Ludewig Heinrich Chriſtoph Hölty ward 1748 den 21 December zu Marienſee im Churfürſtenthum Hannover geboren, wo ſein Vater Philipp Ernſt Hölty, ein Sohn Heinrich Wullbrand Höltys, evangeliſchen Bürgers zu Hildesheim, und Maria Margarethens, ge¬ bornen Hölty, ſeit 1742 Prediger war. Seine Mutter hieſs Eliſabeth Juliana Göſſel, eine Tochter des Proku¬ rators Göſſel in Celle, mit welcher ſein Vater, nach dem frühen Tode ſeiner erſten Frau Catharina Charlotta von Barkhauſen, ſich 1748 im Februar vermählt hatte. Sie ſtarb 1757, und ſein Vater heiratete im folgenden Jahre die dritte Frau, Maria Dorothea Johanna Niemann, welche ſeit dem Frühlinge 1775 Wittwe iſt. Von ſei¬ ner leiblichen Mutter leben noch zwei Töchter, und von ſeiner Stiefmutter vier Söhne und drei Töchter.
Hölty war, nach dem Zeugniſſe der Wittwe, die ihn von ſeiner zarteſten Jugend an gekannt hat, zur Bewunderung ſchön, bis in ſein neuntes Jahr, da ihnbös¬IVbösartige Blattern entſtellten. Schon frühe zeigte er eine auſſerordentliche Munterkeit und Wiſsbegierde. Sobald er ſchreiben konnte, ſchrieb er auf, was ihm aus Erzäh¬ lungen und Geſprächen merkwürdig ſchien. Er betrug ſich liebreich und gefällig gegen jedweden; und die er für rechtſchaffen hielt, vertheidigte er bei aller Gelegen¬ heit, wenn etwas zu ihrem Nachtheile geſagt wurde. Auch war er allgemein beliebt, ſowohl wegen ſeiner ſchönen Geſtalt, als wegen ſeiner drollichten Einfälle und Anmerkungen.
In eben der Woche, da ſeine Mutter an der Schwindſucht ſtarb, bekam er die bösartigſten Blattern. Der Gram und die Krankheit brachten ihn auf lange Zeit in Gefahr das Geſicht zu verlieren, und raubten ihm ſeine natürliche Munterkeit. Als er nach zwei Jahren den Gebrauch ſeiner Augen wieder erlangte, ver¬ doppelte er ſeinen Eifer und Fleiſs im Lernen. Sein Vater, der in Sprachen und Wiſſenſchaften ſehr geübt, auch der Dichtkunſt nicht abgeneigt, und ein Mitglied der deutſchen Geſellſchaft in Göttingen war, unterwies ihn, auſſer der deutſchen, in der lateiniſchen, franzöſi¬ ſchen, griechiſchen und hebräiſchen Sprache, in der Geografie, Geſchichte, und was ſonſt auf Schulen ge¬ lehrt wird. Sein Fleiſs ging ſo weit, daſs er nicht einmal ſein Frühſtück in Ruhe genoſs, daſs er ſich jedes¬ mal zum Mittags - und Abendeſſen rufen lieſs, und desNachtsVNachts heimlich bis drei Uhr aufblieb. Dies leztere ward ihm von ſeinem Vater unterſagt; und die Mutter gab ihm, wenn ſie um elf Uhr zu Bette gingen, nur wenig Licht mit auf ſeine Schlafkammer. Allein wie ſorgfältig man auch alles übrige Licht und die Lampen im Hauſe verſchloſs; ſo wuſste er ſich doch, wie man nachmals erfahren hat, des Tages mit Oel zu verſorgen, und höhlte ſich Lampen von Rüben aus. Um auch wieder früh zu erwachen, und in den Büchern, die er von allen Enden her zuſammenſchleppte, leſen zu kön¬ nen, band er ſich um den Arm einen Bindfaden, wor¬ an ein Stein befeſtigt war; dieſen legte er auf einen Stuhl vors Bette, damit, wenn er ſich gegen Morgen umwendete, der Stein herabfallen, und ihn durch den Ruck am Arm aufwecken möchte.
Bei dieſem Fleiſſe ward er weder mürriſch, noch ſtolz, noch ein Bücherwurm, der, Luft und Sonne ſcheuend, nur in ſeinen dumpfigen Schwarten lebt. Heiter, ſanft, gefällig und zärtlich, war er die Freude ſeiner Familie, ehe er noch ihr Stolz ward. Dieſer ſanfte häusliche Umgang, die heitere Stille des Land¬ lebens, und ſein lebendiges Gefühl für jeden Reiz der Natur, ſicherten ihn gegen die Erſtarrung der Leſeſucht. Eigener Geiſt, eigene rege Empfindung, ſtrebte in ſeiner Seele empor, und zog Nahrung aus Büchern, wie eine Blume aus eben dem Boden, der ringsumher nur Grasher¬VIhervorbringt, ihre ſchimmernden Farben und ihren Bal¬ ſam zieht.
