Von Arthur Schnitzler erſchienen in dem - ſelben Verlage: Anatol. geh. M. 2.50. Das Märchen. Schauſpiel, geh. M. 1.50. Sterben. Novelle, geh. M. 2. —.
Den Bühnen und Vereinen gegenüber als Manuſkript gedruckt.
Sowohl Aufführungs - als Nachdrucks - und Ueberſetzungsrecht vorbehalten.
Für ſämtliche Bühnen im ausſchließlichen Debit von A. Entſch in Berlin, von welchem allein das Recht der Aufführung zu er - werben iſt.
Für Öſterreich-Ungarn iſt das Aufführungsrecht nur durch Dr. O. F. Eirich in Wien VII Neuſtift-Gaſſe 5 zu erwerben.
Perſonen.
junge Leute.
Ort: Wien. Zeit: Gegenwart.
(Theodor tritt zuerſt ein, er hat den Ueberzieher auf dem Arm, nimmt den Hut erſt nach dem Eintritt ab, hat auch den Stock noch in der Hand.)
Alſo es war Niemand da?
Nein, gnädiger Herr.
Den Wagen könnten wir eigentlich wegſchicken?
Natürlich. Ich dachte, Du hätteſt es ſchon gethan.
Schicken Sie den Wagen fort. Ja … Sie können übrigens jetzt auch weg gehen, ich brauche Sie heute nicht mehr.
10Was legſt Du denn nicht ab?
Da ſind ein paar Briefe.
Ah! ..
Na, na! .. Du erſchrickſt ja förmlich.
Von Papa ..
von Lensky ..
Laß Dich nicht ſtören.
Was ſchreibt denn der Papa?
Nichts beſonderes .. Zu Pfingſten ſoll ich auf acht Tage auf’s Gut.
Wär ſehr vernünftig. Ich möchte Dich auf ein halbes Jahr hinſchicken.
Gewiß! — reiten, kutſchiren, friſche Luft, Senne - rinnen —
Du, Sennhütten giebt’s auf Kukuruzfeldern keine!
Na ja alſo, Du weißt ſchon, was ich meine ..
Willſt Du mit mir hinkommen?
Kann ja nicht!
Warum denn?
Menſch, ich hab ja Rigoroſum zu machen! Wenn ich mit Dir hinginge, wär es nur, um Dich dort - zuhalten.
Geh, mach Dir um mich keine Sorgen!
Du brauchſt nämlich — das iſt meine Ueber - zeugung — nichts anderes als friſche Luft! — Ich12 hab’s heut geſehn. Da draußen, wo der echte grüne Frühling iſt, biſt Du wieder ein ſehr lieber und an - genehmer Menſch geweſen.
Danke.
Und jetzt — jetzt knickſt Du natürlich zuſammen. Wir ſind dem gefährlichen Dunſtkreis wieder zu nah.
Du weißt nämlich gar nicht, wie fidel Du da draußen geweſen biſt — Du warſt geradezu bei Verſtand — es war wie in den guten alten Tagen .. — Auch neulich, wie wir mit den zwei herzigen Mäderln zuſammen waren, biſt Du ja ſehr nett ge - weſen, aber jetzt — iſt es natürlich wieder aus, und Du findeſt es dringend notwendig
— an jenes Weib zu denken.
Du kennſt mich nicht, mein Lieber. Ich habe nicht die Abſicht, das länger zu dulden.
Herrgott, biſt Du energiſch! …
Ich verlang’ ja nicht von Dir, daß Du
jenes Weib vergiß’t … ich möchte nur,
mein lieber Fritz, daß Dir dieſe unglückſelige Ge - ſchichte, in der man ja immer für Dich zittern muß, nicht mehr bedeutet, als ein gewöhnliches Abenteuer .... Schau, Fritz, wenn Du eines Tages „ jenes Weib “nicht mehr anbeteſt, da wirſt Du Dich wundern, wie ſympathiſch ſie Dir ſein wird. Da wirſt Du erſt drauf kommen, daß ſie garnichts dämoniſches an ſich hat, ſondern daß ſie ein ſehr liebes Frauerl iſt, mit dem man ſich ſehr gut amüſiren kann, wie mit allen Weibern, die jung und hübſch ſind und ein bischen Temperament haben. ..
Warum ſagſt Du „ für mich zittern “?
Du weißt es. … Ich kann Dir nicht verhehlen, daß ich eine ewige Angſt habe, Du gehſt eines ſchönen Tages mit ihr auf und davon.
Das meinteſt Du? …
Es iſt nicht die einzige Gefahr.
Du haſt Recht, Theodor — es giebt auch andere.
Man macht eben keine Dummheiten.
Es giebt andere …
Was haſt Du? .... Du denkſt an was ganz beſtimmtes.
Ach nein, ich denke nicht an beſtimmtes ..
Sie hat ſich ja ſchon einmal getäuſcht.
Wieſo? … was? … ich verſteh’ Dich nicht.
Ach nichts.
Was iſt das? So red’ doch vernünftig.
Sie ängſtigt ſich in der letzten Zeit … zuweilen.
Warum? — Das muß doch einen Grund haben?
Durchaus nicht. Nervoſität —
ſchlechtes Gewiſſen, wenn Du willſt.
Du ſagſt, ſie hat ſich ſchon einmal getäuſcht —
Nun ja — und heute wohl wieder.
Heute — Ja, was heißt denn das alles —?
Sie glaubt, .... man paßt uns auf.
Wie?
Sie hat Schreckbilder, wahrhaftig, förmliche Hallucinationen.
