PRIMS Full-text transcription (HTML)
Critik der Urtheilskraft
[figure]
Berlin und Libau,bey Lagarde und Friederich1790.

Vorrede.

Man kann das Vermoͤgen der Erkenntnis aus Principien a priori die reine Vernunft und die Unterſuchung der Moͤglichkeit und Grenzen der - ſelben uͤberhaupt die Critik der reinen[Vernunft] nennen, ob man gleich unter dieſem Vermoͤgen nur die Vernunft in ihrem theoretiſchen Gebrauche ver - ſteht, wie es auch in dem erſten Werke unter jener Benennung geſchehen iſt, ohne noch ihr Vermoͤgen, als practiſche Vernunft nach ihren beſonderen Prin - cipien in Unterſuchung ziehen zu wollen. Jene geht alsdenn blos auf unſer Vermoͤgen Dinge a priori zu erkennen und beſchaͤftigt ſich alſo nur mit dem Erkenntnisvermoͤgen, mit Ausſchließung des Gefuͤhls der Luſt und Unluſt und des Begeh - rungsvermoͤgens, und unter den Erkenntnisvermoͤ - gen mit dem Verſtande, nach ſeinen Principien a priori mit Ausſchließung der Urtheilskrafta 2IVVorrede.und der Vernunft (als zum theoretiſchen Er - kenntnis gleichfals gehoͤriger Vermoͤgen), weil es ſich in dem Fortgange findet, daß kein anderes Er - kenntnisvermoͤgen, als der Verſtand, conſtitutive Erkenntnisprincipien a priori an die Hand geben kann: ſo, daß die Critik, welche ſie insgeſamt, nach dem Antheile, den jedes der anderen an dem baaren Beſitz der Erkenntnis aus eigener Wurzel zu haben vorgeben moͤchte, ſichtet, nichts uͤbrig laͤßt, als was der Verſtanda priori als Geſetz fuͤr die Natur, als Jnbegrif von Erſchemungen (deren Form eben ſo wohl a priori gegeben iſt) vorſchreibt, alle andere reine Begriffe aber unter die Jdeen ver - weiſet, die fuͤr unſer theoretiſches Erkenntnisver - moͤgen uͤberſchwenglich dabey aber doch nicht etwa unnuͤtz, oder entbehrlich ſind, ſondern, als regula - tive Principien, theils die beſorgliche Anmaßungen des Verſtandes, als ob er (indem er a priori die Bedingungen der Moͤglichkeit aller Dinge, die er erkennen kann anzugeben vermag) dadurch auch die Moͤglichkeit aller Dinge uͤberhaupt in dieſen Gren - zen beſchloſſen habe, zuruͤck zu halten, theils um ihn ſelbſt in der Betrachtung der Natur nach einem Princip der Vollſtaͤndigkeit, wiewohl er ſie nie er -VVorrede.reichen kann, zu leiten und dadurch die Endabſicht alles Erkenntniſſes zu befoͤrdern.

Es war alſo eigentlich der Verſtand der ſein eigenes Gebiet und zwar im Erkenntnisvermoͤ - gen hat, ſo fern er conſtitutive Erkenntnisprinci - pien a priori enthaͤlt, welcher durch die im allge - memen ſo benannte Critik der reinen Vernunft gegen alle uͤbrige Competenten in ſicheren aber einigen Be - ſitz geſetzt werden ſollte. Eben ſo iſt der Vernunft die nirgend als lediglich in Anſehung des Begeh - rungsvermoͤgens conſtitutive Principien a priori enthaͤlt, in der Critik der practiſchen Vernunft ihr Beſitz angewieſen worden.

Ob nun die Urtheilskraft, die in der Ordnung unſerer Erkenntnisvermoͤgen zwiſchen dem Ver - ſtande und der Vernunft ein Mittelglied ausmacht, auch fuͤr ſich Principien a priori habe, ob dieſe con - ſtitutiv oder blos regulativ ſind (und alſo kein eige - nes Gebiet beweiſen) und ob ſie dem Gefuͤhle der Luſt und Unluſt, als dem Mittelgliede zwiſchen dem Erkenntnisvermoͤgen und Begehrungsvermoͤgen, (eben ſo, wie der Verſtand dem erſteren, die Ver - nunft aber dem letzteren a priori Geſetze vor - ſchreibt) a priori die Regel gebe: das iſt es, wo -a 3VIVorrede.mit ſich gegenwaͤrtige Critik der Urtheilskraft beſchaͤftigt.

Eine Critik der reinen Vernunft, d. i. unſeres Vermoͤgens nach Principien a priori zu urtheilen, wuͤrde unvollſtaͤndig ſeyn, wenn die der Urtheils - kraft, welche fuͤr ſich als Erkenntnisvermoͤgen dar - auf auch Anſpruch macht, nicht als ein beſonderer Theil derſelben abgehandelt wuͤrde; obgleich ihre Principien in einem Syſtem der reinen Philoſophie keinen beſonderen Theil zwiſchen der theoretiſchen und practiſchen ausmachen duͤrfen, ſondern im Nothfalle jedem von beyden gelegentlich angeſchloſſen werden koͤnnen. Denn, wenn ein ſolches Syſtem unter dem allgemeinen Nahmen der Metaphyſik einmal zu Stande kommen ſoll (welches ganz voll - ſtaͤndig zu bewerkſtelligen moͤglich und fuͤr den Ge - brauch der Vernunft in aller Beziehung hoͤchſt wichtig iſt) ſo muß die Critik den Boden zu dieſem Gebaͤude vorher ſo tief, als die erſte Grundlage des Vermoͤgens von der Erfahrung unabhaͤngiger Principien liegt, erforſcht haben, damit es nicht an irgend einem Theile ſinke, welches den Einſturz des Ganzen unvermeidlich nach ſich ziehen wuͤrde.

VIIVorrede.

Man kann aber aus der Natur der Urtheils - kraft, (deren richtiger Gebrauch ſo nothwendig und allgemein erforderlich iſt, daß daher unter dem Nah - men des geſunden Verſtandes kein anderes, als eben dieſes Vermoͤgen gemeynet wird) leicht ab - nehmen, daß es mit großen Schwierigkeiten beglei - tet ſeyn muͤſſe, ein eigenthuͤmliches Princip derſel - ben auszufinden (denn irgend eins muß es a priori in ſich enthalten, weil es ſonſt nicht, als ein beſon - deres Erkenntnisvermoͤgen, ſelbſt der gemeinſten Critik ausgeſetzt ſeyn wuͤrde), welches gleichwohl nicht aus Begriffen a priori abgeleitet ſeyn muß; denn die gehoͤren dem Verſtande an, und die Ur - theilskraft geht nur auf die Anwendung derſelben. Sie ſoll alſo ſelbſt einen Begrif angeben, durch den eigentlich kein Ding erkannt wird, ſondern der nur ihr ſelbſt zur Regel dient, aber nicht zu einer obje - ctiven, der ſie ihr Urtheil anpaſſen kann, weil dazu wiederum eine andere Urtheilskraft erforderlich ſeyn wuͤrde, um unterſcheiden zu koͤnnen, ob es der Fall der Regel ſey oder nicht.

Dieſe Verlegenheit wegen eines Princips (es ſey nun ein ſubjectives oder objectives) findet ſich hauptſaͤchlich in denjenigen Beurtheilungen, die mana 4VIIIVorrede.aͤſthetiſch nennt, die das Schoͤne und Erhabne, der Natur oder der Kunſt, betreffen. Und gleichwohl iſt die critiſche Unterſuchung eines Princips der Ur - theilskraft in denſelben das wichtigſte Stuͤck einer Critik dieſes Vermoͤgens. Denn ob ſie gleich fuͤr ſich allein zum Erkenntnis der Dinge gar nichts bey - tragen, ſo gehoͤren ſie doch dem Erkenntnisvermoͤ - gen allein an, und beweiſen eine unmittelbare Be - ziehung dieſes Vermoͤgens auf das Gefuͤhl der Luſt oder Unluſt nach irgend einem Princip a priori, ohne es mit dem, was Beſtimmungsgrund des Be - gehrungsvermoͤgens ſeyn kann, zu vermengen, weil dieſes ſeine Principien a priori in Begriffen der Vernunft hat. Was aber die logiſche Beur - theilung der Natur anbelangt, da, wo die Erfahrung eine Geſetzmaͤßigkeit an Dingen aufſtellt, welche zu verſtehen oder zu erklaͤren der allgemeine Verſtan - desbegrif vom Sinnlichen nicht mehr zulangt und die Urtheilskraft aus ſich ſelbſt ein Princip der Be - ziehung des Naturdinges auf das unerkennbare Ueberſinnliche nehmen kann, es auch nur in Abſicht auf ſich ſelbſt zum Erkenntnis der Natur brauchen muß, da kann und muß ein ſolches Princip a priori zwar zum Erkenntnis der Weltweſen angewandtVIVVorrede.werden und eroͤfnet zugleich Ausſichten, die fuͤr die practiſche Vernunft vortheilhaft ſind, aber es hat keine unmittelbare Beziehung aufs Gefuͤhl der Luſt und Unluſt, die gerade das Raͤthſelhafte in dem Princip der Urtheilskraft iſt, welches eine beſondere Abtheilung in der Critik fuͤr dieſes Vermoͤgen noth - wendig macht, da die logiſche Beurtheilung nach Be - griffen (aus welchen niemals eine unmittelbare Fol - gerung aufs Gefuͤhl der Luſt und Unluſt gezogen werden kann) allenfalls dem theoretiſchen Theile der Philoſophie, ſammt einer critiſchen Einſchraͤnkung derſelben, haͤtte angehaͤngt werden koͤnnen.

Da die Unterſuchung des Geſchmackvermoͤ - gens, als aͤſthetiſcher Urtheilskraft hier nicht zur Bil - dung und Cultur des Geſchmacks, (denn dieſe wird auch ohne alle ſolche Nachforſchungen, wie bisher, ſo fernerhin, ihren Gang nehmen) ſondern blos in trans - ſcendentaler Abſicht angeſtellt wird, ſo wird ſie, wie ich mir ſchmeichle, in Anſehung der Mangelhaftigkeit jenes Zwecks auch mit Nachſicht beurtheilt werden. Was aber die letztere Abſicht betrift, ſo muß ſie ſich auf die ſtrengſte Pruͤfung gefaßt machen. Aber auch da kann die große Schwierigkeit, ein Problem, welches die Natur ſo verwickelt hat, aufzuloͤſen, einiger nichta 5XVorrede.ganz zu vermeidenden Dunkelheit in der Aufloͤſung deſſelben, wie ich hoffe, zur Entſchuldigung dienen, wenn nur, daß das Princip richtig angegeben worden, klar gnug dargethan iſt, geſetzt, die Art das Phaͤnomen der Urtheilskraft davon abzulei[t]en, habe nicht alle Deutlichkeit, die mananderwaͤrts, naͤmlich von einem Erkenntnis nach Begriffen mit Recht fordern kann, die ich auch im zweyten Theile dieſes Werks erreicht zu haben glaube.

Hiemit endige ich alſo mein ganzes critiſches Ge - ſchaͤft. Jch werde ungeſaͤumt zum Doctrinalen ſchrei - ten, um, wo moͤglich, meinem zunehmenden Alter die dazu noch einigermaßen guͤnſtige Zeit noch abzuge - winnen. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß fuͤr die Ur - theilskraft darinn kein beſonderer Theil ſey, weil in Anſehung derſelben die Critik ſtatt der Theorie dient, ſondern daß, nach der Eintheilung der Philoſophie in die theoretiſche und practiſche und der reinen in eben ſolche Theile, die Metaphyſik der Natur und die der Sitten jenes Geſchaͤft aus machen werden.

[XI]

Einleitung.

I. Von der Eintheilung der Philoſophie.

Wenn man die Philoſophie, ſo fern ſie Principien der Vernunfterkenntnis der Dinge (nicht blos, wie die Logik thut, die der Form des Denkens uͤberhaupt, ohne Unter - ſchied der Objecte) durch Begriffe enthaͤlt, wie gewoͤhn - lich, in die theoretiſche und practiſche eintheilt: ſo verfaͤhrt man ganz recht. Aber alsdenn muͤſſen auch die Begriffe, welche den Principien dieſer Vernunfterkennt - nis ihr Object anweiſen, ſpecifiſch verſchieden ſeyn, weil ſie ſonſt zu keiner Eintheilung berechtigen wuͤrden, welche jederzeit eine Entgegenſetzung der Principien, der zu den verſchiedenen Theilen einer Wiſſenſchaft gehoͤrigen Ver - nunfterkenntnis, vorausſetzt.

Es ſind aber nur zweyerley Begriffe, welche eben ſo viel verſchiedene Principien der Moͤglichkeit ihrer Ge - genſtaͤnde zulaſſen, naͤmlich die Naturbegriffe und der Freyheitsbegrif. Da nun die erſtere ein theoreti -XIIEinleitung.ſches Erkenntnis nach Priucipien a priori moͤglich ma - chen, der zweyte aber in Anſehung derſelben nur ein negatives Princip (der bloßen Entgegenſetzung) ſchon in ſeinem Begriffe bey ſich fuͤhrt, dagegen fuͤr die Willens - beſtimmung erweiternde Grundſaͤtze, welche darum pra - ctiſch heiſſen, errichtet: ſo wird die Philoſophie in zwey, den Principien nach ganz verſchiedene Theile, in die theoretiſche als Naturphiloſophie und die practiſche als Moralphiloſophie (denn ſo wird die practiſche Geſetzgebung der Vernunft nach dem Freyheitsbegriffe genannt) mit Recht eingetheilt. Es hat aber bisher ein großer Misbrauch mit dieſen Ausdruͤcken zur Einthei - lung der verſchiedenen Principien, und mit ihnen auch der Philoſophie, geherrſcht: indem man das Practiſche nach Naturbegriffen mit dem Practiſchen nach dem Frey - heitsbegriffe fuͤr einerley nahm, und ſo, unter denſelben Benennungen einer theoretiſchen und practiſchen Philo - ſophie, eine Eintheilung machte, durch welche (da beyde Theile einerley Principien haben konnten) in der That, nichts eingetheilt war.

Der Wille, als Begehrungsvermoͤgen, iſt naͤmlich eine von den mancherley Natururſachen in der Welt, naͤmlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt, und alles, was als durch einen Willen moͤglich (oder noth - wendig) vorgeſtellt wird, heißt practiſch-moͤglich (oder nothwendig) zum Unterſchiede von der phyſiſchen Moͤg - lichkeit oder Nothwendigkeit einer Wirkung, wozu dieXIIIEinleitung.Urſache nicht durch Begriffe (ſondern, wie bey der leblo - ſen Materie, durch Mechanism und, bey Thieren, durch Jnſtinkt) zur Cauſſalitaͤt beſtimmt wird. Hier wird nun in Anſehung des Practiſchen unbeſtimmt gelaſſen: ob der Begrif, der der Cauſſalitaͤt des Willens die Regel giebt, ein Naturbegrif, oder ein Freyheitsbegrif ſey.

Der letztere Unterſchied aber iſt weſentlich: denn iſt der die Cauſſalitaͤt beſtimmende Begrif ein Naturbegrif, ſo ſind die Principien techniſch-practiſch iſt er aber ein Freyheitsbegrif, ſo ſind dieſe moraliſch-practiſch und weil es in der Eintheilung einer Vernunftwiſſen - ſchaft gaͤnzlich auf diejenige Verſchiedenheit der Gegen - ſtaͤnde ankommt, deren Erkenntuis verſchiedener Princi - pien bedarf, ſo werden die erſtere zur theoretiſchen Philo - ſophie (als Naturlehre) gehoͤren, die zweyten aber ganz allein den zweyten Theil, naͤmlich (als Sittenlehre) die practiſche Philoſophie ausmachen.

Alle techniſch-practiſche Regeln (d. i. die der Kunſt und Geſchicklichkeit uͤberhaupt, oder auch der Klugheit, als einer Geſchicklichkeit auf Menſchen und ihren Willen Einfluß zu haben), ſo fern ihre Principien auf Begriffen beruhen, muͤſſen nur als Corollarien zur theoretiſchen Philoſophie gezaͤhlt werden. Denn ſie betreffen nur die Moͤglichkeit der Dinge nach Naturbegriffen, wozu nicht allein die Mittel, die in der Natur dazu anzutreffen ſind, ſondern ſelbſt der Wille (als Begehrungs-mithin als Naturvermoͤgen) gehoͤrt, ſo fern er durch Triebfe -XIVEinleitung.dern der Natur jenen Regeln gemaͤs beſtimmt werden kann. Doch heißen dergleichen practiſche Regeln nicht Geſetze (etwa ſo wie phyſiſche) ſondern nur Vorſchriften, und zwar darum, weil der Wille nicht blos unter dem Naturbegriffe, ſondern auch unter dem Freyheitsbegriffe ſieht, in Beziehung auf welchen die Principien deſſelben Geſetze heiſſen und, mit ihren Folgerungen, den zweyten Theil der Philoſophie, naͤmlich den practiſchen allein ausmachen.

So wenig alſo die Aufloͤſung der Probleme der rei - nen Geometrie zu einem beſonderen Theile derſelben ge - hoͤrt, oder die Feldmeßkunſt den Nahmen einer practi - ſchen Geometrie, zum Unterſchiede von der reinen, als ein zweyter Theil der Geometrie uͤberhaupt verdient: ſo und noch weniger, darf die mechaniſche oder chemiſche Kunſt der Experimente oder der Beobachtungen, fuͤr einen practiſchen Theil der Naturlehre, endlich die Haus - Land-Staatswirthſchaft, die Kunſt des Umganges, die Vorſchrift der Diaͤtetik, ſelbſt nicht die allgemeine Gluͤck - ſeeligkeitslehre, ſogar nicht einmal die Bezaͤhmung der Neigungen und Baͤndigung der Affecten zum Behuf der letzteren zur practiſchen Philoſophie gezaͤhlt werden, oder die letzteren wohl gar den zweyten Theil der Philoſophie uͤberhaupt ausmachen; weil ſie insgeſammt nur Regeln der Geſchicklichkeit, die mithin nur techniſch-practiſch ſind, enthalten, um eine Wirkung hervorzubringen, die, nach Naturbegriffen der Urſachen und Wirkungen moͤg -XVEinleitung.lich iſt, welche, da ſie zur theoretiſchen Philoſophie ge - hoͤren, jenen Vorſchriften als bloßen Corollarien aus derſelben (der Naturwiſſenſchaft), keine Stelle in einer beſonderen Philoſophie, die practiſche genannt, ver - langen koͤnnen. Dagegen machen die moraliſch-prac - tiſche Vorſchriften, die ſich gaͤnzlich auf dem Freyheits - begriffe, mit voͤlliger Ausſchließung der Beſtimmungs - gruͤnde des Willens aus der Natur, gruͤnden, eine ganz beſondere Art von Vorſchriften aus, welche auch, gleich denen Regeln, denen die Natur gehorcht, ſchlechthin Geſetze heiſſen, aber nicht, wie dieſe, auf ſiulichen Bedingungen, ſondern auf einem uͤberſinn - lichen Princip beruhen und, neben dem theoretiſchen Theile der Philoſophie, fuͤr ſich ganz allein, einen an - deren Theil, unter dem Nahmen der practiſchen Phi - loſophie, fordern.

Man ſiehet hieraus daß ein Jnbegrif practiſcher Vorſchriften, welche die Philoſophie giebt, nicht einen beſonderen, dem theoretiſchen zur Seite geſetzten, Theil derſelben darum ausmache, weil ſie practiſch ſind; denn das koͤnnten ſie ſeyn wenn ihre Principien gleich gaͤnzlich aus der theoretiſchen Erkenntnis der Natur hergenommen waͤren, (als techniſch-practiſche Regeln), ſondern weil und wenn ihr Princip gar nicht vom Naturbegriffe, der jederzeit ſinnlich bedingt iſt, entlehnt iſt, mithin auf dem Ueberſinnlichen, welches der Freyheitsbegrif allein durch formale Geſetze kenn -XVIEinleitung.bar macht, beruht, und ſie alſo moraliſch-practiſch, d. i. nicht blos Vorſchriften und Regeln in dieſer oder jenen Abſicht, ſondern, ohne vorgehende Bezugneh - mung auf Zwecke und Abſichten, Geſetze ſind.

II. Vom Gebiete der Philoſophie uͤberhaupt.

So weit Begriffe a priori ihre Anwendung haben, ſo weit reicht der Gebrauch unſeres Erkenntnisvermoͤ - gens nach Principien, und mit ihm die Philoſophie.

Der Jnbegrif aller Gegenſtaͤnde aber, worauf jene Begriffe bezogen werden, um, wo moͤglich, ein Erkennt - nis derſelben zu Stande zu bringen, kann, nach der ver - ſchiedenen Zulaͤnglichkeit oder Unzulaͤnglichkeit unſerer Vermoͤgen zu dieſer Abſicht, eingetheilt werden.

Begriffe, ſo fern ſie auf Gegenſtaͤnde bezogen wer - den, unangeſehen, ob ein Erkenntnis derſelben moͤglich ſey oder nicht, haben ihr Feld, welches blos nach dem Verhaͤltniſſe, das ihr Object zu unſerem Erkenntnisver - moͤgen uͤberhaupt hat, beſtimmt wird. Der Theil dieſes Feldes, worinn fuͤr uns Erkenntnis moͤglich iſt, iſt ein Boden (territorium) fuͤr dieſe Begriffe und das dazu erforderliche Erkenntnisvermoͤgen. Der Theil des Bodens, worauf dieſe geſetzgebend ſind, iſt das Gebiet (ditio) dieſer Begriffe, und der ihnen zuſtehenden Erkenntnisvermoͤgen. Erfahrungsbegriffe haben alſo zwar ihren Boden in der Natur als dem Jnbegriffe allerGegen -XVIIEinleitung.Gegenſtaͤnde der Sinne, aber kein Gebiet (ſondern nur ihren Aufenthalt, domicilium); weil ſie zwar geſetzlich erzeugt werden, aber nicht geſetzgebend ſind, ſondern die auf ſie gegruͤndete Regeln empiriſch, mithin zufaͤllig ſind.

Unſer geſamtes Erkenntnisvermoͤgen hat zwey Ge - biete, das der Naturbegriffe und das des Freyheitsbegrifs; denn durch beyde iſt es a priori geſetzgebend. Die Phi - loſophie theilt ſich nun auch, dieſem gemaͤs, in die theo - retiſche und practiſche. Aber der Boden, auf dem ihr Gebiet errichtet wird, und auf welchem ihre Geſetzgebung ausgeuͤbt wird, iſt immer doch nur der Jnbegrif der Gegenſtaͤnde aller moͤglichen Erfahrung, ſo fern ſie fuͤr nichts mehr als bloße Erſcheinungen genom - men werden; denn ohne das wuͤrde keine Geſetzgebung des Verſtandes in Anſehung derſelben gedacht werden koͤnnen.

Die Geſetzgebung durch Naturbegriffe geſchieht durch den Verſtand und iſt theoretiſch. Die Geſetzgebung durch den Freyheitsbegrif geſchieht von der Vernunft, und iſt blos practiſch. Nur allein im practiſchen kann die Ver - nunft geſetzgebend ſeyn; in Anſehung des theoretiſchen Erkenntniſſes (der Natur) kan ſie nur (als geſetzkundig, vermittelſt des Verſtandes) aus gegebenen Geſetzen durch Schluͤſſe Folgerungen ziehen, die doch immer nur bey der Natur ſtehen bleiben. Umgekehrt aber wo RegelnKants Crit. d. Urtheilskr bXVIIIEinleitung. practiſch ſind, iſt die Vernunft nicht darum ſo fort geſetz - gebend, weil ſie auch techniſch-practiſch ſeyn koͤnnen.

Verſtand und Vernunft haben alſo zwey verſchiede - ne Geſetzgebungen auf einem und demſelben Boden der Er - fahrung, ohne daß eine der anderen Eintrag thun darſ. Denn ſo wenig der Naturbegrif auf die Geſetzgebung durch den Freyheitsbegrif Einflus hat, eben ſo wenig ſtoͤhrt dieſer die Geſetzgebung der Natur. Die Moͤg - lichkeit, das Zuſammenbeſtehen beyder Geſetzgebungen und der dazu gehoͤrigen Vermoͤgen in demſelben Sub - ject ſich wenigſtens ohne Widerſpruch zu denken, bewies die Critik d. r. V, indem ſie die Einwuͤrfe dawider durch Aufdeckung des dialectiſchen Scheins in denſelben ver - nichtete.

Aber, daß dieſe zwey verſchiedene Gebiete, die ſich zwar nicht in ihrer Geſetzgebung, aber doch in ihren Wir - kungen in der Sinnenwelt unaufhoͤrlich einſchraͤnkten, nicht Eines ausmachen, kommt daher: daß der Na - turbegrif zwar ſeine Gegenſtaͤnde in der Anſchauung, aber nicht als Dinge an ſich ſelbſt, ſondern als bloße Erſcheinungen, der Freyheitsbegrif dagegen in ſeinem Objecte zwar ein Ding an ſich ſelbſt, aber nicht in der Anſchaung vorſtellig machen, mithin keiner von beyden ein theoretiſches Erkenntnis von ſeinem Objecte (und ſelbſt dem denkenden Subjecte) als Dinge an ſich verſchaffen kan, welches das Ueberſinnliche ſeyn wuͤrde, wovon man die Jdee zwar der Moͤglichkeit aller jener Gegenſtaͤnde derXIXEinleitung. Erfahrung unterlegen muß, ſie ſelbſt aber niemals zu einem Erkenntniſſe erheben und erweitern kann.

Es giebt alſo ein unbegraͤnztes, aber auch unzu - gaͤngliches Feld fuͤr unſer geſammtes Erkenntnisvermoͤ - gen, naͤmlich das Feld des Ueberſinnlichen, worinn wir keinen Boden fuͤr uns finden, alſo auf demſelben weder fuͤr die Verſtandes - noch Vernunftbegriffe ein Gebiet zum theoretiſchen Erkenntnis haben koͤnnen; ein Feld, wel - ches wir zwar zum Behuf des theoretiſchen ſowohl als practiſchen Gebrauchs der Vernunft mit Jdeen beſetzen muͤſſen, denen wir in Beziehung auf die Geſetze aus dem Freyheitsbegriffe, keine andere als practiſche Realitaͤt verſchaffen koͤnnen, wodurch demnach unſer theoretiſches Erkenntnis nicht im Mindeſten zu dem Ueberſinnlichen er - weitert wird.

Ob nun zwar eine unuͤberſehbare Kluft zwiſchen dem Gebiete des Naturbegrifs, alſo dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freyheitsbegrifs, als dem Ueberſinnli - chen, befeſtigt iſt, ſo daß von dem erſteren zum anderen (alſo vermittelſt des theoretiſchen Gebrauchs der Ver - nunft) kein Uebergang moͤglich iſt, gleich als ob es ſo viel verſchiedene Welten waͤren, davon die erſte auf die zweyte keinen Einflus haben kann: ſo ſoll doch dieſe auf jene einen Einfluß haben, naͤmlich der Freyheitsbegrif den durch ſeine Geſetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen, und die Natur muß folglich auch ſo ge - dacht werden koͤnnen, daß die Geſetzmaͤßigkeit ihrer Formb 2XXEinleitung. wenigſtens zur Moͤglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freyheitsgeſetzen znſammenſtimme. Alſo muß es doch einen Grund der Einheit des Ueberſinnli - chen, was der Natur zum Grunde liegt, mit dem was der Freyheitsbegrif practiſch enthaͤlt, geben, davon der Begrif, wenn er gleich weder theoretiſch noch practiſch zu einem Erkenntniſſe deſſelben gelangt, mithin kein eigeu - thuͤmliches Gebiet hat, dennoch den Uebergang von der Denkungsart nach den Principien der einen, zu der nach Principien der anderen, moͤglich macht.

III. Von der Critik der Urtheilskraft, als einem Verbindungsmittel der zwey Theile der Philoſophie zu einem Ganzen.

Die Critik der Erkenntnisvermoͤgen in Anſehung deſſen, was ſie a priori leiſten koͤnnen, hat eigentlich kein Gebiet in Anſehung der Objecte; weil ſie keine Doctrin iſt, ſondern nur, ob und wie, nach der Bewandnis die es mit unſeren Vermoͤgen hat, eine Doctrin durch ſie moͤg - lich ſey, zu unterſuchen hat. Jhr Feld erſtreckt ſich auf alle Anmaßungen derſelben, um ſie in die Graͤnzen ih - rer Rechtmaͤßigkeit zu ſetzen. Was aber nicht in die Ein - theilung der Philoſophie kommen kann, das kann doch, als ein Haupttheil, in die Critik des reinen Erkenntnisver - moͤgens uͤberhaupt kommen, wenn es naͤmlich PrincipienXXIEinleitung. enthaͤlt, die fuͤr ſich weder zum theoretiſchen noch practi - ſchen Gebrauche tauglich ſind.

Die Naturbegriffe, welche den Grund zu allem theo - retiſchen Erkenntnis a priori enthalten, beruheten auf der Geſetzgebung des Verſtandes. Der Freyheitsbegrif, der den Grund zu allen ſinnlich-unbedingten practiſchen Vorſchriften a priori enthielt, beruhete auf der Geſetzge - bung der Vernunft. Beyde Vermoͤgen alſo haben, außer dem, daß ſie der logiſchen Form nach auf Principien, welchen Urſprungs ſie auch ſeyn moͤgen, angewandt wer - den koͤnnen, uͤberdem noch jedes ſeine eigene Geſetzge - bung dem Jnhalte nach, uͤber die es keine andere (a priori) giebt, und die daher die Eintheilung der Philoſophie in die theoretiſche und practiſche rechtfertigt.

Allein in der Familie der oberen Erkenntnisvermoͤ - gen giebt es doch noch ein Mittelglied zwiſchen dem Ver - ſtande und der Vernunft: dieſes iſt die Urtheilskraft, von welcher man Urſache hat, nach der Analogie zu ver - muthen, daß ſie eben ſowohl, wenn gleich nicht eine ei - gene Geſetzgebung, doch ein ihr eigenes Princip nach Ge - ſetzen zn ſuchen, allenfalls ein blos ſubjectives a priori, in ſich enthalten duͤrfte, welches, wenn ihm gleich kein Feld der Gegenſtaͤnde als ſein Gebiet zuſtaͤnde, doch ir - gend einen Boden haben kann, und eine gewiſſe Be - ſchaffenheit deſſelben wofuͤr gerade nur dieſes Princip gel - tend ſeyn moͤchte.

b 3XXIIEinleitung.

Hierzu kommt aber noch (nach der Analogie zu ur - theilen) ein neuer Grund, die Urtheilskraft mit einer anderen Ordnung unſerer Vorſtellungskraͤfte in Ver - knuͤpfung zu bringen, welche von noch groͤßerer Wichtig - keit zu ſeyn ſcheint, als die der Verwandſchaft mit der Familie der Erkenntnisvermoͤgen. Denn alle Seelen - vermoͤgen, oder Faͤhigkeiten, koͤnnen auf die drey zu - ruͤck gefuͤhrt werden, welche ſich nicht ferner aus einem gemeinſchaftlichem Grunde ableiten laſſen: das Er - kenntnisvermoͤgen, das Gefuͤhl der Luſt und Unluſt und das Begehrungsvermoͤgen. Fuͤr das Erkenntnisvermoͤgen iſt allein der Verſtand geſetzge - bend, wenn jenes (wie es auch geſchehen muß, wenn es fuͤr ſich, ohne Vermiſchung mit dem Begehrungsvermoͤ - gen, betrachtet wird) als Vermoͤgen eines theoretiſchen Erkenntniſſes auf die Natur bezogen wird, in Anſe - hung deren allein (als Erſcheinung) es uns moͤglich iſt, durch Naturbegriffe a priori, welche eigentlich reine Ver - ſtandesbegriffe ſind, Geſetze zu geben. Fuͤr das Be - gehrungsvermoͤgen, als ein oberes Vermoͤgen nach dem Freyheitsbegriffe iſt allein die Vernunft (in der allein die - ſer Begrif ſtatt hat) a priori geſetzgebend. Nun iſt zwiſchen dem Erkenntnis - und Begehrungsvermoͤgen das Gefuͤhl der Luſt, ſo wie zwiſchen dem Verſtande und der Vernunft die Urtheilskraft, enthalten. Es iſt alſo we - nigſtens vorlaͤufig zu vermuthen, daß die Urtheilskraft eben ſo wohl fuͤr ſich ein Princip a priori enthalte und,XXIIIEinleitung. da mit dem Begehrungsvermoͤgen nothwendig Luſt oder Unluſt verbunden iſt (es ſey daß ſie wie beym unteren, vor dem Princip deſſelben vorhergehe oder wie beym obe - ren, nur aus der Beſtimmung deſſelben durchs morali - ſche Geſetz folge), eben ſo wohl einen Uebergang von reinen Erkenntnisvermoͤgen, d. i. vom Gebiete der Na - turbegriffe zum Gebiete des Freyheitsbegrifs bewirken werde, als ſie im logiſchen Gebrauche den Uebergang vom Verſtande zur Vernunft moͤglich macht.

Wenn alſo gleich die Philoſophie nur in zwey Haupt - theile, die theoretiſche und practiſche eingetheilt werden kann, wenn gleich alles, was wir von den eignen Prin - cipien der Urtheilskraft zu ſagen haben moͤchten, in ihr zum theoretiſchen Theile, d. i. dem Vernunfterkenntnis nach Naturbegriffen, gezaͤhlt werden muͤßte: ſo beſteht doch die Critik der reinen Vernunft, die alles dieſes vor der Unternehmung jenes Syſtems, zum Behuf der Moͤg - lichkeit deſſelben, ausmachen muß, aus drey Theilen: der Critik des reinen Verſtandes, der reinen Urtheilskraft und der reinen Vernunft, welche Vermoͤgen darum rein genannt werden, weil ſie a priori geſetzgebend ſind.

IV. Von der Urtheilskraft, als einem a priori geſetzgebenden Vermoͤgen.

Urtheilskraft uͤberhaupt iſt das Vermoͤgen das Be - ſondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken. b 4XXIIII[XXIV]Einleitung. Jſt das Allgemeine (die Regel, das Princip, das Ge - ſetz) gegeben, ſo iſt die Urtheilskraft, welche das Be - ſondere darunter ſubſumirt (auch, wenn ſie als trans - ſcendentale Urtheilskraft, a priori die Bedingnngen an - giebt, denen gemaͤs allein unter jenem Allgemeinen ſub - ſumirt werden kann) beſtimmend. Jſt aber nur das beſondere gegeben, wozu ſie das Allgemeine finden ſoll, ſo iſt die Urtheilskraft blos reflectirend.

Die beſtimmende Urtheilskraft unter allgemeinen transſcendentalen Geſetzen, die der Verſtand giebt, iſt nur ſubſummirend; das Geſetz iſt ihr a priori vorgezeich - net, und ſie hat alſo nicht noͤthig fuͤr ſich ſelbſt auf ein Geſetz zu denken, um das beſondere in der Natur dem Allgemeinen unterordnen zu koͤnnen. Allein es ſind ſo mannigfaltige Formen der Natur, gleichſam ſo viele Modificationen der allgemeinen transſcendentalen Natur - begriffe, die durch jene Geſetze, welche der reine Ver - ſtand a priori giebt, weil dieſelbe nur auf die Moͤglich - keit einer Natur (als Gegenſtandes der Sinne) uͤberhaupt gehen, unbeſtimmt gelaſſen werden, daß dafuͤr doch auch Geſetze ſeyn muͤſſen, die zwar, als empiriſche, nach unſerer Verſtandeseinſicht zufaͤllig ſeyn moͤgen, die aber doch, wenn ſie Geſetze heißen ſollen, (wie es auch der Begrif einer Natur erfordert) aus einem, wenn gleich uns unbekannten Princip der Einheit des mannigfalti - gen, als nothwendig angeſehen werden muͤſſen. Die reflectirende Urtheilskraft, die von dem Beſondern in derXXVEinleitung. Natur zum Allgemeinen aufzuſteigen die Obliegenheit hat, bedarf alſo eines Princips, welches ſie nicht von der Erfahrung entlehnen kann, weil es eben die Einheit al - ler empiriſchen Principien unter gleichfalls empiriſchen, aber hoͤheren Principien, und alſo die Moͤglichkeit der ſyſtematiſchen Unterordnung derſelben unter einander, be - gruͤnden ſoll. Ein ſolches transſcendentales Princip kann alſo die reflectirende Urtheilskraft ſich nur ſelbſt als Ge - ſetz geben, nicht anderwaͤrts hernehmen, (weil ſie ſonſt beſtimmende Urtheilskraft ſeyn wuͤrde) noch der Natur vorſchreiben; weil die Reflexion uͤber die Geſetze der Na - tur ſich nach der Natur, und dieſe nicht nach den Bedin - gungen richtet, nach welchen wir einen in Anſehung die - ſer ganz zufaͤlligen Begrif von ihr zu erwerben trachten.

Nun kann dieſes Princip kein anderes ſeyn, als: daß da allgemeine Naturgeſetze ihren Grund in unſerem Verſtande haben, der ſie der Natur (ob zwar nur nach dem allgemeinen Begriffe von ihr als Natur) vorſchreibt, die beſondere, empiriſche Geſetze in Anſehung deſſen, was in ihnen durch jene unbeſtimmt gelaſſen iſt, nach einer ſolchen Einheit betrachtet werden muͤſſen, als ob gleich - falls ein Verſtand (wenn gleich nicht der unſrige) ſie zum Behuf unſerer Erkeuntnisvermoͤgen, um ein Syſtem der Erfahrung nach beſonderen Naturgeſetzen moͤglich zu ma - chen, gegeben haͤtte. Nicht, als wenn auf dieſe Art wirklich ein ſolcher Verſtand angenommen werden muͤßte, (denn es iſt nur die reflectirende Urtheilskraft, der dieſeb 5XXVIEinleitung. Jdee zum Princip dient, (zum Reflectiren nicht zum Be - ſtimmen), ſondern dieſes Vermoͤgen giebt ſich dadurch nur ſelbſt und nicht der Natur ein Geſetz.

Weil nun der Begrif von einem Objekt, ſofern er zu - gleich den Grund der Wirklichkeit dieſes Objekts enthaͤlt, der Zweck und die Uebereinſtimmung eines Dinges, mit derjenigen Beſchaffenheit der Dinge, die nur nach Zwe - cken moͤglich iſt, die Zweckmaͤßigkeit der Form der - ſelben heißt: ſo iſt das Princip der Urtheilskraft, in An - ſehung der Form der Dinge der Natur unter empiriſchen Geſetzen uͤberhaupt, die Zweckmaͤßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit, d. i. die Natur wird durch dieſen Begrif ſo vorgeſtellt, als ob ein Verſtand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empiriſchen Geſetze enthalte.

Die Zweckmaͤßigkeit der Natur iſt alſo ein beſonde - rer Begrif a priori, der lediglich in der reflectirenden Ur - theilskraft ſeinen Urſprung hat. Denn den Naturpro - ducten kan man ſo etwas, als Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke, nicht beylegen, ſondern dieſen Be - grif nur brauchen, um uͤber ſie in Anſehung der Verknuͤ - pfung der Erſcheinungen in ihr, die nach empiriſchen Ge - ſetzen gegeben iſt, zu reflectiren. Auch iſt dieſer Begrif von der practiſchen Zweckmaͤßigkeit (der menſchlichen Kunſt oder auch der Sitten) ganz unterſchieden, ob er zwar nach einer Analogie mit derſelben gedacht wird.

XXVIIEinleitung.

V. Das Princip der formalen Zweckmaͤßigkeit der Natur iſt ein transſcendentales Prin - cip der Urtheilskraft.

Ein transſcendentales Princip iſt dasjenige, durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgeſtellt wird, unter der allein Dinge Objecte unſerer Erkennt - nis uͤberhaupt werden koͤnnen. Dagegen heißt ein Prin - cip metaphyſiſch, wenn es die Bedingung a priori vor - ſtellt, unter der allein Objecte deren Begrif empiriſch ge - geben ſeyn muß, a priori weiter beſtimmet werden koͤn - nen. So iſt das Princip der Erkenntnis der Koͤrper als Subſtanzen und als veraͤnderlicher Subſtanzen trans - ſcendental, wenn dadurch geſagt wird, daß ihre Veraͤn - derung eine Urſach haben muͤſſe; es iſt aber metaphyſiſch wenn dadurch geſagt wird ihre Veraͤnderung muͤſſe eine aͤußere Urſache haben, weil im erſteren Falle der Koͤr - per nur durch ontologiſche Praͤdicate (reine Verſtandes - begriffe) z. B. als Subſtanz gedacht werden darf um den Satz a priori zu erkennen, im zweyten aber der empiri - ſche Begrif eines Koͤrpers (als eines beweglichen Dinges im Raum) dieſem Satze zum Grunde gelegt werden muß, alsdann aber, daß dem Koͤrper das letztere Praͤdicat (der Bewegung[nur] durch aͤußere Urſache) zukomme, voͤllig a priori eingeſehen werden kann. So iſt wie ich ſo gleich zeigen werde, das Princip der Zweckmaͤßigkeit derXXVIIIEinleitung. Natur (in der Mannigfaltigkeit ihrer empiriſchen Geſetze) ein transſcendentales Princip. Denn der Begrif von deu Objekten, ſo fern ſie als unter dieſem Princip ſte - hend gedacht werden, iſt nur der reine Begrif von Ge - genſtaͤnden des moͤglichen Erfahrungserkenntniſſes uͤber - haupt und enthaͤlt nichts Empiriſches. Dagegen waͤre das Princip der practiſchen Zweckmaͤßigkeit die in der Jdee der Beſtimmung eines freyen Willens ge - dacht werden muß, ein metaphyſiſches Princip; weil der Begrif eines Begehrungsvermoͤgens als eines Willens doch empiriſch gegeben werden muß (nicht zu den trans - ſcendentalen Praͤdicaten gehoͤrt). Beyde Principien aber ſind dennoch nicht empiriſch, ſondern Principien a priori weil es zur Verbindung des Praͤdicats mit dem empiri - ſchen Begriffe des Subjects ihrer Urtheile keiner weiteren Erfahrung bedarf, ſondern jene voͤllig a priori eingeſe - hen werden kann.

Daß der Begrif einer Zweckmaͤßigkeit der Natur zu den transſcendentalen Principien gehoͤre, kann man aus den Maximen der Urtheilskraft, die der Nachforſchung der Natur a priori zum Grunde gelegt werden, und die dennoch auf nichts, als die Moͤglichkeit der Erfah - rung, mithin der Erkenntnis der Natur, aber nicht blos als Natur uͤberhaupt, ſondern als durch eine Mannig - faltigkeit beſonderer Geſetze beſtimmten Natur gehen, hin - reichend erſehen. Sie kommen als Sentenzen der metaphyſiſchen Weisheit, bey Gelegenheit mancher Re -XXIXEinleitung. geln, deren Nothwendigkeit man nicht aus Begriffen darthun kann, im Laufe dieſer Wiſſenſchaft oft genug, aber nur zerſtreut vor. Die Natur nimmt den kuͤrze - ſten Weg (lex parſimoniae): Sie thut gleichwohl keinen Sprung, weder in der Folge ihrer Veraͤnderungen, noch der Zuſamenſtellung ſpecifiſch verſchiedener Formen (lex continui in natura): ihre große Mannigfaltigkeit in em - piriſchen Geſetzen iſt gleichwohl Einheit unter wenigen Principien, (principia praeter neceſſitatem non ſunt multiplicanda) u. d. g.

Wenn man aber von dieſen[Grundſaͤtzen] den Ur - ſprung anzugeben denkt, und es auf dem pſychologiſchen Wege verſucht, ſo iſt dies dem Sinne derſelben gaͤnzlich zuwider. Denn ſie ſagen nicht was geſchieht, d. i. nach welcher Regel unſere Erkenntniskraͤfte ihr Spiel wirklich treiben, und wie geurtheilt wird, ſondern wie geurtheilt werden ſoll; und da kommt dieſe logiſche objective Noth - wendigkeit nicht heraus, wenn die Principien blos em - piriſch ſind. Alſo iſt die Zweckmaͤßigkeit der Natur fuͤr unſere Erkenntnisvermoͤgen, und ihren Gebrauch, wel - che offenbar aus ihnen hervorleuchtet, ein transſcenden - tales Princip der Urtheile und bedarf alſo auch einer transſcendentalen Deduction, vermittelſt deren der Grund ſo zu urtheilen in den Erkenntnisquellen a priori aufge - ſucht werden muß.

Wir finden naͤmlich in den Gruͤnden der Moͤglichkeit einer Erfahrung zuerſt freylich etwas Nothwendiges,XXXEinleitung. naͤmlich die allgemeine Geſetze, ohne welche Natur uͤber - haupt (als Gegenſtand der Sinne) nicht gedacht werden kann, und dieſe beruhen auf den Categorien, angewandt auf die formale Bedingungen aller uns moͤglichen An - ſchauung ſo fern ſie gleichfalls a priori gegeben iſt, und unter dieſen Geſetzen iſt die Urtheilskraft beſtimmend; denn ſie hat nichts zu thun, als unter gegebnen Geſetzen zu ſubſumiren. Z. B. der Verſtand ſagt: alle Veraͤn - derung hat ihre Urſache (allgemeines Naturgeſetz), die transſcendentale Urtheilskraft hat nun nichts weiter zu thun als die Bedingung der Subſumtion unter dem vor - gelegten Verſtandesbegrif a priori anzugeben, und das iſt die Succeſſion der Beſtimmungen eines und deſſelben Dinges. Fuͤr die Natur nun uͤberhaupt (als Gegenſtand moͤglicher Erfahrung) wird jenes Geſetz als ſchlechter - dings nothwendig erkannt. Nun ſind aber die Ge - genſtaͤnde der empiriſchen Erkenntnis außer jener forma - len Zeitbedingung noch auf mancherley Art beſtimmt, oder, ſo viel man a priori urtheilen kann, beſtimmbar ſo, daß ſpecifiſch-verſchiedene Naturen, auſſerdem was ſie, als zur Natur uͤberhaupt gehoͤrig gemein haben, noch auf unendlich mannigfaltige Weiſe Urſachen ſeyn koͤnnen und eine jede dieſer Arten muß (nach dem Be - griffe einer Urſache uͤberhaupt) ihre Regel haben, die Geſetz iſt, mithin Nothwendigkeit bey ſich fuͤhrt, ob wir gleich, nach der Beſchaffenheit und den Schranken un - ſerer Erkenntnisvermoͤgen, dieſe Nothwendigkeit garXXXIEinleitung. nicht einſehen. Alſo muͤſſen wir in der Natur, in An - ſehung ihrer blos empiriſchen Geſetze, eine Moͤglichkeit unendlich mannigfaltiger empiriſcher Geſetze denken, die fuͤr unſere Einſicht dennoch zufaͤllig ſind (a priori nichter - kannt werden koͤnnten); und in Anſehung deren beurthei - len wir die Natureinheit nach empiriſchen Geſetzen und die Moͤglichkeit der Einheit der Erfahrung (als Syſtems nach empiriſchen Geſetzen) als zufaͤllig. Weil aber doch eine ſolche Einheit nothwendig vorausgeſetzt und an - genommen werden muß, weil ſonſt kein durchgaͤngiger Zuſammenhang empiriſcher Erkenntniſſe zu einem Gan - zen der Erfahrung ſtatt finden wuͤrde, indem die all - gemeine Naturgeſetze zwar einen ſolchen Zuſammen - hang unter den Dingen ihrer Gattung nach, als Na - turdinge uͤberhaupt, aber nicht ſpecifiſch, als ſolche beſondere Naturweſen, an die Hand geben: ſo muß die Urtheilskraft fuͤr ihren eigenen Gebrauch es als Princip a priori annehmen, daß das fuͤr die menſchli - che Einſicht zufaͤllige in den beſonderen (empiriſchen) Naturgeſetzen dennoch eine, fuͤr uns zwar nicht zu er - gruͤndende aber doch denkbare geſetzliche Einheit in der Verbindung ihres mannigfaltigen zu einer an ſich moͤg - lichen Erfahrung, enthalte; folglich, weil die geſetzli - che Einheit in einer Verbindung, die wir zwar einer nothwendigen Abſicht (einem Beduͤrfnis) des Verſtan - des gemaͤs, aber zugleich doch als an ſich zufaͤllig erkennen, als Zweckmaͤßigkeit der Objekte (hier derXXXIIEinleitung. Natur) vorgeſtellt wird, ſo muß die Urtheilskraft, die in Anſehung der Dinge unter moͤglichen (noch zu entdecken - den) empiriſchen Geſetzen, blos reflectirend iſt, die Natur in Anſehung der letzteren nach einem Princip der Zweckmaͤßigkeit fuͤr unſer Erkenntnisvermoͤgen denken, welches dann in obigen Maximen der Urtheils - kraft ausgedruͤckt wird. Dieſer transſcendentale Begrif einer Zweckmaͤßigkeit der Natur iſt nun weder ein Na - turbegrif, noch ein Freyheitsbegrif, weil er gar nichts dem Objecte (der Natur) beylegt, ſondern nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion uͤber die Gegenſtaͤnde der Natur in Abſicht auf eine durchgaͤngig zuſammenhaͤngen - Erfahrung verfahren muͤſſen, vorſtellt, folglich ein ſub - jektives Princip (Maxime) der Urtheilskraft; daher wir auch, gleich als ob es ein gluͤcklicher unſre Abſicht beguͤn - ſtigender Zufall waͤre, wenn wir eine ſolche ſyſtematiſche Einheit unter blos empiriſchen Geſetzen antreffen, erfreu - et (eigentlich eines Beduͤrfniſſes entledigt) werden, ob wir gleich nothwendig annehmen mußten; es ſey eine ſolche Einheit, ohne daß wir ſie doch einzuſehen und zu beweiſen vermochten.

Um ſich von der Richtigkeit dieſer Deduction des vorliegenden Begrifs und der Nothwendigkeit ihn als transſcendentales Erkenntnisprincip anzunehmen, zu uͤberzeugen, bedenke man nur die Groͤße der Aufgabe: aus gegebenen Wahrnehmungen, einer allenfalls unend - liche Mannigfaltigkeit empiriſcher Geſetze enthaltendenNaturXXXIIICinleitung.Natur eine zuſammenhaͤngende Erfahrung zu machen, welche Aufgabe a priori in unſrem Verſtande liegt. Der Verſtand iſt zwar a priori im Beſitze allgemeiner Geſetze der Natur, ohne welche ſie gar kein Gegenſtand einer Erfahrung ſeyn koͤnnte: aber er bedarf doch auch uͤber dem noch einer gewiſſen Ordnung der Natur, in den beſonderen Regeln derſelben, die ihm nur empi - riſch bekannt werden koͤnnen und die in Anſehung ſeiner zufaͤllig ſind. Dieſe Regeln, ohne welche kein Fortgang von der allgemeinen Analogie einer moͤglichen Erfahrung uͤberhaupt zur beſonderen ſtatt finden wuͤrde, muß er ſich als Geſetze d. i. als nothwendig denken, weil ſie ſonſt keine Naturordnung ausmachen wuͤrden, ob er gleich ihre Nothwendigkeit nicht erkennt, oder jemals einſehen koͤnnte. Ob er alſo gleich in Anſehung derſelben (Ob - jecte) a priori, nichts beſtimmen kann, ſo muß er doch, um dieſen empiriſchen ſogenannten Geſetzen nachzugehen, ein Princip a priori, daß naͤmlich nach ihnen eine erkenn - bare Ordnung der Natur moͤglich ſey, aller Reflexion uͤber dieſelbe zum Grunde legen, dergleichen Princip nachfolgende Saͤtze ausdruͤcken: daß es in ihr eine fuͤr uns faßliche Unterordnung von Gattungen und Arten gebe, daß jene ſich einander wiederum einem gemeinſchaft - lichen Princip naͤhern, damit ein Uebergang von einer zu der anderen, und dadurch zu einer hoͤheren Gattung moͤglich ſey, daß da fuͤr die ſpeciſiſche Verſchiedenheit der Naturwirkungen eben ſo viel verſchiedene Arten derKants Crit. d. Urtheilskr. cXXXIVEinleitung.Cauſſalitaͤt annehmen zu muͤſſen, unſerem Verſtande an - faͤnglich unvermeidlich ſcheint, ſie dennoch unter einer geringen Zahl von Principien ſtehen moͤgen, mit deren Aufſuchung wir uns zu beſchaͤftigen haben u. ſ.w. Dieſe Zuſammenſtimmung der Natur zu unſerem Erkenntnis - vermoͤgen wird von der Urtheilskraft, zum Behuf ihrer Reflexion uͤber dieſelbe, nach ihren empiriſchen Geſetzen, a priori vorausgeſetzt; indem ſie der Verſtand zugleich objectiv als zufaͤllig anerkennt, und blos die Urtheils - kraft ſie der Natur als transſcendentale Zweckmaͤßigkeit (in Beziehung auf das Erkenntnisvermoͤgen des Sub - jects) beylegt; weil wir ohne dieſe vorauszuſetzen, keine Ordnung der Natur nach empiriſchen Geſetzen, mithin keinen Leitfaden fuͤr eine mit dieſen nach aller ihrer Man - nigfaltigkeit anzuſtellende Erfahrung und Nachforſchung derſelben haben wuͤrden.

Denn es laͤßt ſich wohl denken: daß, ungeachtet aller der Gleichfoͤrmigkeit der Naturdingen nach den allgemeinen Geſetzen, ohne welche die Form eines Er - fahrungserkenntniſſes uͤberhaupt gar nicht ſtatt finden wuͤrde, die ſpecifiſche Verſchiedenheit der empiriſchen Geſetze der Natur, ſammt ihren Wirkungen, dennoch ſo groß ſeyn koͤnnte, daß es fuͤr unſeren Verſtand un - moͤglich waͤre, in ihr eine faßliche Ordnung zu entdecken, ihre Producte in Gattungen und Arten einzutheilen um die Principien der Erklaͤrung und des Verſtaͤndniſſes des einen auch zur Erklaͤrung und Begreifung des an -XXXVEinleitung.dern zu gebrauchen, und aus einem fuͤr uns ſo verwor - renen (eigentlich nur unendlich mannigfaltigen, unſerer Faſſungskraft nicht angemeſſenen) Stoffe eine zuſam - menhaͤngende Erfahrung zu machen.

Die Urtheilskraft hat alſo auch ein Princip a priori fuͤr die Moͤglichkeit der Natur, aber nur in ſubjectiver Ruͤckſicht, in ſich, wodurch ſie, nicht der Natur (als Av - tonomie) ſondern ihr ſelbſt (als Heavtonomie) fuͤr die Reflexion uͤber jene ein Geſetz vorſchreibt, welches man das Geſetz der Specification der Natur in An - ſehung ihrer empiriſchen Geſetze nennen koͤnnte, daß ſie a priori an ihr nicht erkennt, ſondern zum Behuf einer fuͤr unſeren Verſtand erkennbaren Ordnung derſelben in der Eintheilung, die ſie von ihren allgemeinen Geſetzen macht, annimmt, wenn ſie dieſen eine Mannigfaltigkeit der beſondern unterordnen will. Wenn man alſo ſagt: die Natur ſpecificirt ihre allgemeine Geſetze nach dem Princip der Zweckmaͤßigkeit fuͤr unſer Erkenntnisvermoͤ - gen, d. i. zur Angemeſſenheit mit dem menſchlichen Ver - ſtande in ſeinem nothwendigen Geſchaͤfte, zum Beſonde - ren, welches ihm die Wahrnehmung darbietet, das All - gemeine und zum Verſchiedenen (fuͤr jede Species zwar Allgemeinen) wiederum Verknuͤpfung in der Eiuheit des Princips zu finden: ſo ſchreibt man dadurch weder der Natur ein Geſetz vor, noch lernt man eines von ihr durch Beobachtung (ob zwar jenes Princip durch dieſe beſtaͤtigt werden kann). Denn es iſt nicht ein Princip derc 2XXXVIEinleitung.beſtimmenden, ſondern blos der reflectirenden Urtheils - kraft; man will nur, daß man, die Natur mag ihren allgemeinen Geſetzen nach eingerichtet ſeyn wie sie wolle, durchaus nach jenem Princip und den sich darauf gruͤn - denden Maximen ihren empirischen Geſetzen nachſpuͤhren muͤſſe, weil wir, nur so weit als jenes ſtatt findet, mit dem Gebrauche unſeres Verſtandes in der Erfahrung fort kommen und Erkenntnis erwerben koͤnnen.

VJ. Von der Verbindung des Gefuͤhls der Luſt mit dem Begriffe der Zweckmaͤßigkeit der Natur.

Die gedachte Uebereinstimmung der Natur in der Mannigfaltigkeit ihrer beſonderen Geſetze zu unſerem Beduͤrfniſſse, Allgemeinheit der Principien fuͤr ſie aufzu - finden, muß nach aller unſerer Einſicht, als zufaͤllig beurtheilt werden, gleichwohl aber doch, fuͤr unſer Ver - ſtandesbeduͤrfnis, als unentbehrlich, mithin als Zweck - maͤßigkeit, dadurch die Natur mit unſerer, aber nur auſ Erkenntnis gerichteten Abſicht, uͤbereinſtimmt. Die allgemeine Geſetze des Verſtandes, welche zugleich Ge - ſetze der Natur ſind, ſind derſelben eben ſo nothwendig (obgleich aus Spontaneitaͤt entſprangen, als die Bewe - gungsgeſetze der Materie, und ihre Erzeugung ſetzt keine Abſicht mit unſeren Erkenntisvermoͤgen voraus, weil wir nur durch dieſelbe von dem, was Erkenntnis derXXXVIIEinleitung.Dinge (der Natur) ſey, zuerſt einen Beg[r]if erhalten, und ſie der Natur, als Object unſerer Erkenntnis uͤber - haupt, nothwendig zukommen. Allein daß die Ordnung der Natur nach ihren beſonderen Geſetzen, bey aller un - ſere Faſſungskraft uͤberſteigenden wenigſtens moͤglichen Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit, doch dieſer wirklich angemeſſen ſey, iſt, so viel wir einſehen koͤnnen, zufaͤllig und die Auffindung derſelben iſt ein Geſchaͤft des Verſtandes, welches mit Abſicht zu einem nothwen - digen Zwecke deſſelben naͤmlich Einheit der Principien in ſie hineinzubringen, gefuͤhrt wird, welchen Zweck dann die Urtheilskraft der Natur beylegen muß, weil der Ver - ſtand ihr hieruͤber kein Geſetz vorſchreiben kann.

Die Erreichung jeder Abſicht iſt mit dem Gefuͤhle der Luſt verbunden und, iſt die Bedingung der erſtern eine Vorſtellung a priori wie hier ein Princip fuͤr die reflectirende Urtheilskraft uͤberhaupt, ſo iſt das Gefuͤhl der Luſt auch durch einen Grund a priori und fuͤr jeder - mann guͤltig beſtimmt und zwar blos durch die Beziehung des Objects aufs Erkenntnisvermoͤgen, ohne daß der Begrif der Zweckmaͤßigkeit hier im Mindeſten auf das Begehrungsvermoͤgen Ruͤcksicht nimmt und sich alſo von aller practiſchen Zweckmaͤßigkeit der Natur gaͤnzlich un - terſcheidet.

Jn der That, da wir von dem Zusammentreffen der Wahrnehmungen mit den Geſetzen nach allgemeinen Naturbegriffen (den Calegorien) nicht die mindeſte Wir -c 3XXXVIIIEinleitung.kung aufs Gefuͤhl der Luſt in uns antreffen, auch nicht antreffen koͤnnen, weil der Verſtand damit unabſichtlich nach ſeiner Natur nothwendig verfaͤhrt: ſo iſt anderſeits die entdeckte Vereinbarkeit zweyer oder mehrerer empiri - ſcher heterogener Naturgeſetze unter einem ſie beyde be - faſſenden Princip der Grund einer ſehr merklichen Luſt, oft ſogar einer Bewunderung, ſelbſt einer ſolchen, die nicht aufhoͤrt, ob man ſchon mit dem Gegenſtande der - ſelben gnug bekannt iſt. Zwar ſpuͤhren wir an der Fas - lichkeit der Natur und ihrer Einheit der Abtheilung in Gattungen und Arten, wodurch allein empiriſche Be - griffe moͤglich ſind, durch welche wir ſie nach ihren beſon - deren Geſetzen erkennen, keine merkliche Luſt mehr; aber ſie iſt gewiß zu ihrer Zeit geweſen und, nur weil die ge - meinſte Erfahrung ohne ſie nicht moͤglich ſeyn wuͤrde, iſt ſie allmaͤhlig mit dem bloßen Erkenntniſſe vermiſcht, und nicht mehr beſonders bemerkt worden. Es ge - hoͤrt alſo etwas, was in der Beurtheilung der Natur auf die Zweckmaͤßigkeit derſelben fuͤr unſern Verſtand aufmerkſam macht, ein Studium ungleichartige Geſetze derſelben wo moͤglich unter hoͤhere, ob wohl immer noch empiriſche zu bringen, dazu, um, wenn es gelingt, an dieſer Einſtimmung derſelben fuͤr unſer Erkenntnisver - moͤgen die wir als blos zufaͤllig anſehen Luſt zu empfin - den. Dagegen wuͤrde uns eine Vorſtellung der Natur durchaus misfallen, durch welche man uns voraus ſagte, daß, bey der mindeſten Nachforſchung uͤber dieXXXIXEinleitung.gemeinſte Erfahrung hinaus, wir auf eine ſolche Hetero - geneitaͤt ihrer Geſetze ſtoßen wuͤrden, die die Vereini - gung ihrer beſonderen Geſetze unter allgemeinen empiri - ſchen fuͤr unſeren Verſtand unmoͤglich machte; weil das dem Princip der ſubjectiv-zweckmaͤßigen Specification der Natur in ihrer Gattungen und unſerer reflectirenden Ur - theilskraft in der Abſicht der letzteren widerſtreitet.

Dieſe Vorausſetzung der Urtheilskraft iſt gleichwohl daruͤber ſo unbeſtimmt: wie weit jene idealiſche Zweck - maͤßigkeit der Natur fuͤr unſer Erkenntnisvermoͤgen aus - gedehnt werden ſolle, daß, wenn man uns ſagt, eine tiefere oder ausgebreitetere Kenntnis der Natur durch Beobachtung muͤſſe zuletzt auf eine Mannigfaltigkeit von Geſetzen ſtoßen, die kein menſchlicher Verſtand auf ein Princip zuruͤck fuͤhren kann, wir es auch zufrieden ſind, ob wir es gleich lieber hoͤren, wenn andere uns Hofnung geben: daß, je mehr wir die Natur im Jnneren kennen wuͤrden, oder mit aͤußeren uns fuͤr jetzt unbekannten Gliedern vergleichen koͤnnten, wir ſie in ihren Principien um deſto einfacher und, bey der ſcheinbaren Heterogenei - taͤt ihrer empiriſchen Geſetze, einhelliger finden wuͤrden, je weiter unſere Erfahrung fortſchritte; denn es iſt ein Geheiß unſerer Urtheilskraft nach dem Princip der An - gemeſſenheit der Natur zu unſerem Erkenntnisvermoͤgen zu verfahren, ſo weit es reicht, ohne (weil es keine be - ſtimmende Urtheilskraft iſt, die uns dieſe Regel giebt) auszumachen, ob es irgend wo ſeine Grenzen habe, oderc 4XLEinleitung.nicht; weil wir zwar in Anſehung des rationalen Ge - brauchs unſerer Erkenntnisvermoͤgen Graͤnzen beſtimmen koͤnnen, im empiriſchen Felde aber keine Graͤnzbeſtim - mung moͤglich iſt.

VII. Von der aͤſthetiſchen Vorſtellung der Zweck - maͤßigkeit der Natur.

Was an der Vorſtellung eines Objects blos ſub - jectiv iſt, d. i. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die aͤſthetiſche Be - ſchaffenheit derſelben; was aber an ihr zur Beſtim - mung des Gegenſtandes (zum Erkenntniſſe) dient, oder gebraucht werden kann, iſt ihre logiſche Guͤltigkeit. Jn dem Erkenntniſſe eines Gegenſtandes der Sinne kommen beyde Beziehungen zuſammen vor. Jn der Sinnenvorſtellung der Dinge außer mir iſt die Qva - litaͤt des Raums, darinn wir ſie anſchauen, das blos Subjective meiner Vorſtellung derſelben (dadurch, was ſie als Objecte an ſich ſeyn, unausgemacht bleibt), um welcher Beziehung willen der Gegenſtand auch dadurch blos als Erſcheinung gedacht wird; der Raum iſt aber, ſeiner blos ſubjectiven Qvalitaͤt ungeachtet, gleichwohl doch ein Erkenntnisſtuͤck der Dinge als Erſcheinungen. Empfindung (hier die aͤußere) druͤckt eben ſowohl das blos Subjective unſerer Vorſtellun -XLIEinleitung.gen der Dinge außer uns aus, aber eigentlich das Materielle (Reale) derſelben (wodurch etwas Exiſtiren - des gegeben wird), ſo wie der Raum die bloße Form a priori der Moͤglichkeit ihrer Anſchauung, und gleich - wohl wird jene auch zum Erkenntnis der Objecte außer uns gebraucht.

Dasjenige Subjective aber an einer Vorſtellung, was gar kein Erkenntnisſtuͤck werden kann, iſt die mit ihr verbundene Luſt oder Unluſt; denn durch ſie erkenne ich nichts an dem Gegenſtande der Vorſtellung, obgleich ſie wohl die Wirkung irgend einer Erkenntnis ſeyn kann. Nun iſt die Zweckmaͤßig - keit eines Dinges, ſo fern ſie in der Wahrnehmung vorgeſtellt wird, auch keine Beſchaffenheit des Objects ſelbſt (denn eine ſolche kann nicht wahrgenommen werden), ob ſie gleich aus einem Erkenntniſſe der Dinge gefolgert werden kann. Die Zweckmaͤßigkeit alſo, die vor dem Erkenntniſſe eines Objects vorher - geht, ja ohne ſogar die Vorſtellnug deſſelben zu einem Erkenntnis brauchen zu wollen, gleichwohl mit ihr unmittelbar verbunden wird, iſt das Subjective der - ſelben, was gar kein Erkenntnisſtuͤck werden kann. Alſo wird der Gegenſtand alsdann nur darum zweck - maͤßig genannt, weil ſeine Vorſtellung unmittelbar mit dem Gefuͤhle der Luſt verbunden iſt, und dieſe Vorſtellung ſelbſt iſt eine aͤſthetiſche Vorſtellung derc 5XLIIEinleitung.Zweckmaͤßigkeit. Es fraͤgt ſich nur, ob es uͤber - haupt eine ſolche Vorſtellung der Zweckmaͤßigkeit gebe.

Wenn mit der bloßen Auffaſſung (apprehenſio) der Form eines Gegenſtandes der Anſchauung, ohne Bezie - hung derſelben auf einen Begrif zu einem beſtimmten Erkenntnis, Luſt verbunden iſt: ſo wird die Vorſtellung dadurch nicht auf das Object, ſondern lediglich auf das Subject bezogen und die Luſt kann nichts anders als die Angemeſſenheit deſſelben zu den Erkenntnisvermoͤgen, die in der reflectirenden Urtheilskraft im Spiel ſind, und ſo fern ſie darin ſind, alſo blos eine ſubjective for - male Zweckmaͤßigkeit des Objects ausdruͤcken. Denn jene Auffaſſung der Formen in die Einbildungskraft kann niemals geſchehen, ohne daß die reflectirende Ur - theilskraft, auch unabſichtlich, ſie wenigſtens mit ihrem Vermoͤgen, Anſchauungen auf Begriffe zu beziehen, vergliche. Wenn nun in dieſer Vergleichung die Einbil - dungskraft (als Vermoͤgen der Anſchauungen a priori) zum Verſtande, als Vermoͤgen der Begriffe, durch eine gegebene Vorſtellung unabſichtlich in Einſtimmung ver - ſetzt und dadurch ein Gefuͤhl der Luſt erweckt wird, ſo muß der Gegenſtand alsdann als zweckmaͤßig fuͤr die reflectirende Urtheilskraft angeſehen werden. Ein ſolches Urtheil iſt ein aͤſthetiſches Urtheil uͤber die Zweckmaͤßig - keit des Objects, welches ſich auf keinem vorhandenen Begriffe vom Gegenſtande gruͤndet und keinen von ihm verſchafft. Ein Gegenſtand deſſen Form, (nicht dasXLIIIEinleitung.Materielle ſeiner Vorſtellung, als Empfindung) in der bloßen Reflexion uͤber dieſelbe, (ohne Abſicht auf einen von ihm zu erwerbenden Begrif) als der Grund einer Luſt an der Vorſtellung eines ſolchen Objects beurtheilt wird, mit deſſen Vorſtellung wird dieſe Luſt auch als nothwendig verbunden geurtheilt, folglich als nicht blos fuͤr das Subject, welches dieſe Form auffaßt, ſondern fuͤr jeden Urtheilenden uͤberhaupt. Der Gegenſtand heißt alsdann ſchoͤn und das Vermoͤgen durch eine ſolche Luſt (folglich auch allgemeinguͤltig zu urtheilen) der Geſchmack. Denn da der Grund der Luſt blos in der Form des Gegenſtandes fuͤr die Reflexion uͤberhaupt, mithin in keiner Empfindung des Gegenſtandes und auch ohne Beziehung auf einen Begrif, der irgend eine Abſicht enthielte, geſetzt wird, ſo iſt es allein die Geſetz - maͤßigkeit im empiriſchen Gebrauche der Urtheilstraft uͤberhaupt (Einheit der Einbildungskraft mit dem Ver - ſtande) in dem Subjecte, mit der die Vorſtellung des Objects in der Reflexion, deren Bedingungen a priori allgemein gelten, zuſammen ſtimmt und, da dieſe Zu - ſammenſtimmung des Gegenſtandes mit den Vermoͤgen des Subjects zufaͤllig iſt, ſo bewirkt ſie die Vorſtellung einer Zweckmaͤßigkeit deſſelben in Anſehung der Erkennt - nisvermoͤgen des Subjects.

Hier iſt nun eine Luſt, die, wie alle Luſt oder Unluſt, welche nicht durch den Freyheitsbegrif (d. i. durch die vorhergehende Beſtimmung des oberen Begehrungsver -XLIVEinleitung.moͤgens durch reine Vernuuft) gewirkt wird, niemals aus Begriffen, als mit der Vorſtellung eines Gegen - ſtandes nothwendig verbunden, eingeſehen werden kann, ſondern jederzeit nur durch reflectirte Wahrnehmung als mit dieſer verknuͤpft erkannt werden muß, folglich, wie alle empiriſche Urtheile, keine objective Nothwendigkeit ankuͤndigen und auf Guͤltigkeit a priori Anſpruch machen kann. Aber das Geſchmacksurtheil macht auch nur Anſpruch wie jedes andere empiriſche Urtheil, fuͤr jeder - mann zu gelten, welches unerachtet der inneren Zu - faͤlligkeit deſſelben, immer moͤglich iſt. Das Befrem - dende und Abweichende liegt nur darinn: daß es nicht ein empiriſcher Begrif ſondern ein Gefuͤhl der Luſt (folg - lich gar kein Begrif,) iſt, welches doch durch das Ge - ſchmacksurtheil, gleich als ob es ein mit dem Erkennt - niſſe des Objekts verbundenes Praͤdicat waͤre, jedermann zugemuthet und mit der Vorſtellung deſſelben verknuͤpft werden ſoll.

Ein einzelnes Erfahrungsurtheil, z. B. von dem, der in einem Bergcryſtall einen beweglichen Tropfen Waſ - ſer wahrnimmt, verlangt mit Recht, daß ein jeder an - dere es eben ſo finden muͤſſe, weil er dieſes Urtheil nach den allgemeinen Bedingungen der beſtimmenden Urtheils - kraft, unter den Geſetzen einer moͤglichen Erfahrung uͤber - haupt gefaͤllet hat. Eben ſo macht derjenige, welcher in der bloßen Reflexion uͤber die Form eines Gegenſtandes, ohne Ruͤckſicht auf einen Begrif, Luſt empfindet, ob zwarXLVEinleitung.dieſes Urtheil empiriſch und ein einzelnes Urtheil iſt, mit Recht Anſpruch auf Jedermanns Beyſtimmung; weil der Grund zu dieſer Luſt in der allgemeinen ob zwar ſub - jectiven Bedingung der reflectirenden Urtheile, naͤmlich der zweckmaͤßigen Uebereinſtimmung eines Gegenſtandes (er ſey Product der Natur oder der Kunſt) mit dem Ver - haͤltnis der Erkenntnisvermoͤgen unter ſich, die zu jedem empiriſchem Erkenntnis erfordert wird (der Einbildungs - kraft und des Verſtandes), angetroffen wird. Die Luſt iſt alſo im Geſchmacksurtheile zwar von einer empiriſchen Vorſtellung abhaͤngig und kann a priori mit keinem Be - griffe verbunden werden, (man kann a priori nicht be - ſtimmen, welcher Gegenſtand dem Geſchmacke gemaͤs ſeyn werde, oder nicht, man muß ihn verſuchen;) aber ſie iſt doch der Beſtimmungsgrund dieſes Urtheils nur da - durch, daß man ſich bewußt iſt, ſie beruhe blos auf der Reflexion und den allgemeinen, obwohl nur ſubjectiven Bedingungen der Uebereinſtimmung derſelben zum Er - kenntnis der Objekte uͤberhaupt, fuͤr welche die Form des Objekts zweckmaͤßig iſt.

Das iſt die Urſache, warum die Urtheile des Ge - ſchmacks ihrer Moͤglichkeit nach, weil dieſe ein Princip a priori vorausſetzt, auch einer Critik unter - worfen ſind, obgleich dieſes Princip weder ein Erkennt - nisprincip fuͤr den Verſtand, noch ein practiſches fuͤr den Willen und alſo a priori gar nicht beſtimmend iſt.

XLVIEinleitung.

Die Empfaͤnglichkeit einer Luſt aus der Reflexion uͤber die Formen der Sachen (der Natur ſo wohl als der Kunſt) bezeichnet aber nicht allein eine Zweckmaͤßigkeit der Objekte in Verhaͤltnis auf die reflectirende Urtheils - kraft, gemaͤs dem Naturbegriffe am Subject, ſondern auch umgekehrt des Subjects in Anſehung der Gegenſtaͤn - de ihrer Form ja ſelbſt ihrer Unform nach, zu folge dem Freyheitsbegriffe und dadurch geſchieht es: daß das aͤſt - hetiſche Urtheil nicht blos als Geſchmacksurtheil, auf das Schoͤne, ſondern auch, als aus einem Geiſtesgefuͤhl ent - ſprungenes, aufs Erhabene bezogen und ſo jene Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft in zwey dieſen gemaͤße Haupttheile zerfallen muß.

VIII. Von der logiſchen Vorſtellung der Zweck - maͤßigkeit der Natur.

An einem in der Erfahrung gegebenen Gegenſtande kann Zweckmaͤßigkeit vorgeſtellt werden, entweder aus einem blos ſubjectiven Grunde, als Uebereinſtimmung ſeiner Form, in der Auffaſſung (apprehenſio) deſſel - ben vor allem Begriffe, mit den Erkenntnisvermoͤgen, um die Anſchauung mit Begriffen zu einem Erkenntnis uͤberhaupt zu vereinigen, oder aus einem objectiven, als Uebereinſtimmung ſeiner Form mit der Moͤglichkeit des Dinges ſelbſt, nach einem Begriffe von ihm, derXLVIIEinleitung.vorhergeht und den Grund dieſer Form enthaͤlt. Wir haben geſehen: daß die Vorſtellung der Zweckmaͤßigkeit der erſteren Art auf der unmittelbaren Luſt an der Form des Gegenſtandes in der bloßen Reflexion uͤber ſie be - ruhe; die alſo von der Zweckmaͤßigkeit der zweyten Art, da ſie die Form des Objects nicht auf die Erkenntnisver - moͤgen des Subjects in der Auffaſſung derſelben, ſondern auf ein beſtimmtes Erkenntnis des Gegenſtandes unter einem gegebenen Begriffe bezieht, hat nichts mit einem Gefuͤhle der Luſt an den Dingen, ſondern mit dem Ver - ſtande in Beurtheilung derſelben zu thun. Wenn der Begrif von einem Gegenſtande gegeben iſt, ſo beſteht das Geſchaͤfte der Urtheilskraft im Gebrauche deſſelben zum Erkenntnis in der Darſtellung (exhibito), d. i. da - rinn, dem Begriffe eine correſpondirende Anſchauung zur Seite zu ſtellen, es ſey, daß dieſes durch unſere eigene Einbildungskraft geſchehe, wie in der Kunſt, wenn wir einen vorhergefaßten Begrif von einem Gegenſtande, der fuͤr uns Zweck iſt, realiſiren, oder durch die Natur, in der Technik derſelben (wie bey organiſirten Koͤrpern), wenn wir ihr unſeren Begrif vom Zweck zur Beurthei - lung ihres Productes unterlegen, in welchem Falle nicht blos Zweckmaͤßigkeit der Natur in der Form des Dinges, ſondern dieſes ihr Product als Naturzweck vorgeſtellt wird. Ob zwar unſer Begrif von einer ſubjectiven Zweckmaͤßigkeit der Natur in ihren Formen, nach empiriſchen Geſetzen gar kein Begrif vom ObjectXLVIIIEinleitung.iſt, ſondern nur ein Princip der Urtheilskraft ſich in die - ſer ihrer uͤbergroßen Mannigfaltigkeit Begriffe zu ver - ſchaffen (in ihr orientiren zu koͤnnen): ſo legen wir ihr doch hiedurch gleichſam eine Ruͤckſicht auf unſer Erkennt - nisvermoͤgen nach der Analogie eines Zwecks bey und ſo koͤnnen wir die Naturſchoͤnheit als Darſtellung des Begrifs der formalen (blos ſubjectiven), und die Naturzwecke als Darſtellung des Begrifs eiuer realen (objectiven) Zweckmaͤßigkeit anſehen, deren eine wir durch Geſchmack (aͤſthetiſch, vermittelſt des Gefuͤhls der Luſt) die andere durch Verſtand und Vernunft (logiſch, nach Begriffen) beurtheilen.

Hierauf gruͤndet ſich die Eintheilung der Critik der Urtheilskraft in die der aͤſthetiſchen und teleologi - ſchen; indem unter der erſteren das Vermoͤgen die formale Zweckmaͤßigkeit (ſonſt auch ſubjective genannt) durchs Gefuͤhl der Luſt oder Unluſt, unter der zweyten das Ver - moͤgen die reale Zweckmaͤßigkeit (objective) der Natur durch Verſtand und Vernunft zu beurtheilen verſtan - den wird.

Jn einer Critik der Urtheilskraft iſt der Theil wel - cher die aͤſthetiſche Urtheilskraft enthaͤlt, ihr weſentlich angehoͤrig, weil dieſe allein ein Princip enthaͤlt, welches die Urtheilskraft voͤllig a priori ihrer Reflexion uͤber die Natur zum Grunde legt, naͤmlich das einer formalen Zweckmaͤßigkeit der Natur nach ihren beſonderen (empi - riſchen) Geſetzen fuͤr unſer Erkenntnisvermoͤgen, ohnewelcheXLIXEinleitung.welche ſich der Verſtand in ſie nicht finden koͤnnte: an - ſtatt daß gar kein Grund a priori angegeben werden kann, ja nicht einmal die Moͤglichkeit davon aus dem Begriffe einer Natur, als Gegenſtande der Erfahrung im Allge - meinen ſowohl, als im Beſonderen, erhellet, daß es objective Zwecke der Natur, d. i. Dinge die nur als Na - turzwecke moͤglich ſind, geben muͤſſe, ſondern nur die Urtheilskraft, ohne ein Princip dazu a priori in ſich zu enthalten, in vorkommenden Faͤllen (gewiſſer Producte) um zum Behuf der Vernunft von dem Begriffe der Zwecke Gebrauch zu machen, die Regel enthalte; nachdem jenes transſcendentale Princip ſchon den Begrif eines Zwecks (wenigſtens der Form nach) auf die Natur anzuwenden den Verſtand vorbereitet hat.

Der transſcendentale Grundſatz aber, ſich eine Zweckmaͤßigkeit der Natur in ſubjektiver Beziehung auf unſer Erkenntnisvermoͤgen an der Form eines Dinges als ein Princip der Beurtheilung derſelben vorzuſtellen laͤßt es gaͤnzlich unbeſtimmt, wo und in welchen Faͤllen ich die Beurtheilung, als die eines Products nach einem Princip der Zweckmaͤßigkeit und nicht vielmehr blos nach allgemeinen Naturgeſetzen anzuſtellen habe, und uͤberlaͤßt es der aͤſthetiſchen Urtheilskraft, im Geſchmacke die Angemeſſenheit deſſelben (ſeiner Form) zu unſeren Er - kenntnisvermoͤgen (ſo fern dieſe nicht durch Uebereinſtim - mung mit Begriffen, ſondern durchs Gefuͤhl entſcheidet) auszumachen. Dagegen giebt die teleologiſch-gebrauchteKants Crit. d. Urtheiskr. dLEinleitung.Urtheilskraft die Bedingungen beſtimmt an, unter denen etwas (z. B. ein organiſirter Koͤrper) nach der Jdee ei - nes Zweks der Natur zu beurtheilen ſey, kann aber keinen Grundſatz aus dem Begriffe der Natur, als Gegenſtan - de der Erfahrung, fuͤr die Befugnis anfuͤhren, ihr eine Beziehung auf Zwecke a priori beyzulegen, und auch nur unbeſtimmt dergleichen von der wirklichen Erfahrung an ſolchen Producten annezuhmen; davon der Grund iſt, daß viele beſondere Erfahrungen angeſtellt und unter der Ein - heit ihres Princips betrachtet werden muͤſſen, um eine objective Zweckmaͤßigkeit an einem gewiſſen Gegenſtande nur empiriſch erkennen zu koͤnnen. Die aͤſthetiſche Urtheilskraft iſt alſo ein beſonderes Vermoͤgen Dinge nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen zu beurtheilen. Die teleologiſche iſt kein beſonderes Vermoͤgen, ſondern nur die reflectirende Urtheilskraft uͤberhaupt, ſo fern ſie wie uͤberall im theoretiſchen Erkenntniſſe nach Begriffen, aber in Anſehung gewiſſer Gegenſtaͤnde der Natur nach beſonderen Principien naͤmlich einer blos reflectirenden nicht Objecte beſtimmenden Urtheilskraft verfaͤhrt, alſo ihrer Anwendung nach zum theoretiſchen Theile der Phi - loſophie gehoͤret, und der beſonderen Principien wegen, die nicht, wie es in einer Doctrin ſeyn muß, beſtim - mend ſind, auch einen beſonderen Theil der Critik aus - machen muß; anſtatt daß die aͤſthetiſche Urtheilskraft zum Erkenntnis ihrer Gegenſtaͤnde nichts beytraͤgt und alſo nur zur Critik des urtheilenden Subjects und der Er -LIEinleitung.kenntnisvermoͤgen deſſelben, ſo fern ſie der Principien a priori faͤhig ſind, von welchem Gebrauche (dem theo - retiſchen oder practiſchen) dieſe uͤbrigens auch ſeyn moͤ - gen, gezaͤhlt werden muß, welche die Propaͤdevtik aller Philoſophie iſt.

IX. Von der Verknuͤpfung der Geſetzgebungen des Verſtandes und der Vernunft durch die Urtheilskraft.

Der Verſtand iſt a priori geſetzgebend fuͤr die Natur als Object der Sinne, zu einem theoretiſchen Er - kenntnis derſelben in einer moͤglichen Erfahrung. Die Vernunft iſt a priori geſetzgebend fuͤr die Freyheit und ihre eigene Cauſſalitaͤt, als das Ueberſinn - liche in dem Subjecte, zu einem unbedingt-practiſchen Erkenntnis. Das Gebiet des Naturbegrifs, unter der einen, und das des Freyheitsbegrifs, unter der anderen Geſetzgebung, ſind gegen allen wechſelſeitigen Einflus, den ſie fuͤr ſich, (ein jedes nach ſeinen Grundgeſetzen) auf einander haben koͤnnten, durch die große Kluft, wel - che das Ueberſinnliche von den Erſcheinungen trennt, gaͤnzlich abgeſondert; der Freyheitsbegrif beſtimmt nichts in Anſehung der theoretiſchen Erkenntnis der Natur: der Naturbegrif eben ſo wohl nichts in Anſehung der pra - ctiſchen Geſetzte der Freyheit, und es iſt in ſo fern nicht moͤglich eine Bruͤcke von einem Gebiete zu dem andernd 2LIIEinleitung.hinuͤberzuſchlagen. Allein, wenn die Beſtimmungs - gruͤnde der Cauſſalitaͤt nach dem Freyheitsbegriffe (und der practiſchen Regel die er enthaͤlt) gleich nicht in der Natur belegen ſind und das Sinnliche das Ueberſinnliche im Subject nicht beſtimmen kann, ſo iſt dieſes doch um - gekehrt (zwar nicht in Anſehung des Erkenntniſſes der Natur, aber doch der Folgen aus dem erſteren auf die letztere) moͤglich und ſchon in dem Begriffe einer Cauſſa - litaͤt durch Freyheit enthalten, deren Wirkung dieſen ihren formalen Geſetzen gemaͤß in der Welt geſchehen ſoll, ob zwar das Wort Urſache, von dem Ueberſinnlichen gebraucht, nur den Grund bedeutet, die Cauſſalitaͤt der Naturdinge, zu einer Wirkung gemaͤs dieſer ihren eigenen Naturgeſetzen, zugleich aber doch auch mit dem formalen Princip der Vernunftgeſetze einhellig zu beſtim - men, wovon die Moͤglichkeit zwar nicht eingeſehen, aber der Einwurf von einem vorgeblichen Widerſpruch, der ſich darin faͤnde, hinreichend widerlegt werden kan. *)Einer von den verſchiedenen vermeynten Widerſpruͤchen in dieſer gaͤnzlichen Unterſcheidung der Naturcauſſalitaͤt von der durch Freyheit iſt der, da man ihr den Vorwurf macht: daß, wenn ich von Hinderniſſen, die die Natur der Cauſ - ſalitaͤt nach Freyheitsgeſetzen (den moraliſchen) legt, oder ihrer Befoͤrderung durch dieſelbe rede, ich doch der erſte - reu auf die letztere einen Einflus einraͤume. Aber, wenn man das Geſagte nur verſtehen will, ſo iſt die Misdeutung[s]ehr leicht zu verhuͤten. Der Widerſtand oder die Befoͤr -LIIIEinleitung. Die Wirkung nach dem Freyheitsbegriffe iſt der End - zweck, der (oder deſſen Erſcheinung in der Sinnenwelt exiſtiren ſoll, wozu die Bedingung der Moͤglichkeit deſſel - ben in der Natur (des Subjects als Sinnenweſens, naͤm - lich als Menſch) vorausgeſetzt wird. Das, was dieſe a priori und ohne Ruͤckſicht aufs Practiſche vorausſetzt, die Urtheilskraft, giebt den vermittelnden Begrif zwi - ſchen den Naturbegriffen und dem Freyheitsbegriffe, der den Uebergang von der reinen theoretiſchen zur reinen practiſchen, von der Geſetzmaͤßigkeit nach der erſten zum Endzwecke nach dem letzten moͤglich macht, in dem Be - griffe einer Zweckmaͤßigkeit der Natur an die Hand; denn dadurch wird die Moͤglichkeit des Endzwecks, der allein in der Natur und mit Einſtimmung ihrer Geſetze wirklich werden kan, erkannt.

Der Verſtand giebt, durch die Moͤglichkeit ſeiner Geſetze a priori fuͤr die Natur, einen Beweis davon, daß dieſe von uns nur als Erſcheinung erkannt werde,*)derung, iſt nicht zwiſchen der Natur und Freyheit, ſondern der erſteren als Erſcheinung und den Wirkungen der letzten als Erſcheinungen in der Sinnenwelt; und ſelbſt die Cauſ - ſalitaͤt der Freyheit (der reinen practiſchen Vernunft) iſt die Cauſſalitaͤt einer jener untergeordneten Natururſache (des Subjects, als Menſch, folglich als Erſcheinung be - trachtet), von deren Beſtimmung das Jntelligibile, wel - ches unter der Freyheit gedacht wird, auf eine uͤbrigens (eben ſo wie eben daſſelbe, was das Ueberſinnliche Subſtrat der Natur ausmacht) unerklaͤrliche Art, den Grund ent - haͤlt.LIIII[LIV]Einleitung.mithin zugleich Anzeige auf ein uͤberſinnliches Subſtrat derſelben; aber laͤßt dieſes gaͤnzlich unbeſtimmt. Die Urtheilskraft verſchaft durch ihr Princip a priori der Be - urtheilung der Natur, nach moͤglichen beſonderen Geſetzen derſelben, ihrem uͤberſinnlichen Subſtrat (in uns ſowohl als außer uns) Beſtimmbarkeit durchs intelle - ctuelle Vermoͤgen. Die Vernunft aber giebt eben demſelben durch ihr practiſches Geſetz a priori die Beſtimmung; und ſo macht die Urtheilskraft den Ue - bergang vom Gebiete des Naturbegrifs zu dem des Frey - heitsbegrifs moͤglich.

Jn Anſehung der Seelenvermoͤgen uͤberhaupt, ſo fern ſie als obere, d. i. als ſolche, die eine Avtonomie enthalten, betrachtet werden, iſt fuͤr das Erkenntnis - vermoͤgen (das theoretiſche der Natur) der Verſtand, dasjenige, welches die conſtitutive Principien a priori enthaͤlt; fuͤr das Gefuͤhl der Luſt und Unluſt iſt es die Urtheilskraft, unabhaͤngig von Begriffen und Empfindungen, die ſich auf Beſtimmung des Begeh - rungsvermoͤgens beziehen und dadurch unmittelbar pra - ctiſch ſeyn koͤnnten; fuͤr das Begehrungsvermoͤgen die Vernunft, welche ohne Vermittelung irgend einer Luſt, woher ſie auch komme, practiſch iſt und demſelben, als oberes Vermoͤgen, den Endzweck beſtimmt, der zu - gleich das reine intellectuelle Wohlgefallen am Objecte mit ſich fuͤhrt. Der Begrif der Urtheilskraft von ei -LVEinleitungner Zweckmaͤßigkeit der Natur iſt noch zu den Naturbe - griffen gehoͤrig, aber nur als regulatives Princip des Erkenntnisvermoͤgens; ob zwar das aͤſthetiſche Urtheil uͤber gewiſſe Gegenſtaͤnde (der Natur oder der Kunſt), welches ihn veranlaſſet, in Anſehung des Gefuͤhls der Luſt oder Unluſt ein conſtitutives Princip iſt. Die Spontaneitaͤt im Spiele der Erkenntnisvermoͤgen, deren Zuſammenſtimmung den Grund dieſer Luſt ent - haͤlt, macht den gedachten Begrif zur Vermittelung der Verknuͤpfung der Gebiete des Naturbegrifs mit dem Freyheitsbegriffe in ihren Folgen tauglich, indem dieſe zugleich die Empfaͤnglichkeit des Gemuͤths fuͤrs mora - liſche Gefuͤhl befoͤrdert. Folgende Tafel kann die Ueberſicht aller oberen Vermoͤgen ihrer ſyſtematiſchen Einheit nach erleichtern*)Man hat es bedenklich gefunden, daß meine Eintheilun - gen in der reinen Philoſophie faſt immer dreytheilig ausfal - len. Das liegt aber in der Natur der Sache. Soll eine Eintheilung a priori geſchehen, ſo wird ſie entweder analy - tiſch ſeyn, nach dem Satze des Widerſpruchs und da iſt ſie jederzeit zweytheilig (quodlibet ens eſt aut A aut non A) oder ſie iſt ſynthetiſch und, wenn ſie in dieſem Falle aus Begriffen a priori (nicht wie in der Mathematik aus der a priori dem Begriffe correſpondirenden Anſchauung) ſoll ge - fuͤhrt werden, ſo muß, nach demjenigen, was zu der ſyn - thetiſchen Einheit uͤberhaupt erforderlich iſt, naͤmlich 1. Be - dingung 2. ein Bedingtes 3. der Begrif der aus der Ver - einigung des Bedingten mit ſeiner Bedingung entſpringt, die Eintheilung nothwendig Trichotomie ſeyn..

LVIEinleitung.
Jnnhalt -[LVII]

Eintheilung des ganzen Werks.

  • Erſter Theil. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
  • Erſter Abſchnitt. Analytik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
  • Erſtes Buch. Analytik des Schoͤnen. S. 3
  • Zweytes Buch. Analytik des Erhabenen. 73
  • Zweyter Abſchnitt. Dialectik der aͤſthet. Urtheilskraft. 228
LVIII
  • Zweyter Theil. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. 261
  • Erſte Abtheilung. Analytik der teleolog. Urtheiltskraft. 267
  • Zweyte Abtheilung. Dialectik der teleolog. Urtheilskraft. 307
  • Anhang. Methodenlehre der teleolog. Urtheilsk. 359

Der Critik der Urtheilskraft Erſter Theil. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Kants Crit. d. Urtheilskr. A

Erſter Abſchnitt. Analytik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Erſtes Buch. Analytik des Schoͤnen.

Erſtes Moment des Geſchmacksurtheils*)Die Definition des Geſchmacks, welche hier zum Grunde gelegt wird, iſt: daß er das Vermoͤgen der Beurtheilung des Schoͤnen ſey. Was aber dazu erfodert wird, um einen Gegenſtand ſchoͤn zu nennen, das muß die Analyſe der Ur - theile des Geſchmacks entdecken. Die Momente, worauf dieſe Urtheilskraft in ihrer Reflexion acht hat, habe ich nach der Qualitaͤt nach.

§. 1. Das Geſchmacksurtheil iſt aͤſthetiſch.

Um zu unterſcheiden, ob etwas ſchoͤn ſey oder nicht, beziehen wir die Vorſtellung nicht durch den Verſtand auf’s Object zum Erkenntniſſe, ſondern durch die Einbil -A 24I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.dungskraft (vielleicht mit dem Verſtande verbunden) aufs Subject und das Gefuͤhl der Luſt oder Unluſt deſſel - ben. Das Geſchmacksurtheil iſt alſo kein Erkenntnis - urtheil, mithin nicht logiſch, ſondern aͤſthetiſch, wor - unter man dasjenige verſteht, deſſen Beſtimmungsgrund nicht anders als ſubjectiv ſeyn kann. Alle Bezie - hung der Vorſtellungen, ſelbſt die der Empfindungen, aber kann objectiv ſeyn (und da bedeutet ſie das Reale einer empiriſchen Vorſtellung): nur nicht die auf das Gefuͤhl der Luſt und Unluſt, wodurch gar nichts im Ob - jecte bezeichnet wird, ſondern in der das Subject, wie es durch die Vorſtellung afficirt wird, ſich ſelbſt fuͤhlt.

Ein regelmaͤßiges, zweckmaͤßiges Gebaͤude mit ſei - nem Erkenntnißvermoͤgen (es ſey in deutlicher oder ver - worrener Vorſtellungsart) zu befaſſen, iſt ganz etwas anders, als ſich dieſer Vorſtellung mit der Empfindung des Wohlgefallens bewußt zu ſeyn. Hier wird die Vorſtellung gaͤnzlich aufs Subject, und zwar auf das Lebensgefuͤhl deſſelben, unter dem Namen des Gefuͤhls der Luſt oder Unluſt, bezogen, welches ein ganz beſonde - res Unterſcheidungs - und Beurtheilungsvermoͤgen gruͤn - det, das zum Erkenntnis nichts beytraͤgt, ſondern nur*)Anleitung der logiſchen Functionen zu urtheilen, aufgeſucht (denn im Geſchmacksurtheile iſt immer noch eine Beziehung auf den Verſtand enthalten). Die der Qualitaͤt habe ich zuerſt in Betrachtung gezogen, weil das aͤſthetiſche Urtheil uͤber das Schoͤne auf dieſe zuerſt Ruͤckſicht nimmt.5I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.die gegebene Vorſtellung im Subjecte gegen das ganze Vermoͤgen der Vorſtellungen haͤlt, deſſen ſich das Ge - muͤth im Gefuͤhl ſeines Zuſtandes bewußt wird. Gege - bene Vorſtellungen in einem Urtheile koͤnnen empiriſch (mithin aͤſthetiſch) ſeyn, das Urtheil aber, das durch ſie gefaͤllt wird, iſt logiſch, wenn jene nur im Urtheile aufs Object bezogen werden. Umgekehrt aber, wenn die gegebenen Vorſtellungen gar rational waͤren, wuͤr - den aber in einem Urtheile lediglich aufs Subject (ſein Gefuͤhl) bezogen, ſo ſind ſie ſofern jederzeit aͤſthetiſch.

§. 2. Das Wohlgefallen, welches das Geſchmacks - urtheil beſtimmt, iſt ohne alles Jntereſſe.

Jntereſſe wird das Wohlgefallen genannt, was wir mit der Vorſtellung der Exiſtenz eines Gegenſtandes ver - binden. Ein ſolches hat daher immer zugleich Beziehung aufs Begehrungsvermoͤgen, entweder als Beſtimmungs - grund deſſelben, oder doch als mit dem Beſtimmungs - grunde deſſelben nothwendig zuſammenhaͤngend. Nun will man aber, wenn die Frage iſt, ob etwas ſchoͤn ſey, nicht wiſſen, ob uns, oder irgend jemand, an der Exi - ſtenz der Sache irgend etwas gelegen ſey, oder auch nur gelegen ſeyn koͤnne, ſondern wie wir ſie in der bloßen Betrachtung (Anſchauung oder Reflexion) beurtheilen. Wenn mich jemand fraͤgt, ob ich den Pallaſt, den ichA 36I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.vor mir ſehe, ſchoͤn finde, ſo mag ich zwar ſagen: ich liebe dergleichen Dinge nicht, die blos fuͤrs Angaffen ge - macht ſind, oder, wie jener Jrokeſiſche Sachem, ihm gefallen in Paris nichts beſſer als die Garkuͤchen; ich kann noch uͤberdem auf die Eitelkeit der Großen auf gut Rouſſeauiſch ſchmaͤlen, welche den Schweis des Volks auf ſo entbehrliche Dinge verwenden, ich kann mich end - lich gar leicht uͤberzeugen, daß, wenn ich mich auf einem unbewohnten Eylande, ohne Hofnung jemals wieder zu Menſchen zu kommen, befaͤnde, und ich durch meinen bloßen Wunſch ein ſolches Prachtgebaͤude hinzaubern koͤnnte, ich mir auch nicht einmal dieſe Muͤhe darum ge - ben wuͤrde, wenn ich ſchon eine Huͤtte haͤtte, die mir be - quem genug iſt. Man kann mir alles dieſes einraͤumen und gutheißen, nur davon iſt jetzt nicht die Rede. Man will nur wiſſen, ob die bloße Vorſtellung des Gegenſtan - des in mir mit Wohlgefallen begleitet ſey, ſo gleichguͤltig ich auch immer in Anſehung der Exiſtenz des Gegenſtan - des dieſer Vorſtellung ſeyn mag. Man ſieht leicht, daß es auf dem, was ich aus dieſer Vorſtellung in mir ſelbſt mache, nicht auf dem, worin ich von der Exiſtenz des Gegenſtandes abhaͤnge, ankomme, um zu ſagen, er ſey ſchoͤn und zu beweiſen, ich habe Geſchmack. Ein jeder muß eingeſtehen, daß dasjenige Urtheil uͤber Schoͤnheit, worin ſich das mindeſte Jntereſſe mengt, ſehr partheylich und kein reines Geſchmacksurtheil ſey. Man muß nicht im mindeſten fuͤr die Exiſtenz der Sache eingenommen,7I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſondern in dieſem Betracht ganz gleichguͤltig ſeyn, um in Sachen des Geſchmacks den Richter zu ſpielen.

Wir koͤnnen aber dieſen Satz, der von vorzuͤglicher Erheblichkeit iſt, nicht beſſer erlaͤutern, als wenn wir dem reinen unintereſſirten*)Ein Urtheil uͤber einen Gegenſtand des Wohlgefallens kann ganz unintereſſirt, aber doch ſehr intereſſant ſeyn, d. i. es gruͤndet ſich auf keinem Jntereſſe, aber es bringt ein Jn - tereſſe hervor; dergleichen ſind alle reine moraliſche Urtheile. Aber die Geſchmacksurtheile begruͤnden an ſich auch gar kein Jntereſſe. Nur in der Geſellſchaft wird es intereſſant Ge - ſchmack zu haben, wovon der Grund in der Folge angezeigt werden wird. Wohlgefallen im Geſchmacks - urtheile dasjenige, was mit Jntereſſe verbunden iſt, ent - gegenſetzen, vornehmlich wenn wir zugleich gewiß ſeyn koͤnnen, daß es nicht mehr Arten des Jntereſſe gebe, als die ſo eben jetzt namhaft gemacht werden ſollen.

§. 3. Das Wohlgefallen am Angenehmen iſt mit Jntereſſe verbunden.

Angenehm iſt das, was den Sinnen in der Empfindung gefaͤllt. Hier zeigt ſich nun ſofort die Gelegenheit, eine ganz gewoͤhnliche Verwechſe - lung der doppelten Bedeutung, die das Wort Empfin - dung haben kann, zu ruͤgen und darauf aufmerkſam zu machen. Alles Wohlgefallen, (ſagt oder denkt man) iſt ſelbſt Empfindung (einer Luſt). Mithin iſt alles wasA 48I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.gefaͤllt, eben hierin, daß es gefaͤllt, angenehm (und nach den verſchiedenen Graden oder auch Verhaͤltniſſen zu andern angenehmen Empfindungen anmuthig, lieblich, ergoͤtzend, erfreulich u. ſ. w.). Wird aber das eingeraͤumt, ſo ſind Eindruͤcke der Sinne, welche der Neigung, oder Grundſaͤtze der Vernunft, die den Willen, oder bloße reflectirte Formen der Anſchauung, die die Urtheilskraft beſtimmen, was die Wirkung aufs Gefuͤhl der Luſt betrift, gaͤnzlich einerley. Denn dieſe waͤre die Annehmlichkeit in der Empfindung ſeines Zu - ſtandes, und, da doch endlich alle Bearbeitung unſerer Vermoͤgen aufs Practiſche ausgehen und ſich darin als in ihrem Ziele vereinigen muß, ſo koͤnnte man ihnen keine andere Schaͤtzung der Dinge und ihres Werths zumu - then, als die in dem Vergnuͤgen beſteht, welches ſie ver - ſprechen. Auf die Art, wie ſie dazu gelangen, kommt es am Ende gar nicht an, und da nur die Wahl der Mittel hierin allein einen Unterſchied machen kann, ſo koͤnnten Menſchen einander wohl der Thorheit und des Unverſtandes, niemals aber der Niedertraͤchtigkeit und Bosheit beſchuldigen; weil ſie doch alle, ein jeder nach ſeiner Art die Sachen zu ſehen, nach einem Ziele laufen, das fuͤr jedermann das Vergnuͤgen iſt.

Wenn eine Beſtimmung des Gefuͤhls der Luſt oder Unluſt Empfindung genannt wird, ſo bedeutet dieſer Ausdruck etwas ganz anderes, als wenn ich eine Vor - ſtellung einer Sache (durch Sinne als zum Erkenntnis9I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.gehoͤrige Receptivitaͤt) Empfindung nenne. Denn im letztern Falle wird die Vorſtellung aufs Object, im er - ſtern aber lediglich aufs Subject bezogen, und dient zu gar keinem Erkenntniſſe, auch nicht zu demjenigen, da - durch ſich das Subject ſelbſt erkennt.

Wir verſtehen aber in der obigen Erklaͤrung unter dem Worte Empfindung eine objective Vorſtellung der Sinne, und, um nicht immer Gefahr zu laufen, mis - gedeutet zu werden, wollen wir das, was jederzeit blos ſubjectiv bleiben muß und ſchlechterdings keine Vorſtel - lung eines Gegenſtandes ausmachen kann, mit dem ſonſt uͤblichen Namen des Gefuͤhls benennen. Die gruͤne Farbe der Wieſen gehoͤrt zur objectiven Empfindung, als Wahrnehmung eines Gegenſtandes des Sinnes; die Annehmlichkeit derſelben aber zur ſubjectiven Empfin - dung, wodurch kein Gegenſtand vorgeſtellt wird; d. i. zum Gefuͤhl, dadurch der Gegenſtand als Object des Wohlgefallens (welches kein Erkenntnis deſſelben iſt) betrachtet wird.

Daß nun mein Urtheil uͤber einen Gegenſtand, da - durch ich ihn fuͤr angenehm erklaͤre, ein Jntereſſe an demſelben ausdruͤcke, iſt daraus ſchon klar, daß es durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenſtaͤnde rege macht, mithin das Wohlgefallen nicht das bloße Urtheil uͤber ihn, ſondern die Beziehung ſeiner Exiſtenz auf meinen Zuſtand, ſofern er durch ein ſolches Object afficirt wird, vorausſetzt. Daher man von dem Ange -A 510I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.nehmen nicht blos ſagt, es gefaͤllt, ſondern es ver - gnuͤgt. Es iſt nicht ein bloßer Beyfall, den ich ihm widme, ſondern Neigung wird dadurch erzeugt und zu dem, was auf die lebhafteſte Art angenehm iſt, gehoͤrt ſogar kein Urtheil uͤber die Beſchaffenheit des Objects, daß diejenigen, ſo immer nur aufs Genieſſen ausge - hen, (denn das iſt das Wort, womit man das Jn - nige des Vergnuͤgens bezeichnet) ſich gerne alles Urthei - lens uͤberheben.

§. 4. Das Wohlgefallen am Guten iſt mit Jn - tereſſe verbunden.

Gut iſt das, was vermittelſt der Vernunft durch den bloßen Begrif gefaͤllt. Wir nennen einiges wozu gut, (das Nuͤtzliche) was nur als Mittel gefaͤllt; ein anderes aber an ſich gut, was fuͤr ſich ſelbſt gefaͤllt. Jn beiden iſt immer der Begrif eines Zwecks, mithin das Verhaͤltnis der Vernunft zum (wenigſtens moͤgli - lichen) Wollen, folglich ein Wohlgefallen am Daſeyn eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Jn - tereſſe enthalten.

Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wiſſen, was der Gegenſtand fuͤr ein Ding ſeyn ſolle, d. i. einen Begrif von demſelben haben. Um Schoͤnheit woran zu finden, habe ich das nicht noͤthig. Blumen, freye Zeich - nungen, ohne Abſicht in einander geſchlungene Zuͤge,11I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.unter dem Namen des Laubwerks, bedeuten nichts, haͤn - gen von keinem beſtimmten Begriffe ab, und gefallen doch. Das Wohlgefallen am Schoͤnen muß von der Reflexion uͤber einen Gegenſtand, die zu irgend einem Begriffe (unbeſtimmt welchem) fuͤhrt, abhangen und unterſcheidet ſich dadurch auch vom Angenehmen, das ganz auf der Empfindung beruht.

Zwar ſcheint das Angenehme mit dem Guten in vielen Faͤllen einerley zu ſeyn. So wird man gemeinig - lich ſagen: alles (vornehmlich dauerhafte) Vergnuͤgen iſt an ſich ſelbſt gut; welches ohngefaͤhr ſo viel heißt, als dauerhaft angenehm oder gut ſeyn, iſt einerley. Allein man kann bald bemerken, daß dieſes blos eine fehlerhafte Wortvertauſchung ſey, da die Begriffe, welche dieſen Ausdruͤcken eigenthuͤmlich anhaͤngen, keinesweges ge - gen einander ausgetauſcht werden koͤnnen. Das Ange - nehme, das, als ein ſolches, den Gegenſtand lediglich in Beziehung auf den Sinn vorſtellt, muß allererſt durch den Begrif eines Zwecks unter Principien der Vernunft gebracht werden, um es, als Gegenſtand des Willens, gut zu nennen. Daß dieſes aber alsdenn eine ganz an - dere Beziehung auf das Wohlgefallen ſey, wenn ich das, was vergnuͤgt, zugleich gut nenne, iſt daraus zu erſe - hen, daß beym Guten immer die Frage iſt, ob es blos mittelbar-gut oder unmittelbar-gut (ob nuͤtzlich oder an ſich gut) ſey, da hingegen beym Angenehmen hieruͤber gar nicht die Frage ſeyn kann, indem das Wort jederzeit12I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.etwas bedeutet, was unmittelbar gefaͤllt. (Eben ſo iſt es auch mit dem, was ich ſchoͤn nenne, bewandt.)

Selbſt in den gemeinſten Reden unterſcheidet man das Angenehme vom Guten. Von einem durch Gewuͤrze und andern Zuſaͤtzen den Geſchmack erhebenden Gerichte ſagt man ohne Bedenken, es ſey angenehm, und geſteht zugleich, daß es nicht gut ſey, weil es zwar unmittelbar den Sinnen behagt, mittelbar aber, d. i. durch die Vernunft, die auf die Folgen hinaus ſieht, betrachtet, misfaͤllt. Selbſt in der Beurtheilung der Geſundheit kann man noch dieſen Unterſchied bemerken. Sie iſt je - dem, der ſie beſitzt, unmittelbar angenehm (wenigſtens negativ, d. i. als Entfernung aller koͤrperlichen Schmer - zen). Aber, um zu ſagen, daß ſie gut ſey, muß man ſie noch durch die Vernunft auf Zwecke richten, nehmlich daß ſie ein Zuſtand iſt, der uns zu allen unſern Geſchaͤf - ten auferlegt macht. Aber von der Gluͤckſeligkeit, glaubt endlich doch jedermann die groͤßte Summe (der Menge ſowohl als Dauer nach) der Annehmlichkeiten des Le - bens, ein wahres, ja ſogar das hoͤchſte Gut nennen zu koͤnnen. Allein auch dawider ſtraͤubt ſich die Vernunft. Annehmlichkeit iſt Genuß. Jſt es aber auf dieſen allein angelegt, ſo waͤre es thoͤricht, ſcrupuloͤs in Anſehung der Mittel zu ſeyn, die ihn uns verſchaffen, ob er lei - dend, von der Freygebigkeit der Natur, oder durch Selbſtthaͤtigkeit und unſer eigen Wirken erlangt waͤre. Daß aber eines Menſchen Exiſtenz einen Werth habe,13I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.der nur blos lebt (und in dieſer Abſicht noch ſo ſehr ge - ſchaͤftig iſt) um zu genießen, ſogar wenn er dabey an - dern, die alle eben ſo wohl nur aufs Genießen ausge - hen, als Mittel dazu aufs beſte befoͤrderlich waͤre, und zwar darum, weil er durch Sympathie alles Vergnuͤgen mit genoͤſſe, das wird ſich die Vernunft nie uͤberreden laſſen. Nur durch das, was er thut, ohne Ruͤckſicht auf Genuß, in voller Freyheit und unabhaͤngig von dem, was ihm die Natur auch leidend verſchaffen koͤnnte, giebt er ſeinem Daſeyn als der Exiſtenz einer Perſon einen Werth und die Gluͤckſeligkeit iſt, mit der ganzen Fuͤlle ihrer Annehmlichkeit, bey weitem nicht ein unbeding - tes Gut. *)Eine Verbindlichkeit zum Genieſſen iſt eine offenbare Un - gereimtheit. Eben das muß alſo auch eine vorgegebene Verbindlichkeit zu allen Handlungen ſeyn, die zu ihrem Ziele blos das Genieſſen haben, dieſes mag nun ſo geiſtig ausgedacht (oder verbraͤmt) ſeyn, wie es wolle, und wenn es auch ein myſtiſcher ſogenannter himmliſcher Genuß waͤre.

Aber, unerachtet aller dieſer Verſchiedenheit zwi - ſchen dem Angenehmen und Guten, kommen beyde doch darin uͤberein: daß ſie jederzeit mit einem Jntereſſe an ihrem Gegenſtande verbunden ſind, nicht allein das An - genehme §. 3 und das mittelbar Gute (das Nuͤtzliche) welches als Mittel zu irgend einer Annehmlichkeit ge - faͤllt, ſondern auch das ſchlechterdings und in aller Ab - ſicht Gute, nehmlich das moraliſche, welches das hoͤchſte Jntereſſe bey ſich fuͤhrt. Denn das Gute iſt das Object14I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.des Willens (d. i. eines durch Vernunft beſtimmten Be - gehrungsvermoͤgens). Etwas aber wollen und an dem Daſeyn deſſelben ein Wohlgefallen haben d. i. daran ein Jntereſſe nehmen, iſt identiſch.

§. 5. Vergleichung der drey ſpecifiſch verſchiedenen Arten des Wohlgefallens.

Das Angenehme und Gute haben beyde eine Bezie - hung auf’s Begehrungsvermoͤgen, und fuͤhren ſofern, je - nes ein pathologiſch-bedingtes (durch Anreize, Stimulos), dieſes ein reines practiſches Wohlgefallen bey ſich, wel - ches nicht blos durch die Vorſtellung des Gegenſtandes, ſondern zugleich durch die vorgeſtellte Verknuͤpfung des Subjects mit der Exiſtenz deſſelben beſtimmt wird. Daher iſt das Geſchmacksurtheil blos contemplativ d. i. ein Urtheil welches, indifferent in Anſehung des Daſeyns eines Gegenſtandes, nur ſeine Beſchaffenheit mit Gefuͤhl der Luſt und Unluſt zuſammenhaͤlt. Aber dieſe Contem - plation ſelbſt iſt auch nicht auf Begriffe gerichtet; denn das Geſchmacksurtheil iſt kein Erkenntnisurtheil (ein theoretiſches) und daher auch nicht auf Begriffe ge - gruͤndet oder auch auf ſolche abgezweckt.

Das Angenehme, das Schoͤne, das Gute bezeich - nen alſo drey verſchiedene Verhaͤltniſſe der Vorſtellungen zum Gefuͤhl der Luſt und Unluſt, in Beziehung auf wel -15I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ches wir Gegenſtaͤnde, oder Vorſtellungsarten, von ein - ander unterſcheiden. Auch ſind die jedem angemeſſene Ausdruͤcke, womit man die Complacenz in denſelben be - zeichnet, nicht einerley. Angenehm heißt Jemanden das, was ihn vergnuͤgt, ſchoͤn was ihm blos ge - faͤllt, gut was geſchaͤtzt d. i. worin von ihm ein objectiver Werth geſetzt wird. Annehmlichkeit gilt auch fuͤr vernunftloſe Thiere, Schoͤnheit nur fuͤr Menſchen d. i. thieriſche, aber doch vernuͤnftige Weſen, das Gute aber fuͤr jedes vernuͤnftige Weſen uͤberhaupt. Ein Satz, der nur in der Folge ſeine vollſtaͤndige Rechtfertigung und Erklaͤrung bekommen kann. Man kann ſagen: daß unter allen dieſen drey Arten des Wohlgefallens, das des Geſchmacks am Schoͤnen einzig und allein ein unin - tereſſirtes und freyes Wohlgefallen ſey; denn ein Jn - tereſſe, ſowohl das der Sinne, als das der Vernunſt, zwingt den Beyfall ab. Daher koͤnnte man von dem Wohlgefallen ſagen: es beziehe ſich in den drey genann - ten Faͤllen auf Neigung, oder Gunſt, oder Ach - tung. Denn Gunſt iſt das einzige freye Wohlge - fallen. Ein Gegenſtand der Neigung und der, ſo durch ein Vernunftgeſetz uns zum Begehren auferlegt wird, laſſen uns keine Freyheit, uns ſelbſt irgend woraus ei - nen Gegenſtand der Luſt zu machen. Alles Jntereſſe ſetzt Beduͤrfnis voraus, oder bringt eines hervor und, als Beſtimmungsgrund des Beyfalls, laͤßt es das Ur - theil uͤber den Gegenſtand nicht mehr frey ſeyn.

16I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Was das Jntereſſe der Neigung beym Angenehmen betrift, ſo ſagt jedermann: Hunger iſt der beſte Koch, und Leuten von geſundem Appetit ſchmeckt alles, was nur eßbar iſt; mithin beweiſet ein ſolches Wohlgefallen keine Wahl nach Geſchmack. Nur wenn das Beduͤrfnis befriedigt iſt, kann man unterſcheiden, wer unter vielen Geſchmack habe, oder nicht. Eben ſo giebt es Sitten (Conduite) ohne Tugend, Hoͤflichkeit ohne Wohlwollen, Anſtaͤndigkeit ohne Ehrbarkeit u. ſ. w. Denn wo das ſittliche Geſetz ſpricht, da giebt es auch weiter keine freye Wahl in Anſehung deſſen, was zu thun ſey, und Ge - ſchmack in ſeiner Auffuͤhrung (oder Beurtheilung ande - rer ihrer) zeigen, iſt etwas ganz anderes, als ſeine mo - raliſche Denkungsart aͤußern; denn dieſe enthaͤlt ein Ge - bot und bringt ein Beduͤrfnis hervor, da hingegen der ſittliche Geſchmack mit den Gegenſtaͤnden des Wohlge - fallens nur ſpielt, ohne ſich an eines zu haͤngen.

Aus dem erſten Momente gefolgerte Erklaͤ - rung des Schoͤnen.

Geſchmack iſt das Beurtheilungsvermoͤgen ei - nes Gegenſtandes oder einer Vorſtellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Misfallen, ohne alles Jn - tereſſe. Der Gegenſtand eines ſolchen Wohlgefallens heißt Schoͤn.

Zweytes17I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Zweytes Moment des Geſchmacksurtheils, naͤmlich ſeiner Quantitaͤt nach.

§. 6. Das Schoͤne iſt das, was ohne Begriffe, als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgeſtellt wird.

Dieſe Erklaͤrung des Schoͤnen kann aus der vorigen Erklaͤrung deſſelben, als eines Gegenſtandes des Wohl - gefallens ohne alles Jntereſſe, gefolgert werden. Denn das, wovon jemand ſich bewußt iſt, daß das Wohlge - fallen an demſelben bey ihm ſelbſt ohne alles Jntereſſe ſey, das kann derſelbe nicht anders als ſo beurtheilen, daß es einen Grund des Wohlgefallens fuͤr jedermann enthalten muͤſſe. Denn da es ſich nicht auf irgend eine Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes uͤberlegtes Jntereſſe) gruͤndet, ſondern der Urtheilende ſich in Anſehung des Wohlgefallens, welches er dem Ge - genſtande widmet, voͤllig frey fuͤhlt: ſo kann er keine Privatbedingungen als Gruͤnde des Wohlgefallens auf - finden, an die ſich ſein Subject allein hinge und muß es daher als in demjenigen begruͤndet anſehen, was er auch bey jedem andern vorausſetzen kann; folglich muß er glauben Grund zu haben, jedermann ein aͤhnliches Wohlgefallen zuzumuthen. Er wird daher vom Schoͤ -Kants Crit. d. Urtheilskr. B18I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.nen ſo ſprechen, als ob Schoͤnheit eine Beſchaffenheit des Gegenſtandes und das Urtheil logiſch (durch Begriffe vom Objecte eine Erkenntnis deſſelben ausmachen) waͤre; ob es gleich nur aͤſthetiſch iſt und blos eine Beziehung der Vorſtellung des Gegenſtandes aufs Subject enthaͤlt; darum, weil es doch mit dem logiſchen die Aehnlichkeit hat, daß man die Guͤltigkeit deſſelben fuͤr jederman dar - an vorausſetzen kann. Aber aus Begriffen kann dieſe Allgemeinheit auch nicht entſpringen. Denn von Be - griffen giebt es keinen Uebergang zum Gefuͤhle der Luſt und Unluſt (ausgenommen in reinen practiſchen Ge - ſetzen, die aber ein Jntereſſe bey ſich fuͤhren, dergleichen mit dem reinen Geſchmacksurtheile nicht verbunden iſt). Folglich muß dem Geſchmacksurtheile, mit dem Bewußt - ſeyn der Abſonderung in demſelben von allem Jntereſſe, ein Anſpruch auf Guͤltigkeit fuͤr jedermann ohne auf Objecte geſtellte Allgemeinheit anhaͤngen, d. i. es muß damit ein Anſpruch auf ſubjective Allgemeinheit ver - bunden ſeyn.

§. 7. Vergleichung des Schoͤnen mit dem Angeneh - men und Guten durch obiges Merkmal.

Jn Anſehung des Angenehmen beſcheidet ſich ein jeder: daß ſein Urtheil, welches er auf ein Privatgefuͤhl gruͤndet und wodurch er von einem Gegenſtande ſagt, daß er ihm gefalle, ſich auch blos auf ſeine Perſon ein -19I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſchraͤnke. Daher iſt er es gern zufrieden, daß, wenn er ſagt, der Canarienſect iſt angenehm, ihm ein anderer den Ausdruck verbeſſern und ihn erinnere, er ſolle ſa - gen: er iſt mir angenehm, und ſo nicht allein im Ge - ſchmack der Zunge, des Gaumens und des Schlundes, ſondern auch dem, was fuͤr Augen und Ohren jedem an - genehm ſeyn mag. Dem einen iſt die violette Farbe ſanft und lieblich, dem andern todt und erſtorben. Einer liebt den Ton der Blasinſtrumente, der andre den von den Saiteninſtrumenten. Daruͤber in der Abſicht zu ſtreiten um das Urtheil anderer, welches von dem unſri - gen verſchieden iſt, gleich als ob es dieſem logiſch entge - gen geſetzt waͤre, fuͤr unrichtig zu ſchelten, waͤre Thor - heit und in Anſehung des Angenehmen gilt der Grund - ſatz: ein jeder hat ſeinen beſondern Geſchmack (der Sinne).

Mit dem Schoͤnen iſt es ganz anders bewandt. Es waͤre (gerade umgekehrt) laͤcherlich, wenn jemand, der ſich auf ſeinen Geſchmack etwas einbildete, ſich damit zu rechtfertigen gedaͤchte, dieſer Gegenſtand (das Gebaͤude, was wir ſehen, das Kleid, was jener traͤgt, das Con - cert, was wir hoͤren, das Gedicht, welches zur Beur - theilung aufgeſtellt iſt,) iſt fuͤr mich ſchoͤn. Denn er muß es nicht ſchoͤn nennen, wenn es blos ihm gefaͤllt. Einen Reiz und Annehmlichkeit mag fuͤr ihn Vieles haben, darum bekuͤmmert ſich niemand; wenn er aber etwas fuͤr ſchoͤn ausgiebt, ſo muthet er andern ebenB 220I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.daſſelbe Wohlgefallen zu, er urtheilt nicht blos fuͤr ſich, ſondern fuͤr jedermann, und ſpricht alsdenn von der Schoͤnheit, als waͤre ſie eine Eigenſchaft der Dinge. Er ſagt daher, die Sache iſt ſchoͤn und rechnet nicht etwa darum auf andere Einſtimmung in ſein Urtheil des Wohl - gefallens, weil er es mehrmalen mit dem ſeinigen ein - ſtimmig befunden hat, ſondern fordert es von ihnen. Er tadelt ſie, wenn ſie anders urtheilen und ſpricht ih - nen den Geſchmack ab, von dem er doch verlangt, daß ſie ihn haben ſollen, und ſofern kann man nicht ſagen: ein jeder hat ſeinen beſondern Geſchmack. Dieſes wuͤede ſo viel ſagen, als: es giebt gar keinen Geſchmack, d. i. kein aͤſthetiſches Urtheil, welches auf jedermanns Bey - ſtimmung rechtmaͤßigen Anſpruch machen koͤnnte.