Auſſer den Schulſtunden ging er gern in ein düſteres Gehölz, mit Büchern in der Taſche, las für ſich mit lauter und heftiger Stimme, welches noch in Göttingen ſeine Gewohnheit bei guten Schriften war, und be¬ trachtete die Schönheiten der Natur. Auch ſein Hang zum Schauerlichen zeigte ſich früh. Er beſuchte zu jeder Zeit ohne Furcht den Kirchhof und andre verdächtige Oerter, und machte ſelbſt Erwachſenen das Grauen lächerlich; er verkleidete ſich als ein Geſpenſt, und wankte, bloſs zu ſeinem Vergnügen, ohne die Abſicht zu ſchrecken, des Abends einſam auf den Gräbern um¬ her. In ſeinem elften Jahre fing er an, Verſe auf den Tod eines kleinen Hundes, auf das Abc, und was ſonſt ihm vorkam, zu machen: womit er aber, wie mit ſei¬ nen übrigen Arbeiten und geiſtlichen Reden, die er vor ſeinen Geſchwiſtern und Kameraden vom Schemel hielt, gegen ſeinen Vater ſehr geheim war. Selbſt in der Kirche fielen ihm Reime ein; und wenn er kein Papier bei ſich hatte, ſo ſchrieb er ſie an die Wand. Sein erſtes Gedicht, die Grabſchrift ſeines Lieblingshundes, lautet alſo:
Die Leidenſchaft ſeinen Geiſt zu beſchäftigen machte ihn gegen des Körpers Pflege etwas gleichgültig. Sein nachläſſiger Anzug ward ihm oft von ſeinen Eltern ver¬ wieſen. Er hörte ihre Ermahnung mit freundlichem Lächeln an, bemühte ſich den Fehler auf einige Zeit wieder gut zu machen, und erſchmeichelte ſich durch alle möglichen Dienſte Vergebung und Nachſicht. Noch in Göttingen koſtete es nicht wenig Ueberredung, wenn er ſeinen beſtäubten Flauſsrock ablegen, und in dem braunen Feierkleide mit vergoldeten Knöpfen erſcheinen ſollte. Doch war er einmal ſo ſehr im Schuſs, daſs er ſchon ziemlich ernſthaft von den Vorzügen eines Treſſen¬ hutes, der länger gegenhielte, zu reden anfing.
Als Hölty ſechzehn Jahre alt war, wuſste er mehr, als die meiſten Jünglinge, welche, ein gelehrtes Hand¬ werk zu lernen, die Akademie beziehn. Gleichwohl ſchickte ſein Vater, überzeugt, daſs ohne die innigſte Vertraulichkeit mit den Alten keine wahre Gelehrſam¬ keit ſtatt finde, und um ſeinem Sohne für die Akademie mehr Weltkenntniſs und feinere Sitten zu verſchaffen, ihn 1765 um Michaelis auf die öffentliche Schule in Celle, wo ſein Oheim, der Kanzleirath Göſſel, wohnte. Hier blieb er drei Jahre, und erwarb ſich die Liebe und Achtung ſeiner Lehrer ſowohl, als aller, welche ihn kannten. Michaelis 1768 ging er zu ſei¬ nem Vater zurück, und Oſtern 1769 nach Göttingen,umVIIIum Theologie zu ſtudiren. Sein Vater beſtimmte ihm die gewöhnliche Zeit von drei Jahren, und verſorgte ihn hinlänglich. Auch vergaſs Hölty ſeine Beſtimmung nicht, ſondern lernte mit groſſer Gewiſſenhaftigkeit alles, was einem künftigen Prediger nöthig iſt. Indeſs blieb einem Geiſte, wie der ſeinige war, noch Zeit genug, ſich mit Leſung der Alten und Neuen, (er las nun auch Italieniſch,) und mit eigenen Arbeiten zu beſchäf¬ tigen.
Im dritten Jahre ward er mit Bürger und Miller, und von Oſtern 1772 an allmählich mit mir, Boie, Hahn, Leiſewiz, Cramer und den Grafen Stolberg bekannt. Er bat ſeinen Vater, ihn noch in Göttingen zu laſſen; und ihm ward vorerſt noch ein halbes Jahr bewilligt. Aber Hölty ruhte nicht, bis er ein Stipendium, welches von zwei Damen abhing, imgleichen einen Freitiſch, (wofern nicht etwa jenes Stipendium im Freitiſche be¬ ſtand,) und eine Stelle im philologiſchen Seminarium er¬ hielt. Er meldete dieſes ſeinem Vater, und erbot ſich, was ihm vielleicht noch fehlen möchte, durch Unter¬ richt zu verdienen. Sein gütiger Vater war mit allem zufrieden.