Sie ſieht hier durch den Ritz des Vorhangs irgend einen Menſchen, der dort an der Straßenecke ſteht, und glaubt —
Iſt es überhaupt möglich, ein Geſicht auf dieſe Entfernung hin zu erkennen?
Kaum.
Das ſag’ ich ja auch. Aber das iſt dann ſchrecklich. 16Da traut ſie ſich nicht fort, da bekommt ſie alle möglichen Zuſtände, da hat ſie Weinkrämpfe, da möchte ſie mit mir ſterben —
Natürlich.
Heute mußte ich hinunter, nach - ſehen. So gemüthlich, als wenn ich eben allein von Hauſe wegginge; — Es war natürlich weit und breit kein bekanntes Geſicht zu ſeh’n ....
Das iſt doch vollkommen beruhigend, nicht wahr? Man verſinkt ja nicht plötzlich in die Erde, was? … So antwort’ mir doch!
Was willſt Du denn darauf für eine Anwort? Natürlich verſinkt man nicht in die Erde. Aber in Hausthore verſteckt man ſich zuweilen.
Ich hab’ in jedes hineingeſehen.
Da mußt Du einen ſehr harmloſen Eindruck gemacht haben.
Niemand war da. Ich ſag’s ja, Hallucinationen.
Gewiß. Aber es ſollte Dich lehren, vorſichtiger ſein.
Ich hätt’ es ja auch merken müſſen, wenn er einen Verdacht hätte. Geſtern habe ich ja nach dem Theater mit ihnen ſoupirt — mit ihm und ihr — und es war ſo gemüthlich, ſag’ ich Dir! .... lächerlich!
Ich bitt’ Dich, Fritz — thu’ mir den Gefallen, ſei vernünftig. Gieb dieſe ganze verdammte Geſchichte auf — ſchon meinetwegen. Ich hab’ ja auch Nerven … Ich weiß ja, Du biſt nicht der Menſch, Dich aus einem Abenteuer in’s Freie zu retten, d’rum hab’ ich Dir’s ja ſo bequem gemacht, und Dir Ge - legenheit gegeben, Dich in ein anderes hinein zu retten …
Du? …
Nun, hab’ ich Dich nicht vor ein paar Wochen zu meinem Rendezvous mit Fräulein Mizi mit - genommen? Und hab’ ich nicht Fräulein Mizi ge - beten, ihre ſchönſte Freundin mitzubringen? Und218kannſt Du es leugnen, daß Dir die Kleine ſehr gut gefällt? …
Gewiß iſt die lieb! … So lieb! Und Du haſt ja gar keine Ahnung, wie ich mich nach ſo einer Zärtlichkeit ohne Pathos geſehnt habe, nach ſo was Süßem, Stillem, das mich umſchmeichelt, an dem ich mich von den ewigen Aufregungen und Martern erholen kann.
Das iſt es, ganz richtig! Erholen! Das iſt der tiefere Sinn. Zum Erholen ſind ſie da. D’rum bin ich auch immer gegen die ſogenannten inter - eſſanten Weiber. Die Weiber haben nicht intereſſant zu ſein, ſondern angenehm. Du mußt Dein Glück ſuchen, wo ich es bisher geſucht und gefunden habe, dort, wo es keine großen Scenen, keine Gefahren, keine tragiſchen Verwicklungen giebt, wo der Beginn keine beſonderen Schwierigkeiten und das Ende keine Qualen hat, wo man lächelnd den erſten Kuß em - pfängt und mit ſehr ſanfter Rührung ſcheidet.
Ja, das iſt es.
Die Weiber ſind ja ſo glücklich in ihrer geſunden Menſchlichkeit — was zwingt uns denn, ſie um jeden Preis zu Dämonen oder zu Engeln zu machen?
Sie iſt wirklich ein Schatz. So anhänglich, ſo lieb. Manchmal ſcheint mir faſt, zu lieb für mich.
Du biſt unverbeſſerlich; ſcheint es. Wenn Du die Abſicht haſt, auch die Sache wieder ernſt zu nehmen —
Aber ich denke nicht daran. Wir ſind ja einig: Erholung.
Ich würde auch meine Hände von Dir abziehen. Ich hab’ Deine Liebestragödien ſatt. Du langweilſt mich damit. Und wenn Du Luſt haſt, mir mit dem berühmten Gewiſſen zu kommen, ſo will ich Dir mein einfaches Prinzip für ſolche Fälle ver - rathen: Beſſer ich als ein Anderer. Denn der An - dere iſt unausbleiblich wie das Schickſal.
Was iſt denn das? …
Sieh nur nach. — Du biſt ja ſchon wieder blaß! Alſo beruhige Dich ſofort. Es ſind die zwei ſüßen Mäderln.
Was? …
Ich hab mir die Freiheit genommen, ſie für heute zu Dir einzuladen.
Geh’ — warum haſt Du mir’s denn nicht geſagt! Jetzt hab’ ich den Diener weg - geſchickt.
Um ſo gemüthlicher —
Grüß Sie Gott, Mizi! —
Und wo iſt denn die Chriſtin’? —
Kommt bald nach. Grüß Dich Gott, Dori.
Sie müſſen ſchon entſchuldigen, Herr Fritz; aber der Theodor hat uns einmal eingeladen —
Aber das iſt ja eine famoſe Idee geweſen. Nur hat er eines vergeſſen, der Theodor —
Nichts hat er vergeſſen, der Theodor!
Haſt Du alles mit - gebracht, was ich Dir aufgeſchrieben habe? —
Freilich!
Wo darf ich’s denn hin - legen?
Geben Sie mir’s nur, Mizi, wir legen’s indeſſen da auf die Kredenz.
Ich hab’ noch extra was gekauft, was Du nicht aufgeſchrieben haſt, Dori.