Gleichwohl findet man auch in Anſehung des Ange - nehmen, daß in der Beurtheilung deſſelben ſich Einhel - ligkeit unter Menſchen antreffen laſſe, in Abſicht auf welche man doch einigen den Geſchmack abſpricht, an - dern ihn zugeſteht, und zwar nicht in der Bedeutung als Organſinn, ſondern als Beurtheilungsvermoͤgen in An - ſehung des Angenehmen uͤberhaupt. So ſagt man von jemanden, der ſeine Gaͤſte mit Annehmlichkeiten (des Genuſſes durch alle Sinne) ſo zu unterhalten weiß, daß es ihnen insgeſammt gefaͤllt; er habe Geſchmack. Aber hier wird die Allgemeinheit nur comparativ genommen und da giebt es nur generale, nicht univerſale Re - geln, welche letztere das Geſchmacksurtheil uͤber das21I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Schoͤne ſich unternimmt oder darauf Anſpruch macht. Es iſt ein Urtheil in Beziehung auf die Geſelligkeit, ſo - fern ſie auf empiriſchen Regeln beruht. Jn Anſehung des Guten machen die Urtheile zwar auch mit Recht auf Guͤl - tigkeit fuͤr jedermann Anſpruch, allein das Gute wird nur durch einen Begrif als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgeſtellt, welches weder beym Ange - nehmen noch Schoͤnen der Fall iſt.

§. 8. Die Allgemeinheit des Wohlgefallens wird in einem Geſchmacksurtheile nur als ſub - jectiv vorgeſtellt.

Dieſe beſondere Beſtimmung der Allgemeinheit eines aͤſthetiſchen Urtheils, die ſich in einem Geſchmacksurtheile antreffen laͤßt, iſt eine Merkwuͤrdigkeit, zwar nicht fuͤr den Logiker, aber wohl fuͤr den Transſcendental-Philo - ſophen, welche ihre nicht geringe Bemuͤhung auffordert, um den Urſprung derſelben zu entdecken, dafuͤr aber auch eine Eigenſchaft unſeres Erkenntnisvermoͤgens aufdeckt, welche, ohne dieſe Zergliederung, unbekannt geblie - ben waͤre.

Zuerſt muß man ſich davon voͤllig uͤberzeugen: daß man durchs Geſchmacksurtheil (uͤber das Schoͤne) das Wohlgefallen an einem Gegenſtande jedermann an - ſinne, ohne ſich doch auf einem Begriffe zu gruͤnden (denn da waͤre es das Gute), und daß dieſer An -B 322I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſpruch auf Allgemeinguͤltigkeit, ſo weſentlich zu einem Urtheil gehoͤre, dadurch wir etwas fuͤr ſchoͤn erklaͤren, daß, ohne dieſelbe dabey zu denken, es niemand in die Gedanken kommen wuͤrde, dieſen Ausdruck zu brauchen, ſondern alles, was ohne Begrif gefaͤllt, zum Angeneh - men gezaͤhlt werden wuͤrde, in Anſehung deſſen man jeg - lichem ſeinen Kopf fuͤr ſich haben laͤßt und keiner dem an - dern Einſtimmung zu ſeinem Geſchmacksurtheile zumu - thet, welches doch im Geſchmacksurtheile uͤber Schoͤn - heit jederzeit geſchieht. Jch kann den erſten den Sinnen - Geſchmack, den zweyten den Reflexions-Geſchmack nen - nen: ſofern der erſtere blos Privaturtheile, der zweyte aber vorgebliche gemeinguͤltige (publike), beyderſeits aber aͤſthetiſche (nicht practiſche) Urtheile; aber einen Gegenſtand, in Anſehung des Verhaͤltniſſes ſeiner Vor - ſtellung zum Gefuͤhl der Luſt und Unluſt, faͤllet. Nun iſt es doch befremdlich, daß, da von dem Sinnenge - ſchmack nicht allein die Erfahrung zeigt, daß ſein Urtheil (der Luſt oder Unluſt an irgend etwas) nicht allgemein gelte, ſondern jedermann auch von ſelbſt ſo beſcheiden iſt, dieſe Einſtimmung andern nicht eben anzuſinnen (ob ſich gleich wirklich oͤfters eine ſehr ausgebreitete Einhelligkeit auch in dieſen Urtheilen vorfindet), der Reflexionsge - ſchmack, der doch auch oft genug mit ſeinem Anſpruche auf die allgemeine Guͤltigkeit ſeines Urtheils (uͤber das Schoͤne) fuͤr jedermann abgewieſen wird, wie die Erfah - rung lehrt, gleichwohl es moͤglich finden koͤnne (welches23I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.er auch wirklich thut) ſich Urtheile vorzuſtellen, die dieſe Einſtimmung allgemein fordern koͤnnten und ſie in der That fuͤr jedes ſeiner Geſchmacksurtheile jedermann zu - muthet, ohne daß die Urtheilenden wegen der Moͤglich - keit eines ſolchen Anſpruchs im Streite ſind, ſondern ſich nur in beſondern Faͤllen wegen der richtigen Anwen - dung dieſes Vermoͤgens nicht einigen koͤnnen.

Hier iſt nun allererſt zu merken, daß eine Allgemein - heit, die nicht auf Begriffen vom Objecte (wenn gleich nur empiriſchen) beruht, gar nicht logiſch, ſondern aͤſthe - tiſch ſey, d. i. keine objective Quantitaͤt des Urtheils, ſondern nur eine ſubjective enthalte, fuͤr welche ich auch den Ausdruck Gemeinguͤltigkeit, welcher die Guͤl - tigkeit nicht von der Beziehung einer Vorſtellung aufs Erkenntnisvermoͤgen, ſondern auf das Gefuͤhl der Luſt und Unluſt fuͤr jedes Subject gebrauche. (Man kann ſich aber auch deſſelben Ausdrucks fuͤr die logiſche Quan - titaͤt des Urtheils bedienen, wenn man nur dazuſetzt Ob - jective Allgemeinguͤltigkeit, zum Unterſchiede von der blos ſubjectiven, welche allemal aͤſthetiſch iſt).

Nun iſt ein objectiv allgemeinguͤltiges Urtheil auch jederzeit ſubjectiv, d. i. wenn das Urtheil fuͤr alles, was unter einem gegebenen Begriffe enthalten iſt, gilt, ſo gilt es auch fuͤr jedermann, der ſich einen Gegenſtand durch dieſen Begrif vorſtellt: aber von einer ſubjecti - ven Allgemeinguͤltigkeit, d. i. der aͤſthetiſchen, die auf keinem Begriffe beruht, laͤßt ſich nicht auf die logiſcheB 424I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſchließen; weil jene Art Urtheile gar nicht aufs Object geht. Eben darum aber muß auch die aͤſthetiſche Allge - meinheit, die einem Urtheile beygelegt wird, von beſon - derer Art ſeyn, weil ſie das Praͤdikat der Schoͤnheit nicht mit dem Begriffe des Objects in ſeiner ganzeu Sphaͤre betrachtet, verknuͤpft, und doch eben daſſelbe uͤber die ganze Sphaͤre der Urtheilenden ausdehnt.

Jn Anſehung der logiſchen Quantitaͤt ſind alle Ge - ſchmacksurtheile einzelne Urtheile. Denn weil ich den Gegenſtand unmittelbar an mein Gefuͤhl der Luſt und Unluſt halten muß, uud doch nicht durch Begriffe, ſo kann es nicht die Quantitaͤt eines objectiv-gemeinguͤlti - gen Urtheils haben, obgleich wenn die einzelne Vorſtel - lung des Objects des Geſchmacksurtheils nach den Be - dingungen, die das letztere beſtimmen, durch Verglei - chung in einen Begrif verwandelt wird, ein logiſch all - gemeines Urtheil daraus werden kann, z. B. die Roſe, die ich anblicke, erklaͤre ich durch ein Geſchmacksurtheil fuͤr ſchoͤn. Dagegen iſt das Urtheil, welches durch Ver - gleichung vieler einzelnen entſpringt: die Roſen uͤber - haupt ſind ſchoͤn, nunmehr nicht blos als aͤſthetiſches, ſon - dern als ein auf einem aͤſthetiſches gegruͤndetes logiſches Urtheil ausgeſagt. Nun iſt das Urtheil: die Roſe iſt (im Gebrauche) angenehm zwar auch ein aͤſthetiſches und einzelnes aber kein Geſchmacks-ſondern Sinnen - urtheil. Es unterſcheidet ſich naͤmlich vom erſteren darin: daß das Geſchmacksurtheil eine aͤſthetiſche Quantitaͤt25I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.der Allgemeinheit, d. i. der Guͤltigkeit fuͤr jedermann bey ſich fuͤhrt, welche im Urtheile uͤber das Angenehme nicht angetroffen werden kann. Nur allein die Urtheile uͤber das Gute, ob ſie gleich auch das Wohlgefallen an einem Gegenſtande beſtimmen, haben logiſche, nicht blos aͤſthe - tiſche Allgemeinheit, denn ſie gelten vom Object, als Erkenntniſſe deſſelben, und darum fuͤr jedermann.

Wenn man Objecte blos nach Begriffen beurtheilt, ſo geht alle Vorſtellung der Schoͤnheit verloren. Alſo kann es auch keine Regel geben, nach der jemand genoͤ - thigt werden ſollte, etwas fuͤr ſchoͤn anzuerkennen. Ob ein Kleid, ein Haus, eine Blume ſchoͤn ſey, dazu laͤßt man ſich ſein Urtheil durch keine Gruͤnde oder Grundſaͤtze abſchwatzen. Man will das Object ſeinen eignen Augen unterwerfen, gleich als ob ſein Wohlgefallen von der Empfindung abhinge, und dennoch, wenn man den Gegenſtand alsdenn ſchoͤn nennt, ſo glaubt man eine allgemeine Stimme fuͤr ſich zu haben und macht An - ſpruch auf den Beytritt von jedermann, da hingegen jede Privatempfindung nur fuͤr ihn allein und ſein Wohl - gefallen en[t]ſcheiden wuͤrde.

Hier iſt nun zu ſehen, daß in dem Urtheile des Ge - ſchmacks nichts poſtulirt wird, als eine ſolche allge - meine Stimme, in Anſehung des Wohlgefallens ohne Vermittelung der Begriffe, mithin die Moͤglichkeit eines aͤſthetiſchen Urtheils, das zugleich als fuͤr jedermann guͤl - tig betrachtet werden koͤnne. Das GeſchmacksurtheilB 526I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſelber poſtulirt nicht jedermanns Einſtimmung (denn das kann nur ein logiſch allgemeines, weil es Gruͤnde anfuͤhren kann, thun); es ſinnet nur jedermann dieſe Einſtimmung an, als einen Fall der Regel, in Anſehung deſſen er die Beſtaͤtigung nicht von Begriffen, ſondern von anderer Beytritt erwartet. Die allgemeine Stimme iſt alſo nur eine Jdee (worauf ſie beruhe, wird hier noch nicht unterſucht). Daß der, welcher ein Geſchmacks - urtheil zu faͤllen glaubt, in der That dieſer Jdee gemaͤß urtheile, kann ungewiß ſeyn; aber daß er es doch dar - auf beziehe, mithin daß es ein Geſchmacksurtheil ſeyn ſolle, kuͤndigt er durch den Ausdruck der Schoͤnheit an; fuͤr ſich ſelbſt aber kann er durchs bloße Bewußtſeyn der Abſonderung alles deſſen, was zum Angenehmen und Guten gehoͤrt, von dem Wohlgefallen, was ihm noch uͤbrig bleibt, davon gewiß werden und das iſt alles, wozu er ſich die Beyſtimmung von jedermann verſpricht, ein Anſpruch, dazu unter dieſen Bedingungen er auch be - rechtigt ſeyn wuͤrde, wider die er aber oͤfters fehlt und darum ein irriges Geſchmacksurtheil faͤllet.

27I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
§. 9. Unterſuchung der Frage: ob im Geſchmacks - urtheile das Gefuͤhl der Luſt vor der Beur - theilung des Gegenſtandes, oder dieſe vor jener vorhergehe.

Die Aufloͤſung dieſer Aufgabe iſt der Schluͤſſel zur Critik des Geſchmacks und daher aller Aufmerkſamkeit wuͤrdig.

Ginge die Luſt an dem gegebenen Gegenſtande vor - her und nur die allgemeine Mittheilbarkeit derſelben ſollte im Geſchmacksurtheile der Vorſtellung des Gegen - ſtandes zuerkannt werden, ſo wuͤrde ein ſolches Verfah - ren mit ſich ſelbſt im Widerſpruche ſtehen. Denn der - gleichen Luſt wuͤrde keine andere, als die bloße Annehm - lichkeit in der Sinnenempfindung ſeyn und daher ihrer Natur nach nur Privatguͤltigkeit haben koͤnnen, weil ſie von der Vorſtellung dadurch der Gegenſtand gegeben wird, unmittelbar abhinge.

Alſo iſt es die allgemeine Mittheilungsfaͤhigkeit des Gemuͤthszuſtandes in der gegebenen Vorſtellung, wel - che als ſubjective Bedingung des Geſchmacksurtheils, demſelben zum Grunde liegen und die Luſt an dem Ge - genſtande zur Folge haben muß. Es kann aber nichts allgemein mitgetheilt werden, als Erkenntnis und Vor - ſtellung, ſofern ſie zum Erkenntnis gehoͤrt. Denn ſo - fern iſt die letztere nur allein objectiv und hat nur dadurch28I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.einen allgemeinen Beziehungspunct, womit die Vorſtel - lungskraft aller zuſammenzuſtimmen genoͤthiget wird. Soll nun der Beſtimmungsgrund des Urtheils uͤber dieſe allgemeine Mittheilbarkeit der Vorſtellung blos ſubjectiv, naͤmlich ohne einen Begrif vom Gegenſtande gedacht wer - den, ſo kann er kein anderer als der Gemuͤthszuſtand ſeyn, der im Verhaͤltniſſe der Vorſtellungskraͤfte zu ein - ander angetroffen wird, ſofern ſie eine gegebene Vorſtel - lung auf Erkenntnis uͤberhaupt beziehen.

Die Erkenntniskraͤfte, die durch dieſe Vorſtellung ins Spiel geſetzt werden, ſind hiebey in einem freyen Spiele, weil kein beſtimmter Begrif ſie auf eine beſon - dere Erkenntnisregel einſchraͤnkt. Alſo muß der Ge - muͤthszuſtand in dieſer Vorſtellung der eines Gefuͤhls des freyen Spiels der Vorſtellungskraͤfte an einer gegebenen Vorſtellung zu einem Erkenntniſſe uͤberhaupt ſeyn. Nun gehoͤren zu einer Vorſtellung, dadurch ein Gegenſtand gegeben wird, damit uͤberhaupt daraus Erkenntnis wer - de, Einbildungskraft fuͤr die Zuſammenſetzung des Man - nigfaltigen der Anſchauung, und Verſtand fuͤr die Ein - heit des Begrifs der die Vorſtellungen vereinigt, und dieſer Zuſtand eines freyen Spiels der Erkenntnisver - moͤgen, bey einer Vorſtellung dadurch ein Gegenſtand gegeben wird, muß ſich allgemein mittheilen laſſen, weil Erkenntnis, als Beſtimmung des Objects, womit gege - bene Vorſtellungen (in welchem Subjecte es auch ſey) 29I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.zuſammen ſtimmen ſollen, die einzige Vorſtellungsart iſt, die fuͤr jedermann gilt.

Die ſubjective allgemeine Mittheilbarkeit der Vor - ſtellungsart in einem Geſchmacksurtheile, da ſie ohne einen beſtimmten Begrif vorauszuſetzen, ſtatt finden ſoll, kann nichts anders als der Gemuͤthszuſtand in dem freyen Spiele der Einbildungskraft und des Verſtandes (ſofern ſie unter einander, wie es zu einem Erkenntniſſe uͤberhaupt erforderlich iſt, zuſammen ſtimmen) ſeyn, in - dem wir uns bewußt ſind, daß dieſes zum Erkenntnis uͤberhaupt ſchickliche ſubjective Verhaͤltnis eben ſo wohl fuͤr jedermann gelten und folglich allgemein mittheilbar ſeyn muͤſſe, als es eine jede beſtimmte Erkenntnis iſt, die doch immer auf jenem Verhaͤltnis als ſubjectiver Be - dingung beruht.

Dieſe blos ſubjective (aͤſthetiſche) Beurtheilung des Gegenſtandes, oder der Vorſtellung dadurch er gegeben wird, geht nun vor der Luſt an demſelben vorher und iſt der Grund dieſer Luſt an der Harmonie der Erkenntnis - vermoͤgen; auf jener Allgemeinheit aber der ſubjectiven Bedingungen der Beurtheilung der Gegenſtaͤnde gruͤndet ſich allein dieſe allgemeine ſubjective Guͤltigkeit des Wohl - gefallens, welches wir mit der Vorſtellung des Gegen - ſtandes, den wir ſchoͤn nennen, verbinden.

Daß, ſeinen Gemuͤthszuſtand, ſelbſt auch nur in Anſehung der Erkenntnisvermoͤgen, mittheilen zu koͤn - nen, eine Luſt bey ſich fuͤhre, koͤnnte man aus dem natuͤr -30I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.lichen Hange des Menſchen zur Geſelligkeit (empiriſch und pſychologiſch) leichtlich darthun. Das iſt aber zu unſerer Abſicht nicht genug. Die Luſt, die wir fuͤhlen, muthen wir jedem andern im Geſchmacksurtheile als nothwendig zu, gleich als ob es fuͤr eine Beſchaffenheit des Gegenſtandes, die an ihm nach Begriffen beſtimmt iſt, anzuſehen waͤre, wenn wir etwas ſchoͤn nennen, da doch Schoͤnheit ohne Beziehung aufs Gefuͤhl des Sub - jects fuͤr ſich nichts iſt. Die Eroͤrterung dieſer Frage aber muͤſſen wir uns bis zur Beantwortung derjenigen: ob und wie aͤſthetiſche Urtheile a priori moͤglich ſind, vorbehalten.

Jetzt beſchaͤftigen wir uns noch mit der mindern Frage: auf welche Art wir uns einer wechſelſeitigen ſub - jectiven Uebereinſtimmung der Erkenntniskraͤfte im Ge - ſchmacksurtheile bewußt werden, ob aͤſthetiſch durch den bloßen innern Sinn und Empfindung, oder intellectuell durchs Bewußtſeyn unſerer abſichtlichen Thaͤtigkeit, wo - mit wir jene ins Spiel ſetzen.

Waͤre die gegebene Vorſtellung, welche das Ge - ſchmacksurtheil veranlaßt, ein Begrif, welcher Verſtand und Einbildungskraft in der Beurtheilung des Gegen - ſtandes zu einem Erkenntniſſe des Objects vereinigte, ſo waͤre das Bewußtſeyn dieſes Verhaͤltniſſes intellectuell (wie im objectiven Schematism der Urtheilskraft, wo - von die Critik handelt). Aber das Urtheil waͤre auch alsdenn nicht in Beziehung auf Luſt und Unluſt gefaͤllet,31I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.mithin kein Geſchmacksurtheil. Nun beſtimmt aber das Geſchmacksurtheil, unabhaͤngig von Begriffen, das Object in Anſehung des Wohlgefallens und des Praͤdi - kats der Schoͤnheit. Alſo kann jene ſubjective Einheit des Verhaͤltniſſes ſich nur durch Empfindung kenntlich machen. Die Belebung beyder Vermoͤgen der Einbil - dungskraft und des Verſtandes zu unbeſtimmter, aber doch, vermittelſt des Anlaſſes der gegebenen Vorſtellung, einhelligen Thaͤtigkeit, derjenigen naͤmlich, die zu einem Erkenntnis uͤberhaupt gehoͤrt, iſt die Empfindung, de - ren allgemeine Mittheilbarkeit das Geſchmacksurtheil poſtulirt. Ein objectives Verhaͤltnis kann zwar nur ge - dacht, aber, wenn es ſeinen Bedingungen nach ſubjec - tiv iſt, doch in der Wirkung aufs Gemuͤth empfunden werden, und bey einem Verhaͤltniſſe, welches keinen Begrif zum Grunde legt (wie das der Vorſtellungskraͤfte zu einem Erkenntnisvermoͤgen uͤberhaupt) iſt auch kein anderes Bewußtſeyn deſſelben, als durch Empfindung der Wirkung, die im erleichterten Spiele beyder durch wechſelſeitige Zuſammenſtimmung belebten Gemuͤths - kraͤfte (der Einbildungskraft und des Verſtandes) be - ſteht, moͤglich. Eine Vorſtellung, die als einzelne und ohne Vergleichung mit andern, dennoch eine Zuſammen - ſtimmung zu den Bedingungen der Allgemeinheit hat, welche das Geſchaͤfte des Verſtandes uͤberhaupt aus - macht, bringt die Erkenntnisvermoͤgen in die proportio - nirte Stimmung, die wir zu allem Erkenntniſſe fordern32I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.und daher auch als fuͤr jedermann, der durch Verſtand und Sinne in Verbindung zu urtheilen beſtimmt iſt (je - den Menſchen) guͤltig halten.

Aus dem zweyten Momente gefolgerte Er - klaͤrung des Schoͤnen.

Schoͤn iſt das, was ohne Begrif allgemein gefaͤllt.

Drittes Moment der Geſchmacksurtheile nach der Relation der Zwecke, welche in ihnen in Betrachtung gezogen wird.

§. 10. Von der Zweckmaͤßigkeit uͤberhaupt.

Wenn man, was ein Zweck ſey, nach ſeinen tran - ſcendentalen Beſtimmungen (ohne etwas Empiriſches, dergleichen das Gefuͤhl der Luſt iſt, vorauszuſetzen) er - klaͤren will: ſo iſt Zweck der Gegenſtand eines Begrifs, ſofern dieſer als die Urſache von jenem (der reale Grund ſeiner Moͤglichkeit) angeſehen wird und die Cauſalitaͤt eines Begrifs in Anſehung ſeines Objects iſt die Zweck - maͤßigkeit (forma finalis). Wo alſo nicht etwa blos die Erkenntnis von einem Gegenſtande, ſondern der Gegen - ſtand ſelbſt (die Form oder Exiſtenz deſſelben) als Wir - kung, nur als durch einen Begrif von der letzteren moͤg - lich gedacht wird, da denkt man ſich einen Zweck. DieVorſtellung33I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Vorſtellung der Wirkung iſt hier der Beſtimmungsgrund ihrer Urſache und geht vor der letzteren vorher. Das Bewußtſeyn der Cauſalitaͤt einer Vorſtellung in Abſicht auf den Zuſtand des Subjects es in demſelben zu erhal - ten, kann hier im Allgemeinen das bezeichnen, was man Luſt nennt; dagegeu Unluſt diejenige Vorſtellung iſt, die den Zuſtand der Vorſtellungen zu ihrem eigenen Gegen - theile zu beſtimmen den Grund enthaͤlt.

Das Begehrungsvermoͤgen, ſofern es nur durch Begriffe, d. i. der Vorſtellung eines Zwecks gemaͤs zu handeln, beſtimmbar iſt, wuͤrde der Wille ſeyn. Zweck - maͤßig aber heißt ein Object, oder Gemuͤthszuſtand, oder eine Handlung auch, wenn gleich ihre Moͤglichkeit die Vorſtellung eines Zwecks nicht nothwendig vorausſetzt, blos darum, weil ihre Moͤglichkeit von uns nur erklaͤrt und begriffen werden kann, ſofern wir eine Cauſalitaͤt nach Zwecken, d. i. einen Willen, der ſie nach der Vor - ſtellung einer gewiſſen Regel ſo angeordnet haͤtte, zum Grunde derſelben annehmen. Die Zweckmaͤßigkeit kann alſo ohne Zweck ſeyn, ſofern wir die Urſache dieſer Form nicht in einem Willen ſetzen, aber doch die Erklaͤrung ih - rer Moͤglichkeit, nur indem wir ſie von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen koͤnnen. Nun haben wir das, was wir beobachten, nicht immer noͤthig durch Vernunft (ſeiner Moͤglichkeit nach) einzuſehen. Alſo koͤnnen wir eine Zweckmaͤßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir ihr einen Zweck (als die Materie desKants Crit. d. Urtheilskr. C34I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.nexus finalis) zum Grunde legen, wenigſtens beobachten und an Gegenſtaͤnden, wiewohl nicht anders als durch Reflexion, bemerken.

§. 11. Das Geſchmacksurtheil hat nichts als die Form der Zweckmaͤßigkeit eines Gegen - ſtandes (oder Vorſtellungsart deſſelben) zum Grunde.

Aller Zweck, wenn er als Grund des Wohlgefal - lens angeſehen wird, fuͤhrt immer ein Jntereſſe, als Beſtimmungsgrund des Urtheils uͤber den Gegenſtand der Luſt, bey ſich. Alſo kann dem Geſchmacksurtheil kein ſubjectiver Zweck zum Grunde liegen. Aber auch keine Vorſtellung eines objectiven Zwecks, d. i. der Moͤg - lichkeit des Gegenſtandes ſelbſt nach Principien der Zweck - verbindung, mithin kein Begrif des Guten kann das Ge - ſchmacksurtheil beſtimmen; weil es ein aͤſthetiſches und kein Erkenntnisurtheil iſt, welches alſo keinen Begrif von der Beſchaffenheit und innern oder aͤußern Moͤglich - keit des Gegenſtandes, durch dieſe oder jene Urſache, ſondern blos das Verhaͤltnis der Vorſtellungskraͤfte zu einander, ſofern ſie durch eine Vorſtellung beſtimmt wer - den, betrift.

Nun iſt dieſes Verhaͤltnis in der Beſtimmung eines Gegenſtandes, als eines Schoͤnen, mit dem Gefuͤhle ei - ner Luſt verbunden, die durchs Geſchmacksurtheil zu -35I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.gleich als fuͤr jedermann guͤltig erklaͤrt wird; folglich kann eben ſo wenig eine die Vorſtellung begleitende An - nehmlichkeit, als die der Vollkommenheit des Gegenſtan - des und der Begrif des Guten den Beſtimmungsgrund ent - halten. Alſo kann nichts anders als die ſubjective Zweck - maͤßigkeit in der Vorſtellung eines Gegenſtandes, ohne allen (weder objectiven noch ſubjectiven) Zweck, folglich die bloße Form der Zweckmaͤßigkeit in der Vorſtellung, dadurch uns ein Gegenſtand gegeben wird, ſofern wir uns ihrer bewußt ſind, das Wohlgefallen, welches wir ohne Begrif als allgemein mittheilbar beurtheilen, mit - hin den Beſtimmungsgrund des Geſchmacksurtheils ausmachen.

§. 12. Das Geſchmacksurtheil beruht auf Gruͤn - den a priori.

Die Verknuͤpfung des Gefuͤhls einer Luſt oder Un - luſt, als einer Wirkung mit irgend einer Vorſtellung (Empfindung oder Begrif) als ihrer Urſache a priori auszumachen, iſt ſchlechterdings unmoͤglich; denn das waͤre ein beſonderes Cauſalverhaͤltnis, welches (unter Gegenſtaͤnden der Erfahrung) nur jederzeit a poſteriori und vermittelſt der Erfahrung ſelbſt erkannt werden kann. Zwar haben wir in der Critik der practiſchen Vernunft wirklich das Gefuͤhl der Achtung (als eine beſondere und eigenthuͤmliche Modification dieſes Gefuͤhls, welches we -C 236I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.der mit der Luſt noch Unluſt, die wir von empiriſchen Ge - genſtaͤnden bekommen, recht uͤbereintreffen will) von all - gemeinen ſittlichen Begriffen a priori abgeleitet. Aber wir konnten dort auch die Grenzen der Erfahrung uͤber - ſchreiten und eine Cauſalitaͤt, die auf einer uͤberſinnli - chen Beſchaffenheit des Subjects beruhete, naͤmlich die der Freyheit, herbey rufen. Allein ſelbſt da leiteten wir eigentlich nicht dieſes Gefuͤhl von der Jdee des Sittli - chen als Urſache her, ſondern blos die Willensbeſtim - mung wurde davon abgeleitet, der Gemuͤthszuſtand aber eines irgend wodurch beſtimmten Willens iſt an ſich ſchon ein Gefuͤhl der Luſt und mit ihm identiſch, folgt alſo nicht als Wirkung daraus; welches letztere nur als - denn angenommen werden muͤßte, wenn der Begrif des Sittlichen als eines Guts vor der Willensbeſtimmung durchs Geſetz vorherginge; da alsdenn die Luſt, die mit dem Begriffe verbunden waͤre, aus dieſem als einer blo - ßen Erkenntnis vergeblich wuͤrde abgeleitet werden.

Nun iſt es auf aͤhnliche Weiſe mit der Luſt im aͤſthe - tiſchen Urtheile bewandt; nur daß ſie hier blos contem - plativ und, ohne ein Jntereſſe am Object zu bewirken, im moraliſchen aber practiſch iſt. Das Bewußtſeyn der blos formalen Zweckmaͤßigkeit im Spiele der Erkenntnis - kraͤfte des Subjects, bey einer Vorſtellung, dadurch ein Gegenſtand gegeben wird, iſt die Luſt ſelbſt, weil es ein Beſtimmungsgrund der Thaͤtigkeit des Subjects in An - ſehung der Belebung der Erkenntniskraͤfte deſſelben, alſo37I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.eine innere Cauſalitaͤt (welche zweckmaͤßig iſt) in An - ſehung der Erkenntnis uͤberhaupt, aber ohne auf eine beſtimmte Erkenntnis eingeſchraͤnkt zu ſeyn, mithiu eine bloße Form der ſubjectiven Zweckmaͤßigkeit einer Vorſtel - lung in einem aͤſthetiſchen Urtheile enthaͤlt. Dieſe Luſt iſt auch auf keinerley Weiſe practiſch, weder, wie die aus dem pathologiſchen Grunde der Annehmlichkeit, noch die aus dem intellectuellen des vorgeſtellten Guten. Sie hat aber doch Cauſalitaͤt in ſich, naͤmlich den Zuſtand der Vorſtellung ſelbſt und die Beſchaͤftigung der Erkenntnis - kraͤfte ohne weitere Abſicht zu erhalten. Wir weilen bey der Betrachtung des Schoͤnen, weil dieſe Betrach - tung ſich ſelbſt ſtaͤrkt nnd reproducirt, welches derjenigen Verweilung analogiſch (aber doch mit ihr nicht einerley) iſt, da ein Reiz in der Vorſtellung des Gegenſtandes die Aufmerkſamkeit wiederholentlich erweckt, wobey das Ge - muͤth paſſiv iſt.

§. 13. Das reine Geſchmacksurtheil iſt von Reiz und Ruͤhrung unabhaͤngig.

Alles Jntereſſe verdirbt das Geſchmacksurtheil und nimmt ihm ſeine Unpartheylichkeit, vornehmlich, wenn es nicht, ſo wie das Jntereſſe der Vernunft, die Zweck - maͤßigkeit vor dem Gefuͤhle der Luſt voranſchickt, ſon - dern ſie auf dieſe gruͤndet; welches letztere allemal im aͤſthetiſchen Urtheile uͤber etwas, ſofern es vergnuͤgt oderC 338I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſchmerzt, geſchieht. Daher Urtheile, die ſo afficirt ſind auf allgemeinguͤltiges Wohlgefallen entweder gar keinen, oder ſo viel weniger Anſpruch machen koͤnnen, als ſich von der gedachten Art Empfindungen unter den Beſtim - mungsgruͤnden des Geſchmacks befinden. Der Geſchmack iſt jederzeit noch barbariſch, wo er die Beymiſchung der Reize und Ruͤhrungen zum Wohlgefallen bedarf, ja wohl gar dieſe zum Maaßſtabe ſeines Beyfalls macht.

Jndeſſen werden Reize doch oͤfters nicht allein zur Schoͤnheit (die doch eigentlich blos die Form betreffen ſollte) als Beytrag zum aͤſthetiſchen allgemeinen Wohl - gefallen gezaͤhlt, ſondern ſie werden wohl gar fuͤr ſich ſelbſt fuͤr Schoͤnheiten, mithin die Materie des Wohlge - fallens fuͤr die Form ausgegeben: ein Misverſtand der ſich, ſo wie mancher andere, welcher doch noch immer etwas Wahres zum Grunde hat, ſich durch ſorgfaͤltige Beſtimmung dieſer Begriffe heben laͤßt.

Ein Geſchmacksurtheil, auf welches Reiz und Ruͤh - rung keinen Einfluß haben, (ob ſie ſich gleich mit dem Wohlgefallen am Schoͤnen verbinden laſſen) welches alſo blos die Zweckmaͤßigkeit der Form zum Beſtimmungs - grunde hat, iſt ein reines Geſchmacksurtheil.

§. 14. Erlaͤuterung durch Beyſpiele.

Aeſthetiſche Urtheile koͤnnen, eben ſo wohl als theo - retiſche (logiſche), in reine und empiriſche eingetheilt39I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.werden. Die erſtere ſind die, welche Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, die zweyte welche Schoͤnheit von ei - nem Gegenſtande, oder Vorſtellungsart deſſelben, aus - ſagen; jene ſind Sinnenurtheile (materiale aͤſthetiſche Urtheile), dieſe allein eigentliche Geſchmacksurtheile.

Ein Geſchmacksurtheil iſt alſo nur ſofern rein, als kein blos empiriſches Wohlgefallen dem Beſtimmungs - grunde deſſelben beygemiſcht wird, dieſes aber geſchieht allemal, wenn Reiz oder Ruͤhrung, einen Antheil an dem Urtheile haben, dadurch etwas fuͤr ſchoͤn erklaͤrt werden ſoll.

Nun thun ſich wieder manche Einwuͤrfe hervor, die zuletzt den Reiz nicht blos zum nothwendigen Jngredienz der Schoͤnheit, ſondern wohl gar als fuͤr ſich allein hin - reichend, um ſchoͤn genannt zu werden, vorſpiegeln. Eine bloße Farbe, z. B. die gruͤne eines Raſenplatzes, ein bloßer Ton (zum Unterſchiede vom Schalle und Ge - raͤuſch), wie etwa der einer Violin, wird von den mei - ſten an ſich fuͤr ſchoͤn erklaͤrt, ob zwar beyde blos die Ma - terie der Vorſtellungen, naͤmlich lediglich Empfindung, zum Grunde zu haben ſcheinen und darum nur ange - nehm genannt zu werden verdienten. Allein man wird doch zugleich bemerken, daß die Empfindungen der Farbe ſowohl als des Tons ſich nur ſofern fuͤr ſchoͤn gehalten zu werden berechtigt halten, als beyde rein ſind; wel - ches eine Beſtimmung iſt, die ſchon die Form betrift und auch das einzige, was ſich vvn dieſen Vorſtellungen mitC 440I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Gewisheit allgemein mittheilen laͤßt, weil die Qualitaͤt der Empfindungen ſelbſt nicht in allen Subjecten als ein - ſtimmig und die Annehmlichkeit einer Farbe vvrzuͤglich vor der andern, oder des Tons eines muſicaliſchen Jn - ſtruments vor dem eines andern ſich ſchwerlich bey jeder - mann als auf gleiche Art beurtheilt annehmen laͤßt.

Nimmt man, mit Eulern, an, daß die Farben gleichzeitig auf einander folgende Schlaͤge (pulſus) des Aethers, ſo wie Toͤne der im Schalle erſchuͤtterten Luft ſind, und, was das vornehmſte iſt, das Gemuͤth nicht blos durch den Sinn die Wirkung davon auf die Bele - bung des Organs, ſondern auch durch die Reflexion das regelmaͤßige Spiel der Eindruͤcke (mithin die Form in der Verbindung verſchiedener Vorſtellungen) wahrneh - men, (woran ich doch gar ſehr zweifle) ſo wuͤrde Farbe und Ton nicht bloße Empfindungen, ſondern ſchon for - male Beſtimmung der Einheit eines Mannigfaltigen derſelben ſeyn und alsdenn auch fuͤr ſich zu Schoͤnheiten gezaͤhlt werden koͤnnen.

Das Reine aber einer einfachen Empfindungsart bedeu - tet: daß die Gleichfoͤrmigkeit derſelben durch keine fremd - artige Empfindung geſtoͤhrt und unterbrochen wird und gehoͤrt blos zur Form; weil man dabey von der Quali - taͤt jener Empfindungsart (ob, und welche Farbe oder ob, und welcher Ton ſie vorſtelle) abſtrahiren kann. Daher werden alle einfache Farben, ſofern ſie rein ſind, fuͤr ſchoͤn gehalten; die gemiſchte haben dieſen Vorzug41I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.nicht, eben darum, weil, da ſie nicht einfach ſind, man keinen Maasſtab der Beurtheilung hat, ob man ſie rein oder unrein nennen ſolle.

Was aber die dem Gegenſtande ſeiner Form wegen beygelegte Schoͤnheit, ſofern ſie, wie man meynt, durch Reiz wohl gar koͤnne erhoͤht werden, anlangt, ſo iſt dies ein gemeiner und dem aͤchten unbeſtochenenen gruͤndli - chen Geſchmacke ſehr nachtheiliger Jrrthum; ob ſich zwar allerdings neben der Schoͤnheit auch noch Reize hinzu - fuͤgen laſſen, um das Gemuͤth durch die Vorſtellung des Gegenſtandes, außer dem trockenen Wohlgefallen, noch zu intereſſiren und ſo dem Geſchmacke und deſſen Cultur zur Anpreiſung zu dienen, vornehmlich wenn er noch roh und ungeuͤbt iſt. Aber ſie thun wirklich dem Geſchmacks - urtheile Abbruch; wenn ſie die Aufmerkſamkeit als Be - urtheilungsgruͤnde der Schoͤnheit auf ſich ziehen. Denn es iſt ſo weit gefehlt, daß ſie dazu beytruͤgen, daß viel - mehr, als Fremdlinge, nur ſofern ſie jene ſchoͤne Form nicht ſtoͤhren, wenn Geſchmack noch ſchwach und ungeuͤbt iſt, mit Nachſicht muͤſſen aufgenommen werden.

Jn der Mahlerei, Bildhauerkunſt, ja allen bilden - den Kuͤnſten, der Baukunſt, Gartenkunſt, ſofern ſie ſchoͤne Kuͤnſte ſind, iſt die Zeichnung das Weſentliche, in welcher nicht, was in der Empfindung vergnuͤgt, ſon - dern blos durch ſeine Form gefaͤllt, den Grund aller An - lage fuͤr den Geſchmack ausmacht, Die Farben, welche den Abris illuminiren, gehoͤren zum Reiz, den Gegen -C 542I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſtand an ſich koͤnnen zwar fuͤr die Empfindung beliebt, aber nicht anſchauungswuͤrdig und ſchoͤn machen, viel - mehr werden ſie durch das, was die ſchoͤne Form erfor - dert, mehrentheils gar ſehr eingeſchraͤnkt und ſelbſt da, wo der Reiz zugelaſſen wird, durch die ſchoͤne Form allein veredelt.

Alle Form der Gegenſtaͤnde der Sinne (der aͤußern ſowohl als mittelbar auch des innern) iſt entweder Ge - ſtalt oder Spiel, im letztern Falle entweder Spiel der Geſtalten (im Raume, die Mimik und der Tanz) oder Spiel der Empfindungen (in der Zeit). Der Reiz der Farben, oder angenehmer Toͤne des Jnſtruments, kann hinzukommen, aber die Zeichnung in der erſten und die Compoſition in dem letzten machen den eigentlichen Ge - genſtand des reinen Geſchmacksurtheils aus, und daß die Reinigkeit der Farben ſowohl als Toͤne, oder auch die Mannigfaltigkeit derſelben und ihre Abſtechung zur Schoͤnheit beyzutragen ſcheint, will nicht ſo viel ſagen, daß ſie darum, weil ſie fuͤr ſich angenehm ſind, gleichſam einen gleichartigen Zuſatz zu dem Wohlgefallen an der Form abgeben, ſondern weil ſie dieſe letztern nur ge - nauer, beſtimmter und vollſtaͤndiger anſchaulich machen, und uͤberdem durch ihren Reiz die Aufmerkſamkeit auf den Gegenſtand ſelbſt erwecken und erheben.

Selbſt was man Zierrathen nennt, d. i. dasjenige, was nicht in die ganze Vorſtellung des Gegenſtandes als Beſtandſtuͤck innerlich, ſondern nur aͤußerlich als Zuthat43I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.gehoͤrt und das Wohlgefallen des Geſchmacks vergroͤßert, thut dieſes doch auch nur durch ſeine Form wie Gewaͤn - der an Statuen oder Saͤulengaͤnge um Prachtgebaͤude. Beſteht aber der Zierrath nicht ſelbſt in der ſchoͤnen Form, iſt er wie der goldene Rahmen blos um durch ſeinen Reiz das Gemaͤlde dem Beyfall zu empfehlen angebracht, ſo heißt er alsdenn Schmuck und thut der aͤchten Schoͤn - heit Abbruch.

Ruͤhrung, eine Empfindung, da Annehmlichkeit nur vermittelſt augenblicklicher Hemmung und darauf erfolgender ſtaͤrkerer Ergießung der Lebenskraft gewirkt wird, gehoͤrt gar nicht zur Schoͤnheit. Erhabenheit aber erfordert einen andern Maasſtab der Beurtheilung als der Geſchmack ſich zum Grunde legt, und ſo hat ein rei - nes Geſchmacksurtheil weder Reiz noch Ruͤhrung, mit einem Worte keine Empfindung, als Materie des aͤſthe - tiſchen Urtheils, zum Beſtimmungsgrunde.

§. 15. Das Geſchmacksurtheil iſt von dem Begriffe der Vollkommenheit gaͤnzlich unabhaͤngig.

Die objective Zweckmaͤßigkeit kann nur vermittelſt der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen beſtimmten Zweck, alſo nur durch einen Begrif erkannt werden. Hieraus allein ſchon erhellet: daß das Schoͤne, deſſen Beurtheilung eine blos formale Zweckmaͤßigkeit, d. i. eine Zweckmaͤßigkeit ohne Zweck zum Grunde hat, von44I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.der Vorſtellung des Guten ganz unabhaͤngig ſey, weil das letztere eine objective Zweckmaͤßigkeit, d. i. die Be - ziehung des Gegenſtandes auf einen beſtimmten Zweck, vorausſetzt.

Die objective Zweckmaͤßigkeit iſt entweder die aͤußere, d. i. die Nuͤtzlichkeit, oder die innere, d. i. die Voll - kommenheit des Gegenſtandes. Daß das Wohlge - fallen an einem Gegenſtande, weshalb wir ihn ſchoͤn nennen, nicht auf der Vorſtellung ſeiner Nuͤtzlichkeit be - ruhen koͤnne, iſt aus beiden vorigen Hauptſtuͤcken hinrei - chend zu erſehen; weil es alsdenn nicht ein unmittelba - res Wohlgefallen an dem Gegenſtande ſeyn wuͤrde, wel - ches letztere die weſentliche Bedingung des Urtheils uͤber Schoͤnheit iſt. Aber eine objective Zweckmaͤßigkeit, d. i. Vollkommenheit, kommt dem Praͤdikate der Schoͤnheit ſchon naͤher und iſt daher auch von nahmhaften Philoſo - phen, doch mit dem Beyſatze, wenn ſie verworren gedacht wird, fuͤr einerley mit der Schoͤnheit gehal - ten worden. Es iſt von der groͤßten Wichtigkeit, in ei - ner Critik des Geſchmacks zu entſcheiden, ob ſich auch die Schoͤnheit wirklich in den Begrif der Vollkommenheit aufloͤſen laſſe.

Die objective Zweckmaͤßigkeit zu beurtheilen, beduͤr - fen wir jederzeit den Begrif eines Zwecks, und [wenn jene Zweckmaͤßigkeit nicht eine aͤußere (Nuͤtzlichkeit) ſon - dern eine innere ſeyn ſoll] den Begrif eines innern Zwecks, der den Grund der innern Moͤglichkeit des Gegenſtandes45I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.enthalte. So wie nur Zweck uͤberhaupt dasjenige iſt, deſſen Begrif als der Grund der Moͤglichkeit des Ge - genſtandes ſelbſt angeſehen werden kann: ſo wird, um ſich eine objective Zweckmaͤßigkeit an einem Dinge vorzu - ſtellen, der Begrif von dieſem, was es fuͤr ein Ding ſeyn ſolle, voran gehen und die Zuſammenſtimmung des Mannigfaltigen in demſelben zu dieſem Begriffe (wel - cher die Regel der Verbindung deſſelben an ihm giebt) iſt die qualitative Vollkommenheit eines Dinges, welche von der quantitativen, als der Vollſtaͤndigkeit eines jeden Dinges in ſeiner Art, gaͤnzlich unterſchieden und ein bloßer Groͤßenbegrif (der Allheit) iſt, der, was das Ding ſeyn ſolle, ſchon zum voraus als beſtimmt gedacht und nur ob alles dazu erforderliche an ihm ſey, gefragt wird. Das formale in der Vorſtellung eines Dinges d. i. die Zuſammenſtimmung des Mannig - faltigen zu Einem (unbeſtimmt was es ſeyn ſolle) giebt, fuͤr ſich, ganz und gar keine objective Zweckmaͤßigkeit zu erkennen; weil da von dieſem Einem als Zweck (was das Ding ſeyn ſolle) abſtrahirt wird, nichts als die ſub - jective Zweckmaͤßigkeit der Vorſtellungen im Gemuͤthe des Anſchauenden uͤbrig bleibt, welche wohl eine gewiſſe Zweckmaͤßigkeit des Vorſtellungszuſtandes im Subject und in dieſem eine Behaglichkeit deſſelben eine gegebene Form in die Einbildungskraft aufzufaſſen, aber keine Vollkommenheit irgend eines Objects, das hier durch keinen Begrif eines Zwecks gedacht wird, angiebt. Wie46I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.z. B., wenn ich im Walde einen Raſenplatz antreffe, um welchen die Baͤume im Cirkel ſtehen und ich mir da - bey nicht einen Zweck, naͤmlich daß er etwa zum laͤndli - chen Tanze dienen ſolle, vorſtelle, nicht der mindeſte Be - grif von Vollkommenheit durch die bloße Form gegeben wird. Eine formale objective Zweckmaͤßigkeit aber ohne Zweck, d. i. die bloße Form einer Vollkommenheit (ohne alle Materie und Begrif von dem wozu zuſam - mengeſtimmt wird) ſich vorzuſtellen, iſt ein wahrer Widerſpruch.

Nun iſt das Geſchmacksurtheil ein aͤſthetiſches Ur - theil, d. i. ein ſolches, was auf ſubjectiven Gruͤnden beruht und deſſen Beſtimmungsgrund kein Begrif, mit - hin auch nicht der eines beſtimmten Zwecks ſeyn kann. Alſo wird durch die Schoͤnheit, als formalen ſubjectiven Zweckmaͤßigkeit, keinesweges eine Vollkommenheit des Gegenſtandes, als vorgeblich-formale gleichwohl aber doch objective Zweckmaͤßigkeit gedacht, und der Unter - ſchied der zwiſchen den Begriffen des Schoͤnen und Gu - ten, als ob beyde nur der logiſchen Form nach unterſchie - den, die erſte blos ein verworrener, die zweyte ein deut - licher Begrif der Vollkommenheit, ſonſt aber dem Jn - halte und Urſprunge nach einerley waͤren, iſt nichtig; weil alsdenn zwiſchen ihnen kein ſpecifiſcher Unter - ſchied, ſondern ein Geſchmacksurtheil eben ſo wohl ein Erkenntnisurtheil waͤre, als das Urtheil, wodurch et - was fuͤr gut erklaͤrt wird, ſo wie etwa der gemeine Mann,47I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.wenn er ſagt: daß der Betrug unrecht ſey, ſein Urtheil auf verworrene, der Philoſoph auf deutliche, im Grunde aber beyde auf einerley Vernunft-Principien gruͤndet. Jch habe aber ſchon angefuͤhrt, daß ein aͤſthetiſches Ur - theil einig in ſeiner Art ſey und ſchlechterdings kein Er - kenntnis (auch nicht ein verworrenes) vom Object gebe, welches letztere nur durch ein logiſches Urtheil geſchieht, da jenes hingegen die Vorſtellung, dadurch ein Object gegeben wird, lediglich auf das Subject bezieht und keine Beſchaffenheit des Gegenſtandes, ſondern nur die zweck - maͤßige Form der Vorſtellungskraͤfte, die ſich mit jenem beſchaͤftigen, zu bemerken giebt. Das Urtheil heißt auch eben darum aͤſthetiſch, weil der Beſtimmungsgrund deſ - ſelben kein Begrif, ſondern das Gefuͤhl (des innern Sin - nes) jener Einhelligkeit im Spiele der Gemuͤthskraͤfte iſt, die nur empfunden werden kann. Dagegen wenn man verworrene Begriffe und das objective Urtheil, das ſie zum Grunde hat, wollte aͤſthetiſch nennen, man einen Verſtand haben wuͤrde, der ſinnlich urtheilt, oder einen Sinn, der durch Begriffe ſeine Objecte vorſtellte. Das Vermoͤgen der Begriffe, ſie moͤgen verworren oder deut - lich ſeyn, iſt der Verſtand und, obgleich zum Geſchmacks - urtheil als aͤſthetiſchem Urtheile auch (wie zu allen Ur - theilen) Verſtand gehoͤrt, ſo gehoͤrt er zu demſelben doch nicht als Vermoͤgen der Erkenntnis eines Gegenſtandes, ſondern der Beſtimmung deſſelben und ſeiner Vorſtellung, (ohne Begrif) nach dem Verhaͤltnis derſelben aufs Sub -48I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ject und deſſen inneres Gefuͤhl, und zwar ſofern dieſes Urtheil nach einer allgemeinen Regel moͤglich iſt.

§. 16. Das Geſchmacksurtheil, wodurch ein Ge - genſtand unter der Bedingung eines be - ſtimmten Begrifs fuͤr ſchoͤn erklaͤrt wird, iſt nicht rein.

Es giebt zweyerley Arten von Schoͤnheit: freye Schoͤnheit (pulchritudo vaga), oder die blos anhaͤn - gende Schoͤnheit (pulchritudo adhaerens). Die erſtere ſetzt keinen Begrif von dem voraus, was der Gegenſtand ſeyn ſoll, die zweyte ſetzt einen ſolchen und die Vollkom - menheit des Gegenſtandes nach demſelben voraus. Die erſtern heißen (fuͤr ſich beſtehende) Schoͤnheiten dieſes oder jenes Dinges, die andere wird als einem Begriffe anhaͤngend (bedingte Schoͤnheit) Objecten, die unter dem Begriffe eines beſondern Zwecks ſtehen, beygelegt.

Blumen ſind freye Naturſchoͤnheiten. Was eine Blume fuͤr ein Ding ſeyn ſoll, weiß, außer dem Bota - niker, ſchwerlich ſonſt jemand, und ſelbſt dieſer, der dar - an das Befruchtungsorgan der Pflanze erkennt, nimmt, wenn er daruͤber durch Geſchmack urtheilt, auf dieſen Naturzweck keine Ruͤckſicht. Es wird alſo keine Voll - kommenheit von irgend einer Art keine innere Zweckmaͤſ - ſigkeit, auf welche ſich die Zuſammenſetzung des Man - nigfaltigen beziehe, dieſem Urtheile zum Grunde gelegt. Viele49I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Viele Voͤgel (der Papagey, der Colibrit, die Paradies - voͤgel), eine Menge Schaalthiere des Meeres, ſind fuͤr ſich Schoͤnheiten, die gar keinem nach Begriffen in An - ſehung ſeines Zwecks beſtimmten Gegenſtande zukommen, ſondern frey und fuͤr ſich gefallen. So bedeuten die Zeich - nungen a la grec, das Laubwerk zu Einfaſſungen, oder auf Papiertapeten u. ſ. w. fuͤr ſich nichts: ſie ſtellen nichts vor, kein Object unter einem beſtimmten Begriffe und ſind freye Schoͤnheiten. Man kann auch das, was man in der Muſik Phantaſien (ohne Thema) nennt, ja die ganze Muſik ohne Text zu derſelben Art zaͤhlen.

Jn der Beurtheilung einer freyen Schoͤnheit (der bloßen Form nach) iſt das Geſchmacksurtheil rein. Es iſt kein Begrif von irgend einem Zwecke, wozu das Man - nigfaltige dem gegebenen Objecte dienen und was dieſes alſo vorſtellen ſolle, vorausgeſetzt, daß dadurch die Frey - heit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der Ge - ſtalt gleichſam ſpielt, nur eingeſchraͤnkt werden wuͤrde.

Allein die Schoͤnheit eines Menſchen (und unter dieſer Art die eines Mannes, oder Weibes, oder Kindes) die eines Pferdes, eines Gebaͤudes (als Kirche, Pallaſt, Arſenal, oder Gartenhaus) ſetzt einen Begrif vom Zwecke voraus, der beſtimmt was das Ding ſeyn ſoll, mithin einen Begrif ſeiner Vollkommenheit und iſt alſo blos ad - haͤrirende Schoͤnheit. So wie nun die Verbindung des Angenehmen (der Empfindung) mit der Schoͤnheit, die eigentlich nur die Form betrift, die Reinigkeit des Ge -Kants Crit. d. Urtheilskr. D50I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſchmacksurtheils verhinderte, ſo thut die Verbindung des Guten (wozu naͤmlich das Mannigfaltige dem Dinge ſelbſt, nach ſeinem Zwecke, gut iſt) mit der Schoͤnheit, der Reinigkeit deſſelben Abbruch.

Man wuͤrde vieles unmittelbar in der Anſchauung gefallendes an einem Gebaͤude anbringen koͤnnen, wenn es nur nicht eine Kirche ſeyn ſollte, eine Geſtalt mit allerley Schnoͤrkeln und leichten doch regelmaͤßigen Zuͤ - gen, wie die Neuſeelaͤnder mit ihren Tettowiren thun, verſchoͤnern koͤnnen, wenn es nur nicht ein Menſch waͤre, und dieſer koͤnnte viel feinere Zuͤge und einen gefaͤlligeren ſanftern Umris der Geſichtsbildung haben, wenn er nur nicht einen Mann, oder gar einen kriegeriſchen vor - ſtellen ſollte.

Nun iſt das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Dinge in Beziehung auf den innern Zweck, der ſeine Moͤglichkeit beſtimmt, ein Wohlgefallen, das auf einem Begriffe gegruͤndet iſt; das an der Schoͤnheit aber iſt ein ſolches, welches keinen Begrif vorausſetzt, ſon - dern mit der Vorſtellellung, dadurch der Gegenſtand ge - geben (nicht wodurch er gedacht) wird, unmittelbar ver - bunden iſt. Wenn nun das Geſchmacksurtheil, in An - ſehung des letzteren, vom Zwecke in dem erſteren, als Vernunfturtheile, abhaͤngig gemacht und dadurch ein - geſchraͤnkt wird, ſo iſt jenes nicht mehr ein freyes und reines Geſchmacksurtheil.

51I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Zwar gewinnt der Geſchmack durch dieſe Verbin - dung des aͤſthetiſchen Wohlgefallens mit dem intellectuel - len darin, daß er fixirt wird und iſt zwar nicht allgemein, doch koͤnnen ihm in Anſehung gewiſſer zweckmaͤßig be - ſtimmter Objecte Regeln vorgeſchrieben werden. Dieſe ſind aber alsdann auch keine Regeln des Geſchmacks, ſondern blos der Vereinbarung des Geſchmacks mit der Vernunft, d. i. des Schoͤnen mit dem Guten, durch welche jener zum Jnſtrument der Abſicht in Anſehung des letztern brauchbar wird, um diejenige Gemuͤthsſtim - mung, die ſich ſelbſt erhaͤlt und von ſubjectiver allgemei - ner Guͤltigkeit iſt, derjenigen Denkungsart unterzulegen, die nur durch muͤhſamen Vorſatz erhalten werden kann, aber objectiv allgemeinguͤltig iſt. Eigentlich aber ge - winnt weder die Vollkommenheit durch die Schoͤnheit, noch die Schoͤnheit durch die Vollkommenheit; ſondern, weil es nicht vermieden werden kann, wenn wir die Vor - ſtellung, dadurch uns ein Gegenſtand gegeben wird, mit dem Objecte (in Anſehung deſſen was es ſeyn ſoll) durch einen Begrif vergleichen, ſie zugleich mit der Empfin - dung im Subjecte zuſammen zu halten, ſo gewinnt das geſammte Vermoͤgen der Vorſtellungskraft, wenn beyde Gemuͤthszuſtaͤnde zuſammen ſtimmen.

Ein Geſchmacksurtheil wuͤrde in Anſehung eines Gegenſtandes von beſtimmtem innern Zwecke nur als - denn rein ſeyn, wenn der Urtheilende entweder von die - ſem Zwecke keinen Begrif haͤtte, oder in ſeinem UrtheileD 252I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.davon abſtrahirte. Aber alsdenn wuͤrde dieſer, ob er gleich ein richtiges Geſchmacksurtheil faͤllete, indem er den Gegenſtand als freye Schoͤnheit beurtheilete, den - noch von dem andern, der die Schoͤnheit an ihm nur als anhaͤngende Beſchaffenheit betrachtet (der auf den Zweck des Gegenſtandes ſieht) getadelt und eines falſchen Ge - ſchmacks beſchuldigt werden, obgleich beyde in ihrer Art richtig urtheilen: der eine nach dem, was er vor den Sinnen, der andere nach dem, was er in Gedanken hat. Durch dieſe Unterſcheidung kann man manchen Zwiſt der Geſchmacksrichter uͤber Schoͤnheit beylegen, indem man ihnen zeigt, daß der eine ſich an die freye, der andere an die anhaͤngende Schoͤnheit wende, der erſtere ein rei - nes, der zweyte ein angewandtes Geſchmacksurtheil faͤlle.

§. 17. Vom Jdeale der Schoͤnheit.

Es kann keine objective Geſchmacksregel, die durch Begriffe beſtimmte, was ſchoͤn ſey, geben. Denn alles Urtheil aus dieſer Quelle iſt aͤſthetiſch, d. i. das Gefuͤhl des Subjects und kein Begrif eines Objects iſt ſein Be - ſtimmungsgrund. Ein Princip des Geſchmacks, wel - ches das allgemeine Criterium des Schoͤnen durch be - ſtimmte Begriffe angaͤbe, zu ſuchen, iſt eine fruchtloſe Bemuͤhung, weil, was geſucht wird, unmoͤglich und an ſich ſelbſt widerſprechend iſt. Die allgemeine Mit - theilbarkeit der Empfindung (des Wohlgefallens oder53I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Misfallens), und zwar eine ſolche, die ohne Begrif ſtatt findet, die Einhelligkeit, ſo viel moͤglich, aller Zei - ten und Voͤlker in Anſehung dieſes Gefuͤhls in der Vor - ſtellung gewiſſer Gegenſtaͤnde, iſt das empiriſche wiewohl ſchwache und kaum zur Vermuthung zureichende empiri - ſche Criterium der Abſtammung eines ſo durch Beyſpiele bewaͤhrten Geſchmacks, von dem tief verborgenen allen Menſchen gemeinſchaftlichen Grunde der Einhelligkeit in Beurtheilung der Formen, unter denen ihnen Gegen - ſtaͤnde gegeben werden.

Daher ſieht man einige Producte des Geſchmacks als exemplariſch an; nicht als ob Geſchmack koͤnne erwor - ben werden, indem er andere nachahmt. Denn der Ge - ſchmack muß ein ſelbſt eigenes Vermoͤgen ſeyn; der aber, ſo ein Muſter nachahmt, zeigt ſofern als er es trift, zwar Geſchicklichkeit, aber nur Geſchmack ſofern er dieſes Mu - ſter ſelbſt beurtheilen kann*)Muſter des Geſchmacks in Anſehung der redenden Kuͤnſte muͤſſen in einer todten und gelehrten Sprache abgefaßt ſeyn; das erſte, um nicht die Veraͤnderungen erdulden zu muͤſſen, welche die lebenden unvermeidlicher Weiſe trifft, daß edle Ausdruͤcke platt, gewoͤhnliche veraltet und neugeſchaffene in einen nur kurz daurenden Umlauf gebracht werden; das zweyte damit ſie eine Grammatik habe, welche keinem muth - willigen Wechſel der Mode unterworfen ſey, ſondern ihre unveraͤnderliche Regel hat.. Hieraus folgt aber, daß das hoͤchſte Muſter, das Urbild des Geſchmacks, eine bloße Jdee ſey, die jeder in ſich ſelbſt hervorbringen muß und darnach er alles, was Object des Geſchmacks, wasD 354I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Veyſpiel der Beurtheilung durch Geſchmack ſey und ſelbſt den Geſchmack von jedermann beurtheilen muß. Jdee bedeutet eigentlich einen Vernunftbegrif, und Jdeal die Vorſtellung eines einzelnen als einer Jdee adaͤquaten Weſens. Daher kann jenes Urbild des Geſchmacks, wel - ches freylich auf der unbeſtimmten Jdee der Vernunft von einem Maximum beruht, aber doch nicht durch Be - griffe, ſondern nur in einzelner Darſtellung kann vorge - ſtellt werden, beſſer das Jdeal des Schoͤnen genannt werden, dergleichen wir, wenn wir gleich nicht im Be - ſitze deſſelben ſind, doch in uns hervorzubringen ſtreben. Es wird aber blos ein Jdeal der Einbildungskraft ſeyn, eben darum, weil es nicht auf Begriffen, ſondern auf der Darſtellung beruht; das Vermoͤgen der Darſtellung aber iſt die Einbildungskraft. Wie gelangen wir nun zu einem ſolchen Jdeale der Schoͤnheit? A priori oder empiriſch? Jmgleichen welche Gattung des Schoͤnen iſt eines Jdeals faͤhig?

Zuerſt iſt wohl zu bemerken, daß die Schoͤnheit, zu der ein Jdeal geſucht werden ſoll, keine vage, ſondern durch einem Begrif von objectiver Zweckmaͤßigkeit fixirte Schoͤnheit ſeyn, folglich keinem Objecte eines ganz rei - nen, ſondern zum Theil intellectuirten Geſchmacksur - theils angehoͤren muͤſſe, d. i. in welcher Art von Gruͤn - den der Beurtheilung ein Jdeal ſtatt finden ſoll, da muß irgend eine Jdee der Vernunft nach beſtimmten Begriffen zum Grunde liegen, die a priori den Zweck beſtimmet,55I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.worauf die innere Moͤglichkeit des Gegenſtandes beruhet. Ein Jdeal ſchoͤner Blumen, eines ſchoͤnen Ameublements, einer ſchoͤnen Ausſicht, laͤßt ſich nicht denken. Aber auch von einer beſtimmten Zwecken anhaͤngenden Schoͤnheit z. B. einem ſchoͤnen Wohnhauſe, einem ſchoͤnen Baume, ſchoͤnen Garten u. ſ. w. laͤßt ſich kein Jdeal vorſtellen; vermuthlich weil die Zwecke durch ihren Begrif nicht ge - nug beſtimmt und fixirt ſind, folglich die Zweckmaͤßigkeit beynahe ſo frey iſt, als bey der vagen Schoͤnheit. Nur das, was den Zweck ſeiner Exiſtenz in ſich ſelbſt hat, der Menſch, der ſich durch Vernunft ſeine Zwecke ſelbſt be - ſtimmen, oder, wo er ſie von der aͤußern Wahrnehmung hernehmen muß, doch mit weſentlichen und allgemeinen Zwecken zuſammenhalten und die Zuſammenſtimmung mit jenen alsdenn auch aͤſthetiſch beurtheilen kann, dieſer Menſch iſt alſo eines Jdeals der Schoͤnheit, ſo wie die Menſchheit in ſeiner Perſon, als Jntelligenz, des Jdeals der Vollkommenheit, unter allen Gegenſtaͤn - den in der Welt allein faͤhig.

Hiezu gehoͤren aber zwey Stuͤcke: erſtlich die aͤſthe - tiſche Normalidee, welche eine einzelne Anſchauung (der Einbildungskraft) iſt, die das Richtmaas ſeiner Beurtheilung, als zu einer beſonderen Thierſpecies ge - hoͤrigen Dinges, vorſtellt; zweytens die Vernunft - idee, welche die Zwecke der Menſchheit, ſofern ſie nicht ſinnlich vorgeſtellt werden koͤnnen, zum Princip der Be - urtheilung einer Geſtalt macht, durch die, als ihre Wir -D 456I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.kung in der Erſcheinung, ſich jene offenbaren. Die Nor - malidee muß ihre Elemente zur Geſtalt eines Thiers von beſonderer Gattung aus der Erfahrung nehmen; aber die groͤßte Zweckmaͤßigkeit in der Conſtruction der Ge - ſtalt, die zum allgemeinen Richtmaas der aͤſthetiſchen Beurtheilung jedes Einzelnen dieſer Species tauglich waͤre, das Bild, was gleichſam abſichtlich der Technik der Natur zum Grunde gelegen hat, dem nur die Gat - tung im Ganzen, aber kein Einzelnes abgeſondert ad - aͤquat iſt, liegt doch blos in der Jdee des Beurtheilen - den, welche aber, mit ihren Proportionen, als aͤſtheti - ſche Jdee, in einem Muſterbilde voͤllig in concreto dar - geſtellt werden kann. Um, wie dieſes zugehe, einiger - maßen begreiflich zu machen, (denn wer kann der Natur ihr Geheimnis gaͤnzlich ablocken?) wollen wir eine pſy - chologiſche Erklaͤrung verſuchen.

Es iſt anzumerken: daß, auf eine uns gaͤnzlich un - begreifliche Art, die Einbildungskraft nicht allein die Zeichen fuͤr Begriffe gelegentlich, ſelbſt von langer Zeit her, zuruͤckzurufen, ſondern auch das Bild und die Ge - ſtalt des Gegenſtandes von einer unausſprechlichen Zahl von Gegenſtaͤnden verſchiedener Arten, oder auch ein und derſelben Art, reproduciren koͤnnen, ja auch, wenn das Gemuͤth es auf Vergleichungen anlegt, allem Ver - muthen nach wirklich, wenn gleich nicht hinreichend zum Bewußtſeyn, reproduciren, ein Bild gleichſam auf das andere fallen laſſen, und, durch die Congruenz der meh -57I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.rern von derſelben Art, ein Mittleres herauszubekommen wiſſen, welches allen zum gemeinſchaftlichen Maaße dient. Jemand hat tauſend erwachſene Mannsperſonen geſehen. Will er nun uͤber die vergleichungsweiſe zu ſchaͤtzende Nor - malgroͤße urtheilen, ſo laͤßt (meiner Meynung nach) die Einbildungskraft eine große Zahl der Bilder (vielleicht alle jene tauſend) auf einander fallen, und, wenn es mir erlaubt iſt hiebey die Analogie der optiſchen Darſtel - lung anzuwenden, der Raum, wo die meiſten ſich verei - nigen, und innerhalb dem Umriſſe, wo der Plaz mit der am ſtaͤrkſten aufgetragenen Farbe illuminirt iſt, da wird die mittlere Groͤße kenntlich, die ſowohl der Hoͤhe als Breite nach von den aͤußerſten Grenzen der groͤßten und kleinſten Staturen gleich weit entfernt iſt; und dies iſt die Statur fuͤr einen ſchoͤnen Mann. (Man koͤnnte eben - daſſelbe mechaniſch heraus bekommen, wenn man alle tauſend maͤße, ihre Hoͤhen unter ſich und Breiten (und Dicken) fuͤr ſich zuſammen addirte und die Summe durch tauſend dividirte. Allein die Einbildungskraft thut eben dieſes durch einen dynamiſchen Effect, der aus der viel - faͤltigen Auffaſſung ſolcher Geſtalten auf das Organ des innern Sinnes entſpringt.) Wenn nun auf aͤhnliche Art fuͤr dieſen mittlern Mann der mittlere Kopf, fuͤr dieſen die mittlere Naſe u. ſ. w. geſucht wird, ſo iſt dieſe Geſtalt das Jdeal des ſchoͤnen Mannes, in dem Lande, da dieſe Vergleichung angeſtellt wird; daher ein Reger nothwendig ein anderes Jdeal der Schoͤnheit der Geſtalt haben muß,D 558I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.als ein Weiſſer, der Chineſe ein anderes, als der Euro - paͤer. Mit dem Muſter eines ſchoͤnen Pferdes oder Hun - des (von gewiſſer Race) wuͤrde es eben ſo gehen. Dieſe Normalidee iſt nicht aus von der Erfahrung herge - nommenen Proportionen, als beſtimmte Regeln, abgelei - tet: ſondern nach ihr werden allererſt Regeln der Beur - theilung moͤglich. Sie iſt das zwiſchen allen einzelnen, auf mancherley Weiſe verſchiedenen, Anſchauungen der Jndividuen ſchwebende Bild fuͤr die ganze Gattung, wel - ches die Natur zum Urbilde ihren Erzeugungen in der - ſelben Species unterlegte, aber in keinem Einzelnen voͤl - lig erreicht zu haben ſcheint. Sie iſt keinesweges das Urbild der Schoͤnheit in dieſer Gattung, ſondern nur die Form, welche die unnachlasliche Bedingung aller Schoͤnheit ausmacht, mithin blos die Richtigkeit in Darſtellung der Gattung. Sie iſt, wie man Poly - clets beruͤhmten Doryphorus nannte, die Regel (eben dazu konnte auch Myrons Kuh in ihrer Gat - tung gebraucht werden). Sie kann eben darum auch nichts Specifiſch-Characteriſtiſches enthalten; denn ſonſt waͤre ſie nicht Normalidee fuͤr die Gattung. Jhre Darſtellung gefaͤllt auch nicht durch Schoͤnheit, ſondern blos weil ſie keiner Bedingung, unter der allein ein Ding dieſer Gattung ſchoͤn ſeyn kann, widerſpricht. Die Darſtellung iſt blos ſchulgerecht*)Man wird ſinden, daß ein vollkommen regelmaͤßig Geſicht, welches der Mahler ihm wohl zum Modell zu ſitzen bitten.

59I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Von der Normalidee des Schoͤnen iſt doch noch das Jdeal deſſelben unterſchieden, welches man ledig - lich an der menſchlichen Geſtalt aus ſchon angefuͤhr - ten Gruͤnden erwarten darf. An dieſer nun beſteht das Jdeal in dem Ausdrucke des Sittlichen, ohne welches der Gegenſtand nicht allgemein und dazu poſitiv (nicht blos negativ in einer ſchulgerechten Darſtellung) gefallen wuͤrde. Der ſichtbare Ausdruck ſittlicher Jdeen, die den Menſchen innerlich beherrſchen, kann zwar nur aus der Erfahrung genommen werden; aber ihre Verbindung mit allem dem, was unſere Vernunft mit dem Sittlich - Guten in der Jdee der hoͤchſten Zweckmaͤßigkeitverknuͤpft, die Seelenguͤte, oder Reinigkeit, oder Staͤrke, oder*)moͤchte, gemeiniglich nichts ſagt; weil es nichts Characte - riſtiſches enthaͤlt, alſo mehr die Jdee der Gattung, als das Specifiſche einer Perſon ausdruͤckt. Das Characteriſtiſche von dieſer Art, was uͤbertrieben iſt, d. i. welches der Nor - malidee (der Zweckmaͤßigkeit der Gattung) ſelbſt Abbruch thut, heißt Carricatur. Auch zeigt die Erfahrung: daß jene ganz regelmaͤßige Geſichter im Jnnern gemeiniglich eben ſowohl einen nur mittelmaͤßigen Menſchen verrathen, vermuthlich (wenn angenommen werden darf, daß die Na - tur im Aeußeren die Proportion des Jnneren ausdruͤcke) deswegen, weil, wenn keine von den Gemuͤthsanlagen uͤber diejenige Proportion hervorſtechend iſt, die erfordert wird blos einen fehlerfreyen Menſchen auszumachen, nichts von dem, was man Genie nennt, erwartet werden darf, in welchem die Natur von ihren gewoͤhnlichen Verhaͤltniſſen der Gemuͤthskraͤfte zum Vortheil einer einzigen abzugehen ſcheint.60I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Ruhe u. ſ. w. in koͤrperlicher Aeußerung (als Wirkung des Jnneren) gleichſam ſichtbar zu machen, dazu gehoͤ - ren reine Jdeen der Vernunft und große Macht der Ein - bildungskraft in demjenigen vereinigt, der ſie nur beur - theilen, vielmehr noch der ſie darſtellen will. Die Rich - tigkeit eines ſolchen Jdeals der Schoͤnheit beweiſet ſich daran: daß es keinem Sinnenreiz ſich in das Wohlgefal - len an ſeinem Objecte zu miſchen erlaubt und dennoch ein großes Jntereſſe daran nehmen laͤßt, welches dann beweiſet, daß die Beurtheilung nach einem ſolchen Maas - ſtabe niemals rein aͤſthetiſch ſeyn koͤnne, und die Beur - theilung nach einem Jdeale der Schoͤnheit kein bloßes Urtheil des Geſchmacks ſey.

Aus dieſem dritten Momente geſchloſſene Er - klaͤrung des Schoͤnen.

Schoͤnheit iſt Form der Zweckmaͤßigkeit eines Gegenſtandes, ſofern ſie ohne Vorſtellung eines Zwecks an ihm wahrgenommen wird*)Man koͤnnte wider dieſe Erklaͤrung als Jnſtanz anfuͤhren: daß es Dinge giebt, an denen man eine zweckmaͤßige Form ſieht, ohne auch an ihnen einen Zweck zu erkennen z. B. die oͤfters aus alten Grabhuͤgeln gezogene, mit einem Loche als zu einem Hefte, verſehene ſteinerne Geraͤthe, die, ob ſie zwar in ihrer Geſtalt eine Zweckmaͤßigkeit deutlich ver - rathen, fuͤr die man den Zweck nicht kennt, darum gleich - wohl nicht fuͤr ſchoͤn erklaͤrt werden. Allein daß man ſie fuͤr ein Kunſtwerk anſieht iſt ſchon genug, um geſtehen zu muͤſſen,.

61I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Viertes Moment des Geſchmacksurtheils nach der Modalitaͤt des Wohlgefallens an dem Gegenſtande.

§. 18. Was die Modalitaͤt eines Geſchmacks - urtheils ſey.

Von einer jeden Vorſtellung kann ich ſagen: wenig - ſtens es ſey moͤglich, daß ſie (als Erkenntnis) mit ei - ner Luſt verbunden ſey. Von dem, was ich angenehm nenne, ſage ich, daß es in mir wirklich Luſt bewirke. Vom Schoͤnen aber denkt man ſich, daß es eine noth - wendige Beziehung aufs Wohlgefallen habe. Dieſe Nothwendigkeit aber iſt von beſonderer Art, nicht eine theoretiſche objective Nothwendigkeit, da a priori erkannt werden kann, daß jedermann dieſes Wrhlgefallen an dem von mir ſchoͤn genannten Gegenſtande fuͤhlen werde, auch nicht eine practiſche, da durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens, der freyhandelnden Weſen zur Regel dient, dieſes Wohlgefallen die nothwendige*)daß man ihre Figur auf irgend eine Abſicht und einen be - ſtimmten Zweck bezieht. Daher auch gar kein unmittelba - res Wohlgefallen an ihrer Anſchauung. Eine Blume aber z. B. eine Tulpe, wird fuͤr ſchoͤn gehalten, weil eine ge - wiſſe Zweckmaͤßigkeit, die ſo, wie wir ſie beurtheilen, auf gar keinen Zweck bezogen wird, in ihrer Wahrnehmung an - getroffen wird.62I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Folge eines objectiven Geſetzes iſt und nichts anders be - deutet, als daß man ſchlechterdings (ohne weitere Ab - ſicht) auf gewiſſe Art handeln ſolle; ſondern ſie kann als Nothwendigkeit, die in einem aͤſthetiſchen Urtheile ge - dacht wird, nur exemplariſch genannt werden, d. i. die Nothwendigkeit der Beyſtimmung aller zu einem Urtheil, was wie Beyſpiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angeſehen wird. Da ein aͤſthe - tiſches Urtheil kein objectives und Erkenntnisurtheil iſt, ſo kann dieſe Nothwendigkeit nicht aus beſtimmten Be - griffen abgeleitet werden und iſt alſo nicht apodictiſch. Viel weniger kann ſie aus der Allgemeinheit der Erfah - rung (von einer durchgaͤngigen Einhelligkeit der Urtheile uͤber die Schoͤnheit eines gewiſſen Gegenſtandes) ge - ſchloſſen werden. Denn nicht allein, daß die Erfahrung hiezu ſchwerlich hinreichend viele Belaͤge ſchaffen wuͤrde, ſo laͤßt ſich auf empiriſche Urtheile kein Begrif der Noth - wendigkeit dieſer Urtheile gruͤnden.

§. 19. Die ſubjective Nothwendigkeit, die wir dem Geſchmacksurtheile beylegen, iſt bedingt.

Das Geſchmacksurtheil ſinnet jedermann Beyſtim - mung an und wer etwas fuͤr ſchoͤn erklaͤrt, will, daß jeder - mann dem vorliegenden Gegenſtande Beyfall geben und ihn gleichfalls fuͤr ſchoͤn erklaͤren ſolle. Das Sollen im aͤſthetiſchen Urtheile wird alſo ſelbſt nach allen Datis,63I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.die zur Beurtheilung erfordert werden, doch nur bedingt ausgeſprochen. Man wirbt um jedes andern Beyſtim - mung, weil man dazu einen Grund hat, der allen ge - mein iſt, auf welche man auch rechnen koͤnnte, wenn man nur immer ſicher waͤre, daß der Fall unter jenem Grunde als Regel des Beyfalls richtig ſubſumirt waͤre.

§. 20. Die Bedingung der Nothwendigkeit, die ein Geſchmacksurtheil vorgiebt, iſt die Jdee eines Gemeinſinnes.

Wenn Geſchmacksurtheile (gleich den Erkenntnis - urtheilen) ein beſtimmtes objectives Princip haͤtten, ſo wuͤrde der, ſo es nach dem letztern faͤllet, auf unbedingte Nothwendigkeit ſeines Urtheils Anſpruch machen. Waͤ - ren ſie ohne alles Princip, wie die des bloßen Sinnen - geſchmacks, ſo wuͤrde man ſich gar keine Nothwendigkeit deſſelben in die Gedanken kommen laſſen. Alſo muͤſſen ſie ein ſubjectives Princip haben, welches nur durch Ge - fuͤhl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeinguͤltig beſtimme, was gefalle oder misfalle. Ein ſolches Prin - cip aber koͤnnte nur als ein Gemeinſinn angeſehen werden, der vom gemeinen Verſtande, den man biswei - len auch Gemeinſinn (ſenſus communis) nennt, weſentlich unterſchieden iſt, indem letzterer nicht nach Gefuͤhl, ſon - dern jederzeit nach Begriffen, wiewohl gemeiniglich nach ihnen, als nur dunkel vorgeſtellten Principien, urtheilt.

64I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Alſo nur unter der Vorausſetzung, daß es einen Gemeinſinn gebe (wodurch wir aber keinen aͤußern Sinn, ſondern die Wirkung aus dem freyen Spiel unſrer Er - kenntniskraͤfte, verſtehen) nur unter Vorausſetzung, ſage ich, eines ſolchen Gemeinſinnes kann das Ge - ſchmacksurtheil gefaͤllt werden.

§. 21. Ob man mit Grunde einen Gemeinſinn vor - ausſetzen koͤnne.

Erkenntniſſe und Urtheile muͤſſen ſich, ſamt der Ue - berzeugung, die ſie begleitet, allgemein mittheilen laſſen; denn ſonſt kaͤme ihnen keine Uebereinſtimmung mit dem Object zu; ſie waͤren insgeſamt ein blos ſubjectives Spiel der Vorſtellungskraͤfte, gerade ſo wie es der Scepticism verlangt. Sollen ſich aber Erkenntniſſe mittheilen laſſen, ſo muß ſich auch der Gemuͤthszuſtand, d. i. die Stim - mung der Erkenntniskraͤfte zu einer Erkenntnis uͤber - haupt und zwar diejenige Proportion, welche ſich fuͤr eine Vorſtellung (dadurch uns ein Gegenſtand gegeben wird) gebuͤhrt, um daraus Erkenntnis zu machen, all - gemein mittheilen laſſen; weil ohne dieſe, als ſubjective Bedingung des Erkennens, das Erkenntnis, als Wir - kung, nicht entſpringen koͤnnte. Dieſes geſchieht auch wirklich jederzeit, wenn ein gegebener Gegenſtand ver - mittelſt der Sinne die Einbildungskraft zur Zuſammen - ſetzung des Mannigfaltigen, dieſe aber den Verſtand zur Einheit derſelben in Begriffen, in Thaͤtigkeit bringt. Aber65I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Aber dieſe Stimmung der Erkenntniskraͤfte hat, nach Ver - ſchiedenheit der Objecte, die gegeben werden, eine ver - ſchiedene Proportion. Gleichwohl aber muß es eine ge - ben, in welcher dieſes innere Verhaͤltnis zur Belebung (einer durch die andere) die zutraͤglichſte fuͤr beyde Ge - muͤthskraͤfte in Abſicht auf Erkenntnis (gegebener Gegen - ſtaͤnde) uͤberhaupt iſt, und dieſe Stimmung kann nicht anders als durchs Gefuͤhl (nicht nach Begriffen) be - ſtimmt werden. Da ſich nun dieſe Stimmung ſelbſt muß allgemein mittheilen laſſen, mithin auch das Gefuͤhl der - ſelben (bey einer gegebenen Vorſtellung) die allgemeine Mittheilbarkeit eines Gefuͤhls aber einen Gemeinſinn vorausſetzt: ſo wird dieſer mit Grunde angenommen wer - den koͤnnen, und zwar ohne ſich desfalls auf pſychologi - ſche Beobachtungen zu fußen, ſondern als die nothwendige Bedingung der allgemeinen Mittheilbarkeit unſerer Er - kenntnis, welche in jeder Logik und jedem Princip der Er - kenntniſſe, das nicht ſceptiſch iſt, vorausgeſetzt werden muß.

§. 22. Die Nothwendigkeit der allgemeinen Bey - ſtimmung, die in einem Geſchmacksurtheil gedacht wird, iſt eine ſubjective Nothwen - digkeit die unter der Vorausſetzung eines Gemeinſinns als objectiv vorgeſtellt wird.

Jn allen Urtheilen, wodurch wir etwas fuͤr ſchoͤn erklaͤren, verſtatten wir keinem anderer Meynung zu ſeyn,Kants Crit. d. Urtheilskr. E66I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ohne gleichwohl unſer Urtheil auf Begriffe, ſondern nur auf unſer Gefuͤhl zu gruͤnden, welches wir alſo nicht als Privatgefuͤhl, ſondern als ein gemeinſchaftliches zum Grunde legen. Nun kann dieſer Gemeinſinn zu dieſem Behuf nicht auf der Erfahrung gegruͤndet werden; denn er will zu Urtheilen berechtigen, die ein Sollen enthal - ten; er ſagt nicht, daß jedermann mit unſerm Urtheile uͤbereinſtimmen werde, ſondern damit zuſammenſtim - men ſolle. Alſo iſt der Gemeinſinn, von deſſen Urtheil ich mein Geſchmacksurtheil mir als ein Beyſpiel angebe: und weswegen ich ihm exemplariſche Guͤltigkeit bey - lege, eine bloße idealiſche Norm unter deren Voraus - ſetzung man ein Urtheil, welches mit ihr zuſammen - ſtimmte und das in demſelben ausgedruͤckte Wohlgefallen an einem Object fuͤr jedermann mit Recht zur Regel ma - chen koͤnnte, weil zwar das Princip nur ſubjectiv, den - noch aber fuͤr ſubjectiv allgemein (eine jedermann noth - wendige Jdee) angenommen, was die Einhelligkeit ver - ſchiedener Urtheilenden betrift, gleich einem objectiven, allgemeine Beyſtimmung fordern koͤnnte; wenn man nur ſicher waͤre darunter richtig ſubſumirt zu haben.

Dieſe unbeſtimmte Norm eines Gemeinſinns wird von uns wirklich vorausgeſetzt: das beweiſet unſere An - maßung Geſchmacksurtheile zu faͤllen. Ob es in der That einen ſolchen Gemeinſinn, als conſtitutives Prin - cip der Moͤglichkeit der Erfahrung gebe, oder ein noch hoͤheres Princip der Vernunft es uns nur zum regula -67I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.tiven Princip mache, allererſt einen Gemeinſinn zu hoͤ - hern Zwecken in uns hervorzubringen, ob alſo Geſchmack ein urſpruͤngliches und natuͤrliches, oder nur die Jdee von einem noch zu erwerbenden und kuͤnſtlichen Vermoͤ - gen ſey, ſo daß ein Geſchmacksurtheil, mit ſeiner Zumu - thung einer allgemeinen Beyſtimmung, in der That, nur eine Vernunftforderung ſey, eine ſolche Einhelligkeit der Sinnesart hervorzubringen und das Sollen d. i. die objective Nothwendigkeit des Zuſammenfließens des Ge - fuͤhls von jedermann mit jedes ſeinem beſondern nur die Moͤglichkeit hierin eintraͤchtig zu werden bedeute, und das Geſchmacksurtheil nur von Anwendung dieſes Prin - cips ein Beyſpiel aufſtelle, das wollen und koͤnnen wir hier noch nicht unterſuchen, ſondern haben vor jetzt nur das Geſchmacksvermoͤgen in ſeine Elemente aufzuloͤſen, und ſie zuletzt in der Jdee eines Gemeinſinns zu vereinigen.

Aus dem vierten Momente gefolgerte Er - klaͤrung vom Schoͤnen.

Schoͤn iſt, was ohne Begrif als Gegenſtand eines nothwendigen Wohlgefallens erkannt wird.

Allgemeine Anmerkung zum erſten Abſchnitte der Analytik.

Wenn man das Reſultat aus den obigen Zergliederun - gen zieht, ſo findet ſich, daß alles auf den Begrif des Ge - ſchmacks herauslaufe: daß er ein BeurtheilungsvermoͤgenE 268I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.eines Gegenſtandes in Beziehung auf die freye Geſetzmaͤſ - ſigkeit der Einbildungskraft ſey. Wenn nun im Geſchmacks - urtheile die Einbildungskraft in ihrer Freyheit betrachtet wer - den muß, ſo wird ſie erſtlich nicht reproductiv, wie ſie den Aſſociationsgeſetzen unterworfen iſt, ſondern als productiv und ſelbſtthaͤtig (als Urheberin willkuͤhrlicher Formen moͤgli - cher Anſchauungen) angenommen und, ob ſie zwar bey der Auffaſſung eines gegebenen Gegenſtandes der Sinne an eine beſtimmte Form dieſes Objects gebunden iſt und ſofern kein freyes Spiel (wie im Dichten) hat, ſo laͤßt ſich doch noch wohl begreifen: daß der Gegenſtand ihr gerade eine ſolche Form an die Hand geben koͤnne, die eine Zuſammenſetzung des Mannigfaltigen enthaͤlt, wie ſie die Einbildnngskraft, wenn ſie ſich ſelbſt frey uͤberlaſſen waͤre, in Einſtimmung mit der Verſtandesgeſetzmaͤßigkeit uͤberhaupt entworfen wuͤrde. Allein daß die Einbildungskraft frey und doch von ſelbſt geſetzmaͤßig ſey, d. i. daß ſie eine Autonomie bey ſich fuͤhre, iſt ein Widerſpruch. Der Verſtand allein giebt das Geſetz. Wenn aber die Einbildungskraft nach einem beſtimm - ten Geſetze zu verfahren genoͤthigt wird, ſo wird ihr Pro - duct, der Form nach, durch Begriffe beſtimmt, wie es ſeyn ſoll; aber alsdenn iſt das Wohlgefallen, wie oben gezeigt, nicht das am Schoͤnen, ſondern am Guten (der Voll - kommenheit allenfalls blos der formalen) und das Urtheil iſt kein Urtheil durch Geſchmack. Es wird alſo eine Geſetz - maͤßigkeit ohne Geſetz und eine ſubjective Uebereinſtimmung der Einbildungskraft zum Verſtande, ohne eine objective, da die Vorſtellung auf einen beſtimmten Begrif von einem Ge - genſtande bezogen wird, mit der freyen Geſetzmaͤßigkeit des Verſtandes (welche auch Zweckmaͤßigkeit ohne Zweck genannt worden) und mit der Eigenthuͤmlichkeit eines Geſchmacks - urtheils allein zuſammen beſtehen koͤnnen.

69I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Nun werden geometriſch-regelmaͤßige Geſtalten, eine Cirkelfigur, ein Quadrat, ein Wuͤrfel u. ſ. w. von Critikern des Geſchmacks gemeiniglich als die einfachſten und unzwei - felhafteſten Beyſpiele der Schoͤnheit angefuͤhrt und demnach werden ſie eben darum regelmaͤßig genannt, weil man ſie nicht anders vorſtellen kann als ſo, daß ſie fuͤr bloße Dar - ſtellungen eines beſtimmten Begrifs, der jener Geſtalt die Regel vorſchreibt (nach der ſie allein moͤglich iſt) angeſehen werden. Eines von beyden muß alſo irrig ſeyn, entweder jenes Urtheil der Critiker gedachten Geſtalten Schoͤnheit bey - zulegen, oder das unſrige, welches Zweckmaͤßigkeit ohne Be - grif zur Schoͤnheit noͤthig findet.

Niemand wird leichtlich einen Menſchen von Geſchmack dazu noͤthig finden, um an einer Cirkelgeſt[a]lt mehr Wohlge - fallen, als an einem kritzlichen Umriſſe, an einem gleichſeiti - gen und gleicheckigten Viereck mehr, als an einem ſchiefen un - gleichſeitigen, gleichſam verkruͤppelten zu finden; denn dazu ge - hoͤrt nur gemeiner Verſtand und gar kein Geſchmack. Wo eine Abſicht z. B. die Groͤße eines Platzes zu beurtheilen, oder das Verhaͤltnis der Theile zu einander und zum Ganzen in einer Eintheilung, da ſind regelmaͤßige Geſtalten, und zwar die von der einfachſten Art, noͤthig und das Wohlgefallen ruht nicht unmittelbar auf dem Anblicke der Geſtalt, ſondern der Brauchbarkeit derſelben zu allerley moͤglicher Abſicht. Ein Zimmer, deſſen Waͤnde ſchiefe Winkel machen, ein Garten - platz von ſolcher Art, ſelbſt alle Verletzung der Symmetrie ſowohl in der Geſtalt der Thiere, (z. B. einaͤugigt zu ſeyn) oder der Gebaͤude, oder der Blumenſtuͤcke, misfaͤllt, weil es zweckwidrig iſt, nicht allein pra[k]tiſch in Anſehung eines beſtimmten Gebrauchs dieſer Dinge, ſondern auch fuͤr die Beurtheilung in allerley moͤglicher Abſicht, welches der Fall im Geſchmacksurtheile nicht iſt, welches, wenn es rein iſt,E 370I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Wohlgefallen oder Misfallen, ohne Ruͤckſicht auf den Ge - brauch oder einen Zweck, mit der bloßen Betrachtung des Gegenſtandes unmittelbar verbindet.

Die Regelmaͤßigkeit, die zum Begriffe von einem Ge - genſtande fuͤhrt, iſt zwar die unentbehrliche Bedingung (conditio ſine qua non) den Gegenſtand in eine einzige Vor - ſtellung zu faſſen, und das Mannigfaltige in der Form deſ - ſelben zu beſtimmen. Dieſe Beſtimmung iſt ein Zweck in Anſehung der Erkenntnis und in Beziehung auf dieſe iſt ſie auch jederzeit mit Wohlgefallen (welche die Bewirkung einer jeden auch blos problematiſchen Abſicht begleitet) verbunden. Es iſt aber blos die Billigung der Aufloͤſung die einer Auf - gabe Gnuͤge thut und nicht eine freye und unbeſtimmt-zweck - maͤßige Unterhaltung der Gemuͤthskraͤfte, mit dem, was wir ſchoͤn nennen und wo der Verſtand der Einbildungskraft und nicht dieſe jenem zu Dienſten iſt.

An einem Dinge, was nur durch eine Abſicht moͤglich iſt, einem Gebaͤude, ſelbſt einem Thier, muß die Regelmaͤſ - ſigkeit, die in der Symmetrie beſteht, die Einheit der An - ſchauung ausdruͤcken, welche den Begrif des Zwecks begleitet und gehoͤrt mit zum Erkenntniſſe. Aber wo nur ein freyes Spiel der Vorſtellungskraͤfte (doch unter der Bedingung, daß der Verſtand dabey keinen Anſtos leide) unterhalten werden ſoll, in Luſtgaͤrten, Stubenverzierung, allerley geſchmackvol - lem Geraͤthe u. d. gl. wird die Regelmaͤßigkeit, die ſich als Zwang ankuͤndigt, ſo viel moͤglich vermieden; daher der engli - ſche Geſchmack in Gaͤrten, der Barockgeſchmack an Mobilien, die Freyheit der Einbildungskraft wohl eher bis zur Annaͤhe - rung zum Grotesken treibt und in dieſer Abſonderung von allem Zwange der Regeln eben den Fall ſetzt, wo der Ge - ſchmack in Entwuͤrfen der Einbildungskraft ſeine groͤßte Voll - kommenheit zeigen kann.

71I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Alles ſteif-regelmaͤßige (was der mathematiſchen Re - gelmaͤßigkeit nahe kommt) hat das Geſchmackwidrige an ſich: daß es keine lange Unterhaltung mit der Betrachtung deſſel - ben gewaͤhrt, ſondern, ſofern es nicht ausdruͤcklich das Er - kenntnis, oder einen beſtimmten practiſchen Zweck zur Ab - ſicht hat, lange Weile macht. Dagegen iſt das, womit Ein - bildungskraft ungeſucht und zweckmaͤßig ſpielen kann, uns jederzeit neu und man wird ſeines Anblicks nicht uͤberdruͤßig. Marsden in ſeiner Beſchreibung von Sumatra macht die Anmerkung, daß die freye Schoͤnheiten der Natur den Zu - ſchauer daſelbſt uͤberall umgeben und daher wenig anziehen - des mehr fuͤr ihn haben: dagegen ein Pfeffergarten, wo die Stangen an denen ſich dieſes Gewaͤchs rankt, in Parallel - linien Alleen zwiſchen ſich bilden, wenn er ihn mitten in ei - nem Walde antraf, fuͤr thn viel Reiz hatte, und ſchließt daraus, daß wilde, dem Anſcheine nach regelloſe Schoͤnheit, nur dem zur Abwechſelung gefalle, der ſich an der regelmaͤſ - ſigen ſatt geſehen hat. Allein er durfte nur den Verſuch ma - chen, ſich einen Tag bey ſeinem Pfeffergarten aufzuhalten, um inne zu werden, daß, wenn der Verſtand durch die Re - gelmaͤßigkeit ſich in die Stimmung zur Ordnung, die er aller - waͤrts bedarf, verſetzt hat, ihn der Gegenſtand nicht laͤnger unterhalte, vielmehr der Einbildungskraft einen laͤſtigen Zwang anthue: dagegen daß die dorten an Mannigfaltig - keiten bis zur Ueppigkeit verſchwenderiſche Natur, die keinem Zwange kuͤnſtlicher Regeln unterworfen iſt, ſeinem Ge - ſchmacke fuͤr beſtaͤndig Nahrung geben koͤnne. Selbſt der Geſang der Voͤgel, den wir unter keine muſikaliſche Regel bringen koͤnnen, ſcheint mehr Freyheit und darum mehr fuͤr den Geſchmack zu enthalten, als ſelbſt ein menſchlicher Ge - ſang, der nach allen Regeln der Tonkunſt gefuͤhrt wird; weil man den letztern, wenn er oft und lange Zeit wiederholtE 472I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.wird, weit eher uͤberdruͤßig wird. Allein hier vertauſchen wir wohl vermuthlich unſere Theilnehmung an der Luſtigkeit eines kleinen beliebten Thierchens mit der Schoͤnheit ſeines Geſanges, der wenn er vom Menſchen (wie es mit den Schlagen der Nachtigall bisweilen geſchieht) ganz genau nach - geahmt wird, unſerem Ohre ganz geſchmacklos zu ſeyn duͤnkt.

Noch ſind ſchoͤne Gegenſtaͤnde von ſchoͤnen Ausſichten auf Gegenſtaͤnde (die oͤfters der Entfernung wegen nicht mehr deutlich erkannt werden koͤnnen) zu unterſcheiden. Jn den letzteren ſcheint der Geſchmack nicht ſowohl an dem, was die Einbildungskraft in dieſem Felde auffaßt, als vielmehr an dem, was ſie hiebey zu dichten Anlas bekommt d. i. an den eigentlichen Phantaſien, womit ſich das Gemuͤth unter - haͤlt, indeſſen daß es durch die Mannigfaltigkeit auf die das Auge ſtoͤßt, continuirlich erweckt wird, zu haften, ſo wie etwa bey dem Anblick der veraͤnderlichen Geſtalten eines Ca - minfeuers, oder eines rieſelnden Baches, welche beyde keine Schoͤnheiten ſind, aber doch fuͤr die Einbildungskraft einen Reiz bey ſich fuͤhren; weil ſie ihr freyes Spiel unterhalten.

73I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Zweytes Buch. Analytik des Erhabenen.

§. 23. Uebergang von dem Beurtheilungsvermoͤgen des Schoͤnen zu dem des Erhabenen.

Das Schoͤne kommt darin mit dem Erhabenen uͤberein, daß beydes fuͤr ſich ſelbſt gefaͤllt. Ferner darin, daß bey - des kein Sinnes - noch ein logiſch - beſtimmendes, ſon - dern ein Reflexionsurtheil vorausſetzt, folglich das Wohl - gefallen nicht an einer Empfindung, wie die des Ange - nehmen, noch an einem beſtimmten Begriffe wie das Wohlgefallen am Guten, haͤngt, gleichwohl aber doch auf Begriffe, obzwar unbeſtimmt welche, bezogen wird, mithin das Wohlgefallen an der bloßen Darſtellung oder dem Vermoͤgen derſelben geknuͤpft iſt, wodurch das Ver - moͤgen der Darſtellung, oder die Einbildungskraft, bey einer gegebenen Anſchauung mit dem Vermoͤgen der Begriffe des Verſtandes oder der Vernunft, als Be - foͤrderung der letzteren, in Einſtimmung betrachtet wird. Daher ſind auch beyderley Urtheile einzelne und doch ſich fuͤr allgemeinguͤltig in Anſehung jedes Subjects an - kuͤndigende Urtheile, ob ſie zwar blos auf das Gefuͤhl der Luſt und kein Erkenntnis des Gegenſtandes Anſpruch machen.

E 574I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Allein es ſind auch namhafte Unterſchiede zwiſchen beyden in die Augen fallend. Das Schoͤne der Natur betrift die Form des Gegenſtandes, die in der Begren - zung beſteht; das Erhabene iſt dagegen auch an einem formloſen Gegenſtande zu finden, ſofern Unbegrenzt - heit an ihm, oder durch deſſen Veranlaſſung, vorge - geſtellt und doch Totalitaͤt derſelben hinzugedacht wird; ſo daß das Schoͤne fuͤr die Darſtellung eines unbeſtimm - ten Verſtandesbegrifs, das Erhabene aber, eines der - gleichen Vernunftbegrifs, genommen zu werden ſcheint. Alſo iſt das Wohlgefallen dort mit der Vorſtellung der Qualitaͤt, hier aber der Quantitaͤt verbunden. Auch iſt das letztere der Art nach von dem erſteren Wohlgefal - len gar ſehr unterſchieden, indem dieſes directe ein Ge - fuͤhl der Befoͤrderung des Lebens bey ſich fuͤhrt und da - her mit Reitzen und einer ſpielenden Einbildungskraft vereinbar iſt, jenes aber eine Luſt iſt, welche nur indi - recte entſpringt, naͤmlich ſo daß ſie durch das Gefuͤhl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskraͤfte und darauf ſogleich folgenden deſto ſtaͤrkeren Ergießung der - ſelben erzeugt wird, mithin als Ruͤhrung kein Spiel, ſondern Ernſt in der Beſchaͤftigung der Einbildungskraft zu ſeyn ſcheint. Daher es auch mit Reizen unvereinbar iſt und, indem das Gemuͤth von dem Gegenſtande nicht blos angezogen, ſondern wechſelsweiſe auch immer wie - der abgeſtoßen wird, das Wohlgefallen am Erhabenen nicht ſowohl poſitive Luſt als vielmehr Bewunderung75I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.oder Achtung, d. i. negative Luſt genannt zu wer - den verdient.

Der wichtigſte und innere Unterſchied aber des Er - habenen vom Schoͤnen iſt wohl dieſer: daß, wenn wir, wie billig, hier zuvoͤrderſt nur das Erhabene an Natur - objecten in Betrachtung ziehen, (das der Kunſt wird naͤmlich immer auf die Bedingungen der Uebereinſtim - mung mit der Natur eingeſchraͤnkt) die Naturſchoͤnheit (die ſelbſtſtaͤndige) eine Zweckmaͤß[ig]keit in ihrer Form, wodurch der Gegenſtand fuͤr unſere Urtheilskraft gleich - ſam vorherbeſtimmt zu ſeyn ſcheint, bey ſich fuͤhre und ſo an ſich einen Gegenſtand des Wohlgefallens ausmacht, ſtatt deſſen das, was in uns, ohne zu vernuͤnfteln, blos in der Auffaſſung, das Gefuͤhl des Erhabenen erregt, der Form nach gar zweckwidrig fuͤr unſere Urtheilskraft, unangemeſſen unſerm Darſtellungsvermoͤgen und gleich - ſam gewaltthaͤtig fuͤr die Einbildungskraft, erſcheinen mag, dennoch nur um deſto erhabener zu ſeyn geur - theilt wird.

Man ſieht aber hieraus ſofort, daß wir uns uͤber - haupt unrichtig ausdruͤcken, wenn wir irgend einen Gegenſtand der Natur erhaben nennen, ob wir zwar ganz richtig ſehr viele derſelben ſchoͤn nennen koͤn - nen; denn wie kann das mit einem Ausdrucke des Bey - falls bezeichnet werden, was an ſich als zweckwidrig ab - gefaßt wird. Wir koͤnnen nicht mehr ſagen, als daß der Gegenſtand zur Darſtellung einer Erhabenheit tauglich76I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſey, die im Gemuͤthe angetroffen werden kann; denn das eigentliche Erhabene kann in keiner ſinnlichen Form enthalten ſeyn, ſondern trift nur Jdeen der Vernunft, welche, obgleich keine ihnen angemeſſene Darſtellung moͤglich iſt, eben durch dieſe Unangemeſſenheit, welche ſich ſinnlich darſtellen laͤßt, rege gemacht und ins Ge - muͤth gerufen werden. So kann der weite, durch Stuͤr - me empoͤrte Ocean, nicht erhaben genannt werden. Sein Anblick iſt graͤslich und man muß das Gemuͤth ſchon mit mancherley Jdeen angefuͤllt haben, wenn es durch eine ſolche Anſchauung zu einem Gefuͤhl geſtimmt werden ſoll, was ſelbſt erhaben iſt, indem das Gemuͤth die Sinnlichkeit zu verlaſſen und ſich mit Jdeen, die hoͤhere Zweckmaͤßigkeit enthalten, zu beſchaͤftigen ange - reizt wird.

Die ſelbſtſtaͤndige Naturſchoͤnheit entdeckt uns eine Technik der Natur, welche ſie als ein Syſtem nach Ge - ſetzen, deren Princip wir in unſerm ganzen Verſtandes - vermoͤgen nicht antreffen, vorſtellig macht, naͤmlich dem einer Zweckmaͤßigkeit, reſpectiv auf den Gebrauch der Urtheilskraft in Anſehung der Erſcheinungen, ſo daß dieſe nicht blos als zur Natur in ihrem zweckloſen Me - chanism, ſondern auch als Kunſt gehoͤrig, beurtheilt werden muͤſſen. Sie erweitert alſo wirklich zwar nicht unſere Erkenntnis der Naturobjecte, aber doch unſern Begrif von der Natur, naͤmlich als bloßem Mechanism, zu dem von eben derſelben als Kunſt, welches zu tiefen77I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Unterſuchungen uͤber die Moͤglichkeit einer ſolchen Form einladet. Aber in dem, was wir an ihr erhaben zu nen - nen pflegen, iſt ſogar nichts, was auf beſondere objec - tive Principien und dieſen gemaͤßen Formen der Natur fuͤhrte, daß dieſe vielmehr in ihren Chaos oder in ihrer wildeſten regelloſeſten Unordnung und Verwuͤſtung, wenn ſie nur Groͤße und Macht blicken laͤßt, die Jdeen des Erhabenen am meiſten erregt. Daraus ſehen wir, daß der Begrif des Erhabenen der Natur bey weitem nicht ſo wichtig und an Folgerungen reichhaltig ſey, als der des Schoͤnen in derſelben und daß er uͤberhaupt nichts zweckmaͤßiges in der Natur ſelbſt, ſondern nur in dem moͤglichen Gebrauche ihrer Anſchauungen, um eine von der Natur ganz nnabhaͤngige Zweckmaͤßigkeit in uns ſelbſt fuͤhlbar zu machen, anzeige. Zum Schoͤ - nen der Natur muͤſſen wir einen Grund auſſer uns ſu - chen, zum Erhabenen aber blos in uns und der Den - kungsart, die in die Vorſtellung der erſteren Erhaben - heit hineinbringt; eine ſehr noͤthige vorlaͤufige Bemer - kung, welche die Jdeen des Erhabenen von der einer Zweckmaͤßigkeit der Natur ganz abtrennt und aus der Theorie deſſelben einen bloßen Anhang zur aͤſthetiſchen Beurtheilung der Zweckmaͤßigkeit der Natur macht, weil dadurch keine beſondere Form in dieſer vorge - ſtellt, ſondern nur ein zweckmaͤßiger Gebrauch, den die Einbildungskraft von ihrer Vorſtellung macht, ent - wickelt wird.

78I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

§. 24. Von der Eintheilung einer Unterſuchung des Gefuͤhls des Erhabenen.

Was die Eintheilung der Momente der aͤſthetiſchen Be - urtheilung der Gegenſtaͤnde, in Beziehung auf das Gefuͤhl des Erhabenen, betrift, ſo wird die Analytik nach demſelben Princip fortlaufen koͤnnen, wie in der Zergliederung der Geſchmacksurtheile geſchehen iſt. Denn als Urtheile der aͤſthetiſchen reflectirenden Urtheilskraft, muß das Wohl - gefallen am Erhabenen eben ſowohl, als am Schoͤnen, der Quantitaͤt nach allgemeinguͤltig, der Qualitaͤt nach ohne Jntereſſe, der Relation nach ſubjective Zweckmaͤßigkeit und der Modalitaͤt nach die letztere als nothwendig, vorſtellig machen. Hierin wird alſo die Methode von der im vorigen Abſchnitte nicht abwei - chen, man mußte denn das fuͤr etwas rechnen, daß wir dort, wo das aͤſthetiſche Urtheil die Form des Objects betraf, von der Unterſuchung der Qualitaͤt anfingen, hier aber, bey der Formloſigkeit, welche dem, was wir er - haben nennen, zukommen kann, von der Quantitaͤt, als dem erſten Moment des aͤſthetiſchen Urtheils uͤber das Erhabene, anfangen werden: wozu aber der Grund aus dem vorhergehenden § zu erſehen iſt.

Aber eine Eintheilung hat die Analyſis des Erha - benen noͤthig, welche die des Schoͤnen nicht bedarf, naͤm - lich die ins mathematiſch - und ins dynamiſch - Erhabene.

79I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Denn da das Gefuͤhl des Erhabenen eine mit der Beurtheilung des Gegenſtandes verbundene Bewe - gung des Gemuͤths, als ſeinen Character bey ſich fuͤhrt, anſtatt daß der Geſchmack am Schoͤnen das Gemuͤth in ruhiger Contemplation vorausſetzt und erhaͤlt, dieſe Bewegung aber als ſubjectiv zweckmaͤßig beurtheilt wer - den ſoll (weil das Erhabene gefaͤllt) ſo wird ſie durch die Einbildungskraft entweder auf das Erkenntnis - oder auf das Begehrungsvermoͤgen bezogen, in beyder - ley Beziehung aber die Zweckmaͤßigkeit der gegebenen Vorſtellung nur in Anſehung dieſer Vermoͤgen (ohne Zweck oder Jntereſſe) beurtheilt werden: da dann die erſte, als eine mathematiſche, die zweyte als dyna - miſche Stimmung der Einbildungskraft dem Objecte beygelegt und daher dieſes auf gedachte zwiefache Art als erhaben vorgeſtellt wird.

A. Vom Mathematiſch-Erhabenen.

§. 25. Nahmenerklaͤrung des Erhabenen.

Erhaben nennen wir das, was ſchlechthin gros iſt. Gros - ſeyn aber und eine Groͤße ſeyn ſind ganz verſchiedene Begriffe (magnitudo und quantitas). Jmgleichen ſchlechtweg (ſimpliciter) ſagen, daß et - was gros ſey, iſt auch ganz was anderes als zu ſagen,80I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.daß es ſchlechthin gros (abſolute non comperative magnum) ſey. Das letztere iſt das was uͤber alle Ver - gleichung gros iſt. Was will nun aber der Ausdruck daß etwas gros oder klein, oder mittelmaͤßig ſey, ſagen? Ein reiner Verſtandesbegrif iſt er nicht, noch weniger eine Sinnenanſchauung und eben ſo wenig ein Vernunft - begrif, weil er ga[r]Princip der Erkenntnis bey ſich fuͤhrt. Er muß alſo ein Begrif der Urtheilskraft ſeyn oder von einem ſolchen abſtammen und eine ſubjective Zweckmaͤſ - ſigkeit der Vorſtellung in Beziehung auf die Urtheilskraft zum Grunde legen. Daß etwas eine Groͤße (quantum) ſey, laͤßt ſich aus dem Dinge ſelbſt, ohne alle Verglei - chung mit andern, erkennen; wenn naͤmlich Vielheit des Gleichartigen zuſammen Eines ausmacht. Wie gros es aber ſey, erfordert jederzeit etwas anderes, was auch Groͤße iſt, zu ſeinem Maaße. Dieweil es aber in der Beurtheilung der Groͤße nicht blos auf die Vielheit (Zahl), ſondern auch auf die Groͤße der Einheit (des Maaßes) ankommt und dieſer ihre Groͤße immer wie - derum etwas anderes als Maaß bedarf, womit es ver - glichen werden koͤnne, ſo ſehen wir: daß alle Groͤßen - beſtimmung der Erſcheinungen ſchlechterdings keinen ab - ſoluten Begrif von einer Groͤße, ſondern allemal nur einen Vergleichungsbegrif liefern koͤnne.

Wenn ich nun ſchlechtweg ſage, daß etwas gros ſey, ſo ſcheint es daß ich gar keine Vergleichung im Sinne habe, wenigſtens mit keinem objectiven Maaße, weildadurch81I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.dadurch gar nicht beſtimmt wird, wie gros der Gegen - ſtand ſey. Ob aber gleich der Maasſtab der Vergleichung blos ſubjectiv iſt, ſo macht das Urtheil nichts deſto we - niger auf allgemeine Beſtimmung Anſpruch; die Ur - theile: der Mann iſt ſchoͤn und er iſt groß, ſchraͤnken ſich nicht blos aufs urtheilende Subject ein, ſondern verlan - gen, gleich theoretiſchen Urtheilen, jedermanns Bey - ſtimmung.

Weil aber in einem Urtheile, dadurch etwas ſchlecht - weg als gros bezeichnet wird, nicht blos geſagt werden will, daß der Gegenſtand eine Groͤße habe, ſondern dieſe ihm zugleich vorzugsweiſe vor vielen andern gleicher Art beygelegt wird, ohne doch dieſen Vorzug beſtimmt anzu - geben, ſo wird demſelben allerdings ein Maasſtab zum Grunde gelegt, den man fuͤr jedermann, als eben den - ſelben, annehmen zu koͤnnen vorausſetzt, der aber zu keiner logiſchen (mathematiſch-beſtimmten), ſondern nur aͤſthetiſchen Beurtheilung der Groͤße brauchbar iſt, weil er ein blos ſubjectiv dem reflectirenden Urtheile uͤber Groͤße zum Grunde liegender Maasſtab iſt (er mag nun empiriſch ſeyn, wie etwa die mittlere Groͤße der uns be - kannten Menſchen, Thiere von gewiſſer Art, Baͤume, Haͤuſer, Berge u. d. gl. ; oder ein a priori gegebener Maasſtab, der durch die Maͤngel des Subjects auf ſub - jective Bedingungen der Darſtellung in concreto einge - ſchraͤnkt iſt, als im Practiſchen: die Groͤße einer gewiſſen Tugend, oder der oͤffentlichen Freyheit und GerechtigkeitKants Crit. d. Urtheilskr. F82I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.in einem Lande, oder im Theoretiſchen: die Groͤße der Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer gemachten Obſerva - tion oder Meſſung u. d. gl.).

Hier iſt nun merkwuͤrdig: daß, wenn wir gleich am Objecte gar kein Jntereſſe haben, d. i. die Exiſtenz deſ - ſelben uns gleichguͤltig iſt, doch die bloße Groͤße deſſel - ben, ſelbſt wenn es als formlos betrachtet wird, ein Wohlgefallen bey ſich fuͤhren koͤnne, das allgemein mit - theilbar iſt, mithin Bewußtſeyn einer ſubjectiven Zweck - maͤßigkeit im Gebrauche unſrer Erkenntnisvermoͤgen ent - halte, aber nicht etwa ein Wohlgefallen am Objecte, wie beym Schoͤnen (weil es formlos ſeyn kann) wo die reflectirende Urtheilskraft ſich in Beziehung aufs Er - kenntnis uͤberhaupt zweckmaͤßig geſtimmt findet, ſondern an der Erweiterung der Einbildungskraft an ſich ſelbſt.

Wenn wir (unter der obgenannten Einſchraͤnkung) von einem Gegenſtande ſchlechtweg ſagen, er ſey gros, ſo iſt dies kein mathematiſch-beſtimmendes, ſondern ein bloßes Reflexionsurtheil uͤber die Vorſtellung deſſelben, die fuͤr einen gewiſſen Gebrauch unſerer Erkenntniskraͤfte in der Groͤßenſchaͤtzung ſubjectiv zweckmaͤßig iſt und mi[t]verbinden alsdenn mit der Vorſtellung jederzeit eine Art von Achtung, ſo wie mit dem, was wir ſchlechtweg klein nennen, eine Verachtung. Uebrigens geht die Beur - theilung der Dinge als gros oder klein auf alles, ſelbſt auf alle Beſchaffenheiten derſelben; daher wir ſelbſt die Schoͤnheit gros oder klein nennen, wovon der Grund83I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.darin zu ſuchen iſt, daß was wir nach Vorſchrift der Ur - theilskraft in der Anſchauung nur immer darſtellen (mit - hin aͤſthetiſch vorſtellen) moͤgen, insgeſamt Erſcheinung, mithin auch ein Quantum iſt.

Wenn wir aber etwas nicht allein gros, ſondern ſchlechthin - abſolut - in aller Abſicht - (uͤber alle Verglei - chung) gros, d. i. Erhaben, nennen, ſo ſieht man bald ein: daß wir fuͤr daſſelbe keinen ihm angemeſſenen Maas - ſtab auſſer ihm, ſondern blos in ihm zu ſuchen verſtatten. Es iſt eine Groͤße, die blos ſich ſelber gleich iſt. Daß das Erhabene alſo nicht in den Dingen der Natur, ſon - dern allein in unſern Jdeen zu ſuchen ſey, folgt hieraus; in welchen es aber liege muß fuͤr die Deduction aufbe - halten werden.

Die obige Erklaͤrung kann auch ſo ausgedruͤckt wer - den: Erhaben iſt das mit welchem in Verglei - chung alles andere klein iſt. Hier ſieht man leicht: daß nichts in der Natur gegeben werden koͤnne, ſo gros als es auch von uns beurtheilt wuͤrde, was uicht in ei - nem andern Verhaͤltniſſe betrachtet bis zum Unendlich - Kleinen abgewuͤrdigt werden koͤnnte und umgekehrt, nichts ſo klein, was ſich nicht in Vergleichung mit noch kleinern Maasſtaͤben fuͤr unſere Einbildungskraft bis zu einer Weltgroͤße erweitern ließe. Die Teleſcopien haben uns die erſtere, die Microſcopien die letztere Bemerkung zu machen reichlichen Stoff an die Hand gegeben. Richts alſo, was Gegenſtand der Sinnen ſeyn kann,F 284I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.iſt auf dieſen Fuß betrachtet erhaben zu nennen. Aber eben darum, daß in unſerer Einbildungskraft ein Beſtre - ben zum Fortſchritte ins Unendliche, in unſerer Vernunft aber ein Anſpruch auf abſolute Totalitaͤt, als einer reel - len Jdee liegt, iſt ſelbſt jene Unangemeſſenheit unſeres Vermoͤgens der Groͤßenſchaͤtzung der Dinge der Sinnen - welt fuͤr dieſe Jdee, die Erweckung des Gefuͤhls eines uͤberſinnlichen Vermoͤgens in uns und der Gebrauch, den die Urtheilskraft, von gewiſſen Gegenſtaͤnden zum Be - huf des letzteren (Gefuͤhls) natuͤrlicher Weiſe macht, nicht aber der Gegenſtand der Sinne, iſt ſchlechthin gros, gegen ihn jeder andere Gebrauch klein, mithin Geiſtes - ſtimmung, durch eine gewiſſe die reflectirende Urtheils - kraft beſchaͤftigende Vorſtellung, nicht aber das Object, iſt erhaben zu nennen.

Wir koͤnnen alſo zu den vorigen Formeln der Erklaͤ - rung des Erhabenen noch dieſe hinzuthun: Erhaben iſt was auch nur denken zu koͤnnen ein Vermoͤgen des Gemuͤths beweiſet, das jeden Maasſtab der Sinne uͤbertrift.

§. 26. Von der Groͤßenſchaͤtzung der Naturdinge die zur Jdee des Erhabenen erforderlich iſt.

Die Groͤßenſchaͤtzung durch Zahlbegriffe (oder deren Zeichen in der Algebra) iſt mathematiſch, die aber in der bloßen Anſchauung (nach dem Augenmaaße) iſt aͤſthe -85I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.tiſch. Nun koͤnnen wir zwar nur beſtimmte Begriffe da - von, wie gros etwas ſey, durch Zahlen (allenfalls An - naͤherungen durch ins Unendliche fortgehende Zahlreihen) bekommen, deren Einheit das Maas iſt; und ſofern iſt alle logiſche Groͤßenſchaͤtzung mathematiſch. Allein da die Groͤße des Maaßes doch als bekannt angenommen werden muß, ſo wuͤrde, wenn dieſe nun wiederum nur durch Zahlen, deren Einheit ein anderes Maas ſeyn muͤßte, mithin mathematiſch geſchaͤtzt werden ſollte, wir niemals ein erſtes oder Grundmaas, mithin auch keinen beſtimmten Begrif von einer gegebenen Groͤße haben koͤn - nen. Alſo muß die Schaͤtzung der Groͤße des Grund - maaßes blos darin beſtehen, daß man ſie in einer An - ſchauung unmittelbar faſſen und durch Einbildungskraft zur Darſtellung der Zahlbegriffe brauchen kann: d. i. Alle Groͤßenſchaͤtzung der Gegenſtaͤnde der Natur iſt zu - letzt aͤſthetiſch (d. i. ſubjectiv und nicht objectiv beſtimmt).

Nun giebt es zwar fuͤr die mathematiſche Groͤßen - ſchaͤtzung kein Groͤßtes (denn die Macht der Zahlen geht ins Unendliche) aber fuͤr die aͤſthetiſche Groͤßenſchaͤtzung giebt es allerdings ein Groͤßtes und von dieſem ſage ich: daß, wenn es als abſolutes Maas, uͤber das kein groͤ - ßeres ſubjectiv (dem beurtheilenden Subject) moͤglich ſey, beurtheilt wird, es die Jdee des Erhabenen bey ſich fuͤhre und diejenige Ruͤhrung, welche keine mathematiſche Schaͤtzung der Groͤßen durch Zahlen (es ſey denn ſo weit jenes aͤſthetiſche Grundmaas dabey in der Einbil -F 386I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.dungskraft lebendig erhalten wird) bewirken kann, her - vorbringe, weil die letztere immer nur die relative Groͤße durch Vergleichung mit andern gleicher Art, die erſtere aber die Groͤße ſchlechthin, ſo weit das Gemuͤth ſie in einer Anſchauung faſſen kann, darſtellt.

Anſchaulich ein Quantum in die Einbildungskraft aufzunehmen, um es zum Maaße, oder als Einheit, zu Groͤßenſchaͤtzung durch Zahlen brauchen zu koͤnnen, dazu gehoͤren zwey Handlungen dieſes Vermoͤgens: Auffaſſung (apprehenſio) und Zuſammenſetzung (comprehenſio aeſthetica). Mit der Auffaſſung hat es keine Noth; denn damit kann es ins Unendliche gehen; aber die Zuſammenfaſſung wird immer ſchwerer, je wei - ter die Auffaſſung fortruͤckt und gelangt bald zu ihrem Maximum, naͤmlich dem aͤſthetiſch - groͤßten Grund - maaße der Groͤßenſchaͤtzung. Denn, wenn die Auffaſ - ſung ſo weit gelanget iſt, daß die zuerſt aufgefaßten Theilvorſtellungen der Sinnenanſchauung in der Einbil - dungskraft ſchon zu erloͤſchen anheben, indeſſen daß dieſe zu Auffaſſung mehrerer fortruͤckt, ſo verliert ſie auf einer Seite eben ſo viel als ſie auf der andern gewinnt, und in der Zuſammenfaſſung iſt ein Groͤßtes, uͤber welches ſie nicht hinauskommen kann.

