vertragen konnte und, ſcheint es, von Bildung wegen verlangte2)Hierüber Fauſtinus Terdoceus, in ſeiner Satire De triumpho stul - titiæ, lib. II. . Doch wir haben es hier mit den vornehmen lateiniſchen Caſualpredigern zu thun. Manche Gelegenheit nahmen ihnen, wie geſagt, gelehrte Laien vom Munde weg. Reden an beſtimmten Heiligentagen, Leichen - und Hochzeits - reden, Einführungen von Biſchöfen u. ſ. w., ja ſogar die Rede bei der erſten Meſſe eines befreundeten Geiſtlichen und die Feſtrede bei einem Ordenscapitel werden wohl Laien überlaſſen3)Dieſe beiden erſtaunlichen Fälle kommen bei Sabellicus vor (Opera, fol. 61 — 82, De origine et auctu religionis, zu Verona vor dem Capitel der Barfüßer von der Kanzel gehalten, und: De sacerdotii laudibus, zu Venedig gehalten). Vgl. S. 230, Anm. 1.. Doch predigten wenigſtens vor dem päpſt - lichen Hof im XV. Jahrhundert in der Regel Mönche,233 welches auch der feſtliche Anlaß ſein mochte. Unter3. Abſchnitt. Sixtus IV. verzeichnet und kritiſirt Giacomo da Volterra regelmäßig dieſe Feſtprediger, nach den Geſetzen der Kunſt1)Jac. Volaterrani Diar. roman., bei Mur. XXIII. passim. — Col. 173 wird eine höchſt merkwürdige Predigt vor dem Hofe, doch bei zufälliger Abweſenheit Sixtus IV. erwähnt: Pater Paolo Tos - canella donnerte gegen den Papſt, deſſen Familie und die Cardinäle; Sixtus erfuhr es und lächelte.. Fedra Inghirami, als Feſtredner berühmt unter Julius II., hatte wenigſtens die geiſtlichen Weihen und war Chorherr am Lateran; auch ſonſt hatte man unter den Prälaten jetzt elegante Lateiner genug. Ueberhaupt erſcheinen mit dem XVI. Jahrhundert die früher übergroßen Vorrechte der profanen Humaniſten in dieſer Beziehung gedämpft wie in andern, wovon unten ein Weiteres.
Welcher Art und welches Inhaltes waren nun dieſeErneuerung der Rhetorik. Reden im Großen und Ganzen? Die natürliche Wohlreden - heit wird den Italienern das Mittelalter hindurch nie ge - fehlt haben, und eine ſogenannte Rhetorik gehörte von je - her zu den ſieben freien Künſten; wenn es ſich aber um die Auferweckung der antiken Methode handelt, ſo iſt dieſes Verdienſt nach Ausſage des Filippo Villani2)Fil. Villani, vite, p. 33. einem Flo - rentiner Bruno Caſini zuzuſchreiben, welcher noch in jungen Jahren 1348 an der Peſt ſtarb. In ganz practiſchen Ab - ſichten, um nämlich die Florentiner zum leichten, gewandten Auftreten in Räthen u. a. öffentlichen Verſammlungen zu befähigen, behandelte er nach Maßgabe der Alten die Er - findung, die Declamation, Geſtus und Haltung im Zu - ſammenhange. Auch ſonſt hören wir frühe von einer völlig auf die Anwendung berechneten rhetoriſchen Erziehung; nichts galt höher als aus dem Stegreif in elegantem La - tein das jedesmal Paſſende vorbringen zu können. Das wachſende Studium von Cicero's Reden und theoretiſchen Schriften, von Quintilian und den kaiſerlichen Panegyrikern,2343. Abſchnitt. das Entſtehen eigener neuer Lehrbücher1)Georg. Trapezunt. Rhetorica, das erſte vollſtändige Lehrgebäude. — Aen. Sylvius: Artis rhetoricæ præcepta, in den Opera p. 992 bezieht ſich abſichtlich nur auf Satzbau und Wortfügung; übrigens bezeichnend für die vollkommene Routine hierin. Er nennt mehrere andere Theoretiker., die Benützung der Fortſchritte der Philologie im Allgemeinen und die Maſſe von antiken Ideen und Sachen, womit man die eigenen Gedanken bereichern durfte und mußte, — dieß zuſammen vollendete den Character der neuen Redekunſt.
Form und Sachinhalt.Je nach den Individuen iſt derſelbe gleichwohl ſehr verſchieden. Manche Reden athmen eine wahre Beredſam - keit, namentlich diejenigen, welche bei der Sache bleiben; von dieſer Art iſt durchſchnittlich was wir von Pius II. übrig haben. Sodann laſſen die Wunderwirkungen, welche Giannozzo Mannetti2)Deſſen Vita bei Murat. XX. iſt ganz voll von den Wirkungen ſeiner Eloquenz. — Vgl. Vespas. Fior. 592, s. erreichte, auf einen Redner ſchließen, wie es in allen Zeiten wenige gegeben hat. Seine großen Audienzen als Geſandter vor Nicolaus V., vor Dogen und Rath von Venedig waren Ereigniſſe, deren Andenken lange dauerte. Viele Redner dagegen benützten den Anlaß, um neben einigen Schmeicheleien für vornehme Zuhörer eine wüſte Maſſe von Worten und Sachen aus dem Alterthum vorzubringen. Wie es möglich war, dabei bis zwei, ja drei Stunden auszuhalten, begreift man nur wenn man das ſtarke damalige Sachintereſſe am Alterthum und die Mangelhaftigkeit und relative Seltenheit der Bearbeitungen — vor der Zeit des allgemeinen Druckens — in Betracht zieht. Solche Reden hatten noch immer den Werth, welchen wir (S. 200) manchen Briefen Petrarca's vindicirt haben. Die Citirſucht.Einige machten es aber doch zu ſtark. Filelfo's meiſte Orationen ſind ein abſcheuliches Durcheinander von claſſi - ſchen und bibliſchen Citaten, aufgereiht an einer Schnur von Gemeinplätzen; dazwiſchen werden die Perſönlichkeiten235 der zu rühmenden Großen nach irgend einem Schema3. Abſchnitt. z. B. der Cardinaltugenden geprieſen, und nur mit großer Mühe entdeckt man bei ihm und Andern die wenigen zeit - geſchichtlichen Elemente von Werth, welche wirklich darin ſind. Die Rede eines Profeſſors und Literaten von Pia - cenza z. B. für den Empfang des Herzogs Galeazzo Maria 1467 beginnt mit C. Julius Caeſar, miſcht einen Haufen antiker Citate mit ſolchen aus einem eigenen allegoriſchen Werk des Verfaſſers zuſammen, und ſchließt mit ſehr in - discreten guten Lehren an den Herrſcher1)Annales Placentini bei Murat. XX, Col. 918.. Glücklicher Weiſe war es ſchon zu ſpät am Abend und der Redner mußte ſich damit begnügen, ſeinen Panegyricus ſchriftlich zu überreichen. Auch Filelfo hebt eine Verlobungsrede mit den Worten an: Jener peripatetiſche Ariſtoteles ꝛc. ; Andere rufen gleich zu Anfang: Publius Cornelius Scipio u. dgl., ganz als könnten ſie und ihre Zuhörer das Citiren gar nicht erwarten. Mit dem Ende des XV. Jahrhunderts reinigte ſich der Geſchmack auf einmal, weſentlich durch das Verdienſt der Florentiner; im Citiren wird fortan ſehr be - hutſam Maß gehalten, ſchon weil inzwiſchen allerlei Nach - ſchlagewerke häufiger geworden ſind, in welchen der Erſte Beſte dasjenige vorräthig findet, womit man bis jetzt Fürſten und Volk in Erſtaunen geſetzt.
Da die meiſten Reden am Studirpult erarbeitet waren,Fingirte Reden. ſo dienten die Manuſcripte unmittelbar zur weitern Ver - breitung und Veröffentlichung. Großen Stegreifrednern dagegen mußte nachſtenographirt werden2)So dem Savonarola, vgl. Perrens, Vie de Savonarole I, p. 163. Die Stenographen konnten jedoch ihm und z. B. auch begeiſterten Improviſatoren nicht immer folgen.. — Ferner ſind nicht alle Orationen, die wir beſitzen, auch nur dazu be - ſtimmt geweſen, wirklich gehalten zu werden; ſo iſt z. B. der Panegyricus des ältern Beroaldus auf Lodovico Moro2363. Abſchnitt. ein bloß ſchriftlich eingeſandtes Werk1)Und zwar keines von den beſſern. Das Bemerkenswertheſte iſt die Floskel am Schluſſe: Esto tibi ipsi archetypon et exemplar, teipsum imitare etc. . Ja wie man Briefe mit imaginären Adreſſen nach allen Gegenden der Welt componirte als Exercitium, als Formulare, auch wohl als Tendenzſchriften, ſo gab es auch Reden auf erdichtete Anläſſe2)Briefe ſowohl als Reden dieſer Art ſchrieb Alberto di Ripalta, vgl. die von ihm verfaßten Annales Placentini, bei Murat. XX, Col. 914, s. wo der Pedant ſeinen literariſchen Lebenslauf ganz lehrreich beſchreibt., als Formulare für Begrüßung großer Beamten, Fürſten und Biſchöfe u. dgl. m.
Verfall der Eloquenz.Auch für die Redekunſt gilt der Tod Leo's X. (1521) und die Verwüſtung von Rom (1527) als der Termin des Verfalls. Aus dem Jammer der ewigen Stadt kaum ge - flüchtet, verzeichnet Giovio3)Pauli Jovii Dialogus de viris literis illustribus, bei Tira - boschi, Tom. VII, Parte IV. — Doch meint er noch wohl ein Jahrzehnd ſpäter, am Schluß der Elogia literaria: Tenemus ad - huc, nachdem das Primat der Philologie auf Deutſchland überge - gangen, sinceræ et constantis eloquentiæ munitam arcem etc. einſeitig und doch wohl mit überwiegender Wahrheit die Gründe dieſes Verfalls:
„ Die Aufführungen des Plautus und Terenz, einſt eine Uebungsſchule des lateiniſchen Ausdruckes für die vor - nehmen Römer, ſind durch italieniſche Comödien verdrängt. Der elegante Redner findet nicht mehr Lohn und Anerken - nung wie früher. Deßhalb arbeiten z. B. die Conſiſtorial - advocaten an ihren Vorträgen nur noch die Proömien aus und geben den Reſt als trüben Miſchmaſch nur noch ſtoß - weiſe von ſich. Auch Caſualreden und Predigten ſind tief geſunken. Handelt es ſich um die Leichenrede für einen Cardinal oder weltlichen Großen, ſo wenden ſich die Teſta - mentsexecutoren nicht an den trefflichſten Redner der Stadt, den ſie mit hundert Goldſtücken honoriren müßten, ſondern237 ſie miethen um ein Geringes einen hergelaufenen kecken3. Abſchnitt. Pedanten, der nur in den Mund der Leute kommen will, ſei es auch durch den ſchlimmſten Tadel. Der Todte, denkt man, ſpüre ja nichts davon wenn ein Affe in Trauerge - wand auf der Kanzel ſteht, mit weinerlichem heiſerm Ge - murmel beginnt und allmälig ins laute Gebell übergeht. Auch die feſtlichen Predigten bei den päpſtlichen Functionen werfen keinen rechten Lohn mehr ab; Mönche von allen Orden haben ſich wieder derſelben bemächtigt und predigen wie für die ungebildetſten Zuhörer. Noch vor wenigen Jahren konnte eine ſolche Predigt bei der Meſſe in Gegenwart des Papſtes der Weg zu einem Bisthum werden. “
An die Epiſtolographie und die Redekunſt der Hu -Die Abhand - lung. maniſten ſchließen wir hier noch ihre übrigen Productionen an, welche zugleich mehr oder weniger Reproductionen des Alterthums ſind.
Hieher gehört zunächſt die Abhandlung in unmittel - barer oder in dialogiſcher Form1)Eine beſondere Gattung machen natürlich die halbſatiriſchen Dialoge aus, welche Collenuccio und beſonders Pontano dem Lucian nach - bildeten. Von ihnen ſind dann Erasmus und Hutten angeregt worden. — Für die eigentlichen Abhandlungen mochten frühe ſchon Stücke aus den Moralien des Plutarch als Vorbild dienen., welche letztere man direct von Cicero herüber nahm. Um dieſer Gattung einiger - maßen gerecht zu werden, um ſie nicht als Quelle der Lan - genweile von vorn herein zu verwerfen, muß man zweierlei erwägen. Das Jahrhundert, welches dem Mittelalter ent - rann, bedurfte in vielen einzelnen Fragen moraliſcher und philoſophiſcher Natur einer ſpeciellen Vermittelung zwiſchen ſich und dem Alterthum, und dieſe Stelle nahmen nun die Tractat - und Dialogſchreiber ein. Vieles was uns in ihren Schriften als Gemeinplatz erſcheint, war für ſie und ihre Zeitgenoſſen eine mühſam neu errungene Anſchauung2383. Abſchnitt. von Dingen, über welche man ſich ſeit dem Alterthum noch nicht wieder ausgeſprochen hatte. Sodann hört ſich die Sprache hier beſonders gerne ſelber zu — gleichviel ob die lateiniſche oder die italieniſche. Freier und vielſeitiger als in der hiſtoriſchen Erzählung oder in der Oration und in den Briefen bildet ſie hier ihr Satzwerk, und von den ita - lieniſchen Schriften dieſer Art gelten mehrere bis heute als Muſter der Proſa. Manche von dieſen Arbeiten wurden ſchon genannt oder werden noch angeführt werden ihres Sachinhaltes wegen; hier mußte von ihnen als Geſammt - gattung die Rede ſein. Von Petrarca's Briefen und Trac - taten an bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts wiegt bei den Meiſten auch hier das Aufſpeichern antiken Stoffes vor, wie bei den Rednern; dann klärt ſich die Gattung ab, zumal im Italieniſchen, und erreicht mit den Aſolani des Bembo, mit der Vita Sobria des Luigi Cornaro die volle Claſſicität. Auch hier war es entſcheidend, daß jener antike Stoff inzwiſchen ſich in beſondern großen Sammelwerken, jetzt ſogar gedruckt abzulagern begonnen hatte und dem Tractatſchreiber nicht mehr im Wege war.
Lateiniſche Ge - ſchichtſchrei - bung.Ganz unvermeidlich bemächtigte ſich der Humanismus auch der Geſchichtſchreibung. Bei flüchtiger Vergleichung dieſer Hiſtorien mit den frühern Chroniken, namentlich mit ſo herrlichen, farbenreichen, lebensvollen Werken wie die der Villani wird man dieß laut beklagen. Wie abgeblaßt und conventionell zierlich erſcheint neben dieſen Alles was die Humaniſten ſchreiben, und zwar z. B. gerade ihre näch - ſten und berühmteſten Nachfolger in der Hiſtoriographie von Florenz, Lionardo Aretino und Poggio. Wie un - abläſſig plagt den Leſer die Ahnung, daß zwiſchen den livianiſchen und den cäſariſchen Phraſen eines Facius, Sa - bellicus, Folieta, Senarega, Platina (in der mantuaniſchen Geſchichte), Bembo (in den Annalen von Venedig) und ſelbſt eines Giovio (in den Hiſtorien) die beſte individuelle und locale Farbe, das Intereſſe am vollen wirklichen Her -239 gang Noth gelitten habe. Das Mißtrauen wächst, wenn3. Abſchnitt. man inne wird, daß der Werth des Vorbildes Livius ſelbſt am unrechten Orte geſucht wurde, nämlich1)Benedictus: Caroli VIII. hist., bei Eccard, scriptt. II, Col. 1577. darin, daß er „ eine trockene und blutloſe Tradition in Anmuth und Fülle „ verwandelt “habe; ja man findet (eben da) das bedenk - liche Geſtändniß, die Geſchichtſchreibung müſſe durch Styl - mittel den Leſer aufregen, reizen, erſchüttern, — gerade als ob ſie die Stelle der Poeſie vertreten könnte. Man frägt ſich endlich, ob nicht die Verachtung der modernen Dinge, zu welcher dieſe nämlichen Humaniſten ſich bisweilen2)Petrus Crinitus beklagt dieſe Verachtung, de honesta discipl. L. XVIII, cap. 9. Die Humaniſten gleichen hierin den Autoren des ſpätern Alterthums, welche ebenfalls ihrer Zeit aus dem Wege gingen. — Vgl. Burckhardt, die Zeit Conſtantin's d. Gr. S. 285 u. f. offen bekennen, auf ihre Behandlung derſelben einen ungünſtigen Einfluß haben mußte? Unwillkürlich wendet der Leſer den anſpruchloſen lateiniſchen und italieniſchen Annaliſten, die der alten Art treu geblieben, z. B. denjenigen von Bo - logna und Ferrara, mehr Theilnahme und Vertrauen zu, und noch viel dankbarer fühlt man ſich den beſten unter den italieniſch ſchreibenden eigentlichen Chroniſten verpflichtet, einem Marin Sanudo, einem Corio, einem Infeſſura, bis dann mit dem Anfang des XVI. Jahrhunderts die neue glanzvolle Reihe der großen italieniſchen Geſchichtſchreiber in der Mutterſprache beginnt.
In der That war die Zeitgeſchichte unwiderſprechlichAbſoluter Werth des La - teiniſchen. beſſer daran wenn ſie ſich in der Landesſprache erging, als wenn ſie ſich latiniſiren mußte. Ob auch für die Erzählung des Längſtvergangenen, für die geſchichtliche Forſchung das Italieniſche geeigneter geweſen wäre, iſt eine Frage, welche für jene Zeit verſchiedene Antworten zuläßt. Das Latei - niſche war damals die Lingua franca der Gelehrten lange2403. Abſchnitt. nicht bloß im internationalen Sinn, z. B. zwiſchen Eng - ländern, Franzoſen und Italienern, ſondern auch im inter - provincialen Sinne, d. h. der Lombarde, der Venezianer, der Neapolitaner wurden mit ihrer italieniſchen Schreibart — auch wenn ſie längſt toscaniſirt war und nur noch ſchwache Spuren des Dialectes an ſich trug — von dem Florentiner nicht anerkannt. Dieß wäre zu verſchmerzen geweſen bei örtlicher Zeitgeſchichte, die ihrer Leſer an Ort und Stelle ſicher war, aber nicht ſo leicht bei der Geſchichte der Vergangenheit, für welche ein weiterer Leſerkreis geſucht werden mußte. Hier durfte die locale Theilnahme des Volkes der allgemeinen der Gelehrten aufgeopfert werden. Wie weit wäre z. B. Blondus von Forli gelangt, wenn er ſeine großen gelehrten Werke in einem halbromagnoliſchen Italieniſch verfaßt hätte? Dieſelben wären einer ſichern Obscurität verfallen ſchon um der Florentiner willen, während ſie lateiniſch die allergrößte Wirkung auf die Gelehrſamkeit des ganzen Abendlandes ausübten. Und auch die Floren - tiner ſelbſt ſchrieben ja im XV. Jahrhundert lateiniſch, nicht bloß weil ſie humaniſtiſch dachten ſondern zugleich um der leichtern Verbreitung willen.
Monographie und Biographie.Endlich giebt es auch lateiniſche Darſtellungen aus der Zeitgeſchichte, welche den vollen Werth der trefflichſten ita - lieniſchen haben. Sobald die nach Livius gebildete fortlau - fende Erzählung, das Procruſtesbett ſo mancher Autoren, aufhört, erſcheinen dieſelben wie umgewandelt. Jener näm - liche Platina, jener Giovio, die man in ihren großen Ge - ſchichtswerken nur verfolgt, ſo weit man muß, zeigen ſich auf einmal als ausgezeichnete biographiſche Schilderer. Von Triſtan Caracciolo, von dem biographiſchen Werke des Facius, von der venezianiſchen Topographie des Sabellico ꝛc. iſt ſchon beiläufig die Rede geweſen und auf andere werden wir noch kommen.
Die lateiniſchen Darſtellungen aus der Vergangenheit betrafen natürlich vor Allem das claſſiſche Alterthum. Was241 man aber bei dieſen Humaniſten weniger ſuchen würde,3. Abſchnitt. ſind einzelne bedeutende Arbeiten über die allgemeine Ge -Arbeiten über das Mittelalter. ſchichte des Mittelalters. Das erſte bedeutende Werk dieſer Art war die Chronik des Matteo Palmieri, begin - nend wo Prosper Aquitanus aufhört. Wer dann zufällig die Decaden des Blondus von Forli öffnet, wird einiger - maßen erſtaunen, wenn er hier eine Weltgeſchichte „ ab in - clinatione Romanorum imperii “wie bei Gibbon findet, voll von Quellenſtudien der Autoren jedes Jahrhunderts, wovon die erſten 300 Folioſeiten dem frühern Mittelalter bis zum Tode Friedrichs II. angehören. Und dieß während man ſich im Norden noch auf dem Standpuncte der be - kannten Papſt - und Kaiſerchroniken und des Fasciculus temporum befand. Es iſt hier nicht unſere Sache, kritiſch nachzuweiſen, welche Schriften Blondus im Einzelnen be - nützt hat, und wo er ſie beiſammen gefunden; in der Ge - ſchichte der neuern Hiſtoriographie aber wird man ihm dieſe Ehre wohl einmal erweiſen müſſen. Schon um dieſes einen Buches willen wäre man berechtigt zu ſagen: das Studium des Alterthums allein hat das des Mittelalters möglich gemacht; jenes hat den Geiſt zuerſt an objectives geſchicht - liches Intereſſe gewöhnt. Allerdings kam hinzu, daß das Mittelalter für das damalige Italien ohnehin vorüber war und daß der Geiſt es erkennen konnte, weil es nun außer ihm lag. Man kann nicht ſagen, daß er es ſogleich mit Gerechtigkeit oder gar mit Pietät beurtheilt habe; in den Künſten ſetzt ſich ein ſtarkes Vorurtheil gegen ſeine Her - vorbringungen feſt, und die Humaniſten datiren von ihrem eigenen Aufkommen an eine neue Zeit: „ Ich fange an, „ ſagt Boccaccio1)In dem Briefe an Pizinga, in den Opere volgari vol. XVI. — Noch bei Raph. Volaterranus, L. XXI, fängt die geiſtige Welt mit dem XIV. Jahrh. an, alſo bei demſelben Autor, deſſen erſte Bücher ſo viele für jene Zeit treffliche ſpecialgeſchichtliche Ueberſichten für alle Länder enthalten., zu hoffen und zu glauben, Gott habeCultur der Renaiſſance. 162423. Abſchnitt. „ ſich des italiſchen Namens erbarmt, ſeit ich ſehe, daß ſeine „ reiche Güte in die Bruſt der Italiener wieder Seelen „ ſenkt, die denen der Alten gleichen, inſofern ſie den Ruhm „ auf andern Wegen ſuchen als durch Raub und Gewalt, „ nämlich auf dem Pfade der unvergänglich machenden „ Poeſie “. Aber dieſe einſeitige und unbillige GeſinnungAnfänge der Kritik. ſchloß doch die Forſchung bei den Höherbegabten nicht aus, zu einer Zeit da im übrigen Europa noch nicht davon die Rede war; es bildete ſich für das Mittelalter eine geſchicht - liche Kritik ſchon weil die rationelle Behandlung aller Stoffe bei den Humaniſten auch dieſem hiſtoriſchen Stoffe zu Gute kommen mußte. Im XV. Jahrhundert durchdringt dieſelbe bereits die einzelnen Städtegeſchichten inſoweit, daß das ſpäte wüſte Fabelwerk aus der Urgeſchichte von Florenz, Venedig, Mailand ꝛc. verſchwindet, während die Chroniken des Nordens ſich noch lange mit jenen poetiſch meiſt werth - loſen, ſeit dem XIII. Jahrhundert erſonnenen Phantaſie - geſpinnſten ſchleppen müſſen.
Den engen Zuſammenhang der örtlichen Geſchichte mit dem Ruhm haben wir ſchon oben bei Anlaß von Florenz (S. 75) berührt. Venedig durfte nicht zurückbleiben; ſo wie etwa eine venezianiſche Geſandtſchaft nach einem großen florentiniſchen Rednertriumph1)Wie der des Giannozzo Mannetti in Gegenwart Nicolaus V[.], der ganzen Curie und zahlreicher, weit her gekommener Fremden; vgl. Vespas. Fior. p. 592 und die vita Jan. Man. eilends nach Hauſe ſchreibt, man möchte ebenfalls einen Redner ſchicken, ſo bedürfen die Venezianer auch einer Geſchichte, welche mit den Werken des Lionardo Aretino und Poggio die Vergleichung aus - halten ſoll. Unter ſolchen Vorausfetzungen entſtanden im XV. Jahrhundert die Decaden des Sabellico, im XVI. die Hiſtoria rerum venetarum des Pietro Bembo, beide Arbeiten in ausdrücklichem Auftrag der Republik, letztere als Fortſetzung der erſtern.
243Die großen florentiniſchen Geſchichtſchreiber zu Anfang3. Abſchnitt. des XVI. Jahrhunderts (S. 83) ſind dann von HauſeItalieniſche Geſchichtſchrei - bung. aus ganz andere Menſchen als die Lateiner Giovio und Bembo. Sie ſchreiben italieniſch, nicht bloß weil ſie mit der raffinirten Eleganz der damaligen Ciceronianer nicht mehr wetteifern können, ſondern weil ſie, wie Macchiavelli, ihren Stoff als einen durch lebendige Anſchauung1)Auch des Vergangenen, darf man bei Macchiavelli ſagen. ge - wonnenen auch nur in unmittelbarer Lebensform wieder - geben mögen und weil ihnen, wie Guicciardini, Varchi und den meiſten Uebrigen, die möglichſt weite und tiefe Wir - kung ihrer Anſicht vom Hergang der Dinge am Herzen liegt. Selbſt wenn ſie nur für wenige Freunde ſchreiben, wie Francesco Vettori, ſo müſſen ſie doch aus innerm Drange Zeugniß geben für Menſchen und Ereigniſſe, und ſich erklären und rechtfertigen über ihre Theilnahme an den letztern.
Und dabei erſcheinen ſie, bei aller Eigenthümlichkeit ihres Styles und ihrer Sprache, doch auf das Stärkſte vom Alterthum berührt und ohne deſſen Einwirkung gar nicht denkbar. Sie ſind keine Humaniſten mehr, allein ſie ſind durch den Humanismus hindurch gegangen und haben vom Geiſt der antiken Geſchichtſchreibung mehr an ſich als die meiſten jener livianiſchen Latiniſten: es ſind Bürger, die für Bürger ſchreiben, wie die Alten thaten.
In die übrigen Fachwiſſenſchaften hinein dürfen wirDas Alterthum als allgem. Vorausſetzung. den Humanismus nicht begleiten; jede derſelben hat ihre Specialgeſchichte, in welcher die italieniſchen Forſcher dieſer Zeit, hauptſächlich vermöge des von ihnen neu entdeckten Sachinhaltes des Alterthums2)Fand man doch bereits damals, daß ſchon Homer allein die Summe aller Künſte und Wiſſenſchaften enthalte, daß er eine Encyclopädie ſei. Vgl. Codri Urcei opera, Sermo XIII, Schluß., einen großen neuen Ab -16*2443. Abſchnitt. ſchnitt bilden, womit dann jedesmal das moderne Zeitalter der betreffenden Wiſſenſchaft beginnt, hier mehr, dort we - niger entſchieden. Auch für die Philoſophie müſſen wir auf die beſondern hiſtoriſchen Darſtellungen verweiſen. Der Einfluß der alten Philoſophen auf die italieniſche Cultur erſcheint dem Blicke bald ungeheuer groß, bald ſehr unter - geordnet. Erſteres beſonders, wenn man nachrechnet, wie die Begriffe des Ariſtoteles, hauptſächlich aus ſeiner früh - verbreiteten Ethik1)Ein Cardinal unter Paul II. ließ ſogar ſeinen Köchen des A. Ethik vortragen. Vgl. Gasp. Veron. vita Pauli II. bei Mura - tori III, II, Col. 1034. und Politik, Gemeingut der Gebildeten von ganz Italien wurden und wie die ganze Art des Ab - ſtrahirens von ihm beherrſcht war2)Für das Studium des Ariſtoteles im Allgemeinen iſt beſonders lehr - reich eine Rede des Hermolaus Barbarus.. Letzteres dagegen, wenn man die geringe dogmatiſche Wirkung der alten Phi - loſophen und ſelbſt der begeiſterten florentiniſchen Platoniker auf den Geiſt der Nation erwägt. Was wie eine ſolche Wirkung ausſieht, iſt in der Regel nur ein Niederſchlag der Bildung im Allgemeinen, eine Folge ſpeciell italieniſcher Geiſtesentwicklungen. Bei Anlaß der Religion wird hier - über noch Einiges zu bemerken ſein. Weit in den meiſten Fällen aber hat man es nicht einmal mit der allgemeinen Bildung ſondern nur mit der Aeußerung einzelner Perſonen oder gelehrter Kreiſe zu thun, und ſelbſt hier müßte jedes - mal unterſchieden werden zwiſchen wahrer Aneignung an - tiker Lehre und bloßem modemäßigem Mitmachen. Denn für Viele war das Alterthum überhaupt nur eine Mode, ſelbſt für Solche, die darin ſehr gelehrt wurden.
Antikiſirung der Namen.Indeß braucht nicht Alles, was unſerm Jahrhundert als Affectation erſcheint, damals wirklich affectirt geweſen zu ſein. Die Anwendung griechiſcher und römiſcher Namen als Taufnamen z. B. iſt noch immer viel ſchöner und245 achtungswerther als die heute beliebte von (zumal weib -3. Abſchnitt. lichen) Namen, die aus Romanen ſtammen. Sobald die Begeiſterung für die alte Welt größer war als die für die Heiligen, erſcheint es ganz einfach und natürlich, daß ein adliches Geſchlecht ſeine Söhne Agamemnon, Achill, und Tydeus taufen ließ1)Bursellis, ann. Bonon., bei Murat. XXIII. Col. 898., daß der Maler ſeinen Sohn Apelles nannte und ſeine Tochter Minerva ꝛc .2)Vasari XI, p. 189. 257, vite di Sodoma e di Garofalo. — Begreiflicher Weiſe bemächtigten ſich die liederlichen Weibsperſonen in Rom der volltönendſten antiken Namen Giulia, Lucrezia, Caſ - ſandra, Porzia, Virginia, Penteſilea ꝛc., womit ſie bei Aretino auf - treten. — Die Juden mögen vielleicht damals die Namen der großen ſemitiſchen Römerfeinde Amilcare, Annibale, Asdrubale an ſich ge - nommen haben, die ſie noch heute in Rom ſo häufig führen.. Auch ſoviel wird ſich wohl vertheidigen laſſen, daß ſtatt eines Hausnamens, welchem man überhaupt entrinnen wollte, ein wohllautender antiker angenommen wurde. Einen Heimathsnamen, der alle Mitbürger mitbezeichnete und noch gar nicht zum Fa - miliennamen geworden war, gab man gewiß um ſo lieber auf, wenn er zugleich als Heiligenname unbequem wurde; Filippo da S. Gemignano nannte ſich Callimachus. Wer von der Familie verkannt und beleidigt ſein Glück als Ge - lehrter in der Fremde machte, der durfte ſich, auch wenn er ein Sanſeverino war, mit Stolz zum Julius Pomponius Laetus umtaufen. Auch die reine Ueberſetzung eines Na - mens ins Lateiniſche oder ins Griechiſche (wie ſie dann in Deutſchland faſt ausſchließlich Brauch wurde) mag man einer Generation zu Gute halten, welche lateiniſch ſprach und ſchrieb und nicht bloß declinable ſondern leicht in Proſa und Vers mitgleitende Namen brauchte. Tadelhaft und oft lächerlich war erſt das halbe Aendern eines Na - mens, bis er einen claſſiſchen Klang und einen neuen Sinn hatte, ſowohl Taufnamen als Zunamen. So wurde aus Giovanni Jovianus oder Janus, aus Pietro Pierius oder2463. Abſchnitt. Petreius, aus Antonio Aonius u. dgl., ſodann aus Sanna - zaro Syncerus, aus Luca Graſſo Lucius Craſſus u. ſ. w. Arioſto, der ſich über dieſe Dinge ſo ſpöttiſch ausläßt1)Quasi che'l nome i buon giudicî inganni, E che quel meglio t'abbia a far poeta, Che non farà lo studio di molt 'anni! — ſo ſpottet Arioſto, der freilich vom Schickſal einen wohllautenden Namen mitbekommen hatte, in der VII. Satire, Vs. 64.; hat es dann noch erlebt, daß man Kinder nach ſeinen Hel - den und Heldinnen benannte2)Oder ſchon nach denjenigen des Bojardo, die zum Theil die ſeinigen ſind..
Antike Umſchreibung vieler Dinge.Auch die Antikiſirung vieler Lebensverhältniſſe, Amts - namen, Verrichtungen, Ceremonien u. ſ. w. in den lateini - ſchen Schriftſtellern darf nicht zu ſtrenge beurtheilt werden. So lange man ſich mit einem einfachen, fließenden Latein begnügte, wie dieß bei den Schriftſtellern etwa von Petrarca bis auf Aeneas Sylvius der Fall war, kam dieß allerdings nicht in auffallender Weiſe vor, unvermeidlich aber wurde es, ſeit man nach einem abſolut reinen, zumal ciceroniſchen Latein ſtrebte. Da fügten ſich die modernen Dinge nicht mehr in die Totalität des Styles, wenn man ſie nicht künſtlich umtaufte. Pedanten machten ſich nun ein Ver - gnügen daraus, jeden Stadtrath als Patres conſcripti, jedes Nonnenkloſter als Virgines Veſtales, jeden Heiligen als Divus oder Deus zu betiteln, während Leute von feinerm Geſchmack wie Paolo Giovio damit wahrſcheinlich nur thaten was ſie nicht vermeiden konnten. Weil Giovio keinen Accent darauf legt, ſtört es auch nicht, wenn in ſeinen wohllau - tenden Phraſen die Cardinäle Senatores heißen, ihr Decan Princeps Senatus, die Excommunication Dirae3)So werden die Soldaten des franzöſ. Heeres 1512: omnibus diris ad inferos devocati. Den guten Domherrn Tizio, welcher es ernſtlicher meinte und gegen fremde Truppen eine Erecrationsformel aus Macrobius ausſprach, werden wir unten wieder erwähnen., der Car -247 neval Lupercalia u. ſ. w. Wie ſehr man ſich hüten muß,3. Abſchnitt. aus dieſer Stylſache einen voreiligen Schluß auf die ganze Denkweiſe zu ziehen, liegt gerade bei dieſem Autor klar zu Tage.
Die Geſchichte des lateiniſchen Styles an ſich dürfenAlleinherrſchaft. Lateiniſchen. wir hier nicht verfolgen. Volle zwei Jahrhunderte hindurch thaten die Humaniſten dergleichen, als ob das Lateiniſche überhaupt die einzige würdige Schriftſprache wäre und bleiben müßte. Poggio1)De infelicitate principum, in Poggii opera, fol. 152: Cuius (Dantis) exstat poema præclarum, neque, si literis latinis constaret, ulla ex parte poetis superioribus (den Alten) post - ponendum. Laut Boccaccio, vita di Dante, p. 74 warfen ſchon damals viele „ und darunter weiſe “Leute die Frage auf, warum wohl Dante nicht lateiniſch gedichtet? bedauert, daß Dante ſein großes Gedicht italieniſch verfaßt habe, und bekanntlich hatte Dante es in der That mit dem Lateiniſchen verſucht und den Anfang des Inferno zuerſt in Hexametern gedichtet. Das ganze Schickſal der italieniſchen Poeſie hing davon ab, daß er nicht in dieſer Weiſe fortfuhr2)Seine Schrift de vulgari eloquio war lange Zeit faſt unbekannt und wäre auf keinen Fall der ſiegreichen Wirkung der Divina Com - media gleichgekommen, ſo werthvoll ſie für uns iſt., aber noch Petrarca verließ ſich mehr auf ſeine lateiniſchen Dichtungen als auf ſeine Sonette und Canzonen, und die Zumuthung lateiniſch zu dichten, iſt noch an Arioſto ergangen. Einen ſtärkern Zwang hat es in literariſchen Dingen nie gegeben3)Wer den vollen Fanatismus hierin will kennen lernen, vergleiche Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temporis, a. m. O., allein die Poeſie entwiſchte demſelben größtentheils und jetzt können wir wohl ohne allzugroßen Optimismus ſagen: es iſt gut daß die italieniſche Poeſie zweierlei Organe hatte, denn ſie hat in beiden Vortreffliches und Eigenthümliches geleiſtet, und zwar ſo, daß man inne wird, weßhalb hier italieniſch,2483. Abſchnitt. dort lateiniſch gedichtet wurde. Vielleicht gilt Aehnliches auch von der Proſa; die Weltſtellung und der Weltruhm der italieniſchen Bildung hing davon ab, daß gewiſſe Gegen - ſtände lateiniſch — Urbi et orbi — behandelt wurden1)Freilich giebt es auch zugeſtandene Stylübungen, wie z. B. in den Orationes etc. des ältern Beroaldus die zwei aus Boccaccio in's Lateiniſche überſetzten Novellen, ja eine Canzone aus Petrarca., während die italieniſche Proſa gerade von denjenigen am Beſten gehandhabt worden iſt, welchen es einen innern Kampf koſtete, nicht lateiniſch zu ſchreiben.
Quellen des Styles; Cicero.Als reinſte Quelle der Proſa galt ſeit dem XIV. Jahr - hundert unbeſtritten Cicero. Dieß kam bei Weitem nicht bloß von einer abſtracten Ueberzeugung zu Gunſten ſeiner Wörter, ſeiner Satzbildung und ſeiner literariſchen Com - poſitionsweiſe her, ſondern im italieniſchen Geiſte fand die Liebenswürdigkeit des Briefſchreibers, der Glanz des Red - ners, die klare beſchauliche Art des philoſophiſchen Dar - ſtellers einen vollen Wiederklang. Schon Petrarca erkannte vollſtändig die Schwächen des Menſchen und Staatsmannes Cicero2)Vgl. Petrarca's Briefe aus der Oberwelt an erlauchte Schatten. Opera, p. 704, s. Außerdem p. 372 in der Schrift de rep. op - time administranda: „ sic esse doleo, sed sic est “., er hatte nur zu viel Reſpect um ſich darüber zu freuen; ſeit ihm hat ſich zunächſt die Epiſtolographie faſt ausſchließlich nach Cicero gebildet und die andern Gat - tungen, mit Ausnahme der erzählenden, folgten nach. Doch der wahre Ciceronianismus, der ſich jeden Ausdruck ver - ſagte, wenn derſelbe nicht aus der Quelle zu belegen war, beginnt erſt zu Ende des XV. Jahrhunderts, nachdem die grammatiſchen Schriften des Lorenzo Valla ihre Wirkung durch ganz Italien gethan, nachdem die Ausſagen der rö - miſchen Literarhiſtoriker ſelbſt geſichtet und verglichen waren3)Ein burleskes Bild des[fanatiſchen] Purismus in Rom giebt Jovian. Pontanus in ſeinem „ Antonius “.. Jetzt erſt unterſcheidet man genauer und bis auf das Ge -249 naueſte die Stylſchattirungen in der Proſa der Alten, und3. Abſchnitt. kommt mit tröſtlicher Sicherheit immer wieder auf das Er - gebniß, daß Cicero allein das unbedingte Muſter ſei, oder, wenn man alle Gattungen umfaſſen wollte: „ jenes unſterb - liche und faſt himmliſche Zeitalter Cicero's “1)Hadriani (Cornetani) Card. S. Chrysogoni de sermone latino liber. Hauptſächlich die Einleitung. — Er findet in Cicero und ſeinen Zeitgenoſſen die Latinität „ an ſich “.. Jetzt wandten Leute wie Pietro Bembo, Pierio Valeriano u. a. ihre beſten Kräfte auf dieſes Ziel; auch ſolche, die lange widerſtrebt und ſich aus den älteſten Autoren eine archaiſtiſche Diction zuſammengebaut2)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Bapt. Pius., gaben endlich nach und knieten vor Cicero; jetzt ließ ſich Longolius von Bembo beſtimmen, fünf Jahre lang nur Cicero zu leſen; derſelbe gelobte ſich gar kein Wort zu brauchen, welches nicht in dieſem Autor vorkäme, und ſolche Stimmungen brachen dann zu jenem großen gelehrten Streit aus, in welchem Erasmus und der ältere Scaliger die Schaaren führten.
Denn auch die Bewunderer Cicero's waren doch langeBedingte und unbedingte Ci - ceronianer. nicht alle ſo einſeitig, ihn als die einzige Quelle der Sprache gelten zu laſſen. Noch im XV. Jahrhundert wagten Po - liziano und Ermolao Barbaro, mit Bewußtſein nach einer eigenen, individuellen Latinität zu ſtreben3)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Naugerius. Ihr Ideal ſei geweſen: aliquid in stylo proprium, quod peculiarem ex certa nota mentis effigiem referret, ex naturæ genio effin -, natürlich auf der Baſis einer „ überquellend großen “Gelehrſamkeit, und dieſes Ziel hat auch Derjenige verfolgt, welcher uns dieß meldet, Paolo Giovio. Er hat eine Menge moderner Ge - danken, zumal äſthetiſcher Art, zuerſt und mit großer An - ſtrengung lateiniſch wiedergegeben, nicht immer glücklich, aber bisweilen mit einer merkwürdigen Kraft und Eleganz. Seine lateiniſchen Characteriſtiken der großen Maler und2503. Abſchnitt. Bildhauer jener Zeit1)Paul. Jov. Dialogus de viris literis illustribus, bei Tiraboschi, ed. Venez. 1796, Tom. VII, parte IV. Bekanntlich wollte Giovio eine Zeitlang diejenige große Arbeit unternehmen, welche dann Va - ſari durchführte. — In jenem Dialog wird auch geahnt und beklagt, daß das Lateinſchreiben ſeine Herrſchaft bald gänzlich verlieren werde. enthalten das Geiſtvollſte und das Mißrathenſte nebeneinander. Auch Leo X., der ſeinen Ruhm darein ſetzte „ ut lingua latina nostro pontificatu dica - „ tur facta auctior “2)In dem Breve von 1517 an Franc. de' Roſi, concipirt von Sado - leto, bei Roscoe, Leo X, ed. Bossi VI, p. 172., neigte ſich einer liberalen, nicht ausſchließlichen Latinität zu, wie dieß bei ſeiner Richtung auf den Genuß nicht anders möglich war; ihm genügte es,Die lateiniſche Converſation. wenn das was er anzuhören und zu leſen hatte, wahrhaft lateiniſch, lebendig und elegant erſchien. Endlich gab Cicero für die lateiniſche Converſation kein Vorbild, ſo daß man hier gezwungen war, andere Götter neben ihm zu verehren. In die Lücke traten die in und außerhalb Rom ziemlich häufigen Aufführungen der Comödien des Plautus und Terenz, welche für die Mitſpielenden eine unvergleichliche Uebung des Lateiniſchen als Umgangsſprache abgaben. Schon unter Paul II. wird3)Gasp. Veronens. vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 1031. Außerdem wurden etwa Seneca und lateiniſche Ueberſetzungen nach griechiſchen Dramen aufgeführt. der gelehrte Cardinal von Theanum (wahrſcheinlich Nicolò Fortiguerra von Piſtoja) gerühmt weil er ſich auch an die ſchlechterhaltenſten, der Perſonenverzeichniſſe beraubten plautiniſchen Stücke wage und dem ganzen Autor um der Sprache willen die größte Aufmerkſamkeit widme, und von ihm könnte wohl auch die Anregung zum Aufführen jener Stücke ausgegangen ſein. Dann nahm ſich Pomponius Laetus der Sache an und wo in den Säulenhöfen großer Prälaten Plautus über die Scene3)xisse. — Poliziano genirte ſich bereits, wenn er Eile hatte, ſeine Briefe lateiniſch zu ſchreiben, vgl. Raph. Volat. comment. urban. L. XXI. 251 ging1)In Ferrara ſpielte man Plautus wohl meiſt in italieniſcher Bearbei - tung von Collenuccio, dem jüngern Guarino u. A., um des Inhaltes willen, und Iſabella Gonzaga erlaubte ſich, dieſen langweilig zu finden. — Ueber Pomp. Laetus vgl. Sabellici opera, Epist. L. XI, fol. 56, s. , war er Regiſſeur. Daß man ſeit etwa 1520 da -3. Abſchnitt. von abkam, zählt Giovio, wie wir (S. 236) ſahen mit unter die Urſachen des Verfalls der Eloquenz.
Zum Schluß dürfen wir hier eine Parallele des Ci - ceronianismus aus dem Gebiete der Kunſt namhaft machen: den Vitruvianismus der Architecten. Und zwar erwahrt ſich auch hier das durchgehende Geſetz der Renaiſſance, daß die Bewegung in der Bildung durchgängig der analogen Kunſtbewegung vorangeht. Im vorliegenden Fall möchte der Unterſchied etwa zwei Jahrzehnde betragen, wenn man von Cardinal Hadrian von Corneto (1505?) bis auf die erſten abſoluten Vitruvianer rechnet.
Der höchſte Stolz des Humaniſten endlich iſt die neu -Lateiniſche Dichtung. lateiniſche Dichtung. So weit ſie den Humanismus cha - racteriſiren hilft, muß auch ſie hier behandelt werden.
Wie vollſtändig ſie das Vorurtheil für ſich hatte, wie nahe ihr der entſchiedene Sieg ſtand, wurde oben (S. 247) dargethan. Man darf von vornherein überzeugt ſein, daß die geiſtvollſte und meiſtentwickelte Nation der damaligen Welt nicht aus bloßer Thorheit, nicht ohne etwas Bedeu - tendes zu wollen, in der Poeſie auf eine Sprache verzich - tete wie die italieniſche iſt. Eine übermächtige Thatſache muß ſie dazu beſtimmt haben.
Dieß war die Bewunderung des Alterthums. Wie jede echte, rückhaltloſe Bewunderung erzeugte ſie nothwendig die Nachahmung. Auch in andern Zeiten und bei andern Völkern finden ſich eine Menge vereinzelter Verſuche nach dieſem nämlichen Ziele hin, nur in Italien aber waren2523. Abſchnitt. die beiden Hauptbedingungen der Fortdauer und Weiter - bildung für die neulateiniſche Poeſie vorhanden: ein allſei - tiges Entgegenkommen bei den Gebildeten der Nation und ein theilweiſes Wiedererwachen des antiken italiſchen Ge - nius in den Dichtern ſelbſt, ein wunderſames WeiterklingenIhr Werth. eines uralten Saitenſpiels. Das Beſte was ſo entſteht iſt nicht mehr Nachahmung ſondern eigene freie Schöpfung. Wer in den Künſten keine abgeleiteten Formen vertragen kann, wer entweder ſchon das Alterthum ſelber nicht ſchätzt oder es im Gegentheil für magiſch unnahbar und unnach - ahmlich hält, wer endlich gegen Verſtöße keine Nachſicht übt bei Dichtern, welche z. B. eine Menge Sylbenquanti - täten neu entdecken oder errathen mußten, der laſſe dieſe Literatur bei Seite. Ihre ſchönern Werke ſind nicht ge - ſchaffen um irgend einer abſoluten Kritik zu trotzen, ſondern um den Dichter und viele Tauſende ſeiner Zeitgenoſſen zu erfreuen1)Für das Folgende ſ. die Deliciæ poetarum italor. ; — Paul. Jovius, elogia; — Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temporis; — die Beilagen zu Roscoe, Leone X, ed. Bossi..
Geſchichtliches Epos.Am wenigſten Glück hatte man mit dem Epos aus Geſchichten und Sagen des Alterthums. Die weſentlichen Bedingungen einer lebendigen epiſchen Poeſie werden be - kanntlich nicht einmal den römiſchen Vorbildern, ja außer Homer nicht einmal den Griechen zuerkannt; wie hätten ſie ſich bei den Lateinern der Renaiſſance finden ſollen. Indeß möchte doch die Africa des Petrarca im Ganzen ſo viele und ſo begeiſterte Leſer und Hörer gefunden haben als irgend ein Epos der neuern Zeit. Abſicht und Entſtehung des Gedichtes ſind nicht ohne Intereſſe. Das XIV. Jahr - hundert erkannte mit ganz richtigem Gefühl in der Zeit des zweiten puniſchen Krieges die Sonnenhöhe des Römer - thums, und dieſe wollte und mußte Petrarca behandeln. Wäre Silius Italicus ſchon entdeckt geweſen, ſo hätte er253 vielleicht einen andern Stoff gewählt, in deſſen Ermanglung3. Abſchnitt. aber lag die Verherrlichung des ältern Scipio Africanus dem XV. Jahrhundert ſo nahe, daß ſchon ein anderer Dichter, Zanobi di Strada, ſich dieſe Aufgabe geſtellt hatte; nur aus Hochachtung für Petrarca zog er ſein bereits vor - gerücktes Gedicht zurück1)Filippo Villani, vite, p. 5. . Wenn es irgend eine Berech - tigung für die Africa gab, ſo lag ſie darin, daß ſich da - mals und ſpäter Jedermann für Scipio intereſſirte als lebte er noch, daß er für größer galt als Alexander, Pom - pejus und Cäſar2)Franc. Aleardi oratio in laudem Franc. Sfortiæ bei Murat. XXV. Col. 384. — Bei der Parallele zwiſchen Scipio und Cäſar war Guarino für den letztern, Poggio (Opera, epp. fol. 125. 134, s.) für erſtern als für den Größten. — Scipio und Hannibal in den Miniaturen des Attavante, ſ. Vasari IV, 41, vita di Fiesole. — Die Namen Beider für Picinino und Sforza gebraucht, S. 100.. Wie viele neuere Epopöen haben ſich eines für ihre Zeit ſo populären, im Grunde hiſtoriſchen und dennoch für die Anſchauung mythiſchen Gegenſtandes zu rühmen? An ſich iſt das Gedicht jetzt freilich ganz un - lesbar. Für andere hiſtoriſche Sujets müſſen wir auf die Literaturgeſchichten verweiſen.
Reicher und ausgiebiger war ſchon das WeiterdichtenMythologiſche und bucoliſche Poeſie. am antiken Mythus. das Ausfüllen der poetiſchen Lücken in demſelben. Hier griff auch die italieniſche Dichtung früh ein, ſchon mit der Teſeide des Boccaccio, welche als deſſen beſtes poetiſches Werk gilt. Lateiniſch dichtete Maffeo Vegio unter Martin V. ein dreizehntes Buch zur Aeneide; dann finden ſich eine Anzahl kleinerer Verſuche zumal in der Art des Claudian, eine Meleagris, eine Hesperis ꝛc. Das Merkwürdigſte aber ſind die neu erſonnenen Mythen, welche die ſchönſten Gegenden Italiens mit einer Urbevölkerung von Göttern, Nymphen, Genien und auch Hirten erfüllen, wie denn überhaupt hier das Epiſche und das Bucoliſche nicht mehr zu trennen ſind. Daß in den bald erzählenden,2543. Abſchnitt. bald dialogiſchen Eclogen ſeit Petrarca das Hirtenleben ſchon beinah völlig1)Die glänzenden Ausnahmen, wo das Landleben realiſtiſch behandelt auftritt, werden ebenfalls unten zu erwähnen ſein. conventionell, als Hülle beliebiger Phantaſien und Gefühle behandelt iſt, wird bei ſpäterm Anlaß wieder hervorzuheben ſein; hier handelt es ſich nur um die neuen Mythen. Deutlicher als ſonſt irgendwo ver - räth es ſich hier, daß die alten Götter in der Renaiſſance eine doppelte Bedeutung haben: einerſeits erſetzen ſie aller - dings die allgemeinen Begriffe und machen die allegoriſchen Figuren unnöthig, zugleich aber ſind ſie auch ein freies, ſelbſtändiges Element der Poeſie, ein Stück neutrale Schön - heit, welches jeder Dichtung beigemiſcht und ſtets neu com - binirt werden kann. Keck voran ging Boccaccio mit ſeiner imaginären Götter - und Hirtenwelt der Umgebung von Florenz, in ſeinem Ninfale d'Ameto und Ninfale fieſolano, welche italieniſch gedichtet ſind. Das Meiſterwerk aber möchte wohl der Sarca des Pietro Bembo2)Abgedruckt bei Mai, Spicilegium romanum, Vol. VIII. (Gegen 500 Hexameter ſtark.) Pierio Valeriano dichtete an dem Mythus weiter; ſein „ carpio “in der Deliciæ poet. ital. — Die Fresken des Bruſaſorci am Pal. Murari zu Verona ſtellen den Inhalt des Sarca vor. ſein: die Werbung des Flußgottes jenes Namens um die Nymphe Garda, das prächtige Hochzeitsmahl in einer Höhle am Monte Baldo, die Weiſſagung der Manto, Tochter des Tireſias, von der Geburt des Kindes Mincius, von der Gründung Mantua's, und vom künftigen Ruhme des Vir - gil, der als Sohn des Mincius und der Nymphe von Andes, Maja, geboren werden wird. Zu dieſem ſtattlichen huma - niſtiſchen Rococo fand Bembo ſehr ſchöne Verſe und eine Schlußanrede an Virgil, um welche ihn jeder Dichter be - neiden kann. Man pflegt dergleichen als bloße Declamation gering zu achten, worüber als über eine Geſchmacksſache, mit Niemanden zu rechten iſt.
255Ferner entſtanden umfangreiche epiſche Gedichte bibliſchen3. Abſchnitt. und kirchlichen Inhaltes in Hexametern. Nicht immer be -Chriſtliches Epos. zweckten die Verfaſſer damit eine kirchliche Beförderung oder die Erwerbung päpſtlicher Gunſt; bei den Beſten, und auch bei Ungeſchicktern wie Battiſta Mantuano, dem Verfaſſer der Parthenice, wird man ein ganz ehrliches Verlangen vorausſetzen dürfen, mit ihrer gelehrten lateiniſchen Poeſie dem Heiligen zu dienen, womit freilich ihre halbheidniſche Auffaſſung des Catholicismus nur zu wohl zuſammenſtimmte. Gyraldus zählt ihrer eine Anzahl auf, unter welchen Vida mit ſeiner Chriſtiade, Sannazaro mit ſeinen drei GeſängenSannazaro. „ De partu Virginis “in erſter Reihe ſtehen. Sannazaro imponirt durch den gleichmäßigen gewaltigen Fluß, in wel - chen er Heidniſches und Chriſtliches ungeſcheut zuſammen - drängt, durch die plaſtiſche Kraft der Schilderung, durch die vollkommen ſchöne Arbeit. Er hatte ſich nicht vor der Vergleichung zu fürchten, als er die Verſe von Virgils vierter Ecloge in den Geſang der Hirten an der Krippe verflocht. Im Gebiet des Jenſeitigen hat er da und dort einen Zug dantesker Kühnheit, wie z. B. König David im Limbus der Patriarchen ſich zu Geſang und Weiſſagung erhebt, oder wie der Ewige thronend in ſeinem Mantel, der von Bildern alles elementaren Daſeins ſchimmert, die himm - liſchen Geiſter anredet. Andere Male bringt er unbedenklich die alte Mythologie mit ſeinem Gegenſtande in Verbindung, ohne doch eigentlich barock zu erſcheinen, weil er die Heiden - götter nur gleichſam als Einrahmung benutzt, ihnen keine Hauptrollen zutheilt. Wer das künſtleriſche Vermögen jener Zeit in ſeinem vollen Umfang kennen lernen will, darf ſich gegen ein Werk wie dieſes nicht abſchließen. Sannazaro's Verdienſt erſcheint um ſo viel größer, da ſonſt die Ver - miſchung von Chriſtlichem und Heidniſchem in der PoeſieEinmiſchung d. Mythologie. viel leichter ſtört als in der bildenden Kunſt; letztere kann das Auge dabei beſtändig durch irgend eine beſtimmte, greif - bare Schönheit ſchadlos halten und iſt überhaupt von der2563. Abſchnitt. Sachbedeutung ihrer Gegenſtände viel unabhängiger als die Poeſie, indem die Einbildungskraft bei ihr eher an der Form, bei der Poeſie eher an der Sache weiterſpinnt. Der gute Battiſta Mantuano in ſeinem1)De sacris diebus. Feſtkalender hatte einen andern Ausweg verſucht; ſtatt Götter und Halbgötter der heiligen Geſchichte dienen zu laſſen, bringt er ſie, wie die Kirchenväter thaten, in Gegenſatz zu derſelben; während der Engel Gabriel zu Nazareth die Jungfrau grüßt, iſt ihm Mercur vom Carmel her nachgeſchwebt und lauſcht nun an der Pforte; dann berichtet er das Gehörte den verſammelten Göttern und bewegt ſie damit zu den äußer - ſten Entſchlüſſen. Andere Male2)Z. B. in ſeiner achten Ecloge. freilich müſſen bei ihm Thetis, Ceres, Aeolus u. ſ. w. wieder der Madonna und ihrer Herrlichkeit gutwillig unterthan ſein.
Sannazaro's Ruhm, die Menge ſeiner Nachahmer, die begeiſterte Huldigung der Größten jener Zeit — dieß Alles zeigt, wie ſehr er ſeinem Jahrhundert nöthig und werth war. Für die Kirche beim Beginn der Reformation löste er das Problem: völlig claſſiſch und doch chriſtlich zu dichten, und Leo ſowohl als Clemens ſagten ihm lauten Dank dafür.
Zeitgeſchicht - liche Dichtung.Endlich wurde in Hexametern oder Diſtichen auch die Zeitgeſchichte behandelt, bald mehr erzählend bald mehr panegyriſch, in der Regel aber zu Ehren eines Fürſten oder Fürſtenhauſes. So entſtand eine Sphorcias, eine Borſeïs, eine Borgias, eine Triultias u. ſ. w., freilich mit gänzlichem Verfehlen des Zweckes, denn wer irgend berühmt und un - ſterblich geblieben iſt, der blieb es nicht durch dieſe Art von Gedichten, gegen welche die Welt einen unvertilgbaren Widerwillen hat, ſelbſt wenn ſich gute Dichter dazu her - geben. Ganz anders wirken kleinere, genreartig und ohne Pathos ausgeführte Einzelbilder aus dem Leben der berühmten257 Männer, wie z. B. das ſchöne Gedicht von Leo's X. Jagd3. Abſchnitt. bei Palo1)Roscoe, Leone X, ed. Bossi VIII, 184; ſowie noch ein Gedicht ähnlichen Styles XII, 130. — Wie nahe ſteht ſchon Angilberts Gedicht vom Hofe Carls des Großen dieſer Renaiſſance. Vgl. Pertz, monum. II. , oder die „ Reiſe Julius II. “von Hadrian von Corneto (S. 121). Glänzende Jagdſchilderungen jener Art giebt es auch von Ercole Strozza, von dem eben ge - nannten Hadrian u. A. m., und es iſt Schade wenn ſich der moderne Leſer durch die zu Grunde liegende Schmeichelei abſchrecken oder erzürnen läßt. Die Meiſterſchaft der Be - handlung und der bisweilen nicht unbedeutende geſchichtliche Werth ſichern dieſen anmuthigen Dichtungen ein längeres Fortleben als manche jetzt namhafte Poeſien unſerer Zeit haben dürften.
Im Ganzen ſind dieſe Sachen immer um ſo viel beſſer, je mäßiger die Einmiſchung des Pathetiſchen und Allge - meinen iſt. Es giebt einzelne kleinere epiſche Dichtungen von berühmten Meiſtern, die durch barockes mythologiſchesMythologiſi - rung. Dreinfahren unbewußt einen unbeſchreiblich komiſchen Ein - druck hervorbringen. So das Trauergedicht des Ercole Strozza2)Strozii poetæ, p. 31. s. Cæsaris Borgiæ ducis epicedium. auf Ceſare Borgia (S. 115). Man hört die klagende Rede der Roma, welche all ihre Hoffnung auf die ſpaniſchen Päpſte Calixt III. und Alexander VI. geſetzt hatte und dann Ceſare für den Verheißenen hielt, deſſen Geſchichte durchgegangen wird bis zur Kataſtrophe des Jahres 1503. Dann frägt der Dichter die Muſe, welches in jenem Augenblick3)Pontificem addiderat, flammis lustralibus omneis Corporis ablutum labes, Diis Juppiter ipsis etc. die Rathſchlüſſe der Götter geweſen, und Erato erzählt: auf dem Olymp nahmen Pallas für die Spanier, Venus für die Italiener Partei; beide um - faßten Jupiters Knie, worauf er ſie küßte, begütigte und ſich ausredete, er vermöge nichts gegen das von den ParzenCultur der Renaiſſance. 172583. Abſchnitt. geſponnene Schickſal, die Götterverheißungen würden ſich aber erfüllen durch das Kind vom Hauſe Eſte-Borgia1)Es iſt der ſpätere Ercole II. von Ferrara, geb. 4. April 1508, wahrſcheinlich kurz vor oder nach Abfaſſung dieſes Gedichtes. Nas - cere magne puer matri exspectate patrique, heißt es gegen Ende.; nachdem er die abenteuerliche Urgeſchichte beider Familien erzählt, betheuert er, dem Ceſare ſo wenig die Unvergäng - lichkeit ſchenken zu können als einſt — trotz großer Für - bitten — einem Memnon oder Achill; endlich ſchließt er mit dem Troſte, Ceſare werde vorher noch im Krieg viele Leute umbringen. Nun geht Mars nach Neapel und be - reitet Krieg und Streit, Pallas aber eilt nach Nepi und erſcheint dort dem kranken Ceſare unter der Geſtalt Alexan - ders VI. ; nach einigen Vermahnungen, ſich zu ſchicken und ſich mit dem Ruhme ſeines Namens zu begnügen, ver - ſchwindet die päpſtliche Göttinn „ wie ein Vogel “.
Man verzichtet indeß unnützer Weiſe auf einen bis - weilen großen Genuß, wenn man Alles perhorrescirt, worein antike Mythologie wohl oder übel verwoben iſt; bisweilen hat die Kunſt dieſen an ſich conventionellen Beſtandtheil ſo ſehr geadelt als in Malerei und Sculptur. Auch fehlt es ſogar für den Liebhaber nicht an Anfängen der Parodie (S. 160) z. B. in der Macaroneide, wozu dann das komiſche Götterfeſt des Giovanni Bellini bereits eine Parallele bildet.
Berechtigung d. poetiſchen Form für Zeit - geſchichte.Manche erzählende Gedichte in Hexametern ſind auch bloße Exercitien oder Bearbeitungen von Relationen in Proſa, welche letztere der Leſer vorziehen wird, wo er ſie findet. Am Ende wurde bekanntlich Alles, jede Fehde und jede Ceremonie beſungen, auch von den deutſchen Huma - niſten der Reformationszeit2)Vgl. die Sammlungen der Scriptores von Schardius, Freher ꝛc.. Indeß würde man Unrecht thun, dieß bloß dem Müſſiggang und der übergroßen Leich - tigkeit im Verſemachen zuzuſchreiben. Bei den Italienern259 wenigſtens iſt es ein ganz entſchiedener Ueberſchuß an Styl -3. Abſchnitt. gefühl, wie die gleichzeitige Maſſe von italieniſchen Berich - ten, Geſchichtsdarſtellungen und ſelbſt Pamphleten in Ter - zinen beweist. So gut Niccolo da Uzzano ſein Placat mit einer neuen Staatsverfaſſung, Macchiavelli ſeine Ueberſicht der Zeitgeſchichte, ein Dritter das Leben Savonarola's, ein Vierter die Belagerung von Piombino durch Alfons den Großen1)Uzzano ſ. Arch. IV, I, 296. — Macchiavelli: i Decennali. — Savonarola's Geſchichte u. d. Titel Cedrus Libani von Fra Benedetto. — Assedio di Piombino, bei Murat. XXV. — Hiezu als Parallele der Teuerdank und andere Reimwerke des Nordens. u. ſ. w. in dieſe ſchwierige italieniſche Versart goſſen, um eindringlicher zu wirken, eben ſo gut mochten viele Andere für ihr Publicum des Hexameters bedürfen um es zu feſſeln. Was man in dieſer Form vertragen konnte und begehrte, zeigt am beſten die didactiſche Poeſie. Didactiſche Poeſie.Dieſe nimmt im XVI. Jahrhundert einen ganz erſtaun - lichen Aufſchwung, um das Goldmachen, das Schachſpiel, die Seidenzucht, die Aſtronomie, die veneriſche Seuche u. dgl. in Hexametern zu beſingen, wozu noch mehrere umfaſſende italieniſche Dichtungen kommen. Man pflegt dergleichen heutzutage ungeleſen zu verdammen, und inwiefern dieſe Lehrgedichte wirklich leſenswerth ſind, wüßten auch wir nicht zu ſagen. Eins nur iſt gewiß, daß Epochen, die der unſrigen an Schönheitsſinn unendlich überlegen waren, daß die ſpätgriechiſche und die römiſche Welt und die Renaiſſance die betreffende Gattung von Poeſie nicht entbehren konnten. Man mag dagegen einwenden, daß heute nicht der Mangel an Schönheitsſinn ſondern der größere Ernſt und die uni - verſaliſtiſche Behandlung alles Lehrenswerthen die poetiſche Form ausſchlöſſen, was wir auf ſich beruhen laſſen.
Eines dieſer didactiſchen Werke wird noch jetzt hie und da wieder aufgelegt: der Zodiacus des Lebens, von Mar - cellus Palingenius, einem ferrareſiſchen Cryptoproteſtanten. 17*2603. Abſchnitt. An die höchſten Fragen von Gott, Tugend und Unſterb - lichkeit knüpft der Verfaſſer die Beſprechung vieler Ver - hältniſſe des äußern Lebens und iſt von dieſer Seite auch eine nichtzuverachtende ſittengeſchichtliche Autorität. Im Weſentlichen jedoch geht ſein Gedicht ſchon aus dem Rahmen der Renaiſſance heraus, wie denn auch, ſeinem ernſten Lehr - zweck gemäß, bereits die Allegorie der Mythologie den Rang abläuft.
Lateiniſche Lyrik.Weit am nächſten kam aber der Poet-Philolog dem Alterthum in der Lyrik, und zwar ſpeciell in der Elegie; außerdem noch im Epigramm.
In der leichtern Gattung übte Catull eine wahrhaft fascinirende Wirkung auf die Italiener aus. Manches elegante lateiniſche Madrigal, manche kleine Invective, manches boshafte Billet iſt reine Umſchreibung nach ihm; dann werden verſtorbene Hündchen, Papageien u. ſ. w. beklagt ohne ein Wort aus dem Gedicht von Lesbiens Sperling und doch in völliger Abhängigkeit von deſſen Gedankengang. Indeß giebt es kleine Gedichte dieſer Art, welche auch den Kenner über ihr wahres Alter täuſchen können, wenn nicht ein ſachlicher Bezug klar auf das XV. oder XVI. Jahr - hundert hinweist.
Dagegen möchte von Oden des ſapphiſchen, alcäiſchen ꝛc. Versmaßes kaum eine zu finden ſein, welche nicht irgend - wie ihren modernen Urſprung deutlich verriethe. Dieß geſchieht meiſt durch eine rhetoriſche Redſeligkeit, welche im Alterthum erſt etwa dem Statius eigen iſt, durch einen auffallenden Mangel an lyriſcher Concentration, wie dieſe Gattung ſie durchaus verlangt. Einzelne Partien einer Ode, 2 oder 3 Strophen zuſammen, ſehen wohl etwa wie ein antikes Fragment aus, ein längeres Ganzes hält dieſe Farbe ſelten feſt. Und wo dieß der Fall iſt, wie z. B. in der ſchönen Ode an Venus von Andrea Navagero, da er - kennt man leicht eine bloße Umſchreibung nach antiken261 Meiſterwerken1)Hier nach dem Eingang des Lucretius und nach Horat. Od. IV, I. . Einige Odendichter bemächtigen ſich des3. Abſchnitt. Heiligencultes und bilden ihre Invocationen ſehr geſchmack - voll den horaziſchen und catulliſchen Oden analogen In - haltes nach. So Navagero in der Ode an den ErzengelDie Oden auf Heilige. Gabriel, ſo beſonders Sannazaro, der in der Subſtituirung einer heidniſchen Andacht ſehr weit geht. Er feiert vor - züglich ſeinen Namensheiligen2)Das Hereinziehen eines Schutzheiligen in ein weſentlich heidniſches Beginnen haben wir S. 58 ſchon bei einem ernſtern Anlaß kennen gelernt., deſſen Capelle zu ſeiner herrlich gelegenen kleinen Villa am Geſtade des Poſilipp gehörte, „ dort wo die Meereswoge den Felsquell wegſchlürft und an die Mauer des kleinen Heiligthums anſchlägt “. Seine Freude iſt das alljährliche St. Nazariusfeſt, und das Laubwerk und die Guirlanden, womit das Kirchlein zumal an dieſem Tage geſchmückt wird, erſcheinen ihm als Opfergaben. Auch fern auf der Flucht, mit dem verjagten Federigo von Aragon, zu St. Nazaire an der Loiremün - dung, bringt er voll tiefen Herzeleides ſeinem Heiligen am Namenstage Kränze von Bux und Eichenlaub; er gedenkt früherer Jahre, da die jungen Leute des ganzen Poſilipp zu ſeinem Feſte gefahren kamen auf bekränzten Nachen, und fleht um Heimkehr3)Si satis ventos tolerasse et imbres Ac minas fatorum hominumque fraudes, Da Pater tecto salientem avito Cernere fumum! .
Täuſchend antik erſcheinen vorzüglich eine Anzahl Ge -Gedichte elegi - ſcher Form. dichte in elegiſchem Versmaß oder auch bloß in Hexametern, deren Inhalt von der eigentlichen Elegie bis zum Epigramm herabreicht. So wie die Humaniſten mit dem Text der römiſchen Elegiker am allerfreiſten umgingen, ſo fühlten ſie ſich denſelben auch in der Nachbildung am Meiſten ge - wachſen. Navagero's Elegie an die Nacht iſt ſo wenig frei2623. Abſchnitt. von Reminiscenzen aus jenen Vorbildern als irgend ein Gedicht dieſer Art und Zeit, aber dabei vom ſchönſten an - tiken Klang. Ueberhaupt ſorgt Navagero1)Andr. Naugerii orationes duæ carminaque aliquot, Venet. 1530 in 4. — Die wenigen Carmina auch größtentheils oder voll - ſtändig in den Deliciæ. immer zuerſt für einen echten poetiſchen Inhalt, den er dann nicht knech - tiſch ſondern mit meiſterhafter Freiheit im Styl der Antho - logie, des Ovid, des Catull, auch der virgiliſchen Eclogen wiedergiebt; die Mythologie braucht er nur äußerſt mäßig, etwa um in einem Gebet an Ceres u. a. ländliche Gott - heiten das Bild des einfachſten Daſeins zu entwickeln. Einen Gruß an die Heimath, bei der Rückkehr von ſeiner Geſandtſchaft in Spanien, hat er nur angefangen; es hätte wohl ein Ganzes werden können wie „ Bella Italia, amate sponde “von Vincenzo Monti, wenn der Reſt dieſem An - fang entſprach: Salve cura Deûm, mundi felicior ora, Formosæ Veneris dulces salvete recessus; Ut vos post tantos animi mentisque labores Aspicio lustroque libens, ut munere vestro Sollicitas toto depello e pectore curas!
Die elegiſche oder hexametriſche Form wird ein Gefäß für jeden höhern pathetiſchen Inhalt, und die edelſte patrio - tiſche Aufregung (S. 121, die Elegie an Julius II. ) wie die pomphafteſte Vergötterung der Herrſchenden ſucht hier ihren Ausdruck2)Was man Leo X. bieten durfte, zeigt das Gebet des Guido Poſtumo Silveſtri an Chriſtus, Maria und alle Heiligen, ſie möchten der Menſchheit dieſes numen noch lange laſſen, da ſie ja im Himmel ihrer genug ſeien. Abgedr. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi V. 237., aber auch die zarteſte Melancholie eines Tibull. Mario Molſa, der in ſeiner Schmeichelei gegen Clemens VII. und die Farneſen mit Statius und Martial wetteifert, hat in einer Elegie „ an die Genoſſen “, vom263 Krankenlager, ſo ſchöne und echt antike Grabgedanken als3. Abſchnitt. irgend einer der Alten und dieß ohne Weſentliches von letztern zu entlehnen. Am vollſtändigſten hat übrigens Sannazaro Weſen und Umfang der römiſchen Elegie er - kannt und nachgebildet, und von keinem Anderm giebt es wohl eine ſo große Anzahl guter und verſchiedenartiger Gedichte dieſer Form. — Einzelne Elegien werden noch hie und da um ihres Sachinhaltes willen zu erwähnen ſein.
Endlich war das lateiniſche Epigramm in jenen ZeitenDas Epigramm. eine ernſthafte Angelegenheit, indem ein paar gut gebildete Zeilen, eingemeißelt an einem Denkmal oder von Mund zu Munde mit Gelächter mitgetheilt, den Ruhm eines Ge - lehrten begründen konnten. Ein Anſpruch dieſer Art meldet ſich ſchon früh; als es verlautete, Guido della Polenta wolle Dante's Grab mit einem Denkmal ſchmücken, liefen von allen Enden Grabſchriften ein1)Boccaccio, vita di Dante, p. 36. „ von ſolchen, die ſich „ zeigen oder auch den todten Dichter ehren oder die „ Gunſt des Polenta erwerben wollten “. Am Grabmal des Erzbiſchofes Giovanni Visconti (ſt. 1354) im Dom von Mailand liest man unter 36 Hexametern: „ Herr Gabrius de Zamoreis aus Parma, Doctor der Rechte, hat dieſe Verſe gemacht “. Allmälig bildete ſich, hauptſächlich unter dem Einfluß Martial's, auch Catull's eine ausgedehnte Literatur dieſes Zweiges; der höchſte Triumph war, wenn ein Epigramm für antik, für abgeſchrieben von einem alten Stein galt2)Sannazaro ſpottet über Einen, der ihm mit ſolchen Fälſchungen läſtig fiel: Sint vetera hæc aliis, mî nova semper erunt. , oder wenn es ſo vortrefflich erſchien, daß ganz Italien es auswendig wußte wie z. B. einige des Bembo. Wenn der Staat Venedig an Sannazaro für ſeinen Lobſpruch in drei Diſtichen 600 Ducaten Honorar bezahlte, ſo war dieß nicht etwa eine generöſe Verſchwendung, ſondern man würdigte das Epigramm als das was es für2643. Abſchnitt. alle Gebildeten jener Zeit war: als die concentrirteſte Form des Ruhmes. Niemand hinwiederum war damals ſo mächtig, daß ihm nicht ein witziges Epigramm hätte unangenehm werden können, und auch die Großen ſelber bedurften für jede Inſchrift, welche ſie ſetzten, ſorgfältigen und gelehrten Beirathes, denn lächerliche Epitaphien z. B. liefen Gefahr, in Sammlungen zum Zweck der Erheiterung aufgenommen zu werden1)Lettere de' principi, I, 88. 91.. Epigraphik und Epigrammatik reichten ein - ander die Hand; erſtere beruhte auf dem emſigſten Studium der antiken Steinſchriften.
In Rom.Die Stadt der Epigramme und der Inſcriptionen in vorzugsweiſem Sinne war und blieb Rom. In dieſem Staate ohne Erblichkeit mußte jeder für ſeine Verewigung ſelber ſorgen; zugleich war das kurze Spottgedicht eine Waffe gegen die Mitemporſtrebenden. Schon Pius II. zählt mit Wohlgefallen die Diſtichen auf, welche ſein Haupt - dichter Campanus bei jedem irgend geeigneten Momente ſeiner Regierung ausarbeitete. Unter den folgenden Päpſten blühte dann das ſatiriſche Epigramm und erreichte gegen - über von Alexander VI. und den Seinigen die volle Höhe des ſcandalöſen Trotzes. Sannazaro dichtete die ſeinigen allerdings in einer relativ geſicherten Lage, Andere aber wagten in der Nähe des Hofes das Gefährlichſte (S. 113). Auf acht drohende Diſtichen hin, die man an der Pforte der Bibliothek angeſchlagen2)Malipiero, ann. veneti, Arch. stor. VII, I, p. 508. Am Ende heißt es, mit Bezug auf den Stier als Wappenthier der Borgia: Merge, Tyber, vitulos animosas ultor in undas; Bos cadat inferno victima magna Jovi! fand, ließ einſt Alexander die Garde um 800 Mann verſtärken; man kann ſich denken, wie er gegen den Dichter würde verfahren ſein, wenn der - ſelbe ſich erwiſchen ließ. — Unter Leo X. waren lateiniſche Epigramme das tägliche Brod; für die Verherrlichung wie265 für die Verläſterung des Papſtes, für die Züchtigung ge -3. Abſchnitt. nannter wie ungenannter Feinde und Schlachtopfer, für wirkliche wie für fingirte[Gegenſtände] des Witzes, der Bos - heit, der Trauer, der Contemplation gab es keine paſſendere Form. Damals ſtrengten ſich für die berühmte GruppeCoryciana. der Mutter Gottes mit der heil. Anna und dem Kinde, welche Andrea Sanſovino für St. Agoſtino meißelte, nicht weniger als hundertundzwanzig Perſonen in lateiniſchen Verſen an, freilich nicht ſo ſehr aus Andacht, als dem Be - ſteller des Werkes zu Liebe1)Ueber dieſe ganze Angelegenheit ſ. Roscoe, Leone X, ed. Bossi VII, 211. VIII, 214, s. Die gedruckte, jetzt ſeltene Sammlung dieſer „ Coryciana “vom J. 1524 enthält nur die lateiniſchen Ge - dichte; Vaſari ſah bei den Auguſtinern noch ein beſonderes Buch, worin ſich auch Sonette ꝛc. befanden. Das Anheften von Gedichten wurde ſo anſteckend, daß man die Gruppe durch ein Gitter abſchließen, ja unſichtbar machen mußte. Die Umdeutung von Goritz in einen Corycius senex iſt aus Virgil. Georg. IV, 127. Das kummer - volle Ende des Mannes nach dem Sacco di Roma ſ. bei Pierio Valeriano, de infelic. literat. . Dieſer, Johann Goritz aus Luxemburg, päpſtlicher Supplikenreferendar, ließ nämlich am St. Annenfeſte nicht bloß etwa Gottesdienſt halten, ſondern er gab ein großes Literatenbankett in ſeinen Gärten am Abhang des Capitols. Damals lohnte es ſich auch der Mühe, die ganze Poetenſchaar, welche an Leo's Hofe ihr Glück ſuchte, in einem eigenen großen Gedicht „ de poetis urbanis “zu muſtern, wie Franc. Arſillus that2)Abgedruckt in den Beilagen zu Roscoe, Leone X, und in den Deli - ciæ. Vgl. Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Arſillus. Ferner für die große Zahl der Epigrammatiker Lil. Greg. Gyraldus, a. a. O. Eine der ſchlimmſten Federn war Marcantonio Caſanova. — Von den weniger bekannten iſt Jo. Thomas Musconius (ſ. d. Deliciæ) auszuzeichnen., ein Mann, der kein päpſtliches oder anderes Mäcenat brauchte und ſich ſeine freie Zunge auch gegen die Collegen vorbehielt. — Ueber Paul III. herab reicht das Epigramm nur noch2663. Abſchnitt. in vereinzelten Nachklängen, die Epigraphik dagegen blüht länger und unterliegt erſt im XVII. Jahrhundert völlig dem Schwulſt.
Das Epigramm in Venedig.Auch in Venedig hat ſie ihre beſondere Geſchichte, die wir mit Hülfe von Francesco Sanſovino's „ Venezia “ver - folgen können. Eine ſtehende Aufgabe bildeten die Motto's (Brievi) auf den Dogenbildniſſen des großen Saales im Dogenpalaſt, zwei bis vier Hexameter, welche das Weſent - liche aus der Amtsführung des Betreffenden enthalten1)Marin Sanudo, in den vite de' duchi di Venezia (Murat. XXII. ) theilt ſie regelmäßig mit.. Dann hatten die Dogengräber des XIV. Jahrhunderts laconiſche Proſainſchriften, welche nur Thatſachen enthalten, und daneben ſchwülſtige Hexameter oder leoniniſche Verſe. Im XV. Jahrhundert ſteigt die Sorgfalt des Styles; im XVI. erreicht ſie ihre Höhe und bald beginnt die un - nütze Antitheſe, die Proſopopöe, das Pathos, das Princi - pienlob, mit Einem Worte: der Schwulſt. Ziemlich oft wird geſtichelt und verdeckter Tadel gegen Andere durch directes Lob des Verſtorbenen ausgedrückt. Ganz ſpät kommen dann wieder ein paar abſichtlich einfache Epita - phien.
Architectur und Ornamentik waren auf das Anbringen von Inſchriften — oft in vielfacher Wiederholung — voll - kommen eingerichtet, während z. B. das Gothiſche des Nor - dens nur mit Mühe einen zweckmäßigen Platz für eine Inſchrift ſchafft, und ſie an Grabmälern z. B. gerne den bedrohteſten Stellen, den Rändern zuweist.
Durch das bisher Geſagte glauben wir nun keines - weges den Leſer von dem eigenthümlichen Werthe dieſer lateiniſchen Poeſie der Italiener überzeugt zu haben. EsMacaroniſche Poeſie. handelte ſich nur darum, die culturgeſchichtliche Stellung und Nothwendigkeit derſelben anzudeuten. Schon damals267 entſtand1)Scardeonius, de urb. Patav. antiq. (Græv. thes. VI, III, Col. 270) nennt als den eigentlichen Erfinder einen gew. Odaxius von Padua, um die Mitte des XV. Jahrh. Gemiſchte Verſe aus Latein und den Landesſprachen giebt es aber ſchon viel früher allenthalben. übrigens ein Zerrbild davon: die ſogenannte3. Abſchnitt. macaroneiſche Poeſie, deren Hauptwerk, das Opus macaro - nicorum, von Merlinus Cocaius (d. h. Teofilo Folengo von Mantua) gedichtet iſt. Vom Inhalt wird noch hie und da die Rede ſein; was die Form betrifft — Hexameter u. a. Verſe gemiſcht aus lateiniſchen und italieniſchen Wörtern mit lateiniſchen Endungen — ſo liegt das Komiſche der - ſelben weſentlich darin, daß ſich dieſe Miſchungen wie lauter Lapſus linguae anhören, wie das Sprudeln eines über - eifrigen lateiniſchen Improviſators. Nachahmungen aus Deutſch und Latein geben hievon keine Ahnung.
Nachdem mehrere glänzende Generationen von Poeten -Sturz der Hu - maniſten. Philologen ſeit Anfang des XIV. Jahrhunderts Italien und die Welt mit dem Cultus des Alterthums erfüllt, die Bildung und Erziehung weſentlich beſtimmt, oft auch das Staatsweſen geleitet, und die antike Literatur nach Kräften reproducirt hatten, fiel mit dem XVI. Jahrhundert die ganze Menſchenclaſſe in einen lauten und allgemeinen Miß - credit, zu einer Zeit, da man ihre Lehre und ihr Wiſſen noch durchaus nicht völlig entbehren wollte. Man redet, ſchreibt und dichtet noch fortwährend wie ſie, aber perſön - lich will Niemand mehr zu ihnen gehören. In die beiden Hauptanklagen wegen ihres bösartigen Hochmuthes und ihrer ſchändlichen Ausſchweifungen tönt bereits die dritte hinein, die Stimme der beginnenden Gegenreformation: wegen ihres Unglaubens.
Warum verlauteten, muß man zunächſt fragen, dieſe Vorwürfe nicht früher, mochten ſie nun wahr oder unwahr2683. Abſchnitt. ſein? Sie ſind ſchon frühe genug vernehmlich, allein ohne ſonderliche Wirkung, offenbar weil man von den Literaten noch gar zu abhängig war in Betreff des Sachinhaltes des Alterthums, weil ſie im perſönlichſten Sinne die Beſitzer, Träger und Verbreiter deſſelben waren. Allein das Ueber - handnehmen gedruckter Ausgaben der Claſſiker1)Man überſehe nicht, daß dieſelben ſehr früh mit alten Scholien und neuen Commentaren abgedruckt wurden., großer wohlangelegter Handbücher und Nachſchlagewerke emanci - pirte das Volk ſchon in bedeutendem Grade von dem dauern - den perſönlichen Verkehr mit den Humaniſten, und ſobald man ſich ihrer auch nur zur Hälfte entſchlagen konnte, trat dann jener Umſchlag der Stimmung ein. Gute und Böſe litten darunter ohne Unterſchied.
Ihre Schuld daran.Urheber jener Anklagen ſind durchaus die Humaniſten ſelbſt. Von Allen, die jemals einen Stand gebildet, haben ſie am allerwenigſten ein Gefühl des Zuſammenhaltes ge - habt oder, wo es ſich aufraffen wollte, reſpectirt. Sobald ſie dann anfingen ſich Einer über den Andern zu erheben, war ihnen jedes Mittel gleichgültig. Bitzſchnell gehen ſie von wiſſenſchaftlichen Gründen zur Invective und zur bo - denloſeſten Läſterung über; ſie wollen ihren Gegner nicht widerlegen ſondern in jeder Beziehung zernichten. Etwas hievon kommt auf Rechnung ihrer Umgebung und Stellung; wir ſahen, wie heftig das Zeitalter, deſſen lauteſte Organe ſie waren, von den Wogen des Ruhmes und des Hohnes hin und her geworfen wurde. Auch war ihre Lage im wirklichen Leben meiſt eine ſolche, daß ſie ſich beſtändig ihrer Exiſtenz wehren mußten. In ſolchen Stimmungen ſchrieben und perorirten ſie und ſchilderten einander. Poggio's Werke allein enthalten ſchon Schmutz genug um ein Vorurtheil gegen die ganze Schaar hervorzurufen — und dieſe Opera Poggii mußten gerade am häufigſten aufgelegt werden, dieſſeits wie jenſeits der Alpen. Man freue ſich nicht zu269 früh, wenn ſich im XV. Jahrhundert eine Geſtalt unter3. Abſchnitt. dieſer Schaar findet, die unantaſtbar ſcheint; bei weiterem Suchen läuft man immer Gefahr irgend einer Läſterung zu begegnen, welche, ſelbſt wenn man ſie nicht glaubt, das Bild trüben wird. Die vielen unzüchtigen lateiniſchen Ge - dichte und etwa eine Perſiflage der eigenen Familie, wie z. B. in Pontano's Dialog „ Antonius “thaten das Uebrige. Das XVI. Jahrhundert kannte dieſe Zeugniſſe alle und war der betreffenden Menſchengattung ohnehin müde ge - worden. Sie mußte büßen für das was ſie verübt hatte und für das Uebermaß der Geltung, das ihr bisher zu Theil geworden war. Ihr böſes Schickſal wollte es, daß der größte Dichter der Nation ſich über ſie mit ruhiger, ſouveräner Verachtung ausſprach1)Ariosto, Satira VII. Vom Jahre 1531..
Von den Vorwürfen, die ſich jetzt zu einem Geſammt - widerwillen ſammelten, war nur zu Vieles begründet. Ein beſtimmter, kenntlicher Zug zur Sittenſtrenge und Reli - gioſität war und blieb in manchen Philologen lebendig, und es iſt ein Zeichen geringer Kenntniß jener Zeit, wenn man die ganze Claſſe verurtheilt, aber Viele, und darunter die lauteſten, waren ſchuldig.
Drei Dinge erklären und vermindern vielleicht ihreDas Maß ihrer Schuld. Schuld: die übermäßige, glänzende Verwöhnung wenn das Glück ihnen günſtig war; die Garantieloſigkeit ihres äußern Daſeins, ſo daß Glanz und Elend je nach Launen der Herrn und nach der Bosheit der Gegner raſch wechſelten; endlich der irremachende Einfluß des Alterthums. Dieſes ſtörte ihre Sittlichkeit ohne ihnen die ſeinige mitzutheilen; und auch in religiöſen Dingen wirkte es auf ſie weſentlich von ſeiner ſceptiſchen und negativen Seite, da von einer Annahme des poſitiven Götterglaubens doch nicht die Rede ſein konnte. Gerade weil ſie das Alterthum dogmatiſch, d. h. als Vorbild alles Denkens und Handelns auffaßten,2703. Abſchnitt. mußten ſie hier in Nachtheil gerathen. Daß es aber ein Jahrhundert gab, welches mit voller Einſeitigkeit die alte Welt und deren Hervorbringungen vergötterte, das war nicht mehr Schuld Einzelner ſondern höhere geſchichtliche Fügung. Alle Bildung der ſeitherigen und künftigen Zeiten beruht darauf daß dieß geſchehen iſt, und daß es damals ſo ganz einſeitig und mit Zurückſetzung aller andern Lebens - zwecke geſchehen iſt.
Ihr Lebens - lauf.Der Lebenslauf der Humaniſten war in der Regel ein ſolcher, daß nur die ſtärkſten ſittlichen Naturen ihn durchmachen konnten ohne Schaden zu nehmen. Die erſte Gefahr kam bisweilen wohl von den Eltern her, welche den oft außerordentlich früh entwickelten Knaben zum Wunder - kind1)Solche kommen mehrere vor, doch muß ich einen eigentlichen Beweis des hier Geſagten ſchuldig bleiben. Das Wunderkind Giulio Cam - pagnola gehört nicht zu den aus Ehrgeiz emporgetriebenen. Vgl. Scardeonius, de urb. Patav. antiq., bei Græv. thesaur. VI, III, Col. 276. — Das Wunderkind Cecchino Bracci, ſt. 1544 im 15. Jahr, vgl. Trucchi, poesie ital. inedite III, p. 229. — Wie der Vater des Cardano ihm wollte memoriam artificialem instillare und ihn ſchon als Kind in der arabiſchen Aſtrologie unter - wies, vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 34. ausbildeten, im Hinblick auf eine künftige Stellung in jenem Stande, der damals Alles galt. Wunderkinder aber bleiben insgemein auf einer gewiſſen Stufe ſtehen, oder ſie müſſen ſich die weitere Entwicklung und Geltung unter den allerbitterſten Prüfungen erkämpfen. Auch für den aufſtrebenden Jüngling war der Ruhm und das glänzende Auftreten des Humaniſten eine gefährliche Lockung; es kam ihm vor, auch er könne „ wegen angeborenen Hoch - „ ſinns die gemeinen und niedrigen Dinge nicht mehr beach - „ ten “2)Ausdruck des Filippo Villani, vite p. 5. bei einem ſolchen Anlaß.. Und ſo ſtürzte man ſich in ein wechſelvolles, aufreibendes Leben hinein, in welchem angeſtrengte Studien,271 Hauslehrerſchaft, Secretariat, Profeſſur, Dienſtbarkeit bei3. Abſchnitt. Fürſten, tödtliche Feindſchaften und Gefahren, begeiſterte Bewunderung und Ueberſchüttung mit Hohn, Ueberfluß und Armuth wirr aufeinander folgten. Dem gediegenſten Wiſſen konnte der flachſte Dilettantismus bisweilen den Rang ab - laufen. Das Hauptübel aber war, daß dieſer Stand mit einer feſten Heimath beinahe unverträglich blieb, indem er entweder den Ortswechſel geradezu erforderte, oder den Menſchen ſo ſtimmte, daß ihm nirgends lange wohl ſein konnte. Während er der Leute des Ortes ſatt wurde und im Wirbel der Feindſchaften ſich übel befand, verlangten auch eben jene Leute ſtets Neues (S. 207). So ManchesVergleichung mit den Sophiſten hier auch an die griechiſchen Sophiſten der Kaiſerzeit er - innert, wie ſie Philoſtratus beſchreibt, ſo ſtanden dieſe doch günſtiger, indem ſie großentheils Reichthümer beſaßen, oder leichter entbehrten und überhaupt leichter lebten, weil ſie nicht ſowohl Gelehrte als ausübende Virtuoſen der Rede waren. Der Humaniſt der Renaiſſance dagegen muß eine große Erudition und einen Strudel der verſchiedenſten Lagen und Beſchäftigungen zu tragen wiſſen. Dazu dann, um ſich zu betäuben, unordentlicher Genuß, und, ſobald man ihm ohnehin das Schlimmſte zutraute, Gleichgültigkeit gegen alle ſonſt geltende Moral. Ohne Hochmuth ſind ſolche Charactere vollends nicht denkbar; ſie bedürfen des - ſelben ſchon um oben ſchwimmend zu bleiben und die mit dem Haß abwechſelnde Vergötterung beſtärkt ſie nothwendig darin. Sie ſind die auffallendſten Beiſpiele und Opfer der entfeſſelten Subjectivität.
Die Klagen wie die ſatiriſchen Schilderungen beginnen,Ankläger im XV. Jahrh.; wie bemerkt, ſchon früh, indem ja für jeden entwickelten Individualismus, für jede Art von Celebrität ein beſtimmter Hohn als Zuchtruthe vorhanden war. Zudem lieferten ja die Betreffenden ſelber das furchtbarſte Material, welches man nur zu benützen brauchte. Noch im XV. Jahrhundert ordnet Battiſta Mantovano in der Aufzählung der ſieben2723. Abſchnitt. Ungeheuer1)Bapt. Mantuan. de calamitatibus temporum, L. I. die Humaniſten mit vielen Andern unter den Artikel: Superbia; er ſchildert ſie mit ihrem Dünkel als Apollsſöhne, wie ſie verdroſſenen und maliciöſen Ausſehens mit falſcher Gravität einherſchreiten, dem körnerpickenden Kranich vergleichbar, bald ihren Schatten betrachtend, bald in zehrende Sorge um Lob verſunken. Allein das XVI. Jahrhundert machte ihnen förmlich den Proceß. AußerIm XVI. Ih. Arioſto bezeugt dieß hauptſächlich ihr Literarhiſtoriker Gy - raldus, deſſen Abhandlung2)Lil. Greg. Gyraldus Progymnasma adversus literas et literatos. ſchon unter Leo X. verfaßt, wahrſcheinlich aber um 1540 überarbeitet wurde. Antike und moderne Warnungsexempel der ſittlichen Haltloſigkeit und des jammervollen Lebens der Literaten ſtrömen uns hier in gewaltiger Maſſe entgegen, und dazwiſchen werden ſchwere allgemeine Anklagen formulirt. Dieſelben lauten hauptſächlich auf Leidenſchaftlichkeit, Eitelkeit, Starrſinn, Selbſtvergötterung, zerfahrenes Privatleben, Unzucht aller Art, Ketzerei, Atheismus, — dann Wohlredenheit ohne Ueberzeugung, verderblichen Einfluß auf die Cabinete, Sprachpedanterei, Undank gegen die Lehrer, kriechende Schmeichelei gegen die Fürſten, welche den Literaten zuerſt anbeißen und dann hungern laſſen u. dgl. m. Den Schluß bildet eine Bemerkung über das goldene Zeitalter, welches nämlich damals geherrſcht habe, als es noch keine Wiſſen - ſchaft gab. — Von dieſen Anklagen wurde bald eine die gefährlichſte: diejenige auf Ketzerei, und Gyraldus ſelbſt muß ſich ſpäter beim Wiederabdruck einer völlig harmloſen Jugendſchrift3)Lil. Greg. Gyraldus: Hercules. Die Widmung iſt ein ſprechendes Denkmal der erſten drohenden Regungen der Inquiſition. an den Mantel des Herzogs Ercole II. von Ferrara anklammern, weil ſchon Leute das Wort führen, welche finden, die Zeit wäre beſſer an chriſtliche Gegenſtände gewendet worden als an mythologiſche Forſchungen. Er273 giebt zu erwägen, daß letztere im Gegentheil bei ſo beſchaf -3. Abſchnitt. fenen Zeiten faſt der einzige unſchuldige, d. h. neutrale Gegenſtand gelehrter Darſtellung ſeien.