Geben Sie mir Ihren Hut, Mizi, ſo —
Was denn?
Eine Moccacrêmetorte.
Naſchkatz’!
Ja, aber ſagen Sie, warum iſt denn die Chriſtin’ nicht gleich mitgekommen? —
Die Chriſtin, begleitet ihren Vater zum Theater, hin. Sie fährt dann mit der Tramway her.
Das iſt eine zärtliche Tochter …
Na, und gar in der letzten Zeit, ſeit der Trauer.
Wer iſt ihnen denn eigentlich geſtorben?
Die Schweſter vom alten Herrn.
Ah, die Frau Tant!
Nein, das war eine alte Fräul’n, die ſchon immer bei ihnen gewohnt hat — Na, und da fühlt er ſich halt ſo vereinſamt.
Nicht wahr, der Vater von der Chriſtin’, das iſt ſo ein kleiner Herr mit kurzem grauen Haar —
Nein, er hat ja lange Haar’.
Woher kennſt Du ihn denn?
Neulich war ich mit dem Lensky in der Joſef - ſtadt, und da hab ich mir die Leut’ mit den Baß - geigen angeſchaut.
Er ſpielt ja nicht Baßgeigen, Violin ſpielt er.
Ach ſo — ich hab gemeint, er ſpielt Baßgeige.
Das iſt ja nicht komiſch; das kann ich ja nicht wiſſen, Du Kind.
Schön haben Sie’s, Herr Fritz — wunderſchön! Wohin haben Sie denn die Ausſicht?
Das Fenſter da geht in die Strohgaſſe, und im Zimmer daneben —
Sagt mir nur, warum ſeid Ihr denn ſo geſpreizt mit einander? Ihr könntet Euch wirklich Du ſagen.
Beim Nachtmahl trinken wir Bruderſchaft.
Solide Grundſätze! Immerhin beruhigend. — — Wie geht’s denn der Frau Mutter?
Denk’ Dir, ſie hat —
Zahnweh — ich weiß, ich weiß. Deine Mutter hat immer Zahnweh. Sie ſoll endlich einmal zu einem Zahnarzt gehen.
Aber, der Doktor ſagt, es iſt nur rheumatiſch.
Ja, wenn’s nur rheumatiſch iſt —
Lauter ſo ſchöne Sachen haben Sie da! …
Wer iſt denn das? .. Das ſind ja Sie, Herr Fritz … In Uniform!? Sie ſind bei Militär?
Ja.
Dragoner! — Sind ſie bei den gelben oder bei den ſchwarzen!
Bei den gelben.
Bei den gelben.
Da wird ſie ganz träumeriſch! Mizi, wach auf!
Aber jetzt ſind Sie Lieutenant in der Reſerve?
Allerdings.
Sehr gut müſſen Sie ausſchau’n mit dem Pelz.
Umfaſſend iſt dieſes Wiſſen! — Du, Mizi, ich bin nemlich auch bei Militär.
Biſt Du auch bei den Dragonern?
Ja. —
Ja, warum ſagt Ihr einem denn das nicht? …
Ich will um meiner ſelbſt willen geliebt werden.
Geh, Dori, da mußt Du Dir nächſtens, wenn wir zuſammen wohin gehn, die Uniform anziehn.
Im Auguſt hab’ ich ſowieſo Waffenübung.
Gott, bis zum Auguſt —
Ja, richtig — ſo lange währt die ewige Liebe nicht.
Wer wird denn im Mai an den Auguſt denken. Iſt’s nicht wahr, Herr Fritz? — Sie, Herr Fritz, warum ſind denn Sie uns geſtern durchgegangen?
Wieſo ....
Na ja — nach dem Theater.
Hat mich denn der Theodor nicht bei Euch ent - ſchuldigt?
Freilich hab ich Dich entſchuldigt.
Was hab denn ich — oder vielmehr die Chriſtin’ von Ihrer Entſchuldigung! Wenn man was ver - ſpricht, ſo halt’ man’s.
Ich wär’ wahrhaftig lieber mit Euch geweſen …
Is’ wahr? ..
Aber, ich konnt’ nicht. Sie haben ja geſehen, ich war mit Bekannten in der Loge, und da hab’ ich mich nachher nicht losmachen können.
Ja, von den ſchönen Damen haben Sie ſich nicht losmachen können. Glauben Sie, wir haben Sie nicht geſehn von der Gallerie aus?
Ich hab’ Euch ja auch geſehn …
Sie ſind rückwärts in der Loge geſeſſen. —
Nicht immer.
Aber meiſtens. Hinter einer Dame mit einem ſchwarzen Sammtkleid ſind Sie geſeſſen und haben immer
ſo hervorgeguckt.
Sie haben mich aber genau beobachtet.
Mich geht’s ja nichts an! Aber wenn ich die Chriſtin wär’ … Warum hat denn der Theodor nach dem Theater Zeit? Warum muß der nicht mit Bekannten ſoupiren gehn? …
Warum muß ich nicht mit Bekannten ſoupiren gehn? …
Das iſt die Chriſtin’.
Mizi, Du könnteſt mir einen Gefallen thun.
Vergiß — auf einige Zeit wenigſtens — Deine militäriſchen Erinnerungen.
Ich hab ja gar keine.
Na Du, aus dem Schematismus haſt Du die Sachen nicht gelernt, das merkt man.
Guten Abend.
Freut’s Dich, daß wir ge - kommen ſind? — Biſt nicht bös?
Aber — Kind! Manchmal iſt ja der Theodor geſcheidter als ich. —
Na, geigt er ſchon, der Herr Papa?
Freilich; ich hab ihn zum Theater hinbegleitet.