Wer Hölty zum erſtenmal ſah, hielt ihn nicht leicht für das, was er war. Stark von Wuchs, niederge¬ bückt, unbehülflich, von trägem Gange, blaſs wie derTod,IXTod, ſtumm und unbekümmert um ſeine Geſellſchaft, hatte er ſo ſehr die Miene der Einfalt, daſs ein Engel¬ länder, der nicht eben beſonders mit Verſtande geſegnet war, ihn deshalb vorzüglich lieb gewann, weil er ihn für ein ſchickliches Ziel ſeines unſchuldigen Wizes hielt. Nur in ſeinen hellblauen Augen ſchimmerte ein treuher¬ ziges, mit etwas Schalkhaftigkeit vermiſchtes Lächeln, welches ſich, wenn er mit Wohlgefallen las, durch eine ſchöne Gegend hin, oder rücklings unter einem blühenden Baume lag, über ſein ganzes Geſicht ver¬ breitete. Dieſes behagliche Staunen dauerte einige Zeit, und dann pflegte er manchmal mit voller Herzlichkeit auszurufen: Das iſt herlich! Aber gewöhnlicher ver¬ ſchloſs er ſeine Empfindungen in ſich ſelbſt; und wenn er ſie mittheilte, ſo geſchah es faſt immer auf eine be¬ ſondre Art. Er war mit einigen Freunden bei Hahn, als die Nachricht kam, daſs Klopſtock durch Göttingen reiſen würde. Er hatte ſich bisher ganz ruhig, mit dem Butterbrot in der Hand, auf dem Stuhle gewiegt; mit einmal ſtand er auf, und bewegte ſich langſam und ſtol¬ pernd auf der linken Ferſe herum. Was machſt du da, Hölty? fragte ihn einer. Ich freue mich! antwortete er lächelnd. Bei kleinen vertraulichen Schmäuſen, ſonder¬ lich wo Rheinwein blinkte, war er ſehr fröhlich. Er lagerte ſich auf Roſenblätter, ſalbte wie Anakreon ſeinen Bart mit Balſam, und machte ſo gewaltige An¬ ſtalten zum Trinken, als ob aus dem Schluſſe ſeinesRhein¬XRheinweinliedes Ernſt werden ſollte. Aber dabei blieb es denn auch. Dieſe Anmerkung iſt vielleicht nicht überflüſſig, da ein rechtſchaffener Geiſtlicher den Scherz jenes Liedes misverſtanden hat, und der ſcherz¬ hafte Horaz faſt von allen ſeinen Erklärern mehr oder weniger misverſtanden wird. Wenn uns Fremde be¬ ſuchten, die er achtete, ſo lieſs er gern ſeine Gedichte vorleſen. Dann ſtellte er ſich nahe vor den Gaſt, ſah ihm freundlich ins Geſicht, und nahm ſein Lob ſo hin, als wenns ihm gebührte. Nur zweimal habe ich ihn weinen geſehn. Er ſagte mir einſt, wie von ungefähr, daſs er des Morgens Blut aushuſtete. Ich erſchrak, und trieb ihn, einen Arzt zu befragen. Er lieſs das gut ſein. Ich und die übrigen Freunde, die noch in Göttingen waren, wurden dringender; aber Hölty hatte ſeinen Scherz mit uns. Endlich führte ich ihn mit Gewalt zu Richter. Der Arzt erkundigte ſich, und tröſtete ihn zwar, aber ſo, daſs ihn Hölty verſtand. Als wir zurückgingen, weinte er bitterlich. Daſs zweitemal war, als er den Tod ſeines Vaters erfuhr. Er kam mit ver¬ ſtörtem Geſicht auf meine Stube; denn wir aſſen zu¬ ſammen. Wie gehts, Hölty? Recht gut, antwortete er lächelnd; aber mein Vater iſt todt. Und Thränen ſtürzten ihm von den bleichen Wangen.
Bei Unbekannten ſprach er wenig oder nichts; und ſelbſt unter ſeinen Freunden, wenn die Geſellſchaft nuretwasXIetwas zahlreich war, muſste das Geſpräch ſehr anzie¬ hend, oder gradezu an ihn gerichtet ſein, eh er ſich darein miſchte. Dann ſprach er oft lebhaft, ſchnell und mit erhöhter Stimme, und ſein Geſicht ward weniger blaſs. Manchmal, wenn er lange wie mit abweſender Seele geſeſſen hatte, unterbrach er das Geſpräch durch einen drollichten Einfall, der deſto mehr Lachen erregte, da er ihn mit ganz trockener Stimme und ehrbarem Ge¬ ſicht vorbrachte. Es geſchah häufig, wenn er mit ſei¬ nen[Freunden] auf der Gaſſe ging, daſs ihn jemand an¬ hielt, und zum Kaffe nöthigte. Hölty fragte nach der Wohnung, und war plözlich verſchwunden. Aber bald kam er wieder daher gewankt, ohne ſich merken zu laſſen, daſs er weggeweſen war. Er ging nur hin, machte dem Wirt einen Bückling, trank, ohne ein Wort zu ſprechen, was ihm eingeſchenkt wurde, und ging wieder weg. So hatte er ſelbſt Leiſewiz ſchon oft beſucht, bis ſie endlich zu einer Unterredung kamen.
