Druck von Auguſt Oſterrieth in Frankfurt a. M.
Druck von Aug. Oſterrieth in Frankfurt a. M.
Dies Buch ward verfaßt in dem guten Glauben, daß es weder der Geſchichtſchreibung noch der Poeſie etwas ſchaden kann, wenn ſie innige Freundſchaft mit einander ſchließen und ſich zu gemeinſamer Arbeit vereinen.
Seit Jahrzehnten iſt die Hinterlaſſenſchaft unſerer Vorfahren Gegenſtand allſeitiger Forſchung; ein Schwarm fröhlicher Maul - würfe hat den Boden des Mittelalters nach allen Richtungen durchwühlt und in fleißiger Bergmannsarbeit eine ſolche Maſſe alten Stoffes zu Tage gefördert, daß die Sammelnden oft ſelbſt davor erſtaunten: eine ganze, ſchöne, in ſich abgeſchloſſene Literatur, eine Fülle von Denkmalen bildender Kunſt, ein organiſch in ſich aufgebautes politiſches und ſociales Leben liegt ausgebreitet vor unſern Augen. Und doch iſt es all der guten auf dieſe Beſtre - bungen gerichteten Kraft kaum gelungen, die Freude am geſchicht - lichen Verſtändniß auch in weitere Kreiſe zu tragen; die zahl - loſen Bände ſtehen ruhig auf den Brettern unſerer Bibliotheken, da und dort hat ſich ſchon wieder gedeihliches Spinnweb angeſetzt und der Staub, der mitleidlos Alles bedeckende, iſt auch nicht ausgeblieben, ſo daß der Gedanke nicht zu den undenkbaren ge - hört, die ganze altdeutſche Herrlichkeit, kaum erſt ans TageslichtD. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 30IIzurückbeſchworen, möchte eines Morgens, wenn der Hahn kräht, wieder verſunken ſein in Schutt und Moder der Vergeſſenheit, gleich jenem geſpenſtigen Kloſter am See, von dem nur ein leiſe klingendes Glöcklein tief unter den Wellen dunkle Kunde gibt.
Es iſt hier nicht der Ort, zu unterſuchen, in wiefern der Grund dieſer Erſcheinung dem Treiben und der Methode unſerer Gelehrſamkeit beizumeſſen.
Das Sammeln alterthümlichen Stoffes kann wie das Sam - meln von Goldkörnern zu einer Leidenſchaft werden, die zuſam - menträgt und zuſammenſcharrt, eben um zuſammen zu ſcharren, und ganz vergißt, daß das gewonnene Metall auch gereinigt, umgeſchmolzen und verwerthet werden ſoll. Denn was wird ſonſt erreicht?
Ein ewiges Befangenbleiben im Rohmaterial, eine Gleich - werthſchätzung des Unbedeutenden wie des Bedeutenden, eine Scheu vor irgend einem fertigen Abſchließen, weil ja da oder dort noch ein Fetzen beigebracht werden könnte, der neuen Auf - ſchluß gibt, und im Ganzen — eine Literatur von Gelehrten für Gelehrte, an der die Mehrzahl der Nation theilnahmlos vor - übergeht und mit einem Blick zum blauen Himmel ihrem Schöpfer dankt, daß ſie nichts davon zu leſen braucht.
Der Schreiber dieſes Buches iſt in ſonnigen Jugendtagen einſtmals mit etlichen Freunden durch die römiſche Campagna geſtrichen. Da ſtießen ſie auf Reſte eines alten Grabmals, und unter Schutt und Trümmern lag auch, von graugrünem Acanthus überrankt, ein Haufe auseinandergeriſſener Moſaikſteine, die ehe - dem in ſtattlichem Bild und Ornamentenwerk des Grabes Fuß -III boden geſchmückt. Es erhub ſich ein lebhaft Geſpräch darüber, was all die zerſtreuten gewürfelten Steinchen in ihrem Zuſam - menhang dargeſtellt haben mochten. Einer, der ein Archäolog war, hob die einzelnen Stücke gegen's Licht und prüfte, ob weißer, ob ſchwarzer Marmor, ein Anderer, der ſich mit Geſchichtforſchung plagte, ſprach gelehrt über Grabdenkmale der Alten, — derweil war ein Dritter ſchweigſam auf dem Backſteingemäuer geſeſſen, der zog ſein Skizzenbuch und zeichnete ein ſtolzes Viergeſpann mit ſchnaubenden Roſſen und Wettkämpfern und viel ſchöne jo - niſche Ornamentik darum; er hatte in einer Ecke des Fußbodens einen unſcheinbaren Reſt des alten Bildes erſchaut, Pferdefüße und eines Wagenrades Fragmente, da ſtand das Ganze klar vor ſeiner Seele und er warf's mit kecken Strichen hin, derweil die andern in Worten kramten ...
Bei jener Gelegenheit war einiger Aufſchluß zu gewinnen über die Frage, wie mit Erfolg an der geſchichtlichen Wieder - belebung der Vergangenheit zu arbeiten ſei.
Gewißlich nur dann, wenn einer ſchöpferiſch wiederherſtel - lenden Phantaſie ihre Rechte nicht verkümmert werden, wenn der, der die alten Gebeine ausgräbt, ſie zugleich auch mit dem Athemzug einer lebendigen Seele anhaucht, auf daß ſie ſich er - heben und kräftigen Schrittes als auferweckte Todte einher wandeln.
In dieſem Sinn nun kann der hiſtoriſche Roman das ſein, was in blühender Jugendzeit der Völker die epiſche Dichtung, ein Stück nationaler Geſchichte in der Auffaſſung des Künſtlers, der im gegebenen Raume eine Reihe Geſtalten ſcharfgezeichnet und farbenhell vorüberführt, alſo daß im Leben und Ringen undIV Leiden der Einzelnen zugleich der Inhalt des Zeitraums ſich wie zum Spiegelbild zuſammenfaßt.
Auf der Grundlage hiſtoriſcher Studien das Schöne und Darſtellbare einer Epoche umſpannend, darf der Roman auch wohl verlangen, als ebenbürtiger Bruder der Geſchichte anerkannt zu werden, und wer ihn achſelzuckend als das Werk willkürlicher und fälſchender Laune zurückweiſen wollte, der mag ſich dabei getröſten, daß die Geſchichte, wie ſie bei uns geſchrieben zu wer - den pflegt, eben auch nur eine herkömmliche Zuſammenſchmiedung von Wahrem und Falſchem iſt, der nur zu viel Schwerfälligkeit anklebt, als daß ſie es, wie die Dichtung, wagen darf, ihre Lücken ſpielend auszufüllen.
Wenn nicht alle Zeichen trügen, ſo iſt unſere Zeit in einem eigenthümlichen Läuterungsproceß begriffen.
In allen Gebieten ſchlägt die Erkenntniß durch, wie unſäg - lich unſer Denken und Empfinden unter der Herrſchaft der Ab - ſtraction und der Phraſe geſchädigt worden; da und dort Rü - ſtung zur Umkehr aus dem Abgezogenen, Blaſſen, Begrifflichen zum Concreten, Farbigen, Sinnlichen, ſtatt müßiger Selbſtbe - ſchauung des Geiſtes Beziehung auf Leben und Gegenwart, ſtatt Formeln und Schablonen naturgeſchichtliche Analyſe, ſtatt der Kritik ſchöpferiſche Production, und unſere Enkel erleben vielleicht noch die Stunde, wo man von manchem Koloß ſeit - heriger Wiſſenſchaft mit der gleichen lächelnden Ehrfurcht ſpricht, wie von den Reſten eines vorſündfluthlichen Rieſengethieres, und wo man ohne Gefahr, als Barbar verſchrieen zu werden, be - haupten darf, in einem Steinkrug alten Weines ruhe nicht we -V niger Vernunft als in mancher umfangreichen Leiſtung formaler Weisheit.
Zur Herſtellung fröhlicher unbefangener von Poeſie verklärter Anſchauung der Dinge möchte nun auch die vorliegende Arbeit einen Beitrag geben, und zwar a[u]s dem Gebiet unſerer deutſchen Vergangenheit.
Unter dem unzähligen Werthvollen, was die großen Folian - ten der von Pertz herausgegebenen „ Monumenta Germaniae “bergen, glänzen gleich einer Perlenſchnur die ſanctgalliſchen Kloſtergeſchichten, die der Mönch Ratpert begonnen und Ekkehard der Jüngere (oder zur Unterſcheidung von drei gleichnamigen Mitgliedern des Kloſters der Vierte benannt) bis an's Ende des zehnten Jahrhunderts fortgeführt hat. Wer ſich durch die unerquicklichen und vielfältig dürren Jahrbücher anderer Klöſter mühſam durchgearbeitet hat, mag mit Behagen und innerem Wohlgefallen an jenen Aufzeichnungen verweilen. Da iſt trotz mannigfacher Befangenheit und Unbehilflichkeit eine Fülle an - muthiger aus der Ueberlieferung älterer Zeitgenoſſen und den Berichten von Augenzeugen geſchöpfter Erzählungen, Perſonen und Zuſtände mit groben aber deutlichen Strichen gezeichnet, viel unbewußte Poeſie, treuherzige brave Welt - und Lebensanſicht, naive Friſche, die dem Niedergeſchriebenen überall das Gepräge der Aechtheit verleiht, ſelbſt dann, wenn Perſonen und Zeiträume etwas leichtſinnig durcheinander gewürfelt worden und ein handgreif - licher Anachronismus dem Erzähler gar keinen Schmerz verurſacht.
Ohne es aber zu beabſichtigen, führen jene Schilderungen zugleich über die Schranken der Kloſtermauern hinaus und ent -VI rollen das Leben und Treiben, Bildung und Sitte des damaligen allemanniſchen Landes mit der Treue eines nach der Natur ge - malten Bildes.
Es war damals eine vergnügliche und einen Jeden, der ringende, unvollendete aber geſunde Kraft geleckter Fertigkeit vorzieht, anmuthende Zeit im ſüdweſtlichen Deutſchland. Anfänge von Kirche und Staat bei namhafter aber gemüthreicher Rohheit der bürgerlichen Geſellſchaft, — der aller ſpätern Entwickelung ſo gefährliche Geiſt des Feudalweſens noch harmlos im erſten Ent - falten, kein geſchraubtes übermüthiges und geiſtig ſchwächliches Ritterthum, keine üppige unwiſſende Geiſtlichkeit, wohl aber ehr - liche grobe Geſellen, deren ſocialer Verkehr zwar oftmals in einem ſehr ausgedehnten Syſtem von Verbal - und Realinjurien beſtand, die aber in rauher Hülle einen tüchtigen, für alles Edle empfänglichen Kern bargen, — Gelehrte, die Morgens den Ari - ſtoteles verdeutſchen und Abends zur Erholung auf die Wolfs - jagd ziehen, vornehme Frauen, die für das Studium der Claſſi - ker begeiſtert ſind, Bauern, in deren Erinnerung das Heiden - thum ihrer Vorväter ungetilgt neben dem neuen Glauben fort - lebt, — überall naive ſtarke Zuſtände, denen man ohne rationaliſti - ſchen Ingrimm ſelbſt ihren Glauben an Teufel und Dämonen - ſpuck zu Gute halten darf. Dabei zwar politiſche Zerklüftung und Gleichgiltigkeit gegen das Reich, deſſen Schwerpunkt ſich nach Sachſen übertragen hatte, aber tapferer Mannesmuth im Unglück, der ſelbſt die Mönche in den Kloſterzellen ſtählt, das Pſalterbuch mit dem Schwert zu vertauſchen und gegen die ungariſche Verwüſtung zu Feld zu rücken, — trotz reichlicher Gele -VII genheit zur Verwilderung eine dem Studium der Alten mit Begeiſterung zugewandte Wiſſenſchaft, die in den zahlreich beſuchten Kloſterſchulen eifrige Jünger fand und in ihren humanen Strebungen an die beſten Zeiten des ſechszehnten Jahrhunderts erinnert, leiſes Emporblühen der bildenden Künſte, vereinzeltes Aufblitzen bedeutender Geiſter, vom Wuſt der Gelehrſamkeit unerſtickte Freude an der Dichtung, fröhliche Pflege nationaler Stoffe, wenn auch meiſt in fremdländiſchem Gewand.
Kein Wunder, daß es dem Verfaſſer dieſes Buches, als er bei Gelegenheit anderer Studien über die Anfänge des Mittel - alters mit dieſer Epoche vertraut wurde, erging wie einem Manne, der nach langer Wanderung durch unwirthſames Land auf eine Herberge ſtößt, die wohnſam und gut beſtellt in Küche und Keller mit liebreizender Ausſicht vor den Fenſtern Alles bietet, was ſein Herz begehrt.
Er begann, ſich häuslich drin einzurichten und durch mannig - faltige Ausflüge in verwandtes Gebiet ſich möglichſt vollſtändig in Land und Leute einzuleben.
Den Poeten aber ereilt ein eignes Schickſal, wenn er ſich mit der Vergangenheit genauer bekannt macht.
Wo Andere, denen die Natur gelehrtes Scheidewaſſer in die Adern gemiſcht, viel allgemeine Sätze und lehrreiche Betrach - tungen als Preis der Arbeit herausätzen, wachſen ihm Geſtalten empor, erſt von wallendem Nebel umfloſſen, dann klar und durchſichtig, und ſie ſchauen ihn ringend an und umtanzen ihn in mitternächtigen Stunden und ſprechen: Verdicht 'uns!
VIIISo kam es auch hier. Aus den naiven lateiniſchen Zeilen jener Kloſtergeſchichten hob und baute es ſich empor, wie Thurm und Mauern des Gotteshauſes Sanct Gallen, viel altersgraue ehrwürdige Häupter wandelten in den Kreuzgängen auf und ab hinter den alten Handſchriften ſaßen die, die ſie einſt geſchrieben, die Kloſterſchüler tummelten ſich im Hofe, Horaſang ertönte aus dem Chor und des Wächters Hornruf vom Thurme. Vor allen Anderen aber trat leuchtend hervor jene hohe geſtrenge Frau, die ſich den jugendſchönen Lehrer aus des heiligen Gallus Kloſter - frieden entführte, um auf ihrem Baſaltfelſen am Bodenſee claſſi - ſchen Dichtern eine Stätte ſinniger Pflege zu bereiten; die ſchlichte Erzählung der Kloſterchronik von jenem dem Virgil gewidmeten Stillleben, iſt ſelbſt wieder ein Stück Poeſie, ſo ſchön und ächt, als ſie irgend unter Menſchen zu finden.
Wer aber von ſolchen Erſcheinungen heimgeſucht wird, dem bleibt nichts übrig, als ſie zu beſchwören und zu bannen. Und in den alten Geſchichten hatte ich nicht umſonſt geleſen, auf welche Art Notker der Stammler einſt ähnlichen Viſionen zu Leibe ging: er griff einen knorrigen Haſelſtock und hieb tapfer auf die Dämonen ein, bis ſie ihm die ſchönſten Lieder offenbarten. *)Ekkehardi IV. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Mon. II. 98.
Darum griff auch ich zu meinem Handgewaffen, der Stahl - feder, und ſagte eines Morgens den Folianten, den Quellen der Geſtaltenſeherei, Valet, und zog hinaus auf den Boden, den einſt die Herzogin Hadwig und ihre Zeitgenoſſen beſchritten; und ſaß in der ehrwürdigen Bücherei des heiligen Gallus und fuhr inIX ſchaukelndem Kahn über den Bodenſee und niſtete mich bei der alten Linde am Abhang des Hohentwiel ein, wo jetzt ein treff - licher ſchwäbiſcher Schultheiß die Trümmer der alten Feſte be - hütet, und ſtieg ſchließlich auch zu den luftigen Alpenhöhen des Säntis, wo das Wildkirchlein keck wie ein Adlerhorſt herunter - ſchaut auf die grünen Appenzeller Thäler. Dort in den Revieren des ſchwäbiſchen Meeres, die Seele erfüllt von dem Walten er - loſchener Geſchlechter, das Herz erquickt von warmem Sonnen - ſchein und würziger Bergluft, hab 'ich dieſe Erzählung entworfen und zum größten Theil niedergeſchrieben.
