Ὥσπεϱ ϑεὸν ἐν ἀνϑϱώποις εἰκὸς εἶναι τὸν τοιοῦτον ..... Κατὰ δὲ τῶν τοιούτων οὐκ ἔστι νόμος· αὐτοὶ γάϱ εἰσι νόμος.
Seinem Freunde Dr. Gottlieb Friedlaender, Cuſtos der Koͤniglichen Bibliothek in Berlin.
Hat mir ſeit Jahren dieß Buch vom Alexander bei mancher Muͤhe und mancher Beſorgniß, das Rechte wuͤrdig zu ſagen, viele und ſtets neue Freude gewaͤhrt, ſo mag es mir jetzt zum Schluſſe die noch bereiten, es Dir zu widmen mit dem einen Wunſche, daß es Dir meiner herzlichen Liebe ein Zeug - niß ſei. Vielleicht, daß mir ſpaͤtere Arbeiten beſſer gelingen, lieber wird mir nicht leicht eine ſein, als dieſe, von der ich wohl weiß, daß ich mit ihr von den ſchoͤnen Jahren der Ju - gend Abſchied nehme; Dir aber wollte ich geben, was mir das Liebſte iſt.
Da Du weißt, daß ich die Geſchichte Alexanders in der Abſicht, die Zeit der Diadochen und weiter die des Hellenis - mus zu bearbeiten, entworfen habe, ſo wirſt Du es nicht unrecht finden, wenn ich ſie nicht als Monographie noch als Biographie behandelt, ſondern den großen Mann, der Anſicht gewiß, daß ſeine Perſoͤnlichkeit nur das Organ ſeiner That, ſeine That nur der erſte Impuls einer Wirkung auf Jahrhunderte iſt, in ſeiner geſchichtlichen Groͤße darzuſtellen verſucht habe.
Vieles Andere haͤtte ich vor Dir noch zu rechtfertigen, oder auch Deiner Nachſicht zn empfehlen: doch da ich deren gewiß bin, ſo will ich auch das nicht zu beſchoͤnigen verſu - chen, was ſich nicht ſelbſt vertritt. Findeſt Du aber in den Noten verhaͤltnißmaͤßig wenig citirt, von den Iskanderſagen Unbedeutendes, von mittelalterlichen Traditionen gar nichts benutzt, von neueren Hiſtorikern faſt nur St. Croix erwaͤhnt, ſo wolle nicht das eine oder andere Uebelſte meinen, es ſei Fahrlaͤſſigkeit oder Misachtung. Vergiß es lieber, wie oft ich auf der Bibliothek, Dir damals noch ein Fremder, mit meinem Fragen und Suchen nach Buͤchern und wieder Buͤ - chern deine Geduld zu verſuchen genoͤthigt war. Daß ich von allen nur wenige genannt habe, dazu zwang mich der ſchon zu große Umfang des Buches; Alles, was irgend entbehrlich war, mußte uͤber Bord geworfen werden; ein Schickſal, das ich ſelbſt den Tabellen der Chronologie, der Satrapien und des Heerweſens, ſo wie den Stammtafeln Perſiſcher und Mace - doniſcher Familien nicht habe erſparen koͤnnen.
Berlin, den 24. December 1833.
Joh. Guſt. Droyſen.
Wenigen Menſchen und wenigen Völkern wird das Vorrecht zu Theil, eine höhere Beſtimmung als die Exiſtenz, eine höhere Unſterb - lichkeit als zeitloſes Vegetiren, als das Nichts der körperloſen Seele zu haben. Berufen ſind alle; aber denen, welche die Geſchichte zu Vorkämpfern ihrer Siege, zu Werkmeiſtern ihrer Gedanken auser - wählt, giebt ſie die Unſterblichkeit des Ruhmes, in der Dämmerung des ewigen Werdens gleich einſamen Sternen zu leuchten.
Weſſen Leben alſo über die öde Dämmerung der Zeitlichkeit emporſteigt, dem iſt der Friede des Lebens und der Genuß der Ge - genwart verſagt, und auf ihm laſtet das Verhängniß einer Zukunft; ſeine That wird ihm zur Schuld, ſeine Hoffnung zu einſamer Sorge und raſtloſer Arbeit um ein Ziel, das doch erſt ſein Tod erfüllt; und noch die Ruhe des Grabes ſtören die lärmenden Kampfſpiele um ſeine Heldenwaffen und ein neues, wilderes Ringen der aufgerüttelten Völker.
Alſo drängt ſich das Chaos des Menſchengeſchlechtes Fluth auf Fluth; über den Waſſern wehet der Geiſt Gottes, ein ewiges Werde, eine Schöpfung ohne Sabbath.
Und wie an dem erſten Schöpfungstage Gott das Licht von der Finſterniß ſchied, und aus Abend und Morgen der erſte Tag ward, ſo hat der erſte Tag der Geſchichte die Völker aus Abend und Morgen zum erſten Male geſchieden zu ewiger Feindſchaft und dem ewigen Verlangen der Verſöhnung; denn es iſt das Leben des Geſchaffenen, ſich aufzuzehren und zurückzuſinken in die alte friedliche12Nacht des ungeſchaffenen Anfangs; drum ringen die Völker aus Abend und Morgen den Kampf der Vernichtung; ſie ſehnen ſich nach endlicher Ruhe.
Dieſe Sehnſucht der Völker iſt ein verlornes Paradies; aus ſei - nem Paradieſe trieb den Sohn des Morgenlandes die Angſt des erwachten Gedankens, der umſonſt nach Freiheit rang; gebannt in die weitlagernde Einöde von Höhen und Tiefen, umfluthet von den heimathloſen Horden der Urzeit, die er nur zu knechten, nicht zu ordnen vermochte, verdammt zum ewigen Arhimanskampfe des Ge - ſetzes und der Ohnmacht, zog er umſonſt gen Abend, gegen die Völ - ker der Freiheit.
Dieſelbe Sehnſucht iſt das Mährchen von der goldenen Zeit, von der der Grieche träumte und ſang und nicht müde wurde zu dichten; denn da herrſchte der Friede der ſeligen Götter und die Menſchen lebten fromm und glücklich und wandelten mit den Göt - tern im heiligen Haine, ihr Himmel war auf Erden und der Freude kein Ende. So dichtete der Grieche, und ſeine Sehnſucht geſtaltete ſich zu den Kämpfen und Leiden der Heroen, zur Freiheit der Kraft und des Willens; ſeine Welt ward die Bühne eines ſteten Ringens, die Paläſtra des Gedankens, ſein Leben dem großen Kampfſpiel der Zukunft geweiht, deſſen Siegespalme jenſeit des Meeres, jenſeit des erkämpften Perſerreichs, an den ſtillen Ufern des Ganges grünt. Dann iſt die Zeit erfüllt, dann kämpft und ſiegt der Heldenjüng - ling mit ſeinen Getreuen, dann jauchzen und frohlocken die Völker vom Aufgang bis zum Niedergang; er aber kehrt ohne die Palme des Ganges zurück, und um ſein frühes Grab fluthet ein neues, wilder gährendes Chaos.
Denſelben Kampf wiederholen die Jahrhunderte unabläſſig; die - ſelbe Angſt treibt die Völker Aſiens gen Weſten, daſſelbe Verlangen den Abendländer zum heiligen Grabe, zu den Schätzen Golkondas, zum verſchollenen Golde des Altai; mit allen Waffen der Gewalt und Liſt, der Wildheit und Bildung, des Glaubens und Wiſſens, der Maſſe und des Gedankens treten neue und neue Völker in die Schranken, und nur die Potenzen ihrer Gewalt unterſcheiden ſie. Schon niſtet Aſien nah am Herzen Europas, ſchon hat Europa die Thore des hohen Aſiens erbrochen; wer kennt die Zukunft? Aber einſt, wenn aus Abend und Morgen der letzte Kampf entſchieden3 iſt, dann wird die Ruhe des ſchweigenden Anfangs wieder ſein und die Geſchichte hinwegeilen in eine neue Welt.
Beginn und Ende dieſes Kampfes der Jahrhunderte hat die Veſte der alten Welt in ihrer geographiſchen Bildung präformirt; es ſcheidet ſich Aſien und Europa im Griechiſchen Meere, es vereint ſich in den weiten Steppen der Wolga. —
In Aſien ſelbſt ſchließen mächtige Bergwälle die Länder In - diens, Chinas, des Buddhaismus; in ſich verſunken haben ſie in den großen Kämpfen der Geſchichte nie fördernd und ſelten leidend Antheil genommen; von ihnen weſtwärts erſt wohnen die Völker des geſchichtlichen Kampfes. Er iſt in dem Stromthale Meſopota - miens zum erſten Male erwacht; aber die Völker von Babylon und Aſſyrien wies der Lauf ihrer Ströme dem Südmeere zu, ihre Züge gen Weſten haben ſie mit frühem Untergange gebüßt. Auch an den Küſten regte ſich das Leben der Völker; aber Aegypten war für immer der Erde verfallen, Israel ein verſtoßener Liebling Got - tes, der Phönicier ein Fremdling in ſeiner Heimath. Dann zog Medien gen Weſten, und die Turanier bedrehten es im Rücken; es drang ſiegend nach Süden vor, um in der Ueppigkeit des Thal - landes zu verkommen. Erſt das Geſchlecht der Perſer war beru - fen, dieſe Völker alle zu beherrſchen und von der hohen Burg Iran hinab ſeine Waffen und ſeine Ketten bis in das Abendland zu tra - gen; ihr Reich lehnte ſich an den Weſtabhang des großen Gebirgs - walles, der Aſien theilt, es knechtete die Tiefländer nordwärts und ſüdwärts, die Völker von Baktrien und Syrien, es bezwang die Länder des Taurus und Libanon, des Halys und Nilſtromes, die Brücken nach Europa und Afrika; aber das Meer und die Wüſte ward ſeine Grenze; hier brach ſeine Kraft an der todten Gluthitze Lybiens, dort an der lebendigen Kraft der Europäiſchen Freiheit; die Rieſenmaſſe des Reiches, nur durch die mechaniſche Bewegung wei - ter Eroberungszüge zuſammengehalten, begann ſich zu löſen und zu verweſen; das Herz des Reiches war die Todtenſtadt Perſepolis.
Der traurigen Einförmigkeit des Aſiatiſchen Feſtlandes gegen - über ſteht die ſchöne Gliederung des Europäiſchen Erdkörpers; eine reichere, raſchere Entwickelung des geiſtigen Lebens vorgeſtaltend, in -1 *4dividualiſirt ſich derſelbe zu einem Cyklus von Länderformen, deren geſchichtliche Stellung unzweideutig ausgeprägt iſt. Die Halbinſel des Hämus, dem Feſtlande des geſchichtlichen Aſiens am nächſten, iſt durch ihre geographiſchen Verhältniſſe als der unmittelbare Ge - genſatz von Aſien gezeichnet. Im reichſten Wechſel von Bergen und Thälern, durch tiefeindringende Meerbuſen, die den einzelnen Land - ſchaften den Zugang zum beweglichen Element der Wellen öffnen, in ſich gleichſam vervielfacht, an den Erzeugniſſen eines ewig heitern Himmels zu reich, um das Menſchenleben mit Mangel und Elend kämpfen zu laſſen, arm genug, um es nicht in gedankenloſer Wol - luſt zu ſchwächen oder zu träger Sicherheit zu verwöhnen, weckt es Thätigkeit, Kraft und Luſt am raſchen Genuß und bedingt nach der Verſchiedenheit von Thälern und Bergen, von Küſten und Binnenland, von fruchtbaren Geländen und dürftigem Felsboden auf einem kleinſten Raum den größten Wechſel von Lebensweiſen und Bedürfniſſen, von Betriebſamkeit und Verkehr. Zu der allgemeinen Familie der abend - ländiſchen Völker gehörig, entwickelten die Autochthonen jenes glücklichen Landes frühzeitig eine eigenthümliche Beweglichkeit und Mannich - faltigkeit des Lebens; bald verſchwanden die Pelasger vor den Hel - lenen, der Naturzuſtand vor der Regſamkeit der erwachten Bildung und Wanderluſt, die die Hellenen nach Oſten und Weſten verbrei - tete; vor allen lockten die ſchönen Inſeln der Aegäiſchen See, die Küſten im Oſten, die in gleicher Weiſe wie die Heimath von Meer - buchten durchſchnitten, von Gebirgen umſchloſſen und geſchützt ſind. Die Natur ſelbſt hatte den Hellenen dieſen öſtlichen Gegenden zuge - führt; denn dorthin ſenken ſich die Berge und Thäler ſeiner Hei - math, dorthin öffnen ſich die Meerbuchten, deren Fahrwaſſer ſich mit regelmäßigen Eteſien, die bis Sonnenuntergang wehen, vereint, um die Schiffe in kleinen und gefahrloſen Tagefahrten von Inſel zu Inſel bis an die Küſte Aſiens zu führen. Bald füllten ſich die Inſeln und die ſchönen Geſtade Joniens mit Griechiſchen Anſiedlun - gen, und wetteiferten mit dem Heimathlande an Reichthum, Lebens - luſt und heiterer Kunſt; die Geſänge der Homeriden ſind das Ver - mächtniß dieſer glückſeligen Zeit, da der Grieche in dem engen und doch ſo reichen Kreiſe des heimathlichen Lebens die Anfangsgründe des Lebens gelernt hat.
So die Heimath des helleniſchen Volksthums; Gebirge umzie -5 hen das Gebiet des Aegäiſchen Meeres vom Hellespont bis zum Iſthmus, von hier bis zum Tänariſchen Vorgebirge; ſelbſt durch das Meer hin bezeichnen Cythere, Kreta, Rhodus dieſe Umſchließung, die auf der Kariſchen Küſte in mächtigeren Gebirgsformen hervor - tritt, und in reichen Thälern und Berghängen zum Meere hinab - ſinkend bis zum ſchneereichen Ida und dem Hellespont hinzieht. Jahrhunderte hat ſich das Helleniſche Leben in dieſem Kreiſe bewegt; und jene Richtung gen Oſten, die dem Geiſt des Volkes von dem Boden der Europäiſchen Heimath mitgegeben war, ſchien ſich in je - ner zweiten Heimath, die er auf der Küſte Aſiens fand, erfüllt und bewährt zu haben.
Und doch blieb in dem ahnenden Gefühl des Volkes das Mor - genland, die Völker des Oſtens der ſtete Gegenſatz des Griechen - thumes; in Sagen und Geſängen geſtaltete ſich die eigene Zukunft vor; ein goldener Hort oder ein ſchönes Weib wurden der unmit - telbare Ausdruck einer tieferen Sehnſucht. Aus dem Morgenlande entführt der Olympier Zeus das Sidoniſche Fürſtenkind und nennt Europa mit ihrem Namen; nach dem Morgenlande flüchtet Jo, um dort den Helleniſchen Gott zu umarmen, den ihr in der Heimath die Göttinn von Argos verſagt. Auf dem Widder mit goldenem Vließ will Hella gegen Oſten flüchten, um dort Frieden zu finden; aber ſie verſinkt in das Meer, das ihre Heimath vom Lande des Friedens trennt. Die Argonauten ziehen aus, das goldne Vließ heimzuholen aus dem Walde von Kolchis; das iſt der erſte Kriegs - zug gegen das Morgenland; mit den Helden zurück kommt Medea, die arge Zauberin, die Haß und Blutſchuld in die Königshäuſer von Hellas bringt, bis ſie, verſtoßen und misehrt von dem Heros Athens, zurückflüchtet in die Mediſche Heimath.
Dem Argonautenzuge folgt ein zweiter Heldenkampf, der hei - mathliche Krieg gegen Theben, das traurige Vorbild des Haſſes und der brüderlichen Kämpfe, die Griechenland lange zerrütten ſollten. In verhängnißvoller Verblendung hat Laios gegen das Orakel des Gottes einen Sohn gezeugt, hat Oedipus ſein Vaterland miskannt und kehrt, die Fremde ſuchend, zur Heimath zurück, erſchlägt den Vater, zeugt mit ſeiner Mutter, und herrſcht in der Stadt, der beſ - ſer das Räthſel ihres Untergangs nie gelöſt wäre. Und als er end - lich ſeiner Schuld inne wird, ſo blendet er in frecher Wildheit ſein6 ſehendes Auge, verflucht ſich, ſein Geſchlecht, ſeine Stadt, und das Schickſal eilt ſeinen Spruch zu erfüllen, bis der Bruder den Bru - der erſchlagen hat, bis ein Trümmerhaufe die Stätte dreifacher Blutſchuld deckt.