Mit dieſem Scheine von Gleichgültigkeit verband er eine brennende Neugier. Man konnte ihn, wie Sokra¬ tes ſcherzend von ſich ſagte, mit einer verſprochenen Neuigkeit, wie ein Kalb mit vorgehaltenem Graſe, locken wohin man wollte. Er wuſste zuerſt, was die Meſſe gutes und böſes gebracht hatte, und durchblätterte hohe Stapel aus dem Buchladen; ihm entging keine Re¬zenſion,XIIzenſion, worin ſeiner ſelbſt, oder eines Bekannten, in Ehren oder Unehren gedacht wurde: wiewohl ihm Lob und Tadel, weil beides ſchon dazumal meiſt von Un¬ mündigen und Beſoldeten ertheilet ward, beinahe gleich¬ viel Freude machte. Ganze Tage, und oft den gröſsten Theil der Nacht, ſaſs er, ſich ſelbſt und die ganze Welt vergeſſend, über dicke Folianten und Quartanten hin¬ gebückt, mit ſo unermüdeter Geduld, daſs er ſie in we¬ nigen Wochen durchlas. Eigentlich naſchte ſein Geiſt mehr in den meiſten Büchern, als daſs er ſie zweck¬ mäſſig gewählt, und Vorrath für künftige Bedürfniſſe eingeſammelt hätte. Mit eben dem eiſernen Fleiſſe durcharbeitete er ſchlechte Oden der Engelländer und Italiener, und hatte ſeine herzliche Freude darüber, daſs ſie ſo ſchlecht waren. Gute Gedichte ſchrieb er ganz oder ſtellenweiſe ab; auch haben wir unter ſeinen Pa¬ pieren Ueberſezungen aus Taſſo und Arioſt, und kleiner griechiſcher Gedichte gefunden, die aber nicht für den Druck beſtimmt ſind. Da er in den lezten Jahren auch die ſpaniſche Sprache lernte, ſo hatte ſeine Wiſsbegierde ein groſſes Feld vor ſich, und ſammelte jede Frucht der Erkenntniſs, und jede Blume des Vergnügens, welche ſie reizte, unverpflanzt und unverkümmert auf ihrem heimiſchen Boden.
Nie ſah man ihn mürriſch oder zerſtreut, wenn er, vom Leſen erhizt, überfallen ward; er klappte ruhigſeinXIIIſein Buch zu, und war mit ganzer Seele Freund. Eine ſeiner liebſten Unterhaltungen war, bouts rimés, oder gemeinſchaftliche Parodien, Nachahmungen des damals herſchenden Bardengebrülls, und andre dergleichen Schnurren zu machen, wie die petrarkiſche Bettlerode im Wandsbecker Boten von 1774, und der Geſang des Barden Hölegaſt im 76ger Muſenalmanach. Wenn nun ein ſolches Ding unter vielem Lachen zuſammengeflickt war, ſo mochte es regnen oder ſchneien, Hölty muſste noch denſelbigen Abend zu den übrigen, und ihnen die Freude mittheilen. Manchmal übernahm er auch wohl ein Gelegenheitsgedicht, und ich half ihm dabei. Wir lieſſen Rheinwein holen, verabredeten Plan, Ton, Versart, Reime und Gleichniſſe; und dann ging es Schlag auf Schlag auf das Wohlſein des künftigen Ehe¬ paars. Einmal waren die vorgeſchriebenen Reime: Abend, labend, Herbſt, verfärbſt; natürlich ward in der Ausarbeitung die Braut mit einem labenden Früh¬ lingsabend, und mit dem fruchtreichen Herbſte ver¬ glichen, und verfärbte ſich darüber. Das Stück ward abgeſchickt und vergeſſen. Nach einigen Tagen kam Hölty zu mir, und konnte vor Lachen kaum heraus¬ bringen, welch ein Unſtern über unſere Arbeit gewaltet hätte. Der ungenannte Verehrer des jungen Brautpaars hieſs Herbſt, und verlangte das Gleichniſs weg, oder ein anderes Karmen.
Dienſt¬XIVDienſtfertiger und gefälliger kann man nicht ſein, als Hölty war. Er ſchlug keine Bitte ab, wenn man ſie gleich unwiſſend auf Koſten ſeiner Ruhe that. Keine unſerer Zuſammenkünfte, keinen Spaziergang ins Feld, lehnte er auch nur durch eine bedenkliche Mine ab; und oft erfuhren wir nachher, daſs er nothwendige Geſchäfte zurückgeſezt, und die Nacht durch gearbeitet hatte. Er hätte, wie Miller ſagt, Folianten für ſeine Freunde excerpirt. Miller lernte von ihm Engliſch, Hahn Griechiſch, und ich Engliſch und Italieniſch.
Im Herbſte 1773 fing er an, Fremde für Geld zu unterrichten, und im folgenden Sommer aus dem Eng¬ liſchen zu überſezen, wobei ich anfangs ſein Gehülfe war. “Um meinem Vater, ſchrieb er im April 1774, eine Erleichterung zu verſchaffen, fiel ich darauf, mir durch Unterricht im Griechiſchen und Engliſchen etwas zu verdienen. Ich gab täglich fünf Stunden. Aber nicht einmal von der Hälfte bin ich bezahlt; die andern ſind weggereiſt, oder machen keine Miene zu bezahlen. Ich bin in Schulden gerathen, und muſs wieder zu meinem Vater meine Zuflucht nehmen. „ Sein Auszug aus dem Kenner verdiente mehr geleſen zu werden, als ers unter einem Volke kann, welches von jeder Meſſe einen ſo unſeligen Ueberfluſs geiſtloſer Sudeleien verſchlingt, und ſeine guten Schriften nicht kennt. Dieſem folgten Hurds Dialogen, und der erſte Theil von Shaftsbury. Mil¬XVMiller irrt, daſs ich die folgenden Theile überſezt habe; ich habe nur am Anfange des erſten Theiles meine Kräfte verſucht.