Wenn aber die Culturgeſchichte nach Ausſagen zuDas Unglück der Gelehrten. ſuchen verpflichtet iſt, in welchen neben der Anklage das menſchliche Mitgefühl vorwiegt, ſo iſt keine Quelle zu ver - gleichen mit der oft erwähnten Schrift des Pierio Valeriano „ über das Unglück der Gelehrten “1)De infelicitate literatorum. . Sie iſt geſchrieben unter dem düſtern Eindruck der Verwüſtung von Rom, welche mit dem Jammer, den ſie auch über die Gelehrten brachte, dem Verfaſſer wie der Abſchluß eines ſchon lange gegen dieſelben wüthenden böſen Schickſals erſcheint. Pierio folgt hier einer einfachen, im Ganzen richtigen Empfindung; er thut nicht groß mit einem beſondern vornehmen Dämon, der die geiſtreichen Leute wegen ihres Genies verfolge, ſondern er conſtatirt das Geſchehene, worin oft der bloße unglückliche Zufall als entſcheidend vorkömmt. Er wünſcht keine Tragödie zu ſchreiben oder Alles aus höhern Con - flicten herzuleiten, weßhalb er denn auch Alltägliches vor - bringt. Da lernen wir Leute kennen, welche bei unruhigen Zeiten zunächſt ihre Einnahmen, dann auch ihre Stellen verlieren, Leute, welche zwiſchen zwei Anſtellungen leer aus - gehen, menſchenſcheue Geizhälſe, die ihr Geld immer ein - genäht auf ſich tragen, und nach geſchehener Beraubung im Wahnſinn ſterben, Andere, welche Pfründen annehmen und in melancholiſchem Heimweh nach der frühern Freiheit dahin - ſiechen. Dann wird der frühe Tod Vieler durch Fieber oder Peſt beklagt, wobei die ausgearbeiteten Schriften mit - ſammt Bettzeug und Kleidern verbrannt werden; Andere leben und leiden unter Morddrohungen von Collegen; Dieſen und Jenen mordet ein habſüchtiger Diener, oder Böſewichter fangen ihn auf der Reiſe weg und laſſen ihn in einem Kerker verſchmachten weil er kein Löſegeld zahlen kann. Manchen rafft geheimes Herzeleid, erlittene Krän -Cultur der Renaiſſance. 182743. Abſchnitt. kung und Zurückſetzung dahin; ein Venezianer ſtirbt vor Gram, weil ſein Söhnchen, ein Wunderkind, geſtorben iſt, und die Mutter und deren Bruder folgen bald, als zöge das Kind ſie alle nach ſich. Ziemlich viele, zumal Floren - tiner, enden durch Selbſtmord1)Hiezu vgl. ſchon Dante, Inferno, XIII. , andere durch geheime JuſtizDer tiefere Grund deſſelben. eines Tyrannen. Wer iſt am Ende noch glücklich? und auf welche Weiſe? etwa durch völlige Abſtumpfung des Gefühles gegen ſolchen Jammer? Einer der Mitredner des Dialoges, in welchen Pierio ſeine Darſtellung gekleidet hat, weiß Rath in dieſen Fragen; es iſt der herrliche Gasparo Contarini, und ſchon bei Nennung dieſes Namens darf man erwarten, daß uns wenigſtens Etwas von dem Tiefſten und Wahrſten mitgetheilt werde, was ſich damals darüber denken ließ. Als Bild eines glücklichen Gelehrten erſcheint ihm Urbano Valeriano von Belluno, der in Venedig lange Zeit hindurch Lehrer des Griechiſchen war, Griechenland und den Orient beſuchte, noch in ſpäten Jahren bald dieſes und bald jenes Land durchlief ohne je ein Thier zu beſteigen, nie einen Heller für ſich beſaß, alle Ehren und Standes - erhöhungen zurückwies, und nach einem heitern Alter im 84ſten Jahre ſtarb ohne, mit Ausnahme eines Sturzes von der Leiter, eine kranke Stunde gehabt zu haben. Was unterſchied ihn von den Humaniſten? Dieſe haben mehr freien Willen, mehr losgebundene Subjectivität als ſie mitDas Gegenbild des Humaniſten. Glück verwerthen können; der Bettelmönch dagegen, im Kloſter ſeit ſeinen Knabenjahren, hatte nie nach eigenem Belieben auch nur Speiſe oder Schlaf genoſſen und empfand deßhalb den Zwang nicht mehr als Zwang; kraft dieſer Gewöhnung führte er mitten in allen Beſchwerden das innerlich ruhigſte Leben und wirkte durch dieſen Eindruck mehr auf ſeine Zuhörer als durch ſein Griechiſch; ſie glaub - ten nunmehr überzeugt zu ſein, daß es von uns ſelbſt ab - hänge, ob wir im Mißgeſchick jammern oder uns tröſten275 ſollen. „ Mitten in Dürftigkeit und Mühen war er glück -3. Abſchnitt. „ lich weil er es ſein wollte, weil er nicht verwöhnt, nicht „ phantaſtiſch, nicht unbeſtändig und ungenügſam war, „ ſondern ſich immer mit wenig oder nichts zufrieden gab. “— Wenn wir Contarini ſelber hörten, ſo wäre vielleicht auch noch ein religiöſes Motiv dem Bilde beigemiſcht; doch iſt ſchon der practiſche Philoſoph in Sandalen ſprechend und bedeutſam genug. Einen verwandten Character in andern Umgebungen verräth auch jener Fabio Calvi von Ravenna1)Cœlii Calcagnini opera, ed. Basil. 1544, p. 101, im VII. Buch der Epiſteln. — Vgl. Pierio Val. de inf. lit. ,Fabio Calvi. der Erklärer des Hippocrates. Er lebte hochbejahrt in Rom bloß von Kräutern „ wie einſt die Pythagoräer “und bewohnte ein Gemäuer, das vor der Tonne des Diogenes keinen großen Vorzug hatte; von der Penſion, die ihm Papſt Leo bezahlte, nahm er nur das Allernöthigſte und gab den Reſt an Andere. Er blieb nicht geſund wie Fra Ur - bano, auch war ſein Ende ſo, daß er wohl ſchwerlich im Tode gelächelt haben wird wie dieſer, denn bei der Ver - wüſtung von Rom ſchleppten ihn, den faſt neunzigjährigen Greis, die Spanier fort in der Abſicht, ihn zu ranzioniren, und er ſtarb an den Folgen des Hungers in einem Spital. Aber ſein Name iſt in das Reich der Unvergänglichkeit ge - rettet, weil Rafael den Alten wie einen Vater geliebt und wie einen Meiſter geehrt, weil er ihn in allen Dingen zu Rathe gezogen hatte. Vielleicht bezog ſich die Berathung vorzugsweiſe auf jene antiquariſche Reſtauration des alten Rom (S. 185) vielleicht aber auch auf viel höhere Dinge. Wer kann ſagen, wie großen Antheil Fabio am Gedanken der Schule von Athen und anderer hochwichtiger Com - poſitionen Rafaels gehabt hat?
Gerne möchten wir hier mit einem anmuthigen undPomponius Laetus. verſöhnlichen Lebensbilde ſchließen, etwa mit dem des Pom - ponius Laetus, wenn uns nur über dieſen noch etwas mehr18*2763. Abſchnitt. als der Brief ſeines Schülers Sabellicus1)M. Ant. Sabellici opera, Epist. L. XI, fol. 56. Dazu die be - treffende Biographie in den Elogia des Paolo Giovio. zu GebotePomponius Laetus. ſtände, in welchem Laetus wohl abſichtlich etwas antikiſirt wird; doch mögen einige Züge daraus folgen. Er war (S. 245) ein Baſtard aus dem Hauſe der neapolitaniſchen Sanſeverinen, Fürſten von Salerno, wollte ſie aber nicht anerkennen und ſchrieb ihnen auf die Einladung, bei ihnen zu leben, das berühmte Billet: Pomponius Lætus cog - natis et propinquis suis salutem. Quod petitis fieri non potest. Valete. Ein unanſehnliches Männchen mit kleinen lebhaften Augen, in wunderlicher Tracht, bewohnte er in den letzten Jahrzehnden des XV. Jahrhunderts, als Lehrer an der Univerſität Rom, bald ſein Häuschen mit Garten auf dem Esquilin, bald ſeine Vigne auf dem Quirinal; dort zog er ſeine Enten u. a. Geflügel, hier baute er ſein Grundſtück durchaus nach den Vorſchriften des Cato, Varro und Columella; Feſttage widmete er draußen dem Fiſch - und Vogelfang, auch wohl dem Gelage im Schatten bei einer Quelle oder an der Tiber. Reich - thum und Wohlleben verachtete er. Neid und Uebelrede war nicht in ihm und er duldete ſie auch in ſeiner Nähe nicht, nur gegen die Hierarchie ließ er ſich ſehr frei gehen, wie er denn auch, die letzten Zeiten ausgenommen, als Verächter der Religion überhaupt galt. In die Humaniſten - verfolgung Papſt Pauls II. verflochten, war er von Vene - dig an dieſen ausgeliefert worden und hatte ſich durch kein Mittel zu unwürdigen Geſtändniſſen bringen laſſen; ſeitdem luden ihn Päpſte und Prälaten zu ſich ein und unterſtützten ihn, und als in den Unruhen unter Sixtus IV. ſein Haus geplündert wurde, ſteuerte man für ihn mehr zuſammen als er eingebüßt hatte. Als Docent war er gewiſſenhaft; ſchon vor Tage ſah man ihn mit ſeiner Laterne vom Es - quilin herabſteigen, und immer fand er ſeinen Hörſaal ſchon277 gedrängt voll; da er im Geſpräch ſtotterte, ſprach er auf3. Abſchnitt. dem Catheder behutſam, aber doch ſchön und gleichmäßig. Auch ſeine wenigen Schriften ſind ſorgfältig abgefaßt. Alte Texte behandelte Keiner ſo ſorgfältig und ſchüchtern, wie er denn auch vor andern Reſten des Alterthums ſeinen wahren Reſpect bewies, indem er wie verzückt da ſtand oder in Thränen ausbrach. Da er die eigenen Studien liegen ließ, wenn er Andern behülflich ſein konnte, ſo hing man ihm ſehr an, und als er ſtarb, ſandte ſogar Alexan - der VI. ſeine Höflinge, die Leiche zu begleiten, welche von den vornehmſten Zuhörern getragen wurde; den Exequien in Araceli wohnten vierzig Biſchöfe und alle fremden Ge - ſandten bei.
Laetus hatte die Aufführungen antiker, hauptſächlichPlautus und die römiſche Academie. plautiniſcher Stücke in Rom aufgebracht und geleitet (S. 250). Auch feierte er den Gründungstag der Stadt alljährlich mit einem Feſte, wobei ſeine Freunde und Schüler Reden und Gedichte vortrugen. Bei dieſen beiden Hauptanläſſen bildete ſich und blieb dann auch ſpäter beiſammen was man die römiſche Academie nannte. Dieſelbe war durchaus nur ein freier Verein und an kein feſtes Inſtitut geknüpft; außer jenen Gelegenheiten kam ſie zuſammen1)Jac. Volaterran. Diar. Rom. bei Murat. XXIII. Col. 161. 171. 185. — Anecdota liter. II, p, 168, s. , wenn ein Gönner ſie einlud oder wenn das Gedächtniß eines verſtor - benen Mitgliedes, z. B. des Platina gefeiert wurde. Vor - mittags pflegte dann ein Prälat, der dazu gehörte, eine Meſſe zu leſen; darauf betrat etwa Pomponio die Kanzel und hielt die betreffende Rede; nach ihm ſtieg ein Anderer hinauf und recitirte Diſtichen. Der obligate Schmaus mit Disputationen und Recitationen beſchloß Trauer - wie Freu - denfeſte und die Academiker, z. B. gerade Platina ſelber, galten ſchon früh als Feinſchmecker2)Paul. Jov. de romanis piscibus, cap. 17 und 34.. Andere Male führten ein -2783. Abſchnitt. zelne Gäſte auch Farcen im Geſchmack der Atellanen auf. Als freier Verein von ſehr wandelbarem Umfang dauerte dieſe Academie in ihrer urſprünglichen Art weiter bis auf die Verwüſtung Roms und erfreute ſich der Gaſtlichkeit eines Angelus Coloccius, eines Joh. Corycius (S. 265) u. a. Wie hoch ſie für das Geiſtesleben der Nation zu werthen iſt, läßt ſich ſo wenig genau beſtimmen als bei irgend einer geſelligen Verbindung dieſer Art; immerhin rechnet ſie ſelbſt ein Sadoleto1)Sadoleti Epist. 106, vom J. 1529. zu den beſten Erinnerungen ſeiner Jugend. —Andere Acade - mien. Eine ganze Anzahl anderer Academien entſtanden und ver - gingen in verſchiedenen Städten, je nachdem die Zahl und Bedeutung der anſäſſigen Humaniſten oder die Gönnerſchaft von Reichen und Großen es möglich machte. So die Aca - demie von Neapel, welche ſich um Jovianus Pontanus verſammelte und von welcher ein Theil nach Lecce über - ſiedelte2)Anton. Galatei epist. 10 und 12, bei Mai, Spicileg. rom. vol. VIII. , diejenige von Pordenone, welche den Hof des Feldherrn Alviano bildete u. ſ. w. Von derjenigen des Lodovico Moro und ihrer eigenthümlichen Bedeutung für den Umgang des Fürſten iſt bereits (S. 42) die Rede geweſen.
Deren Italiſi - rung.Gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts ſcheint eine vollſtändige Umwandlung mit dieſen Vereinen vorgegangen zu ſein. Die Humaniſten, auch ſonſt aus der gebietenden Stellung im Leben verdrängt und der beginnenden Gegen - reformation Objecte des Verdachtes, verlieren die Leitung der Academien, und die italieniſche Poeſie tritt auch hier an die Stelle der lateiniſchen. Bald hat jede irgend be - trächtliche Stadt ihre Academie mit möglichſt bizarrem Na - men3)Dieſes ſchon vor der Mitte des Jahrh. Vgl. Lil. Greg. Gyral - dus, de poetis nostri temp. II. und mit eigenem, durch Beiträge und Vermächtniſſe279 gebildetem Vermögen. Außer dem Recitiren von Verſen3. Abſchnitt. iſt aus der frühern, lateiniſchen Zeit herübergenommen das periodiſche Gaſtmahl und die Aufführung von Dramen, theils durch die Academiker ſelbſt, theils unter ihrer Auf - ſicht durch junge Leute und bald durch bezahlte Schauſpieler. Das Schickſal des italieniſchen Theaters, ſpäter auch der Oper, iſt lange Zeit in den Händen dieſer Vereine geblieben.
4. Abſchnitt. Frei von zahlloſen Schranken, die anderwärts den Fort - ſchritt hemmten, individuell hoch entwickelt und durch das Alterthum geſchult, wendet ſich der italieniſche Geiſt auf die Entdeckung der äußern Welt und wagt ſich an deren Darſtellung in Wort und Form. Wie die Kunſt dieſe Aufgabe löste, wird anderswo erzählt werden.
Reiſen der Ita - liener.Ueber die Reiſen der Italiener nach fernen Weltge - genden iſt uns hier nur eine allgemeine Bemerkung ge - ſtattet. Die Kreuzzüge hatten allen Europäern die Ferne geöffnet und überall den abenteuernden Wandertrieb ge - weckt. Es wird immer ſchwer ſein, den Punct anzugeben, wo derſelbe ſich mit dem Wiſſensdrang verbindet oder vol - lends deſſen Diener wird; am frühſten und vollſtändigſten aber iſt dieß bei den Italienern geſchehen. Schon an den Kreuzzügen ſelbſt hatten ſie ſich in einem andern Sinne betheiligt als die übrigen, weil ſie bereits Flotten und Handelsintereſſen im Orient beſaßen; von jeher hatte das Mittelmeer ſeine Anwohner anders erzogen als das Binnen - land die ſeinigen, und Abenteurer im nordiſchen Sinne konnten die Italiener nach ihrer Naturanlage überhaupt nie ſein. Als ſie nun in allen öſtlichen Häfen des Mittel - meeres heimiſch geworden waren, geſchah es leicht, daß ſich die Unternehmendſten dem grandioſen mohammedaniſchen Wanderleben, welches dort ausmündete, anſchloſſen; eine281 ganze große Seite der Erde lag dann gleichſam ſchon ent -4. Abſchnitt. deckt vor ihnen. Oder ſie geriethen, wie die Polo von Venedig, in die Wellenſchläge der mongoliſchen Welt hinein und wurden weiter getragen bis an die Stufen des Thrones des Großchans. Frühe finden wir einzelne Italiener auch ſchon im atlantiſchen Meere als Theilnehmer von Ent - deckungen, wie denn z. B. Genueſen im XIII. Jahrhundert bereits die canariſchen Inſeln fanden1)Luigi Bossi, Vita di Cristoforo Colombo, wo ſich eine Ueber - ſicht der frühern ital. Reiſen und Entdeckungen findet, p. 91, s. ; Columbus iſt nur der Größte einer ganzen Reihe von Italienern, welche im Dienſte der Weſtvölker in ferne Meere fuhren. Nun iſt aber der wahre Entdecker nicht der, welcher zufällig zuerſt irgendwohin geräth, ſondern der, welcher geſucht hat und findet; ein ſolcher allein wird auch im Zuſammenhange ſtehen mit den Gedanken und Intereſſen ſeiner Vorgänger, und die Rechenſchaft, die er ablegt, wird danach beſchaffen ſein. Deßhalb werden die Italiener, auch wenn ihnen jede einzelne Priorität der Ankunft an dieſem oder jenem Strande abgeſtritten würde, doch immer das moderne Entdeckervolk im vorzugsweiſen Sinne für das ganze Spätmittelalter bleiben.
Die nähere Begründung dieſes Satzes gehört der Spe - cialgeſchichte der Entdeckungen an. Immer von Neuem aber wendet ſich die Bewunderung der ehrwürdigen GeſtaltColumbus. des großen Genueſen zu, der einen neuen Continent jenſeits der Waſſer forderte, ſuchte und fand, und der es zuerſt ausſprechen durfte: il mondo è poco, die Erde iſt nicht ſo groß als man glaubt. Während Spanien den Italienern einen Alexander VI. ſendet, giebt Italien den Spaniern den Columbus; wenige Wochen vor dem Tode jenes Papſtes (7. Juli 1503) datirt dieſer aus Jamaica ſeinen herrlichen Brief an die undankbaren katholiſchen Könige, den die ganze Nachwelt nie wird ohne die ſtärkſte Erregung leſen2824. Abſchnitt. können. In einem Codicill zu ſeinem Teſtamente, datirt zu Valladolid, 4. Mai 1506, vermacht er „ ſeiner geliebten „ Heimath, der Republik Genua, das Gebetbuch, welches „ ihm Papſt Alexander geſchenkt, und welches ihm in Kerker, „ Kampf und Widerwärtigkeiten zum höchſten Troſte gereicht „ hatte “. Es iſt als ob damit auf den fürchterlichen Na - men Borgia ein letzter Schimmer von Gnade und Güte fiele.
Cosmographi - ſche Tendenz.Ebenſo wie die Geſchichte der Reiſen dürfen wir auch die Entwicklung des geographiſchen Darſtellens bei den Italienern, ihren Antheil an der Cosmographie, nur kurz berühren. Schon eine flüchtige Vergleichung ihrer Leiſtungen mit denjenigen anderer Völker zeigt eine frühe und augen - fällige Ueberlegenheit. Wo hätte ſich um die Mitte des XV. Jahrhunderts außerhalb Italiens eine ſolche Ver - bindung des geographiſchen, ſtatiſtiſchen und hiſtoriſchenAeneas Syl - vius. Intereſſes gefunden wie in Aeneas Sylvius? wo eine ſo gleichmäßig ausgebildete Darſtellung? Nicht nur in ſeiner eigentlich cosmographiſchen Hauptarbeit ſondern auch in ſeinen Briefen und Commentarien ſchildert er mit gleicher Virtuoſität Landſchaften, Städte, Sitten, Gewerbe und Erträgniſſe, politiſche Zuſtände und Verfaſſungen, ſobald ihm die eigene Wahrnehmung oder lebendige Kunde zu Gebote ſteht; was er nur nach Büchern beſchreibt, iſt na - türlich geringer. Schon die kurze Skizze1)Pii II. comment. L. I, p. 14. — Daß er nicht immer richtig beobachtete und bisweilen das Bild willkürlich ergänzte, zeigt uns z. B. ſeine Beſchreibung Baſels nur zu klar. Im Ganzen bleibt ihm doch ein hoher Werth. jenes tyroliſchen Alpenthales, wo er durch Friedrich III. eine Pfründe be - kommen hatte, berührt alle weſentlichen Lebensbeziehungen und zeigt eine Gabe und Methode des objectiven Beobach - tens und Vergleichens, wie ſie nur ein durch die Alten gebildeter Landsmann des Columbus beſitzen konnte. Tau - ſende ſahen und wußten wenigſtens ſtückweiſe, was er283 wußte, aber ſie hatten keinen Drang, ein Bild davon zu4. Abſchnitt. entwerfen, und kein Bewußtſein, daß die Welt ſolche Bilder verlange.
Auch in der Cosmographie1)Im XVI. Jahrh. hielt ſich Italien noch lange als die vorzugsweiſe Heimath der cosmographiſchen Literatur, als die Entdecker ſelbſt ſchon faſt nur den atlantiſchen Völkern angehörten. Die einheimiſche Geo - graphie hat gegen Mitte des Jahrh. das große und ſehr achtungs - werthe Werk des Leandro Alberti: Descrizione di tutta l'Italia aufzuweiſen. wird man umſonſt genauWechſelwirkung von Entdeckung u. Beſchreibung. zu ſondern ſuchen, wie viel dem Studium der Alten, wie viel dem eigenthümlichen Genius der Italiener auf die Rechnung zu ſchreiben ſei. Sie beobachten und behandeln die Dinge dieſer Welt objectiv noch bevor ſie die Alten genauer kennen, weil ſie ſelber noch ein halbantikes Volk ſind und weil ihr politiſcher Zuſtand ſie dazu vorbereitet; ſie würden aber nicht zu ſolcher raſchen Reife darin gelangt ſein, hätten ihnen nicht die alten Geographen den Weg gewieſen. Ganz unberechenbar iſt endlich die Einwirkung der ſchon vorhandenen italieniſchen Cosmographien auf Geiſt und Tendenz der Reiſenden, der Entdecker. Auch der dilettantiſche Bearbeiter einer Wiſſenſchaft, wenn wir z. B. im vorliegenden Fall den Aeneas Sylvius ſo niedrig taxiren wollen, kann gerade diejenige Art von allgemeinem Intereſſe für die Sache verbreiten, welche für neue Unternehmer den unentbehrlichen neuen Boden einer herrſchenden Meinung, eines günſtigen Vorurtheils bildet. Wahre Entdecker in allen Fächern wiſſen recht wohl was ſie ſolchen Vermittlern verdanken.
Für die Stellung der Italiener im Bereich der Natur -Naturwiſſen - ſchaften. wiſſenſchaften müſſen wir auf die beſondern Fachbücher verweiſen, von welchen uns nur das offenbar ſehr flüchtige und abſprechende Werk Libri's bekannt iſt2)Libri, Histoire des sciences mathématiques en Italie, IV voll., Paris 1838.. Der Streit2844. Abſchnitt. über Priorität gewiſſer einzelner Entdeckungen berührt uns um ſo weniger da wir der Anſicht ſind, daß in jeder Zeit und in jedem Culturvolke möglicherweiſe ein Menſch auf - ſtehen kann, der ſich, von ſehr mäßiger Vorbildung aus - gehend, aus unwiderſtehlichem Drange der Empirie in die Arme wirft und vermöge angeborner Begabung die erſtaun - lichſten Fortſchritte macht. Solche Männer waren Gerbert von Rheims und Roger Bacon; daß ſie ſich überdieß des ganzen Wiſſens ihrer Zeit in ihren Fächern bemächtigten, war dann bloße nothwendige Conſequenz ihres Strebens. Sobald einmal die allgemeine Hülle des Wahns durchge - riſſen, die Knechtſchaft unter der Tradition und den Büchern, die Scheu vor der Natur überwunden war, lagen die Pro -Richtung auf die Empirie. bleme maſſenweiſe vor ihren Augen. Ein Anderes iſt es aber wenn einem ganzen Volke das Betrachten und Er - forſchen der Natur vorzugsweiſe und früher als andern Völkern eigen iſt, wenn alſo der Entdecker nicht bedroht und todtgeſchwiegen wird, ſondern auf das Entgegenkommen verwandter Geiſter rechnen kann. Daß dieß ſich in Italien ſo verhalten habe, wird verſichert1)Um hier zu einem bündigen Urtheil zu gelangen, müßte das Zu - nehmen des Sammelns von Beobachtungen, getrennt von den weſent - lich mathematiſchen Wiſſenſchaften, conſtatirt werden, was unſere Sache nicht iſt.. Nicht ohne Stolz verfolgen die italieniſchen Naturforſcher in der Divina Co - media die Beweiſe und Anklänge von Dante's empiriſcher Naturforſchung2)Libri, a. a. O. II, p. 174, s. . Ueber die einzelnen Entdeckungen oder Prioritäten der Erwähnung, die ſie ihm beilegen, haben wir kein Urtheil, aber jedem Laien muß die Fülle der Be - trachtung der äußern Welt auffallen, welche ſchon aus Dante's Bildern und Vergleichungen ſpricht. Mehr als wohl irgend ein neuerer Dichter entnimmt er ſie der Wirk - lichkeit, ſei es Natur oder Menſchenleben, braucht ſie auch nie als bloßen Schmuck, ſondern um die möglichſt adäquate285 Vorſtellung von dem zu erwecken, was er zu ſagen hat. 4. Abſchnitt. Als ſpecieller Gelehrter tritt er dann vorzüglich in der Aſtronomie auf, wenn gleich nicht zu verkennen iſt, daßPopuläre Sternkunde. manche aſtronomiſche Stelle in dem großen Gedichte, die uns jetzt gelehrt erſcheint, damals allgemein verſtändlich geweſen ſein muß. Dante appellirt, abgeſehen von ſeiner Gelehrſamkeit, an eine populäre Himmelskunde, welche die damaligen Italiener, ſchon als Seefahrer, mit den Alten[gemein[]hatten]. Dieſe Kenntniß des Aufganges und Nie - derganges der Sternbilder iſt für die neuere Welt durch Uhren und Kalender entbehrlich geworden, und mit ihr ging verloren was ſich ſonſt von aſtronomiſchem Intereſſe im Volke entwickelt hatte. Gegenwärtig fehlt es nicht an Handbüchern und Gymnaſialunterricht, und jedes Kind weiß, daß die Erde ſich um die Sonne bewegt, was Dante nicht wußte, aber die Theilnahme an der Sache iſt der vollkommenſten Gleichgültigkeit gewichen, mit Ausnahme der Fachleute.
Die Wahnwiſſenſchaft, welche ſich an die Sterne hing, beweist nichts gegen den empiriſchen Sinn der damaligen Italiener; derſelbe wurde nur durchkreuzt und überwältigt durch die Leidenſchaft, den heftigen Wunſch die Zukunft zu wiſſen. Auch wird von der Aſtrologie bei Anlaß des ſittlichen und religiöſen Characters der Nation zu reden ſein.
Die Kirche war gegen dieſe und andere falſche Wiſſen -Einmiſchung der Kirche, ſchaften faſt immer tolerant und auch gegen die echte Na - turforſchung ſchritt ſie wohl nur dann ein, wenn die An - klage — wahr oder unwahr — zugleich auf Ketzerei und Necromantie lautete, was denn allerdings ziemlich nahe lag. Der Punkt, auf welchen es ankömmt, wäre: zu ermitteln, ob und in welchen Fällen die dominicaniſchen Inquiſitoren (und auch wohl die Franciscaner) in Italien ſich der Falſch - heit dieſer Anklagen bewußt waren und dennoch verurtheilten, ſei es aus Connivenz gegen Feinde des Betreffenden, oder aus ſtillem Haß gegen die Naturbeobachtung überhaupt2864. Abſchnitt. und beſonders gegen die Experimente. Letzteres wird wohl vorgekommen aber kaum je zu beweiſen ſein. Was im Norden ſolche Verfolgungen mit veranlaſſen mochte, der Widerſtand des von den Scholaſtikern recipirten, officiellen Syſtems der Naturkunde gegen die Neuerer als ſolche, möchte für Italien weniger oder auch gar nicht in Betracht kommen. Pietro von Abano (zu Anfang des XIV. Jahrhunderts) fiel notoriſch als Opfer des colle - gialiſchen Neides eines andern Arztes, der ihn bei der Inquiſition wegen Irrglaubens und Zauberei verklagte1)Scardeonius, de urb. Patav. antiq., in Grævii Thesaur. ant. Ital. Tom. VI. pars III. , und auch bei ſeinem paduaniſchen Zeitgenoſſen Giovannino Sanguinacci wird man etwas Aehnliches vermuthen dürfen, da derſelbe als Arzt ein practiſcher Neuerer war; derſelbe kam mit bloßer Verbannung davon. Endlich iſt nicht zu vergeſſen, daß die Macht der Dominicaner als Inquiſitoren in Italien weniger gleichmäßig geübt werden konnte als im Norden; Tyrannen ſowohl als freie Staaten zeigten bis - weilen im XIV. Jahrhundert der ganzen Cleriſei eine ſolche Verachtung, daß noch ganz andere Dinge als bloßeund des Huma - nismus. Naturforſchung ungeahndet durchgingen. Als aber mit dem XV. Jahrhundert das Alterthum mächtig in den Vorder - grund trat, war die ins alte Syſtem gelegte Breſche eine gemeinſame zu Gunſten jeder Art profanen Forſchens, nur daß allerdings der Humanismus die beſten Kräfte an ſich zog und auch wohl der empiriſchen Naturkunde Eintrag that2)S. die übertriebenen Klagen Libri's, a. a. O. II, p. 258, s. So ſehr es zu bedauern ſein mag, daß das hochbegabte Volk nicht einen größern Theil ſeiner Kraft auf die Naturwiſſenſchaften wandte, ſo glauben wir doch, daß daſſelbe noch wichtigere Ziele hatte und theil - weiſe erreichte.. Hie und da erwacht dazwiſchen immer wieder die Inquiſition und ſtraft oder verbrennt Aerzte als Läſte - rer und Necromanten, wobei nie ſicher zu ermitteln iſt,287 welches das wahre, tiefſte Motiv der Verurtheilung gewe -4. Abſchnitt. ſen. Bei alle dem ſtand Italien zu Ende des XV. Jahr - hunderts mit Paolo Toscanelli, Luca Paccioli und Lionardo da Vinci in Mathematik und Naturwiſſenſchaften ohne allen Vergleich als das erſte Volk Europa's da und die Gelehrten aller Länder bekannten ſich als ſeine Schüler, auch Regio - montanus und Copernicus. Dieſer Ruhm überlebte ſogar die Gegenreformation und noch bis heute würden die Ita - liener hier in der erſten Reihe ſtehen, wenn nicht gewaltſam dafür geſorgt wäre, daß die tüchtigſten Geiſter und die ruhige Forſchung ſich nicht mehr zuſammenfinden.
Ein bedeutſamer Wink für die allgemeine VerbreitungBotanik; Sammlungen. des naturgeſchichtlichen Intereſſes liegt auch in dem früh geäußerten Sammlerſinn, der vergleichenden Betrachtung der Pflanzen und Thiere. Italien rühmt ſich zunächſt der frühſten botaniſchen Gärten, doch mag hier der practiſche Zweck überwogen haben und ſelbſt die Priorität ſtreitig ſein. Ungleich wichtiger iſt es, daß Fürſten und reiche Privatleute bei der Anlage ihrer Luſtgärten von ſelbſt auf das Sammeln möglichſt vieler verſchiedenen Pflanzen und Species und Varietäten derſelben geriethen. So wird uns im XV. Jahrhundert der prächtige Garten der Mediceiſchen Villa Careggi beinahe wie ein botaniſcher Garten geſchildert1)Alexandri Braccii descriptio horti Laurentii Med., abgedruckt u. a. als Beilage Nr. 58 zu Roscoe's Leben des Lorenzo. Auch in den Beilagen zu Fabroni's Laurentius., mit zahlloſen einzelnen Gattungen von Bäumen und Sträu - chern. So im Beginn des XVI. Jahrhunderts eine Villa des Cardinal Triulzio in der römiſchen Campagna2)Mondanarii villa, abgedruckt in den Poemata aliquot insignia illustr. poetar. recent. , gegen Tivoli hin, mit Hecken von verſchiedenen Roſengattungen, mit Bäumen aller Art, worunter die Fruchtbäume in allen möglichen Varietäten; endlich zwanzig Rebengattungen und2884. Abſchnitt. ein großer Küchengarten. Hier handelt es ſich offenbar um etwas Anderes als um ein paar Dutzend allbekannte Me - dicinalpflanzen, wie ſie durch das ganze Abendland in keinem Schloß - oder Kloſtergarten fehlten; neben einer höchſt ver - feinerten Cultur des Tafelobſtes zeigt ſich ein Intereſſe für die Pflanze als ſolche, um ihres merkwürdigen Anblickes willen. Die Kunſtgeſchichte belehrt uns darüber, wie ſpät erſt die Gärten ſich von dieſer Sammlerluſt befreiten um fortan einer großen architectoniſch-maleriſchen Anlage zu dienen.
Fremde Thiere,Auch das Unterhalten fremder Thiere iſt gewiß nicht ohne Zuſammenhang mit einem höhern Intereſſe der Beo - bachtung zu denken. Der leichte Transport aus den ſüd - lichen und öſtlichen Häfen des Mittelmeeres und die Gunſt des italieniſchen Klimas machten es möglich die mächtigſten Thiere des Südens anzukaufen oder von den Sultanen als Geſchenk anzunehmen. Vor Allem hielten Städte und Fürſten gern lebendige Löwen, auch wenn der Löwe nicht gerade das Wappenthier war wie in Florenz1)Als ſolcher heißt er hier, gemalt oder in Stein gehauen, marzocco. — In Piſa unterhielt man Adler, vgl. die Ausleger zu Dante, Inferno XXXIII, 22.. Die Lö - wengruben befanden ſich in oder bei den Staatspaläſten, ſo in Perugia und in Florenz; diejenige in Rom lag am Abhang des Capitols. Dieſe Thiere dienten nämlich bis - weilen als Vollſtrecker politiſcher Urtheile2)S. das Excerpt aus Aegid. Viterb. bei Papencordt, Geſch. der Stadt Rom im Mittelalter, S. 367, Anm. mit einem Ereigniß von 1328. — Kämpfe der wilden Thiere unter einander und gegen Hunde dienten bei großen Anläßen zur Beluſtigung des Volkes. Beim Empfang Pius II. und des Galeazzo Maria Sforza zu Flo - renz 1459 ließ man auf dem Signorenplatz in einem geſchloſſenen Raum Stiere, Pferde, Eber, Hunde, Löwen und eine Girafe zuſam - men auftreten, aber die Löwen legten ſich hin und wollten die andern Thiere nicht angreifen. Vgl. Ricordi di Firenze, Rer. ital. und hielten wohl289 auch ſonſt einen gewiſſen Schrecken unter dem Volke wach. 4. Abſchnitt. Außerdem galt ihr Verhalten als vorbedeutungsvoll; na - mentlich war ihre Fruchtbarkeit ein Zeichen allgemeinen Gedeihens, und auch ein Giovanni Villani verſchmäht es nicht anzumerken, daß er bei einem Wurf der Löwin zu - gegen geweſen1)Gio. Villani X, 185. XI, 66. Matteo Villani III, 90. V. 68. — Wenn die Löwen ſtritten oder gar einander tödteten, ſo galt dieß als ſchlimmes Omen. Vgl. Varchi, stor. fiorent. III, p. 143.. Die Jungen pflegte man zum Theil an befreundete Städte und Tyrannen zu verſchenken, auch an Condottieren als Preis der Tapferkeit2)Cron. di Perugia, arch. stor. XVI, II, p. 77. Zum J. 1497. — Den Peruginern entwiſchte einmal ihr Löwenpaar, ibid. XVI, I, p. 382, zum J. 1434.. Außerdem hielten die Florentiner ſchon ſehr früh Leoparden, für welche ein beſonderer Leopardenmeiſter unterhalten wurde3)Gaye, Carteggio I, p. 422, zum J. 1291. — Die Visconti brauchten ſogar abgerichtete Leoparden als Jagdthiere, und zwar auf Haſen, die man durch kleine Hunde auftreiben ließ. Vgl. v. Ko - bell, Wildanger, S. 247, wo auch ſpätere Beiſpiele der Jagd mit Leoparden verzeichnet ſind.. Borſo von Ferrara4)Strozii poetae, p. 146. Vgl. p. 188 und über den Wildpark p. 193. ließ ſeinen Löwen mit Stieren, Bären und Wildſchweinen kämpfen.
Zu Ende des XV. Jahrhunderts aber gab es ſchonals Wappen - zeichen, Jagd - thiere und Cu - rioſitäten. an mehrern Fürſtenhöfen wahre Menagerien (Serragli), als Sache des ſtandesgemäßen Luxus. „ Zu der Pracht2)scriptt. ex florent. codd. T. II, Col. 741. Abweichend hievon Vita Pii II, Murat. III, II, Col. 976. Eine zweite Girafe ſchenkte ſpäter der Mamelukenſultan Kaytbey an Lorenzo magnifico. Vgl. Paul. Jov. Vita Leonis X, L. I. Sonſt war von der Mena - gerie Lorenzo's beſonders ein prächtiger Löwe berühmt, deſſen Zer - fleiſchung durch die andern Löwen als Vorzeichen von Lorenzo's Tode galt.Cultur der Renaiſſance. 192904. Abſchnitt. „ eines Herrn, ſagt Matarazzo1)Cron. di Perugia, l. c. XVI, II, p. 199. — Aehnliches ſchon bei Petrarca, de rem ed. utriusque fortunae, I, 61, doch noch weniger deutlich ausgeſprochen., gehören Pferde, Hunde, „ Maulthiere, Sperber u. a. Vögel, Hofnarren, Sänger und „ fremde Thiere. “ Die Menagerie von Neapel enthielt unter Ferrante u. a. eine Girafe und ein Zebra, Geſchenke des damaligen Fürſten von Bagdad wie es ſcheint2)Jovian. Pontan. de magnificentia. — Im Thiergarten des Car - dinals von Aquileja zu Albano fanden ſich 1463 außer Pfauen und indiſchen Hühnern auch ſyriſche Ziegen mit langen Ohren. Pii II. comment., L. XI, p. 562, s. . Filippo Maria Visconti beſaß nicht nur Pferde, die mit 500, ja 1000 Goldſtücken bezahlt wurden und koſtbare engliſche Hunde, ſondern auch viele Leoparden, welche aus dem ganzen Orient zuſammengebracht waren; die Pflege ſeiner Jagd - vögel, die er aus dem Norden zuſammenſuchen ließ, koſtete monatlich 3000 Goldſtücke3)Decembrio, ap. Murat. XX, Col. 1012.. König Emanuel der Große von Portugal wußte wohl was er that, als er an Leo X. einen Elephanten und ein Rhinoceros ſchickte4)Das Nähere, recht ergötzlich, in Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Triſtanus Acunius.. Inzwiſchen war bereits der Grund zu einer wiſſenſchaftlichen Zoologie ſo gut wie zur Botanik gelegt worden.
Geſtüte.Eine practiſche Seite der Thierkunde entwickelte ſich dann in den Geſtüten, von welchen das mantuaniſche unter Francesco Gonzaga als das erſte in Europa galt5)Ebenda, bei Anlaß des Franc. Gonzaga. — Der mailändiſche Luxus in Pferderacen, Bandello, Parte II, Nov. 3 und 8. — Auch in den erzählenden Gedichten hört man bisweilen den Pferdekenner ſprechen. Vgl. Pulci, il Morgante, c. XV, str. 105, s. . Die vergleichende Schätzung der Pferderacen iſt wohl ſo alt als das Reiten überhaupt und die künſtliche Erzeugung von Miſchracen muß namentlich ſeit den Kreuzzügen üblich ge -291 weſen ſein; für Italien aber waren die Ehrengewinnſte bei4. Abſchnitt. den Pferderennen aller irgend bedeutenden Städte der ſtärkſte Beweggrund, möglichſt raſche Pferde hervorzubringen. Im mantuaniſchen Geſtüt wuchſen die unfehlbaren Gewinner dieſer Art, außerdem aber auch die edelſten Streitroſſe und überhaupt Pferde, welche unter allen Geſchenken an große Herrn als das fürſtlichſte erſchienen. Der Gonzaga hatte Hengſte und Stuten aus Spanien und Irland wie aus Africa, Thracien und Cilicien; um letzterer willen unter - hielt er Verkehr und Freundſchaft mit den Großſultanen. Alle Varietäten wurden hier verſucht um das Trefflichſte hervorzubringen.
Aber auch an einer Menſchenmenagerie fehlte es nicht;Menſchenracen. der bekannte Cardinal Ippolito Medici1)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Hippol. Medices., Baſtard des Giuliano, Herzogs von Nemours, hielt an ſeinem wunder - lichen Hofe eine Schaar von Barbaren, welche mehr als zwanzig verſchiedene Sprachen redeten und Jeder in ſeiner Art und Race ausgezeichnet waren. Da fand man un - gleichliche Voltigeurs von edlem nordafricaniſchem Mauren - geblüt, tatariſche Bogenſchützen, ſchwarze Ringer, indiſche Taucher, Türken, welche hauptſächlich auf der Jagd die Begleiter des Cardinals waren. Als ihn ſein frühes Schick - ſal (1535) ereilte, trug dieſe bunte Schaar die Leiche auf den Schultern von Itri nach Rom und miſchte in die all - gemeine Trauer der Stadt um den freigebigen Herrn ihre vielſprachige, von heftigen Geberden begleitete Todtenklage2)Bei dieſem Anlaß mögen einige Notizen über die Sklaverei in Ita - lien zur Zeit der Renaiſſance ihre Stelle finden. Kurze Hauptſtelle bei Jovian. Pontan. de obedientia L. III: In Oberitalien gab es keine Sklaven; ſonſt kaufte man auch Chriſten aus dem türkiſchen Reich, auch Bulgaren und Circaſſier und ließ ſie dienen bis ſie die Kaufſumme abverdient hatten. Die Neger dagegen blieben Sklaven, nur durſte man ſie, wenigſtens im Reich Neapel, nicht caſtriren. — Moro[bezeichnet] alle dunkelfarbigen; der Neger heißt Moro nero. .
19*2924. Abſchnitt. Dieſe zerſtreuten Notizen über das Verhältniß der Italiener zur Naturwiſſenſchaft und ihre Theilnahme für das Verſchiedene und Reiche in den Producten der Natur ſollen nur zeigen, welcher Lücke der Verfaſſer ſich an dieſer Stelle bewußt iſt. Von den Specialwerken, welche dieſelbe überreichlich ausfüllen würden, ſind ihm kaum die Namen genügend bekannt.
Entdeckung der landſchaftlichen Schönheit.Allein außer dem Forſchen und Wiſſen gab es noch eine andere Art, der Natur nahe zu treten, und zwar zu - nächſt in einem beſondern Sinne. Die Italiener ſind die frühſten unter den Modernen, welche die Geſtalt der Land -2)— Fabroni, Cosmus, Adn. 110: Act über den Verkauf einer circaſſiſchen Sklavin (1427); — Adn. 141: Verzeichniß der Skla - vinnen des Coſimo. — Nantiporto, bei Murat. III, II, Col. 1106: Innocenz VIII. erhält hundert Mori als Geſchenk von Ferdinand d. Kathol. und verſchenkt ſie weiter an Cardinäle u. a. Herrn (1488). — Maſſuccio, Novelle 14: Verkäuflichkeit von Sklaven; — 24 u. 25: Negerſklaven die zugleich (zum Nutzen ihrer Herrn?) als facchini arbeiten; — 48: Catalanen fangen tuneſiſche Mori und verkaufen ſie in Piſa. — Gaye, carteggio I, 360: Manumiſſion und Be - ſchenkung eines Negerſklaven in einem florentin. Teſtament (1490). — Paul. Jov. Elogia, sub Franc. Sfortia, — Porzio, congiura, III, 194 — und Comines, Charles VIII, chap. 17: Neger als beſtellte Henker und Kerkermeiſter des Hauſes Aragon in Neapel. — Paul. Jov. Elog., sub Galeatio: Neger als Begleiter von Fürſten bei Ausgängen. — Aeneæ Sylvii opera, p. 456: Neger - ſklave als Muſikant. — Paul. Jov. de piscibus, cap. 3: ein (freier?) Neger als Schwimmlehrer und Taucher in Genua. — Alex. Benedictus, de Carolo VIII, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1608: ein Neger (Aethiops) als höherer venezianiſcher Offi - zier, wonach auch Othello als Neger gefaßt werden kann. — Ban - dello, Parte III, Nov. 21: Wenn ein Sklave in Genua Züchti - gung verdient, wird er nach den Balearen, und zwar nach Iviza zum Salztragen verkauft.293 ſchaft als etwas mehr oder weniger Schönes wahrgenom -4. Abſchnitt. men und genoſſen haben1)Es iſt kaum nöthig, auf die berühmte Darſtellung dieſes Gegenſtan - des im zweiten Bande von Humboldt's Kosmos zu verweiſen..
Dieſe Fähigkeit iſt immer das Reſultat langer, com - plicirter Culturproceſſe, und ihr Entſtehen läßt ſich ſchwer verfolgen, indem ein verhülltes Gefühl dieſer Art lange vorhanden ſein kann, ehe es ſich in Dichtung und Malerei verrathen, und damit ſeiner ſelbſt bewußt werden wird. Bei den Alten z. B. waren Kunſt und Poeſie mit dem ganzen Menſchenleben gewiſſermaßen fertig, ehe ſie an die landſchaftliche Darſtellung gingen und dieſe blieb immer nur eine beſchränkte Gattung, während doch von Homer an der ſtarke Eindruck der Natur auf den Menſchen aus zahlloſen einzelnen Worten und Verſen hervorleuchtet. Sodann waren die germaniſchen Stämme, welche auf dem Boden des römiſchen Reiches ihre Herrſchaften gründeten, von Hauſe aus im höchſten Sinne ausgerüſtet zur Erkennt - niß des Geiſtes in der landſchaftlichen Natur, und wenn ſie auch das Chriſtenthum eine Zeitlang nöthigte, in den bisher verehrten Quellen und Bergen, in See und Wald das Antlitz falſcher Dämonen zu ahnen, ſo war doch dieſes Durchgangsſtadium ohne Zweifel bald überwunden. Auf der Höhe des Mittelalters um das Jahr 1200, exiſtirtDie Landſchaft im Mittelalter. wieder ein völlig naiver Genuß der äußern Welt und giebt ſich lebendig zu erkennen bei den Minnedichtern der ver - ſchiedenen Nationen2)Hieher gehören bei Humboldt a. a. O. die Mittheilungen von Wilhelm Grimm.. Dieſelben verrathen das ſtärkſte Mitleben in den einfachſten Erſcheinungen, als da ſind der Frühling und ſeine Blumen, die grüne Heide und der Wald. Aber es iſt lauter Vordergrund ohne Ferne, ſelbſt noch in dem beſondern Sinne, daß die weitgereisten Kreuz - fahrer ſich in ihren Liedern kaum als ſolche verrathen. 2944. Abſchnitt. Auch die epiſche Poeſie, welche z. B. Trachten und Waffen ſo genau bezeichnet, bleibt in der Schilderung der Oert - lichkeit ſkizzenhaft und der große Wolfram von Eſchenbach erweckt kaum irgend ein genügendes Bild von der Scene, auf welcher ſeine handelnden Perſonen ſich bewegen. Aus den Geſängen würde vollends Niemand errathen, daß dieſer dichtende Adel aller Länder tauſend hochgelegene, weit - ſchauende Schlöſſer bewohnte oder beſuchte und kannte. Auch in jenen lateiniſchen Dichtungen der fahrenden Cle - riker (S. 174) fehlt noch der Blick in die Ferne, die eigentliche Landſchaft, aber die Nähe wird bisweilen mit einer ſo glühenden Farbenpracht geſchildert, wie ſie vielleicht kein ritterlicher Minnedichter wiedergiebt. Oder exiſtirt noch eine Schilderung vom Haine des Amor wie bei jenem, wie wir annehmen, italieniſchen Dichter des XII. Jahrhunderts?
Für Italiener jedenfalls iſt die Natur längſt entſündigt und von jeder dämoniſchen Einwirkung befreit. San Fran - cesco von Aſſiſi preist in ſeinem Sonnenhymnus den Herrn ganz harmlos um der Schöpfung der Himmelslichter und der vier Elemente willen.
Dante.Aber die feſten Beweiſe für eine tiefere Wirkung großer landſchaftlicher Anblicke auf das Gemüth beginnen mit Dante. Er ſchildert nicht nur überzeugend in wenigen Zeilen die Morgenlüfte mit dem fernzitternden Licht des ſanft bewegten Meeres, den Sturm im Walde, u. dgl.,295 ſondern er beſteigt hohe Berge in der einzig möglichen Ab -4. Abſchnitt. ſicht, den Fernblick zu genießen1)Man wird ſchwer errathen, was er ſonſt auf dem Gipfel der Bis - mantova, im Gebiet von Reggio, könnte zu thun gehabt haben. Purgat. IV, 26. Schon die Präciſion, womit er alle Theile ſeines Jenſeits zu verdeutlichen ſucht, beweist vielen Raum - und Formenſinn.; vielleicht ſeit dem Alter - thum einer der erſten, der dieß gethan hat. Boccaccio läßt mehr errathen, als daß er es ſchilderte, wie ihn die Land - ſchaft ergreift, doch wird man in ſeinen Hirtenromanen2)Außer der Schilderung von Bajae in der Fiammetta, von dem Hain im Ameto ꝛc. iſt eine Stelle de Genealogia Deor. XIV, 11 von Bedeutung, wo er eine Anzahl landſchaftlicher Einzelheiten, Bäume, Wieſen, Bäche, Heerden, Hütten ꝛc., aufzählt und beifügt, dieſe Dinge animum mulcent; ihre Wirkung ſei, mentem in se col - ligere. die wenigſtens in ſeiner Phantaſie vorhandene mächtige Naturſcenerie nicht verkennen. Vollſtändig und mit größter Entſchiedenheit bezeugt dann Petrarca, einer der frühſten völlig modernen Menſchen, die Bedeutung der Landſchaft für die erregbare Seele. Der lichte Geiſt, welcher zuerſt aus allen Literaturen die Anfänge und Fortſchritte des maleriſchen Naturſinnes zuſammengeſucht und in den „ An - ſichten der Natur “ſelber das höchſte Meiſterwerk der Schil - derung vollbracht hat, Alexander von Humboldt, iſt gegen Petrarca nicht völlig gerecht geweſen, ſo daß uns nach dem großen Schnitter noch eine kleine Aehrenleſe übrig bleibt.
Petrarca war nämlich nicht bloß ein bedeutender Geo -Petrarca. graph und Chartograph — die frühſte Karte von Italien3)Libri, hist. des sciences math. II, p. 249. ſoll er haben entwerfen laſſen — er wiederholte auch nicht bloß was die Alten geſagt hatten4)Obwohl er ſich gern auf ſie beruft, z. B.: de vita solitaria, beſ. p. 241, wo er die Beſchreibung einer Weinlaube aus S. Auguſtin citirt., ſondern der Anblick der Natur traf ihn unmittelbar. Der Naturgenuß iſt für ihn der erwünſchteſte Begleiter jeder geiſtigen Beſchäftigung;2964. Abſchnitt. auf der Verflechtung beider beruht ſein gelehrtes Anacho - retenleben in Vaucluſe und anderswo, ſeine periodiſche Flucht aus Zeit und Welt1)Epist. famil. VII, 4, p. 675. Interea utinam scire posses, quanta cum voluptate solivagus ac liber, inter montes et nemora, inter fontes et flumina, inter libros et maximorum hominum ingenia respiro, quamque me in ea, quæ ante sunt, cum Apostolo extendens et præterita oblivisci nitor et præ - sentia non videre. Vgl. VI, 3, p. 665.. Man würde ihm Unrecht thun, wenn man aus ſeinem noch ſchwachen und wenig entwickelten Vermögen des landſchaftlichen Schilderns auf einen Mangel an Empfindung ſchließen wollte. Seine Beſchreibung des wunderbaren Golfes von Spezzia und Porto Venere z. B., die er deßhalb am Ende des VI. Geſanges der „ Africa “einlegt, weil ſie bis jetzt weder von Alten noch von Neuern beſungen worden2)Jacuit sine carmine sacro. — Vgl. Itinerar. syriacum, p. 558., iſt allerdings eine bloße Aufzählung. Aber derſelbe Petrarca kennt doch bereits die Schönheit von Felsbildungen und weiß überhaupt die maleriſche Be - deutung einer Landſchaft von der Nutzbarkeit zu trennen3)Er unterſcheidet im Itinerar. syr. p. 557, an der Riviera di Le - vante: colles asperitate gratissima et mira fertilitate conspicuos. Ueber das Geſtade von Gaeta vgl. de remediis utriusque fort. I, 54.. Bei ſeinem Aufenthalt in den Wäldern von Reggio wirkt der plötzliche Anblick einer großartigen Landſchaft ſo auf ihn, daß er ein längſtunterbrochenes Gedicht wieder fort - ſetzt4)De orig. et vita, p. 3: subito loci specie percussus. . Die wahrſte und tiefſte Aufregung aber kömmtBerg - beſteigung. über ihn bei der Beſteigung des Mont Ventoux unweit Avignon5)Epist. famil. IV, 1, p. 624.. Ein unbeſtimmter Drang nach einer weiten Rundſicht ſteigert ſich in ihm aufs Höchſte, bis endlich das zufällige Treffen jener Stelle im Livius, wo König Philipp der Römerfeind den Hämus beſteigt, den Entſcheid giebt. 297Er denkt: was an einem königlichen Greiſe nicht getadelt4. Abſchnitt. werde, ſei auch bei einem jungen Manne aus dem Privat - ſtande wohl zu entſchuldigen. Planloſes Bergſteigen war nämlich in ſeiner Umgebung etwas Unerhörtes und an die Begleitung von Freunden oder Bekannten war nicht zu denken. Petrarca nahm nur ſeinen jüngern Bruder und vom letzten Raſtort aus zwei Landleute mit. Am Gebirge beſchwor ſie ein alter Hirte umzukehren; er habe vor fünf - zig Jahren daſſelbe verſucht und nichts als Reue, zerſchlagene Glieder und zerfetzte Kleider heimgebracht; vorher und ſeit - dem habe ſich Niemand mehr des Weges unterſtanden. Allein ſie dringen mit unſäglicher Mühe weiter empor, bis die Wolken unter ihren Füßen ſchweben, und erreichen den Gipfel. Eine Beſchreibung der Ausſicht erwartet man nun allerdings vergebens, aber nicht weil der Dichter dagegen unempfindlich wäre, ſondern im Gegentheil, weil der Ein - druck allzugewaltig auf ihn wirkt. Vor ſeine Seele tritt ſein ganzes vergangenes Leben mit allen Thorheiten; er erinnert ſich, daß es heut zehn Jahre ſind, ſeit er jung aus Bologna gezogen, und wendet einen ſehnſüchtigen Blick in der Richtung gen Italien hin; er ſchlägt ein Büchlein auf, das damals ſein Begleiter war, die Bekenntniſſe des heil. Auguſtin — allein ſiehe, ſein Auge fällt auf die Stelle im zehnten Abſchnitt: „ und da gehen die Menſchen „ hin und bewundern hohe Berge und weite Meeresfluthen „ und mächtig daherrauſchende Ströme und den Ocean und „ den Lauf der Geſtirne und verlaſſen ſich ſelbſt darob “. Sein Bruder, dem er dieſe Worte vorliest, kann nicht be - greifen, warum er hierauf das Buch ſchließt und ſchweigt.
Einige Jahrzehnde ſpäter, um 1360, ſchildert FazioDer Dittamondo. degli Uberti in ſeiner gereimten Cosmographie1)Il Dittamondo, III, cap. 9. (S. 177) die weite Ausſicht vom Gebirge Alvernia zwar nur mit der Theilnahme des Geographen und Antiquars, doch deutlich2984. Abſchnitt. als eine wirklich von ihm geſehene. Er muß aber noch viel höhere Gipfel erſtiegen haben, da er Phänomene kennt, die ſich erſt mit mehr als 10,000 Fuß über Meer einſtellen, das Blutwallen, Augendrücken und Herzklopfen, wogegen ſein mythiſcher Gefährte Solinus durch einen Schwamm mit einer Eſſenz Hülfe ſchafft. Die Beſteigungen des Par - naſſes und des Olymp1)Dittamondo, III, cap. 21. IV, cap. 4. — Papencordt, Geſch. der Stadt Rom, S. 426, ſagt, daß Kaiſer Carl IV. vielen Sinn für ſchöne Gegenden gehabt habe und citirt hiezu Pelzel, Carl IV, S. 456. (Die beiden andern Citate, die er anführt, ſagen dieß nicht) Es wäre möglich, daß dergleichen dem Kaiſer durch ſeinen Umgang mit den Humaniſten angeflogen wäre., von welchen er ſpricht, mögen freilich bloße Fictionen ſein.
Mit dem XV. Jahrhundert rauben dann auf einmal die großen Meiſter der flandriſchen Schule, Hubert und Johann van Eyck, der Natur ihr Bild. Und zwar iſt ihre Landſchaft nicht bloß Conſequenz ihres allgemeinen Strebens, einen Schein der Wirklichkeit hervorzubringen, ſondern ſie hat bereits einen ſelbſtändigen poetiſchen Gehalt, eine Seele, wenn auch nur in befangener Weiſe. Der Eindruck der - ſelben auf die ganze abendländiſche Kunſt iſt unläugbar, und ſo blieb auch die italieniſche Landſchaftmalerei davon nicht unberührt. Allein daneben geht das eigenthümliche Intereſſe des gebildeten italieniſchen Auges für die Land - ſchaft ſeinen eigenen Weg.
Aen. Sylvius und die Land - ſchaft.Wie in der wiſſenſchaftlichen Cosmographik ſo iſt auch hier Aeneas Sylvius eine der wichtigſten Stimmen der Zeit. Man könnte den Menſchen Aeneas völlig Preis ge - ben und müßte gleichwohl dabei geſtehen, daß in wenigen Andern das Bild der Zeit und ihrer Geiſtescultur ſich ſo vollſtändig und lebendig ſpiegelte, daß wenige Andere dem Normalmenſchen der Frührenaiſſance ſo nahe kommen. Uebrigens wird man ihn auch in moraliſcher Beziehung, beiläufig geſagt, nicht ganz billig beurtheilen, wenn man299 einſeitig die Beſchwerden der mit Hülfe ſeiner Wandelbar -4. Abſchnitt. keit um ihr Concil betrogenen deutſchen Kirche zum Aus - gangspunct nimmt1)Auch dürfte man wohl Platina, vitæ Pontiff., p. 310 anhören: Homo fuit (Pius II. ) verus, integer, apertus; nil habuit ficti, nil simulati, ein Feind der Heuchelei und des Aberglaubens, muthig, conſequent..
Hier intereſſirt er uns als der erſte, welcher die Herr - lichkeit der italieniſchen Landſchaft nicht bloß genoſſen ſon - dern mit Begeiſterung bis ins Einzelne geſchildert hat. Den Kirchenſtaat und das ſüdliche Toscana (ſeine Heimath) kannte er beſonders genau, und als er Papſt wurde, wandte er ſeine Muße in der guten Jahreszeit weſentlich auf Aus - flüge und Landaufenthalte. Jetzt wenigſtens hatte der längſt podagriſche Mann die Mittel, ſich auf dem Tragſeſſel über Berg und Thal bringen zu laſſen, und wenn man die Ge - nüſſe der folgenden Päpſte damit vergleicht, ſo erſcheint Pius, deſſen höchſte Freude Natur, Alterthum und mäßige, aber edelzierliche Bauten waren, wie ein halber Heiliger. In dem ſchönen lebendigen Latein ſeiner Commentarien legt er ganz unbefangen das Zeugniß ſeines Glückes nieder2)Die bedeutendſten Stellen ſind folgende. Pii II. P. M. Commen - tarii. L. IV, p. 183: Der Frühling in der Heimath. L. V, p. 251: Der Sommeraufenthalt in Tibur. L. VI, 306: Das Mahl an der Quelle von Vicovaro. L. VIII, p. 378: Die Um - gegend von Viterbo. p. 387: Das Bergkloſter S. Martino. p. 388: Der See von Bolſena. L. IX, p. 396: Die herrliche Schilderung von Monte Amiata. L. X, p. 483: Die Lage von Monteoliveto. p. 497: Die Ausſicht von Todi. L. XI, p. 554: Oſtia und Porto. p. 562: Beſchreibung des Albanergebirges. L. XII, p. 609: Frascati und Grottaferrata..
Sein Auge erſcheint ſo vielſeitig gebildet als dasjenigeSeine Fernſich - ten, irgend eines modernen Menſchen. Er genießt mit Ent - zücken die große panoramatiſche Pracht der Ausſicht vom höchſten Gipfel des Albanergebirges, dem Monte Cavo, von wo er das Geſtade der Kirche von Terracina und dem3004. Abſchnitt. Vorgebirg der Circe bis nach Monte Argentaro überſchaut, und das weite Land mit all den Ruinenſtädten der Urzeit, mit den Bergzügen Mittelitaliens, mit dem Blick auf die in der Tiefe ringsum grünenden Wälder und die nahe ſcheinenden Seen des Gebirges. Er empfindet die Schön - heit der Lage von Todi, wie es thront über ſeinen Wein - bergen und Oelhalden, mit dem Blick auf ferne Wälder und auf das Tiberthal, wo die vielen Caſtelle und Städt - chen über dem ſchlängelnden Fluß ragen. Das reizende Hügelland um Siena mit ſeinen Villen und Klöſtern auf allen Höhen iſt freilich ſeine Heimath, und ſeine Schilde - rung zeigt eine beſondere Vorliebe. Aber auch das einzelneund Anſichten. maleriſche Motiv im engern Sinne beglückt ihn, wie z. B. jene in den Bolſener See vortretende Landzunge Capo di Monte: „ Felstreppen, von Weinlaub beſchattet, führen ſteil „ nieder ans Geſtade, wo zwiſchen den Klippen die immer - „ grünen Eichen ſtehen, ſtets belebt vom Geſang der Droſſeln “. Auf dem Wege rings um den See von Nemi, unter den Caſtanien und andern Fruchtbäumen fühlt er, daß hier wenn irgendwo das Gemüth eines Dichters erwachen müßte, hier in „ Dianens Verſteck “. Oft und viel hat er Con - ſiſtorium und Segnatura gehalten oder Geſandte angehört unter alten Rieſencaſtanien, oder unter Oelbäumen, auf grüner Wieſe, neben ſprudelnden Gewäſſern. Einem An - blick wie der einer ſich verengenden Waldſchlucht mit einer kühn darüber gewölbten Brücke gewinnt er ſofort ſeine hohe Bedeutung ab. Auch das Einzelſte erfreut ihn dann wieder durch ſeine ſchöne oder vollſtändig ausgebildete und characteriſtiſche Erſcheinung: die blauwogenden Flachsfelder, der gelbe Ginſter, welcher die Hügel überzieht, ſelbſt das wilde Geſtrüpp jeder Art, und ebenſo einzelne prächtige Bäume und Quellen, die ihm wie Naturwunder erſcheinen.
Monte Amiata.Den Gipfel ſeines landſchaftlichen Schwelgens bildet ſein Aufenthalt auf dem Monte Amiata im Sommer 1462, als Peſt und Gluthhitze die Tieflande ſchrecklich machten. 301In der halben Höhe des Berges, in dem alten langobar -4. Abſchnitt. diſchen Kloſter San Salvatore ſchlug er mit der Curie ſein Quartier auf: dort, zwiſchen Caſtanien über dem ſchroffen Abhang, überſchaut man das ganze ſüdliche Toscana und ſieht in der Ferne die Thürme von Siena. Die Erſteigung der höchſten Spitze überließ er ſeinen Begleitern, zu welchen ſich auch der venezianiſche Orator geſellte; ſie fanden oben zwei gewaltige Steinblöcke übereinander, vielleicht die Opfer - ſtätte eines Urvolkes, und glaubten über dem Meere in weiter Ferne auch Corſica und Sardinien1)So muß es wohl heißen ſtatt: Sicilien. zu entdecken. In der herrlichen Sommerkühle, zwiſchen den alten Eichen und Caſtanien, auf dem friſchen Raſen wo kein Dorn den Fuß ritzte, kein Inſect und keine Schlange ſich läſtig oder gefährlich machte, genoß der Papſt der glücklichſten Stim - mung; für die Segnatura, welche an beſtimmten Wochen - tagen ſtattfand, ſuchte er jedesmal neue ſchattige Plätze2)Er nennt ſich ſelbſt mit Anſpielung auf ſeinen Namen: Silvarum amator et varia videndi cupidus. auf — „ novos in convallibus fontes et novas inve - „ niens umbras, quæ dubiam facerent electionem “. Dabei geſchah es wohl, daß die Hunde einen gewaltigen Hirſch aus ſeinem nahen Lager aufjagten, den man mit Klauen und Geweih ſich vertheidigen und bergaufwärts fliehen ſah. Des Abends pflegte der Papſt vor dem Kloſter zu ſitzen an der Stelle, von wo man in das Thal der Paglia niederſchaut, und mit den Cardinälen heitere Ge - ſpräche zu führen. Curialen, die ſich auf der Jagd ab - wärts wagten, fanden unten die Hitze unleidlich und alles verbrannt, eine wahre Hölle, während das Kloſter in ſeiner grünen, kühlen Umgebung eine Wohnung der Seligen ſchien.
Dieß iſt lauter weſentlich moderner Genuß, nicht Ein - wirkung des Alterthums. So gewiß die Alten ähnlich3024. Abſchnitt empfanden, ſo gewiß hätten doch die ſpärlichen Ausſagen hierüber, welche Pius kennen mochte, nicht hingereicht um in ihm eine ſolche Begeiſterung zu entzünden1)Ueber Leonbattiſta Alberti's Verhältniß zur Landſchaft vgl. S. 140 f..
Spätere Zeug - niſſe.Die nun folgende zweite Blüthezeit der italieniſchen Poeſie zu Ende des XV. und zu Anfang des XVI. Jahr - hunderts nebſt der gleichzeitigen lateiniſchen Dichtung iſt reich an Beweiſen für die ſtarke Wirkung der landſchaft - lichen Umgebung auf das Gemüth, wie der erſte Blick auf die damaligen Lyriker lehren mag. Eigentliche Beſchrei - bungen großer landſchaftlicher Anblicke aber finden ſich deß - halb kaum, weil Lyrik, Epos und Novelle in dieſer ener - giſchen Zeit anderes zu thun haben. Bojardo und Arioſto zeichnen ihre Naturſcenerie ſehr entſchieden, aber ſo kurz als möglich, ohne ſie je durch Fernen und große Perſpectiven zur Stimmung beitragen zu laſſen2)Das ausgeführteſte Bild dieſer Art bei Arioſto, ſein ſechster Geſang, beſteht aus lauter Vordergrund., denn dieſe liegt ausſchließlich in den Geſtalten und Ereigniſſen. Beſchau - liche Dialogenſchreiber3)Agnolo Pandolfini (Trattato del gov. della famiglia, p. 90), noch ein Zeitgenoſſe des Aeneas, freut ſich auf dem Lande „ der „ buſchigen Hügel, der reizvollen Ebenen und der rauſchenden Ge - „ wäſſer “, aber vielleicht iſt unter ſeinem Namen der große Alberti verborgen, der, wie bemerkt, noch ein ganz anderes Verhältniß zur Landſchaft hatte. und Epiſtolographen können viel eher eine Quelle für das wachſende Naturgefühl ſein als Dichter. Merkwürdig bewußt hält z. B. Bandello die Ge - ſetze ſeiner Literaturgattung feſt: in den Novellen ſelbſt kein Wort mehr als das Nothwendigſte über die Natur - umgebung4)Ueber die architectoniſche Umgebung denkt er anders, und hier kann auch die Decoration noch von ihm lernen., in den jedesmal vorangehenden Widmungen dagegen mehrmals eine behagliche Schilderung derſelben als Scene von Geſpräch und Geſelligkeit. Von den Brief -303 ſchreibern iſt leider Aretino1)Lettere pittoriche III, 36. An Tizian, Mai 1544. zu nennen als derjenige,4. Abſchnitt. welcher vielleicht zuerſt einen prachtvollen abendlichen Licht - und Wolkeneffect umſtändlich in Worte gefaßt hat.
Doch auch bei Dichtern kommt bisweilen eine merk -Genreland - ſchaft. würdige Verflechtung ihres Gefühlslebens mit einer liebe - voll und zwar genrehaft geſchilderten Naturumgebung vor. Tito Strozza beſchreibt in einer lateiniſchen Elegie2)Strozii poetæ, in den Erotica, L. VI, p. 182, s. (um 1480) den Aufenthalt ſeiner Geliebten: ein altes, von Epheu umzogenes Häuschen mit verwitterten Heiligenfresken, in Bäumen verſteckt, daneben eine Capelle, übel zugerichtet von den reißenden Hochwaſſern des hart vorbei ſtrömenden Po; in der Nähe ackert der Caplan ſeine ſieben magern Juch - arten mit entlehntem Geſpann. Dieß iſt keine Reminiscenz aus den römiſchen Elegikern, ſondern eigene moderne Empfindung, und die Parallele dazu, eine wahre, nicht künſtlich bucoliſche Schilderung des Landlebens, wird uns zu Ende dieſes Abſchnitts auch nicht fehlen.
Man könnte nun einwenden, daß unſere deutſchen Meiſter des beginnenden XVI. Jahrhunderts ſolche rea - liſtiſche Umgebungen des Menſchenlebens bisweilen mit vollſter Meiſterſchaft darſtellen, wie z. B. Albrecht Dürer in ſeinem Kupferſtich des verlorenen Sohnes. Aber es ſind zwei ganz verſchiedene Dinge, ob ein Maler, der mit dem Realismus großgewachſen, ſolche Scenerien beifügt, oder ob ein Dichter, der ſich ſonſt ideal und mythologiſch drapirt, aus innerm Drange in die Wirklichkeit niederſteigt. Ueberdieß iſt die zeitliche Priorität hier wie bei den Schil - derungen des Landlebens auf der Seite der italieniſchen Dichter.
Zu der Entdeckung der Welt fügt die Cultur derEntdeckung des Menſchen. Renaiſſance eine noch größere Leiſtung, indem ſie zuerſt den3044. Abſchnitt. ganzen, vollen Gehalt des Menſchen entdeckt und zu Tage fördert.
Zunächſt entwickelt dieß Weltalter, wie wir ſahen, auf das Stärkſte den Individualismus; dann leitet es den - ſelben zur eifrigſten, vielſeitigſten Erkenntniß des Indivi - duellen auf allen Stufen an. Die Entwicklung der Per - ſönlichkeit iſt weſentlich an das Erkennen derſelben bei ſich und Andern gebunden. Zwiſchen beide große Erſcheinungen hinein haben wir die Einwirkung der antiken Literatur deßhalb verſetzen müſſen, weil die Art des Erkennens und Schilderns des Individuellen wie des allgemein Menſchlichen weſentlich durch dieſes Medium gefärbt und beſtimmt wird. Die Kraft des Erkennens aber lag in der Zeit und in der Nation.
Die beweiſenden Phänomene, auf welche wir uns be - rufen, werden wenige ſein. Wenn irgendwo im Verlauf dieſer Darſtellung, ſo hat der Verfaſſer hier das Gefühl, daß er das bedenkliche Gebiet der Ahnung betreten hat und daß, was ihm als zarter, doch deutlicher Farbenübergang in der geiſtigen Geſchichte des XIV. und XV. Jahrhunderts vor Augen ſchwebt, von Andern doch ſchwerlich mag als Thatſache anerkannt werden. Dieſes allmälige Durchſichtig - werden einer Volksſeele iſt eine Erſcheinung, welche jedem Beſchauer anders vorkommen mag. Die Zeit wird ſichten und richten.
Temperamente und Planeten.Glücklicherweiſe begann die Erkenntniß des geiſtigen Weſens des Menſchen nicht mit dem Grübeln nach einer theoretiſchen Pſychologie, — denn dafür genügte Ariſtoteles — ſondern mit der Gabe der Beobachtung und der Schilderung. Der unerläßliche theoretiſche Ballaſt beſchränkt ſich auf die Lehre von den vier Temperamenten in ihrer damals üblichen Verbindung mit dem Dogma vom Einfluß der Planeten. Dieſe ſtarren Elemente behaupten ſich als unauflöslich ſeit unvordenklichen Zeiten in der Beurtheilung der Einzel - menſchen, ohne weiter dem großen allgemeinen Fortſchritt305 Schaden zu thun. Freilich nimmt es ſich ſonderbar aus,4. Abſchnitt. wenn damit manövrirt wird in einer Zeit, da bereits nicht nur die exacte Schilderung, ſondern auch eine unvergäng - liche Kunſt und Poeſie den vollſtändigen Menſchen in ſeinem tiefſten Weſen wie in ſeinen characteriſtiſchen Aeußerlichkei - ten darzuſtellen vermochten. Faſt komiſch lautet es, wenn ein ſonſt tüchtiger Beobachter Clemens VII. zwar für me - lancholiſchen Temperamentes hält, ſein Urtheil aber dem - jenigen der Aerzte unterordnet, welche in dem Papſte eher ein ſanguiniſch-choleriſches Temperament erkennen1)Tomm. Gar, relaz. della corte di Roma I, p. 278. 279. In der Rel. des Soriano vom J. 1533.. Oder wenn wir erfahren, daß derſelbe Gaſton de Foix, der Sieger von Ravenna, welchen Giorgione malte und Bambaja meißelte, und welchen alle Hiſtoriker ſchildern, ein ſatur - niſches Gemüth gehabt habe2)Prato, arch. stor. III, p. 295, s. — Dem Sinne nach iſt es ſo - wohl „ unglücklich “als „ unglückbringend “. — Das Verhältniß der Planeten zu den menſchlichen Characteren überhaupt ſ. bei Corn. Agrippa, de occulta philosophia, c. 52. . Freilich wollen die, welche Solches melden, damit etwas ſehr Beſtimmtes bezeichnen; wunderlich und überlebt erſcheinen nur die Kategorien, durch welche ſie ihre Meinung ausdrücken.
Im Reiche der freien geiſtigen Schilderung empfangenDie Dichter. uns zunächſt die großen Dichter des XIV. Jahrhunderts.
Wenn man aus der ganzen abendländiſchen Hof - und Ritterdichtung der beiden vorhergehenden Jahrhunderte die Perlen zuſammenſucht, ſo wird eine Summe von herrlichen Ahnungen und Einzelbildern von Seelenbewegungen zum Vorſchein kommen, welche den Italienern auf den erſten Blick den Preis ſtreitig zu machen ſcheint. Selbſt abgeſehen von der ganzen Lyrik giebt ſchon der einzige Gottfried von Straßburg mit „ Triſtan und Iſolde “ein Bild der Leiden - ſchaft, welches unvergängliche Züge hat. Allein dieſe Per -Cultur der Renaiſſance. 203064. Abſchnitt. len liegen zerſtreut in einem Meere des Conventionellen und Künſtlichen, und ihr Inhalt bleibt noch immer weit entfernt von einer vollſtändigen Objectivmachung des innern Menſchen und ſeines geiſtigen Reichthums.
Verh. der lyri - ſchen Formen z. Schilderung.Auch Italien hatte damals, im XIII. Jahrhundert, ſeinen Antheil an der Hof - und Ritterdichtung durch ſeine Trovatoren. Von ihnen ſtammt weſentlich die Canzone her, die ſie ſo künſtlich und ſchwierig bauen als irgend ein nordiſcher Minneſänger ſein Lied; Inhalt und Gedanken - gang ſogar iſt der conventionell höfiſche, mag der Dichter auch bürgerlichen oder gelehrten Standes ſein.
Aber ſchon offenbaren ſich zwei Auswege, die auf eine neue, der italieniſchen Poeſie eigene Zukunft hindeuten und die man nicht für unwichtig halten darf wenn es ſich ſchon nur um Formelles handelt.
Von demſelben Brunetto Latini (dem Lehrer des Dante), welcher in der Canzonendichtung die gewöhnliche Manier der Trovatoren vertritt, ſtammen die frühſten bekannten Versi sciolti, reimloſe Hendecaſyllaben1)Mitgetheilt von Trucchi, Poesie italiane inedite I, p. 165, s. her, und in dieſer ſcheinbaren Formloſigkeit äußert ſich auf einmal eine wahre, erlebte Leidenſchaft. Es iſt eine ähnliche bewußte Beſchrän - kung der äußern Mittel im Vertrauen auf die Kraft des Inhaltes, wie ſie ſich einige Jahrzehnde ſpäter in der Frescomalerei und noch ſpäter ſogar in der Tafelmalerei zeigt, indem auf die Farben verzichtet und bloß in einem hellern oder dunklern Ton gemalt wird. Für jene Zeit, welche ſonſt auf das Künſtliche in der Poeſie ſo große Stücke hielt, ſind dieſe Verſe des Brunetto der Anfang einer neuen Richtung2)Dieſe reimloſen Verſe gewannen ſpäter bekanntlich die Herrſchaft im Drama. Triſſino in ſeiner Widmung der Sofonisba an Leo X. hofft, daß der Papſt dieſe Versart erkennen werde als das was ſie ſei, als beſſer, edler und weniger leicht als es den Anſchein habe. Roscoe, Leone X, ed. Bossi VIII, 174. .
307Daneben aber, ja noch in der erſten Hälfte des XIII. 4. Abſchnitt. Jahrhunderts, bildet ſich eine von den vielen ſtrenggemeſſenenDas Sonett, Strophenformen, die das Abendland damals hervorbrachte, für Italien zu einer herrſchenden Durchſchnittsform aus: das Sonett. Die Reimſtellung und ſogar der Zahl der Verſe ſchwankt1)Man vgl. z. B. die ſehr auffallenden Formen bei Dante, Vita nuova, p. 10 und 12. noch hundert Jahre lang, bis Petrarca die bleibende Normalgeſtalt durchſetzte. In dieſe Form wird Anfangs jeder höhere lyriſche und contemplative, ſpäter jeder mögliche Inhalt gegoſſen, ſo daß Madrigale, Seſtinen und ſelbſt die Canzonen daneben nur eine untergeordnete Stelle einnehmen. Spätere Italiener haben ſelber bald ſcherzend bald mißmuthig geklagt über dieſe unvermeidliche Schablone, dieſes vierzehnzeilige Procruſtesbett der Gefühle und Gedanken. Andere waren und ſind gerade mit dieſer Form ſehr zufrieden und brauchen ſie viel tauſendmal um darin Reminiscenzen und müßigen Singſang ohne allen tiefern Ernſt und ohne Nothwendigkeit niederzulegen. Deß - halb giebt es ſehr viel mehr unbedeutende und ſchlechte Sonette als gute.
Nichtsdeſtoweniger erſcheint uns das Sonett als einund ſein Werth. ungeheurer Segen für die italieniſche Poeſie. Die Klarheit und Schönheit ſeines Baues, die Aufforderung zur Stei - gerung des Inhaltes in der lebhafter gegliederten zweiten Hälfte, dann die Leichtigkeit des Auswendiglernens, mußten es auch den größten Meiſtern immer von Neuem lieb und werth machen. Oder meint man im Ernſt, dieſelben hätten es bis auf unſer Jahrhundert beibehalten, wenn ſie nicht von ſeinem hohen Werthe wären durchdrungen geweſen? Nun hätten allerdings dieſe Meiſter erſten Ranges auch in andern Formen der verſchiedenſten Art dieſelbe Macht äußern können. Allein weil ſie das Sonett zur lyriſchen Haupt - form erhoben, wurden auch ſehr viele Andere von hoher,20*3084. Abſchnitt. wenn auch nur bedingter Begabung, die ſonſt in einer weitläufigen Lyrik untergegangen wären, genöthigt ihre Empfindungen zu concentriren. Das Sonett wurde ein allgemeingültiger Condenſator der Gedanken und Empfin - dungen wie ihn die Poeſie keines andern modernen Volkes beſitzt.
So tritt uns nun die italieniſche Gefühlswelt in einer Menge von höchſt entſchiedenen, gedrängten und in ihrer Kürze höchſt wirkſamen Bildern entgegen. Hätten andere Völker eine conventionelle Form von dieſer Gattung be - ſeſſen, ſo wüßten wir vielleicht auch mehr von ihrem See - lenleben; wir beſäßen möglicherweiſe auch eine Reihe ab - geſchloſſener Darſtellungen äußerer und innerer Situationen oder Spiegelbilder des Gemüthes und wären nicht auf eine vorgebliche Lyrik des vierzehnten und fünfzehnten Jahr - hunderts verwieſen, die faſt nirgends ernſtlich genießbar iſt. Bei den Italienern erkennt man einen ſichern Fort - ſchritt faſt von der Geburt des Sonettes an; in der zwei - ten Hälfte des XIII. Jahrhunderts bilden die neuerlich1)Trucchi, a. a. O. I, p. 181, s. ſo benannten „ Trovatori della transizione “in der That einen Uebergang von den Trovatoren zu den Poeten, d. h. zu den Dichtern unter antikem Einfluß; die einfache, ſtarke Empfindung, die kräftige Bezeichnung der Situation, der präciſe Ausdruck und Abſchluß in ihren Sonetten u. a. Ge - dichten kündet zum Voraus einen Dante an. Einige Par - teiſonette der Guelfen und Ghibellinen (1260 — 1270) tönen ſchon in der Art wie ſeine Leidenſchaft, Anderes erinnert an das Süßeſte in ſeiner Lyrik.
Dante als Seelen - ſchilderer.Wie er ſelbſt das Sonett theoretiſch anſah, wiſſen wir nur deßhalb nicht, weil die letzten Bücher ſeiner Schrift „ von der Vulgärſprache “, worin er von Balladen und So - netten handeln wollte, entweder ungeſchrieben geblieben oder verloren gegangen ſind. Practiſch aber hat er in Sonett309 und Canzone die herrlichſten Seelenſchilderungen nieder -4. Abſchnitt. gelegt. Und in welchen Rahmen ſind ſie eingefaßt! Die Proſa ſeiner „ Vita nuova “, worin er Rechenſchaft giebt von dem Anlaß jedes Gedichtes, iſt ſo wunderbar als die Verſe ſelbſt und bildet mit denſelben ein gleichmäßig von der tiefſten Gluth beſeeltes Ganzes. Rückſichtslos gegen die Seele ſelbſt conſtatirt er alle Schattirungen ihrer Wonne und ihres Leides und prägt dann dieß Alles mit feſter Willenskraft in der ſtrengſten Kunſtform aus. Wenn man dieſe Sonette und Canzonen und dazwiſchen dieſe wunderſamen Bruchſtücke des Tagebuches ſeiner Jugend aufmerkſam liest, ſo ſcheint es als ob das ganze Mittel - alter hindurch alle Dichter ſich ſelber gemieden, Er zuerſt ſich ſelber aufgeſucht hätte. Künſtliche Strophen haben Unzählige vor ihm gebaut; aber Er zuerſt iſt in vollem Sinne ein Künſtler, weil er mit Bewußtſein unvergäng - lichen Inhalt in eine unvergängliche Form bildet. Hier iſt ſubjective Lyrik von völlig objectiver Wahrheit und Größe; das Meiſte ſo durchgearbeitet, daß alle Völker und Jahrhunderte es ſich aneignen und nachempfinden können1)Dieſe Canzonen und Sonette ſind es, die jener Schmied und jener Eſeltreiber ſangen und entſtellten, über welche Dante ſo böſe wurde. (Vgl. Franco Sacchetti, Nov. 114. 115.) So raſch ging dieſe Poeſie in den Mund des Volkes über.. Wo er aber völlig objectiv dichtet und die Macht ſeines Gefühles nur durch einen außer ihm liegenden Thatbeſtand errathen läßt, wie in den grandioſen Sonetten Tanto gen - tile ꝛc. und Vede perfettamente ꝛc., glaubt er noch ſich ent - ſchuldigen zu müſſen2)Vita nuova, p. 52. . Im Grunde gehört auch das aller - ſchönſte dieſer Gedichte hieher: das Sonett Deh peregrini che pensosi andate etc.
Auch ohne die Divina Commedia wäre Dante durch dieſe bloße Jugendgeſchichte ein Markſtein zwiſchen Mittel -3104. Abſchnitt. alter und neuer Zeit. Geiſt und Seele thun hier plötzlich einen gewaltigen Schritt zur Erkenntniß ihres geheimſten Lebens.
Die Commedia.Was hierauf die Commedia an ſolchen Offenbarungen enthält, iſt vollends unermeßlich, und wir müßten das ganze große Gedicht, einen Geſang nach dem andern, durch - gehen um ſeinen vollen Werth in dieſer Beziehung darzu - legen. Glücklicherweiſe bedarf es deſſen nicht, da die Commedia längſt eine tägliche Speiſe aller abendländiſchen Völker geworden iſt. Ihre Anlage und Grundidee gehört dem Mittelalter und ſpricht unſer Bewußtſein nur hiſtoriſch an; ein Anfang aller modernen Poeſie aber iſt das Gedicht weſentlich wegen des Reichthums und der hohen plaſtiſchen Macht in der Schilderung des Geiſtigen auf jeder Stufe und in jeder Wandlung1)Für Dante's theoretiſche Pſychologie iſt Purgat. IV, Anfang, eine der wichtigſten Stellen. Außerdem vgl. die betreffenden Partien des Convito..
Fortan mag dieſe Poeſie ihre ſchwankenden Schickſale haben und auf halbe Jahrhunderte einen ſogenannten Rück - gang zeigen — ihr höheres Lebensprincip iſt auf immer gerettet, und wo im XIV., XV. und beginnenden XVI. Jahrhundert ein tiefer, originaler Geiſt in Italien ſich ihr hingiebt, ſtellt er von ſelbſt eine weſentlich höhere Potenz dar als irgend ein außeritaliſcher Dichter, wenn man Gleichheit der Begabung — freilich eine ſchwer zu ermit - telnde Sache — vorausſetzt.
Priorität der Bildung vor der Kunſt.Wie in allen Dingen bei den Italienern die Bildung (wozu die Poeſie gehört) der bildenden Kunſt vorangeht, ja dieſelbe erſt weſentlich anregen hilft, ſo auch hier. Es dauert mehr als ein Jahrhundert, bis das Geiſtig-Bewegte, das Seelenleben in Sculptur und Malerei einen Ausdruck erreicht, welcher demjenigen bei Dante nur irgendwie analog iſt. Wie viel oder wie wenig dieß von der Kunſtentwick -311 lung anderer Völker gilt1)Die Porträts der Eyck'ſchen Schule würden für den Norden eher das Gegentheil beweiſen. Sie bleiben allen Schilderungen in Worten noch auf lange Zeit überlegen., und wie weit die Frage im4. Abſchnitt. Ganzen von Werthe iſt, kümmert uns hier wenig. Für die italieniſche Cultur hat ſie ein entſcheidendes Gewicht.
Was Petrarca in dieſer Beziehung gelten ſoll, mögenPetrarca. die Leſer des vielverbreiteten Dichters entſcheiden. Wer ihm mit der Abſicht eines Verhörrichters naht und die Wider - ſprüche zwiſchen dem Menſchen und dem Dichter, die er - wieſenen Nebenliebſchaften und andere ſchwache Seiten recht emſig aufſpürt, der kann in der That bei einiger Anſtren - gung die Luſt an ſeinen Sonetten gänzlich verlieren. Man hat dann ſtatt eines poetiſchen Genuſſes die Kenntniß des Mannes in ſeiner „ Totalität “. Nur Schade, daß Petrar - ca's Briefe ſo wenigen avignoneſiſchen Klatſch enthalten, woran man ihn faſſen könnte, und daß die Correſpondenzen ſeiner Bekannten und der Freunde dieſer Bekannten ent - weder verloren gegangen ſind oder gar nie exiſtirt haben. Anſtatt dem Himmel zu danken wenn man nicht zu erfor - ſchen braucht, wie und mit welchen Kämpfen ein Dichter das Unvergängliche aus ſeiner Umgebung und ſeinem armen Leben heraus ins Sichere brachte, hat man gleichwohl auch für Petrarca aus den wenigen „ Reliquien “ſolcher Art eine Lebensgeſchichte zuſammengeſtellt, welche einer Anklageacte ähnlich ſieht. Uebrigens mag ſich der Dichter tröſten; wenn das Drucken und Verarbeiten von Briefwechſeln berühmter Leute in Deutſchland und England noch fünfzig Jahre ſo fort geht, ſo wird die Armeſünderbank, auf welcher er ſitzt, allgemach die erlauchteſte Geſellſchaft enthalten.
Ohne das viele Künſtliche und Geſuchte zu verkennen, wo Petrarca ſich ſelber nachahmt und in ſeiner eigenen Manier weiterdichtet, bewundern wir in ihm eine Fülle herrlicher Seelenbilder, Schilderungen ſeliger und unſeliger3124. Abſchnitt. Momente, die ihm wohl eigen ſein müſſen, weil kein Anderer vor ihm ſie aufweist, und welche ſeinen eigentlichen Werth für die Nation und die Welt ausmachen. Nicht überall iſt der Ausdruck gleichmäßig durchſichtig; nicht ſelten geſellt ſich dem Schönſten etwas für uns Fremdartiges bei, allegori - ſches Spielwerk und ſpitzfindige Sophiſtik; allein das Vor - zügliche überwiegt.
Boccaccio.Auch Boccaccio erreicht in ſeinen zu wenig beachteten Sonetten1)Abgedruckt im XVI. Bande ſeiner Opere volgari. eine bisweilen höchſt ergreifende Darſtellung ſeines Gefühles. Der Wiederbeſuch einer durch Liebe ge - weihten Stätte (Son. 22), die Frühlings-Melancholie (Son. 33), die Wehmuth des alternden Dichters (Son. 65) ſind von ihm ganz herrlich beſungen. Sodann hat er im Ameto die veredelnde und verklärende Kraft der Liebe in einer Weiſe geſchildert, wie man es von dem Verfaſſer des Decamerone ſchwerlich erwarten würde2)Im Geſang des Hirten Teogapen, nach dem Venusfeſte, Parnasso teatrale, Lipsia 1829, p. VIII. . Endlich aber iſt ſeine „ Fiammetta “ein großes, umſtändliches Seelengemälde voll der tiefſten Beobachtung, wenn auch nichts weniger als gleichmäßig durchgeführt, ja ſtellenweiſe unläugbar beherrſcht von der Luſt an der prachtvoll tönenden Phraſe; auch Mythologie und Alterthum miſchen ſich bisweilen unglücklich ein. Wenn wir nicht irren, ſo iſt die Fiammetta ein weib - liches Seitenſtück zur Vita nuova des Dante, oder doch auf Anregung von dieſer Seite her entſtanden.
Daß die antiken Dichter, zumal die Elegiker und das vierte Buch der Aeneide, nicht ohne Einfluß3)Der berühmte Lienardo Aretino als Haupt des Humanismus zu Anfang des XV. Jahrh. meint zwar: che gli antichi Greci d'umanità e di gentilezza di cuore abbino avanzato di gran lunga i nostri Italiani, allein er ſagt es am Eingang einer No - velle, welche die weichliche Geſchichte vom kranken Prinzen Antiochus und ſeiner Stiefmutter Stratonice, alſo einen an ſich zweideutigen auf dieſe313 und die folgenden Italiener blieben, verſteht ſich von4. Abſchnitt. ſelbſt, aber die Quelle des Gefühls ſprudelt mächtig genug in ihrem Innern. Wer ſie nach dieſer Seite hin mit ihren außeritaliſchen Zeitgenoſſen vergleicht, wird in ihnen den frühſten vollſtändigen Ausdruck der modernen europäiſchen Gefühlswelt überhaupt erkennen. Es handelt ſich hier durchaus nicht darum zu wiſſen, ob ausgezeichnete Menſchen anderer Nationen nicht ebenſo tief[und] ſchön empfunden haben, ſondern wer zuerſt die reichſte Kenntniß der Seelen - regungen urkundlich erwieſen hat.
Warum haben aber die Italiener der Renaiſſance inMangel der Tragödie. der Tragödie nur Untergeordnetes geleiſtet? Dort war die Stelle, Character, Geiſt und Leidenſchaft tauſendgeſtaltig im Wachſen, Kämpfen und Unterliegen der Menſchen zur An - ſchauung zu bringen. Mit andern Worten: warum hat Italien keinen Shakspeare hervorgebracht? — denn dem übrigen nordiſchen Theater des XVI., XVII. Jahrhunderts möchten die Italiener wohl gewachſen ſein, und mit dem ſpaniſchen konnten ſie nicht concurriren weil ſie keinen reli - giöſen Fanatismus empfanden, den abſtracten Ehrenpunct nur pro forma mitmachten, und ihr tyranniſches, illegitimes Fürſtenthum als ſolches anzubeten und zu verklären zu klug und zu ſtolz waren1)Dem einzelnen Hofe oder Fürſten allerdings wurde von den Gele - genheitsdramatikern hinlänglich geſchmeichelt.. Es handelt ſich alſo einzig nur um die kurze Blüthezeit des engliſchen Theaters.
Hierauf ließe ſich erwiedern, daß das ganze übrige Europa auch nur Einen Shakspeare hervorgebracht hat und daß ein ſolcher Genius überhaupt ein ſeltenes Geſchenk des Himmels iſt. Ferner könnte möglicherweiſe eine hohe Blüthe des italieniſchen Theaters im Anzuge geweſen ſein, als die3)und dazu halbaſiatiſchen Beleg enthält. (Abgedruckt u. a. als Bei - lage zu den cento novelle antiche.)3144. Abſchnitt. Gegenreformation hereinbrach und im Zuſammenhang mit der ſpaniſchen Herrſchaft (über Neapel und Mailand und indirect faſt über ganz Italien) die beſten Blüthen des italieniſchen Geiſtes knickte oder verdorren ließ. Man denke ſich nur Shakspeare ſelber z. B. unter einem ſpaniſchen Vicekönig oder in der Nähe des heil. Officiums zu Rom, oder nur in ſeinem eigenen Lande ein paar Jahrzehnde ſpäter, zur Zeit der engliſchen Revolution. Das Drama, in ſeiner Vollkommenheit ein ſpätes Kind jeder Cultur, will ſeine Zeit und ſein beſonderes Glück haben.
Bei dieſem Anlaß müſſen wir jedoch einiger Umſtände gedenken, welche allerdings geeignet waren, eine höhere Blüthe des Drama's in Italien zu erſchweren oder zu ver - zögern bis es zu ſpät war.
Die Myſterien.Als den wichtigſten dieſer Umſtände darf man ohne Zweifel die große anderweitige Beſchäftigung der Schauluſt bezeichnen, zunächſt vermöge der Myſterien u. a. religiöſen Aufzüge. Im ganzen Abendlande ſind Aufführungen der dramatiſirten heiligen Geſchichte und Legende gerade Quelle und Anfang des Drama's und des Theaters geweſen; Italien aber hatte ſich, wie im folgenden Abſchnitt erörtert werden ſoll, den Myſterien mit einem ſolchen künſt - leriſch decorativen Prachtſinn hingegeben, daß darunter nothwendig das dramatiſche Element in Nachtheil gerathen mußte. Aus all den unzähligen koſtbaren Aufführungen entwickelte ſich dann nicht einmal eine poetiſche Kunſtgat - tung wie die „ Autos ſagramentales “bei Calderon u. a. ſpaniſchen Dichtern, geſchweige denn ein Vortheil oder An - halt für das profane Drama.
Die Pracht als Feindin des Drama's.Als letzteres dennoch emporkam, nahm es ſofort nach Kräften an der Pracht der Ausſtattung Theil, an welche man eben von den Myſterien her nur allzuſehr gewöhnt war. Man erfährt mit Staunen, wie reich und bunt die Decoration der Scene in Italien war, zu einer Zeit, da man ſich im Norden noch mit der einfachſten Andeutung der315 Oertlichkeit begnügte. Allein ſelbſt dieß wäre vielleicht noch4. Abſchnitt. von keinem entſcheidenden Gewichte geweſen, wenn nicht die Aufführung ſelbſt theils durch Pracht der Coſtüme, theils und hauptſächlich durch bunte Intermezzi den Sinn von dem poetiſchen Gehalt des Stückes abgelenkt hätte.
Daß man an vielen Orten, namentlich in Rom und Fer -Plautus und Terenz. rara, Plautus und Terenz, auch wohl Stücke alter Tragiker aufführte (S. 236, 250), bald lateiniſch bald italieniſch, daß jene Academien (S. 277, f.) ſich eine förmliche Aufgabe hieraus machten, und daß die Dichter der Renaiſſance ſelbſt in ihren Dramen von dieſen Vorbildern mehr als billig abhingen, gereichte dem italieniſchen Drama für die betref - fenden Jahrzehnde allerdings auch zum Nachtheil, doch halte ich dieſen Umſtand für untergeordnet. Wäre nicht Gegenreformation und Fremdherrſchaft dazwiſchen gekommen, ſo hätte ſich jener Nachtheil gar wohl in eine nützliche Uebergangsſtufe verwandeln können. War doch ſchon bald nach 1520 wenigſtens der Sieg der Mutterſprache in Tra - gödie und Comödie zum großen Verdruß der Humaniſten1)Paul. Jovius, Dialog. de viris lit. illustr., bei Tiraboschi, Tom. VII, IV. — Lil. Greg. Gyraldus, de poëtis nostri temp. ſo viel als entſchieden. Von dieſer Seite hätte der ent - wickeltſten Nation Europa's kein Hinderniß mehr im Wege geſtanden, wenn es ſich darum handelte, das Drama im höchſten Sinne des Wortes zu einem geiſtigen Abbild des Menſchenlebens zu erheben. Inquiſitoren und Spanier waren es, welche die Italiener verſchüchterten und die dra - matiſche Schilderung der wahrſten und größten Conflicte, zumal im Gewande nationaler Erinnerungen, unmöglich machten. Daneben aber müſſen wir doch auch jene zer - ſtreuenden Intermezzi als einen wahren Schaden des Dra - ma's näher ins Auge faſſen.
