Und die Grenzen aller Laͤnder wanken, Und die alten Formen ſtuͤrzen ein!(Schiller. )
Unter den großen Erſcheinungen, welche uns die Weltgeſchichte aufſtellt, iſt die des Europaͤi - ſchen Staatenſyſtems oder Staatenvereins in den letzten drey Jahrhunderten bisher die groͤßte, und zugleich fuͤr uns die wichtigſte. Die Staatenſyſte - me, welche ſich in Griechenland im Alterthum, in Italien im Mittelalter bildeten, ſtehen an Macht und Umfang hinter dieſem zu weit zu - ruͤck; und wenn das aus der Theilung von Ale - xander's Weltmonarchie hervorgegangene Macedo - niſche in dieſer und in anderen Ruͤckſichten viel - leicht damit verglichen werden kann; ſo gelangte es doch nicht zu einem gleichen Grade von Reife* 2undIVVorrede. und Ausbildung. Es iſt aber auch zugleich fuͤr uns das wichtigſte; nicht nur wegen unſerer per - ſoͤnlichen Beziehungen; ſondern auch weil wir bey weitem auf das genaueſte von ſeiner Bildung, ſei - nen Veraͤnderungen und Schickſalen, unterrichtet ſind.
Wer es unternimmt die Geſchichte eines Staatenſyſtems (worunter wir einen Verein ſich begrenzender, durch Sitten, Religion und Cultur ſich aͤhnlicher, und unter einander durch wechſel - ſeitiges Intereſſe verflochtener, Staaten verſtehen;) darſtellen zu wollen, wird vor allem den allgemei - nen Character desſelben richtig auffaſſen muͤſſen. Bey dem von Europa zeigt es ſich leicht, daß dieſer in ſeiner inneren Freyheit, oder der wech - ſelſeitigen Unabhaͤngigkeit ſeiner Glieder, wie un - gleich ſich auch dieſe an Macht ſeyn mochten, zu ſuchen ſey. Dadurch unterſchied es ſich von der entgegengeſetzten Claſſe von Staatenſyſtemen, der - jenigen mit einem anerkannten Principat. Daß einzelne, mit groͤßerm oder geringerem Erfolge, gemachte Verſuche, jene Unabhaͤngigkeit theilweiſe aufzuheben, nicht ſofort den allgemeinen Charac - ter veraͤndern, bedarf keines Beweiſes. Der Ge -ſchicht -VVorrede. ſchichtforſcher, der den Wechſel der Verhaͤltniſſe zwiſchen dieſen Staaten darſtellen will, wird ſie alſo als eine Geſellſchaft unabhaͤngiger Perſonen anſehen muͤſſen, die unter einander in vielfacher Beziehung ſtehen. Ein neuerer Sprachgebrauch will zwar, daß man die Staaten nicht als ſolche, ſondern als Maſchinen betrachten ſoll; wenn es aber nicht mal moͤglich iſt ein Heer zu einer blo - ßen Maſchine zu machen, (ſonſt wuͤrde keines flie - hen); wie waͤre es mit der buͤrgerlichen Geſell - ſchaft moͤglich? Daß dieſe Vorſtellungsart aber am wenigſten auf die Europaͤiſchen Staaten paſ - ſen wuͤrde, zeigt ſchon allein die große Verſchie - denheit ihrer Verfaſſungen.
Indem der Verfaſſer von dieſen Grundideen ausging, mußte ſich ihm das Feld ſeiner Unter - ſuchungen nothwendig ſehr erweitern. Er durfte ſich nicht blos auf das aͤußere Spiel der Ver - haͤltniſſe beſchraͤnken; ſondern mußte ſuchen in ihr Inneres zu dringen; und die Triebfedern aufzu - ſpuͤren, wodurch es in Bewegung geſetzt und er - halten wurde. In jeder Geſellſchaft moraliſcher Perſonen werden aber erſtlich nothwendig gewiſſe allgemeine Ideen herrſchen, aus denen im Gan -* 3zenVIVorrede. zen die Maximen des Handelns hervorgehn; ohne daß man dabey an irgend ein angenommenes Sy - ſtem zu denken braucht. Dieſe Ideen koͤnnen aber unmoͤglich ihrer Natur nach unveraͤnderlich ſeyn, ſchon deshalb nicht, weil die Koͤpfe nicht dieſelben bleiben. Eben darum iſt es thoͤricht zu verlangen, daß Cabinette nach einem ſtets glei - chen Syſteme handeln ſollen, wenn gleich jede vernuͤnftige Regierung nach gewiſſen Maximen handeln muß. Jene, das jedesmalige Zeitalter leitenden, Ideen richtig aufzufaſſen, und die dar - aus geſchoͤpften Maximen darzuſtellen, wird alſo die erſte Aufgabe ſeyn. Allein auch die einzelnen Glieder eines ſolchen Vereins haben jedes ſeinen Character, ſeine Art zu ſeyn und zu handeln. Auch dieſe aber ſind der Veraͤnderung unterwor - fen; und wie ließe ſich die Geſchichte des Ver - eins im Ganzen richtig durchfuͤhren, wenn dieſe Veraͤnderungen nicht auch bey den einzelnen Haupt - gliedern wenigſtens angedeutet wuͤrden?
In dieſen Bemerkungen muß die Rechtferti - gung von dem Plan des Verfaſſers liegen. Er wollte nicht blos einen Abriß des Wechſels der Verhaͤltniſſe, und der daraus hervorgehenden Be -geben -VIIVorrede. gebenheiten geben, wenn gleich dieß allerdings ei - nen Haupttheil ſeiner Arbeit ausmachen mußte. Er wollte zugleich ihren Grund in den herrſchen - den Ideen des jedesmaligen Zeitalters, ſo wie bey den einzelnen Hauptſtaaten als handelnden Hauptperſonen in dieſem Verein, die Fortbil - dung ihrer Charactere und der daraus hervorge - henden Handelsweiſe darſtellen. Darauf bezie - hen ſich die, wo er es noͤthig fand, eingeſchalte - ten Abſchnitte uͤber die einzelnen Staaten. Man wuͤrde ihn gaͤnzlich mißverſtehen, wenn man dieſe fuͤr einen Verſuch anſehen wollte, neben der all - gemeinen Geſchichte auch die Special-Geſchichte von dieſen durchzufuͤhren. Er hatte vielmehr je - nen ſehr beſtimmten Zweck dabey vor Augen. Daß er aber auch die Colonien, ihre Fortbildung, und ihren Einfluß auf Europa ſelber mit hinein - ziehen mußte, liegt am Tage. Sie gehoͤren dem Staatenſyſtem von Europa an; an ſie knuͤpfte ſich der Gang des Welthandels, und ſein ganzer unermeßlicher Einfluß auf die Politik; wie be - ſchraͤnkt wuͤrde alſo ohne ſie die Anſicht geblieben ſeyn! Die auf ſie ſich beziehenden Abſchnitte duͤrfen aber um ſo mehr eine guͤnſtige Aufnahme erwarten, je weniger dieſer Gegenſtand bisher in* 4unſereVIIIVorrede. unſere Lehrbuͤcher der Geſchichte aufgenommen worden iſt.
Schon hieraus wird hervorgehen, daß der Vf. ſich ſein Geſchaͤft nicht zu leicht gemacht ha - be; die naͤhere Anſicht jedes einzelnen Abſchnittes wird dieſes hoffentlich deutlicher zeigen. Es war ſein Bemuͤhen jeden einzelnen Gegenſtand in dem Licht darzuſtellen, in welchem er ihm nach ſorg - faͤltigem Studium erſchien; denn, was er ſelber uͤber jeden derſelben gedacht hatte, in derjenigen Kuͤrze darzulegen, welche die Form ſeiner Arbeit erforderte, und ſo den Freunden der Geſchichte die leitenden Hauptideen zu geben, war ſein Wunſch. Daß dieſes bey der großen Menge nicht nur, ſondern auch der großen Mannichfal - tigkeit der Gegenſtaͤnde lange und vielfache Vor - arbeiten erforderte, (wer kann ohne vertraute Be - kanntſchaft mit dem ganzen Kreiſe der Staats - wiſſenſchaften neuere Geſchichte Europas behan - deln?) glaubt er ſagen zu duͤrfen. Was man dem bloßen Gelehrten bey der Beurtheilung der Cabinetspolitik vorzuwerfen pflegt, iſt ihm nicht unbekannt; er hat ſelber das Beduͤrfniß gefuͤhlt, ſich durch gaͤnzliche Entfernung von allem Syſte -mati -IXVorrede. matiſiren den Sinn fuͤr practiſche Politik leben - dig zu erhalten*)Als bereits der Schluß dieſes Handbuchs dem Druck uͤbergeben war, erhielt der Vf. das ſo eben in Paris erſchienene ſehr intereſſante Werk: Histoire generale et raisonnée de la diplomatie Française depuis la fondation de la Monarchie jusqu 'à la fin du regne de Louis XVI. par Msr. de Flassan. T. I ‒ VI. 1809. (Noch in dem erſten Theile beginnt ſchon die neuere Geſchichte.) Er geſteht gern, daß die Uebereinſtimmung der Anſichten bey ſo vielen der Haupt - gegenſtaͤnde mit denen dieſes practiſchen Diplomati - kers, nicht wenig dazu beytraͤgt das Vertrauen zu vermeh - ren, mit dem er ſeine Arbeit jetzt dem Publicum uͤbergiebt.; und wenn er gleich die an - ſtaͤndige Freymuͤthigkeit, welche die Beurtheilung des Vergangenen erlaubt, nicht verleugnet hat; ſo glaubt er doch nie die Achtung verleugnet zu haben, die man auch noch dem Schatten der Maͤnner ſchuldig iſt, welche in großen Wirkungs - kreiſen ſtanden. Bedarf es uͤbrigens noch der Erinnerung, daß er das, was er ſagte, ſtets in Beziehung auf die Zeit ſagte, wovon er ſprach? Nur argliſtige Verdrehung wuͤrde es auch auf andere Zeiten anwenden wollen.
Ueber menſchliche Verhaͤltniſſe menſchlich zu urtheilen war alſo das Streben des Verfaſſers. Zu* 5XVorrede. Zu jenem hoͤheren Standpunct aber ſich zu erhe - ben, von dem herunter unſre ſpeculativen Hiſtori - ker, das Europaͤiſche Staatenſyſtem nur als ein Glied in der Kette der Erſcheinungen betrachtend, die Fortſchritte der Menſchheit zu meſſen behaup - ten, lag nicht in ſeinem Plan. Maͤnner die da oben waren haben ihn verſichert, man ſaͤhe dort nicht weiter als hier unten; die Ausſicht nach der einen Seite, der der Vergangenheit, ſey beſchraͤnkt ſo wie hier; nach der andern, der der Zukunft, erblicke man nur Nebel, in denen man kaum ei - nige zweifelhafte Geſtalten zu erkennen glaube. Es ſey, meinten ſie, der Platz um Halbromane zu ſchreiben. Wenn alſo auch der Vf. zu be - merken glaubte, daß das Europaͤiſche Staatenſy - ſtem weder in die Periode der Unſchuld, noch der vollendeten Rechtfertigung falle, ſo bekennt er doch auch nicht zu wiſſen, ob es in die der an - hebenden oder vollendeten Suͤndhaftigkeit gehoͤre. Eben ſo wenig hat er auf die ſeynſollenden feſten Principien Ruͤckſicht nehmen koͤnnen, nach denen einige politiſche Sophiſten jetzt die Maßregeln der Cabinette beſtimmen wollen. Von ihrer neu ausgepraͤgten Phraſeologie und Terminologie iſt alſo gar kein Gebrauch gemacht. In der ThatſieXIVorrede. ſie moͤgen vielleicht Recht haben, daß ein Huhn richtiger eine Hahnin heißen ſolle; er aber nennt es dennoch ein Huhn. — Es iſt beſſer ſich uͤber dieſe Dinge im voraus zu verſtaͤndigen, damit jeder wiſſe, was er zu ſuchen habe.
Waͤhrend der Vf. die Geſchichte des Europaͤi - ſchen Staatenſyſtems bearbeitete, ſah er dasſelbe in mehreren ſeiner weſentlichſten Theile zuſammen - ſtuͤrzen. Nie iſt daher wohl eine aͤhnliche Arbeit unter aͤhnlichen Umſtaͤnden ausgefuͤhrt. Indem er jedoch ſeinen Kreis ſo beſchraͤnkte, daß die naͤch - ſte Vergangenheit, noch nicht reif fuͤr die Ge - ſchichte, davon ausgeſchloſſen blieb; hofft er ſich eine freye Anſicht des Ganzen erhalten zu haben. Seine Achtung fuͤr die Nation der er angehoͤrt, hat er nicht verleugnet; uͤbrigens, nie Buͤrger ei - nes der Hauptſtaaten Europas, konnte er auch fuͤr keinen derſelben Parteylichkeit haben.
Eine zahlreiche Geſellſchaft von Staaten, in langen und vielfachen Verflechtungen, cultivirt und verdirbt ſich wie unter gleichen Umſtaͤnden eine große Menſchenmaſſe. Die Uebel, welche den Fall des Europaͤiſchen Staatenſyſtems herbeyfuͤhr -ten,XIIVorrede. ten, giengen alſo ſo wie ſein Gutes meiſt eben daraus hervor, daß es ein Syſtem war. Die Urſachen, welche die Cataſtrophe vorbereiteten, darzulegen, mußte alſo allerdings in dem Plan des Vf. liegen; er bleibt aber darum noch ſehr weit von der Anmaßung entfernt gezeigt haben zu wollen, daß es gerade ſo habe kommen muͤſ - ſen. Wer an der Hoffnung haͤngt, daß das Al - te wiederkehren werde, dem will er ſie nicht rau - ben; wer ihr entſagt, wird in der hier dargeſtell - ten Vergangenheit vielleicht die Ausſicht zu einer groͤßern und herrlichern Zukunft entdecken, wenn er, ſtatt des beſchraͤnkten Europaͤiſchen Staaten - ſyſtems der verfloſſenen Jahrhunderte, durch die Verbreitung Europaͤiſcher Cultur uͤber ferne Welt - theile und die aufbluͤhenden Anpflanzungen der Europaͤer jenſeit des Oceans, die Elemente zu einem freyern und groͤßern, ſich bereits mit Macht erhebenden, Weltſtaatenſyſtem erblickt; der Stoff fuͤr den Geſchichtſchreiber kommender Jahr - hunderte!
Goͤttingen den 5. Febr.
1809.
Lage der Hauptmaͤchte §. 1. Zweifelhafter Friedenszu - ſtand 2. Congreß zu Raſtadt 3. Revolutionen in Italien 4. In der Schweiz 5. Aegyptiſche Expedition 6. 7. Bruch mit der Pforte 8. Zweyte Coalition 9. 10. 11. Losbrechen Neapels 12. Feldzug von 1799 13. 14. Ruͤckkunft Bona - parte's und Revolution vom 18. Bruͤmaire 15. Feldzug von 1800 16. Frieden zu Luͤneville mit Oeſtreich; zu Florenz mit Neapel 17. Seekrieg 18. Eroberung Maltas. Republik der ſieben Inſeln 19. Erneuerung der bewaffneten Neutra - litaͤt durch Paul I. und Folgen fuͤr den Norden 20. Raͤu - mung Aegyptens 21. Frieden zu Amiens 22. Entſchaͤdi - gungsſache in Deutſchland 23. Wiederausbruch des Krieges 24. Errichtung des Franzoͤſiſchen Kayſerthrons 25.
I. Litteratur der Quellen: de Martens Guide diplomatique, ou Repertoire des principaux Loix, des Traités et autres Actes publics jusqu 'à la fin du 18me ſiécle. à Berlin. 1801. T. I. II. Ein kritiſches Verzeichniß der Staats-Urkunden, mit ſteter Nachweiſung der Sammlungen, wo ſie ſtehen. Es ſind die zwey erſten Theile des Cours diplomatique; ein unent - behrliches Handbuch fuͤr den Geſchichtforſcher.
II. Sammlungen der Quellen: A. Staatsſchrif - ten.
Eine kritiſche Ueberſicht der Sammlungen der - ſelben giebt: de Martens Discours ſur les recueils de traités vor dem: Supplement au Recueil des traités. Vol. I. — Die wichtigſten hieher gehoͤrenden allgemeinen Sammlungen ſind:
Recueil des traités de paix, de trêve, de neutralité, d'allian - ce, de commerce etc. depuis la naiſſance de J. C. jusqu 'à preſent, à Amſterdam et à la Haye. 1700. T. I-IV. Fol. Gewoͤhnlich nach Einem der Buchhaͤndler, die ſie unternahmen, die Samm - lung von Moetjens genannt.
Corps univerſel diplomatique de droit des gens, contenant un Recueil des traités d' alliance, de paix, de trêve, de commer - ce etc. depuis le regne de l' Empereur Charle-Magne jusqu 'à préſent, par J. du Mont. à Amſterdam et la Haye 1726-1731. VIII Voll. Fol. Die Hauptſammlung! Sie enthaͤlt die Staats - ſchriften von 800-1731. Die fuͤr die letzten drei Jahrhunderte ſeit 1501. fangen an mit dem IV. Bde. Als Nachtraͤge undAFort -2Einleitung. Fortſetzung des Werks erſchienen: Supplements au Corps univer - ſel diplomatique avec le Cérémonial diplomatique par Mſr. Rous - set. à Amſterdam. T. I. V. 1739., ſo daß das ganze Werk 13 Baͤnde ausmacht. Die Supplemente enthalten in den drei er - ſten Baͤnden theils Nachholung der aͤltern Staatsurkunden vor 800; theils eigentliche Supplemente; theils eine Fortſetzung bis 1738. Die beiden letzten Baͤnde enthalten: Le Cérémonial poli - tique des Cours de l' Europe, mit den dahin gehoͤrigen Urkunden.
Eine brauchbare Handſammlung liefert Schmauss cor - pus juris gentium academicum. Lipſ. 1730. II Voll. 4. Die Sammlung umfaßt den Zeitraum von 1100 – 1730.
Als Fortſetzung jener Sammlungen kann man anſehen: Ferd. Aug. Wilh. Wenkii Codex juris gentium recentiſſimi, e tabulariorum exemplariumque ſide dignorum monumentis com - poſitus. Lipſiae. T. I. 1781. T. II. 1788. T. III. 1795. 8. Die Sammlung umfaßt den Zeitraum von 1735 – 1772.
Die Sammlungen fuͤr die neueſten Zeiten verdankt die Ge - ſchichte dem Herrn Hofrath von Martens. Es gehoͤrt hieher:
Recueil des principaux traités d' Alliance, de paix, de trêve, de Neutralité, de commerce etc. conclus par les puiſſances de l' Europe tant entre elles qu' avec les puiſſances et les états dans d' autres parties du Monde depuis 1761. jusqu 'à préſent par Mr. de Martens. à Goettingue 1791 – 1802. VII Voll. in 8.
Die Sammlung geht von 1761. bis auf den Frieden zu Luͤ - neville 1801. Dann erſchienen noch:
Supplement au Recueil de principaux traités depuis 1761. jusqu 'à préſent, precedé de traités du 18me ſiécle anterieurs à cet - te époque, et qui ne ſe trouvent pas dans le Corps univerſel di - plomatique de Mr. Dumont et Rouſſet et autres Recueils généraux de traités par Mr. de Martens. Vol. I. II. 8. Goettingue 1802. Vol. III. IV. et dernier 1808. Außer den Supplementen iſt die Sammlung zugleich fortgeſetzt bis auf das Ende des Jahrs 1807.
B. Mémoires. Die eignen Berichte von Staatsmaͤnnern und Feldherren uͤber Begebenheiten, woran ſie ſelbſt Antheil hatten, gehoͤren unſtreitig zu den wichtigſten hiſtoriſchen Quellen, undes3Einleitung. es iſt ein weſentlicher Vorzug der neuern Geſchichte durch die, beſonders in Frankreich ſeit Philippe de Comines, der eigent - lich die Reihe eroͤffnet (ſeine Memoires gehen von 1464 bis 1498.), in gewiſſen Perioden herrſchend gewordene Sitte bey Maͤnnern und Frauen, dergleichen zu ſchreiben, daran ſo reich zu ſeyn. Sie enthuͤllen den verborgenen pſychologiſchen Zuſam - menhang der Begebenheiten, und ſind zugleich die wahre Schu - le fuͤr den ſich bildenden Staatsmann. Aber der kritiſche For - ſcher wird bey ihrem Gebrauche nie vergeſſen, daß ihre Verfaſſer ſtets ihre Anſichten, nicht ſelten ihre Leidenſchaften mit dazu brachten; und nur zu oft mit ſich ſelber — ver - ſtecken ſpielten. Die Haupt-Sammlungen derſelben ſind:
Collection univerſelle des Memoires particuliers relatifs à l' hiſtoire de France. à Londre et ſe trouve à Paris, Vol. 1 – 65. 1785 – 1791. Und die Fortſetzung: Vol. 66 – 68. Paris 1806. — Sie geht aber erſt bis an's Ende des 16. Jahrhunderts. —
Allgemeine Sammlung hiſtoriſcher Memoirs vom 12. Jahrhundert bis auf die neueſten Zeiten, durch meh - rere Verfaſſer uͤberſetzt, mit den noͤthigen Anmerkungen und jedesmal mit einer Univerſal-hiſtoriſchen Ueberſicht verſe - hen von Fr. Schiller. I. Abth. B. 1 – 4. II. Abth. B. 1 – 26. Jena 1790 – 1803. Die Sammlung enthaͤlt eine Auswahl der wichtigern Memoirs, bis herunter in die Zeiten des H. Regen - ten von Orleans.
III. Bearbeitungen der allgemeinen Geſchichte des neuern Europas.
J. J. Schmauß Einleitung zu der Staatswiſſen - ſchaft. I. II. Theil. Leipzig 1741. und 1747. Der erſte Theil enthaͤlt: “Die Hiſtorie der Balance von Europa,” (oder die Staatshaͤndel des weſtlichen Europas,) von 1484 bis 1740. Der zweyte: “Die Hiſtorie aller zwiſchen den Nordiſchen Potenzen, Daͤnemark, Schweden, Rußland, Polen und Preußen geſchloſſe - nen Tractaten. ” — Ein mit Plan und Sorgfalt gearbeitetes Werk, das ſeine Brauchbarkeit nie verlieren kann.
Le droit public de l' Europe, fondé ſur les traités; precedé de principes des négociations pour ſervir d'introduction par Mr. A 2l' Abbé4Einleitung. l' Abbé de Mably. Nouvelle édition continuée jusqu'à la paix de 1763; avec des Remarques hiſtoriques, politiques et critiques par Mr. Rousset; à Amſterdam et Leipſic 1773. III Vol. in 8. Man hoͤrt den geiſtvollen Verfaſſer immer gern uͤber Geſchichte ſprechen, wenn man auch nicht immer ſeiner Mei - nung iſt.
Abregé de l' Hiſtoire des traités de paix entre les puiſſances de l' Europe depuis la paix de Weſtphalie par Mr. Koch. II. Vol. 1796. 8. Das Werk umfaßt nur das weſtliche und ſuͤdliche Europa, und geht von 1648 bis 1785.
Tableau des Relations exterieurs des puiſſances de l' Europe tant d' entre elles qu' avec d' autres états dans les diverſes parties du globe par G. F.r. de Martens. à Berlin 1801. — Der dritte Theil des Cours diplomatique. — Schon die ſtete Ruͤck - ſicht, welche hier auf Handel und Colonien genommen iſt, wuͤr - de hinreichen, ihm einen ausgezeichneten Werth zuzuſichern.
Grundriß einer Geſchichte der merkwuͤrdigſten Welthaͤndel neuerer Zeit in einem erzaͤhlenden Vortrage von Joh. G. Buͤſch. Dritte Ausgabe. Hamburg 1796. 8. — Die Geſchichte faͤngt an mit 1440. und gebt in der letzten Ausgabe bis 1795. — Keine fortlaufende Erzaͤhlung; aber brauchbar fuͤr Anfaͤnger, um ſich mit den Materialien der neuern Geſchichte bekannt zu machen.
Geſchichte der drey letzten Jahrhunderte von Joh. Gottfr. Eichhorn. Goͤttingen 1803. VI. Th. 8. Es ge - hoͤren hierher beſonders der erſte Theil, der eine Ueberſicht der allgemeinen Geſchichte, und die beiden letzten, in ſo fern ſie die Geſchichte der Colonien enthalten.
Tableau des revolutions du ſyſtême politique de l' Europe; depuis la ſin du quinzième ſiècle par Mr. Ancillon. à Berlin Vol. I II. 1803. Vol. III. IV. 1805. — (Deutſch uͤberſetzt durch Fr. Mann.) Eins der ſchaͤtzbarſten Werke, wenn es[voll - endet] ſeyn wird. Der 4te Theil geht herunter bis auf den Utrechter Frieden.
Geiſt des 18. Jahrhunderts von Jeniſch. Berlin 1801. Weder die Arbeit eines eigentlichen Geſchichtforſchers,noch5Einleitung. noch Diplomatikers; aber eines Mannes von Geiſt; und nicht blos fuͤr das 18. Jahrhundert wichtig.
Unter den Compendien hat Achenwall's Entwurf der allgemeinen Europaͤiſchen Staatshaͤndel des 17ten und 18ten Jahrhunderts, Goͤttingen 1756. (und nachher mehrmals), den verdienten Beyfall erhalten. Es umfaßt indeß nur den Zeitraum von 1600 bis 1748.
Grundriß einer diplomatiſchen Geſchichte der Europaͤiſchen Staatshaͤndel und Friedensſchluͤſſe, ſeit dem Ende des 15. Jahr - hunderts bis zum Frieden von Amiens. Zum Gebrauch acade - miſcher Vorleſungen von G. Fr. von Martens. Berlin 1807.
1. Die Geſchichte der drey letzten Jahrhunderte heißt die neuere, im Gegenſatz gegen die mittlere und aͤltere. Wenn gleich keine einzelne, allgemein Epoche machende, Begebenheit, wie zwiſchen der aͤltern und mittlern, hier die Grenzſcheidung macht, ſo ward doch durch einen Zuſammenfluß meh - rerer großer Begebenheiten eine ſolche Veraͤnderung vorbereitet, daß jene Abtheilung hinreichend dadurch gerechtfertigt wird.
Dieſe Begebenheiten ſind: 1. Die Eroberung von Conſtantinopel und Gruͤndung des Tuͤrkiſchen Reichs in Europa 1453. 2. Entdeckung von Amerika durch Chriſt. Columbus 1492. 3. Entdeckung der Schiffahrt nach Oſtin - dien durch Vaſco de Gama 1497., und durch beide ver - aͤnderter Gang des Welthandels. 4. Die durch den Ge - brauch des Schießgewehrs veraͤnderte Kriegskunſt. Zu zei - gen, wie ſie auf Europa politiſch gewirkt haben, iſt die Hauptaufgabe fuͤr das gegenwaͤrtige Buch.
A 32.6Einleitung.2. Europa enthaͤlt in dieſem Zeitraum eine uni - verſalhiſtoriſche Wichtigkeit, wie es dieſelbe noch nie vorher gehabt hatte. Africa und America ent - hielten (letzteres bis auf die Freywerdung der Co - lonien), keinen einzigen einheimiſchen Staat von allgemeiner Wichtigkeit; und von den drey großen Reichen Aſiens, dem Perſiſchen unter den So - phis, dem Indiſchen unter den Moguls, und dem Chineſiſchen erhielt ſich nur das letztere, wiewohl auch nur unter einer fremden Dynaſtie. Dafuͤr aber gruͤnden die Europaͤer ihre Herrſchaft in den fremden Welttheilen, und mehr als halb Aſien und America ward dieſer unterworfen.
Das Perſiſche Reich der Sofis ward gegruͤndet durch Iſmael Sofi ſeit 1500. Es ward am maͤchtig - ſten unter Schach Abbas (1585 – 1628), ward geſtuͤrzt durch die Afgahnen 1722, und verfiel ſeit der Ermordung des darauf folgenden Tyrannen, Kuli Chan oder Na - dir Schach, 1747 in Anarchie. — Das Mogoliſche Reich in Indien ward geſtiftet durch Sultan Babur, ei - nen Nachkommen Timur's, ſeit 1526. Es umfaßte all - maͤhlig die Laͤnder am Indus und Ganges und die dies - ſeitige Halbinſel; war am maͤchtigſten ſeit der Regierung von Acbar dem Großen 1556 – 1605, bis auf den Tod von Aureng Zeb † 1707, nach welchem es bald in ſich ſelbſt zerfiel, und durch die Eroberung von Nadir Schach 1739, und durch die Politik der Europaͤer, meiſt aufgeloͤſt ward. — Die Revolution in China, durch die Eroberung der Mantſchu Tartaren, deren Herrſchaft noch dauert, geſchah 1644.
3.7Einleitung.3. In Europa ſelbſt blieben zwar meiſt die alten Staaten; aber es bildeten ſich unter ihnen ge - nauere und mannichfaltigere Verhaͤltniſſe, als vor - her ſtatt gefunden hatten; und in dieſem Sinne kann man Europa als ein Staatenſyſtem be - trachten, deſſen Geſchichte als ein Ganzes ſich fort - fuͤhren laͤßt.
Jene engeren Verhaͤltniſſe waren zwar im Ganzen eine Folge der fortſchreitenden Cultur, die zwiſchen benachbar - ten Staaten immer mehrere Beruͤhrungspuncte erzeugen wird; jedoch ſetzten ſie gewiſſe Centralpunkte eines gemein - ſchaftlichen Intereſſe voraus. Dieſe fanden ſich: a. In den Religionshaͤndeln ſeit der Reformation; b. in dem Beduͤrfniß der Vertheidigung gegen die Tuͤrken; c. in dem allmaͤhlig immer wichtiger werdenden Handel mit den Colonien und dem daraus hervorgehenden mercantiliſchen Intereſſe uͤberhaupt. — Da auch zu dem Allen d. die ſo ſehr erleichterte Communication durch Buch - druckerey und Poſten kam, bildeten ſich die Voͤlker des chriſtlichen Europas gleichſam moraliſch zu Einer Na - tion, die nur politiſch getrennt war.
4. Das Europaͤiſche Staatenſyſtem war ungeach - tet ſeiner innern Verſchiedenheit bis auf die letzte Periode herunter doch ein Syſtem herrſchender Monarchien, worin die Republiken, ſelbſt die der vereinigten Niederlande kaum ausgenommen, die ſich allein zu einem betraͤchtlichen Grade von Macht erhob, gleichſam nur tolerirt wurden. Dieß herr - ſchende Uebergewicht der Monarchien beſtimmte am meiſten den Geiſt der Politik. Es hatte dieA 4Fol -8Einleitung. Folge, daß a. die Nationen ſelber wenigern Antheil an den oͤffentlichen Angelegenheiten nahmen. Maͤch - tige Volkspartien, und die durch ſie erregten Stuͤr - me, wie man ſie in den großen Republiken des Al - terthums ſieht, wuͤrden gaͤnzlich fremd geblieben ſeyn, wenn nicht die Religion ihnen aͤhnliche Erſchei - nungen erzeugt haͤtte. b. Dagegen concentrirte ſich die Leitung der Staatsangelegenheiten immer mehr in den Haͤnden der Fuͤrſten und ihrer Miniſter; und ſo bildete ſich jene Cabinetspolitik aus, welche das Europaͤiſche Staatenſyſtem beſonders charakteriſirt.
5. Bey dieſer unleugbaren Einfoͤrmigkeit, wodurch die neue Geſchichte der des Alterthums ſo ungleich wird, zeigt ſich doch aber zugleich eine ſolche Mannigfaltigkeit, als irgend damit beſtehen konnte. Alle Formen der Monarchie, des Erb - reichs wie des Wahlreichs, der unumſchraͤnkten, der conſtitutionellen, und ſelbſt der Schattengewalt der Koͤnige ſah man in Europa realiſirt. Sogar in den wenigen Republiken, die es enthielt, welche Abſtufung von der reinen Ariſtocratie Venedigs, bis zur reinen Democratie eines Hirten-Cantons? Gewiß war es dieſe Verſchiedenheit, die einen groͤßern Kreis politiſcher Ideen praktiſch im Umlaufe erhielt, der Europa ſeine politiſche, und mit ihr zugleich einen großen Theil ſeiner uͤbrigen Cultur verdankt.
6.9Einleitung.6. Die Stuͤtzen, welche dieſes Syſtem auf - recht erhalten konnten und erhielten, und dem Schwa - chen ſeine Sicherheit und Selbſtſtaͤndigkeit vor dem Maͤchtigen ſicherten, waren von verſchiedener Art. Zwar fehlte ſehr viel daran, daß unter den ver - ſchiedenen Staaten dieſes Syſtems ein rechtlicher Zuſtand, wie er ſich in der Theorie entwerfen laͤßt, jemals foͤrmlich gegruͤndet waͤre, aber doch erzeugte ſich allmaͤhlig, als Frucht der fortſchreitenden Cul - tur, ein Voͤlkerrecht, das nicht bloß auf ausdruͤck - lichen Vertraͤgen, ſondern auch auf ſtillſchweigenden Conventionen beruhend, die Beobachtung gewiſ - ſer Maximen, ſowohl im Frieden als auch be - ſonders im Kriege, zur Pflicht machte, und, wenn auch oft verletzt, doch hoͤchſt wohlthaͤtig wurde. Selbſt das ſtrenge, zuweilen uͤbertriebene, Cere - moniel, das die Staaten wechſelſeitig gegen einan - der beobachteten, war nichts weniger als gleichguͤltig, wollte man es auch nur als wechſelſeitige Anerkennung der Unabhaͤngigkeit, oft bey den durch Macht und Verfaſſung ungleichartigſten, Staaten betrachten.
7. Die erſte und wichtigſte Frucht dieſes Voͤl - kerrechts, und zugleich die Hauptſtuͤtze des ganzen Syſtems, war die Heiligkeit des anerkannt rechtmaͤßigen Beſitzſtandes, ohne welche uͤberhaupt kein ſolches Syſtem beſtehen kann. Viel trug zu deſſen Aufrechthaltung bey, daß die mei - ſten Staaten Erbſtaaten waren. Auch war es ein Wahlreich, durch deſſen widerrechtliche Theilung zuerſt jener Grundſatz praktiſch zerſtoͤrt ward. Fruͤ - here Eingriffe von Einzelnen dienten nur, ihn mehr zu befeſtigen.
8. Die zweite Stuͤtze war der Grundſatz der Erhaltung des ſogenannten politiſchen Gleich - gewichts; d. i. der wechſelſeitigen Erhaltung der Freyheit und Unabhaͤngigkeit, durch Verhuͤtung der Uebermacht und Anmaßungen eines Einzelnen. Be - darf es mehr als dieſer Erklaͤrung um ſeinen wah - ren Werth zu zeigen? Weder vor Mißbrauch noch Umſturz geſichert, gewaͤhrt es zwar keine vollkom - mene, aber die moͤglichſte Sicherheit; weil es fuͤr menſchliche Inſtitute uͤberhaupt keine vollkom - mene giebt. Was aber ſeine Behauptung erfor - dert, iſt die jedesmalige Aufgabe fuͤr die hoͤhere Politik; nur die kurzſichtige Beſchraͤnktheit kann es blos in der gleichen Vertheilung materieller Staats - kraͤfte ſuchen. Seine Aufrechthaltung hatte zugleichzur11Einleitung. zur Folge: a. eine ſtets rege Aufmerkſamkeit der Staaten auf einander, und daraus entſpringende mannigfaltige Verbindungen durch Buͤndniſſe und Gegenbuͤndniſſe, beſonders der entferntern Staa - ten. b. Groͤßere Wichtigkeit der Staaten vom zweyten und dritten Range im politiſchen Syſtem. c. Ueberhaupt die Erhaltung des Gefuͤhls vom Werth der Selbſtſtaͤndigkeit; und Erhebung der Politik uͤber den platten Egoiſmus.
Die Idee des politiſchen Gleichgewichts bildete ſich in je - dem freyen Syſtem cultivirter Staaten — in Griechen - land wie in Italien — bis auf einen gewiſſen Grad aus, weil ſie in dem Innern ſeiner Natur liegt. Es war alſo die natuͤrliche Frucht der politiſchen Cultur; und ſeine Aufloͤſung fuͤhrt von ſelber zu der Vertilgung oder Abhaͤn - gigkeit der Schwaͤchern.
9. Eine dritte Stuͤtze fand das Europaͤiſche Staatenſyſtem in der Entſtehung von Seemaͤchten; die beſonders zu der Aufrechthaltung des politiſchen Gleichgewichts am meiſten beigetragen haben. Die Entſtehung von Seemaͤchten, und das Gewicht, das ſie auf eine ganz eigene Art in die politiſche Wag - ſchaale von Europa warfen, verhinderte, daß die bloße Landmacht, die ſich immer am leichteſten bildet, weil ſie faſt bloß von der Volksmenge abhaͤngt, nicht Alles allein entſcheiden konnte.
10.12Einleitung.10. In einem Staatenſyſtem, das meiſt aus Erbſtaaten beſtand, mußten die Familienver - bindungen der herrſchenden Haͤuſer eine Wichtig - keit erhalten, die bald groͤßer bald geringer werden, aber nie gaͤnzlich aufhoͤren konnte. Der allgemein ge - wordene Grundſatz, daß Fuͤrſten nur Fuͤrſtentoͤch - ter heyrathen, ſicherte vor den Uebeln, die von Ver - maͤhlungen mit Unterthaninnen unzertrennlich ſind; allein den nicht geringern Gefahren, zu welchen die Verbindungen ſehr maͤchtiger Herrſcher-Familien fuͤh - ren, entgieng Europa nur durch den gluͤcklichen Um - ſtand, daß Deutſchland kleine Fuͤrſtenhaͤuſer enthielt, die den meiſten ſeiner Thronen Koͤniginnen gaben. So konnte ſich eine Verwandtſchaft der mehrſten regie - renden Haͤuſer bilden, die weder zu nahe war, um die Politik unmittelbar zu beſtimmen, noch zu ent - fernt, um nicht dennoch ein wichtiges Band zu werden, das ſelbſt da von unverkennbarer Wichtigkeit blieb, als faſt alle andere Bande ſich aufzuloͤſen ſchienen.
11. Die Verfaſſung der meiſten Reiche Eu - ropas, wenigſtens aller, die Deutſchen Urſprungs waren, hatte ſich aus dem Feudalweſen entwik - kelt; und mußte ſich daher in gewiſſen Hauptzuͤgen aͤhnlich ſeyn. Neben den Fuͤrſten ſtand zu Anfang dieſer Periode allenthalben ein Adel, der ſich meiſt wieder in einen hoͤhern und niedern theilte, undden13Einleitung. den Fuͤrſten bisher nicht viel weiter gehorcht hatte, als Zeitumſtaͤnde und perſoͤnliche Verhaͤltniſſe es mit ſich brachten. Mit ihm hatte durchgehends die Geiſt - lichkeit einen wichtigen Einfluß auf die Staatsan - gelegenheiten, und beyde bildeten die hoͤhern oder pri - vilegirten Staͤnde, weil ſie in Ruͤckſicht der Ab - gaben ſo große Vorrechte genoſſen, und auf den ſtaͤn - diſchen Verſammlungen die erſten Plaͤtze einnahmen. Aber in eben dieſen Staaten hatte ſich ein, der ſtren - gen Feudalverfaſſung gaͤnzlich fremder, Beſtandtheil gebildet, ein freyer Buͤrgerſtand; eine Frucht der, durch Handel aufgebluͤheten, Staͤdte. Auch ſeine Deputirten wurden zu den Verſammlungen ge - rufen, eigentlich um ſich von ihnen Steuern bewilligen zu laſſen, deren Laſt am meiſten auf ihn gewaͤlzt wurde. Die große Maſſe des Landvolks, groͤß - tentheils noch im Zuſtande der voͤlligen oder halben Leibeigenſchaft, wenn gleich ſehr verſchieden modifi - cirt, bildete nirgends politiſch einen Beſtandtheil der Nation. In den Verhaͤltniſſen der beiden letzten Staͤnde zu den erſten ſchien ein Keim zu nothwen - digen, ploͤtzlichen oder allmaͤhligen, Umformungen zu liegen; wovon freylich keiner zu berechnen ver - mochte, wann und wie er ſich entwickeln wuͤrde.
12. Fuͤrſtengewalt war daher in dieſen Reichen noch durchgehends ſehr beſchraͤnkt. OhneHuͤlfe14Einleitung. Huͤlfe des Adels konnte kein bedeutender Krieg ge - fuͤhrt; ohne Einwilligung der Staͤdte keine Steuern erhoben werden. Ohne ſtehende Armeen, (einen ge - ringen Anfang abgerechnet); ohne Staatswirthſchaft, (man kannte nur die Kunſt, Geld aufzubringen;) gab es damals noch keine Maͤchte, im jetzigen Sinne des Worts. Aber faſt allenthalben war Fuͤrſtenge - walt im Wachſen; Ferdinand Catholicus, Ludwig XI. und Heinrich VII. verſtanden die Kunſt, ſie zu gruͤnden.
13. Bey dem ſtets wachſenden Einfluſſe, den die Colonien auf die Politik erhalten, macht ihre Ge - ſchichte einen nothwendigen Beſtandtheil der des neuern Europas aus. Nicht nur der Europaͤiſche Welthandel, ſondern auch die Europaͤiſche Staatswirthſchaft ſind, der erſte ganz, die andere großentheils, an ſie ge - knuͤpft. Wenn aber beyde immer mehr die Politik Europas beſtimmten, wie ließe ſich, ohne ſtete Ruͤck - ſicht auf ſie, Licht in die politiſche Geſchichte bringen?
14. Die Geſchichte des neuern Europas zerfaͤllt von ſelbſt in drey Perioden, von denen die zwey er - ſten, dem Zeitraume nach, ſich aͤhnlich ſind; bey der dritten ſtehen wir erſt im Anfange. Die erſte geht vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Anfang der Selbſtregierung Ludwig's XIV. ; 1492 – 1661. Die zweyte von da bis zu dem Tode Friedrich'sdes15Einleitung. des Großen; 1661 – 1786. Die dritte von da bis auf unſere Zeiten. Der Grund dieſer Einthei - lung liegt in der Verſchiedenheit des Charak - ters der praktiſchen Politik in jeder Periode; der zufolge man die erſte die politiſch-religioͤſe; die zweyte die merkantiliſch-militaͤriſche; und die letzte die revolutionaͤre nennen kann. Die erſte war zugleich die Periode der Entſtehung, die zweyte die der Befeſtigung, und die dritte die der Aufloͤſung des politiſchen Gleichgewichts.
15. Die Natur der Dinge erfordert es, in den beiden erſten, und dem erſten Theile der letzten Pe - riode die Geſchichte des noͤrdlichen Europaͤiſchen Staatenſyſtems von der des ſuͤdlichen zu trennen. Das erſte umfaßt die Reiche von Rußland, Schwe - den, Polen und Daͤnemark; das andere die uͤbrigen. Die Preußiſche Monarchie, ſeit ihrer Groͤße das Vereinigungsglied der Kette beider Syſteme, gehoͤrt auch beiden an. Fand auch ſchon fruͤher in einzel - nen Zeitpunkten eine thaͤtige Theilnahme des Nor - dens an den Haͤndeln des Suͤdens ſtatt; ſo war doch dieſe, bis auf das Verſchwinden Polens, ſtets nur voruͤbergehend; daß aber darum der fort - dauernde wechſelſeitige Einfluß beider auf einander nicht uͤberſehen werden darf, verſteht ſich von ſelbſt.
1. Den eigenthuͤmlichen Charakter dieſer Periode beſtimmt die, bald nach ihrem Anfange ausbrechende, Reformation. Indem das durch ſie aufgeregte religioͤſe Intereſſe auch in der Politik das herrſchende wird, werden Religionshaͤndel zugleich politiſche Haͤn - del; und Religionsparteien zugleich politiſche Par - teien. War auch dieſe Verbindung bald mehr bald weniger eng; ſo blieb ſie es doch, die dem Geiſt des Zeitalters ſeine Richtung gab.
2. Wenn gleich das ſuͤdliche Staatenſyſtem die ſaͤmmtlichen Staaten des ſuͤdlichen Europas umfaßt, ſo ſind doch Spanien, Frankreich, England, Oeſtreich, das deutſche Reich, der Pabſt und die Pforte, die Hauptglieder desſelben. Durch ſie wurden die politiſchen Verhaͤltniſſe beſtimmt; undman17Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. 1492 -- 1661. und man koͤnnte ſie vergleichungsweiſe gegen die uͤbri - gen, die paſſiv waren oder doch bald wurden, die activen Mitglieder nennen.
Spanien hatte unter Ferdinand und Iſabella unter jenen Reichen die glaͤnzendſte Zukunft vor ſich. Die vorbereitete Vereinigung Aragons, (wozu auch Sicilien und Sardinien gehoͤrte;) und Caſtiliens durch ihre Heyrath 1469 legte den Grund zu ſeiner innern Staͤrke; und die Ent - deckung Americas eroͤffnete ihm[unermeßliche] Ausſichten. Doch war es eigentlich die Eroberung Granadas 1492, welche den Nationalgeiſt weckte; aber auch den Koͤni - gen, hauptſaͤchlich durch ihre Inquiſition, den Weg zu der Allgewalt bahnte, ohne daß eben deßhalb die Form der ſtaͤndiſchen Verfaſſung (Cortes) ſo bald veraͤndert waͤre.
Nicht geringere Vortheile, (die Entdeckungen abgerech - net), genoß Frankreich. Wenn gleich damals noch um vieles beſchraͤnkter an Umfang, doch durch die Acquiſition von Bretagne durch die Heyrath Carl's VIII. 1491 arron - dirt, war durch die Politik Ludwig's XI., und den Fall des letzten uͤbermaͤchtigen Vaſallen Carl's des Kuͤhnen von Burgund 1477, die koͤnigliche Macht ſo feſt wie irgendwo gegruͤndet, und die Macht der Staͤnde (Etats généraux) bereits ſichtbar im Sinken. Aber welche Vortheile hatte Frankreich, als Hauptglied eines Staatenſyſtems betrachtet, nicht auch ſchon durch ſeine geographiſche Lage vor den uͤbri - gen voraus?
Auch in England hob ſich die koͤnigliche Macht unter Heinrich VII. 1483 – 1509. nach Beendigung der Kriege mit der weißen und rothen Roſe, planmaͤßig auf aͤhnliche Weiſe. War gleich das Parlament nach ſeinen Hauptfor - men gebildet, ſo war es und blieb es noch lange ein Koͤr - per ohne Geiſt; aber durch ſeine Organiſation mehr als andre ſtaͤndiſche Verſammlungen des Lebens faͤhig. Noch getrennt von Schottland, mit ſchwankender Herrſchaft in Irrland, und ohne eine Kriegsflotte wuͤrde England an denBConti -18I. Periode. I. Theil. Continentalhaͤndeln kaum Antheil haben nehmen koͤnnen, haͤtte ihm nicht der noch uͤbrige Beſitz von Calais gleichſam das Thor von Frankreich eroͤffnet; jedoch ein Thor, durch welches ſich nicht mehr weit vordringen ließ.
Die Oeſtreichiſche Monarchie war erſt im Wer - den; da die meiſten Beſitzungen nicht weniger zerſtreut als ungewiß waren. Zu dem alten Beſitze von Oeſtreich (ſeit 1276) kamen ſeit 1477 durch die Heyrath Maximi - lian's mit Maria von Burgund die Niederlande, und als auch die Anſpruͤche der Habsburger auf Ungarn und Boͤh - men ſeit 1527 einen dauernden Beſitz herbeyfuͤhrten, ward dieſer nicht nur durch die Wahlreichen eignen Factionen, ſondern auch beſonders in Ungarn durch die Tuͤrkenkriege beſchraͤnkt. Auch die Kayſerkrone gab wenig Kraft bey vielem Glanze. Ohne die eroͤffnete Ausſicht auf den Spa - niſchen Thron (ſ. unten) waͤre die Macht Oeſtreichs ſehr beſchraͤnkt geblieben.
Das deutſche Reich, voll Leben in ſeinen einzelnen Theilen, blieb dennoch ohnmaͤchtig als Ganzes, bis die Re - formation ſeine Kraͤfte aufregte, aber meiſt nur zum innern Zwiſt. Von allen Uebeln der innern Zerſtuͤckelung, und der Uebermacht der Nachbarn gedruͤckt, behauptete ſich doch die - ſer wunderbare Staat theils durch eigne Macht, theils durch einzelne gluͤckliche Verhaͤltniſſe, theils aber, und vor - zuͤglich, durch die bald allgemein werdende Ueberzeugung, daß an ſeine Erhaltung und Freyheit die des ganzen S[t]aa - tenſyſtems von Europa geknuͤpft ſey. Wie haͤtte auch ohne einen ſolchen Centralſtaat, Niemanden furchtbar, aber Allen wichtig, ein ſolches Syſtem ſich nur ausbilden moͤ - gen? War nicht auch an dieſe Form die Cultur deutſcher Nation, und mit ihr ein weſentlicher Theil der Cultur Europas geknuͤpft? Die endliche Aufloͤſung eines Staats giebt nicht den Maaßſtab ſeines Werths, und doch wird vielleicht gerade hier der Untergang dieſen fuͤr Europa erſt recht fuͤhlbar machen.
Die19Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. 1492 -- 1661.Die Paͤbſte erſchienen in der doppelten Geſtalt, als Beherrſcher des Kirchenſtaats (ſ. unten), und als Ober - haͤupter der Chriſtenheit. Das Intereſſe des Einen war nicht daſſelbe mit dem Intereſſe des Andern. Aber auch abgeſehen von dieſen Colliſionen, wie ſchwer blieb nicht durch ihre politiſchen Beziehungen die letztre Rolle? Voll hoher Anſpruͤche, und doch ohne Waffen; nur geſtuͤtzt auf die oͤffentliche Meinung, und doch mit der oͤffentlichen Mei - nung in ſtetem und ſtets wachſendem Kampfe, behauptete ſich dieſe Macht, ohne etwas aufzugeben, auch wenn ſie es verloht — durch Conſequenz; wohl wiſſend, daß man ihrer am Ende — doch nicht entbehren koͤnne.
Die Pforte, damals weſentlich erobernde Macht, er - reichte den Gipfel ihrer Groͤße unter Soliman II. 1520 — 1566). Furchtbar durch ihr regelmaͤßiges Fußvolk, die Janitſcharen, drohte ſie es nicht weniger durch ihre See - macht zu werden, die mit der Herrſchaft des Mittelmeers zugleich die der Kuͤſtenlaͤnder ihr haͤtte ſichern koͤnnen. Dem chriſtlichen Europa feindlich gegenuͤber ſtehend, war ſie dieſem fremd; und nach dem Wunſche der Paͤbſte ſollte lange die Tuͤrkengefahr die Vereinigung der Chriſten - heit bewirken; aber ihre bald mit Frankreich angeknuͤpfte Verbindung vereitelte dieſe Hoffnung; und machte ſie zu einem — wenn gleich immer fremdartigen — Gliede des Europaͤiſchen Staatenſyſtems.
Von den uͤbrigen Staaten des ſuͤdlichen Europas war Portugal nur mit ſeinen Entdeckungen und Eroberungen beſchaͤftigt (ſ. unten); die Schweiz, anfangs furchtbar durch ihre Soͤldner, zog ſich bald in eine gluͤckliche Unthaͤ - tigkeit zuruͤck; und auch Venedig glich allmaͤhlig einem reichen Handelshauſe, das die meiſten ſeiner Geſchaͤfte auf - giebt, um ſich in Ruhe zu ſetzen.
B 2Erſter26[20]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.3. Italien ward gegen das Ende des 15. Jahrhunderts das Ziel der Eroberungen, und dadurch der Mittelpunct der Europaͤiſchen Politik. Wenn der innere Zuſtand dieſes Landes dazu geſchickt war, die Eroberer zu reizen; ſo war er es nicht weniger, die einmal angefangenen Haͤndel zu unterhalten. In einem ſo zertheilten Lande fehlte es nicht an Stoff zu innerm Streit: und wie konnte dieſer den Fremden es an Gelegenheit zur Einmiſchung fehlen laſſen, ſeit -dem21A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494 -- 1515. dem ſie einmal Theil genommen hatten? Wie unbe - deutend daher auch oft die Haͤndel der Italiaͤniſchen Staaten fuͤr das Ganze ſcheinen moͤgen, ſo ſind ſie es doch keinesweges. Dieſe kleinen Raͤder waren es, die das große Triebwerk der Europaͤiſchen Politik da - mals am meiſten in Bewegung ſetzten und erhielten.
4. Schilderung des politiſchen Zuſtandes des durch Wiſſenſchaft und Kunſt herrlich aufbluͤhenden Italiens um dieſe Zeit. Schon ſeit mehr als Einem Jahrhundert war es gleichſam eine Welt fuͤr ſich, ſo - wohl in Ruͤckſicht ſeiner Politik als ſeiner Cultur. Im Genuß der Unabhaͤngigkeit bildeten ſeine Staaten ein Syſtem, in welchem ſich mit dem Streben zur Aufrechthaltung des Gleichgewichts auch eine verfei - nerte Politik ausgebildet hatte, die aber, beſonders ſeit dem Tode des großen Lorenzo von Medicis1492 immer mehr in einen bloß argliſtigen Egoiſmus aus - artend, bald ſich ſelber ſtuͤrzte. Die Hauptglieder dieſes Syſtems waren das Herzogthum Mayland und die Republik Venedig im Norden; die Repu - blik Florenz und der Kirchenſtaat in der Mitte; und das Koͤnigreich Neapel im Suͤden.
1. Das Herzogthum Mayland, zu dem damahls auch nicht nur Parma und Piacenza, ſondern auch Genua gehoͤrte, war deutſches Reichslehen; aber ſeit dem Ausſterben des Mannsſtamms des Hauſes Viſconti 1450 im Beſitz des Hauſes Sforza, aus dem nach dem Tode des Stifters Franz Sforza 1466, und der ErmordungB 3ſeines22I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ſeines Sohns Galeazzo Maria 1476, deſſen Sohn, der ſchwache Johann Galeazzo, unter der Aufſicht ſeines herrſchſuͤchtigen Oheims Ludwig Morus regierte, der ihn endlich 1494 verdraͤngte.
2. Die Republik Venedig hatte auf dem Continent von Italien bereits alle ihre nachmaligen Beſitzungen acqui - rirt, ohne der Hoffnung zu entſagen, noch mehr zu erlan - gen. Ihre erblichen Vergroͤßerungsplaͤne waren gegen Romagna (das ſie meiſt inne hatte) und Mayland gerich - tet. Bis zum vollen Beſitze des letztern reichten kaum ſelbſt die kuͤhnſten Wuͤnſche des Senats; aber die einmal feſt ge - wurzelten Projecte wurden mit aller der Schlauheit und Beharrlichkeit verfolgt, deren nur eine ſolche Ariſtocraten - Politik faͤhig iſt. Wo galt damals nicht Venedig fuͤr den Meiſter in der Staatskunſt?
3. Das paͤbſtliche Gebiet war nicht nur im Norden noch ſehr unbeſtimmt, ſondern auch die, noch wenig ge - brochne, Macht der großen Familien in mehreren Staͤdten machte dieſe Herrſchaft noch ſchwankender. Die Paͤbſte ſelbſt ſtanden nicht ſelten ihrer Vergroͤßerung durch den Nepotis - mus entgegen, der ſie bewog, das Intereſſe ihrer Familien dem des R. Stuhls vorzuziehen; worin der damalige Pabſt Alexander VI. (1491 – 1503) nicht leicht von einem ſei - ner Vorgaͤnger oder Nachfolger uͤbertroffen wurde.
4. Die Florentiniſche Republik ſtand bey ihrer democratiſchen Form dennoch ſeit faſt Einem Jahrhundert unter dem Principat des Hauſes Medici, deſſen Chef ſeit dem Tode des großen Lorenzo ſein ihm ungleicher Sohn Pie - tro war. War gleich ſeit der Unterjochung Piſa's 1407 ihr Gebiet erweitert, ſo war doch noch der Geiſt der Piſa - ner nicht unterjocht. Sowohl darin, als in der Art des Principats der Mediceer, der, nur auf uͤberlegne Talente gebaut, wanken mußte, ſobald dieſe fehlten, lagen Keime zu Revolutionen, die nur zu reichliche Fruͤchte trugen.
5. Das Koͤnigreich Neapel (von Sicilien, das zu Ara - gon gehoͤrte, getrennt;) ſtand unter einer Nebenlinie dieſesHau -23A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494 -- 1515. Hauſes. Alfons V. (I.) von Aragon († 1458) hatte es ſeinem unaͤchten Sohn Ferdinand I. vermacht, dem zwar 1494 ſein aͤlterer Sohn Alfons II. folgte, der jedoch be - reits 1495 die Krone ſeinem Sohn Ferdinand II. uͤber - gab; welcher, da er bereits 1496 ſtarb, ſeinen Oheim Friedrich zum Nachfolger hatte, der 1501 ſein Reich an Ferdinand Catholicus verlohr. Der groͤßte Staat Italiens war dennoch der ſchwaͤchſte, weil die Koͤnige gehaßt, und die Nation ohne Charakter war.
5. Eroberungszug von Carl VIII. von1494 Frankreich gegen Neapel, um die ſchon von ſeinem Vater ererbten Anſpruͤche des juͤngern Hauſes Anjou auf dieſes Reich geltend zu machen. Die Aufhetzun - gen mißvergnuͤgter Emigranten, und die Einladung von Ludwig Morus, um ſich in Mayland zu behaup - ten, gaben den Ausſchlag; an die Eroberung Nea - pels knuͤpfte man aber ſelbſt ein noch groͤßeres Project, das Tuͤrkiſche Reich zu ſtuͤrzen. Weitausſehende Plaͤne gehoͤren fuͤr die Kindheit der Politik; die es noch nicht verſteht, die Mittel zur Ausfuͤhrung und die Schwierigkeiten zu meſſen.
Leichte und unblutige Einnahme Italiens und Neapels 1494. Sept. bis May 1495., indem Koͤnig Ferdinand II. nach Iſchia fluͤchtet, und ſowohl Florenz als Rom Carl'n die Thore geoͤffnet hatten. Bereits am 22. Febr. hielt Carl VIII. ſei - nen Einzug in Neapel; worauf die Unterwerfung des Lan - des folgte. Ein Heer von 30000 Mann mit 140 Stuͤcken Geſchuͤtz reichte hin, Italien zu betaͤuben und einzunehmen, aber nicht es zu behaupten.
B 46.24I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.6. Allein ſchon waͤhrend des Zuges begannen die Unterhandlungen zu einem Buͤndniß, die Fremden aus Italien wieder zu vertreiben, deſſen Seele Ve - nedig wurde. Der Pabſt und ſelbſt Ludwig Morus verbanden ſich mit ihm; Ferdinand von Spanien und Maximilian waren zum Beytritte geneigt; und ſogar mit dem Erbfeind der Chriſtenheit trat man in aller Stille in Unterhandlungen. Schon im May mußte Carl VIII. Neapel wieder raͤumen, und ſich durch - ſchlagen, um wieder nach Hauſe zu kommen.
Abzug des Koͤnigs mit der halben Armee aus Neapel 20. May 1495. Treffen und Sieg bey Fornua uͤber die Ve - nezianer und ihre Verbuͤndeten 6. Jul. Die zuruͤckgebliebe - ne Haͤlfte in Neapel mußte capituliren, und Ferdinand II. gelangte wieder zum Beſitz ſeines Reichs.
7. Aber auch der mißlungene Verſuch war nicht ohne Folgen fuͤr Europa. Den Eroberungsplaͤnen war in Italien ein Ziel vorgeſteckt; ein Geiſt des Unterhandelns war aufgelebt; und — was mehr als alles dieſes wirkte — die Leidenſchaften waren aufgeregt; denn Carl VIII. wollte ſich raͤchen. Der aufgeregte Kampf zwiſchen Piſa und Florenz erhielt die Gaͤhrung in Italien, weil ſowohl Mayland als Venedig dabey zu gewinnen hofften; und erleichterte es den Auslaͤndern, hier Verbuͤndete zu finden. 1408 7. Apr.Doch erlebte es Carl VIII. nicht mehr, ſich raͤchen zu koͤnnen, da ein ploͤtzlicher Tod ihn wegraffte.
8. Er -25A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494 -- 1515.8. Erweiterung der Eroberungsplaͤne unter ſei - nem Nachfolger Ludwig XII. ; der außer den alten Anſpruͤchen auf Neapel, auch noch eigne auf May - land, von ſeiner Großmutter Valentina, aus dem Hauſe Viſconti, auf den Thron brachte. Venedig und dem Pabſt ward ein Theil von der Beute verſpro - chen; und waͤhrend man noch mit den fremden Maͤch - ten unterhandelte, war die leichte Eroberung ſchon gemacht.
Einnahme Maylands Aug. 1499. Flucht von Ludwig Morus, und, nach vereiteltem Verſuch zur Wiedereinnah - me, Gefangenſchaft, 10. Apr. 1500, worin er ſein Leben endigen mußte. Venedig erhaͤlt Cremona und Ghirar d'Ad - da; und fuͤr Alexander VI. ſchien endlich ſein Wunſch der Erfuͤllung nahe zu ſeyn, ſeinem Sohne Ceſar Borgia in Romagna ein unabhaͤngiges Fuͤrſtenthum zu verſchaffen.
9. Die Einnahme Maylands wuͤrde zu einem Angriff auf Neapel ſogleich den Weg gebahnt haben; wenn ohne eine vorlaͤufige Uebereinkunft mit Spanien dieſes moͤglich geweſen waͤre. Ferdinand Catholicus ſchloß im Geheim einen Vergleich, um an ſeinem Vetter Friedrich von Neapel, und demnaͤchſt an Ludwig XII. ſelber, zum Verraͤther zu werden; und der Pabſt verſprach die Inveſtitur.
Geheimer Theilungstractat zwiſchen Ferdinand und Lud - wig XII., 11. Nov. 1503. Leichte Ueberwaͤltigung des be - trogenen Koͤnigs Friedrich, (der in Frankreich in der Ge - fangenſchaft ſtarb;) und Einnahme des Reichs im Jul. 1501.
B 510.36[26]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.10. Entſtehender Zank, und demnaͤchſt Krieg uͤber die Theilung, weil jeder das Ganze haben wollte. Groͤßere Verbindungen im Innern, Hinter - liſt, und ein Feldherr wie Gonſalvo von Cordua, gaben Ferdinand das Uebergewicht; und bald bleibt Spanien im alleinigen Beſitz; der durch eine Heyrath ihm geſichert wird. So hatten ſich alſo zwey fremde Maͤchte in Italien feſtgeſetzt; Frankreich in May - land, und Spanien in Neapel.
Niederlage der Franzoſen bey Seminara am 21. April, und am Garigliano 27. Dec. 1503. Auf den ge - ſchloſſenen Waffenſtillſtand, 31. Maͤrz 1504, folgt die gaͤnz - liche Beylegung des Streits durch die Heyrath Ferdinand's mit Germaine de Foix, der Nichte Ludwig's XII., der er ſeine Anſpruͤche auf Neapel als Mitgift mitgab. 12. Oct. 1505.
11. Indem Italien ſo das gemeinſchaftliche Ziel der Politik blieb, wurden die Verhaͤltniſſe durch eine neue Pabſtwahl noch verwickelter; als Julius II.1503 den erkauften paͤbſtlichen Stuhl beſtieg. Mit kuͤhner, aber laͤngſt geuͤbter, Hand griff er in das Triebwerk der Europaͤiſchen Politik, und wußte es ein Decen - nium hindurch meiſt nach ſeinem Willen zu lenken. Selten hat wohl ein Schwaͤcherer das gefaͤhrliche Spiel mit den Maͤchtigern ſo dreiſt, ſo ſchlau und ſo gluͤcklich geſpielt! Freylich aber konnte kein Friede werden, ſo lange ein ſolcher Pabſt die Chriſtenheit regierte.
Erſtes27A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494 -- 1515.Erſtes Project von Julius II., den ſeit Alexan - der's VI. Tode von ſelbſt zerfallenden Staat des Ceſar Borgia, Romagna, Bologna und Ferrara, deſſen ſich aber meiſt die Venezianer bemaͤchtigt hatten, an den Roͤmiſchen Stuhl zu bringen. Die daraus entſtandenen Kriege fuͤhr - ten zu dem zweyten und groͤßeren Project der Vertreibung der Fremden, beſonders der Franzoſen, aus Italien.
12. Haͤndel mit Venedig uͤber Romagna, die zu dem Plan einer großen Allianz fuͤhren, die jedoch, beſonders wegen der innern Vorfaͤlle in Spanien nach dem Tode der Iſabella, nur langſam reifen konn -1504 ten. Die Frucht davon war die Ligue zu Cam -1508 brai, als[geheime] Verbindung gegen Venedig zwiſchen Ludwig XII., Maximilian, Ferdinand Ca - tholicus und dem Pabſt geſchloſſen. Die Verbin - dung war ſo leicht zu Stande gebracht, da ſie den Lei - denſchaften und dem Intereſſe von allen ſchmeichelte, daß es faſt dem Pabſt gereute, da er nicht den Fa - den in der Hand behalten konnte. Es war wenigſtens nicht ſeine Schuld, wenn die Venezianer ſich nicht warnen ließen. Die ſtolzen Republikaner ſchienen es nicht zu wiſſen, daß Koͤnige ſelten Freunde von Re - publiken ſind.
Abſchluß der Ligue zwiſchen Ludwig XII. und Maximi - lian I. 10. Dec. 1508. Die andern traten demnaͤchſt bey. Ihr Zweck: Demuͤthigung der Republik, und Wegnahme ihres Continentalgebiets, das ſchon vorlaͤufig getheilt war.
13. Doch war es weit mehr die leidenſchaftliche Raſchheit des maͤchtigſten der Verbuͤndeten, als dieGroͤße28I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Groͤße der Verbindung, welche der Republik den Un - tergang drohte; und den Angriff von Ludwig XII. haͤt - te ſelbſt die Trennung der Ligue wohl nicht abgehalten. Nicht ihre Waffen, aber ihre Politik rettete die Re - publik. Es war nicht ſchwer, eine Verbindung auf - zuloͤſen, die ſo wenig in ſich ſelber zuſammenhieng.
Niederlage der Venezianer bey Agnadello 15. Apr. 1509, und Verluſt des feſten Landes, da auch der Pabſt Romagna wegnimmt, und ſie mit dem Bann belegt. Anfang des Zwiſts zwiſchen Ludwig und Maximilian, und nach der Wiedereinnahme Padua's angeknuͤpfte Unterhand - lung und Ausſoͤhnung der Republik mit dem Pabſt, dem die Staͤdte in Romagna bleiben (25. Febr. 1510); ſo wie Ferdinand die Haͤfen in Apulien.
14. Aus der aufgeloͤſten Verbindung geht aber durch Julius II., der wohl wußte, daß geweſene Freunde die erbittertſten Feinde werden, eine zwey -1511 te, noch groͤßere, gegen Frankreich hervor. Zum Schutz des Roͤmiſchen Stuhls gegen die An - maßungen Frankreichs beſtimmt, hieß ſie die heilige Ligue; gaͤnzliche Vertreibung der Franzoſen aus Italien war dabey der Wunſch des Pabſtes und der Venezianer; die Eroberung des Spaniſchen Na - varra's der von Ferdinand; und durch dieſen ward Heinrich VIII. von England gewonnen. Auch Maximilian I. ward wenigſtens durch einen Waf - fenſtillſtand mit Venedig unthaͤtig gemacht; aber das Meiſterſtuͤck der paͤbſtlichen Politik war es, dieSchwei -29A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494 -- 1515. Schweizer zu gewinnen; denn nur durch ſie konnte Mayland Frankreich entriſſen werden.
Schließung der heil. Ligue 5. Oct. 1511. zwiſchen dem Pabſt, Ferdinand Cathol[icu]s und Venedig; dem Kay - ſer und Heinrich VIII. wird der Beytritt freygeſtellt. Ge - winnung der Schweizer ſeit 1510.
15. Der jetzt folgende Kampf, der durch den mißlungenen Verſuch Ludwig's zu einem Conci - lium zu Piſa, zur Abſetzung des Pabſtes, jetzt1511 ein wahrer Kampf gegen die Hierarchie ward, waͤre vielleicht gluͤcklich von Frankreich beſtanden, haͤtte nicht der junge Gaſton von Foix in der Schlacht bey Ravenna ſeine Heldenlaufbahn geendigt. Von allen Seiten angegriffen, aus Mayland durch die Schweizer vertrieben, von dem Pabſt in den Bann gethan, wuͤrde ſich Ludwig XII. kaum aus ſeiner Verlegenheit haben ziehen koͤnnen, waͤre ihm nicht der Tod des Pabſtes zu Huͤlfe gekommen.
Uebergewicht Frankreichs unter Guſtav von Foix bis auf ſeinen Tod in der Schlacht bey Ravenna, Nov. 1511. — 11. April 1512. — Einfall der Schweizer in May - land, May 1512; das von ihnen an Maximilian Sforza, aͤlterem Sohn von Ludwig Morus, gegeben wird. — Er - neuerter Verſuch Ludwig's XII. zur Wiedereroberung verei - telt durch die Schlacht bey Novara 6. Jun. 1513. Folge dieſer Vertreibung der Franzoſen aus Italien war die Ruͤck - kehr der 1495 vertriebenen Mediceer nach Flo - renz, durch Huͤlfe der Ligue und einer Inſurrection, 31. Aug. 1512, mit einer Gewalt, die nur den Nahmen der Republik hier uͤbrig ließ. Florenz trat nun foͤrmlich der heiligen Ligue bey. —Um30I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Um eben die Zeit Eroberung des Spaniſchen Na - varras, als verbuͤndeten Staats von Frankreich durch Ferdinand Catholicus 1512. Einfall Heinrich's VIII. in Ar - tois, und der Schweizer in Burgund, Aug. 1513. Unter - deſſen Tod des Pabſt[es]Julius II. 21. Febr. 1513, dem Leo X. aus dem Hauſe Medici folgt.