Und ſchon beginnt Frevel und Blutſchuld heimiſch zu werden unter den Menſchen, die Zeit der Heroen eilt ihrem Ende zu; die Fürſtenſöhne, die um die ſchöne Helena geworben, ſitzen daheim bei Weib und Kind, und kämpfen nicht mehr gegen Rieſen und Frevel. Da rufen die Herolde der Atriden zum Heereszuge gen Oſten auf; gen Oſten iſt Helena entführt von dem Gaſtrechtſchänder Paris. Von Aulis aus ziehen die Fürſten Griechenlands gen Aſien, und mit den Fürſten ihre Getreuen und ihre Völker. Lange Jahre hindurch kämpfen und dulden ſie, und Achilles feiert die Leichenſpiele ſeines Freundes Patroklus; dann trifft ihn ſelbſt der Pfeil des Ver - räthers und des Kampfes Ende iſt gekommen; Troja fällt. Wohl haben die Achäer erreicht, was ſie wollten, aber die Heimath iſt für ſie verloren; die einen ſterben in den Fluthen des empörten Meers, andere zerſtreuen ſich in die fernen Länder der Barbaren, oder er - liegen der blutigen Tücke, die am heimathlichen Heerde ihrer harrt. Die Zeit der Heroen iſt vorüber, und von dem entarteten Geſchlecht wenden die Götter ihr Antlitz.
So die Sagen und die Ahnungen des Volks; und als an den Küſten des Aegäiſchen Meres die Geſänge der Homeriden verſtumm - ten, begannen ſie ſich zu erfüllen. Aus fernem Oſten drangen die Heere der Perſer heran, ſie kämpften am Halys, bald unter den Mauern von Sardes, und mit dem Lydierreiche fielen die Helleniſchen Städte der Küſte, die, jetzt in Barbarenhand, den Blick der freiern Hellenen von Neuem gen Oſten lenkten und zu unabläſſigen Kämpfen für die Freiheit aufriefen. Jene Städte empörten ſich, von den Athenern unterſtützt drangen die Jonier ſiegreich bis Sardes vor, aber nur um deſto tiefer zu fallen. Mit der Einnahme Milets war die ganze Küſte geknechtet; die Inſeln unterwarfen ſich, die See ward von Phöniziſchen Flotten beherrſcht, ihre Nordküſte von Perſern beſetzt, ſchon kamen Geſandte des großen Königs nach dem Griechiſchen Feſtlande und forderten Erde und Waſſer. Aber in der Ebene von Marathon retteten die Athener ihre junge Frei - heit, und ſchützten die Helleniſche Heimath vor dem Joche Aſiatiſcher7 Sklaverei. Und zum zweiten Male rüſtete der große König, und die Völker vom Indus und vom Nil ſtrömten über den geknechte - ten Hellespont nach Europa, die dreihundert Männer der Thermo - pylen kämpften vergebens, und Theben verbündete ſich mit dem Sklavenheere des Xerxes; Athen fiel in ſeine Hände, die Tempel, die Gräber wurden zerſtört; die dreihundert Schiffe der Griechen, ihre letzte Zuflucht, waren von der Perſerflotte umzingelt in der Salaminiſchen Bucht, und auf der Düne thronte Xerxes auf golde - nem Throne, um von dort herab den Sieg ſeiner Völker und den Untergang der freiheittrotzenden Hellenen zu ſehen. Da brachen die Griechen mit freudigem Schlachtgeſang hervor, ſie kämpften und ſiegten, Scheiter und Leichen bedeckten die See und die Geſtade; der große König zerriß lautjammernd ſein Kleid, und floh in blinder Flucht heimwärts. Die Ueberbleibſel ſeiner Geſchwader vernichtete der Tag von Mykale, der Jonien zur Freiheit rief; und unter den Mauern Platää’s fielen die letzten Perſerſchaaren, die Griechenland geſehen.
Mit dieſen Kämpfen war unter den Hellenen ein neues, wun - derreiches Leben erwacht, das der gefährdeten, ihrer ſelbſt ſich be - wußten Freiheit. Dies Bewußtſein war zugleich Frucht und Saame der Freiheit, aber die Freiheit, die es zeugte, eine höhere als jene bewußtloſe, natürliche, autochthoniſche, die, in ſich ſelbſt geſchloſſen, ohne Kampf, ohne Bethätigung und Berechtigung geblieben war. Dieſe bewußtloſe Freiheit der vorperſiſchen Zeit iſt in den Doriſchen Staaten, namentlich in Sparta feſtgehalten worden; alte Ein - fachheit und Tüchtigkeit, Ernſt und Stätigkeit in öffentlichen, Ehrer - bietung und Tugend im häuslichen Leben ſind ihre Vorzüge; Unter - drückung neben Privilegien der edleren Geſchlechter, Geiſtesarmuth neben Herrſchſucht, Brutalität neben Heimtücke und Heuchelei, wenn einmal Begierde die Feſſeln der ſtrengen Lykurgiſchen Zucht zerreißt, das ſind ihre großen Mängel und zugleich die Mittel, die dem Volke der Spartaner einmal zur höchſten Macht in Hellas verhelfen ſollten.
Dem gegenüber ſteht die demokratiſche Freiheit Athens; ihre Grundlage und der Impuls ihres Fortſchrittes und ihrer Ho - heit iſt jenes Bewußtſein der gleichen Berechtigung aller Bürger, denn alle haben Theil gehabt an dem Kampfe für die Freiheit; daſ - ſelbe Bewußtſein treibt ſie zu immer neuem Kampfe, ſo lange ihrer8 Freiheit noch Gefahr von den Perſern droht, ſo lange die Freiheit in ſich noch Elemente der Ungleichheit verbirgt; und dieſe ſelbſt arbeitet der Kampf gegen die Barbaren hinweg; mit Cimon, dem letzten Ariſtokraten Athens, hörte der Perſerkrieg auf, Perikles lenkte den Staat; die Demokratie und die Macht Athens war auf ihrem Gipfel.
Aber die Conſequenzen dieſer Freiheit ſelbſt führten zum Un - tergange. Warum ſollten Wenige, durch die Zufälligkeiten der Ge - burt und des Reichthums ausgezeichnet, größeren Einfluß, höhere Achtung als jeder andere freie Bürger haben? ſo fiel die Ariſtokratie und die Stätigkeit des gemeinen Weſens. Warum ſollte ferner, was irgend wer vor Zeiten für und durch das Volk gethan, ihn ſpäter noch über Andere und Alle erheben, die Zukunft an eine längſt verbrauchte Vergangenheit gefeſſelt ſein? ſo wurde Ariſtides, The - miſtokles, Cimon, Thucydides durch den Oſtracismus verbannt, ſo der Areopagus geſtürzt, ſo alle Entſcheidung an das Volk gegeben, das Perikles mit immer neuer Kraft zur höchſten Entwickelung des demokratiſchen Bewußſeins, endlich zum offenbaren Krieg mit den Doriſchen Staaten führte. Daſſelbe Bewußtſein entwickelte in der Philoſophie Anaxagoras, des Perikles Freund, der die Ordnung der Dinge von den Göttern auf den Verſtand hinüber trug, der den Glauben der Menge durch das Bewußtſein der Verſtändigen Lügen ſtrafte. Und als der Peloponneſiſche Krieg begann, übernahmen es die Sophiſten, jenes zerſtörende Warum weiter zu verfolgen, die Dema - gogen, es in alle Adern des Volkslebens wie ein ſüßes Gift zu ver - breiten; ſie nannten Geſetz und Recht Willkühr und Satzung, das eigne Gewiſſen letzte Entſcheidung, den eignen Nutzen höchſten Zweck, die Macht zur Herrſchaft berechtigt, den Staat um des Einzelnen Willen und zu deſſen Förderung groß und reich. In den Myſterien war bisher verborgen und der Frivolität des Geſchwätzes, dem Tau - mel des öffentlichen Lebens entrückt geweſen, was allem Zweifel und allem Spott unerreichbar ſein mußte, wenn der Demokratie noch irgend Charakter und Haltung bleiben ſollte; auch von ihnen wich jetzt die alte Ehrfurcht; alles Gemeinſame ging unter, das Volk löſte ſich auf in die Atomiſtik der Ochlokratie, die Theilnahme an dem öffentlichen Leben in ein wildes Gewirr perſönlicher Leiden - ſchaften und Lächerlichkeiten, der Glaube der Väter in den Atheis - mus der ſophiſtiſchen Aufklärung. Mit gleichem Rechte war es,9 daß Athen der ſtrengen alterthümlichen Macht der Spartaner erlag, und daß es jenen Weiſen zum Giftbecher verdammte, der ſtatt der heimathlichen Götter dem eigenen Dämon gehorchte, der die Jugend verführte, daß ſie Vater und Mutter verließen, um der neuen Lehre zu folgen.
Das Ende des Peloponneſiſchen Krieges iſt ein entſchei - dender Wendepunkt in der Geſchichte Griechenlands; der lineare Gang der an Athen geknüpften Entwickelung, welche die andern Staa - ten theils als Feinde, theils als Unterthanen von der Höhe der Bildung und des Bewußtſeins ausgeſchloſſen hatte, mußte ſich über alle Griechen ausbreiten, und allen jene Freiheit, wie ſie der Zeit entſprach, mittheilen. Die Hegemonie kam an den Staat der vor - perſiſchen Zeit; aber je weiter Sparta hinter der Zeit zurück geblie - ben war, deſto unnatürlicher und drückender wurde eine Herrſchaft, die die Hoffnung aller mehr als betrog, und Freunde und Feinde in daſſelbe Joch zu zwingen begann. Auch war es nicht mehr die alte Spartanerſtadt; Armuth, Mäßigkeit, Gehorſam waren die er - ſten Forderungen ihres großen Geſetzgebers geweſen; jetzt ſtrömten die reichen Tribute Joniens und der Inſeln nach Sparta zuſam - men, jetzt herrſchten die daheim zu blindem Gehorſam Gewöhnten in frecher Willkühr über die Städte von Hellas, und brachten Wol - luſt, Goldgier, jegliche Entartung zurück in die Stadt Lykurgs. Sie kämpften gegen die Perſer, aber nicht in dem großartigen In - tereſſe der Helleniſchen Freiheit, über die ſie mit dem Golde der Barbaren triumphirt hatten; ſie ſandten ein Söldnerheer, mit dem der Empörer Cyrus gegen ſeinen Bruder und Herrn auszog; ſie ſandten an die Aſiatiſchen Städte, die ſich in ihre Arme geworfen, Feldherren und Hauptleute, um nicht die reichen Tribute an Per - ſien zu verlieren; ſie ſandten endlich ihren hochfahrenden König Ageſilaus zum Kampf gegen die reichen Satrapien Kleinaſiens, den dieſer voll eitlen Stolzes, als wäre er ein zweiter Agamemnon, von Aulis aus mit einem großen Opfer beginnen und als Nationalkrieg aller Hellenen angeſehen wiſſen wollte, obſchon von den größeren Staaten keiner Antheil nahm. Vielmehr brach während ſeiner Ab - weſenheit eine Reaktion aus, die um ſo bedenklicher war, je weni - ger Sparta ſelbſt auf ſeine alten Bundesgenoſſen rechnen konnte; kaum hatte Ageſilaus Zeit, aus Aſien zurückzukehren, um in der10 Ebene von Koronea ſeinem Staate wenigſtens die Herrſchaft auf dem Feſtlande zu ſichern, indem die Flotte, durch Konons Sieg mit Perſiſchen Schiffen, faſt vernichtet war; die Inſeln erhielten von Konon ihre Autonomie, Athen ſeine langen Mauern wieder; und Sparta, zu erſchöpft, um allein gegen Athen, Argos, Korinth, The - ben auftreten zu können, eilte ſich durch Vereinigung mit dem Per - ſerkönige zu behaupten. Antalcidas machte mit dem Groß - könige jenen verrätheriſchen Frieden, nach dem alle Helleniſchen Städte in Aſien nebſt Cypern den Perſern zufallen, alle andern Städte groß und klein ſelbſtſtändig ſein, endlich, wer den Frieden nicht anerkannte, von den Perſern und den Theilnehmern des Frie - dens bekriegt werden ſollte.
Wurde durch dieſen Frieden auch die Küſte Aſiens Preis ge - geben, ſo war er doch, freilich wider Spartas Willen, für die Ver - breitung der demokratiſchen Freiheit von der größten Wichtigkeit. Ueberall löſten ſich die alten Bande, die mehrere Ortſchaften einer Stadt unterthänig gemacht hatten, und die Bewohner kleiner Städte nannten ſich fortan mit demſelben Stolz, wie die Männer Athens oder Thebens, freie Bürger; Griechenland begann in eine Menge von Mittelpunkten atomiſtiſch zu zerfallen, und auf dieſe Weiſe zu der fruchtbaren Gährung eines vielfältigen Einzellebens aufgelöſt alle Kräfte und Formen zu entwickeln, die zur Bewältigung und Durchgeiſtigung Aſiens, dem letzten Ziele des griechiſchen Lebens, nöthig waren.
Scheinbar hatte der Antalcidiſche Frieden die entgegengeſetzten Folgen; Sparta ſetzte die Autonomie der kleineren Gemeinden und die Auflöſung von Gauvereinen überall durch, wo es mächtige Staaten zu ſchwächen galt; aber weit entfernt, die eignen Schutz - bündner und Unterthanen frei zu geben, machte es vielmehr ſeine Obergewalt in der Peloponneſiſchen Symmachie mehr als jemals geltend, führte wo es irgend möglich war, oligarchiſche Verfaſſun - gen ein, und benutzte jede Gelegenheit, um unter dem Vorwande, die Selbſtſtändigkeit der Städte zu gründen, ſeine Macht über ganz Hellas auszubreiten; ja mit offenbarem Unrecht wurde Theben von den Spartanern beſetzt, eine Oligarchie eingerichtet und Alles, was nicht Spartaniſch war, vertrieben. Aber damit hatte Sparta ſich ſelbſt den Tod gebracht. Einige Flüchtlinge, Pelopidas an ihrer11 Spitze, kehrten nach Theben zurück, er[ſc]hlugen die Oligarchen mit ihrem Anhang, und riefen das Volk[a]uf, mit ihnen die Demokra - tie zu vertheidigen, und die alte Ma[c]ht über Böotien wieder zu er - kämpfen. Die Städte Böotiens, die durch den Frieden unabhän - gig geworden waren, traten wi[e]der zum Böotiſchen Bunde, nur Orchomenos, Platää und Thspiä weigerten ſich; ſie wurden be - zwungen, ihre Gemeinden aufgelöſt, die Bürger exilirt und zu Sclaven gemacht. Dann drang Theben unter Pelopidas und Epaminondas nach Süden und Norden weiter vor, und rief die Städte des Feſtl[a]ndes zur Selbſtſtändigkeit und Demokratie auf. Die Schlacht von Leuktra öffnete den Weg zum Peloponnes, in dem ſich, ſeit di[e]Furcht vor den Spartaniſchen Waffen geſchwun - den war, ein nues Leben regte; überall wurde das Joch der Oli - garchie abgeſch[ü]ttelt, mit Thebens Beiſtand machte ſich ſelbſt Meſſe - nien frei; und als endlich die Schlacht von Mantinea gekämpft war, hat[te]Spartas Macht ein Ende, der Peloponnes eine neue demokrati[ſ]che Geſtalt im Sinne der Zeit. In jener Schlacht war Epami[n]ondas und mit ihm die Stütze der Thebaniſchen Macht gefallen die, getragen und geadelt durch die Perſönlichkeit einzelner Männe[r], ſchnell zu der alten Unbedeutendheit zurückſank, und durch den[k]urzen Rauſch eines Vorranges in Hellas zu Uebermuth und In[ſo]lenz verwöhnt, die alten Laſter und die neue Ohnmacht nur de[ſt]o widerlicher vermengte. Auch Athen, das ſich im Kampf zwi -[ſ]chen Sparta und Theben ſtets in der Rolle einer dritten Macht den Ausſchlag zu geben bereit gehalten und ſich noch einmal eine große Reihe von Seeſtaaten zu verbünden geſucht hatte, ließ bald, durch Habſucht, Sorgloſigkeit und unwürdige Demagogen verleitet, alle Rückſicht auf die Verbündeten und ihre Anrechte ſo außer Acht, daß dieſe die nächſte Gelegenheit zum Abfall wahrnahmen; Athen verlor zum zweiten Male ſeine Seeherrſchaft. So war in Griechenland kein Staat weiter, der gegen die übrigen ein Ueber - gewicht hätte geltend machen können; die Selbſtſtändigkeit aller ein - zelnen Gemeinden, wie der Antalcidiſche Friede ſie verheißen, war faſt durchweg verwirklicht; die Freiheit hatte ſich bis zur Gleichheit abgeſtumpft; Hellas war reif für fremde Herrſchaft.