Ich ſeze aus jenem Briefe noch einige Stellen her, die unſern Freund lebhafter darſtellen, als es eine todte Beſchreibung vermag. „ Noch bin ich hier. Wer weiſs, wie lange die Trennung dauren wird, wenn ich einmal von meinen Freunden getrennt bin. Ich will ſo lange bei ihnen bleiben, als es mir nur immer möglich iſt. Meine Hauptbeſchäftigung ſoll die Leſung der Griechen und die Poeſie ſein. Welch ein ſüſſer Gedanke iſt die Unſterblichkeit! Wer duldete nicht mit Freuden alle Mühſeligkeiten des Lebens, wenn ſie der Lohn iſt! Es iſt eine Entzückung, welcher nichts gleicht, auf eine Reihe künftiger Menſchen hinauszublicken, welche uns lieben, ſich in unſere Tage zurückwünſchen, von uns zur Tugend entflammt werden ... Einige Jahre möchte ich in einer groſſen Stadt zubringen, und in allerlei Ge¬ ſellſchaften kommen, um die Menſchen ſorgfältig zu ſtudiren. Ich fühle, daſs mir dieſes nothwendig iſt, wenn ich in der Dichtkunſt mein Glück machen will. Ich habe meine Jahre unter Büchern zugebracht ... Wenn ich keine Geſchwiſter hätte, die nach meines Vaters Tode meiner Unterſtüzung bedürfen, ſo wollte ich mich ganz und gar um kein Amt bekümmern, ſon¬ dern mich vom Ueberſezen nähren, und bald in derStadtXVIStadt, bald auf dem Lande leben. In der Stadt wollte ich Menſchenkenntniſs ſammeln, auf dem Lande Ge¬ dichte machen. Mein Hang zum Landleben iſt ſo groſs, daſs ich es ſchwerlich übers Herz bringen würde, alle meine Tage in der Stadt zu verleben. Wenn ich an das Land denke, ſo klopft mir das Herz. Eine Hütte, ein Wald daran, eine Wieſe mit einer Silberquelle, und ein Weib in meine Hütte, iſt alles, was ich auf dieſem Erdboden wünſche. Freunde brauche ich nicht mehr zu wünſchen, dieſe habe ich ſchon. Ihre Freundſchaft wird meine trüben Stunden aufheitern, meine frohen noch froher machen. Ich werde ihre Briefe und Werke an meiner Quelle, in meinem Walde leſen, und mich der ſeligen Tage erinnern, da ich ihres Umgangs ge¬ noſs ... Ich ſoll mehr Balladen machen? Vielleicht mache ich einige, es werden aber ſehr wenige ſein. Mir kommt ein Balladenſänger wie ein Harlekin, oder ein Menſch mit einem Raritätenkaſten vor. Den gröſs¬ ten Hang habe ich zur ländlichen Poeſie, und zur ſüſſen melancholiſchen Schmärmerei in Gedichten. An dieſen nimt mein Herz den meiſten Antheil. Ich will alle meine Kräfte aufbieten. Ich will kein Dichter ſein, wenn ich kein groſſer Dichter werden kann. Wenn ich nichts hervorbringen kann, was die Unſterblichkeit an der Stirne trägt, was mit den Werken meiner Freun¬ de in gleichem Paare geht, ſo ſoll keine Silbe von mir gedruckt werden. Ein mittelmäſſiger Dichter iſt ein Unding! „
AusXVIIAus einem andern Briefe vom 13 December 1773. “Eben komme ich aus der Verſammlung unſerer Freunde. Ich danke dem Himmel, daſs er uns zuſammengeführt hat, und werde ihm danken, ſo lange Odem in mir iſt. Heilige Freundſchaft, wie ſehr haſt du mich be¬ ſeligt! Ich kannte keinen, konnte keinem mein Herz ausſchütten; du führteſt mir edle Seelen zu, die mir ſo viele ſüſſe Stunden gemacht haben, und mir auch künf¬ tig alle Bitterkeiten des Lebens verſüſſen werden ... Laura iſt in der Stadt geboren und erzogen. Sie iſt die ſchönſte Perſon, die ich geſehn habe; ich habe mir kein Ideal liebenswürdiger bilden können; hat eine majeſtä¬ tiſche Länge, und den vortrefflichſten Wuchs, ein oval¬ rundes Geſicht, blonde Haare, groſſe blaue Augen, ein blühendes Kolorit, und Grazie und Anmut in allen ihren Mienen und Stellungen. Nie habe ich ein Frauenzimmer mit mehr Anſtand tanzen ſehn; und das Herz hat mir vor Wonne gezittert, wenn ich ſie ein deutſches oder welſches (ſie verſteht Italieniſch und Franzöſiſch) Lied ſingen hörte. Sie fand ein groſſes Vergnügen an Kleiſts und Geſsners Schriften; ob ſie Klopſtock lieſt, weiſs ich nicht. Als ich ſie kennen lernte, war ſie bei ihrer Schweſter, die in meinem Geburtsorte verheiratet war, und im December 1768 ſtarb. Es war ein ſchöner Mai¬ abend, die Nachtigallen begannen zu ſchlagen, und die Abenddämmerung anzubrechen. Sie ging durch einen Gang blühender Apfelbäume, und war in die Farbe derUn¬XVIIIUnſchuld gekleidet. Rothe Bänder ſpielten an ihrem ſchönen Buſen, und oft zitterte ein Abendſonnenblick durch die Blüten, und röthete ihr weiſſes