16. Aufloͤſung der Ligue, da der neue Pabſt ſich mit Frankreich ausſoͤhnt, ſobald nur Ludwig XII. das Concilium zu Piſa verwarf. Mit Ferdinand wurde leicht Friede, als man ihm ſeine Beute — Navarra — ließ. Heinrich VIII., der als Schwie - gerſohn von ihm abhieng, ward durch Geld und eine Heyrath gewonnen, und die Schweizer — betrog man. So blieben Frankreich, nach allen ſeinen Er - oberungen, nichts als ſeine Anſpruͤche; die viel - leicht Ludwig XII. noch mal wieder durchzuſetzen ver -1515 ſucht haͤtte, waͤre ihm nicht der Tod zuvorgekommen.
Vertrag mit Ludwig XII. 6. Oct. 1513. — Mit Ferdi - nand von Aragon 1. Dec. 1513. Mit den Schweizern, in - dem man ſie durch falſche Geißeln hintergieng, ein Still - ſtand 13. Sept. 1513. — Auch mit Maximilian 1. ein Stillſtand wegen Mayland, deſſen neuer Herzog von ihm war beſtaͤtigt worden. — Der erkaufte Frieden mit Eng - land wird durch eine Heyrath Ludwig's XII. mit der Schwe - ſter Heinrich's VIII., Maria, befeſtigt 7. Aug. 1514. — Aber ſchon am 1. Jan. 1515. ſtarb Ludwig XII.
17. Bey aller Thaͤtigkeit erſcheint die Politik dieſes Zeitraums doch in ihrer Kindheit. Die Ver - ſchlingung ihrer Faͤden wird faſt zum Gewirr. Keingro -31A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494 -- 1515. großes Intereſſe, nicht das bleibende der Voͤlker, ſondern nur das augenblickliche der Herrſcher ſetzte ſie in Bewegung. Eben daher auch keine feſte Verbin - dungen, ſondern ewiger Wechſel! Wie konnten auch dergleichen entſtehen; wo man es kaum Hehl hatte, daß man ſich einander nur zu betriegen ſuchte?
18. Die Staatswirthſchaft ſchien zwar durch das gute Beyſpiel, das Ludwig XII. und ſein Miniſter, Cardinal Amboiſe, gaben, zu ge - winnen. Aber neue und große Ideen daruͤber wach - ten ſelbſt in Frankreich noch nicht auf; und das gute Beyſpiel blieb ohne Nachahmer. Geld zu den Kriegen zu haben, — nur unter Ludwig XII. mit moͤglichſter Schonung der Unterthanen, (und auch das war viel werth!) — blieb noch immer ihr einziges Ziel; und ſelbſt die Entdeckung der neuen Welt und die dadurch erregten Hoffnungen beſchraͤnkten den Geſichtskreis noch mehr darauf, als daß ſie ihn erweitert haͤtten.
19. Auch die Kriegskunſt machte weniger Fortſchritte, als man haͤtte erwarten moͤgen; und konnte ſie auch nicht wohl machen, ſo lange ein gutes Fußvolk nur bey den Schweizern zu miethen war, oder man ſich mit deutſchen Lanzknechten half. Auch war unter den Fuͤrſten des Zeitalters kei - ner, der als großes militaͤriſches Genie geglaͤnzt haͤtte.
1. Unter dem Nahmen der Colonien begreift man alle Beſitzungen und Niederlaſſungen der Euro - paͤer in fremden Welttheilen. Sie zerfallen aber nach ihrem Zweck und ihrer Einrichtung in vier verſchie - dene Claſſen. Dieſe ſind 1. Ackerbau-Colo - nien. Ihr Zweck iſt Landwirthſchaft; die Coloni - ſten werden Landeigenthuͤmer und foͤrmlich einheimiſch;und33A. 2. Geſch. d. Entſt. d. Colon. 1492 -- 1515. und erwachſen bey dem Fortgange zu einer wahren Nation. 2. Pflanzungs-Colonien. Ihr Zweck iſt Erzeugung beſtimmter Naturproducte in Plantagen fuͤr Europa. Die Coloniſten, wenn gleich Landbeſitzer, werden doch weniger einheimiſch, und ihre Zahl bleibt auch meiſt zu gering, als daß ſie zu einer Nation erwachſen koͤnnten. In ihnen iſt Scla - verey vorzugsweiſe zu Hauſe. 3. Bergbau-Co - lonien. Ihr Zweck iſt die Gewinnung der Metalle. Die Coloniſten werden in ihnen einheimiſch. Sie koͤnnen ſehr ausgedehnt, aber als bloße Bergbau-Co - lonien nicht ſehr volkreich werden. 4. Handels - Colonien. Ihr Zweck iſt Handel mit den Natur - producten des Landes oder des Meers, (Fiſche - reyen), und den Kunſtproducten der einheimiſchen Voͤlker. Sie beſtanden anfangs nur aus Niederlaſ - ſungen zu Stapelplaͤtzen des Handels; aber durch Ge - walt und Liſt erweiterten ſich dieſe zu Eroberungen, ohne daß doch der Hauptzweck ſich aͤnderte. Die Fremden, wenn gleich Herren, werden doch in ihnen zu wenig Landbeſitzer, um einheimiſch zu werden. — Wenn gleich mehrere dieſer Zwecke ſich bey denſelben Colonien vereinigen laſſen, ſo wird doch Einer derſel - ben immer Hauptzweck ſeyn; und nach dieſem der ganze Charakter der Colonie ſich beſtimmen.
2. Was Colonien jeder Art fuͤr den Mutter - ſtaat ſeyn koͤnnen, mußte erſt eine langſame Erfah -Crung34I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. rung lehren. Ohne ihren wahren Werth zu kennen, ging man aus von der Idee des abſoluten Beſitzes, und der Ausſchließung aller Fremden. Ob dieß Ver - fahren rechtlich ſey, ob es auch nur rathſam ſey? fiel Niemanden ein zu fragen. Wo haͤtte man auch andere Ideen ſchoͤpfen ſollen? Leider! aber wurde dadurch gleich anfangs dem Colonialweſen der Euro - paͤer eine Richtung gegeben, die zum Ungluͤck der Mutterlaͤnder, und noch mehr der Colonien, unver - aͤnderlich war. Doch entwickelte ſich gleich anfangs durch die verſchiedene Natur der Laͤnder und ihrer Bewohner eine weſentliche Verſchiedenheit der Colo - nien des weſtlichen und des oͤſtlichen Indiens in Anſe - hung der Benutzung.
3. Wie beſchraͤnkt aber auch immer der Ge - ſichtskreis blieb, ſo waren doch die Folgen uner - meßlich. Indem a. der ganze Gang, wie die ganze Einrichtung des Welthandels ſich aͤnderte, weil er aus Landhandel (was er bis dahin, ſeinem weſent - lichen Charakter nach, ſtets hatte bleiben muͤſſen,) in Seehandel umgeſchaffen ward. Ebendaher aber b. die geographiſche Lage der Laͤnder ihre Wichtigkeit oder Unwichtigkeit fuͤr den Handel nach einem ganz andern Maaßſtabe beſtimmte; da es in der Natur die - ſer Veraͤnderung lag, daß in Europa jetzt die weſt - lichen Laͤnder ſtatt derer am Mittelmeer die Sitzedes35A. 2. Geſch. d. Entſt. d. Colon. 1492 -- 1515. des Welthandels wurden. Auch waren es zuerſt die beyden weſtlichſten Voͤlker, Spanier und Portu - gieſen, welche daran Antheil nahmen. Doch leg - ten in dieſem Zeitraum die Spanier nur erſt den Grund zu dem Gebaͤude ihres Colonialſyſtems; die Portugieſen hingegen fuͤhrten das ihrige ſchon faſt gaͤnzlich auf. Beyde aber gruͤndeten ihre Anſpruͤche auf die Schenkungen des Pabſtes, als allge - meinen Oberherrn, zur Bekehrung der Heiden.
Bulle des Pabſtes Alexander VI. 1493; wodurch ein Meridian, 100 Meilen weſtlich von den Azoren, als Schei - dungslinie beſtimmt wurde; die jedoch, bereits 1494 durch den Tractat von Tordeſillas, durch eine Bulle 1506 beſtaͤ - tigt, bis auf 375 Meilen von jenen Inſeln hinausgeruͤckt ward.
4. Entdeckungen und Eroberungen der Spa - nier in dieſem Zeitraum. Die letzteren beſchraͤnkten ſich nur auf die Inſeln des Golfs von Mexico, unter denen jedoch Hiſpaniola (St. Domingo) durch die Goldgruben in dem Cibao-Gebirge bey weiten die wichtigſte wurde. Da die neue Welt nicht ſogleich andre wichtige Producte darbot, ſo wurde das Auf - ſuchen von Gold und Silber, zum Ungluͤck der Einge - bohrnen, hier das einzige Ziel.
Entdeckung Americas, zuerſt der Inſel St. Salva - dor (Guanahaini), durch Chriſt. Colomb, indem er den Weg nach Oſtindien ſucht, den II. Oct. 1492. Auf ſeinen drey folgenden Reiſen entdeckte er nicht nur die weſtindi -C 2ſche36I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ſche Inſelwelt, ſondern auch einen Theil der Kuͤſten des Continents. Außer Hiſpaniola, der Hauptniederlaſſung, wurden noch auf Cuba, Portorico und Jamaica 1508 — 1510 von den Spaniern Anſiedelungen verſucht: der kleinern Inſeln achtete man nicht weiter, als um die Ein - wohner zu rauben. Entdeckung und Beſitznehmung des gro - ßen Oceans, und Nachrichten von Peru, durch Bilboa 1513. — Der Gewinn, den die Spaniſche Regierung aus Weſtindien zog, blieb noch ſehr unbetraͤchtlich; ſo wie die Grundſaͤtze ihrer Colonialverwaltung noch unentwickelt.
5. Entdeckungen und Niederlaſſungen der Por - tugieſen in Oſtindien. Die Art des Entdeckens und die Beſchaffenheit der entdeckten Laͤnder erzeugte gleich den weſentlichſten Unterſchied zwiſchen dem Por - tugieſiſchen und Spaniſchen Colonialweſen. Das all - maͤhlige, planmaͤßige Fortſchreiten, das endlich nach Indien fuͤhrte, hatte ſchon manche Ideen durch die Erfahrung zur Reife gebracht; und die Beſchaffenheit Indiens ließ hier an keine Bergwerks -, ſondern nur an Handels-Colonien denken. Eben daher, bey aller Eroberungsluſt und Tyranney, doch keine große Laͤnderbeſitzungen, ſondern Feſtſetzung auf ein - zelnen Hauptpuncten, um den Handel ſich zuzueignen.
Anfang der Portugieſiſchen Schifffarthen, (erzeugt durch die Kriege mit den Mauren in Afrika, und geleitet durch Prinz Heinrich Navigator † 1463) ſeit 1410. Entdeckung von Madeira 1419. Umſchiffung von Cap Bajador 1439 und des Cap Verde 1446. Entdeckung der Azoren 1448, der Inſeln des Cap Verde 1449, von St. Thomas nndAnno -37A. 2. Geſch. d. Entſt. d. Colon. 1492 -- 1515. Annobon 1471, von Congo 1484; wovon die Entdeckungs - reiſe uͤber Land nach Indien und Aethiopien von Covillan eine Folge war. Erreichung des Vorgebirgs der guten Hoff - nung durch Barth. Diaz 1486; und endliche Umſchiffung und Gelangung nach Indien uͤber Mozambique durch Vaſco de Gama 1498, unter Emanuel dem Großen. Landung in Calicut, und erſte Feſtſetzung in Cochin. — Bereits 1481 waren durch eine Bulle von Sirt IV. alle jenſeit Cap Bojador im Namen der Portugieſen gemachte Entdek - kungen der Krone Portugal geſchenkt.
6. Umfang und Einrichtung der Portugieſiſchen Herrſchaft in Indien, von der Oſtkuͤſte von Afrika bis zu der Halbinſel Malacca und den Molucken, — durch eine Kette von feſten Plaͤtzen und Factoreyen; ſo ſehr beguͤnſtigt durch die damalige Zerſtuͤckelung je - ner Laͤnder in viele kleine Staaten, leicht in Abhaͤn - gigkeit zu erhalten, und gegen einander aufzuhetzen. Der hohe Geiſt der erſten Vicekoͤnige, und ihre große Gewalt, als hoͤchſte Civil - und Militair - chefs, denen alle uͤbrige Gouverneurs untergeordnet wa - ren, eines Almeida (1505 — 1509), und vorzuͤg - lich des großen Albuquerque († 1515) war es aber eigentlich, der die Gruͤndung einer ſolchen Herrſchaft moͤglich machte.
Mittelpunct ihrer Herrſchaft Goa, ſeit 1508; Sitz des Vicekoͤnigs. Die andern Hauptplaͤtze; Mozambique, Sofala und Melinda an der Kuͤſte von Afrika; Maſcate und Ormus im Perſiſchen Meerbuſen; Diu und Daman auf Malabar; welche Kuͤſte ganz von ihnen abhaͤngig war; Negapatam und Meliapur auf Coromandel; und Malacca ſeit 1511 auf derC 3Halb -38I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Halbinſel gleiches Nahmens. In eben dem Jahr Entdeckung der Gewuͤrzinſeln; und ſeitdem Feſtſetzung auf Ternate und Tidor.
7. Der Handel mit Indien ward zwar bey den Portugieſen kein Monopol einer Compagnie, blieb aber mittelbarer Weiſe ein Monopol der Krone. Stand er gleich allen Portugieſen frey; ſo bedurften doch die Kaufleute der Erlaubniß der Regierung: und ſie hatte die Direction ſo wie den Schutz der Schifffahrt; auch behielt ſie einzelne Zweige des Handels ſich allein vor. In dieſen Formen lag ein Keim des Verderbens, der ſich bald entwickeln muß - te; aber ſo lange man Liſſabon zum alleinigen Haupt - markt der Indiſchen Waaren fuͤr Europa machen konn - te, war der Handel doch nicht weniger gewinnreich.
Der Portugieſiſche Oſtindiſche Handel begriff 1. den Zwi - ſchenhandel in Indien. Anknuͤpfung an einzelne Haupt - marktplaͤtze; Malacca fuͤr das jenſeitige Indien; Aden fuͤr Arabien und Aegypten; Ormus fuͤr das Continent von Aſien. Wichtigkeit des Verkehrs zwiſchen den Goldlaͤn - dern Afrikas, und den Productenlaͤndern Indiens. Mono - poliſirender Handel der Befehlshaber in Indien. 2. Den Handel zwiſchen Europa und Indien. Einrichtung der Schif - farth. Nur durch Flotten von der Regierung geſchickt. Hauptgegenſtaͤnde: Gewuͤrze, baumwollene und ſeidene Zeu - ge, Perlen und andre leichte und verarbeitete Waaren. Form des Handels in Portugal. Keine Verfuͤhrung der Waaren durch Europa auf eignen Schiffen: die Fremden mußten ſie in Liſſabon ſich holen. Nachtheilige Folge da - von fuͤr die Portugieſiſche Schifffarth; und die Erweckung der Concurrenz.
In39A. 2. Geſch. d. Entſt. d. Colon. 1492 -- 1515.In der Aſia de Joao de Barros und ſeinen Fortſetzern, Lisboa, 1552; in der Hiſtoire des conquêtes des Portugais par Lafitau, Paris 1732. u. a. ſind die Eroberungen der Portugieſen in Indien ausfuͤhrlich beſchrieben; allein die Geſchichte ihres Indiſchen Handels iſt auch nach dem, was Kaynal und die Verfaſſer der allgemeinen Welt - hiſtorie B. 25. daruͤber gegeben haben, noch beynahe eine gaͤnzliche Luͤcke.
8. Oſtindien blieb zwar nicht das einzige, aber doch das wichtigſte Colonialland der Portugieſen. Ihre Beſitzungen an der Weſt-Kuͤſte von Afrika, wie Congo ꝛc. wurde erſt ſpaͤterhin durch den Sclaven - handel bedeutend: und wenn gleich die Kuͤſte von Braſilien durch Cabral bereits entdeckt und occupirt1500 ward, ſo wurde doch durch deportirte Juden und Verbrecher kaum ein ſchwacher Anfang daſelbſt zum Anbau gemacht.
1. Der folgende Zeitraum glaͤnzt nicht nur durch groͤßere, ſondern auch durch folgenreichere Begebenhei - ten. Indem die Verhaͤltniſſe der Hauptſtaaten gegen einander ſich in demſelben feſter beſtimmen, erhaͤlt dieC 4prakti -40I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. praktiſche Politik dadurch ſicherere Formen. Es geſchah dieß 1. durch die Rivalitaͤt zwiſchen Frankreich und Spanien unter Franz I. und Carl V. 2. Durch die Reformation; wegen ihrer politiſchen Tendenz. Die durch beyde verurſachten Haͤndel bleiben, wenn auch gleichzeitig, dennoch ſo gut wie gaͤnzlich getrennt; weil Franz I. nicht weniger als Carl V. Gegner der Reformation blieb; und muͤſſen daher auch abgeſon - dert behandelt werden.
2. Die Rivalitaͤt zwiſchen Frankreich und Spa - nien ging keinesweges zunaͤchſt aus einer feſten Politik,ſon -41B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515 -- 1556. ſondern aus Zeitumſtaͤnden und Leidenſchaften hervor; allein ſie fuͤhrte dennoch zu politiſchen Grundſaͤtzen, indem das practiſch angenommene Syſtem des Gleich - gewichts aus ihr ſich entwickelte, und durch ſie ſeine Hauptbeſtimmungen erhielt. — Es war zunaͤchſt eine Fortſetzung der Italiaͤniſchen Haͤndel; weil an den Principat in dieſem Lande immer mehr die Idee des wechſelſeitigen Uebergewichts geknuͤpft ward. Der von Franz I. mit Gluͤck ausgefuͤhrte Verſuch, Mayland den Schweizern und Maximilian Sforza zu entreißen, legte dazu — ſchon vor dem Regie - rungsantritt von Carl V. — den Grund.
Einfall von Franz I. in Mayland, nach vorher errichte - ter Verbindung mit Venedig, und entſcheidende Schlacht bey Marignano 13. Sept. 1515. H. Maximilian tritt ſein Land gegen ein Jahrgeld ab. — Der bald darauf geſchloſſene Vergleich mit den Schweizern 1516 (die Grund - lage des nachmaligen ewigen Friedens 7. May 1521) ſchien den Beſitz Maylands zu ſichern, und uͤberhaupt den franzoͤſiſchen Einfluß in Italien voͤllig zu befeſtigen.
3. Große Veraͤnderung der Lage Europas durch den Tod Ferdinand's I. Mit ſeinem aͤlteſten1516 23. Jan. Enkel Carl V. (I.), dem Herrn der reichen Nieder - lande und kuͤnftigen Miterben Oeſtreichs, gelangte das Habsburgiſche Haus zum Beſitz der ganzen Spaniſchen Monarchie. So lag das Schick - ſal Europas in den Haͤnden zweyer Juͤnglinge, von denen der eine ſchon gluͤcklicher Eroberer war; der an -C 5dere42I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. dere faſt noch mehr durch Politik als durch Waffen es zu werden hoffte. Doch erhielt der Tractat zu Noyon noch den Frieden; bis eine neue Colliſion des beyderſeitigen Intereſſe entſtand.
Tractat zu Noyon 17. Aug. 1516. Es war ein Auf - ſchub, der durch die Beſtimmungen uͤber Navarra und Nea - pel den Krieg deſto ſicherer herbeyfuͤhren mußte.
4. Bewerbung beyder Fuͤrſten um die Kayſer - krone nach dem Tode Maximilian's I. Als Carl V. ſie erhielt, war die damit verbundene Oberhoheit uͤber die Italieniſchen Reichs-Lehen, zu denen May - land gehoͤrte, recht dazu geſchickt, dem aufkeimenden Saamen der Eiferſucht und des Haſſes zwiſchen beyden fortdauernde Nahrung zu geben.
Wuͤrdigung des damaligen wahren Werths der Kayſer - krone. Sie war ſehr viel und ſehr wenig, je nachdem der - jenige, der ſie trug, ſie zu nutzen wußte; denn was ließ ſich nicht in einem Zeitalter, wo Streben nach Machtvergroͤße - rung, wenn auch nicht immer planmaͤßig, doch in der allge - meinen Tendenz der Politik lag, in einem Staate wie Deutſchland, an den Titel knuͤpfen? Wer mochte denn ſa - gen, was zwiſchen dem Kayſer und den Staͤnden, die Be - ſtimmungen der goldnen Bulle und der neuen Wahlkapitula - tion abgerechnet, eigentlich Rechtens war?
5. Die Verbindung der Kayſerkrone und der Krone von Spanien auf demſelben Haupte mußte nicht bloß wegen des Umfangs, ſondern auch beſon - ders wegen der geographiſchen Lage der Laͤnderbedenk -43B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515 -- 1556. bedenklich werden. An welchen Staatshaͤndeln mußte Carl bey ſo vielen Beruͤhrungspuncten nicht Antheil nehmen? Und wohin konnte dieſe Theilnahme bey einer ſolchen Macht nicht fuͤhren? Die den Habsburgern beygelegte Idee einer ſogenannten Uni - verſalmonarchie, war, in ſo fern man darunter nicht eine unmittelbare Herrſchaft, ſondern nur den Principat in Europa verſteht, ſo wenig ein lee - res Phantom, daß ſie vielmehr von ſelbſt aus der Lage jenes Hauſes hervorging; und der Kampf von Franz I., wenn auch im Einzelnen durch Leiden - ſchaft und kleinliche Urſachen erzeugt, und zunaͤchſt nur auf den Principat in Italien gerichtet, war doch, aus einem hoͤhern Geſichtspunkt betrachtet, ein Kampf fuͤr Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhaͤngigkeit.
Schaͤtzung der wahren Macht der beyden Fuͤrſten. Die Macht von Carl V. verlor 1. durch die Verſchiedenheit ſeiner Verhaͤltniſſe in ſeinen verſchiedenen Staaten: er war nir - gends, ſelbſt nicht in Spanien, unumſchraͤnkt. 2. Durch die beſtaͤndigen Finanzverlegenheiten, und die nie regelmaͤßig bezahlten Truppen, die oft deßhalb kaum ſeine Truppen heißen konnten. Dagegen die ſo ſehr concentrirte Macht Frankreichs nicht nur 1. dem Koͤnige faſt unumſchraͤnkt zu Ge - bote ſtand; ſondern auch 2. durch die Errichtung einer eignen National-Infanterie ſtatt der Miethtruppen erſt furchtbar wurde. Aber doch 3. ſehr dadurch ſich beſchraͤnkte, daß Franz I. nicht die Staatswirthſchaft ſeines Vorgaͤngers befolgte.
6. Erſter Krieg zwiſchen Franz I. und Carl V.,1521 bis 1526 angefangen von Franz I., und nach oͤfterm Wechſeldurch44I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. durch die Niederlage bey Pavia, und die Gefangen - nehmung des Koͤnigs zwar ſehr ungluͤcklich fuͤr ihn ent - ſchieden; doch konnte Carl V. ſeinen Lieblingsplan einer Zerſtuͤckelung Frankreichs ſo wenig durch das Complot von Carl von Bourbon, als durch ſeine Anſpruͤche auf Burgund erreichen.
Beyderſeitige Vorwaͤnde zum Kriege: 1. Franz ver - langt die Ruͤckgabe des Spaniſchen Navarra. 2. Erneuert die Anſpruͤche auf Neapel. 3. Nimmt ſich ſeines Vaſallen Rob. von der Mark in einem Lehnſtreit an. — Von Seiten Carl's: 1. Anſpruͤche auf Mayland als deutſches Reichslehn. 2. Auf das von Ludwig XI. eingezogene Herzogthum Burgund. — Beyderſeitige Verbuͤndete: Carl zieht Heinrich VIII. von England und den Pabſt in ſein Intereſſe. Franz I., im Bunde mit Venedig, erneut den Tractat mit den Schweizern (7. Maͤrz 1521). — Schlacht bey Bicocca 22. Apr. 1522. und gaͤnzliche Vertreibung der Franzoſen aus Italien unter Lautrec, und dem Guͤnſtling Bonnivet 1523. Mayland wird als Reichslehen von Carl an Franz Sforza, juͤngern Sohn von Ludwig Morus, († 1531), wenigſtens dem Nahmen nach, gegeben. — Ungluͤcklicher Einfall der Kayſerlichen in Provence (Jul. — Sept. 1524.) Franz I. geht ſelbſt uͤber die Alpen. Belagerung und Schlacht von Pavia 25. Febr. 1525. Niederlage und Gefangenſchaft des Koͤnigs, der nach Madrit gebracht wird.
7. Der Sieg bey Pavia ſchien Carl zum Herrn von Italien und zum Schiedsrichter von Europa zu machen; und doch wurde er nicht mal das erſte. Die innern Verhaͤltniſſe ſeiner Armee, weit mehr als die erwachte Eiferſucht von England und den Italieni -ſchen45B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515 -- 1556. ſchen Staaten, verhinderten die Ausfuͤhrung aller gro - ßen Plaͤne; und in dem Friedenstractat zu Ma - drid erpreßte er von Franz I. nur Verſprechungen; gegen welche dieſer ſelbſt ſchon im voraus im Geheim proteſtirt hatte.
Vergleich zu Madrit 14. Jan. 1526. Bedingun - gen: 1. Franz entſagt allen Anſpruͤche auf Italien. So wie 2. der Souverainitaͤt von Flandern und Artois. 3. Tritt das Herzogthum Burgund an Carl ab. 4. Giebt ſeine beyden aͤlteſten Soͤhne als Geißel; und heyrathet Eleonoren, die Schweſter des Kayſers.
8. Der zweyte Krieg zwiſchen beyden Fuͤr -1527 bis 1529 ſten war daher unvermeidlich. Auch von ihm war der Hauptſchauplatz in Italien; jedoch beſonders in Neapel. Aber auch er ging ungluͤcklich fuͤr Franz; trotz ſeiner Verbindungen mit England, und in Italien; da er im Frieden zu Cambrais bey dem gaͤnzlichen Verluſt Italiens, und der Treuloſigkeit gegen ſeine dortigen Bundesgenoſſen, ſich damit begnuͤgen mußte, daß Carl nur vor jetzt ſeine Anſpruͤche auf Burgund nicht geltend zu machen verſprach.
Buͤndniß zu Cognac 22. May 1526 zwiſchen Franz I., dem Pabſt, Venedig und dem Herzog von Mayland, im Ge - heim geſchloſſen. Durch große Verſprechungen zog man auch Heinrich VIII. mit herein. — Fehde des Kaiſers mit dem Pabſt; Ueberfall und ſchreckliche Pluͤnderung Roms, ohne Vor - wiſſen des Kayſers, zum Aerger der chriſtlichen Welt, durch ſei - ne Armee unter Carl von Bourbon, 6. Mai 1527; Belagerung des Pabſtes in der Engelsburg und Capitulation. Die Be -fryung46I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. freyung des Pabſtes gab nicht nur den Vorwand, die Verbuͤndeten enger zu vereinigen, ſondern auch eine franzoͤſi - ſche Armee unter Lautrec nach Italien zu ſchicken, um die Anſpruͤche Frankreichs auf Neapel auszufuͤhren. Ungluͤck - liche Belagerung von Neapel, durch die Peſt und Dorias Abfall vereitelt; April bis Aug. 1528. Unterhandlungen und Friede zu Cambrai 5. Aug. 1529. (dem auch Heinrich VIII. beytrat, nachdem Clemens VII. ſich ſchon vorher den 20. Jun. durch einen Separatfrieden geſichert hatte); bis auf Burgund und die bewilligte Ausloͤſung der franzoͤſiſchen Prin - zen unter gleichen Bedingungen wie im Madriter Vertrage.
9. Wenn durch dieſen zweyten Krieg die Macht des Kayſers in Italien erweitert war, welche ſeine Zuſammenkunft mit dem Pabſt und ſeine Kroͤnung zu1530 24. Fbr. Bologna noch mehr befeſtigte; ſo hatte er fuͤr dieſes Land noch die doppelte Folge, daß a. Florenz in ein erbliches Herzogthum verwandelt ward; und b. Ge - nua ſeine nachmalige Verfaſſung erhielt.
Die Veraͤnderung in Florenz war eine Folge des Ver - trags zwiſchen dem Kayſer und Pabſt, durch welchen die, bey dem Kriege gegen Rom 1527 durch eine Inſurrection vertriebenen, Mediceer wieder reſtituirt, und Alexander von Medici, der Blutsverwandte des Pabſtes, zum erſten erblichen Herzog erklaͤrt ward. — Die Revolution in Genua 1528 war das Werk des Andreas Doria, der von Franzoͤſiſcher auf Kaiſerliche Seite uͤbertrat; und der Selbſtſtaͤndigkeit und neugegruͤndeten Verfaſſung durch die Einfuͤhrung einer ſtrengen Familienariſtokratie eine groͤßere Feſtigkeit gab.
10. Waͤhrend aber im Weſten des ſuͤdlichen Eu - ropas die beyden Hauptmaͤchte mit einander rangen,ward47B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515 -- 1556. ward auch der Oſten in dieſen Kampf mit hereinge - zogen; da die wilden Eroberungsprojecte von Soly - man II., welche zuerſt die ganze Chriſtenheit be - drohten, ſich zuletzt in eine Allianz mit Frankreich aufloͤſeten; die fuͤr dieſes Reich um ſo vortheilhafter ſchien, da das Habsburgiſche Haus nach der Nieder - lage und dem Tode des Koͤnigs Ludwig II. von Un - garn bey Mohatſch ſeine Anſpruͤche auf Ungarn und Boͤhmen geltend machte.
Veraͤnderung des Tuͤrkiſchen Eroberungsſyſtems unter Solyman II. ſeit 1519; das unter ſeinem Vorgaͤnger Se - lim I. gegen Perſien und Aegypten gerichtet geweſen war. Nach der Eroberung von Belgrad 1521 Hauptſturm gegen Ungarn; Niederlage und Tod K. Ludwig's II. bey Mohatſch 29. Aug. 1526. Die ſtreitige Koͤnigswahl zwiſchen Ferdinand und Joh. von Zapolya erleichterte Solyman ſeine Fort - ſchritte, da der letztre ſich in ſeinen Schutz begab. Einnahme Ungarns und vergebliche Belagerung Wiens 1529; dagegen aber Unterwerfung der Moldau. — Die jetzt ſich leiſe anknuͤpfen - de Verbindung mit Frankreich giebt den Beweis einer dorti - gen freyeren Anſicht in der Politik; wie gegruͤndete Bedenk - lichkeiten auch dieß Skandal in der Chriſtenheit da - mals erregen mußte.
11. Aber die Seemacht der Pforte drohte dem weſtlichen Europa faſt noch gefaͤhrlicher zu wer - den, als ihre Landmacht. Als mit der Eroberung von Rhodus die Herrſchaft des Mittelmeers ihr zu Theil ward, ſchien kaum noch Sicherheit fuͤr die Kuͤ - ſten von Italien und Spanien zu ſeyn. Die, unterdem48I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. dem Schutze der Pforte ſich jetzt an der Afrikani - ſchen Kuͤſte bildenden Raubſtaaten, wogegen das den Rhodiſern gegebene Malta nur eine ſchwache Vormauer ward, drohten dieſe voͤllig zu vernichten.
Eroberung der, den Johannitern gehoͤrigen, Inſel Rho - dus durch die Tuͤrken nach einer hartnaͤckigen Gegenwehr 1522. Der Orden erhaͤlt 1530 von Carl V. die zu Neapel gehoͤrige Felſeninſel Maltha als Lehen dieſes Reichs, mit der Ver - pflichtung des Kriegs gegen die Unglaͤubigen. — Gruͤndung der Herrſchaft der Pforte an der Nordkuͤſte von Afrika, (bis dahin theils unter Arabiſcher, theils Spaniſcher Herr - ſchaft), durch die Eroberungen der Seeraͤuber Horuc und Hayradin, (der Barbaroſſas). Der erſte bemaͤchtigt ſich Algiers 1517, und hat 1518 ſeinen Bruder Hayradin zum Nachfolger, der ſich der Pforte freywillig unterwirft; Ober - befehlshaber ihrer Seemacht wird, und ſich 1531 Tunis bemaͤchtigt. Wenn ihm letzteres gleich durch den Zug von Carl V. 1535 wieder entriſſen ward, ſo ward damit doch die Macht der Seeraͤuber keinesweges vernichtet, oder auch nur betraͤchtlich geſchwaͤcht; zumal da auch Tripo - lis 1551 von einem andern Seeraͤuber Dragut erobert, und auch Tunis wieder eingenommen ward. — Da auch Aegyp - ten ſeit 1517 bezwungen war, ſo war der Pforte faſt die ganze Kuͤſte von Nordafrika unterworfen.
12. Urſachen zum dritten Kriege zwiſchen Carl und Franz. Sie lagen ſchon in den Bedingungen des Friedens zu Cambrais; da Franz Italien und beſon - ders Mayland nicht verſchmerzen konnte. Wenn gleich ſeine Bemuͤhungen, ſich Verbindungen zu verſchaffen, meiſt mißlangen, ſo war doch der Krieg bey ihm be - ſchloſſen; die Hinrichtung des Maraviglia in Maylandgab49B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515 -- 1556. gab nur den Vorwand dazu; und das bald darauf er - folgte Ausſterben des Hauſes Sforza neue Anſpruͤche und Hoffnungen.
Vergebliche Bemuͤhungen des Koͤnigs, Heinrich VIII. und die Proteſtanten in Deutſchland zu gewinnen. Verbin - dung mit Clemens VII. durch die Vermaͤhlung ſeiner Nich - te, Catharina von Medicis, mit dem zweyten Sohne des Koͤnigs Heinrich, Herzog von Orleans. Allein durch den bald erfolgenden Tod von Clemens VII. (24. Sept. 1534) wurden die erwarteten Folgen dieſer, dennoch ſo ver - haͤngnißvollen, Heyrath vereitelt. Aber die Verbin - dung mit der Pforte, durch Laforeſt 1535 zur Reife gebracht, ward jetzt oͤffentlich.
13. Der Schauplatz dieſes Krieges war zwar wiederum vorzugsweiſe, aber doch nicht ausſchließend, Italien. Die Wegnahme Savoyens und Piemonts durch Franz verhinderte Carl nicht, einen Einfall in das ſuͤdliche Frankreich zu machen, den aber Franz durch ſeine klugen Maaßregeln vereitelte. Weder der nachfolgende Kampf in Piemont, noch in der Picar - die waren entſcheidend; allein das furchtbare Vor - dringen Solyman's in Ungern beſchleunigte den, durch Paul III. vermittelten Waffenſtillſtand zu Niz - za; jedoch ohne Vorwiſſen und Theilnahme So - lyman's.
Die Eroberung Savoyens 1535 (als eben Carl als Sieger von Tunis zuruͤckkam) mußte den Kayſer doppelt erbittern, da deſſen Herzog Carl III. ſein Schwager und Verbuͤndeter war. — Tod von Franz Sforza, letztem Herzog ausDdieſem50I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. dieſem Hauſe, 24. Oct. 1535, wodurch alſo Mailand wie - der eroͤffnetes Reichslehen ward. Einfall des Kayſers in Provence, Aug. 1536, durch den Defenſiv-Krieg unter Franz und Montmorency vereitelt. — Einfall Soliman's in Ungern und Sieg bey Eſſek 1537, waͤhrend ſeine Flotte die Kuͤſten Italiens pluͤndert. — Zuſammenkunft des Kay - ſers, des Koͤnigs und des Pabſts bey Nizza, und Ab - ſchluß eines 10jaͤhrigen Waffenſtillſtandes den 18. Jun. 1538. Bedingungen: Jeder behaͤlt, was er hat; (Franz faſt ganz Piemont und Savoyen;) und die beider - ſeitigen Anſpruͤche ſoll der Pabſt weiter unterſuchen. — Alſo auch die Belehnung mit Mayland blieb noch unentſchie - den, wenn auch dem Koͤnig fuͤr ſeinen juͤngſten Sohn eini - ge Hoffnung dazu erregt war.
14. Kein Wunder alſo, wenn trotz der an - ſcheinenden Vertraulichkeit beyder Monarchen der 10jaͤhrige Stillſtand doch nur ein 4jaͤhriger ward. Der eigentliche Zunder glimmte fort; und der Haß wurde noch deſto bitterer durch die Art, wie Franz, lange hingehalten, doch endlich ſich in ſeinen Erwartungen getaͤuſcht ſah. Seine Verbindungen indeß ſowohl mit England als mit der Pforte waren aufgeloͤſet; und Carl von ſeiner Seite war ſowohl durch die Religionshaͤndel (ſ. unten) als die Tuͤr - kenkriege genug beſchaͤftigt, um einige Jahre einen Stillſtand zu behaupten, wozu ihn ohnedem ſeine Fi - nanzen noͤthigten.
Die Streitigkeiten mit den Tuͤrken betrafen 1. Ungern. Zufolge des Vergleichs zwiſchen Ferdinand und dem kinder - loſen Johann von Zapolya, 24. Febr. 1538, ſollte erſterer von letzterem ſeine Haͤlfte von Ungern ererben. Allein we -nige51B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515 -- 1556. nige Tage vor ſeinem Tode (27. Jul. 1540) erhielt Zapolya noch einen Sohn, den er zum Erben ernannte; deſſen ſich Solyman als Schutzherr, und, nach einem Siege uͤber die Deut - ſchen, der Hauptſtadt Ofen und faſt ganz Ungerns bemaͤch - tigte. 2. Die Afrikaniſchen Raubſtaaten, beſonders Algier. Zweyter Afrikaniſcher Zug des Kayſers 1541, durch einen furchtbaren Sturm kurz nach der Landung gaͤnzlich vereitelt.
15. Die verweigerte Belehnung mit Mailand bringt den Koͤnig zum Entſchluß eines vierten1542 bis 1544 Kriegs, den die Ermordung ſeiner Geſandten in Mayland zum Ausbruch bringt. Er ward von groͤße - rem Umfang, als einer der vorhergehenden; da es dem Koͤnig nicht nur gelang, die Verbindungen mit dem Sultan und mit Venedig wieder anzuknuͤpfen; ſondern auch den Herzog von Cleve, Daͤnemark und ſelbſt Schweden (wiewohl letztere beyde ohne Folgen), mit hereinzuziehen; ſo wie dagegen der Kayſer den Koͤnig von England zu einem Buͤndniß und gemein - ſchaftlich mit ihm zu einem Einfall in Frankreich be - wegte; ohne daß doch, als der Friede zu Creſpy ihn endigte, Einer von Allen die Zwecke durch den Krieg erreichte, die er ſich vorgeſetzt hatte.
Ermordung der beyden Bevollmaͤchtigten von Franz I. an Venedig und die Pforte im Maylaͤndiſchen am 3. Jul. 1541. Veraͤnderung des franzoͤſiſchen Kriegsplans zur Vertheidigung in Italien, und zum Angriff in den Niederlanden und in Rouſſil - lon, mit mehreren Armeen 1542 und 1543, ohne bleibende Fort - ſchritte. Buͤndniß zwiſchen Carl und Heinrich VIII., (der durch die angeknuͤpfte Familienverbindung zwiſchen Frankreich undD 2Schott -52I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Schottland beleidigt war,) 11. Febr. 1543, zu einem Einfall in Frankreich und Theilung dieſes Reichs, indem der Her - zog von Cleve zur Unterwerfung gezwungen wird. — Er - neuertes Buͤndniß Franz'ens mit Solyman 1543; Erobe - rung des uͤbrigen Ungerns und Einfall in Oeſtreich; waͤh - rend die Tuͤrkiſche Flotte, mit der Franzoͤſiſchen vereinigt, Nizza beſchießt. Gleichzeitiger Einfall des Kaiſers in Frank - reich, (ungeachtet des Siegs der Franzoſen bei Ceriſoles 11. April 1544.) uͤber Lothringen, und des Koͤnigs von England uͤber Calais (Juni bis Sept. 1544); aber Verei - telung des ganzen Plans durch den zwiſchen beyden entſtan - denen Zwiſt; der geſchickten Stellung des Franzoͤſiſchen Heers; die Intriguen am Hofe; und die Verhaͤltniſſe des Kaiſers in Deutſchland, wovon der Separatfriede mit dem Kaiſer zu Creſpy am 18. Sept. 1544 die Folge war; unter den Bedingungen; daß 1. der Herzog von Orleans, indem er eine kayſerliche Prinzeſſin heyrathet, Mayland erhaͤlt; (der baldige Tod des jungen Herzogs am 8. Sept. 1545 verei - telte die Erfuͤllung; worauf Carl V. ſeinen eignen Sohn Philipp damit belehnte.) 2. Franz auf Neapel, und die Lehnshoheit uͤber Flandern und Artois, Carl dagegen auf Burgund Verzicht leiſtet. Der Krieg mit dem erbitterten Heinrich VIII. dauerte, nach der Eroberung von Bologna 1544, ohne große Vorfaͤlle noch bis 1546.
16. Der Friede von Creſpy endigte die Reihe von Kriegen zwiſchen beyden Nebenbuhlern; weil Carl V. gleich darauf zu ſehr mit ſeinen ehrgeizigen Plaͤnen in Deutſchland beſchaͤftigt war: und den Ent - wuͤrfen von Franz I. faſt zugleich mit Heinrich VIII. bald der Tod ein Ziel ſetzte. Unter ſeinem Sohn und Nachfolger Heinrich II., wo manches anders in Frankreich wurde, dauerte zwar die Spannung mitdem53B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515 -- 1556. dem Kayſer fort; allein der Krieg, den er noch mit Carl V. fuͤhrte, ging aus den deutſchen Haͤndeln her - vor; und gehoͤrt daher in den folgenden Abſchnitt.
Tod von Heinrich VIII. 28. Jan.; und von Franz I. 31. Maͤrz 1547.
17. Die Folgen jenes Kampfs waren ſowohl fuͤr Frankreich ſelber, als fuͤr das Europaͤiſche Staaten - ſyſtem uͤberhaupt, gleich wichtig. Es war dadurch a. das Syſtem des politiſchen Gleichgewichts nach ſeinen Hauptprincipen praktiſch begruͤndet: da die beyden Hauptmaͤchte des Continents jetzt die Gegen - gewichte ausmachten. b. Durch die Allianz Frank - reichs mit der Pforte, die Verhaͤltniſſe in Ungern, und die, wenn gleich in ihrem Erfolge nie ſehr wich - tige, Theilnahme Englands an jenen Kriegen, war das ganze ſuͤdliche Europa in viel engere Verbindun - gen, als je vorher, geſetzt worden. c. Wenn gleich Frankreich ſeinen Zweck der Herrſchaft in Italien ver - fehlte, ſo verhinderte es dagegen ſeine Zerſtuͤckelung, und behauptete ſeine Selbſtſtaͤndigkeit. Ebendaher d. blieben die Entwuͤrfe von Carl V. nur halb erfuͤllt, indem er zwar den Principat in Italien und den in Deutſchland, aber nie den uͤber Frankreich errang.
War der Verluſt des Principats in Italien fuͤr Frank - reich wahrer Verluſt? Allerdings bedurfte es dort eines ge - wiſſen Einfluſſes a. wegen der hierarchiſchen Verhaͤltniſſe auf den Pabſt. b Wegen der Sicherung ſeiner S. O. Gren - zen, auf den Herzog von Savoyen. Aber waren dazu Laͤn -D 3derbe -54I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. derbeſitzungen, war dazu Herrſchaft noͤthig? Ha - ben uͤberhaupt dabey die fremden Nationen gewonnen, die dieſe hatten; wenn auch vielleicht die Herrſcher gewannen?
1. Die Reformation erhielt ihren unermeßlichen Wirkungskreis im Allgemeinen dadurch, daß ſie ein Intereſſe aufregte, das nicht blos das der Regen - ten, ſondern der Voͤlker ſelber war. Nie haͤtten ohne dieſes ihre Stuͤrme zugleich ſo allgemein und ſo dauernd werden koͤnnen. Die Verflechtung der Religion und der Politik war aber dabey unvermeid - lich, weil die Angriffe ihrer Urheber nicht blos gegen Lehren, ſondern gegen eine Hierarchie gerichtet waren, die auf das tiefſte in die beſtehenden Staatsverwal - tungen und Staatsverfaſſungen eingriff.
Die Reformation, als unmittelbarer Angriff auf die Herrſchaft des Pabſtes, war zwar gegen ein ſchon erſchuͤttertes und untergrabenes, aber doch noch immer da ſtehendes Gebaͤude gerichtet. Untergraben, weil die Stuͤtze, worauf es eigentlich ruhte, die oͤffentliche Meinung ſich aͤn - derte, erſchuͤttert durch die letzten Italieniſchen Haͤndel, ſo wie ſchon fruͤher durch die feſtgeſtellte hoͤchſte Autoritaͤt der Concilien. Die Frage: Ob ohne Reformation paͤbſtliche Antoritaͤt gefallen ſeyn wuͤrde? — liegt außerhalb dem Ge - biet der Geſchichte; geſetzt aber auch, ſie waͤre gefallen, ſo haͤtte doch ohne ſie der menſchliche Geiſt nicht den maͤch - tigen Umſchwung erhalten, den er durch ſie erhielt; und daraus entwickelten ſich ihre groͤßten, und gerade ihre wohlthaͤtigſten Folgen.
2. So wie die Reformation uͤberhaupt zuerſt in Deutſchland entſtand und ſich verbreitete, ſo nahm ſie auch hier zuerſt einen politiſchen Charakter an, indem deutſche Fuͤrſten und Regierungen ſich ihrer an - nahmen. Die Puncte, auf welche es bey einer poli -D 4tiſchen56I. Per. I Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. tiſchen Geſchichte der Reformation ankommt, ſind daher folgende: a. wie und warum thaten dieß die Fuͤrſten, und welche? b. Wie und in wie fern ver - banden ſich dieſe zu einer Parthey, die Gegenparthey des Kayſers ward? c. Welches waren die Abſichten des Kayſers, indem er ihnen entgegenarbeitete, und welches ſeine Schritte? Endlich d. wie kam es zu - letzt zum foͤrmlichen Bruche zwiſchen beyden, und wie ward die endliche Entwickelung herheygefuͤhrt? — Es liegt am Tage, daß dieſe Fragen ſich nicht ohne eine anſchauliche Kenntniß des damaligen politiſchen Zuſtandes von Deutſchland beantworten laſſen.
Die groͤßte innere Verſchiedenheit des damaligen von dem ſpaͤtern lag in dem ſo ganz andern Verhaͤltniß der Macht der Staͤdte gegen die Macht der Fuͤr - ſten; indem a. die Zahl ſowohl der ganz als halb freyen Staͤdte in Suͤd - und Nord-Deutſchland um ſo viel groͤ - ßer; b. ihr innerer Reichthum und durch dieſen ihr politiſcher Einfluß um ſo viel betraͤchtlicher war. c. Dieſer letztere aber noch mehr durch ihre Buͤndniſſe, nicht nur der Han - ſe im Norden, ſondern auch beſonders des Schwaͤbiſchen Bundes im Suͤden gewachſen war. Und d. ihre Buͤrger - miliz und Soͤldner von hoher Bedeutung ſeyn konnten, ſo lange es noch faſt gar keine ſtehende Truppen gab. Dagegen war nicht nur eben deßhalb die Macht der Fuͤrſten geringer, ſondern drohte auch durch die, noch immer Sitte bleibenden, Theilun - gen, weiter abzunehmen. Die wichtigſten Churfuͤrſtli - chen und Fuͤrſtlichen Haͤuſer beym Anfange der Re - formation waren:
a. Das Saͤchſiſche. Getheilt in die aͤltere Chur - fuͤrſtliche oder Erneſtiniſche, und die juͤngere herzogliche oder Albertiniſche Linie. Die erſte, unter Churfuͤrſt Frie -derich57B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517 -- 1555. derich dem Weiſen († 1525), beſaß den Churkreis mit der Reſidenz Wittenberg; faſt die ganze Landgrafſchaft Thuͤringen, und einige andere Stuͤcke. Die zweyte, unter Herzog Georg († 1539), dem Gegner von Luther, die Landgrafſchaft Meiſſen, nebſt etwas von Thuͤringen.
b. Das Brandenburgiſche. Die Churlinie unter Churfuͤrſt Joachim I. († 1535) beſaß die Mark Bran - denburg, (Churmark und Neumark), und einige kleinere Herr - ſchaften. Die Markgraͤfliche Linie in Franken theilte ſich wieder in die von Culmbach und Anſpach.
c. Das Pfaͤlziſche; (oder die aͤltere Wittelsbachiſche Linie). Es theilte ſich in die Churfuͤrſtliche Linie, unter Ludewig V. († 1544), dem die Chur am Rhein gehoͤrte, und die Simmerſche, die wieder in die Simmerſche und Zweybruͤckiſche, und die letztere wieder in die von Zwey - bruͤck und von Veldenz zerfiel.
d. Das Bayerſche; (oder die juͤngere Wittelsbachi - ſche Linie.) Bayern war zwar, ungeachtet der 1508 einge - fuͤhrten Primogenitur-Ordnung, zwiſchen Herzog Wil - helm IV. († 1550) und deſſen Bruder Ludewig getheilt; wurde aber nach des letztern Tode 1545 wieder vereinigt; und blieb es ſeitdem.
e. Das Braunſchweigiſche; zerfiel damals in die zwey Hauptlinien: die (mittlere) Luͤneburgiſche, die Luͤne - burg und Celle beſaß; ſeit 1520 unter Herzog Ernſt (Stammvater der beyden neuen Linien; † 1546); mit den Nebenlinien Harburg und Gifhorn; und die (mittlere) Braunſchweigiſche oder Wolfenbuͤttelſche; in zwey Linien ge - theilt, deren einer unter Herzog Heinrich dem Juͤn - gern, dem Gegner der Reformation († 1568), Wolfen - buͤttel, der anderen, unter Herzog Erich I. († 1540), Calenberg nebſt Goͤttingen gehoͤrte. Außerdem dauerte noch in Grubenhagen ein Zweig des aͤlteren Braunſchweigi - ſchen Hauſes fort.
D 5Das58I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Das Heſſiſche. Unter Philipp Magnanimus († 1567) gaͤnzlich ungetheilt; und darum eins der maͤch - tigſten Haͤuſer.
Das Meklenburgiſche; unter Heinrich dem Friedlichen † 1552, gleichfalls, ungetheilt.
Das Wirtembergiſche; erſt ſeit 1495 aus einem graͤflichen zum herzoglichen Hauſe erhoben. Zwar ungetheilt; aber der unruhige Herzog Ulrich, von dem ſchwaͤbiſchen Bunde 1519 aus ſeinem Lande gejagt, ward erſt 1534 durch den Vergleich zu Cadan reſtituirt.
Das Badenſche, unter Markgraf Chriſtoph noch ungetheilt, zerfiel erſt 1527 in die Linien Baden und Durlach.
Zu den wichtigern, ſeitdem gaͤnzlich erloſchenen, Haͤu - ſern gehoͤrten: das Herzoglich-Pommerſche; unter Bogislaus M. ungetheilt, bis es 1523 in Wolgaſt und Stettin zerfiel. Das Haus Cleve, dem ſeit 1516 auch Juͤlich, Berg und Ravensberg gehoͤrte, unter Johann III. († 1539) ungetheilt. Aber auch in den ungetheilten hieng gewoͤhnlich viel davon ab, ob Bruͤder oder nahe Vettern da waren; deren Verhaͤltniß zu den regierenden Herrn ſich damahls noch gar nicht ſo feſt beſtimmt hatte, wie in den ſpaͤtern Zeiten.
3. Durch Luther's Vorforderung vor den Reichstag1521 18. Apr. zu Worms und ſeine Erſcheinung ward ſeine Sache aus einer Kirchenſache zuerſt zur Staatsſache ge - macht, da ſie ſchon vorher zu einer Sache des Volks geworden war. Auch war es hier, wo bereits durch ſeine Achtserklaͤrung von Seiten des Kayſers, und den unverholenen Beyfall ſeines Landesherrn und an - derer Fuͤrſten der Keim zu einer kuͤnftigen Spaltung im Reich gelegt wurde.
Die59B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517 -- 1555.Die Urſachen, warum der Kayſer ſich gegen Luther erklaͤrte, waren gewiß mehr politiſch als religioͤs. Sie la - gen nicht in weitausſehenden Plaͤnen, ſondern in ſeinem Verhaͤltniß als Schutzherr der Kirche, und dem damaligen Beduͤrfniß der[Freundſchaft] des Pabſtes. Auch blieb von ihrem Urſprunge an die politiſche Seite der Reformation fuͤr ihn die wichtigſte; wenn ſich auch die Ideen zu ihrer Benutzung erſt allmaͤhlig entwickelten; um ſo mehr, da die beyden erſten gleich darauf folgenden Kriege mit Frankreich ihn daran verhinderten. — Achtserklaͤrung Luther's und ſei - ner Anhaͤnger durch das Wormſer Edict, 26. May; wodurch ſich der Kayſer ſelber fuͤr die Zukunft die Haͤnde band.
4. Indem aber in den naͤchſtfolgenden Jahren die neue Lehre ſich ſchnell verbreitend, und in mehreren deutſchen Laͤndern, beſonders Sachſen und Heſſen,1526 entſcheidend ſiegend, eine noch nie geſehene, jetzt durch Huͤlfe der Buchdruckerey unterhaltene, Ideengaͤhrung erzeugte, waren es beſonders zwey Vorfaͤlle, die in den Augen der Regierungen ihre politiſche Wichtig - keit beſtimmten, der Bauernkrieg und die Se - culariſirung von Preußen.
Urſprung und Verbreitung des Bauernkriegs von Schwa - ben 1524 bis Thuͤringen, wo er durch Thomas Muͤnzer ent - flammt, aber durch die Schlacht bey Frankenhauſen geen - digt ward, 15. May 1525. — Die Frage: wie viel die Re - formation zu dieſem Aufſtande wirklich beytrug? iſt fuͤr die allgemeine Geſchichte lange nicht ſo wichtig, als die: wie viel ſie dazu beyzutragen ſchien? weil ſich nach dieſem Schein die Folgen beſtimmten; und wie haͤtte man dieſen vermeiden koͤnnen?
Ver -60I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Verſuch einer Geſchichte des deutſchen Bauern - kriegs, von G. Sartorius. Berlin 1795.
5. Die Seculariſation von Preußen, das dem deutſchen Orden gehoͤrte, gab ein Beyſpiel, das auch andre geiſtliche Fuͤrſten nachahmen konnten. Wenn ſchon uͤberhaupt die Beſorgniſſe ſo groß waren, welche die Einziehung der geiſtlichen Guͤter — von den deutſchen Fuͤrſten faſt durchgehends mit Uneigennuͤtzigkeit zu edlen Zwecken verwendet — erregten, wie viel groͤßer mußten die ſeyn, welche der Verluſt eines ganzen Landes in Rom erweckte?
Der Hochmeiſter Albrecht von Brandenburg macht ſich zum erblichen Herzog von Preußen, je - doch als Vaſall von Polen; 1525.
6. Dieſe Vorfaͤlle, nebſt den harten Aeußerun - gen des ſeit dem Siege von Pavia ſo uͤbermaͤchtigen Kayſers fuͤhrten zu den erſten Verbindungen von beyden Seiten, mehrerer catholiſcher Staͤnde zu Deſſau, und der maͤchtigſten proteſtantiſchen zu Tor - gau. Freylich ſollten die Buͤndniſſe nach dem Sinne der Stifter immer nur Schutzbuͤndniſſe ſeyn, nicht aber einen Angriff zur Folge haben. Schwerlich haͤt - te aber doch, trotz aller Zwiſchenvorfaͤlle, die den Frieden erhielten, dieſer dauern koͤnnen, haͤtte man nicht in der Idee eines allgemeinen Concilii zur Beylegung des Streits ein Mittel gefunden,das61B. 2. Geſch. d. Reformation. 1515 -- 1555. das zwar nicht mehr als ein Palliativ, aber auch als ſolches ein hoͤchſt wohlthaͤtiges Mittel war.
Das Beſtehen des Kayſers auf die Ausfuͤhrung des Wormſer Edicts mußte fortdauernd die Spannung erhalten. Verbindung zu Deſſau im May 1525; zwiſchen Chur - Maynz, Brandenburg ꝛc. der Evangeliſchen zu Torgau den 12. Mai 1526; zuerſt zwiſchen Heſſen und Churſachſen; der andere Staͤnde beytraten. — Daß dieſe Verbindungen eigentlich nicht mehr als ſchwankende Verabredungen waren, wird Niemand wundern, der den Gang menſchlicher Dinge kennt; wenn gleich die der neuen Parthey durch den raſchen Philipp von Heſſen mehr Leben erhielt; und ſelbſt durch einen, durch den Kanzler des Herzogs Georg von Sachſen, Dr. Pack, erregten, vielleicht blinden, Laͤrm auf - geſchreckt, bereits 1528 einen Beweis gab, daß ſie han - deln konnte. Aber wie waͤre man auf den Reichstagen mit dem Kayſer auseinandergekommen, haͤtte man nicht ſeit dem Reichstage zu Speyer 1526 an dem freyen Concilio einen Spielball gehabt?
7. Dieſer Aufſchub der Entſcheidung fuͤhrte ſelbſt, nach den beyden naͤchſten Reichstaͤgen, dem zu Speyer, der der neuen Parthey ihren Nahmen, und zu Augsburg, der ihr, nach Darlegung ihres Glaubensbekenntniſſes, den Beweis gab, daß durch Verſtaͤndigung keine Uebereinkunft der Lehren moͤglich ſey, trotz der Drohungen des Kayſers, und trotz der neuen Verbindung der Proteſtanten zu Schmalkalden, aber wiederholt unterſtuͤtzt durch die drohende Tuͤrkengefahr, — einen Frie - den zwiſchen beyden Partheyen herbey, der bis zueinem62I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. einem Concilium den damaligen Stand ihnen ſichern ſollte.
Reichstag zu Speyer 1529, gegen deſſen Beſchluß, der der neuen Lehre die weitere Verbreitung — dem an - wachſenden Strome das weitere Austreten — verbot, die Evangeliſchen proteſtirten, 19. Apr., und nachmals Pro - teſtanten hießen. — Reichstag zu Augsburg und Uebergabe der Augsburgiſchen Confeſſion den 25. Jun. 1530. — Der ihnen vom Kayſer geſetzte Termin konnte wohl keine andere Folge haben, als eine Verbindung wie die zu Schmalkalden vom 27. Febr. 1531; wozu die Wahl Ferdinand's zum R. Koͤnig ein neues Motiv war. Aber dennoch Erneuerung der Unterhandlungen und Abſchluß des Nuͤrnberger Interims-Frieden, 23. Jul. 1532. Nur den damaligen Schmalkaldiſchen Bundesver - wandten ward bis zum Concilio darin die Ruhe geſichert.
8. Ungeachtet dieſes Friedens wuͤrde doch das Schwerdt wahrſcheinlich ſchon bald gezogen ſeyn, wenn nicht theils die innern Verhaͤltniſſe der Parthien, theils eine Reihe Zwiſchenvorfaͤlle es verhindert haͤtten. Lag nicht ſchon in dem Frieden reichlicher Keim zum kuͤnftigen Kriege? Aber wer ſollte die Verbuͤndeten angreifen, der Kayſer? oder die catholiſchen Staͤn - de? Oder beyde? — Nach abgewandter Tuͤrken - gefahr (ſ. oben S. 50.) gaben die Wiedereinſetzung des Herzogs Ulrich von Wirtemberg, der Wiedertaͤu - fer-Krieg in Muͤnſter, und die Unternehmung des Kayſers gegen Tunis (ſ. oben S. 48.) der Ableiter1535 bis 1538 vor's erſte genug; bis der dritte Krieg mit Franz I., der vergebens geſucht hatte, die SchmalkaldiſchenVer -63B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517 -- 1555. Verbuͤndeten in ſein Intereſſe zu ziehen, aber eben dadurch auch Carl'n noͤthigte, dieſe zu ſchonen, einen neuen Aufſchub zur natuͤrlichen Folge hatte.
Wenn die Wiedereinſetzung des Herzogs Ulrich von Wir - temberg mit gewaffneter Hand durch Philipp von Heſſen 1534 die Erbitterung vermehrte, ſo verſtaͤrkte ſie dagegen nicht nur die proteſtantiſche Parthie, der Ulrich anhieng, ſondern gab ihr auch Anſehen. Reich der Wiedertaͤufer in Muͤnſter 1534, unter Joh. von Leiden, bis zur Er - oberung der Stadt den 24. Juni 1535, eine nicht weniger merkwuͤrdige pſychologiſche als politiſche Erſcheinung. — Er - neuerung und Vergroͤßerung des Schmalkalder Bundes auf 10 Jahre, 10. Jul. 1536; erſt jetzt erhielt er durch die Be - ſtimmung der Truppen-Contingente eine feſtere Form, aber auch ein drohenderes Anſehen.
9. Auch nach dem wiederhergeſtellten Frieden mit Frankreich erklaͤren es die mancherley Verlegenhei -1538 ten und andere Entwuͤrfe des Kayſers zur Gnuͤge, weshalb Er nicht losſchlagen konnte, waͤre es auch ſein Wunſch geweſen; vielweniger aber noch die Ver - buͤndeten, die nie anders als defenſiv verfahren woll - ten. Aber wachſen mußte die Spannung nicht nur durch mehrere kleine Zwiſchenvorfaͤlle: ſondern auch weil durch die wirklichen Verſuche zur Zuſammenberu - fung eines Concilii, das aber nicht mal dem Kayſer, vielweniger den Proteſtanten Genuͤge thun konnte, das bisherige Palliativ-Mittel des Friedens mißlicher wurde; und die beſtaͤndigen Beſchwerden der prote - ſtantiſchen Staͤnde uͤber die Partheylichkeit des R. Kam -64I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Kammergerichts gegen ſie eine nie verſiegende Quelle des Grolls bildeten.
Verſuche des Pabſtes Paul III. ſeit 1536, ein Conci - lium nach ſeinem Sinne in einer Stadt Italiens zu verſam - meln. Durch ſie ward in dem Geſandten der Kayſers, Vi - cekanzler Held, dem Urheber des heiligen Bundes zu Nuͤrnberg, 10. Jun. 1538, der Mann nach Deutſchland ge - fuͤhrt, der redlich dazu half, das Feuer anzublaſen. — Ein - zelne Vorfaͤlle: Befehdung des Herzogs Heinrich von Braunſchweig durch die Verbuͤndeten 1540, und Ver - treibung aus ſeinem Lande 1542. — Verſuch des Churfuͤr - ſten Herrmann zu Coͤln zur Einfuͤhrung der Reformation, der jedoch mit ſeiner Abſetzung endigte 1543.
10. So war es alſo ein Zuſammenfluß von Ur - ſachen, durch welche auf beyden Seiten die Spannung erhalten, und doch, trotz einzelner Ausbruͤche, ein allgemeiner Krieg verhindert ward. Die ſchwerſte aller Fragen: welche politiſche Projecte in der Bruſt von Carl'n bey dieſen Religionshaͤndeln reiften, und wie ſie reiften? iſt von den groͤßten Hiſtorikern ſo verſchieden beantwortet worden, daß man den Kay - ſer entweder fuͤr den tiefſten Politiker aller Zeiten er - klaͤren; oder auch dieſes Ungewiſſe in dem Mangel ei - nes feſten Plans bey ihm ſelber ſuchen muß; und dieſe letztere Meinung moͤchte wohl die wahrſcheinlichſte ſeyn. Carl's V. deutſche Politik ging aus ſeinen Begriffen von der Kayſermacht hervor. Eben weil dieſe unbeſtimmt waren, mußten es auch ſeine Plaͤne ſeyn; und am unrichtigſten urtheilt man, wenn maneinzel -65B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517 -- 1555. einzelne Aeußerungen, die ihm zuweilen, ſelbſt auch wohl officiel, entfuhren, als Beweiſe feſter Ent - wuͤrfe anſieht. Erſt ſeitdem in den Schmalkalder Verbuͤndeten eine bewafnete Oppoſition ihm gegenuͤber ſtand, hatten ſeine Ideen eine feſtere Haltung; denn dieß erſchien ihm als Rebellion. Aber wie lange dauerte es nicht wieder, ehe die Verbuͤnde - ten eigentlich eine ſolche Oppoſition bildeten? — Ein gaͤnzlicher Umſturz der deutſchen Verfaſſung war aber eine, dem ganzen Zeitalter ſo fremde, Idee, daß ſie ſchwerlich beſtimmt gefaßt werden konnte; — der - gleichen reifen nur in den Zeiten der geſchriebenen Con - ſtitutionen. Und waͤre ſie gefaßt, wie waͤre ſie aus - gefuͤhrt? Wo waren die Mittel? Nie war wohl die deutſche Nation weniger zur Unterjochung reif; es waren noch die Zeiten, wo auch der Buͤrger das Schwerdt trug; und ſtehende Heere keine Feſſeln anlegen konnten.
Neue Zwiſchenvorfaͤlle durch den Kriegszug Carl's gegen Algier 1541; und den darauf folgenden vierten Krieg gegen Franz I. 1542 — 1544; nachdem der Reichsabſchied zu Regensburg, 29. Jul. 1541, und nicht weniger die aufs neue drohende Tuͤrkengefahr noch den Frieden erhielten.
11. Endlicher Ausbruch des Kriegs, da durch den Frieden zu Creſpy die Verbuͤndeten iſolirt wa - ren; und die verweigerte Anerkennung des zu Tri - dent eroͤffneten Conciliums keinen Ausweg mehr uͤbrigEließ.66I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ließ. Nicht aber der ketzeriſchen Secte, — wie gern der Pabſt es auch ſo gewandt haͤtte, und im Vertrage mit Carl ſo gewandt zu haben glaubte; — ſondern den Schmalkaldiſchen Verbuͤndeten, als Frevlern ge - gen kayſerliche Autoritaͤt, galt der Krieg. Leider! kraͤnkelte aber dieſer Bund an allen den Uebeln, woran nur ein Bund kraͤnkeln kann; und ehe noch die Muͤhlberger Schlacht den einen, und die Treu - loſigkeit zu Halle den andern Chef desſelben in die Gefangenſchaft ſtuͤrzten, ließ ſich die Zertruͤmme - rung des Bundes mit großer Wahrſcheinlichkeit vor - ausſehen.
Endliche Eroͤffnung des ſchon ſeit 1542 nach Trident ausgeſchriebenen Concilii am 13. Dec. 1545, deſſen Form und erſte Beſchluͤſſe ſchon die Annahme von Seiten der Pro - teſtanten unmoͤglich machten. — Ausbruch des Kriegs ſeit dem Regensburger Reichstage, Juli 1546. Achtserklaͤrung der beyden Haͤupter am 20. Juli. Planloſe Fuͤhrung des Kriegs in dieſem Jahr; Trennung der Verbuͤndeten. — Schlacht bey Muͤhlberg, und Gefangenſchaft des Churfuͤrſten Johaun Friedrich den 24. April 1547. — Uebertra - gung der Chur an den Herzog Moritz von Sach - ſen. — Argliſtige Gefangennehmung des Landgrafen Phi - lipp von Heſſen zu Halle den 19. Jun.
12. Nach dieſer gaͤnzlichen Zertruͤmmerung des Bundes ſtand es ganz im Belieben des Kaiſers, wel - chen Gebrauch er davon machen wollte. Aber auch jetzt waren es nicht Eroberungs -, ſondern Vereini - gungs - — d. i. nach dem Geiſte jener Zeit — Con -cilien -67B. 2. Geſch. d. Reformation. 1515 -- 1555. cilienentwuͤrfe, die ihn beſchaͤftigten; und war nicht das Interim, womit ihm die Theologen die Sache verdarben, an und fuͤr ſich eine nothwendige Maaß - regel? Nur Ein Entwurf — eine Frucht des heran - nahenden Alters — ſcheint jetzt erſt in ihm aufge - keimt zu ſeyn; die beyden Kronen, die er trug, auf ſeinen Sohn uͤbergehn zu ſehen. Erblichkeit der Kaiſerkrone blieb dabey eine ſo entfernte Ausſicht, daß ſie kaum das naͤchſte Motiv ſeyn konnte; wahr - ſcheinlich war es die Ueberzeugung, daß in dieſer Vereinigung die Macht des Hauſes liege. Ein gluͤck - liches Geſchick — was waͤre unter Philipp II. aus Deutſchland geworden? — vereitelte das unpolitiſche Project: aber fuͤr keinen Fehlgriff hat Carl haͤrter ge - buͤßt, da er die furchtbarſte Criſis ſeiner ganzen Regierung beſchleunigte.
Reichstag zu Augsburg, und Publicirung des In - terim, als Norm bis zur kuͤnftigen Entſcheidung des Concilii, am 15. May 1548; und große daruͤber entſtan - dene Bewegungen; die vielleicht mehr als alle andere den maͤnnlichen Geiſt der Nation beweiſen. Noch waren die Zeiten, wo eine einzelne Stadt wie Magdeburg der gan - zen Macht des Kaiſers trotzen konnte.