Man darf nicht ungerecht gegen dieſe Zeit ſein; es iſt wahr, daß Beſtechlichkeit, Geſinnungsloſigkeit, Liederlichkeit ſie brandmar -12 ken; es iſt wahr, daß aus[d]em öffentlichen Leben aller Ernſt, daß aus dem häuslichen Leben[a]lle Tugend und Schaam gewichen war, daß die Führer des Volk[es]ſich, gleichviel von wem, erkaufen ließen, daß Griechiſche Söldner durch die Welt zerſtreut für und gegen die Perſer, für und gegen Fr[e]iheit, Tyrannei und Vaterland kämpften; aber es beweiſet dies alles nur, daß die Zeit des alten demokratiſchen Lebens, der herrſchenden Stadtgemeinden, des engen bürgerlichen Intereſſes vorüber, daß eine[n]eue Weiſe des ſtaatlichen Lebens nöthig war. Zu viel Kraft war in[d]en Kämpfen von einem Menſchenalter entbunden, zu viel Bedürfniſſe[u]nd Genüſſe zur Ge - wohnheit, zu viel Leben Bedingung des Lebens[]geworden, als daß der enge Raum eines Städtchens oder der klei[n]liche Streit zwi - ſchen ſtädtiſchen Gemeinden hätte genügen können. Es hatten ſich ungeheure Elemente der Gährung entwickelt, die eine Welt umzu - geſtalten fähig waren; in die engen Schranken der Helle[n]iſchen Hei - math gebannt konnten ſie nur zerſtörend wirken. Es[k]am alles darauf an, daß ihnen die rechte Richtung gegeben und ein[w]eiteres Feld zugetheilt wurde.
Niemals iſt in Griechenland der Gedanke, den Fe[in]d im Oſten zu vernichten, ganz vergeſſen worden. Alcibiades pha[n]taſti - ſche Pläne ſcheiterten an ſeinem und ſeines Volkes Leichtſinn, Age - ſilaus war zu ſehr Spartaner, um Grieche zu ſein; die Tyran[n]en Theſſaliens vergaßen, daß Tyrannei nicht das Werk der Freihe[it]zu Ende zu führen vermöge. Aber je lebendiger der Verkehr mit Aſien wurde, je deutlicher die Ohnmacht und Zerrüttung des gro - ßen Reiches am Tage lag, je leichter und einträglicher die Ar - beit erſchien, es zu vernichten, deſto lebendiger und allgemei - ner wurde dieſer Gedanke in den Völkern von Hellas. Tiefer blik - kende Geiſter erkannten, daß das Leben des Helleniſchen Volkes, ſchon zu reich und beweglich für den engen Raum der Heimath, erſt dann Einheit und Ruhe gewinnen könne, wenn es nach Außen hin die hochentwickelte Kraft verſuche, und Iſokrates rief mit lau - ten Worten die Staaten von Hellas auf, ſich zum letzten Kampf gegen Aſien zu vereinen. Da übernahm es König Philipp von Macedonien, und begann das große Werk, die Staaten Griechen - lands zum Kriege gegen Perſien zu vereinen; und man muß geſte -13 hen, daß er mit bewundrungswürdiger Gewandtheit dieſe mehr als herkuliſche Arbeit vollbracht hat; will man die Reinheit ſeiner Mit - tel in Abrede ſtellen, ſo trifft die Griechen der größere Tadel, daß es ſolcher Mittel bedurfte, um ſie zu dem Zwecke zu vereinen, den der edlere Theil des Volkes noch immer als das wahre und ein - zige Nationalwerk vor Augen hatte.
Philipps Erfolge gründen ſich auf die Einheit, Schnelligkeit und Conſequenz ſeiner Unternehmungen, die ſo lange von den Grie - chen überſehen wurden, bis ihnen nicht mehr zu widerſtehen war. Während die Athener auf den Bundesgenoſſenkrieg, die Thebaner auf den heiligen Krieg alle Aufmerkſamkeit wandten, die Spartaner ſich vergebens bemühten wieder einigen Einfluß im Peloponnes zu erlangen, rückte Philipp nach Süden und Oſten hin ſeine Grenzen ſo weit vor, daß ihm die Bergwerke von Philippi ihre reichen Goldminen, die Küſte Macedoniens den freien Zugang zum Meere, die Einnahme von Methone den Weg nach Theſſalien öffnete. Dann riefen die Theſſalier, von den Phocäern bedroht, ihn zu Hülfe; er kam, beſetzte die Städte Theſſaliens, um ſie deſto beſſer ſchützen zu können, und war im Begriff, die Phocäer durch die Thermopy - len bis in ihr Land[zu] verfol[g]en; da gingen den Griechen die Au - gen auf, ſie ſahen, was ſie von dem Macedonier zu erwarten hät - ten, und Athen unter Demoſthenes Leitung begann den Kampf für die Selbſtſtändigkeit der Ohnmacht und den Flitterſtaat der alt - modiſchen Freiheit.
Man muß geſtehen, daß Demoſthenes, der Wortführer der antiphilippiſchen Parthei, alle Kraft und alle Mittel aufgeboten hat, um die Pläne des feindlichen Monarchen zu vereiteln, und daß na - mentlich ſein Eifer gegen Macedonien nicht aus ſo unlautrer Quelle zu ſtrömen ſcheint als der des Aeſchines und der meiſten andern Demagogen für den reichen König; und dennoch zeigt die Geſchichte wenig ſo traurige Geſtalten, wie die des großen Redners von Athen; er miskannte ſeine Zeit, ſein Volk, ſeinen Gegner und ſich ſelbſt; ſein Leben, die ermüdende Conſequenz eines Grund - irrthums, hat keinen andern Erfolg gehabt, als den Sieg Macedo - niens nur entſchiedener und erfolgreicher zu machen; und mit dem Eigenſinn der Ohnmacht und Gewohnheit ließ er ſelbſt nach dem14 vollkommenen Siege Macedoniens, nach dem Beginn einer neuen, die Welt umgeſtaltenden Aera, ſeine alten Pläne und Hoffnungen nicht, die mit ihm ſich ſelbſt überlebt hatten.
Philipp dagegen ging mit der größten Beſonennheit und Si - cherheit Schritt vor Schritt auf dem Wege vor, den die Zeit for - derte; Athen war der gefährlichſte Feind; es mußte vereinzelt, um - ſchloſſen, endlich erdrückt werden. Philipp zerſtörte die Städte der Chalcidice, gewann Euböas Tyrannen, unterwarf ſich das Thraci - ſche Küſtenland des Kerſobleptes, landete dann mit ſeinen Schiffen auf Lemnos, Imbros, ſelbſt in Attika, und führte die Salamiſchen Triere als Trophäe nach Macedonien. Der Friede, den er jetzt mit Athen ſchloß, gab ihm Muße, dem Rufe der Thebaner gegen Phocis, die noch immer den heiligen Krieg fortſetzten, zu folgen; und während Athen noch eine gütliche Auskunft hoffte, und den Phocäern ehrenvollen Frieden verhieß, war auf Philipps Betrieb von den Amphiktyonen bereits das Urtheil über ſie geſprochen; ihre Gemeinden wurden aufgelöſt, ihre Städte zerſtört, ganze Schaa - ren nach Macedonien verpflanzt, ihre Stimme im Amphiktyonen - rathe zugleich mit der Aufſicht der Pythiſchen Spiele an Philipp übergeben, ſo daß ſich dieſer jetzt mit dem beſten Rechte in die Angelegenheiten Griechenlands miſchen durfte. Den Peloponnes gewann oder entzweite er durch Gold und durch die Vorgeſpiege - lung eines gemeinſchaftlichen Angriffes auf Sparta; ſeine Parthei war vorherrſchend in Elis, Sicyon, Megara, in Arkadien, Meſſe - nien und Argos. Dann ſetzte er ſich in Akarnanien und Aetolien feſt; die Macht Athens war von der Landſeite ſo gut wie gelähmt. Aber noch beherrſchte ſie das Meer, deſſen Beſitz der Cherſones und die Küſte der Propontis ſicherte; dorthin wandte Philipp ſein Auge; während er wiederholentlich den Athenern ſeine Freundſchaft und Friedlichkeit verſicherte, drang er weiter und weiter vor, ſchon war Perinthus und Byzanz, der Schlüſſel des Pontus, gefährdet, fielen dieſe Städte, ſo war Athen vernichtet. Mit der größten Anſtrengung rüſteten ſich die Athener, mit ihnen verbündeten ſich Rhodus, Kos, Chios, der Perſerkönig gab ſeinen Satrapen Befehl, mit aller Macht Perinth zu ſchützen, — Philipp mußte weichen; Athen ſtand noch einmal ſiegreich da, um deſto tiefer zu fallen.
Die Lokrier von Amphiſſa hatten Delphiſches Tempelland be -15 baut, Aeſchines klagte ſie vor dem Rathe der Amphiktyonen an, man beſchloß ſie zu züchtigen; ſie ſchlugen die Amphiktyonen und Delphier zurück, und der Rath dekretirte eine außerordentliche Ver - ſammlung, um die Heiligkeit des Gottes und des Amphiktyonen - rathes an den Lokriſchen Bauern genügend zu rächen; nur die Ge - ſandten Athens kamen nicht, vielmehr erhielten die Lokrier auf De - moſthenes Antrag Unterſtützung und jagten Alles, was den Am - phiktyonen anhing, aus ihrem Gebiet. Jetzt wurde Philipp aufge - fordert, „ dem Apollo in den Amphiktyonen beizuſtehen, und nicht zu - zugeben, daß der Gott von den gottloſen Amphiſſäern ſo misachtet werde, und auch darum nicht, weil ihn die Hellenen, die an der Verſammlung der Amphiktyonen Antheil hätten, zum unumſchränk - ten Anführer erwählt hätten. “ Er kam, aber nicht bloß um Am - phiſſä zu beſtrafen; die Athener baten um Waffenſtillſtand, bevor noch offener Krieg war; auch Theben, ſeit dem heiligen Kriege noch erbittert, weil Orchomenos von Philipp geſchützt, Nicäa von ihm beſetzt worden war, erkannte bald, daß Philipp nicht umſonſt den Winter hindurch in Lokris blieb; während beide durch freundliche Briefe oder geſchickte Redner in Unthätigkeit gehalten wurden, beſetzte Philipp Elatea, eine der wichtigſten Poſitionen gegen The - ben und Athen. Das erfüllte ſeine Gegner mit paniſchem Schrek - ken; Demoſihenes beſchwor das Volk, Alles aufzubieten, um dem Könige entgegenzutreten; er eilte nach Theben, und die Gewalt ſei - ner Rede bewirkte, daß die Thebaner ihren alten Groll gegen Athen vergaßen, und mit gleicher Anſtrengung ſich rüſteten; das Bundes - heer, mit Euböern, Megarern, Korinthiern und Leukadiern verſtärkt, rückte ins Feld und errang in zwei Gefechten nicht unbedeutende Vor - theile; endlich begegneten ſich die ganzen Heeresmaſſen, etwa 32,000 Macedonier gegen nah an 50,000 Verbündete in der Ebene von Chäronea; nach ſehr hartnäckigem Kampfe ſiegte Philipp, das Schickſal Griechenlands lag in ſeiner Hand.
Er verſchmähte es, Griechenland zu einer Provinz Macedoniens zu machen; nur für den einen Plan des Perſerkrieges hatte er alles begonnen und vollbracht. Der Friede, den er nach der Schlacht von Chäronea gab, bezweckte nichts als die freien Griechiſchen Staa - ten unter ſeiner Hoheit zu jenem Kriege zu vereinen. Er ließ faſt überall und in aller Beziehung den bisherigen Zuſtand der Dinge,16 nur Theben wurde für ſeinen treuloſen Abfall beſtraft, es mußte 300 Verbannte wieder in die Stadt nehmen, die Feinde Philipps des Landes verweiſen, ſeine Freunde an die Spitze der Regierung ſtellen, endlich eine Beſatzung in die Kadmea nehmen, die nicht bloß Theben, ſondern zugleich Attika und das ganze Hellas zu be - obachten und in Ruhe zu halten vermochte; ferner wurden Orcho - menos und Platää, die von Theben zur Zeit ſeiner Hegemonie zer - ſtört waren, wieder aufgebaut. Mit ſo viel Strenge wie Theben, mit eben ſo viel Nachſicht wurde Athen behandelt, deſſen Gebiet der König nicht betrat; für die Inſel Samos wurde es mit dem Gebiet von Oropus entſchädigt; es erhielt alle Gefangenen ohne Löſe - geld frei, und mußte ſich nur verpflichten, zum Bundestage nach Korinth im nächſten Frühling Geſandte zu ſchicken. Dann zog der König nach dem Peloponnes, und ordnete die dortigen Angelegen - heiten, namentlich die Grenzen der Meſſenier, der Argiver, der Te - geaten und Megalopolitaner gegen Sparta. Dann kamen die Ge - ſandten aller Griechiſchen Staaten, mit Ausnahme Spartas, auf dem Iſthmus von Korinth zuſammen; Philipps Freigebigkeit und Leutſeligkeit gewann die Gemüther, ſeine Redner trugen die Wün - ſche des Königs vor, denen ſich niemand zu widerſetzen wagte; er wurde zum Oberfeldherrn der Griechen mit unumſchränkter Gewalt erwählt, um im Namen aller Griechen den Frevel, den die Bar - baren an den heimiſchen Tempeln geübt hätten, zu rächen, und den großen Nationalkrieg der Griechen gegen Perſien zu vollenden. Dann kehrte er nach Macedonien zurück, um alle Vorbereitungen zum großen Kriege zu treffen.
So ſtand Philipp an der Spitze des freien Griechenlands, das, in ſich zu vielbewegtem Einzelleben atomiſtiſch aufgelöſt, und, ſo lange alle Kraft nur nach Innen gewandt war, in furchtbaren Kämpfen zerriſſen, doch eine Beweglichkeit und Ueberfülle individuellen Lebens entwickelt hatte, die allein im Stande war, die abgeſtorbenen Völ - kermaſſen Aſiens mit einem neuen Leben zu durchgähren. — Die Griechen wurden weder ihrer Freiheit noch Selbſtſtändigkeit be - raubt, nur mußte dieſe Selbſtſtändigkeit, die in ſich ohnmächtig und nicht mehr das Höchſte der Zeit war, mit der monarchiſchen Hoheit Macedoniens überwölbt, und ihre Freiheit, in jener endloſen Zer - ſplitterung und Beweglichkeit, zu der einen That, die ihre Erfüllungſein17ſein ſollte, vereint werden. Die Spartaner der Thermopylen hat - ten für die Freiheit zu ſterben, die Athener bei Salamis und am Eurymedon für ſie zu ſiegen gewußt; aber das Reich der Knecht - ſchaft vernichten konnte nicht Athen noch Sparta, ſondern nur ein König Macedoniens an der Spitze des freien Griechenlandes.
Wenn in dieſer Weiſe auf der Europäiſchen Seite alles zum letzten, entſcheidenden Kampfe bereit war, ſo hatte in entſprechender Weiſe das große Reich der Perſer alle Stadien der Entwickelung und der Auflöſung durchgemacht, um jetzt, zum Untergange reif, vor den ſiegreichen Schaaren Griechenlands zu fallen.