Daß nicht viel darin geſagt iſt, was ſich nicht auf gewiſſen - hafte culturgeſchichtliche Studien ſtützt, darf wohl behauptet wer - den, wenn auch Perſonen und Jahrzahlen, vielleicht Jahrzehnte mitunter ein weniges in einander verſchoben wurden. Der Dich - ter darf ſich, der innern Oeconomie ſeines Werkes zu lieb, Manches erlauben, was dem ſtrengen Hiſtoriker als Sünde an - zurechnen wäre. Sagt doch ſelbſt der unübertroffene Geſchicht - ſchreiber Macaulay: Gern will ich den Vorwurf tragen, die würdige Höhe der Geſchichte nicht eingehalten zu haben, wenn es mir nur gelingt, den Engländern des neunzehnten Jahrhun - derts ein treues Gemälde des Lebens ihrer Vorfahren vor - zuführen.
Dem Wunſche ſachverſtändiger Freunde entſprechend, ſind in Anmerkungen einige Zeugniſſe und Nachweiſe der Quellen an - geführt, zur Beruhigung derer, die ſonſt nur Fabel und müßige Erfindung in dem Dargeſtellten zu wittern geneigt ſein könnten. Wer aber auch ohne ſolche Nachweiſe Vertrauen auf eine gewiſſe30*XAechtheit des Inhalts ſetzt, der wird erſucht, ſich in die Noten nicht weiter zu vertiefen, ſie ſind Nebenſache und wären über - flüſſig, wenn das Ganze nicht als Roman in die Welt ginge, der die Vermuthung leichtſinnigen Spiels mit den Thatſachen wider ſich zu haben pflegt.
Den Vorwürfen der Kritik wird mit Gemüthsruhe entgegen - geſehen. „ Eine Geſchichte aus dem zehnten Jahrhundert? “wer - den ſie rufen, „ wer reitet ſo ſpät durch Nacht und Wind? “ Und ſteht's nicht im neuſten Handbuch der Nationalliteratur, im Capitel vom vaterländiſchen Roman gedruckt zu leſen: „ Fragen wir, welche Zeiten vorzugsweiſe geeignet ſein dürften, in der deutſchen Geſchichte das Locale mit dem Nationalintereſſe zu verſöhnen, ſo werden wir wohl zunächſt das eigentliche Mittel - alter ausſchließen müſſen. Selbſt die Hohenſtaufenzeit läßt ſich nur noch lyriſch anwenden, ihre Zeichnung fällt immer düſſel - dorfiſch aus. “
Auf all die Einwände und Bedenken derer, die ein ſcharfes Benagen harmloſem Genießen vorziehen und den deutſchen Geiſt mit vollen Segeln in ein alexandriniſches oder byzantiniſches Zeitalter hineinzurudern ſich abmühen, hat bereits eine literariſche Dame des zehnten Jahrhunderts, die ehrwürdige Nonne Hroswitha von Gandersheim im fröhlichen Selbſtgefühl eigenen Schaffens die richtige Antwort gegeben. Sie ſagt in der Vorrede zu ihren an - muthigen Komödien: Si enim alicui placet mea devotio, gaudebo. Si autem pro mei abiectione vel pro viciosi sermonis rusticitate nulli placet: memet ipsam tamen juvat quod feci. Zu deutſch: „ Wofern nun jemand an mei -XI ner beſcheidenen Arbeit Wohlgefallen findet, ſo wird mir dies ſehr angenehm ſein; ſollte ſie aber wegen der Verleugnung mei - ner ſelbſt oder der Rauheit eines unvollkommenen Styls nie - manden gefallen, ſo hab 'ich doch ſelber meine Freude an dem was ich geſchaffen! “
Es war vor beinahe tauſend Jahren. Die Welt wußte weder von Pulver noch von Buchdruckerkunſt.
Ueber dem Hegau lag ein trüber bleiſchwerer Himmel, doch war von der Finſterniß, die bekanntlich über dem ganzen Mittelalter laſtete, im Einzelnen Nichts wahrzunehmen. Vom Bodenſee her wogten die Nebel über's Ries und verdeckten Land und Leute. Auch der Thurm vom jungen Gotteshaus Radolf's-Zelle war eingehüllt, aber das Früh - glöcklein war luſtig durch Dunſt und Dampf erklungen, wie das Wort eines verſtändigen Mannes durch verfinſternden Nebel der Thoren.
Es iſt ein ſchönes Stück deutſcher Erde, was dort zwiſchen Schwarz - wald und ſchwäbiſchem Meer ſich aufthut. Wer's mit einem falſchen Gleichniß nicht allzu genau nimmt, mag ſich der Worte des Dichters erinnern:
— wiewohl die Fortführung dieſes Bildes Veranlaſſung werden könnte, die Hegauer Berge als die Naſen in dieſem Antlitz zu preiſen.
Düſter ragte die Kuppe des hohen Twiel mit ihren Klingſtein - zacken in die Lüfte. Als Denkſteine ſtürmiſcher Vorgeſchichte unſrer alten Mutter Erde ſtehen jene ſchroffen maleriſchen Bergkegel in der Niederung, die einſt gleich dem jetzigen Becken des Sees von wogen -D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 12der Fluth überſtrömt war. Für Fiſche und Waſſermöven mag's ein denkwürdiger Tag geweſen ſein, da es in den Tiefen brauste und ziſchte, und die baſaltiſchen Maſſen glühend durch der Erdrinde Spal - ten ſich ihren Weg über die Waſſerſpiegel bahnten. Aber das iſt ſchon lange her. Es iſt Gras gewachſen über die Leiden derer, die bei jener Umwälzung mitleidlos vernichtet wurden; nur die Berge ſtehen noch immer, ohne Zuſammenhang mit ihren Nachbarn, einſam und trotzig wie Alle, die mit feurigem Kern im Herzen die Schranken des Vor - handenen durchbrechen, und ihr Geſtein klingt, als ſäße noch ein Ge - dächtniß an die fröhliche Jugendzeit drin, da ſie zuerſt der Pracht der Schöpfung entgegen gejubelt.
Zur Zeit, da unſere Geſchichte anhebt, trug der hohe Twiel ſchon Thurm und Mauern, eine feſte Burg. Dort hatte Herr Burkhard gehaust, der Herzog in Schwaben. Er war ein feſter Degen geweſen und hatte manchen Kriegszug gethan; die Feinde des Kaiſers waren auch die ſeinen, und damit gab es immer Arbeit: wenn's in Welſch - land ruhig war, fingen oben die Normänner an, und wenn die ge - worfen waren, kam etwann der Ungar geritten, oder es war einmal ein Biſchof übermüthig oder ein Grafe widerſpänſtig; — ſo war Herr Burkhard zeitlebens mehr im Sattel als im Lehnſtuhl geſeſſen. Dem - gemäß iſt erklärlich, daß er ſich keinen ſanften Leumund geſchaffen.
In Schwaben ſprachen ſie, er habe die Herrſchaft geführt, ſo zu ſagen als ein Zwingherr, und im fernen Sachſen ſchrieben die Mönche in ihre Chroniken, er ſei ein kaum zu ertragender Kriegsmann ge - weſen. 1)
Bevor Herr Burkhard zu ſeinen Vätern verſammelt ward, hatte er ſich noch ein Ehgemahl erleſen. Das war die junge Frau Had - wig, Tochter des Herzogs in Baiern. Aber in das Abendroth eines Lebens, das zur Neige geht, mag der Morgenſtern nicht freudig ſchei - nen. Das hat ſeinen natürlichen Grund. 2)Darum hatte Frau Had - wig den alten Herzog in Schwaben genommen, ihrem Vater zu Ge - fallen, hatte ihn auch gehegt und gepflegt, wie es einem grauen Haupt zukam, aber wie der Alte zu ſterben ging, hat ihr der Kummer das Herz nicht gebrochen.
Da begrub ſie ihn in der Gruft ſeiner Väter, und ließ ihm von grauem Sandſtein ein Grabmal ſetzen, und ſtiftete eine ewige Lampe3 über das Grab; kam auch noch etliche Male zum Beten herunter, aber nicht allzuoft.
Dann ſaß Frau Hadwig allein auf der Burg Hohentwiel; es waren ihr die Erbgüter des Hauſes und mannigfalt Befugniß, im Land zu ſchalten und walten verblieben, ſowie die Schutzvoigtei über das Hoch - ſtift Conſtanz und die Klöſter um den See, und hatte ihr der Kaiſer gebrieft und geſiegelt zugeſagt, daß ſie als Reichsverweſerin in Schwa - ben gebieten ſolle, ſo lang der Wittwenſtuhl unverrückt bleibe. Die junge Wittib war von adeligem Gemüth und nicht gewöhnlicher Schönheit. Aber die Naſe brach unvermerkt kurz und ſtumpflich im Antlitz ab, und der holdſelige Mund war ein weniges aufgeworfen, und das Kinn ſprang mit kühner Form vor, alſo, daß das anmuthige Grüblein, ſo den Frauen ſo minnig anſteht, bei ihr nicht zu finden war. Und weſſen Antlitz alſo geſchaffen, der trägt bei ſcharfem Geiſt ein rauhes Herz im Buſen und ſein Weſen neigt zur Strenge. Darum flößte auch die Herzogin Manchem ihres Landes trotz der lichten Röthe ihrer Wangen einen ſonderbaren Schreck ein. 3)
An jenem nebligen Tag ſtand Frau Hadwig im Cloſet ihrer Burg und ſchaute in die Ferne hinaus. Sie trug ein ſtahlgrau Unterkleid, das in leichten Wellen über die geſtickten Sandalen wallte, drüber ſchmiegte ſich eine bis zum Knie reichende ſchwarze Tunica; im Gür - tel, der die Hüften umſchloß, glänzte ein koſtbarer Beryll. Ein gold - fadengeſtricktes Netz hielt das kaſtanienbraune Haar umfangen, doch unverwehrt umſpielten ſorgſam gewundene Locken die lichte Stirn.
Auf dem Marmortiſchlein am Fenſter ſtund ein phantaſtiſch ge - formtes dunkelgrün gebeiztes Metallgefäß, drin brannte ein fremdlän - diſch Räucherwerk, und wirbelte ſeine duftig weißen Wölklein zur Decke des Gemachs. Die Wände waren mit buntfarbigen gewirkten Tep - pichen umhangen.
Es gibt Tage, wo der Menſch mit Jeglichem unzufrieden iſt, und wenn er in Mittelpunkt des Paradiesgartens geſetzt würde, es wär 'ihm auch nicht recht. Da fliegen die Gedanken mißmuthig von dem zu jenem, und wiſſen nicht wo ſie anhalten ſollen, — aus jedem Winkel grinst ein Fratzengeſicht herfür, und wenn Einer ein fein Gehör hat, ſo mag er auch der Kobolde Gelächter vernehmen. Man ſagt dort - lands, der ſchiefe Verlauf ſolcher Tage rühre gewöhnlich davon her,1*4daß man frühmorgens mit dem linken Fuß zuerſt aus dem Bett ge - ſprungen ſei, was beſtimmtem Naturgeſetz zuwider.
Die Herzogin hatte heut ihren Tag. Sie wollte zum Fenſter hinausſchauen, da blies ihr ein feiner Luftzug den Nebel in's An - geſicht; das war ihr nicht recht. Sie hub einen zürnenden Huſten an. Wenn Sonnenſchein weit über's Land geglänzt hätte, ſie würde auch an ihm Etwas ausgeſetzt haben.
Der Kämmerer Spazzo war eingetreten und ſtand ehrerbietig am Eingang. Er warf einen wohlgefälligen Blick auf ſeine Gewandung, als wär 'er ſicher, ſeiner Gebieterin Augen heut auf ſich zu lenken, denn er hatte ein geſtickt Hemde von Glanzleinwand angelegt, und ein ſaphirfarbiges Oberkleid mit purpurnen Säumen, Alles nach neuſtem Schnitt; erſt geſtern war des Biſchofs Schneider von Conſtanz damit herübergekommen. 4)
Der Wolfshund deſſen von Fridingen hatte zwei Lämmer der Burgheerde zerriſſen, da gedachte Herr Spazzo pünktlichen Vortrag zu erſtatten und Frau Hadwig's fürſtliches Gutachten einzuholen, ob er in friedlichem Austrag ſich mit dem Herrn des Schädigers vergleichen, oder am nächſten Gaugericht Wehrgeld und Buße einklagen ſolle. 5)Er hub ſeinen Spruch an. Aber eh 'und bevor er zu Ende gekommen, ſah er, daß ihm die Fürſtin ein Zeichen machte, deſſen Bedeutung einem verſtändigen Mann nicht fremd bleiben konnte. Sie fuhr mit dem Zeigefinger der Rechten erſt nach der Stirn, dann wies ſie mit gleichem Finger nach der Thür. Da merkte der Käm - merer, daß es ſeinem eigenen Witz anheimgeſtellt ſei, nicht nur den Beſcheid wegen der Lämmer zu finden, ſondern auch ſich mit mög - lichſter Beſchleunigung zu entfernen. Er verbeugte ſich und ging.
Mit heller Stimme rief Frau Hadwig jetzt: Praxedis! — Und wie's nicht alſogleich die Stufen zum Saal heraufhuſchte, rief ſie noch einmal ſchärfer: Praxedis!
Es dauerte nicht lange, ſo ſchwebte die Gerufene in's Cloſet herein.
Praxedis war der Herzogin in Schwaben Kammerfrau, von grie - chiſcher Nation, ein lebend Angedenken, daß einſt des byzantiner Kaiſers Baſilius Sohn um Hadwig's Hand geworben. 6)Der hatte das des Geſangs und weiblicher Kunſtfertigkeit erfahrene Kind ſammt vielen Kleinodien und Schätzen der deutſchen Herzogstochter geſchenkt und als5 Gegengabe einen Korb erbeutet. Man konnte damals Menſchen ver - ſchenken, auch kaufen. Freiheit war nicht Jedem zu eigen. Aber eine Unfreiheit, wie ſie das Griechenkind auf der ſchwäbiſchen Herzogsburg zu tragen hatte, war nicht drückend.
Praxedis war ein blaſſes feingezeichnetes Köpfchen, aus dem zwei große dunkle Augen unſäglich wehmüthig und luſtig zugleich in die Welt vorſchauten. Das Haar trug ſie in Flechten um die Stirn ge - ſchlungen; ſie war ſchön.
Praxedis, wo iſt der Staar? ſprach Frau Hadwig.
Ich werd 'ihn bringen, ſagte die Griechin. Und ſie ging und brachte den ſchwarzen Geſellen, der ſaß breit und frech in ſeinem Käfig, als wenn ſein Daſein im Weltganzen eine klaffende Lücke aus - zufüllen hätte. Der Staar hatte bei Hadwig's Hochzeit ſein Glück gemacht. 7)Ein alter Fiedelmann und Gaukler hatte ihm unter lang - wieriger Mühſal einen lateiniſchen Hochzeitgruß eingetrichtert; das gab einen großen Jubel, wie beim Feſtſchmaus der Käfig auf den Tiſch geſtellt ward und der Vogel ſeinen Spruch ſprach: Es iſt ein neuer Stern am Schwabenhimmel aufgegangen, der Stern heißt Hadwig, Heil ihm! und ſo weiters.
Der Staar war aber tiefer gebildet. Er konnte außer dem ge - reimten Klingklang auch das Vaterunſer herſagen. Der Staar war auch hartnäckig und konnte ſeine Grillen haben, ſo gut wie eine Her - zogin in Schwaben.