13. Wie wenig aber auch Carl eine Vernich - tung der deutſchen Verfaſſung wollte, ſo verſtanden doch freylich die Staͤnde unter kayſerlicher Autoritaͤt nicht gerade Alles das, was Er darunter verſtand. Und doch haͤtten ſie ſich wohl darein gefuͤgt, waͤreE 2nicht68I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. nicht Einer unter ihnen geweſen, den Carl nach langer Bekanntſchaft doch zu wenig kannte, weil er wohl zu berechnen wußte, was Politik, aber nicht was Charakter vermag. Der kuͤhne Entwurf von Moriz, erzeugt durch die Auftritte zu Halle, ging zunaͤchſt aus dieſem hervor; aber wenn ihn auch das Herz gebahr, ſo leitete ihn doch der Kopf. Die ganze Ausfuͤhrung, vorzuͤglich aber die Verbin - dung mit Frankreich, gab den Beweis davon. Waͤre auch das Reſultat weniger glaͤnzend geweſen, nie koͤnnte doch die Geſchichte in ihm den Mann ver - kennen, der ſich uͤber ſein Zeitalter erhob. Sein Schwerdt verſchaffte Deutſchland mit Einem Streich, was alle Concilien ihm nicht haͤtten verſchaffen koͤnnen.
Entwurf des Churfuͤrſten, durch einen Ueberfall den Kayſer zur Sicherung des Religionszuſtandes und zur Be - freyung ſeines Schwiegervaters Philipp zu noͤthigen; vorbe - reitet durch die ihm uͤbertragene Ausfuͤhrung der Acht gegen das ſtolze Magdeburg. Belagerung und Capitulation der Stadt, 5. Nov. 1551. — Geheime Verbindung mit Hein - rich II. von Frankreich zu Friedewalde den 5. Oct. 1551. Ausbruch und raſcher Gang des Kriegs, Maͤrz bis Juli 1552, wodurch zugleich das Concilium zerſprengt wird. Der Kayſer ſieht ſich zum Paſſauer Vertrage genoͤthigt, 2. Aug. 1552. Bedingungen: 1. Befreyung der gefangenen Fuͤrſten, und Reſtitution Philipp's von Heſſen. 2. Voͤllige Religionsfreiheit der Proteſtanten, ſowohl von Seiten des Kayſers als der katholiſchen Staͤnde. 3. Kuͤnftige Beſtaͤti - gung auf einem binnen ſechs Monathen zu haltenden Reichs - tage, jedoch ohne daß ihm etwas derogirt werden duͤrfe. Enthielt alſo der Paſſauer Vertrag auch nur die Praͤlimi -narien69B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517 -- 1555. narien, ſo war doch der Definitivfrieden dadurch ſchon im voraus geſichert; doch ſollte ſein Urheber ihn nicht mehr er - leben; der ſchon im naͤchſten Jahre, im Kampf mit dem Friedensſtoͤrer Markgraf Albrecht von Culmbach, bey Sievershauſen den 9. Jul. 1553 ſeinen Tod fand.
14. Indem aber Moriz den Paſſauer Vertrag ohne ſeinen Verbuͤndeten Heinrich II. geſchloſſen hatte, der unterdeß in Lothringen eingefallen war, dauerte der Krieg mit Frankreich fort; und en - digte, da Carl mehr ſeinen Haß als die Klugheit zu Rathe zog, nicht ohne Verluſt fuͤr ihn und das deut - ſche Reich.
Einbruch Heinrich's II. in Lothringen, und Wegnahme von Metz, Toul und Verdun im April 1552; Feldzug von Carl im Herbſt 1552, und vergebliche Belagerung von Metz, das Franz von Guiſe gluͤcklich vertheidigt. Der Krieg dauerte in den beyden naͤchſten Jahren ſowohl an den Grenzen der Niederlande, als in Italien fort, (wo ſich Sie - na in franzoͤſiſchen Schutz begeben hatte, zuletzt ſich aber den 21. April 1553 dem Kaiſer ergeben mußte;) doch ohne große Schlachten, wiewohl im Ganzen gluͤcklich fuͤr Frankreich, bis der 5jaͤhrige Waffenſtillſtand zu Vaucelles den 5. Febr. 1556 Frankreich im Beſitze ſowohl der in Lothringen als in Piemont eingenommenen Plaͤtze ließ.
15. Sowohl dieſer Krieg als andere Hinderniſſe hatten die Haltung des Reichstags zum Abſchluß des Religionsfriedens aufgeſchoben, der endlich zu Augs - burg ſich verſammelte. Erſt nach einer Verhand - lung von 6 Monathen — man empfand es, daßE 3Moriz70I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Moriz nicht mehr lebte — kam der endliche Reli -1555 21. Spt. gionsfriede zu Stande, der zwar beyden Par - theyen den Ruheſtand ſicherte, und die bis zum Paſſauer Vertrage eingezogenen geiſtlichen Guͤter ih - ren Beſitzern ließ; aber auch in der Beſchraͤnkung auf die A. C. Verwandten, und in dem Reſervato eccleſiaſtico, einen doppelten Keim zu kuͤnftigem Streit legte.
Das Reſervatum eccleſiaſticum betraf die Frage: ob die kuͤnftige Freyſtellung der Religion ſich nur auf die weltli - chen, oder auch auf die geiſtlichen Staͤnde ausdehnen ſollte? welches letztere die Proteſtanten durchaus verlangten; aber die Catholiken weder zugeben wollten, noch auch konnten.
16. Nach dieſem Frieden fuͤhrte Carl V. den Entſchluß aus, den Unbeſtaͤndigkeit des Gluͤcks und ſchwaͤchliche Geſundheit erzeugt hatten, ſeine Kronen niederzulegen. Sie wurden von jetzt an ge - theilt, da die Spaniſche mit der Herrſchaft der Niederlande ſeinem einzigen Sohne Philipp II. zu Theil wurde; auf dem Kayſerthron ihm aber ſein Bruder, der Roͤmiſche Koͤnig Ferdinand I., folgte.
Uebergabe der Niederlande und Spaniſchen Monarchie an Philipp II. zu Bruͤſſel; jener den 25. Oct. 1555; der Spa - niſchen Monarchie den 16. Jan 1556. Die Niederlegung der Kaiſerkrone erfolgte erſt am 27. Aug. 1556. — Carl ſtarb zu St. Juſt in Valladolid, wohin er ſich zuruͤckzog, bereits den 21. Sept. 1558.
17. Am71B. 2. Geſch. d. Reformation. 1515 -- 1555.17. Am Ende dieſes Zeitraums hatte die Re - formation ſchon im Ganzen den Umfang erreicht, den ſie nachmals behalten ſollte. Die neue Lehre, nicht eine Religion der Phantaſie, ſondern des Verſtandes, mußte viel leichter Eingang finden unter den Voͤlkern des Norden, als denen des Suͤden; denn weit mehr als die Maaßregeln der Regierungen entſchied hier der Charakter der Nationen. Auch ihre poli - tiſchen Folgen beſchraͤnkten ſich daher nicht mehr blos auf Deutſchland, ſondern verbreiteten ſich uͤber einen großen Theil von Europa. Aber wie wichtig ſie auch fuͤr den innern Zuſtand jedes dieſer Laͤnder fuͤr Gegenwart und Zukunft ward, ſo konnte ſie doch noch nicht ſogleich die Triebfeder der allgemeinen Po - litik ſeyn, da die beyden rivaliſirenden Hauptmaͤchte des Continents darin uͤbereinkamen, ſie zu verwerfen. Nur die Wirkungen mußten ſich aber von ſelber ent - wickeln, daß a. in proteſtantiſchen wie in katholiſchen Staaten Religion weit mehr die Baſis der Verfaſſung ward, als ſie es bisher geweſen war; und daß b. in den proteſtantiſchen Staaten durch die Aufhebung des Nexus mit Rom, — auch in einigen durch Einzie - hung der Kirchenguͤter — die Macht der Fuͤrſten Zu - wachs erhielt. — Aber was war dieß gegen die noch nicht zu berechnenden entfernteren Folgen, welche der neue Umſchwung erwarten ließ, den ſie dem menſchlichen Geiſte gegeben hatte?
E 418. Fuͤr72I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.18. Fuͤr das deutſche Reich war ſie bereits und blieb ſie freylich das Princip der Spaltung; aber auch das des politiſchen Lebens. Sie hatte zwar in demſelben keine eigentliche politiſche Revolu - tion bewuͤrkt; — ſo lange die religioͤſen Ideen ſtets im Vorgrunde, die politiſchen nur im Hintergrunde ſtanden, war dieß nicht zu fuͤrchten; — aber ſie hat - te die Fuͤrſten zu Anſtrengungen genoͤthigt, wodurch ſie ſich erſt als Fuͤrſten fuͤhlten; und die einmal auf - geregte Kraft konnte bey der dauernden Spaltung nicht wieder erſterben. Ließ ſich auch in einem ſolchen Staatskoͤrper unter einem Princip des Lebens leicht etwas anders als ein Princip der Trennung denken?
Am Ende dieſes Zeitraums herrſchte die proteſtantiſche Lehre in den ſaͤmmtlichen Saͤchſiſchen, Brandenburgiſchen, Braunſchweigiſchen, Heſſiſchen, Mecklenburgiſchen, Holſteini - ſchen und einigen kleinern Staaten im Norden; im Suͤden in der Pfalz, Baden und Wuͤrtemberg; ſo wie in den meiſten bedeuten - den Reichsſtaͤdten. — Die ſchon ſeit 1525 durch den Abend - mahlsſtreit entſtandene traurige Spaltung zwiſchen den Pro - teſtanten ſelber konnte noch von keinen bedeutenden politi - ſchen Folgen ſeyn, ſo lange ſich noch keiner der maͤchtigen Reichsſtaͤnde zu der reformirten Lehre bekannte.
19. Außer Deutſchland war in den Nor - diſchen Reichen (ſ. unten) ſo wie in dem groͤßern Theile der Schweiz und in Genf, die neue Lehre bereits herrſchend geworden; in England lag ſie noch im Kampfe; in Frankreich und den Niederlanden, ſo wie in Boͤhmen, Ungarn und Polen fand ſie Ein -gang,73B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517 -- 1555. gang, ohne daß ihre kuͤnftigen Folgen ſich noch be - rechnen ließen. Wo ſie aber herrſchend wurde, ge - ſchah es nicht ohne wichtige Modiſikationen nicht nur in den Lehren, ſondern auch in den aͤußern Formen der Kirche.
In England Trennung vom Roͤmiſchen Stuhl, aber nicht von der alten Lehre, unter Heinrich VIII. ; der Su - premat der Kirche wird durch eine Parlamentsacte im Nov. 1534 auf den Koͤnig uͤbertragen. Unter Eduard VI. 1547 — 1553 Einfuͤhrung der proteſtantiſchen Lehre, jedoch mit Beybehaltung der biſchoͤflichen Hierarchie, als vom Koͤnig abhaͤngig. Die Wiederherſtellung der paͤbſtli - chen Herrſchaft unter Maria 1553 — 1558, ward bald durch Eliſabeth vereitelt.
In Schottland Verbreitung der reformirten Lehre, ſchon ſeit 1525, beſonders nachmals durch Joh. Knor, den Schuͤler Calvin's; aber noch im Kampfe mit der Re - gierung und der Roͤmiſchen Hierarchie.
In der Schweiz Entſtehung der Reformation, unab - haͤngig von Luther, ſchon 1518 durch Zwingli († 11. Oct. 1531 bey Cappel im Treffen gegen die Katholiken,) in Zuͤ - rich. Schnelle Verbreitung; bereits 1528 hatten die Cantons Zuͤrich, Bern, Baſel, Appenzell, Glarus und Schafhauſen ſie ganz oder groͤßtentheils angenommen. Durch den un - gluͤcklichen Abendmahlsſtreit, ſeit 1525, Trennung von den A. C. Verwandten, und Entſtehung der reformirten Parthie; die aber doch ihre volle Ausbildung erſt:
In Genf durch Calvin 1535 — 1564 erhielt. Große, ſtets fortdauernde und ſelbſt wachſende Wichtigkeit dieſer Stadt fuͤr Europa, als eines Centralpuncts religioͤſer, poli - tiſcher und wiſſenſchaftlicher Ideen; und zugleich ſeit ihrer Befreyung von Savoyen, und der Verjagung ihres Biſchofs 1533, des praktiſchen Republicaniſmus. Ausbildung der refor - mirten Kirchenform und Kirchendiſciplin. — Durch die auf Cakvin's Betrieb 1559 geſtiftete Univerſitaͤt wird Genf durchE 5ihn74I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ihn und Beza fuͤr dieſe Confeſſion die erſte hohe Schule der Theologie, und die einzige, wo franzoͤſiſche Sprache herrſchte.
20. Zu den Folgen der Reformation gehoͤrt — wenn auch nicht zunaͤchſt ihrem Urſprunge, doch ihrer praktiſchen Wirkſamkeit nach, — die waͤhrend derſel - ben ſich bildende Geſellſchaft Jeſu. Der Zweck dieſer Geſellſchaft war und blieb Herrſchaft uͤber die oͤffentliche Meinung; um als Stuͤtze des Pabſtthums (d. i. der hoͤchſten paͤbſtlichen Autoritaͤt) dem Prote - ſtantiſmus (d. i. der Freyheit der Vernunft) entge - genzuwirken. Ohne Zweifel war dieſes am erſten durch eine weit umfaſſende geſellſchaftliche Verbindung moͤg - lich. Alle Mittel mochten ihr vielleicht dazu recht ſeyn; aber welche Mittel anwendbar waren, muß - ten die Zeitumſtaͤnde beſtimmen. In ſo fern mußte alſo die Geſellſchaft mit dem Zeitalter fortgehen, und ſich ausbilden und umbilden; aber, von ihrem Hauptzweck gefeſſelt, konnte ſie es nur bis auf einen gewiſſen Punct. Es lag in ihrer Natur, daß ſie einſt entweder allmaͤchtig werden, oder vernich - tet werden mußte; das Erſte, wenn ſie den Pro - teſtantiſmus vernichtete; das Andere, wenn der Proteſtantiſmus (im obigen Sinn) den Sieg errang; denn kein Friede oder auch nur Waffenſtillſtand war hier gedenkbar. Aber ehe ſie zu Einem jener Ziele kam, hatte ſie eine große Laufbahn zuruͤckzulegen. Darf alſo die Laͤnge und der Umfang ihrer Thaͤtigkeitbefrem -75B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517 -- 1555. befremden? Auch ihre Einmiſchung in die Po - litik war an ſich nur Mittel zu jenem Zweck; ein zwar nothwendiges, aber fuͤr ſie ſelbſt gefaͤhrliches Mittel, weil Conflicte mit den Regierungen unver - meidlich waren, ſobald ſie die Herrſchaft uͤber die Meinung verlohr, der auch die Fuͤrſten unterworfen ſind. Durch alle chriſtlichen Laͤnder, theils ſichtbar, theils unſichtbar verbreitet, ward ſie ein Band, das das Ganze des Europaͤiſchen Staatenſyſtems um - ſchlang; wirkſam nicht bloß fuͤr das Einzelne, ſon - dern fuͤr das Ganze. Was ſie, und wie viel ſie jedesmal wirkte, iſt ſchwer, oft unmoͤglich zu be - ſtimmen; aber wie ſie wirkte, ergiebt ſich der Haupt - ſache nach aus ihrer Organiſation.
Stiftung der Geſellſchaft durch den ſtandhaften Schwaͤr - mer Ignatius Loyola, zuerſt als Privatverbindung 1534; vom Pabſt Paul III. beſtaͤtigt 1540; und ſehr erweitert 1543 und 1549. Schnelles Aufbluͤhen, beguͤnſtigt durch den Geiſt des Zeitalters, trotz mannichfaltigen Widerſtandes. Schon beym Tode des Stifters 1556 umfaßte ſie das weſtliche Europa in 9 Provinzen; (1 in Portugal, 3 in Spanien, 1 in Frank - reich, 2 in Deutſchland und den Niederlanden, und 2 in Italien;) ſo wie durch die Miſſionen die andern Welttheile in 3 Provinzen, (Braſilien, Aethiopien und Indien). — Eigenthuͤmliche aͤußere Formen: nicht als Orden von der Welt getrennt, ſondern als Geſellſchaft ſich ihr anſchlie - ßend, ja ſelbſt zum Theil mit ihr verſchmolzen, ohne doch je ſich in ihr verlieren zu koͤnnen. Collegien und Semi - narien, aber keine Kloͤſter; Ordenskleidung, aber keine Moͤnchskleidung. Innere Organiſation; in Anſehung a. der Regierung. Princip des abſoluteſten Deſpotismus,und76I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. und des durchaus blinden Gehorſams; unmittelbar fließend aus dem Zweck des Inſtituts. Chef der Geſellſchaft der Ge - neral (praepoſitus generalis), von Niemand abhaͤngig als vom Pabſt; ſeine Reſidenz in Rom. Schon ſeit Lainez (1558 — 1564) unumſchraͤnkteſter Gebieter, im alleinigen Be - ſitz der ganzen ausuͤbenden, und bald auch — ungeachtet der General - und Provincialcongregationen — der geſetzge - benden Macht, von dem Alles und an den Alles kommt. Aſſiſtenten — Provinciale — Rectoren; (Miniſter, Gouver - neurs und Untergouverneurs). Selbſt die Abhaͤngigkeit vom Pabſt konnte nicht druͤckend ſeyn, da Beyder Intereſſe Eins war; und die Art, wie zu wuͤrken war, ſtets dem General uͤberlaſſen blieb. b. In Anſehung der Claſſen der Mitglieder; Novizen — Scholaſtiker — Coadjutoren — Pro - feſſen. Art der Recrutirung und Grundſaͤtze; beſonders in der großen Beſchraͤnkung der Zahl der Profeſſen, oder eigent - lichen Jeſuiten. — Aber außer dieſen noch eine Claſſe der Affiliirten, oder geheimen Jeſuiten ohne Uniform; aber nicht ſelten mit Sternen oder Biſchofsmuͤtzen. c. Hauptmit - tel ihrer Wirkſamkeit. Miſſionen — Beichtſtuͤhle, beſonders an Hoͤfen; — Jugendunterricht in niedern und hoͤhern Lehranſtalten. So umfaßte ſie mit der gegen - waͤrtigen zugleich ſtets die kuͤnftige Generation. — Ein In - ſtitut, deſſen Zweck Unterdruͤckung aller freyen Geiſtesent - wickelung iſt, iſt an ſich boͤſe. Das Gute, was es fuͤr Verbreitung der Religion und einzelne Wiſſenſchaften gethan hat, wird deßhalb nicht verkannt; allein der politiſche Hiſto - riker hat des Guten leider! am wenigſten zu ruͤhmen.
Die Geſchichte des Ordens, wie ſie ſeyn ſollte, d. i. aus ſeinem Standpuncte gefaßt, bleibt noch immer ein Stoff fuͤr einen kuͤnftigen Hiſtoriker. Treffliche Vorerinne - rungen dazu in dem Artikel: Jeſuiten, Allg. Deutſche Encyclopaͤdie B. XVII. im Anhang (von Spittler.) Un - ter den groͤßern Werken verdient Erwaͤhnung: Allgemeine Geſchichte der Jeſuiten von dem Urſprunge ihres Ordens bis auf gegenwaͤrtige Zeit; vonp. 77B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517 -- 1555. P. Ph. Wolff. 4 B. 8. 2te Ausgabe. Leipz. 1803. Außer - dem: Schroͤckh Kirchengeſchichte ſeit der Reformation. B. III. der letzte Abſchnitt. Critiſch und unpartheyiſch.
21. Die Politik erhielt in dieſem Zeitraum im Ganzen ein edleres Anſehen, wie klein ſie auch manchmal im Einzelnen erſcheint. Es waren groͤßere und feſtere Zwecke, die man verfolgte; es waren ed - lere Motive, die dazu trieben; es bildeten ſich, wenn auch vielleicht nicht groͤßere Koͤpfe als vorher, doch groͤßere Charaktere. Der Einfluß der Theolo - gen, bey den Proteſtanten faſt noch groͤßer als bey den Catholiken, war oft ein Uebel; allein nie trug er damals dazu bey, das Kriegsfeuer anzublaſen; oͤftrer aber die ſchon auflodernde Flamme zu daͤmpfen.
22. Die Staatswirthſchaft machte, unge - achtet der groͤßeren Beduͤrfniſſe, doch keine weſentlichen Fortſchritte. Neue Auflagen, nicht ohne Wider - ſpruch der Staͤnde, und koſtbare Anleihen in den rei - chen Handelsſtaͤdten blieben die Mittel, jene zu ſtillen. Keiner der Fuͤrſten, keiner ihrer Raͤthe widmete ihr weitere Aufmerkſamkeit, als gerade der Augenblick erforderte. Wie ließ ſich auch dergleichen erwarten, in einem Zeitpuncte, wo die Religion die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſich zog? Aber die, jetzt aus Amerika nach Spanien ſtroͤmenden Schaͤtze befeſtigten den Wahn, daß der Reichthum eines Landes von derMaſſe78I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Maſſe ſeines Goldes oder Silbers abhange. Und doch ward Spanien nicht reich; und Carl V. blieb arm, wenn derjenige ſo heißt, der faſt immer weni - ger hat, als er braucht.
23. Etwas groͤßere Fortſchritte machte die Kriegskunſt. Der ſtets erneuerte Kampf zwiſchen Carl und Franz, wenn auch keiner von beyden eigent - lich großer Feldherr war, mußte doch nothwendig zu neuen Einrichtungen fuͤhren. Unter dieſen ſteht die Errichtung eines regelmaͤßigen Fußvolks, das wahre Fundament aller Kriegskunſt, oben an. Aber die Legions von Franz waren doch mehr eine Miliz als ſtehende Truppen; und auch das furchtbare kayſerliche Fußvolk beſtand aus Banden von Soͤld - nern, auf unbeſtimmte Zeit gedungen. Wie ver - ſchieden waren beyde nicht auch in Ruͤſtung und Di - ſciplin von der ſpaͤteren Infanterie? An hoͤhere Tak - tik konnte aber nicht zu denken ſeyn, ſo lange bey den tiefen Stellungen alle leichtere Bewegungen unmoͤglich blieben.
1. Spanier und Portugieſen bleiben auch in dieſem Zeitraum die einzigen, welche jenſeits des Oceans herrſchen; und da ſie ſo lange ohne Ne - benbuhler blieben, befeſtigte ſich eben dadurch am meiſten der Anſpruch auf ausſchließenden Beſitz der entdeckten Laͤnder ſowohl als Meere. Aber die Fortſchritte von beyden ſind ſich ſehr ungleich. Wenn das Portugieſiſche Colonialſyſtem ſchon am Ende des vorigen Zeitraums faſt vollendet daſtand, ſo wurde dagegen das unermeßliche Gebaͤude des Spaniſchen erſt in dem gegenwaͤrtigen aufgerichtet und eingerichtet.
2. Umfang der Spaniſchen Beſitzungen auf dem Continent von Amerika, durch die Eroberung von Mexico, (Neu Spanien), Peru, der Tierrafirma80I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. firma und Neu Granada. Aber zwiſchen dem, was Spaniſche Beſitzung hieß, und Spaniſche Be - ſitzung war, blieb noch ein großer Unterſchied. Die ſchon gebildeten, in Staͤdten und Flecken angeſeſſenen Mexicaner und Peruaner konnte man bald zu Unter - thanen machen; aber welche Herrſchaft ließ ſich uͤber die zahlloſen Voͤlkerſchaften ausuͤben, die als Jaͤger in den ungeheuern Waͤldern und Ebenen umherirrten, wenn man ſie nicht civiliſirte, d. i. ſie bekehrte? So ward alſo von ſelbſt in dem Innern jener Laͤn - der Spaniſche Obergewalt an die Miſſionen ge - knuͤpft; und das Kreuz drang hier doch endlich weiter vor, als das Schwerdt, konnte es auch gleich nicht ſo raſch vordringen.
Eroberung von Mexico 1519 — 1521. durch Franz Cortes, bis zu der Einnahme der Hauptſtadt nicht ohne heftigen Kampf. — Eroberung von Pern, Quito und Chili, verſucht ſeit 1525, ausgefuͤhrt 1529 — 1535 durch Franz Pizarro und ſeine Gefaͤhrten und Bruͤder. Erobe - rung von Tierra firma, beſonders ſeit 1532, und von Neu Granada ſeit 1536. Mehrere andere Laͤnder wurden in dieſem Zeitraum zwar ſchon entdeckt, aber noch nicht ein - genommen.
3. Dieſe eroberten Laͤnder wurden Provinzen des Mutterlandes, und blieben es. Viel trug dazu allerdings die Verfaſſung bey, die man ihnen gab; — und ſelten hatte wohl die Politik eine ſchwerere Aufgabe zu loͤſen; — aber haͤtte nicht derNatio -81B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517 -- 1555. Nationalgeiſt ſie unterſtuͤtzt, es moͤchte doch wohl Alles vergeblich geweſen ſeyn. Ihre Verfaſſung bildete ſich zwar erſt allmaͤhlig, aber doch nach ihrer ganzen Grundlage ſchon in dieſem Zeitraum aus. Wie gewoͤhnlich copirte man, ſo weit es angieng, die Verfaſſung des Mutterſtaats; aber freylich konnte jenſeit des Oceans nicht Alles werden, wie es zu Hauſe war. Hier ward die ganze Verwaltung einem hoͤchſten blos vom Koͤnige abhaͤngigen Colle - gio, dem Rath von Indien (Conſejo Real y ſupremo de Indias), uͤbertragen, (dem in Handelsſachen ein Handlungs - und Gerichts - hof (Audienzia real de la Contratacion) untergeordnet ward); und eben dadurch eine feſte - re Colonialpolitik, wie bey irgend einer andern Na - tion, gegruͤndet. Dort wurden Vicekoͤnige (Virreyes) als Stellvertreter des Monarchen er - nannt; fuͤr die Juſtiz aber wurden die Audiencias als hoͤchſte inlaͤndiſche Tribunaͤle, und zugleich zum Rath fuͤr die Vicekoͤnige, errichtet; die Staͤdte waͤhlten ſich ihre Cabildos, oder Municipalitaͤten.
Hauptgrundlagen der ganzen Verfaſſung, die Verord - nungen von Carl V. vom Jahr 1542. Errichtung des Raths von Indien ſchon 1511; allein ſeine volle Aus - bildung erhielt er erſt 1542. Ernennung zweyer Vicekoͤ - nige, zuerſt in Mexico 1540, und in Peru 1542; als Chefs der ganzen Civil - und Militair-Verwaltung: denen allmaͤhlig mehrere Gobernadores und Capitanes un - tergeordnet wurden. Errichtung zweyer Audiencias zuFMexi -82I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Mexico und Lima 1542, deren Zahl nachmals auf 10, ſo wie die der Vicekoͤnige auf 4 vermehrt iſt. Von den Audien - cias findet noch die Appellation an den Rath von Indien ſtatt.
4. Dieſe politiſchen Einrichtungen ſetzten auch die Anlagen von Staͤdten voraus. Zwar fand man deren ſchon in dem eigentlichen Mexico und Peru; nicht aber in den anderen Laͤndern; und auch ſelbſt dort nicht immer da, wo die neuen Herrſcher ihrer bedurften. Die zuerſt angelegten Plaͤtze waren Haͤ - fen und Kuͤſtenſtaͤdte an den Ufern des Golfs von Mexico; und auch bald an denen des ſtillen Oceans. Erſt ſpaͤter und allmaͤhlig entſtanden die Orte im Innern.
Die Staͤdte an den Kuͤſten, — anfangs gewoͤhnlich aus einer Kirche und einigen Haͤuſern beſtehend — waren zu - gleich Haͤfen und Beſatzungsplaͤtze. Die erſte war Cumana, geſtiftet 1520, auf welche die wichtigen Haͤfen Porto Bello und Carthagena ſeit 1532, Valencia 1555, Caraccas 1567, und fruͤher ſchon Vera Crux, die erſte Niederlaſſung in Me - xico, folgten. An der Kuͤſte des ſtillen Oceans in Mexico Acapulco, in Darien Panama; in Peru Lima 1535, und in Chili Conception 1550; auch der erſte, wiewohl mißlunge - ne, Verſuch zur Anlage von Buenos Apres am Plata - Strom bereits 1535. Die Staͤdte im Junern bilde - ten ſich meiſtens da, wo vorher Bergwerke angelegt waren. — Die ſpaͤter ſich bildenden Miſſionen beſtehen in klei - nen Ortſchaften, laͤngs den Ufern der Haupt - und Neben - ſtroͤme, in den unermeßlichen Ebenen des Innern, aus be - kehrten Indianern unter der Aufſicht von Geiſtlichen errichtet.
5. Aber83B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517 -- 1555.5. Aber noch feſter als die politiſchen Bande waren die, welche die Religion zwiſchen dem Mutter - lande und den Colonien hier knuͤpfte. Indem das Chriſtenthum mit ſeinem ganzen aͤußern Apparat, der Hierarchie, den Kloͤſtern, und bald auch der In - quiſition, — aber auch mit der daran geknuͤpften wiſſenſchaftlichen Cultur und den dazu gehoͤrigen In - ſtituten — dahin uͤbertragen ward, bildete ſich hier mit dem politiſchen zugleich ein kirchlicher Staat, der ganz den Koͤnigen, nicht den Paͤbſten, untergeord - net ward; und den Untergang der Cultur, und mit ihr des Nationalgeiſtes der einheimiſchen Voͤlker zur natuͤrlichen Folge hatte.
Beſchraͤnkung der paͤbſtlichen Macht auf die bloße Be - ſtaͤtigung der k. Ernennungen zu den geiſtlichen Stellen; durch die von Alexander VI. und Julius II. gegebenen Privile - gien. — Errichtung der Erzbisthuͤmer, zuerſt zu Me - xico und Lima, (zu denen noch nachmals die zu Caraccas, Santa Fé die Bogota und Guatimala kamen); und Bisthuͤ - mer, ſaͤmmtlich mit ihren Capiteln. — Abthei - lung der niedern Geiſtlichkeit oder Pfarrer in Cu - ras, in den Spaniſchen, Doctrineras in den Indiſchen Orten, und Miſſioneras bey den Wilden. — Die Er - richtung der Kloͤſter lag ſchon in dem urſpruͤnglichen Zweck der Bekehrung der Indianer, da dieſe zuerſt den Bettelor - den, (erſt ſpaͤter auch den Jeſuiten), uͤberlaſſen ward. Wie mußten nicht dieſe, dadurch unentbehrliche, Inſtitute in ſo reichen Laͤndern gedeihen, wo die, (ſeit 1570 einge - fuͤhrte,) Inquiſition eine viel ſtrengere Ideenſperre er - halten konnte, als dieſſeit des Oceans?
F 26. So84I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.6. So bildeten ſich alſo voͤllig in jenen Laͤndern die Formen Europaͤiſcher Staaten. Aber die Maſſe des Volks konnte ſich, wegen der Verſchiedenheit der Abſtammung, doch nie zu Einer Nation bilden: und an dieſen phyſiſchen Unterſchied knuͤpften ſich von ſelbſt ſehr wichtige politiſche Verſchiedenheiten. Da die Weißen herrſchten, ſo erſchien alles, was farbigt war, gegen ſie in einem tiefen Abſtande; nicht nur die Indianer ſelbſt, wie ſehr auch die Geſetze ſich ihrer angenommen, und ihre perſoͤnliche Freyheit ihnen geſichert hatten; ſondern auch die Mit - telarten, die aus der Miſchung mit ihnen entſtanden waren, (Meſtizen, Terzerones und Quatero - nes;) wozu durch den Afrikaniſchen Sclavenhandel die Neger kamen; aus deren Miſchung mit den Eu - ropaͤern wieder eine andere zahlreiche Zwiſchenart, die der Mulatten, entſtand. Dieſe verſchiedenen Claſſen trieben auch faſt ausſchließend verſchiedene Beſchaͤfti - gungen; und ſo bildete ſich hier eine wahre Caſten - eintheilung; bey der man die Weißen als eine Art Adel betrachten konnte, der aber wieder in die einhei - miſchen Familien (Creolen,) und die neuen An - koͤmmlinge (Chapetons) — faſt immer im Be - ſitz der wichtigen Stellen, — ſich theilte. Gluͤckli - cherweiſe empfand Spanien bald das Beduͤrfniß, die Einwanderungen aus dem Mutterlande (denn andere blieben gaͤnzlich verboten,) unter eineſtrenge85B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517 -- 1555. ſtrenge Policey zu ſtellen, der es die Erhaltung der Abhaͤngigkeit ſeiner Colonien nicht am wenigſten zu verdanken haben mag.
Wiederholte Verordnungen der Spaniſchen Regierung zum Beſten der Indianer, (die jedoch der Unmenſchlichkeit der erſten Eroberer wenig Einhalt thun konnten;) be - ſonders die vom Jahr 1542, wodurch das ſchon vorher ein - gefuͤhrte Syſtem der Lehen (Encomiendas, Reparti - mientos,) mehr beſchraͤnkt wurde. Sicherheit der per - ſoͤnlichen Freyheit der Indianer; Beſtimmung der Lehndien - ſte (Mitas) und Tribute; Wohnungen in eigenen Ort - ſchaften unter eigenen Beamten (Caciquen) aus ihrer Mitte.
B. de las Casas Relacion de la Deſtruycion de las Indias 1552. Die beruͤhmte Schilderung der Grauſamkeiten der erſten Eroberer.
7. Die Benutzung dieſer Laͤnder blieb aller - dings faſt blos auf das Aufſuchen von edlen Metallen beſchraͤnkt, wovon der Reichthum, beſonders an Silber, alle Erwartung uͤberſtieg. Zwar waren ſie nicht minder reich an andern Producten, aber ſo lan - ge der Gebrauch der Cochenille und des Indigo zum Faͤrben, des Cacao, des Tabacks, und der China - rinde, in Europa entweder noch nicht bekannt, oder doch wenig eingefuͤhrt war, konnten ſie keine wich - tige Gegenſtaͤnde des Handels ſeyn. Das Aufſuchen von jenen ward Privatperſonen uͤberlaſſen, gegen eine der Krone zu entrichtende Abgabe, wodurch die vie - len Anſiedeleyen im Innern entſtanden; aber die Ein -F 3fuͤhrung86I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. fuͤhrung eines kunſtmaͤßigen Bergbaues geſchah erſt ſehr langſam.
Entdeckung der reichen Gruben von Zacotecas in Mexico 1532, und Potoſi in Peru 1545; ſeit welcher man im Durch - ſchnitt eine jaͤhrliche allgemeine Ausbeute von 20 Millionen Piaſter rechnet, wovon etwa die Haͤlfte nach Europa geht. Die dem Koͤnige beſtimmte Abgabe mußte von 20 p. C. all - maͤhlig auf 5 p. C. herabgeſetzt werden; und dennoch blieb in den reichſten Laͤndern der Erde die Anlage von Vergwer - ken ein ſolches Gluͤcksſpiel, daß bey weitem die meiſten da - bey zu Grunde giengen.
8. Dieſe Arbeiten in den Bergwerken und den wenigen angelegten Pflanzungen waren es, die, zur Schonung der dazu unfaͤhigen Indianer, zur Einfuͤh - rung der Neger aus Afrika fuͤhrten, und dem greuelvol - len Sclavenhandel — hauptſaͤchlich auf den Vor - ſchlag von las Caſas — ſein Daſeyn gaben. Zwar trieben die Spanier ihn nie ſelbſt; aber die Regie - rung ſchloß einen Pacht-Contract (Aſſiento) zu der Einfuͤhrung einer beſtimmten Anzahl von Sclaven mit Fremden, welche der Gewinn dazu reizte.
Der Sclavenhandel der Europaͤer ging hervor aus den Entdeckungen und Eroberungen der Portugieſen an der Kuͤſte von Afrika, und ward von ihnen ſchon vor der Ent - deckung Amerikas getrieben. Auch kamen ſchon vor las Ca - ſas Vorſchlage Neger nach Weſtindien: allein ihm zu Folge ward 1517 dieſer Handel regelmaͤßig eingerichtet; indem Carl V. ſeinem Guͤnſtling la Breſa das Monopol zu jaͤhrlich 4000 Sclaven ertheilte, das dieſer an die Genueſer verkauf - te. Dieſe erhielten ſie aber von den Portugieſen, in derenHaͤnden87B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517 -- 1555. Haͤnden eigentlich der Handel war, wiewohl gegen das Ende dieſes Zeitraums ſich auch ſchon Englaͤnder dazu draͤngten.
Sprengel vom Urſprunge des Sclavenhandels. 1779. 4.
7. Indem die Spaniſchen Colonien auf dieſe Art vorzugsweiſe Bergwerkscolonien wurden, lag ſchon darin die Veranlaſſung zu dem Handels - zwange, den man ihnen auflegte. Wie haͤtte man, ohne inconſequent zu ſeyn, Fremden hier den freyen Verkehr verſtatten koͤnnen? Kamen auch die eigent - lichen Handelsvortheile mit in Betrachtung, ſo blieben ſie doch etwas ſehr Untergeordnetes; der Hauptzweck war die baaren Schaͤtze jener Laͤnder nach Spanien, und nur dahin, zu bringen. Auch in Spanien mochte man es wohl einſehen, daß das Aufbluͤhen der Colonien dadurch keineswegs gefoͤrdert ward; aber Aufbluͤhen der Colonien, im gewoͤhnlichen Sinne, ſoll auch gar nicht der Zweck ſeyn. — So wie aber die Colonien ihre Schaͤtze allein Spanien liefern ſollten, ſo wollte Spanien ihnen auch allein ihre Eu - ropaͤiſchen Beduͤrfniſſe liefern.
Einrichtung des Handels. Beſchraͤnkung in Spa - nien auf den einzigen Hafen Sevilla. Jaͤhrliches Aus - laufen zweyer Geſchwader, der Galeonen von etwa 12〈…〉〈…〉 der Flotte von etwa 15 großen Schiffen. Jene, beſtimmt fuͤr Suͤdamerika, giengen nach Portobello; dieſe, be - ſtimmt fuͤr Mexiko, nach Vera Crux. Große Meſſen in jenen Staͤdten. Spanien uͤberließ ſeinen ColonialhandelF 4zwar88I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. zwar keiner Geſellſchaft; aber mußte er bey dieſen Beſchraͤn - kungen nicht dennoch von ſelbſt das Monopol weniger reicher Haͤuſer werden?
9. Die Herrſchaft der Portugieſen in Oſtin - dien dauerte in dieſem Zeitraum unter den beyden Koͤ - nigen Emanuel dem Großen († 1521) und Jo - hann III. († 1557) nicht nur fort, ſondern ward noch vergroͤßert; noch mehr aber der Umfang ihres Han - dels. Es war die Politik dieſer Fuͤrſten, die Vice - koͤnige wenigſtens alle drey Jahre zu veraͤndern; ob zum Vortheil oder Schaden ihrer Beſitzungen, iſt ſchwer zu entſcheiden. Haͤtte nur in Indien ſelber jemals Friede werden koͤnnen! Aber dieß war un - moͤglich; da die Mongolen (Mohren, Muhame - daner) ſich aus dem Beſitz des Indiſchen Zwiſchen - handels durchaus nicht verdraͤngen laſſen wollten.
Feſtſetzung der Portugieſen auf Ceylon ſeit 1520, be - ſonders zu Columbo und Point Gales. Monopol des Zimmt - handels. — Nur die Kuͤſten der Inſel gehoͤrten ihnen aber wirklich. Einnahme von Diu 1529; Feſtſetzung in Cam - boja; und, von den Molucken aus, Verbreitung nach Su - matra, Java, Celebes und Borneo. Waren auch nicht allenthalben feſte Niederlaſſungen, ſo beſuchten ſie doch die dortigen Maͤrkte.
10. Vorzuͤglich waren es jedoch die bereits an - geknuͤpfte Verbindung mit China, und der eroͤffnete Zutritt in Japan, die den Umfang ihres Handels vergroͤßerten. Weſentlich trugen dazu die von den Je -ſuiten89B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517 -- 1555. ſuiten gleich bey ihrer Stiftung, ſobald Johann III. ſie in ſein Reich aufnahm, uͤbernommenen Miſſionen nach Aſien bey; und der Name von Xaver, dem Apoſtel von Indien, darf auch in einer allgemeinen Geſchichte nicht unerwaͤhnt bleiben.
Erſte Verſuche zu einer Anknuͤpfung einer Verbindung mit China durch den Geſandren Th. Perera bereits 1517. Wahrſcheinliche Niederlaſſung zu Liampo. — Bekannt - ſchaft mit Japan ſeit 1542; Miſſion von Xaver mit großem Erfolge verbunden; Einrichtung eines regelmaͤßigen und hoͤchſt gewinnreichen Handels fuͤr Portugal.
11. Das ſtolze Gebaͤude der portugieſiſchen Herrſchaft in Indien ſtand alſo in dieſem Zeitraume ganz vollendet da. Wenige kuͤhne und genialiſche Menſchen hatten es geſchaffen; nicht bloße Gewalt, ſondern moraliſche Stuͤtzen, Heldengeiſt und Pa - triotiſmus, mußten es halten. Da dieſe nicht ploͤtz - lich verſchwinden konnten, war auch kein ploͤtzlicher Sturz von jenem zu erwarten; aber das allmaͤhlige Verſchwinden bereitete auch dieſen Sturz deſto ſicherer vor; den alsdann die folgende Periode, ſobald aͤußere Stuͤrme hinzukamen, ſo furchtbar beſchleu - nigte.
12. Auch in Braſilien erweiterten ſich in die - ſem Zeitraum die Beſitzungen der Portugieſen. Ein guͤnſtiges Geſchick verhinderte es, daß man hier noch keine Schaͤtze von Gold und Edelſteinen entdeckte;F 5und90I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. und eben deshalb ſeine Aufmerkſamkeit auf eigent - lichen Anbau richtete. Die veraͤnderte Einrichtung der Krone erweiterte dieſen in einem gewiſſen Grade, wenn er gleich noch immer nur auf einen Theil der Kuͤſte beſchraͤnkt blieb. Die Fortſchritte, die man hier machte, wirkten aber auch nothwendig auf die Niederlaſſungen an der Kuͤſte von Afrika, in Congo und Guinea, zuruͤck, da das Beduͤrfniß der Ne - gerſclaven in gleichem Verhaͤltniſſe wachſen mußte; weil die Braſilianer, — wenn auch noch nicht fuͤr frey erklaͤrt, — doch ſchwer zur Arbeit zu gebrauchen waren.
Seit 1525 Einfuͤhrung eines neuen Syſtems, indem große Striche Landes einzelnen Familien oder Perſonen von der Krone zu Lehen gegeben wurden, welche dieſe durch Paͤchter demnaͤchſt cultiviren ließen. Außer den einheimi - ſchen Producten ward ſchon damals das von Madeira dahin verpflanzte Zuckerrohr gebaut. — Anlage von Staͤd - ten, Fernambucco — St. Salvador — Rio Janeiro u. a. Auf gleiche Weiſe wie Spanien behielt ſich auch Portugal den Alleinhandel vor, der durch eine, jaͤhrlich im Maͤrz abgeſandte, Flotte betrieben ward.
13. Wenn gleich Spanier und Portugieſen noch keine andere maͤchtige Rivale in Europa fanden, — denn einzelne Entdeckungsverſuche von Britten und Franzoſen blieben noch ohne Folgen; — ſo entſtand doch ein Zwiſt unter ihnen ſelber uͤber die ſo wichtigen Molucken, deren Lage, im Verhaͤltniß gegen diepaͤbſt -91B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517 -- 1555. paͤbſtliche Demarcationslinie, ungewiß war. Er fuͤhrte zu der erſten Umſchiffung der Erde, die zwar nicht den Streit uͤber die Molucken beendigte, aber durch ihre Folgen fuͤr Geographie und Schifffahrt hoͤchſt wichtig wurde.
Reiſe des Portugieſen Ferd. Magelhaens, der, beleidigt, in Spaniſche Dienſte trat; 1519 — 1522. Entdek - kung der nach ihm genannten Durch fahrt ins Suͤd - meer, und alſo eines neuen Weges nach Oſtindien. Ent - deckung der Philippinen, wo Magelhaens ſelber erſchla - gen ward 1521. Aber ſein Hauptſchiff (die Vittoria) kam nach Sevilla zuruͤck. — Beylegung des Streits uͤber die Molucken durch einen Vergleich 1529. Carl V. ver - kaufte ſeine Anſpruͤche an Portugal fuͤr 350000 Ducaten.
Pigafetta (eines Begleiters von Magelhaens) Primo viaggio intorno al globo terracqueo. Zuerſt vollſtaͤndig herausgegeben von C. Amoretti. Milano 1800.
Allgemeine Hauptwerke:
1. Der Zeitraum von Eliſabeth und Phi - lipp, von Wilhelm von Oranien und Hein - rich IV. weckt ſchon durch dieſe Nahmen Erinne - rungen, die zugleich im voraus ſeinen Charakter im Allgemeinen beſtimmen; als desjenigen, wo die Re - formation die Haupttriebfeder der Europaͤiſchen Poli - tik wurde. Was ließ ſich auch anders erwarten, als gerade in dem Zeitpunkt, da ihr Sieg immer ent - ſcheidender wurde, Philipp gegen ſie in offner Fehde die Inquiſition, die Jeſuiten in gehei - mer gegen ſie die Cabinette bewaffneten? Mit der baldigen Aufloͤſung des Tridentiniſchen Concilii mußten alle die alten Traͤume von einer Vereinigung auf dieſem Wege, und die darauf gebauten Hoffnun - gen, ohnehin verſchwinden.
Der große Einfluß der Jeſuiten auf die Cabi - nette, beſonders als Beichtvaͤter, verbreitete ſich bereits in dieſem Zeitraum uͤber die meiſten Laͤnder von Europa; da ſie in Portugall unter Sebaſtian herrſchten; in Spanien an Philipp II., in Frankreich nach langem und heftigem Wider - ſtande an Catharina von Medicis und den Guiſen, in Deutſchland an Albrecht V. von Bayern u. a. maͤchtige Be - ſchuͤtzer fanden; und nicht weniger im Norden (ſ. unten) thaͤtig waren.
Gaͤnzliche Aufloͤſung des Tridentiniſchen Concilii, das, nach ſeiner Zerſprengung, ſich Jan. 1562wie -93C. Von 1556 bis 1618. wieder verſammelt hatte, 4. Dec. 1563. Alle Gefahr davon fuͤr ſich ſchien der Noͤmiſche Hof abgeleitet zu haben; als ihm ein Moͤnch durch die Geſchichte desſelben, lange nach ſeiner Beendigung, eine der tiefſten Wunden ſchlug.
Hiſtoria del Concilio Tridentino di Pietro Soave, Polano. (Paolo Sarpi) 1619. 4. und ſeitdem oͤftrer.
2. Aus dem Gange aber, den die Reformation genommen hatte, entwickelte ſich leider! eine Haupt - idee, die als Grundlage der practiſchen Politik von hoͤchſter Wichtigkeit wurde. Ihre Gegner ſahen in ihren Anhaͤngern Feinde des Staats: und Ketzer und Rebellen wurden ihnen gleichbedeutende Worte; ihre Freunde ſahen in ihren Gegnern Ver - theidiger der Tyranney; und ſo bildete ſich der Glau - be: “daß die alte Religion das Bollwerk der unum - „ ſchraͤnkten Fuͤrſtenmacht, die neue Lehre das Panier „ der Freyheit ſey.” Ein eitler Wahn, in ſo fern von der Lehre als ſolcher die Rede war, und durch ſpaͤtere Erfahrungen uͤberfluͤſſig widerlegt; aber nicht ohne Grund, ſo lange religioͤſe Partheyen noch ge - zwungen wurden, auch politiſche Partheyen zu wer - den. Aber wer war es, der ſie dazu zwang, und warum zwang man ſie dazu?
3. Dieſe Ideen bildeten und befeſtigten ſich am meiſten dadurch, daß in dieſem Zeitraum nicht wie in dem vorigen Spanien und Frankreich, (welches letztere durch ſeine inneren Unruhen und Stuͤrme zuſehr94I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ſehr mit ſich ſelber beſchaͤftigt war,) ſondern Spanien und England die rivaliſirenden Haupt - ſtaaten wurden, zwey Maͤchte, nicht blos etwa ver - ſchiedener Religion, ſondern, — jenes recht eigentlich Vertheidiger des Catholiciſmus, ſo wie dieſes des Proteſtantiſmus; — beyde ihre politiſche Exiſtenz auf Religion gruͤndend.
4. Eine andere wichtige Verſchiedenheit des ge - genwaͤrtigen Zeitraums von dem vorigen liegt in der Trennung der Spaniſchen und der Deutſchen Kayſer - krone. Die Kraft des Habsburgiſchen Hauſes wurde ſchon an ſich dadurch geſchwaͤcht; ſie wirkte aber um ſo viel mehr, da der perſoͤnliche Charakter der Regen - ten der oͤſtreichiſchen Linie ſie eine andere Politik als die von Philipp II. ergreifen machte; und mit der Erhaltung der Ruhe in Deutſchland auch den Aus - bruch eines allgemeinen Kriegs verhinderte.
Innere Verhaͤltniſſe des Oeſtreichiſchen Hauſes zu der Spaniſchen Linie; ſeit dem Tode Ferdinand's 1564 noch durch eine Theilung geſchwaͤcht. Entſtehung der Oeſtreichiſchen und Steyermaͤrkiſchen Linie.
5. Eigentlicher Centralpunkt der practiſchen Politik wurde aber die in den Niederlanden ausgebrochene Revolution, da außer Spanien auch allmaͤhlig England und Frankreich durch ſie be - ſchaͤftigt wurden. Außer ihr erfordern es aber auchdie95C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609. die großen inneren, durch die Reformation in dieſer Periode in den meiſten uͤbrigen Laͤndern Europas be - wirkten Gaͤhrungen, und ihre Reſultate, wel - che die kuͤnftige Geſtalt der Hauptſtaaten Europas groͤßtentheils beſtimmten, einen Blick auf ſie zu werfen.
Die Geſchichtſchreiber der Revolution der Niederlande zerfallen in zwey Claſſen: die catholiſchen oder Spaniſch ge - ſinnten, und die Proteſtanten. Unter denen der erſten ſteht oben an:
Hiſtoria della guerra di Fiandra, deſcritta del Cardi - nal Bentivoglio; in tre parti. 4. in Venezia 1670. Noch immer das erſte Werk uͤber den Gegenſtand. Es geht bis zum 12jaͤhrigen Waffenſtillſtande.
Fabiani Stradae de bello Belgico decades duae ab exceſſu Carol. V. usque ad initium praefecturae Alexandri Farneſ. principis, Francofurti 1651. 4. Faſt bloß Kriegs - geſchichte.
Unter denen von der andern Seite, außer der allgemei - nen Geſchichte der Republik der V. N. von Waagenaar, und deſſen Abkuͤrzung von Totze (Halliſche Allg. Welth. B. 34. 35. ) beſonders
Em. Meteren Niederlaͤndiſche Hiſtorien vom Anfang des Kriegs bis 1611. Arnheim 1611. fol.
Van96I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Van der Vvnkt Geſchichte der vereinigten Niederlande von ihrem Urſprunge im Jahr 1560 an bis zum Weſtphaͤliſchen Frieden; Zuͤ - rich 1793. B. I. II. III. 8. Von dem franzoͤſiſchen Ori - ginale: Troubles de Pays-bas, ſollen nur 6 Exemplare ins Publikum gekommen ſeyn. Der Verfaſſer, Mitglied des Staatsraths von Flandern, hatte Zutritt zu den Archiven; man haͤtte, dieſem zufolge, noch mehr Neues erwarten duͤrfen; wenn man es ihm auch gern verzeiht, daß er nicht zu den großen Geſchichtſchreibern gehoͤrt.
Geſchichte des Abfalls der vereinigten Nie - derlande von der Spaniſchen Regierung, von Fr. Schiller. Leipzig 1788. 8. Geht nur bis zu Albas Ankunft. Große Geiſter fuͤhlen es zuerſt ſelbſt, in welchem Gebiet ſie einheimiſch ſind.
1. Aus der Staatsumwaͤlzung der Niederlande ging eine Republik hervor. Aber die ganze An - ſicht dieſer Begebenheit wuͤrde verruͤckt ſeyn, wenn man dieſe Folge fuͤr den Zweck anſehen wollte. Erhaltung ihrer alten Rechte gegen einzufuͤhrende Neuerungen, war der ganze Zweck der Inſurgenten; ſie wurden endlich nur Republikaner, — weil ſie kei - nen fuͤr ſie paſſenden Herrn finden konnten.
2. Wenn man ſich alſo huͤten muß, in jene Be - gebenheit die Ideen unſrer Zeit hineinzutragen, ſo ergiebt ſich auch daraus, daß durch ſie gar keine neue politiſche Idee ſofort in Umlauf geſetzt, am wenigſten aber eine republikaniſche Gaͤhrung in Europa erzeugt werden konnte. Eben deshalb alſo konnten auch diepoliti -97C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609. politiſchen Folgen derſelben ſich erſt allmaͤhlig entwik - keln; wurden aber dafuͤr auch deſto umfaſſender und dauerhafter.
3. Umfang und Anſicht der damaligen Nieder - lande; meiſt ſchon von dem herzoglich Burgundiſchen Hauſe an das Habsburgiſche durch die Heyrath Phi - lipps von Oeſtreich mit Maria, der Erbtochter Carls1477 des Kuͤhnen, gekommen; jedoch erſt unter Carl V. ſo arrondirt, daß die ſaͤmmtlichen Belgiſchen ſo - wohl als Bataviſchen Provinzen, 17 an der Zahl, ihm gehorchten. Bildeten ſie gleich unter einem ge - meinſchaftlichen Oberherrn jetzt Einen Staat, ſo war dieſer doch aus eben ſo vielen einzelnen Staaten, de - ren jeder ſeine Staͤnde und ſeine Verfaſſung, man - che auch ihren Statthalter hatten, zuſammengeſetzt. Doch waren allgemeine Verſammlungen der Staͤnde aller Provinzen nicht ungewoͤhnlich; und bey der Abweſenheit des Fuͤrſten, ſeit dem Beſitz des Spaniſchen Throns, pflegte ein Oberſtatthalter deſſen Stelle zu vertreten, dem 3 hohe Collegien, der Staatsrath, Geheime (Juſtiz) Rath und Fi - nanzrath zur Seite ſtanden. Ein allgemeines Appellationstribunal bildete der hohe Rath zu Mecheln.
Die 17 Provinzen waren: 4 Herzogthuͤmer, Brabant, Limburg, Luxemburg, Geldern; 7 Grafſchaften, Flandern,GArtois,98I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Artois, Hainault, Holland, Zeeland, Namur, Zuͤtphen; 1 Markgrafthum Antwerpen; 5 Herrſchaften: Mecheln, Friesland, Utrecht, Groͤningen, Overyſſel. — Cambray und Franche Comté wurden als abgeſondert betrachtet.
4. Wenn aber den Fuͤrſten hier die ſtaͤndiſchen Formen beſchraͤnkten, ſo beſchcaͤnkte ihn noch weit ſtaͤrker der Geiſt des Volks. In ſeiner Ver - faſſung ſah es ſein Gluͤck; und darin lag ſeine Kraft. Das Gefuͤhl des hohen Wohlſtandes und Reichthums, — die Frucht des alten Handels der Belgiſchen Staͤdte, — unter dem Schutz jener Verfaſſung erworben, machte ſie ihm theuer. Es gab kaum ein Volk leichter zu regieren, wenn man ſeine Rechte unangetaſtet ließ; aber auch hartnaͤk - kiger zum Widerſtande, wenn man ſein Heiligthum angriff.
5. Lage der Provinzen beym Regierungsantritt Philipp's II. Den Keim zu den kuͤnftigen Stuͤr - men hatte hier ſchon lange die Reformation ge - legt, die in einem Lande, wo es der durch Reich - thum und Geburt unabhaͤngigen Menſchen ſo viele gab, jedoch — was fuͤr die Folge entſcheidend ward — weit mehr in den Bataviſchen als den Belgiſchen Provinzen, einen großen Eingang ge - funden hatte. Nur der Wiederausbruch des Krieges mit Frankreich, der Philipp's Auf -enthalt99C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609. enthalt in den Niederlanden verlaͤngerte, erhielt wahrſcheinlich hier die Ruhe; allein der Friede zu Chateau Cambreſis, der ihn endigte, war auch der Vorbote des Sturms.
Bruch des Waffenſtillſtandes von Vaucelles (ſ. oben S. 69.) auf Anſtiften des Pabſtes Paul IV., und Erneuerung des Kriegs, (der durch die Hereinziehung Englands durch Philipp II. einen noch groͤßern Umfang erhielt;) aber ſowohl in Italien als an den Grenzen der Niederlande meiſt ungluͤcklich von Frankreich gefuͤhrt. Nie - derlage der Franzoſen bey St. Quentin 10. Aug. 1557; und Verluſt dieſer Feſtung. Dagegen Eroberung von Ca - lais durch den Herzog von Guiſe 8. Jan. 1558. Neue Niederlage bey Grevelingen 13. Jul. 1558. Friede zu Chateau Cambreſis 3. April 1559. Wechſelſeitige Herausgabe der eroberten Plaͤtze; (nur blieb Frankreich vors erſte Calais.) Reſtitution des H. Em. Philibert von Savoyen (Philipp's ſiegreichen Feldherrn); Doppelheyrath des Franzoͤſiſchen und des Spaniſchen und Savoyiſchen Hau - ſes; und geheime Verabredung und Entwuͤrfe zur Ausrottung der Ketzerey, durch den Einfluß der Guiſes in Frankreich und Granvella's in Spanien — (einzelne Machthabende ſind gewoͤhnlich die Urheber der großen Stuͤrme) — befoͤrdert.
6. Laute Klagen der Niederlaͤnder noch vor Philipp's Abreiſe nach Spanien, theils uͤber die Spaniſchen Beſatzungen, theils uͤber die Strafedicte (Placate) gegen die Ketzer. Aber weder die Aeußerungen Philipp's, noch ſeine Einrichtungen, indem er ſeine Halbſchweſter Mar - garetha von Parma, unter dem Beyſtande vonG 2Gran -100I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Granvella, zur Oberſtatthalterin erklaͤrte, gaben Hoffnung zur Abaͤnderung; und die geſchaͤrften Strafedicte ſeit ſeiner Ruͤckkehr nach Spanien, und Veraͤnderungen in der Hierarchie, ließen nebſt dem Falle der ſtaͤndiſchen Verfaſſung zugleich Einfuͤhrung der Spaniſchen Inquiſition beſorgen.
Verſammlung der allgemeinen Staͤnde vor ſeiner Abreiſe (Herbſt 1559). — Ob die gefuͤrchtete Inquiſi - tion nur die, von Carl V. zur Vollziehung ſeiner Edicte eingefuͤhrte, oder foͤrmliche Spaniſche Inquiſition ſeyn ſollte, mochte wohl bald ziemlich gleichguͤltig werden. Der Schrecken davor war aber bey den Altglaͤubigen nicht weniger groß als bey den Neuglaͤubigen; und daher Verbreitung der Gaͤhrung durch alle Provinzen.
7. Wie gehaͤſſig aber auch die Tyranney Phi - lipp's erſcheint, ſo darf die unpartheyiſche Ge - ſchichte doch den Geſichtspunkt nicht vernachlaͤſſigen, aus dem Er die Sache anſah. In ſeinen Augen war Einheit des Glaubens das einzige Fundament der Ruhe des Staats, und zunaͤchſt deshalb ſein Ziel. Auferzogen in dieſen Ideen glaubte er in der Geſchichte der Zeit davon allenthalben die Beſtaͤti - gung zu ſehen. Nur zu der Anſicht konnte ſein ſtets thaͤtiger, aber beſchraͤnkter Geiſt ſich nicht erheben, daß die Gegenmittel viel ſchlimmer als die vermeinten Uebel waren, und doch zuletzt vergeblich ſeyn mußten.
Statt -101C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609.Statthalterſchaft der Margaretha von Parma 1559 — Sept. 1567. Die Abrufung des verhaßten Granvella 1562 konnte nichts weſentliches aͤndern, da die genomme - nen Maaßregeln nicht bloß ſeine, ſondern Philipp's waren.
8. Ausbruch der Unruhen, ſobald ſeit der Un - terzeichnung des Compromiſſes ein Mittelpunkt ſich bildete. Aber allerdings ſo ſchlecht geleitet, daß die im Spaniſchen Cabinet im Geheim beſchloſſene Unterdruͤckung des Aufſtandes durch eine gewaff - nete Macht nicht ſehr ſchwer ſcheinen konnte. Wie leicht waͤre ſie auch geweſen, haͤtte man mit dem Nachdruck zugleich ein kluges Nachgeben zu verbin - den gewußt! Aber die Wahl des Anfuͤhrers entſchied hier Alles; und jede Hoffnung mußte ver - ſchwinden, ſobald der Herzog von Alba dazu er - nannt war.
Unterzeichnung des Compromiſſes in Bruͤſſel Nov. 1565, und foͤrmliche Uebergabe an die Statthalterin, 5. April 1566. Die Geuſen. Maaßregeln Philipp's, die Spaniſchen Truppen in Italien unter Alba nach den Nie - derlanden zu ſchicken, der an ihrer Spitze im Auguſt 1567 mit ſolchen Vollmachten dort anlangte, daß die Statthal - terin ihren Abſchied nahm.
9. Schreckenregierung von Alba. Die1567 bis 1573 Verhaftung der im Lande gebliebenen Haͤupter, be - ſonders der Grafen Egmond und Hoorne, und die Errichtung eines Blutgerichts, des Raths der Unruhen, ſollte den Aufſtand daͤmpfen, und dieG 3Ketze -102I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Ketzerey ausrotten; aber die Tyranney ſchlug, wie gewoͤhnlich, ſich ſelbſt; bey der ſo erzwungenen Ruhe blieb die Gefahr, welche die Auswanderung vie - ler Tauſenden von allen Staͤnden drohte, um ſo mehr außerhalb ihres Geſichtskreiſes, als die Einziehung ihrer Guͤter innerhalb desſelben lag.
Allgemeine Achtserklaͤrung der Niederlaͤnder als Ver - brecher gegen die k. Majeſtaͤt. — Zahlloſe Hinrichtungen, beſonders die von Egmond und Hoorne, 5. Juni 1568. — Und doch wirkte die Einfuͤhrung des zehnten Pfen - nigs 1569 mehr als die Einfuͤhrung des Blutgerichts!
10. So ruhte alſo faſt die ganze Hoffnung der Befreyung auf einer Schaar Emigranten. Und was war von dieſer zu hoffen, waͤre nicht Prinz Wilhelm von Oranien unter ihr geweſen, der einzige Mann fuͤr die einzige Lage; als Feldherr von vielen, als Haupt und Fuͤhrer einer Inſurrection von keinem uͤbertroffen. Wer haͤtte außer ihm es vermocht, zu - ſammenzuhalten, was ſtets ſich trennen wollte? Wer richtete ſo viel mit ſo wenigem aus? Und wer ver - ſtand es ſo wie Er, zugleich redlich fuͤr ſein Vater - land, und doch auch fuͤr ſich ſelbſt zu arbeiten? Aber die erſten Verſuche zur Befreyung konnten kaum gelingen, da im offnen Felde der Kampf zu ungleich war, und der Mangel an Geld den laͤngern Unter - halt einer Armee unmoͤglich machte. Die Waſſer - geuſen mußten erſt die ſchwache Seite der Spa -nier103C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609. nier entdecken; bis die Einnahme von Briel nicht nur die eigentliche Inſurrection zum Ausbruch brachte, ſondern auch, indem ſie die noͤrdlichen Provinzen zu ihrem Hauptſchauplatz machte, im vor - aus dadurch die Zukunft beſtimmte. Die Staͤnde von Holland, Zeeland und Utrecht, ernennen Wilhelm von Oranien zum koͤniglichen Statt - halter.
Mißlungene Einfaͤlle des Grafen Ludwig von Naſſau in Friesland, und ſeines Bruders, des Prinzen, in Bra - bant, 1568. — Entſtehung und Wachsthum der Waſſergeu - ſen ſeit 1570, indem der Prinz Kaperbriefe ausgiebt. — Eroberung von Briel, 1. April 1572; und Ausbruch der Inſurrectionen in den meiſten Staͤdten von Holland und Zeeland, die Alba mit ſeinen wenigen Truppen zwar ein - zeln, aber nicht allenthalben, unterdruͤcken konnte.
11. Wie ſchwach aber auch die Huͤlfsmittel der Inſurgenten waren, ſo durften ſie doch an fremder Huͤlfe nicht verzweifeln. Ihre Sache wurde immer mehr Sache des Proteſtantiſmus, und damit zugleich der allgemeinen Politik. Die proteſtantiſchen Fuͤrſten Deutſchlands, die Hugenotten in Frankreich, eben damals im Kampfe fuͤr ihre Rechte, vor allen aber Eliſabeth in England, die Rivalin von Philipp, ſchienen die Sache der Inſurgenten als ihre eigene be - trachten zu muͤſſen. Aber die erſten mochten nicht viel helfen, die anderen konnten es nicht, und Eli - ſabeth — that es nicht umſonſt. Es gehoͤrte dieG 4ganze104I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ganze Thaͤtigkeit und Vorſicht des Prinzen dazu, dieſe Verhaͤltniſſe zu nutzen, waͤhrend er im Innern mit noch groͤßern Hinderniſſen, die Religions - und Fami - lien-Eiferſucht erregten, zu kaͤmpfen hatte.
Die Huͤlfe Deutſcher Fuͤrſten und des Deut - ſchen Reichs war die erſte, welche der Prinz nachſuchte; aber wenn auch bey Einzelnen nicht ganz umſonſt, ſo ver - hinderte die Familienverbindung Oeſtreichs und Spaniens ſchon eine allgemeine Theilnahme. — Viel wichtiger war der Einfluß der Hugenotten-Unruhen; ſowohl durch die Hoffnungen, die ſie unterhielten, als die perſoͤnlichen Verbindungen des Prinzen in Frankreich. Aber nach der ſchrecklichen Bartholomaͤusnacht (24. Aug. 1572) wie konnten ſie Fremden helfen? — Nur Eliſabeth's Theilnahme, (die von Daͤnemark und Schweden ward ganz umſonſt nachgeſucht;) fuͤhrte endlich zu großen Re - ſultaten. Aber man fuͤhlte es bald, vielleicht mehr als man ſollte, daß der Freund leicht noch gefaͤhrlicher als der Feind werden konnte. Erſt als es zur offenen Fehde zwiſchen ihr und Spanien kam (1587), war aufrichtige Freundſchaft moͤglich. Und waͤre ſie uͤberhaupt wohl moͤg - lich geweſen, haͤtte Eliſabeth es damahls zu ahnen ver - mocht, wie die Seemacht und der Seehandel der werden - den Republik in ein paar Decennien den von England uͤber - fluͤgeln wuͤrde?
13. Nach Alba's Abgang neue und hoͤhere Gefahren unter ſeinem Nachfolger Zuniga y Re - queſens; durch deſſen groͤßere Maͤßigung, durch die Niederlage auf der Mooker Haide, und die Angriffe auf Holland und Zeeland herbeygefuͤhrt. Aber die Meutereyen der nie bezahlten SpaniſchenTrup -105C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609. Truppen, und noch zu rechter Zeit der Tod von Re - queſens kamen dem Prinzen zu Huͤlfe, als er ſchon ſelber faſt verzweifelte. Das Project, einen feſtern Mittelpunct der Inſurrection zu bilden, gelingt zuerſt durch die engere Vereinigung Hollands und Zeelands; allein die entſetzliche Pluͤnderung von Antwerpen trug vorzuͤglich dazu bey, daß in der Vereinigung von Gent 5 der Batavi - ſchen und 6 der Belgiſchen Provinzen zu der gemein - ſchaftlichen Vertheidigung, — jedoch noch ohne Phi - lipp den Gehorſam aufzuſagen — zuſammentraten.
Abgang Alba's im Dec. 1573. — Statthalterſchaft ſeines Nachfolgers Requeſens bis 5. Maͤrz 1576. — Nie - derlage und Tod des Grafen Ludwig von Naſſau und ſeines Bruders Heinrich auf der Mooker Haide bey Nimwegen, 14. April 1574. — Waͤhrend der Zwiſchenherrſchaft des Staatsraths nach Requeſens Tode Pluͤnderung Antwerpens durch die Spaniſchen Soldaten, 4. Nov. — Genter Friede, 8. Nov. 1576.
14. Allein die Raͤnke des neuen Statthalters D. Juan, der um jeden Preis den Frieden erkaufen zu wollen ſchien, da er ſelbſt den Genter Frieden an - nahm, erforderten die ganze Wachſamkeit des Prin - zen, und nur die Feſtigkeit, die er Holland und Zee - land einfloͤßte, vereitelte die Spaniſchen Projecte. Aber indem der Genter Vertrag von ſelber zerfiel, befeſtigte ſich zugleich die Ueberzeugung, daß nur durch eine engere Verbindung der noͤrdlichen Pro -G 5vinzen,106I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. vinzen, und nur durch eine gaͤnzliche Losſagung von Spanien die Freyheit gerettet werden koͤnne. So wurde durch den Prinzen der Utrechter Vereini - gung vorgearbeitet, der eigentlichen Baſis der kuͤnf - tigen Republik; wiewohl auch ſelbſt durch ſie eben ſo wenig eine Republik ohne Fuͤrſten, als eine bloß Ba - taviſche Republik gegruͤndet ward. Auch von den ſuͤdlichen Provinzen mochte beytreten, wer wollte, wenn nur die noͤrdlichen feſt vereinigt waren.