Daraus laͤßt ſich erklaͤren, was Savary in ſeinen Nachrichten von Aegypten anmerkt: daß man den Py - ramiden nicht ſehr nahe kommen, eben ſo wenig als zu weit davon entfernt ſeyn muͤſſe, um die ganze Ruͤhrung87I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.von ihrer Groͤße zu bekommen. Denn iſt das letztere, ſo ſind die Theile, die aufgefaßt werden (die Steine derſel - ben uͤbereinander) nur dunkel vorgeſtellt und ihre Vor - ſtellung thut keine Wirkung auf das aͤſthetiſche Urtheil des Subjects. Jſt aber das erſtere, ſo bedarf das Auge einige Zeit um die Auffaſſung von der Grundflaͤche bis zur Spitze zu vollenden; in dieſer aber erloͤſchen immer zum Theil die erſteren, ehe die Einbildungskraft die letz - tern aufgenommen hat und die Zuſammenfaſſung iſt nie vollſtaͤndig. Eben daſſelbe kann auch hinreichen, die Beſtuͤrzung, oder Art von Verlegenheit, die, wie man erzaͤhlt, dem Zuſchauer in der St. Peterskirche in Rom beym erſten Eintritte anwandelt, zu erklaͤren. Denn es iſt hier ein Gefuͤhl der Unangemeſſenheit ſeiner Einbil - dungskraft fuͤr die Jdeen eines Ganzen, um ſie darzu - ſtellen, worin die Einbildungskraft ihr Maximum er - reicht, und, bey der Beſtrebung es zu erweitern, in ſich ſelbſt zuruͤckſinkt, dadurch aber in ein ruͤhrendes Wohl - gefallen verſetzt wird.

Jch will jetzt noch nichts von dem Grunde dieſes Wohlgefallens anfuͤhren, welches mit einer Vorſtellung, davon man es am wenigſten erwarten ſollte, die naͤmlich uns die Unangemeſſenheit, folglich auch ſubjective Un - zweckmaͤßigkeit der Vorſtellung fuͤr die Urtheilskraft in der Groͤßenſchaͤtzung merken laͤßt, verbunden iſt: ſon - dern bemerke nur, daß, wenn das aͤſthetiſche Urtheil rein (mit keinem teleologiſchen als Vernunftur -F 488I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.theile vermiſcht) und daran ein der Critik der aͤſthe - tiſchen Urtheilskraft voͤllig anpaſſendes Beyſpiel gege - ben werden ſoll, man nicht das Erhabene an Kunſtpro - dukten (z. B. Gebaͤuden, Saͤulen u. ſ. w.), wo ein menſchlicher Zweck die Form ſowohl als die Groͤße be - ſtimmt, noch an Naturdingen, deren Begrif ſchon einen beſtimmten Zweck bey ſich fuͤhrt, (z. B. Thieren von bekannter Naturbeſtimmung) ſondern an der rohen Natur (und an dieſer, ſogar nur, ſofern ſie fuͤr ſich keinen Reiz oder Ruͤhrung aus wirklicher Gefahr bey ſich fuͤhrt) blos ſofern ſie Groͤße enthaͤlt, aufzeigen muͤſſe. Denn in dieſer Art der Vorſtellung enthaͤlt die Natur nichts, was ungeheuer (noch was praͤchtig oder graͤslich) waͤre, die Groͤße die aufgefaßt wird, mag ſo weit angewachſen ſeyn als man will, wenn ſie nur durch Einbildungskraft in ein Ganzes zuſammengefaßt werden kann. Ungeheuer iſt ein Gegenſtand, wenn er durch ſeine Groͤße den Zweck, der den Begrif deſſelben aus - macht, vernichtet. Coloſſaliſch aber wird die bloße Darſtellung eines Begrifs genannt, die fuͤr alle Dar - ſtellung beynahe zu gros iſt (an das relativ Ungeheure grenzt); weil der Zweck der Darſtellung eines Begrifs, dadurch, daß die Anſchauung des Gegenſtandes fuͤr un - ſer Auffaſſungsvermoͤgen beynahe zu gros iſt, erſchwert wird. Ein reines Urtheil uͤber das Erhabene aber muß gar keinen Zweck des Objects zum Beſtimmungs - grunde haben, wenn es aͤſthetiſch und nicht mit ir -89I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.gend einem Verſtandes - oder Vernunfturtheile ver - mengt ſeyn ſoll.

Weil alles, was der blos reflectirenden Urtheils - kraft ohne Jntereſſe gefallen ſoll, in ſeiner Vorſtellung ſubjective und, als ſolche, allgemein-guͤltige Zweckmaͤſ - ſigkeit bey ſich fuͤhren muß, gleichwohl aber hier keine Zweckmaͤßigkeit der Form des Gegenſtandes (wie beym Schoͤnen) der Beurtheilung zum Grunde liegt, ſo fragt ſich, welches iſt dieſe ſubjective Zweckmaͤßigkeit und wo - durch wird ſie als Norm vorgeſchrieben, um in der blo - ßen Groͤßenſchaͤtzung und zwar der, welche gar bis zur Unangemeſſenheit unſeres Vermoͤgens der Einbildungs - kraft in Darſtellung des Begrifs von einer Groͤße getrie - ben worden, einen Grund zum allgemeinguͤltigen Wohl - gefallen abzugeben.

Die Einbildungskraft ſchreitet in der Zuſammen - ſetzung, die zur Groͤßenvorſtellung erforderlich iſt, von ſelbſt, ohne daß ihr etwas hinderlich waͤre, ins Unend - liche fort; der Verſtand aber leitet ſie durch Zahlbegriffe, wozu jene das Schema hergeben muß, und in dieſem Verfahren als zur logiſchen Groͤßenſchaͤtzung gehoͤrig, iſt etwas, was zwar objectiv zweckmaͤßig iſt, nach dem Begriffe von einem Zwecke (dergleichen jede Ausmeſſung iſt) aber nichts fuͤr die aͤſthetiſche Urtheilskraft zweckmaͤſ - ſiges und gefallendes. Es iſt auch in dieſer abſichtlichen Zweckmaͤßigkeit nichts, was die Groͤße des Maaßes,F 590I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.mithin der Zuſammenfaſſung des Vielen in eine Anſchauung, bis zur Grenze des Vermoͤgens der Einbil - dungskraft, und ſo weit, wie dieſe in Darſtellungen nur immer reichen mag, zu treiben noͤthigte. Denn in der Verſtandesſchaͤtzung der Groͤßen (der Arithmetik) kommt man eben ſo weit, ob man die Zuſammenfaſſung der Einheiten bis zur Zahl 10 (in der Decadik) oder nur bis 4 (in der Tetractik) treibt; die weitere Groͤßener - zeugung aber im Zuſammenſetzen, oder, wenn das Quantum in der Anſchauung gegeben iſt, im Auffaſſen, blos progreſſiv (nicht comprehenſiv) nach einem ange - nommenen Progreſſionsprincip verrichtet. Der Ver - ſtand wird in dieſer mathematiſchen Groͤßenſchaͤtzung eben ſo gut bedient und befriedigt, ob Einbildungskraft zur Einheit eine Groͤße, die man in einem Blick faſſen kann, z. B. einen Fus oder Ruthe, oder ob ſie eine deut - ſche Meile, oder gar einen Erddurchmeſſer, deren Auf - faſſung zwar, aber nicht die Zuſammenfaſſung in eine Anſchauung der Einbildungskraft (nicht durch die com - prehenſio aeſthetica, obzwar gar wohl durch compre - henſio logica in einen Zahlbegrif) moͤglich iſt, waͤhle. Jn beyden Faͤllen geht die logiſche Groͤßenſchaͤtzung un - gehindert ins Unendliche.

Nun aber hoͤrt das Gemuͤth in ſich auf die Stimme der Vernunft, welche zu allen gegebenen Groͤßen, ſelbſt denen, die zwar niemals ganz aufgefaßt werden koͤnnen, gleichwohl aber (in der ſinnlichen Vorſtellung) als ganz91I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.gegeben beurtheilt werden, Totalitaͤt fordert, mithin Zu - ſammenfaſſung in eine Anſchauung und fuͤr alle jene Glieder einer fortſchreitend-wachſenden Zahlreihe Dar - ſtellung verlangt und ſelbſt das Unendliche (Raum und verfloſſene Zeit) von dieſer Forderung nicht aus - nimmt, vielmehr es unvermeidlich macht, es ſich (in dem Urtheile der gemeinen Vernunft) als ganz (ſeiner Totalitaͤt nach) gegeben zu denken.

Das Unendliche aber iſt ſchlechthin (nicht blos com - parativ) gros. Mit dieſem verglichen iſt alles andere (von derſelben Art Groͤßen) klein. Aber, was das vor - nehmſte iſt, es als ein Ganzes auch nur denken zu koͤnnen zeigt ein Vermoͤgen des Gemuͤths an, welches allen Maasſtab der Sinne uͤbertrift. Denn dazu wuͤrde eine Zuſammenfaſſung erfordert werden, welche einen Maasſtab als Einheit lieferte, der zum Unendlichen ein beſtimmtes, in Zahlen angebliches Verhaͤltnis haͤtte, wel - ches unmoͤglich iſt. Das Unendliche aber dennoch ohne Widerſpruch auch nur denken zu koͤnen, dazu wird ein Vermoͤgen, das ſelbſt uͤberſinnlich iſt, im menſchli - chen Gemuͤthe erfordert. Denn nur durch dieſes und deſſen Jdee eines Noumens, welches ſelbſt keine An - ſchauung verſtattet, aber doch der Weltanſchauung, als bloßer Erſcheinung, zum Subſtrat untergelegt wird, wird das Unendliche der Sinnenwelt, in der reinen in - tellectuellen Groͤßenſchaͤtzung, unter einem Begriffe ganz zuſammengefaßt, obzwar es in der mathematiſchen92I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.durch Zahlenbegriffe nie ganz gedacht werden kann. Selbſt ein Vermoͤgen ſich das Unendliche der uͤberſinnli - chen Anſchauung als (in ſeinem intelligibelen Subſtrat) gegeben denken zu koͤnnen uͤbertrift allen Maasſtab der Sinnlichkeit und iſt uͤber alle Vergleichung ſelbſt mit dem Vermoͤgen der mathematiſchen Schaͤtzung gros, freylich wohl nicht in theoretiſcher Abſicht zum Behuf des Er - kenntnisvermoͤgens, aber doch als Erweiterung des Ge - muͤths, welches die Schranken der Sinnlichkeit in an - derer (der practiſchen) Abſicht zu uͤberſchreiten ſich ver - moͤgend fuͤhlt.

Erhaben iſt alſo die Natur, in derjenigen ihrer Er - ſcheinungen, deren Anſchauung die Jdee ihrer Unend - lichkeit bey ſich fuͤhrt. Dieſes letztere kann nun nicht an - ders geſchehen, als durch die Unangemeſſenheit, ſelbſt der groͤßten Beſtrebung unſerer Einbildungskraft in der Groͤßenſchaͤtzung eines Gegenſtandes. Nun iſt aber fuͤr die mathematiſche Groͤßenſchaͤtzung die Einbildungskraft jedem Gegenſtande gewachſen, um fuͤr dieſelbe ein hin - laͤngliches Maas zu geben, weil die Zahlbegriffe des Verſtandes, dnrch Progreſſion, jedes Maas einer jeden Groͤße angemeſſen machen koͤnnen. Alſo muß es die aͤſthetiſche Groͤßenſchaͤtzung ſeyn, in welcher die Be - ſtrebung zur Zuſammenfaſſung das Vermoͤgen der Ein - bildungskraft uͤberſchreitet, die progreſſive Auffaſſung in ein Ganzes der Anſchauung zu begreifen gefuͤhlt und da - bey zugleich die Unangemeſſenheit dieſes Vermoͤgens,93I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.welches im Fortſchreiten unbegrenzt iſt, wahrgenommen wird, ein mit dem mindeſten Aufwande des Verſtandes zur Groͤßenſchaͤtzung taugliche Grundmaas zu faſſen und zur Groͤßenſchaͤtzung zu gebrauchen. Nun iſt das eigent - liche unveraͤnderliche Grundmaas der Natur das abſo - lute Ganze derſelben, welches bey ihr als Erſcheinung zuſammengefaßte Unendlichkeit iſt. Da aber dieſes Grundmaas ein ſich ſelbſt widerſprechender Begrif iſt (wegen der Unmoͤglichkeit der abſoluten Totalitaͤt eines Progreſſes ohne Ende) ſo muß diejenige Groͤße eines Na - turobjects, an welcher die Einbildungskraft ihr ganzes Vermoͤgen der Zuſammenfaſſung fruchtlos verwendet, den Begrif der Natur auf ein uͤberſinnliches Subſtrat (das ihr und zugleich unſerm Vermoͤgen zu denken zum Grunde liegt) fuͤhren, welches uͤber allen Maasſtab der Sinne gros iſt und daher, nicht ſowohl den Gegenſtand, als vielmehr die Gemuͤthsſtimmung in Schaͤtzung deſſel - ben, als erhaben beurtheilen laͤßt.

Alſo, gleichwie die aͤſthetiſche Urtheilskraft in Be - urtheilung des Schoͤnen die Einbildungskraft in ihrem freyen Spiele auf den Verſtand bezieht, um mit deſſen Begriffen uͤberhaupt (ohne Beſtimmung derſelben) zuſammenzuſtimmen: ſo bezieht ſie daſſelbe Vermoͤgen in Beurtheilung eines Dinges als Erhabenen auf die Vernunft, um zu deren Jdeen (unbeſtimmt welchen) ſubjectiv uͤbereinzuſtimmen, d. i. eine Gemuͤthsſtimmung hervorzubringen, welche derjenigen gemaͤs und mit ihr94I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.vertraͤglich iſt, die der Einflus beſtimmter Jdeen (prac - tiſcher) aufs Gefuͤhl bewirken wuͤrde.

Man ſieht hieraus auch, daß die wahre Erhaben - heit nur im Gemuͤthe des Urtheilenden, nicht in dem Na - turobjecte, deſſen Beurtheilung dieſe Stimmung deſſel - ben veranlaßt, muͤſſe geſucht werden. Wer wollte auch ungeſtalte Gebirgsmaſſen, in wilder Unordnung uͤber einander gethuͤrmt, mit ihren Eispyramiden, oder die duͤſtere tobende See, u. ſ. w. erhaben nennen. Aber das Gemuͤth fuͤhlt ſich in ſeiner eigenen Beurtheilung ge - hoben, wenn es ſich in der Betrachtung derſelben, ohne Ruͤckſicht auf ihre Form, der Einbildungskraft und ei - ner, obſchon ganz ohne beſtimmten Zweck damit in Ver - bindung geſetzten, jene blos erweiternden Vernunft, uͤber - laͤßt die ganze Macht der Einbildungskraft dennoch ihrer Jdeen unangemeſſen befindet.

Beyſpiele von Mathematiſch-erhabenen der Natur in der bloßen Anſchauung liefern uns alle die Faͤlle, wo uns nicht ſowohl ein groͤßerer Zahlbegrif, als vielmehr große Einheit als Maas (zu Verkuͤrzung der Zahlreihen) fuͤr die Einbildungskraft gegeben wird. Ein Baum, den wir nach Manneshoͤhe ſchaͤtzen, giebt allenfalls ei - nen Maasſtab fuͤr einen Berg und, wenn dieſer etwa eine Meile hoch waͤre, kann er zur Einheit fuͤr die Zahl, welche den Erddurchmeſſer ausdruͤckt, dienen, um den letzteren anſchaulich zu machen: der Erddurchmeſſer fuͤr das uns bekannte Planetenſyſtem, dieſes fuͤr das der95I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Milchſtraße, und der unermeslichen Menge ſolcher Milch - ſtraßenſyſtemen unter dem Nahmen der Nebelſterne, wel - che vermuthlich wiederum ein dergleichen Syſtem unter ſich ausmachen, laſſen uns hier keine Grenzen erwarten. Nun liegt das Erhabene, bey der aͤſthetiſchen Beurthei - lung eines ſo unermeslichen Ganzen, nicht ſowohl in der Groͤße der Zahl, als darin, daß wir im Fortſchritte immer auf deſto groͤßere Einheiten gelangen, (wozu die ſyſtematiſche Abtheilung des Weltgebaͤudes beytraͤgt) die uns alles Große in der Natur immer wiederum als klein, eigentlich aber unſere Einbildungskraft in ihrer ganzen Grenzloſigkeit und mit ihr die Natur als gegen die Jdee der Vernunft, wenn ſie eine ihnen angemeſſene Darſtel - lung verſchaffen ſoll, verſchwindend vorſtellt.

§. 27. Von der Qualitaͤt des Wohlgefallens in der Beurtheilung des Erhabenen.

Das Gefuͤhl der Unangemeſſenheit unſeres Vermoͤ - gens zur Erreichung einer Jdee, die fuͤr uns Geſetz iſt, iſt Achtung. Nun iſt die Jdee der Zuſammen - faſſung einer jeden Erſcheinung, die uns gegeben wer - den mag, in die Anſchauung eines Ganzen, welche uns durch ein Geſetz der Vernunft auferlegt iſt, die kein an - deres beſtimmtes fuͤr jedermann guͤltiges und veraͤnder - liches Maas erkennt als das abſolut-Ganze. Unſere Einbildungskraft aber beweiſet, ſelbſt in ihrer groͤßten96I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Anſtrengung, in Anſehung der von ihr verlangten Zu - ſammenfaſſung eines gegebenen Gegenſtandes in einem Ganzen der Anſchauung (mithin zur Darſtellung der Jdee der Vernunft) ihre Schranken und Unangemeſſen - heit, doch aber zugleich ihre Beſtimmung zur Bewirkung der Angemeſſenheit mit derſelben als einem Geſetze. Alſo iſt das Gefuͤhl des Erhabenen in der Natur Achtung fuͤr unſere eigene Beſtimmung die wir einem Objecte der Natur durch eine gewiſſe Subreption (Verwechſelung einer Achtung fuͤr das Object ſtatt der fuͤr die Jdee der Menſchheit in unſerm Subjecte) beweiſen, welches uns die Ueberlegenheit der Vernunftbeſtimmung unſerer Er - kenntnisvermoͤgen uͤber das groͤßte Vermoͤgen der Sinn - lichkeit gleichſam anſchaulich macht.

Das Gefuͤhl des Erhabenen iſt alſo ein Gefuͤhl der Unluſt, aus der Unangemeſſenheit der Einbildungskraft in der aͤſthetiſchen Groͤßenſchaͤtzung, fuͤr die durch die Vernunft, und eine dabey zugleich erweckte Luſt, aus der Uebereinſtimmung eben dieſes Urtheils der Unange - meſſenheit des groͤßten ſinnlichen Vermoͤgens zu Ver - nunftideen, ſofern die Beſtrebung zu denſelben doch fuͤr uns Geſetz iſt. Es iſt naͤmlich fuͤr uns Geſetz (der Ver - nunft) und gehoͤrt zu unſerer Beſtimmung, alles, was die Natur als Gegenſtand der Sinne fuͤr uns Großes enthaͤlt, in Vergleichung mit Jdeen der Vernunft fuͤr klein zu ſchaͤtzen und, was das Gefuͤhl dieſer uͤberſinnli - chen Beſtimmung in uns rege macht, ſtimmt zu jenemGeſetze97I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Geſetze zuſammen. Nun iſt die groͤßte Beſtrebung der Einbildungskraft in Darſtellung der Einheit fuͤr die Groͤ - ßenſchaͤtzung eine Beziehung auf etwas Abſolut-gro - ßes, folglich auch eine Beziehung auf das Geſetz der Vernunft dieſes allein zum oberſten Maaße der Groͤßen anzunehmen. Alſo iſt die innere Wahrnehmung der Un - angemeſſenheit alles ſinnlichen Maasſtabes zur Groͤßen - ſchaͤtzung der Vernunft eine Uebereinſtimmung mit Ge - ſetzen derſelben und eine Unluſt, welche das Gefuͤhl un - ſerer uͤberſinnlichen Beſtimmung in uns rege macht, nach welcher es zweckmaͤßig, mithin Luſt iſt, jeden Maasſtab der Sinnlichkeit der Jdeen des Verſtandes unangemeſſen zu finden.

Das Gemuͤth fuͤhlt ſich in der Vorſtellung des Er - habenen in der Natur bewegt: da es in dem aͤſtheti - ſchen Urtheile uͤber das Schoͤne derſelben in ruhiger Contemplation iſt. Dieſe Bewegung kann (vornehm - lich in ihrem Anfange) mit einer Erſchuͤtterung vergli - chen werden, d. i. mit einem ſchnellwechſelnden Abſto - ßen und Anziehen eben deſſelben Objects. Das Ueber - ſchwengliche fuͤr die Einbildungskraft (bis zu welchem ſie in der Auffaſſung der Anſchauung getrieben wird) iſt gleichſam ein Abgrund, worin ſie ſich ſelbſt zu verlieren fuͤrchtet, aber doch auch fuͤr die Jdee der Vernunft vom Ueberſinnlichen, nicht uͤberſchwenglich, ſondern geſetz - maͤßig, eine ſolche Beſtrebung der Einbildungskraft her - vorzubringen, mithin in eben dem Maaße wiederum an -Kants Crit. d. Urtheilskr. G98I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ziehend, als es fuͤr bloße Sinnlichkeit abſtoßend war. Das Urtheil ſelber bleibt aber hiebey immer nur aͤſthe - tiſch, weil es, ohne einen beſtimmten Begrif vom Ob - jecte zum Grunde zu haben, blos das ſubjective Spiel der Gemuͤthskraͤfte (Einbildungskraft und Vernunft) ſelbſt durch ihren Contraſt als harmoniſch vorſtellt. Denn ſo wie Einbildungskraft und Verſtand in der Beurtheilung des Schoͤnen durch ihre Einhelligkeit, ſo bringen Einbildungskraft und Vernunft durch ihren Widerſtreit ſubjective Zweckmaͤßigkeit der Gemuͤthskraͤfte hervor, naͤmlich ein Gefuͤhl, daß wir reine ſelbſtſtaͤndigt Vernunft haben, ein Vermoͤgen der Groͤßenſchaͤtzung, deſſen Vorzuͤglichkeit durch nichts anſchaulich gemacht werden kann, als durch die Unzulaͤnglichkeit desjenigen Vermoͤgens, welches in Darſtellung der Groͤßen (ſinn - licher Gegenſtaͤnde) ſelbſt unbegrenzt iſt.

Meſſung eines Raums (als Auffaſſung) iſt zugleich Beſchreibung deſſelben, mithin objective Bewegung in der Einbildung und ein Progreſſus; die Zuſammenfaſ - ſung der Vielheit in die Einheit, nicht des Gedankens, ſondern der Anſchauung, mithin des Succeſſiv-aufge - faßten in einem Augenblick iſt dagegen ein Regreſſus, der die Zeitbedingung im Progreſſus der Einbildungs - kraft wieder aufhebt und das Zugleichſeyn anſchaulich macht. Sie iſt alſo (da die Zeitfolge eine Bedingung des innern Sinnes und einer Anſchauung iſt) eine ſub - jective Bewegung der Einbildungskraft, dadurch ſie dem99I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.inneren Sinne Gewalt anthut, die deſto merklicher ſeyn muß, je groͤßer das Quantum iſt, welches die Einbil - dungskraft in eine Anſchauung zuſammenfaßt. Die Be - ſtrebung alſo ein Maas fuͤr Groͤßen in eine einzelne An - ſchauung aufzunehmen, welches aufzufaſſen merkliche Zeit erfordert, iſt eine Vorſtellungsart, welche ſubjectiv be - trachtet, zweckwidrig; objectiv aber, als zur Groͤßen - ſchaͤtzung erforderlich, mithin zweckmaͤßig iſt, wobey aber doch eben dieſelbe Gewalt, die dem Subjecte durch die Einbildungskraft wiederfaͤhrt, fuͤr die ganze Be - ſtimmung des Gemuͤths als zweckmaͤßig beurtheilt wird.

Die Qualitaͤt des Gefuͤhls des Erhabenen iſt: daß ſie ein Gefuͤhl der Unluſt uͤber das aͤſthetiſche Beurthei - lungsvermoͤgen an einem Gegenſtande iſt, die darin doch zugleich als zweckmaͤßig vorgeſtellt wird; welches da - durch moͤglich iſt, daß das eigne Unvermoͤgen das Be - wußtſeyn eines unbeſchraͤnkten Vermoͤgens deſſelben Subjects entdeckt und das Gemuͤth das letztere nur durch das erſtere aͤſthetiſch beurtheilen kann.

Jn der logiſchen Groͤßenſchaͤtzung wuͤrde die Unmoͤg - lichkeit, durch den Progreſſus der Meſſung der Dinge der Sinnenwelt in Zeit und Raum jemals zur abſoluten Totalitaͤt zu gelangen, fuͤr objectiv, d. i. eine Unmoͤg - lichkeit das Unendliche als ganz gegeben zu denken und nicht als blos ſubjectiv, d. i. als Unvermoͤgen es zu faſſen erkannt, weil auf den Grad der Zuſammenfaſ -G 2100I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſung in eine Anſchauung, als Maas, da gar nicht ge - ſehen wird, ſondern alles auf einen Zahlbegrif ankommt. Allein in einer aͤſthetiſchen Groͤßenſchaͤtzung muß der Zahlbegrif wegfallen oder veraͤndert werden und die Comprehenſion der Einbildungskraft zur Einheit des Maaßes (mithin mit Vermeidung der Begriffe von ei - nem Geſetze der ſucceſſiven Erzeugung der Groͤßenbe - griffe) iſt allein fuͤr ſie zweckmaͤßig. Wenn nun eine Groͤße beynahe das aͤußerſte unſeres Vermoͤgens der Zu - ſammenfaſſung in eine Anſchauung erreicht und die Ein - bildungskraft doch durch Zahlgroͤßen (fuͤr die wir uns unſeres Vermoͤgens als unbegrenzt bewußt ſind) zur aͤſthetiſchen Zuſammenfaſſung in eine groͤßere Einheit aufgefordert wird, ſo fuͤhlen wir uns im Gemuͤth als aͤſthetiſch in Grenzen eingeſchloſſen; aber die Unluſt wird doch, in Hinſicht auf die nothwendige Erweiterung der Einbildungskraft zur Angemeſſenheit mit dem, was in unſerm Vermoͤgen der Vernunft unbegrenzt iſt, naͤmlich der Jdee des abſoluten Ganzen, mithin die Unzweckmaͤſ - ſigkeit des Vermoͤgens der Einbildungskraft doch fuͤr Vernunftideen und deren Erweckung als zweckmaͤßig vorgeſtellt. Eben dadurch aber wird das aͤſthetiſche Ur - theil ſelbſt ſubjectiv-zweckmaͤßig fuͤr die Vernunft, als Quell der Jdeen d. i. einer ſolchen intellectuellen Zu - ſammenfaſſung, fuͤr die alle aͤſthetiſche klein iſt, und der Gegenſtand wird als Erhaben mit einer Luſt auf - genommen, die nur vermittelſt einer Unluſt moͤglich iſt.

101I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

B. Vom Dynamiſch-Erhabenen der Natur.

§. 28. Von der Natur als einer Macht.

Macht iſt ein Vermoͤgen, welches großen Hinder - niſſen uͤberlegen iſt. Eben dieſelbe heißt eine Gewalt, wenn ſie auch dem Widerſtande deſſen, was ſelbſt Macht beſitzt, uͤberlegen iſt. Die Natur im aͤſthetiſchen Ur - theile als Macht, die uͤber uns keine Gewalt hat, be - trachtet, iſt dynamiſch-erhaben.

Wenn von uns die Natur dynamiſch als erhaben beurtheilt werden ſoll, ſo muß ſie als Furcht erregend vorgeſtellt werden (obgleich nicht umgekehrt, jeder Furcht erregende Gegenſtand in unſerm aͤſthetiſchen Urtheile er - haben gefunden wird). Denn in der aͤſthetiſchen Beur - theilung (ohne Begrif) kann die Ueberlegenheit uͤber Hinderniſſe nur nach der Groͤße des Widerſtandes beur - theilt werden. Nun iſt aber das, dem wir zu widerſte - hen beſtrebt ſind, ein Uebel, und, wenn wir unſer Ver - moͤgen demſelben nicht gewachſen finden, ein Gegenſtand der Furcht. Alſo kann fuͤr die aͤſthetiſche Urtheilskraft die Natur nur ſofern als Macht, mithin dynamiſch-er - haben, gelten, ſofern ſie als Gegenſtand der Furcht be - trachtet wird.

Man kann aber einen Gegenſtand als furchtbar betrachten, ohne ſich vor ihm zu fuͤrchten, wenn wirG 3102I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ihn naͤmlich ſo beurtheilen, daß wir uns blos den Fall denken, da wir ihm etwa Widerſtand thun wollten und daß alsdenn aller Widerſtand bey weitem vergeblich ſeyn wuͤrde. So fuͤrchtet der Tugendhafte Gott, ohne ſich vor ihm zu fuͤrchten, weil er ihm und ſeinen Geboten widerſtehen zu wollen, ſich als keinen von ihm beſorgli - chen Fall denkt. Aber auf jeden ſolchen Fall, den er als an ſich nicht unmoͤglich denkt, erkennt er ihn als furchtbar.

Der ſich fuͤrchtet kann uͤber das Erhabene der Natur gar nicht urtheilen, ſo wenig als der, welcher durch Nei - gung und Appetit angenommen iſt, uͤber das Schoͤne. Er fliehet den Anblick eines Gegenſtandes, der ihm die - ſen Scheu einjagt und es iſt unmoͤglich an einem Schre - cken, der ernſtlich gemeynt waͤre, Wohlgefallen zu fin - den. Daher iſt die Annehmlichkeit aus dem Aufhoͤren einer Beſchwerde das Frohſeyn. Dieſes aber, wegen der Befreyung von einer Gefahr, iſt ein Frohſeyn mit dem Vorſatze ſich derſelben nie mehr auszuſetzen, ja man mag an jene Empfindung nicht einmal gerne zuruͤckdenken, weit gefehlt, daß man die Gelegenheit dazu ſelbſt auf - ſuchen ſollte.

Kuͤhne uͤberhangende gleichſam drohende Felſen, am Himmel ſich aufthuͤrmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in ihrer ganzen zer - ſtoͤrenden Gewalt, Orkane mit ihrer zuruͤckgelaſſenen Verwuͤſtung, der grenzenloſe Ocean in Empoͤrung ge -103I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſetzt, ein hoher Waſſerfall eines maͤchtigen Fluſſes u. d. gl. machen unſer Vermoͤgen zu widerſtehen, in Vergleichung mit ihrer Macht, zur unbedeutenden Kleinigkeit. Aber ihr Anblick wird nur um deſto anziehender, je furchtba - rer er iſt, wenn wir uns nur in Sicherheit befinden und wir nennen dieſe Gegenſtaͤnde gern erhaben, weil ſie die Seelenſtaͤrke uͤber ihr gewoͤhnliches Mittelmaas erhoͤhen und ein Vermoͤgen zu widerſtehen von ganz anderer Art in uns entdecken laſſen, welches uns Muth macht, uns mit der ſcheinbaren Allgewalt der Natur meſſen zu koͤnnen.

Denn, ſo wie wir zwar an der Unermeslichkeit der Natur und der Unzulaͤnglichkeit unſeres Vermoͤgens ei - nen der aͤſthetiſchen Groͤßenſchaͤtzung ihres Gebiets proportionirten Maasſtab zu nehmen unſere eigene Ein - ſchraͤnkung, gleichwohl aber doch auch an unſerm Ver - nunftvermoͤgen zugleich einen andern nicht-ſinnlichen Maasſtab, welcher jene Unendlichkeit ſelbſt als Einheit unter ſich hat, gegen den alles in der Natur klein iſt, mithin in unſerm Gemuͤthe eine Ueberlegenheit uͤber die Natur ſelbſt in ihrer Unermeslichkeit fanden: ſo giebt auch die Unwiderſtehlichkeit ihrer Macht uns, als Na - turweſen betrachtet, zwar unſere Ohnmacht zu erkennen, aber entdeckt zugleich ein Vermoͤgen, uns als von ihr unabhaͤngig zu beurtheilen und eine Ueberlegenheit uͤber die Natur, worauf ſich eine Selbſterhaltung von ganz andrer Art gruͤndet, als diejenige iſt die von der NaturG 4104I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.außer uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann, dabey die Menſchheit in unſerer Perſon unernie - drigt bleibt, obgleich der Menſch jener Gewalt unterlie - gen muͤßte. Auf ſolche Weiſe wird die Natur in unſerm aͤſthetiſchen Urtheile nicht, ſofern ſie furchterregend iſt, als erhaben beurtheilt, ſondern weil ſie unſere Kraft (die nicht Natur iſt) in uns aufruft, um das, wofuͤr wir beſorgt ſind (Guͤter, Geſundheit und Leben) als klein und daher ihre Macht (der wir in Anſehung dieſer Stuͤcke allerdings unterworfen ſind) fuͤr uns und unſere Perſoͤnlichkeit demungeachtet doch fuͤr keine Gewalt anſe - hen, unter die wir uns zu beugen haͤtten, wenn es auf unſre hoͤchſte Grundſaͤtze und deren Behauptung oder Verlaſſung ankaͤme. Alſo heißt die Natur hier erhaben, blos weil ſie die Einbildungskraft zu Darſtellung derje - nigen Faͤlle erhebt, in welchen das Gemuͤth die eigene Erhabenheit ſeiner Beſtimmung ſelbſt uͤber die Natur ſich fuͤhlbar machen kann.

Dieſe Selbſtſchaͤtzung verliert dadurch nichts, daß wir uns ſicher ſehen muͤſſen, um dieſes begeiſternde Wohl - gefallen zu empfinden, mithin, weil es mit der Gefahr nicht Ernſt iſt, es auch (wie es ſcheinen moͤchte) mit der Erhabenheit unſeres Geiſtesvermoͤgens eben ſo wenig Ernſt ſeyn moͤchte. Denn das Wohlgefallen betrift hier nur die ſich in ſolchem Falle entdeckende Beſtimmung unſeres Vermoͤgens, ſo wie die Anlage zu demſelben in unſerer Natur iſt, indeſſen daß die Entwickelung und105I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Uebung deſſelben uns uͤberlaſſen und obliegend iſt, und hierin iſt Wahrheit; ſo ſehr ſich auch der Menſch, wenn er ſeine Reflexion bis dahin erſtreckt, ſeiner gegenwaͤr - tigen wirklichen Ohnmacht bewußt ſeyn mag.

Dieſes Princip ſcheint zwar zu weit hergeholt und vernuͤnftelt, mithin fuͤr ein aͤſthetiſches Urtheil uͤber - ſchwenglich zu ſeyn; allein die Beobachtung des Men - ſchen beweiſet das Gegentheil und daß es den gemeinſten Beurtheilungen zum Grunde liegen kann, ob man ſich gleich deſſelben nicht immer bewußt iſt. Denn was iſt das, was ſelbſt den Wilden ein Gegenſtand der groͤßten Bewunderung iſt? Ein Menſch der nicht erſchrickt, der ſich nicht fuͤrchtet, alſo der Gefahr nicht weicht, zugleich aber mit voͤlliger Ueberlegung ruͤſtig zu Werke geht. Auch im allergeſitteſten Zuſtande bleibt dieſe vorzuͤgliche Hochachtung fuͤr den Krieger; nur daß man noch dazu verlangt, daß er zugleich alle Tugenden des Friedens, Sanftmuth, Mitleid und ſelbſt geziemende Sorgfalt fuͤr ſeine eigne Perſon beweiſe, eben darum weil daran die Unbezwinglichkeit ſeines Gemuͤths durch Gefahr erkannt wird. Daher mag man noch ſo viel in der Vergleichung des Staatsmanns mit dem Feldherrn uͤber die Vorzuͤg - lichkeit der Achtung, die einer vor dem andern verdient, ſtreiten; das aͤſthetiſche Urtheil entſcheidet fuͤr den letz - tern. Selbſt der Krieg, wenn er mit Ordnung und Hei - ligachtung der buͤrgerlichen Rechte gefuͤhrt wird, hat et - was Erhabenes an ſich und macht zugleich die Den -G 5106I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.kungsart des Volks, welches ihn auf dieſe Art fuͤhrt, nur um deſto erhabener, je mehreren Gefahren es aus - geſetzt war und ſich muthig darunter hat behaupten koͤn - nen: da hingegen ein langer Friede den bloßen Hand - lungsgeiſt, mit ihm aber den niedrigen Eigennutz, Feig - heit und Weichlichkeit herrſchend zu machen und die Den - kungsart des Volks zu erniedrigen pflegt.

Wider dieſe Aufloͤſung des Begrifs des Erhabenen, ſofern dieſes der Macht beygelegt wird, ſcheint zu ſtrei - ten: daß wir Gott im Ungewitter, im Sturm, im Erd - beben u. d. gl. als im Zorn, zugleich aber auch in ſeiner Erhabenheit ſich darſtellend vorſtellig zu machen pflegen, wobey doch die Einbildung einer Ueberlegenheit unſeres Gemuͤths, uͤber die Wirkungen und, wie es ſcheint, gar die Abſichten einer ſolchen Macht, Thorheit und Frevel zugleich ſeyn wuͤrde. Hier ſcheint kein Gefuͤhl der Er - habenheit unſerer eigenen Natur, ſondern vielmehr Un - terwerfung, Niedergeſchlagenheit und Gefuͤhl ſeiner gaͤnzlichen Ohnmacht die Gemuͤthsſtimmung zu ſeyn, die ſich fuͤr die Erſcheinung eines ſolchen Gegenſtandes ſchickt und auch gewoͤhnlichermaaßen mit der Jdee deſſel - ben bey dergleichen Naturbegebenheit verbunden zu ſeyn pflegt. Jn der Religion uͤberhaupt ſcheint Niederwer - fen, Anbetung mit niederhaͤngendem Haupte, mit zer - knirſchten angſtvollen Gebehrden und Stimmen, das einzigſchickliche Benehmen in Gegenwart der Gottheit zu ſeyn, welches daher auch die meiſten Voͤlker angenommen107I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.haben und noch beobachten. Allein dieſe Gemuͤthsſtim - mung iſt auch bey weitem nicht mit der Jdee der Erha - benheit einer Religion und ihres Gegenſtandes an ſich und nothwendig verbunden. Der Menſch, der ſich wirk - lich fuͤrchtet, weil er dazu in ſich Urſache findet, indem er ſich bewußt iſt, mit ſeiner verwerflichen Geſinnung wider eine Macht zu verſtoßen, deren Wille unwiderſteh - lich und zugleich gerecht iſt, iſt in gar keiner Gemuͤths - faſſung um die goͤttliche Groͤße zu bewundern, wozu eine Stimmung zur ruhigen Contemplation und zwangfreyes Urtheil erforderlich iſt. Nur alsdenn, wenn er ſich ſei - ner aufrichtigen gottgefaͤlligen Geſinnung bewußt iſt, dienen jene Wirkungen ſeiner Macht in ihm die Jdee der Erhabenheit dieſes Weſens zu erwecken, ſofern er einer ſeinem Willen gemaͤßen Erhabenheit der Geſinnung an ihm ſelbſt bewußt iſt und dadurch uͤber die Furcht vor ſol - chen Wirkungen der Natur, die er nicht als Ausbruͤche ſeines Zorns anſieht, erhoben wird. Selbſt die De - muth, als unnachſichtliche Beurtheilung ſeiner Maͤngel, die ſonſt, beym Bewußtſeyn guter Geſinnungen, leicht mit der Gebrechlichkeit der menſchlichen Natur bemaͤn - telt werden koͤnnten, iſt eine erhabene Gemuͤthsſtim - mung, ſich willkuͤhrlich dem Schmerze der Selbſtver - weiſe zu unterwerfen, um die Urſache dazu nach und nach zu vertilgen. Auf ſolche Weiſe allein unterſcheidet ſich innerlich Religion von Superſtition, welche letztere nicht Ehrfurcht fuͤr das Erhabene, ſondern Furcht und108I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Angſt vor das uͤbermaͤchtige Weſen, deſſen Willen der erſchreckte Menſch ſich unterworfen ſieht, ohne ihn doch hochzuſchaͤtzen, im Gemuͤthe gruͤndet, woraus denn freylich nichts als Gunſtbewerbung und Einſchmeiche - lung, ſtatt einer Religion des guten Lebenswandels ent - ſpringen kann.

Alſo iſt die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur, ſondern nur in unſerm Gemuͤthe enthalten, ſofern wir der Natur in uns und dadurch auch der Natur (ſofern ſie auf uns einfließt) außer uns, uͤberlegen zu ſeyn uns bewußt werden koͤnnen. Alles, was dieſes Gefuͤhl in uns erregt, wozu die Macht der Natur gehoͤrt, welche unſere Kraͤfte auffordert, heißt alsdenn (obzwar unei - gentlich) erhaben, und nur unter der Vorausſetzung dieſer Jdee in uns und in Beziehung auf ſie ſind wir faͤhig zur Jdee der Erhabenheit desjenigen Weſens zu gelangen, welches nicht blos durch ſeine Macht die es in der Natur beweiſet, innige Achtung in uns wirkt, ſondern noch mehr durch das Vermoͤgen, welches in uns gelegt iſt, jene ohne Furcht zu beurtheilen und unſere Beſtimmung als uͤber ſie erhaben zu denken.

§. 29. Von der Modalitaͤt des Urtheils uͤber das Erhabene der Natur.

Es giebt unzaͤhlige Dinge der ſchoͤnen Natur, dar - uͤber wir Einſtimmigkeit des Urtheils mit dem unſrigen109I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.jedermann geradezu anſinnen und auch, ohne ſonderlich zu fehlen, erwarten koͤnnen; aber mit unſerm Urtheile uͤber das Erhabene in der Natur koͤnnen wir uns nicht ſo leicht Eingang bey andern verſprechen. Denn es ſcheint eine bey weitem groͤßere Cultur, nicht blos der aͤſthetiſchen Urtheilskraft, ſondern auch der Erkenntnis - vermoͤgen, die ihr zum Grunde liegen, erforderlich zu ſeyn, um uͤber dieſe Vorzuͤglichkeit der Naturgegenſtaͤnde ein Urtheil faͤllen zu koͤnnen.

Die Stimmung des Gemuͤths zum Gefuͤhl des Er - habenen erfordert eine Empfaͤnglichkeit deſſelben fuͤr Jdeen; denn eben in der Unangemeſſenheit der Natur zu dem letztern, mithin nur unter dieſer ihrer Vorausſetzung und der Anſpannung der Einbildungskraft, die Natur als ein Schema fuͤr die letztere zu behandeln, beſteht das Abſchreckende fuͤr die Sinnlichkeit, welches doch zugleich anziehend iſt; weil es eine Gewalt iſt, welche die Ver - nunft auf jene ausuͤbt, nur um ſie ihrem eigentlichen Gebiete (dem practiſchen) angemeſſen zu erweitern und ſie auf das Unendliche hinausſehen zu laſſen, welches fuͤr jene ein Abgrund iſt. Jn der That wird ohne Ent - wickelung ſittlicher Jdeen das, was wir, durch Cultur verbreitet, erhaben nennen, dem roheu Menſchen blos abſchreckend vorkommen. Er wird an den Beweisthuͤ - mern der Gewalt der Natur in ihrer Zerſtoͤhrung und dem großen Maasſtabe ihrer Macht, wogegen die ſeinige110I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.in Nichts verſchwindet, lauter Muͤhſeeligkeit, Gefahr und Noth ſehen, die den Menſchen umgeben wuͤrden, der dahin gebannt waͤre. So nannte der gute, uͤbri - gens verſtaͤndige ſavoyiſche Bauer (wie Hr. v. Sauſſuͤre erzaͤhlt) alle Liebhaber der Eisgebuͤrge ohne Bedenken Narren. Wer weiß auch ob er ſo ganz Unrecht gehabt haͤtte, wenn jener Beobachter die Gefahren, denen er ſich hier ausſetzte, blos, wie die meiſten Reiſende pfle - gen, aus Liebhaberey, oder um dereinſt pathetiſche Be - ſchreibungen davon geben zu koͤnnen, uͤbernommen haͤtte; ſo aber war ſeine Abſicht, Belehrung der Menſchen und die ſeelenerhebende Empfindung hatte und gab der vor - trefliche Mann den Leſern ſeiner Reiſen in ihren Kauf oben ein.

Darum aber, weil das Urtheil uͤber das Erhabene der Natur Cultur bedarf (mehr als das uͤber das Schoͤ - ne), iſt es doch dadurch nicht eben von der Cultur zu - erſt erzeugt und etwa blos conventionsmaͤßig in der Ge - ſellſchaft eingefuͤhrt, ſondern hat ihre Grundlage in der menſchlichen Natur und zwar demjenigen, was man mit dem geſunden Verſtande zugleich jedermann anſinnen und von ihm fordern kann, naͤmlich in der Anlage zum Gefuͤhl fuͤr (practiſche) Jdeen, d. i. den moraliſchen.

Hierauf gruͤndet ſich nun die Nothwendigkeit der Beyſtimmung des Urtheils anderer vom Erhabenen zu dem unſrigen, welche wir in dieſem zugleich mit ein - ſchließen. Denn, ſo wie wir dem, der in der Beurthei -111I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.lung eines Gegenſtandes der Natur, welchen wir ſchoͤn finden, gleichguͤltig iſt, Mangel des Geſchmacks vor - werfen, ſo ſagen wir von dem, der bey dem, was wir erhaben zu ſeyn urtheilen, unbewegt bleibt, er habe kein Gefuͤhl; beydes aber fordern wir von jedem Menſchen und ſetzen es auch, wenn er einige Cultur hat, an ihm voraus, nur mit dem Unterſchiede, daß wir das erſtere, weil die Urtheilskraft darin die Einbildung blos auf den Verſtand, als Vermoͤgen der Begriffe, bezieht geradezu von jedermann, das zweyte aber, weil ſie darin die Einbildungskraft auf Vernunft, als Ver - moͤgen der Jdeen, bezieht, nur unter einer ſubjecti - ven Vorausſetzung, (die wir aber jedermann anſin - nen zu duͤrfen uns berechtigt glauben) fordern, naͤm - lich der des moraliſchen Gefuͤhls und hiemit dem aͤſthe - tiſchen Urtheile Nothwendigkeit beylegen.

Jn dieſer Modalitaͤt der aͤſthetiſchen Urtheile, naͤm - lich der angemaßten Nothwendigkeit derſelben, liegt ein Hauptmoment fuͤr die Critik der Urtheilskraft. Denn die macht eben an ihnen ein Princip a priori kennt - lich und hebt ſie aus der empiriſchen Pſychologie, in der ſie ſonſt unter den Gefuͤhlen des Vergnuͤgens und Schmerzens, nur mit dem nichtsſagenden Beywort eines feinern Gefuͤhls begraben bleiben wuͤrde, um ſie, und vermittelſt ihrer die Urtheilskraft, in die Claſſe derer zu ſtellen, welche Principien a priori zum112I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Grunde haben, als ſolche aber, ſie in die Tranſcen - dentalphiloſophie heruͤberzuziehen.

Allgemeine Anmerkung zur Expoſition der aͤſtheti - ſchen reflectirenden Urtheile.

Jn Beziehung aufs Gefuͤhl der Luſt iſt ein Gegenſtand entweder zum Angenehmen, oder Schoͤnen, oder Erha - benen, oder Guten (ſchlechthin) zu zaͤhlen (jucundum, pul - chrum, ſublime, honeſtum).

Das Angenehme iſt, als Triebfeder der Begierden, durchgaͤngig von einerley Art, woher es auch kommen und wie ſpecifiſch-verſchieden auch die Vorſtellung (des Sinnes und der Empfindung objectiv betrachtet) ſeyn mag. Daher kommt es bey der Beurtheilung des Einfluſſes deſſelben aufs Gemuͤth nur auf die Menge der Reize (zugleich und nach einander) und gleichſam nur auf die Maſſe der angenehmen Empfindung an und dieſe laͤßt ſich alſo durch nichts als die Quantitaͤt verſtaͤndlich machen. Es cultivirt auch nicht, ſon - dern gehoͤrt zum bloßen Genuſſe. Das Schoͤne erfordert dagegen die Vorſtellung einer gewiſſen Qualitaͤt des Objects, die ſich auch verſtaͤndlich machen und auf Begriffe bringen laͤßt (wiewohl es im aͤſthetiſchen Urtheile darauf nicht ge - bracht wird) und cultivirt, indem es zugleich auf Zweckmaͤſ - ſigkeit im Gefuͤhle der Luſt Acht zu haben lehrt. Das Er - habene beſteht blos in der Relation, darin das Sinnliche in der Vorſtellung der Natur fuͤr einen moͤglichen uͤberſinnli - chen Gebrauch deſſelben als tauglich beurtheilt wird. Das Schlechthin-Gute, ſubjectiv nach dem Gefuͤhle, welches es einfloͤßt, beurtheilt, (das Object des moraliſchen Ge - fuͤhls) als die Beſtimmbarkeit der Kraͤfte des Subjects, durch die Vorſtellung eines ſchlechthin-noͤthigenden Ge -ſetzes,113I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſetzes, unterſcheidet ſich vornehmlich durch die Modalitaͤt einer auf Begriffen a priori beruhenden Nothwendigkeit, die nicht blos Anſpruch, ſondern auch Gebot des Beyfalls fuͤr jedermann in ſich enthaͤlt, und gehoͤrt an ſich zwar nicht fuͤr die aͤſthetiſche (ſondern reine intellectuelle) Urtheilskraft, wird auch nicht in einem blos reflectirenden, ſondern beſtim - menden Urtheile, nicht der Natur, ſondern der Freyheit bey - gelegt; aber die Beſtimmbarkeit des Subjects durch dieſe Jdee und zwar eines Subjects, welches in ſich an der Sinn - lichkeit Sinderniſſe, zugleich aber Ueberlegenheit uͤber die - ſelbe durch die Ueberwindung derſelben als Modification ſeines Zuſtandes empfinden kann, d. i. das moraliſche Ge - fuͤhl iſt doch mit der aͤſthetiſchen Urtheilskraft und deren for - malen Bedingungen fofern verwandt, daß es dazu dienen kann, die Geſetzmaͤßigkeit der Handlung aus Pflicht zugleich als aͤſthetiſch, d. i. als erhaben oder auch als ſchoͤn vorſtellig zu machen, ohne an ſeiner Reinigkeit einzubuͤßen, welches nicht ſtatt findet, wenn man es mit dem Gefuͤhl des Ange - nehmen in natuͤrliche Verbindung ſetzen wollte.

Wenn man das Reſultat aus der bisherigen Expoſition beyderley Arten aͤſthetiſcher Urtheile zieht, ſo wuͤrden ſich daraus folgende kurze Erklaͤrungen ergeben:

Schoͤn iſt das, was in der bloßen Beurtheilung (alſo nicht vermittelſt der Empfindung des Sinnes nach einem Be - griffe des Verſtandes) gefaͤllt. Hieraus folgt von ſelbſt, daß es ohne alles Jntereſſe gefallen muͤſſe.

Erhaben iſt das, was durch ſeinen Widerſtand gegen das Jntereſſe der Sinne unmittelbar gefaͤllt.

Beyde als Erklaͤrungen aͤſthetiſcher allgemeinguͤltiger Beurtheilung beziehen ſich auf ſubjective Gruͤnde, naͤmlich einerſeits der Sinnlichkeit, ſo wie ſie zu Gunſten des con - templativen Verſtandes, andererſeits wie ſie wider dieKants Crit. d. Urtheilskr. H114I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Zwecke der practiſchen Vernunft und doch beyde in demſelben Subjecte vereinigt, in Beziehung auf das moraliſche Gefuͤhl zweckmaͤßig ſind. Das Schoͤne bereitet uns vor etwas, ſelbſt die Natur, ohne Jntereſſe zu lieben; das Erhabene, es, ſelbſt wider unſer (ſinnliches) Jntereſſe, hochzuſchaͤtzen.

Man kann das Erhabene ſo beſchreiben: es iſt ein Ge - genſtand (der Natur), deſſen Vorſtellung das Gemuͤth beſtimmt, ſich die Unerreichbarkeit der Natur als Darſtellung von Jdeen zu denken.

Buchſtaͤblich genommen und logiſch betrachtet, koͤnnen Jdeen nicht dargeſtellt werden. Aber, wenn wir unſer empi - riſches Vorſtellungsvermoͤgen (mathematiſch, oder dynamiſch) fuͤr die Anſchauung der Natur erweitern, ſo tritt unausbleib - lich die Vernunft hinzu, als Vermoͤgen der Jndependenz der abſoluten Totalitaͤt und bringt die, obzwar vergebliche, Be - ſtrebung des Gemuͤths hervor, die Vorſtellung der Sinne dieſen angemeſſen zu machen. Dieſe Beſtrebung und das Gefuͤhl der Unerreichbarkeit der Jdee durch die Einbildungs - kraft iſt ſelbſt eine Darſtellung der ſubjectiven Zweckmaͤßigkeit unſeres Gemuͤths im Gebrauche der Einbildungskraft, fuͤr deſſen uͤberſinnliche Beſtimmung und noͤthigt uns ſubjectiv die Natur ſelbſt in ihrer Totalitaͤt, als Darſtellung von etwas Ueberſinnlichen zu denken, ohne dieſe Darſtellung objectiv zu Stande bringen zu koͤnnen.

Denn das werden wir bald inne, daß der Natur im Raume und der Zeit das Unbedingte, mithin auch die abſo - lute Groͤße ganz abgehe, die doch von der gemeinſten Ver - nunft verlangt wird. Eben dadurch werden wir auch erin - nert, daß wir es nur mit einer Natur als Erſcheinung zu thun haben und dieſe ſelbſt noch als bloße Darſtellung einer Natur an ſich (welche die Vernunft in der Jdee hat) muͤſſe angeſehen werden. Dieſe Jdee aber des Ueberſinnlichen, die115I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.wir zwar nicht weiter beſtimmen, mithin die Natur als Darſtellung derſelben nicht erkennen, ſondern nur denken koͤnnen, wird in uns durch einen Gegenſtand erweckt, deſſen aͤſthetiſche Beurtheilung die Einbildungskraft bis zu ihrer Grenze, es ſey der Erweiterung (mathematiſch), oder ihrer Macht uͤber das Gemuͤth (dynamiſch), anſpannt, indem ſie ſich auf dem Gefuͤhle einer Beſtimmung deſſelben gruͤn - det, welche das Gebiet der erſteren gaͤnzlich uͤberſchreitet, (das moraliſche Gefuͤhl), in Anſehung deſſen die Vorſtellung des Gegenſtandes als ſubjectiv-zweckmaͤßig beurtheilt wird.

Jn der That laͤßt ſich ein Gefuͤhl fuͤr das Erhabene der Natur nicht wohl denken, ohne eine Stimmung des Ge - muͤths, die der zum moraliſchen aͤhnlich iſt, damit zu ver - binden und, obgleich die unmittelbare Luſt am Schoͤnen der Natur gleichfalls eine gewiſſe Liberalitaͤt der Denkungsart, d. i. Unabhaͤngigkeit des Wohlgefallens vom bloßen Sinnen - genuſſe vorausſetzt und cultivirt, ſo wird dadurch doch mehr die Freyheit im Spiele als unter einem geſetzlichen Geſchaͤfte vorgeſtellt, welches die aͤchte Beſchaffenheit der Sittlichkeit des Menſchen iſt, wo die Vernunft der Sinnlichkeit Gewalt anthun muß, nur daß im aͤſthetiſchen Urtheile uͤber das Er - habene dieſe Gewalt durch die Einbildungskraft ſelbſt, als einem Werkzeuge der Vernunft, ausgeuͤbt vorgeſtellt wird.

Das Wohlgefallen am Erhabenen der Natur iſt daher auch nur negativ, (ſtatt deſſen das am Schoͤnen poſitiv iſt) naͤmlich ein Gefuͤhl der Beraubung der Freyheit der Ein - bildungskraft, durch ſie ſelbſt, indem ſie nach einem andern Geſetze, als dem des empiriſchen Gebrauchs, zweckmaͤßig beſtimmt wird. Dadurch bekommt ſie eine Erweiterung und Macht, welche groͤßer iſt, als die, ſo ſie aufopfert, deren Grund aber ihr ſelbſt verborgen iſt, ſtatt deſſen ſie die Auf - opferung oder die Beraubung und zugleich die Urſache fuͤhlt,H 2116I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.der ſie unterworfen wird. Die Verwunderung, die an Schreck grenzt, das Grauſen und der heilige Schauer, wel - cher den Zuſchauer bey dem Anblicke himmelanſteigender Ge - buͤrgsmaſſen, tiefer Schluͤnde und darin tobender Gewaͤſſer, tiefbeſchatteter, zum ſchwermuͤthigen Nachdenken einladender Einoͤden, u. ſ. w. ergreift, iſt, bey der Sicherheit, darin er ſich weiß, nicht wirkliche Furcht, ſondern nur ein Ver - ſuch, uns mit der Einbildungskraft darauf einzulaſſen, um die Macht ebendeſſelben Vermoͤgens zu fuͤhlen, die dadurch erregte Bewegung des Gemuͤths mit dem Ruheſtande deſſel - ben zu verbinden und ſo der Natur in uns ſelbſt, mithin auch der außer uns, ſofern ſie auf das Gefuͤhl unſeres Wohl - befindens Einflus haben kann, uͤberlegen zu ſeyn. Denn die Einbildungskraft nach dem Aſſociationsgeſetze macht un - ſeren Zuſtand der Zufriedenheit phyſiſch abhaͤngig; aber eben dieſelbe nach Principien des Schematisms der Urtheilskraft, (folglich ſofern der Freyheit untergeordnet) iſt Werkzeug der Vernunft und ihrer Jdeen, als ſolches aber eine Macht, unſere Unabhaͤngigkeit gegen die Natureinfluͤſſe zu behaupten, das, was nach der erſteren gros iſt, als klein abzuwuͤrdigen und ſo das Schlechthin-Große nur in ſeiner (des Subjects) eigenen Beſtimmung zu ſetzen. Dieſe Reflexion der aͤſtheti - ſchen Urtheilskraft, zur Angemeſſenheit mit der Vernunft, (doch ohne einen beſtimmten Begrif derſelben) zu erheben, ſtellt ſie den Gegenſtand, ſelbſt durch die objective Unange - meſſenheit der Einbildungskraft in ihrer groͤßten Erweiterung fuͤr die Vernunft (als Vermoͤgen der Jdeen) doch als ſub - jectiv zweckmaͤßig vor.

Man muß hier uͤberhaupt darauf Acht haben, was oben ſchon erinnert worden, daß in der tranſcendentalen Aeſthetik der Urtheilskraft lediglich von reinen aͤſthetiſchen Urtheilen die Rede ſeyn muͤſſe, folglich die Beyſpiele nicht von ſolchen117I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſchoͤnen oder erhabenen Gegenſtaͤnden der Natur hergenom - men werden duͤrfen, die den Begrif von einem Zwecke vor - ausſetzen; denn alsdenn wuͤrden es entweder teleologiſche, oder ſich auf bloßen Empfindungen eines Gegenſtandes (Ver - gnuͤgen oder Schmerz) gruͤndende, mithin im erſteren Falle nicht aͤſthetiſche, im zweyten nicht bloße formale Zweckmaͤßig - keit ſeyn. Wenn man alſo den Aublick des beſtirnten Him - mels erhaben nennt, ſo muß man der Beurtheilung deſſel - ben nicht Begriffe von Welten, von vernuͤnftigen Weſen be - wohnt und nun die hellen Puncte, womit wir den Raum uͤber uns erfuͤllt ſehen, als ihre Sonnen in ſehr zweckmaͤßig fuͤr ſie geſtellten Kreiſen bewegt, zum Grunde legen, ſon - dern blos, wie man ihn ſieht, als ein weites Gewoͤlbe, was alles befaßt, und blos unter dieſer Vorſtellung muͤſſen wir die Erhabenheit ſetzen, die ein reines aͤſthetiſches Urtheil die - ſem Gegenſtande beylegt. Eben ſo den Anblick des Oceans nicht ſo, wie wir, mit allerley Kenntniſſen (die aber nicht in der unmittelbaren Anſchauung enthalten ſind) bereichert, ihn denken, etwa als ein weites Reich von Waſſergeſchoͤpfen, den großen Waſſerſchatz fuͤr die Ausduͤnſtungen, welche die Luft mit Wolken zum Behuf der Laͤnder beſchwaͤngern, oder auch als ein Element, das zwar Welttheile von einander trennt, gleichwohl aber die groͤßte Gemeinſchaft unter ihnen moͤglich macht, vorſtellen, denn das giebt lauter teleologiſche Urtheile; ſondern man muß den Orean blos, wie die Dich - ter es thun, nach dem, was der Augenſchein zeigt, etwa, wenn er in Ruhe betrachtet wird, als einen klaren Waſſer - ſpiegel, der blos vom Himmel begrenzt iſt, aber iſt er unru - hig, wie einen alles zu verſchlingen drohenden Abgrund den - noch erhaben finden koͤnnen. Eben das iſt von dem Erhabe - nen und Schoͤnen in der Menſchengeſtalt zu ſagen, wo wir nicht auf Begriffe der Zwecke, wozu alle ſeine GliedmaßenH 3118I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.da ſind, als Beſtimmungsgruͤnde des Urtheils zuruͤckſehen und die Zuſammenſtimmung mit ihnen auf unſer (als denn nicht mehr reines) aͤſthetiſches Urtheil nicht einfließen laſſen muͤſſen, obgleich, daß ſie jenen nicht widerſtreiten, freylich eine nothwendige Bedingung auch des aͤſthetiſchen Wohlge - fallens iſt. Die aͤſthetiſche Zweckmaͤßigkeit iſt die Geſetzmaͤſ - ſigkeit der Urtheilskraft in ihrer Freyheit. Das Wohlge - fallen an dem Gegenſtande haͤngt von der Beziehung ab, in welcher wir die Einbildungskraft ſetzen wollen: nur daß ſie fuͤr ſich ſelbſt das Gemuͤth in freyer Beſchaͤftigung unterhalte. Wenn dagegen etwas anderes, es ſey Sinnenempfindung - oder Verſtandesbegrif, das Urtheil beſtimmt, ſo iſt es zwar geſetzmaͤßig, aber nicht das Urtheil einer freyen Urtheilskraft.

Wenn man alſo von intellectueller Schoͤnheit oder Er - habenheit ſpricht, ſo ſind erſtlich dieſe Ausdruͤcke nicht gan[z]richtig, weil es aͤſthetiſche Vorſtellungsarten ſind, die, wenn wir bloße reine Jntelligenzen waͤren, (oder uns auch in Ge - danken in dieſe Qualitaͤt verſetzen) in uns gar nicht anzutref - fen ſeyn wuͤrden, zweytens, obgleich beyde, als Gegen - ſtaͤnde eines intellectuellen (moraliſchen) Wohlgefallens, zwar ſofern mit dem aͤſthetiſchen vereinbar ſind, als ſie auf keinem Jntereſſe beruhen, ſo ſind ſie doch darin wiederum mit dieſen ſchwer zu vereinigen, weil ſie ein Jntereſſe bewir - ken ſollen, welches, wenn die Darſtellung zum Wohlgefallen in der aͤſthetiſchen Beurtheilung zuſammenſtimmen ſoll, in dieſer niemals anders als durch ein Sinnenintereſſe, welches man damit in der Darſtellung verbindet, geſchehen wuͤrde, wodurch aber der intellectuellen Zweckmaͤßigkeit Abbruch ge - ſchieht und ſie verunreinigt wird.

Der Gegenſtand eines reinen und unbedingten intellectuel - len Wohlgefallens iſt das moraliſche Geſetz in ſeiner Macht, die es in uns uͤber alle und jede vor ihm vorhergehende119I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Triebfedern des Gemuͤths ausuͤbt und, da dieſe Macht ſich eigentlich nur durch Aufopferungen aͤſthetiſch-kenntlich macht, welches eine Beraubung, obgleich zum Behuf der innern Freyheit, iſt, dagegen eine unergruͤndliche Tiefe dieſes uͤber - ſinnlichen Vermoͤgens, mit ihren ins Unabſehliche ſich er - ſtreckenden Folgen, in uns aufdeckt, ſo iſt das Wohlgefallen von der aͤſthetiſchen Seite (in Beziehung auf Sinnlichkeit) negativ, d. i. wider dieſes Jntereſſe, von der intellectuellen aber betrachtet poſitiv und mit einem Jntereſſe verbunden. Hieraus folgt: daß das intellectuelle, an ſich ſelbſt zweckmaͤſ - ſige (das Moraliſch-Gute), aͤſthetiſch beurtheilt, nicht ſo - wohl ſchoͤn, als vielmehr erhaben vorgeſtellt werden muͤſſe, ſo daß es mehr das Gefuͤhl der Achtung (welches den Reiz verſchmaͤht) als der Liebe und vertraulichen Zuneigung er - wecke; weil die menſchliche Natur nicht ſo von ſelbſt, ſondern nur durch Gewalt die die Vernunft der Sinnlichkeit anthut, zu jenem Guten zuſammenſtimmt. Umgekehrt, wird auch das, was wir in der Natur außer uns, oder auch in uns (z. B. gewiſſe Affecten), erhaben nennen, nur als eine Macht des Gemuͤths, ſich uͤber die Hinderniſſe der Sinn - lichkeit durch menſchliche Grundſaͤtze zu ſchwingen vorgeſtellt und dadurch intereſſant werden.

Jch will bey dem letztern etwas verweilen. Die Jdee des Guten mit Affect heißt der Enthuſiasm. Dieſer Ge - muͤthszuſtand ſcheint erhaben zu ſeyn, dermaßen, daß man gemeinlich vorgiebt, ohne ihn koͤnne nichts Großes ausge - richtet werden. Nun iſt aber jeder Affect*)Affecten ſind von Leidenſchaften ſpecifiſch unterſchieden. Jene beziehen ſich blos aufs Gefuͤhl, dieſe gehoͤren dem Begehrungsvermoͤgen an und ſind Neigungen, welche alle Beſtimmbarkeit der Willkuͤhr durch Grundſaͤtze erſchweren oder unmoͤglich machen. Jene ſind ſtuͤrmiſch und unvor - blind, entwederH 4120I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.in der Wahl ſeines Zwecks, oder wenn dieſer auch durch Ver - nunft gegeben worden, in der Ausfuͤhrung deſſelben; denn er iſt diejenige Bewegung des Gemuͤths, welche es unver - moͤgend macht, ſich nach freyer Ueberlegung durch Grund - ſaͤtze zu beſtimmen. Alſo kann er auf keinerley Weiſe ein Wohlgefallen der Vernunft verdienen. Aeſthetiſch gleichwohl iſt der Enthuſiasm erhaben, weil er eine Anſpannung der Kraͤfte durch Jdeen iſt, welche dem Gemuͤthe einen Schwung geben, der weit maͤchtiger und dauerhafter wirkt, als der Antrieb durch Sinnenvorſtellungen. Aber (welches befremd - lich ſcheint) ſelbſt Affectloſigkeit (Apathie, Phlegma in ſigni - ficatu bono) eines ſeinen unwandelbaren Grundſaͤtzen nach - druͤcklich nachgehenden Gemuͤths iſt und zwar auf weit vor - zuͤglichere Art erhaben, weil ſie zugleich das Wohlgefallen der reinen Vernunft auf ihre Seite hat. Eine dergleichen Gemuͤthsart heißt allein edel, welcher Ausdruck nachher auch auf Sachen, z. B. Gebaͤude, ein Kleid, Schreibart, koͤrperlicher Anſtand u. d. gl. angewandt wird, wenn dieſe nicht ſowohl Verwunderung (Affect in der Vorſtellung der Neuigkeit die die Erwartung uͤberſteigt) als Bewunderung (eine Verwunderung, die beym Verluſt der Neuigkeit nicht aufhoͤrt) erregt, welches geſchieht, wenn Jdeen in ihrer Darſtellung unabſichtlich und ohne Kunſt zum aͤſthetiſchen Wohlgefallen zuſammenſtimmen.

Ein jeder Affect von der wackern Art [der naͤmlich das Bewußtſeyn unſerer Kraͤfte jeden Widerſtand zu uͤber -*)ſetzlich, dieſe anhaltend und uͤberlegt; ſo iſt der Unwille, als Zorn, ein Affect; aber als Haß (Rachgier) eine Leiden - ſchaft. Die letztere kann niemals und in keinem Verhaͤlt - nis erhaben genannt werden; weil im Affect die Freyheit des Gemuͤths zwar gehemmt, in der Leidenſchaft aber auf - gehoben wird.121I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.winden (animi ſtrenui) rege macht] iſt aͤſthetiſch-erhaben. z. B. der Zorn, ſogar die Verzweiflung (naͤmlich die ent - ruͤſtete, nicht aber die verzagte). Der Affect von der ſchmelzenden Art aber [welcher die Beſtrebung zu wi - derſtehen ſelbſt zum Gegenſtande der Unluſt (animum langui - dum) macht] hat nichts Edeles an ſich, kann aber zum Schoͤnen der Sinnesart gezaͤhlt werden. Daher ſind die Ruͤhrungen, welche bis zum Affect ſtark werden koͤnnen, auch ſehr verſchieden. Man hat muthige, man hat zaͤrt - liche Ruͤhrungen. Die letztern, wenn ſie bis znm Affect ſteigen, taugen gar nichts; der Hang dazu heißt die Em - pfindeley. Ein theilnehmender Schmerz, der ſich nicht will troͤſten laſſen, oder auf den wir uns, wenn er erdichtete Ue - bel betrift, bis zur Taͤuſchung durch die Phantaſie, als ob es wirkliche waͤren, vorſetzlich einlaſſen, beweiſet und macht eine weiche aber zugleich ſchwache Seele, die eine ſchoͤne Seite zeigt und zwar phantaſtiſch, aber nicht einmal enthuſiaſtiſch genannt werden kann. Romanen, weinerliche Schauſpiele, ſchaale Sittenvorſchriften, die mit (obzwar faͤlſchlich) ſoge - nannten edlen Geſinnungen taͤndeln, in der That aber das Herz welk und fuͤr die ſtrenge Vorſchrift der Pflicht unem - pfindlich, aller Achtung fuͤr die Wuͤrde der Menſchheit in unſerer Perſon und das Recht der Menſchen (welches ganz etwas anderes als ihre Gluͤckſeeligkeit iſt) und uͤberhaupt aller feſten Grundſaͤtze unfaͤhig machen, ſelbſt ein Religions - vortrag, welcher kriechende, widrige Gunſtbewerbung und Einſchmeichelung empfiehlt, die alles Vertrauen auf eigenes Vermoͤgen zum Widerſtande gegen das Boͤſe in uns aufgiebt, ſtatt der ruͤſtigen Entſchloſſenheit, die Kraͤfte, die uns bey aller unſerer Gebrechlichkeit doch noch uͤbrig bleiben, zu Ue - berwindung der Neigungen zu verſuchen, die falſche Demuth, welche in der Selbſtverachtung, in der winſelnden erheu -H 5122I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.chelten Reue und einer blos leidenden Gemuͤthsfaſſung die Art ſetzt, wie man allein dem hoͤchſten Weſen gefaͤllig wer - den koͤnne, vertragen ſich nicht einmal mit dem, was zur Schoͤnheit, weit weniger aber noch mit dem, was zur Er - habenheit der Gemuͤthsart gezaͤhlt werden koͤnnte.

Aber auch ſtuͤrmiſche Gemuͤthsbeweguugen, ſie moͤgen nun, unter dem Nahmen der Erbauung, mit Jdeen der Re - ligion oder als blos zur Cultur gehoͤrig mit Jdeen die ein geſell - ſchaftliches Jntereſſe enthalten, verbunden werden, koͤnnen, ſo ſehr ſie auch die Einbildungskraft ſpannen, keinesweges auf die Ehre einer erhabenen Darſtellung Anſpruch ma - chen, wenn ſie nicht eine Gemuͤthsſtimmung zuruͤcklaſſen, die, wenn gleich nur indirect, auf das Bewußtſeyn ſeiner Staͤrke und Entſchloſſenheit zu dem, was reine intellectuelle Zweckmaͤßigkeit bey ſich fuͤhrt (dem Ueberſinnlichen), Ein - flus hat. Denn ſonſt gehoͤren alle dieſe Ruͤhrungen nur zur Motion, welche man der Geſundheit wegen gerne hat. Die angenehme Mattigkeit, welche auf eine ſolche Ruͤttelung durch das Spiel der Affecten folgt, iſt ein Genus des Wohl - befindens, aus dem hergeſtellten Gleichgewichte der mancher - ley Lebenskraͤfte in uns, welcher am Ende auf daſſelbe hin - auslaͤuft als derjenige, den die Wolluͤſtlinge des Orients ſo behaglich finden, wenn ſie ihren Koͤrper gleichſam durchkne - ten und alle ihre Muskeln und Gelenke ſanft druͤcken und bie - gen laſſen, nur daß dort das bewegende Princip groͤßten - theils in uns, hier hingegen gaͤnzlich außer uns iſt. Da glaubt ſich nun mancher durch eine Predigt erbaut, indem doch nichts aufgebauet (kein Syſtem guter Maximen) iſt, oder durch ein Trauerſpiel gebeſſert, der blos uͤber gluͤcklich vertriebene lange Weile froh iſt. Alſo muß das Erhabene jederzeit Beziehung auf die Denkungsart haben d. i. auf123I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Maximen dem Jntellectuellen und den Vernunftideen uͤber die Sinnlichkeit Obermacht zu verſchaffen.

Man darf nicht beſorgen, daß das Gefuͤhl des Erhabe - nen durch eine dergleichen abgezogene Darſtellungsart, die in Anſehung des Sinnlichen gaͤnzlich negativ wird, verlieren werde; denn die Einbildungskraft, ob ſie zwar uͤber das Sinnliche hinaus nichts findet, woran ſie ſich halten kann, fuͤhlt ſich doch auch eben durch dieſe Wegſchaffung der Schran - ken derſelben unbegrenzt, und jene Abſonderung iſt alſo eine Darſtellung des Unendlichen, welche zwar eben darum nie - mals anders als blos negative Darſtellung ſeyn kann, die aber doch die Seele erweitert. Vielleicht giebts keine erha - benere Stelle im Geſetzbuche der Juden, als das Gebot: du ſollſt dir kein Bildnis machen, noch irgend ein Gleichnis, weder deſſen was im Himmel, noch auf der Erden, noch unter der Erden iſt etc. Dieſes Gebot allein kann den En - thuſiasm erklaͤren, den das juͤdiſche Volk in ſeiner geſitteten Epoche fuͤr ſeine Religion fuͤhlete, wenn es ſich mit andern Voͤlkern verglich, oder denjenigen Stolz, den der Moham - medanism einfloͤßt. Eben daſſelbe gilt auch von der Vor - ſtellung des moraliſchen Geſetzes und der Anlage zur Mora - litaͤt in uns. Es iſt eine ganz irrige Beſorgnis, daß, wenn man ſie alles deſſen beraubt, was ſie den Sinnen empfehlen kann, ſie alsdenn keine andere, als kalte lebloſe Billigung und keine bewegende Kraft oder Ruͤhrung bey ſich fuͤhren wuͤrde. Es iſt gerade umgekehrt; denn da, wo nun die Sinne nichts mehr vor ſich ſehen unb die unverkennliche und unausloͤſchliche Jdee der Sittlichkeit dennoch uͤbrig bleibt, wuͤrde es eher noͤthig ſeyn, den Schwung einer unbegrenzten Einbildungskraft zu maͤßigen, um ihn nicht bis zum Enthu - ſiasm ſteigen zu laſſen, als, aus Furcht vor Kraftloſigkeit dieſer Jdeen, fuͤr ſie in Bildern und kindiſchem Apparat124I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Huͤlfe zu ſuchen. Daher haben auch Regierungen gerne er - laubt die Religion mit dem letztern Zubehoͤr reichlich verſor - gen zu laſſen und ſo dem Unterthan die Muͤhe, zugleich aber auch das Vermoͤgen, zu benehmen geſucht, ſeine Seelenkraͤfte uͤber die Schranken auszudehnen, die man ihm willkuͤhrlich ſetzen und wodurch man ihn, als blos paſſiv leichter behan - deln kann.

Dieſe reine, ſeelenerhebende, blos negative Darſtellung der Sittlichkeit, bringt dagegen keine Gefahr der Schwaͤr - merey, welche ein Wahn iſt uͤber alle Grenze der Sitt - lichkeit hinaus etwas ſehen d. i. nach Grundſaͤtzen traͤu - men (mit Vernunft raſen) zu wollen; eben darum, weil die Darſtellung bey jener blos negativ iſt. Denn die Uner - forſchlichkeit der Jdee der Freyheit ſchneidet aller poſiti - ven Darſtellung gaͤnzlich den Weg ab: das moraliſche Geſetzt aber iſt an ſich ſelbſt in uns hinreichend und urſpruͤnglich be - ſtimmend, ſo daß es nicht einmal erlaubt uns nach einem Beſtimmungsgrunde außer demſelben umzuſehen. Wenn der Enthuſiasm mit dem Wahnſinn, ſo iſt die Schwaͤrmerey mit dem Wahnwitz zu vergleichen, wovon der letztere ſich unter allen am wenigſten mit dem Erhabenen vertraͤgt, weil er gruͤbleriſch laͤcherlich iſt. Jm Enthuſiasm als Affect iſt die Einbildungskraft zuͤgellos, in der Schwaͤrmerey, als einge - wurzelter bruͤtender Leidenſchaft, regellos. Der erſtere iſt voruͤbergehender Zufall, der den geſundeſten Verſtand biswei - len wohl betrift, der zweyte eine Krankheit, die ihn zerruͤttet.

Einfalt (kunſtloſe Zweckmaͤßigkeit) iſt gleichſam der Styl der Natur im Erhabenen und ſo auch der Sittlichkeit, welche eine zweyte (uͤberſinnliche) Natur iſt, davon wir nur die Geſetze kennen, ohne das uͤberſinnliche Vermoͤgen in uns, ſelbſt was den Grund dieſer Geſetzgebung enthaͤlt, durch anſchauen erreichen zu koͤnnen.

125I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Noch iſt anzumerken, daß, obgleich das Wohlgefallen am Schoͤnen eben ſowohl, als das am Erhabenen, nicht allein durch allgemeine Mittheilbarkeit unter den anderen aͤſthetiſchen Beurtheilungen kenntlich unterſchieden ſind und durch dieſe Eigenſchaft in Beziehung auf Geſellſchaft (in der es ſich mittheilen laͤßt) ein Jntereſſe bekommt, gleichwohl doch auch die Abſonderung von aller Geſellſchaft als et - was Erhabenes angeſehen werde, wenn ſie auf Jdeen be - ruht, welche uͤber alles ſinnliche Jntereſſe hinweg ſehen. Sich ſelbſt genug zu ſeyn, mithin Geſellſchaft nicht beduͤrfen, ohne doch ungeſellig zu ſeyn d. i. ſie zu fliehen, iſt etwas dem Er - habenen ſich naͤherndes, ſo wie jede Ueberhebung von Be - duͤrfniſſen. Dagegen iſt Menſchen zu fliehen, aus Miſan - thropie, weil man ſie anfeindet, oder aus Anthropopho - bie (Menſchenſcheu) weil man ſie als ſeine Feinde fuͤrchtet, theils haͤslich, theils veraͤchtlich. Gleichwohl giebt es eine (ſehr uneigentlich ſogenannte) Miſanthropie, wozu die An - lage ſich mit dem Alter in vieler wohldenkenden Menſchen Gemuͤth einzufinden pflegt, welche zwar, was das Wohl - wollen betrift, philanthropiſch genug iſt, aber vom Wohlge - fallen an Menſchen durch eine lange traurige Erfahrung weit abgebracht iſt, wovon der Hang zur Eingezogenheit, der phantaſtiſche Wunſch auf einem entlegenen Landſitze, oder auch (bey jungen Perſonen) die ertraͤumte Gluͤckſeeligkeit auf einem der uͤbrigen Welt unbekannten Eylande, mit einer klei - nen Familie, ſeine Lebenszeit zubringen zu koͤnnen, welche die Romanſchreiber, oder Dichter der Robinſonaden ſo gut zu nutzen wiſſen, Zeugnis giebt. Falſchheit, Undankbarkeit, Ungerechtigkeit, das Kindiſche in den von uns ſelbſt fuͤr wich - tig und gros gehaltenen Zwecken, in deren Verfolgung ſich Menſchen ſelbſt und unter einander alle erdenkliche Uebel an - thun, ſtehen mit der Jdee deſſen, was ſie ſeyn koͤnnten,126I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.wenn ſie wollten, ſo im Widerſpruch und ſind dem lebhaften Wunſche ſie beſſer zu ſehen, ſo ſehr entgegen, daß, um ſie nicht zu haſſen, da man ſie nicht lieben kann, die Verzicht - thuung auf alle geſellſchaftliche Freuden nur ein kleines Opfer zu ſeyn ſcheint. Dieſe Traurigkeit, nicht uͤber die Uebel, welche das Schickſal uͤber andere Menſchen verhaͤngt (wovon die Sympathie Urſache iſt) ſondern die ſie ſich ſelbſt anthun (welche auf der Antipathie in Grundſaͤtzen beruht), iſt, weil ſie auf Jdeen beruht, erhaben, indeſſen daß die erſtere allen - falls nur fuͤr ſchoͤn gelten kann. Der eben ſo geiſtreiche als gruͤndliche v. Sauſſuͤre ſagt in der Beſchreibung ſeiner Alpenreiſen von Bouhomme, einem der ſavoyiſchen Ge - buͤrge, es herrſcht daſelbſt eine gewiſſe abgeſchmackte Traurigkeit. Er kannte daher doch auch eine intereſſante Traurigkeit, welche der Anblick einer Einoͤde einfloͤßt, in die ſich Menſchen wohl verſetzen moͤchten, um von der Welt nichts weiter zu hoͤren noch zu erfahren, die denn doch nicht ſo ganz unwirthbar ſeyn muß, daß ſie nur einen hoͤchſt muͤhſeeligen Auffenthalt fuͤr Menſchen darboͤte. Jch mache dieſe An - merkung nur in der Abſicht, um zu erinnern, daß auch Be - truͤbnis (nicht niedergeſchlagene Traurigkeit) zu den ruͤſti - gen Affecten gezaͤhlt werden koͤnne, wenn ſie in moraliſchen Jdeen ihren Grund hat; wenn ſie aber auf Sympathie ge - gruͤndet und, als ſolche, auch liebenswuͤrdig iſt, ſie blos zu den ſchmelzenden Affecten gehoͤre, um dadurch auf die Ge - muͤthsſtimmung, die nur im erſteren Falle erhaben iſt, auf - merkſam zu machen.

Man kann mit der jetzt durchgefuͤhrten tranſcendentalen Expoſition der aͤſthetiſchen Urtheile nun auch die pſychologi - ſche, wie ſie ein Burke und viele ſcharfſinnige Maͤnner unter127I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.uns bearbeitet haben, vergleichen, um zu ſehen, wohin eine blos empiriſche Expoſition des Erhabenen und Schoͤnen fuͤhre. Burke*)Nach der deutſchen Ueberſetzung ſeiner Schrift: Philoſophi - ſche Unterſuchungen uͤber den Urſprung unſerer Begriffe vom Schoͤnen und Erhabenen. Riga bey Hartknoch 1773. der in dieſer Art der Behandlung als der vor - nehmſte Verfaſſer genannt zu werden verdient, bringt auf dieſem Wege (S. 223 ſeines Werks) heraus, daß das Ge - fuͤhl des Erhabenen ſich auf dem Triebe zur Selbſterhaltung und auf Furcht d. i. einem Schmerze gruͤnde, der, weil er nicht bis zur wirklichen Zerruͤttung der koͤrperlichen Theile geht Bewegungen hervorbringt, die, da ſie die feineren oder groͤberen Gefaͤße von gefaͤhrlichen und beſchwerlichen Verſtopfungen reinigen, im Stande ſind angenehme Em - pfindungen zu erregen, zwar nicht Luſt, ſondern eine Art von wohlgefaͤlligem Schauer, eine gewiſſe Ruhe, die mit Schrecken vermiſcht iſt. Das Schoͤne, welches er auf Liebe gruͤndet, (wovon er doch die Begierde abgeſondert wiſ - ſen will) fuͤhrt er (S. 251 252) auf die Nachlaſſung, Losſpannung und Erſchlaffung der Fibern des Koͤrpers, mit - hin eine Erreichung, Aufloͤſung, Ermattung, ein Hinſinken, Hinſterben, Wegſchmelzen fuͤr Vergnuͤgen hinaus. Und nun beſtaͤtigt er dieſe Erklaͤrungsart nicht allein durch Faͤlle, in denen die Einbildungskraft in Verbindung mit dem Ver - ſtande, ſondern ſogar Sinnesempfindung in uns das Gefuͤhl des Schoͤnen ſowohl als des Erhabenen erregen koͤnne. Als pſychologiſche Bemerkungen ſind dieſe Zergliederungen der Phaͤnomene unſeres Gemuͤths uͤberaus ſchoͤn und geben reichen Stoff zu den beliebteſten Nachforſchungen der empiri - ſchen Anthropologie. Es iſt auch nicht zu laͤugnen, daß alle Vorſtellungen in uns, ſie moͤgen objectiv blos ſinnlich oder ganz intellectuell ſeyn, doch ſubjectiv mit Vergnuͤgen oder128I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Schmerz, ſo unmerklich beydes auch ſeyn mag, verbunden werden koͤnnen (weil ſie insgeſamt das Gefuͤhl des Lebens afficiren und keine derſelben, ſofern als ſie Modification des Subjects iſt, indifferent ſeyn kann) ſo gar, daß, wie Epicur behauptete, alles Vergnuͤgen und Schmerz zuletzt doch koͤr - perlich ſey, es mag immer von der Einbildung oder gar von Verſtandesvorſtellungen anfangen, weil das Leben ohne das Gefuͤhl des koͤxperlichen Organs blos Bewußtſeyn ſeiner Exi - ſtenz, aber kein Gefuͤhl des Wohl - oder Uebelbefindens, d. i. der Befoͤrderung oder Hemmung der Lebenskraͤfte ſey; weil das Gemuͤth fuͤr ſich allein ganz Leben (das Lebensprincip ſelbſt) iſt und Hinderniſſe oder Befoͤrderungen außer demſel - ben und doch im Menſchen ſelbſt, mithin in der Verbindung mit ſeinem Koͤrper geſucht werden muͤſſen.

Setzt man aber das Wohlgefallen am Gegenſtande ganz und gar darin, daß dieſer durch Reiz oder durch Ruͤhrung vergnuͤgt, ſo muß man auch keinem andern zumuthen zu dem aͤſthetiſchen Urtheile, was wir faͤllen, beyzuſtimmen; denn daruͤber befraͤgt ein jeder mit Recht nur ſeinen Privatſinn. Alsdenn aber hoͤrt auch alle Cenſur des Geſchmacks gaͤnzlich auf; man muͤßte denn das Beyſpiel, welches andere, durch die zufaͤllige Uebereinſtimmung ihrer Urtheile, geben, zum Gebot des Beyfalls fuͤr uns machen, wider welches Prin - cip wir uns doch vermuthlich ſtraͤuben und auf das natuͤrliche Recht berufen wuͤrden, das Urtheil, welches auf dem unmit - telbaren Gefuͤhle des eigenen Wohlbefindens beruht, ſeinem eigenen Sinne und nicht anderer ihrem zu unterwerfen.

Wenn alſo das Geſchmacksurtheil nicht fuͤr egoiſtiſch, ſondern ſeiner inneren Natur nach, d. i. um ſein ſelbſt, nicht um der Beyſpiele willen, die andere von ihrem Geſchmack geben, nothwendig als pluraliſtiſch gelten muß, wenn man es als ein ſolches wuͤrdigt, welches zugleich verlangendarf,129I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.darf, daß jedermann ihm beypflichten ſoll; ſo muß ihm ir - gend ein (es ſey objectives oder ſubjectives) Princip a priori zum Grunde liegen, zu welchem man durch Aufſpaͤhung em - piriſcher Geſetze der Gemuͤthsveraͤnderungen niemals gelan - gen kann; weil dieſe nur zu erkennen geben, wie geurtheilt wird, nicht aber gebieten, wie geurtheilt werden ſoll und zwar gar ſo, daß das Gebot unbedingt iſt, dergleichen die Geſchmacksurtheile vorausſetzen, indem ſie das Wohlgefallen mit einer Vorſtellung unmittelbar verknuͤpft wiſſen wollen. Alſo mag die empiriſche Expoſition der aͤſthetiſchen Urtheile immer den Anfang machen, um den Stoff zu einer hoͤhern Unterſuchung herbeyzuſchaffen, ſo iſt doch eine tranſcenden - tale Eroͤrterung dieſes Vermoͤgens zur Critik des Geſchmacks weſentlich gehoͤrig; denn, ohne daß dieſer Principien a priori habe, koͤnnte er unmoͤglich die Urtheile anderer richten und uͤber ſie, auch nur mit einigem Scheine des Rechts, Billi - gungs - oder Verwerfungsurtheile faͤllen.

Drittes Buch. Deduction der aͤſthetiſchen Urtheile.

§. 30. Die Deduction der aͤſthetiſchen Urtheile uͤber die Gegenſtaͤnde der Natur darf nicht auf das, was wir in dieſer erhaben nennen, ſon - dern nur auf das Schoͤne gerichtet werden.

Der Anſpruch eines aͤſthetiſchen Urtheils auf allgemeine Guͤltigkeit fuͤr jedes Subject bedarf, als ein Urtheil, wel - ches ſich auf irgend ein Princip a priori fußen muß, einerKants Crit. d. Urtheilskr. J130I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Deduction, (d. i. Legitimation ſeiner Anmaßung) die uͤber die Expoſition deſſelben noch hinzukommen mußte, wenn es naͤmlich ein Wohlgefallen oder Misfallen an der Form des Objects betrift. Dergleichen ſind die Ge - ſchmacksurtheile uͤber das Schoͤne der Natur. Denn die Zweckmaͤßigkeit hat alsdenn doch im Objecte und ſeiner Geſtalt ihren Grund, wenn ſie gleich nicht die Beziehung deſſelben auf andere Gegenſtaͤnde nach Begriffen (zum Erkenntnisurtheile) anzeigt, ſondern blos die Auffaſ - ſung dieſer Form, ſofern ſie dem Vermoͤgen ſowohl der Begriffe, als dem der Darſtellung derſelben wel - ches mit dem der Auffaſſung eines und daſſelbe iſt) im Gemuͤth gemaͤs iſt, uͤberhaupt betrift. Man kann da - her auch in Anſehung des Schoͤnen der Natur mancher - ley Fragen aufwerfen, die die Urſache dieſer Zweckmaͤſ - ſigkeit ihrer Formen betreffen, z. B. wie man erklaͤren wolle, warum die Natur ſo verſchwenderiſch allerwaͤrts Schoͤnheit verbreitet habe, ſelbſt im Grunde des Oceans, wo nur ſelten das menſchliche Auge (fuͤr welches jene doch allein zweckmaͤßig iſt) hinlangt u. d. gl.

Allein das Erhabene der Natur, wenn wir daruͤber ein reines aͤſthetiſches Urtheil faͤllen, welches nicht mit Begriffen von Vollkommenheit, als objectiver Zweckmaͤßigkeit, vermengt iſt, in welchem Falle es ein teleologiſches Urtheil ſeyn wuͤrde kann ganz als form - los oder ungeſtalt, dennoch aber als Gegenſtand eines reinen Wohlgefallens betrachtet werden und ſubjective131I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Zweckmaͤßigkeit der gegebenen Vorſtellung zeigen und da fraͤgt ſichs nun, ob zu dem aͤſthetiſchen Urtheile dieſer Art auch, außer der Expoſition deſſen, was in ihm ge - dacht wird, noch eine Deduction ſeines Anſpruchs auf irgend ein (ſubjectives) Princip a priori verlangt wer - den koͤnne.

Hierauf dient zur Antwort: daß das Erhabene der Natur nur uneigentlich ſo genannt werde und eigentlich blos der Denkungsart, oder vielmehr der Grundlage zu derſelben in der menſchlichen Natur, beygelegt werde, welcher ſich bewußt zu werden, die Auffaſſung eines ſonſt formloſen und unzweckmaͤßigen Gegenſtandes, die bloße Veranlaſſung giebt, welcher auf ſolche Weiſe ſubjectiv - zweckmaͤßig gebraucht, aber nicht als ein ſolcher fuͤr ſich und ſeiner Form wegen beurtheilt wird (gleichſam ſpecies finalis accepta, non data). Daher war unſere Expoſition der Urtheile uͤber das Erhabene der Natur zu - gleich ihre Deduction. Denn, wenn wir die Reflexion der Urtheilskraft in denſelben zerlegten, ſo fanden wir in ihnen ein zweckmaͤßiges Verhaͤltnis der Erkenntnis - vermoͤgen, welches dem Vermoͤgen der Zwecke (dem Willen) a priori zum Grunde gelegt werden muß und daher ſelbſt a priori zweckmaͤßig iſt, welches denn ſofort die Deduction, d. i. die Rechtfertigung des Anſpruchs eines dergleichen Urtheils auf allgemein-nothwendige Guͤltigkeit, iſt.

J 2132I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Wir werden alſo nur die Deduction der Geſchmacks - urtheile, d. i. derer, uͤber die Schoͤnheit der Naturdinge, zu ſuchen haben und ſo der Aufgabe fuͤr die geſammte aͤſthetiſche Urtheilskraft im Ganzen ein Genuͤge thun.

§. 31. Von der Methode der Deduction der Ge - ſchmacksurtheile.

Die Obliegenheit einer Deduction d. i. der Gewaͤhr - leiſtung der Rechtmaͤßigkeit einer Art Urtheile, tritt nur ein, wenn das Urtheil Anſpruch auf Nothwendigkeit macht, welches der Fall auch alsdenn iſt, wenn es ſub - jective Allgemeinheit, d. i. jedermanns Beyſtimmung fordert, indeſſen daß es doch kein Erkenntnisurtheil, ſondern nur der Luſt oder Unluſt an einem gegebenen Ge - genſtande, d. i. Anmaßung einer durchgaͤngig fuͤr jeder - mann geltenden ſubjectiven Zweckmaͤßigkeit iſt, die ſich auf keine Begriffe von der Sache gruͤnden ſoll, weil es Geſchmacksurtheil iſt.

Da wir im letztern Falle kein Erkenntnisurtheil, weder ein theoretiſches, welches den Begrif einer Na - tur uͤberhaupt durch den Verſtand, noch ein (reines) practiſches, welches die Jdee der Freyheit, als a priori durch die Vernunft gegeben, zum Grunde legt, vor uns haben und alſo weder ein Urtheil, welches vorſtellt, was eine Sache iſt, noch daß ich, um ſie hervorzubringen, etwas verrichten ſoll, nach ſeiner Guͤltigkeit a priori zu133I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.rechtfertigen iſt: ſo wird blos die allgemeine Guͤltig - keit eines einzelnen Urtheils, welches die ſubjective Zweckmaͤßigkeit einer empiriſchen Vorſtellung der Form eines Gegenſtandes ausdruͤckt, fuͤr die Urtheilskraft uͤberhaupt darzuthun ſeyn, um zu erklaͤren, wie es moͤg - lich ſey, daß etwas blos in der Beurtheilung (ohne Sinnenempfindung oder Begrif) gefallen und, ſo wie die Beurtheilung eines Gegenſtandes zum Behuf einer Erkenntnis uͤberhaupt allgemeine Regeln hat, auch ein Wohlgefallen fuͤr jeden andern als Regel duͤrfe ange - kuͤndigt werden.

Wenn nun dieſe Allgemeinguͤltigkeit ſich nicht auf Stimmenſammlung und Herumfragen bey andern, we - gen ihrer Art zu empfinden, gruͤnden, ſondern gleich - ſam auf einer Autonomie des uͤber das Gefuͤhl der Luſt (an der gegebenen Vorſtellung) urtheilenden Subjects, d. i. auf ſeinem eigenen Geſchmacke beruhen, gleichwohl aber doch auch nicht von Begriffen abgeleitet werden ſoll, ſo hat ein ſolches Urtheil wie das Geſchmacksurtheil in der That iſt eine zwiefache und zwar logiſche Ei - genthuͤmlichkeit, naͤmlich erſtlich der Allgemeinguͤltig - keit a priori, und doch nicht einer logiſchen Allgemeinheit nach Begriffen, ſondern der Allgemeinheit eines einzel - nen Urtheils, zweytens eine Nothwendigkeit, (die jederzeit auf Gruͤnden a priori beruhen muß), die aber doch von keinen Beweisgruͤnden a priori abhaͤngt, durchJ 3134I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.deren Vorſtellung der Beyfall, den das Geſchmacksur - theil jedermann anſinnt, erzwungen werden koͤnnte.

Die Aufloͤſung dieſer logiſchen Eigenthuͤmlichkeiten darin ſich ein Geſchmacksurtheil von allen Erkenntnis - urtheilen unterſcheidet, wenn wir hier anfaͤnglich von allem Jnhalte deſſelben, naͤmlich dem Gefuͤhle der Luſt abſtrahiren und blos die aͤſthetiſche Form mit der Form der objectiven Urtheile, wie ſie die Logik vorſchreibt, ver - gleichen, wird allein zur Deduction dieſes ſonderbaren Ver - moͤgens hinreichend ſeyn. Wir wollen alſo dieſe characte - riſtiſche Eigenſchaften des Geſchmacks zuvor, durch Bey - ſpiele erlaͤutert, vorſtellig machen.

§. 32. Erſte Eigenthuͤmlichkeit des Geſchmacks - urtheils.

Das Geſchmacksurtheil beſtimmt ſeinen Gegen - ſtand in Anſehung des Wohlgefallens (als Schoͤnheit) mit einem Anſpruche auf jedermanns Beyſtimmung, als ob es objectiv waͤre.

Sagen: dieſe Blume iſt ſchoͤn, heißt eben ſo viel als ihren eigenen Anſpruch auf jedermanns Wohlge - fallen ihr nur nachſagen. Durch die Annehmlichkeit ih - res Geruchs hat ſie gar keine Anſpruͤche; den einen er - goͤtzt dieſer Geruch, dem andern benimmt er den Kopf. Was ſollte man nun anders daraus vermuthen, als daß die Schoͤnheit fuͤr eine Eigenſchaft der Blume ſelbſt ge -135I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.halten werden muͤſſe, die ſich nicht nach der Verſchieden - heit der Koͤpfe und ſo vieler Sinne richtet, ſondern dar - nach ſich dieſe richten muͤſſen, wenn ſie daruͤber urtheilen wollen, und doch verhaͤlt es ſich nicht ſo. Denn darin beſteht eben das Geſchmacksurtheil, daß es eine Sache nur nach derjenigen Beſchaffenheit ſchoͤn nennt, in wel - cher ſie ſich nach unſerer Art ſie aufzunehmen richtet.

Ueberdies wird von jedem Urtheil, welches den Ge - ſchmack des Subjects beweiſen ſoll, verlangt: daß das Subject fuͤr ſich, ohne noͤthig zu haben durch Erfahrung unter anderer ihren Urtheilen herumzutappen, und ſich von ihrem Wohlgefallen oder Misfallen an demſelben Gegenſtande vorher zu belehren, mithin nicht als Nach - ahmung, da etwas wirklich allgemein gefaͤllt, folglich a priori ausgeſprochen werden ſolle. Man ſollte aber denken, daß ein Urtheil a priori einen Begrif vom Object enthalten muͤſſe, zu deſſen Erkenntnis es das Princip enthaͤlt; das Geſchmacksurtheil aber gruͤndet ſich gar nicht auf Begriffe und iſt uͤberall nicht Erkenntnis, ſon - dern nur ein aͤſthetiſches Urtheil.

Daher laͤßt ſich ein junger Dichter von der Ueberre - dung, daß ſein Gedicht ſchoͤn ſey, nicht durch das Ur - theil des Publicums, nicht durch das ſeiner Freunde, abbringen und, wenn er ihnen Gehoͤr giebt, ſo geſchieht es nicht darum, weil er es nun anders beurtheilt, ſon - dern weil er, wenn gleich (wenigſtens in Abſicht ſeiner) das ganze Publicum einen falſchen Geſchmack haͤtte, ſichJ 4136I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.doch (ſelbſt wider ſein Urtheil) dem gemeinen Wahne zu bequemen in ſeiner Begierde nach Beyfall Urſache findet. Nur ſpaͤterhin, wenn ſeine Urtheilskraft durch Aus - uͤbung mehr geſchaͤrft worden, geht er freywillig von ſeinem vorigen Urtheile ab; ſo wie er es auch mit ſeinen Urtheilen haͤlt, die ganz auf der Vernunft beruhen. Der Geſchmack macht auf Autonomie Anſpruch. Fremde Ur - theile ſich zum Beſtimmungsgrunde des ſeinigen zu ma - chen, waͤre Heteronomie.

Daß man die Werke der Alten mit Recht zu Mu - ſtern anpreiſet, und die Verfaſſer derſelben claſſiſch nennt, gleich einem gewiſſen Adel unter den Schriftſtellern, der dem Volke durch ſeinen Vorgang Geſetze giebt, ſcheint Quellen des Geſchmacks a poſteriori anzuzeigen und die Autonomie deſſelben in jedem Subjecte zu widerlegen. Allein man koͤnnte eben ſo gut ſagen, daß die alten Ma - thematiker, die bis jetzt fuͤr nicht wohl zu entbehrende Muſter der hoͤchſten Gruͤndlichkeit und Eleganz der ſyn - thetiſchen Methode gehalten werden, auch eine nachah - mende Vernunft auf unſerer Seite bewieſen und ein Un - vermoͤgen derſelben aus ſich ſelbſt ſtrenge Beweiſe, mit der groͤßten Jntuition, durch Conſtruction der Begriffe, hervorzubringen, darthue. Es iſt gar kein Gebrauch unſerer Kraͤfte, ſo frey er auch ſeyn mag und ſelbſt der Vernunft, (die alle ihre Urtheile aus der gemeinſchaft - lichen Quelle a priori ſchoͤpfen muß) welcher, wenn je - des Subject immer gaͤnzlich von der rohen Anlage ſei -137I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.nes Naturells anfangen ſollte, nicht in fehlerhafte Ver - ſuche gerathen wuͤrde, wenn nicht andere mit den ihri - gen ihm vorgegangen waͤren, nicht um die Nachfolgende zu bloßen Nachahmern zu machen, ſondern durch ihr Verfahren andere auf die Spuhr zu bringen, um die Principien in ſich ſelbſt zu ſuchen und ſo ihren eigenen, oft beſſeren, Gang zu nehmen. Selbſt in der Religion, wo gewis ein jeder die Regel ſeines Verhaltens aus ſich ſelbſt hernehmen muß, weil er dafuͤr auch ſelbſt verant - wortlich bleibt und die Schuld ſeiner Vergehungen nicht auf andre, als Lehrer oder Vorgaͤnger, ſchieben kann, wird doch nie durch allgemeine Vorſchriften, die man entweder von Prieſtern oder Philoſophen bekommen, oder auch aus ſich ſelbſt genommen, ſo viel ausgerichtet werden, als durch ein Beyſpiel der Tugend oder Heilig - keit, welches, in der Geſchichte aufgeſtellt, die Auto - nomie der Tugend, aus der eigenen und urſpruͤngli - chen Jdee der Sittlichkeit (a priori), nicht entbehrlich macht, oder dieſe in einem Mechanism der Nachahmung verwandelt. Nachfolge, die ſich auf einen Vorgang bezieht, nicht Nachahmung, iſt der rechte Ausdruck fuͤr allen Einflus, den Producte eines exemplariſchen Urhe - bers auf Andere haben koͤnnen; welches nur ſo viel be - deutet, als: aus denſelben Quellen ſchoͤpfen, daraus jener ſelbſt ſchoͤpfte und ſeinen Vorgaͤngern nur die Art, wie ſie ſich dabey benehmen, abzulernen. Aber unter allen Vermoͤgen und Talenten iſt der Geſchmack geradeJ 5138I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.dasjenige, welches, weil ſein Urtheil nicht durch Be - griffe und Vorſchriften beſtimmbar iſt, am meiſten der Beyſpiele deſſen, was ſich im Fortgange der Cultur am laͤngſten in Beyfall erhalten hat, beduͤrftig iſt, um nicht bald wieder ungeſchlacht zu werden und in die Rohigkeit der erſten Verſuche zuruͤckzufallen.

§. 33. Zweyte Eigenthuͤmlichkeit des Geſchmacks - urtheils.

Das Geſchmacksurtheil iſt gar nicht durch Beweis - gruͤnde beſtimmbar, gleich als ob es blos ſubjectiv waͤre.

Wenn jemand ein Gebaͤude, eine Ausſicht, ein Ge - dicht nicht ſchoͤn findet, ſo laͤßt er ſich erſtlich den Bey - fall nicht durch hundert Stimmen, die es alle hoch prei - ſen, innerlich aufdringen. Er mag ſich zwar anſtellen, als ob es ihm auch gefalle, um nicht fuͤr geſchmacklos angeſehen zu werden; er kann ſogar zu zweifeln anfan - gen, ob er ſeinen Geſchmack, durch Kenntnis einer gnug - ſamen Menge von Gegenſtaͤnden einer gewiſſen Art, auch genug gebildet habe, (wie einer, der in der Entfer - nung etwas fuͤr einen Wald zu erkennen glaubt, was alle andere fuͤr eine Stadt anſehen, an dem Urtheile ſeines eigenen Geſichts zweifelt,) das ſieht er aber doch klar ein: daß der Beyfall anderer gar keinen fuͤr die der Schoͤnheits-Beurtheilung guͤltigen Beweis abgebe und139I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.daß andere allenfalls fuͤr ihn ſehen und beobachten, und was viele auf einerley Art geſehen haben einen hinrei - chenden Beweisgrund fuͤr ihn, der es anders geſehen zu haben glaubt, zum theoretiſchen, niemals aber das, was andern gefallen hat, zum Grunde eines aͤſthetiſchen Ur - theils dienen koͤnne. Das uns unguͤnſtige Urtheil ande - rer kann uns zwar mit Recht in Anſehung des unſrigen bedenklich machen, niemals aber von der Unrichtigkeit deſſelben uͤberzeugen. Alſo giebt es keinen empiriſchen Beweisgrund, das Geſchmacksurtheil jemanden ab - zunoͤthigen.

Zweytens kann noch weniger ein Beweis a priori nach beſtimmten Regeln das Urtheil uͤber Schoͤnheit be - ſtimmen. Wenn mir jemand ſein Gedicht vorlieſt, oder mich in ein Schauſpiel fuͤhrt, welches am Ende meinem Geſchmacke nicht behagen will, ſo mag er den Batteux oder Leſſing, oder noch aͤltere und beruͤhmtere Critiker des Geſchmacks und alle von ihnen aufgeſtellte Regeln zum Beweiſe anfuͤhren, daß ſein Gedicht ſchoͤn ſey, wenigſtens moͤgen gewiſſe Stellen, die mir eben mis - fallen, mit Regeln der Schoͤnheit (ſo wie ſie dort gegeben und allgemein anerkannt ſind) gar wohl zuſammenſtim - men, ſo ſtopfe ich mir die Ohren zu, mag nach keinen Gruͤn - den und Vernuͤnfteln hoͤren und werde eher annehmen, daß jene Regeln der Critiker falſch ſeyn, oder daß wenig - ſtens hier nicht der Fall ihrer Anwendung ſey, als daß ich mein Urtheil durch Beweisgruͤnde a priori ſollte be -140I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſtimmen laſſen, da es ein Urtheil des Geſchmacks und nicht des Verſtandes oder der Vernunft ſeyn ſoll.

Es ſcheint, daß dieſes eine der Haupturſachen ſey, weswegen man dieſes aͤſthetiſche Beurtheilungsvermoͤgen gerade mit dem Nahmen des Geſchmacks belegt hat. Denn es mag mir jemand alle Jngredienzen eines Ge - richts herzaͤhlen und von jedem bemerken, daß jedes der - ſelben mir ſonſt angenehm ſey und oben ein die Geſund - heit dieſes Eſſens mit Recht ruͤhmen, ſo bin ich gegen alle dieſe Gruͤnde taub, verſuche das Gericht an meiner Zunge und Gaumen, und darnach (nicht nach allgemei - nen Principien) faͤlle ich mein Urtheil.

Jn der That wird das Geſchmacksurtheil durchaus immer als ein einzelnes Urtheil vom Object gefaͤllt. Der Verſtand kann durch die Vergleichung des Objects im Puncte des Wohlgefaͤlligen mit dem Urtheile anderer ein allgemeines Urtheil machen z. B. alle Tulpen ſind ſchoͤn; aber das iſt alsdenn kein Geſchmacks - ſondern ein logi - ſches Urtheil, welches die Beziehung eines Objects auf den Geſchmack zum Praͤdicate der Dinge von einer ge - wiſſen Art uͤberhaupt machte; dasjenige aber, wodurch ich eine einzelne gegebene Tulpe ſchoͤn d. i. mein Wohlge - fallen an derſelben allgemeinguͤltig finde, iſt allein das Geſchmacksurtheil. Deſſen Eigenthuͤmlichkeit beſteht aber darinn: daß, ob es gleich blos ſubjective Guͤltigkeit hat, es dennoch alle Subjecte ſo in Anſpruch nimmt, als es nur immer geſchehen koͤnnte, wenn es ein obje -141I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ctives Urtheil waͤre, was auf Erkenntnisgruͤnden beruht und durch einen Beweis koͤnnte erzwungen werden.

§. 34. Es iſt kein objectives Princip des Geſchmacks moͤglich.

Unter einem Princip des Geſchmacks wuͤrde man einen Grundſatz verſtehen, unter deſſen Bedingung man den Begrif eines Gegenſtandes ſubſumiren und alsdenn durch einen Schlus herausbringen koͤnnte, daß er ſchoͤn ſey. Das iſt aber ſchlechterdings unmoͤglich. Denn ich muß unmittelbar an der Vorſtellung deſſelben die Luſt empfinden und ſie kann mir durch keine Beweisgruͤnde angeſchwatzt werden. Obgleich alſo Critiker, wie Hume ſagt, ſcheinbarer vernuͤnfteln koͤnnen als Koͤche, ſo ha - ben ſie doch mit dieſen einerley Schickſal. Den Beſtim - mungsgrund ihres Urtheils koͤnnen ſie nicht von der Kraft der Beweisgruͤnde, ſondern nur von der Reflexion des Subjects uͤber ſeinen eigenen Zuſtand (der Luſt oder Unluſt,) mit Abweiſung aller Vorſchriften und Regeln, erwarten.

Woruͤber aber Critiker dennoch vernuͤnfteln koͤnnen und ſollen, ſo, daß es zur Berichtigung und Erweite - rung unſerer Geſchmacksurtheile gereiche, das iſt nicht, um den Beſtimmungsgrund dieſer Art aͤſthetiſcher Ur - theile in einer allgemeinen brauchbaren Formel darzule -142I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.gen, welches unmoͤglich iſt, ſondern um uͤber die Er - kenntnisvermoͤgen und deren Geſchaͤfte in dieſen Urthei - len Nachforſchung zu thun und die wechſelſeitige ſubje - ctive Zweckmaͤßigkeit von der oben gezeigt iſt, daß ihre Form in einer gegebenen Vorſtellung die Schoͤnheit des Gegenſtandes derſelben ſey, in Beyſpielen aus einander zu ſetzen. Alſo iſt die Critik des Geſchmacks ſelbſt nur ſubjectiv, in Anſehung der Vorſtellung, wodurch uns ein Object gegeben wird, naͤmlich ſie iſt die Kunſt, oder Wiſſenſchaft, das wechſelſeitige Verhaͤltnis des Verſtan - des und der Einbildungskraft zu einander in der gege - benen Vorſtellung, (ohne Beziehung auf vorhergehende Empfindung, oder Begrif) mithin die Einhelligkeit oder Mishelligkeit derſelben unter Regeln zu bringen und ſie in Anſehung ihrer Bedingungen zu beſtimmen. Sie iſt Kunſt, wenn ſie dieſes nur an Beyſpielen zeigt, ſie iſt Wiſſenſchaft, wenn ſie die Moͤglichkeit einer ſolchen Beurtheilung von der Natur dieſer Vermoͤgen, als Er - kenntnisvermoͤgen uͤberhaupt, ableitet. Mit der letzte - ren, als transſcendentalen Critik, haben wir es hier uͤberall allein zu thun. Sie ſoll das ſubjective Princip des Geſchmacks, als ein Princip a priori der Urtheils - kraft entwickeln und rechtfertigen. Die Critik, als Kunſt, ſucht blos die phyſiologiſche (hier pſychologiſche) mithin empiriſche Regeln, nach denen der Geſchmack wirklich verfaͤhrt, (ohne uͤber ihre Moͤglichkeit nachzu - denken) auf die Beurtheilung ſeiner Gegenſtaͤnde anzu -143I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.wenden und critiſirt die Producte der ſchoͤnen Kunſt, ſo wie jene das Vermoͤgen ſelbſt ſie zu beurtheilen.

§. 35. Das Princip des Geſchmacks iſt das ſubje - ctive Princip der Urtheilskraft uͤberhaupt.

Das Geſchmacksurtheil unterſcheidet ſich darin von dem logiſchen; daß das letztere eine Vorſtellung unter Begriffe vom Object, das erſtere aber gar nicht unter einem Begriffe ſubſumirt, weil ſonſt der nothwendige allgemeine Beyfall durch Beweiſe wuͤrde erzwungen wer - den koͤnnen. Gleichwohl aber iſt es darin dem letztern aͤhnlich, daß es eine Allgemeinheit und Nothwendigkeit, aber nicht nach Begriffen vom Object, folglich eine blos ſubjective vorgiebt. Weil nun die Begriffe in einem Urtheile den Jnhalt derſelben (zum Erkenntnis des Ob - jects gehoͤrige) ausmachen, das Geſchmacksurtheil aber nicht durch Begriffe beſtimmbar iſt, ſo gruͤndet es ſich nur auf der ſubjectiven formalen Bedingung eines Ur - theils uͤberhaupt. Die ſubjective Bedingung aller Ur - theile iſt das Vermoͤgen zn urtheilen ſelbſt, oder die Ur - theilskraft. Dieſe, in Anſehung einer Vorſtellung, da - durch ein Gegenſtand gegeben wird, gebraucht, erfordert zweyer Vorſtellungskraͤfte Zuſammenſtimmung, naͤmlich der Einbildungskraft (fuͤr die Anſchauung und die Zu - ſammenſetzung des Mannigfaltigen derſelben) und den Verſtand (fuͤr den Begrif als Vorſtellung der Einheit144I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.dieſer Zuſammenſetzung). Weil nun dem Urtheile hier kein Begrif vom Objecte zum Grunde liegt, ſo kann es nur in der Subſumtion der Einbildungskraft ſelbſt, bey einer Vorſtellung, dadurch ein Gegenſtand gegeben wird, unter die Bedingungen, daß der Verſtand uͤberhaupt von der Anſchauung zu Begriffen gelangt, beſtehen: d. i. weil eben darin, daß die Einbildungskraft ohne Begrif ſchematiſirt, die Freyheit derſelben beſteht, ſo muß das Geſchmacksurtheil auf einer bloßen Empfin - dung der ſich wechſelſeitig belebenden Einbildungskraft in ihrer Freyheit, und des Verſtandes mit ſeiner Geſetzmaͤßigkeit, alſo auf einem Gefuͤhle beruhen, das den Gegenſtand nach der Zweckmaͤßigkeit der Vor - ſtellung (wodurch ein Gegenſtand gegeben wird) auf die Befoͤrderung des Erkenntnisvermoͤgens in ihrem freyen Spiele beurtheilen laͤßt und der Geſchmack als ſubjective Urtheilskraft enthaͤlt ein Princip der Subſumtion, aber nicht der Anſchauungen unter Begriffe, ſondern des Vermoͤgens der Anſchauungen, oder Darſtellungen (d. i. der Einbildungskraft) unter das Vermoͤgen der Begriffe (d. i. den Verſtand) ſo fern das erſtere in ſei - ner Freyheit zum letzteren in ſeiner Geſetzmaͤßig - keit zuſammen ſtimmt.

Um dieſen Rechtsgrund nun durch eine Deduction der Geſchmacksurtheile ausfindig zu machen, koͤnnen nur die formale Eigenthuͤmlichkeiten dieſer Art Urtheile,mithin145I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.mithin ſo fern an ihnen blos die logiſche Form betrach - tet wird, uns zum Leitfaden dienen.

§. 36. Von der Aufgabe einer Deduction der Geſchmacksurtheile.

Mit der Wahrnehmung eines Gegenſtandes kann unmittelbar der Begrif von einem Objecte uͤberhaupt, von welchem jene die empiriſche Praͤdicate enthaͤlt, zu einem Erkenntnisurtheile verbunden und dadurch ein Erfahrungsurtheil erzeugt werden. Dieſem liegen nun Begriffe a priori von der ſynthetiſchen Einheit des Man - nigfaltigen der Anſchauung, um es als Beſtimmung eines Objects zu denken, zum Grunde und dieſe Begriffe (die Categorien) erfordern eine Deduction, die auch in der Critik d. r. V. gegeben worden, wodurch denn auch die Aufloͤſung der Aufgabe zu Stande kommen konnte: Wie ſind ſynthetiſche Erkenntnisurtheile a priori moͤg - lich? Dieſe Aufgabe betraf alſo die Principien a priori des reinen Verſtandes und ſeiner theoretiſchen Urtheile.

Mit einer Wahrnehmung kann aber auch unmittel - bar ein Gefuͤhl der Luſt (oder Unluſt) und ein Wohlge - fallen verbunden werden, welches die Vorſtellung des Objects begleitet und denſelben ſtatt Praͤdicats dient und ſo ein aͤſthetiſches Urtheil, welches kein Erkenntnisurtheil iſt, entſpringen. Einem ſolchen, wenn es nicht bloßes Empfindungs - ſondern ein formales Reflexions-UrtheilKants Crit. d. Urtheilskr. K146I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.iſt, welches dieſes Wohlgefallen jedermann als nothwen - dig anſinnet, muß etwas als Princip a priori zum Grunde liegen, welches allenfalls ein blos ſubjectives ſeyn mag (wenn ein objectives zu ſolcher Art Urtheile unmoͤglich ſeyn ſollte), aber auch als ein ſolches einer Deduction bedarf um zu begreifen, wie ein aͤſthetiſches Urtheil auf Nothwendigkeit Anſpruch machen koͤnne. Hierauf gruͤndet ſich nun die Aufgabe mit der wir uns jetzt beſchaͤftigen: Wie ſind Geſchmacksurtheile moͤglich? welche Aufgabe alſo die Principien a priori der reinen Urtheilskraft in aͤſthetiſchen Urtheilen betrift, d. i. in ſolchen, wo ſie nicht (wie in den theoretiſchen) unter ob - jectiven Verſtandesbegriffen blos zu ſubſumiren hat und unter einem Geſetze ſteht, ſondern ihr ſelbſt ſubjectiv Gegenſtand ſowohl als Geſetz iſt.

Dieſe Aufgabe kann auch ſo vorgeſtellt werden: Wie iſt ein Urtheil moͤglich, das blos aus dem eigenen Ge - fuͤhl der Luſt an einem Gegenſtande, unabhaͤngig von deſſen Begriffe, dieſe Luſt, als der Vorſtellung deſſelben Objects in jedem andern Subjecte anhaͤngig, a priori d. i. ohne fremde Beyſtimmung abwarten zu duͤrfen, beurtheilte.

Daß Geſchmacksurtheile ſynthetiſche ſind iſt leicht einzuſehen, weil ſie uͤber den Begrif, und ſelbſt die An - ſchauung des Objects, hinausgehen und etwas, was gar nicht einmal Erkenntnis iſt, naͤmlich Gefuͤhl der Luſt (oder Unluſt) zu jener als Praͤdicat hinzuthun. Daß ſie147I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.aber, obgleich das Praͤdikat (der mit der Vorſtellung verbundenen eigenen Luſt) empiriſch iſt, ſie gleichwohl, was die geforderte Beyſtimmung von jedermann betrift, Urtheile a priori ſind, oder dafuͤr gehalten wer - den wollen, iſt gleichfalls ſchon in den Ausdruͤcken ihres Anſpruchs enthalten und ſo gehoͤrt dieſe Aufgabe der Critik der Urtheilskraft unter das allgemeine Problem der Transſcendentalphiloſophie: Wie ſind ſynthetiſche Urtheile a priori moͤglich?

§. 37. Was wird eigentlich in einem Geſchmacks - urtheile von einem Gegenſtande a priori behauptet.

Daß die Vorſtellung von einem Gegenſtande un - mittelbar mit einer Luſt verbunden ſey, kann nur inner - lich wahrgenommen werden und wuͤrde, wenn man nichts weiter als dieſes anzeigen wollte, ein blos empiriſches Urtheil geben. Denn a priori kann ich mit keiner Vor - ſtellung ein beſtimmtes Gefuͤhl (der Luſt oder Unluſt) verbinden, auſſer wo ein den Willen beſtimmendes Prin - cip a priori in der Vernunft zum Grunde liegt, da denn die Luſt (im moraliſchen Gefuͤhl) die Folge davon iſt, eben darum aber mit der Luſt im Geſchmacke gar nicht verglichen werden kann, weil ſie einen beſtimmten Begrif von einem Geſetze erfordert, da hingegen jene unmittel - bar mit der bloßen Beurtheilung vor allem Begriffe ver -K 2148I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.bunden ſeyn ſoll. Daher ſind auch alle Geſchmacksur - theile einzelne Urtheile, weil ſie ihr Praͤdicat des Wohl - gefallens nicht mit einem Begriffe, ſondern mit einer gegebenen einzelnen empiriſchen Vorſtellung verbinden.

Alſo iſt es nicht die Luſt, ſondern die Allgemein - guͤltigkeit dieſer Luſt, die mit der bloßen Beurthei - lung eines Gegenſtandes im Gemuͤthe als verbunden wargenommen wird, welche a priori als allgemeine Re - gel fuͤr die Urtheilskraft, fuͤr jedermann guͤltig, in einem Geſchmacksurtheile vorgeſtellt wird. Es iſt ein empiri - ſches Urtheil, daß ich einen Gegenſtand mit Luſt war - nehme und beurtheile. Es iſt aber ein Urtheil a priori daß ich ihn ſchoͤn finde d. i. jenes Wohlgefallen jeder - mann als nothwendig anſinnen darf.

§. 38. Deduction der Geſchmacksurtheile.