Die Mizi hat’s uns erzählt. —
Und die Kathrin’ hat mich noch auf - gehalten.
O jeh, die falſche Perſon.
Oh, die iſt gewiß nicht falſch, die iſt ſehr gut zu mir.
Du glaubſt auch einer jeden.
Warum ſoll die denn gegen mich falſch ſein?
Wer iſt denn die Kathrin?
Die Frau von einem Strumpfwirker und ärgert ſich alleweil, wenn wer jünger iſt wie ſie.
Sie iſt ja ſelbſt noch eine junge Perſon.
Laſſen wir die Kathrin. — Was haſt Du denn da?
Ein paar Blumen hab ich Dir mitgebracht.
Du biſt ein Engerl. Wart, die wollen wir da in die Vaſe …
Oh nein! Du haſt gar kein Talent zum Feſt - arrangeur. Die Blumen werden zwanglos auf den Tiſch geſtreut … Nachher übrigens, wenn auf - gedeckt iſt. Eigentlich ſollte man das ſo arrangiren, daß ſie von der Decke herunterfallen. Das wird aber wieder nicht gehen.
Kaum.
Unterdeſſen wollen wir ſie doch da hinein ſtecken.
Kinder, dunkel wird’s!
Gleich wollen wir die Lampe anzünden.
Lampe! Keine Idee! Lichter werden wir an - zünden. Das macht ſich viel hübſcher. Komm, Mizi, kannſt mir helfen.
Wie geht’s Dir denn, mein Schatz?
Jetzt geht’s mir gut. —
Na, und ſonſt?
Ich hab mich ſo nach Dir geſehnt.
Wir haben uns ja geſtern erſt geſehen.
Geſehn … von weitem …
Du, das war nicht ſchön, daß Du ....
Ja, ich weiß ſchon; die Mizi hat’s mir ſchon geſagt. Aber Du biſt ein Kind wie gewöhnlich. 33Ich hab nicht los können. So was mußt Du ja begreifen.
Ja … Du, Fritz, … wer waren denn die Leute in der Loge?
Bekannte — das iſt doch ganz gleichgültig, wie ſie heißen.
Wer war denn die Dame im ſchwarzen Sammt - kleid?
Kind, ich hab’ gar kein Gedächtnis für Toiletten.
Na!
Das heißt, .. ich hab’ dafür auch ſchon ein Gedächtnis — in gewiſſen Fällen. Zum Beiſpiel an die dunkelgraue Blouſe erinner’ ich mich ſehr gut, die Du angehabt haſt, wie wir uns das erſte Mal geſehen haben. Und die weiß-ſchwarze Taille, geſtern … im Theater.
Die hab’ ich ja heut auch an!
Richtig … von weitem ſieht die nämlich ganz334anders aus — im Ernſt! Oh, und das Medaillon, das kenn’ ich auch!
Wann hab’ ich’s umgehabt?
Vor — na, damals, wie wir in dem Garten bei der Linie ſpazieren gegangen ſind, wo die vielen Kinder geſpielt haben … nicht wahr …?
Ja … Du denkſt doch manchmal an mich.
Ziemlich häufig, mein Kind …
Nicht ſo oft wie ich an Dich. Ich denke immer an Dich … den ganzen Tag … und froh kann ich doch nur ſein, wenn ich Dich ſeh’!
Sehn wir uns denn nicht oft genug? —
Oft…
Freilich. Im Sommer werden wir uns weniger ſehn… Denk’ Dir, wenn ich zum Beiſpiel einmal35 auf ein paar Wochen verreiſte, was möchteſt Du da ſagen?
Wie? Du willſt verreiſen?
Nein… Immerhin wär’ es aber möglich, daß ich einmal die Laune hätte, acht Tage ganz allein zu ſein…
Ja, warum denn?
Ich ſpreche ja nur von der Möglichkeit. Ich kenne mich, ich hab’ ſolche Launen. Und Du könnteſt ja auch einmal Luſt haben, mich ein paar Tage nicht zu ſehn … das werd’ ich immer verſtehn.
Die Laune werd’ ich nie haben, Fritz.
Das kann man nie wiſſen.
Ich weiß es … ich hab’ Dich lieb.
Ich hab’ Dich ja auch ſehr lieb.
Du biſt aber mein Alles, Fritz, für Dich könnt ich …
Nein, ich kann mir nicht denken, daß je eine Stunde kommt, wo ich Dich nicht ſehen wollte. So lang ich leb’, Fritz — —
Kind, ich bitt’ Dich … ſo was ſag’ lieber nicht .. die großen Worte, die hab’ ich nicht gern. Von der Ewigkeit reden wir nicht…
Hab’ keine Angſt, Fritz … ich weiß ja, daß es nicht für immer iſt …
Du verſtehſt mich falſch, Kind. Es iſt ja möglich,
daß wir einmal überhaupt nicht ohne ein - ander leben können, aber wiſſen können wir’s ja nicht, nicht wahr? Wir ſind ja nur Menſchen …
Bitte ſich das gefälligſt an - zuſehn… Sieht das nicht anders aus, als wenn da eine dumme Lampe ſtünde?
Du biſt wirklich der geborene Feſtarrangeur.
Kinder, wie wär’s übrigens, wenn wir an das Souper dächten? ..
Ja! … Komm’ Chriſtin’! ..
Wartet, ich will Euch zeigen, wo Ihr alles noth - wendige findet.
Vor allem brauchen wir ein Tiſchtuch.
„ Eine Tiſchentuch. “
Was? ..