Abſchließung der Utrechter Union, 23. Jan. 1579, zwi - ſchen Holland, Zeeland, Utrecht, Geldern, und dem Groͤ - ninger Lande. Beytritt von Friesland und Overyſſel, 11. Juni; auch Gent, Antwerpen, Breda und andere Belgiſche Staͤdte traten bey.
15. Und doch ſchien, als nach Don Juan's Tode der Herzog Alexander von Parma vom Koͤnig zum Oberſtatthalter ernannt wurde, erſt der gefaͤhrlichſte Zeitraum zu kommen. Wer verdiente es mehr wie Er, dem Prinzen gegenuͤber geſtellt zu werden? Philipp verdankte ihm die Wieder-Un - terwerfung der Belgiſchen Provinzen; viel - leicht war aber eben dieſe gaͤnzliche Trennung das groͤßte Gluͤck fuͤr die Sache. Das Beduͤrfniß frem - der Huͤlfe, woran man noch immer die Idee von fremder Oberherrſchaft knuͤpfte, war noch nie ſo dringend; und indem dieſe fremde Huͤlfe wirklich jetzt bald nachdruͤcklicher geleiſtet wurde, ward ebendadurch107C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609. dadurch der politiſche Wirkungskreis der Inſurrection um vieles erweitert; aber um aus ihr eine Republik hervorgehen zu machen, mußte erſt ein neuer Schlag auch neue Beduͤrfniſſe erzeugen.
Statthalterſchaft Alexander's von Parma, 1. Oct. 1578 bis 2. Dec. 1592. Ruͤckkehr der Walloniſchen Provinzen unter Spaniſche Herrſchaft durch den Vergleich vom 21. Mai 1579. — Allmaͤhlige Unterwerfung der uͤbri - gen durch die Einnahme der Staͤdte, bis zur Eroberung von Antwerpen, 17. Aug. 1585. — Dagegen von den vereinten Provinzeu Uebertragung der conſtitutio - nellen Oberherrſchaft an den Herzog Franz von An - jou, 1581 — 1583, und nun erſt gaͤnzliche Losſagung von Spanien, 26. Jul. 1581. Allein nur ein groͤßerer Mann, als der Prinz von Oranien ſelber war, haͤtte ſich damals noch neben ihm als Oberherr geltend machen koͤnnen. — Ab - gang des Herzogs von Anjou, Jun. 1583.
16. Ermordung des Prinzen, als er der Gelingung ſeines lange vorbereiteten Plans, ſelber von den Staͤnden zum Grafen (conſtitutionellen Ober - herrn) von Holland und Zeeland ernannt zu werden, faſt ſchon gewiß zu ſeyn ſchien. Nur die perſoͤnliche Autoritaͤt konnte dahin fuͤhren; und wenn gleich ſein Sohn Moritz in ſeinen Stellen ſein Nachfolger wur - de, ſo uͤbten doch ſchon die Staaten von Holland und Zeeland, indem ſie ihn dazu ernannten, einen Souverainitaͤtsact aus. Aber unter dem Drange der Umſtaͤnde war man auch jetzt noch gern bereit, ſich Eliſabeth zu unterwerfen; und was moͤchte, trotzihrer108I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ihrer Weigerung der Oberherrſchaft geworden ſeyn, haͤtte ſie die Leitung ihrer Angelegenheiten geſchicktern Haͤnden, als denen des Grafen Leiceſter, anver - traut? Indem aber gerade damals in Oldenbar - neveld der unerſchrockne Vertheidiger der ſtaͤndi - ſchen Rechte als Landſyndikus von Holland auf ſeinen Poſten kam, ward dadurch auch die kuͤnftige Form der Republik entſchieden.
Nach der Ermordung von Wilhelm I., 10. Jul. 1583, wird Moritz als Statthalter von Holland und Zee - land, nachmals auch von 4 der uͤbrigen Provinzen aner - kannt, jedoch ein[Staatsrath] ihm an die Seite ge - ſetzt. — Uebereinkunft mit Eliſabeth, die gegen Verpfaͤndung dreyer Haͤfen Huͤlfsvoͤlker ſendet; aber auch dem Grafen einen ſolchen Einfluß ſichert, daß ſie durch ihn zu herrſchen hofft. — Fehde des Grafen mit den Staa - ten bis zu ſeinem Abgang, Dec. 1587.
17. Allein bey weitem die wichtigſte Folge jener Verhaͤltniſſe mit England nicht bloß fuͤr die ſich bil - dende Republik, ſondern fuͤr Europa, war der offene Krieg, in den Eliſabeth dadurch mit Spanien gerieth, weil ſie darin gerathen wollte. Das ge - meinſchaftliche Intereſſe beyder Staaten erlaubte ſeit - dem keine Trennung mehr; und die Niederlage der unuͤberwindlichen Flotte gab nicht nur die beſte Buͤrgſchaft der Unabhaͤngigkeit der Repu - blik, ſondern eroͤffnete auch durch die Befreyung des Oceans fuͤr beyde Staaten die unermeßliche Lauf -bahn109C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609. bahn, auf der ſie ſeitdem den Gipfel ihrer Groͤße und ihres Ruhms erreichten.
Urſache des Grolls zwiſchen Philipp II. und Eliſabeth, durch Religion und Politik theils in den Europaͤiſchen, theils außereuropaͤiſchen (ſ. unten Geſch. d. Colonien) Verhaͤlt - niſſen gegruͤndet. Die Beleidigungen durch Capereyen, und vorher heimliche, jetzt oͤffentliche, Unterſtuͤtzung der Nieder - laͤnder erzeugen das Project der Eroberung Englands, gegruͤndet auf Schenkung des Pabſtes, zugleich als ſicheres Mittel zur Daͤmpfung der Niederlaͤndiſchen Inſurrection, 1587. Zug der unuͤberwindlichen Flotte und ihr Schickſal, Juli bis Oct. 1588; und Fottſetzung des Spaniſchen Kriegs von Eliſabeth bis an ihren Tod 1603.
18. Mit dieſer Ueberlegenheit zur See traten aber zugleich mehrere andere Urſachen ein, welche der Republik ihre Unabhaͤngigkeit immer mehr ſicherten; aber dafuͤr ſie auch immer tiefer in die allgemeine Po - litik verflochten. Die Theilnahme Philipp's an den Franzoͤſiſchen Haͤndeln zu Gunſten der Ligue gegen Heinrich IV. bewogen ihn, den Herzog von Parma mit dem groͤßern Theil ſeiner Truppen nach Frank - reich zu ſchicken. Der Tod dieſes Feldherrn und die Thronbeſteigung Heinrich's IV. waren zwey neue Grundſteine ihrer Freyheit, da Heinrich es ſelber ge - rathen fand, ſich mit ihnen zu verbinden, als er foͤrmlich den Krieg gegen Spanien erklaͤrte. So von Frankreich und England anerkannt, unter Moritz ſiegreich im Land - und Belagerungskriege, und Herrendes110I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. des Meers, — welche Hoffnung konnte Philipp noch haben, ſie zu unterjochen? Auch ſchien er ſel - ber davon uͤberzeugt, als er kurz vor ſeinem Tode ſeine Niederlande ſeiner Tochter Iſabella Eugenia zur Mitgift gab. Dennoch dauerte unter ſeinem Nachfolger Philipp III. der Kampf noch bis zum Jahre 1609 fort, als nach dem Frieden Spaniens mit Frankreich zu Vervins und nach dem Tode1603 Eliſabeth's dem mit Jacob I. die Niederlaͤnder allein ihn fortſetzen mußten; und ward auch dann — weil ſich Spanien nicht zu viel vergeben wollte, — nicht durch einen Frieden, ſondern nur einen 12jaͤh - rigen Waffenſtillſtand unterbrochen, wodurch jedoch die Unabhaͤngigkeit der Republik ſchon ſtill - ſchweigend anerkannt war.
Feldzuͤge des Herzogs von Parma in Frankreich 1590 — 1592. Sein Tod 2. Dec. 1592. — Buͤndniß Heinrich's IV. mit den Niederlaͤndern, und Kriegserklaͤrung gegen Spanien, Jan. 1595. — Verluſt und Wiedereroberung von Amiens 1597. Separatfriede zu Vervins, 2. May 1598. Uebergabe der Spaniſchen Niederlande durch Philipp II. an ſeine Tochter Clara Iſabella Eugenia, zur Mitgift bey ihrer Vermaͤhlung mit Erzh. Albrecht von Oeſtreich 1598. — Tod von Philipp II., 13. Nov. 1598. — Matte Fortſetzung des Landkriegs unter ſeinem Nachfol - ger Philipp III. Aber lebhafter Seekrieg, und gluͤckliche Expedition unter Jacob Heemskerk gegen die Spaniſche Kuͤ - ſte 1607. — Erſter Anfang von Unterhandlungen 1607, aufgehalten durch Heinrich's IV. Einmiſchung, (der ſeine Abſichten hatte;) durch den Streit uͤber den Religionszu - ſtand, und die oſtindiſche Schifffahrt. Abſchluß des12jaͤh -111C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609. 12jaͤhrigen Waffenſtillſtandes mit den Erzherzogen und Spanien 9. April 1609.
19. Auf dieſe Weiſe hatte ſich in der Mitte des monarchiſchen Staatenſyſtems von Europa eine Re - publik gebildet, die aber auch ſchon waͤhrend ihrer Entſtehung ſo innig in die Verhaͤltniſſe dieſes Sy - ſtems verflochten war, daß ihre thaͤtige Theilnahme an den Welthaͤndeln nicht unterbleiben konnte. Sie war ſelber zu einem Ziele gelangt, das ſie ſich nicht vorgeſteckt gehabt hatte; ihre innere Verfaſſung hatte ſich daher auch nicht umgebildet, ſondern nur nach momentanen Beduͤrfniſſen fortgebildet: was Wunder, daß ſie ſehr unfoͤrmlich blieb? Aber das Ueberge - gewicht der Provinz Holland ließ die Maͤngel einer Foͤderation weniger fuͤhlen: die Entſtehung der Gene - ralſtaaten ſeit 1592 gab einen Mittelpunkt fuͤr die auswaͤrtigen Angelegenheiten, und ihre innere Feſtig - keit verdankte ſie dem gluͤcklichen Umſtande, daß durch die Statthalterwuͤrde und die des Landſyndicus von Holland es ein paar Plaͤtze gab, in denen große Maͤnner mit Kraft wirken konnten. Die jetzt folgen - den Arminianiſchen Haͤndel, die ſogleich den Kampf der Oraniſchen und Staͤndiſchen Parthey zum Ausbruch, und Oldenbarneveld aufs Blutgeruͤſt1619 13. Mai brachten, zeigten aber auch, daß ſie den Keim ihrer kuͤnftigen Aufloͤſung ſchon in ſich trug.
20. Wie112I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.20. Wie wenig aber auch die Entſtehung einer ſolchen Republik den Charakter des monarchiſchen Staatenſyſtems von Europa im Ganzen aͤnderte, ſo wirkte ſie doch ſehr ſtark darauf ein. Einen ſolchen Handelsſtaat, eine ſolche Seemacht hatte Europa noch nicht geſehen. Es war ein Gewicht ganz neuer Art, welches dieſer Staat in die politiſche Waagſchaale warf; und jene Gegenſtaͤnde erhielten daher einen ganz andern Werth in der praktiſchen Politik, als ſie bis dahin gehabt hatten. Der Saa - me von vielem Guten und Boͤſen war aufgekeimt; allein was gut oder boͤſe ſey, wußte man in der rei - chen Saat noch wenig zu unterſcheiden. Hat man es doch auch nachmals ſo wenig unterſcheiden gelernt!
1. Wenn gleich die Niederlaͤndiſche Revolution die Theilnahme der Nachbarſtaaten erregte, ſo be - ſchaͤftigte ſie ſie doch nicht ausſchließend. Auch ſie ſelber erlitten Veraͤnderungen, wodurch ihre innern wie ihre aͤußern Verhaͤltniſſe, wodurch alſo ihr poli - tiſcher Charakter beſtimmt ward. Wie ließenſich113C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w Eur. -- 1618. ſich daher, ohne dieſe Anſicht zu gewinnen, die Geſchichte des Europaͤiſchen Staatenſyſtems weiter fortfuͤhren?
2. Dieſe Veraͤnderungen giengen aber ſaͤmmt - lich, entweder mittelbar oder unmittelbar, aus der Reformation hervor. Der durch ſie verbreitete Gaͤhrungsſtoff wirkte ſehr verſchieden auf die einzel - nen Staaten. Frankreich, Spanien, England und Deutſchland ſind es, die hier vorzugsweiſe in Be - trachtung kommen.
3. Der gegenwaͤrtige Zeitraum war fuͤr Frank -1562 bis 1594 reich zuerſt uͤber 30 Jahre hindurch der Zeitraum von Religions - und Buͤrgerkriegen, die ſelbſt den Thron umzuſtuͤrzen drohten; ein großer Regent rette - te es nicht nur von den Greueln der Anarchie, ſon - dern erhob es in 15 Jahren zu einem Grade von Macht, der ihm erlaubte, an eine politiſche Um - ſchaffung Europa's zu denken; ſein Fall machte es1610 wieder zum Spielball der Factionen, bis Riche - lieu nach 14 Jahren mit feſter Hand das Staats - ruder ergriff. Bey aller Verwirrung und allem1624 Wechſel dreht ſich doch aber die Geſchichte um wenige Hauptperſonen, die auch hier den BeweisHgeben,114I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. geben, daß es in Zeitaltern großer Revolutionen vielmehr die hervorragenden Charaktere als die ſchlauen Koͤpfe ſind, welche den Gang der Bege - benheiten beſtimmen.
Von gleichzeitigen Memoires gehoͤren hieher beſonders:
4. Allgemeine Anſicht der Franzoͤſiſchen Buͤr - gerkriege, zwar als Religionskriege, aber auch zu - gleich als Verſuche der beyderſeitigen Chefs beyder115C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1618. der Schwaͤche der Koͤnige, ſich der Regierung zu bemaͤchtigen. Die inneren Verhaͤltniſſe des Hofes ſind daher eben ſo wichtig, als die Verhaͤltniſſe der Religionspartheyen; denn die Elemente des Kriegs lagen anfangs faſt noch mehr in der Eifer - ſucht der Bourbons als Prinzen von Gebluͤt ge - gen die maͤchtigen Familien des Hofadels, beſon - ders der Guiſe, als in dem Religionsdruck.
5. Als aber einmal die Flamme zum Ausbruch kam, und die Bourbons die Chefs der Hugenot - ten wurden, konnte an keine baldige Daͤmpfung des Feuers zu denken ſeyn, da ſie zugleich durch den Fanatiſmus und durch die perſoͤnlichen Leiden - ſchaften der Anfuͤhrer angefacht ward. Auch waren die drey erſten Religionskriege eigentlich nur Ein Krieg, durch Waffenſtillſtaͤnde unterbrochen, die man Frieden nennt, und ohne letztes Reſultat, da man den Hugenotten ohngefaͤhr immer dasſelbe wie - der bewilligen mußte, was ihnen das Edict des edeln Kanzler's L'Hoſpital ſchon vor dem Kriege1562 17. Jan. hatte bewilligen ſollen. Aber der Fanatiſmus, der ſtets ſeine Zeit haben muß auszutoben, blieb im Steigen, und ſo konnte in einem ſo verwilder - ten Zeitalter eine Greuelſcene herbeygefuͤhrt werden, wie die der Bartholomaͤusnacht, die jede An -1572 24. Aug. naͤherung der religioͤſen Partien, auch außerhalbH 2Frank -116I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Frankreich, faſt um ein Jahrhundert zuruͤckwerfen mußte.
Erſter Krieg Maͤrz 1562, geendigt durch das Edikt von Amboiſe 19. Maͤrz 1563. — Zweyter Krieg Sept. 1567, geendigt durch den Frieden zu Longjumean 23. Maͤrz 1568. — Dritter Krieg Sept. 1568, geendigt durch den Frieden zu St. Germain en Laye 8. Aug. 1570. Die Bartholo - maͤusnacht hatte den vierten Krieg zur Folge, der durch den Frieden von Rochelle endigte 24. Jun. 1573.
6. Bereits dieſe erſten Kriege hatten die Theil - nahme von Fremden veranlaßt, da ſowohl Eliſabeth als einige Deutſche Fuͤrſten den Hugenotten Huͤlfe leiſteten. Indeß wurden fuͤr die allgemeine Politik dieſe Stuͤrme erſt recht wichtig, als die Schwaͤche des elenden Heinrich III. bey der Beylegung des1576 Mai fuͤnften Religionskrieges die Ligue veranlaßte — einen Jakobinerbund, der nur die Farbe des Zeital - ters trug. — Fuͤr einen Chef wie Heinrich von Guiſe ward nun der Thron ſelber das Ziel: war - um ſetzte er ſich auch nicht darauf, da er bey der1588 Mai Flucht des Koͤnigs ſo gut wie erledigt vor ihm ſtand? So fiel er bald als Opfer des Meuchel -23. Dec. mords; aber die Frage uͤber die kuͤnftige Succeſſion beſchaͤftigte nun, da Heinrich von Bourbon Hugenot, und durch die Ermordung des letzten Va - lois bald wirklicher Nachfolger war, nicht bloß1589 1. Aug. Frankreich, ſondern auch das Ausland. Er mußteſeinen117C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1618. ſeinen Thron ſich erkaͤmpfen; und fand er auch einigen Beyſtand bey Eliſabeth, ſo war es doch die Einmiſchung der Fremden, die den Kampf ihm am meiſten erſchwerte und verlaͤngerte. Konnte doch ſelbſt ſeine Abſchwoͤrung weder Philipp II. noch den Pabſt bewegen, ihre Entwuͤrfe auf - zugeben! Aber den Bourbons blieb der Thron, weil ein großer Mann damals an ihrer Spitze ſtand.
Wenn gleich die Ligue bereits 1576 entſtand, und auch wiederholte Ausbruͤche 1577 und 1579 (6. und 7. Krieg) zur Folge hatte, ſo begann doch erſt ihre volle Wirkſamkeit, als ſeit dem Tode des Herzogs Franz von Alençon (An - jou) 10. Jun. 1584. das Ausſterben der Valois mit Hein - rich III. gewiß ward. Daher ihre Erneuerung, ihr Cen - tralpunkt in Paris durch die Sechzehner, und Erzwingung des Edicts von Nemours gegen die Hugenotten 7. Jul. 1585, wovon der 8te Krieg 1585 — 1595, der erſt nach der Einnahme von Paris 22. Maͤrz 1594 erſtarb, die Folge war.
7. Indem Frankreich auf dieſe Weiſe aus der Anarchie gerettet ward, war aber darum doch die Quelle dieſer Unruhen nicht verſtopft. Keine der beyden Partheyen war vernichtet; und die der Hu - genotten ohne ſichere politiſche Exiſtenz. Aber der Fanatiſmus hatte ſich in etwas abgekuͤhlt; die Idee von Toleranz war — Danck den ſeit L'Hoſpital ge - ſchloſſenen Vertraͤgen — ſelbſt unter den Stuͤrmen nicht ganz erſtorben: ein Regent, der wie Hein - rich IV. des Zutrauens genoß, vermochte viel; undH 3ſo118I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. 1598 13. Apr.ſo wurde das Edict von Nantes moͤglich, das den Hugenotten ihre Rechte ſicherte. Gleichwohl blieben ſie bewaffnete Parthey; und die Erhal - tung der Rechte hieng unſtreitig weit mehr von der Perſoͤnlichkeit des Monarchen und den Zeitumſtaͤn - den, als von dem Edicte ab. Wie wohlthaͤtig auch daher faſt fuͤr jede Art der Cultur die Hu - genotten nachmals wirkten, ſo konnte doch die in - nerliche Verfaſſung ſchwerlich einen feſten Charakter annehmen, ſo lange die Regierung eine Oppoſition zu fuͤrchten hatte, die von ehrſuͤchtigen Chefs ſo leicht gemißbraucht werden konnte.
8. Deſto feſter aber beſtimmten ſich die For - men der auswaͤrtigen Politik; und der unter - brochene Einfluß Frankreichs auf das Europaͤiſche Staatenſyſtem ward ſogleich mit ſeiner Wiederge - burt fuͤhlbar. Der Haß gegen Spanien, deſſen Uebermacht ohnehin noch immer das Schreckbild von Europa blieb, war durch die Raͤnke Philipp's waͤhrend der Unruhen tiefer wie je gewurzelt. Kaum war die Ruhe in Frankreich befeſtigt, als auch Philipp dem II. offener Krieg angekuͤndigt ward, wovon eine Verbindung mit England und Holland eine natuͤrliche Folge war. Sich uͤber die Reli - gionsverhaͤltniſſe zu erheben, war ſtets der Vorzug der Franzoͤſiſchen Politik.
Krieg119C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1618.Krieg mit Spanien 1595, geendigt durch den Sepa - ratfrieden zu Vervins 2. May 1598. (S. oben S. 110.)
9. Mit dem Gefuͤhl der durch Suͤlly's Ad - miniſtration wachſenden Kraͤfte erwachten aber bald neue Entwuͤrfe, die nicht bloß Frankreich betrafen, ſondern das ganze Syſtem von Europa veraͤndern ſollten. Die Idee von einer ſogenannten Europaͤi - ſchen Republik, oder einem Staatenverein, deſſen Glieder ſich aͤhnlich an Macht, wenn gleich ver - ſchieden in der Form, ihre Streitigkeiten durch ei - nen Senat ſollten entſcheiden laſſen, war eine lange gefaßte und tief gewurzelte Idee; ſchon mit Eliſa - beth war ſie verhandelt. Ein Fuͤrſt, in einer Re - volution aufgewachſen, die er ſelbſt ſiegreich been - digte, war leicht auch nachmals fuͤr revolutionaire Plaͤne empfaͤnglich, und ſein ganzes Zeitalter mit ihm. Gieng aber das Project nur zunaͤchſt aus dem Haſſe gegen Spanien und Oeſtreich hervor; oder war es das Reſultat des Tiefblicks eines uͤber - legenen Geiſtes, der die Unvermeidlichkeit einer all - gemeinen Criſe, wie der dreyßigjaͤhrige Krieg ſie bald herbeyfuͤhrte, ahnte, und ſich bey Zeiten zum Herrn derſelben, und ſie fuͤr Europa wohlthaͤtig machen wollte? Wie dem auch ſeyn mag, gewiß hatte das Herz von Heinrich nicht weniger Antheil daran, als der Kopf. Menſchen ſeiner Art be - duͤrfen eines Ziels, das bey dem Aufwande ihrerH 4Kraft120I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Kraft ihnen wohlthaͤtig vorleuchtet. Eben war Al - les zur Ausfuͤhrung reif, als Ravaillac's Mord -1610 14. Mai meſſer Alles vereitelte.
Wuͤrdigung des Projects und ſeiner Ausfuͤhrbarkeit nach Suͤlly's Nachrichten. Vorbereitungen dazu in England, Italien, Deutſchland, den Niederlanden. Der allgemeine Haß gegen Spanien war die Triebfeder, und die eroͤffnete Juͤ - lich-Cleviſche Erbſchaft, 1609, (ſ. unten S. 125.), da ſie zu Haͤndeln mit Oeſtreich fuͤhrte, ſollte den Vorwand zum Losbrechen geben. Die 5 Wahlreiche und die Ueber - laſſung beyder Indien an Spanien mag der neuern Politik leicht Stoff zu Sarcaſmen darbieten. Aber die Uneigen - nuͤtzigkeit Heinrich's giebt dafuͤr eine große Lection! — Bey allem dem war doch Schwaͤchung des Habsburgiſchen Hauſes naͤchſter Zweck; das Project ſelber ſtand erſt im Hintergrunde.
10. Wie traurig auch Heinrich's Ermordung fuͤr Frankreich war, ſo iſt es doch ſchwer zu ſagen, in wie fern ſie es fuͤr Europa geweſen ſey. Sie rettete dasſelbe vor jetzt von einem großen Kriege, deſſen Ausgang deſto ungewiſſer ſeyn muß - te, da das Ziel ſo weit hinausgeſteckt war. Aber Frankreich verlohr mit ihm und Suͤlly's Entfernung durch das Gewuͤhl der Hoffactionen, die ſelbſt die1621 Buͤrgerkriege wieder entzuͤndeten, unter Ma - ria's von Medici Regentſchaft faſt allen aus - waͤrtigen Einfluß. Was lag dem Auslande daran, ob ein Marſchall von Ancre, oder ein Luynes das Staatsruder fuͤhrte? Ein Gluͤck, daß dasAus -121C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1618. Ausland dieß nicht zu nutzen wußte. Erſt als es Richelieu mit feſter Hand ergriff, begann auch1624 eine neue kraftvolle Einwirkung auf das neue Eu - ropaͤiſche Staatenſyſtem.
Hiſtoire de la mère et du fils, c 'eſt à dire de Marie de Medicis femme du grand Henry; et mère de Louis XIII. par L. F. Mezeray (oder vielmehr von Richelieu) à Amſterdam 1730. 2 Voll. 12. Geht bis 1620.
Vie de Marie de Medicis Reine de France et de Na - varra. à Paris 1774. 3 Voll. 8.
11. Noch mehr als Frankreich erhielt Spa - nien in dieſem Zeitraum durch Philipp II. ſeinen beſtimmten Charakter. Nirgends wurde ſo wie hier Catholiciſmus und ſeine Erhaltung die Grundlage der Politik, und iſt es ſo geblieben. Die Folgen da - von in Ruͤckſicht der auswaͤrtigen Verhaͤltniſſe wa - ren Kriege mit halb Europa, Frankreich, den Niederlanden, England. Konnte es aber fuͤr die Nation ſelber ein Gluͤck ſeyn, wenn der großen Ideenrevolution des Zeitalters bey ihr gar kein Zu - gang verſtattet wurde? War nicht das Entbehren aller der Vortheile, die ſich bey andern daraus entwickelten, ein großer Verluſt? War nicht der Stillſtand ſelber hier ſchon ein Ruͤckſchreiten?
H 512. Die122I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.12. Die Schaͤtze aus Amerika ſind daher ge - wiß nicht die Haupturſache des Sinkens von Spa - nien, die dem Geiſt angelegten Feſſeln, die An - ſpruͤche auf Alleinherrſchaft des Meers, die Ver - wickelung in alle Haͤndel der Nachbaren ohne allen Gewinn waren es; ja ſelbſt das einzige gelungene Projekt der Eroberung Portugals wurde ein Ungluͤck fuͤr Spanien.
Einnahme Portugals und ſeiner Colonien nach dem Aus - ſterben des dortigen Mannsſtamms, 1580. Wuͤchſen die[Staatskraͤfte] in gleichem Verhaͤltniſſe mit den Qua - dratmeilen und der Seelenzahl, ſo haͤtte die glaͤn - zende Periode Spaniens jetzt ja wohl anfangen muͤſſen?
13. So war es alſo Philipp II., der Spa - nien zu dem machte, was es ſeitdem geblieben iſt. 1610Die Vertreibung der Mauriſken gab ihm einen neuen1598 bis 1621 Hauptſtoß; und die, gleich unter Philipp III., durch die Schwaͤche der Koͤnige zur Maxime wer - dende Miniſterregierung mußte das Sinken noch befoͤrdern, da man in der Wahl der dirigi - renden Miniſter nie ſehr gluͤcklich war.
14. Nicht weniger erhielt England ſeinen Charakter als Staat in dieſem Zeitraum; und die - ſen ihm gegeben zu haben, iſt eigentlich das große Verdienſt Eliſabeth's. Auch hier ward Religion die Baſis, aber Proteſtantiſmus; jedoch mit Beybehaltung der hierarchiſchen Formen, als Stuͤtze des Thrones, da der Koͤnig ſelber durch ſei - nen Supremat Chef der Hierarchie war. So ward Religion hier auf das tiefſte in die Verfaſ - ſung verflochten; und die Ueberzeugung, daß beyde zugleich ſtehen und fallen muͤßten, wurzelte immer feſter bey der Nation.
15. Auch die Continental-Verhaͤltniſſe beſtimmten ſich nun dadurch von ſelbſt. Eliſabeth ſtand Philipp II. gegenuͤber, und der Kampf mit Spa - nien, welcher alle Kraͤfte der Nation aufregte, war es, der ihre Groͤße gruͤndete, indem er ſie auf die Meere trieb. Auf dieſe Weiſe ward der Prote - ſtantiſmus die Grundlage der Brittiſchen Macht. Das Intereſſe der Regierung und der Nation war Eins; und als Eliſabeth's Nachfolger, — wenn gleich dem Anſchein nach maͤchtiger durch den Be - ſitz Schottlands, — es trennen wollten, berei - teten ſie ſich ſelbſt ihren Sturz.
Außer124I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Außer den Abſchnitten in den allgemeinen Geſchichten von Hume und Rapin, noch beſonders:
Camdeni Annales rerum Anglicarum et Hibernica - num regnante Eliſabetha; Lond. 1675.
de Keralio Hiſtoire d' Eliſabeth reine d'Angleterre. Paris 1786. T. V.
16. Der gegenwaͤrtige Zeitraum iſt zwar in Deutſchland wenig fruchtbar an einzelnen Begeben - heiten, die das uͤbrige Europa ſehr intereſſirt haͤtten; allein ſeitdem die Religion einmal die große Trieb - feder der Politik geworden war, konnte auch das Land, das ihre Wiege war, ſeine politiſche Wich - tigkeit nicht verlieren. Waͤhrend ſich beyde Par - theyen auch nach dem Frieden hier mißtrauiſch be - obachteten, und kleine Vorfaͤlle dieß Mißtrauen vermehrten, empfand man es im Auslande, daß ein hier ausbrechender Krieg faſt nothwendig ein allgemeiner Krieg werden mußte. Der perſoͤnliche† 1564 † 1576 Charakter der Kayſer, ſowohl Ferdinand's I., als ſeines milden Sohns Maximilian II. trug viel dazu bey, den Frieden zu erhalten; auch Ru -† 1612 dolph II. ließ gern die Welt in Ruhe, wenn ſie ihn nur in Ruhe ließ.
17. Aber doch war es der Zeitraum, wo der große Sturm ſich vorbereitete. Wenn bey denbeſtaͤn -125C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1618. beſtaͤndigen Reibungen es an einzelnen kleinen Ver - anlaſſungen zum Streit nicht fehlen konnte, ſo tru - gen die Jeſuiten, ſeit Rudolph II. auch in Oeſt - reich einheimiſch, redlich dazu bey, den Haß im - mer mehr zu entflammen. Die Folgen davon wa - ren Verbindungen auf beyden Seiten, die1608 4. Mai 1609 30. Aug. proteſtantiſche Union unter Churpfalz, und die ca - tholiſche Ligue unter Bayern. Unter ſolchen Um - ſtaͤnden konnte die Erledigung eines maͤßigen deut - ſchen Landes, wie Juͤlich, Cleve und Berg, nicht nur Deutſchland ſelbſt, ſondern Europa in die Gefahr eines allgemeinen Krieges ſtuͤrzen, der nur durch die Ermordung Heinrich's IV. und die innern Zwiſte im Oeſtreichiſchen Hauſe, da der in - dolente Rudolph II. aus dem Beſitz ſeiner ſaͤmmt - lichen Laͤnder von ſeinem Bruder Mathias all - maͤhlig verdraͤngt wurde, unterblieb. Aber die1611 weitere Entwickelung der Verhaͤltniſſe dieſes Hauſes, da ſchon unter Mathias dem bigotten Ferdinand von Steyermark die Succeſſion zugeſichert, und eine engere Verbindung mit der Spaniſchen Linie zugleich eingeleitet ward, konnte nichts anders als die truͤbſten Ausſichten eroͤffnen.
Die Erledigung von Juͤlich, Cleve und Berg im Maͤrz 1609 veranlaßte zunaͤchſt nur einen Streit zwiſchen Sachſen, Brandenburg und Pfalz-Neuburg, welche beyde letztere ſich in Beſitz ſetzten, und ſeit ihrem Vergleich zu Xanten 12. Nov. 1614 auch darin blieben. Allein die Einmiſchungfremder126I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. [f]remder Maͤchte machte den Streit ſo wichtig; da a. der Kayſer das Land ſequeſtrirte, b. Heinrich IV. ſich da - gegen mit der Union verband; und nach ſeiner Ermordung c. auch der zwiſchen den poſſidirenden Fuͤrſten entſtandene Streit Holland und Spanien hereinzog.
18. Zum Gluͤck fuͤr den Weſten von Europa wurden in dieſem Zeitraum die Verhaͤltniſſe im Oſten weniger drohend; wenn auch nicht viel fried - licher. Der wilde Eroberungsgeiſt der Pforte er - ſtarb mit Solyman II. Seine Nachfolger, im Serail erzogen, erſchienen nicht leicht mehr an der Spitze der Armeen; und die Nation ſelber erlitt die Veraͤnderung, der kein geweſenes Nomadenvolk entgeht; ohne daß deshalb eine ploͤtzliche Schwaͤche davon die Folge waͤre. So gelangte Oeſtreich durch langſame Fortſchritte doch immer mehr zum voͤlligen Beſitz von Ungarn; allein das Verhaͤltniß Sie - benbuͤrgens, das ſeinen eigenen Fuͤrſten haben wollte, wurde dagegen eine neue Quelle von Strei - tigkeiten; und noch groͤßere ließ das Eindringen der neuen Lehre vorausſehen, wenn auch bereits 1606 ihren Bekennern freyer Gottesdienſt einge - raͤumt ward.
Tod Solyman's II. waͤhrend ſeines Feldzugs in Un - garn 4. Sept. 1566. — Waffenſtillſtand auf 8 Jahre; wie - derholt verlaͤngert bis 1593. Den Tuͤrken blieb noch immer ein großer Theil von Suͤd-Ungarn. — Die große Nie - derlage ihrer Flotte, nach der Eroberung vonCyprus127C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1618. Cyprus, durch die Venezianer und Spanier bey Le - panto 7. Oct. 1572. raubte ihnen auch das Uebergewicht zur See. — Erneuerung des Ungarſchen Kriegs 1593 — 1606; die meiſten feſte Plaͤtze gehen an Oeſtreich uͤber; wiewohl in dem 20jaͤhrigen Waffenſtillſtande 1606. die Tuͤrken deren doch noch in Ungarn behalten.
19. Die Politik erſcheint in dieſem Zeit - raum im Ganzen keinesweges in einer veredelten Geſtalt; vom Fanatiſmus geleitet, erlaubte ſie ſich Alles, was dieſer gut hieß. Wenn auch einzelne ausgezeichnete Menſchen, wenn Heinrich, wenn Oranien und Eliſabeth, ſich uͤber ihr Zeitalter er - hoben, ſahen ſie ſich nicht ſtets von Complotten von Meuchelmoͤrdern umgeben, und fielen zum Theil als ihre Opfer? Der Einfluß der Geiſtlichkeit wurde groͤßer, als er vorher geweſen war; und die Jeſuiten waren leider! nicht die einzigen, die ihn mißbrauchten. Was der Geiſt der Intoleranz auch bey den Proteſtanten vermag, ſah man auch in Holland und Sachſen nur zu deutlich!
20. Die Staatswirthſchaft zog in dieſem Zeitraum weit mehr als vorher die Aufmerkſamkeit auf ſich, weil die Noth dazu trieb. Sie erhielt in Frankreich ihren Suͤlly; auch Eliſabeth em - pfand ihre Wichtigkeit; aber die Einrichtungen der Hollaͤnder wirkten am meiſten auch auf das Aus - land zuruͤck.
Was128I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Was war Suͤlly's Syſtem? Kein anderes als das der Ordnung und Sparſamkeit. Er ward dadurch großer Reformator, weil große Mißbraͤuche herrſchten; und eine hohe Kraft des Charakters ſeinen richtigen Ge - ſchaͤftsblick unterſtuͤtzte. Neuere Schulen ſollten ſich nicht auf ihn berufen; von ihren ſublimen Speculationen wußte er nichts: nicht allgemeine Saͤtze, was fuͤr Frankreich paſſe oder nicht, war ſeine Richtſchnur. Ein Gluͤck fuͤr ſei - nen Ruhm, daß die Direction der Privatthaͤtigkeit damals bey den Regierungen noch ſo viel weniger Sitte war!
In Holland erhielt das Syſtem der indirekten Abgaben zuerſt ſeine Ausbildung. Die Beduͤrfniſſe des langen Krieges wurden großentheils durch die Acciſe be - ſtritten, die auch andere Staaten nachmals einfuͤhrten, und die fuͤr das neuere Europa um ſo viel wichtiger werden mußte, da ihr Ertrag in gleichem Grade mit dem erhoͤhten Luxus ſtieg.
21. Auf die Fortſchritte der Kriegskunſt wirkten viele ihr guͤnſtige Umſtaͤnde ein. Das Sy - ſtem der ſtehenden Truppen ward in Frank - reich ſowohl als in Holland weiter ausgebildet; bey Heinrich IV. nicht nur durch ſeine Lage, ſon - dern auch wegen ſeiner großen Projecte; bey den Niederlaͤndern durch das Beduͤrfniß waͤhrend deslangen129C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1618. langen Krieges. Doch hielt Frankreich im Frieden nicht uͤber 14000, die Republik hatte nie 20000 Mann. Die Talente ſo großer Feldherren, als Heinrich, Moritz und Alexander von Parma, konnten nicht ohne bedeutenden Gewinn fuͤr die Taktik ſeyn; doch war es beſonders die Belage - rungskunſt, die vervollkommnet ward. Aber eine ganz neue Erſcheinung war die Seemacht von England und Holland. Die brittiſche koͤnigliche Marine, von Heinrich VIII. gegruͤndet, ward erſt unter Eliſabeth wichtig; und die Hollaͤndiſche See - macht wurde neben der der Staaten auch bald durch die der großen Handelsgeſellſchaften furchtbar.
1. Das Colonialweſen der Europaͤer und der darauf gegruͤndete Welthandel erlitten in dieſem Zeitraum die weſentlichſten Veraͤnderungen. Sie giengen hauptſaͤchlich hervor aus den monopoliſiren - den Anmaßungen der Spanier, die andere Natio - nen zur Eiferſucht, und von dieſer zu Kriegen fuͤhrten. Es war der Zeitraum, wo a. das Ge - baͤude der Portugieſen in Oſtindien bereitsJzuſam -130I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. zuſammenfiel; wo dagegen b. die Hollaͤnder das ihrige gruͤndeten, und den Welthandel an ſich riſ - ſen; waͤhrend zugleich c. die Englaͤnder ſchon mit ihnen zu wetteifern anfiengen. Aber auch d. durch die Errichtung der großen privilegirten Handelsgeſellſchaften nicht nur dem Handel, ſondern auch der Colonialpolitik eine andere Form gegeben ward.
2. Der Verfall der Portugieſiſchen Herr - ſchaft in Oſtindien war durch innere Urſachen ſchon lange vorbereitet, als aͤußere Urſachen ihn beſchleu - nigten. Jene lagen im Allgemeinen in der geſun - kenen Moralitaͤt, mit welcher unter den hoͤhern Claſſen der Heldengeiſt und Patriotiſmus erſtarben, und Habſucht und Liederlichkeit, die in Indien bis zur Schaamloſigkeit gieng, den Portugieſiſchen Nahmen dort zum Abſcheu machten. Da jeder nur ſich bereichern wollte, kam es dahin, daß In - dien dem Koͤnig mehr koſtete, als es einbrachte. Allerdings lagen aber auch in der Organiſation der Verwaltung Maͤngel, welche den Verfall beſchleu - nigten.
Die Hauptmaͤngel der Portugieſiſch-Indiſchen Admini - ſtration ſcheinen folgende geweſen zu ſeyn. a. Der oͤftere, wenigſtens dreyjaͤhrige, Wechſel der Vicekoͤnige, womit ge - woͤhnlich zugleich ein Wechſel der mehrſten Beamten ver - bunden war. So wurden alſo die Stellen dreyjaͤhrige Pfruͤn -den.131C. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1555 -- 1618. den. b. Der den Civil - und Militairbedienten freyſtehende Handel, der in Monopole ausartete, die oft ſehr druͤckend waren. c. Die ſchlechte Juſtiz. d. Das Uebergewicht der Geiſtlichkeit, die durch ihre Reichthuͤmer Alles an ſich zog; und der Zwang der Inquiſition, die nirgends ſtren - ger als in Goa war.
3. Zu dieſen inneren Urſachen aber kamen, ſchon ehe die Hollaͤnder dort auftraten, aͤußere. Nur mit Muͤhe behauptete man ſich gegen die An - griffe der einheimiſchen Fuͤrſten; und die Ver - einigung mit Spanien wurde fuͤr die dortigen1581 Beſitzungen ſchon an und fuͤr ſich ein Uebel, da man ſie ſeitdem nicht nur vernachlaͤſſigte, ſondern ſie nun auch den Angriffen der Feinde Spaniens ausgeſetzt waren.
4. Die Beſitzungen in Afrika und Braſi - lien ſtanden in ſteter Wechſelwirkung, da die erſtern nur die Sclaven fuͤr die anderen lieferten. DieJ 2dadurch132I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. dadurch entſtandenen Feindſeligkeiten fuͤhrten zu der1578 Anlage von St. Paolo di Loanda, und von da aus zu der Unterjochung von Congo und Angola, die durch die Miſſionen geſichert werden ſollte.
5. Die Spanier gaben ihrem Colonialſyſtem nicht bloß durch die Acquiſition der Portugieſi - ſchen Beſitzungen, ſondern auch durch die Beſet - zung der Philippinen in Oſtindien einen wichti - gen Zuſatz. Was haͤtten, durch die Verbindung mit Indien und China auf der einen, und die mit dem reichen Mexiko und Peru auf der andern Seite, dieſe Inſeln nicht werden koͤnnen, wenn die aͤngſtlich - ſte Beſchraͤnkung des Handels dieß nicht unmoͤglich gemacht haͤtte!
Beſitznahme der Philippinen ſeit 1564 zur Stiftung von Miſſionen. Einnahme der Hauptinſel Luçon ſeit 1572; nnd Anlage von Manilla. Die Verwaltung wird einem Vicekoͤnig uͤbertragen; aber die Kloͤſter werden die Hauptbeſitzer. — Errichtung eines regelmaͤßigen Verkehrs zwiſchen Acapulco und Manila jaͤhrlich nur durch ein oder zwey Schiffe, (die Suͤdſeegalleonen), ſeit 1572. — Große Einbuße der Regierung dabey, und Klagen uͤber das weggeſchleppte Silber von Mexiko. — Nur die Religion verhinderte es, daß man die Inſeln nicht gaͤnzlich verließ.
6. Aber indem die Spanier, nun auch Her - ren der Portugieſiſchen Colonien, die Alleinherr - ſchaft beyder Indien und ſeiner Meere ſich an -maaßten,133C. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1558 -- 1618. maaßten, traten zwey neue Voͤlker dabey als Con - currenten auf, Hollaͤnder und Englaͤnder, und entriſſen ihnen das, was ſeiner Natur nach nicht zu behaupten iſt. Waͤhrend ihres Kampfs fuͤr ihre Freyheit, gelang es den Hollaͤndern ſchon, ſich in den Beſitz des Welthandels zu ſet - zen; ſie empfanden es bald, daß der Indiſche ſein Hauptzweig ſey; und Philipp's Verbote beſchleu - nigten noch die Ausfuͤhrung. Die erſte durch Cor - nelius Houtmann gluͤcklich ausgefuͤhrte Reiſe er -1595 regte ſogleich einen allgemeinen Wetteifer, an die - ſem Handel Antheil zu nehmen, indem mehrere freye Geſellſchaften ſich dazu bildeten.
Um ſich die Erſcheinung des unter den Waffen aufbluͤ - henden Hollaͤndiſchen Handels zu erklaͤren, muß man be - merken, daß a. die Hollaͤndiſchen Staͤdte ſchon lange eine betraͤchtliche Handelsſchifffahrt ſowohl nach dem Oſten als Weſten von Europa, und ſehr wichtige Fiſchereyen hatten. Jetzt aber b. durch die Kapereyen der Waſſergeuſen ein Geiſt des Aventurirens aufgelebt war, und man die Schwaͤ - che der Spanier zur See kennen lernte. c. Daß durch die Sperrung des Hafens von Liſſabon fuͤr die Niederlaͤnder ſie ſich genoͤthigt ſahen, entweder den Vertrieb der In - diſchen Waaren ganz aufzugeben, oder ſie ſich ſelber von Indien zu holen. Endlich noch d. viele Capitaliſten aus den Belgiſchen ſich in die Bataviſchen Staͤdte zogen.
Außer den oben S. 32. bemerkten Werken:
7. Entſtehung der Hollaͤndiſch-Oſtindi - ſchen Compagnie; und ihre Organiſation. Es lag zwar in der Natur der Dinge, daß der Wirkungskreis dieſer maͤchtigen Corporation ſich erſt allmaͤhlig ausbilden konnte, aber die Hauptzuͤge ih - rer Verfaſſung wurden doch ſogleich entworfen. Gleich zu Folge ihres erſten, nachmals ſtets er - neuerten, Privilegiums, ward ſie nicht bloß ein merkantiliſcher, ſondern auch ein politiſcher Koͤrper; in der erſten Ruͤckſicht ganz unabhaͤngig, in der zweyten nicht viel mehr als dem Nahmen nach den Generalſtaaten untergeordnet.
Erſtes ihr ertheiltes Privilegium 29. Maͤrz 1602, wo - durch ſie a. das Monopol des Hollaͤndiſchen Handels jen - ſeit des Caps und der Straße Magelhaens, b. das Recht zu allen politiſchen Verhandlungen und zu Niederlaſſungen in Indien, jedoch im Nahmen der Generalſtaaten, erhielt. Errichtung des Fonds der Compagnie durch Actien, zu et - wa 6 1 ∫ 2 Million Gulden. Eintheilung in 6 Kammern, wovon jedoch die zu Amſterdam allein die Haͤlfte, die zu Zeeland 1 ∫ 4 Antheil des Ganzen hatte. Regierung der Compagnie in Holland durch den Rath der 17 Di - rectoren oder Bewindhebber, (aus dem groͤßern Rath der 60 gewaͤhlt), der die oberſte Leitung ihrer Angelegenheiten hat - te. In Indien ſeit 1610 Ernennung eines General - Gouverneurs oder oberſten Civil - und Militairchefs, dem jedoch der Rath von Indien zur Seite ſteht, aus deſſen Gliedern ſowohl die Gouverneurs als auch die General-Gouverneurs genommen werden. Die Zahl der Gouverneurs vermehrte ſich natuͤrlich erſt mit der Erweite - rung der Eroberungen.
8. Wo -135C. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1558 -- 1618.8. Wofern zur Fuͤhrung des Indiſchen Han - dels Niederlaſſungen und Beſitzungen in Indien ſelber noͤthig waren, ſo ſcheint auch damit die Er - richtung der Compagnie gerechtfertigt; weder Pri - vatperſonen noch damals der Staat konnten dieſe er - richten. Wer kannte auch damals die von Mono - polen unzertrennlichen Uebel? — Iſt gleich die Compagnie dieſen auch endlich erlegen, ſo bleibt ſie doch, — weniger durch den Umfang als durch die Dauer ihrer Bluͤthe — eine einzige Erſcheinung, nur bey dem einzigen Volke moͤglich, das reich, ſehr reich werden konnte, ohne uͤppig zu werden.
9. Die herrſchenden Maximen der Compa - gnie entwickelten ſich ſehr bald. Strenge Behaup - tung ihres Monopols, ſtrenge Aufſicht uͤber ihre Bedienten, gaͤnzliches Verbot alles Handels fuͤr ſie, Befoͤrderung nach dem Verdienſt, aber nie anders als von unten auf, puͤnktlichſte Bezahlung, — waren die Mittel, wodurch ſie ſich bald ſo empor - ſchwang, daß ein großer Theil ſeiner Reichthuͤmer Holland durch dieſen Canal zuſtroͤmte. Bey ihren Niederlaſſungen in Indien wurden gleich anfangs Inſeln, die Molucken und Sunda-Inſeln, ihr Ziel, wo jetzt bereits Batavia auf Java zum Mittelpunkt ihrer Indiſchen Herrſchaft beſtimmt ward. Indem ſie auch nachmals meiſt ſich aufJ 4Inſeln136I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Inſeln beſchraͤnkte, entgieng ſie dadurch den vielfachen Revolutionen des Continents von Indien, wo ohnehin eben damals das Mogoliſche Reich ſo maͤchtig war, daß an Eroberungen daſelbſt nicht zu denken ſeyn konnte.
Mußten gleich die Hollaͤnder mit den Waffen in der Hand ſich in Indien feſtſetzen, ſo kam ihnen doch der allge - meine Haß gegen die Portugieſen ſehr zu ſtatten. — Feſt - ſetzung auf Amboina und Tidor ſeit 1607. — Eroͤff - nung des Verkehrs mit Japan ſeit 1611. — Feſtſetzung auf Java ſeit 1618, und Eroberung und Zerſtoͤrung von Jacatra daſelbſt, worauf durch Koen an deren Stelle Ba - tavia gegruͤndet wird.
10. Das ſchnelle Aufbluͤhen dieſer Compa - gnie erzeugte aber allerdings eine ſolche Vorliebe fuͤr dieſe Inſtitute, daß allmaͤhlig mehrere der wich - tigſten Handelszweige der Republik privilegirten Ge - ſellſchaften uͤbergeben wurden. Waren auch dieſe Monopole nachtheilig, ſo konnte man bey der auſ - ſerordentlichen Mannigfaltigkeit der Gewerbe doch den Schaden viel weniger empfinden. Das ganze ſtolze Gebaͤude des Fabriken - Handels - und Colo - nialſyſtems der Niederlaͤnder erhob ſich ſchon da - mals faſt in allen ſeinen Theilen; aber vollendet ſtand es erſt im folgenden Zeitraum da.
11. Auch England trat unter Eliſabeth als gluͤcklicher Mitbewerber um den Welthandel auf. Schon137C. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1558 -- 1618. Schon ſeit Jahrhunderten in einem betraͤchtlichen Verkehr mit ſeinen Nachbarn, war es natuͤrlich, daß es jetzt auch den mit entfernten Laͤndern ſuchte. Der uͤber Rußland mit Perſien eroͤffnete Han - del erweiterte zuerſt den Geſichtskreis, der ſich bald bis nach beyden Indien ausdehnte. Allein die An - maaßungen und der Widerſtand der Spanier und Por - tugieſen erregten nothwendig in jenen Meeren einen be - ſtaͤndigen Streit. Doch war es lange (bis zum Kriege 1588) nur Freybeuterey, gereizt durch die reichen Ruͤckladungen der Spanier, aber auf allen Meeren, ja bis zur Umſchiffung der Erde getrieben.
Eroͤffnung des Handels uͤber Archangel mit Rußland bereits 1553, beguͤnſtigt vom Czar Iwan Baſilewitz; und uͤber das Caſpiſche Meer nach Perſien, ja ſelbſt ſchon bis Indien. — Vergebliche Verſuche zur Auffindung einer Nordoſt - oder Nordweſt-Paſſage, beſonders durch Forbi - ſher, Davis, Hudſon ꝛc. von 1576 bis 1610, und ihre Folgen. Reiſe um die Welt von Drake 1577 — 1580. Erſte Engliſche Schifffahrt nach Indien um's Cap 1591.
Außer den oben S. 31. angefuͤhrten Schriften noch be - ſonders:
12. Aber mit dem Aufleben des fernen aus - waͤrtigen Handels lebte auch in England der GeiſtJ 5der138I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. der Monopole auf; und Niemand war mit ihrer Ertheilung leicht freygebiger als Eliſabeth. Die wichtigſten Zweige des auswaͤrtigen Handels wurden privilegirten Compagnien uͤbergeben, es bildete ſich1554 die Ruſſiſche, die Afrikaniſche, die Tuͤrkiſche (Le -1581 vante) Compagnie, die der Adventurers fuͤr das feſte Land u. a. Es war alſo ganz im Geiſt die - ſes Syſtems, wenn auch der Oſtindiſche Handel ausſchließend einer Compagnie uͤbergeben ward, die jedoch, gleich jenen, nur merkantiliſche, nicht politiſche, Zwecke haben ſollte.
Entſtehung der alten Oſtindiſchen Compagnie 31. Dec. 1600. Sie erhielt — wie kurz darauf die Hollaͤndiſche — den Alleinhandel jenſeit des Cap und der Magellaniſchen Straße. — Aber, nur im Beſitz von Faktoreyen, zu Bantam, Surate u. a., nicht von Forts, konnte ſie die Konkurrenz mit den Hollaͤndern, beſonders auf den Mo - lucken, ihrem gemeinſchaftlichen Ziel, nicht aushalten; und ihre Geſchaͤfte blieben ſehr beſchraͤnkt. — Beſetzung der Inſel St. Helena durch die Compagnie 1601.
13. Aber auch im Weſten ward in dieſem Zeitraum von den Britten der Anfang zu Nieder - laſſungen gemacht, die, wenn ſie gediehen, als Ackerbau-Colonien einen ganz andern Charakter an - nehmen mußten als die uͤbrigen, an der Kuͤſte von Nordamerika. Die großen Hinderniſſe, welche die Wildheit des Lokals und der Einwohner in den Weg legten, konnten hier nur durch eine beharrlicheThaͤtig -139C. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1558 -- 1618. Thaͤtigkeit uͤberwunden werden; aber iſt es nicht auch dieſe, welche eben den Grund zu Gebaͤuden fuͤr Jahrhunderte legt?
Erſte, wiewohl mißlungene, Verſuche, in der Hoff - nung, goldreiche Laͤnder zu finden, unter Eliſabeth, be - ſonders durch Raleigh ſeit 1583. Aber erſt unter Ja - cob I., ſeit dem Frieden mit Spanien, Entſtehen privilegirter Geſellſchaften zu dieſem Zweck. Die London - und die Plymouth-Compagnie, privilegirt 1606; jene fuͤr die ſuͤdliche Haͤlfte der Kuͤſte (Virginien 34 — 41° N. B.), dieſe fuͤr die noͤrdliche (N. England 42 — 45°). Anlage von James-town, der erſten Stadt, an der Cheſapeak Bay 1606. Anbau des Tabacks in Virginien, ſeit 1616. — Beſetzung der Bermudas-Inſeln durch die Londoner Geſellſchaft 1612. Auch das Aufbluͤhen der Fiſchereyen von N. Foundland ſtand mit dieſen Unter - nehmungen in Verbindung; der Groͤnlaͤndiſche Wallfiſch - fang wurde bereits ſeit 1600 mit dem groͤßten Erfolge von den Englaͤndern getrieben.
14. Waren auch manche dieſer Verſuche nur erſt ein ſchwacher Anfang, ſo mußten ſie, bey den Anſpruͤchen der Spanier und Portugieſen, doch noth - wendig zu der Behauptung der Freyheit der Meere fuͤhren, die England und Holland mit dem Schwerdt, ſo wie Grotius mit der Feder, ver - theidigten. Ein unermeßliches Feld eroͤffnete ſich alſo hier fuͤr die Zukunft der practiſchen Politik: aber der unmittelbare Einfluß der Colonien auf dieſe konnte auch nicht ſo groß ſeyn, weil alle jene Un - ternehmungen nur Privatunternehmungen waren,welche140I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. welche die Regierungen genehmigten, ohne ſie weiter zu unterſtuͤtzen. Es dauerte noch geraume Zeit, bis Freybeutereyen und Feindſeligkeiten in den Colonien auch Kriege zwiſchen den Mutterſtaaten zur ſichern Folge hatten.
15. Auch Frankreich machte zwar Verſuche mit Colonialanlagen, aber die wenigen, die nicht gaͤnzlich mißlangen, waren mehr fuͤr die Zukunft als fuͤr die Gegenwart wichtig. Sie beſchraͤnkten ſich auf das noͤrdliche Amerika, wo ſeit dem An - fange des 15. Jahrhunderts die Niederlaſſungen in Canada und Acadien (Neu Frankreich) durch die1608 Anlage von Quebek mehr Feſtigkeit erhielten. Doch war nicht ſowohl Anbau des Landes, als Pelzhandel und Fiſcherey, der eigentliche Zweck der - ſelben.
1. Der Zeitraum ſo großer und allgemein ſich verbreitender Kriege, als der gegenwaͤrtige war, verflocht nothwendig das Intereſſe der Europaͤiſchen Staaten viel enger in einander, als es im vorigen hatte geſchehen koͤnnen; nur mit Ausnahme Eng - lands, das durch ſeine inneren Stuͤrme ſich auf lange Zeit faſt iſolirte. Die Urſachen jener engern Verſchlingung waren a. in der ſeit Ferdinand's II. Thronbeſteigung wiederhergeſtellten viel engern Ver - bindung der Spaniſchen und Oeſtreichiſchen Linie, die durch den Einfluß der Jeſuiten an beyden Hoͤ - fen noch mehr befeſtigt ward. b. In der gegen das Habsburgiſche Haus gerichteten Politik von Richelieu, und ſeinem weit verbreiteten Einfluß in Europa. c. In der eben dadurch befoͤrderten Her - einziehung der noͤrdlichen Maͤchte, beſonders Schwe - dens, in die Haͤndel des ſuͤdlichen Europas.
2. Religioͤſes und politiſches Intereſſe blieben auch in dieſem Zeitraum noch eben ſo tief in ein - ander verflochten; und das erſtere bleibt noch der Hebel des letztern. Die Stuͤrme desſelben gehen alſo auch noch groͤßtentheils aus der Reformation hervor; allein wenn dieſe im vorigen Zeitraum mehr die einzelnen Laͤnder trafen, ſo erſchuͤtterten ſie jetzt dagegen das allgemeine Staatenſyſtem von Europa, und hatten eben deswegen auch allgemei - nere Folgen.
1. Ge -142I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Die Geſchichte des dreyßigjaͤhrigen Kriegs macht zwar im - mer einen Abſchnitt in den Werken uͤber Deutſche Reichsgeſchich - te aus; aber meiſt nur aus dem publiciſtiſchen Geſichtspunkte betrachtet. Ihre Behandlung aus einem hoͤhern Geſichts - punkt, in Beziehung auf Europa und das ganze Zeitalter, bleibt noch eine Aufgabe fuͤr die Zukunft. Erwaͤhnt zu werden verdienen:
3. Der dreyßigjaͤhrige Krieg machte Deutſch - land zum Mittelpunkt der Europaͤiſchen Politik. Indeß war es kein Krieg, der von Anfang bis zu Ende nach Einem Plane, oder auch nur zu Einem Zwecke gefuͤhrt waͤre. Wer haͤtte, als er begann, ſeine Dauer und ſeinen Umfang geahnt? Aber des brennbaren Stoffs war allenthalben die Menge verbreitet; es ſchmolz ſelbſt mehr als Ein Krieg in ihm zuſammen; und die traurige Wahrheit, daßder143D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648. der Krieg ſich ſelbſt ernaͤhrt, beſtaͤtigte ſich nie mehr als hier!
Die Urſachen der großen Verbreitung und Dauer die - ſes Kriegs lagen uͤberhaupt a. in der Theilnahme der deut - ſchen Ligue. b. In der Erneuerung des gleichzeitigen Kriegs zwiſchen Holland und Spanten ſeit 1[6]21, der ſich zuletzt mit dem Deutſchen verflocht. c. In dem Hereinziehen der Nordiſchen Maͤchte, beſonders Schwedens ſeit 1630. d. In der Theilnahme von Frankreich ſeit 1635. — Doch waren dies nur die aͤußern Urſachen. Ohne die innern, den religioͤſen Partheygeiſt, und die auf allen Seiten ſich all - maͤhlig entſpinnenden Projecte und Hoffnungen, haͤtte er nicht ſo lange gedauert.
4. Wenn gleich der zuerſt in Boͤhmen aus - brechende Krieg nur das Oeſtreichiſche Haus an -161[8] gieng, ſo erhielt er doch ſogleich, da er uͤber Reli - gionshaͤndel entſtand, den ihm eigenthuͤmlichen Cha - rakter als Religionskrieg, und durch die von Sei - ten der Inſurgenten ſowohl als des Kayſers er - griffenen Maaßregeln auch einen ſolchen Umfang, daß er ſelbſt nach der Daͤmpfung der Inſurrection fortdauern mußte.
Verbreitung der Partie der Proteſtanten (Utraquiſten) ſowohl durch Boͤhmen, als durch Oeſtreich und Ungarn, wo Fuͤrſt Gabor Bethlen von Siebenbuͤrgen durch ſie ſelbſt nach der Krone griff. Crſter Ausbruch der Unruhen in Prag durch Mißhandlung der k. Statthalter 23. May 1618, und Anfang des Kriegs noch unter Mathias † 20. Maͤrz 1619. Abfall von ſeinem Nachfolger Ferdinand II. und Uebertragung der Boͤhmiſchen Krone an ChurfuͤrſtFrie -144I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Friedrich V. von der Pfalz 3. Sept. — Als Haupt der proteſtantiſchen Union, als Schwiegerſohn von Jacob I., und als Verbuͤndeter von Bethlen Gabor, hatte er der Huͤlfsquellen in und außer Deutſchland genug; haͤtte er ſie nur zu nutzen gewußt! — Hoͤchſt zweckmaͤßige Gegenanſtalten von Ferdinand II., indem er, ſchon mit Spanien verbunden, auch die Ligue durch den Vergleich mit Maximilian von Bayern (8. Oct.) hereinzieht, ja ſelbſt Sachſen fuͤr ſich ge - winnt, und die Union unthaͤtig macht. Schon vor der Niederlage auf dem weißen Berge 8. Nov. 1620. konnte man das Loos von Friedrich V. als entſchieden anſe - hen. — Unterjochung von Boͤhmen, Vernichtung ſeiner Privilegien, und grauſame Rache.
5. So war, wenn gleich der Boͤhmiſche Krieg geendigt ſcheinen konnte, doch die Flamme ſchon nach Deutſchland[ſo]wie nach Ungarn verbreitet; und die Achtserklaͤrung von Churfuͤrſt Friedrich und ſeinen Anhaͤngern mußte ihr neue Nahrung ge - ben. Durch ſie erhielt der Krieg zuerſt den revo - lutionairen Charakter, der ihm von jetzt an eigen bleibt; es war ein Schritt, der weiter fuͤhren muß - te; und neue und kuͤhnere Entwuͤrfe lebten in Wien wie in Madrid auf, wo man damals den Nieder - laͤndiſchen Krieg zu erneuern beſchloß. Unter - druͤckung des Proteſtantiſmus, und der Sturz Deut - ſcher und Niederlaͤndiſcher Freyheit, mußten nach den Verhaͤltniſſen des Zeitalters unzertrennlich ſchei - nen, und das Gluͤck der kayſerlich-ligiſtiſchen Waffen, mit denen ſich die Spaniſchen vereinigten, belebte die Hoffnungen.
Achts -145D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648.Achtserklaͤrung des Churfuͤrſten Friedrich, 22. Jan. 1621, und demnaͤchſt Uebertragung der Chur an Bayern 25. Febr. 1623. — Aufloͤſung der Union, und Verſetzung des Kriegs nach der Pfalz, den Erblaͤndern Frie - drich's, mit Hulfe Spaniſcher Truppen unter Spinola aus den Niederlanden. — Siege des, zuerſt von Ernſt von Mansfeld bey Wißbach 29. April 1622 geſchlage - nen, Tilly uͤber den Markgraf von Baden bey Wimpfen 6. May; und Chriſtian von Braunſchweig bey Hoͤchſt 20. Juni; und Einnahme der ganzen Pfalz. Doch gaben der kuͤhne Mansfelder, und Chriſtian nicht Alles verlohren; ſo lange die Hoffnungen von England dauerten, und Nieder - deutſchland Unterhalt und Huͤlfe darbot.
6. Die Verbreitung des Krieges nach Nieder - ſachſen, dem Hauptſitz des Proteſtantiſmus in Deutſch - land, deſſen Staͤnde Chriſtian IV. als Herzog von Holſtein zu ihrem Bundeshaupt ernennen, zieht bereits, wenn gleich mit ſchlechtem Erfolg, den Norden herein; und verurſacht den Daͤniſchen Krieg. Aber viel wichtiger fuͤr den ganzen Gang und Charakter des Kriegs, ward die dadurch veran - laßte Erhebung Albrecht's von Wallenſtein zum Herzog von Friedland und zum Kayſerlichen Obergeneral uͤber ein von ihm ſelber errichtetes Heer. Von jetzt an mußte der Krieg vollends wahrer Revolu - tionskrieg werden. Die eigene Lage des Feldherrn, die Art der Bildung ſowohl als der Erhaltung ſeiner Armee, mußten ihn dazu machen. War fuͤr ihn und ſeine Entwuͤrfe, welche ſie auch ſeyn mochten, in der alten Ordnung der Dinge Platz?
KDer146I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Der Daͤniſche Krieg von 1625 — 1629. — Niederlage von Chriſtian IV. bey Lutter am Barenberge 27. Aug. 1626; waͤhrend Wallenſtein den Grafen von Mansfeld von der Elbe bis nach Ungarn treibt, wo er ſtirbt, 30. Nov. — Fortſetzung des Kriegs gegen Chriſtian IV., hauptſaͤchlich durch Wallenſtein, der ſich der Oſtſeelaͤnder, bis auf Stralſund, bemaͤchtigte, 1628. Friede mit Chriſtian IV. zu Luͤbeck gegen Reſtitution ſeiner Laͤnder, aber Ent - ſagung aller Theilnahme an den Deutſchen Haͤndeln als Koͤnig von Daͤnemark, und Aufopferung ſeiner Verbuͤnde - ten, beſonders der Herzoͤge von Mecklenburg, 12. May 1629.
7. Das ausgezeichnete Gluͤck der Kayſerlichen Waffen im Norden von Deutſchland enthuͤllte aber auch unterdeß die kuͤhnen Entwuͤrfe von Wallen - ſtein. Er trat nicht nur als Eroberer auf, ſon - dern durch die Belehnung mit Mecklenburg als Reichsſtand und als regierender Herr. Man ge - woͤhnte ſich bereits an die Veraͤnderung des recht - maͤßigen Beſitzſtandes. Daß er auf dieſer Stufe ſchwerlich ſtehen bleiben konnte, war ſchon an ſich klar; haͤtte auch der angenommene Titel des Generals der Oſtſee auf nichts weiteres gedeutet.
Achtserklaͤrung der Herzoͤge von Mecklenburg, 19. Jan. 1628, und demnaͤchſt Belehnung Wallenſtein's mit ihren Landen. — Auch Pommern hielt er beſetzt. — Die Herr - ſchaft der Oſtſee, die man durch die Hanſeſtaͤdte zu be - haupten hoffte, ſollte gegen Daͤnemark und Schweden ge - richtet ſeyn, und wer mochte beſtimmen, was ſeine weiteren Entwuͤrfe waren?
8. Allein147D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648.8. Allein die Erhebung und Verfahrungsart die - ſes Neulings erbitterte und druͤckte die Catholiſchen nicht weniger als die Proteſtantiſchen Staͤnde, beſon - ders die Ligue und ihren Chef; Alles ſchrie nach Frie - den und Wallenſtein's Abdankung. So blieb auf dem Churfuͤrſtentage zu Augsburg dem Kayſer nur die1630 Jul. Wahl, ihn oder ſeine Verbuͤndeten aufzugeben; er waͤhlte das erſte, Wallenſtein und der groͤßte Theil ſeines Heers ward entlaſſen, und Tilly zum allge - meinen Befehlshaber der Kayſerlichen und Ligiſtiſchen Macht ernannt.
(A. S. Stumpf) Diplomatiſche Geſchichte der teutſchen Ligue, im 17ten Jahrhundert. Mit Urkunden. Erfurt 1800. 8. Einer der wichtigſten Beytraͤge zur critiſchen Geſchichte dieſes Kriegs.
9. Fuͤr die Verlaͤngerung des Kriegs war aber von Kayſerlicher Seite ſchon außerdem geſorgt. Die Verweigerung der Reſtitution des ungluͤcklichen Frie - derich's, und ſelbſt der Verkauf ſeiner Oberpfalz an Bayern, mußte bey den uͤbrigen Fuͤrſten gerechte Be - ſorgniſſe erregen. Allein als es endlich den Jeſuiten gelungen war, das Reſtitutionsedict von dem1629 9. Mrz Kayſer nicht nur zu erpreſſen, ſondern auch auf die empoͤrendſte Weiſe ausfuͤhren zu laſſen, ſahen ſelbſt die Catholiſchen Staͤnde mit Mißbilligung es ein, daß kein Friede werden konnte.
K 2Das148I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Das Reſtitutionsedict enthielt die zwey Haupt - puncte: daß 1. zu Folge des Reſervatum Eccleſiaſticum (ſ. oben S. 70.) die ſeit dem Paſſauer Vertrage eingezogenen geiſtlichen Guͤter reſtituirt; und 2. der Religionsfriede, (dem man nicht entgegen zu handeln das Anſehen haben wollte,) nur auf die Augsburgiſchen Confeſſions-Verwandten — nicht auf die Reformirten — ausgedehnt ſeyn ſollte. — Was blieb, kann man fragen, in dieſem Falle noch den Proteſtanten uͤbrig? Aber die Art der Ausfuͤhrung durch K. Exſecutionstruppen erbitterte faſt noch mehr als das Edikt ſelber.
