PRIMS Full-text transcription (HTML)
DIE LAGERUNG DER ATOME IM RAUME
Nach des Verfassers Broschüre La chimie dans l'espace deutsch bearbeitet von Dr. F. HERRMANN, Assistenten am landwirthschaftlichen Institute der Universität zu Heidelberg. Nebst einem Vorwort von Dr. JOHANNES WISLICENUS, Professor der Chemie an der Universität zu Würzburg. MIT IN DEN TEXT EINGEDRUCKTEN HOLZSTICHEN.
BRAUNSCHWEIG,DRUCK UND VERLAG VONFRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.1877.
[I]
DIE LAGERUNG DER ATOME IM RAUME.
[II][III]
DIE LAGERUNG DER ATOME IM RAUME
Nach des Verfassers Broschüre La chimie dans l'espace deutsch bearbeitet von Dr. F. HERRMANN, Assistenten am landwirthschaftlichen Institute der Universität zu Heidelberg. Nebst einem Vorwort von Dr. JOHANNES WISLICENUS, Professor der Chemie an der Universität zu Würzburg. MIT IN DEN TEXT EINGEDRUCKTEN HOLZSTICHEN.
BRAUNSCHWEIG,DRUCK UND VERLAG VONFRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.1877.
[IV][V]

VORWORT DES ÜBERSETZERS.

Das vorliegende Schriftchen ist eine freie Bearbei - tung der von J. H. van ’t Hoff verfassten und bei P. M. Bazendijk in Rotterdam 1875 erschienenen Broschüre La chimie dans l’espace . Die anfänglich beabsichtigte Uebersetzung dieser Broschüre gestal - tete sich nach und nach durch verschiedene Ab - weichungen vom Original zu der vorliegenden Bear - beitung, welche zwar den wesentlichen Inhalt des Originals wiederzugeben sich bestrebt, jedoch von dem ursprünglichen Wortlaute nur Weniges noch beibehalten hat. Die erwähnten Abweichungen sind von zweierlei Art, einestheils Auslassungen, andern - theils Zusätze, so dass das Ganze trotz einem in mancher Hinsicht bereicherten Inhalt an Umfang das Original wenig übertreffen wird. Weggelassen sind in der Bearbeitung alle Speculationen, welche sich auf Körper mit geschlossener Kohlenstoffkette (aro - matische Verbindungen) beziehen, sowie eine Reihe von sehr eingehenden und geistreichen Betrachtungen über die Zweiwerthigkeit des Kohlenstoffatomes. Erstere erschienen mir nicht fest genug begründet und von den letzteren glaube ich, dass sie von der Verfolgung des vorgesteckten Zieles etwas zu weitVIVorwort des Uebersetzers.abschweifen. Die Zusätze bestehen in einer ausführ - licheren und etwas präciseren Darstellung der for - mellen Entwickelung der Hypothese, sowie in einer ausführlicheren Herleitung der Analogie, welche zwischen den circularpolarisirenden Krystallen und der mit optischer Activität begabten Kohlenstoffver - bindungen besteht.

Ausserdem ist die Einrichtung getroffen bei Vor - bringung von Thatsachen auf die betreffende Origi - nalliteratur zu verweisen, während von einer Discus - sion der angeführten Arbeiten abgesehen wurde im Hinblick auf die engen Grenzen, welche dem vor - liegenden Schriftchen gesteckt sind, das seinen ur - sprünglichen Charakter als Broschüre durchaus bewah - ren soll. Ein am Schluss hinzugefügter Anhang enthält die Beschreibung der zur Anschaulichkeit erforderlichen Modelle, welche nach den im Texte beigefügten Grundrissen wohl leicht construirt wer - den können. Herrn Dr. van ’t Hoff spreche ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aus, nicht nur für die grosse Zuvorkommenheit, mit welcher er alle von mir getroffenen Veränderungen billigte, son - dern auch für das zahlreiche mir zur Verfügung gestellte Material, welches theils in Berichtigungen der Originalschrift, theils in höchst werthvollen Zu - sätzen bestand, so dass in der That der Inhalt die - ser Bearbeitung gegenüber dem des Originals eine Bereicherung erfahren konnte.

F. Herrmann.

[VII]

Die Zeit liegt nicht weit hinter uns, in welcher von Seiten der Vertreter vorgeschrittenster theoretisch - chemischer Anschauungen wiederholt lauter Protest gegen den Gedanken erhoben wurde, als könne die Chemie jemals dazu schreiten wollen, zur Erklärung der Eigenschaften einer Verbindung die räumliche Lagerung der Atome im Molecül heranzuziehen. Veranlasst wurden diese Verwahrungen durch mehr - seitiges hartnäckiges Missverstehen des Ideeninhaltes der sogenannten Structurchemie, ihre Berech - tigung trugen sie in dem damaligen Zustande des empirischen Erkenntnissmateriales und der das In - teresse der Forschung vornehmlich in Anspruch neh - menden Fragen.

Dass die ein Molecül zusammensetzenden Elemen - taratome sofern solche überhaupt anzunehmen sind in irgend welcher Weise räumlich geordnet sein müssen, dass die gleichen Elementaratome bei gleicher Reihenfolge ihrer gegenseitigen Bindung in complicirteren Molecülen räumlich noch immer ver -VIII schiedenartig gruppirt sein können und dass damit möglicherweise Veranlassung zu geringen Abweichun - gen in den Eigenschaften structuridentischer Molecüle gegeben sein kann, lag schon damals dem specula - tiven Denken nahe, ja es gab vereinzelte Thatsachen, welche bereits in dieser Richtung vorgehende Er - klärungsversuche herausforderten. Freilich wurden solche Gedanken entweder gar nicht oder nur sehr schüchtern und unbestimmt geäussert.

Indessen gingen die den heutigen Standpunkt der chemischen Wissenschaft vorwiegend charakteri - sirenden Untersuchungen isomerer organischer Ver - bindungen ihren naturgemässen Weg weiter und führ - ten zu unumstösslichen Thatsachen, für deren Verständ - niss die Structurtheorie durchaus nicht mehr ausreichte. Ich selbst sah mich bei meiner Arbeit über die Para - milchsäure genöthigt den Satz auszusprechen, dass die Thatsachen dazu zwingen, die Verschiedenheit isomerer Molecüle von gleicher Structurformel durch verschiedene Lagerung ihrer Atome im Raume zu erklären und damit offen für die Berechtigung der Chemie einzutreten, geometrische Anschauungen in die Lehre von der Constitution der Verbindungs - molecüle hereinzuziehen.

Das Verdienst, diesen Schritt in ganz bestimm - ter und höchst glücklicher Weise gethan zu haben, gebührt van ’t Hoff. Die Fundamentalidee seiner Theorie liegt in dem Nachweise, dass die Verbin - dungen eines Kohlenstoffatomes mit vier verschie -IX denen einfachen oder zusammengesetzten Radicalen je zwei Fälle räumlicher Isomerie bieten müssen. So frappant dieser Gedanke beim Durchlesen des van ’t Hoff’schen Schriftchens La chimie dans l’es - pace wirkte, so fesselnd war für mich seine weitere mathematische Entwickelung und die Anwendung auf die immer zahlreicher werdenden Fälle der von mir als geometrische bezeichneten Isomerien und auf die optisch activen organischen Substanzen.

Mag es auch sein, dass die Ausführungen van ’t Hoff’s theilweise über das gegenwärtige Be - dürfniss hinausgehen, dass sich einzelne ihrer spe - ciellen Anwendungen später nicht vollständig bestä - tigen mögen: einen wirklichen und wichtigen Schritt vorwärts hat die Theorie der Kohlenstoffverbindungen damit gethan und dieser Schritt ist ein organischer und innerlich nothwendiger. Er entwickelt die bis - her best begründeten Anschauungen in logisch con - sequenter Weise und dient ihnen zur Stütze, indem er sie auf thatsächlich beobachtete Fälle ausdehnt, welche jenseits ihrer Grenze zu liegen schienen.

Obgleich Dr. van ’t Hoff sein Schriftchen meh - reren, den betreffenden Fragen näher stehenden For - schern übersendete, so ist der Inhalt desselben doch weit weniger bekannt geworden als es die vorgetra - genen Ideen verdienen. Es erscheint daher als ein zeitgemässes Unternehmen, durch eine deutsche Aus - gabe für die weitere Verbreitung derselben Sorge zu tragen. Herr Dr. Felix Herrmann, welcher mit Ver -X ständniss, lebhaftestem Interesse und selbstständigem Urtheile die van ’t Hoff’sche Broschüre durch - gearbeitet hatte, übernahm es gern, sich dieser Auf - gabe zu unterziehen und lieferte mit Zustimmung des Herrn Verfassers und zum Theil direct von dem - selben unterstützt, die hiermit den deutschen Che - mikern vorgelegte Bearbeitung, welche vor der ursprünglichen Ausgabe einige nicht unwesentliche Vorzüge voraus hat.

Dass die van ’t Hoff’sche Theorie und dieses Schriftchen an sich meiner empfehlenden Worte nicht bedürfen, davon bin ich fest überzeugt. Wenn ich sie trotzdem gern gab. so beabsichtigte ich damit zumeist dem Wunsche van ’t Hoff’s nach einer Dis - cussion und Beurtheilung seiner Theorie meinerseits öffentlich gerecht zu werden.

Würzburg, im October 1876.

Johannes Wislicenus.

[XI]

INHALT.

  • Seite
  • Erster Abschnitt. Formelle Entwickelung der Hypothese1
  • Zweiter Abschnitt. Anwendung der gefundenen Resultate zur Erklärung verschiedener Fälle von Isomerie19
  • Dritter Abschnitt. Anwendung der Hypothese zur Erklärung der optischen Activität von Kohlenstoffverbindungen25
  • Anhang46
[XII]
[1]

Erster Abschnitt. Formelle Entwickelung der Hypothese.

Das chemische Molecül ein stabiles System von materiellen Punkten. Unzulänglichkeit der modernen chemischen Formeln. Räumliche An - ordnung von vier an ein Kohlenstoffatom gebundenen Gruppen. Möglich - keit von verschiedener Anordnung im Falle die vier Gruppen von ein - ander verschieden sind. Das asymmetrische Kohlenstoffatom. Combinationen mit zwei oder mehreren in einfacher gegenseitiger Bindung stehenden Kohlenstoffatomen. Entwickelung der Formel N1 = 2n. Symmetrische Formeln. Entwickelung der Formel N2 = 2p 1 (2p + 1). Combinationen mit doppelter gegenseitiger Bindung von Kohlenstoffatomen. Combinationen mit dreifacher gegenseitiger Bindung von Kohlenstoffatomen. Nicht - anwendbarkeit der Hypothese auf Verbindungen mit geschlossener Kohlen - stoffkette. Ableitung der Formtetraëder.

Die moderne chemische Theorie hat zwei schwache Punkte. Sie spricht sich weder über die relative Stellung, welche die Atome im Molecüle einnehmen, noch über deren Bewegungs - art aus.

Aus diesem Grunde herrscht noch Zweifel über alle Fragen der chemischen Statik und Dynamik. Der gewöhnliche Ent - wickelungsgang einer Hypothese, welche sich mit der Lösung derartiger Probleme beschäftigt, gebietet zuvörderst in der erst - genannten Richtung zu arbeiten.

van ’t Hoff, Lagerung der Atome im Raume. 12Erster Abschnitt.

Man könnte nun einwerfen, dass eine jede Bewegung die Form eines Systemes materieller Punkte, dessen statische Ver - hältnisse man eben festgestellt hat, ändern muss. Die intra - molecularen Bewegungen aber müssen periodische sein, wenn anders die veränderlichen physikalischen Eigenschaften eines Molecüles eine Function der Atombewegung sind. Denn man könnte die Stetigkeit dieser Eigenschaften unter gleichen äusse - ren Verhältnissen nicht zugestehen, ohne die Annahme der Periodicität der Ursache.

In jedem Falle wird es also möglich sein, die relative Stel - lung der Atome im Molecül in einer Phase ihrer Bewegung sich vorzustellen.

Das Resultat einer solchen Betrachtungsweise ist begreiflich ein unvollständiges. Wenn wir als Möglichkeiten der Isomerie bei einer chemischen Formel die möglichen Fälle verschiedener relativer Stellung der Atome im Molecül bezeichnen, so könnte ein sehr kleiner Unterschied in dieser Stellung, welcher z. B. einer Aenderung der Vibrationsgeschwindigkeit beim Durchgang durch dieselbe Phase zuzuschreiben wäre, Veranlassung zu einem Fall von Isomerie geben, der durch eine statische Formel nicht darstellbar ist. Indessen lässt die vorliegende Hypothese die - jenigen Fälle von Isomerie, welche als ein Resultat der intra - molecularen Bewegung betrachtet werden können, ausser Acht; sie deutet also ein Minimum, nicht ein Maximum der Anzahl von möglichen Isomeriefällen an.

Eine einfache Ueberlegung lässt die Unzulänglichkeit un - serer modernen sogenannten Structurformeln einsehen. Diese stellen das Molecül, welches doch drei Dimensionen besitzt, in der Ebene dar. Der Widerspruch mit den Thatsachen, in welchen man geräth, wenn man die Atome als in einer Ebene gelegen betrachtet, liegt auf der Hand. Es erscheint deshalb eine Reform der herrschenden Ansichten, zunächst für das am gründlichsten durchforschte Gebiet der Chemie, für die Kohlen - stoffverbindungen wünschenswerth.