Erinnerſt Dich nicht an den Clown im Orpheum? „ Das iſt eine Tiſchentuch “… „ Das iſt eine Blech “. „ Das iſt eine kleine piccolo. “
Du, Dori, wann gehſt denn mit mir in’s Orpheum? Neulich haſt Du mir’s ja verſprochen. Da kommt die Chriſtin’ aber auch mit, und der Herr Fritz auch.
Da ſind aber dann wir die Bekannten in der Loge …
Ja, ja …
Da kann dann die Dame mit dem ſchwarzen Sammtkleid allein nach Haus gehn.
Was Ihr immer mit der Dame in Schwarz habt, das iſt wirklich zu dumm.
Oh, wir haben nichts mit ihr … So … Und das Eßzeug? ..
Ja … Und die Teller? .. Ja, danke … So, jetzt machen wir’s ſchon allein .... Gehn Sie, gehn Sie, jetzt ſtören Sie uns nur.
Du ent - ſchuldigſt …
Haſt ſchon das Bild vom Fritz in der Uniform geſehn?
Nein.
Das mußt Du Dir anſchau’n. Feſch! ..
Siehſt Du, Fritz, ſolche Abende ſind meine Schwärmerei.
Sind auch nett.
Da fühl’ ich mich behaglich … Du nicht? …
Oh, ich wollte, es wär’ mir immer ſo wohl.
Sagen Sie, Herr Fritz, iſt Kaffee in der Maſchin’ drin?
Ja … Ihr könnt auch gleich den Spiritus an - zünden — auf der Maſchin’ dauert’s ſowieſo eine Stund’, bis der Kaffee fertig iſt …
Für ſo ein ſüßes Mäderl geb’ ich zehn dämoniſche Weiber her.
Das kann man nicht vergleichen.
Wir haſſen nämlich die Frauen, die wir lieben — und lieben nur die Frauen, die uns gleichgiltig ſind.
Was iſt denn? Wir möchten auch was hören!
Nichts für Euch, Kinder. Wir philoſophieren.
Wenn wir heut mit denen das letzte Mal zuſammen wären, wir wären doch nicht weniger fidel, was?
Das letzte Mal … Na, darin liegt jedenfalls etwas melancholiſches. Ein Abſchied ſchmerzt immer, auch wenn man ſich ſchon lang darauf freut!
Du, Fritz, wo iſt denn das kleine Eßzeug?
Da iſt es, mein Schatz.
Du Katz, Du!
Großartig …
Wie Du alles hübſch in Ordnung haſt!
Ja …
Fritz … willſt Du mir’s nicht ſagen?
Was denn?
Wer die Dame war?
Nein, ärger’ mich nicht.
Schau, das haben wir ja ſo ausdrücklich mit einander ausgemacht: Gefragt wird nichts. Das iſt ja gerade das ſchöne. Wenn ich mit Dir zuſammen bin, verſinkt die Welt — punktum. Ich frag’ Dich auch um nichts.
Mich kannſt Du um alles fragen.
Aber ich thu’s nicht. Ich will ja nichts wiſſen.
Herrgott, machen Sie da eine Unordnung —
So …
Du, Fritz, ſag’, haſt Du denn irgend was zum Trinken zu Hauſe?
Oh ja, es wird ſich ſchon was finden.
Gut. —
So, ich denke, es fehlt nichts mehr! …
So, hier wäre auch was zum trinken.
Wo ſind denn die Roſen, die von der Decke herunterfallen?
Ja richtig, die Roſen haben wir vergeſſen!
So!
Gott, iſt das Mädel ausgelaſſen!
Na, nicht in die Teller ....
Wo willſt Du ſitzen, Chriſtin’?
Wo iſt denn ein Stoppelzieher?
Hier iſt einer.
Aber geben Sie das doch mir.
Laßt das mich machen ....
Du könnteſt unter - deſſen ein bischen …
Ja ja, das iſt feſch! …
Soll ich?
Ich bitt’ Dich, ja, ſo lang ſchon hab’ ich mich danach geſehnt.
Du kannſt ja auch ein biſſel ſpielen?
Oh Gott.
Schön kann ſie ſpielen, die Chriſtin’, … ſie kann auch ſingen.
Wirklich, das haſt Du mir ja nie geſagt? ..
Haſt Du mich denn je gefragt? —
Wo haſt Du denn ſingen gelernt?
Gelernt hab’ ich’s eigentlich nicht. Der Vater hat mich ein biſſel unterrichtet — aber ich hab’ nicht viel Stimme. Und weißt Du, ſeit die Tant’ ge - ſtorben iſt, die immer bei uns gewohnt hat, da iſt es noch ſtiller bei uns wie es früher war.
Was machſt Du eigentlich ſo den ganzen Tag?
Oh Gott, ich hab’ ſchon zu thun! —
So im Haus — wie? —
Ja. Und dann ſchreib’ ich Noten ab, ziemlich viel. —
Muſiknoten? —
Freilich.
Das muß ja horrend bezahlt werden.
Na, ich würde das horrend bezahlen. Ich glaube, Noten ſchreiben muß eine fürchterliche Arbeit ſein! —
Es iſt auch ein Unſinn, daß ſie ſich ſo plagt.
Wenn ich ſo viel Stimme hätte, wie Du, wär’ ich längſt beim Theater.
Du brauchteſt nicht einmal Stimme … Du thuſt natürlich den ganzen Tag gar nichts! was?
Na, ſei ſo gut! Ich hab’ ja zwei kleine Brüder,46 die in die Schul’ gehn, die zieh’ ich an in der früh; und dann mach’ ich die Aufgaben mit ihnen —
Da iſt doch kein Wort wahr.
Na, wennſt mir nicht glaubſt! — Und bis zum vorigen Herbſt bin ich ſogar in einem Geſchäft ge - weſen von acht in der früh bis acht am Abend —
Wo denn?