10. Je mehr aber das Gluͤck des Hauſes Oeſtreich ſtieg, um deſto thaͤtiger wußte die aus - waͤrtige Politik ihm entgegen zu arbeiten. Von Anfang an hatte England, wenn gleich meiſt nur durch fruchtloſe Unterhandlungen, an dem Schick - ſale Friedrich's V. Antheil genommen. Die Ein - miſchung Daͤnemarks war hauptſaͤchlich ſein und1624 Hollands Werk geweſen. Aber ſeitdem Richelieu in Frankreich herrſchte, war ſeine Politik auch gegen Oeſtreich und Spanien thaͤtig. Er hatte durch die1626 Haͤndel uͤber Veltelin Spanien, und bald dar -1627 bis 1630 auf durch den Krieg uͤber Mantua zugleich auch Oeſtreich beſchaͤftigt. Gern haͤtte er die Deut - ſche Ligue von dem Intereſſe des Kayſers getrennt; und wenn auch dieß nicht gelang, ſo war doch Wal - lenſtein's Fall von ihm befoͤrdert.
Einmiſchung Frankreichs in die Haͤndel Spaniens mit Graubuͤnden uͤber das, durch ſeine Lage wichtige, Veltelinſeit149D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648. ſeit 1620, beendigt zum Vortheil Frankreichs und Grau - buͤndens durch den Tractat zu Monçon, 5. Maͤrz 1626. — Mantuaniſcher Erbfolgekrieg, zu Gunſten des Her - zogs von Nevers, mit Oeſtreich 1627 — 1630., der durch den Tractat von Chieraſco vom 6. April 1631 im Beſitz bleibt. So war der Spaniſche Principat in Italien gebro - chen, und Frankreichs Einfluß daſelbſt wieder gegruͤndet, das auch im Beſitz der Grenzfeſtungen Pignerol und Caſale zu bleiben wußte.
11. Viel wichtiger indeß wurde Richelieu's Einfluß auf den Krieg, durch den weſentlichen An - theil, den er an Guſtav Adolph's thaͤtiger Theil -1630 nahme an demſelben hatte; wie wenig es auch in ſeinem Plane lag, daß der, den er nur als In - ſtrument zu gebrauchen dachte, das Verhaͤltniß faſt umkehren zu wollen ſchien. Wer kannte auch, un - geachtet ſeiner ſchon 19jaͤhrigen Regierung, und den faſt eben ſo langen polniſchen Kriegen (ſ. un - ten), bey ſeinem Auftritt in Deutſchland den ge - nialiſchen Helden, bey dem es ſchon klar war, oder doch bald klar ward, was auf den entſcheidenden Sieg des Proteſtantiſmus in Deutſchland ſich Alles fuͤr den Sieger bauen ließ, — nach ſeinem ganzen Werth?
Guſtav Adolph's Landung in Deutſchland, 24. Jun. 1630., und, faſt erzwungene, Verbindung der Haupt - ſtaͤnde des Oberſaͤchſiſchen Kreiſes, Pommerns 20. Jul., Brandenburgs 4. Mai 1631, und Sachſens, (das vergeblich durch einen Neutralitaͤtsbund zu Leipzig, Maͤrz 1631, ſeine Selbſtſtaͤndigkeit zu behaupten ſucht;) aber nicht ohneK 3Maaß -150I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Maaßregeln fuͤr die kuͤnftige Acquiſition von Pommern. Subſidientractat mit Frankreich 13. Jan. 1631., und ſchon vorher freywilliges Buͤndniß des Landgrafen Wilhelm von Heſſen 9. Nov. 1630. — Dennoch bedurfte er, nach dem ſchrecklichen Schickſal Magdeburgs 10. May 1631., eines großen Siegs, um ſeinen Credit aufrecht zu erhalten.
12. Die Schlacht bey Leipzig entſchied fuͤr Guſtav Adolph und ſeine Parthey faſt uͤber alle Erwartung. Der Bund der Ligue fiel ausein - ander; und er war binnen Kurzem Herr der Laͤn - der von der Oſtſee bis Bayern, und vom Rhein bis Boͤhmen. Welche Hoffnungen, welche Plaͤne mußten bey einem ſolchen Gluͤck nicht blos bey ihm, ſondern auch bey manchem ſeiner Begleiter aufleben! Aber Tilly's Unfaͤlle und Tod fuͤhrten Wallenſtein als unumſchraͤnkten Oberbe - fehlshaber wieder auf die Schaubuͤhne; nicht ohne gleiche oder noch groͤßere Entwuͤrfe wie vorher. In keinem Zeitraum des Kriegs konnte man ſo großen Umkehrungen der Dinge entgegen ſehen, da1632 beyde Chefs ſie wollten; aber der Sieg bey Luͤt - zen, mit Guſtav Adolph's Blut erkauft, berei - tete auch ſchon den Fall von Wallenſtein vor.
Sieg des Koͤnigs bey Leipzig in Verbindung mit den Sachſen 7. Sept. 1631. — Einnahme Boͤhmens durch die Sachſen; Vordringen des Koͤnigs in die Ligiſtiſchen Laͤn - der, und nach dem Treffen am Lech 5. April 1632, das Tilly wegraffte, in Bayern bis Muͤnchen 7. May. — Der Koͤnig und Wallenſtein einander gegen uͤber bey Nuͤrnberg,Jun.151D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648. Jun. — Aug. — Verſetzung des Kriegs nach Sachſen. Schlacht bey Luͤtzen, und Guſtav Adolph's und Pappenheim's Tod 6. Nov. 1632.
13. Der Fall von Guſtav Adolph vereitelte zwar ſeine perſoͤnlichen Plaͤne, nicht die ſeiner An - haͤnger. Man fuͤhlte es aber bereits in Deutſch - land, daß auch Schwediſche Herrſchaft druͤcken koͤnne; und Sachſens Eiferſucht war ſelbſt unter den Siegen nicht erloſchen. Gieng auch aus Gu - ſtav's Schule eine Schaar großer Maͤnner im Ca - binet und im Felde hervor, wie nur ein ſo uͤber - legener Menſch ſie bilden konnte, ſo ward es doch ſelbſt einem Oxenſtierna ſchwer, das Schwediſche Anſehen aufrecht zu erhalten, was ſelbſt durch den Heilbronner Bund nur zur Haͤlfte geſchah.
Was wollte Guſtav Adolph? — Nothwendig Behaup - tung des einmal uͤbernommenen Principats der Pro - teſtantiſchen Partie in Deutſchland. Dieß ſchloß wie - derum in ſich, daß er 1. ſelbſt hier poſſeſſionirt war; daß er 2. ſeine Freunde und Anhaͤnger belohnte und verſtaͤrkte. Wohin dieß zuletzt fuͤhren, in einem Zeitpunct fuͤhren konn - te, wo man an gewaltſame Beſitzveraͤnderungen, und an das Fuͤrſtenmachen ſchon gewoͤhnt war, — wer mag es ſagen? Sollte es der Held, aus der Mitte ſeiner Laufbahn wegge - riſſen, ſelber ſchon beſtimmt ſich gedacht haben? — Ab - ſchluß des Heilbronner Buͤndniſſes mit den 4 vorde - ren Kreiſen unter Schwediſcher Direction 13. April 1633; aber ohne Veytritt Sachſens.
Sam. Pufendorf Commentariorum de rebus Svecicis libri XXVI. (von 1630 — 1654) Francf. 1707. fol.
K 4Hiſtoi -152I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Hiſtoire de Guſtave Adolphe par Mr. d. M. (Mau - villon) Amſterd. 1764. 4.
14. Wenn die Schwediſche Macht ſich unter Anfuͤhrung der Zoͤglinge des Koͤnigs, Bernhard von Weimar und Guſtav Horn, in den naͤch - ſten Monathen faſt uͤber ganz Deutſchland wieder ver - breitete, ſo ſchien Wallenſtein's abſichtliche Un - thaͤtigkeit in Boͤhmen davon die Urſache zu ſeyn. Das Mißtrauen gegen ihn wuchs in Wien deſto mehr, je weniger er ſelber ſich Muͤhe gab, es zu vermindern; und haͤtte er auch durch ſeinen Fall nicht die Schuld verbrecheriſcher Entwuͤrfe gebuͤßt, ſo buͤßte er wenigſtens die eines zweydeutigen Charakters. Wahrſcheinlich aber ward dadurch Deutſchland von einer großen Cataſtrophe gerettet.
Die Haupturkunde zu Wallenſtein's Anklage iſt der Be - richt ſeines Unterhaͤndlers Sceſina an den Kayſer 1635; dem zu Folge er ſchon ſeit 1630 mit Guſtav Adolph gehei - me Unterhandlungen angeknuͤpft hatte. Aber a. hatte nicht Sceſina ein Intereſſe, ihn ſchuldig zu machen? b. War jede leidenſchaftliche Aeußerung von Wallenſtein wirklicher Plan? — Seine Ermordung zu Eger 25. Febr. 1634. Die wichtigſten Aufklaͤrungen uͤber ſeine Geſchichte liegen noch in Archiven vergraben. Materialien dazu enthalten:
Beytraͤge zur Geſchichte des dreyßigjaͤhri - gen Kri[e]ges von Chr. Gottl. von Murr. Nuͤrnberg 1790. und:
Die Ermordung Albrecht's Herzogs von Friedland, herausgegeben von C. G. v. Murr. Halle 1806. — Das Lateiniſche Original von Sceſina's Bericht iſt hier zuerſt bekannt gemacht.
15. Gro -153D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648.15. Große Veraͤnderung bald nach dem Tode Wallenſtein's, ſeitdem ein Prinz aus dem Hauſe, Koͤnig Ferdinand von Ungarn und Boͤhmen, den Oberbefehl erhaͤlt. Damit war auf dieſer Seite den Revolutions-Plaͤnen ein Ende gemacht. Allein noch in eben dem Jahre gab auch die Noͤrdlinger Schlacht den Kayſerlichen Waffen ploͤtzlich ein Uebergewicht, wie ſie es noch nie gehabt hatten. Der Separatfriede Sachſens mit dem Kayſer zu Prag, dem bald eine Verbindung folgte, war davon die Folge; Schweden, bis nach Pommern zu - ruͤckgedraͤngt, ſchien ſich nicht durch eigene Kraft auf Deutſchem Boden halten zu koͤnnen.
Niederlage der Schweden bey Noͤrdlingen 6. Sept. 1634. — Durch die Praͤliminarien des Prager Friedens vom 22. Nov. (beſtaͤtigt 30. May 1635) behielt Sachſen 1. die eingenommene Lauſitz; 2. blieben die eingezogenen geiſtlichen Guͤter vors erſte auf 40 Jahre in den Haͤnden ihrer Beſitzer. — Die meiſten uͤbrigen proteſtantiſchen Staͤnde traten dieſem Frieden halb gezwungen bey.
16. Verlaͤngerung und große Erweiterung des Kriegs durch Frankreichs thaͤtige Theilnah -1635 me; zuerſt gegen Spanien, und bald auch gegen Oeſtreich. Seit dieſem Zeitpunkt konnte der Krieg ſchon wegen den Spaniſchen Nebenlaͤndern in Ita - lien ſchwerlich auf Deutſchland beſchraͤnkt bleiben; allein die Verbindung, die Richelieu jetzt mit den Niederlaͤndern ſchloß, verſchmolz auch den DeutſchenK 5Krieg154I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Krieg gewiſſermaßen mit dem Spaniſch-Niederlaͤn - diſchen. Außer der Unterſtuͤtzung der Feinde Oeſt - reichs und Spaniens, lagen aber auch Eroberungen von Anfang an in den Plaͤnen des Franzoͤſiſchen Mi - niſters. Wo ließ unter dieſen Umſtaͤnden ſich ein Ende des Kriegs abſehen?
Der ſeit 1621 wieder erneuerte Krieg zwiſchen den Spaniern und Niederlaͤndern, war, als Landkrieg, auf die Spaniſchen Niederlande beſchraͤnkt geblieben; und hatte hauptſaͤchtich in Belagerungen beſtanden. — Buͤndniß Richelieu's mit den Niederlaͤndern zu der Eroberung und Theilung der Spaniſchen Niederlande 8 Febr. 1635, jedoch ohne gewuͤnſchten Erfolg. Aber das Project jener Ac - quiſition ſtarb ſeitdem im Franzoͤſiſchen Cabinet nicht aus. — Die Verbindungen in Italien mit Savoyen, Mantua und Parma, gegen Spanien 11. Juli 1635 zur Einnahme Mailands, wurden erſt ſeit 1638 durch den Streit uͤber die Regentſchaft in Piemont fuͤr Frankreich vortheilhaft, das ſeine Clientin Chriſtina gegen den Spaniſchen Einfluß behauptet.
17. Den Deutſchen Krieg fuͤhrte Frankreich ſeit dem Tractat mit Bernhard von Weimar meiſt, indem es Deutſche gegen Deutſche bewaffnete. Aber der Zoͤgling Guſtav Adolph's wollte lieber fuͤr ſich als fuͤr andere fechten; und ſein fruͤhzeitiger Tod war Frankreich nicht weniger als Oeſtreich erwuͤnſcht. Auch das Gluͤck der Schwediſchen Waffen lebte unter Banner wieder auf; und nach den vergeblichen Friedensunterhandlungen zu Luͤbeck, vereinigten ſichbeyde155D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648. beyde Kronen, weil beyde Eroberungen wollten, noch durch eine engere Allianz.
Subſidien-Traktat mit Bernhard von Weimar 27. Oct. 1635, der ſich im Elſaß einen Staat zu erobern ſucht. Einnahme von Breyſach 3. Dec. 1638. Nach ſeinem ſehr unerwarteten Tode 8. Jul. 1639. bemaͤchtigte ſich Frankreich ſeiner Armee. — Sieg der Schweden unter Banner bey Wittſtock uͤber das Kayſerlich-Saͤchſiſche Heer 24. Sept. 1636.
18. Wenn unter dieſen Umſtaͤnden ſich endlich ein Schimmer des Friedens zeigte, ſo war es nicht das Elend Deutſcher Laͤnder, — was kuͤmmerten ſich die Fremden darum? — ſondern ein Zuſammen - fluß von Umſtaͤnden, der ihn erzeugte. Die Verbin - dung Oeſtreichs mit Spanien, das ohnehin die Buͤr - gerkriege mit Portugal und Catalonien fuͤhren1640 mußte, wurde, ſeitdem Kayſer Ferdinand III. ſei - nem Vater folgte, weniger eng; die Selbſtſtaͤndigkeit1637 des neuen Churfuͤrſten von Brandenburg Frie - drich Wilhelm ließ Oeſtreich wie Schweden weni -1640 ger Hoffnung; und auf dem endlich wieder gehal - tenen allgemeinen Reichstage bequemte ſich der Kayſer zu einer — wenigſtens ſo genannten — all - gemeinen Amneſtie. Aber als auch ſelbſt auf1641 10. Oct. der Zuſammenkunft der Geſandten der Hauptmaͤchte zu Hamburg die Praͤliminarien unterzeichnet,25. Dec. und Zeit und Ort des Friedenscongreſſes beſtimmtwurden;156I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. wurden; ſchob, nach Richelieu's Tode, dem Car -1642 dinal Mazarin folgte, der unterdeß immer fortge - hende Krieg die Erfuͤllung hinaus, da jeder noch durch Siege fuͤr ſich zu gewinnen hoffte. Ein neuer Krieg mußte ſich ſelbſt noch im Norden zwiſchen1643 bis 1645 Schweden und Daͤnemark entzuͤnden (ſ. unten); und als auch endlich der Friedenscongreß zu1645 Apr. Muͤnſter und Osnabruͤck eroͤffnet wurde, dauerten die Unterhandlungen noch uͤber drey Jahre, in denen das ſuͤdliche Deutſchland, und beſonders Bayern, durch das wiederholte Eindringen der Fran - zoſen und Schweden, den Kelch der Leiden bis auf den Boden ausleeren mußte.
Unternehmungen von Torſtenſohn 1642 — 1645, ſo - wohl in Schleſien, Sachſen (Sieg bey Leipzig 23. Oct. 1642), und Boͤhmen; als in Holſtein 1644, und wiederum in Boͤhmen 1645; waͤhrend die Franzoͤſiſche Armee bey Duttlingen 14. Nov. 1643. von den Bayern geſchlagen ward. Aber ſeitdem Turenne ihr Commando erhielt, und nach Torſtenſohn's Abgange (Nov. 1645.) ſein Nachfolger Wrangel in Verbindung mit jenem 1646 in Bayern ein - drang, ward Maximilian I. zu einem Waffenſtillſtande zu Ulm 14. Maͤrz 1647. genoͤthigt, deſſen Brechung jedoch im Sept. 1647. einen neuen vereinten Einfall mit furchtba - ren Verwuͤſtungen 1648. nach ſich zog; waͤhrend die Schwe - den in Boͤhmen unter Pfalzgraf Carl Guſtav und Koͤ - nigsmark ſelbſt Prag einnahmen, wodurch der Friede nicht wenig befoͤrdert wurde.
19. Die ſo verwickelten Verhaͤltniſſe mehrerer Hauptmaͤchte gaben dem Congreß nothwendig einenUmfang,157D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648. Umfang, wodurch er ſchon an und fuͤr ſich eine neue Erſcheinung in Europa war. Oeſtreich war mit Schweden und mehreren der proteſtantiſchen Staͤn - de, Schweden mit Oeſtreich, Bayern und Sach - ſen, Frankreich mit Oeſtreich und ſeinen Verbuͤnde - ten ſo wie mit Spanien, Spanien mit Frankreich, mit Portugall und mit den Niederlanden im Kriege. Nur der Spaniſch-Niederlaͤndiſche (ſ. un -1648 20. Jan. ten) und der Deutſche Krieg wurden durch die - ſen Congreß beendigt; nicht der Franzoͤſiſch-Spa - niſche, der erſt nach 11 Jahren (ſ. unten) ſeine Endſchaft erreichte; auch nicht der zwiſchen Spa - nien und Portugal. Der Deutſche Friede ward zu Muͤnſter zwiſchen dem Kayſer und Frankreich,24. Oct. zu Osnabruͤck zwiſchen dem Kayſer und Schwe - den unterhandelt; beyde Friedensſchluͤſſe jedoch, nach ausdruͤcklicher Uebereinkunft, als Ein Friede, der den Nahmen des Weſtphaͤliſchen traͤgt, an - geſehen.
Franzoͤſiſche Geſandte zu Muͤnſter waren Graf d'Avaux, und Servien; Schwediſche zu Osnabruͤck Oxenſtierna (Sohn des Kanzlers) und Salvius. Unter den Kayſer - lichen Geſandten war der wichtigſte Graf von Trautmans - dorf; Spanien und die Niederlaͤnder hatten jeder 8 Be - vollmaͤchtigte geſchickt; ſo wie auch viele andere Staaten die ihrigen.
Außer dem Werk von Bougeant (ſ. oben S. 142.):
Negociations ſécrètes touchant la paix de Munſter et d'Osnabruck; à la Haye 1725. 4 Voll. fol.
J. 158I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.J. Steph. Puͤtter Geiſt des Weſtphaͤliſchen Friedens, Goͤttingen 1795. 8.
Die vollſtaͤndigſte Sammlung der Actenſtuͤcke:
J. G. von Meyern Acta pacis Weſtphalicae, Goͤttin - gen 1734. Th. I — VI. fol., der auch die correcteſte Aus - gabe dieſer Friedensſchluͤſſe Goͤttingen 1747. beſorgt hat.
20. Die durch den Weſtphaͤliſchen Frieden re - gulirten Gegenſtaͤnde betrafen 1. Entſchaͤdigungen ſo - wohl der Krieg fuͤhrenden auswaͤrtigen Maͤchte, als einzelner Staͤnde des Reichs. 2. Die innern ſowohl religioͤſen als politiſchen Verhaͤltniſſe des letztern. 3. Die Verhaͤltniſſe von zwey andern auswaͤrtigen Staa - ten zum Deutſchen Reich. — Um die Entſchaͤ - digungsmaſſe zu bilden, nahm man ſeine Zu - flucht zur Seculariſation mehrerer, bereits pro - teſtantiſch gewordener, geiſtlicher Stifter. Die aus - waͤrtigen entſchaͤdigten Maͤchte waren Frankreich und Schweden; die Deutſchen Fuͤrſten aber Branden - burg, Heſſen-Caſſel, Mecklenburg und Braun - ſchweig-Luͤneburg.
Frankreich erhielt den Elſaß, ſo weit er Oeſtreich gehoͤrte; Beſtaͤtigung der Hoheit uͤber Metz, Toul und Verdun (ſ. oben S. 69.); wie auch uͤber Pignerol, und das Beſatzungsrecht in Philippsburg. Die abgetretenen Laͤnder werden Frankreich einverleibt.
Schweden bekam Vorpommern nebſt der Inſel Ruͤgen und einem Theil von Hinterpommern, Wismar, Bremen und Verden; alles mit den Rechten der Reichsſtandſchaft und 5 Millionen Thaler.
Chur -159D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648.Churbrandenburg die ſeculariſirten Stifter Mag - deburg, Halberſtadt, Camin und Minden.
Mecklenburg Schwerin und Ratzeburg.
Heſſen Hirſchfeld und 4 Aemter nebſt 600000 Thaler.
Braunſchweig-Luͤneburg die Alternative in Os - nabruͤck nebſt einigen Kloͤſtern.
Churſachſen behielt das im Prager Frieden Erhaltene.
21. Die Beſtimmungen der innern Verhaͤlt - niſſe des Deutſchen Reichs betrafen nicht ſowohl neue, als bisher ſtreitige oder ungewiſſe, Gegen - ſtaͤnde. Indem 1. in Anſehung der Religion nicht nur der Augsburgiſche Religionsfrieden beſtaͤtigt, ſon - dern auch ausdruͤcklich auf die Reformirten ausge - dehnt und voͤllige Gleichheit der Rechte feſtgeſetzt; in Anſehung der geiſtlichen Guͤter und der Religions - uͤbung aber der Anfang des Jahrs 1624. als Norm (Annus normalis) feſtgeſetzt, alſo auch fuͤr die Zu - kunft das Reſervatum eccleſiaſticum als guͤltig anerkannt wurde. 2. In Anſehung der politiſchen Verhaͤltniſſe a. eine allgemeine Amneſtie und Reſtitu - tion bewilligt; (jedoch bey dem Pfaͤlziſchen Hauſe mit der Beſchraͤnkung, daß eine neue 8te Chur fuͤr daſſelbe errichtet ward; und die ihm genommene Chur nebſt der Oberpfalz bey Bayern blieb). b. Den ſaͤmmt - lichen Staͤnden im Verhaͤltniß gegen den Kayſer ihre Hoheitsrechte in ihren Laͤndern, ſo wie ihre Rechte auf den Reichstaͤgen, geſichert wurden.
22.160I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.22. Die Verhaͤltniſſe mit auswaͤrtigen Staaten wurden bey der Republik der vereinigten Niederlande und der Schweiz dahin beſtimmt, daß ſie als voͤllig unabhaͤngig von dem Deutſchen Reiche an - erkannt wurden.
23. Die durch dieſen ſchrecklichen Krieg verur - ſachten Reſultate ſcheinen, in Ruͤckſicht des veraͤnder - ten Laͤnderbeſitzes, viel geringer, als man in mehre - ren Zeitpuncten deſſelben haͤtte erwarten duͤrfen, und hoͤchſt wahrſcheinlich erfolgt ſeyn wuͤrden, waͤren nicht mit der Hinwegraffung Guſtav Adolph's und Wallen - ſtein's aus der Mitte ihrer Laufbahn auch ihre Ent - wuͤrfe oder Hoffnungen vereitelt. Aber ſeine Folgen trafen doch nicht bloß Deutſchland, ſondern auch das Europaͤiſche Staatenſyſtem uͤberhaupt.
24. Der Deutſche Staatskoͤrper erhielt da - durch ſeine feſten Formen, die durch den bald1662 nachher zu Regensburg fixirten beſtaͤndigen Reichstag noch mehr beſtimmt wurden. Die Kayſerliche Macht war jetzt geſetzmaͤßig auf das aͤu - ßerſte beſchraͤnkt; die Fuͤrſten waren im vollen Sinne Regenten ihrer Laͤnder, das Wohl Deutſchlands war an die Territorial - nicht an die Reichsregierung ge - knuͤpft. War dieſe Verfaſſung gut? — Sie ent - ſprach dem Willen und dem Charakter der Nation,die161D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648. die treu an ihren Fuͤrſten haͤngt. Sie hatte ihre Maͤngel; wer mag ſie verkennen? Aber in wie fern dieſe ſchaͤdlich werden ſollten, hieng meiſt von aͤußeren Verhaͤltniſſen ab, die ſich nicht vorher be - ſtimmen ließen. Giebt etwa die Vereinigung zu Einer großen Monarchie — man ſehe Spanien — die ſichere Buͤrgſchaft zu einer hoͤheren Stufe von Nationalgluͤck, als Deutſchland ſie erſtiegen hat?
25. In dem Staatenſyſtem von Europa wurden durch den Weſtphaͤliſchen Frieden keines - wegs alle wichtige, oder auch ſelbſt nur ſtreitige, Ver - haͤltniſſe beſtimmt. Aber 1. die Erhaltung Deut - ſcher Verfaſſung, das Ziel des grauſamen Kampfs von halb Europa, erhielt in den Augen der practi - ſchen Politik eine Wichtigkeit, die ſelbſt nachmals die Feinde des Reichs nicht verkannten. 2. Durch die Verbindung Frankreichs mit Schweden waren der Norden und der Weſten von Europa in naͤhere Verhaͤltniſſe geſetzt. Aber es fehlte dieſer Verbin - dung an einem fortdauernden gemeinſchaftlichen In - tereſſe, da ſo bald von Oeſtreich nichts zu fuͤrchten war; und ſie erſchlaffte um ſo viel mehr, da die Koͤ - nigin Chriſtina ſie nur dazu nutzen wollte, Sub - ſidien von Frankreich zu ziehen. 3. Allerdings aber hatte ſich Schweden zu dem Range einer der erſten Landmaͤchte hinaufgeſchwungen, den es uͤberL50162I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. 50 Jahre behauptete. 4. Die Unabhaͤngigkeit der Republik der vereinigten Niederlande war nun allge - mein anerkannt. 5. Der practiſch angenommene Grundſatz der Erhaltung Deutſcher Verfaſſung war unaufloͤslich an den der Erhaltung des Gleichgewichts der Maͤchte geknuͤpft; der daher auch ſeitdem noch weit mehr anerkannt und befeſtigt wurde. Nicht alſo durch die Beſtimmung aller politiſchen Hauptver - haͤltniſſe, aber wohl der politiſchen Haupt - grundſaͤtze, ward der Weſtphaͤliſche Friede die Grundlage der nachmaligen practiſchen Politik von Europa.
26. Der Franzoͤſiſch-Spaniſche Krieg ward durch den Weſtphaͤliſchen Frieden nicht been - digt, weil beyde Theile, beſonders aber Spanien, bey deſſen Fortdauer Vortheile fuͤr ſich hofften. Die Befreyung von dem Niederlaͤndiſchen Kriege, die Unruhen in Frankreich, naͤhrten dieſe Hoffnungen; waͤhrend Frankreich auf die Schwaͤche Spaniens, auf die Inſurrection von Portugal und Catalonien, die es unterſtuͤtzte, noch groͤßere Entwuͤrfe baute. Aber ungeachtet einiger Vortheile, welche Spanien im Anfang erlangte, wandte ſich doch ſein Gluͤck;1655 zumal da auch Cromwell ihm den Krieg anzu - kuͤndigen fuͤr gut fand, und ſich deshalb mit Frank -1659 reich verband. Der Pyrenaͤiſche Friede, vonden163D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618 -- 1648. den dirigirenden Miniſtern, Cardinal Mazarin und Graf Haro, geſchloſſen, machte ihm endlich ein Ende; ward aber auch durch die verabredete Ver - maͤhlung Ludwig's XIV. mit der aͤlteſten Spa - niſchen Infantinn die Quelle kuͤnftiger Kriege.
Sieg des Prinzen Condé bey Lens 20. Aug. 1648. Der durch die Fronde veranlaßte Uebergang von Turenne 1650 — 1651 und von Condé 1652 Oct. — 1659. half den Spaniern nur auf einige Zeit. — Bereits 1653 und 1654 Uebergewicht der Franzoſen unter Turenne in den Nieder - landen. Verbindung Mazarin's mit Cromwell 3. Nov. 1655. Eroberung von Duͤnkirchen und Beſetzung von den Englaͤn - dern 23. Jun. 1658. — Cromwell's Tod machte den Krieg von Seiten Englands von ſelbſt aufhoͤren. — Pyrenaͤi - ſcher Friede 7. Nov. 1659. Frankreich erhaͤlt: 1. Rouſ - ſillon. 2. Mehrere Plaͤtze an den Niederlaͤndiſchen Grenzen. 3. Verſpricht Portugal nicht beyzuſtehen. 4. Der Herzog von Lothringen, Spaniens Verbuͤndeter, wird, zum Theil, reſtituirt. 5. Regulirung der Handelsverhaͤltniſſe. 6. Be - ſtimmung der Heyrath zwiſchen Ludewig XIV. und der In - fantinn Maria Thereſia.
1. Wenn gleich der politiſche Charakter Spa - niens jetzt unveraͤndert derſelbe blieb, ſo mußte esL 2doch164I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. doch zu ſeinem großen Nachtheil wichtige Veraͤnde -1621 bis 1648 rungen erleiden. Der wieder erneuerte, und mit ſo ſchlechtem Gluͤck gefuͤhrte Krieg mit den Nie - derlanden, und die ſchlechte Adminiſtration, hatten1640 1640 bis 1652 den Abfall Portugals, und den langwierigen Auf - ſtand in Catalonien zur Folge, den Frankreich unterſtuͤtzte. Der wieder aufgerichtete Thron von Portugal zu Gunſten Johann's von Braganza, verurſachte einen langwierigen, wenn gleich nur matt gefuͤhrten Krieg, der mit der Anerkennung1668 der Unabhaͤngigkeit Portugals endigte. Blieb gleich Portugal nur eine Macht vom zweyten Range; ſo war es doch durch ſeine geographiſche Lage den Feinden Spaniens als Verbuͤndeter wichtig. Aber der alte Glanz des Thrones konnte nicht wieder hergeſtellt werden; weil Oſtindien meiſt ſchon ver - lohren war.
2. Das Ruder Frankreichs war faſt dieſen ganzen Zeitraum in den Haͤnden zweyer Geiſtlichen, der Cardinaͤle Richelieu und Mazarin. Der erſte verband mit einem richtigen politiſchen Blick viele Kraft, wenn gleich wenig Moralitaͤt des Cha -1624 bis 1642 rakters. Seine 18jaͤhrige Verwaltung ward daher auch von Anfang bis zu Ende nach denſel -ben165D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1660. ben Grundſaͤtzen gefuͤhrt; Vergroͤßerung der koͤnig - lichen Macht im Innern; Erweiterung des politi - ſchen Einfluſſes nach außen. Die erſte ſetzte die Entwaffnung der Hugenotten voraus; wen hatte er nach der Einnahme von Rochelle noch1629 Oct. zu fuͤrchten? Die Verſchwoͤrer traf das Beil. Im Auslande ſtellte er den Franzoͤſiſchen Einfluß in Ita - lien, in den Niederlanden, in Deutſchland her, und gruͤndete ihn in Schweden. Gegen Oeſtreich und Spanien ſtand er faſt immer in den Waffen. Befoͤrderung der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte verlieh den noͤthigen Glanz. Wer mag ſeine Verwaltung im Einzelnen loben? aber im Ganzen traf er den Charakter der Nation. Der Grund zu dem Gebaͤude, das Ludwig XIV. auffuͤhren ſollte, war gelegt.
3. Mazarin, die Stuͤtze der Regentin An -1642 bis 1661 na von Oeſtreich, waͤhrend der Minoritaͤt Lude - wig's des XIV., ſuchte nur auszufuͤhren, was ſein Vorgaͤnger begonnen hatte. Aber man entdeckte bald, daß er nicht deſſen Kraft beſaß; die Minderjaͤhrig - keit des Koͤnigs gab ohnehin den Großen mehr Spiel - raum; und die Unruhen der Fronde brachen1648 bis 1652L 3aus.166I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. aus. Ein wahres Nationaldrama in Urſprung, Fort - gang und Entwickelung, von den Herren und Damen des Hofes aufgefuͤhrt; aber — wenn gleich nicht ohne Blutvergießen — dennoch nur aus der Claſſe der Intriguenſtuͤcke. Der Principalminiſter behauptete ſich gegen den Demagogen Retz; es blieb alſo bey dem Alten; aber die Anſpruͤche der Prinzen von Gebluͤt waren, zum Vortheil der koͤniglichen Macht, ſeit Condé's mißlungenem Verſuche, auf immer in ihre Schranken zuruͤckgewieſen.
Aufang der Unruhen Aug. 1648. — Innerer Krieg un - ter (dem großen) Condé Oct. 1651. Flucht des verurtheil - ten Prinzen zu den Spaniern, und Ende der Unruhen Oct. 1652. — Erſt durch den Pyrenaͤiſchen Frieden 1659 ward Condé reſtituirt.
L'eſprit de la fronde ou Hiſtoire politique et militai - re des troubles en France pendant la minorité de Louis XIV. (par M. Mailly) Paris 1772. 5 Voll. 12.
Unter den vielen Memoires vor allen die des Hauptak - teurs: Mémoires du Cardinal de Rets (1648 — 1655) Cologne 1718. 3 Voll. Der feinſte Beobachter andrer ſpricht darin nicht immer wahr von ſich. Man vergleiche:
4. Fuͤr England war dieſer Zeitraum der der großen innern Stuͤrme. Auch ſie giengen aus der Reformation hervor. Aber es war hier der, unterden167D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1660. den Proteſtanten ſelbſt, durch die Trennung der Epiſcopaliſten und Preſbyterianer oder Puritaner, entſtandene politiſche Partheygeiſt, der ſie vorberei - tete. Befoͤrdert ward aber ihr Ausbruch durch den Widerſpruch, der zwiſchen den theoretiſchen Grund - ſaͤtzen der Stuart's uͤber den Urſprung und Umfang der koͤniglichen Gewalt, und denen der Puritaner herrſchte. So kamen die Koͤnige mit der Nation in Streit, zu eben der Zeit, wo ſie durch ihre, aus verkehrter Staatswirthſchaft entſtehenden, Geld - beduͤrfniſſe ſich von ihr abhaͤngig machten. Der Grund zu dem Allen war ſchon unter Jacob I.1603 bis 1625 gelegt. Wir aber ſein Sohn Carl I. durch einen doppelten vergeblichen Krieg mit Spanien und mit1627 bis 1630 Frankreich ſeine Verlegenheit noch vermehrte, ward die Spannung zwiſchen ihm und dem Parla - mente ſchon ſo groß, daß er nur durch wiederholte Aufhebung desſelben ſich zu helfen wußte; und bald den Verſuch machte, ohne Parlament zu regieren. 1630 bis 1640Als aber die von ihm ſelbſt herbeygefuͤhrten Schot - tiſchen Haͤndel ihn wieder zu der Zuſammenrufung desſelben noͤthigten, maaßte ſich in dem langen1640 Nov bis 1653 Apr. Parlament das Unterhaus eine Macht an, die der des Franzoͤſiſchen Nationalconvents in ſpaͤ - teren Zeiten aͤhnlich war.
5. Die planmaͤßigen Angriffe des langen Par - laments auf die koͤniglichen Diener und auf die koͤ -L 4nigliche168I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. nigliche Macht fuͤhrten endlich zu einem Buͤrger -1642 bis 1646 Mai kriege, in dem der Koͤnig zuletzt erlag. Aber waͤhrend dieſes Kriegs hatte ſich bey dem wachſen - den Fanatiſmus in dem Parlament ſelbſt aus den wildeſten und — ſchlauſten Fanatikern eine Partie gebildet, die unter dem Nahmen der Indepen - denten — gleich der des Berges in Frankreich — Freyheit und Gleichheit zu ihrem Ziel machte; nur daß nach dem herrſchenden Geiſte der Zeit Alles von der Religion ausgieng. Ihre Chefs — be -1644 1647 Jun. 1649 29. Jan. ſonders Oliver Cromwell — bemaͤchtigten ſich der Armee, und durch die Armee des gefangenen Koͤnigs, den Cromwell aufs Blutgetuͤſt ſchickte. Den Grundſaͤtzen der Partei gemaͤß, ward Eng - land zur Republik erklaͤrt; und Schottland und Ireland mußten ſich unterwerfen. Aber die mi - litairiſche Regierungsform hatte ſchon eine Span - nung zwiſchen den Chefs der Armee und dem Par - lament erzeugt, bis Cromwell es fuͤr gut fand,1653 20. Apr. dasſelbe auseinander zu jagen; und ſich von ſeinem Kriegsrath zum Protector der Republik erklaͤren zu laſſen.
6. Das Protectorat blieb jedoch auch eine mi - litairiſche Regierung; trotz der wiederholten Ver - ſuche, ihm den Anſtrich von parlamentariſcher Freyheit zu geben; und trug deshalb — dem Na -tional -169D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1660. tionalcharakter entgegen — den unvermeidlichen Keim des Unterganges in ſich. Aber die, faſt gaͤnzlich getrennten, Continentalverhaͤltniſſe von Eng - land wurden durch Cromwell wieder angeknuͤpft. Hatte auch Leidenſchaft daran ihren Antheil, ſo wurden ſie doch im Ganzen dem Handelsinter - eſſe untergeordnet. So entſtand die Navi -1651 gationsacte, ſo die Eroberungsentwuͤrfe in Weſtindien, wie an den Kuͤſten der Nordſee und Oſtſee. Jene ward durch den blutigen See - krieg mit Holland behauptet; dieſe durch den Krieg mit Spanien, in Verbindung mit Frank - reich, zum Theil ausgefuͤhrt.
Die Navigationsacte, gegeben 1651, ernenert durch Carl II. 1660, ſollte 1. England den Alleinhandel mit ſeinen Colonien ſichern. 2. Allen Fremden nur die Einfuhr eigener Produkte auf ihren Schiffen erlauben. Sie war eine Frucht des beginnenden Strebens der Staaten, ſich im Handel zu iſoliren; traf aber, nach dem damaligen Zuſtande der Schifffahrt, faſt blos Holland. Krieg mit Holland 1652. Wiederholte große Seeſchlachten. In dem Frieden 15 April 1654 bleibt England die Ehre der Flagge. — In dem Kriege mit Spanien 1655 — 1658 Eroberung Jamaicas 1655. Einnahme von Duͤnkirchen in Ver - bindung mit Frankreich, das England gelaſſen werden muß.
7. Nach Cromwell's Tode[folgte] ihm1658 3. Spt. zwar ſein Sohn Richard im Protectorat; aber als er ſelbſt es fuͤr gerathener fand, abzudanken,1659 Apr. fuͤhrten die Zwiſte unter den Befehlshabern die Re -L 5ſtaura -170I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. 1660 Maiſtauration herbey, die Monk bewirkte. Sie war aber mehr das Werk des Partheygeiſtes als der Vernunft; ohne Maaßregeln fuͤr die Zukunft; und indem Carl II. die alten Vorurtheile ſeines Hauſes mit auf den Thron brachte, blieben auch die Elemente des Streits zwiſchen Koͤnig und Volk; und die Regierung ohne feſten Charakter.
Außer den Abſchnitten in Rapin und Hume, beſonders:
8. Als der Weſtphaͤliſche Friede dieſer Repu - blik ihre Unabhaͤngigkeit ſicherte, ſtand ſie in ihrer vollen Bluͤthe da. Der neue 27jaͤhrige Krieg mit Spanien hatte dieſe nicht abgeſtreift, da der Land - krieg jenſeit der Grenzen in den Spaniſchen Pro - vinzen gefuͤhrt, und der Seekrieg entſchieden gluͤcklich fuͤr ſie geweſen war. War auch der Staat nicht ohne Schulden, ſo waren die Buͤrger reich. † 1625Aber der Keim zum inneren Zwiſt, unter Moritz† 1647 durch Furcht, und ſeinen Bruder Friedrich Heinrich durch Liebe unterdruͤckt, entfaltete ſich unter ſeinem Sohne Wilhelm II. ; und nur ſein1650 Oct. fruͤher Tod beugte wahrſcheinlich groͤßerem Ungluͤckvor.171D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1660. vor. Die Abſchaffung der Statthalter - wuͤrde in 5 Provinzen verſchaffte dem Syndicus (Raths-Penſionair) der Staaten von Holland, Jean de Witt, einen ſolchen Einfluß, daß die Leitung1653 bis 1672 der auswaͤrtigen Angelegenheiten ganz in ſeinen Haͤn - den war.
Erneuerung des Kriegs mit Spanien 1621. Als Land - krieg durch die Belagerungen von Breda, Herzogen - buſch, und viele andere wichtig, bis zu der Verbindung mit Frankreich 1635. Als Seekrieg theils durch Capereyen, theils durch Eroberungen in den Colonien, beſonders auf Koſten Portugals (ſ. unten), theils durch die Seeſiege in Europa, beſonders 1639, fuͤr die Niederlaͤnder gluͤcklich. — In dem Frieden 24. Jan. 1648 ward nicht nur 1. die Un - abhaͤngigkeit der Republik von Spanien anerkannt, ſondern auch 2. der gegenwaͤrtige Beſitzſtand, ſowohl in Europa, (wodurch der Republik die Generalitaͤtslande und Maſtricht blieben;) als auch in den Colonien beſtaͤtigt. 3. In die Sperrung der Schelde von Spanien gewilligt.
9. Wenn der Einfluß des Oeſtreichiſchen Hauſes in Deutſchland in ſeine Schranken in dieſem Zeit - raum zuruͤckgewieſen wurde; ſo wuchs dagegen die Macht deſſelben ſowohl in Boͤhmen, das, ſeiner Privilegien beraubt, jetzt von ſelbſt ein Erbreich ward, als in Ungarn. Eine mehr dauernde Ruhe haͤtte hier werden koͤnnen, waͤre ſie nicht durch die Fuͤrſten von Siebenbuͤrgen und durch die Je -ſuiten172I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ſuiten geſtoͤrt. Das Streben, Ungarn zu einem Erbreiche zu machen, ward ſchon damals rege; wie lebhaft auch die Ungarn jeder Neuerung wider - ſtanden; und wann ſiegte nicht zuletzt eine beharr - liche Politik?
Schon die politiſchen Verhaͤltniſſe von Sieben - buͤrgen, deſſen Wahlfuͤrſten zugleich Vaſallen von der Pforte und von Ungarn waren, machten eine dauernde Ruhe faſt unmoͤglich. Haͤtten dieſe Fuͤrſten die Vortheile ihrer Lage nutzen wollen oder koͤnnen, ſo waͤren ſie leicht Stifter eines großen Reichs geworden. Den Frieden mit Gabriel Beth - len (1613 — 1629), der ſchon Koͤnig von Ungarn hieß, mußte Oeſtreich durch Abtretungen erkaufen 1616 und 1621. Von ſeinen Nachfolgern Georg Rakozy I. († 1648) und II. († 1660) ließ ſich der erſtere 1643 in Verbindung mit Schweden und Frankreich ein; und ſchloß 24. Aug. einen fuͤr ihn und die Proteſtanten vortheilhaften Frieden; der andere war mehr mit Polen als Ungarn beſchaͤftigt. — Die Religionsverhaͤltniſſe erhielten aber in Ungarn eine beſtaͤndige Gaͤhrung; da die Jeſuiten ihre Projecte gegen die Proteſtanten mit denen des Hofes vortrefflich in Verbindung zu ſetzen wußten.
10. In dem Tuͤrkiſchen Reiche zeigten ſich ſchon in dieſem Zeitraume die Erſcheinungen, wo - mit der inne[r]e Verfall der großen Monarchien des Orients beginnt; unfaͤhige im Serail erzogene Herr - ſcher; Uebermuth der Janitſcharen, die den Thron beſetzen; Empoͤrungen uͤbermuͤthiger Statthalter. Da jedoch die perſoͤnliche Kraft bey einem Barba - ren-Volk nicht erſtirbt, ſo bedarf es nur einesHerr -173D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1660. Herrſchers, wie Amurad IV. es war, um es1622 bis 1640 furchtbar zu machen. Aber auf das Europaͤiſche Staatenſyſtem ſuchte er, zum Gluͤck fuͤr Oeſtreich und Deutſchland, keinen Einfluß, denn ſeine Er - oberungsplaͤne waren gegen Perſien gerichtet. Und† 1648 wenn gleich ſein Nachfolger Ibrahim den lang - wierigen Krieg gegen Candia begann, das erſt ſein† 1687 Sohn Mahomed 1668 den Venezianern entriß, ſo war es doch erſt die Theilnahme an den Sieben -ſeit 1657 buͤrgiſchen Haͤndeln, welche die Tuͤrken wieder in dem folgenden Zeitraum ihren weſtlichen Nach - barn gefaͤhrlich machte.
11. Fuͤr die practiſche Politik war dieſer Zeitraum ſowohl fuͤr ihre Formen, als fuͤr ihre Grundſaͤtze wichtig. Ihre Formen wurden durch Richelieu, den Gruͤnder der Cabinetspolitik, um vieles beſtimmter. Vorzuͤglich war es jedoch der Weſtphaͤliſche Congreß, der auf ſie zu - ruͤckwirkte. Nie hatte man noch politiſche Verhand - lungen von ſolchem Umfange und ſolchem Erfolge in Europa geſehen! Was glaubte man ſeitdem nicht auch auf Congreſſen ausrichten zu koͤnnen? — Gern brauchte man, ſeit Richelieu und Mazarin, Geiſtliche zu Unterhaͤndlern. Keine gleichguͤltige Sache, ſo wenig fuͤr das Anſehen des Standes, als den Gang der Geſchaͤfte.
12. Aber174I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.12. Aber auch politiſche Grundſaͤtze hat - ten ſich entwickelt, deren Folgen nicht abzuſehen waren. Die Brittiſche Revolution hatte die Frage uͤber die Rechte des Volks und der Koͤnige zur Sprache gebracht, die beyde nicht blos mit dem Schwerdt, ſondern auch mit der Feder vertheidigt wurden. Wenn auch ein Filmer vergeſſen ward, ſo ſchrieben doch ein Hobbes und ein Algernoon Sidney nicht umſonſt. Die fortdauernde Unver - nunft der Stuart's belebte nur dieſe Unterſuchungen; und bereitete die nachmalige Feſtſtellung der Natio - nalfreyheit vor. Aber auch die, durch die Inde - pendenten aufgeſtellten, Grundſaͤtze der Frey - heit und Gleichheit giengen nicht unter. Fan - den ſie auch in England keine Anwendung, ſo wur - den ſie dagegen jenſeits des Oceans in Americas Boden verpflanzt, um dereinſt, vergiftet, von da nach Europa zuruͤckgebracht zu werden.
Political diſcourſes of Rob. Filmer. Lond. 1680. Ein ſchlechter, aber damals bedeutender, Vertheidiger der koͤniglichen Allgewalt; weit uͤbertroffen durch
Th. Hobbes Leviathan ſive de materia forma et po - teſtate civitatis. Lond. 1651.
Diſcourſes on government by Algernoon Sidney, erſt gedruckt Lond. 1698. Der beruͤhmte Vertheidiger und Maͤr - tyrer des Republicaniſmus. Er ſchrieb zunaͤchſt gegen Filmer.
13. Die Staatswirthſchaft blieb ohne weſentliche Fortſchritte. Richelieu ſorgte nur —gleich -175D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur. -- 1660. gleichviel wie? — fuͤr die oͤffentlichen Beduͤrfniſſe des Augenblicks; Mazarin noch außerdem fuͤr ſich ſelbſt. Was ließ ſich waͤhrend des verheerenden Krieges fuͤr ſie in Deutſchland, was waͤhrend der Revolution in England erwarten? Selbſt in den Niederlanden wußte man in dem erneuerten Kriege ſich nur durch Anleihen zu helfen. Aber das Bey - ſpiel dieſes Staats befeſtigte immer mehr die Ueber - zeugung, daß Fabriken und auswaͤrtiger Handel die Hauptquelle des Nationalreichthums uͤberhaupt ſeyen; aus deſſen verkehrter Anwendung ſo viele ſchaͤdliche Irrthuͤmer ſich in der Folge entwickeln ſollten.
14. Die Kriegskunſt mußte wohl durch einen Krieg wie der dreißigjaͤhrige, und der erneuerte Nie - derlaͤndiſche, große Veraͤnderungen erleiden. Indeſ - ſen beſtanden dieſe noch nicht in einer Vermehrung der ſtehenden Heere. Die Feldherren warben und entließen ihre Truppen; was Mansfeld und Chri - ſtian von Braunſchweig im Kleinen getrieben hat - ten, trieb Wallenſtein ins Große. Aber Epoche in der Kriegskunſt machte nicht Er, ſondern Guſtav Adolph, deſſen Genie eine neue Taktik ſchuf, die ſchnelle Bewegung durch weniger tiefere Stellung, leichtere Waffen, und verbeſſertes Geſchuͤtz zum Endzweck hatte. Seine Brigaden ſchlugen die kayſerlichen Regimenter, wie einſt die RoͤmiſchenLegio -176I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Legionen die Macedoniſche Phalanx. — Auch in der Diſciplin ſtellte er ein großes Muſter auf; aber das Morden und Rauben ließ doch nicht eher nach, bis das eigene Beduͤrfniß der Verheerung ei - nige Grenzen ſetzte.
1. Der gegenwaͤrtige Zeitraum war fuͤr die Colonien nicht ſowohl durch große Veraͤnderungen als durch Fortſchritte wichtig. Die Hollaͤnder, fort - dauernd das erſte Handelsvolk, hatten bereits in dem verfloſſenen ihre Einrichtungen getroffen; ſie wurden erweitert, aber nicht weſentlich veraͤndert. Eben dieß gilt von den Englaͤndern. Bey Spaniern und Portugieſen war an freywillige Abaͤnderungen am wenigſten zu denken.
2. Das ganze Prachtgebaͤude der Hollaͤndi - ſchen Handels - und Fabrik-Induſtrie, unter dem Panier der Freyheit in dieſem Zeitraum vollendet, gewaͤhrte einen ſo blendenden Anblick, daß der Neid der Nachbaren bald dadurch erregt ward. Ihreinnere177D. 3. Geſch. d. Eur. Colonialw. 1618 -- 1660. innere Thaͤtigkeit war freylich ſchon durch die Be - ſchaffenheit ihres Landes auf Fabriken und Manu - facturen gerichtet; aber ein ſolches Reſultat konnte doch nur durch das Zuſammentreffen zweyer Ur - ſachen erfolgen: der Leichtigkeit der Anlage, wegen des unermeßlich ſich anhaͤufenden Nationalcapitals; und der ſteigenden Beduͤrfniſſe Europas und der Colonien, bey der ſteigenden Vervollkommung des geſellſchaftlichen Zuſtandes.
Die Seltenheit von Brennmaterial bewirkte natuͤrlich, daß Manufacturen weit mehr als eigentlich ſogenannte Fa - briken dort gedeihen konnten. Unter jenen ſtehen die Wol - len -, Hanf - und Linnenmanufacturen, die Papiermacherey und der Schiffbau oben an. Wer mag die geringeren auf - zaͤhlen? — Die bewegenden Kraͤfte fand man in der An - lage von Muͤhlen mancherley Art. In ihnen uͤbte ſich das mechaniſche Genie, und machte Nordholland zu dem einzigen Lande auf der Welt.
3. Wie bey allen großen handelnden Voͤlkern ſtand auch bey den Hollaͤndern der Colonialhandel oben an: und der Oſtindiſche blieb der erſte Zweig deſſelben. Die Compagnie ſtand jetzt, auch als politiſcher Koͤrper, in ihrer vollen Macht da; und verdraͤngte, trotz des mit der Engliſchen abge -1619 ſchloſſenen Tractats, ihre Rivalen, durch die Greuelſcene auf Amboina, endlich voͤllig aus1623 den Molucken. Behauptung des Monopols, auch auf die gehaͤſſigſte Weiſe, blieb alſo der Haupt -Mzweck.178I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. zweck. Die Gewinnung der Producte aber geſchah durch die Unterjochung der einheimiſchen Voͤlker durch Waffen und Tractate. Die Hollaͤnder ſelber wurden nicht Coloniſten; denn es gab zu Hauſe keine Urſachen, die große Schaaren von ihnen uͤber das Meer getrieben haͤtten.
4. Das neuangelegte Batavia blieb der Mit - telpunct des Hollaͤndiſchen Indiens, als Sitz der Regierung; wenn es gleich als Stadt ſich erſt all - maͤhlig hob. Die Verbreitung theils durch Erobe - rungen, theils durch bloßen Handel, geſchah von dort aus; jene auf Malabar, Coromandel, Ceylon und andern Inſeln, dieſe durch ihre Verhaͤltniſſe mit China und Japan.
Die den Portugieſen entriſſenen Beſitzungen a. auf Co - romandel waren Paliacata 1615, ſtatt deſſen ſeit 1658 Negapatam Hauptort wurde. b. Auf Malabar Calicut 1656, Cochin und Cananor 1661; wodurch der ganze dorti - ge Pfefferhandel in ihre Haͤnde kam. Comtoirs waren auſ - ſerdem uͤber beyde Kuͤſten bis in Bengalen verbreitet. c. Auf Ceylon, als Verbuͤndete des Koͤnigs von Candi gegen die Portugieſen ſeit 1638, Einnahme von Columbo, dem Haupt - ort 1656. Mannaar und Jaffanapatam 1658. Aber bald geriethen die Hollaͤnder ſelbſt in Krieg mit Candy, der bald erſtarb, bald wieder auflebte. d. Im jenſeititigen Indien Eroberung von Malacca 1640, und Eingang in Pegu und Siam. e. Weitere Verbreitung auf den Sunda-Inſeln; indem ſie von Java ganz Meiſter wurden; auf Celebes 1660, Sumatra u. a. theilweiſe, durch Forts und Com - toirs. f. In Japan gelang es ihnen durch die Revolutionvon179D. 3. Geſch. d. Eur. Colonialw. 1618 -- 1660. von 1639, die Portugieſen zu verdraͤngen; und, wenn gleich unter den groͤßten Beſchraͤnkungen, den Zutritt ſich zu er - halten. Der Hollaͤndiſche Handel mit China war, zumal ſeit der Vertreibung von Formoſa 1661, weniger wichtig. — Das ganze Gebiet der Compagnie zerfiel in die 5 Gou - vernements von Java, Amboina, Ternate, Cey - lon und Macaſſar, wozu aber noch mehrere Directo - rien und Commanderien kamen. Alles ſtand unter der Regierung zu Batavia.
5. Die ſicherſte Vormauer ihrer Indiſchen Be - ſitzungen wurde aber die auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung geſtiftete Niederlaſſung. 1653Sie wurde ihrem Zweck gemaͤß Ackerbau-Colonie; und wuͤrde nach ihrer Lage und ſehr paſſenden erſten Einrichtung noch weit wichtiger geworden ſeyn, haͤtte die Compagnie ſie nicht zum bloßen Wirthshaus auf der Reiſe nach Oſtindien beſtimmt, worin ſie ſelber den Wirth machte. Sie bildete ein eigenes, das 6te Gouvernement.
Kolbe Beſchreibung des Vorgebirges der guten Hoffnung 1719.
Sparrmann Reiſe nach dem Vorgebirge der guten Hoff - nung. (Aus dem Schwediſchen) Berlin 1784. 8.
Beſchreibung des Vorgebirges der guten Hoffnung von Mentzel. Glogau 1785. 2 Th.
Barrow travels in Southern Africa. Lond. Vol. I. 1801. II. 1804.
6. Dieß große Aufbluͤhen der Oſtindiſchen Com - pagnie ward aber auch Urſache, daß man auch den Weſtindiſchen Handel, gleich nach dem Wie -M 2deraus -180I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. derausbruch des Kriegs mit Spanien, einer privile - girten Compagnie uͤbergab, die, nach demſelben Mu - ſter gebildet, Braſilien zum Ziel ihrer Eroberungen machte; aber auch bald es empfand, daß Caperey und Krieg auf die Dauer kein eintraͤglicher Erwer - bungszweig ſind.
Stiftung der Compagnie 3. Jun. 1621. Ihre Privile - gien umfaßten die Weſt-Kuͤſte von Africa, vom Noͤrdlichen Wendezirkel bis zum Cap; faſt die ganze Oſt - und Weſt - Kuͤſte von America, und die Inſeln des großen Oceaus. Sie ward in 5 Kammern getheilt; und ihr Fond betrug et - wa 7 Millionen Gulden. — Reiche Caperey der erſten Jah - re, beſonders durch Eroberung der Silberflotte 1628. — Eroberungen auf Braſilien 1630-1640, beſonders unter Graf Johann Moriz von Naſſau ſeit 1636. — Aber bey der Armuth an Producten war kein großer Handel moͤglich; und wenn gleich in dem Stillſtande mit dem wieder ſelbſtſtaͤndi - gen Portugal 1641 ihre dortige Eroberungen den Hollaͤndern bleiben ſollten, ſo gingen ſie doch in den naͤchſten Jahren wieder verlohren; und die Compagnie ſank unaufhaltſam. — Eroberung von St. Georg della Mina an der Africaniſchen Kuͤſte 1637. — Niederlaſſungen in Weſtindien, auf den Felſeninſeln St. Euſtace 1632, Curaçao 1634, und auf den Inſelchen Saba 1640 und St. Martin 1649; nie durch die Coloniſation, wohl aber durch den Schleichhandel wichtig.
7. Die Fiſchereyen der Republik, ſowohl die große oder Heringsfiſcherey, als der Wallfiſch - fang, ſtanden zwar mit den Colonien in keiner Ver - bindung; wohl aber trugen ſie durch die Streitig - keiten, die mit England uͤber den Heringsfang ander181D. 3. Geſch. d. Eur. Colonialw. 1618 -- 1660. der Schottiſchen Kuͤſte entſtanden, ſowohl zu den politiſchen Haͤndeln, als zu den Anſpruͤchen Eng - lands auf die Meerherrſchaft (ſ. unten) bey.
Der Streit uͤber den Heringsfang an der Brittiſchen Kuͤ - ſte ward zuerſt rege gemacht von Jacob I. 1608; erneuert von Carl I. 1635; und von Cromwell 1652; jedoch be - haupteten ſich die Hollaͤnder (bis auf 10 Meilen von der Kuͤſte) im Beſitz. — Der Wallfiſchfang ward ſeit der Auf - hebung der Compagnie 1645 allen frey gegeben.
8. Unter den Zweigen des Europaͤiſchen Handels ward der nach der Oſtſee beſonders politiſch wichtig, da er die Republik oͤftrer in die Haͤndel des Nordens verflocht (ſ. unten); wenn auch der Rheinhandel an Wichtigkeit ihn uͤbertraf. Zu dieſem kam aber vor allen die unermeßliche Fracht - ſchifffahrt; — (es fehlte den uͤbrigen Voͤlkern noch an Schiffen;) — die jedoch durch die Britti - ſche Navigationsacte einen Hauptſtoß erhielt.
9. Indem die Republik auf dieſe Weiſe ihren Handel zu einem Grade erhob, der nahe an ein Monopol grenzte, wurde es unausbleiblich, daß da - durch eine Rivalitaͤt mit dem gleichfalls aufſtreben - den England entſtand. Allerdings trug dieſe Ri - valitaͤt weſentlich zu den beyden Kriegen unter Crom - well und Carl II. bey; allein die politiſchen Verhaͤlt - niſſe verhinderten es nachmals, daß ſie nicht blei - bend werden konnte; und damals waren die Strei -M 3tigkeiten182I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. tigkeiten der Handelscompagnien noch immer nicht Streitigkeiten der Staaten. Fuͤr England aber war dieſer Zeitraum, noch mehr als der vorige, der Zeit - raum der Monopole, eine Hauptfinanzquelle waͤhrend der eigenmaͤchtigen Regierung von Carl I. Die innere Gaͤhrung wurde dadurch erhalten; aber trotz dieſer Maaßregeln ſtieg dennoch ſelbſt damals der Handel und der Wohlſtand der Nation, denn dieſe, nicht die Regierung, war ſeine Schoͤpferinn.
J. Selden mare clauſum ſeu de dominio Maris libri II. Lond. 1635. Auf Befehl der Regierung geſchrieben. Eine weitſchweifige hiſtoriſche Induction, die nichts beweiſet. — Die vier England umgebenden Meere ſeyen ſein Eigen - thum: ſchlimm, daß ſie im Norden und Oſten nicht ſo wie in Suͤden und Weſten Grenzen hatten!
10. Der Oſtindiſche Handel blieb in dieſem Zeiraum zwar in den Haͤnden der Compagnie, je - doch nicht ohne Wechſel. Von den Hollaͤndern von den Gewuͤrzinſeln verdraͤngt, blieben ihr nur einige Factoreyen an den Kuͤſten Malabar und Co - romandel; und auch die Acquiſition von Madras verbeſſerte ihre Lage ſo wenig, daß ſie ſich aufzuloͤ -1653 ſen ſchien, und eine freye Fahrt nach Indien an -1658 fing; bis Cromwell durch Verſtaͤrkung des Fonds ſie wiederherſtellte, und im Kriege mit Holland ſich ihrer annahm.
Anlage des Forts St. George bey Madras 1620, mit Einwilligung des Koͤnigs von Golconda. — Ermordung derEnglaͤn -183D. 3. Geſch. d. Eur. Colonialw. 1618 -- 1660. Englaͤnder auf Amboina 1623, wofuͤr ihnen zwar im Frieden 1651 die Gewuͤrzinſel Poleron zugeſprochen ward, doch ohne daß ſie ſich dort behaupten konnten. — Bleibende Beſetzung der Felſeninſel St. Helena 1651.
11. Anſiedelungen der Englaͤnder in Weſtin - dien. Sie geſchahen durch Privatperſonen auf mehrern der kleinen Antillen, auf die man wenig Werth legte, da ſchlechter Tabak und Baumwolle faſt die einzigen Erzeugniſſe waren. Erſt ſeitdem auf Barbados der Zuckerbau, aus Braſilien da -1641 hin gebracht, anfing zu gedeihen, lernte man ihre Wichtigkeit kennen; und die Eroberung Jamai - ca's legte ſchon in dieſem Zeitraum den Grund zu der kuͤnftigen Handelsgroͤße der Britten in dieſer Weltgegend.
Erſte Niederlaſſungen auf Barbados und halb St. Chri - ſtoph 1625. Auf Berbuda und Nevis 1628. Auf Monſerat und Antigua 1632. Eroberung von Jamaica 1655 und Ein - fuͤhrung des Zuckerbaus daſelbſt 1660. Auch auf Surinam ſetzten ſich die Englaͤnder ſeit 1640 feſt. Einnahme der unbewohnten Bahama-Inſeln, und Niederlaſſung auf Pro - vidence 1629, gleichſam dem Schluͤſſel von Weſtindien.
The Hiſtory civil and commercial of the Brittish Co - lonies in the Weſt-Indies by Bryan Enwards 1793. III Vol. 4. Fuͤr die allgemeine Geſchichte des Brittiſchen Weſt - indiens das Hauptwerk. — Der dritte Theil begreift die Kriege auf Domingo.
12. Doch waren es ganz beſonders die Nord - Americaniſchen Colonien, welche in dieſem Zeit -M 4raum184I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. raum ſo große Fortſchritte machten, daß die Wich - tigkeit derſelben ſchon von der Nation anerkannt wurde. Der Druck der Puritaner, und die innern Stuͤrme Englands waren es, die Schaaren von Coloniſten uͤber den Ocean trieben. Die einzelnen Provinzen, anfangs noch unter dem allgemeinen Nahmen von Virginien und Neu-England begriffen, (ſ. oben S. 139.), fingen an, ſich abzuſondern, und1625 erhielten ſeit der Aufhebung der London-Compagnie,1637 und dem Zerfall der Plymouth-Geſellſchaft, Ver - faſſungen, die, wenn ſie auch groͤßere Abhaͤngigkeit vom Koͤnig zum Zweck hatten, doch mit republicani - ſchen Formen verbunden waren, welche die dortige Lage der Dinge meiſt ſelber erzeugte.
Entſtehung von Maſſachuſet ſeit 1621 und Anlage von Boſton 1627, meiſt durch wahre Fanatiker in Religion und Politik, die ihre Grundſaͤtze auch jenſeit des Meers geltend machten. Entſtehung von Rhodeisland ſeit 1630, durch Ver - triebene aus Maſſachuſet. — Anlage von Maryland durch Lord Baltimore, und Stiftung der Stadt dieſes Nahmens, mehrentheils durch Catholiken 1632. — Virginien, als Suͤd-Haͤlfte der Kuͤſte, blieb noch ungetrennt; ſtieg aber in gleichem Verhaͤltniſſe mit der Verbreitung des Tabaks. — Erſte Parlamentsacte, die Nord-Amerikaniſchen Co - lonien betreffend 1660, als Anerkennung ihrer Wichtigkeit fuͤr Schifffahrt und Handel von Seiten der Nation.
Fuͤr die aͤltere Geſchichte: J. Oldmixon Britiſh Em - pire in America. Lond. 1708. 2 Voll. (fortgeſetzt in der 2ten Ausgabe bis 1741.)
Beſchreibung des Brittiſchen America von Chriſt. Leiſte. Wolfenbuͤttel 1778. 8.
13. Auch185D. 3. Geſch. d. Eur. Colonialw. 1618 -- 1660.13. Auch die Franzoſen, aufmerkſam auf bey - de Indien, fiengen an, in die Reihe der Colo - nienbeſitzenden Voͤlker zu treten. Allein die Verſu - che unter Richelieu zur Theilnahme am Oſtindiſchen Handel, blieben noch ohne Erfolge; dagegen gedie - hen aber die Anpflanzungen auf mehrern der Weſt - indiſchen Inſeln, die jedoch, von Privatperſonen angelegt, auch nur Eigenthum von dieſen blieben.
Erſte Niederlaſſungen auf St. Chriſtoph zugleich mit den Englaͤndern 1625. Von da aus auf Gnadaloupe und Marti - nique 1635, das ſchon gegen das Ende dieſes Zeitraums viel Zucker producirte. — Um eben die Zeit die erſten Verſuche zu Niederlaſſungen auf Cayenne; ſo wie auch zu Senegal an der Kuͤſte von Africa.
Fuͤr die aͤltere Geſchichte: Hiſtoire générale des Antil - les, habitées par les Français, par le Père du Tertre. Paris 1667. III Vol. 4.
14. Spanien verlor durch die wiedererrun - gene Selbſtſtaͤndigkeit Portugals die ſaͤmmtlichen Colonien desſelben, Ceuta ausgenommen. Aber wenn ſich gleich Portugal in Braſilien gegen die Hollaͤnder behauptete, ſo entriſſen ihm dagegen die Eroberungen derſelben bis auf Goa und Diu faſt alle ſeine Oſtindiſchen Beſitzungen; ſo wie Ormus ihm von den Perſern, unter Beyſtand der1622 Englaͤnder, genommen wurde. Nur durch die ſtei - gende Wichtigkeit von Braſilien konnte es einen Platz unter den Colonial-Voͤlkern behaupten.
1. Auch fuͤr den Norden von Europa war der Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts nicht weniger Epoche machend als fuͤr den Weſten. Die fuͤnf Hauptſtaaten desſelben, Schweden, Daͤnemark, Polen, Rußland, und das damalige Preußen erlitten ſaͤmmtlich einzeln Veraͤnderungen, die ihre kuͤnftige Geſtalt und ihren Charakter entweder ſchon beſtimmten, oder doch vorbereiteten.
2. Dieſe Veraͤnderungen wurden aber durch zwey Hauptbegebenheiten herbeygefuͤhrt, durch die Wiederaufrichtung des SchwediſchenThrons187Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt. 1523 -- 1660. Throns durch die Aufloͤſung der Calmariſchen Union; und durch die Reformation. Die foͤrmliche Aufloͤſung jener Verbindung, welche die drey Nordiſchen Reiche unter Einen Regenten hatte ſtellen wollen, ohne je voͤllig ihren Zweck zu errei - chen, ſchuf eine Reihe unabhaͤngiger Staaten im Norden, deren Verhaͤltniſſe, ſobald gemeinſchaftli - che Beruͤhrungspuncte ſich fanden, ſich auch ſehr eng in einander verſchlangen.
3. Die Reformation wurde fuͤr den Nor - den von Europa faſt noch politiſch wichtiger, als fuͤr den Suͤden. Sie fand in drey Hauptlaͤndern, Daͤnemark, Norwegen und Schweden, einen ſo gro - ßen Eingang, daß ſie bald hier herrſchend wur - de; ſie ward in dem letztern ſogleich, in den bey - den andern nachmals, die Grundlage der Verfaſ - ſung; ſie beſtimmte die ganzen nachfolgenden Ver - haͤltniſſe von Preußen; und auch das kuͤnftige Schickſal Polens ward großentheils durch ſie vor - bereitet.
4. Die herrſchenden Voͤlker des Nordens wa - ren von doppelter, theils germaniſcher, theils ſlaviſcher Abkunft; und dieſe Verſchiedenheit zeigte ſich auch in den Verfaſſungen. Bey den er - ſtern hatte ſich auf eine aͤhnliche Weiſe wie in demweſtli -188I. Periode. II. Theil. weſtlichen Europa das Lehnsweſen ausgebildet; aber auch in demſelben ein Buͤrgerſtand, wenn gleich Adel und Geiſtlichkeit ein großes Uebergewicht hat - ten. In den Slaviſchen Landen, Polen und Rußland, hatte aber der Adel, ohne eigentliche Lehnsverhaͤltniſſe, dennoch das Volk zur Leibeigen - ſchaft herabgedruͤckt; und kein Buͤrgerſtand hatte, beym Mangel an Handelsſtaͤdten, ſich bilden koͤn - nen. So unterſchieden ſich beyde ſehr weſentlich dadurch, daß in den erſtern wenigſtens die Elemen - te zur Ausbildung einer buͤrgerlichen Verfaſſung vorhanden waren, in den letztern aber ſo gut wie gaͤnzlich fehlten.