Als die Hochzeit des Prinzen Alfonſo von Ferrara mit Lu -Aufführungen in Ferrara. crezia Borgia gefeiert wurde, zeigte der Herzog Ercole in3164. Abſchnitt. Perſon den erlauchten Gäſten die 110 Coſtüme, welche zur Aufführung von fünf plautiniſchen Comödien dienen ſollten, damit man ſehe, daß keines zweimal diene1)Iſabella Gonzaga an ihren Gemahl, 3. Febr. 1502, Arch. stor. Append. II, p. 306, s. — Bei den franzöſiſchen Myſtères mar - ſchirten die Schauſpieler ſelbſt vorher in Proceſſion auf, was man la montre hieß.. Aber was wollte dieſer Luxus von Taffet und Kamelot ſagen im Ver - gleich mit der Ausſtattung der Ballette und Pantomimen, welche als Zwiſchenacte der plautiniſchen Stücke aufgeführt wurden. Daß Plautus daneben einer lebhaften jungen Dame wie Iſabella Gonzaga ſchmerzlich langweilig vorkam und daß Jedermann ſich während des Drama's nach den Zwiſchenacten ſehnte, iſt begreiflich ſobald man den bunten Glanz derſelben in Betracht zieht. Da gab es Kämpfe römiſcher Krieger, welche ihre antiken Waffen kunſtgerecht zum Tacte der Muſik bewegten, Fackeltänze von Mohren, einen Tanz von wilden Männern mit Füllhörnern, aus welchen flüſſiges Feuer ſprühte; ſie bildeten das Ballet zu einer Pantomime, welche die Rettung eines Mädchens von einem Drachen darſtellte. Dann tanzten Narren in Pull - cinelltracht und ſchlugen einander mit Schweinsblaſen, u.Das Ballett. dgl. m. Es war eine zugeſtandene Sache am Hofe von Ferrara, daß jede Comödie „ ihr “Ballet (moresca) habe2)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 404. Andere Stellen über das dortige Theaterweſen Col. 278. 279. 282 bis 285. 361. 380. 381. 393. 397.. Wie man ſich vollends die Aufführung des plautiniſchen Amphitruo daſelbſt (1491, bei Alfonſo's erſter Vermählung mit Anna Sforza) zu denken habe, ob vielleicht ſchon mehr als Pantomime mit Muſik, denn als Drama, bleibt zweifel - haft3)Strozii poetæ, p. 232, im IV. Buch der Aeoloſticha des Tito Strozza.. Das Eingelegte überwog jedenfalls das Stück ſelber; da ſah man, von einem rauſchenden Orcheſter be -317 gleitet, einen Chortanz von Jünglingen in Epheu gehüllt,4. Abſchnitt. in künſtlich verſchlungenen Figuren; dann erſchien Apoll, ſchlug die Lyra mit dem Plectrum und ſang dazu ein Preislied auf das Haus Eſte; zunächſt folgte, gleichſam als Intermezzo im Intermezzo, eine bäuriſche Genreſcene oder Poſſe, worauf wieder die Mythologie mit Venus, Bacchus und ihrem Gefolge die Scene in Beſchlag nahm und eine Pantomime — Paris auf dem Ida — vorging. Nun erſt kam die zweite Hälfte der Fabel des Amphitruo, mit deutlicher Anſpielung auf die künftige Geburt eines Hercules aus dem Hauſe Eſte. Bei einer frühern Auffüh - rung deſſelben Stückes im Hof des Palaſtes (1487) brannte fortwährend „ ein Paradies mit Sternen und andern Rä - dern “, d. h. eine Illumination vielleicht mit Feuerwerk, welche gewiß die beſte Aufmerkſamkeit abſorbirte. Offen - bar war es beſſer, wenn dergleichen Zuthaten für ſich als eigene Darſtellungen auftraten, wie etwa an andern Höfen geſchah. Von den feſtlichen Aufführungen beim Cardinal Pietro Riario, bei den Bentivogli zu Bologna ꝛc. wird deßhalb bei Anlaß der Feſte zu handeln ſein.
Für die italieniſche Originaltragödie war die nun ein -Italieniſche Tragödie, mal gebräuchliche Pracht der Ausſtattung wohl ganz be - ſonders verhängnißvoll. „ Man hat früher in Venedig “, ſchreibt Francesco Sanſovino1)Franc. Sansovino: Venezia, fol. 169. Statt parenti iſt wohl pareti zu leſen. Seine Meinung iſt auch ſonſt nicht ganz klar. um 1570, „ oft außer den „ Comödien auch Tragödien von antiken und modernen „ Dichtern mit großem Pomp aufgeführt. Um des Ruhmes „ der Ausſtattung (apparati) willen ſtrömten Zuſchauer „ von fern und nahe dazu herbei. Heutzutage jedoch fin - „ den Feſtlichkeiten, die von Privatleuten[veranſtaltet] werden, „ zwiſchen vier Mauern Statt und ſeit einiger Zeit hat „ ſich von ſelbſt der Gebrauch ſo feſtgeſetzt, daß die Car - „ nevalszeit mit Comödien und andern heitern und ſchätzbaren3184. Abſchnitt. „ Vergnügungen hingebracht wird “. D. h. der Pomp hat die Tragödie tödten helfen.
Die einzelnen Anläufe und Verſuche dieſer modernen Tragiker, worunter die Sofonisba des Triſſino (1515) den größten Ruhm gewann, gehören in die Literaturgeſchichte. und Comödie.Und auch von der vornehmern, dem Plautus und Terenz nachgebildeten Comödie läßt ſich daſſelbe ſagen. Selbſt ein Arioſt konnte in dieſer Gattung nichts Ausgezeichnetes leiſten. Dagegen hätte die populäre Comödie in Proſa, wie ſie Macchiavelli, Bibiena, Aretino behandelten, gar wohl eine Zukunft haben können, wenn ſie nicht um ihres Inhaltes willen dem Untergang verfallen geweſen wäre. Dieſer war nämlich einſtweilen theils äußerſt unſittlich, theils gegen einzelne Stände gerichtet, welche ſich ſeit etwa 1540 nicht mehr eine ſo öffentliche Feindſchaft bieten ließen. Wenn in der Sofonisba die Characteriſtik vor einer glanz - vollen Declamation hatte weichen müſſen, ſo war ſie hier, nebſt ihrer Stiefſchweſter, der Caricatur, nur zu rückſichts - los gehandhabt geweſen.
Nun dauert das Dichten von Tragödien und Comö - dien unaufhörlich fort, und auch an zahlreichen wirklichen Aufführungen antiker und moderner Stücke fehlt es fort - während nicht, allein man nimmt davon nur Anlaß und Gelegenheit, um bei Feſten die ſtandesmäßige Pracht zu entwickeln, und der Genius der Nation hat ſich davon als von einer lebendigen Gattung völlig abgewandt. Sobald Schäferſpiel und Oper auftraten, konnte man jene Ver - ſuche vollends entbehren.
Masken - comödie.National war und blieb nun nur Eine Gattung: die ungeſchriebene Commedia dell 'Arte, welche nach einem vor - liegenden Scenarium improviſirt wurde. Sie kommt der höhern Characteriſtik deßhalb nicht ſonderlich zu Gute, weil ſie wenige und feſtſtehende Masken hat, deren Character Jedermann auswendig weiß. Die Begabung der Nation aber neigte ſo ſehr nach dieſer Gattung hin, daß man auch319 mitten in den Aufführungen geſchriebener Comödien ſich4. Abſchnitt. der eigenen Improviſation überließ1)Dieß meint wohl Sanſovino, Venezia fol. 168, wenn er klagt, die recitanti verdürben die Comödien „ con invenzioni o per - sonaggi troppo ridicoli “. , ſo daß eine förmliche Miſchgattung ſich hie und da geltend machen konnte. In dieſer Weiſe mögen die Comödien gehalten geweſen ſein, welche in Venedig Burchiello und dann die Geſellſchaft des Armonio, Val. Zuccato, Lod. Dolce ꝛc. aufführte2)Sanſovino, a. a. O.; von Burchiello erfährt man bereits, daß er die Komik durch einen mit Griechiſch und Slavoniſch verſetzten venezianiſchen Dialect zu ſteigern wußte. Eine faſt oder ganz vollſtändige Commedia dell 'Arte war dann die des Angelo Beolco, ge - nannt il Ruzzante (1502 — 1542), deſſen ſtehende Masken paduaniſche Bauern (Menato, Vezzo, Billora u. A.) ſind; ihren Dialect pflegte er zu ſtudiren wenn er auf der Villa ſeines Gönners Luigi Cornaro zu Codevico den Sommer zubrachte3)Scardeonius, de urb. Patav. antiq. bei Grævius, Thes. VI, III, Col. 288, s. Eine wichtige Stelle auch für die Dialectliteratur überhaupt.. Allmälig tauchen dann all die berühmten Localmasken auf, an deren Ueberreſte Italien ſich noch heute ergötzt: Pantalone, der Dottore, Brighella, Pulcinella, Arlecchino u. ſ. w. Sie ſind gewiß großentheils ſehr viel älter, ja möglicherweiſe im Zuſammenhang mit den Masken altrömiſcher Farſen, allein erſt das XVI. Jahrhundert vereinigte mehrere von ihnen in Einem Stücke. Gegen - wärtig geſchieht dieß nicht mehr leicht, aber jede große Stadt hält wenigſtens ihre Localmaske feſt: Neapel ſeinen Pulcinella, Florenz den Stenterello, Mailand den bisweilen herrlichen Meneking4)Daß Letzterer mindeſtens im XV. Jahrh. ſchon vorhanden iſt, läßt ſich aus dem Diario Ferrareſe ſchließen, indem dieſes aus den in Ferrara 1501 aufgeführten Menächmen des Plautus mißverſtändlich einen Menechino macht. Diar. Ferr. bei Murat. XXIV, Col. 393. .
3204. Abſchnitt. Ein dürftiger Erſatz freilich für eine große Nation,Erſatz durch die Muſik. welche vielleicht vor allen die Gabe gehabt hätte, ihr Höchſtes im Spiegel des Drama's objectiv zu ſchildern und anzu - ſchauen. Aber dieß ſollte ihr auf Jahrhunderte verwehrt bleiben durch feindſelige Mächte, an deren Aufkommen ſie nur zum Theil Schuld war. Nicht auszurotten war frei - lich das allverbreitete Talent der dramatiſchen Darſtellung und mit der Muſik hat Italien vollends Europa zinspflichtig gehalten. Wer in dieſer Tonwelt einen Erſatz oder einen verhüllten Ausdruck für das verwehrte Drama erkennen will, mag ſich damit nach Gefallen tröſten.
Das roman - tiſche Epos.Was das Drama nicht geleiſtet hatte, darf man es etwa vom Epos erwarten? Gerade das italieniſche Helden - gedicht wird ſcharf darob angeklagt, daß die Haltung und Durchführung der Charactere ſeine allerſchwächſte Seite ſei.
Andere Vorzüge ſind ihm nicht abzuſtreiten, u. a. der, daß es ſeit vierthalb Jahrhunderten wirklich geleſen und immer von Neuem abgedruckt wird, während faſt die ganze epiſche Poeſie der übrigen Völker zur bloßen literargeſchicht - lichen Curioſität geworden iſt. Oder liegt es etwa an den Leſern, die etwas anderes verlangen und anerkennen als im Norden? Wenigſtens gehört für uns ſchon eine theil - weiſe Aneignung des italieniſchen Geſichtskreiſes dazu um dieſen Dichtungen ihren eigenthümlichen Werth abzugewin - nen, und es giebt ſehr ausgezeichnete Menſchen, welche erklären nichts damit anfangen zu können. Freilich wer Pulci, Bojardo, Arioſto und Berni auf den reinen ſogenannten Gedankengehalt hin analyſirt, der muß dabei zu kurz kom - men. Sie ſind Künſtler der eigenſten Art, welche für ein entſchieden und vorherrſchend künſtleriſches Volk dichten.
Die Sagenwelt als Baſis.Die mittelalterlichen Sagenkreiſe hatten nach dem all - mäligen Erlöſchen der Ritterdichtung theils in Geſtalt von gereimten Umarbeitungen und Sammlungen, theils als Proſaromane weiter gelebt. Letzteres war in Italien während321 des XIV. Jahrhunderts der Fall; doch wuchſen die neu4. Abſchnitt. erwachenden Erinnerungen des Alterthums rieſengroß da - neben empor und ſtellten alle Phantaſiebilder des Mittel - alters in tiefen Schatten. Boccaccio z. B. in ſeiner Viſione amoroſa nennt zwar unter den in ſeinem Zauberpalaſt dargeſtellten Heroen auch einen Triſtan, Artus, Galeotto ꝛc. mit, aber ganz kurz, als ſchämte er ſich ihrer, und die folgen - den Schriftſteller aller Art nennen ſie entweder gar nicht mehr oder nur im Scherz. Das Volk jedoch behielt ſie im Gedächtniß, und aus ſeinen Händen gingen ſie dann wieder an die Dichter des XV. Jahrhunderts über. Dieſelben konnten ihren Stoff nun ganz neu und frei empfinden und darſtellen; ſie thaten aber noch mehr, indem ſie unmittel - bar daran weiter dichteten, ja ſogar bei Weitem das Meiſte neu erfanden. Eines muß man nicht von ihnen verlangen: daß ſie einen ſo überkommenen Stoff hätten mit einem vorweltlichen Reſpect behandeln ſollen. Das ganze neuere Europa darf ſie darum beneiden, daß ſie noch an die Theilnahme ihres Volkes für eine beſtimmte Phantaſiewelt anknüpfen konnten, aber ſie hätten Heuchler ſein müſſen, wenn ſie dieſelbe als Mythus verehrt hätten1)Pulci in ſeinem Muthwillen fingirt für ſeine Geſchichte des Rieſen Margutte eine feierliche uralte Tradition. (Morgante, canto XIX, str. 153, s.) — Noch drolliger lautet die kritiſche Einleitung des Limerno Pitocco (Orlandino, cap. 1, str. 12 — 22). .
Statt deſſen bewegen ſie ſich auf dem neu für dieDas Kunſtziel. Kunſtpoeſie gewonnenen Gebiete als Souveräne. Ihr Hauptziel ſcheint die möglichſt ſchöne und muntere Wirkung des einzelnen Geſanges beim Recitiren geweſen zu ſein, wie denn auch dieſe Gedichte außerordentlich gewinnen wenn man ſie ſtückweiſe und vortrefflich, mit einem leiſen Anflug von Komik in Stimme und Geberde herſagen hört. Eine tiefere, durchgeführte Characterzeichnung hätte zur Erhöhung dieſes Effectes nicht ſonderlich beigetragen; der Leſer magCultur der Renaiſſance. 213224. Abſchnitt. ſie verlangen, der Hörer denkt nicht daran, da er immer nur ein Stück hört und zugleich den Rhapſoden vor ſich ſich ſieht. In Betreff der vorgeſchriebenen Figuren iſt die Stimmung des Dichters eine doppelte: ſeine humaniſtiſche Bildung proteſtirt gegen das mittelalterliche Weſen derſelben, während doch ihre Kämpfe als Seitenbild des damaligen Turnier - und Kriegsweſens alle mögliche Kennerſchaft und poetiſche Hingebung erfordern und zugleich eine Glanzauf - gabe des Recitanten ſind. Deßhalb kömmt es ſelbſt beiLuigi Pulci. Pulci1)Der Morgante zuerſt gedruckt vor 1488. — Das Turnierweſen ſ. unten. zu keiner eigentlichen Parodie des Ritterthums, wenn auch die komiſch derbe Redeweiſe ſeiner Paladine oft daran ſtreift. Daneben ſtellt er das Ideal der Raufluſt, ſeinen drolligen und gutmüthigen Morgante, der mit ſeinem Glockenſchwengel ganze Armeen bändigt; ja er weiß auch dieſen wiederum relativ zu verklären durch die Gegenüber - ſtellung des abſurden und dabei höchſt merkwürdigen Mon - ſtrum's Margutte. Ein beſonderes Gewicht legt aber Pulci auf dieſe beiden derb und kräftig gezeichneten Charactere keinesweges, und ſeine Geſchichte geht auch nachdem ſie längſt daraus verſchwunden ſind, ihren wunderlichen GangBojardo. weiter. Auch Bojardo2)Der Orlando inamorato zuerſt gedruckt 1496. ſteht ganz bewußt über ſeinen Geſtalten und braucht ſie nach Belieben ernſt und komiſch; ſelbſt mit den dämoniſchen Weſen treibt er ſeinen Spaß und ſchildert ſie bisweilen abſichtlich als tölpelhaft. Es giebt aber eine künſtleriſche Aufgabe, mit welchem er es ſich ſo ſehr ernſt ſein läßt wie Pulci; nämlich die äußerſt lebendige und, man möchte ſagen techniſch genaue Schilde - rung aller Hergänge. — Pulci recitirte ſein Gedicht, ſobald wieder ein Geſang fertig war, vor der Geſellſchaft des Lo - renzo magnifico, und gleichermaßen Bojardo das ſeinige vor dem Hofe des Ercole von Ferrara; nun erräth man leicht,323 auf was für Vorzüge hier geachtet wurde und wie wenig4. Abſchnitt. Dank die durchgeführten Charactere geerntet haben würden. Natürlich bilden auch die Gedichte ſelbſt bei ſobewandten Umſtänden kein geſchloſſenes Ganzes und könnten halb oder auch doppelt ſo lang ſein als ſie ſind; ihre Compoſition iſt nicht die eines großen Hiſtorienbildes, ſondern die eines Frieſes oder einer von bunten Geſtalten umgaukelten pracht - vollen Fruchtſchnur. So wenig man in den Figuren und dem Rankenwerk eines Frieſes durchgeführte individuelle Formen, tiefe Perſpectiven und verſchiedene Pläne fordert oder auch nur geſtattet, ſo wenig erwartete man es in dieſen Gedichten.
Die bunte Fülle der Erfindungen, durch welche be - ſonders Bojardo ſtets von Neuem überraſcht, ſpottet aller unſerer jetzt geltenden Schuldefinitionen vom Weſen der epiſchen Poeſie. Für die damalige Zeit war es die ange -Das einzig mögliche Epos. nehmſte Diverſion gegenüber der Beſchäftigung mit dem Alterthum, ja der einzig mögliche Ausweg wenn man überhaupt wieder zu einer ſelbſtändigen erzählenden Dichtung gelangen ſollte. Denn die Poetiſirung der Geſchichte des Alterthums führte doch nur auf jene Irrpfade, welche Pe - trarca betrat mit ſeiner „ Africa “in lateiniſchen Hexametern und anderthalb Jahrhunderte ſpäter Triſſino mit ſeinem „ von den Gothen befreiten Italien “in versi sciolti, einem enormen Gedichte von tadelloſer Sprache und Verſification, wo man nur im Zweifel ſein kann ob die Geſchichte oder die Poeſie bei dem unglücklichen Bündniß übler weggekom - men ſei. Und wohin verlockte Dante diejenigen, die ihn nachahmten? Die viſionären Trionfi des Petrarca ſind eben noch das Letzte, was dabei mit Geſchmack zu erreichen war, Boccaccio's „ verliebte Viſion “iſt ſchon weſentlich bloße Aufzählung hiſtoriſcher und fabelhafter Perſonen nach alle - goriſchen Categorien. Andere leiten dann, was ſie irgend vorzubringen haben, mit einer barocken Nachahmung von Dante's erſtem Geſang ein und verſehen ſich dabei mit21*3244. Abſchnitt. irgend einem allegoriſchen Begleiter, der die Stelle des Virgil einnimmt; Uberti hat für ſein geographiſches Ge - dicht (Dittamondo) den Solinus gewählt, Giovanni Santi für ſein Lobgedicht auf Federigo von Urbino den Plutarch1)Vasari VIII, 71, im Commentar zur Vita di Raffaelle. . Von dieſen falſchen Fährten erlöste einſtweilen nur diejenige epiſche Dichtung, welche von Pulci und Bojardo vertreten war. Die Begierde und Bewunderung, mit der man ihr entgegenkam — wie man vielleicht bis an der Tage Abend mit dem Epos nicht mehr thun wird — beweist glänzend, wie ſehr die Sache ein Bedürfniß war. Es handelt ſich gar nicht darum, ob in dieſen Schöpfungen die ſeit unſerm Jahrhundert aus Homer und den Nibelungen abſtrahirten Ideale des wahren Heldengedichtes verwirklicht ſeien oder nicht; ein Ideal ihrer Zeit verwirklichten ſie jedenfalls. Mit ihren maſſenhaften Kampfbeſchreibungen, die für uns der am meiſten ermüdende Beſtandtheil ſind, begegneten ſie überdieß, wie geſagt, einem Sachintereſſe, von dem wir uns ſchwer eine richtige Vorſtellung machen, ſo wenig als von der Hochſchätzung des lebendigen momentanen Schil - derns überhaupt.
Arioſto.So kann man denn auch an Arioſto keinen falſchern Maßſtab legen als wenn man in ſeinem Orlando Furioſo2)Die erſte Ausgabe 1516. nach Characteren ſuchen geht. Sie ſind hie und da vor - handen und ſogar mit Liebe behandelt, allein das Gedicht ſtützt ſich keinen Augenblick auf ſie und würde durch ihre Hervorhebung ſogar eher verlieren als gewinnen. Jene Anforderung hängt aber mit einem allgemeinern Begehren zuſammen, welchem Arioſto nicht im Sinne unſerer Zeit genügt; von einem ſo gewaltig begabten und berühmten Dichter nämlich hätte man gerne überhaupt etwas Anderes als Rolandsabenteuer u. dgl. Er hätte ſollen in einem großen Werke die tiefſten Conflicte der Menſchenbruſt, die325 höchſten Anſchauungen der Zeit über göttliche und menſch -4. Abſchnitt. liche Dinge, mit einem Wort: eines jener abſchließenden Weltbilder darſtellen wie die göttliche Comödie und der Fauſt ſie bieten. Statt deſſen verfährt er ganz wie die damaligen bildenden Künſtler und wird unſterblich, indem er von der Originalität in unſerm jetzigen Sinne abſtrahirt, an einem bekannten Kreiſe von Geſtalten weiterbildet und ſelbſt das ſchon dageweſene Detail noch einmal benützt wo es ihm dient. Was für Vorzüge bei einem ſolchen Ver - fahren noch immer erreicht werden können, das wird Leuten ohne künſtleriſches Naturell um ſo viel ſchwerer begreiflich zu machen ſein je gelehrter und geiſtreicher ſie ſonſt ſein mögen. Das Kunſtziel des Arioſto iſt das glanzvoll leben -Sein Styl. dige „ Geſchehen “, welches ſich gleichmäßig durch das ganze große Gedicht verbreitet. Er bedarf dazu einer Dispenſa - tion nicht nur von der tiefern Characterzeichnung ſondern auch von allem ſtrengern Zuſammenhang der Geſchichten. Er muß verlorene und vergeſſene Fäden wieder anknüpfen dürfen wo es ihm beliebt; ſeine Figuren müſſen kommen und verſchwinden, nicht weil ihr tieferes perſönliches Weſen ſondern weil das Gedicht es ſo verlangt. Freilich innerhalb dieſer ſcheinbar irrationellen, willkürlichen Compoſitions - weiſe entwickelt er eine völlig geſetzmäßige Schönheit. Er verliert ſich nie ins Beſchreiben, ſondern giebt immer nur ſo viel Scenerie und Perſonenſchilderung als mit dem Vor - wärtsrücken der Ereigniſſe harmoniſch verſchmolzen werden kann; noch weniger verliert er ſich in Geſpräche und Mo - nologe1)Die eingelegten Reden ſind nämlich wiederum nur Erzählungen., ſondern er behauptet das majeſtätiſche Privilegium des wahren Epos, Alles zu lebendigen Vorgängen zu geſtal - ten. Das Pathos liegt bei ihm nie in den Worten2)Was ſich Pulci wohl erlaubt hatte. Morgante, Canto XIX, Str. 20, s. , vollends nicht in dem berühmten dreiundzwanzigſten Geſang und den3264. Abſchnitt. folgenden, wo Rolands Raſerei geſchildert wird. Daß die Liebesgeſchichten im Heldengedicht keinen lyriſchen Schmelz haben, iſt ein Verdienſt mehr, wenn man ſie auch von moraliſcher Seite nicht immer gut heißen kann. Bisweilen beſitzen ſie dafür eine ſolche Wahrheit und Wirklichkeit trotz allem Zauber - und Ritterweſen, das ſie umgiebt, daß man darin unmittelbare Angelegenheiten des Dichters ſelbſt zu erkennen glaubt. Im Vollgefühl ſeiner Meiſterſchaft hat er dann unbedenklich noch manches Andere aus der Gegen - wart in das große Werk verflochten und den Ruhm des Hauſes Eſte in Geſtalt von Erſcheinungen und Weiſſagun - gen mit hineingenommen. Der wunderbare Strom ſeiner Ottaven trägt dieſes Alles in gleichmäßiger Bewegung vorwärts.
Folengo u. die Parodie.Mit Teofilo Folengo, oder wie er ſich hier nennt, Limerno Pitocco, tritt dann die Parodie des ganzen Ritter - weſens in ihr längſt erſehntes Recht1)Sein Orlandino, erſte Ausg. 1526. — Vgl. oben S. 160., zudem aber meldet ſich mit der Komik und ihrem Realismus nothwendig auch das ſtrengere Characteriſiren wieder. Unter den Püffen und Steinwürfen der wilden Gaſſenjugend eines römiſchen Landſtädtchens, Sutri, wächst der kleine Orlando ſichtbar - lich zum muthigen Helden, Mönchsfeind und Raiſonneur auf. Die conventionelle Phantaſiewelt, wie ſie ſich ſeit Pulci ausgebildet und als Rahmen des Epos gegolten hatte, ſpringt hier freilich in Splitter auseinander; Her - kunft und Weſen der Paladine werden offen verhöhnt, z. B. durch jenes Eſelturnier im zweiten Geſange, wobei die Ritter mit den ſonderbarſten Rüſtungen und Waffen erſcheinen. Der Dichter zeigt bisweilen ein komiſches Be - dauern über die unerklärliche Treuloſigkeit, die in der Fa - milie des Gano von Mainz zu Hauſe geweſen, über die mühſelige Erlangung des Schwertes Durindana u. dgl., ja das Ueberlieferte dient ihm überhaupt nur noch als327 Subſtrat für lächerliche Einfälle, Epiſoden, Tendenzaus -4. Abſchnitt. brüche (worunter ſehr ſchöne, z. B. der Schluß von Cap. VI. ) und Zoten. Neben alledem iſt endlich noch ein gewiſſer Spott auf Arioſto nicht zu verkennen, und es war wohl für den Orlando furioſo ein Glück, daß der Orlandino mit ſeinen lutheriſchen Ketzereien ziemlich bald der Inquiſition und der künſtlichen Vergeſſenheit anheim fiel. Eine kennt - liche Parodie ſcheint z. B. durch, wenn (Cap. VI, Str. 28) das Haus Gonzaga von dem Paladin Guidone abgeleitet wird, ſintemal von Orlando die Colonneſen, von Rinaldo die Orſinen und von Ruggieri — laut Arioſt — die Eſtenſer abſtammen ſollten. Vielleicht war Ferrante Gon - zaga, der Patron des Dichters, dieſer Anzüglichkeit gegen das Haus Eſte nicht fremd.
Daß endlich in der Geruſalemme liberata des Tor -Torq. Taſſo. quato Taſſo die Characteriſtik eine der höchſten Angelegen - heiten des Dichters iſt, beweist allein ſchon, wie weit ſeine Denkweiſe von der um ein halbes Jahrhundert früher herrſchenden abweicht. Sein bewundernswürdiges Werk iſt weſentlich ein Denkmal der inzwiſchen vollzogenen Gegen - reformation und ihrer Tendenz.
Außerhalb des Gebietes der Poeſie haben die Italiener zuerſt von allen Europäern den hiſtoriſchen Menſchen nach ſeinen äußern und innern Zügen und Eigenſchaften genau zu ſchildern eine durchgehende Neigung und Begabung gehabt.
Allerdings zeigt ſchon das frühere Mittelalter bemer -Biographik des Mittelalters, kenswerthe Verſuche dieſer Art, und die Legende mußte als eine ſtehende Aufgabe der Biographie das Intereſſe und das Geſchick für individuelle Schilderung wenigſtens bis zu einem gewiſſen Grade aufrecht halten. In den Kloſter - und Domſtiftsannalen werden manche Hierarchen, wie z. B. Meinwerk von Paderborn, Godehard von Hildesheim ꝛc.3284. Abſchnitt. recht anſchaulich beſchrieben, und von mehrern unſerer deut - ſchen Kaiſer giebt es Schilderungen, nach antiken Muſtern, zumal Sueton, verfaßt, welche die koſtbarſten Züge ent - halten; ja dieſe und ähnliche profane „ vitæ “bilden all - mälig eine fortlaufende Parallele zu den Heiligengeſchichten. Doch wird man weder Einhard noch Wippo noch Rade - vicus1)Radevicus, de gestis Friderici imp., beſ. II, 76. — Die ausge - zeichnete Vita Heinrici IV.[enthält] gerade wenig Perſonalſchilderung. nennen dürfen neben Joinville's Schilderung des heiligen Ludwig, welche als das erſte vollkommene Geiſtes - bildniß eines neu-europäiſchen Menſchen, allerdings ſehr ver - einzelt daſteht. Charactere wie St. Ludwig ſind überhaupt ſelten, und dazu geſellt ſich noch das ſeltene Glück, daß ein völlig naiver Schilderer aus allen einzelnen Thaten und Er - eigniſſen eines Lebens die Geſinnung heraus erkennt und ſprechend darſtellt. Aus welch kümmerlichen Quellen muß man das innere Weſen eines Friedrich II, eines Philipp des Schönen zuſammen errathen. Vieles was ſich dann bis zu Ende des Mittelalters als Biographie giebt, iſt eigentlich nur Zeitgeſchichte und ohne Sinn für das Indi - viduelle des zu preiſenden Menſchen geſchrieben.
u. d. Italiener.Bei den Italienern wird nun das Aufſuchen der cha - racteriſtiſchen Züge bedeutender Menſchen eine herrſchende Tendenz, und dieß iſt es was ſie von den übrigen Abend - ländern unterſcheidet, bei welchen dergleichen mehr nur zu - fällig und in außerordentlichen Fällen vorkömmt. Dieſen entwickelten Sinn für das Individuelle kann überhaupt nur derjenige haben welcher ſelbſt aus der Race herausgetreten und zum Individuum geworden iſt.
Im Zuſammenhang mit dem weitherrſchenden Begriff des Ruhmes (S. 142, f.) entſteht eine ſammelnde und ver - gleichende Biographik, welche nicht mehr nöthig hat ſich an Dynaſtien und geiſtliche Reihenfolgen zu halten wie Ana - ſtaſius, Agnellus und ihre Nachfolger, oder wie die Dogen - biographen von Venedig. Sie darf vielmehr den Menſchen329 ſchildern wenn und weil er bedeutend iſt. Als Vorbilder4. Abſchnitt. wirken hierauf außer Sueton auch Nepos, die viri illustres und Plutarch ein, ſo weit er bekannt und überſetzt war; für literaturgeſchichtliche Aufzeichnungen ſcheinen die Lebens - beſchreibungen der Grammatiker, Rhetoren und Dichter, welche wir als Beilagen zu Sueton kennen1)Wie früh auch Philoſtratus, wage ich nicht zu entſcheiden., weſentlich als Vorbilder gedient zu haben, auch das viel geleſene Leben Virgil's von Donatus.
Wie nun biographiſche Sammlungen, Leben berühmter Männer, berühmter Frauen, mit dem XIV. Jahrh. auf - kamen, wurde ſchon oben (S. 148, f.) erwähnt. Soweit ſie nicht Zeitgenoſſen ſchildern, hängen ſie natürlich von den frühern Darſtellern ab; die erſte bedeutende freie Leiſtung iſt wohl das Leben Dante's von Boccaccio. Leicht undToscaniſche Biographik. ſchwungvoll hingeſchrieben und reich an Willkürlichkeiten, giebt dieſe Arbeit doch das lebhafte Gefühl von dem Außer - ordentlichen in Dante's Weſen. Dann folgen, zu Ende des XIV. Jahrhunderts, die „ vite “ausgezeichneter Florentiner, von Filippo Villani. Es ſind Leute jedes Faches: Dichter, Juriſten, Aerzte, Philologen, Künſtler, Staats - und Kriegs - männer, darunter noch lebende. Florenz wird hier behan - delt wie eine begabte Familie, wo man die Sprößlinge notirt, in welchen der Geiſt des Hauſes beſonders kräftig ausgeſprochen iſt. Die Characteriſtiken ſind nur kurz, aber mit einem wahren Talent für das Bezeichnende gegeben und noch beſonders merkwürdig durch das Zuſammenfaſſen der äußern Phyſiognomie mit der innern. Fortan2)Hier iſt wieder auf jene oben, S. 139, f., excerpirte Biographie des L. B. Alberti hinzuweiſen, ſowie auf die zahlreichen florent. Bio - graphien bei Muratori, im Archivio storico u. a. a. O. haben die Toscaner nie aufgehört, die Menſchenſchilderung als eine Sache ihrer ſpeciellen Befähigung zu betrachten, und von ihnen haben wir die wichtigſten Characteriſtiken der Italiener des XV. und XVI. Jahrhunderts überhaupt. 3304. Abſchnitt. Giovanni Cavalcanti (in den Beilagen zu ſeiner florentini - ſchen Geſchichte, vor 1450) ſammelt Beiſpiele bürgerlicher Trefflichkeit und Aufopferung, politiſchen Verſtandes, ſo wie auch kriegeriſcher Tüchtigkeit, von lauter Florentinern. Papſt Pius II. giebt in ſeinen Commentarien werthvolle Lebensbilder von berühmten Zeitgenoſſen; neuerlich iſt auch eine beſondere Schrift ſeiner frühern Zeit1)De viris illustribus, in den Schriften des Stuttgarter literar. Vereins. wieder abge - druckt worden, welche gleichſam die Vorarbeiten zu jenen Porträts, aber mit eigenthümlichen Zügen und Farben enthält. Dem Jacob von Volterra verdanken wir pikante Porträts der römiſchen Curie2)Sein Diarium bei Murat. XXIII. nach Pius. Von Veſpa - ſiano Fiorentino war ſchon oft die Rede und als Quelle im Ganzen gehört er zum Wichtigſten was wir beſitzen, aber ſeine Gabe des Characteriſirens kommt noch nicht in Betracht neben derjenigen eines Macchiavelli, Nicolò Va - lori, Guicciardini, Varchi, Francesco Vettori, u. a., von welchen die europäiſche Geſchichtſchreibung vielleicht ſo nach - drücklich als von den Alten auf dieſen Weg gewieſen wurde. Man darf nämlich nicht vergeſſen, daß mehrere dieſer Autoren in lateiniſchen Ueberſetzungen frühe ihren Weg nach dem Norden fanden. Und eben ſo gäbe es ohne Giorgio Vaſari von Arezzo und ſein unvergleichlich wichtiges Werk noch keine Kunſtgeſchichte des Nordens und des neuern Europa's überhaupt.
Andere ital. Gegenden.Von den Oberitalienern des XV. Jahrhunderts ſoll Bartolommeo Fazio (von Spezzia) höhere Bedeutung haben (S. 151 Anm.). Platina, aus dem Cremoneſiſchen ge - bürtig, repräſentirt in ſeinem „ Leben Pauls II. “ (S. 225) bereits die biographiſche Caricatur. Vorzüglich wichtig aber iſt die von Piercandido Decembrio verfaßte Schilderung des letzten Visconti3)Petri Candidi Decembrii Vita Philippi Mariæ Vicecomitis, bei Murat. XX. Vgl. oben S. 37., eine große erweiterte Nachahmung331 des Sueton. Sismondi bedauert, daß ſo viele Mühe an4. Abſchnitt. einen ſolchen Gegenſtand gewandt worden, allein für einen größern Mann hätte vielleicht der Autor nicht ausgereicht, während er völlig genügt, um den gemiſchten Character des Filippo Maria und an und in demſelben mit wunder - würdiger Genauigkeit die Vorausſetzungen, Formen und Folgerungen einer beſtimmten Art von Tyrannis darzu - ſtellen. Das Bild des XV. Jahrhunderts wäre unvoll - ſtändig ohne dieſe in ihrer Art einzige Biographie, welche bis in die feinſten Miniaturpünktchen hinein characteriſtiſch iſt. — Späterhin beſitzt Mailand an dem Geſchichtſchreiber Corio einen bedeutenden Bildnißmaler; dann folgt der Comaske Paolo Giovio, deſſen größere Biographien undGiovio. kleinere Elogien weltberühmt und für Nachfolger aller Länder ein Vorbild geworden ſind. Es iſt leicht, an hundert Stellen Giovio's Flüchtigkeit und auch ſeine Unredlichkeit nachzuweiſen, und eine ernſte höhere Abſicht liegt ohnehin nie in einem Menſchen wie er war. Allein der Athem des Jahrhunderts weht durch ſeine Blätter, und ſein Leo, ſein Alfonſo, ſein Pompeo Colonna leben und bewegen ſich vor uns mit völliger Wahrheit und Nothwendigkeit, wenn - gleich ihr tiefſtes Weſen uns hier nicht kund wird.
Unter den Neapolitanern nimmt Triſtan Caracciolo (S. 36), ſo weit wir urtheilen können, ohne Frage die erſte Stelle ein, obwohl ſeine Abſicht nicht einmal eine ſtreng biographiſche iſt. Wunderſam verflechten ſich in den Geſtalten, die er uns vorführt, Schuld und Schickſal, ja man könnte ihn wohl einen unbewußten Tragiker nennen. Die wahre Tragödie, welche damals auf der Scene keine Stätte fand, ſchritt mächtig einher durch die Paläſte, Straßen und Plätze. — Die „ Worte und Thaten Alfons des Großen “, von Antonio Panormita bei Lebzeiten des Königs geſchrie - ben, ſind merkwürdig als eine der frühſten derartigen Sammlungen von Anecdoten und weiſen wie ſcherzhaften Reden.
3324. Abſchnitt. Langſam nur folgte das übrige Europa den italieni -Verhältniß zur europ. Litera - tur. ſchen Leiſtungen in der geiſtigen Characteriſtik1)Ueber Comines vgl. S. 98 Anm., obſchon die großen politiſchen und religiöſen Bewegungen ſo manche Bande geſprengt, ſo viele Tauſende zum Geiſtesleben ge - weckt hatten. Ueber die wichtigſten Perſönlichkeiten der da - maligen europäiſchen Welt ſind wiederum im Ganzen unſere beſten Gewährsmänner Italiener, ſowohl Literaten als Di - plomaten. Wie raſch und unwiderſprochen haben in neueſter Zeit die venezianiſchen Geſandtſchaftsberichte des XVI. und XVII. Jahrhunderts in Betreff der Perſonalſchilderungen die erſte Stelle errungen.
Selbſt - biographien.Auch die Selbſtbiographie nimmt bei den Italienern hie und da einen kräftigen Flug in die Tiefe und Weite und ſchildert neben dem bunteſten Außenleben ergreifend das eigene Innere, während ſie bei andern Nationen, auch bei den Deutſchen der Reformationszeit, ſich an die merkwür - digen äußern Schickſale hält und den Geiſt mehr nur aus der Darſtellungsweiſe errathen läßt. Es iſt als ob Dante's vita nuova mit ihrer unerbittlichen Wahrheit der Nation die Wege gewieſen hätte.
Den Anfang dazu machen die Haus - und Familien - geſchichten - aus dem XIV. und XV. Jahrhundert, welche noch in ziemlicher Anzahl namentlich in den florentiniſchen Bibliotheken handſchriftlich vorhanden ſein ſollen; naive, im Intereſſe des Hauſes und des Schreibenden abgefaßte Lebensläufe, wie z. B. der des Buonaccorſo Pitti.
Aen. Sylvius.Eine tiefere Selbſtkritik iſt auch nicht gerade in den Commentarien Pius II. zu ſuchen; was man hier von ihm als Menſchen erfährt, beſchränkt ſich ſogar dem erſten An - ſchein nach darauf, daß er meldet wie er ſeine Carriere machte. Allein bei weiterm Nachdenken wird man dieſes merkwürdige Buch anders beurtheilen. Es giebt Menſchen, die weſentlich Spiegel deſſen ſind was ſie umgiebt; man333 thut ihnen Unrecht, wenn man ſich beharrlich nach ihrer4. Abſchnitt. Ueberzeugung, nach ihren innern Kämpfen und tiefern Le - bensreſultaten erkundigt. So ging Aeneas Sylvius völlig auf in den Dingen, ohne ſich um irgend einen ſittlichen Zwieſpalt ſonderlich zu grämen; nach dieſer Seite deckte ihn ſeine gutkatholiſche Orthodoxie ſo weit als nöthig war. Und nachdem er in allen geiſtigen Fragen die ſein Jahrhundert beſchäftigten, mitgelebt und mehr als einen Zweig derſelben weſentlich gefördert hatte, behielt er doch am Ende ſeiner Laufbahn noch Temperament genug übrig, um den Kreuzzug gegen die Türken zu betreiben und am Gram ob deſſen Vereitelung zu ſterben.
Auch die Selbſtbiographie des Benvenuto Cellini gehtBenv. Cellini. nicht gerade auf Beobachtungen über das eigene Innere aus. Gleichwohl ſchildert ſie den ganzen Menſchen, zum Theil wider Willen, mit einer hinreißenden Wahrheit und Fülle. Es iſt wahrlich kein Kleines, daß Benvenuto, deſſen bedeutendſte Arbeiten bloßer Entwurf geblieben und unter - gegangen ſind, und der uns als Künſtler nur im kleinen decorativen Fach vollendet erſcheint, ſonſt aber, wenn man bloß nach ſeinen erhaltenen Werken urtheilt, neben ſo vielen größern Zeitgenoſſen zurückſtehen muß, — daß Benvenuto als Menſch die Menſchen beſchäftigen wird bis an's Ende der Tage. Es ſchadet ihm nicht, daß der Leſer häufig ahnt, er möchte gelogen oder geprahlt haben; denn der Eindruck der gewaltig energiſchen, völlig durchgebildeten Natur über - wiegt. Neben ihm erſcheinen z. B. unſere nordiſchen Selbſt - biographen, ſo viel höher ihre Tendenz und ihr ſittliches Weſen bisweilen zu achten ſein mag, doch als unvollſtän - dige Naturen. Er iſt ein Menſch der Alles kann, Alles wagt und ſein Maß in ſich ſelber trägt. Ob wir es gerne hören oder nicht, es lebt in dieſer Geſtalt ein ganz kennt - liches Urbild des modernen Menſchen.
Und noch ein Anderer iſt hier zu nennen, der es eben -Cardano. falls mit der Wahrheit nicht immer ſoll genau genommen3344. Abſchnitt. haben: Girolamo Cardano von Mailand (geb. 1500). Cardano.Sein Büchlein de propria vita1)Verfaßt in hohem Alter, um 1576. — Ueber Cardano als Forſcher und Entdecker vgl. Libri, Hist. des sciences mathém., III, p. 167, s. wird ſelbſt ſein großes Andenken in der Geſchichte der Naturforſchung und der Phi - loſophie überleben und übertönen wie die vita Benvenuto's deſſen Werke, obwohl der Werth der Schrift weſentlich ein anderer iſt. Cardano fühlt ſich als Arzt ſelber den Puls und ſchildert ſeine phyſiſche, intellectuelle und ſittliche Per - ſönlichkeit ſammt den Bedingungen, unter welchen ſich die - ſelbe entwickelt hatte, und zwar aufrichtig und objectiv, ſo weit ihm dieß möglich war. Sein zugeſtandenes Vorbild, Marc Aurel's Schrift auf ſich ſelbſt, konnte er in dieſer Beziehung deßhalb überbieten, weil ihn kein ſtoiſches Tu - gendgebot genirte. Er begehrt weder ſich noch die Welt zu ſchonen; beginnt doch ſein Lebenslauf damit, daß ſeiner Mutter die verſuchte Abtreibung der Leibesfrucht nicht ge - lang. Es iſt ſchon viel, daß er den Geſtirnen, die in ſeiner Geburtsſtunde gewaltet, nur ſeine Schickſale und ſeine in - tellectuellen Eigenſchaften auf die Rechnung ſchreibt und nicht auch die ſittlichen; übrigens geſteht er (Cap. 10) offen ein, daß ihm der aſtrologiſch erworbene Wahn, er werde das vierzigſte und höchſtens das fünfundvierzigſte Jahr nicht überleben, in ſeiner Jugend viel geſchadet habe. Doch es iſt uns hier nicht erlaubt, ein ſo ſtark verbreitetes, in jeder Bibliothek vorhandenes Buch zu excerpiren. Wer es liest, wird in die Dienſtbarkeit jenes Mannes kommen, bis er damit zu Ende iſt. Cardano bekennt allerdings, daß er ein falſcher Spieler, rachſüchtig, gegen jede Reue verhärtet, abſichtlich verletzend im Reden geweſen; — er bekennt es freilich ohne Frechheit wie ohne fromme Zerknirſchung, ja ohne damit intereſſant werden zu wollen, vielmehr mit dem einfachen, objectiven Wahrheitsſinn eines Naturforſchers. 335Und was das Anſtößigſte iſt, der 76jährige Mann findet4. Abſchnitt. ſich nach den ſchauerlichſten Erlebniſſen1)Z. B. die Hinrichtung ſeines älteſten Sohnes, der ſeine verbuhlte Gemahlin vergiftet hatte, Cap. 27. 50., bei einem ſehr erſchütterten Zutrauen zu den Menſchen, gleichwohl leidlich glücklich: noch lebt ihm ja ein Enkel, noch beſitzt er ſein ungeheures Wiſſen, den Ruhm wegen ſeiner Werke, ein hübſches Vermögen, Rang und Anſehen, mächtige Freunde, Kunde von Geheimniſſen, und was das Beſte iſt: den Glauben an Gott. Nachträglich zählt er die Zähne in ſeinem Munde; es ſind ihrer noch fünfzehn.
Doch als Cardano ſchrieb, ſorgten auch in Italien Inquiſitoren und Spanier bereits dafür, daß ſolche Men - ſchen entweder ſich nicht mehr ausbilden konnten oder auf irgend eine Weiſe umkamen. Es iſt ein großer Sprung von da bis auf die Memoiren des Alfieri.
Es wäre indeß ungerecht, dieſe Zuſammenſtellung vonLuigi Cornaro. Selbſtbiographen zu ſchließen ohne einen ſowohl achtbaren als glücklichen Menſchen zum Worte kommen zu laſſen. Es iſt dieß der bekannte Lebensphiloſoph Luigi Cornaro, deſſen Wohnung in Padua ſchon als Bauwerk claſſiſch und zugleich eine Heimath aller Muſen war. In ſeinem be - rühmten Tractat „ vom mäßigen Leben “2)Discorsi della Vita sobria, beſtehend aus dem eigentlichen trattato, einem compendio, einer esortazione und einer lettera an Daniel Barbaro. — Oefter gedruckt. ſchildert er zunächſt die ſtrenge Diät, durch welche es ihm gelungen, nach frü - herer Kränklichkeit ein geſundes und hohes Alter, damals von 83 Jahren, zu erreichen; dann antwortet er denjenigen, welche das Alter über 65 Jahre hinaus überhaupt als einen lebendigen Tod verſchmähen; er beweist ihnen, daß ſein Leben ein höchſt lebendiges und kein todtes ſei. „ Sie mögen kommen, ſehen und ſich wundern über mein Wohl - befinden, wie ich ohne Hülfe zu Pferde ſteige, Treppen und Hügel hinauf laufe, wie ich luſtig, amuſant und zufrieden3364. Abſchnitt. bin, wie frei von Gemüthsſorgen und widerwärtigen Ge -Luigi Cornaro. danken. Freude und Friede verlaſſen mich nicht ... Mein Umgang ſind weiſe, gelehrte, ausgezeichnete Leute von Stande und wenn dieſe nicht bei mir ſind, leſe und ſchreibe ich, und ſuche damit wie auf jede andere Weiſe Andern nützlich zu ſein nach Kräften. Von dieſen Dingen thue ich jedes zu ſeiner Zeit, bequem, in meiner ſchönen Behauſung, welche in der beſten Gegend Padua's gelegen und mit allen Mit - teln der Baukunſt auf Sommer und Winter eingerichtet, auch mit Gärten am fließenden Waſſer verſehen iſt. Im Frühling und Herbſt gehe ich für einige Tage auf meinen Hügel in der ſchönſten Lage der Euganeen, mit Brunnen, Gärten und bequemer und zierlicher Wohnung; da mache ich auch wohl eine leichte und vergnügliche Jagd mit, wie ſie für mein Alter paßt. Einige Zeit bringe ich dann in meiner ſchönen Villa in der Ebene1)Iſt dieß wohl die S. 319 erwähnte Villa von Codevico? zu; dort laufen alle Wege auf einen Platz zuſammen, deſſen Mitte eine artige Kirche einnimmt; ein mächtiger Arm der Brenta ſtrömt mitten durch die Anlagen, lauter fruchtbare, wohl ange - baute Felder, Alles jetzt ſtark bewohnt, wo früher nur Sumpf und ſchlechte Luft und eher ein Wohnſitz für Schlangen als für Menſchen war. Ich war's, der die Gewäſſer ableitete; da wurde die Luft gut und die Leute ſiedelten ſich an und vermehrten ſich, und der Ort wurde ſo ausgebaut wie man ihn jetzt ſieht, ſo daß ich in Wahr - heit ſagen kann: an dieſer Stätte gab ich Gott einen Altar und einen Tempel und Seelen um ihn anzubeten. Dieß iſt mein Troſt und mein Glück ſo oft ich hinkomme. Im Frühling und Herbſt beſuche ich auch die nahen Städte und ſehe und ſpreche meine Freunde und mache durch ſie die Bekanntſchaft anderer ausgezeichneter Leute, Architecten, Maler, Bildhauer, Muſiker und Landöconomen. Ich be - trachte was ſie Neues geſchaffen haben, betrachte das ſchon337 Bekannte wieder und lerne immer Vieles was mir dient,4. Abſchnitt. in und an Paläſten, Gärten, Alterthümern, Stadtanlagen,Luigi Cornaro. Kirchen und Feſtungswerken. Vor Allem aber entzückt mich auf der Reiſe die Schönheit der Gegenden und der Ort - ſchaften, wie ſie bald in der Ebene, bald auf Hügeln, an Flüſſen und Bächen mit ihren Landhäuſern und Gärten ringsum da liegen. Und dieſe meine Genüſſe werden mir nicht geſchmälert durch Abnahme des Auges oder des Ohres; alle meine Sinne ſind Gott ſei Dank in vollkom - men gutem Zuſtande, auch der Geſchmack, indem mir jetzt das Wenige und Einfache, was ich zu mir nehme, beſſer ſchmeckt, als einſt die Leckerbiſſen zur Zeit da ich unordent - lich lebte. “
Nachdem er hierauf die von ihm für die Republik betriebenen Entſumpfungsarbeiten und die von ihm beharr - lich vorgeſchlagenen Projecte zur Erhaltung der Lagunen erwähnt hat, ſchließt er: „ Dieß ſind die wahren Erholungen eines durch Gottes Hülfe geſunden Alters, das von jenen geiſtigen und körperlichen Leiden frei iſt, welchen ſo manche jüngere Leute und ſo manche hinſiechende Greiſe unterliegen. Und wenn es erlaubt iſt, zum Großen das Geringe, zum Ernſt den Scherz hinzuzufügen, ſo iſt auch das eine Frucht meines mäßigen Lebens, daß ich in dieſem meinem 83ſten Altersjahre noch eine ſehr ergötzliche Comödie voll ehrbarer Spaßhaftigkeit geſchrieben habe. Dergleichen iſt ſonſt Sache der Jugend, wie die Tragödie Sache des Alters; wenn man es nun jenem berühmten Griechen zum Ruhm an - rechnet, daß er noch im 73ſten Jahre eine Tragödie ge - dichtet, muß ich nicht mit zehn Jahren darüber geſunder und heiterer ſein als Jener damals war? — Und damit der Fülle meines Alters kein Troſt fehle, ſehe ich eine Art leib - licher Unſterblichkeit in Geſtalt meiner Nachkommenſchaft vor Augen. Wenn ich nach Hauſe komme, habe ich nicht einen oder zwei, ſondern eilf Enkel vor mir, zwiſchen zwei und achtzehn Jahren, alle von einem Vater und einerCultur der Renaiſſance. 223384. Abſchnitt. Mutter, alle kerngeſund und (ſo viel bis jetzt zu ſehen iſt) mit Talent und Neigung für Bildung und gute Sitten begabt. Einen von den kleinern habe ich immer als meinen Poſſenmacher (buffoncello) bei mir, wie denn die Kinder vom dritten bis zum fünften Jahre geborene Buffonen ſind; die größern behandle ich ſchon als meine Geſellſchaft, und freue mich auch, da ſie herrliche Stimmen haben, ſie ſingen und auf verſchiedenen Inſtrumenten ſpielen zu hören; ja ich ſelbſt ſinge auch und habe jetzt eine beſſere, hellere, tö - nendere Stimme als je. Das ſind die Freuden meines Alters. Mein Leben iſt alſo ein lebendiges und kein todtes, und ich möchte mein Alter nicht tauſchen gegen die Jugend eines Solchen, der den Leidenſchaften verfallen iſt. “
In der „ Ermahnung “, welche Cornaro viel ſpäter, in ſeinem 95ſten Jahre beifügte, rechnet er zu ſeinem Glück unter andern auch, daß ſein „ Tractat “viele Proſelyten ge - wonnen habe. Er ſtarb zu Padua 1565, mehr als hundert - jährig.
Characteriſtik von Völkern u. Städten.Neben der Characteriſtik der einzelnen Individuen ent - ſteht auch eine Gabe des Urtheils und der Schilderung für ganze Bevölkerungen. Während des Mittelalters hatten ſich im ganzen Abendlande Städte, Stämme und Völker gegenſeitig mit Spott - und Scherzworten verfolgt, welche meiſtens einen wahren Kern in ſtarker Verzerrung enthielten. Von jeher aber thaten ſich die Italiener im Bewußtſein der geiſtigen Unterſchiede ihrer Städte und Landſchaften beſonders hervor; ihr Localpatriotismus, ſo groß oder größer als bei irgend einem mittelalterlichen Volke, hatte frühe ſchon eine literariſche Seite und verband ſich mit dem Be - griff des Ruhmes; die Topographie entſteht als eine Paral - lele der Biographie (S. 148). Während ſich nun jede größere Stadt in Proſa und Verſen zu preiſen anfing1)Dieß zum Theil ſchon ſehr früh, in den lombardiſchen Städten ſchon im XII. Jahrh. Vgl. Landulfus senior, Ricobaldus und (bei, traten339 auch Schriftſteller auf, welche ſämmtliche wichtigere Städte4. Abſchnitt. und Bevölkerungen theils ernſthaft neben einander beſchrie - ben, theils witzig verſpotteten, auch wohl ſo beſprachen, daß Ernſt und Spott nicht ſcharf von einander zu trennen ſind.
Nächſt einigen berühmten Stellen in der Divina Com -Dittamondo. media kommt der Dittamondo des Uberti in Betracht (um 1360). Hier werden hauptſächlich nur einzelne auffallende Erſcheinungen und Wahrzeichen namhaft gemacht: das Krähenfeſt zu St. Apollinare in Ravenna, die Brunnen in Treviſo, der große Keller bei Vicenza, die hohen Zölle von Mantua, der Wald von Thürmen in Lucca; doch finden ſich dazwiſchen auch Lobeserhebungen und anzügliche Kriti - ken anderer Art; Arezzo figurirt bereits mit dem ſubtilen Ingenium ſeiner Stadtkinder, Genua mit den künſtlich ge - ſchwärzten Augen und Zähnen (?) der Weiber, Bologna mit dem Geldverthun, Bergamo mit dem groben Dialect und den geſcheidten Köpfen u. dgl .1)Ueber Paris, welches damals noch dem Italiener vom Mittelalter her weit mehr galt als hundert Jahre ſpäter, ſ. Dittamondo IV, cap. 18.. Im XV. Jahr - hundert rühmt dann Jeder ſeine eigene Heimath auch auf Koſten anderer Städte. Michele Savonarola z. B. läßt neben ſeinem Padua nur Venedig und Rom als herrlicher, Florenz höchſtens als fröhlicher gelten2)Savonarola, bei Murat. XXIV, Col. 1186. — Ueber Venedig ſ. oben S. 62., womit denn na - türlich der objectiven Erkenntniß wenig gedient war. Am Ende des Jahrhunderts ſchildert Jovianus Pontanus in ſeinem „ Antonius “eine fingirte Reiſe durch Italien nur um boshafte Bemerkungen dabei vorbringen zu können. Schilderungen des XVI. Jahrh.Aber mit dem XVI. Jahrhundert beginnt eine Reihe wahrer und tiefer Characteriſtiken3)Der Character der raſtlos thätigen Bergamasken voll Argwohn wie ſie damals wohl1)Murat. X.) den merkwürdigen Auonymus De laudibus Papiæ, aus dem XIV. Jahrh.22*3404. Abſchnitt. kein anderes Volk in dieſer Weiſe beſaß. Macchiavell ſchildert in einigen koſtbaren Aufſätzen die Art und den politiſchen Zuſtand der Deutſchen und Franzoſen, ſo daß auch der geborene Nordländer, der ſeine Landesgeſchichte kennt, dem florentiniſchen Weiſen für ſeine Lichtblicke dank - bar ſein wird. Dann zeichnen die Florentiner (S. 74, 82) gerne ſich ſelbſt1)So Varchi, im IX. Buch der Storie Fiorentine (Vol. III, p. 56, s.) und ſonnen ſich dabei im reichlich ver - dienten Glanze ihres geiſtigen Ruhmes; vielleicht iſt es der Gipfel ihres Selbſtgefühls, wenn ſie z. B. das künſtleriſche Primat Toscana's über Italien nicht einmal von einer beſondern genialen Begabung, ſondern von der Anſtrengung, von den Studien herleiten2)Vasari, XII, p. 158, v. di Michelangelo, Anfang. Andere Male wird dann doch laut genug der Mutter Natur gedankt, wie z. B. in dem Sonett des Alfonſo de' Pazzi an den Nicht-Toscaner Annibal Caro (bei Trucchi, l. c. III, p. 187): Misero il Varchi! e più infelici noi, Se a vostri virtudi accidentali Aggiunto fosse 'l natural, ch'è in noi! . Huldigungen berühmter Italiener anderer Gegenden wie z. B. das herrliche ſechs - zehnte Capitolo des Arioſt, mochte man wohl wie einen ſchuldigen Tribut in Empfang nehmen.
Von einer, wie es ſcheint, ſehr ausgezeichneten Quelle über die Unterſchiede der Bevölkerungen Italiens können wir nur den Namen angeben3)Landi: Quæstiones Forcianæ, Neapoli 1536, benützt von Ranke, Päpſte I, S. 385.. Leandro Alberti4)Descrizione di tutta l'Italia. iſt in der Schilderung des Genius der einzelnen Städte nicht ſo ausgiebig als man erwarten ſollte. Ein kleiner ano - nymer5)Commentario delle più notabili et mostruose cose d'Italia etc., Venezia 1569. (Wahrſcheinlich vor 1547 verfaßt.) Commentario enthält zwiſchen vielen Thorheiten3)und Neugier iſt ſehr artig geſchildert bei Bandello, Parte I, Nov. 34.341 auch manchen werthvollen Wink über den unglücklichen,4. Abſchnitt. zerfallenen Zuſtand um die Mitte des Jahrhunderts1)Poſſenhafte Aufzählungen der Städte giebt es fortan häufig; z. B. Macaroneide, Phantas. II..
Wie nun dieſe vergleichende Betrachtung der Bevöl - kerungen, hauptſächlich durch den italieniſchen Humanismus, auf andere Nationen eingewirkt haben mag, ſind wir nicht im Stande näher nachzuweiſen. Jedenfalls gehört Italien dabei die Priorität wie bei der Cosmographie im Großen.
Allein die Entdeckung des Menſchen bleibt nicht ſtehenSchilderung des äußern Menſchen. bei der geiſtigen Schilderung der Individuen und der Völker; auch der äußere Menſch iſt in Italien auf ganz andere Weiſe das Object der Betrachtung als im Norden.
Von der Stellung der großen italieniſchen Aerzte zu den Fortſchritten der Phyſiologie wagen wir nicht zu ſprechen, und die künſtleriſche Ergründung der Menſchengeſtalt ge - hört nicht hieher ſondern in die Kunſtgeſchichte. Wohl aber muß hier von der allgemeinen Bildung des Auges die Rede ſein, welche in Italien ein objectives, allgültiges Urtheil über körperliche Schönheit und Häßlichkeit möglich machte.
Fürs Erſte wird man bei der aufmerkſamen Leſung der damaligen italieniſchen Autoren erſtaunen über die Ge - nauigkeit und Schärfe in der Bezeichnung der äußern Züge und über die Vollſtändigkeit mancher Perſonalbeſchrei - bungen überhaupt2)Ueber Filippo Villani, vgl. S. 329.. Noch heutzutage haben beſonders die Römer das Talent, einen Menſchen, von dem die Rede iſt, in drei Worten kenntlich zu machen. Dieſes raſche Erfaſſen des Characteriſtiſchen aber iſt eine weſentliche Vorbedingung für die Erkenntniß des Schönen und für die Fähigkeit daſſelbe zu beſchreiben. Bei Dichtern kann allerdings das umſtändliche Beſchreiben ein Fehler ſein, da ein einziger Zug, von der tiefern Leidenſchaft eingegeben, im Leſer ein3424. Abſchnitt. viel mächtigeres Bild von der betreffenden Geſtalt zu er - wecken vermag. Dante hat ſeine Beatrice nirgends herrlicher geprieſen als wo er nur den Reflex ſchildert, der von ihrem Weſen ausgeht auf ihre ganze Umgebung. Allein es han - delt ſich hier nicht um die Poeſie, welche als ſolche ihren eigenen Zielen nachgeht, ſondern um das Vermögen, ſpe - cielle ſowohl als ideale Formen in Worten zu malen.
Die Schönheit bei Boccaccio.Hier iſt Boccaccio Meiſter, nicht im Decamerone, da die Novelle alles lange Beſchreiben verbietet, ſondern in ſeinen Romanen, wo er ſich die Muße und den nöthigen Schwung dazu nehmen darf. In ſeinem Ameto ſchildert er1)Parnasso teatrale, Lipsia 1829. Introd., p. VII. eine Blonde und eine Braune ungefähr wie ein Maler ſie hundert Jahre ſpäter würde gemalt haben — denn auch hier geht die Bildung der Kunſt lange voran. Bei der Braunen (oder eigentlich nur weniger Blonden) erſcheinen ſchon einige Züge, die wir claſſiſch nennen würden: in ſeinen Worten „ la spaziosa testa e distesa “liegt die Ahnung großer Formen, die über das Niedliche hinausgehen; die Augbraunen bilden nicht mehr wie beim Ideal der Byzantiner zwei Bogen, ſondern zuſammen eine geſchwungene Linie; die Naſe ſcheint er ſich der ſogenannten Adlernaſe gen[ä]hert zu denken2)Die Lesart iſt hier offenbar verdorben.; auch die breite Bruſt, die mäßig langen Arme, die Wirkung der ſchönen Hand wie ſie auf dem Purpurgewande liegt — all dieſe Züge deuten weſent - lich auf das Schönheitsgefühl einer kommenden Zeit, welches zugleich dem des hohen claſſiſchen Alterthumes unbewußt ſich nähert. In andern Schilderungen erwähnt Boccaccio auch eine ebene (nicht mittelalterlich gerundete) Stirn, ein ernſtes langgezogenes braunes Auge, einen runden, nicht ausgehöhlten Hals, freilich auch das ſehr moderne „ kleine Füßchen “, und, bei einer ſchwarzhaarigen Nymphe bereits „ zwei ſpitzbübiſch rollende Augen “3)Due occhi ladri nel loro movimento. Die ganze Schrift iſt reich an ſolchen Beſchreibungen.. U. a. m.
343Ob das XV. Jahrhundert ſchriftliche Rechenſchaft über4. Abſchnitt. ſein Schönheitsideal hinterlaſſen hat, weiß ich nicht zu ſa - gen; die Leiſtungen der Maler und Bildhauer würden dieſelbe nicht ſo ganz entbehrlich machen, wie es auf den erſten Anblick ſcheint, da gerade ihrem Realismus gegen - über in den Schreibenden ein ſpecielles Poſtulat der Schön - heit fortgelebt haben könnte1)Das ſehr ſchöne Liederbuch des Giuſto de' Conti: la bella mano meldet nicht einmal von dieſer berühmten Hand ſeiner Geliebten ſo viel Specielles wie Boccaccio an zehn Stellen ſeines Ameto von den Händen ſeiner Nymphen erzählt.. Im XVI. JahrhundertFirenzuola's Ideal. tritt dann Firenzuola hervor mit ſeiner höchſt merkwürdigen Schrift über weibliche Schönheit2)Della bellezza delle donne, im I. Band der Opere di Firen - zuola, Milano 1802. — Seine Anſicht über die Körperſchönheit als Anzeige der Seelenſchönheit vgl. vol. II, p. 48 bis 52, in den ragionamenti vor ſeinen Novellen. — Unter den vielen Andern welche dieß, zum Theil nach Art der Alten, verfechten, nennen wir nur Castiglione, il Cortigiano, L. IV, fol. 176.. Man muß vor Allem ausſcheiden was er nur von antiken Autoren und von Künſtlern gelernt hat, wie die Maßbeſtimmungen nach Kopflängen, einzelne abſtracte Begriffe ꝛc. Was übrig bleibt iſt eigene echte Wahrnehmung, die er mit Beiſpielen von lauter Frauen und Mädchen aus Prato belegt. Da nun ſein Werkchen eine Art von Vortrag iſt, den er vor ſeinen Prateſerinnen, alſo den ſtrengſten Richterinnen hält, ſo muß er dabei ſich wohl an die Wahrheit angeſchloſſen haben. Sein Princip iſt zugeſtandenermaßen das des Zeuxis und Lucian: ein Zuſammenſuchen von einzelnen ſchönſten Theilen zu einer höchſten Schönheit. Er definirt die Ausdrücke der Farben, die an Haut und Haaren vor - kommen, und giebt dem biondo den Vorzug als der we - ſentlichen und ſchönſten Haarfarbe3)[Worüber] Jedermann einverſtanden war, nicht[bloß] die Maler aus Gründen des Colorites., nur daß er darunter3444. Abſchnitt. ein ſanftes, dem Bräunlichen zugeneigtes Gelb verſteht. Firenzuola's Ideal.Ferner verlangt er das Haar dicht, lockig und lang, die Stirn heiter und doppelt ſo breit als hoch, die Haut hell leuchtend (candido), aber nicht von todter Weiße (bian - chezza), die Braunen dunkel, ſeidenweich, in der Mitte am ſtärkſten und gegen Naſe und Ohr abnehmend, das Weiße im Auge leiſe bläulich, die Iris nicht gerade ſchwarz, obwohl alle Dichter nach occhi neri als einer Gabe der Venus ſchreien, während doch das Himmelblau ſelbſt Göt - tinnen eigen geweſen und das ſanfte, fröhlich blickende Dunkelbraun allbeliebt ſei. Das Auge ſelbſt ſoll groß ge - bildet ſein und vortreten; die Lider ſind weiß mit kaum ſichtbaren rothen Aederchen am ſchönſten; die Wimpern weder zu dicht noch zu lang, noch zu dunkel. Die Augen - höhle muß die Farbe der Wangen haben1)Bei dieſem Anlaß Etwas über das Auge der Lucrezia Borgia, aus den Diſtichen eines ferrareſiſchen Hofpoeten, Ercole Strozza. (Strozii poetæ, p. 85. 86). Die Macht ihres Blickes wird auf eine Weiſe bezeichnet, die nur in einer künſtleriſchen Zeit erklärlich iſt, und die man ſich jetzt verbitten würde. Bald heißt dieß Auge entflammend, bald verſteinernd. Wer die Sonne lange anſieht, wird blind; wer Meduſa betrachtete, wurde Stein; wer aber Lucrezien's Angeſicht ſchaut:‘Fit primo intuitu cæcus et inde lapis. ’Ja der marmorne ſchlafende Cupido in ihren Sälen ſoll von ihrem Blick verſteinert ſein:‘Lumine Borgiados saxificatus Amor. ’Man kann nun darüber ſtreiten, ob der ſogenannte praxiteliſche oder derjenige von Michelangelo gemeint ſei, da ſie beide beſaß.Und derſelbe Blick erſchien einem andern Dichter, dem Marcello Filoſſeno, nur mild und ſtolz, mansueto e altero. (Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VII, p. 306).Vergleichungen mit antiken Idealgeſtalten kommen damals nicht ſelten ver (S. 31, 183). Von einem zehnjährigen Knaben heißt es im Orlandino (II, Str. 47): er hat einen antiken Kopf, ed ha capo romano.. Das Ohr, von mittlerer Größe, feſt und wohl angeſetzt, muß in den345 geſchwungenen Theilen lebhafter gefärbt ſein als in den4. Abſchnitt. flachern, der Saum durchſichtig und rothglänzend wie Gra -Firenzuola's Ideal. natenkern. Die Schläfe ſind weiß und flach und nicht zu ſchmal am ſchönſten1)Bei dieſem Anlaß, da das Ausſehen der Schläfe durch die Anord - nung der Haare modificirt werden kann, erlaubt ſich F. einen komi - ſchen Ausfall gegen die allzuvielen Blumen im Haar, welche dem Geſicht ein Anſehen geben, „ gleich einem Topf voll Nelken oder einem Geißviertel am Bratſpieß “. Ueberhaupt verſteht er recht wohl zu carikiren.. Auf den Wangen muß das Roth mit der Rundung zunehmen. Die Naſe, welche weſentlich den Werth des Profiles beſtimmt, muß nach oben ſehr ſanft und gleichmäßig abnehmen; wo der Knorpel aufhört, darf eine kleine Erhöhung ſein, doch nicht daß daraus eine Adlernaſe würde, die an Frauen nicht gefällt; der untere Theil muß ſanfter gefärbt ſein als die Ohren, nur nicht erfroren weiß, die mittlere Wand über der Lippe leiſe ge - röthet. Den Mund verlangt der Autor eher klein, doch weder geſpitzt noch platt, die Lippen nicht zu ſubtil, und ſchön aufeinander paſſend; beim zufälligen Oeffnen (d. h. ohne Lachen oder Reden) darf man höchſtens ſechs Ober - zähne ſehen. Beſondere Delicateſſen ſind das Grübchen in der Oberlippe, ein ſchönes Anſchwellen der Unterlippe, ein liebreizendes Lächeln im linken Mundwinkel ꝛc. Die Zähne ſollen ſein: nicht zu winzig, ferner gleichmäßig, ſchön ge - trennt, elfenbeinfarbig; das Zahnfleiſch nicht zu dunkel, ja nicht etwa wie rother Sammet. Das Kinn ſei rund, weder geſtülpt noch ſpitzig, gegen die Erhöhung hin ſich röthend; ſein beſonderer Ruhm iſt das Grübchen. Der Hals muß weiß und rund und eher zu lang als zu kurz ſein, Grube und Adamsapfel nur angedeutet; die Haut muß bei jeder Wendung ſchöne Falten bilden. Die Schul - tern verlangt er breit und bei der Bruſt erkennt er ſogar in der Breite das höchſte Erforderniß der Schönheit; außer - dem muß daran kein Knochen ſichtbar, alles Zu - und Ab -3464. Abſchnitt. nehmen kaum bemerklich, die Farbe „ candidissimo “ſein. Firenzuola's Ideal.Das Bein ſoll lang und an dem untern Theil zart, doch am Schienbein nicht zu fleiſchlos und überdieß mit ſtarken weißen Waden verſehen ſein. Den Fuß will er klein, doch nicht mager, die Spannung (ſcheint es) hoch, die Farbe weiß wie Alabaſter. Die Arme ſollen weiß ſein und ſich an den erhöhten Theilen leiſe röthen; ihre Conſiſtenz be - ſchreibt er als fleiſchig und musculös, doch ſanft wie die der Pallas, da ſie vor dem Hirten auf Ida ſtand, mit einem Worte: ſaftig, friſch und feſt. Die Hand verlangt er weiß, beſonders oben, aber groß und etwas voll, und anzufühlen wie feine Seide, das roſige Innere mit wenigen, aber deutlichen, nicht gekreuzten Linien und nicht zu hohen Hügeln verſehen, den Raum zwiſchen Daumen und Zeige - finger lebhaft gefärbt und ohne Runzeln, die Finger lang, zart und gegen das Ende hin kaum merklich dünner, mit hellen, wenig gebogenen und nicht zu langen noch zu vier - eckigen Nägeln, die beſchnitten ſein ſollen nur bis auf die Breite eines Meſſerrückens.
Neben dieſer ſpeciellen Aeſthetik nimmt die allgemeine nur eine untergeordnete Stelle ein. Die tiefſten Gründe des Schönfindens, nach welchen das Auge „ senza appello “richtet, ſind auch für Firenzuola ein Geheimniß wie er offen eingeſteht, und ſeine Definitionen von Leggiadria, Grazia, Vaghezza, Venustà, Aria, Maestà ſind zum Theil, wie bemerkt, philologiſch erworben, zum Theil ein vergeb - liches Ringen mit dem Unausſprechlichen. Das Lachen definirt er — wahrſcheinlich nach einem alten Autor — recht hübſch als ein Erglänzen der Seele.
Alle Literaturen werden am Ausgange des Mittelalters einzelne Verſuche aufweiſen, die Schönheit gleichſam dog - matiſch feſtzuſtellen1)Das Schönheitsideal der Minneſinger ſ. bei Falke, die deutſche Trach - ten - und Modenwelt, I, S. 85, ff.. Allein neben Firenzuola wird ſchwer -347 lich ein anderes Werk irgend aufkommen. Der um ein4. Abſchnitt. ſtarkes halbes Jahrhundert ſpätere Brantome z. B. iſt ein geringer Kenner dagegen, weil ihn die Lüſternheit und nicht der Schönheitsſinn leitet.
Zu der Entdeckung des Menſchen dürfen wir endlichSchilderung des bewegten Lebens. auch die ſchildernde Theilnahme an dem wirklichen bewegten Menſchenleben rechnen.
Die ganze komiſche und ſatiriſche Seite der mittelalter - lichen Literaturen hatte zu ihren Zwecken das Bild des gemeinen Lebens nicht entbehren können. Etwas ganz anderes iſt es, wenn die Italiener der Renaiſſance dieſes Bild um ſeiner ſelber willen ausmalen, weil es an ſich intereſſant, weil es ein Stück des großen allgemeinen Weltlebens iſt, von welchem ſie ſich zauberhaft umwogt fühlen. Statt und neben der Tendenzkomik, welche ſich in den Häuſern, auf den Gaſſen, in den Dörfern herumtreibt, weil ſie Bürgern, Bauern und Pfaffen eines anhängen will, treffen wir hier in der Literatur die Anfänge des echten Genre, lange Zeit bevor ſich die Malerei damit abgiebt. Daß Beides ſich dann oft wieder verbindet, hindert nicht, daß es verſchiedene Dinge ſind.
Wie viel irdiſches Geſchehen muß Dante aufmerkſamBei Dante. und theilnehmend angeſehen haben bis er die Vorgänge ſeines Jenſeits ſo ganz ſinnlich wahr ſchildern konnte1)Ueber die Wahrheit ſeines Raumſinns vgl. S. 295, Anm.. Die berühmten Bilder von der Thätigkeit im Arſenal zu Venedig, vom Aneinanderlehnen der Blinden vor den Kirch - thüren2)Inferno XXI, 7. Purgat. XIII, 61. u. dgl. ſind lange nicht die einzigen Beweiſe dieſer Art; ſchon ſeine Kunſt, den Seelenzuſtand in der äußern Geberde darzuſtellen, zeigt ein großes und beharrliches Studium des Lebens.
3484. Abſchnitt. Die Dichter, welche auf ihn folgen, erreichen ihn in dieſer Beziehung ſelten und den Novelliſten verbietet es das höchſte Geſetz ihrer Literaturgattung, bei dem Einzelnen zu verweilen (Vgl. S. 302, 342). Sie dürfen ſo weitſchweifig präludiren und erzählen als ſie wollen, aber nicht genrehaft ſchildern. Wir müſſen uns gedulden bis die Männer des Alterthums Luſt und Gelegenheit finden, ſich in der Be - ſchreibung zu ergehen.
Bei Aen. Syl - vius.Hier tritt uns wiederum der Menſch entgegen, welcher Sinn hatte für Alles: Aeneas Sylvius. Nicht bloß die Schönheit der Landſchaft, nicht bloß das cosmographiſch oder antiquariſch Intereſſante (S. 180, 282, 298) reizt ihn zur Darſtellung, ſondern jeder lebendige Vorgang1)Man muß es nicht zu ernſt nehmen, daß er an ſeinem Hofe eine Art Spottdroſſel, den Florentiner Greco hatte, hominem certe cuiusvis mores, naturam, linguam cum maximo omnium qui audiebant risu facile exprimentem. Platina, vitæ Pontiff. p. 310.. Unter den ſehr vielen Stellen ſeiner Memoiren, wo Scenen ge - ſchildert werden, welchen damals kaum Jemand einen Feder - ſtrich gegönnt hätte, heben wir hier nur das Wettrudern auf dem Bolſener See hervor2)Pii II. Comment. VIII, p. 391.. Man wird nicht näher ermitteln können, aus welchen antiken Epiſtolographen oder Erzählern die ſpecielle Anregung zu ſo lebensvollen Bildern auf ihn übergegangen iſt, wie denn überhaupt die geiſtigen Berührungen zwiſchen Alterthum und Renaiſſance oft über - aus zart und geheimnißvoll ſind.
Sodann gehören hieher jene beſchreibenden lateiniſchen Gedichte, von welchen oben (S. 257) die Rede war: Jagden, Reiſen, Ceremonien u. dgl. Es giebt auch Ita - lieniſches dieſer Gattung; wie z. B. die Schilderungen des berühmten mediceiſchen Turniers von Poliziano und Luca Pulci. Die eigentlichen epiſchen Dichter, Luigi Pulci, Bo -349 jardo und Arioſt, treibt ihr Gegenſtand ſchon raſcher vor -4. Abſchnitt. wärts, doch wird man bei Allen die leichte Präciſion in der Schilderung des Bewegten als ein Hauptelement ihrer Meiſterſchaft anerkennen müſſen. Franco Sacchetti macht ſich einmal das Vergnügen, die kurzen Reden eines Zuges hübſcher Weiber aufzuzeichnen1)Dieſe ſogenannte Caccia iſt abgedruckt im Commentar zu Caſti - glione's Ecloge., die im Wald vom Regen überraſcht werden.
Andere Beſchreibungen der bewegten Wirklichkeit findet man am eheſten bei Kriegsſchriftſtellern u. dgl. (Vgl. S. 100). Schon aus früherer Zeit iſt uns in einem umſtändlichen Gedicht2)S. die Serventeſe des Giannozzo von Florenz, bei Trucchi, Poesie italiane inedite, II, p. 99. Die Worte ſind zum Theil ganz un - verſtändlich, d. h. wirklich oder ſcheinbar aus den Sprachen der fremden Söldner entlehnt. — Auch Macchiavell's Beſchreibung von Florenz während der Peſt von 1527 gehört gewiſſermaßen hieher. Lauter lebendig ſprechende Einzelbilder eines ſchrecklichen Zuſtandes. das getreue Abbild einer Söldnerſchlacht des XIV. Jahrhunderts erhalten, hauptſächlich in Geſtalt der Zurufe, Commando's und Geſpräche, die während einer ſolchen vorkommen.
Das Merkwürdigſte dieſer Art aber iſt die echte Schil -Falſche u. echte Schilderung des Landlebens. derung des Bauernlebens, welche beſonders bei Lorenzo magnifico und den Dichtern in ſeiner Umgebung bemerk - lich wird.
Seit Petrarca3)Laut Boccaccio (Vita di Dante, p. 77) hätte ſchon Dante zwei, wahrſcheinlich lateiniſche, Eclogen gedichtet. gab es eine falſche, conventionelle Bucolik oder Eclogendichtung, eine Nachahmung Virgils, mochten die Verſe lateiniſch oder italieniſch ſein. Als ihre Nebengattungen traten auf der Hirtenroman von Boccaccio (S. 254) bis auf Sannazaro's Arcadia, und ſpäter das Schäferſpiel in der Art des Taſſo und Guarini, Werke der allerſchönſten Proſa wie des vollendetſten Versbaues, worin3504. Abſchnitt. jedoch das Hirtenweſen nur ein äußerlich übergeworfenes ideales Coſtüm für Empfindungen iſt, die einem ganz andern Bildungskreis entſtammen1)Boccaccio giebt in ſeinem Ameto ſchon eine Art von mythiſch ver - kleidetem Decamerone und fällt bisweilen auf komiſche Weiſe aus dem Coſtüm. Eine ſeiner Nymphen iſt gut katholiſch und wird in Rom von den Prälaten lüſtern angeſehen; eine andere heirathet. Im Ninfale Fieſolano zieht die ſchwangere Nymphe Menſola eine „ alte, weiſe Nymphe “zu Rathe, u. dgl..
Daneben aber tritt gegen das Ende des XV. Jahr - hunderts jene echt genrehafte Behandlung des ländlichen Daſeins in die Dichtung ein. Sie war nur in ItalienStellung der Bauern. möglich, weil nur hier der Bauer (ſowohl der Colone als der Eigenthümer) Menſchenwürde und perſönliche Freiheit und Freizügigkeit hatte, ſo hart bisweilen auch ſein Loos ſein mochte. Der Unterſchied zwiſchen Stadt und Dorf iſt bei weitem nicht ſo ausgeſprochen wie im Norden; eine Menge Städtchen ſind ausſchließlich von Bauern bewohnt, die ſich des Abends Städter nennen können. Die Wan - derungen der comaskiſchen Maurer gingen faſt durch ganz Italien; das Kind Giotto durfte von ſeinen Schafen hin - weg und konnte in Florenz zünftig werden; überhaupt war ein beſtändiger Zuſtrom vom Lande nach den Städten und gewiſſe Bergbevölkerungen ſchienen dafür eigentlich geboren2)Nullum est hominum genus aptius urbi, ſagt Battiſta Manto - vano (Ecl. VIII) von den zu allen Dingen brauchbaren Bewohnern des Monte Baldo und der Val Saſſina[.]Bekanntlich haben ein - zelne Landbevölkerungen noch heute ein Vorrecht auf gewiſſe Be - ſchäftigungen in großen Städten.. Nun ſorgen zwar Bildungshochmuth und ſtädtiſcher Dünkel noch immer dafür, daß Dichter und Novelliſten ſich über den villano luſtig machen3)Vielleicht eine der ſtärkſten Stellen: Orlandino, cap. V, str. 54 — 58., und die Improviſir-Comödie (S. 318, f.) that vollends das Uebrige. Aber wo fände ſich ein Ton von jenem grauſamen, verachtungsvollen Racen -351 haß gegen die vilains, der die adlichen provenzaliſchen4. Abſchnitt. Dichter und ſtellenweiſe die franzöſiſchen Chroniſten beſeelt? Vielmehr1)In der Lombardie ſcheuten ſich zu Anfang des XVI. Jahrh. die Edelleute nicht, mit den Bauern zu tanzen, zu ringen, zu ſpringen und um die Wette zu laufen. Il Cortigiano, L. II, fol. 54. — Ein Gutsbeſitzer, der ſich über Gier und Trug ſeiner Pachtbauern damit tröſtet, daß man ſich dabei in die Leute ſchicken lerne, iſt A. Pandolfini, im Trattato del governo della famiglia, p. 86. erkennen italieniſche Autoren jeder Gattung das Bedeutende und Große, wo es ſich im Bauernleben zeigt, freiwillig an und heben es hervor. Gioviano Pontano erzählt2)Jovian. Pontan. de fortitudine, lib. II. mit Bewunderung Züge von Seelenſtärke der wilden Abruzzeſen; in den biographiſchen Sammelwerken wie bei den Novelliſten fehlt auch das heroiſche Bauer - mädchen3)Die[berühmte] veltliniſche Bäurin Bona Lombarda als Gemahlin des Condottiere Pietro Brunoro lernt man kennen aus Jacobus Bergo - menſis und aus Porcellius, bei Murat XXV, Col. 43. — Vgl. oben S. 150, Anm. nicht, welches ſein Leben dran ſetzt um ſeine Unſchuld oder ſeine Familie zu vertheidigen4)Ueber das Schickſal der damaligen italieniſchen Bauern überhaupt und je nach den Landſchaften insbeſondere ſind wir außer Stande, Näheres hier beizubringen. Wie ſich der freie Grundbeſitz damals zum gepachteten verhielt, welches die Belaſtung beider im Verhältniß zur jetzigen Zeit war, müſſen Specialwerke lehren, die uns nicht zu Gebote ſtehen. In ſtürmiſchen Zeiten pflegen die Bauern bisweilen ſchrecklich zu verwildern (Arch. stor. XVI, I, p. 451, s. — An - nales Foroliv. bei Murat. XXII, Col. 227) aber nirgends kommt es zu einem großen gemeinſamen Bauernkrieg. Von einiger Be - deutung und an ſich ſehr intereſſant iſt der Bauernaufſtand um Piacenza 1462. Vgl. Corio, storia di Milano, fol. 409. An - nales Placent. bei Murat. XX, Col. 907. Sismondi, X, p. 138..
Unter ſolchen Vorausſetzungen war eine poetiſche Be - trachtung des Bauernlebens möglich. Zunächſt ſind hier zu erwähnen die einſt viel geleſenen und noch heute leſens -Battiſta Man - tovano. werthen Eclogen des Battiſta Mantovano (eines ſeiner3524. Abſchnitt. frühern Werke, etwa um 1480). Sie ſchwanken noch zwiſchen echter und conventioneller Ländlichkeit, doch über - wiegt die erſtere. Im Weſentlichen ſpricht daraus der Sinn eines wohldenkenden Dorfgeiſtlichen, nicht ohne einen ge - wiſſen aufkläreriſchen Eifer. Als Carmelitermönch mag er viel mit Landleuten verkehrt haben.
Lorenzo magni - fico.Allein mit einer ganz andern Kraft verſetzt ſich Lo - renzo magnifico in den bäuriſchen Geſichtskreis hinein. Seine Nencia di Barberino1)Poesie di Lorenzo magnif., I, p. 37, s. — Die ſehr merkwür - digen Gedichte aus der Zeit des deutſchen Minnegeſanges, welche den Namen des Neithard von Reuenthal tragen, ſtellen das Bauernleben doch nur dar, inſoweit ſich der Ritter zu ſeinem Vergnügen darauf einläßt. liest ſich wie ein Inbegriff echter Volkslieder aus der Umgegend von Florenz, zuſam - mengegoſſen in einen großen Strom von Ottaven. Die Objectivität des Dichters iſt der Art, daß man im Zweifel bleibt, ob er für den Redenden (den Bauerburſchen Vallera, welcher der Nencia ſeine Liebe erklärt) Sympathie oder Hohn empfindet. Ein bewußter Gegenſatz zur conventio - nellen Bucolik mit Pan und Nymphen iſt unverkennbar; Lorenzo ergeht ſich abſichtlich im derben Realismus des bäuriſchen Kleinlebens und doch macht das ganze einen wahrhaft poetiſchen Eindruck.
Luigi Pulci.Ein zugeſtandenes Seitenſtück zur Nencia iſt die Beca da Dicomano des Luigi Pulci2)Ebenda, II, p. 149.. Allein es fehlt der tiefere objective Ernſt; die Beca iſt nicht ſowohl gedichtet aus innerem Drang, ein Stück Volksleben darzuſtellen, als viel - mehr aus dem Verlangen, durch etwas der Art den Beifall gebildeter Florentiner zu gewinnen. Daher die viel größere, abſichtlichere Derbheit des Genrehaften und die beigemiſch - ten Zoten. Doch wird der Geſichtskreis des ländlichen Liebhabers noch ſehr geſchickt feſtgehalten.
353Der dritte in dieſem Verein iſt Angelo Poliziano mit4. Abſchnitt. ſeinem Ruſticus1)U. a. in den Deliciæ poetar. ital. und in den Werken Poliziano's. — Die Lehrgedichte des Rucellai und Alamanni, welche einiges Aehnliche enthalten ſollen, ſtehen mir nicht zu Gebote. in lateiniſchen Hexametern. Er ſchildert,Poliziano. unabhängig von Virgils Georgica, ſpeciell das toscaniſche Bauernjahr, beginnend mit dem Spätherbſt, da der Land - mann einen neuen Pflug ſchnitzt und die Winterſaat beſtellt. Sehr reich und ſchön iſt die Schilderung der Fluren im Frühling und auch der Sommer enthält vorzügliche Stellen; als eine Perle aller neulateiniſchen Poeſie aber darf das Kelterfeſt im Herbſte gelten. Auch auf italieniſch hat Po - liziano Einzelnes gedichtet, woraus hervorgeht, daß man im Kreiſe des Lorenzo bereits irgend ein Bild aus dem leiden - ſchaftlich bewegten Leben der untern Stände realiſtiſch be - handeln durfte. Sein Liebeslied des Zigeuners2)Poesie di Lorenzo m. II, p. 75. iſt wohl eines der frühſten Producte der echt modernen Tendenz, ſich in die Lage irgend einer Menſchenclaſſe mit poetiſchem Bewußtſein hineinzuverſetzen. Mit komiſcher Abſicht war dergleichen wohl von jeher verſucht worden3)Dahin gehört ſchon das Nachmachen verſchiedener Dialecte, wozu das der Landesmanieren ſich geſellt haben muß. Vgl. S. 155. und in Flo - renz boten die Geſänge der Maskenzüge ſogar eine bei jedem Carneval wiederkehrende Gelegenheit hiezu. Neu aber iſt das Eingehen auf die Gefühlswelt eines Andern, womit die Nencia und dieſe „ Canzone zingaresca “einen denk - würdigen neuen Anfang in der Geſchichte der Poeſie aus - machen.
Auch hier muß ſchließlich darauf hingewieſen werden, wie die Bildung der Kunſt vorangeht. Von der Nencia an dauert es wohl achtzig Jahre bis zu den ländlichen Genremalereien des Jacopo Baſſano und ſeiner Schule.
Im nächſten Abſchnitt wird es ſich zeigen, daß in Ita - lien damals die Geburtsunterſchiede zwiſchen den Menſchen -Cultur der Renaiſſance. 233544. Abſchnitt. claſſen ihre Geltung verloren. Gewiß trug hiezu viel bei, daß man hier zuerſt die Menſchen und die Menſchheit in ihrem tiefern Weſen vollſtändig erkannt hatte. Schon dieſes eine Reſultat der Renaiſſance darf uns mit ewigem Dank - gefühl erfüllen. Den logiſchen Begriff der Menſchheit hatte man von jeher gehabt, aber ſie kannte die Sache.
Der Begriff des Menſchen.Die höchſten Ahnungen auf dieſem Gebiete ſpricht Pico della Mirandola aus in ſeiner Rede von der Würde des Menſchen1)Jo. Pici oratio de hominis dignitate, in den Opera und in be - ſondern Abdrücken., welche wohl eines der edelſten Vermächt - niſſe jener Culturepoche heißen darf. Gott hat am Ende der Schöpfungstage den Menſchen geſchaffen, damit derſelbe die Geſetze des Weltalls erkenne, deſſen Schönheit liebe, deſſen Größe bewundere. Er band denſelben an keinen feſten Sitz, an kein beſtimmtes Thun, an keine Nothwen - digkeiten, ſondern er gab ihm Beweglichkeit und freien Willen. „ Mitten in die Welt “, ſpricht der Schöpfer zu Adam, „ habe ich dich geſtellt, damit du um ſo leichter um dich ſchaueſt und ſeheſt alles was darinnen iſt. Ich ſchuf dich als ein Weſen weder himmliſch noch irdiſch, weder ſterblich noch unſterblich all ein, damit du dein eigener freier Bildner und Ueberwinder ſeieſt; du kannſt zum Thier ent - arten und zum gottähnlichen Weſen dich wiedergebären. Die Thiere bringen aus dem Mutterleibe mit was ſie haben ſollen, die höhern Geiſter ſind von Anfang an oder doch bald hernach2)Eine Anſpielung auf den Sturz Lucifers und ſeiner Genoſſen. was ſie in Ewigkeit bleiben werden. Du allein haſt eine Entwicklung, ein Wachſen nach freiem Willen, du haſt Keime eines allartigen Lebens in dir. “
Jede Culturepoche, die in ſich ein vollſtändig durchgebilde -5. Abſchnitt. tes Ganze vorſtellt, ſpricht ſich nicht nur im ſtaatlichen Zu - ſammenleben, in Religion, Kunſt und Wiſſenſchaft kenntlich aus, ſondern ſie drückt auch dem geſelligen Daſein ihren beſtimmten Stempel auf. So hatte das Mittelalter ſeine nach Ländern nur wenig verſchiedene Hof - und Adelsſitte und Etikette, ſein beſtimmtes Bürgerthum.
Die Sitte der italieniſchen Renaiſſance iſt hievon inGegenſatz zum Mittelalter. den wichtigſten Beziehungen das wahre Widerſpiel. Schon die Baſis iſt eine andere, indem es für die höhere Geſellig - keit keine Kaſtenunterſchiede mehr, ſondern einen gebildeten Stand im modernen Sinne giebt, auf welchen Geburt und Herkunft nur noch dann Einfluß haben, wenn ſie mit er - erbtem Reichthum und geſicherter Muße verbunden ſind. In abſolutem Sinne iſt dieß nicht zu verſtehen, indem die Standescategorien des Mittelalters bald mehr bald weniger ſich noch geltend zu machen ſuchen, und wäre es auch nur, um mit der außeritalieniſchen, europäiſchen Vornehmheit in irgend einem Rangverhältniß zu bleiben; aber der allge - meine Zug der Zeit war offenbar die Verſchmelzung der Stände im Sinn der neuern Welt.
Von erſter Wichtigkeit war hiefür das Zuſammen -Zuſammen - wohnen, wohnen von Adlichen und Bürgern in den Städten min -23*3565. Abſchnitt. deſtens ſeit dem XII. Jahrhundert1)Bei dem piemonteſiſchen Adel fiel das Wohnen auf den Landſchlöſſern als eine Ausnahme auf. Bandello, Parte II, Nov. 12., wodurch Schickſale und Vergnügungen gemeinſchaftlich wurden und die An - ſchauung der Welt vom Bergſchloß aus von vornherein am Entſtehen verhindert war. Sodann ließ ſich die Kirche in Italien niemals zur Apanagirung der jüngern Söhne des Adels brauchen wie im Norden; Bisthümer, Domherrn - ſtellen und Abteien wurden oft nach den unwürdigſten Rückſichten, aber doch nicht weſentlich nach Stammtafeln vergeben, und wenn die Biſchöfe viel zahlreicher, ärmer und aller weltlichen Fürſtenhoheit in der Regel baar und ledig waren, ſo blieben ſie dafür in der Stadt wohnen wo ihre Cathedrale ſtand, und bildeten ſammt ihrem Domcapitel ein Element der gebildeten Bevölkerung derſelben. Als hierauf abſolute Fürſten und Tyrannen emporkamen, hatte der Adel in den meiſten Städten allen Anlaß und alle Muße, ſich ein Privatleben zu ſchaffen (S. 133), welches politiſch gefahrlos und mit jeglichem feinern Lebensgenuſſeu. Ausgleichung der Stände. geſchmückt, dabei übrigens von dem der reichen Bürger ge - wiß kaum zu unterſcheiden war. Und als die neue Poeſie und Literatur ſeit Dante Sache eines Jeden2)Dieß ſchon lange vor dem Bücherdruck. Eine Menge Manuſcripte, und von den beſten, gehörten florentiniſchen Arbeitern. Ohne Sa - vonarola's Opferbrand wären noch viel mehr davon vorhanden. Vgl. S. 198. wurde, als vollends die Bildung im Sinne des Alterthums und das Intereſſe für den Menſchen als ſolchen hinzutrat, während Condottieren Fürſten wurden und nicht nur die Ebenbür - tigkeit, ſondern auch die eheliche Geburt aufhörten Requiſite des Thrones zu ſein (S. 19), da konnte man glauben, ein Zeitalter der Gleichheit ſei angebrochen, der Begriff des Adels völlig verflüchtigt.
Die Theorie, wenn ſie ſich auf das Alterthum berief, konnte ſchon aus dem einen Ariſtoteles die Berechtigung357 des Adels bejahen oder verneinen. Dante z. B. leitet noch1)Dante, de monarchia L. II, cap. 3.5. Abſchnitt. aus der einen ariſtoteliſchen Definition „ Adel beruhe auf Trefflichkeit und ererbtem Reichthum “ſeinen Satz her: Adel beruhe auf eigener Trefflichkeit oder auf der der Vor - fahren. Aber an andern Stellen giebt er ſich damit nicht mehr zufrieden; er tadelt ſich2)Paradiso XVI, Anfang., weil er ſelbſt im Paradies, im Geſpräch mit ſeinem Ahn Cacciaguida, der edlen Her - kunft gedacht habe, welche doch nur ein Mantel ſei, von dem die Zeit beſtändig abſchneide, wenn man nicht täglich neuen Werth hinzuſetze. Und im Convito3)Dante, Convito, faſt der ganze Trattato IV. u m. a. Stellen. löst er den Begriff nobile und nobiltà faſt gänzlich von jeder Bedin - gung der Geburt ab und identificirt ihn mit der Anlage zu jedem ſittlichen und intellectuellen Vorrang; ein beſon - derer Accent wird dabei auf die höhere Bildung gelegt, indem die nobiltà die Schweſter der filosofia ſein ſoll.