In einem Modiſtengeſchäft. Die Mutter will, daß ich wieder eintrete.
Warum biſt Du denn ausgetreten?
Du mußt uns dann was vorſingen!
Kinder, eſſen wir jetzt lieber, und Du ſpielſt dann, ja? ....
Komm’, Schatz!
Der Kaffee! Jetzt geht der Kaffee über und wir haben noch nichts gegeſſen!
Jetzt iſt’s ſchon alles eins! —
Aber er geht ja über!
Was willſt Du haben, Mizi? Das ſag’ ich Dir gleich: die Torte kommt zuletzt! … Zuerſt mußt Du lauter ganz ſauere Sachen eſſen.
Nicht ſo: das macht man jetzt ganz anders. Kennſt Du nicht die neueſte Mode?
Vöslauer Ausſtich achtzehnhundert ....
Vöslauer Ausſtich achtzehnhundert ....
Vöslauer Ausſtich achtzehn - hundert ....
Vöslauer Ausſtich …
Alleweil macht er Dummheiten.
Proſit.
Sollſt leben, Theodor! ....
Meine Damen und Herren …
Na, nicht gleich!
Ich kann ja warten.
Das hab’ ich ſo gern, wenn bei Tiſch Reden gehalten werden. Alſo ich hab’ einen Couſin, der redet immer in Reimen.
Bei was für einem Regiment iſt er? …
Geh, hör’ auf … Auswendig redt er und mit Reimen, aber großartig, ſag’ ich Dir, Chriſtin’. Und iſt eigentlich ſchon ein älterer Herr.
O, das kommt vor, daß ältere Herren noch in Reimen reden.
Aber, Ihr trinkt ja garnicht. Chriſtin’!
Auf die alten Herren, die in Reimen reden.
Auf die jungen Herren, auch wenn ſie gar - nichts reden … zum Beiſpiel auf den Herrn Fritz … Sie, Herr Fritz, jetzt trinken wir Bruderſchaft, wenn Sie wollen — und die Chriſtin’ muß auch mit dem Theodor Bruderſchaft trinken.
Aber nicht mit dem Wein, das iſt kein Bruder - ſchaftswein.
Xeres de la Frontera mille huit cent cinquante — Xeres de la Frontera — Xeres de la Frontera — Xeres de la Frontera.
Ah —
Kannſt Du nicht warten, bis wir alle trinken … Alſo Kinder … bevor wir uns ſo feierlich450verbrüdern, wollen wir auf den glücklichen Zufall trinken, der, der … und ſo weiter …
Ja, iſt ſchon gut!
Muß das ſein?
Unbedingt, ſonſt gilt’s nichts …
So, und jetzt à place! …
Aber ſchauerlich heiß wird’s in dem Zimmer.
Das iſt von den vielen Lichtern, die der Theodor angezündet hat.
Und von dem Wein.
Komm’ nur daher, jetzt kriegſt Du ja erſt das51 Beſte.
Da, Du Katz — gut? —
Sehr! …
Geh’, Fritz, jetzt iſt der Moment! Jetzt könnteſt Du was ſpielen!
Willſt Du, Chriſtin’?
Bitte! —
Aber was Feſches!
Kann nicht mehr.
Der Wein iſt ſo ſchwer.
Fritz!
Herr Fritz, ſpielen’s den Doppeladler.
Den Doppeladler — Wie geht der?
Dori, kannſt Du nicht den Doppeladler ſpielen?
Ich kann überhaupt nicht Klavier ſpielen.
Ich kenne ihn ja; er fällt mir nur nicht ein.
Ich werd’ ihn Ihnen vorſingen … La … la … lalalala … la …
Aha, ich weiß ſchon.
Nein, ſo …
Ja, ja …
Das ſind wieder ſüße Erinnerungen, was? …
Es geht nicht. Ich hab’ gar kein Gehör.
Das iſt nichts!
Schimpfen Sie nicht, das iſt von mir! —
Aber zum tanzen iſt es nicht.
Probiren Sie nur einmal …
Komm’, verſuchen wir’s.
Was iſt denn das? — Na!
Er hat eben geklingelt …
Haſt Du denn noch jemanden eingeladen? ..
Keine Idee — Du brauchſt ja nicht zu öffnen.
Was haſt Du denn?
Nichts …
Du biſt einfach nicht zu Hauſe.
Man hört ja das Klavierſpielen bis auf den Gang … Man ſieht auch von der Straße her, daß es beleuchtet iſt.
Was ſind denn das für Lächerlichkeiten? Du biſt eben nicht zu Haus.
Es macht mich aber nervös.
Na, was wird’s denn ſein? Ein Brief! — Oder ein Telegramm — Du wirſt ja um
um neun keinen Beſuch bekommen.
Ach was, ich muß doch nachſeh’n —
Aber Ihr ſeid auch gar nicht feſch —
Geh, hör’ jetzt auf! —
Was haben Sie denn? Macht Sie das Klingeln auch nervös? —
Theodor und Chriſtine zugleich. Na, wer war’s? — Wer war’s?
Ihr müßt ſo gut ſein, mich einen Moment zu entſchuldigen. Geht unterdeſſen da hinein.
Was giebt’s denn?
Wer iſt’s?
Nichts, Kind, ich habe nur zwei Worte mit einem Herrn zu ſprechen …
Er! ..
Ah! ..
Geh hinein, geh hinein. —
Ich bitt Dich, mach keine Dummheiten, es kann eine Falle ſein …
Geh … geh … —
Pardon, daß ich Sie warten ließ … ich bitte …
Oh, das thut nichts. Ich bedaure ſehr, Sie geſtört zu haben.