Wenn eingeraͤumt wird: daß in einem reinen Ge - ſchmacksurtheile das Wohlgefallen an dem Gegenſtande mit der bloßen Benrtheilung ſeiner Form verbunden ſey, ſo iſt es nichts anderes, als die ſubjective Zweckmaͤßig - keit derſelben fuͤr die Urtheilskraft, welche wir mit der Vorſtellung des Gegenſtandes im Gemuͤthe verbunden empfinden: Da nun die Urtheilskraft in Anſehung der formalen Regeln der Beurtheilung, ohne alle Materie (weder Sinnenempfindung noch Begrif) nur auf die ſub -149I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.jective Bedingungen des Gebrauchs der Urtheilskraft uͤberhaupt (die weder auf die beſondere Sinnesart, noch einen beſondern Verſtandesbegrif eingeſchraͤnkt iſt) ge - richtet ſeyn kann, folglich auf dasjenige Subjective, welches man in allen Menſchen (als zum moͤglichen Er - kenntniſſe uͤberhaupt erforderlich) vorausſetzen kann: ſo muß die Uebereinſtimmung einer Vorſtellung mit dieſen Bedingungen der Urtheilskraft als fuͤr jedermann guͤltig a priori angenommen werden koͤnnen, d. i. die Luſt oder ſubjective Zweckmaͤßigkeit der Vorſtellung fuͤr das Ver - haͤltnis der Erkenntnisvermoͤgen in der Beurtheilung eines ſinnlichen Gegenſtandes uͤberhaupt, wird jeder - mann mit Recht angeſonnen werden koͤnnen. *)Um berechtigt zu ſeyn auf allgemeine Beyſtimmung zu einem blos auf ſubjectiven Gruͤnden beruhenden Urtheile der aͤſthe - tiſchen Urtheilskraft Anſpruch zu machen iſt genug, daß man einraͤume: 1) Bey allen Menſchen ſeyn die ſubjective Bedingungen dieſes Vermoͤgens, was das Verhaͤltnis der darinn in Thaͤtigkeit geſetzten Erkenntniskraͤfte zu einem Er - kenntnis uͤberhaupt betrift, einerley; welches wahr ſeyn muß, weil ſich ſonſt Menſchen ihre Vorſtellungen und ſelbſt das Erkenntnis nicht mittheilen koͤnnten: 2) Das Urtheil habe blos auf dieſes Verhaͤltnis (mithin die formale Be - dingung der Urtheilskraft) Ruͤckſicht genommen und ſey rein, d. i. weder mit Begriffen vom Object noch Empfin - dungen, als Beſtimmungsgruͤnden, vermengt. Wenn in Anſehung dieſes letztern auch gefehlt worden, ſo betrift das nur die unrichtige Anwendung der Befugnis, die ein Geſetz uns giebt, auf einen beſondern Fall, wodurch die Befugnis uͤberhaupt nicht aufgehoben wird.

K 3150I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Anmerkung.

Dieſe Deduction iſt darum ſo leicht, weil ſie keine ob - jective Realitaͤt eines Begrifs zu rechtfertigen noͤthig hat; denn Schoͤnheit iſt kein Begrif vom Object und das Ge - ſchmacksurtheil iſt kein Erkenntnisurtheil. Es behauptet nur: daß wir berechtigt ſind, dieſelbe ſubjective Bedingun - gen der Urtheilskraft allgemein bey jedem Menſchen voraus zu ſetzen, die wir in uns antreffen und nur noch, daß wir unter dieſe Bedingungen das gegebene Object richtig ſubſu - mirt haben, welches letztere zwar unvermeidliche, der logi - ſchen Urtheilskraft nicht anhaͤngende Schwierigkeiten hat, weil man in dieſer unter Begriffe, in der aͤſthetiſchen aber unter ein blos empfindbares Verhaͤltnis, der an der vorge - ſtellten Form des Objects wechſelſeitig unter einander ſtim - menden Einbildungskraft und des Verſtandes ſubſumirt; wo die Subſumtion leicht truͤgen kann, dadurch aber doch der Rechtmaͤßigkeit des Anſpruchs der Urtheilskraft, auf all - gemeine Beyſtimmung zu rechnen, nichts benommen wird, welcher nur darauf hinaus laͤuft: die Richtigkeit des Prin - cips aus ſubjectiven Gruͤnden fuͤr jedermann guͤltig zu urthei - len; denn was die Schwierigkeit und den Zweifel wegen der Richtigkeit der Subſumtion unter jenes Princip betrift, ſo macht ſie die Rechtmaͤßigkeit des Anſpruchs auf dieſe Guͤltig - keit eines aͤſthetiſchen Urtheils uͤberhaupt, mithin das Prin - cip ſelber, ſo wenig zweifelhaft, als die eben ſo wohl (ob gleich nicht ſo oft und leicht) fehlerhafte Subſumtion der lo - giſchen Urtheilskraft unter ihr Princip das letztere welches objectiv iſt zweifelhaft machen kann. Wuͤrde aber die Frage ſeyn: wie iſt es moͤglich, die Natur auch als einen Jnbegrif von Gegenſtaͤnden des Geſchmacks a priori anzunehmen? ſo hat dieſe Aufgabe Beziehung auf die Teleologie, weil es als Zweck der Natur angeſehen werden muͤßte, der ihrem151I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Begriffe weſentlich anhinge, fuͤr unſere Urtheilskraft zweck - maͤßige Formen aufzuſtellen. Aber die Richtigkeit dieſer Annahme iſt noch ſehr zu bezweifeln, indeſſen daß die Wirk - lichkeit der Naturſchoͤnheiten der Erfahrung blos liegt.

§. 39. Von der Mittheilbarkeit einer Empfindung.

Wenn Empfindung, als das Reale der Wahrneh - mung, auf Erkenntnis bezogen wird, ſo heißt ſie Sin - nenempfindung und das Specifiſche ihrer Qualitaͤt laͤßt ſich nur als durchgaͤngig auf gleiche Art mittheilbar vor - ſtellen, wenn man annimmt, daß jedermann einen glei - chen Sinn mit dem unſrigen habe; dieſes laͤßt ſich aber von einer Sinnesempfindung ſchlechterdings nicht vor - ausſetzen. So kann dem welchem der Sinn des Ge - ruchs fehlt, dieſe Art der Empfindung nicht mitgetheilt werden und, ſelbſt wenn er ihm nicht mangelt, kann man doch nicht ſicher ſeyn, ob er gerade die naͤmliche Empfindung von einer Blume habe, die wir davon ha - ben. Noch mehr unterſchieden muͤſſen wir uns aber die Menſchen in Anſehung der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit durch die Empfindung eben deſſel - beu Gegenſtandes der Sinne vorſtellen und es iſt ſchlech - terdings nicht zu verlangen, daß die Luſt an dergleichen Gegenſtaͤnden, von jedermann zugeſtanden werde. Man kann die Luſt von dieſer Art, weil ſie durch den Sinn ins Gemuͤth kommt und wir dabey alſo paſſiv ſind, die Luſt des Genuſſes nennen.

K 4152I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Das Wohlgefallen an einer Handlung um ihrer moraliſchen Beſchaffenheit willen iſt dagegen keine Luſt des Genuſſes, ſondern der Selbſtthaͤtigkeit und deren Gemaͤsheit mit der Jdee ſeiner Beſtimmung. Dieſes Gefuͤhl, welches das ſittliche heißt, erfordert aber Be - griffe und ſtellt keine freye, ſondern geſetzliche Zweckmaͤ - ßigkeit dar, laͤßt ſich alſo auch nicht anders, als vermit - telſt der Vernunft und, ſoll die Luſt bey jedermann gleichartig ſeyn, durch ſehr beſtimmte practiſche Ver - nunftbegriffe allgemein mittheilen.

Die Luſt am Erhabenen der Natur, als Luſt der vernuͤnftelnden Contemplation, macht zwar auch auf allgemeine Theilnehmung Anſpruch, ſetzt aber doch ſchon ein anderes Gefuͤhl, naͤmlich das ſeiner uͤberſinn - lichen Beſtimmung voraus, welches, ſo dunkel es auch ſeyn mag, eine moraliſche Grundlage hat, worauf aber, daß andere Menſchen Ruͤckſicht nehmen und in der Be - trachtung der rauhen Groͤße der Natur ein Wohlgefallen bringen werden, (welche wahrhaftig dem Anblicke der - ſelben, der eher abſchreckend iſt, nicht zugeſchrieben wer - den kann) ich nicht ſchlechthin vorauszuſetzen berechtigt bin. Dem ungeachtet kann ich doch in Betrachtung deſſen, daß auf jene moraliſche Anlagen bey jeder ſchick - lichen Veranlaſſung Ruͤckſicht genommen werden ſollte, auch jenes Wohlgefallen jedermann anſinnen, aber nur vermittelſt des moraliſchen Geſetzes, welches ſeiner Seits wiederum auf Begriffen der Vernunft gegruͤndet iſt.

153I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Dagegen iſt die Luſt am Schoͤnen weder eine Luſt des Genuſſes, noch einer geſetzlichen Thaͤtigkeit, auch nicht der vernuͤnftelnden Contemplation nach Jdeen, ſondern der bloßen Reflexion und, ohne irgend einen Zweck oder Grundſatz zur Richtſchnur zu haben, beglei - tet ſie die gemeine Auffaſſung eines Gegenſtandes durch die Einbildungskraft, als Vermoͤgen der Anſchauung, in Beziehung auf den Verſtand, als Vermoͤgen der Be - griffe, durch ein Verfahren der Urtheilskraft, welches ſie auch zum Behuf der gemeinſten Erfahrung ausuͤben muß, nur daß ſie es hier, um einen empiriſchen objecti - ven Begrif, dort aber, (in der aͤſthetiſchen Beurthei - lung) nur um die Angemeſſenheit der Vorſtellung zur harmoniſchen (ſubjectiv-zweckmaͤßigen) Beſchaͤftigung beyder Erkenntnisvermoͤgen in ihrer Freyheit warzu - nehmen d. i. ſeinen Vorſtellungszuſtand mit Luſt zu em - pfinden, zu thun iſt. Dieſe Luſt muß nothwendig bey jedermann auf den naͤmlichen Bedingungen beruhen, weil ſie ſubjective Bedingungen der Moͤglichkeit einer Erkenntnis uͤberhaupt ſind und die Proportion dieſer Erkenntnisvermoͤgen, die zum Geſchmack erfordert wird, auch zum gemeinen und geſunden Verſtande erforderlich iſt, den man bey jedermann vorausſetzen darf. Eben darum darf auch der mit Geſchmack urtheilende (wenn er nur in dieſem Bewußtſeyn nicht irrt und die Materie fuͤr die Form, den Reiz fuͤr Schoͤnheit nimmt) die ſub - jective Zweckmaͤßigkeit, d. i. ſein Wohlgefallen am Ob -K 5154I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.jecte, jedem anderen anſinnen und ſein Gefuͤhl als allge - mein mittheilbar, und zwar ohne Vermittelung der Be - griffe, annehmen.

§. 40. Vom Geſchmacke als einer Art von ſenſus communis.

Man giebt oft der Urtheilskraft, wenn nicht ſowohl ihre Reflexion als vielmehr blos das Reſultat derſelben bemerklich iſt, den Nahmen eines Sinnes und redet von einem Wahrheitsſinne, von einem Sinne fuͤr Anſtaͤn - digkeit, Gerechtigkeit u. ſ. w.; ob man zwar weiß, we - nigſtens billig wiſſen ſollte, daß es nicht ein Sinn iſt, in dem dieſe Begriffe ihren Sitz haben koͤnnen, noch we - niger, daß dieſer zu einem Ausſpruche allgemeiner Re - geln die mindeſte Faͤhigkeit habe, ſondern daß uns von Wahrheit, Schicklichkeit, Schoͤnheit, oder Gerechtig - keit nie eine Vorſtellung dieſer Art in Gedanken kommen koͤnnte, wenn wir uns nicht uͤber die Sinne zu hoͤhern Erkenntnisvermoͤgen erheben koͤnnten. Der gemeine Menſchenverſtand, den man, als blos geſunden (noch nicht cultivirten) Verſtand, fuͤr das geringſte an - ſieht, deſſen man nur immer ſich von dem, der auf den Nahmen eines Menſchen Anſpruch macht, gewaͤrtigen kann, hat daher auch die kraͤnkende Ehre mit dem Nah - men des Gemeinſinnes (ſenſus communis) belegt zu wer - den, und ſo, daß man unter dem Worte gemein (nicht155I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.blos in unſerer Sprache, die in dieſem wirklich eine Zweydeutigkeit enthaͤlt, ſondern auch in mancher an - dern) ſo viel als das vulgare, was man allenthalben an - trift, verſteht, welches zu beſitzen ſchlechterdings kein Verdienſt oder Vorzug iſt.

Unter dem ſenſus communis aber muß man die Jdee eines gemeinſchaftlichen Sinnes, d. i. eines Beur - theilungsvermoͤgens verſtehen, welches in ſeiner Reflexion auf die Vorſtellungsart jedes: andern in Gedanken (a priori) Ruͤckſicht nimmt, um gleichſam an die geſammte Men - ſchenvernunft ſein Urtheil zu halten und dadurch der Jl - luſion zu entgehen, die aus ſubjectiven Privatbedingun - gen, die leicht fuͤr objectiv gehalten werden koͤnnten, auf das Urtheil nachtheiligen Einflus haben wuͤrden. Die - ſes geſchieht nun dadurch, daß man ſein Urtheil an an - berer ihre, nicht ſowohl wirkliche als vielmehr blos moͤg - liche, Urtheile haͤlt und ſich in die Stelle jedes anderen verſetzt, indem man blos von den Beſchraͤnkungen, die unſerer eigenen Beurtheilung zufaͤlliger Weiſe anhaͤngen, abſtrahirt, welches wiederum dadurch bewirkt wird, daß man das, was in unſerm Vorſtellungszuſtande Materie d. i. Empfindung iſt, ſo viel moͤglich weglaͤßt und ledig - lich auf die formale Eigenthuͤmlichkeiten ſeiner Vorſtellung, oder ſeines Vorſtellungs-Zuſtandes, Acht hat. Nun ſcheint dieſe Operation der Reflexion vielleicht allzu kuͤnſtlich zu ſeyn, um ſie dem Vermoͤgen, welches wir den gemeinen Sinn nennen, beyzulegen; allein ſie ſieht auch nur ſo156I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.aus, wenn man ſie in abſtracten Formeln ausdruͤckt; an ſich iſt nichts natuͤrlicher, als von Reiz und Ruͤhrung zu abſtrahiren, wenn man ein Urtheil ſucht, welches zur allgemeinen Regel dienen ſoll.

Folgende Maximen des gemeinen Menſchenverſtan - des gehoͤren zwar nicht hieher, als Theile der Geſchmacks - critik, koͤnnen aber doch zur Erlaͤuterung ihrer Grund - ſaͤtze dienen. Es ſind folgende: 1. Selbſtdenken. 2. An der Stelle jedes andern zu denken. 3. Jederzeit mit ſich ſelbſt einſtimmig zu denken. Die erſte iſt die Maxime der vorurtheilfreyen, die zweyte der erweiterten, die dritte der conſequenten Denkungsart. Die erſte iſt die Maxime einer niemals paſſiven Vernunft (der Hang zur letztern, mithin zur Heteronomie der Vernuft, heißt das Vorurtheil, unter welchen das groͤßte iſt, die Natur ſich Regeln, die der Verſtand ihr durch ſein eigenes weſentliches Geſetz zum Grunde legt, als nicht unterworfen vorzuſtellen, d. i. der Aberglaube. Be - freyung vom Aberglauben heißt Aufklaͤrung*)Man ſieht bald, daß Aufklaͤrung zwar in Theſi leicht, in Hypotheſi aber eine ſchwere und langſam auszufuͤhrende Sache ſey; weil mit ſeiner Vernunft nicht paſſiv, ſondern jederzeit ſich ſelbſt geſetzgebend zu ſeyn, zwar etwas ganz leichtes fuͤr den Menſchen iſt, der nur ſeinem weſentlichen Zwecke angemeſſen ſeyn will und das, was uͤber ſeinen Ver - ſtand iſt, nicht zu wiſſen verlangt: aber, da die Beſtre -; weil, obſchon dieſe Benennung auch der Befreyung von Vor - urtheilen uͤberhaupt zukommt, jener doch vorzugsweiſe157I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.(in ſenſu eminenti) ein Vorurtheil genannt zu werden verdient, indem die Blindheit, darin der Aberglaube verſetzt, ja ſie wohl gar als Obliegenheit fordert, das Beduͤrfnis von andern geleitet zu werden, mithin den Zuſtand einer paſſiven Vernunft vorzuͤglich kenntlich macht. Was die zweyte Maxime der Denkungsart be - trift, ſo ſind wir ſonſt wohl gewohnt, denjenigen einge - ſchraͤnkt (bornirt, das Gegentheil vom erweiter - ten) zu nennen, deſſen Talente zu keinem großen Ge - brauche (vornehmlich dem intenſiven) zulangen. Allein hier iſt nicht die Rede von Vermoͤgen des Erkenntniſſes, ſondern von der Denkungsart einen zweckmaͤßigen Ge - brauch davon zu machen, welche, ſo klein auch der Um - fang und der Grad ſey, wohin die Naturgabe des Men - ſchen reicht, dennoch einen Mann von erweiterter Denkungsart anzeigt, wenn er ſich uͤber die ſubjective Privatbedingungen des Urtheils, wozwiſchen ſo viele andere wie eingeklammert ſind, wegſetzen und aus einem allgemeinen Standpuncte (den er dadurch nur be - ſtimmen kann, daß er ſich in den Standpunct anderer verſetzt) uͤber ſein eigen Urtheil reflectirt. Die dritte Maxime naͤmlich die der conſequenten Denkungsart,*)bung zum letzteren kaum zu verhuͤten iſt, und es an andern, die dieſe Wisbegierde befriedigen zu koͤnnen mit viel Zu - verſicht verſprechen, nie fehlen wird, ſo muß das blos Ne - gative (welches die eigentliche Aufklaͤrung ausmacht) in der Denkungsart (zumal der oͤffentlichen) zu erhalten, oder herzuſtellen, ſehr ſchwer ſeyn.158I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.iſt am ſchwerſten zu erreichen und kann auch nur durch die Verbindung beyder erſten und nach einer zur Fertig - keit gewordenen oͤfteren Befolgung derſelben erreicht werden. Man kann ſagen: die erſte dieſer Maximen iſt die des Verſtandes, die zweyte der Urtheilskraft, die dritte der Vernunft.

Jch nehme den durch dieſe Epiſode verlaſſenen Fa - den wieder auf und ſage: daß der Geſchmack mit mehre - rem Rechte ſenſus communis genannt werden koͤnne, als der geſunde Verſtand und die aͤſthetiſche Urtheilskraft eher als die intellectuelle den Nahmen eines gemein - ſchaftlichen Sinnes*)Man koͤnnte den Geſchmack durch ſenſus communis aeſthe - ticus, den gemeinen Menſchenverſtand durch ſenſus com - munis logicus benennen. fuͤhren koͤnne, wenn man ja das Wort Sinn von einer Wirkung der bloßen Reflexion aufs Gemuͤth brauchen will; denn da verſteht man unter Sinn das Gefuͤhl der Luſt. Man koͤnnte ſogar den Ge - ſchmack durch das Beurtheilungsvermoͤgen desjenigen was unſer Gefuͤhl an einer gegebenen Vorſtellung ohne Vermittelung eines Begrifs allgemein mittheilbar macht, definiren.

Die Geſchicklichkeit der Menſchen ſich ihre Gedan - ken mitzutheilen, erfordert auch ein Verhaͤltnis der Ein - bildungskraft und des Verſtandes, um den Begriffen Anſchauungen und dieſem Begriffe zuzugeſellen, die in ein Erkenntnis zuſammenfließen; aber alsdenn iſt die159I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Zuſammenſtimmung beyder Gemuͤthskraͤfte geſetzlich, unter dem Zwange beſtimmter Begriffe. Nur da, wo Einbildungskraft in ihrer Freyheit den Verſtand erweckt und dieſer ohne Begriffe die Einbildungskraft in ein re - gelmaͤßig Spiel ſetzt, da theilt ſich die Vorſtellung, nicht als Gedanke, ſondern als inneres Gefuͤhl, eines zweck - maͤßigen Zuſtandes des Gemuͤths mit.

Der Geſchmack iſt alſo das Vermoͤgen die Mittheil - barkeit der Gefuͤhle, welche mit gegebener Vorſtellung (ohne Vermittelung eines Begrifs) verbunden ſind, a priori zu beurtheilen.

Wenn man annehmen duͤrfte, daß die bloße allge - meine Mittheilbarkeit ſeines Gefuͤhls an ſich ſchon ein Jntereſſe fuͤr uns bey ſich fuͤhren muͤſſe, (welches man aber aus der Beſchaffenheit einer blos reflectirenden Ur - theilskraft zu ſchließen nicht berechtigt iſt) ſo wuͤrde man ſich erklaͤren koͤnnen, woher das Gefuͤhl im Geſchmacks - urtheile gleichſam als Pflicht jedermann zugemuthet werde.

§. 41. Vom empiriſchen Jntereſſe am Schoͤnen.

Daß das Geſchmacksurtheil, wodurch etwas fuͤr ſchoͤn erklaͤrt wird, kein Jntereſſe zum Beſtimmungs - grunde haben muͤſſe, iſt oben hinreichend dargethan worden. Aber daraus folgt nicht, daß ein ſolches, nach - dem es, als reines aͤſthetiſches Urtheil, gegeben wor -160I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.den, damit nicht verbunden werden koͤnne. Dieſe Ver - bindung wird aber immer nur indirect ſeyn koͤnnen, d. i. der Geſchmack muß allererſt mit etwas anderem verbun - den vorgeſtellt werden, um mit dem Wohlgefallen der bloßen Reflexion uͤber einen Gegenſtand, welches noch eine Luſt an der Exiſtenz deſſelben (als worin alles Jntereſſe beſteht) verknuͤpfen zu koͤnnen. Denn es gilt hier im aͤſthetiſchen Urtheile, was im Erkenntnisurtheile (von Dingen uͤberhaupt) geſagt wird, a poſſe ad eſſe non valet conſequentia. Dieſes Andere kann nun etwas Empiriſches ſeyn, naͤmlich eine Neigung, die der menſch - lichen Natur eigen iſt, oder etwas Jntellectuelles, als Eigenſchaft des Willens, a priori durch Vernunft be - ſtimmt werden zu koͤnnen, welche beyde ein Wohlgefallen am Daſeyn eines Objects enthalten und ſo den Grund zu einem Jntereſſe an demjenigen legen koͤnnen, was ſchon fuͤr ſich und ohne Ruͤckſicht auf irgend ein Jntereſſe gefallen hat.

Empiriſch intereſſirt das Schoͤne nur in der Ge - ſellſchaft, und, wenn man den Trieb zur Geſellſchaft als den Menſchen natuͤrlich, die Tauglichkeit aber und den Hang dazu, d. i. die Geſelligkeit zur Erfordernis des Menſchen, als fuͤr die Geſellſchaft beſtimmten Ge - ſchoͤpfs, alſo als zur Humanitaͤt gehoͤrige Eigenſchaft einraͤumt, ſo kann es nicht fehlen, daß man nicht auch den Geſchmack als ein Beurtheilungsvermoͤgen alles deſ - ſen, wodurch man ſogar ſein Gefuͤhl jedem andern mit -thei -161I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.theilen kann, mithin als Befoͤrderungsmittel deſſen, was eines jeden natuͤrliche Neigung verlangt, anſe - hen ſollte.

Fuͤr ſich allein wuͤrde ein verlaſſener Menſch auf ei - ner wuͤſten Jnſel weder ſeine Huͤtte, noch ſich ſelbſt aus - putzen, oder Blumen aufſuchen, noch weniger ſie pflan - zen, um ſich damit auszuſchmuͤcken; ſondern nur in Ge - ſellſchaft kommt es ihm ein, nicht blos Menſch, ſondern auch nach ſeiner Art ein feiner Menſch zu ſeyn (der An - fang der Civiliſirung): denn als einen ſolchen beurtheilt man denjenigen, der ſeine Luſt andern mitzutheilen ge - neigt und geſchickt iſt und den ein Object nicht befriedigt, wenn er das Wohlgefallen an demſelben nicht in Gemein - ſchaft mit andern fuͤhlen kann. Auch erwartet und for - dert ein jeder die Ruͤckſicht auf allgemeine Mittheilung von jedermann, gleichſam als aus einem urſpruͤnglichen Vertrage, der durch die Menſchheit ſelbſt dictirt iſt und ſo werden freylich anfangs nur Reize, z. B. Farben, um ſich zu bemahlen, (Rocou bey den Caraiben und Zinno - ber bey den Jrokeſen) oder Blumen, Muſchelſchaalen, ſchoͤnfarbige Vogelfedern, mit der Zeit aber auch ſchoͤne Formen (als an Canots, Kleidern u. ſ. w.), die gar kein Vergnuͤgen, d. i. Wohlgefallen des Genuſſes bey ſich fuͤhren, in der Geſellſchaft wichtig und mit großem Jntereſſe verbunden, bis endlich die auf den hoͤchſten Punct gekommene Civiliſirung daraus beynahe das Hauptwerk der verfeinerten Neigung macht und Empfin -Rants Crit. d. Urtheilskr. L162I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.dungen nur ſo viel werth gehalten werden, als ſie ſich allgemein mittheilen laſſen, wo denn, wenn gleich die Luſt, die jeder an einem ſolchen Gegenſtande hat, nur unbetraͤchtlich und fuͤr ſich ohne merkliches Jntereſſe iſt, doch die Jdee von ihrer allgemeinen Mittheilbarkeit ih - ren Werth beynahe unendlich vergroͤßert.

Dieſes indirect dem Schoͤnen, durch Neigung zur Geſellſchaft angehaͤngtes, mithin empiriſches, Jntereſſe iſt aber fuͤr uns hier von keiner Wichtigkeit, die wir nur darauf zu ſehen haben, was auf das Geſchmacksurtheil a priori, wenn gleich nur indirect, Beziehung haben mag. Denn, wenn auch in dieſer Form ſich ein damit verbundenes Jntereſſe entdecken ſollte, ſo wuͤrde Ge - ſchmack einen Uebergang unſeres Beurtheilungsvermoͤ - gens von dem Sinnengenuß zum Sittengefuͤhl entdecken und nicht allein, daß man dadurch den Geſchmack zweck - maͤßig zu beſchaͤftigen beſſer geleitet werden wuͤrde, ſo wuͤrde auch ein Mittelglied der Kette, der menſchlichen Vermoͤgen a priori, von denen alle Geſetzgebung abhaͤn - gen muß, als ein ſolches dargeſtellt werden. So viel kann man von dem empiriſchen Jntereſſe an Gegenſtaͤn - den des Geſchmacks und am Geſchmack ſelbſt wohl ſa - gen, daß es, da dieſer der Neigung froͤhnt, obgleich ſie noch ſo verfeinert ſeyn mag, ſich doch auch mit allen Neigungen und Leidenſchaften, die in der Geſellſchaft ihre groͤßte Mannigfaltigkeit und hoͤchſte Stufe errei - chen, gern zuſammenſchmelzen laͤßt und das Jntereſſe163I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.am Schoͤnen, wenn es darauf gegruͤndet iſt, einen nur ſehr zweydeutigen Uebergang vom Angenehmen zum Gu - ten abgeben koͤnne, welcher, ob er nicht etwa doch durch den Geſchmack, wenn er in ſeiner Reinigkeit genommen wird, befoͤrdert werden koͤnne, wir zu unterſuchen Ur - ſache haben.

§. 42. Vom intellectuellen Jntereſſe am Schoͤnen.

Es geſchah in gutmuͤthiger Abſicht, daß diejenigen, welche alle Beſchaͤftigungen der Menſchen, wozu ſie die innere Naturanlage antreibt, gerne auf den letzten Zweck der Menſchheit, naͤmlich das Moraliſch - Gute richten wollten, es fuͤr ein Zeichen eines guten moraliſchen Cha - racters hielten, am Schoͤnen uͤberhaupt ein Jntereſſe zu nehmen. Jhnen iſt aber nicht ohne Grund von andern widerſprochen worden, die ſich auf die Erfahrung beru - fen, daß Virtuoſen des Geſchmacks nicht allein oͤfters, ſondern wohl gar gewoͤhnlich eitel, eigenſinnig und ver - derblichen Leidenſchaften ergeben, vielleicht noch weniger wie andere auf den Vorzug der Anhaͤnglichkeit an ſitt - liche Grundſaͤtze Anſpruch machen koͤnnten und ſo ſcheint es, daß das Gefuͤhl fuͤrs Schoͤne, nicht allein (wie es auch wirklich iſt) vom moraliſchen Gefuͤhl ſpecifiſch un - terſchieden, ſondern auch das Jntereſſe, welches man damit verbinden kann, mit dem moraliſchen ſchwer, kei - nesweges aber durch innere Affinitaͤt, vereinbar ſey.

L 2164I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Jch raͤume nun zwar gerne ein, daß das Jntereſſe am Schoͤnen der Kunſt (wozu ich auch den kuͤnſt - lichen Gebrauch der Naturſchoͤnheiten zum Putze, mithin zur Eitelkeit, rechne) gar keinen Beweis einer dem Mo - raliſchguten anhaͤnglichen, oder auch nur dazu geneig - ten Denkungsart abgebe, dagegen behaupte ich, daß ein unmittelbares Jntereſſe an der Schoͤnheit der Na - tur zu nehmen (nicht blos Geſchmack haben, um ſie zu beurtheilen) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele ſey, wenn dieſes Jntereſſe habituell iſt, wenigſtens eine dem moraliſchen Gefuͤhl guͤnſtige Gemuͤthsſtimmung an - zeige, wenn es ſich mit der Beſchauung der Natur gerne verbindet. Man muß ſich aber wohl erinnern, daß ich hier eigentlich die ſchoͤne Formen der Natur meyne, die Reize dagegen, welche ſie ſo reichlich auch mit jenen zu verbinden pflegt, noch zur Seite ſetze, weil das Jn - tereſſe daran zwar auch unmittelbar, aber doch empi - riſch iſt.

Der, ſo einſam (und ohne Abſicht ſeine Bemerkun - gen andern mittheilen zu wollen) die ſchoͤne Geſtalt einer wilden Blume, eines Vogels, eines Jnſects u. ſ. w. be - trachtet, um ſie zu bewundern, zu lieben und ſie nicht gerne in der Natur uͤberhaupt vermiſſen zu wollen, ob ihm gleich dadurch einiger Schaden geſchaͤhe, vielweni - ger ein Nutzen daraus fuͤr ihn hervorleuchtete, nimmt ein unmittelbares und zwar intellectuelles Jntereſſe an der Schoͤnheit der Natur, d. i. nicht allein ihr Product165I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.der Form nach, ſondern auch das Daſeyn deſſelben ge - faͤllt, ohne daß ein Sinnenreiz daran Antheil haͤtte, oder er auch irgend einen Zweck damit verbaͤnde.

Es iſt aber hiebey merkwuͤrdig, daß, wenn man dieſem Liebhaber des Schoͤnen in geheim hintergangen haͤtte und kuͤnſtliche Blumen (die man den natuͤrlichen ganz aͤhnlich verfertigen kann) in die Erde geſteckt, oder kuͤnſtlich geſchnitzte Voͤgel auf Zweige von Baͤumen ge - ſetzt haͤtte und er darauf den Betrug entdeckte, das un - mittelbare Jntereſſe was er vorher daran nahm, alsbald verſchwinden, vielleicht aber ein anderes, naͤmlich das Jntereſſe der Eitelkeit ſein Zimmer fuͤr fremde Augen da - mit auszuſchmuͤcken, an deſſen Stelle ſich einfinden wuͤrde. Daß die Natur jene Schoͤnheit hervorgebracht hat: die - ſer Gedanke muß die Anſchauung und Reflexion beglei - ten und auf dieſem gruͤndet ſich allein das unmittelbare Jntereſſe, was man daran nimmt, ſonſt bleibt entweder ein bloßes Geſchmacksurtheil, ohne alles Jntereſſe, oder nur mit einem mittelbaren naͤmlich auf die Geſellſchaft bezogenen verbunden uͤbrig, welches letztere keine ſichere Anzeige auf moraliſch - gute Denkungsart abgiebt.

Dieſer Vorzug der Naturſchoͤnheit vor der Kunſt - ſchoͤnheit, wenn jene gleich durch dieſe der Form nach ſo - gar uͤbertroffen wuͤrde, dennoch an jener allein ein un - mittelbares Jntereſſe zu nehmen, ſtimmt mit der gelaͤu - terten und gruͤndlichen Denkungsart aller Menſchen uͤberein, die ihr ſittliches Gefuͤhl cultivirt haben. WennL 3166I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ein Mann, der Geſchmack genug hat uͤber Producte der ſchoͤnen Kunſt mit der groͤßten Richtigkeit und Feinheit zu urtheilen, das Zimmer gern verlaͤßt, in welchem jene, die Eitelkeit und allenfalls geſellſchaftliche Freuden unterhaltende, Schoͤnheiten anzutreffen ſind, und ſich zum Schoͤnen der Natur wendet, um hier gleichſam Wol - luſt fuͤr ſeinen Geiſt in einem Gedankengange zu finden, den er ſich nie voͤllig entwickeln kann, ſo werden wir dieſe ſeine Wahl ſelber mit Hochachtung betrachten und in ihm eine ſchoͤne Seele vorausſetzen, auf die kein Kunſtkenner und Liebhaber, um des Jntereſſe willen, das er an ſeinen Gegenſtaͤnden nimmt, Anſpruch machen kann. Was iſt nun der Unterſchied der ſo verſchiedenen Schaͤtzung zweyerley Objecte, die im Urtheile des bloßen Geſchmacks einander kaum den Vorzug ſtreitig machen wuͤrden?

Wir haben ein Vermoͤgen der blos aͤſthetiſchen Ur - theilskraft, ohne Begriffe uͤber Formen zu urtheilen, und an der bloßen Beurtheilung derſelben ein Wohlge - fallen zu finden, welches wir zugleich jedermann zur Re - gel machen, ohne daß dieſes Urtheil ſich auf einem Jn - tereſſe gruͤndet, noch ein ſolches hervorbringt. An - dererſeits haben wir auch ein Vermoͤgen einer intelle - ctuellen Urtheilskraft fuͤr bloße Formen practiſcher Ma - ximen (ſofern ſie ſich zur allgemeinen Geſetzgebung von ſelbſt qualificiren) ein Wohlgefallen a priori zu beſtim - men, welches wir jedermann zum Geſetze machen, ohne daß unſer Urtheil ſich auf irgend einem Jntereſſe gruͤndet,167I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.aber doch ein ſolches hervorbringt. Die Luſt oder Unluſt im erſteren Urtheile heißt die des Geſchmacks, die zweyte des moraliſchen Gefuͤhls.

Da es aber die Vernunft auch intereſſirt, daß die Jdeen (fuͤr die ſie im moraliſchen Gefuͤhle ein unmittel - bares Jntereſſe bewirkt) auch objective Realitaͤt haben, d. i. daß die Natur wenigſtens eine Spuhr zeige, oder einen Wink gebe, ſie enthalte in ſich irgend einen Grund eine geſetzmaͤßige Uebereinſtimmung ihrer Producte zu unſerm von allem Jntereſſe unabhaͤngigen Wohlgefallen (welches wir a priori fuͤr jedermann als Geſetz erkennen, ohne dieſes auf Beweiſen gruͤnden zu koͤnnen) anzuneh - men: ſo muß die Vernunft an jeder Aeußerung der Na - tur von einer dieſer aͤhnlichen Uebereinſtimmung ein Jn - tereſſe nehmen; folglich kann das Gemuͤth uͤber die Schoͤnheit der Natur nicht nachdenken, ohne ſich da - bey zugleich intereſſirt zu finden. Dieſes Jntereſſe aber iſt der Verwandſchaft nach moraliſch und der, ſo es am Schoͤnen der Natur nimmt, kann es nur ſofern an dem - ſelben nehmen, als er vorher ſchon ſein Jntereſſe am Sittlichguten wohlgegruͤndet hat. Wen alſo die Schoͤn - heit der Natur unmittelbar intereſſirt, bey dem hat man Urſache wenigſtens eine Anlage zu guter moraliſchen Ge - ſinnung zu vermuthen.

Man wird ſagen: dieſe Deutung aͤſthetiſcher Ur - theile auf Verwandſchaft mit dem moraliſchen Gefuͤhl ſehe gar zu ſtudirt aus, um ſie fuͤr die wahre AuslegungL 4168I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.der Chiffernſchrift zu halten, wodurch die Natur in ih - ren ſchoͤnen Formen figuͤrlich zu uns ſpricht. Allein erſt - lich iſt dieſes unmittelbare Jntereſſe am Schoͤnen der Na - tur wirklich nicht gemein, ſondern nur denen eigen, de - ren Denkungsart entweder zum Guten ſchon ausgebildet iſt, oder dieſer Ausbildung vorzuͤglich empfaͤnglich iſt und dann fuͤhrt die Analogie zwiſchen dem reinen Ge - ſchmacksurtheile, welches, ohne von irgend einem Jn - tereſſe abzuhaͤngen, ein Wohlgefallen fuͤhlen laͤßt, und es zugleich a priori als der Menſchheit uͤberhaupt anſtaͤn - dig vorſtellt, mit dem moraliſchen Urtheile, welches eben daſſelbe aus Begriffen thut, auch ohne deutliches, ſub - tiles und vorſetzliches Nachdenken, auf ein gleichmaͤßi - ges unmittelbares Jntereſſe an dem Gegenſtande des er - ſteren, ſo wie an dem des letzteren; nur daß jenes ein freyes, dieſes ein auf objective Geſetze gegruͤndetes Jn - tereſſe iſt. Dazu kommt noch die Bewunderung der Na - tur, die ſich an ihren ſchoͤnen Producten als Kunſt, nicht blos durch Zufall, ſondern gleichſam abſichtlich, nach geſetzmaͤßiger Anordnung und als Zweckmaͤßigkeit ohne Zweck, zeigt, welchen letzteren, da wir ihn aͤußerlich nirgend antreffen, wir natuͤrlicher Weiſe in uns ſelbſt und zwar demjenigen was den letzten Zweck unſeres Da - ſeyns ausmacht, naͤmlich der moraliſchen Beſtimmung ſuchen (von welcher Nachfrage nach dem Grunde der Moͤglichkeit einer ſolchen Naturzweckmaͤßigkeit aber aller - erſt in der Teleologie die Rede ſeyn wird).

169I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Daß das Wohlgefallen an der ſchoͤnen Kunſt im rei - nen Geſchmacksurtheile nicht eben ſo mit einem unmittel - baren Jntereſſe verbunden iſt, als das an der ſchoͤnen Natur, iſt auch leicht zu erklaͤren. Denn jene iſt ent - weder eine ſolche Nachahmung von dieſer, die bis zur Taͤuſchung geht und alsdenn thut ſie die Wirkung als (dafuͤr gehaltene) Naturſchoͤnheit; oder ſie iſt eine ab - ſichtlich auf unſer Wohlgefallen ſichtbarlich gerichtete Kunſt; alsdenn aber wuͤrde das Wohlgefallen an dieſem Producte zwar unmittelbar durch Geſchmack ſtatt finden, aber kein anderes als mittelbares Jntereſſe an der zum Grunde liegenden Urſache, naͤmlich einer Kunſt, welche nur durch ihren Zweck, niemals an ſich ſelbſt intereſſiren kann. Man wird vielleicht ſagen, daß dieſes auch der Fall ſey, wenn ein Object der Natur durch ſeine Schoͤn - heit nur ſofern intereſſirt als ihr eine moraliſche Jdee beygeſellet wird: aber nicht dieſes, ſondern die Beſchaf - fenheit derſelben an ſich ſelbſt, daß ſie ſich zu einer ſol - chen Beygeſellung qualificirt, die ihr alſo innerlich zu - kommt, intereſſirt unmittelbar.

Die Reize in der ſchoͤnen Natur, welche ſo haͤufig mit der ſchoͤnen Form gleichſam zuſammenſchmelzend an - getroffen werden, ſind entweder zu den Modificationen des Lichts (in der Farbengebung) oder des Schalles (in Toͤnen) gehoͤrig. Denn dieſe ſind die einzigen Em - pfindungen, welche nicht blos Sinnengefuͤhl, ſondern auch Reflexion uͤber die Form dieſer Modificationen derL 5170I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Sinne verſtatten und ſo gleichſam eine Sprache, die die Natur zu uns fuͤhrt und die einen hoͤhern Sinn zu ha - ben ſcheint, in ſich enthalten. So ſcheint die weiſſe Farbe der Lilie das Gemuͤth zu Jdeen der Unſchuld und nach der Ordnung der ſieben Farben, von der rothen an bis zur violetten, 1) zur Jdee der Erhabenheit, 2) der Kuͤhn - heit, 3) der Freymuͤthigkeit, 4) der Freundlichkeit, 5) der Beſcheidenheit, 6) der Standhaftigkeit und 7) der Zaͤrtlichkeit zu ſtimmen. Der Geſang der Voͤgel verkuͤn - digt Froͤlichkeit und Zufriedenheit mit ſeiner Exiſtenz. Wenigſtens ſo deuten wir die Natur aus, es mag der - gleichen ihre Abſicht ſeyn oder nicht. Aber dieſes Jn - tereſſe, welches wir hier an Schoͤnheit nehmen, bedarf durchaus, daß es Schoͤnheit der Natur ſey und es ver - ſchwindet ganz ſobald man bemerkt, man ſey getaͤuſcht und es ſey nur Kunſt, ſogar, daß auch der Geſchmack alsdenn nichts Schoͤnes, oder das Geſicht etwas Rei - zendes mehr daran finden kann. Was wird von Dich - tern hoͤher geprieſen als der bezaubernd ſchoͤne Schlag der Nachtigall, in einſamen Gebuͤſchen, an einem ſtillen Sommerabende, bey dem ſanften Lichte des Mondes? Jndeſſen hat man Beyſpiele, daß, wo kein ſolcher Saͤn - ger angetroffen wird, irgend ein luſtiger Wirth ſeine zum Genuß der Landluft bey ihm eingekehrten Gaͤſte da - durch zu ihrer groͤßten Zufriedenheit hintergangen hat, daß er einen muthwilligen Burſchen, welcher dieſen Schlag (mit Schilf oder Rohr im Munde) ganz der171I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Natur aͤhnlich nachzumachen wußte, in einem Gebuͤſche verbarg. Sobald man aber inne wird, daß es Betrug ſey, ſo wird niemand es lange aushalten, dieſem vorher fuͤr ſo reizend gehaltenen Geſange zuzuhoͤren; und ſo iſt es mit jedem anderen Singvogel beſchaffen. Es muß Natur ſeyn, oder von uns dafuͤr gehalten werden, da - mit wir am Schoͤnen als einem ſolchen ein unmittelbares Jntereſſe nehmen koͤnnen, noch mehr aber, wenn wir gar andern zumuthen duͤrfen, daß ſie es daran nehmen ſollten, welches in der That geſchieht, indem wir die Denkungsart derer fuͤr grob und unedel halten, die kein Gefuͤhl fuͤr die ſchoͤne Natur haben (denn ſo nennen wir die Empfaͤnglichkeit eines Jntereſſe an ihrer Betrach - tung) und ſich bey der Mahlzeit oder der Bouteille am Genuſſe bloßer Sinnesempfindungen halten.

§. 43. Von der Kunſt uͤberhaupt.

1) Kunſt wird von der Natur, wie Thun (fa - cere) vom Handeln, oder Wirken, uͤberhaupt (agere) und das Product, oder die Folge der erſtern, als Werk (opus) von der letztern als Wirkung (effectus) un - terſchieden.

Von rechtswegen ſollte man nur die Hervorbrin - gung durch Freyheit, d. i. durch eine Willkuͤhr, die ih - ren Handlungen Vernunft zum Grunde legt, Kunſt nen - nen. Denn, ob man gleich das Product der Bienen172I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.(die regelmaͤßig gebauete Wachsſcheiben) ein Kunſtwerk zu nennen beliebt, ſo geſchieht dieſes doch nur wegen der Analogie mit der letzteren; ſobald man ſich naͤmlich be - ſinnt, daß ſie ihre Arbeit auf keine eigene Vernunftuͤber - legung gruͤnden, ſo ſagt man alsbald, es iſt ein Product ihrer Natur (des Jnſtincts) und als Kunſt wird es nur ihrem Schoͤpfer zugeſchrieben.

Wenn man bey Durchſuchung eines Moorbruches, wie es bisweilen geſchehen iſt, ein Stuͤck behauenes Holz antrift, ſo ſagt man nicht, es iſt ein Product der Na - tur, ſondern der Kunſt; die hervorbringende Urſache derſelben hat ſich einen Zweck gedacht, dem dieſes ſeine Form zu danken hat. Sonſt ſieht man wohl auch an allem eine Kunſt, was ſo beſchaffen iſt, daß eine Vor - ſtellung deſſelben in ihrer Urſache vor ihrer Wirklichkeit vorhergegangen ſeyn muß (wie ſelbſt bey Bienen), ohne daß doch die Wirkung von ihr eben gedacht ſeyn duͤrfe; wenn man aber etwas ſchlechthin ein Kunſtwerk nennt, um es von einer Naturwirkung zu unterſcheiden, ſo ver - ſteht man allemal darunter ein Werk der Menſchen.

2) Kunſt als Geſchicklichkeit des Menſchen wird auch von der Wiſſenſchaft unterſchieden (Koͤnnen vom Wiſſen), als practiſches vom theoretiſchen Ver - moͤgen, als Technik von der Theorie (wie die Feldmeß - kunſt von der Geometrie). Und da wird auch das, was man kann, ſobald man nur weiß, was gethan wer - den ſoll und alſo nur die begehrte Wirkung genugſam173I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.kennt, nicht eben Kunſt genannt. Nur das, was, wenn man es auch auf das vollſtaͤndigſte kennt, dennoch dar - um zu machen noch nicht ſofort die Geſchicklichkeit hat, gehoͤrt in ſo weit zur Kunſt. Camper beſchreibt ſehr genau, wie der beſte Schuh beſchaffen ſeyn muͤßte, aber er konnte gewiß keinen machen*)Jn meinen Gegenden ſagt der gemeine Mann, wenn man ihm etwa eine ſolche Aufgabe vorlegt, wie Columbus mit ſeinem Ey: das iſt keine Kunſt, es iſt nur eine Wiſſen - ſchaft: d. i. wenn man es weiß, ſo kann man es, und eben dieſes ſagt er von allen vergeblichen Kuͤnſten des Ta - ſchenſpielers. Die des Seiltaͤnzers dagegen wird er gar nicht in Abrede ſeyn Kunſt zu nennen..

3) Wird auch Kunſt vom Handwerke unterſchie - den, die erſte heißt freye, die andere kann auch Lohn - kunſt heiſſen. Man ſieht die erſte ſo an, als ob ſie nur als Spiel d. i. als Beſchaͤftigung, die fuͤr ſich ſelbſt ange - nehm iſt, zweckmaͤßig ausfallen (gelingen) koͤnne, die zweyte ſo, daß ſie als Arbeit, d. i Beſchaͤftigung, die fuͤr ſich ſelbſt unangenehm (beſchwerlich) und nur durch ihre Wirkung (z. B. den Lohn) anlockend iſt, mithin zwangsmaͤßig auferlegt werden kann. Ob in der Rang - liſte der Zuͤnfte Uhrmacher fuͤr Kuͤnſtler, dagegen Schmiede fuͤr Handwerker gelten ſollen, das bedarf ei - nes andern Geſichtspuncts der[Beurtheilung], als der - jenige iſt, den wir hier nehmen, naͤmlich die Proportion der Talente die dem einen oder anderen dieſer Geſchaͤfte zum Grunde liegen muͤſſen: Ob auch unter den ſoge -174I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.nannten ſieben freyen Kuͤnſten nicht einige, die den Wiſſenſchaften beyzuzaͤhlen, manche auch die mit Hand - werken zu vergleichen ſind, aufgefuͤhrt worden ſeyn moͤch - ten, davon will ich hier nicht reden. Daß aber in allen freyen Kuͤnſten dennoch etwas zwangsmaͤßiges, oder, wie man es nennt, ein Mechanismus erforderlich ſey, ohne welchen der Geiſt, der in der Kunſt frey ſeyn muß und allein das Werk belebt; gar keinen Koͤrper ha - ben und gaͤnzlich verdunſten wuͤrde, iſt nicht unrathſam zu erinnern (z. B. in der Dichtkunſt, die Sprachrichtig - keit und Sprachreichthum, imgleichen die Proſodie und das Sylbenmaas) da manche neuere Erzieher eine freye Kunſt am beſten zu befoͤrdern glauben, wenn ſie allen Zwang von ihr wegnehmen und ſie aus Arbeit in bloßes Spiel verwandeln.

§. 44. Von der ſchoͤnen Kunſt.

Es giebt weder eine Wiſſenſchaft des Schoͤnen, ſon - dern nur Critik, noch ſchoͤne Wiſſenſchaft, ſondern nur ſchoͤne Kunſt. Denn was die erſtere betrift, ſo wuͤrde in ihr wiſſenſchaftlich, d. i. durch Beweisgruͤnde ausge - macht werden ſollen, ob etwas fuͤr ſchoͤn zu halten ſey oder nicht; das Urtheil uͤber Schoͤnheit wuͤrde alſo, wenn es zur Wiſſenſchaft gehoͤrte kein Geſchmacksurtheil ſeyn. Was das zweyte anlangt, ſo iſt eine Wiſſenſchaft, die, als ſolche, ſchoͤn ſeyn ſoll, ein Unding. Denn, wenn175I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.man in ihr als Wiſſenſchaft nach Gruͤnden und Bewei - ſen fruͤge, ſo wuͤrde man uns durch geſchmackvolle Aus - ſpruͤche (Bon Mots) abfertigen. Was den gewoͤhnli - chen Ausdruck, ſchoͤne Wiſſenſchaften veranlaßt hat, iſt ohne Zweifel nichts anders, als daß man ganz richtig bemerkt hat, es werde zur ſchoͤnen Kunſt in ihrer ganzen Vollkommenheit viel Wiſſenſchaft, als z. B. Kenntnis alter Sprachen, Beleſenheit der Autoren, die fuͤr Claſſiker gelten, Geſchichte, Kenntnis der Alterthuͤ - mer u. ſ. w. erfodert und, um daher dieſe hiſtoriſche Wiſſenſchaften weil ſie zur ſchoͤnen Kunſt die nothwendige Vorbereitung und Grundlage ausmachen, zum Theil auch weil darunter ſelbſt die Kenntnis der Producte der ſchoͤnen Kunſt (Beredſamkeit und Dichtkunſt) begriffen worden, durch eine Wortverwechſelung, ſelbſt ſchoͤne Wiſſenſchaften genannt hat.

Wenn die Kunſt, dem Erkenntniſſe eines moͤg - lichen Gegenſtandes angemeſſen, blos ihn wirklich zu zu machen die dazu erforderliche Handlungen verrichtet, ſo iſt fie mechaniſche, hat ſie aber das Gefuͤhl der Luſt zur unmittelbaren Abſicht, ſo heißt ſie aͤſthetiſche Kunſt. Dieſe iſt entweder angenehme oder ſchoͤne Kunſt. Das erſte iſt ſie, wenn der Zweck derſelben iſt; daß die Luſt die Vorſtellungen als bloße Empfindun - gen, das zweyte, daß ſie dieſelbe als Erkenntnisar - ten begleite.

176I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Angenehme Kuͤnſte ſind die, welche blos zum Ge - nuſſe abgezweckt werden, dergleichen alle die Reitze ſind, welche die Geſellſchaft an einer Tafel vergnuͤgen koͤnnen: als unterhaltend zu erzaͤhlen, die Geſellſchaft in frey - muͤthige und lebhafte Geſpraͤchigkeit zu verſetzen, durch Scherz und Lachen ſie zu einem gewiſſen Tone der Luſtig - keit zu ſtimmen, wo, wie man ſagt, manches ins Gelag hinein geſchwatzt werden kann und niemand uͤber das, was er ſpricht, verantwortlich ſeyn will, weil es nur auf die augenblickliche Unterhaltung nicht auf einen blei - benden Stoff zum Nachdenken oder Nachſagen angelegt iſt. (Hiezu gehoͤrt denn auch die Art, wie der Tiſch zum Genuſſe ausgeruͤſtet iſt, oder wohl gar bey großen Gela - gen die Tafelmuſik, ein wunderlich Ding, welches nur als ein angenehmes Geraͤuſch die Stimmung der Ge - muͤther zur Froͤhlichkeit unterhalten ſoll und, ohne daß jemand auf die Compoſition derſelben die mindeſte Auf - merkſamkeit verwendet, die freye Geſpraͤchigkeit eines Nachbars mit dem andern beguͤnſtigt.) Dazu gehoͤren ferner alle Spiele, die weiter kein Jntereſſe bey ſich fuͤh - ren, als die Zeit unvermerkt verlaufen zu machen.

Schoͤne Kunſt dagegen iſt eine Vorſtellungsart, die fuͤr ſich ſelbſt zweckmaͤßig iſt und obgleich ohne Zweck, dennoch die Cultur der Gemuͤthskraͤfte zur geſelligen Mittheilung befoͤrdert.

Die allgemeine Mittheilbarkeit einer Luſt fuͤhrt es ſchon in ihrem Begriffe mit ſich, daß dieſe nicht eine Luſtdes177I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.des Genuſſes, aus bloßer Empfindung, ſondern der Re - flexion ſeyn muͤſſe und ſo iſt aͤſthetiſche Kunſt, als ſchoͤne Kunſt, eine ſolche, die die reflectirende Urtheilskraft und nicht die Sinnenempfindung zum Richtmaaße hat.

§. 45. Schoͤne Kunſt iſt eine Kunſt ſo fern ſie zugleich Natur zu ſeyn ſcheint.

An einem Producte der ſchoͤnen Kunſt muß man ſich bewußt werden, daß es Kunſt ſey und nicht Natur, aber doch muß die Zweckmaͤßigkeit in der Form deſſelben von allem Zwange willkuͤhrlicher Regeln ſo frey ſcheinen, als ob es ein Product der bloßen Natur ſey. Auf dieſem Gefuͤhle der Freyheit im Spiele unſerer Erkenntnisver - moͤgen, welches doch zugleich zweckmaͤßig ſeyn muß, be - ruht diejenige Luſt, welche allein allgemein mittheilbar iſt, ohne ſich doch auf Begriffe zu gruͤnden. Die Na - tur war ſchoͤn, wenn ſie zugleich als Kunſt ausſahe und die Kunſt kann nur ſchoͤn genannt werden, wenn wir uns bewußt ſind, ſie ſey Kunſt und ſie uns doch als Na - tur ausſieht.

Denn wir koͤnnen allgemein ſagen, es mag die Na - tur - oder die Kunſtſchoͤnheit betreffen, ſchoͤn iſt das, was in der bloßen Beurtheilung (nicht in der Sinnenempfindung noch durch einen Begrif) gefaͤllt. Nun hat Kunſt jederzeit eine beſtimmte Abſicht etwas hervorzubringen. Wenn dieſes aber bloße EmpfindungKants Crit. d. Urtheilskr. M178I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.(etwas blos ſubjectives) waͤre, die mit Luſt begleitet ſeyn ſollte, ſo wuͤrde dies Product, in der Beurtheilung, nur vermittelſt des Sinnengefuͤhls gefallen. Waͤre die Ab - ſicht auf die Hervorbringung eines beſtimmten Objects gerichtet, ſo wuͤrde, wenn ſie durch die Kunſt erreicht wird, das Object nur durch Begriffe gefallen. Jn bey - den Faͤllen aber wuͤrde die Kunſt nicht in der bloßen Beurtheilung d. i. nicht als ſchoͤne, ſondern mechani - ſche Kunſt gefallen.

Alſo muß die Zweckmaͤßigkeit im Producte der ſchoͤ - nen Kunſt ob ſie zwar abſichtlich iſt, doch nicht abſichtlich ſcheinen, d. i. ſchoͤne Kunſt muß als Natur anzuſehen ſeyn; ob man ſich ihrer zwar als Kunſt bewußt iſt. Als Natur aber erſcheint ein Product der Kunſt dadurch, daß zwar alle Puͤnctlichkeit in der Uebereinkunft mit Re - geln, nach denen allen das Product das werden kann, was es ſeyn ſoll, angetroffen wird, aber ohne Pein - lichkeit, d. i. ohne eine Spuhr zu zeigen, daß die Re - gel dem Kuͤnſtler vor Augen geſchwebt und ſeinen Ge - muͤthskraͤften Feſſeln angelegt habe.

§. 46. Schoͤne Kunſt iſt Kunſt des Genie’s.

Genie iſt das Talent (Naturgabe), welches der Kunſt die Regel giebt. Da das Talent, als angebohr - nes productives Vermoͤgen des Kuͤnſtlers, ſelbſt zur Na - tur gehoͤrt, ſo koͤnnte man ſich auch ſo ausdruͤcken:179I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Genie iſt die angebohrne Gemuͤthsanlage (ingenium) durch welche die Natur der Kunſt die Regel giebt.

Was es auch mit dieſer Definition fuͤr eine Be - wandnis habe und ob ſie blos willkuͤhrlich, oder dem Begriffe, welchen man mit dem Worte Genie zu ver - binden gewohnt iſt, angemeſſen ſey, oder nicht (welches in dem folgenden §. eroͤrtert werden ſoll), ſo kann man doch ſchon zum Voraus beweiſen, daß, nach der hier angenommenen Bedeutung des Worts, ſchoͤne Kuͤnſte nothwendig als Kuͤnſte des Genie’s betrachtet werden muͤſſen.

Denn eine jede Kunſt ſetzt Regeln voraus, durch deren Grundlegung allererſt ein Product, wenn es kuͤnſt - lich heiſſen ſoll, als moͤglich vorgeſtellt wird. Der Be - griff der ſchoͤnen Kunſt aber verſtattet nicht, daß das Urtheil uͤber die Schoͤnheit ihres Products von irgend einer Regel abgeleitet werde, die einen Begrif zum Be - ſtimmungsgrunde habe, mithin ohne einen Begrif von der Art, wie es moͤglich ſey, zum Grunde zu legen. Alſo kann die ſchoͤne Kunſt ſich ſelbſt nicht die Regel aus - denken, nach der ſie ihr Product zu Stande bringen ſoll. Da nun gleichwohl ohne vorhergehende Regel ein Pro - duct niemals Kunſt heißen kann, ſo muß die Natur im Subjecte (und durch die Stimmung der Vermoͤgen deſſel - ben) der Kunſt die Regel geben, d. i. die ſchoͤne Kunſt iſt nur als Product des Genie’s moͤglich.

M 2180I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Man ſieht hieraus, daß Genie 1) Ein Talent ſey, dasjenige, wozu ſich keine beſtimmte Regel geben laͤßt, hervorzubringen, nicht Geſchicklichkeitsanlage zu dem, was nach irgend einer Regel gelernt werden kann, folg - lich daß Originalitaͤt ſeine erſte Eigenſchaft ſeyn muͤſſe. 2) Daß, da es auch originalen Unſinn geben kann, ſeine Producte zugleich, Muſter d. i. exemplariſch ſeyn muͤſſen, mithin ſelbſt nicht durch Nachahmung entſprungen, an - deren doch dazu, d. i. zum Richtmaaße oder Regel der Beurtheilung, dienen muͤſſen: 3) daß es, wie es ſein Product zu Stande bringe ſelbſt nicht wiſſenſchaftlich an - zeigen koͤnne, ſondern daß es als Natur die Regel ge - be, und daher der Urheber eines Products, welches er ſeinem Genie verdankt, ſelbſt nicht weiß, wie ſich in ihm die Jdeen dazu herbey finden, auch es nicht in ſeiner Ge - walt hat, dergleichen nach Belieben oder planmaͤßig aus - zudenken und anderen in Vorſchriften mitzutheilen, die ſie in den Stand ſetzen, gleichmaͤßige Producte hervorzubrin - gen (daher denn auch vermuthlich das Wort Genie von genius, dem eigenthuͤmlichen einem Menſchen bey der Geburt mitgegebenen ſchuͤtzenden und leitenden Geiſt, von deſſen Eingebung jene originale Jdeen herruͤhreten, abgeleitet iſt). 4) Daß die Natur durch das Genie nicht der Wiſſenſchaft, ſondern der Kunſt die Regel vor - ſchreibe und dieſes auch nur ſo fern ſie ſchoͤne Kunſt ſeyn ſoll.

181I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

§. 47. Erlaͤuterung und Beſtaͤtigung obiger Erklaͤrung vom Genie.

Darinn iſt jedermann einig, daß Genie dem Nach - ahmungsgeiſte gaͤnzlich entgegen zu ſetzen ſey. Da nun Lernen nichts als Nachahmen iſt, ſo kann die groͤßte Faͤhigkeit, Gelehrigkeit (Capacitaͤt) als Gelehrigkeit doch nicht fuͤr Genie gelteu. Wenn man aber auch ſelbſt denkt oder dichtet und nicht blos was andere gedacht ha - ben auffaßt, ja ſogar fuͤr Kunſt und Wiſſenſchaft man - ches erfindet, ſo iſt doch dieſes auch noch nicht der rechte Grund um einen ſolchen (oftmals großen) Kopf (im Gegenſatze mit dem, der, weil er niemals was mehr als blos lernen und nachahmen kann, ein Pinſel heißt) ein Genie zu nennen: weil eben das auch haͤtte koͤnnen gelernet werden, alſo doch auf dem natuͤrlichen Wege des Forſchens und Nachdenkens nach Regeln liegt und von dem, was durch Fleis vermittelſt der Nachahmung erworben werden kann, nicht ſpecifiſch unterſchieden iſt. So kann man alles was Newton in ſeinem unſterblichen Werke der Principien der Naturphiloſophie, ſo ein gro - ßer Kopf auch erforderlich war dergleichen zu erfinden, gar wohl lernen, aber man kann nicht geiſtreich dichten lernen, ſo ausfuͤhrlich auch alle Vorſchriften fuͤr die Dichtkunſt und ſo vortreflich auch die Muſter derſelben ſeyn moͤgen. Die Urſache iſt, daß Newton alle ſeineM 3182I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Schritte die er von den erſten Elementen der Geometrie an, bis zu ſeinen großen und tiefen Erfindungen zu thun hatte, nicht allein ſich ſelbſt, ſondern jeden andern ganz anſchaulich und zur Nachfolge beſtimmt vormachen koͤnnte, kein Homer aber oder Wieland anzeigen kann, wie ſich ſeine phantaſiereiche und doch zugleich gedanken - volle Jdeen in ſeinem Kopfe hervor und zuſammen fin - den, darum weil er es ſelbſt nicht weiß und es alſo auch keinen andern lehren kann. Jm Wiſſentſchaftlichen alſo iſt der groͤßte Erfinder vom muͤhſeligſten Nachahmer und Lehrlinge nur dem Grade nach, dagegen von dem, den die Natur fuͤr die ſchoͤne Kunſt begabt hat, ſpecifiſch un - terſchieden. Jndeſſen liegt hierin keine Herabſetzung jener großen Maͤnner, denen das menſchliche Geſchlecht ſo viel zu verdanken hat, gegen die Guͤnſtlinge der Na - tur in Anſehung ihres Talents fuͤr die ſchoͤne Kunſt. Eben darinn, daß jener ihr Talent zur immer fortſchrei - tenden groͤßeren Vollkommenheit in Erkenntniſſen und alles Nutzens, der davon abhaͤngig iſt, imgleichen zur Belehrung anderer in eben denſelben Kenntniſſen ge - macht iſt, beſteht ein großer Vorzug derſelben vor de - nen, welche die Ehre verdienen, Genie’s zu heiſſen, weil fuͤr dieſe die Kunſt irgend wo ſtill ſteht, indem ihr eine Grenze geſetzt iſt, uͤber die ſie nicht weiter gehen kann, die vermuthlich auch ſchon ſeit lange her erreicht iſt und nicht mehr erweitert werden kann und uͤberdem eine ſolche Geſchicklichkeit ſich auch nicht mittheilen laͤßt, ſon -183I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.dern jedem unmittelbar von der Hand der Natur ertheilt ſeyn will, mit ihm alſo ſtirbt, bis die Natur einmal einen andern wiederum eben ſo begabt, der nichts weiter als eines Beyſpiels bedarf, um das Talent, deſſen er ſich bewußt iſt, auf aͤhnliche Art wirken zu laſſen.

Da die Naturgabe der Kunſt (als ſchoͤnen Kunſt) die Regel geben muß, welcherley Art iſt denn dieſe Re - gel? Sie kann in keiner Formel abgefaßt zur Vorſchrift dienen, denn ſonſt wuͤrde das Urtheil uͤber das Schoͤne nach Begriffen beſtimmbar ſeyn, ſondern die Regel muß von der That d. i. vom Product abſtrahirt werden, an welchem andere ihr eigenes Talent pruͤfen moͤgen, um ſich jenes zum Muſter, nicht der Nachmachung, ſondern der Nachahmung, dienen zu laſſen. Wie dieſes moͤglich ſey, iſt ſchwer zu erklaͤren. Die Jdeen des Kuͤnſtlers er - regen aͤhnliche Jdeen ſeines Lehrlings, wenn ihn die Na - tur mit einer aͤhnlichen Proportion der Gemuͤthskraͤfte verſehen hat. Die Muſter der ſchoͤnen Kunſt ſind daher die einzige Leitungsmittel dieſe auf die Nachkommen - ſchaft zu bringen, welches durch bloße Beſchreibungen nicht geſchehen koͤnnte (vornehmlich nicht im Fache der redenden Kuͤnſte) und auch in dieſen koͤnnen nur die in alten, todten und jetzt nur als gelehrte aufbehaltenen Sprachen claſſiſch werden.

Ob zwar mechaniſche und ſchoͤne Kunſt, die erſte als bloße Kunſt des Fleißes und der Erlernung, die zweyte als die des Genie’s, ſehr von einander unterſchie -M 4184I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.den ſind, ſo giebt es doch keine ſchoͤne Kunſt in welcher nicht etwas mechaniſches, welches nach Regeln gefaßt und befolgt werden kann, und alſo etwas Schulge - rechtes die weſentliche Bedingung der Kunſt ausmachte. Denn etwas muß dabey als Zweck gedacht werden, ſonſt kann man ihr Product gar keiner Kunſt zuſchreiben, es waͤre ein bloßes Product des Zufalls. Um aber einen Zweck ins Werk zu richten, dazu werden beſtimmmte Re - geln erfodert, von denen man ſich nicht frey ſprechen darf. Da nun die Originalitaͤt des Talents ein (aber nicht das einzige) weſentliches Stuͤck vom Character des Genie’s ausmacht, ſo glauben ſeichte Koͤpfe, daß ſie nicht beſſer zeigen koͤnnen, ſie waͤren aufbluͤhende Genie’s, als wenn ſie ſich vom Schulzwange aller Regeln losſa - gen und glauben man paradire beſſer auf einem kollerich - ten Pferde, als auf einem Schulp[f]erde. Das Genie kann nur reichen Stoff zu Producten der ſchoͤnen Kunſt hergeben, die Verarbeitung deſſelben und die Form erfordert ein durch die Schule gebildetes Talent, um einen Gebrauch davon zu machen, der vor der Urtheils - kraft beſtehen kann. Wenn aber jemand ſogar in Sachen der ſorgfaͤltigſten Vernunftunterſuchung wie ein Genie ſpricht und entſcheidet, ſo iſt es vollends laͤcherlich; man weiß nicht recht, ob man mehr uͤber den Gaukler, der um ſich ſo viel Dunſt verbreitet, bey dem man nichts deutlich beurtheilen, aber deſto mehr ſich einbilden kann, oder mehr uͤber das Publicum lachen ſoll, welches ſich tren -185I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.herzig einbildet, daß ſein Unvermoͤgen das Meiſterſtuͤck der Einſicht deutlich erkennen und faſſen zu koͤnnen daher komme, weil ihm neue Wahrheiten in ganzen Maſſen zugeworfen werden, wogegen ihm das Detail (durch abgemeſſene Erklaͤrungen und ſchulgerechte Pruͤfung der Grundſaͤtze) nur Stuͤmperwerk zu ſeyn ſcheint.

§. 48. Vom Verhaͤltniſſe des Genie’s zum Geſchmack.

Zur Beurtheilung ſchoͤner Gegenſtaͤnde, als ſolcher, wird Geſchmack, zur ſchoͤnen Kunſt ſelbſt aber d. i. der Hervorbringung ſolcher Gegenſtaͤnde wird Genie erfodert.

Wenn man das Genie als Talent zur ſchoͤnen Kunſt betrachtet (welches die eigenthuͤmliche Bedeutung des Worts mit ſich bringt) und es in dieſer Abſicht in die Vermoͤgen zergliedern will, die ein ſolches Talent aus - zumachen zuſammen kommen muͤſſen, ſo iſt noͤthig zuvor den Unterſchied zwiſchen der Naturſchoͤnheit, deren Beur - theilung nur Geſchmack und der Kunſtſchoͤnheit, deren Moͤglichkeit (worauf in der Beurtheilung eines derglei - chen Gegenſtandes auch Ruͤckſicht genommmen werden muß) Genie erfodert, genau zu beſtimmen.

Eine Naturſchoͤnheit iſt ein ſchoͤnes Ding, die Kunſt - ſchoͤnheit iſt eine ſchoͤne Vorſtellung von einem Dinge.

M 5186I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Um eine Naturſchoͤnheit als eine ſolche zu beurthei - len, brauche ich nicht vorher einen Begrif davon zu ha - ben, was der Gegenſtand fuͤr ein Ding ſeyn ſolle, d. i. ich habe nicht noͤthig, die materiale Zweckmaͤßigkeit (den Zweck) zu kennen, ſondern die bloße Form ohne Kenntnis des Zwecks gefaͤllt in der Beurtheilung fuͤr ſich ſelbſt. Wenn aber der Gegenſtand fuͤr ein Product der Kunſt gegeben iſt und als ſolches fuͤr ſchoͤn erklaͤrt wer - den ſoll, ſo muß, weil Kunſt immer einen Zweck in der Urſache (und deren Cauſalitaͤt) vorausſetzt, zuerſt ein Begrif von dem zum Grunde gelegt werden, was das Ding ſeyn ſoll und, da die Zuſammenſtimmung des Mannigfaltigen in einem Dinge, zu einer innern Be - ſtimmung deſſelben als Zweck, die Vollkommenheit des Dinges iſt, ſo wird in der Beurtheilung der Kunſtſchoͤn - heit zugleich die Vollkommenheit des Dinges in Anſchlag gebracht werden muͤſſen, wornach in der Beurtheilung einer Naturſchoͤnheit (als einer ſolchen) gar nicht die Frage iſt. Zwar wird in der Beurtheilung, vor - nehmlich der belebten Gegenſtaͤnde der Natur, z. B. des Menſchen oder eines Pferdes, auch die objective Zweck - maͤßigkeit gemeiniglich mit in Betracht gezogen, um uͤber die Schoͤnheit derſelben zu urtheilen, alsdenn iſt aber auch das Urtheil nicht mehr rein-aͤſthetiſch, d. i. bloßes Geſchmacksurtheil. Die Natur wird nicht mehr beurtheilt wie ſie als Kunſt erſcheint, ſondern ſofern ſie wirklich (obzwar uͤbermenſchliche) Kunſt iſt und das te -187I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.leologiſche Urtheil dient dem aͤſthetiſchen zur Grundlage und Bedingung, worauf dieſes Ruͤckſicht nehmen muß. Jn einem ſolchen Falle denkt man auch, wenn z. B. ge - ſagt wird: das iſt ein ſchoͤnes Weib in der That nichts anders als die Natur ſtellt in ihrer Geſtalt die Zwecke im weiblichen Baue ſchoͤn vor; denn man muß noch uͤber die bloße Form auf einen Begrif hinausſehen, damit der Gegenſtand auf ſolche Art durch ein logiſch-bedingtes aͤſthetiſches Urtheil gedacht werde.

Die ſchoͤne Kunſt zeigt darin eben ihre Vorzuͤglich - keit, daß ſie Dinge, die in der Natur haͤslich oder mis - faͤllig ſeyn wuͤrden, ſchoͤn beſchreibt. Die Furien, Krank - heiten, Verwuͤſtungen des Krieges u. d. gl. koͤnnen ſehr ſchoͤn beſchrieben, ja ſogar im Gemaͤlde vorgeſtellt wer - den; nur eine Art Haͤslichkeit kann nicht der Natur ge - maͤs vorgeſtellt werden, ohne alles aͤſthetiſche Wohlge - fallen, mithin der Kunſtſchoͤnheit zu Grunde zu richten, naͤmlich diejenige, welche Ekel erweckt. Denn, weil in dieſer ſonderbaren auf lauter Einbildung beruhenden Empfindung der Gegenſtand gleichſam, als ob er ſich zum Genuſſe aufdraͤnge, wider den wir doch mit Gewalt ſtreben, vorgeſtellt wird, ſo wird die kuͤnſtliche Vorſtel - lung des Gegenſtandes von der Natur dieſes Gegenſtan - des ſelbſt in unſerer Empfindung nicht mehr unterſchie - den und jene kann alsdenn unmoͤglich fuͤr ſchoͤn gehalten werden. Auch hat die Bildhauerkunſt, weil an ihren Producten die Kunſt mit der Natur beynahe verwechſelt188I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.wird, die unmittelbare Vorſtellung haͤslicher Gegen - ſtaͤnde von ihren Bildungen ausgeſchloſſen und dafuͤr z. B. den Tod (in einem ſchoͤnen Genius), den Kriegs - muth (am Mars) durch eine Allegorie, oder Attribute, die ſich gefaͤllig ausnehmen, mithin nur indirect vermit - telſt einer Auslegung der Vernunft und nicht fuͤr blos aͤſthetiſche Urtheilskraft vorzuſtellen erlaubt.

So viel von der ſchoͤnen Vorſtellung eines Gegen - ſtandes, die eigentlich nur die Form der Darſtellung ei - nes Begrifs iſt, durch die dieſer allgemein mitgetheilt wird. Dieſe Form aber dem Producte der ſchoͤnen Kunſt zu geben, dazu wird blos Geſchmack erfordert, an welchem der Kuͤnſtler, nachdem er ihn durch mancherley Beyſpiele der Kunſt, oder der Natur geuͤbt und berich - tigt hat, ſein Werk haͤlt und, nach manchen oft muͤh - ſamen Verſuchen denſelben zu befriedigen, diejenige Form findet, die ihm Genuͤge thut, daher dieſe nicht gleichſam eine Sache der Eingebung, oder eines freyen Schwun - ges der Gemuͤthskraͤfte, ſondern einer langſamen und gar peinlichen Nachbeſſerung iſt, um ſie dem Gedanken angemeſſen und doch der Freyheit im Spiele derſelben nicht nachtheilig werden zu laſſen.

Geſchmack iſt aber blos ein Beurtheilungs-nicht ein productives Vermoͤgen und, was ihm gemaͤs iſt, iſt darum eben nicht ein Werk der ſchoͤnen Kunſt, es kann ein zur nuͤtzlichen und mechaniſchen Kunſt, oder gar zur Wiſſenſchaft gehoͤriges Product nach beſtimmten Regeln189I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſeyn, die gelernt werden koͤnnen und genau befolgt wer - den muͤſſen, die gefaͤllige Form aber, die man ihm giebt, iſt nur das Vehikel der Mittheilung und eine Manier gleichſam des Vortrages, in Anſehung deſſen man noch in gewiſſem Maaße frey iſt, wenn er doch uͤbrigens an einem beſtimmten Zweck gebunden iſt. So verlangt man, daß das Tiſchgeraͤthe, oder auch eine moraliſche Abhand - lung, ſogar eine Predigt dieſe Form der ſchoͤnen Kunſt, ohne doch geſucht zu ſcheinen, an ſich haben muͤſſe, man wird ſie aber darum nicht Werke der ſchoͤnen Kunſt nen - nen. Zu der letzteren aber wird ein Gedicht, eine Mu - ſik, eine Bildergallerie u. d. gl. gezaͤhlt und da kann man an einem ſeynſollenden Werke der ſchoͤnen Kunſt oftmals Genie ohne Geſchmack, an einem andern Geſchmack ohne Genie warnehmen.

§. 49. Von den Vermoͤgen des Gemuͤths, die das Genie ausmachen.

Man ſagt von gewiſſen Producten, von welchen man erwartet, daß ſie ſich, zum Theil wenigſtens, als ſchoͤne Kunſt zeigen ſollten: ſie ſind ohne Geiſt; ob man gleich an ihnen, was den Geſchmack betrift, nichts zu tadeln findet. Ein Gedicht kann recht nett und elegant ſeyn, aber es iſt ohne Geiſt. Eine Geſchichte iſt genau und ordentlich, aber ohne Geiſt. Eine feyerliche Rede190I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.iſt gruͤndlich und zugleich zierlich, aber ohne Geiſt. Man - che Converſation iſt nicht ohne Unterhaltung, aber doch ohne Geiſt; ſelbſt von einem Frauenzimmer ſagt man wohl, ſie iſt huͤbſch, geſpraͤchig und artig, aber ohne Geiſt. Was iſt das denn, was man hier unter Geiſt verſteht?

Geiſt in aͤſthetiſcher Bedeutung, heißt das bele - bende Princip im Gemuͤthe. Dasjenige aber wodurch dieſes Princip die Seele belebt, der Stoff, den es dazu anwendet, iſt das, was die Gemuͤthskraͤfte zweckmaͤßig in Schwung verſetzt, d. i. in ein ſolches Spiel, welches ſich von ſelbſt erhaͤlt und ſelbſt die Kraͤfte dazu ſtaͤrkt.

Nun behaupte ich, dieſes Princip ſey nichts an - ders, als das Vermoͤgen der Darſtellung aͤſthetiſcher Jdeen; unter einer aͤſthetiſchen Jdee aber verſtehe ich diejenige Vorſtellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgend ein beſtimm - ter Gedanke d. i. Begrif adaͤquat ſeyn kann, den folg - lich keine Sprache voͤllig erreicht und verſtaͤndlich machen kann. Man ſieht leicht, daß ſie das Gegenſtuͤck (Pen - dant) von einer Vernunftidee ſey, welche umgekehrt ein Begrif iſt, dem keine Anſchauung (Vorſtellung der Einbildungskraft) adaͤquat ſeyn kann.

Die Einbildungskraft (als productives Erkenntnis - vermoͤgen) iſt naͤmlich ſehr maͤchtig in Schaffung gleich - ſam einer andern Natur, aus dem Stoffe, den ihr die wirkliche giebt. Wir unterhalten uns mit ihr, wo uns191I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.die Erfahrung zu alltaͤgig vorkommt, bilden dieſe auch wohl um, zwar noch immer nach analogiſchen Geſetzen, aber doch auch nach Principien, die hoͤher hinauf in der Vernunft liegen (und die uns eben ſowohl natuͤrlich ſind, als die, nach welcher der Verſtand die empiriſche Natur auffaßt), wobey wir unſere Freyheit vom Geſetze der Aſſociation (welches dem empiriſchen Gebrauche je - nes Vermoͤgens anhaͤngt) fuͤhlen, nach welchem uns von der Natur zwar Stoff geliehen, der von uns aber zu etwas ganz anderem und was die Natur uͤbertrift, verarbeitet werden kann.

Man kann dergleichen Vorſtellungen der Einbil - dungskraft Jdeen nennen, eines Theils darum, weil ſie zu etwas uͤber die Erfahrungsgrenze hinaus liegenden wenigſtens ſtreben und ſo einer Darſtellung der Ver - nunftbegriffe (der intellectuellen Jdeen) nahe zu kommen ſuchen, welches ihnen den Anſchein einer objectiven Rea - litaͤt giebt, andrerſeits, und zwar hauptſaͤchlich, weil ihnen, als inneren Anſchauungen, kein Begrif voͤllig adaͤquat ſeyn kann. Der Dichter wagt es, Vernunft - ideen von unſichtbaren Weſen, das Reich der Seeligen, das Hoͤllenreich, die Ewigkeit, die Schoͤpfung u. d. gl. zu verſinnlichen, oder auch das, was zwar Beyſpiele in der Erfahrung findet, z. B. den Tod, den Neid und alle Laſter, imgleichen die Liebe, den Ruhm u. d. gl. uͤber die Schranken der Erfahrung hinaus vermittelſt einer Ein - bildungskraft, die dem Vernunft-Vorſpiele in Errei -192I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.chung eines Groͤßten nacheifert, in einer Vollſtaͤndigkeit ſinnlich zu machen, fuͤr die ſich in der Natur kein Bey - ſpiel findet und es iſt eigentlich die Dichtkunſt, in wel - cher ſich das Vermoͤgen aͤſthetiſcher Jdeen in ſeinem gan - zen Maaße zeigen kann. Dieſes Vermoͤgen aber fuͤr ſich allein betrachtet iſt eigentlich nur ein Talent (der Ein - bildungskraft).

Wenn nun einem Begriffe eine Vorſtellung der Ein - bildungskraft untergelegt wird, die zu ſeiner Darſtellung gehoͤrt, aber fuͤr ſich allein ſo viel zu denken veranlaßt, als ſich niemals in einem beſtimmten Begrif zuſammen - faſſen laͤßt, mithin den Begrif ſelbſt auf unbegrenzte Art aͤſthetiſch erweitert, ſo iſt die Einbildungskraft hie - bey ſchoͤpferiſch und bringt das Vermoͤgen intellectueller Jdeen (die Vernunft) in Bewegung, mehr bey Veran - laſſung einer Vorſtellung zu denken, (was zwar zu dem Begriffe des Gegenſtandes gehoͤrt) als in ihr aufgefaßt und deutlich gedacht werden kann.

Man nennt diejenige Formen, welche nicht die Dar - ſtellung eines gegebenen Begrifs ſelber ausmachen, ſon - dern nur, als Nebenvorſtellungen der Einbildungskraft, die damit verknuͤpfte Folgen und die Verwandſchaft deſ - ſelben mit andern ausdruͤcken, Attribute (aͤſthetiſche) eines Gegenſtandes, deſſen Begrif, als Vernunftidee, nicht adaͤquat dargeſtellt werden kann. So iſt der Adler des Jupiters, mit dem Blitze in den Klauen, ein Attri - but des maͤchtigen Himmelskoͤniges und der Pfau derpraͤchtigen193I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.praͤchtigen Himmelskoͤnigin. Sie ſtellen nicht, wie die logiſche Attribute, das was in unſern Begriffen von der Erhabenheit und Majeſtaͤt der Schoͤpfung liegt, ſondern etwas anderes vor, was der Einbildungskraft Anlas giebt, ſich uͤber eine Menge von verwandten Vor - ſtellungen zu verbreiten, die mehr denken laſſen, als man in einen durch Worte beſtimmten Begrif ausdruͤ - cken kann und geben eine aͤſthetiſche Jdee, die jener Vernunftidee ſtatt logiſcher Darſtellung dient, eigentlich aber um das Gemuͤth zu beleben, indem ſie ihm die Aus - ſicht in ein unabſehliches Feld verwandter Vorſtellungen eroͤfnet. Die ſchoͤne Kunſt aber thut dieſes nicht allein in der Mahlerey oder Bildhauerkunſt (wo der Nahme der Attribute gewoͤhnlich gebraucht wird), ſondern die Dichtkunſt und Beredſamkeit nehmen den Geiſt, der ihre Werke belebt, auch lediglich von den aͤſthetiſchen Attri - buten der Gegenſtaͤnde her, welche den logiſchen zur Seite gehen und der Einbildungskraft einen Schwung geben, mehr dabey, obzwar auf unentwickelte Art, zu denken, als ſich in einem Begriffe, mithin in einem be - ſtimmten Sprachausdrucke, zuſammenfaſſen laͤßt. Jch muß mich der Kuͤrze wegen nur auf wenige Bey - ſpiele einſchraͤnken.

Wenn der große Koͤnig ſich in einem ſeiner Gedichte ſo ausdruͤckt: laßt uns aus dem Leben ohne Murren weichen und ohne etwas zu bedauern, indem wir die Welt noch alsdenn mit Wohlthaten uͤberhaͤuft zuruͤck -Kants Crit. d. Urtheilskr. N194I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.laſſen. So verbreitet die Sonne, nachdem ſie ihren Ta - geslauf vollendet hat, noch ein mildes Licht am Himmel und die letzte Strahlen, die ſie in die Luͤfte ſchickt, ſind ihre letzte Seufzer fuͤr das Wohl der Welt, ſo belebt er ſeine Vernunftidee, von weltbuͤrgerlicher Geſinnung noch am Ende des Lebens, durch ein Attribut, welches die Einbildungskraft (in der Erinnerung an alle An - nehmlichkeiten eines vollbrachten ſchoͤnen Sommertages, die uns ein heiterer Abend ins Gemuͤth ruft) jener Vor - ſtellung beygeſellt und welches eine Menge von Empfin - dungen und Nebenvorſtellungen rege macht, fuͤr die ſich kein Ausdruck findet. Andererſeits kann ſogar ein in - tellectueller Begrif umgekehrt zum Attribut einer Vor - ſtellung der Sinne dienen und ſo dieſe letztern durch die Jdee des Ueberſinnlichen beleben, aber nur indem das Aeſthetiſche, was dem Bewußtſeyn des letzteren ſubjectiv anhaͤnglich iſt, hiezu gebraucht wird. So ſagt z. B. ein gewiſſer Dichter in der Beſchreibung eines ſchoͤnen Mor - gens: die Sonne quoll hervor wie Ruh aus Tugend quillt. Das Bewußtſeyn der Tugend, wenn man ſich auch nur in Gedanken in die Stelle eines Tugendhaften verſetzt, verbreitet im Gemuͤthe eine Menge erhabener und beruhigender Gefuͤhle und eine grenzenloſe Ausſicht in eine frohe Zukunft, die kein Ausdruck, welcher einem beſtimmten Begriffe angemeſſen iſt, voͤllig erreicht*)Vielleicht iſt nie etwas Erhabeneres geſagt, oder ein Ge - danke erhabener ausgedruͤckt worden, als in jener[Aufſchrift].

195I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Mit einem Worte, die aͤſthetiſche Jdee iſt eine einem gegebenen Begriffe beygeſellete Vorſtellung der Einbil - dungskraft, welche mit einer ſolchen Mannigfaltigkeit der Theilvorſtellungen in dem freyen Gebrauche derſelben verbunden iſt, daß fuͤr ſie kein Ausdruck, der einen be - ſtimmten Begrif bezeichnet, gefunden werden kann, der alſo viel Unnennbares zu einem Begriffe hinzu denken laͤßt, davon das Gefuͤhl die Erkenntnisvermoͤgen belebt und mit der Sprache, als bloßem Buchſtaben, Geiſt verbindet.

Die Gemuͤthskraͤfte alſo, deren Vereinigung (in gewiſſem Verhaͤltniſſe) das Genie ausmachen, ſind Einbildungskraft und Verſtand. Nur, da im Ge - brauch der Einbildungskraft zum Erkenntniſſe die Ein - bildungskraft unter dem Zwange des Verſtandes und der Beſchraͤnkung unterworfen iſt, dem Begriffe deſſel - ben angemeſſen zu ſeyn, in aͤſthetiſcher Abſicht aber die Einbildungskraft frey iſt, um uͤber jene Einſtimmung zum Begriffe noch ungeſucht reichhaltigen unentwickel - ten Stoff fuͤr den Verſtand, worauf dieſer in ſeinem Be -*)uͤber dem Tempel der Jſis, (der Mutter Natur): Jch bin alles was da iſt, was da war, und was da ſeyn wird, und meinen Schleyer hat kein Sterblicher aufgedeckt. Segner benutzte dieſe Jdee, durch eine ſinnreiche ſeiner Naturlehre vorgeſetzte Vignette, um ſeinen Lehrling, den er in dieſen Tempel zu fuͤhren bereit war, vorher mit dem heiligen Schauer zu erfuͤllen, der das Gemuͤth zu feyerli - cher Aufmerkſamkeit ſtimmen ſoll.N 2196I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.griffe nicht Ruͤckſicht nahm, zu liefern, welchen dieſer aber, nicht ſowohl objectiv zum Erkenntniſſe, als ſub - jectiv zur Belebung der Erkenntniskraͤfte, indirect alſo doch auch zu Erkenntniſſen anwendet: ſo beſteht das Genie eigentlich in dem gluͤcklichen Verhaͤltniſſe, welches keine Wiſſenſchaft lehren und kein Fleis erlernen kann, zu einem gegebenen Begriffe Jdeen aufzufinden und an - andrerſeits zu dieſen den Ausdruck zu treffen, durch den die dadurch bewirkte ſubjective Gemuͤthsſtimmung, als Begleitung eines Begrifs, anderen mitgetheilt wer - den kann. Des letztern Talent iſt eigentlich dasjenige, was man Geiſt nennt; denn das Unnennbare in dem Ge - muͤthszuſtande bey einer gewiſſen Vorſtellung auszudruͤ - cken und allgemein mittheilbar zu machen, der Ausdruck mag nun in Sprache, oder Mahlerey, oder Plaſtik be - ſtehen, das erfordert ein Vermoͤgen, das ſchnell vor - uͤbergehende Spiel der Einbildungskraft aufzufaſſen und in einen Begrif, (der eben darum original iſt und zu - gleich eine neue Regel eroͤfnet, die aus keinen vorher - gehenden Principien oder Beyſpielen hat gefolgert wer - den koͤnnen) zu vereinigen, der ſich ohne Zwang mit - theilen laͤßt.

Wenn wir nach dieſen Zergliederungen auf die oben gegebene Erklaͤrung deſſen, was man Genie nennt, zuruͤckſehen, ſo finden wir: erſtlich, daß es ein Talent zur Kunſt ſey, nicht zur Wiſſenſchaft, in welcher deut -197I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.lich gekannte Regeln vorangehen und das Verfahren in derſelben beſtimmen muͤſſen: zweytens, daß es als Kunſttalent, einen beſtimmten Begrif von dem Pro - ducte, als Zweck, mithin Verſtand, aber auch eine, (wenn gleich unbeſtimmte) Vorſtellung, von dem Stoff, d. i. der Anſchauung, zur Darſtellung dieſes Begrifs, mithin ein Verhaͤltnis der Einbildungskraft zum Ver - ſtande vorausſetze: daß es ſich drittens nicht ſowohl in der Ausfuͤhrung des vorgeſetzten Zwecks in Darſtellung eines beſtimmten Begrifs als vielmehr im Vortrage, oder dem Ausdrucke aͤſthetiſcher Jdeen zeige, welche zu jener Abſicht reichen Stoff enthalten, mithin die Ein - bildungskraft, in ihrer Freyheit von aller Anleitung der Regeln, dennoch als zweckmaͤßig zur Darſtellung des gegebenen Begrifs vorſtellig mache: daß endlich vier - tens die ungeſuchte unabſichtliche ſubjective Zweckmaͤſ - ſigkeit in der freyen Uebereinſtimmung der Einbildungs - kraft zur Geſetzlichkeit des Verſtandes eine ſolche Pro - portion und Stimmung dieſer Vermoͤgen vorausſetze, als keine Befolgung von Regeln, es ſey der Wiſſenſchaft oder mechaniſchen Nachahmung, bewirken, ſondern blos die Natur des Subjects hervorbringen kann.

Nach dieſen Vorausſetzungen iſt Genie: die muſter - hafte Originalitaͤt der Naturgabe eines Subjects im freyen Gebrauche ſeiner Erkenntnisvermoͤgen. Auf ſolche Weiſe iſt das Product eines Genie’s (nach demje - nigen, was in demſelben dem Genie, nicht der moͤglichenN 3198I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Erlernung oder der Schule, zuzuſchreiben iſt) ein Bey - ſpiel nicht der Nachahmung (denn da wuͤrde das, was daran Genie iſt und den Geiſt des Werks ausmacht, weg fallen), ſondern der Nachfolge fuͤr ein anderes Genie, welches dadurch zum Gefuͤhl ſeiner eigenen Originalitaͤt aufgeweckt wird, Zwangsfreyheit von Regeln ſo in der Kunſt auszuuͤben, daß dieſe dadurch ſelbſt eine neue Re - gel bekommt, wodurch das Talent ſich als muſterhaft zeigt. Weil aber das Genie ein Guͤnſtling der Natur iſt, dergleichen man nur als ſeltene Erſcheinung anzuſehen hat, ſo bringt ſein Beyſpiel fuͤr andere gute Koͤpfe eine Schule hervor, d. i. eine methodiſche Unterweiſung nach Regeln, ſoweit man ſie aus jenen Geiſtesproducten und ihrer Eigenthuͤmlichkeit hat ziehen koͤnnen und fuͤr die iſt die ſchoͤne Kunſt ſofern Nachahmung, der die Natur durch ein Genie die Regel gab.

Aber dieſe Nachahmung wird Nachaͤffung, wenn der Schuͤler alles nachmacht, bis auf das, was das Genie als Misgeſtalt nur hat zulaſſen muͤſſen, weil es ſich, ohne die Jdee zu ſchwaͤchen, nicht wohl wegſchaffen ließ. Dieſer Muth iſt an einem Genie allein Verdienſt und eine gewiſſe Kuͤhnheit im Ausdrucke und uͤber - haupt manche Abweichung von der gemeinen Regel steht demſelben wohl an, iſt aber keinesweges nachahmungs - wuͤrdig, ſondern bleibt immer an ſich ein Fehler, den man wegzuſchaffen ſuchen muß, fuͤr dergleichen aber das Genie gleichſam privilegirt iſt, da das Unnachahmliche199I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſeines Geiſtesſchwunges durch aͤngſtliche Behutſamkeit leiden wuͤrde. Das Manieriren iſt eine andere Art von Nachaͤffung, naͤmlich der bloßen Eigenthuͤmlich - keit (Originalitaͤt) uͤberhaupt, um ſich ja von Nachah - mern ſo weit als moͤglich zu entfernen, ohne doch das Ta - lent zu beſitzen, dabey zugleich muſterhaft zu ſeyn. Zwar giebt es zweyerley Art (modus) uͤberhaupt der Zu - ſammenſtellung ſeiner Gedanken des Vortrages, deren die eine Manier (modus aeſtheticus), die andere Me - thode (modus logicus) heißt, die ſich darin von einan - der unterſcheiden: daß die erſtere kein anderes Richt - maas hat, als das Gefuͤhl der Einheit in der Darſtel - lung, die andere aber hierin beſtimmte Principien be - folgt; fuͤr die ſchoͤne Kunſt gilt alſo nur die erſtere. Allein manierirt heißt ein Kunſtproduct nur alsdann, wenn der Vortrag ſeiner Jdee in demſelben auf die Sonder - barkeit angelegt und nicht der Jdee angemeſſen gemacht wird. Das Prangende (Precioͤſe), das Geſchrobene und Affectirte, um ſich nur vom Gemeinen (aber ohne Geiſt) zu unterſcheiden, ſind dem Benehmen desjenigen aͤhnlich, von dem man ſagt, daß er ſich ſprechen hoͤre, oder ſteht und geht, als ob er auf einer Buͤhne waͤre um angegafft zu werden, welches jederzeit einen Stuͤmper verraͤth.

N 4200I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

§. 50. Von der Verbindung des Geſchmacks mit Genie in Producten der ſchoͤnen Kunſt.

Wenn die Frage iſt, woran in Sachen der ſchoͤnen Kunſt mehr gelegen ſey, ob daran, daß ſich an ihnen Genie, oder ob daß ſich Geſchmack zeige, ſo iſt das eben ſo viel als wenn gefragt wuͤrde, ob es darin mehr auf Einbildung, als auf Urtheilskraft ankomme. Da nun eine Kunſt in Anſehung des erſteren eher eine geiſt - reiche, in Anſehung des zweyten aber allein eine ſchoͤne Kunſt genannt zu werden verdient, ſo iſt das letztere we - nigſtens als unumgaͤngliche Bedingung (conditio ſine qua non) das vornehmſte, worauf man in Beurtheilung der Kunſt als ſchoͤne Kunſt zu ſehen hat. Reich und ori - ginal an Jdeen zu ſeyn bedarf es nicht ſo nothwendig zum Behuf der Schoͤnheit, aber wohl der Angemeſſen - heit jener Einbildungskraft in ihrer Freyheit zu der Ge - ſetzmaͤßigkeit des Verſtandes. Denn aller Reichthum der erſteren bringt in ihrer geſetzloſen Freyheit nichts als Unſinn hervor; die Urtheilskraft iſt aber das Vermoͤgen ſie dem Verſtande anzupaſſen.

Der Geſchmack iſt, ſo wie die Urtheilskraft uͤber - haupt, die Disciplin (oder Zucht) des Genie’s, beſchneidet dieſem ſehr die Fluͤgel und macht es geſittet oder geſchlif - fen, zugleich aber giebt er dieſem eine Leitung, woruͤber und bis wie weit er ſich verbreiten ſoll, um zweckmaͤßig201I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.zu bleiben und, indem er Klarheit und Ordnung in die Gedankenfuͤlle hineinbringt, ſo macht er die Jdeen halt - bar, eines daurenden zugleich auch allgemeinen Bey - falls, der Nachfolge anderer und einer immer fortſchrei - tenden Cultur faͤhig. Wenn alſo im Widerſtreite beyder - ley Eigenſchaften an einem Producte etwas aufgeopfert werden ſoll, ſo muͤßte es eher auf der Seite des Genie’s geſchehen und die Urtheilskraft, welche in Sachen der ſchoͤnen Kunſt aus eigenen Principien den Ausſpruch thut, wird eher der Freyheit und dem Reichthum der Einbildungskraft, als dem Verſtande Abbruch zu thun, erlauben.

Zur ſchoͤnen Kunſt wuͤrden alſo Einbildungs - kraft, Verſtand, Geiſt und Geſchmack erfor - derlich ſeyn*)Die drey erſtere Vermoͤgen bekommen durch das vierte allererſt ihre Vereinigung. Hume giebt in ſeiner Ge - ſchichte den Englaͤndern zu verſtehen, daß, obzwar ſie in ihren Werken keinem Volke in der Welt in Anſehung der Veweisthuͤmer der drey erſteren Eigenſchaften, abgeſon - dert betrachtet, etwas nachgaͤben, ſie doch in der, welche ſie vereinigt, ihren Nachbaren, den Franzoſen, nachſtehen muͤßten..

§. 51. Von der Eintheilung der ſchoͤnen Kuͤnſte.

Man kann uͤberhaupt Schoͤnheit (ſie mag Natur - oder Kunſtſchoͤnheit ſeyn) den Ausdruck aͤſthetiſcher Jdeen nennen: nur daß in der ſchoͤnen Kunſt dieſe JdeeN 5202I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.durch einen Begrif vom Object veranlaßt werden muß, in der ſchoͤnen Natur aber die bloße Reflexion uͤber eine gegebene Anſchauung, ohne Begrif von dem was der Gegenſtand ſeyn ſoll, zur Erweckung und Mittheilung der Jdee, von der jenes Object als der Ausdruck betrachtet wird, hinreichend iſt.

Wenn wir alſo die ſchoͤne Kuͤnſte eintheilen wollen: ſo koͤnnen wir, wenigſtens zum Verſuche, kein beque - meres Princip dazu waͤhlen als die Analogie der Kunſt mit der Art des Ausdrucks, deſſen ſich Menſchen im Sprechen bedienen, um ſich, ſo vollkommen als moͤglich iſt, einander, d. i. nicht blos ihren Begriffen, ſondern auch Empfindungen nach, mitzutheilen*)Der Leſer wird dieſen Entwurf zu einer moͤglichen Einthei - theilung der ſchoͤnen Kuͤnſte nicht als beabſichtigte Theorie beurtheilen. Es iſt nur einer von den mancherley Verſu - chen die man noch anſtellen kann und ſoll.. Dieſer be - ſteht im Worte, der Gebehrdung und dem Tone (Articulation, Geſticulation und Modulation). Nur die Verbindung dieſer drey Arten des Ausdrucks macht die vollſtaͤndige Mittheilung des Sprechenden aus. Denn Gedanke, Anſchauung und Empfindung werden dadurch zugleich und vereinigt auf den andern uͤbertragen.

Es giebt alſo nur dreyerley Arten ſchoͤner Kuͤnſte, die redende, die bildende Kunſt und die des Spiels der Empfindungen (als aͤußerer Sinneneindruͤcke.) Man koͤnnte dieſe Eintheilung auch dichotomiſch einrich -203I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ten, ſo daß die ſchoͤne Kunſt in die des Ausdrucks der Gedanken, oder der Anſchauungen; dieſe wiederum blos nach ihrer Form oder Materie (der Empfindung) eingetheilt wuͤrde, allein ſie wuͤrde alsdenn zu abſtract und nicht ſo angemeſſen den gemeinen Begriffen ausſehen.

1. Die redende Kuͤnſte ſind Beredſamkeit und Dichtkunſt. Beredſamkeit iſt die Kunſt ein Geſchaͤfte des Verſtandes als ein freyes Spiel der Einbildungskraft zu betreiben: Dichtkunſt ein freyes Spiel der Einbildungskraft als ein Geſchaͤfte des Ver - ſtandes auszufuͤhren.

Der Redner alſo kuͤndigt ein Geſchaͤfte an und fuͤhrt es ſo aus, als ob es blos ein Spiel mit Jdeen ſey um die Zuhoͤrer zu unterhalten. Der Dichter kuͤndigt blos ein unterhaltendes Spiel mit Jdeen an, und es kommt doch ſo viel fuͤr den Verſtand heraus, als ob er blos deſſen Geſchaͤfte zu treiben die Abſicht gehabt haͤtte. Die Verbindung und Harmonie bey - der Erkenntnisvermoͤgen, der Sinnlichkeit und des Verſtandes, die einander zwar nicht entbehren, aber doch auch ohne Zwang und wechſelſeitigen Abbruch nicht wohl vereinigen laſſen, muß unabſichtlich zu ſeyn, und ſich von ſelbſt ſo zu fuͤgen ſcheinen, ſonſt iſt es nicht ſchoͤne Kunſt. Daher alles Geſuchte und Pein - liche darin vermieden werden muß; denn ſchoͤne Kunſt muß in doppelter Bedeutung freye Kunſt ſeyn; ſo wohl daß ſie nicht als Lohngeſchaͤfte, eine Arbeit ſey,204I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.deren Groͤße ſich nach einem beſtimmten Maasſtabe beurtheilen, erzwingen oder bezahlen laͤßt, ſondern auch daß das Gemuͤth ſich zwar beſchaͤftigt aber dabey doch, ohne auf einen andern Zweck hinauszuſehen, (unabhaͤngig vom Lohne) befriedigt und erweckt fuͤhlt.

Der Redner giebt alſo zwar etwas, was er nicht verſpricht, naͤmlich ein unterhaltendes Spiel der Einbil - dungskraft; aber er bricht auch dem etwas ab, was er verſpricht, und was doch ſein angekuͤndigtes Geſchaͤfte iſt, naͤmlich den Verſtand zweckmaͤßig zu beſchaͤftigen. Der Dichter dagegen verſpricht wenig und kuͤndigt ein bloßes Spiel mit Jdeen an, leiſtet aber etwas, was eines Geſchaͤftes wuͤrdig iſt, naͤmlich dem Verſtande ſpielend Nahrung zu verſchaffen und ſeinen Begriffen durch Einbildungskraft Leben zu geben.

2) Die bildende Kuͤnſte, oder die des Aus - drucks fuͤr Jdeen in der Sinnenanſchauung (nicht durch Vorſtellungen der bloßen Einbildungskraft, die durch Worte aufgeregt werden) ſind entweder die der Sinnenwahrheit oder des Sinnenſcheins. Die erſte heißt die Plaſtick, die zweyte die Mahlerey. Beide machen Geſtalten im Raume zum Ausdrucke fuͤr Jdeen: jene macht Geſtalten fuͤr zwey Sinne kennbar, dem Geſichte und Gefuͤhl (ob zwar den letzteren nicht in Abſicht auf Schoͤnheit) dieſe nur fuͤr den erſtern. Die aͤſthetiſche Jdee (Archetypon, Urbild) liegt zu beyden in der Einbildungskraft zum Grunde, die Geſtalt aber, die205I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.den Ausdruck derſelben ausmacht, (Ectypon, Nachbild) wird entweder in ihrer koͤrperlichen Ausdehnung (wie der Gegenſtand ſelbſt exiſtirt) oder nach der Art, wie dieſe ſich im Auge mahlt (nach ihrer Apparenz in einer Flaͤche) gegeben: oder, wenn auch das erſtere iſt, entwe - der die Beziehung auf einen wirklichen Zweck, oder nur der Anſchein deſſelben der Reflexion zur Bedingung gemacht.

Zur Plaſtik, als der erſten Art ſchoͤner bildender Kuͤnſte, gehoͤrt die Bildhauerkunſt und Baukunſt. Die erſte iſt diejenige, welche Begriffe von Dingen, ſo wie ſie in der Natur exiſtiren koͤnnten, koͤrperlich darſtellt, (doch als ſchoͤne Kunſt mit Ruͤckſicht auf aͤſthe - tiſche Zweckmaͤßigkeit) die zweyte iſt die Kunſt, Be - griffe von Dingen, die nur durch Kunſt moͤglich ſind und deren Form nicht die Natur, ſondern einen willkuͤhr - lichen Zweck zum Beſtimmungsgrunde hat, zu dieſer Abſicht, doch auch zugleich aͤſthetiſch-zweckmaͤßig, dar - zuſtellen. Bey der letzteren iſt ein gewiſſer Gebrauch des kuͤnſtlichen Gegenſtandes die Hauptſache, worauf als Bedingung, die aͤſthetiſchen Jdeen eingeſchraͤnkt wer - den. Bey der erſteren iſt der bloße Ausdruck aͤſtheti - ſcher Jdeen die Hauptabſicht. So ſind Bildſaͤulen von Menſchen, Goͤttern, Thieren u. d. g. von der erſtern Art; aber Tempel, oder Prachtgebaͤude zum Behuf oͤffentlicher Verſammlungen, oder auch Wohnungen, Ehrenbogen, Saͤulen, Cenotaphien u. d. g. zum Ehrengedaͤchtnis er -206I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.richtet, zur Baukunſt gehoͤrig, ja alles Hausgeraͤthe (die Arbeit des Tiſchlers u. d. g. Dinge zum Gebrauche) koͤnnen dazu gezaͤhlt werden; weil die Angemeſſenheit des Products zu einem gewiſſen Gebrauche das Weſent - liche eines Bauwerks ausmacht, dagegen ein bloßes Bildwerk, das lediglich zum Anſchauen gemacht iſt und fuͤr ſich ſelbſt gefallen ſoll, als koͤrperliche Darſtel - lung bloße Nachahmung der Natur iſt, doch mit Ruͤck - ſicht auf aͤſthetiſche Jdeen; wobey denn die Sinnen - wahrheit nicht ſo weit gehen darf, daͤß es aufhoͤre als Kunſt und Product der Willkuͤhr zu erſcheinen.

Die Mahlerkunſt als die zweyte Art bildender Kuͤnſte, welche den Sinnenſchein kuͤnſtlich mit Jdeen verbunden darſtellt, wuͤrde ich in die der ſchoͤnen Schil - derung der Natur und in die der ſchoͤnen Zuſammen - menſtellung ihrer Producte eintheilen. Die erſte waͤre die eigentliche Mahlerey, die zweyte die Luſtgaͤrt - nerey. Denn die erſte giebt nur den Schein der koͤr - perlichen Ausdehnung: die zweyte zwar dieſe nach der Warheit, aber nur den Schein einer Benutzung und Gebrauchs zu anderen Zwecken, als blos fuͤr das Spiel der Einbildung in Beſchauung ihrer Formen.*)Daß die Luſtgaͤrtuerey als eine Art von Mahlerkunſt be - trachtet werden koͤnne, ob ſie zwar ihre Formen koͤrperlich darſtellt, ſcheint befremdlich; da ſie aber ihre Formen wirk - lich aus der Natur nimmt, (die Baͤume, Geſtraͤuche, Graͤ - ſer und Blumen aus Wald und Feld, wenigſtens uranfaͤng - lich) und ſo fern nicht, etwa wie die Plaſtik, Kunſt iſt, auch Die207I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.letztere iſt nichts anders als die Schmuͤckung des Bodens mit derſelben Mannigfaltigkeit (Graͤſern, Blumen, Straͤuchen und Baͤumen, ſelbſt Gewaͤſſern, Huͤgeln und Thaͤlern) womit ihn die Natur dem Anſchauen dar - ſtellt, nur anders und angemeſſen gewiſſen Jdeen, zu - ſammengeſtellt. Die ſchoͤne Zuſammenſtellung aber koͤr - perlicher Dinge iſt auch nur fuͤr das Auge gegeben, wie die Mahlerey und der Sinn des Gefuͤhls kann keine an - ſchauliche Vorſtellung von einer ſolchen Form verſchaffen. Zu der Mahlerey im weiten Sinne wuͤrde ich noch die Verzierung der Zimmer durch Tapeten, Aufſaͤtze und alles ſchoͤne Ameublement, welches blos zur Anſicht dient zaͤhlen, imgleichen die Kunſt der Kleidung nach Ge - ſchmack, (Ringe und Doſen etc.); denn ein Parterre von allerley Blumen, ein Zimmer mit allerley Zierrathen, ſelbſt den Putz der Damen darunter begriffen) machen an einem Prachtfeſte eine Art von Gemaͤhlde aus, wel -*)keinen Begrif von dem Gegenſtande und ſeinem Zwecke (wie etwa die Baukunſt) zur Bedingung ihrer Zuſammen - ſtellung hat, ſondern blos das freye Spiel der Einbildungs - kraft in der Beſchauung: ſo kommt ſie mit der blos aͤſtheti - ſchen Mahlerey, die kein beſtimmtes Thema hat (Luft, Land und Waſſer durch Licht und Schatten unterhaltend zuſam - men ſtellt) ſo fern uͤberein. Ueberhaupt wird der Leſer dieſes nur als einen Verſuch die Verbindung der ſchoͤnen Kuͤnſte unter einem Princip, welches diesmal das des Aus - drucks aͤſthetiſcher Jdeen (nach der Analogie einer Sprache) ſeyn ſoll, beurtheilen, und nicht als fuͤr entſchieden gehal - tene Ableitung derſelben anſehen.208I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ches, ſo wie die eigentlich ſogenannten, (die nicht etwa Geſchichte, oder Naturkenntnis zu lehren die Abſicht haben) blos zum Anſehen da iſt, und um die Einbil - dungskraft im freyen Spiele mit Jdeen zu unterhalten, und ohne beſtimmten Zweck die aͤſthetiſche Urtheilskraft beſchaͤftigen. Das Machwerk an allem dieſen Schmucke mag immer mechaniſch ſehr unterſchieden ſeyn uud ganz verſchiedene Kuͤnſtler erfordern, ſo iſt doch das Ge - ſchmacksurtheil uͤber das, was in dieſer Kunſt ſchoͤn iſt, ſo fern auf einerley Art beſtimmt, naͤmlich nur die For - men (ohne Ruͤckſicht auf einen Zweck) ſo, wie ſie ſich dem Auge darbieten, einzeln oder in ihrer Zuſammenſetzung, nach der Wirkung, die ſie auf die Einbildungskraft thun, zu beurtheilen. Wie aber bildende Kunſt zur Ge - behrdung in einer Sprache (der Analogie nach) gezaͤhlt werden koͤnne, wird dadurch gerechtfertigt, daß der Geiſt des Kuͤnſtlers durch dieſe Geſtalten von dem, was und wie er gedacht hat, einen koͤrperlichen Ausdruck giebt, und die Sache ſelbſt gleichſam mimiſch ſprechen macht: ein ſehr gewoͤhnliches Spiel unſerer Phantaſie, welche lebloſen Dingen ihrer Form gemaͤs einen Geiſt unter - legt, der aus ihnen ſpricht.

3) Die Kunſt des ſchoͤnen Spiels der Empfindungen, (die von auſſen erzeugt wer - den) und das ſich gleichwohl doch muß allgemein mittheilen laſſen, kann nichts anders, als die Propor - tion der verſchiedenen Grade der Stimmung (Spannung) des209I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.des Sinns, dem die Empfindung angehoͤrt, d. i. den Ton deſſelben betreffen, und in dieſer weitlaͤuftigen Bedeutung des Worts kann ſie in das kuͤnſtliche Spiel mit dem Tone der Empfindung des Gehoͤrs und der des Geſichts, mithin in Muſik und Farbenkunſt, ein - getheilt werden. Es iſt merkwuͤrdig: daß dieſe zwey Sinne, außer der Empfaͤnglichkeit fuͤr Eindruͤcke, ſo viel davon erforderlich iſt, um von aͤußern Gegen - ſtaͤnden vermittelſt ihrer Begriffe zu bekommen, noch einer beſonderen damit verbundenen Empfindung faͤhig ſind, von welcher man nicht recht ausmachen kann, ob ſie den Sinn, oder die Reflexion zum Grunde habe und daß dieſe Affectibilitaͤt doch bisweilen man - geln kann, obgleich der Sinn uͤbrigens, was ſeinen Gebrauch zum Erkenntnis der Objecte betrift, gar nicht mangelhaft, ſondern wohl gar vorzuͤglich fein iſt; das heißt, man kann nicht mit Gewisheit ſagen: ob eine Farbe oder ein Ton (Klang) blos angenehme Empfindungen, oder an ſich ſchon ein ſchoͤnes Spiel von Empfindungen ſeyn und als ein ſolches ein Wohl - gefallen an der Form in der aͤſthetiſchen Beurtheilung bey ſich fuͤhren. Wenn man die Schnelligkeit der Licht - oder in der zweyten Art, der Luftbebungen, die alles unſer Vermoͤgen, die Proportion der Zeiteintheilung durch dieſelbe unmittelbar bey der Warnehmung zu beurtheilen, wahrſcheinlicherweiſe bey weitem uͤbertrift, bedenkt, ſo ſollte man glauben, nur die WirkungKants Crit. d. Urtheilskr. O210I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.dieſer Zitterungen auf die elaſtiſche Theile unſeres Koͤrpers werde empfunden, die Zeiteintheilung durch dieſelbe aber nicht bemerkt und in Beurtheilung gezogen, mithin mit Farben und Toͤnen nur Annehm - lichkeit, nicht Schoͤnheit ihrer Compoſition, verbun - den. Bedenkt man aber dagegen erſtlich: das Ma - thematiſche, welches ſich uͤber die Proportion dieſer Schwingungen in der Muſik und ihre Beurtheilung ſagen laͤßt und beurtheilt die Farbenabſtechung wie billig nach der Analogie mit der letztern; Zweytens, zieht man die, ob zwar ſeltene Beyſpiele von Men - ſchen, die mit dem beſten Geſichte von der Welt nicht haben Farben und, mit dem ſchaͤrfſten Gehoͤr, nicht Toͤne unterſcheiden koͤnnen, imgleichen fuͤr die, die dieſes koͤnnen, die Warnehmung einer veraͤnderten Qualitaͤt (nicht blos des Grades der Empfindung) bey den verſchiedenen Anſpannungen auf der Farben - oder Tonleiter, imgleichen daß die Zahl derſelben fuͤr begreifliche Unterſchiede beſtimmt iſt: ſo moͤchte man ſich genoͤthigt ſehen, die Empfindungen von beyden nicht als bloßen Sinneneindruck, ſondern als die Wirkung einer Beurtheilung der Form im Spiele vieler Empfindungen anzuſehen. Der Unterſchied, den die eine oder die andere Meynung in der Beurthei - lung des Grundes der Muſik giebt wuͤrde aber nur die Definition dahin veraͤndern, daß ſie entweder, wie wir gethan haben, ſie fuͤr das ſchoͤne Spiel der211I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Empfindungen (durchs Gehoͤr) oder angenehmer Empfindungen erklaͤrten. Nur nach der erſteren Er - klaͤrungsart wird Muſik gaͤnzlich als ſchoͤne, nach der zweyten aber als angenehme Kunſt (wenigſtens zum Theil) vorgeſtellt werden.

§. 52. Von der Verbindung der ſchoͤnen Kuͤnſte in einem und demſelben Producte.

Die Beredſamkeit kann mit einer mahleriſchen Dar - ſtellung, ihrer Subjecte ſowohl, als Gegenſtaͤnde, in einem Schauſpiele, die Poeſie mit Muſik im Ge - ſange, dieſer aber zugleich mit mahleriſcher (theatrali - ſcher) Darſtellung in einer Opera, das Spiel der Empfindungen in einer Muſik mit dem Spiele der Ge - ſtalten im Tanz u. ſ. w. verbunden werden. Auch kann die Darſtellung des Erhabenen, ſo fern ſie zur ſchoͤnen Kunſt gehoͤrt, in einem gereimten Trauerſpiele, einem Lehrgedichte, einem Oratorium ſich mit der Schoͤnheit vereinigen und in dieſen Verbindnngen iſt die ſchoͤne Kunſt noch kuͤnſtlicher, ob aber auch ſchoͤner, (da ſich ſo mannigfaltige verſchiedene Arten des Wohlgefal - lens einander durchkreutzen) kann in einigen dieſer Faͤlle bezweifelt werden. Doch in aller ſchoͤnen Kunſt beſteht das Weſentliche in der Form, welche fuͤr die Beobach - tung und Beurtheilung zweckmaͤßig iſt, wo die Luſt zu - gleich Cultur iſt und den Geiſt zu Jdeen ſtimmt, mithinO 2212I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ihn mehrerer ſolcher Luſt und Unterhaltung empfaͤnglich macht, nicht in der Materie der Empfindung (dem Reitze oder der Ruͤhrung), wo es blos auf Genuß ange - legt iſt, welcher nichts in der Jdee zuruͤcklaͤßt, den Geiſt ſtumpf, den Gegenſtand aneckelnd und das Gemuͤth, durch das Bewuſtſeyn ſeiner im Urtheile der Vernunft zweckwidrigen Stimmung, mit ſich ſelbſt unzufrieden und launiſch macht.

Wenn die ſchoͤne Kuͤnſte nicht, nahe oder fern, mit moraliſchen Jdeen in Verbindung gebracht werden, die allein ein ſelbſtſtaͤndiges Wohlgefallen bey ſich fuͤhren, ſo iſt das letztere ihr endliches Schickſal. Sie dienen als - denn nur zur Zerſtreuung, deren man immer deſto mehr beduͤrftig wird, als man ſich ihrer bedient, um die Unzu - friedenheit des Gemuͤths mit ſich ſelbſt dadurch zu ver - treiben, daß man ſich immer noch unnuͤtzlicher und mit ſich ſelbſt unzufriedener macht: Ueberhaupt ſind die Schoͤn - heiten der Natur zu der erſteren Abſicht am zutraͤglich - ſten, wenn man fruͤhe dazu gewohnt wird, ſie zu beob - achten, zu beurtheilen und zu bewundern.

§. 53. Vergleichung des aͤſthetiſchen Werths der ſchoͤnen Kuͤnſte untereinander.

Unter allen behauptet die Dichtkunſt (die faſt gaͤnzlich dem Genie ihren Urſprung verdankt und am wenigſten durch Vorſchrift, oder durch Beyſpiele geleitet213I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſeyn will) den oberſten Rang. Sie erweitert das Ge - muͤth dadurch, daß ſie die Einbildungskraft in Freyheit ſetzt und innerhalb den Schranken eines gegebenen Be - grifs, unter der unbegrenzten Mannigfaltigkeit moͤg - licher damit znſammenſtimmender Formen, diejenige darbietet, welche die Darſtellung deſſelben mit einer Ge - dankenfuͤlle verknuͤpft, der kein Sprachausdruck voͤllig adaͤquat iſt und ſich alſo aͤſthetiſch zu Jdeen erhebt. Sie ſtaͤrkt das Gemuͤth, indem ſie es ſein freyes, ſelbſtthaͤti - ges und von der Naturbeſtimmung unabhaͤngiges Ver - moͤgen fuͤhlen laͤßt, die Natur, als Erſcheinung, nach Anſichten zu betrachten und zu beurtheilen, die ſie nicht von ſelbſt, weder fuͤr den Sinn noch den Verſtand in der Erfahrung darbietet und ſie alſo zum Behuf und gleichſam zum Schema des Ueberſinnlichen zu gebrauchen. Sie ſpielt mit dem Schein, den ſie nach Belieben be - wirkt, ohne doch dadurch zu betruͤgen; denn ſie erklaͤrt ihre Beſchaͤftigung ſelbſt fuͤr bloßes Spiel, welches gleichwohl vom Verſtande und zu deſſen Geſchaͤfte zweck - maͤßig gebraucht werden kann. Die Beredſamkeit, ſo fern darunter die Kunſt zu uͤberreden, d. i. durch den ſchoͤnen Schein zu hintergehen (als ars oratoria) und nicht bloße Wohlredenheit (Eloquenz und Styl) verſtanden wird, iſt eine Dialectik, die von der Dichtkunſt nur ſo viel entlehnt, als noͤthig iſt, die Gemuͤther vor der Beurtheilung fuͤr den Redner zu ſeinem Vortheil zu ge - winnen und dieſen die Freyheit zu benehmen, kann alſoO 3214I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.weder fuͤr die Gerichtsſchranken, noch fuͤr die Canzeln angerathen werden. Denn wenn es um buͤrgerliche Ge - ſetze, um das Recht einzelner Perſonen und um dauer - hafte Belehrung und Beſtimmung der Gemuͤther zur richtigen Kenntnis und gewiſſenhaften Beobachtung ih - rer Pflicht, zu thun iſt, ſo iſt es unter der Wuͤrde eines ſo wichtigen Geſchaͤftes, auch nur eine Spuhr von Uep - pigkeit des Witzes und der Einbildungskraft, noch mehr aber von der Kunſt zu uͤberreden und zu ſeinem Vortheil einzunehmen, blicken zu laſſen, welche, wenn ſie gleich bisweilen zu an ſich rechtmaͤßigen und lobenswuͤrdigen Abſichten angewandt werden kann, doch dadurch ver - werflich wird, daß auf dieſe Art die Maximen und Ge - ſinnungen ſubjectiv verderbt werden, wenn gleich die That objectiv geſetzmaͤßig iſt; indem es nicht genug iſt das, was Recht iſt, zu thun, ſondern dieſes auch aus dem Grunde, weil es allein Recht iſt, auszuuͤben. Auch hat der bloße deutliche Begrif dieſer Arten von menſch - licher Angelegenheit, mit einer lebhaften Darſtellung in Beyſpielen verbunden und ohne Verſtos wieder die Re - geln des Wohllauts der Sprache, oder der Wohlanſtaͤn - digkeit des Ausdrucks, fuͤr Jdeen der Vernunft (die zu - ſammen die Wohlredenheit ausmachen) ſchon fuͤr ſich hinreichenden Einflus auf menſchliche Gemuͤther, ohne daß es noͤthig waͤre noch die Maſchinen der Ueberredung hiebey anzulegen, welche, da ſie eben ſo wohl auch zur Beſchoͤnigung oder Verdeckung des Laſters und Jrr -215I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.thums gebraucht werden koͤnnen, den geheimen Verdacht wegen einer kuͤnſtlichen Ueberliſtung nicht ganz vertilgen koͤnnen. Jn der Dichtkunſt geht alles ehrlich und auf - richtig zu. Sie erklaͤrt ſich: ein bloßes unterhaltendes Spiel mit der Einbildungskraft und zwar der Form nach, einſtimmig mit Verſtandesgeſetzen treiben zu wol - len und verlangt nicht den Verſtand durch ſinnliche Dar - ſtellung zu uͤberſchleichen und zu verſtricken. *)Jch muß geſtehen: daß ein ſchoͤnes Gedicht mir immer ein reines Verguuͤgen gemacht hat, anſtatt daß die Leſung der beſten Rede eines roͤmiſchen Volks - oder jetzigen Parle - ments - oder Canzelredners jederzeit mit dem unangeneh - men Gefuͤhl der Misbilligung einer hinterliſtigen Kunſt vermengt war, die die Menſchen als Maſchinen in wichti - gen Dingen zu einem Urtheile zu bewegen verſteht, welches im ruhigen Nachdenken alles Gewicht bey ihnen verlieren muß. Beredheit und Wohlredenheit (zuſammen Rhetorick) gehoͤren zur ſchoͤnen Kunſt; aber Rednerkunſt (ars oratoria) iſt, als Kunſt ſich der Schwaͤchen der Menſchen zu ſeinen Abſichten zu bedienen (dieſe moͤgen immer ſo gut gemeynt, oder auch wirklich gut ſeyn, als ſie wollen) gar keiner Ach - tung wuͤrdig. Auch erhob ſie ſich nur, ſo wohl in Athen als in Rom, zur hoͤchſten Stufe zu einer Zeit, da der Staat ſeinem Verderben zu eilte und wahre patriotiſche Denkungs - art erloſchen war. Wer bey klarer Einſicht in Sachen die Sprache nach ihrem Reichthum und Reinigkeit in ſeiner Gewalt hat und, bey einer fruchtbaren zur Darſtellung ſei - ner Jdeen tuͤchtigen Einbildungskraft lebhaften Herzensan - theil am wahren Guten nimmt, iſt der vir bonus dicendi peritus, der Redner ohne Kunſt, aber voll Nachdruck, wie ihn Cicero haben will, ohne doch dieſem Jdeal ſelbſt immer treu geblieben zu ſeyn.