Je conſequenter hierauf der Humanismus ſich die An -Negation des Adels. ſchauungsweiſe der Italiener dienſtbar machte, deſto feſter überzeugte man ſich auch, daß die Abſtammung über den Werth des Menſchen nicht entſcheide. Im XV. Jahr - hundert war dieß ſchon die herrſchende Theorie. Poggio in ſeinem Geſpräch „ vom Adel “4)Poggii opera, Dial. de nobilitate. iſt mit ſeinen Interlo - cutoren — Niccolò Niccoli und Lorenzo Medici, Bruder des großen Coſimo — ſchon darüber einverſtanden, daß es keine andere Nobilität mehr gebe als die des perſönlichen Verdienſtes. Mit den ſchärfſten Wendungen wird Manches von dem perſifflirt, was nach dem gewöhnlichen Vorurtheil zum adlichen Leben gehört. „ Vom wahren Adel ſei Einer „ nur um ſo viel weiter entfernt, je länger ſeine Vorfahren „ kühne Miſſethäter geweſen. Der Eifer für Vogelbeize und „ Jagd rieche nicht ſtärker nach Adel als die Neſter der be - „ treffenden Thiere nach Balſam. Landbau, wie ihn die3585. Abſchnitt. „ Alten trieben, wäre viel edler als dieß unſinnige Herum - „ rennen in Wald und Gebirge, wobei man am meiſten „ den Thieren ſelber gleiche. Eine Erholung dürfe der - „ gleichen etwa vorſtellen, nicht aber ein Lebensgeſchäft “. Vollends unadlich erſcheine das franzöſiſche und engliſche Ritterleben auf dem Lande oder in Waldſchlöſſern, oder gar das deutſche Raubritterthum. Der Medici nimmt hierauf einigermaßen die Partei des Adels, aber — bezeichnend genug — nicht mit Berufung auf ein angeborenes Gefühl, ſondern weil Ariſtoteles im V. Buch der Politica den Adel als etwas Seiendes anerkenne und definire, nämlich eben als beruhend auf Trefflichkeit und ererbtem Reichthum. Allein Niccoli erwiedert: Ariſtoteles ſage dieß nicht als ſeine Ueberzeugung, ſondern als allgemeine Meinung; in der Ethik, wo er ſage was denke, nenne er Denjenigen adlich, welcher nach dem wahren Guten ſtrebe. Umſonſt hält ihm nun der Medici den griechiſchen Ausdruck für Adel, näm - lich Wohlgeborenheit, Eugeneia entgegen; Niccoli findet das römiſche Wort nobilis, d. h. bemerkenswerth, richtiger, indem ſelbiges den Adel von den Thaten abhängig mache1)Dieſelbe Verachtung des Geburtsadels findet ſich dann bei den Hu - maniſten häufig. Vgl. die ſcharfen Stellen bei Aen. Sylvius, Opera, p. 84 (Hist. bohem. cap. 2) und 640 (Geſch. von Lu - cretia und Euryalus).. AußerDer Adel in den einzelnen Land - ſchaften. dieſen Raiſonnements wird die Stellung des Adels in den verſchiedenen Gegenden Italiens folgendermaßen ſkizzirt. In Neapel iſt der Adel träge und giebt ſich weder mit ſeinen Gütern noch mit dem als ſchmachvoll geltenden Handel ab; entweder tagediebt er zu Hauſe2)Und zwar in der Hauptſtadt. Vgl. Bandello, Parte II, Nov, 7. — Joviani Pontani Antonius (wo der Verfall der Adelskraft erſt von den Aragoneſen an datirt wird). oder ſitzt zu Pferde. Auch der römiſche Adel verachtet den Handel, be - wirthſchaftet aber ſeine Güter ſelbſt; ja wer das Land359 baut, dem eröffnet ſich von ſelbſt der Adelsrang1)In ganz Italien galt wenigſtens ſoviel, daß wer bedeutende Land - renten hatte, vom Adel nicht mehr zu unterſcheiden war.; „ es iſt5. Abſchnitt. eine ehrbare, wenn auch bäuriſche Nobilität “. Auch in der Lombardie leben die Adlichen vom Ertrag der ererbten Landgüter; Abſtammung und Enthaltung von gewöhnlichen Geſchäften machen hier ſchon den Adel aus2)Für die Tarirung des Adels in Oberitalien iſt Bandello mit ſeiner mehrmaligen Polemik gegen die Mißheirathen nicht ohne Bedeutung. Parte I, Nov. 4. 26. Parte III, 60. IV. 8. Der mailändiſche Nobile als Kaufmann iſt eine Ausnahme. Parte III, Nov. 37. — Wie die lombardiſchen Adlichen an den Spielen der Bauern Theil nahmen, vgl. S. 351 Anm.. In Venedig treiben die Nobili, die regierende Kaſte, ſämmtlich Handel; ebenſo ſind in Genua Adliche und Nichtadliche ſämmtlich Kaufleute und Seefahrer und nur durch die Geburt unter - ſchieden; einige freilich lauern auch als Wegelagerer in Bergſchlöſſern. In Florenz hat ſich ein Theil des alten Adels dem Handel ergeben; ein anderer Theil (gewiß der weit kleinere) erfreut ſich ſeines Ranges und giebt ſich mit gar nichts ab als mit Jagd und Vogelbeize3)Das ſtrenge Urtheil Macchiavell's, Discorsi I, 55 bezieht ſich bloß auf den noch mit Lehnsrechten verſehenen, völlig unthätigen und po - litiſch zerſtörenden Adel. — Agrippa von Nettesheim, der ſeine merk - würdigſten Ideen weſentlich ſeinem Leben in Italien verdankt, hat doch einen Abſchnitt über Adel und Fürſtenthum (de incert. et va - nitate scient. cap. 80), der an radicaler Bitterkeit ſtärker als Alles iſt und weſentlich der nordiſchen Geiſtergährung angehört..
Das Entſcheidende war, daß faſt in ganz Italien auch die, welche auf ihre Geburt ſtolz ſein mochten, doch gegen -Stellung zur Bildung. über der Bildung und dem Reichthum keinen Dünkel geltend machen konnten, und daß ſie durch ihre politiſchen oder höfiſchen Vorrechte zu keinem erhöhten Standesgefühl pro - vocirt wurden. Venedig macht hier nur eine ſcheinbare Ausnahme, weil das Leben der Nobili durchaus nur ein bürgerliches, durch wenige Ehrenrechte bevorzugtes war. 3605. Abſchnitt. Anders verhält es ſich allerdings mit Neapel, welches durch die ſtrengere Ausſcheidung und die Pompſucht ſeines Adels mehr als aus irgend einem andern Grunde von der geiſtigen Bewegung der Renaiſſance abgeſchnitten blieb. Zu einer ſtarken Nachwirkung des langobardiſchen und normanniſchen Mittelalters und des ſpätfranzöſiſchen Adelsweſens kam hier ſchon vor der Mitte des XV. Jahrhunderts die ara - goneſiſche Herrſchaft, und ſo vollzog ſich hier am frühſten, was erſt hundert Jahre ſpäter im übrigen Italien über - hand nahm: die theilweiſe Hiſpaniſirung des Lebens, deren Hauptelement die Verachtung der Arbeit und die SuchtSpätere Hiſpa - niſirung. nach Adelstiteln war. Der Einfluß hievon zeigte ſich ſchon vor dem Jahre 1500 ſelbſt in kleinen Städten; aus La Cava wird geklagt: der Ort ſei ſprichwörtlich reich geweſen ſo lange dort lauter Maurer und Tuchweber lebten; jetzt, da man ſtatt Maurerzeug und Webſtühlen nur Sporen, Steigbügel und vergoldete Gürtel ſehe, da Jedermann Doctor der Rechte oder der Medicin, Notar, Officier und Ritter zu werden trachte, ſei die bitterſte Armuth eingekehrt1)Massuccio, nov. 19.. In Florenz wird eine analoge Entwicklung erſt unter Co - ſimo dem erſten Großherzog conſtatirt; es wird ihm dafür gedankt, daß er die jungen Leute, welche jetzt Handel und Gewerbe verachteten, zur Ritterſchaft in ſeinem Stephans - orden heranziehe2)Jac. Pitti an Coſimo I, Arch. stor. IV, II, p. 99. — Auch in Oberitalien kam Aehnliches erſt mit der ſpaniſchen Herrſchaft auf. Bandello, Parte II, Nov. 40 ſtammt aus dieſer Zeit.. Es iſt das directe Gegentheil jener frühern florentiniſchen Denkweiſe3)Wenn ſich im XV. Jahrh. Veſpaſiano Fiorentino (p. 518. 632) dahin ausſpricht, daß die Reichen ihr ererbtes Vermögen nicht ver - mehren ſondern jährlich ihre ganze Einnahme ausgeben ſollten, ſo kann dieß im Munde eines Florentiners nur von den großen Grund - beſitzern gelten., da die Väter den361 Söhnen eine Beſchäftigung zur Bedingung des Erbes5. Abſchnitt. machten (S. 80).
Aber eine beſondere Art von Rangſucht kreuzt nament -Die Ritter - würde. lich bei den Florentinern den gleichmachenden Cultus von Kunſt und Bildung auf eine oft komiſche Weiſe; es iſt das Streben nach der Ritterwürde, welches als Modethor - heit erſt recht in Schwung kam, als es bereits jeden Schat - ten von eigentlicher Geltung eingebüßt hatte.
„ Vor ein paar Jahren, ſchreibt Franco Sacchetti1)Franco Sacchetti, Nov. 153. Vgl. Nov. 82 und 150. gegen Ende des XIV. Jahrhunderts, hat Jedermann ſehen können wie ſich Handwerker bis zu den Bäckern herunter, ja bis zu den Wollekratzern, Wucherern, Wechſlern und Halunken zu Rittern machen ließen. Weßhalb braucht ein Beamter, um als Rettore in eine Landſtadt gehen zu können,[d]ie Ritterwürde? Zu irgend einem gewöhnlichen Broderwerb paßt dieſelbe vollends nicht. O wie biſt du geſunken un - glückliche Würde! von all der langen Liſte von Ritterpflich - ten thun dieſe Ritter das Gegentheil. Ich habe von dieſen Dingen reden wollen, damit die Leſer inne werden, daß das Ritterthum geſtorben iſt2)Che la cavalleria è morta. . So gut wie man jetzt ſogar Verſtorbene zu Rittern erklärt, könnte man auch eine Figur von Holz oder Stein, ja einen Ochſen zum Ritter machen “. — Die Geſchichten, welche Sacchetti als Beleg erzählt, ſind in der That ſprechend genug; da leſen wir wie Bernabò Visconti den Sieger eines Saufduells und dann auch den Beſiegten höhniſch mit jenem Titel ſchmückt, wie deutſche Ritter mit ihren Helmzierden und Abzeichen zum Beſten gehalten werden u. dgl. Später moquirt ſich Poggio3)Poggius, de nobilitate, fol. 27. über die vielen Ritter ohne Pferd und ohne Kriegsübung. Wer die Ehrenrechte des Standes, z. B.3625. Abſchnitt. das Ausreiten mit Fahnen, geltend machen wollte, hatte in Florenz ſowohl gegenüber der Regierung als gegen die Spötter eine ſchwere Stellung1)Vasari III, 49 und Anm., Vita di Dello. .
Fortdauer der Turniere.Bei näherer Betrachtung wird man inne, daß dieſes von allem Geburtsadel unabhängige verſpätete Ritterweſen allerdings zum Theil Sache der bloßen lächerlichen, titel - ſüchtigen Eitelkeit iſt, daß es aber auch eine andere Seite hat. Die Turniere dauern nämlich fort und wer daran Theil nehmen will, muß der Form wegen Ritter ſein. Der Kampf in geſchloſſener Bahn aber, und zwar das regel - rechte, je nach Umſtänden ſehr gefährliche Lanzenrennen iſt ein Anlaß, Kraft und Muth zu zeigen, welchen ſich das entwickelte Individuum — abgeſehen von aller Herkunft — nicht will entgehen laſſen.
Da half es nichts, daß ſchon Petrarca ſich mit dem lebhafteſten Abſcheu über das Turnier als über einen ge - fährlichen Unſinn ausgelaſſen hatte; er bekehrte die Leute nicht mit ſeinem pathetiſchen Ausruf: „ man liest nirgends „ daß Scipio oder Cäſar turniert hätten! 2)Petrarca, epist. senil. XI, 13. p. 889. Eine andere Stelle, in den Epist. famil. ſchildert das Grauſen, das er empfand, als er bei einem Turnier in Neapel einen Ritter fallen ſah.“Die Sache wurde gerade in Florenz förmlich populär; der Bürger fing an, ſein Turnier — ohne Zweifel in einer weniger gefähr - lichen Form — als eine Art von regelrechtem Vergnügen zu betrachten, und Franco Sachetti3)Nov. 64. — Deßhalb heißt es auch im Orlandino (II. Str. 7) von einem Turnier unter Carl d. Großen ausdrücklich: da ſtritten nicht Köche und Küchenjungen, ſondern Könige, Herzoge und Mark - grafen. hat uns das unend -Deren Carica - tur. lich komiſche Bild eines ſolchen Sonntagsturnierers auf - behalten. Derſelbe reitet hinaus nach Peretola, wo man um ein Billiges turnieren konnte, auf einem gemietheten Färbergaul, welchem dann durch Böſewichter eine Diſtel363 unter den Schwanz gebunden wird; das Thier nimmt den5. Abſchnitt. Reißaus und jagt mit dem behelmten Ritter in die Stadt zurück. Der unvermeidliche Schluß der Geſchichte iſt die Gardinenpredigt der über ſolche halsbrechende Streiche em - pörten Gattinn1)Immerhin eine der frühſten Parodien des Turnierweſens. Es dauerte dann wohl noch 60 Jahre, bis Jacques Coeur, der bürgerliche Finanz - miniſter Carls VII, an ſeinem Palaſt zu Bourges ein Eſelturnier ausmeißeln ließ (um 1450). Das Glänzendſte in dieſer Art, der ebencitirte zweite Geſang des Orlandino, iſt erſt im Jahre 1526 herausgegeben..
Endlich nehmen die erſten Medici ſich des Turnier - weſens mit einer wahren Leidenſchaft an, als wollten ſie, die unadlichen Privatleute, gerade hierin zeigen, daß ihr geſelliger Kreis jedem Hofe gleich ſtehe2)Vgl. die ſchon genannten Gedichte des Poliziano und Luca Pulci. Ferner Paul. Jov. Vita Leonis X, L. I. — Macchiav. Storie fiorent. L. VII. — Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Petrus Medices und des Franc. Borbonius. — Vasari IX, 219, v. di Granacci. — Im Morgante des Pulci, welcher unter Lorenzo's Augen gedichtet wurde, ſind die Ritter oft komiſch in ihrem Reden und Thun, aber ihre Hiebe ſind echt und kunſtgerecht. Auch Bo - jardo dichtet für genaue Kenner des Turniers und des Krieges. Vgl. S. 322 — Turniere in Ferrara 1464, Diario Ferrar. Mura - tori XXIV. Col. 208. — in Venedig, Sansovino, Venezia, fol. 153, s. — in Bologna 1470, seqq., Bursellis Annal. Bonon., Murat. XXIII. Col. 898, 903, 906, 908, 909, wobei eine wun - derliche Vermiſchung mit dem Pathes zu bemerken iſt, welches ſich damals an die Aufführung römiſcher Triumphe knüpfte. — Federigo von Urbino (S. 44) verlor bei einem Turnier das rechte Auge ab ictu lanceæ. — Ueber das damalige nordiſche Turnierweſen iſt ſtatt aller andern Autoren zu vergleichen: Olivier de la Marche, mémoires, passim, beſ. Cap. 8, 9, 14, 16, 18, 19, 21 u. ſ. w.. Schon unter Coſimo (1459), dann unter Pietro dem ältern fanden weit - berühmte große Turniere in Florenz ſtatt; Pietro der jüngere ließ über ſolchen Beſtrebungen ſogar das Regieren liegen3645. Abſchnitt. und wollte nur noch im Harniſch abgemalt ſein. Auch am Hofe Alexanders VI. kamen Turniere vor. Als Cardinal Ascanio Sforza den Türkenprinzen Dſchem (S. 110, 118) fragte, wie ihn dieß Schauſpiel gefalle, antwortete derſelbe ſehr weiſe: in ſeiner Heimath laſſe man dergleichen durch Sklaven aufführen, um welche es, wenn ſie fielen, nicht Schade ſei. Der Orientale ſtimmt hier unbewußt mit den alten Römern zuſammen, gegenüber der Sitte des Mittel - alters.
Abgeſehen von dieſem nicht unweſentlichen Anhalt der Ritterwürde gab es auch bereits, z. B. in Ferrara (S. 53) wahre Hoforden, welche den Titel Cavaliere mit ſich führten.
Der Cortigiano.Welches aber auch im Einzelnen die Anſprüche und die Eitelkeiten der Adlichen und der Cavaliere ſein mochten, immerhin nahm der italieniſche Adel ſeine Stellung in der Mitte des Lebens und nicht an einem äußern Rande des - ſelben. Jeden Augenblick verkehrt er mit allen Ständen auf dem Fuße der Gleichheit, und das Talent und die Bildung ſind ſeine Hausgenoſſen. Allerdings wird für den eigentlichen Cortigiano des Fürſten der Adel einbedungen1)Bald. Castiglione, il Cortigiano, L. I, fol. 18. , allein zugeſtandener Maßen hauptſächlich um des Vorur - theils der Leute willen (per l'oppenion universale) und unter ausdrücklicher Verwahrung gegen den Wahn, als könnte der Nichtadliche nicht denſelben innern Werth haben. Der ſonſtige Aufenthalt von Nichtadlichen in der Nähe des Fürſten iſt damit vollends nicht ausgeſchloſſen; es handelt ſich nur darum, daß dem vollkommenen Menſchen, dem Cortigiano, kein irgend denkbarer Vorzug fehle. Wenn ihm dann eine gewiſſe Zurückhaltung in allen Dingen zum Geſetze gemacht wird, ſo geſchieht dieß nicht, weil er von edlerm Geblüte ſtammt, ſondern weil ſeine zarte individuelle Vollendung es ſo verlangt. Es handelt ſich um eine365 moderne Vornehmheit, wobei doch Bildung und Reichthum5. Abſchnitt. ſchon überall die Gradmeſſer des geſellſchaftlichen Werthes ſind, und zwar der Reichthum nur inſofern er es möglich macht, das Leben der Bildung zu widmen und deren In - tereſſen im Großen zu fördern.
Je weniger nun die Unterſchiede der Geburt einenVollendung des Individuums. beſtimmten Vorzug verliehen, deſto mehr war das Indivi - duum als ſolches aufgefordert, all ſeine Vortheile geltend zu machen; deſto mehr mußte auch die Geſelligkeit ſich aus eigener Kraft beſchränken und veredeln. Das Auftreten des Einzelnen und die höhere Form der Geſelligkeit werden ein freies, bewußtes Kunſtwerk.
Schon die äußere Erſcheinung und Umgebung des Menſchen und die Sitte des täglichen Lebens iſt vollkom - mener, ſchöner, mehr verfeinert als bei den Völkern außer - halb Italiens. Von der Wohnung der höhern Stände handelt die Kunſtgeſchichte; hier iſt nur hervorzuheben, wie ſehr dieſelbe an Bequemlichkeit und harmoniſcher, vernünf - tiger Anlage das Schloß und den Stadthof oder Stadtpalaſt der nordiſchen Großen übertraf. Die Kleidung wechſelteKleidung und Moden. dergeſtalt, daß es unmöglich iſt, eine durchgehende Parallele mit den Moden anderer Länder zu ziehen, zumal da man ſich ſeit Ende des XV. Jahrhunderts häufig den letztern anſchloß. Was die italieniſchen Maler als Zeittracht dar - ſtellen, iſt insgemein das Schönſte und Kleidſamſte was damals in Europa vorkam, allein man weiß nicht ſicher, ob ſie das Herrſchende und ob ſie es genau darſtellen. So viel bleibt aber doch wohl außer Zweifel, daß nirgends ein ſo großer Werth auf die Tracht gelegt wurde wie in Italien. Die Nation war und iſt eitel; außerdem aber rechneten auch ernſte Leute die möglichſt ſchöne und günſtige Kleidung mit zur Vollendung der Perſönlichkeit. Einſt gab es ja in Florenz einen Augenblick, da die Tracht etwas Individuelles war, da Jeder ſeine eigene Mode trug (S. 132, Anm.), und noch bis tief ins XVI. Jahrhundert gab3665. Abſchnitt. es bedeutende Leute, die dieſen Muth hatten1)Paul. Jovii Elogia, sub. tit. Petrus Gravina, Alex. Achillinus, Balth. Castellio etc. ; die Uebri - gen wußten wenigſtens in die herrſchende Mode etwas In - dividuelles zu legen. Es iſt ein Zeichen des ſinkenden Italiens, wenn Giovanni della Caſa vor dem Auffallenden, vor der Abweichung von der herrſchenden Mode warnt2)Casa, il Galateo, p. 78. . Unſere Zeit, welche wenigſtens in der Männerkleidung das Nichtauffallen als höchſtes Geſetz reſpectirt, verzichtet damit auf Größeres als ſie ſelber weiß. Sie erſpart ſich aber damit viele Zeit, wodurch allein ſchon (nach unſerm Maß - ſtab der Geſchäftigkeit) jeder Nachtheil aufgewogen würde.
In Venedig3)Hierüber die venezian. Trachtenbücher, und Sansovino: Venezia, fol. 150, s. Die Brauttracht bei der Verlobung — weiß, mit aufgelöst über die Schultern wallendem Haare — iſt die von Ti - zian's Flora. und Florenz gab es zur Zeit der Re - naiſſance für die Männer vorgeſchriebene Trachten und fürNeapel. die Frauen Luxusgeſetze. Wo die Trachten frei waren, wie z. B. in Neapel, da conſtatiren die Moraliſten, ſogar nicht ohne Schmerz, daß kein Unterſchied mehr zwiſchen Adel und Bürger zu bemerken ſei4)Jovian. Pontan. de principe: Utinam autem non eo impu - dentiæ perventum esset, ut inter mercatorem et patricium nullum sit in vestitu ceteroque ornatu discrimen. Sed hæc tanta licentia reprehendi potest, coerceri non potest, quan - quam mutari vestes sic quotidie videamus, ut quas quarto ante mense in deliciis habebamus, nunc repudiemus et tanquam veteramenta abiiciamus. Quodque tolerari vix potest, nullum fere vestimenti genus probatur, quod e Galliis non fuerit adductum, in quibus levia pleraque in pretio sunt, tametsi nostri persæpe homines modum illis et quasi formu - lam quandam præscribant. . Außerdem beklagen ſie den bereits äußerſt raſchen Wechſel der Moden und (wenn wir die Worte richtig deuten) die thörichte Verehrung367 alles deſſen was aus Frankreich kommt, während es doch5. Abſchnitt. oft urſprünglich italieniſche Moden ſeien, die man nur von den Franzoſen zurück erhalte. Inſofern nun der häufige Wechſel der Kleiderformen und die Annahme franzöſiſcher und ſpaniſcher Moden1)Hierüber z. B. Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV. Col. 297. 320. 376. 399 ; hier auch deutſche Mode. der gewöhnlichen Putzſucht diente, haben wir uns damit nicht weiter zu beſchäftigen; allein es liegt darin außerdem ein culturgeſchichtlicher Beleg für das raſche Leben Italiens überhaupt in den Jahrzehnden um 1500.
Eine beſondere Beachtung verdient die Bemühung derToiletten - mittel. Frauen, durch Toilettenmittel aller Art ihr Ausſehen we - ſentlich zu verändern. In keinem Lande Europa's ſeit dem Untergange des römiſchen Reiches hat man wohl der Ge - ſtalt, der Hautfarbe, dem Haarwuchs von ſo vielen Seiten zugeſetzt wie damals in Italien2)Man vgl. damit die betr. Stellen bei Falke: Die deutſche Trachten - und Modenwelt.. Alles ſtrebt einer Nor - malbildung zu, ſelbſt mit den auffallendſten, ſichtbarſten Täuſchungen. Wir ſehen hiebei gänzlich ab von der ſon - ſtigen Tracht, die im XIV. Jahrhundert3)Ueber die Florentinerinnen vgl. die Hauptſtellen bei Giov. Villani X, 10 und 152; Matteo Villani I, 4. Im großen Modenedict von 1330 werden u. a. nur eingewirkte Figuren auf den Frauengewän - dern erlaubt, die bloß „ aufgemalten “(dipinto) dagegen verboten. Soll man hiebei etwa an Modeldruck denken? äußerſt bunt und ſchmuckbeladen, ſpäter von einem mehr veredelten Reich - thum war, und beſchränken uns auf die Toilette im engern Sinne.
Vor Allem werden falſche Haartouren, auch aus weißer und gelber Seide4)Diejenigen aus echten Haaren heißen capelli morti. — Falſche Zähne aus Elfenbein, die ein italien. Prälat, doch nur um der deutlichen Ausſprache willen, einſetzt, bei Anshelm, Berner Chronik, IV, S. 30. (1508.), in Maſſe getragen, verboten und3685. Abſchnitt. wieder getragen, bis etwa ein Bußprediger die weltlichen Gemüther rührt; da erhebt ſich auf einem öffentlichen Platz ein zierlicher Scheiterhaufen (talamo), auf welchen neben Lauten, Spielgeräthen, Masken, Zauberzetteln, Liederbüchern und anderm Tand auch die Haartouren1)Infessura, bei Eccard, scriptores II, Col. 1874. — Allegretto, bei Murat. XXIII, Col. 823. — Dann die Autoren über Savo - narola, ſ. unten. zu liegen kommen; die reinigende Flamme nimmt Alles mit in die Lüfte. Die Idealfarbe aber, welche man in den eigenen, wie in den aufgeſetzten Haaren zu erreichen ſtrebte, war blond. Und da die Sonne im Rufe ſtand, das Haar blond machen zu können2)Sansovino, Venezia, fol. 152: capelli biondissimi per forza di sole. — Vgl. S. 343., ſo gab es Damen, welche bei gutem Wetter den ganzen Tag nicht aus der Sonne gingen3)Wie auch in Deutſchland geſchah. — Poesie satiriche, p. 119, in der Satire des Bern. Giambullari: per prender moglie. Ein Inbegriff der ganzen Toilettenchemie, welche ſich offenbar noch ſehr an Aberglauben und Magie anlehnt., ſonſt brauchte man auch Färbemittel und außerdem Mixturen für denUmgeſtaltung des Geſichtes. Haarwuchs. Dazu kommt aber noch ein Arſenal von Schönheitswaſſern, Teigpflaſtern und Schminken für jeden einzelnen Theil des Geſichtes, ſelbſt für Augenlider und Zähne, wovon unſere Zeit keinen Begriff mehr hat. Kein Hohn der Dichter4)Welche ſich doch alle Mühe gaben, das Ekelhafte, Gefährliche und Lächerliche dieſer Schmiererei hervorzuheben. Vgl. Ariosto, Sa - tria III, vs. 202, s. — Aretino, il marescalco, Atto II, scena 5 und mehrere Stellen in den Ragionamenti. Dann Giambullari a. a. O. — Phil. Beroald. sen. Carmina. , kein Zorn der Bußprediger, keine Warnung vor frühem Verderben der Haut konnte die Weiber von dem Gebrauch abwendig machen, ihrem Antlitz eine andere Farbe und ſogar eine theilweis andere Geſtalt zu geben. Es iſt möglich, daß die häufigen und pracht - vollen Aufführungen von Myſterien, wobei hunderte von369 Menſchen bemalt und geputzt wurden1)Cennino Cennini, trattato della pittura giebt cap. 161 ein Re - cept des Bemalens von Geſichtern, offenbar für Myſterien oder Maskeraden, denn cap. 162 warnt er ernſtlich vor Schminken und Schönheitswaſſern im Allgemeinen., den Mißbrauch im5. Abſchnitt. täglichen Leben fördern halfen; jedenfalls war er ein all - gemeiner und die Landmädchen hielten dabei nach Kräften mit2)Vgl. La Nencia di Barberino, Str. 20 und 40. Der Geliebte verſpricht ihr Schminke und Bleiweiß aus der Stadt in einer Düte mitzubringen. Vgl. oben S. 352.. Man konnte lange predigen, daß dergleichen ein Abzeichen von Buhlerinnen ſei; gerade die ehrbarſten Haus - frauen, die ſonſt das ganze Jahr keine Schminke anrührten, ſchminkten ſich doch an Feſttagen, wo ſie ſich öffentlich zeig - ten3)Agn. Pandolfini, trattato del governo della famiglia, p. 118. . — Möge man nun dieſe ganze Unſitte betrachten als einen Zug von Barbarei, wofür ſich das Schminken der Wilden als Parallele anführen läßt, oder als eine Conſequenz des Verlangens nach normaler jugendlicher Schönheit in Zügen und Farbe, wofür die große Sorgfalt und Vielſeitigkeit dieſer Toilette ſpräche — jedenfalls haben es die Männer an Abmahnungen nicht fehlen laſſen.
Das Parfumiren ging ebenfalls über alles MaaßWohlgerüche. hinaus und erſtreckte ſich auf die ganze Umgebung des Menſchen. Bei Feſtlichkeiten wurden ſogar Maulthiere mit Salben und Wohlgerüchen behandelt4)Tristan. Caracciolo, bei Murat. XXII, Col. 87. — Bandello, Parte II, Nov. 47. , und Pietro Aretino dankt dem Coſimo I. für eine parfumirte Geldſendung5)Capitolo I. an Coſimo: Quei cento scudi nuovi e profumati che l'altro di mi mandaste a donare. Gegenſtände aus jener Zeit riechen noch jetzt bisweilen..
Sodann waren die Italiener damals überzeugt, daßReinlichkeit. ſie reinlicher ſeien als die Nordländer. Aus allgemeinen culturgeſchichtlichen Gründen kann man dieſen AnſpruchCultur der Renaiſſance. 243705. Abſchnitt. eher billigen als verwerfen, indem die Reinlichkeit mit zur Vollendung der modernen Perſönlichkeit gehört, dieſe aber bei den Italienern am frühſten durchgebildet iſt; auch daß ſie eine der reichſten Nationen der damaligen Welt waren, ſpräche eher dafür als dagegen. Ein Beweis wird ſich jedoch natürlich niemals leiſten laſſen, und wenn es ſich um die Priorität von Reinlichkeitsvorſchriften handelt, ſo möchte die Ritterpoeſie des Mittelalters deren ältere auf - weiſen können. Immerhin iſt ſoviel gewiß, daß bei einigen ausgezeichneten Vertretern der Renaiſſance die ausgezeichnete Sauberkeit ihres ganzen Weſens, zumal bei Tiſche, mit Nachdruck hervorgehoben wird1)Vespasiano Fiorent. p. 458 im Leben des Donato Acciajuoli, und p. 625 im Leben des Niccoli. und daß als Inbegriff alles Schmutzes in Italien der Deutſche gilt2)Giraldi, Hecatommithi, Introduz., Nov. 6. . Was Maſſimiliano Sforza von ſeiner deutſchen Erziehung für unreinliche Gewohnheiten mitbrachte und wie ſehr dieſelben auffielen, erfahren wir aus Giovio3)Paul. Jov. Elogia. . Es iſt dabei auf - fallend, daß man wenigſtens im XV. Jahrhundert die Gaſtwirthſchaft weſentlich in den Händen der Deutſchen ließ4)Aeneas Sylvius (Vitæ Paparum, ap. Murat. III, II, Col. 880) ſagt bei Anlaß von Baccano: pauca sunt mapalia, eaque ho - spitia faciunt Theutonici; hoc hominum genus totam fere Italiam hospitalem facit; ubi non repereris hos, neque diver - sorium quæras. , welche ſich wohl hauptſächlich um der Rompilger willen dieſem Geſchäfte widmeten. Doch könnte in der be - treffenden Ausſage vorzugsweiſe nur das offene Land ge - meint ſein, da in den größern Städten notoriſch italieniſche Wirthſchaften den erſten Rang behaupteten5)Franco Sacchetti, Nov. 21. — Padua rühmte ſich um 1450 eines ſehr großen palaſtähnlichen Gaſthofes zum Ochſen, welcher Ställe für 200 Pferde hatte. Michele Savonar. ap. Murat. XXIV,. Der Mangel371 an leidlichen Herbergen auf dem Lande würde ſich auch5. Abſchnitt. durch die große Unſicherheit erklären.
Aus der erſten Hälfte des XVI. Jahrhunderts habenDer Galateo, wir dann jene Schule der Höflichkeit, welche Giovanni della Caſa, ein geborner Florentiner, unter dem Titel: Il Galateo herausgab. Hier wird nicht nur die Reinlichkeit im engern Sinne, ſondern auch die Entwöhnung von allen Gewohnheiten, die wir „ unſchicklich “zu nennen pflegen, mit derſelben untrüglichen Sicherheit vorgeſchrieben, mit welcher der Moraliſt für die höchſten Sittengeſetze redet. In andern Literaturen wird dergleichen weniger von der ſyſte - matiſchen Seite, als vielmehr mittelbar gelehrt, durch die abſchreckende Schilderung des Unflätigen1)Man vgl. z. B. die betreffenden Partien in Sebaſtian Brant's Nar - renſchiff, in Erasmus Colloquien, in dem lateiniſchen Gedicht Gro - bianus ꝛc..
Außerdem aber iſt der Galateo eine ſchön und geiſt -und die gute Lebensart. voll geſchriebene Unterweiſung in der guten Lebensart, in Delicateſſe und Tact überhaupt. Noch heute können ihn Leute jedes Standes mit großem Nutzen leſen und die Höflich - keit des alten Europa's wird wohl ſchwerlich mehr über ſeine Vorſchriften hinauskommen. Inſofern der Tact Her - zensſache iſt, wird er von Anfang aller Cultur an bei allen Völkern gewiſſen Menſchen angeboren geweſen ſein und Einige werden ihn auch durch Willenskraft erworben haben, allein als allgemeine geſellige Pflicht und als Kenn - zeichen von Bildung und Erziehung haben ihn erſt die Italiener erkannt. Und Italien ſelbſt hatte ſeit zwei Jahr - hunderten ſich ſehr verändert. Man empfindet deutlich, daß die Zeit der böſen Späße zwiſchen Bekannten und Halb -5)Col. 1175. — Florenz hatte vor Porta S. Gallo eine von den größten und ſchönſten Oſterien die man kannte, doch wie es ſcheint, nur als Erholungsort für die Leute aus der Stadt. Varchi, stor. fiorent. III, p. 86. 24*3725. Abſchnitt. bekannten, der burle und beffe (S. 154, f.) in der guten Geſellſchaft vorüber iſt1)Die Mäßigung der Burla geht u. a. aus den Beiſpielen im Cor - tigiano, L. II, fol. 96, s. hervor. In Florenz hielt ſich die bös - artige Burla doch ſo lange ſie konnte. Die Novellen des Lasca ſind ein Zeugniß hievon., daß die Nation aus den Mauern ihrer Städte heraustritt und eine cosmopolitiſche, neutrale Höflichkeit und Rückſicht entwickelt. Von der eigentlichen, poſitiven Geſelligkeit wird weiterhin die Rede ſein.
Das ganze äußere Daſein war überhaupt im XV. und beginnenden XVI. Jahrhundert verfeinert und ver - ſchönert wie ſonſt bei keinem Volke der Welt. Schon eine Menge jener kleinen und großen Dinge, welche zuſammenDer Comfort. die moderne Bequemlichkeit, den Comfort ausmachen, waren in Italien zum Theil erweislich zuerſt vorhanden. Auf den wohlgepflaſterten Straßen italieniſcher Städte2)Für Mailand eine Hauptſtelle: Bandello, Parte I, Nov. 9. Es gab über 60 vierſpännige und zahlloſe zweiſpännige Wagen, zum Theil reich vergoldet und geſchnitzt, mit ſeidenen Decken, vgl. ebenda Nov. 4. — Ariosto, sat. III, vs. 127. wurde das Fahren allgemeiner während man ſonſt überall ging oder ritt oder doch nicht zum Vergnügen fuhr. Weiche elaſtiſche Betten, köſtliche Bodenteppiche, Toilettengeräthe, von welchen ſonſt noch nirgends die Rede iſt, lernt man beſonders bei den Novelliſten kennen3)Bandello, Parte I, Nov. 3. III, 42. IV, 25. . Die Menge und Zierlichkeit des Weißzeugs wird öfter ganz beſonders hervorgehoben. Manches gehört ſchon zugleich in das Gebiet der Kunſt; man wird mit Bewunderung inne, wie ſie von allen Seiten her den Luxus adelt, wie ſie nicht bloß das mächtige Buffet und die leichte Etagere mit herrlichen Gefäßen, die Mauern mit der beweglichen Pracht der Teppiche, den Nachtiſch mit endloſem plaſtiſchem Confect ſchmückt, ſondern vorzüglich die Schreinerarbeit auf wunderbare Weiſe völlig in ihren Bereich zieht. Das ganze Abendland verſucht ſich in den373 ſpätern Zeiten des Mittelalters, ſobald die Mittel reichen,5. Abſchnitt. auf ähnlichen Wegen, allein es iſt dabei theils in kindlicher, bunter Spielerei, theils in den Feſſeln des einſeitigen go - thiſchen Decorationsſtyles befangen, während die Renaiſſance ſich frei bewegt, ſich nach dem Sinn jeder Aufgabe richtet und für einen viel größern Kreis von Theilnehmern und Beſtellern arbeitet. Womit dann auch der leichte Sieg dieſer italieniſchen Zierformen jeder Art über die nordiſchen im Lauf des XVI. Jahrhunderts zuſammenhängt, obwohl derſelbe noch ſeine größern und allgemeinern Urſachen hat.
Die höhere Geſelligkeit, die hier als Kunſtwerk, alsDie Sprache d. Geſellſchaft. eine höchſte und bewußte Schöpfung des Volkslebens auf - tritt, hat ihre wichtigſte Vorbedingung und Grundlage in der Sprache.
In der Blüthezeit des Mittelalters hatte der Adel der abendländiſchen Nationen eine „ höfiſche “Sprache für den Umgang wie für die Poeſie zu behaupten geſucht. So gab es auch in Italien, deſſen Dialecte ſchon frühe ſo weit auseinander gingen, im XIII. Jahrhundert ein ſogenanntes „ Curiale “, welches den Höfen und ihren Dichtern gemein - ſam war. Die entſcheidende Thatſache iſt nun, daß man daſſelbe mit bewußter Anſtrengung zur Sprache aller Ge - bildeten und zur Schiftſprache zu machen ſuchte. Die Einleitung der noch vor 1300 redigirten „ hundert alten Novellen “geſteht dieſen Zweck offen zu. Und zwar wird hier die Sprache ausdrücklich als von der Poeſie emancipirt behandelt; das Höchſte iſt der einfach klare, geiſtig ſchöne Ausdruck in kurzen Reden, Sprüchen und Antworten. Dieſer genießt eine Verehrung wie nur je bei Griechen und Arabern: „ Wie viele haben in einem langen Leben doch kaum ein einziges bel parlare zu Tage gebracht! “
Allein die Angelegenheit, um welche es ſich handelte, war um ſo ſchwieriger, je eifriger man ſie von ſehr ver -3745. Abſchnitt. ſchiedenen Seiten aus betrieb. In dieſen Kampf führt uns Dante mitten hinein; ſeine Schrift „ von der italieniſchen Sprache “1)De vulgari eloquio ed. Corbinelli, Parisiis 1577. Laut Boc - caccio, vita di Dante, p. 77, kurz vor ſeinem Tode verfaßt. — Ueber die raſche und merkliche Veränderung der Sprache bei ſeinen Lebzeiten äußert er ſich im Anfang des Convito. iſt nicht nur für die Frage ſelbſt wichtig ſondern auch das erſte raiſonnirende Werk über eine moderne Sprache überhaupt. Sein Gedankengang und ſeine Reſultate ge - hören in die Geſchichte der Sprachwiſſenſchaft, wo ſie aufIhre Entwick - lung, immer einen hochbedeutenden Platz einnehmen. Hier iſt nur zu conſtatiren, daß ſchon lange Zeit vor Abfaſſung der Schrift die Sprache eine tägliche wichtige Lebensfrage ge - weſen ſein muß, daß alle Dialecte mit parteiiſcher Vorliebe und Abneigung ſtudirt worden waren und daß die Geburt der allgemeinen Idealſprache von den ſtärkſten Wehen be - gleitet war.
Das Beſte that freilich Dante ſelber durch ſein großes Gedicht. Der toscaniſche Dialect wurde weſentlich die Baſis der neuen Idealſprache2)Das allmälige Vordringen derſelben in Literatur und Leben könnte ein einheimiſcher Kenner leicht tabellariſch darſtellen. Es müßte conſtatirt werden, wie lange ſich während des XIV. und XV. Jahrh. die einzelnen Dialecte in der täglichen Correſpondenz, in den Re - gierungsſchriften und Gerichtsprotocollen, endlich in den Chroniken und in der freien Literatur ganz oder gemiſcht behauptet haben. Auch das Fortleben der ital. Dialecte neben einem reinern oder ge - ringern Latein, welches dann als officielle Sprache diente, käme dabei in Betracht.. Wenn damit zu viel geſagt ſein ſollte, ſo darf der Ausländer um Nachſicht bitten, indem er ſchlechtweg in einer höchſt beſtrittenen Frage der vor - herrſchenden Meinung folgt.
In Literatur und Poeſie mag nun der Hader über dieſe Sprache, der Purismus eben ſo viel geſchadet als genützt, er mag manchem ſonſt ſehr begabten Autor die Naivetät des Ausdruckes geraubt haben. Und Andere, die375 der Sprache im höchſten Sinne mächtig waren, verließen5. Abſchnitt. ſich hinwiederum auf den prachtvoll wogenden Gang und Wohllaut derſelben als auf einen vom Inhalt unabhängi - gen Vorzug. Auch eine geringe Melodie kann nämlich von ſolch einem Inſtrument getragen, herrlich klingen. Allein wie dem auch ſei, in geſellſchaftlicher Beziehung hatte dieſe Sprache einen hohen Werth. Sie war die Ergänzung zu dem edeln, ſtylgemäßen Auftreten überhaupt, ſie nöthigte den gebildeten Menſchen, auch im Alltäglichen Haltung und in ungewöhnlichern Momenten äußere Würde zu behaupten. Schmutz und Bosheit genug hüllten ſich allerdings auch in dieß claſſiſche Gewand wie einſt in den reinſten Atticismus, allein auch das Feinſte und Edelſte fand in ihr einen gül - tigen Ausdruck. Vorzüglich bedeutend aber iſt ſie in na -und weite Ver - breitung. tionaler Beziehung, als ideale Heimath der Gebildeten aller Staaten des früh zerriſſenen Landes1)So empfindet es ſchon Dante. De vulgari eloquio I, c. 17. 18. . Zudem gehört ſie nicht nur den Adlichen oder ſonſt irgend einem Stande, ſondern der Aermſte und Geringſte hat Zeit und Mittel übrig ſich ihrer zu bemächtigen, ſobald er nur will. Noch heutzutage (und vielleicht mehr als je) wird der Fremde in ſolchen Gegenden Italiens, wo ſonſt der unverſtändlichſte Dialect herrſcht, bei geringen Leuten und Bauern oft durch ein ſehr reines und rein geſprochenes Italieniſch überraſcht und beſinnt ſich vergebens auf Aehnliches bei denſelben Menſchenclaſſen in Frankreich oder gar in Deutſchland, wo auch die Gebildeten an der provincialen Ausſprache feſt - halten. Freilich iſt das Leſenkönnen in Italien viel ver - breiteter als man nach den ſonſtigen Zuſtänden, z. B. des Kirchenſtaates, denken ſollte, allein wie weit würde dieß helfen ohne den allgemeinen, unbeſtrittenen Reſpect vor der reinen Sprache und Ausſprache als einem hohen und werthen Beſitzthum? Eine Landſchaft nach der andern hat ſich der - ſelben officiell anbequemt, auch Venedig, Mailand und3765. Abſchnitt. Neapel noch zur Zeit der Blüthe der Literatur und zum Theil wegen derſelben. Piemont iſt erſt in unſerm Jahr - hundert durch freien Willensact ein recht italieniſches Land geworden, indem es ſich dieſem wichtigſten Capital der Nation, der reinen Sprache, anſchloß1)Man ſchrieb und las in Piemont ſchon lange vorher toscaniſch, aber man ſchrieb und las eben wenig.. Der Dialectlite - ratur wurden ſchon ſeit Anfang des XVI. Jahrhunderts gewiſſe Gegenſtände freiwillig und mit Abſicht überlaſſen, und zwar nicht etwa lauter komiſche, ſondern auch ernſte2)Man wußte auch recht wohl, wohin im täglichen Leben der Dialect gehörte und wohin nicht. Gioviano Pontano darf den Kronprinzen von Neapel ausdrücklich vor deſſen Gebrauch warnen (Jov. Pontan. de principe). Bei den Lazzaroni wurde man freilich nicht ſo po - pulär wie die jetzige Dynaſtie. — Den Hohn über einen mailänd. Cardinal der in Rom ſeinen Dialect behaupten wollte ſ. bei Ban - dello, Parte II, Nov. 31. . Der Styl, welcher ſich darin entwickelte, war allen Auf - gaben gewachſen. Bei andern Völkern findet eine bewußte Trennung dieſer Art erſt ſehr viel ſpäter Statt.
Die Puriſten.Die Denkweiſe der Gebildeten über den Werth der Sprache als Medium der höhern Geſelligkeit ſtellt der Cor - tigiano3)Bald. Castiglione, il cortigiano, L. I, fol. 27, s. Aus der dia - logiſchen Form leuchtet doch überall die eigene Meinung hervor. ſehr vollſtändig dar. Es gab ſchon damals, zu Anfang des XVI. Jahrhunderts, Leute, welche gefliſſent - lich die veralteten Ausdrücke aus Dante und den übrigen Toscanern ſeiner Zeit feſthielten, bloß weil ſie alt waren. Für das Sprechen verbittet ſich der Autor dieſelben unbe - dingt und will ſie auch für das Schreiben nicht gelten laſſen, indem daſſelbe doch nur eine Form des Sprechens ſei. Hierauf folgt dann conſequent das Zugeſtändniß: dasjenige Reden ſei das Schönſte, welches ſich am meiſten den ſchön verfaßten Schriften nähere. Sehr klar tritt der Gedanke hervor, daß Leute, die etwas Bedeutendes zu ſagen377 haben, ihre Sprache ſelber bilden und daß die Sprache5. Abſchnitt. beweglich und wandelbar, weil ſie etwas Lebendiges iſt. Man möge die ſchönſten beliebigen Ausdrücke brauchen, wenn nur das Volk ſie noch brauche, auch ſolche aus nicht - toscaniſchen Gegenden, ja hie und da franzöſiſche und ſpa - niſche, wenn ſie der Gebrauch ſchon für beſtimmte Dinge angenommen habe1)Nur durfte man darin nicht zu weit gehen. Die Satiriker miſchen ſpaniſche und Folengo (unter dem Pſeudonym Limerno Pitocco, in ſeinem Orlandino) franzöſiſche Brocken immer nur Hohnes wegen ein. Es iſt ſchon ſehr außergewöhnlich, daß eine Straße in Mai - land, welche zur Franzoſenzeit, 1500 bis 1512, 1515 bis 1522, Rue belle hieß, noch heute Rugabella heißt. Von der langen ſpan. Herrſchaft iſt an der Sprache faſt keine Spur, an Gebäuden und Straßen höchſtens hie und da der Name eines Vicekönigs haften geblieben. Erſt im XVIII. Jahrh. drangen mit den Gedanken der franzöſiſchen Literatur auch viele franzöſiſche Wendungen und Ein - zelausdrücke in's Italieniſche ein; der Purismus unſeres Jahrhun - derts war und iſt noch bemüht, ſie wieder wegzuſchaffen.. So entſtehe, mit Geiſt und Sorgfalt, eine Sprache, welche zwar nicht eine rein antik toscaniſche, wohl aber eine italieniſche wäre, reich an Fülle wie ein köſtlicher Garten voller Blumen und Früchte. Es gehört ſehr weſentlich mit zu der allgemeinen Virtuoſität des Cor - tigiano, daß nur in dieſem ganz vollkommenen Gewande ſeine feine Sitte, ſein Geiſt und ſeine Poeſie zu Tage treten.
Da nun die Sprache eine Angelegenheit der lebendigen Geſellſchaft geworden war, ſo ſetzten die Archaiſten und Puriſten trotz aller Anſtrengung ihre Sache im WeſentlichenIhr geringer Erfolg. nicht durch. Es gab zu viele und treffliche Autoren und Converſationsmenſchen in Toscana ſelbſt, welche ſich über das Streben Jener hinwegſetzten oder luſtig machten; letzteres vorzüglich, wenn ein Weiſer von draußen kam und ihnen, den Toscanern, darthun wollte, ſie verſtänden ihre eigene Sprache nicht2)Firenzuola, opere I, in der Vorrede zur Frauenſchönheit, und II. in den Ragionamenti vor den Novellen.. Schon das Daſein und die Wirkung3785. Abſchnitt. eines Schriftſtellers wie Macchiavelli riß alle jene Spinn - weben durch, inſofern ſeine mächtigen Gedanken, ſein klarer, einfacher Ausdruck in einer Sprache auftraten, welche eher alle andern Vorzüge hatte als den eines reinen Trecentismo. Andererſeits gab es zu viele Oberitaliener, Römer, Neapo - litaner ꝛc., welchen es lieb ſein mußte, wenn man in Schrift und Converſation die Anſprüche auf Reinheit des Aus - druckes nicht zu hoch ſpannte. Sie verläugnen zwar Sprach - formen und Ausdrücke ihres Dialectes völlig, und ein Aus - länder wird es leicht für falſche Beſcheidenheit halten, wenn z. B. Bandello öfter hoch und theuer proteſtirt: „ ich habe keinen Styl; ich ſchreibe nicht florentiniſch ſondern oft bar - bariſch; ich begehre der Sprache keine neuen Zierden zu verleihen; ich bin nur ein Lombarde und noch dazu von der liguriſchen Grenze her “1)Bandello, Parte I, Proemio und Nov. 1 und 2. — Ein anderer Lombarde, der eben genannte Teofilo Folengo in ſeinem Orlandino, erledigt die Sache mit heiterm Spott.. Allein gegenüber der ſtren - gen Partei behauptete man ſich in der That am eheſten, indem man auf höhere Anſprüche ausdrücklich verzichtete und ſich dafür der großen allgemeinen Sprache nach Kräften bemächtigte. Nicht Jeder konnte es Pietro Bembo gleich - thun, welcher als geborener Venezianer Zeitlebens das reinſte Toscaniſch, aber faſt als eine fremde Sprache ſchrieb, oder einem Sannazaro, der es als Neapolitaner ebenſo machte. Das Weſentliche war, daß Jeder die Sprache in Wort und Schrift mit Achtung behandeln mußte. Daneben mochte man den Puriſten ihren Fanatismus, ihre Sprach - congreſſe2)Ein ſolcher fand, wie es ſcheint, in Bologna zu Ende 1531 unter Bembo's Vorſitz Statt. S. den Brief des Claud. Tolomei, bei Firenzuola, opere, vol. II, Beilagen. u. dgl. laſſen; ſchädlich im Großen wurden ſie erſt ſpäter, als der originale Hauch in der Literatur ohne - hin ſchwächer war und noch ganz andern, viel ſchlimmern Einflüſſen unterlag. Endlich ſtand es der Academia della379 Crusca frei, das Italieniſche wie eine todte Sprache zu5. Abſchnitt. behandeln. Sie war aber ſo machtlos, daß ſie nicht ein - mal die geiſtige Franzöſirung deſſelben im vorigen Jahr - hundert verhindern konnte. (Vgl. S. 377, Anm.)
Dieſe geliebte, gepflegte, auf alle Weiſe geſchmeidigDie Converſation. gemachte Sprache war es nun, welche als Converſation die Baſis der ganzen Geſelligkeit ausmachte. Während im Norden der Adel und die Fürſten ihre Muße entweder einſam oder mit Kampf, Jagd, Gelagen und Ceremonien, die Bürger die ihrige mit Spielen und Leibesübungen, allenfalls auch mit Verskünſten und Feſtlichkeiten hinbrachten, gab es in Italien zu all dieſem noch eine neutrale Sphäre, wo Leute jeder Herkunft, ſobald ſie das Talent und die Bildung dazu hatten, der Unterredung und dem Austauſch von Ernſt und Scherz in veredelter Form oblagen. Da die Bewirthung dabei Nebenſache war1)Luigi Cornaro klagt gegen 1550 (zu Anfang ſeines Trattato della vita sobria): erſt ſeit nicht langer Zeit nähmen in Italien über - hand: Die (ſpaniſchen) Ceremonien und Complimente, das Luther - thum und die Schlemmerei. (Die Mäßigkeit und die freie, leichte Geſelligkeit ſchwanden zu gleicher Zeit.) Vgl. S. 355., ſo konnte man ſtumpfe und gefräßige Individuen ohne Schwierigkeit fern halten. Wenn wir die Verfaſſer von Dialogen beim Wort nehmen dürften, ſo hätten auch die höchſten Probleme des Daſeins das Geſpräch zwiſchen auserwählten Geiſtern aus - gefüllt; die Hervorbringung der erhabenſten Gedanken wäre nicht, wie bei den Nordländern in der Regel, eine einſame, ſondern eine Mehrern gemeinſame geweſen. Doch wir be - ſchränken uns hier gerne auf die ſpielende, um ihrer ſelbſt willen vorhandene Geſelligkeit.
Sie war wenigſtens zu Anfang des XVI. JahrhundertsDie geſetzliche Geſelligkeit. eine geſetzlich ſchöne und beruhte auf einem ſtillſchweigenden, oft aber auch auf einem laut zugeſtandenen und vorge - ſchriebenen Uebereinkommen, welches ſich frei nach der Zweck -3805. Abſchnitt mäßigkeit und dem Anſtand richtet und das gerade Gegen - theil von aller bloßen Etikette iſt. In derbern Lebenskreiſen, wo dergleichen den Character einer dauernden Corporation annahm, gab es Statuten und förmlichen Eintritt, wie z. B. bei jenen tollen Geſellſchaften florentiniſcher Künſtler, von welchen Vaſari erzählt1)Vasari XII, p. 9 und 11, Vita di Rustici. — Dazu die me - diſante Clique von verlumpten Künſtlern, XI, 216, s. Vita d'Aristotele. — Macchiavell's Capitoli für eine Vergnügensgeſell - ſchaft (in den opere minori p. 407) ſind eine komiſche Caricatur von Geſellſchaftsſtatuten, im Styl der verkehrten Welt. — Unver - gleichlich iſt und bleibt die bekannte Schilderung jenes römiſchen Künſtlerabends bei Benvenuto Cellini, I, cap. 30.; ein ſolches Beiſammenbleiben machte denn auch die Aufführung der wichtigſten damaligen Comödien möglich. Die leichtere Geſelligkeit des Augen - blickes dagegen nahm gerne die Vorſchriften an, welche etwa die namhafteſte Dame ausſprach. Alle Welt kennt den Eingang von Boccaccio's Decamerone und hält das König - thum der Pampinea über die Geſellſchaft für eine ange - nehme Fiction; um eine ſolche handelt es ſich auch gewiß in dieſem Falle, allein dieſelbe beruht auf einer häufig vorkommenden wirklichen Uebung. Firenzuola, der faſt zwei Jahrhunderte ſpäter ſeine Novellenſammlung auf ähnliche Weiſe einleitet, kommt gewiß der Wirklichkeit noch viel näher, indem er ſeiner Geſellſchaftskönigin eine förmliche Thronrede in den Mund legt, über die Eintheilung der Zeit während des bevorſtehenden gemeinſamen Landaufent - haltes: zuerſt eine philoſophiſche Morgenſtunde während man nach einer Anhöhe ſpaziert; dann die Tafel2)Die man ſich wohl Vormittags um 10 — 11 Uhr zu denken hat. Vgl. Bandello, Parte II, Nov. 10. mit Lautenſpiel und Geſang; darauf, in einem kühlen Raum,Die Novelliſten und ihre Zuhörerſchaft. die Recitation einer friſchen Canzone deren Thema jedes - mal am Vorabend aufgegeben wird; ein abendlicher Spa - ziergang zu einer Quelle, wo man Platz nimmt und Jedermann381 eine Novelle erzählt; endlich das Abendeſſen und heitere5. Abſchnitt. Geſpräche „ von ſolcher Art, daß ſie für uns Frauen noch „ ſchicklich heißen können und bei euch Männern nicht vom „ Weine eingegeben ſcheinen müſſen “. Bandello giebt in den Einleitungen oder Widmungen zu den einzelnen No - vellen zwar nicht ſolche Einweihungsreden, indem die ver - ſchiedenen Geſellſchaften, vor welchen ſeine Geſchichten er - zählt werden, bereits als gegebene Kreiſe exiſtiren, allein er läßt auf andere Weiſe errathen, wie reich, vielartig und anmuthig die geſellſchaftlichen Vorausſetzungen waren. Manche Leſer werden denken, an einer Geſellſchaft, welche ſo unmoraliſche Erzählungen anzuhören im Stande war, ſei nichts zu verlieren noch zu gewinnen. Richtiger möchte der Satz ſo lauten: auf welchen ſichern Grundlagen mußte eine Geſelligkeit ruhen, die trotz jener Hiſtorien nicht aus den äußern Formen, nicht aus Rand und Band ging, die zwiſchen hinein wieder der ernſten Discuſſion und Berathung fähig war. Das Bedürfniß nach höhern Formen des Um - ganges war eben ſtärker als Alles. Man braucht dabei nicht die ſehr idealiſirte Geſellſchaft als Maßſtab zu nehmen, welche Caſtiglione am Hofe Guidobaldo's von Urbino, Pietro Bembo auf dem Schloß Aſolo ſelbſt über die höch - ſten Gefühle und Lebenszwecke reflectiren laſſen. Gerade die Geſellſchaft eines Bandello mit ſammt den Frivolitäten, die ſie ſich bieten läßt, giebt den beſten Maßſtab für den vornehm leichten Anſtand, für das Großweltswohlwollen und den echten Freiſinn, auch für den Geiſt und den zier - lichen poetiſchen und andern Dilettantismus, der dieſe Kreiſe belebte. Ein bedeutender Wink für den Werth einer ſolchen Geſelligkeit liegt beſonders darin, daß die Damen, welche deren Mittelpuncte bildeten, damit berühmt und hochgeachtet wurden ohne daß es ihrem Ruf im Geringſten ſchadete. Von den Gönnerinnen Bandello's z. B. iſt wohl IſabellaDie großen Damen. Gonzaga, geborne Eſte (S. 44) durch ihren Hof von3825. Abſchnitt. lockern Fräulein1)Prato, Arch. stor. III, p. 309., aber nicht durch ihr eigenes Benehmen in ungünſtige Nachrede gerathen; Giulia Gonzaga Colonna, Ippolita Sforza vermählte Bentivoglio, Bianca Rangona, Cecilia Gallerana, Camilla Scarampa u. A. waren ent - weder völlig unbeſcholten oder es wurde auf ihr ſonſtiges Benehmen kein Gewicht gelegt neben ihrem ſocialen Ruhm. Die berühmteſte Dame von Italien, Vittoria Colonna, war vollends eine Heilige. Was nun Specielles von dem zwang - loſen Zeitvertreib jener Kreiſe in der Stadt, auf der Villa, in Badeorten gemeldet wird, läßt ſich nicht ſo wiedergeben, daß daraus die Superiorität über die Geſelligkeit des übrigen Europa's buchſtäblich klar würde. Aber man höre Bandello an2)Die wichtigern Stellen: Parte I, Nov. 1. 3. 21. 30. 44. II, 10. 34. 55. III, 17. etc. und frage ſich dann nach der Möglichkeit von etwas Aehnlichem z. B. in Frankreich, bevor dieſe Art von Geſelligkeit eben durch Leute wie er aus Italien dort - hin verpflanzt worden war. — Gewiß wurde auch damals das Größte im Gebiet des Geiſtes hervorgebracht ohne die Beihülfe ſolcher Salons und ohne Rückſicht auf ſie; doch thäte man Unrecht, ihren Werth für die Bewegung von Kunſt und Poeſie gar zu gering zu ſchätzen, wäre es auch nur, weil ſie das ſchaffen halfen, was damals in keinem Lande exiſtirte: eine gleichartige Beurtheilung und Theil - nahme für die Productionen. Abgeſehen davon iſt dieſe Art von Societät ſchon als ſolche eine nothwendige Blüthe jener beſtimmten Cultur und Exiſtenz, welche damals eine italieniſche war und ſeitdem eine europäiſche geworden iſt.
Florentiniſche Geſelligkeit.In Florenz wird das Geſellſchaftsleben ſtark bedingt von Seiten der Literatur und der Politik. Lorenzo magnifico iſt vor Allem eine Perſönlichkeit, welche nicht wie man glauben möchte, durch die fürſtengleiche Stellung, ſondern durch das außerordentliche Naturell ſeine Umgebung voll -383 ſtändig beherrſcht, eben weil er dieſe unter ſich ſo verſchie -5. Abſchnitt. denen Menſchen in Freiheit ſich ergehen läßt1)Vgl. Lor. Magnif. de' Medici, Poesie I, 204 (das Gelage); 291 (die Falkenjagd). — Roscoe, vita di Lorenzo, III, p. 140 und Beilagen 17 bis 19.. Man ſieht z. B. wie er ſeinen großen Hauslehrer Poliziano ſchonte, wie die ſouveränen Manieren des Gelehrten und Dichters eben noch kaum verträglich waren mit den nothwendigen Schranken, welche der ſich vorbereitende Fürſtenrang des Hauſes und die Rückſicht auf die empfindliche Gemahlin vorſchrieben; dafür iſt aber Poliziano der Herold und das wandelnde Symbol des mediceiſchen Ruhmes. Lorenzo freut ſich dann auch recht in der Weiſe eines Medici, ſeinLorenzo als Schilderer ſei - nes Kreiſes. geſelliges Vergnügen ſelber zu verherrlichen, monumental darzuſtellen. In der herrlich improviſirten „ Falkenjagd “ſchildert er ſeine Genoſſen ſcherzhaft, in dem „ Gelage “ſogar höchſt burlesk, allein ſo, daß man die Fähigkeit des ernſt - hafteſten Verkehrs deutlich durchfühlt2)Der Titel Simposio iſt ungenau; es ſollte heißen: die Heimkehr von der Weinleſe. Lorenzo ſchildert in höchſt vergnüglicher Weiſe, nämlich in einer Parodie nach Dante's Hölle, wie er, zumeiſt in Via Faenza, alle ſeine guten Freunde nacheinander mehr oder weniger benebelt vom Lande her kommend antrifft. Von der ſchönſten Komik iſt im 8. Capitolo das Bild des Piovano Arlotto, welcher auszieht ſeinen verlorenen Durſt zu ſuchen und zu dieſem Endzweck an ſich hängen hat: dürres Fleiſch, einen Häring, einen Reif Käſe, ein Würſtchen und vier Sardellen, e tutte si cocevan nel sudore. . Von dieſem Ver - kehr geben dann ſeine Correſpondenz und die Nachrichten über ſeine gelehrte und philoſophiſche Converſation reichliche Kunde. Andere ſpätere geſellige Kreiſe in Florenz ſind zum Theil theoretiſirende politiſche Clubbs, die zugleich eine poetiſche und philoſophiſche Seite haben wie z. B. die ſo - genannte platoniſche Academie, als ſie ſich nach Lorenzo's Tode in den Gärten der Ruccellai verſammelte3)Ueber Coſimo Ruccellai als Mittelpunkt dieſes Kreiſes zu Anfang des XVI. Jahrh. vgl. Macchiavelli, arte della guerra, L. I. .
3845. Abſchnitt. An den Fürſtenhöfen hing natürlich die Geſelligkeit von der Perſon des Herrſchers ab. Es gab ihrer allerdings ſeit Anfang des XVI. Jahrhunderts nur noch wenige und dieſe konnten nur geringerntheils in dieſer Beziehung etwas bedeuten. Rom hatte ſeinen wahrhaft einzigen Hof Leo's X., eine Geſellſchaft von ſo beſonderer Art, wie ſie ſonſt in der Weltgeſchichte nicht wieder vorkommt.
Ausbildung des Cortigiano.Für die Höfe, im Grunde aber noch viel mehr um ſeiner ſelber willen bildet ſich nun der Cortigiano aus, welchen Caſtiglione ſchildert. Es iſt eigentlich der geſell - ſchaftliche Idealmenſch, wie ihn die Bildung jener Zeit als nothwendige, höchſte Blüthe poſtulirt, und der Hof iſt mehr für ihn als er für den Hof beſtimmt. Alles wohl erwogen, könnte man einen ſolchen Menſchen an keinem Hofe brau - chen, weil er ſelber Talent und Auftreten eines vollkom - menen Fürſten hat und weil ſeine ruhige, unaffectirte Vir - tuoſität in allen äußern und geiſtigen Dingen ein zu ſelbſtändiges Weſen vorausſetzt. Die innere Triebkraft, die ihn bewegt, bezieht ſich, obwohl es der Autor verhehlt, nicht auf den Fürſtendienſt, ſondern auf die eigene Vollen - dung. Ein Beiſpiel wird dieß klar machen: im Kriege nämlich verbittet ſich1)Il cortigiano, L. II, fol. 53. — Vgl. oben S. 364, 376. der Cortigiano ſelbſt nützliche und mit Gefahr und Aufopferung verbundene Aufgaben, wenn dieſelben ſtyllos und unſchön ſind, wie etwa das Wegfangen einer Heerde; was ihn zur Theilnahme am Kriege bewegt, iſt ja nicht die Pflicht an ſich, ſondern „ l'honore “. Die ſittliche Stellung zum Fürſten, wie ſie im vierten Buch ver -Seine Lieb - ſchaft. langt wird, iſt eine ſehr freie und ſelbſtändige. Die Theorie der vornehmen Liebſchaft (im dritten Buche) enthält ſehr viele feine pſychologiſche Beobachtungen, die aber beſſern - theils dem allgemein menſchlichen Gebiet angehören, und die große, faſt lyriſche Verherrlichung der idealen Liebe385 (am Ende des vierten Buches) hat vollends nichts mehr5. Abſchnitt. zu thun mit der ſpeciellen Aufgabe des Werkes. Doch zeigt ſich auch hier wie in den Aſolani des Bembo die un - gemeine Höhe der Bildung in der Art, wie die Gefühle verfeinert und analyſirt auftreten. Dogmatiſch beim Worte nehmen darf man dieſe Autoren allerdings nicht. Daß aber Reden dieſer Art in der vornehmern Geſellſchaft vor - kamen iſt nicht zu bezweifeln, und daß nicht bloßes Schön - thun ſondern auch wahre Leidenſchaft in dieſem Gewande erſchien, werden wir unten ſehen.
Von den äußerlichen Fertigkeiten werden beim Corti -Seine Fertig - keiten. giano zunächſt die ſogenannten ritterlichen Uebungen in Vollkommenheit verlangt, außerdem aber auch noch manches Andere, das nur an einem geſchulten, gleichmäßig fortbe - ſtehenden, auf perſönlichſtem Wetteifer begründeten Hofe ge - fordert werden konnte, wie es damals außerhalb Italiens keinen gab; Mehreres beruht auch ſichtlich nur auf einem allgemeinen, beinahe abſtracten Begriff der individuellen Vollkommenheit. Der Cortigiano muß mit allen edeln Spielen vertraut ſein, auch mit dem Springen, Wettlaufen, Schwimmen, Ringen; hauptſächlich muß er ein guter Tänzer ſein und (wie ſich von ſelbſt verſteht) ein nobler Reiter. Dazu aber muß er mehrere Sprachen, mindeſtens italieniſch und latein beſitzen, und ſich auf die ſchöne Literatur ver - ſtehen, auch über die bildenden Künſte ein Urtheil haben; in der Muſik fordert man von ihm ſogar einen gewiſſen Grad von ausübender Virtuoſität, die er überdieß möglichſt geheim halten muß. Gründlicher Ernſt iſt es natürlich mit nichts von Allem, ausgenommen die Waffen; aus der gegenſeitigen Neutraliſirung des Vielen entſteht eben das abſolute Individuum, in welchem keine Eigenſchaft auf - dringlich vorherrſcht.
So viel iſt gewiß, daß im XVI. Jahrhundert dieLeibesübungen. Italiener ſowohl als theoretiſche Schriftſteller wie als prac - tiſche Lehrer das ganze Abendland in die Schule nahmenCultur der Renaiſſance. 253865. Abſchnitt. für alle edlern Leibesübungen und für den höhern geſelligen Anſtand. Für Reiten, Fechten und Tanzen haben ſie durch Werke mit Abbildungen und durch Unterricht den Ton an - gegeben; das Turnen, abgelöst von der Kriegsübung wie vom bloßen Spiel, iſt vielleicht zu allererſt von Vittorino da Feltre (S. 208) gelehrt worden, und dann ein Requiſit der höhern Erziehung geblieben1)Coelius Calcagninus (Opera, p. 514) ſchildert die Erziehung eines jungen Italieners von Stande um 1500 (in der Leichenrede auf Antonio Coſtabili) wie folgt: zuerſt artes liberales et ingenuæ disciplinæ; tum adolescentia in iis exercitationibus acta, quæ ad rem militarem corpus animumque præmuniunt. Nunc gymnastae (d. h. dem Turnlehrer) operam dare, luctari, excurrere, natare, equitare, venari, aucupari, ad palum et apud lanistam ictus inferre aut declinare, cæsim punctimve hostem ferire, hastam vibrare, sub armis hyemem iuxta et æstatem traducere, lanceis occursare, veri ac communis Martis simulacra imitari. — Cardanus (de propria vita, c. 7) nennt unter ſeinen Turnübungen auch das Hinaufſpringen auf das hölzerne Pferd.. Entſcheidend iſt dabei, daß es kunſtgemäß gelehrt wird; welche Uebungen vor - kamen, ob die jetzt vorwiegenden auch damals gekannt waren, können wir freilich nicht ermitteln. Wie ſehr aber außer der Kraft und Gewandtheit auch die Anmuth als Zweck und Ziel galt, geht nicht nur aus der ſonſt bekann - ten Denkweiſe der Nation, ſondern auch aus beſtimmten Nachrichten hervor. Es genügt an den großen Federigo von Montefeltro (S. 45) zu erinnern, wie er die abend - lichen Spiele der ihm anvertrauten jungen Leute leitete.
Volksſpiele.Spiele und Wettübungen des Volkes unterſchieden ſich wohl nicht weſentlich von den im übrigen Abendlande ver - breiteten. In den Seeſtädten kam natürlich das Wettrudern hinzu und die venezianiſchen Regatten waren ſchon frühe berühmt2)Sansovino, Venezia, fol. 172, s. Sie ſollen entſtanden ſein bei Anlaß des Hinausfahrens zum Lido, wo man mit der Armbruſt zu. Das claſſiſche Spiel Italiens war und iſt be -387 kanntlich das Ballſpiel, und auch dieſes möchte ſchon zur Zeit5. Abſchnitt. der Renaiſſance mit viel größerm Eifer und Glanze geübt worden ſein als anderswo in Europa. Doch iſt es nicht wohl möglich, beſtimmte Zeugniſſe für dieſe Annahme zu - ſammenzubringen.
An dieſer Stelle muß auch von der Muſik1)Ueber Dante's Verhältniß zur Muſik und über die Weiſen zu Pe - trarca's und Boccaccio's Gedichten vgl. Trucchi, poesie ital. ine - dite II, p. 139. — Ueber Theoretiker des XIV. Jahrh. Filippo Villani, vite, p. 46 und Scardeonius, de urb. Patav. antiq. bei Græv. Thesaur. VI, III, Col. 297. Eine merkwürdige und umfangreiche Stelle über die Muſik findet ſich, wo man ſie nicht ſuchen würde, Macaroneide, Phant. XX. Es wird ein Quartettgeſang kemiſch geſchildert, wobei man erfährt, daß auch franzöſiſche und ſpaniſche Lieder geſungen wurden, daß die Muſik bereits ihre Feinde hatte (um 1520), und daß Leo's X. Capelle und die RedeDie Muſik. ſein. Die Compoſition war noch um 1500 vorherrſchend in den Händen der niederländiſchen Schule, welche wegen der ungemeinen Künſtlichkeit und Wunderlichkeit ihrer Werke beſtaunt wurde. Doch gab es ſchon daneben eine italieniſche Muſik, welche ohne Zweifel unſerm jetzigen Ton - gefühl etwas näher ſtand. Ein halbes Jahrhundert ſpäter tritt Paleſtrina auf, deſſen Gewalt ſich auch heute noch alle Gemüther unterwirft; wir erfahren auch, er ſei ein großer Neuerer geweſen, allein ob er oder Andere den ent -2)ſchießen pflegte; die große allgemeine Regatta am St. Paulstag war geſetzlich ſeit 1315. — Früher wurde in Venedig auch viel geritten, ehe die Straßen gepflaſtert und die ebenen hölzernen Brücken in hochgewölbte ſteinerne verwandelt waren. Noch Petrarca (Epist. seniles, IV, 2, p. 783) ſchildert ein prächtiges Reiterturnier auf dem Marcusplatz, und der Doge Steno hielt um 1400 einen Mar - ſtall ſo herrlich wie der irgend eines italieniſchen Fürſten. Doch war das Reiten in der Umgegend jenes Platzes ſchon ſeit 1291 in der Regel verbeten. — Später galten die Venezianer natürlich für ſchlechte Reiter. Vgl. Ariosto, Sat. V, vs. 208.25*3885. Abſchnitt. ſcheidenden Schritt in die Tonſprache der modernen Welt hinein gethan haben, wird nicht ſo erörtert, daß der Laie ſich einen Begriff von dem Thatbeſtand machen könnte. Indem wir daher die Geſchichte der muſicaliſchen Compo - ſition gänzlich auf ſich beruhen laſſen, ſuchen wir die Stellung der Muſik zur damaligen Geſellſchaft auszumitteln.
Reichthum an Inſtrumenten.Höchſt bezeichnend für die Renaiſſance und für Italien iſt vor Allem die reiche Specialiſirung des Orcheſters, das Suchen nach neuen Inſtrumenten d. h. Klangarten, und — in engem Zuſammenhang damit — das Virtuoſenthum, d. h. das Eindringen des Individuellen im Verhältniß zu beſtimmten Zweigen der Muſik und zu beſtimmten In - ſtrumenten.
Von denjenigen Tonwerkzeugen, welche eine ganze Har - monie ausdrücken können, iſt nicht nur die Orgel frühe ſehr verbreitet und vervollkommnet, ſondern auch das ent - ſprechende Saiteninſtrument, das gravicembalo oder cla - vicembalo; Stücke von ſolchen aus dem Beginn des XVI. Jahrhunderts werden bekanntlich noch aufbewahrt, weil die größten Maler ſie mit Bildern ſchmückten. Sonſt nahm die Geige den erſten Rang ein und gewährte bereits große perſönliche Celebrität. Bei Leo X., der ſchon als Cardinal ſein Haus voller Sänger und Muſiker gehabt hatte und der als Kenner und Mitſpieler eine hohe Reputation ge -Virtuoſen. noß, wurden der Jude Giovan Maria und Jacopo San - ſecondo berühmt; erſterem gab Leo den Grafentitel und ein Städtchen1)Leonis vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 171. Ob dieß vielleicht der Violinſpieler der Galerie Sciarra iſt? —; letztern glaubt man in dem Apoll auf Rafaels1)der noch frühere Componiſt Josquin des Prés das Höchſte waren, wofür man ſchwärmte; die Hauptwerke des letztern werden genannt. Derſelbe Autor (Folengo) legt auch in ſeinem (unter dem Namen Limerno Pitocco herausgegebenen) Orlandino III, 23, s. einen ganz modernen Muſikfanatismus an den Tag.389 Parnaß dargeſtellt zu ſehen. Im Verlauf des XVI. Jahr -5. Abſchnitt. hunderts bildeten ſich dann Renommeen für jede Gattung, und Lomazzo (um 1580) nennt je drei namhaft gewordene Virtuoſen für Geſang, Orgel, Laute, Lyra, Viola da Gamba, Harfe, Cither, Hörner und Poſaunen; er wünſcht, daß ihre Bildniſſe auf die Inſtrumente ſelbſt gemalt werden möchten1)Lomazzo, trattato dell 'arte della pittura, etc. p. 347. — Bei der Lyra iſt Lionardo da Vinci mitgenannt, auch Alfonſo (Herzog?) von Ferrara. Der Verf. nimmt überhaupt die Berühmtheiten des Jahrhunderts zuſammen. Mehrere Juden ſind darunter. — Ein Virtuoſe, der blinde Francesco von Florenz (ſt. 1390) wird ſchon frühe in Venedig von dem anweſenden König von Cypern mit einem Lorbeerkranze gekrönt.. Solch ein vielſeitiges vergleichendes Urtheil wäre wohl in jener Zeit außerhalb Italiens ganz undenk - bar, wenn auch faſt dieſelben Inſtrumente überall vorge - kommen ſein mögen.
Der Reichthum an Inſtrumenten ſodann geht beſonders daraus hervor, daß es ſich lohnte, aus Curioſität Samm - lungen derſelben anzulegen. In dem höchſt muſicaliſchen Venedig2)Sansovino, Venezia, fol. 138. Natürlich ſammelten dieſelben Lieb - haber auch Notenbücher. gab es mehrere dergleichen, und wenn eine An - zahl Virtuoſen ſich dazu einfanden, ſo ergab ſich gleich an Ort und Stelle ein Concert. (In einer dieſer Sammlun - gen ſah man auch viele nach antiken Abbildungen und Beſchreibungen verfertigte Tonwerkzeuge, nur wird nicht gemeldet, ob ſie Jemand ſpielen konnte und wie ſie klangen.) Es iſt nicht zu vergeſſen daß ſolche Gegenſtände zum Theil ein feſtlich prachtvolles Aeußeres hatten und ſich ſchön gruppiren ließen. Auch in Sammlungen anderer Raritä - ten und Kunſtſachen pflegen ſie ſich deßhalb als Zugabe einzufinden.
1)Ein Giovan Maria da Cornetto wird geprieſen im Orlandino (S. 160, 326) III, 27.
3905. Abſchnitt. Die Executanten ſelbſt ſind außer den eigentlichenDilettanten. Virtuoſen entweder einzelne Liebhaber oder ganze Orcheſter von ſolchen, etwa als „ Academie “corporationsmäßig zu - ſammengeſellt1)Die Accademia de' filarmonici zu Verona erwähnt ſchon Vaſari XI, 133 im Leben des Sanmichele. — Um Lorenzo magnifico hatte ſich bereits 1480 eine „ Harmonieſchule “von 15 Mitgliedern geſam - melt, darunter der berühmte Organiſt Squarcialupi. Vgl. De - lécluze, Florence et ses vicissitudes, Vol. II, p. 256. Von Lorenzo ſcheint ſein Sohn Leo X. die Muſikbegeiſterung geerbt zu haben. Auch ſein älteſter Sohn Pietro war ſehr muſicaliſch.. Sehr viele bildende Künſtler waren auch in der Muſik bewandert und oft Meiſter. — Leuten von Stande wurden die Blasinſtrumente abgerathen aus den - ſelben Gründen2)Il cortigiano, fol. 56. vgl. fol. 41., welche einſt den Alcibiades und ſelbſt Pallas Athene davon abgeſchreckt haben ſollen; die vor - nehme Geſelligkeit liebte den Geſang entweder allein oder mit Begleitung der Geige; auch das Streichquartett3)Quattro viole da arco, gewiß ein hoher und damals im Ausland ſehr ſeltener Grad von Dilettantenbildung. und um der Vielſeitigkeit willen das Clavier; aber nicht den mehrſtimmigen Geſang, „ denn Eine Stimme höre, genieße „ und beurtheile man weit beſſer “. Mit andern Worten, da der Geſang trotz aller conventionellen Beſcheidenheit (S. 390) eine Exhibition des einzelnen Geſellſchaftsmenſchen bleibt, ſo iſt es beſſer, man höre (und ſehe) Jeden beſonders. Wird ja doch die Weckung der ſüßeſten Gefühle in den Zuhörerinnen vorausgeſetzt und deßhalb den alten Leuten eine ausdrückliche Abmahnung ertheilt, auch wenn ſie noch ſo ſchön ſpielten und ſängen. Es kam ſehr darauf an, daß der Einzelne einen aus Ton und Geſtalt harmoniſch gemiſchten Eindruck hervorbringe. Von einer Anerkennung der Compoſition als eines für ſich beſtehenden Kunſtwerkes iſt in dieſen Kreiſen keine Rede. Dagegen kommt es vor,391 daß der Inhalt der Worte ein furchtbares eigenes Schick -5. Abſchnitt. ſal des Sängers ſchilderte1)Bandello, Parte I, Nov. 26. Der Geſang des Antonio Bologna im Hauſe der Ippolita Bentivoglia. Vgl. III, 26. In unſerer zimperlichen Zeit würde man dieß eine Profanation der heiligſten Gefühle nennen. — Die Recitation zur Laute oder Viola iſt in den Ausſagen nicht leicht vom eigentlichen Geſang zu ſcheiden..
Offenbar iſt dieſer Dilettantismus, ſowohl der vor - nehmern als der mittlern Stände, in Italien verbreiteter und zugleich der eigentlichen Kunſt näher verwandt geweſen als in irgend einem andern Lande. Wo irgend Geſelligkeit geſchildert wird, iſt auch immer und mit Nachdruck Geſang und Saitenſpiel erwähnt; hunderte von Porträts ſtellen die Leute, oft Mehrere zuſammen, muſicirend oder doch mit der Laute ꝛc. im Arm dar, und ſelbſt in Kirchenbildern zeigen die Engelconcerte, wie vertraut die Maler mit der lebendigen Erſcheinung der Muſicirenden waren. Bereits erfährt man z. B. von einem Lautenſpieler Antonio Rota in Padua (ſt. 1549), der vom Stundengeben reich wurde und auch eine Lautenſchule drucken ließ2)Scardeonius, a. a. O..
In einer Zeit da noch keine Oper den muſicaliſchen Genius zu concentriren und zu monopoliſiren angefangen hatte, darf man ſich wohl dieſes Treiben geiſtreich, vielartig und wunderbar eigenthümlich vorſtellen. Eine andere Frage iſt, wie weit wir noch an jener Tonwelt Theil hätten, wenn unſer Ohr ſie wieder vernähme.
Zum Verſtändniß der höhern Geſelligkeit der Renaiſ -Das Weib dem Manne gleich, ſance iſt endlich weſentlich zu wiſſen, daß das Weib dem Manne gleich geachtet wurde. Man darf ſich ja nicht irre machen laſſen durch die ſpitzfindigen und zum Theil bos - haften Unterſuchungen über die vermuthliche Inferiorität3925. Abſchnitt. des ſchönen Geſchlechtes, wie ſie bei den Dialogenſchreibern hin und wieder vorkommen, auch nicht durch eine Satire wie die dritte des Arioſto1)An Annibale Maleguccio, ſonſt auch als 5te und 6te bezeichnet., welcher das Weib wie ein ge - fährliches großes Kind betrachtet, das der Mann zu be - handeln wiſſen müſſe, während es durch eine Kluft von ihm geſchieden bleibt. Letzteres iſt allerdings in einem ge - wiſſen Sinne wahr; gerade weil das ausgebildete Weib dem Manne gleich ſtand, konnte in der Ehe das was man geiſtige und Seelengemeinſchaft, oder höhere Ergänzung nennt, nicht ſo zur Blüthe gelangen wie ſpäter in der ge - ſitteten Welt des Nordens.
durch Bildung,Vor Allem iſt die Bildung des Weibes in den höchſten Ständen weſentlich dieſelbe wie beim Manne. Es erregt den Italienern der Renaiſſance nicht das geringſte Bedenken, den literariſchen und ſelbſt den philologiſchen Unterricht auf Töchter und Söhne gleichmäßig wirken zu laſſen (S. 215); da man ja in dieſer neuantiken Cultur den höchſten Beſitz des Lebens erblickte, ſo gönnte man ſie gerne auch den Mädchen. Wir ſahen bis zu welcher Virtuoſität ſelbſt Fürſten - töchter im lateiniſchen Reden und Schreiben gelangten (S. 222, 225). Andere mußten wenigſtens die Lectüre der Männer theilen, um dem Sachinhalt des Alterthums, wie er die Converſation großentheils beherrſchte, folgen zu können. Weiter ſchloß ſich daran die thätige Theilnahme an der italieniſchen Poeſie durch Canzonen, Sonette und Impro -Poeſie, viſation, womit ſeit der Venezianerin Caſſandra Fedele (Ende des XV. Jahrhunderts) eine Anzahl von Damen berühmt wurden2)Wogegen die Betheiligung der Frauen an den bildenden Künſten nur äußerſt gering iſt.; Vittoria Colonna kann ſogar unſterb - lich heißen. Wenn irgend etwas unſere obige Behauptung beweist, ſo iſt es dieſe Frauenpoeſie mit ihrem völlig männ - lichen Ton. Liebesſonette wie religiöſe Gedichte zeigen eine393 ſo entſchiedene, präciſe Faſſung, ſind von dem zarten Halb -5. Abſchnitt. dunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantiſchen, was ſonſt der weiblichen Dichtung anhängt, ſo weit ent - fernt, daß man ſie durchaus für die Arbeiten eines Mannes halten würde, wenn nicht Namen, Nachrichten und beſtimmte äußere Andeutungen das Gegentheil beſagten.
Denn mit der Bildung entwickelt ſich auch der Indi -und Individua - lismus. vidualismus in den Frauen höherer Stände auf ganz ähn - liche Weiſe wie in den Männern, während außerhalb Italiens bis auf die Reformation die Frauen, und ſelbſt die Fürſtinnen noch ſehr wenig perſönlich hervortreten. Ausnahmen wie Iſabeau von Baiern, Margaretha von Anjou, Iſabella von Caſtilien u. ſ. w. kommen auch nur unter ganz ausnahmsweiſen Verhältniſſen, ja gleichſam nur gezwungen zum Vorſchein. In Italien haben ſchon während des ganzen XV. Jahrhunderts die Gemahlinnen der Herr - ſcher und vorzüglich die der Condottieren faſt alle eine be - ſondere, kenntliche Phyſiognomie, und nehmen an der No - torietät, ja am Ruhme ihren Antheil (S. 133). Dazu kömmt allmälig eine Schaar von berühmten Frauen ver - ſchiedener Art (S. 150) wäre auch ihre Auszeichnung nur darin zu finden geweſen, daß in ihnen Anlage, Schönheit, Erziehung, gute Sitte und Frömmigkeit ein völlig harmo - niſches Ganzes bildeten1)So muß man z. B. bei Veſpaſiano Fiorentino (Mai, Spicileg. rom. IX, p. 593, s.) die Biographie der Aleſſandra de' Bardi auffaſſen. Der Autor iſt, beiläufig geſagt, ein großer laudator temporis acti und man darf nicht vergeſſen, daß faſt hundert Jahre vor dem, was er die gute alte Zeit nennt, ſchon Boccaccio den De - camerone ſchrieb.. Von einer aparten, bewußten „ Emancipation “iſt gar nicht die Rede, weil ſich die Sache von ſelber verſtand. Die Frau von Stande mußte damalsVolle Perſön - lichkeit. ganz wie der Mann nach einer abgeſchloſſenen, in jeder Hinſicht vollendeten Perſönlichkeit ſtreben. Derſelbe Her - gang in Geiſt und Herz, welcher den Mann vollkommen3945. Abſchnitt. macht, ſollte auch das Weib vollkommen machen. Active literariſche Thätigkeit verlangt man nicht von ihr, und wenn ſie Dichterin iſt, ſo erwartet man wohl irgend einen mächtigen Klang der Seele, aber keine ſpeciellen Intimitä - ten in Form von Tagebüchern und Romanen. An das Publicum dachten dieſe Frauen nicht; ſie mußten vor Allem bedeutenden Männern imponiren1)Ant. Galateo, epist. 3, an die junge Bona Sforza, die ſpätere Gemahlin des Sigismund von Polen: Incipe aliquid de viro sa - pere, quoniam ad imperandum viris nata es … Ita fac, ut sapientibus viris placeas, ut te prudentes et graves viri admi - rentur, et vulgi et muliercularum studia et iudicia despicias etc. Auch ſonſt ein merkwürdiger Brief. (Mai, Spicileg. rom. VIII, p. 532.) und deren Willkür in Schranken halten.
Die Virago.Das Ruhmvollſte was damals von den großen Ita - lienerinnen geſagt wird, iſt, daß ſie einen männlichen Geiſt, ein männliches Gemüth hätten. Man braucht nur die völlig männliche Haltung der meiſten Weiber in den Helden - gedichten, zumal bei Bojardo und Arioſto, zu beachten, um zu wiſſen, daß es ſich hier um ein beſtimmtes Ideal handelt. Der Titel einer „ virago “, den unſer Jahrhundert für ein ſehr zweideutiges Compliment hält, war damals reiner Ruhm. Ihn trug mit vollem Glanze Caterina Sforza, Gemahlin, dann Wittwe des Girolamo Riario, deſſen Erbe Forli ſie zuerſt gegen die Partei ſeiner Mörder, dann ſpäter gegen Ceſare Borgia mit allen Kräften vertheidigte; ſie unterlag, behielt aber doch die Bewunderung aller ihrer Landsleute und den Namen der „ prima donna d'Italia “2)So heißt ſie in dem Hauptbericht Chron. venetum bei Murat. XXIV, Col. 128, s. Vgl. Infessura bei Eccard, scriptt. II, Col. 1981 und Arch. stor. Append. II, p. 250.. Eine heroiſche Ader dieſer Art erkennt man noch in ver - ſchiedenen Frauen der Renaiſſance, wenn auch keine mehr ſolchen Anlaß fand, ſich als Heldin zu bethätigen. Iſabella Gonzaga (S. 44) verräth dieſen Zug ganz deutlich.
395Frauen dieſer Gattung konnten denn freilich auch in ihrem5. Abſchnitt. Kreiſe Novellen erzählen laſſen wie die des Bandello, ohneDas Weib in der Geſellſchaft. daß darunter die Geſelligkeit Schaden litt. Der herrſchende Genius der letztern iſt nicht die heutige Weiblichkeit, d. h. der Reſpect vor gewiſſen Vorausſetzungen, Ahnungen und Myſterien, ſondern das Bewußtſein der Energie, der Schön - heit, und einer gefährlichen, ſchickſalsvollen Gegenwart. Deßhalb geht neben den gemeſſenſten Weltformen ein Etwas einher, das unſerm Jahrhundert wie Schamloſigkeit vor - kömmt1)Und es zu Zeiten auch iſt. — Wie ſich die Damen bei ſolchen Er - zählungen zu benehmen haben, lehrt der Cortigiano, L. III, fol. 107. Daß ſchon die Damen, welche bei ſeinen Dialogen zugegen waren, ſich gelegentlich mußten zu benehmen wiſſen, zeigt z. B. die ſtarke Stelle L. II, Fol. 100. — Was von dem Gegenſtück des Corti - giano, der Donna di palazzo geſagt wird, iſt deßhalb nicht ent - ſcheidend, weil dieſe Palaſtdame bei Weitem mehr Dienerin der Fürſtin iſt als der Cortigiano Diener des Fürſten. — Bei Ban - dello I, Nov. 44, erzählt Bianca d'Eſte die ſchauerliche Liebesge - ſchichte ihres eigenen Ahn's Niccolò von Ferrara und der Pariſina., während wir nur eben das Gegengewicht, näm - lich die mächtige Perſönlichkeit der dominirenden Frauen des damaligen Italiens uns nicht mehr vorſtellen können.
Daß alle Tractate und Dialoge zuſammengenommen keine entſcheidende Ausſage dieſer Art enthalten, verſteht ſich von ſelbſt, ſo weitläufig auch über die Stellung und die Fähigkeiten der Frauen und über die Liebe debattirt wird.
Was dieſer Geſellſchaft im Allgemeinen gefehlt zu haben ſcheint, war der Flor junger Mädchen2)Wie ſehr die gereisten Italiener den freien Umgang mit den Mäd - chen in England und den Niederlanden zu würdigen wußten, zeigt Bandello II, Nov. 42 und IV, Nov. 27., welche man ſehr davon zurückhielt, auch wenn ſie nicht im Kloſter erzogen wurden. Es iſt ſchwer zu ſagen, ob ihre Abweſenheit mehr die größere Freiheit der Converſation oder ob umgekehrt letztere jene veranlaßt hat.
3965. Abſchnitt. Auch der Umgang mit Buhlerinnen nimmt bisweilenDie Bildung der Buhlerinnen. einen ſcheinbaren Aufſchwung, als wollte ſich das Verhält - niß der alten Athener zu ihren Hetären erneuern. Die be - rühmte römiſche Courtiſane Imperia war ein Weib von Geiſt und Bildung und hatte bei einem gewiſſen Domenico Cam - pana Sonette machen gelernt, trieb auch Muſik1)Paul. Jov. de rom. piscibus, cap. 5. — Bandello, Parte III, Nov. 42. — Aretin, im Ragionamento del Zoppino p. 327 ſagt von einer Buhlerin: ſie weiß auswendig den ganzen Petrarca und Boccaccio und zahlloſe ſchöne lateiniſche Verſe aus Virgil, Horaz, Ovid und tauſend andern Autoren.. Die ſchöne Iſabella de Luna, von ſpaniſcher Herkunft, galt wenigſtens als amuſant, war übrigens aus Gutherzigkeit und einem entſetzlich frechen Läſtermaul wunderlich zuſam - mengeſetzt2)Bandello II, 51. IV, 16.. In Mailand kannte Bandello die majeſtätiſche Caterina di San Celſo3)Bandello IV, 8., welche herrlich ſpielte und ſang und Verſe recitirte. U. ſ. w. Aus Allem geht hervor, daß die berühmten und geiſtreichen Leute, welche dieſe Da - men beſuchten und zeitweiſe mit ihnen lebten, auch geiſtige Anſprüche an ſie ſtellten, und daß man den berühmtern Buhlerinnen mit der größten Rückſicht begegnete; auch nach Auflöſung des Verhältniſſes ſuchte man ſich ihre gute Mei - nung zu bewahren4)Ein ſehr bezeichnendes Beiſpiel hievon bei Giraldi, Hecatommithi VI, Nov. 7., weil die vergangene Leidenſchaft doch einen bedeutenden Eindruck für immer zurückgelaſſen hatte. Im Ganzen kommt jedoch dieſer Umgang in geiſtigem Sinne nicht in Betracht neben der erlaubten, officiellen Geſelligkeit, und die Spuren, welche er in Poeſie und Literatur zurückläßt, ſind vorherrſchend ſcandalöſer Art. Ja man darf ſich billig wundern, daß unter den 6800 Per - ſonen dieſes Standes, welche man zu Rom im Jahr 1490 —397 alſo vor dem Eintreten der Siphylis — zählte1)Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1997. Es ſind nur die öffentlichen Weiber, nicht die Concubinen mitgerechnet. Die Zahl iſt übrigens im Verhältniß zur vermuthlichen Bevölkerung von Rom enorm hoch, vielleicht durch einen Schreibfehler., kaum5. Abſchnitt. irgend ein Weib von Geiſt und höherm Talent hervortritt; die oben genannten ſind erſt aus der nächſtfolgenden Zeit. Die Lebensweiſe, Moral und Philoſophie der öffentlichen Weiber, namentlich den raſchen Wechſel von Genuß, Ge - winnſucht und tieferer Leidenſchaft, ſowie die Heuchelei und Teufelei Einzelner im ſpätern Alter ſchildert vielleicht am beſten Giraldi in den Novellen, welche die Einleitung zu ſeinen Hecatommithi ausmachen; Pietro Aretino dagegen in ſeinen Ragionamenti zeichnet wohl mehr ſein eigenes In - neres als das jener unglücklichen Claſſe, wie ſie wirklich war.
Die Maitreſſen der Fürſten, wie ſchon oben (S. 53)Fürſtliche Maitreſſen. bei Anlaß des Fürſtenthums erörtert wurde, ſind der Ge - genſtand von Dichtern und Künſtlern und daher der Mit - und Nachwelt perſönlich bekannt, während man von einer Alice Perries, einer Clara Dettin (Maitreſſe Friedrichs des Siegreichen) kaum mehr als den Namen und von Agnes Sorel eine eher fingirte als wahre Minneſage übrig hat.
Nach der Geſelligkeit verdient auch das Hausweſen derDas Hausweſen. Renaiſſance einen Blick. Man iſt im Allgemeinen geneigt, das Familienleben der damaligen Italiener wegen der großen Sittenloſigkeit als ein verlorenes zu betrachten, und dieſe Seite der Frage wird im nächſten Abſchnitt behandelt wer - den. Einſtweilen genügt es darauf hinzuweiſen, daß die eheliche Untreue dort bei Weitem nicht ſo zerſtörend auf die Familie wirkt wie im Norden, ſo lange dabei nur ge - wiſſe Schranken nicht überſchritten werden.
3985. Abſchnitt. Das Hausweſen unſeres Mittelalters war ein Pro - duct der herrſchenden Volksſitte oder, wenn man will, ein höheres Naturproduct, beruhend auf den Antrieben der Völkerentwicklung, und auf der Einwirkung der Lebens - weiſe je nach Stand und Vermögen. Das Ritterthum in ſeiner Blüthezeit ließ das Hausweſen unberührt; ſein Le - ben war das Herumziehen an Höfen und in Kriegen; ſeine Huldigung gehörte ſyſtematiſch einer andern Frau als der Hausfrau, und auf dem Schloß daheim mochten die Dinge gehen wie ſie konnten. Die Renaiſſance zuerſt ver - ſucht auch das Hausweſen mit Bewußtſein, als ein geord - netes, ja als ein Kunſtwerk aufzubauen. Eine ſehr ent - wickelte Oeconomie (S. 80) und ein rationeller Hausbau kömmt ihr dabei zu Hülfe, die Hauptſache aber iſt eine verſtändige Reflexion über alle Fragen des Zuſammenlebens, der Erziehung, der Einrichtung und Bedienung.