Gewand und ihren ſchönen Buſen. Was Wunder, daſs ſo viele Reize einen tiefen Eindruck auf mich machten, den keine Ent¬ fernung auslöſchen konnte. Einen Bogen würde ich anfüllen müſſen, wenn ich alle verliebten Fantaſien und Thorheiten erzählen wollte, worauf ich verfiel. Nach einem Jahre kehrte ſie wieder in die Stadt zurück. Man kann in einem Jahre manchen Göttertraum haben, man¬ ches Liebesgedicht machen. An beiden fehlte es nicht. ... Zweimal habe ich ſie nach ihrer Verheiratung ge¬ ſehn ... Als ich meine Eltern im vorigen Herbſte beſuchte, hörte ich, daſs ſie krank ſei, und daſs man ihr kein langes Leben zutrauete ... Es iſt Sünde, ſie ferner zu lieben. Meine Liebe iſt auch ſo ziemlich ver¬ loſchen; nur eine ſüſſe Erinnerung, und ein ſüſſes Herz¬ klopfen, wenn mir ihr Bild vor Augen kommt, ſind davon übrig. Doch habe ich oft noch den brennend¬ ſten Wunſch, ſie einmal wiederzuſehn. Ob ſie Gegen¬ liebe für mich gehabt hat? Ich habe ihr niemals meine Liebe merken laſſen, noch merken laſſen können. Wie konnte ein Jüngling, der noch auf keiner Univerſität geweſen war, um deſſen Kinn noch zweideutige Wolle hing, Liebeserklärungen thun, und auf Gegen¬ liebe Rechnung machen? Genug von Herzensangele¬ genheiten. Ich ſchäme mich fürwahr, dieſen Brief ge¬ſchrie¬XIXſchrieben zu haben; doch es ſei, litterae non erube¬ ſeunt. „
Michaelis 1774 begleitete er Miller nach Leipzig. Folgendes aus ſeiner Reiſebeſchreibung. „ Von Nord¬ heim bis Roſsla, wo ein Graf Stolberg wohnt, fuhren wir auf offenem Wagen, und hatten einen heitern ge¬ ſtirnten Himmel über uns. Zu Roſsla wurden wir in die ſogenannte gelbe Kutſche gepackt. Dies iſt eine mit gelbem Tuche behangene Landkutſche, worin acht Reiſende ſizen können, zwei vorn, zwei hinten, und vier auf den beiden Seiten. Ich wählte mir der Aus¬ ſicht wegen eine von den Seitenlogen, und kuckte wie aus einem Fenſter in die ſchöne groſſe Welt hinaus. Wir kamen durch Eisleben, wo Luther geboren iſt, konnten aber, weil es Mitternacht war, weder die Stadt noch Luthers Geburtshaus beſehn. Hier bekamen wir an einem Officier einen luſtigen Reiſegefährten. Wir aſsen zu Mittage mit ihm in Merſeburg, und tran¬ ken gewaltig viel Merſeburger. Klopſtock nennt es den König unter den Bieren. Es iſt das wahre Ein¬ herium Ol. Ich glaube ſteif und feſt, daſs Wodan mit ſeinen Leuten in Walhalla Merſeburger trinkt. Wir tranken des Götterſafts ſo viel, daſs unſre Geſichter ſo feuerroth wurden, als Uzens, da er zur Gottheit aufflog. Zwiſchen Merſeburg und Leipzig tranken wir Kaffe in einer Schenke, vor deren Thüre ein Faeton mit zweilieb¬XXlieblichen Mädchen hielt. Die eine war vorzüglich ſchön, und gefiel mir höchlich. Ich ſtellte mich dicht an die Thüre, als ſie abſtieg und wieder einſtieg, und verſchlang ihre Reize. Sie kam einmal ſo nahe bei mir vorbei, daſs mich ihr ſchöner Arm ein wenig berührte. Betrübt ſah ich ſie wegfahren. Ich freute mich, daſs mein Herz noch fühlen konnte. Welch ein Himmel iſt die Liebe! Der iſt ein Engel, der in dieſem Himmel wohnen kann, der ein Verdammter, der nie einen Plaz darin bekommt. Troz meiner ſtrupfichten Locken hätte ſie mich vielleicht angelächelt, wenn ſie gewuſst hätte, daſs der berühmte Traumbilderdichter vor ihr ſtünde. “
Spät im Herbſte 1774 fing er an, des Morgens Blut auszuwerfen, welches er für die unſchädliche Folge eines im erſten akademiſchen Jahre gehabten hartnäcki¬ gen Huſtens, und lange zurückgebliebenen Stiches hielt. Im Anfange des Mais 1775, wenige Wochen nach dem Tode ſeines Vaters, ging er von Göttingen über Han¬ nover nach Marienſee zurück, wo er ſeine Kur unter Zimmermanns Anleitung fortſezte. Den 8 Mai ſchrieb er mir: „ Vielleicht, hat Zimmermann Leiſewizen ge¬ ſagt, könnte ich noch von der Schwindſucht gerettet werden, wenn ich die verordneten Arzeneien gebrauch¬ te, und die vorgeſchriebene Diät befolgte. Du ſiehſt alſo, wie gefährlich meine Krankheit iſt, und auf welch ei¬ nem ſchmalen Scheidewege zwiſchen Leben und TodichXXIich wandle. So wenig ich mich auch vor dem Tode fürchte, ſo gern lebte ich doch noch ein paar Olimpia¬ den, um mit euch Freunden mich des Lebens zu freun, und um nicht unerhöht mit der groſſen Flut hinunterzu¬ flieſſen. Doch Gottes Wille geſchehe! Sonſt lebe ich