Bei der einfachsten graphischen Wiedergabe einer Formel, welche die vier Affinitäten eines jeden Kohlenstoffatomes dar -3Formelle Entwickelung der Hypothese.stellt in zwei in einer Ebene gelegenen zu einander senkrechten Richtungen, in deren Durchschnittspunkt das Kohlenstoffatom sich befindet, seien R1, R2 u. s. w. einwerthige mit dem Kohlen - stoffatom verbundene Elementaratome oder Gruppen. Alsdann wird eine Verbindung der allgemeinen Formel C (R1) 4 dargestellt

Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 3.

durch Fig. 1, wobei unter der Voraussetzung der Gleichwerthig - keit der Bindungen eine Verschiedenheit in der gegenseitigen Anordnung der Gruppen nicht möglich ist. Das Gleiche ist der Fall bei Verbindungen der Formel C (R1) 3 R2 (Fig. 2). Allein die Formeln C (R1) 2 (R2) 2 und C (R1) 2 R2 R3 erlauben jede zwei verschiedene Anordnungen der sättigenden Gruppen: Fig. 3

Fig. 4.
Fig. 5.

Fig. 6.

und 4, Fig. 5 und 6, welche Bilder von Isomeren sind, während man für die Formel C R1 R2 R3 R4 drei Symbole construiren kann:

Fig. 7.
Fig. 8.
Fig. 9.

Fig. 7, 8 und 9. Durch keine Thatsache aber wird das Vor - handensein so vieler Isomerien bestätigt.

Es ist ferner augenscheinlich, dass in der Formel C (R1) 3 R2, dargestellt in Fig. 10, die Gruppe R1 (b) einen anderen Charakter1 *4Erster Abschnitt.haben muss, als die mit R1 (a) bezeichneten Gruppen, das heisst: in einer Verbindung der Formel C (R1) 3 R2, wie z. B. im Methyl - chlorid, müsste das eine der drei Wasserstoffatome einen Spe - cialcharakter besitzen. Dieses Ergebniss aber wird durch keine Thatsache gerechtfertigt.

Alle diese Schwierigkeiten schwinden, wenn man sich die vier Affinitäten des Kohlenstoffatomes gegen die Ecken eines Tetraëders gerichtet denkt, dessen Centrum von dem Kohlen - stoffatom selbst eingenommen wird. Alsdann ist das Bestehen von Isomeren für Verbindungen der Formeln C (R1) 4, C (R1) 3 R2, C (R1) 2 (R2) 2 und C (R1) 2 R2 R3 nicht einzusehen, da in diesen Fällen eine Verschiedenheit der relativen Stellung der einzelnen Gruppen sich nicht denken lässt.

Einzig für den Fall, dass mit einem Kohlenstoffatom vier von einander verschiedene einwerthige Gruppen verbunden sind, lässt sich ein Fall von Isomerie voraussehen, wie dies die Verschiedenheit der Figuren 11 und 12 beweist. Denkt man

Fig. 10.
Fig. 11.
Fig. 12.

sich nämlich der Länge des Körpers nach in die Kante R1 R3 versetzt, so dass sich der Kopf bei R1 befindet, und betrachtet die Kante R2 R4, so befindet sich R2 im einen Falle rechts (Fig. 11) im anderen links (Fig. 12) vom Beschauer. Mit anderen Worten: in dem Falle, dass die vier Affinitäten eines Kohlenstoffatomes durch vier von einander verschiedene Gruppen gesättigt sind, führt unsere Betrachtungsweise zur Construction von zwei, und nur von zwei, verschiedenen Tetraëdern, welche nicht zur Deckung gebracht werden können, von denen das eine das Spiegelbild des anderen ist und die füglich mit dem von Naumann ge -5Formelle Entwickelung der Hypothese.wählten Namen als enantiomorphe Gestalten bezeichnet werden können. Das heisst: es existiren zwei Isomere der allgemeinen Formel C R1 R2 R3 R41)Für den Zweck der Anschaulichkeit ist unerlässlich die Construc - tion von Modellen aus Cartonpapier, deren Beschreibung und Grundrisse in einem Anhange am Schlusse beigefügt sind. Vergl. Anhang I..

Ein Kohlenstoffatom, welches sich unter der eben ange - führten Bedingung befindet, wollen wir als ein asymmetrisches bezeichnen aus Gründen, welche am Schlusse dieses Abschnittes entwickelt sind. In den Formeln ist das Symbol für ein solches Atom ein schräges (italienisches) C.

Der im Vorhergehenden gewonnenen Vorstellungsweise ge - mäss wird eine Combination, in welcher eine einfache Bindung zweier Kohlenstoffatome vorkommt, deren Bezeichnung in den modernen Formeln das Symbol C C ist, dargestellt durch zwei Tetraëder, welche sich in einem ge - meinschaftlichen Eckpunkte berühren.

Die Richtung der sechs freien Affinitäten ist nach den sechs übrigen Ecken des Systems. Entsprechend der vorhergehenden Betrachtung seien auch hier wieder die sechs freien Affinitäten

Fig. 13.

durch sechs einwerthige Gruppen R1, R2, R3 u. s. w. abgesättigt (Fig. 13).

Nehmen wir das so erhaltene System als ein stabiles an, so er - giebt eine einfache Ueberlegung, dass zwölf in Bezug auf ihre gegen - seitige Lage verschiedene Anord - nungen der sättigenden Gruppen möglich sein werden, welche im Folgenden in der Weise aufgeführt sind, dass unter eine jede an das eine Kohlenstoffatom gebundene Gruppe die im Systeme zunächst liegende Gruppe des anderen Kohlenstoffatomes gestellt ist:

6Erster Abschnitt.

Hiernach wären also zwölf Möglichkeiten der Isomerie für die allgemeine Formel C (R1 R2 R3) C (R4 R5 R6) gegeben. Wir haben jedoch das System als stabil vorausgesetzt, während perio - dische Bewegungen des Molecüles zugegeben werden müssen. Eine der einfachsten periodischen Bewegungen würde die Rota - tion des ganzen Systems um eine den beiden Tetraëdern ge - meinschaftliche Axe sein. Diese Rotation der Atome um die angegebene Axe könnte in Bezug auf die an je ein Kohlenstoff - atom angelagerten Gruppen im entgegengesetzten Sinne ge - schehen. Wird dies zugegeben, so ist leicht einzusehen, dass die Anordnungen 5) und 9) nur Bilder verschiedener Bewegungs - phasen der Gruppirung 1) sind (Fig. 14, 15 und 16). Die gleiche

Fig. 14.
Fig. 15.
Fig. 16.

Beziehung verbindet die Gruppirungen 6) und 10) mit 2), 7) und 11) mit 3), 8) und 12) mit 4), so dass nur die Anordnungen 1), 2), 3) und 4) als wesentlich von einander verschiedene Bilder von Isomeren übrig bleiben.

7Formelle Entwickelung der Hypothese.

Um für diese vier Fälle noch eine einfachere Bezeichnung zu finden, nehme man an, die vier Ecken des Systemes (Fig. 17)

Fig. 17.

R1, R2, R4 und R5 liegen in einer Ebene, alsdann schlage man die Dreiecke R1 R2 R3 und R4 R5 R6 in diese Ebene um, so erhält man für die vier Gruppirungen 1), 10), 7) und 4), welche vier Isomeren ent - sprechen, die Figuren 18, 19, 20 und 21. Diese unterscheiden sich von einander nur in der Reihen - folge der an den Eckpunkten be - findlichen Gruppen R1, R2 u. s. w. und zwar folgen sich die Indices in natürlicher Reihe, das eine Mal nach rechts, das andere Mal nach links herum, welche beiden Fälle in den Figuren durch Pfeile an - gedeutet und durch die Zeichen + und unterschieden sind. Versteht man unter dem Symbol + (A) die Reihenfolge der Grup - pen R1 R2 R3, unter (A) die entgegengesetzte R1 R3 R2, und ebenso unter + (B) die Reihenfolge R4 R5 R6, unter (B) die

Fig. 18.
Fig. 19.
Fig. 20.
Fig. 21.

8Erster Abschnitt.entgegengesetzte R4 R6 R5, so können durch diese vereinfachte Bezeichnungsweise die oben erwähnten Gruppirungen 1), 10), 7) und 4) der Reihe nach ausgedrückt werden durch die Symbole:

+ (A)+ (A) (A) (A)
(B)+ (B) (B)+ (B)

Hierbei ist nicht erforderlich, dass in der Reihe (B) alle Gruppen von denen der Reihe (A) verschieden sind. Bedingung ist nur, dass die beiden Kohlenstoffatome asymmetrisch sind, dass also die Gruppen der Reihe (A) ebenso wie die der Reihe (B) unter einander verschieden sind1)Vergl. Anhang II..

Für den Fall, dass in der Reihe (B) zwei Gruppen einander gleich sind, dass also nur das eine Kohlenstoffatom asymmetrisch ist, kann eine Aenderung der Reihenfolge (B) nicht möglich sein, es ist also + (B) = (B) und für diesen Fall, welcher durch die allgemeine Formel C (R1 R2 R3) C (R4 R4 R5) ausgedrückt wird,

Fig. 22.
Fig. 23.

sind nur zwei Isomere möglich (Fig. 22 und 23), deren Symbole die folgenden sind:

+ (A) (A)
0 (B)0 (B)

Die erhaltenen Resultate lassen sich durch folgende Sätze ausdrücken:

9Formelle Entwickelung der Hypothese.

1) Ein einziges asymmetrisches Kohlenstoffatom in einer Combination irgend welcher Art mit einfacher Bindung der Kohlenstoffatome lässt zwei Isomere voraussehen.

2) Jedes hinzutretende asymmetrische Kohlenstoffatom ver - mehrt diese Zahl. Von einer Formel, welche zwei asymmetri - sche Kohlenstoffatome enthält, sind vier Isomere möglich.

Unsere Betrachtungsweise kann ausgedehnt werden auf Combinationen, in denen beliebig viele asymmetrische Kohlen - stoffatome vorkommen. Für die allgemeine Formel C (R1 R2 R3) C (R4 R5) C (R6 R7 R8) erhält man acht Isomere, deren Symbole zufolge der ange - wandten Bezeichnung die nachstehenden sind:

wenn unter

verstanden wird.

Auf gleiche Weise gelangt man zur Zahl von 16 Isomeren für Combinationen mit 4, von 32 für solche mit 5 asymmetri - schen Kohlenstoffatomen u. s. w. und erhält das allgemeine Resultat:

Eine Combination, welche bei einfacher Bindung der Kohlen - stoffatome unter einander n asymmetrische Kohlenstoffatome enthält, lässt N1 Isomere voraussehen, wobei N1 = 2n, während die moderne Theorie die Möglichkeit einer Isomerie im bezeichneten Falle überhaupt nicht erkennen lässt.

Das so gefundene allgemeine Resultat erleidet einige Ab - änderung für den Fall, dass unter den sättigenden Gruppen Gleichheit in der Weise besteht, dass die Formel eine symme - trische ist. Die einfachste Formel dieser Art ist: C (R1 R2 R3) C (R1 R2 R3).

Hierbei ist nach der oben angewandten Bezeichnungsweise10Erster Abschnitt.(A) = (B) und die Symbole für die vier Isomerien des allge - meinen Falles verwandeln sich in die folgenden:

+ (A)+ (A) (A) (A)
(A)+ (A) (A)+ (A)

Die Bilder der vier Isomeren Fig. 18, 19, 20 und 21 gehen über in die entsprechenden Figuren 24, 25, 26 und 27. Es ist

Fig. 24.
Fig. 25.
Fig. 26.
Fig. 27.

nun leicht einzusehen, dass die Figuren 24 und 27 zwei Bilder ein und derselben Gruppirung sind, denn nach der Umkehrung im Raume von unten nach oben liefert die Anordnung, deren Bild Fig. 24 ist, die Fig. 27. Es ist also: 〈…〉 und infolge dessen beschränkt sich die Zahl der Isomeren für den angezogenen Fall auf drei1)Vergl. Anhang III..

Der zunächst zu betrachtende Fall einer symmetrischen Formel: C (R1 R2 R3) C (R4 R4) C (R1 R2 R3), ebenso wie C (R1 R2 R3) C (R4 R5) C (R1 R2 R3) kann, wie leicht begreiflich, auf den vorher - gehenden zurückgeführt werden und liefert also auch nur drei Isomere.

Die symmetrische Formel: C (R1 R2 R3) C (R4 R5) C (R4 R5) C (R1 R2 R3) 11Formelle Entwickelung der Hypothese.enthält vier asymmetrische Kohlenstoffatome und lässt also im Allgemeinen 24 = 16 Isomere voraussehen.

Die 16 Isomeren des allgemeinen Falles sind:

Da die vorliegende Formel aber symmetrisch ist, so be - stehen die Gleichungen (A) = (D) und (B) = (C). Werden diese Werthe eingesetzt, so ist ersichtlich, dass die Symbole 2, 3, 4, 6, 8, 12 der Reihe nach nur die im Raume umgekehrten Gruppirungen, deren Symbole 9, 5, 13, 11, 15, 14 sind, vor - stellen, so dass also nur 10 Isomere übrig bleiben. Um das allgemeine Gesetz abzuleiten, geben wir folgende Anordnung, in welcher die Symbole derjenigen Gruppirungen, welche nur ein - mal vorkommen, von den übrigen abgetrennt sind:

Aus dieser Anordnung ersieht man, dass die allgemeine Formel, welche die Anzahl der Isomeren einer Combination von symmetrischer Formel mit n asymmetrischen Kohlenstoffatomen anzeigt, durch folgenden Ausdruck gegeben ist: 〈…〉

12Erster Abschnitt.