Das Perſerreich hatte zur Aufgabe, die durch natürliche Beſtimmungen geſchiedenen Völker Aſiens zu einer Geſammtheit zu vereinen; die Berechtigung dazu lag in der höheren ethiſchen Kraft, mit der die Perſer den anderen Völkern gegenüber auftraten; reli - giöſe Sagen haben die Erinnerung daran auf unzweideutige Weiſe aufbewahrt; Dſjemſchid und Guſtaſp, die Hom - und Zerdutſch - Religion bezeichnen die Epochen dieſes Fortſchrittes.
Denn die Hochebene Irans durchſchwärmten vom Indus bis zum Kaspiſchen Meere nomadiſche Horden; da erſchien der Ver - künder des alten Geſetzes, der Schutzgeiſt der Menſchen, Hom, und verkündete ſeine Lehre dem Vater Dſjemſchids, und die Menſchen begannen ſich anzuſiedeln und den Acker zu bebauen; und als Dſjemſchid König wurde, ordnete er das Leben ſeiner Völker und die Stände ſeines Reiches; unter dem Glanze ſeiner Herrſchaft ſtarben die Thiere nicht, an Waſſer und Früchten war kein Man - gel, es war nicht Froſt noch Hitze, nicht Tod noch Leidenſchaft. Und er ſprach: „ Verſtand iſt durch mich, gleich mir iſt noch keiner gekrönt, die Erde iſt geworden wie ich verlangt, Speiſe und Schlaf und Freude haben die Menſchen durch mich, die Gewalt iſt bei mir und den Tod habe ich von der Erde genommen, drum müſſen ſie mich den Weltſchöpfer nennen. “ Da wich der Glanz Gottes von ihm, und es begann eine Zeit wilden Aufruhrs, aus der end - lich ſiegend der Held Feridun hervorging.
Nach dieſen Kämpfen und durch ſie gekräftigt und erſtarkt, war das Volk von Iran reif zu der neuen Lehre und zu dem218neuen Leben, das ihrem Könige Guſtaſp Zerdutſch, der Bote des Himmels, brachte. Die Grundlage der neuen Lehre war der ewige Kampf zwiſchen dem Lichte und der Finſterniß; Ormuzd gegen Arhiman und die ſieben Erzfürſten des Lichts und die ſieben der Finſterniß, beide mit ihren Heerſchaaren, kämpfen ewig um die Herrſchaft der Welt; alles Geſchaffene gehört dem Licht oder der Finſterniß, und muß mit Antheil nehmen an dem großen Streit; nur der Menſch ſteht zwiſchen beiden, um nach freier Wahl für das Gute oder Böſe zu kämpfen; die Söhne des Lichtes, die Ira - nier, kämpfen ſo den großen Kampf für Ormuzd; und ſeinem Reiche die Welt zu unterwerfen, ſie nach dem Vorbilde des Lichtreiches zu ordnen und für das Gute zu gewinnen, das iſt der große Impuls ihres geſchichtlichen Lebens, auf daß einſt die goldne Zeit Dſjem - ſchids der Erde wiederkehre.
So die religiöſen Sagen des Volkes, die ſich in ſeiner Ge - ſchichte beſtätigt finden. Cyrus hatte am Mediſchen Hofe jenen Hochmuth und jene Erſchlaffung des Glückes geſehen, die ihn ſein ſtrengeres Volk zur Herrſchaft aufzurufen ermuthigte; er ließ ſie den einen Tag ein Stück Feld urbar machen und die ganze Laſt der Knechtſchaft fühlen, dann berief er ſie den anderen Tag zum feſtlichen Mahle; er forderte ſie auf zu wählen zwiſchen jenem trau - rigen, knechtiſchen Leben, das am Boden haftet und dem herrlicheren des Siegers; ſie wählten Kampf und Sieg. So zog er gegen Medien, und unterwarf es dem Perſiſchen Volke; und weiter trieb ihn das neuerwachte Leben, das Bahyloniſche, das Lydiſche Reich unterlag dem kräftigeren Volke des Iraniſchen Hochlandes; Cyrus Sohn Cambyſes fügte der neuen Herrſchaft Aegypten hinzu; dem neuerwachten geſchichtlichen Leben widerſtand keines der Aſiatiſchen Völker, ſie alle wurden von dieſem Strudel unwiderſtehlicher Ge - walt ergriffen. Aber viele ſehnten ſich zurück nach der kampfloſen und glückſeligen Zeit der Mediſchen Herrſchaft; die Magier, die Prieſter der alten Lehre, benutzten Cambyſes Abweſenheit zur Em - pörung, ſie machten einen aus ihrer Mitte zum König und nann - ten ihn Cyrus jüngeren Sohn, ſie erließen den Völkern die Kriegs - dienſte und den Tribut auf drei Jahre, und die Völker waren mit der neuen Herrſchaft zufrieden und glücklich; nur die Perſer nicht. Sieben Edle des Volkes vereinten ſich, dem Magier[die] Krone zu19 entreißen, ſie ermordeten ihn und ſeinen Anhang, ſie riefen das Volk der Perſer auf, ihrem Beiſpiel zu folgen, und viele Magier wurden an jenem Tage erſchlagen; dann erhielt der Achämenide Darius, Hyſtaspis Sohn, die Herrſchaft der Perſer, der größte ihrer Könige.
Darius hat das Reich organiſirt; da weder durch eine eigenthüm - lich Perſiſche Bildung, noch durch die Religion des lebendigen Wortes, die Kampf und Vernichtung, aber nicht Verſchmelzung oder Bekehrung wollte, die unterworfenen Völker zu einer Einheit zu geſtalten waren, ſo blieb nichts übrig, als über ſie alle ein möglichſt enges und feſtes Netz der Knechtſchaft zu werfen. So wurden die Völker, ohne be - deutende Veränderung in ihrem religiöſen Leben und den inneren politiſchen Zuſtänden zu erleiden, in Satrapien vertheilt, die edle Perſer, meiſtens aus dem Geſchlecht der Paſargaden, als Satra - pen des Königs erhielten; ihr Verhältniß zum Reiche beſtand nur in der Leiſtung des Tributes und des Heerdienſtes, wenn ein allge - meines Aufgebot erging, in der Ernährung des Satrapen mit ſei - nem Hofſtaate, ſeinem Heere und den ſtehenden Beſatzungen der Städte. Indem ſo die Völker ihre Nationalität und Religion, oft ihre heimiſchen Fürſten und Verfaſſungen behielten, war das einzige Band, das ſie an die hohe Pforte zu Perſepolis knüpfte, die Treue der einzelnen Satrapen gegen den Großkönig; ſeine Despotenmacht hielt die ganz verſchiedenen Elemente des ungeheu - ren Reiches zuſammen; er war die Sonne, um die ſich die Sy - ſteme der Völker in fernen und ferneren Kreiſen bewegten; ſeine Satrapen, „ Könige nur dem Großkönige unterthan, “hafteten für ihre Satrapien, zu deren Schutz, ſo wie zur Mehrung des Tributs und Vergrößerung des Gebiets, ſie mit und ohne Befehl des Groß - königs Krieg und Frieden machten; nur ſelten rief der König zum allgemeinen Kriege; dann folgten alle Völker aus allen Sa - trapien, und der König führte ſie ſelbſt an. Das ſind die Grund - züge einer Organiſation, die, aus dem Leben des Perſiſchen Volkes hervorgegangen, ſich nur ſo lange bewähren konnten, als das herr - ſchende Volk ſich ſelbſt, ſeiner alten Strenge und ſeiner blinden Verehrung gegen den Gott König getreu blieb; unter Darius hat die Perſiſche Macht die höchſte Blüthe gehabt, deren ſie fähig war.
Aber bald begannen ſich die Spuren des Verfalles zu zeigen,2 *20dem das Reich anheim fallen mußte, ſobald es aufhörte ſiegend und erobernd vorzudringen; einer innern Entwickelung unfähig, verſank es ſeit dem Tage von Salamis tiefer und tiefer in Ohnmacht und Entartung. Dieſe offenbarte ſich als Erſchlaffung der despotiſchen Kraft in den folgenden Herrſchern und in dem damit überhand nehmenden Einfluß des Harems und des Hofes; bald folgte von der andern Seite das Streben der Völker, ihre Nationalität und die alte Selbſtſtändigkeit wieder zu erringen; je glücklicher dagegen die Satrapen ankämpften, und je unfähiger ſie den perſönlichen Willen und die Kraft ihres Königs ſahen, deſto natürlicher war ihr Ver - langen nach ſelbſtſtändiger und erblicher Herrſchaft in ihren Satrapien.
Schon die Regierung des erſten Artaxerxes wurde durch eine Reihe gefährlicher Empörungen beunruhigt; ſein Bruder ſuchte ſich in Baktrien unabhängig zu machen, Aegypten, von den Athe - nern unterſtützt, die einheimiſche Regentenfamilie wieder zur Herr - ſchaft zu bringen, der edle Megabazus durch wiederholte Empörun - gen ſich und ſeinen Eid zu retten; und wenn es dem Könige auch gelang, im Innern des Reiches den Schein ſeiner Macht zu be - wahren, ſo mußte er doch den ſchmachvollen Bedingungen des Ci - moniſchen Friedens faktiſch die Beſtätigung geben, daß ſie Perſiſcher Seits nicht übertreten wurden.
Bei ſeinem Tode zeigte ſich in der Ermordung des rechtmäßi - gen Thronerben und den Kabalen der Weiber und Eunuchen bereits die tiefe Entartung im Herzen der Perſiſchen Macht. Als endlich das Reich in der Hand ſeines Baſtards Darius Ochus blieb, wurden zwar die Empörungen mehrerer Großen und die frechen Pläne eines Eunuchen, der ſelbſt ſchon nach dem Diadem trachtete, vernichtet, aber dem Aufſtande in Aegypten war der große König nicht mehr gewachſen, er mußte dem Volke einen Fürſten aus dem alten Saïtengeſchlechte beſtätigen und ſich mit einem Tribute begnü - gen. Noch mehr gefährdet wurde das Anſehn des Königthums, als gegen ſeinen älteren Sohn und Nachfolger Artaxerxes der jüngere Sohn Cyrus, der das untere Aſien als Satrapie hatte, ſich em - pörte; Cyrus Verbindung mit Griechenland und die Griechiſche Söldnerſchaar, die er nach den Ufern des Euphrat führte, brachte ein neues, höchſt gefährliches Element in jene gährende Verwirrung, die bereits das Reich ergriffen hatte; und wenn auch durch Cyrus21 Tod der Sieg bei Kunaxa vergeblich wurde und der Lydiſche Sa - trap Tiſſaphernes ſelbſt auf der Küſte des Aegäiſchen Meeres die Perſiſche Macht geltend zu machen wußte, wenn auch Ageſilaus, nach glücklichen Unternehmungen in Lydien und Phrygien, durch Kriege in Griechenland, die durch Perſiſches Gold befördert wurden, aus Aſien, ohne bleibenden Einfluß errungen zu haben, zurückgerufen wurde, ſo war doch gerade dieſe widernatürliche Verbindung Per - ſiens mit dem Volke der Freiheit und beſonders jener Cnidiſche Sieg einer Perſiſchen Flotte unter Führung des Atheners Conon ein deutli - ches Zeichen, daß die Perſermacht, die, unfähig ſich durch ſich ſelbſt zu retten und emporzuheben, Griechiſchen Soldaten und Griechiſchen Feldherrn ſich anvertraute, ſchon den eignen Untergang in ſich hegte und pflegte. Der Antalcidiſche Friede gab dem großen Könige zwar die Tribute der reichen Joniſchen Städte zurück, aber nur, um ihn fortan in den heftigen Kampf der Griechiſchen Staaten deſto mehr zu verwickeln, und den natürlichen Feinden Perſiens eine Stelle mehr zu bieten, an der jede Wunde tödtlich wirkte. Der König Artaxerxes erlangte von dem Fürſten in Cypern durch zehnjährige Kämpfe nichts, als daß dieſer wieder den alten Tribut zahlte; die Kaduſier am Kaspiſchen Meere vermochte er mit aller Anſtrengung nicht zu unterwerfen, und der Fürſt von Aegypten be - hauptete gegen die Perſiſche Macht, die unter den Befehl des Atheners Iphikrates geſtellt war, glücklich das Feld; die Empörung ſämmtlicher Satrapen Kleinaſiens, denen ſich der Dynaſt von Ka - rien, desgleichen die Jonier, Lycier, Piſidier, Pamphylier, Cilicier, Syrer, Phönicier anſchloſſen, und ſelbſt die Spartaner und Athener ihren Beiſtand zuſagten, ſcheiterte nur durch den Verrath des Rheomithres und Orontes, und durch Artabazus unerſchütterliche Treue, der des Königs Anſehn gegen die Empörer behauptete. Noch trauriger offenbarte ſich Artaxerxes Unfähigkeit zu herr - ſchen im Bereich ſeines königlichen Hofes; die Kabalen ſeiner wilden Mutter Paryſatis ſind das Scheußlichſte, was jemals ein Aſiatiſcher Harem geſehen hat; der König, eben ſo ſchwach wie gut - müthig, eben ſo voll Mistrauen wie ohne Character, war ein Spiel - ball in den Händen ſeiner Sklavinnen und Eunuchen. Nun war er ein Greis und ſah mit tiefer Bekümmerniß, wie ſich ſchon jetzt ſeine Söhne um die Thronfolge beneideten, und der Hof in22 Partheien zerfiel; er wollte allem Streit vorbeugen, und beſtellte ſeinen älteſten Sohn Darius zum Nachfolger, mit der Erlaubniß, ſchon jetzt den königlichen Turban tragen zu dürfen. Nach Perſi - ſcher Sitte war demnächſt dem Darius eine Bitte erlaubt, die der Vater zu erfüllen nicht weigern durfte. Darius bat um Aspaſia, die ſchöne Jonierin, die dem Könige unter allen ſeinen Weibern die liebſte war; er wagte nicht ſie zu verweigern, und ver - mochte nicht ſie hinzugeben; er ſprach, ſie ſei eine freigeborne Grie - chin, ſie allein dürfe über ſich entſcheiden, gewähren oder verſagen. Aspaſia wählte den königlichen Prinzen; und der König befahl, ſie nach Ekbatana in den Tempel der Anytis zu bringen; Darius war in ſeiner ſchönſten Hoffnung getäuſcht. Den Hofleuten ent - ging ſeine Erbitterung nicht; unter ihnen war Tiribazus, der längſt ſchon geheimen Groll gegen den greiſen König hegte; denn Artaxer - xes hatte ihm ſeine ſchöne Tochter Ameſtris zur Ehe verſprochen, dann, ſelbſt nach ihrem Genuß lüſtern, ihm eine jüngere Prinzeſſin Atoſſa verlobt, und auch dieſe wieder in ſeinen Harem genommen. Tiribazus, ein ächt barbariſcher Charakter, trotzig im Glück, frech im Unglück, überall voll Tücke und Treuloſigkeit, ſchlich ſich jetzt in des gekränkten Darius Vertrauen; er ſtellte ihm vor, wie die Schande, die unerträglicher als der Verluſt ſei, ihn ſelbſt in der Thronfolge gefährden würde, da der Vater nach der Beleidigung ihn haſſen und fürchten, die Perſer, wenn er ſie ungerächt laſſe, ihn verachten und vergeſſen würden, zumal da ſein Bruder Ochus dar - auf ſinne, ihn zu verdrängen. Darius, voll Gram und Erbitte - rung, gab ſich ganz in ſeine Hände; der Mord des Königs, der Tag zum Morde wird beſtimmt, ſchon dringen die Mörder in des Königs Gemach; aber der Plan iſt verrathen, Tiribazus, und bald nach ihm Darius, büßen mit dem Leben.