hier ganz angenehm. Marienfee hat eine dichtriſche angenehme Lage. Ringsum ſind Gehölze und Kornfel¬ der und Wieſen. Aber was hilft mir die ſchöne Ge¬ gend, da ich ſie mit keinem Freunde durchirren kann! Ich verſichere dich, ich bin herzlich traurig, wenn ich an die Verſammlungstage1)Wir verſammelten uns alle Sonnabende, gingen mit einander ins Feld, ſprachen über Wiſſenſchaften und Empfindungen, und beurtheilten unſere Arbeiten. in Göttingen denke, und mich nach Freunden umſehe, und keinen finde. Bis Michaelis muſs ich hier bleiben. Da iſt keine Errettung. Ich muſs nun erſt die Kur brauchen, und meiner Geſund¬ heit warten. Es wird ein Glück ſein, wenn ich ſo viel Geld zuſammenſcharre, daſs ich Michaelis nach Wandsbeck ziehen kann. 2)Er wollte es ſchon Oſtern, und gab mir einen Theil ſeiner Bücher mit. Im Julius beſuchte er mich auf acht Tage, und ſeine Geſundheit ſchien ſich zu beſ¬ ſern. Michaelis muſste ich ihm ſchon eine Stube in meiner Wohnung mieten. Aber die Vorſehung ver¬ ſagte uns beiden das Glück, wieder vereinigt zu werden. Vielleicht beſuche ichdichXXIIdich gegen Ende des Mais auf einige Tage. Ich habe ein ſehnliches Verlangen, etwas von dir zu hören. Es wäre Sünde, wenn du mich lange in meiner Einſiedelei lieſſeſt, ohne an mich zu ſchreiben. Schreib doch an mich, Voſs; ſchreib doch an mich, Miller, wenn du noch da biſt. Sind die Barden in Hamburg auch verru¬ fen? 3)In Göttingen ward, weil wir nicht völlig wie andre Studenten waren, auf einigen Kathedern zwar nur leiſe, aber in gewiſſen Zuſammenkünften von Profeſ¬ ſoren und andern deſto lauter, von einer Barden¬ geſellſchaft geredet, welchen man mit ſinnreicher Frohherzigkeit viel abentheurliches, z. E. daſs ſie mit ihren Bardenſchülern auf einen benachbarten Hexen¬ berg auszögen, ſich in Thierhäute vermummten, um Mitternacht opferten, und keinen Wein, aber ge¬ waltig viel Bier tränken, und mehr derglei¬ chen nachſagte. Haſt du hübſche Traumbilder geſehn? Die Hamburger wallfahrten wohl ſchon ſtark nach Sankt Wandsbeck! O ihr müſst goldne Tage haben! Bald hoffe ich dich zu ſehn. „
Im Herbſte 1775 ging er nach Hannover, um dort unter Zimmermanns Aufſicht eine kleine Nachkur, wie er mir ſchrieb, zu brauchen, und dann nach Wands¬ beck zu kommen. Seine Hoffnung ſtieg und ſank; aber er blieb heiter, und ſcherzte über ſich ſelbſt. “Es ſindhierXXIIIhier magre unpoetiſche Zeiten: ſchrieb er mit den Ge¬ dichten, die er zum 77ger Almanach einſendete: ſo mager, wie die magern Kühe des Farao, oder wie ich jezt ſelber bin. Die Vormittagsſtunden muſs ich dem Ueberſezen aufopfern; nach Tiſche kriege ich immer Kopfweh und Hize im Geſicht, und bin bis gegen fünf Uhr zu nichts aufgelegt. Bald bin ich mit meiner Arbeit fertig, und kann einige Wochen in aller Ruhe bei dir bleiben. Ich bin ungemein begierig, dich einmal wie¬ derzuſehn. Der hieſige Aufenthalt iſt mir höchſt unan¬ genehm; ich muſs an einen andern Ort, oder ich ver¬ ſchimmele. Schreib mir bald. Ich ſchreibe dir künftig gewiſs oft. „ Armer Freund, es war dein lezter Brief an mich. Er ſtarb zu Hannover den 1 September 1776.
Dies war das Leben des Jünglings, deſſen Geiſt unter der Laſt eines ſiechen Körpers ſo aufſtrebte, daſs er in jeder gewählten Gattung der Poeſie unter den erſten Dichtern glänzt; der mit jedem neuen Verſuche höher zur Vollkommenheit ſtieg, und ſelbſt ſein Vollkommen¬ ſtes nur als Vorübung zu Werken des Mannes betrach¬ tete. Er ſtellte nicht mit kalter Ueberlegung Gedanken und Bilder zuſammen, worüber man ſich eins gewor¬ den iſt, ſie ſchön zu finden; voll warmer allumfaſſen¬ der Liebe blickte er in der Natur umher, und ſang, was ſein Herz empfand. Ich habe aus ſeinem Leben ſolche Züge gewählt, die mir die Art ſeiner Anſchau¬ungXXIVung und Empfindung zu erläutern ſchienen: wohlwiſ¬ ſend, daſs manche davon den ehrbaren und weltklugen Leſer nicht ganz befriedigen werden. Vielleicht hat mich die ſüſſe Erinnerung jener Zeit, da uns die Freund¬ ſchaft, unter harmloſen Freuden der Jugend, zu ſeelen¬ erhebenden Zwecken verband, etwas ſchwazhafter ge¬ macht, als eben nöthig war. Aber wem Hölty ſo, wie wir ihn kannten, nicht gefällt, der genieſſe ſeiner Erhabenheit, und überſehe es groſsmüthig, daſs er mir und meinen Freunden gefallen hat.