Heute mußte dieſer eine Erinnerung an alte Zeit durch den Sinn geflogen ſein, der Staar ſollte den Hochzeitſpruch ſagen. Der Staar aber hatte ſeinen frommen Tag. Und wie ihn Praxedis in's Gemach trug, rief er feierlich: Amen! und wie Frau Hadwig ihm ein Stück Honigkuchen in Käfig reichte und ſchmeichelnd fragte: Wie war's mit dem Stern am ſchwäbiſchen Himmel, Freund Staar? da ſprach er langſam: Führe uns nicht in Verſuchung! Wie ſie aber zu Ergän - zung ſeines Gedächtniſſes ihm zuflüſterte: der Stern heißt Hadwig, Heil ihm! — da fuhr der Staar in ſeiner Melodie fort und into - nirte würdig: Erlöſe uns von dem Uebel!
Fürwahr das fehlt noch, daß auch die Vögel heutigen Tages unverſchämt werden, rief Frau Hadwig, Burgkatze, wo ſteckſt du? und ſie lockte die ſchwarze Katze herbei, der war der Staar6 ſchon lang ein Dorn im Auge, mit funkelnden Augen kam ſie ge - ſchlichen.
Frau Hadwig erſchloß den Käfig und überantwortete ihr den Vo - gel, der Staar aber, dem ſchon die ſcharfen Krallen das Gefieder zausten und etliche Schwungfedern geknickt hatten, erſah noch ein Gelegenheitlein und entwiſchte durch einen Spalt am Fenſter.
Bald war er verſchwunden, ein ſchwarzer Punkt im Nebel.
Eigentlich, ſprach Frau Hadwig, hätt 'ich ihn auch im Käfig be - halten können. Praxedis, was meinſt du?
Meine Herrin hat bei Allem Recht was ſie thut, erwiederte dieſe.
Praxedis, fuhr Frau Hadwig fort, hol mir meinen Schmuck. Mich geluſtet, eine goldene Armſpange anzulegen.
Da ging Praxedis, die immerwillige, und brachte der Herzogin Schmuckkäſtchen. Das war von getriebenem Silber, mit ſtarken un - fertigen Strichen waren etliche Geſtalten darin angebracht in erhabener Arbeit, der Heiland als guter Hirt, und Petrus mit dem Schlüſſel, und Paulus mit dem Schwert, ſammt allerhand Blattwerk und reich verſchlungener Zierrath, als wenn es früher zu Aufbewahrung von Reliquien gedient hätte. Es war durch Herrn Burkhard eingebracht worden, doch ſprach er nie gern davon, denn er kam zu ſelber Zeit von einer Fehde heimgeritten, darin er einen burgundiſchen Biſchof ſchwer überrannt und niedergeworfen hatte.
Wie die Herzogin das Käſtchen aufſchlug, gleißten und glänzten die Kleinodien mannigfalt auf dem rothen Sammtfutter. Bei ſolchen Denkzeichen der Erinnerung kommen allerhand alte Geſchichten heran - geſchwirrt. Auch das Bildniß des griechiſchen Prinzen Conſtantin lag dort, zierlich, geleckt und ſonder Geiſt vom byzantiner Meiſter auf Goldgrund gemalt.
Praxedis, ſprach Frau Hadwig, wie wär's geworden, wenn ich deinem ſpitznaſigen, gelbwangigen Prinzen die Hand gereicht hätte?
Meine Herrin, war Praxedis Antwort, es wäre ſicher gut geworden.
Ei, fuhr Frau Hadwig fort, erzähl 'mir Etwas von deiner lang - weiligen Heimath, ich möchte mir gern vorſtellen, was ich für einen Einzug in Conſtantinopolis gehalten hätte.
O Fürſtin, ſprach Praxedis, meine Heimath iſt ſchön — weh - müthig ließ ſie ihr dunkles Aug 'in die neblige Ferne gleiten — und7 ſolch trüber Himmel wenigſtens wär' Euch am Ufer des Marmor - meers für immer erſpart. Auch Ihr hättet den Schrei des Staunens nicht unterdrückt, wenn wir auf ſtolzer Galeere daher gefahren wären: an den ſieben Thürmen vorbei, da heben ſich zuerſt die glänzenden Maſſen, Paläſte, Kuppeln, Gotteshäuſer, Alles im blendend weißen Marmor aus den Brüchen der Inſel Prokonneſos, groß und ſtolz ſteigt die Lilie des Meeres aus dem blauen Grund auf, dort ein dunkler Wald von Cypreſſen, hier die rieſige Wölbung der hagia Sophia, auf und ab das weite Vorgebirg des goldenen Horns; gen - über am aſiatiſchen Geſtade grüßt eine zweite Stadt, und als blau - goldener Gürtel ſchlingt ſich das ſchiffbelaſtete Meer um den Zauber — o Herrin, auch im Traum vermag ich hier im ſchwäbiſchen Land den Glanz jenes Anblicks nicht wieder zu ſchauen.
Und dann, wenn die Sonne niedergeſtiegen und über flimmernden Meereswellen die ſchnelle Nacht aufgeht, der Königsbraut zu Ehren Alles im blaufahlen Glanz griechiſchen Feuers, — jetzt fahren wir in Hafen ein, die große Kette, die ihn ſonſt abſperrt, löst ſich dem Brautſchiff, Fackeln ſprühen am Ufer, dort ſteht des Kaiſers Leibwache, die Wa - räger mit ihren zweiſchneidigen Streitäxten, und die blauäugigen Nor - männer, dort der Patriarch mit zahlloſen Prieſtern, überall Muſik und Jubelruf, und der Königsſohn im Schmucke der Jugend empfängt die Verlobte, nach dem Palaſt von Blacharnae wallt der Feſtzug ...
Und all dieſe Herrlichkeit habe ich verſäumt, ſpottete Frau Had - wig. Praxedis, dein Bild iſt nicht vollſtändig. Und ſchon des andern Tages kommt der Patriarch und ertheilt der abendländiſchen Chriſtin einen ſcharfen Glaubensunterricht, was von all den Ketzereien zu hal - ten, die auf eurem verſtandesdürren Erdreich aufſprießen wie Stech - apfel und Bilſenkraut, — und was von den Bildern der Mönche und dem Concilſchluß zu Chalcedon und Nicaea; dann kommt die Großhof - meiſterin und lehrt die Geſetze der Sitte und Bewegung: ſo die Stirn gefaltet und ſo die Schleppe getragen, dieſen Fußfall vor dem Kaiſer und jene Umarmung der Frau Schwiegermutter, und dieſe Höflichkeit gegen jenen Günſtling, und jene gigantiſche Redensart gegen dieſes Unthier: Eure Gravität, Eure Eminenz, Eure erhabene und wunder - bare Größe! — was am Menſchen Lebensluſt und Kraft heißt, wird abgetödtet, und der Herr Gemahl gibt ſich auch als gefirnißtes Püpp -8 chen zu erkennen, eines Tages ſteht der Feind vor den Thoren, oder der Thronfolger iſt den Blauen und Grünen des Circus nicht genehm, der Aufſtand tobt durch die Straßen, und die deutſche Herzogstochter wird geblendet in's Kloſter geſteckt ... Was frommt's ihr dann, daß ihre Kinder ſchon in der Wiege mit dem Titel Alleredelſter be - grüßt wurden? Praxedis, ich weiß warum ich nicht nach Conſtanti - nopolis ging.
Der Kaiſer iſt der Herr der Welt, ſprach die Griechin; was der Wille ſeiner Ewigkeit ordnet, iſt wohlgethan: ſo hat man mich ge - lehrt.
Haſt du auch ſchon drüber nachgedacht, daß es dem Menſchen ein koſtbar Gut iſt, ſein eigner Herr zu ſein?
Nein, ſprach Praxedis.
Das angeregte Geſpräch behagte der Herzogin.
Was hat denn, fuhr ſie fort, Euer byzantiner Maler für einen Beſcheid heimgebracht, da er mein Conterfei fertigen ſollte?
Die Griechin ſchien die Frage überhört zu haben. Sie hatte ſich erhoben und ſtand am Fenſter.
Praxedis, ſprach Frau Hadwig ſcharf, antworte!
Da lächelte die Gefragte mild und ſagte: Das iſt ſchon eine lange Zeit her, aber Herr Michael Thallelaios hat wenig Gutes von Euch geſprochen. Die ſchönſten Farben habe er bereit gehalten, ſo erzählt 'er uns; und die feinſten Goldblättchen, Ihr ſeied ein reizend Kind geweſen, wie man Euch zum Gemaltwerden vor ihn führte, und es hab' ihn feierlich angemuthet, als ſollt er ſeine ganze Kunſt zuſammen - nehmen, wie damals als er die Mutter Gottes für's Athoskloſter malte. Aber die Prinzeſſin Hadwig hätten geruht, die Augen zu ver - drehen, und wie er eine beſcheidene Einwendung erhoben, hätten Eure Gnaden die Zunge gewieſen und beide Hände mit geſtreckten Fingern an die Naſe gehalten, und in anmuthig gebrochenem Griechiſch geſagt, das ſei die rechte Stellung.
Der Herr Hofmaler nahm Veranlaſſung, Vieles über den Mangel an Bildung in deutſchen Landen dran zu knüpfen, und hat einen hohen Schwur gethan, daß er zeitlebens dort kein Fräulein mehr malen wolle. Und der Kaiſer Baſilius hat auf den Bericht hin grimmig in Bart gebrummt ... 8)
9Laß Seine Majeſtät brummen, ſprach die Herzogin. Und flehe zum Himmel, daß er jeder Andern die Geduld verleihen möge, die mir da - mals ausging. Ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, einen Affen zu ſehen, aber Allem zufolge, was glaubwürdige Männer erzählen, reicht Herrn Michael's Ahnentafel zu jenen Mitgliedern der Schöpfung hinauf.
Sie hatte inzwiſchen die Armſpange angelegt, es waren zwei in - einander verſtrickte Schlangen, die ſich küßen,9) jede trug ein Krönlein auf dem Haupt. Da ihr unter dem vielen Geſchmucke jetzt ein ſchwerer ſilberner Pfeil unter die Hände gerathen war, ſo mußte auch er ſeinen Aufenthalt im Gefängniß des Schreins mit anderem Platze vertauſchen. Er ward durch die Maſchen des goldfadigen Haarnetzes gezogen.
Als wolle ſie des Schmuckes Wirkung prüfen, ging Frau Hadwig mit großen Schritten durch's Gemach. Ihr Gang war herausfordernd. Aber der Saal war leer; ſelbſt die Burgkatze war von dannen ge - ſchlichen. Spiegel waren keine an den Wänden. Der Zuſtand wohn - licher Einrichtung überhaupt ließ damals Manches zu wünſchen übrig.
Praxedis Gedanken waren noch bei der vorigen Geſchichte. Gnä - dige Gebieterin, ſprach ſie, er hat mich doch gedauert.
Wer?
Der Kaiſers Sohn. Ihr ſeid ihm im Traum erſchienen, ſagte er, und all ſein Glück hab 'er von Euch erhofft. Er hat auch geweint ...
Laß die Todten ruhen, ſprach Frau Hadwig ärgerlich. Nimm lieber die Laute und ſing mir das griechiſche Liedlein:
Sie iſt zerſprungen, war die Antwort, und alle Saiten zu Grund gerichtet, ſeit die Frau Herzogin geruhten, ſie ...
Sie dem Graf Boſo von Burgund an Kopf zu werfen, ergänzte Hadwig. Dem iſt nicht zu viel geſchehen, 's war gar nicht nothwen - dig, daß er uneingeladen zur Leichenfeier Herrn Burkhard's kam und mir Troſt zuſprechen wollte, als war 'er ein Heiliger. Laß die Laute flicken.
Sag 'mir indeß, du griechiſche Goldblume, warum hab' ich heut den feſtlichen Schmuck angelegt?
10Gott iſt allwiſſend, ſprach die Griechin, ich weiß es nicht. Sie ſchwieg. Frau Hadwig ſchwieg auch. Da trat eine jener ſchwülen inhaltsvollen Pauſen ein, wie ſie der Selbſterkenntniß vorangehen. Endlich ſprach die Herzogin: Ich weiß es auch nicht!
Sie ſchlug mißmuthig die Augen nieder: Ich glaube es geſchah aus langer Weile. Der Gipfel unſeres Hohentwiel iſt aber auch ein gar zu betrübtes Neſt — zumal für eine Wittib. Praxedis, weißt du ein Mittel gegen die lange Weile?
Ich hab 'einmal von einem weiſen Prediger gehört, ſprach Praxe - dis, es gäb' mannigfalte Mittel dawider: Schlafen, Trinken, Reiſen — das beſte ſei Faſten und Beten.
Da ſtützte Frau Hadwig ihr Haupt auf die lilienweiße Hand, ſah die dienſtbereite Griechin ſcharf an und ſprach: Morgen reiſen wir!
Des andern Tages fuhr die Herzogin ſammt Praxedis und großer Gefolgſchaft im lichten Schein des Frühmorgens über den Bodenſee. Der See war prächtig blau, die Wimpel flaggten luſtig, und war viel Kurzweil auf dem Schiff. Wer ſollt 'auch traurig ſein, wenn er über die kryſtallklare Waſſerfläche dahin ſchwebt, die baumumſäumten Geſtade mit Mauern und Thürmen ziehen in buntem Wechſel an ihm vorbei, fern dämmern die ſchneeigen Firnen und der Widerſchein des weißen Segels verzittert im Spiele der Wellen?
Keines wußte, wo das Ziel der Fahrt. Sie waren's aber ſo gewohnt.
Wie ſie an der Bucht von Rorſchach10) anfuhren, hieß die Her - zogin einlenken. Zum Ufer ſteuerte das Schiff, über's ſchwanke Brett ſtieg ſie an's Land. Und der Waſſerzoller kam herbei, der dort den Welſchlandfahrern das Durchgangsgeld abnahm, und der Weibel des Markts und Wer immer am jungen Hafenplatz ſeßhaft war, ſie riefen11 der Landesherrin ein rauhes: Heil Herro! Heil Liebo!11) zu und ſchwangen mächtige Tannenzweige. Grüßend ſchritt ſie durch die Reihen und gebot ihrem Kämmerer, etliche Silbermünzen auszuwerfen, aber es galt kein langes Verweilen. Schon ſtanden die Roſſe bereit, die waren zur Nachtzeit insgeheim vorausgeſchickt worden; wie Alle im Sattel ſaßen, ſprach Frau Hadwig: Zum heiligen Gallus! Da ſchau - ten ſich die Dienſtleute verwundert an: Was ſoll uns die Wallfahrt? Zum Antworten war's nicht Zeit, ſchon ging's im Trab das hügelige Stück Landes hinauf, dem Gotteshaus entgegen.
Sanct Benedict und ſeine Schüler haben die bauliche Anlage ihrer Klöſter wohl verſtanden. Land ab, Land auf, ſo irgendwo eine An - ſiedelung ſteht, die gleich einer Feſtung einen ganzen Strich beherrſcht, als Schlüſſel zu einem Thal, als Mittelpunkt ſich kreuzender Heer - ſtraßen, als Hort des feinſten Weinwuchſes: ſo mag der Vorüberwan - dernde bis auf weitere Widerlegung die Vermuthung ausſprechen, daß ſothanes Gotteshaus dem Orden Benedicti zugehöre oder vielmehr zu - gehört habe, denn heutigen Tages ſind die Klöſter ſeltener und die Wirthshäuſer häufiger, was mit ſteigender Bildung zuſammenhängt.
Auch der iriſche Gallus hatte einen löblichen Platz erwählt, da er, nach Waldluft gierig,12) in helvetiſcher Einöde ſich feſtſetzte; ein hoch - gelegenes Thal, durch dunkle Bergrücken von den milderen Geſtaden des See's geſondert, ſteinige Waldbäche brauſen vorüber, und die rieſigen Wände des Alpſteins, deſſen Spitzen mit ewigem Schnee um - hüllt im Gewölke verſchwinden, erheben ſich als ſchirmende Mauer zur Seite.