Pandolfini.Das ſchätzbarſte Actenſtück hiefür iſt der Dialog über die Leitung des Hauſes von Agnolo Pandolfini1)Trattato delgoverno della famiglia. Vgl. oben S. 135, 140, Anmm. Pandolfini ſtarb 1446, L. B. Alberti, dem das Werk ebenfalls zu - geſchrieben wird, im J 1472 — Vgl. auch S. 302, Anm.. Ein Vater ſpricht zu ſeinen erwachſenen Söhnen und weiht ſie in ſeine ganze Handlungsweiſe ein. Man ſieht in einen großen, reichlichen Hausſtand hinein, der, mit vernünftiger Sparſamkeit und mit mäßigem Leben weiter geführt, Glück und Wohlergehen auf viele Geſchlechter hinaus verheißt. Ein anſehnlicher Grundbeſitz, der ſchon durch ſeine Pro - ducte den Tiſch des Hauſes verſieht und die Baſis des Ganzen ausmacht, wird mit einem induſtriellen Geſchäft, ſei es Seiden - oder Wollenweberei, verbunden. Wohnung und Nahrung ſind höchſt ſolid; alles was zur Einrichtung und Anlage gehört, ſoll groß, dauerhaft und koſtbar, das tägliche Leben darin ſo einfach als möglich ſein. Aller übrige Aufwand, von den größten Ehrenausgaben bis auf399 das Taſchengeld der jüngern Söhne, ſteht hiezu in einem5. Abſchnitt. rationellen, nicht in einem conventionellen Verhältniß. Das Wichtigſte aber iſt die Erziehung, die der Hausherr beiErziehung. Weitem nicht bloß den Kindern, ſondern dem ganzen Hauſe giebt. Er bildet zunächſt ſeine Gemahlin aus einem ſchüch - ternen, in vorſichtigem Gewahrſam erzogenen Mädchen zur ſichern Gebieterin der Dienerſchaft, zur Hausfrau aus; dann erzieht er die Söhne ohne alle unnütze Härte1)Eine gründliche, mit pſychologiſchem Geiſt gearbeitete Geſchichte des Prügelns bei den germaniſchen und romaniſchen Völkern wäre wohl ſo viel werth als ein paar Bände Depeſchen und Unterhandlungen. Wann und durch welchen Einfluß iſt das Prügeln in der deutſchen Familie zu einem alltäglichen Gebrauch geworden? Es geſchah wohl erſt lange nachdem Waltber geſungen: Nieman kan mit gerten kin - des zuht beherten. In Italien hört wenigſtens das Schlagen ſehr früh auf; ein ſiebenjähriges Kind bekömmt keine Schläge mehr. Der kleine Roland (Orlandino, cap. VII, str. 42) ſtellt das Princip auf:Sol gli asini si ponno bastonare, Se una tal bestia fussi, patirei. , durch ſorgfältige Aufſicht und Zureden, „ mehr mit Autori - tät als mit Gewalt “, und endlich wählt und behandelt er auch die Angeſtellten und Diener nach ſolchen Grundſätzen, daß ſie gerne und treu am Hauſe halten.
Noch einen Zug müſſen wir hervorheben, der dieſemDie Villa. Büchlein zwar keinesweges eigen, wohl aber mit beſonderer Begeiſterung darin hervorgehoben iſt: die Liebe des gebil - deten Italieners zum Landleben. Im Norden wohnten damals auf dem Lande die Adlichen in ihren Bergſchlöſſern und die vornehmern Mönchsorden in ihren wohlverſchloſſenen Klöſtern; der reichſte Bürger aber lebte Jahr aus Jahr ein in der Stadt. In Italien dagegen war, wenigſtens was die Umgebung gewiſſer Städte betrifft, theils die po - litiſche und polizeiliche Sicherheit größer, theils die Nei - gung zum Aufenthalt draußen ſo mächtig, daß man in Kriegsfällen ſich auch einigen Verluſt gefallen ließ. So4005. Abſchnitt. entſtand die Landwohnung des wohlhabenden Städters, die Villa. Ein köſtliches Erbtheil des alten Römerthums lebt hier wieder auf, ſobald Gedeihen und Bildung im Volke weit genug fortgeſchritten ſind.
Unſer Autor findet auf ſeiner Villa lauter Glück und Frieden, worüber man ihn freilich ſelber hören muß (S. 88). Die öconomiſche Seite der Sache iſt, daß ein und daſſelbe Gut womöglich Alles in ſich enthalten ſoll: Korn, Wein, Oel, Futterland und Waldung (S. 84), und daß man ſolche Güter gerne theuer bezahlt, weil man nachher nichts mehr auf dem Markt zu kaufen nöthig hat. Der höhere Genuß aber verräth ſich in den Worten der Einleitung zu dieſem Gegenſtande: „ Um Florenz liegen viele Villen in „ kryſtallheller Luft, in heiterer Landſchaft, mit herrlicher „ Ausſicht; da iſt wenig Nebel, kein verderblicher Wind; „ Alles iſt gut, auch das reine, geſunde Waſſer; und von „ den zahlloſen Bauten ſind manche wie Fürſtenpaläſte, „ manche wie Schlöſſer anzuſchauen, prachtvoll und koſtbar. “ Er meint jene in ihrer Art muſtergültigen Landhäuſer, von welchen die meiſten 1529 durch die Florentiner ſelbſt der Vertheidigung der Stadt — vergebens — geopfert wurden.
Geiſt des Land - lebens.In dieſen Villen wie in denjenigen an der Brenta, in den lombardiſchen Vorbergen, am Poſilipp und Vomero nahm dann auch die Geſelligkeit einen freiern, ländlichen Character an als in den Sälen der Stadtpaläſte. Das Zuſammenwohnen der gaſtfrei Geladenen, die Jagd und der übrige Verkehr im Freien werden hie und da ganz an - muthig geſchildert. Aber auch die tiefſte Geiſtesarbeit und das Edelſte der Poeſie iſt bisweilen von einem ſolchen Landaufenthalt datirt.
Die Feſte.Es iſt keine bloße Willkür, wenn wir an die Betrach - tung des geſellſchaftlichen Lebens die der feſtlichen Aufzüge und Aufführungen anknüpfen. Die kunſtvolle Pracht, welche401 das Italien der Renaiſſance dabei an den Tag legt1)Man vgl. S. 314, f., wo dieſe Pracht der Feſtausſtattung als ein Hinderniß für die höhere Entwicklung des Drama's nachgewieſen wurde.,5. Abſchnitt. wurde nur erreicht durch daſſelbe Zuſammenleben aller Stände, welches auch die Grundlage der italieniſchen Ge - ſellſchaft ausmacht. Im Norden hatten die Klöſter, die Höfe und die Bürgerſchaften ihre beſondern Feſte und Auf - führungen wie in Italien, allein dort waren dieſelben nach Styl und Inhalt getrennt, hier dagegen durch eine allge - meine Bildung und Kunſt zu einer gemeinſamen Höhe ent - wickelt. Die decorirende Architectur, welche dieſen Feſten zu Hülfe kam, verdient ein eigenes Blatt in der Kunſtge - ſchichte, obgleich ſie uns nur noch als ein Phantaſiebild gegenüberſteht, das wir aus den Beſchreibungen zuſammen - leſen müſſen. Hier beſchäftigt uns das Feſt ſelber als ein erhöhter Moment im Daſein des Volkes, wobei die religiö - ſen, ſittlichen und poetiſchen Ideale des letztern eine ſicht - bare Geſtalt annehmen. Das italieniſche Feſtweſen in ſeiner höhern Form iſt ein wahrer Uebergang aus dem Leben in die Kunſt.
Die beiden Hauptformen feſtlicher Aufführung ſind ur -Ihre Grund - formen. ſprünglich, wie überall im Abendlande, das Myſterium, d. h. die dramatiſirte heilige Geſchichte oder Legende, und die Proceſſion, d. h. der bei irgend einem kirchlichen Anlaß entſtehende Prachtaufzug.
Nun waren in Italien ſchon die Aufführungen der Myſterien im Ganzen offenbar prachtvoller, zahlreicher und durch die parallele Entwicklung der bildenden Kunſt und der Poeſie geſchmackvoller als anderswo. Sodann ſcheidet ſich aus ihnen nicht bloß wie im übrigen Abendlande zu - nächſt die Poſſe aus und dann das übrige weltliche Drama, ſondern frühe ſchon auch eine auf den ſchönen und reichen Anblick berechnete Pantomime mit Geſang und Ballett.
Cultur der Renaiſſance. 264025. Abſchnitt. Aus der Proceſſion aber entwickelt ſich in den eben gelegenen italieniſchen Städten mit ihren breiten1)Dieß im Vergleich mit den Städten des Nordens., wohl - gepflaſterten Straßen der Trionfo, d. h. der Zug von Co - ſtumirten zu Wagen und zu Fuß, erſt von überwiegend geiſtlicher, dann mehr und mehr von weltlicher Bedeutung. Fronleichnamsproceſſion und Carnevalszug berühren ſich hier in einem gemeinſamen Prachtſtyl, welchem ſich dann auch fürſtliche Einzüge anſchließen. Auch die übrigen Völker verlangten bei ſolchen Gelegenheiten bisweilen den größten Aufwand, in Italien allein aber bildete ſich eine kunſtge - rechte Behandlungsweiſe, die den Zug als ſinnvolles Ganzes componirte und ausſtattete.
Heutiger Be - ſtand.Was von dieſen Dingen heute noch in Uebung iſt, kann nur ein armer Ueberreſt heißen. Kirchliche ſowohl als fürſtliche Aufzüge haben ſich des dramatiſchen Elementes, der Coſtumirung, faſt völlig entledigt, weil man den Spott fürchtet und weil die gebildeten Claſſen, welche ehemals dieſen Dingen ihre volle Kraft widmeten, aus verſchiedenen Gründen keine Freude mehr daran haben können. Auch am Carneval ſind die großen Maskenzüge außer Uebung. Was noch weiterlebt, wie z. B. die einzelnen geiſtlichen Masken bei Umzügen von Bruderſchaften, ja ſelbſt das pomphafte Roſalienfeſt zu Palermo, verräth deutlich, wie weit ſich die höhere Bildung von dieſen Dingen zurückge - zogen hat.
Die volle Blüthe des Feſtweſens tritt erſt mit dem entſchiedenen Siege des Modernen, mit dem XV. Jahr - hundert ein2)Die Feſtlichkeiten bei der Erhebung des Visconti zum Herzog von Mailand 1395 (Corio, fol. 274) haben bei größter Pracht noch etwas roh mittelalterliches, und das dramatiſche Element fehlt noch ganz. Vgl. auch die relative Geringfügigkeit der Aufzüge in Pavia, wenn nicht etwa Florenz dem übrigen Italien403 auch hierin vorangegangen war. Wenigſtens war man hier5. Abſchnitt. ſchon früh quartierweiſe organiſirt für öffentliche Auffüh - rungen, welche einen ſehr großen künſtleriſchen Aufwand vorausſetzen. So jene Darſtellung der Hölle auf einem Gerüſt und auf Barken im Arno, 1. Mai 1304, wobei unter den Zuſchauern die Brücke alla Carraja zuſammen - brach1)Gio. Villani, VIII, 70.. Auch daß ſpäter Florentiner als Feſtkünſtler, festaiuoli, im übrigen Italien reiſen konnten2)Vgl. z. B. Infessura, bei Eccard, scriptt. II, Col. 1896. — Corio, fol. 417. 421., beweist eine frühe Vervollkommnung zu Hauſe.
Suchen wir nun die weſentlichſten Vorzüge des ita -Vorzüge des italien. Feſt - weſens. lieniſchen Feſtweſens gegenüber dem Auslande vorläufig auszumitteln, ſo ſteht in erſter Linie der Sinn des entwickelten Individuums für Darſtellung des Individuellen, d. h. die Fähigkeit, eine vollſtändige Maske zu erfinden, zu tragen und zu agiren. Maler und Bildhauer halfen dann bei weitem nicht bloß zur Decoration des Ortes, ſondern auch zur Ausſtattung der Perſonen mit, und gaben Tracht, Schminke (S. 368, f.) und anderweitige Ausſtattung an. Das Zweite iſt die Allverſtändlichkeit der poetiſchen Grund - lage. Bei den Myſterien war dieſelbe im ganzen Abend - lande gleich groß, indem die bibliſchen und legendariſchen Hiſtorien von vornherein Jedermann bekannt waren, für alles Uebrige aber war Italien im Vortheil. Für die Re - citationen einzelner heiliger oder profan-idealer Geſtalten beſaß es eine volltönende lyriſche Poeſie, welche Groß und Klein gleichmäßig hinreißen konnte3)Der Dialog der Myſterien bewegte ſich gern in Ottaven, der Mo - nolog in Terzinen.. Sodann verſtand der größte Theil der Zuſchauer (in den Städten) die my - thologiſchen Figuren und errieth wenigſtens leichter als2)während des XIV. Jahrh. (Anonymus de laudibus Papiæ, bei Murat. XI, Col. 34, s.)26*4045. Abſchnitt. irgendwo die allegoriſchen und geſchichtlichen, weil ſie einem allverbreiteten Bildungskreiſe entnommen waren.
Die Allegorie in Literatur u. Kunſt.Dieß bedarf einer nähern Beſtimmung. Das ganze Mittelalter war die Zeit des Allegoriſirens in vorzugsweiſem Sinne geweſen; ſeine Theologie und Philoſophie behandelte ihre Kategorien dergeſtalt als ſelbſtändige Weſen1)Wobei man nicht einmal an den Realismus der Scholaſtiker zu den - ken braucht., daß Dichtung und Kunſt es ſcheinbar leicht hatten, dasjenige bei - zufügen was noch zur Perſönlichkeit fehlte. Hierin ſtehen alle Länder des Occidents auf gleicher Stufe; aus ihrer Gedankenwelt können ſich überall Geſtalten erzeugen, nur daß Ausſtattung und Attribute in der Regel räthſelhaft und unpopulär ausfallen werden. Letzteres iſt auch in Italien häufig der Fall, und zwar ſelbſt während der ganzen Renaiſſance und noch über dieſelbe hinaus. Es ge - nügt dazu, daß irgend ein Prädicat der betreffenden alle - goriſchen Geſtalt auf unrichtige Weiſe durch ein Attribut überſetzt werde. Selbſt Dante iſt durchaus nicht frei von ſolchen falſchen Uebertragungen2)Dahin darf man es z. B. rechnen, wenn er Bilder auf Metaphern baut, wenn an der Pforte des Fegefeuers die mittlere, geborſtene Stufe die Zerknirſchung des Herzens bedeuten ſoll (Purgat. IX, 97), während doch die Steinplatte durch das Berſten ihren Werth als Stufe verliert; oder wenn (Purgat. XVIII, 94) die auf Erden Läſſigen ihre Buße im Jenſeits durch Rennen bezeigen müſſen, während doch das Rennen auch ein Zeichen der Flucht ꝛc. ſein könnte., und aus der Dunkelheit ſeiner Allegorien überhaupt hat er ſich bekanntlich eine wahre Ehre gemacht3)Inferno IX, 61. Purgat. VIII, 19.. Petrarca in ſeinen Trionfi will wenigſtens die Geſtalten des Amor, der Keuſchheit, des Todes, der Fama ꝛc. deutlich, wenn auch in Kürze ſchildern. Andere dagegen überladen ihre Allegorien mit lauter ver - fehlten Attributen. In den Satiren des Vinciguerra4)Poesie satiriche, ed. Milan. p. 70, s. — Vom Ende des XV. Jahrh.405 z. B. wird der Neid mit „ rauhen eiſernen Zähnen “, die5. Abſchnitt. Gefräßigkeit als ſich auf die Lippen beißend, mit wirrem ſtruppigem Haar ꝛc. geſchildert, letzteres wahrſcheinlich um ſie als gleichgültig gegen alles was nicht Eſſen iſt, zu be - zeichnen. Wie übel ſich vollends die bildende Kunſt bei ſolchen Mißverſtändniſſen befand, können wir hier nicht erörtern. Sie durfte ſich wie die Poeſie glücklich ſchätzen, wenn die Allegorie durch eine mythologiſche Geſtalt, d. h. durch eine vom Alterthum her vor der Abſurdität geſicherte Kunſtform ausgedrückt werden konnte, wenn ſtatt des Krieges Mars, ſtatt der Jagdluſt Diana1)Letzeres z. B. in der venatio des Card. Adriano da Corneto. Es ſoll darin Ascanio Sforza durch das Jagdvergnügen über den Sturz ſeines Hauſes getröſtet werden. — Vgl. S. 257. ꝛc. zu gebrauchen war.
Nun gab es in Kunſt und Dichtung auch beſſer ge -Die Allegorie bei den Feſten. lungene Allegorien, und von denjenigen Figuren dieſer Art, welche bei italieniſchen Feſtzügen auftraten, wird man we - nigſtens annehmen dürfen, daß das Publicum ſie deutlich und ſprechend characteriſirt verlangte, weil es durch ſeine ſonſtige Bildung angeleitet war, dergleichen zu verſtehen. Auswärts, zumal am burgundiſchen Hofe, ließ man ſich damals noch ſehr undeutſame Figuren, auch bloße Sym - bole gefallen, weil es noch eine Sache der Vornehmheit war, eingeweiht zu ſein oder zu ſcheinen. Bei dem be - rühmten Faſanengelübde von 14532)Eigentlich 1454. Vgl. Olivier de la Marche, mémoires, chap. 29. iſt die ſchöne junge Reiterin, welche als Freudenkönigin daherzieht, die einzige erfreuliche Allegorie; die coloſſalen Tiſchaufſätze mit Auto - maten und lebendigen Perſonen ſind entweder bloße Spie - lereien oder mit einer platten moraliſchen Zwangsauslegung behaftet. In einer nackten weiblichen Statue am Buffet, die ein lebendiger Löwe hütete, ſollte man Conſtantinopel und ſeinen künftigen Retter, den Herzog von Burgund ahnen. Der Reſt, mit Ausnahme einer Pantomime (Jaſon in Kolchis) erſcheint entweder ſehr tiefſinnig oder ganz ſinn -4065. Abſchnitt. los; der Beſchreiber des Feſtes, Olivier ſelbſt, kam als „ Kirche “coſtumirt in dem Thurm auf dem Rücken eines Elephanten, den ein Rieſe führte, und ſang eine lange Klage über den Sieg der Ungläubigen1)Für andere franzöſiſche Feſte ſ. z. B Juvénal des Ursins ad a. 1389 (Einzug der Königin Iſabeau); — Jean de Troyes ad a. 1461 (Einzug Ludwigs XI.). Auch hier fehlt es nicht ganz an Schwebemaſchinen, an lebendigen Statuen u. dgl., aber Alles iſt bunter, zuſammenhangloſer und die Allegorien meiſt unergründlich..
Repräſentanten des Allgemeinen.Wenn aber aber auch die Allegorien der italieniſchen Dichtungen, Kunſtwerke und Feſte an Geſchmack und Zu - ſammenhang im Ganzen höher ſtehen, ſo bilden ſie doch nicht die ſtarke Seite. Der entſcheidende Vortheil2)D. h. ein Vortheil für ſehr große Dichter und Künſtler, die etwas damit anzufangen wußten. lag viel mehr darin, daß man hier außer den Perſonificationen des Allgemeinen auch hiſtoriſche Repräſentanten deſſelben Allgemeinen in Menge kannte, daß man an die dichteriſche Aufzählung wie an die künſtleriſche Darſtellung zahlreicher berühmter Individuen gewöhnt war. Die göttliche Comödie, die Trionfi des Petrarca, die Amoroſa Viſione des Boc - caccio — lauter Werke, welche hierauf gegründet ſind — außerdem die ganze große Ausweitung der Bildung durch das Alterthum hatten die Nation mit dieſem hiſtoriſchen Element vertraut gemacht. Und nun erſchienen dieſe Ge - ſtalten auch bei Feſtzügen entweder völlig individualiſirt, als beſtimmte Masken, oder wenigſtens als Gruppen, als characteriſtiſches Geleite einer allegoriſchen Hauptfigur oder Hauptſache. Man lernte dabei überhaupt gruppenweiſe componiren, zu einer Zeit, da die prachtvollſten Aufführun - gen im Norden zwiſchen unergründliche Symbolik und buntes ſinnloſes Spiel getheilt waren.
Die Myſterien,Wir beginnen mit der vielleicht älteſten Gattung, den Myſterien3)Vgl. Bartol. Gamba, notizie intorno alle opere di Feo Bel -. Sie gleichen im Ganzen denjenigen des407 übrigen Europa; auch hier werden auf öffentlichen Plätzen,5. Abſchnitt. in Kirchen, in Kloſterkreuzgängen große Gerüſte errichtet, welche oben ein verſchließbares Paradies, ganz unten bis - weilen eine Hölle enthalten und dazwiſchen die eigentliche Scena, welche ſämmtliche irdiſche Localitäten des Drama's neben einander darſtellt; auch hier beginnt das bibliſche oder legendariſche Drama nicht ſelten mit einem theologi - ſchen Vordialog von Apoſteln, Kirchenvätern, Propheten, Sibyllen und Tugenden und ſchließt je nach Umſtänden mit einem Tanz. Daß die halbkomiſchen Intermezzi von Ne - benperſonen in Italien ebenfalls nicht fehlen, ſcheint ſich von ſelbſt zu verſtehen, doch tritt dies Element nicht ſo derb hervor wie im Norden1)Freilich ſchloß ein Myſterium vom bethlehemit. Kindermord in einer Kirche von Siena damit, daß die unglücklichen Mütter einander bei den Haaren nehmen mußten. Della Valle, lettere sanesi, III, p. 53. — Es war ein Hauptſtreben des eben genannten Feo Belcari (ſt. 1484), die Myſterien von ſolchen Auswüchſen zu reinigen.. Für das Auf - und Nieder - ſchweben auf künſtlichen Maſchinen, einen Hauptreiz aller Schauluſt, war in Italien wahrſcheinlich die Uebung viel größer als anderswo, und bei den Florentinern gab es ſchon im XIV. Jahrhundert ſpöttiſche Reden, wenn die Sache nicht ganz geſchickt ging2)Franco Sacchetti, Nov. 72. . Bald darauf erfand Brunellesco für das Annunziatenfeſt auf Piazza S. Felice jenen unbeſchreib - lich kunſtreichen Apparat einer von zwei Engelkreiſen um - ſchwebten Himmelskugel, von welcher Gabriel in einer mandelförmigen Maſchine niederflog, und Cecca gab Ideen und Mechanik für ähnliche Feſte an3)Vasari III, 232, s. vita di Brunellesco. V, 36, s. vita del Cecca. Vgl. V, 52. vita di Don Bartolommeo. . Die geiſtlichen3)cari, Milano 1808, und beſ. die Einleitung der Schrift: le rap - presentazioni di Feo Belcari ed altre di lui poesie, Firenze 1833. — Als Parallele die Einleitung des Bibliophile Jacob zu ſeiner Ausgabe des Pathelin.4085. Abſchnitt. Brüderſchaften, oder die Quartiere, welche die Beſorgung und zum Theil die Aufführung ſelbſt übernahmen, verlang - ten je nach Maßgabe ihres Reichthums wenigſtens in denund ihre Aus - ſtattung. größern Städten den Aufwand aller erreichbaren Mittel der Kunſt. Ebendaſſelbe darf man vorausſetzen, wenn bei großen fürſtlichen Feſten neben dem weltlichen Drama oder der Pantomime auch noch Myſterien aufgeführt werden. Der Hof des Pietro Riario (S. 107), der von Ferrara ꝛc. ließen es dabei gewiß nicht an der erſinnlichſten Pracht fehlen1)Arch. stor. Append. II, p. 310. Das Myſterium von Mariä Verkündigung in Ferrara bei der Hochzeit des Alfonſo, mit kunſt - reichen Schwebemaſchinen und Feuerwerk. Die Aufführung der Su - ſanna, des Täufers Johannes und einer Legende beim Card. Riario ſ. bei Corio, fol. 417. Das Myſterium von Conſtantin d. Gr., im päpſtlichen Palaſt, Carneval 1484, ſ. bei Jac. Volaterran., Murat. XXIII, Col. 194. . Vergegenwärtigt man ſich das ſceniſche Talent und die reichen Trachten der Schauſpieler, die Darſtellung der Oertlichkeiten durch ideale Decorationen des damaligen Bauſtyls, durch Laubwerk und Teppiche, endlich als Hinter - grund die Prachtbauten der Piazza einer großen Stadt oder die lichten Säulenhallen eines Palaſthofes, eines großen Kloſterhofes, ſo ergiebt ſich ein überaus reiches Bild. Wie aber das weltliche Drama eben durch eine ſolche Ausſtattung zu Schaden kam, ſo iſt auch wohl die höhere poetiſche Ent - wicklung des Myſteriums ſelber durch dieſes unmäßige Vor - drängen der Schauluſt gehemmt worden. In den erhal - tenen Texten findet man ein meiſt ſehr dürftiges dramatiſches Gewebe mit einzelnen ſchönen lyriſch-rhetoriſchen Stellen, aber nichts von jenem großartigen ſymboliſchen Schwung, der die „ Autos ſagramentales “eines Calderon auszeichnet.
Bisweilen mag in kleinern Städten, bei ärmerer Aus - ſtattung, die Wirkung dieſer geiſtlichen Dramen auf das Gemüth eine ſtärkere geweſen ſein. Es kommt vor2)Graziani, cronaca di Perugia, Arch. stor. XVI, I, p. 598. , daß409 einer jener großen Bußprediger, von welchen im letzten Ab -5. Abſchnitt. ſchnitt die Rede ſein wird, Roberto da Lecce, den Kreis ſeiner Faſtenpredigten während der Peſtzeit 1448 in Perugia mit einer Charfreitagsaufführung der Paſſion beſchließt; nur wenige Perſonen traten auf, aber das ganze Volk weinte laut. Freilich kamen bei ſolchen Anläſſen Rührungs - mittel zur Anwendung, welche dem Gebiet des herbſten Naturalismus entnommen waren. Es bildet eine Parallele zu den Gemälden eines Matteo da Siena, zu den Thon - gruppen eines Guido Mazzoni, wenn der den Chriſtus vorſtellende Autor mit Striemen bedeckt und ſcheinbar Blut ſchwitzend, ja aus der Seitenwunde blutend auftreten mußte1)Für letzteres z. B. Pii II. comment., L. VIII., p. 383. 386. — Auch die Poeſie des XV. Jahrh. ſtimmt bisweilen denſelben rohen Ton an. Eine Canzone des Andrea da Baſſo conſtatirt bis ins Einzelne die Verweſung der Leiche einer hartherzigen Geliebten. Freilich in einem Kloſterdrama des XII. Jahrh. hatte man ſogar auf der Scene geſehen wie König Herodes von den Würmern ge - freſſen wird. Carmina Burana, p. 80, s. .
Die beſondern Anläſſe zur Aufführung von Myſterien,Anläſſe zu My - ſterien. abgeſehen von gewiſſen großen Kirchenfeſten, fürſtlichen Ver - mählungen ꝛc. ſind ſehr verſchieden. Als z. B. S. Ber - nardino von Siena durch den Papſt heilig geſprochen wurde (1450), gab es, wahrſcheinlich auf dem großen Platz ſeiner Vaterſtadt, eine Art von dramatiſcher Nachahmung (rap - presentazione) ſeiner Canoniſation2)Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 767. , nebſt Speiſe und Trank für Jedermann. Oder ein gelehrter Mönch feiert ſeine Promotion zum Doctor der Theologie durch Aufführung der Legende des Stadtpatrons3)Matarazzo, arch. stor. XVI, II, p. 36. . König Carl VIII. war kaum nach Italien hinabgeſtiegen, als ihn die Herzogin Wittwe Blanca von Savoyen zu Turin mit einer Art von2)Bei der Kreuzigung wurde eine bereit gehaltene Figur unterge - ſchoben.4105. Abſchnitt. halbgeiſtlicher Pantomime empfing1)Auszüge aus dem Vergier d'honneur bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, I, p. 220 und III, p. 263. , wobei zuerſt eine Hirtenſcene „ das Geſetz der Natur “, dann ein Zug der Erzväter „ das Geſetz der Gnade “vorzuſtellen cenſirt war; darauf folgten die Geſchichten des Lancelot vom See, und die „ von Athen “. Und ſo wie der König nur in Chieri anlangte, wartete man ihm wieder mit einer Pantomime auf, die ein Wochenbette mit vornehmem Beſuch darſtellte.
Fronleichnam.Wenn aber irgend ein Kirchenfeſt einen allgemeinen Anſpruch auf die höchſte Anſtrengung hatte, ſo war es Fronleichnam, an deſſen Feier ſich ja in Spanien jene be - ſondere Gattung von Poeſie (S. 408) anſchloß. Für Ita - lien beſitzen wir wenigſtens die pomphafte Schilderung des Corpus Domini, welches Pius II. 1462 in Viterbo abhielt2)Pii II, Comment. L. VIII, p. 382, s. — Ein ähnliches beſon - ders prächtiges Fronleichnamsfeſt wird erwähnt von Bursellis, Annal. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 911, zum J. 1492.. Der Zug ſelber, welcher ſich von einem coloſſalen Pracht - zelt vor S. Francesco durch die Hauptſtraße nach dem Domplatz bewegte, war das wenigſte dabei; die Cardinäle und reichern Prälaten hatten den Weg ſtückweiſe unter ſich vertheilt und nicht nur für fortlaufende Schattentücher, Mauerteppiche3)Bei ſolchen Anläſſen mußte es heißen: Nulla di muro si potea vedere. , Kränze u. dgl. geſorgt, ſondern lauter eigene Schaubühnen errichtet, wo während des Zuges kurze hiſtoriſche und allegoriſche Scenen aufgeführt wurden. Man erſieht aus dem Bericht nicht ganz klar, ob Alles von Men - ſchen oder Einiges von drapirten Figuren dargeſtellt wurde4)Daſſelbe gilt von manchen ähnlichen Schilderungen.; jedenfalls war der Aufwand ſehr groß. Da ſah man einen leidenden Chriſtus zwiſchen ſingenden Engelknaben; ein Abendmahl in Verbindung mit Geſtalt des S. Thomas von Aquino; den Kampf des Erzengels Michael mit den411 Dämonen; Brunnen mit Wein und Orcheſter von Engeln;5. Abſchnitt. ein Grab des Herrn mit der ganzen Scene der Auferſtehung; endlich auf dem Domplatz das Grab der Maria, welches ſich nach dem Hochamt und dem Segen eröffnete; von Engeln getragen ſchwebte die Mutter Gottes ſingend nach dem Paradies, wo Chriſtus ſie krönte und dem ewigen Vater zuführte.
In der Reihe jener Scenen an der Hauptſtraße ſtichtKanonade. diejenige des Cardinal Vicekanzlers Roderigo Borgia — des ſpätern Alexander VI. — beſonders hervor durch Pomp und dunkle Allegorie1)Fünf Könige mit Bewaffneten, ein Waldmenſch, der mit einem (ge - zähmten?) Löwen kämpfte, letzteres vielleicht mit Bezug auf den Namen des Papſtes, Sylvius.. Außerdem tritt dabei die damals beginnende Vorliebe für feſtlichen Kanonendonner2)Beiſpiele unter Sixtus IV, Jac. Volaterran., bei Murat. XXIII, Col. 134. 139. Auch beim Amtsantritt Alexanders VI. wurde furchtbar kanonirt. — Das Feuerwerk, eine ſchönere Erfindung des italieniſchen Feſtweſens, gehört ſammt der feſtlichen Decoration eher in die Kunſtgeſchichte als hieher. — Ebenſo die prächtige Beleuch - tung (vgl. S. 317), welche bei manchen Feſten gerühmt wird, und ſelbſt die Tiſchaufſätze und Jagdtrophäen. zu Tage, welche dem Haus Borgia noch ganz beſonders eigen war.
Kürzer geht Pius II. hinweg über die in demſelben Jahr zu Rom abgehaltene Proceſſion mit dem aus Grie - chenland erworbenen Schädel des h. Andreas. Auch dabei zeichnete ſich Roderigo Borgia durch beſondere Pracht aus, ſonſt aber hatte das Feſt etwas Profanes, indem ſich außer den nie fehlenden Muſikengeln auch noch andere Masken zeigten, auch „ ſtarke Männer “, d. h. Herculeſſe, welche allerlei Turnkünſte mögen vorgebracht haben.
Die rein oder überwiegend weltlichen AufführungenWeltliche Auf - führungen. waren beſonders an den größern Fürſtenhöfen ganz weſent - lich auf die geſchmackvolle Pracht des Anblicks berechnet,4125. Abſchnitt. deſſen einzelne Elemente in einem mythologiſchen und alle - goriſchen Zuſammenhang ſtanden, ſoweit ein ſolcher ſich gerne und angenehm errathen ließ. Das Barocke fehlte nicht; rieſige Thierfiguren, aus welchen plötzlich Schaaren von Masken herauskamen, wie z. B. bei einem fürſtlichen Empfang (1465) zu Siena1)Allegretto, bei Murat. XXIII, Col. 772. — Vgl. außerdem Col. 772, den Empfang Pius II, 1459. aus einer goldenen Wölfinn ein ganzes Ballet von zwölf Perſonen hervorſtieg; belebte Tafelaufſätze, wenn auch nicht in der ſinnloſen Dimenſion wie beim Herzog von Burgund (S. 405); das Meiſte aber hatte einen künſtleriſchen und poetiſchen Zug. Die Ver - miſchung des Drama's mit der Pantomime am Hofe von Ferrara wurde bereits bei Anlaß der Poeſie (S. 316) ge - ſchildert. Weltberühmt waren dann die Feſtlichkeiten, welcheBei Cardinal Riario. Cardinal Pietro Riario 1473 in Rom gab, bei der Durch - reiſe der zur Braut des Prinzen Ercole von Ferrara be - ſtimmten Lianora von Aragon2)Corio, fol. 417, s. — Infessura, bei Eccard, scriptt. II, Col. 1896. — Strozii poetæ, p. 193, in den Aeoloſtichen. Vgl. S. 47, 52.. Die eigentlichen Dramen ſind hier noch lauter Myſterien kirchlichen Inhalts, die Pan - tomimen dagegen mythologiſch; man ſah Orpheus mit den Thieren, Perſeus und Andromeda, Ceres von Drachen, Bacchus und Ariadne von Panthern gezogen, dann die Er - ziehung des Achill; hierauf ein Ballet der berühmten Lie - bespaare der Urzeit und einer Schaar von Nymphen; dieſes wurde unterbrochen durch einen Ueberfall räuberiſcher Cen - tauren, welche dann Hercules beſiegte und von dannen jagte. Eine Kleinigkeit, aber für den damaligen Formen - ſinn bezeichnend, iſt folgende: Wenn bei allen Feſten lebende Figuren als Statuen in Niſchen, auf und an Pfeilern und Triumphbogen vorkamen und ſich dann doch mit Geſang und Declamation als lebend erwieſen, ſo waren ſie dazu durch natürliche Farbe und Gewandung berechtigt; in den413 Sälen des Riario aber fand ſich unter andern ein lebendes5. Abſchnitt. und doch völlig vergoldetes Kind, welches aus einem Brunnen Waſſer um ſich ſpritzte1)Vasari XI, p. 37, vita di Puntormo erzählt, wie ein ſolches Kind 1513 bei einem florentiniſchen Feſt an den Folgen der An - ſtrengung — oder vielleicht der Vergoldung? — ſtarb. Der arme Knabe hatte „ das goldene Zeitalter “vorſtellen müſſen..
Andere glänzende Pantomimen dieſer Art gab es inIn Bologna. Bologna bei der Hochzeit des Annibale Bentivoglio mit Lucrezia von Eſte2)Phil. Beroaldi orationes; nuptiæ Bentivoleæ. ; ſtatt des Orcheſters wurden Chöre geſungen, während die Schönſte aus Dianens Nymphen - ſchaar zur Juno Pronuba hinüberfloh, während Venus mit einem Löwen, d. h. hier nur einem täuſchend verkappten Menſchen, ſich unter einem Ballet wilder Männer bewegte; dabei ſtellte die Decoration ganz naturwahr einen Hain vor. In Venedig feierte man 1491 die Anweſenheit eſtenſiſcher Fürſtinnen3)M. Anton. Sabellici Epist. L. III. fol. 17. durch Einholung mit den Bucintoro, Wett - rudern und eine prächtige Pantomime „ Meleager “im Hof des Dogenpalaſtes. In Mailand leitete Lionardo da Vinci4)Amoretti, Memorie etc. su Lionardo da Vinci p. 38, s. Die Feſte Lio - nardo's. die Feſte des Herzogs und auch diejenigen anderer Großen; eine ſeiner Maſchinen, welche wohl mit derjenigen des Bru - nellesco (S. 407) wetteifern mochte, ſtellte in coloſſaler Größe das Himmelsſyſtem in voller Bewegung dar; jedes - mal wenn ſich ein Planet der Braut des jüngern Herzogs, Iſabella, näherte, trat der betreffende Gott aus der Kugel hervor5)Wie die Aſtrologie dieß Jahrhundert bis in die Feſte hinein verfolgte, zeigen auch die (undeutlich geſchilderten) Planetenaufzüge beim Em - pfang fürſtlicher Bräute in Ferrara. Diario Ferrarese, bei Mu - ratori XXIV, Col. 248, ad a. 1473. Col. 282, ad a. 1491. — Ebenſo in Mantua. Arch. stor. append. II, p. 233. und ſang die vom Hofdichter Bellincioni gedichteten Verſe (1489). Bei einem andern Feſte (1493) paradirte4145. Abſchnitt. unter andern ſchon das Modell zur Reiterſtatue des Fran - cesco Sforza, und zwar unter einem Triumphbogen auf dem Caſtellplatz. Aus Vaſari iſt weiter bekannt, mit welch ſinnreichen Automaten Lionardo in der Folge die franzöſi - ſchen Könige als Herrn von Mailand bewillkommen half. Aber auch in kleinern Städten ſtrengte man ſich bisweilenEmpfang eines neuen Fürſten. ſehr an. Als Herzog Borſo (S. 50) 1453 zur Huldigung nach Reggio kam1)Annal. Estens. bei Murat. XX, Col. 468, s. Die Beſchreibung iſt undeutlich, und überdieß nach einer incorrecten Abſchrift gedruckt., empfing man ihn am Thor mit einer großen Maſchine, auf welcher S. Prospero, der Stadt - patron, zu ſchweben ſchien, überſchattet durch einen von Engeln gehaltenen Baldachin, unter ihm eine drehende Scheibe mit acht Muſikengeln, deren zwei ſich hierauf von dem Heiligen die Stadtſchlüſſel und das Scepter erbaten, um beides dem Herzog zu überreichen. Dann folgte ein durch verdeckte Pferde bewegbares Gerüſt, welches einen leeren Thron enthielt, hinten eine ſtehende Juſtitia mit einem Genius als Diener, an den Ecken vier greiſe Geſetzgeber, umgeben von ſechs Engeln mit Fahnen; zu beiden Seiten geharniſchte Reiter, ebenfalls mit Fahnen; es verſteht ſich, daß der Genius und die Göttin den Herzog nicht ohne Anrede ziehen ließen. Ein zweiter Wagen, wie es ſcheint, von einem Einhorn gezogen, trug eine Caritas mit bren - nender Fackel; dazwiſchen aber hatte man ſich das antike Vergnügen eines von verborgenen Menſchen vorwärts ge - triebenen Schiffwagens nicht verſagen mögen. Dieſer und die beiden Allegorien zogen nun dem Herzog voran; aber ſchon vor S. Pietro wurde wieder ſtille gehalten; ein heil. Petrus ſchwebte mit zwei Engeln in einer runden Glorie von der Faſſade hernieder bis zum Herzog, ſetzte ihm einen Lorbeerkranz auf und ſchwebte wieder empor2)Man erfährt, daß die Stricke dieſer Maſchinerie als Guirlanden maskirt waren.. Auch noch415 für eine andere rein kirchliche Allegorie hatte der Clerus5. Abſchnitt. hier geſorgt; auf zwei hohen Säulen ſtanden „ der Götzen - dienſt “und die „ Fides “; nachdem letztere, ein ſchönes Mäd - chen, ihren Gruß hergeſagt, ſtürzte die andere Säule ſammt ihrer Puppe zuſammen. Weiterhin begegnete man einem „ Cäſar “mit ſieben ſchönen Weibern, welche er dem Borſo als die Tugenden präſentirte, welche derſelbe zu erſtreben habe. Endlich gelangte man zum Dom, nach dem Gottes - dienſt aber nahm Borſo wieder draußen auf einem hohen goldenen Throne Platz, wo ein Theil der ſchon genannten Masken ihn noch einmal becomplimentirten. Den Schluß machten drei von einem nahen Gebäude niederſchwebende Engel, welche ihm unter holdem Geſange Palmzweige als Sinnbilder des Friedens überreichten.
Betrachten wir nun diejenigen Feſtlichkeiten, wobei der bewegte Zug ſelber die Hauptſache iſt.
Ohne Zweifel gewährten die kirchlichen ProceſſionenDie Proceſſion. ſeit dem frühen Mittelalter einen Anlaß zur Maskirung, mochten nun Engelkinder das Sacrament, die herumgetra - genen heiligen Bilder und Reliquien begleiten, oder Perſonen der Paſſion im Zuge mitgehen, etwa Chriſtus mit dem Kreuz, die Schächer und Kriegsknechte, die heiligen Frauen. Allein mit großen Kirchenfeſten verbindet ſich ſchon frühe die Idee eines ſtädtiſchen Aufzuges, der nach der naiven Art des Mittelalters eine Menge profaner Beſtandtheile verträgt. Merkwürdig iſt beſonders der aus dem Heiden - thum herübergenommene1)Eigentlich das Iſisſchiff, das am 5. März als Symbol der wieder eröffneten Meerfahrt ins Waſſer gelaſſen wird. — Die Analogien im deutſchen Cult ſ. bei Jac. Grimm, deutſche Mythologie. Schiffwagen, carrus navalis, der, wie ſchon an einem Beiſpiel bemerkt wurde, bei Feſten ſehr verſchiedener Art mitgeführt werden mochte, deſſen Name aber vorzugsweiſe auf dem „ Carneval “haften blieb. 4165. Abſchnitt. Ein ſolches Schiff konnte freilich als heiter ausgeſtattetes Prachtſtück die Beſchauer vergnügen, ohne daß man ſich irgend noch der frühern Bedeutung bewußt war, und als z. B. Iſabella von England mit ihrem Bräutigam Kaiſer Friedrich II. in Köln zuſammenkam, fuhren ihr eine ganze Anzahl von Schiffwagen mit muſicirenden Geiſtlichen, von verdeckten Pferden gezogen, entgegen.
Aber die kirchliche Proceſſion konnte nicht nur durch Zuthaten aller Art verherrlicht, ſondern auch durch einen Zug geiſtlicher Marken gradezu erſetzt werden. Einen An - laß hiezu gewährte vielleicht ſchon der Zug der zu einem Myſterium gehenden Schauſpieler durch die Hauptſtraßen einer Stadt, frühe aber möchte ſich eine Gattung geiſtlicher Feſtzüge auch unabhängig hievon gebildet haben. Dante ſchildert1)Purgatorio XXIX, 43 bis Ende, und XXX, Anfang. — Der Wagen iſt laut Vs. 115 herrlicher als der Triumphwagen des Scipio, des Auguſtus, ja als der des Sonnengottes. den „ trionfo “der Beatrice mit den vierund - zwanzig Aelteſten der Offenbarung, den vier myſtiſchen Thieren, den drei chriſtlichen und den vier Cardinaltugenden, S. Lucas, S. Paulus und andern Apoſteln, in einer ſol - chen Weiſe, daß man beinahe genöthigt iſt, das wirklicheUebergang in den Trionfo. frühe Vorkommen ſolcher Züge vorauszuſetzen. Dieß ver - räth ſich hauptſächlich durch den Wagen, auf welchem Bea - trice fährt, und welcher in dem viſionären Wunderwald nicht nöthig wäre, ja auffallend heißen darf. Oder hat Dante etwa den Wagen nur als weſentliches Symbol des Triumphirens betrachtet? und iſt vollends erſt ſein Ge - dicht die Anregung zu ſolchen Zügen geworden, deren Form von dem Triumph römiſcher Imperatoren entlehnt war? Wie dem nun auch ſei, jedenfalls haben Poeſie und Theo - logie an dem Sinnbilde mit Vorliebe feſtgehalten. Sa - vonarola in ſeinem „ Triumph des Kreuzes “ſtellt2)Ranke, Geſch. der roman. und german. Völker, S. 119. Chriſtus417 auf einem Triumphwagen vor, über ihm die leuchtende5. Abſchnitt. Kugel der Dreifaltigkeit, in ſeiner Linken das Kreuz, in ſeiner Rechten die beiden Teſtamente; tiefer hinab die Jung - frau Maria; vor dem Wagen Patriarchen, Propheten, Apoſtel und Prediger; zu beiden Seiten die Märtyrer und die Doctoren mit den aufgeſchlagenen Büchern; hinter ihm alles Volk der Bekehrten; in weiterer Entfernung die un - zähligen Haufen der Feinde, Kaiſer, Mächtige, Philoſophen, Ketzer, alle beſiegt, ihre Götzenbilder zerſtört, ihre Bücher verbrannt. (Eine als Holzſchnitt bekannte große Compo - ſition Tizian's kommt dieſer Schilderung ziemlich nahe.) Von Sabellico's (S. 63, f.) dreizehn Elegien auf die Mutter Gottes enthalten die neunte und die zehnte einen umſtänd - lichen Triumphzug derſelben, reich mit Allegorien ausge - ſtattet, und hauptſächlich intereſſant durch denſelben anti - viſionären, räumlich wirklichen Character, den die realiſtiſche Malerei des XV. Jahrhunderts ſolchen Scenen mittheilt.
Weit häufiger aber als dieſe geiſtlichen Trionfi warenDer weltliche Trionfo. jedenfalls die weltlichen, nach dem unmittelbaren Vorbild eines römiſchen Imperatorenzuges, wie man es aus antiken Reliefs kannte und aus den Schriftſtellern ergänzte. Die Geſchichtsanſchauung der damaligen Italiener, womit dieß zu - ſammenhing, iſt oben (S. 142, 175, f.) geſchildert worden.
Zunächſt gab es hie und da wirkliche Einzüge ſiegreicher Eroberer, welche man möglichſt jenem Vorbilde zu nähern ſuchte, auch gegen den Geſchmack des Triumphators ſelbſt. Francesco Sforza hatte (1450) die Kraft, bei ſeinem Ein - zug in Mailand den bereit gehaltenen Triumphwagen aus - zuſchlagen, indem dergleichen ein Aberglaube der KönigeAlfonſo's Ein - zug in Neapel. ſei1)Corio, fol. 401: dicendo, tali cose essere superstitioni de' Re. — Vgl. Cagnola, Arch. stor. III, p. 127. . Alfonſo der Große, bei ſeinem Einzug2)S. oben S. 221. — Vgl. S. 9, Anm. — Triumphus Alphonsi, als Beilage zu den Dicta et Facta, von Panormita. — Eine in NeapelCultur der Renaiſſance. 274185. Abſchnitt. (1443) enthielt ſich wenigſtens des Lorbeerkranzes, welchen bekanntlich Napoleon bei ſeiner Krönung in Notredame nicht verſchmähte. Im Uebrigen war Alfonſo's Zug (durch eine Mauerbreſche und dann durch die Stadt bis zum Dom) ein wunderſames Gemiſch von antiken, allegoriſchen und rein poſſirlichen Beſtandtheilen. Der von vier weißen Pferden gezogene Wagen, auf welchem er thronend ſaß, war gewal - lig hoch und ganz vergoldet; zwanzig Patrizier trugen die Stangen des Baldachins von Goldſtoff, in deſſen Schatten er einherfuhr. Der Theil des Zuges, den die anweſenden Florentiner übernommen hatten, beſtand zunächſt aus ele - ganten jungen Reitern, welche kunſtreich ihre Speere ſchwan - gen, aus einem Wagen mit der Fortuna und aus ſieben Tugenden zu Pferde. Die Glücksgöttin1)Es gehört zu den rechten Naivetäten der Renaiſſance, daß man der Fortuna eine ſolche Stelle anweiſen durfte. Beim Einzug des Maſſimiliano Sforza in Mailand (1512) ſtand ſie als Hauptfigur eines Triumphbogens über der Fama, Speranza, Audacia und Penitenza; lauter lebendige Perſonen. Vgl. Prato, Arch. stor. III, p. 305. war nach der - ſelben unerbittlichen Allegorik, welcher ſich damals auch die Künſtler bisweilen fügten, nur am Vorderhaupt behaart, hinten kahl, und der auf einem untern Abſatz des Wagens befindliche Genius, welcher das leichte Zerrinnen des Glückes vorſtellte, mußte deßhalb die Füße in einem Waſſerbecken ſtehen (?) haben. Dann folgte, von derſelben Nation ausge - ſtattet, eine Schaar von Reitern in den Trachten verſchie - dener Völker, auch als fremde Fürſten und Große coſtumirt, und nun auf hohem Wagen, über einer drehenden Welt - kugel ein lorbeergekrönter Julius Cäſar2)Der oben S. 414 geſchilderte Einzug des Borſo von Eſte in Reggio zeigt, welchen Eindruck der alfonſiniſche Triumph in ganz Italien gemacht hatte., welcher dem2)Scheu vor allzugroßem triumphalem Glanz zeigt ſich ſchon bei den tapfern Komnenen. Vgl. Cinnamus I, 5. VI, 1. 419 König in italieniſchen Verſen alle bisherigen Allegorien er -5. Abſchnitt. klärte und ſich dann dem Zuge einordnete. Sechzig Flo - rentiner, alle in Purpur und Scharlach, machten den Beſchluß dieſer prächtigen Exhibition der feſtkundigen Heimath. Dann aber kam eine Schaar von Catalanen zu Fuß, mit vorn und hinten angebundenen Scheinpferdchen und führten gegen eine Türkenſchaar ein Scheingefecht auf, ganz als ſollte das florentiniſche Pathos verſpottet werden. Darauf fuhr ein gewaltiger Thurm einher, deſſen Thür von einem Engel mit einem Schwert bewacht wurde; oben ſtanden wiederum vier Tugenden, welche den König, jede beſonders, anſangen. Der übrige Pomp des Zuges war nicht beſonders charac - teriſtiſch.
Beim Einzug Ludwigs XII. in Mailand 15071)Prato, Arch. stor. III, p. 260. gab es außer dem unvermeidlichen Wagen mit Tugenden auch ein lebendes Bild: Jupiter, Mars und eine von einem großen Netz umgebene Italia; hernach kam ein mit Tro - phäen beladener Wagen u. ſ. w.
Wo aber in Wirklichkeit keine Siegeszüge zu feiernDer Siegeszug in der Poefie. waren, da hielt die Poeſie ſich und die Fürſten ſchadlos. Petrarca und Boccaccio hatten (S. 406) die Repräſentanten jeder Art von Ruhm als Begleiter und Umgebung einer allegoriſchen Geſtalt aufgezählt; jetzt werden die Celebritäten der ganzen Vorzeit zum Gefolge von Fürſten. Die Dichterin Cleofe Gabrielli von Gubbio beſang2)Ihre drei Capitoli in Terzinen, Anecdota litt. IV, p. 461, s. in dieſem Sinne den Borſo von Ferrara. Sie gab ihm zum Geleit ſieben Königinnen (die freien Künſte nämlich), mit welchen er einen Wagen beſteigt, ferner ganze Schaaren von Helden, welche zu leichterer Unterſcheidung ihre Namen an der Stirn geſchrieben tragen; hernach folgen alle berühmten Dichter; die Götter aber kommen auf Wagen mitgefahren. Um dieſe Zeit iſt überbaupt des mythologiſchen und alle -27*4205. Abſchnitt. goriſchen Herumkutſchirens kein Ende, und auch das wich - tigſte erhaltene Kunſtwerk aus Borſo's Zeit, der Fresken - cyclus im Palaſt Schifanoja, weist einen ganzen Fries dieſes Inhalts auf1)Auch Tafelbilder ähnlichen Inhalts kommen nicht ſelten vor, gewiß oft als Erinnerung an wirkliche Maskeraden. Die Großen gewöhn - ten ſich bald bei jeder Feierlichkeit an's Fahren. Annibale Benti - voglio, der älteſte Sohn des Stadtherrn von Bologna, fährt als Kampfrichter von einem ordinären Waffenſpiel nach dem Palaſt cum triumpho more romano. Bursellis, l. c. Col. 909, ad a. 1490. . Rafael, als er die Camera della Segnatura auszumalen hatte, bekam überhaupt dieſen ganzen Gedankenkreis ſchon in recht ausgelebter, entweihter Geſtalt in ſeine Hände. Wie er ihm eine neue und letzte Weihe gab, wird denn auch ein Gegenſtand ewiger Bewunderung bleiben.
Die eigentlichen triumphalen Einzüge von Eroberern waren nur Ausnahmen. Jeder feſtliche Zug aber, mochte er irgend ein Ereigniß verherrlichen oder nur um ſeiner ſelber willen vorhanden ſein, nahm mehr oder weniger den Character und faſt immer den Namen eines Trionfo an. Es iſt ein Wunder, daß man nicht auch die Leichenbegäng - niſſe in dieſen Kreis hineinzog2)Bei der merkwürdigen Leichenfeier des 1437 vergifteten Malateſta Baglione zu Perugia (Graziani, arch. stor. XVI, I, p. 413) wird man beinahe an den Leichenpomp des alten Etruriens erinnert. Indeß gehören die Trauerritter u. dgl. der allgemeinen abendländi - ſchen Adelsſitte an. Vgl. z. B.: Die Erequien des Bertrand Du - guesclin bei Juvénal des Ursins, ad a. 1389. — S. auch Gra - ziani, l. c. p. 360. .
Triumphe be - rühmter Römer.Für's Erſte führte man am Carneval und bei andern Anläſſen Triumphe beſtimmter altrömiſcher Feldherrn auf. So in Florenz den des Paulus Aemilius (unter Lorenzo magnifico), den des Camillus (beim Beſuch Leo's X.), beide unter der Leitung des Malers Francesco Granacci3)Vasari, IX, p. 218, vita di Granacci. . In421 Rom war das erſte vollſtändig ausgeſtattete Feſt dieſer Art5. Abſchnitt. der Triumph des Auguſtus nach dem Siege über Cleopatra1)Mich. Cannesius, vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 118, s. , unter Paul II., wobei außer heitern und mythologiſchen Masken (die ja auch den antiken Triumphen nicht fehlten) auch alle andern Requiſite vorkamen: gefeſſelte Könige, ſeidene Schrifttafeln mit Volks - und Senatsbeſchlüſſen, ein antik coſtumirter Scheinſenat nebſt Aedilen, Quäſtoren, Prätoren ꝛc., vier Wagen voll ſingender Masken, und ohne Zweifel auch Trophäenwagen. Andere Aufzüge verſinnlichten mehr im Allgemeinen die alte Weltherrſchaft Roms, und gegenüber der wirklich vorhandenen Türkengefahr prahlte man etwa mit einer Cavalcade gefangener Türken auf Kameelen. Später, im Carneval 1500, ließ Ceſare Borgia mit kecker Beziehung auf ſeine Perſon, den Triumph Julius Cäſar's, eilf prächtige Wagen ſtark, aufführen2)Tommasi, vita di Cesare Borgia, p. 251. , gewiß zum Aergerniß der Jubileumspilger (S. 118). — Sehr ſchöne und geſchmackvolle Trionfi von allgemeinerer Bedeu -Trionfi im weitern Sinn. tung waren die von zwei wetteifernden Geſellſchaften in Florenz 1513 zur Feier der Wahl Leo's X. aufgeführten3)Vasari, XI, p. 34, s. vita di Puntormo. Eine Hauptſtelle in ihrer Art.: der eine ſtellte die drei Lebensalter der Menſchen dar, der andere die Weltalter, ſinnvoll eingekleidet in fünf Bilder aus der Geſchichte Roms und in zwei Allegorien, welche das goldene Zeitalter Saturns und deſſen endliche Wieder - bringung ſchilderten. Die phantaſiereiche Verzierung der Wagen, wenn große florentiniſche Künſtler ſich dazu her - gaben, machte einen ſolchen Eindruck, daß man eine blei - bende, periodiſche Wiederholung ſolcher Schauſpiele wünſchbar fand. Bisher hatten die Unterthanenſtädte am alljährlichen Huldigungstag ihre ſymboliſchen Geſchenke (koſtbare Stoffe und Wachskerzen) einfach überreicht; jetzt4)Vasari VIII, p. 264, vita di A. del Sarto. ließ die Kauf -4225. Abſchnitt. mannsgilde einſtweilen zehn Wagen bauen (wozu in der Folge noch mehrere kommen ſollten), nicht ſowohl um die Tribute zu tragen als um ſie zu ſymboliſiren, und Andrea del Sarto, der einige davon ausſchmückte, gab denſelben ohne Zweifel die herrlichſte Geſtalt. Solche Tribut - und Trophäenwagen gehörten bereits zu jeder feſtlichen Gelegen - heit, auch wenn man nicht viel aufzuwenden hatte. Die Sieneſen proclamirten 1477 das Bündniß zwiſchen Ferrante und Sixtus IV., wozu auch ſie gehörten, durch das Her - umführen eines Wagens, in welchem „ Einer als Friedens - göttin gekleidet auf einem Harniſch und andern Waffen ſtand1)Allegretto, bei Murat. XXIII, Col. 783. Daß ein Rad zerbrach, galt als böſes Vorzeichen. “.
Feſtzüge zu Waſſer.Bei den venezianiſchen Feſten entwickelte ſtatt der Wa - gen die Waſſerfahrt eine wunderſame, phantaſtiſche Herr - lichkeit. Eine Ausfahrt des Bucintoro zum Empfang der Fürſtinnen von Ferrara 1491 (S. 413) wird uns als ein ganz mährchenhaftes Schauſpiel geſchildert2)M. Anton. Sabellici Epist. L. III, fol. 17. ; ihm zogen voran zahlloſe Schiffe mit Teppichen und Guirlanden, be - ſetzt mit prächtig coſtumirter Jugend; auf Schwebemaſchinen bewegten ſich ringsum Genien mit Attributen der Götter; weiter unten waren Andere in Geſtalt von Tritonen und Nymphen gruppirt; überall Geſang, Wohlgerüche und das Flattern goldgeſtickter Fahnen. Auf den Bucintoro folgte dann ein ſolcher Schwarm von Barken aller Art, daß man wohl eine Miglie weit das Waſſer nicht mehr ſah. Von den übrigen Feſtlichkeiten iſt außer der ſchon oben ge - nannten Pantomime beſonders eine Regatta von fünfzig ſtarken Mädchen erwähnenswerth als etwas Neues. Im XVI. Jahrhundert3)Sansovino, Venezia, fol. 151, s. — Die Geſellſchaften heißen: Pavoni, Accesi, Eterni, Reali, Sempiterni; es ſind wohl die - ſelben, welche dann in Academien übergingen. war der Adel in beſondere Corpo -423 rationen zur Abhaltung von Feſtlichkeiten getheilt, deren5. Abſchnitt. Hauptſtück irgend eine ungeheure Maſchine auf einem Schiff ausmachte. So bewegte ſich z. B. 1541 bei einem Feſt der Sempiterni durch den großen Canal ein rundes „ Weltall “, in deſſen offnem Innern ein prächtiger Ball gehalten wurde. Auch der Carneval war hier berühmt durch Bälle, Aufzüge und Aufführungen aller Art. Bisweilen fand man ſelbſt den Marcusplatz groß genug, um nicht nur Turniere (S. 363, 386), ſondern auch Trionfi nach feſtländiſcher Art darauf ab - zuhalten. Bei einem Friedensfeſt1)Wahrſcheinlich 1495. Vgl. M. Anton. Sabellici Epist. L. V, fol. 28. übernahmen die frommenPolitiſches Feſt. Brüderſchaften (scuole) jede ihr Stück eines ſolchen Zuges. Da ſah man zwiſchen goldenen Candelabern mit rothen Wachskerzen, zwiſchen Schaaren von Muſikern und von Flügelknaben mit goldenen Schalen und Füllhörnern einen Wagen, auf welchem Noah und David beiſammen thron - ten; dann kam Abigail, ein mit Schätzen beladenes Ka - meel führend, und ein zweiter Wagen mit einer Gruppe politiſchen Inhalts: Italia zwiſchen Venezia und Liguria, und auf einer erhöhten Stufe drei weibliche Genien mit den Wappen der verbündeten Fürſten. Es folgte unter andern eine Weltkugel mit Sternbildern ringsum, wie es ſcheint. Auf andern Wagen fuhren jene Fürſten in leib - haftiger Darſtellung mit, ſammt Dienern und Wappen, wenn wir die Ausſage richtig deuten.
Der eigentliche Carneval, abgeſehen von den großenCarneval in Rom. Aufzügen, hatte vielleicht im XV. Jahrhundert nirgends eine ſo vielartige Phyſiognomie als in Rom2)Infessura, bei Eccard, scriptt. II, Col. 1893. 2000. — Mich. Cannesius, vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 1012. — Platina, vitæ pontiff. p. 318. — Jac. Volaterran. bei Mu - ratori XXIII, Col. 163. 194. — Paul. Jov. Elogia, sub Ju - liano Cæsarino. — Anderswo gab es auch Wettrennen von Wei - bern; Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 384.. Hier waren4245. Abſchnitt. zunächſt die Wettrennen am reichſten abgeſtuft; es gab ſolche von Pferden, Büffeln, Eſeln, dann von Alten, von Burſchen, von Juden u. ſ. w. Paul II. ſpeiste auch wohl das Volk in Maſſe vor Palazzo di Venezia, wo er wohnte. Sodann hatten die Spiele auf Piazza Navona, welche vielleicht ſeit der antiken Zeit nie ganz ausgeſtorben waren, einen kriegeriſch prächtigen Character; es war ein Schein - gefecht von Reitern und eine Parade der bewaffneten Bürger - ſchaft. Ferner war die Maskenfreiheit ſehr groß und dehnte ſich bisweilen über mehrere Monate aus1)Unter Alexander VI. einmal vom October bis zu den Faſten. Vgl. Tommasi, l. c. p. 322.. Sixtus IV. ſcheute ſich nicht, in den volkreichſten Gegenden der Stadt, auf Campo Fiore und bei den Banchi, durch Schwärme von Masken hindurch zu paſſiren, nur einem beabſichtigten Beſuch von Masken im Vatican wich er aus. Unter In - nocenz VIII. erreichte eine ſchon früher vorkommende Unſitte der Cardinäle ihre Vollendung; im Carneval 1491 ſandten ſie einander Wagen voll prächtig coſtumirter Masken, Buf - fonen und Sängern zu, welche ſcandalöſe Verſe herſagten;Fackelzüge. ſie waren freilich von Reitern begleitet. — Außer dem Carneval ſcheinen die Römer zuerſt den Werth eines großen Fackelzuges erkannt zu haben. Als Pius II. 1459 vom Congreß von Mantua zurückkam2)Pii II. Comment. L. IV, p. 211. , wartete ihm das ganze Volk mit einem Fackelritt auf, welcher ſich vor dem Palaſt in einem leuchtenden Kreiſe herum bewegte. Sixtus IV. fand indeß einmal für gut, eine ſolche nächtliche Aufwar - tung des Volkes, das mit Fackeln und Oelzweigen kommen wollte, nicht anzunehmen3)Nantiporto, bei Murat. III, II, Col. 1080. Sie wollten ihm für einen Friedensſchluß danken, fanden aber die Thore des Palaſtes verſchloſſen und auf allen Plätzen Truppen aufgeſtellt..
Carneval in Florenz.Der florentiniſche Carneval aber übertraf den römiſchen425 durch eine beſtimmte Art von Aufzügen, welche auch in der5. Abſchnitt. Literatur ihr Denkmal hinterlaſſen hat1)Tutti i trionfi, carri, mascherate, o canti carnascialeschi, Cosmopoli 1750. — Macchiavelli, opere minori, p. 505. — Vasari, VII, p. 115, s., vita di Piero di Cosimo, welchem letz - tern ein Hauptantheil an der Ausbildung dieſer Züge zugeſchrieben wird.. Zwiſchen einem Schwarme von Masken zu Fuß und zu Roß erſcheint ein gewaltiger Wagen in irgend einer Phantaſieform, und auf dieſem entweder eine herrſchende allegoriſche Geſtalt oder Gruppe ſammt den ihr zukommenden Gefährten, z. B. die Eiferſucht mit vier bebrillten Geſichtern an Einem Kopfe, die vier Temperamente (S. 304) mit den ihnen zukommen - den Planeten, die drei Parzen, die Klugheit thronend über Hoffnung und Furcht, die gefeſſelt vor ihr liegen, die vier Elemente, Lebensalter, Winde, Jahreszeiten u. ſ. w.; auch der berühmte Wagen des Todes mit den Särgen, die ſich dann öffneten. Oder es fuhr einher eine prächtige mytho - logiſche Scene, Bacchus und Ariadne, Paris und Helena ꝛc. Oder endlich ein Chor von Leuten, welche zuſammen einen Stand, eine Kategorie ausmachten, z. B. die Bettler, die Jäger mit Nymphen, die armen Seelen, welche im Leben unbarmherzige Weiber geweſen, die Eremiten, die Land - ſtreicher, die Aſtrologen, die Teufel, die Verkäufer beſtimm - ter Waaren, ja ſogar einmal il popolo, die Leute als ſolche, die ſich dann in ihrem Geſang als ſchlechte Sorte überhaupt anklagen müſſen. Die Geſänge nämlich, welche geſammelt und erhalten ſind, geben bald in pathetiſcher, bald in launiger, bald in höchſt unzüchtiger Weiſe die Er - klärung des Zuges. Auch dem Lorenzo magnifico werden einige der ſchlimmſten zugeſchrieben, wahrſcheinlich weil ſich der wahre Autor nicht zu nennen wagte, gewiß aber iſt von ihm der ſehr ſchöne Geſang zur Scene mit Bacchus und Ariadne, deſſen Refrain aus dem XV. Jahrhundert4265. Abſchnitt. zu uns herübertönt wie eine wehmüthige Ahnung der kurzen Herrlichkeit der Renaiſſance ſelbſt:
Das Verhältniß der einzelnen Völker zu den höchſten Din -6. Abſchnitt. gen, zu Gott, Tugend und Unſterblichkeit, läßt ſich wohl bis zu einem gewiſſen Grade erforſchen, niemals aber in ſtrenger Parallele darſtellen. Je deutlicher die Ausſagen auf dieſem Gebiete zu ſprechen ſcheinen, deſto mehr muß man ſich vor einer unbedingten Annahme, einer Verallgemeinerung der - ſelben hüten.
Vor Allem gilt dieß von dem Urtheil über die Sitt -Die Moralität u. das Urtheil. lichkeit. Man wird viele einzelne Contraſte und Nuancen zwiſchen den Völkern nachweiſen können, die abſolute Summe des Ganzen aber zu ziehen iſt menſchliche Einſicht zu ſchwach. Die große Verrechnung von Nationalcharacter, Schuld und Gewiſſen bleibt eine geheime, ſchon weil die Mängel eine zweite Seite haben, wo ſie dann als nationale Eigenſchaf - ten, ja als Tugenden erſcheinen. Solchen Autoren, welche den Völkern gerne allgemeine Cenſuren und zwar bisweilen im heftigſten Tone ſchreiben, muß man ihr Vergnügen laſſen. Abendländiſche Völker können einander mißhandeln, aber glücklicherweiſe nicht richten. Eine große Nation, die durch Cultur, Thaten und Erlebniſſe mit dem Leben der gan - zen neuern Welt verflochten iſt, überhört es, ob man ſie anklage oder entſchuldige; ſie lebt weiter mit oder ohne Gutheißen der Theoretiker.
4286. Abſchnitt. So iſt denn auch, was hier folgt, kein Urtheil, ſon - dern eine Reihe von Randbemerkungen, wie ſie ſich bei mehrjährigem Studium der italieniſchen Renaiſſance von ſelber ergaben. Ihre Geltung iſt eine um ſo beſchränktere, als ſie ſich meiſt auf das Leben der höhern Stände beziehen, über welche wir hier im Guten wie im Böſen unverhält - nißmäßig reichlicher unterrichtet ſind als bei andern euro - päiſchen Völkern. Weil aber Ruhm und Schmach hier lauter tönen als ſonſt irgendwo, ſo ſind wir deßhalb der allgemeinen Bilanz der Sittlichkeit noch um keinen Schritt näher.
Weſſen Auge dringt in die Tiefen, wo ſich Charactere und Schickſale der Völker bilden? wo Angeborenes und Erlebtes zu einem neuen Ganzen gerinnt und zu einem zweiten, dritten Naturell wird? wo ſelbſt geiſtige Begabun - gen, die man auf den erſten Blick für urſprünglich halten würde, ſich erſt relativ ſpät und neu bilden? Hatte z. B. der Italiener vor dem XIII. Jahrh. ſchon jene leichte Le - bendigkeit und Sicherheit des ganzen Menſchen, jene mit allen Gegenſtänden ſpielende Geſtaltungskraft in Wort und Form, die ihm ſeitdem eigen iſt? — Und wenn wir ſolche Dinge nicht wiſſen, wie ſollen wir das unendlich reiche und feine Geäder beurtheilen, durch welches Geiſt und Sittlich - keit unaufhörlich in einander überſtrömen? Wohl giebt es eine perſönliche Zurechnung und ihre Stimme iſt das Ge - wiſſen, aber die Völker möge man mit Generalſentenzen in Ruhe laſſen. Das ſcheinbar kränkſte Volk kann der Geſund - heit nahe ſein und ein ſcheinbar geſundes kann einen mäch - tig entwickelten Todeskeim in ſich bergen, den erſt die Gefahr an den Tag bringt.
Bewußtſein der Demoraliſa - tion.Zu Anfang des XVI. Jahrh., als die Cultur der Renaiſſance auf ihrer Höhe angelangt und zugleich das po - litiſche Unglück der Nation ſo viel als unabwendbar ent -429 ſchieden war, fehlte es nicht an ernſten Denkern, welche6. Abſchnitt. dieſes Unglück mit der großen Sittenloſigkeit in Verbindung brachten. Es ſind keine von jenen Bußpredigern, welche bei jedem Volke und zu jeder Zeit über die ſchlechten Zeiten zu klagen ſich verpflichtet glauben, ſondern ein Macchiavell iſt es, der mitten in einer ſeiner wichtigſten Gedankenreihen1)Discorsi L. I, c. 12. Auch c. 55: Italien ſei verdorbener als alle andern Länder; dann kommen zunächſt Franzoſen und Spanier. es offen ausſpricht: ja, wir Italiener ſind vorzugsweiſe irreligiös und böſe. — Ein Anderer hätte vielleicht geſagt: wir ſind vorzugsweiſe individuell entwickelt; die Race hat uns aus den Schranken ihrer Sitte und Religion entlaſſen, und die äußern Geſetze verachten wir weil unſere Herrſcher illegitim und ihre Beamten und Richter verworfene Men - ſchen ſind. — Macchiavell ſelber ſetzt hinzu: weil die Kirche in ihren Vertretern das übelſte Beiſpiel giebt.
Sollen wir hier noch beifügen: „ weil das AlterthumEinfluß des Al - terthums. ungünſtig einwirkte? “— jedenfalls bedürfte eine ſolche Annahme ſorgfältiger Beſchränkungen. Bei den Humaniſten (S. 269) wird man am eheſten davon reden dürfen, zumal in Betreff ihres wüſten Sinnenlebens. Bei den Uebrigen möchte ſich die Sache ungefähr ſo verhalten haben, daß an die Stelle des chriſtlichen Lebensideals, der Heiligkeit, das der hiſtoriſchen Größe trat ſeit ſie das Alterthum kannten (S. 149, Anm.). Durch einen naheliegenden Mißverſtand hielt man dann auch die Fehler für indifferent, trotz welcher die großen Männer groß geweſen waren. Vermuthlich ge - ſchah dieß faſt unbewußt, denn wenn theoretiſche Ausſagen dafür angeführt werden ſollen, ſo muß man ſie wieder bei den Humaniſten ſuchen wie z. B. bei Paolo Giovio, der den Eidbruch des Giangaleazzo Visconti, inſofern dadurch die Gründung eines Reiches ermöglicht wurde, mit dem Beiſpiel des Julius Cäſar entſchuldigt2)Paul. Jov. viri illustres; Jo. Gal. Vicecomes. . Die großen4306. Abſchnitt. florentiniſchen Geſchichtſchreiber und Politiker ſind von ſo knechtiſchen Citaten völlig frei und was in ihren Urtheilen und Thaten antik erſcheint, iſt es, weil ihr Staatsweſen eine nothwendig dem Alterthum einigermaßen analoge Denk - weiſe hervorgetrieben hatte.
Immerhin aber fand Italien um den Anfang des XVI. Jahrhunderts ſich in einer ſchweren ſittlichen Criſis, aus welcher die Beſſern kaum einen Ausweg hofften.
Beginnen wir damit, die dem Böſen auf's Stärkſte entgegenwirkende ſittliche Kraft namhaft zu machen. Jene hochbegabten Menſchen glaubten ſie zu erkennen in GeſtaltDas moderne Ehrgefühl. des Ehrgefühls. Es iſt die räthſelhafte Miſchung aus Gewiſſen und Selbſtſucht, welche dem modernen Menſchen noch übrig bleibt auch wenn er durch oder ohne ſeine Schuld alles Uebrige, Glauben, Liebe und Hoffnung eingebüßt hat. Dieſes Ehrgefühl verträgt ſich mit vielem Egoismus und großen Laſtern und iſt ungeheurer Täuſchungen fähig, aber auch alles Edle, das in einer Perſönlichkeit übrig ge - blieben, kann ſich daran anſchließen und aus dieſem Quell neue Kräfte ſchöpfen. In viel weiterm Sinne als man gewöhnlich denkt, iſt es für die heutigen individuell ent - wickelten Europäer eine entſcheidende Richtſchnur des Han - delns geworden; auch Viele von denjenigen, welche noch außerdem Sitte und Religion treulich feſthalten, faſſen doch die wichtigſten Entſchlüſſe unbewußt nach jenem Gefühl.
Es iſt nicht unſere Aufgabe nachzuweiſen wie ſchon das Alterthum eine eigenthümliche Schattirung dieſes Ge - fühles kannte und wie dann das Mittelalter die Ehre in einem ſpeciellen Sinne zur Sache eines beſtimmten Standes machte. Auch dürfen wir mit denjenigen nicht ſtreiten, welche das Gewiſſen allein ſtatt des Ehrgefühls als die weſentliche Triebkraft anſehen; es wäre ſchöner und beſſer wenn es ſich ſo verhielte, allein ſobald man doch zugeben muß, daß die beſſern Entſchlüſſe aus einem „ von Selbſt - ſucht mehr oder weniger getrübten Gewiſſen “hervorgehen,431 ſo nenne man lieber dieſe Miſchung mit ihrem Namen. 6. Abſchnitt. Allerdings iſt es bei den Italienern der Renaiſſance bis - weilen ſchwer, dieſes Ehrgefühl von der directen Ruhmbe - gier zu unterſcheiden, in welche daſſelbe häufig übergeht. Doch bleiben es weſentlich zwei verſchiedene Dinge.
An Ausſagen über dieſen Punkt fehlt es nicht. EineAusſagen dar - über. beſonders deutliche mag ſtatt vieler hier ihre Stelle finden; ſie ſtammt aus den erſt neuerlich an den Tag getretenen1)Franc. Guicciardini, Ricordi politici e civili, N. 118. (Opere inedite, vol. I.) Aphorismen des Guicciardini. „ Wer die Ehre hochhält, „ dem gelingt Alles, weil er weder Mühe, Gefahr noch „ Koſten ſcheut; ich habe es an mir ſelbſt erprobt und darf „ es ſagen und ſchreiben: eitel und todt ſind diejenigen „ Handlungen der Menſchen, welche nicht von dieſem ſtarken „ Antrieb ausgehen. “ Wir müſſen freilich hinzuſetzen, daß nach anderweitiger Kunde vom Leben des Verfaſſers hier durchaus nur vom Ehrgefühl und nicht vom eigentlichen Ruhme die Rede ſein kann. Schärfer aber als vielleicht alle Italiener hat Rabelais die Sache betont. Zwar nurRabelais. ungern miſchen wir dieſen Namen in unſere Forſchung; was der gewaltige, ſtets barocke Franzoſe giebt, gewährt uns ungefähr ein Bild davon, wie die Renaiſſance ſich ausnehmen würde ohne Form und ohne Schönheit2)Seine nächſte Parallele iſt Merlinus Coccajus (Teofilo Folengo), deſſen Opus Macaronicorum (S. 160 und 267) Rabelais wohl noch gekannt haben möchte.. Aber ſeine Schilderung eines Idealzuſtandes im Thelemitenkloſter iſt culturgeſchichtlich entſcheidend, ſo daß ohne dieſe höchſte Phantaſie das Bild des XVI. Jahrhunderts unvollſtändig wäre. Er erzählt3)Gargantua L. I, chap. 57. von dieſen ſeinen Herren und Damen vom Orden des freien Willens unter andern wie folgt:
En leur reigle n'estoit que ceste clause: Fay ce que vouldras. Parce que gens liberes, bien4326. Abſchnitt. nayz1)D. h. wohlgeboren im höhern Sinn, denn Rabelais, der Wirthsſohn von Chinon, hat keine Urſache, dem Adel als ſolchem hier ein Vor - recht zu geſtatten. — Die Predigt des Evangeliums, von welcher in der Inſchrift des Kloſters die Rede iſt, würde zu dem ſonſtigen Leben der Thelemiten wenig paſſen; ſie iſt auch eher negativ, im Sinne des Trotzes gegen die römiſche Kirche zu deuten., bien instruictz, conversans en compaignies honnestes, ont par nature ung instinct et aguillon qui tousjours les poulse à faictz vertueux, et retire de vice: lequel ilz nommoyent honneur.
Es iſt derſelbe Glaube an die Güte der menſchlichen Na - tur, welcher auch die zweite Hälfte des XVIII. Jahrhunderts beſeelte und der franzöſiſchen Revolution die Wege bereiten half. Auch bei den Italienern appellirt Jeder individuell an dieſen ſeinen eigenen edeln Inſtinct, und wenn im Großen und Ganzen — hauptſächlich unter dem Eindruck des natio - nalen Unglückes — peſſimiſtiſcher geurtheilt oder empfunden wird, gleichwohl wird man immer jenes Ehrgefühl hoch halten müſſen. Wenn einmal die ſchrankenloſe Entwicklung des Individuums eine welthiſtoriſche Fügung, wenn ſie ſtärker war als der Wille des Einzelnen, ſo iſt auch dieſe gegenwirkende Kraft, wo ſie im damaligen Italien vorkömmt, eine große Erſcheinung. Wie oft und gegen welch heftige Angriffe der Selbſtſucht ſie den Sieg davon trug, wiſſen wir eben nicht, und deßhalb reicht unſer menſchliches Urtheil überhaupt nicht aus, um den abſoluten moraliſchen Werth der Nation richtig zu ſchätzen.
Die Phantaſie und ihre Herr - ſchaft.Was nun der Sittlichkeit des höher entwickelten Ita - lieners der Renaiſſance als wichtigſte allgemeine Voraus - ſetzung gegenüberſteht, iſt die Phantaſie. Sie vor allem verleiht ſeinen Tugenden und Fehlern ihre beſondere Farbe; unter ihrer Herrſchaft gewinnt ſeine entfeſſelte Selbſtſucht erſt ihre volle Furchtbarkeit.
433Um ihretwillen wird er z. B. der frühſte große Hazard -6. Abſchnitt. ſpieler der neuern Zeit, indem ſie ihm die Bilder des künf -Spielſucht. tigen Reichthums und der künftigen Genüſſe mit einer ſolchen Lebendigkeit vormalt, daß er das Aeußerſte daran ſetzt. Die mohammedaniſchen Völker wären ihm hierin ohne allen Zweifel vorangegangen, hätte nicht der Koran von Anfang an das Spielverbot als die nothwendigſte Schutzwehr islamitiſcher Sitte feſtgeſtellt, und die Phanta - ſie ſeiner Leute an Auffindung vergrabener Schätze gewieſen. In Italien wurde eine Spielwuth allgemein, welche ſchon damals häufig genug die Exiſtenz des Einzelnen bedrohte oder zerſtörte. Florenz hat ſchon zu Ende des XIV. Jahr - hunderts ſeinen Caſanova, einen gewiſſen Buonaccorſo Pitti, welcher auf beſtändigen Reiſen als Kaufmann, Parteigänger, Speculant, Diplomat und Spieler von Profeſſion enorme Summen gewann und verlor und nur noch Fürſten zu Partnern gebrauchen konnte, wie die Herzoge von Brabant, Baiern und Savoyen1)Deſſen Tagebuch im Auszug bei Delécluze, Florence et ses vi - cissitudes, vol. 2. — Vgl. S. 332.. Auch der große Glückstopf, welchen man die römiſche Curie nannte, gewöhnte ſeine Leute an ein Bedürfniß der Aufregung, welches ſich in den Zwiſchen - pauſen der großen Intriguen nothwendig durch Würfelſpiel Luft machte. Franceschetto Cybò verſpielte z. B. einſt in zweien Malen an Cardinal Raffaele Riario 14,000 Du - caten und klagte hernach beim Papſt ſein Mitſpieler habe ihn betrogen2)Infessura, ap. Eccard, scriptt. II, Col. 1992. Vgl. oben S. 109. f.. In der Folge wurde bekanntlich Italien die Heimath des Loterieweſens.
Die Phantaſie iſt es auch, welche hier der RachſuchtRachſucht. ihren beſondern Character giebt. Das Rechtsgefühl wird wohl im ganzen Abendland von jeher eins und daſſelbe geweſen und ſeine Verletzung, ſo oft ſie ungeſtraft blieb, auf die gleiche Weiſe empfunden worden ſein. Aber andere Völker, wenn ſie auch nicht leichter verzeihen, können dochCultur der Renaiſſance. 284346. Abſchnitt. leichter vergeſſen, während die italieniſche Phantaſie das Bild des Unrechts in furchtbarer Friſche erhält1)Dieſes Raiſonnement des geiſtreichen Stendhal (la chartreuse de Parme, ed. Delahays, p. 355) ſcheint mir auf tiefer pſychologi - ſcher Beobachtung zu ruhen.. Daß zu - gleich in der Volksmoral die Blutrache als eine Pflicht gilt und oft auf das Gräßlichſte geübt wird, giebt dieſer allge - meinen Rachſucht noch einen beſondern Grund und Boden. Regierungen und Tribunale der Städte erkennen ihr Daſein und ihre Berechtigung an und ſuchen nur den ſchlimmſten Exceſſen zu ſteuern. Aber auch unter den Bauern kommen thyeſteiſche Mahlzeiten und weit ſich ausbreitender Wechſel - mord vor; hören wir nur einen Zeugen2)Graziani, cronaca di Perugia, zum J. 1437 (Arch. stor. XVI, I, p. 415)..
Blutrache der Bauern,In der Landſchaft von Acquapendente hüteten drei Hirtenknaben das Vieh und Einer ſagte: wir wollen ver - ſuchen wie man die Leute henkt. Als der Eine dem Andern auf die Schulter ſaß und der Dritte den Strick zuerſt um deſſen Hals ſchlang und dann an eine Eiche band, kam der Wolf, ſo daß die Beiden entflohen und jenen hängen ließen. Hernach fanden ſie ihn todt und begruben ihn. Sonntags kam ſein Vater um ihm Brod zu bringen, und einer von den Beiden geſtand ihm den Hergang und zeigte ihm das Grab. Der Alte aber tödtete dieſen mit einem Meſſer, ſchnitt ihn auf, nahm die Leber und bewirthete damit zu Hauſe deſſen Vater; dann ſagte er ihm, weſſen Leber er gegeſſen. Hierauf begann das wechſelſeitige Morden zwi - ſchen den beiden Familien, und binnen einem Monat waren 36 Perſonen, Weiber ſowohl als Männer, umgebracht.
der höhern Stände.Und ſolche Vendetten, erblich bis auf mehrere Genera - tionen, auf Seitenverwandte und Freunde, erſtreckten ſich auch weit in die höhern Stände hinauf. Chroniken ſowohl als Novellenſammlungen ſind voll von Beiſpielen, zumal von Racheübungen wegen entehrter Weiber. Der claſſiſche435 Boden hiefür war beſonders die Romagna, wo ſich die6. Abſchnitt. Vendetta mit allen erdenklichen ſonſtigen Parteiungen ver - flocht. In furchtbarer Symbolik ſtellt die Sage bisweilen die Verwilderung dar, welche über dieſes kühne, kräftige Volk kam. So z. B. in der Geſchichte von jenem vorneh - men Ravennaten, der ſeine Feinde in einem Thurm bei - ſammen hatte und ſie hätte verbrennen können, ſtatt deſſen aber ſie herausließ, umarmte und herrlich bewirthete, worauf die wüthende Scham ſie erſt recht zur Verſchwörung an - trieb1)Giraldi, Hecatommithi I, Nov. 7. . Unabläſſig predigten fromme, ja heilige Mönche zur Verſöhnung, aber es wird Alles geweſen ſein was ſie er - reichten, wenn ſie die ſchon im Gange befindlichen Vendetten einſchränkten; das Entſtehen von neuen werden ſie wohl ſchwerlich gehindert haben. Die Novellen ſchildern uns nicht ſelten auch dieſe Einwirkung der Religion, die edle Auf - wallung und dann deren Sinken durch das Schwergewicht deſſen was vorangegangen und doch nicht mehr zu ändern iſt. Hatte doch der Papſt in Perſon nicht immer Glück im Friedenſtiften: „ Papſt Paul II. wollte, daß der Hader zwiſchen Antonio Caffarello und dem Hauſe Alberino auf - höre und ließ Giovanni Alberino und Antonio Caffarello vor ſich kommen und befahl ihnen, einander zu küſſen und kündigte ihnen 2000 Ducaten Strafe an wenn ſie einander wieder ein Leid anthäten, und zwei Tage darauf wurde Antonio von demſelben Giacomo Alberino, Sohn des Gio - vanni, geſtochen, der ihn vorher ſchon verwundet hatte, und Papſt Paul wurde ſehr unwillig und ließ den Alberino die Habe confisciren und die Häuſer ſchleifen und Vater und Sohn aus Rom verbannen2)Infessura, bei Eccard, scrippt. II, Col. 1892. zum Jahr 1464.. “ Die Eide und Ceremonien,Verſöhnungs - ſchwüre. wodurch die Verſöhnten ſich vor dem Rückfall zu ſichern ſuchen, ſind bisweilen ganz entſetzlich; als am Sylveſter - abend 1494 im Dom von Siena3)Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 837. die Parteien der Nove28*4366. Abſchnitt. und der Popolari ſich paarweiſe küſſen mußten, wurde ein Schwur dazu verleſen, worin dem künftigen Uebertreter alles zeitliche und ewige Heil abgeſprochen wurde, „ ein Schwur ſo erſtaunlich und ſchrecklich wie noch keiner erhört worden “; ſelbſt die letzten Tröſtungen in der Todesſtunde ſollten ſich in Verdammniß verkehren für den, welcher ihn verletzen würde. Es leuchtet ein, daß dergleichen mehr die verzweifelte Stimmung der Vermittler als eine wirkliche Garantie des Friedens ausdrückte, und daß gerade die wahrſte Verſöhnung am wenigſten ſolcher Worte bedurfte.
Die Rache in der öffentlichen Meinung.Das individuelle Rachebedürfniß des Gebildeten und des Hochſtehenden, ruhend auf der mächtigen Grundlage einer analogen Volksſitte, ſpielt nun natürlich in tauſend Farben und wird von der öffentlichen Meinung, welche hier aus den Novelliſten redet, ohne allen Rückhalt gebilligt1)Diejenigen, welche die Vergeltung Gott anheimſtellen, werden u. a. lächerlich gemacht bei Pulci (Morgante, canto XXI, Str. 83, s. 104, s. . Alle Welt iſt darüber einig, daß bei denjenigen Beleidi - gungen und Verletzungen, für welche die damalige italie - niſche Juſtiz kein Recht ſchafft, und vollends bei denjenigen, gegen die es nie und nirgends ein genügendes Geſetz gege - ben hat noch geben kann, Jeder ſich ſelber Recht ſchaffen dürfe. Nur muß Geiſt in der Rache ſein und die Satis - faction ſich miſchen aus thatſächlicher Schädigung und geiſtiger Demüthigung des Beleidigers; brutale plumpe Uebermacht allein gilt in der öffentlichen Meinung für keine Genugthuung. Das ganze Individuum, mit ſeiner Anlage zu Ruhm und Hohn muß triumphiren, nicht bloß die Fauſt.
Der damalige Italiener iſt vieler Verſtellung fähig um beſtimmte Zwecke zu erreichen, aber gar keiner Heuchelei in Sachen von Principien, weder vor Andern noch vor ſich ſelber. Mit völliger Naivetät wird deßhalb auch dieſe Rache als ein Bedürfniß zugeſtanden. Ganz kühle Leute preiſen ſie vorzüglich dann, wenn ſie, getrennt von eigent -437 licher Leidenſchaft, um der bloßen Zweckmäßigkeit willen6. Abſchnitt. auftritt, „ damit andere Menſchen lernen dich unangefochten „ zu laſſen1)Guicciardini, Ricordi, l. c. N. 74. “. Doch werden ſolche Fälle eine kleine Minder - zahl geweſen ſein gegenüber von denjenigen, da die Leiden - ſchaft Abkühlung ſuchte. Deutlich ſcheidet ſich hier dieſe Rache von der Blutrache; während letztere ſich eher noch innerhalb der Schranken der Vergeltung, des ius talionis hält, geht die erſtere nothwendig darüber hinaus, indem ſie nicht nur die Beiſtimmung des Rechtsgefühls verlangt, ſon - dern die Bewunderer und je nach Umſtänden die Lacher auf ihrer Seite haben will.
Hierin liegt denn auch der Grund des oft langen Auf - ſchiebens. Zu einer „ bella vendetta “gehört in der Regel ein Zuſammentreffen von Umſtänden, welches durchaus ab - gewartet werden muß. Mit einer wahren Wonne ſchildern die Novelliſten hie und da das allmälige Heranreifen ſolcher Gelegenheiten.
Ueber die Moralität von Handlungen, wobei KlägerRache u. Dank - barkeit. und Richter eine Perſon ſind, braucht es weiter keines Ur - theils. Wenn dieſe italieniſche Rachſucht ſich irgendwie rechtfertigen wollte, ſo müßte dieß geſchehen durch den Nach - weis einer entſprechenden nationalen Tugend, nämlich der Dankbarkeit; dieſelbe Phantaſie, welche das erlittene Un - recht auffriſcht und vergrößert, müßte auch das empfangene Gute im Andenken erhalten2)So ſchildert ſich Cardanus (de propria vita, cap. 13) als äußerſt rachſüchtig, aber auch als verax, memor beneficiorum, amans justitiæ.. Es wird niemals möglich ſein, einen ſolchen Nachweis im Namen des ganzen Volkes zu führen, doch fehlt es nicht an Spuren dieſer Art im jetzigen italieniſchen Volkscharacter. Dahin gehört bei den gemeinen Leuten die große Erkenntlichkeit für honette Be - handlung und bei den höhern Ständen das gute geſell - ſchaftliche Gedächtniß.
4386. Abſchnitt. Dieſes Verhältniß der Phantaſie zu den moraliſchen Eigenſchaften des Italieners wiederholt ſich nun durchgängig. Wenn daneben ſcheinbar viel mehr kalte Berechnung zu Tage tritt in Fällen da der Nordländer mehr dem Gemüthe folgt, ſo hängt dieß wohl davon ab, daß der Italiener häufiger ſowohl als früher und ſtärker individuell entwickelt iſt. Wo dieß außerhalb Italiens ebenfalls ſtattfindet, da ergeben ſich auch ähnliche Reſultate; die zeitige Entfremdung vom Hauſe und von der väterlichen Autorität z. B. iſt der italieniſchen und der nordamericaniſchen Jugend gleichmäßig eigen. Spä - ter ſtellt ſich dann bei den edlern Naturen das Verhältniß einer freien Pietät zwiſchen Kindern und Eltern ein.
Es iſt überhaupt ganz beſonders ſchwer, über die Sphäre des Gemüthes bei andern Nationen zu urtheilen. Daſſelbe kann ſehr entwickelt vorhanden ſein, aber in ſo fremdartiger Weiſe, daß der von draußen kommende es nicht erkennt, es kann ſich auch wohl vollkommen vor ihm verſtecken. Vielleicht ſind alle abendländiſchen Nationen in dieſer Beziehung gleichmäßig begnadigt.
Verletzung der Ehe.Wenn aber irgendwo die Phantaſie als gewaltige Herrinn ſich in die Moralität gemiſcht hat, ſo iſt dieß ge - ſchehen im unerlaubten Verkehr der beiden Geſchlechter. Vor der gewöhnlichen Hurerei ſcheute ſich bekanntlich das Mittelalter überhaupt nicht bis die Syphilis kam, und eine vergleichende Statiſtik der damaligen Proſtitution jeder Art gehört nicht hieher. Was aber dem Italien der Renaiſſance eigen zu ſein ſcheint, iſt daß die Ehe und ihr Recht vielleicht mehr und jedenfalls bewußter als anderswo mit Füßen getreten wird. Die Mädchen der höhern Stände, ſorgfältig abge - ſchloſſen, kommen nicht in Betracht; auf verheirathete Frauen bezieht ſich alle Leidenſchaft.
Dabei iſt bemerkenswerth, daß die Ehen doch nicht nachweisbar abnahmen und daß das Familienleben bei439 weitem nicht diejenige Zerſtörung erlitt, welche es im Nor -6. Abſchnitt. den unter ähnlichen Umſtänden erleiden würde. Man wollte völlig nach Willkür leben aber durchaus nicht auf die Fa - milie verzichten, ſelbſt wenn zu fürchten ſtand, daß es nicht ganz die eigene ſei. Auch ſank die Race deßhalb weder phyſiſch noch geiſtig — denn von derjenigen ſcheinbaren geiſtigen Abnahme, welche ſich gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts zu erkennen giebt, laſſen ſich ganz beſtimmte äußere Urſachen politiſcher und kirchlicher Art namhaft machen, ſelbſt wenn man nicht zugeben will, daß der Kreis der möglichen Schöpfungen der Renaiſſance durchlaufen geweſen ſei. Die Italiener fuhren fort, trotz aller Aus - ſchweifung zu den leiblich und geiſtig geſundeſten und wohl - geborenſten Bevölkerungen Europa's zu gehören1)Mit der völlig entwickelten ſpaniſchen Herrſchaft trat allerdings eine relative Entvölkerung ein. Wäre ſie Folge der Entſittlichung gewe - ſen, ſo hätte ſie viel früher eintreten müſſen., und behaupten dieſen Vorzug bekanntlich bis auf dieſen Tag, nachdem ſich die Sitten ſehr gebeſſert haben.
Wenn man nun der Liebesmoral der Renaiſſance näherFrivole und ideale Lieb - ſchaft. nachgeht, ſo findet man ſich betroffen von einem merkwür - digen Gegenſatz in den Ausſagen. Die Novelliſten und Comödiendichter machen den Eindruck, als beſtände die Liebe durchaus nur im Genuſſe und als wären zu deſſen Errei - chung alle Mittel, tragiſche wie komiſche, nicht nur erlaubt, ſondern je kühner und frivoler, deſto intereſſanter. Liest man die beſſern Lyriker und Dialogenſchreiber, ſo lebt in ihnen die edelſte Vertiefung und Vergeiſtigung der Leiden - ſchaft, ja der letzte und höchſte Ausdruck derſelben wird ge - ſucht in einer Aneignung antiker Ideen von einer urſprüng - lichen Einheit der Seelen im göttlichen Weſen. Und beide Anſchauungen ſind damals wahr und in einem und dem - ſelben Individuum vereinbar. Es iſt nicht durchaus rühmlich, aber es iſt eine Thatſache, daß in dem modernen gebildeten4406. Abſchnitt. Menſchen die Gefühle auf verſchiedenen Stufen zugleich nicht nur ſtillſchweigend vorhanden ſind ſondern auch zur bewußten, je nach Umſtänden künſtleriſchen Darſtellung kommen. Erſt der moderne Menſch iſt, wie der antike, auch in dieſer Beziehung ein Microcosmus, was der mittel - alterliche nicht war und nicht ſein konnte.
Novellen - moral.Zunächſt iſt die Moral der Novellen beachtenswerth. Es handelt ſich in den meiſten derſelben, wie bemerkt, um Ehefrauen und alſo um Ehebruch.
Stellung des Weibes.Höchſt wichtig erſcheint nun hier jene oben (S. 391, f.) erwähnte Anſicht von der gleichen Geltung des Weibes mit dem Manne. Die höher gebildete, individuell entwickelte Frau verfügt über ſich mit einer ganz andern[Souveränität] als im Norden, und die Untreue macht nicht jenen furcht - baren Riß durch ihr Leben, ſobald ſie ſich gegen die äußern Folgen ſichern kann. Das Recht des Gemahles auf ihre Treue hat nicht denjenigen feſten Boden, den es bei den Nordländern durch die Poeſie und Leidenſchaft der Wer - bung und des Brautſtandes gewinnt; nach flüchtigſter Be - kanntſchaft, unmittelbar aus dem elterlichen oder klöſterlichen Gewahrſam tritt die junge Frau in die Welt und nun erſt bildet ſich ihre Individualität ungemein ſchnell aus. Haupt - ſächlich deßhalb iſt jenes Recht des Gatten nur ein ſehr be - dingtes, und auch wer es als ein ius quæsitum anſieht, bezieht es doch nur auf die äußere That, nicht auf das Herz. Die ſchöne junge Gemahlin eines Greiſes z. B. weist die Geſchenke und Botſchaften eines jungen Liebhabers zu - rück, in feſten Vorſatz, ihre Ehrbarkeit (honestà) zu be - haupten. „ Aber ſie freute ſich doch der Liebe des Jünglings „ wegen ſeiner großen Trefflichkeit, und ſie erkannte, daß ein „ edles Weib einen ausgezeichneten Menſchen lieben darf „ ohne Nachtheil ihrer Ehrbarkeit1)Giraldi, Hecatommithi III, Nov. 2. — Ganz ähnlich: Cortigiano, L. IV, fol. 180.. “ Wie kurz iſt aber441 der Weg von einer ſolcher Diſtinction bis zu völliger Hin -6. Abſchnitt. gebung.