Von Höltys Frömmigkeit zu reden, ſchien mir un¬ nöthig. Seine Gedichte beweiſen es, daſs er, wie jeder gute Menſch, die Religion ehrte. Was unſer Freund Miller, gewiſs mit feſter Ueberzeugung und redlicher Abſicht, von Höltys Widerwillen gegen Neuerungen, die doch nicht alle übel gemeint ſein können, erzählt, habe ich wenigſtens in dem lezten Jahre zu Göttingen, da ich ſein ganzes Zutrauen beſaſs, nicht wahrgenommen. Theils falſch, theils Misdeutungen ausgeſezt, iſt Millers Vorſtellung von Höltys Glücksumſtänden. Aus Edelmut, und weil er ſich leicht behelfen konnte, entſagte er zulezt der Unterſtüzung ſeiner Familie; aber eigentlichen Mangel hat er nie gelitten. Er genoſs Wohlthaten des Staats, die Würdigen beſtimmt ſind; niemals Wohltha¬ ten eines Mannes, der ihm aufs höchſte nur Gerechtig¬ keit erwies. Ich hatte es einigen geklagt, daſs HöltyſichXXVſich noch in der lezten Krankheit mit Ueberſezungen quälen müſste, um etwas Geld zu einer kleinen Luſtreiſe zu ſammeln; worauf eine Freundin von Freunden, die es wehrt waren Hölty zu beſchenken, funfzig Thaler zuſammenbrachte, und nach Hannover ſchickte. Aber Hölty war ſchon todt; und das Geld ward ſeinem älte¬ ſten Bruder geſchenkt. Seine eigenen Angelegenheiten, die er Boien vor ſeinem Tode entdeckt hatte, wurden alle mit ſeinem vorräthigen und ausſtehenden Gelde ins Reine gebracht.
Hölty war in dem lezten Jahre, da er ſein Ende noch nicht ſo nahe glaubte, ſchon ſelbſt mit der Sammlung ſeiner Gedichte beſchäftigt. Der Tod übereilte ihn; und ſeine Papiere wurden Boien anvertraut, der ſie herauszugeben, und für einen Theil des Ertrags ein kleines marmornes Denkmal auf das Grab des hannövri¬ ſchen Dichters zu ſezen verſprach. Mancherlei Hin¬ derniſſe verzögerten dieſe Ausgabe, und würden ſie vielleicht noch lange verzögert haben. Wir übernah¬ men ſie alſo ſelbſt: weil es uns kränkte zu ſehn, daſs unſerm verſtorbenen Freunde von einem Unbekannten, der die Kühnheit hatte, ſich öffentlich als Höltys Freund zu nennen, ein Gemengſel von verworfenen, fremden und ſinnloſen Gedichten aufgebürdet, und ſeinen recht¬ mäſſigen Erben ihr Eigenthum entzogen ward. Ein Denkmal kann ihm nun freilich nicht geſezt werden;aberXXVIaber in Hannover, wo auch Leibniz begraben liegt, iſt es kein Zeichen von Geringſchäzung, daſs man die Stätte des Begrabenen nicht kennt. Es erforderte oft nicht weniger Bekanntſchaft mit Höltys Art, als unverdroſſene Aufmerkſamkeit, aus ſeiner Handſchrift die wahre Meinung herauszufinden. Viele Aenderungen und Zu¬ ſäze ſtehn durch einander, oft wieder verändert, halb und ganz vollendet, oder nur angedeutet, auf kleinen Zetteln, auf Umſchlägen von Briefen, und auf dem Rande eines Leichengedichts. Unter einigen Gedichten ſteht das Verdammungsurtheil: Verworfen! unter andern von gleichem Gehalte fehlt es. Von einigen ſchon ge¬ druckten fanden ſich ältere Abſchriften, mit nicht ver¬ werflichen Lesarten. Auch das Traumbild Seite 42 hat in einem zu ſpät verglichenen Buche von 1772 noch folgende Verſe, die aufgenommen zu werden verdienen:
VonXXVIIVon ungedruckten Gedichten fand ſich zum Theil nur der erſte Aufſaz, wo Strofen und Verſe durch einander, und, ohne daſs etwas ausgeſtrichen iſt, dieſelben Ge¬ danken mehrmal umgearbeitet vorkommen. Wir haben mit treuer Sorgfalt gewählt, und was Hölty ſo, wie es war, ſeiner unwürdig erkannte, nach ſeiner Anweiſung oder Andeutung geändert: eine Freundſchaftspflicht, die wir ſtets, ſo lange er unter uns lebte, gegen einander ausgeübt, und die der Nachlebende dem Verſtorbenen heilig verſprochen hat. Wir haben ſeinen Nachlaſs ſo beſorgt, wie unſer redliche Freund, wenn wir früher geſtorben wären, den unſrigen beſorgt hätte. Eutin, im Auguſt 1783.
Voſs.
In¬von Ludewig Heinrich Chriſtoph Hölty.
11771.
1771.
Eine Schnitteridille.
1771.
1773.
1772.
1770.
1772.
1773.