1. Daͤnemark. Seine Koͤnige, ſeit 1447 aus dem Hauſe Holſtein-Oldenburg gewaͤhlt, ſollten Unionskoͤnige der 3 Nordiſchen Reiche ſeyn, waren es aber ſelten; und als Chriſtian II. die Union umſonſt in Schweden erzwin - gen wollte, brach in Daͤnemark ſelbſt ein Aufſtand gegen ihn aus 1523, der ihm den Thron und bald auch die Freyheit ko - ſtete, 1532. — Unter ſeinem Nachfolger Fridrich 1. An - fang der Einfuͤhrung der Reformation ſeit 1527 in Daͤnemark, und allmaͤhlig auch in Norwegen. Vereinigung Daͤnemarks mit Norwegen zu Einem Reich 1532. Große Beſchraͤn - kung der Daͤniſchen Wahlkoͤnige durch ihre Capitulation, den Reichsrath, und die Adminiſtration des Adels.
J. M. Schroͤkh Chriſtliche Kirchengeſchichte ſeit der Re - formation, zweyter Theil, 1804. Fuͤr die Geſchichte der Einfuͤhrung der Reformation in den Nordiſchen Reichen.
2. Schweden. Wiederaufrichtung des Thrones von Schweden 1523 durch Guſtav Waſa († 1560) und Befeſti - gung desſelben a. durch die veraͤnderten Verhaͤltniſſe mitDaͤne -189Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt. 1523 -- 1660. Daͤnemark unter Fridrich I., und den Vertrag mit ihm zu Malmoͤ 1524. b. Durch Huͤlfe der Reformation, und der damit verbundenen Einziehung der geiſtlichen Guͤter 1527; und c. durch die Einfuͤhrung der Erblichkeit der Krone fuͤr ſeinen Mannsſtamm auf dem Reichstage zu Weſteraͤs 1544. Ein Gluͤck fuͤr Schweden, daß er lange genug regierte, um ſeinem Hauſe die Nachfolge ſichern zu koͤnnen!
Geſchichte Guſtav's Waſa, Koͤnig von Schweden, von J. W. von Archenholz. 1801. 2 Th. Nach Schwediſchen Ge - ſchichtſchreibern.
3. Polen, mit dem Großherzogthum Litthauen unter Einem Koͤnige (aber erſt 1569 zu Einem Reiche) verei - nigt, bis 1572 noch unter den Jagellonen. Ob Wahl - reich oder Erbreich wußte man ſelbſt in Polen nicht recht; nirgends war des innern und aͤußern Gaͤhrungsſtoffs ſo viel, nirgends der Hoffnung zur Beſſerung ſo wenig, als hier. Wer mochte die Grenzen nach außen gegen Ruſſen, Tartaren und den Deutſchen Orden, wer vollends die rechtlichen innern Verhaͤltniſſe beſtimmen? Wie wenig auch das Gluͤck eines Staats zunaͤchſt an ſeine Formen geknuͤpft iſt, ſo giebt es doch gewiſſe ſo unfoͤrmliche, jeder Veredelung abſolut widerſtre - bende, Formen, daß nur die Kraft eines Deſpoten, der ſie zertruͤmmert, vielleicht retten kann. Aber ein ſolcher wohlthaͤtiger Deſpot ward leider! Polen nie zu Theil. — Auch die Reformation, wenn ſie gleich bald in Polen Ein - gang fand, wirkte wenig auf die Nation, denn Localurſachen verhinderten es lange, daß die neuen Secten, — zu denen außer den Evangeliſchen hier auch bald die Socinianer kamen — keine politiſche Partien wurden.
4. Preuſſen. Weder durch Lage noch durch Umfang ſchien dieſes Land zu einer großen Rolle in Europa geſchickt; aber durch eine wunderbare Verſchlingung ſeiner Schickſale brachte es Einfuͤhrung des Chriſtenthums, und nachmals Einfuͤhrung der Reformation, dazu. Durch die erſte ſeit 1230-1283 gegruͤndete Herrſchaft des Deutſchen Ordens; Unterjochung der Eingebornen; Entſtehung Deut -ſcher190I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt. ſcher Handelscolonien, aber auch ewiger blutiger Kriege mit Polen und Litthauen; und zuletzt 1520 zwiſchen dem Orden ſelber, und Land und Staͤdten. Durch die Einfuͤhrung der Reformation, Seculariſirung des Landes un - ter dem Heermeiſter Albrecht von Brandenburg 1525; und Umwaͤndelung in ein erbliches Herzogthum, aber als Polniſches Lehen, (ſo weit es nemlich nicht ſchon durch den Thorner Frieden 1469 Polniſche Provinz (Polniſch Preuſſen) geworden war.) Uebergang an die Churlinie 1618, wodurch deſſen weitere Schickſale und hoͤhere politi - ſche Wichtigkeit vorbereitet wurden.
Rußland. Unter Iwan Baſilewitz I. 1462-1505 ward Rußland durch die Befreyung von der Mogolen Herr - ſchaft, und die Eroberung Nowgorods, wieder zu Einem ſelbſtſtaͤndigen Reiche gemacht, das — wenn gleich meiſt durch den Dnieper und Don begrenzt, — doch ſchon furchtbar durch ſeine Maſſe und ſeinen Eroberungsgeiſt wur - de. Aber fuͤr die Ausbildung im Innern fehlte es in einem Reiche, das gaͤnzlich außerhalb dem Wirkungskreiſe der Re - formation — der allgemeinen Triebfeder der National-Bil - dung — lag, an einem bewegenden Princip; und die geſell - ſchaftliche Organiſation ſchien hier ſo wenig als in Polen zu verſprechen, haͤtte nicht Regentenkraft hier einen viel freyern Spielraum als dort gehabt. Schon die Regierung Iwan Baſilewitz II., des erſten Czars, 1533-1584 — des Vorlaͤufers Peter's des Großen — giebt davon einen Beweis, wie man ihn in der Polniſchen Geſchichte vergeblich ſucht.
5. Bis auf die Mitte des 16ten Jahrhunderts fehlte es zwiſchen den Staaten des Nordens an ei -nem1911. Haͤndel u. Kriege uͤb. Liefl. 1553 -- 1600. nem gemeinſchaftlichen Beruͤhrungspunct, weil jeder mehr mit ſich ſelbſt, oder doch nur mit ſeinen naͤch - ſten Nachbaren beſchaͤftigt war. Zwar hatte ſchon Iwan Baſilewitz I. ſeine Eroberungen unter andern auch auf Liefland gerichtet; allein der mit Polen1502 auf 50 Jahre geſchloſſene Waffenſtillſtand ſchob die Fehden uͤber dieſes Land hinaus, bis Iwan Baſi - lewitz II. ſie erneuerte, und Liefland ſeitdem fuͤr den Norden von Europa ungefaͤhr das wurde, was Mayland fuͤr den Suͤden geworden war.
Politiſche Verhaͤltniſſe von Liefland (mit Curland und Semgallen;) ſeit 1525 denen von Preuſſen aͤhnlich. Einfuͤh - rung des Chriſtenthums und Eroberung durch die Schwerdt - ritter, ſeit 1205, die ſich jedoch 1238 an die Deutſchen Her - ten anſchloſſen. Aber 1513 kaufte ſich ihr Heermeiſter Wal - ter von Plettenberg von dieſer Abhaͤngigkeit los; und folgte 1525 dem Beyſpiel von Preuſſen, indem er durch An - nahme der Reformation ſein Land — wiewohl ohne Ein - fuͤhrung der Erblichkeit — ſeculariſirte. Doch waren die Heermeiſter nur Herren von der weſtlichen Haͤlfte des Lan - des, da die Erzbiſchoͤfe von Riga ſich die Herrſchaft uͤber ihr Erzbisthum anmaßten. Dieſe Theilung ward die Quelle von Streitigkeiten und Kriegen, die den ganzen Nor - den umfaßten.
6. Angriff Iwan Baſilewitz II. auf Lief -1558 land; und Tractat des Heermeiſters Gotthard1561 28. Nov. Kettler mit Polen, wodurch 1. Curland und Semgallen ihm als erbliches Herzogthum unter Pol - niſchem Schutz uͤberlaſſen; dagegen 2. Liefland ſel -ber192I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt. ber mit Polen vereinigt wird, wogegen jedoch der1562 Erzbiſchof von Riga ſich an Schweden anſchließt. So ward Liefland der Zankapfel zwiſchen den drey Hauptmaͤchten des Nordens; und die Anſpruͤ - che des Czaars mußten alſo einen allgemeinen Krieg verurſachen, in den auch Daͤnemark, aus Eifer - ſucht gegen Schweden, verflochten wurde, bis nach einem 25jaͤhrigen Kampfe Rußland ſeine Verſuche aufgeben mußte, und Liefland Polen und Schwe - den blieb.
Einfall des Czaars in Liefland 1558. Anfang des Kriegs zwiſchen Rußland und Polen, ſo wie zwiſchen Polen und Schweden 1562. Schreckliche Verwuͤſtungen Lieflands. Da auch unter dem Vorwande des ſtreitigen Unionswappens 1563 der Krieg zwiſchen Daͤnemark und Schweden ausbrach, ſo ward er zugleich Land - und Seekrieg; und wenn gleich gegen wechſelſeitige Aufgebung aller Anſpruͤche der Friede zwiſchen den beyden letztern zu Alt-Stettin 13. Dec. 1570 wieder hergeſtellt ward, ſo dauerte doch der Lieflaͤndiſche Krieg fort, wo der Czaar vergeblich einen Daͤniſchen Prinzen Magnus als Koͤnig vorzuſchieben ſuchte, bis 1577 ſich Schweden und Polen gegen Rußland verbanden, wodurch die Ruſſen in dem Frieden mit Polen 15. Jan. 1582 und dem Stillſtand mit Schweden 1583 nicht nur ganz Liefland, ſondern auch an Schweden Carelien verloren, und von der Oſtſee ganz ab - geſchnitten blieben. Liefland blieb — jedoch ohne feſte Aus - gleichung — halb im Beſitz Polens, halb Schwedens.
7. Waͤhrend und gleich nach dieſen Kriegen ereignete ſich aber in zweyen der Nordiſchen Reiche die hoͤchſt folgereiche Begebenheit des Ausſter -bens1931. Haͤndel u. Kriege uͤb. Liefl. 1553 -- 1600. bens der herrſchenden Haͤuſer. In Rußland ging mit dem Sohne Iwan Baſilewitz des Zwey - ten, mit Czaar Feodor I., der Mannsſtamm des1598 Rurikſchen Hauſes zu Grunde; und es koſtete eine 15jaͤhrige Anarchie, die auch dem Norden neue Kriege bereitete, bis 1613 das Haus Romanow den Thron erhielt. Aber noch viel wichtiger ward das ſchon fruͤher erfolgte Ausſterben der Jagel -1572 lonen in Polen. Seitdem dies Reich dadurch ein foͤrmliches Wahlreich wurde, war auch in der Mitte Europas ein Vulcan entſtanden, deſſen Ausbruͤche faſt bey jeder Regierungsveraͤnderung nicht blos nahe, ſondern oft auch ferne Laͤnder, be - droheten.
Unter den 11 Polniſchen Wahlen von der von Heinrich von Valois 1572 bis zu der von Stanislaus Poniatowsky 1764 ſind kaum drey einmuͤthig zu nennen: der fremde Einfluß und der wilde Factionsgeiſt dauerten von der erſten bis zur letzten fort.
1. Indem Liefland zwiſchen den Nordiſchen Maͤchten ein Zankapfel geworden, und zwiſchen Schweden und Polen es auch geblieben war, ent - ſtand zwiſchen dieſen Reichen ein noch viel trauri - gerer Succeſſionsſtreit, der, zugleich durch die Religionsverhaͤltniſſe und die auswaͤrtige Politik genaͤhrt, uͤber 50 Jahre fortdauerte. Eine der er - ſten Fruͤchte der Polniſchen Wahlfreyheit; indem1587 die Polen den Prinzen Sigismund von Schwe - den, kuͤnftigen Erben dieſes Landes, zu ihrem Koͤnige waͤhlten, und dadurch die Ausſicht zu der monſtroͤſen Vereinigung Zweyer Reiche unter Einem Regenten eroͤffneten, die nicht nur durch die geo - graphiſche Lage, ſondern noch weit mehr durch die Religionsverſchiedenheit getrennt waren.
Sigismund, der Sohn Johann's III. und der Pol - niſchen Princeſſin Catharina, war, wie die Mutter, eifrig catholiſch, und in den Haͤnden der Jeſuiten. Durch ihn hoff - ten ſie das Ziel ihrer Wuͤnſche, dem ſie ſchon unter dem Vater nahe zu ſeyn ſchienen, Wiederherſtellung des Catho - licismus in Schweden, zu erreichen.
2. Als daher nach dem Tode Johann III. von Schweden ſein Sohn Sigismund auch hier wirklich ſuccediren ſollte, entwickelten ſich die Fol - gen ſehr bald. Man traute ſeinen Verſicherungen in Schweden nicht; und ſein zum Regenten beſtell - ter Oheim Carl hatte auch mehr Luſt in ſeinem ei -genen1952. Schw. -Poln. Succeſſionsſtr. 1600 -- 1660. genen Namen zu regieren. So entſtand bald Zank, aus dem Zanke Krieg, und die Folge war, daß1598 Sigismund nebſt ſeinen Erben der Krone Schwe - den verluſtig erklaͤrt; und dieſelbe dem neuen Koͤ - nig Carl IX. uͤbertragen ward. Zwiſchen dieſen1600 beyden Fuͤrſten und ihren Deſcendenten dauert da - her der Succeſſionsſtreit fort, bis er in dem Frie - den von Oliva zu Gunſten der Familie Carl's IX. entſchieden ward.
3. Indeſſen verhinderte die eben damals in Rußland herrſchende Anarchie den wirklichen Krieg, weil beyder Augen auf Rußland gerichtet waren; und Schweden ſowohl als Polen ſich mit der Hoffnung ſchmeichelten, einen ihrer Prinzen auf den Ruſſiſchen Thron zu bringen. Allein die Erhebung des Hauſes Romanow vereitelte end -1613 lich dieſe Ausſichten, indem ſie die Friedensſchluͤſſe zu Stolbowa und Moſcau herbeyfuͤhrte.
Nach Feodor's Tode 1598, deſſen Bruder Deme - trius 1591 war ermordet worden, folgt erſtlich deſſen Schwager Boris, der aber 1605, durch einen falſchen Demetrius verdraͤngt, ſich ſelbſt umbrachte. Zwar ward dieſer durch den von einer Partie zum Czaar ernannten Knaͤs Schuiskoy erſchlagen, 17. May 1606; allein Polen und Schweden miſchten ſich nun darein, fuͤr ihre Prinzen, oder zum Erobern. Ein zweyter falſcher Demetrius wird von den Polen unterſtuͤtzt, die ſelbſt Moſkau einnahmen, und ihren Prinzen Wladiſlaw zum Czaar waͤhlen ließen: aber da -N 2gegen196I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt. gegen hieng ſich Schuiskoy an Schweden, durch einen Vertrag zu Wiborg 1609; ward aber dennoch 1610 geſtuͤrzt, worauf Carl IX. nach Einnahme Nowgorods ſeinen zwey - ten Sohn Carl Philipp zum Czaar zu machen ſuchte, jedoch bereits den 30. Oct. 1611 ſtarb, und ſeinen aͤltern Sohn Guſtav Adolph zum Nachfolger hatte. Aber die Ruſſiſche Nation half ſich ſelbſt, indem durch eine feyerliche Wahl ein Einheimiſcher, der junge Michael Feodorowitz aus dem Hauſe Romanow, ein Verwand - ter der Ruriks, 12. Febr. 1613, einmuͤthig zum Czaar er - nannt wurde. Seitdem Fortgang des Kriegs mit Schwe - den bis zum Frieden von Stolbowa 27. Febr. 1617, worin Schweden Ingermannland, Carelien und Bornholm behielt. Und mit Polen bis zum 14jaͤhri - gen Stillſtande von Moſcau, 3. Jan. 1619 (nach - mals in einen Frieden verwandelt zu Wiaſma 15. Jun. 1634:) wodurch Wladiſlaus ſeinen Anſpruͤchen auf Rußland entſagte; aber Smolenſk mit ſeinem Gebiet, Severien und Tſernigow, bey Polen blieb.
4. Indem aber Polen und Schweden auf die - ſer Seite die Haͤnde ſich frey machten, begann nun der Krieg unter ihnen ſelbſt. Guſtav Adolph1620 eilte, ihn nach Liefland zu verſetzen, und da die Polen keine Luſt hatten, die Schwediſchen Anſpruͤ - che ihres Koͤnigs zu unterſtuͤtzen, fiel bald nicht blos1625 Liefland, ſondern auch ein Theil des Polniſchen Preußens in die Haͤnde des jungen Schwediſchen Helden. Haͤtte dieſen nicht der groͤßere Schau - platz in Deutſchland gelockt, was moͤchte aus Sigismund geworden ſeyn? So wurde aber durch Frankreich hier ein Stillſtand vermittelt, der Gu -ſtav1972. Schw. -Poln. Succeſſionsſtr. 1600 -- 1660. ſtav Adolph Zeit ließ, in Deutſchland ſeine Helden - laufbahn zu beginnen.
Sechsjaͤhriger Waffenſtillſtand zwiſchen Polen und Schwe - den zu Altmark 26. Sept. 1629; verlaͤngert 12. Sept. 1635 auf 26 Jahre. Schweden blieb dadurch im Beſitz von faſt ganz Liefland.
5. Die eifrige Theilnahme Schwedens an dem dreyßigjaͤhrigen Kriege gab jetzt dem Norden etwas mehr Ruhe; zumal da auch die Tuͤrken damals ge - gen die Perſer beſchaͤftigt waren (ſ. oben S. 173). Aber die Eiferſucht Daͤnemarks gegen Schweden, die theils in dem perſoͤnlichen Cha - racter Chriſtian's IV. und Guſtav Adolph's, theils in dem ſchnellen Wachsthum Schwedens ihren Grund hatte, verurſachte zwiſchen dieſen Staaten ein Mißtrauen, das wiederholt in Kriege ausbrach, ohne daß Daͤnemark es zu hindern vermochte, daß durch den Weſtphaͤliſchen Frieden das Uebergewicht Schwedens entſchieden ward.
Bereits 1611 hatte Chriſtian IV. die Verlegenheit Schwedens durch die Verflechtung in den Polniſch-Ruſſiſchen Krieg zu einem gluͤcklichen Angriff auf Carl IX. genutzt, der erſt nach deſſen Tode durch den Frieden zu Sioͤroͤd 20. Jan. 1613 mit Herausgabe der Daͤniſchen Eroberungen ge - gen Eine Million Thaler von Schwediſcher Seite, endigte. Die fuͤr Chriſtian IV. ſo ungluͤckliche Theilnahme an dem Deutſchen Krieg (ſ. oben S. 145) noͤthigte ihn ſeit dem Luͤbecker Frieden 1629 Ruhe zu halten; allein die großen Ausſichten Schwedens waͤhrend der Weſtphaͤliſchen Friedens -N 3unter -198I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt. unterhandlungen reizten um ſo mehr aufs neue die Eiferſucht Daͤnemarks, da Oeſtreich ſie aufachte, und hatten den Krieg von 1643-1645 zur Folge. Ueberfall und Einnah - me Holſteins und Juͤtlands durch Torſtenſohn, Sept. 1643; Einfall in das (damals Daͤniſche) Schonen. Auch kam eine Hollaͤndiſche Flotte der Schwediſchen zu Huͤlfe. Friede zu Bromſebroͤe 13. Aug. 1645. Schweden erhaͤlt 1. voͤllige Befreyung von Zoll und Viſitation im Sund und auf der Elbe bey Gluͤcksſtadt. 2. Auf immer abgetreten von Daͤne - mark Jempteland, Herjedalen, und die Inſeln Gothland und Oeſel, und als Unterpfand auf 30 Jahre Halland.
6. Durch dieſen und durch den Weſtphaͤliſchen Frieden war die Uebermacht Schwedens im Nor - den allerdings ſo groß, daß es nur von dem per - ſoͤnlichen Character ſeiner Koͤnige abzuhaͤngen ſchien, welchen Gebrauch ſie davon machen wollten. Un - ter der Selbſt-Regierung Chriſtinen's, deren auswaͤrtiger Einfluß ſeit dem Weſtphaͤliſchen Frie - den ſich faſt bloß auf fruchtloſe Unterhandlungen beſchraͤnkte, war keine Gefahr zu beſorgen; allein1654 bis 1660 als ſie die Regierung ihrem Vetter Carl Guſtav uͤbergab, aͤnderte ſich die Lage. Schon fruͤher zum Feldherrn gebildet, und voll Ehrgeiz und unruhiger Thaͤtigkeit, beſtieg der neue Pyrrhus den Thron mit Eroberungsentwuͤrfen, die allen Frieden im Norden, ſo lange er lebte, unmoͤglich machten.
7. Neuer Krieg mit Polen, weil Koͤnig Johann Caſimir ihn nicht anerkennen, undſeine1992. Schw. -Poln. Succeſſionsſtr. 1600 -- 1660. ſeine Anſpruͤche auf Schweden nicht aufgeben wollte. Die außerordentlichen Fortſchritte gegen Po - len, (das auch außerdem mit Rußland wegen der1654 Coſacken in einen ungluͤcklichen Krieg gerathen war), wodurch das ganze Reich nur eine Schwedi - ſche Provinz werden zu ſollen ſchien, weckten aber in gleichem Grade mehr die Theilnahme der Nach - baren, je groͤßere und kuͤhnere Entwuͤrfe Carl Gu - ſtav machte, die, zunaͤchſt auf die Vernichtung Daͤnemarks gerichtet, nichts geringeres als die Er - richtung einer großen Nordiſchen Univerſal - monarchie zum Ziel zu haben ſchienen; aber durch die Theilnahme von halb Europa erſchwert, und bald durch den ploͤtzlichen Tod des Koͤnigs vernich - tet wurden.
Einfall des Koͤnigs in Liefland und Polen 1655, Einnah - me von Warſchau und Flucht Joh. Caſimir's nach Schleſien. Aber Polen war leichter einzunehmen als zu behaupten; gro - ße Inſurrection, und 3taͤgige Schlacht bey Warſchau 18-20. Jul. 1656 zum Nachtheil der Polen. Große Verbreitung des Krieges, indem der Czaar Alerei, Kayſer Leopold I., Friedrich III. von Daͤnemark (May und Juni 1657), und bald auch der Churfuͤrſt Friedrich Wilhelm von Brandenburg (Sept. 1657) ſich gegen Schweden erklaͤren. Schneller Verluſt von ganz Polen bis auf Polniſch-Preußen, aber Verſetzung des Kriegsſchauplatzes, da Carl Guſtav auf die Daͤnen losgeht, nach Daͤnemark. Einnahme Daͤne - marks, Uebergang uͤber die gefrornen Belte Febr. 1658., und Friede zu Roſchild 26. Febr. Bedingungen: 1. Daͤnemark tritt an Schweden ab auf immer Halland, Scho - nen, Blekingen, Bahus, Drontheim, und die Inſel Born -N 4holm.200I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt. holm. 2. Beſtaͤtigung der Zollfreyheit im Sunde. 3. Auf - hebung des Lehnsnexus des Herzogs von Holſtein-Gottorp gegen Daͤnemark. — Allein die Schwaͤche Daͤnemarks hatte die Eroberungsplaͤne Carl Guſtav's nur erneuert. Daher ploͤtzlich neuer Einfall von Holſtein aus in Seeland Aug. 1658, um mit der Zerſtoͤrung der Hauptſtadt das Reich zu zernichten. Aber die Belagerung Cronburgs gab den Daͤ - nen Zeit zur Beſinnung; und die tapfere Vertheidigung Copenhagens ſelbſt den Fremden, Oeſtreichern, Polen, Brandenburgern und mehrern deutſchen Fuͤrſten, Zeit zu Lande, vor allen aber den Hollaͤndern, mit einer Flotte zu Huͤlfe zu kommen. Aufhebung der Belagerung, und ploͤtzlicher Tod Carl Guſtav's 23. Febr. 1660.
8. Mit Carl Guſtav ſtarben auch ſeine wil - den Projecte. Allenthalben ward im Norden jetzt leicht Friede, weil Alles den Frieden wollte; und dieſe Friedensſchluͤſſe wurden um ſo viel wohlthaͤti - ger, weil auch die Keime der bisherigen Kriege, mit Ausnahme der Coſackenunruhen, durch ſie aus - gerottet wurden.
Friede zwiſchen Schweden und Daͤnemark unter der Vermittelung Frankreichs und der Seemaͤchte zu Copen - hagen 27. May 1660. Wiederholung des Friedens zu Ro - ſchild; jedoch bleibt das wieder eroberte Amt und Stadt Drontheim bey Daͤnemark.
Friede zwiſchen Schweden und Polen zu Oliva 23. April 1660. Bedingungen: 1. Joh. Caſimir entſagt fuͤr ſich und ſeine Nachkommen allen Anſpruͤchen auf Schweden. 2. Polen tritt an Schweden ab Liefland (mit Ausnahme des ſuͤdlichen, oder fruͤheren Polniſchen, Theils), Eſthland und die Inſel Oeſel. 3. Der von den Schweden gefangene Her - zog von Curland wird freygegeben und reſtituirt.
Friede2012. Schw. -Poln. Succeſſionsſtr. 1600 -- 1660.Friede zwiſchen Schweden und Rußland zu Car - dis 21. Juni 1661. Herausgabe der Eroberungen und Wie - derherſtellung auf den alten Fuß.
Sam. Pufendorfii de rebus geſtis Caroli Guſtavi L. VII. Norimberg. 1696. fol. Das Hauptwerk fuͤr die Geſchichte der Kriege des Koͤnigs.
Mémoires du Chev. de Terlon depuis 1656-1661. Paris 1681. 2 Voll. 12. — Der Verfaſſer war Franzoͤſiſcher Geſandter bey Carl Guſtav, und genoß deſſen Vertrauen.
9. Wenn ſich Schweden durch dieſe Frie - densſchluͤſſe nicht nur den Beſitz Lieflands, ſondern auch der bisherigen Daͤniſchen Provinzen an ſeiner Kuͤſte ſicherte, ſo erndteten Preußen und Daͤ - nemark daraus andere Fruͤchte. Churfuͤrſt Frie - drich Wilhelm, unter dem ſich Brandenburg ſchon zu einer bedeutenden Macht erhob, nutzte den Schwediſch-Polniſchen Krieg mit ſeltner Gewandt - heit dazu, ſich von dem Lehnsverhaͤltniß Preußens gegen Polen loszumachen. Indem er anfangs auf Schwediſche Seite treten zu wollen ſchien, erkauf - te er dieſe Unabhaͤngigkeit von Polen durch den Tractat zu Welau. Als aber Carl Guſtav ihn1657 19. Spt. zu ſeinem Vaſallen machen, als er vollends eine große Monarchie ſtiften wollte, empfand der Chur - fuͤrſt ſehr gut das Gefaͤhrliche ſeiner eigenen Lage dabey; und ward einer ſeiner thaͤtigſten Gegner. Der Tractat von Oliva beſtaͤtigte ihm die gaͤnz - liche Unabhaͤngigkeit Preußens, ſowohl von Schweden als Polen.
N 510. Fuͤr202I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt.10. Fuͤr Daͤnemark ward der uͤberſtandene Sturm die Veranlaſſung zu einer Staatsveraͤn -1660 16. Oc. derung, wodurch Friedrich III. Erbkoͤnig und un - umſchraͤnkter Souverain wurde. Den Keim zu derſelben hatte freylich ſchon laͤngſt das entſtand - ne Mißverhaͤltniß der Staͤnde gelegt; doch bedurfte es eines Zuſammenfluſſes von Umſtaͤnden, wie die gegenwaͤrtigen, um ihn zur Reife zu bringen. Ein Koͤnigspaar, wie Friedrich III. und ſeine Ge - mahlin, unterſtuͤtzt durch einen treuen Diener wie Gabel, vermag viel fuͤr ſich; was vollends, wenn Maͤnner, wie Biſchof Svane und Buͤrgermeiſter Nanſen, ihren Wuͤnſchen entgegenkammen? Aber wer mag einer Revolution ihre Grenzen vorſchrei - ben? Vernichtung des Wahlreichs und der Adels - ariſtocratie war der urſpruͤngliche Zweck; gaͤnzliche Vernichtung der ſtaͤndiſchen Verfaſſung hatte wohl ſelbſt der Koͤnig nicht erwartet. So aber ward1661 10. Jan. Friedrich III. geſetzlich durch die Souveraini - taͤtsacte und das Koͤnigsgeſetz der unum - ſchraͤnkteſte Monarch in Europa.
Geſchichte der Revolution in Daͤnemark von L. T. Spittler. Berlin 1796.
1. Wenn der allgemeine Character der vorigen Periode durch die Verflechtung der Religion und der Politik beſtimmt ward, ſo wird es der gegen - waͤrtige durch die Verflechtung des Geld-In - tereſſes mit der Politik. Dieſe immer ſtei - gende politiſche Wichtigkeit der Finanzen war aller - dings im Ganzen eine Folge der ſtets ſich weiter ausbildenden Cultur von Europa, welche die Staa - ten zu der Auffaſſung mehrerer Zwecke, meiſt ſehr koſtſpieliger Zwecke, noͤthigte; aber auf gar keine feſte Principien gegruͤndet, hat ſie zu Irrthuͤmern gefuͤhrt, ohne deren klare Anſchauung die folgende Geſchichte Europas nicht uͤberſehen werden kann. Man empfand es, daß zwiſchen National - und Re - gierungsvermoͤgen ein Verhaͤltniß ſtatt finden muͤſſe, und ſtrebte daher Nationalreichthum zu befoͤrdern; aber die drey großen Fragen, welche ihrer Naturnach204II. Periode. nach die Grundlage der Staatswirthſchaft ausma - chen: 1. Worin beſteht, und woraus entſteht Na - tionalreichthum? 2. Welchen Einfluß darf ſich eine Regierung auf die Befoͤrderung des Nationalreich - thums anmaßen? Und 3. Welches Verhaͤltniß fin - det zwiſchen den Einkuͤnften der Nation und der Regierung ſtatt? wurden ſo lange ununterſucht ge - laſſen, bis ſich eine Routine gebildet hatte, ge - gen welche ſelbſt beſſere Grundſaͤtze nur wenig ver - mochten.
Das aus den Maximen, welche ſich durch dieſe Routine gebildet hatten, abſtrahirte Syſtem iſt es, welches unter dem Nahmen des Mercantilſyſtems begriffen wird, und alſo nichts als die auf Regeln gebrachte Praxis iſt. Man findet es am beſten dargeſtellt in:
Staatswiſſenſchaften von v. Juſti. Goͤttingen 1755. II Th.
2. Wenn jene beſſern Grundſaͤtze das Vermoͤ - gen einer Nation uͤberhaupt in die groͤßere oder ge - ringere Maſſe ihrer Guͤter ſetzen, ſo ſetzte es da - gegen die Praxis immer mehr in die Summe ihres baaren Geldes. Da man deſſen Vermehrung allein als reellen Gewinn, deſſen Verminderung al - lein als reellen Verluſt betrachtete, beſtimmte ſich dadurch der hoͤchſte Zweck der Staatswirth - ſchaft, da ſelbſt alle Befoͤrderung der Induſtrie nur Gelderwerb zur Abſicht haben ſollte. In - dem man den ganzen Geſichtskreis der Staatswirth -ſchaft205Von Ludw. XIV. bis Friedr. d. Gr. -- 1786. ſchaft auf eine ſo unglaubliche Weiſe beſchraͤnkte, floß daraus eine ganze Reihe der verkehrteſten Maaß - regeln, die deſto druͤckender wurden, da uͤber ihre Rechtmaͤßigkeit, ja ſelbſt uͤber ihre Klugheit, kaum ein Zweifel entſtand.
3. So beſchraͤnkt die Anſicht von dem Weſen des Nationalreichthums blieb, ſo beſchraͤnkt blieb auch die von den Quellen desſelben. Da man ein Fabriken - und Seehandel treibendes Volk das reichſte werden ſah, ſo befeſtigte ſich der Glaube, daß Fabriken und Seehandel uͤberhaupt die erſte Quelle des Reichthums — Umſatz und Veredlung wichtiger als die Production — ſey. Theilnah - me am Handel, und Anlage von Fabriken ward alſo nun das große Ziel der innern Politik.
4. Da der Seehandel ſeinen wichtigſten Be - ſtandtheilen nach Colonialhandel iſt, ſo war wieder eine natuͤrliche Folge davon, daß die Colonien eine immer groͤßere Wichtigkeit erhielten, und da - durch wiederum die Seemaͤchte, da nur ſie Colo - nien beſitzen und vertheidigen konnten, ein viel groͤ - ßeres Gewicht in die Wagſchale der Politik werfen konnten, als unter andern Umſtaͤnden moͤglich ge - weſen waͤre.
5. Dieſe206II. Periode.5. Dieſe Ideen wurden aber recht practiſch wichtig, weil die Regierungen die ganze Lenkung der Nationalthaͤtigkeit — alſo vor allem des Handels und der Kunſt-Induſtrie — aber auch was ſonſt nicht? — ſich zuzueignen kein Bedenken trugen. Es geſchah dies theils durch Anlage pri - vilegirter Fabriken, theils durch Zolltarife, theils durch gaͤnzliche Verbote von Einfuhr oder Ausfuhr mancherley Artikel. Man mochte ſchlecht, man mochte theuer kaufen, wenn nur das Geld im Lande blieb; ſelbſt Kenntniſſe und Einſichten ſoll - ten nur im Lande fabricirt und geholt werden duͤr - fen! So bildete ſich, indem man die erſten Grundbegriffe von Geld, von Handel, von Einfluß der Regierung darauf gaͤnzlich verkannte, indem man die ganz verſchiedenen Sphaͤren von politiſcher und mercantiliſcher Unabhaͤngigkeit mit einander ver - wechſelte, ein Iſolirungsſyſtem, dem zu Folge jeder Staat ſich moͤglichſt ſelbſt genug ſeyn, nicht kaufen, ſondern nur verkaufen ſollte. Sonderbare Inconſequenz! Gerade in dem Zeitalter, wo jede Regierung Handel haben wollte, arbeiteten alle dahin, den Handel moͤglichſt zu vernichten!
6. Auf den erſten Blick mag es raͤthſelhaft ſcheinen, wie dennoch in dieſem Zeitalter ſich der Handel ſo maͤchtig heben, und eine nie geſeheneHoͤhe207Von Ludw. XIV. bis Friedr. d. Gr. -- 1786. Hoͤhe erreichen konnte. Allein theils bildete jenes Syſtem ſich nur allmaͤhlig aus, theils war die Na - tur maͤchtiger als die Regierungen, und wenn end - lich ſchon ſie dem Syſtem der Autarkie ſeine Grenzen vorſchrieb, ſo kam noch hinzu, daß meh - rere Producte ferner Welttheile einen ſolchen Ein - gang in Europa fanden, daß ſie nicht mehr Gegen - ſtaͤnde des Luxus, ſondern des Beduͤrfniſſes, und da - durch unermeßlich wichtig wurden. Nur einzelne Handelszweige einzelner Voͤlker ſind durch die Ver - fuͤgungen der Regierungen aufgebluͤht; der Welt - handel im Ganzen nicht durch ſie, ſondern trotz ihnen.
7. Die Folgen, welche die Anwendung dieſer Grundſaͤtze fuͤr die wechſelſeitigen Verhaͤltniſſe der Staaten hatte, konnten im Frieden und Kriege nicht anders als hoͤchſt nachtheilig ſeyn. Es wurde dadurch im Frieden: 1. ein beſtaͤndiges Miß - trauen erhalten, da jeder glaubte uͤbervortheilt zu werden, dem ſelbſt die vielen geſchloſſenen Han - delsvertraͤge nur neue Nahrung gaben. 2. Ge - gen die durch Handel ſich bereichernden Staaten — da man in ihrem Gewinne nur ſeinen Schaden zu ſehen glaubte — ein Neid erregt, der in gleichem Maaße mit dem Wachsthum ihres Handels ſtieg; und nur zu oft in wilde Kriege ausbrach. — ImKriege208II. Periode. Kriege ſelber aber 1. das Streben, den Han - del des Feindes zu vernichten, und daher die nichts entſcheidende Caperey, mit allen ihren Mißbraͤu - chen. 2. Die Verbreitung der Kriege nach den Colonien. 3. Beſchraͤnkungen und Bedruͤckungen des neutralen Handels, ſobald man ſich ſtark genug dazu hielt. — Die allmaͤhlige Entwickelung dieſer Keime erzeugte endlich Extreme, wie noch kein Zeitalter ſie geſehen, und Niemand ſie geahnet hatte.
8. Aus dem ganzen Zuſtande der Geſellſchaft, in Verbindung mit den ſteten Spannungen, die das Mercantilſyſtem erzeugte, ging das der ſtehenden Heere hervor, das, ſchon fruͤher gegruͤndet, durch Ludewig XIV. und Friedrich II. ſeine Ausbildung erhielt. Es wirkte weder auf die Verminderung der Kriege, noch auf die Moralitaͤt wohlthaͤtig zuruͤck; aber es erzeugte die Vortheile a. eines mehr ſichern Ruheſtandes im Frieden, b. einer vielfachen Mil - derung der Uebel des Kriegs, c. einer beſſern Ord - nung in den Finanzen, d. einer Belebung und Er - haltung des Ehrgefuͤhls, — bey allen Mißbraͤuchen der Quelle unendlichen Gutes, weil es den Geiſt der Nationen hob. — So wurde der militairiſche Character, mit dem mercantiliſchen vereinigt, der hervorſtechende des ganzen Zeitraums.
9. Wenn209Von Ludw. XIV. bis Friedr. d. Gr. -- 1786.9. Wenn gleich in dieſer Periode oͤftere Ver - ſuche gemacht wurden, durch die Zerſtoͤrung des politiſchen Gleichgewichts den Principat ei - ner einzelnen Macht in Europa zu gruͤnden; ſo wurden dieſe doch immer vereitelt; und ihre Ver - eitelung trug natuͤrlich dazu bey, dasſelbe deſto mehr zu befeſtigen. Die Seemaͤchte wirkten dazu in dieſem Zeitraum noch weit mehr als in dem vo - rigen; da ihr Intereſſe die Aufrechthaltung desſel - ben erforderte, und das auf Handel und Colonien gelegte Gewicht ihren Einfluß entſcheidend machen konnte. So blieb das Staatenſyſtem von Euro - pa, bey aller noch ſo großen Ungleichheit ſeiner Glieder, doch ein Syſtem ſelbſtſtaͤndiger und un - abhaͤngiger Staaten.
10. Die Verhaͤltniſſe zwiſchen den Staaten wurden aber in dieſem Zeitraum noch viel enger durch die Ausbildung, welche das Geſandt - ſchaftsweſen erhielt. Die ſeit Richelieu herr - ſchend gewordene Sitte der großen Hoͤfe, beſtaͤn - dige Geſandtſchaften ſelbſt an kleinern zu hal - ten, ward von dieſen erwiedert, und das Ganze erhielt dadurch ſeinen Umfang. Wenn das Ge - webe der politiſchen Verhandlungen dadurch um vieles dichter werden mußte, ſo war die Verflech - tung der Perſoͤnlichkeiten in die Politik vielleicht dieOver -210II. Periode. 1661 -- 1786. verderblichſte Folge, weil die kleinlichen Leiden - ſchaften der Regenten und ihrer naͤchſten Umgebun - gen nur zu oft durch unguͤnſtige Geſandtſchaftsbe - richte aufgeregt wurden, die ſelbſt Kriege herbey - fuͤhrten und verlaͤngerten. Dagegen beſtimmte das Geſandtſchaftsweſen am meiſten die Formen der auswaͤrtigen Politik; und wer in der Beobachtung dieſer Formen etwas mehr als leeres Ceremoniel ſieht, wird nicht anſtehen, ſeinen Werth auch dar - nach zu wuͤrdigen.
Zwar gruͤndete ſchon Ferdinand Catholicus das Halten ſtehender Geſandtſchaften, aber nur an einzelnen Hoͤfen. Erſt ſeitdem die Franzoͤſiſche Politik unter Ludwig XIII. und XIV. faſt ganz Europa umfaßte, erweiterte ſich auch das Geſandtſchaftsweſen; und mit der Erweiterung beſtimmte ſich auch das Ceremoniel.
Erſter2111. Der jetzt folgende Zeitraum traͤgt vorzugsweiſe den Namen des Zeitraums Ludwig's XIV., weil er die goldne Zeit dieſes Monarchen umfaßt. Schon dieſe Benennung zeigt, daß Frankreich in demſel - ben der vorwaltende Staat in Europa war. Aber wenn gleich dieſer Vorrang zum Theil auf die Waffen gegruͤndet war, ſo war er es doch noch weit mehr auf die uͤberwiegende Cultur, die durch ihren Glanz nicht weniger als ihre Vielſeitigkeit den Blick des Auslandes feſſelte. Ihr verdankte die Nation die Herrſchaft ihrer Sprache; und gruͤndet Herrſchaft der Sprache nicht immer gewiſ - ſermaßen Herrſchaft des Volks? Die Eroberun - gen durch die Waffen blieben doch am Ende ſehr beſchraͤnkt; aber dieſe friedlichen Eroberungen umfaßten die cultivirte Welt; und waren unvergaͤng -O 2lich;212II. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. lich; weil ſie nicht auf Zwang, ſondern Freyheit gegruͤndet waren.
Le ſiécle de Louis XIV. (par Mr. de Voltaire) à Berlin 1751. Noch immer mehr Skizze als Ausfuͤhrung.
Fuͤr die Geſchichte der ſchoͤnen Litteratur La Harpe Cours de litterature Vol. IV. etc. Paris 1800.
Aber daneben vor allen F. Bouterwek Geſchichte der Franzoͤſiſchen Litteratur B. II. Goͤttingen 1807.
2. Allerdings war auch Frankreich nicht nur durch Bevoͤlkerung, Umfang, Lage, ſondern auch durch die von Richelieu vergroͤßerte koͤnigliche Ge - walt der maͤchtigſte Staat von Europa; aber dieſe Gewalt blieb doch noch weit von reinem Deſpotis - mus entfernt. Zu dieſem war die Verfaſſung viel zu verwickelt. Welche Grenzen ſetzten nicht Adel und Geiſtlichkeit, welche nicht Herkommen und oͤrtliche Rechte der koͤniglichen Willkuͤhr? Sie konnte Einzelnen furchtbar werden, nicht der gan - zen Nation; nicht mal leicht einzelnen maͤchtigen Corps. So konnte trotz ihr ſich Nationalgeiſt erhalten, den der Glanz des Zeitalters erhoͤhte. Aber freylich ſchienen auch die inneren Verhaͤltniſſe der uͤbrigen Hauptſtaaten des ſuͤdlichen Europas, Spaniens, Englands, der Niederlande und Deutſchlands, recht dazu gemacht zu ſeyn, Frankreich emporzuheben, indem ſie ihm zur Folie dienten.
1. Spa -213A. Von 1661 bis 1700.1. Spanien, nach dem Tode Philipp's IV. († 1665) unter dem minderjaͤhrigen und nie muͤndigen Carl II. († 1700), erſcheint, wenn gleich fortdauernd in ſeinen Niederlanden das Ziel der Franzoͤſiſchen Eroberungen, doch mehr in einem paſſiven als activen Zuſtande. Aber wenn die Urſachen der Unmacht Spaniens auch zum Theil in der Schwaͤche der Regierungen und ihren Fehlgriffen la - gen (ſ. oben S. 122.), ſo lagen ſie doch noch viel mehr in der Verfaſſung und in den Sitten. In einem Reiche, wo die hohen Regierungsſtellen erkaufte 3 bis 5jaͤhrige Pfruͤnden ſind; wo das Landeigenthum faſt ganz in den Haͤnden der Geiſtlichkeit und des Adels, und dennoch jede Sorge fuͤr Oekonomie unanſtaͤndig iſt; wo man bey dem Mangel der Circulation keine Capitale belegt, und Sil - bergeſchirr den Reichthum ausmacht — muß endlich allge - meine Verarmung mitten im Reichthum entſtehen. Wel - che Stockung vollends, wenn im Kriege die Schaͤtze von America ausblieben?
2. England, unter der Regierung des unwuͤrdigen Carl's II. und (ſeit Clarendon's Fall 1667) ſeiner feilen Miniſter dem fremden Einfluſſe Preis gegeben, war ohne beſtimmten politiſchen Charakter, weil ein fortdauernder Widerſpruch zwiſchen den Grundſaͤtzen der Stuarts und der Mehrheit der Nation war, der endlich eine Cataſtrophe herbeyfuͤhren mußte, wie die der Revolution 1688, welche Jacob II. vom Thron ſtuͤrzte, und Wilhelm III. darauf erhob.
3. Die Republik der vereinigten Niederlande, maͤchtig zur See, aber um ſo viel ſchwaͤcher zu Lande, da das Intereſſe der jetzt herrſchenden ſtaͤndiſchen Partie unter dem Rathspenſionair von Holland, Jean de Wit 1653 - 1672, die Schwaͤchung der Landmacht erforderte. Groß als Staatsmann, ſo weit man mit Negociationen reichte,O 3mußte214II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. mußte de Wit die Erfahrung machen, daß ſtetes Negocii - ren eine Cataſtrophe eher herbeyfuͤhrt, als abwendet.
4. Oeſtreich, unter Leopold I., war zu ſehr durch die Ungriſchen Haͤndel mit ſich ſelbſt und mit den Tuͤrken beſchaͤftigt, als daß es ſeine volle Macht je gegen Frank - reich haͤtte gebrauchen koͤnnen. Aber welche Ungleichheit erzeugte auch nicht die perſoͤnliche Verſchiedenheit der Mon - archen? — Welche Ungleichheit die Talente der Miniſter und Feldherren? Und was ließ ſich nicht durch den gehei - men Einfluß der Jeſuiten ausrichten, in deren Haͤnden Leopold war; da Jeſuiten auch die Beichtvaͤter am Franzoͤ - ſiſchen Hofe waren?
5. Das Deutſche Reich konnte unter den jetzt eintre - tenden Verhaͤltniſſen ſeine Schwaͤche nicht verbergen; und die folgende Geſchichte zeigt, daß Ludwig XIV. es nur zu bald ausgeſpuͤhrt hatte, was Gewalt und Politik hier an - richten konnte. Allein die neue Reichsmatrikel 1681, wenn ſie auch nicht die weſentlichen Maͤngel der Reichskriegsver - faſſung heben konnte, gab doch den Beweis, daß die Na - tion nicht hinter dem Zeitalter zuruͤckblieb; und das Ge - wicht, das der große Churfuͤrſt in die Wagſchaale der Politik warf, zeigte, was auch Einzelne Reichsſtaͤnde ver - mochten.
Außer den allgemeinen Werken uͤber Franzoͤſiſche und Niederlaͤndiſche Geſchichte gehoͤrt hieher:
Von Memoires, die vor kurzem erſchienenen:
1. Gleich in dieſen erſten Jahren veraͤnderte das ſchnelle Emporſteigen Frankreichs die Verhaͤlt - niſſe des weſtlichen Europas. Das Genie Eines Mannes verſchaffte dieſem Reiche außer geordneten Finanzen zugleich Manufacturen, Handel, Colo - nien, Haͤfen, Canaͤle, eine maͤchtige Marine; dieß Alles umſtralt von dem Glanz hoher wiſſenſchaftli - cher, militairiſcher und geſellſchaftlicher Cultur. Aber die Art und Weiſe, wie Colbert Frank - reich in die Reihe der erſten Handelsmaͤchte ſtellte, gruͤndete auch ſofort den kuͤnftigen Einfluß des Mercantilſyſtems auf die allgemeine practiſche Politik.
Neue auswaͤrtige Verhaͤltniſſe, in welche Frankreich durch ſeine Colonien, ſeine monopoliſirenden Handelsgeſell - ſchaften, und ſeine Handelsvertraͤge geſetzt ward. Colbert's Manufacturen gediehen, weil der Zuſtand der Geſellſchaft fuͤr ſie reif war; ſeine auswaͤrtigen Handelsplaͤne, nach Hollands Beyſpiel geformt, konnten ſchwerlich gedei - hen; weil Frankreich kein Holland war, noch werden konnte.
2. Die Einrichtungen der Englaͤnder und Hol - laͤnder trugen auf der andern Seite nicht weniger dazu bey, der wechſelſeitigen Handelseiferſucht Nah - rung zu geben. Die beſtaͤtigte und erweiterte1660 Schiffahrtsacte der erſten, die großen Han - delscompagnien der letztern; das wechſelſeitige Stre - ben Aller, ſich zu verdraͤngen, oder ſich den Markt zu verderben, was haͤtte es fuͤr andere Folgen haben koͤnnen?
3. Neben dieſer neu erwachenden Handelspoli - tik wirkten allerdings aber, und noch ſchneller und ſtaͤrker, Ludwig's XIV. Ruhmſucht und Vergroͤße - rungsentwuͤrfe, durch Louvois unterhalten. Der1661 Rangſtreit mit Spanien, die Policeyhaͤndel mit1662 Rom, wie unwichtig auch an ſich, ſind doch ſehr wichtig durch die Anſpruͤche, in Allem der Erſte ſeyn zu wollen. Ließen ſich dieſe mit den bishe - rigen Verhaͤltniſſen unter freyen Staaten vereini - gen? — Die Ausfuͤhrung der Lieblingsidee, ſich der Spaniſchen Niederlande zu bemaͤchtigen, verflocht indeß Ludwig XIV. in eine Reihe von Verhandlungen und zugleich in engere Verbindun - gen mit der Republik der vereinigten Niederlande,die2171. Staatshaͤndel in Europa 1661 -- 1700. die ihm bald laͤſtig wurden, da ſie die ihm wich - tigeren Verhaͤltniſſe mit England ſtoͤrten, die ihm ſchon den Erwerb von Duͤnkirchen eingebracht1662 hatten.
Verhandlungen zwiſchen dem Großpenſionair de Wit, und dem Marquis d'Eſtrades in Haag, um das Pro - ject wenigſtens zu modificiren. Allianz-Tractat mit der Republik 27. April 1662.
4. Ausbruch des Kriegs zwiſchen Eng - land und der Republik; zum Theil durch Handelseiferſucht, zum Theil durch Carl's II. per - ſoͤnlichen Haß gegen Holland erregt. Wenn gleich Frankreich und Daͤnemark Alliirte der Hollaͤnder wurden, ſo ward der Krieg doch nur eigentlich zwiſchen ihnen und England mit großer Anſtren - gung gefuͤhrt. Der Friede von Breda, der ihn endigte, gab keiner der beyden Seemaͤchte ein entſchiednes Uebergewicht.
Feindſeligkeiten an der Kuͤſte von Guinea ſeit 1664. Kriegserklaͤrung Jan. 1665. Seetreffen 21. Jun. 1665, 11. u. 14. Jun., 4. Aug. 1666. Theilnahme Frankreichs 26. Jan. 1666. Die Schwaͤche der Hollaͤndiſchen Landmacht zeigte ſich ſchon auffallend in dem gleichzeitigen Kriege mit dem Bi - ſchof von Muͤnſter 1665. Friede zu Breda, (nach -O 5dem218II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. dem Ruyter Jun. 1667. in die Themſe geſegelt war;) 31. Jul. 1667. 1. Englands mit Frankreich. Ruͤckgabe der In - ſeln St. Chriſtoph, Antigua, Monſerat an England, und Acadiens an Frankreich. 2. Englands mit Holland: nach dem Uti poſſidetis. Dieſem zufolge behaͤlt England Neu Belgien (Neu York und Neu Yerſey), Hol - land aber Surinam. Modification der Navigationsacte zu Gunſten Hollands in Ruͤckſicht der Rheinſchifffahrt.
5. Jedoch ſchon vor dem Abſchluß des Bre - daer Friedens hatte Ludwig XIV. die Waffen er - griffen, ſeine vorgeblichen Anſpruͤche auf die Spa - niſchen Niederlande, vorzuͤglich auf das jus de - volutionis gegruͤndet, nach dem Tode ſeines Schwiegervaters, Koͤnig Philipp's IV. von Spa - nien, geltend zu machen. Eine ſolche Verlet - zung des rechtmaͤßigen Beſitzſtandes war gewiß nicht blos eine Beleidigung Spaniens, ſondern Europas. Es gab Staatsmaͤnner, die dieß empfanden; und der Ritter Temple bildete im Haag die Triple-Al - lianz zwiſchen England, Holland und Schweden. Ludwig XIV. hielt es bald fuͤr gerathen, den Frieden zu Aachen zu ſchließen. Aber warum vollendeten die Alliirten ihr Werk nur zur Haͤlfte, und ließen dem Eroberer einen Theil der Beute? Die Auf - rechthaltung der Heiligkeit des rechtmaͤßigen Beſit - zes wird in einem Staatenſyſtem nie zu theuer er - kauft!
Einfall Ludwig's XIV. May 1667 in die Spaniſchen Niederlande, und große Fortſchritte. — Abſchluß der Tri -pel -2191. Staatshaͤndel in Europa 1661 -- 1700. pel-Allianz 23. Jan. 1668. — Friede zu Aachen 2. May 1668. Frankreich behaͤlt 12 feſte Plaͤtze an der Nie - derlaͤndiſchen Grenze, worunter Douai, Tournay, und Ryſ - ſel. Auch der Portugieſiſch-Spaniſche Krieg (ſ. oben S. 164.) endigte in dieſem Jahre durch den Frieden mit Spanien; 13. Jan. — Blos Ceuta blieb Spanien.
6. Auch nach dem wiederhergeſtellten Frieden blieben indeß die politiſchen Verhaͤltniſſe weſentlich veraͤndert. Durch eine Allianz war, oder ſchien wenigſtens, der Eroberer beſchraͤnkt. Was erwar - tete man ſeitdem nicht von Allianzen! Frankreich dagegen behielt, auch im Frieden geruͤſtet, ſeine Armee; und welch 'eine Armee? Die Ver - haͤltniſſe mit der Republik waren zerriſſen; ſie ſchie - nen unter allen am ſchwerſten wieder anzuknuͤpfen; weil der Stolz des Koͤnigs gekraͤnkt war; und das wehrloſe Spanien hatte ſeine ganze Schwaͤche ge - zeigt!
7. Was konnte leicht aus dieſen Mißverhaͤlt - niſſen, die noch außerdem durch Handelsſtrei - tigkeiten vermehrt wurden, anders hervorgehen, als ein Entwurf zur Rache gegen die Republik; mit deren Sturz man außerdem — als wenn das moͤglich waͤre! — auch ihren Handel und ihre In - duſtrie zu erobern hoffte. Allein je mehr man es empfand, daß ein ſolcher Verſuch einen großen Sturm erregen mußte, um deſto thaͤtiger war dieFranzoͤ -220II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Franzoͤſiſche Politik, dieſen, wo moͤglich, zu be - ſchwoͤren.
Die Handelsſtreitigkeiten entſtanden durch die Einfuhr - verbote, oder hohe Belegung Hollaͤndiſcher Waaren, wel - che die Hollaͤnder Jan. 1671 durch aͤhnliche erwiederten. — So gab das ſich erſt entwickelnde Mercantilſyſtem wenig - ſtens ſchon einen Vorwand zu einem Vernichtungskriege!
8. Trennung der erneuerten Tripelallianz war das erſte Ziel der Franzoͤſiſchen Politik. Und wie konnte dieſe leicht fehlen, da dieſe Verbindung Carl dem II. nie ein rechter Ernſt, und fuͤr Schweden nur eine Finanzſpeculation auf Spanien war? — Aber daß ſie ſich nicht nur aufloͤſen, daß ſie ſich in eine Allianz mit Frankreich ver - aͤndern wuͤrde, war faſt mehr, als man erwarten konnte!
Geheime Allianz Englands mit Frankreich, nicht bloß zum Sturz der Republik, ſondern auch der Brittiſchen Verfaſſung, von dem Cabal-Miniſterium geſchloſſen 1. Jun. 1670; und, gegen Subſidien, bald auch ein Buͤnd - niß mit Schweden 14. April 1672, dem Namen nach nur zum Schutze.
9. Vorzuͤglich aber waren es die dieſen Krie - gen vorhergehenden Negociationen, welche den Ein - fluß Ludwig's auf das Deutſche Reich gruͤnde - ten. Man unterhandelte einzeln; und wer — den großen Churfuͤrſten ausgenommen — widerſtand leicht den Neutralitaͤts -, Subſidien - und Heyraths -antraͤ -2211. Staatshaͤndel in Europa 1661 -- 1700. antraͤgen? Coͤlln und Muͤnſter wurden ſelbſt Alliirte. Sogar Oeſtreich und Spanien wußte man zu beſchwichtigen; waͤhrend der Herzog von Lo - thringen, als Freund des letztern, aus dem Lan - de gejagt wurde! Aber darf man ſich wundern,1670 wenn ſelbſt de Wit getaͤuſcht werden konnte? Er ſah, wie die meiſten Miniſter, ſeinen Staat durch das Vergroͤßerungsglas!
10. Sorgfaͤltiger wie hier ſchien alſo noch nie die Politik — wenn auch zu einem ſinnloſen Zwecke — Alles vorbereitet zu haben. Und doch — wie hatte ſie ſich verrechnet! Als der Vernichtungs - Sturm losbrach, fiel nicht die Republik; aber durch den Fall von de Wit mußte Ludwig ſel - ber — ſo wollte es die Nemeſis — in Wilhelm III. den Mann auf ſeinen Poſten bringen, der ihm ſeitdem, wie der erſte Oranier Philipp dem II., gegenuͤberſtand. Aber wenn dieſer nur fuͤr die Frey - heit ſeines Vaterlandes kaͤmpfte, ſo kaͤmpfte Wil - helm III. — gleich unermuͤdet, und mit gleich wechſelndem Erfolge, in dem Cabinet wie auf dem Schlachtfelde, — fuͤr die Freyheit Europas.
Angriff auf die Republik zu Waſſer und zu Lande May 1672. Seetreffen bey Solbay 7. Jun., und vereitelte Landung 15. Jul. Allein große Fortſchritte zu Lande in Verbindung mit Coͤlln und Muͤnſter; und Eroberung von 4 Provinzen Jun. und Jul. — Rettung Amſterdams durch Ueberſchwemmung. — Revolution im Haag; Ermor -dung222II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. dung der Bruͤder de Wit 20. Aug. Wilhelm III., Erb - ſtatthalter in 5 Provinzen.
11. Außerdem machten aber auch die großen wirklichen Fortſchritte Frankreichs eine ganz andere Senſation in Europa, als bloße Unterhandlungen hatten machen koͤnnen. Der nahe ſcheinende Un - tergang eines Staats wie die Republik ſchreckte Alles auf! Sie fand bald Verbuͤndete an Oeſt - reich, Spanien, Deutſchland, Brandenburg; waͤh - rend Frankreich die ſeinigen verlohr; und nur mit Muͤhe Schweden zur thaͤtigen Theilnahme bewog, um den Churfuͤrſt von Brandenburg und das Reich zu beſchaͤftigen. So mußten ſchuldloſe Laͤnder lei - den fuͤr eine fremde Sache; aber die Republik war gerettet, ſobald der Schauplatz von ihren Gren - zen entfernt war. Ohne einen Fußbreit ihres Ge - biets zu verlieren, ſchied ſie endlich zuerſt aus dem Kampfe; aber die ſchwaͤcheren ihrer Verbuͤndeten mußten bezahlen; weil die Ueberlegenheit der Fran - zoͤſiſchen Feldherren den Sieg feſſelte.
Allianz der Republik mit dem Kayſer, Spanien, und dem Herzog von Lothringen 30. Aug. 1673. Theilnahme des Deutſchen Reichs 31. Maͤrz 1674. Auch der, vorher zu Voſſem 6. Jun. 1673 zum Separatfrieden genoͤthigte, Churfuͤrſt von Brandenburg erneuerte ſeine Verbindung; worauf auch Daͤnemark ſich anſchloß Jul. 1674. — Be - reits 1673 Verlegung des Kriegsſchauplatzes in die Rhein -gegen -2231. Staatshaͤndel in Europa 1661 -- 1700. gegenden. Franzoͤſiſche Eroberung von Maſtricht 1. Jul. Abgeſchlagene Landungen durch 3 Seetreffen 7. und 14. Jun. 21. Aug. Dagegen 1674 19. Febr. Separatfriede Englands, weil die Stimme der Nation ihn forderte. Seitdem Hauptſchauplatz die Spaniſchen Niederlande und der Oberrhein. Dort Condé und Oranien. — Blutige, doch unentſchiedne Schlacht bey Senef 11. Aug. — Hier Turenne und Bournonville, zuletzt in Verbindung mit dem Churfuͤrſt von Brandenburg. Treffen bey Sinsheim 16. Jun., bey Enſisheim 4. Oct., und Ueberfall bey Muͤhlhauſen im Elſaß 29. Dec. Stete Ueberlegenheit von Turenne. — Einfall der Schweden in Brandenburg 1675; aber Niederlage bey Fehrbellin 28. Jun. Auch Daͤnemark und das Reich erklaͤren ihnen den Krieg. Tu - renne und Montecuculi am Oberrhein. Tod des erſtern bey Sasbach 7. Jul. Aber mit dem Meiſter der hoͤ - heren Tactik ſtarb ſeine Schule nicht aus! 1676 und 1677 Lurenburg und Oranien in den Niederlanden. Treffen bey Mont Caſſel 11. April. Die Ueberlegenheit des erſtern bahnt Ludwig 1678 den Weg bis an die Grenzen von Hol - land.
12. Waͤhrend des Kriegs hatte man den er - ſten Zweck, Vernichtung der Republik, alſo gaͤnz - lich aus den Augen verloren! Aber durch die Theilnahme ſo vieler Maͤchte war das Intereſſe um ſo viel mehr verwickelt worden. Nach einem ver - geblichen Friedensverſuche zu Coͤlln ward endlich1673 Nimwegen zum Verſammlungsorte eines allge - meinen Congreſſes beſtimmt. Die vielſeitigen An - ſpruͤche, die Form der Verhandlungen, die Zwi - ſchenvorfaͤlle des unterdeß fortdauernden Krieges, und nicht weniger das ſtreitige Ceremoniel,ließen224II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ließen lange, vielleicht vergebliche, Unterhandlun - gen erwarten; aber giengen alle dieſe Formen, die Rangſtreitigkeiten nicht ausgenommen, nicht aus dem Weſen eines freyen Staatenſyſtems hervor, wo je - der ſeine Unabhaͤngigkeit fuͤhlt; und die bloße Ue - bermacht keine Geſetze dictiren darf? — Dennoch gelang endlich die Verhandlung, vorzuͤglich durch die eifrige Friedensliebe der Staaten von Holland, und die drohende Stellung, die England annahm, befoͤrdert. Allein die Franzoͤſiſche Politik trennte die Verbindung; indem ſie — trotz des Widerſtan - des des Erbſtatthalters — die Republik zu einem Separatfrieden zu bringen wußte.
Langſame Verſammlung des Congreſſes zu Nim - wegen ſeit 1676, und Eroͤffnung 1677. Der Natur der Dinge nach mußte eine Reihe Friedensſchluͤſſe folgen.
1. Friede zwiſchen Frankreich und der Republik 10. Aug. 1678. Gaͤnzliche Reſtitution, gegen Verſprechung der Neutralitaͤt. — Faſt noch mehr als der Friedensver - trag lag den Hollaͤndern der zugleich geſchloſſene Handels - vertrag am Herzen.
2. Friede zwiſchen Frankreich und Spanien 17. Sept. 1678. Frankreich behaͤlt a. die Franche Comté. b. Zwoͤlf feſte Plaͤtze an der Niederlaͤndiſchen Grenze mit ih - rem Gebiete; darunter Valenciennes, Condé, Cambrais, Ypern ꝛc.
3. Friede zwiſchen Frankreich und dem Kapſer und Reich 5. Febr. 1679. a. Frankreich behaͤlt Frey - burg, gegen das Beſatzungsrecht in Philipsburg (ſ. oben S. 158.) b. Sehr beſchraͤnkte Reſtitution des Herzogs von Lothringen, die er ſelber nicht annehmen wollte.
4. Mehr2251. Staatshaͤndel in Europa 1661 -- 1700.4. Mehr Schwierigkeiten machten die Frie - densſchluͤſſe des, ſeiner Nebenlaͤnder beraubten, Schwedens mit Brandenburg und Daͤnemark; denn Ludwig machte es zur Ehrenſache, ſeine Verbuͤndete nicht im Stiche zu laſſen. Friede Frankreichs und Schwedens mit Brandenburg zu St. Germain 29. Jun. 1679, mit Daͤnemark 2. Sept. 1679. In dieſem voͤllige, in jenem faſt gaͤnzliche Reſtitution. Die Friedensſchluͤſſe Schwe - dens mit den andern Verbuͤndeten enthalten nichts Merkwuͤrdiges.
Die vornehmſten Geſandten auf dem Congreß zu Nim - wegen waren: von Frankreich die Grafen d'Eſtrades, Avaux (Neffe des Geſandten zu Muͤnſter oben S. 157.) und Colbert. Von Holland: van Beverning, van Haren, Bo - reel. Von Oeſtreich: Biſchof von Gurk, Graf Kinsky. Von Spanien: Marquis de los Balbaſos, Graf Fuente u. a. Als Vermittler, von England: Temple, Hyde, Jenkins; vom Pabſt: Bevilacqua.
13. Die Abtretungen, welche Frankreich durch dieſe Friedensſchluͤſſe erhielt, waren, (wenn ihm gleich durch die Feſtungen die Thuͤr zum ſteten Ein - fall in die Niederlande eroͤffnet ward,) doch kei -Pneswe -226II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. nesweges das Gefaͤhrlichſte fuͤr Europa. Die gro - ßen Gefahren giengen hervor aus der Art und Weiſe, wie der Friede zu Stande kam. Frank - reich hatte den Kampf gegen halb Europa nicht bloß mit Gluͤck beſtanden, ſondern die Verbin - dung gegen ſich getrennt; und wann iſt der Maͤchtige maͤchtiger, als in einem ſolchen Augen - blick? Die Zerruͤttung der oͤffentlichen Verhaͤlt - niſſe, die eine erneuerte Verbindung auf lange unmoͤglich zu machen ſchien, — und kein Einzelner konnte mehr dem Uebermaͤchtigen die Stirn bieten; — ließ Ludwig Zeit, alle Vortheile ſeiner Politik einzuerndten. Mochten die jetzt erſcheinenden Ent - wuͤrfe eine Folge des Friedens; oder vielmehr der Friede eine Folge jener Entwuͤrfe ſeyn, noch hatte Europa keine ſolche Eingriffe in die Heiligkeit des Eigenthumsrechts geſehen, wie es ſie jetzt erblickte. — Hatte der Oranier Unrecht, wenn er das Aeu - ßerſte aufbot, den Abſchluß des Separatfriedens zu verhindern? War es nur Oraniſches Intereſſe, oder war es Intereſſe Europas?
14. Gewaltthaͤtigkeiten im Elſaß gleich nach dem Frieden; ſogenannte Reunionen (als vor - malige Dependenzen der neuen Abtretungen) deutſcher Reichslaͤnder; und bald darauf offenbare Gewaltthaͤtigkeiten gegen die Spaniſchen Niederlan -de.2271. Staatshaͤndel in Europa 1661 -- 1700. de. Es ſchien klar, daß der Oberrhein die Gren - ze Frankreichs werden ſollte.
Errichtung der Reunionskammern zu Metz, Breyſach, Tournai und Beſançon 1680. War die Form nicht noch empoͤrender als die Sache? — Einnahme Strasburgs und Caſales 30. Sept. 1681, der Schluͤſſel Ober-Deutſchlands und der Lombardie an Einem Tage! — Einfall in die Spaniſchen Niederlande 1683. — Eroberung Luxem - burgs; und Wegnahme von Trier Jun. 1684. Dabey blieb Lothringen noch immer von Frankreich beſetzt; und das mit Spanien befreundete Genua mußte es erfahren, was bey Ludwig Voͤlkerrecht hieß!
15. Es fehlte nicht an lautem Geſchrey in Europa; aber die Verhaͤltniſſe faſt aller Hauptſtaa - ten, die Schwaͤche Spaniens und des Reichs, die Partheilichkeit Carl's II., die Friedensliebe der ſtaͤndiſchen Parthey in Holland, die Ludwig durch ſeine Geſandten lenkte, und vor allem die Noth Oeſtreichs durch den furchtbaren Tuͤrkenkrieg (ſ. unten) ſchienen jede Hoffnung zu einem kraͤftigen Widerſtande zu vernichten. Dennoch brachte die unermuͤdete Thaͤtigkeit des Oraniers es zu einer Ver - bindung zwiſchen 4 Hauptmaͤchten. Aber wie ſie ſich verwahrten, daß es nur zum Schutz ſeyn ſollte! So fuhr Ludwig fort zu erobern, indem er immer den Frieden bot; und konnte noch von Großmuth ſprechen, als er in dem 20jaͤhrigen Stillſtande den groͤßten Theil ſeiner Beute be - hielt!