Letztere erſcheint dann ſoviel als berechtigt, wenn UntreueUntreue und Strafe. des Mannes hinzukömmt. Das individuell entwickelte Weib empfindet dieſelbe bei Weitem nicht bloß als einen Schmerz, ſondern als Hohn und Demüthigung, namentlich als Ueber - liſtung, und nun übt ſie, oft mit ziemlich kaltem Bewußtſein, die vom Gemahl verdiente Rache. Ihrem Tact bleibt es überlaſſen, das für den betreffenden Fall richtige Strafmaaß zu treffen. Die tiefſte Kränkung kann z. B. einen Ausweg zur Verſöhnung und zu künftigem ruhigem Leben anbahnen, wenn ſie völlig geheim bleibt. Die Novelliſten, welche der - gleichen dennoch erfahren oder es gemäß der Atmosphäre ihrer Zeit erdichten, ſind voll von Bewunderung, wenn die Rache höchſt angemeſſen, wenn ſie ein Kunſtwerk iſt. Es verſteht ſich, daß der Ehemann ein ſolches Vergeltungsrecht doch im Grunde nie anerkennt und ſich nur aus Furcht oder aus Klugheitsgründen fügt. Wo dieſe wegfallen, wo er um der Untreue ſeiner Gemahlin willen ohnehin erwar - ten oder wenigſtens beſorgen muß, von dritten Perſonen ausgehöhnt zu werden, da wird die Sache tragiſch. Nicht ſelten folgt die gewaltſamſte Gegenrache und der Mord. Es iſt höchſt bezeichnend für die wahre Quelle dieſer Thaten, daß außer dem Gemahl auch die Brüder1)Ein beſonders gräuliches Beiſpiel der Rache eines Bruders, aus Pe - rugia vom J. 1455, findet man in der Chronik des Graziani, Arch. stor. XVI, I, p. 629. Der Bruder zwingt den Galan, der Schweſter die Augen auszureißen und jagt ihn mit Schlägen von dannen. Freilich die Familie war ein Zweig der Oddi und der Liebhaber nur ein Seiler. und der Vater der Frau ſich dazu berechtigt, ja verpflichtet glauben; die Eiferſucht hat alſo nichts mehr damit zu thun, dasDie Rächer. ſittliche Gefühl wenig, der Wunſch, dritten Perſonen ihren Spott zu verleiden das Meiſte. „ Heute “, ſagt Bandello2)Bandello, Parte I, Nov. 9 und 26. — Es kommt vor, daß der,4426. Abſchnitt. „ ſieht man Eine um ihre Lüſte zu erfüllen den Gemahl vergiften, als dürfte ſie dann, weil ſie Wittwe geworden, thun was ihr beliebt. Eine andere, aus Furcht vor Ent - deckung ihres unerlaubten Umganges, läßt den Gemahl durch den Geliebten ermorden. Dann erheben ſich Väter, Brüder und Gatten, um ſich die Schande aus den Augen zu ſchaffen, mit Gift, Schwert und andern Mitteln, und dennoch fahren viele Weiber fort, mit Verachtung des eigenen Lebens und der Ehre, ihren Leidenſchaften nachzuleben. “ Ein andermal, in milderer Stimmung, ruft er aus: „ Wenn man doch nur nicht täglich hören müßte: dieſer hat ſeine Frau ermordet, weil er Untreue vermuthete, Jener hat die Tochter erwürgt, weil ſie ſich heimlich vermählt hatte, Jener endlich hat ſeine Schweſter tödten laſſen, weil ſie ſich nicht nach ſeinen Anſichten vermählen wollte! Es iſt doch eine große Grauſamkeit, daß wir Alles thun wollen was uns in den Sinn kömmt und den armen Weibern nicht daſſelbe zugeſtehen. Wenn ſie etwas thun, das uns mißfällt, ſo ſind wir gleich mit Strick, Dolch und Gift bei der Hand. Welche Narrheit der Männer, vorauszuſetzen, daß ihre und des ganzen Hauſes Ehre von der Begierde eines Weibes abhänge! “ Leider wußte man den Ausgang ſolcher Dinge bisweilen ſo ſicher voraus, daß der Novelliſt auf einen be - drohten Liebhaber Beſchlag legen konnte während derſelbe noch lebendig herumlief. Der Arzt Antonio Bologna hatte ſich insgeheim mit der verwittweten Herzogin von Malfi, vom Hauſe Aragon, vermählt; bereits hatten ihre Brüder ſie und ihre Kinder wieder in ihre Gewalt bekommen und in einem Schloß ermordet. Antonio, der letzteres noch nicht wußte und mit Hoffnungen hingehalten wurde, befand ſich in Mailand, wo ihm ſchon gedungene Mörder auflauerten, und ſang in Geſellſchaft bei der Ippolita Sforza die Ge -2)Beichtvater der Gemahlin ſich vom Gatten beſtechen läßt und den Ehebruch verräth.443 ſchichte ſeines Unglückes zur Laute. Ein Freund des ge -6. Abſchnitt. nannten Hauſes, Delio, „ erzählte die Geſchichte bis zu dieſem Puncte dem Scipione Atellano und fügte bei, er werde dieſelbe in einer ſeiner Novellen behandeln, da er gewiß wiſſe, daß Antonio ermordet werden würde “. Die Art, wie dieß faſt unter den Augen Delio's und Atellano's eintraf, iſt bei Bandello (I, 26) ergreifend geſchildert.
Einſtweilen aber nehmen die Novelliſten doch fortwäh -Parteinahme des Novelliſten. rend Partei für alles Sinnreiche, Schlaue und Komiſche, was beim Ehebruch vorkömmt: mit Vergnügen ſchildern ſie das Verſteckſpiel in den Häuſern, die ſymboliſchen Winke und Botſchaften, die mit Kiſſen und Confect zum Voraus verſehenen Truhen, in welchen der Liebhaber verborgen und fortgeſchafft werden kann, u. dgl. m. Der betrogene Ehe - mann wird je Umſtänden ausgemalt als eine ohnehin von Hauſe aus lächerliche Perſon oder als ein furchtbarer Rächer; ein drittes giebt es nicht, es ſei denn, daß das Weib als böſe und grauſam und der Mann oder Liebhaber als un - ſchuldiges Opfer geſchildert werden ſoll. Man wird indeß bemerken, daß Erzählungen dieſer letztern Art nicht eigent - liche Novellen, ſondern nur Schreckensbeiſpiele aus dem wirklichen Leben ſind1)Ein Beiſpiel Bandello, Parte I, Nov. 4..
Mit der Hiſpaniſirung des italieniſchen Lebens im Ver - lauf des XVI. Jahrhunderts nahm die in den Mitteln höchſt gewaltſame Eiferſucht vielleicht noch zu, doch muß man dieſelbe unterſcheiden von der ſchon vorher vorhandenen, im Geiſt der italieniſchen Renaiſſance ſelbſt begründeten Vergeltung der Untreue. Mit der Abnahme des ſpaniſchen Cultureinfluſſes ſchlug dann die auf die Spitze getriebene Eiferſucht gegen Ende des XVII. Jahrhunderts in ihr Gegentheil um, in jene Gleichgültigkeit, welche den Cicisbeo als unentbehrliche Figur im Hauſe betrachtete und außer - dem noch einen oder mehrere Geduldete (Patiti) ſich gefal - len ließ.
4446. Abſchnitt. Wer will es nun unternehmen, die ungeheure SummeVergleichung mit andern Völkern. von Immoralität, welche in den geſchilderten Verhältniſſen liegt, mit dem zu vergleichen, was in andern Ländern ge - ſchah. War die Ehe z. B. in Frankreich während des XV. Jahrhunderts wirklich heiliger als in Italien? Die Fabliaux und Farcen erregen ſtarke Zweifel, und man ſollte glau - ben, daß die Untreue eben ſo häufig, nur der tragiſche Ausgang ſeltener geweſen, weil das Individuum mit ſeinen Anſprüchen weniger entwickelt war. Eher möchte zu Gunſten der germaniſchen Völker ein entſcheidendes Zeugniß vor - handen ſein, nämlich jene größere geſellſchaftliche Freiheit der Frauen und Mädchen, welche den Italienern in Eng - land und in den Niederlanden ſo angenehm auffiel. (S. 395, Anm.) Und doch wird man auch hierauf kein zu großes Gewicht legen dürfen. Die Untreue war gewiß ebenfalls ſehr häufig und der individuell entwickeltere Menſch treibt es auch hier bis zur Tragödie. Man ſehe nur wie die da - maligen nordiſchen Fürſten bisweilen auf den erſten Ver - dacht hin mit ihren Gemahlinnen umgehen.
Die vergeiſtigte Liebe.Innerhalb des Unerlaubten aber bewegte ſich bei den damaligen Italienern nicht nur das gemeine Gelüſte, nicht nur die dumpfe Begier des gewöhnlichen Menſchen, ſondern auch die Leidenſchaft der Edelſten und Beſten; nicht bloß weil die unverheiratheten Mädchen ſich außerhalb der Ge - ſellſchaft befanden, ſondern auch weil gerade der vollkom - mene Mann am ſtärkſten angezogen wurde von dem bereits durch die Ehe ausgebildeten weiblichen Weſen. Dieſe Männer ſind es, welche die höchſten Töne der lyriſchen Poeſie an - geſchlagen und auch in Abhandlungen und Dialogen von der verzehrenden Leidenſchaft ein verklärtes Abbild zu geben verſucht haben: l'amor divino. Wenn ſie über die Grau - ſamkeit des geflügelten Gottes klagen, ſo iſt damit nicht bloß die Hartherzigkeit der Geliebten oder ihre Zurückhal - tung gemeint, ſondern auch das Bewußtſein der Unrecht - mäßigkeit der Verbindung. Ueber dieſes Unglück ſuchen ſie445 durch jene Vergeiſtigung der Liebe ſich zu erheben, welche6. Abſchnitt. ſich an die platoniſche Seelenlehre anlehnt und in Pietro Bembo ihren berühmteſten Vertreter gefunden hat. Man hört ihn unmittelbar im dritten Buch ſeiner Aſolani, undPietro Bembo. mittelbar durch Caſtiglione, welcher ihm jene prachtvolle Schlußrede des vierten Buches des Cortigiano in den Mund legt. Beide Autoren waren im Leben keine Stoiker, aber in jener Zeit wollte es ſchon etwas heißen, wenn man ein berühmter und zugleich ein guter Mann war und dieſe Prädicate kann man Beiden nicht verſagen. Die Zeitge - noſſen nahmen das was ſie ſagten für wahrhaft gefühlt und ſo dürfen auch wir es nicht als bloßes Phraſenwerk verachten. Wer ſich die Mühe nimmt, die Rede im Cor - tigiano nachzuleſen, wird einſehen, wie wenig ein Excerpt einen Begriff davon geben könnte. Damals lebten in Italien einige vornehme Frauen, welche weſentlich durch Verhält - niſſe dieſer Art berühmt wurden, wie Giulia Gonzaga, Veronica da Coreggio und vor allen Vittoria Colonna. Das Land der ſtärkſten Wüſtlinge und der größten Spötter reſpectirte dieſe Gattung von Liebe und dieſe Weiber; Grö - ßeres läßt ſich nicht zu ihren Gunſten ſagen. Ob etwas Eitelkeit dabei war, ob Vittoria den ſublimirten Ausdruck hoffnungsloſer Liebe von Seiten der berühmteſten Männer Italiens gerne um ſich herum tönen hörte, wer mag es entſcheiden? Wenn die Sache ſtellenweiſe eine Mode wurde, ſo war es immerhin kein Kleines, daß Vittoria wenigſtens nicht aus der Mode kam und daß ſie in der ſpäteſten Zeit noch die ſtärkſten Eindrücke hervorbrachte. — Es dauerte lange, bis andere Länder irgend ähnliche Erſcheinungen aufwieſen.
Die Phantaſie, welche dieſes Volk mehr als ein anderes beherrſcht, iſt dann überhaupt eine allgemeine Urſache davon, daß jede Leidenſchaft in ihrem Verlauf überaus heftig und je nach Umſtänden verbrecheriſch in den Mitteln wird. 4466. Abſchnitt. Man kennt eine Heftigkeit der Schwäche, die ſich nicht be - herrſchen kann; hier dagegen handelt es ſich um eine Aus - artung der Kraft. Bisweilen knüpft ſich daran eine Ent - wicklung ins Coloſſale; das Verbrechen gewinnt eine eigene, perſönliche Conſiſtenz.
Allgemeiner Frevelſinn.Schranken giebt es nur noch wenige. Der Gegenwir - kung des illegitimen, auf Gewalt gegründeten Staates mit ſeiner Polizei fühlt ſich Jedermann, auch das gemeine Volk, innerlich entwachſen, und an die Gerechtigkeit der Juſtiz glaubt man allgemein nicht mehr. Bei einer Mordthat iſt, bevor man irgend die nähern Umſtände kennt, die Sympathie un - willkürlich auf Seiten des Mörders1)Piaccia al Signore Iddio che non si ritrovi, ſagen bei Giraldi III, Nov. 10 die Frauen im Hauſe, wenn man ihnen erzählt, die That könne den Mörder den Kopf koſten.. Ein männliches, ſtolzes Auftreten vor und während der Hinrichtung erregt vollends ſolche Bewunderung, daß die Erzähler darob leicht vergeſſen zu melden, warum der Betreffende verurtheilt war2)Dieß begegnet z. B. Gioviano Pontano (de fortitudine, L. II. ); ſeine heldenmüthigen Ascolaner, welche noch die letzte Nacht hindurch tanzen und ſingen, die abruzzeſiſche Mutter, welche den Sohn auf dem Gang zum Richtplatz aufheitert u. ſ. w. gehören vermuthlich in Räuberfamilien, was er jedoch übergeht.. Wenn aber irgendwo zu der innerlichen Verachtung der Juſtiz und zu den vielen aufgeſparten Vendetten noch die Straf - loſigkeit hinzutritt, etwa in Zeiten politiſcher Unruhen, dann ſcheint ſich bisweilen der Staat und das bürgerliche Leben auflöſen zu wollen. Solche Momente hatte Neapel beim Uebergang von der aragoneſiſchen auf die franzöſiſche und auf die ſpaniſche Herrſchaft, ſolche hatte auch Mailand bei der mehrmaligen Vertreibung und Wiederkehr der Sforza. Da kommen jene Menſchen zum Vorſchein, welche den Staat und die Geſellſchaft insgeheim niemals anerkannt haben und nun ihre räuberiſche und mörderiſche Selbſtſucht ganz ſouverän walten laſſen. Betrachten wir beiſpielshalber ein Bild dieſer Art aus einem kleinern Kreiſe.
447Als das Herzogthum Mailand bereits um 1480 durch6. Abſchnitt. die innern Kriſen nach dem Tode des Galeazzo MariaAllgemeiner Frevelſinn. Sforza erſchüttert war, hörte in den Provinzialſtädten jede Sicherheit auf. So in Parma1)Diarium Parmense, bei Murat. XXII, Col. 330 bis 349 passim. , wo der mailändiſche Gubernator, durch Mordanſchläge in Schrecken geſetzt, ſich die Freilaſſung furchtbarer Menſchen abdringen ließ, wo Einbrüche, Demolitionen von Häuſern, öffentliche Mord - thaten etwas Gewöhnliches wurden, wo zuerſt maskirte Verbrecher einzeln, dann ohne Scheu jede Nacht große be - waffnete Schaaren herumzogen; dabei circulirten frevelhafte Späße, Satiren, Drohbriefe und es erſchien ein Spott - ſonett gegen die Behörden, welches dieſelben offenbar mehr empörte als der entſetzliche Zuſtand ſelbſt. Daß in vielen Kirchen die Tabernakel ſammt den Hoſtien geraubt wurden, verräth noch eine beſondere Farbe und Richtung jener Ruch - loſigkeit. Nun iſt es wohl unmöglich zu errathen, was in jedem Lande der Welt auch heute geſchehen würde, wenn Regierung und Polizei ihre Thätigkeit einſtellten und den - noch durch ihr Daſein die Bildung eines proviſoriſchen Re - gimentes unmöglich machten, allein was damals in Italien bei ſolchen Anläſſen geſchah, trägt doch wohl einen beſondern Character durch ſtarke Einmiſchung der Rache.
Im Allgemeinen macht das Italien der Renaiſſance den Eindruck, als ob auch in gewöhnlichen Zeiten die gro - ßen Verbrechen häufiger geweſen wären als in andern Ländern. Freilich könnte uns wohl der Umſtand täuſchen, daß wir hier verhältnißmäßig weit mehr Specielles davon erfahren als irgend anderswo und daß dieſelbe Phantaſie, welche auf das thatſächliche Verbrechen wirkt, auch das nichtgeſchehene erſinnt. Die Summe der Gewaltthaten war vielleicht anderswo dieſelbe. Ob der Zuſtand z. B. in dem kraftvollen, reichen Deutſchland um 1500, mit ſeinen kühnen Landſtreichern, gewaltigen Bettlern und wegelagernden Rittern4486. Abſchnitt. im Ganzen ſicherer geweſen, ob das Menſchenleben weſent - lich beſſer garantirt war, läßt ſich ſchwer ermitteln. Aber ſo viel iſt ſicher, daß das prämeditirte, beſoldete, durch dritte Hand geübte, auch das zum Gewerb gewordene Ver - brechen in Italien eine große und ſchreckliche Ausdehnung gewonnen hatte.
Räuberweſen.Blicken wir zunächſt auf das Räuberweſen, ſo wird vielleicht Italien damals nicht mehr, in glücklichern Gegenden wie z. B. Toscana ſogar weniger davon heimgeſucht gewe - ſen ſein als die meiſten Länder des Nordens. Aber es giebt weſentlich italieniſche Figuren. Schwerlich findet ſich anderswo z. B. die Geſtalt des durch Leidenſchaft verwil - derten, allmälig zum Räuberhauptmann gewordenen Geiſt - lichen, wovon jene Zeit unter andern folgendes Beiſpiel liefert1)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 312. Man erinnert ſich dabei an die Bande des Prieſters, welcher einige Jahre vor 1837 die weſtliche Lombardie unſicher machte.. Am 12. Auguſt 1495 wurde in einen eiſernen Käfig außen am Thurm von S. Giuliano zu Ferrara ein - geſchloſſen der Prieſter Don Nicolò de' Pelegati von Fi - garolo. Derſelbe hatte zweimal ſeine erſte Meſſe geleſen; das erſtemal hatte er an demſelben Tage einen Mord be - gangen und war darauf in Rom abſolvirt worden; nachher tödtete er vier Menſchen und heirathete zwei Weiber, mit welchen er herumzog. Dann war er bei vielen Tödtungen anweſend, nothzüchtigte Weiber, führte andere mit Gewalt fort, übte Raub in Maſſe, tödtete noch Viele und zog im Ferrareſiſchen mit einer uniformirten bewaffneten Bande herum, Nahrung und Obdach mit Mord und Gewalt er - zwingend. — Wenn man ſich das Dazwiſchenliegende hin - zudenkt, ſo ergiebt ſich für den Prieſter eine ungeheure Summe des Frevels. Es gab damals überall viele Mörder und andere Miſſethäter unter den ſo wenig beaufſichtigten und ſo hoch privilegirten Geiſtlichen und Mönchen, aber449 kaum einen Pelegati. Etwas Anderes, obwohl auch nichts6. Abſchnitt. Rühmliches, iſt es, wenn verlorene Menſchen ſich in die Kutte ſtecken dürfen um der Juſtiz zu entgehen, wie z. B. jener Corſar, den Maſſuccio in einem Kloſter zu Neapel kannte1)Massuccio, Nov. 29. Es verſteht ſich, daß der Betreffende auch in der Liebſchaft am meiſten Glück hat.. Wie es ſich mit Papſt Johann XXIII. in dieſer Beziehung verhielt, iſt nicht näher bekannt2)Wenn er in ſeiner Jugend als Corſar in dem Krieg der beiden Li - nien von Anjou um Neapel auftrat, ſo kann er dieß als politiſcher Parteigänger gethan haben, was nach damaligen Begriffen keine Schande brachte. Der Erzbiſchof Paolo Fregoſo von Genua hat ſich vielleicht in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts viel mehr erlaubt..
Die Zeit der individuell berühmten Räuberhauptleute beginnt übrigens erſt ſpäter, im XVII. Jahrhundert, als die politiſchen Gegenſätze, Guelfen und Ghibellinen, Spa - nier und Franzoſen, das Land nicht mehr in Bewegung ſetzten; der Räuber löst den Parteigänger ab.
In gewiſſen Gegenden von Italien, wo die CulturVerwilderte Bauern. nicht hindrang, waren die Landleute permanent mörderiſch gegen Jeden von draußen, der ihnen in die Hände fiel. So namentlich in den entlegenern Theilen des Königreiches Neapel, wo eine uralte Verwilderung vielleicht ſeit der rö - miſchen Latifundienwirthſchaft ſich erhalten hatte, und wo man den Fremden und den Feind, hospes und hostis, noch in aller Unſchuld für gleichbedeutend halten mochte. Dieſe Leute waren gar nicht irreligiös; es kam vor, daß ein Hirt voll Angſt im Beichtſtuhl erſchien, um zu bekennen, daß ihm während der Faſten beim Käſemachen ein paar Tropfen Milch in den Mund gekommen. Freilich fragte der ſittenkundige Beichtvater bei dieſem Anlaß auch noch aus ihm heraus, daß er oft mit ſeinen Gefährten Reiſende beraubt und ermordet hatte, nur daß dieß als etwas Land -Cultur der Renaiſſance. 294506. Abſchnitt. übliches keine Gewiſſensbiſſe rege machte1)Poggio, Facetiæ, fol. 164. Wer das heutige Neapel kennt, hat vielleicht eine ähnliche Farce aus einem andern Lebensgebiet erzählen hören.. Wie ſehr in Zeiten politiſcher Unruhen die Bauern auch anderswo ver - wildern konnten, iſt bereits (S. 351) angedeutet worden.
Der bezahlte Mord.Ein ſchlimmeres Zeichen der damaligen Sitte als die Räuberei iſt die Häufigkeit der bezahlten, durch dritte Hand geübten Verbrechen. Darin ging zugeſtandener Maßen Neapel allen andern Städten voran. „ Hier iſt gar nichts billiger zu kaufen als ein Menſchenleben “, ſagt Pontano2)Jovian. Pontani Antonius: nec est quod Neapoli quam ho - minis vita minoris vendatur. Freilich meint er, das ſei unter den Anjou noch nicht ſo geweſen; sicam ab iis — den Aragoneſen — accepimus. Den Zuſtand um 1534 bezeugt Benv. Cellini I, 70.. Aber auch andere Gegenden weiſen eine furchtbare Reihe von Miſſethaten dieſer Art auf. Man kann dieſelben na - türlich nur ſchwer nach den Motiven ſondern, indem poli - tiſche Zweckmäßigkeit, Parteihaß, perſönliche Feindſchaft, Rache und Furcht durcheinander wirkten. Es macht den Florentinern die größte Ehre, daß damals bei ihnen, dem höchſtentwickelten Volke von Italien, dergleichen am we - nigſten vorkömmt3)Einen eigentlichen Nachweis wird Niemand hierüber leiſten können, allein es wird wenig Merd erwähnt und die Phantaſie der flerentin. Schriftſteller der guten Zeit iſt nicht mit Verdacht dieſer Art erfüllt., vielleicht weil es für berechtigte Be - ſchwerden noch eine Juſtiz gab, die man anerkannte, oder weil die höhere Cultur den Menſchen eine andere Anſicht verlieh über das verbrecheriſche Eingreifen in das Rad des Schickſals; wenn irgendwo ſo erwog man in Florenz wie eine Blutſchuld unberechenbar weiter wirkt und wie wenig der Anſtifter auch bei einem ſogenannten nützlichen Ver - brechen eines überwiegenden und dauernden Vortheils ſicher iſt. Nach dem Untergang der florentiniſchen Freiheit ſcheint der Meuchelmord, hauptſächlich der gedungene, raſch zuge -451 nommen zu haben, bis die Regierung Coſimo's I. ſo weit6. Abſchnitt. zu Kräften kam, daß ſeine Polizei1)Ueber dieſe ſ. die Relation des Fedeli bei Albèri, Relazioni, serie II, vol. I, p. 353, s. allen Miſſethaten ge - wachſen war.
Im übrigen Italien wird das bezahlte VerbrechenFürſtliche Mordſtifter. häufiger oder ſeltener geweſen ſein, je nachdem zahlungs - fähige hochgeſtellte Anſtifter vorhanden waren. Es kann Niemanden einfallen, dergleichen ſtatiſtiſch zuſammenzufaſſen, allein wenn von all den Todesfällen, die das Gerücht als gewaltſam herbeigeführt betrachtete, auch nur ein kleiner Theil wirkliche Mordthaten waren, ſo macht dieß ſchon eine große Summe aus. Fürſten und Regierungen gaben aller - dings das ſchlimmſte Beiſpiel: ſie machten ſich gar kein Bedenken daraus, den Mord unter die Mittel ihrer All - macht zu zählen. Es bedurfte dazu noch keines Ceſare Borgia; auch die Sforza, die Aragoneſen, ſpäter auch die Werkzeuge Carls V. erlaubten ſich was zweckmäßig ſchien.
Die Phantaſie der Nation erfüllte ſich allmälig derge -Die Vergiftungen. ſtalt mit Vorausſetzungen dieſer Art, daß man bei Mäch - tigen kaum mehr an einen natürlichen Tod glaubte. Freilich machte man ſich von der Wirkungskraft der Gifte bisweilen fabelhafte Vorſtellungen. Wir wollen glauben, daß jenes furchtbare weiße Pulver (S. 118) der Borgia auf beſtimmte Termine berechnet werden konnte, und ſo mag auch das - jenige Gift wirklich ein venenum atterminatum geweſen ſein, welches der Fürſt von Salerno dem Cardinal von Aragon reichte mit den Worten: „ in wenigen Tagen wirſt „ du ſterben weil dein Vater König Ferrante uns alle hat „ zertreten wollen “2)Infessura, bei Eccard, scriptores II, Col. 1956.. Aber der vergiftete Brief, welchen Caterina Riario an Papſt Alexander VI. ſandte3)Chron. venetum, bei Murat. XXIV, Col. 131., würde dieſen ſchwerlich umgebracht haben, auch wenn er ihn ge -29*4526. Abſchnitt. leſen hätte; und als Alfons der Große von den Aerzten gewarnt wurde, ja nicht in dem Livius zu leſen, den ihm Coſimo de' Medici überſandte, antwortete er ihnen gewiß mit Recht: höret auf ſo thöricht zu reden1)Petr. Crinitus de honesta disciplina, L. XVIII, cap. 9.. Vollends hätte jenes Gift nur ſympathetiſch wirken können, womit der Secretär Piccinino's den Tragſtuhl des Papſtes Pius II. nur ein wenig anſtreichen wollte2)Pii II. comment. L. XI, p. 562. — Jo. Ant. Campanus: vita Pii II, bei Murat. III, II, Col. 988.. Wie weit es ſich durch - ſchnittlich um mineraliſche oder Pflanzengifte handelte, läßt ſich nicht beſtimmen; die Flüſſigkeit, mit welcher der Maler Roſſo Fiorentino (1541) ſich das Leben nahm, war offen - bar eine heftige Säure3)Vasari IX, 82, vita di Rosso. — Ob in unglücklichen Ehen mehr wirkliche Vergiftungen oder mehr Beſorgniſſe vor ſolchen vorherrſch - ten, mag unentſchieden bleiben. Vgl. Bandello, II, Nov. 5 u. 54. Sehr bedenklich lautet II, Nov. 40. In einer und derſelben weſt - lombardiſchen Stadt, die nicht näher bezeichnet wird, leben zwei Giftköche; ein Gemahl, der ſich von der Echtheit der Verzweiflung ſeiner Frau überzeugen will, läßt ſie einen vermeintlich giftigen Trank, der aber nur ein gefärbtes Waſſer iſt, wirklich austrinken und darauf verſöhnt ſich das Ehepaar. — In der Familie des Cardanus allein waren vier Vergiftungen vorgekommen. De propria vita, cap. 30. 50., welche man keinem Andern hätteDie Bravi. unbemerkt beibringen können. — Für den Gebrauch der Waffen, zumal des Dolches, zu heimlicher Gewaltthat hatten die Großen in Mailand, Neapel und anderswo leider einen unaufhörlichen Anlaß, indem unter den Schaaren von Be - waffneten, welche ſie zu ihrem eigenen Schutze nöthig hatten, ſchon durch den bloßen Müſſiggang hie und da ſich eine wahre Mordluſt ausbilden mußte. Manche Gräuelthat wäre wohl unterblieben wenn der Herr nicht gewußt hätte, daß es bei Dieſem und Jenem aus ſeinem Gefolge nur eines Winkes bedürfe.
453Unter den geheimen Mitteln des Verderbens kommt —6. Abſchnitt. wenigſtens der Abſicht nach — auch die Zauberei vor1)Maleficien z. B. gegen Leonello von Ferrara ſ. Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 194 ad a. 1445. Während man dem Thäter, einem gew. Benato, der auch ſonſt übelberüchtigt war, auf der Piazza das Urtheil vorlas, erhob ſich ein Lärm in der Luft und ein Erdbeben, ſodaß männiglich davon lief oder zu Boden ſtürzte. — Was Guicciardini (L. I.) über den böſen Zauber des Lodovico Moro gegen ſeinen Neffen Giangaleazzo ſagt, mag auf ſich beruhen., doch nur in ſehr untergeordneter Weiſe. Wo etwa male - ficii, malie u. dgl. erwähnt werden, geſchieht es meiſt, um auf ein ohnehin gehaßtes oder abſcheuliches Individuum alle erdenklichen Schrecken zu häufen. An den Höfen von Frankreich und England im XIV. und XV. Jahrhundert ſpielt der verderbliche, tödtliche Zauber eine viel größere Rolle als unter den höhern Ständen von Italien.
Endlich erſcheinen in dieſem Lande, wo das Indivi -Die abſoluten Böſewichter. duelle in jeder Weiſe culminirt, einige Menſchen von ab - ſoluter Ruchloſigkeit, bei welchen das Verbrechen auftritt um ſeiner ſelber willen, nicht mehr als Mittel zu einem Zweck, oder wenigſtens als Mittel zu Zwecken, welche ſich aller pſychologiſchen Norm entziehen.
Zu dieſen entſetzlichen Geſtalten ſcheinen zunächſt auf den erſten Anblick einige Condottieren zu gehören2)Man könnte vor Allem Ezzelino da Romano nennen, wenn derſelbe nicht offenbar unter der Herrſchaft ehrgeiziger Zwecke und eines ſtar - ken aſtrologiſchen Wahns gelebt hätte., ein Braccio von Montone, ein Tiberto Brandolino, und ſchon ein Werner von Urslingen, deſſen ſilbernes Bruſtſchild die Inſchrift trug: Feind Gottes, des Mitleids und der Barm - herzigkeit. Daß dieſe Menſchenclaſſe im Ganzen zu den frühſten völlig emancipirten Frevlern gehörte, iſt gewiß. Man wird jedoch behutſamer urtheilen, ſobald man inne wird, daß das allerſchwerſte Verbrechen derſelben — nach dem Sinne der Aufzeichner — im Trotz gegen den geiſt -4546. Abſchnitt. lichen Bann liegt und daß die ganze Perſönlichkeit erſt von da aus mit jenem fahlen, unheimlichen Lichte beſtrahlt er - erſcheint. Bei Braccio war dieſe Geſinnung allerdings ſo weit ausgebildet, daß er z. B. über pſallirende Mönche in Wuth gerathen konnte und ſie von einem Thurm herunter werfen ließ1)Giornali napoletani, bei Muratori XXI, Col. 1092, ad a. 1425., „ allein gegen ſeine Soldaten war er doch loyal und ein großer Feldherr “. Ueberhaupt werden die Verbrechen der Condottieren meiſt um des Vortheils willen begangen worden ſein, auf Antrieb ihrer höchſt demorali - ſirenden Stellung, und auch die ſcheinbar muthwillige Grauſamkeit möchte in der Regel ihren Zweck gehabt haben, wäre es auch nur der einer allgemeinen Einſchüchterung geweſen. Die Grauſamkeiten der Aragoneſen hatten, wie wir (S. 35) ſahen, ihre Hauptquelle in Rachſucht und Angſt. Einen unbedingten Blutdurſt, eine teufliſche Luſt am Verderben wird man am eheſten bei dem Spanier Ce - ſare Borgia finden, deſſen Gräuel die vorhandenen Zwecke in der That um ein Bedeutendes überſchreiten (S. 113, ff.). Sig. Malateſta.Sodann iſt eine eigentliche Luſt am Böſen in Sigismondo Malateſta, dem Gewaltherrſcher von Rimini (S. 33 und 223, f.) erkennbar; es iſt nicht nur die römiſche Curie2)Pii II, comment. L. VII, p. 338. ſon - dern auch das Urtheil der Geſchichte, welches ihm Mord, Nothzucht, Ehebruch, Blutſchande, Kirchenraub, Meineid und Verrath und zwar in wiederholten Fällen Schuld giebt; das Gräßlichſte aber, die verſuchte Nothzucht am eigenen Sohn Roberto, welche dieſer mit gezücktem Dolche zurück - wies3)Jovian. Pontan. de immanitate, wo auch von Sigismondo's Schwängerung der eigenen Tochter u. dgl. die Rede iſt., möchte doch wohl nicht bloß Sache der Verworfen - heit ſondern eines aſtrologiſchen oder magiſchen Aberglaubens geweſen ſein. Daſſelbe hat man ſchon vermuthet, um die455 Nothzüchtigung des Biſchofs von Fano1)Varchi, storie fiorentine, am Ende (Wenn das Werk unver - ſtümmelt abgedruckt iſt, wie z. B. in der Mailänder Ausgabe.) durch Pierluigi6. Abſchnitt. Farneſe von Parma, Sohn Paul's III., zu erklären.
Wenn wir uns nun erlauben dürften die HauptzügeSittlichkeit und Individualis - mus. des damaligen italieniſchen Characters, wie er uns aus dem Leben der höhern Stände überliefert iſt, zuſammen - zufaſſen, ſo würde ſich etwa Folgendes ergeben. Der Grundmangel dieſes Characters erſcheint zugleich als die Bedingung ſeiner Größe: der entwickelte Individualismus. Dieſer reißt ſich zuerſt innerlich los von dem gegebenen, meiſt tyranniſchen und illegitimen Staatsweſen und was er nun ſinnt und thut, das wird ihm zum Verrath angerechnet, mit Recht oder mit Unrecht. Beim Anblick des ſiegreichen Egoismus unternimmt er ſelbſt, in eigener Sache, die Ver - theidigung des Rechtes und verfällt durch die Rache, die er übt, den dunkeln Gewalten, während er ſeinen innern Frieden herzuſtellen glaubt. Seine Liebe wendet ſich am eheſten einem andern entwickelten Individualismus zu, nämlich der Gattinn ſeines Nächſten. Gegenüber von allem Objectiven, von Schranken und Geſetzen jeder Art hat er das Gefühl eigener Souveränetät und entſchließt ſich in jedem einzelnen Fall ſelbſtändig, je nachdem in ſeinem In - nern Ehrgefühl und Vortheil, kluge Erwägung und Leiden - ſchaft, Entſagung und Rachſucht ſich vertragen.
Wenn nun die Selbſtſucht im weitern wie im engſten Sinne Wurzel und Hauptſtamm alles Böſen iſt, ſo wäre ſchon deßhalb der entwickelte Italiener damals dem Böſen näher geweſen als andere Völker.
Aber dieſe individuelle Entwicklung kam nicht durch ſeine Schuld über ihn, ſondern durch einen weltgeſchicht - lichen Rathſchluß; ſie kam auch nicht über ihn allein, ſon - dern weſentlich vermittelſt der italieniſchen Cultur auch über4566. Abſchnitt. alle andern Völker des Abendlandes und iſt ſeitdem das höhere Medium, in welchem dieſelben leben. Sie iſt an ſich weder gut noch böſe, ſondern nothwendig; innerhalb derſelben entwickelt ſich ein modernes Gutes und Böſes, eine ſittliche Zurechnung, welche von der des Mittelalters weſentlich verſchieden iſt.
Der Italiener der Renaiſſance aber hatte das erſte gewaltige Daherwogen dieſes neuen Weltalters zu beſtehen. Mit ſeiner Begabung und ſeinen Leidenſchaften iſt er für alle Höhen und alle Tiefen dieſes Weltalters der kennt - lichſte, bezeichnendſte Repräſentant geworden; neben tiefer Verworfenheit entwickelt ſich die edelſte Harmonie des Per - ſönlichen und eine glorreiche Kunſt, welche das individuelle Leben verherrlichte, wie weder Alterthum noch Mittelalter dieß wollten oder konnten.
Die Religion.Mit der Sittlichkeit eines Volkes ſteht in engſtem Zu - ſammenhange die Frage nach ſeinem Gottesbewußtſein, d. h. nach ſeinem größern oder geringern Glauben an eine göttliche Leitung der Welt, mag nun dieſer Glaube die Welt für eine zum Glück oder zum Jammer und baldigen Untergang beſtimmte halten1)Worüber natürlich je nach Ort und Menſchen ganz verſchiedene Stimmungen laut werden. Die Renaiſſance hat Städte und Zeiten gehabt, wo ein entſchiedener, friſcher Genuß des Glückes vorherrſchte. Eine allgemeine Verdüſterung der Denkenden beginnt erſt mit der entſchiedenen Fremdherrſchaft im XVI. Jahrhundert ſich kenntlich zu machen.. Nun iſt der damalige italieniſche Unglaube im Allgemeinen höchſt berüchtigt und wer ſich noch die Mühe eines Beweiſes nimmt, hat es leicht hunderte von Ausſagen und Beiſpielen zuſammenzuſtellen. Unſere Aufgabe iſt auch hier, zu ſondern und zu unter - ſcheiden; ein abſchließendes Geſammturtheil werden wir uns auch hier nicht erlauben.
457Das Gottesbewußtſein der frühern Zeit hatte ſeine6. Abſchnitt. Quelle und ſeinen Anhalt im Chriſtenthum und in deſſen äußerer Machtgeſtalt, der Kirche gehabt. Als die Kirche ausartete, hätte die Menſchheit diſtinguiren und ihre Reli - gion trotz Allem behaupten ſollen. Aber ein ſolches Po - ſtulat läßt ſich leichter aufſtellen als erfüllen. Nicht jedes Volk iſt ruhig oder ſtumpfſinnig genug, um einen dauernden Widerſpruch zwiſchen einem Princip und deſſen äußerer Darſtellung zu ertragen. Die ſinkende Kirche iſt es, auf welche jene ſchwerſte Verantwortlichkeit fällt, die je in der Geſchichte vorgekommen iſt: ſie hat eine getrübte und zum Vortheil ihrer Allmacht entſtellte Lehre mit allen Mitteln der Gewalt als reine Wahrheit durchgeſetzt, und im Gefühl ihrer Unantaſtbarkeit ſich der ſchwerſten Entſittlichung über - laſſen; ſie hat, um ſich in ſolchem Zuſtande zu behaupten, gegen den Geiſt und das Gewiſſen der Völker tödtliche Streiche geführt und viele von den Höherbegabten, welche ſich ihr innerlich entzogen, dem Unglauben und der Ver - bitterung in die Arme getrieben.
Hier ſtellt ſich uns auf dem Wege die Frage entgegen:Mangel einer Reformation. warum das geiſtig ſo mächtige Italien nicht kräftiger gegen die Hierarchie reagirt, warum es nicht eine Reformation gleich der deutſchen und vor derſelben zu Stande gebracht habe?
Es giebt eine ſcheinbare Antwort: die Stimmung Ita - liens habe es nicht über die Verneinung der Hierarchie hinausgebracht, während Urſprung und Unbezwingbarkeit der deutſchen Reformation den poſitiven Lehren, zumal von der Rechtfertigung durch den Glauben und vom Unwerth der guten Werke, verdankt werde.
Es iſt gewiß, daß dieſe Lehren erſt von Deutſchland her auf Italien wirkten, und zwar viel zu ſpät, als die ſpaniſche Macht bei weitem groß genug war, um theils unmittelbar, theils durch das Papſtthum und deſſen Werk - zeuge Alles zu erdrücken. Aber ſchon in den frühern reli - giöſen Bewegungen Italiens von den Myſtikern des XIII. 4586. Abſchnitt. Jahrhunderts bis auf Savonarola war auch ſehr viel po - ſitiver Glaubensinhalt, dem zur Reife nichts als das Glück fehlte. Coloſſale Ereigniſſe wie die Reform des XVI. Jahrhunderts entziehen ſich wohl überhaupt, was das Ein - zelne, den Ausbruch und Hergang betrifft, aller geſchichts - philoſophiſchen Deduction, ſo klar man auch ihre Nothwendig - keit im Großen und Ganzen erweiſen kann. Die Bewegungen des Geiſtes, ihr plötzliches Aufblitzen, ihre Verbreitung, ihr Innehalten ſind und bleiben unſern Augen wenigſtens in - ſoweit ein Räthſel, als wir von den dabei thätigen Kräften immer nur dieſe und jene, aber niemals alle kennen.
Stellung zur Kirche.Die Stimmung der höhern und mittlern Stände Ita - liens gegen die Kirche zur Zeit der Höhe der Renaiſſance iſt zuſammengeſetzt aus tiefem, verachtungsvollem Unwillen, aus Accommodation an die Hierarchie inſofern ſie auf alle Weiſe in das äußere Leben verflochten iſt, und aus einem Gefühl der Abhängigkeit von den Sacramenten, Weihen und Segnungen. Als etwas für Italien ſpeciell Bezeich - nendes dürfen wir noch die große individuelle Wirkung heiliger Prediger beifügen.
Zur Hierarchie.Ueber den antihierarchiſchen Unwillen der Italiener, wie er ſich zumal ſeit Dante in Literatur und Geſchichte offenbart, ſind eigene umfangreiche Arbeiten vorhanden. Von der Stellung des Papſtthums zur öffentlichen Meinung haben wir ſelber oben (S. 103, f., 216) einige Rechenſchaft geben müſſen, und wer das Stärkſte aus erlauchten Quellen ſchöpfen will, der kann die berühmten Stellen in Macchia - vell's Discorſi und in (dem unverſtümmelten) Guicciardini nachleſen. Außerhalb der römiſchen Curie genießen noch am eheſten die beſſern Biſchöfe einigen ſittlichen Reſpect1)Man beachte, daß die Novelliſten u. a. Spötter der Biſchöfe beinahe gar nicht gedenken, während man ſie, allenfalls mit verändertem Ortsnamen, hätte durchziehen können wie die andern. Dieß geſchieht,459 auch manche Pfarrer; dagegen ſind die bloßen Pfründner,6. Abſchnitt. Chorherren und Mönche faſt ohne Ausnahme verdächtig und oft mit der ſchmachvollſten Nachrede, die den ganzen be - treffenden Stand umfaßt, übel beladen.
Man hat ſchon behauptet, die Mönche ſeien zum Sün -Die Bettelmönche. denbock für den ganzen Clerus geworden, weil man nur über ſie gefahrlos habe ſpotten dürfen1)Foscolo, Discorso sul testo del Decamerone: Ma de' preti in dignità niuno poteva far motto senza pericolo; onde ogni frate fu l'irco delle iniquità d'Israele etc. . Allein dieß iſt auf alle Weiſe irrig. In den Novellen und Comödien kommen ſie deßhalb vorzugsweiſe vor, weil dieſe beiden Literaturgattungen ſtehende, bekannte Typen lieben, bei welchen die Phantaſie leicht das nur Angedeutete ergänzt. Sodann ſchont die Novelle auch den Weltclerus nicht2)Bandello präludirt z. B. II, Nov. 1, damit: das Laſter der Habſucht ſtehe Niemanden ſchlechter an als den Prieſtern, welche ja für keine Familie ꝛc. zu ſorgen hätten. Mit dieſem Raiſonnement wird der ſchmähliche Ueberfall eines Pfarrhauſes gerechtfertigt, wobei ein junger Herr durch zwei Soldaten oder Banditen einem zwar geizigen aber gichtbrüchigen Pfarrer einen Hammel ſtehlen läßt. Eine ein - zige Geſchichte dieſer Art zeigt die Vorausſetzungen, unter welchen man lebte und handelte, genauer an als alle Abhandlungen. Drittens beweiſen zahlloſe Aufzeichnungen aus der ganzen übrigen Literatur, wie keck über das Papſtthum und die römiſche Curie öffentlich geredet und geurtheilt wurde; in den freien Schöpfungen der Phantaſie muß man aber der - gleichen nicht erwarten. Viertens konnten ſich auch die Mönche bisweilen furchtbar rächen.
So viel iſt immerhin richtig, daß gegen die Mönche der Unwille am ſtärkſten war, und daß ſie als lebendiger Beweis figurirten von dem Unwerth des Kloſterlebens, der ganzen geiſtlichen Einrichtung, des Glaubensſyſtems, ja der1)z. B. bei Bandello II, Nov. 45; doch ſchildert er II, 40 auch einen tugendbaften Biſchof. Gioviano Pontano im „ Charon “läßt den Schatten eines üppigen Biſchofs „ mit Entenſchritt “daherwatſcheln.4606. Abſchnitt. Religion überhaupt, je nachdem man die Folgerungen mit Recht oder Unrecht auszudehnen beliebte. Man darf hiebei wohl annehmen, daß Italien eine deutlichere Erinnerung von dem Aufkommen der beiden großen Bettelorden bewahrt hatte als andere Länder, daß es noch ein Bewußtſein davon beſaß, dieſelben ſeien urſprünglich die Träger jener Reaction1)Giov. Villani III, 29 ſagt dieß ſehr deutlich ein Jahrh. ſpäter. gegen das was man die Ketzerei des XIII. Jahrhunderts nennt, d. h. gegen eine frühe ſtarke Regung des modernen italieniſchen Geiſtes. Und das geiſtliche Polizeiamt, welches den Dominicanern insbeſondere dauernd anvertraut blieb, hat gewiß nie ein anderes Gefühl rege gemacht als heim - lichen Haß und Hohn.
Hohn der No - velliſten.Wenn man den Decamerone und die Novellen des Franco Sacchetti liest, ſollte man glauben, die frevelhafte Rede gegen Mönche und Nonnen wäre erſchöpft. Aber gegen die Zeit der Reformation hin ſteigert ſich dieſer Ton noch um ein Merkliches. Gerne laſſen wir Aretino aus dem Spiel, da er in den Ragionamenti das Kloſterleben nur zum Vorwand braucht, um ſeinem eigenen Naturell den Zügel ſchießen zu laſſen. Aber einen Zeugen ſtatt aller müſſen wir hier nennen: Maſſuccio in den zehn erſten von ſeinen fünfzig Novellen. Sie ſind in der tiefſten Entrüſtung und mit dem Zweck dieſelbe zu verbreiten geſchrieben und den vornehmſten Perſonen, ſelbſt dem König Ferrante und dem Prinzen Alfonſo von Neapel dedicirt. Die Geſchichten ſelbſt ſind zum Theil älter und einzelne ſchon aus Boccaccio bekannt; anderes aber hat eine furchtbare neapolitaniſche Actualität. Die Bethörung und Ausſaugung der Volks - maſſen durch falſche Wunder, verbunden mit einem ſchänd - lichen Wandel, bringen hier einen denkenden Zuſchauer zu einer wahren Verzweiflung. Von herumziehenden Minoriten Conventualen heißt es: „ Sie betrügen, rauben und huren, und wo ſie nicht mehr weiter wiſſen, ſtellen ſie ſich als461 Heilige und thun Wunder, wobei der Eine das Gewand6. Abſchnitt. von S. Vincenzo, der Andere die Schrift1)L'Ordine. Wahrſcheinlich iſt ſeine Tafel mit dem Motto IHS gemeint. S. Bernar -Die Bettel - mönche in den Novellen. dino's, ein Dritter den Zaum von Capiſtrano's Eſel vor - zeigt. “.. Andere „ beſtellen ſich Helfershelfer, welche, ſchein - bar blind oder todtkrank, durch Berührung des Saumes ihrer Kutte oder der mitgebrachten Reliquien plötzlich mitten im Volksgewühl geneſen; dann ſchreit Alles Miſericordia! man läutet die Glocken und nimmt lange feierliche Proto - colle auf. “ Es kommt vor, daß ein Mönch auf der Kanzel von einem andern, welcher unter dem Volke ſteht, keck als Lügner angeſchrien wird; dann aber fühlt ſich der Rufende plötzlich von Beſeſſenheit ergriffen, worauf ihn der Prediger bekehrt und heilt — Alles reine Comödie. Der Betreffende mit ſeinem Helfershelfer ſammelte ſo viel Geld, daß er von einem Cardinal ein Bisthum kaufen konnte, wo beide ge - mächlich auslebten. Maſſuccio macht keinen beſonderen Un - terſchied zwiſchen Franciscanern und Dominicanern, indem beide einander werth ſeien. „ Und da läßt ſich das unver - nünftige Publicum noch in ihren Haß und ihre Parteiung hineinziehen und ſtreitet darüber auf öffentlichen Plätzen2)Er fügt hinzu: und in den seggi, d. h. den Vereinen, in welche der neapolitaniſche Adel getheilt war. — Die Rivalität der beiden Orden wird häufig lächerlich gemacht, z. B. Bandello III, Nov. 14. und theilt ſich in Franceschiner und Domenichiner! “ Die Nonnen gehören ausſchließlich den Mönchen; ſobald ſie ſich mit Laien abgeben, werden ſie eingekerkert und verfolgt, die andern aber halten mit Mönchen förmlich Hochzeit, wobei ſogar Meſſen geſungen, Contracte aufgeſetzt und Speiſe und Trank reichlich genoſſen werden. „ Ich ſelber, ſagt der Ver - faſſer, „ bin nicht ein ſondern mehrere Male dabei geweſen, habe es geſehen und mit Händen gegriffen. Solche Nonnen gebären dann entweder niedliche Mönchlein oder ſie treiben die Frucht ab. Und wenn Jemand behaupten möchte, dieß4626. Abſchnitt. ſei eine Lüge, ſo unterſuche er die Cloaken der Nonnen -Die Bettel - mönche in den Novellen. klöſter und er wird darin einen Vorrath von zarten Knöchlein finden nicht viel anders als in Bethlehem zu Herodes Zei - ten. “ Solche und andere Sachen birgt das Kloſterleben. Freilich machen einander die Mönche es in der Beichte bequem und dictiren ein Paternoſter für Dinge um derent - willen ſie einem Laien alle Abſolution verſagen würden gleich einem Ketzer. „ Darum öffne ſich die Erde und ver - ſchlinge ſolche Verbrecher lebendig ſammt ihren Gönnern. “ An einer andern Stelle äußert Maſſuccio, weil die Macht der Mönche doch weſentlich auf der Furcht vor dem Jenſeits beruhe, einen ganz merkwürdigen Wunſch: „ es gäbe keine beſſere Züchtigung für ſie, als wenn Gott recht bald das Fegefeuer aufhöbe; dann könnten ſie nicht mehr von Al - moſen leben und müßten wieder zur Hacke greifen “.
Wenn man unter Ferrante und an ihn ſo ſchreiben durfte, ſo hing dieß vielleicht damit zuſammen, daß der König durch ein auf ihn gemünztes falſches Wunder er - bittert war1)Für das Folgende vgl. Jovian. Pontan. de sermone, L. II. und Bandello, Parte I, Nov. 32.. Man hatte ihn durch eine bei Tarent ver - grabene und hernach gefundene Bleitafel mit Inſchrift zu einer Judenverfolgung ähnlich der ſpaniſchen zu zwingen geſucht, und, als er den Betrug durchſchaute, ihm Trotz geboten. Auch einen falſchen Faſter hatte er entlarven laſſen, wie ſchon früher einmal ſein Vater König Alfonſo that. Der Hof hatte wenigſtens am dumpfen Aberglauben keine Mitſchuld2)Weßhalb auch ſonſt in ſeiner Nähe dieß Weſen offen denuncirt wer - den durfte. Vgl. auch Jovian. Pontan. : Antonius, und Charon. .
Wir haben einen Autor angehört, dem es Ernſt war, und er iſt lange nicht der einzige in ſeiner Art. Spott und Schimpf über die Bettelmönche ſind vollends maſſen - weiſe vorhanden und durchdringen die ganze Literatur. Man kann kaum daran zweifeln, daß die Renaiſſance binnen463 Kurzem mit dieſen Orden aufgeräumt haben würde, wenn6. Abſchnitt. nicht die deutſche Reformation und die Gegenreformation darüber gekommen wäre. Ihre populären Prediger und ihre Heiligen hätten ſie ſchwerlich gerettet. Es wäre nur darauf angekommen, daß man ſich mit einem Papſt, der die Bettelorden verachtete, wie z. B. Leo X., zu rechter Zeit verabredet hätte. Wenn der Zeitgeiſt ſie doch nur noch entweder komiſch oder abſcheulich fand, ſo waren ſie für die Kirche weiter nichts mehr als eine Verlegenheit. Und wer weiß, was damals dem Papſtthum ſelber bevorſtand, wenn die Reformation es nicht gerettet hätte.
Die Machtübung, welche ſich fortwährend der PaterDie dominica - niſche Inquiſi - tion. Inquiſitor eines Dominicanerkloſters über die betreffende Stadt erlaubte, war im ſpätern XV. Jahrhundert gerade noch groß genug um die Gebildeten zu geniren und zu empören, aber eine dauernde Furcht und Devotion ließ ſich nicht mehr erzwingen1)Die Geſchichte in Vasari V, p. 120, vita di Sandro Botticelli, zeigt, daß man bisweilen mit der Inquiſition Scherz trieb. Aller - dings kann der hier erwähnte Vicario ſowohl der des Erzbiſchofs als der des dominicaniſchen Inquiſitors geweſen ſein.. Bloße Geſinnungen zu ſtrafen wie vor Zeiten (S. 285, f.) war nicht mehr möglich, und vor eigentlichen Irrlehren konnte ſich auch Derjenige leicht hüten, der ſonſt gegen den ganzen Clerus als ſolchen die loſeſte Zunge führte. Wenn nicht eine mächtige Partei mithalf (wie bei Savonarola) oder böſer Zauber beſtraft werden ſollte (wie öfter in den oberitaliſchen Städten), ſo kam es am Ende des XV. und Anfang des XVI. Jahrhunderts nur noch ſelten bis zum Scheiterhaufen. In mehrern Fällen begnügten ſich die Inquiſitoren, wie es ſcheint, mit höchſt oberflächlichem Wiederruf, anderemale kam es ſogar vor, daß man ihnen den Verurtheilten auf dem Gange zum Richtplatz aus den Händen nahm. In Bologna (1452) war der Prieſter Nicolò da Verona als Necromant, Teufels - banner und Sacramentsſchänder bereits auf einer hölzernen4646. Abſchnitt. Bühne vor San Domenico degradirt worden und ſollte nun auf die Piazza zum Scheiterhaufen geführt werden, als ihn unterwegs eine Schaar von Leuten befreite, welche der Jo - hanniter Achille Malvezzi, ein bekannter Ketzerfreund und Nonnenſchänder, geſandt hatte. Der Legat (Cardinal Beſ - ſarion) konnte hernach von den Thätern nur Einen habhaft werden, der gehenkt wurde; Malvezzi lebte ungeſtört weiter1)Bursellis, ann. Bonon. ap. Murat. XXIII, Col. 886. cf. 896..
Die höhern Orden.Es iſt bemerkenswerth, daß die höhern Orden, alſo die Benedictiner mit ihren Abzweigungen, trotz ihres großen Reichthums und Wohllebens weit weniger perhorrescirt waren als die Bettelorden; auf zehn Novellen, die von frati handeln, kommt höchſtens eine, welche einen monaco zum Gegenſtand und Opfer hat. Nicht wenig kam dieſen Orden zu Gute, daß ſie älter und ohne polizeiliche Abſicht gegründet waren und ſich nicht in das Privatleben ein - miſchten. Es gab darunter fromme, gelehrte und geiſtreiche Leute, aber den Durchſchnitt ſchildert einer von ihnen, Fi - renzuola2)Vgl. S. 343, f. Er war Abt der Vallombroſaner. Die Stelle, hier frei überſetzt, findet ſich Opere, vol. II, p. 208 in ſeiner zehnten Novelle. — Eine einladende Schilderung des Wohllebens der Car - thäuſer in dem S. 340 citirten Commentario d'Italia, fol. 32, s. , wie folgt: „ Dieſe Wohlgenährten in ihren weiten Kutten bringen ihr Leben nicht hin mit barfüßigem Herum - ziehen und Predigen, ſondern in zierlichen Corduanpantoffeln ſitzen ſie in ihren ſchönen Cellen mit Cypreſſengetäfel, und falten die Hände über dem Bauch. Und wenn ſie je ein - mal ſich von der Stelle bemühen müſſen, ſo reiten ſie ge - mächlich auf Maulthieren und fetten Pferdchen wie zur Erholung herum. Den Geiſt ermüden ſie nicht zu ſehr durch Studium vieler Bücher, damit das Wiſſen ihnen nicht ſtatt ihrer mönchiſchen Einfalt einen Lucifershochmuth beibringe “.
Wer die Literatur jener Zeiten kennt wird zugeben, daß hier nur das zum Verſtändniß des Gegenſtandes465 Nothwendigſte mitgetheilt iſt1)Pius II. war aus Gründen für Abſchaffung des Coelibates; Sacer - dotibus magna ratione sublatas nuptias maiori restituendas videri, war eine ſeiner Lieblingsſentenzen. Platina, vitæ Pontiff., p. 311.. Daß eine ſolche Reputation6. Abſchnitt. von Weltclerus und Mönchen bei Unzähligen den Glauben an das Heilige überhaupt erſchüttern mußte, ſpringt in die Augen.
Was für ſchreckliche Geſammturtheile bekommt man daGuicciardini über d. Clerus. zu hören! Wir theilen ſchließlich nur eines davon mit, weil es erſt neuerlich gedruckt und noch wenig bekannt iſt. Guicciardini, der Geſchichtſchreiber und vieljährige Beamte der mediceiſchen Päpſte, ſagt (1529) in ſeinen Aphorismen2)Ricordi, N. 28, in den Opere inedite, Vol. I. : „ Keinem Menſchen mißfällt mehr als mir der Ehrgeiz, die Habſucht und die Ausſchweifung der Prieſter, ſowohl weil jedes dieſes Laſter an ſich haſſenswerth iſt, als auch weil jedes allein oder alle ſich wenig ziemen bei Leuten, die ſich zu einem von Gott beſonders abhängigen Stand bekennen, und vollends weil ſie unter ſich ſo entgegengeſetzt ſind, daß ſie ſich nur in ganz abſonderlichen Individuen vereinigt finden können. Gleichwohl hat meine Stellung bei mehrern Päpſten mich gezwungen, die Größe derſelben zu wollen meines eigenen Vortheils wegen. Aber ohne dieſe Rückſicht hätte ich Martin Luther geliebt, wie mich ſelbſt, nicht um mich loszumachen von den Geſetzen, welche das Chriſten - thum, ſo wie es insgemein erklärt und verſtanden wird, uns auferlegt, ſondern um dieſe Schaar von Nichtswürdigen (questa caterva di scelerati) in ihre gebührenden Grän - zen gewieſen zu ſehen, ſo daß ſie entweder ohne Laſter oder ohne Macht leben müßten. “
Derſelbe Guicciardini hält denn auch dafür3)Ricordi, N. 1. 123. 125., daß wir in Betreff alles Uebernatürlichen im Dunkel bleiben, daß Philoſophen und Theologen nur Thorheiten darüberCultur der Renaiſſance. 304666. Abſchnitt. vorbringen, daß die Wunder in allen Religionen vorkom - men, für keine beſonders beweiſen und ſich am Ende auf noch unbekannte Naturphänomene zurückführen laſſen. Den bergeverſetzenden Glauben, wie er ſich damals bei den Nachfolgern Savonarola's zu erkennen gab, conſtatirt er als ein curioſes Phänomen, doch ohne bittere Bemerkung.
Gewöhnung an die Kirche,Gegenüber von ſolchen Stimmungen hatten Clerus und Mönchthum den großen Vortheil, daß man an ſie gewöhnt war und daß ihr Daſein ſich mit dem Daſein von Jeder - mann berührte und verflocht. Es iſt der Vortheil den alle alten und mächtigen Dinge von jeher in der Welt gehabt haben. Jedermann hatte irgend einen Verwandten im Prieſterrock oder in der Kutte, irgend eine Ausſicht auf Protection oder künftigen Gewinn aus dem Schatz der Kirche, und in der Mitte von Italien ſaß die römiſche Curie, welche ihre Leute bisweilen plötzlich reich machte. Doch muß man ſehr hervorheben, daß dieß Alles die Zunge und die Feder nicht band. Die Autoren der läſterlichen Komik ſind ja ſelber meiſt Mönche, Pfründner u. ſ. w. ; Poggio, der die Facetien ſchrieb, war Geiſtlicher, Francesco Berni hatte ein Canonicat, Teofilo Folengo war Benedic - tiner, Matteo Bandello, der ſeinen eigenen Orden lächerlich macht, war Dominicaner und zwar Nepot eines Generals dieſes Ordens. Treibt ſie ein Uebermaß des Sicherheits - gefühles? oder ein Bedürfniß, die eigene Perſon von der Verrufenheit des Standes zu ſondern? oder jene peſſimi - ſtiſche Selbſtſucht mit dem Wahlſpruch: „ uns hält's noch aus “? Vielleicht war etwas von Allem dabei. Bei Folengo wirkt freilich ſchon das Lutherthum kenntlich ein1)Vgl. deſſen u. d. Namen Limerno Pitocco gedichteten Orlandino, cap. VI, Str. 40, s. cap. VII, Str. 57. cap. VIII, Str. 3, s., beſ. 75..
und an ihre Segnungen.Die Abhängigkeit von Segnungen und Sacramenten, von welcher bereits (S. 104) bei Anlaß des Papſtthums467 die Rede geweſen iſt, verſteht ſich bei dem gläubigen Theil6. Abſchnitt. des Volkes von ſelbſt; bei den Emancipirten bedeutet und bezeugt ſie die Stärke der Jugendeindrücke und die enorme, magiſche Kraft altgewohnter Symbole. Das Verlangen des Sterbenden — wer er auch ſein mochte — nach prie - ſterlicher Abſolution beweist einen Reſt von Höllenfurcht, ſelbſt bei einem Menſchen wie jener Vitellozzo (a. a. O.) war. Ein belehrenderes Beiſpiel als das ſeinige wird ſchwer zu finden ſein. Die kirchliche Lehre von dem Character indelebilis des Prieſters, woneben ſeine Perſönlichkeit in - different wird, hat ſo weit Früchte getragen, daß man wirklich den Prieſter verabſcheuen und doch ſeine geiſtlichen Spenden begehren kann. Freilich gab es auch Trotzköpfe wie z. B. Fürſt Galeotto von Mirandola1)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 362., der 1499 in einer bereits ſechszehnjährigen Excommunication ſtarb. Während dieſer ganzen Zeit war auch die Stadt um ſeinet - willen im Interdict geweſen, ſo daß weder Meſſe noch ge - weihtes Begräbniß ſtattfand.
Glänzend tritt endlich neben all dieſen ZweideutigkeitenDie Bußprediger. hervor das Verhältniß der Nation zu ihren großen Buß - predigern. Das ganze übrige Abendland ließ ſich von Zeit zu Zeit durch die Rede heiliger Mönche rühren, allein was wollte dieß heißen neben der periodiſchen Erſchütterung der italieniſchen Städte und Landſchaften? Zudem iſt z. B. der einzige, der während des XV. Jahrhunderts in Deutſch - land eine ähnliche Wirkung hervorbrachte2)Er hatte einen deutſchen und einen ſlaviſchen Dolmetſcher bei ſich. Auch S. Bernhard hatte einſt am Rhein deſſelben Mittels bedurft., ein Abruzzeſe von Geburt geweſen, nämlich Giovanni Capiſtrano. Die - jenigen Gemüther, welche einen ſo gewaltigen Ernſt und einen ſolchen religiöſen Beruf in ſich tragen, ſind damals im Norden intuitiv, myſtiſch; im Süden expanſiv, practiſch, verbündet mit der hohen Achtung der Nation vor Sprache30*4686. Abſchnitt. und Rede. Der Norden bringt eine Imitatio Christi her - vor, welche im Stillen, anfangs nur in Klöſtern, aber auf Jahrhunderte wirkt; der Süden producirt Menſchen, welche auf Menſchen einen coloſſalen Eindruck des Augenblickes machen.
Dieſer Eindruck beruht weſentlich auf Erregung des Gewiſſens. Es ſind Moralpredigten, ohne Abſtraction, voll ſpecieller Anwendung, unterſtützt von einer geweihten, as - cetiſchen Perſönlichkeit, woran ſich dann von ſelbſt durch die erregte Phantaſie das Mirakel anſchließt, auch gegen den Willen des Predigers1)Capiſtrano z. B. begnügte ſich, über die Tauſende von Kranken, die man ihm brachte, das Kreuz zu machen und ſie im Namen der Dreieinigkeit und ſeines Meiſters S. Bernardino zu ſegnen, worauf hie und da eine wirkliche Geneſung erfolgte, wie in ſolchen Fällen zu geſchehen pflegt. Der Chroniſt von Brescia deutet dieß ſo an: „ er that ſchöne Wunder, doch erzählte man viel mehr als wirklich war “.. Das gewaltigſte Argument war weniger die Drohung mit Fegefeuer und Hölle, als viel - mehr die höchſt lebendige Entwicklung der maledizione, des zeitlichen, in der Perſon wirkenden Fluches, der ſich an das Böſe knüpft. Die Betrübung Chriſti und der Heiligen hat ihre Folgen im Leben. Nur ſo konnte man die in Leidenſchaft, Racheſchwüre und Verbrechen verrannten Men - ſchen zur Sühne und Buße bringen, was bei Weitem der wichtigſte Zweck war.
So predigten im XV. Jahrhundert Bernardino da Siena, Alberto da Sarzana, Giovanni Capiſtrano, Jacopo della Marca, Roberto da Lecce (S. 409) und Andere; endlich Girolamo Savonarola. Es gab kein ſtärkeres Vor - urtheil als dasjenige gegen die Bettelmönche; ſie überwanden es. Der hochmüthige Humanismus critiſirte und höhnte2)So z. B. Poggio, de avaritia, in den Opera, fol. 2. Er findet, ſie hätten es leicht, da ſie in jeder Stadt daſſelbe vorbrächten und das Volk dümmer entlaſſen dürften als es gekommen ſei ꝛc.; wenn ſie ihre Stimme erhoben, ſo dachte man ſeiner nicht469 mehr. Die Sache war nicht neu und ein Spöttervolk wie6. Abſchnitt. die Florentiner hatte ſchon im XIV. Jahrhundert die Ca - ricatur davon, wo ſie ſich auf ſeinen Kanzeln blicken ließ, malträtiren gelernt1)Franco Sacchetti, Nov. 72. Verfehlte Bußprediger ſind bei allen Novelliſten ein häufiges Thema.; als Savonarola auftrat, riß er ſie doch ſoweit hin, daß bald ihre ganze geliebte Bildung und Kunſt in dem Gluthfeuer, das er entzündete, zuſammengeſchmolzen wäre. Selbſt die ſtärkſte Profanation durch heuchleriſche Mönche, welche mit Hülfe von Einverſtandenen die Rührung beliebig in ihren Zuhörern hervorzubringen und zu ver - breiten wußten (vgl. S. 461), war nicht im Stande der Sache ſelbſt zu ſchaden. Man fuhr fort, über gemeine Mönchspredigten mit erdichteten Wundern und Vorzeigung falſcher Reliquien2)Vgl. die bekannte Poſſe im Decamerone VI, Nov. 10. zu lachen und die echten großen Buß - prediger hoch zu achten. Dieſelben ſind eine wahre italie - niſche Specialität des XV. Jahrhunderts.
Der Orden — in der Regel der des h. FranciscusIhr Orden. und zwar von der ſogenannten Obſervanz — ſchickt ſie aus je nachdem ſie begehrt werden. Dieß geſchieht hauptſächlich bei ſchwerer öffentlicher oder Privatzwietracht in den Städten, auch wohl bei ſchrecklicher Zunahme der Unſicherheit und Unſittlichkeit. Iſt dann aber der Ruhm eines Predigers gewachſen, ſo begehren ihn die Städte alle auch ohne be - ſondern Anlaß; er geht wohin ihn die Obern ſenden. Ein beſonderer Zweig dieſer Thätigkeit iſt die Kreuzpredigt gegen die Türken3)Wobei die Sache wieder ganz eigenthümliche Farben annahm. Vgl. Malipiero, Ann. venet., arch. stor. VII, I, p, 18. — Chron. venetum, bei Murat. XXIV, Col. 114. — Storia bresciana, bei Murat. XXI, Col. 898., wir haben es aber hier weſentlich mit der Bußpredigt zu thun.
Die Reihenfolge der Predigten, wenn eine ſolche me -Ihre Methode. thodiſch beobachtet wurde, ſcheint ſich einfach an die kirch -4706. Abſchnitt. liche Aufzählung der Todſünden angeſchloſſen zu haben; je dringender aber der Moment iſt, um ſo eher geht der Prediger unmittelbar auf das Hauptziel los. Er beginnt vielleicht in einer jener gewaltig großen Ordenskirchen oder im Dom; binnen Kurzem iſt die größte Piazza zu klein für das von allen Gegenden herbeiſtrömende Volk, und das Kommen und Gehen iſt für ihn ſelbſt mit Lebens - gefahr verbunden1)Stor. Bresciana bei Murat. XXI, Col. 865.. In der Regel ſchließt die Predigt mit einer ungeheuern Proceſſion, allein die erſten Stadt - beamten, welche ihn in die Mitte nehmen, können ihn auch da kaum vor den Leuten ſichern, welche ihm Hände und Füße küſſen und Stücke von ſeiner Kutte ſchneiden2)Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 819..
Die nächſten Erfolge, welche ſich am leichteſten erge - ben, nachdem gegen Wucher, Vorkauf und unehrbare Moden gepredigt worden, ſind das Eröffnen der Gefängniſſe, d. h. wohl nur die Freilaſſung ärmerer Schuldgefangenen, und das Verbrennen von Luxusſachen und Werkzeugen gefähr - lichen ſowohl als unſchuldigen Zeitvertreibes: als da ſind Würfel, Karten, Spiele aller Art, „ Maskengeſichter “, Mu - ſikinſtrumente, Geſangbücher, geſchriebene Zauberformeln3)Infessura (bei Eccard, scriptores II, Col. 1874) ſagt: canti, brevi, sorti. Erſteres könnte auf Liederbücher gehen, dergleichen wenigſtens Savonarola wirklich verbrannt hat. Allein Graziani (Cron. di Perugia, arch. stor. XVI, I, p. 314) ſagt bei einem ähnlichen Anlaß, brieve incante, was ohne Zweifel brevi e in - canti zu leſen iſt, und eine ähnliche Emendation iſt vielleicht auch bei Infeſſura rathſam, deſſen sorti ohnehin irgend eine Sache des Aberglaubens bezeichnen, etwa ein wahrſagendes Kartenſpiel. — Zur Zeit des Bücherdruckes ſammelte man auch z. B. alle Exemplare des Martial für den Scheiterhaufen ein. Bandello III, Nov. 10., falſche Haartouren ꝛc. Dieß Alles wurde auf einem Ge - rüſte (talamo) ohne Zweifel zierlich gruppirt, oben drauf etwa noch eine Teufelsfigur befeſtigt, und dann Feuer angelegt. (Vgl. S. 368.)
471Nun kommen die härtern Gemüther an die Reihe;6. Abſchnitt. wer längſt nicht mehr gebeichtet hat, beichtet nunmehr; un -Ihre Wirkung. gerecht vorenthaltenes Gut wird zurückgegeben, unheil - ſchwangere Schmähreden werden zurückgenommen. Redner wie Bernardino da Siena1)S. deſſen merkwürdige Biographie bei Vespasiano Fiorent. p. 244, s. — und die bei Aen. Sylvius, de viris illustr., p. 24. gingen ſehr emſig und genau auf den täglichen Verkehr der Menſchen und deſſen Sitten - geſetz ein. Wenige unſerer heutigen Theologen möchten wohl eine Morgenpredigt zu halten verſucht ſein „ über Contracte, Reſtitutionen, Staatsrenten (monte) und Aus - ſtattung von Töchtern “, wie er einſt im Dom von Florenz eine hielt. Unvorſichtigere Prediger begingen dabei leicht den Fehler, ſo ſtark gegen einzelne Menſchenclaſſen, Gewerbe, Beamtungen loszuziehen, daß ſich das aufgeregte Gemüth der Zuhörer ſofort durch Thätlichkeiten gegen dieſe entlud2)Allegretto, l. c., Col. 823; ein Prediger hetzt das Volk gegen die Richter (wenn nicht ſtatt giudici etwa giudei zu leſen iſt) worauf dieſelben bald in ihren Häuſern wären verbrannt worden.. Auch eine Predigt des Bernardino da Siena, die er einmal in Rom (1424) hielt, hatte außer dem Brand von Putz - und Zauberſachen auf dem Capitol noch eine andere Folge: „ Hernach, heißt es3)Infessura, l. c. Im Todestag der Hexe ſcheint ein Schreibfehler zu liegen. — Wie derſelbe Heilige vor Arezzo ein verrufenes Wäld - chen umhauen ließ, erzählt Vasari III, 148; v. di Parri Spinelli. Oft mag ſich der erſte Bußeifer an Localen, Symbolen und Werk - zeugen ſo ziemlich erſchöpft haben., wurde auch die Hexe Finicella ver - brannt, weil ſie mit teufliſchen Mitteln viele Kinder tödtete und viele Perſonen verhexte, und ganz Rom ging hin es zu ſehen. “
Das wichtigſte Ziel der Predigt aber iſt, wie oben be - merkt, die Verſöhnung von Streit und Verzichtung auf die Rache. Sie wird wohl in der Regel erſt gegen Ende des Predigtcurſes erfolgt ſein, wenn der Strom allgemeiner Bußfertigkeit allmälig die ganze Stadt ergriff, wenn die4726. Abſchnitt. Luft erbebte1)Pareva che l'aria si fendesse, heißt es irgendwo. von dem Geſchrei des ganzen Volkes: mi - sericordia! — Da kam es zu jenen feierlichen Friedens - ſchlüſſen und Umarmungen, auch wenn ſchon Wechſelmord zwiſchen den ſtreitenden Parteien lag. Man ließ wohl die bereits Verbannten zu ſo heiligem Vorhaben abſichtlich in die Stadt kommen. Es ſcheint, daß ſolche „ paci “im Ganzen beobachtet worden ſind, auch wenn die gehobene Stimmung vorüber war, und dann blieb das Andenken des Mönches im Segen auf viele Geſchlechter hinaus. AberGrenzen der Wirkung. es gab wilde, furchtbare Criſen wie die der Familien della Valle und Croce zu Rom (1482), wobei ſelbſt der große Roberto da Lecce ſeine Stimme umſonſt erhob2)Jac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 167. Es wird nicht ausdrücklich geſagt, daß er ſich mit dieſer Fehde abgab, allein wir dürfen nicht daran zweifeln. — Auch Jacopo della Marca hatte einſt (1445) nach ungeheuren Erfolgen kaum Perugia verlaſſen, als ein ſchrecklicher Rachemord in der Familie Ranieri geſchah. Vgl. Graziani, l. c. pag. 565, s. — Bei dieſem Anlaß muß darauf hingewieſen werden, daß jene Stadt auffallend oft von ſolchen Pre - digern beſucht wird, vgl. pag. 597, 626, 631, 637, 647. . Kurz vor der Charwoche hatte er noch auf dem Platz vor der Minerva zahlloſem Volke gepredigt; da erfolgte in der Nacht vor dem grünen Donnerſtag die ſchreckliche Straßen - ſchlacht vor Palazzo della Valle beim Ghetto; am Morgen gab Papſt Sixtus den Befehl zu deſſen Schleifung, und hielt dann die gewohnten Ceremonien dieſes Tages ab; am Charfreitag predigte Roberto wieder, in den Händen ein Crucifix; er und ſeine Zuhörer konnten aber nichts als weinen.
Gewaltſame, mit ſich zerfallene Gemüther faßten häufig unter dem Eindruck der Bußpredigten den Entſchluß, ins Kloſter zu treten. Es waren darunter Räuber und Ver - brecher aller Art, auch wohl brodloſe Soldaten3)Capiſtrano kleidete nach einer Predigt fünfzig Soldaten ein; Stor. . Dabei473 wirkt die Bewunderung mit, welche dem heiligen Mönche6. Abſchnitt. ſich wenigſtens in der äußern Lebensſtellung nach Kräften zu nähern ſucht.
Die Schlußpredigt iſt dann ein lauterer Segensſpruch, der ſich in den Worten zuſammenfaßt: la pace sia con voi! Große Schaaren begleiten den Prediger nach der nächſten Stadt und hören daſelbſt ſeinen ganzen Kreis von Reden noch einmal an.
Bei der ungeheuern Macht, welche dieſe heiligenMangel an Controle. Männer ausübten, war es dem Clerus und den Regie - rungen erwünſcht, ſie wenigſtens nicht zu Gegnern zu haben. Ein Mittel hiezu war, daß man darauf hielt, nur Mönche1)Daß es an Reibungen zwiſchen den berühmten Obſervantenpredigern und den neidiſchen Dominicanern nicht fehlte, zeigt der Streit über das vom Kreuz auf die Erde gefloſſene Blut Chriſti (1463). Ueber Fra Jacopo della Marca, der dem dominicaniſchen Inquiſitor durch - aus nicht nachgeben wollte, äußert ſich Pius II. in ſeinem ausführ - lichen Bericht (Comment. L. XI, p. 511) mit einer ganz hübſchen Ironie: Pauperiem pati et famem et sitim et corporis cru - ciatum et mortem pro Christi nomine nonnulli possunt; iacturam nominis vel minimam ferre recusant, tanquam sua deficiente fama Dei quoque gloria pereat. oder Geiſtliche, welche wenigſtens die mindern Weihen hatten, in ſolcher Qualität auftreten zu laſſen, ſo daß der Orden oder die betreffende Corporation einigermaßen für ſie haft - bar war. Aber eine ſcharfe Grenze ließ ſich auch hier nicht feſthalten, da die Kirche und alſo auch die Kanzel längſt für allerlei Zwecke der Oeffentlichkeit, gerichtliche Acte, Pu - blicationen, Vorleſungen ꝛc. in Anſpruch genommen war, und da ſelbſt bei eigentlichen Predigten bisweilen dem Hu - maniſten und Laien das Wort gelaſſen wurde (S. 230 ff.). 3)bresciana, l. c. — Graziani, l. c. pag. 565, s. — Aen. Syl - vius (de viris illustr. p. 25) war in ſeiner Jugend einmal nach einer Predigt S. Bernardino's nahe daran, in deſſen Orden zu treten.4746. Abſchnitt. Nun gab es ohnehin eine zwitterhafte Menſchenclaſſe1)Ihr Ruf ſchwankte ſchon damals zwiſchen Extremen. Man muß ſie von den Eremitanermönchen unterſcheiden. — Ueberhaupt waren die Grenzen in dieſer Beziehung nicht feſt gezogen. Die als Wunder - thäter herumziehenden Spoletiner beriefen ſich immer auf San An - tonio und, ihrer Schlangen wegen, auf den Apoſtel Paulus. Sie brandſchatzten ſchon ſeit dem XIII. Jahrh. die Bauern mit halb - geiſtlicher Magie und ihre Pferde waren dreſſirt niederzuknien wenn man San Antonio nannte. Dem Vorgeben nach ſammelten ſie für Hoſpitäler. Massuccio, Nov. 18. Bandello III, Nov. 17. Fi - renzuola in ſeinem asino d'oro läßt ſie die Stelle der Bettel - pfaffen des Apulejus vertreten.,Predigende Eremiten. welche weder Mönche noch Geiſtliche waren und doch der Welt entſagt hatten, nämlich die in Italien ſehr zahlreichen Einſiedler, und ſolche erſchienen bisweilen ohne allen Auf - trag und riſſen die Bevölkerungen hin. Ein Fall dieſer Art ereignete ſich zu Mailand nach der zweiten franzöſiſchen Eroberung (1516), freilich in einer Zeit großer öffentlicher Unordnung; ein toscaniſcher Einſiedler, vielleicht von der Partei Savonarola's, behauptete mehrere Monate lang die Kanzel des Domes, polemiſirte auf das Heftigſte gegen die Hierarchie, ſtiftete einen neuen Leuchter und einen Altar im Dom, that Wunder, und räumte nur nach heftigen Kämpfen das Feld2)Prato, arch. stor. III, p. 357. Burigozzo, ibid. p. 431. . In jenen für das Schickſal Italiens ent - ſcheidenden Decennien erwacht überall die Weiſſagung und dieſe läßt ſich, wo ſie vorkömmt, nirgends auf einen be - ſtimmten Stand einſchränken. Man weiß z. B., wie vor der Verwüſtung Roms die Einſiedler mit einem wahren Trotze der Prophetie auftraten (S. 124). In Ermanglung eigener Beredſamkeit ſchicken ſolche Leute auch wohl Boten mit Symbolen wie z. B. jener Ascet bei Siena, der (1496) ein „ Eremitlein “, d. h. einen Schüler in die geängſtigte Stadt ſandte mit einem Todtenkopf auf einem Stecken, woran ein Zettel mit einem drohenden Bibelſpruch hing3)Allegretto, bei Murat. XXIII, Col. 855, s. .
475Aber auch die Mönche ſelber ſchonten oft Fürſten, Be -6. Abſchnitt. hörden, Clerus und ihren eigenen Stand durchaus nicht. Zwar eine directe Predigt zum Sturz eines Tyrannenhauſes, wie die des Fra Jacopo Buſſolaro zu Pavia im XIV. Jahrhundert geweſen war1)Matteo Villani VIII, 1, s. Er predigte zuerſt gegen die Tyrannis überhaupt, dann, als ihn das herrſchende Haus der Beccaria hatte wollen ermorden laſſen, änderte er in einer Predigt ſelbſt die Ver - faſſung und die Behörden und nöthigte die Beccaria zur Flucht (1357)., trifft man in den folgenden Zeiten nicht mehr an, wohl aber muthigen Tadel, ſelbſt gegen den Papſt in deſſen eigener Capelle (S. 233, Anm.), und naive politiſche Rathſchläge in Gegenwart von Fürſten, die deſſen nicht zu bedürfen glaubten2)Bisweilen ſtellte auch das regierende Haus in bedrängten Zeiten Mönche an, um das Volk für Loyalität zu begeiſtern. Ein Beiſpiel aus Ferrara bei Sanudo (Murat. XXII, Col. 1218).. Auf dem Caſtellplatz zu Mailand durfte 1494 ein blinder Prediger aus der In -Die Warner. coronata (alſo ein Auguſtiner) dem Lodovico Moro von der Kanzel her zurufen: „ Herr, zeige den Franzoſen den Weg nicht, denn Du wirſt es bereuen! 3)Prato, arch. stor. III, p. 251. — Spätere fanatiſch antifranzö - ſiſche Prediger, nach der Vertreibung der Franzoſen erwähnt Buri - gozzo, ibid., pag. 443, 449, 485; ad a. 1523, 1526, 1529.“Es gab weiſ - ſagende Mönche, welche vielleicht nicht direct politiſirten, aber ſo ſchreckliche Bilder der Zukunft entwarfen, daß den Zuhörern die Beſinnung verging. Ein ganzer Verein von ſolchen, zwölf Franciscaner Conventualen, durchzogen bald nach der Wahl Leo's X. (1513) die verſchiedenen Land - ſchaften Italiens, wie ſie dieſelben unter ſich vertheilt hatten. Derjenige von ihnen, welcher in Florenz predigte4)Jac. Pitti, storia fior. L. II. p. 112. , Fra Francesco di Montepulciano, erregte ein ſteigendes Ent - ſetzen unter dem ganzen Volke, indem ſeine Aeußerungen, gewiß eher verſtärkt als gemildert, auch zu denjenigen ge - langten, welche vor Gedränge nicht ſelber in ſeine Nähe4766. Abſchnitt. kommen konnten. Nach einer ſolchen Predigt ſtarb er plötz - lich „ an einem Bruſtwehe “; Alles kam, der Leiche die Füße zu küſſen, weßhalb man ſie Nachts in aller Stille begrub. Aber den neu entzündeten Geiſt der Weiſſagung, der nun ſelbſt Weiber und Bauern ergriff, konnte man nur mit größter Mühe dämpfen. „ Um die Leute wieder einiger - maßen heiter zu ſtimmen, veranſtalteten hierauf die Medici, Giuliano (Bruder Leo's) und Lorenzo auf St. Johannis - tag 1514 jene prächtigen Feſte, Jagden, Aufzüge und Tur - niere, wozu ſich von Rom her außer einigen großen Herrn auch ſechs Cardinäle, dieſe allerdings verkleidet, einfanden. “
Savonarola.Der größte Bußprediger und Prophet aber war in Florenz ſchon 1498 verbrannt worden: Fra Girolamo Sa - vonarola von Ferrara1)Perrens: Jérôme Savonarole, 2 voll., unter den vielen Special - werken vielleicht das methodiſch beſtgeordnete und nüchternſte.. Hier müſſen uns einige Winke über ihn genügen.
Das gewaltige Werkzeug, durch welches er Florenz umgeſtaltet und beherrſcht (1494 — 1498), iſt ſeine Rede, wovon die erhaltenen, meiſt an Ort und Stelle ungenügend nachgeſchriebenen Predigten offenbar nur einen beſchränkten Begriff geben. Nicht als ob die äußern Mittel ſeines Auf - tretens ſehr groß geweſen wären, denn Stimme, Ausſprache, rhetoriſche Redaction u. dgl. bildeten vielmehr eher die ſchwache Seite, und wer einen Styl - und Kunſtprediger verlangte, ging zu ſeinem Rivalen Fra Mariano da Ghi - nazzano — aber in Savonarola's Rede lag jene hohe per - ſönliche Gewalt, welche wohl von da bis auf Luther nicht wieder vorgekommen iſt. Er ſelber hielt es für Erleuchtung und taxirte deßhalb ohne Unbeſcheidenheit das Predigtamt ſehr hoch: über dem Prediger folge in der großen Hierarchie der Geiſter unmittelbar der unterſte der Engel.
Seine Ordens - reform.Dieſe völlig zu Feuer und Flammen gewordene Per - ſönlichkeit vollbrachte zunächſt noch ein anderes, größeres477 Wunder; das eigene Kloſter S. Marco Dominicaner Ordens6. Abſchnitt. und dann alle Dominicanerklöſter Toscana's werden deſſel - ben Sinnes und[unternehmen] eine freiwillige große Reform. Wenn man weiß, was die Klöſter damals waren und wie unendlich ſchwer die geringſte Veränderung bei Mönchen durchzuſetzen iſt, ſo wird man doppelt erſtaunen über eine völlige Sinnesänderung wie dieſe. Als die Sache im Gange war, befeſtigte ſie ſich dadurch, daß Gleichgeſinnte jetzt in bedeutender Zahl Dominicaner wurden. Söhne aus den erſten Häuſern traten in S. Marco als Novizen ein.
Dieſe Reform des Ordens für ein beſtimmtes Land war nun der erſte Schritt zu einer Nationalkirche, zu welcher es bei längerer Dauer dieſes Weſens unfehlbar hätte kom - men müſſen. Savonarola ſelber wollte freilich eine Reform der ganzen Kirche und ſchickte deßhalb noch gegen Ende ſeiner Wirkſamkeit an alle großen Potentaten dringende Mahnungen, ſie möchten ein Concil verſammeln. Allein ſein Orden und ſeine Partei waren bereits für Toscana das allein mögliche Organ ſeines Geiſtes, das Salz der Erde geworden, während die Nachbargegenden im alten Zuſtande verharrten. Mehr und mehr baut ſich aus Ent - ſagung und Phantaſie ein Zuſtand auf, der Florenz zu einem Reiche Gottes auf Erden machen will.
Die Weiſſagungen, deren theilweiſes Eintreffen demSeine Weiſſagungen und Viſionen. Savonarola ein übermenſchliches Anſehen verlieh, ſind der - jenige Punct, auf welchem die allmächtige italieniſche Phan - taſie auch das beſtverwahrte, liebevollſte Gemüth bemeiſterte. Anfangs meinten die Franciscaner von der Obſervanz, im Widerſchein des Ruhmes, welchen ihnen S. Bernardino da Siena vermacht hatte, ſie könnten den großen Domini - caner durch Concurrenz bändigen. Sie verſchafften einem der Ihrigen die Domkanzel, und ließen die Unglückspro - phezeiungen Savonarola's durch noch ſchlimmere überbieten, bis Pietro de' Medici, der damals noch über Florenz herrſchte, einſtweilen Beiden Ruhe gebot. Bald darauf, als Carl VIII.4786. Abſchnitt. nach Italien kam und die Medici vertrieben wurden, wie Savonarola mit klaren Worten geweiſſagt hatte, glaubte man nur noch ihm.
Und hier muß nun zugeſtanden werden, daß er gegen ſeine eigenen Ahnungen und Viſionen keine Kritik übte und gegen diejenigen Anderer eine ziemlich ſtrenge. In der Leichen - rede auf Pico della Mirandola geht er mit dem verſtorbenen Freunde etwas unbarmherzig um. Weil Pico trotz einer innern Stimme, die von Gott kam, doch nicht in den Orden treten wollte, habe er ſelber Gott gebeten, Jenen etwas zu züchtigen; ſeinen Tod aber habe er wahrlich nicht gewünſcht; nun ſei durch Almoſen und Gebet ſo viel erwirkt, daß die Seele ſich einſtweilen im Fegefeuer befinde. In Betreff einer tröſtlichen Viſion, die Pico auf dem Krankenbette ge - habt, wobei ihm die Madonna erſchien und verſprach, er ſolle nicht ſterben, geſteht Savonarola, er habe es lange für eine dämoniſche Täuſchung gehalten, bis ihm geoffenbart worden ſei, die Madonna habe den zweiten Tod, nämlich den ewigen gemeint. — Wenn dieß und Aehnliches Ueber - hebung war, ſo hat dieſes große Gemüth wenigſtens dafür gebüßt ſo bitter es dafür büßen konnte: in ſeinen letzten Tagen ſcheint Savonarola die Nichtigkeit ſeiner Geſichte und Weiſſagungen erkannt zu haben, und doch blieb ihm innerer Friede genug übrig um in heiliger Stimmung zum Tode zu gehen. Seine Anhänger aber hielten außer ſeiner Lehre auch ſeine Prophezeiungen noch drei Jahrzehnde hin - durch feſt.
Seine Verfaſſung.Als Reorganiſator des Staates hatte er nur gearbeitet, weil ſonſt ſtatt ſeiner feindſelige Kräfte ſich der Sache be - mächtigt haben würden. Es iſt unbillig, ihn nach der halbdemocratiſchen Verfaſſung (S. 85, Anm.) vom Anfang des Jahres 1495 zu beurtheilen. Sie iſt nicht beſſer und nicht ſchlechter als andere florentiniſche Verfaſſungen auch1)Savonarola wäre vielleicht der Einzige geweſen, der den Unterthanen - ſtädten die Freiheit wiedergeben und dennoch den Zuſammenhalt.
479Er war zu ſolchen Dingen im Grunde der ungeeig -6. Abſchnitt. netſte Menſch, den man finden konnte. Sein wirkliches Ideal war eine Theocratie, bei welcher ſich Alles in ſeliger Demuth vor dem Unſichtbaren beugt und alle Conflicte der Leidenſchaft von vornherein abgeſchnitten ſind. Sein ganzer Sinn liegt in jener Inſchrift des Signorenpalaſtes, deren Inhalt ſchon Ende 1495 ſein Wahlſpruch war1)Ein merkwürdiger Contraſt zu den Sieneſen, welche 1483 ihre ent - zweite Stadt feierlich der Madonna geſchenkt hatten. Allegretto, ap. Murat. XXIII, Col. 815., und die 1527 von ſeinen Anhängern erneuert wurde: „ Jesus Chri - stus Rex populi florentini S. P. Q. decreto creatus. “ Zum Erdenleben und ſeinen Bedingungen hatte er ſo wenig ein Verhältniß als irgend ein echter und ſtrenger Mönch. Der Menſch ſoll ſich nach ſeiner Anſicht nur mit dem ab - geben was mit dem Seelenheil in unmittelbarer Verbin - dung ſteht.
Wie deutlich verräth ſich dieß bei ſeinen Anſichten überSein Verh. zur Bildung. die antike Literatur. „ Das einzige Gute, predigt er, was Plato und Ariſtoteles geleiſtet haben iſt, daß ſie viele Argu - mente vorbrachten, welche man gegen die Ketzer gebrauchen kann. Sie und andere Philoſophen ſitzen doch in der Hölle. Ein altes Weib weiß mehr vom Glauben als Plato. Es wäre gut für den Glauben wenn viele ſonſt nützlich ſchei - nende Bücher zernichtet würden. Als es noch nicht ſo viele Bücher und nicht ſo viele Vernunftgründe (ragioni natu - rali) und Disputen gab, wuchs der Glaube raſcher als er ſeither gewachſen iſt. “ Die claſſiſche Lecture der Schulen will er auf Homer, Virgil und Cicero beſchränkt und den Reſt aus Hieronymus und Auguſtin ergänzt wiſſen; dagegen ſollen nicht nur Catull und Ovid, ſondern auch Tibull und Terenz verbannt bleiben. Hier ſpricht einſtweilen wohl nur eine ängſtliche Moralität, allein er giebt in einer beſondern1)des toscaniſchen Staates irgendwie retten konnte. Daran aber kam ihm der Gedanke nicht.4806. Abſchnitt. Schrift die Schädlichkeit der Wiſſenſchaft im Allgemeinen zu. Eigentlich ſollten, meint er, einige wenige Leute die - ſelbe erlernen, damit die Tradition der menſchlichen Kennt - niſſe nicht unterginge, beſonders aber, damit immer einige Athleten zu Bekämpfung ketzeriſcher Sophismen vorräthig wären; alle Uebrigen dürften nicht über Grammatik, gute Sitten und Religionsunterricht (sacræ literæ) hinaus. So würde natürlich die ganze Bildung wieder an Mönche zurückfallen, und da zugleich die „ Wiſſendſten und Heilig - ſten “auch Staaten und Reiche regieren ſollten, ſo wären auch dieſes wiederum Mönche. Wir wollen nicht einmal fragen, ob der Autor ſo weit hinaus gedacht hat.
Kindlicher kann man nicht raiſonniren. Die einfache Erwägung, daß das wiederentdeckte Alterthum und die rieſige Ausweitung des ganzen Geſichtskreiſes und Denk - kreiſes eine je nach Umſtänden ruhmvolle Feuerprobe für die Religion ſein möchten, kommt dem guten Menſchen nicht in den Sinn. Er möchte gern verbieten was ſonſt nicht zu beſeitigen iſt. Ueberhaupt war er nichts weniger als liberal; gegen gottloſe Aſtrologen z. B. hält er denſelben Scheiter - haufen in Bereitſchaft, auf welchem er hernach ſelbſt geſtor - ben iſt1)Von den impii astrologi ſagt er: non è da disputar (con loro) altrimenti che col fuoco. .
Wie gewaltig muß die Seele geweſen ſein, die bei dieſem engen Geiſte wohnte! Welch ein Feuer bedurfte es, um den Bildungsenthuſiasmus der Florentiner vor dieſer Anſchauung ſich beugen zu lehren!
Seine Sitten - reform.Was ſie ihm noch von Kunſt und von Weltlichkeit Preis zu geben bereit waren, das zeigen jene berühmten Opferbrände, neben welchen gewiß alle talami des Ber - nardino da Siena und Anderer nur wenig beſagen wollten.
Es ging dabei allerdings nicht ab ohne einige tyran - niſche Polizei von Seiten Savonarola's. Ueberhaupt ſind481 ſeine Eingriffe in die hochgeſchätzte Freiheit des italieniſchen6. Abſchnitt. Privatlebens nicht gering, wie er denn z. B. Spionage der Dienerſchaft gegen den Hausherrn verlangte um ſeine Sit - tenreform durchführen zu können. Was ſpäter in Genf dem eiſernen Calvin, bei dauerndem Belagerungszuſtande von außen, doch nur mühſam gelang, eine Umgeſtaltung des öffentlichen und Privatlebens, das mußte in Florenz doch nur ein Verſuch bleiben und als ſolcher die Gegner auf das Aeußerſte erbittern. Dahin gehört vor Allem die von Savonarola organiſirte Schaar von Knaben, welche in die Häuſer drangen und die für den Scheiterhaufen geeig - neten Gegenſtände mit Gewalt verlangten; ſie wurden hie und da mit Schlägen abgewieſen, da gab man ihnen, um die Fiction einer heranwachſenden heiligen Bürgerſchaft dennoch zu behaupten, Erwachſene als Beſchützer mit.