Es war ein ſonderbarer Zug, der jene Glaubensboten von Albion und Erin auf's germaniſche Feſtland führte. Genau beſehen iſt's ihnen kaum zu allzu hohem Verdienſt anzurechnen. „ Die Gewohnheit in die Fremde zu ziehen, iſt den Briten ſo in die Natur gewachſen, daß ſie nicht anders können “;13) ſchrieb ſchon in Karl des Großen Tagen ein unbefangener ſchwäbiſcher Mann. Sie kamen, als Vorfahren der heutigen Touriſten, man kannte ſie ſchon von Weitem am fremdartig zugeſchnittenen Felleiſen. 14)Und ein Mancher blieb haften und ging nimmer heim, wiewohl die ehrſamen Landesbewohner ihn für ſehr un - nöthig halten mochten. Aber die größere Zähigkeit, das Erbtheil bri - tiſchen Weſens, lebensgewandte Kunſt ſich einzurichten und beim Volk12 die myſtiſche Ehrfurcht vor dem Fremden gab ihren Strebungen im Dienſt der Kirche Beſtand.
Andere Zeiten, andere Lieder! Heute bauen die Enkel jener Hei - ligen den Schweizern für gutes eidgenöſſiſches Geld die Eiſenbahn. 15)
Aus der ſchmuckloſen Zelle an der Steinach, wo der iriſche Ein - ſiedel ſeine Abenteuer mit Dornen, Bären und geſpenſtigen Waſſer - weibern beſtand, war ein umfangreich Kloſter emporgewachſen. Statt - lich ragte der achteckige Thurm der Kirche aus den ſchindelgedeckten Dächern der Wohngebäude, Schulhäuſer, Kornſpeicher, Kellerei und Scheunen waren daran gebaut, auch ein klappernd Mühlrad ließ ſich hören, denn aller Bedarf zum Lebensunterhalt muß in des Kloſters nächſter Nähe bereitet werden, auf daß es den Mönchen nicht noth - wendig falle, in die Ferne zu ſchweifen, was ihrem Seelenheil un - dienſam. Eine feſte Ringmauer mit Thurm und Thor umſchloß das Ganze, minder des Zierraths, als der Sicherheit halber, maßen man - cher Gewaltige im Land das Gebot: laß dich nicht gelüſten deines Nachbars Gut! dazumal nicht allzuſtrenge einhielt.
Es war Mittagszeit vorüber, ſchweigende Ruhe lag über dem Thal. Des heiligen Benedict Regel ordnet für dieſe Stunde, daß ein Jeder ſich ſtill auf ſeinem Lager halte, und wiewohl von der gliederlöſen - den Gluth italiſcher Mittagsſonne, die Menſchen und Thier in des Schlummers Arme treibt, dieſſeits der Alpen wenig zu verſpüren, folgten ſie im Kloſter doch pflichtgemäß dem Gebot. 16)
Nur der Wächter auf dem Thorthurm ſtand, wie immer, treulich und aufrecht im mückendurchſummten Stüblein.
Der Wächter hieß Romeias und hielt gute Wacht. Da hörte er durch den nahen Tannwald ein Roßgetrabe; er ſpitzte ſein Ohr nach der Richtung. Acht oder zehn Berittene! ſprach er nach prüfendem Lauſchen; er ließ das Fallgatter vom Thor herniederraſſeln, zog das Brücklein was über den Waſſergraben führte auf, und langte ſein Horn vom Nagel. Und weil ſich einiges Spinnweb drin feſtgeſetzt hatte, reinigte er daſſelbe.
Jetzt kamen die Vorderſten des Zuges am Waldesſaum zum Vorſchein. Da fuhr Romeias mit der Rechten über die Stirn, und that einen ſonderbarlichen Blick hinunter. Das Endergebniß ſeines Blicks war eine Wort: Weibervölker!? — er ſprach's halb fragend, halb13 als Ausruf, und lag weder Freudigkeit noch Auferbauung in ſeinem Worte. Er griff ſein Horn und blies dreimal hinein. Es war ein ungefüger ſtiermäßiger Ton, den er hervor lockte, und war dem Horn - blaſen deutlich zu entnehmen, daß weder Muſen noch Grazien die Wiege des Romeias zu Villingen im Schwarzwald umſtanden hatten.
Wenn Einer im Wald ſich umgeſchaut hat, ſo hat er ſicher ſchon das Getrieb eines Ameiſenhaufens angeſehen. Da iſt Alles wohlge - ordnet und geht ſeinen gemeinſamen Gang und freut ſich der Ruhe in der Bewegung: itzt fährſt du mit deinem Stab darein und ſcheu - cheſt die Vorderſten: da bricht Verwirrung aus, Rennen und wim - melnder Zuſammenlauf — Alles hat der eine Stoß verſtört. Alſo und nicht anders fuhr der Stoß aus Romeias Horn aufjagend in's ſtille Kloſter.
Da füllten ſich die Fenſter am Saal der Kloſterſchulen mit neu - gierigen jungen Geſichtern, manch lieblicher Traum in einſamer Zelle entſchwebte, ohne ſeinen Schluß zu finden, manch tiefſinnige Medita - tion halbwachender Denker desgleichen; der böſe Sindolt, der in dieſer Stunde auf ſeinem Schragen des Ovidius verboten Büchlein von der Kunſt zu lieben zu ergründen pflegte, rollte eiligſt die pergamentnen Blätter zuſammen und barg ſie im ſchützenden Verſteck ſeines Stroh - ſacks.
Der Abt Cralo ſprang aus ſeinem Lehnſtuhl und reckte ſeine Arme der Decke des Gemachs entgegen, ein ſchlaftrunkener Mann; auf ſchwerem Steintiſch ſtund ein prachtvoll ſilbern Waſſerbecken,17) darein tauchte er den Zeigefinger und netzte die Augen, des Schlummers Reſt zu vertreiben. Dann hinkte er zum offenen Söller ſeines Erkers und ſchaute hinab.
Und er ward betrüblich überraſcht, als wär 'ihm eine Wallnuß auf's Haupt gefallen: heiliger Benedict, ſei mir gnädig, meine Baſe, die Herzogin!
Sofort ſchürzte er ſeine Kutte, ſtrich den ſchmalen Büſchel Haare zurecht, der ihm inmitten des kahlen Scheitels noch ſtattlich empor - wuchs gleich einer Fichte im öden Sandfeld;18) hing das güldene Kettlein mit dem Kloſterſigill um, nahm ſeinen Abtsſtab von Apfel - baumholz, d'ran der reichverzierte Elfenbeingriff erglänzte, und ſtieg in Hof hernieder.
14Wird's bald? rief einer der Berittenen draußen. Da gebot er dem Wächter, daß er die Angekommenen nach ihrem Begehr frage. Romeias that's.
Jetzt ward draußen in's Horn geſtoßen, der Kämmerer Spazzo ritt als Herold an's Thor und rief mit tiefer Stimme:
Die Herzogin und Verweſerin des Reichs in Schwabenland entbeut dem heiligen Gallus ihren Gruß. Schaffet Einlaß!
Der Abt ſeufzte leiſe auf. Er ſtieg auf Romeias Warte; an ſeinen Stab gelehnt gab er denen vor dem Thor den Segen und ſprach:
Im Namen des heiligen Gallus dankt der Unwürdigſte ſeiner Jünger für den erlauchten Gruß. Aber ſein Kloſter iſt keine Arche, drin jegliche Gattung von Lebendigem, Reines und Unreines, Männ - lein und Weiblein Eingang findet. Darum — ob auch das Herz von Betrübniß erfüllt wird, iſt Einlaß ſchaffen ein unmöglich Ding. Der Abt muß am Tag des Gerichts Rechenſchaft ablegen über die ſeiner Hut vertrauten Seelen. Die Nähe einer Frau, und wär 'ſie auch die erlauchteſte im Lande, und der hinfällige Scherz der Kinder dieſer Welt wär' allzu große Verſuchung für die, ſo zuerſt nach dem Reich Gottes und ſeiner Gerechtigkeit trachten müſſen. Beſchweret das Ge - wiſſen des Hirten nicht, der um ſeine Lämmer Sorge trägt. Cano - niſche Satzung ſperrt das Thor.
Die gnädige Herzogin wird in Trogen oder Rorſchach des Kloſters Villa zu ihrer Verfügung finden ...
Frau Hadwig ſaß ſchon lange ungeduldig im Sattel; jetzt ſchlug ſie mit der Reitgerte ihren weißen Zelter, daß er ſich mäßig bäumte, und rief lachenden Mundes:
Spart die Umſchweife, Vetter Cralo, ich will das Kloſter ſehen!
Wehmüthig hub der Abt an: Wehe dem, durch welchen Aergerniß in die Welt kommt. Ihm wäre heilſamer, daß an ſeinem Hals ein Mühlſtein ...
Aber ſeine Warnung kam nicht zu Ende. Frau Hadwig änderte den Ton ihrer Stimme: Herr Abt, die Herzogin in Schwaben muß das Kloſter ſehen! ſprach ſie ſcharf.
Da ward es dem Schwergeprüften klar, daß weiterer Widerſpruch kaum möglich ohne große Gefahr für des Gotteshauſes Zukunft. 15Noch ſträubte ſich ſein Gewiſſen. Wenn Einer in zweifelhafter Lage aus ſich ſelber keine Auskunft zu ſchöpfen weiß, iſt's dem ſchwanken Gemüth wohlthätig, Andere zu gutem Rath beizuziehen, das nimmt die Verantwortung und deckt den Rücken.
Darum rief Herr Cralo jetzt hinunter: Da Ihr hartnäckig darauf beſteht, muß ich's der Rathsverſammlung der Brüder vortragen. Bis dahin geduldet Euch!
Er ſchritt zurück über den Hof, im Herzen den ſtillen Wunſch, daß eine Sündfluth vom Himmel die Heerſtraße zerſtören möge, die ſo leichtlich unberufenen Beſuch herbeiführe. Sein hinkender Gang war eilig und aufgeregt, und es iſt nicht zu verwundern, daß berichtet wird, er ſei in ſelber Zeit in dem Kloſtergang auf - und abgeflattert wie ein Schwälblein vor dem Gewitter. 19)
Fünfmal erklang jetzt das Glöcklein von des heiligen Othmar Kapelle neben der Hauptkirche, und rief die Brüder zum Kapitelſaal. Und der einſame Kreuzgang belebte ſich mit einherwandelnden Geſtal - ten; genüber vom ſechseckigen Ausbau, wo unter ſäulengetragenen Rundbogen der Springquell anmuthig in die metallene Schaale nie - derplätſcherte, war der Ort der Verſammlung, eine einfache graue Halle; auf erhöhtem Ziegelſteinboden hob ſich des Abts Marmorſtuhl, dran zwei rohe Löwenköpfe ausgehauen, Stufen führten hinauf. Ver - gnüglich ſtreift das Auge von dort an den dunkeln Pfeilern und Säu - len vorüber in's Grün des Gärtleins im innern Hofe; Roſen und Malven blühten drin empor; die Natur ſucht gütig auch die heim, die ſich ihr abgekehrt.
In ſcharfem Gegenſatz der Farbe hoben ſich die weißen Kutten und dunkelfarbigen Oberkleider vom Steingrau der Wände; lautlos traten die Berufenen ein, flüchtig Nicken des Hauptes war der gegen - ſeitige Gruß; wärmender Sonnenſtrahl fiel durch's ſchmale Fenſter auf ihre Reihen.
Es waren erprobte Männer, ein heiliger und Gott wohlgefälliger Senat. 20)
Der mit dem ſchmächtigen Körper und dem ſcharfen von Faſten und Nachtwachen geblaßten Antlitz, war Notker der Stammler; ein wehmüthig Zucken ſpielte um ſeine Lippen, lange Uebung der Askeſis hatte ſeinen Geiſt der Gegenwart entrückt. Früher hatt 'er gar ſchöne16 Singweiſen erdacht, jetzt war er verdüſtert und ging in der Stille der Nacht den Dämonen nach, mit ihnen zu kämpfen; in der Krypta des heiligen Gallus hatte er jüngſt den Teufel erreicht und ſo darnieder - geſchlagen, daß er mit lautem Auwehſchrei in einen Winkel ſich barg; und ſeine Neider ſagten, auch ſein ſchwermüthiges Lied media vita ſei unheimlichen Urſprungs und vom böſen Feind geoffenbart als Löſe - geld, da er ihn in ſeiner Zelle ſiegreich zuſammengetreten unter ſtar - kem Fuße feſthielt.
Aber neben ihm lächelte ein gutmüthig ehrenfeſt Geſicht aus eis - grauem Bart herfür; der ſtarke Tutilo war's, der ſaß am liebſten vor der Schnitzbank und ſchnitzte die wunderfeinen Bildwerke in Elfen - bein, noch gibt das Diptychon mit Maria's Himmelfahrt und dem Bären des heiligen Gallus Zeugniß von ſeiner Kunſt. Aber wenn ihm der Rücken ſich krümmen wollte von der Arbeit Laſt, zog er ſin - gend hinab auf die Wolfsjagd oder ſuchte einen ehrlichen Fauſtkampf zur Erholung, er focht lieber mit böſen Menſchen als mit nächtlichem Spuck und ſagte oft im Vertrauen zu ſeinem Freund Notker: Wer ſo Manchem in Chriſtenheit und Heidenſchaft ein blaues Denkzeichen ver - abreicht, wie ich, kann der Dämonomachia entbehren.
Auch Ratpert kam herzu, der lang erprobte Lehrer der Schule, der immer unwillig auffuhr, wenn ihn das Kapitelglöcklein von ſeinen Geſchichtsbüchern abrief. In vornehmer Haltung trug er das Haupt; er und die beiden Andern waren ein Herz und eine Seele, ein drei - blättriger Kloſterklee, ſo verſchieden auch ihr Weſen. 21)Weil er un - ter den letzten in Saal trat, kam Ratpert neben ſeinen Widerſacher zu ſtehen, den böſen Sindolt, der that, als ſähe er ihn nicht und flüſterte ſeinem Nachbar Etwas zu, der war ein klein Männlein mit einem Geſicht wie eine Spitzmaus und kniff den Mund zuſammen, denn Sindolt hatte ihm ſo eben zugeraunt, im großen Wörterbuch des Biſchof Salomo22) ſei zu der Gloſſe: „ Rabuliſta bedeutet Einen der über jeglich Ding der Welt disputiren will, “von unbekannter Hand zugeſchrieben worden: „ wie Radolt, unſer Denkmann. “
Aus dem Dunkel im Saalesgrund ragte Sintram hervor, der un - ermüdliche Schönſchreiber, deſſen Schriftzüge die ganze cisalpiniſche Welt bewunderte;23) die größten von Sanct Gallus Jüngern an Maaß der Körpers waren die Schotten, die am Eingang ihren Stand nahmen,17 Fortegian und Failan, Dubslan und Brendan und wie ſie Alle hießen, eine untrennbare Landsmannſchaft, aber mißvergnügt über Zurückſetzung; auch der rothbärtige Dubduin ſtand dabei, der trotz der ſchweren eiſer - nen Bußkette nicht zum Probſt gewählt ward und zur Strafe für ſeine beißenden Schmähverſe auf die deutſchen Mitbrüder drei Jahre lang den dürren Pfirſichbaum im Kloſtergarten begießen mußte.
Und Notker der Arzt ſtund unter den Verſammelten, der erſt jüngſt des Abts hinkendem Fuß die große Heilkur verordnet hatte mit Einreibung von Fiſchgehirn und Umſchlag einer friſch abgezogenen Wolfshaut, auf daß die Wärme des Pelzes die gekrümmten Sehnen gerad biege;24) ſie hießen ihn das Pfefferkorn ob ſeiner Strenge in Handhabung der Kloſterzucht; — und Wolo, der keine Frau an - ſehen konnte und keine reifen Aepfel,25) und Engelbert der Einrichter des Thiergartens, und Gerhard der Prediger und Folkard der Maler: Wer kennt ſie Alle, die löblichen Meiſter, bei deren Aufzählung ſchon das nächſtfolgende Kloſtergeſchlecht wehmüthig bekannte, daß ſolche Män - ner von Tag zu Tag ſeltener würden?