Unter den vielen Söhnen des Königs waren jetzt noch beſon - ders drei, zwiſchen denen die Thronfolge ſchwankte; die größte Hoff - nung machte ſich Ochus, nicht bloß weil er der älteſte war, ſon - dern weil eine mächtige Parthei am Hofe für ihn wirkte, und er namentlich ſeine Schweſter Atoſſa, die jetzt unter den Weibern ſei - nes Vaters die Favorite war, durch das Verſprechen, ſie einſt zu heirathen und zur rechtmäßigen Königin zu machen, gewonnen hatte. Die Perſer dagegen verlangten den ſanften und offenen Ariaspes23 zum Könige, und Artaxerxes ſelbſt ſchien für ſeinen eben ſo ge - wandten als kühnen Baſtard Arſames entſchieden. Beide mußte Ochus verderben, um ſeine Pläne durchzuſetzen; der von Allen geliebte Ariaspes war am meiſten hinderlich; Ochus misbrauchte ſeine Beſcheidenheit, um Mistrauen, ſeine Sanftmuth, um Beſorg - niß in ihm zu erwecken; der König, ſein Vater, möge ihn nicht, haſſe ihn, wolle ihm ſchaden, ihn morden, das hinterbrachten die Getreuen des Königs, die Ochus beſtochen hatte, dem nur zu will - fährig Glaubenden, der, nicht zum Widerſtand, nicht einmal zu lau - ter Klage fähig, in der bittern Qual der Verzweiflung ſich ſelbſt vergiftete. Der faſt hundertjährige König argwöhnte wohl den traurigen Zuſammenhang, aber er wagte nicht ihn zu enthüllen; noch blieb ihm ſein Liebling Arſames, auf ihn wandte er alle Liebe und Hoffnung, die Perſer mit ihm. Ochus durfte nicht zaudern, Liſt ſchien gefährlicher als Gewalt; Tiribazus Sohn, des Endes eingedenk, das ſein Vater genommen, war bereit zur verruchten That; Arſames wurde meuchlings ermordet; den Schlag überlebte Artaxerxes nicht; Ochus folgte ihm faſt um dieſelbe Zeit, da in Macedonien Philipp das Reich übernahm.
Ochus war ſeinem innerſten Weſen nach Aſiatiſcher Despot; zu - gleich blutdürſtig und feig, zugleich finſter und wollüſtig, erſcheint er in der kalten und wohlberechneten Entſchiedenheit ſeiner Handlungen nur deſto entſetzlicher. Ein ſolcher Charakter konnte die im Inner - ſten verderbte Perſermacht noch eine Zeit hindurch halten und mit dem krampfhaften Schein von Kraft und Friſche beleben, konnte die Völker und die empörten Satrapen zur Unterwürfigkeit zwingen, indem er ſie auch ſeine Launen, ſeine Mordluſt, ſeine wahnſinnige Wolluſt ſchweigend anzuſehen gewöhnte. — Ochus begann ſeine Herrſchaft mit dem Morde ſeiner Brüder, das ſicherſte Mittel, ſich vor ihnen und ihrem Anhange zu ſchützen; und der Perſiſche Hof nannte ihn voll Bewunderung mit dem Namen ſeines Vaters, der keine Tugend als die Sanftmuth gehabt hatte.
Unter den Satrapen des Reichs war der des unteren Aſiens, Artabazus, einer der mächtigſten; er hatte unter dem vorigen Kö - nige jenen gefährlichen Aufſtand unterdrückt, und ſeitdem den Be - fehl in jenen Gegenden erhalten; ſeine Anhänglichkeit an das könig - liche Haus war eben ſo bekannt wie ſein würdiger und edler Cha -24 rakter, und Ochus durfte weder hoffen ihn für ſich zu gewinnen, noch dem Macht, Ruhe und Leben gönnen, der wider ihn ſein mußte. Artabazus ſchien die nothwendigen Folgen dieſes Verhält - niſſes vorauszuſehen, und ihnen zuvorkommen zu wollen; ſeine Macht war bedeutend genug, um eine Empörung gegen den König glücken zu laſſen, zumal da Griechiſche Söldner in Kleinaſien leicht zu bekommen waren, da zu gleicher Zeit Aegypten und die Grie - chiſchen Hauptmächte leicht gewonnen werden konnten, und nament - lich Sparta, aufgebracht über den Verluſt von Meſſenien, den der Perſerkönig nach der Schlacht von Mantinea trotz des Antalcidi - ſchen Friedens beſtätigt hatte, ſeinen König Ageſilaus nach Aegyp - ten zum Kriege gegen Perſien gehen ließ. Artabazus hatte zwei junge Rhodiſche Männer, Mentor und Memnon, die beide als Kriegsleute ausgezeichnet waren, an ſich gezogen, ſich mit ihrer Schweſter vermählt, ihnen ſelbſt im Bereich ſeiner Macht bedeutende Ländereien angewieſen, und Griechiſche Söldnerhaufen unter ihren Befehl geſtellt; der Atheniſche Feldherr Chares war unter der Bedingung, daß Artabazus den Athenern reichliche Subſidien zum Bundesgenoſſenkriege zahlte, bereit, ihn mit der ganzen Macht, die unter ſeinem Befehle ſtand, zu unterſtützen. Und ſchon rückten auf König Ochus Befehl die nächſten Satrapen mit großen Streitmaſ - ſen ins Feld; ſie trafen das wohlgeordnete Heer des Empörers, und wurden beſonders durch Chares Hülfe geſchlagen. Dem Kö - nige blieb kein anderer Ausweg, als Geſandte nach Athen zu ſen - den, die Chares verklagten, daß er gegen Perſien gekämpft habe, ſeine Zurückberufung forderten, und, falls ſie verweigert würde, mit einer Perſerflotte von 300 Segeln die Bundesgenoſſen zu unter - ſtützen drohten. Zwar verlor jetzt Artabazus die Atheniſchen Hülfstruppen, dennoch behauptete er ſich glücklich; ſein Schwager Memnon unternahm einen Feldzug gegen Leukon, den kriegeriſchen Tyrannen am Cimmeriſchen Bosphorus, mit dem die Herakleoten lange ſchon im Kriege waren, deren Einfluß auf der Küſte des Pontus für Artabazus Pläne von der entſchiedenſten Wichtigkeit werden konnte. Artabazus ſelbſt hatte Theben zu gewinnen gewußt; Pammenes, der berühmte Thebaniſche Feldherr, wurde ihm an der Spitze von fünftauſend Böotiern zu Hülfe geſandt, und beſiegte die Satrapen in zwei großen Schlachten. Aber die Wendung, die der25 heilige Krieg in Griechenland nahm, und die Subſidien, die Ochus den Thebanern verſprach, bewirkten die Zurückberufung ihres Feld - herrn; das königliche Heer, unter Führung des Autophradates, ge - wann einen Vortheil nach dem andern, Artabazus ſelbſt wurde ge - fangen; ſeine Schwäger Mentor und Memnon hielten ſich noch, ſie gewannen den Atheniſchen Feldherrn Charidemus, daß er nach Aſien käme, und ihre Unternehmungen unterſtützte. Endlich gelang es ihnen, man weiß nicht, ob durch Gewalt oder Liſt, ihren Schwager zu befreien, und ihm den Beſitz von Lydien, Phrygien und Paphlagonien wieder zu gewinnen; aber ein ſchneller Glücks - wechſel läßt ihn noch einmal unterliegen, er flüchtet mit Memnon nach Macedonien zum König Philipp; Mentor rettet ſich nach Aegypten zum Fürſten Nektanebus.
Kleinaſien war wieder unter Perſiſche Botmäßigkeit gebracht, und zeigten auch die Siege des Chares und Pammenes, die Ver - bindung des Griechiſch gebildeten Artabazus mit Griechenland und Macedonien, ſeine Verſchwägerung mit Griechiſchen Männern, des Königs Unterhandlungen in Athen und Theben deutlich genug, wie das Perſiſche Weſen bereits ſich ſelbſt untreu und ſeiner ſelbſt un - gewiß geworden, ſo war doch der Schein auf eine glänzende Weiſe gerettet. Daſſelbe ſollte noch mehr an einem anderen Punkte geſchehen.
In Aegypten nämlich hatte der Fürſt Tacho, nach jener mis - glückten Unternehmung des Artaxerxes, in Einverſtändniß mit den empörten Satrapen des untern Aſiens gegen die Syriſchen Provin - zen losbrechen wollen; und wenn ſchon jene Empörung unterdrückt wurde, ſo ſchienen doch ſeine achttauſend Aegypter, ſeine zehntauſend Griechiſchen Söldner, mehr noch, daß König Ageſilaus und der Athe - ner Chabrias ſie anführen ſollten, einen glücklichen Ausgang zu verſprechen. Aber Tacho hatte ſich durch kleinliche Eiferſucht den König Ageſilaus, durch übermäßige Erpreſſungen das Aegyptiſche Volk ſo verfeindet, daß, als er mit ſeinen Heeren in Syrien ſtand, in Aegypten ſein Neffe Nektanebus, von Ageſilaus geleitet, ſich zum Fürſten machte, und für Tacho kein anderer Rath blieb, als ſich dem Perſerkönige in die Arme zu werfen. Der Aufſtand eines Mendeſiers gegen Nektanebus wurde durch Ageſilaus Hülfe bald unterdrückt, ein Angriff der Perſer unter Anführung des nachmali -26 gen Königs Ochus und des vertriebenen Tacho Führung zurückge - ſchlagen; und als nun Artaxerxes geſtorben war, und der König Ochus, der ſelbſt den Krieg nicht ſehr zu lieben ſchien, einzelne Heere vergebens gegen die Aegypter ſandte, da erhob dieſe das ſtolze Bewußtſein ihrer wieder auflebenden Größe, und nach der Weiſe ihres Volkes war frecher Spott der nächſte Ausdruck ihrer Freude und ihres Nationalgefühls; ſie ahneten nicht, was jener König Eſel, wie ſie Ochus nannten, noch über ſie verhängen würde.
Den Anlaß dazu gab die Empörung Phöniciens. Die Sido - nier nämlich, unter ihrem Fürſten Tennes, durch das Beiſpiel Ae - gyptens aufgeregt und durch den frechen Stolz des Perſiſchen Sa - trapen erbittert, beredeten auf dem Tage zu Tripolis die Phönici - ſchen Städte zum Abfall von den Perſern; man eilte ſich mit Nektanebus zu verbünden, man zerſtörte die königlichen Gärten und Schlöſſer, verbrannte die Magazine, ermordete alle Perſer, die ſich im Bereich der Phöniciſchen Städte befanden; alle, namentlich das durch Reichthum und Erfindſamkeit ſo ausgezeichnete Sidon, rüſteten ſich mit der größten Lebhaftigkeit. Die Gefahr für Perſien war groß; wenn Phönicien verloren wurde, ſo war das Meer und die Provinzen am Meere nicht mehr zu behaupten; Ochus befahl da - her, während ſich die Völker ſeines Reiches zum großen Heeres - zuge gegen Phönicien und Aegypten nach Babylon ſammelten, den Satrapen von Syrien und Cilicien, ſofort einen Angriff auf die Sidonier zu machen. Aber Tennes, unterſtützt von zwölftauſend Grie - chiſchen Söldnern, die ihm Mentor vom Fürſten Nektanebus zu - führte, widerſtand glücklich den beiden Satrapen. Zu gleicher Zeit erhoben ſich die neun Cypriſchen Städte, ſie verbanden ſich mit den Phöniciern und den Aegyptern, unter ihren neun Fürſten wie jene unabhängig zu ſein.
Auf Befehl des Königs Ochus zog jetzt der Kariſche Dynaſt Idrieus gegen Cypern, mit ihm der Atheniſche Feldherr Phocion, und Euagoras, der frühere Fürſt von Salamis auf Cypern, der von dem Perſerkönige für Salamis, das er ſeinem ältern Bruder Protagoras abtreten mußte, mit einer Satrapie entſchädigt worden war; der Ruf dieſer Feldherren, noch mehr die Schätze der reichen Inſel lockten von allen Seiten Söldner in Menge herbei; die ein -27 zelnen Fürſten mußten ſich unterwerfen, nur Salamis widerſtand noch ſeinem ehemaligen Herrn; es begann eine langwierige Bela - gerung.
Indeſſen hatten ſich auch die Heere in Babylon verſammelt, und als nun Ochus aufbrach, und ſich mit ſeiner ungeheueren Uebermacht den Phöniciſchen Städten nahete, da verzagte der Si - doniſche Fürſt, und begann auf Mentors Rath heimlich Unterhand - lungen; er verſprach, ſich und ſeine Stadt zu unterwerfen und an dem Zuge nach Aegyten Theil zu nehmen; Ochus war zu allem bereit; er zog mit ſeinen Heeren vor Sidon; umſonſt hatten die Sidonier mit der größten Hingebung Alles gethan, um den Perſern Widerſtand zu leiſten, ſelbſt ihre Schiffe verbrannt, damit jede Flucht unmöglich würde; Mentor und Tennes verriethen die Stadt; und als die Sidonier bereits die Burg und die Thore in Feindes Hand, und jede Rettung unmöglich ſahen, zündeten ſie ihre Stadt an, und ſuchten den Tod in den Flammen; vierzigtauſend Menſchen ſol - len umgekommen ſein. Um dieſelbe Zeit fiel auch Salamis auf Cypern, und Euagoras wurde in ſeine alten Rechte wieder ein - geſetzt.
Jetzt endlich konnte Ochus an die Ausführung ſeines Haupt - zweckes, an die Unterwerfung Aegyptens gehen; er hatte bei den Griechen in Europa und Aſien werben oder um Söldnerſchaaren bitten laſſen; nur Sparta und Athen hatten mit Vorbehalt ihrer guten Geſinnung für den Perſerkönig ſolche Verbindung ausgeſchla - gen; die Thebaner dagegen ſandten tauſend Schwerbewaffnete unter Lakrates, die Argiver zweitauſend Mann, denen ſie auf des Königs ausdrückliches Verlangen den tollkühnen Nikoſtratos als Feldherrn gegeben hatten; außerdem waren in den Aſiatiſch-Griechiſchen Städ - ten ſechstauſend Mann geworben, die unter Bagoas Befehl ſtanden; dazu kam die große Zahl der Aſiatiſchen Schaaren unter ihren Sa - trapen. Das große Heer zog nun ſüdwärts an der Küſte entlang; nicht ohne bedeutenden Verluſt gelangte es durch die Sumpfwüſte, welche Aſien und Aegypten ſcheidet, unter die Mauern der Grenz - feſtung Peluſium, welche von fünftauſend Griechiſchen Söldnern verthei - digt wurde; die Thebaner unter Lakrates, voll Begierde ihren Waf - fenruhm zu bewähren, griffen ſie ſogleich an, wurden aber zurück - geworfen, und nur durch die einbrechende Nacht vor bedeutendem28 Verluſte bewahrt. Nektanebus hatte ſich auf das Trefflichſte gerü - ſtet, und, obſchon die Zahl ſeiner Streiter geringer war, ſo gab ihm doch das Andenken früherer Siege die beſte Hoffnung; freilich fehlten ihm die trefflichen Griechiſchen Generale von damals; aber noch hatte er zwanzigtauſend Griechen unter den Waffen, dazu eben ſo viel Libyer und ſechzigtauſend Aegyptiſche Krieger; eine unzählige Menge von Nilſchiffen war im Stande, den Feinden jeden Flußübergang unmöglich zu machen, ſelbſt wenn ſie die Reihe von Verſchanzun - gen, die am rechten Nilarm entlang lagen, überſchritten.
Das Perſerheer vor Peluſium war in drei Colonnen getheilt, von denen die eine, die Böotier mit ſehr vielem Perſiſchen Fuß - und Reutervolk unter Lakrates und dem Lydiſchen Satrapen Roiſa - kes Peluſium beobachtete, die zweite, aus den Argivern und fünftauſend ausgewählten Perſern unter Nikoſtratus und Ariſtazanes beſtehend, auf achtzig Schiffen jenſeits Peluſium die Landung forciren, endlich die dritte, die aus Mentors Söldnern und den ſechstauſend Griechen, die Bagoas führte, und vielem anderen Volke beſtand, ſich ſüdlich wen - den ſollte, um wo möglich Peluſium abzuſchneiden. Durch die Kühn - heit des Nikoſtratus und ſeiner Argiver gelang die Beſetzung einer wichtigen Poſition innerhalb des Delta, im Rücken der feindlichen Linie, die nun Nektanebus, eben ſo muthlos in der Gefahr, wie vorher voll Selbſtvertrauen, aufzugeben eilte, um ſich in die Burg von Memphis zu werfen. Peluſium, der Schlüſſel Aegyptens, war umzingelt, nach ſehr tapferem Widerſtande ergab ſich die Griechi - ſche Beſatzung unter ehrenvollen Bedingungen. Jetzt rückte Men - tor und Bagoas gegen Bubaſtus vor; die Aufforderungen zur Un - terwerfung, die Drohung, bei unnützem Widerſtande die Strafe, welche Sidon erlitten, zu wiederholen, verfeindeten in allen Städ - ten die Griechiſchen Beſatzungen, die bereit waren bis in den Tod zu kämpfen, mit den feigeren Aegyptiern; der Einnahme von Bu - baſtus, die dem Lieblinge des Königs, Bagoas, das Leben gekoſtet hätte, wenn nicht Mentor zu ſeiner Rettung herbeigeeilt wäre, folgte ſchnell die Beſetzung der anderen Städte des niederen Landes; die Perſerheere rückten der Hauptſtadt immer näher. Jetzt hielt ſich Nektanebus nicht mehr ſicher in ſeiner Hauptſtadt; er gab es auf für ein Reich zu kämpfen; er rettete ſich mit ſeinen Schätzen ſtromauf nach Aethiopien.