Und ſo konnten am letzten Carnevalstage des JahresDie Opferbrände. 1497 und an demſelben Tage des folgenden Jahres die großen Autodafes auf dem Signorenplatz ſtattfinden. Da ragte eine Stufenpyramide, ähnlich dem rogus, auf welchem römiſche Imperatorenleichen verbrannt zu werden pflegten. Unten zunächſt der Baſis waren Larven, falſche Bärte, Maskenkleider u. dgl. gruppirt; drüber folgten die Bücher der lateiniſchen und italieniſchen Dichter, unter andern der Morgante des Pulci, der Boccaccio, der Petrarca, zum Theil koſtbare Pergamentdrucke und Manuſcripte mit Miniaturen; dann Zierden und Toilettengeräthe der Frauen, Parfüms, Spiegel, Schleier, Haartouren; weiter oben Lauten, Harfen, Schachbretter, Trictracs, Spielkarten; endlich enthielten die beiden oberſten Abſätze lauter Gemälde, beſonders von weiblichen Schönheiten, theils unter den claſſiſchen Namen der Lucretia, Cleopatra, Fauſtina, theils unmittelbare Por - träts wie die der ſchönen Bencina, Lena Morella, Bina und Maria de' Lenzi. Das erſtemal bot ein anweſender venezianiſcher Kaufmann der Signorie 20,000 Goldthaler für den Inhalt der Pyramide; die einzige Antwort war,Cultur der Renaiſſance. 314826. Abſchnitt. daß man ihn ebenfalls porträtiren und das Bild zu den übrigen hinauf ſtellen ließ. Beim Anzünden trat die Sig - norie auf den Balcon; Geſang, Trompetenſchall und Glocken - geläute erfüllte die Lüfte. Nachher zog man auf den Platz vor S. Marco, wo die ganze Partei eine dreifache con - centriſche Runde tanzte: zu innerſt die Mönche dieſes Kloſters abwechſelnd mit Engelknaben, dann junge Geiſtliche und Laien, zu äußerſt endlich Greiſe, Bürger und Prieſter, dieſe mit Olivenzweigen bekränzt.
Der ganze Spott der ſiegreichen Gegenpartei, die doch wahrlich einigen Anlaß und überdieß das Talent dazu hatte, genügte ſpäter doch nicht, um das Andenken Savo - narola's herabzuſetzen. Je trauriger die Schickſale Ita - liens ſich entwickelten, deſto heller verklärte ſich im Gedächtniß der Ueberlebenden die Geſtalt des großen Mönches und Propheten. Seine Weiſſagungen mochten im Einzelnen unbewährt geblieben ſein — daß große allgemeine Unheil, das er verkündet hatte, war nur zu ſchrecklich in Erfüllung gegangen.
So groß aber die Wirkung der Bußprediger war und ſo deutlich Savonarola dem Mönchsſtande als ſolchem das rettende Predigtamt vindicirte1)S. die Stelle aus der 14ten Predigt über Ezechiel, bei Perrens, l. c., vol. I, pag. 30, Nota. , ſo wenig entging dieſer Stand doch dem allgemeinen verwerfenden Urtheil. Italien gab zu verſtehen, daß es ſich nur für die Individuen be - geiſtern könne.
Stärke des al - ten Glaubens.Wenn man nun die Stärke des alten Glaubens, ab - geſehen von Prieſterweſen und Mönchthum, verificiren ſoll, ſo kann dieſelbe bald ſehr gering, bald ſehr bedeutend er - ſcheinen, je nachdem man ſie von einer beſtimmten Seite, in einem beſtimmten Lichte anſchaut. Von der Unentbehrlichkeit483 der Sacramente und Segnungen iſt ſchon die Rede gewe -6. Abſchnitt. ſen (S. 104, 466); überblicken wir einſtweilen die Stellung des Glaubens und des Cultus im täglichen Leben. Hier iſt die Maſſe und ihre Gewöhnung und die Rückſicht der Mächtigen auf Beides von beſtimmendem Gewicht.
Alles was zur Buße und zur Erwerbung der Selig -Das Heidniſche im Volksglauben. keit mittelſt guter Werke gehört, war bei den Bauern und bei den untern Claſſen überhaupt wohl in derſelben Aus - bildung und Ausartung vorhanden wie im Norden, und auch die Gebildeten wurden davon ſtellenweiſe ergriffen und beſtimmt. Diejenigen Seiten des populären Catholicismus, wo er ſich dem antiken, heidniſchen Anrufen, Beſchenken und Verſöhnen der Götter anſchließt, haben ſich im Be - wußtſein des Volkes auf das Hartnäckigſte feſtgeſetzt. Die ſchon bei einem andern Anlaß citirte achte Ecloge des Bat - tiſta Mantovano1)Mit dem Titel: De rusticorum religione. enthält unter andern das Gebet eines Bauern an die Madonna, worin dieſelbe als ſpecielle Schutzgöttin für alle einzelnen Intereſſen des Landlebens angerufen wird. Welche Begriffe machte ſich das Volk von dem Werthe beſtimmter Madonnen als Nothhelferinnen! was dachte ſich jene Florentinerin2)Franco Sacchetti, Nov. 109, wo noch Anderes der Art., die ein Fäßchen von Wachs als ex voto nach der Annunziata ſtiftete, weil ihr Geliebter, ein Mönch, allmälig ein Fäßchen Wein bei ihr austrank, ohne daß der abweſende Gemahl es bemerkte. Ebenſo regierte damals ein Patronat einzelner Heiligen für beſtimmte Lebensſphären gerade wie jetzt noch. Es iſt ſchon öfter verſucht worden, eine Anzahl von allgemeinen ritualen Gebräuchen der catholiſchen Kirche auf heidniſche Ceremo - nien zurückzuführen, und daß außerdem eine Menge örtlicher und volksthümlicher Bräuche, die ſich an Kirchenfeſte geknüpft haben, unbewußte Reſte der verſchiedenen alten Heidenthümer Europa's ſind, giebt Jedermann zu. In Italien aber kam31*4846. Abſchnitt. auf dem Lande noch dieß und jenes vor, worin ſich ein bewußter Reſt heidniſchen Glaubens gar nicht verkennen ließ. So das Hinſtellen von Speiſe für die Todten, vier Tage vor Petri Stuhlfeier, alſo noch am Tage der alten Feralien, 18. Februar1)Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. II. ruſt aus:Ista superstitio, ducens a Manibus ortum Tartareis, sancta de relligione facessat Christigenûm! vivis epulas date, sacra sepultis. Ein Jahrhundert vorher, als das Executionsheer Johann's XXII. gegen die Ghibellinen in der Mark zog, geſchah es unter ausdrück - licher Anklage auf eresia und idolatria; Recanati, das ſich frei - willig ergeben, wurde doch verbrannt, „ weil daſelbſt Idole angebetet worden waren “. Giov. Villani, IX, 139. 141. — Eine geheim - nißvolle Anſpielung auf eine Idolatria del Toro in Rom findet ſich in dem Brief des Negri, Lettere de' principi, I, vom 14. Auguſt 1522. — Unter Pius II. kommt ein hartnäckiger Sonnenanbeter, Urbinate von Geburt, zum Vorſchein. Aen. Sylvii opera p. 289. Hist. rer. ubique gestar. c. 12.. Manches andere dieſer Art mag damals noch in Uebung geweſen und erſt ſeither ausgerottet worden ſein. Vielleicht iſt es nur ſcheinbar paradox zu ſagen, daß der populäre Glaube in Italien ganz beſonders feſt gegründet war, ſo weit er Heidenthum war.
Wie weit nun die Herrſchaft dieſer Art von Glauben ſich auch in die obern Stände erſtreckte, ließe ſich wohl bis zu einem gewiſſen Puncte näher nachweiſen. Derſelbe hatte, wie bereits bei Anlaß des Verhältniſſes zum Clerus bemerkt wurde, die Macht der Gewöhnung und der frühen Ein - drücke für ſich; auch die Liebe zum kirchlichen Feſtpomp wirkte mit, und hie und da kam eine jener großen Buß - epidemien hinzu, welchen auch Spötter und Läugner ſchwer widerſtehen konnten.
Der Reliquien - glaube.Es iſt aber bedenklich, in dieſen Fragen raſch auf durchgehende Reſultate hinzuſteuern. Man ſollte z. B. meinen, daß das Verhalten der Gebildeten zu den Reli - quien von Heiligen einen Schlüſſel gewähren müſſe, der485 uns wenigſtens einige Fächer ihres religiöſen Bewußtſeins6. Abſchnitt. öffnen könnte. In der That laſſen ſich Gradunterſchiede nachweiſen, doch lange nicht ſo deutlich wie es zu wünſchen wäre. Zunächſt ſcheint die Regierung von Venedig im XV. Jahrhundert durchaus diejenige Andacht zu den Ueber - reſten heiliger Leiber getheilt zu haben, welche damals durch das ganze Abendland herrſchte (S. 73). Auch Fremde, welche in Venedig lebten, thaten wohl, ſich dieſer Befangen - heit zu fügen1)So Sabellico, de situ venetæ urbis. Er nennt zwar die Namen der Kirchenheiligen, nach Art mehrerer Philologen, ohne sanctus oder divus, führt aber eine Menge Reliquien an und thut ſehr zärtlich damit, rühmt ſich auch bei mehrern Stücken, ſie geküßt zu haben.. Wenn wir das gelehrte Padua nach ſei - nem Topographen Michele Savonarola (S. 148) beurtheilen dürften, ſo wäre es hier nicht anders geweſen als in Ve - nedig. Mit einem Hochgefühl, in welches ſich frommes Grauſen miſcht, erzählt uns Michele, wie man bei großen Gefahren des Nachts durch die ganze Stadt die Heiligen ſeufzen höre, wie der Leiche einer heiligen Nonne zu S. Chiara beſtändig Nägel und Haare wachſen, wie ſie bei bevorſte - hendem Unheil Lärm macht, die Arme erhebt, u. dgl .2)De laudibus Patavii, bei Murat. XXIV, Col. 1149 bis 1151.. Bei der Beſchreibung der Antoniuscapelle im Santo ver - liert ſich der Autor völlig ins Stammeln und Phantaſiren. In Mailand zeigte wenigſtens das Volk einen großen Re - liquienfanatismus, und als einſt (1517) die Mönche in S. Simpliciano beim Umbau des Hochaltars ſechs heilige Leichen unvorſichtig aufdeckten und mächtige Regenſtürme über das Land kamen, ſuchten die Leute3)Prato, arch. stor. III, p. 408. — Er gehört ſonſt nicht zu den Aufklärern, aber gegen dieſen Cauſalnerus proteſtirt er denn doch. die Urſache der letztern in jenem Sacrilegium und prügelten die betreffenden Mönche auf öffentlicher Straße durch, wo ſie ſie antrafen. Deſſen Grad - unterſchiede.In andern Gegenden Italiens aber, ſelbſt bei den Päpſten,4866. Abſchnitt. ſieht es mit dieſen Dingen ſchon viel zweifelhafter aus, ohne daß man doch einen bündigen Schluß ziehen könnte. Es iſt bekannt, unter welchem allgemeinen Aufſehen Pius II. das aus Griechenland zunächſt nach S. Maura geflüchtete Haupt des Apoſtels Andreas erwarb und (1462) feierlich in S. Peter niederlegte; allein aus ſeiner eigenen Relation geht hervor, daß er dieß that aus einer Art von Scham, als ſchon viele Fürſten ſich um die Reliquie bewarben. Jetzt erſt fiel es ihm ein, Rom zu einem allgemeinen Zufluchtsort der aus ihren Kirchen vertriebenen Reſte der Heiligen zu machen1)Pii II. Comment. L. VIII, p. 352, s. Verebatur Pontifex, ne in honore tanti apostoli diminute agere videretur etc. . Unter Sixtus IV. war die Stadtbevölkerung in dieſen Dingen eifriger als der Papſt, ſo daß der Magiſtrat ſich (1483) bitter beklagte, als Sixtus dem ſterbenden Lud - wig XI. Einiges von den lateranenſiſchen Reliquien ver - abfolgte2)Jac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 187. Ludwig konnte das Geſchenk noch anbeten, ſtarb aber dennoch. — Die Katakomben waren damals in Vergeſſenheit gerathen, doch ſagt auch Savonarola, l. c. Col. 1150 von Rom: velut ager Aceldama Sanctorum habita est. . In Bologna erhob ſich um dieſe Zeit eine muthige Stimme, welche verlangte, man ſolle dem König von Spanien den Schädel des h. Dominicus verkaufen und aus dem Erlös etwas zum öffentlichen Nutzen dienendes ſtiften3)Bursellis, Annal. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 905. Es war einer der 16 Patricier, Bartol. della Volta, ſt. 1485.. Die wenigſte Reliquienandacht zeigen die Floren - tiner. Zwiſchen ihrem Beſchluß, den Stadtheiligen S. Za - nobi durch einen neuen Sarcophag zu ehren, und der de - finitiven Beſtellung bei Ghiberti vergehen 19 Jahre (1409 — 1428) und auch dann erfolgt der Auftrag nur zufällig, weil der Meiſter eine kleinere ähnliche Arbeit ſchön vollendet hatte4)Vasari III, 111, s. et N. Vita di Ghiberti. . Vielleicht war man der Reliquien etwas über -487 drüſſig, ſeitdem man (1352) durch eine verſchlagene Aeb -6. Abſchnitt. tiſſin im Neapolitaniſchen mit einem falſchen, aus Holz und Gyps nachgemachten Arm der Schutzpatronin des Domes, S. Reparata, war betrogen worden1)Matteo Villani III, 15 und 16.. Oder dürfen wir etwa annehmen, daß der äſthetiſche Sinn es war, welcher ſich hier vorzüglich entſchieden von den zerſtückelten Leichnamen, den halbvermoderten Gewändern und Geräthen abwandte? oder gar der moderne Ruhmesſinn, welcher lieber die Leichen eines Dante und Petrarca in den herrlichſten Gräbern be - herbergt hätte als alle zwölf Apoſtel miteinander? Vielleicht war aber in Italien überhaupt, abgeſehen von Venedig und dem ganz exceptionellen Rom, der Reliquiendienſt ſchon ſeit langer Zeit mehr zurückgetreten2)Man müßte überdieß unterſcheiden zwiſchen dem in Italien blühenden Cultus der Leichen hiſtoriſch noch genau bekannter Heiligen aus den letzten Jahrhunderten, und zwiſchen dem im Norden vorherrſchenden Zuſammenſuchen von Körper - und Gewandfragmenten ꝛc. aus der heiligen Urzeit. Letzterer Art, und vorzüglich für Pilger wichtig, war dann auch der große Vorrath der lateranenſiſchen Reliquien. Allein über den Sarcophagen des h. Dominicus und des h. Anto - nius von Padua und über dem myſteriöſen Grabe des h. Franz ſchimmert außer der Heiligkeit auch ſchon der hiſtoriſche Ruhm. vor dem Madonnendienſt,Der Mariendienſt im Volk, als irgendwo ſonſt in Europa, und darin läge dann zu - gleich, wenn auch verhüllt, ein frühes Ueberwiegen des Formſinnes.
Man wird fragen, ob denn im Norden, wo die rieſen - hafteſten Cathedralen faſt alle Unſer Frauen gewidmet ſind, wo ein ganzer reicher Zweig der Poeſie im Lateiniſchen wie in den Landesſprachen die Mutter Gottes verherrlichte, eine größere Verehrung derſelben auch nur möglich geweſen wäre? Allein dieſem gegenüber macht ſich in Italien eine ungemein viel größere Anzahl von wunderthätigen Marienbildern geltend, mit einer unaufhörlichen Intervention in das täg - liche Leben. Jede beträchtliche Stadt beſitzt ihrer eine ganze4886. Abſchnitt. Reihe, von den uralten oder für uralt geltenden „ Malereien des St. Lucas “bis zu den Arbeiten von Zeitgenoſſen, welche die Mirakel ihrer Bilder nicht ſelten noch erleben konnten. Das Kunſtwerk iſt hier gar nicht ſo harmlos wie Battiſta Mantovano1)Die merkwürdige Ausſage, aus ſeinem ſpäten Werke de sacris die - bus (L. I.) bezieht ſich freilich auf weltliche und geiſtliche Kunſt zugleich. Bei den Hebräern, meint er, ſei mit Recht alles Bildwerk verdammt geweſen, weil ſie ſonſt in den ringsherrſchenden Götzen - oder Teufelsdienſt wieder zurückgefallen wären:Nunc autem, postquam penitus natura SatanumCognita, et antiqua sine maiestate relicta est, Nulla ferunt nobis statuæ discrimina, nullosFert pictura dolos; iam sunt innoxia signa; Sunt modo virtutum testes monimentaque laudumMarmora, et æternæ decora immortalia famæ … glaubt; es gewinnt je nach Umſtänden plötz - lich eine magiſche Gewalt. Das populäre Wunderbedürfniß, zumal der Frauen, mag dabei vollſtändig geſtillt worden ſein und ſchon deßhalb der Reliquien wenig mehr geachtet haben. Inwiefern dann noch der Spott der Novelliſten gegen falſche Reliquien auch den für echt geltenden Eintrag that2)So klagt Battiſta Mantovano (de sacris diebus, L. V.) über ge - wiſſe „ nebulones “, welche an die Echtheit des heil. Blutes zu Mantua nicht glauben wollten. Auch diejenige Kritik, welche bereits die Schenkung Conſtantins beſtritt, war ſicher den Reliquien un - günſtig, wenn auch im Stillen., mag auf ſich beruhen.
und bei den Ge - bildeten.Das Verhältniß der Gebildeten zum Mariendienſt zeichnet ſich dann ſchon etwas klarer als das zum Reliquien - dienſt. Es darf zunächſt auffallen, daß in der Literatur Dante mit ſeinem Paradies eigentlich der letzte bedeutende Mariendichter der Italiener geblieben iſt, während im Volk die Madonnenlieder bis auf den heutigen Tag neu hervor - gebracht werden. Man wird vielleicht Sannazaro, Sabel - lico3)Vielleicht auch Pius II, deſſen Elegie auf die h. Jungfrau in den und andere lateiniſche Dichter namhaft machen wollen,489 allein ihre weſentlich literariſchen Zwecke benehmen ihnen6. Abſchnitt. ein gutes Theil der Beweiskraft. Diejenigen italieniſch ab - gefaßten Gedichte des XV. Jahrhunderts1)Alſo aus der Zeit da Sixtus IV. ſich für die unbefleckte Empfäng - niß ereiferte. Extravag. commun. L. III, Tit. XII. Er ſtiftete auch das Feſt der Darſtellung Mariä im Tempel, das der heil. Anna und des heil. Joſeph. Vgl. Trithem. Ann. Hirsaug. II, p. 518. und des be - ginnenden XVI., aus welchen eine unmittelbare Religioſität zu uns ſpricht, könnten meiſt auch von Proteſtanten ge - ſchrieben ſein; ſo die betreffenden Hymnen ꝛc. des Lorenzo magnifico, die Sonette der Vittoria Colonna, des Michel - angelo u. ſ. w. Abgeſehen von dem lyriſchen Ausdruck des Theismus redet meiſt das Gefühl der Sünde, das Bewußt - ſein der Erlöſung durch den Tod Chriſti, die Sehnſucht nach der höhern Welt, wobei die Fürbitte der Mutter Gottes nur ganz ausnahmsweiſe erwähnt2)Höchſt belehrend ſind hiefür die wenigen und kühlen Madonnenſonette der Vittoria. (N. 85 u. ff.) wird. Es iſt daſſelbe Phänomen, welches ſich in der claſſiſchen Bildung der Franzoſen, in der Literatur Ludwigs XIV. wiederholt. Erſt die Gegenreformation brachte in Italien den Marien - dienſt wieder in die Kunſtdichtung zurück. Freilich hatte inzwiſchen die bildende Kunſt das Höchſte gethan zur Ver - herrlichung der Madonna. Der Heiligendienſt endlich nahm bei den Gebildeten nicht ſelten (S. 56, ff., 261) eine weſentlich heidniſche Farbe an.
Wir könnten nun noch verſchiedene Seiten des dama - ligen italieniſchen Catholicismus auf dieſe Weiſe prüfend durchgehen und das vermuthliche Verhältniß der Gebildeten zum Volksglauben bis zu einem gewiſſen Grade von Wahr - ſcheinlichkeit ermitteln, ohne doch je zu einem durchgreifendenSchwankungen im Cultus. Reſultat zu gelangen. Es giebt ſchwer zu deutende Con -3)opera, p. 964 abgedruckt iſt und der ſich von Jugend auf unter dem beſondern Schutz der Maria glaubte. Jac. Card. Papiens., de morte Pii, p. 656. 4906. Abſchnitt. traſte. Während z. B. an und für Kirchen raſtlos gebaut, gemeißelt und gemalt wird, vernehmen wir aus dem Anfang des XVI. Jahrhunderts die bitterſte Klage über Erſchlaf - fung im Cultus und Vernachläſſigung derſelben Kirchen: Templa ruunt, passim sordent altaria, cultus Paula - tim divinus abit1)Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. V. ! ... Es iſt bekannt, wie Luther in Rom durch das weiheloſe Benehmen der Prieſter bei der Meſſe geärgert wurde. Und daneben waren die kirchlichen Feſte mit einer Pracht und einem Geſchmack ausgeſtattet, wovon der Norden keinen Begriff hatte. Man wird an - nehmen müſſen, daß das Phantaſievolk im vorzugsweiſen Sinne das Alltägliche gern vernachläſſigte um dann von dem Außergewöhnlichen ſich hinreißen zu laſſen.
Durch die Phantaſie erklären ſich auch jene Bußepide - mien, von welchen hier noch die Rede ſein muß. Sie ſind wohl zu unterſcheiden von den Wirkungen jener großen Bußprediger; was ſie hervorruft ſind große allgemeine Calamitäten oder die Furcht vor ſolchen.
Bußepidemien.Im Mittelalter kam von Zeit zu Zeit über ganz Eu - ropa irgend ein Sturm dieſer Art, wobei die Maſſen ſogar in ſtrömende Bewegung geriethen, wie z. B. bei den Kreuz - zügen und Geißelfahrten. Italien betheiligte ſich bei beiden; die erſten ganz gewaltigen Geißlerſchaaren traten hier auf, gleich nach dem Sturze Ezzelino's und ſeines Hauſes, und zwar in der Gegend deſſelben Perugia2)Monach. Paduani chron. L. III, Anfang. Es heißt von dieſer Buße: invasit primitus Perusinos, Romanos postmodum, deinde fere Italiæ populos universos. , das wir bereits (S. 472, Anm.) als eine Hauptſtation der ſpätern Buß - prediger kennen lernten. Dann folgten die Flagellanten3)Giov. Villani VIII, 122. XI, 23. von 1310 und 1334 und dann die große Bußfahrt ohne Geißelung, von welcher Corio4)Corio, fol. 281. zum Jahre 1399 erzählt. 491Es iſt nicht undenkbar, daß die Jubileen zum Theil ein -6. Abſchnitt. gerichtet wurden, um dieſen unheimlichen Wandertrieb re - ligiös aufgeregter Maſſen möglichſt zu reguliren und un - ſchädlich zu machen; auch zogen die inzwiſchen neu berühmt gewordenen Wallfahrtsorte Italiens, wie z. B. Loreto, einen Theil jener Aufregung an ſich1)Entferntere Wallfahrten werden ſchon ſehr ſelten. Diejenigen der Fürſten vom Hauſe Eſte nach Jeruſalem, S. Yago und Vienne ſind aufgezählt im Diario Ferrarese bei Murat. XXIV, Col. 182. 187. 190. 279. Die des Rinaldo Albizzi in's heil. Land bei Macchiavelli, stor. fior., L. V. Auch hier iſt bisweilen die Ruhm - luſt das Beſtimmende; von Lionardo Frescobaldi, der mit einem Ge - fährten (gegen 1400) nach dem heil. Grabe pilgern wollte, ſagt der Chroniſt Giov. Cavalcanti (II, p. 478): Stimarono di eternarsi nella mente degli uomini futuri. .
Aber in ſchrecklichen Augenblicken erwacht hie und da ganz ſpät die Gluth der mittelalterlichen Buße, und das geängſtigte Volk, zumal wenn Prodigien hinzukommen, will mit Geißelungen und lautem Geſchrei um Barmherzigkeit den Himmel erweichen. So war es bei der Peſt von 1457 zu Bologna2)Bursellis, annal. Bon. bei Murat. XXIII, Col. 890. , ſo bei den innern Wirren von 1496 in Siena3)Allegretto, bei Murat. XXIII, Col. 855, s. , um aus zahlloſen Beiſpielen nur zwei zu wählen. Wahrhaft erſchütternd aber iſt was 1529 zu Mailand ge -Die Buße von Mailand. ſchah, als die drei furchtbaren Geſchwiſter Krieg, Hunger und Peſt ſammt der ſpaniſchen Ausſaugerei die höchſte Ver - zweiflung über das Land gebracht hatten4)Burigozzo, Arch. stor. III, p. 486. . Zufällig war es ein ſpaniſcher Mönch, Fra Tommaſo Nieto, auf den man jetzt hörte; bei den barfüßigen Proceſſionen von Alt und Jung ließ er das Sacrament auf eine neue Weiſe mittragen, nämlich befeſtigt auf einer geſchmückten Bahre, welche auf den Schultern von vier Prieſtern im Linnengewande ruhte —4926. Abſchnitt. eine Nachahmung der Bundeslade1)Man nannte es auch l'arca del testimonio, und war ſich bewußt, die Sache ſei conzado (eingerichtet) con gran misterio. , wie ſie einſt das Volk Israel um die Mauern von Jericho trug. So erinnerte das gequälte Volk von Mailand den alten Gott an ſeinen alten Bund mit den Menſchen, und als die Proceſſion wieder in den Dom einzog und es ſchien, als müſſe von dem Jammerruf misericordia! der Rieſenbau einſtürzen, da mochte wohl Mancher glauben, der Himmel müſſe in die Geſetze der Natur und der Geſchichte eingreifen durch irgend ein rettendes Wunder.
Verhalten der Regierung von Ferrara.Es gab aber eine Regierung in Italien, welche ſich in ſolchen Zeiten ſogar an die Spitze der allgemeinen Stim - mung ſtellte und die vorhandene Bußfertigkeit polizeilich ordnete: die des Herzogs Ercole I. von Ferrara2)Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 317. 322. 323. 326. 386. 401. . Als Savonarola in Florenz mächtig war und Weiſſagung und Buße in weiten Kreiſen, auch über den Apennin hinaus, das Volk zu ergreifen begannen, kam auch über Ferrara großes freiwilliges Faſten (Anfang 1496); ein Lazariſt ver - kündete nämlich von der Kanzel den baldigen Eintritt der ſchrecklichſten Krieges - und Hungersnoth, welche die Welt geſehen; wer jetzt faſte, könne dieſem Unheil entgehen, ſo habe es die Madonna einem frommen Ehepaar verkündigt. Darauf konnte auch der Hof nicht umhin zu faſten, aber er ergriff nun ſelber die Leitung der Devotion. Am 3. April (Oſtertag) erſchien ein Sitten - und Andachtsedict gegen Läſterung Gottes und der h.. Jungfrau, verbotene Spiele, Sodomie, Concubinat, Häuſervermiethen an Huren und deren Wirthe, Oeffnung der Buden an Feſttagen mit Aus - nahme der Becker und Gemüſehändler u. ſ. w.; die Juden und Maranen, deren viele aus Spanien hergeflüchtet waren, ſollten wieder ihr gelbes O auf der Bruſt genäht tragen. 493Die Zuwiderhandelnden wurden bedroht nicht nur mit den6. Abſchnitt. im bisherigen Geſetz verzeichneten Strafen, ſondern auch „ mit den noch größern, welche der Herzog zu verhängen für gut finden wird “. Darauf ging der Herzog ſammt dem Hofe mehrere Tage nach einander zur Predigt; am 10. April mußten ſogar alle Juden von Ferrara dabei ſein. Allein am 3. Mai ließ der Polizeidirector — der ſchonPolizeiliche Ausbeutung. oben (S. 51) erwähnte Gregorio Zampante — ausrufen: wer den Schergen Geld gegeben habe um nicht als Läſterer verzeigt zu werden, möge ſich melden um es ſammt weiterer Vergütung zurück zu erhalten; dieſe ſchändlichen Menſchen nämlich hatten von Unſchuldigen bis auf 2, 3 Ducaten er - preßt durch die Androhung der Denunciation, und einander dann gegenſeitig verrathen, worauf ſie ſelbſt in den Kerker kamen. Da man aber eben nur bezahlt hatte um nicht mit dem Zampante zu thun zu haben, ſo möchte auf ſein Ausſchreiben kaum Jemand erſchienen ſein. — Im Jahr 1500, nach dem Sturze des Lodovico Moro, als ähnliche Stimmungen wiederkehrten, verordnete Ercole von ſich aus1)Per buono rispetto a lui noto e perchè sempre è buono a star bene con Iddio, ſagt der Annaliſt. eine Folge von neun Proceſſionen, wobei auch die weißge - kleideten Kinder mit der Jeſusfahne nicht fehlen durften; er ſelber ritt mit im Zuge, weil er ſchlecht zu Fuße war. Dann folgte ein Edict ganz ähnlichen Inhaltes wie das von 1496. Die zahlreichen Kirchen - und Kloſterbauten dieſer Regierung ſind bekannt, aber ſelbſt eine leibhaftige Heilige, die Suor Colomba2)Vermuthlich die S. 29 in Perugia erwähnte., ließ ſich Ercole kommen, ganz kurz bevor er ſeinen Sohn Alfonſo mit der Lucrezia Borgia vermählen mußte (1502). Ein Cabinetscourier3)Die Quelle nennt ihn einen Messo de' cancellieri del Duca. Die Sache ſollte recht augenſcheinlich vom Hofe und nicht von Or - densobern oder ſonſtigen geiſtlichen Behörden ausgehen. holte die Heilige von Viterbo mit 15 andern Nonnen ab4946. Abſchnitt. und der Herzog ſelber führte ſie bei der Ankunft in Ferrara in ein bereitgehaltenes Kloſter ein. Thun wir ihm Unrecht, wenn wir in all dieſen Dingen die ſtärkſte politiſche Ab - ſichtlichkeit vorausſetzen? Zu der Herrſcheridee des Hauſes Eſte, wie ſie oben (S. 46 u. ff. ) nachgewieſen wurde, gehört eine ſolche Mitbenützung und Dienſtbarmachung des Religiöſen beinahe ſchon nach den Geſetzen der Logik.
Verſuch einer Syntheſe.Um aber zu den entſcheidenden Schlüſſen über die Re - ligioſität der Menſchen der Renaiſſance zu gelangen, müſſen wir einen andern Weg einſchlagen. Aus der geiſtigen Hal - tung derſelben überhaupt muß ihr Verhältniß ſowohl zu der beſtehenden Landesreligion als zu der Idee des Gött - lichen klar werden.
Dieſe modernen Menſchen, die Träger der Bildung des damaligen Italiens, ſind religiös geboren wie die Abend - länder des Mittelalters, aber ihr mächtiger Individualismus macht ſie darin wie in andern Dingen völlig ſubjectiv, und die Fülle von Reiz, welche die Entdeckung der äußern und der geiſtigen Welt auf ſie ausübt, macht ſie überhaupt vorwiegend weltlich. Im übrigen Europa dagegen bleibt die Religion noch länger ein objectiv Gegebenes und im Leben wechſelt Selbſtſucht und Sinnengenuß unmittelbar mit Andacht und Buße; letztere hat noch keine geiſtige Concurrenz wie in Italien, oder doch eine unendlich geringere.
Ferner hatte von jeher der häufige und nahe Contact mit Byzantinern und mit Mohammedanern eine neutrale Toleranz aufrecht erhalten, vor welcher der ethnogra - phiſche Begriff einer bevorrechteten abendländiſchen Chriſten - heit einigermaßen zurücktrat. Und als vollends das claſſiſche Alterthum mit ſeinen Menſchen und Einrichtungen ein Ideal des Lebens wurde, weil es die größte Erinnerung Italiens war, da überwältigte die antike[Speculation] und Skepſis bisweilen den Geiſt der Italiener vollſtändig.
495Da ferner die Italiener die erſten neuern Europäer6. Abſchnitt. waren, welche ſich ſchrankenlos dem Nachdenken über Frei -Verſuch einer Syntheſe. heit und Nothwendigkeit hingaben, da ſie dieß thaten unter gewaltſamen, rechtloſen politiſchen Verhältniſſen, die oft einem glänzenden und dauernden Siege des Böſen ähnlich ſahen, ſo wurde ihr Gottesbewußtſein ſchwankend, ihre Weltanſchauung theilweiſe fataliſtiſch. Und wenn ihre Leidenſchaftlichkeit bei dem Ungewiſſen nicht wollte ſtehen bleiben, ſo nahmen Manche vorlieb mit einer Ergänzung aus dem antiken, orientaliſchen und mittelalterlichen Aber - glauben; ſie wurden Aſtrologen und Magier.
Endlich aber zeigen die geiſtig Mächtigen, die Träger der Renaiſſance in religiöſer Beziehung eine häufige Eigen - ſchaft jugendlicher Naturen: ſie unterſcheiden recht ſcharf zwiſchen gut und böſe, aber ſie kennen keine Sünde; jede Störung der innern Harmonie getrauen ſie ſich vermöge ihrer plaſtiſchen Kraft wiederherzuſtellen und kennen deßhalb keine Reue; da verblaßt denn auch das Bedürfniß der Er - löſung, während zugleich vor dem Ehrgeiz und der Geiſtes - anſtrengung des Tages der Gedanke an das Jenſeits ent - weder völlig verſchwindet oder eine poetiſche Geſtalt annimmt ſtatt der dogmatiſchen.
Denkt man ſich dieſes Alles vermittelt und theilweiſe verwirrt durch die allherrſchende Phantaſie, ſo ergiebt ſich ein Geiſtesbild jener Zeit, das wenigſtens der Wahrheit näher kommt als bloße unbeſtimmte Klagen über mo - dernes Heidenthum. Und bei näherm Forſchen wird man erſt noch inne werden, daß unter der Hülle dieſes Zuſtandes ein ſtarker Trieb echter Religioſität lebendig blieb.
Die nähere Ausführung des Geſagten muß ſich hier auf die weſentlichſten Belege beſchränken.
Daß die Religion überhaupt wieder mehr Sache desSubjectivität der Religion. einzelnen Subjectes und ſeiner beſondern Auffaſſung wurde, war gegenüber der ausgearteten, tyranniſch behaupteten4966. Abſchnitt. Kirchenlehre unvermeidlich und ein Beweis, daß der euro - päiſche Geiſt noch am Leben ſei. Freilich offenbart ſich dieß auf ſehr verſchiedene Weiſe; während die myſtiſchen und ascetiſchen Secten des Nordens für die neue Gefühlswelt und Denkart ſogleich auch eine neue Disciplin ſchufen, ging in Italien Jeder ſeinen eigenen Weg und tauſende verloren ſich auf dem hohen Meer des Lebens in religiöſe Indiffe - renz. Um ſo höher muß man es Denjenigen anrechnen, welche zu einer individuellen Religion durchdrangen und daran feſthielten. Denn daß ſie an der alten Kirche, wie ſie war und ſich aufdrang, keinen Theil mehr hatten, war nicht ihre Schuld; daß aber der Einzelne die ganze große Geiſtesarbeit, welche dann den deutſchen Reformatoren zufiel, in ſich hätte durchmachen ſollen, wäre ein unbilliges Ver - langen geweſen. Wo es mit dieſer individuellen Religion der Beſſern in der Regel hinaus wollte, werden wir am Schluſſe zu zeigen ſuchen.
Weltlichkeit.Die Weltlichkeit, durch welche die Renaiſſance einen ausgeſprochenen Gegenſatz zum Mittelalter zu bilden ſcheint, entſteht zunächſt durch das maſſenhafte Ueberſtrömen der neuen Anſchauungen, Gedanken und Abſichten in Bezug auf Natur und Menſchheit. An ſich betrachtet, iſt ſie der Religion nicht feindlicher als das was jetzt ihre Stelle ver - tritt, nämlich die ſogenannten Bildungsintereſſen, nur daß dieſe, ſo wie wir ſie betreiben, uns bloß ein ſchwaches Ab - bild geben von der allſeitigen Aufregung, in welche damals das viele und große Neue die Menſchen verſetzte. So war dieſe Weltlichkeit eine ernſte, überdieß durch Poeſie und Kunſt geadelte. Es iſt eine erhabene Nothwendigkeit des modernen Geiſtes, daß er dieſelbe gar nicht mehr abſchütteln kann, daß er zur Erforſchung der Menſchen und der Dinge unwiderſtehlich getrieben wird und dieß für ſeine Beſtim - mung hält1)Vgl. das Citat aus Pico's Rede von der Würde des Menſchen, S. 354.. Wie bald und auf welchen Wegen ihn dieß497 Forſchen zu Gott zurückführen, wie es ſich mit der ſonſtigen6. Abſchnitt. Religioſität des Einzelnen in Verbindung ſetzen wird, das ſind Fragen, welche ſich nicht nach allgemeinen Vorſchriften erledigen laſſen. Das Mittelalter, welches ſich im Ganzen die Empirie und das freie Forſchen erſpart hatte, kann in dieſer großen Angelegenheit mit irgend einem dogmatiſchen Entſcheid nicht aufkommen.
Mit dem Studium des Menſchen, aber auch noch mitToleranz gegen den Islam. vielen andern Dingen, hing dann die Toleranz und Indif - ferenz zuſammen, womit man zunächſt dem Mohammeda - nismus begegnete. Die Kenntniß und Bewunderung der bedeutenden Culturhöhe der islamitiſchen Völker, zumal vor der mongoliſchen Ueberſchwemmung, war gewiß den Ita - lienern ſeit den Kreuzzügen eigen; dazu kam die halb - mohammedaniſche Regierungsweiſe ihrer eigenen Fürſten, die ſtille Abneigung, ja Verachtung gegen die Kirche wie ſie war, die Fortdauer der orientaliſchen Reiſen und des Handels nach den öſtlichen und ſüdlichen Häfen des Mit - telmeeres1)Abgeſehen davon, daß man bei den Arabern ſelbſt bisweilen auf eine ähnliche Toleranz oder Indifferenz ſtoßen konnte.. Erweislich ſchon im XIII. Jahrhundert offen - bart ſich bei den Italienern die Anerkennung eines moham - medaniſchen Ideals von Edelmuth, Würde und Stolz, das am liebſten mit der Perſon eines Sultans verknüpft wird. Man hat dabei insgemein an ejubidiſche oder mamelukiſche Sultane von Aegypten zu denken; wenn ein Name genannt wird, ſo iſt es höchſtens Saladin2)So bei Boccaccio. — Sultane ohne Namen bei Maſſuccio, Nov. 46, 48, 49.. Selbſt die osmani - ſchen Türken, deren zerſtörende aufbrauchende Manier wahr - lich kein Geheimniß war, flößen dann den Italienern, wie oben (S. 94, ff. ) gezeigt wurde, doch nur einen halben Schrecken ein, und ganze Bevölkerungen gewöhnen ſich an den Ge - danken einer möglichen Abfindung mit ihnen.
Cultur der Renaiſſance. 324986. Abſchnitt. Der wahrſte und bezeichnendſte Ausdruck dieſer In -Die drei Ringe. differenz iſt die berühmte Geſchichte von den drei Ringen, welche unter andern Leſſing ſeinem Nathan in den Mund legte, nachdem ſie ſchon vor vielen Jahrhunderten zaghafter in den „ hundert alten Novellen “(Nov. 72 oder 73) und etwas rückhaltsloſer bei Boccaccio1)Decamerone I, Nov. 3. Er zuerſt nennt die chriſtliche Religion mit, während die 100 novelle ant. eine Lücke laſſen. vorgebracht worden war. In welchem Winkel des Mittelmeeres und in welcher Sprache ſie zuerſt Einer dem Andern erzählt haben mag, wird man nie herausbringen; wahrſcheinlich lautete ſie urſprünglich noch viel deutlicher als in den beiden italieniſchen Redactionen. Der geheime Vorbehalt, der ihr zu Grunde liegt, nämlich der Deismus, wird unten in ſeiner weitern Bedeutung an den Tag treten. In roher Mißgeſtalt und Verzerrung giebt der bekannte Spruch von „ den Dreien, die die Welt betro - gen “, nämlich Moſes, Chriſtus und Mohammed, dieſelbe Idee wieder. Wenn Kaiſer Friedrich II., von dem dieſe Rede ſtammen ſoll, ähnlich gedacht hat, ſo wird er ſich wohl geiſtreicher ausgedrückt haben.
Berechtigung aller Religionen.Auf der Höhe der Renaiſſance, gegen Ende des XV. Jahrhunderts, tritt uns dann eine ähnliche Denkweiſe ent - gegen bei Luigi Pulci, im Morgante maggiore. Die Phan - taſiewelt, in welcher ſich ſeine Geſchichten bewegen, theilt ſich, wie bei allen romantiſchen Heldengedichten, in ein chriſtliches und ein mohammedaniſches Heerlager. Gemäß dem Sinne des Mittelalters war nun der Sieg und die Verſöhnung zwiſchen den Streitern gerne begleitet von der Taufe des unterliegenden mohammedaniſchen Theiles, und die Improviſatoren, welche dem Pulci in der Behandlung ſolcher Stoffe vorangegangen waren, müſſen von dieſem Motiv reichlichen Gebrauch gemacht haben. Nun iſt es Pulci's eigentliches Geſchäft, dieſe ſeine Vorgänger, beſon - ders wohl die ſchlechten darunter zu parodiren, und dieß499 geſchieht ſchon durch die Anrufungen an Gott, Chriſtus6. Abſchnitt. und die Madonna, womit ſeine einzelnen Geſänge anheben. Noch viel deutlicher aber macht er ihnen die raſchen Bekeh - rungen und Taufen nach, deren Sinnloſigkeit dem Leſer oder Hörer ja recht in die Augen ſpringen ſoll. Allein dieſer Spott führt ihn weiter bis zum Bekenntniß ſeines Glaubens an die relative Güte aller Religionen1)Freilich im Munde des Dämons Aſtarotte, Geſ. XXV, Str. 231 u. ff. Vgl. Str. 141 u. ff., dem trotz ſeiner Betheurungen der Orthodoxie2)Geſ. XXVIII, Str. 38 u. ff. eine weſentlich theiſtiſche Anſchauung zu Grunde liegt. Außerdem thut er noch einen großen Schritt über alles Mittelalter hinaus nach einer andern Seite hin. Die Alternativen der ver - gangenen Jahrhunderte hatten gelautet: Rechtgläubiger oder Ketzer, Chriſt oder Heide und Mohammedaner; nun zeichnet Pulci die Geſtalt des Rieſen Margutte3)Geſ. XVIII, Str. 112 bis zu Ende., der ſich gegen - über von aller und jeglicher Religion zum ſinnlichſtenDer Rieſe Mar - gutte. Egoismus und zu allen Laſtern fröhlich bekennt und ſich nur das Eine vorbehält: daß er nie einen Verrath begangen habe. Vielleicht hatte der Dichter mit dieſem auf ſeine Manier ehrlichen Scheuſal nichts Geringes vor, möglicher Weiſe eine Erziehung zum Beſſern durch Morgante, allein die Figur verleidete ihm bald und er gönnte ihr bereits im nächſten Geſang ein komiſches Ende4)Pulci nimmt ein analoges Thema, obwohl nur flüchtig, wieder auf in der Geſtalt des Fürſten Chiariſtante (Geſ. XXI, Str. 101, s. 121, s. 145, s. 163, s.) welcher nichts glaubt und ſich und ſeine Gemahlin göttlich verehren läßt. Man iſt verſucht, dabei an Si - gismondo Malateſta (S. 33, 223, 454) zu denken.. Margutte iſt ſchon als Beweis von Pulci's Frivolität geltend gemacht worden; er gehört aber nothwendig mit zu dem Weltbilde der Dich - tung des XV. Jahrhunderts. Irgendwo mußte ſie in grottesker Größe den für alles damalige Dogmatiſiren un -32*5006. Abſchnitt. empfindlich gewordenen, wilden Egoismus zeichnen, dem nur ein Reſt von Ehrgefühl geblieben iſt. Auch in andern Gedichten wird den Rieſen, Dämonen, Heiden und Mo - hammedanern in den Mund gelegt was kein chriſtlicher Ritter ſagen darf.
Einwirkung des Alterthums im XIV. Jahrh.Wieder auf eine ganz andere Weiſe als der Islam wirkte das Alterthum ein, und zwar nicht durch ſeine Re - ligion, denn dieſe war dem damaligen Catholicismus nur zu homogen, ſondern durch ſeine Philoſophie. Die antike Literatur, die man jetzt als etwas Unvergleichliches verehrte, war ganz erfüllt von dem Siege der Philoſophie über den Götterglauben; eine ganze Anzahl von Syſtemen und Frag - mente von Syſtemen ſtürzten über den italieniſchen Geiſt herein, nicht mehr als Curioſitäten oder gar als Häreſien, ſondern faſt als Dogmen, die man nun nicht ſowohl zu unterſcheiden als miteinander zu verſöhnen beſtrebt war. Faſt in all dieſen verſchiedenen Meinungen und Philoſophemen lebte irgend eine Art von Gottesbewußtſein, aber in ihrer Geſammtheit bildeten ſie doch einen ſtarken Gegenſatz zu der chriſtlichen Lehre von der göttlichen Weltregierung. Nun giebt es eine wahrhaft centrale Frage, um deren Lö - ſung ſich ſchon die Theologie des Mittelalters ohne genü - genden Erfolg bemüht hatte, und welche jetzt vorzugsweiſe von der Weisheit des Alterthums eine Antwort verlangte: Das Verhältniß der Vorſehung zur menſchlichen Freiheit und Nothwendigkeit. Wenn wir die Geſchichte dieſer Frage ſeit dem XIV. Jahrhundert auch nur oberflächlich durch - gehen wollten, ſo würde hieraus ein eigenes Buch werden. Wenige Andeutungen müſſen hier genügen.
Epicureismus.Hört man Dante und ſeine Zeitgenoſſen, ſo wäre die antike Philoſophie zuerſt gerade von derjenigen Seite her auf das italieniſche Leben geſtoßen, wo ſie den ſchroffſten Gegenſatz gegen das Chriſtenthum bildete; es ſtehen nämlich in Italien Epicureer auf. Nun beſaß man Epicurs Schriften501 nicht mehr und ſchon das ſpätere Alterthum hatte von ſeiner6. Abſchnitt. Lehre einen mehr oder weniger einſeitigen Begriff; immerhin aber genügte ſchon diejenige Geſtalt des Epicureismus, welche man aus Lucretius und ganz beſonders aus Cicero ſtudiren konnte, um eine völlig entgötterte Welt kennen zu lernen. Wie weit man die Doctrin buchſtäblich faßte, und ob nicht der Name des räthſelhaften griechiſchen Weiſen ein bequemes Schlagwort für die Menge wurde, iſt ſchwer zu ſagen; wahrſcheinlich hat die dominicaniſche Inquiſition das Wort auch gegen ſolche gebraucht, welchen man ſonſt auf keine andere Weiſe beikommen konnte. Es ſind haupt - ſächlich frühentwickelte Verächter der Kirche, welche man doch ſchwer wegen beſtimmter ketzeriſcher Lehren und Aus - ſagen belangen konnte; ein mäßiger Grad von Wohlleben mag dann genügt haben, um jene Anklage hervorzubringen. In dieſem conventionellen Sinne braucht z. B. Giovanni Villani das Wort, wenn er1)Gio. Villani III, 29. VI, 46. Der Name kommt auch im Norden ſehr früh vor, aber nur in conventionellem Sinn. bereits die florentiniſchen Feuersbrünſte von 1115 und 1117 als göttliche Strafe für die Ketzereien geltend macht, „ unter andern wegen der lie - derlichen und ſchwelgeriſchen Secte der Epicureer “. Von Manfred ſagt er: „ Sein Leben war epicureiſch, indem er nicht an Gott noch an die Heiligen und überhaupt nur an leibliches Vergnügen glaubte “.
Deutlicher redet Dante im neunten und zehnten Ge -Dante und die Epicureer. ſang der Hölle. Das furchtbare, von Flammen durchzogene Gräberfeld mit den halb offenen Sarkophagen, aus welchen Töne des tiefſten Jammers hervordringen, beherbergt die zwei großen Kategorien der von der Kirche im XIII. Jahr - hundert Beſiegten oder Ausgeſtoßenen. Die Einen waren Ketzer und ſetzten ſich der Kirche entgegen durch beſtimmte mit Abſicht verbreitete Irrlehren; die Andern waren Epi - cureer und ihre Sünde gegen die Kirche lag in einer all - gemeinen Geſinnung, welche ſich in dem Satze ſammelt,5026. Abſchnitt. daß die Seele mit dem Leib vergehe1)Man vgl. die bekannte Beweisführung im dritten Buche des Lucretius.. Die Kirche aber wußte recht gut, daß dieſer eine Satz, wenn er Boden ge - wänne, ihrer Art von Macht verderblicher werden müßte als alles Manichäer - und Paterinerweſen, weil er ihrer Einmiſchung in das Schickſal des einzelnen Menſchen nach dem Tode allen Werth benahm. Daß ſie ſelber durch die Mittel, welche ſie in ihren Kämpfen brauchte, gerade die Begabteſten in Verzweiflung und Unglauben getrieben hatte, gab ſie natürlich nicht zu.
Dante's Abſcheu gegen Epicur oder gegen das was er für deſſen Lehre hielt, war gewiß aufrichtig; der Dichter des Jenſeits mußte den Läugner der Unſterblichkeit haſſen, und die von Gott weder geſchaffene noch geleitete Welt ſo wie der niedrige Zweck des Daſeins, den das Syſtem aufzuſtellen ſchien, waren dem Weſen Dante's ſo entgegen - geſetzt als möglich. Sieht man aber näher zu, ſo haben auch auf ihn gewiſſe Philoſopheme der Alten einen Ein - druck gemacht, vor welchem die bibliſche Lehre von der Weltlenkung zurücktritt. Oder war es eigene Speculation, Einwirkung der Tagesmeinung, Grauen vor dem die Welt beherrſchenden Unrecht, wenn er2)Inferno, VII, 67 bis 96. die ſpecielle Vorſehung völlig aufgab? Sein Gott überläßt nämlich das ganze Detail der Weltregierung einem dämoniſchen Weſen, der Fortuna, welche für nichts als für Veränderung, für das Durcheinanderrütteln der Erdendinge zu ſorgen hat und in indifferenter Seligkeit den Jammer der Menſchen überhören darf. Dafür hält er aber die ſittliche Verant - wortung des Menſchen unerbittlich feſt: er glaubt an den freien Willen.
Lehre vom freien Willen.Der Populärglaube an den freien Willen herrſcht im Abendlande von jeher, wie man denn auch zu allen Zeiten Jeden perſönlich für das was er gethan, verantwortlich ge -503 macht hat, als verſtehe ſich die Sache ganz von ſelbſt. 6. Abſchnitt. Anders verhält es ſich mit der religiöſen und philoſophiſchen Lehre, welche ſich in der Lage befindet, die Natur des menſchlichen Willens mit den großen Weltgeſetzen in Ein - klang bringen zu müſſen. Hier ergiebt ſich ein Mehr oder Weniger, wonach ſich die Taxirung der Sittlichkeit über - haupt richtet. Dante iſt nicht völlig unabhängig von den aſtrologiſchen Wahngebilden, welche den damaligen Horizont mit falſchem Lichte erhellen, aber er rafft ſich nach Kräften empor zu einer würdigen Anſchauung des menſchlichen We - ſens. „ Die Geſtirne, läßt er1)Purgatorio XVI, 73. Womit die Theorie des Planeteneinfluſſes im Convito zu vergleichen. — Auch der Dämon Aſtarotte bei Pulci (Morgante XXV, Str. 150) bezeugt die menſchliche Willensfreiheit und die göttliche Gerechtigkeit. ſeinen Marco Lombardo ſagen, geben wohl die erſten Antriebe zu euerm Thun, aber Licht iſt euch gegeben über Gutes und Böſes, und freier Wille, der nach anfänglichem Kampf mit den Geſtirnen Alles beſiegt, wenn er richtig genährt wird. “
Andere mochten die der Freiheit gegenüberſtehende Nothwendigkeit in einer andern Potenz ſuchen als in den Sternen — jedenfalls war die Frage ſeitdem eine offene, nicht mehr zu umgehende. Soweit ſie eine Frage der Schu - len, oder vollends nur eine Beſchäftigung iſolirter Denker blieb, dürfen wir dafür auf die Geſchichten der Philoſophie verweiſen. Sofern ſie aber in das Bewußtſein weiterer Kreiſe überging, wird noch davon die Rede ſein müſſen.
Das XIV. Jahrhundert ließ ſich vorzüglich durch die philoſophiſchen Schriften Cicero's anregen, welcher bekannt - lich als Eklektiker galt, aber als Skeptiker wirkte, weil er die Theorien verſchiedener Schulen vorträgt ohne genügende Abſchlüſſe beizufügen. In zweiter Linie kommen Seneca und die wenigen in's Lateiniſche überſetzten Schriften des Ariſtoteles. Die Frucht dieſes Studiums war einſtweilen5046. Abſchnitt. die Fähigkeit, über die höchſten Dinge zu reflectiren wenig - ſtens außerhalb der Kirchenlehre, wenn auch nicht im Wider - ſpruch mit ihr.
Einwirkung des Alterthums im XV. Jahrh.Mit dem XV. Jahrhundert vermehrte ſich, wie wir ſahen, der Beſitz und die Verbreitung der Schriften des Alterthums außerordentlich; endlich kamen auch die ſämmt - lichen noch vorhandenen griechiſchen Philoſophen wenigſtens in lateiniſcher Ueberſetzung unter die Leute. Nun iſt esFrömmigkeit u. Humanismus. zunächſt ſehr bemerkenswerth, daß gerade einige der Haupt - beförderer dieſer Literatur der ſtrengſten Frömmigkeit, ja der Asceſe ergeben ſind. (Vgl. S. 269.) Von Fra Am - brogio Camaldoleſe darf man nicht ſprechen, weil er ſich ausſchließlich auf das Uebertragen der griechiſchen Kirchen - väter zurückzog und nur mit großem Widerſtreben auf An - dringen des ältern Coſimo Medici den Diogenes Laertius ins Lateiniſche überſetzte. Aber ſeine Zeitgenoſſen Niccolò Niccoli, Giannozzo Mannetti, Donato Acciajuoli, Papſt Ni - colaus V. vereinigen1)Vespasiano fiorent. p. 26. 320. 435. 626. 651. — Murat. XX, Col. 532. mit allſeitigem Humanismus eine ſehr gelehrte Bibelkunde und eine tiefe Andacht. An Vittorino da Feltre wurde bereits (S. 208) eine ähnliche Richtung hervorgehoben. Derſelbe Maffeo Vegio, welcher das drei - zehnte Buch zur Aeneide dichtete, hatte für das Andenken S. Auguſtins und deſſen Mutter Monica eine Begeiſterung, welche nicht ohne höhern Bezug geweſen ſein wird. Frucht und Folge ſolcher Beſtrebungen war dann, daß die platoniſche Academie zu Florenz ſich es förmlich zum Ziele ſetzte, den Geiſt des Alterthums mit dem des Chriſtenthums zu durch - dringen; eine merkwürdige Oaſe innerhalb des damaligen Humanismus.
Die mittlere Richtung der Humaniſten.Letzterer war im Ganzen eben doch profan und wurde es bei der Ausdehnung der Studien im XV. Jahrhundert immer mehr. Seine Leute, die wir oben als die rechten505 Vorpoſten des entfeſſelten Individualismus kennen lernten,6. Abſchnitt. entwickelten in der Regel einen ſolchen Character, daß uns ſelbſt ihre Religioſität, die bisweilen mit ſehr beſtimmten Anſprüchen auftritt, gleichgültig ſein darf. In den Ruf von Atheiſten gelangten ſie etwa, wenn ſie indifferent wa - ren und dabei ruchloſe Reden gegen die Kirche führten; einen irgendwie ſpeculativ begründeten Ueberzeugungsatheis - mus hat keiner aufgeſtellt,1)Ueber Pomponazzo vgl. die Specialwerke, u. a. Ritter, Geſch. der Philoſophie, Bd. IX. noch aufzuſtellen wagen dür - fen. Wenn ſie ſich auf einen leitenden Gedanken beſannen, ſo wird es am eheſten eine Art von oberflächlichem Ratio - nalismus geweſen ſein, ein flüchtiger Niederſchlag aus den vielen widerſprechenden Ideen der Alten, womit ſie ſich be - ſchäftigen mußten, und aus der Verachtung der Kirche und ihrer Lehre. Dieſer Art war wohl jenes Raiſonnement, welches den Galeottus Martius2)Paul. Jovii Elogia lit. beinahe auf den Scheiter - haufen brachte, wenn ihn nicht ſein früherer Schüler Papſt Sixtus IV. eilends aus den Händen der Inquiſition heraus - geriſſen hätte. Galeotto hatte nämlich geſchrieben: wer ſich recht aufführe und nach dem innern, angeborenen Geſetz handle, aus welchem Volk er auch ſei, der komme in den Himmel.
Betrachten wir beiſpielsweiſe das religiöſe VerhaltenReligion des Codrus Urceus. eines der geringern aus der großen Schaar, des Codrus Urceus,3)Codri Urcei opera, vorn ſein Leben von Bart. Bianchini, dann in ſeinen philologiſchen Vorleſungen p. 65. 151. 278 etc. der erſt Hauslehrer des letzten Ordelaffo, Fürſten von Forli, und dann lange Jahre Profeſſor in Bologna geweſen iſt. Ueber Hierarchie und Mönche bringt er die obligaten Läſterungen im vollſten Maß; ſein Ton im All - gemeinen iſt höchſt frevelhaft, dazu erlaubt er ſich eine be - ſtändige Einmiſchung ſeiner Perſon nebſt Stadtgeſchichten und Poſſen. Aber er kann auch erbaulich von dem wahren5066. Abſchnitt. Gottmenſchen Chriſtus reden und ſich brieflich in das GebetCodrus Urceus. eines frommen Prieſters empfehlen. Einmal fällt es ihm ein, nach Aufzählung der Thorheiten der heidniſchen Reli - gion alſo fortzufahren: „ auch unſere Theologen wackeln oft „ und zanken de lana caprina über unbefleckte Empfängniß, „ Antichriſt, Sacramente, Vorherbeſtimmung und einiges „ Andere, was man lieber beſchweigen als herauspredigen „ ſollte “. Einſt verbrannte ſein Zimmer ſammt fertigen Manuſcripten da er nicht zu Hauſe war; als er es ver - nahm, auf der Gaſſe, ſtellte er ſich gegen ein Madonnen - bild und rief an daſſelbe hinauf: „ Höre was ich dir ſage, „ ich bin nicht verrückt, ich rede mit Abſicht! wenn ich dich „ einſt in der Stunde meines Todes zu Hülfe rufen ſollte, „ ſo brauchſt du mich nicht zu erhören und zu den Deinigen „ hinüberzunehmen! denn mit dem Teufel will ich wohnen „ bleiben in Ewigkeit! “ Eine Rede, auf welche hin er doch für gut fand, ſich ſechs Monate hindurch bei einem Holz - hacker verborgen zu halten. Dabei war er ſo abergläubiſch, daß ihn Augurien und Prodigien beſtändig ängſtigten; nur für die Unſterblichkeit hatte er keinen Glauben übrig. Sei - nen Zuhörern ſagte er auf Befragen: was nach dem Tode mit dem Menſchen, mit ſeiner Seele oder ſeinem Geiſte geſchehe, das wiſſe man nicht und alle Reden über das Jenſeits ſeien Schreckmittel für alte Weiber. Als es aber an's Sterben ging, empfahl er doch in ſeinem Teſtament ſeine Seele oder ſeinen Geiſt1)Animum meum seu animam, eine Unterſcheidung, durch welche damals die Philologie gerne die Theologie in Verlegenheit ſetzte. dem allmächtigen Gott, vermahnte auch jetzt ſeine weinenden Schüler zur Gottes - furcht und insbeſondere zum Glauben an Unſterblichkeit und Vergeltung nach dem Tode, und empfing die Sacramente mit großer Inbrunſt. — Man hat keine Garantie dafür, daß ungleich berühmtere Leute deſſelben Faches, auch wenn ſie bedeutende Gedanken ausgeſprochen haben, im Leben507 viel conſequenter geweſen ſeien. Die Meiſten werden inner -6. Abſchnitt. lich geſchwankt haben zwiſchen Freigeiſterei und Fragmenten des anerzogenen Catholicismus, und äußerlich hielten ſie ſchon aus Klugheit zur Kirche.
Inſofern ſich dann ihr Rationalismus mit den AnfängenAnfänge nega - tiver Kritik. der hiſtoriſchen Kritik verband, mochte auch hie und da eine ſchüchterne Kritik der bibliſchen Geſchichte auftauchen. Es wird ein Wort Pius II. überliefert1)Platina, vitæ pontiff., p. 311: christianam fidem, si miraculis non esset approbata, honestate sua recipi debuisse. , welches wie mit der Abſicht des Vorbauens geſagt iſt: „ wenn das Chriſten - thum auch nicht durch Wunder beſtätigt wäre, ſo hätte es doch ſchon um ſeiner Moralität willen angenommen werden müſſen “. Ueber die Legenden, inſoweit ſie willkürliche Ueber - tragungen der bibliſchen Wunder enthalten, erlaubte man ſich ohnehin zu ſpotten2)Beſonders wenn die Mönche dergleichen auf der Kanzel friſch erſan - nen, doch auch das längſt Anerkannte blieb nicht ohne Anfechtung. Firenzuola (opere, vol. II, p. 208, in der 10. Novelle) ſpottet über die Franciscaner von Novara, welche aus erſchlichenem Geld eine Capelle an ihre Kirche bauen wollen, dove fusse dipinta quella bella storia, quando S. Francesco predicava agli uc - celli nel deserto; e quando ei fece la santa zuppa, e che l'agnolo Gabriello gli portò i zoccoli. , und dieß wirkte dann weiter zurück. Wenn judaiſirende Ketzer erwähnt werden, ſo wird man dabei vor Allem an Läugnung der Gottheit Chriſti zu denken haben; ſo verhielt es ſich vielleicht mit Giorgio da Novara, welcher um 1500 in Bologna verbrannt wurde3)Einiges über ihn bei Bapt. Mantuan. de patientia, L. III, cap. 13.. Aber in demſelben Bologna mußte um dieſe Zeit (1497) der dominicaniſche Inquiſitor den wohlprotegirten Arzt Ga - brielle da Salò mit einer bloßen Reuerklärung4)Bursellis, ann. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 915. durch - ſchlüpfen laſſen, obwohl derſelbe folgende Reden zu führen pflegte: Chriſtus ſei nicht Gott geweſen, ſondern Sohn des5086. Abſchnitt. Joſeph und der Maria aus einer gewöhnlichen Empfäng - niß; er habe die Welt mit ſeiner Argliſt ins Verderben gebracht; den Kreuzestod möge er wohl erlitten haben wegen begangener Verbrechen; auch werde ſeine Religion nächſtens aufhören; in der geweihten Hoſtie ſei ſein wahrer Leib nicht; ſeine Wunder habe er nicht vollbracht aus göttlicher Kraft, ſondern ſie ſeien durch Einfluß der Himmelskörper geſchehen. Letzteres iſt wiederum höchſt bezeichnend; der Glaube iſt dahin, aber die Magie behält man ſich vor1)Wie weit die frevelhaften Reden bisweilen gingen, hat Gieſeler, Kirchengeſchichte II, IV, §. 154 Anm. mit einigen ſprechenden Bei - ſpielen dargethan..
Fatalismus der Humaniſten.In Betreff der Weltregierung raffen ſich die Huma - niſten insgemein nicht weiter auf als bis zu einer kalt re - ſignirten Betrachtung deſſen was unter der ringsum herr - ſchenden Gewalt und Mißregierung geſchieht. Aus dieſer Stimmung ſind hervorgegangen die vielen Bücher „ vom Schickſal “oder wie die Varietäten des Titels lauten mögen. Sie conſtatiren meiſt nur das Drehen des Glücksrades, die Unbeſtändigkeit der irdiſchen, zumal der politiſchen Dinge; die Vorſehung wird herbeigezogen offenbar nur weil man ſich des nackten Fatalismus, des Verzichtens auf Erkennt - niß von Urſachen und Wirkungen, oder des baaren Jam - mers noch ſchämt. Richt ohne Geiſt conſtruirt Gioviano Pontano die Naturgeſchichte des dämoniſchen Etwas, Fortuna genannt, aus hundert meiſt ſelbſterlebten Erfahrungen2)Jov. Pontanus, de fortuna. Seine Art von Theodicee II, p. 286.. Mehr ſcherzhaft, in Form eines Traumgeſichtes, behandelt Aeneas Sylvius den Gegenſtand3)Aen. Sylvii opera, p. 611.. Poggio's Streben da - gegen, in einer Schrift ſeines Greiſenalters4)Poggius, de miseriis humanæ conditionis. , geht dahin, die Welt als ein Jammerthal darzuſtellen und das Glück der einzelnen Stände ſo niedrig als möglich zu taxiren. Dieſer Ton bleibt dann im Ganzen der vorherrſchende; von509 einer Menge ausgezeichneter Leute wird das Soll und Ha -6. Abſchnitt. ben ihres Glückes und Unglückes unterſucht und die Summe daraus in vorwiegend ungünſtigem Sinn gezogen. In höchſt würdiger Welſe, faſt elegiſch, ſchildert uns vorzüglich Triſtan Caracciolo1)Caracciolo, de varietate fortunæ, bei Murat. XXII. Eine der leſenswertheſten Schriften jener ſonſt ſo reichen Jahre. Vgl. S. 331. — Die Fortuna bei feſtlichen Aufzügen, S. 418 u. Anm. das Schickſal Italiens und der Ita - liener, ſoweit es ſich um 1510 überſchauen ließ. Mit ſpe - cieller Anwendung dieſes herrſchenden Grundgefühls auf die Humaniſten ſelber verfaßte dann ſpäter Pierio Valeriano ſeine berühmte Abhandlung (S. 273). Es gab einzelne ganz beſonders anregende Themata dieſer Art wie z. B. das Glück Leo's X. Was von politiſcher Seite darüber Günſtiges geſagt werden kann, das hat Francesco Vettori in ſcharfen Meiſterzügen zuſammengefaßt; das Bild ſeines Genußlebens geben Paolo Giovio und die Biographie eines Ungenannten2)Leonis X. vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 153.; die Schattenſeiten dieſes Glückes verzeichnet unerbittlich wie das Schickſal ſelbſt der ebengenannte Pierio.
Daneben erregt es beinahe Grauen, wenn hie und daDas Rühmen des Glückes. ſich Jemand öffentlich in lateiniſcher Inſchrift des Glückes rühmt. So wagte Giovanni II. Bentivoglio, Herrſcher von Bologna, an dem neu erbauten Thurme bei ſeinem Palaſte es in Stein hauen zu laſſen: ſein Verdienſt und ſein Glück hätten ihm alle irgend wünſchbaren Güter reichlich gewährt3)Bursellis, ann. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 909: monimen - tum hoc conditum a Joanne Bentivolo secundo Patriæ rec - tore, cui virtus et fortuna cuncta quæ optari possunt affatim præstiterunt. Es iſt indeß nicht ganz klar, ob dieſe Inſchrift außen angebracht und ſichtbar, oder wie die zunächſt vorher mitgetheilte in einem Grundſtein verborgen war. Im letztern Fall verbände ſich wohl damit eine neue Idee: das Glück ſollte durch die geheime Schrift, die vielleicht nur noch der Chroniſt kannte, magiſch an das Gebäude gefeſſelt werden.5106. Abſchnitt. — wenige Jahre vor ſeiner Verjagung. Die Alten, wenn ſie in dieſem Sinne redeten, empfanden wenigſtens das Gefühl vom Neid der Götter. In Italien hatten es wahr - ſcheinlich die Condottieren (S. 24) aufgebracht, daß man ſich laut der Fortuna rühmen durfte.
Der ſtärkſte Einfluß des wiederentdeckten Alterthums auf die Religion kam übrigens nicht von irgend einem phi - loſophiſchen Syſtem oder von einer Lehre und Meinung der Alten her, ſondern von einem allesbeherrſchenden Ur - theil. Man zog die Menſchen und zum Theil auch die Einrichtungen des Alterthums denjenigen des Mittelalters vor, ſtrebte ihnen auf alle Weiſe nach und wurde dabei über den Religionsunterſchied völlig gleichgültig. Die Be - wunderung der hiſtoriſchen Größe abſorbirte Alles. (Vgl. S. 149, Anm., 429.)
Heidniſche Aeußerlich - keiten.Bei den Philologen kam dann noch manche beſondere Thorheit hinzu, durch welche ſie die Blicke der Welt auf ſich zogen. Wie weit Papſt Paul II. berechtigt war, das Heidenthum ſeiner Abbreviatoren und ihrer Genoſſen zur Rechenſchaft zu ziehen, bleibt allerdings ſehr zweifelhaft, da ſein Hauptopfer und Biograph Platina (S. 225, 330) es meiſterlich verſtanden hat, ihn dabei als rachſüchtig wegen anderer Dinge und ganz beſonders als komiſche Figur er - ſcheinen zu laſſen. Die Anklage auf Unglauben, Heiden - thum1)Quod nimium gentilitatis amatores essemus. , Läugnung der Unſterblichkeit ꝛc. wurde gegen die Verhafteten erſt erhoben, nachdem der Hochverrathsproceß nichts ergeben hatte; auch war Paul, wenn wir recht be - richtet werden, gar nicht der Mann dazu, irgend etwas Geiſtiges zu beurtheilen, wie er denn die Römer ermahnte, ihren Kindern über Leſen und Schreiben hinaus keinen weitern Unterricht mehr geben zu laſſen. Es iſt eine ähn - liche prieſterliche Beſchränktheit wie bei Savonarola (S. 480), nur daß man Papſt Paul hätte erwiedern können, er und511 ſeinesgleichen trügen mit die Hauptſchuld, wenn die Bildung6. Abſchnitt. den Menſchen von der Religion abwendig mache. Daran aber iſt doch nicht zu zweifeln, daß er eine wirkliche Be - ſorgniß wegen der heidniſchen Tendenzen in ſeiner Nähe verſpürte. Was mögen ſich vollends die Humaniſten am Hofe des heidniſch ruchloſen Sigismondo Malateſta (S. 499, Anm.) erlaubt haben? Gewiß kam es bei dieſen meiſt hal - tungsloſen Menſchen weſentlich darauf an, wie weit ihre Um - gebung ihnen zu gehen geſtattete. Und wo ſie das Chriſten - thum anrühren, da paganiſiren ſie es (S. 255, 261). Man muß ſehen, wie weit z. B. ein Gioviano Pontano die Ver - miſchung treibt; ein Heiliger heißt bei ihm nicht nur Divus, ſondern Deus; die Engel hält er ſchlechtweg mit den Ge - nien des Alterthums für identiſch1)Während doch die bildende Kunſt wenigſtens zwiſchen Engeln und Putten unterſchied und für alle ernſten Zwecke die erſtern anwandte. — Annal. Estens. bei Murat. XX, Col. 468 heißt der Amorin oder Putto ganz naiv: instar Cupidinis angelus. , und ſeine Anſicht von der Unſterblichkeit gleicht einem Schattenreiche. Es kommt zu einzelnen ganz wunderbaren Exceſſen in dieſer Beziehung. Als 1526 Siena2)Della Valle, lettere sanesi, III, 18. von der Partei der Ausgetriebenen an - gegriffen wurde, ſtand der gute Domherr Tizio, der uns dieß ſelber erzählt, am 22. Juli vom Bette auf, gedachte deſſen, was im dritten Buch des Macrobius3)Macrob. Saturnal. III, 9. Ohne Zweifel machte er auch die dort vorgeſchriebenen Geſten dazu. geſchrieben ſteht, las eine Meſſe, und ſprach dann die in jenem Autor aufgezeichnete Devotionsformel gegen die Feinde aus, nur daß er ſtatt Tellus mater teque Jupiter obtestor ſagte: Tellus teque Christe Deus obtestor. Nachdem er damit noch an den zwei folgenden Tagen fortgefahren, zogen die Feinde ab. Von der einen Seite ſieht dergleichen aus, wie5126. Abſchnitt eine unſchuldige Styl - und Modeſache, von der andern aber wie ein religiöſer Abfall.
Einwirkung des antiken Aber - glaubens.Doch das Alterthum hatte noch eine ganz beſonders gefährliche Wirkung und zwar dogmatiſcher Art: es theilte der Renaiſſance ſeine Art des Aberglaubens mit. Einzelnes davon hatte ſich in Italien durch das Mittelalter hindurch am Leben erhalten; um ſo viel leichter lebte jetzt das Ganze neu auf. Daß dabei die Phantaſie mächtig mitſpielte, ver - ſteht ſich von ſelbſt. Nur ſie konnte den forſchenden Geiſt der Italiener ſo weit zum Schweigen bringen.
Der Glaube an die göttliche Weltregierung war wie geſagt, bei den Einen durch die Maſſe des Unrechtes und Unglückes erſchüttert; die Andern, wie z. B. Dante, gaben wenigſtens das Erdenleben dem Zufall und ſeinem Jammer Preis und wenn ſie dabei dennoch einen ſtarken Glauben behaupteten, ſo kam dieß daher, daß ſie die höhere Beſtim - mung des Menſchen für das Jenſeits feſthielten. Sobald nun auch dieſe Ueberzeugung von der Unſterblichkeit wankte, bekam der Fatalismus das Uebergewicht — oder wenn Letzteres geſchah, ſo war Erſteres die Folge davon.
Aſtrologie.In die Lücke trat zunächſt die Aſtrologie des Alter - thums, auch wohl die der Araber. Aus der jedesmaligen Stellung der Planeten unter ſich und zu den Zeichen des Thierkreiſes errieth ſie künftige Ereigniſſe und ganze Lebens - läufe und beſtimmte auf dieſem Wege die wichtigſten Ent - ſchlüſſe. In vielen Fällen mag die Handlungsweiſe, zu welcher man ſich durch die Geſtirne beſtimmen ließ, an ſich nicht unſittlicher geweſen ſein als diejenige, welche man ohne dieſes befolgt haben würde; ſehr oft aber muß der Entſcheid auf Unkoſten des Gewiſſens und der Ehre erfolgt ſein. Es iſt ewig lehrreich zu ſehen, wie alle Bildung und Aufklärung gegen dieſen Wahn nicht aufkam, weil derſelbe ſeine Stütze hatte an der leidenſchaftlichen Phantaſie, an dem heißen Wunſch, die Zukunft voraus zu wiſſen und zu beſtimmen, und weil das Alterthum ihn beſtätigte.
513Die Aſtrologie tritt mit dem XIII. Jahrhundert plötz -6. Abſchnitt. lich ſehr mächtig in den Vordergrund des italieniſchen Lebens. Kaiſer Friedrich II. führt ſeinen Aſtrologen Theodorus mit ſich, und Ezzelino da Romano1)Monachus Paduan. L. II, bei Urstisius, scriptores I, p. 598. 599. 602. 607. — Auch der letzte Visconti (S. 37) hatte eine ganze Anzahl ſolcher Leute bei ſich. Vgl. Decembrio, bei Mura - tori XX, Col. 1017. einen ganzen ſtark beſol - deten Hof von ſolchen Leuten, darunter den berühmten Guido Bonatto und den langbärtigen Saracenen Paul von Bagdad. Zu allen wichtigen Unternehmungen mußten ſie ihm Tag und Stunde beſtimmen, und die maſſenhaften Gräuel, welche er verüben ließ, mögen nicht geringen Theils auf logiſcher Deduction aus ihren Weiſſagungen beruht ha - ben. Seitdem ſcheut ſich Niemand mehr, die Sterne be -Ihre große Verbreitung. fragen zu laſſen; nicht nur die Fürſten ſondern auch einzelne Stadtgemeinden2)So Florenz, wo der genannte Bonatto eine Zeitlang die Stelle ver - ſah. Vgl. auch Matteo Villani XI, 3, wo offenbar ein Stadt - aſtrolog gemeint iſt. halten ſich regelmäßige Aſtrologen und an den Univerſitäten3)Libri, hist. d. sciences math. II, 52. 193. In Bologna ſoll dieſe Profeſſur ſchon 1125 vorkommen. — Vgl. das Verzeichniß der Profeſſoren von Pavia bei Corio, fol. 290. — Die Profeſſur an der Sapienza unter Leo X, vgl. Roscoe, Leone X, ed. Bossi, V, p. 283. werden vom XIV. bis zum XVI. Jahr - hundert beſondere Profeſſoren dieſer Wahnwiſſenſchaft, ſogar neben eigentlichen Aſtronomen angeſtellt. Die Päpſte4)Schon um 1260 zwingt Papſt Alexander IV. einen Cardinal und verſchämten Aſtrologen, Bianco, mit politiſchen Weiſſagungen heraus - zurücken. Giov. Villani, VI, 81. be - kennen ſich großentheils offen zur Sternbefragung; aller - dings macht Pius II. eine ehrenvolle Ausnahme5)De dictis etc. Alphonsi, opera, p. 493. Er fand es ſei pulchrius quam utile. Platina, vitæ Pont. p. 310. — Für Sixtus IV. vgl. Jac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 173. 186., wie erCultur der Renaiſſance. 335146. Abſchnitt. denn auch Traumdeutung, Prodigien und Zauber verachtete; aber ſelbſt Leo X. ſcheint einen Ruhm ſeines Pontificates darin zu finden, daß die Aſtrologie blühe1)Pier. Valeriano, de infelic. literat. bei Anlaß des Franc. Priuli, der über Leo's Horoscop ſchrieb und dabei mehrere Geheimniſſe des Papſtes errieth., und Paul III. hat kein Conſiſtorium gehalten2)Ranke, Päpſte, I, p. 247. ohne daß ihm die Stern - gucker die Stunde beſtimmt hätten.
Bei den beſſern Gemüthern darf man nun wohl vor - ausſetzen, daß ſie ſich nicht über einen gewiſſen Grad hinaus in ihrer Handlungsweiſe von den Sternen beſtimmen ließen, daß es eine Grenze gab, wo Religion und Gewiſſen EinhaltIhre ehrbarere Geſtalt. geboten. In der That haben nicht nur treffliche und fromme Leute an dem Wahn Theil genommen, ſondern ſind ſelbſt als Repräſentanten deſſelben aufgetreten. So Maeſtro Pa - golo von Florenz3)Vespas. Fiorentino p. 660, vgl. 341., bei welchem man beinahe diejenige Abſicht auf Verſittlichung des Aſtrologenthums wiederfindet, welche bei dem ſpäten Römer Firmicus Maternus kenntlich wird4)Firmicus Maternus, Matheseos Libri VIII, am Ende des 2 Buches.. Sein Leben war das eines heiligen Asceten; er genoß beinahe nichts, verachtete alle zeitlichen Güter und ſammelte nur Bücher; als gelehrter Arzt beſchränkte er ſeine Praxis auf ſeine Freunde, machte ihnen aber zur Bedingung, daß ſie beichten mußten. Seine Converſation war der enge aber berühmte Kreis, welcher ſich im Kloſter zu den Engeln um Fra Ambrogio Camaldoleſe (S. 504) ſam - melte, — außerdem die Unterredungen mit Coſimo dem ältern, zumal in deſſen letzten Lebensjahren; denn auch Coſimo achtete und benutzte die Aſtrologie, wenn gleich nur für beſtimmte, wahrſcheinlich untergeordnete Gegenſtände. Sonſt gab Pagolo nur den vertrauteſten Freunden aſtro - logiſchen Beſcheid. Aber auch ohne ſolche Sittenſtrenge konnte der Sterndeuter ein geachteter Mann ſein und ſich515 überall zeigen; auch gab es ihrer ohne Vergleich viel mehrere6. Abſchnitt. als im übrigen Europa, wo ſie nur an bedeutendern Höfen, und ſelbſt da nicht durchgängig, vorkommen. Wer in Ita - lien irgend ein größeres Haus machte, hielt ſich auch, ſobald der Eifer für die Sache groß genug war, einen Aſtrologen, der freilich bisweilen Hunger leiden mochte1)Bei Bandello III, Nov. 60 bekennt ſich der Aſtrolog des Aleſſandro Bentivoglio in Mailand vor deſſen ganzer Geſellſchaft als einen armen Teufel.. Durch die ſchon vor dem Bücherdruck ſtark verbreitete Literatur dieſer Wiſſenſchaft war überdieß ein Dilettantismus entſtanden, der ſich ſo viel als möglich an die Meiſter des Faches an - ſchloß. Die ſchlimme Gattung der Aſtrologen war die, welche die Sterne nur zu Hülfe nahm, um Zauberkünſte damit zu verbinden oder vor den Leuten zu verdecken.
Doch ſelbſt ohne eine ſolche Zuthat iſt die AſtrologieEinfluß im täg - lichen Leben. ein trauriges Element des damaligen italieniſchen Lebens. Welchen Eindruck machen all jene hochbegabten, vielſeitigen, eigenwilligen Menſchen, wenn die blinde Begier, das Künf - tige zu wiſſen und zu bewirken, ihr kräftiges individuelles Wollen und Entſchließen auf einmal zur Abdication zwingt! Dazwiſchen, wenn die Sterne etwa gar zu Ungünſtiges verkünden, raffen ſie ſich auf, handeln unabhängig und ſprechen dazu: Vir sapiens dominabitur astris2)Einen ſolchen Anfall von Entſchloſſenheit hatte Lodovico Moro, als er das Kreuz mit jener Inſchrift machen ließ, welches ſich jetzt im Churer Münſter befindet. Auch Sixtus IV. ſagte einmal, er wolle probiren, ob der Spruch wahr ſei., der Weiſe wird über die Geſtirne Meiſter; — um bald wieder in den alten Wahn zurückzufallen.
Zunächſt wird allen Kindern angeſehener Familien das Horoscop geſtellt und bisweilen ſchleppt man ſich hierauf das halbe Leben hindurch mit irgend einer nichtsnutzigen Vorausſetzung von Ereigniſſen, die nicht eintreffen3)Der Vater des Piero Capponi, ſelber Aſtrolog, ſteckte den Sohn in. Dann33*5166. Abſchnitt. werden für jeden wichtigern Entſchluß der Mächtigen, zumal für die Stunde des Beginnens die Sterne befragt. Ab - reiſen fürſtlicher Perſonen, Empfang fremder Geſandten1)Beiſpiele aus dem Leben des Lodovico Moro: Senarega, bei Mu - ratori XXIV, Col. 518. 524. Benedictus, bei Eccard II, Col. 1623. Und doch hatte ſein Vater, der große Francesco Sforza, die Aſtrologen verachtet, und ſein Großvater Giacomo ſich wenigſtens nicht nach ihren Warnungen gerichtet. Corio, fol. 321. 413.,Die Sterne u. die Grundſtein - legungen. Grundſteinlegungen großer Gebäude hängen davon ab. Ein gewaltiges Beiſpiel der letztern Art findet ſich im Leben des oben genannten Guido Bonatto, welcher überhaupt durch ſeine Thätigkeit ſowohl als durch ein großes ſyſtematiſches Werk2)Daſſelbe iſt öfter gedruckt, mir aber nie zu Geſichte gekommen. — Das hier Mitgetheilte aus Annal. foroliviens. bei Murat. XXII, Col. 233, s. — Leonbattiſta Alberti ſucht die Ceremonie der Grund - ſteinlegung zu vergeiſtigen. Opere volgari, Tom. IV, p. 314 (oder de re ædific. L. I). der Wiederherſteller der Aſtrologie im XIII. Jahr - hundert heißen darf. Um dem Parteikampf der Guelfen und Ghibellinen in Forli ein Ende zu machen, beredete er die Einwohner zu einem Neubau ihrer Stadtmauern und zum feierlichen Beginn deſſelben unter einer Conſtellation, die er angab; wenn dann Leute beider Parteien in dem - ſelben Moment Jeder ſeinen Stein in das Fundament würfen, ſo würde in Ewigkeit keine Parteiung mehr in Forli ſein. Man wählte einen Guelfen und einen Ghi - bellinen zu dieſem Geſchäfte; der hehre Augenblick erſchien, Beide hielten ihre Steine in der Hand, die Arbeiter war - teten mit ihrem Bauzeug, und Bonatto gab das Signal — da warf der Ghibelline ſogleich ſeinen Stein hinunter, der3)den Handel, damit er nicht die gefährliche Kopfwunde bekomme, die ihm angedroht war. Vita di P. Capponi, arch. stor. IV, II, 15. — Das Beiſpiel aus dem Leben des Cardanus S. 334. — Der Arzt und Aſtrolog Pierleoni von Spoleto glaubte er werde einſt ertrinken, mied deßhalb alle Gewäſſer und ſchlug glänzende Stellungen in Padua und Venedig aus. Paul. Jov. Elog. liter. 517 Guelfe aber zögerte und weigerte ſich dann gänzlich, weil6. Abſchnitt. Bonatto ſelber als Ghibelline galt und etwas Geheimniß - volles gegen die Guelfen im Schilde führen konnte. Nun fuhr ihn der Aſtrolog an: Gott verderbe dich und deine Guelfenpartei mit euerer mißtrauiſchen Bosheit! dieß Zeichen wird 500 Jahre lang nicht mehr am Himmel über unſerer Stadt erſcheinen! In der That verdarb Gott nachher die Guelfen von Forli, jetzt aber (ſchreibt der Chroniſt um 1480) ſind Guelfen und Ghibellinen hier doch gänzlich verſöhnt und man hört ihre Parteinamen nicht mehr1)Bei den Horoscopen der zweiten Gründung von Florenz (Giov. Villani III, 1, unter Carl d. Gr.) und der erſten von Venedig (oben, S. 62) geht vielleicht eine alte Erinnerung neben der Dich - tung des ſpätern Mittelalters einher..
Das Nächſte was von den Sternen abhängig wird,Die Aſtrologie im Kriege. ſind die Entſchlüſſe im Kriege. Derſelbe Bonatto verſchaffte dem großen Ghibellinenhaupt Guido da Montefeltro eine ganze Anzahl von Siegen, indem er ihm die richtige Ster - nenſtunde zum Auszug angab; als Montefeltro ihn nicht mehr bei ſich hatte2)Ann. foroliv. l. c. — Filippo Villani, vite. — Macchiavelli, stor. fior. L. I. — Wenn ſiegverheißende Conſtellationen nahten, ſtieg Bonatto mit Aſtrolab und Buch auf den Thurm von San Mercuriale über der Piazza, und ließ, ſobald der Moment kam, gleich die große Glocke zum Aufgebot läuten. Doch wird zugeſtan - den, daß er ſich bisweilen ſehr geirrt und das Schickſal des Monte - feltro und ſeinen eigenen Tod nicht vorausgekannt habe. Unweit Ceſena tödteten ihn Räuber, als er von Paris und italieniſchen Univerſitäten, wo er gelehrt hatte, nach Forli zurück wollte., verlor er allen Muth ſeine Tyran - nis weiter zu behaupten und ging in ein Minoriten - kloſter; noch lange Jahre ſah man ihn als Mönch terminiren. Die Florentiner ließen ſich noch im piſaniſchen Krieg von 1362 durch ihren Aſtrologen die Stunde des Auszuges beſtim - men3)Matteo Villani XI, 3.; man hätte ſich aber beinahe verſpätet, weil plötzlich5186. Abſchnitt. ein Umweg in der Stadt befohlen wurde. Frühere Male war man nämlich durch Via di Borgo S. Apoſtolo aus - gezogen und hatte ſchlechten Erfolg gehabt; offenbar war mit dieſer Straße, wenn man gegen Piſa zu Felde zog, ein übles Augurium verknüpft, und deßhalb wurde das Heer jetzt durch Porta roſſa hinausgeführt; weil aber dort die gegen die Sonne ausgeſpannten Zelte nicht waren weg - genommen worden, ſo mußte man — ein neues übles Zeichen — die Fahnen geſenkt tragen. Ueberhaupt war die Aſtrologie vom Kriegsweſen ſchon deßhalb nie zu trennen, weil ihr die meiſten Condottieren anhingen. Jacopo Caldora war in der ſchwerſten Krankheit wohlgemuth weil er wußte, daß er im Kampfe fallen würde wie denn auch geſchah1)Jovian. Pontan. de fortitudine, L. I. — Die erſten Sforza als ehrenvolle Ausnahmen S. 516, Anm.; Bar - tolommeo Alviano war davon überzeugt, daß ſeine Kopf - wunden ihm ſo gut wie ſein Commando durch Beſchluß der Geſtirne zu Theil geworden2)Paul. Jov. Elog., sub v. Livianus. ; Nicolò Orſini-Pitigliano bittet ſich für den Abſchluß ſeines Soldvertrages mit Ve - nedig (1495) von dem Phyſicus und Aſtrologen Aleſſandro Benedetto3)Welcher dieß ſelber erzählt. Benedictus, bei Eccard II, Col. 1617. eine gute Sternenſtunde aus. Als die Floren - tiner den 1. Juni 1498 ihren neuen Condottiere Paolo Vitelli feierlich mit ſeiner Würde bekleideten, war der Com - mandoſtab, den man ihm überreichte, mit der Abbildung von Conſtellationen verſehen4)So wird wohl die Ausſage des Jac. Nardi, vita d'Ant. Giaco - mini p. 65 zu verſtehen ſein. — An Kleidern und Geräthen kommt dergleichen nicht ſelten vor. Beim Empfang der Lucrezia Borgia in Ferrara trug das Maulthier der Herzogin von Urbino eine ſchwarzſammtne Decke mit goldenen aſtrologiſchen Zeichen. Arch. stor. append. II, p. 305., und zwar auf Vitelli's eigenen Wunſch.
Sterne und Staatsacte.Bisweilen wird es nicht ganz klar, ob bei wichtigen519 politiſchen Ereigniſſen die Sterne vorher befragt wurden,6. Abſchnitt. oder ob die Aſtrologen nur nachträglich aus Curioſität die Conſtellation berechneten, welche den betreffenden Augenblick beherrſcht haben ſollte. Als Giangaleazzo Visconti (S. 11) mit einem Meiſterſtreich ſeinen Oheim Bernabò und deſſen Familie gefangen nahm (1385), ſtanden Jupiter, Saturn und Mars im Hauſe der Zwillinge — ſo meldet ein Zeit - genoſſe1)Azario, bei Corio, Fol. 258., aber wir erfahren nicht, ob dieß den Entſchluß zur That beſtimmte. Nicht ſelten mag auch politiſche Ein - ſicht und Berechnung den Sterndeuter mehr geleitet haben als der Gang der Planeten2)Etwas der Art könnte man ſelbſt bei jenem türkiſchen Aſtrologen vermuthen, der nach der Sch lacht von Nicopolis dem Sultan Baja - zeth I. rieth, den Loskauf des Johann von Burgund zu geſtatten: „ um ſeinetwillen werde noch viel Chriſtenblut vergoſſen werden “. Es war nicht zu ſchwer, den weitern Verlauf des innern franzöſiſchen Krieges voraus zu ahnen. Magn. chron. belgicum, p. 358. Juvénal des Ursins ad a. 1396..
Hatte ſich Europa ſchon das ganze ſpätere Mittelalter hindurch von Paris und Toledo aus durch aſtrologiſche Weiſſagungen von Peſt, Krieg, Erdbeben, großen Waſſern u. dgl, ängſtigen laſſen, ſo blieb Italien hierin vollends nicht zurück. Dem Unglücksjahr 1494, das den Fremden für immer Italien öffnete, gingen unläugbar ſchlimme Weiſ - ſagungen nahe voraus3)Benedictus, bei Eccard II, Col. 1579. Es hieß u. a. 1493 vom König Ferrante: er werde ſeine Herrſchaft verlieren sine cruore, sed sola fama, wie denn auch geſchah., nur müßte man wiſſen, ob ſolche nicht längſt für jedes beliebige Jahr bereit lagen.
In ſeiner vollen, antiken Conſequenz dehnt ſich aberDie Religionen von den Ster - nen abhängig. das Syſtem in Regionen aus, wo man nicht mehr erwarten würde ihm zu begegnen. Wenn das ganze äußere und geiſtige Leben des Individuums von deſſen Genitura bedingt iſt, ſo befinden ſich auch größere geiſtige Gruppen, z. B.5206. Abſchnitt. Völker und Religionen, in einer ähnlichen Abhängigkeit, und da die Conſtellationen dieſer großen Dinge wandelbar ſind, ſo ſind es auch die Dinge ſelbſt. Die Idee, daß jede Religion ihren Welttag habe, kommt auf dieſem aſtrologi - ſchen Wege in die italieniſche Bildung hinein. Die Con - junction des Jupiter, hieß es1)Bapt. Mantuan. de patientia, L. III, cap. 12., mit Saturn habe den hebräiſchen Glauben hervorgebracht, die mit Mars den chaldäiſchen, die mit der Sonne den ägyptiſchen, die mit Venus den mohammedaniſchen, die mit Mercur den chriſt - lichen, und die mit dem Mond werde einſt die Religion des Antichriſt hervorbringen. In frevelhafteſter Weiſe hatte ſchon Checco d'Ascoli die Nativität Chriſti berechnet und ſeinen Kreuzestod daraus deducirt; er mußte deßhalb 1327 in Florenz auf dem Scheiterhaufen ſterben2)Giov. Villani, X, 39. 40. Es wirkten noch andere Dinge mit, u. a. collegialiſcher Neid. — Schon Bonatto hatte Aehnliches ge - lehrt und z. B. das Wunder der göttlichen Liebe in S. Franz als Wirkung des Planeten Mars dargeſtellt. Vgl. Jo. Picus adv. Astrol. II, 5.. Lehren dieſer Art führten in ihren weitern Folgen eine förmliche Ver - finſterung alles Ueberſinnlichen mit ſich.
Die Gegner der Aſtrologie.Um ſo anerkennenswerther iſt aber der Kampf, welchen der lichte italieniſche Geiſt gegen dieſes ganze Wahngeſpinnſt geführt hat. Neben den größten monumentalen Verherr - lichungen der Aſtrologie, wie die Fresken im Salone zu Padua3)Es ſind die von Miretto zu Anfang des XV. Jahrh. gemalten; laut Scardeonius waren ſie beſtimmt ad indicandum nascentium naturas per gradus et numeros, ein populäreres Beginnen als wir uns jetzt leicht vorſtellen. Es war Aſtrologie à la portée de tout le monde. und diejenigen in Borſo's Sommerpalaſt (Schi - fanoja) zu Ferrara, neben dem unverſchämten Anpreiſen, das ſich ſelbſt ein Beroaldus der ältere4)Er meint (Orationes, fol. 35, in nuptias) von der Sterndeutung: hæc efficit ut homines parum a Diis distare videantur! — erlaubt, tönt521 immer wieder der laute Proteſt der Nichtbethörten und6. Abſchnitt. Denkenden. Auch auf dieſer Seite hatte das Alterthum vorgearbeitet, doch reden ſie hier nicht den Alten nach, ſondern aus ihrem eigenen geſunden Menſchenverſtande und aus ihrer Beobachtung heraus. Petrarca's Stimmung gegen die Aſtrologen, die er aus eigenem Umgang kannte, iſt derber Hohn1)Petrarca, epp. seniles III, 1 (p. 765) u. a. a. O. Der genannte Brief iſt an Boccaccio gerichtet, welcher ebenſo gedacht haben muß., und ihr Syſtem durchſchaut er in ſeiner Lügenhaftigkeit. Die Novelle iſt ſeit ihrer Geburt, ſeit den cento novelle antiche, den Aſtrologen faſt immer feind - lich2)Bei Franco Sacchetti macht Nov. 151 ihre Weisheit lächerlich.. Die florentiniſchen Chroniſten wehren ſich auf das Tapferſte, auch wenn ſie den Wahn, weil er in die Tradition verflochten iſt, mittheilen müſſen. Giovanni Villani ſagt es mehr als einmal3)Gio. Villani III, 1. X, 39.: „ keine Conſtellation kann den freien Willen des Menſchen unter die Nothwendigkeit zwingen, noch auch den Beſchluß Gottes “; Matteo Villani erklärt die Aſtrologie für ein Laſter, das die Florentiner mit anderm Aberglauben von ihren Vorfahren, den heidniſchen Römern, geerbt hätten. Es blieb aber nicht bei bloß literariſcher Erörterung, ſondern die Parteien, die ſich darob bildeten, ſtritten öffentlich; bei der furchtbaren Ueberſchwemmung des Jahres 1333 und wiederum 1345 wurde die Frage über Sternenſchickſal und Gottes Willen und Strafgerechtigkeit zwiſchen Aſtrologen und Theologen höchſt umſtändlich dis - cutirt4)Gio. Villani XI, 2. XII, 4.. Dieſe Verwahrungen hören die ganze Zeit der Renaiſſance hindurch niemals völlig auf5)Auch jener Verfaſſer der Annales Placentini (bei Murat. XX, Col. 931), der S. 235, 236, Anm. erwähnte Alberto di Ripalta ſchließt ſich dieſer Polemik an. Die Stelle iſt aber anderweitig merkwürdig,, und man darf4)Ein anderer Enthuſiaſt aus derſelben Zeit iſt Jo. Garzonius, de dignitate urbis Bononiæ, bei Murat. XXI, Col. 1163.5226. Abſchnitt. ſie für aufrichtig halten, da es durch Vertheidigung der Aſtrologie leichter geweſen wäre ſich bei den Mächtigen zu empfehlen als durch Anfeindung derſelben.