Gewiß nicht. Bitte wollen Sie nicht —
Ich ſehe ja, daß ich Sie geſtört habe. Kleine Unterhaltung, wie?
Ein paar Freunde.
Maskenſcherz wahr - ſcheinlich?
Wieſo?
Nun, Ihre Freunde haben Damenhüte und Mantillen.
Nun ja …
Es mögen ja Freundinnen auch dabei ſein …
Das Leben iſt zuweilen ganz luſtig … ja …
Ich darf mir wohl die Frage erlauben, was mir die Ehre Ihres Beſuches verſchafft.
Gewiß …
Meine Frau hat nämlich ihren Schleier bei Ihnen vergeſſen.
Ihre Frau Gemahlin, bei mir? .. ihren …
Der Scherz iſt ein bischen ſonderbar …
Sie hat ihn vergeſſen.
Oh …!
Hier ſind Ihre Briefe.
Ich bitte um die, welche Sie erhalten haben …
Ich will nicht, daß man ſie — ſpäter bei Ihnen findet.
Man wird ſie nicht finden.
Was wünſchen Sie noch von mir? …
Was ich noch wünſche —?
Ich ſtehe zu Ihrer Verfügung …
Gut. —
Ich bin ganz zu Ihrer Verfügung. — Ich werde morgen bis zwölf Uhr zuhauſe ſein.
Theodor, … auf einen Moment.
Nun …
Er weiß es.
Nichts weiß er. Du biſt ihm ſicher hinein - gefallen. Haſt am Ende geſtanden. Du biſt ein Narr, ſag’ ich Dir, … Du biſt —
Er hat mir meine Briefe zurückgebracht.
Oh …
Ich ſag’ es immer, man ſoll nicht Briefe ſchreiben.
Er iſt es geweſen, heute Nachmittag, da unten …
Alſo was hat’s denn gegeben? — ſo ſprich doch —
Du mußt mir nun einen großen Dienſt erweiſen, Theodor.
Ich werde die Sache ſchon in Ordnung bringen.
Davon iſt hier nicht mehr die Rede.
Alſo …
Es wird für alle Fälle gut ſein …
— aber wir können doch die armen Mädeln nicht ſo lange warten laſſen.
Die können ſchon warten. Was wollteſt Du ſagen?
Es wird gut ſein, wenn Du heute noch Lensky aufſuchſt.
Gleich, wenn Du willſt.
Du triffſt ihn jetzt nicht … aber zwiſchen elf und zwölf kommt er ja ſicher in’s Kaffeehaus … vielleicht kommt Ihr dann beide noch zu mir …
Geh’, ſo mach’ doch kein ſolches Geſicht … in neunundneunzig Fällen von hundert geht die Sache gut aus …
Es wird dafür geſorgt ſein, daß dieſe Sache nicht gut ausgeht.
Aber ich bitt’ Dich, erinnere Dich, im vorigen Jahr, die Affaire zwiſchen dem Doktor Billinger und dem Herz, — das war doch genau dasſelbe.
Laß das, Du weißt es ſelbſt, — er hätte mich63 einfach hier in dem Zimmer niederſchießen ſollen, — es wär’ auf’s gleiche herausgekommen.
Ah, das iſt famos! Das iſt eine groß - artige Auffaſſung … Und wir, der Lensky und ich, wir ſind nichts? Du meinſt, wir werden es zu - geben — —
Bitt’ Dich, laß das! … Ihr werdet einfach annehmen, was man proponiren wird.
Ah! —
Wozu das alles, Theodor. Als wenn Du’s nicht wüßteſt.
Unſinn. Ueberhaupt, das ganze iſt Glücksſache … Ebenſo gut kannſt Du ihn …
Sie hat es geahnt. Wir beide haben es geahnt. Wir haben es gewußt …
Geh, Fritz …
Was ſie in dieſem Augenblick nur macht. Ob er ſie … Theodor64 .. das mußt Du morgen in Erfahrung bringen, was dort geſchehen iſt.
Ich werd’ es verſuchen …
… Sieh’ auch, daß kein überflüſſiger Aufſchub …
Vor übermorgen früh wird’s ja doch kaum ſein können.
Theodor!
Alſo … Kopf hoch. — Nicht wahr, auf innere Ueberzeugungen iſt doch auch etwas zu geben — und ich hab’ die feſte Ueberzeugung, daß alles … gut ausgeht.
Ich weiß ſelbſt nicht warum, aber ich hab’ einmal die Ueberzeugung!
Was biſt Du für ein guter Kerl! — Aber was ſagen wir nur den Mädeln?
Das iſt wohl ſehr gleichgiltig. Schicken wir ſie einfach weg.
Oh nein. Wir wollen ſogar möglichſt luſtig ſein. Chriſtine darf garnichts ahnen. Ich will mich wieder zum Klavier ſetzen; ruf’ Du ſie indeſſen herein.
Und was wirſt Du ihnen ſagen?
Daß ſie das gar nichts angeht.
Nein, nein —
Daß es ſich um einen Freund handelt — das wird ſich ſchon finden.
Bitte, meine Damen.
Na endlich! Iſt der ſchon fort?
Wer war bei Dir, Fritz?
Iſt ſchon wieder neu - gierig!
Ich bitt’ Dich, Fritz, ſag’s mir.
Schatz, ich kann’s Dir nicht ſagen, es handelt ſich wirklich um Leute,[die] Du gar nicht kennſt.
Geh’, Fritz, ſag’ mir die Wahrheit!
Sie läßt Dich natürlich nicht in Ruh … Daß Du ihr nichts ſagſt! Du haſt’s ihm verſprochen!