P 2Schutz -228II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Schutzbuͤndniß in Haag 6. Febr. 1683. zwiſchen dem Kay - ſer, Spanien, Schweden und der Republik, ſchon vorberei - tet durch Particularvertraͤge, zur Behauptung des Muͤn - ſterſchen und Nimweger Friedens. Aber es war ja die Er - klaͤrung dieſer Frieden, die ſtreitig war! Endlich 20jaͤh - riger Stillſtand 15. Aug. 1684; theils mit Kayſer und Reich, mit Behaltung Strasburgs und der Reunionen vor dem 1. Aug. 1681., theils mit Spanien, mit Behaltung Luxemburgs und der Wegnahmen bis zum 26. Aug. 1683.
16. Konnte aber ein ſo erkaufter Stillſtand den Krieg auch nur auf ſo lange hinausſchieben, als er geſchloſſen war? War den Verheerungen des Stroms ein Damm geſetzt? Nur die innere Erſchoͤpfung, womit der uͤbermaͤchtige Staat ſeine Uebermacht erkaufte; nur vielleicht der Wechſel ſehr bedeutender Perſonen, konnte eine Veraͤnderung be - wirken. Aber die Erſchoͤpfung in einem ſolchen Staat kann ſchon im Innern ſehr weit gehen, ehe ſie im Aeußern ſichtbar wird; und wenn gleich1683 Colbert ſtarb, ſo lebte doch Louvois; Er, dem Kriege Beduͤrfniß waren!
17. Ungeachtet der einſtweiligen Erhaltung des Friedens ſammlete ſich alſo doch ſehr natuͤrlich der Stoff zu einem neuen großen Kriege, durch eineReihe2291. Staatshaͤndel in Europa 1661 -- 1700. Reihe einzelner Vorfaͤlle, die, wie heterogen ſie auch ſonſt waren, doch alle dazu wirkten, die Er - bitterung gegen den Uebermaͤchtigen zu vermehren; aber auch des Zunders ſo viel und auf ſo verſchie - denen Seiten verbreiteten, daß ein endlich ausbre - chender Krieg faſt nothwendig ein allgemeiner Krieg werden mußte. Die neuen Streitigkeiten mit dem Pabſt; die Pfaͤlziſche Erbſchaftsſache; und der Zwiſt uͤber die Biſchofswahl zu Coͤlln wirkten alle dazu. Auch die, ſchon lange organiſirte Hugenot - tenverfolgung, die durch die Aufhebung des Edicts von Nantes mit ihrer Vertreibung en -1685 digte, mußte Ludwig um ſo mehr in eine dauernde Spannung mit den proteſtantiſchen Maͤchten ſetzen, da man ſolcher Auftritte in Europa ſchon nicht mehr gewohnt war. Und zu dieſen kamen noch die ſte - ten Neckereyen zwiſchen Frankreich und der Repu - blik durch Zolltarife und Waarenverbote!
Haͤndel mit Pabſt Innocenz XI. uͤber die Regale, ſchon ſeit 1673, die 1682 zu der Verſammlung eines National - Conciliums fuͤhrten, das die Verhaͤltniſſe gegen Rom be - ſtimmte; und 1682 uͤber die widerſinnige Quartierfreyheit. — Pfaͤlziſcher Erbſchaftsſtreit, indem Ludwig nach dem Aus - ſterben des Pfalz-Simmerſchen Mannsſtamms mit Chur - fuͤrſt Carl 1685 die Anſpruͤche deſſen Schweſter, der Herzogin von Orleans, auf die Allodialverlaſſenſchaft auch auf einen großen Theil des Landes ausdehnte. — Streit uͤber die Erzbiſchofswahl zu Coͤln 1688, indem Ludwig ſei - nen Clienten, den Biſchof von Fuͤrſtenberg von Stras - burg, gegen den Prinzen Joh. Clemens von Bayern un -P 3ter -230II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. terſtuͤtzte, der, zwar nur von der Minoritaͤt des Capitels gewaͤhlt, doch vom Pabſt beſtaͤtigt ward.
18. Indem auf dieſe Weiſe Jeder ſich belei - digt fuͤhlte, und fuͤrchtete, wurde es dem Oranier dadurch leichter, eine neue Verbindung — zu der Aufrechthaltung des Waffenſtillſtandes — zu nego - ciiren, die zu Augsburg abgeſchloſſen ward. Indem Ludwig dieſelbe als gegen ſich geſchloſſen anſah, konnte der baldige Ausbruch eines großen Krieges wohl kaum mehr zweifelhaft ſcheinen; und wenn auch Louvois Verlegenheit den Ausbruch be - ſchleunigte, ſo geſchah doch nur, was ohne dieſes etwas ſpaͤter haͤtte geſchehen muͤſſen.
Abſchluß des Augsburger Buͤndniſſes 9. Jul. 1686 zwi - ſchen dem Kayſer, Spanien, Schweden, dem Churfuͤrſten von Bayern, dem Schwaͤbiſchen, Bayriſchen und Fraͤnki - ſchen Kreiſe und einigen Deutſchen Fuͤrſten. Indem die Spannung ſchon ſehr groß war, brachte die Coͤllniſche Chur - fuͤrſtenwahl (ſ. oben) die Sache zum Ausbruch. Kriegs - erklaͤrung gegen Kayſer und Reich 24. Sept. 1688.
19. Als aber der Krieg kaum ausgebrochen war, ereignete ſich eine andere Begebenheit, die ihn allein wuͤrde unvermeidlich gemacht haben, die Revolution in England, die Wilhelm III.1689 Jan. auf den Thron ſeines Schwiegervaters erhob (ſ. unten). Indem Jacob II. von Ludwig als Freund und Koͤnig aufgenommen wurde, war ſchon damit der Krieg ſo gut wie erklaͤrt.
20.2311. Staatshaͤndel in Europa 1661 -- 1700.20. So entzuͤndete ſich ein neuer Krieg in Europa, deſſen Umfang ſo wenig als ſeine Dauer abzuſehen war. Schon nach wenig Monaten gab es faſt keinen neutralen Staat im weſtlichen Euro - pa mehr; und Louvois ſorgte aufs beſte dafuͤr, daß die Flamme ſich moͤglichſt weit verbreitete.
Auf die Erklaͤrung gegen Kayſer und Reich folgte die gegen den Pabſt, als weltlichen Fuͤrſten; gegen die Republik 6. Nov., gegen Spanien 15. April 1689. Von England ward der Krieg Frankreich erklaͤrt 2. May. Große Allianz zu Wien 12. May 1689; der auch, von Louvois gedraͤngt, der Herzog von Savoyen beytrat, Jun. 1690. Auch Daͤne - mark verſprach Huͤlfstruppen an England.
21. Der furchtbare 9jaͤhrige Kampf, (zugleich durch neue Handelsverbote merkwuͤrdig;) in den Niederlanden, den Rheingegenden, in Italien, nebenher in Irland und an den Spaniſchen Gren - zen, außerdem auf dem Ocean und im Mittelmeer, ſchien entweder mit der Unterjochung, oder auch dem entſchiedenſten Triumphe Frankreichs endigen zu muͤſſen. Und doch geſchah keins von Beyden! Die Ueberlegenheit der Franzoͤſiſchen Feldherren, des unbeſiegten Luxemburg, des beſcheidenen Ca - tinat, blieb ſich gleich; aber die zunehmende Erſchoͤpfung im Innern ward auch nach außen zu merklich! und Colbert hatte keine Zoͤglinge gebildet wie Turenne!
P 4Die232II. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Die entſetzlichen Verheerungen der Pfalz 1688 und 1689, womit der Mordbrenner Louvois († 1691) die Grenzen decken wollte, waren ſie nicht ſchon Beweiſe von dem Ge - fuͤhl der Schwaͤche im Innern? Auch konnten die Franzo - ſen nie betraͤchtlich uͤber den Rhein vordringen, zumal ſeit dem ihnen ſeit 1693 der tapfere Prinz Ludwig von Ba - den gegenuͤberſtand. — Hauptſchauplatz in den Niederlan - den, wo Luxemburg 1. Jul. 1690 den Sieg bey Fleurus; 3. Aug. 1692 den bey Steenkerken; und 29. Juli 1693 den bey Neerwinden (Landen), letztere beyde uͤber Wilhelm III., erfocht; und Namur und mehrere Feſtungen einnahm. Doch hielt der Oranier, oft beſiegt, aber nie bezwungen, ihm Stand; und was Luxemburg nicht vermochte († Jan. 1695), wie vermochte es ſein Nachfolger Villeroy? — In Ita - lien: Kampf zwiſchen Catinat und Victor Amadeus II. von Savoyen. Sieg Catinat's bey Staffarda 18. Aug. 1690 und Einnahme Savoyens, und 1691 eines Theils von Piemont. Sieg bey Marſiglia 4. Oct. 1693, worauf ſchon geheime Unterhandlungen des Herzogs mit Frankreich began - nen. — Der Krieg an den Grenzen von Catalonien war lange Nebenſache, endigte aber 1697 mit der Eroberung von Barcelona. — Der Seekrieg, anfangs durch Tourvil - le's Sieg bei Dieppe 10. Jul. 1690. mit Gluͤck von Frank - reich begonnen, war mit dem Project einer Landung in Eng - land und Irland zu Gunſten Jacob's II. verbunden. Die letztere, zwar von Frankreich ausgefuͤhrt, aber ſchlecht un - terſtuͤtzt, ward vergeblich durch den Sieg Wilhelm's III. am Boyne Fluß 11. Jul. 1690; die erſtere ward vereitelt durch den Seeſieg der Britten bey la Hogue 29. May 1692, der ihnen die Ueberlegenheit fuͤr die Folge ſicherte. — Auch nach Oſt - und Weſtindien verbreitete ſich der Krieg. Eroberung von Carthagena in Suͤd-America 5. May 1697. — Strenge Handelsverbote Englands und Hollands ſeit Anfang des Kriegs; da nicht nur, wie gewoͤhnlich die Contre - bande, ſondern aller Verkehr mit Frankreich den Einheimiſchen und Fremden verboten wurde, 22. Aug. 1689. Aber kaum fand man Fremde, die neutral waren.
22.2331. Staatshaͤndel in Europa 1661 -- 1700.22. Es ließ ſich erwarten, daß Trennung des großen Buͤndniſſes auch in dieſem Kriege das Ziel der Franzoͤſiſchen Politik werden wuͤrde. Man hoffte am meiſten den Herzog von Savoyen zu ge - winnen; und bereits 1694 ward eine geheime Un - terhandlung angeknuͤpft, die endlich zu einem Ver - gleiche fuͤhrte, wodurch Frankreich ſeinen Zweck er - hielt.
Vergleich zu Turin 29. Aug. 1696. 1. Der Herzog erhaͤlt alle ſeine Laͤnder zuruͤck, und ſelbſt Pignerol, jedoch geſchleift. 2. Seine Tochter wird an Ludwig's aͤlteſten Enkel, den Duc de Bourgogne, vermaͤhlt. 3. Er verſpricht die Neutralitaͤt Italiens bey Spanien und Oeſtreich zu bewirken; welches auch geſchah durch den Tractat von Vigevano 7. Oct.
23. Wie wichtig auch dieſe Trennung war, ſo legten die Anerkennung Wilhelm's III., und die Forderungen Oeſtreichs doch große Schwierigkeiten dem Frieden in den Weg. Aber die Entwuͤrfe auf die Spaniſche Monarchie, deren Vorbereitung, nur im Frieden moͤglich, nicht laͤnger aufgeſchoben werden durfte, auf Frankreichs, und das Miß - trauen unter den Verbuͤndeten auf der andern Seite, befoͤrderten ihn. Ein Congreß, der ſich auf dem Schloß bey Ryßwik in Holland verſammelte, be - trieb unter Schwediſcher Vermittelung die Unter - handlungen; und Ludwig erreichte um ſo eher ſei - ne Zwecke, da es ihm gelang, neue Trennungen unter den Verbuͤndeten zu erregen.
P 5Eroͤff -234II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Eroͤffnung des Congreſſes zu Ryßwik 9. May 1697. Vorlaͤufiges Einverſtaͤndniß mit den Seemaͤchten; und nach Ablauf des dem Kayſer und Reich geſetzten Termins Ab - ſchluß des Friedens mit ihnen und Spanien 20. Sept., worauf auch der Kayſer und das Reich ſich bald dazu ent - ſchließen mußten 30. Oct.
1. Friede Frankreichs mit England. 1. Aner - kennung von Wilhelm III. 2. Wechſelſeitige Herausga - be der Eroberungen.
2. Friede Frankreichs mit Holland. Wechſelſei - tige Reſtitution.
3. Friede Frankreichs mit Spanien. Zuruͤckgabe aller Eroberungen und Reunionen in Catalonien und den Niederlanden bis auf einige Ortſchaften als Grenzberichti - gung. — Ohne beſondere Abtretung blieb durch den Frie - den von ſelbſt Frankreich der ſchon fruͤher beſetzte Theil von St. Domingo. S. unten.
4. Friede mit Kayſer und Reich. 1. Frankreich behielt alles Reunirte im Elſaß; auch Strasburg. 3. Alles außer dem Elſaß Reunirte wird zuruͤckgegeben; (doch ſoll nach eingeſchobener Clauſel die katholiſche Religion in ſtatu quo bleiben.) 3. Die Pfaͤlziſche Erbſchaftsſache ſoll durch Schiedsrichter ausgemacht werden. 4. Volle Reſtitution des Herzogs von Lothringen.
Die vornehmſten Geſandten waren: von Frankreich: von Calliéres, von Harlay. Von England: Graf Pembrok, L. Lexington ꝛc. Von Holland: A. Heinſius, J. Boreel ꝛc. Von dem Kayſer: Graf Kaunitz, Stratmann, von Sailern. Von Spanien: D. Quiros. Von Schweden: als Vermittler Gr. Bonde, von Lilienroth.
24. Wenn gleich durch dieſen langwierigen Krieg der Wunſch der Alliirten, Zuruͤckfuͤhrung der Dinge auf den Nimweger, oder wo moͤglich ſelbſt den Weſtphaͤliſchen und Pyrenaͤiſchen Frieden, keineswegs voͤllig erreicht ward; ſo ward doch der Hauptzweck erreicht; die wechſelſeitige Freyheit und Unabhaͤngigkeit der Staaten war behauptet und ge - ſichert. Drey Kriege zu dieſem Zwecke gefuͤhrt, und durch drey ſolche Friedensſchluͤſſe geendigt, hatten die Wichtigkeit der Erhaltung des politiſchen Gleichgewichts zu fuͤhlbar gemacht, als daß ſie in der practiſchen Politik ſich haͤtte leicht verlieren koͤnnen.
25. Eben damit ſtand als Folge dieſes Kriegs in einer engen Verbindung die Beſtimmung der Brittiſchen Continentalpolitik in ihren Hauptformen. Sie gieng hervor aus der Rivali - taͤt mit Frankreich; die durch Wilhelm III. dau - ernd gegruͤndet ward. Zu ſchwach, um als Landmacht Frankreich gegenuͤber zu ſtehen, ſchloß es ſich an die zweyte Landmacht des Continents, an Oeſtreich, an; und ſo lange auch noch Habs - burger in Spanien herrſchten, natuͤrlich zugleich an dieſes. Die enge Verbindung mit den Niederlan - den war eine Folge der Thronbeſteigung Wilhelm's III., in Italien lernte man ſchon jetzt die Wich -tigkeit236II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. tigkeit des Herzogs von Savoyen ſchaͤtzen; und in dem Deutſchen Reich konnte es nicht leicht an ein - zelnen Verbuͤndeten fehlen.
26. Waͤhrend aber jene Kriege den Weſten von Europa erſchuͤtterten, tobten nicht geringere Stuͤrme im Oſten. Die Tuͤrkengefahr war noch faſt nie ſo drohend fuͤr Deutſchland geworden, als in dieſem Zeitraum; wo das Schickſal von Wien auch das ſeinige entſcheiden zu muͤſſen ſchien. Die Streitigkeiten uͤber Siebenbuͤrgen, die Oeſtrei - chiſche Tyranney in Ungarn, ließen es hier den Tuͤrken an Anhaͤngern nicht fehlen; und wenn ſie gleich in regelmaͤßigen Schlachten der Deutſchen Tactik unterlagen, ſo fanden ſie doch einzelne An - fuͤhrer, die es einſahen, was mit großen Maſſen leichter Truppen, von Nationalſtolz und Religions - haß belebt, auszurichten ſteht. Auf die Haͤndel des weſtlichen Europas wirkten dieſe Kriege nicht wenig ein. Ludwig XIV., in der Politik wie im Privatleben nie den Anſtand verleugnend, war zwar nicht foͤrmlicher Verbuͤndeter des Feindes der Chri - ſtenheit; ſchickte wohl ſelbſt ein Huͤlfscorps gegen ihn. Aber ſeine Geſandten waren darum nicht weniger in Conſtantinopel thaͤtig.
Bereits 1661-1664 Krieg durch die ſtreitige Fuͤrſtenwahl in Siebenbuͤrgen, zwiſchen Kemeny, den Oeſtreich, und Mich. Abaffi, den die Pforte unterſtuͤtzte, erregt. Ein -nahme2371. Staatshaͤndel in Europa 1661 -- 1700. nahme der Feſtungen Großwardein 1661 und Neuhaͤuſel 1663. Die drohende Gefahr verſchafft endlich dem Kayſer Huͤlfe von dem Reich: und ſelbſt von Frankreich. Montecuculi's Sieg uͤber Achmet Kiuprili bey St. Gotthard an der Raab 22. Jul. 1664. Aber in dem 20jaͤhrigen Waffenſtill - ſtande 2. Aug. blieben die Tuͤrken doch im Beſitz von Neu - haͤuſel und Großwardein.
27. Viel dauernder und wichtiger aber ward der zweyte Krieg, der noch vor Ablauf des Waf - fenſtillſtandes, unter Franzoͤſiſchem Einfluß, begann, und erſt am Ende des Jahrhunderts durch den Carlowitzer Frieden endigte. Wie ſehr wurden durch ihn Ludwig's des XIV. gleichzeitige Unterneh - mungen beguͤnſtigt! Aber wenn bey ſeinem Anfan - ge die Belagerung Wiens Deutſchlands Frey - heit bedrohte, ſo ward doch, da Oeſtreichs Herr - ſchaft in Ungarn durch ihn befeſtigt wurde, auch Deutſchland ſeitdem vor den Angriffen der Tuͤrken auf immer geſichert. Durch die Theilnahme Po - lens und Rußlands verbreitete ſich der Krieg auch zugleich nach dem Norden von Europa. (S. unten.)
Bruch des 20jaͤhrigen Waffenſtillſtandes, durch die Unter - ſtuͤtzung des Grafen Tekely in Ungarn 1682. Eindringen in Oeſtreich und Belagerung Wiens 22. Jul. 1683. Gluͤck - licher Entſatz durch die verbundene Deutſche und Polniſche Armee unter dem Herzog Carl von Lothringen und Johann Sobieſky 2 Sept. Seitdem eifrigere Theilnahme der Deut - ſchen Fuͤrſten; und Beytritt Venedigs 1684. Der Haupt - ſchauplatz bleibt in Ungarn. Eroberung von Ofen durch dieDeut -238II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Deutſchen, 22. Aug. 1686; Niederlage der Tuͤrken bey Mo - hacz 7. Aug. und Verluſt von Slavonien 1687. Auch Ve - nedig macht in Dalmatien und Morea Eroberungen. Bald zeigt der Vezier Kiuprili Muſtapha (ſeit 1690), was Belebung des Nationalgeiſtes bey einem Barbarenvolke ver - mag. Einnahme von Niffa, und ſelbſt Belgrad (Oct.). Aber in der Schlacht von Salankemen 19. Aug. 1691 fiel der Held, ohne einen ſeiner wuͤrdigen Nachfolger zu finden. Der Kampf im Felde fieng an zu ermatten, waͤhrend der Kampf der Brittiſchen und Franzoͤſiſchen Diplomatik in Con - ſtantinopel deſto lebhafter war. Allein die letztere verhin - derte den Frieden; und als Muſtapha II. ſeit 1695 ſich ſelber an die Spitze ſtellte, war der Krieg deſto lebhafter. Aber ſeitdem Prinz Eugen 1697 das Commando erhielt, gab auch bald der Tag bey Zentha (11. Sept.) die Entſchei - dung. Friede zu Carlowitz 26. Jan. 1699. 1. Mit Oeſtreich. Es behaͤlt Siebenbuͤrgen; und das Land zwi - ſchen der Theis und Donau; die Pforte aber Temeswar. 2. Mit Venedig. Die Republik behaͤlt Morea, nebſt den Inſeln S. Maura und Egina. Die Frieden mit Polen und Rußland ſ. unten.
1. Dieſe beyden Reiche, jetzt getrennt, fahren fort zu exiſtiren, ohne daß die erneuerte Selbſt -ſtaͤndig -2392. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur. -- 1700. ſtaͤndigkeit des letztern vermoͤgend geweſen waͤre, der Nation einen neuen Schwung zu geben. Doch war der Zuſtand hier noch beſſer als in Spanien, wo alle Keime des innern Verderbniſſes ſich ſo voͤl - lig entwickelten (ſ. oben S. 213.), daß ſelbſt die Fortdauer der politiſchen Exiſtenz ſchwer zu erklaͤ - ren iſt. Aber ein großer Staat kann es lange treiben, ehe er ſich zu Tode ſuͤndigt!
2. Eine ſo glaͤnzende Regierung wie die von Ludwig XIV. war zu ſehr im Character der Na - tion, als daß bey allem Druck doch das Mißver - gnuͤgen einen Mittelpunct des Widerſtandes haͤtte finden koͤnnen. Die maͤßigen Vergroͤßerungen wa - ren ſo theuer erkauft, daß ſie wohl nicht als Ge - winn angeſehen werden koͤnnen. Aber viel mehr als Franzoͤſiſche Macht war Franzoͤſiſcher Einfluß ge - wachſen; und ſelbſt die Vertreibung der Hu - genotten, wenn ſie auch den gemißhandelten Voͤl - kern gewiſſermaßen durch Verbreitung Franzoͤſiſcher Capitale und Induſtrie Erſatz gab, trug dazu durch Verbreitung Franzoͤſiſcher Sprache und Sitten bey.
3. Doch entwickelte ſich mitten in der Periode der koͤniglichen Allgewalt aus Religionshaͤndeln, wenn gleich langſam, aber deſto unausrottbarer, ein Keim, der mehrfach fruchtbar wurde. DerJanſe -240II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Janſenismus, als Gegner des Jeſuitismus, wurde nothwendig die Stuͤtze der Denkfreyheit und des Unterſuchungsgeiſtes; und erſetzte dadurch eini - germaaßen den unermeßlichen Schaden, den Frank - reich durch die Vertreibung der Hugenotten in die - ſer Ruͤckſicht erlitt. Der politiſche Einfluß der Je - ſuiten gab ihm aber auch unvermeidlich, wenn gleich erſt ſehr langſam, einen politiſchen Character, und konnte ihn ſpaͤterhin zum Vehikel einer Oppoſi - tion gegen die Regierung machen.
Urſprung des Janſenismus durch den Streit uͤber das Buch des Biſchofs Janſenius zu Ypern († 1640) Augnſti - nus ſ. de gratia mit den Jeſuiten. Durch die Verdam - mung der 5 Saͤtze von Pabſt Alexander VIII. 1656, und die geforderte Eidesformel 1665 ward der Streit unter dem Clerus ſchon practiſch wichtig; ſeine politiſche Wichtig - keit erhielt er erſt in dem folgenden Zeitraum.
4. Kein Staat erfuhr ſo wichtige innere Veraͤnderungen als England. Sie beſtimmten voͤl - lig ſeinen nachmaligen Character als Staat; und ſeine Rolle als Mitglied des Europaͤiſchen Staa - tenſyſtems. Indem die ſogenannte Revolution Wilhelm III. auf den Thron erhob, den ſein Schwiegervater verlaſſen hatte, ward dadurch die durch die Stuarts geſtoͤrte Harmonie zwiſchen der Nation und der Regierung hergeſtellt; und darausfloß2412. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur. -- 1700. floß der ganze unermeßliche Gewinn fuͤr die Zukunft. Herrſchaft des Proteſtantismus und conſtitutionelle Freyheit waren der Wunſch der Nation; beydes ſicherte ihr die jetzige Veraͤnderung; und die Bill of rights gab ſelbſt die formelle Beſtaͤtigung.
5. Aber nicht dieſe feſtere Beſtimmung von Formen (ohnedem meiſt alten Formen) war es, wodurch die brittiſche Conſtitution ſeitdem ihr Leben erhielt. Dieß gieng hervor aus der Nation ſelber, aus dem langwierigen Kampfe des Unterhauſes gegen die Entwuͤrfe der Stuarts; aus dem Geiſte, der dadurch lebendig geworden war; ſelbſt die Fort - dauer der Partheyen der Whigs und Torys, (wie haͤtten auf einmal alle Partheyen verſchwinden koͤnnen?), waren nur Symptome des Lebens!
6. Die großen Vorzuͤge dieſer Conſtitution la - gen daher auch keineswegs in einem durch kuͤnſtliche Formen erreichten Gleichgewichte der Gewalten; ſie lagen in der erhoͤhten practiſchen Wichtigkeit des Parlements, beſonders des Unterhauſes; und des ganz freyen Verkehrs des Monarchen mit dieſem durch ſeine Organe, die Miniſter. Als Vermittler zwiſchen Koͤnig und Parlement mußte ihre Wichtigkeit wachſen; aber ſeitdem man das Geheimniß ausgeſpuͤrt hatte, daß es nie zu einem Zwiſt zwiſchen beyden kommen duͤrfe, war die Be -Qhaup -242II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. hauptung der Majoritaͤt im Parlement auch die Be - dingung ihrer Wirkungskraft. Die offene Oppo - ſition ſicherte ſie hier vor geheimen Cabalen; nur Ei - nigkeit unter ihnen ſelber blieb natuͤrliches Erforder - niß, und dafuͤr ward durch die Art der Errichtung des Miniſterii geſorgt.
7. So konnte in keinem der Hauptſtaaten Eu - ropas ſo viel politiſches Leben in der Nation ſeyn, wie hier; und gewiß nicht mit Unrecht be - wundert ſtand Großbritannien ein Jahrhundert hin - durch als Muſter einer conſtitutionellen Monarchie da! Nur daß man ſehr verkehrt in den Formen ſuchte, was viel tiefer lag! Daß aber in dieſer Conſtitution auch Keime des Verderbniſſes lagen, war unvermeidlich. Gewiß aber weniger in der mangelhaften Repraͤſentation, als in dem Be - duͤrfniß der Majoritaͤt im Parlement fuͤr die Mini - ſter. — Auswaͤrtige Maͤchte aber mochten ſich wohl vorſehen bey ihren Verbindungen mit England, da ein Wechſel der Miniſter auch zugleich in der Regel ein Wechſel der politiſchen Maximen war, und die Nachfolger ſich wenig an die Verpflichtungen der Vorgaͤnger gebunden hielten.
8. Die Errichtung der Erbſtatthalterſchaft1672 bis 1702 in 5 Provinzen, das Werk der Noth und das Mit - tel der Rettung (ſ. oben S. 221.), wuͤrde wahr - ſcheinlich große Folgen auch fuͤr das Innere gehabt haben, wenn der neue Erbſtatthalter Erben gehabt haͤtte. Aber indem ſeine Thaͤtigkeit faſt ganz auf die auswaͤrtige Politik gerichtet war, beſchraͤnkte ſie ſich im Innern hauptſaͤchlich darauf, Maͤnner von ſeinen Grundſaͤtzen in die Staaten und in die Re - gierungsſtellen zu bringen. Mehr Staatsmann als Feldherr (wenn gleich auch im Ungluͤck mit Recht bewunderter Feldherr;), bildete Wilhelm III. ſich auch mehr eine politiſche als militairiſche Schu - le; und indem in den Heinſius, Fagels u. a. ſein Geiſt fortlebte, dauerten die Grundſaͤtze ſeiner Politik, die Oppoſition gegen Frankreich, und die Anſchließung an England, noch nach ſeinem Tode fort.
9. Nach der Beſtimmung der ſtreitigen Ver - haͤltniſſe durch den Weſtphaͤliſchen Frieden durfte man hier zwar innere Ruhe erwarten, aber an Stoff zu Verhandlungen und ſelbſt an Streit konn - te es doch in einem Staatskoͤrper nicht fehlen, deſ - ſen innere Verhaͤltniſſe nicht nur an ſich ſo unend -Q 2lich244II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. lich verwickelt, ſondern durch das Mißtrauen der Religionspartien, — (welches die Bildung des1653 Corpus Evangelicorum erzeugte) — noch ſchwie - riger waren. Aber ſolche Haͤndel waren ſchwerlich Uebel zu nennen; und indem durch ſie der be -1663 ſtaͤndige Reichstag entſtand, erhielt das Ganze dadurch eine groͤßere Feſtigkeit. Die Form der al - ten Reichstaͤge hatte ihr Gutes fuͤr ihre Zeit; bey den veraͤnderten Hofſitten mußte ſie von ſelbſt ver - alten. Ein dauernder Congreß entſtand alſo, eben weil er Beduͤrfniß war; man wußte kaum wie? Aber eben deshalb dachte auch Niemand daran, wie er zweckmaͤßig einzurichten ſey.
10. Große Veraͤnderung des Deutſchen Fuͤr - ſtenlebens durch die Ruͤckwirkung des Franzoͤſiſchen Hofes; aber auch der Fuͤrſtenmacht, politiſch und militairiſch. Indem Ludwig XIV. es meiſt ſeinem Intereſſe gemaͤß fand, die einzelnen Fuͤrſten als Fuͤrſten zu behandeln; fuͤhlten ſie ſich als kleine Maͤchte. Ein Churfuͤrſt von Brandenburg warf ein bedeutendes Gewicht in die Wagſchaale der all -1692 gemeinen Politik; und die Errichtung der 9ten Chur fuͤr Hannover ſchien nicht viel weniger als eine Weltbegebenheit. Die einzelnen Glieder des Deut - ſchen Staatskoͤrpers erhielten eine vermehrte Wich - tigkeit; und durch ſie das Ganze.
11.2452. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur. -- 1700.11. So erhielt ſich dieſer Staat, von zwey Seiten durch maͤchtige Eroberer beſtuͤrmt, mit we - nig geſchmaͤlerter Integritaͤt. Die furchtbaren Tuͤr - kenkriege, die Schule des Muths fuͤr die Deutſchen, bildeten die Fuͤrſtenſoͤhne zu Feldherren; und gaben zugleich einen Vereinigungspunct fuͤr den Kayſer und die Staͤnde. Auch die Kriege gegen Frankreich trugen dazu bey; denn ungeachtet des Eingangs, den die Franzoͤſiſche Politik im Frieden fand, ſiegte doch noch im Kriege im Ganzen die Anhaͤngigkeit an das gemeinſchaftliche Vaterland.
12. Große Veraͤnderungen ſollten in dem In - nern der Oeſtreichiſchen Monarchie gemacht werden. Politiſche Einheit, beſonders in dem Hauptlande Ungarn, ſollte erzwungen werden; darin ſah man die Gruͤndung der Macht! Die Folge davon war ein faſt ſteter revolutionairer Zuſtand; der, verbunden mit den furchtbaren Kriegen im Oſten und Weſten, der Monarchie hoͤchſt gefaͤhrlich werden konnte. Allein ſchwerlich konnte ſie von dem, wenn auch uͤbermaͤchtigen, Frankreich etwas Großes zu fuͤrchten haben, ſo lange noch das Reich ihr unge - theilt zur Vormauer diente.
13. Viel gefaͤhrlicher waren allerdings die Un - ruhen in Ungarn, geweckt durch die Verfolgun -Q 3gen246II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. gen der Proteſtanten, zur Gruͤndung einer erblichen, und wo moͤglich unumſchraͤnkten, Gewalt; und mit einer Grauſamkeit betrieben, welche ſelbſt Patrio - ten zur Inſurrection trieb. Ungarn ward ein Erb - reich; doch rettete die Nation im Ganzen ihre uͤbrige Verfaſſung, und mit ihr ihre Nationalitaͤt. Ein großer Gewinn, auch bey den Fehlern der Conſtitution; waͤre nur der Sinn fuͤr nothwendige Reformen damit nicht zugleich unterdruͤckt!
Große Unruhen waͤhrend des 20jaͤhrigen Waffenſtillſtandes 1664 (ſ. oben S. 237.), geleitet ſelbſt von dem Palatin Weſſeleny († 1670); Hinrichtungen; und Schreckenstri - bunal zu Eperies. — Die Regierung ſchien endlich mildere Maaßregeln ergreifen zu wollen 1681; allein der gefluͤchrete Tekely brachte es zum Tuͤrkenkriege, deſſen ſiegreiche Pe - riode man zu der Gruͤndung des Erbreichs nutzte, Oct. 1687. — Auch damit aber ſtarben noch in Wien die wei - tern Plaͤne nicht aus.
14. Ein ſehr weſentlicher Gewinn aber, den Oeſtreich aus dieſen Unruhen zog, war die dadurch herbeygefuͤhrte Vereinigung Siebenbuͤrgens mit Ungarn; ſeitdem der letzte Fuͤrſt Michael Apafi II. in Penſion geſetzt war. Nicht bloß wichtig durch das Land ſelbſt, ſondern weil dadurch auch zugleich der gefaͤhrlichſte Keim zu den Tuͤrken - kriegen erſtickt ward.
Abdankung des Fuͤrſten Michael Apafi II. 1699 in Fol - ge des Carlowitzer Friedens. — Doch ward auch nachmals durch den Aufſtand des juͤngern Rakotzi 1703 die Ruhewieder2472. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur. -- 1700. wieder geſtoͤrt; und die voͤllige Unterwerfung kam erſt 1711 zu Stande.
15. Das Tuͤrkiſche Reich war in dieſem Zeitraum zum letztenmal der Schrecken Deutſchlands; auch in Kriegen war nachmals Ungarn eine feſte Vormauer. Es kam allmaͤhlig immer mehr dahin, daß die Anarchie ſein gewoͤhnlicher Zuſtand war; aber auch ſo hat doch die Erfahrung nachmals wie - derholt gezeigt, wie ſchwer ein Volk zu uͤberwaͤlti - gen iſt, das Nationalſtolz und Religionsfanatis - mus belebt.
16. Die Veraͤnderungen, welche die practi - ſche Politik uͤberhaupt erlitt, gehen aus der Ge - ſchichte ſelber hervor. Ein anderer Geiſt war in ihr rege geworden. Das Religionsintereſſe hoͤrte auf, die Triebfeder der allgemeinen Politik zu ſeyn; auf die Verhaͤltniſſe der Staaten gegen einander wirkte es wenig mehr ein. Darum verlor es aber gar nicht ſeinen Einfluß auf die innere Politik, theils wegen der Raͤnke der Jeſuiten, theils als Grundlage der Verfaſſung. Wurden die Prote - ſtanten in Frankreich und Ungarn verfolgt, ſo wur - den es die Catholiken in Irland nicht weniger.
17. Das Handels - und Geldintereſſe, das, durch Colbert eingefuͤhrt, an ſeine Stelle trat,Q 4zeigte248II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. zeigte ſogleich ſeinen Einfluß auf die Regierungen und die Voͤlker; in Neid, Neckerey, und offener Fehde. Seitdem man vollends glaubte, das Ge - heimniß der Handelsbilanz der Staaten entdeckt zu haben (der Gipfel der Thorheit!), war eine un - verſiegbare Quelle bes National-Haſſes und Neides geoͤffnet.
Die Unterſuchungen uͤber die Handelsbilanz (oder den Ge - winn und Verluſt bey dem Austauſch der Voͤlker an baarem Gelde) entſtanden in England unter Carl II. Sie floſſen unmittelbar aus dem Wahn, daß das baare Geld das Na - tionalvermoͤgen beſtimme; und veranlaßten alle jene ungluͤck - ſchwangern Maaßregeln, es durch Handelszwang zu leiten. Umſonſt haben Theorie und Erfahrung widerſprochen: ver - moͤgen ſie den Glauben der Practiker zu erſchuͤttern? — Un - ter den damaligen Schriftſtellern beſonders:
18. Die Formen der Staatsverwal - tung wurden beſtimmter. Seitdem es in Frank - reich keinen Principalminiſter mehr gab, bildete ſich von ſelbſt die Eintheilung in gewiſſe Departements, an deren Spitze Miniſter geſtellt wurden. Auch darin folgten andere Staaten mehr oder weniger nach; wenn gleich in den meiſten viel daran fehlte, daß dieſe Trennung der Verwaltungszweige und die darauf gegruͤndete Organiſation des Miniſterii nach feſten Principien gemacht ſey. Wie viel auf die Wahl der Maͤnner ankaͤme, ſah man in Frank - reich; doch blieb die Zahl der großen Miniſterſelbſt2492. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur. -- 1700. ſelbſt in dieſem Zeitraum viel beſchraͤnkter als die der großen Feldherren.
19. Die Staatswirthſchaft wurde in die - ſem Zeitraum weit mehr ausgebildet, als in einem der vorhergehenden. Es war nicht das bloße Be - duͤrfniß, das darauf leitete; ſie ſtand mit dem gan - zen Geiſte der neuen Politik in einem zu engen Verhaͤltniſſe, als daß ſie nicht die Aufmerkſamkeit vorzugsweiſe auf ſich haͤtte ziehen muͤſſen. Hatte die Bereicherung der Nationen, die man durch Han - del, Induſtrie und Colonien wollte, nicht in letzter Inſtanz Bereicherung der Regierungen zum Zweck? Auch hier leuchtet Colbert's Beyſpiel voran; wenn er aber nicht mal in Frankreich wuͤrdige Nachfol - ger fand, wie war es im Auslande zu erwarten?
In welchem Verhaͤltniß ſtand Colbert als Financier gegen Sully? Er war ſo gut wie jener großer Reformator; allein er war außerdem Schoͤpfer. Er war dieß letztere theils durch die Verbindung, in welche er erhoͤhte und ver - vielfachte Nationalthaͤtigkeit (wenn gleich nach den beſchraͤnk - ten Anſichten ſeines Zeitalters) mit den Finanzen ſetzte; theils durch ſein, auf befeſtigten Credit gegruͤndetes, An - leiheſyſtem. Die groͤßten Schwierigkeiten, die er zu beſie - gen hatte, lagen nicht ſowohl in den groͤßern Summen, die er ſchaffen mußte, als in den wiederholten Stoͤrungen durch koſtſpielige Kriege, waͤhrend Sully ungeſtoͤrt fortwir - ken konnte. Das Gebaͤude Beyder fiel aber mit ihnen ſelber zuſammen, weil es keine Stuͤtzen in der Verfaſſung hatte.
Q 510.250II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.20. Ganz anders war es mit dem, gegen das Ende dieſes Zeitraums entſtehenden, Brittiſchen Finanzſyſtem, durch Fundirung der Zinſen der An - leihen, ohne Verpflichtung zur Ruͤckzahlung des, an jeden Dritten transportablen, Capitals. Wer ahne - te bey ſeinem Entſtehen ſeine Wichtigkeit und ſeinen kuͤnftigen Umfang? Aber es fand ſogleich ſeine Stuͤtze in der Verfaſſung, durch die Garantie des Parlements; und ſeine allmaͤhlige Ausdehnung in dem ein Jahrhundert hindurch wachſenden Reich - thum der Nation. Es war alſo nicht das Werk Eines Mannes, ſondern eine Frucht des ganzen geſellſchaftlichen Zuſtandes, wie er durch und nach der Brittiſchen Revolution ſich formte.
Entſtehung des Fundirungs-Syſtems bey Errichtung der Bank 1694, als ſie ihr Grundcapital, gegen niedere Zinſen wie ſonſt, der Regierung vorſchoß; eine Folge des damali - gen Krieges. Nur unter der Bedingung des dauernden Wachsthums des Brittiſchen Nationalreichthums wurde alſo die Erweiterung jenes Anleiheſyſtems moͤglich. Kein Recht im Inlande oder Auslande ward dadurch verletzt; aber auch das Gute kann gemißbraucht werden.
21. In andern Staaten empfand man ſchon die Nothwendigkeit, zu neuen Huͤlfsmitteln zur Be - zahlung der Schuldenlaſt ſeine Zuflucht zu nehmen, indem man durch Reduction der Zinſen ſinkende Fonds gruͤndete; die jedoch aus Mangel feſter Be -folgung2512. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur. -- 1700. folgung nicht das leiſteten, was ſie ſollten. Aber die Idee war da, und lebte fort.
Der erſte Sinking-fond ward errichtet in Holland 1655; dieß Beyſpiel ward befolgt von Pabſt Innocenz XI. 1685. Die Reduction war in Holland von 5 zu 4, im Kirchenſtaat von 4 zu 3 p. C.
22. Die Kriegskunſt nicht nur, ſondern das ganze Kriegsweſen erhielt in dieſen Zeiten eine veraͤnderte Geſtalt, ſeitdem in Frankreich die großen Armeen auch im Frieden, zum Schla - gen wie zur Parade eingerichtet, fortdauerten. Auch andre, groͤßere und kleinere Maͤchte (unter jenen be - ſonders Oeſtreich wegen der Ungriſchen Unruhen) folgten mehr oder weniger Frankreichs Beyſpiel; aber England und Holland, wo man fuͤr Natio - nalfreyheit fuͤrchtete, am langſamſten; und nicht ohne ſtetes Straͤuben des Parlements und der Staa - ten. Die Umformung und Vervollkommnung der Kriegskunſt faſt in allen ihren Theilen mußte aus dem neuen Syſtem von ſelbſt hervorgehen.
Wenn die neue Kriegskunſt durch Turenne u. a. ausge - bildet ward, ſo waren die Urheber und Ausbildner des neuen Militairſyſtems uͤberhaupt le Tellier und ſein Sohn und Nachfolger Louvois. Statt der 14000 Mann von Hein - rich IV. hielt Ludwig XIV. ſeit dem Nimweger Frieden 140000 Mann. Welche Veraͤnderungen in dem ganzen Zu - ſtande der Geſellſchaft ſetzt die bloße Moͤglichkeit davon vor - aus!
23. Mit der Landmacht wuchs aber die Ma - rine, — eine natuͤrliche Folge der Ausbildung des Mercantilſyſtems — im gleichen Verhaͤltniß. In dem Laufe weniger Jahre trat Frankreich in die Reihe der erſten Seemaͤchte ein; und wuͤrde vielleicht die erſte geworden ſeyn, haͤtte nicht gerade hier die Verbindung der beyden andern ſeit der Niederlage1692 bey la Hogue ein Ziel geſetzt. In keinem Zeit - punkt iſt Franzoͤſiſche Marine wieder das geworden, was ſie damals war. Aber der politiſche Einfluß der Seemaͤchte, als ſolcher, wurde in dieſem Zeit - raum ſo vollkommen gegruͤndet, daß er ſeitdem nicht wieder verſchwinden konnte.
1. Das Colonialweſen der Europaͤer erlitt in dieſem Zeitraum ſeine Hauptveraͤnderung durch die Theilnahme Frankreichs; zugleich ward da - durch auch großentheils ſeine weitere Ausbildung be - ſtimmt. Es war der Zeitraum, wo zuerſt die Franzoͤſiſche Regierung anfieng, mit Ernſt an Colonien zu denken. Die der Britten hoben ſich merklich, die der uͤbrigen Nationen blieben ſich meiſt gleich.
2.2533. Geſch. d. Colonialweſens 1661 -- 1700.2. Frankreich hat ſich uͤberhaupt in drey Ar - ten von Colonien verſucht, Handels -, Ackerbau - und Pflanzungscolonien. Aber mit ſehr verſchiede - nem Erfolge! Fuͤr Handelscolonien paßte der Cha - racter der Regierung zu wenig, die Alles durch Re - glements zwingen wollte; fuͤr Ackerbau-Colonien nicht der National-Character, der lange und ru - hige Anſtrengung ſcheut. Anders war es mit den Pflanzungscolonien; wo der Pflanzer nur den Auf - ſeher macht, und baldiger Gewinn reichlich lohnt. Nur Colonien dieſer Art ſind den Franzoſen gediehen.
3. Die Maximen der Franzoͤſiſchen Colo - nialpolitik kamen zwar in Ruͤckſicht des Handels - zwangs mit denen andrer Voͤlker uͤberein, in andern waren ſie liberaler. Es wurde Niemanden, auch Fremden nicht, erſchwert, die Colonien zu beſu - chen und ſich in ihnen niederzulaſſen. Sie ſtanden in Frankreich nicht unter einer eigenen Behoͤrde, ſondern unter dem Marine-Miniſter; und in ihrem Innern war die Militair - und Civil-Adminiſtration zwiſchen dem Gouverneur und Intendanten getheilt; die bey wichtigen Sachen gemeinſchaftlich handelten.
4. Indem aber Colbert dem herrſchenden Geiſt ſeiner Zeit durch die Colonial-Anlagen hul - digte, that er es nicht weniger durch die Form, die er dem Handel gab. Er ward privilegirtenCom -254II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Compagnien uͤberlaſſen. Aber wie groß auch die Vorrechte waren, die man ihnen ertheilte, keine derſelben iſt beſtanden; nur da gedieh der Handel, wo man ihn frey ließ.
5. Gruͤndung des Franzoͤſiſchen Colonialſyſtems in Weſtindien. Auf mehreren der dortigen In - ſeln waren zwar ſchon fruͤher Franzoͤſiſche Niederlaſ - ſungen (ſ. oben S. 185.), aber ſie waren Pri - vateigenthum. Colbert machte ſie durch Kauf zum Eigenthum der Regierung. Erſt ſeit dieſer Zeit konnte alſo auch eine feſtere Adminiſtration eintreten.
Die Inſeln Martinique, Guadeloupe, St. Lu - cie, Grenada und die Grenadillen; die Inſelchen Marie Galande, St. Martin, St. Chriſtoph, St. Barthelemy, St. Croir und Tortue, waren ihren fruͤhern Anbauern von Einzelnen, die letzten 5 von den Maltheſern 1651, abge - kauft. Colbert kaufte ſie 1664 von dieſen fuͤr noch nicht 1 Million Livres fuͤr die Regierung. — Auch nach Cayenne wurden 1664 von einer Geſellſchaft neue Coloniſten geſchickt; aber mit gleich geringem Erfolge.
6. Wichtiger als dieſe Beſitzungen zuſammen ſollte dereinſt fuͤr Frankreich der Theil von St. Do - mingo werden, in deſſen Beſitz es ſchon in dieſem Zeitraum kam. Die Veranlaſſung dazu, ſo wie uͤberhaupt zu der erſten Beſetzung der andern In -ſeln,2553. Geſch. d. Colonialweſens 1661 -- 1700. ſeln, gab die Tyranney der Spanier, die, indem ſie jeden Fremden als Feind behandelten, einen be - ſtaͤndigen Krieg in Weſtindien organiſirten, und da - durch die fremden Anſiedler zu Freybeutern und Kriegern bildeten. So war der Piraten-Staat der Flibuſtiers entſtanden, aus dem die Franzoͤſiſchen Niederlaſſungen auf der weſtlichen Haͤlfte von St. Domingo hervorgiengen; welche, ohne ausdruͤckli - chen Vertrag, ſeit dem Ryswiker Frieden, da bald nachher ein Bourbon den Spaniſchen Thron beſtieg, Frankreich verblieben. Wer ahnte damals ihre kuͤnf - tige Wichtigkeit!
Entſtehung der Bucaniers (Jaͤger) und Flibuſtiers (Freybeuter) ſeit 1630, durch Vertreibung der Franzoſen und Englaͤnder von St. Chriſtoph. — Einrichtungen ihres Freybeuterſtaats auf Tortuga, und Anſiedelungen auf der Weſtkuͤſte von St. Domingo, ſeit 1664 von Frankreich aner - kannt und unterſtuͤtzt.
7. Errichtung einer privilegirten Weſtin -1664 diſchen Compagnie . Allein bereits nach 10 Jahren mußte ſie aufgehoben werden, weil ſie ſichwegen256II. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. wegen des Schleichhandels nicht halten konnte. Die Freygebung des Handels an alle Franzoſen blieb jedoch auch nachher mit ſolchen Beſchraͤnkun - gen verbunden, daß wenig damit gewonnen war. So lange aber auch der Verbrauch Weſtindiſcher Erzeugniſſe in Europa noch nicht ſo wie nachmals ins Große gieng, konnten auch die Colonien nur langſam gedeihen. Zucker und Baumwolle blie - ben noch, vor Einfuͤhrung des Caffeebaus, die Hauptproducte der Inſeln.
Die 1664 von Colbert geſtiftete Weſtindiſche Compagnie umfaßte nicht nur alle Americaniſche Beſitzungen von Cana - da bis zum Amazonen-Fluß, ſondern auch die Kuͤſten von Africa vom Cap Verd bis zum Cap der guten Hoffnung; wegen des Negerhandels. — Aufhebung der Compagnie 1674. Theils die hohen Zoͤlle auf die Weſtindiſchen Producte, theils die Bindung an wenige Haͤfen hielten die Colonien fort - dauernd in einem kraͤnkelnden Zuſtande. — Der Africa - niſche Handel blieb auch nachmals in den Haͤnden privile - girter Geſellſchaften. Errichtung der Senegal-Compa - gnie 1679, zuerſt fuͤr die ganze Weſtkuͤſte von Cap Blan - co bis zum Cap der guten Hoffnung; wiewohl 1685 bey der Errichtung der Guinea-Compagnie, privilegirt auf den Handel von Sierra Leona bis zum Cap, ſie mit dieſer theilen mußte.
8. Canada, durch Acadien vergroͤßert, ge - hoͤrt zwar in die Claſſe der Ackerbau-Colonien; al -lein2573. Geſch. d. Colonialweſens 1661 -- 1700. lein die Cultur des Bodens, nur auf Untercanada damals beſchraͤnkt, machte dennoch fortdauernd nur geringe Fortſchritte; da der Pelzhandel und die Fiſchereyen von Terre-neuve noch immer als die Hauptſache angeſehen wurden (ſ. oben S. 140.). Die nach der Erforſchung des Miſſiſippi in Louiſiana verſuchte Niederlaſſung mißlang gaͤnz - lich.
Nach langem Gezaͤnk mit den Englaͤndern uͤber Acadien blieb Frankreich endlich ſeit 1661 im ruhigen Beſitz. — Auf Terreneuve Anlage von Plaiſance; aber auch ſeitdem fort - dauernde Streitigkeiten uͤber die Fiſchereyen mit England. — Beſchiffung des Miſſiſippi von la Salle 1680 und mißlun - gener Verſuch zu einer Niederlaſſung.
9. Die Theilnahme an dem Oſtindiſchen Handel mußte fuͤr Frankreich mit noch groͤßeren Schwierigkeiten verbunden ſeyn, da maͤchtigere Ri - valen ſie erſchwerten, und man noch gar keine Nie - derlaſſungen hatte. Gleichwohl ward von Colbert eine Oſtindiſche Handelscompagnie privile - girt; ſie blieb aber in einem ſo kraͤnkelnden Zu - ſtande, daß ſie am Ende dieſes Zeitraum ſchon ih - rer Aufloͤſung nahe war.
Errichtung der Franzoͤſiſchen Oſtindiſchen Com - pagnie 1664 mit ausſchließendem Handel auf 15 Jahre, Eigenthum ihrer Eroberungen (alſo auf Krieg privilegirt!), und einem Fond von 15 Millionen. Erſter Verſuch zu Nie -Rderlaſ -258II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. derlaſſungen auf Madagaſcar. Eine Handelscolonie da, wo weder etwas zu kaufen noch zu verkaufen war! — Comtoir in Surate auf Malabar 1675. — Aber 1679 An - lage von Pondichery auf Coromandel, ſeitdem dem Hauptort. Allein theils die Kriege in Europa, welche auch in Indien die Eroberungsſucht weckten, theils die Maaßre - geln der Regierung, zumal ſeit Colbert's Tode, brachten ſie ſo herunter, daß ſie ihr Monopol nicht behaupten konnte. Wie konnte es auch anders ſeyn? Das Mercantilſyſtem ge - rieth mit ſich ſelbſt in Streit. Um die inlaͤndiſchen Fabriken zu erhalten, verbot man ihr die Einfuhr Indiſcher Fabricate. Warum war ſie denn geſtiftet?
10. Der Wachsthum der Brittiſchen Co - lonien war ſicherer, weil er weniger von der Regie - rung als von der Nation abhieng. Die fortdauern - de politiſch-religioͤſe Gaͤhrung unter Carl II. und Ja - cob II. war ihnen guͤnſtig; wie ſtieg auch uͤberhaupt nicht ſchon damals Handel und Reichthum? Die friedlichen Verhaͤltniſſe, und ſelbſt Vertraͤge, mit Spanien beguͤnſtigten die Beſitzungen in Ame - rica; und Weſtindien fieng beſonders an, durch die fortſchreitende Cultur von Jamaica, fuͤr die Britten wichtiger zu werden. Die freyere Verfaſ - ſung dieſer Colonien, unter einem Gouverneur und ſeinem Rath, dem aber eine Verſammlung aus den Deputirten der Kirchſpiele zur Seite ſteht, befoͤrderte unſtreitig ihre Fortſchritte. Der Handel dahin war frey; nur der Negerhandel blieb noch in den Haͤnden einer privilegirten Geſellſchaft.
Vertrag2593. Geſch. d. Colonialweſens 1661 -- 1700.Vertrag mit Spanien 1670; ausdruͤckliche Anerkennung der Brittiſchen Souverainitaͤt uͤber ſeine dortigen Beſitzun - gen; und Gruͤndung eines dauernden Friedenszuſtandes. — Errichtung der 4ten Africaniſchen Compagnie (die fruͤheren waren zu Grunde gegangen) 1674; aber auch dieſe konnte das Monopol nicht lange behaupten. Anlage von Forts am Gambia (St. James) und Sierra Leona.
11. Weit mehr als die Weſtindiſchen gediehen in dieſem Zeitraum die Nordamericaniſchen Beſitzungen der Britten. Auf ſie wirkten beſonders die Zeitumſtaͤnde vortheilhaft zuruͤck; nicht nur durch die vermehrten Einwanderungen; ſondern auch durch die politiſchen Veraͤnderungen im Mutterlande. Die erſten Hinderniſſe der Coloniſation waren durch die Beharrlichkeit der Anbauer großentheils beſiegt; England gelangte zum alleinigen Beſitz des ganzen Kuͤſtenlandes, von Canada bis Georgien; Neu - York, Neu-Jerſey, Penſilvanien und Carolina bildeten ſich zu eignen Provinzen; andere, wie Con - nectitut und Rhodeisland, erhielten wichtige Frey - heiten und verbeſſerte Verfaſſungen.
Die politiſchen Veraͤnderungen in den noͤrdlichen Provin - zen wurden beſonders durch die Verdraͤngung der Hollaͤnder aus den Delawar-Gegenden (Neubelgien, Neuniederland) 1664 herbeygefuͤhrt; als im Frieden von Breda (ſ. oben S. 218.) dieſe Beſitzungen England blieben. Dadurch Ent - ſtehung der Provinzen Neuyork und Neujerſey 1665; und Neuhampſhire, das ſeit 1691 von Maſſachuſet ge - trennt wurde. — Entſtehung der Carolinas 1663; in - dem Carl II. das Land von 31-36° N. B. 8 Lords als Ei -R 2genthum260II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. genthum gab. So getrennt von Virginien (ſ. oben S. 139.) ward es ein eigner Staat (erſt 1729 in Nord - und Suͤd-Carolina getheilt;), dem Locke eine Conſtitution gab, — (das ſchlechteſte ſeiner Werke!). — Gruͤndung der Co - lonie in Penſilvanien durch den Quaker Wilh. Penn, Sohn des Admirals; 1682. Er erhielt das Land am De - lawar zwiſchen 40-42° N. B. vom Koͤnig fuͤr eine Schuld - forderung, als Eigenthuͤmer und erblicher Statthalter. Ab - findung mit den Indianern. Einfuͤhrung voͤlliger Religions - freiheit (wofuͤr in Europa kein Platz war;), Anlage von Philadelphia und Germantown. Eine große Idee ward durch Penn in einem fernen Winkel der Erde zuerſt realiſirt; und das Beiſpiel iſt nicht fruchtlos geblieben!
12. Noͤrdlich von den Colonien blieb nicht nur die Fiſcherey bey New-Foundland (Terreneuve) ſehr wichtig; ſondern England eignete ſich auch alle Laͤnder um die Hudſonsbay, und mit ihnen den Pelzhandel zu, der durch eine privilegirte Compa - gnie ſeitdem getrieben iſt; ohne je ſehr eintraͤglich zu werden.
Errichtung der Hudſonsbay-Compagnie 1669 mit einem gemeinſchaftlichen Fond. — Geographiſche Entdeckun - gen; aber auch ſtete Streitigkeiten mit den Franzoſen in Canada.
13. Der Oſtindiſche Handel der Britten blieb in den Haͤnden der privilegirten Compagnie; die indeß mehrere Veraͤnderungen erlitt; und zu - letzt eine zweyte Compagnie neben ſich mußte ent - ſtehen ſehen. Ihre Beſitzungen erweiterten ſich in etwas; aber nicht immer in gleichem Maaße ihrHandel;2613. Geſch. d. Colonialweſens 1661 -- 1700. Handel; die Hollaͤnder blieben zu maͤchtige Rivalen. Eine weſentliche Veraͤnderung des Indiſchen Han - dels ward aber durch den großen Eingang herbeyge - fuͤhrt, den ſeit 1670 die Indiſchen Muſſeline und auch Seidenzeuge in England fanden. Das dadurch erregte Geſchrey trug jedoch nicht wenig dazu bey, den Haß gegen die Geſellſchaft zu ver - mehren.
Erneuerung des Freybriefs der Oſtindiſchen Compagnie durch Carl II. 1661 mit erweiterten politiſchen Privile - gien. — Erwerbung von Bombay durch die Heyrath des Koͤnigs 1662. — Nach der Vertreibung aus Bantam, An - lagen auf Bencoolen 1683 fuͤr den Pfefferhandel. Com - toirs in Hugly und Calcutta. — Großes Geſchrey ge - gen die Compagnie ſeit der Einfuͤhrung der Baumwoll - und Seidenwaaren, theils von Fabrikanten, theils von der Levantegeſellſchaft. Auch hier ward das Mercantilſyſtem irre an ſich ſelbſt. Aber die Geſellſchaft gab auch ſelber den Stoff zu Klagen durch ihre Erpreſſungen in Indien, die ſie ſchon in einen Krieg mit dem Groß-Mogul Aureng Zeb verwickel - ten. — Klagen gegen ſie im Parlement ſeit 1692. Doch erkaufte ſie Erneuerung ihres Freyhriefs 1694. Aber den - noch bildete ſich eine zweyte Compagnie, welche 1698 durch die der Regierung gemachten Vorſchuͤſſe ihre Privile - gien erhielt. Erſt in dem folgenden Zeitraum 1702 kam die Vereinigung beyder Compagnien zu Stande. (S. unten).
14. So blieben alſo dennoch die Hollaͤnder im Beſitz des Indiſchen Handels; und ihre Com - pagnie erhielt die Erneuerung ihres Privilegiums;1668 ungeachtet de Wit ſich uͤber die gewoͤhnlichen An - ſichten ſeines Zeitalters erhob. Sie war jetzt imR 3aus -262II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ausſchließenden Beſitze der Gewuͤrzinſeln. Die fort - dauernden Feindſeligkeiten mit den Portugieſen ga - ben ihr zwar auch Gelegenheit, ſich auf den bey - den Kuͤſten der Halbinſel von Malabar und Coro - mandel durch die Einnahme von Cochin und Ne - gapatam feſtzuſetzen (ſ. oben S. 178.); aber ihr Reich blieb doch auf den Inſeln; und ihr Haupthandel Gewuͤrz - und Specereyhandel; weſentlich verſchieden von dem der Britten und Franzoſen, der ſich immer mehr auf Fabricate und rohe Stoffe warf.
Vergleich mit Portugal 1669, wodurch jeder Theil in bey - den Indien behielt, was er hatte. — Auch in den Gewuͤrz - inſeln erweiterte die Compagnie ihr Gebiet, durch den 3jaͤh - rigen Krieg und die Feſtſetzung auf Celebes 1669; und die Unterwerfung von Bantam 1683. Gegen die Verſuche der Franzoͤſiſchen Compagnie auf Ceylon, im Kriege von 1672, behauptete ſich die Hollaͤndiſche mit entſchiedenem Gluͤck.
15. Auch in Weſtindien erweiterte ſich das Gebiet der Hollaͤnder durch den Beſitz von Suri - nam. Es gehoͤrte Zeit und Hollaͤndiſche Beharr - lichkeit dazu, um aus dieſem ungeſunden Lande eine der bluͤhendſten Colonien zu ſchaffen.
Die Colonie von Surinam ward zuerſt durch Portugieſen, beſonders Juden, die der Inquiſition entflohen, ſeit 1642, geſtiftet. Bald ließen auch Englaͤnder dort ſich nieder; allein 1667 eroberten es die Hollaͤnder, und behielten es in dem Frieden von Breda. — Verkauf an die Weſtindiſche Com - pagnie 1679, und Anlage von Paramaribo. Auch diePlanta -2633. Geſch. d. Colonialweſens 1661 -- 1700. Plantagen von Eſſequebo und Berbice blieben den Hol - laͤndern.
16. Die Spaniſchen Colonien, jetzt ruhi - ger durch die Verbindungen des Mutterlandes mit den Seemaͤchten, erlitten weder in ihrem Umfange noch in ihrer Einrichtung wichtige Veraͤnderungen. Wenn auch die Miſſionen der Jeſuiten an den Ufern des Paraguai und des Maragnon immer weiter vordrangen, wer erfuhr etwas davon in Eu - ropa? Der innere Verfall des Mutterlandes ſcheint wenig auf ſie zuruͤckgewirkt zu haben; was lag ih - nen daran, wer die Fabricate verfertigt hatte, die ihnen zugefuͤhrt wurden? Sie bildeten eine Welt fuͤr ſich, aber eine Spaniſche Welt; und vor Er - oberungen ſchuͤtzte ſie ihre ungeheure Maſſe. Nur die Seeſtaͤdte litten oft hart durch die Ueberfaͤlle der Flibuſtiers.
17. Portugal hatte ſeit ſeiner erneuerten Selbſtſtaͤndigkeit aus ſeiner Oſtindiſchen Herrſchaft nur einige Truͤmmer gerettet (ſ. oben S. 185.); gluͤcklicher war es in Braſilien. Der Tractat mit Holland gleich zu Anfang dieſes Zeitraums ſicherte ihm deſſen ruhigen Beſitz. Was haͤtte Bra - ſilien werden koͤnnen, haͤtte die Regierung gewollt! Aber die Befoͤrderung des Schleichhandels durch die Anlage von St. Sagramento hielt man wichti -1681R 4ger264II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ger als die der Coloniſation! Dennoch gewann auch dieſe; und wahrſcheinlich zum Gluͤck fuͤr ſie wurde der Reichthum an Gold erſt am Ende dieſes Zeitraums entdeckt. In das Innere drangen auch hier laͤngſt dem Maragnon die Miſſionen der Jeſuiten vor; bis ſie endlich mit denen der Spa - nier zuſammenſtießen.
Durch die Hollaͤnder war zwiſchen 1630-1640 faſt das ganze Kuͤſtenland erobert worden; in deſſen Beſitz ſie auch durch den Waffenſtillſtand am 23. Jun. 1641 blieben. Aber waͤhrend des Friedens der Mutterlaͤnder lebte doch hier 1645 der Krieg wieder auf; Schwaͤche und Verdraͤn - gung der Hollaͤnder durch Juan de Viera 1654. Der Definitiv-Vergleich mit Holland 1661 erhielt den Por - tugieſen ihr zweytes Vaterland. — Entdeckung des großen Goldreichthums, zuerſt in Minas Geraes 1696. Und doch wollte nicht mal der Bergbau gedeihen!
18. Selbſt einer der Nordiſchen Staaten, Daͤnemark, war in die Reihe der Colonialſtaaten getreten; und ſuchte durch den Beſitz von Tran - quebar ſich einen Antheil an dem Oſtindiſchen Han - del zu erhalten; wie gering derſelbe auch ſeyn mochte.
Bereits 1618 unter Chriſtian IV. Stiftung einer Daͤniſch - Oſtindiſchen Compagnie; erſte Verſuche zum Handel, und Er - werbung von Tranquebar vom Rajah von Tanjore; doch hoͤrte 1634 die Geſellſchaft auf. Aber 1670 Stiftung einer zweyten Compagnie, die, wenn gleich in einem ſchwachen Zuſtande, bis 1729 fortdauerte.
19. So wurde das Colonialſyſtem der Euro - paͤer in beyden Indien, indem es ſich mehr verbreitete,auch2653. Geſch. d. Colonialweſens 1661 -- 1700. auch immer mehr geographiſch verſchlungen. Schon in dieſem Zeitraum erſtreckten ſich die Krie - ge der Europaͤer nach ihren Colonien; allein die Zeiten ſollten kommen, wo auch die Streitigkeiten in den Colonien Kriege in Europa erregten!
1. So wie die politiſchen Verhaͤltniſſe des ſuͤdli - chen Staatenſyſtems, durch die Friedensſchluͤſſe von Muͤnſter, Aachen, Nimwegen und Ryswik befe - ſtigt, auf dieſen ruhten, ſo die des Nordens durch die Frieden von Oliva, Roſchild, Copenhagen und Cardis (ſ. oben S. 200.). In den wechſelſeiti - gen Verhaͤltniſſen der Staaten ſchien daher wenig Stoff zu Streitigkeiten uͤbrig zu ſeyn; in ſo fern nicht etwa fremder Einfluß, oder auch Tuͤr -R 5ken -266II. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. kenkriege, denen keine Politik vorbauen konnte, die Ruhe ſtoͤrten.
2. Aber in den inneren Verhaͤltniſſen der einzelnen Staaten lag leider! des Gaͤhrungsſtoffs ſo viel, daß Erhaltung des Friedens im Norden kaum jemals zu hoffen ſeyn konnte. Seitdem Polen ein Wahlreich war; und ſelbſt Unanimitaͤt1652 der Stimmen auf den Reichstagen erfordert ward; — wie ließ ſich eine ruhige Wahl erwarten, wo den Fremden die Einmiſchung ſo leicht war? Wie vollends die auswaͤrtige Politik ſogar ſo weit gieng, ſelbſt bey Lebzeiten der Koͤnige Nachfolger beſtimmen laſſen zu wollen, ward dadurch eine Gaͤh - rung im Innern organiſirt, die in einem ſolchen Staat jeden Tag ſelbſt Buͤrgerkriege herbeyfuͤhren konnte.
Eine Polniſche Koͤnigswahl war von jetzt an eine doppelte Thron-Verſteigerung; theils oͤffentlich zum Beſten des Staats, theils im Geheim zum Beſten der Stimmgeber. Doch erhielt ſich polniſche Macht, ſo lange die rohe Sar - matenkraft noch nicht durch fremde Sitten geſchwaͤcht; und ihre Kriegskunſt nicht durch die der Nachbaren uͤbertroffen ward. Im Felde wie im Rath waren Roͤmereharactere keine Seltenheit; aber mißverſtandener Nationalſtolz ließ nie richtige politiſche Einſicht aufkommen.
3. Schweden, im Beſitz der wichtigen Ne - benlaͤnder faſt rund um die Oſtſee, glaͤnzte noch als die erſte Macht des Norden. Aber dieſe Neben - laͤnder, die Veranlaſſung zu der Theilnahme an den Kriegen des Oſten und Weſten, waren ein ſehr zweifelhaftes Gluͤck; und in dem Innern ſchien waͤhrend der Minderjaͤhrigkeit Carl's XI. faſt ein Zuſtand gegruͤndet werden zu ſollen, nicht viel beſſer als in Polen; haͤtte nicht der Koͤnig noch zur rech - ten Zeit ſeine Rechte und ſeine Einkuͤnfte vindi -1680 cirt. So wurde aber die koͤnigliche Macht ſo gut wie unumſchraͤnkt; und die Zeiten ſollten kommen, wo Schweden auch dieß zu bedauern hatte.
4. Preußen, jetzt ſouverainer Staat, blieb doch Nebenland von Brandenburg, weil hier die Reſidenz blieb. Wie viel moͤchte anders gewor - den ſeyn, waͤre ſie nach Koͤnigsberg verlegt? So blieb die Theilnahme an den Staatshaͤndeln des weſtlichen Europas viel groͤßer, als an denen des noͤrdlichen, außer in ſo fern ſie durch jene herbeyge - fuͤhrt wurde.
Schon unter Churfuͤrſt Friedrich Wilhelm entſtand Preußiſche Selbſtſtaͤndigkeit in der auswaͤrtigen Politik, ſo weit ſie mit den Pflichten des Reichsſtandes vereinbarlich war; ſo wie in dem Innern durch willkuͤhrliche Abgaben — der Folge der Kriege — die Autocratie gegruͤndet ward. Aber die großen Inſtitute, die den Preußiſchen Staatscha - rakter bildeten, waren doch erſt ſpaͤteren Urſprungs.
5.268II. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.5. Rußlands Theilnahme an den nordiſchen Angelegenheiten blieb anfangs wenig entſcheidend; weil es erſt einer neuen Schoͤpfung im Innern be - durfte, ehe es nach außen wirken konnte; und die Familienverhaͤltniſſe des herrſchenden Hauſes dieß noch erſchwerten. Aber die Einnahme Aſow's und die Feſtſetzung in der Ukraine zeigte doch ſchon, was in der Zukunft zu erwarten ſtand.