Da die Zahl der asymmetrischen Kohlenstoffatome in einer symmetrischen Formel stets eine gerade sein muss, so kann man n durch 2 p ersetzen. Der gegebene Ausdruck wandelt sich alsdann um in: 〈…〉

Die erhaltenen allgemeinen Resultate seien nochmals in aller Kürze wiederholt:

1) Eine Combination von nicht symmetrischer Formel, welche n asymmetrische Kohlenstoffatome enthält, lässt N1 Isomere voraussehen: 〈…〉

2) Eine Combination von symmetrischer For - mel1)Die Symmetrie einer solchen Formel braucht sich bloss auf die an die asymmetrischen Kohlenstoffatome angelagerten Gruppen zu erstrecken. Die oben erwähnte Formel C (R1 R2 R3) C (R4 R5) C (R1 R2 R3) ist nicht im strengen Sinne des Wortes symmetrisch., welche 2 p asymmetrische Kohlenstoffatome enthält, lässt N2 Isomere voraussehen: 〈…〉

Die Anwendung unserer Hypothese auf Combinationen, in denen doppelte gegenseitige Bindung von Kohlenstoffatomen vorkommt, gestaltet sich sehr einfach.

Das Bild der einfachsten Combination dieser Art: 〈…〉 sind zwei Tetraëder, welche eine gemeinschaftliche Kante be - sitzen, unter Voraussetzung der Gleichwerthigkeit der Kohlen - stoffbindungen. Die Richtung der vier freien Affinitäten ist nach den übrigen Ecken des Systems und diese Affinitäten sind gesättigt durch vier einwerthige Gruppen R1, R2, R3 und R4 (Fig. 28).

Eine Rotation des gesammten Systems um eine den beiden Tetraëdern gemeinschaftliche Axe darf in diesem Falle noch als möglich hingestellt werden, dagegen kann diese Rotation in ent - gegengesetztem Sinne in Bezug auf die einzelnen Tetraëder13Formelle Entwickelung der Hypothese.nicht erfolgen, ohne dass eine Trennung der gegenseitigen Bin - dung der Kohlenstoffatome und damit eine Veränderung in den statischen Verhältnissen des Systems stattfände.

Unter dieser Voraussetzung ergeben sich zwei Möglich - keiten der Anordnung in Bezug auf die sättigenden Gruppen (Fig. 28 und 29), welche zwei Isomeren entsprechen. Projicirt

Fig. 28.
Fig. 29.

man die beiden Kanten, an deren Eckpunkten die Gruppen R1, R2 u. s. w. angelagert sind, auf eine den beiden Kanten paral - lele Ebene, so erhält man die Figuren 30 und 31. Aus der

Fig. 30.
Fig. 31.

Verschiedenheit der Anordnungen geht die Isomerie hervor.

In Bezug auf die Gleichheit oder die Verschiedenheit der sät - tigenden Gruppen lassen sich die folgenden Fälle unterscheiden, wobei die in derselben horizontalen Linie stehenden Gruppen an ein und dasselbe Kohlenstoffatom gebunden sind: 1) R1 R1 2) R1 R1 3) R1 R1 4) R1 R2 5) R1 R1 6) R1 R2 7) R1 R2 R1 R1 R1 R2 R2 R2 R1 R2 R2 R3 R1 R3 R3 R4

Es ist leicht zu ersehen, dass nur die unter 4), 6) und 7) verzeichneten Combinationen Isomere und zwar deren zwei liefern können. Bedingung für das Vorhandensein von Isomerien ist also nur, dass die an je ein Kohlenstoffatom gelagerten Gruppen unter einander verschieden seien, unbeschadet dessen,14Erster Abschnitt.dass Gleichheit zwischen den an verschiedene Kohlenstoffatome gebundenen Gruppen besteht. Die Bilder der beiden Isomeren sind nicht enantiomorph1)Vergl. Anhang IV..

Ganz analog dem eben behandelten Falle gestaltet sich die Betrachtung von Combinationen, in denen mehrere doppelte Bindungen vorkommen.

Die Combination: (R1 R2) = C = C = C (R3 R4) ist dargestellt in Fig. 32. Man wird gleichfalls zwei Isomere

Fig. 32.

erhalten können, wie aus der Verschieden - heit der bei Anwendung der oben erwähnten graphischen Methode entstehenden Figuren 33 und 34 hervorgeht. Die Bedingungen in Bezug auf die Gleich - heit oder Verschieden - heit der angelagerten Gruppen sind diesel - ben, wie bei dem vorhergehenden Fall. Die Bilder der Isomeren sind in diesem Falle enantiomorph.

Es bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung, dass der Fall:

Fig. 33.
Fig. 34.

(R1 R2) C = C = C = C (R3 R4) oder allgemein: (R1 R2) C = C2n = C (R3 R4) zurückkommt auf den Fall: (R1 R2) C = C (R3 R4).

Es existiren also von den Com - binationen der genannten Art immer zwei Isomere, wenn Ver - schiedenheit zwischen den Gruppen R1 und R2, wie zwischen R3 und R4 stattfindet. Die Bilder der Isomeren sind nicht enantiomorph.

15Formelle Entwickelung der Hypothese.

Andererseits kommt der Fall: (R1 R2) C = C = C = C = C (R3 R4) oder allgemein: (R1 R2) C = C (2n + 1) = C (R3 R4) zurück auf: (R1 R2) C = C = C (R3 R4).

Von Combinationen dieser Art existiren also immer zwei Isomere im Falle der Verschiedenheit zwischen R1 und R2, sowie zwischen R3 und R4. Die Bilder der Isomeren sind enantiomorph1)Vergl. Anhang V..

Diese doppelte Bindung zweier Kohlenstoffatome unter ein - ander, welche nach unserer Theorie die Existenz zweier Isomeren bedingt, möge in den Formeln durch eine die beiden Kohlen - stoffatome verbindende Klammern bezeichnet werden, wie folgt: 〈…〉

Das Bild einer dreifachen gegenseitigen Bindung zweier Kohlen - stoffatome, welche in den modernen Formeln durch das Symbol 〈…〉 ausgedrückt ist, stellt sich unter der Annahme der Gleich - werthigkeit dieser Bindungen dar als zwei Tetraëder, welche drei gemeinschaftliche Ecken besitzen, also in einer Fläche zu - sammenfallen und auf diese Weise eine doppelte dreiseitige Pyramide darstellen (Fig. 35). R1 und R2 sind die einwerthigen

Fig. 35.

Gruppen, durch welche die beiden frei gebliebenen Affinitäten des Systems ge - sättigt sind. In diesem Falle ist eine Verschiedenheit in der gegenseitigen An - ordnung der sättigenden Gruppen nicht möglich und in Uebereinstimmung mit den herrschenden Ansichten ist die Mög - lichkeit einer Isomerie ausgeschlossen.

Die Anwendung unserer Hypothese auf Combinationen, bei denen man sich die Kohlenstoffkette als in sich geschlossen vorzustellen genöthigt ist (zu welchen in16Erster Abschnitt.erster Linie die sogenannten aromatischen Verbindungen ge - hören), erscheint nicht möglich ohne eine neue Voraussetzung zu machen, welche weder in Bezug auf Einfachheit noch auf Wahrscheinlichkeit der Grundvorstellung, auf welcher unsere Theorie im Vorstehenden entwickelt ist, an die Seite gestellt wer - den könnte. Während wir bisher nur über die gegenseitige Stellung der an Kohlenstoffatome gebundenen Elementaratome oder Gruppen eine gewisse Anschauung gewonnen haben, wären wir genöthigt, bei geschlossenen Kohlenstoffketten die gegenseitige räumliche Stellung der Kohlenstoffatome selbst in Betracht zu ziehen, zu welcher Vorstellung Anhaltspunkte nicht ohne eine gewisse Willkür geschaffen werden können.

Wir haben das Molecül einer Combination, in welcher die vier Affinitäten des Kohlenstoffatoms durch vier einwerthige Gruppen abgesättigt sind, als ein im Allgemeinen stabiles System von fünf Massenpunkten betrachtet. Die intramolecularen Be - wegungen, welche nach dem Stande unserer heutigen Forschung unbedingt zugegeben werden müssen, können bestehen in Oscil - lationen der Atome um gewisse Gleichgewichtslagen, wodurch die relative Stabilität des Systems keine Aenderung erleidet.

Wir können uns also bei der Betrachtung der gegenseitigen räumlichen Lagerung dieser Atome dieselben als ruhend in ihren Gleichgewichtslagen vorstellen.

Die Gleichgewichtslagen der an das Kohlenstoffatom ge - bundenen Gruppen bilden die Ecken eines Tetraëders, dessen geometrische Gestalt durch die Gleichheit oder Verschiedenheit der angelagerten Gruppen bestimmt ist1)Vergl. Anhang VI.. Ohne nämlich irgend welche Voraussetzung über die in dem System herrschenden anziehenden und abstossenden Kräfte zu machen, lässt sich für jeden einzelnen Fall die geometrische Gestalt des Tetraëders ableiten unter der einfachen und berechtigten Annahme, dass auf identische Gruppen die Aeusserungen der herrschenden Kräfte gleiche sind.

Am Eingang unserer Betrachtung sind die fünf möglichen Fälle der Gleichheit oder Verschiedenheit der Gruppen unter17Formelle Entwickelung der Hypothese.einander aufgeführt. Für dieselben soll nach dem Gesagten einzeln die Gestalt des Tetraëders ermittelt werden.

1) C (R1) 4. Die vier gleichen Gruppen befinden sich in glei - chen Abständen von dem Kohlenstoffatom. Ihre wechselseiti - gen Entfernungen von einander müssen gleich sein. Das Mole - cül besitzt sechs Symmetrieebenen, in deren Durchschnittspunkt das Kohlenstoffatom liegt. Das resultirende Tetraëder ist ein reguläres.

2) C (R1) 3 R2. Die drei gleichen Gruppen liegen in glei - chen Abständen vom Kohlenstoffatom. Ihre wechselseitigen Ent - fernungen sind gleich, ebenso die Abstände einer jeden von der vierten Gruppe. Das Molecül besitzt drei Symmetrieebenen, welche sich in einer Geraden schneiden, die das Kohlenstoff - atom und die vierte ungleiche Gruppe enthält. Das Tetraëder hat drei gleiche Ecken, entsprechend den drei angelagerten glei - chen Gruppen.

3) C (R1) 2 (R2) 2. Je zwei gleiche Gruppen haben gleichen Abstand vom Kohlenstoffatom. Jede Gruppe des einen Paares hat von jeder Gruppe des anderen Paares gleichen Abstand. Die Verbindungslinie je zweier gleichen Gruppen wird durch eine Symmetrieebene des Molecüls normal halbirt. Die beiden Symmetrieebenen schneiden sich in einer Geraden, welche das Kohlenstoffatom enthält. Das Tetraëder hat zwei Paare von gleichen Ecken, entsprechend den beiden Paaren der angela - gerten Gruppen.

4) C (R1) 2 R2 R3. Die beiden gleichen Gruppen liegen in gleichem Abstand vom Kohlenstoffatom. Die Entfernungen zwi - schen ihnen und je einer der beiden ungleichen Gruppen sind gleich. Das Molecül besitzt eine einzige Symmetrieebene, welche die Verbindungslinie der beiden gleichen Gruppen normal hal - birt und in welcher das Kohlenstoffatom sich befindet. Das Tetraëder hat zwei gleiche Ecken, entsprechend den beiden gleichen angelagerten Gruppen.

5) C R1 R2 R3 R4. In diesem Falle herrscht unter den Mas - sen der angelagerten Gruppen keine Gleichheit und in Folge dessen werden die Abstände der einzelnen Gruppen vom Kohlen -van ’t Hoff, Lagerung der Atome im Raume. 218Erster Abschnitt.stoffatom sowohl wie von einander verschiedene sein. Das re - sultirende Tetraëder besitzt keine Symmetrieebene mehr. In einem solchen Falle aber ist stets die Construction von zwei verschiedenen Tetraëdern möglich, welche, obwohl sie in allen ihren Elementen übereinstimmen, dennoch durch beliebige Stellung im Raume nicht zur Deckung gebracht werden können, sondern wie zwei Körper erscheinen, von denen der eine rechts, der andere links gebildet ist. Derartige Körper verhalten sich zu einander wie ein Gegenstand zu seinem durch einen ebenen Spiegel reflectirten Bilde, und werden mit dem Namen enantio - morph bezeichnet. Durch die Möglichkeit der Construction von zwei enantiomorphen Tetraëdern für die Combination C R1R2R3R4 ist die Möglichkeit der Existenz von zwei Isomeren, deren For - mel dieser Combination entspricht, angezeigt.