Jetzo beſtieg der Abt ſeinen ragenden Steinſitz und ſie rathſchlag - ten, was zu thun. Der Fall war ſchwierig. Ratpert trat auf und wies aus den Aufzeichnungen vergangener Zeit nach, auf welche Art einſt dem großen Kaiſer Karl ermöglicht worden, in des Kloſters In - neres zu kommen. 26)Damals, ſprach er, ward angenommen, er ſei ein Ordensbruder, ſo lang er in unſern Räumen weile, und Alle thaten als ob ſie ihn nicht kennten; kein Wort ward geſprochen von kaiſerlicher Würde und Kriegsthaten oder demüthiger Huldigung, er mußte einherwandeln wie ein Anderer auch, und daß er deß nicht be - leidigt war, iſt der Schutzbrief, den er beim Abzug über die Mauern hereinwarf, Zeuge.
Aber damit war das große Bedenken, daß jetzt eine Frau Einlaß begehrte, nicht gelöst. Die ſtrengeren Brüder murrten und Notker das Pfefferkorn ſprach: Sie iſt die Wittib jenes Landverwüſters und Kloſter - ſchädigers, der den koſtbarſten Kelch bei uns als Kriegsſteuer erhob27) und höhnend dazu ſagte: Gott ißt nicht und trinkt nicht, was nutzen ihm die güldenen Gefäße? Laßt ihr das Thor geſchloſſen!
Das war jedoch dem Abt nicht recht. Er ſuchte einen Ausweg. Die Berathung ward ſtürmiſch, ſie ſprachen hin und her. Der BruderD. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 218Wolo, da er hörte, daß von einer Frau die Rede, ſchlich leis von dan - nen und ſchloß ſich in ſeine Zelle.
Da hob ſich unter den Jüngeren Einer und erbat das Wort.
Sprechet, Bruder Ekkehard,28) rief der Abt.
Und das wogende Gemurmel verſtummte; alle hörten den Ekke - hard gern. Er war jung an Jahren, von ſchöner Geſtalt, und feſſelte Jeden der ihn ſchaute durch ſittige Anmuth; dabei weiſe und beredt, von klugverſtändigem Rath und ein ſcharfer Gelehrter. An der Kloſter - ſchule lehrte er den Virgilius, und wiewohl in der Ordensregel ge - ſchrieben ſtand: zum Pörtner ſoll ein weiſer Greis erwählt werden, dem geſetztes Alter das Irrlichteliren unmöglich macht, damit die An - kommenden mit gutem Beſcheid empfangen ſeien, ſo waren die Brüder eins, daß er die erforderlichen Eigenſchaften beſitze und hatten ihm auch das Pörtneramt übertragen.
Ein kaum ſichtbares Lächeln war über ſeinen Lippen gelegen, die - weil die Alten ſich ſtritten. Jetzt erhob er ſeine Stimme und ſprach:
Die Herzogin in Schwaben iſt des Kloſters Schirmvogt und gilt in ſolcher Eigenſchaft als wie ein Mann. Und wenn in unſerer Satzung ſtreng geboten iſt, daß kein Weib den Fuß über des Kloſters Schwelle ſetze: man kann ſie ja darüber tragen.
Da heiterten ſich die Stirnen der Alten, als wäre Jedem ein Stein vom Herzen gefallen, beifällig nickten die Capuzen, auch der Abt war des verſtändigen Wortes nicht unbewegt und ſprach:
Fürwahr, oftmals offenbart der Herr einem Jüngeren das Dien - lichſte,29) Bruder Ekkehard, Ihr ſeid ſanft wie die Taube aber klug wie die Schlange, ſo ſollt Ihr des eigenen Raths Vollſtrecker ſein. Wir geben Euch Dispens.
Dem Pörtner ſchoß das Blut in die Wangen, er verbeugte ſich ſeinen Gehorſam anzudeuten.
Und der Herzogin weibliche Begleitung? frug der Abt weiter. Da wurde der Convent eins, daß für dieſe auch die freimüthigſte Geſetzesauslegung keine Möglichkeit des Eintritts eröffne. Der böſe Sindolt aber ſprach: Die mögen indeſſen zu den Klausnerinnen auf den Irenhügel gehen, wenn des heiligen Gallus Heerde von einer Landplage heimgeſucht wird, ſoll die fromme Wiborad auch ein Theil daran leiden.
19Der Abt pflog noch eine lange flüſternde Verhandlung mit Gerold dem Schaffner, wegen des Vesperimbiſſes; dann ſtieg er von ſeinem Steinſitz und zog mit der Brüder Schaar den Gäſten entgegen. Die waren draußen ſchon dreimal um des Kloſters Umfriedung herumge - ritten und hatten ſich mit Glimpf und Scherz des Wartens Ungeduld vertrieben.
In der Tonweiſe: justus germinavit kamen itzt die eintönigen ſchweren Klänge des Loblieds auf den heiligen Benedictus aus dem Kloſterhof zu den Wartenden gezogen, das ſchwere Thor knarrte auf, heraus ſchritt der Abt, paarweiſe langſamen Ganges der Zug der Brüder, die beiden Reihen erwiederten ſich die Strophen des Hymnus.
Dann gab der Abt ein Zeichen, daß der Geſang verſtumme. Wie geht's Euch, Vetter Cralo, rief die Herzogin leichtfertig vom Roß, hab 'Euch lange nicht geſehen. Hinket Ihr noch?
Cralo aber ſprach ernſt: Es iſt beſſer der Hirt hinke als die Heerde. 30)Vernehmet des Kloſters Beſchluß.
Und er eröffnete die Bedingung, die ſie auf den Eintritt geſetzt. Da ſprach Frau Hadwig lächelnd: So lang ich den Scepter führe in Schwabenland, iſt mir ein ſolcher Vorſchlag nicht gemacht worden. Aber Eures Ordens Vorſchrift ſoll von uns kein Leides geſchehen, welchem der Brüder habt Ihr's zugewieſen, die Landesherrin über die Schwelle zu tragen?
Sie ließ ihr funkelnd Auge über die geiſtliche Heerſchaar ſtreifen. Wie ſie auf Notker des Stammlers unheimlich Schwärmerantlitz traf, flüſterte ſie leiſe der Griechin zu: Möglich, daß wir gleich wieder umkehren!
Da ſprach der Abt: Das iſt des Pörtners Amt, dort ſteht er.
Frau Hadwig wandte den Blick in der Richtung, die des Abts Zeigefinger wies, geſenkten Hauptes ſtund Ekkehard, ſie erſchaute die ſinnige Geſtalt im rothwangigen Schimmer der Jugend, es war ein langer Blick, mit dem ſie über die gedankenbewegten Züge und das wallende gelbliche Haupthaar und die breite Tonſur ſtreifte.
Wir kehren nicht um! nickte ſie zu ihrer Begleiterin, und bevor der kurzhalſige Kämmerer, der meiſtentheils den guten Willen und das Zuſpätkommen hatte, vom Gaul herab und ihrem Schimmel ge - naht war, ſprang ſie anmuthig aus dem Bügel, trat auf den Pört - ner zu und ſprach: — So thut was Eures Amtes!
2*20Ekkehard hatte ſich auf eine Anrede beſonnen und gedachte mit Anwendung tadelloſen Lateins die ſonderbare Freiheit zu rechtfertigen, aber wie ſie ſtolz und gebietend vor ihm ſtand, verſagte ihm die Stimme und die Rede blieb, wo ſie entſtanden — in ſeinen Gedanken. Aber er war unverzagten Muthes und umfaßte mit ſtarkem Arm die Her - zogin, die ſchmiegte ſich vergnüglich an ihren Träger, und lehnte den rechten Arm auf ſeine Schulter. Fröhlich ſchritt er unter ſeiner Bürde über die Schwelle, die kein Frauenfuß berühren durfte, der Abt ihm zur Seite, Kämmerer und Dienſtmannen folgten, hoch ſchwangen die dienenden Knaben ihre Weihrauchfäſſer, und die Mönche wandelten in gedoppelter Reihe, wie ſie gekommen, hinterdrein, die letzten Strophen ihres Loblieds ſingend.
Es war ein wunderſam Bild, wie es vor und nachmals in des Kloſters Geſchichte nicht wieder vorkam, und ließen ſich von Freunden unnützer Worte an den Mönch, der die Herzogin trug, erſprieß - liche Bemerkungen anknüpfen über das Verhältniß der Kirche zum Staat in damaligen Zeiten und deſſen Aenderung in der Gegen - wart ...
Die Naturverſtändigen ſagen, daß durch Annäherung belebender Körper unſichtbar wirkende Kräfte thätig werden, ausſtrömen, in ein - ander übergehen und ſeltſamliche Beziehungen herſtellen. Das mochte ſich auch an der Herzogin und dem Pörtner bewähren; dieweil ſie ſich in ſeinen Armen wiegte, gedachte ſie leiſe: „ Fürwahr, noch Keinem hat Sanct Benedicts Capuze anmuthiger geſeſſen, als dieſem “,31) und wie er im kühlen Kloſtergang ſeine Bürde mit ſchüchternem Anſtand ab - ſetzte, fiel ihm Nichts auf, als daß ihm die Strecke vom Thor bis hierher noch niemals ſo kurz vorgekommen.
Ich bin Euch wohl ſchwer gefallen? ſprach die Herzogin.
Hohe Herrin, Ihr mögt kecklich ſagen, wie da geſchrieben ſteht: mein Joch iſt ſanft und meine Bürde iſt leicht, war ſeine Erwie - derung.
Ich hätte nicht gedacht, ſprach ſie darauf, daß Ihr die Worte der Schrift zu einer Schmeichelrede anwendet. Wie heißet Ihr?
Er antwortete: Sie nennen mich Ekkehard.
Ekkehard, ich danke Euch! ſagte die Herzogin mit anmuthvoller Handbewegung.
21Er trat zurück an ein Bogenfenſter im Kreuzgang und ſchaute hinaus in's Gärtlein. War's ein Zufall, daß ihm jetzt der heilige Chriſtophorus vor die Gedanken trat?
Dem däuchte ſeine Bürde auch leicht, da er anhub, das fremde Kindlein auf ſtarker Schulter über den Strom zu tragen, aber ſchwer und ſchwerer ſenkte ſich die Laſt auf ſeinen Nacken und preßte ihn hinab in die brauſende Fluth, tief, tief, daß ſein Muth ſich neigen wollt zu verzweifeln ...
Der Abt hatte einen köſtlichen Henkelkrug bringen laſſen, damit ging er ſelber zum Springquell, füllte ihn und trat vor die Herzogin: der Abt ſoll den Fremden das Waſſer darbringen, ihre Hand zu netzen, ſprach er, und ſich ſammt der ganzen Brüderſchaft auch zur Fußwaſchung —
Wir danken, fiel ihm Frau Hadwig in die Rede. Sie ſprach's mit entſchiedenem Ton. Indeß hatten zwei der Brüder eine Truhe herabgeholt, ſie ſtand geöffnet im Gang. Drein griff itzt der Abt, zog eine funkelneue Kutte herfür, und ſprach: So ernenne ich denn unſeres Kloſters erlauchten Schirmvogt zum Mitglied und zugeſchrie - benen Bruder, und ſchmück 'ihn deſſen zum Zeugniß mit des Ordens Gewandung. 32)
Frau Hadwig fügte ſich. Leicht bog ſie das Knie, da ſie die Kutte aus ſeinen Händen empfing, ſie warf das ungewohnte Klei - dungsſtück um, es ſtand ihr gut, faltig war's und weit, wie die Regel beſagt: Der Abt ſoll ein ſcharfes Auge haben, daß die Gewän - der nicht zu kurz ſeien für ihre Träger, ſondern wohlgemeſſen.
Reizend ſah das lichte Frauenantlitz aus der dunkeln Capuze.
Für euch gilt das Gleiche! rief nun der Abt zu der Herzogin Gefolge. Da hatte der böſe Sindolt ſeine Freude dran, Herrn Spazzo einzukleiden. Und wißt Ihr auch, raunte er ihm in's Ohr, was die Kutte für Euch zu bedeuten hat? — Daß Ihr die Gelüſte der Welt abſchwöret und einen mäßigen, armen und keuſchen Wandel gelobet für immerdar!
Herr Spazzo war ſchon mit dem rechten Arm in das faltige Ordensgewand gefahren, ſchnell zog er ihn wieder zurück: Halt an, zürnte er, da muß ich Einſprache thun! Sindolt ſchlug ein Gelächter auf, da merkte der Kämmerer, es ſei ſo ernſt nicht gemeint und ſprach: Bruder, Ihr ſeid ein Schalk.
22Bald prangten auch die Gefolgsmänner im Schmuck des Ordens - kleides, manchem der neuerſchaffenen Mönche hing der lange Bart ordnungswidrig bis an Gürtel, und das ſittige Niederſchlagen des Blicks gelang noch nicht ganz nach Vorſchrift. 33)
Der Abt geleitete ſeine Gäſte zuerſt zur Kirche.
Einer von denen, die am wenigſten ſich des unerwarteten Beſuches ergötzten, war Romeias der Wächter am Thor. Er wußte ungefähr, was ihm bevorſtand, aber nicht Alles. Während der Abt die Her - zogin empfing, kam Gerold der Schaffner zu ihm und ſprach: Ro - meias, rüſtet Euch auszuziehen! Ihr ſollt auf den nächſten Maierhöfen anſagen, daß ſie noch heut vor Abend die ſchuldigen Hühner34) zu Ausſchmückung der Mahlzeit ſchicken und ſollt einen guten Biſſen Wildpret beſchaffen.
Deß war Romeias zufrieden. Es fügte ſich nicht zum erſten Male, daß er das Gaſthuhn zu heiſchen ging, und die Maier und Kellerer auf den Höfen duckten ſich des Romeias Worten, denn er hatte eine kräftige Sprache zum Anbefehlen. Des Waidwerks aber freute er ſich zu jeder Zeit. Darum nahm Romeias ſeinen Jagdſpieß, hing die Armbruſt über und wollte gehen ein Rudel Hunde zu löſen. Gerold der Schaffner aber zupfte ihn am Gewand und ſagte: Romeias, noch Etwas! Ihr ſollet auch der Herzogin Frauenzimmer, denen der Ein - tritt verwehrt iſt, hinauf in's Schwarzathal führen, und der frommen Wiborad vorſtellen, daß ſie bei ihr Kurzweil finden bis der Abend kommt. Und ſollet fein artig ſein, Romeias, es iſt eine Griechin da - bei mit gar dunkeln Augen ...
Da legten ſich drei tiefe Falten über Romeias Stirn, und er ſtieß den Jagdſpieß auf den Boden, daß es klirrte: Weibervölker be -23 gleiten?! rief er, — dazu iſt der Wächter am Thor des heiligen Gallus nicht nutz!
Gerold aber nickte ihm bedeutungsvoll zu und ſprach: Ihr müßt's verſuchen, Romeias. Iſt's nicht ſchon zugetroffen, daß Wächter, die ihren Auftrag getreulich erfüllten, des Abends einen großen Steinkrug Kloſterwein in ihrem Stüblein vorfanden? Halloh, Romeias!
Des Mißmuthigen Antlitz heiterte ſich. Und er ging hinab in Hof und löste die Hunde; der Spürhund und der Leithund ſprangen an ihm hinauf, auch das Biberhündlein kläffte vergnüglich und wollte mit ausziehen,35) aber verächtlich jagte er's heim, der Fiſchteich und ſeine Inſaſſen gingen den Waidmann nichts an. Von ſeinen Rüden umbellt, ſchritt er vor's Thor.
Praxedis und die andern dienenden Frauen der Herzogin waren von den Pferden geſtiegen und ſaßen auf einem Rain im Sonnen - ſchein und hatten viel mit einand zu ſchwatzen von Mönchen und Kutten und Bärten und ſonderbaren Launen ihrer Herrſchaft. Da trat Ro - meias vor ſie hin und ſprach: Vorwärts!