29Ungehindert rückte Ochus in Memphis ein, entſchloſſen, das Land ſeinen ganzen Zorn fühlen zu laſſen; die Zeiten des Königs Kambyſes erneuten ſich; viele Aegyptier wurden hingerichtet, den heiligen Apis durchbohrte der König mit eigener Hand, befahl die Heiligthümer ihres Schmuckes, ihres Goldes, ſelbſt ihrer heiligen Bücher zu berauben, und nur mit ſchwerem Gelde konnten dieſe wieder zurückgekauft werden. So wurde Aegypten für eine ſechzig - jährige Unabhängigkeit mit der blutigſten Strenge geſtraft; Ochus erhielt in hieroglyphiſchen Tempelannalen wie im Munde des Volks den Namen „ der Dolch “. Nachdem Pherendakes zum Satrapen ein - geſetzt, und die Griechiſchen Söldner reich beſchenkt entlaſſen waren, kehrte der König mit großer Beute und noch größerem Ruhme nach Babylon zurück.
Das Perſiſche Reich ſtand gewaltiger als jemals, nur daß es nicht Perſiſche, ſondern Griechiſche Feldherren und Truppen gewe - ſen waren, die den Sieg entſchieden hatten. Der König Ochus, der ſich in dem ächt despotiſchen, launenhaften Wechſel wilder Kraftäußerung und gedankenloſer Erſchlaffung fortan ganz ſeinem Hang zur Wolluſt hingab, überließ das Innere des Reiches ſeinem Liebling, dem Chiliarchen Bagoas, während Mentor die Provinzen des unteren Aſiens erhielt; beide, Bagoas und Mentor, waren mit einander im Einverſtändniß, ſie lenkten den König, ſie hatten alle Macht, das Wohl und Wehe des Reiches lag in ihren Händen.
Zunächſt benutzte Mentor ſein Anſehn dazu, ſeinen Bruder Memnon, ſeinen Schwager Artabazus und deſſen Familie, die bis - her bei dem Macedoniſchen Könige einen Zufluchtsort gefunden hatten, wieder zu Macht und Ehre zu bringen. Sodann ging er daran, die Dynaſten Kleinaſiens, die ſich während des Aegyptiſchen Krieges allzu frei benommen hatten, wieder zu unterwerfen; er be - gann damit, in Verbindung mit ſeinem Bruder Memnon den Ty - rannen Hermeas von Atarnea in Aeolis, den Verwandten des großen Ariſtoteles, und ſeine Anhänger durch Hinterliſt zum Gehor - ſam zurückzubringen; dieß und die Bewältigung der andern Klein - aſiaten, die ſich empört hatten, machte ſein Anſehn beim Könige und ſeine Macht im untern Aſien noch entſchiedener. — Indeß hatte Memnon bei ſeinem Aufenthalte in Macedonien wohl zu er - kennen Gelegenheit gehabt, wohin ſich des Königs Philipp Plane30 richteten; ſie traten immer deutlicher hervor, je näher die Grenzen Macedoniens den Perſiſchen Satrapien kamen; Atheniſche Ge - ſandte unterließen nicht, auf die dringende Gefahr aufmerkſam zu machen; jetzt rückte Philipp gegen Perinth und Byzanz; wenn er dieſe Städte wegnahm, ſo ſtand ihm der Uebergang nach Aſien offen. Darum wurden in aller Eile einige Griechiſche Schaaren die im Perſiſchen Solde ſtanden, unter Apollonius nach Perinth geſendet, und ſie waren ſtark genug, in Verbindung mit den By - zantinern die kräftigen Angriffe des Macedoniſchen Königs zurück - zuſchlagen. Jedenfalls waren Mentor und Memnon die Urheber dieſer Maaßregel; an der Spitze der Griechiſchen Söldnerſchaaren im untern Aſien waren ſie die Stütze der Perſiſchen Macht und deren Verfechter, im Falle daß von Europa her irgend eine Gefahr drohen ſollte. Nach dem kurz darauf erfolgten Tode Mentors ging dieſe wichtige Stelle eines Befehlshabers des ſtehenden Heeres für Kleinaſien an Memnon über, und bald genug ſollte er Gelegenheit haben, ſein nicht gewöhnliches Feldherrntalent zu bewähren.
Während auf dieſe Weiſe die Satrapien im äußerſten Weſten des Reiches, entweder in ſich ſelbſt von Kämpfen und Inſurrectionen bewegt, oder alle Aufmerkſamkeit auf die Verhältniſſe in Europa gewendet, in immer lebhafteren Verkehr mit Griechenland kamen, herrſchte der König auf ſeiner Hofburg zu Suſa in zügelloſer Wild - heit und Grauſamkeit fort; Alle haßten und fürchteten ihn, der Ein - zige dem er Vertrauen ſchenkte, misbrauchte es. Der Aegyptiſche Eunuch Bagoas, ſein oberſter Kämmerer, tückiſch und herrſchſüch - tig von Natur, dem blinden Aberglauben ſeines Vaterlandes, zu deſſen Untergang er ſelbſt hülfreiche Hand geleiſtet hatte, ganz er - geben, hatte dem Könige die Schändung ſeiner vaterländiſchen Hei - ligthümer und den Tod des heiligen Apisſtieres nicht vergeſſen. Je mehr ſich der König durch ſeine Grauſamkeit verhaßt machte, deſto kühner wurden die Plane ſeines tückiſchen Lieblings; Bagoas gewann den Arzt des Königs, ein Gifttrank machte dem Leben des verhaßten Despoten ein Ende; und ſo groß war die Bosheit des Eunuchen und ſeine Frechheit, daß er den Leichnam des Großkönigs nicht nach der Sitte der Väter in die Königsgräber von Perſepolis bringen, ſondern ihn in Stücke zerreißen, und, was den Perſern das Scheußlichſte iſt, von Katzen auffreſſen ließ. Das Reich war in31 ſeiner Hand; um deſto ſicherer ſeine Stelle zu behaupten, ließ er des Königs jüngſten Sohn Arſes zum Könige weihen, die Brü - der deſſelben ermorden; nur der eine, Biſthanes, rettete ſich. Das geſchah etwa zu der Zeit der Schlacht von Chäronea.
Indeß ertrug Arſes nicht lange den frechen Stolz des Eunu - chen, er vergaß ihm nicht den Mord ſeines Vaters und ſeiner Brü - der; Bagoas eilte ihm zuvorzukommen; nach kaum zweijähriger Regierung ließ er den König mit ſeinen Kindern ermorden; zum zweiten Male war die Tiara in ſeinen Händen. Aber das könig - liche Haus war verödet; durch Ochus Hand waren Artaxerxes Söhne, durch Bagoas Ochus Söhne und Enkel ermordet; der ein - zige von ihnen, Biſthanes, war vor dem Eunuchen geflohen, zwi - ſchen ihnen konnte keine Gemeinſchaft ſein. Noch lebte ein Sohn jenes Darius, dem ſein Vater Artaxerxes die Tiara gegeben, die ſchöne Jonierin verweigert hatte; aber die Augen der Perſer wand - ten ſich auf Kodomannus; er war Arſames Sohn, deſſen Vater Oſtanes ein Bruder des Königs Artaxerxes geweſen war, ſeine Mutter Siſygambis, deſſelben Artaxerxes Tochter; er wurde be - wundert wegen ſeiner Sanftmuth, ſeiner Schönheit und Tapferkeit; in dem Kriege, den Ochus gegen die Kaduſier führte, hatte er allein die Herausforderung ihres rieſigen Anführers zum Zweikampf an - zunehmen gewagt, und ihn bewältigt; damals war ihm von den Perſern der Preis der Tapferkeit zuerkannt, ſein Name von Alt und Jung gefeiert worden, der König Ochus hatte ihn mit Ge - ſchenken und Lobpreiſungen überhäuft, und ihm die ſchöne Satra - pie Armenien gegeben. — Mochte Bagoas jener Stimmung der Perſer nachgegeben, oder ſich mit der Hoffnung geſchmeichelt haben, daß Darius Kodomannus für die Tiara, die er durch ihn erlangt hätte, treu ergeben bleiben würde, früh genug ſollte er erkennen, wie ſehr er ſich getäuſcht hatte. Der König haßte den Mörder und verachtete ſeinen Rath; Bagoas beſchloß ihn aus dem Wege zu räumen, er miſchte ihm Gift in den Becher; aber Darius war gewarnt, er rief den Eunuchen, und hieß ihn, als wäre es ein Zei - chen ſeiner Gunſt, den Becher trinken. So fand Bagoas eine ſpäte Strafe.
Die Zügel der Herrſchaft waren in der Hand eines Königs, wie ihn Perſien lange nicht gehabt hatte; ſchön und ernſt, wie der32 Aſtate ſich gern das vollkommene Bild ſeines Herrſchers denkt, von Allen verehrt und gegen Alle liebreich, an allen Tugenden ſeiner großen Ahnen reich, frei von den ſcheußlichen Laſtern, die das Le - ben der letzten Könige geſchändet und zum Verderben des Reichs gemacht hatten, ſchien Darius berufen, dem Reiche, das er ohne Schuld und Blut erworben, den Frieden und das Glück wieder zu geben, um die der früheren Könige Ohnmacht oder Verruchtheit das edle Volk der Perſer betrogen hatte. Keine Empörung ſtörte den glücklichen Beginn ſeiner Herrſchaft; Aegypten war dem Reiche wiedergegeben, Baktrien, Syrien dem Könige treu und ergeben; von den Küſten Joniens bis an den Indus prieſen die Völker den Namen des milden Darius. Und dieſer König ſollte der letzte Enkel des Cyrus ſein, der über Aſien herrſchte, gleich als ob ein unſchuldiges Haupt den Fluch des Unterganges, der auf dem Volke der Perſer ruhte, hätte auch auf ſich nehmen müſſen.
Denn ſchon begann im fernen Weſten das dunkle Wetter, das Perſien vernichten ſollte, emporzuſteigen, ſchon kamen in die Hof - burg von Suſa die Boten der ſeeländiſchen Satrapen, daß Philipp von Macedonien ſeine Heere zuſammenziehe, um mit dem nächſten Frühling in die Provinzen Aſiens einzubrechen, daß einzelne Schaa - ren auf der Küſte gelandet ſeien, und ſich in den Griechiſchen Städten des untern Phrygiens feſtſetzten. Darius wünſchte auf jede Weiſe dieſen Krieg zu vermeiden; er wußte, daß gegen die vereinigte Macht der Macedonier und Griechen ſeine Völker un - möglich das Feld würden behaupten können, er mochte ahnen, wie das ungeheure Reich, in ſich erſtorben und verweſet, nur eines äußeren Anſtoßes bedürfte, um in ſich zuſammenzuſinken.
Aber eben darum war jener Krieg nicht zu vermeiden; das Reich des Cyrus, dies große Grab der Aſtatiſchen Völker, mußte erbrochen, und die Völker aus ihrem Scheintode zu neuem Leben erweckt werden; und auch die Helleniſche Freiheit, einſt die ſchönſte Blüthe, die den Frühling des Menſchengeſchlechtes geſchmückt hat, war zur überreifen Frucht gezeitigt. Die Griechen hatten in dem reich bewegten Leben vieler Jahrhunderte alle Kraft entwickelt und geübt, mit der ſie von der Natur verſchwenderiſch ausgeſtattet wa - ren; und je höher ſich in ihnen das Bewußtſein ihrer Freiheit undKraft,33Kraft, das Verlangen nach dem fernen Ziele ihres geſchichtlichen Lebens entwickelt hatte, deſto heftiger bewegt, deſto leidenſchaftlicher und blutiger waren die Kämpfe geworden, in denen ſie den letzten großen Kampf vorbereitet hatten. Auf den Feldern von Chäronea hatte endlich Macedonien den Sieg davon getragen, in der großen Verſammlung zu Corinth war Philipp von den Griechen zum Füh - rer des Griechenthums ernannt worden; er ſtand bereit, das große Nationalwerk der Griechen zu vollenden.
Aber waren Philipp und ſeine Macedonier Griechen, um den Perſerkrieg im Sinne des Griechiſchen Volkes und der Griechiſchen Geſchichte übernehmen zu können? Die Vertheidiger der alten de - mokratiſchen Freiheit haben oft und laut das Gegentheil behauptet, und ihr großer Wortführer Demoſthenes geht in ſeinem patriotiſchen Eifer ſo weit, zu verſichern, daß Philipp weder ein Grieche, noch mit Griechen verwandt, ſondern zu den Barbaren zu zählen ſei, die man nicht einmal als Sclaven brauchen könne1)Demosth. Olynth. II. p. 23. Philipp III. p. 69.. Aber uralte und glaubwürdige Traditionen beweiſen das Gegentheil; ſie berich - ten, daß in grauer Vorzeit drei Brüder aus dem Heraklidiſchen Fürſtengeſchlechte von Argos gen Norden in das Land der roſſekun - digen Päonier gewandert ſeien, ſich am Oſtabhange des Gebirges in der Stadt Edeſſa niedergelaſſen, und die Landſchaft Emathia in Beſitz genommen hätten; der jüngſte dieſer drei Brüder, Perdikkas, wurde der Stammvater des Macedoniſchen Königshauſes2)Herod. V. 22. VIII. 139. Thucyd. II. 99. Die Sage von Karanus (Diod. I. 18. 20. VII. 8. etc.) iſt jüngeren Urſprungs.. In allmähligem Wachsthum dehnte ſich das neue Reich über den gan - zen Landſtrich aus, der, von der Natur auf eine augenfällige Weiſe abgegränzt, bis in ſpäte Zeiten den Namen des eigentlichen oder unteren Macedoniens behielt, und die Landſchaften Emathia, Am -35 phaxitis, Mygdonia, Bottiäis und Pieria umfaßte3)Die nähere Einſicht in die höchſt eigenthümlichen und einfluß - reichen Naturverhältniſſe des kleinen Macedoniſchen Landes iſt erſt ſeit Couſinery’s Werk (voyage dans la Macedoine) möglich geworden.. Die Ur - einwohner dieſer Gegenden waren dieſelben Pelasgiſchen oder Thra - ciſchen Stämme, welche einſt das ganze Helleniſche Land inne ge - habt hatten, ſpäterhin aber der höheren Entwickelung des Helleni - ſchen Lebens gegenüber als Barbaren erſchienen. So hatten die Macedoniſchen Herakliden das gleiche Loos mit allen ihren Stam - mesgenoſſen, in ein fremdes Land eingewandert ihre Macht auf die Unterwerfung der einheimiſchen Urvölker gründen zu müſſen, freilich mit dem wichtigen Unterſchiede, daß hier wie in keinem Doriſchen Lande das Alte mit dem Neuen zu einem Ganzen verſchmolz, wel - ches im Stande war, die urkräftige Friſche der Heroenzeit bis in ſpäte Jahrhunderte zu bewahren. Und wenn berichtet wird, daß die Trophäen des erſten Sieges, den Perdikkas über die einheimi - ſchen Stämme davon trug, durch den Willen der Götter über Nacht von einem Löwen umgeſtürzt worden, zum Zeichen, daß man nicht Feinde beſiegt, ſondern Freunde gewonnen habe4)Paus. IX. 40., ſo ſpricht ſich in dem Sinne dieſer Sage die eigenthümliche Kraft des Macedoni - ſchen Reiches und deſſen Beruf aus, den letzten Krieg Griechen - lands gegen den Orient glücklich hindurch zu führen, da ja nicht über Unterworfene triumphirt, ſondern die Völker Aſiens für Grie - chiſches Leben und Weſen gewonnen werden ſollten.