Während in den vorher betrachteten Fällen das Kohlen - stoffatom in Bezug auf die angelagerten Gruppen stets in den Symmetrieebenen des construirten Tetraëders liegt, kann dies in dem letzten Falle, wo eine Symmetrieebene des Tetraëders überhaupt nicht besteht, nicht stattfinden. Wir bezeichnen des - halb ein solches Kohlenstoffatom als ein asymmetrisches, wobei in Erinnerung gebracht werden möge, dass diese Bezeichnung sich nicht auf die Gestalt des Kohlenstoffatoms, sondern auf dessen räumliche Lage im Molecül bezieht.

[19]

Zweiter Abschnitt. Anwendung der gefundenen Resultate zur Erklä - rung verschiedener Fälle von Isomerie.

Gährungsmilchsäure und optisch active Milchsäure. Verbindungen der Formel C2 H4 J Br. Isomere Isodibrombernsteinsäuren. Hydrobenzoïn und Isohydrobenzoïn. Fumar - und Maleïnsäure. Itacon -, Citracon - und Mesa - consäure. Crotonsäure und Isocrotonsäure. Isomere Monochlorcroton - säuren. Aconit - und Aceconitsäure. Isomere Monobromzimmtsäuren. Isomerie in der Oelsäurereihe.

Als erstes Ergebniss unserer Hypothese erhalten wir die Möglichkeit mehr Isomerien vorauszusehen als es die moderne Theorie gestattet, sobald es sich um Combinationen handelt, die ein oder mehrere asymmetrische Kohlenstoffatome enthalten oder bei denen doppelte Kohlenstoffbindungen unter den oben erwähnten Bedingungen vorkommen. Isomere Körper der an - gedeuteten Art zeigen, wie vorauszusehen, keine Verschieden - heit des chemischen Charakters, im Gegentheil herrscht voll - kommene Uebereinstimmung in ihren chemischen Reactionen. Die Unterscheidungsmerkmale solcher Körper werden also ledig - lich in einer mehr oder minder grossen Verschiedenheit einzel - ner physikalischer Eigenschaften bestehen. Je geringer die durch eine solche Isomerie bedingte Verschiedenheit zweier Körper ist, desto leichter entzieht sie sich der Beobachtung; aus diesem Grunde sowohl als wie durch den Umstand, dass alle Discussionen dieses Themas von neuestem Datum sind, er -2 *20Zweiter Abschnitt.scheint es erklärlich, dass die Zahl der darauf bezüglichen Beobachtungen und Angaben eine verhältnissmässig geringe ist.

Einige der bekanntesten hierher gehörigen Fälle seien im Folgenden angeführt:

Bei seinen Untersuchungen über die Milchsäure kam Wis - licenus1)Annal. Chem. Pharm. 166, 3; 167, 302 u. 346. zu dem Resultate, dass die gewöhnliche Gährungs - milchsäure und die optisch active Fleischmilchsäure gleiche chemische Constitution besitzen und folglich beiden Körpern die Formel C H3. C H (O H). C O (O H) zukommt.

Ueber die Existenz von drei Verbindungen der empirischen Formel C2 H4 J Br, insbesondere über das Bestehen zweier isome - ren Modificationen des Aethylidenjodobromids C H3. C H J Br hat sich eine ausgedehnte Discussion entsponnen, auf deren Litera - tur hier verwiesen sei2)Reboul: Compt. rend. 70, 398; Annal. Chem. Pharm. 155, 29 u. 212; Lager - mark: Berl. Ber. 6, 1211; 7, 907; Maxwell Simpson: Proceed. of Royal Soc. 22, 51; Chem. News 29, 53; Gagarin: Berl. Ber. 7, 733 u. 1456; Friedel: Bull. soc. chim. 21, 434; 23, 106; Compt. rend. 79, 164..

Die besprochenen Verbindungen enthalten jede ein asym - metrisches Kohlenstoffatom, lassen also nach unserer Theorie die Existenz von zwei Isomeren erwarten.

Bei Bromirung der Bernsteinsäure erhielt Franchimont3)Bull. soc. chim. 19, 241. neben der gewöhnlichen Dibrombernsteinsäure zwei isomere Isodibrombernsteinsäuren der Formel C O2 H. C H Br. C H Br. C O2 H. Wir haben hier eine symmetrische Formel mit zwei asymmetri - schen Kohlenstoffatomen, von welcher nach unserer Hypothese drei isomere Körper bestehen können.

Nach den weiter unten (Seite 22) angestellten Betrachtun - gen kommt der Mesa - und Citradibrombrenzweinsäure dieselbe Formel: C H3. C Br (C O2 H). C Br. H (C O2 H) zu, welche ebenfalls zwei asymmetrische Kohlenstoffatome enthält.

21Erklärung verschiedener Fälle von Isomerie.

Durch Einwirkung von Natriumamalgam auf Bittermandelöl erhielt Ammann1)Annal. Chem. Pharm. 168, 67; vgl. Forst u. Zincke: Berl. Ber. 7, 1708; 8, 797. zwei Körper, das Hydrobenzoïn und das Isohydrobenzoïn, deren Isomerie nach unserer Hypothese aus der Formel C6 H5. C H (O H). C H (O H). C6 H5, in welcher zwei asymmetrische Kohlenstoffatome enthalten sind, ungezwungener ihre Erklärung findet, als durch die Annahme der von Fittig a. a. O. aufgestellten Formel.

Mehr in die Augen fallend als die durch die Anwesenheit von asymmetrischen Kohlenstoffatomen bedingten Isomerien scheint die Verschiedenheit der Körper zu sein, deren Formel die Isomerie veranlassende doppelte gegenseitige Bindung von Kohlenstoffatomen enthält.

Unsere Hypothese liefert die Erklärung für die schon lange festgestellte Isomerie einer Anzahl von Verbindungen, deren Verschiedenheit bei gleicher chemischer Formel ein Gegenstand der eifrigsten Discussion und zahlreicher Hypothesen gewe - sen ist.

Es gehören hierher die Fumar - und Maleïnsäure, deren Isomerie aus ihrer Formel: 〈…〉 unmittelbar hervorgeht, da die an je eines der beiden in dop - pelter Bindung befindlichen Kohlenstoffatome angelagerten Gruppen C O2 H und H von einander verschieden sind. Aus dem Umstande, dass die Maleïnsäure im Gegensatz zur Fumarsäure mit Leichtigkeit beim Erhitzen in ihr Anhydrid übergeht, kön - nen wir schliessen, dass sich die beiden Carboxylgruppen dieser Verbindung in möglichster gegenseitiger Nähe befinden, und dass aus diesem Grunde der Maleïnsäure dasjenige der beiden möglichen sterischen Symbole zukommt, in welchem die Carb - oxylgruppen in kleinster Entfernung von einander angelagert erscheinen, während für die Fumarsäure das andere Symbol übrig bleibt2)Vgl. Anhang IV..

22Zweiter Abschnitt.

Auf gleiche Weise erklärt sich die Isomerie der Brom - und Isobrommaleïnsäure, indem man in der Formel der Fumar - und Maleïnsäure ein Wasserstoffatom durch Brom ersetzt.

Auch die vielfach angeregte Frage nach Erklärungsgrün - den für die Isomerie der drei von der Citronensäure abstam - menden Säuren, der Itacon -, Citracon - und Mesaconsäure, er - scheint auf einfache Weise gelöst.

Nimmt man für die Brenzweinsäure, in welche die drei ge - nannten Säuren durch nascirenden Wasserstoff übergeführt wer - den, die Formel: (C H3). C H (C O2 H). C H2 (C O2 H) an, so bleiben für die drei erwähnten Säuren nur die Formeln C H2 = C (C O2 H). C H2 (C O2 H) und (C H3) (C O2 H) 〈…〉 übrig. Von diesen kommt die erste Formel der Itaconsäure zu, da bei der Elektrolyse der Salze dieser Säure von Aar - land1)Journ. f. prakt. Chem. 6, 265; 7, 142; F. Meilly: Annal. Chem. Pharm. 171, 181. ein dem Allylen isomerer Kohlenwasserstoff der Formel C H2 = C = C H2 erhalten wurde. Für die Citracon - und Mesa - consäure, welche bei der Elektrolyse ihrer Salze ein und das - selbe normale Allylen (C H3) C C H liefern, bleibt die zweite Formel übrig und diese Säuren stellen die beiden möglichen Isomeren dieser Combination dar.

Die feste Crotonsäure und die flüssige Isocrotonsäure ha - ben nicht verschiedene Formeln, sondern stellen die beiden Iso - meren der Combination 〈…〉 dar. Für diese Ansicht spricht die leichte Ueberführbarkeit der Isocrotonsäure in die feste Crotonsäure beim Erhitzen im zu - geschmolzenen Rohr2)V. Hemilian: Annal. Chem. 174, 330., sowie der Umstand, dass Isocrotonsäure beim Schmelzen mit Kalihydrat nur Essigsäure liefert, was nach der bisher für diesen Körper angenommenen Formel C H2 = C H. C H2 (C O2 H) höchst auffallend erscheinen muss.

23Erklärung verschiedener Fälle von Isomerie.

In gleicher Weise erklärt sich die Isomerie der beiden Monochlorcrotonsäuren, welche Froelich1)Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturw. 5, 82; Zeitschr. f. Chem. 1869, 270; Bull. soc. chim. [2], 12, 360. und später Geu - ther2)Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturw. 6, 560; Journ. f. prakt. Chem. [2], 3, 431; Zeitschr. f. Chem. 1871, 569; Bull. soc. chim. [3], 16, 107. durch Einwirkung von Phosphorpentachlorid auf die Aethyldiacetsäure erhielten. Diese Säuren sind die beiden Iso - meren der Formel 〈…〉 wie durch den Umstand einleuchtend gemacht wird, dass bei der Einwirkung von nascirendem Wasserstoff, die eine die feste, die andere die flüssige Crotonsäure liefert.

Bei der Einwirkung von Natrium auf Bromessigsäure - äthylester erhielt Baeyer3)Annal. Chem. Pharm. 135, 309. eine der Aconitsäure isomere Säure, welche er Aceconitsäure benannt hat. Dieser Körper kann seiner Entstehung nach recht wohl das eine der für die Formel der Aconitsäure 〈…〉 möglichen beiden Isomeren sein.

Glaser4)Annal. Chem. Pharm. 143, 325. erhielt beim Behandeln der Phenyldibrompro - pionsäure mit alkoholischer Kalilösung zwei isomere Monobrom - zimmtsäuren, welche sich in auffallender Weise durch ihre Lös - lichkeit, ihren Schmelzpunkt und andere physikalische Eigen - schaften von einander unterscheiden.

Da sich diese Säuren leicht in einander überführen lassen, stellt Glaser für dieselben die Formeln 〈…〉 und 〈…〉 auf, wobei A eine freie Valenz des Kohlenstoffatoms bedeuten soll, und betrachtet die Isomerie dieser Säuren als Analogon zu der Isomerie der Fumar - und Maleïnsäure. Nach unserer Hy -24Zweiter Abschnitt.pothese sind die beiden Monobromzimmtsäuren die für die Combination 〈…〉 möglichen beiden isomeren Körper.

In der Oelsäurereihe giebt es gewisse Isomerieerscheinun - gen, welche durch unsere Hypothese ihre Erklärung finden. Beim Schmelzen mit Kalihydrat liefern die Säuren dieser Reihe neben Essigsäure eine Fettsäure, deren Kohlenstoffgehalt um zwei Atome geringer ist, als der der ursprünglichen Säure. Man kann sich folglich diese Säuren nach der allgemeinen Formel 〈…〉 zusammengesetzt denken, für welche jedesmal zwei Isomere möglich sind. Als Beispiel einer solchen Isomerie mögen die Oelsäure und die Elaïdinsäure dienen. Beide liefern beim Schmelzen mit Kalihydrat Essigsäure und Palmitinsäure. Ihre Bromadditionsproducte (C H3) H Br C. C Br H (C H2) 14 (C O2 H) sind verschieden, während die aus denselben entstehenden Stea - rolsäuren (C H3) C C (C H2) 14 (C O2 H) identisch sind.

[25]

Dritter Abschnitt. Anwendung der Hypothese zur Erklärung der opti - schen Activität von Kohlenstoffverbindungen.

Jede sogenannte optisch active Kohlenstoffverbindung enthält ein oder mehrere asymmetrische Kohlenstoffatome. Aufzählung der bekanntesten optisch activen Körper. Derivate von optisch activen Körpern, bei welchen die Asymmetrie der Kohlenstoffatome verloren gegangen ist, sind inactiv; sie sind dagegen häufig activ, wenn die Asymmetrie der Kohlen - stoffatome erhalten geblieben ist. Identificirung des Molecüles mit der durch die räumliche Anordnung der Atome bestimmten stereometrischen Figur. Circularpolarisation von Krystallen. Entdeckungen und Theorien von Naumann, Rammelsberg, Marbach und Groth. Zusammen - hang der Circularpolarisation mit der unsymmetrischen Ausbildung der betreffenden Krystalle. Analogie zwischen circularpolarisirenden Kry - stallen und dem asymmetrischen Kohlenstoffatom. Ausdruck für das optische Drehungsvermögen für Kohlenstoffverbindungen mit ein und mehreren asymmetrischen Kohlenstoffatomen. Neutraler Fall. Das optische Drehungsvermögen ist bei complicirteren Molecülen oft das einzige Unterscheidungsmittel von Isomeren. Schwierigkeiten, welche sich der künstlichen Darstellung von optisch activen Körpern entgegenstellen. Darstellung von optisch activer Weinsäure von den Elementen ausgehend durch Jungfleisch. Zusammenfassung der Resultate. Zweiter Fall von optischer Activität.