Praxedis muſterte den wilden Jägersmann und war ſich nicht klar, was ſie aus ihm machen ſollte; mit ſchnippiſcher Stimme fragte ſie: Wohin, guter Freund? Romeias aber hob ſeinen Spieß und deutete nach einem nahen Hügel hinter dem Walde und ſagte Nichts. Da ſprach Praxedis: Sind die Worte bei Euch in Sanct Gallen ſo theuer zu kaufen, daß Ihr keinen andern Beſcheid gebt?
Die Dienerinnen lachten.
Da ſprach Romeias ernſt: Möcht 'euch doch allzuſammt ein Donnerwetter ſieben Klafter tief in Erdboden hinein verſchlagen!
Praxedis erwiederte: Wir danken Euch, guter Freund! Hiemit war die ſchickliche Einleitung zu einem Geſpräch gefunden. Romeias eröffnete ſeinen Auftrag, die Frauen folgten ihm willig.
Und allmälig fand der Wächter, daß es nicht der härteſte Dienſt ſei, ſolche Gäſte zu geleiten, und wie die Griechin ihn des Näheren über Wächterei und Jagdhantirung befragte, ward ſeine Zunge gelöst, und er erzählte von Bären und Wildſchweinen, daß es eine Freude war, und erzählte ſogar ſein großes Jagdſtück von dem furchtbaren Eber, dem er einſt den Speer in die Seite geworfen und ihn doch nicht zu erlegen vermocht, denn er hatte Füße einer Wagenlaſt an24 Maße gleich, und Borſten, ſo hoch wie die Tannen des Forſtes, und Zähne zwölf Ellen lang36) — und ward zuſehends artiger, denn wie die Griechin einmal ihren Schritt hemmte, um einer Droſſel Schlag zu belauſchen, hielt auch Romeias geduldig an, wiewohl ihm ſonſt ein Singvogel ein viel zu erbärmlich Stück Wild war, als daß er ihn großen Aufmerkens gewürdigt. Und wie Praxedis ſich nach einem ſchönen Goldkäfer bückte, der im röthlichen Moos herum kletterte, wollte ihr Romeias dienſtwillig den Käfer mit ſchwerbeſohltem Fuß zur Hand ſchieben, und daß er ihn bei ſolcher Gelegenheit zertrat, war nicht ſeine Abſicht.
Sie ſtiegen einen düſtern Bergpfad hinauf; über zerklüftete Nagel - fluhfelſen rann die Schwarza zu Thale. An jenem Abhang war einſt der heilige Gall in die Dornen gefallen und hatte zum Begleiter, der ihn aufrichten wollte, geſprochen: Laß mich liegen, hier ſoll meine Ruhe ſein und mein Haus für alle Zeit! 37)
Sie waren nicht lang bergan geklommen, da kamen ſie an einen freien tannwaldumſäumten Platz. An ſchirmende Felswand ange - lehnt ſtand dort eine ſchlichte Capelle in Form eines Kreuzes. Nah dabei war ein viereckig Häuslein gemauert, das mit der Rückſeite auch an den Fels anſtieß; nur eine einzige niedere Fenſteröffnung, mit einem Holzladen verſchließbar, war dran zu ſchauen; nirgends eine Thüre oder anderweiter Eingang, und war nicht abzuſehen, wie ein Menſch in ſolch Gebäu Einlaß finden mochte, wofern er nicht durch eine Lucke im Dach von Seiten der Felswand ſich hinabließ. Genüber ſtund ein gleiches Gelaß, ſo ebenfalls nur ein einzig Fenſterlein hatte.
Es war häufiger Brauch dazumal, daß ſolche, die Neigung zum Mönchsleben verſpürten und die ſich, wie der heilige Benedict ſagt,38) ſtark genug fühlten, den Kampf mit dem Teufel ohne Beihilfe from - mer Genoſſenſchaft auf eigene Fauſt zu beſtehen, ſich in ſolch einen Gaden einmauern ließen. Man hieß ſie Reclauſi, Eingeſchloſſene, Klausner, und war ihre Nutzbarkeit und Lebensabſicht der der Säulen - heiligen in Aegyptenland zu vergleichen; ſcharfer Winterswind und Schneefall macht freilich dieſſeits der Alpen die Abſperrung in friſcher Luft unmöglich, das Anachoretengelüſt war nicht minder ſtark. 39)
In den vier engen Wänden hier auf dem Irenhügel hauste nun die Schweſter Wiborad,40) eine vielgeprieſene Klausnerin ihrer Zeit.
25Sie ſtammte aus Klingnau im Aargau und war eine ſtolze, ſpröde Jungfrau geweſen, in mancher Kunſt bewandert, und hatte von ihrem Bruder Hitto alle Pſalmen lateiniſch beten gelernt und war ehedem nicht abgeneigt, einem Mann ſein Leben zu verſüßen, wenn ſie den Rechten finden möchte, aber die Blüthe aargauiſcher Landes - kraft fand keine Gnade vor ihren Augen und ſie that eine Wallfahrt gen Rom. Und dort muß ihr unſtet Gemüth durchſchüttert worden ſein, keiner der Zeitgenoſſen hat erfahren wie; — drei Tage lang rannte ihr Bruder Hitto das Forum auf und nieder, und durch die Hallen des Coloſſeum und unter Conſtantin's Triumphbogen durch bis zum vierſtirnigen Janus an der Tiber unten und ſuchte ſeine Schweſter und fand ſie nicht; am Morgen des vierten Tags kam ſie zum ſalariſchen Thor herein und trug ihr Haupt hoch und ihre Augen leuchtend und ſprach, es ſei Alles Nichts auf der Welt, ſo lang nicht dem heiligen Martinus die Ehr erwieſen werde, die ſeinem Verdienſt gebühre.
Wie ſie aber zurückkehrte in die Heimath, verſchrieb ſie ihr Hab und Gut der Biſchofskirche zu Conſtanz, mit dem Bedingniß, daß die geiſtlichen Herren jeweils am eilften des Herbſtmonates dem heiligen Martin ein beſonder Feſt halten ſollten; ſie ſelber trat in ein eng Häuslein, wo die Klausnerin Zilia ſich ſeßhaft gemacht, und führte ein klöſterlich Leben. Und wie es ihr dort nimmer zuträglich war, verzog ſie ſich in's Thal des heiligen Gallus; der Biſchof ſelbſt gab ihr das Geleit und that ihr den ſchwarzen Schleier um und führte ſie an der Hand in die Zelle am Irenhügel und ſprach den Segen darüber; mit der Mauerkelle that er den erſten Schlag auf die Steine, mit denen der Eingang vermauert ward und drückte viermal ſein Sigill auf das Blei, damit ſie die Fugen lötheten, und ſchied ſie von der Welt, und die Mönche ſangen dazu, als würd 'Einer begraben, dumpf und traurig.
Die Leute ringsum aber hielten die Klausnerin hoch in Ehren: ſie ſei eine hartgeſchmiedete Meiſterin,41) ſagten ſie, und an manchem Sonntag ſtund Haupt an Haupt auf dem Wieſenplan und Wiborad ſtund an ihrem Fenſterlein und predigte ihnen, und andere Frauen ſiedelten ſich in die Nähe und ſuchten bei ihr Anleitung zur Tugend.
Wir ſind an Ort und Stelle, ſprach Romeias. Da blickte Praxedis mit ihren Begleiterinnen um. Kein menſchlich Weſen war zu erſchauen;26 verſpätete Schmetterlinge und Käfer ſummten im Sonnenſchein und die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborad's Zelle war der Fenſterladen angelehnt, ſo daß nur ein ſchmaler Streif Sonnen - licht hineinfallen konnte. Dumpfes, langſam und halb durch die Naſe geſungenes Pſalmodiren tönte durch die Einſamkeit.
Romeias klopfte mit ſeinem Jagdſpieß an den Fenſterladen, der blieb, wie er war, angelehnt; das Pſalmodiren tönte fort. Da ſprach der Wächter: Wir müſſen ſie anderweitig herausklopfen!
Romeias war ein Mann von ungeſchliffener Lebensart, ſonſt hätte er nicht gethan, was er jetzt that.
Er begann ein Lied zu ſingen, womit er oftmals die Kloſterſchüler ergötzte, wenn ſie in ſeine Thurmſtube entwiſchten, ihn am Bart zu zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu ſpielen. Es war eine jener Cantilenen, wie deren, ſeit daß es eine deutſche Zunge gibt, auf freier Heerſtraße, an Wegſcheiden und Waldecken und draus auf weiter Heide ſchon manches gute Tauſend in Wind geſungen und wieder ver - weht worden, und lautete alſo:
Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen Feldſtein in Wiborad's Laden geworfen. Alsbald erſchien eine Ge - ſtalt an der viereckigen Fenſteröffnung, auf hagerem Halſe hob ſich ein blaſſes, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindſelige Richtung aufwärts gegen die Naſe genommen; von dunklem Schleier27 vermummt, beugte ſie ſich weit aus dem Fenſterlein, die Augen glänz - ten unheimlich. Schon wieder, Satanas? rief ſie.
Da trat Romeias vor und ſprach mit gemüthlichem Ausdruck: Der böſe Feind weiß keine ſo ſchönen Lieder wie Romeias, der Kloſter - wächter. Beruhigt Euch, Schweſter Wiborad, ich bring ein paar feine Jungfräulein, die Herren im Kloſter laſſen ſie Euch zu annehmlicher Unterhaltung empfohlen ſein.
Hebet Euch weg, ihr Truggeſtalten! rief die Klausnerin. Wir kennen die Schlingen, die der Verſucher legt. Weichet, weichet!
Praxedis aber näherte ſich der Zelle und neigte ſich ſittig vor der dürren Bewohnerin: ſie komme nicht aus der Hölle, ſondern vom hohen Twiel herüber, ſetzte ſie ihr auseinand. Ein wenig falſch konnte das Griechenkind auch ſein, denn wiewohl ihre Kenntniß von der Klauſe im Schwarzathal ſich erſt von heute herſchrieb, fügte ſie doch bei, ſie hätten von dem auferbaulichen Wandel der Schweſter Wiborad ſchon ſo viel vernommen, daß ſie die erſte Gelegenheit genutzt, bei ihr anzuſprechen.
Da ſchien es, als wollten ſich einige Runzeln auf Wiborad's Stirn glätten. Reich mir deine Hand, Fremde! ſprach ſie und reckte ihren Arm zum Fenſterlein hinaus. Die Kutte ſtreifte ſich ein We - niges zurück, da war er in ſeiner ganzen fleiſchloſen Magerkeit dem Sonnenſchein ausgeſetzt.
Praxedis reichte ihr die Rechte. Wie der junge, lebenswarme Pulsſchlag der weißen Hand an der Klausnerin dürre Finger anſchlug, ward ſie langſam von der Griechin Menſchlichkeit überzeugt.
Romeias merkte die Wendung zum Beſſeren, er wälzte etliche Felsſtücke unter das Fenſter der Zelle. In zwei Stunden hol 'ich Euch wieder ab; behüt' Gott, Ihr Jungfräulein! ſprach er. Und er - ſchreckt nicht, wenn ſie in Verzuckung kommt, flüſterte er der Griechin zu.
Hiemit pfiff Romeias ſeinen Hunden und ſchritt in's Waldesdickigt. Er legte auch etwa dreißig Schritte ohne Hinderniß zurück, aber dann drehte er ſein ſtruppig Haupt und wandte den ganzen Menſchen um; auf den Spieß geſtemmt, ſchaute er unverrückt nach dem Platz vor der Klauſe, als hätt 'er Etwas verloren. Hatte aber Nichts zurückgelaſſen.
Praxedis lächelte und warf dem gröbſten aller Wächter eine Kuß - hand zu. Da machte Romeias Kehrt, wollte ſeinen Spieß ſchultern,28 ließ ihn fallen, hob ihn auf, ſtolperte, erholte ſich wieder und ver - ſchwand in gutem Trab jenſeits der moosverwachſenen Stämme.
O Kind der Welt, das in Finſterniß wandelt, ſchalt die Klaus - nerin herab, was ſoll die Bewegung deiner Hand?
Ein Scherz ... ſprach Praxedis unbefangen.
Eine Sünde! rief Wiborad mit rauher Stimme. Praxedis erſchrack.
O Teufelswerk und Verblendung! fuhr jene predigend fort. Da laſſet Ihr Eure Augen liſtig herumſtreifen, bis ſie dem Manne als wie ein Blitz in's Herz fahren, und werft ihm eine Kußhand zu, als wenn das Nichts wäre. Iſt das Nichts, wenn Einer rückwärts ſchaut, der vorwärts ſchauen ſollte? Wer die Hand an Pflug zu legen hat und ſiehet zurück, der iſt nicht geſchickt zum Reiche Gottes! 42)Ein Scherz?! O reichet mir Yſop, Euch zu entſündigen und Schnee, Euch rein zu waſchen.
Daran hab 'ich nicht gedacht, ſprach Praxedis erröthend.
Ihr denkt noch an Vieles nicht, ſprach Wiborad. Sie ſchaute Praxedis mit einem muſternden Blick von oben bis unten an. Ihr denkt auch nicht, daß Ihr heute ein grüngelb Gewand traget und daß ſolch herausfordernde Farbe weltabgewandten Augen ein Gräuel iſt, und daß Ihr den Gürtel ſo loſe und nachläſſig drum geſchlungen habet, als wäret Ihr eine landfahrende Tänzerin. Wachet und betet!
Die Klausnerin verſchwand eine Weile, dann kehrte ſie zurück und reichte einen grobgedrehten Strick heraus. Du dauerſt mich, arme Lachtaube, ſprach ſie. Reiß ab die ſeidegeſtickte Umwindung und em - pfah 'hier den Gürtel der Entſagung aus Wiborad's Händen; der ſoll dir eine Mahnung ſein, daß du unnützem Schwatzen und Thun den Abſchied gebeſt. Kommt aber wieder eine Verſuchung eitlen Her - zens über dich, Wächtern Kußhände zuzuwerfen, ſo wende dein Haupt gen Sonnenaufgang und ſinge den Pſalm: Herr, zu meinem Beiſtand eile herbei! — und will auch dann der Friede nicht bei dir einkehren, ſo brenn ein Wachslicht an und halt den Zeigfinger über die Flamme, ſo wirſt du ſicher ſein zur Stunde. 43)Das Feuer heilt das Feuer.
Praxedis ſchlug die Augen nieder.
Eure Worte ſind bitter, ſprach ſie.
Bitter! rief die Klausnerin, gelobt ſei der Herr, daß auf meinen Lippen kein ſüßer Schmack wohnt. Der Mund der Heiligen muß29 bitter ſein. Da Pachomius in der Wüſte ſaß, trat der Engel des Herrn zu ihm und brach die Blätter des Lorbeerbaumes und ſchrieb Worte des Gebetes drauf und gab ſie dem Pachomius und ſprach: Verſchling die Blätter; ſie werden ſchmecken in deinem Mund wie Galle, aber dein Herz wird erfüllt werden vom Ueberſchwall wahrer Weisheit. Und Pachomius nahm die Blätter und aß ſie und von Stund an blieb ſein Mund bitter, ſein Herz aber füllte ſich mit Süße und er pries den Herrn. 44)
Praxedis ſchwieg. Es blieb eine Zeit lang ſtill. Die andern Frauen der Herzogin waren nicht mehr zu ſehen. Wie die Klausnerin ihren Gürtel herausreichte, hatten ſie einand mit dem Ellbogen ange - ſtoßen und waren leiſe um das Häuslein geſchlichen. Sie pflückten einen großen Strauß Heidekraut und Herbſtblumen im Walde und kicherten dazu.
Wollen wir auch ſolch einen Gürtel umlegen? ſprach die Eine.
Wenn die Sonne ſchwarz aufgeht, ſprach die Andre.
Praxedis hatte den Strick in's Gras gelegt. Ich will Euch Eures Gürtels nicht berauben, ſprach ſie jetzt ſchüchtern zum Fenſter der Zelle hinauf.