Unter der Regierung ſowohl von Czar Alexis († 1676) als ſeinem Sohn Feodor († 1682) beſchraͤnkte ſich der politiſche Einfluß Rußlands nur auf die Theilnahme an den Haͤndeln der Nachbaren. Doch wurden durch Geſandt - ſchaften einige Verbindungen auch mit den entferntern Reichen, wie mit Frankreich 1687, angeknuͤpft; mit Eng - land beſtanden ſie durch Handel. — Das Streben von So - phie, im Namen ihres unfaͤhigen Bruders Iwan durch den Aufſtand der Strelzi 1682 die Herrſchaft an ſich zu reißen, erzeugte den Zwiſt mit ihrem Halbbruder Peter, der, 1689 mit ihrem Sturz endigend, Peter zum Herrſcher Rußlands machte, da Iwan († 1696) nur der leere Titel blieb.
6. Daͤnemark, ſeit der Einfuͤhrung der Auto - cratie feſter in ſich ſelber gegruͤndet, litt doch an einem innern Uebel, das viel ausgebreitetere Folgen hatte, als davon zu befuͤrchten ſchienen. Der Zwiſt, der zwi - ſchen den beyden Linien des regierenden Hauſes, der koͤ - niglichen und der herzoglichen von Holſtein-Got - torp, herrſchte, griff fortdauernd in die Verhaͤlt - niſſe des ganzen Nordens ein; und trug zuletzt we -ſentlich269Von 1661 bis 1700. ſentlich zu dem Ausbruch des großen Kriegsfeuers bey, das den Norden in dem folgenden Zeitraum in Flammen ſetzte.
Abſtammung des Hauſes Holſtein-Gottorp von Adolph, juͤngern Sohn Koͤnig Friedrich's I., und Erbtheilung von 1544, wodurch die Herzoglich-Gottorpiſche Linie die Haͤlfte von Schleswig und Holſtein, jenes als Lehen von Daͤ - nemark, dieſes als Lehen des Deutſchen Reichs, erhielt. Urſache des Zwiſtes, verlangte Aufhebung des Lehensnexus von Schleswig, erlangt von Herzog Friedrich II. im Roͤ - ſkilder Frieden (ſ. oben S. 200.), durch ſeinen Schwie - gerſohn Carl Guſtav; und beſtaͤtigt im Copenhagener Frie - den 1660. Aber durch Hinterliſt erzwungene Wiederherſtel - lung des Lehnsnexus vom Koͤnig Chriſtian V. durch den Rendsburger Vertrag 10. Jul. 1675; und nach der Flucht und Proteſtation des Herzogs, Wegnahme Schles - wigs. Wiederherſtellung durch Franzoͤſiſche Vermittelung im Frieden zu Fontainebleau 1679. Jedoch bey veraͤnder - tem Verhaͤltniß mit Frankreich Wiederwegnahme Schleswigs 1684, bis nach vielem Streit, unter Vermittelung des Kay - ſers, Brandenburgs und Sachſens, durch den Altonaer Vergleich 20. Juni 1689 der Herzog reſtituirt ward. Aber welcher Groll erſtirbt ſchwerer als Familiengroll? Engere Verbindung mit Schweden, durch die Heprath des jungen Herzogs Friedrich's IV. mit Hedwig Sophie, aͤltern Schwe - ſter Carl's XII., ſeit 1698; und Folgen davon (ſ. unten).
7. Bey dieſem Zuſtande der nordiſchen Staa - ten gab es kaum irgend ein Intereſſe, das einen gemeinſchaftlichen Centralpunct der Politik gegeben haͤtte; waͤre dieß nicht in einem gewiſſen Grade durch die Coſackenunruhen geweckt. Dieſe Streitigkeiten waren theils an ſich von Wichtigkeit,da270II. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. da ſie uͤber die Herrſchaft der Ukraine und ihrer ſtreit - baren Bewohner entſchieden; theils ſehr umfaſſend, da die Lage dieſes Landes die Theilnahme aller Grenznachbaren, der Ruſſen, Polen, der unter Tuͤrkiſchem Schutz ſtehenden Tartaren und der Tuͤr - ken ſelber, faſt unvermeidlich machte. — Fortgang des durch ſie veranlaßten Kriegs zwiſchen Polen und Rußland (ſ. oben S. 199.). Der Krieg, meiſt ungluͤcklich von Polen gefuͤhrt, endigte durch den Waffenſtillſtand zu Andruſſow, durch den die Coſacken zwiſchen Ruſſen und Polen getheilt blieben.
Die Coſacken, entſtanden aus der Miſchung freyer Ruſ - ſen, Polen und Tartaren in Podolien und Volhynien (Ukraine), zu beyden Seiten des Dniepers, waren ſeit dem 15ten Jahrhundert Polniſche Schutzverwandte. Stephan Bathori machte ſie 1576 durch eine militairiſche Organiſation zur trefflichen Vormauer gegen Tuͤrken und Tartaren. Aber der Druck Polniſcher Magnaten, verſtaͤrkt durch Religions - haß, brachte ſie zum Aufſtande unter ihrem Hetman Chmel - nizki, ſeit 1648, der, wenn gleich geſtillt, doch 1651 erneuert, ſie zur Unterwerfung unter Rußland be - wog 6. Jun. 1654. Dadurch Verflechtung Polens in den Krieg mit Rußland, waͤhrend auch der Krieg mit Schwe - den (S. 199.) noch fortdauerte; und auch bald Gefahr ei - nes Tuͤrkenkriegs, da ein Theil der Coſacken ſich der Pfor - te unterwarf. So ſah ſich Polen zum Stillſtaude zu Andruſſow genoͤthigt auf 13 Jahre, 30. Jan. 1667; (ſeit - dem wiederholt erneuert; und endlich beſtaͤtigt auf immer im Frieden zu Moſcau 1686;), wodurch 1. die Coſacken an der Oſt - und Weſtſeite des Dniepers zwiſchen Rußland und Polen getheilt blieben. 2. Rußland im Beſitz von Smolensk, und den Laͤndern an der Oſtſeite des Dniepers,Severien271Von 1661 bis 1700. Severien und Tſernikow blieb. — So raubten dieſe Kriege Polen ſeine beſten Eroberungen; aber ſie waren auch die Schule, wo ſich Helden und Feldherren wie Johann So - bieſky und ſeines gleichen bildeten.
8. Waͤhrend dieſer Begebenheiten dauerte in Polen eine ſtete Gaͤhrung fort, vorzuͤglich durch das Streben Frankreichs, einen Franzoͤſiſchen Prinzen zum Nachfolger Johann Caſimit's beſtimmen zu laſ - ſen, unterhalten. Als aber dieſer Koͤnig, der Re - gierung muͤde, endlich abdankte, mißlangen bey der neuen Wahl die Verſuche der Fremden; und ein Inlaͤnder Michael Wisnowiecki, der es jedoch ſelber empfand, wie wenig er fuͤr einen ſolchen Thron paßte, erhielt ihn. Ein ungluͤcklicher Tuͤr - kenkrieg, durch die Coſackenhaͤndel entzuͤndet und durch einen ſchimpflichen Frieden geendigt, ſtoͤrte wieder die Ruhe von Polen und dem Norden; als Michael zur rechten Zeit, um nicht abgeſetzt zu wer - den, Polen die Wohlthat erzeigte, zu ſterben.
Johann Caſimir, durch ſeine Gemahlin Louiſe Marie aus dem Hauſe Nevers, im Franzoͤſiſchen Intereſſe, wollte dem Hauſe Conde 'zum Polniſchen Thron verhelfen, ſeit 1660. Daher innere Unruhen unter Lubomirski, die bis zum Buͤrgerkriege fuͤhrten 1665. Nach dem Tode der Koͤnigin 1667 Abdankung des Koͤnigs 17. Sept. 1668. Sechs Frem - de bewarben ſich um den Thron, aber einem Piaſten be - ſtimmt, mußte Michael ihn beſteigen. Neuer Aufſtand der Coſacken unter Doroſcensko, der ſich an die Tuͤrkenan -272II. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. ſchließt 1672. Daher Vorwand der Tuͤrken zum Kriege, hoͤchſt ungluͤcklich von den Polen, wenn gleich in Verbin - dung mit den Ruſſen, gefuͤhrt. Verluſt von Kaminiek, und Eindringen der Tuͤrken in das Herz von Polen, beguͤn - ſtigt durch die inneren Unruhen; bis Michael in dem Frie - den vom 18. Oct. 1672 ſich zur Freylaſſung der Coſacken, und einem Tribut, verſtand. Einen ſolchen Frieden zu ertragen vermochte die Nation aber nicht; daher 1673 Erneuerung des Kriegs; Sieg bey Chozim unter Joh. Sobiesky 11. Nov. und Tod des Koͤnigs 10. Nov.
9. Die Wahl von Johann Sobiesky ſchien nicht bloß fuͤr Polen, ſondern fuͤr den gan - zen Norden wichtig werden zu muͤſſen. Aber fruͤh geſtaͤhlt zum Krieger und Feldherrn, reifte er doch nie zum Herrſcher. Er vertilgte den Schimpf des letzten Friedens; aber durchgreifende innere Verbeſ - ſerungen lagen nicht in dem Geſichtskreiſe eines Pol - niſchen Magnaten; und wie groß auch die Theil - nahme Polens an den Haͤndeln des Nordens wurde, ſo war doch alles nur voruͤbergehend, weil es blos perſoͤnlich war.
Beendigung des Tuͤrkenkriegs durch den Separatfrieden bey Zurawno 16. Oct. 1676, wodurch 1. der Tribut auf - gehoben wird; 2. Caminiek und ein Drittel der Ukraine den Tuͤrken bleibt. Aber auch dieſen Theil entriſſen ihnen die Ruſſen, die den Krieg fortſetzten, und behielten ihn in dem Waffenſtillſtande zu Radzin 1680.
10. Waͤhrend auf dieſe Weiſe die Coſacken - baͤndel Polen und Rußland beſchaͤftigten, hatte ſich Schweden durch Frankreich zu der Theilnahme an dem Hollaͤndiſch-Deutſchen Kriege, und zu einer Diverſion gegen Brandenburg bewegen laſſen; und1675 ward dadurch zugleich in den Krieg mit Daͤnemark und dem Deutſchen Reiche verwickelt. Es verlor nicht nur ſeine Nebenlaͤnder, ſondern auch, was nicht weniger werth war, bey Fehrbelin ſeinen krie -28. Jun. geriſchen Ruhm. Jene verſchaffte ihm zwar Frank - reich durch die Friedensſchluͤſſe zu St. Germain und Fontainebleau wieder (ſ. oben S. 225.); zu der Wiederherſtellung von dieſem bedurfte es aber erſt eines Koͤnigs, der, wie Carl XII., Soldat war.
Die auswaͤrtige Politik von Schweden ward fortdauernd meiſt durch Subſidien beſtimmt, die es bald von Spa - nien, bald von Frankreich zog. Konnte eine Regierung eine feſte Politik haben, die ihren Beiſtand dem Meiſtbietenden verkaufte?
11. Verbuͤndung Polens, und bald auch Ruß - lands, mit Oeſtreich bey dem neu ausgebrochenen Tuͤrkenkriege. Der Entſatz von Wien (ſ. oben S. 237.) war freylich der glorreichſte Tag in So - biesky's Leben; aber ſeitdem ſchien das Gluͤck ihn weniger zu beguͤnſtigen, und die Theilnahme Ruß - lands mußte durch die Verwandlung des Waffen - ſtillſtandes von Andruſſow in einen ewigen FriedenSerkauft274II. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. erkauft werden. Das Ende des Kriegs erlebte So - biesky nicht mehr; und die Fruͤchte des langen Kampfs erndtete viel weniger Polen als Rußland.
Vergebliche Verſuche zu der Eroberung von Kaminiek und der Moldau 1684-1687. Theilnahme Rußlands 1686. Er - oberungen der Oeſtreicher in Ungarn, wie der Ruſſen in der Ukraine gegen die Tartaren 1688; aber die innern Verhaͤlt - niſſe in Rußland hinderten den Fortgang des Kriegs, bis Peter 1. Alleinherrſcher war. Belagerung und Eroberung Azows 1695 und 1696. In dem Waffenſtillſtande 25. Dec. 1698 (beſtaͤtigt auf 30 Jahre 1700) behielt Rußland das befeſtigte Azow mit ſeinen Dependenzen, mit dem freyen Handel auf dem ſchwarzen Meer. Polen aber durch den Frieden zu Carlowitz (ſ. oben S. 238.) erhielt Caminiek und das abgetretene Podolien zuruͤck.
12. So endigten ſich dieſe Kriege, zwar ohne Entſcheidung des Schickſals des Nordens, jedoch nicht ohne Vorbereitung dazu. Der Wechſel der Herrſcher in allen nordiſchen Reichen um dieſe Zeit, der zwey der außerordentlichſten Maͤnner auf Thro - nen erhob, fuͤhrte in dem folgenden Zeitraum viel groͤßere Veraͤnderungen herbey, als alle Coſacken - Kriege es vermochten.
1. Der folgende Zeitraum umfaßt zuerſt einen langwierigen und blutigen Krieg, wiederum hauptſaͤch - lich — mit Recht oder Unrecht — zur Aufrecht - haltung des politiſchen Gleichgewichts gefuͤhrt; waͤh - rend auch im Norden ein nicht weniger blutiger Kampf gekaͤmpft wurde, der jedoch von dem des Weſten gaͤnzlich getrennt blieb. Auch als dieſer letzte end - lich durch die Utrechter und Raſtadter Friedens - ſchluͤſſe aufhoͤrte, wurden doch keineswegs alle An - ſpruͤche ausgeglichen; und ſo blieb Europa auch nachher in einem ſchwankenden Zuſtande, wovon bald ein neues Auflodern der Kriegsflamme; und auch als ſie geſtillt ward, ein Gewebe von Unter - handlungen, von Buͤndniſſen und Gegenbuͤndniſſen, die Folge war; welches die immer enger werdende Verflechtung des Staatenſyſtems von Europa auf - fallend charakteriſirt.
S 22.276II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.2. Waͤhrend dieſer Stimmung indeß verlor das mercantiliſche Intereſſe nichts von ſeinem Ein - fluß. Es war dieß eine natuͤrliche Folge von der ſtets wachſenden Wichtigkeit der Colonien; ſeit - dem ihre Producte, beſonders der Caffee, der Zuk - ker, der Thee, anfiengen, in einen ſtets groͤßeren Gebrauch in Europa zu kommen. Der große Ein - fluß, den dieſe Waaren auf die Politik nicht nur, ſondern auch auf die Umformung des ganzen geſell - ſchaftlichen Lebens gehabt haben, iſt nicht leicht zu berechnen. Auch abgeſehen von dem unermeßlichen Gewinn der Voͤlker durch Handel, der Regierun - gen durch Zoͤlle, — wie haben nicht Caffeehaͤu - ſer in den Hauptſtaͤdten Europas als Mittelpuncte der politiſchen, mercantiliſchen und literariſchen, Ver - handlungen gewirkt? Waͤren uͤberhaupt ohne jene Erzeugniſſe die Staaten des weſtlichen Europas das geworden, was ſie geworden ſind?
3. Indeſſen hatten die fruͤhern großen Kriege die meiſten Staaten bereits in Schulden geſtuͤrzt; und die neuen Kriege, uͤberhaupt die ſteigenden Be - duͤrfniſſe, vergroͤßerten ſie. So kam man dahin, den Gebrauch des Papiergeldes ins Große zu treiben; aber aus Unkenntniß ſeiner Natur bald zu dreiſt (indem man das Beduͤrfniß, nicht der Cir - culation, ſondern der Regierungen, zum Maaßſtabſeiner2771. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. ſeiner Menge machte;), bald zu furchtſam (indem man blos die Maſſe des baaren Geldes als Hypo - thek anſah;), mehrmals zum großen Schaden der Staaten. Aber die Huͤlfsmittel der Regierungen wurden doch in den meiſten Faͤllen dadurch vermehrt; und nie waͤren ſie ohne dasſelbe der großen Kraft - anſtrengungen faͤhig geweſen; ſo wie ſie ſelber zum Gluͤck es nicht ſobald ahnten, wie weit ſich oͤffent - licher Credit und Schuldenweſen treiben ließen.
Urkundenſammlung: Außer den allgemeinen (ſ. oben S. 2.):
Bearbeitungen der Geſchichte:
Auch die politiſchen Zeitſchriften werden jetzt Quel - len der Geſchichte; aber natuͤrlich geſchrieben in dem Geiſt des Landes, wo ſie erſchienen, muͤſſen ſie darnach gewuͤrdigt werden. Die wichtigſten:
Als Abriß:
4. Die große Frage, welche ſeit dem Rys - wicker Frieden faſt ausſchließend die Cabinette des Weſtens beſchaͤftigte, und aus der nicht nur ein langwieriger Krieg, ſondern auch die folgenden Staatshaͤndel dieſes Zeitraums vorzugsweiſe hervor - gingen, war die der Spaniſchen Succeſſion bey dem bevorſtehenden Ausſterben der Spaniſch - Habsburgiſchen Linie mit Carl II. Man betrach - tete dieſen, fuͤr das Syſtem von Europa allerdings hoͤchſt wichtigen Gegenſtand, theils von der Seite des Rechts, theils von der Seite der Politik. Aber das Ganze ward eine Sache der Cabinette;die2791. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. die Nation — und doch hatte ſie ihre Staͤnde — ward gar nicht dabey gefragt.
5. Von Seiten des Rechts kamen drey Hauptcompetenten, welche auf die ganze Mon - archie Anſpruch machten, in Betrachtung: Lud - wig XIV., als Gemahl von Maria Thereſia, der aͤl - tern Schweſter Carl's II., fuͤr den Dauphin; Leo - pold I., als Gemahl der juͤngern Schweſter Marga - retha Thereſia; und wegen Teſtaments Philipp's IV. ; fuͤr einen ſeiner Soͤhne zweyter Ehe; und der Chur - fuͤrſt von Bayern fuͤr ſeinen unmuͤndigen Sohn Joſeph Ferdinand, als Enkel der Margaretha Thereſia. Das Recht der naͤchſten Deſcendenz war fuͤr den Dauphin; allein ihm ſtanden entgegen die feyerlich - ſten Verzichtleiſtungen ſeiner Mutter auf alle Spa - niſchen Erbrechte. Nach ihm war naͤchſter maͤnn - licher Erbe der Churprinz von Bayern; doch haͤtte es bey Leopold geſtanden, Beyden zuvorzukommen; haͤtte er den Augenblick zu nutzen gewußt. Der Her - zog von Savoyen, Victor Amadeus II., verlangte nur einen Theil.
Fuͤr Frankreich:
6. Der politiſche Geſichtspunct, aus dem die Cabinette, beſonders die Seemaͤchte, die ſo wichtige Frage betrachteten, war die Erhaltung des politiſchen Gleichgewichts. Konnte dieß anders in einem Zeitalter ſeyn, wo dieſes die Baſis der Politik geworden war? Konnte es ihnen gleich - guͤltig ſeyn, was mit Spanien, beſonders mit den Spaniſchen Niederlanden, ward? Es wurde als Grundſatz angeſehen, daß die Vereinigung der gan - zen Spaniſchen Monarchie mit Oeſtreich oder Frank - reich, beſonders aber mit letzterm, dieß Gleichge - wicht ſtoͤren wuͤrde; vor Allem wenn die Kronen zweyer großer Monarchien auf Einem Haupt vereinigt wuͤrden. Um dieſem vorzubeugen, hatte daher ſchon Ludwig XIV. ſich bereit erklaͤrt, die An - ſpruͤche des Dauphins auf deſſen juͤngern Sohn, den Herzog Philipp von Anjou, uͤberzutragen; ſo wie auch Leopold I. die ſeinigen an ſeinen juͤngern Sohn zweyter Ehe, den Erzherzog Carl, zu uͤber - laſſen bereit war.
7. Gang der Verhandlung in Madrid bey Leb - zeiten des Koͤnigs; wo Graf Harcourt, der Fran - zoͤſiſche Geſandte, bald ein Uebergewicht uͤber die Grafen Harrach vom kayſerlichen Hofe erhielt. Doch wußte Ludwig XIV. wohl, daß man der Ein - willigung der Seemaͤchte beduͤrfe; und der mit ih -nen2811. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. nen verabredete erſte Theilungsvertrag, der1698 11. Oct. dem Churprinzen das Hauptland und die Colonien, und den Mitbewerbern die Nebenlaͤnder in Italien und den Niederlanden zuſprach, ſchien das Inter - eſſe der Einzelnen und des ganzen Staatenſyſtems von Europa auszugleichen; als ein ungluͤckliches Ge - ſchick den Churprinzen fruͤhzeitig wegraffte!
8. Ungeachtet nun ein neuer Theilungstractat zwiſchen Frankreich und den Seemaͤchten verabredet1700 2. Mrz ward, ſo konnte doch wenig Hoffnung zu einer fried - lichen Ausgleichung bleiben, da nicht nur Oeſtreich ſeinen Beytritt verſagte, ſondern auch in Spanien ſelber bey dem Koͤnig wie bey der Nation die Idee einmal herrſchte, daß jede Theilung ein Ungluͤck fuͤr die Monarchie ſey. Man ſah in der Abtretung der Nebenlaͤnder in Europa zugleich Verluſt der Macht und des Handels. Und doch war ohne dieſe Theilung ſchwerlich eine Ausgleichung moͤglich. Wie viel Blut und Geld haͤtte hier mit etwas Vernunft erſpart werden koͤnnen!
9. Der herannahende Tod und der Cardinal Portocarrero bringen endlich Carl II. zu einemS 5Teſta -282II. Per. I. B. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Teſtament, in dem er die ganze Spaniſche Monar -1700 2. Oct. chie, ungetheilt, Philipp von Anjou vermacht; und im Fall der Nichtannahme ihm den Erzherzog Carl1. Nov ſubſtituirt. Der kurz darauf erfolgende Tod des Koͤnigs ließ nun Ludwig XIV. die Wahl zwiſchen Annahme oder Verwerfung des ganzen Teſtaments. Nicht ohne ernſtliches Bedenken — wie gern haͤtte er jetzt einen Krieg vermieden! — waͤhlte er das Erſtere. — Wie konnte er auch bey dieſer Al - ternative fuͤr Frankreich und fuͤr ſein Haus anders waͤhlen?
10. Anerkennung Philipp's V. ſowohl in Spanien als in den ſaͤmmtlichen Colonien und Ne - benlaͤndern; ſelbſt der Friede mit den Seemaͤchten ſchien fortdauern zu koͤnnen. Aber Leopold I. fuͤhlte ſich deſto tiefer gekraͤnkt, je mehr er es ſich ſelber ſagen mußte, daß er durch ſeine Schuld die Spaniſche Monarchie verlohren habe.
11. Vorbereitungen von beyden Seiten und Streben vor dem Ausbruche des Kriegs, ſich Ver - buͤndete zu verſchaffen. Durch die Gewinnung des Herzogs von Savoyen durch eine Heyrath, und des Herzogs von Mantua durch Geld, faßte Frankreich im voraus in Italien feſten Fuß. In den Spaniſchen Niederlanden ward gleich der erſte Moment zur Beſetzung der feſten Plaͤtze mitFran -2831. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. Franzoͤſiſchen Truppen genutzt; und die wieder in Ungern unter Rakozi ausgebrochenen Unruhen ka - men Frankreich trefflich zu Statten. Am bedeu - tendſten aber ſchien in Deutſchland die Gewinnung des Churfuͤrſten Maximilian II. von Bayern (dem auch ſein Bruder, der Churfuͤrſt von Coͤlln, folgte) werden zu muͤſſen. So konnte man einen der erſten Deutſchen Fuͤrſten, an der Grenze Oeſt - reichs, dieſem entgegen ſtellen!
12. Doch konnten alle dieſe Vorbereitungen ſo wenig die Entſtehung einer maͤchtigen Gegen - verbindung hindern, als Frankreich das Ueber - gewicht erhalten. Oeſtreich fand bald Verbuͤndete in Deutſchland an dem neuen Koͤnig von Preußen, an mehrern andern Staͤnden, und bald an dem ganzen Reich; und die Seemaͤchte, ſchon gereizt durch die Beſetzung der Spaniſchen Niederlande, waren zum Kriege gleichſam aufgefordert, als Ludwig XIV. den Sohn Jacob's II. nach deſſen Tode, gegen den1701 16. Spt. Ryswicker Frieden, als Koͤnig anerkannte. Und wenn gleich durch den Tod von Wilhelm III.1702 19. Mrz zugleich der Brittiſche Thron und die Erbſtatthalter - wuͤrde erledigt ward, ſo blieb doch ſein Syſtem un - ter ſeiner Nachfolgerin Anna, und in den Nieder - landen dasſelbe; und eine engere Verbindung Aller wurde die Folge davon.
Große284II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.Große Allianz im Haag 7. Sept. 1701 zwiſchen dem Kayſer, England und Holland; zunaͤchſt zur Eroberung der Spaniſchen Nebenlaͤnder und Colonien, geſchloſſen; dem - naͤchſt verſtaͤrkt durch den Beytritt von Preußen 20. Jan. 1702, des Deutſchen Reichs, nach vorhergegangenen Kreis - aſſociationen, 28. Sept. 1702; Portugals gegen Subſidien und verſprochene Vergroͤßerung in Spanien und den Colo - nien 16. May 1703; und ſelbſt endlich des mißvergnuͤgt ge - wordenen Herzogs von Savoyen 25. Oct. 1703.
13. An ſich betrachtet konnte die neue Verbin - dung indeß kaum von Feſtigkeit ſcheinen; da die Plaͤne der Seemaͤchte, die auf Theilung giengen, wenig mit den Forderungen Oeſtreichs uͤbereinſtimm - ten, das das Ganze wollte. Aber ſie erhielt eine Feſtigkeit wie keine andere, da Maͤnner von hohem Geiſt und ſeltnen Talenten, zugleich durch Grund - ſaͤtze und Intereſſe verbunden, an ihre Spitze ka - men. Ein Triumvirat, wie das von Eugen, von Marlborough und Heinſius, hat die Ge - ſchichte nicht wieder geſehen; aber nicht bloß ihre Groͤße, ſondern auch ihre Schwaͤchen machten ihre Verbindung ſo unaufloͤslich. Waͤre ſie es ohne die Geld - und Herrſchſucht von Marlborough, ohne die eigenſinnige Beſchraͤnktheit von Heinſius gewor - den? Nur der edle Eugen ſteht ohne Flecken da!
Großer Wirkungskreis dieſer Maͤnner nach ihrer perſoͤnli - chen Lage, bey Eugen als Feldherr und ſeit 1705 Praͤſident des Kriegsraths; bey Heinſius als Rathspenſionan ohne Statthalter; bey Marlborough zugleich als Feldberr, Staatsmann und Parteihaupt. Er herrſchte im Cabinet wieim2851. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. im Felde, ſo lange die Partie der Whigs am Ruder blieb. Der ſchlaue, unzuverlaͤſſige, bezaubernde Held!
14. Wenn daher der Krieg bey ſeinem erſten Ausbruche ein Krieg zwiſchen Oeſtreich und Frank - reich war, ſo mußte ſich die Flamme bald uͤber das ganze weſtliche Europa verbreiten. Indeſſen blieb das Land, uͤber deſſen Beſitz er eigentlich gefuͤhrt ward, Nebenſcene; Italien, den Niederlanden, vor allen aber Deutſchland, fiel auch jetzt wieder das traurige Loos, zu Hauptſchauplaͤtzen zu werden.
Ausbruch des Kriegs von Oeſtreichiſcher Seite, durch En - gen's Einfall in Italien Jul. 1701. und Feſtſetzung in der Lombardey. Aber erſt nach der Gefangennehmung Ville - roi's 1. Febr. 1702 fand er an dem Cyniker Vendome einen ſeiner mehr wuͤrdigen Gegner. Treffen bey Luzzara 16. Aug. Anfang des Kriegs am Ober-Rhein (Eroberung Landaus 10. Sept.), und in den Niederlanden 1702, wo Marlborough zuerſt auftrat. Aber erſt 1703 weitere Ver - breitung theils in Deutſchland, durch die foͤrmliche Verbin - dung Bayerns mit Frankreich, und den, zuletzt mißlun - genen, Einfall des Churfuͤrſten in Tyrol, Juni-Sept; theils in Italien durch den Uebertritt des Herzogs von Savoyen auf die Seite der Alliirten, wie ſchwer ihn auch anfangs Frankreich dafuͤr buͤßen ließ; theils in Spanien ſelber, da ſeit dem Beytritt Portugals zu der großen Allianz durch die Abſendung des Erzherzogs Carl dahin es moͤglich ward, auch den Krieg in jenes Land zu verſetzen. Doch wurde erſt der Feldzug 1704 fuͤr Deutſchland entſcheidend. Großer Sieg der Alliirten bey Hoͤchſtaͤdt oder Blenheim 13. Aug. Einnahme Bayerns, und Befreyung Deutſchlands. Einen ſolchen Tag hatte Ludwig XIV. noch nicht geſehen! — Anfang des Kriegs in Spanien, zwiſchen Carl und Philipp;meiſt286II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. meiſt unentſchieden, da Carl in Catalonien, Philipp in Ca - ſtilien, ſeine Hauptſtuͤtze fand. — Der zugleich angefan - gene Seekrieg, beſonders im Mittelmeer, verſchaffte den Englaͤndern Gibraltar 4. Aug. — Nach Leopold's I. To - de 5. May 1705 gleicher Fortgang des Kriegs unter Jo - ſeph I. Vergeblicher Plan von Marlborough, und dem Prin - zen Ludwig von Baden, in das Innere Frankreichs einzudrin - gen. Aber der Feldzug von 1706 verſchaffte den Alliirten ſowohl die Niederlande, nach Marlborough's Sieg bey Ra - millies 23. May (man hatte ihm einen Villeroy entgegen - geſetzt;), als die Lombardie durch den Entſatz von Tu - rin 7. Sept., ſobald Eugen keinen Vendome mehr ſich ge - genuͤber ſah. — Folge davon, gaͤnzliche Raͤumung der Lom - bardie von den Franzoſen durch eine Convention zu Mayland 13. Maͤrz 1707; Einnahme Neapels faſt ohne Widerſtand (im May), und ſelbſt Verſuch gegen Toulon, wiewohl ver - geblich (Jul. und Aug.). Große Anſtrengungen Ludwig's XIV. zur Wiedereroberung der Niederlande 1708; vereitelt durch die Niederlage bey Oudenarde 11. Jul., der ſelbſt die Belagerung und Einnahme der Franzoͤſiſchen Grenzfeſtung Lille 23. Oct. folgte. Gegen die vereinten Kraͤfte eines Marlborough und Eugen reichten auch ein Vendome und Boufflers nicht aus.
15. Solche Niederlagen, mit inneren Unfaͤl - len gepaart, brachten Frankreich allerdings in eine Lage, die Ludwig XIV. noch nicht erlebt hatte. Doch bleibt ihm der Ruhm, das Ungluͤck beſſer er - tragen zu haben, als ſeine Feinde das Gluͤck. Be - reit, Alles herauszugeben, was er nicht ſchien be - haupten zu koͤnnen, blieb er unbeweglich, ſobald von moraliſcher Herabwuͤrdigung die Rede war. Die Unterhandlungen von Haag und Gertruyden -berg2871. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1770. berg bleiben die lehrreichſte Schule fuͤr Fuͤrſten im Ungluͤck. Die Beharrlichkeit ward auch hier be - lohnt; die Verbuͤndeten verſaͤumten den Zeitpunct, weil ſie den Frieden nicht wollten; und wenige Jah - re nachher ſchloß ihn Ludwig auf Bedingungen, die er damals fuͤr unmoͤglich halten mußte.
Anfang der Unterhandlungen Maͤrz 1709 zwiſchen dem Praͤſidenten Rouillé und den Hollaͤndiſchen Abgeordneten Buys und van der Duſſen, zuerſt zu Moerdyk, nachmals zu Woerden; bis der Miniſter der auswaͤrtigen Angelegen - heiten ſelber, Torcy, nach dem Haag geſandt (May) im Vorzimmer des Rathpenſionairs erſchien! — Hauptforde - rungen der Alliirten uͤberhaupt: Gaͤnzliche Herausgabe der Spaniſchen Monarchie zu Gunſten Oeſtreichs. Insbeſondere: der Hollaͤnder: Barriere (Beſetzung der Grenzfeſtungen) in den Spaniſchen Niederlanden; und Wiederherſtellung des Handelstarifs von 1664. Der Englaͤnder: Anerkennung der proteſtantiſchen Sueceſſion und Vergroͤßerung der Colo - nien. Vom Kayſer und Reich: Wiederherſtellung der Dinge auf den Fuß des Muͤnſterſchen Friedens. — Das Alles war bewilligt; (Praͤliminarien entworfen, in 40 Arti - keln 27. May); und bedurfte es mehr zur Entſchaͤdigung der Verbuͤndeten; zur Sicherheit Europas? Aber die Ab - ſetzung Philipp's von Spanien durch ſeine Huͤlfe (Art. 4. 37. ) konnte Ludwig XIV. nicht unterſchreiben, ohne ſich zu entehren. Abbruch der Friedensunterhandlungen.
16. Fortgang des Kriegs; auch jetzt mit ſchlech - tem Gluͤck fuͤr Frankreich; und doch konnten, auch nach dem Siege bey Malplaquet, die Alliirten ſich nicht zum Frieden entſchließen; aber auch eben ſo wenig in das Innere ſeiner Provinzen dringen! Waͤh -288II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Waͤhrend Bendome in Spanien ſiegte, verthei - digten Villars und Boufflers mit Nachdruck die Grenzen des Reichs; und die Reſultate der Sie - ge im Felde blieben auf die Einnahme einiger Plaͤtze beſchraͤnkt.
Große Schlacht bey Malplaquet 11. Sept. 1709. Der Ruͤckzug brachte Villars und Boufflers nicht viel weniger Eh - re, als Eugen und Marlborough ihr Sieg. Einnahme von Mons 20. Oct., von Douai und einigen andern Plaͤtzen 1710. [Ve]reitelung der erhaltenen Vortheile des Erzherzogs Carl in Spanien, ſelbſt nach Einnahme Madrids 1710, durch Ven - dome noch vor Ende des Jahrs. — Vergebliche Erneuerung der Friedensunterhandlungen zu Geertruydenberg durch d'Huxelles und Polignac mit den Hollaͤndern Maͤrz — Juli. Selbſt Subſidien wollte Ludwig gegen ſeinen Enkel geben. Aber er ſelbſt, ja ſogar er allein ſollte ihn abſetzen!
17. Aber die endliche Entſcheidung der großen Frage ſollte nicht durch das Schwerdt herbeygefuͤhrt werden. Der Fall des Whig-Miniſterii in Eng - land, der bald auch der Fall Marlborough's wer -1711 17. Apr. den mußte; und der Tod des Kayſers Joſeph I. aͤnderten alle Verhaͤltniſſe. Die Torys hatten lange auf die Beendigung eines Kriegs gedrungen, der England viel koſtete, ohne unmittelbaren Gewinn. Der Weg zu einem Separatfrieden ſchien alſo ge - bahnt, ſobald ſie das Ruder erhielten. Und als nach Joſeph's I. Tode ſein Bruder und Nach - folger Carl VI. der einzige Stammhalter des Hau - ſes Habsburg war, konnte es auch ſchwerlich fuͤrdie2891. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. die Seemaͤchte rathſam ſcheinen, auf ſeinem Haupte allein die Kayſerkrone nebſt der von Ungern und Boͤhmen mit der Spaniſchen zu vereinigen.
Fall des Whig-Miniſteriums durch die Entlaſſung Sun - derlands und Godolphins Aug. 1710. Neues Mini - ſterium der Torys unter Harley, Graf von Oxford; und St. John, Vicomte von Bolingbroke; und bald An - knuͤpfung geheimer Unterhandlungen mit Frankreich durch Gauthier, und nachmals durch Prior. Wie ſorgfaͤltig man auch den Schein eines Separatfriedens vermied, ſo war doch jetzt das Vertrauen der Verbuͤndeten dahin; und ſeit Marlborough's Abſetzung Jan. 1712 (dem Ormond nur zum Schein folgte;) und Villars Siege bey Denain 24. Jul. ward auch ſelbſt das Kriegsgluͤck Frankreich guͤn - ſtig. Friedenspraͤliminarien zwiſchen Frankreich und England 11. Oct. 1711 den Verbuͤndeten zwar nur als Pro - ject mitgetheilt; aber der Kriegszuſtand hoͤrte auf.
18. Dieſe Trennung der Verbindung mußte wohl zu einem Frieden, aber zu einem ganz andern Frieden fuͤhren, als man noch vor kurzem hatte er - halten koͤnnen; und bald ward Utrecht, — da Holland noch immer als der Centralpunct der Poli - tik betrachtet ward, — zum Congreßorte beſtimmt. Die Natur der Dinge brachte es jetzt mit ſich, daß ſtatt eines allgemeinen Friedens eine Reihe Frie - densſchluͤſſe theils zwiſchen Frankreich, theils zwi - ſchen Spanien und den einzelnen Alliirten hier zu Stande kamen, in deren jedem auch jeder ſeine eig - nen Vortheile beſtimmte. Aber weder uͤber dieſe,Tnoch290II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. noch uͤber die Hauptfrage, die Beſtimmung der Spaniſchen Monarchie, waren die Alliirten unter ſich einverſtanden. Indem Oeſtreich eigenſinnig auf ſeiner Forderung beſtand, war England, und auch die uͤbrigen, nicht abgeneigt, den Spaniſchen Thron dem Hauſe Anjon zu laſſen (jedoch mit Ausnahme der Nebenlaͤnder in Europa); nur daß keine Verei - nigung der Kronen Frankreichs und Spaniens auf Einem Haupt erfolgen duͤrfe. Ja ſelbſt unter den beyden Seemaͤchten entſtand Mißtrauen; da jede auf die Handelsvortheile eiferſuͤchtig war, die ſich die andere ausbedingen wollte. Konnte Frankreich unter guͤnſtigern Auſpicien eine Unterhandlung be - ginnen?
Eroͤffnung des Congreſſes zu Utrecht 29. Jan. 1712 zuerſt nur zwiſchen den Frenzoͤſiſchen, den Engliſchen und Savoyi - ſchen Geſandten; worauf auch (Febr.) die der uͤbrigen Alliir - ten anlangten. Die Trennung der Verbindung war ſchon entſchieden durch den Beſchluß, daß jeder der Alliirten ſeine Forderungen einzeln uͤbergeben ſolle. — Zunehmender Zwiſt unter den Alliirten, indem die Negociation faſt ganz in den Haͤnden von England iſt, und meiſt insgeheim directe zwiſchen den Cabinetten von St. James und Verſailles ge - fuͤhrt wird. Die letzten Reſultate waren Separatfrie - densſchluͤſſe der uͤbrigen Alliirten, indem ſie Oeſtreich und das Reich ſich ſelber uͤberließen. Vorlaͤufige Vertraͤge: a. Wechſelſeitige Verzichtleiſtung des Hauſes Anjou auf Frankreich; und der Franzoͤſiſchen Prinzen auf Spanien. Nov. 1712. b. Vertrag zwiſchen Oeſtreich und Frankreich uͤber die Raͤumung von Catalonien, und die Neutralitaͤt Italiens 14. Maͤrz 1713 auf Betrieb Englands. Hierauf 11. April Friedensſchluͤſſe mit Frankreich:
1.2911. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740.1. Friede zwiſchen Frankreich und England. a. Anerkennung der proteſtantiſchen Succeſſion in England, zu Gunſten Hannovers; und Entfernung des Praͤtendenten aus Frankreich. b. Stete Trennung der Kronen Frankreich und Spanien. c. Schleifung des Hafens von Duͤnkirchen. d. Abtretung an England von Terreneuve (jedoch mit Vorbehalt von Cap Breton und eines Antheils an den Fi - ſchereyen); von Acadien, nach ſeinen alten Grenzen; von der Hudſonsbay und den daran liegenden Laͤndern; und dem Franzoͤſiſchen Antheil an St. Chriſtoph. e. Frankreich darf keinen weitern Handel nach den Spaniſchen Colonien treiben, als unter Carl II. ; und keine beſondere Privile - gien dort erhalten. — Vortheilhafter Handelstractat fuͤr England.
2. Friede zwiſchen Frankreich und den Nieder - landen. a. Sicherung einer Barriere gegen Frankreich. Daher Uebergabe der Spaniſchen Niederlande an die Repu - blik; um ſie nach Berichtigung eines Barrieretractats mit Oeſtreich dieſem zu uͤberliefern. b. Wiederherſtellung Frank - reichs in den Beſitz von Lille; und der uͤbrigen verlohrnen Grenzplaͤtze. — Zugleich vortheilhafter Handelstractat fuͤr die Republik.
3. Friede zwiſchen Frankreich und Savoyen. a. Fuͤr Savoyen vortheilhafte Grenzberichtigung. b. Savo - yen erhielt die Inſel Sicilien als Koͤnigreich. c. Vorbehalt der Anſpruͤche auf Spanien nach Erloͤſchung des Hauſes Anjou.
4. Friede zwiſchen Frankreich und Portugal. Grenzberichtigung in Suͤd-Amerika; wodurch Portugal das Land zwiſchen dem Maragnon und Oyapoc-Fluß bleibt.
5. Friede zwiſchen Frankreich und Preußen. a. Frankreich erkennt den Preußiſchen Koͤnigstitel. b. Ueber - laͤßt Preußen im Namen des Koͤnigs von Spanien das Ober - quartier von Geldern. c. Erkennt den Koͤnig von Preußen als Souverain von Neufchatel. d. Preußen uͤberlaͤßt an Frankreich ſeine ererbten Rechte auf das Fuͤrſtenthum Orange.
Spanien ſchloß zu Utrecht mit England und Savoyen 13. Jul. 1713.
T 21.292II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.1. Friede zwiſchen Spanien und England. a. Spanien tritt an England ab Gibraltar und die Inſel Mi - norka. b. Spanien uͤberlaͤßt an England (zufolge eines be - reits am 29. Maͤrz in Madrit abgeſchloſſenen Handelstrac - tats (Aſſiento) auf 30 Jahre das Recht der Importation von 4800 Negern in America (das vorher Frankreich gehabt hatte;), und die Erlaubniß, jaͤhrlich ein Schiff von 500 Ton - nen nach Porto bello zu ſchicken. c. Es darf weder Frank - reich, noch einer andern Macht keine Handelsfreyheiten nach Indien bewilligen; auch keine ſeiner Beſitzungen veraͤußern.
2. Friede zwiſchen Spanien und Savoyen. a. Ceſſion von Sicilien. b. Wiederholung der mit Frankreich feſtgeſetzten Bedingungen. So auch nachmals in den Frie - densſchluͤſſen mit Holland und Portugal 26. Jun. 1714.
Die wichtigſten Geſandten in Utrecht waren: von Frank - teich der Marſchall d'Huxelles, Abbé (nachmaliger Cardinal) Polignac u[nd]Hr. Menager. Von England: Graf Straf - ford. Vo[n]den Niederlanden: Bups und van der Duſſen. Von dem Kayſer: Graf Sinzendorf. Von Savoyen: Graf Maſſei ꝛc.
19. So blieben bey dem Abſchluß des Frie - dens der Kayſer und das Reich ſich allein uͤberlaſſen. Wenn man auch dem erſten die meiſten Nebenlaͤn - der Spaniens vorbehielt, ſo wurde dagegen demletztern2931. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. letztern nur die Grundlage des Ryswicker Friedens geboten; und beyden peremtoriſch ein Termin zum Entſchluß geſetzt, den man nicht annahm. So dauerte der Kriegszuſtand, beſonders am Rhein, noch fort; mit wenigem Gluͤcke fuͤr Oeſtreich. Die Erneuerung der Unterhandlungen zwiſchen beyden be - reits im naͤchſten Winter zu Raſtadt waren die Folgen davon; und fuͤhrten hier zu einem Frieden, der nachmals zu Baden in einen Reichsfrieden ver - wandelt ward. Oeſtreich bekam ſein Theil; das Reich dagegen — durch die Separatfriedensſchluͤſſe ohnehin ſchon nicht mehr mit ſich ſelber einig — gieng leer aus; und der ſchoͤne Traum der gaͤnzli - chen Wiederherſtellung auf den Fuß des Muͤnſter - ſchen Friedens — (welche Lehre waͤre ſie fuͤr die Eroberungs-Politik geweſen!) — verſchwand.
Fortgang des Kriegs am Rhein; 1713 Einnahme[vo]n Lan - dan 20. Aug. und Freyburg 16. Nov. durch Villars. Unter - handlung zwiſchen ihm und Eugen zu Naſtatt Nov. bis Maͤrz 1714. Endlicher Abſchluß 6. Maͤrz, unter dem Na - men von Praͤliminarien, die demnaͤchſt dem Reich zur An - nahme vorgelegt werden. Hauptbedingungen: a. Oeſtreich darf die Spaniſchen Niederlande in Beſitz nehmen, nach ver - abredeter Barriere fuͤr Holland. b. Oeſtreich erhaͤlt in Ita - lien Neapel, Sardinien, Mayland, und die Stati degli pre - ſidi. c. Reſtitution der in die Reichsacht erklaͤrten Churfuͤrſten von Bayern und Coͤlln gegen Anerkennung der Chur von Han - nover. d. Fuͤr das Reich nur Wiederherſtellung des Zuſtandes vor dem Kriege; durch Beſtaͤtigung des Muͤnſterſchen, Nim - wegiſchen und Ryswicker Friedens. — Annahme der demT 3Reich294II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Reich mitgetheilten Praͤliminarien; und Beſtaͤtigung zu Ba - den in der Schweiz 7. Sept.
20. Die Entſcheidung des Streits ward alſo der Hauptſache nach durch die Abſonderung der Ne - benlaͤnder in Europa bewirkt, wovon man auch vor dem Kriege hatte ausgehen wollen. Aber ganz entſchieden ward der Streit leider! doch nicht, wenn gleich der Krieg fuͤr jetzt aufhoͤrte. Zwiſchen den beyden Hauptcompetenten Spanien und Oeſtreich ward kein foͤrmlicher Friede, weil keiner von ſeinen Anſpruͤchen ablaſſen wollte. Der ſchwankende Zu - ſtand, in dem das Europaͤiſche Staatenſyſtem ein Decennium hindurch bleibt, war daher unvermeid - lich; und Erhaltung des Utrechter Friedens ward eine der ſchwerſten Aufgaben fuͤr die Politik.
21. Die Folgen, welche dieſer Krieg und die Friedensſchluͤſſe, die ihn beendigten, fuͤr das Staa - tenſyſtem Europas hatten, waren gleich mannichfal - tig und wichtig. Indem die Spaniſche Monarchie einem Zweige der Bourbons blieb, fiel jene alte Ri - valitaͤt zwiſchen Frankreich und Spanien, die Eu - ropa ſo viel gekoſtet hatte, weg. Aber die Folge zeigte auch bald, daß die Bande der Verwandt - ſchaft keinesweges eben ſo feſte Bande fuͤr die Po - litik ſind. Die gefuͤrchteten Folgen fuͤr das Gleich - gewicht von Europa zeigten ſich nicht; allein frey -lich2951. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. lich war auch Frankreich ſo tief erſchoͤpft, daß ſelbſt die engſte Verbindung mit Spanien kaum haͤtte Be - ſorgniſſe erregen koͤnnen.
22. Die Trennung der Nebenlaͤnder von Spa - nien wurde fuͤr das Staatenſyſtem Europas beſon - ders dadurch wichtig, daß deſſen Niederlande an Oeſtreich kamen. Fortdauernd das naͤchſte Ziel der Eroberungen Frankreichs, ward es eine der herrſchenden Maximen in der Politik, daß ihre Erhaltung das Intereſſe Aller, und die Bedingung der Aufrechthaltung des Gleichgewichts ſey. Hieng nicht auch davon das Schickſal der Republik, des Deutſchen Reichs, und mit ihm Oeſtreichs ſelber ab?
23. Eine der wichtigſten Folgen fuͤr das Eu - ropaͤiſche Staatenſyſtem aus dieſem Kriege war der erweiterte Einfluß Englands. Sein Anleiheſyſtem (ſ. oben S. 250.) machte es moͤglich, jetzt den Subſidientractaten eine noch nie geſehene Ausdeh - nung zu geben; und die ſchon fruͤher angeknuͤpften Hauptfaͤden der Continentalpolitik (ſ. oben S. 235.) wurden zugleich erweitert und befeſtigt. Die Gelangung der Niederlande an Oeſtreich ſchien die Verbindung mit dieſem unaufloͤslich zu machen; die Republik war ihm faſt blind ergeben; Savoyen und die einzelnen Staͤnde des Reichs waren gegen Subſidien wieder zu haben. Der Utrechter Frie -T 4den296II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. den war unter ſeiner Direction geſchloſſen; und eben deshalb zum Gluͤck die Erhaltung dieſes Friedens ſeine natuͤrliche Politik. Darf man ſich wundern, wenn die Leitung der Angelegenheiten Europas eine Zeitlang meiſt in ſeinen Haͤnden blieb?
24. War gleich der Krieg weniger Seekrieg geweſen, ſo fieng doch bey dem Frieden das Mer - cantilintereſſe an, ſich in ſeiner ganzen Staͤrke zu zeigen. Die wichtigſten Handelsbewilligungen wur - den Bedingungen des Friedens fuͤr die Seemaͤchte; und ſelbſt die Abtretungen der Laͤnder geſchahen zum Theil des Handels wegen. Der Grund zu dem Uebergewicht Englands im Seehandel ward ei - gentlich durch den Utrechter Frieden, — und mit ihm zugleich der Keim zu zwey kuͤnftigen großen Kriegen — gelegt; aber freylich konnten dieſe Folgen ſich erſt allmaͤhlig entwickeln; und die Republik blieb doch noch geraume Zeit der erſte Handelsſtaat unſres Welttheils.
25. Die Lage der einzelnen Staaten war nicht blos durch den Krieg veraͤndert, ſondern ward es auch zum Theil durch Regierungswechſel. In Spanien war eine neue Dynaſtie zum Thron ge - kommen, aber ohne neue Kraft; Philipp V. war nicht der Fuͤrſt, der es verſtand, ein geſunkenes Reich wieder zu erheben. Mehr wie er waͤre dazuſeine2971. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. ſeine neue Gemahlin, Eliſabeth von Parma, faͤhig geweſen; haͤtte nicht Familienintereſſe ihr mehr gegolten als Intereſſe des Staats.
26. Portugal, waͤhrend des Kriegs durch die Bande der Politik an England angeſchloſſen, blieb es auch nach dem Kriege durch die Bande des Handels. Aber wenn der Tractat von Me -1703 thuen der Induſtrie ſo ſchaͤdlich ward: lag davon die Schuld in dem Tractate, oder an der Nation und an der Regierung? Konnten die Woll-Ma - nufacturen nicht mehr beſtehen, gab es denn keine andre, und war kein Boden mehr anzubauen? Aber indem Portugal den Markt fuͤr ſeine Weine in England fand, wurden die politiſchen Bande zugleich durch die mercantiliſchen befeſtigt.
27. Allein der groͤßte Wechſel gieng in Frank - reich vor. Ludwig XIV. uͤberlebte den Frieden1715 1. Spt. nur kurze Zeit; und hinterließ zum Nachfolger in ſeinem Urenkel Ludwig XV. nur ein ſchwaches und unmuͤndiges Kind. Seine Autoritaͤt ſtarb mit ihm; und gegen ſeinen Willen erhielt ſein Neffe Phi - lipp von Orleans die Regentſchaft mit der gan -bis 1723 zen Fuͤlle der Macht. Ohne Moralitaͤt, und ſelbſt ohne Schaam, hielt man ihn doch fuͤr boshafter, als er war; und die lange dauernde Beſorgniß we - gen des Lebens des jungen Koͤnigs, der ohnehinT 5ſchwaͤch -298II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ſchwaͤchlich war, wirkte ſtark auf die ganze Politik der damaligen Zeit, und beſonders auf die Verhaͤlt - niſſe mit der Spaniſchen Linie ein. Wer ſollte in einem ſolchen Falle folgen, Philipp von Spanien oder Orleans? Das Mißtrauen zwiſchen beyden war aber eben ſo natuͤrlich als folgenreich; da es auch die auswaͤrtigen Verbindungen beſtimmen mußte.
28. Auch in England war nach dem Tode1714 12. Aug. der Anna durch die wunderbarſten Verſchlingun - gen des Schickſals mit Georg I. das Haus Han - nover auf das der Stuarts gefolgt. Der Pro - teſtantismus hatte ihm den Thron verſchafft; und mußte ihm denſelben erhalten. Keine neue Grundſaͤtze, keine neue Continentalpolitik (der Be - ſitz Hannovers hat dieſe nicht erſt beſtimmt) konnte alſo herrſchend werden; es war die alte Politik Wilhelm's III., nur nach Zeitumſtaͤnden modificirt. So war die Einigkeit zwiſchen Nation und Regie - rung befeſtigt; und zum Gluͤck fuͤr das neuregieren - de Haus gab es noch lange einen Praͤtendenten, der dieſe Grundſaͤtze unmoͤglich vergeſſen ließ.
Der Fall des Tory-Miniſteriums, das ſich in ſeinem Be - nehmen gegen den Praͤtendenten mehr als verdaͤchtig gemacht hatte, 1714, und die wiedergegruͤndete Herrſchaft der Whigs war die natuͤrliche Folge dieſer Politik.
29.2991. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740.29. Die Republik war in dieſem Kriege faſt aus einer Seemacht zur Landmacht geworden. Er hatte ihre Schuldenlaſt bis auf 350 Millionen Gul - den vermehrt; ſo theuer war der Barriere-Trac - tat erkauft, in dem ſie die Sicherheit ihrer Exi - ſtenz ſah! Gleichwohl nahm ſie die große Lehre mit aus dem Kriege, daß bey der Theilnahme an den Haͤndeln großer Maͤchte fuͤr ſie wenig zu gewin - nen ſey; und moͤglichſte Zuruͤckziehung davon ward ſeit dieſer Zeit Grundſatz ihrer Politik. Waͤre nur eine ſolche Zuruͤckziehung fuͤr eine Macht, die ſich unter die erſten geſtellt hatte, nicht noch gefaͤhrli - cher als die Theilnahme! Indeß ſie die Militair - Kraͤfte erſchlaffen macht (vollends hier, wo ſeit Wil - helm III. kein Statthalter und Generalcapitain war!), iſt das Sinken in der Opinion der an - dern Maͤchte davon eine unvermeidliche, wenn gleich erſt allmaͤhlige Folge.
Varrieretractat mit Oeſtreich abgeſchloſſen zu Ant - werpen, unter Vermittelung Englands, 15. Nov. 1715. Indem 1. die Republik die Niederlande dem Kapſer uͤber - giebt, erhaͤlt ſie 2. das ausſchließende Beſatzungsrecht in Na - mur, Dornie, Menin, Warneton, Ypern, und Fort Knocke, und gemeinſchaftlich in Ruremonde. — Aber was ſind Fe - ſtungen ohne Soldaten?
30. Die Oeſtreichiſche Monarchie ward durch den Beſitz von Nebenlaͤndern, von Neapel, Sar - dinien, Mayland und den Niederlanden, vergroͤ -ßert.300II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ßert. Ob dieſe Vergroͤßerung Gewinn oder Scha - den war, hieng von dem Geiſt der Adminiſtration ab. Geſchickt, dem Hauptkoͤrper der Monarchie in Verbindung mit dem Reich zur Vormauer zu die - nen; boten ſie, ſchwach beſetzt, den Feinden eben ſo viele Angriffspuncte dar; und unter einer Ver - waltung, wie die von Carl VI., mußte man bald den Beweis davon ſehen.
Geſicherter Beſitz von Siebenbuͤrgen 1711 nach Daͤmpfung der durch Franz Rakozi erregten Unruhen.
31. Das Deutſche Reich, durch Bayerns Politik in ſich ſelbſt zerriſſen, ward wieder ein Ganzes durch den Frieden, ſo weit es ein Ganzes werden konnte. Aber das Beyſpiel war gegeben, und blieb nicht ohne Folgen. Allein die Zeiten naͤ - herten ſich, wo noch ganz andere Spaltungen ent - ſtehen ſollten.
32. Zwey neue Koͤnigsthrone waren er - richtet, der eine fuͤr das Brandenburgiſche Haus in Preußen (ſ. unten), der andere fuͤr das Haus Savoyen in Sicilien, das bald nachher mit Sardinien vertauſcht werden mußte. Beyde damals Staaten vom zweyten Range; aber darin verſchieden, daß der erſte ſeine groͤßten Herrſcher noch haben ſollte, der andere ſie ſchon gehabt hatte. Dieſe Verſchiedenheit gab nachmals den Maaßſtabihrer3011. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. ihrer Einwirkung auf das Staatenſyſtem von Eu - ropa.
33. Der große Hauptpunct, um den die Po - litik des weſtlichen Europas ſich jetzt zunaͤchſt dre - hen mußte (im oͤſtlichen machte der bald entſtehende Tuͤrkenkrieg eine Ausnahme), war die Erhal - tung des ſo ſchwankenden Utrechter Friedens; und faſt ohne Ausnahme zweckten darauf entweder mittelbar oder unmittelbar alle Verhandlungen der Cabinette ab; weil faſt jedes andere große politiſche Intereſſe damit zuſammenhieng.
34. Bey der Aufrechthaltung dieſes Friedens waren diejenigen Maͤchte am meiſten intereſſirt, wel - che die groͤßten Vortheile dadurch erhalten hatten. Unter dieſen ſtand England, unter deſſen Direc - tion er geſchloſſen war, oben an. Sein aufbluͤ - bender Welthandel war in mehreren weſentlichen Stuͤcken auf die Bedingungen dieſes Friedens ge - gruͤndet, und nicht weniger die proteſtantiſche Suc - ceſſion dadurch befeſtigt. Frankreich hatte ein gleiches Intereſſe aus andern Urſachen; denn an dieſen Frieden war die Renunciation des Hauſes Anjou auf den Franzoͤſiſchen Thron, dem Philipp von Orleans die Regentſchaft verdankte, geknuͤpft. Oeſtreich mußte in dem Utrechter Frieden den ſichern Beſitz der abgetretenen Nebenlaͤnder ſuchen;und302II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. auch die Republik, wie gleichguͤltig ſie ſich auch bald bey den Italieniſchen Haͤndeln zeigte, konnte doch nur im Frieden ihre neuen Bewilligungen nut - zen. So knuͤpfte ein gleiches Intereſſe auch engere Verhaͤltniſſe zwiſchen jenen Maͤchten; ſelbſt die alte Rivalitaͤt zwiſchen Frankreich und England erſtarb, ſo lange das perſoͤnliche Intereſſe das Staatsintereſſe aufwog.
Allianz zwiſchen England und Oeſtreich 25. May 1716 und mit Frankreich 4. Jan. 1717, beyde zur Erhaltung der Ruhe.
35. Ganz andere Zwecke hatte man in Spa - nien. Der Verluſt der Nebenlaͤnder, beſonders in Italien, ward hier nicht vergeſſen. Und wenn gleich Philipp V. ſelber ſich nie deshalb beunruhigt haben wuͤrde, ſo war er dagegen in den Haͤnden von Per - ſonen, die bey der Erneuerung des Kriegs intereſ - ſirt waren. Die Koͤnigin Eliſabeth, bereits Mut - ter von zwey Soͤhnen, fieng auch ſchon an, in der Wiege auf ihre Verſorgung zu denken. Durch ſie hatte ſich ein Abbe zum Cardinal und dirigirenden Miniſter hinaufgearbeitet, ihr Landsmann Albe - roni, nicht ohne Anlagen zum großen Staats - mann, haͤtte er dieſen vom politiſchen Projectmacher zu unterſcheiden gewußt. Aber indem waͤhrend der veraͤnderten Adminiſtration im Innern auch zugleich die ganze auswaͤrtige Politik veraͤndert werden ſollte, ließ er ſich in ſo weitausſehende Entwuͤrfe ein, daßauch3031. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. auch die kuͤhnſte Hoffnung kaum ihre Ausfuͤhrung moͤglich glauben konnte.
Projecte von Alberoni in Ruͤckſicht der auswaͤrtigen Poli - tik, und ihr Zuſammenhang. Indem die Wiedereroberung der Italiaͤniſchen Nebenlaͤnder das naͤchſte Ziel war, ver - folgte er zugleich nicht nur das Project, durch den Sturz des Regenten (mißlungene Verſchwoͤrung von Cellama - re, Dec. 1718) ſeinem Koͤnig die Regentſchaft zu ſichern; ſondern auch ſelbſt in England den Praͤtendenten herzuſtel - len, wodurch er wieder in Verbindung mit Schweden ge - rieth.
36. Die Ausfuͤhrung jener, zunaͤchſt gegen Oeſtreich gerichteten Eroberungsplaͤne erhielt noch ei - nen groͤßern Reiz durch den Tuͤrkenkrieg, in wel - chen Oeſtreich um dieſe Zeit, zur Aufrechthaltung des Carlowitzer Friedens (ſ. oben S. 238.), verflochten ward; und der, wie gluͤcklich er auch lief, doch ſeine Armee großentheils an der andern Seite von Europa beſchaͤftigte.
Anfang des Kriegs der Tuͤrken mit Venedig, und leichte Wegnahme von Morea, Cerigo ꝛc., gleich ſchlecht verwaltet und vertheidigt. Jul. 1715. Nur Corfu ward behauptet. Theilnahme Oeſtreichs 1716. Gegen Eugen's Namen und Tactik vermochte die Tuͤrkiſche Tapferkeit nichts. Glaͤn -304II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. Glaͤnzender Sieg bey Peterwardein 5 Aug. Einnahme des Bannats und eines Theils von Servien und der Walla - chey. Oct. Belagerung von Belgrad Jun. 1717. Nieder - lage des Großveziers 16. Aug. und Einnahme der Feſtung, ſo wie von Orſowa, Semendria ꝛc. Bey Eroͤffnung des neuen Feldzuges 1718 Waffenſtillſtand, und 20jaͤhriger Frie - de unter Vermittelung der Seemaͤchte nach dem damaligen Beſitzſtand, zu Paſſarowitz 21. Jul., dem zu Folge 1. Oeſtreich Belgrad, den Temeswarer Bannat, einen Theil von Servien und die Wallachey bis an die Aluta, 2. Ve - nedig die eingenommenen Plaͤtze in Dalmatien behaͤlt; der Pforte aber Morea, Cerigo ꝛc. uͤberlaͤßt. Der zugleich abgeſchloſſene Handelstractat eroͤffnete Oeſtreich alle Tuͤrkiſchen Staaten. Wer haͤtte nach ſolchen Bewilligungen nicht ſchnelles Aufbluͤhen Oeſtreichs erwarten ſollen, wenn verſtaͤndige Benutzung nicht ſchwerer als Eroberung waͤre!
37. Waͤhrend dieſes Kriegs Verſuch Albero - ni's zur Ausfuͤhrung ſeiner Projecte; zuerſt durch1717 Aug. den Ueberfall und die Wegnahme Sardiniens, der auch im naͤchſten Jahre die Einnahme Sici -1718 Jul. liens folgte; waͤhrend weitere Unternehmungen ge - gen das feſte Land Italiens zu erwarten ſtanden.
38. Aber die fruͤher angeknuͤpften Verbindun - gen konnten es England nicht ſchwer machen, ein Buͤndniß gegen Spanien zur Aufrechthaltung des Utrechter Friedens zu Stande zu bringen, unter dem Namen der Quadrupelallianz bekannt, wenn es gleich zuerſt nur eine Verbindung Frank - reichs und Englands war, um die dabey intereſſir - ten Staaten zu der Annahme der verabredeten Praͤ -limina -3051. Staatshaͤndel in Europa 1700 -- 1740. liminarien zu bewegen oder zu zwingen; bey der man den Beytritt der Republik ſupponirte; und denen Oeſtreich wirklich beytrat.
Quadrupelallianz zwiſchen England, Frankreich und Oeſt - reich geſchloſſen 2. Aug. 1718. Bedingungen: 1. Wechſel - ſeitiger Verzicht des Kayſers auf Spanien und Indien, des Koͤnigs von Spanien auf Italien und die Niederlande. 2. Fuͤr Don Carlos, Sohn der Eliſabeth, Anwartſchaft auf Toſcana, Parma und Piacenza als Reichslehen; zur Sicher - heit bis zur Eroͤffnung mit neutralen Truppen zu be - ſetzen. 3. Oeſtreich tauſcht Sicilien gegen Sardinien ein. — Man ließ dem Koͤnige von Spanien und Sicilien drey Mo - nate Zeit, ſich zu erklaͤren. — Sendung einer brittiſchen Flotte nach dem Mittelmeer zur Deckung Siciliens, und Seeſieg bey C. Paſſaro 22. Aug. 1718.
39. Widerſetzung Alberoni's gegen jene Be - dingungen, (welche Savoyen, wenn gleich ungern, annahm, und die Krone von Sardinien ſtatt8. Nov 1718 der von Sicilien erhielt.) Die Folge davon, in - dem zugleich die Anſchlaͤge des Miniſters gegen den Regenten und England entdeckt wurden, war eine foͤrmliche Kriegserklaͤrung von beyden gegen9. Jan. 1719 Spanien; waͤhrend noch die Hollaͤnder die Ver - mittler machten. Aber Friede konnte nicht werden, ſo lange der verhaßte Alberoni ſtand; und Eliſa - beth war bald gewonnen, als ihrer dreyjaͤhrigen Tochter die Ausſicht zum Franzoͤſiſchen Thron er - oͤffnet ward. Sturz Alberoni's, und Annah -5. Dec. me der Bedingungen der Quadrupelallianz vonUSpa -306II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. 1720 26. Jan.Spanien. So wurde das Kriegsfeuer geloͤſcht, jedoch ſollten die vielen noch ſtreitigen Puncte dem - naͤchſt erſt auf einem großen Congreß zu Cam - brais ausgeglichen werden.
40. Indem England auf dieſe Weiſe mit ge - waffneter Hand den Frieden erhielt, wurde ſeine Verflechtung in die Continentalpolitik noch tiefer wie vorher. Von hoher Wichtigkeit mußte es alſo fuͤr Europa ſeyn, als hier ein Miniſter das Staats -1721 bis 1742 ruder erhielt, und unter zwey Koͤnigen 21 Jahre fuͤhrte, der Erhaltung des Friedens redlich wollte. Robert Walpole, ohne die unruhige Thaͤtigkeit, die man ſo oft Groͤße nennt, war einer der ach - tungswuͤrdigſten Staatsmaͤnner. Er brachte Recht - lichkeit in die Politik, zu einer Zeit, wo der ruch - loſe Dubois und der falſche Alberoni ſie entehrten. Aber ſein Grundſatz, mit Allen gut Freund zu ſeyn, verflocht ihn in ein Gewebe von Unterhand - lungen und Verhaͤltniſſen, aus denen ſich wohl nur ein Inſelſtaat, wie England, herauswickeln konnte.
41. Um eben dieſe Zeit wurde aber auch durch Oeſtreichs Anordnungen ein doppeltes Intereſſe auf - geregt, das auf die allgemeine Politik oft und ſtark einwirkte. Die Beſorgniß Carl's VI., nur Toͤchter zu hinterlaſſen, bewog ihn ſchon fruͤh, eine Succeſ - ſionsordnung zu entwerfen, unter dem Namen der pragmatiſchen Sanction, welche, wo moͤg - lich, von allen Maͤchten angenommen und garantirt werden ſollte. Sie war ein Stoff zu Unterhand - lungen und Bewilligungen, welche die auswaͤrtigen Cabinette vortrefflich zu nutzen wußten.
Entwurf der pragmatiſchen Sanction ſchon 1713, und bereits ſeit 1720 in den Erbſtaaten angenommen. Seitdem faſt ein ſtehender Artikel in jeder auswaͤrtigen Negociation.
42. Aber faſt noch groͤßere Bewegungen ver - urſachte Carl's VI. Entwurf, ſeine Niederlande von Oſtende aus an dem Indiſchen Handel An - theil nehmen zu laſſen. Seine dort errichtete Han - delscompagnie ward von den Seemaͤchten als ein Eingriff in ihre Rechte betrachtet, der dem Weſtphaͤliſchen Frieden entgegen ſeyn ſollte. Eben ſie, die vormals die Freyheit des Oceans gegen Spanien behauptet hatten, wollten jetzt Andere da - von ausſchließen, wie einſt die Spanier ſie ausge - ſchloſſen hatten!
Privilegien fuͤr die Oſtendiſche Compagnie fuͤr den Handel nach Oſt - und Weſtindien 19. Dec. 1722. — Der Wider -U 2ſpruch308II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. ſpruch der Hollaͤnder gruͤndete ſich auf die Bedingung des Muͤnſterſchen Friedens mit Spanien, daß der Handel nach Indien in ſeinen damaligen Grenzen bleiben ſollte. Ver - pflichtete dieß den jetzigen Beſitzer der Niederlande? — Und vollends die Gruͤnde der Englaͤnder!
43. Dieſe, und manche andre wichtige und unwichtige Puncte waren es, die auf dem Con - greß zu Cambrais unter der Vermittelung Frankreichs und Englands abgemacht werden ſollten. Oeſtreich, Spanien, Sardinien, Parma uͤberga - ben ihre Forderungen. Aber indem man Alles ausmachen wollte, wurde nichts ausgemacht. Die vielen kleinen Intereſſen regten auch die kleinen Leidenſchaften auf; und als der Congreß nach lan - gen Unterhandlungen, durch andere Zwiſchenvor -