Die im vorhergehenden Abschnitt aufgezählten isomeren Körper unterscheiden sich von einander hauptsächlich durch physikalische Eigenschaften allgemeiner Art, wie Löslichkeit, Schmelzpunkt, Siedepunkt, Krystallwassergehalt der Deri - vate u. s. w. Ein weiteres wichtiges physikalisches Merkmal bestimmter Substanzen ist ihr Verhalten gegen das polarisirte26Dritter Abschnitt.Licht. Die Zahl der Kohlenstoffverbindungen, welche im gelösten Zustande die Schwingungsebene eines die Lösung durchlaufen - den polarisirten Lichtstrahles zu drehen vermögen, ist eine sehr beträchtliche und wird fast täglich durch das Studium der Körper in Bezug auf diese interessante Eigenschaft vermehrt.

Wenn man die Liste dieser sogenannten optisch activen Körper durchläuft, so kommt man leicht zu der folgenden Be - obachtung:

Jede Kohlenstoffverbindung, welche im gelösten Zustande eine Drehung der Schwingungsebene des polarisirten Licht - strahls bewirkt, enthält ein oder mehrere asymmetrische Koh - lenstoffatome.

Die folgende Aufzählung der bekanntesten optisch activen Körper möge diese Behauptung erhärten.

Die Aethylidenmilchsäure (C H2) C H (O H) (C O2 H), welche aus Fleischflüssigkeit erhalten wird, sowie ihre Salze, Ester und das Lactid1)Wislicenus: Annal. Chem. Pharm. 167, 321..

Die Aepfelsäuren (C O2 H) C H (O H). C H2. (C O2 H), ihre Salze und ihr Amid2)Pasteur: Compt. rend. 31, 480; Bremer: Berl. Ber. 8, 861, 1594; Pasteur: Annal. de Chim. et Phys. [3] 38, 487..

Die Asparaginsäure (C O2 H) C H (O H). C H2 (C O2 H), ihre Salze und ihr Amid, das Asparagin3)Pasteur: Compt. rend. 31, 481..

Die Weinsäuren (C O2 H) C H (O H). C H (O H) (C O2 H), ihre Salze und Ester4)Biot: Annal. d. Chem. u. Pharm. 52, 186; Pasteur: Compt. rend. 28, 477; Landolt: Berl. Ber. 6, 1073., die Tartraminsäure und das Tartramid5)Pasteur: Compt. rend. 35, 177..

Eine grosse Anzahl von Derivaten des optisch activen Amyl - alkohols (C H3) (C2 H5) C H (C H2 O H)6)Biot, 1849; Bachhoven: Inaug. Dissert., welche sämmtlich ein asymmetrisches Kohlenstoffatom enthalten. Hierher gehören die Ester und die esterschwefelsauren Salze dieses Alkohols7)Pierre u. Puchot: Annal. de Chim. et Phys. [4] 29, 228; Berl. Ber. 6, 767.; das Amylchlorür, - bromür und - jodür8)Le Bel: Bull. soc. chim. 21, 543; Chapman Smith: Chem. Soc. Journ. [2] 7, 198.; das Amylamin und27Optische Activität von Kohlenstoffverbindungen.seine Salze1)Le Bel: Berl. Ber. 5, 391.; der Amylaldehyd und die dazu gehörige Valerian - säure2)Pierre u. Puchot: a. a. O.; das Amylcyanür und die daraus dargestellte Capron - säure3)Würtz: Annal. de Chim. et Phys. [3] 51, 360.; das Methyläthylpropylmethan (C H3) (C2 H5) C H (C3 H7)4)Würtz: Annal. de Chim. et Phys. [3] 44, 288. und das Diamyl5)Würtz: Annal. de Chim. et Phys. [3] 44, 288..

Die Glucose, Laevulose6)Dubrunfault: Compt. rend. 25, 308. und Lactose7)Pasteur: Compt. rend. 42, 349., sämmtlich von der Formel C O H (C H O H) 4 C H2 (O H).

Das Glucosan8)Berthelot: Annal. de Chim. et Phys. [3] 60, 96.: 〈…〉

Mannit9)Vignon: Annal. de Chim. et Phys. [5] 2, 434.: C H2 (O H) (C H O H) 4 C H2 (O H).

Die Derivate von Mannit10)Vig - non: a. a. O. Bouchardat: Annal. de Chim. et Phys. [4] 27, 70; und die Zuckersäure11)Würtz: Dictionnaire.: C O2 H (C H O H) 4 C O2 H.

Die Kohlehydrate, z. B. Rohrzucker, Milchzucker, Dextrin, Arabin u. s. w., sowie die Glucoside enthalten als zusammen - gesetzte Aether der vorher aufgeführten Verbindungen die in den letzteren vorhandenen asymmetrischen Kohlenstoffatome.

Die Körper von der Zusammensetzung C10 H16, welche nur den Formeln 〈…〉 oder 〈…〉 entsprechen können.

28Dritter Abschnitt.

Der Campher nach der von Kekulé1)Berl. Ber. 6, 931. gegebenen Formel 〈…〉

Aethyl - und Amylcampher2)Baubigny: Compt. rend. 63, 221..

Campher - und Methylcamphersäure3)Biot: Annal. de Chim. et Phys. [3] 36, 313; Chautard: Compt. rend. 37, 166; vgl. Le Bel: Bull. soc. chim. 22, 337..

Gegenüber dieser grossen Anzahl von optisch activen Kör - pern, welche sämmtlich asymmetrische Kohlenstoffatome ent - halten, ist bis jetzt keine Combination bekannt geworden, welche optische Activität zeigt ohne asymmetrische Kohlenstoffatome zu enthalten4)Die von Berthelot beobachtete optische Activität des Styrols be - ruht, wie van’t Hoff (Berl. Ber. 9, 5) nachgewiesen hat, auf der An - wesenheit einer diesem Körper von der Darstellung her beigemengten op - tisch activen Verbindung..

Bei eingehender Betrachtung der optisch activen Combina - tionen wird man zu folgender Bemerkung veranlasst; Die Deri - vate der optisch activen Körper verlieren das optische Drehungs - vermögen, wenn die Asymmetrie sämmtlicher Kohlenstoffatome aufgehoben wird; im entgegengesetzten Fall bleibt die opti - sche Activität oft erhalten.

Den angeführten Satz durch eine grosse Anzahl von Bele - gen zu erweisen, ist indess nicht möglich, weil in der Literatur nur äusserst wenige bestimmte Angaben über die optische Acti - vität oder Inactivität von Derivaten optisch activer Körper zu finden sind, insbesondere ist es von den betreffenden For - schern meist unterlassen worden, die optische Inactivität sol -29Optische Activität von Kohlenstoffverbindungen.cher Derivate zu erweisen, welche identisch mit Combinationen anderer Herkunft sind, deren optische Inactivität bisher durch keine Beobachtung widerlegt worden ist.

Es können deshalb an diesem Orte nur folgende bestimmt beobachtete Thatsachen angeführt werden:

Das active äpfelsaure Ammon giebt durch Entziehung von Wasser das inactive Fumarimid 〈…〉 1)Pasteur: Annal. de Chim. et Phys. [3] 34, 52..

Die active Aepfelsäure giebt bei der trockenen Destillation inactive Fumar - und Maleïnsäure: 〈…〉 2)Pasteur: Annal. de Chim. et Phys. [3] 31, 90..

Die Rechtsäpfelsäure giebt bei Reduction die inactive Bern - steinsäure3)Bremer u. van’t Hoff: Berl. Ber. 9, 215..

Das aus dem activen Amylalkohol dargestellte Amylen 〈…〉 4)Würtz: Dictionnaire, 236.und das Amylhydrür 〈…〉 5)Le Bel: Bull. soc. chim. 22, 342.sind inactiv.

Gegenüber diesen Thatsachen existirt keine Beobachtung, dass ein Derivat einer optisch activen Substanz, bei welchem die Asymmetrie sämmtlicher Kohlenstoffatome aufgehoben ist, die optische Activität der Muttersubstanz beibehalten hätte.

Dagegen bleibt die optische Activität bei Derivaten optisch activer Körper häufig erhalten in dem Fall, dass die Asymmetrie der Kohlenstoffatome nicht gänzlich aufgehoben wird, wie fol - gende Thatsachen erweisen:

Das active Asparagin giebt die active Asparaginsäure. Aus beiden wird die linksdrehende Aepfelsäure erhalten6)Pasteur: Annal. de Chim. et Phys. [3] 38, 457..

Die Rechtsweinsäure giebt bei Reduction Rechtsäpfel - säure7)Bremer: Berl. Ber. 8, 861, 1594..

30Dritter Abschnitt.

Mannit, Glucose und Laevulose geben bei Oxydation active Zuckersäure1)Liebig: Annal. Chem. Pharm. 113, 4; Bouchardat: Annal. de Chim. et Phys. [4] 27, 70..

Glucose giebt bei Reduction Mannit2)Linnemann: Annal. Chem. Pharm. 123, 136., Lactose Dulcit3)Bouchardat: a. a. O..

Die Zuckersäure wird zu Rechtsweinsäure oxydirt4)Liebig: Annal. Chem. Pharm. 113, 1..

Bei einzelnen Fällen jedoch, in welchen die Asymmetrie der Kohlenstoffatome des Derivates erhalten bleibt, geht die optische Activität der Muttersubstanz verloren, wie folgende Beispiele zeigen:

Die von Kekulé5)Annal. Chem. Pharm. 130, 28. durch Einwirkung von Bromwasser - stoff auf die active Aepfelsäure erhaltene Brombernsteinsäure (C O2 H) C H Br. C H2 (C O2 H) ist inactiv.

Die Rechtsweinsäure giebt bei Erhitzung inactive Brenz - weinsäure: (C H3) C H (C O2 H). C H2. C O2 H6)Pa - steur: Annal. de Chim. et Phys. [3] 31, 90..

Dulcit und Lactose geben bei Oxydation inactive Schleim - säure (C O2 H) (C H O H) 4 (C O2 H)7)Bouchardat: Annal. de Chim. et Phys. [4] 27, 70..

Aus den zuletzt angeführten Beispielen geht hervor, dass man den oben angeführten Satz: Jede optisch active Kohlen - stoffverbindung enthält mindestens ein asymmetrisches Kohlen - stoffatom nicht verallgemeinern darf zu der Regel: Jede Koh - lenstoffverbindung, welche ein asymmetrisches Kohlenstoffatom enthält, ist optisch activ. Auf welche Weise der Umstand, dass Kohlenstoffverbindungen mit asymmetrischen Kohlenstoffatomen keine optische Activität besitzen, erklärt werden kann, wird weiter unten zur Sprache kommen.

Das optische Drehungsvermögen, welches bestimmte in - sung befindliche Kohlenstoffverbindungen zeigen, muss eine Eigenschaft des betreffenden Molecüles sein und kann nicht auf einer geometrischen Gruppirung der einzelnen Molecüle beru - hen, da unsere wohlbegründeten Vorstellungen über den Zu - stand der Körper in Lösung jede Gesetzmässigkeit der Anord -31Optische Activität von Kohlenstoffverbindungen.nung der Molecüle ausschliessen. Wir haben jedoch über die räumliche Gruppirung der componirenden Elemente dieser Mo - lecüle, der Atome, bestimmte Anschauungen gewonnen, welche uns gestatten das Molecül als ein stabiles System von Massen - punkten zu betrachten und demnach dasselbe in Bezug auf seine Gestaltung mit der durch diese Massenpunkte bestimmten ste - reometrischen Figur zu identificiren.

Mit Zugrundelegung dieser Anschauungsweise lässt sich die vollkommene Analogie der Ursächlichkeit des optischen Drehungsvermögens nachweisen, welches gewisse Krystalle und die Lösungen der optisch activen Kohlenstoffverbindungen zeigen.

Arago machte zuerst die Entdeckung, dass ein polarisirter Lichtstrahl, der durch eine senkrecht zur Hauptaxe geschliffene Platte eines Krystalles von Quarz oder Bergkrystall gegangen ist, nach der Zurückführung der circularpolarisirten Componen - ten auf den Strahl von einer Schwingungsrichtung beim Aus - tritt aus dem Krystall in der Weise verändert erscheint, dass die resultirende Schwingungsebene nicht mehr die des eintre - tenden Strahles ist, sondern gegen die letztere eine Drehung erlitten hat, deren Grösse man bei homogenem, parallelem Licht erkennt durch die Drehung des Analysators, welche nothwendig ist um das bei gekreuzter Stellung der beiden Nicol’schen Pris - men helle Gesichtsfeld dunkel erscheinen zu lassen. Während Quarzplatten von gewisser Dicke die Polarisationsebene um eine bestimmte Grösse nach rechts drehen, haben andere Platten die Eigenschaft, bei gleicher Dicke eine gleich grosse Drehung der Polarisationsebene nach links hervorzubringen. Im ent - gegengesetzten Sinne drehende Platten gehören immer ver - schiedenen Krystallindividuen an, welche in Bezug auf gewisse Flächen als rechts oder links gebildete Körper erscheinen.