O 4216I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Nach der Dichtkunſt wuͤrde ich, wenn es um den Reitz und Bewegung des Gemuͤths zu thun iſt, diejenige, welche ihr unter den redenden am naͤchſten kommt und ſich damit auch ſehr natuͤrlich vereinigen laͤßt, naͤmlich die Tonkunſt ſetzen. Denn, ob ſie zwar durch lauter Empfindungen ohne Begriffe ſpricht, mithin nicht, wie die Poeſie, etwas zum Nachdenken uͤbrig blei - ben laͤßt, ſo bewegt ſie doch das Gemuͤth mannigfaltiger und, obgleich blos voruͤbergehend, doch inniglicher, iſt aber freylich mehr Genuß als Cultur (das Gedanken - ſpiel was nebenbey dadurch erregt wird, iſt blos die Wirkung einer gleichſam mechaniſchen Aſſociation) und hat, durch Vernunft beurtheilt, weniger Werth, als jede andere der ſchoͤnen Kuͤnſte. Daher verlangt ſie, wie jeder Genuß, oͤftern Wechſel und haͤlt die mehrma - lige Wiederholung nicht aus, ohne Ueberdruß zu erzeu - gen. Der Reitz derſelben, der ſich ſo allgemein mitthei - len laͤßt, ſcheint darauf zu beruhen: daß jeder Ausdruck der Sprache im Zuſammenhange einen Ton hat, der dem Sinne deſſelben angemeſſen iſt: daß dieſer Ton mehr oder weniger einen Affect des Sprechenden bezeich - net und gegenſeitig auch im Hoͤrenden hervorbringt, der denn in dieſem ungekehrt auch die Jdee erregt, die in der Sprache mit ſolchem Tone ausgedruͤckt wird und daß, ſo wie die Modulation gleichſam eine allgemeine jedem Menſchen verſtaͤndliche Sprache der Empfindun - gen iſt, die Tonkunſt dieſe fuͤr ſich allein in ihrem gan -217I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.zen Nachdrucke, naͤmlich als Sprache der Affecten aus - uͤbe und ſo, nach dem Geſetze der Aſſociation, die da - mit natuͤrlicher Weiſe verbundene aͤſthetiſche Jdeen allge - mein mittheile; daß aber, weil jene aͤſthetiſche Jdeen keine Begriffe und beſtimmte Gedanken ſind, die Form der Zuſammenſetzung dieſer Empfindungen (Harmonie und Melodie) nur, ſtatt der Form einer Sprache, dazu diene, vermittelſt einer proportionirten Stimmung der - ſelben (welche, weil ſie bey Toͤnen auf dem Verhaͤltnis der Zahl der Luftbebungen in derſelben Zeit, ſo fern die Toͤne zugleich oder auch nach einander verbunden wer - den, beruht, mathematiſch unter gewiſſe Regeln gebracht werden kann) die aͤſthetiſche Jdee eines zuſammenhan - genden Ganzen einer unnennbaren Gedankenfuͤlle einem gewiſſen Thema gemaͤß, welches den in dem Stuͤcke herrſchenden Affect ausmacht, auszudruͤcken. An dieſer mathematiſchen Form, obgleich nicht durch beſtimmte Begriffe vorgeſtellt, haͤngt allein das Wohlgefallen wel - ches die bloße Reflexion uͤber eine ſolche Menge einander begleitenden oder folgenden Empfindungen mit dieſem Spiele derſelben als fuͤr jedermann guͤltige Bedingung ſeiner Schoͤnheit verknuͤpft, und ſie iſt es allein nach welcher der Geſchmack ſich ein Recht uͤber das Urtheil von jedermann zum voraus auszuſprechen anmaßen darf.

Aber an dem Reitze und der Gemuͤthsbewegung, welche die Muſik hervorbringt, hat die Mathematik sicherlich nicht den mindeſten Antheil; ſondern ſie iſt nurO 5218I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.die unumgaͤngliche Bedingung (conditio ſine qua non) derjenigen Proportion der Eindruͤcke, in ihrer Verbin - dung ſowohl als ihrem Wechſel, dadurch es moͤglich wird ſie zuſammen zu faſſen und zu verhindern, daß dieſe einander nicht zerſtoͤhren, ſondern zu einer continuirlichen Bewegung und Belebung des Gemuͤths durch damit con - ſonirende Affecten und hiemit zu einem behaglichen Selbſtgenuſſe zuſammenſtimmen.

Wenn man dagegen den Werth der ſchoͤnen Kuͤnſte nach der Cultur ſchaͤtzt, die ſie dem Gemuͤth verſchaffen und die Erweiterung der Vermoͤgen, welche in der Ur - theilskraft zum Erkenntniſſe zuſammen kommen muͤſſen, zum Maasſtabe nimmt, ſo hat Muſik unter den ſchoͤnen Kuͤnſten ſo fern den unterſten (ſo wie unter denen, die zugleich nach ihrer Annehmlichkeit geſchaͤtzt werden, vielleicht den oberſten) Platz, weil ſie blos mit Empfin - dungen ſpielt. Die bildende Kuͤnſte gehen ihr alſo in dieſem Betracht weit vor, denn indem ſie die Einbil - dungskraft in ein freyes und doch zugleich dem Verſtande angemeſſenes Spiel verſetzen, ſo treiben ſie zugleich ein Geſchaͤfte, indem ſie ein Product zu Stande bringen, welches den Verſtandes-Begriffen zu einem dauerhaf - ten und fuͤr ſich ſelbſt ſich empfehlenden Vehikel dient, die Vereinigung derſelben mit der Sinnlichkeit und ſo gleichſam die Urbanitaͤt der obern Erkenntniskraͤfte zu befoͤrdern. Beyderley Art Kuͤnſte nehmen einen ganz verſchiedenen Gang: die erſtere von Empfindungen zu219I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.uubeſtimmten Jdeen, die zweyte Art aber von beſtimm - ten Jdeen zu Empfindungen. Die letztere ſind von bleibenden, die erſtere nur von tranſitoriſchen Eindrucke. Die Einbildungskraft kann jene zuruͤckrufen und ſich damit angenehm unterhalten, dieſe aber erloͤ - ſchen entweder gaͤnzlich, oder, wenn ſie unwillkuͤhrlich von der Einbildungskraft wiederholt werden, ſind ſie uns eher laͤſtig als angenehm. Unter den bildenden Kuͤnſten wuͤrde ich der Mahlerey den Vorzug geben, theils weil ſie, als Zeichnungskunſt, allen uͤbrigen bil - denden zum Grunde liegt, theils, weil ſie weit mehr in die Region der Jdeen eindringen und auch das Feld der Anſchauung, dieſen gemaͤs mehr erweitern kann, als es den uͤbrigen verſtattet iſt.

Anmerkung.

Zwiſchen dem, was blos in der Beurtheilung ge - faͤllt und dem, was vergnuͤgt (in der Empfindung gefaͤllt), iſt, wie wir oft gezeigt haben, ein weſentlicher Unterſchied. Das letztere iſt etwas, welches man nicht ſo, wie das erſtere, jedermann anſinnen kann. Vergnuͤgen, (die Urſache deſſel - ben mag immerhin auch in Jdeen liegen), ſcheint jederzeit in einem Gefuͤhl der Befoͤrderung des geſammten Lebens des Menſchen, mithin auch des koͤrperlichen Wohlbefindens d. i. der Geſundheit, zu beſtehen, ſo daß Epicur, der alles Ver - gnuͤgen im Grunde fuͤr koͤrperliche Empfindung ausgab, ſo fern vielleicht nicht Unrecht haben mag und ſich nur ſelbſt misverſtand, wenn er das intellectuelle und ſelbſt practiſche Wohlgefallen zu den Vergnuͤgen zaͤhlte. Wenn man den220I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.letztern Unterſchied vor Augen hat, ſo kann man ſich erklaͤ - ren, wie ein Vergnuͤgen, dem, der es empfindet, ſelbſt mis - fallen koͤnne (wie die Freude eines duͤrftigen aber wohlden - kenden Menſchen uͤber die Erbſchaft von ſeinem ihn liebenden aber kargen Vater) oder wie ein tiefer Schmerz dem der ihn leidet doch gefallen koͤnne (die Traurigkeit einer Wittwe uͤber ihres verdienſtvollen Mannes Tod) oder wie ein Vergnuͤgen oben ein noch gefallen koͤnne (wie das an Wiſſenſchaften, die wir treiben) oder ein Schmerz (z. B. Haß, Neid und Rach - gierde) uns noch dazu misfallen koͤnne. Das Wohlgefallen oder Misfallen beruht hier auf der Vernunft und iſt mit der Billigung oder Misbilligung einerley; Vergnuͤgen und Schmerz aber koͤnnen nur auf dem Gefuͤhl oder der Ausſicht eines, aus welchem Grunde es auch ſey, auf ein moͤgliches Wohl - oder Uebelbefinden beruhen.

Alles wechſelnde freye Spiel der Empfindungen (die keine Abſicht zum Grunde haben) vergnuͤgt; weil es das Gefuͤhl der Geſundheit befoͤrdert, wir moͤgen nun in der Vernunftbeurtheilung an ſeinem Gegenſtande und ſelbſt an dieſem Vergnuͤgen ein Wohlgefallen haben oder nicht, und dieſes Vergnuͤgen kann bis zum Affect ſteigen, ob gleich wir an dem Gegenſtande ſelbſt kein Jntereſſe, wenigſtens kein ſolches nehmen, was dem Grad des letztern proportionirt waͤre. Wir koͤnnen ſie ins Gluͤcksſpiel, Tonſpiel und Gedankenſpiel eintheilen. Das erſte fordert ein Jntereſſe es ſey der Eitelkeit oder des Eigennutzes, welches aber bey weitem nicht ſo gros iſt, als das an der Art, wie wir es uns zu verſchaffen ſuchen; das zweyte blos den Wechſel der Empfindungen, deren jede ihre Beziehung auf Affect, aber ohne den Grad eines Affects hat, und aͤſthetiſche Jdeen rege macht; das dritte entſpringt blos aus dem Wechſel der Vor - ſtellungen, in der Urtheilskraft, wodurch zwar kein Gedan -221I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ke, der irgend ein Jntereſſe bey ſich fuͤhrete, erzeugt, das Gemuͤth aber doch belebt wird.

Wie vergnuͤgend die Spiele ſeyn muͤſſen, ohne daß man noͤthig haͤtte intereſſirte Abſicht dabey zum Grunde zu legen, zeigen alle unſere Abendgeſellſchaften; denn ohne Spiel kann ſich beynahe keine unterhalten. Aber die Affecten der Hof - nung, der Furcht, der Freude, des Zorns, des Hohns ſpielen dabey, indem ſie jeden Augenblick wechſeln, ſind ſo lebhaft, daß dadurch, als eine innere Motion, das ganze Lebensgeſchaͤfte im Koͤrper befoͤrdert zu ſeyn ſcheint, wie eine dadurch er - zeugte Munterkeit des Gemuͤths es beweiſt, obgleich weder etwas gewonnen noch gelernt worden. Aber da das Gluͤcks - ſpiel kein ſchoͤnes Spiel iſt, ſo wollen wir es hier bey Seite ſetzen. Aber Muſik und Stof zum lachen ſind zweyerley Arten des Spiels mit aͤſthetiſchen Jdeen, oder auch Verſtan - desvorſtellungen, wodurch am Ende nichts gedacht wird und die blos durch ihren Wechſel lebhaft vergnuͤgen koͤnnen, wo - durch ſie ziemlich klar zu erkennen geben, daß die Belebung in beyden blos koͤrperlich ſey, ob ſie gleich von Jdeen des Gemuͤths erregt wird und daß das Gefuͤhl der Geſundheit, durch eine jener ihrem Spiele correſpondirenden Bewegung der Eingeweide, das ganze, fuͤr ſo fein und geiſtvoll geprie - ſene, Vergnuͤgen einer aufgeweckten Geſellſchaft ausmachen. Nicht die Beurtheilung der Harmonie in Toͤnen oder Witz - einfaͤllen, die mit ihrer Schoͤnheit nur zum nothwendigen Vehickel dient, ſondern das befoͤrderte Lebensgeſchaͤfte im Koͤrper, der Affect, der die Eingeweide und das Zwergfell bewegt, mit einem Worte das Gefuͤhl der Geſundheit (welche ſich ohne ſolche Veranlaßung ſonſt nicht fuͤhlen laͤßt) machen das Vergnuͤgen aus, welches man daran findet, daß man dem Koͤrper auch durch die Seele beykommen und dieſe zum Artzt von jenem brauchen kann.

222I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Jn der Muſik geht dieſes Spiel von der Empfindung des Koͤrpers zu aͤſthetiſchen Jdeen (der Objecte fuͤr Affecten) von dieſen alsdenn wieder zuruͤck, aber mit vereinigter Kraft, auf den Koͤrper. Jm Scherze (der eben ſo wohl wie jene eher zur angenehmen, als ſchoͤnen Kunſt gezaͤhlt zu werden verdient) hebt das Spiel von Gedanken an, die insgeſammt, ſo fern ſie ſich ſinnlich ausdruͤcken wollen, auch den Koͤrper beſchaͤftigen und, indem der Verſtand in dieſer Darſtellung, darinn er das Erwartete nicht findet, ploͤtzlich nachlaͤßt, ſo fuͤhlt man die Wirkung dieſer Nachlaſſung im Koͤrper durch die Schwingungen der Organen, welche die Herſtellung ihres Gleichgewichts befoͤrdert und auf die Geſundheit einen wohl - thaͤtigen Einflus hat.

Es muß in allem, was ein lebhaftes erſchuͤtterndes La - chen erregen ſoll, etwas Widerſinniges ſeyn, (woran alſo der Verſtand an ſich kein Wohlgefallen finden kann). Das Lachen iſt ein Affect aus der ploͤtzlichen Verwandlung einer geſpannten Erwartung in nichtſ. Eben dieſe Verwandlung, die fuͤr den Verſtand gewis nicht erfreulich iſt, erfreuet doch indirect auf einen Augenblick ſehr lebhaft; alſo muß die Urſache in dem Einfluſſe der Vorſtellung anf dem Koͤrper und deſſen Wechſelwirkung aufs Gemuͤth be - ſtehen und zwar nicht, ſo fern die Vorſtellung objectiv ein Gegenſtand des Vergnuͤgens iſt, wie etwa bey einem, der von einem großen Handlungsgewinn Nachricht bekommt (denn wie kann eine getaͤuſchte Erwartung vergnuͤgen), ſon - dern lediglich dadurch daß ſie, als bloßes Spiel der Vorſtel - lungen, ein Spiel der Lebenskraͤfte im Koͤrper hervorbringt.

Wenn jemand erzaͤhlt: daß, als ein Jndianer an der Tafel eines Englaͤnders in Surat eine Bouteille mit Ale oͤf - nen und alles dieſes Bier, in Schaum verwandelt, her - ausdringen ſah und mit vielen Ausrufungen ſeine große Ver -223I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.wunderung anzeigte, auf die Frage des Englaͤnders: was iſt denn hier ſich ſo ſehr zu verwundern, antwortete: Jch wun - dere mich auch nicht daruͤber, daß es herausgeht, ſondern wie ihrs habt herein kriegen koͤnnen: ſo lachen wir und es macht uns eine herzliche Luſt, nicht, weil wir uns etwa kluͤger fin - den als dieſen Unwiſſenden, oder ſonſt uͤber etwas, was uns der Verſtand hierin Wohlgefaͤlliges bemerken ließe, ſondern unſre Erwartung war geſpannt und verſchwindet ploͤtzlich in nichts. Oder wenn der Erbe eines reichen Verwandten die - ſem ſein Leichenbegaͤngnis recht feyerlich veranſtalten will und klagt, daß es ihm hiemit nicht recht gelingen wolle; denn ſagt er: je mehr ich meinen Trauerleuten Geld gebe betruͤbt auszuſehen, deſto luſtiger ſehen ſie aus: ſo lachen wir laut und der Grund liegt darinn daß eine Erwartung ſich ploͤtzlich in Nichts verwandelt. Man muß wohl bemer - ken: daß ſie ſich nicht in das Gegentheil eines erwarteten Gegenſtandes, denn das iſt immer Etwas und kann oͤfters betruͤben, ſondern in Nichts verwandeln muͤſſe. Denn wenn jemand uns mit der Erzaͤhlung einer Geſchichte große Erwar - tung erregt und wir beym Schluſſe die Unwahrheit derſelben ſofort einſehen, ſo macht es uns Misfallen, wie z. B. die von Leuten, die fuͤr großen Gram in einer Nacht graue Haare bekommen haben ſollen; dagegen, wenn auf eine der - gleichen Erzaͤhlung zur Erwiederung ein anderer Schalk ſehr umſtaͤndlich den Gram eines Kaufmanns erzaͤhlt, der aus Jndien mit allem ſeinen Vermoͤgen in Waaren, nach Euro - pa zuruͤckkehrend, in einem ſchweren Sturm alles uͤber Bord zu werfen genoͤthigt wurde und ſich dermaaßen graͤmte, daß ihm daruͤber in derſelben Nacht die Peruͤque grau wurde, ſo lachen wir und es macht uns Vergnuͤgen, weil wir unſern eignen Misgrif nach einem fuͤr uns uͤbrigens gleichguͤltigen Gegenſtande, oder vielmehr unſere verfolgte Jdee, wie einen224I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Ball, noch eine Zeit durch hin und herſchlagen, indem wir blos gemeynt ſind ihn zu greifen und feſt zu halten. Es iſt hier nicht die Abfertigung eines Luͤgners oder Dummkopfs, welche das Vergnuͤgen erweckt; denn auch fuͤr ſich wuͤrde die letztere mit angenommenen Ernſt erzaͤhlte Geſchichte in eine Geſellſchaft ein helles Lachen verſetzen und jenes waͤre ge - woͤhnlichermaßen auch der Muͤhe nicht werth.

Merkwuͤrdig iſt daß in allen ſolchen Faͤllen der Spas immer etwas in ſich enthalten muß, welches auf einen Augenblick taͤuſchen kann; daher, wenn der Schein in Nichts verſchwindet, das Gemuͤth wieder zuruͤckſieht um es mit ihm noch einmal zu verſuchen und ſo durch ſchnell hinter einander folgende Anſpannung und Abſpannung hin und zuruͤckgeſchnellt und in Schwankung geſetzt wird, die, weil der Abſprung von dem, was gleichſam die Saite anzog, ploͤtzlich (nicht durch ein allmaͤhliges Nachlaſſen) geſchah, eine Gemuͤthsbewegung und mit ihr harmoni - rende inwendige koͤrperliche verurſachen muß, die unwill - kuͤhrlich fortdauert und Ermuͤdung, dabey aber auch Auf - heiterung, die Wirkungen einer zur Geſundheit gereichen - den Motion, hervorbringt.

Denn, wenn man annimmt, daß mit allen unſern Gedanken zugleich irgend eine Bewegung in den Organen des Koͤrpers harmoniſch verbunden ſey, ſo wird man ſo ziemlich begreifen, wie jener ploͤtzlichen Verſetzung des Gemuͤths bald in einen bald in den andern Standpunct, um ſeinen Gegenſtand zu betrachten, eine wechſelſeitige Anſpannung und Loslaſſung der elaſtiſchen Theile unſerer Eingeweide, die ſich dem Zwergfell mittheilt, correſpondi - ren koͤnne, welche (gleich derjenigen welche, kitzliche Leute fuͤhlen) die Luft mit ſchnell einander folgenden Abſaͤtzen ausſtoͤßt und ſo eine der Geſundheit zutraͤgliche Bewe -gung225I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.gung bewirkt, die allein und nicht das, was im Gemuͤthe vorgeht, die eigentliche Urſache des Vergnuͤgens an einem Gedanken iſt, der im Grunde nichts vorſtellt. Voltaire ſagte, der Himmel habe uns zum Gegengewicht gegen die vielen Muͤhſeeligkeiten des Lebens zwey Dinge gegeben: die Hofnung und den Schlaf. Er haͤtte noch das Lachen da - zu rechnen koͤnnen; wenn die Mittel es bey Vernuͤnftigen zu erregen nur ſo leicht bey der Hand waͤren, und der Witz oder Originalitaͤt der Laune, die dazu erforderlich iſt, nicht eben ſo ſelten waͤren, als haͤufig das Talent Kopfbrechend, wie my - ſtiſche Gruͤbler, halsbrechend, wie Genies, oder herz - brechend, wie empfindſame Romanſchreiber, (auch wohl dergleichen Moraliſten) zu dichten.

Man kann alſo, wie mich duͤnkt, dem Epikur wohl ein - raͤumen: daß alles Vergnuͤgen, wenn es gleich durch Be - griffe veranlaßt wird, welche[aͤſt]hetiſche Jdeen erwecken, animaliſche d. i. koͤrperliche Empfindung, ſey, ohne da - durch dem geiſtigen Gefuͤhl der Achtung fuͤr moraliſche Jdeen welche kein Vergnuͤgen iſt, ſondern eine Selbſtſchaͤ - tzung (der Menſchheit in uns) die uns uͤber das Beduͤrfnis deſſelben erhebt, ja ſelbſt nicht einmal dem minder edlen des Geſchmacks im mindeſten Abbruch zu thun.

Etwas aus beyden zuſammengeſetztes findet ſich in der Naivitaͤt, die der Ausbruch der der Menſchheit urſpruͤng - lich natuͤrlichen Aufrichtigkeit wider die zur andern Natur gewordenen Verſtellungskunſt iſt. Man lacht uͤber die Ein - falt, die es noch nicht verſteht ſich zu verſtellen und erfreut ſich doch auch uͤber die Einfalt der Natur, die jener Kunſt hier einen Querſtrich ſpielt. Man erwartete die alltaͤgliche Sitte der gekuͤnſtelten und auf den ſchoͤnen Schein vorſichtig angelegten Aeußerung und ſiehe es iſt die unverdorbene ſchuld - loſe Natur, die man anzutreffen gar nicht gewaͤrtig und der,Kants Crit. d. Urtheilskr. P226I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſo ſie blicken ließ, zu entbloͤßen auch nicht gemeynet war. Daß der ſchoͤne, aber falſche Schein, der gewoͤhnlich in unſerm Urtheile ſehr viel bedeutet, hier ploͤtzlich in Nichts verwan - delt, daß gleichſam der Schalk in uns ſelbſt blos geſtellt wird, bringt die Bewegung des Gemuͤths nach zwey entgegenge - ſetzten Richtungen nach einander hervor, die zugleich den Koͤrper heilſam ſchuͤttelt. Daß aber etwas, was unendlich beſſer als alle angenommene Sitte iſt, die Lauterkeit der Den - kungsart, (wenigſtens die Anlage dazu) doch nicht ganz in der menſchlichen Natur erloſchen iſt, miſcht Ernſt und Hoch - ſchaͤtzung in dieſes Spiel der Urtheilskraft. Weil es aber nur eine kurze Zeit Erſcheinung iſt und die Decke der Verſtel - lungskunſt bald wieder vorgezogen wird, ſo mengt ſich zu - gleich ein Bedauren darunter, welches eine Ruͤhrung der Zaͤrtlichkeit iſt, die ſich als Spiel mit einem ſolchen gutherzi - gen Lachen ſehr wohl ver[bi]nden laͤßt, und auch wirklich da - mit gewoͤhnlich verbindet, zugleich auch die Verlegenheit deſſen, der den Stoff dazu hergiebt, daruͤber daß er noch nicht nach Menſchenweiſe gewitzigt iſt, zu verguͤten pflegt. Eine Kunſt naiv zu ſeyn iſt daher ein Widerſpruch; allein die Naivitaͤt in einer erdichteten Perſon vorzuſtellen iſt wohl moͤglich und ſchoͤne ob zwar auch ſeltene Kunſt. Mit der Naivitaͤt muß offenherzige Einfalt, welche die Natur nur dar - um nicht verkuͤnſtelt, weil ſie ſich darauf nicht verſteht was Kunſt des Umganges ſey, nicht verwechſelt werden.

Zu dem, was aufmunternd, mit dem Vergnuͤgen aus dem Lachen nahe verwandt und zur Originalitaͤt des Geiſtes, aber eben nicht zum Talent der ſchoͤnen Kunſt gehoͤrig iſt, kann auch die launigte Manier gezaͤhlt werden. Laune im guten Verſtande bedeutet naͤmlich das Talent ſich willkuͤhr - lich in eine gewiſſe Gemuͤthsdispoſition verſetzen zu koͤnnen, in der alle Dinge ganz anders als gewoͤhnlich (ſogar umge -227I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.kehrt), und doch gewiſſen Vernunftprincipien in einer ſolchen Gemuͤthsſtimmung gemaͤs, beurtheilt werden. Wer ſolchen Veraͤnderungen unwillkuͤhrlich unterworfen iſt, iſt laͤuniſch; wer ſie aber willkuͤhrlich und zweckmaͤßig (zum Behuf einer lebhaften Darſtellung vermittelſt eines Lachen erregenden Contraſtes) anzunehmen vermag, der und ſein Vortrag heißt launigt. Dieſe Manier gehoͤrt indeſſen mehr zur angeneh - men als ſchoͤnen Kunſt, weil der Gegenſtand der letzteren immer einige Wuͤrde an ſich zeigen muß und daher einen ge - wiſſen Ernſt in der Darſtellung, ſo wie der Geſchmack in der Beurtheilung, erfordert.

P 2228I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Der Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft Zweyter Abſchnitt. Die Dialectik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

§. 55.

Eine Urtheilskraft, die dialectiſch ſeyn ſoll, muß zuvoͤr - derſt vernuͤnftelnd ſeyn d. i. die Urtheile derſelben muͤſſen auf Allgemeinheit und zwar a priori Anſpruch machen*)Ein vernuͤnftelnd Urtheil (judicium ratiocinans) kann ein jedes heiſſen, das ſich als allgemein ankuͤndigt; denn ſo fern kann es zum Oberſatze in einem Vernunftſchluſſe dienen. Ein Vernunfturtheil (judicium ratiocinatum) kann dagegen nur ein ſolches genannt werden, welches als der Schlus - ſatz von einem Vernunftſchluſſe, folglich als a priori gegruͤn - det gedacht wird. denn in ſolcher Urtheile Entgegenſetzung beſteht die Din - lectik. Daher iſt die Unvereinbarkeit aͤſthetiſcher Sinnes - urtheile (uͤber das angenehme und unangenehme) nicht dialectiſch. Auch der Widerſtreit der Geſchmacksur - theile, ſo fern ſich ein jeder blos auf ſeinen eignen Ge - ſchmack beruft, macht keine Dialectik des Geſchmacks aus; weil niemand ſein Urtheil zur allgemeinen Regel229I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.zu machen gedenkt. Es bleibt alſo kein Begrif von einer Dialectik uͤbrig, die den Geſchmack angehen koͤnnte, als der einer Dialectik der Critik des Geſchmacks (nicht des Geſchmacks ſelbſt) in Anſehung ihrer Principien: da naͤmlich uͤber den Grund der Moͤglichkeit der Ge - ſchmacksurtheile uͤberhaupt einander widerſtreitende Be - griffe natuͤrlicher und unvermeidlicher Weiſe auftreten. Tranſcendentale Critik des Geſchmacks wird alſo nur ſo fern einen Theil enthalten, der den Nahmen einer Dia - lectik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft fuͤhren kann, wenn ſich eine Antinomie der Principien dieſes Vermoͤgen vor - ſindet, welche die Geſetzmaͤßigkeit deſſelben mithin auch ſeine innere Moͤglichkeit, zweifelhaft macht.

§. 56. Vorſtellung der Antinomie des Geſchmacks.

Der erſte Gemeinort des Geſchmacks iſt in dem Satze, womit ſich jeder Geſchmackloſe gegen Tadel zu ver - wahren denkt, enthalten. Ein jeder hat ſeinen eignen Geſchmack. Das heißt ſo viel, als der Be - ſtimmungsgrund dieſes Urtheils iſt blos ſubjectiv (Ver - gnuͤgen oder Schmerz) und das Urtheil hat kein Recht auf die nothwendige Beyſtimmung anderer.

Der zweyte Gemeinort deſſelben, der auch von de - nen ſogar gebraucht wird, die dem Geſchmacksurtheile das Recht einraͤumen, fuͤr jedermann guͤltig auszuſpre -P 3230I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.chen, iſt: uͤber den Geſchmack laͤßt ſich nicht diſputiren. Das heißt ſo viel, als: der Beſtim - mungsgrund eines Geſchmacksurtheils mag zwar auch objectiv ſeyn, aber laͤßt ſich nicht auf beſtimmte Begriffe bringen, mithin kann uͤber das Urtheil ſelbſt durch Beweiſe nichts entſchieden werden, obgleich daruͤber gar wohl und mit Recht geſtritten werden kann. Denn Strei - ten und Diſputiren ſind zwar darinn einerley, daß ſie durch wechſelſeitigen Widerſtand der Urtheile Ein - helligkeit derſelben hervorzubringen ſuchen, darinn aber verſchieden, daß das letztere dieſes nach beſtimmten Be - griffen als Beweisgruͤnden zu bewirken hofft, mithin objective Begriffe als Gruͤnde des Urtheils annimmt. Wo dieſes aber als unthunlich betrachtet wird, da wird das Disputiren eben ſowohl als unthunlich beurtheilt.

Man ſieht leicht, daß zwiſchen dieſen zweyen Ge - meinoͤrtern ein Satz fehlt, der zwar nicht ſpruͤchwoͤrtlich im Umlaufe, aber doch in jedermanns Sinne enthalten iſt, naͤmlich: uͤber den Geſchmack laͤßt ſich ſtrei - ten (obgleich nicht disputiren), dieſer Satz aber enthaͤlt das Gegentheil des oberſten Satzes. Denn woruͤber es erlaubt ſeyn ſoll zu ſtreiten, da muß Hofnung ſeyn unter einander uͤberein zu kommen, mithin muß man auf Gruͤnde, des Urtheils, die nicht blos Privatguͤltigkeit haben und alſo nicht blos ſubjectiv ſind, rechnen koͤnnen, welchem gleichwohl jener Grundſatz: ein jeder hat ſeinen eignen Geſchmack gerade entgegen iſt.

231I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Es zeiget ſich alſo in Anſehung des Princips des Geſchmacks folgende Antinomie:

1) Theſis. Das Geſchmacksurtheil gruͤndet ſich nicht auf Begriffen; denn ſonſt ließe ſich daruͤber dispu - tiren (durch Beweiſe entſcheiden).

2) Antitheſis. Das Geſchmacksurtheil gruͤndet ſich auf Begriffen; denn ſonſt ließe ſich, unerachtet der Verſchiedenheit deſſelben, daruͤber auch nicht einmal ſtrei - ten (auf die nothwendige Einſtimmung anderer mit die - ſem Urtheile Anſpruch machen).

§. 57. Aufloͤſung der Antinomie des Geſchmacks.

Es iſt keine Moͤglichkeit den Wiederſtreit jener jedem Geſchmacksurtheile untergelegten Principien (welche nichts anders ſind, als die oben in der Analytik vorge - ſtellten zwey Eigenthuͤmlichkeiten des Geſchmacksurtheils) zu heben, als daß man zeigt, der Begrif, worauf man das Object in dieſer Art Urtheile bezieht, werde in bey - den Maximen der aͤſthetiſchen Urtheilskraft nicht in einerley Sinn genommen; dieſer zwiefache Sinn, oder Geſichtspunct, der Beurtheilung ſey unſerer transſcen - dentalen Urtheilskraft nothwendig, aber auch der Schein, in der Vermengung des einen mit dem andern, als natuͤrliche Jlluſion, unvermeidlich.

Auf irgend einen Begrif muß ſich das Geſchmacks - urtheil beziehen; denn ſonſt koͤnnte es ſchlechterdingsP 4232I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.nicht auf nothwendige Guͤltigkeit fuͤr jedermann An - ſpruch machen. Aber aus einem Begriffe darf es darum eben nicht erweislich ſeyn, weil ein Begrif entweder be - ſtimmbar oder auch an ſich unbeſtimmt und zugleich un - beſtimmbar ſeyn kann. Von der erſtern Art iſt der Ver - ſtandesbegrif, der durch Praͤdicate der ſinnlichen An - ſchauung, die ihm correſpondiren kann, beſtimmbar iſt; von der zweyten aber der transſcendentale Vernunftbe - grif, von dem Ueberſinnlichen, was aller jener An - ſchauung zum Grunde liegt, der alſo weiter nicht be - ſtimmt werden kann.

Nun geht das Geſchmacksurtheil auf Gegenſtaͤnde der Sinne, aber nicht um einen Begrif derſelben fuͤr den Verſtand zu beſtimmen; denn es iſt kein Erkenntnis - urtheil. Es iſt daher, als aufs Gefuͤhl der Luſt bezogene anſchauliche einzelne Vorſtellung, nur ein Privaturtheil und ſo fern wuͤrde es ſeiner Guͤltigkeit nach auf das ur - theilende Jndividuum allein beſchraͤnkt ſeyn: der Gegen - ſtand iſt fuͤr mich ein Gegenſtand des Wohlgefallens, fuͤr andre mag es ſich anders verhalten; ein jeder hat ſeinen Geſchmack.

Gleichwohl iſt ohne Zweifel im Geſchmacksurtheile eine erweiterte Beziehung der Vorſtellung des Objects (zugleich auch des Subjects) enthalten, worauf wir eine Ausdehnung dieſer Art Urtheile, als nothwendig fuͤr jedermann, gruͤnden, welcher nothwendig irgend ein Begrif zum Grunde liegen muß, aber ein Begrif der233I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſich gar nicht durch Anſchauung beſtimmen, durch den ſich nichts erkennen, mithin auch kein Beweis fuͤr das Geſchmacksurtheil fuͤhren laͤßt. Ein derglei - chen Begrif aber iſt der bloße reine Vernunftbegrif von dem Ueberſinnlichen, was dem Gegenſtande (und auch dem urtheilenden Subjecte) als Sinnenobjecte mithin Erſcheinung zum Grunde liegt. Denn naͤhme man eine ſolche Ruͤckſicht nicht an, ſo waͤre der Anſpruch des Ge - ſchmacksurtheils auf allgemeine Guͤltigkeit nicht zu ret - ten; waͤre der Begrif, worauf es ſich gruͤndet ein nur blos verworrener Verſtandesbegrif, etwa von Vollkom - menheit, dem man correſpondirend die ſinnliche An - ſchauung des Schoͤnen geben koͤnnte, ſo wuͤrde es wenig - ſtens an ſich moͤglich ſeyn, das Geſchmacksurtheil auf Beweiſe zu gruͤnden, welches der Theſis widerſpricht.

Nun faͤllt aber aller Widerſpruch weg, wenn ich ſage; das Geſchmacksurtheil gruͤndet ſich auf einem Begriffe, (eines Grundes uͤberhaupt von der ſubjectiven Zweckmaͤßigkeit der Natur fuͤr die Urtheilskraft) aus dem aber nichts in Anſehung des Objects erkannt und bewieſen werden kann, weil er an ſich unbeſtimmbar und zum Erkenntnis untauglich iſt; es bekommt aber durch eben denſelben doch zugleich Guͤltigkeit fuͤr jedermann (bey jedem zwar als einzelnes, die Anſchauung unmit - telbar begleitendes, Urtheil) weil der Beſtimmungs - grund deſſelben vielleicht im Begriffe von demjenigenP 5234I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.liegt, was als das uͤberſinnliche Subſtrat der Menſch - heit angeſehen werden kann.

Es kommt bey der Aufloͤſung einer Antinomie nur auf die Moͤglichkeit an, daß zwey einander dem Scheine nach wiederſtreitende Saͤtze einander in der That nicht widerſprechen, ſondern neben einander beſtehen koͤnnen, wenn gleich die Erklaͤrung der Moͤglichkeit ihres Begrifs unſer Erkenntnisvermoͤgen uͤberſteigt. Daß dieſer Schein auch natuͤrlich und der menſchlichen Vernunft unvermeidlich ſey, imgleichen warum er es ſey und bleibe, ob er gleich nach der Aufloͤſung des Scheinwider - ſpruchs nicht betruͤgt, kann hieraus auch begreiflich ge - macht werden.

Wir nehmen naͤmlich den Begrif, worauf die Allge - meinguͤltigkeit eines Urtheils ſich gruͤnden muß, in bey - den widerſtreitenden Urtheilen in einerley Bedeutung und ſagen doch von ihm zwey entgegengeſetzte Praͤdicate aus. Jn der Theſis ſollte es daher heiſſen: Das Ge - ſchmacksurtheil gruͤndet ſich nicht auf beſtimmten Begriffen, in der Antitheſis aber: das Geſchmacksur - theil gruͤndet ſich doch auf einem, ob zwar unbeſtimm - ten, Begriffe (nemlich vom uͤberſinnlichen Subſtrat der Erſcheinungen) und alsdann waͤre zwiſchen ihnen kein Widerſtreit.

Mehr, als dieſen Widerſtreit in den Anſpruͤchen und Gegenanſpruͤchen des Geſchmacks zu heben, koͤnnen wir nicht leiſten. Ein beſtimmtes objectives Princip235I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.des Geſchmacks, wornach die Urtheile deſſelben geleitet, gepruͤft und bewieſen werden koͤnnten, zu geben, iſt ſchlechterdings unmoͤglich; denn es waͤre alsdenn kein Geſchmacksurtheil. Das ſubjective Princip, naͤmlich die unbeſtimmte Jdee des Ueberſinnlichen in uns, kann nur als der einzige Schluͤſſel der Entraͤthſelung dieſes uns ſelbſt ſeinen Quellen nach verborgenen Vermoͤgens an - gezeigt, aber durch nichts weiter begreiflich gemacht werden.

Der hier aufgeſtellten und ausgeglichenen Antino - mie liegt der richtige Begrif des Geſchmacks, naͤmlich als einer blos reflectirenden aͤſthetiſchen Urtheilskraft, zum Grunde und da wurden beyde dem Scheine nach wider - ſtreitende Grundſaͤtze mit einander vereinig[t], indem beyde wahr ſeyn koͤnnen, welches auch genug iſt. Wuͤrde dagegen zum Beſtimmungsgrunde des Ge - ſchmacks, (wegen der Einzelnheit der Vorſtellung, die dem Geſchmacksurtheil zum Grunde liegt), wie von Einigen geſchieht, die Annehmlichkeit, oder wie an - dere (wegen der Allgemeinguͤltigkeit deſſelben) wollen, das Princip der Vollkommenheit angenommen und die Definition des Geſchmacks darnach eingerichtet, ſo entſpringt daraus eine Antinomie, die ſchlechterdings nicht auszugleichen iſt, als ſo; daß man zeigt, daß beyde einander (aber nicht blos contradictoriſch) ent - gegenſtehende Saͤtze falſch ſind; welches dann be - weiſet, daß der Begrif worauf ein jeder gegruͤndet iſt,236I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſich ſelbſt widerſpreche. Man ſieht alſo, daß die Hebung der Antinomie der aͤſthetiſchen Urtheilskraft einen aͤhn - lichen Gang nehme, als den die Critik in Aufloͤſung der Antinomien der reinen theoretiſchen Vernunft befolgte und daß, eben ſo hier und auch in der Critik der practi - ſchen Vernunft die Antinomien wider Willen noͤthigen uͤber das Sinnliche hinaus zu ſehen und im Ueberſinn - lichen den Vereinigungspunct aller unſerer Vermoͤgen a priori zu ſuchen; weil kein anderer Ausweg uͤbrig bleibt, die Vernunft mit ſich ſelbſt einſtimmig zu machen.

Anmerkung I.

Da wir in der Tranſcendental Philoſophie ſo oft Ver - anlaſſung finden, Jdeen von Verſtandesbegriffen zu unter - ſcheiden, ſo kann es von Nutzen ſeyn ihrem Unterſchiede an - gemeſſene Kunſtausdruͤcke einzufuͤhren. Jch glaube, man werde nichts dawider haben, wenn ich welche in Vorſchlag bringe. Jdeen in der allgemeinſten Bedeutung ſind, nach einem gewiſſen (ſubjectiven oder objectiven) Princip, auf ei - nen Gegenſtand bezogene Vorſtellungen, ſofern ſie doch nie eine Erkenntnis deſſelben werden koͤnnen. Sie ſind entweder nach einem blos ſubjectiven Princip der Uebereinſtimmung der Erkenntnisvermoͤgen unter einander (der Einbildungskraft und des Verſtandes) auf eine Anſchauung bezogen und hei - ßen alsdann aͤſthetiſche, oder nach einem objectiven Prin - cip auf einen Begrif bezogen und koͤnnen doch nie eine Er - kenntnis des Gegenſtandes abgeben und heißen Vernunft - ideen, in welchem Falle der Begrif ein tranſcendenter Begrif iſt, welcher vom Verſtandesbegriffe, dem jederzeit237I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.eine adaͤquat[kor]reſpondirende Erfahrung untergelegt werden kann und der darum immanent heißt, unterſchieden iſt.

Eine aͤſthetiſche Jdee kann keine Erkenntnis werden, weil ſie eine Anſchauung (der Einbildungskraft) iſt, der niemals ein Begrif adaͤquat gefunden werden kann. Eine Vernunftidee kann nie Erkenntnis werden, weil ſie einen Begrif (vom Ueberſinnlichen) enthaͤlt, dem niemals eine Anſchauung angemeſſen gegeben werden kann.

Nun glaube ich, man koͤnne die aͤſthetiſche Jdee eine in - exponible Vorſtellung der Einbildungskraft, die Vernunft - idee aber einen indemonſtrabeln Begrif der Vernunft nen - nen. Von beiden wird vorausgeſetzt, daß ſie nicht etwa gar grundlos, ſondern (nach der obigen Erklaͤrung einer Jdee uͤberhaupt) gewiſſen Principien der Erkenntnisvermoͤgen, dazu ſie gehoͤren (jene den ſubjectiven, dieſe objectiven Prin - eipien) gemaͤs erzeugt ſeyn.

Verſtandesbegriffe muͤſſen, als ſolche, jederzeit de - monſtrabel ſeyn, d. i. der ihnen correſpondirende Gegenſtand muß jederzeit in der Anſchauung (reinen oder empiriſchen) ge - geben werden koͤnnen; denn dadurch allein koͤnnen ſie Er - kenntniſſe werden. Der Begrif der Groͤße kann in der Rau - mesanſchauung a priori, z. B. einer geraden Linie u. ſ. w. ge - geben werden; der Begrif der Urſache, an der Undurch - dringlichkeit, dem Stoße der Koͤrper u. ſ. w.; mithin koͤnnen beyde durch eine empiriſche Anſchauung belegt, d. i. der Ge - danke davon an einem Beyſpiele gewieſen (demonſtrirt, auf - gezeigt,) werden und dieſes muß geſchehen koͤnnen; widrigen - falls man nicht gewis iſt, ob der Gedanke nicht leer, d. i. ohne alles Object ſey.

Man bedient ſich in der Logik der Ausdruͤcke des Demon - ſtrabeln oder Jndemonſtrabeln gemeiniglich nur in Anſe - hung der Saͤtze, da die erſtere beſſer durch die Benennung238I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.der nur mittelbar, die zweyte der unmittelbar - gewiſſen Saͤtze koͤnnten bezeichnet werden; denn die reine Philoſophie hat auch Saͤtze von beyden Arten, wenn darunter beweis - faͤhige und beweisunfaͤhige wahre Saͤtze verſtanden werden; aber aus Gruͤnden a priori kann ſie, als Philoſophie, zwar beweiſen, aber nicht demonſtriren, wenn man nicht ganz und gar von der Wortbedeutung abgehen will, nach welcher de - monſtriren (oſtendere, exhibere) ſo viel heißt, als (es ſey im Beweiſen oder auch blos im Definiren) ſeinen Begrif zu - gleich in der Anſchauung darſtellen, welche, wenn ſie An - ſchauung a priori iſt, das Conſtruiren deſſelben heißt, iſt dieſe aber auch empiriſch, gleichwohl die Vorzeigung des Objects iſt, durch welche dem Begriffe die objective Realitaͤt geſichert wird. So ſagt man von einem Anatomiker: er demonſtrire das menſchliche Auge, wenn er den Begrif, den er vorher discurſiv vorgetragen hat, vermittelſt der Zergliederung die - ſes Organs anſchaulich macht.

Dieſem zu Folge iſt der Vernunftbegrif vom uͤberſinnli - chen Subſtrat aller Erſcheinungen uͤberhaupt, oder auch von dem, was unſerer Willkuͤhr in Beziehung auf moraliſche Ge - ſetze zum Grunde gelegt werden muß, naͤmlich der tranſcen - dentalen Freyheit, ſchon der Species nach ein indemonſtra - bler Begrif und Vernunftidee, Tugend aber dem Grade nach, weil dem erſteren an ſich gar nichts der Qualitaͤt nach in der Erfahrung correſpondirendes gegeben werden kann, in der zweyten aber kein Erfahrungsproduct jener Cauſalitaͤt den Grad erreicht, den die Vernunftidee zur Regel vorſchreibt.

So wie an einer Vernunftidee die Einbildungskraft, mit ihren Anſchauungen, den gegebenen Begrif nicht erreicht, ſo erreicht bey einer aͤſthetiſchen Jdee der Verſtand, durch ſeine Begriffe, nie die ganze innere Anſchauung der Einbil - dungskraft, welche ſie mit einer gegebenen Vorſtellung ver -239I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.biudet. Da nun eine Vorſtellung der Einbildungskraft auf Begriffe bringen ſo viel heißt, als ſie exponiren: ſo kann die aͤſthetiſche Jdee eine inexponible Vorſtellung derſelben (in ihrem freyen Spiele) genannt werden. Jch werde von dieſer Art Jdeen in der Folge noch einiges auszufuͤhren Gele - genheit haben; jetzt bemerke ich nur: daß beyde Arten von Jdeen, die Vernunftideen ſowohl als die aͤſthetiſchen, ihre Principien haben muͤſſen und zwar beyde in der Vernunft, jene in den objectiven, dieſe in den ſubjectiven Principien ihres Gebrauchs.

Man kann dieſem zu Folge Genie auch durch das Ver - moͤgen aͤſthetiſcher Jdeen erklaͤren, wodurch zugleich der Grund angezeigt wird, warum in Producten des Genie’s die Natur (des Subjects), nicht ein uͤberlegter Zweck, der Kunſt (der Hervorbringung des Schoͤnen) die Regel giebt. Denn da das Schoͤne nicht nach Begriffen beurtheilt werden muß, ſondern nach der zweckmaͤßigen Stimmung der Einbil - dungskraft zur Uebereinſtimmung mit dem Vermoͤgen der Begriffe uͤberhaupt, ſo kann nicht Regel und Vorſchrift, ſon - dern nur das, was blos Natur im Subjecte iſt, aber nicht unter Regeln oder Begriffe gefaßt werden kann, d. i. das uͤberſinnliche Subſtrat aller ſeiner Vermoͤgen (welches kein Verſtandesbegrif erreicht) folglich das, worauf in Beziehung alle unſere Erkenntnisvermoͤgen zuſammenſtimmend zu ma - chen der letzte durch das Jntelligibele unſerer Natur gegebene Zweck iſt, jener aͤſthetiſchen aber unbedingten Zweckmaͤßig - keit in der ſchoͤnen Kunſt, die jedermann gefallen zu muͤſſen rechtmaͤßigen Anſpruch machen ſoll, zum ſubjectiven Richt - maaße dienen. So iſt es auch allein moͤglich, daß dieſe, der man kein objectives Princip vorſchreiben kann, ein ſubjectives und doch allgemeinguͤltiges Princip a priori zum Grunde liege.

240I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Anmerkung II.

Folgende wichtige Bemerkung bietet ſich hier von ſelbſt dar: daß es naͤmlich dreyerley Arten der Antinomie der reinen Vernunft gebe, die aber alle darin uͤbereinkommen, daß ſie dieſelbe zwingen, von der ſonſt ſehr natuͤrlichen Vor - ausſetzung, die Gegenſtaͤnde der Sinne fuͤr die Dinge an ſich ſelbſt zu halten, abzugehen, ſie vielmehr blos fuͤr Erſcheinun - gen gelten zu laſſen und ihnen ein intelligibles Subſtrat (et - was Ueberſinnliches, wovon der Begrif nur Jdee iſt und keine eigentliche Erkenntnis zulaͤßt) unterzulegen. Ohne eine ſolche Antinomie wuͤrde die Vernunft ſich niemals zu Anneh - mung eines ſolchen das Feld ihrer Speculation ſo ſehr veren - genden Princips und zu Aufopferungen, wobey ſo viele ſonſt ſehr ſchimmernde Hofnungen gaͤnzlich verſchwinden muͤſſen, entſchließen koͤnnen; denn ſelbſt jetzt, da ſich ihr zur Verguͤ - tung dieſer Einbuße ein um deſto groͤßerer Gebrauch in pra - ctiſcher Ruͤckſicht eroͤfnet, ſcheint ſie ſich nicht ohne Schmerz von jenen Hofnungen trennen und von der alten Anhaͤnglich - keit losmachen zu koͤnnen.

Daß es drey Arten der Antinomie giebt, hat ſeinen Grund darin, daß es drey Erkenntnisvermoͤgen, Verſtand, Urtheilskraft und Vernunft giebt, deren jedes (als oberes Er - kenntnisvermoͤgen) ſeine Principien a priori haben muß, da denn die Vernunft, ſofern ſie uͤber dieſe Principien ſelbſt und ihren Gebrauch urtheilt, in Anſehung ihrer aller zu dem ge - gebenen bedingten unnachlaslich das Unbedingte fordert, wel - ches ſich doch nie finden laͤßt, wenn man das Sinnliche, als zu den Dingen an ſich ſelbſt gehoͤrig betrachtet und ihm nicht vielmehr, als bloßer Erſcheinung, etwas Ueberſinnliches (das intelligibele Subſtrat der Natur außer uns und in uns) als Sache an ſich ſelbſt unterlegt. Da giebt es dann 1) eineAnti -241I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Antinomie der Vernunft in Anſehung des theoretiſchen Ge - brauchs des Verſtandes bis zum Unbedingten hinauf fuͤrs Erkenntnisvermoͤgen, 2) eine Antinomie der Vernunft in Anſehung des aͤſthetiſchen Gebrauchs der Urtheilskraft fuͤrs Gefuͤhl der Luſt und Unluſt, 3) eine Antinomie in Anſehung des practiſcheu Gebrauchs der an ſich ſelbſt geſetz - gebenden Vernunft fuͤrs Begehrungsvermoͤgen: ſofern alle dieſe Vermoͤgen ihre obere Principien a priori haben und, gemaͤs einer unumgaͤnglichen Forderung der Vernunft, nach dieſen Principien auch unbedingt muͤſſen urtheilen und ihr Object ſollen beſtimmen koͤnnen.

Jn Anfehung zweyer Antinomien, der des theoretiſchen und der des practiſchen Gebrauchs, jener obern Erkenntnis - vermoͤgen haben wir die Unvermeidlichkeit derſelben, wenn dergleichen Urtheile nicht auf ein uͤberſinnliches Subſtrat der gegebenen Objecte, als Erſcheinungen, zuruͤckſehen, dage - gen aber auch die Aufloͤslichkeit derſelben, ſobald das letz - tere geſchieht, ſchon anderwaͤrts gezeigt. Was nun die An - tinomie im Gebrauche der Urtheilskraft, gemaͤs der Forde - rung der Vernunft und deren hier gegebene Aufloͤſung be - trift, ſo giebts kein anderes Mittel derſelben auszuweichen, als entweder zu laͤugnen, daß dem aͤſthetiſchen Geſchmacks - urtheile irgend ein Princip a priori zum Grunde liege, daß aller Anſpruch auf Nothwendigkeit allgemeiner Beyſtimmung grundloſer leerer Wahn ſey und ein Geſchmacksurtheil nur ſofern fuͤr richtig gehalten zu werden verdienen, weil es ſich trift, daß viele in Anſehung deſſelben uͤbereinkommen und auch dieſes eigentlich nicht um deswillen, weil man hinter dieſer Einſtimmung ein Princip a priori vermuthet, ſondern (wie im Gaumengeſchmack) weil die Subjecte zufaͤlliger Weiſe gleichfoͤrmig organiſirt ſeyn: oder man muͤßte anneh - men, daß das Geſchmacksurtheil eigentlich ein verſtecktesKants Crit. d. Urtheilskr. Q242I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Vernunfturtheil, uͤber die an einem Dinge und die Bezie - hung des Mannigfaltigen in ihm zu einem Zwecke entdeckte Vollkommenheit ſey, mithin nur um der Verworrenheit wil - len, die dieſer unſerer Reflexion anhaͤngt, aͤſthetiſch genannt werde, ob es gleich im Grunde teleologiſch ſey, in welchem Falle man die Aufloͤſung der Antinomie durch tranſcendentale Jdeen fuͤr unnoͤthig und nichtig erklaͤren und ſo mit den Ob - jecten der Sinne nicht als bloßen Erſcheinungen, ſondern auch als Dingen an ſich ſelbſt jene Geſchmacksgeſetze vereini - gen koͤnnte. Wie wenig aber die eine ſowohl als die andere Ausflucht verſchlage, iſt an mehrern Orten in der Expoſition der Geſchmacksurtheile gezeigt worden.

Raͤumt man aber unſerer Deduction wenigſtens ſo viel ein, daß ſie auf dem rechten Wege geſchehe, wenn gleich noch nicht in allen Stuͤcken hell genug gemacht ſey, ſo zeigen ſich drey Jdeen: erſtlich des Ueberſinnlichen uͤberhaupt, ohne weitere Beſtimmung, als Subſtrats der Natur, zwey - tens eben deſſelben, als Princips der ſubjectiven Zweck - maͤßigkeit der Natur fuͤr unſer Erkenntnisvermoͤgen, drit - tens eben deſſelben als Princips der Zwecke der Freyheit und Princips der Uebereinſtimmung derſelben mit jener im Sittlichen.

§. 58. Vom Jdealismus der Zweckmaͤßigkeit der Natur ſowohl als Kunſt, als dem alleini - gen Princip der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Man kann zuvoͤrderſt das Princip des Geſchmacks entweder darinn ſetzen, daß dieſer jederzeit nach empiri - ſchen Beſtimmungsgruͤnden und alſo nach ſolchen, die243I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.nur a poſteriori durch Sinne gegeben werden, oder man kann einraͤumen, daß er aus einem Grunde a priori ur - theile. Das erſtere waͤre der Empirism der Critik des Geſchmacks, das zweyte der Rationalism derſelben. Nach dem erſten waͤre das Object unſeres Wohlgefallens nicht vom Angenehmen, nach dem zweyten, wenn das Urtheil auf beſtimmten Begriffen beruhete, nicht vom Guten unterſchieden und ſo wuͤrde alle Schoͤnheit aus der Welt weggelaͤugnet und nur ein beſonderer Nahme, vielleicht fuͤr eine gewiſſe Mi - ſchung von beyden vorgenannten Arten des Wohlge - fallens, an deſſen Statt uͤbrig bleiben. Allein wir ha - ben gezeigt, daß es auch Gruͤnde des Wohlgefallens a priori gebe, die alſo mit dem Princip des Rationa - lisms zuſammen beſtehen koͤnnen, unerachtet ſie nicht in beſtimmte Begriffe gefaßt werden koͤnnen.

Der Rationalisms des Princips des Geſchmacks iſt dagegen entweder der des Realisms der Zweck - maͤßigkeit, oder des Jdealisms derſelben. Weil nun ein Geſchmacksurtheil kein Erkenntnisurtheil und Schoͤnheit keine Beſchaffenheit des Objects, fuͤr ſich be - trachtet, iſt, ſo kann der Rationalism des Princips des Geſchmacks niemals darinn geſetzt werden, daß die Zweckmaͤßigkeit in dieſem Urtheile als objectiv gedacht werde, d. i. daß das Urtheil theoretiſch mithin auch lo - giſch (wenn gleich nur in einer verworrenen Beurthei - lung) auf die Vollkommenheit des Objects, ſondern nurQ 2244I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.aͤſthetiſch, auf die Uebereinſtimmung ſeiner Vorſtel - lung in der Einbildungskraft mit den weſentlichen Prin - cipien der Urtheilskraft uͤberhaupt, im Subjecte gehe. Folglich kann, ſelbſt nach dem Princip des Rationa - lisms, das Geſchmacksurtheil und der Unterſchied des Realisms und Jdealisms deſſelben nur darin geſetzt werden, daß entweder jene ſubjective Zweckmaͤßigkeit im erſtern Falle als wirklicher (abſichtlicher) Zweck der Natur (oder der Kunſt), mit unſerer Urtheilskraft uͤber - einzuſtimmen, oder nur als eine, ohne Zweck, von ſelbſt und zufaͤlliger Weiſe ſich hervorthuende zweckmaͤ - ßige Uebereinſtimmung zu dem Beduͤrfnis der Urtheils - kraft, in Anſehung der Natur und ihrer nach beſondern Geſetzen erzeugten Formen, angenommen werde.

Dem Realism der aͤſthetiſchen Zweckmaͤßigkeit der Natur, da man naͤmlich annehmen moͤchte: daß der Hervorbringung des Schoͤnen eine Jdee deſſelben in der hervorbringenden Urſache, naͤmlich ein Zweck zu Gun - ſten unſerer Einbildungskraft, zum Grunde gelegen habe, reden die ſchoͤne Bildungen im Reiche der organi - ſirten Natur gar ſehr das Wort. Die Blumen, Bluͤ - then ja die Geſtalten ganzer Gewaͤchſe, die fuͤr ihren eige - nen Gebrauch unnoͤthige, aber fuͤr unſern Geſchmack gleichſam ausgewaͤhlte Zierlichkeit der thieriſchen Bil - dungen von allerley Gattungen, vornaͤmlich die unſern Augen ſo wohlgefaͤllige und reitzende Mannigfaltigkeit und harmoniſche Zuſammenſetzung von Farben (am245I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Phaſan, Schaalthieren, Jnſecten, bis zu den gemein - ſten Blumen) die, indem ſie blos die Oberflaͤche und auch an dieſer nicht einmal die Figur der Geſchoͤpfe, welche doch noch zu den innern Zwecken derſelben erfor - derlich ſeyn koͤnnte, betreffen, gaͤnzlich auf aͤußere Be - ſchauung abgezweckt zu ſeyn ſcheinen, geben der Erklaͤ - rungsart durch Annehmung wirklicher Zwecke der Na - tur fuͤr unſere aͤſthetiſche Urtheilskraft ein großes Gewicht.

Dagegen widerſetzt ſich dieſer Annahme nicht allein die Vernunft durch ihre Maximen, allerwaͤrts die un - noͤthige Vervielfaͤltigung der Principien nach aller Moͤg - lichkeit zu verhuͤten, ſondern die Natur zeigt in ihren freyen Bildungen uͤberall ſo viel mechaniſchen Hang zu Erzeugung von Formen, die fuͤr den aͤſthetiſchen Ge - brauch unſerer Urtheilskraft gleichſam gemacht zu ſeyn ſcheinen, ohne den geringſten Grund zur Vermuthung an die Hand zu geben, daß es dazu noch etwas mehr, als ihres Mechanisms, blos als Natur, beduͤrfe, wor - nach ſie, auch ohne alle ihr zum Grunde liegende Jdee, fuͤr unſere Beurtheilung zweckmaͤßig ſeyn koͤnnen. Jch verſtehe aber unter einer freyen Bildung der Natur diejenige, wodurch aus einem fluͤßigen in Ruhe, durch Verfluͤchtigung oder Abſonderung eines Theils deſſelben (bisweilen blos der Waͤrmmaterie) das Uebrige im feſtwerden eine beſtimmte Geſtalt, oder Gewebe, (Figur oder Textur) annimmt, die, nach der ſpecifiſchen Verſchiedenheit der Materien, verſchieden, in eben der -Q 3246I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſelben aber genau dieſelbe iſt. Hiezu aber wird, was man unter einer wahren Fluͤßigkeit jederzeit verſteht, naͤmlich daß die Materie in ihr voͤllig aufgeloͤſet, d. i. nicht als ein bloßes Gemenge feſter und darinn blos ſchwebender Theile anzuſehen ſey, vorausgeſetzt.

Die Bildung geſchieht alsdenn durch Anſchießen, d. i. durch ein ploͤtzliches Feſtwerden, nicht durch einen allmaͤligen Uebergang aus dem fluͤßigen in den feſten Zu - ſtand, ſondern gleichſam durch einen Sprung, welcher Uebergang auch das Cryſtalliſiren genannt wird. Das gemeinſte Beyſpiel von dieſer Art Bildung iſt das gefrierende Waſſer, in welchem ſich zuerſt gerade Eis - ſtraͤhlchen erzeugen, die in Winkeln von 60 Grad ſich zu - ſammenfuͤgen, indeſſen ſich andere an jedem Punct der - ſelben eben ſo anſetzen, bis alles zu Eis geworden iſt, ſo daß waͤhrend dieſer Zeit, das Waſſer zwiſchen den Eis - ſtraͤlchen nicht allmaͤlig zaͤher wird, ſondern ſo vollkom - men fluͤßig iſt als es bey weit groͤßerer Waͤrme ſeyn wuͤrde und doch die voͤllige Eiskaͤlte hat. Die ſich abſon - dernde Materie, die im Augenblicke des Feſtwerdens ploͤtzlich entwiſcht, iſt ein anſehnliches Quantum von Waͤrmſtoff, deſſen Abgang, da es blos zum fluͤßig ſeyn erfordert wurde, dieſes nunmehrige Eis nicht im minde - ſten kaͤlter, als das kurz vorher in ihm fluͤßige Waſſer, zuruͤck laͤßt.

Viele Salze, imgleichen Steine, die eine eryſtalli - niſche Figur haben, werden eben ſo von einer im247I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Waſſer, wer weiß durch was fuͤr Vermittelung, aufge - loͤſeten Erdart erzeugt. Eben ſo bilden ſich die druſigte Configurationen vieler Minern, des wuͤrflichten Bley - glanzes, des Rothguͤldenerzes u. d. g. allem Vermuthen nach auch im Waſſer und durch Anſchießen der Theile, indem ſie durch irgend eine Urſache genoͤthigt werden dieſes Vehikel zu verlaſſen und ſich unter einander in be - ſtimmte aͤußere Geſtalten zu vereinigen.

Aber auch innerlich zeigen alle Materien, welche blos durch Hitze fluͤßig waren und durch Erkalten Feſtig - keit angenommen haben, im Bruche eine beſtimmte Tex - tur und laſſen daraus urtheilen, daß, wenn nicht ihr eigen Gewicht oder Luftberuͤhrung es gehindert haͤtte, ſie auch aͤußerlich ihre ſpecifiſch eigenthuͤmliche Geſtalt wuͤrden gewieſen haben, dergleichen man an einigen Me - tallen die nach der Schmelzung aͤußerlich erhaͤrtet, in - wendig aber noch fluͤßig waren, durch Abzapfen des inneren noch fluͤßigen Theils und nunmehrigen ruhigen Anſchießen des uͤbrigen inwendig zuruͤckgebliebenen, beobachtet hat. Viele von jenen mineraliſchen Cryſtalli - ſationen, als die Spatdruſen, der Glaskopf, die Eiſen - bluͤthe, geben oft uͤberaus ſchoͤne Geſtalten, wie ſie die Kunſt nur immer ausdenken moͤchte und die Glorie in der Hoͤle von Antiparos iſt blos das Product eines ſich durch Gipslager durchſickernden Waſſers.

Das fluͤßige iſt, allem Anſehen nach, uͤberhaupt aͤlter als das feſte und ſowohl die Pfla[n]zen als thieriſcheQ 4248I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Koͤrper werden aus fluͤßiger Nahrungsmaterie gebildet ſo fern ſie ſich in Ruhe formt, freylich zwar in der letz - tern zuvoͤrderſt nach einer gewiſſen urſpruͤnglichen auf Zwecke gerichteten Anlage, (die wie im zweyten Theile gewieſen werden wird nicht aͤſthetiſch, ſondern teleolo - giſch, nach dem Princip des Realisms beurtheilt wer - den muß) aber neben bey doch auch vielleicht als, dem allgemeinen Geſetze der Verwandſchaft der Materien gemaͤs, anſchießend und ſich in Freyheit bildend. So wie nun die in einer Atmoſphaͤre, welche ein Gemiſch verſchiedener Luftarten iſt, aufgeloͤſete waͤßrige Fluͤßig - keiten, wenn ſich die letztere, durch Abgang der Waͤrme von jener ſcheidet, Schneefiguren erzeugen, die nach Verſchiedenheit der dermaligen Luftmiſchung von oft ſehr kuͤnſtlichſcheinenden und uͤberaus ſchoͤner Figur ſind, ſo laͤßt ſich, ohne dem teleologiſchem Princip der Beur - theilung der Organiſation etwas zu entziehen, wohl denken: daß, was die Schoͤnheit der Blumen, der Vo - gelfedern, der Muſcheln, ihrer Geſtalt ſowohl als Farbe nach, betrift, dieſe der Natur und ihrem Vermoͤgen, ſich in ihrer Freyheit, ohne beſondere darauf gerichtete Zwecke, nach chemiſchen Geſetzen, durch Abſetzung der zur Organiſation erforderlichen Materie, auch aͤſthetiſch - zweckmaͤßig zu bilden, zugeſchrieben werden koͤnne.

Was aber das Princip der Jdealitaͤt der Zweck - maͤßigkeit im Schoͤnen der Natur als dasjenige, wel - ches wir im aͤſthetiſchen Urtheile ſelbſt jederzeit zum249I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Grunde legen und welches uns keinen Realism eines Zwecks derſelben, fuͤr unſere Vorſtellungskraft zum Er - klaͤrungsgrunde zu brauchen erlaubt, gerade zu bewei - ſet, iſt, daß wir in der Beurtheilung der Schoͤnheit uͤberhaupt das Richtmaas derſelben a priori in uns ſelbſt ſuchen und die aͤſthetiſche Urtheilskraft in Anſehung des Urtheils, ob etwas ſchoͤn ſey oder nicht, ſelbſt geſetz - gebend iſt, welches bey Annehmung des Realisms der Zweckmaͤßigkeit der Natur nicht ſtatt finden kann; weil wir da von der Natur lernen muͤßten, was wir ſchoͤn zu finden haͤtten und das Geſchmacksurtheil empiriſchen Principien unterworfen ſeyn wuͤrde. Denn in einer ſolchen Beurtheilung kommt es nicht darauf an, was die Natur iſt, oder auch fuͤr uns als Zweck iſt, ſon - dern wie wir ſie aufnehmen. Es wuͤrde immer eine ob - jective Zweckmaͤßigkeit der Natur ſeyn, wenn ſie fuͤr unſer Wohlgefallen ihre Formen gebildet haͤtte und nicht eine ſubjective Zweckmaͤßigkeit, welche auf dem Spiele der Einbildungskraft in ihrer Freyheit beruhete, wo es Gunſt iſt womit wir die Natur aufnehmen, nicht eine ſolche die ſie uns erzeugt. Die Eigenſchaft der Natur, daß ſie fuͤr uns Gelegenheit enthaͤlt, die innere Zweck - maͤßigkeit in dem Verhaͤltniſſe unſere Gemuͤthskraͤfte in Beurtheilung gewiſſer Producte derſelben warzunehmen und zwar als eine ſolche, die aus einem uͤberſinnlichen Grunde fuͤr nothwendig und allgemeinguͤltig erklaͤrt wer - den ſoll, kann nicht Naturzweck ſeyn, oder vielmehrQ 5250I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.von uns als ein ſolcher beurtheilt werden; weil ſonſten das Urtheil, das dadurch beſtimmt wurde, Heteronomie und nicht, wie es einem Geſchmacksurtheile geziemt, frey ſeyn und Avtonomie zum Grunde haben wuͤrde.

Jn der ſchoͤnen Kunſt iſt das Princip des Jdea - lisms der Zweckmaͤßigkeit noch deutlicher zu erkennen. Denn, daß hier nicht ein aͤſthetiſcher Realism derſel - ben, durch Empfindungen, (wobey ſie ſtatt ſchoͤner blos angenehme Kunſt ſeyn wuͤrde) angenommen werden koͤnne, das hat ſie mit der ſchoͤnen Natur gemein. Allein daß das Wohlgefallen durch aͤſthetiſche Jdeen nicht von der Erreichung beſtimmter Zwecke (als mechaniſch ab - ſichtliche Kunſt) abhaͤngen muͤſſe, folglich, ſelbſt im Ra - tionalism des Princips, Jdealitaͤt der Zwecke, nicht Realitaͤt derſelben zum Grunde liege, leuchtet auch ſchon dadurch ein, daß ſchoͤne Kunſt, als ſolche, nicht als ein Product des Verſtandes und der Wiſſenſchaft, ſondern des Genie’s betrachtet werden muß, und alſo durch aͤſthetiſche Jdeen, welche von Vernunftideen be - ſtimmter Zwecke weſentlich unterſchieden ſind, ihre Re - gel bekomme.

So wie die Jdealitaͤt der Gegenſtaͤnde der Sinne als Erſcheinungen die einzige Art iſt, die Moͤglichkeit zu erklaͤren, daß ihre Formen a priori beſtimmt werden koͤnnen, ſo iſt auch der Jdealism der Zweckmaͤßig - keit, in Beurtheilung des Schoͤnen der Natur und der Kunſt, die einzige Vorausſetzung, unter der allein die251I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Critik die Moͤglichkeit eines Geſchmacksurtheils, welches a priori Guͤltigkeit fuͤr jederman fordert, (ohne doch die Zweckmaͤßigkeit, die am Objecte vorgeſtellt wird auf Be - griffe zu gruͤnden) erklaͤren kann.

§. 59. Von der Schoͤnheit als Symbol der Sittlichkeit.

Die Realitaͤt unſerer Begriffe darzuthun werden immer Anſchauungen erfordert. Sind es empiriſche Be - griffe, ſo heiſſen die letztere Beyſpiele. Sind jene reine Verſtandes-Begriffe, ſo werden die letztere Schemate genannt. Verlangt man gar, daß die ob - jective Realitaͤt der Vernunftbegriffe, d. i. der Jdeen, und zwar zum Behuf des theoretiſchen Erkenntniſſes der - ſelben dargethan werde, ſo begehrt man etwas Unmoͤg - liches, weil ihnen ſchlechterdings keine Anſchauung an - gemeſſen gegeben werden kann.

Alle Hypotypoſe (Darſtellung, ſubjectio ſub ad ſpectum) als Verſinnlichung, iſt zwiefach: entweder ſchematiſch, da einem Begriffe, den der Verſtand faßt, die correſpondirende Anſchauung a priori gegeben wird, oder ſymboliſch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken, aber dem keine ſinnliche An - ſchauung angemeſſen ſeyn kann, eine ſolche untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urtheilskraft, dem - jenigen, was ſie im Schematiſiren beobachtet, blos ana -252I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.logiſch, d. i. mit ihm blos der Regel dieſes Verfahrens, nicht der Anſchauung ſelbſt, mithin blos der Form der Reflexion, nicht dem Jnhalte nach, uͤberein kommt.

Es iſt ein von den neuern Logikern zwar angenom - mener, aber ſinnverkehrender, unrechter Gebrauch des Worts ſymboliſch, wenn man es der intuitiven Vorſtellungsart entgegenſetzt; denn die ſymboliſche iſt nur eine Art der intuitiven. Die letztere (die intuitive) kann naͤmlich in die ſchematiſche und in die ſymbo - liſche Vorſtellungsart eingetheilt werden. Beyde ſind Hypotypoſen, d. i. Darſtellungen (exhibitio), nicht bloße Characterismen, d. i. Bezeichnungen der Be - griffe durch begleitende ſinnliche Zeichen, die gar nichts zu der Anſchauung des Objects gehoͤriges enthalten, ſon - dern nur jenen, nach dem Geſetze der Aſſociation der Einbildungskraft, mithin in ſubjectiver Abſicht, zum Mittel der Reproduction dienen; dergleichen ſind entwe - der Worte, oder ſichtbare (algebraiſche, ſelbſt mimiſche) Zeichen, als bloße Ausdruͤcke fuͤr Begriffe. *)Das Jntuitive der Erkenntnis muß dem Discurſiven (nicht dem Symboliſchen) entgegengeſetzt werden Das erſtere iſt nun entweder ſchematiſch, durch Demonſtration, oder ſymboliſch, als Vorſtellung nach einer bloßen Analogie.

Alle Anſchauungen, die man Begriffen a priori un - terlegt, ſind alſo entweder Schemate oder Symbo - len, wovon die erſtern directe, die zweyte indirecte Dar - ſtellungen des Begrifs enthalten. Die erſte thun dieſes253I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.demonſtrativ, die zweyte vermittelſt einer Analogie, (zu welcher man ſich auch empiriſcher Anſchauungen bedient) in welcher die Urtheilskraft ein doppeltes Geſchaͤfte ver - richtet, erſtlich den Begrif auf den Gegenſtand einer ſinnlichen Anſchauung und dann zweytens die bloße Re - gel der Reflexion uͤber jene Anſchauung auf einen ganz andern Gegenſtand, von dem der erſtere nur das Sym - bol iſt, anzuwenden. So wird ein monarchiſcher Staat durch einen beſeelten Koͤrper, wenn er nach inneren Volksgeſetzen, durch eine bloße Maſchine aber, (wie etwa eine Handmuͤhle) wenn er durch einen einzelnen abſoluten Willen beherrſcht wird, in beyden Faͤllen aber nur ſymboliſch vorgeſtellt. Denn, zwiſchen einem despotiſchen Staate und einer Handmuͤhle iſt zwar keine Aehnlichkeit, wohl aber zwiſchen der Regel uͤber beyde und ihre Cauſſalitaͤt zu reflectiren. Dies Geſchaͤfte iſt bis jetzt noch wenig auseinandergeſetzt worden, ſo ſehr es auch eine tiefere Unterſuchung verdient; allein hier iſt nicht der Ort ſich dabey aufzuhalten. Unſere Sprache iſt voll von dergleichen indirecten Darſtellungen, nach einer Analogie, wodurch der Ausdruck nicht das eigent - liche Schema fuͤr den Begrif, ſondern blos ein Symbol fuͤr die Reflexion enthaͤlt. So ſind die Woͤrter Grund (Stuͤtze, Baſis), Abhaͤngen (von oben gehalten wer - den), woraus fließen (ſtatt folgen), Subſtanz (wie Locke ſich ausdruͤckt: der Traͤger der Accidenzen) und unzaͤhliche andere nicht ſchematiſche, ſondern ſymboliſche254I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Hypotypoſen und Ausdruͤcke fuͤr Begriffe nicht vermit - telſt einer directen Anſchauung, ſondern nur nach einer Analogie mit derſelben, d. i. der Uebertragung der Re - flexion uͤber einen Gegenſtand der Anſchauung auf einen ganz andern Begrif, dem vielleicht nie eine Anſchauung direct correſpondiren kann. Wenn man eine bloße Vor - ſtellungsart ſchon Erkenntnis nennen darf (welches, wenn ſie ein Princip nicht der theoretiſchen Beſtimmung des Gegenſtandes, was er an ſich, ſondern practiſchen was die Jdee von ihm fuͤr uns und den zweckmaͤßigen Gebrauch derſelben werden ſoll, wohl erlaubt iſt) ſo iſt alle unſere Erkenntnis von Gott blos ſymboliſch und der, welcher ſie mit den Eigenſchaften Verſtand, Wille, u. ſ. w. die allein an Weltweſen ihre objective Realitaͤt beweiſen, fuͤr ſchematiſch nimmt, geraͤth in den Anthro - pomorphism, ſo wie, wenn er alles Jntuitive weg laͤßt, in den Deism, wodurch uͤberall nichts, auch nicht in practiſcher Abſicht erkannt wird.

Nun ſage ich: das Schoͤne iſt das Symbol des Sittlichguten und auch nur in dieſer Ruͤckſicht (einer Beziehung, die jedermann natuͤrlich iſt und die auch je - dermann andern als Pflicht zumuthet) gefaͤllt es, mit einem Anſpruche auf jedes andern Beſtimmung, wobey ſich das Gemuͤth zugleich einer gewiſſen Veredelung und Erhebung uͤber die bloße Empfaͤnglichkeit einer Luſt durch Sinneneindruͤcke bewußt iſt und anderer Werth auch nach einer aͤhnlichen Maxime ihrer Urtheilskraft ſchaͤtzet. 255I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Das iſt das Jntelligibele, worauf, wie der vorige Paragraph Anzeige that, der Geſchmack hinausſieht, wozu naͤmlich ſelbſt unſere obere Erkenntnisvermoͤgen zu - ſammenſtimmen, ohne welches zwiſchen ihrer Natur, verglichen mit den Anſpruͤchen, die der Geſchmack macht, lauter Widerſpruͤche erwachſen wuͤrden. Jn dieſem Ver - moͤgen ſieht ſich die Urtheilskraft nicht, wie ſonſt in em - piriſcher Beurtheilung, einer Heteronomie der Erfah - rungsgeſetze unterworfen; ſie giebt in Anſehung der Ge - genſtaͤnde eines ſo reinen Wohlgefallens ihr ſelbſt das Geſetz, ſo wie die Vernunft es in Anſehung des Begeh - rungsvermoͤgens thut und ſieht ſich ſowohl wegen dieſer innern Moͤglichkeit im Subjecte, als wegen der aͤußern Moͤglichkeit einer damit uͤbereinſtimmenden Natur, auf etwas im Subjecte ſelbſt und außer ihm, was nicht Na - tur, auch nicht Freyheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, naͤmlich dem Ueberſinnlichen verknuͤpft iſt, be - zogen, in welchem das theoretiſche Vermoͤgen mit dem practiſchen auf gemeinſchaftliche und unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird. Wir wollen einige Stuͤcke dieſer Analogie anfuͤhren, indem wir zugleich die Ver - ſchiedenheit derſelben nicht unbemerkt laſſen.

1) Das Schoͤne gefaͤllt unmittelbar (aber nur in der reflectirenden Anſchauung, nicht, wie Sittlichkeit im Begriffe). 2) Es gefaͤllt ohne alles Jntereſſe (das Sittlichgute zwar nothwendig mit einem Jntereſſe, aber nicht einem ſolchen, was vor dem Urtheile uͤber das256I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Wohlgefallen vorhergeht, verbunden, ſondern was da - durch allererſt bewirkt wird). 3) Die Freyheit der Einbildungskraft (alſo der Sinnlichkeit unſeres Vermoͤ: gens) wird in der Beurtheilung des Schoͤnen mit der Geſetzmaͤßigkeit des Verſtandes als einſtimmig vorgeſtellt (im moraliſchen Urtheile wird die Freyheit des Willens als Zuſammenſtimmung des letzteren mit ſich ſelbſt nach allgemeinen Vernunftgeſetzen gedacht). 4) Das ſub - jective Princip der Beurtheilung des Schoͤnen wird als allgemein, d. i. fuͤr jedermann guͤltig, aber durch kei - nen allgemeinen Begrif kenntlich, vorgeſtellt (das obje - ctive Princip der Moralitaͤt wird auch fuͤr allgemein, d. i. fuͤr alle Subjecte, zugleich auch fuͤr alle Handlun - gen deſſelben Subjects und dabey durch einen allgemei - nen Begrif kenntlich erklaͤrt). Daher iſt das moraliſche Urtheil nicht allein beſtimmter conſtitutiver Principien faͤhig, ſondern iſt nur durch Gruͤndung der Maximen auf dieſelbe und ihre Allgemeinheit moͤglich.

Die Ruͤckſicht auf dieſe Analogie iſt auch dem gemei - nen Verſtande gewoͤhnlich und wir benennen ſchoͤne Ge - genſtaͤnde der Natur, oder der Kunſt, oft mit Nahmen, die eine ſittliche Beurtheilung zum Grunde zu legen ſchei - nen. Wir nennen Gebaͤude oder Baͤume majeſtaͤtiſch und praͤchtig, oder Gefilde lachend und froͤhlig; ſelbſt Farben werden unſchuldig, beſcheiden, zaͤrtlich genannt, weil ſie Empfindungen erregen, die etwas mit dem Be - wußtſeyn eines durch moraliſche Urtheile bewirkten Ge -muͤths -257I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.muͤthszuſtandes Analogiſches enthalten. Der Geſchmack macht gleichſam den Uebergang vom Sinnenreiz zum habituellen moraliſchen Jntereſſe, ohne einen zu gewalt - ſamen, Sprung, moͤglich, indem er die Einbildungs - kraft auch in ihrer Freyheit als zweckmaͤßig fuͤr den Ver - ſtand beſtimmbar vorſtellt, und ſogar an Gegenſtaͤnden der Sinne auch ohne Sinnenreiz ein freyes Wohlgefallen zu finden lehrt.

§. 60. Anhang. Von der Methodenlehre des Geſchmacks.

Die Eintheilung einer Critik in Elementarlehre und Methodenlehre, welche vor der Wiſſenſchaft vorhergeht, laͤßt ſich auf die Geſchmackscritik nicht anwenden; weil es keine Wiſſenſchaft des Schoͤnen giebt noch geben kann, und das Urtheil des Geſchmacks nicht durch Prin - cipien beſtimmbar iſt. Denn was das Wiſſenſchaftliche in jeder Kunſt anlangt, welches auf Wahrheit in der Darſtellung ihres Objects geht, ſo iſt dieſes zwar die unumgaͤngliche Bedingung (conditio ſine qua non) der ſchoͤnen Kunſt, aber dieſe nicht ſelber. Es giebt alſo fuͤr die ſchoͤne Kunſt nur eine Manier (modus) nicht Lehrart (methodus). Der Meiſter muß es vormachen, was und wie es der Schuͤler zu Stande bringen ſoll und die allgemeine Regeln, darunter er zuletzt ſein Verfah -Kants Crit. d. Urtheilskr. R258I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ren bringt, koͤnnen eher dienen die Hauptmomente deſ - ſelben gelegentlich in Erinnerung zu bringen, als ſie ihm vorzuſchreiben. Hiebey muß dennoch auf ein gewiſſes Jdeal Ruͤckſicht genommen werden, welches die Kunſt vor Augen haben muß, ob ſie es gleich in ihrer Aus - uͤbung nie voͤllig erreicht. Nur durch die Aufweckung der Einbildungskraft des Schuͤlers zur Angemeſſenheit mit einem gegebenen Begriffe, durch die angemerkte Un - zulaͤnglichkeit des Ausdrucks fuͤr die Jdee, welche der Begrif ſelbſt nicht erreicht, weil ſie aͤſthetiſch iſt, und durch ſcharfe Critik kann verhuͤtet werden, daß die Bey - ſpiele, die ihm vorgelegt werden, von ihm nicht ſofort fuͤr Urbilder und etwa keiner noch hoͤhern Norm und ei - gener Beurtheilung unterworfene Muſter der Nachah - mung gehalten und ſo das Genie, mit ihm aber auch die Freyheit der Einbildungskraft ſelbſt in ihrer Geſetzmaͤſ - ſigkeit erſtickt werde, ohne welche keine ſchoͤne Kunſt, ſelbſt nicht einmal ein richtiger ſie beurtheilender eigener Geſchmack, moͤglich iſt.

Die Propaͤdevtik zu aller ſchoͤnen Kunſt, ſofern es auf den hoͤchſten Grad ihrer Vollkommenheit angelegt iſt, ſcheint nicht in Vorſchriften, ſondern in der Cultur der Gemuͤthskraͤfte durch diejenige Vorkenntniſſe zu lie - gen, welche man humaniora nennt, vermuthlich, weil Humanitaͤt einerſeits das allgemeine Theilneh - mungsgefuͤhl, andererſeits das Vermoͤgen ſich in - nigſt und allgemein mittheilen zu koͤnnen bedeutet,259I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.welche Eigenſchaften zuſammen verbunden die der Menſchheit angemeſſene Geſelligkeit ausmachen, wo - durch ſie ſich von der thieriſchen Eingeſchraͤnktheit un - terſcheidet. Das Zeitalter ſowohl, als die Voͤlker, in welchen der rege Trieb zur geſetzlichen Geſelligkeit, wodurch ein Volk ein dauerndes gemeines Weſen aus - macht, mit den großen Schwierigkeiten rang, welche die ſchwere Aufgabe, Freyheit (und alſo auch Gleich - heit) mit einem Zwange (mehr der Achtung und Unter - werfung aus Pflicht als Furcht) zu vereinigen, umgeben, ein ſolches Zeitalter und ein ſolches Volk mußte die Kunſt der wechſelſeitigen Mittheilung der Jdeen des aus - gebildeteſten Theils mit dem roheren, die Abſtimmung der Erweiterung und Verfeinerung der erſteren zur na - tuͤrlichen Einfalt und Originalitaͤt der letzteren und auf dieſe Art dasjenige Mittel zwiſchen der hoͤheren Cultur und der genugſamen Natur zuerſt erfinden, welches den richtigen, nach keinen allgemeinen Regeln anzugebenden Maasſtab auch fuͤr den Geſchmack, als allgemeinen Menſchenſinn, ausmacht.

Schwerlich wird ein ſpaͤteres Zeitalter jene Muſter entbehrlich machen; weil es der Natur immer weniger nahe ſeyn wird und ſich zuletzt, ohne bleibende Beyſpiele von ihr zu haben, kaum einen Begrif von der gluͤcklichen Vereinigung des geſetzlichen Zwanges der hoͤchſten Cul - tur mit der Kraft und Richtigkeit der ihren eigenenR 2260I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Werth fuͤhlenden freyen Natur in einem und demſel - ben Volke zu machen im Stande ſeyn moͤchte.

Da aber der Geſchmack im Grunde ein Beurthei - lungsvermoͤgen der Verſinnlichung ſittlicher Jdeen, ver - mittelſt einer gewiſſen Analogie der Reflexion uͤber bey - de, iſt, davon auch und der darauf zu gruͤndenden groͤ - ßeren Empfaͤnglichkeit fuͤr das Gefuͤhl aus den letzteren (welches das moraliſche heißt) diejenige Luſt ſich ablei - tet, welche der Geſchmack, als fuͤr die Menſchheit uͤber - haupt, nicht blos fuͤr jedes ſein Privatgefuͤhl, guͤltig er - klaͤrt: ſo leuchtet ein, daß die wahre Propaͤdevtik zur Gruͤndung des Geſchmacks die Entwickelung ſittlicher Jdeen und die Cultur des moraliſchen Gefuͤhls ſey; mit welchem in Einſtimmung die Sinnlichkeit gebracht, der aͤchte Geſchmack allein eine beſtimmte unveraͤnderliche Form annehmen kann.

[261]

Der Critik der Urtheilskraft Zweyter Theil. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

R 3[262][263]

§. 61. Von der objectiven Zweckmaͤßigkeit der Natur.

Man hat nach tranſcendentalen Principien guten Grund, eine ſubjective Zweckmaͤßigkeit der Natur in ih - ren beſondern Geſetzen zur Faßlichkeit fuͤr die menſchliche Urtheilskraft und der Moͤglichkeit der Verknuͤpfung der beſondern Erfahrungen, in einem Syſtem derſelben an - zunehmen; wo dann unter den vielen Producten derſel - ben auch ſolche als moͤglich erwartet werden koͤnnen, die, als ob ſie ganz eigentlich fuͤr unſere Urtheilskraft angelegt waͤren, eine ſolche ſpecifiſche ihr angemeſſene Form enthalten, welche durch ihre Mannigfaltigkeit und Einheit die Gemuͤthskraͤfte (die im Gebrauche dieſes Vermoͤgens im Spiele ſind) gleichſam zu ſtaͤrken und zu unterhalten dienen und denen man daher den Nahmen ſchoͤner Formen beylegt.

Daß aber Dinge der Natur einander als Mittel zu Zwecken dienen und ihre Moͤglichkeit ſelbſt nur durch dieſe Art von Cauſalitaͤt hinreichend verſtaͤndlich ſey, dazu haben wir gar keinen Grund in der allgemeinen Jdee der Natur als Jnbegrifs der Gegenſtaͤnde derR 4264II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Sinne. Denn im obigen Falle konnte die Vorſtellung der Dinge, weil ſie etwas in uns iſt, als zu der inner - lich zweckmaͤßigen Stimmung unſerer Erkenntnisvermoͤ - gen geſchickt und tauglich, ganz wohl auch a priori ge - dacht werden; wie aber Zwecke, die nicht die unſrige ſind und die auch der Natur (welche wir nicht als intel - ligentes Weſen annehmen) nicht zukommen, doch eine beſondere Art der Cauſalitaͤt, wenigſtens eine ganz eigne Geſetzmaͤßigkeit derſelben ausmachen koͤnnen oder ſollen, laͤßt ſich a priori gar nicht mit einigem Grunde praͤſumi - ren. Was aber noch mehr iſt, ſo kann uns ſelbſt die Erfahrung die Wirklichkeit derſelben nicht beweiſen; es muͤßte denn eine Vernuͤnfteley vorhergegangen ſeyn, die nur den Begrif des Zwecks in die Natur der Dinge hin - einſpielt, aber ihn nicht von den Objecten und ihrer Er - fahrungserkenntnis hernimmt, denſelben alſo mehr braucht die Natur nach der Analogie mit einem ſubjecti - ven Grunde der Verknuͤpfung der Vorſtellungen in uns begreiflich zu machen, als ſie aus objectiven Gruͤnden zu erkennen.

Ueberdem iſt die objective Zweckmaͤßigkeit, als Prin - cip der Moͤglichkeit der Dinge der Natur, ſo weit da - von entfernt, mit dem Begriffe derſelben nothwendig zuſammenzuhaͤngen; daß ſie vielmehr gerade das iſt, worauf man ſich vorzuͤglich beruft, um die Zufaͤlligkeit derſelben (der Natur) und ihrer Form daraus zu bewei - ſen. Denn wenn man, z. B. den Bau eines Vogels,265II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.die Hoͤlung in ſeinen Knochen, die Lage ſeiner Fluͤgel zur Bewegung und des Schwanzes zum ſteuern u. ſ. w. anfuͤhrt, ſo ſagt man, daß dieſes alles nach dem blo - ßen nexus effectivus in der Natur, ohne noch eine be - ſondere Art der Cauſalitaͤt, naͤmlich die der Zwecke (ne - xus finalis) zu Huͤlfe zu nehmen, im hoͤchſten Grade zu - faͤllig ſey, d. i. daß ſich die Natur, als bloßer Mecha - nism betrachtet, auf tauſendfache Art habe anders bil - den koͤnnen, ohne gerade auf die Einheit nach einem ſol - chen Princip zu ſtoßen, und man alſo außer dem Be - griffe der Natur, nicht in demſelben, den mindeſten Grund dazu a priori allein anzutreffen hoffen duͤrfe.

Gleichwohl wird die teleologiſche Beurtheilung, we - nigſtens problematiſch, mit Recht zur Naturforſchung gezogen, aber nur, um ſie nach der Analogie mit der Cauſalitaͤt nach Zwecken unter Principien der Beobach - tung und Nachforſchung zu bringen, ohne ſich anzuma - ßen ſie darnach zu erklaͤren. Sie gehoͤrt alſo zur refle - ctirenden, nicht der beſtimmenden, Urtheilskraft. Der Begrif von Verbindungen und Formen der Natur nach Zwecken iſt doch wenigſtens ein Princip mehr, die Erſcheinungen derſelben unter Regeln zu bringen, wo die Geſetze der Cauſalitaͤt nach dem bloßen Mechanism derſelben nicht zulangen. Denn wir fuͤhren einen teleo - logiſchen Grund an, wo wir einem Begriffe vom Ob - jecte, als ob er in der Natur (nicht in uns) belegen waͤre, Cauſalitaͤt in Anſehung eines Objects zueignen,R 5266II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.oder vielmehr nach der Analogie einer ſolchen Cauſalitaͤt (dergleichen wir in uns antreffen) uns die Moͤglichkeit des Gegenſtandes vorſtellen, mithin die Natur als durch eignes Vermoͤgen techniſch denken; dagegen, wenn wir ihr nicht eine ſolche Wirkungsart beylegen, ihre Cauſalitaͤt als blinder Mechanism vorgeſtellt werden muͤßte. Wuͤrden wir dagegen der Natur abſichtlich - wirkende Urſachen unterlegen, mithin der Teleologie nicht blos ein regulativ Princip fuͤr die bloße Beur - theilung der Erſcheinungen, denen die Natur nach ih - ren beſondern Geſetzen als unterworfen gedacht werden koͤnne, ſondern dadurch auch conſtitutives Princip der Ableitung ihrer Producte von ihren Urſachen zum Grunde legen, ſo wuͤrde der Begrif eines Naturzwecks nicht mehr fuͤr die reflectirende, ſondern die beſtimmende Urtheilskraft gehoͤren; alsdenn aber in der That gar nicht der Urtheilskraft eigenthuͤmlich angehoͤren (wie der der Schoͤnheit als formaler ſubjectiver Zweckmaͤßigkeit) ſondern, als Vernunftbegrif, eine neue Cauſalitaͤt in der Naturwiſſenſchaft einfuͤhren, die wir doch nur von uns ſelbſt entlehnen und andern Weſen beylegen, ohne ſie gleichwohl mit uns als gleichartig annehmen zu wollen.

267II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Erſte Abtheilung. Analytik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 62. Von der objectiven Zweckmaͤßigkeit die blos formal iſt, zum Unterſchiede von der ma - terialen.

Alle geometriſche Figuren, die nach einem Princip ge - zeichnet werden, zeigen eine mannigfaltige, oft bewun - derte, objective Zweckmaͤßigkeit, naͤmlich der Tauglich - keit zur Aufloͤſung vieler Probleme nach einem einzigen Princip und auch wohl eines jeden derſelben auf unend - lich verſchiedene Art an ſich. Die Zweckmaͤßigkeit iſt hier offenbar objectiv und intellectuell, nicht aber blos ſubjectiv und aͤſthetiſch. Denn ſie druͤckt die Angemeſſen - heit der Figur zur Erzeugung vieler abgezweckten Ge - ſtalten aus und wird durch Vernunft erkannt. Allein die Zweckmaͤßigkeit macht doch den Begrif von dem Ge - genſtande ſelbſt nicht moͤglich, d. i. er wird nicht blos in Ruͤckſicht auf dieſen Gebrauch als moͤglich angeſehen.

268II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Jn einer ſo einfachen Figur, als der Cirkel iſt, liegt der Grund zu einer Aufloͤſung einer Menge von Proble - men, deren jedes fuͤr ſich mancherley Zuruͤſtung erfor - dern wuͤrde und die als eine von den unendlich vielen vortreflichen Eigenſchaften dieſer Figur, ſich gleichſam von ſelbſt ergiebt. Jſt es z. B. darum zu thun, aus der gegebenen Grundlinie und den ihr gegenuͤberſtehen - den Winkel einen Triangel zu conſtruiren, ſo iſt die Auf - gabe unbeſtimmt, d. i. ſie laͤßt ſich auf unendlich man - nigfaltige Art aufloͤſen. Allein der Cirkel befaßt ſie doch alle insgeſammt, als der geometriſche Ort fuͤr alle Drey - ecke, die dieſer Bedingung gemaͤs ſind. Oder zwey Li - nien ſollen ſich einander ſo ſchneiden, daß das Rechteck aus den zwey Theilen der einen, dem Rechteck aus den zwey Theilen der andern gleich ſey: ſo hat die Aufloͤſung der Aufgabe dem Anſehen nach viele Schwierigkeit. Aber alle Linien, die ſich innerhalb dem Cirkel, deſſen Umkreis jede derſelben begrenzt, ſchneiden, theilen ſich von ſelbſt in dieſer Proportion. Die andere krumme Linien geben wiederum andere zweckmaͤßige Aufloͤſungen an die Hand, an die in der Regel, die ihre Conſtruction ausmacht, gar nicht gedacht war. Alle Kegelſchnitte fuͤr ſich und in Vergleichung mit einander ſind fruchtbar an Princi - pien zur Aufloͤſung einer Menge moͤglicher Probleme, ſo einfach auch ihre Erklaͤrung iſt, welche ihren Begrif be - ſtimmt. Es iſt eine wahre Freude den Eifer der alten Geometer anzuſehen, mit dem ſie dieſen Eigenſchaften269II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.der Linien dieſer Art nachforſchten, ohne ſich durch die Frage eingeſchraͤnkter Koͤpfe irre machen zu laſſen, wozu denn dieſe Kenntnis nutzen ſollte, z. B. die der Parabel, ohne das Geſetz der Schwere auf der Erde zu kennen, welches ihnen die Anwendung derſelben auf die Wurfs - linie ſchwerer Koͤrper, (deren Richtung der Schwere in ihrer Bewegung als parallel angeſehen werden kann) wuͤrde an die Hand gegeben haben; oder der Ellipſe, ohne zu ahnden, daß auch eine Schwere an Himmels - koͤrpern zu finden ſey und ohne ihr Geſetz in verſchiedenen Entfernungen vom Anziehungspuncte zu kennen, wel - ches macht, daß ſie dieſe Linie in freyer Bewegung be - ſchreiben. Waͤhrend deſſen, daß ſie hierin, ihnen ſelbſt unbewußt, fuͤr die Nachkommenſchaft arbeiteten, ergoͤtz - ten ſie ſich an einer Zweckmaͤßigkeit in dem Weſen der Dinge, die ſie doch voͤllig a priori in ihrer Nothwendig - keit darſtellen konnten. Plato, ſelbſt Meiſter in dieſer Wiſſenſchaft, gerieth uͤber eine ſolche urſpruͤngliche Be - ſchaffenheit der Dinge, welche zu entdecken wir aller Er - fahrung entbehren koͤnnen, und uͤber das Vermoͤgen des Gemuͤths, die Harmonie der Weſen aus ihrem uͤberſinn - lichen Princip ſchoͤpfen zu koͤnnen (wozu noch die Eigen - ſchaften der Zahlen kommen, mit denen das Gemuͤth in der Muſik ſpielt), in die Begeiſterung, welche ihn uͤber die Erfahrungsbegriffe zu Jdeen erhob, die ihm nur durch eine intellectuelle Gemeinſchaft mit dem Urſprunge aller Weſen erklaͤrlich zu ſeyn ſchienen. Kein Wunder,270II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.daß er den der Meßkunſt Unkundigen aus ſeiner Schule verwies, indem er das, was Anaxagoras aus Erfah - rungsgegenſtaͤnden und ihrer Zweckverbindung ſchlos, aus der reinen, dem menſchlichen Geiſte innerlich bey - wohnenden Anſchauung abzuleiten dachte. Denn in der Rothwendigkeit deſſen was zweckmaͤßig iſt und was ſo beſchaffen iſt, als ob es fuͤr unſern Gebrauch abſichtlich ſo eingerichtet waͤre, was gleichwohl dem We - ſen der Dinge urſpruͤnglich zuzukommen ſcheint, ohne auf unſern Gebrauch Ruͤckſicht zu nehmen, liegt eben der Grund der großen Bewunderung der Natur, nicht ſowohl außer uns, als in unſerer eigenen Vernunft, wobey es wohl verzeihlich iſt, daß dieſe Bewunderung durch Misverſtand nach und nach bis zur Schwaͤrmerey ſteigen mochte.

Dieſe intellectuelle Zweckmaͤßigkeit aber, ob ſie gleich objectiv iſt (nicht wie die aͤſthetiſche ſubjectiv) laͤßt ſich gleichwohl ihrer Moͤglichkeit nach als blos formale (nicht reale) d. i. als Zweckmaͤßigkeit, ohne daß doch ein Zweck ihr zum Grunde zu legen mithin Teleologie dazu noͤthig waͤre, gar wohl, aber nur im Allgemeinen begreifen. Die Cirkelfigur iſt eine Anſchauung, die durch den Ver - ſtand nach einem Princip beſtimmt worden: die Einheit dieſes Prineips, welches ich willkuͤhrlich annehme und als Begrif zum Grunde lege, angewandt auf eine Form der Anſchauung (den Raum), die gleichfalls blos als Vorſtellung und zwar a priori in mir angetroffen wird,271II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.macht die Einheit vieler ſich aus der Conſtruction jenes Begrifs ergebender Regeln, die in mancherley moͤglicher Abſicht zweckmaͤßig ſind, begreiflich, ohne dieſer Zweck - maͤßigkeit einen Zweck, oder irgend einen andern Grund derſelben unterlegen zu duͤrfen. Es iſt hiemit nicht ſo bewandt, als wenn ich in einem, in gewiſſe Grenzen eingeſchloſſenen Jnbegriffe von Dingen außer mir, z. B. einem Garten, Ordnung und Regelmaͤßigkeit der Baͤume, Blumenbetten, Gaͤnge u. ſ. w. antraͤfe, wel - che ich a priori aus meiner beliebigen Umgrenzung eines Raums zu folgern nicht hoffen kann, weil es exiſtirende Dinge ſind, die empiriſch gegeben ſeyn muͤſſen, um er - kannt werden zu koͤnnen, und nicht eine bloße nach ei - nem Princip a priori beſtimmte Vorſtellung in mir. Da - her die letztere (empiriſche) Zweckmaͤßigkeit, als Real, von dem Begriffe eines Zwecks abhaͤngig iſt.

Aber auch der Grund der Bewunderung einer, ob - zwar in dem Weſen der Dinge (ſofern ihre Begriffe con - ſtruirt werden koͤnnen), wahrgenommenen Zweckmaͤſ - ſigkeit laͤßt ſich ſehr wohl und zwar als rechtmaͤßig einſe - hen. Die mannigfaltige Regeln, deren Einheit (aus einem Princip) dieſe Bewunderung erregt, ſind insge - ſamt ſynthetiſch und folgen nicht aus einem Begriffe des Objects, z. B. des Cirkels, ſondern beduͤrfen es, daß dieſes Object in der Anſchauung gegeben ſey. Da - durch aber bekommt dieſe Einheit das Anſehen, als ob ſie empiriſch einen von unſerer Vorſtellungskraft unter -272II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſchiedenen aͤußern Grund der Regeln habe und alſo die Uebereinſtimmung des Objects zu dem Beduͤrfnis der Re - geln, das dem Verſtande eigen iſt, an ſich zufaͤllig, mit - hin nur durch einen ausdruͤcklich darauf gerichteten Zweck moͤglich ſey. Nun ſollte uns zwar eben dieſe Har - monie, weil ſie, aller dieſer Zweckmaͤßigkeit ungeachtet, dennoch nicht empiriſch, ſondern a priori erkannt wird, von ſelbſt darauf bringen, daß der Raum, durch deſſen Beſtimmung (vermittelſt der Einbildungskraft, gemaͤs einem Begriffe) das Object allein moͤglich war, nicht eine Beſchaffenheit der Dinge außer mir, ſondern eine bloße Vorſtellungsart in mir ſey und ich alſo in die Fi - gur, die ich einem Begriffe angemeſſen zeichne, d. i. in meine eigene Vorſtellungsart von dem, was mir aͤußerlich, es ſey an ſich was es wolle, gegeben wird, die Zweckmaͤßigkeit hineinbringe, nicht von dieſem uͤber dieſelbe belehrt werde, folglich zu jener keinen be - ſondern Zweck außer mir am Objecte beduͤrfe. Dieweil aber dieſe Ueberlegung ſchon einen critiſchen Gebrauch der Vernunft erfordert, mithin in der Beurtheilung des Gegenſtandes nach ſeinen Eigenſchaften nicht ſofort mit enthalten ſeyn kann, ſo giebt mir die letztere unmittelbar nichts als Vereinigung heterogener Regeln, (ſogar nach dem, was ſie ungleichartiges an ſich haben) in einem Princip an die Hand, welches, ohne einen außer mei - nem Begriffe und uͤberhaupt meiner Vorſtellung a priori liegenden beſondern Grund dazu zu fordern, dennochvon273II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.von mir a priori als wahrhaft erkannt wird. Nun iſt die Verwunderung ein Anſtos des Gemuͤths, an der Unvereinbarkeit einer Vorſtellung und der durch ſie gege - benen Regel mit den ſchon in ihm zum Grunde lie - genden Principien, welche alſo einen Zweifel, ob man auch recht geſehen oder geurtheilt habe, hervorbringt; Bewunderung aber eine immer wiederkommende Verwunderung, unerachtet der Verſchwindung dieſes Zweifels. Folglich iſt die letzte eine ganz natuͤrliche Wir - kung jener beobachteten Zweckmaͤßigkeit in den Weſen der Dinge (als Erſcheinungen), die auch ſo fern nicht getadelt werden kann, indem die Vereinbarung jener Form der ſinnlichen Anſchauung (welche der Raum heißt) mit dem Vermoͤgen der Begriffe (dem Verſtande), nicht allein deswegen, daß ſie gerade dieſe und keine an - dere iſt, uns unerklaͤrlich, ſondern uͤberdem noch fuͤr das Gemuͤth erweiternd iſt, noch etwas uͤber jene ſinn - liche Vorſtellungen hinausliegendes gleichſam zu ahnden, worinn, ob zwar uns unbekannt, der letzte Grund jener Einſtimmung angetroffen werden mag, welchen zu ken - nen wir zwar auch nicht noͤthig haben, wenn es blos um formale Zweckmaͤßigkeit unſerer Vorſtellungen a priori zu thun iſt, wohin aber auch nur hinausſehen zu muͤſſen fuͤr den Gegenſtand, der uns dazu noͤthigt, zu - gleich Bewunderung einfloͤßt.

Man iſt gewohnt die erwaͤhnte Eigenſchaften, ſo wohl der geometriſchen Geſtalten, als auch wohl derKants Crit. d. Urtheilskr. S274II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.Zahlen, um einer gewiſſen, aus der Einfachheit ihrer Conſtruction nicht erwarteten Zweckmaͤßigkeit derſelben a priori zu allerley Erkenntnisgebrauch willen, Schoͤn - heit zu nennen und ſpricht z. B. von dieſer oder jener ſchoͤnen Eigenſchaft des Cirkels, welche auf dieſe oder jene Art entdeckt waͤre. Allein es iſt keine aͤſthetiſche Beurtheilung durch die wir ſie zweckmaͤßig finden, keine Beurtheilung ohne Begrif, die eine bloße ſubjective Zweckmaͤßigkeit im freyen Spiele unſerer Erkenntnisver - moͤgen bemerklich machte, ſondern eine intellectuelle nach Begriffen, welche eine objective Zweckmaͤßigkeit, d. i. Tauglichkeit zu allerley (ins Unendliche mannigfaltigen) Zwecken deutlich zu erkennen giebt. Man muͤßte ſie eher eine relative Vollkommenheit, als eine Schoͤnheit der mathematiſchen Figur nennen; die Benennung einer intellectuellen Schoͤnheit kann auch uͤberhaupt nicht fuͤglich erlaubt werden; weil ſonſt das Wort Schoͤn - heit alle beſtimmte Bedeutung, oder das intellectuelle Wohlgefallen allen Vorzug vor dem ſinnlichen verlieren muͤßte. Eher wuͤrde man einer Demonſtration ſolcher Eigenſchaften, weil durch dieſe der Verſtand, als Vermoͤgen der Begriffe und Einbildungskraft, als Ver - moͤgen der Darſtellung derſelben a priori ſich geſtaͤrkt fuͤhlen (welches mit der Praeciſion, die die Vernunft hineinbringt, zuſammen, die Eleganz derſelben genannt wird) ſchoͤn nennen koͤnnen: indem hier doch wenig - ſteus das Wohlgefallen, ob gleich der Grund derſelben275II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.in Begriffen liegt, ſubjectiv iſt, da die Vollkommenheit ein objectives Wohlgefallen bey ſich fuͤhrt.

§. 63. Von der relativen Zweckmaͤßigkeit der Natur zum Unterſchiede von der innern.

Die Erfahrung leitet unſere Urtheilskraft auf den Begrif einer objectiven und materialen Zweckmaͤßigkeit, d. i. auf den Begrif eines Zwecks der Natur nur als - denn, wenn ein Verhaͤltnis der Urſache zur Wirkung zu beurtheilen iſt,*)Daher, weil in der reinen Mathematik nicht von der Exi - ſtenz, ſondern nur der Moͤglichkeit der Dinge, naͤmlich ei - ner ihrem Begriffe correſpondirenden Anſchauung, mithin gar nicht von Urſache und Wuͤrkung die Rede ſeyn kann, alle daſelbſt angemerkte Zweckmaͤßigkeit blos als formal, niemals als Naturzweck, betrachtet werden muß. welches wir als geſetzlich einzuſehen uns nur dadurch vermoͤgend finden, daß wir die Jdee der Wirkung der Cauſſalitaͤt ihrer Urſache, als die die - ſer ſelbſt zum Grunde liegende Bedingung der Moͤglich - keit der erſteren, unterlegen. Dieſes kann aber auf zwiefache Weiſe geſchehen: entweder indem wir die Wir - kung unmittelbar als Kunſtproduct oder nur als Mate - rial fuͤr die Kunſt anderer moͤglichen Naturweſen, alſo entweder als Zweck, oder als Mittel zum zweckmaͤßigen Gebrauche anderer Urſachen, anſehen. Die letztere Zweckmaͤßigkeit heißt die Nutzbarkeit (fuͤr Menſchen),S 2276II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.oder auch Zutraͤglichkeit (fuͤr jedes andere Geſchoͤpf) und iſt blos relativ, indeſſen daß die erſtere eine innere Zweck - maͤßigkeit des Naturweſens iſt.

Die Fluͤſſe fuͤhren z. B. allerley zum Wachsthum der Pflanzen dienliche Erde mit ſich fort, die ſie biswei - len mitten im Lande, oft auch an ihren Muͤndnngen, abſetzen. Die Fluth fuͤhrt dieſen Schlich an manchen Kuͤſten uͤber das Land, oder ſetzt ihn an deſſen Ufer ab und, wenn vornehmlich Menſchen dazu helfen, damit die Ebbe ihn nicht wieder wegfuͤhre, ſo nimmt das frucht - bare Land zu und das Gewaͤchsreich nimmt da Platz, wo vorher Fiſche und Schaalthiere ihren Auffenthalt gehabt hatten. Die meiſte Landeserweiterungen auf dieſe Art hat wohl die Natur ſelbſt verrichtet und faͤhrt damit auch noch, ob zwar langſam fort.

Nun fraͤgt ſich, ob dies als ein Zweck der Natur zu beurtheilen ſey, weil es eine Nutzbarkeit fuͤr Men - ſchen enthaͤlt; denn die fuͤr das Gewaͤchsreich ſelber kann man nicht in Anſchlag bringen, weil dagegen eben ſo viel den Meergeſchoͤpfen entzogen wird, als dem Lande Vortheil zuwaͤchſt. Oder, um ein Beyſpiel von der Zu - traͤglichkeit gewiſſer Naturdinge als Mittel fuͤr andere Geſchoͤpfe (wenn man ſie als Zwecke vorausſetzt) zu ge - ben: ſo iſt kein Boden den Fichten gedeylicher als ein Sandboden. Nun hat das alte Meer, ehe es ſich vom Lande zuruͤck zog, ſo viele Sandſtriche in unſern nord - lichen Gegenden zuruͤckgelaſſen, daß auf dieſen fuͤr alle277II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Cultur ſonſt ſo unbrauchbaren Boden weitlaͤuftige Fichtenwaͤlder haben aufſchlagen koͤnnen, wegen derer unvernuͤnftiger Ausrottung wir haͤufig unſere Vorfah - ren anklagen, und da kann man fragen, ob dieſe uralte Abſetzung der Sandſchichten ein Zweck der Natur war, zum Behuf der darauf moͤglichen Fichtenwaͤlder. So viel iſt klar: daß, wenn man dieſe als Zweck der Natur annimmt, man jenen Sand auch, aber nur als relati - ven Zweck einraͤumen muͤſſe, wozu wiederum der alte Meeresſtrand und deſſen Zuruͤckziehen das Mittel war; denn in der Reihe der einander ſubordinirten Glieder einer Zweckverbindung muß ein jedes Mittelglied als Zweck (obgleich eben nicht als Endzweck) betrachtet wer - den, wozu ſeine naͤchſte Urſache das Mittel iſt. Eben ſo, wenn einmal Rindvieh, Schaafe, Pferde u. ſ. w. in der Welt ſeyn ſollten, ſo mußte Gras auf Erden, aber es mußten auch Salzkraͤuter in Sandwuͤſten wachſen, wenn Cameele gedeyen ſollten, oder auch dieſe und an - dere grasfreſſende Thierarten in Menge anzutreffen ſeyn, wenn es Woͤlfe, Tieger und Loͤwen geben ſollte. Mithin iſt die objective Zweckmaͤßigkeit, die ſich auf Zutraͤglich - keit gruͤndet, nicht eine objective Zweckmaͤßigkeit der Dinge an ſich ſelbſt, als ob der Sand fuͤr ſich, als Wir - kung aus ſeiner Urſache, dem Meere, nicht koͤnnte be - griffen werden, ohne dem letztern einen Zweck unterzu - legen, und ohne die Wirkung naͤmlich den Sand als Kunſtwerk zu betrachten. Sie iſt eine blos relative, denS 3278II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Dinge ſelbſt, dem ſie beygelegt wird, blos zufaͤllige Zweckmaͤßigkeit; und obgleich unter den angefuͤhrten Bey - ſpielen die Grasarten fuͤr ſich, als organiſirte Producte der Natur, mithin als Kunſtreich zu beurtheilen ſind, ſo werden ſie doch in Beziehung auf Thiere, die ſich da - von naͤhren, als bloße rohe Materie angeſehen.

Wenn aber vollends der Menſch durch Freyheit ſei - ner Cauſſalitaͤt die Naturdinge ſeinen oft thoͤrigten Ab - ſichten (die bunte Vogelfedern zum Putzwerk ſeiner Be - kleidung, farbigte Erden oder Pflanzenſaͤfte zur Schmin - ke) mannigmal auch vernuͤnftiger Abſicht, das Pferd zum Reiten, den Stier und in Minorca ſogar das Schwein zum Pfluͤgen zutraͤglich findet, ſo kann man hier auch nicht einmal einen relativen Naturzweck (auf dieſen Gebrauch) annehmen. Denn ſeine Vernunft weis den Dingen eine Uebereinſtimmung mit ſeinen willkuͤhrlichen Einfaͤllen, dazu er ſelbſt nicht einmal von der Natur praͤdeſtinirt war, zu geben. Nur wenn man an - nimmt, Menſchen haben auf Erden leben ſollen, ſo muͤſſen doch wenigſtens die Mittel, ohne die ſie als Thiere und ſelbſt als vernuͤnftige Thiere (in wie nie - drigem Grade es auch ſey) nicht beſtehen konnten, auch nicht fehlen; alsdenn aber wuͤrden diejenigen Naturdinge, die zu dieſem Behuf unentbehrlich ſind, auch als Naturzwecke angeſehen werden muͤſſen.

Man ſieht hieraus leicht ein, daß die aͤußere weckmaͤßigkeit (Zutraͤglichkeit eines Dinges fuͤr an -279II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.dere) nur unter der Bedingung, daß die Exiſtenz des - jenigen, dem es zunaͤchſt, oder auf entfernte Weiſe zutraͤglich iſt, fuͤr ſich ſelbſt Zweck der Natur ſey, fuͤr einen aͤußern Nuturzweck angeſehen werden koͤnne. Da jenes aber, durch bloße Naturbetrachtung nim - mermehr auszumachen iſt, ſo folgt daß die relative Zweckmaͤßigkeit, ob ſie gleich hypothetiſch auf Natur - zwecke Anzeige giebt, dennoch zu keinem abſoluten teleologiſchen Urtheile berechtige.

Der Schnee ſichert die Saaten in kalten Laͤndern wider den Froſt, er erleichtert die Gemeinſchaft der Menſchen (durch Schlitten), der Lapplaͤnder findet dort Thiere, die dieſe Gemeinſchaft bewirken (Renn - thiere) und die an einem duͤrren Mooſe, welches ſie ſich ſelbſt unter dem Schnee hervorſcharren muͤſſen, hinreichende Nahrung finden und gleichwohl ſich leicht zaͤhmen und der Freyheit, in der ſie ſich gar wohl erhal - ten koͤnnten, willig berauben laſſen. Fuͤr andere in derſelben Eiszone enthaͤlt das Meer reichen Vorrath an Thieren, die, auſſer der Nahrung und Kleidung, die ſie liefern, und dem Holze, welches ihnen das Meer zu Wohnungen gleichſam hinfloͤßet, ihnen noch Brennmaterien zur Erwaͤrmung ihrer Huͤtten liefern. Hier iſt nun eine bewundernswuͤrdige Zuſammenkunft von ſo viel Beziehungen der Natur auf einen Zweck; und dieſer iſt der Groͤnlaͤnder, der Lappe, der Samo - jede, oder Jakute u. ſ. w. Aber man ſieht nicht, wa -S 4280II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.rum uͤberhaupt Menſchen dort leben muͤſſen. Alſo ſagen: daß darum Duͤnſte aus der Luft in der Form des Schnees herunterfallen, das Meer ſeine Stroͤhme habe, welche das in waͤrmern Laͤndern gewachſene Holz dahin ſchwemmen und große mit Oel angefuͤllte Seethiere da ſind: weil der Urſache, die alle die Na - turproducte herbeyſchaft, die Jdee eines Vortheils fuͤr gewiſſe armſeelige Geſchoͤpfe zum Grunde liege, waͤre ein ſehr gewagtes und willkuͤhrliches Ur - theil. Denn, wenn alle dieſe Naturnuͤtzlichkeit auch nicht waͤre, ſo wuͤrden wir nichts an der Zulaͤnglichkeit der Natururſachen zu dieſer Beſchaffen - heit vermiſſen, vielmehr eine ſolche Anlage auch nur zu verlangen und der Natur einen ſolchen Zweck zu - zumuthen (da ohnedem nur die groͤßte Unvertraͤglich - keit der Menſchen unter einander ſie bis in ſo un - wirthbare Gegenden hat verſprengen koͤnnen), wuͤrde uns ſelbſt vermeſſen und unuͤberlegt zu ſeyn duͤnken.

§. 64. Von dem eigenthuͤmlichen Character der Dinge als Naturzwecke.

Um einzuſehen, daß ein Ding nur als Zweck moͤglich ſey, d. i. die Cauſſalitaͤt ſeines Urſprungs nicht im Mechanism der Natur, ſondern in einer Ur - ſache, deren Vermoͤgen zu wirken durch Begriffe be - ſtimmt wird, ſuchen zu muͤſſen, dazu wird erfodert:281II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.daß ſeine Form nicht nach bloßen Naturgeſetzen moͤg - lich ſey, d. i. ſolchen, welche von uns durch den Ver - ſtand allein, auf Gegenſtaͤnde der Sinne angewandt, erkannt werden koͤnnen, ſondern daß ſelbſt ihr empiri - ſches Erkenntnis, ihrer Urſache und Wirkung nach, Begriffe der Vernunft vorausſetze. Dieſe Zufaͤllig - keit ſeiner Form bey allen empiriſchen Naturgeſetzen in Beziehung auf die Vernunft, da die Vernunft, welche an einer jeden Form eines Naturproducts auch die Nothwendigkeit derſelben erkennen muß, wenn ſie auch nur die mit ſeiner Erzeugung verknuͤpfte Bedin - gungen einſehen will, gleichwohl aber an jener gege - benen Form dieſe Nothwendigkeit nicht annehmen kann, iſt ſelbſt ein Grund die Cauſſalitaͤt deſſelben ſo anzunehmen, als ob ſie eben darum nur durch Ver - nunft moͤglich ſey; dieſe aber iſt alsdenn das Vermoͤ - gen nach Zwecken zu handeln (ein Wille) und das Object, welches nur als aus dieſem moͤglich vorge - ſtellt wird, wuͤrde nur als Zweck fuͤr moͤglich vorge - ſtellt werden.

Wenn jemand in einem ihm unbewohnt ſcheinen - den Lande eine geometriſche Figur allenfalls vom re - gulaͤren Sechsecke im Sande gezeichnet wahrnaͤhme, ſo wuͤrde ſeine Reflexion, indem ſie an einem Begriffe derſelben arbeitet der Einheit des Princips der Er - zeugung deſſelben, wenn gleich dunkel vermittelſt der Vernunft inne werden, und ſo, dieſer gemaͤs, denS 5282II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Sand, das benachbarte Meer, die Winde, oder auch Thiere mit ihren Fustritten, die er kennt, oder jede andere vernunftloſe Urſache nicht als einen Grund der Moͤglichkeit einer ſolchen Geſtalt beurtheilen; weil ihm die Zufaͤlligkeit, mit einem ſolchen Begriffe, der nur in der Vernunft moͤglich iſt, zuſammen zu treffen, ſo unendlich groß ſcheinen wuͤrde, daß es eben ſo gut waͤre, als ob es dazu gar kein Naturgeſetz gebe, folg - lich auch keine Urſache in der blos mechaniſch wirkenden Natur, ſondern nur der Begrif von einem ſolchen Ob - ject, als Begrif, den nur Vernunft geben und mit dem - ſelben den Gegenſtand vergleichen kann, auch die Cauſſa - litaͤt zu einer ſolchen Wirkung enthalten, folglich dieſe durchaus als Zweck, aber nicht Naturzweck, d. i. als Product der Kunſt angeſehen werden koͤnne (veſtigium hominis video).

Um aber etwas, was man als Naturproduct er - kennt, gleichwohl doch auch als Zweck mithin als Na - turzweck zu beurtheilen, dazu, wenn nicht etwa hie - rinn gar ein Wiederſpruch liegt, wird ſchon mehr erfor - dert. Jch wuͤrde ſagen: ein Ding exiſtirt als Natur - zweck, wenn es von ſich ſelbſt Urſache und Wir - kung iſt, denn hierin liegt eine Cauſſalitaͤt, dergleichen mit dem bloßen Begriffe einer Natur, ohne ihr einen Zweck unterzulegen, nicht verbunden, aber auch als - dann, zwar ohne Widerſpruch gedacht aber nicht be - griffen werden kann. Wir wollen die Beſtimmung die -283II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſer Jdee von einem Naturzwecke zuvoͤrderſt durch ein Beyſpiel erlaͤutern, ehe wir ſie voͤllig aus einander ſetzen.