Während im übrigen Griechenlande das Königthum, das ſich in dem niederen Volke eine Stütze zu gewinnen verſäumt hatte, ge - gen die Anmaaßungen eines ebenbürtigen Herrenſtandes zu Grunde gegangen war, während gegen dieſen Herrenſtand ſelbſt das niedere Volk, der Rechtloſigkeit und des unerträglichen Druckes müde, ſich endlich empört, die edlen Geſchlechter ihrer Vorrechte beraubt und in die gährende Maſſe des demokratiſchen Gemeinweſens hinabgezo - gen hatte, um ſelbſt bald in Selbſtſucht und Partheiung zu zerfal - len, hatte Macedonien in ſeiner ruhigen und alterthümlichen Weiſe fortbeſtehen können, da hier jene Elemente der Reibung und des Haſſes in dem Verhältniß der verſchiedenen Stände nicht vorhan -3 *36den waren. Denn die edlen Doriſchen Geſchlechter in Macedonien hatten keinesweges, wie etwa die Spartaner und andere Dorier, die alten Landesbewohner zu Peneſten und Heloten erniedrigt; wie dürftig auch die Nachrichten über das innere Leben Macedoniens ſind, ſo viel ſteht feſt, daß das Volk frei, daß Jeder des Volks trotz dem edelſten Herakliden Macedonier war, daß er das Recht zu freiem und unabhängigem Beſitz, und Zutritt in die Volksver - ſammlung hatte, daß endlich die Volksverſammlung ſelbſt zu Ge - richt und Berathung dem Könige zur Seite war, um durch lauten Zuruf zu billigen oder zu verwerfen. Indem das freie Volk zu glei - cher Zeit die Maſſe des Heeres bildete, ſo konnte ſich nicht im Adel des Landes eine einſeitige Vorliebe für den Krieg hervorbil - den, und der ritterliche Dienſt, zu dem er im Falle eines Krieges verpflichtet war, ließ den Heerdienſt des Fußvolks in gleichem Maaße ehrenvoll und ſelbſtſtändig. Der Adel ſelbſt war kaum als Herrenſtand zu bezeichnen; was ihn auszeichnete, waren nicht Privilegien auf Koſten des Volkes, ſondern größeres Beſitzthum, die Erinnerungen edler Abſtammung, nähere Beziehung zu der Per - ſon des Königs, der treue Dienſte mit Ehren und Geſchenken be - lohnte. Selbſt die Familien von fürſtlichem Adel, die früher in den benachbarten Landſchaften Oreſtis, Lynkeſtis, Stymphäa und anderen ſelbſtſtändig geherrſcht, und, nachdem ſie von den mächtigeren Köni - gen Macedoniens abhängig geworden, doch den Beſitz ihrer frühern Herrſchaft behalten hatten, traten wohl mit ihrem Volke in die Verhältniſſe ein, welche für das übrige Macedonien galten.
Man muß geſtehen, daß die alterthümliche Einfachheit der Verhältniſſe, wie ſie die Grundlage des in den Homeriſchen Ge - ſängen geſchilderten Lebens bildet, und Jahrhunderte lang in Macedo - nien beſtand, in der That einſt allen Hellenen gemeinſam geweſen, aber im Kampf der Jahrhunderte untergegangen war. Freilich dankte das Griechenthum dieſen Kämpfen die hohe Bildung, die es, wenn auch auf Koſten des Glückes und der Tugend, erreicht hat, und Macedonien war mit ſeiner alterthümlichen Rauheit und Ein - falt weit hinter der Zeit zurückgeblieben; aber dafür konnte es auch, glücklich und umſichtig geleitet, die Reſultate jener langen und mü - hevollen Entwickelung, bei der Griechenland ſeine Kraft erſchöpft hatte, mit ungeſchwächter Kraft aufnehmen; es konnte die Gedan -37 ken der neuen Zeit, deren Keime ſchon in den Formen des heroi - ſchen Königthumes lagen, mit dem, was es ſelbſt bewahrt hatte, vereinigen und erfüllen, und ſo das verwirklichen, was die größten Denker im Helleniſchen Volke als das Höchſte volksthümlicher Ver - faſſung darſtellten.
Dieß Neue und Zeitgemäße mußte Macedonien, ſo lag es in der Natur der Sache, durch die Vermittelung ſeiner Könige er - halten; und in der That, ſeitdem dieſe durch die Perſerkriege, die ja in allen Hellenen das Bewußtſein und Bedürfniß der Einheit erwachen ließen, mit in den großen Verband des Helleniſchen Le - bens eingetreten waren5)In den Olympiſchen Spielen; cf. Herod. V. 22., verfolgten ſie mit mehr oder minder Bewußtſein, Geſchick und Kraft dieſen Plan, ihr Volk, unbeſchadet der hergebrachten Rechte und Verhältniſſe, in unmittelbaren Zu - ſammenhang mit den Staaten von Hellas und zur Theilnahme an der gemeinſamen Helleniſchen Bildung zu bringen. Die Nähe der reichen und handelkundigen Colonien in Chalcidice, die durch ſie veranlaßten vielfältigen Berührungen mit den Hauptmächten von Hellas, die um ihren Beſitz kämpften, und den Einfluß Macedo - niens ſuchten oder fürchteten, die faſt ununterbrochenen Kämpfe in Hellas ſelbſt, welche manchen berühmten Namen die Heimath zu meiden und an dem reichen Hofe von Pella Ruhe und Ehre zu ſuchen veranlaßten, das alles begünſtigte die ruhigen und ſicheren Fortſchritte Macedoniens. Vor allen wichtig und erfolgreich war die Zeit des weiſen Königs Archelaos, und während das übrige Hellas von dem Peloponneſiſchen Kriege verwirrt und zerriſſen wurde, verbreitete ſich unter ſeiner weiſen Leitung das Licht höherer und zeitgemäßer Bildung bis in die entfernteſten Thäler ſeines ſchönen Landes; ſein Hof, der Sammelplatz von Dichtern und Künſt - lern aller Art6)Thucyd. II. 100. Gellius. XV. 20. Aelian. XIV. 17. II. 21. und der glückliche Vereinigungspunkt des Mace - doniſchen Adels, wurde das Vorbild für das Volk und deſſen fort - ſchreitende Entwickelung; Archelaos ſelbſt galt in dem Munde der Zeitgenoſſen für den reichſten und glücklichſten Mann von der Welt7)Plato Gorgias, p. 83. ed. Heind. .
Indeß ſcheint durch die wichtigen und erfolgreichen Neuerun -38 gen, wie ſie namentlich durch Archelaos ins Leben getreten waren, eine Reaction hervorgerufen zu ſein, welche durch die neuen Elemente, die Macedonien bereits in ſich aufgenommen, nur deſto heftiger und gefährlicher werden mußte. So lange Archelaos herrſchte, wagte kein Unwille laut zu werden; aber als mit ſeinem Tode das Reich an ſeinen unmündigen Sohn Oreſtes überging, da ſchien es Zeit gegen das Neue anzukämpfen, und die alte gute Zeit wieder in ihr Recht einzuſetzen, eine Tendenz, die ihrer Natur nach den hohen und herrſchenden Geſchlechtern angehören mußte, da nur ſie durch die Förderung des Volkes und der Bildung im Volke, ſo wie durch die höhere und einflußreichere Stellung des Königthums beeinträchtigt ſein konnten, wogegen das Volk ſelbſt, wie es ſcheint, an allen den folgenden Kämpfen und Zerwürfniſſen nicht viel An - theil gehabt hat, ſondern die einmal aufgenommenen Elemente langſam und ruhig ſich weiter entwickeln ließ. Das Genauere jener Bewegungen iſt dunkel; doch beſtätigen die wenigen Andeutungen, die ſich vorfinden, dieſe Anſicht. Aeropus, der Reichsweſer und Verwandter des königlichen Hauſes, raubte dem königlichen Knaben Krone und Leben; Aeropus ſtammte wahrſcheinlich aus dem alten Bacchiadiſchen Fürſtengeſchlecht der Lynkeſtier8)Dieſe Wahrſcheinlichkeit gründet ſich namentlich darauf, daß der Lynkeſtier Alexander, eines Aeropus Sohn, ſpäterhin in der Hoff - nung auf den Macedoniſchen Thron Verbindungen mit dem Perſer - könige angeknüpft hat., das mit dem Kö - nigshauſe verſchwägert war; was er und ſeine Familie in den näch - ſten Zeiten ausgeführt, bezeichnet ſie als Gegner der neuen Ord - nung der Dinge und als Vertreter des Althergebrachten. Es iſt begreiflich, wie durch eine Partheianſicht, für welche ſich der fürſt - liche Adel des Landes entſcheiden mußte, Aeropus den Thron be - haupten und auf ſeinen Sohn Pauſanias vererben konnte. Aber die Anhänglichkeit für die königliche Heraklidenfamilie war zu groß, als daß ſich die Uſurpation für lange gegen ihre gerechten An - ſprüche hätte halten können. Obſchon aus der jüngeren Linie des königlichen Hauſes entſprungen, begann Amyntas den Kampf gegen Pauſanias, und entriß ihm den Thron; ſein kühnes Auftreten und die trefflichen Eigenſchaften, die er als Herrſcher entwickelte, moch -39 ten das nähere Anrecht, welches der noch lebende jüngſte Sohn des Archelaos auf das Reich hatte, vergeſſen laſſen.
Doch war die Zeit der Ruhe, ſo ſehr das Land ihrer bedurfte, noch nicht gekommen; die Verwirrungen, die das Reich zu entkräf - ten und zur leichten Beute jedes kühnen Ueberfalls zu machen ſchie - nen, hatten die Illyrier an die Grenze gelockt, und vielleicht von den Gegnern des Amyntas aufgemuntert, fielen ſie in das Land, beſiegten ein königliches Heer und zwangen den König ſelbſt zur Flucht aus ſeinem Reiche. Die zwei Jahre ſeiner Abweſenheit be - nutzte Archelaos jüngſter Sohn Argäus zu einem Verſuch, ſich des väterlichen Reiches zu bemächtigen; aber mit Theſſaliſcher Hülfe kam Amyntas zurück, und gewann in Kurzem das Verlorene wie - der. Die großen Gefahren und Zerrüttungen, welche die Parthei - ungen über das Land gebracht hatten, mochten empfindlich genug gezeigt haben, wie nothwendig Verſöhnung und Eintracht ſei; Amyn - tas vermählte ſich mit Eurydice aus dem Lynkeſtiſchen Fürſtenhauſe. Altes und Neues ward in Einklang gebracht, und zwanzig Jahre hindurch regierte Amyntas, wenn auch nicht in völligem Frieden, doch zum Wohl und zur Förderung ſeines Landes. Aber bei ſei - nem Tode offenbarte ſich, daß die Parthei der Lynkeſtier ihre alten Hoffnungen und Pläne noch nicht aufgegeben; ſie fand in der Köni - gin Eurydice eine eben ſo kühne wie furchtbare Vertreterin. Als Amyntas Sohn und Nachfolger Alexander in Theſſalien kämpfte, ſtand von ihr veranlaßt Ptolomäus von Alorus, mit dem ſie ſchon lange ein heimliches Verhältniß pflegte, gegen den König auf, und kämpfte glücklich; ein Vergleich zwiſchen beiden ſchien nur ge - macht, um den König deſto ſicherer zu verderben; während eines feſtlichen Tanzes ward er ermordet9)Marsyas ap. Athen. XIV. p. 629 d.; Diod. XV. 71. 72. nennt ihn Bruder des Alexander, gegen das ausdrückliche Zeugniß des Dexip. ap. Syncell. p. 500. ed. Bonn. ; cf. Aristot. Polit. V. 8. 12., und dem Mörder Ptolomäus gab die Königin ihre Hand und den Thron. Jahr und Tag herrſchte der Uſurpator, bis Alexanders zweiter Bruder herangereift war; mit dem Morde des Ptolomäus bahnte er ſich den Weg zum Throne. Seine Herrſchaft währte zu kurze Zeit; mitten in der einflußreichſten Wirkſamkeit für die Bildung und Erweiterung ſeines40 Reiches rafft ihn der Tod hinweg, ſeine Mutter Eurydice ſoll ihn ermordet haben. Aber ſchon war ihr und des Amyntas dritter Sohn Philipp da, die Regierung für ſeines Bruders Perdikkas unmündigen Sohn zu übernehmen; mit gleicher Vorſicht und Ge - wandtheit rettet er das Reich vor den drohenden Einfällen der Il - lyrier und Thracier, die Krone vor den beiden Prätendenten Pau - ſanias und Argäus, das königliche Haus vor neuen Intriguen und Verwirrungen; in Kurzem waren die alten Partheiungen verſchwun - den. Von der Parthei der Lynkeſtier war Eurydice und Ptolo - mäus todt, und von den Söhnen des Aeropos wurde der älteſte, Alexander, durch Vermählung mit des treuen Antipaters Tochter, die beiden jüngeren, Hieromenes und Arrhabäus, durch andere Gunſtbezeugungen gewonnen, Arrhabäus Söhne Neoptolemus und Amyntas am Hofe erzogen10)Arrian. 1. 20.. Von der älteren Linie des Hau - ſes hatte noch Argäus gegen Philipp um das Reich gekämpft, er verſchwindet aus der Geſchichte; wahrſcheinlich wurde ihm von Phi - lipp verziehen, und ſein Sohn Heraklides erſcheint ſpäter unter den Befehlshabern der Macedoniſchen Armee11)Arrian. VII. 16.. Auch der zweite Prätendent Pauſanias, von deſſen Abſtammung und Anſprüchen nichts Genaueres überliefert wird, verſchwindet aus der Geſchichte. Den rechtmäßigen Thronerben endlich, des Perdikkas Sohn Amyn - tas, in deſſen Namen Philipp wirklich im Anfange die Regierung geführt hatte, knüpfte er durch die Vermählung mit ſeiner Tochter Kynane an ſein Intereſſe12)v. interp. ad Curt. VII. 9. 17..
So war Macedonien in die Hände eines Fürſten gekommen, der mit bewundernswürdiger Planmäßigkeit und Gewandtheit die Kräfte ſeines Reiches zu entwickeln, zu benutzen und bis zu dem Grade zu erhöhen wußte, daß ſie dem großen Gedanken, an der Spitze des Griechenthums das Morgenland zu unterwerfen, ge - wachſen wurden. Faſt hat die Geſchichte über die ſtaunenswürdi - gen Erfolge die Mittel, durch welche ſie errungen wurden, aufzu - zeichnen vergeſſen,[und] während ſie die Hand, die einen Staat Griechenlands nach dem andern zu ſich herüber zog, in jedem ein - zelnen ihrer ſchlauen Griffe auf das Genaueſte verfolgt, läßt ſie uns41 über den Körper, dem dieſe Hand angehört, und dem ſie ihre Kraft und Sicherheit dankt, faſt ganz im Dunkeln; das verführeri - ſche Gold, das ſie dieſelbe Hand zeigen und zur rechten Zeit ſpen - den läßt, erſcheint faſt als das einzige oder doch größte Mittel, durch welches Philipp ſeine Erfolge errungen. Aber faßt man das innere Leben des Reiches näher ins Auge, ſo treten deutlich zwei Momente hervor, die, ſchon früher angeregt, aber durch Philipp erſt zu voller Kraft entwickelt, die Baſis ſeiner Macht wurden.