Im Jahre 1830 erkannte Naumann das eigenthümliche Bil - dungsgesetz der Quarzkrystalle, indem er nachwies, dass die hexagonale Krystallreihe dieses Minerales nicht holoëdrisch, son - dern nach dem Gesetz der trapezoëdrischen Tetartoëdrie aus - gebildet ist. Durch diese Ausbildungsweise entstehen Formen, welche keine Symmetrieebene besitzen, so dass je zwei Krystall -32Dritter Abschnitt.individuen als rechts und links gebildet in Correlation zu ein - ander stehen. Solche Krystalle bezeichnet der genannte For - scher als enantiomorphe.

Dass die optischen Eigenschaften des Quarzes in der That mit der erwähnten Ausbildungsweise und der damit verbunde - nen asymmetrischen Anordnung der Molecüle im Krystall in ursächlichem Zusammenhang stehe, bewies Airy ((Airy’sche Spiralen).

Lange Zeit blieb der Quarz der einzige Repräsentant der festen, krystallinischen Körper, welche optisches Drehungsver - mögen zeigen, obgleich in der Zwischenzeit eine nicht unbedeu - tende Zahl von kohlenstoffhaltigen Verbindungen bekannt ge - worden war, welche in Lösung befindlich gleichfalls Circular - polarisation zeigten. Im Jahre 1853 machte Rammelsberg die Entdeckung, dass an den regulären Krystallen des Natrium - chlorates neben den Flächen des Tetraëders auch die Flächen eines Pentagondodekaëders vorkommen, und zwar desselben, welches eine am Eisenkies sehr gewöhnliche Form ist.

Diese beiden Formen sollten sich aber nach den bisher er - kannten Gesetzmässigkeiten der Hemiëdrie gegenseitig aus - schliessen. Wie nun Marbach im folgenden Jahre nachwies, besitzt das Natriumchlorat die Eigenschaft, die Polarisationsebene des Lichtes zu drehen. Er erkannte zugleich, dass durch das Zusammenvorkommen der beiden hemiëdrischen Ausbildungs - weisen des regulären Krystallsystems bei den Krystallindividuen dieses Körpers ebenfalls der Enantiomorphismus zur Geltung kommt und dass es dieser Thatsache entsprechend rechts und links drehende Individuen giebt.

Während der Quarz als optisch einaxiges Medium die Cir - cularpolarisation nur in der Richtung der Hauptaxe zeigt, dreht das Natriumchlorat als isotrope Materie die Polarisationsebene des Lichtes gleich stark beim Durchgange des Strahles in be - liebiger Richtung, sobald die Dicke der durchlaufenen Schicht die gleiche bleibt. Im Jahre 1855 reihte Marbach gelegent - lich einer Untersuchung über das optische Verhalten regulärer Krystalle den circularpolarisirenden festen Körpern weiter ein33Optische Activität von Kohlenstoffverbindungen.das Natriumbromat und das Uranylnatriumacetat. Die beiden letztgenannten Substanzen zeigen in ihren Krystallen nur die durch die geneigtflächige Hemiëdrie bedingten Formen. Die Krystalle erscheinen demnach nicht als enantiomorphe; gleich - wohl kann man rechts und links drehende Individuen unter - scheiden, die sich aber in ihrer äusseren Erscheinungsweise gleichen.

Noch in demselben Jahre wies Naumann nach, dass die Krystallreihe des Natriumchlorates nicht als eine hemiëdrische, sondern als eine tetartoëdrische zu betrachten sei, wonach das Zusammenvorkommen des Tetraëders und Pentagondodekaëders gesetzmässig erscheint.

Seitdem ist die Zahl der mit optischem Drehungsvermögen begabten festen Körper beträchtlich vermehrt worden. Nicht alle hierher gehörigen Krystalle erscheinen jedoch enantio - morph. Da aber sämmtliche bisher bekannte Substanzen, deren Krystalle einer enantiomorphen Hemiëdrie oder Tetartoëdrie angehören und entweder regulär oder optisch einaxig sind, die Erscheinung der Circularpolarisation zeigen, so sind wir nach Groth berechtigt, die Eigenschaft in ursächlichen Zusammen - hang mit der erwähnten Ausbildungsweise zu bringen und solche Krystallreihen, welche Circularpolarisation zeigen, ohne der Be - dingung des Enantiomorphismus zu genügen, dennoch den Ge - setzmässigkeiten enantiomorpher Hemiëdrie oder Tetartoëdrie zu unterstellen, indem die den Enantiomorphismus bedingenden Flächen in der betreffenden Krystallreihe als nicht beobachtet erwähnt werden, so dass nicht nur die Möglichkeit, sondern so - gar die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens solcher Flächen aufrecht erhalten bleibt.

Dass die Circularpolarisation durchaus nur abhängig ist von der Krystallform und nicht von der chemischen Qualität des optisch activen Körpers ist erwiesen durch die Beobach - tung, dass derartige feste Körper, sobald sie in Lösung befind - lich sind, keine Einwirkung auf das polarisirte Licht zeigen.

Die berühmte Erklärung der Circularpolarisation durch Fresnel ist mehr eine Erklärung der Modalität als der Cau -van’t Hoff, Lagerung der Atome im Raume. 334Dritter Abschnitt.salität dieser Erscheinung. Der Umstand, dass enantiomorphe Krystalle gegenüber den holoëdrisch ausgebildeten Krystallen desselben Systems eine eigenthümliche Asymmetrie in Bezug auf die räumliche Vertheilung der krystallographischen Ele - mente zeigen, ist jedenfalls die Ursache dieser bemerkenswer - then Erscheinung. Die den Enantiomorphismus bedingenden Flächen zeigen gewissermaassen eine spiralförmige Anordnung in Bezug auf die Hauptaxe des Krystalles. Construirt man nämlich die Durchschnittspunkte der krystallographischen Nor - malen der genannten Flächen [der Senkrechten vom Durch - schnittspunkt der Krystallaxen auf die Flächen] mit einem Ro - tationscylinder, dessen Axe der Hauptaxe des Krystalles paral - lel ist, und betrachtet die Durchschnittscurven von den durch je zwei Normalen bestimmten Ebenen mit diesem Cylinder, so erhält man aus einzelnen Ellipsenabschnitten bestehende ge - brochene Curven, welche spiralartig gewunden erscheinen, und zwar bei dem einen Krystall mit rechtsseitiger, bei dem corre - laten mit linksseitiger Drehung. Ein idealer Krystall derselben Combination, bei welchem die hemiëdrischen und tetartoëdri - schen Flächen nicht als solche, sondern als die entsprechende holoëdrische Form auftreten, liefert bei der gleichen Construc - tion spiralförmige Curven von beiderlei Drehung, welche zu je zwei symmetrisch gelegen sind.

Mit dieser einseitig spiralartigen Anordnung der Flächen in den enantiomorphen Krystallen ist jedenfalls eine entspre - chende asymmetrische Anordnung der Molecüle verbunden, wo - durch die Circularpolarisation des durch das Medium hindurch - gegangenen Lichtstrahls bedingt ist.

Man hat ja bereits circularpolarisirende Medien künstlich hergestellt, z. B. durch schraubenförmig über einander geschich - tete Glimmerlamellen.

Die mit Rechtsdrehung aufgeschichtete Combination zeigt Circularpolarisation nach rechts, die mit Linksdrehung nach links.

Es ist nun wohl gestattet, das Verhalten eines Krystall - individuums zu vergleichen mit dem des Individuums κατ̕ ἐξοχήν, des chemischen Molecüles.

35Optische Activität von Kohlenstoffverbindungen.

In dem asymmetrischen Kohlenstoffatom haben wir ein Me - dium, welches sich durch die schraubenförmige Anordnung sei - ner kleinsten Theile, der Atome, auszeichnet.

Wenn wir die für die Gleichgewichtslage der Atome nach den vorhergehenden Betrachtungen (Seite 17 u. 18) erhaltenen Bilder der Combinationen C (R1) 2 R2 R3 und C R1 R2 R3 R4 nach der Methode der darstellenden Geometrie construiren, so erhalten wir Fig. 36 als Bild der ersten und Fig. 37 und 38 als enantio - morphe Bilder der zweiten Combination1)Vgl. die Modelle 57, 58 u. 59, Anhang VI.. Die mit A und B bezeichneten Ecken sind gleich im ersten, ungleich im zwei - ten Falle.

Werden drei zu einander senkrechte Axen angenommen, deren eine in der Richtung P liegt und parallel ist mit A B, so

Fig. 36.
Fig. 37.
Fig. 38.

ist ersichtlich, dass in den Richtungen der beiden anderen Axen die vier Gruppen A, B, C, D in allen drei Figuren nicht spiral - förmig angeordnet sind, da sich A und B in Normalebenen der betreffenden Axen befinden. In der Richtung P findet auch bei3 *36Dritter Abschnitt.Fig. 36 keine spiralförmige Anordnung der Gruppen statt, da C und D in der Symmetrieebene des Tetraëders liegen, welche normal zu A B und mithin auch zu P ist.

Anders verhalten sich die in Fig. 37 und 38 dargestellten Tetraëder. Sie besitzen beide in der Richtung P eine spiral - förmige Anordnung der Gruppen und wir bemerken, dass, wenn in Fig. 37 die Gruppen in einer rechtsseitigen Schraubenlinie in der Richtung P angeordnet sind, dieselben Gruppen in Fig. 38 in derselben Richtung in linksseitiger Schraubenlinie auf einan - der folgen.

Wenn man sich den polarisirten Lichtstrahl in ein so ge - staltetes Molecül in irgend einer Richtung eintretend vorstellt, so kann man denselben in drei Componenten nach den drei zu einander senkrecht angenommenen Axen zerlegen. Nur die Componente, welche sich in der Richtung P bewegt, kann betreffs der Lage der Polarisationsebene eine Aenderung er - leiden, welche in einer Drehung nach rechts oder nach links besteht.

Wenn in der Richtung P die Gruppen in rechtsseitiger Schraubenlinie angeordnet sind, so ist dies auch in der ent - gegengesetzten Richtung P der Fall, so dass ein polarisirter Lichtstrahl, welcher eine beliebige Richtung gegen P hat, stets in demselben Sinne gedreht erscheint.

Das Molecül, welches in Fig. 37 dargestellt ist, ist isomer dem in Fig. 38 dargestellten. Das letztere wird sich beim Durch - gange des polarisirten Lichtstrahles in vollkommen entgegen - gesetzter Weise verhalten, so dass, wenn im ersten Fall eine Drehung der Polarisationsebene nach rechts bewirkt wird, im zweiten Falle eine gleich grosse Drehung nach links eintritt.

In dem Falle also, wo an ein Kohlenstoffatom vier von ein - ander verschiedene Atome oder Atomcomplexe angelagert sind, lässt unsere Hypothese die Möglichkeit optischer Activität der betreffenden Combination erwarten. Die beiden möglichen Iso - meren werden gleich grosses aber dem Zeichen nach entgegen - gesetztes Drehungsvermögen besitzen.

37Optische Activität von Kohlenstoffverbindungen.

Die Anwendung der gewonnenen Resultate auf Combina - tionen, welche mehrere asymmetrische Kohlenstoffatome be - sitzen, gestaltet sich sehr einfach.

Die Formel C (R1 R2 R3) C (R4 R5 R6) führt zu vier Isomeren, deren Symbole wir nach den Seite 8 gemachten Bemerkungen bezeichnen mit:

+ (A)+ (A) (A) (A)
+ (B) (B)+ (B) (B).

Bezeichnen wir das optische Drehungsvermögen des einen asymmetrischen Kohlenstoffatomes, an welches die Gruppenreihe (A) angelagert ist, mit dem Symbol + A oder A, je nach der positiven oder negativen Aufeinanderfolge der Gruppen und analog das optische Drehungsvermögen des zweiten asymmetri - schen Kohlenstoffatomes mit + B oder B, so erhalten wir als Ausdruck des Drehungsvermögens der vier Isomeren die Symbole: 1) A + B, 2) A B, 3) A + B, 4) A B.

Hieraus ersieht man, dass die Isomeren in Bezug auf ihr optisches Drehungsvermögen paarweise zusammengestellt wer - den können, indem 1) und 4) sowohl als 2) und 3) gleiches aber dem Zeichen nach entgegengesetztes Rotationsvermögen zeigen.

In dem Falle einer symmetrischen Formel mit zwei asym - metrischen Kohlenstoffatomen bestehen nur drei Isomere, deren Drehungsvermögen sein würde: 1) A + A = 2 A, 2) A A = 0, 3) A A = 2 A.

In dem unter 2) verzeichneten Falle fehlt das optische Drehungsvermögen gänzlich, obgleich die betreffende Combina - tion asymmetrische Kohlenstoffatome enthält. Wir wollen diesen Fall, wo die durch ein oder mehrere asymmetrische Kohlenstoff - atome veranlasste optische Activität durch das gleiche aber ent - gegengesetzte Drehungsvermögen eines zweiten oder mehrerer asymmetrischen Kohlenstoffatome aufgehoben wird, ein Fall, der nur bei der Symmetrie der Formel stattfinden kann, den neu - tralen Fall nennen.