Ein Baum zeugt erſtlich einen andern Baum nach einem bekannten Naturgeſetze. Der Baum aber, den er erzeugt iſt von derſelben Gattung und ſo erzeugt er ſich ſelbſt der Gattung nach, in der er einerſeits als Wirkung, andrerſeits als Urſache von ſich ſelbſt unauf - hoͤrlich hervorgebracht und, eben ſo, ſich ſelbſt oft her - vorbringend ſich, als Gattung, beſtaͤndig erhaͤlt.

Zweytens erzeugt ein Baum ſich auch ſelbſt als Jndividnum. Dieſe Art von Wirkung nennen wir zwar nur das Wachsthum; aber dieſer iſt in ſolchem Sinne zu nehmen, daß er von jeder andern Groͤßenzu - nahme nach mechaniſchen Geſetzen gaͤnzlich unterſchieden und einer Zeugung, wiewohl unter einem andern Nah - men, gleich zu achten iſt. Die Materie, die er zu ſich hinzu ſetzt, verarbeitet dieſes Gewaͤchs vorher zu ſpeci - fiſch-eigenthuͤmlicher Qualitaͤt, die der Naturmechanism auſſer ihr nicht liefern kann und bildet ſich ſelbſt weiter aus, vermittelſt eines Stoffes, der, ſeiner Miſchung nach, ſein eigeues Product iſt. Denn, ob er zwar, was die Beſtandtheile betrift, die er von der Natur auſſer ihm erhaͤlt, nur als Educt angeſehen werden muß, ſo iſt doch in der Scheidung und neuen Zuſammenſetzung dieſes rohen Stoffs eine ſolche Originalitaͤt des Schei - dungs - und Bildungsvermoͤgens dieſer Art Naturweſen anzutreffen, von der alle Kunſt unendlich weit entfernt284II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.bleibt, wenn ſie es verſucht aus den Elementen, die ſie durch Zergliederung derſelben, oder auch dem Stoff, den die Natur zur Nahrung derſelben liefert, jene Producte des Gewaͤchsreichs wieder herzuſtellen.

Drittens erzeugt ein Theil dieſes Geſchoͤpfs auch ſich ſelbſt ſo: daß die Erhaltung des[einen] von der Er - haltung der anderen wechſelsweiſe abhaͤngt. Das Auge an einem Baumblatt, dem Zweige eines andern einge - impft, bringt an einem fremdartigen Stocke ein Gewaͤchs von ſeiner eignen Art hervor und eben ſo der Propfreis auf einem andern Stamme. Daher kann man auch an demſelben Baume jeden Zweig oder Blatt als blos auf dieſem gepropft oder oculirt, mithin als einen fuͤr ſich ſelbſt beſtehenden Baum, der ſich nur an einen andern anhaͤngt und paraſitiſch naͤhrt, anſehen. Zugleich ſind die Blaͤtter zwar Producte des Baums, erhalten aber dieſen doch auch gegenſeitig; denn die wiederholte Ent - blaͤtterung wuͤrde ihn toͤdten und ſein Wachsthum haͤngt von dieſer ihrer Wirkung auf den Stamm ab. Der Selbſthuͤlfe der Natur in dieſen Geſchoͤpfen bey ihrer Verletzung, wo der Mangel eines Theils, der zur Erhal - tung der benachbarten gehoͤrte, von den uͤbrigen ergaͤnzt wird; der Misgeburten oder Misgeſtalten im Wachs - thum, da gewiſſe Theile, wegen vorkommender Maͤngel oder Hinderniſſe, ſich auf ganz neue Art formen, um das, was da iſt, zu erhalten und ein anomaliſches Ge -285II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſchoͤpf hervorzubringen, weill ich hier nur im Vorbey - gehen erwaͤhnen, unerachtet ſie unter die wunderſamſten Eigenſchaften organiſirter Geſchoͤpfe gehoͤren.

§. 65. Dinge, als Naturzwecke, ſind organiſirte Weſen.

Nach dem im vorigen §. angefuͤhrten Character muß ein Ding, was als Naturproduct doch zugleich nur als Naturzweck moͤglich erkannt werden ſoll, ſich zu ſich ſelbſt wechſelſeitig als Urſache und Wuͤrkung verhalten, welches ein etwas uneigentlicher und unbeſtimmter Aus - druck iſt, der einer Ableitung von einem beſtimmten Be - griffe bedarf.

Die Cauſſalverbindung, ſo fern ſie blos durch den Verſtand gedacht wird, iſt eine Verknuͤpfung die eine Reihe (von Urſachen und Wuͤrkungen) ausmacht, welche immer abwaͤrts geht, und die Dinge ſelbſt, welche als Wirkungen andere als Urſache vorausſetzen, koͤnnen von dieſen nicht gegenſeitig zugleich Urſache ſeyn. Dieſe Cauſſalverbindung nennt man die der wirkenden Ur - ſachen (nexus effectivus). Dagegen aber kann doch auch eine Cauſſalverbindung nach einem Vernunftbegriffe (von Zwecken) gedacht werden, welche, wenn man ſie als Neihe betrachtete, ſowohl abwaͤrts als aufwaͤrts Abhaͤngigkeit bey ſich fuͤhren wuͤrde, in der das Ding, welches einmal als Wirkung bezeichnet iſt, dennoch auf -286II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.waͤrts den Nahmen einer Urſache desjenigen Dinges verdient, wovon es es die Wirkung iſt. Jm Practiſchen (naͤmlich der Kunſt) findet man leicht dergleichen Ver - knuͤpfung wie z. B. das Haus zwar die Urſache der Gel - der iſt, die fuͤr Miethe eingenommen werden, aber doch auch umgekehrt die Vorſtellung von dieſem moͤglichen Einkommen die Urſache der Erbauung des Hauſes war. Eine ſolche Cauſſalverknuͤpfung wird die der Endurſachen (nexus finalis) genannt. Man koͤnnte die erſtere viel - leicht ſchicklicher die Verknuͤpfung der realen, die zweyte der idealen Urſachen nennen, weil bey dieſer Benennung zugleich begriffen wird, daß es nicht mehr als dieſe zwey Arten der Cauſſalitaͤt geben koͤnne.

Zu einem Dinge als Naturzwecke wird nun erſtlich erfordert, daß die Theile (ihrem Daſeyn und Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganze moͤglich ſind. Denn das Ding ſelbſt iſt ein Zweck, folglich unter einem Begriffe oder einer Jdee befaßt, die alles, was in ihm enthalten ſeyn ſoll, a priori beſtimmen muß. So fern aber ein Ding nur auf dieſe Art als moͤglich gedacht wird, iſt es blos ein Kunſtwerk, d. i. das Product einer von der Materie (den Theilen) deſſelben unterſchiedenen vernuͤnftigen Urſache, deren Cauſſalitaͤt (in Herbey - ſchaffung und Verbindung der Theile) durch ihre Jdee von einem dadurch moͤglichen Ganzen (mithin nicht durch die Natur auſſer ihm) beſtimmt wird.

287II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Soll aber ein Ding, als Naturproduct, in ſich ſelbſt und ſeiner innern Moͤglichkeit doch eine Beziehung auf Zwecke enthalten, d. i. nur als Naturzweck und ohne die Cauſſalitaͤt der Begriffe von vernuͤnftigen Weſen auſſer ihm moͤglich ſeyn, ſo wird zweytens dazu erfordert: daß die Theile deſſelben ſich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß ſie von einander wechſelſeitig Urſache und Wirkung ihrer Form ſind; denn auf ſolche Weiſe iſt es allein moͤglich, daß umgekehrt (wechſelſeitig) die Jdee des Ganzen wiederum die Form und Verbin - dung aller Theile beſtimme; nicht als Urſache denn da waͤre es ein Kunſtproduct ſondern als Erkennt - nisgrund der ſyſtematiſchen Einheit der Form und Ver - bindung alles Mannigfaltigen, was in der gegebenen Materie enthalten iſt, fuͤr den, der es beurtheilt.

Zu einem Koͤrper alſo, der an ſich und ſeiner innern Moͤglichkeit nach als Naturzweck beurtheilt werden ſoll, wird erfordert, daß die Theile deſſelben einander insge - ſammt ihrer Form ſowohl als Verbindung nach, wech - ſelſeitig und ſo ein Ganzes aus eigener Cauſſalitaͤt her - vorbringen, deſſen Begrif wiederum umgekehrt (in einem Weſen, welches die einem ſolchen Product angemeſſene Cauſſalitaͤt nach Begriffen beſaͤße) Urſache von demſel - ben nach einem Princip, folglich die Verknuͤpfung der wirkenden Urſachen zugleich als Wirkung durch Endurſachen beurtheilt werden koͤnnte.

288II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Jn einem ſolchen Producte der Natur wird ein jeder Theil, ſo, wie er nur durch alle uͤbrige da iſt, auch als um der andern und des Ganzen willen exiſtirend, d. i. als Werkzeug (Organ) gedacht, welches aber nicht genug iſt (denn er koͤnnte auch Werkzeug der Kunſt ſeyn und ſo nur als Zweck uͤberhaupt moͤglich vorgeſtellt wer - den) ſondern als ein die andere Theile, (folglich jeder den andern wechſelſeitig) hervorbringendes Organ, der - gleichen kein Werkzeug der Kunſt, ſondern nur der allen Stoff zu Werkzeugen (ſelbſt denen der Kunſt) liefernden Natur ſeyn kann und nur dann und darum wird ein ſolches Product als organiſirtes und ſich ſelbſt or - ganiſirendes Weſen ein Naturzweck genannt werden koͤnnen.

Jn einer Uhr iſt ein Theil das Werkzeug der Bewe - gung der andern, aber nicht die wirkende Urſache der Hervorbringung der anderen; ein Theil iſt zwar um des andern willen, aber nicht durch denſelben da. Daher iſt auch die hervorbringende Urſache derſelben und ihrer Form nicht in der Natur (dieſer Materie) ſondern auſſer ihr in einem Weſen, was nach Jdeen eines durch ſeine Cauſſalitaͤt moͤglichen Ganzen wirken kann, enthalten. Daher bringt auch nicht ein Rad in der Uhr das andere, noch weniger eine Uhr andere Uhren hervor, ſo daß ſie andere Materie dazu benutzte (ſie organiſirte); daher erſetzt ſie auch nicht von ſelbſt die ihr entwandte Theile, oder verguͤtet ihren Mangel in der erſten Bildung durchden289II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.den Beytritt der Uebrigen, oder beſſert ſich etwa ſelbſt aus, wenn ſie in Unordnung gerathen iſt, welches alles wir dagegen von der organiſirten Natur erwarten koͤn - nen. Ein organiſirtes Weſen iſt alſo nicht blos Ma - ſchine, denn die hat lediglich bewegende Kraft, ſon - dern beſitzt in ſich bildende Kraft und zwar eine ſolche, die ſie den Materien mittheilt, welche ſie nicht haben, (ſie organiſirt): alſo eine ſich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermoͤgen allein (den Mechanism) nicht erklaͤrt werden kann.

Man ſagt von der Natur und ihrem Vermoͤgen in organiſirten Producten bey weitem zu wenig, wenn man dieſes ein Analogon der Kunſt nennt; denn da denkt man ſich den Kuͤnſtler (ein vernuͤnftiges Weſen) auſſer ihr. Sie organiſirt ſich vielmehr ſelbſt und in jeder Species ihrer organiſirten Producte, zwar nach einerley Exemplar im Ganzen, aber doch auch mit ſchicklichen Abweichungen, die die Selbſterhaltung nach den Um - ſtaͤnden erfordert. Naͤher tritt man vielleicht dieſer uner - forſchlichen Eigenſchaft, wenn man ſie ein Analogon des Lebens nennt; aber da muß man entweder die Materie als bloße Materie mit einer Eigenſchaft (Hylo - zoism) begaben, die ihrem Weſen wiederſtreitet, oder ihr ein fremdartiges mit ihr in Gemeinſchaft ſtehen - des Princip (eine Seele) beygeſellen, wozu man aber, wenn ein ſolches Product ein Naturproduct ſeyn ſoll, organiſirte Materie als Werkzeng jener Seele entwederKants Crit. d. Urtheilskr. T290II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſchon voraus|ſetzt und jene alſo nicht im mindeſten be - greiflicher macht, oder die Seele zur Kuͤnſtlerin dieſes Bauwerks machen, und ſo das Product der Natur (der koͤrperlichen) entziehen muß. Genau zu reden hat alſo die Organiſation der Natur nichts Analogiſches mit irgend einer Cauſſalitaͤt die wir kennen*)Man kann umgekehrt einer gewiſſen Verbindung, die aber auch mehr in der Jdee als in der Wirklichkeit angetroffen wird, durch eine Analogie mit den genannten unmittelbaren Naturzwecken Licht geben. So hat man ſich, bey einer neuerlich unternommenen gaͤnzlichen Umbildung eines großen Volks zu einem Staat, des Worts Organiſation haͤufig fuͤr Einrichtung der Magiſtraturen u. ſ. w. und ſelbſt des ganzen Staatskoͤrpers ſehr ſchicklich bedient. Denn jedes Glied ſoll freylich in einem ſolchen Ganzen nicht blos Mit - tel, ſondern zugleich auch Zweck und, indem es zu der Moͤg - lichkeit des Ganzen mitwirkt, durch die Jdee des Ganzen wiederum, ſeiner Stelle und Function nach, beſtimmt ſeyn., Schoͤnheit der Natur, weil ſie den Gegenſtaͤnden nur in Beziehung auf die Reflexion uͤber die aͤußere Anſchauung derſelben, mithin nur der Form der Oberflaͤche wegen beygelegt wird, kann mit Recht ein Analogon der Kunſt genannt werden. Aber innere Naturvollkommenheit, dergleichen Dinge beſitzen, die nur als Naturzwecke moͤglich ſind und darum organiſirte Weſen heißen, ſind nach keiner Analogie irgend eines uns bekannten phyſi - ſchen d. i. Natur-Vermoͤgens, ja da wir ſelbſt zur Na - tur im weiteſten Verſtande gehoͤren, ſelbſt nicht einmal durch eine genau angemeſſene Analogie mit menſchlicher Kunſt denkbar und erklaͤrlich.

291II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Der Begrif eines Dinges, als an ſich Naturzwecks, iſt alſo kein conſtitutiver Begrif des Verſtandes oder der Vernunft, kann aber doch ein regulativer Begrif fuͤr die reflectirende Urtheilskraft ſeyn, nach einer entfernten Analogie mit unſerer Cauſſalitaͤt nach Zwecken uͤberhaupt die Nachforſchung uͤber Gegenſtaͤnde dieſer Art zu leiten und uͤber ihren oberſten Grund nachzudenken; das letz - tere zwar nicht zum Behuf der Kenntnis der Natur, oder jenes Urgrundes deſſelben, als vielmehr eben deſſel - ben practiſchen Vernunftvermoͤgens in uns, mit welchem wir die Urſache jener Zweckmaͤßigkeit in Analogie be - trachteten.

Organiſirte Weſen ſind alſo die einzigen in der Na - tur, welche, wenn man ſie auch fuͤr ſich und ohne ein Verhaͤltnis auf andere Dinge betrachtet, doch nur als Zwecke derſelben moͤglich gedacht werden muͤſſen und die alſo zuerſt dem Begriffe eines Zwecks der nicht ein practiſcher ſondern Zweck der Natur iſt, objective Rea - litaͤt, und dadurch fuͤr die Naturwiſſenſchaft den Grund zu einer Telealogie, d. i. einer Beurtheilungsart ihrer Objecte nach einem beſondern Princip, verſchaffen, der - gleichen man in ſie einzufuͤhren (weil man die Moͤglich - keit einer ſolchen Art Cauſſalitaͤt gar nicht a priori ein - ſehen kann) ſonſt ſchlechterdings nicht berechtigt ſeyn wuͤrde.

T 2292II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 66. Vom Princip der Beurtheilung der innern Zweckmaͤßigkeit in organiſirten Weſen.

Dieſes Princip, zugleich die Definition derſelben, heißt: Ein organiſirtes Product der Natur iſt das, in welchem alles Zweck und wechſelſeitig auch Mittel iſt. Nichts in ihm iſt umſonſt, zwecklos, oder einem blinden Naturmechanism zuzuſchreiben.

Dieſes Princip iſt zwar ſeiner Veranlaſſung nach, von Erfahrung abzuleiten, naͤmlich derjenigen, welche methodiſch angeſtellt wird und Beobachtung heißt; der Allgemeinheit und Nothwendigkeit wegen aber, die es von einer ſolchen Zweckmaͤßigkeit ansſagt, kann es nicht blos auf Erfahrungsgruͤnden beruhen, ſondern muß irgend ein Princip a priori, wenn es gleich blos regula - tiv waͤre und jene Zwecke allein in der Jdee des Beur - theilenden und nirgend in einer wirkenden Urſache laͤgen, zum Grunde haben. Man kann daher obgenanntes Princip eine Maxime der Beurtheilung der inneren Zweckmaͤßigkeit organiſirter Weſen nennen.

Daß die Zergliederer der Gewaͤchſe und Thiere, um ihre Structur zu erforſchen und die Gruͤnde einſehen zu koͤnnen, warum und zu welchem Ende ſolche Theile, wa - rum eine ſolche Lage und Verbindung der Theile und ge - rade dieſe innere Form ihnen gegeben worden, jene Maxime: daß nichts in einem ſolchen Geſchoͤpf umſonſt293II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſey, als unumgaͤnglich nothwendig annehmen und ſie eben ſo, als den Grundſatz der allgemeinen Natur - lehre: daß nichts von ohngefaͤhr geſchehe, geltend machen, iſt bekannt. Jn der That koͤnnen ſie ſich auch von dieſem teleologiſchem Grundſatze eben ſo wenig los - ſagen, als dem allgemeinen phyſiſchen, weil, ſo wie bey Veranlaſſung des letzteren gar keine Erfahrung uͤber - haupt, ſo bey der des erſteren Grundſatzes kein Leitfaden fuͤr die Beobachtung einer Art von Naturdinge, die wir einmal teleologiſch unter dem Begriffe der Naturzwecke gedacht haben, uͤbrig bleiben wuͤrde.

Denn dieſer Begrif fuͤhrt die Vernunft in eine ganz andere Ordnung der Dinge, als die eines bloßen Me - chanisms der Natur der uns hier nicht mehr gnug thun will. Eine Jdee ſoll der Moͤglichkeit des Naturproducts zum Grunde liegen. Weil dieſe aber eine abſolute Ein - heit der Vorſtellung iſt, ſtatt deſſen die Materie eine Vielheit der Dinge iſt, die fuͤr ſich keine beſtimmte Ein - heit der Zuſammenſetzung an die Hand geben kann, ſo muß, wenn jene Einheit der Jdee, ſogar als Beſtim - mungsgrund a priori eines Naturgeſetzes der Cauſſali - taͤt einer ſolchen Form des Zuſammengeſetzten dienen ſoll, der Zweck der Natur auf Alles, was in ihrem Producte liegt, erſtreckt; werden; weil, wenn wir einmal dargleichen Wirkung im Ganzen auf einen uͤberſinn - lichen Beſtimmungsgrund uͤber den blinden Mechanism der Natur hinaus, beziehen, wir ſie auch ganz nach die -T 3294II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſem Princip beurtheilen muͤſſen und kein Grund da iſt, die Form eines ſolchen Dinges noch zum Theil vom letz - teren als abhaͤngig anzunehmen, da alsdenn bey der Vermiſchung ungleichartiger Principien, gar keine ſichere Regel der Beurtheilung uͤbrig bleiben wuͤrde.

Es mag immer ſeyn, daß z. B. in einem thieri - ſchen Koͤrper manche Theile als Concretionen nach blos mechaniſchen Geſetzen begriffen werden koͤnnten (als Haͤute, Knochen, Haare) ſo muß doch die Urſache, welche die dazu ſchickliche Materie herbeyſchaft, dieſe ſo modificirt und an ihren gehoͤrigen Stellen abſetzt, immer teleologiſch beurtheilt werden, ſo, daß alles in ihm als organiſirt betrachtet werden muß und alles auch in ge - wiſſer Beziehung auf das Ding ſelbſt wiederum Or - gan iſt.

§. 67. Vom Princip der teleologiſchen Beurtheilung uͤber Natur uͤberhaupt als Syſtem der Zwecke.

Wir haben oben von der aͤußeren Zweckmaͤßigkeit der Naturdinge geſagt: daß ſie keine hinreichende Be - rechtigung gebe, ſie zugleich als Zwecke der Natur, zu Erklaͤrungsgruͤnden ihres Daſeyns und der zufaͤllig - zweckmaͤßigen Wirkungen derſelben in der Jdee, zu Gruͤnden ihres Daſeyns nach dem Princip der Endur - ſachen zu brauchen. So kann man die Fluͤſſe, weil ſie295II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.die Gemeinſchaft im Jnnern der|Laͤnder unter Voͤlker befoͤrdern, Gebirge, weil ſie zu dieſen die Quellen und zur Erhaltung derſelben den Schneevorrath fuͤr regenloſe Zeiten enthalten, imgleichen den Abhang der Laͤnder, der dieſe Gewaͤſſer abfuͤhrt und das Land trocken werden laͤßt, darum nicht ſo fort fuͤr Naturzwecke halten; weil, ob zwar dieſe Geſtalt der Oberflaͤche der Erde zur Entſtehung und Erhaltung des Gewaͤchs - und Thierreichs ſehr noͤthig war, ſie doch nichts an ſich hat, zu deſſen Moͤglichkeit man ſich genoͤthigt ſaͤhe eine Cauſſa - litaͤt nach Zwecken anzunehmen. Eben das gilt von Gewaͤchſen, die der Menſch zu ſeiner Nothdurft oder Er - goͤtzlichkeit nutzt: von Thieren, dem Cameele, dem Rin - de, dem Pferde, Hunde u. ſ. w. die er theils zu ſeiner Nahrung, theils ſeinem Dienſte ſo vielfaͤltig gebrauchen und großentheils gar nicht entbehren kann. Von Din - gen deren keines fuͤr ſich als Zweck anzuſehen man Ur - ſache hat, kann das aͤußere Verhaͤltnis nur hypothetiſch fuͤr zweckmaͤßig beurtheilt werden.

Ein Ding ſeiner innern Form halber, als Natur - zweck beurtheilen, iſt ganz etwas anderes, als die Exi - ſtenz dieſes Dinges fuͤr Zweck der Natur halten. Zu der letztern Behauptung beduͤrfen wir nicht blos den Be - grif von einem moͤglichen Zweck, ſondern die Erkenntnis des Endzwecks (ſcopus) der Natur, welches eine Bezie - hung derſelben auf etwas Ueberſinnliches bedarf, die alle unſere teleologiſche Naturerkenntnis weit uͤberſteigt;T 4296II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.denn der Zweck der Exiſtenz der Natur ſelbſt muß uͤber die Natur hinausgeſucht werden. Die innere Form eines bloßen Grashalms kann ſeinen blos nach der Re - gel der Zwecke moͤglichen Urſprung, fuͤr unſer menſch - liches Beurtheilungsvermoͤgen hinreichend, beweiſen. Geht man aber davon ab und ſieht nur auf den Ge - brauch, den andere Naturweſen davon machen, verlaͤßt alſo die Betrachtung der innern Organiſation und ſieht nur auf aͤußere zweckmaͤßige Beziehungen, wie das Gras dem Vieh, wie dieſes dem Menſchen als Mittel zu ſeiner Exiſtenz noͤthig ſey und man ſieht nicht, warum es denn noͤthig ſey, daß Menſchen exiſtiren (welches, wenn man etwa die Neuhollaͤnder oder Feuerlaͤnder in Gedanken hat, ſo leicht nicht zu beantworten ſeyn moͤchte) ſo ge - langt man zu keinem categoriſchen Zwecke, ſondern alle dieſe zweckmaͤßige Beziehung beruht auf einer immer weiter hinauszuſetzenden Bedingung, die als unbedingt (das Daſeyn eines Dinges als Endzweck) ganz außer - halb der phyſiſch-teleologiſchen Weltbetrachtung liegt. Alsdenn aber iſt ein ſolches Ding auch nicht Naturzweck; denn es iſt (oder ſeine ganze Gattung) nicht als Natur - product anzuſehen.

Es iſt alſo nur die Materie, ſo fern ſie organiſirt iſt, welche den Begrif von ihr als einem Naturzwecke nothwendig bey ſich fuͤhrt, weil dieſe ihre ſpecifiſche Form zugleich Product der Natur iſt. Aber dieſer Begrif fuͤhrt nun nothwendig auf die Jdee der geſammten Na -297II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.tur als eines Syſtems nach der Regel der Zwecke, wel - cher Jdee nun aller Mechanism der Natur nach Princi - pien der Vernunft, (wenigſtens um daran die Naturer - ſcheinung zu verſuchen) untergeordnet werden muß. Das Princip der Vernunft iſt ihr als nur ſubjectv, d. i. als Maxime zuſtaͤndig: alles in der Welt iſt irgend wo zu gut; nichts iſt in ihr umſonſt; und man iſt durch das Beyſpiel, daß die Natur an ihren organiſchen Produc - ten giebt, berechtigt, ja berufen, von ihr und ihren Ge - ſetzen nichts, als was im Ganzen zweckmaͤßig iſt, zu erwarten.

Es verſteht ſich, daß dieſes nicht ein Princip fuͤr die beſtimmende, ſondern nur fuͤr die reflectirende Urtheils - kraft ſey, daß es regulativ und nicht conſtitutiv ſey und wir dadurch nur einen Leitfaden bekommen, die Natur - dinge in Beziehung auf einen Beſtimmungsgrund, der ſchon gegeben iſt, nach einer neuen geſetzlichen Ordnung zu betrachten und die Naturkunde nach einem andern Princip naͤmlich dem der Endurſachen, doch unbeſchadet den des Mechanisms ihrer Cauſſalitaͤt, zu erweitern. Uebrigens wird dadurch keinesweges ausgemacht, ob irgend etwas, was wir nach dieſem Princip beurtheilen, abſichtlich Zweck der Natur ſey: Ob die Graͤſer fuͤr das Rind oder Schaaf, und ob dieſes und die uͤbrige Naturdinge fuͤr den Menſchen da ſind. Es iſt gut, ſelbſt die uns unangenehme und in beſondern Beziehungen zweckwidrige Dinge auch von dieſer Seite zu betrach -T 5298II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ten. So koͤnnte man z. B. ſagen: das Ungeziefer, wel - ches die Menſchen in ihren Kleidern, Haaren, oder Bettſtellen plagt, ſey nach einer weiſen Naturanſtalt ein Antrieb zur Reinlichkeit, die fuͤr ſich ſchon ein wichtiges Mittel der Erhaltung der Geſundheit iſt. Oder die Moskitomuͤcken und andere ſtehende Jnſecten, welche die Wuͤſten von Amerika den Wilden ſo beſchwerlich machen, ſind ſo viel Stacheln der Thaͤtigkeit fuͤr dieſe angehende Menſchen, um die Moraͤſte abzuleiten und die dichte, den Luftzug abhaltende Waͤlder licht zu machen und dadurch, imgleichen durch den Anbau des Bodens, ihren Auffenthalt zugleich geſunder zu machen. Selbſt was dem Menſchen in ſeiner innern Organiſation widerna - tuͤrlich zu ſeyn ſcheint, wenn es auf dieſe Weiſe behan - delt wird, giebt eine unterhaltende, bisweilen auch be - lehrende Ausſicht in eine teleologiſche Ordnung der Din - ge, auf die uns, ohne ein ſolches Princip, die blos phy - ſiſche Betrachtung allein nicht fuͤhren wuͤrde. So wie einige den Bandwurm dem Menſchen oder Thier, dem er beywohnt, gleichſam zum Erſatz eines gewiſſen Mangels ſeiner Lebensorganen beygegeben zu ſeyn urtheilen: ſo wuͤrde ich fragen, ob nicht die Traͤume (ohne die niemals der Schlaf iſt, ob man ſich gleich nur ſelten derſelben er - innert) eine zweckmaͤßige Anordnung der Natur ſeyn moͤgen, indem ſie naͤmlich bey dem Abſpannen aller koͤr - perlichen bewegenden Kraͤfte, dazu dienen, vermittelſt der Einbildungskraft und der großen Geſchaͤftigkeit der -299II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſelben (die in dieſem Zuſtande mehrentheils bis zum Affecte ſteigt) die Lebensorganen innigſt zu bewegen: ſo wie ſie auch bey uͤberfuͤlleten Magen, wo dieſe Bewegung um deſto noͤthiger iſt im Nachtſchlafe gemeiniglich mit deſto mehr Lebhaftigkeit ſpielt und daß, ohne dieſe inner - lich bewegende Kraft und die ermuͤdende Unruhe, wo - ruͤber wir die Traͤume anklagen (die doch in der That vielleicht Heilmittel ſind), der Schlaf, ſelbſt im geſun - den Zuſtande, wohl gar ein voͤlliges Erloͤſchen des Lebens ſeyn wuͤrde.

Auch Schoͤnheit der Natur, d. i. ihre Zuſammen - ſtimmung mit dem freyen Spiele unſerer Erkenntnis - vermoͤgen in der Auffaſſung und Beurtheilung ihrer Er - ſcheinung, kann auf die Art als objective Zweckmaͤßig - keit der Natur in ihrem Ganzen, als Syſtem, worinn der Menſch ein Glied iſt, betrachtet werden; wenn ein - mal die teleologiſche Beurtheilung derſelben durch die Naturzwecke, welche uns die organiſirte Weſen an die Hand geben, zu der Jdee eines großen Syſtems der Zwecke der Natur uns berechtigt haben. Wir koͤnnen ſie als eine Gunſt,*)Jn dem aͤſthetiſchen Theile wurde geſagt: wir ſaͤhen die ſchoͤne Natur mit Gunſt an, indem wir an dieſer ihrer Form ein ganz freyes (unintereſſirtes) Wohlgefallen haben; denn in dieſem bloßen Geſchmacksurtheile wird gar nicht darauf Ruͤckſicht genommen, zu welchem Zwecke dieſe Na - turſchoͤnheiten exiſtiren: ob um uns eine Luſt zu erwecken, die die Natur fuͤr uns gehabt hat,300II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.betrachten, daß ſie uͤber das Nuͤtzliche noch Schoͤnheit und Reitze ſo reichlich austheilete und ſie deshalb lieben, ſo wie, ihrer Unermeslichkeit wegen, mit Achtung be - trachten und uns ſelbſt in dieſer Betrachtung veredelt fuͤhlen, gerade als ob die Natur ganz eigentlich in dieſer Abſicht ihre herrliche Buͤhne aufgeſchlagen und ausge - ſchmuͤckt habe.

Wir wollen in dieſem §. nichts anders ſagen: als daß, wenn wir einmal an der Natur ein Vermoͤgen ent - deckt haben, Producte hervorzubringen, die nur nach dem Begriffe der Endurſachen von uns gedacht werden koͤnnen, wir weiter gehen und auch die, welche, oder ihr, obgleich zweckmaͤßiges Verhaͤltnis, es eben nicht noth - wendig machen uͤber den Mechanism der blind wirkenden Urſachen hinaus ein ander Princip fuͤr ihre Moͤglichkeit aufzuſuchen, dennoch als zu einem Syſtem der Zwecke gehoͤrig beurtheilen duͤrfen; weil uns die erſtere Jdee ſchon, was ihren Grund betrift, uͤber die Sinnenwelt welt hinausfuͤhrt, da denn die Einheit des uͤberſinnlichen Princips nicht blos fuͤr gewiſſe Species der Naturweſen, ſondern fuͤr das Naturganze, als Syſtem, auf dieſelbe Art als guͤltig betrachtet werden muß.

*)oder ohne alle Beziehung auf uns als Zwecke. Jn einem tel[e]ologiſchen Urtheile aber geben wir auch auf dieſe Be - ziehung acht und da koͤnnen wir es als Gunſt der Natur anſehen, daß ſie uns,[durch] Aufſtellung ſo vieler ſchoͤner Geſtalten, zur Cultur hat befoͤrderlich ſeyn wollen.

301II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 68. Von dem Princip der Teleologie als innerem Princip der Naturwiſſenſchaft.

Die Principien einer Wiſſenſchaft ſind derſelben ent - weder innerlich und werden einheimiſch genant (princi - pia domeſtica), oder ſie ſind auf Begriffe, die nur auſſer ihr ihren Platz finden koͤnnen, gegruͤndet und ſind auswaͤrtige Principien (peregrina). Wiſſenſchaften welche die letzteren enthalten legen ihren Lehren Lehn - ſaͤtze (Lemmata) zum Grunde, d. i. ſie borgen irgend einen Begrif und mit ihm einen Grund der Anordnung von einer anderen Wiſſenſchaft.

Eine jede Wiſſenſchaft iſt fuͤr ſich ein Syſtem und es iſt nicht gnug in ihr nach Principien zu bauen und alſo techniſch zu verfahren, ſondern man muß mit ihr, als einem fuͤr ſich beſtehenden Gebaͤude, auch architecto - niſch zu Werke gehen und ſie nicht, wie einen Anbau und als einen Theil eines andern Gebaͤudes ſondern als ein Ganzes fuͤr ſich behandeln, ob man gleich nachher einen Uebergang aus dieſem in jenes oder wechſelſeitig errichten kann.

Wenn man alſo fuͤr die Naturwiſſenſchaft und in ihren Context den Begrif von Gott hereinbringt, um ſich die Zweckmaͤßigkeit in der Natur erklaͤrlich zu machen und hernach dieſe Zweckmaͤßigkeit wiederum braucht, um zu beweiſen, daß ein Gott ſey: ſo iſt in keiner von bey -302II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.den Wiſſenſchaften innerer Beſtand und ein taͤuſchendes Dialele bringt jede in Unſicherheit, dadurch, daß ſie ihre Grenzen in einander laufen laſſen.

Der Ausdruck eines Zwecks der Natur beugt dieſer Verwirrung ſchon gnugſam vor, um Naturwiſſenſchaft und die Veranlaſſung, die ſie zur teleologiſchen Beurtheilung ihrer Gegenſtaͤnde giebt, nicht mit der Gottesbetrachtung und alſo einer theologiſchen Ableitung zu vermengen, und man muß es nicht als un - bedeutend anſehen: ob man jenen Ausdruck mit dem eines goͤttlichen Zwecks in der Anordnung der Natur verwechſele, oder wohl gar den letztern fuͤr ſchicklicher und einer frommen Seele angemeſſener ausgebe, weil es doch am Ende dahin kommen muͤſſe, jene zweckmaͤßige Formen in der Natur von einem weiſen Welturheber ab - zuleiten, ſondern ſich ſorgfaͤltig und beſcheiden auf den Ausdruck, der gerade ſo viel ſagt als wir wiſſen, naͤmlich eines Zwecks der Natur einſchraͤnken. Denn ehe wir noch nach der Urſache der Natur ſelbſt fragen, finden wir in der Natur und dem Laufe ihrer Erzeugung dergleichen Producte, die nach bekannten Erfahrungsge - ſetzen in ihr erzeugt werden, nach welchen die Natur - wiſſenſchaft ihre Gegenſtaͤnde beurtheilen, mithin auch deren Cauſſalitaͤt nach der Regel der Zwecke in ihr ſelbſt ſuchen muß. Daher muß ſie ihre Graͤnze nicht uͤber - ſpringen, um das, deſſen Begriffe gar keine Erfahrung angemeſſen ſeyn kann und woran man ſich allererſt nach303II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Volle[n]dung der Naturwiſſenſchaft zu wagen befugt iſt, in ſie ſelbſt als einheimiſches Princip hinein zu ziehen.

Naturbeſchaffenheiten, die ſich a priori demonſtriren und alſo ihrer Moͤglichkeit nach aus allgemeinen Prin - cipien ohne allen Beytritt der Erfahrung einſehen laſſen, koͤnnen, ob ſie gleich eine techniſche Zweckmaͤßigkeit bey ſich fuͤhren, dennoch, weil ſie ſchlechterdings nothwendig ſind, gar nicht zur Teleologie der Natur, als einer in die Phyſik gehoͤrigen Methode die Fragen derſelben auf - zuloͤſen, gezaͤhlt werden. Arithmetiſche, geometriſche Analogien, imgleichen allgemeine mechaniſche Geſetze, ſo ſehr uns auch die Vereinigung verſchiedener dem An - ſchein nach von einander ganz unabhaͤngiger Regeln in einem Princip an ihnen befremdend und bewuuderns - wuͤrdig vorkommen mag, enthalten deswegen keinen Anſpruch darauf, teleologiſche Erklaͤrungsgruͤnde in der Phyſik zu ſeyn und, wenn ſie gleich in der allgemeinen Theorie der Zweckmaͤßigkeit der Dinge der Natur uͤber - haupt mit in Betrachtung gezogen zu werden verdienen, ſo wuͤrde dieſe doch anderwaͤrts hin, naͤmlich in die Me - taphyſik gehoͤren und kein inneres Princip der Natur - wiſſenſchaft ausmachen; wie es wohl mit den empiri - ſchen Geſetzen der Naturzwecke an organiſirten Weſen nicht allein erlaubt, ſondern auch unvermeidlich iſt, die teleologiſche Beurtheilungsart zum Princip der Na - turlehre in Anſehung einer eigenen Claſſe ihrer Gegen - ſtaͤnde zu gebrauchen.

304II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Damit nun Phyſik ſich genau in ihren Graͤnzen halte, ſo abſtrahirt ſie von der Frage, ob die Natur - zwecke es abſichtlich oder unabſichtlich ſind, gaͤnz - lich; denn das wuͤrde Einmengung in ein fremdes Ge - ſchaͤft (naͤmlich das der Metaphyſik) ſeyn. Genug es ſind nach Naturgeſetzen, die wir uns nur unter der Jdee der Zwecke als Princip denken koͤnnen, einzig und allein erklaͤrbare und blos auf dieſe Weiſe ihrer innern Form nach, ſogar auch nur innerlich erkennbare Gegenſtaͤnde. Um ſich alſo auch nicht der mindeſten Anmaßung, als wollte man etwas, was gar nicht in die Phyſik gehoͤrt, naͤmlich eine uͤbernatuͤrliche Urſache, unter unſere Er - kenntnisgruͤnde miſchen, verdaͤchtig zu machen, ſpricht man in der Teleologie zwar von der Natur als ob die Zweckmaͤßigkeit in ihr abſichtlich ſey, aber doch zugleich ſo, daß man der Natur, d. i. der Materie, dieſe Abſicht beylegt; wodurch man (weil hieruͤber kein Misverſtand ſtatt finden kann, indem von ſelbſt ſchon keiner einem lebloſen Stoffe Abſicht in eigentlicher Bedeutung des Worts beylegen wird) anzeigen will, daß dieſes Wort hier nur ein Princip der reflectirenden nicht der beſtim - menden Urtheilskraft bedeute und alſo keinen beſondern Grund der Cauſſalitaͤt einfuͤhren ſolle, ſondern auch nur zum Gebrauche der Vernunft eine andere Art der Nach - forſchung als die nach mechaniſchen Geſetzen iſt, hinzu - fuͤge, um die Unzulaͤnglichkeit der letzteren, ſelbſt zur empiriſchen Aufſuchung aller beſondern Geſetze der Na -tur,305II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.tur zu ergaͤnzen. Daher ſpricht man in der Teleologie, ſo fern ſie zur Phyſik gezogen wird, ganz recht von der Weisheit, der Sparſamkeit, der Vorſorge, der Wohl - thaͤtigkeit der Natur, ohne dadurch aus ihr ein verſtaͤn - diges Weſen zu machen, (weil das ungereimt waͤre,) aber auch ohne ſich zu erkuͤhnen ein anderes verſtaͤndiges We - ſen uͤber ſie als Werkmeiſter, ſetzen zu wollen, weil die - ſes vermeſſen*)Das deutſche Wort vermeſſen iſt ein gutes bedeutungs - volles Wort. Ein Urtheil, bey welchem man das Laͤngen - maas ſeiner Kraͤfte (des Verſtandes) zu uͤberſchlagen ver - gißt, kann bisweilen ſehr demuͤthig klingen und macht doch große Anſpruͤche, und iſt doch ſehr vermeſſen. Von der Art ſind die meiſten, dadurch man die goͤttliche Weisheit zu erheben vorgiebt, indem man ihr in den Werken der Schoͤpfung und der Erhaltung Abſichten unterlegt, die eigentlich der eigenen Weisheit des Vernuͤnftlers Ehre machen ſollen. ſeyn wuͤrde: ſondern es ſoll dadurch nur eine Art der Cauſſalitaͤt der Natur, nach einer Analogie mit der unſrigen im techniſchen Gebrauche der Vernunft, bezeichnet werden, um die Regel, darnach gewiſſen Pro - ducten der Natur nachgeforſcht werden muß, vor Augen zu haben.

Warum aber macht doch die Teleologie gewoͤhnlich keinen eigenen Theil der theoretiſchen Naturwiſſenſchaft aus, ſondern wird zur Theologie als Propaͤdevtik oder Uebergang gezogen? Dieſes geſchieht um das Studium der Natur nach ihrem Mechanism an demjenigen feſt zu halten, was wir unſerer Beobachtung oder ExperimentenKants Crit. d. Urtheilskr. U306II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſo unterwerfen koͤnnen, daß wir es gleich der Natur, wenigſtens der Aehnlichkeit der Geſetze nach, ſelbſt her - vorbringen koͤnnten; denn nur ſo viel ſieht man voll - ſtaͤndig ein, als man nach Begriffen ſelbſt machen und zu Stande bringen kann. Organiſation aber, als innerer Zweck der Natur, uͤberſteigt unendlich alles Vermoͤgen einer aͤhnlichen Darſtellung durch Kunſt, und was aͤußere fuͤr zweckmaͤßig gehaltene Natureinrichtungen betrift, (z. B. Winde, Regen u. d. g.), ſo betrachtet die Phyſik wohl den Mechanism derſelben, aber ihre Beziehung auf Zwecke, ſo fern dieſe eine zur Urſache nothwendig gehoͤrige Bedingung ſeyn ſoll, kann ſie gar nicht dar - ſtellen, weil dieſe Nothwendigkeit der Verknuͤpfung gaͤnz - lich die Verbindung unſerer Begriffe und nicht die Be - ſchaffenheit der Dinge angeht.

307II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Zweyte Abtheilung. Dialectik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 69. Was eine Antinomie der Urtheilskraft ſey?

Die beſtimmende Urtheilskraft hat fuͤr ſich keine Principien, welche Begriffe von Objecten gruͤnden. Sie iſt keine Avtonomie; denn ſie ſubſumirt nur un - ter gegebenen Geſetzen, oder Begriffen, als Principien. Eben darum iſt ſie auch keiner Gefahr ihrer eigenen An - tinomie und einem Widerſtreit ihrer Principien ausge - ſetzt. So war die transſcendentale Urtheilskraft, welche die Bedingungen unter Categorien zu ſubſumiren ent - hielte, fuͤr ſich nicht nomothetiſch, ſondern nannte nur die Bedingungen der ſinnlichen Anſchauung, unter denen einem gegebenen Begriffe, als Geſetze des Verſtandes, Realitaͤt (Anwendung) gegeben werden kann; woruͤber ſie niemals mit ſich ſelbſt in Uneinigkeit (wenigſtens den Principien nach) gerathen konnte.

U 2308II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Allein die reflectirende Urtheilskraft ſoll unter einem Geſetze ſubſumiren, was noch nicht gegeben und alſo in der That nur ein Princip der Reflexion uͤber Gegenſtaͤnde iſt, fuͤr die es uns objectiv gaͤnzlich an einem Geſetze mangelt, oder an einem Begriffe vom Object, der zum Princip fuͤr vorkommende Faͤlle hin - reichend waͤre. Da nun kein Gebrauch der Erkenntnis - vermoͤgen ohne Principien verſtattet werden darf, ſo wird die reflectirende Urtheilskraft in ſolchen Faͤllen ihr ſelbſt zum Princip dienen muͤſſen, welches, weil es nicht objectiv iſt, und keinen fuͤr die Abſicht hinreichenden Er - kenntnisgrund des Objects unterlegen kann, als blos ſubjectives Princip, zum zweckmaͤßigen Gebrauche der Erkenntnisvermoͤgen, naͤmlich uͤber eine Art Gegenſtaͤnde zu reflectiren, dienen ſoll. Alſo hat in Beziehung auf ſolche Faͤlle die reflectirende Urtheilskraft ihre Maximen und zwar nothwendige, zum Behuf der Erkenntnis der Naturgeſetze in der Erfahrung, um vermittelſt derſelben zu Begriffen zu gelangen, ſollten dieſe auch Vernunft - begriffe ſeyn; wenn ſie ſolcher durchaus bedarf, um die Natur nach ihren empiriſchen Geſetzen blos kennen zu lernen. Zwiſchen dieſen nothwendigen Maximen der reflectirenden Urtheilskraft kann nun ein Wider - ſtreit, mithin eine Antinomie, ſtatt finden, worauf ſich eine Dialectik gruͤndet, die, wenn jede zweyer ein - ander widerſtreitender Maximen in der Natur der Er - kenntnisvermoͤgen ihren Grund hat, eine natuͤrliche Dia -309II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.lectik genannt werden kann und ein unvermeidlicher Schein, den man in der Critik entbloͤßen und aufloͤſen muß, damit er nicht betruͤge.

§. 70. Vorſtellung dieſer Antinomie.

So fern die Vernunft es mit der Natur, als Jn - begrif der Gegenſtaͤnde aͤußerer Sinne, zu thun hat, kann ſie ſich auf Geſetze gruͤnden, die der Verſtand theils ſelbſt a priori der Natur vorſchreibt, theils durch die in der Erfahrung vorkommende empiriſche Beſtimmungen, ins Unabſehliche erweitern kann. Zur Anwendung der erſtern Art von Geſetzen, naͤmlich den allgemeinen der materiellen Natur uͤberhaupt, braucht die Urtheils - kraft kein beſonderes Princip der Reflexion; denn da iſt ſie beſtimmend, weil ihr ein objectives Princip durch den Verſtand gegeben iſt. Aber, was die beſondere Geſetze betrift, die uns nur durch Erfahrung kund werden koͤn - nen, ſo kann unter ihnen eine ſo große Mannigfaltig - keit und Ungleichartigkeit ſeyn, daß die Urtheilskraft ihr ſelbſt zum Princip dienen muß, um auch nur in den Er - ſcheinungen der Natur nach einem Geſetze zu forſchen und es auszuſpaͤhen, indem ſie ein ſolches zum Leitfaden bedarf, wenn ſie ein zuſammenhangendes Erfahrungs - erkenntnis nach einer durchgaͤngigen Geſetzmaͤßigkeit der Natur, die Einheit derſelben nach empiriſchen Geſetzen, auch nur hoffen ſoll. Bey dieſer zufaͤlligen Einheit derU 3310II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.beſonderen Geſetze kann es ſich nun zutragen: daß die Urtheilskraft in ihrer Reflexion von zwey Maximen aus - geht, deren die eine ihr der bloße Verſtand a priori an die Hand giebt, die andere aber durch beſondere Erfah - rungen veranlaßt wird, welche die Vernunft ins Spiel bringen, um nach einem beſondern Princip die Beurthei - lung der koͤrperlichen Natur und ihrer Geſetze anzuſtel - len. Da trift es ſich dann, daß dieſe zweyerley Maxi - men nicht wohl neben einander beſtehen zu koͤnnen den Anſchein haben, mithin ſich eine Dialectik hervorfindet, welche die Urtheilskraft in dem Princip ihrer Reflexion irre macht.

Die erſte Maxime derſelben iſt der Satz: Alle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen muß als nach blos mechaniſchen Geſetzen moͤglich beurtheilt werden.

Die zweyte Maxime iſt der Gegenſatz: Einige Producte der materiellen Natur koͤnnen nicht, als nach blos mechaniſchen Geſetzen moͤglich, beurtheilt werden (ihre Beurtheilung erfordert ein ganz anderes Geſetz der Cauſſalitaͤt, naͤmlich das der Endurſachen).

Wenn man dieſe regulative Grundſaͤtze fuͤr die Nachforſchung nun in conſtitutive, der Moͤglichkeit der Objecte ſelbſt, verwandelte, ſo wuͤrden ſie ſo lauten:

Satz: Alle Erzeugung materieller Dinge iſt nach blos mechaniſchen Geſetzen moͤglich.

311II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Gegenſatz: Einige Erzeugung derſelben iſt nach blos mechaniſchen Geſetzen nicht moͤglich.

Jn dieſer letzteren Qualitaͤt, als objective Princi - pien fuͤr die beſtimmende Urtheilskraft, wuͤrden ſie ein - ander widerſprechen, mithin einer von beyden Saͤtzen nothwendig falſch ſeyn; aber das waͤre alsdenn zwar eine Antinomie, aber nicht der Urtheilskraft, ſondern ein Widerſtreit in der Geſetzgebung der Vernunft. Die Vernunft kann aber weder den einen noch den anderu dieſer Grundſaͤtze beweiſen; weil wir von Moͤglichkeit der Dinge nach blos empiriſchen Geſetzen der Natur kein beſtimmendes Princip a priori haben koͤnnen.

Was dagegen die zuerſt vorgetragene Maxime einer reflectirenden Urtheilskraft betrift, ſo enthaͤlt ſie in der That gar keinen Widerſpruch. Denn wenn ich ſage: ich muß alle Eraͤugniſſe in der materiellen Natur, mithin auch alle Formen, als Producte derſelben, ihrer Moͤglichkeit nach, nach blos mechaniſchen Geſetzen beur - theilen, ſo ſage ich damit nicht: ſie ſind darnach allein (ausſchließungsweiſe von jeder andern Art Cauſſa - litaͤt) moͤglich: ſondern das will nur anzeigen, ich ſoll jederzeit uͤber dieſelbe nach dem Princip des bloßen Mechanisms der Natur reflectiren und mithin dieſem, ſo weit ich kann, nachforſchen, weil, ohne ihn zum Grunde der Nachforſchung zu legen, es gar keine eigentliche Naturerkenntnis geben kann. Dieſes hindert nun die zweyte Maxime, bey gelegentlicher Veranlaſſung,312II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.nicht, naͤmlich einigen Naturformen (und auf deren Ver - anlaſſung ſogar der ganzen Natur) nach einem Princip nachzuſpuͤhren und uͤber ſie zu reflectiren, welches von der Erklaͤrung nach dem Mechanism der Natur ganz verſchieden iſt, naͤmlich dem Princip der Endurſachen. Denn die Reflexion nach der erſten Maxime wird da - durch nicht aufgehoben, vielmehr wird es geboten, ſie, ſo weit man kann, zu verfolgen, auch wird dadurch nicht geſagt, daß, nach dem Mechanism der Natur, jene For - men nicht moͤglich waͤren; nur wird behauptet daß die menſchliche Vernunft in Befolgung derſelben und auf dieſe Art niemals von dem, was das Specifi - ſche eines Naturzwecks ausmacht, den mindeſten Grund, wohl aber andere Erkenntniſſe von Naturgeſetzen wird auffinden koͤnnen; wobey es als unausgemacht dahin geſtellt wird, ob nicht in dem uns unbekannten inneren Grunde der Natur ſelbſt die phyſiſch-mechaniſche und die Zweckverbindung an denſelben Dingen in einem Prin - cip zuſammen haͤngen moͤgen, nur daß unſere Vernunft ſie in einem ſolchen zu vereinigen nicht im Stande iſt, und die Urtheilskraft alſo, als (aus einem ſubjectiven Grunde) reflectirende, nicht als (einem objectiven Princip der Moͤglichkeit der Dinge an ſich zu Folge) beſtimmende Urtheilskraft, genoͤthigt iſt, fuͤr gewiſſe Formen in der Natur ein anderes Princip, als das des Naturmechanisms zum Grunde ihrer Moͤglichkeit zu denken.

313II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 71. Vorbereitung zur Aufloͤſung obiger Antinomie.

Wir koͤnnen die Unmoͤglichkeit der Erzeugung der organiſirten Naturproducte durch den bloßen Mecha - nism der Natur keinesweges beweiſen, weil wir die un - endliche Mannigfaltigkeit der beſondern Naturgeſetze, die fuͤr uns zufaͤllig ſind, da ſie nur empiriſch erkannt werden, ihrem erſten innern Grunde nach nicht einſehen und ſo das innere durchgaͤngig zureichende Princip der Moͤglichkeit einer Natur (welches im Ueberſinnlichen liegt) ſchlechterdings nicht erreichen koͤnnen. Ob alſo das productive Vermoͤgen der Natur auch fuͤr dasjenige, was wir, als nach der Jdee von Zwecken geformt oder verbunden, beurtheilen, nicht eben ſo gut, als fuͤr das, wozu wir blos ein Maſchinenweſen der Natur zu beduͤr - fen glauben, zulange und ob in der That fuͤr Dinge als eigentliche Naturzwecke (wie wir ſie nothwendig beur - theilen muͤſſen) eine ganz andere Art von urſpruͤnglicher Cauſſalitaͤt, die gar nicht in der materiellen Natur oder ihrem intelligibelen Subſtrat enthalten ſeyn kann, naͤm - lich ein architectoniſcher Verſtand zum Grunde liege, daruͤber kann unſere in Anſehung des Begrifs der Cauſ - ſalitaͤt, wenn er a priori ſpecificirt werden ſoll, ſehr enge eingeſchraͤnkte Vernunft ſchlechterdings keine Auskunft geben. Aber daß, reſpectiv auf unſer Erkenntnis -U 5314II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.vermoͤgen, der bloße Mechanism der Natur fuͤr die Er - zeugung organiſirter Weſen auch keinen Erklaͤrungs - grund abgeben koͤnne, iſt eben ſo ungezweifelt gewis. Fuͤr die reflectirende Urtheilskraft iſt alſo das ein ganz richtiger Grundſatz: daß fuͤr die ſo offenbare Verknuͤpfung der Dinge nach Endurſachen eine vom Mechanism unterſchiedene Cauſſalitaͤt, naͤmlich einer nach Zwecken handelnden (verſtaͤndigen) Welturſache ge - dacht werden muͤſſe, ſo uͤbereilt und unerweislich er fuͤr die beſtimmende ſeyn wuͤrde. Jn dem erſteren Falle iſt er bloße Maxime der Urtheilskraft; wobey der Begrif jener Cauſſalitaͤt eine bloße Jdee iſt, der man keinesweges Realitaͤt zuzugeſtehen unternimmt, ſondern ſie nur zum Leitfaden der Reflexion braucht, die dabey fuͤr alle mechaniſche Erklaͤrungsgruͤnde immer offen bleibt, und ſich nicht aus der Sinnenwelt verliert; im zweyten Falle wuͤrde der Grundſatz ein objectives Princip ſeyn, das die Vernunft vorſchriebe und dem die Urtheils - kraft ſich beſtimmend unterwerfen muͤßte, wobey ſie aber uͤber die Sinnenwelt hinaus ſich ins Ueberſchweng - liche verliert und vielleicht irre gefuͤhrt wird.

Aller Anſchein einer Antinomie zwiſchen den Maxi - men der eigentlich phyſiſchen (mechaniſ[c]hen) und der teleologiſchen (techniſchen) Erklaͤrungsart beruht alſo darauf; daß man einen Grundſatz der reflectirenden Ur - theilskraft mit dem der beſtimmenden und die Avtono - mie der erſteren, (die blos ſubjectiv fuͤr unſern Ver -315II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.nunftgebrauch in Anſehung der beſonderen Erfahrungs - geſetze gilt) mit der Heteronomie der anderen, welche ſich nach den von dem Verſtande gegebenen (allgemeinen oder beſondern Geſetzen) richten muß, verwechſelt.

§. 72. Von den mancherley Syſtemen uͤber die Zweckmaͤßigkeit der Natur.

Die Richtigkeit des Grundſatzes: daß uͤber gewiſſe Dinge der Natur (organiſirte Weſen) und ihre Moͤglich - keit nach dem Begriffe von Endurſachen geurtheilt wer - den muͤſſe, ſelbſt auch nur wenn man, um ihre Beſchaf - fenheit durch Beobachtung kennen zu lernen, einen Leitfaden verlangt, ohne ſich bis zur Unterſuchung uͤber ihren erſten Urſprung zu verſteigen, hat noch nie - mand bezweifelt. Die Frage kann alſo nur ſeyn: ob dieſer Grundſatz blos ſubjectiv guͤltig, d. i. blos Maxime unſerer Urtheilskraft oder ein objectives Princip der Na - tur ſey, nach welchem ihr, auſſer ihrem Mechanism (nach bloßen Bewegungsgeſetzen), noch eine andere Art von Cauſſalitaͤt zukomme, naͤmlich die der Endurſachen, unter denen jene (der bewegenden Kraͤfte) nur als Mit - telurſachen ſtaͤnden.

Nun koͤnnte man dieſe Frage, oder Aufgabe fuͤr die Speculation, gaͤnz ich unausgemacht und unaufgeloͤſet laſſen; weil, wenn wir uns mit der letzteren innerhalb den Graͤnzen der bloßen Naturerkenntnis begnuͤgen, wir316II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.an jenen Maximen genug haben, um die Natur, ſo weit als menſchliche Kraͤfte reichen zu ſtudiren und ihren ver - borgenſten Geheimniſſen nachzuſpuͤhren. Es iſt alſo wohl eine gewiſſe Ahndung unſerer Vernunft, oder ein von der Natur uns gleichſam gegebener Wink, daß wir vermittelſt jenes Begrifs von Endurſachen wohl gar uͤber die Natur hinauslangen und ſie ſelbſt an den hoͤch - ſten Punct in der Reihe der Urſachen knuͤpfen koͤnnten, wenn wir die Nachforſchung der Natur (ob wir gleich darinn noch nicht weit gekommen ſind) verließen, oder wenigſtens einige Zeit ausſetzten, und vorher worauf jener Fremdling vom Begriffe in der Naturwiſſenſchaft, naͤmlich der der Naturzwecke, fuͤhre, zu erkunden verſuchten.

Hier muͤßte nun freylich jene unbeſtrittene Maxime in die ein weites Feld zu Streitigkeiten eroͤfnende Auf - gabe uͤbergehen: Ob die Zweckverknuͤpfung in der Natur eine beſondere Art der Cauſſalitaͤt fuͤr dieſelbe beweiſe, oder ob ſie, an ſich und nach objectiven Principien be - trachtet, nicht vielmehr mit dem Mechanism der Natur einerley ſey, oder auf einem und demſelben Grunde be - ruhe; nur daß wir, da dieſer fuͤr unſere Nachforſchung in manchen Naturproducten oft zu tief verſteckt iſt, es mit einem ſubjectiven Princip, naͤmlich dem der Kunſt, d. i. der Cauſſalitaͤt nach Jdeen verſuchen, um ſie der Natur der Analogie nach unterzulegen; welche Nothhuͤlfe uns auch in vielen Faͤllen gelingt, in einigen zwar zu mislin -317II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.gen ſcheint, auf alle Faͤlle aber nicht berechtigt, eine be - ſondere von der Cauſſalitaͤt nach blos mechaniſchen Ge - ſetzen der Natur ſelbſt unterſchiedene Wirkungsart in die Naturwiſſenſchaft einzufuͤhren. Wir wollen, indem wir das Verfahren (die Cauſſalitaͤt) der Natur, we - gen des Zweckaͤhnlichen welches wir in ihren Pro - ducten finden, Technik nennen, dieſe in die abſicht - liche (technica intentionalis) und in die unabſichtliche (technica naturalis) eintheilen. Die erſte ſoll bedeuten: daß das productive Vermoͤgen der Natur nach Endur - ſachen fuͤr eine beſondere Art von Cauſſalitaͤt gehalten werden muͤſſe, die zweyte: daß ſie mit dem Mechanism der Natur im Grunde ganz einerley ſey und das zufaͤllige Zuſammentreffen mit unſeren Kunſtbegriffen und ihren Regeln, als blos ſubjective Bedingung ſie zu beurthei - len, faͤlſchlich fuͤr eine beſondere Art der Naturerzeugung ausgedeutet werde.

Wenn wir jetzt von den Syſtemen der Naturerklaͤ - rung in Anſehung der Endurſachen reden, ſo muß man wohl bemerken: daß ſie insgeſamt dogmatiſch d. i. uͤber objective Principien der Moͤglichkeit der Dinge, es ſey durch abſichtlich oder lauter unabſichtlich wirkende Ur - ſachen, unter einander ſtreitig ſind und nicht etwa uͤber die ſubjective Maxime, uͤber die Urſache ſolcher zweck - maͤßigen Producte blos zu urtheilen, in welchem letztern Falle disparate Principien noch wohl vereinigt wer - den koͤnnten, anſtatt daß im erſteren contradicto -318II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.riſch-entgegengeſetzte einander aufheben und neben ſich nicht beſtehen koͤnnen.

Die Syſteme in Anſehung der Technik der Natur, d. i. ihrer productiven Kraft nach der Regel der Zwecke, ſind zwiefach des Jdealismus oder des Realismus der Naturzwecke. Der erſtere iſt die Behauptung: daß alle Zweckmaͤßigkeit der Natur unabſichtlich, der zweyte daß einige derſelben (in organiſirten Weſen) abſichtlich ſey; woraus denn auch die als Hypotheſe gegruͤndete Folge gezogen werden koͤnnte, daß die Tech - nik der Natur, auch, was alle andere Producte derſel - ben in Beziehung aufs Naturganze betrift, abſichtlich, d. i. Zweck ſey.

1) Der Jdealism der Zweckmaͤßigkeit (ich verſtehe hier immer die objective) iſt nun entweder der der Caſualitaͤt, oder der Fatalitaͤt der Naturbeſtim - mung in der zweckmaͤßigen Form ihrer Producte. Das erſtere Princip betrift die Beziehung der Materie auf den phyſiſchen Grund ihrer Form, naͤmlich die Bewe - gungsgeſetze, das zweyte auf ihren und der ganzen Na - tur hyperphyſiſchen Grund. Das Syſtem der Caſualitaͤt, welches dem Epicur vder Democritus beygelegt wird, iſt, nach dem Buchſtaben genommen, ſo offenbar ungereimt, daß es uns nicht verweilen darf: dagegen iſt das Syſtem der Fatalitaͤt (wovon man den Spinoza zum Urheber macht, ob es gleich allem Anſehen nach viel aͤlter iſt) welches ſich auf etwas Ueberſinnliches319II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.beruft, dahin alſo unſere Einſicht nicht reicht, ſo leicht nicht zu wiederlegen; darum, weil ſein Begrif von dem Urweſen gar nicht zu verſtehen iſt. So viel iſt aber klar: daß die Zweckverbindung in der Welt in demſelben als unabſichtlich angenommen werden muß (weil ſie von einem Urweſen, aber nicht von ſeinem Verſtande, mit - hin keiner Abſicht deſſelben, ſondern aus der Nothwen - digkeit ſeiner Natur und der davon abſtammenden Welt - einheit abgeleitet wird), mithin der Fatalismus der Zweckmaͤßigkeit zugleich ein Jdealism derſelben iſt.

2) Der Realism der Zweckmaͤßigkeit der Natur iſt auch entweder phyſiſch oder hyperphyſiſch. Der erſte gruͤndet die Zwecke in der Natur auf dem Analo - gon eines nach Abſicht handelnden Vermoͤgens, dem Leben der Materie (in ihr, oder auch durch ein bele - bendes inneres Princip, (eine Weltſeele) und heißt der Hylozoism. Der zweyte leitet ſie von dem Ur - grunde des Weltalls, als einem mit Abſicht hervorbrin - genden (urſpruͤnglich lebenden) verſtaͤndigen Weſen ab und iſt der Theism*)Man ſieht hieraus: daß in den meiſten ſpeculativen Dingen der reinen Vernunft, was die dogmatiſche Behaup - tungen betrift, die philoſophiſche Schulen gemeiniglich alle Aufloͤſungen, die uͤber eine gewiſſe Frage moͤglich ſind, ver - ſucht haben. So hat man uͤber die Zweckmaͤßigkeit der Na - tur bald entweder die lebloſe Materie, oder einen lebloſen Gott, bald eine lebende Materie, oder auch einen leben - digen Gott zu dieſem Behufe verſucht. Fuͤr uns bleibt.

320II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 73. Keines der obigen Syſteme leiſtet das was es vorgiebt.

Was wollen alle jene Syſteme? Sie wollen unſere teleologiſche Urtheile uͤber die Natur erklaͤren und gehen damit ſo zu Werke, daß ein Theil die Wahrheit derſelben laͤugnet, mithin ſie fuͤr einen Jdealism der Natur (als Kunſt vvrgeſtellt) erklaͤrt der andere Theil ſie als wahr anerkennt, und die Moͤglichkeit einer Natur nach der Jdee der Endurſachen darzuthun verſpricht.

1) Die fuͤr den Jdealism der Endurſachen in der Natur ſtreitende Syſteme laſſen nun einerſeits zwar an dem Princip derſelben eine Cauſſalitaͤt nach Bewegungs - geſetzen zu, (durch welche die Naturdinge zweckmaͤßig exiſtiren) aber ſie laͤugnen an ihr die Jntentionalitaͤt, d. i. daß ſie abſichtlich zu dieſer ihrer zweckmaͤßigen Her - vorbringnng beſtimmt oder, mit anderen Worten, ein Zweck die Urſache ſey. Dieſes iſt die Erklaͤrungsart Epicurs, nach welcher der Unterſchied einer Technik der Natur von der bloßen Mechanik gaͤnzlich abgelaͤugnet wird und nicht allein fuͤr die Uebereinſtimmung der er -zeug -*)nichts uͤbrig, als, wenn es Noth thun ſollte, von allen die - ſen objectiven Behauptungen abzugehen und unſer Urtheil blos in Beziehung auf unſere Erkenntnisvermoͤgen critiſch zu erwaͤgen, um ihrem Princip eine, wo nicht dogmatiſche, doch zum ſichern Vernunftgebrauch hinreichende Guͤltigkeit einer Maxime zu verſchaffen.321II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.zeugten Producte mit unſern Begriffen vom Zwecke, mithin fuͤr die Technik, ſondern ſelbſt fuͤr die Beſtim - mung der Urſachen dieſer Erzeugung nach Bewegungs - geſetzen, mithin ihre Mechanik, der blinde Zufall zum Erklaͤrungsgrunde angenommen, alſo nichts, auch nicht einmal der Schein in unſerm teleologiſchen Urtheile er - klaͤrt, mithin der vorgebliche Jdealism in denſelben kei - nesweges dargethan wird.

Andererſeits will Spinoza uns aller Nachfrage nach dem Grunde der Moͤglichkeit der Zwecke der Natur dadurch uͤberheben und dieſer Jdee alle Realitaͤt nehmen, daß er ſie uͤberhaupt nicht fuͤr Producte, ſondern fuͤr einem Urweſen inhaͤrirende Accidenzen gelten laͤßt, und dieſem Weſen, als Subſtrat jener Naturdinge in An - ſehung derſelben nicht Cauſſalitaͤt, ſondern blos Subſi - ſtenz beylegt und, (wegen der unbedingten Nothwendig - keit deſſelben, ſamt allen Naturdingen, als ihm inhaͤri - renden Accidenzen) den Naturformen zwar die Einheit des Grundes, die zu aller Zweckmaͤßigkeit erforderlich iſt, ſichert, aber zugleich die Zufaͤlligkeit derſelben, ohne die keine Zweckeinheit gedacht werden kann, entreißt und mit ihr alles Abſichtliche, ſo wie dem Urgrunde der Naturdinge allen Verſtand, wegnimmt.

Der Spinozism leiſtet aber das nicht was er will. Er will einen Erklaͤrungsgrund der Zweckverknuͤpfung (die er nicht laͤugnet) der Dinge der Natur angeben und nennt blos die Einheit des Subjects, dem ſie alle inhaͤ -Kants Crit. d. Urtheilskr. X322II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.riren. Aber, wenn man ihm auch dieſe Art zu exiſtiren fuͤr die Weltweſen einraͤumt, ſo iſt doch jene ontologiſche Einheit, darum noch nicht ſo fort Zweckeinheit und macht dieſe keinesweges begreiflich. Die letztere iſt naͤm - lich eine ganz beſondere Art derſelben, die aus der Ver - knuͤpfung der Dinge (Weltweſen) in einem Subjecte (dem Urweſen) gar nicht folgt, ſondern durchaus die Beziehung auf eine Urſache, die Verſtand hat, bey ſich fuͤhrt und ſelbſt, wenn man alle dieſe Dinge in einem einfachen Subjecte vereinigte, doch niemals eine Zweckbeziehung darſtellt, wofern man unter ihnen nicht erſtlich innere Wirkungen der Subſtanz als einer Urſache; zweytens eben derſelben als Urſache durch ihren Verſtand denkt. Ohne dieſe formale Bedin - gungen iſt alle Einheit bloße Naturnothwendigkeit, und wird ſie gleichwohl Dingen beygelegt, die wir als außer einander vorſtellen, blinde Nothwendigkeit. Will man aber das, was die Schule die transſcendentale Vollkom - menheit der Dinge (in Beziehung auf ihr eigenes Weſen) nennt, nach welcher alle Dinge alles an ſich haben, was erfordert wird um ſo ein Ding und kein anderes zu ſeyn, Zweckmaͤßigkeit der Natur nennen: ſo iſt das ein kindi - ſches Spielwerk mit Worten ſtatt Begriffen. Denn, wenn alle Dinge als Zwecke gedacht werden muͤſſen, alſo ein Ding ſeyn und Zweck ſeyn einerley iſt, ſo giebt es im Grunde nichts was beſonders als Zweck vorge - ſtellt zu werden verdiente.

323II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Man ſieht hieraus wohl: daß Spinoza dadurch, daß er unſere Begriffe von dem Zweckmaͤßigen in der Natur auf das Bewuſtſeyn unſerer ſelbſt in einem allbe - faßenden (doch zugleich einfachen) Weſen zuruͤck fuͤhrte und jene Form blos in der Einheit der letztern ſuchte, nicht den Realism ſondern blos den Jdealism der Zweck - maͤßigkeit derſelben zu behaupten die Abſicht haben muß - te, dieſe aber ſelbſt doch nicht bewerkſtelligen konnte, weil die bloße Vorſtellung der Einheit des Subſirats auch nicht einmal die Jdee von einer, auch nur unab - ſichtlichen, Zweckmaͤßigkeit bewirken kann.

2) Die den Realism der Naturzwecke nicht blos behaupten, ſondern ihn auch zu erklaͤren vermeynen, glauben eine beſondere Art der Cauſſalitaͤt, naͤmlich abſichtlich wirkender Urſachen, wenigſtens ihrer Moͤg - lichkeit nach einſehen zu koͤnnen; ſonſt koͤnnten ſie es nicht unternehmen jene erklaͤren zu wollen; denn zur Be - fugnis ſelbſt der gewagteſten Hypotheſe muß wenigſtens die Moͤglichkeit deſſen, was man als Grund an - nimmt, gewiß ſeyn, und man muß dem Begriffe deſſel - ben ſeine objective Realitaͤt ſichern koͤnnen.

Aber die Moͤglichkeit einer lebenden Materie (deren Begrif einen Widerſpruch enthaͤlt, weil Lebloſigkeit, inertia, den weſentlichen Character derſelben ausmacht) laͤßt ſich nicht einmal denken: die einer belebten Materie und der geſammten Natur, als eines Thiers, kann nur ſo fern (zum Behuf einer Hypotheſe der ZweckmaͤßigkeitX 2324II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.im Großen der Natur) duͤrftiger Weiſe gebraucht wer - den, als ſie uns an der Organiſation derſelben, im Klei - nen, in der Erfahrung offenbart wird, keinesweges aber a priori ſeiner Moͤglichkeit nach eingeſehen werden. Es muß alſo ein Cirkel im Erklaͤren begangen werden, wenn man die Zweckmaͤßigkeit der Natur an organiſir - ten Weſen aus dem Leben der Materie ableiten will, und dieſes Leben wiederum nicht anders als an organiſirten Weſen kennt, alſo ohne dergleichen Erfahrung ſich kei - nen Begrif von der Moͤglichkeit derſelben machen kann. Der Hylozoism leiſtet alſo das nicht was er verſpricht.

Der Theism kann endlich die Moͤglichkeit der Na - turzwecke als einen Schluͤſſel zur Teleologie eben ſo we - nig dogmatiſch begruͤnden, ob er zwar vor allen Erklaͤ - rungsgruͤnden derſelben darinn den Vorzug hat, daß er durch einen Verſtand, den er dem Urweſen beylegt, die Zweckmaͤßigkeit der Natur dem Jdealism am beſten ent - reißt und eine abſichtliche Cauſſalitaͤt fuͤr die Erzeugung derſelben einfuͤhrt.

Denn da muͤßte allererſt, fuͤr die beſtimmende Ur - theilskraft hinreichend, die Unmoͤglichkeit der Zweckein - heit in der Materie durch den bloßen Mechanism derſel - ben bewieſen werden, um berechtigt zu ſeyn den Grund derſelben uͤber die Natur hinaus auf beſtimmte Weiſe zu ſetzen. Wir koͤnnen aber nichts weiter herausbringen als daß nach der Beſchaffenheit und den Schranken un - ſerer Erkenntnisvermoͤgen (indem wir den erſten inneren325II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Grund ſelbſt dieſes Mechanisms nicht einſehen) wir auf keinerley weiſe in der Materie ein Princip beſtimmter Zweckbeziehungen ſuchen muͤſſen, ſondern fuͤr uns keine andere Beurtheilungsart der Erzeugung ihrer Producte, als Naturzwecke, uͤbrig bleibe, als die durch einen ober - ſten Verſtand als Welturſache. Das iſt aber nur ein Grund fuͤr die reflectirende, nicht fuͤr die beſtimmende Urtheilskraft und kann ſchlechterdings zu keiner objecti - ven Behauptung berechtigen.

§. 74. Die Urſache der Unmoͤglichkeit den Begrif einer Technik der Natur dogmatiſch zu be - handeln iſt die Unerklaͤrlichkeit eines Na - turzwecks.

Wir verfahren mit einem Begriffe (wenn er gleich empiriſch bedingt ſeyn ſollte) dogmatiſch, wenn wir ihn als unter einem anderen Begriffe des Objects, der ein Princip der Vernunft ausmacht, enthalten betrachten und ihn dieſem gemaͤs beſtimmen. Wir verfahren aber mit ihm blos critiſch, wenn wir ihn nur in Beziehung auf unſer Erkenntnisvermoͤgen, mithin auf die ſubje - ctive Bedingungen ihn zu denken, betrachten, ohne es zu unternehmen uͤber ſein Object etwas zu entſcheiden. Das dogmatiſche Verfahren mit einem Begriffe iſt alſo das, was fuͤr die beſtimmende, das critiſche, was blos fuͤr die reflectirende Urtheilskraft geſetzmaͤßig iſt.

X 3326II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Nun iſt der Begrif von einem Dinge als Natur - zwecke ein Begrif der die Natur unter eine Cauſſalitaͤt, die nur durch Vernunft denkbar iſt ſubſumirt, um nach dieſem Princip uͤber das, was vom Objecte in der Er - fahrung gegeben iſt, zu urtheilen. Um ihn aber dogma - tiſch fuͤr die beſtimmende Urtheilskraft zu gebrauchen, mußten wir der objectiven Realitaͤt dieſes Begrifs zuvor verſichert ſeyn, weil wir ſonſt kein Naturding unter ihm ſubſumiren koͤnnten. Der Begrif eines Dinges als Naturzwecks iſt aber zwar ein empiriſch bedingter, d. i. nur unter gewiſſen in der Erfahrung gegebenen Bedin - gungen moͤglicher, aber doch von derſelben nicht zu ab - ſtrahirender, ſondern nur nach einem Vernunftprincip in der Beurtheilung des Gegenſtandes moͤglicher Be - grif. Er kann alſo als ein ſolches Princip ſeiner objec - tiven Realitaͤt nach, (d. i. daß ihm gemaͤs ein Object moͤglich ſey) gar nicht eingeſehen und dogmatiſch begruͤn - det werden und wir wiſſen nicht ob er nicht blos ein ver - nuͤnftelnder und objectiv leerer (conceptus ratiocinans) oder ein Vernunftbegrif, ein Erkenntnis gruͤndender, von der Vernunft beſtaͤtigter (conceptus ratiocinatus) ſey. Alſo kann er nicht dogmatiſch fuͤr die beſtimmende Urtheilskraft behandelt werden, d. i. es kann nicht allein nicht ausgemacht werden, ob Dinge der Natur als Na - turzwecke betrachtet, fuͤr ihre Erzeugung eine Cauſſalitaͤt von ganz beſonderer Art (die nach Abſichten) erfordern, oder nicht, ſondern es kann auch nicht einmal gefragt327II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.werden, weil der Begrif eines Naturzwecks ſeiner ob - jectiven Realitaͤt nach durch die Vernunft gar nicht erweislich iſt (d. i. er iſt nicht fuͤr die beſtimmende Urtheilskraft conſtitutiv, ſondern fuͤr die reflectirende blos regulativ).

Daß er es aber nicht ſey iſt daraus klar, weil er, als Begrif von einem Naturproduct, Natur - nothwendigkeit und doch zugleich eine Zufaͤlligkeit der Form des Objects (in Beziehung auf bloße Geſetze der Natur) an eben demſelben Dinge als Zweck in ſich faßt, folglich, wenn hierin kein Widerſpruch ſeyn ſoll, einen Grund fuͤr die Moͤglichkeit des Dinges in der Natur und doch auch einen Grund der Moͤglichkeit dieſer Natur ſelbſt und ihrer Beziehung auf etwas, was nicht empiriſch erkennbare Natur (uͤberſinnlich) mithin fuͤr uns gar nicht erkennbar iſt, enthalten muß, um nach einer andern Art Cauſſalitaͤt als der des Naturmechanisms beurtheilt zu werden, wenn man ſeine Moͤglichkeit ausmachen will. Da alſo der Begrif eines Dinges als Naturzwecks fuͤr die be - ſtimmende Urtheilskraft uͤberſchwenglich iſt, wenn man das Object durch die Vernunft betrachtet, (ob er zwar fuͤr die reflectirende Urtheilskraft in Anſehung der Gegenſtaͤnde der Erfahrung immanent ſeyn mag) mithin ihm fuͤr beſtimmende Urtheile die objective Realitaͤt nicht verſchaft werden kann: ſo iſt hieraus begreiflich, wie alle Syſteme, die man fuͤr die dog -X 4328II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.matiſche Behandlung des Begrifs der Naturzweckt und die Natur, als ein durch Endurſachen zuſam - menhaͤngendes Ganzes, nur immer entwerfen mag, weder objectiv bejahend noch objectiv verneinend, irgend etwas entſcheiden koͤnnen; weil wenn Dinge unter einem Begriffe, der blos problematiſch iſt, ſub - ſumirt werden, die ſynthetiſche Praͤdicate deſſelben (z. B. hier ob der Zweck der Natur, den wir uns zu der Erzeugung der Dinge denken, abſichtlich oder un - abſichtlich ſind) eben ſolche (problematiſche) Urtheile ſie moͤgen nun bejahend oder verneinend ſeyn, vom Object abgeben muͤſſen, indem man nicht weiß ob man uͤber Etwas oder Nichts urtheilt. Der Begrif einer Cauſſalitaͤt durch Zwecke (der Kunſt) hat aller - dings objective Realitaͤt, der einer Cauſſalitaͤt nach dem Mechanism der Natur eben ſo wohl. Aber der Begrif einer Cauſſalitaͤt der Natur nach der Regel der Zwecke, noch mehr aber eines Weſens, dergleichen uns gar nicht in der Erfahrung gegeben werden kann, naͤmlich eines ſolchen, als Urgrundes der Natur, kann zwar ohne Widerſpruch gedacht werden, aber zu dog - matiſchen Beſtimmungen doch nicht taugen; weil ihm, da er nicht aus der Erfahrung gezogen werden kann, auch zur Moͤglichkeit derſelben nicht erforderlich iſt, ſeine objective Realitaͤt durch nichts geſichert werden kann. Geſchaͤhe dieſes aber auch, wie kann ich Din - ge, die fuͤr Producte goͤttlicher Kunſt. beſtimmt an -329II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.gegeben werden, noch unter Producte der Natur zaͤh - len, deren Unfaͤhigkeit, dergleichen nach ihren Geſetzen hervorzubringen, eben die Berufung auf eine von ihr unterſchiedene Urſach nothwendig machte?

§. 75. Der Begrif einer objectiven Zweckmaͤßigkeit der Natur iſt ein criteriſches Princip der Vernunft fuͤr die reflectirende Urtheilskraft.

Es iſt doch etwas ganz anderes ob ich ſage: die Erzengung gewiſſer Dinge der Natur, oder auch der geſammten Natur, iſt nur durch eine Urſache, die ſich nach Abſichten zum Handeln beſtimmt, moͤglich, oder: ich kann nach der eigenthuͤmlichen Beſchaffen - heit meiner Erkenntnisvermoͤgen uͤber die Moͤg - lichkeit jener Dinge und ihre Erzeugung nicht anders urtheilen, als wenn ich mir zu dieſer eine Urſache, die nach Abſichten wirkt, mithin ein Weſen denke, welches nach der Analogie mit der Cauſſalitaͤt eines Verſtandes, productiv iſt. Jm erſteren Falle will ich etwas uͤber das Object ansmachen und bin verbunden die objective Realitaͤt eines angenommenen Begrifs darzuthun; im zweyten beſtimmt die Vernunft nur den Gebrauch meiner Erkenntnisvermoͤgen, angemeſſen ihrer Eigenthuͤmlichkeit, und den weſentlichen Bedin - gungen, ihres Umfanges ſowohl, als ihrer Schran - ken. Alſo iſt das erſte Princip ein objectiver Grund -330II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.ſatz fuͤr die beſtimmende, das zweyte ein ſubjectiver Grundſatz blos fuͤr die reflectirende Urtheilskraft, mit - hin eine Maxime derſelben, die ihr die Vernunft auferlegt.

Wir haben naͤmlich unentbehrlich noͤthig der Na - tur den Begrif einer Abſicht unterzulegen, wenn wir ihr auch nur in ihren organiſirten Producten durch fortgeſetzte Beobachtung nachforſchen wollen und die - ſer Begrif iſt alſo ſchon fuͤr den Erfahrungsgebrauch unſerer Vernunft eine ſchlechterdings nothwendige Maxime. Es iſt offenbar: daß, da einmal ein ſolcher Leitfaden die Natur zu ſtudiren aufgenommen und bewaͤhrt gefunden iſt, wir die gedachte Maxime der Urtheilskraft auch am Ganzen der Natur wenigſtens verſuchen muͤſſen weil ſich nach derſelben noch manche Geſetze derſelben duͤrften auffinden laſſen, die uns, nach der Beſchraͤnkung unſerer Einſichten in das Jn - nere des Mechanisms derſelben, ſonſt verborgen blei - ben wuͤrden. Aber in Anſehung des letztern Ge - brauchs iſt jene Maxime der Urtheilskraft zwar nuͤtz - lich, aber nicht unentbehrlich, weil uns die Natur im Ganzen als organiſirt (in der oben angefuͤhrten eng - ſten Bedeutung des Worts) nicht gegeben iſt; dage - gen in Anſehung der Producte derſelben, welche nur als abſichtlich ſo und nicht anders geformt muͤſſen beurtheilt werden, um auch nur eine Erfahrungser - kenntnis ihrer innern Beſchaffenheit zu bekommen, iſt331II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.jene Maxime der reflectirenden Urtheilskraft weſentlich nothwendig: weil ſelbſt der Gedanke von ihnen, als organiſirten Dingen, ohne die einer Erzeugung mit Ab - ſicht damit zu verbinden, unmoͤglich iſt.

Nun iſt der Begrif eines Dinges, deſſen Exiſtenz oder Form wir uns unter der Bedingung eines Zwecks moͤglich zu ſeyn vorſtellen, mit dem Begriffe einer Zu - faͤlligkeit deſſelben (nach Naturgeſetzen) unzertrennlich verbunden. Daher machen auch die Naturdinge, welche wir nur als Zwecke moͤglich finden, den vornehmſten Beweis fuͤr die Zufaͤlligkeit des Weltganzen aus, und ſind der einzige fuͤr den gemeinen Verſtand eben ſowohl als den Philoſophen geltende Beweisgrund der Abhaͤn - gigkeit und Urſprungs deſſelben von einem außer der Welt exiſtirenden und zwar (um jener zweckmaͤßigen Form willen) verſtaͤndigen Weſen, und die Teleologie findet keine Vollendung des Aufſchluſſes fuͤr ihre Nachforſchun - gen als in einer Theologie.

Was beweiſet nun aber am Ende auch die aller voll - ſtaͤndigſte Teleologie? Beweiſet ſie etwa daß ein ſolches verſtaͤndiges Weſen da ſey? Nein; nicht weiter als daß wir nach der Beſchaffenheit unſerer Erkenntnisvermoͤgen, alſo in Verbindung der Erfahrung mit den oberſten Principien der Vernunft, uns ſchlechterdings keinen Be - grif von der Moͤglichkeit einer ſolchen Welt machen koͤn - nen, als ſo, daß wir uns eine abſichtlich-wirkende oberſte Urſache derſelben denken. Objectiv koͤnnen wir332II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.alſo nicht den Satz darthun: es iſt ein verſtaͤndiges Ur - weſen, ſondern nur ſubjectiv fuͤr den Gebrauch unſerer Urtheilskraft in ihrer Reflexion uͤber die Zwecke in der Natur, die nach keinem anderen Princip als dem einer abſichtlichen Cauſſalitaͤt einer hoͤchſten Urſache gedacht werden koͤnnen.

Wollten wir den oberſten Satz dogmatiſch, aus teleologiſchen Gruͤnden darthun, ſo wuͤrden wir unter Schwierigkeiten befangen werden, aus denen wir uns nicht heraus wickeln koͤnnten. Denn da wuͤrde dieſen Schluͤſſen der Satz zum Grunde gelegt werden muͤſſen: die organiſirte Weſen in der Welt ſind nicht anders als durch eine abſichtlich-wirkende Urſache moͤglich. Daß aber, weil wir dieſe Dinge nur unter der Jdee der Zwecke in ihrer Cauſſalverbindung verfolgen und dieſe nach ihrer Geſetzmaͤßigkeit erkennen koͤnnen, wir auch berechtigt waͤren, eben dieſes auch fuͤr jedes denkende und erken - nende Weſen als nothwendige, mithin dem Objecte und nicht blos unſerm Subjecte anhaͤngende Bedingung, vor - auszuſetzen, das muͤßten wir hiebey unvermeidlich be - haupten wollen. Aber mit einer ſolchen Behauptung kommen wir nicht durch. Denn, da wir die Zwecke in der Natur als abſichtliche eigentlich nicht beobachten, ſon - dern nur, in der Reflexion uͤber ihre Producte, dieſen Begrif als einen Leitfaden der Urtheilskraft hinzu den - ken, ſo ſind ſie uns nicht durchs Object gegeben. A priori iſt es ſogar fuͤr uns unmoͤglich einen ſolchen Begrif, ſei -333II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ner objectiven Realitaͤt nach, als annehmungsfaͤhig zu rechtfertigen. Es bleibt alſo ſchlechterdings ein nur auf ſubjectiven Bedingungen naͤmlich der, unſeren Erkennt - nisvermoͤgen angemeſſen reflectirenden Urtheilskraft beruhender Satz, der, wenn man ihn als objectiv-dog - matiſch geltend ausdruͤckte, heiſſen wuͤrde: es iſt ein Gott: nun aber, fuͤr uns als Menſchen, nur die einge - ſchraͤnkte Formel erlaubt: Wir koͤnnen uns die Zweck - maͤßigkeit, die ſelbſt unſerer Erkenntnis der inneren Moͤg - lichkeit vieler Naturdinge zum Grunde gelegt werden muß, gar nicht anders denken und begreiflich machen, als indem wir ſie und uͤberhaupt die Welt uns als ein Product einer verſtaͤndigen Urſache vorſtellen.

Wenn nun dieſer auf einer unumgaͤnglich nothwen - digen Maxime unſerer Urtheilskraft gegruͤndete Satz allem ſowohl ſpeculativen als practiſchen Gebrauche un - ſerer Vernunft in jeder menſchlichen Abſicht vollkommen genugthuend iſt, ſo moͤchte ich wohl wiſſen, was uns dann darunter abgehe, daß wir ihn nicht auch fuͤr hoͤhere Weſen guͤltig, naͤmlich aus reinen objectiven Gruͤnden (die leider unſer Vermoͤgen uͤberſteigen) beweiſen koͤnnen. Es iſt naͤmlich ganz gewis, daß wir die organiſirte We - ſen und deren innere Moͤglichkeit nach blos mechaniſchen Principien der Natur nicht einmal zureichend kennen ler - nen, viel weniger uns erklaͤren koͤnnen und zwar ſo ge - wiß, daß man dreiſt ſagen kann, es iſt fuͤr Menſchen334II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ungereimt auch nur einen ſolchen Anſchlag zu faſſen, oder zu hoffen, daß noch etwa dereinſt ein Newton auf - ſtehen koͤnne, der auch nur die Erzeugung eines Gras - halms nach Naturgeſetzen, die keine Abſicht geordnet hat, begreiflich machen werde; ſondern man muß dieſe Einſicht den Menſchen ſchlechterdings abſprechen. Daß denn aber auch in der Natur, wenn wir bis zum Princip derſelben in der Specification ihrer allgemeinen uns be - kannten Geſetze durchdringen koͤnnten, ein hinreichender Grund der Moͤglichkeit organiſirter Weſen, ohne ihrer Erzeugung eine Abſicht unterzulegen, (alſo im bloßen Mechanism derſelben) gar nicht verborgen liegen koͤnne, das waͤre wiederum von uns zu vermeſſen geurtheilt; denn woher wollen wir das wiſſen Wahrſcheinlichkei - ten fallen hier gar weg, wo es auf Urtheile der reinen Vernunft ankommt. Alſo koͤnnen wir uͤber den Satz: ob ein nach Abſichten handelndes Weſen als Welturſache (mithin als Urheber) dem, was wir mit Recht Natur - zwecke nennen, zum Grunde liege, objectiv gar nicht, weder bejahend noch verneinend, urtheilen; nur ſo viel iſt ſicher, daß, wenn wir doch wenigſtens nach dem, was uns einzuſehen durch unſere eigene Natur vergoͤnnt iſt, (nach den Bedingungen und Schranken unſerer Ver - nunft) urtheilen ſollen, wir ſchlechterdings nichts an - ders als ein verſtaͤndiges Weſen der Moͤglichkeit jener Naturzwecke zum Grunde legen koͤnnen, welches der Maxime unſerer reflectirenden Urtheilskraft, folglich335II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.einem ſubjectiven, aber dem menſchlichen Geſchlecht unnachlaslich anhaͤngenden Grunde allein gemaͤs iſt.

§. 76. Anmerkung.

Dieſe Betrachtung, welche es gar ſehr verdient in der Transſcendentalphiloſophie umſtaͤndlich ausgefuͤhrt zu wer - den, mag hier nur epiſodiſch, zur Erlaͤuterung (nicht zum Beweiſe des hier Vorgetragenen), eintreten.

Die Vernunft iſt ein Vermoͤgen der Principien und geht in ihrer aͤuſſerſten Forderung aufs Unbedingte, da hin - gegen der Verſtand ihr immer nur unter einer gewiſſen Be - dingung, die gegeben werden muß, zu Dienſten ſteht. Ohne Begriffe des Verſtandes aber, denen objective Realitaͤt gege - ben werden muß, kann die Vernunft gar nicht objectiv (ſyn - thetiſch) urtheilen und enthaͤlt, als theoretiſche Vernunft, fuͤr ſich ſchlechterdings keine conſtitutive, ſondern blos regulative Principien. Man wird bald inne: daß, wo der Verſtand nicht folgen kann, die Vernunft uͤberſchwenglich wird und in zuvor gegruͤndeten Jdeen (als regulativer Principien), aber nicht objectiv guͤltigen Begriffen ſich hervorthut, der Verſtand aber, der mit ihr nicht Schritt halten kann aber doch zur Guͤltigkeit fuͤr Objecte noͤthig ſeyn wuͤrde, die Guͤltigkeit jener Jdeen der Vernunft nur auf das Subject, aber doch allgemein fuͤr alle von dieſer Gattung, d. i. auf die Bedingung einſchraͤnke, daß nach der Natur unſeres (menſchlichen) Erkenntnisvermoͤgens oder gar uͤberhaupt nach dem Begriffe, den wir uns von dem Vermoͤgen eines end - lichen vernuͤnftigen Weſens uͤberhaupt machen koͤnnen, nicht anders als ſo koͤnne und muͤſſe gedacht werden, ohne doch zu behaupten, daß der Grund eines ſolchen Urtheils im Objecte336II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.liege. Wir wollen Beyſpiele anfuͤhren, die zwar zu viel Wichtigkeit haben, um ſie hier ſo fort als erwieſene Saͤtze dem Leſer aufzudringen, die ihm aber Stoff zum Nachdenken geben und dem, was hier unſer eigenthuͤmliches Geſchaͤfte iſt, zur Erlaͤuterung dienen koͤnnen.

Es iſt dem menſchlichen Verſtande unumgaͤnglich noth - wendig, Moͤglichkeit und Wirklichkeit der Dinge zu unter - ſcheiden. Der Grund davon liegt im Subjecte und der Na - tur ſeiner Erkenntnisvermoͤgen. Denn, waͤren zu dieſer ih - rer Ausuͤbung nicht zwey ganz heterogene Stuͤcke, Verſtand fuͤr Begriffe und ſinnliche Anſchauung fuͤr Objecte, die ihnen correſpondiren, erforderlich, ſo wuͤrde es keine ſolche Unter - ſcheidung (zwiſchen dem Moͤglichen und Wirklichen) geben. Waͤre nemlich unſer Verſtand anſchauend, ſo haͤtte er keine Gegenſtaͤnde als das Wirkliche. Begriffe (die blos auf die Moͤglichkeit eines Gegenſtandes) und ſinnliche Anſchauungen (welche uns etwas geben, ohne es dadurch doch als Gegen - ſtand erkennen zu laſſen) wuͤrden beyde wegfallen. Nun be - ruht aber alle unſere Unterſcheidung des blos Moͤglichen vom Wirklichen darauf, daß das erſtere nur die Poſition der Vorſtellung eines Dinges reſpectiv auf unſern Begrif und uͤberhaupt das Vermoͤgen zu denken, das letztere aber die Setzung des Dinges an ſich ſelbſt bedeutet. Alſo iſt die Un - terſcheidung moͤglicher Dinge von wirklichen eine ſolche, die blos ſubjectiv fuͤr den menſchlichen Verſtand gilt, da wir naͤmlich etwas immer noch in Gedanken haben koͤnnen, ob es gleich nicht iſt, oder etwas als gegeben uns vorſtellen, ob wir gleich noch keinen Begrif davon haben. Die Saͤtze alſo: daß Dinge moͤglich ſeyn koͤnnen ohne wirklich zu ſeyn, daß alſo aus der bloßen Moͤglichkeit auf die Wirklichkeit gar nicht geſchloſſen werden koͤnne, gelten ganz richtig fuͤr die menſch - liche Vernunft, ohne darum zu beweiſen daß dieſer Unter -ſchied337II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſchied in den Dingen ſelbſt liege. Denn daß dieſes nicht dar - aus gefolgert werden koͤnne, mithin jene Saͤtze zwar aller - dings auch von Objecten gelten, ſo fern unſer Erkenntnisver - moͤgen, als ſinnlich-bedingt, ſich auch mit Objecten der Sinne beſchaͤftigt, aber nicht von Dingen uͤberhaupt, leuch - tet aus der unnachlaslichen Forderung der Vernunft ein, irgend ein Etwas (den Urgund) als unbedingt nothwendig exiſtirend anzunehmen, an welchem Moͤglichkeit und Wirk - lichkeit gar nicht mehr unterſchieden werden ſollen und fuͤr welche Jdee unſer Verſtand ſchlechterdings keinen Begrif hat, d. i. keine Art ausfinden kann, wie er ein ſolches Ding und ſeine Art zuexiſtiren ſich vorſtellen ſolle. Denn wenn er es denkt (er mag es denken wie er will), ſo iſt es blos als moͤglich vor - geſtellt. Jſt er ſich deſſen, als in der Anſchauung gegeben bewußt, ſo iſt es wirklich, ohne ſich hiebey irgend etwas von Moͤglichkeit zu denken. Daher iſt der Begrif eines abſolut - nothwendigen Weſens zwar eine unentbehrliche Vernunft - idee, aber ein fuͤr den menſchlichen Verſtand unerreichbarer problematiſcher Begrif. Er gilt aber doch fuͤr den Gebrauch unſerer Erkenntnisvermoͤgen, nach der eigenthuͤmlichen Be - ſchaffenheit derſelben, mithin nicht vom Objecte und hiemit fuͤr jedes erkennende Weſen, weil ich nicht bey jedem das Denken und die Anſchauung als zwey verſchiedene Bedin - gungen der Ausuͤbung ihrer Erkenntnisvermoͤgen, mithin der Moͤglichkeit und Wirklichkeit der Dinge vorausſetzen kann. Fuͤr einen Verſtand, bey dem dieſer Unterſchied nicht eintraͤte, wuͤrde es heiſſen: alle Objecte, die ich erkenne, ſind (exiſtiren) und die Moͤglichkeit einiger die doch nicht exiſtirten, d. i. die Zufaͤlligkeit derſelben, wenn ſie exiſtiren, alſo auch die davon zu unterſcheidende Nothwendigkeit, wuͤrde in die Vorſtellung eines ſolchen Weſens gar nicht kommen koͤnnen. Was unſerm Verſtande aber ſo beſchwerlich faͤllt,Kants Crit. d. Urtheilskr Y338II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.der Vernunft hier mit ſeinen Begriffen es gleich zu thun, iſt blos: daß fuͤr ihn, als menſchlichem Verſtande, das uͤber - ſchwenglich, (d. i. den ſubjectiven Bedingungen ſeines Er - kenntniſſes unmoͤglich) iſt, was doch die Vernunft als zum Object gehoͤrig zum Prinzip macht. Hiebey gilt nun immer die Maxime, daß wir alle Objecte, da wo ihr Er - kenntnis das Vermoͤgen des Verſtandes uͤberſteigt, nach den ſubjectiven, unſerer, d. i. der menſchlichen Natur, nothwen - dig anhaͤngenden Bedingungen der Ausuͤbung ihrer Vermoͤ - gen denken und, wenn die auf die Art gefaͤllete Urtheile (wie es auch in Anſehung der uͤberſchwenglichen Begriffe nicht an - ders ſeyn kann) nicht conſtitutive Principien, die das Ob - ject, wie es beſchaffen iſt, beſtimmen, ſeyn koͤnnen, ſo wer - den es doch regulative, in der Ausuͤbung immanente und ſichere, der menſchlichen Abſicht angemeſſene Principien bleiben.

So wie die Vernunft in theoretiſcher Betrachtung der Natur die Jdee einer unbedingten Nothwendigkeit ihres Ur - grundes annehmen muß, ſo ſetzt ſie auch in practiſcher ihre eigene (in Anſehung der Natur) unbedingte Cauſſalitaͤt, d. i. Freyheit, voraus, indem ſie ſich ihres moraliſchen Gebots bewußt iſt. Weil nun aber hier die objective Nothwendig - keit der Handlung, als Pflicht, derjenigen, die ſie, als Be - gebenheit, haben wuͤrde, wenn ihr Grund in der Natur und nicht in der Freyheit (d. i. der Vernunftcauſſalitaͤt) laͤge, ent - gegengeſetzt und die moraliſch-ſchlechthin-nothwendige Hand - lung phyſiſch als ganz zufaͤllig angeſehen wird, (d. i. daß das was nothwendig geſchehen ſollte, doch oͤfters nicht ge - ſchicht) ſo iſt klar, daß es nur von der ſubjectiven Beſchaffen - heit unſeres practiſchen Vermoͤgens herruͤhrt, daß die mora - liſche Geſetze als Gebote (und die ihnen gemaͤße Handlun - gen als Pflichten) vorgeſtellt werden muͤſſen und die Ver -339II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.nunft dieſe Nothwendigkeit nicht durch ein Seyn (geſchehen), ſondern Seyn-Sollen ausdruͤckt, welches nicht ſtatt finden wuͤrde, wenn die Vernunft ohne Sinnlichkeit (als ſubjective Bedingung ihrer Anwendung auf Gegenſtaͤnde der Natur) ihrer Cauſſalitaͤt nach, mithin als Urſache in einer intelligi - belen, mit dem moraliſchen Geſetze durchgaͤngig uͤbereinſtim - menden, Welt betrachtet wuͤrde, wo zwiſchen Sollen und Thun zwiſchen einem practiſchen Geſetze, von dem was durch uns moͤglich iſt, und dem theoretiſchen, von dem, was durch uns wirklich iſt, kein Unterſchied ſeyn wuͤrde. Ob nun aber gleich eine intelligibele Welt in welcher alles darum wirklich ſeyn wuͤrde, blos nur weil es (als etwas Gutes) moͤglich iſt, und ſelbſt die Freyheit, als formale Bedingung derſel - ben, fuͤr uns ein uͤberſchwenglicher Begrif iſt, der zu keinem conſtitutiven Princip, ein Object und deſſen objective Reali - taͤt zu beſtimmen, tauglich iſt, fo dient die letztere doch, nach der Beſchaffenheit unſerer (zum Theil ſinnnlichen) Natur und Vermoͤgens, fuͤr uns und alle vernuͤnftige mit der Sin - nenwelt in Verbindung ſtehende Weſen, ſo weit wir ſie uns nach der Beſchaffenheit unſerer Vernunft vorſtellen koͤnnen, zu einem allgemeinen regulativen Princip, welches die Beſchaffenheit der Freyheit, als Form der Cauſſalitaͤt, nicht objectiv beſtimmt, ſondern, und zwar mit nicht minderer Guͤltigkeit, als ob dieſes geſchaͤhe, die Regel der Handlun - gen nach jener Jdee fuͤr jedermann zu Geboten macht.

Eben ſo kann man auch was unſern vorhabenden Fall betrift einraͤumen, wir wuͤrden zwiſchen Naturmechanism und Technik der Natur, d. i. Zweckverknuͤpfung in derſelben keinen Unterſchied finden, waͤre unſer Verſtand nicht von der Art, daß er vom Allgemeinen zum Beſondern gehen muß und die Urtheilskraft alſo in Anſehung des Beſondern keine Zweckmaͤßigkeit erkennen, mithin keine beſtimmende UrtheileY 2340II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.faͤllen kann, ohne ein allgemeines Geſetz zu haben, darunter ſie jenes ſubſumiren koͤnne. Da nun aber das Beſondere, als ein ſolches, in Anſehung des Allgemeinen etwas Zufaͤlli - ges enthaͤlt, gleichwohl aber die Vernunft in der Ver - bindung beſonderer Geſetze der Natur doch auch Einheit, mithin Geſetzlichkeit erfordert (welche Geſetzlichkeit des Zu - faͤlligen Zweckmaͤßigkeit heißt) und die Ableitnng der beſon - deren Geſetze aus den allgemeinen, in Anſehung deſſen, was jene Zufaͤlliges in ſich enthalten, a priori durch Beſtimmung des Begrifs vom Objecte unmoͤglich iſt, ſo wird der Begrif der Zweckmaͤßigkeit der Natur in ihren Producten ein fuͤr die menſchliche Urtheilskraft in Anſehung der Natur nothwendi - ger, aber nicht die Beſtimmung der Objecte ſelbſt angehen - der Begrif ſeyn, alſo ein ſubjectives Princip der Vernunft fuͤr die Urtheilskraft welches als regulativ (nicht conſtitutiv) fuͤr unſere menſchliche Urtheilskraft eben ſo nothwendig gilt, als ob es ein objectives Princip waͤre.

§. 77. Von der Eigenthuͤmlichkeit des menſchlichen Verſtandes, dadurch uns der Begriff eines Naturzwecks moͤglich wird.

Wir haben in der Anmerkung Eigenthuͤmlichkeiten unſeres (ſelbſt des oberen) Erkenntnisvermoͤgens, wel - che wir leichtlich als objective Praͤdikate auf die Sachen ſelbſt uͤberzutragen verleitet werden, angefuͤhrt; aber ſie bet[r]effen Jdeen, denen angemeſſen kein Gegenſtand in der Erfahrung gegeben werden kann, und die alsdenn nur zu regulativen Principien in Verfolgung der letzte -341II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.reren dienen konnten. Mit dem Begriffe eines Natur - zwecks verhaͤlt es ſich zwar eben ſo, was die Urſache der Moͤglichkeit eines ſolchen Praͤdikats betrift, die nur in der Jdee liegen kann; aber die ihr gemaͤße Folge (das Product ſelbſt) iſt doch in der Natur gegeben, und der Begriff einer Cauſalitaͤt der letzteren, als eines nach Zwecken handelnden Weſens, ſcheint die Jdee eines Na - turzwecks zu einem conſtitutiven Princip deſſelben zu ma - chen, und darin hat ſie etwas von allen andern Jdeen Unterſcheidendes.

Dieſes Unterſcheidende beſteht aber darin: daß ge - dachte Jdee nicht ein Vernunftprincip fuͤr den Verſtand, ſondern fuͤr die Urtheilskraft, mithin lediglich die An - wendung eines Verſtandes uͤberhaupt auf moͤgliche Ge - genſtaͤnde der Erfahrung iſt, und zwar da, wo das Ur - theil nicht beſtimmend, ſondern blos reflectirend ſeyn kann, mithin der Gegenſtand zwar in der Erfahrung ge - geben, aber daruͤber der Jdee gemaͤs gar nicht einmal beſtimmt (geſchweige vollig angemeſſen) geurtheilt, ſondern nur uͤber ihn reflectirt werden kann.

Es betrift alſo eine Eigenthuͤmlichkeit unſeres (menſchlichen) Verſtandes in Anſehung der Urtheils - kraft, in der Reflexion derſelben uͤber Dinge der Natur. Wenn das aber iſt, ſo muß hier die Jdee von einem an - dern moͤglichen Verſtande, als dem menſchlichen zum Grunde liegen (ſo wie wir in der Critik d. r. V. eine an - dere moͤgliche Anſchauung in Gedanken haben mußten,Y 3342II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.wenn die Unſrige als eine beſondere Art, naͤmlich der, fuͤr welche Gegenſtaͤnde nur als Erſcheinungen gelten, gehalten werden ſollte) damit man ſagen koͤnne: gewiſſe Naturproducte muͤſſen nach der beſondern Beſchaffenheit unſeres Verſtandes ihrer Moͤglichkeit nach von uns als abſichtlich und als Zwecke erzeugt, betrachtet werden, ohne doch darum zu verlangen, daß es wirk - lich eine beſondere Urſache, welche die Vorſtellung eines Zwecks zu ihrem Beſtimmungsgrunde hat, gebe, mit - hin ohne in Abrede zu ziehen, daß nicht ein anderer (hoͤ - herer) Verſtand, als der menſchliche, auch im Mecha - nism der Natur d. i. einer Cauſſalverbindung, zu der nicht ausſchließungsweiſe ein Verſtand als Urſache ange - nommen wird, den Grund der Moͤglichkeit ſolcher Pro - dukte der Natur antreffen koͤnne.

Es kommt hier alſo auf das Verhalten unſeres Verſtandes zur Urtheilskraft an, daß wir naͤmlich darin eine gewiſſe Zufaͤlligkeit der Beſchaffenheit des unſrigen aufſuchen, um dieſe als Eigenthuͤmlichkeit unſeres Ver - ſtandes, zum Unterſchiede von anderen moͤglichen an - zumerken.

Dieſe Zufaͤlligkeit findet ſich ganz natuͤrlich in dem Beſondern, welches die Urtheilskraft unter das Allgemeine der Verſtandesbegriffe bringen ſoll; denn durch das Allgemeine unſeres (menſchlichen) Verſtan - des iſt das beſondere nicht beſtimmt und es iſt zufaͤllig, auf wie vielerley Art unterſchiedene Dinge, die doch in343II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.einem gemeinſamen Merkmale uͤbereinkommen, unſerer Wahrnehmung vorkommen koͤnnen. Unſer Verſtand iſt ein Vermoͤgen der Begriffe, d. i. ein diſcurſiver Ver - ſtand, fuͤr den es freylich zufaͤllig ſeyn muß, welcherley und wie ſehr verſchieden das Beſondere ſeyn mag, das ihm in der Natur gegeben werden, und was unter ſeine Begriffe gebracht werden kann. Weil aber zum Erkennt - nis doch auch Anſchauung gehoͤrt, und ein Vermoͤgen einer voͤlligen Spontaneitaͤt der Anſchauung ein von der Sinnlichkeit unterſchiedenes und davon ganz unabhaͤngiges Erkenntnisvermoͤgen, mithin Verſtand in der allgemeinſten Bedeutung ſeyn wuͤrde: ſo kann man ſich auch einen intuitiven Verſtand denken, welcher nicht vom Allgemeinen zum Beſonderen und ſo zum ein - zelnen (durch Begriffe) geht und fuͤr welchen jene Zu - faͤlligkeit die Zuſammenſtimmung der Natur in ihren Produkten nach beſondern Geſetzen zum Verſtande nicht angetroffen wird, welche dem unſrigen es ſo ſchwer macht, das Mannigfaltige derſelben zur Einheit des Erkenntniſſes zu bringen; ein Geſchaͤfte, das der unſrige nur durch Uebereinſtimmung der Naturmerk - male zu unſerm Vermoͤgen der Begriffe, welche ſehr zu - faͤllig iſt, zu Stande bringen kann, ein anſchauender Verſtand aber nicht bedarf.

Unſer Verſtand hat alſo das Eigene fuͤr die Ur - theilskraft, daß im Erkenntnis durch denſelben, durch das Allgemeine das Beſondere nicht beſtimmt wird, undY 4344II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.dieſes alſo von jenem allein nicht abgeleitet werden kann: gleichwohl aber dieſes Beſondere in der Mannigfaltigkeit der Natur zum Allgemeinen (durch Begriffe und Geſetze) zuſammenſtimmen ſoll, um darunter ſubſumirt werden zu koͤnnen, welche Zuſammenſtimmung unter ſolchen Um - ſtaͤnden ſehr zufaͤllig und fuͤr die Urtheilskraft ohne be - ſtimmtes Princip ſeyn muß.

Um nun gleichwohl die Moͤglichkeit einer ſolchen Zuſammenſtimmung der Dinge der Natur zur Ur - theilskraft, (welche wir als zufaͤllig, mithin nur durch einen darauf gerichteten Zweck als moͤglich vor - ſtellen) wenigſtens denken zu koͤnnen, muͤſſen wir uns zugleich einen andern Verſtand denken, in Beziehung auf welchen, nnd zwar vor allem ihm beygelegten Zweck, wir jene Zuſammenſtimmung der Naturgeſetze mit unſe - rer Urtheilskraft, die fuͤr unſern Verſtand nur durch das Verbindungsmittel der Zwecke denkbar iſt, als noth - wendig vorſtellen koͤnnen.

Unſer Verſtand naͤmlich hat die Eigenſchaft, daß er in ſeinem Erkenntniſſe, z. B. der Urſache eines Products, vom Analytiſch allgemeinen (von Begriffen) zum Beſondern (der gegebenen empiriſchen Anſchauung) ge - hen muß, dabey er alſo in Anſehung der Mannigfaltig - keit des letztern nichts beſtimmt, ſondern dieſe Beſtim - mung fuͤr die Urtheilskraft von der Subſumtion der em - piriſchen Anſchauung (wenn der Gegenſtand ein Natur - product iſt) unter dem Begriff erwarten muß. Nun345II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.koͤnnen wir uns aber auch einen Verſtand denken, der, weil er nicht wie der unſrige diſcurſiv, ſondern intuitiv iſt, vom Synthetiſch-allgemeinen (der Anſchaung eines Ganzen, als eines ſolchen (zum Beſondern geht, d. i. von Ganzen zu den Theilen, der alſo und deſſen Vorſtellung des Ganzen die Zufaͤlligkeit der Verbin - dung der Theile nicht in ſich enthaͤlt, um eine beſtimmte Form des Ganzen moͤglich zu machen, die unſer Ver - ſtand bedarf, welcher von den Theilen, als allgemein - gedachten Gruͤnden, zu verſchiedenen darunter zu ſubſu - mirenden moͤglichen Formen, als Folgen, fortgehen muß. Nach der Beſchaffenheit unſeres Verſtandes iſt hingegen ein reales Ganze der Natur nur als Wirkung der concurrirenden bewegenden Kraͤfte der Theile anzu - ſehen. Wollen wir uns alſo nicht die Moͤglichkeit des Ganzen als von den Theilen, wie es unſerm diſcurſiven Verſtande gemaͤs iſt, ſondern, nach Maasgabe des in - tuitiven (urbildlichen), die Moͤglichkeit der Theile (ihrer Beſchaffenheit und Verbindung nach) als vom Ganzen abhaͤngend vorſtellen, ſo kann dieſes, nach eben derſel - ben Eigenthuͤmlichkeit unſeres Verſtandes, nicht ſo ge - ſchehen, daß das Ganze den Grund der Moͤglichkeit der Verknuͤpfung der Theile, (welches in der diſcurſiven Er - kenntnisart Widerſpruch ſeyn wuͤrde), ſondern nur daß die Vorſtellung eines Ganzen den Grund der Moͤglichkeit der Form deſſelben und der dazu gehoͤrigen VerknuͤpfungY 5346II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.der Theile enthalte. Da das Ganze nun aber alsdenn eine Wirkung (Product) ſeyn wuͤrde, deſſen Vor - ſtellung als die Urſache ſeiner Moͤglichkeit angeſe - hen wird, das Product aber einer Urſache, deren Be - ſtimmungsgrund blos die Vorſtellung ſeiner Wirkung iſt, ein Zweck heißt, ſo folgt daraus: daß es blos eine Folge aus der beſondern Beſchaffenheit unſeres Verſtan - des ſey, wenn wir Producte der Natur nach einer an - dern Art der Cauſſalitaͤt, als der der Naturgeſetze der Materie, naͤmlich nur nach der der Zwecke und Endur - ſachen uns als moͤglich vorſtellen, und daß dieſes Prin - cip nicht die Moͤglichkeit ſolcher Dinge ſelbſt (ſelbſt als Phaͤnomene betrachtet) nach dieſer Erzeugungsart, ſon - dern nur der unſerem Verſtande moͤglichen Beurtheilung derſelben angehe; wobey wir zugleich einſehen, warum wir in der Naturkunde mit einer Erklaͤrung der Producte der Natur durch Cauſſalitaͤt nach Zwecken lange nicht zufrieden ſind, weil wir naͤmlich in derſelben die Natur - erzeugung blos unſerm Vermoͤgen ſie zu beurtheilen, d. i. der reflectirenden Urtheilskraft und nicht den Dingen ſelbſt zum Behuf der beſtimmenden Urtheilskraft ange - meſſen zu beurtheilen verlangen. Es iſt hiebey auch gar nicht noͤthig zu beweiſen, daß ein ſolcher intellectus ar - chetypus moͤglich ſey, ſondern nur daß wir in der Da - gegenhaltung unſeres diſcurſiven, der Bilder beduͤrfti - gen, Verſtandes (intellectus ectypus) und der Zufaͤl - ligkeit einer ſolchen Beſchaffenheit auf jene Jdee (eines347II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.intellectus archetypus) gefuͤhrt werden, dieſe auch keinen Widerſpruch enthalte.

Wenn wir nun ein Ganzes der Materie, ſeiner Form nach, als ein Product der Theile und ihrer Kraͤfte und Vermoͤgen ſich von ſelbſt zu verbinden (andere Ma - terien, die dieſe einander zufuͤhren, hinzugedacht) be - trachten, ſo ſtellen wir uns eine mechaniſche Erzeugungs - art deſſelben vor. Aber es kommt auf ſolche Art kein Begriff von einem Ganzen als Zweck heraus, deſſen in - nere Moͤglichkeit durchaus die Jdee von einem Ganzen vorausſetzt, von der ſelbſt die Beſchaffenheit und Wir - kungsart der Theile abhaͤngt, wie wir uns doch einen organiſirten Koͤrper vorſtellen muͤſſen. Hieraus folgt aber, wie eben gewieſen worden, nicht, daß die mecha - niſche Erzeugung eines ſolchen Koͤrpers unmoͤglich ſey; denn das wuͤrde ſoviel ſagen, als, es ſey eine ſol - che Einheit in der Verknuͤpfung des Mannigfaltigen fuͤr jeden Verſtand unmoͤglich (d. i. widerſprechend) ſich vorzuſtellen, ohne daß die Jdee derſelben zugleich die erzeugende Urſache derſelben ſey, d. i. ohne abſicht - liche Hervorbringung. Gleichwohl wuͤrde dieſes in der That folgen, wenn wir materielle Weſen als Dinge an ſich ſelbſt anzuſehen berechtigt waͤren. Denn alsdenn wuͤr - de die Einheit, welche den Grund der Moͤglichkeit der Na - turbildungen ausmacht, lediglich die Einheit des Raums ſeyn, welcher aber kein Realgrund der Erzeugungen, ſondern nur die formale Bedingung derſelben iſt, obwohl348II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.er mit dem Realgrunde, welchen wir ſuchen, darin ei - nige Aehnlichkeit hat, daß in ihm kein Theil ohne in Verhaͤltnis auf das Ganze (deſſen Vorſtellung alſo der Moͤglichkeit der Theile zum Grunde liegt) beſtimmt wer - den kann. Da es aber doch wenigſtens moͤglich iſt, die materielle Welt als bloße Erſcheinung zu betrachten, und etwas als Ding an ſich ſelbſt (welches nicht Erſcheinung iſt) als Subſtrat zu denken, dieſem aber eine correſpon - dirende intellectuelle Anſchauung (wenn ſie gleich nicht die unſrige iſt) unterzulegen; ſo wuͤrde ein, ob zwar fuͤr uns unerkennbarer, uͤberſinnlicher Realgrund fuͤr die Na - tur ſtatt finden, zu der wir ſelbſt mitgehoͤren, in welcher wir alſo das, was in ihr als Gegenſtand der Sinne noth - wendig iſt, nach mechaniſchen Geſetzen, die Zuſammen - ſtimmung und Einheit aber der beſonderen Geſetze und der Formen nach denſelben, die wir in Anſehung jener als zufaͤllig beurtheilen muͤſſen, in ihr als Gegenſtande der Vernunft (ja das Naturganze als Syſtem) zugleich nach teleologiſchen Geſetzen betrachten und ſie nach zweyerley Principien beurtheilen wuͤrden, ohne daß die mechaniſche Erklaͤrungsart durch die teleologiſche, als ob ſie einan - der widerſpraͤchen, ausgeſchloſſen wird.

Hieraus laͤßt ſich auch das, was man ſonſt zwar leicht vermuthen, aber ſchwerlich mit Gewisheit behaup - ten und beweiſen konnte, einſehen, daß zwar das Princip einer mechaniſchen Ableitung zweckmaͤßiger Naturpro - ducte neben dem teleologiſchen beſtehen, dieſes letztere349II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.aber keines weges entbehrlich machen koͤnnte: d. i. man kann an einem Dinge, welches wir als Naturzweck beur - theilen muͤſſen (einem organiſirten Weſen) zwar alle be - kannte und noch zu entdeckende Geſetze der mechaniſchen Erzeugung verſuchen und auch hoffen duͤrfen, damit gu - ten Fortgang zu haben, niemals aber der Berufung auf einem davon ganz unterſchiedenen Erzeugungsgrund, naͤmlich der Cauſſalitaͤt durch Zwecke, fuͤr die Moͤglich - keit eines ſolchen Products uͤberhoben ſeyn und ſchlechter - dings kann keine menſchliche Vernunft (auch keine, end - liche, die der Qualitaͤt nach der unſrigen aͤhnlich waͤre, ſie aber dem Grade nach noch ſo ſehr uͤberſtiege) die Er - zeugung auch nur eines Graͤschens aus blos mechani - ſchen Urſachen zu verſtehen hoffen. Denn, wenn die teleologiſche Verknuͤpfung der Urſachen und Wirkungen zur Moͤglichkeit eines ſolchen Gegenſtandes fuͤr die Ur - theilskraft ganz unentbehrlich iſt, ſelbſt um dieſe nur am Leitfaden der Erfahrung zu ſtudiren; wenn fuͤr aͤußere Gegenſtaͤnde, als Erſcheinungen, ein ſich auf Zwecke beziehender hinreichender Grund gar nicht angetroffen werden kann, ſondern dieſer, der auch in der Natur liegt, doch nur im uͤberſinnlichen Subſtrat derſelben ge - ſucht werden muß, von welchem uns aber alle moͤgliche Einſicht abgeſchnitten iſt, ſo iſt es uns ſchlechterdings unmoͤglich aus der Natur ſelbſt hergenommene Erklaͤ - rungsgruͤnde fuͤr Zweckverbindungen zu ſchoͤpfen, und nach der Beſchaffenheit des menſchlichen Erkenntnisver -350II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.moͤgens nothwendig, den oberſten Grund dazu in einem urſpruͤnglichen Verſtande als Welturſache zu ſuchen.

§. 78. Von der Vereinigung des Princips des allge - meinen Mechanismus der Materie mit dem teleologiſchen in der Technik der Natur.

Es liegt der Vernunft unendlich viel daran, den Mechanism der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen zu laſſen und in der Erklaͤrung derſelben nicht vorbey zu gehen; weil ohne dieſen keine Einſicht in der Natur der Dinge erlangt werden kann. Wenn man uns gleich ein - raͤumt: daß ein hoͤchſter Architekt die Formen der Na - tur, ſo wie ſie von je her da ſind, unmittelbar geſchaffen, oder die, ſo ſich in ihren Laufe continuirlich nach eben demſelben Muſter bilden, praͤdeterminirt habe, ſo iſt doch dadurch unſere Erkenntnis der Natur nicht im min - deſten gefoͤrdert; weil wir jenes Weſens Handlungsart und die Jdeen deſſelben welche die Principien der Moͤg - lichkeit der Naturweſen enthalten ſollen gar nicht kennen und von demſelben als von oben herab (a priori) die Na - tur nicht erklaͤren koͤnnen. Wollen wir aber von den Formen der Gegenſtaͤnde der Erfahrung, alſo von unten hinanf (a poſteriori) weil wir in dieſen Zweckmaͤßigkeit anzutreffen glauben, um dieſe zu erklaͤren, uns auf eine nach Zwecken wirkende Urſache berufen, ſo wuͤrden wir ganz tavtologiſch erklaͤren und die Vernunft mit Worten351II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.taͤuſchen, ohne noch zu erwaͤhnen: daß da, wo wir uns mit dieſer Erklaͤrungsart ins Ueberſchwengliche verlie - ren, wohin uns die Naturkenntnis nicht folgen kann, die Vernunft dichteriſch zu ſchwaͤrmen verleitet wird, welches zu verhuͤten eben ihre vorzuͤglichſte Beſtim - mung iſt.