Das Macedoniſche Volk hatte allerdings ſchon früher Kriege mannigfacher Art zu beſtehen gehabt, und nach dem alten Brauch war dann jeder wehrhafte Mann ausgezogen, um nach Beendigung des Krieges wieder zu ſeinem Pfluge oder zu ſeiner Heerde zurück - zukehren. Die Gefahren, unter denen Philipp die Regierung über - nahm, die Kämpfe, welche namentlich die erſten Jahre ſeines Kö - nigthums faſt unabläſſig fortwährten, gaben die Veranlaſſung, jene Kriegspflichtigkeit der Macedonier zur Bildung eines ſtehenden Natio - nalheeres zu benutzen, das, anfangs zehntauſend Mann Fußvolk und ſechshundert Ritter ſtark, bald genug auf das Doppelte gebracht wurde. Die Erfolge dieſer Einrichtung mußten außerordentlich ſein; ſie bewirkte, daß ſich die verſchiedenen Landſchaften des Reiches als ein Ganzes, als eine Nation fühlen lernten; ſie machte es mög - lich, daß die neu erworbenen Thraciſchen, Päoniſchen, Agriani - ſchen Völkerſchaften, wenn ſie auch ihre einheimiſchen Fürſten behielten, mit dem Macedoniſchen Volke zu einem Ganzen ver - ſchmolzen; vor allem aber gab ſie in dieſer Einheit und in der kriegeriſchen Tendenz, die fortan vorherrſchend wurde, dem Volke ſchnell und durchgreifend jene höhere ethiſche Kraft und jenes ſtolze Gefühl des geſchichtlichen Lebens, deſſen höchſtes Ziel der Ruhm iſt. Ein Heer dieſer Art mußte den Söldnerſchaaren der Griechiſchen Staaten, eine Nationalität von dieſer Jugendfriſche und dieſem Selbſtgefühl dem überbildeten, durch geiſtige und körperliche Ge - nüſſe bis zur Fieberhaftigkeit oder Gleichgültigkeit überreizten Grie - chenthume überlegen ſein. Die Gunſt des Schickſals hatte in Ma - cedonien die Weiſe[einer] alten und urkräftigen Zeit ſo lange beſtehen laſſen, bis es mit ihr in das geſchichtliche Leben eintreten ſollte, ſie hatte im Kampf des Königthums mit dem Adel nicht, wie in Hellas Jahrhunderte früher, dem trotzigen Herrenſtande, ſondern dem42 Königthume den Sieg gegeben; und dieſes Königthum eines freien und kräftigen Volkes, dieſe Monarchie im edelſten Sinne des Wortes gab jetzt dem Leben des Volks die Form, Kraft und Rich - tung, welche die Demokratien von Hellas wohl als weſentlich er - kannt, aber vergebens erſtrebt hatten.
Dagegen mußte die Helleniſche Bildung, das ſchöne Reſultat jenes vergeblichen Strebens, ganz und vollkommen dem Macedoni - ſchen Volksleben gegeben, und ſo das ſchon von früheren Fürſten mit Erfolg begonnene Streben mit Sorgfalt und Nachdruck fort - geſetzt werden. Das Vorbild des Königs und ſeines Hofes war hier von der größten Wichtigkeit, und der Adel des Landes trat bald in die eben ſo natürliche wie ehrenvolle Stellung, den gebilde - ten Theil der Nation auszumachen; ein Unterſchied, der ſich in kei - nem der Griechiſchen Hauptſtaaten zu entwickeln vermocht hatte, indem die Spartaner alle roh und nur Herren den unfreien La - konen gegenüber waren, die freien Athener aber ſich wenigſtens ſelbſt ohne Ausnahme für höchſt gebildet hielten. Schon Philipp ſorgte, ſo ſcheint es, durch Einrichtung von Lehrvorträgen aller Art, die zunächſt für die Edelknaben in ſeiner Umgebung beſtimmt wa - ren, für die Helleniſche Bildung des jungen Adels, den er ſo viel als möglich an den Hof zu ziehen, an ſeine Perſon zu feſſeln, und für den unmittelbaren Dienſt des Königthums zu gewinnen ſuchte; als Edelknaben, und bei reiferer Jugend in den Leibſchaaren und als Leibwächter (Somatophylakes) des Königs, als Commandi - rende bei den verſchiedenen Abtheilungen des Heeres, in Geſandt - ſchaften an Helleniſche Staaten, wie ſie ſo häufig vorkamen, hatte der Adel Gelegenheit genug ſich auszuzeichnen oder den Lohn für aus - gezeichnete Dienſte zu empfangen; überall aber bedurfte er jener Bil - dung und feinen Attiſchen Sitte, wie ſie der König wünſchte und ſelbſt beſaß. Sein eifrigſter Gegner mußte geſtehen, daß Athen kaum einen an feiner Geſelligkeit ihm Aehnlichen aufzuweiſen habe13)Demosthen. de fal. log. p. 575.; und wenn der König im häuslichen Kreiſe Macedoniſch und einfach lebte, ſo waren die Hoffeſte, der Empfang fremder Geſandten, die Feier der großen Spiele deſto glänzender und Beweis genug, daß das Macedoniſche Königthum in Bildung und Geſchmack nicht mehr43 zurück war; das Macedoniſche Volk ſeinerſeits ſah mit gerechtem Stolz auf ſeinen König und deſſen Hof, an dem alles prächtig und großartig, nichts kleinlich und karg war.
Und in der That, dieſer Hof von Pella, wie er zur Zeit des Königs Philipp war, mußte durch Glanz und Adel ausgezeichnet ſein, wenn man der edlen Geſchlechter gedenkt, die dort verſammelt waren. Mehrere von dieſen waren fürſtlichen Urſprungs, ſo das Bacchiadengeſchlecht von Lynkeſtis, das vierzig Jahre früher ja ſelbſt die Macedoniſche Krone in Händen gehabt hatte; ſo ferner das Geſchlecht des Orontes, das einſt in der Landſchaft Oreſtis ge - herrſcht hatte, aber um die Zeit des Peloponneſiſchen Krieges, wo es von dem Fürſten Derdas von Elymiotis, wie es ſcheint, ver - drängt war14)Denn Derdas heißt Fürſt von Oreſtis, Thye. I. 57; Perdik - kas aber war nach Curt. X. 7. 8. aus fürſtlichem Geſchlecht, nach Arrian. Ind. 18. aus Oreſtis., in Macedonien Schutz geſucht hatte; der ältere Sohn des Orontes erhielt ſpäterhin die Führung des Phalanx von Oreſtis, derſelben, wie es ſcheint, welche demnächſt, als er ſelbſt Führer eines Geſchwaders wurde, an ſeinen Bruder Alketas über - ging. Das bedeutendſte unter dieſen fürſtlichen Geſchlechtern war das von Elymiotis, entſtammt von dem eben erwähnten Fürſten Derdas aus der Zeit des Peloponneſiſchen Krieges; um das Jahr 380 hatte ein zweiter Derdas, wahrſcheinlich des vorigen Enkel, den Beſitz des Landes, und war damals mit Amyntas von Mace - donien und den Spartanern verbündet gegen Olynth gezogen15)Xenoph. hist. V. 2. 39.; noch bei Philipps Regierungsantritt war er unabhängiger Fürſt ge - weſen, und hatte ſeine Schweſter Phila mit dem Macedoniſchen Könige vermählt16)Athen. XIII. 557. e. ; mit dieſem war er um das Jahr 350 gegen Olynth gezogen, und in die Gefangenſchaft der Feinde gerathen17)Theopomp. lib. XXIII. ap. Athen. X. p. 436.. Dieſe Gelegenheit mochte Philipp benutzt haben, um ſein Fürſten - thum mit Macedonien zu vereinen; Machatas, der Bruder des Derdas wagte wohl nicht Anſprüche zu erheben, ſondern ging an den Hof des mächtigeren Fürſten; es blieb zwiſchen Philipp und die - ſer Familie ſtete Spannung, die nicht immer geſchickt genug ver -44 hehlt und von dem Könige vielleicht abſichtlich erhalten wurde, um durch zweifelhafte Gunſt ſie etwas fern und in Beſorgniß zu hal - ten. Kaum konnte Machatas in einer Rechtsſache, in welcher der König zu Gericht ſaß, einen gerechten Spruch erlangen, und Phi - lipp eilte, eine Unrechtlichkeit, die ein Verwandter des Hauſes ſich zu Schulden kommen ließ, zur öffentlichen Kränkung der Familie zu benutzen; die Bitten, die des Machatas Sohn Harpalus, dem der König durch Uebertragung einer politiſchen Miſſion jüngſt Vertrauen bewieſen hatte18)Demosth. in Arist. p. 600., für ihn einlegte, wurden nicht ohne Bitterkeit zurückgewieſen19)Plut. apophth. . Der Glanz, den dieſe Familie in ſpäterer Zeit erreicht hat, begann erſt mit Philipps Tode. Harpalus Bruder war Philipp, der Vater des berühmten Antigonus, deſſen Sohn, der Städtezertrümmerer Demetrius, Gründer der neuen Macedoni - ſchen Dynaſtie wurde, die bis zum Untergange des Reiches gewährt hat. — Es iſt nicht möglich, alle die edlen Geſchlechter, die an dem Hofe von Pella verſammelt waren, aufzuzählen; doch verdienen zwei derſelben wegen ihrer beſondern Wichtigkeit Erwähnung, das des Antipater und des Philotas. Philotas Sohn war jener treue und gewandte Feldherr Parmenion, dem Philipp wiederholentlich die Führung der wichtigſten Expeditionen anvertraute; ſeine ſoldatiſche Biederkeit machte ihn zum Mann des Volkes; ſeine Brüder Aſan - der und Agathon19a)Corp. Inscr. 105., und noch mehr ſeine Söhne Philotas, Ni - kanor und Hektor nahmen ſpäter bedeutenden Antheil an dem Ruhme des Vaters; ſeine Töchter verbanden ſich mit den vornehm - ſten Söhnen des Landes; die eine mit Könus, dem Phalangenfüh - rer, die andere mit Attalus20)Curt. X. 7. 8., dem Oheim einer ſpäteren Ge - mahlin des Königs. In nicht minder einflußreicher und ehrenvoller Stellung war Antipater oder, wie ihn die Macedonier nannten, Antipas; das bezeichnet des Königs Wort: „ ich habe ruhig geſchla - fen, denn Antipas wachte “20a)Plut. apophth. cf. Athen. X. 435 c. ; ſeine erprobte Treue und die nüchterne Klarheit, mit der er vorliegende Verhältniſſe zu betrachten pflegte20b)Anonym. apd. Boissonnade anecdota vol. II. p. 468., machten ihn für das hohe Amt eines Reichsverweſers, das er bald genug einnehmen ſollte, vollkommen geeignet; die Vermäh -45 lung mit ſeiner Tochter ſchien das ſicherſte Mittel, die hohe Familie der Lynkeſtier zu gewinnen; ſeine Söhne Kaſſander, Archias und Jollas erhielten erſt ſpäter Bedeutung. —
So der Hof, ſo die Nation, wie ſie durch Philipp geſtaltet waren; man darf hinzufügen, daß das monarchiſche Element in dem Macedoniſchen Staatsleben eben ſo durch die geſchichtliche Stellung des Volkes, wie durch die Perſönlichkeit Philipps ein entſchiedenes Uebergewicht erhalten mußte. Erſt in dem Ganzen dieſes Zuſam - menhanges iſt des Königs Charakter und Handlungsweiſe begreif - lich. In dem Mittelpunkte von Widerſprüchen und Gegenſätzen der eigenthümlichſten Art, Grieche im Verhältniß zu ſeinem Volke, Macedonier für die Griechen, übertraf er jene wieder an Macedo - niſcher Treuherzigkeit und Fröhlichkeit, dieſe an Griechiſcher Feinheit und Hinterliſt, beide an Klarheit des Bewußtſeins und an Ge - wandtheit nie ſo zu ſcheinen, wie man erwarten mußte; ſein Cha - rakter war, keinen Charakter zu haben, ſondern Zwecke; Frivolität und Offenheit verbarg ſeine Abſichten, die feinſte geſellige Bildung die Laſter und Verbrechen, die man ihm vorwirft; von Natur zu Wolluſt und Genuß geneigt, war er in ſeinen Neigungen eben ſo unbeſtändig wie glücklich, in ſeinen Leidenſchaften eben ſo zügellos wie vorſichtig; über beide ſchien er Herr zu ſein, um ſich ihnen ganz hinzugeben, und man kann zweifeln, ob ſeine Tugenden oder ſeine Fehler für erkünſtelt zu halten ſeien; jedenfalls ſtellt ſich in ihm die ſophiſtiſche Bildung ſeines Zeitalters, ihre Klugheit und Geſinnungsloſigkeit und die Einſeitigkeit des vollendeten Egoismus auf das Beſtimmteſte dar.
Das entſchiedene Gegentheil von ihm war ſeine Gemahlin Olympias, die Tochter des Epirotenkönigs Neoptolemus, aus dem Geſchlechte Achills; Philipp hatte ſie in ſeinen jüngeren Jahren bei der Myſterienfeier auf Samothrace kennen gelernt und mit Ein - willigung ihres Vormundes und Oheims Arymbas geheirathet21)Plut. Alex. 2.. Schön, verſchloſſen und voll glühender Leidenſchaftlichkeit, war ſie dem geheimnißvollen Dienſte des Orpheus und Bacchus und den dunklen Zauberkünſten der Thraciſchen Weiber eifrigſt ergeben; in den nächtlichen Orgien ſah man ſie vor Allen in wilder Begeiſte -46 rung, den Thyrſus und die Schlange ſchwingend, durch die Berge ſtürmen; ihre Träume wiederholten die fantaſtiſchen Bilder, deren ihr ahnendes Gemüth voll war; ſie träumte in der Nacht vor der Hochzeit, es umtoſe ſie ein mächtiges Gewitter, und der Blitz fahre flammend in ihren Schooß, daraus dann ein wildes Feuer her - vorbreche, und in weit und weiter zehrenden Flammen ver - ſchwinde21a)Plut. l. c. . — So ſchien das Schickſal aus der Vereinigung der äußerſten Gegenſätze, zu denen das Griechenthum ſich entwickelt hatte, den erzeugen zu wollen, in welchem dem Griechiſchen Geiſte die Welt zu überwinden und ſich zu erfüllen beſtimmt war22)Ueber die Zeit ſeiner Geburt genügt es auf Idler’s Abhandlung über das Todesjahr Alexanders (in den Abhandl. der Berl. Academie 1820 u. 1821) zu verweiſen. Es fällt Alexanders Geburt auf den Boedromion Ol. 106. 1. d. i. 356 v. Ch. zwiſchen den 15. Sept. und 14. Oct. (Meton. Cyclus).. Und wenn die Sage berichtet, daß außer vielen anderen Zeichen in der Nacht, da Alexander geboren wurde, der Dianentempel zu Epheſus, nach Griechiſcher Anſicht das eigentlich Morgenländiſche Heiligthum, niedergebrannt ſei, daß ferner der König Philipp die Nachricht von der Geburt des Sohnes zu gleicher Zeit mit dreien Siegesbotſchaf - ten erhielt, ſo ſpricht ſie bedeutungsvoll den Sinn des reichſten Hel - denlebens und den großen Gedanken eines Zuſammenhanges aus, wie ihn die Geſchichte nachzuweiſen ſich oft umſonſt bemüht und öfter überhoben hat.
Und doch zeigt gerade Alexanders Leben von der erſten Kind - heit an dieſen Zuſammenhang aller Verhältniſſe eben ſo unleugbar wie überraſchend. Man muß eingeſtehen, daß Philipps Blick bei aller Klarheit und Schärfe, die ihn über die Verhältniſſe der Ge - genwart mit raſcher Sicherheit entſcheiden und zu deren weiten und weiteren Folgen hinauseilen ließ, dennoch nicht weiter zu rei - chen vermochte, als bis zu dem unbeſtimmten Gedanken eines Per - ſerkrieges, den er für die Aufgabe ſeines Lebens hielt; wohl erkannte er jenſeits des Meeres das Land der Siege und der Zukunft Ma - cedoniens, dann aber trübte ſich ſein Blick, und ſeine Pläne wichen den unbeſtimmten Geſtaltungen ſeiner Wünſche. Daſſelbe Verlan - gen nach jenem großen Werke theilte von ihm ſich ſeinen Umgebun -47 gen, dem Adel, dem geſammten Volke mit, es wurde der ſtets durchklingende Grundton des Macedoniſchen Lebens, das lockende Geheimniß der Zukunft; man kämpfte gegen die Thracier und ſiegte über die Griechen, aber der Orient war das Ziel, für