Die Weinsäuren bieten für das eben Gesagte ein vollkom -38Dritter Abschnitt.menes Beispiel dar. Die Formel dieser Körper ist symmetrisch und enthält zwei asymmetrische Kohlenstoffatome: (CO2 H) CH (OH). CH (OH) (CO2 H). In der That sind die drei Isomeren dieser Formel bekannt: die Rechts - und Linksweinsäure mit gleichem aber entgegengesetz - tem Drehungsvermögen und die optisch inactive Weinsäure.

Bei Combinationen mit drei und mehr asymmetrischen Koh - lenstoffatomen wiederholen sich die angestellten Betrachtungen in ganz analoger Weise. Bei Anwendung des entsprechenden Ausdrucks für das optische Drehungsvermögen der einzelnen Kohlenstoffatome ersieht man, dass die folgende Regel stets auf - recht erhalten bleibt: Die Isomeren gehören paarweise zusam - men, indem je zwei die gleiche aber entgegengesetzte optische Activität zeigen.

Die Verschiedenheit der isomeren Körper von gleicher For - mel, deren Zahl mit der Zahl der asymmetrischen Kohlenstoff - atome im Molecül so ausserordentlich schnell steigt, wird bei dem gänzlichen Mangel chemischer Unterscheidungsmerkmale und der oft vollkommenen Aehnlichkeit gewisser physikalischer Eigenschaften demnach am leichtesten aus der Verschiedenheit des optischen Drehungsvermögens erkannt werden. Es sind auch schon einzelne Gruppen von Körpern derselben chemischen Formel bekannt, deren Unterscheidungsmerkmal einzig und allein in ihrem Verhalten gegen das polarisirte Licht besteht.

So z. B. die Körper der Traubenzuckergruppe von der Formel CH2 (OH) (CH. OH) 4 COH. Unsere Hypothese führt zu 24 = 16 Isomeren von dieser For - mel, von denen je zwei gleiches und entgegengesetztes Drehungs - vermögen zeigen werden.

Man kennt bereits mehrere Körper dieser Formel, welche auf ihre optische Activität genauer untersucht sind: die Dex - trose, Laevulose und Lactose1)Vergl. S. 27..

Ferner die von Gorup-Besanez bei Oxydation des Man -39Optische Activität von Kohlenstoffverbindungen.nits erhaltene Mannitose, welche optisch inactiv zu sein scheint1)Ann. Chem. Pharm. 118, 257.. Bouchardat2)Ann. Chim. Phys. [4], 27, 70. führt sogar acht isomere Glucosen an.

Die Isomerie der Mannit -, Glucon - und Dextronsäure, welche sämmtlich der Formel (CO2 H) (CH. OH) 4 CH2 (OH) angehören findet höchst wahrscheinlich ihre Erklärung durch die Anwesenheit von vier asymmetrischen Kohlenstoffatomen.

Von der symmetrischen Formel des Mannits existiren 2 (22 + 1) = 10 Isomere, deren Drehungsvermögen sein werden: 2 (A + B) und 2 (A + B), 2 (A B) und 2 (A B), 2 A und 2 A, 2 B und 2 B.

Ausser diesen acht optisch activen Isomeren sind noch zwei inactive möglich. Durch unsere Hypothese wird nicht nur zu - nächst die Isomerie des Mannits und Dulcits erklärt, sondern auch die im Verhältniss zu der Anzahl der asymmetrischen Kohlenstoffatome geringfügige optische Activität der genannten Körper. Jedenfalls findet hier eine theilweise Neutralisation des verschiedenen Drehungsvermögens statt, welches jedes ein - zelne asymmetrische Kohlenstoffatom für sich dem Molecül ver - leihen würde. In der That, wird die Symmetrie der Formel zerstört, welche die theilweise Neutralisation bewirkt, so ver - mehrt sich das Drehungsvermögen, wie durch das Verhalten des Mannitans, sowie der Nitro - und Acetylderivate des Man - nits erwiesen wird.

Durch die symmetrische Formel: (CO2 H) (CH. OH) 4 (CO2 H) wird die Isomerie der Zuckersäure, Schleimsäure und Isoschleim - säure erklärt, sowie auch die optische Activität der ersteren. Die Schleimsäure und Isoschleimsäure, welche beide optisch inactiv sind, stellen die beiden möglichen inactiven Isomeren der obigen Formel dar.

Die angeführten Beispiele könnten noch durch zahlreiche Analogien vermehrt werden. Es sei hier nur noch Gelegenheit40Dritter Abschnitt.genommen, die Schwierigkeiten zu betrachten, welche sich der Darstellung von optisch activen Körpern entgegenstellen, wenn man als Ausgangsmaterial inactive Körper wählt.

Geht man von einer inactiven Substanz aus, deren Formel kein asymmetrisches Kohlenstoffatom enthält, so wird, um zu einem optisch activen Derivat zu gelangen, es erforderlich sein, durch eine Reaction irgend welcher Art Asymmetrie der Koh - lenstoffatome herbeizuführen. Mag nun diese Reaction in einer Addition oder Substitution bestehen, im Allgemeinen werden sich gleiche Mengen von Isomeren mit entgegengesetztem Drehungs - vermögen bilden, so dass eine optisch inactive Mischung entsteht.

Als Beispiel sei die Addition von Brom an Maleïn - und Fumarsäure angeführt. Die folgenden Symbole für die beiden Säuren sind nach der S. 13 gemachten Bemerkung wohl ohne Weiteres verständlich.

Wir haben für die Maleïnsäure die Symbole: 〈…〉 oder 〈…〉 , da wir wegen der Leichtigkeit, mit welcher dieselbe in ihr An - hydrid übergeht, die Carboxylgruppen benachbart annehmen müssen.

Für die Fumarsäure ergeben sich die Symbole: 〈…〉 oder 〈…〉 . Bei der Addition von Brom entstehen aus der Maleïnsäure die Säuren: 〈…〉 und 〈…〉 . Diese beiden Symbole sind aber identisch und bezeichnen ein und dieselbe Dibrombernsteinsäure, welche optisch inactiv ist, da die Activität, welche die Asymmetrie des einen Kohlenstoff - atomes veranlasst, aufgehoben wird durch das gleich grosse aber entgegengesetzte Rotationsvermögen des zweiten asymmetrischen Kohlenstoffatomes, an welches dieselben Gruppen in entgegen -41Optische Activität von Kohlenstoffverbindungen.gesetzter Reihenfolge angelagert sind. Die aus Maleïnsäure entstehende Dibrombernsteinsäure ist ein Beispiel des neutralen Falles und ein Analogon der optisch inactiven Weinsäure.

Die Fumarsäure liefert bei Addition von Brom die Säuren: 〈…〉 und 〈…〉 , das heisst ein Gemisch von zwei Dibrombernsteinsäuren, welche gleiche aber entgegengesetzte optische Activität besitzen. Da nun a priori angenommen werden muss, dass beide Modifica - tionen in gleicher Menge entstehen, so kann die resultirende Mischung optische Activität nicht besitzen. Die aus Furmar - säure entstehende Dibrombernsteinsäure entspricht der eben - falls optisch inactiven Traubensäure.

Die Trennung zweier solcher in einer optisch inactiven Mischung befindlichen mit entgegengesetztem Drehungsver - mögen begabter Isomeren gehört bei der vollkommenen Ueber - einstimmung ihres chemischen Charakters zu den schwierigsten Problemen. Es ist bis jetzt nur ein einziges Beispiel einer solchen Trennung auf directem Wege bekannt. Die Trauben - säure, welche wir mit Sicherheit als ein Gemisch der beiden activen Weinsäuren ansprechen können, liefert mit Natrium und Ammon ein Salz der Formel C4 H4 O6 Na N H4.

Dieses Salz kann in Krystallen des rhombischen Systemes erhalten werden, welche den Gesetzmässigkeiten der Hemiëdrie unterworfen sind und in Folge dessen die Erscheinung des Enantiomorphismus erkennen lassen. Wie sich nun ergeben hat, dreht die Lösung der Krystalle der einen Art die Polarisa - tionsebene des Lichtes nach rechts, während die Lösung der zu diesen enantiomorphen Krystalle eine Drehung der Polarisa - tionsebene nach links hervorbringt. Die aus beiden Arten der Krystalle abgeschiedenen Säuren verhalten sich analog und er - weisen sich als identisch mit der Rechts - und Linksweinsäure. Bei der Krystallisation des erwähnten Doppelsalzes wird also42Dritter Abschnitt.die optisch inactive Traubensäure in ihre Componenten, die beiden activen Weinsäuren, gespalten.

Eine solche Spaltung durch Krystallisation findet aber in allen anderen Fällen nicht statt, im Gegentheil scheint die Trennung der beiden entgegengesetzt activen Componenten einer inactiven Mischung noch erschwert zu werden durch den Umstand, dass die mit entgegengesetzter optischer Activität begabten Molecüle eine gewisse gegenseitige Bindungsfähig - keit zeigen1)Bemerkenswerthe Analogie zu dieser Beobachtung zeigt der Um - stand, dass circularpolarisirende Krystalle das Bestreben zeigen in sym - metrischer Verwachsung aufzutreten; vergl. P. Groth über symmetrische Verwachsungen circularpolarisirender Krystalle : Pogg. Annal. 158 [1876], 214..

Die chemische Identität der beiden activen Weinsäuren, welche sich in allen ihren Verbindungen mit optisch inactiven Substanzen darthut, hört auf, sobald optisch active Substan - zen in Wirkung treten. So verbindet sich z. B. das saure Ammon - salz der Rechtsweinsäure mit dem sauren Ammonsalz der Links - äpfelsäure zu einem leicht krystallisirenden Doppelsalze. Das saure Ammonsalz der Linksweinsäure ist dagegen nicht fähig mit dem sauren Ammonsalz der Linksäpfelsäure eine Verbin - dung einzugehen.

Die Rechtsweinsäure bildet mit Linksasparagin eine kry - stallisirbare Verbindung, die Linksweinsäure lässt sich mit Aspa - ragin nicht vereinigen und andere Beispiele mehr2)Kekulé: Lehrb. d. org. Chemie II, 196..

Diese offenbare gegenseitige Bindungsfähigkeit entgegen - gesetzt activer Molecüle, welche deren directe Trennung er - schwert, giebt vielleicht ein Mittel an die Hand, auf Umwegen zu einer solchen Trennung zu gelangen. Bringt man z. B. in eine active Mischung von n Molecülen einer rechtsdrehenden Säure mit n Molecülen derselben linksdrehenden Säure n Mole - cüle einer rechtsdrehenden Base, so wird diese sich mit der linksdrehenden Säure vereinigen und das entstandene Salz könnte durch Krystallisation von der nicht in Verbindung gegangenen rechtsdrehenden Säure abgeschieden werden.

43Optische Activität von Kohlenstoffverbindungen.

Wenn man andererseits ausgeht von einem inactiven Kör - per, der asymmetrische Kohlenstoffatome enthält und dessen Inactivität auf der Symmetrie der Formel beruht, so könnte man hoffen durch Zerstörung der Symmetrie der Formel zu einem optisch activen Derivate zu gelangen. Als Beispiel diene der Erythrit: CH2 (OH). CH (OH). CH (OH). CH2 (OH). Derselbe ist inactiv, weil Gleichgewicht zwischen den entgegen - gesetzten Activitäten besteht, deren Veranlassung die beiden asymmetrischen Kohlenstoffatome sind. Durch Behandlung mit Ameisensäure bei höherer Temperatur hat Henninger1)Berl. Ber. 5, 1059. aus dem Erythrit ein Glycol der Formel C4 H6 (OH) 2 erhalten. Die Constitution des letzteren wird wohl am einfachsten durch die folgende Gleichung erklärt: CH2 (OH). CH (OH). CH (OH). CH2 (OH) + HCO2 H = CO2 + 2 H2 O + CH2 (OH). CH (OH). CH = CH2.

Hierbei verliert die vorher symmetrische Formel ihre Sym - metrie ohne dass die Asymmetrie des einen Kohlenstoffatomes verschwindet und man könnte optische Activität des Derivates erwarten. Allein bei ihrer Oxydation greift die Ameisensäure den Erythrit gemäss der Symmetrie seiner Formel von beiden Seiten an und zwei Molecüle desselben werden in verschiedener Weise verändert. 〈…〉 giebt 〈…〉 und 〈…〉 . Das heisst man erhält gleiche Mengen von Isomeren mit ent - gegengesetzter optischer Activität, welche abermals eine inactive Mischung geben.

44Dritter Abschnitt.

In einzelnen Fällen ist es jedoch wirklich gelungen, ver - schiedene Modificationen optisch activer Körper in einander überzuführen. So erhielt Pasteur1)Annal. Chem. Pharm. 88, 211. beim Erhitzen von rechts - weinsaurem Cinchonin Traubensäure, welche nach oben erwähn - ter Weise in Rechts - und Linksweinsäure gespalten werden kann. Das Problem der Darstellung einer optisch activen Substanz aus ihren Elementen wurde gelöst von Jungfleisch2)Compt. rend. 76, 286; Bull. soc. chim. 19, 194.. Der - selbe erwies, dass die aus Aethylen, durch Aethylenbromür, Aethylencyanür, Bernsteinsäure und Dibrombernsteinsäure er - haltene Weinsäure ein Gemenge von Traubensäure und inactiver Weinsäure ist. Erstere lässt sich nach bekannter Weise in Rechts - und Linksweinsäure zerlegen. Durch diese Thatsache ist die vielfach gehegte Meinung, dass nur der organische Lebensprocess Kohlenstoffverbindungen, welche mit optischer Activität begabt sind, liefern könne, widerlegt.