Von der andern Seite iſt es eine eben ſowohl noth - wendige Maxime der Vernunft, das Princip der Zwecke an den Producten der Natur nicht vorbey zu gehen; weil es, wenn es gleich die Entſtehungsart derſelben uns eben nicht begreiflicher macht, doch ein hevriſtiſches Prin - cip iſt, den beſondern Geſetzen der Natur nachzuforſchen, geſetzt auch daß man davon keinen Gebrauch machen wollte, um die Natur ſelbſt darnach zu erklaͤren, indem man ſie ſo lange, ob ſie gleich abſichtliche Zweckeinheit augenſcheinlich darlegt, noch immer nur Naturzwecke nennt, d. i. ohne uͤber die Natur hinaus den Grund der Moͤglichkeit derſelben zu ſuchen. Weil es aber doch am Ende zur Frage wegen der letzteren kommen muß: ſo iſt es eben ſo nothwendig fuͤr ſie, eine beſondere Art der Cauſſalitaͤt, die ſich nicht in der Natur vorfindet, zu denken, als die Mechanik der Natururſachen die ihrige hat, indem zu der Receptivitaͤt mehrerer und anderer Formen, als deren die Materie nach der letzteren faͤhig iſt, noch eine Spontaneitaͤt einer Urſache (die alſo nicht Materie ſeyn kann) hinzukommen muß, ohne welche von jenen Formen kein Grund angegeben werden kann. 352II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Zwar muß die Vernunft, ehe ſie dieſen Schritt thut, behutſam verfahren und nicht jede Technik der Natur, d. i. ein productives Vermoͤgen derſelben, welches Zweck - maͤßigkeit der Geſtalt fuͤr unſere bloße Apprehenſion an ſich zeigt, (wie bey regulaͤren Koͤrpern) fuͤr teleologiſch zu erklaͤrenſuchen, ſondern immer ſo lange fuͤr blos me - chaniſch-moͤglich anſehen; allein daruͤber das teleologi - ſche Princip gar ausſchließen, und, wo die Zweckmaͤßig - keit, fuͤr die Vernunftunterſuchung der Moͤglichkeit der Naturformen, durch ihre Urſachen, ſich ganz unlaͤugbar als Beziehung auf eine andere Art der Cauſſalitaͤt zeigt, doch immer den bloßen Mechanism befolgen wollen, muß die Vernunft eben ſo phantaſtiſch und unter Hirn - geſpinſten von Naturvermoͤgen, die ſich gar nicht den - ken laſſen, herumſchweifend machen, als eine blos teleo - logiſche Erklaͤrungsart, die gar keine Ruͤckſicht auf den Naturmechanism nimmt ſie ſchwaͤrmeriſch machte.

An einem und eben demſelben Dinge der Natur laſſen ſich nicht beyde Principien, als Grundſaͤtze der Erklaͤrung (Deduction) eines von dem andern, ver - knuͤpfen, d. i. als dogmatiſche und conſtitutive Princi - pien der Natureinſicht fuͤr die beſtimmende Urtheilskraft, vereinigen. Wenn ich z. B. von einer Made annehme, ſie ſey als Product des bloßen Mechanismus der Ma - terie (der neuen Bildung, die ſie fuͤr ſich ſelbſt bewerk - ſtelligt, wenn ihre Elemente durch Faͤulnis in Freyheit geſetzt werden) anzuſehen, ſo kann ich nun nicht voneben353II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.eben derſelben Materie, als einer Cauſſalitaͤt nach Zwe - cken zu handeln, eben daſſelbe Product ableiten. Um - gekehrt, wenn ich daſſelbe Product als Naturzweck an - nehme, kann ich nicht auf eine mechaniſche Erzeugungs - art deſſelben rechnen und ſolche als conſtitutives Princip zur Beurtheilung deſſelben ſeiner Moͤglichkeit nach anneh - men und ſo beyde Principien vereinigen. Denn eine Erklaͤrungsart ſchließt die andere aus, geſetzt auch, daß objectiv beyde Gruͤnde der Moͤglichkeit eines ſolchen Pro - ducts auf einem einzigen beruheten, wir aber auf dieſen nicht Ruͤckſicht naͤhmen. Das Princip, welches die Vereinbarkeit beyder in Beurtheilung der Natur nach denſelben moͤglich machen ſoll, muß in dem was auſſer - halb beyden (mithin auch auſſer der moͤglichen empiri - ſchen Naturvorſtellung) liegt, von dieſer aber doch den Grund enthaͤlt, d. i. im Ueberſinnlichen geſetzt und eine jede beyder Erklaͤrungsarten darauf bezogen werden. Da wir nun von dieſem nichts als den unbeſtimmten Begrif eines Grundes haben koͤnnen, der die Beurthei - lung der Natur nach empiriſchen Geſetzen moͤglich macht, uͤbrigens aber ihn durch kein Praͤdicat naͤher beſtimmen koͤnnen, ſo folgt, daß die Vereinigung beyder Principien nicht auf einem Grunde der Erklaͤrung (Explication) der Moͤglichkeit eines Products nach gegebenen Geſetzen fuͤr die beſtimmende, ſondern nur auf einem Grunde der Eroͤrterung (Expoſition) derſelben fuͤr die reflecti - rende Urtheilskraft beruhen koͤnne. Denn ErklaͤrenKantſ Crit d. Urtheilskr. Z354II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.heißt von einem Princip ableiten, welches man alſo deut - lich muß erkennen und angeben koͤnnen. Nun muͤſſen zwar das Princip des Mechanisms der Natur und das der Cauſſalitaͤt derſelben an einem und eben demſelben Naturproducte in einem einzigen oberen Princip zuſam - menhaͤngen und daraus gemeinſchaftlich abfließen, weil ſie ſonſt in der Naturbetrachtung nicht neben einander beſtehen koͤnnten. Wenn aber dieſes objectiv - gemein - ſchaftliche, und alſo auch die Gemeinſchaft der davon abhaͤngenden Maxime der Naturforſchung berechtigende Princip von der Art iſt, daß es zwar angezeigt, nie aber beſtimmt erkannt und fuͤr den Gebrauch in vorkommen - Faͤllen deutlich angegeben werden kann, ſo laͤßt ſich aus einem ſolchen Princip keine Erklaͤrung d. i. deutliche und beſtimmte Ableitung der Moͤglichkeit eines nach jenen zweyen heterogenen Principien moͤglichen Naturproducts ziehen. Nun iſt aber das gemeinſchaftliche Princip der mechaniſchen einerſeits und der teleologiſchen Ableitung andrerſeits das Ueberſinnliche, welches wir der Na - tur als Phaͤnomen unterlegen muͤſſen. Von dieſem aber koͤnnen wir uns in theoretiſcher Abſicht nicht den minde - ſten bejahend beſtimmten Begrif machen; wie alſo nach demſelben, als Princip, die Natur (nach ihren beſon - dern Geſetzen) fuͤr uns ein Syſtem ausmache, welches ſowohl nach dem Princip der Erzeugung von phyſiſchen als dem der Endurſachen, als moͤglich erkannt werden koͤnne, laͤßt ſich keinesweges erklaͤren, ſondern nur, wenn355II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.es ſich zutraͤgt, daß Gegenſtaͤnde der Natur vorkommen, die nach dem Princip des Mechanisms (welches jederzeit an einem Naturweſen Anſpruch hat) ihrer Moͤglichkeit nach, ohne uns auf teleologiſche Grundſaͤtze zu ſtuͤtzen, von uns nicht koͤnnen gedacht werden vorausſetzen, daß man nur getroſt beyden gemaͤs den Naturgeſetzen nachfor - ſchen duͤrfe, (nachdem die Moͤglichkeit ihres Products aus einem oder demandern Princip, unſerm Verſtande erkenn - bar iſt) ohne ſich an den ſcheinbaren Widerſtreit zu ſtoßen, der ſich zwiſchen den Principien der Beurtheilung deſſelben hervorthut, weil wenigſtens die Moͤglichkeit, daß beyde auch objectiv in einem Princip vereinbar ſeyn moͤchten, (da ſie Erſcheinungen betreffen, die einen uͤberſinnlichen Grund vorausſetzen) geſichert iſt.

Ob alſo gleich ſowohl der Mechanism als der teleo - logiſche (abſichtliche) Technicism der Natur in Anſehung ebendeſſelben Products und ſeiner Moͤglichkeit unter einem gemeinſchaftlichen obern Princip der Natur nach beſondern Geſetzen ſtehen moͤgen, ſo koͤnnen wir doch, da dieſes Princip transſcendent iſt, nach der Einge - ſchraͤnktheit[unſeres] Verſtandes beyde Principien in der Erklaͤrung eben derſelben Naturerzeugung alsdenn nicht vereinigen, wenn ſelbſt die innere Moͤg - lichkeit dieſes Products nur durch eine Cauſſalitaͤt nach Zwecken verſtaͤndlich iſt (wie organiſirte Materien von der Art ſind). Es bleibt alſo bey dem obigen Grund - ſatze der Teleologie: daß, nach der Beſchaffenheit desZ 2356II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.menſchlichen Verſtandes, fuͤr die Moͤglichkeit organiſcher Weſen in der Natur keine andere als abſichtlich wirkende Urſache koͤnne angenomen werden und der bloße Mecha - nism der Natur zur Erklaͤrung dieſer ihrer Producte gar nicht hinlaͤnglich ſeyn koͤnne, ohne doch dadurch in An - ſehung der Moͤglichkeit ſolcher Dinge ſelbſt durch dieſen Grundſatz entſcheiden zu wollen.

Da naͤmlich dieſer nur eine Maxime der reflectiren - den, nicht der beſtimmenden Urtheilskraft, daher nur ſubjectiv fuͤr uns, nicht objectiv fuͤr die Moͤglichkeit die - ſer Art Dinge ſelbſt gilt (wo beyderley Erzeugungsarten wohl in einem und demſelben Grunde zuſammenhangen koͤnnten), da ferner ohne allen zu der teleologiſch-ge - dachten Erzeugungsart hinzukommenden Begrif von einem dabey zugleich anzutreffenden Mechanism der Na - tur, dergleichen Erzengung gar nicht als Naturproduct beurtheilt werden koͤnnte: ſo fuͤhrt obige Maxime zugleich die Nothwendigkeit einer Vereinigung beyder Principien in der Beurtheilung der Dinge als Naturzwecke bey ſich, aber nicht um eine ganz, oder in gewiſſen Stuͤcken, an die Stelle der andern zu ſetzen. Denn an die Stelle deſſen, was (von uns wenigſtens) nur als nach Abſicht moͤglich gedacht wird, laͤßt ſich kein Mechanism und an die Stelle deſſen, was nach dieſem als nothwendig er - kannt wird, laͤßt ſich keine Zufaͤlligkeit, die eines Zwecks zum Beſtimmungsgrunde beduͤrfe, annehmen; ſondern nur die eine (der Mechanism) der andern (dem abſicht -357II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.lichen Technicism) unterordnen, welches, nach dem transſcendentalen Princip der Zweckmaͤßigkeit der Na - tur, ganz wohl geſchehen darf.

Denn, wo Zwecke als Gruͤnde der Moͤglichkeit ge - wiſſer Dinge gedacht werden, da muß man auch Mittel annehmen, deren Wirkungsgeſetz fuͤr ſich nichts einen Zweck vorausſetzendes bedarf, mithin mechaniſch und doch eine untergeordnete Urſache abſichtlicher Wir - kungen ſeyn kann. Daher laͤßt ſich ſelbſt in organiſchen Producten der Natur, noch mehr aber, wenn wir, durch die unendliche Menge derſelben veranlaßt, das Abſicht - liche in der Verbindung der Natururſachen nach beſon - dern Geſetzen nun auch (wenigſtens durch erlaubte Hypo - theſe) zum allgemeinen Princip der reflectirenden Urtheilskraft fuͤr das Naturganze (die Welt) annehmen eine große und ſogar allgemeine Verbindung der mecha - niſchen Geſetze mit den teleologiſchen in den Erzeugungen der Natur denken, ohne die Principien der Beurtheilung derſelben zu verwechſeln und eines an die Stelle des an - dern zu ſetzen; weil in einer teleologiſchen Beurtheilung die Materie, ſelbſt, wenn die Form, welche ſie annimmt, nur als nach Abſicht moͤglich beurtheilt wird, doch, ihrer Natur nach mechaniſchen Geſetzen gemaͤs, jenem vorgeſtellten Zwecke auch zum Mittel untergeordnet ſeyn kann; wie wohl, da der Grund dieſer Vereinbarkeit in demjenigen, was weder das eine noch das andere, (weder Mechanism, noch Zweckverbindung), ſondern das uͤber -Z 3358II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſinnliche Subſtrat der Natur iſt, von dem wir nichts er - kennen, fuͤr unſere, die menſchliche Vernunft beyde Vor - ſtellungsarten der Moͤglichkeit ſolcher Objecte nicht zu - ſammenzuſchmelzen ſind, ſondern wir ſie nicht anders, als nach der Verknuͤpfung der Endurſachen, auf einem oberſten Verſtande gegruͤndet beurtheilen koͤnnen, wo - durch alſo der teleologiſchen Erklaͤrungsart nichts be - nommen wird.

Weil nun aber ganz unbeſtimmt und fuͤr unſere Vernunft auch auf immer unbeſtimmbar iſt, wie viel der Mechanism der Natur als Mittel zu jeder Endab - ſicht in derſelben thue und, wegen des oberwaͤhnten in - telligibelen Princips der Moͤglichkeit einer Natur uͤber - haupt, gar angenommen werden kann, daß ſie durch - gaͤngig nach beyderley allgemein zuſammenſtimmenden Geſetzen (den phyſiſchen und den der Endurſachen) moͤg - lich ſey, wie wohl wir die Art, wie dieſes zugehe, gar nicht einſehen koͤnnen, ſo wiſſen wir auch nicht, wie weit die fuͤr uns moͤgliche mechaniſche Erklaͤrungsart gehe, ſondern nur ſo viel gewis: daß, ſo weit wir nur immer darin kommen moͤgen, ſie doch allemal fuͤr Dinge, die wir einmal als Naturzwecke anerkennen, unzureichend ſeyn und wir alſo, nach der Beſchaffenheit unſeres Ver - ſtandes, jene Gruͤnde insgeſammt einem teleologiſchen Princip unterordnen muͤſſen.

Hierauf gruͤndet ſich nun die Befugnis und, wegen der Wichtigkeit, welche das Naturſtudium nach dem359II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Princip des Mechanisms fuͤr unſerm theoretiſchen Ver - nunftgebrauch hat, auch der Beruf: alle Producte und Eraͤugniſſe der Natur, ſelbſt die zweckmaͤßigſten ſo weit mechaniſch zu erklaͤren, als es immer in unſerm Vermoͤ - gen (deſſen Schranken wir innerhalb dieſer Unter - ſuchungsart nicht angeben koͤnnen) ſteht, dabey aber niemals aus den Augen zu verlieren, daß wir die, welche wir allein unter dem Begriffe vom Zwecke der Vernunft zur Unterſuchung ſelbſt auch nur aufſtellen koͤnnen, der weſentlichen Beſchaffenheit unſerer Vernunft gemaͤs, jenen mechaniſchen Urſachen ungeachtet, doch zuletzt der Cauſſalitaͤt nach Zwecken unterordnen muͤſſen.

Methodenlehre der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 79. Ob die Teleologie, als zur Naturlehre gehoͤ - rend, abgehandelt werden muͤſſe.

Eine jede Wiſſenſchaft muß in der Encyclopaͤdie aller Wiſſenſchaften ihre beſtimmte Stelle haben. Jſt es eine philoſophiſche Wiſſenſchaft, ſo muß ihr ihre Stelle in dem thepretiſchen oder practiſchen Theil derſelben und, hat ſie ihren Platz im erſteren, entweder in der Natur - lehre, ſo fern ſie das, was Gegenſtand der ErfahrungZ 4360II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſeyn kann, erwaͤgt, (folglich der Koͤrperlehre, der See - lenlehre und allgemeinen Weltwiſſenſchaft) oder in der Gotteslehre (von dem Urgrunde der Welt als Jnbegrif aller Gegenſtaͤnde der Erfahrung) angewieſen werden.

Nun fraͤgt ſich: welche Stelle gebuͤhrt der Teleolo - gie? gehoͤrt ſie zur (eigentlich ſogenannten) Naturwiſſen - ſchaft oder zur Theologie? Eins von beyden muß ſeyn; denn zum Uebergange aus einer in die andere kann gar keine Wiſſenſchaft gehoͤren, weil dieſer nur die Articula - tion oder Organiſatiou des Syſtems und keinen Platz in demſelben bedeutet.

Daß ſie in die Theologie als ein Theil derſelben nicht gehoͤre, ob gleich in derſelben von ihr der wichtigſte Gebrauch gemacht werden kann, iſt fuͤr ſich ſelbſt klar. Denn ſie hat Naturerzeugungen und die Urſache derſel - ben zu ihrem Gegenſtande und, ob ſie gleich auf die letztere, als einen auſſer und uͤber die Natur belegenen Grund, (goͤttlichen Urheber), hinausweiſet, ſo thut ſie dieſes doch nicht fuͤr die beſtimmende, ſondern nur um die Beurtheilung der Dinge in der Welt durch eine ſolche Jdee dem menſchlichen Verſtande angemeſſen, als regulatives Princip zu leiten, blos fuͤr die reflectirende Urtheilskraft in der Naturbetrachtung.

Eben ſo wenig ſcheint ſie aber auch in die Natur - wiſſenſchaft zu gehoͤren, welche beſtimmende und nicht blos reflectirende Principien bedarf, um von Naturwir - kungen objective Gruͤnde anzugeben. Jn der That iſt361II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.auch fuͤr die Theorie der Natur, oder die mechaniſche Erklaͤrung der Phaͤnomene derſelben, durch ihre wirkende Urſachen, dadurch nichts gewonnen, daß man ſie nach dem Verhaͤltniſſe der Zwecke zu einander betrachtet. Die Aufſtellung der Zwecke der Natur an ihren Producten, ſo fern ſie ein Syſtem nach teleologiſchen Begriffen aus - machen, iſt eigentlich nur zur Naturbeſchreibung gehoͤ - rig, welche nach einem beſondern Leitfaden abgefaſſet iſt, wo die Vernunft zwar ein herrliches unterrichtendes und practiſch in mancherley Abſicht zweckmaͤßiges Geſchaͤfte verrichtet, aber uͤber das Entſtehen und die innere Moͤg - lichkeit dieſer Formen gar keinen Aufſchlus giebt, warum es doch der theoretiſchen Naturwiſſenſchaft eigentlich zu thun iſt.

Die Teleologie, als Wiſſenſchaft, gehoͤrt alſo zu gar keiner Doctrin, ſondern nur zur Critik und zwar eines beſondern Erkenntnisvermoͤgens, naͤmlich der Urtheils - kraft. Aber, ſo fern ſie Principien a priori enthaͤlt, kann und muß ſie die Methode, wie uͤber die Natur nach dem Princip der Endurſachen geurtheilt werden muͤſſe, angeben und ſo hat ihre Methodenlehre wenigſtens ne - gativen Einfluß auf das Verfahren in der theoretiſchen Naturwiſſenſchaft und auch auf das Verhaͤltnis, wel - ches dieſe in der Metaphyſik zur Theologie, als Propaͤ - devtiv derſelben, haben kann.

Z 5362II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 80. Von der nothwendigen Unterordnung des Princips des Mechanisms unter dem teleo - logiſchen in Erklaͤrung eines Dinges als Naturzwecks.

Die Befugnis auf eine blos mechaniſche Erklaͤ - rungsart aller Naturproducte auszugehen iſt an ſich ganz unbeſchraͤnkt; aber das Vermdgen damit allein auszulangen iſt, nach der Beſchaffenheit unſeres Verſtandes, ſofern er es mit Dingen als Naturzwecken zu thun hat, nicht allein ſehr beſchraͤnkt, ſondern auch deutlich begrenzt, naͤmlich ſo, daß, nach einem Princip der Urtheilskraft, durch das erſtere Verfahren allein zur Erklaͤrung der letzteren gar nichts ausgerichtet werden koͤnne, mithin die Beurtheilung ſolcher Producte jeder - zeit von uns zugleich einem teleologiſchen Princip unter - geordnet werden muͤſſe.

Es iſt daher vernuͤnftig, ja verdienſtlich, dem Na - turmechanism, zum Behuf einer Erklaͤrung der Natur - producte, ſoweit nachzugehen, als es mit Wahrſchein - lichkeit geſchehen kann, ja dieſen Verſuch nicht darum aufzugeben, weil es an ſich unmoͤglich ſey auf ſeinem Wege mit der Zweckmaͤßigkeit der Natur zuſammenzu - treffen, ſondern nur darum, weil es fuͤr uns als Men - ſchen unmoͤglich iſt; in dem dazu eine andere als ſinnli - che Anſchauung und ein beſtimmtes Erkenntnis des in -363II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.telligibelen Subſtrats der Natur, woraus ſelbſt von dem Mechanism der Erſcheinungen nach beſondern Geſetzen Grund angegeben werden koͤnne, erforderlich ſeyn wuͤr - de, welches alles unſer Vermoͤgen gaͤnzlich uͤberſteigt.

Damit alſo der Naturforſcher nicht auf reinen Ver - luſt arbeite, ſo muß er in Beurtheilung der Dinge, de - ren Begriff als Naturzwecke unbezweifelt gegruͤndet iſt (organiſirter Weſen), immer irgend eine urſpruͤngliche Organiſation zum Grunde legen, welche jenen Mecha - nism ſelbſt benutzt, um andere organiſirte Formen her - vorzubringen, oder die ſeinige zu neuen Geſtalten (die doch aber immer aus jenem Zwecke und ihm gemaͤs er - folgen) zu entwickeln.

Es iſt ruͤhmlich, vermittelſt einer comparativen Ana - tomie die große Schoͤpfung organiſirter Naturen durch - zugehen, um zu ſehen: ob ſich daran nicht etwas einem Syſtem aͤhnliches, und zwar dem Erzeugungsprincip nach, vorfinde, ohne daß wir noͤthig haben, beym blo - ßen Beurtheilungsprincip (welches fuͤr die Einſicht ihrer Erzeugung keinen Aufſchlus giebt) ſtehen zu bleiben und muthlos allen Anſpruch auf Natureinſicht in die - ſem Felde aufzugeben. Die Uebereinkunft ſo vieler Thier - gattungen in einem gewiſſen gemeinſamen Schema, das nicht allein in ihrem Knochenbau, ſondern auch in der Anordnung der uͤbrigen Theile zum Grunde zu liegen ſcheint, wo bewundrungswuͤrdige Einfalt des Grund - riſſes durch Verkuͤrzung einer und Verlaͤngerung ande -364II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.rer, durch Einwickelung dieſer und Auswickelung jener Theile, eine ſo große Mannigfaltigkeit von Species hat hervorbringen koͤnnen, laͤßt einen obgleich ſchwachen Strahl von Hoffnung ins Gemuͤth fallen, daß hier wohl etwas mit dem Princip des Mechanismus der Natur, ohne das es ohnedem keine Naturwiſſenſchaft geben kann, auszurichten ſeyn moͤchte. Dieſe Analogie der Formen, ſofern ſie bey aller Verſchiedenheit einem ge - meinſchaftlichen Urbilde gemaͤs erzeugt zu ſeyn ſcheinen, verſtaͤrkt die Vermuthung einer wirklichen Verwandſchaft derſelben in der Erzeugung von einer gemeinſchaftlichen Urmutter, durch die ſtufenartige Annaͤherung einer Thier - gattung zur andern, von derjenigen an, in welcher das Princip der Zwecke am meiſten bewaͤhrt zu ſeyn ſcheint, naͤmlich dem Menſchen, bis zum Polyp, von dieſem ſo gar bis zu Mooſen und Flechten, und endlich zu der nie - drigſten uns merklichen Stufe der Natur, zur rohen Ma - terie: aus welcher und ihren Kraͤften nach mechaniſchen Geſetzen (gleich denen, darnach ſie in Cryſtallerzeugun - gungen wirkt) die ganze Technick der Natur, die uns in organiſirten Weſen ſo unbegreiflich iſt, daß wir uns dazu ein anderes Princip zu denken genoͤthigt glauben, abzuſtammen ſcheint.

Hier ſteht es nun dem Archaͤologen der Natur frey aus den uͤbriggebliebenen Spuhren ihrer aͤlteſten Revolutionen, nach allem ihm bekannten oder gemuth - maaßten Mechanism derſelben, jene große Familie von365II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Geſchoͤpfen (denn ſo mußte man ſie ſich vorſtellen, wenn die genannte durchgaͤngig zuſammenhangende Verwand - ſchaft einen Grund haben ſoll) entſpringen zu laſſen. Er kann den Mutterſchoos der Erde, die eben aus ihrem chaotiſchen Zuſtande herausgieng (gleichſam als ein gro - ßes Thier) anfaͤnglich Geſchoͤpfe von minder-zweckmoͤ - ßigen Form, dieſe wiederum andere, welche angemeſſe - ner ihrem Zeugungsplatze und ihrem Verhaͤltniſſe unter einander ſich ausbildeten, gebaͤhren laſſen, bis dieſe Gebaͤhrmutter ſelbſt erſtarrt ſich verknoͤchert ihre Gebur - ten auf beſtimmte fernerhin nicht ausartende Species eingeſchraͤnkt haͤtte, und die Mannigfaltigkeit ſo bliebe, wie ſie am Ende der Operation jener fruchtbaren Bil - dungskraft ausgefallen war Allein er muß gleichwohl zu den Ende dieſer allgemeinen Mutter eine auf alle dieſe Ge[ſ]choͤpfe zweckmaͤßig geſtellte Organiſation beyle - gen, widrigenfalls die Zweckform der Producte des Thier - und Pflanzenreichs ihrer Moͤglichkeit nach gar nicht zu denk[e]n iſt. *)Eine Hypoheſe von ſolcher Art kann man ein gewagtes Abentheuer der Vernunft nennen, und es moͤgen wenige, ſelbſt von den ſcharfſinnigſten Naturforſchern, ſeyn, denen es nicht bisweken durch den Kopf gegangen waͤre. Denn ungereimt iſt es[e]ben nicht, wie die generatio aequiuoca, worunter man die Erzeugung eines organiſirten Weſens durch die Mechanick der rohen unorganiſirten Materie ver - ſteht. Sie waͤre immer noch generatio vniuoca in der all - gemeinſten Bedeutung des Worts, ſo fern nur etwas Orga -Alsdann aber hat er den Erklaͤ -366II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.rungsgrund nur weiter aufgeſchoben und kann fich nicht anmaaßen, die Erzeugung jener zweyen Reiche von der Bedingung der Endurſachen unabhaͤngig gemacht zu haben.

Selbſt, was die Veraͤnderung betrift, der gewiſſe Jndividuen der organiſirten Gattungen zufaͤlligerweiſe unterworfen werden, wenn man findet, daß ihr ſo ab - geaͤnderter Charakter erblich und in die Zeugungskraft aufgenommen wird, kann nicht fuͤglich anders als gele - gentliche Entwickelung einer in der Species urſpruͤnglich vorhandenen zweckmaͤßigen Anlage, zur Selbſterhaltung der Art, beurtheilt werden; weil das Zeugen ſeines glei - chen, bey der durchgaͤngigen inneren Zweckmaͤßigkeit eines organiſirten Weſens, mit der Bedingung[n]ichts in die Zeugungskraft aufzunehmen, was nicht[e]uch in einem ſolchen Syſtem von Zwecken zu einer d[er]unent -*)niſches aus einem andern Organiſchen, ob zwar unter dieſer Art Weſen ſpecifiſch von ihm unterſchiednen, erzeugt wurde, z. B. wenn gewiſſe Waſſerthiere ſich nach und nach zu Sumpfthieren und aus dieſen, nach eingen Zeugungen zu Landthieren ausbildeten. A priori im Urtheile der blo - ßen Vernunft widerſtreitet ſich das nicht. Allein die Er - fahrung zeigt davon kein Beyſpiel, nach der vielmehr alle Zeugung, die wir kennen, generatio lomonima iſt, nicht blos vniuoca, im Gegenſatz mit der Zeugung aus unorga - niſirtem Stoffe, ſondern auch nie in der Organiſation ſelbſt mit dem Erzeugenden gleichartiges Product hervorbringt, und die geueratio heteronima, ſo weit unſere Erfahrungs - fahrungskenntnis der Natur reicht, nirgend angetroffen wird.367II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.wickelten urſpruͤnglichen Anlagen gehoͤrt, ſo nahe ver - bunden iſt. Denn wenn man von dieſem Princip ab - geht, ſo kann man mit Sicherheit nicht wiſſen, ob nicht mehrere Stuͤcke der jetzt an einer Species anzutreffenden Form eben ſo zufaͤlligen zweckloſen Urſprungs ſeyn moͤ - gen, und das Princip der Teleologie: in einem organi - ſirten Weſen nichts von dem, was ſich in der Fortpflan - zung deſſelben erhaͤlt, als unzweckmaͤßig zu beurtheilen, muͤßte dadurch in der Anwendung ſehr unzuverlaͤßig wer - den, und lediglich fuͤr den Urſtamm (den wir aber nicht mehr kennen) guͤltig ſeyn.

Hume macht wider diejenigen, welche fuͤr alle ſol - che Naturzwecke ein teleologiſches Princip der Beurthei - lung, d. i. einen architectoniſchen Verſtand anzunehmen noͤthig finden, die Einwendung: daß man mit eben dem Rechte fragen koͤnnte, wie denn ein ſolcher Verſtand moͤg - lich ſey, d. i. wie die mancherley Vermoͤgen und Eigen - ſchaften, welche die Moͤglichkeit eines Verſtandes, der zugleich ausfuͤhrende Macht hat, ausmachen, ſich ſo zweckmaͤßig in einem Weſen haben zuſammen finden koͤn - nen. Allein dieſer Einwurf iſt nichtig. Denn die ganze Schwierigkeit, welche die Frage, wegen der erſten Er - zeugung eines in ſich ſelbſt Zwecke enthaltenden und durch ſie allein begreiflichen Dinges umgiebt, beruht auf der Nachfrage nach Einheit des Grundes der Verbindung des Mannigfaltigen außer einander in dieſem Pro - ducte, da denn, wenn dieſer Grund in dem Verſtande368II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.einer hervorbringenden Urſache als einfacher Subſtanz geſetzt wird, jene Frage, ſofern ſie teleologiſch iſt, hin - reichend beantwortet wird, wenn aber die Urſache blos in der Materie, als einem Aggregat vieler Subſtanzen aus einander, geſucht wird, die Einheit des Princips fuͤr die innerlich zweckmaͤßige Form ihrer Bildung gaͤnzlich er - mangelt; und die Avtocratie der Materie in Erzeu - gungen, welche von unſerm Verſtande nur als Zwecke begriffen werden koͤnnen, iſt ein Wort ohne Bedeutung.

Daher kommt es, daß diejenigen, welche fuͤr die objectiv-zweckmaͤßigen Formen der Materie einen ober - ſten Grund der Moͤglichkeit derſelben ſuchen, ohne ihm eben einen Verſtand zuzugeſtehen, das Weltganze doch gern zu einer einigen allbefaſſenden Subſtanz (Pan - theism) oder (welches nur eine beſtimmtere Erklaͤrung des vorigen iſt) zu einem Jnbegriffe vieler einer einigen einfachen Subſtanz inhaͤrirenden Beſtimmungen (Spinozism) machen, blos um jene Bedingung aller Zweckmaͤßigkeit, die Einheit des Grundes heraus zu bekommen; wobey ſie zwar einer Bedingung der Auf - gabe, naͤmlich der Einheit in der Zweckbeziehung, ver - mittelſt des blos ontologiſchen Begrifs einer einfachen Subſtanz, ein Genuͤge thun, aber fuͤr die andere Bedingung naͤmlich das Verhaͤltnis derſelben zu ihrer Folge als Zweck, wodurch jener ontologiſche Grund fuͤr die Frage naͤher beſtimmt werden ſoll, nichts anfuͤh - ren, mithin die ganze Frage keinesweges beantwor -ten369II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.worten, die auch ſchlechterdings unbeantwortlich (fuͤr unſere Vernunft) bleibt, wenn wir jenen Urgrund der Dinge nicht als einfache Subſtanz und dieſer ihre Eigenſchaft zu der ſpecifiſchen Beſchaffenheit der auf ſie ſich gruͤndenden Naturformen, naͤmlich der Zweckeinheit, nicht als einer intelligibelen Subſtanz, das Verhaͤltnis aber derſelben zu den letzteren (wegen der Zufaͤlligkeit die wir an allem was wir uns nur als Zweck moͤglich denken) nicht als das Verhaͤltnis einer Cauſſalitaͤt uns vorſtellen.

§. 81. Von der Beygeſellung des Mechanismus, zum teleologiſchen, in der Erklaͤrung eines Naturzwecks als Naturproducts.

Gleich wie der Mechanism der Natur nach dem vorhergehenden §. allein nicht zulangen kann, um ſich die Moͤglichkeit eines organiſirten Weſens darnach zu denken, ſondern, (wenigſtens nach der Beſchaffenheit un - ſers Erkenntnisvermoͤgens), einer abſichtlich wirkenden Urſache urſpruͤnglich untergeordnet werden muß: ſo langt eben ſo wenig der bloße teleologiſche Grund eines ſolchen Weſens, es zugleich als ein Product der Natur zu betrachten und zu beurtheilen, wenn nicht der Mecha - nism der letzteren dem erſteren beygeſellt wird, gleichſam als das Werkzeug einer abſichtlich wirkenden Urſache, deren Zwecke die Natur in ihren mechaniſchen GeſetzenKants Crit. d. Urtheilskr. A a370II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.gleichwohl untergeordnet iſt. Die Moͤglichkeit einer ſolchen Vereinigung zweyer ganz verſchiedener Arten von Cauſſalitaͤt, der Natur in ihrer allgemeinen Geſetz - maͤßigkeit, mit einer Jdee, welche jene auf eine beſon - dere Form einſchraͤnkt, wozu ſie fuͤr ſich gar keinen Grund enthaͤlt, begreift unſere Vernunft nicht; ſie liegt im uͤberſinnlichen Subſtrat der Natur, wovon wir nichts bejahend beſtimmen koͤnnen, als daß es das Weſen an ſich ſey, von welchem wir blos die Erſcheinung kennen. Aber das Princip: alles, was wir als zu dieſer Natur (Phaenomenon) gehoͤrig und als Product derſelben an - nehmen, auch nach mechaniſchen Geſetzen mit ihr ver - knuͤpft denken zu muͤſſen, bleibt nichts deſto weniger in ſeiner Kraft; weil, ohne dieſe Art von Cauſſalitaͤt, organiſirte Weſen, als Zwecke der Natur, doch keine Naturproducte ſeyn wuͤrden.

Wenn nun das teleologiſche Princip der Erzeugung dieſer Weſen angenommen wird (wie es denn nicht an - ders ſeyn kann) ſo kann man entweder den Occaſiona - lism, oder den Praͤſtabilism der Urſache ihrer inner - lich zweckmaͤßigen Form zum Grunde legen. Nach dem erſteren wuͤrde die oberſte Welturſache, ihrer Jdee ge - maͤs, bey Gelegenheit einer jeden Begattung der in der - ſelben ſich miſchenden Materie unmittelbar die organiſche Bildung geben; nach dem zweyten wuͤrde ſie in die an - faͤngliche Producte dieſer ihrer Weisheit nur die Anlage gebracht haben, vermittelſt deren ein organiſches Weſen371II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſeines Gleichen hervorbringt und die Species ſich ſelbſt beſtaͤndig erhaͤlt, imgleichen der Abgang der Jndividuen durch ihre zugleich an ihrer Zerſtoͤhrung arbeitende Na - tur continuirlich erſetzt wird. Wenn man den Occaſio - nalism der Hervorbringung organiſirter Weſen an - nimmt, ſo geht alle Natur hiebey gaͤnzlich verlohren, mit ihr auch aller Vernunftgebrauch, uͤber die Moͤglich - keit einer ſolchen Art Producte zu urtheilen; daher man vorausſetzen kann, daß niemand dieſes Syſtem anneh - men wird, dem es irgend um Philoſophie zu thun iſt.

Der Praͤſtabilism kann nun wiederum auf zwie - fache Art verfahren. Er betrachtet naͤmlich ein jedes von ſeines Gleichen gezeugte organiſche Weſen entweder als das Educt, oder als das Product des erſteren. Das Syſtem der Zeugungen als bloßer Educte heißt das der individuellen Praͤformation, oder auch die Evolutionstheorie; das der Zeugungen als Producte wird das Syſtem der Epigeneſts genannt, die - ſes kann auch das Syſtem der generiſchen Profor - mation genannt werden; weil das productive Vermoͤ - gen der Zeugenden doch nach den inneren zweckmaͤßigen Anlagen, die ihrem Stamme zu Theil wurden, alſo die ſpecifiſche Form virtualiter praͤformirt war. Dieſem ge - maͤs wuͤrde man die entgegenſtehende Theorie der indivi - duellen Praͤformation auch beſſer Jnvolutionstheorie (oder die der Einſchachtelung) nennen koͤnnen.

A a 2372II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Die Verfechter der Evolutionstheorie, welche jedes Jndividuum von der bildenden Kraft der Natur ausnehmen, um es unmittelbar aus der Hand des Schoͤpfers kommen zu laſſen, wollen es alſo doch nicht wagen dieſes nach der Hypotheſe des Occaſionalisms geſchehen zu laſſen, ſo daß die Begattung eine bloße For - malitaͤt waͤre, unter der eine oberſte verſtaͤndige Welt - urſache beſchloſſen haͤtte, jedesmal eine Frucht mit un - mittelbarer Hand zu bilden und der Mutter nur die Aus - wickelung und Ernaͤhrung derſelben zu uͤberlaſſen. Sie erklaͤrten ſich fuͤr die Praͤformation; gleich als wenn es nicht einerley waͤre, uͤbernatuͤrlicher Weiſe, ob im An - fange, oder im Fortlaufe der Welt, dergleichen Formen entſtehen zu laſſen und nicht vielmehr eine große Menge uͤbernatuͤrlicher Anſtalten durch gelegentliche Schoͤpfung erſpahrt wurde, welche erforderlich ſeyn wuͤrden, damit der im Anfange der Welt gebildete Embryo die lange Zeit hindurch, bis zu ſeiner Entwickelung, nicht von den zerſtoͤhrenden Kraͤften der Natur litte und ſich unverletzt erhielte, imgleichen eine unermeslich groͤßere Zahl ſolcher vorgebildeten Weſen, als jemals entwickelt werden ſoll - ten und mit ihnen eben ſo viel Schoͤpfungen dadurch un - noͤthig und zwecklos gemacht wurden. Allein ſie wollten doch wenigſtens etwas hierinn der Natur uͤberlaſſen, um nicht gar in voͤllige Hyperphyſik zu gerathen, die aller Naturerklaͤrung entbehren kann. Sie hielten zwar noch feſt an ihrer Hyperphyſik, ſelbſt da ſie an Misge -373II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.burten (die man doch unmoͤglich fuͤr Zwecke der Natur halten kann) eine bewunderungswuͤrdige Zweckmaͤßig - keit finden, ſollte ſie auch nur darauf abgezielt ſeyn, daß ein Anatoniker einmal daran, als einer zweckloſen Zweck - maͤßigkeit, Anſtos nehmen und niederſchlagende Bewun - derung fuͤhlen ſollte. Aber die Erzeugung der Baſtarte konnten ſie ſchlechterdings nicht in das Syſtem der Praͤ - formation hineinpaſſen, ſondern mußten dem Saamen der maͤnnlichen Geſchoͤpfe, dem ſie uͤbrigens nichts, als die mechaniſche Eigenſchaft, zum erſten Nahrungsmittel des Embryo zu dienen, zugeſtanden hatten, doch noch obenein eine zweckmaͤßig bildende Kraft zugeſtehen, welche ſie doch in Anſehung des ganzen Products einer Erzeugung von zweyen Geſchoͤpfen derſelben Gattung keinem von beyden einraͤumen wollten.

Wenn man dagegen an dem Vertheidiger der Epi - geneſis den großen Vorzug, den er in Anſehung der Er - fahrungsgruͤnde zum Beweiſe ſeiner Theorie vor dem erſteren hat, gleich nicht kennete: ſo wuͤrde die Vernunft doch ſchon zum Voraus fuͤr ſeine Erklaͤrungsart mit vor - zuͤglicher Gunſt eingenommen ſeyn, weil ſie die Natur in Anſehung der Dinge, welche man urſpruͤnglich nur nach der Cauſſalitaͤt der Zwecke ſich als moͤglich vorſtellen kann, doch wenigſtens, was die Fortpflanzung betrift, als ſelbſt hervorbringend, nicht blos als entwickelnd, betrachtet und ſo doch mit dem kleinſt-moͤglichen Auf - wande des Uebernatuͤrlichen alles folgende vom erſtenA a 3374II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Anfange an der Natur uͤberlaͤßt (ohne aber uͤber dieſen erſten Anfang, an dem die Phyſik uͤberhaupt ſcheitert, ſie mag es mit einer Kette der Urſachen verſuchen mit welcher ſie wolle, etwas zu beſtimmen).

Jn Anſehung dieſer Theorie der Epigeneſis hat nie - mand mehr, ſo wohl zum Beweiſe derſelben, als auch zur Gruͤndung der aͤchten Principien ihrer Anwen - dung, zum Theil durch die Beſchraͤnkung eines zu vermeſſenen Gebrauchs derſelben, geleiſtet, als Herr H. R. Blumenbach. Von organiſirter Materie hebt er alle phyſiſche Erklaͤrungsart dieſer Bildungen an. Denn, daß rohe Materie ſich nach mechaniſchen Ge - ſetzen urſpruͤnglich ſelbſt gebildet habe, daß aus der Natur des lebloſen Leben habe entſpringen und Ma - terie in die Form einer ſich ſelbſt erhaltenden Zweck - maͤßigkeit ſich von ſelbſt habe fuͤgen koͤnnen, erklaͤrt er mit Recht fuͤr vernunftwidrig; laͤßt aber zugleich dem Naturmechanism unter dieſem uns unerforſch - lichen Princip einer urſpruͤnglichen Organiſation einen unbeſtimmbaren, zugleich doch auch unverkenn - baren Antheil, wozu das Vermoͤgen der Materie zum Unterſchiede von der, ihr allgemein beywohnenden, blos mechaniſchen Bildungskraft, von ihm in einem organiſirten Koͤrper ein (gleichſam unter der hoͤheren Leitung und Anweiſung der erſteren ſtehender) Bildungstrieb genannt wird.

375II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 82. Von dem teleologiſchen Syſtem in den aͤußern Verhaͤltniſſen organiſirter Weſen.

Unter der aͤußern Zweckmaͤßigkeit verſtehe ich die - jenige, da ein Ding der Natur einem andern als Mittel zum Zwecke dient. Nun koͤnnen Dinge, die keine innere Zweckmaͤßigkeit haben, oder zu ihrer Moͤglichkeit vorauſetzen, z. B. Erden, Luft, Waſſer, u. ſ. w. gleichwohl aͤußerlich, d. i. im Verhaͤltnis auf andere Weſen ſehr zweckmaͤßig ſeyn; aber die - ſe muͤſſen jederzeit organiſirte Weſen, d. i. Natur - zwecke ſeyn, denn ſonſt koͤnnten jene auch nicht als Mittel beurtheilt werden. So koͤnnen Waſſer, Luft und Erden nicht als Mittel zu Anhaͤufung von Ge - birgen angeſehen werden, weil dieſe an ſich gar nichts enthalten, was einen Grund ihrer Moͤglichkeit nach Zwecken erforderte, worauf in Beziehung alſo ihre Urſache niemals unter dem Praͤdicate eines Mittels (das dazu nuͤtzte) vorgeſtellt werden kann.

Die aͤußere Zweckmaͤßigkeit iſt ein ganz anderer Begrif, als der der inneren, welche mit der Moͤglich - keit eines Gegenſtandes, unangeſehen, ob ſeine Wirk - lichkeit ſelbſt Zweck ſey, oder nicht, verbunden iſt. Man kann von einem organiſirten Weſen noch fra - gen: wozu iſt es da? aber nicht leicht von Dingen, an denen man blos die Wirkung vom MechanismA a 4376II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.der Natur erkennt; denn in jenen ſtellen wir uns ſchon eine Cauſſalitaͤt nach Zwecken zu ihrer inneren Moͤglichkeit, einen ſchaffenden Verſtand vor und be - ziehen dieſes thaͤtige Vermoͤgen auf den Beſtimmungs - grund deſſelben, die Abſicht. Es giebt nur eine ein - zige aͤußere Zweckmaͤßigkeit, die mit der innern der Organiſation zuſammenhaͤngt und, ohne daß die Frage ſeyn darf, zu welchem Ende dieſes ſo organiſirte Weſen eben habe exiſtiren muͤſſen, dennoch im aͤußeren Verhaͤltnis eines Mittels zum Zwecke dient und dieſe iſt die Organiſation beyderley Geſchlechts in Beziehung auf einander zur Fortpflanzung ihrer Art; denn hier kann man immer noch, eben ſo wie bey einem Jndi - viduum, fragen, warum mußte ein ſolches Paar exiſtiren. Die Antwort iſt: Dieſes hier macht aller - erſt ein organiſirendes Ganze aus, ob zwar nicht ein organiſirtes in einem einzigen Koͤrper.

Wenn man nun fraͤgt, wozu ein Ding da iſt, ſo iſt die Antwort entweder: ſein Daſeyn und ſeine Erzeugung hat gar keine Beziehung auf eine nach Abſichten wir - kende Urſache und alsdenn verſteht man immer einen Urſprung derſelben aus dem Mechanism der Natur; oder es iſt irgend ein abſichtlicher Grund ſeines Da - ſeyns (als eines zufaͤlligen Naturweſens) und dieſen Gedanken kann man ſchwerlich von dem Begriffe eines organiſirten Dinges trennen; weil, da wir ein - mal ſeiner innern Moͤglichkeit eine Cauſſalitaͤt der377II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Endurſachen und eine Jdee, die dieſer zum Grunde liegt, unterlegen muͤſſen, wir auch die Exiſtenz dieſes Products nicht anders als Zweck denken koͤnnen; denn die vorgeſtellte Wirkung, die zugleich der Beſtim - mungsgrund der verſtaͤndigen wirkenden Urſache zu ihrer Hervorbringung iſt, heißt Zweck. Jn dieſem Falle alſo kann man entweder ſagen: der Zweck der Exiſtenz eines ſolchen Naturweſens iſt in ihm ſelbſt, d. i. es iſt nicht blos Zweck, ſondern auch Endzweck, oder dieſer iſt auſſer ihm in anderen Naturweſen, d. i. es exiſtirt zweckmaͤßig nicht als Endzweck, ſondern nothwendig zugleich als Mittel.

Wenn wir aber die ganze Natur durchgehen, ſo finden wir in ihr, als Natur, kein Weſen, was auf den Vorzug Endzweck der Schoͤpfung zu ſeyn An - ſpruch machen koͤnnte und man kann ſogar a pricri beweiſen: daß dasjenige, was etwa noch fuͤr die Na - tur ein letzter Zweck ſeyn koͤnnte, nach allen er - denklichen Beſtimmungen und Eigenſchaften, womit man es ausruͤſten moͤchte, doch als Naturding nie - mals ein Endzweck ſeyn koͤnne.

Wenn man das Gewaͤchsreich anſieht, ſo koͤnnte man anfaͤnglich durch die unermesliche Fruchtbarkeit, durch welche es ſich beynahe uͤber jeden Boden ver - breitet, auf die Gedanken gebracht werden, es fuͤr ein bloßes Product des Mechanisms der Natur, welches ſie in den Bildungen des Mineralreichs zeigt, zu hal -A a 5378II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ten. Eine naͤhere Kenntnis aber der unbeſchreiblich weiſen Organiſation in demſelben laͤßt uns an dieſem Gedanken nicht haften, ſondern veranlaßt die Frage: wozu ſind dieſe Geſchoͤpfe da? Wenn man ſich ant - wortet: fuͤr das Thierreich, welches dadurch genaͤhrt wird, damit es ſich in ſo mannigfaltige Gattungen uͤber die Erde habe verbreiten koͤnnen, ſo kommt die Frage wieder: Wozu ſind denn dieſe Pflanzen-verzeh - rende Thiere da? die Antwort wuͤrde etwa ſeyn, fuͤr die Raubthiere, die ſich nur von dem naͤhren koͤnnen was Leben hat? Endlich iſt die Frage: wozu ſind dieſe ſammt den vorigen Naturreichen gut? Fuͤr den Men - ſchen, zu dem mannigfaltigen Gebrauche, den ihn ſein Verſtand von allen jenen Geſchoͤpfen machen lehrt; und er iſt der letzte Zweck der Schoͤpfung hier auf Erden, weil er das einzige Weſen auf derſelben iſt, welches ſich einen Begrif von Zwecken machen und aus einem Aggregat von zweckmaͤßig gebildeten Dingen durch ſeine Vernunft ein Syſtem der Zwecke machen kann.

Man koͤnnte auch, mit dem Ritter Linné, den dem Scheine nach umgekehrten Weg gehen und ſagen: Die Gewaͤchsfreſſenden Thiere ſind da, um den uͤppigen Wuchs des Pflanzenreichs, dadurch viele Species der - ſelben erſtickt werden wuͤrden, zu maͤßigen, die Raub - thiere jener ihrer Gefraͤßigkeit Grenzen zu ſetzen, end - lich der Menſch, damit, indem er dieſe verfolgt379II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.und vermindert, ein gewiſſes Gleichgewicht unter den hervorbringenden und den zerſtoͤhrenden Kraͤften der Natur geſtiftet werde: Und ſo wuͤrde der Menſch, ſo ſehr er auch in gewiſſer Beziehung als Zweck gewuͤrdigt ſeyn moͤchte, doch in anderer wiederum nur den Rang eines Mittels haben.

Wenn man ſich eine objective Zweckmaͤßigkeit in der Mannigfaltigkeit der Gattungen der Erdgeſchoͤpfe und ihrem aͤußern Verhaͤltniſſe zu einander, als zweckmaͤßig conſtruirter Weſen, zum Princip macht, ſo iſt es der Vernunft gemaͤs ſich in dieſem Verhaͤltniſſe wiederum eine gewiſſe Organiſation und ein Syſtem aller Natur - reiche nach Endurſachen zu denken; allein hier ſcheint die Erfahrung der Vernunftmaxime lant zu widerſprechen, vornemlich was einen letzten Zweck der Natur betrift, der doch zu der Moͤglichkeit eines ſolchen Syſtems erfor - derlich iſt, und den wir nirgends anders als im Men - ſchen ſetzen koͤnnen: da vielmehr in Anſehung dieſes, als einer der vielen Thiergattungen die Natur ſo wenig von den zerſtoͤhrenden als erzeugenden Kraͤften die min deſte Ausnahme gemacht hat, alles einem Mechanism derſelben, ohne einen Zweck zu unterwerfen.

Das erſte, was in einer Anordnung zu einem zweck - maͤßigen Ganzen der Naturweſen auf der Erde abſicht - lich eingerichtet ſeyn mußte, wuͤrde wohl ihr Wohnplatz, der Boden und das Element ſeyn, auf und in welchem ſie ihr Fortkommen haben ſollten. Allein eine genauere380II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Kenntnis der Beſchaffenheit dieſer Grundlage aller orga - niſchen Erzeugung giebt auf keine andere als ganz un - abſichtlich wirkende, ja eher noch verwuͤſtende, als Er - zeugung Ordnung und Zwecke beguͤnſtigende Urſachen, Anzeige. Land und Meer enthalten nicht allein Denk - maͤler von alten maͤchtigen Verwuͤſtungen, die ſie und alle Geſchoͤpfe, auf und in demſelben, betroffen haben, in ſich: ſondern ihr ganzes Bauwerk, die Erdlager des ei - nen und die Grenzen des andern haben gaͤnzlich das An - ſehen des Products wilder allgewaltiger Kraͤfte einer im chaotiſchen Zuſtande arbeitenden Natur. So zweckmaͤ - ßig, wie auch jetzt die Geſtalt das Bauwerk und der Ab - hang der Laͤnder fuͤr die Aufnahme der Gewaͤſſer aus der Luft, die Quelladern, zwiſchen Erdſchichten von man - nigfaltiger Art (fuͤr mancherley Producte) und dem Laufe der Stroͤhme angeordnet zu ſeyn ſcheinen moͤgen, ſo beweiſet doch eine naͤhere Unterſuchung derſelben: daß ſie blos als die Wirkung theils feuriger, theils waͤſſeri - ger Eruptionen, oder auch Empoͤrungen des Oceans zu Stande gekommen ſind, ſo wohl was die erſte Erzen - gung dieſer Geſtalt, als vornehmlich die nachmalige Umbildung derſelben, zugleich mit dem Untergange ihrer erſten organiſchen Erzeugungen betrift*)Wenn der einmal angenommene Name Naturgeſchichte fuͤr Naturbeſchreibung bleiben ſoll, ſo kann man fuͤr das, was die erſtere buchſtaͤblich anzeigt, naͤmlich eine Vorſtellung des ehemaligen alten Zuſtandes der Erde, woruͤber man, Wenn nun381II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.der Wohnplatz, der Mutterboden (des Landes) und der Mutterſchoos (des Meeres) fuͤr alle dieſe Geſchoͤpfe auf keinen andern als gaͤnzlich unabſichtlichen Mechanism ſeiner Erzeugung Anzeige giebt; wie und mit welchem Recht koͤnnen wir fuͤr dieſe letztere Producte einen andern Urſprung verlangen und behaupten? Wenn gleich der Menſch, wie die genauſte Pruͤfung der Ueberreſte jener Naturverwuͤſtungen (nach Campers Urtheile) zu beweiſen ſcheint, in dieſen Revolutionen nicht mit begriffen war, ſo iſt er doch von den uͤbrigen Erdgeſchoͤpfen ſo abhaͤngig, daß wenn ein uͤber die andere allgemeinwaltender Me - chanism der Natur eingeraͤumt wird, er als darunter mit begriffen angeſehen werden muß; wenn ihn gleich ſein Verſtand (großentheils wenigſtens) unter ihren Verwuͤſtungen hat retten koͤnnen.

Dieſes Argument ſcheint aber mehr zu beweiſen, als die Abſicht enthielt, wozu es aufgeſtellt war; naͤm - lich, nicht blos daß der Menſch kein letzter Zweck der Natur, und aus dem naͤmlichen Grunde, das Aggre -*)wenn man gleich keine Gewisheit hoffen darf, doch mit gu - tem Grunde Vermuthungen wagt, die Archaͤologie der Natur, im Gegenſatz mit der Kunſt, nennen. Zu jener wuͤrden die Petrefacten, ſo wie zu dieſer die geſchnittene Steine u. ſ. w. gehoͤren. Denn da man doch wirklich an ei - ner ſolchen (unter dem Nahmen einer Theorie der Erde) beſtaͤndig, wenn gleich, wie billig, langſam arbeitet, ſo waͤre dieſer Nahme eben nicht einer blos eingebildeten Na - turforſchung gegeben, ſondern einer ſolchen, zu der die Natur ſelbſt uns einladet und auffordert.382II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.gat der organiſtrten Naturdinge auf der Erde nicht ein Syſtem von Zwecken ſeyn koͤnne, ſondern daß gar die vorher fuͤr Naturzwecke gehaltene Naturproducte keinen andern Urſprung haben, als den Mechanism der Natur.

Allein in der obigen Aufloͤſung der Antinomie der Principien, der mechaniſchen und der teleologi - ſchen Erzeugungsart der organiſchen Naturweſen, ha - ben wir geſehen: daß, da ſie, in Anſehung der nach ihren beſondern Geſetzen (zu deren ſyſtematiſchen Zu - ſammenhange uns aber der Schluͤſſel fehlt) bildenden Natur, blos Principien der reflectirenden Urtheilskraft ſind, die naͤmlich ihren Urſprung nicht an ſich beſtim - men, ſondern nur ſagen, daß wir, nach der Beſchaf - fenheit unſeres Verſtandes und unſrer Vernunft, ihn in dieſer Art Weſen nicht anders als nach Endurſa - chen denken koͤnnen, die groͤßtmoͤgliche Beſtrebung, ja Kuͤhnheit in Verſuchen ſie mechanich zu erklaͤ - ren, nicht allein erlaubt iſt, ſondern wir auch durch Vernuft dazu aufgerufen ſind, unerachtet wir wiſſen, daß wir damit aus ſubjectiven Gruͤnden der beſondern Art und Beſchraͤnkung unſeres Verſtandes niemals auslangen koͤnnen, (und nicht etwa, weil der Mecha - nism der Erzeugung einem Urſprunge nach Zwecken an ſich wiederſpraͤche) und daß endlich in dem uͤber - ſinnlichen Princip der Natur (ſo wohl außer uns als in uns) gar wohl die Vereinbarkeit beyder Arten und383II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.die Moͤglichkeit der Natur vorzuſtellen, liegen koͤnne, indem die Vorſtellungsart nach Endurſachen nur eine ſubjective Bedingung unſeres Vernunftgebrauchs ſey, wenn ſie die Beurthei[lu]ng der Gegenſtaͤnde nicht blos als Erſcheinungen angeſtellt wiſſen will, ſondern dieſe Erſcheinungen ſelbſt, ſamt ihren Principien, auf das uͤberſinnliche Subſtrat zu beziehen verlangt, um ge - wiſſe Geſetze der Einheit derſelben moͤglich zu finden, die ſie ſich nicht anders als durch Zwecke (davon die Vernunft auch ſolche hat die uͤberſinnlich ſind) vor - ſtellig machen kann.

§. 83. Von dem letzten Zwecke der Natur als eines teleologiſchen Syſtems.

Wir haben im vorigen gezeigt, daß wir dem Men - ſchen nicht blos, wie alle organiſirte Weſen, als Na - turzweck, ſondern auch hier auf Erden als den letz - ten Zweck der Natur in Beziehung auf den alle uͤbrige Naturdinge ein Syſtem von Zwecken ausma - chen, nach Grundſaͤtzen der Vernunft, zwar nicht fuͤr die beſtimmende, doch fuͤr die reflectirende Urtheilskraft, zu beurtheilen hinreichende Urſache haben. Wenn nun dasjenige im Menſchen ſelbſt angetroffen werden muß, was als Zweck durch ſeine Verknuͤpfung mit der Na - tur befoͤrdert werden ſoll: ſo muß entweder der Zweck von der Art ſeyn, daß er ſelbſt durch die Natur in384II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ihrer Wohlthaͤtigkeit befriedigt werden kann, oder es iſt die Tauglichkeit und Geſchicklichkeit zu allerley Zwe - cken dazu die Natur (aͤußerlich und innerlich) von ihm gebraucht werden koͤnne. Der erſte Zweck der Natur wuͤrde die Gluͤckſeeligkeit, der zweyte die Cultur des Menſchen ſeyn.

Der Begriff der Gluͤckſeeligkeit iſt nicht ein ſol - cher, den der Menſch etwa von ſeinen Jnſtincten ab - ſtrahirt, und ſo aus der Thierheit in ihm ſelbſt her - nimmt, ſondern iſt eine bloße Jdee eines Zuſtandes, der er den letzteren unter blos empiriſchen Bedingun - gen (welches unmoͤglich iſt) adaͤquat machen will. Er entwirft ſie ſich ſelbſt, und zwar auf ſo verſchiede - ne Art, durch ſeinen mit der Einbildungskraft und den Sinnen verwickelten Verſtand, er aͤndert ſo gar die - ſen ſo oft, daß die Natur, wenn ſie auch ſeiner Will - kuͤhr gaͤnzlich unterworfen waͤre, doch ſchlechterdings kein beſtimmtes allgemeines und feſtes Geſetz anneh - men koͤnnte, um mit dieſem ſchwankenden Begriff, und ſo mit dem Zweck, den jeder ſich willkuͤhrlicher Weiſe vorſetzt, uͤbereinzuſtimmen. Aber, ſelbſt wenn wir entweder dieſen auf das wahrhafte Naturbeduͤrf - nis, worin unſere Gattung durchgaͤngig mit ſich uͤber - einſtimmt, herabſetzen, oder, andererſeits, die Ge - ſchicklichkeit ſich eingebildete Zwecke zu verſchaffen noch ſo hoch ſteigern wollten, ſo wuͤrde doch, was der Menſch unter Gluͤckſeeligkeit verſteht, und was in derThat385II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.That ſein eigener letzter Naturzweck (nicht Zweck der Freyheit) iſt, von ihm nie erreicht werden; denn ſeine Natur iſt nicht von der Art, irgend wo im Beſitze und Genuſſe aufzuhoͤren und befriedigt zu werden. Andrer - ſeits iſt ſo weit gefehlt: daß die Natur ihn zu ihren be - ſondern Liebling aufgenommen und vor allen Thieren mit Wohlthnn beguͤnſtigt habe, daß ſie ihn vielmehr in ihren verderblichen Wirkungen, in Peſt, Hunger, Waſſer - gefahr, Froſt, Anfall von andern großen und kleinen Thieren u. d. g. eben ſo wenig verſchont, wie jedes an - dere Thier: noch mehr aber, daß das Widerſinniſche der Naturanlagen ihn ſelbſt in ſelbſterſonnenen Pla - gen und noch andere von ſeiner eigenen Gattung, durch den Druck der Herrſchaft, die Barbarey der Kriege u. ſ. w. in ſolche Noth verſetzt und er ſelbſt, ſo viel an ihm iſt, an der Zerſtoͤrung ſeiner eigenen Gattung arbei - tet, daß ſelbſt bey der wohlthaͤtigſten Natur außer uns, der Zweck derſelben, wenn er auf die Gluͤckſeeligkeit un - ſerer Species geſtellet waͤre in einem Syſtem derſelben auf Erden nicht erreicht werden wuͤrde, weil die Natur in uns derſelben nicht empfaͤnglich iſt. Er iſt alſo immer nur Glied in der Kette der Naturzwecke, zwar Princip in Anſehung manches Zwecks, dazu die Natur ihn in ihrer Anlage beſtimmt zu haben ſcheint, indem er ſich ſelbſt dazu macht, aber doch auch Mittel zur Erhaltung der Zweckmaͤßigkeit im Mechanism der uͤbrigen Glieder. Als das einzige Weſen auf Erden das Verſtand, mithinKants Crit. d. Urtheilekr B b386II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.mithin ein Vermoͤgen hat, ſich ſelbſt willkuͤhrlich Zwecke zu ſetzen, iſt er zwar betitelter Herr der Natur und, wenn man dieſe als ein teleologiſches Syſtem anſieht, ſeiner Beſtimmung nach der letzte Zweck der Natur, aber immer nur bedingt, naͤmlich daß er es verſtehe und den Willen habe dieſer und ihm ſelbſt eine ſolche Zweckbe - ziehung zu geben, die unabhaͤngig von der Natur ſich ſelbſt gnugſam, mithin Endzweck ſeyn koͤnne, der aber in der Natur gar nicht geſucht werden muß.

Um aber auszufinden, worin wir am Menſchen wenigſtens jenen letzten Zweck der Natur zu ſetzen ha - ben, muͤſſen wir dasjenige, was die Natur zu leiſten vermag, um ihn dazu vorzubereiten, was er ſelbſt thun muß, um Endzweck zu ſeyn, herausſuchen und es von allen den Zwecken abſondern, deren Moͤglichkeit auf Be - dingungen beruht, die man allein von der Natur erwar - ten darf. Von der letztern Art iſt die Gluͤckſeeligkeit auf Erden, worunter der Jnbegrif aller durch die Natur auſſer und in dem Menſchen moͤglichen Zwecke deſſelben verſtanden wird; das iſt die Materie aller ſeiner Zwecke auf Erden, die, wenn er ſie zu ſeinem ganzen Zwecke macht, ihn unfaͤhig macht ſeiner eigenen Exiſtenz einen Endzweck zu ſetzen und dazu zuſammen zu ſtimmen. Es bleibt alſo von allen ſeinen Zwecken in der Natur nur die formale, ſubjective Bedingung, naͤmlich der Taug - lichkeit: ſich ſelbſt uͤberhaupt Zwecke zu ſetzen und, (unab - haͤngig von der Natur in ſeiner Zweckbeſtimmung) die387II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Natur den Maximen ſeiner freyen Zwecke uͤberhaupt an - gemeſſen, als Mittel, zu gebrauchen uͤbrig, was die Natur, in Abſicht auf den Endzweck, der auſſer ihr liegt, ausrichten und welches alſo als ihr letzter Zweck angeſehen werden kann. Die Hervorbringung der Taug - lichkeit eines vernuͤnftigen Weſens zu beliebigen Zwecken uͤberhaupt (folglich in ſeiner Freyheit) iſt die Cultur. Alſo kann nur die Cultur der letzte Zweck ſeyn, den man der Natur in Anſehung der Menſchengattung beyzulegen Urſache hat: (Nicht ſeine eigene Gluͤckſeeligkeit auf Er - den, oder wohl gar blos das vornehmſte Werkzeug zu ſeyn, Ordnung und Einhelligkeit in der vernunftloſen Natur außer ihm zu ſtiften).

Aber nicht jede Cultur iſt zu dieſem letzten Zwecke der Natur hinlaͤnglich. Die der Geſchicklichkeit iſt freylich die vornehmſte ſubjective Bedingung der Tauglichkeit zur Befoͤrderung der Zwecke uͤberhaupt, aber doch nicht hinreichend die Freyheit, in der Beſtimmung und Wahl ſeiner Zwecke, zu befoͤrdern, welche doch zum ganzen Umfange einer Tauglichkeit zu Zwecken weſentlich gehoͤrt. Die letztere Bedingung der Taug - lichkeit, welche man die Cultur der Zucht (Diſciplin) nennen koͤnnte, iſt negativ und beſteht in der Befreyung des Willens von dem Deſpotism der Begierden, wo - durch wir, an gewiſſe Naturdinge geheftet, unfaͤhig ge - macht werden ſelbſt zu waͤhlen, indem wir uns die Triebe zu Feſſeln dienen laſſen, die uns die Natur nur ſtatt Leit -B b 2388II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.faͤden beygegeben hat, um die Beſtimmung der Thie[r]- heit in uns nicht zu vernachlaͤßigen, oder gar zu ver - letzen, indeſſen daß wir doch frey genug ſind ſie anzu - ziehen oder nachzulaſſen, zn verlaͤngern oder zu verkuͤr - zen, nachdem es die Zwecke der Vernunft erfordern.

Die Geſchicklichkeit kann in der Menſchengattung nicht wohl entwickelt werden, als vermittelſt der Un - gleichheit unter Menſchen; da die groͤßte Zahl die Noth - wendigkeiten des Lebens gleichſam mechaniſch, ohne dazu beſonders Kunſt zu beduͤrfen, zur Gemaͤchlichkeit und Muſſe anderer, beſorget, welche die minder nothwendige Stuͤcke der Cultur, Wiſſenſchaft und Kunſt, bearbeiten und von dieſen in einem Stande des Drucks, ſaurer Ar - beit und wenig Genuſſes gehalten wird, auf welche Claſſe ſich denn doch manches von der Cultur der hoͤheren nach und nach auch verbreitet. Die Plagen aber wachſen im Fortſchritte derſelben (deſſen Hoͤhe, wenn der Hang zum Entbehrlichen ſchon dem Unentbehrlichen Abbruch zu thun anfaͤngt, Luxus heißt) auf beyden Seiten gleich maͤchtig, auf der einen durch fremde Gewaltthaͤtig - keit, auf der andern durch innere Ungnugſamkeit; aber das glaͤnzende Elend iſt doch mit der Entwickelung der Naturanlagen in der Menſchengattung verbunden und der Zweck der Natur ſelbſt, wenn es gleich nicht unſer Zweck iſt, wird doch hiebey erreicht. Die formale Bedingung, unter welcher die Natur dieſe ihre Endab - ſicht allein erreichen kann, iſt diejenige Verfaſſung im389II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Verhaͤltniſſe der Menſchen untereinander, da dem Ab - bruche der einander wechſelſeitigen widerſtreitenden Freyheit geſetzmaͤßige Gewalt in einem Ganzen, welches buͤrgerliche Geſellſchaft heißt, entgegengeſetzt wird; denn nur in ihr kann die groͤßte Entwickelung der Na - turanlagen geſchehen, zu welcher aber doch, wenn gleich Menſchen ſie auszufinden klug und ſich ihrem Zwange willig zu unterwerfen weiſe genug waͤren, noch ein Weltbuͤrgerliches Ganze, d. i. ein Syſtem aller Staaten, die auf einander nachtheilig zu wirken in Ge - fahr ſind, erforderlich waͤre, in Ermangelung deſſen und bey dem Hindernis, welches Ehrſucht, Herrſchſucht und Habſucht, vornemlich an denen die Gewalt in Haͤnden haben, ſelbſt der Moͤglichkeit eines ſolchen Entwurfs ent - gegenſetzen, der Krieg (theils in welchem ſich Staaten zerſpalten und in kleinere aufloͤſen, theils ein Staat andere Kleinere mit ſich vereinigt und ein groͤßeres Ganze zu bilden ſtrebt) unvermeidlich iſt, der ſo, wie er ein un - abſichtlicher (durch zuͤgelloſe Leidenſ[c]aften angeregter) Verſuch der Menſchen, doch tief verborgener abſichtlicher der oberſten Weisheit iſt, Geſetzmaͤßigkeit mit der Frey - heit der Staaten und dadurch Einheit eines moraliſch begruͤndeten Syſtems derſelben, wo nicht zu ſtiften, den - noch vorzubereiten, unerachtet der ſchrecklichſten Drang - ſaale, womit er das menſchliche Geſchlecht belegt, und der vielleicht noch groͤßern, womit die beſtaͤndige Be - reitſchaft dazu im Frieden druͤckt, dennoch eine Trieb -B b 3390II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.feder mehr iſt (indeſſen daß die Hofnung zu dem Ruhe - ſtande einer Volksgluͤckſeeligkeit ſich immer weiter ent - fernt) alle Talente, die zur Cultur dienen, bis zum hoͤch - ſten Grade zu entwickeln.

Was die Diſciplin der Neigungen betrift, zu denen die Naturanlage in Abſicht auf unſere Beſtimmung, als einer Thiergattung, ganz zweckmaͤßig iſt, die aber die Entwickelung der Menſchheit ſehr erſchweren, ſo zeigt ſich doch a[u]ch in Anſehung dieſes zweyten Erforderniſſes zur Cultur ein zweckmaͤßiges Streben der Natur zu einer Ausbildung, welche uns hoͤherer Zwecke, als die Natur ſelbſt liefern kann, empfaͤnglich macht. Das Ueberge - wicht der Uebel, welche die Verfeinerung des Geſchmacks bis zur Jdealiſirung deſſelben, ſelbſt der Luxus in Wiſſen - ſchaften, als einer Nahrung fuͤr die Eitelkeit, dnrch die unzubefriedigende Menge der dadurch erzeugten Neigun - gen uͤber uns ausſchuͤttet, iſt nicht zu beſtreiten; dagegen aber der Zweck der Natur auch nicht zu verkennen, der Rohigkeit und dem Ungeſtuͤm derjenigen Neigungen, welche mehr der Thierheit in uns angehoͤren und der Ausbildung zu unſerer hoͤheren Beſtimmung am meiſten entgegen ſind (denen des Genuſſes) immer mehr abzuge - winnen und der Entwickelung der Menſchheit Platz zu machen. Schoͤne Kunſt und Wiſſenſchaften, die durch eine Luſt, die ſich allgemein mittheilen laͤßt und die Geſchliffenheit und Verfeinerung fuͤr die Geſellſchaft wenn gleich den Menſchen nicht ſittlich beſſer, doch geſittet391II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.machen, gewinnen der Tyranney des Sinnenhanges ſehr viel ab und bereiten dadurch den Menſchen zu einer Herrſchaft vor, in der die Vernunft allein Gewalt haben ſoll, indeſſen daß die Uebel, womit uns theils die Natur, theils die unvertragſame Selbſtſucht der Menſchen heim ſucht, zugleich die Kraͤfte der Seele aufbieten, ſteigern und ſtaͤhlen, um jenen nicht unterzuliegen und uns ſo eine Tauglichkeit zu hoͤheren Zwecken, die in uns ver - borgen liegt, fuͤhlen laſſen. *)Was das Leben fuͤr uns fuͤr einen Werth habe, wenn dieſer blos nach dem geſchaͤtzt wird, was man genießt (dem natuͤrlichen Zwecke der Summe aller Neigungen, der Gluͤckſeeligkeit,) iſt leicht zu entſcheiden. Er ſinkt unter Null; denn wer wollte wohl das Leben unter denſelben Bedingungen, aber auch nach einem neuen, ſelbſt entworfe - nen (doch dem Naturlaufe gemaͤßen) Plane, der aber auch blos auf Genuß geſtellt waͤre, aufs neue antreten? Welchen Werth das Leben habe, nach dem, was es nach dem Zwecke, den die Natur mit uns hat, gefuͤhrt, in ſich enthaͤlt und in dem beſteht, was man thut (nicht blos genießt), wo wir aber immer doch nur Mittel zu unbe - ſtimmten Endzwecke ſind, iſt oben gezeigt worden. Es

§. 84. Von dem Endzwecke des Daſeyns einer Welt d. i. der Schoͤpfung ſelbſt.

Endzweck iſt derjenige Zweck, der keines andern als Bedingung ſeiner Moͤglichkeit bedarf.

Wenn fuͤr die Zweckmaͤßigkeit der Natur der bloße Mechanism derſelben zum Erklaͤrungsgrunde angenom -B b 4392II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.men wird, ſo kann man nicht fragen: wozu die Dinge in der Welt da ſind; denn es iſt alsdenn, nach einem ſolchen idealiſtiſchen Syſtem nur von der phyſiſchen Moͤg - lichkeit der Dinge (welche uns als Zwecke zu denken bloße Vernuͤnfteley, ohne Object, ſeyn wuͤrde) die Rede, man mag nun dieſe Form der Dinge auf den Zufall, oder blinde Nothwendigkeit deuten in beyden Faͤllen waͤre jene Frage leer. Nehmen wir aber die Zweckver - bindung in der Welt fuͤr real und fuͤr ſie eine beſondere Art der Cauſſalitaͤt, naͤmlich einer abſichtlich wir - kenden Urſache an, ſo koͤnnen wir bey der Frage nicht ſtehen bleiben: wozu Dinge der Welt (organiſirte Weſen) dieſe oder jene Form haben, in dieſe oder jene Verhaͤlt - niſſe gegen andere von der Natur geſetzt ſind, ſondern, da einmal ein Verſtand gedacht wird, der als die Ur - ſache der Moͤglichkeit ſolcher Formen angeſehen werden muß, wie ſie wirklich an Dingen gefunden werden, ſo muß auch in eben demſelben nach dem objectiven Grunde gefragt werden, der dieſen productiven Verſtand zu einer Wirkung dieſer Art beſtimmt haben koͤnne, welcher dann der Endzweck iſt, wozu dergleichen Dinge da ſind.

Jch habe oben geſagt: daß der Endzweck kein Zweck ſey, welchen zu bewirken und der Jdee deſſelben*)bleibt alſo wohl nichts uͤbrig, als der Werth, den wir unſerem Leben ſelbſt geben, durch das, was wir nicht allein thun, ſondern auch ſo unabhaͤngig von der Natur zweckmaͤßig thun, daß ſelbſt die Exiſtenz der Natur nur unter dieſer Bedingung Zweck ſeyn kann.393II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.gemaͤs hervorzubringen die Natur hinreichend waͤre, weil er unbedingt iſt. Denn es iſt nichts in der Natur, (als einem Sinnenweſen) wozu der in ihr ſelbſt befind - liche Beſtimmungsgrund nicht immer wiederum bedingt waͤre und dieſes gilt nicht blos von der Natur außer uns (der materiellen) ſondern auch in uns (der denkenden), wohl zu verſtehen, daß ich in mir nur das betrachte was Natur iſt. Ein Ding aber was nothwendig, ſeiner ob - jectiven Beſchaffenheit wegen, als Endzweck einer ver - ſtaͤndigen Urſache exiſtiren ſoll, muß von der Art ſeyn, daß es in der Ordnung der Zwecke von keiner anderwei - tigen Bedingung, als blos ſeiner Jdee, abhaͤngig iſt.

Nun haben wir nur eine einzige Art Weſen in der Welt, deren Cauſſalitaͤt teleologiſch, d. i. auf Zwecke ge - richtet und doch zugleich ſo beſchaffen iſt, daß das Geſetz, nach welchem ſie ſich Zwecke zu beſtimmen haben, von ihnen ſelbſt als unbedingt und von Naturbedingungen unabhaͤngig, an ſich aber als nothwendig vorgeſtellt wird. Das Weſen dieſer Art iſt der Menſch, aber als Noumenon betrachtet; das einzige Naturweſen, an wel - chem wir doch ein uͤberſinnliches Vermoͤgen (die Frey - heit) und ſogar das Geſetz der Cauſſalitaͤt, ſamt dem Objecte derſelben, welches es ſich als hoͤchſten Zweck vor - ſetzen kann (das hoͤchſte Gut in der Welt) von Seiten ſeiner eigenen Beſchaffenheit erkennen koͤnnen.

Von dem Menſchen nun, (und ſo jedem vernuͤnfti - gen Weſen in der Welt) als einem moraliſchen Weſen,B b 5394II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.kann nicht weiter gefragt werden: wozu (quem in finem) er exiſtire. Sein Daſeyn hat den hoͤchſten Zweck ſelbſt in ſich, dem, ſo viel er vermag, er die ganze Natur unter - werfen kann, wenigſtens welchem zuwider er ſich keinem Einfluſſe der Natur unterworfen halten darf. Wenn nun Dinge der Welt, als ihrer Ex[i]ſtenz nach, abhaͤngige Weſen, einer nach Zwecken handelnden oberſten Urſache beduͤrfen, ſo iſt der Menſch der Schoͤpfung Endzweck; denn ohne dieſen waͤre die Kette der einander untergeord - neten Zwecke nicht vollſtaͤndig gegruͤndet und nur im Menſchen, aber auch in dieſem nur als Subjecte der Moralitaͤt, iſt die unbedingte Geſetzgebung in Anſehung der Zwecke anzutreffen, welche ihn alſo allein faͤhig macht Endzweck zu ſeyn, dem die ganze Natur teleologiſch un - tergeordnet iſt. *)Es waͤre moͤglich, daß Gluͤckſeeligkeit der vernuͤnftigen Weſen in der Welt ein Zweck der Natur waͤre und als - denn waͤre ſie auch ihr letzter Zweck; wenigſtens kann man a priori nicht einſehen, warum die Natur nicht ſo eingerichtet ſeyn ſollte, weil durch ihren Mechanism dieſe Wirkung, wenigſtens ſo viel wir einſehen, wohl moͤglich waͤre. Aber Moralitaͤt und eine ihr untergeordnet[e]Cauſſalitaͤt nach Zwecken iſt ſchlechterdings durch Natu[r]- urſachen unmoͤglich; denn das Princip ihrer Beſtimmung zum handeln iſt uͤberſinnlich, iſt alſo das einzige Moͤgliche in der Ordnung der Zwecke, was in Anſehung der Natur ſchlechthin unbedingt iſt und ihr Subject dadurch zum Endzwecke der Schoͤpfung, dem die ganze Natur unter - geordnet iſt, allein qualificirt. Gluͤckſeeligkeit dagegen iſt, wie im vorigen §. nach dem Zeugnis der Erfahrung

395II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 85. Von der Phyſicotheologie.

Die Phyſicotheologie iſt der Verſuch der Vernunft aus den Zwecken der Natur, (die nur empiriſch erkannt werden koͤnnen) auf die oberſte Urſache der Natur und ihre Eigenſchaften zu ſchließen. Eine Moraltheologie (Ethicotheologie) waͤre der Verſuch aus dem moraliſchen Zwecke vernuͤnftiger We - ſen in der Natur, (der a priori erkannt werden kann) auf jene Urſache und ihre Eigenſchaften zu ſchließen.

*)gezeigt worden, nicht einmal ein Zweck der Natur in Anſehung des Menſchen, mit einem Vorzuge vor anderen Geſchoͤpfen, weit gefehlt, daß ſie ein Endzweck der Schoͤpfung ſeyn ſollte. Menſchen moͤgen ſie ſich immer zu ihrem letzten ſubjectiven Zwecke machen, wenn ich aber nach dem Endzwecke der Schoͤpfung frage: Wozu haben Menſchen exiſtiren muͤſſen? ſo iſt von einem objectiven oberſten Zwecke die Rede, wie ihn die hoͤchſte Vernunft zu ihrer Schoͤpfung erfordern wuͤrde. Antwortet man nun darauf: damit Weſen exiſtiren, denen jene oberſte Urſache wohlthun koͤnne, ſo widerſpricht man der Bedingung, der die Vernunft des Menſchen ſelbſt ſeinen innigſten Wunſch der Gluͤckſeeligkeit unterwirft (naͤmlich die Uebereinſtim - mung mit ſeiner eigenen inneren moraliſchen Geſetzge - bung). Dies beweiſet: daß die Gluͤckſeeligkeit nur be - dingter Zweck, der Menſch alſo, nur als moraliſches We - ſen, Endzweck der Schoͤpfung ſeyn koͤnne; was aber ſei - nen Zuſtand betrift, Gluͤckſeeligkeit nur als Folge, nach Maasgabe der Uebereinſtimmung mit jenem Zwecke, als dem Zwecke ſeines Daſeyns, in Verbindung ſtehe.

396II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Die erſtere geht natuͤrlicher Weiſe vor der zweyten vorher. Denn, wenn wir von den Dingen in der Welt auf eine Welturſache teleologiſch ſchließen wollen, ſo muͤſſen Zwecke der Natur zuerſt gegeben ſeyn, fuͤr die wir nachher einen Endzweck und fuͤr dieſen dann das Princip der Cauſſalitaͤt dieſer oberſten Urſache zu ſu - chen haben.

Nach dem teleologiſchen Princip koͤnnen und muͤſſen viele Nachforſchungen der Natur geſchehen, ohne daß man nach dem Grunde der Moͤglichkeit zweckmaͤßig zu wirken, welche wir an verſchiedenen der Producte der Natur antreffen, zu fragen Urſache hat. Will man nun aber auch hievon einen Begriff haben, ſo haben wir da - zu ſchlechterdings keine weitergehende Einſicht, als blos die Maxime der reflectirenden Urtheilskraft: daß naͤm - lich, wenn uns auch nur ein einziges organiſches Pro - duct der Natur gegeben waͤre, wir, nach der Beſchaf - fenheit unſeres Erkenntnisvermoͤgens, dafuͤr keinen an - dern Grund denken koͤnnen, als den einer Urſache der Natur ſelbſt, (es ſey der ganzen Natur oder auch nur dieſes Stuͤcks derſelben) die durch Verſtand die Cauſſa - litaͤt zu demſelben enthaͤlt; ein Beurtheilungsprincip, wodurch wir in der Erklaͤrung der Naturdinge und ihres Urſprungs zwar um nichts weiter gebracht werden, die uns aber doch uͤber die Natur hinaus einige Ausſicht eroͤfnet, um den ſonſt ſo unfruchtbaren Begrif eines Urweſens vielleicht naͤher beſtimmen zu koͤnnen.

397II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Nun ſage ich: die Phyſicotheologie, ſo weit ſie auch getrieben werden mag, kann uns doch nichts von einem Endzwecke der Schoͤpfung eroͤfnen; denn ſie reicht nicht einmal bis zur Frage nach demſelben. Sie kann alſo zwar den Begrif einer verſtaͤndigen Welturſache, als einen ſubjectiv fuͤr die Beſchaffenheit unſeres Erkennt - nisvermoͤgens allein tauglichen Begrif von der Moͤg - lichkeit der Dinge, die wir uns nach Zwecken verſtaͤnd - lich machen koͤnnen, rechtfertigen, aber dieſen Begrif weder in theoretiſcher noch practiſcher Abſicht weiter be - ſtimmen; und ihr Verſuch erreicht ſeine Abſicht nicht, eine Theologie zu gruͤnden, ſondern ſie bleibt immer nur eine phyſiſche Teleologie; weil die Zweckbeziehung in ihr im - mer nur als in der Natur bedingt betrachtet wird und werden muß, mithin den Zweck, wozu die Natur ſelbſt exiſtirt, (dazu der Grund auſſer der Natur geſucht werden muß) gar nicht einmal in Anfrage bringen kann, auf deſſen beſtimmte Jdee gleichwohl der beſtimmte Begrif jener oberen verſtaͤndigen Welturſache, mithin die Moͤg - lichkeit einer Theologie, ankommt.

Wozu die Dinge in der Welt einander nutzen, wo - zu das Mannigfaltige in einem Dinge fuͤr dieſes Ding ſelbſt gut iſt, wie man ſogar Grund habe anzunehmen, daß nichts in der Welt umſonſt, ſondern alles irgend wozu in der Natur, unter der Bedingung, daß gewiſſe Dinge (als Zwecke) exiſtiren ſollten, gut ſey, wobey mithin unſere Vernunft fuͤr die Urtheilskraft kein ande -398II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.res Princip der Moͤglichkeit des Objects ihrer unvermeid - lichen teleologiſchen Beurtheilung in ihrem Vermoͤgen hat, als das, den Mechanism der Natur der Archite - ctonick eines verſtaͤndigen Welturhebers unterzuordnen: das alles leiſtet die teleologiſche Weltbetrachtung ſehr herrlich und zur aͤußerſten Bewunderung. Weil aber die Data, mithin die Principien jenen Begrif einer intelligenten Welturſache (als hoͤchſten Kuͤnſ[t]lers) zu beſtimmen, blos empiriſch ſind, ſo laſſen ſie auf keine Eigenſchaften weiter ſchließen, als uns die Erfahrung an den Wirkungen derſelben offenbahrt, welche, da ſie nie die geſammte Natur als Syſtem befaſſen kann, oft auf, (dem Anſcheine nach) jenem Begriffe und unter einander widerſtreitende Beweisgruͤnde ſtoßen muß, nie - mals aber, wenn wir gleich vermoͤgend waͤren auch das ganze Syſtem, ſofern es bloße Natur betrift, empiriſch zu uͤberſchauen, uns, uͤber die Natur, zu dem Zwecke ihrer Exiſtenz ſelber, und dadurch zum beſtimmten Be - griffe jener obern Jntelligenz, erheben koͤnnen.

Wenn man ſich die Aufgabe, um deren Aufloͤſung einer Phyſicotheologie zu thun iſt, klein macht, ſo ſcheint ihre Aufloͤſung leicht. Verſchwendet man naͤmlich den Begrif von einer Gottheit an jedes von uns gedach - tes verſtaͤndiges Weſen, deren es eines oder mehrere geben mag, das viel und ſehr große, aber eben nicht alle Eigenſchaften habe, die zu Gruͤndung einer mit dem groͤßtmoͤglichen Zwecke uͤbereinſtimmenden Natur399II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.uͤberhaupt erforderlich ſind: oder haͤlt man es fuͤr nichts, in einer Theorie den Mangel deſſen, was die Beweis - gruͤnde leiſten, durch willkuͤhrliche Zuſaͤtze zu ergaͤnzen, und, wo man nur Grund hat viel Vollkommenheit anzunehmen (und was iſt viel fuͤr uns?) ſich da befugt haͤlt alle moͤgliche vorauszuſetzen, ſo macht die phy - ſiſche Teleologie wichtige Anſpruͤche auf den Ruhm eine Theologie zu begruͤnden. Wenn aber verlangt wird an - zuzeigen: was uns denn antreibe und uͤberdem berech - tige jene Ergaͤnzungen zu machen, ſo werden wir in den Principien des theoretiſchen Gebrauchs der Vernunft, welcher durchaus verlangt, zu Erklaͤrung eines Objects der Erfahrung dieſem nicht mehr Eigenſchaften beyzule - gen, als empiriſche Data zu ihrer Moͤglichkeit anzutref - fen ſind, vergeblich Grund zu unſerer Rechtfertigung ſuchen, und bey naͤherer Pruͤfung ſehen, daß eigentlich eine Jdee von einem hoͤchſten Weſen, die auf ganz ver - ſchiedenen Vernunftgebrauch (den practiſchen) beruht, in uns a priori zum Grunde liege, welche uns antreibt, die mangelhafte Vorſtellung einer phyſiſchen Theologie, von dem Urgrunde der Zwecke in der Natur, bis zum Begriffe einer Gottheit zu ergaͤnzen, und wir wuͤrden uns nicht faͤlſchlich einbilden, dieſe Jdee, mit ihr aber eine Theologie, durch den theoretiſchen Vernunftgebrauch der phyſiſchen Weltkenntnis zu Stande gebracht, viel we - niger ihre Realitaͤt bewieſen zu haben.

400II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Man kann es den Alten nicht ſo hoch zum Tadel an - rechnen, wenn ſie entweder ihre Goͤtter ſich als, theils ihrem Vermoͤgen, theils den Abſichten und Willensmey - nungen nach, ſehr mannigfaltig verſchieden, alle aber, ſelbſt ihr Oberhaupt nicht ausgenommen, noch immer auf menſchliche Weiſe eingeſchraͤnkt dachten. Denn wenn ſie die Einrichtung und den Gang der Dinge in der Natur betrachteten, ſo fanden ſie zwar Grund genug etwas mehr als Mechaniſches zur Urſache derſelben an - zunehmen und Abſichten gewiſſer oberer Urſachen, die ſie nicht anders als uͤbermenſchlich denken konnten, hinter dem Maſchinenwerk dieſer Welt zu vermuthen. Weil ſie aber das Gute und Boͤſe, das Zweckmaͤßige und Zweck - widrige in ihr, wenigſtens fuͤr unſere Einſicht, ſehr gemiſcht antrafen und ſich nicht erlauben konnten ins ge - heim dennoch zum Grunde liegende weiſe und wohlthaͤ - tige Zwecke, von denen ſie doch den Beweis nicht ſahen, zum Behuf der willkuͤhrlichen Jdee eines einigen hoͤchſt - vollkommenen Urhebers anzunehmen, ſo konnte ihr Ur - theil von der oberſten Welturſnche ſchwerlich anders aus - fallen, ſo fern ſie naͤmlich nach Maximen des blos theo - retiſchen Gebrauchs der Vernunft ganz conſequent ver - fuhren. Andere die als Phyſicker zugleich Theologen ſeyn wollten, dachten Befriedigung fuͤr die Vernunft darin zu finden, daß ſie fuͤr die abſolute Einheit des Princips der Naturdinge, welche die Vernunft fordert, vermittelſt der Jdee von einem Weſen ſorgten, in wel -chem,401II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.chem, als alleiniger Subſtanz, jene insgeſamt nur in - haͤrirende Beſtimmungen waͤren, die zwar nicht, durch Verſtand, Urſache der Welt, in der aber doch, als Sub - ject, aller Verſtand der Weltweſen anzutreffen waͤre, welches zwar nicht nach Zwecken etwas hervorbraͤchte, in welchem aber doch alle Dinge, wegen der Einheit des Subjects, von dem ſie blos Beſtimmungen ſind, auch ohne Zweck und Abſicht nothwendig ſich auf einander zweckmaͤßig beziehen mußten, und ſo den Jdealism der Endurſachen einfuͤhreten: indem ſie die ſo ſchwer heraus - zubringende Einheit einer Menge zweckmaͤßig verbunde - ner Subſtanzen, ſtatt der Cauſſalabhaͤngigkeit von einer, in die der Jnhaͤrenz in einer verwandelten; welches Syſtem in der Folge, von Seiten der inhaͤri - renden Weltweſen betrachtet, als Pantheism, von Seiten des allein ſubſiſtirenden Subjects, als Urweſens, (ſpaͤterhin) als Spinozism, nicht ſowohl die Frage vom erſten Grunde der Zweckmaͤßigkeit der Natur aufloͤ - ſete, als ſie vielmehr fuͤr nichtig erklaͤrte, indem der letz - tere Begrif, aller ſeiner Realitaͤt beraubt zur bloßen Misdeutung eines allgemeinen ontologiſchen Begrifs von einem Dinge uͤberhaupt gemacht wurde.

Nach blos theoretiſchen Principien des Vernunft - gebrauchs (worauf die Phyſicotheologie ſich allein gruͤn - det) kann alſo niemals der Begrif einer Gottheit, der fuͤr unſere teleologiſche Beurtheilung der Natur zureichte, herausgebracht werden. Denn wir erklaͤren entwederKants Crit. d. Urtheilskr. C c402II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.alle Teleologie fuͤr bloße Taͤuſchung der Urtheilskraft in der Beurtheilung der Cauſſalverbindung der Dinge und fluͤchten uns zu dem alleinigen Princip eines bloßen Me - chanismus der Natur, welche, wegen der Einheit der Subſtanz, von der ſie nichts als das Mannigfaltige ſei - ner Beſtimmungen ſey, uns eine allgemeine Beziehung auf Zwecke zu enthalten blos ſcheine: oder, wenn wir ſtatt dieſes Jdealisms der Endurſachen, dem Grundſatze des Realisms dieſer beſondern Art der Cauſſalitaͤt an - haͤnglich bleiben wollen, ſo moͤgen wir viele verſtaͤndige Urweſen, oder nur ein einiges, den Natnrzwecken unter - legen, ſo bald wir zu Begruͤndung des Begrifs von demſelben nichts als Erfahrungsprincipien, von der wirklichen Zweckverbindung in der Welt hergenommen, zur Hand haben, ſo koͤnnen wir einerſeits wider die Mis - helligkeit, die die Natur in Anſehung der Zweckeinheit in vielen Beyſpielen aufſtellt, keinen Rath finden, an - drerſeits den Begrif einer einigen intelligenten Urſache, ſo wie wir ihn, durch bloße Erfahrung berechtigt, her - ausbringen, niemals fuͤr irgend eine, auf welche Art es auch ſey, (theoretiſch oder practiſch) brauchbare Theolo - gie beſtimmt genug, daraus ziehen.

Die phyſiſche Teleologie treibt uns zwar an eine Theologie zu ſuchen, aber kann keine hervorbringen, ſo weit wir auch der Natur durch Erfahrung nachſpuͤhren und der in ihr entdeckten Zweckverbindung, durch Ver - nunftideen (die zu phyſiſchen Aufgaben theoretiſch ſeyn403II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.muͤſſen), zu Huͤlfe kommen moͤgen. Was hilfts, wird man mit Recht klagen: daß wir allen dieſen Einrichtun - gen einen großen, einen fuͤr uns unermeslichen Verſtand zum Grunde legen und ihn dieſe Welt nach Abſichten anordnen laſſen, wenn uns die Natur von der Endab - ſicht nichts ſagt, noch jemals ſagen kann, ohne welche wir uns doch keinen gemeinſchaftlichen Beziehungspunct aller dieſer Naturzwecke, kein hinreichendes teleologiſches Princip machen koͤnnen, theils die Zwecke insgeſammt in einem Syſtem zu erkennen, theils uns von dem oberſten Verſtande, als Urſache einer ſolchen Natur, einen Be - grif zu machen, der unſerer uͤber ſie teleologiſch reflecti - renden Urtheilskraft zum Richtmaaße dieneu koͤnnte? Jch haͤtte alsdenn zwar einen Kunſtverſtand, fuͤr zerſtreute Zwecke, aber keine Weisheit, fuͤr einen Endzweck, der doch eigentlich den Beſtimmungsgrund von jenem enthalten muß. Jn Ermangelung aber eines Endzwecks, den nur die reine Vernunft a priori an die Hand geben kann, (weil alle Zwecke in der Welt empi - riſch bedingt ſind, und nichts, als was hiezu oder dazu, als zufaͤlliger Abſicht, nicht was ſchlechthin gut iſt, ent - halten koͤnnen) und der mich allein lehren wuͤrde: welche Eigenſchaften, welchen Grad und welches Verhaͤltnis der oberſten Urſache zur Natur ich mir zu denken habe um dieſe als teleologiſches Syſtem zu beurtheileu: wie und mit welchem Rechte darf ich da meinen ſehr einge - ſchraͤnkten Begrif von jenem urſpruͤnglichen Verſtande,C c 2404II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.den ich auf meine geringe Weltkenntnis gruͤnden kann, von der Macht dieſes Urweſens ſeine Jdeen zur Wirk - lichkeit zu bringen, von ſeinem Willen es zu thun u. ſ. w. nach Belieben erweitern und bis zur Jdee eines allweiſen unendlichen Weſens ergaͤnzen, welches, wenn es theore - tiſch geſchehen ſollte, in mir ſelbſt Allwiſſenheit voraus - ſetzen wuͤrde, um die Zwecke der Natur in ihrem ganzen Zuſammenhange einzuſehen und noch oben ein alle an - dere moͤgliche Plane denken zu koͤnnen, mit denen in Vergleichung der Gegenwaͤrtige als der beſte mit Grunde beurtheilt werden muͤßte. Denn, ohne dieſe vollendete Kenntnis der Wirkung, kann ich auf keinen beſtimmten Begrif von der oberſten Urſache, der nur in dem von einer in allem Betracht unendlichen Jntelligenz, d. i. dem Begriffe einer Gottheit, angetroffen werden kann, ſchlie - ßen und eine Grundlage zur Theologie zu Stande bringen.

Wir koͤnnen alſo, bey aller moͤglichen Erweiteruug der phyſiſchen Teleologie, nach dem oben angefuͤhrten Grundſatze, wohl ſagen: daß wir, nach der Beſchaffen - heit und den Principien unſeres Erkenntnisvermoͤgens, die Natur in ihren uns bekannt gewordenen zweckmaͤßi - gen Anordnungen, nicht anders als das Product eines Verſtandes, dem dieſe unterworfen iſt, denken koͤnnen; ob aber dieſer Verſtand mit dem Ganzen derſelben und deſſen Hervorbringung noch eine Endabſicht gehabt haben moͤge, (die alsdenn nicht in der Natur der Sinnenwelt405II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.liegen wuͤrde) das kann uns die theoretiſche Naturfor - ſchung nie eroͤfnen, ſondern es bleibt, bey aller Kenntnis derſelben, unausgemacht, ob jene oberſte Urſache uͤberall nach einem Endzwecke und nicht vielmehr durch einen von der bloßen Nothwendigkeit ſeiner Natur zu Hervor - bringung gewiſſer Formen beſtimmten Verſtand, (nach der Analogie mit dem was wir bey den Thieren den Kunſtinſtinct nennen) Urgrund derſelben ſey, ohne daß es noͤthig ſey ihr darum auch nur Weisheit, viel weni - ger hoͤchſte und mit allen andern zur Vollkommenheit ihres Products erforderlichen Eigenſchaften verbundene Weisheit, beyzulegen.

Alſo iſt Phyſicotheologie eine misverſtandene phyſi - ſche Teleologie, nur als Vorbereitung (Propaͤdevtik) zur Theologie brauchbar, und nur durch Hinzukunft eines anderweitigen Princips, auf das ſie ſich ſtuͤtzen kann, nicht aber an ſich ſelbſt, wie ihr Nahme es anzeigen will, zu dieſer Abſicht zureichend.

§. 86. Von der Ethicotheologie.

Es iſt ein Urtheil, deſſen ſich ſelbſt der gemeinſte Verſtand nicht entſchlagen kann, wenn er uͤber das Da - ſeyn der Dinge in der Welt und die Exiſtenz der Welt ſelbſt nachdenkt: daß naͤmlich alle die mannigfaltige Ge - ſchoͤpfe, von ſo großer Kunſteinrichtung und ſo mannig - faltigen zweckmaͤßig auf einander bezogenen Zuſammen -C c 3406II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.hange ſie auch ſeyn moͤgen, ſelbſt das Ganze ſo viele Syſteme derſelben, die wir unrichtiger Weiſe Welten nennen, zu nichts da ſeyn wuͤrden, wenn es in ihnen nicht Menſchen (vernuͤnftige Weſen uͤberhaupt) gaͤbe: d. i. daß, ohne den Menſchen, die ganze Schoͤpfung umſonſt und ohne Endzweck ſeyn wuͤrde. Es iſt aber auch nicht das Erkenntnisvermoͤgen deſſelben (theoreti - ſche Vernunft), worauf in Beziehung das Daſeyn alles uͤbrigen in der Welt allererſt ſeinen Werth bekommt, nicht etwa damit irgend wer da ſey, welcher die Welt betrachten koͤnne. Denn, wenn dieſe Weltbetrachtung ihm doch nichts als Dinge ohne Endzweck vorſtellig machte, ſo kann daraus, daß ſie erkannt wird, dem Da - ſeyn derſelben kein Werth erwachſe. : und man muß ſchon einen Endzweck derſelben vorausſetzen, in Beziehung auf welchen die Weltbetrachtung ſelbſt einen Werth habe. Auch iſt es nicht das Gefuͤhl der Luſt und der Summe derſelben, worauf in Beziehung wir einen Endzweck der Schoͤpfung als gegeben denken, d. i. nicht das Wohl - ſeyn, der Genuß (er ſey koͤrperlich oder geiſtig) mit einem Worte die Gluͤckſeeligkeit, wornach wir jenen ab - ſoluten Werth ſchaͤtzen. Denn daß, wenn der Menſch da iſt, er dieſe ihm ſelbſt zur Endabſicht macht, giebt keinen Begrif, wozu er dann uͤberhanpt da ſey und wel - chen Werth er, der Menſch, dann ſelbſt habe, um ihm ſeine Exiſtenz augenehm zu machen. Er muß alſo ſchon als Endzweck der Schoͤpfung vorausgeſetzt werden, um407II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.einen Vernunftgrund zu haben, warum die Natur zu ſeiner Gluͤckſeeligkeit zuſammen ſtimmen muͤſſe, wenn ſie als ein abſolutes Ganzes nach Principien der Zwecke be - trachtet wird. Alſo iſt es nur das Begehrungsver - moͤgen, aber nicht dasjenige, was ihn von der Natur (durch ſinnliche Antriebe) abhaͤngig macht, nicht das, in Anſehung deſſen der Werth ſeines Daſeyns auf dem, was er empfaͤngt und genießt, beruht, ſondern der Werth, welchen er allein ſich ſelbſt geben kann und in dem beſteht was er thut, wie und nach welchen Principien er, nicht als Naturglied, ſondern in der Freyheit ſeines Begeh - rungsvermoͤgens, handelt, d. i. ein guter Wille, dasje - nige, wodurch ſein Daſeyn allein einen abſoluten Werth und worauf in Beziehung das Daſeyn der Welt einen Endzweck haben kann.

Auch ſtimmt damit das gemeinſte Urtheil der geſun - den Menſchenvernunft vollkommen zuſammen: naͤmlich daß der Menſch nur als moraliſches Weſen ein Endzweck der Schoͤpfung ſeyn koͤnne, wenn man die Beurtheilung nur auf dieſe Frage leitet und veranlaßt ſie zu verſuchen. Was hilfts, wird man ſagen, daß dieſer Menſch ſo viel Talent hat, daß er damit ſogar ſehr thaͤtig iſt und da - durch einen nuͤtzlichen Einfluß aufs gemeine Weſen aus - uͤbt, und alſo in Verhaͤltnis, ſo wohl auf ſeine Gluͤcks - umſtaͤnde, als auch auf anderer Nutzen, einen großen Werth hat, wenn er keinen guten Willen beſitzt? Er iſt ein verachtungswuͤrdiges Object, wenn man ihn nachC c 4408II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſeinem Jnnern betrachtet, und, wenn die Schoͤpfung nicht uͤberall ohne Endzweck ſeyn ſoll, ſo muß er, der, als Menſch, auch dazu gehoͤrt, doch, als boͤſer Menſch, in einer Welt unter moraliſchen Geſetzen, dieſen gemaͤs, ſeines ſubjectiven Zwecks (der Gluͤckſeeligkeit) verluſtig gehen, als der einzigen Bedingung, unter der ſeine Exiſtenz mit dem Endzwecke zuſammen beſtehen kann.

Wenn wir nun in der Welt Zweckanordnungen an - treffen, und, wie es die Vernunft unvermeidlich fordert, die Zwecke, die es nur bedingt ſind, einem unbedingten oberſten, d. i. einem Endzwecke, unterordnen: ſo ſieht man erſtlich leicht, daß alsdenn nicht von einem Zwecke der Natur, (innerhalb derſelben) ſofern ſie exiſtirt, ſon - dern von dem Zwecke ihrer Exiſtenz mit allen ihren Ein - richtungen, mithin dem letzten Zwecke der Schoͤ - pfung die Rede ſey, und in dieſem auch eigentlich von der oberſten Bedingung, unter der allein ein Endzweck (d. i. der Beſtimmungsgrund eines hoͤchſten Verſtan - des zu Hervorbringung der Weltweſen) ſtatt finden kann.

Da wir nun den Menſchen, nur als moraliſches Weſen, fuͤr den Zweck der Schoͤpfung anerkennen: ſo haben wir erſtlich einen Grund, wenigſtens die Haupt - bedingung, die Welt als ein nach Zwecken zuſammen - hangendes Ganzes und als Syſtem von Endurſachen anzuſehen, vornehmlich aber fuͤr die, nach der Beſchaf - fenheit unſerer Vernunft, uns nothwendige Beziehung der Naturzwecke auf eine verſtaͤndige Welturſache409II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ein Princip die Natur und Eigenſchaften dieſer er - ſten Urſache, als oberſten Grundes im Reiche der Zwe - cke, zu denken und ſo den Begrif derſelben zu beſtim - men, welches die phyſiſche Teleologie nicht vermochte, die nur unbeſtimmte und eben darum, zum Theoretiſchen ſo wohl, als practiſchen Gebrauche, untaugliche Be - griffe von demſelben veranlaſſen konnte.

Aus dieſem ſo beſtimmten Princip der Cauſſalitaͤt des Urweſens werden wir es nicht blos als Jntelligenz und geſetzgebend fuͤr die Natur, ſondern auch als geſetz - gebendes Oberhaupt in einem moraliſchen Reiche der Zwecke, denken muͤſſen. Jn Beziehung auf das hoͤchſte unter ſeiner Herrſchaft allein moͤgliche Gut, naͤmlich die Exiſtenz vernuͤnftiger Weſen unter moraliſchen Ge - ſetzen, werden wir uns dieſes Urweſen als allwiſſend denken, damit ſelbſt das Jnnerſte der Geſinnungen, (welches den eigentlichen moraliſchen Werth der Hand - lungen vernuͤnftiger Weltweſen ausmacht) ihm nicht verborgen ſey, als allmaͤchtig, damit er die ganze Natur dieſem hoͤchſten Zwecke angemeſſen machen koͤnne, als allguͤtig und zugleich gerecht, weil dieſe beyde Eigenſchaften (vereinigt, die Weisheit) die Bedingun - gen der Cauſſalitaͤt einer oberſten Urſache der Welt als hoͤchſten Guts, unter moraliſchen Geſetzen, ausmachen, und ſo auch alle uͤbrige transſcendentale Eigenſchaften, als Ewigkeit, Allgegenwart u. ſ. w., die in Bezie - hung auf einen ſolchen Endzweck vorausgeſetzt werden,C c 5410II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.an demſelben denken muͤſſen. Auf ſolche Weiſe ergaͤnzt die moraliſche Teleologie den Mangel der phyſi - ſchen, und gruͤndet allererſt eine Theologie; da die letztere, wenn ſie nicht unbemerkt aus der erſte - ren borgete, ſondern conſequent verfahren ſollte, fuͤr ſich allein nichts als eine Daͤmonologie, welche kei - nes beſtimmten Begrifs faͤhig iſt, begruͤnden koͤnnte.

Aber das Princip der Beziehung der Welt, wegen der moraliſchen Zweckbeſtimmung gewiſſer Weſen in der - ſelben, auf eine oberſte Urſache, als Gottheit, thut die - ſes nicht blos dadurch, daß es den phyſiſch - teleologi - ſchen Beweisgrund ergaͤnzt, und alſo dieſen nothwendig zum Grunde legt, ſondern es iſt dazu auch fuͤr ſich hin - reichend und treibt die Aufmerkſamkeit auf die Zwecke der Natur und die Nachforſchung der hinter ihren For - men verborgen liegenden unbegreiflich großen Kunſt, um den Jdeen die die reine practiſche Vernunft herbeyſchafft, an den Naturzwecken beylaͤufige Beſtaͤtigung zu geben. Denn der Begrif von Weltweſen unter moraliſchen Ge - ſetzen iſt ein Princip a priori, wornach ſich der Menſch nothwendig beurtheilen muß. Daß ferner, wenn es uͤberall eine abſichtlich wirkende und auf einen Zweck ge - richtete Welturſache giebt, jenes moraliſche Verhaͤltnis eben ſo nothwendig die Bedingung der Moͤglichkeit einer Schoͤpfung ſeyn muͤſſe, als das nach phyſiſchen Geſetzen: wenn naͤmlich jene verſtaͤndige Urſache auch einen End - zweck hat, ſieht die Vernunft, auch a priori, als einen411II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.fuͤr ſie zur teleologiſchen Beurtheilung der Exiſtenz der Dinge nothwendigen Grundſatz an. Nun kommt es nur darauf an; ob wir irgend einen fuͤr die Vernunft (es ſey die ſpeculative oder practiſche) hinreichenden Grund haben, der nach Zwecken handelnden oberſten Urſache einen Endzweck beyzulegen. Denn daß alsdann dieſer, nach der ſubjectiven Beſchaffenheit unſerer Ver - nunft und ſelbſt wie wir uns auch die Vernunft anderer Weſen nur immer denken moͤgen, kein anderer als der Menſch unter moraliſchen Geſetzen ſeyn koͤnne, kann a priori fuͤr uns als gewis gelten, da hingegen die Zwe - cke der Natur in der phyſiſchen Ordnung a priori gar nicht koͤnnen erkannt, vornehmlich, daß eine Natur ohne ſolche nicht exiſtiren koͤnne, auf keine Weiſe einge - ſehen werden kann.

Anmerkung.

Setzet einen Menſchen in den Augenblicken der Stim - mung ſeines Gemuͤths zur moraliſchen Empfindung. Wenn er ſich, umgeben von einer ſchoͤnen Natur, in einem ruhi - gen heitern Genuſſe ſeines Daſeyns befindet, ſo fuͤhlt er in ſich ein Beduͤrfnis irgend jemand dafuͤr dankbar zu ſeyn. Oder er ſehe ſich einandermal in derſelben Gemuͤthsverfaſ - ſung im Gedraͤnge von Pflichten, denen er nur durch frey - willige Aufopferung Gnuͤge leiſten kann und will; ſo fuͤhlt er in ſich ein Beduͤrfnis, hiemit zugleich etwas Befohlenes ausgerichtet und einem Oberherren gehorcht zu haben: Oder er habe ſich etwa unbedachtſamer Weiſe wider ſeine Pflicht vergangen, wodurch er doch eben nicht Menſchen verantwort -412II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.lich geworden iſt, ſo werden die ſtrenge Selbſtverweiſe den - noch eine Sprache in ihm fuͤhren, als ob ſie die Stimme ei - nes Richters waͤren, dem er daruͤber Rechenſchaft abzulegen hatte. Mit einem Worte, er bedarf einer moraliſchen Jn - telligenz um fuͤr den Zweck dazu er exiſtirt ein Weſen zu ha - ben, welches darnach von ihm und der Welt die Urſache ſey. Triebfedern hinter dieſen Gefuͤhlen herauszukuͤnſteln iſt ver - geblich; denn ſie haͤngen unmittelbar mit der reinſten mora - liſchen Geſinnung zuſammen, weil Dankbarkeit, Gehor - ſam und Demuͤthigung (Unterwerfung unter verdiente Zuͤchtigung) beſondere Gemuͤthsbeſtimmungen zur Pflicht ſind, und das zu Erweiterung ſeiner moraliſchen Geſinnung geneigte Gemuͤth hier ſich nur einen Gegenſtand freywillig denkt, der nicht in der Welt, iſt, um, wo moͤglich, auch gegen einen ſolchen ſeine Pflicht zu beweiſen. Es iſt alſo we - nigſtens moͤglich und auch der Grund dazu in moraliſcher Denkungsart gelegen, ein reines moraliſches Beduͤrfnis der Exiſtenz eines Weſens, unter welchem entweder unſere Sitt - lichkeit mehr Staͤrke oder auch (wenigſtens unſerer Vorſtel - lungsart nach) mehr Umfang, naͤmlich einen neuen Gegen - ſtand fuͤr ihre Ausuͤbung gewinne, d. i. ein moraliſch-geſetz - gebendes Weſen außer der Welt, ohne alle Ruͤckſicht auf theoretiſchen Beweis, noch weniger auf ſelbſtſuͤchtiges Jn - tereſſe, aus reinem moraliſchen, von allem fremden Ein - fluſſe freyen (dabey freylich nur ſubjectiven) Grunde, an - zunehmen, auf bloße Anpreiſung einer fuͤr ſich allein geſetz - gebenden reinen practiſchen Vernunft. Und, ob gleich eine ſolche Stimmung des Gemuͤths ſelten vorkaͤme, oder auch nicht lange haſtete, ſondern fluͤchtig und ohne dauernde Wir - kung, oder auch ohne einiges Nachdenken uͤber den in einem ſolchen Schattenbilde vorgeſtellten Gegenſtand und ohne Be - muͤhung ihn unter deutliche Begriffe zu bringen, voruͤber413II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ginge: ſo iſt doch der Grund dazu, die moraliſche Anlage in uns, als ſubjectives Princip ſich in der Weltbetrachtung mit ihrer Zweckmaͤßigkeit durch Natururſachen nicht zu begnuͤgen, ſondern ihr eine oberſte nach moraliſchen Principien die Na - tur beherrſchende Urſache unterzulegen, unverkennbar. Wozu noch kommt, daß wir, nach einem allgemeinen hoͤch - ſten Zwecke zu ſtreben, uns durch das moraliſche Geſetz ge - drungen, uns aber doch und die geſammte Natur ihn zu er - reichen unvermoͤgend fuͤhlen, daß wir, nur ſofern wir dar - nach ſtreben, dem Endzwecke einer verſtaͤndigen Welturſache (wenn es eine ſolche gaͤbe) gemaͤß zu ſeyn urtheilen duͤrfen; und ſo iſt ein reiner moraliſcher Grund der practiſchen Ver - nunft vorhanden dieſe Urſache, (da es ohne Widerſpruch ge - ſchehen kann) anzunehmen, wo nicht mehr, doch damit wir jene Beſtrebung nicht fuͤr ganz eitel anzuſehen und dadurch ſie ermatten zu laſſen Gefahr laufen.

Mit allem ſoll hier nur ſo viel geſagt werden: daß die Furcht zwar zuerſt Goͤtter (Daͤmonen), aber die Ver - nunft, vermittelſt ihrer moraliſchen Principien, zuerſt den Begriff von Gott habe hervorbringen koͤnnen; (auch ſelbſt, wenn man in der Teleologie der Natur, wie gemeiniglich, ſehr unwiſſend, oder auch, wegen der Schwierigkeit, die einander hierin widerſprechende Erſcheinungen durch ein gnugſam bewaͤhrtes Princip auszugleichen, ſehr zweifelhaft war) und daß die innere moraliſche Zweckbeſtimmung ſei - nes Daſeyns das ergaͤnzte, was der Naturkenntnis abging, indem ſie naͤmlich anwies, zu dem Endzwecke vom Daſeyn aller Dinge, dazu das Princip nicht anders, als ethiſch, der Vernunft gnugthuend iſt, die oberſte Urſache mit Eigen - ſchaften, womit ſie die ganze Natur jener einzigen Abſicht, (zu der dieſe blos Werkzeug iſt) zu unterwerfen vermoͤgend iſt, (d. i. als eine Gottheit) zu denken.

414II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 87. Von den moraliſchen Beweiſe des Daſeyns Gottes.

Es giebt eine phyſiſche Theologie, welche ei - nen fuͤr unſere theoretiſch reflectirende Urtheilskraft hin - reichenden Beweisgrund an die Hand giebt, das Da - ſeyn einer verſtaͤndigen Welturſache anzunehmen. Wir finden aber in uns ſelbſt und, noch mehr in dem Be - griffe eines vernuͤnftigen mit Freyheit (ſeiner Cauſſa - litaͤt) begabten Weſens uͤberhaupt, auch eine morali - ſche Teleologie, die aber, weil die Zweckbeziehung in uns ſelbſt a priori, ſamt dem Geſetze derſelben, be - ſtimmt, mithin als nothwendig erkannt werden kann, zu dieſem Behuf keiner verſtaͤndigen Urſache auſſer uns fuͤr dieſe innere Geſetzmaͤßigkeit bedarf, ſo wenig, als wir bey dem, was wir in den geometriſchen Eigenſchaf - ten der Figuren (fuͤr allerley moͤgliche Kunſtausuͤbung) zweckmaͤßiges finden, auf einen ihnen dieſes ertheilen - den hoͤchſten Verſtand hinaus ſehen duͤrfen. Aber dieſe moraliſche Teleologie betrift doch uns, als Weltweſen und alſo mit andern Dingen in der Welt verbundene Weſen, auf welche letztere, entweder als Zwecke oder uns ſelbſt in Anſehung ihrer als Endzweck, unſere Beurtheilung zu richten, eben dieſelbe moraliſche Geſetze uns zur Vorſchrift machen. Von dieſer moraliſchen Te - leologie nun, welche die Beziehung unſerer eigenen415II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Cauſſalitaͤt auf Zwecke und ſogar auf einen Endzweck, der von uns in der Welt beabſichtigt werden muß, im - gleichen der wechſelſeitigen Beziehung der Welt auf jenen ſittlichen Zweck und die aͤußere Moͤglichkeit ſeiner Aus - fuͤhrung, (wozu keine phyſiſche Teleologie uns Anleitung geben kann) geht nun die nothwendige Frage aus: ob ſie unſere vernuͤnftige Beurtheilung noͤthige, uͤber die Welt hinaus zu gehen, und, zu jener Beziehung der Natur auf das Sittliche in uns, ein verſtaͤndiges ober - ſtes Princip zu ſuchen, um die Natur, auch in Bezie - hung auf die moraliſche innere Geſetzgebung und deren moͤgliche Ausfuͤhrung, uns als zweckmaͤßig vorzuſtellen. Folglich giebt es allerdings eine moraliſche Teleologie, und dieſe haͤngt mit der Nomothetick der Freyheit ei - nerſeits, und der der Natur andererſeits, eben ſo noth - wendig zuſammen, als buͤrgerliche Geſetzgebung mit der Frage, wo man die executive Gewalt ſuchen ſoll, und uͤberhaupt in allem, worin die Vernunft ein Princip der Wirklichkeit einer gewiſſen geſetzmaͤßigen, nur nach Jdeen moͤglichen Ordnung der Dinge angeben ſoll, zu - ſammenhaͤngt. Wir wollen den Fortſchritt der Ver - nunft von jener moraliſchen Teleologie und ihrer Be - ziehung auf die phyſiſche, zur Theologie allererſt vor - tragen und nachher uͤber die Moͤglichkeit und Buͤndig - keit dieſer Schlusart Betrachtungen anſtellen.

Wenn man das Daſeyn gewiſſer Dinge (oder auch nur gewiſſer Formen der Dinge) als zufaͤllig, mithin416II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.nur durch etwas Anderes, als Urſache, moͤglich an - nimmt: ſo kann man zu dieſer Cauſſalitaͤt der oberſten und alſo zu dem bedingten den unbedingten Grund ent - weder in der phyſiſchen, oder teleologiſchen Ordnung ſuchen, (nach dem nexu eſſectivo oder finali) d. i. man kann fragen: welches iſt die oberſte hervorbringende Ur - ſache, oder was iſt der oberſte (ſchlechthin unbedingte) Zweck derſelben d. i. der Endzweck ihrer Hervorbringung dieſer oder aller ihrer Producte uͤberhaupt? Wobey dann freylich vorausgeſetzt wird, daß dieſe Urſache einer Vor - ſtellung der Zwecke faͤhig, mithin ein verſtaͤndiges We - ſen ſey, oder wenigſtens von uns als nach den Geſetzen eines ſolchen Weſens handelnd vorgeſtellt werden muͤſſe.

Nun iſt, wenn man der letztern Ordnung nachgeht, es ein Grundſatz, dem ſelbſt die gemeinſte Men - ſchenvernunft unmittelbar Beyfall zu geben genoͤthigt iſt: daß, wenn uͤberall ein Endzweck, den die Ver - nunft a priori angeben muß, ſtatt finden ſoll, dieſer kein anderer, als der Menſch (ein jedes vernuͤnftige Weltweſen) unter moraliſchen Geſetzen ſeyn koͤn - ne. *)Jch ſage mit Fleiß: unter moraliſchen Geſetzen, nicht der Menſch nach moraliſchen Geſetzen, d. i. ein ſolcher, der ſich ihnen gemaͤs verhaͤlt, iſt der Endzweck der Schoͤpfung. Denn mit dem letztern Ausdrucke wuͤrden wir mehr ſagen, als wir wiſſen: naͤmlich daß es in der Gewalt eines Welt - urhebers ſtehe, zu machen, daß der Menſch den moraliſchenDenn: (ſo urtheilt ein jeder) beſtaͤnde dieWelt417II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Welt aus lauter lebloſen, oder zum Theil zwar aus leben - den, aber vernunftloſen Weſen, ſo werde das Daſeyn*)Geſetzen jederzeit ſich angemeſſen verhaͤlt, welches einen Be - grif von Freyheit und der Natur (von welcher letztern man allein einen aͤußern Urheber denken kann) vorausſetzt, der eine Einſicht in das uͤberſinnliche Subſtrat der Natur, und deſſen Einerleyheit, mit dem was die Cauſſalitaͤt durch Freyheit in der Welt moͤglich macht, enthalten mußte, die weit uͤber unſere Vernunfteinſicht hinausgeht. Nur vom Menſchen unter moraliſchen Geſetzen koͤnnen wir, ohne die Schranken unſerer Einſicht zu uͤberſchreiten ſagen: ſein Daſeyn mache der Welt Endzweck aus. Dieſes ſtimmt auch vollkommen mit dem Urtheile der moraliſch uͤber den Weltlauf reflectirenden Menſchenvernunft. Wir glauben die Spuhren einer weiſen Zweckbeziehung auch am Boͤſen wahrzunehmen, wenn wir nur ſehen, daß der frevelhalfte Boͤſewicht nicht eher ſtirbt, als bis er die wohlverſchuldete Strafe ſeiner Unthaten erlitten hat. Nach unſeren Be - griffen von freyer Cauſſalitaͤt beruht das Wohl - oder Uebel - verhalten auf uns; die hoͤchſte Weisheit aber der Weltre - gierung ſetzen wir darinn, daß zu dem erſteren die Veran - laſſung, fuͤr beydes aber der Erfolg nach moraliſchen Ge - ſetzen verhaͤngt ſey. Jn dem letzteren beſteht eigentlich die Ehre Gottes welche daher von Theologen nicht unſchicklich der letzte Zweck der Schoͤpfung genannt wird. Noch iſt anzumerken, daß wir unter dem Wort Schoͤpfung, wenn wir uns deſſen bedienen, nichts anders, als was hier geſagt worden iſt, naͤmlich die Urſache vom Daſeyu einer Welt, oder der Dinge in ihr (der Subſtanzen) verſtehen; wie das auch der eigentliche Begrif dieſes Worts mit ſich bringt, (actuatio ſubſtantiae eſt creatio), welches mithin nicht ſchon die Vorausſetzung einer freywirkenden, folglich verſtaͤndigen Ur - ſache (deren Daſeyn wir allererſt beweiſen wollen) bey ſich fuͤhrt.Kants Crit. d. Urtheilskr. D d418II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.einer ſolchen Welt gar keinen Werth haben, weil in ihr kein Weſen exiſtirte, was von einem Werthe den minde - ſten Begrif hat; waͤren dagegen auch vernuͤnftige We - ſen, deren Vernunft aber den Werth des Daſeyns der Dinge nur im Verhaͤltniſſe der Natur zu ihnen (ihrem Wohlbefinden) zu ſetzen, nicht aber ſich einen ſolchen urſpruͤnglich (in der Freyheit) ſelbſt zu verſchaffen im Stande waͤre, ſo waͤren zwar (relative) Zwecke in der Welt, aber kein (abſoluter) Endzweck; weil das Daſeyn ſolcher vernuͤnftigen Weſen doch immer zwecklos ſeyn wuͤrde. Die moraliſche Geſetze aber ſiud von der eigen - thuͤmlichen Beſchaffenheit, daß ſie etwas als Zweck ohne Bedingung, mithin gerade ſo, wie der Begrif eines End - zwecks es bedarf, fuͤr die Vernunft vorſchreiben, und die Exiſtenz einer ſolchen Vernunft, die in der Zweckbezie - hung ihr ſelbſt das oberſte Geſetz ſeyn kann, mit andern Worten die Exiſtenz vernuͤnftiger Weſen unter morali - ſchen Geſetzen, kann alſo allein als Endzweck vom Da - ſeyn einer Welt gedacht werden. Jſt dagegen dieſes nicht ſo bewandt, ſo liegt dem Daſeyn derſelben entweder gar kein Zweck in der Urſache, oder es liegen ihm Zwecke ohne Endzweck znm Grunde.