O harmlos Gemüth, ſprach Wiborad, der Gürtel, den wir tragen, iſt kein Kinderſpiel, wie der, den ich dir reichte; der Gürtel Wiborad's iſt ein eiſerner Reif mit ſtumpfen Stacheln und klirrt wie eine Kette und ſchneidet ein; — deine Augen erſchauerten ſeines Anblicks45)
Praxedis ſchaute nach dem Wald, als wolle ſie ſpähen, ob Ro - meias nicht bald zurückkehre. Die Klausnerin mochte bemerken, daß es ihrem Gaſt nicht allzu behaglich war, ſie reichte ein Brett aus ihrem Fenſterlein, drauf war ein halb Dutzend rothgrüner Aepfel gelegt.
Wird dir die Zeit lang, Tochter der Welt? ſprach ſie. Greif zu, wenn die Worte des Heils dich nicht ſättigen. Backwerk und Süßig - keit hab 'ich nicht, aber auch dieſe Aepfel gefallen dem Herrn wohl, ſie ſind die Speiſe der Armen.
Die Griechin wußte, was der Anſtand erheiſcht. Aber es waren Holzäpfel. Wie ſie den erſten zur Hälfte verzehrt, verzog ſich ihr anmuthiger Mund und unfreiwillige Thränen perlten in den Augen.
Wie ſchmecken ſie, rief die Klausnerin. Da that Praxedis, als ob des Apfels Reſt zufällig ihrer Hand entfalle: wenn der Schöpfer30 Allen ſolche Herbigkeit anerſchaffen, ſo hätte Eva nimmermehr vom Apfel gekoſtet, ſprach ſie mit ſauerſüßem Lächeln.
Wiborad war beleidigt. Gut! erwiederte ſie, daß du der Eva Angedenken nicht erlöſchen läſſeſt. Die hat denſelben Geſchmack ge - habt wie du, drum iſt auch die Sünde in die Welt gekommen. 46)
Die Griechin blickte nach dem Himmel. Aber nicht aus Rührung. Ein Falke kreiste einſam über Wiborad's Zelle. O könnt 'ich mit dir über den Bodenſee fliegen, dachte ſie. Dann wiegte ſie ſchalkhaft ihr Haupt.
Wie muß ich's anfangen, fragte ſie, daß ich vollkommen werde, wie Ihr?
Der Welt gründlich entſagen, antwortete Wiborad, iſt eine Gnade von oben; der Menſch kann ſich's nicht geben. Faſten, Quellwaſſer trinken, das Fleiſch abtödten, Pſalmen beten, das all ſind nur Vor - bereitungen. Das Wichtigſte iſt ein guter Schutzheiliger. Wir Frauen ſind ein zerbrechlich Volk, aber eindringlich Gebet ruft die Streiter Gottes an unſere Seite, die helfen. Schau her an's kleine Fenſter, da ſteht er oft in nächtlicher Stille, der Erleſene meiner Gedanken, der tapfere Biſchof Martinus, und hält Schild und Lanze wider die anſtürmenden Teufel; ein blauer Strahlenkranz geht von ſeinem Haupte aus, es zuckt durch's Dunkel wie Wetterleuchten, wenn er naht und grunzend entfliehn die Dämonen. Und wenn der Kampf geendet, dann pflegt er gar traulichen Zwieſpruch; ich klag ihm, was das Herz bedrängt, all die Noth, die ich mit den Nachbarinnen habe und alles Leid, das mir die Kloſterleute zufügen, und der Heilige nickt und ſchüttelt die wallenden Locken und nimmt Alles mit ſich himmelauf[-]wärts und theilt es ſeinem Freund, dem Erzengel Michael, mit, der hat jeden Montag die Wache am Thron Gott Vaters,47) ſo kommt's an den rechten Ort und Wiborad, die Letzte der Letzten im Dienſt des Hochthronenden, iſt nicht vergeſſen ...
Da will ich den heiligen Martinus auch zu meinem Schutzpatron erwählen, ſprach Praxedis. Aber darauf hatte Wiborad's Lobſpruch nicht gezielt. Sie warf einen verächtlich eiferſüchtigen Blick auf die rothen Wangen der Griechin: Der Herr verzeih Euch Eure Anmaßung, ſprach ſie mit gefalteten Händen; — glaubt Ihr, das iſt mit einem leichtfertigen Wort und mit einem glatten Geſichte gethan? Unerhört! 31Viel lange Jahre hab 'ich gerungen und die Falten der Askeſis wie Narben auf der Stirn getragen und war noch nicht von ihm begna - digt, daß er mir nur einen Blick zuwarf. Es iſt ein fürnehmer Hei - liger und ein tapferer Kriegsmann vor dem Herrn, der ſchaut nur auf erprobte Streiterinnen.
Er wird mein Gebet nicht gröblich abweiſen, warf Praxedis ein.
Ihr ſollt aber nicht zu ihm beten, rief Wiborad zornig, Ihr dürft nicht zu ihm beten. Was hat er mit Euch zu ſchaffen? für Eures - gleichen ſind andere Schutzheilige. Ich will Euch einen ſagen. Nehmt Ihr den frommen Vater Pachomius zum Patron.
Den kenn ich nicht, ſagte Praxedis.
Schlimm genug, ſo lern ihn itzt kennen. Der war ein ehrwür - diger Einſiedel in der thebaiſchen Wüſte, aß Wurzeln und Heuſchrecken und war ſo fromm, daß er ſchon bei Lebzeiten die Harmonie der Sphären und Planeten erklingen hörte, und ſprach oft: Wenn alle Menſchen das hören könnten, was meine Ohren zu hören gewürdigt ſind, ſie ließen Haus und Hof, und wer den rechten Schuh angezogen, ließe den linken und liefe in Orient. In Alexandria aber war eine Maid, die hieß Thaïs, und Niemand wußte, was unendlicher an ihr, die Schönheit oder der Leichtſinn. Da ſprach Pachomius: ein ſolche iſt dem ganzen Land Aegypten eine Plage, und machte ſich auf, ſchnitt ſeinen Bart, ſalbte ſich und beſtieg ſein Crocodill, das er durch Kraft des Gebets dienſtbar gemacht; das trug ihn auf ſchuppigem Rücken den Nil hinab, und er ging zu ihr, als wär 'er ein Liebhaber. Seinen großen Palmſtock hatte er auch mitgenommen und erſchütterte das Herz der Sünderin dermaßen, daß ſie ihre Seidengewande verbrannte und ihren Schmuck dazu und dem Pachomius folgte wie ein Zicklein dem Hirten. Und er ſchloß ſie in ein Felſengrab ein, daran ließ er nur ein klein Fenſter und unterwies ſie im Gebet, und nach fünf Jahren war der Thaïs Läuterung zu Ende und vier Engel trugen ihre Seele gerettet gen Himmel. 48)
Aber Praxedis war nicht ſehr auferbaut. Der alte Wüſtenvater mit ſeinem ſtruppigen Bart und den bittern Lippen iſt ihr nicht vor - nehm genug: da ſoll ich mit ihm vorlieb nehmen, dachte ſie. Sie wagte nicht, es auszuſprechen.
32Jetzt tönte die Vesperglocke vom Kloſter durch den Tannenwald herauf. Da trat die Klausnerin vom Fenſter ab und ſchloß ihren Laden. Dumpfes Pſalmbeten ward drinnen hörbar, untermiſcht mit einem Geräuſch wie von niederfallenden Streichen. Sie geißelte ſich.
Inzwiſchen hatte Romeias im fernen Gehölz das Gejaid begonnen und warf ſeinen Spieß; aber er hatte einen Eichſtrunk für ein Rehlein angeſehen. Zürnend zog er ſein Geſchoß aus dem widerſtrebenden Holz, — es war das erſtemal in ſeinem Leben, daß ihm ſolches vorkam.
Vor Wiborad's Klauſe war's lange ſtill. Dann tönte ihre Stimme wieder, aber wie verwandelt, mit klangvoller Leidenſchaft: Steig hernieder, heiliger Martinus, tapferer Kriegstribun, du meine Tröſt - einſamkeit, Stern im Dunkel der Zeit! ſteig hernieder, meine Seele iſt gerüſtet, dich zu erſchauen, meine Augen dürſten nach dir. 49)
Und wieder war's ſtill auf dem Plan — da ſchreckte Praxedis zuſammen. Ein dumpfer Schrei klang in der Zelle auf. Sie ſprang an's Fenſter und ſchaute hinein: die Klausnerin war in die Knie ge - ſunken, die Arme hoch erhoben, ihr Auge gläſern ſtarrend. Neben ihr lag die Geißel, das Werkzeug der Buße.
Um Gotteswillen! rief Praxedis, was iſt Euch!
Wiborad fuhr empor und preßte der Griechin Hand krampfhaft. Menſchenkind, ſprach ſie mit gebrochenem Ton, die du Wiborad's Schmerzen zu ſehen gewürdigt biſt, klopf an deine Bruſt, es iſt ein Zeichen geſchehen. Ausgeblieben iſt der Erwählte meiner Gedanken, er zürnt, daß ſein Name von unheiligen Lippen entweiht ward, aber der heilige Gallus iſt dem Aug 'meiner Seele erſchienen, er, der noch niemals Einkehr hier genommen — und ſein Antlitz war das eines Dulders und ſein Gewand zerriſſen und brandig. Seinem Kloſter droht ein Unheil. Wir müſſen eine Fürbitte thun, daß ſeine Jünger nicht ſtraucheln auf dem Pfad der Gerechten.
Sie beugte ſich aus dem ſchmalen Fenſter und rief zur nachbar - lichen Klauſe hinüber: Schweſter Wendelgard!
Da ſchob ſich drüben das Lädlein zurück, ein ältlich Antlitz er - ſchien, das war die brave Frau Wendelgard, die dort um ihren Ehge - mahl trauerte, der vom letzten Heereszug nimmer heimgekommen.
Schweſter Wendelgard, ſprach Wiborad, laß uns dreimal ſingen den Pſalm: Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Huld.
33Aber die Schweſter Wendelgard hatte juſt mit träumender Sehn - ſucht ihres Eheherrn gedacht; ſie wußte in feſtem Gottvertrauen, daß er dereinſt noch heimkehren werde aus der Hunnen Landen, und hätte am liebſten jetzt ſchon die Pforte ihrer Klauſe eingetreten, hinauszu - ſchreiten in die wehende Luft, ihm entgegen.
Es iſt nicht die Stunde des Pſallirens, rief ſie hinüber.
Deſto lieblicher klingt freiwillige Andacht zum Himmel empor, ſprach Wiborad. Und ſie intonirte mit rauher Stimme den Pſalm. Aber die Antwort blieb aus. Was ſtimmſt du nicht in David's Schallgeſang?
Ich mag nicht, war Wendelgard's einfache Antwort. Es war ihr in langjährigem Klausnerthum allmälig ſchwül geworden. Viel tauſend Pſalmen hatte ſie auf Wiborad's Geheiß geſungen, daß der heilige Martinus ihren Ehegeſpons heraushaue aus der Feinde Gewalt, aber die Sonne ging auf, die Sonne ging nieder — noch immer blieb er aus. Und die hagere Nachbarin mit ihren Phantasmen war ihr verleidet.
Wiborad aber wandte ihre Augen unverrückt dem Himmel zu, gleich Einem, der am hellen Tag einen Cometen zu entdecken gedenkt: O Gefäß voll Ungehorſam und Bosheit, rief ſie, ich will für dich beten, daß die böſen Geiſter von dir gebannet werden. Dein Aug 'iſt blind, dein Sinn iſt wirr.
Doch ruhig antwortete die Geſcholtene: Richtet nicht, auf daß auch Ihr nicht gerichtet werdet. Mein Aug 'iſt noch ſo ſcharf wie vor Jahresfriſt, da es Euch in mondumglänzter Nacht erſchauen konnte, wie Ihr aus dem Fenſter der Clauſe ſtieget und hinausgewandelt ſeid, Gott weiß wohin, — und mein Sinn erwägt noch wohl, ob Pſalmen - geſang aus ſolchem Munde ein Wunder zu wirken im Stande.
Da verzog ſich Wiborad's bleiches Antlitz, als ob ſie auf einen Kieſelſtein gebiſſen hätte. Weh dir, Teufelgeblendete! ſchrie ſie, ein Schwall ſcheltender Rede entſtrömte ihren Lippen; die Nachbarin blieb keine Antwort ſchuldig, ſchneller und ſchneller kam Wort auf Wort geflogen, verſchlang ſich, verwirrte ſich; von den Felswänden klang un - harmoniſcher Widerhall drein und ſchreckte ein Käuzleinpaar auf, das dort in den Spalten horſtete und ſcharf krächzend von dannen flat - terte ... am Portal des Münſters zu Worms, da die Königinnen einander ſchalten, ging's ſänftlicher zu, als jetzo.
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 334Mit ſtummem Erſtaunen horchte Praxedis dem Lärm; gern wäre ſie beſchwichtigend dazwiſchen getreten, aber Sanftes taugt nicht, um Schneidiges zu trennen.
Da tönte vergnüglicher Schall des Hifthorns vom Walde her und kläffendes Rüdengebell; langſam kam des Romeias hohe Geſtalt ge - ſchritten. Das zweitemal, da er den Spieß geworfen, war's kein Baumſtrunk, ſondern ein ſtattlicher Zehnender; der Hirſch hing ihm auf dem Rücken, ſechs lebende Haſen, die der Kloſtermaier von Tablatt in Schlingen gefangen, trug er gefeſtigt am Gürtel.
Und wie der Waidmann die Klausnerinnen erſchaute, freute ſich ſein Herz; kein Wörtlein ſprach er, wohl aber löste er der lebenden Häslein zwei i[h]rer Bande, einen in der Rechten, einen in der Linken ſchwingend, warf er ſie ſo ſicher durch die engen Klausfenſter der Streitenden, daß Wiborad, vom weichen Fell electriſch am Haupte be - rührt, mit lautem Aufſchrei zurückfuhr. Der braven Wendelgard hatte ſich in währender Hitze des Zwieſpruchs der ſchwarze Habit gelöst, der Haſe fuhr ihr ſo plötzlich zwiſchen Hals und Kaputze und verfing ſich in der Gewandung und ſuchte einen Ausweg und wußte nicht wohin, daß auch ſie ein jäher Schreck überfiel. Da ſtellten Beide die Schel - tung ein, die Fenſterläden ſchloſſen ſich, ruhig ward's auf dem Hügel. 50)
Wir wollen heim, ſprach Romeias zur Griechin, es will Abend werden. Praxedis war weder vom Gezänk noch von Romeias Friede - ſtiftung ſo auferbaut, daß ſie länger zu bleiben gewünſcht hätte. Ihre Begleiterinnen hatten bereits auf eigene Fauſt den Rückzug angetreten.
Die Haſen gelten bei Euch nicht viel, ſprach ſie zum Wächter, daß Ihr ſie ſo grob in die Welt hinauswerfet.
Nicht viel, lachte Romeias, doch wär 'das Geſchenk eines Dankes werth.
Zu ſelber Zeit hob ſich die Dachlucke an Wiborad's Zelle, die hagere Geſtalt ward zur Hälfte ſichtbar, ein mäßiger Feldſtein flog über Romeias Haupt hin, er traf ihn nicht. Das war der Dank für den Haſen.
Man erſieht daraus, daß die Formen geſelligen Verkehrs mannig - fach von den heutigen verſchieden waren.
Praxedis ſprach ihr Befremden aus.
35So Etwas kommt alle paar Wochen einmal vor, erwiederte Ro - meias. Mäßiger Geifer und Zorn ſchafft alten Einſiedlerinnen neue Lebenskraft; es iſt ein gut Werk, zu Erregung deſſelben beizutragen.
Aber ſie iſt eine Heilige, ſagte Praxedis ſcheu.