Als Schlussfolgerung aus dem Gesagten lassen sich nun folgende Sätze aufstellen:

1) Jede Kohlenstoffverbindung, welche in Lösung befindlich optisches Drehungsvermögen zeigt, enthält ein oder mehrere asymmetrische Kohlenstoffatome.

2) In vielen Fällen genügt die Anwesenheit von asym - metrischen Kohlenstoffatomen nicht, um die optische Activität erscheinen zu lassen. So z. B. kann bei einer Combination von symmetrischer Formel die Asymmetrie von Kohlenstoffatomen mit optischer Inactivität folgerichtig verbunden sein (neutraler Fall). Ferner kann die optisch inactive Substanz aus einem Gemisch gleicher Mengen isomerer activer Verbindungen bestehen, deren Drehungsvermögen gleich und entgegengesetzt ist. Endlich scheint es, dass nicht nur die Verschiedenheit der an den asymmetrischen Kohlenstoff angelagerten Gruppen, sondern auch deren Specialcharakter von Einfluss auf die Grösse des resultirenden Drehungsvermögens ist.

Zum Schluss möge andeutungsweise noch eine zweite Mög -45Optische Activität von Kohlenstoffverbindungen.lichkeit der optischen Activität erwähnt werden, welche nicht auf dem Vorkommen asymmetrischer Kohlenstoffatome beruht. Wir haben im ersten Abschnitt (S. 14) gesehen, dass in dem Falle doppelter gegenseitiger Bindung von zwei Kohlenstoff - atomen, sei dieselbe direct oder durch Vermittelung mehrerer unter einander doppelt gebundener Kohlenstoffatome bewirkt, zwei Isomere der betreffenden Formel existiren, wenn die Grup - pen, welche die beiden freien Valenzen jedes Kohlenstoffatomes am Ende der Kette sättigen, von einander verschieden sind. Wenn die Zahl der Kohlenstoffatome zwischen den beiden äussersten Gliedern der Kette eine ungerade ist, so sind die betreffenden Isomeren durch zwei enantiomorphe Figuren dar - gestellt. In letzterem Falle bilden die Gleichgewichtslagen der vier angelagerten Gruppen die Ecken eines asymmetrischen Tetraëders1)Vergl. Anhang VII., so dass man zufolge der S. 36 erörterten Ueber - legungen für diesen Fall optische Activität der betreffenden Combinationen erwarten dürfte.

[46]

Anhang.

Zur Erleichterung der Vorstellung ist es erforderlich, die im ersten Abschnitt beschriebenen Figuren durch Modelle sich zur directen Anschauung zu bringen. In den folgenden Figuren sind die Netze der betreffenden sterischen Figuren entworfen. Diesel - ben werden am besten aus mässig dickem Cartonpapier ausge - schnitten. Die punktirten Linien werden mit einem scharfen Feder - messer vorsichtig angeritzt. Durch Umknicken längs der geritzten Linien wird die Figur räumlich zusammengebracht und durch Festkleben der seitlich angebrachten Ausschnitte an die innere Seite der Flächen zusammengehalten. Die obere Seite des Netzes bildet alsdann die Aussenflächen der entstehenden Figur.

I. Ohne auf die geometrische Form des Tetraëders Rücksicht zu nehmen, soll zunächst dargethan werden, dass vier verschiedene Gruppen sich unter sonst gleichen Verhält - nissen in zwei verschiedenen Reihenfolgen anordnen können. Die Verschiedenheit der Gruppen wird angedeutet durch ver - schiedene Farben, z. B. weiss, schwarz, roth und blau. Das Tetraëder sei ein reguläres, die einzelnen Flächen also gleich - seitige Dreiecke. Der weisse Carton wird in der der Fig. 39 und 40 dargestellten Weise mit farbigem Papier beklebt (die Buch - staben sind die Anfangsbuchstaben der betreffenden Farben). Fig. 39 und 40 liefern alsdann zwei Tetraëder, welche zwar in Bezug auf ihre geometrische Gestalt identisch sind, nicht aber in Bezug auf die Reihenfolge der durch Farben unterschiedenen47Anhang.Ecken. Das eine ist das Spiegelbild des anderen. Einfacher gestaltet sich das Modell, wenn die in gleicher Anzahl vorhan - denen Elemente des Tetraëders vertauscht werden, z. B. die

Fig. 39.
Fig. 40.

Ecken mit den Flächen. Fig. 41 und 42 liefern zwei Tetraëder, welche in Bezug auf die Reihenfolge der durch Farben aus - gezeichneten Flächen nicht identisch sind.

II. Das der Fig. 13 entsprechende Modell würde schwierig von festem Zusammenhalt dargestellt werden können. Da es

Fig. 41.
Fig. 42.

nur darauf ankommt, die verschiedenartige Reihenfolge in der räumlichen Anordnung der Gruppen darzuthun, so können auch hier wie bei Fig. 41 und 42 die Ecken des Tetraëders mit den Flächen versauscht werden. Das einer Combination mit zwei einfach unter einander gebundenen Kohlenstoffatomen ent - sprechende Bild würde demnach aus zwei Tetraëdern bestehen, welche eine Fläche gemeinsam haben und so eine trigonale Py - ramide (im krystallographischen Sinne des Wortes) darstellen. Die sechs Flächen dieser Figur bezeichnen die an die sechs freien Valenzen angelagerten Gruppen. Da die Combination CR1 R2 R3. CR4 R5 R6 eben so viele Isomere liefert als CR1 R2 R3. CR1 R2 R4, so sei der letztere Fall als der einfachere (es sind im Ganzen nur vier verschiedene Gruppen vorhanden, also auch nur vier verschiedene Farben nöthig) in Betracht gezogen.

48Anhang.

Fig. 43, 44, 45, 46 liefern die Symbole der vier Isomeren der Combination CR1 R2 R3. CR1 R2 R4. Mehr als diese vier ver -

Fig. 43.
Fig. 44.

schiedenen Anordnungen sind nicht möglich, wenn man die Figuren, welche durch Drehung des oberen Tetraëders um 120°

Fig. 45.
Fig. 46.

nach rechts oder links entstehen, nur als Bilder verschiedener Bewegungsphasen auffasst.

III. Fig. 47, 48, 49 stellen die drei möglichen Isomeren der symmetrischen Formel CR1 R2 R3. CR1 R2 R3 dar. Die Netze

Fig. 47.
Fig. 48.

49Anhang.unterscheiden sich von den Fig. 43, 44, 45 und 46 durch Ver - tauschung von R4 mit R3, also von blau mit roth. Vertauscht

Fig. 49.

man in Fig. 43 und 46 blau mit roth, so ist leicht einzusehen, dass die resultirenden Figuren (die eine davon ist Fig. 47) identisch sind.

IV. Um ein Modell der Com - bination 〈…〉 zu erhal - ten, werden zwei Tetraëder so zu - sammengeklebt, dass sie eine gemein - schaftliche Kante haben. Von den vier freien Ecken werden zwei, z. B. die der Gruppe R1 entsprechenden, mit rother Farbe bezeichnet. Die Fig. 50 und 51 stellen die perspectivisch gezeichneten Mo - delle der Fumar - und Maleïnsäure dar, wenn an den mit rother

Fig. 50.
Fig. 51.

Farbe ausgezeichneten Ecken die Gruppe CO2 H, an den anderen H angelagert gedacht wird.

V. Die Modelle der Combination 〈…〉 be - stehen aus drei in der Weise aneinander geketteten Tetraëdern, dass das mittelste je eine von zwei gegenüberliegenden Kanten mit je einem der beiden äusseren Tetraëder gemeinsam hat. Fig. 52 und 53 stellen perspectivisch gezeichnete Modelle der beiden Isomeren dar, wobei die Gruppe R1 roth bezeichnet ist.

VI. Bei den folgenden Netzen stellen die schwarz aus -van’t Hoff, Lagerung der Atome im Raume. 450Anhang.gezogenen Geraden die Durchschnittslinien der Symmetrie - ebenen des Tetraëders mit den Flächen dar.

Fig. 52.
Fig. 53.

1) C (R1) 4: Fig. 54. Das Netz stellt vier gleichseitige unter einander gleiche Dreiecke dar.

2) C (R1) 3 R2: Fig. 55. Das Netz enthält ein gleichseitiges Dreieck (Seitenlänge a) und drei unter einander gleiche gleich -

Fig. 54.
Fig. 55.

schenklige Dreiecke (Schenkellänge b). b ist von a in der Weise abhängig, dass es in folgenden Grenzen eingeschlossen sein muss: 〈…〉 .

51Anhang.

3) C (R1) 2 (R2) 2: Fig. 56. Das Netz enthält im Allgemei - nen zwei Paare von gleichschenkligen Dreiecken, deren Schen - kel (a) gleich sind, während die Basen (b und c) ungleich sind. Es bestehen folgende Abhängigkeitsverhältnisse dieser Grössen von einander: b < 2a, und ausserdem noch, wenn b gewählt

Fig. 56.
Fig. 57.

ist, 〈…〉 . Für den besonderen Fall, dass die vier gleichschenkligen Dreiecke untereinander gleich sind, ist das resultirende Tetraëder die hemiedrische Form der tetrago - nalen Pyramide, das tetragonale Sphenoïd.

4) C (R1) 2 R2 R3: Fig. 57. Das Netz enthält zwei von einan - der verschiedene gleichschenklige Dreiecke, mit der gemeinschaft - lichen Basis a und den Schenkeln b und c, ausserdem im All - gemeinen zwei gleiche ungleichseitige Dreiecke mit den Seiten b, c und d. Zwischen diesen Grössen besteht folgendes Abhän - gigkeitsverhältniss: ½ a < b < und ½ a < c < , ferner, wenn b > c, 〈…〉 .

5) C R1 R2 R3 R4: Fig. 58 und 59 (a. f. S.). Das Netz enthält im Allgemeinen vier ungleichseitige Dreiecke. Wenn man das Netz in der Weise zusammenfügt, dass einmal die obere Seite, das52Anhang.andere Mal die untere Seite zur Aussenfläche der entstehenden Figur wird, so erhält man zwei enantiomorphe Tetraëder, welche die beiden Isomeren der oben erwähnten Combination dar - stellen. Das Abhängigkeitsverhältniss der im Allgemeinen von

Fig. 58.
Fig. 59.

einander verschiedenen sechs Kanten des Tetraëders von ein - ander erfordert, dass zwischen je drei von fünf beliebig gewähl - ten zu einem Dreieck vereinigten Kanten die bekannte Relation herrscht, dass die Summe von zweien derselben stets grösser ist, als die dritte. Die sechste Kante ist alsdann zwischen zwei Grenzwerthen eingeschlossen, deren Ableitung hier zu weit füh - ren würde. Man kann übrigens bei diesen asymmetrischen Tetraëdern noch verschiedene Abstufungen der Regelmässigkeit herrührend von der Gleichheit oder Verschiedenheit der vier aus ungleichseitigen Dreiecken bestehenden Flächen unterschei - den. Die am regelmässigsten gebildeten hierher gehörigen Körper sind mit Benutzung der Figuren 60 und 61 zu con - struiren. Das Netz besteht aus vier gleichen ungleichseitigen Dreiecken. Das resultirende Tetraëder hat drei Paare von gleichen gegenüberliegenden Kanten. Es ist dies die aus der53Anhang.Krystallographie bekannte hemiëdrische Form der rhombischen Pyramide, das sogenannte rhombische Sphenoïd. Das Abhän -

Fig. 60.
Fig. 61.

gigkeitsverhältniss der drei Seiten a, b, c von einander ist in diesem Falle ziemlich einfach, man hat nämlich: a2 + b2 > c2, a2 + c2 > b2, b2 + c2 > a2.

VII. Die Combination 〈…〉 kann wie oben unter V. angegeben ist construirt werden. Allein bei Rücksicht - nahme auf die geometrischen Verhältnisse ergiebt sich, dass nur

Fig. 62.
Fig. 63.

das mittlere Tetraë - der ein reguläres ist.

Die endständigen Tetraëder sind sol - che, welche der Com - bination C (R1) 2 R2R3 entsprechen, deren Netz durch Fig. 57 dargestellt ist. An ein reguläres Te - traëder werden also zwei der Fig. 57 ent - sprechende Tetraë - der mit einer gleichen Kante angeheftet. Fig. 62 und 63 zeigen die entstehenden Modelle in perspectivischer Zeichnung. Die mit R1 und R2 bezeichneten Ecken bilden für sich die Eck - punkte zweier enantiomorpher rhombischer Sphenoïde, wie sie durch die Modelle 60 und 61 dargestellt sind.

〈…〉〈…〉
〈…〉〈…〉

About this transcription

TextDie Lagerung der Atome im Raume
Author Jacobus H. van 't Hoff
Extent79 images; 12541 tokens; 2699 types; 90767 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie Lagerung der Atome im Raume Nach des Verfassers Broschüre \"La chimie dans l'espace\" deutsch bearbeitet Jacobus H. van 't Hoff. F. Herrmann (ed.) . X, [2], 53 S. ViewegBraunschweig1877.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Mr 7544http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=712374906

Physical description

Antiqua

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Chemie; Wissenschaft; Chemie; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:31:38Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Mr 7544
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.