Das moraliſche Geſetz, als formale Vernunftbedin - gung des Gebrauchs unſerer Freyheit, verbindet uns fuͤr ſich allein, ohne von irgend einem Zwecke, als mate - rialer Bedingung, abzuhangen; aber es beſtimmt uns doch auch, und zwar a priori einen Endzweck, welchem419II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.nachzuſtreben es uns verbindlich macht und dieſer iſt das hoͤchſte durch Freyheit moͤgliche Gut in der Welt.

Die ſubjective Bedingung, unter welcher der Menſch (und nach allen unſern Begriffen auch jedes vernuͤnftige endliche Weſen) ſich, unter dem obigen Geſetze, einen Endzweck ſetzen kanu, iſt die Gluͤckſeeligkeit, folglich das hoͤchſte in der Welt moͤgliche und, ſo viel an uns iſt, als Endzweck zu befoͤrdernde phyſiſche Gut iſt Gluͤckſeelig - keit, unter der objectiven Bedingung, der Einſtimmung des Menſchen mit dem Geſetze der Sittlichkeit, als der Wuͤrdigkeit gluͤcklich zu ſeyn.

Dieſe zwey Erforderniſſe des uns durch das morali - ſche Geſetz aufgegebenen Endzwecks koͤnnen wir aber, nach allen unſern Vernunftvermoͤgen, als durch bloße Natururſachen verknuͤpft und der Jdee des gedachten Endzwecks angemeſſen, unmoͤglich uns vorſtellen. Alſo ſtimmt der Begrif, von der practiſchen Nothwen - digkeit eines ſolchen Zwecks durch die Anwendung un - ſerer Kraͤfte, nicht mit dem theoretiſchen Begriffe, von der phyſiſchen Moͤglichkeit der Bewirkung deſſelben, zuſammen, wenn wir mit unſerer Freyheit keine andere Cauſſalitaͤt, (eines Mittels) als die der Natur ver - knuͤpfen.

Folglich muͤſſen wir eine moraliſche Welturſache (einen Welturheber) annehmen, um uns, gemaͤs dem moraliſchen Geſetze, einen Endzweck vorzuſetzen und, ſo weit als das letztere nothwendig iſt, ſo weit (d. i. inD d 2420II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.demſelben Grade und aus demſelben Grunde) iſt auch das erſtere nothwendig anzunehmen: uaͤmlich es ſey ein Gott.

Dieſer Beweis, dem man leicht die Form der logi - ſchen Praͤciſion anpaſſen kann, will nicht ſagen: es iſt eben ſo nothwendig das Daſeyn Gottes anzunehmen, als die Guͤltigkeit des moraliſchen Geſetzes anzuerken - nen, mithin der, welcher ſich vom letztern nicht uͤber - zeugen kann, koͤnne ſich von den Verbindlichkeiten nach dem erſteren los zu ſeyn urtheilen. Nein! Nur die Beabſichtigung des durch die Befolgung des erſteren zu bewirkenden Endzwecks in der Welt (einer mit der Be - folgung moraliſcher Geſetze harmoniſch zuſammentreffen - der Gluͤckſeeligkeit vernuͤnftiger Weſen, als das hoͤchſte Weltbeſte) muͤßte alsdenn aufgegeben werden. Ein je - der Vernuͤnftige wuͤrde ſich an der Vorſchrift der Sitten immer noch als ſtrenge gebunden erkennen muͤſſen; den die Geſetze derſelben ſind formal und gebieten unbedingt, unangeſehen aller Zwecke (als der Materie des Wollens). Aber das eine Erforderniß des Endzwecks, wie ihn die praktiſche Vernunft den Weltweſen vorſchreibt, iſt ein in ſie durch ihre Natur (als endlicher Weſen) gelegter unwiderſtehlicher Zweck, den die Vernunft nur dem moraliſchen Geſetze als unverletzlicher Bedingung unterworfen, oder auch nach demſelben allgemein ge - macht wiſſen will und ſo die Befoͤrderung der Gluͤckſee -421II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ligkeit, in Einſtimmung mit der Sittlichkeit, zum End - zwecke macht. Dieſen nun, ſo viel (was die erſteren be - trift) in unſerem Vermoͤgen iſt, zu befoͤrdern, wird uns durch das moraliſche Geſetz geboten; der Ausſchlag, den dieſe Bemuͤhung hat, mag ſeyn welcher er wolle, die Er - fuͤllung der Pflicht beſteht in der Form des ernſtlichen Willens, nicht in den Mittelurſachen des Gelingens.

Geſetzt alſo: ein Menſch uͤberredete ſich, theils durch die Schwaͤche aller ſo ſehr geprieſenen ſpeculati - ven Argumente, theils durch manche in der Natur und Sittenwelt ihm vorkommende Unregelmaͤßigkeiten be - wogen, von dem Satze es ſey kein Gott; ſo wuͤrde er doch in ſeinen eigenen Augen ein Nichtswuͤrdiger ſeyn, wenn er darum die Geſetze der Pflicht fuͤr blos eingebildet, unguͤltig, unverbindlich halten und ohnge - ſcheut zu uͤbertreten beſchließen wollte. Ein ſolcher wuͤrde auch alsdenn noch, wenn er ſich in der Folge von dem, was er anfangs bezweifelt hatte, uͤberzeugen koͤnnte, mit jener Denkungsart doch immer ein Nichts - wuͤrdiger bleiben, ob er gleich ſeine Pflicht, aber aus Furcht, oder aus lohnſichtiger Abſicht, ohne pflicht - verehrende Geſinnung, der Wirkung uach ſo puͤnktlich, wie es immer verlangt werden mag, erfuͤllte; und umgekehrt, wenn er ſie als Glaͤubiger ſeinem Be - wuſtſeyn nach aufrichtig und uneigennuͤtzig befolgt und gleichwohl, ſo oft er zum Verſuche den Fall ſetzt, er koͤnnte einmal uͤberzeuget werden, es ſey kein Gott,D d 3422II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſich ſogleich von aller ſittlichen Verbindlichkeit frey glaubte, muͤßte es doch mit der innern moraliſchen Geſinnung in ihm nur ſchlecht beſtellt ſeyn.

Wir koͤnnen alſo einen rechtſchaffenen Mann an - nehmen, der ſich feſtiglich uͤberredet haͤlt: es ſey kein Gott und (weil es in Anſehung des Objects der Mo - ralitaͤt auf einerley Folge hinauslaͤuft) auch kein kuͤnf - tiges Leben; wie wird er ſeine eigene innere Zweckbe - ſtimmung durchs moraliſche Geſetz, welches er thaͤtig verehrt, beurtheilen? Er verlangt von Befolgung deſ - ſelben fuͤr ſich keinen Vortheil, weder in dieſer noch in einer andern Welt; uneigennuͤtzig will er vielmehr nur das Gute ſtiften, wozu jenes heilige Geſetz allen ſeinen Kraͤften die Richtung giebt. Aber ſein Beſtre - ben iſt begrenzt und von der Natur kann er zwar hin und wieder einen zufaͤlligen Beytritt, niemals aber eine geſetzmaͤßige und nach beſtaͤndigen Regeln (ſo wie innerlich ſeine Maximen ſind und ſeyn muͤſſen) eintreffende Zuſam - menſtimmung der Natur zu dem Zwecke erwarten, wel - chen zu bewirken er ſich doch verbunden und angetrie - ben fuͤhlt. Betrug, Gewaltthaͤtigkeit und Neid wer - den immer um ihn im Schwange geheu, ob er gleich ſelbſt redlich, friedfertig und wohlwollend iſt und die Rechtſchaffenen, die er auſſer ſich noch antrift, wer - den, nnangeſehen aller ihrer Wuͤrdigkeit gluͤcklich zu ſeyn, dennoch durch die Natur, die darauf nicht ach -423II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.tet, allen Uebeln, des Mangels, der Krankheiten und des unzeitigen Todes, gleich den uͤbrigen Thieren der Erde, unterworfen ſeyn und es auch immer bleiben, bis ein weites Grab ſie insgeſammt (redlich oder un - redlich das gilt hier gleich viel) verſchlingt und ſie, die da glauben konnten, Endzweck der Schoͤpfung zu ſeyn, in den Schlund des zweckloſen Chaos der Ma - terie zuruͤck wirft aus dem ſie gezogen waren Den Zweck alſo den dieſer Wohlgeſinnte ln Befolgung der moraliſchen Geſetze vor Augen hatte und haben ſollte, muͤßte er allerdings als unmoͤglich, aufgeben; oder will er auch hierin dem Rufe ſeiner ſittlichen inneren Beſtim - mung anhaͤnglich bleiben und die Achtung, welche das ſittliche Geſetz ihm unmittelbar zum gehorchen einfloͤßt, nicht durch die Nichtigkeit des einzigen ihrer hohen For - derung angemeſſenen idealiſchen Endzwecks ſchwaͤchen, (welches ohne einen der moraliſchen Geſinnung wieder - fahrenden Abbruch nicht geſchehen kann) ſo muß er, welches er auch gar wohl thun kann, indem es an ſich wenigſtens nicht widerſprechend iſt, in practiſcher Ab - ſicht, d. i. um ſich wenigſtens von der Moͤglichkeit des ihm moraliſch vorgeſchriebenen Endzwecks einen Begrif zu machen, das Daſeyn eines moraliſchen Weltur - hebers, d. i. Gottes, annehmen.

D d 4424II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

§. 88. Beſchraͤnkung der Guͤltigkeit des moraliſchen Beweiſes.

Die reine Vernunft, als practiſches Vermoͤgen, d. i. als Vermoͤgen den freyen Gebrauch unſerer Cauſſa - litaͤt durch Jdeen (reine Vernunftbegriffe) zu beſtimmen, enthaͤlt nicht allein im moraliſchen Geſetze ein regula - tives Princip unſerer Handlungen ſondern giebt auch dadurch zugleich ein ſubjectiv-conſtitutives, in dem Begriffe eines Obiects, welches nur Vernunft denken kann, an die Hand, das durch unſere Handlungen in der Welt nach jenem Geſetze wirklich gemacht wer - den ſoll. Die Jdee eines Endzwecks im Gebrauche der Freyheit nach moraliſchen Geſetzen hat alſo ſub - jectiv-practiſche Realitaͤt. Wir ſind a priori durch die Vernunft beſtimmt das Weltbeſte, welches in der Verbindung des groͤßten Wohls der vernuͤnftigen Welt - weſen mit der hoͤchſten Bedingung des Guten an demſelben, d. i. der allgemeinen Gluͤckſeeligkeit, mit der geſetzmaͤßigſten Sittlichkeit, beſteht, nach allen Kraͤften zu befoͤrdern. Jn dieſem Endzwecke iſt die Moͤglichkeit des einen Theils, naͤmlich der Gluͤckſeligkeit empiriſch bedingt, d. i. von der Beſchaffenheit der Na - tur, (ob ſie zu dieſem Zwecke uͤbereinſtimme oder nicht) abhaͤngig und in theoretiſcher Ruͤckſicht problematiſch, indeſſen daß der andere Theil, naͤmlich die Sittlichkeit,425II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.in Anſehung deren wir von der Naturmitwirkung frey ſind, ſeiner Moͤglichkeit nach a priori feſt ſteht und dog - matiſch gewiß iſt. Zur obiectiven theoretiſchen Realitaͤt alſo des Begrifs von dem Endzwecke vernuͤnftiger Welt - weſen wird erfordert, daß nicht allein wir einen uns a priori vorgeſetzten Endzweck haben, ſondern daß auch die Schoͤpfung, d. i. die Welt ſelbſt ihrer Exiſtenz nach einen Endzweck habe, welches, wenn es a priori bewieſen werden koͤnnte, zur ſubjektiven Rea - litaͤt des Endzwecks die objektive hinzuthun wuͤrde. Denn, hat die Schoͤpfung uͤberall einen Endzweck, ſo koͤnnen wir ihn nicht anders denken, als ſo, daß er mit dem moraliſchen (der allein den Begrif von einem Zwecke moͤglich macht) uͤbereinſtimmen muͤſſe. Nun finden wir aber in der Welt zwar Zwecke und die phyſiſche Teleolo - gie ſtellt ſie in ſolchem Maaße dar, daß, wenn wir der Vernunft gemaͤs urtheilen, wir zum Princip der Nach - forſchung der Natur zuletzt anzunehmen Grund haben, daß in der Natur gar nichts ohne Zweck ſey; allein den Endzweck der Natur ſuchen wir in ihr ſelbſt vergeblich. Dieſer kann und muß daher, ſo wie die Jdee davon nur in der Vernunft liegt, ſelbſt ſeiner objectiven Moͤglich - keit nach, nur in vernuͤnftigen Weſen geſucht werden. Die praktiſche Vernunft der letzteren aber giebt dieſen Endzweck nicht allein an, ſondern beſtimmt auch dieſen Begrif in Anſehung der Bedingungen, unter denen einD d 5426II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Endzweck der Schoͤpfung allein von uns gedacht werden kann.

Es iſt nun die Frage: ob die objektive Realitaͤt des Begrifs von einem Endzweck der Schoͤpfung nicht auch fuͤr die theoretiſche Forderungen der reinen Vernunft hin - reichend, wenn gleich nicht apodictiſch, fuͤr die beſtim - mende, doch hinreichend fuͤr die Maximen der theoretiſch - reflectirenden Urtheilskraft koͤnne dargethan werden. Dieſes iſt das mindeſte, was man der ſpeculativen Phi - loſophie anſinnen kann, die den ſittlichen Zweck mit den Naturzwecken vermittelſt der Jdee eines einzigen Zwecks zu verbinden ſich anheiſchig macht; aber auch dieſes We - nige iſt doch weit mehr, als ſie je zn leiſten vermag.

Nach dem Princip der theoretiſch-reflectirenden Ur - theilskraft wuͤrden wir ſagen: Wenn wir Grund haben, zu den zweckmaͤßigen Producten der Natur eine oberſte Urſache der Natur anzunehmen, deren Cauſſalitaͤt in An - ſehung der Wirklichkeit der letzteren (die Schoͤpfung) von anderer Art, als der zum Mechanism der Natur erfor - derlich iſt, naͤmlich als die eines Verſtandes gedacht wer - den mußte: ſo werden wir auch an dieſem Urweſen nicht blos allenthalben in der Natur Zwecke, ſondern auch ei - nen Endzweck zu denken hinreichenden Grund haben, wenn gleich nicht um das Daſeyn eines ſolchen Weſens darzuthun, doch wenigſtens (ſo wie es in der phyſiſchen Teleologie geſchah) uns zu uͤberzeugen, daß wir die Moͤglichkeit einer ſolchen Welt nicht blos nach Zwecken,427II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſondern auch nur dadurch daß wir ihrer Exiſtenz einen Endzweck unterlegen, uns begreiflich machen koͤnnen.

Allein Endzweck iſt blos, ein Begrif unſerer prakti - ſchen Vernunft und kann aus keinen Datis der Erfah - rung zu theoretiſcher Beurtheilung der Natur gefolgert, noch auf Erkenntnis derſelben bezogen werden. Es iſt kein Gebrauch von dieſem Begriffe moͤglich als lediglich fuͤr die praktiſche Vernunft nach moraliſchen Geſetzen, und der Endzweck der Schoͤpfung iſt diejenige Beſchaffenheit der Welt, die zu dem, was wir allein nach Geſetzen be - ſtimmt angeben koͤnnen, naͤmlich dem Endzwecke unſerer reinen praktiſchen Vernunft, und zwar ſo fern ſie prak - tiſch ſeyn ſoll, uͤbereinſtimmt. Nun haben wir durch das moraliſche Geſetz welches uns dieſen letztern aufer - legt in praktiſcher Abſicht, naͤmlich um unſere Kraͤfte zur Bewirkung deſſelben anzuwenden, einen Grund, die Moͤglichkeit, Ausfuͤhrbarkeit deſſelben, mithin auch, (weil ohne Beytritt der Natur zu einer in unſerer Gewalt nicht ſtehenden Bedingung derſelben, die Bewirkung deſſelben unmoͤglich ſeyn wuͤrde) eine Natur der Dinge, die dazu uͤbereinſtimmt, anzunehmen. Alſo haben wir einen mo - raliſchen Grund uns an einer Welt auch einen Endzweck der Schoͤpfung zu denken.

Dieſes iſt nun noch nicht der Schlus von der mora - liſchen Teleologie auf eine Theologie, d. i. auf das Da - ſeyn eines moraliſchen Welturhebers, ſondern nur auf einen Endzweck der Schoͤpfung der auf dieſe Art beſtimmt428II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.wird. Daß nun zu dieſer Schoͤpfung d. i. der Exiſtenz der Dinge, gemaͤs einem Endzwecke, erſtlich ein ver - ſtaͤndiges, aber zweytens nicht blos (wie zu der Moͤglich - keit der Dinge der Natur die wir als Zwecke zu beur - theilen genoͤthiget waren) ein verſtaͤndiges, ſondern ein zugleich moraliſches Weſen, als Welturheber, mit - hin ein Gott angenommen werden mußte, iſt ein zwey - ter Schlus, welcher ſo beſchaffen iſt, daß man ſieht er ſey blos fuͤr die Urtheilskraft, nach Begriffen der prak - tiſchen Vernunft, und, als ein ſolcher, fuͤr die reflekti - rende, nicht die beſtimmende, Urtheilskraft gefaͤllet. Denn wir koͤnnen uns nicht anmaaßen einzuſehen: daß, obzwar in uns die moraliſch-praktiſche Vernunft von der techniſch-praktiſchen ihren Principien nach weſent - lich unterſchieden iſt, in der oberſten Welturſache, wenn ſie als Jntelligenz angenommen wird, es auch ſo ſeyn mußte und eine beſondere und verſchiedene Art der Cauſſa - litaͤt derſelben zum Endzwecke, als blos zu Zwecken der Natur, erforderlich ſey, mithin wir an unſerm End - zweck nicht blos einen moraliſchen Grund haben ei - nen Endzweck der Schoͤpfung (als Wirkung) ſondern auch ein moraliſches Weſen als Urgrund der Schoͤ - pfung, anzunehmen. Wohl aber koͤnnen wir ſagen: daß, nach der Beſchaffenheit unſeres Ver - nunftoermoͤgens, wir uns die Moͤglichkeit einer ſolchen auf das moraliſche Geſetz und deſſen Object bezo -429II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.gene Zweckmaͤßigkeit, als in dieſem Endzwecke iſt, ohne einen Welturheber und Regierer, der zugleich moraliſcher Geſetzgeber iſt, gar nicht begreiflich machen koͤnnen.

Die Wirklichkeit eines hoͤchſten moraliſch-geſetz - gebenden Urhebers iſt alſo blos fuͤr den prakti - ſchen Gebrauch unſerer Vernunft hinreichend dar - gethan, ohne in Anſehung des Daſeyns deſſelben et - was theoretiſch zu beſtimmen, denn dieſe bedarf zur Moͤglichkeit ihres Zwecks, der uns auch ohne das durch ihre eigene Geſetzgebung aufgegeben iſt, einer Jdee, wodurch das Hindernis, aus dem Unvermoͤgen ihrer Befolgung nach dem bloßen Naturbegriffe von der Welt (fuͤr die reflectirende Urtheilskraft hin - reichend) weggeraͤumt wird und dieſe Jdee bekommt dadurch practiſche Realitaͤt, wenn ihr gleich alle Mit - tel ihr eine ſolche in theoretiſcher Abſicht, zur Erklaͤ - rung der Natur und Beſtimmung der oberſten Urſa - che zu verſchaffen, fuͤr das ſpeculative Erkenntniß gaͤnzlich abgehen. Fuͤr die theoretiſch reflectirende Ur - theilskraft bewies die phyſiſche Teleologie aus den Zwecken der Natur hinreichend eine verſtaͤndige Welt - urſache: fuͤr die practiſche bewirkt dieſes die morali - ſche durch den Begrif eines Endzwecks, den ſie in practiſcher Abſicht der Schoͤpfung beyzulegen genoͤthi - get iſt. Die objective Realitaͤt der Jdee von Gott, als moraliſchen Welturhebers, kann nun zwar nicht durch phyſiſche Zwecke allein dargethan werden;430II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.gleichwohl aber, wenn ihr Erkenntnis mit dem des moraliſchen verbunden wird, ſind jene vermoͤge der Maxime der reinen Vernunft, Einheit der Principien, ſo viel ſich thun laͤßt, zu befolgen, von großer Be - deutung, um der practiſchen Realitaͤt jener Jdee, durch die, welche ſie in theoretiſcher Abſicht fuͤr die Urtheilskraft bereit hat, zu Huͤlfe zu kommen.

Hiebey iſt nun, zu Verhuͤtung eines leicht eintre - tenden Misverſtaͤndniſſes, hoͤchſt noͤthig anzumerken: daß wir erſtlich dieſe Eigenſchaften des hoͤchſten Weſens nur nach der Analogie denken koͤnnen. Denn wie wollten wir ſeine Natur, davon uns die Erfahrung nichts aͤhnliches zeigen kann, erforſchen? Zweytens, daß wir es durch daſſelbe auch nur denken, nicht dar - nach erkennen und ſie ihm etwa theoretiſch beylegen koͤnnen; denn das waͤre fuͤr die beſtimmte Urtheilskraft in ſpeculativer Abſicht unſerer Vernunft, um, was die oberſte Welturſache an ſich ſey, einzuſehen. Hier aber iſt es nur darum zu thun, welchen Begrif wir uns, nach der Beſchaffenheit unſerer Erkenntnisver - moͤgen, von demſelben zu machen und ob wir ſeine Exiſtenz anzunehmen haben, um einem Zwecke, den uns reine practiſche Vernunft, ohne alle ſolche Vor - ausſetzung, a priori nach allen Kraͤften zu bewirken auferlegt, gleichfalls nur practiſche Realitaͤt zu ver - ſchaffen, d. i. nur eine beabſichtete Wirkung als moͤg - lich denken zu koͤnnen. Jmmerhin mag jener Begrif431II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.fuͤr die ſpeculative Vernunft uͤberſchwenglich ſeyn, auch moͤgen die Eigenſchaften, die wir dem dadurch gedachten Weſen beylegen, objectiv gebraucht, einen Anthropomorphism in ſich verbergen, die Abſicht ih - res Gebrauchs iſt auch nicht, ſeine fuͤr uns unerreich - bare Natur, ſondern uns ſelbſt und unſeren Willen darnach beſtimmen zu wollen. So wie wir eine Ur - ſache nach dem Begriffe, den wir von der Wirkung haben (aber nur in Anſehung ihrer Relation dieſer) benennen, ohne darum die innere Beſchaffenheit der - ſelben durch die Eigenſchaften, die uns von derglei - chen Urſachen einzig und allein bekannt und durch Er - fahrung gegeben werden muͤſſen innerlich beſtimmen zu wollen ſo wie wir z. B. der Seele unter an - dern auch eine vim locomotiuam beylegen, weil wirk - lich Bewegungen des Koͤrpers entſpringen, deren Ur - ſache in ihren Vorſtellungen liegt, ohne ihr darum die einzige Art, wie wir bewegende Kraͤfte kennen, (naͤmlich durch Druck, Stoß, mithin Bewegung, welche jederzeit ein ausgedehntes Weſen vorausſetzen) beylegen zu wollen: eben ſo werden wir etwas, was den Grund der Moͤglichkeit und der practiſchen Realitaͤt, d. i. der Ausfuͤhrbarkeit eines nothwendi - gen moraliſchen Endzwecks enthaͤlt, annehmen muͤſ - ſen, dieſes aber nach Beſchaffenheit der von ihm er - warteten Wirkung, uns als ein weiſes nach morali - ſchen Geſetzen die Welt beherrſchendes Weſen denken432II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.koͤnnen nnd der Beſchaffenheit unſerer Erkenntnisver - moͤgen gemaͤs, als von der Natur unterſchiedene Urſa - che der Dinge denken muͤſſen, um nur das Verhaͤltnis dieſes alle unſere Erkenntnisvermoͤgen uͤberſteigenden Weſens zum Objecte unſerer practiſchen Vernunft aus - zudruͤcken, ohne doch dadurch die einzige uus bekann - te Cauſſalitaͤt dieſer Art, naͤmlich einen Verſtand und Willen ihm darum theoretiſch beylegen, ja ſelbſt auch nur die an ihm gedachte Cauſſalitaͤt in Anſehung deſ - ſen, was fuͤr uns Endzweck iſt, als in dieſem We - ſen ſelbſt von der Cauſſalitaͤt in Anſehung der Natur (und deren Zweckbeſtimmungen uͤberhaupt) objectiv unterſcheiden zu wollen, ſondern dieſen Unterſchied nur als ſubjectiv nothwendig, fuͤr die Beſchaffenheit unſe - res Erkenntnisvermoͤgens und guͤltig fuͤr die reflecti - rende, nicht fuͤr die objectiv beſtimmende Urtheilskraft, annehmen koͤnnen. Wenn es aber aufs Practiſche an - kommt, ſo iſt ein ſolches regulatives Princip (fuͤr die Klugheit oder Weisheit) dem, was nach Beſchaffenheit unſerer Erkenntnisvermoͤgen von uns auf gewiſſe Weiſe allein als moͤglich gedacht werden kann, als Zwecke ge - maͤß zu handeln zugleich conſtitutiv, d. i. practiſch beſtimmend; indeſſen daß eben daſſelbe, als Princip die objective Moͤglichkeit der Dinge zu beurtheiien keines - weges theoretiſch-beſtimmend (daß naͤmlich auch dem Objekte die einzige Art der Moͤglichkeit zukomme, die un - ſerm Vermoͤgen zu denken zu kommt) ſondern ein blosregula -433II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.regulatives Princip fuͤr die reflectirende Urtheilskraft iſt.

Anmerkung.

Dieſer moraliſche Beweis iſt nicht etwa ein neu erfunde - ner, ſondern allenfalls nur ein neueroͤrterter Beweisgrund; denn er hat vor der fruͤheſten Aufkeimung des menſchlichen Vernunftvermoͤgens ſchon in demſelben gelegen und wird mit der fortgehenden Cultur deſſelben nur immer mehr entwickelt. Sobald die Menſchen uͤber Recht und Unrecht zu reflectiren anfiengen, in einer Zeit, wo ſie uͤber die Zweckmaͤßigkeit der Natur noch gleichguͤltig wegſahen, ſie nutzten, ohne ſich da - bei etwas Anderes als den gewohnten Lauf der Natur zu den - ken, mußte ſich das Urtheil unvermeidlich einfinden: daß es im Ausgange nimmermehr einerley ſeyn koͤnne, ob ein Menſch ſich redlich oder falſch, billig oder gewaltthaͤtig verhalten ha - be, wenn er gleich bis an ſein Lebensende, wenigſtens ſicht - barlich, fuͤr ſeine Tugenden kein Gluͤck, oder fuͤr ſeine Ver - brechen keine Strafe angetroffen habe. Es iſt: als ob ſie in ſich eine Stimme warnaͤhmen, es muͤſſe anders zugehen; mithin mußte auch die, obgleich dunkle Vorſtellung, von etwas dem ſie nachzuſtreben ſich verbunden fuͤhlten, verborgen liegen, womit ein ſolcher Ausſchlag ſich gar nicht zuſammenreimen laſſe, oder womit, wenn ſie den Weltlauf einmal als die ein - zige Ordnung der Dinge anſahen, ſie wiederum jene innere Zweckbeſtimmung ihres Gemuͤths nicht zu vereinigen wußten. Nun mochten ſie die Art, wie eine ſolche Unregelmaͤßigkeit (welche dem menſchlichen Gemuͤthe weit empoͤrender ſeyn muß, als der blinde Zufall, den man etwa der Naturbe - urtheilung zum Princip unterlegen wollte) ausgeglichen wer - den koͤnne, ſich auf mancherley noch ſo grobe Art vorſtellen, ſo konnten ſie ſich doch niemals ein anderes Princip der Moͤg -Kants Crit. d. Urtheilskr E e434II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.lichkeit der Vereinigung der Natur mit ihrem inneren Sit - tengeſetze erdenken, als eine nach moraliſchen Geſetzen die Welt beherrſchende oberſte Urſache, weil ein als Pflicht auf - gegebener Endzweck in ihnen, und eine Natur ohne allen Endzweck, auſſer ihnen, in welcher gleichwohl jener Zweck wirklich werden ſoll, im Widerſpruche ſtehen. Ueber die Beſchaffenheit jener Welturſache konnten ſie nun manchen Unſinn ausbruͤten; jenes moraliſche Verhaͤltnis in der Welt - regierung blieb immer daſſelbe, welches fuͤr die unangebau - teſte Vernunft, ſo fern ſie ſich als practiſch betrachtet, allge - mein faßlich iſt, mit der hingegen die ſpeculative bey weitem nicht gleichen Schritt halten kann. Auch wurde, aller Wahrſcheinlichkeit nach, durch dieſes moraliſche Jntereſſe al - lererſt die Anfmerkſamkeit auf die Schoͤnheit und Zwecke in der Natur rege gemacht, die alsdenn jene Jdee zu beſtaͤrken vortreflich diente, ſie aber doch nicht gruͤnden, noch weniger jenes entbehren konnte, weil ſelbſt die Nachforſchung der Zwecke der Natur nur in Beziehung auf den Endzweck das - jenige unmittelbare Jntereſſe bekommt, welches ſich in der Bewunderung derſelben ohne Ruͤckſicht auf irgend daraus zu ziehenden Vortheil, in ſo großem Maaße zeigt.

§. 89. Von dem Nutzen des moraliſchen Arguments.

Die Einſchraͤnkung der Vernunft, in Anſehung aller unſerer Jdeen vom Ueberſinnlichen, auf die Bedin - gungen ihres practiſchen Gebrauchs, hat, was die Jdee von Gott betrift, den unverkennbaren Nutzen: daß ſie verhuͤtet, daß Theologie ſich nicht in Theoſophie (in Vernunftverwirrende uͤberſchwengliche Begriffe) ver - ſteige, oder zur Daͤmonologie (einer anthropo -435II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.morphiſtiſchen Vorſtellungsart des hoͤchſten Weſens) herabſinke: daß Religion nicht in Theurgie (ein ſchwaͤrmeriſcher Wahn, von anderen uͤberſinnlichen We - ſen Gefuͤhl und auf ſie wiederum Einflus haben zu koͤn - nen), oder in Jdololatrie (ein aberglaͤubiſcher Wahn, dem hoͤchſten Weſen ſich durch andere Mittel, als durch eine moraliſche Geſinnung, wohlgefaͤllig machen zu koͤn - nen) gerathe. *)Abgoͤtterey im practiſchen Verſtande iſt noch immer dieje - nige Religion, welche ſich das hoͤchſte Weſen mit Eigen - ſchaften denkt, nach denen noch etwas anders, als Mora - litaͤt, die fuͤr ſich taugliche Bedingung ſeyn koͤnne, ſeinem Willen in dem was der Menſch zu thun vermag, gemaͤs zu ſeyn. Denn ſo rein und frey von ſinnlichen Bildern man auch in theoretiſcher Ruͤckſicht jenen Begrif gefaßt haben mag, ſo iſt er im practiſchen alsdann dennoch als ein Jdeal, d. i. der Beſchaffenheit ſeines Willens nach, anthromo[r]- phiſtiſch vorgeſtellt.

Denn, wenn man der Eitelkeit oder Vermeſſenheit des Vernuͤnftelns in Anſehung deſſen, was uͤber die Sinnenwelt hinausliegt, auch nur das Mindeſte theore - tiſch (und Erkenntnis erweiternd) zu beſtimmen ein - raͤumt, wenn man mit Einſichten vom Daſeyn und der Beſchaffenheit der goͤttlichen Natur, von ſeinem Ver - ſtande und Willen, den Geſetzen beyder und denen dar - aus auf die Welt abfließenden Eigenſchaften gros zu thun verſtattet, ſo moͤchte ich wohl wiſſen, wo und an welcher Stelle man die Anmaßungen der Vernunft be -E e 2gren -436II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.grenzen wolle; denn, wo jene Einſichten hergenommen ſind, eben daher koͤnnen ja noch mehrere (wenn man nur, wie man meynt, ſein Nachdenken anſtrengte) er - wartet werden. Die Begrenzung ſolcher Anſpruͤche muͤßte doch nach einem gewiſſen Princip geſchehen, nicht etwa blos aus dem Grunde, weil wir finden, daß alle Verſuche mit denſelben bisher fehlgeſchlagen ſind; denn das beweiſet nichts wider die Moͤglichkeit eines beſſeren Ausſchlags: hier aber iſt kein Princip moͤglich, als ent - weder anzunehmen: daß in Anſehung des Ueberſinn - lichen ſchlechterdings gar nichts theoretiſch (als lediglich nur negativ) beſtimmt werden koͤnne, oder daß unſere Vernunft eine noch unbenutzte Fundgrube, zu wer weiß wie großen, fuͤr uns und unſere Nachkommen aufbe - wahrten erweiternden Kenntniſſen, in ſich enthalte. Was aber Religion betrift, d. i. die Moral in Beziehung auf Gott als Geſetzgeber, ſo muß, wenn die theore - tiſche Erkenntnis deſſelben vorhergehen muͤßte, die Moral ſich nach der Theologie richten und, nicht allein, ſtatt einer inneren nothwendigen Geſetzgebung der Vernunft eine aͤußere willkuͤhrliche eines oberſten Weſens eingefuͤhrt, ſondern auch in dieſer alles, was unſere Einſicht in die Natur deſſelben Mangelhaftes hat, ſich auch auf die ſittliche Vorſchrift erſtrecken und ſo die Religion unmoraliſch machen und verkehren.

Jn Anſehung der Hofnung eines kuͤnftigen Le - bens, wenn wir, ſtatt des Endzwecks den wir, der437II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Vorſchrift des moraliſchen Geſetzes gemaͤs, ſelbſt zu vollfuͤhren haben, zum Leitfaden des Vernunfturtheils uͤber unſere Beſtimmung (welches alſo nur in practi - ſcher Beziehung als nothwendig, oder annehmungs - wuͤrdig, betrachtet wird) unſer theoretiſches Erkennt - nis-Vermoͤgen befragen, giebt die Seelenlehre in dieſer Abſicht, ſo wie oben die Theologie, nichts mehr als einen negativen Begrif von unſerm denkenden Weſen; daß naͤmlich keines ſeiner Handlungen und Er - ſcheinungen des innern Sinnes materialiſtiſch erklaͤrt werden koͤnne: daß alſo von ihrer abgeſonderten Ra - tur und der Dauer oder Nichtdauer ihrer Perſoͤnlich - keit nach dem Tode uns ſchlechterdings kein erwei - terndes beſtimmendes Urtheil aus ſpeculativen Gruͤn - den durch unſer geſammtes theoretiſches Erkenntnisver - moͤgen moͤglich ſey. Da alſo alles hier der teleologiſchen Beurtheilung unſeres Daſeyns in practiſcher nothwen - diger Ruͤckſicht und der Annehmung unſerer Fortdauer, als der zu den uns von der Vernunft ſchlechterdings auf - gegebenen Endzweck erforderlicher Bedingung, uͤberlaſ - ſen bleibt, ſo zeigt ſich hier zugleich der Nutzen (der zwar beym erſten Anblick Verluſt zu ſeyn ſcheint): daß, ſo wie die Theologie fuͤr uns nie Theoſophie werden kann, die rationale Pſychologie niemals Pnevmatologie[al]s erweiternde Wiſſenſchaften werden koͤnne, ſo wie ſie an - derſeits auch geſichert iſt, in keinen Materialis[m]zu verfallen; ſondern daß ſie vielmehr blos Anthropolo -E e 3438II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.gie des innern Sinnes, d. i. Kenntnis unſeres denken - den Selbſt im Leben ſey und als theoretiſches Erkennt - nis auch blos empiriſch bleibe, dagegen die rationale Pſychologie, was die Frage uͤber unſere ewige Exiſtenz betrift, gar keine theoretiſche Wiſſenſchaft iſt, ſondern auf einem einzigen Schluſſe der moraliſchen Teleologie be - ruht, wie denn auch ihr ganzer Gebrauch, blos der letz - tern als unſerer practiſchen Beſtimmung wegen, noth - wendig iſt.

§. 90. Von der Art des Fuͤrwarhaltens in einem moraliſchen Beweiſe des Daſeyns Gottes.

Zuerſt wird zu jedem Beweiſe, er mag (wie bey dem durch Beobachtung des Gegenſtandes oder Experiment) durch unmittelbare empiriſche Darſtellung deſſen, was bewieſen werden ſoll, oder durch Vernunft a priori aus Principien gefuͤhrt werden erfordert: daß er nicht uͤber - rede ſondern uͤberzeuge oder wenigſtens auf Ueber - zeugung wirke d. i. daß der Beweisgrund, oder der Schlus, nicht ein blos ſubjectiver (aͤſthetiſcher) Beſtim - mungsgrund des Beyfalls (bloßer Schein), ſondern ob - jektivguͤltig und ein logiſcher Grund der Erkentnis ſey; denn ſonſt wird der Verſtand beruͤckt aber nicht uͤberfuͤhrt. Von jener Art eines Scheinbeweiſes iſt derjenige, wel - cher vielleicht in guter Abficht, aber doch mit vorſetzli -439II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.cher Verheelung ſeiner Schwaͤche, in der natuͤrlichen Theo - logie gefuͤhrt wird, wenn man die große Menge der Be - weisthuͤmer eines Urſprungs der Naturdinge nach dem Princip der Zwecke herbeyzieht und ſich den blos ſubjecti - ven Grund der menſchlichen Vernunft zu Nutze macht, naͤmlich den ihr eigenen Hang, wo es nur ohne Wider - ſpruch geſchehen kann, ſtatt vieler Principien ein einzi - ges und, wo in dieſem Princip nur einige oder auch viele Erforderniſſe zur Beſtimmung eines Begrifs angetroffen werden, die uͤbrigen hinzuzudenken, um den Begrif des Dinges durch willkuͤhrliche Ergaͤnzung zu vollenden. Denn freylich, wenn wir ſo viele Producte in der Natur antreffen, die fuͤr uns Anzeigen einer verſtaͤndigen Ur - ſache ſind, warum ſollen wir ſtatt vieler ſolcher Urſachen nicht lieber eine einzige und zwar an dieſer nicht etwa blos großen Verſtand, Macht u. ſ. w. ſondern nicht viel - mehr Allweisheit, Allmacht, mit einem Worte ſie als eine ſolche die den fuͤr alle moͤgliche Dinge zureichenden Grund ſolcher Eigenſchaften enthalte, denken und uͤber das dieſem einigen alles vermoͤgenden Urweſen, nicht blos fuͤr die Naturgeſetze und Producte Verſtand, ſon - dern auch als moraliſchen Welturſache hoͤchſte ſittliche practiſche Vernunft beylegen; da durch dieſe Vollendung des Begrifs ein fuͤr Natureinſicht ſo wohl als moraliſche Weisheit zuſammen hinreichendes Princip angegeben wird und kein nur einigermaaßen gegruͤndeter Einwurf wider die Moͤglichkeit einer ſolchen Jdee gemacht werdenE e 4440II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.kann. Werden hiebey nun zugleich die moraliſche Trieb - federn des Gemuͤths in Bewegung geſetzt und ein lebhaftes Jntereſſe der letzteren mit redneriſcher Staͤrke (deren ſie auch wohl wuͤrdig ſind) hinzugefuͤgt, ſo entſpringt dar - aus eine Ueberredung von der objectiven Zulaͤnglichkeit des Beweiſes und ein (in den meiſten Faͤllen ſeines Ge - brauchs) auch heilſamer Schein, der aller Pruͤfung der logiſchen Schaͤrfe deſſelben ſich ganz uͤberhebt und ſogar dawider, als ob ihr ein frevelhafter Zweifel zum Grunde laͤge, Abſcheu und Widerwillen traͤgt Nun iſt hier wider wohl nichts zu ſagen, ſo fern man auf populaͤre Brauchbarkeit eigentlich Ruͤckſicht nimmt. Allein, da doch die Zerfaͤllung deſſelben in die zwey ungleichartige Stuͤcke, die dieſes Argument enthaͤlt, naͤmlich in das, was zur phyſiſchen und das, was zur moraliſchen Teleo - logie gehoͤrt, nicht abgehalten werden kann und darf, indem die Zuſammenſchmelzung beyder es unkenntlich macht, wo der eigentliche Nerve des Beweiſes liege und an welchem Theile und wie er mußte bearbeitet werden, um fuͤr die Guͤltigkeit deſſelben vor der ſchaͤrfſten Pruͤfung Stand halten zu koͤnnen, (ſelbſt wenn man an einem Theile die Schwaͤche unſerer Vernunfteinſicht einzugeſte - hen genoͤthigt ſeyn ſollte): ſo iſt es fuͤr den Philoſophen Pflicht, (geſetzt daß er auch die Anforderung der Auf - richtigkeit an ihn fuͤr nichts rechnete) den obgleich noch ſo heilſamen Schein, welchen eine ſolche Vermengung hervorbringen kann, aufzudecken und, was blos441II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.zur Ueberredung gehoͤrt, von dem was auf Ueberzeugung fuͤhrt (die beyde nicht blos dem Grade ſondern ſelbſt der Art nach unterſchiedene Beſtimmungen des Beyfalls ſind) abzuſondern, um die Gemuͤthsfaſſung in dieſem Beweiſe in ihrer ganzen Lauterkeit offen darzuſtellen und dieſen der ſtrengſten Pruͤfung freymuͤthig unterwerfen zu koͤn - nen.

Ein Beweis aber, der auf Ueberzeugung angelegt iſt kann wiederum zwiefacher Art ſeyn, entweder ein ſol - cher, der, was der Gegenſtand an ſich ſey, oder was er fuͤr uns (Menſchen uͤberhaupt), nach den uns noth - wendigen Vernunftprincipien ſeiner Beurtheilung, ſey (ein Beweis κατ̛ αληϑειαν oder κατ̛ ανϑζωπον das letztere Wort in allgemeiner Bedeutung fuͤr Menſchen uͤberhaupt genommen) ausmachen ſoll. Jm erſteren Falle iſt er auf hinreichende Principien fuͤr die beſtimmende, im zweyten blos fuͤr die reflectirende Urtheilskraft gegruͤndet. Jm letztern Falle kann er, auf blos theoretiſchen Principien beruhend, niemals auf Ueberzeugung wirken; legt er aber ein praktiſches Vernunftprincip zum Grunde (wel - ches mithin allgemein und nothwendig gilt), ſo darf er wohl auf eine, in reiner practiſcher Abſicht hinreichende, d. i. moraliſche Ueberzeugung Anſpruch machen. Ein Beweis aber wirkt auf Ueberzeugung ohne noch zu uͤberzeugen, wenn er auf dem Wege dazu gefuͤhrt wird, d. i. nur objective Gruͤnde dazu in ſich enthaͤlt, die, ob ſie gleich noch nicht zur Gewisheit hinreichend, dennochE e 5442II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.von der Art ſind, daß ſie nicht blos als ſubjective Gruͤn - de des Urtheilens zur Ueberredung dienen.

Alle theoretiſche Beweisgruͤnde reichen nun entwe - der zu 1) zum Beweiſe durch logiſch-ſtrenge Vernunft - ſchluͤſſe, oder, wo dieſes nicht iſt 2) zum Schluſſe nach der Analogie, oder findet auch dieſes etwa nicht ſtatt, doch noch 3) zur wahrſcheinlichen Meynung, oder endlich 4) was das Mindeſte iſt, zur Annehmung eines blos moͤglichen Erklaͤrungsgrundes, als Hypo - theſe. Nun ſag ich: daß alle Beweisgruͤnde uͤber - haupt, die auf theoretiſche Ueberzeugung wirken, kein Fuͤrwahrhalten dieſer Art von dem hoͤchſten bis zum nie - drigſten Grade deſſelben, bewirken koͤnnen, wenn der Satz, die Exiſtenz eines Urweſens, als eines Gottes, in der, dem ganzen Jnhalte dieſes Begrifs angemeſſenen Bedeutung, naͤmlich als eines moraliſchen Welturhebers, miihin ſo, daß durch ihn zugleich der Endzweck der Schoͤ - pfung angegeben wird, bewieſen werden ſoll.

  • 1) Was den logiſch-gerechten, vom Allgemeinen zum Beſonderen fortgehenden, Beweis betrift, ſo iſt in der Critik hinreichend dargethan worden: daß da dem Begriffe von einem Weſen, welches uͤber die Na - tur hinaus zu ſuchen iſt, keine uns moͤgliche An - ſchauung correſpondirt, deſſen Begrif alſo ſelbſt ſo fern er durch ſynthetiſche Praͤdicate theoretiſch be - ſtimmt werden ſoll, fuͤr uns jederzeit problematiſch bleibt, ſchlechterdings kein Erkenntnis deſſelben, (wo -443II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.durch der Umfang unſeres theoretiſchen Wiſſens im mindeſten erweitert wuͤrde) ſtatt finde und unter die allgemeine Principien der Natur der Dinge der be - ſondere Begrif eines uͤberſinnlichen Weſens gar nicht ſubſumirt werden koͤnne, um von jenen auf dieſes zu ſchließen; weil jene Principien lediglich fuͤr die Natur, als Gegenſtand der Sinne gelten.

  • 2) Man kann ſich zwar von zwey ungleichartigen Dingen, eben in dem Puncte ihrer Ungleichartigkeit, eines derſelben doch nach einer Analogie*)Analogie (in qualitativer Bedeutung) iſt die Jdeetitaͤt des Verhaͤltniſſes zwiſchen Gruͤnden und Folgen (Urſachen und Wirkungen), ſo fern ſie, unerachtet der ſpecifiſchen Ver - ſchiedenheit der Dinge, oder derjenigen Eigenſchaften an ſich (d. i. auſſer dieſem Verhaͤltniſſe betrachtet), welche den Grund von aͤhnlichen Folgen enthalten, ſtatt findet. So denken wir uns zu den Kunſthandlungen der Thiere, in Vergleichung mit denen des Menſchen, den Grund dieſer Wirkungen in den erſteren, den wir nicht kennen, mit dem Grunde aͤhnlicher Wirkungen des Menſchen (der Vernunft), den wir kennen, als Analogon der Vernunft und wollen damit zugleich anzeigen: daß der Grund des thieriſchen Kunſtvermoͤgens, unter der Benennung eines Jnſtincts, von der Vernunft in der That ſpecifiſch unterſchieden, doch auf die Wirkung (der Bau der Bieber mit dem der Men - ſchen verglichen) ein aͤhnliches Verhaͤltnis habe. Des - wegen aber kann ich daraus, weil der Menſch zu ſeinem Bauen Vernunſt braucht, nicht ſchließen, daß der Bieber auch dergleichen haben muͤſſe und es einen Schlus nach der Analogie nennen. Aber aus der aͤhnlichen Wirkungsart der Thiere (wovon wir den Grund nicht unmittelbar war[-] mit dem444II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.andern denken, aber aus dem, worinn ſie ungleichartig ſind, nicht von einem nach der Analogie auf das andere ſchließen, d. i. dieſes Merkmal des ſpecifiſchen Unterſchie - des auf das andere uͤbertragen. So kann ich mir, nach der Analogie mit dem Geſetze der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung, in der wechſelſeitigen Anziehung und Abſtoßung der Koͤrper unter einander, auch die Gemein -*)nehmen koͤnnen) mit der des Menſchen (deſſen wir uns un - mittelbar bewußt ſind) verglichen, koͤnnen wir ganz richtig nach der Analogie ſchließen, daß die Thiere auch nach Vorſtellungen handeln (nicht wie Carteſius will Maſchi - nen ſind) und, unerachtet ihrer ſpecifiſchen Verſchiedenheit, doch der Gattung nach (als lebende Weſen) mit dem Men - ſchen einerley ſind. Das Princip der Befugnis ſo zu ſchlie - ßen liegt in der Einerleyheit des Grundes, die Thiere in Anſehung gedachter Beſtimmung mit dem Menſchen, als Menſchen, ſo weit wir ſie aͤußerlich nach ihren Handlungen mit einander vergleichen, zu einerley Gattung zu zaͤhlen; Es iſt par ratio. Eben ſo kann ich die Cauſſalitaͤt der ober - ſten Welturfache, in der Vergleichung der zweckmaͤßigen Producte derſelben in der Welt mit den Kunſtwerken des Menſchen, nach der Analogie eines Verſtandes denken, aber nicht auf dieſe Eigenſchaften in demſelben nach der Analogie ſchließen; weil hier das Princip der Moͤglichkeit einer ſol - chen Schlusart gerade mangelt, naͤmlich die paritas rationis, das hoͤchſte Weſen mit dem Menſchen (in Anſehung ihrer beyderſeitigen Cauſſalitaͤt) zu einer und derſelben Gattung zu zaͤhlen. Die Cauſſalitaͤt der Weltweſen, die immer ſinnlich-bedingt, (dergleichen iſt die durch Verſtand) kann nicht auf ein Weſen uͤberrragen werden, welches mit jenen keinen Gattungsbegrif, als den eines Dinges uͤberhaupt gemein hat.445II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſchaft der Glieder eines gemeinen Weſens nach Regeln des Rechts denken, aber jene ſpecifiſche Beſtimmungen (die materielle Anziehung oder Abſtoßung) nicht auf dieſe uͤbertragen und ſie den Buͤrgern beylegen, um ein Syſtem welches Staat heißt auszumachen. Eben ſo duͤrfen wir wohl die Cauſſalitaͤt des Urweſens in An - ſehung der Dinge der Welt, als Naturzwecke, nach der Analogie eines Verſtandes, als Grundes der Formen gewiſſer Producte, die wir Kunſtwerke nennen, denken (denn dieſes geſchieht nur zum Behuf des theoretiſchen oder practiſchen Gebrauchs unſeres Erkenntnisvermoͤ - gens, den wir von dieſem Begriffe in Anſehung der Na - turdinge in der Welt, nach einem gewiſſen Princip, zu machen haben) aber wir koͤnnen daraus, daß unter Weltweſen der Urſache einer Wirkung, die als kuͤnſtlich beurtheilt wird, Verſtand beygelegt werden muß, keines - weges nach einer Analogie ſchließen, daß auch dem We - ſen, was von der Natur gaͤnzlich unterſchieden iſt, in Anſehung der Natur ſelbſt eben dieſelbe Cauſſalilaͤt, die wir am Menſchen warnehmen, zukomme, weil dieſes eben den Punct der Ungleichartigkeit betrift der zwiſchen einer in Anſehung ihrer Wirkungen ſinnlich-bedingten Urſache und dem uͤberſinnlichen Urweſen ſelbſt im Be - griffe deſſelben gedacht wird, und alſo auf dieſen nicht uͤbergetragen werden kann. Eben darinn, daß ich mir die goͤttliche Cauſſalitaͤt nur nach der Analogie mit einem Verſtande (welches Vermoͤgen wir an keinem an -446II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.deren Weſen als dem ſinnlich bedingten Menſchen ken - nen) denken ſoll, liegt das Verbot, ihm dieſen nicht in der eigentlichen Bedeutung beyzulegen. *)Man vermißt dadurch nicht das Mindeſte in der Vorſtel - lung der Verhaͤltniſſe dieſes Weſens zur Welt, ſo wohl was die theoretiſche als practiſche Folgerungen aus dieſem Be - griffe betrift. Was es an ſich ſelbſt ſey erforſchen zu wollen, iſt ein eben ſo zweckloſer, als vergeblicher Vorwitz.

  • 3) Meynen findet in Urtheilen a priori gar nicht ſtatt; ſondern man erkennt durch ſie entweder etwas als ganz gewis, oder gar nichts. Wenn aber auch die gege - bene Beweisgruͤnde, von denen wir ausgehen, (wie hier von den Zwecken in der Welt), empiriſch ſind, ſo kann man mit dieſen doch uͤber die Sinnenwelt hinaus nichts meynen, und ſolchen gewagten Urtheilen den mindeſten Anſpruch auf Warſcheinlichkeit zugeſtehen. Denn War - ſcheinlichkeit iſt ein Theil einer in einer gewiſſen Reihe der Gruͤnde moͤglichen Gewisheit (die Gruͤnde derſelben werden darinn mit dem Zureichenden, als Theile mit einem Ganzen, verglichen) zu welchen jener unzureichende Grund muß ergaͤnzt werden koͤnnen. Weil ſie aber als Beſtimmungsgruͤnde der Gewisheit eines und deſſelben Urtheils gleichartig ſeyn muͤſſen, indem ſie ſonſt nicht zuſammen eine Groͤße (dergleichen die Gewisheit iſt) ausmachen wuͤrden: ſo kann nicht ein Theil derſelben innerhalb den Grenzen moͤglicher Erfahrung, ein ande - rer außerhalb aller moͤglichen Erfahrung liegen, mit - hin, da blos-empiriſche Beweisgruͤnde auf nichts Ueber -447II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſinnliches fuͤhren, der Mangel in der Reihe derſelben auch durch nichts ergaͤnzt werden kann, ſo findet in dem Verſuche, durch ſie zum Ueberſinnlichen und einer Er - kenntnis deſſelben zu gelangen, nicht die mindeſte Annaͤhe - rung, folglich in einem Urtheile uͤber das letztere durch von der Erfahrung hergenommene Argumente auch keine Warſcheinlichkeit ſtatt.

  • 4) Was als Hyotheſe zu Erklaͤrung der Moͤglich - keit einer gegebenen Erſcheinung dienen ſoll, davon muß wenigſtens die Moͤglichkeit voͤllig gewis ſeyn. Es iſt genug, daß ich bey einer Hypotheſe auf die Erkenntnis der Wirklichkeit (die in einer fuͤr warſcheinlich ausgege - benen Meynung noch behauptet wird) Verzicht thue; mehr kann ich nicht preis geben; die Moͤglichkeit deſſen, was ich einer Erklaͤrung zum Grunde lege, muß wenig - ſtens keinen Zweifel ausgeſetzt ſeyn, weil ſonſt der leeren Hirngeſpinſte kein Ende ſeyn wuͤrde. Die Moͤglichkeit aber eines nach gewiſſen Begriffen beſtimmten uͤberſinn - lichen Weſens anzunehmen, da hiezu keine von den er - foderlichen Bedingungen einer Erkenntnis, nach dem was in ihr auf Anſchauung beruht, gegeben iſt und alſo der bloße Satz des Widerſpruchs (der nichts als die Moͤg - lichkeit des Denkens und nicht des gedachten Gegenſtan - des ſelbſt beweiſen kann) als Criterum dieſer Moͤglichkeit uͤbrig bleibt, wuͤrde eine voͤllig grundloſe Vorauſetzung ſeyn.

    448II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

    Das Reſultat hievon iſt: daß fuͤr das Daſeyn des Urweſens, als einer Gottheit, oder der Seele, als eines unſterblichen Geiſtes, ſchlechterdings kein Beweis in theoretiſcher Abſicht, um auch nur den mindeſten Grad des Fuͤrwahrhaltens zu wirken, fuͤr die menſchliche Vernunft moͤglich ſey; und dieſes aus dem ganz begreiflichen Grunde, weil zur Beſtimmung der Jdeen des Ueberfinn - lichen fuͤr uns gar kein Stoff da iſt, indem wir dieſen letzteren von Dingen in der Sinnenwelt hernehmen muͤßten, ein ſolcher aber jenem Objecte ſchlechterdings nicht angemeſſen iſt, aber, ohne alle Beſtimmung derſel - ben, nichts mehr, als der Begrif von einem nicht-ſinn - lichen Etwas uͤbrig bleibt, welches den letzten Grund der Sinnenwelt enthalte, der noch kein Erkenntnis (als Er - weiterung des Begrifs) von ſeiner inneren Beſchaffenheit ausmacht.

§. 91. Von der Art des Fuͤrwarhaltens durch einen practiſchen Glauben.

Wenn wir blos auf die Art ſehen, wie etwas fuͤr uns (nach der ſubjectiven Beſchaffenheit unſerer Vor - ſtellungskraͤfte) Object der Erkenntnis (res cognoſcibilis) ſeyn kann: ſo werden alsdann die Begriffe nicht mit den Objecten, ſondern blos mit unſerm Erkenntnisvermoͤgen und dem Gebrauche, den dieſe von der gegebenen Vor - ſtellung (in theoretiſcher oder practiſcher Abſicht) machenkoͤn -449II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.koͤnnen, zuſammengehalten, und die Frage, ob etwas ein erkennbares Weſen ſey oder nicht, iſt keine Frage, die die Moͤglichkeit der Dinge ſelbſt, ſondern unſerer Er - kenntnis derſelben angeht.

Erkennbare Dinge ſind nun von dreyfacher Art Sachen der Meynung (opinabile) Thatſa - chen (ſcibile) und Glaubensſachen (mere credi - bile).

1) Gegenſtaͤnde der bloßen Vernunftideen, die fuͤr das theoretiſche Erkenntnis gar nicht in irgend einer moͤg - lichen Erfahrung dargeſtellt werden koͤnnen, ſind ſo fern auch gar nicht erkennbare Dinge, mithin kann man in Anſehung ihrer nicht einmal meynen; wie denn a priori zu meynen ſchon an ſich ungereimt und der gerade Weg zu lauter Hirngeſpinſtern iſt. Entweder unſer Satz a priori iſt alſo gewis, oder er enthaͤlt gar nichts zum Fuͤrwarhalten. Alſo ſind Meynungsſachen jederzeit Objekte einer wenigſtens an ſich moͤglichen Erfahrungs - erkenntnis (Gegenſtaͤnde der Sinnenwelt), die aber, nach dem bloßen Grade dieſes Vermoͤgens den wir beſitzen, fuͤr uns unmoͤglich iſt. So iſt der Aether der neuern Phyſiker, eine elaſtiſche, alle andere Materien durchdrin - gende (mit ihnen innigſt vermiſchte) Fluͤßigkeit, eine bloße Meynungsſache, immer doch noch von der Art, daß, wenn die aͤußern Sinne im hoͤchſten Grade geſchaͤrft waͤren, er wahrgenommen werden koͤnnte; der aber nie in irgend einer Beobachtung, oder Experimente, darge -Kants Crit. d. Urtheilskr. F f450II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſtellt werden kann. Vernuͤnftige Bewohner anderer Pla - neten anzunehmen, iſt eine Sache der Meynung; denn, wenn wir dieſen naͤher kommen koͤnnten, welches an ſich moͤglich iſt, wuͤrden wir, ob ſie ſind, oder nicht ſind, durch Erfahrung ausmachen; aber wir werden ihnen nie - mals ſo nahe kommen und ſo bleibt es beym Meynen. Allein Meynen: daß es reine, ohne Koͤrper denkende Geiſter im materiellen Univers gebe (wenn man naͤmlich gewiſſe dafuͤr ausgegebene Erſcheinungen, wie billig, von der Hand weiſet), heißt dichten, und iſt gar keine Sa - che der Meynung, ſondern eine bloße Jdee, welche uͤbrig bleibt, wenn man von einem denkenden Weſen alles Ma - terielle wegnimmt, und ihm doch das Denken uͤbrig laͤßt. Ob aber alsdann das Letztere (welches wir nur am Men - ſchen, d. i. in Verbindung mit einem Koͤrper kennen) uͤbrig bleibe, koͤnnen wir nicht ausmachen. Ein ſolches Ding iſt ein vernuͤnfteltes Weſen (ens rationis ratiocinan - tis) kein Vernunftweſen (ens rationis ratiocinatae), von welchem letzteren es doch moͤglich iſt die objective Re - alitaͤt ſeines Begrifs, wenigſtens fuͤr den practiſchen Ge - brauch der Vernunft, hinreichend darzuthun, weil die - ſer, der ſeine eigenthuͤmliche und apodictiſch gewiſſe Prin - cipien a priori hat, ihn ſogar erheiſcht (poſtulirt).

2) Gegenſtaͤnde fuͤr Begriffe, deren objective Rea - litaͤt, (es ſey durch reine Vernunft, oder durch Erfah - rung und, im erſteren Falle, aus theoretiſchen oder pra - ctiſchen Datis derſelben, in allen Faͤllen aber vermittelſt451II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.einer ihnen correſpondirenden Anſchauung) bewieſen wer - den kann, ſind Thatſachen (res facti)*)Jch erweitere hier, wie mich duͤnkt mit Recht den Begrif einer Thatſache uͤber die gewoͤhnliche Bedeutung dieſes Worts. Denn es iſt nicht noͤthig, ja nicht einmal thunlich, dieſen Ausdruck blos auf die wirkliche Erfahrung einzu - ſchraͤnken, wenn von dem Verhaͤltniſſe der Dinge zu unſeren Erkenntnisvermoͤgen die Rede iſt, da eine blos moͤgliche Er - fahrung ſchon hinreichend iſt, um von ihnen blos als Ge - genſtaͤnden einer beſtimmten Erkenntnisart, zu reden. dergleichen ſind die mathematiſche Eigenſchaften der Groͤßen (in der Geometrie), weil ſie einer Darſtellung a priori fuͤr den theoretiſchen Vernunftgebrauch faͤhig ſind. Ferner ſind Dinge, oder Beſchaffenheiten derſelben, die durch Erfahrung (eigene oder fremde Erfahrung, vermittelſt der Zeugniſſe) dargethan werden koͤnnen, gleichfalls Thatſachen. Was aber ſehr merkwuͤrdig iſt, ſo findet ſich ſogar eine Vernunftidee (die an ſich keiner Darſtel - lung in der Anſchauung, mithin auch keines theoreti - ſchen Beweiſes ihrer Moͤglichkeit, faͤhig iſt unter den Thatſachen und das iſt die Jdee der Freyheit, deren Realitaͤt, als einer beſondern Art von Cauſſalitaͤt, (von welcher der Begrif in theoretiſchem Betracht uͤberſchweng - lich ſeyn wuͤrde) ſich durch practiſche Geſetze der reinen Vernunft und, dieſen gemaͤs, in wirklichen Handlun - gen, mithin in der Erfahrung darthun laͤßt. Die einzige unter allen Jdeen der reinen Vernunft, derenF f 2452II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Gegenſtand Thatſache iſt und unter die ſcibilia mit ge - rechnet werden muß.

3) Gegenſtaͤnde, die in Beziehung auf den pflicht - maͤßigen Gebrauch der reinen practiſchen Vernunft (es ſey als Folgen, oder als Gruͤnde), a priori gedacht wer - den muͤſſen, aber fuͤr den theoretiſchen Gebrauch derſel - ben uͤberſchwenglich ſind, ſind bloße Glaubensſachen. Dergleichen iſt das hoͤchſte durch Freyheit zu bewirkende Gut in der Welt; deſſen Begrif in keiner fuͤr uns moͤg - lichen Erfahrung, mithin fuͤr den theoretiſchen Vernunft - gebrauch hinreichend, ſeiner objectiven Realitaͤt nach be - wieſen werden kann, aber doch durch practiſche reine Ver - nunft geboten iſt, und mithin als moͤglich angenommen werden muß. Dieſe gebotene Wirkung iſt, zuſammt den einzigen fuͤr uns denkbaren Bedingungen ihrer Moͤglichkeit, naͤmlich dem Daſeyn Gottes und der Seelen - Unſterblichkeit, Glaubensſachen (res Fidei) und zwar die einzigen unter allen Gegenſtaͤnden, die ſogenannt werden koͤnnen. *)Glaubensſachen ſind aber darum nicht Glaubensartikel; wenn man unter den letzteren ſolche Glaubensſachen verſteht, zu deren Bekenntnis (inneren oder aͤußeren) man verpflichtet werden kann: dergleichen alſo die natuͤrliche Theologie nicht enthaͤlt. Denn da ſie, als Glaubensſachen fuͤrwarhal - ten (gleich den Thatſachen) auf theoretiſche Beweiſe nicht gruͤnden koͤnnen, ſo iſt es ein freyes Fuͤrwarhalten und auch nur als ein ſolches mit der Moralitaͤt des Subjects ver - einbar.Denn, ob von uns453II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.gleich, was wir nur von der Erfahrung anderer durch Zeugnis lernen koͤnnen, geglaubt werden muß, ſo iſt es darum doch noch nicht an ſich Glaubensſache; denn bey jener Zeugen einem war es doch eigene Erfahrung und Thatſache oder wird als ſolche vorausgeſetzt. Zu dem muß es moͤglich ſeyn durch dieſen Weg (des hiſtori - ſchen Glaubens) zum Wiſſen zu gelangen und die Objecte der Geſchichte, wie alles uͤberhaupt was zu wiſſen nach der Beſchaffenheit unſerer Erkenntnisvermoͤgen wenig - ſtens moͤglich iſt, gehoͤren nicht zu Glaubensſachen, ſon - dern zu Thatſachen. Nur Gegenſtaͤnde der reinen Ver - nunft koͤnnen allenfalls Glaubensſachen ſeyn, aber nicht als Gegenſtaͤnde der bloßen reinen ſpeculativen Vernunft, denn da koͤnnen ſie gar nicht einmal mit Sicherheit zu den Sachen, d. i. Objecten jenes fuͤr uns moͤglichen Er - kenntniſſes gezaͤhlt werden. Es ſind Jdeen, d. i. Be - griffe, denen man die objective Realitaͤt theoretiſch nicht ſichern kann. Dagegen iſt der von uns zu bewirkende hoͤchſte Endzweck, das wodurch wir allein wuͤrdig werden koͤnnen ſelbſt Endzweck einer Schoͤpfung zu ſeyn, eine Jdee, die fuͤr uns in practiſcher Beziehung objective Re - alitaͤt hat und Sache, aber darum, weil wir dieſem Be - griffe in theoretiſcher Abſicht dieſe Realitaͤt nicht verſchaf - fen koͤnnen, bloße Glaubensſache der reinen Vernunft, mit ihm aber zugleich Gott und Unſterblichkeit, als die Bedingungen, unter denen allein wir nach der Beſchaf - fenheit unſerer (der menſchlichen) Vernunft, uns dieF f 3454II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Moͤglichkeit jenes Effects des geſetzmaͤßigen Gebrauchs unſerer Freyheit denken koͤnuen. Das Fuͤrwarhalten aber in Glaubensſachen iſt ein Fuͤrwarhalten in reiner practi - ſcher Abſicht, d.i. ein moraliſcher Glaube, der nichts fuͤr das theoretiſche, ſondern blos fuͤr das practiſche, auf Befol - gung ſeiner Pflichten gerichtete reine Vernunfterkenntnis, beweiſet und die Speculation gar nicht erweitert. Wenn das oberſte Princip aller Sittengeſetze ein Poſtulat iſt, ſo wird zugleich die Moͤglichkeit ihres hoͤchſten Objects, mithin auch die Bedingung, unter der wir dieſe Moͤg - lichkeit denken koͤnnen, dadurch zugleich mit poſtulirt. Dadurch wird nun das Erkenntnis der letzteren weder Wiſſen noch Meynung von dem Daſeyn und der Be - ſchaffenheit dieſer Bedingungen, als theoretiſche Erkennt - nisart, ſondern blos Annahme, in practiſcher und da - zu gebotener Beziehung fuͤr den moraliſchen Gebrauch un - ſerer Vernunft.

Wuͤrden wir auch auf die Zwecke der Natur, den uns die phyſiſche Teleologie in ſo reichem Maaße vor - legt, einen beſtimmten Begrif von einer verſtaͤndigen Welturſache ſcheinbar gruͤnden koͤnnen, ſo waͤre das Da - ſeyn dieſes Weſens doch nicht Glaubensſache. Denn da dieſes nicht zum Behuf der Erfuͤllung meiner Pflicht, ſondern nur zur Erklaͤrung der Natur angenommen wird, ſo wuͤrde es blos die unſerer Vernunft ange - meſſenſte Meynung und Hypotheſe ſeyn. Nun fuͤhrt455II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.jene Teleologie keinesweges auf einen beſtimmten Begrif von Gott, der hingegen allein in dem von einem mora - liſchen Welturheber angetroffen wird, weil dieſer allein den Endzweck angiebt, zu welchem wir uns nur ſo fern zaͤhlen koͤnnen, als wir dem, was uns das moraliſche Geſetz als Endzweck auferlegt, mithin uns verpflichtet, uns gemaͤs verhalten. Folglich bekommt der Begrif von Gott nur durch die Beziehung auf das Object unſe - rer Pflicht, als Bedingung der Moͤglichkeit den Endzweck derſelben zu erreichen, den Vorzug in unſerm Fuͤrwar - halten als Glaubensſache zu gelten: dagegen eben der - ſelbe Begrif doch ſein Object nicht als Thatſache geltend machen kann: weil, ob zwar die Nothwendigkeit der Pflicht fuͤr die practiſche Vernunft wohl klar iſt, doch die Erreichung des Endzwecks derſelben, ſo fern er nicht ganz in unſerer Gewalt iſt, nur zum Behuf des practi - ſchen Gebrauchs der Vernunft angenommen, alſo nicht ſo wie die Pflicht ſelbſt, practiſch nothwendig iſt. *)Der Endzweck, den das moraliſche Geſetz zu befoͤrdern auf - erlegt, iſt nicht der Grund der Pflicht; denn dieſer liegt im moraliſchen Geſetze, welches, als formales practiſches Prin - eip, categoriſch leitet, unangeſehen der Objecte des Be - gehrungsvermoͤgens (der Materie des Wollens), mithin irgend eines Zwecks. Dieſe formale Beſchaffenheit meiner Handlungen (Unterordnung derſelben unter das Princip der Allgemeinguͤltigkeit), worinn allein ihr innerer moraliſcher Werth beſteht, iſt gaͤnzlich in unſerer Gewalt und ich kann von der Moͤglichkeit, oder Unausfuͤhrbarkeit, der Zwecke, die mir jenem Geſetze gemaͤs zu befoͤrdern obliegen, gar wohl

F f 4456II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Glaube (als habitus, nicht als actus) iſt die mo - raliſche Denkungsart der Vernunft im Fuͤrwarhalten desjenigen, was fuͤr das theoretiſche Erkenntnis unzu - gaͤnglich iſt. Er iſt alſo der beharrliche Grundſatz des Gemuͤths, das, was zur Moͤglichkeit des hoͤchſten mora - liſchen Endzwecks als Bedingung vorauszuſetzen noth - wendig iſt, um der Verbindlichkeit zu demſelben willen*)abſtrahiren (weil in ihnen nur der aͤußere Werth meiner Handlungen beſteht), als etwas, was nie voͤllig in meiner Gewalt iſt, um nur darauf zu ſehen, was meines Thuns iſt. Allein die Abſicht den Endzweck aller vernuͤnftigen We - ſen (Gluͤckſeeligkeit, ſo weit ſie einſtimmig mit der Pflicht moͤglich iſt) zu befoͤrdern, iſt doch, eben durch das Geſetz der Pflicht auferlegt. Aber die ſpeculative Vernunft ſieht die Ausfuͤhrbarkeit derſelben (weder von Seiten unſeres eigenen phyſiſchen Vermoͤgens, noch der Mitwirkung der Natur) gar nicht ein, vielmehr muß ſie aus ſolchen Ur - ſachen, ſo viel wir vernuͤnftiger Weiſe urtheilen koͤunen, einen ſolchen Erfolg unſeres Wohlverhaltens von der bloßen Natur (in uns und außer uns), ohne Gott und Unſterblich - keit anzunehmen, fuͤr eine ungegruͤndete, nichtige wenn gleich wohlgemeinte Erwartung halten und, wenn ſie von dieſem Urtheile voͤllige Gewisheit haben koͤnnte, das mora - liſche Geſetz ſelbſt als bloße Taͤuſchung unſerer Vernunft in practiſcher Ruͤſickcht anſehen. Da aber die ſpeculative Ver - nunft ſich voͤllig uͤberzeugt, daß das letztere nie geſchehen kann, dagegen aber jene Jdeen, deren Gegenſtand uͤber die Natur hinaus liegt, ohne Widerſpruch gedacht werden koͤn - nen, ſo wird ſie fuͤr ihr eigenes practiſches Geſetz und die dadurch auferlegte Aufgabe, alſo in moraliſcher Ruͤckſicht, jene Jdeen als real anerkennen muͤſſen, um nicht mit ſich ſelbſt in Widerſpruch zu kommen.457II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.als wahr anzunehmen*)Er iſt ein Vertrauen auf die Verheiſſung des moraliſchen Geſetzes. Denn ein Endzweck kann durch kein Geſetz der Vernunft geboten ſeyn, ohne daß dieſe zugleich die Erreich - barkeit deſſelben, wenn gleich ungewis, verſpreche und hie - mit auch das Fuͤrwarhalten der einzigen Bedingungen be - rechtige, unter denen unſere Vernunft ſich dieſe allein den - ken kann. Das Wort Fides druͤckt dieſes auch ſchon aus und es kann nur bedenklich ſcheinen, wie dieſer Ausdruck und dieſe beſondere Jdee in die moraliſche Philoſophie hin - ein komme, da ſie allererſt mit dem Chriſtenthum eingefuͤhrt worden und die Annahme derſelben vielleicht nur eine ſchmeichleriſche Nachahmung ihrer Sprache zu ſeyn ſcheinen duͤrfte. Aber das iſt nicht der einzige Fall, da dieſe wun - derſame Religion in der groͤßten Einfalt ihres Vortrages die Philoſophie mit weit beſtimmteren und reineren Be - griffen der Sittlichkeit bereichert hat, als dieſe bis dahin hatte liefern koͤnnen, die aber, wenn ſie einmal da ſind, von der Vernunft frey gebilligt und als ſolche angenommen wer - den auf die ſie wohl von ſelbſt haͤtte kommen und ſie einfuͤh - ren koͤnnen und ſollen. (ob zwar die Moͤglichkeit deſſel - ben, aber eben ſo wohl auch die Unmoͤglichkeit von uns nicht eingeſehen werden kann). Der Glaube (ſchlechthin ſo genannt) iſt ein Vertrauen zu der Erreichung einer Abſicht, deren Befoͤrderung Pflicht, die Moͤglichkeit der Ausfuͤhrung derſelben aber fuͤr uns nicht einzuſehen iſt (folglich auch nicht die der einzigen fuͤr uns denkba - ren Bedingungen). Der Glaube alſo, der ſich auf be - ſondere Gegenſtaͤnde, die nicht Gegenſtaͤnde des moͤgli - chen Wiſſens oder Meynens ſind, bezieht (in welchem letztern Falle er, vornehmlich im hiſtoriſchen, Leichtglaͤu -F f 5458II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.bigkeit und nicht Glaube heißen muͤßte) iſt ganz mora - liſch. Er iſt ein freyes Fuͤrwahrhalten, nicht wozu dog - matiſche Beweiſe fuͤr die theoretiſch beſtimmende Urtheils - kraft anzutreffen ſind, noch wozu wir uns verbunden halten, ſondern deſſen, was wir, zum Behuf einer Ab - ſicht nach Geſetzen der Freyheit, annehmen, aber doch nicht, wie etwa eine Meynung, ohne hinreichenden Grund, ſondern als in der Vernunft (ob wohl nur in Anſehung ihres practiſchen Gebrauchs), fuͤr die Ab - ſicht derſelben hinreichend, gegruͤndet; denn ohne ihn hat die moraliſche Denkungsart bey dem Verſtos gegen die Auffoderung der theoretiſchen Vernunft zum Beweiſe (der Moͤglichkeit des Objects der Moralitaͤt) keine feſte Beharrlichkeit, ſondern ſchwankt zwiſchen pra - ctiſchen Geboten und theoretiſchen Zweifeln. Unglaͤu - biſch ſeyn heißt der Maxime nachhaͤngen Zeugniſſen uͤberhaupt nicht zu glauben; Unglaͤubig aber iſt der, welcher jenen Vernunftideen, weil es ihnen an theoreti - ſcher Begruͤndung ihrer Realitaͤt fehlt, darum alle Guͤl - tigkeit abſpricht. Er urtheilt alſo dogmatiſch. Ein dog - matiſcher Unglaube kann aber mit einer in der Denkungs - art herrſchenden ſittlichen Maxime nicht zuſammen be - ſtehen, (denn einem Zwecke, der fuͤr nichts als Hirnge - ſpinſt erkannt wird, nachzugehen, kann die Vernunft nicht gebieten), wohl aber ein Zweifelglaube, dem der Mangel der Ueberzeugung durch Gruͤnde der ſpeculativen[Vernunft] nur Hindernis iſt, welchem eine critiſche Ein -459II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſicht in die Schrankeu der letztern den Einflus auf das Verhalten benehmen und ihm ein uͤberwiegendes practi - ſches Fuͤrwahrhalten zum Erſatz hinſtellen kann.

Wenn man an die Stelle gewiſſer verfehlten Ver - ſuche in der Philoſophie ein anderes Princip auffuͤhren und ihm Einflus verſchaffen will, ſo gereicht es zu gro - ßer Befriedigung, einzuſehen, wie jene und warum ſie ſehl ſchlagen mußten.

Gott, Freyheit und Seelenunſterblichkeit ſind diejenige Aufgaben, zu deren Aufloͤſung alle Zu - ruͤſtungen der Metaphyſik, als ihrem letzten und alleini - gen Zwecke abzielen. Nun glaubte man, daß bie Lehre von der Freyheit nur als negative Bedingung fuͤr die practiſche Philoſophie noͤthig ſey, die Lehre von Gott und der Seelenbeſchaffenheit hingegen, zur theoretiſchen ge - hoͤrig, fuͤr ſich und abgeſondert dargethan werden muͤſſe, um beyde nachher mit dem, was das moraliſche Geſetz (das nur unter der Bedingung der Freyheit moͤglich iſt) gebietet, damit zu verknuͤpfen und ſo eine Religion zu Stande zu bringen. Man kann aber bald einſehen, daß dieſe Verſuche fehl ſchlagen mußten. Denn aus bloßen ontologiſchen Begriffen von Dingen uͤberhaupt, oder der Exiſtenz eines nothwendigen Weſens laͤßt ſich ſchlech - terdings kein, durch Praͤdicate die ſich in der Erfahrung geben laſſen und alſo zum Erkenntniſſe dienen koͤnnten, beſtimmter Begrif von einem Urweſen machen, der aber,460II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.welcher auf Erfahrung von der phyſiſchen Zweckmaͤßig - keit der Natur gegruͤndet wurde, koͤnnte wiederum kei - nen fuͤr die Moral, mithin zur Erkenntnis eines Gottes hinreichenden Beweis abgeben. Eben ſo wenig konnte auch die Seelenkenntnis durch Erfahrung (die wir nur in dieſem Leben anſtellen) eiueu Begrif von der geiſtigen, unſterblichen Natur derſelben, mithin fuͤr die Moral zu - reichend verſchaffen. Theologie und Pnevmatolo - gie, als Aufgaben zum Behuf der Wiſſenſchaften einer ſpeculativen Vernunft, weil deren Begrif fuͤr alle unſere Erkenntnisvermoͤgen uͤberſchwenglich iſt, koͤnnen durch keine empiriſche Data und Praͤdicate zu Stande kom - men. Die Beſtimmung beyder Begriffe, Gottes ſowohl als der Seele (in Anſehung dieſer ihrer Unſterb - lichkeit) kann nur durch Praͤdicate geſchehen, die, ob ſie gleich ſelbſt nur aus einem uͤberſinlichen Grunde moͤg - lich ſind, dennoch in der Erfahrung ihre Realitaͤt bewei - ſen muͤſſen; denn ſo allein koͤnnen ſie von ganz uͤberſinn - lichen Weſen ein Erkenntnis moͤglich machen. Der - gleichen iſt nun der einzige in der menſchlichen Vernunft anzutreffende Begrif der Freyheit des Menſchen unter moraliſchen Geſetzen, zuſammt dem Endzwecke, den jene durch dieſe vorſchreibt, wovon die erſtern dem Urheber der Natur, der zweyte dem Menſchen diejenige Eigen - ſchaften beyzulegen tauglich ſind, welche zu der Moͤglich - keit beyder die nothwendige Bedingung enthalten; ſo daß eben aus dieſer Jdee auf die Exiſtenz und die Be -461II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſchaffenheit jener ſonſt gaͤnzlich fuͤr uns verborgenen We - ſen geſchloſſen werden kann.

Alſo liegt der Grund der auf dem blos theoretiſchen Wege verfehlten Abſicht, Gott und Unſterblichkeit zu be - weiſen, darinn: daß von dem Ueberſinnlichen auf die - ſem Wege (der Naturbegriffe) gar kein Erkenntnis moͤg - lich iſt, und, daß es dagegen auf dem moraliſchen (des Freyheitsbegrifs) gelingt, hat dieſen Grund, daß hier das Ueberſinnliche, was dabey zum Grunde liegt (die Freyheit), durch ein beſtimmtes Geſetz der Cauſalitaͤt, welches aus ihm entſpringt nicht allein Stoff zum Er - kenntnis des andern Ueberſinnlichen (des moraliſchen Endzwecks und den Bedingen ſeiner Ausfuͤhrbarkeit) verſchaft, ſondern auch als Thatſache ſeine Realitaͤt in Handlungen darthut, aber eben darum auch keinen an - dern, als nur in practiſcher Abſicht (welche auch die ein - zige iſt, die die Religion bedarf) guͤltigen Beweisgrund abgeben kann.

Es bleibt hiebey immer ſehr merkwuͤrdig: daß unter den drey reinen Vernunftideen, Gott, Freyheit und Unſterblichkeit, die der Freyheit der einzige Begrif des Ueberſinnlichen iſt, welcher ſeine objective Realitaͤt (vermittelſt der Cauſſalitaͤt, die in ihm gedacht wird) an der Natur, durch ihre in derſelben moͤgliche Wirkung, beweiſet und eben dadurch die Verknuͤpfung der beyden andern mit der Natur, aller dreyer aber unter einander zu einer Religion moͤglich macht und daß wir alſo in462II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.uns ein Princip haben, welches die Jdee des Ueberſinn - lichen in uns, dadurch aber auch die desjenigen außer uns, zu einer, ob gleich nur in practiſcher Abſicht moͤg - lichen, Erkenntnis zu beſtimmen vermoͤgend iſt, woran die blos ſpeculative Philoſophie (die auch von der Frey - heit einen blos negativen Begrif geben konnte) verzwei - feln mußte, mithin der Freyheitsbegrif (als Grundbe - grif aller unbedingt-practiſchen Geſetze) die Vernunft uͤber diejenige Grenzen erweitern kann, innerhalb deren jeder Naturbegrif (theoretiſcher) ohne Hofnung einge - ſchraͤnkt bleiben muͤßte.

Allgemeine Anmerknng zur Teleologie.

Wenn die Frage iſt: welchen Rang das moraliſche Ar - gument, welches das Daſeyn Gottes nur als Glaubensſa - che fuͤr die practiſche reine Vernunft beweiſet, unter den uͤbri - gen in der Philoſophie behaupte, ſo laͤßt ſich dieſer ihr gan - zer Beſitz leicht uͤberſchlagen, wo es ſich dann ausweiſet, daß hier nicht zu waͤhlen ſey, ſondern ihr theoretiſches Vermoͤgen, vor einer unpartheyiſchen Critik, alle ſeine Anſpruͤche von ſelbſt aufgeben muͤſſe.

Auf Thatſache muß ſie alles Fuͤrwarhalten zuvoͤrderſt gruͤnden, wenn es nicht voͤllig grundlos ſeyn ſoll und es kann alſo nur der einzige Unterſchied im Beweiſen ſtatt finden, ob auf dieſe Thatſache ein Fuͤrwarhalten der daraus gezogenen Folgerung, als Wiſſen, fuͤrs theoretiſche oder, blos als Glauben, fuͤrs practiſche Erkenntnis, koͤnne gegruͤndet wer - den, Alle Thatſachen gehoͤren entweder zum Naturbegrif, der ſeine Realitaͤt an den vor allen Naturbegriffen gegebenen (oder zu geben moͤglichen) Gegenſtaͤnde der Sinne beweiſet,463II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.oder zum Freyheitsbegriffe, der ſeine Realitaͤt durch die Cauſſalitaͤt der Vernunft, in Anſehung gewiſſer durch ſie moͤglicher Wirkungen in der Sinnenwelt, die ſie im morali - ſchen Geſetze unwiderleglich poſtulirt, hinreichend darthut. Der Naturbegrif (blos zur theoretiſchen Erkenntnis gehoͤrige) iſt nun entweder metaphyſiſch und voͤllig a priori, oder phy - ſiſch, d. i. a poſteriori und nothwendig nur durch beſtimmte Erfahrung denkbar. Der metaphyſiſche Naturbegrif (der keine beſtimmte Erfahrung vorausſetzt) iſt alſo ontologiſch.

Der ontologiſche Beweis vom Daſeyn Gottes aus dem Begriffe eines Urweſens iſt nun entweder der, welcher aus ontologiſchen Praͤdicaten, wodurch es allein durchgaͤngig be - ſtimmt gedacht werden kann, anf das abſolut - nothwendige Daſeyn, oder aus der abſoluten Nothwendigkeit des Doſeyns irgend eines Dinges, welches es auch ſey, auf die Praͤdicate des Urweſens ſchließt: denn zum Begriffe eines Urweſens ge - hoͤrt, damit es nicht abgeleitet ſey, die unbedingte Nothendig - keit ſeines Daſeyns und, (um dieſe ſich vorzuſtellen) die durch - gaͤngige Beſtimmung durch den bloßen Begrif deſſelben. Beyde Erforderniſſe glaubte man nun im Begriffe der onto - logiſchen Jdee eines allerrealſten Weſens zu finden: und ſo entſprangen zwey metaphyſiſche Beweiſe.

Der einen blos metaphyſiſchen Naturbegrif zum Grunde le - gende (eigentlich - ontologiſch genannte) Beweis ſchlos aus dem Begriffe des allerrealſten Weſens auf ſeine ſchlechthin nothwen - dige Exiſtenz; denn (heißt es) wenn es nicht exiſtirte, ſo wuͤr - de ihm eine Realitaͤt, naͤmlich die Exiſtenz mangeln Der andere (den man auch den metaphyſiſch - cosmologiſchen Be - weis nennt) ſchlos aus der Nothwendigkeit der Exiſtenz irgend eines Dinges (dergleichen, da mir im Selbſtbewuſtſeyn ein Daſeyn gegeben iſt, durchaus eingeraͤumt werden muß) auf die durchgaͤngige Beſtimmung deſſelben, als allerrealſten We -464II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſens; weil alles exiſtirende durchgaͤngig beſtimmt, das ſchlech - terdings nothwendige aber (naͤmlich was wir als ein ſolches mithin a priori erkennen ſollen) durch ſeinen Begrif durch - gaͤngig beſtimmt ſeyn muß; welches ſich aber nur im Begriffe eines allerrealſten Dinges antreffen laͤßt. Es iſt hier nicht noͤthig die Sophiſterey in beyden Schluͤſſen aufzudecken, wel - ches ſchon anderwaͤrts geſchehen iſt, ſondern nur zu bemerken, daß ſolche Beweiſe, wenn ſie ſich auch durch allerley dialec - tiſche Subtilitaͤt verfechten ließen, doch niemals uͤber die Schule hinaus in das gemeine Weſen hinuͤberkommen und auf den bloßen geſunden Verſtand den mindeſten Einfluß ha - ben koͤnnten.

Der Beweis, welcher einen Naturbegrif, der nur em - piriſch ſeyn kann, dennoch aber uͤber die Grenzen der Natur, als Jnbegrif der Gegenſtaͤnde der Sinne, hinausfuͤhren ſoll, zum Grunde legt, kann kein anderer, als der von den Zwe - cken der Natur ſeyn: deren Begrif ſich zwar nicht a priori, ſondern nur durch die Erfahrung geben laͤßt, aber doch einen ſolchen Begrif von dem Urgrunde der Natur verheißt, wel - cher unter allen, die wir denken koͤnnen, allein ſich zum Ueber - ſinnlichen ſchickt, naͤmlich der von einen hoͤchſten Verſtande, als Welturſache, welches er auch in der That nach Princi - pien der reflectirenden Urtheilskraft, d. i. nach der Beſchaf - fenheit unſeres (menſchlichen) Erkenntnisvermoͤgens, voll - kommen ausrichtet. Ob er nun aber aus denſelben Datis dieſen Begrif eines oberſten d. i. unabhaͤngigen verſtaͤndigen Weſens auch als eines Gottes, d. i. Urhebers einer Welt un - ter moraliſchen Geſetzen, mithin hinreichend beſtimmt fuͤr die Jdee von einem Endzwecke, des Daſeyns der Welt, zu liefern im Stand ſey, das iſt eine Frage, worauf alles ankommt; wir moͤgen uns einen theoretiſch hinlaͤnglichen Begrif von465II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.dem Urweſen zum Behuf der geſammten Naturerkenntnis, oder einen practiſchen fuͤr die Religion verlangen.

Dieſes aus der phyſiſchen Teleologie genommene Argu - ment iſt verehrungswerth. Es thut gleiche Wirkung zur Ueberzeugung auf den gemeinen Verſtand, als auf den ſub - tilſten Denker und ein Reimarus in ſeinem noch nicht uͤber - troffenen Werke, worinn er dieſen Beweisgrund mit der ihm eigenen Gruͤndlichkeit und Klarheit weitlaͤuftig ausfuͤhrt, hat ſich dadurch ein unſterbliches Verdienſt erworben Allein wodurch gewinnt dieſer Beweis ſo gewaltigen Einfluß aufs Gemuͤth, vornehmlich in der Beurtheilung durch kalte Ver - nunft (denn die Ruͤhrung und Erhebung deſſelben durch die Wunder der Natur koͤnnte man zur Ueberredung rechnen) auf eine ruhige, ſich gaͤnzlich dahin gebende Beyſtimmung? Es ſind nicht die phyſiſche Zwecke, die alle auf einen uner - gruͤndlichen Verſtand in der Welturſache hindeuten; denn dieſe ſind dazu unzureichend, weil ſie das Beduͤrfnis der fra - genden Vernunft nicht befriedigen. Denn wozu ſind (fraͤgt dieſe) alle jene kuͤnſtliche Naturdinge, wozu der Menſch ſelbſt bey dem wir, als dem letzten fuͤr uns denkbaren Zwecke der Natur ſtehen bleiben muͤſſen, wozu iſt dieſe geſammte Natur da und was iſt der Endzweck ſo großer und mannigfaltiger Kunſt? Zum Genießen, oder zum Anſchauen, Betrachten und Bewundern (welches, wenn es dabey bleibt, auch nichts weiter als Genuß von beſonderer Art iſt) als dem letzten End - zweck, warum die Welt und der Menſch ſelbſt da iſt, geſchaf - fen zu ſeyn, kann die Vernunft nicht befriedigen; denn dieſe ſetzt einen perſoͤhnlichen Werth, den der Menſch ſich allein geben kann, als Bedingung unter der allein er und ſein Daſeyn Endzweck ſeyn kann, voraus; in Erman - gelung deſſen (der allein eines beſtimmten Begrifs faͤhig iſt) die Zwecke der Natur ſeiner Nachfrage nicht Genuͤge thun,Kants Crit. d. Urtheilskr. G g466II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.vornehmlich, weil ſie keinen beſtimmten Begrif von dem hoͤchſten Weſen als einem allgnugſamen und eben darum ei - nigen, eigentlich ſo zu nennenden hoͤchſten Weſen) und den Geſetzen, nach denen ſein Verſtand Urſache der Welt iſt an die Hand geben koͤnnen.

Daß alſo der phyſiſch-teleologiſche Beweis, gleich als ob er zugleich ein theologiſcher waͤre, uͤberzeugt, ruͤhrt nicht von der Bemuͤhung der Jdeen von Zwecken der Natur, als ſo viel empiriſchen Beweisgruͤnden eines hoͤchſten Verſtan - des her, ſondern es miſcht ſich unvermerkt der jeden Menſchen beywohnende und ſo innigſt bewegende moraliſche Beweis - grund in den Schluß mit ein, nach welchem man dem We - ſen, welches ſich ſo unbegreiflich kuͤnſtlich im Zwecken der Natur offenbart, auch einen Endzweck, mithin Weisheit (o[b]zwar ohne dazu durch die Warnehmung der erſteren berech - tigt zu ſeyn) beylegt und alſo jenes Argument, in Anſehung des Mangelhaften, welches ihm noch anhaͤngt, willkuͤhrlich ergaͤnzt, ſo daß in der That nur der moraliſche Beweisgrund die Ueberzeugung und auch dieſe nur in moraliſcher Ruͤckſicht, wozujedermann ſeine Beyſtimmung innigſt fuͤhlt, hervorbringt, der phyſiſch-teleologiſche aber nur das Verdienſt hat, das Gemuͤth in der Weltbetrachtung auf den Weg der Zwecke, dadurch aber auf einen verſtaͤndigen Welturheber zu leiten; da denn die moraliſche Beziehung auf Zwecke und die Jdee eines eben ſolchen Geſetzgebers und Welturhebers, als theo - logiſcher Begrif, ob er zwar reine Zugabe iſt, ſich dennoch aus jenem Beweisgrunde von ſelbſt zu entwickeln ſcheint.

Hiebey kann man es in dem gewoͤhnlichen Vortrage fer - nerhin auch bewenden laſſen. Denn dem gemeinen und ge - ſunden Verſtande wird es gemeiniglich ſchwer, die verſchie - dene Principien, die er vermiſcht, und aus deren einem er wirklich allein und richtig folgert, wenn die Abſonderung viel467II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Nachdenken bedarf, als ungleichartig von einander zu ſchei - den. Der moraliſche Beweisgrund von Daſeyn Gottes er. gaͤnzt aber eigentlich auch nicht blos den phyſiſch-teleologi - ſchen zu einem vollſtaͤndigen Beweiſe, ſondern iſt ein beſon - derer Beweis, der den Mangel der Ueberzeugung aus dem letz - tern erſetzt, indem dieſer in der That nichts leiſten kann, als die Vernunft in der Beurtheilung des Grundes der Natur und der zufaͤlligen, aber bewundernswuͤrdigen Ordnung derſelben, welche uns nur durch Erfahrung bekannt wird, auf die Cauſſalitaͤt einer Urſache, die nach Zwecken den Grund der - ſelben enthaͤlt, (die wir nach der Beſchaffenheit unſerer Er - kenntnisvermoͤgen als verſtaͤndige Urſache denken muͤſſen) zu lenken und aufmerkſam, ſo aber des moraliſchen Beweiſes empfaͤnglicher zu machen. Denn das, was zu dem letztern Begriffe erfoderlich iſt, iſt von allem, was Naturbegriffe enthalten und lehren koͤnnen, ſo weſentlich unterſchieden, daß es eines beſondern von den vorigen ganz unabhaͤngigen Be - weisgrundes und Beweiſes bedarf, um den Begrif von Ur - weſen fuͤr eine Theologie hinreichend anzugeben und auf ſeine Exiſtenz zu ſchließen Der moraliſche Beweis (der aber freylich nur das Daſeyn Gottes in practiſcher, doch auch unnachlaßlicher, Ruͤckſicht der Vernunft beweiſet) wuͤrde da - her noch immer in ſeiner Kraft bleiben, wenn wir in der Welt gar keinen, oder nur zweydeutigen Stoff zur phyſiſchen Teleologie antraͤfen. Es laͤßt ſich denken, daß ſich vernuͤnf - tige Weſen von einer ſolchen Natur, welche keine deutliche Spur von Organiſation, ſondern nur Wirkungen von einem bloßen Mechanism der roher Materie zeigte, umgeben ſaͤhen, um derenwillen und bey der Veraͤnderlichkeit einiger blos zu - faͤllig zweckmaͤßigen Formen und Verhaͤltniſſe, kein Grund zu ſeyn ſchiene, auf einen verſtaͤndigen Urheber zu ſchließen, wo alsdenn auch zu einer phyſiſchen Teleologie keine Veranlaſ -G g 2468II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſung ſeyn wuͤrde; und dennoch wuͤrde die Vernunft, die durch Naturbegriffe hier keine Anleitung bekommt, im Frey - heitsbegriffe und den ſich darauf gruͤndenden ſittlichen Jdeen einen practiſch-hinreichenden Grund finden, den Begrif des Urweſens dieſen angemeſſen, d. i. als einer Gottheit und die Natur (ſelbſt unſer eigenes Daſeyn) als einen jenen und ih - ren Geſetzen gemaͤßen Endzweck zu poſtuliren und zwar in Ruͤckſicht auf das unnachlaßliche Gebot der practiſchen Ver - nunft Daß nun aber in der wirklichen Welt fuͤr die ver - nuͤnftige Weſen in ihr reichlicher Stoff zur phyſiſchen Teleo - logie iſt, (welches eben nicht nothwendig waͤre) dient dem moraliſchen Argumente zu erwuͤnſchter Beſtaͤtigung, ſo weit Natur etwas den Vernunftideen (den moraliſchen) Analoges aufzuſtellen vermag. Denn der Begrif einer oberſten Ur - ſache, die Verſtand hat, (welcher aber fuͤr eine Theologie lange nicht hinreichend iſt), bekommt dadurch die fuͤr die re - flectirende Urtheilskraft hinreichende Realitaͤt; aber er iſt nicht erforderlich, um den moraliſchen Beweis darauf zu gruͤnden, noch dient dieſer, um jenen, der fuͤr ſich allein gar nicht auf Moralitaͤt hinweiſet, durch fortgeſetzten Schlus nach einem einzigen Princip, zu einem Beweiſe zu ergaͤnzen. Zwey ſo ungleichartige Principien, als Natur und Freyheit, koͤnnen nur zwey verſchiedene Beweisarten abgeben, da denn der Verſuch, denſelben aus der erſteren zu fuͤhren, fuͤr das was bewieſen werden ſoll, unzulaͤnglich befunden wird.

Wenn der phyſiſch-teleologiſche Beweisgrund zu dem geſuchten Beweiſe zureichte, ſo waͤre es fuͤr die ſpeculative Vernunft ſehr befriedigend; denn er wuͤrde Hofnung geben eine Theoſophie hervorzubringen (ſo wuͤrde man naͤmlich die theoretiſche Erkenntnis der goͤttlichen Natur und ſeiner Exi ſtenz, welche zur Erklaͤrung der Weltbeſchaffenheit und zu gleich der Beſtimmung der ſittlichen Geſetze zureichte, nennen469II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.muͤſſen). Eben ſo wenn Pſychologie zureichte, um dadurch zur Erkenntnis der Unſterblichkeit der Seele zu gelangen, ſo wuͤrde ſie eine Pnevmatologie, welche der ſpeculativen Ver - nunft eben ſo willkommen waͤre, moͤglich machen, beyde aber, ſo lieb es auch dem Duͤnkel der Wisbegierde ſeyn mag, erfuͤllen nicht den Wunſch der Vernunft in Abſicht auf die Theorie, die auf Kenntnis der Natur der Dinge gegruͤndet ſevn mußte. Ob aber nicht die erſtere, als Theologie, die zweyte, als Anthropologie, beyde auf das ſittliche, d. i. das Freyheitsprincip gegruͤndet, mithin dem practiſchen Gebrauche der Vernunft angemeſſen, ihre objective Endabſicht beſſer er - fuͤllen, iſt eine andere Frage, die wir hier nicht noͤthig ha - ben weiter zu verfolgen.

Der phyſiſch-teleologiſche Beweisgrund reicht aber dar - um nicht zur Theologie zu, weil er keinen fuͤr dieſe Abſicht hinreichend beſtimmten Begrif von dem Urweſen giebt, noch geben kann, ſondern man dieſen gaͤnzlich anderwaͤrts herneh - men oder ſeinen Mangel dadurch, als durch einen willkuͤhr - lichen Zuſatz, erſetzen muß. Jhr ſchließt aus der großen Zweckmaͤßigkeit der Naturformen und ihrer Verhaͤltniſſe auf eine verſtaͤndige Welturſache; aber auf welchen Grad dieſes Verſtandes? Ohne Zweifel koͤnnt ihr euch nicht anmaßen auf den hoͤchſt-moͤglichen Verſtand; denn dazu wuͤrde er - fordert werden, daß ihr einſehet, ein groͤßerer Verſtand als davon ihr Beweisthuͤmer in der Welt wahrnehmet, ſey nicht denkbar; welches euch ſelber Allwiſſenheit beylegen hieße. Eben ſo ſchließt ihr aus der Groͤße der Welt auf eine ſehr große Macht des Urhebers, aber ihr werdet euch beſcheiden, daß dieſes nur comparativ fuͤr eure Faſſungskraft Bedeutung hat und, da ihr nicht alles moͤgliche erkennet, um es mit der Weltgroͤße, ſo weit ihr ſie kennt, zu vergleichen, ihr nach einem ſo kleinen Maasſtabe keine Allmacht des Urhebers fol -F f 3470II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.gern koͤnnet u. ſ. w. Nun gelangt ihr dadurch zu keinem be - ſtimmten fuͤr eine Theologie tauglichen, Begriffe eines Ur - weſens; denn dieſer kann nur in dem der Allheit der mit ei - nem Verſtande vereinbaren Vollkommenheiten gefunden wer - den, wozu euch blos empiriſche Data gar nicht verhelfen koͤnnen: ohne einen ſolchen beſtimmten Begrif aber koͤnnt ihr auch nicht auf ein einiges verſtaͤndiges Urweſen ſchließen, ſondern (es ſey zu welchen Behuf) ein ſolches nur annehmen. Nun kann man es zwar ganz wohl einraͤumen, daß ihr (da die Vernunft nichts gegruͤndetes dawider zu ſagen hat) willkuͤhrlich hinzuſetzt: wo ſo viel Vollkommenheit angetroffen wird, moͤge man wohl alle Vollkommenheit in einer einzigen Welturſache vereinigt annehmen; weil die Vernunft mit ei - nem ſo beſtimmten Princip, theoretiſch und practiſch, beſſer zurecht kommt. Aber ihr koͤnnt denn doch dieſen Begrif des Urweſens nicht als von euch bewieſen auspreiſen, da ihr ihn nur zum Behuf eines beſſern Vernunftgebrauchs angenommen habt. Alles Jammern alſo oder ohmaͤchtiges Zuͤrnen uͤber den vergeblichen Frevel, die Buͤndigkeit einer Schluskette in Zwei - fel zu ziehen iſt eitle Grosthuerey, die gern haben moͤchte, daß man den Zweifel, den man gegen euer Argument frey herausſagt, fuͤr Bezweifelung heiliger Wahrheit halten moͤch - te um nur hinter dieſer Decke die Seichtigkeit deſſelben durch - ſchluͤpfen zu laſſen,

Die moraliſche Teleologie hingegen, welche nicht minder feſt gegruͤndet iſt, wie die phyſiſche, vielmehr dadurch, daß ſie a priori auf von unſerer Vernunft untrennbaren Princi - pien beruht, Vorzug verdient, fuͤhrt auf das, was zur Moͤglichkeit einer Theologie erfodert wird, naͤmlich auf einen be - ſtimmten Begrif der oberſten Urſache, als Welturſache nach moraliſchen Geſetzen, mithin einer ſolchen, die unſerm mo - raliſchen Endzwecke Gnuͤge thut, wozu nichts weniger als471II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Allwiſſenheit, Allmacht, Allgegenwart u. ſ. w. als dazu ge - hoͤrige Natureigenſchaften erfoderlich ſind, die mit dem mo - raliſchen Endzwecke der unendlich iſt als verbunden mit ihm adaͤquat gedacht werden muͤſſen und kan ſo den Begrif eines ein - zigen Welturhebers, der zu einer Theologie tauglich iſt, ganz allein verſchaffen.

Auf ſolche Weiſe fuͤhrt eine Theologie auch unmittelbar zur Religion, d. i. der Erkenntnis unſerer Pflichten, als goͤttlicher Gebote; weil die Erkenntnis unſerer Pflicht, und des darin uns durch Vernunft auferlegten Endzwecks, den Begrif von Gott zuerſt beſtimmt hervorbringen konnte, der alſo ſchon in ſeinem Urſprunge von der Verbindlichkeit ge - gen dieſes Weſen unzertrennlich iſt, anſtatt daß, wenn der Begrif vom Urweſen auf dem blos theoretiſchen Wege (naͤm - lich deſſelben als bloßer Urſache der Natur) auch beſtimmt ge - funden werden koͤnnte, es nachher noch mit großer Schwie - rigkeit, vielleicht gar Unmoͤglichkeit, es ohne willkuͤhrliche Einſchiebung zu leiſten, verbunden ſeyn wuͤrde, dieſem We - ſen eine Cauſſalitaͤt nach moraliſchen Geſetzen durch gruͤnd - liche Beweiſe beyzulegen; ohne die doch jener angeblich theo - logiſche Begrif keine Grundlage zur Religion ausmachen kann. Selbſt wenn eine Religion auf dieſem theoretiſchen Wege ge - gruͤndet werden koͤnnte, wuͤrde ſie in Anſehung der Geſin - nung (darinn doch ihr Weſentliches beſteht) wirklich von der - jenigen unterſchieden ſeyn, darinn der Begrif von Gott und die (practiſche) Ueberzengung von ſeinem Daſeyn aus Grund - ideen der Sittlichkeit entſpringt. Denn, wenn wir Allge - walt, Allwiſſenheit u. ſ. w. eines Welturhebers, als ander - waͤrts her uns gegebene Begriffe vorausſetzen muͤßten, um nachher unſre Begriffe von Pflichten auf unſer Verhaͤltnis zu ihm nur anzuwenden, ſo muͤßten dieſe ſehr ſtark den Anſtrich von Zwang und abgenoͤthigter Unterwerfung bey ſich fuͤhren;G g 4472II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſtatt deſſen, wenn die Hochachtung fuͤr das ſittliche Geſetz uns ganz frey, laut Vorſchrift unſerer eigenen Vernunft den Endzweck unſerer Beſtimmung vorſtellt, wir eine damit und zu deſſen Ausfuͤhrung zuſammenſtimmende Urſache mit der wahrhafteſten Ehrfurcht, die gaͤnzlich von pathologiſcher Furcht unterſchieden iſt, in unſere moraliſche Ausſichten mit aufnehmen und uns derſelben willig unterwerfen. *)Die Bewunderung der Schoͤnheiten ſowohl, als die Ruͤh - rung durch die ſo mannigfaltigen Zwecke der Natur, die ein nachdenkendes Gemuͤth, noch vor einer klaren Vorſtel - lung eines vernuͤnftigen Urhebers der Welt, zu fuͤhlen im Stande iſt, haben etwas einem religioͤſen Gefuͤhl aͤhnli - ches an ſich. Sie ſcheinen daher zuerſt durch eine der morali - ſchen analoge Beurtheilungsart derſelben aufs moraliſche Gefuͤhl (der Dankbarkeit und der Verehrung gegen die uns unbekannte Urſache) und alſo durch Erregung moraliſcher Jdeen auf das Gemuͤth zu wirken, wenn ſie diejenige Be - wunderung einfloͤßen, die mit weit mehrerem Jntereſſe ver - bunden iſt, als bloße theoretiſche Betrachtung wirken kann.

Wenn man fraͤgt: warum uns denn etwas daran gele - gen ſey uͤberhaupt eine Theologie zu haben: ſo leuchtet klar ein, daß ſie nicht zur Erweiterung oder Berichtigung unſerer Naturerkenntnis und uͤberhaupt irgend einer Theorie ſon - dern lediglich zur Religion, d. i. dem practiſchen, nament - lich dem moraliſchen Gebrauche der Vernunft in ſubjectiver Abſicht, noͤthig ſey. Findet ſich nun: daß das einzige Ar - gument, welches zu einem beſtimmten Begriffe des Gegen - ſtandes der Theologie fuͤhrt, ſelbſt moraliſch iſt, ſo wird es nicht allein befremden, ſondern man wird auch in Auſehung der Zulaͤnglichkeit des Fuͤrwarhaltens aus dieſem Beweis - grunde zur Endabſicht derſelben nichts vermiſſen, wenn ge - ſtanden wird, daß ein ſolches Argument das Daſeyn Gottes nur fuͤr unſere moraliſche Beſtimmung, d. i. in practiſcher473II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.Abſicht hinreichend darthue und die Speculation in demſelben ihre Staͤrke keinesweges beweiſe, oder den Umfang ihres Ge - biets dadurch erweitere. Auch wird die Befremdung, oder der vorgebliche Widerſpruch einer hier behaupteten Moͤglich - keit einer Theologie, mit dem, was die Critik der ſpeculati - ven Vernunft von den Categorien ſagte: daß dieſe naͤmlich nur in Anwendung auf Gegenſtaͤnde der Sinne, keineswe - ges aber aufs Ueberſinnliche angewandt, Erkenntnis hervor - bringen koͤnnen, verſchwinden, wenn man ſie hier zu einem Erkenntnis Gottes, aber nicht in theoretiſcher, (nachdem was ſeine uns unerforſchliche Natur an ſich ſey) ſondern le - diglich in practiſcher Abſicht gebraucht ſieht. Um bey dieſer Gelegenheit der Misdeutung jener ſehr nothwendrgen, aber zum Verdruß des blinden Dogmatikers die Vernunft, auch in ihre Grenzen zuruͤckweiſenden Lehre der Critik, ein Ende zu machen, fuͤge ich hier beygehende Erlaͤuterung derſelben bey.

Wenn ich einen Koͤrper bewegende Kraft beylege, mit - hin ihn durch die Categorie der Cauſſalitaͤt denke, ſo erken - ne ich ihn dadurch zugleich, d. i. ich beſtimme den Begrif deſſelben, als Objects uͤberhaupt, durch das, was ihm, als Gegenſtande der Sinne, fuͤr ſich (als Bedingung der Moͤg - lichkeit jener Relation) zukommt: denn iſt die bewegende Kraft, die ich ihnen beylege, eine abſtoßende ſo kommt ihm (wenn ich gleich noch nicht einen anderen gegen den er ſie ausuͤbt neben ihm ſetze) ein Ort im Raume, ferner eine Ausdehnung, d.i. Raum in ihm ſelbſt, uͤberdem Erfuͤllung deſſelben durch die abſtoßende Kraͤfte ſeiner Theile zu, endlich auch das Geſetz dieſer Erfuͤllung (daß der Grund der Abſtoßung der letzteren in derſelben Propor - tion abnehmen muͤſſe, als die Ausdehnnng des Koͤrpers waͤchſt und der Raum den er mit denſelben Theilen durch dieſe Kraft erfuͤllt zunimmt). Dagegen, wenn ich mir ein uͤberſinn - liches Weſen als den erſten Beweger, mithin durch die Ca -G g 5474II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.tegorie der Cauſſalitaͤt in Anſehung derſelben Weltbeſtimmung (der Bewegung der Materie), denke, ſo muß ich es nicht in irgend einem Orte im Raume, eben ſo wenig als ausgedehnt, ja ich darf es nicht einmal als in der Zeit und mit andern zu - gleich exiſtirend denken. Alſo habe ich gar keine Beſtimmun - gen, welche mir die Bedingung der Moͤglichkeit der Bewe - gung durch dieſes Weſen als Grund verſtaͤndlich machen koͤnn - ten, folglich erkenne ich daſſelbe durch das Praͤdicat der Ur - ſache (als erſten Beweger) fuͤr ſich nicht im mindeſten, ſon - dern ich habe nur die Vorſtellung von einem Etwas, was den Grund der Bewegungen in der Welt enthaͤlt und die Rela - tion derſelben zu dieſen, als deren Urſache, da ſie mir ſonſt nichts zur Beſchaffenheit des Dinges, welches Urſache iſt, ge - hoͤriges, an die Hand giebt, laͤßt den Begrif von dieſer ganz leer. Der Grund davon iſt: weil ich mit Praͤdicaten, die nur in der Sinnenwelt ihr Object finden, zwar zu dem Da - ſeyn von Etwas, was den Grund der letzteren enthalten muß, aber nicht zu der Beſtimmung ſeines Begrifs als uͤber - ſinnlichen Weſens, welcher alle jene Praͤdicate ausſtoͤßt fort - ſchreiten kan. Durch die Categorie der Cauſſalitaͤt alſo, wenn ich ſie durch den Begrif eines erſten Bewegers beſtimme, erkenne ich, was Gott ſey, nicht im mindeſten; vielleicht aber wird es beſſer gelingen, wenn ich aus der Weltordnung An - las nehme ſeine Cauſſalitaͤt, als die eines oberſten Verſtan - des nicht blos zu denken, ſondern ihn auch durch dieſe Be - ſtimmung des genannten Begrifs zu erkennen: weil da die laͤſtige Bedingung des Raumes und der Ausdehnung wegfaͤllt. Allerdings noͤthigt uns die große Zweckverbindung in der Welt eine oberſte Urſache zu derſelben und deren Cauſſalitaͤt als durch einen Verſtand zu denken, aber dadurch ſind wir gar nicht befugt ihr dieſen beyzulegen (wie z. B. die Ewig - keit Gottes als Daſeyn zu aller Zeit zu denken, weil wir475II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.ſonſt gar keinen Begrif von bloßen Daſeyn als einer Groͤße, d. i. als Dauer, machen koͤnnen, oder die goͤttliche Allgegen - wart als Daſeyn in allen Orten zu denken, um die unmittel - bare Gegenwart fuͤr Dinge auſſer einander uns faslich zu machen, ohne gleichwohl eine dieſer Beſtimmungen Gott, als etwas an ihm Erkanntes, beylegen zu duͤrfen). Wenn ich die Cauſſalitaͤt des Menſchen in Anſehung gewiſſer Pro - ducte, welche mir durch abſichtliche Zweckmaͤßigkeit erklaͤrlich ſind, dadurch beſtimme, daß ich ſie als einen Verſtand deſſel - ben denke, ſo brauche ich nicht dabey ſtehen zu bleiben, ſon - dern kan ihm dieſes Praͤdicat als wohlbekannte Eigen - ſchaft deſſelben beylegen und ihn dadurch erkennen. Denn ich weiß, daß Anſchauungen den Sinnen des Menſchen gegeben, und durch den Verſtand unter einen Begrif und hiemit unter eine Regel gebracht werden: daß dieſer Begrif nur das ge - meinſame Merkmal (mit Weglaſſung des Beſondern) enthalte und alſo discurſiv ſey: daß die Regeln, umgegebene Vorſtel - lungen unter ein Bewuſtſeyn uͤberhaupt zu bringen, von ihm noch vor jenen Anſchauungen gegeben werden u. ſ. w. und lege alſo dieſe Eigenſchaft dem Menſchen bey als eine ſolche, wodurch ich ihn erkenne. Will ich nun aber ein uͤberſinnli - ches Weſen (Gott) als Jntelligenz denken, ſo iſt dieſes in gewiſſer Ruͤckſicht meines Vernunftgebrauchs nicht allein er - laubt, ſondern auch unvermeidlich, aber ihm Verſtand bey - zulegen und es dadurch als einer Eigenſchaft deſſelben er - kennen zu koͤnnen ſich ſchmeicheln iſt keinesweges erlaubt; weil ich alsdann alle jene Bedingungen, unter denen ich al - lein einen Verſtand kenne, weglaſſen muß, mithin das Praͤ - dicat das nur zur Beſtimmung des Menſchen dient, auf ein uͤberſinnliches Object gar nicht bezogen werden kann und alſo durch eine ſo beſtimmte Cauſſalitaͤt, was Gott ſey, gar nicht erkannt werden kan; und ſo gehts mit allen Categorien, die gar keine Bedeutung zum Erkenntnis in thoretiſcher Ruͤckſicht476II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.haben koͤnnen, wenn ſie nicht anf Gegenſtaͤnde moͤglicher Er - fahrung angewandt werden. Aber nach der Analogie mit einem Verſtande kann ich, ja muß ich mir wohl, in gewiſſer anderer Ruͤckſicht ſelbſt ein Ueberſinnliches Weſen denken, oh - ne es gleichwohl dadurch theoretiſch erkennen zu wollen; wenn naͤmlich dieſe Beſtimmung ſeiner Cauſſalitaͤt eine Wirkung in der Welt betrift, die eine moraliſch-nothwendige, aber fuͤr Sinnenweſen unausfuͤhrbare Abſicht enthaͤlt, da alsdann ein Erkenntnis Gottes und ſeines Daſeyns (Theologie) durch blos nach der Analogie an ihm gedachte Eigenſchaften und Beſtimmungen ſeiner Cauſſalitaͤt moͤglich iſt, welches in pra - ctiſcher Beziehung aber auch nur in Ruͤckſicht auf dieſe (als moraliſche) alle erforderliche Realitaͤt hat. Es iſt alſo wohl eine Ethicotheologie moͤglich, denn die Moral kann zwar mit ihrer Regel, aber nicht mit der Endabſicht, welche eben die - ſelbe auferlegt, ohne Theologie beſtehen, ohne die Vernunft in Anſehung der letzteren im bloßen zu laſſen. Aber ein theo - logiſche Ethik (der reinen Vernunft) iſt unmoͤglich; weil Ge - ſetze, die nicht die Vernunft urſpruͤnglich ſelbſt giebt und deren Befolgung ſie als reines practiſches Ver - moͤgen auch bewirkt, nicht moraliſch ſeyn koͤnnen. Eben ſo wuͤrde eine theologiſche Phyſik ein Unding ſeyn, weil ſie keine Naturgeſetze ſondern Anordnungen eines hoͤchſten Willens vor - tragen wuͤrde, dagegen eine phyſiſche (eigentlich phyſiſch teleo - logiſche) Theologie doch wenigſtens als Propaͤdevtik zur eigent - lichen Theologie dienen kan; indem ſie durch die Betrachtung der Naturzwecke, von denen ſie reichen Stoff darbietet, zur Jdee ei - nes Endzwecks, den die Natur nicht aufſtellen kan, Anlas giebt, mithin das Beduͤrfnis einer Theologie, die den Begrif von Gott fuͤr den hoͤchſten practiſchen Gebrauch der Vernunft zureichend beſtimmte, zwar fuͤhlbar machen, aber ſie nicht hervorbringen und auf ihre Beweisthuͤmer zulaͤnglich gruͤnden kan.

[477]
Druckfehler.
  • Seite 18. Z. 3. ſt. ausmachen l. ausmachen.
  • S. 19. Z. 3. ſt. verbeſſern l. verbeſſere.
  • S. 22. Z. 13. ſtatt aber l. uͤber (das Semicolon faͤllt weg.)
  • S. 38. unterſte Zeile, ſt. reine und empiriſche l. empiriſche und reine.
  • S. 41 Z. 17 ſt. daß l. daßſie.
  • S. 42 Z. 1 ſt. koͤnnen l. koͤnnen ſie.
  • S. 44. Z. 15 ſt. objektive l. objektive innere.
  • S. 45. Z. 1. ſt. nur l. nun
  • S. 45. Z. 12. ſtatt der l. bey dem.
  • S. 56. Z. 5 von unten ſt. reproduciren koͤnnen l. zu reproduciren.
  • Z. 2. ſt. reproduciren l. zu reproduciren.
  • Z. 1. ſt. laſſen l. zu laſſen.
  • S. 57. Z. 2. ſt. wiſſen l. wiſſe.
  • Z. 1. und 3. von unten ſt. Jdeal l. beydemal Normaliden.
  • S. 69. Z. 4. ſt. demnach l. dennoch.
  • Z. 18. ſt. Abſicht l. Abſicht iſt.
  • Z. 5. von unten ſt. oder der Gebaͤude l. als der Gebaͤude.
  • S. 80. Z. 1. l. comparatiue.
  • Z. 7. ſt. gar Princip l. gar kein Princip.
  • S. 86. Z. 10 ſt. Zuſammenſetzung l. Zuſammenfaſſung.
  • S. 88. Z. 20 ſt. die l. der.
  • S. 95. Z. 5. von unten l. nach dem Wort Ganzen: eine ſolche.
  • S. 97. Z. 12. ſt. der Jdeen l. den Jdeen.
  • S. 99. Z. 7 von unten ſt. wuͤrde l. wurde.
  • S. 102. Z. 12 ſt. angenommen l. eingenommen.
  • S. 109. Z. 4. von unten ſt. verbreitet l. vorbereitet.
  • S. 116. Z. 7. von unten ſt. ſtellt ſie den l. ſtellt den.
  • S. 121. Z. 7. widrige l. niedrige.
  • S. 129. faͤllt der Titel: Drittes Buch Deduction u. ſ. w. weg.
  • S. 152. Z. 9. ſt. bringen l. finden.
  • S. 160. Z. 5. ſtreiche welches weg.
  • S. 173. Z. 1. ſt. was l. was man.
  • Z. 3 von unten in der Anmerkungen ſt. vergeblichen l. vorgeb - lichen.
  • S. 178. Z. 16. ſt. allen l. allein.
  • S. 259. Z. 10. von unten ſt. gnuͤgſame l. gnuͤgſam.
  • S. 282. Z. 9. ſt. folglich auch l. folglich daß auch.
  • S. 282. Z. 6. von unten ſt. Jch wuͤrde ſagen l. ich wuͤrde vor - laͤufig ſagen.
  • S. 328. Z. 6. eriteriſch l. eritiſches.
[478][479][480][481]

About this transcription

TextCritik der Urtheilskraft
Author Immanuel Kant
Extent545 images; 108024 tokens; 9749 types; 800857 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationCritik der Urtheilskraft Immanuel Kant. . LVIII, 476 S. Lagarde und FriederichBerlinLibau1790.

Identification

Zentral- und Landesbibliothek Berlin Berlin ZLB, KucRg 685

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Philosophie; Wissenschaft; Philosophie; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:32:06Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryZentral- und Landesbibliothek Berlin
ShelfmarkBerlin ZLB, KucRg 685
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.