Da brummte Romeias in Bart. Sie ſoll froh ſein, ſprach er, wenn ſie's iſt. Ich will ihr das Fell ihrer Heiligkeit nicht abziehen. 51)Aber ſeit ich in Konſtanz meiner Mutter Schweſter beſucht, hab 'ich Allerhand erfahren, was mir nicht grün ausſieht. Es iſt dort noch nicht vergeſſen, wie ſie vor des Biſchofs Gericht ſich verantworten mußte wegen Dem und Jenem, was mich Nichts angeht, und die Konſtanzer Kaufleute erzählen, ohne daß man ſie fragt, wie ihnen die Klausnerinnen am Münſter das Almoſengeld, das fromme Pilgrimme zutrugen, gegen Wucherzins ausgeliehen. 52)Was kann ich dafür, daß mir ſchon in Knabenzeit im Steinbruch ein ſeltſam großer Kieſel in die Hände kam? Wie ich den aufgehämmert, ſaß eine Kröte drin und machte verwunderte Augen. Seitdem weiß ich, was eine Klaus - nerin iſt. Schnipp, ſchnapp — trari, trara!
Romeias geleitete ſeine neue Freundin zur Pforte des außer Kloſterbann gelegenen Hauſes, das zu ihrer Herbergung beſtimmt war. Dort ſtanden die Dienerinnen, der Strauß Waldblumen, den ſie ge - pflückt, lag auf dem Steintiſch am Eingang.
Wir müſſen Abſchied nehmen, ſagte der Wächter.
Lebt wohl, ſprach Praxedis.
Da ging er. Nach dreißig Schritten ſchaute er ſcharf zurück. Aber zweimal geht die Sonne an einem Tag nicht auf, am wenigſten für einen Wächter am Kloſterthor. Es ward ihm keine Kußhand mehr zugeworfen. Praxedis war in's Haus gegangen.
Da wandelte Romeias langſam zurück, griff, ohne anzufragen, den Blumenſtrauß vom Steintiſch und zog ab. Den Hirſch und die vier Haſen lieferte er der Kloſterküche. Dann bezog er ſeine Wächterſtube, nagelte den Strauß an die Wand und malte mit Kohle ein Herz dazu, das hatte zwei Augen und einen langen Strich als Naſe und einen Querſtrich als Mund.
Der Kloſterſchüler Burkard kam herauf, mit ihm zu ſpielen. Den faßte er mit gewaltiger Hand, reichte ihm die Kohle, ſtellte ihn vor die Wand und ſprach: Schreib 'den Namen drunter!
3*36Was für einen Namen? frug der Knabe.
Ihren! ſprach Romeias.
Was weiß ich von ihr und ihrem Namen, ſagte der Kloſterſchüler verdrießlich.
Da ſieht man's wieder, brummte Romeias, wozu das Studiren gut iſt! Sitzt der Bub 'jeden Tag acht Stunden hinter ſeinen Eſels - häuten und weiß nicht einmal, wie ein fremdes Frauenzimmer heißt! ...
Frau Hadwig hatte inzwiſchen am Grab des heiligen Gallus ihre Andacht verrichtet. Dann gedachte der Abt, ihr einen Gang im ſchat - tigen Kloſtergarten vorzuſchlagen; aber ſie bat, ihr zuvörderſt den Kirchenſchatz zu zeigen. Der Frauen Gemüth, wie hoch es auch ge - naturt ſein mag, erfreut ſich allzeit an Schmuck, Zierrath und präch - tiger Gewandung. Da wollte der Abt mit einiger Ausrede ihren Sinn ablenken, vermeinend, ſie ſeien nur ein arm Klöſterlein und ſeine Baſe werde auf ihren Fahrten im Reich und am Kaiſerhof ſchon Preiswürdigeres erſchaut haben: es half ihm nicht.
Sie traten in die Sacriſtei.
Er ließ die gebräunten Schränke öffnen, da war viel zu bewun - dern an purpurnen Meßgewändern, an Prieſterkleidern mit Stickerei und gewirkten Darſtellungen aus heiliger Geſchichte. War auch Man - ches drauf abgebildet, was noch nahe an römiſches Heidenthum an - ſtreifte, zum Beiſpiel die Hochzeit des Mercurius mit der Philologie.
Hernach wurden die Truhen aufgeſchloſſen, da glänzte es vom Schein edler Metalle, ſilberne Ampeln gleißten herfür, und Kronen, Streifen getriebenen Goldes zu Einfaſſung der Evangelienbücher und der Altarverzierung;53) Mönche des Kloſters hatten ſie, um's Knie gebunden, aus welſchen Landen über unſichere Alpenpfade ſicher einge -37 bracht, — köſtliche Gefäße in ſeltſamſten Formen, Leuchter in Del - phinengeſtalt, ſäulengetragene Schaalen, Leuchthürmen gleich, Weih - rauchbehälter und viel Anderes — ein reicher Schatz. Auch ein Kelch von Bernſtein war dabei,54) der ſchimmerte lieblich, ſo man ihn an's Licht hielt; am Rand war ein Stück ausgebrochen.
Als mein Vorgänger Hartmuth am Sterben lag, ſprach der Abt, ward's gepulvert und ihm mit Wein und Honig eingegeben, das Fieber zu ſtillen.
Mitten im Bernſtein ſaß ein Mücklein, ſo fein erhalten, als wär's erſt neulich hereingeflogen, und hat ſich dies Inſect, wie es in vorge - ſchichtlichen Zeiten vergnüglich auf ſeinem Grashalm ſaß und vom zähflüſſigen Erdharz überſtrömt ward, auch nicht träumen laſſen, daß es in ſolcher Weiſe auf die Nachwelt übergehen werde.
Auf derlei ſtummes Zeugniß wirkender Naturkraft ward aber da - mals kein aufmerkend Auge gerichtet; wenigſtens war der Kämmerer Spazzo, der ebenfalls mit Sorgfalt Alles muſterte, mit andern Dingen beſchäftigt. Er dachte, um wie viel ergötzlicher es ſein möcht ', mit dieſen frommen Männern in Fehde zu liegen, und ſtatt als Gaſtfreund einzureiten, Platz und Schatz mit ſtürmender Hand zu nehmen. Und weil er ſchon manchen Umſchlag vornehmer Freundſchaft erlebt, berei - tete er ſein Gemüth auf dieſe Möglichkeit, faßte den Eingang der Sacriſtei genau in's Aug' und murmelte: Alſo vom Chor die erſte Pforte zur Rechten!
Der Abt mochte auch der Anſicht ſein, daß lang fortgeſetzter An - blick von Gold und Silber Hunger nach Beſitz errege; er ließ die letzte Truhe, welche der Koſtbarkeiten vorzüglichſte barg, nicht mehr erſchließen und drängte, daß ſie in's Freie kamen.
Sie lenkten ihre Schritte zum Kloſtergarten. Der war weitſchich - tig angelegt und trug an Kraut und Gemüſe viel nach Bedarf der Küche; zudem auch nützliches Arzneigewächs und heilbringende Wurzeln.
Beim Baumgarten war ein großer Raum abgetheilt für wild Ge - thier und Gevögel, wie ſolches theils in den nahen Alpen hauste, theils als Geſchenk fremder Gäſte dem Garten verehrt war. 55)
Da erfreute ſich Frau Hadwig am ungeſchlachten Weſen der Bären: in närriſchen Sprüngen kletterten ſie am Baum ihres Zwingers auf und nieder; daneben erging ſich ein kurznaſiger Affe, der mit einer38 Meerkatze zuſammen an einer Kette durch's Leben tollte, — zwei Ge - ſchöpfe, von denen ein Dichter damaliger Zeit ſagt, daß weder das eine noch das andere eine Spur nutzbringender Anlage als Berech - tigungsgrund ſeines Vorhandenſeins aufzuweiſen vermöge. 56)
Ein alter Steinbock ſtund in ſeines Raumes Enge, der Sohn der Hochalpe ſenkte ſein Haupt, ſtill und geduckt; ſeit er die ſchneidige Luft der Gletſcher entbehren mußte, war er blind geworden, denn nicht Jedweder gedeiht in den Niederungen der Menſchen.
In anderem Behältniß waren dickhäutige Dachſe angebaut; der böſe Sindolt lachte, wie ſie vorüberkamen: Sei gegrüßt, du kleines, niederträchtig Gethier, ſprach er, du erleſen Wildpret der Kloſterknechte!
Wieder anderswo pfiff es durchdringend. Ein Rudel Murmelthiere lief den Ritzen zwiſchen den künſtlich geſchichteten Felſen zu. Frau Hadwig hatte ſolch kurzweilig Geſchöpf noch nicht erſchaut. Da erklärte ihr der Abt deren Lebensart:
Die ſchlafen mehr als jede andere Kreatur, ſprach er; auch wenn ſie wachen, mögen ſie ohne Phantaſiren nicht ſein, und ſo der Winter herzuſtreicht, leſen ſie allenthalb Halm und Heu zuſammen, und Eines von ihnen legt ſich auf den Rücken, richtet die vier Füße ob ſich, die Andern legen auf es Alles, ſo ſie zuſammengeraspelt haben, nehmen es danach beim Schweif und ziehen's wie einen geladenen Frachtwagen zu ihrer Höhle. 57)
Da ſprach Sindolt zum dicken Kämmerer Spazzo: Wie ſchade, daß Ihr keine Bergmaus geworden, das wär 'eine anmuthige Ver - richtung für Euch!
Wie der Abt ſich abgewendet, hub der böſe Sindolt eine neue Art der Erklärung an: Das iſt unſer Tutilo, ſprach er und deutete auf einen Bären, der ſo eben ſeinen Nebenbär rücklings zu Boden gewor - fen, — das der blinde Thieto! er deutete auf den Steinbock; eben wollte er auch ſeinem Abte die Ehre einer nicht ſchmeichelhaften Ver - gleichung erweiſen, da fiel ihm die Herzogin in die Rede: Wenn Ihr Alles zu vergleichen wiſſet, habt Ihr auch für mich ein Sinnbild?
Sindolt ward verlegen. Zu gutem Glück ſtand bei den Kranichen und Reihern ein ſchmucker Silberfaſan und wiegte ſein perlgrau glän - zend Gefieder im Sonnenſchein.
Dort! ſprach Sindolt.
39Aber die Herzogin wandte ſich zu Ekkehard, der träumeriſch in das Gewimmel der Thierwelt ſchaute: Einverſtanden? frug ſie. Er fuhr auf: O Herrin! ſprach er mit weicher Stimme, wer iſt ſo ver - meſſen, unter dem, was da kreucht und fleugt, ein Sinnbild für Euch zu ſuchen?
Wenn Wir's aber verlangen ...
Dann weiß ich nur einen Vogel, ſprach Ekkehard, wir haben ihn nicht und Niemand hat ihn; in klaren Mitternächten fliegt er hoch zu unſern Häupten und ſtreift mit den Schwingen den Himmel. Der Vogel heißt Caradrion; wenn ſeine Fittige ſich zur Erde ſenken, ſoll ein ſiecher Mann geneſen: da kehret ſich der Vogel zu dem Manne und thut ſeinen Schnabel über des Mannes Mund, nimmt des Man - nes Unkraft an ſich und fährt auf zur Sonne und läutert ſich im ewigen Licht: da iſt der Mann gerettet. 58)
Der Abt kam wieder herbei und unterbrach weitere Sinnreden. Auf einem Apfelbaum ſaß ein dienender Bruder, pflückte die Aepfel und ſammelte ſie in Körbe. Wie ſich die Herzogin zum Schatten der Bäume wandte, wollte er herniederſteigen, aber ſie winkte ihm, zu bleiben. Jetzt ertönte es wie Geſang zarter Knabenſtimmen in des Gartens Niederung: die Zöglinge der innern Kloſterſchule kamen heran, der Herzogin ihre Huldigung zu bringen; blutjunge Bürſchlein, trugen ſie bereits die Kutte und Mancher hatte die Tonſur auf's eilfjährige Haupt geſchoren. Wie ſie aber in Proceſſion daher zogen, die roth - backigen Aebtlein der Zukunft, geführt von ihren Lehrern, den Blick zur Erde niedergeſchlagen, und wie ſie ſo ernſt und langſam ihre Sequenzen ſangen: da flog ein leiſer Spott über Frau Hadwig's Antlitz, mit ſtarkem Fuß ſtieß ſie den naheſtehenden Korb um, daß die Aepfel luſtig unter den Zug der Schüler rollten und an ihren Ka - puzen emporſprangen. Aber unbeirrt zogen ſie ihres Weges; nur der Kleinſten Einer wollte ſich bücken nach der lockenden Frucht, doch ſtreng hielt ihn ſein Nebenmännlein am Gürtel. 59)
Wohlgefällig ſah der Abt die Haltung des jungen Volkes und ſprach: Disciplin unterſcheidet den Menſchen vom Thier!60) und wenn Ihr der Hesperiden Aepfel unter ſie werfen wolltet, ſie blieben feſt.
Frau Hadwig war gerührt. Sind all Eure Schüler ſo gut ge - zogen? frug ſie.
40So Ihr Euch überzeugen wollt, ſprach der Abt, die Großen in der äußern Schule wiſſen nicht minder, was Zucht und Gehorſam iſt.
Die Herzogin nickte. Da führte ſie der Abt zur äußern Kloſter - ſchule, wo zumeiſt vornehmer Laien Söhne und Diejenigen erzogen wurden, die ſich weltgeiſtlichem Stand widmen wollten.
Sie traten in die Klaſſe der Aelteſten ein. Auf der Lehrkanzel ſtand Ratpert der Vielgelehrte und unterwies ſeine Jugend im Ver - ſtändniß von Ariſtoteles Logica. Geduckt ſaßen die Schüler über ihren Pergamenten, kaum wandten ſich die Häupter nach den Eingetretenen. Der Lehrmeiſter gedachte Ehre einzulegen: Notker Labeo! rief er. Der war die Perle ſeiner Schüler, die Hoffnung der Wiſſenſchaft; auf ſchmächtigem Körper ein mächtiges Haupt, dran eine gewaltige Unterlippe kritiſch in die Welt hervorragte, das Wahrzeichen ſtrenger Ausdauer auf den ſteinigen Pfaden des Forſchens und Urſache ſeines Uebernamens.
Der wird brav, flüſterte der Abt, die ganze Welt ſei ein Buch, hat er ſchon im zwölften Jahr geſagt, und die Klöſter die claſſiſchen Stellen drin. 61)
Der Aufgerufene ließ ſeine klugen Aeuglein über den griechiſchen Text hingleiten und überſetzte mit gewichtigem Ernſt den ſtagyritiſchen Tiefſinn:
... „ Findeſt du an einem Holze oder Steine einen als Linie lau - fenden Strich, der iſt der eben liegenden Theile gemeine March. Spaltet ſich an dem Striche der Stein oder das Holz entzwei, ſo ſehen wir ſtrichweiſe zwei Durchſchnitte an dem ſichtbaren Spalte, die vorher nur ein Strich und Linie waren. Und über dies ſehen wir zwo neue Oberflächen, die alſo breit ſind, als dick der Körper war, da man vor die neue Oberfläche nicht ſah. Darum erhellet, daß dieſer Körper vorhin zuſammenhängend war. 62)“
Aber wie dieſer Begriff des Zuſammenhängenden glücklich heraus - geklaubt war, ſtreckten etliche der jungen Logiker die Köpfe zuſammen und flüſterten, und flüſterten lauter, — ſelbſt der Kloſterſchüler He - pidan, der, unbeirrt von Notker's trefflicher Verdeutſchung, ſeine ganze Mühe aufwandte, einen Teufel mit doppeltem Flügelpaar und Ringel - ſchwanz in die Bank einzuſchneiden, ſtellte ſeine Arbeit ein ... itzt wandte der Lehrmeiſter ſich an den Folgenden: wie wird aber die41 Oberfläche eine gemeine March? Da las der ſeinen griechiſchen Text, aber die Bewegung in den Schulbänken ward ſtärker, es ſummte und brummte wie ferne Sturmglocken, zur Ueberſetzung kam's nicht mehr, plötzlich ſtürmten die Zöglinge Ratpert's lärmend vor, ſie ſtürmten auf die Herzogin ein, riſſen ſie von des Abts und ihres Kämmerers Seite: gefangen! gefangen! ſchrie die holde Jugend und begann ſich mit den Schulbänken zu verſchanzen