In der Umgebung des Lorenzo magnifico, unter ſeinen namhafteſten Platonikern, herrſchte hierüber Zwieſpalt. Marſilio Ficino vertheidigte die Aſtrologie und ſtellte den Kindern vom Hauſe das Horoscop, wie er denn auch dem kleinen Giovanni geweiſſagt haben ſoll, er würde ein PapſtPico's Wioer - legung. — Leo X. — werden1)Paul. Jov. vita Leonis X. L. III, wo dann bei Leo ſelbſt wenig - ſtens ein Glaube an Vorbedeutungen ꝛc. zum Vorſchein kommt.. Dagegen macht Pico della Mi - randola wahrhaft Epoche in dieſer Frage durch ſeine be - rühmte Widerlegung2)Jo. Pici Mirand. adversus astrologos libri XII. . Er weist im Sternglauben eine Wurzel aller Gottloſigkeit und Unſittlichkeit nach; wenn der Aſtrologe an irgend Etwas glauben wolle, ſo müſſe er am eheſten die Planeten als Götter verehren, indem ja von ihnen alles Glück und Unheil hergeleitet werde; auch aller übrige Aberglaube finde hier ein bereitwilliges Organ, in - dem Geomantie, Chiromantie und Zauber jeder Art für die Wahl der Stunde ſich zunächſt an die Aſtrologie wen - deten. In Betreff der Sitten ſagt er: eine größere För - derung für das Böſe gebe es gar nicht als wenn der Himmel ſelbſt als Urheber deſſelben erſcheine, dann müſſe auch der Glaube an ewige Seligkeit und Verdammniß völlig ſchwin - den. Pico hat ſich ſogar die Mühe genommen, auf em - piriſchem Wege die Aſtrologen zu controliren; von ihren Wetterprophezeiungen für die Tage eines Monats fand er drei Viertheile falſch. Die Hauptſache aber war, daß er (im IV. Buche) eine poſitive chriſtliche Theorie über Welt - regierung und Willensfreiheit vortrug, welche auf die Ge - bildeten der ganzen Nation einen größern Eindruck gemacht5)weil ſie die damaligen Meinungen über die neun bekannten, und hier mit Namen genannten Cometen enthält. — Vgl. Gio. Vil - lani, XI, 67.523 zu haben ſcheint als alle Bußpredigten, von welchen dieſe6. Abſchnitt. Leute oft nicht mehr erreicht wurden.
Vor Allem verleidete er den Aſtrologen die weitereDeren Wirkung. Publication ihrer Lehrgebäude1)Laut Paul. Jov. Elog. lit., sub tit. Jo. Picus, war ſeine Wirkung dieſe, ut subtilium disciplinarum professores a scribendo de - terruisse videatur. , und die welche bisher dergleichen hatten drucken laſſen, ſchämten ſich mehr oder weniger. Gioviano Pontano z. B. hatte in ſeinem Buche „ vom Schickſal “(S. 508) die ganze Wahnwiſſenſchaft an - erkannt und ſie in einem eigenen großen Werke2)De rebus cœlestibus. theoretiſch in der Art des alten Firmicus vorgetragen; jetzt, in ſeinem Dialog „ Aegidius “giebt er zwar nicht die Aſtrologie, wohl aber die Aſtrologen Preis, rühmt den freien Willen und beſchränkt den Einfluß der Sterne auf die körperlichen Dinge. Die Sache blieb in Uebung, aber ſie ſcheint doch nicht mehr das Leben ſo beherrſcht zu haben wie früher. Die Malerei, welche im XV. Jahrhundert den Wahn nach Kräften verherrlicht hatte, ſpricht nun die veränderte Denk - weiſe aus: Rafael in der Kuppel der Capelle Chigi3)In S. Maria del popolo zu Rom. — Die Engel erinnern an die Theorie Dante's zu Anfang des Convito. ſtellt ringsum die Planetengötter und den Fixſternhimmel dar, aber bewacht und geleitet von herrlichen Engelgeſtalten, und von oben herab geſegnet durch den ewigen Vater. Noch ein anderes Element ſcheint der Aſtrologie in Italien feind - lich geweſen zu ſein: die Spanier hatten keinen Theil daran, auch ihre Generale nicht, und wer ſich bei ihnen in Gunſt ſetzen wollte4)Dieß iſt wohl der Fall mit Antonio Galateo, der in einem Brief an Ferdinand den Catholiſchen (Mai, spicileg. rom. vol. VIII, p. 226, vom J. 1510) die Aſtrologie heftig verläugnet, in einem andern Brief an den Grafen von Potenza jedoch (ibid., p. 539) aus den Sternen ſchließt, daß die Türken heuer Rhodus angreifen würden., bekannte ſich auch wohl ganz offen als Feind5246. Abſchnitt. der für ſie halbketzeriſchen, weil halbmohammedaniſchen Wiſſenſchaft. Freilich noch 1529 meint Guicciardini: wie glücklich doch die Aſtrologen ſeien, denen man glaube wenn ſie unter hundert Lügen eine Wahrheit vorbrächten, während Andere, die unter hundert Wahrheiten eine Lüge ſagten, um allen Credit kämen1)Ricordi, l. c. N. 57.. Und überdieß ſchlug die Ver - achtung der Aſtrologie nicht nothwendig in Vorſehungs - glauben um; ſie konnte ſich auch auf einen allgemeinen, unbeſtimmten Fatalismus zurückziehen.
Italien hat in dieſer wie in andern Beziehungen den Culturtrieb der Renaiſſance nicht geſund durch - und aus - leben können, weil die Eroberung und die Gegenreformation dazwiſchen kam. Ohne dieſes würde es wahrſcheinlich die phantaſtiſchen Thorheiten völlig aus eigenen Kräften über - wunden haben. Wer nun der Anſicht iſt, daß Invaſion und catholiſche Reaction nothwendig und vom italieniſchen Volk ausſchließlich ſelbſt verſchuldet geweſen ſeien, wird ihm auch die daraus erwachſenen geiſtigen Verluſte als gerechte Strafe zuerkennen. Nur Schade, daß Europa dabei eben - falls ungeheuer verloren hat.
Verſchiedene Superſtitionen.Bei weitem unſchuldiger als die Sterndeutung erſcheint der Glaube an Vorzeichen. Das ganze Mittelalter hatte einen großen Vorrath deſſelben aus ſeinen verſchiedenen Heidenthümern ererbt und Italien wird wohl darin am wenigſten zurückgeblieben ſein. Was aber die Sache hier eigenthümlich färbt, iſt die Unterſtützung, welche der Hu - manismus dieſem populären Wahn leiſtet; er kommt dem ererbten Stück Heidenthum mit einem literariſch erarbeiteten zu Hülfe.
Der populäre Aberglaube der Italiener bezieht ſich bekanntlich auf Ahnungen und Schlüſſe aus Vorzeichen2)Eine Maſſe ſolchen Wahnes beim letzten Visconti zählt Decembrio (Murat. XX, Col. 1016, s.) auf.,525 woran ſich dann noch eine meiſt unſchuldige Magie an -6. Abſchnitt. ſchließt. Nun fehlt es zunächſt nicht an gelehrten Huma - niſten, welche wacker über dieſe Dinge ſpotten und ſie bei dieſem Anlaß berichten. Derſelbe Gioviano Pontano, welcher jenes große aſtrologiſche Werk (S. 523) verfaßte, zählt in ſei - nem „ Charon “ganz mitleidig allen möglichen neapolitaniſchen Aberglauben auf: den Jammer der Weiber, wenn ein Huhn oder eine Gans den Pips bekömmt; die tiefe Beſorgniß der vornehmen Herrn, wenn ein Jagdfalke ausbleibt, ein Pferd den Fuß verſtaucht; den Zauberſpruch der apuliſchen Bauern, welchen ſie in drei Samſtagsnächten herſagen, wenn tolle Hunde das Land unſicher machen ꝛc. Ueberhaupt hatte die Thierwelt ein Vorrecht des Ominöſen gerade wie im Alterthum, und vollends jene auf Staatskoſten unter - haltenen Löwen, Leoparden u. dgl. (S. 288, f.) gaben durch ihr Verhalten dem Volk um ſo mehr zu denken, als man ſich unwillkürlich gewöhnt hatte, in ihnen das lebendige Symbol des Staates zu erblicken. Als während der Be - lagerung von 1529 ein angeſchoſſener Adler nach Florenz hereinflog, gab die Signorie dem Ueberbringer vier Du - caten, weil es ein gutes Augurium ſei1)Varchi, stor. fior. L. IV. (p. 174). Ahnung und Weiſſagung ſpielten damals in Florenz faſt dieſelbe Rolle wie einſt in dem be - lagerten Jeruſalem. Vgl. ibid. III, 143. 195. IV, 43. 177.. Dann waren beſtimmte Zeiten und Orte für beſtimmte Verrichtungen günſtig oder ungünſtig oder überhaupt entſcheidend. Die Florentiner glaubten, wie Varchi meldet, der Sonnabend ſei ihr Schickſalstag, an welchem alle wichtigen Dinge, gute ſowohl als böſe zu geſchehen pflegten. Ihr Vorurtheil gegen Kriegsauszüge durch eine beſtimmte Gaſſe wurde ſchon (S. 518) erwähnt; bei den Peruginern dagegen gilt eines ihrer Thore, die Porta eburnea, als glückverheißend, ſo daß die Baglionen zu jedem Kampfe dort hinaus mar - ſchiren ließen2)Matarazzo, Arch. stor. XVI, II, p. 208.. Dann nehmen Meteore und Himmels -5266. Abſchnitt. zeichen dieſelbe Stelle ein wie im ganzen Mittelalter, und aus ſonderbaren Wolkenbildungen geſtaltet die Phantaſie auch jetzt wieder ſtreitende Heere und glaubt deren Lärm hoch in der Luft zu hören1)Prato, Arch. stor. III, p. 324, zum J. 1514.. Schon bedenklicher wird der Aberglaube, wenn er ſich mit heiligen Dingen combinirt, wenn z. B. Madonnenbilder die Augen bewegen2)Wie die Madonna dell 'arbore im Dom von Mailand 1515 that, vgl. Prato, l. c., p. 327. Freilich erzählt derſelbe Chroniſt p. 357, daß man beim Graben der Fundamente für den Bau der triulziſchen Grabcapelle (bei S. Nazaro) einen todten Drachen ſo dick wie ein Pferd gefunden habe; man brachte den Kopf in den Palaſt Triulzi und gab den Reſt Preis. oderBei Calamitä - ten. weinen, ja wenn Landescalamitäten mit irgend einem an - geblichen Frevel in Verbindung gebracht werden, deſſen Sühnung dann der Pöbel verlangt (S. 485). Als Pia - cenza 1478 von langem und heftigem Regen heimgeſucht wurde, hieß es, derſelbe werde nicht aufhören, bis ein ge - wiſſer Wucherer, der unlängſt in S. Francesco begraben worden war, nicht mehr in geweihter Erde ruhe. Da ſich der Biſchof weigerte, die Leiche gutwillig ausgraben zu laſſen, holten die jungen Burſche ſie mit Gewalt, zerrten ſie in den Straßen unter gräulichem Tumult herum und warfen ſie zuletzt in den Po3)Et fuit mirabile quod illico pluvia cessavit. Diarium Par - mense bei Murat. XXII, Col. 280. Dieſer Autor theilt auch ſonſt jenen concentrirten Haß gegen die Wucherer, wovon das Volk erfüllt iſt. Vgl. Col. 371.. Freilich auch ein Angelo Poliziano läßt ſich auf dieſelbe Anſchauungsweiſe ein, wo es Giacomo Pazzi gilt, einen Hauptanſtifter der nach ſeiner Familie benannten Verſchwörung zu Florenz in demſelben Jahre 1478. Als man ihn erdroſſelte, hatte er mit fürch - terlichen Worten ſeine Seele dem Satan übergeben. Nun trat auch hier Regen ein, ſo daß die Getreideernte bedroht war; auch hier grub ein Haufe von Leuten (meiſt Bauern) die Leiche in der Kirche aus und alſobald wichen die Re -527 genwolken und die Sonne erglänzte — „ ſo günſtig war6. Abſchnitt. das Glück der Volksmeinung “, fügt der große Philologe bei1)Coniurationis Pactianæ commentarius, in den Beilagen zu Ros - coe, Leben des Lorenzo. — Poliziano war ſonſt wenigſtens Gegner der Aſtrologie.. Zunächſt wurde die Leiche in ungeweihter Erde verſcharrt, des folgenden Tages aber wiederum ausgegraben und nach einer entſetzlichen Proceſſion durch die Stadt in den Arno verſenkt.
Solche und ähnliche Züge ſind weſentlich populär und können im X. Jahrhundert ſo gut vorgekommen ſein als im XVI. Nun miſcht ſich aber auch hier das literariſche Alterthum ein. Von den Humaniſten wird ausdrücklich verſichert, daß ſie den Prodigien und Augurien ganz be -Aberglaube der Humaniſten. ſonders zugänglich geweſen und Beiſpiele davon (S. 506) wurden bereits erwähnt. Wenn es aber irgend eines Be - leges bedürfte, ſo würde ihn ſchon der eine Poggio gewähren. Derſelbe radicale Denker, welcher den Adel und die Un - gleichheit der Menſchen negirt (S. 357), glaubt nicht nur an allen mittelalterlichen Geiſter - und Teufelsſpuk (fol. 167, 179), ſondern auch an Prodigien antiker Art, z. B. an diejenigen, welche beim letzten Beſuch Eugen's IV. in Flo - renz berichtet wurden2)Poggii facetiæ, fol. 174. — Aen. Sylvius: De Europa c. 53. 54 (Opera, p. 451. 455) erzählt wenigſtens wirklich geſchehene Prodigien, z. B. Thierſchlachten, Wolkenerſcheinungen ꝛc. und giebt ſie ſchon weſentlich als Curioſitäten, wenn er auch die betreffenden Schickſale daneben nennt.. „ Da ſah man in der Nähe von Como des Abends 4000 Hunde, die den Weg nach Deutſch - land nahmen; auf dieſe folgte eine große Schaar Rinder, dann ein Heer von Bewaffneten zu Fuß und zu Roß, theils ohne Kopf, theils mit kaum ſichtbaren Köpfen, zuletzt ein rieſiger Reiter, dem wieder eine Heerde von Rindern nachzog. “ Auch an eine Schlacht von Elſtern und Dohlen (fol. 180) glaubt Poggio. Ja er erzählt, vielleicht ohne5286. Abſchnitt. es zu merken, ein ganz wohlerhaltenes Stück antiker My - thologie. An der dalmatiniſchen Küſte nämlich erſcheint ein Triton, bärtig und mit Hörnchen, als echter Meerſatyr, unten in Floſſen und einen Fiſchleib ausgehend; er fängt Kinder und Weiber vom Ufer weg, bis ihn fünf tapfere Waſchfrauen mit Steinen und Prügeln tödten1)Poggii facetiæ, fol. 160. cf. Pausanias IX, 20.. Ein hölzernes Modell des Ungethüms, welches man in Ferrara zeigt, macht dem Poggio die Sache völlig glaublich. Zwar Orakel gab es keine mehr und Götter konnte man nicht mehr befragen, aber das Aufſchlagen des Virgil und die ominöſe Deutung der Stelle auf die man traf (sortes virgilianæ) wurde wieder Mode2)Varchi III, p. 195. Zwei Verdächtige entſchließen ſich 1529 zur Flucht aus dem Staate, weil ſie Virg. Aen. III, vs. 44 aufſchlugen.. Außerdem blieb der Dämonenglauben des ſpäteſten Alterthums gewiß nicht ohne Einfluß auf denjenigen der Renaiſſance. Die Schrift des Jamblichus oder Abammon über die Myſterien der Aegypter, welche hiezu dienen konnte, iſt ſchon zu Ende des XV. Jahrhunderts in lateiniſcher Ueberſetzung gedruckt worden. Sogar die platoniſche Academie in Florenz z. B. iſt von ſolchem und ähnlichem neuplatoniſchem Wahn der ſinkenden Römerzeit nicht ganz frei geblieben. Von dieſem Glauben an die Dämonen und dem damit zuſammenhängenden Zauber muß nunmehr die Rede ſein.
Geſpenſter Verſtorbener.Der Populärglaube an das was man die Geiſterwelt nennt3)Phantaſien von Gelehrten wie z. B. den splendor und den spiritus des Cardanus und den Dæmon familiaris ſeines Vaters laſſen wir auf ſich beruhen. Vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 4. 38. 47. Er ſelber war Gegner der Magie, cap. 39. Die Prodigien und Geſpenſter die ihm begegnet, cap. 37. 41. — Wie weit die Geſpenſterfurcht des letzten Visconti ging, vgl. Decembrio, bei Mu - ratori XX, Col. 1016., iſt in Italien ſo ziemlich derſelbe wie im übrigen Europa. Zunächſt giebt es auch dort Geſpenſter, d. h. Er -529 ſcheinungen Verſtorbener, und wenn die Anſchauung von6. Abſchnitt. der nordiſchen etwas abweicht, ſo verräth ſich dieß höchſtens durch den antiken Namen ombra. Wenn ſich noch heute ein ſolcher Schatten erzeigt, ſo läßt man ein paar Meſſen für ſeine Ruhe leſen. Daß die Seelen böſer Menſchen in furchtbarer Geſtalt erſcheinen, verſteht ſich von ſelbſt, doch geht daneben noch eine beſondere Anſicht einher, wonach die Geſpenſter Verſtorbener überhaupt bösartig wären. Die Todten bringen die kleinen Kinder um, meint der Caplan bei Bandello1)Molte fiate i morti guastano le creature. Bandello II, Nov. 1.. Wahrſcheinlich trennt er hiebei in Ge - danken noch einen beſondern Schatten von der Seele, denn dieſe büßt ja im Fegefeuer und wo ſie erſcheint, pflegt ſie nur zu flehen und zu jammern. Andere Male iſt, was erſcheint, nicht ſowohl das Schattenbild eines beſtimmten Menſchen als das eines Ereigniſſes, eines vergangenen Zu - ſtandes. So erklären die Nachbarn den Teufelsſpuk im alten viscontiniſchen Palaſt bei S. Giovanni in Conca zu Mailand; hier habe einſt Bernabò Visconti unzählige Opfer ſeiner Tyrannei foltern und erdroſſeln laſſen, und es ſei kein Wunder wenn ſich etwas erzeige2)Bandello III, Nov. 20. Freilich war es nur ein Amant, der den Gemahl ſeiner Dame, den Bewohner des Palaſtes, erſchrecken wollte. Er und die Seinigen verkleideten ſich in Teufel; Einen, der alle Thierſtimmen nachmachen konnte, hatte er ſogar von auswärts kom - men laſſen.. Einem un - getreuen Armenhausverwalter zu Perugia erſchien eines Abends, als er Geld zählte, ein Schwarm von Armen mit Lichtern in den Händen und tanzten vor ihm herum; eine große Geſtalt aber führte drohend das Wort für ſie, es war S. Alò, der Schutzheilige des Armenhauſes3)Graziani, arch. stor. XVI, I, p. 640. ad a. 1467. Der Verwalter ſtarb vor Schrecken.. — Dieſe Anſchauungen verſtanden ſich ſo ſehr von ſelbſt, daß auch Dichter ein allgemein gültiges Motiv darin finden konnten. Cultur der Renaiſſance. 345306. Abſchnitt. Sehr ſchön giebt z. B. Caſtiglione die Erſcheinung des er - ſchoſſenen Lodovico Pico unter den Mauern des belagerten Mirandola wieder1)Balth. Castilionii carmina. Prosopopeja Lud. Pici. . Freilich die Poeſie benutzt dergleichen gerade am Liebſten, wenn der Poet ſelber ſchon dem be - treffenden Glauben entwachſen iſt.
Dämonen - glaube.Sodann war Italien mit derſelben Volksanſicht über die Dämonen erfüllt wie alle Völker des Mittelalters. Man war überzeugt, daß Gott den böſen Geiſtern jedes Ranges bisweilen eine große zerſtörende Wirkung gegen einzelne Theile der Welt und des Menſchenlebens zulaſſe; alles was man einbedang, war, daß wenigſtens der Menſch, welchem die Dämonen als Verſucher nahten, ſeinen freien Willen zum Widerſtand anwenden könne. In Italien nimmt zumal das Dämoniſche der Naturereigniſſe im Mund des Volkes leicht eine poetiſche Größe an. In der Nacht vor der großen Ueberſchwemmung des Arnothales 1333 hörte einer der heiligen Einſiedler oberhalb Vallombroſa in ſeiner Zelle ein teufliſches Getöſe, bekreuzte ſich, trat unter die Thür und erblickte ſchwarze und ſchreckliche Reiter in Waffen vorüberjagen. Auf ſein Beſchwören ſtand ihm einer davon Rede: „ wir gehen und erſäufen die Stadt Florenz um ihrer Sünden willen, wenn Gott es zuläßt “2)Gio. Villani XI, 2. Er hatte es vom Abt der Vallombroſaner, dem es der Eremit eröffnet hatte.. Womit man die faſt gleichzeitige venezianiſche Erſcheinung (1340) vergleichen mag, aus welcher dann irgend ein großer Meiſter der Schule von Venedig, wahrſcheinlich Giorgione, ein wunderſames Bild gemacht hat: jene Galeere voller Dä - monen, welche mit der Schnelligkeit eines Vogels über die ſtürmiſche Lagune daherjagte um die ſündige Inſelſtadt zu verderben, bis die drei Heiligen, welche unerkannt in die Barke eines armen Schiffers geſtiegen waren, durch ihre Beſchwörung die Dämonen und ihr Schiff in den Abgrund der Fluthen trieben.
531Zu dieſem Glauben geſellt ſich nun der Wahn, daß6. Abſchnitt. der Menſch ſich durch Beſchwörung den Dämonen nähern,Beſchwörung. ihre Hülfe zu ſeinen irdiſchen Zwecken der Habgier, Macht - gier und Sinnlichkeit benützen könne. Hiebei gab es wahr - ſcheinlich viele Verklagte früher als es viele Schuldige gab; erſt als man vorgebliche Zauberer und Hexen verbrannte, begann die wirkliche Beſchwörung und der abſichtliche Zauber häufiger zu werden. Aus dem Qualm der Scheiterhaufen, auf welchen man jene Verdächtigen geopfert, ſtieg erſt der narkotiſche Dampf empor, der eine größere Anzahl von ver - lorenen Menſchen zur Magie begeiſterte. Ihnen ſchloſſen ſich dann noch reſolute Betrüger an.
Die populäre und primitive Geſtalt, in welcher dieſesDie italieniſche Hexe. Weſen vielleicht ſeit der Römerzeit ununterbrochen fortgelebt hatte, iſt das Treiben der Hexe (strega). Sie kann ſich ſo gut als völlig unſchuldig geberden, ſo lange ſie ſich auf die Divination beſchränkt, nur daß der Uebergang vom bloßen Vorausſagen zum Bewirkenhelfen oft unmerklich und doch eine entſcheidende Stufe abwärts ſein kann. Handelt es ſich einmal um wirkenden Zauber, ſo traut man der Hexe hauptſächlich die Erregung von Liebe und Haß zwiſchen Mann und Weib, doch auch rein zerſtörende, boshafte Maleficien zu, namentlich das Hinſiechen von kleinen Kin - dern, auch wenn daſſelbe noch ſo handgreiflich von Ver - wahrloſung und Unvernunft der Eltern herrührt. Nach Allem bleibt dann noch die Frage übrig, wie weit die Hexe durch bloße Zauberſprüche, Ceremonien und unverſtandene Formeln, oder aber durch bewußte Anrufung der Dämonen gewirkt haben ſoll, abgeſehen von den Arzneien und Giften, die ſie in voller Kenntniß von deren Wirkung mag verab - folgt haben.
Die unſchuldigere Art, wobei noch Bettelmönche als Concurrenten aufzutreten wagen, lernt man z. B. in der Hexe von Gaeta kennen, welche Pontano1)Jovian. Pontan. Antonius. uns vorführt. 34*5326. Abſchnitt. Sein Reiſender Suppatius geräth in ihre Wohnung, wäh -Durchſchnittli - cher Character. rend ſie gerade einem Mädchen und einer Dienſtmagd Audienz giebt, die mit einer ſchwarzen Henne, neun am Freitag gelegten Eiern, einer Ente und weißem Faden kommen, ſintemal der dritte Tag ſeit Neumond iſt; ſie werden nun weggeſchickt und auf die Dämmerung wieder herbeſchieden. Es handelt ſich hoffentlich nur um Divina - tion; die Herrin der Dienſtmagd iſt von einem Mönch geſchwängert, dem Mädchen iſt ſein Liebhaber untreu ge - worden und ins Kloſter gegangen. Die Hexe klagt: „ Seit meines Mannes Tode lebe ich von dieſen Dingen und könnte es bequem haben, da unſere Gaetanerinnen einen ziemlich ſtarken Glauben beſitzen, wenn nicht die Mönche mir den Profit vorwegnähmen, indem ſie Träume deuten, den Zorn der Heiligen ſich abkaufen laſſen, den Mädchen Männer, den Schwangern Knaben, den Unfruchtbaren Kinder ver - ſprechen und überdieß des Nachts, wenn das Mannsvolk auf dem Fiſchfang aus iſt, die Weiber heimſuchen, mit welchen ſie des Tages in der Kirche Abreden getroffen haben “. Suppatius warnt ſie vor dem Neid des Kloſters, aber ſie fürchtet nichts, weil der Guardian ihr alter Be - kannter iſt.
Der Wahn jedoch ſchafft ſich nun eine ſchlimmere Gattung von Hexen; ſolche, die durch böſen Zauber die Menſchen um Geſundheit und Leben bringen. Bei dieſen wird man auch, ſobald der böſe Blick ꝛc. nicht ausreichte, zuerſt an Beihülfe mächtiger Geiſter gedacht haben. Ihre Strafe iſt, wie wir ſchon bei Anlaß der Finicella (S. 471) ſahen, der Feuertod, und doch läßt der Fanatismus damals noch mit ſich handeln; im Stadtgeſetz von Perugia z. B. können ſie ſich mit 400 Pfund loskaufen1)Graziani, arch. stor. XVI, I, p. 565, ad a. 1445, bei Anlaß einer Hexe von Nocera, welche nur die Hälfte bot und verbrannt wurde. Das Geſetz beſchlägt ſolche die: facciono le fature ovvero venefitie ovvero encantatione d'immundi spiriti a nuocere. . Ein conſe -533 quenter Ernſt wurde damals noch nicht auf die Sache gewendet. 6. Abſchnitt. Auf dem Boden des Kirchenſtaates, im Hochapennin, undDie Hexengegend bei Norcia. zwar in der Heimath des h. Benedict, zu Norcia, behaup - tete ſich ein wahres Neſt des Hexen - und Zauberweſens. Die Sache war völlig notoriſch. Es iſt einer der merkwürdig - ſten Briefe des Aeneas Sylvius1)Lib. I, ep. 46. Opera, p. 531, s. Statt umbra p. 532 iſt Umbria, ſtatt lacum locum zu leſen., aus ſeiner frühern Zeit, der hierüber Aufſchluß giebt. Er ſchreibt an ſeinen Bruder: „ Ueberbringer dieſes iſt zu mir gekommen um mich zu fragen, ob ich nicht in Italien einen Venusberg wüßte? in einem ſolchen nämlich würden magiſche Künſte gelehrt, nach welchen ſein Herr, ein Sachſe und großer Aſtronom2)Später nennt er ihn Medicus Ducis Saxoniæ, homo tum dives tum potens. , Begierde trüge. Ich ſagte, ich kenne ein Porto Venere unweit Car - rara an der liguriſchen Felsküſte, wo ich auf der Reiſe nach Baſel drei Nächte zubrachte, auch fand ich, daß in Sicilien ein der Venus geweihter Berg Eryx vorhanden ſei, weiß aber nicht, daß dort Magie gelehrt werde. Unter dem Geſpräch jedoch fiel mir ein, daß in Umbrien, im alten Herzogthum (Spoleto) unweit der Stadt Nurſia eine Ge - gend iſt, wo ſich unter einer ſteilen Felswand eine Höhle findet, in welcher Waſſer fließt. Dort ſind, wie ich mich entſinne gehört zu haben, Hexen (striges), Dämonen und nächtliche Schatten, und wer den Muth hat, kann Geiſter (spiritus) ſehen und anreden und Zauberkünſte lernen3)Eine Art von Höllenloch kannte man im XIV. Jahrh. unweit An - ſedonia in Toscana. Es war eine Höhle, wo man im Sande Thier - und Menſchenſpuren ſah, welche, auch wenn man ſie ver - wiſchte, des folgenden Tages doch wieder ſichtbar waren. Uberti, il Dittamondo, L. III, cap. 9.. Ich habe es nicht geſehen noch mich bemüht es zu ſehen, denn was man nur mit Sünden lernt, das kennt man beſſer gar nicht. “ Nun nennt er aber ſeinen Gewährsmann5346. Abſchnitt. und erſucht den Bruder, den Ueberbringer des Briefes zu jenem hinzuführen wenn er noch lebe. Aeneas geht hier in der Gefälligkeit gegen einen Hochſtehenden ſehr weit, aber für ſeine Perſon iſt er nicht nur freier von allem Aberglauben als ſeine Zeitgenoſſen (S. 486, 513) ſondern er hat darüber auch eine Prüfung beſtanden, die noch heute nicht jeder Gebildete aushalten würde. Als er zur Zeit des Basler Concils zu Mailand 75 Tage lang am Fieber dar - niederlag, konnte man ihn doch nie dazu bewegen auf die Zauberärzte zu hören, obwohl ihm ein Mann ans Bette gebracht wurde, der kurz vorher 2000 Soldaten im Lager des Piccinino auf wunderbare Weiſe vom Fieber curirt haben ſollte. Noch leidend reiste Aeneas über das Gebirge nach Baſel und genas im Reiten1)Pii II. comment. L. I. p. 10..
Norcia im XVI. Jahrh.Weiter erfahren wir etwas von der Umgegend Norcia's durch den Necromanten, welcher den trefflichen Benvenuto Cellini in ſeine Gewalt zu bekommen ſuchte. Es handelt ſich darum2)Benv. Cellini, L. I, cap. 65., ein neues Zauberbuch zu weihen, und der ſchicklichſte Ort hiefür ſind die dortigen Gebirge; zwar hat der Meiſter des Zauberers einmal ein Buch geweiht in der Nähe der Abtei Farfa, aber es ergaben ſich dabei Schwie - rigkeiten, die man bei Norcia nicht anträfe; überdieß ſind die nurſiniſchen Bauern zuverläſſige Leute, haben einige Praxis in der Sache und können im Nothfall mächtige Hülfe leiſten. Der Ausflug unterblieb dann, ſonſt hätte Benvenuto wahrſcheinlich auch die Helfershelfer des Gauners kennen gelernt. Damals war dieſe Gegend völlig ſprich - wörtlich. Aretino ſagt irgendwo von einem verhexten Brunnen: es wohnten dort die Schweſter der Sibylle von Norcia und die Tante der Fata Morgana. Und um die - ſelbe Zeit durfte doch Triſſino in ſeinem großen Epos3)L'Italia liberata da 'Goti, canto XXIV. Man kann fragen, ob Triſſino ſelber noch an die Möglichkeit ſeiner Schilderung glaubt535 jene Oertlichkeit mit allem möglichen Aufwand von Poeſie6. Abſchnitt. und Allegorie als den Sitz der wahren Weiſſagung feiern.
Mit der berüchtigten Bulle Innocenz VIII. (1484)1)Septimo Decretal. Lib. V. Tit. XII. Sie beginnt: summis de - siderantes affectibus etc. Beiläufig glaube ich mich zu der Be - merkung veranlaßt, daß hier bei längerer Betrachtung jeder Gedanke an einen urſprünglichen objectiven Thatbeſtand, an Reſte heidniſchen Glaubens u. ſ. w. verſchwindet. Wer ſich überzeugen will, wie die Phantaſie der Bettelmönche die einzige Quelle dieſes ganzen Wahns iſt, verfolge in den Memoiren von Jaques du Clerc den ſog. Wal - denſerproceß von Arras im J. 1459. Erſt durch hundertjähriges Hineinverhören brachte man auch die Phantaſie des Volkes auf den Punkt, wo ſich das ganze ſcheußliche Weſen von ſelbſt verſtand und ſich vermeintlich neu erzeugte.Das nordiſche Hexenweſen. wird dann bekanntlich das Hexenweſen und deſſen Verfol - gung zu einem großen ſcheußlichen Syſtem. Wie die Haupt - träger deſſelben deutſche Dominicaner waren, ſo wurde auch Deutſchland am Meiſten durch dieſe Geißel heimgeſucht und von Italien in auffallender Weiſe diejenigen Gegenden, welche Deutſchland am nächſten lagen. Schon die Befehle und Bullen der Päpſte ſelber2)Alexanders VI, Leo's X, Hadrians VI, a. a. O. beziehen ſich z. B. auf die dominicaniſche Ordensprovinz Lombardia, auf die Diöceſen Brescia und Bergamo, auf Cremona. Sodann erfährt man aus Sprengers berühmter theoretiſch-practiſcher Anweiſung, dem Malleus Maleficarum, daß zu Como ſchon im erſten Jahre nach Erlaß der Bulle 41 Hexen verbrannt wurden; Schaaren von Italienerinnen flüchteten auf das Gebiet Erzherzog Sigismunds, wo ſie ſich noch ſicher glaubten. Endlich ſetzt ſich dieß Hexenweſen in einigen unglücklichen Alpenthälern, beſonders Val Camonica3)Sprichwörtlich als Hexenland genannt z. B. im Orlandino, cap. I, str. 12., ganz unaustilg -3)oder ob es ſich bereits um ein Element freier Romantik handelt. Derſelbe Zweifel iſt bei ſeinem vermuthlichen Vorbild Lucan (Geſ. VI. ) geſtattet, wo die theſſaliſche Hexe dem Sextus Pompejus zu Gefallen eine Leiche beſchwört.5366. Abſchnitt. bar feſt; es war dem Syſtem offenbar gelungen, Bevöl - kerungen, welche irgendwie ſpeciell disponirt waren, bleibendSein Einfluß auf Oberitalien. mit ſeinem Wahn zu entzünden. Dieſes weſentlich deutſche Hexenthum iſt diejenige Nuance, an welche man bei Ge - ſchichten und Novellen aus Mailand, Bologna u. ſ. w.1)Z. B. Bandello III, Nov. 29. 52. Prato, arch. stor. III, p. 408. — Bursellis, ann. Bonon. ap. Murat. XXIII, Col. 897, erzählt bereits zum J. 1468 die Verurtheilung eines Priors vom Serviten - orden, welcher ein Geiſterbordell hielt; cives Bononienses coire faciebat cum Dæmonibus in specie puellarum. Er brachte den Dämonen förmliche Opfer. zu denken hat. Wenn es in Italien nicht weiter um ſich griff, ſo hing dieß vielleicht davon ab, daß man hier bereits eine ausgebildete Stregheria beſaß und kannte, welche auf weſentlich andern Vorausſetzungen beruhte. Die italieniſche Hexe treibt ein Gewerbe und braucht Geld und vor Allem Beſinnung. Von jenen hyſteriſchen Träumen der nordiſchen Hexen, von weiten Ausfahrten, Incubus und Succubus iſt keine Rede; die Strega hat für das Vergnügen anderer Leute zu ſorgen. Wenn man ihr zutraut, daß ſie verſchie - dene Geſtalten annehmen, ſich ſchnell an entfernte Orte ver - ſetzen könne, ſo läßt ſie ſich dergleichen inſofern gefallen als es ihr Anſehen erhöht; dagegen iſt es ſchon überwiegend gefährlich für ſie, wenn die Furcht vor ihrer Bosheit und Rache, beſonders vor der Verzauberung von Kindern, Vieh und Feldfrüchten überhand nimmt. Es kann für Inqui - ſitoren und Ortsbehörden eine höchſt populäre Sache werden, ſie zu verbrennen.
Weit das wichtigſte Feld der Strega ſind und bleiben, wie ſchon angedeutet wurde, die Liebesangelegenheiten, wor - unter die Erregung von Liebe und Haß, das rachſüchtige Neſtelknüpfen, das Abtreiben der Leibesfrucht, je nach Um - ſtänden auch der vermeintliche Mord des oder der Ungetreuen durch magiſche Begehungen und ſelbſt die Giftküche2)Die ekelhaften Vorräthe der Hexenküche vgl. Macaroneide, Phant. XVI, XXI, wo das ganze Treiben erzählt wird. be -537 griffen ſind. Da man ſich ſolchen Weibern nur ungern6. Abſchnitt. anvertraute, ſo entſtand ein Dilettantismus, der ihnen dieſesZauberweſen d. Buhlerinnen. und jenes im Stillen ablernte und auf eigene Hand damit weiter operirte. Die römiſchen Buhlerinnen z. B. ſuchten dem Zauber ihrer Perſönlichkeit noch durch anderweitigen Zauber in der Art der horaziſchen Canidia nachzuhelfen. Aretino1)Im Ragionamento del Zoppino. Er meint die Buhlerinnen lern - ten ihre Weisheit beſonders von gewiſſen Judenweibern, welche im Beſitz von malìe ſeien. kann nicht nur etwas über ſie wiſſen, ſondern auch in dieſer Beziehung Wahres berichten. Er zählt die ent - ſetzlichen Schmierereien auf, welche ſich in ihren Schränken geſammelt vorfinden: Haare, Schädel, Rippen, Zähne, Augen von Todten, Menſchenhaut, der Nabel von kleinen Kindern, Schuhſohlen und Gewandſtücke aus Gräbern; ja ſie holen ſelbſt von den Kirchhöfen verweſendes Fleiſch und geben es dem Galan unvermerkt zu eſſen (nebſt noch Un - erhörterem). Haare, Neſtel, Nägelabſchnitte des Galans kochen ſie in Oel, das ſie aus ewigen Lämpchen in den Kirchen geſtohlen. Von ihren Beſchwörungen iſt es die unſchuldigſte, wenn ſie ein Herz aus heißer Aſche formen, und hinein ſtechen unter dem Geſang:
Sonſt kommen auch Zauberformeln bei Mondſchein, Zeich - nungen am Boden und Figuren aus Wachs oder Erz vor, welche ohne Zweifel den Geliebten vorſtellen und je nach Umſtänden behandelt werden.
Man war an dieſe Dinge doch ſo ſehr gewöhnt, daß ein Weib, welches ohne Schönheit und Jugend gleichwohl einen großen Reiz auf die Männer ausübte, ohne Weiteres in den Verdacht der Zauberei gerieth. Die Mutter des5386. Abſchnitt. Sanga1)Varchi, stor. fior. II, p. 153. (Secretärs bei Clemens VII. ) vergiftete deſſen Geliebte, die in dieſem Falle war; unſeliger Weiſe ſtarb aber auch der Sohn und eine Geſellſchaft von Freunden, die von dem vergifteten Salat mit aßen.
Der Zauberer.Nun folgt, nicht als Helfer, ſondern als Concurrent der Hexe, der mit den gefährlichern Aufgaben noch beſſer vertraute Zauberer oder Beſchwörer, incantatore. Bis - weilen iſt er ebenſoſehr oder noch mehr Aſtrolog als Zauberer; öfter mag er ſich als Aſtrologen gegeben haben um nicht als Zauberer verfolgt zu werden, und etwas Aſtrologie zur Ermittelung der günſtigen Stunden konnte der Zauberer ohnehin nicht entbehren (S. 515, 522). Da aber viele Geiſter gut2)Dieſe Reſervation wurde dann ausdrücklich betont. Corn. Agrippa, de occulta philosophia, cap. 39. oder indifferent ſind, ſo kann auch ihr Beſchwörer bis - weilen noch eine leidliche Reputation behaupten, und noch Sixtus IV. hat 1474 in einem ausdrücklichen Breve3)Septimo Decretal. l. c. gegen einige bologneſiſche Carmeliter einſchreiten müſſen, welche auf der Kanzel ſagten, es ſei nichts Böſes, von den Dämonen Beſcheid zu begehren. An die Möglichkeit der Sache ſelber glaubten offenbar ſehr Viele; ein mittelbarer Beweis dafür liegt ſchon darin, daß auch die Frömmſten ihrerſeits an erbetene Viſionen guter Geiſter glaubten. Savonarola iſt von ſolchen Dingen erfüllt, die florentiniſchen Platoniker reden von einer myſtiſchen Vereinigung mit Gott, und Marcellus Palingenius (S. 259, f.) giebt nicht undeut - lich zu verſtehen, daß er mit geweihten Geiſtern umgehe4)Zodiacus vitæ, XII, 363 bis 539. cf. X, 393, s. . Ebenderſelbe iſt auch überzeugt vom Daſein einer gan - zen Hierarchie böſer Dämonen, welche, vom Mond her - wärts wohnend, der Natur und dem Menſchenleben auf - lauern5)Ibid. IX, 291, s. , ja er erzählt von einer perſönlichen Bekanntſchaft539 mit ſolchen und da der Zweck unſeres Buches eine ſyſte -6. Abſchnitt. matiſche Darſtellung des damaligen Geiſterglaubens ohne - hin nicht geſtattet, ſo mag wenigſtens der Bericht des Pa - lingenius als Einzelbeiſpiel folgen1)Ibid. X, 770, s. .
Er hat bei einem frommen Einſiedler auf dem Soracte,Die Dämonen auf der Straße nach Rom. zu S. Silveſtro, ſich über die Nichtigkeit des Irdiſchen und die Werthloſigkeit des menſchlichen Lebens belehren laſſen und dann mit einbrechender Nacht den Weg nach Rom angetreten. Da geſellen ſich auf der Straße bei hellem Vollmond drei Männer zu ihm, deren Einer ihn beim Namen nennt und ihn fragt, woher des Weges er komme? Palingenio antwortet: von dem Weiſen auf jenem Berge. O du Thor, erwiedert Jener, glaubſt du wirklich, daß auf Erden Jemand weiſe ſei? Nur höhere Weſen (Divi) haben Weisheit, und dazu gehören wir drei obwohl wir mit Menſchengeſtalt angethan ſind; ich heiße Saracil, und dieſe hier Sathiel und Jana; unſer Reich iſt zunächſt beim Mond, wo überhaupt die große Schaar von Mittelweſen haust, die über Erde und Meer herrſchen. Palingenio fragt nicht ohne inneres Beben, was ſie in Rom vor hätten? — Die Antwort lautet: „ einer unſerer Genoſ - ſen, Ammon, wird durch magiſche Kraft von einem Jüng - ling aus Narni, aus dem Gefolge des Cardinals Orſini, in Knechtſchaft gehalten; denn merkt euch's nur, Menſchen, es liegt beiläufig ein Beweis für eure eigene Unſterblichkeit darin, daß ihr unſer einen zwingen könnt; ich ſelbſt habe einmal, in Kryſtall eingeſchloſſen, einem Deutſchen dienen müſſen, bis mich ein bärtiges Mönchlein befreite. Dieſen Dienſt wollen wir nun in Rom unſerm Genoſſen zu leiſten ſuchen und bei dem Anlaß ein paar vornehme Herrn dieſe Nacht in den Orcus befördern. “ Bei dieſen Worten des Dämons erhebt ſich ein Lüftchen, und Sathiel ſagt: „ Höret, unſer Remiſſes kommt ſchon von Rom zurück, dieß Wehen5406. Abſchnitt. kündigt ihn an “. In der That erſcheint noch Einer, den ſie fröhlich begrüßen und über Rom ausfragen. Seine Auskunft iſt höchſt antipäpſtlich; Clemens VII. iſt wieder mit den Spaniern verbündet und hofft Luthers Lehre nicht mehr mit Gründen ſondern mit dem ſpaniſchen Schwerte auszurotten; lauter Gewinn für die Dämonen, welche bei dem großen bevorſtehenden Blutvergießen die Seelen Un - zähliger zur Hölle führen werden. Nach dieſen Reden, wobei Rom mit ſeiner Unſittlichkeit als völlig dem Böſen verfallen dargeſtellt wird, verſchwinden die Dämonen und laſſen den Dichter traurig ſeine Straße ziehen1)Das mythiſche Vorbild der Zauberer bei den damaligen Dichtern iſt bekanntlich Malagigi. Bei Anlaß dieſer Figur läßt ſich Pulci (Morgante, canto XXIV, Str. 106, s.) auch theoretiſch aus über die Grenzen der Macht der Dämonen und der Beſchwörung. Wenn man nur wüßte wie weit es ihm Ernſt iſt. (Vgl. Canto XXI.).
Umfang des Beſchwörungs - glaubens.Wer ſich von dem Umfang desjenigen Verhältniſſes zu den Dämonen einen Begriff machen will, welches man noch öffentlich zugeſtehen durfte trotz des Hexenhammers ꝛc., den müſſen wir auf das vielgeleſene Buch des Agrippa von Nettesheim „ von der geheimen Philoſophie “verweiſen. Er ſcheint es zwar urſprünglich geſchrieben zu haben ehe er in Italien war2)Polydorus Virgilius war zwar Italiener von Geburt, allein ſein Werk de prodigiis conſtatirt weſentlich nur den Aberglauben von England, wo er ſein Leben zubrachte. Bei Anlaß der Präſcienz der Dämonen macht er jedoch eine curioſe Anwendung auf die Verwü - ſtung von Rom 1527., allein er nennt in der Widmung an Tri - themius unter andern auch wichtige italieniſche Quellen, wenn auch nur um ſie nebſt den andern ſchlecht zu machen. Bei zweideutigen Individuen, wie Agrippa eines war, bei Gaunern und Narren, wie die meiſten Andern heißen dürfen, intereſſirt uns das Syſtem, in welches ſie ſich etwa hüllen, nur ſehr wenig, ſammt ſeinen Formeln, Räucherungen, Salben, Pentakeln, Todtenknochen3)Doch iſt wenigſtens der Mord nur höchſt ſelten (S. 453) Zweck und u. ſ. w. Allein fürs541 Erſte iſt dieß Syſtem mit Citaten aus dem Aberglauben6. Abſchnitt. des Alterthums ganz angefüllt; ſodann erſcheint ſeine Ein - miſchung in das Leben und in die Leidenſchaft der Italiener bisweilen höchſt bedeutend und folgenreich. Man ſollte denken, daß nur die verdorbenſten Großen ſich damit ein - gelaſſen hätten, allein das heftige Wünſchen und Begehren führt den Zauberern hie und da auch kräftige und ſchöpfe - riſche Menſchen aller Stände zu und ſchon das Bewußtſein, daß die Sache möglich ſei, raubt auch den Fernſtehenden immer etwas von ihrem Glauben an eine ſittliche Welt - ordnung. Mit etwas Geld und Gefahr ſchien man der allgemeinen Vernunft und Sittlichkeit ungeſtraft trotzen zu können und die Zwiſchenſtufen zu erſparen, welche ſonſt zwiſchen dem Menſchen und ſeinen erlaubten oder unerlaubten Zielen liegen.
Betrachten wir zunächſt ein älteres, im Abſterben be -Die Telesmen, griffenes Stück Zauberei. Aus dem dunkelſten Mittelalter, ja aus dem Alterthum bewahrte manche Stadt in Italien eine Erinnerung an die Verknüpfung ihres Schickſals mit gewiſſen Bauten, Statuen u. ſ. w. Die Alten hatten einſt zu erzählen gewußt von den Weiheprieſtern oder Teleſten, welche bei der feierlichen Gründung einzelner Städte zu - gegen geweſen waren, und das Wohlergehen derſelben durch beſtimmte Denkmäler, auch wohl durch geheimes Vergraben beſtimmter Gegenſtände (Telesmata) magiſch geſichert hatten. Wenn irgend etwas aus der römiſchen Zeit mündlich und populär überliefert weiter lebte, ſo waren es Traditionen dieſer Art; nur wird natürlich der Weiheprieſter im Lauf der Jahrhunderte zum Zauberer ſchlechthin, da man die religiöſe Seite ſeines Thuns im Alterthum nicht mehr ver - ſteht. In einigen neapolitaniſchen Virgilswundern1)Vgl. die wichtige Abhandlung von Roth „ über den Zauberer Vir - lebtin Neapel;3)vielleicht gar nie Mittel. Ein Scheuſal wie Gilles de Retz (um 1440), der den Dämonen über 100 Kinder opferte, hat in Italien kaum eine ferne Analogie.5426. Abſchnitt. ganz deutlich die uralte Erinnerung an einen Teleſten fort, deſſen Name im Laufe der Zeit durch den des Virgil ver - drängt wurde. So iſt das Einſchließen des geheimnißvollen Bildes der Stadt in ein Gefäß nichts anderes als ein echtes antikes Telesma; ſo iſt Virgil der Mauerngründer von Neapel nur eine Umbildung des bei der Gründung anweſenden Weiheprieſters. Die Volksphantaſie ſpann mit wucherndem Reichthum an dieſen Dingen weiter bis Virgil auch der Urheber des ehernen Pferdes, der Köpfe am No - laner Thor, der ehernen Fliege über irgend einem andern Thore, ja der Grotte des Poſilipp u. ſ. w. geworden war — lauter Dinge, welche das Schickſal in einzelnen Beziehungen magiſch binden, während jene beiden Züge das Fatum von Neapel überhaupt zu beſtimmen ſcheinen. Auch das mittel - alterliche Rom hatte verworrene Erinnerungen dieſer Art.in Mailand; In S. Ambrogio zu Mailand befand ſich ein antiker mar - morner Hercules; ſo lange derſelbe an ſeiner Stelle ſtehe, hieß es, werde auch das Reich dauern, wahrſcheinlich das der deutſchen Kaiſer, deren Krönungskirche S. Ambrogioin Florenz; war1)Uberti: Dittamondo L. III, cap. 4.. Die Florentiner waren überzeugt2)Das Folgende ſ. bei Gio. Villani I, 42. 60. II, 1. III, 1. V, 38. XI, 1. Er ſelber glaubt an ſolche gottloſe Sachen nicht. — Vgl. Dante, Inferno XIII, 146., daß ihr (ſpäter zum Baptiſterium umgebauter) Marstempel ſtehen werde bis ans Ende der Tage, gemäß der Conſtellation, unter welcher er zur Zeit des Auguſtus erbaut war; die mar - morne Reiterſtatue des Mars hatten ſie allerdings daraus entfernt als ſie Chriſten wurden, weil aber die Zertrüm - merung derſelben großes Unheil über die Stadt gebracht haben würde — ebenfalls wegen einer Conſtellation — ſo1)gilius “, in Pfeiffer's Germania, IV. — Das Aufkommen Virgils an der Stelle des ältern Teleſten mag ſich am eheſten dadurch er - klären, daß etwa die häufigen Beſuche an ſeinem Grabe ſchon wäh - rend der Kaiſerzeit dem Volk zu denken gaben.543 ſtellte man ſie auf einen Thurm am Arno. Als Totila6. Abſchnitt. Florenz zerſtörte fiel das Bild ins Waſſer und wurde erſt wieder herausgefiſcht als Carl der Große Florenz neu gründete; es kam nunmehr auf einen Pfeiler am Eingang des Ponte vecchio zu ſtehen — und an dieſer Stelle wurde 1215 Bondelmonte umgebracht und das Erwachen des großen Parteikampfes der Guelfen und Ghibellinen knüpft ſich auf dieſe Weiſe an das gefürchtete Idol. Bei der Ueberſchwemmung von 1333 verſchwand daſſelbe für immer.
Allein daſſelbe Telesma findet ſich anderswo wieder. in Forli.Der ſchon erwähnte Guido Bonatto begnügte ſich nicht, bei der Neugründung der Stadtmauern von Forli jene ſymbo - liſche Scene der Eintracht der beiden Parteien (S. 516) zu verlangen; durch ein ehernes oder ſteinernes Reiterbild, das er mit aſtrologiſchen und magiſchen Hülfsmitteln zu Stande brachte und vergrub1)Den Ortsglauben hierüber geben Annal. Foroliviens. ap. Mura - tori XXII, Col. 207. 238; mit Erweiterungen iſt die Sache er - zählt bei Fil. Villani, vite, p. 43., glaubte er die Stadt Forli vor Zerſtörung, ja ſchon vor Plünderung und Einnahme geſchützt zu haben. Als Cardinal Albornoz (S. 102) etwa ſechs Jahrzehnde ſpäter die Romagna regierte, fand man das Bild bei zufälligem Graben, und zeigte es, wahrſchein - lich auf Befehl des Cardinals, dem Volke, damit dieſes begreife, durch welches Mittel der grauſame Montefeltro ſich gegen die römiſche Kirche behauptet habe. Aber wie - derum ein halbes Jahrhundert ſpäter (1410), als eine feindliche Ueberrumpelung von Forli mißlang, appellirt man doch wieder an die Kraft des Bildes, das vielleicht gerettet und wieder vergraben worden war. Es ſollte das letztemal ſein, daß man ſich deſſen freute; ſchon im folgenden Jahr wurde die Stadt wirklich eingenommen. — Gründungen von Gebäuden haben noch im ganzen XV. Jahrhundert nicht nur aſtrologiſche (S. 516) ſondern auch magiſche An -5446. Abſchnitt. klänge mit ſich. Es fiel z. B. auf, daß Papſt Paul II.Magie bei Grundſtein - legungen. eine ſolche Maſſe von goldenen und ſilbernen Medaillen in die Grundſteine ſeiner Bauten verſenkte1)Platina, vitæ Pontiff. p. 320: veteres potius hac in re quam Petrum, Anacletum et Linum imitatus. , und Platina hat keine üble Luſt, hierin ein heidniſches Telesma zu er - kennen. Von der mittelalterlich religiöſen Bedeutung eines ſolchen Opfers2)Die man z. B. bei Sugerius, de consecratione ecclesiæ (Du - chesne, scriptores IV, p. 355) und Chron. Petershusanum I, 13 und 16 recht wohl ahnt. hatte wohl freilich Paul ſo wenig als ſein Biograph ein Bewußtſein.
Doch dieſer officielle Zauber, der ohnedieß großentheils ein bloßes Hörenſagen war, erreichte bei Weitem nicht die Wichtigkeit der geheimen, zu perſönlichen Zwecken ange - wandten Magie.
Der Necromant bei den Dichtern.Was davon im gewöhnlichen Leben beſonders häufig vorkam, hat Arioſt in ſeiner Comödie vom Necromanten zuſammengeſtellt3)Vgl. auch die Calandra des Bibiena.. Sein Held iſt einer der vielen aus Spanien vertriebenen Juden, obgleich er ſich auch für einen Griechen, Aegypter und Africaner ausgiebt und unaufhör - lich Namen und Maske wechſelt. Er kann zwar mit ſeinen Geiſterbeſchwörungen den Tag verdunkeln und die Nacht erhellen, die Erde bewegen, ſich unſichtbar machen, Menſchen in Thiere verwandeln ꝛc., aber dieſe Prahlereien ſind nur der Aushängeſchild; ſein wahres Ziel iſt das Ausbeuten unglücklicher und leidenſchaftlicher Ehepaare, und da gleichen die Spuren, die er zurückläßt, dem Geifer einer Schnecke, oft aber auch dem verheerenden Hagelſchlag. Um ſolcher Zwecke willen bringt er es dazu, daß man glaubt, die Kiſte, worin ein Liebhaber ſteckt, ſei voller Geiſter, oder er könne eine Leiche zum Reden bringen u. dgl. Es iſt wenigſtens ein gutes Zeichen, daß Dichter und Novelliſten dieſe Sorte von Menſchen lächerlich machen durften und dabei auf545 Zuſtimmung rechnen konnten. Bandello behandelt nicht nur6. Abſchnitt. das Zaubern eines lombardiſchen Mönches als eine küm - merliche und in ihren Folgen ſchreckliche Gaunerei1)Bandello III, Nov. 52., ſondern er ſchildert auch2)Ebenda III, Nov. 29. Der Beſchwörer läßt ſich das Geheimhalten mit hohen Eiden verſprechen, hier z. B. mit einem Schwur auf dem Hochaltar von S. Petronio in Bologna, als gerade ſonſt Niemand in der Kirche war. — Einen ziemlichen Vorrath von Zauberweſen fin - det man auch Macaroneide, Phant. XVIII. mit wahrer Entrüſtung das Unheil, welches den gläubigen Thoren unaufhörlich begleitet. „ Ein ſolcher hofft mit dem Schlüſſel Salomonis und vielen andern Zauberbüchern die verborgenen Schätze im Schooß der Erde zu finden, ſeine Dame zu ſeinem Willen zu zwingen, die Geheimniſſe der Fürſten zu erkunden, von Mailand ſich in einem Nu nach Rom zu verſetzen und Aehnliches. Je öfter getäuſcht, deſto beharrlicher wird er … Entſinnt Ihr Euch noch, Signor Carlo, jener Zeit, da ein Freund von uns um die Gunſt ſeiner Geliebten zu erzwingen, ſein Zimmer mit Todtenſchädeln und Gebeinen anfüllte wie einen Kirch - hof? “ Es kommen die ekelhafteſten Verpflichtungen vor, z. B. einer Leiche drei Zähne auszuziehen, ihr einen Nagel vom Finger zu reißen ꝛc. und wenn dann endlich die Be - ſchwörung mit ihrem Hocuspocus vor ſich geht, ſterben bis - weilen die unglücklichen Theilnehmer vor Schrecken.
Benvenuto Cellini, bei der bekannten großen Beſchwö -Benvenuto Cellini. rung (1532) im Coloſſeum zu Rom3)Benv. Cellini I, cap. 64. ſtarb nicht, obgleich er und ſeine Begleiter das tiefſte Entſetzen ausſtanden; der ſicilianiſche Prieſter, der in ihm wahrſcheinlich einen brauch - baren Mithelfer für künftige Zeiten vermuthete, machte ihm ſogar auf dem Heimweg das Compliment, einen Menſchen von ſo feſtem Muthe habe er noch nie angetroffen. Ueber den Hergang ſelbſt wird ſich jeder Leſer ſeine beſondern Gedanken machen; das entſcheidende waren wohl die nar -Cultur der Renaiſſance. 355466. Abſchnitt. kotiſchen Dämpfe und die von vornherein auf das Schreck - lichſte vorbereitete Phantaſie, weßhalb denn auch der mit - gebrachte Junge, bei welchem dieß am Stärkſten wirkt, weit das Meiſte allein erblickt. Daß es aber weſentlich auf Benvenuto abgeſehen ſein mochte, dürfen wir errathen, weil ſonſt für das gefährliche Beginnen gar kein anderer Zweck als die Neugier erſichtlich wird. Denn auf die ſchöne An - gelica muß ſich Benvenuto erſt beſinnen und der Zauberer ſagt ihm nachher ſelbſt, Liebſchaften ſeien eitle Thorheit im Vergleich mit dem Auffinden von Schätzen. Endlich darf man nicht vergeſſen, daß es der Eitelkeit ſchmeichelte, ſagen zu können: die Dämonen haben mir Wort gehalten, und Angelica iſt genau einen Monat ſpäter, wie mir verheißen war, in meinen Händen geweſen (Cap. 68). Aber auch wenn ſich Benvenuto allmälig in die Geſchichte hineingelo - gen haben ſollte, ſo wäre ſie doch als Beiſpiel der damals herrſchenden Anſchauung von bleibendem Werthe.
Sonſt gaben ſich die italieniſchen Künſtler, auch die „ wunderlichen, capriccioſen und bizarren “, mit Zauberei nicht leicht ab; wohl ſchneidet ſich einer bei Gelegenheit des anatomiſchen Studiums ein Wamms aus der Haut einer Leiche, aber auf Zureden des Beichtvaters legt er es wieder in ein Grab1)Vasari VIII, 143, vita di Andrea da Fiesole. Es war Silvio Coſini, der auch ſonſt „ den Zauberſprüchen und ähnlichen Narr - heiten “nachhing.. Gerade das häufige Studium von Cadavern mochte den Gedanken an magiſche Wirkung einzelner Theile derſelben am gründlichſten niederſchlagen, während zugleich das unabläſſige Betrachten und Bilden der Form dem Künſt - ler die Möglichkeit einer ganz andern Magie aufſchloß.
Abnahme des Zauberweſens.Im Allgemeinen erſcheint das Zauberweſen zu Anfang des XVI. Jahrhunderts trotz der angeführten Beiſpiele doch ſchon in kenntlicher Abnahme, zu einer Zeit alſo, wo es außerhalb Italiens erſt recht in Blüthe kommt, ſo daß die Rundreiſen italieniſcher Zauberer und Aſtrologen im547 Norden erſt zu beginnen ſcheinen ſeitdem ihnen zu Hauſe6 Abſchnitt. Niemand mehr großes Vertrauen ſchenkte. Das XIV. Jahrhundert war es, welches die genaue Bewachung des Sees auf dem Pilatusberg bei Scariotto nöthig fand, um die Zauberer an ihrer Bücherweihe zu verhindern1)Uberti, il Dittamondo, III, cap. 1. Er beſucht in der Mark An - cona auch Scariotto, den vermeintl. Geburtsort des Judas und bemerkt dabei: „ an dieſer Stelle darf ich auch nicht den Pilatusberg übergehen, mit ſeinem See, wo den Sommer über regelmäßige Wachen abwechſeln; denn wer Magie verſteht, kommt hier heraufge - ſtiegen um ſein Buch zu weihen, worauf großer Sturm ſich erhebt, wie die Leute des Ortes ſagen “. Das Weihen der Bücher iſt, wie ſchon S. 534 erwähnt wurde, eine beſondere, von der eigentlichen Beſchwörung verſchiedene Ceremonie.. Im XV. Jahrhundert kamen dann noch Dinge vor wie z. B. das Anerbieten Regengüſſe zu bewirken, um damit ein Be - lagerungsheer zu verſcheuchen; und ſchon damals hatte der Gebieter der belagerten Stadt — Nicolò Vitelli in Città di Caſtello — den Verſtand, die Regenmacher als gottloſe Leute abzuweiſen2)De obsidione Tiphernatium 1474. (Rerum ital. scriptt. ex florent. codicibus, Tom. II.) . Im XVI. Jahrhundert treten ſolche officielle Dinge nicht mehr an den Tag, wenn auch das Privatleben noch mannigfach den Beſchwörern anheimfällt. In dieſe Zeit gehört allerdings die claſſiſche Figur des deutſchen Zauberweſens, Dr. Johann Fauſt; die des ita - lieniſchen dagegen, Guido Bonatto, fällt bereits ins XIII. Jahrhundert.
Auch hier wird man freilich beifügen müſſen, daß die Abnahme des Beſchwörungsglaubens ſich nicht nothwendig in eine Zunahme des Glaubens an die ſittliche Ordnung des Menſchenlebens verwandelte, ſondern daß ſie vielleicht bei Vielen nur einen dumpfen Fatalismus zurückließ, ähn - lich wie der ſchwindende Sternglaube.
Ein paar Nebengattungen des Wahns, die Pyromantie,Deſſen Neben - gattungen.35*5486. Abſchnitt. Chiromantie1)Dieſen unter den Soldaten ſtark verbreiteten Aberglauben (um 1520) verſpottet Limerno Pitocco, im Orlandino, cap. V, Str. 60., u. ſ. w., welche erſt mit dem Sinken des Beſchwörungsglaubens und der Aſtrologie einigermaßen zu Kräften kamen, dürfen wir hier völlig übergehen, und ſelbſtPhyſiognomik. die auftauchende Phyſiognomik hat lange nicht das Intereſſe, das man bei Nennung dieſes Namens vorausſetzen ſollte. Sie erſcheint nämlich nicht als Schweſter und Freundin der bildenden Kunſt und der practiſchen Pſychologie, ſondern weſentlich als eine neue Gattung fataliſtiſchen Wahnes, als ausdrückliche Rivalin der Sterndeuterei, was ſie wohl ſchon bei den Arabern geweſen ſein mag. Bartolommeo Cocle z. B., der Verfaſſer eines phyſiognomiſchen Lehrbuches, der ſich einen Metopoſcopen nannte2)Paul. Jov. Elog. lit. sub voce Cocles. , und deſſen Wiſſenſchaft, nach Giovio's Ausdruck, ſchon wie eine der vornehmſten freien Künſte ausſah, begnügte ſich nicht mit Weiſſagungen an die klügſten Leute, die ihn täglich zu Rathe zogen, ſon - dern er ſchrieb auch ein höchſt bedenkliches „ Verzeichniß Solcher, welchen verſchiedene große Lebensgefahren bevor - ſtänden “. Giovio, obwohl gealtert in der Aufklärung Roms — in hac luce romana! — findet doch, daß ſich die darin enthaltenen Weiſſagungen nur zu ſehr erwahrt hätten3)Aus Giovio ſpricht hier vernehmlich der begeiſterte Porträtſammler.. Freilich erfährt man bei dieſer Gelegenheit auch, wie die von dieſen und ähnlichen Vorausſagungen Betrof -Schickſale der Wahrſager. fenen ſich an den Propheten rächten; Giovanni Bentivoglio ließ den Lucas Gauricus an einem Seil, das von einer hohen Wendeltreppe herabhing, fünfmal hin und her an die Wand ſchmeißen, weil Lucas ihm4)Und zwar aus den Sternen, denn Gauricus kannte die Phyſiognomik nicht; für ſein eigenes Schickſal aber war er auf die Weiſſagung des Cocle angewieſen, da ſein Vater verſäumt hatte, ſein Horoscop zu notiren. den Verluſt ſeiner Herrſchaft vorherſagte; Ermes Bentivoglio ſandte dem Cocle549 einen Mörder nach, weil der unglückliche Metopoſcop ihm,6. Abſchnitt. noch dazu wider Willen, prophezeit hatte, er werde als Verbannter in einer Schlacht umkommen. Der Mörder höhnte, wie es ſcheint, noch in Gegenwart des Sterbenden: Dieſer habe ihm ja ſelber geweiſſagt, er würde nächſtens einen ſchmählichen Mord begehen! — Ein ganz ähnliches jammervolles Ende nahm der Neugründer der Chiromantie, Antioco Tiberto von Ceſena1)Paul. Jov. l. c., s. v. Tibertus. , durch Pandolfo Malateſta von Rimini, dem er das Widerwärtigſte prophezeit hatte, was ein Tyrann ſich denken mag: den Tod in Verbannung und äußerſter Armuth. Tiberto war ein geiſtreicher Mann, dem man zutraute, daß er weniger nach einer chiromanti - ſchen Methode als nach einer durchdringenden Menſchen - kenntniß ſeinen Beſcheid gebe; auch achteten ihn ſeiner hohen Bildung wegen ſelbſt diejenigen Gelehrten, welche auf ſeine Divination nichts hielten2)Das Nothwendigſte über dieſe Nebengattungen der Mantik giebt Corn. Agrippa, de occulta philosophia, cap. 52. 57..
Die Alchymie endlich, welche im Alterthum erſt ganzAlchymie. ſpät, unter Diocletian erwähnt wird, ſpielt zur Zeit der Blüthe der Renaiſſance nur eine untergeordnete Rolle3)Libri, hist. des sciences mathém. II, p. 122.. Auch dieſe Krankheit hatte Italien früher durchgemacht, im XIV. Jahrhundert, als Petrarca in ſeiner Polemik dage - gen es zugeſtand: Das Goldkochen ſei eine weitverbreitete Sitte4)Novi nihil narro, mos est publicus. (Remed. utriusque for - tunæ, p. 93, eine der ſehr lebendig und ab irato geſchriebenen Partien dieſes Buches.). Seitdem war in Italien diejenige beſondere Sorte von Glauben, Hingebung und Iſolirung, welche der Betrieb der Alchymie verlangt, immer ſeltener geworden, während italieniſche und andere Adepten im Norden die großen Herrn erſt recht auszubeuten anfingen5)Hauptſtelle bei Trithem. Ann. Hirsaug. II, p. 286, s. . Unter5506. Abſchnitt. Leo X. hießen bei den Italienern die Wenigen1)Neque enim desunt, heißt es bei Paul. Jov. Elog. lit., s. v. Pompon. Gauricus. Vgl. Ibid., s. v. Aurel. Augurellus. — Macaroneide, Phant. XII. , die ſich noch damit abgaben, ſchon „ Grübler “(ingenia curiosa), und Aurelio Augurelli, der dem großen Goldverächter Leo ſelbſt ſein Lehrgedicht vom Goldmachen widmete, ſoll als Gegengeſchenk eine prächtige, aber leere Börſe erhalten haben. Die Adeptenmyſtik, welche außer dem Gold noch den all - beglückenden Stein der Weiſen ſuchte, iſt vollends erſt ein ſpätes nordiſches Gewächs, welches aus den Theorien des Paracelſus ꝛc. emporblüht.
Mit dieſem Aberglauben ſowohl als mit der Denkweiſe des Alterthums überhaupt hängt die Erſchütterung des Glaubens an die Unſterblichkeit eng zuſammen. Dieſe Frage hat aber überdieß noch viel weitere und tiefere Beziehungen zu der Entwicklung des modernen Geiſtes im Großen und Ganzen.
Der Unglaube überhaupt.Eine mächtige Quelle aller Zweifel an der Unſterb - lichkeit war zunächſt der Wunſch, der verhaßten Kirche wie ſie war, innerlich nichts mehr zu verdanken. Wir ſahen daß die Kirche diejenigen, welche ſo dachten, Epicureer nannte (S. 500, f.). Im Augenblick des Todes mag ſich Mancher wieder nach den Sacramenten umgeſehen haben, aber Unzählige haben während ihres Lebens, zumal während ihrer thätigſten Jahre unter jener Vorausſetzung gelebt und gehandelt. Daß ſich daran bei Vielen ein allgemeiner Un - glaube hängen mußte, iſt an ſich einleuchtend und überdieß geſchichtlich auf alle Weiſe bezeugt. Es ſind Diejenigen, von welchen es bei Arioſt heißt: ſie glauben nicht über das Dach hinaus2)Ariosto, Sonetto 34. … non creder sopra il tetto. Der Dichter ſagt es mit Bosheit von einem Beamten aus, der in einer Sache von Mein und Dein gegen ihn entſchieden hatte.. In Italien, zumal in Florenz, konnte man551 zuerſt als ein notoriſch Ungläubiger exiſtiren, wenn man6. Abſchnitt. nur keine unmittelbare Feindſeligkeit gegen die Kirche übte. Der Beichtvater z. B. der einen politiſchen Delinquenten zum Tode vorbereiten ſoll, erkundigt ſich vorläufig, ob der - ſelbe glaube? „ denn es war ein falſches Gerücht gegangen, er habe keinen Glauben “1)Narrazione del caso del Boscoli, arch. stor. I, p. 273, s. — Der ſtehende Ausdruck war non aver fede, vgl. Vasari, VII, p. 122, vita di Piero di Cosimo. .
Der arme Sünder, um den es ſich hier handelt, jenerDie Beichte des Boscoli. S. 59, f. erwähnte Pierpaolo Boscoli, der 1513 an einem Attentat gegen das eben hergeſtellte Haus Medici Theil nahm, iſt bei dieſem Anlaß zu einem wahren Spiegelbild der damaligen religiöſen Confuſion geworden. Von Hauſe aus der Partei Savonarola's zugethan, hatte er dann doch für die antiken Freiheitsideale und anderes Heidenthum geſchwärmt; in ſeinem Kerker aber nimmt ſich jene Partei wiederum ſeiner an und verſchafft ihm ein ſeliges Ende in ihrem Sinne. Der pietätvolle Zeuge und Aufzeichner des Herganges iſt einer von der Künſtlerfamilie della Robbia, der gelehrte Philologe Luca. „ Ach, ſeufzt Boscoli, treibet mir den Brutus aus dem Kopf, damit ich meinen Gang als Chriſt gehen kann! “— Luca: „ wenn Ihr wollt, ſo iſt das nicht ſchwer; Ihr wiſſet ja daß jene Römerthaten uns nicht ſchlicht, ſondern idealiſirt (con arte accresciute) überliefert ſind “. Nun zwingt Jener ſeinen Verſtand, zu glauben, und jammert daß er nicht freiwillig glauben könne. Wenn er nur noch einen Monat mit guten Mönchen zu leben hätte, dann würde er ganz geiſtlich geſinnt werden! Es zeigt ſich weiter, daß dieſe Leute vom Anhang Savo - narola's die Bibel wenig kannten; Boscoli kann nur Pater - noſter und Avemaria beten, und erſucht nun den Luca drin - gend, den Freunden zu ſagen, ſie möchten die heilige Schrift ſtudiren, denn nur was der Menſch im Leben erlernt habe, das beſitze er im Sterben. Darauf liest und erklärt ihm5526. Abſchnitt. Luca die Paſſion nach dem Evangelium Johannis; merk - würdiger Weiſe iſt dem Armen die Gottheit Chriſti ein - leuchtend, während ihm deſſen Menſchheit Mühe macht; dieſe möchte er gerne ſo ſichtbar begreifen, „ als käme ihm Chriſtus aus einem Walde entgegen “— worauf ihn ſein Freund zur Demuth verweist, indem dieß nur Zweifel ſeien, welche der Satan ſende. Später fällt ihm ein un - gelöſtes Jugendgelübde einer Wallfahrt nach der Impruneta ein; der Freund verſpricht es zu erfüllen an ſeiner Statt. Dazwiſchen kommt der Beichtvater, ein Mönch aus Savo - narola's Kloſter wie er ihn erbeten hatte, giebt ihm zunächſt jene oben erwähnte Erläuterung über die Anſicht des Tho - mas von Aquino wegen des Tyrannenmordes, und ermahnt ihn dann, den Tod mit Kraft zu ertragen. Boscoli ant - wortet: „ Pater, verlieret damit keine Zeit, denn dazu ge - nügen mir ſchon die Philoſophen; helfet mir, den Tod zu erleiden aus Liebe zu Chriſtus “. Das Weitere, die Com - munion, der Abſchied und die Hinrichtung, wird auf ſehr rührende Weiſe geſchildert; beſonders hervorzuheben iſt aber der eine Zug, daß Boscoli, indem er das Haupt auf den Block legte, den Henker bat, noch einen Augenblick mit dem Hieb zu warten: „ er hatte nämlich die ganze Zeit über (ſeit der Verkündigung des Todesurtheils) nach einer engen Vereinigung mit Gott geſtrebt ohne ſie nach Wunſch zu erreichen, nun gedachte er in dieſem Augenblick durch volle Anſtrengung ſich gänzlich Gott hinzugeben “. Offenbar iſt es ein Ausdruck Savonarola's, der — halbverſtanden — ihn beunruhigt hatte.
Religiöſe Con - fuſion.Beſäßen wir noch mehr Bekenntniſſe dieſer Art, ſo würde das geiſtige Bild jener Zeit um viele wichtige Züge reicher werden, die uns keine Abhandlung und kein Gedicht giebt. Wir würden noch beſſer ſehen, wie ſtark der ange - borene religiöſe Trieb, wie ſubjectiv und auch wie ſchwan - kend das Verhältniß des Einzelnen zum Religiöſen war und was für gewaltige Feinde dem letztern gegenüberſtanden. 553Daß Menſchen von einem ſo beſchaffenen Innern nicht6. Abſchnitt. taugen um eine neue Kirche zu bilden, iſt unläugbar, aber die Geſchichte des abendländiſchen Geiſtes wäre unvollſtändig ohne die Betrachtung jener Gährungszeit der Italiener, während ſie ſich den Blick auf andere Nationen, die am Gedanken keinen Theil hatten, getroſt erſparen darf. Doch wir kehren zur Frage von der Unſterblichkeit zurück.
Wenn der Unglaube in dieſer Beziehung unter den höher Entwickelten eine ſo bedeutende Stellung gewann, ſo hing dieß weiter davon ab, daß die große irdiſche Aufgabe der Entdeckung und Reproduction der Welt in Wort und Bild alle Geiſtes - und Seelenkräfte bis zu einem hohen Grade für ſich in Anſpruch nahm. Von dieſer nothwendi - gen Weltlichkeit der Renaiſſance war ſchon (S. 496) die Rede. Aber überdieß erhob ſich aus dieſer Forſchung und Kunſt mit derſelben Nothwendigkeit ein allgemeiner GeiſtAllgemeiner Zweifel. des Zweifels und der Frage. Wenn derſelbe ſich in der Literatur wenig kund giebt, wenn er z. B. zu einer Kritik der bibliſchen Geſchichte (S. 507) nur vereinzelte Anläufe verräth, ſo muß man nicht glauben er ſei nicht vorhanden ge - weſen. Er war nur übertönt durch das ſo eben genannte Bedürfniß des Darſtellens und Bildens in allen Fächern, d. h. durch den poſitiven Kunſttrieb; außerdem hemmte ihn auch die noch vorhandene Zwangsmacht der Kirche, ſobald er theoretiſch zu Werke gehen wollte. Dieſer Geiſt des Zweifels aber mußte ſich unvermeidlich und vorzugsweiſe auf die Frage vom Zuſtand nach dem Tode werfen, aus Gründen welche zu einleuchtend ſind als daß ſie genannt zu werden brauchten.
Und nun kam das Alterthum hinzu und wirkte aufUnſterblichkeit der Seele. dieſe ganze Angelegenheit in zwiefacher Weiſe. Fürs erſte ſuchte man ſich die Pſychologie der Alten anzueignen und peinigte den Buchſtaben des Ariſtoteles um eine entſcheidende Auskunft. In einem der lucianiſchen Dialoge jener Zeit1)Jovian. Pontan. Charon. 5546. Abſchnitt. erzählt Charon dem Mercur, wie er den Ariſtoteles bei derUnſterblichkeit der Seele. Ueberfahrt im Nachen ſelber um ſeinen Unſterblichkeits - glauben befragt habe; der vorſichtige Philoſoph, obwohl ſelber bereits leiblich geſtorben und dennoch fortlebend, habe ſich auch jetzt nicht mit einer klaren Antwort compromittiren wollen; wie werde es erſt nach vielen Jahrhunderten mit der Deutung ſeiner Schriften gehen! — Nur um ſo eifri - ger ſtritt man über ſeine und anderer alten Schriftſteller Meinungen in Betreff der wahren Beſchaffenheit der Seele, ihren Urſprung, ihre Präexiſtenz, ihre Einheit in allen Menſchen, ihre abſolute Ewigkeit, ja ihre Wanderungen, und es gab Leute die dergleichen auf die Kanzel brachten. 1)Faustini Terdocei triumphus stultitiæ, L. II. Die Debatte wurde überhaupt ſchon im XV. Jahrh. ſehr laut; die einen bewieſen daß Ariſtoteles allerdings eine unſterbliche Seele lehre2)So Borbone Moroſini um 1460, vgl. Sansovino, Venezia, L. XIII, p. 243.; andere klagten über die Herzens - härte der Menſchen, welche die Seele gern breit auf einem Stuhl vor ſich ſitzen ſähen um überhaupt an ihr Daſein zu glauben3)Vespas. Fiorentin. p. 260.; Filelfo in ſeiner Leichenrede auf Francesco Sforza führt eine bunte Reihe von Ausſagen antiker und ſelbſt arabiſcher Philoſophen zu Gunſten der Unſterblichkeit an und ſchließt dieß im Druck4)Orationes Philelphi, fol. 8. anderthalb enge Folio - ſeiten betragende Gemiſch mit zwei Zeilen: „ überdieß haben wir das alte und neue Teſtament was über alle Wahrheit iſt “. Dazwiſchen kamen die florentiniſchen Platoniker mit der Seelenlehre Plato's, und, wie z. B. Pico, mit ſehr weſentlicher Ergänzung derſelben aus der Lehre des Chriſten - thums. Allein die Gegner erfüllten die gebildete Welt mit ihrer Meinung. Zu Anfang des XVI. Jahrh. war das Aergerniß das die Kirche darob empfand, ſo hoch geſtiegen, daß Leo X. auf dem lateranenſiſchen Concil (1513) eine555 Conſtitution1)Septimo Decretal. Lib. V. Tit. III, cap. 8. erlaſſen mußte zum Schutz der Unſterblich -6. Abſchnitt. keit und Individualität der Seele, letzteres gegen Die welche lehrten, die Seele ſei in allen Menſchen nur eine. Wenige Jahre ſpäter erſchien aber das Buch des Pomponazzo, worin die Unmöglichkeit eines philoſophiſchen Beweiſes für die Unſterblichkeit dargethan wurde, und nun ſpann ſich der Kampf mit Gegenſchriften und Apologien fort und ver - ſtummte erſt gegenüber der catholiſchen Reaction. Die Prä - exiſtenz der Seelen in Gott, mehr oder weniger nach Plato's Ideenlehre gedacht, blieb lange ein ſehr verbreiteter Begriff und kam z. B. den Dichtern2)Ariosto, Orlando, canto VII, Str. 61. — In's Lächerliche gezo - gen: Orlandino, cap. IV, Str. 67. 68. (Vgl. S. 326). — Cariteo, ein Mitglied der neapolitaniſchen Academie des Pontanus, benützt die Präexiſtenz der Seelen um die Sendung des Hauſes Aragon damit zu verherrlichen. Roscoe, Leone X. ed. Bossi, II, p. 288. gelegen. Man erwog nicht näher welche Conſequenz für die Art der Fortdauer nach dem Tode daran hing.
Die zweite Einwirkung des Alterthums kam ganz vor - züglich von jenem merkwürdigen Fragment aus Cicero's ſechstem Buche vom Staat her, welches unter dem Namen „ Traum des Scipio “bekannt iſt. Ohne den CommentarDer Heiden - himmel. des Macrobius wäre es wahrſcheinlich untergegangen wie die übrige zweite Hälfte des ciceroniſchen Werkes; nun war es wieder in unzähligen Abſchriften3)Orelli ad Cic. de republ. L. VI. und von Anfang der Typographie an in Abdrücken verbreitet und wurde mehr - fach neu commentirt. Es iſt die Schilderung eines ver - klärten Jenſeits für die großen Männer, durchtönt von der Harmonie der Sphären. Dieſer Heidenhimmel, für den ſich allmälig auch noch andere Ausſagen der Alten fanden, ver - trat allmälig in demſelben Maße den chriſtlichen Himmel, in welchem das Ideal der hiſtoriſchen Größe und des Ruhmes5566. Abſchnitt. die Ideale des chriſtlichen Lebens in den Schatten ſtellte, und dabei wurde doch das Gefühl nicht beleidigt wie bei der Lehre von dem gänzlichen Aufhören der Perſönlichkeit. Schon Petrarca gründet nun ſeine Hoffnung weſentlich auf dieſen „ Traum des Scipio “, auf die Aeußerungen in andern ciceroniſchen Schriften und auf Plato's Phädon, ohne die Bibel zu erwähnen1)Petrarca, epp. fam. IV, 3 (p. 629). IV, 6 (p. 632). . „ Warum ſoll ich, frägt er anderswo, als Catholik eine Hoffnung nicht theilen, welche ich erweis - lich bei den Heiden vorfinde? “ Etwas ſpäter ſchrieb Co - luccio Salutati ſeine (noch handſchriftlich vorhandenen) „ Arbeiten des Hercules “, wo am Schluß bewieſen wird, daß den energiſchen Menſchen, welche die ungeheuern Mü - hen der Erde überſtanden haben, der Wohnſitz auf den Sternen von Rechtswegen gehöre2)Fil. Villani, vite p. 15. Dieſe merkwürdige Stelle, wo Werkdienſt und Heidenthum zuſammentreffen, lautet: che agli uomini fortis - simi, poichè hanno vinto le mostruose fatiche della terra, debitamente sieno date le stelle. . Wenn Dante noch ſtrenge darauf gehalten hatte, daß auch die größten Heiden, denen er gewiß das Paradies gönnte, doch nicht über jenen Limbus am Eingang der Hölle hinauskamen3)Inferno, IV, 24, s. — Vgl. Purgatorio VII, 28. XXII, 100., ſo griff jetzt die Poeſie mit beiden Händen nach den neuen libera - len Ideen vom Jenſeits. Coſimo der ältere wird, laut Bernardo Pulci's Gedicht auf ſeinen Tod, im Himmel empfangen von Cicero, der ja auch „ Vater des Vaterlandes “geheißen, von den Fabiern, von Curius, Fabricius und vielen Andern; mit ihnen wird er eine Zierde des Chores ſein wo nur tadelloſe Seelen ſingen.
Das homeriſche Jenſeits.Aber es gab in den alten Autoren noch ein anderes, weniger gefälliges Bild des Jenſeits, nämlich das Schat - tenreich Homer's und derjenigen Dichter, welche jenen Zu - ſtand nicht verſüßt und humaniſirt hatten. Auf einzelne Gemüther machte auch dieß Eindruck. Gioviano Pontano557 legt irgendwo1)In ſeiner ſpäten Schrift Actius. dem Sannazar die Erzählung einer Viſion6. Abſchnitt. in den Mund, die er früh Morgens im Halbſchlummer gehabt habe. Es erſcheint ihm ein verſtorbener Freund Ferrandus Januarius, mit dem er ſich einſt oft über die Unſterblichkeit der Seele unterhalten hatte; jetzt frägt er ihn, ob die Ewigkeit und Schrecklichkeit der Höllenſtrafen eine Wahrheit ſei? Der Schatten antwortet nach einigem Schweigen ganz im Sinne des Achill als ihn Odyſſeus befragte: „ ſoviel ſage und betheure ich dir, daß wir vom leiblichen Leben Abgeſchiedenen das ſtärkſte Verlangen tragen wieder in daſſelbe zurückzukehren “. Dann grüßt und ver - ſchwindet er.
Es iſt gar nicht zu verkennen, daß ſolche AnſichtenVerflüchtigung der chriſtlichen Lehre. vom Zuſtande nach dem Tode das Aufhören der weſent - lichſten chriſtlichen Dogmen theils vorausſetzen theils ver - urſachen. Die Begriffe von Sünde und Erlöſung müſſen faſt völlig verduftet geweſen ſein. Man darf ſich durch die Wirkung der Bußprediger und durch die Bußepide - mien, von welchen oben (S. 467 u. f., 490 u. f.) die Rede war, nicht irre machen laſſen; denn ſelbſt zugegeben, daß auch die individuell entwickelten Stände daran Theil genommen hätten wie alle andern, ſo war die Hauptſache dabei doch nur das Rührungsbedürfniß, die Losſpannung heftiger Gemüther, das Entſetzen über großes Landesun - glück, der Schrei zum Himmel um Hülfe. Die Weckung des Gewiſſens hatte durchaus nicht nothwendig das Gefühl der Sündhaftigkeit und des Bedürfniſſes der Erlöſung zur Folge, ja ſelbſt eine ſehr heftige äußere Buße ſetzt nicht nothwendig eine Reue im chriſtlichen Sinne voraus. Wenn kräftig entwickelte Menſchen der Renaiſſance uns erzählen, ihr Princip ſei: nichts zu bereuen2)Cardanus, de propria vita, cap. 13: non poenitere ullius rei quam voluntarie effecerim, etiam quæ male cessisset; ohne dieſes wäre ich der unglücklichſte Menſch geweſen., ſo kann dieß aller -5586. Abſchnitt. dings ſich auf ſittlich indifferente Angelegenheiten, auf bloß Unkluges und Unzweckmäßiges beziehen, aber von ſelbſt wird ſich dieſe Verachtung der Reue auch auf das ſittliche Ge - biet ausdehnen, weil ihre Quelle eine allgemeine, nämlich das individuelle Kraftgefühl iſt. Das paſſive und contem - plative Chriſtenthum mit ſeiner beſtändigen Beziehung auf eine jenſeitige höhere Welt beherrſchte dieſe Menſchen nicht mehr. Macchiavell wagt dann die weitere Conſequenz: daſſelbe könne auch dem Staat und der Vertheidigung von deſſen Freiheit nicht förderlich ſein1)Discorsi, L. II, cap. 2. .
Deismus und Theismus.Welche Geſtalt mußte nun die trotz Allem vorhandene ſtarke Religioſität bei den tiefern Naturen annehmen? Es iſt der Theismus oder Deismus, wie man will. Den letz - tern Namen mag diejenige Denkweiſe führen, welche das Chriſtliche abgeſtreift hat, ohne einen weitern Erſatz für das Gefühl zu ſuchen oder zu finden. Theismus aber er - kennen wir in der erhöhten poſitiven Andacht zum göttlichen Weſen, welche das Mittelalter nicht gekannt hatte. Die - ſelbe ſchließt das Chriſtenthum nicht aus und kann ſich jederzeit mit deſſen Lehre von der Sünde, Erlöſung und Unſterblichkeit verbinden, aber ſie iſt auch ohne daſſelbe in den Gemüthern vorhanden.
Bisweilen tritt ſie mit kindlicher Naivetät, ja mit einem halbheidniſchen Anklang auf; Gott erſcheint ihr als der allmächtige Erfüller der Wünſche. Agnolo Pandolfini erzählt2)Del governo della famiglia, p. 114. , wie er nach der Hochzeit ſich mit ſeiner Gemahlin einſchloß und vor dem Hausaltar mit dem MarienbildeDas theiſtiſche Gebet. niederkniete, worauf ſie aber nicht zur Madonna ſondern zu Gott beteten, er möge ihnen verleihen die richtige Benützung ihrer Güter, langes Zuſammenleben in Fröhlichkeit und Eintracht, und viele männliche Nachkommen; „ für mich betete ich um Reichthum, Freundſchaften und Ehre, für ſie559 um Unbeſcholtenheit, Ehrbarkeit und daß ſie eine gute6. Abſchnitt. Haushälterin werden möge “. Wenn dann noch eine ſtarke Antikiſirung im Ausdruck hinzukömmt, ſo hat man es bis - weilen ſchwer, den heidniſchen Styl und die theiſtiſche Ueberzeugung auseinander zu halten1)Als Beiſpiel die kurze Ode des M. Antonio Flaminio aus den Co - ryciana (vgl. S. 265):Dii quibus tam Corycius venusta Signa, tam dives posuit sacellum, Ulla si vestros animos piorum Gratia tangit, Vos iocos risusque senis faceti Sospites servate diu; senectam Vos date et semper viridem et Falerno Usque madentem. At simul longo satiatus ævo Liquerit terras, dapibus Deorum Lætus intersit, potiore mutans Nectare Bacchum. .
Auch im Unglück äußert ſich hie und da dieſe Geſin - nung mit ergreifender Wahrheit. Es ſind aus der ſpätern Zeit des Firenzuola, da er jahrelang am Fieber krank lag, einige Anreden an Gott vorhanden, in welchen er ſich bei - läufig mit Nachdruck als einen gläubigen Chriſten geltend macht und doch ein rein theiſtiſches Bewußtſein an den Tag legt2)Firenzuola, opere, vol. IV, p. 147, s. . Er faßt ſein Leiden weder als Sündenſchuld noch als Prüfung und Vorbereitung auf eine andere Welt; es iſt eine Angelegenheit zwiſchen ihm und Gott allein, der die mächtige Liebe zum Leben zwiſchen den Menſchen und ſeine Verzweiflung hineingeſtellt hat. „ Ich fluche, doch nur gegen die Natur, denn Deine Größe verbietet mir, Dich ſelbſt zu nennen … gieb mir den Tod, Herr, ich flehe Dich, gieb mir ihn jetzt! “
Einen augenſcheinlichen Beweis für einen ausgebildeten, bewußten Theismus wird man freilich in dieſen und ähn -5606. Abſchnitt. lichen Ausſagen vergebens ſuchen; die Betreffenden glaubten zum Theil noch Chriſten zu ſein und reſpectirten außerdem aus verſchiedenen Gründen die vorhandene Kirchenlehre. Die italien. Antitrinitarier.Aber zur Zeit der Reformation, als die Gedanken gezwungen waren, ſich abzuklären, gelangte dieſe Denkweiſe zu einem deutlichern Bewußtſein; eine Anzahl der italieniſchen Pro - teſtanten erwieſen ſich als Antitrinitarier und die Socinianer machten ſogar als Flüchtlinge in weiter Ferne den denk - würdigen Verſuch, eine Kirche in dieſem Sinn zu conſti - tuiren. Aus dem bisher geſagten wird wenigſtens ſo viel klar geworden ſein, daß außer dem humaniſtiſchen Ratio - nalismus noch andere Geiſter in dieſe Segel wehten.
Ein Mittelpunct der ganzen theiſtiſchen Denkweiſe iſtLorenzo magni - fico und ſein Kreis. wohl in der platoniſchen Academie von Florenz und ganz beſonders in Lorenzo magnifico ſelbſt zu ſuchen. Die theo - retiſchen Werke und ſelbſt die Briefe jener Männer geben doch nur die Hälfte ihres Weſens. Es iſt wahr, daß Lo - renzo von Jugend auf bis an ſein Lebensende ſich dogma - tiſch chriſtlich geäußert hat1)Nic. Valori, vita di Lorenzo, passim. — Die ſchöne Inſtruction an ſeinen Sohn Cardinal Giovanni, bei Fabroni, Laurentius, Adnot. 178 und in den Beilagen zu Roscoe, Leben des Lorenzo. und daß Pico ſogar unter die Herrſchaft Savonarola's und in eine mönchiſch ascetiſche Geſinnung hinein gerieth2)Jo. Pici vita, auct. Jo. Franc. Pico. — Seine Deprecatio ad Deum, in den Deliciæ poetar. italor. . Allein in den Hymnen Lo - renzo's3)Es ſind die Geſänge: Orazione („ Magno Dio, per la cui costante legge etc. “, bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VIII, p. 120); — der Hymnus („ Oda il sacro inno tutta la natura etc., “bei Fabroni, Laurentius, Adnot. 9); — L'altercazione (Poesie di Lorenzo magn. I, p. 265; in letzterer Sammlung ſind auch die übrigen hier genannten Gedichte mit abgedruckt)., welche wir als das höchſte Reſultat des Geiſtes jener Schule zu bezeichnen verſucht ſind, ſpricht ohne Rück - halt der Theismus, und zwar von einer Anſchauung aus,561 welche gelernt hat, die Welt als einen großen moraliſchen6. Abſchnitt. und phyſiſchen Kosmos zu betrachten. Während die Men - ſchen des Mittelalters die Welt anſehen als ein Jammerthal, welches Papſt und Kaiſer hüten müſſen bis zum Auftreten des Antichriſt, während die Fataliſten der Renaiſſance ab - wechſeln zwiſchen Zeiten der Energie und Zeiten der dumpfen Reſignation oder des Aberglaubens, erhebt ſich hier, im Kreiſe1)Wenn es dem Pulci in ſeinem Morgante irgendwo mit religiöſen Dingen Ernſt iſt, ſo wird dieß von Geſ. XVI, Str. 6 gelten; dieſe deiſtiſche Rede der ſchönen Heidin Antea iſt vielleicht der greifbarſte Ausdruck der Denkweiſe, welche unter Lorenzo's Genoſſen herrſchte; jedenfalls zuverläſſiger als die oben (S. 499, 503, Anm.) citirten Reden des Dämons Aſtarotte. auserwählter Geiſter, die Idee, daß die ſichtbare Welt von Gott aus Liebe geſchaffen, daß ſie ein Abbild des in ihm präexiſtirenden Vorbildes ſei, und daß er ihr dauernder Beweger und Fortſchöpfer bleiben werde. Die Seele des Einzelnen kann zunächſt durch das Erkennen Gottes ihn in ihre engen Schranken zuſammenziehen, aber auch durch Liebe zu ihm ſich ins Unendliche ausdehnen, und dieß iſt dann die Seligkeit auf Erden.
Hier berühren ſich Anklänge der mittelalterlichen Myſtik mit platoniſchen Lehren und mit einem eigenthümlichen mo - dernen Geiſte. Vielleicht reifte hier eine höchſte Frucht jener Erkenntniß der Welt und des Menſchen, um derentwillen allein ſchon die Renaiſſance von Italien die Führerin unſeres Weltalters heißen muß.
Archivio storico italiano, nebſt Appendice. Firenze, Viesseux.
Muratori, scriptores rerum Italicarum.
Roscoe, vita e pontificato di Leone X, trad. da Luigi Bossi, Milano 1816, s., 12 voll. in 8.
Fabroni: Magni Cosmi Medicei vita.
Deſſelben: Laurentii Med. magnifici vita.
Roscoe: Leben des Lorenzo Medici.
Poesie del magnifico Lorenzo de' Medici, Londra 1801.
Petrarca, Geſammtausgabe ſeiner lateiniſchen opera, Basileæ 1581, fol.
Poggii opera, Straßburger Ausgabe von 1513, fol.
Philelphi orationes, ed. Venet. 1492, fol.
M. Anton. Sabellici opera, ed. Venet. 1502, fol.
Pii II. P. M. commentarii, ed. Romana 1584.
Aeneæ Silvii opera, ed. Basil. 1551, fol.
Platina, de vitis pontificum romanor., Coloniæ Agrippinæ 1626.
Anecdota literaria e mss. codd. eruta, herausg. von Amaduzzi und Bianconi, Rom 1773 bis 1783, vier Bände in 8.
Corio, Historia di Milano, ed. Venet. 1554.
Macchiavelli, opere minori, Firenze, Lemonnier, 1852.
Varchi, Storia fiorentina, Milano 1803, 5 voll. in 8.
Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, (der dritte Band der zweiten Serie der Relazioni degli ambasciatori veneti, raccolte da Eug. Albèri, Firenze).
Boccaccio, opere volgari, Firenze 1829, s., presso Ign. Moutier, 17 voll. in 8.
Filippo Villani, le vite d'uomini illustri fiorentini, Firenze 1826.
Agnolo Pandolfini, trattato del governo della famiglia, Torino, Pomba, 1829.
Trucchi, Poesie italiane inedite, Prato 1846, 4 voll. in 8.
Raccolta di Poesie satiriche, Milano 1808. 1 vol.
Firenzuola, opere, Milano 1802. in 8.
Castiglione, il cortigiano, Venezia, 1549.
36*564Vespasiano fiorentino, außer der hier benützten Ausgabe von Mai, im X. Bande des Spicilegium romanum iſt eine neuere von Bartoli, Firenze 1859, zu erwähnen.
Vasari, le vite de' più eccellenti pittori, scultori e architetti, Firenze, Le - monnier, ſeit 1846, dreizehn Bände.
Den S. 174 beſprochenen Dichter Waltherus glaubt man gegenwärtig in einem gewiſſen Walther von Lille oder von Chatillon wieder zu erkennen. Vgl. Gieſebrecht, bei Wattenbach, Deutſchlands Geſchichtsquellen im Mittelalter, S. 431, f.
Erſt als der Druck dieſes Buches weit fortgeſchritten war, kam mir das treffliche Werk von Voigt: „ Die Wiederbelebung des claſſiſchen Alterthums “zu Geſichte. Daſſelbe ſchildert umſtändlich und allſeitig diejenige geiſtige Bewegung, welche ich im dritten Abſchnitt nur kurz andeuten durſte.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
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