Geh’, ſei doch nicht ſo[fad], Chriſtin’, laß ihnen die Freud’! Sie machen ſich eh’ nur wichtig!
Ich muß den Walzer mit Fräulein Mizi zu Ende tanzen.
Bitte, Herr Kapellmeiſter — eine kleine Muſik.
Ich kann nicht!
Warum ſpielſt Du nicht weiter?
Genug für heut’ …
Siehſt Du, ſo möcht’ ich ſpielen können …
Spielſt Du viel? …
Ich komme nicht viel dazu; im Haus iſt immer was zu thun. Und dann, weißt, wir haben ein ſo ſchlechtes Pianino.
Ich möcht’s wohl einmal verſuchen. Ich möcht’ überhaupt gern Dein Zimmer einmal ſeh’n.
’s iſt nicht ſo ſchön, wie bei Dir! ..
Und noch eins möcht’ ich: daß Du mir einmal5*68viel von Dir erzählſt … recht viel … ich weiß eigentlich ſo wenig von Dir.
Iſt wenig zu erzählen. — Ich hab’ auch keine Geheimniſſe, — wie wer anderer …
Du haſt noch keinen lieb gehabt?
Und werd’ auch nie wen andern lieb haben …
Sag’ das nicht … ſag’s nicht … was weißt Du denn? .. Hat Dich Dein Vater ſehr gern, Chriſtin’? —
Oh Gott! .. Es war auch eine Zeit, wo ich ihm alles erzählt hab’. —
Na, Kind, mach’ Dir nur keine Vorwürfe … Ab und zu hat man halt Geheimniſſe — das iſt der Lauf der Welt.
… Wenn ich nur wüßte, daß Du mich gern haſt — da wär ja alles ganz gut.
Weißt Du’s denn nicht?
Wenn Du immer in dem Ton zu mir reden möchteſt, ja dann …
Chriſtin’! Du ſitzt aber recht unbequem.
Ach laß mich nur — es iſt da ganz gut!
Oh, das iſt gut.
Wo ſind denn die Cigarren, Fritz? —
Und der ſchwarze Kaffee!
Kinder, wollt Ihr nicht auch ſchwarzen Kaffee haben?
Mizi, ſoll ich Dir eine Taſſe …
Laſſen wir ſie ſchlafen … — Du trink’ übrigens keinen Kaffee heut. Du ſollteſt Dich möglichſt bald zu Bette legen und ſchauen, daß Du ordentlich ſchläfſt.
Na ja, jetzt ſtehn die Dinge nun einmal ſo wie ſie ſtehn … und es handelt ſich jetzt nicht darum, ſo großartig oder ſo tiefſinnig, ſondern ſo vernünftig zu ſein als möglich … darauf kommt es an … in ſolchen Fällen.
Du kommſt noch heute Nacht mit Lensky zu mir ja? …
Das iſt ein Unſinn. Morgen früh iſt Zeit genug.
Ich bitt’ Dich drum.
Alſo ſchön …
Begleiteſt Du die Mädeln nach Hauſe?
Ja, und zwar ſofort … Mizi! … Erhebe Dich! —
Ihr trinkt da ſchwarzen Kaffee —! Gebt’s mir auch einen! —
Da haſt Du, Kind …
Biſt müd, mein Schatz? …
Wie lieb das iſt, wenn Du ſo ſprichſt.
Sehr müd’? —
— Der Wein. — Ich hab auch ein biſſel Kopfweh …
Na, in der Luft wird Dir das ſchon vergehn!
Gehn wir ſchon? — Begleiteſt Du uns?
Nein, Kind. Ich bleib jetzt ſchon zu Haus … Ich hab noch einiges zu thun.
Jetzt … Was haſt Du denn jetzt zu thun? —
Du, Chriſtin’, das mußt Du Dir abgewöhnen! —
Ich bin nämlich wie zer - ſchlagen … wir ſind heut, der Theodor und ich, draußen auf dem Land zwei Stunden herumgelaufen —
Ah, das war entzückend. Nächſtens fahren wir alle zuſammen hinaus auf’s Land.
Ja, das iſt feſch! Und Ihr zieht Euch die Uniform dazu an.
Das iſt doch wenigſtens Naturſinn!
Wann ſehen wir uns denn wieder?
Ich ſchreib’s Dir ſchon.
Leb’ wohl
Morgen ſehn wir uns, Chriſtin’!
Ja?
In dem Garten … dort bei der Linie wie neulich … um — ſagen wir, um ſechs Uhr … ja? Iſt’s Dir recht?
Gehſt mit uns, Fritz?
Die hat ein Talent zum Duſagen —!
Nein, ich bleib’ ſchon zu Haus.
Der hat’s gut! Was wir noch für einen Rieſen - weg nach Haus haben …
Aber, Mizi, Du haſt ja beinah’ die ganze gute Torte ſtehn laſſen. Wart’, ich pack’ ſie Dir ein — ja? —
Schickt ſich das?
Die iſt wie ein kleines Kind …
Wart’, dafür helf’ ich Dir die Lichter auslöſchen.
Soll ich Dir nicht das Fenſter aufmachen? — es iſt ſo ſchwül.
So Kinder. Jetzt leucht’ ich Euch.
Iſt denn ſchon ausgelöſcht auf der Stiege? …
Na, ſelbſtverſtändlich.
Ah, dieLuft iſt gut, die da hereinkommt! …
Mailüfterl …
Alſo, wir danken für die freundliche Aufnahme! —
Geh, geh, geh, geh …
Alſo pah! —
Gieb acht, da ſind Stufen.
Danke ſchön für die Torte …
Pſt, Du weckſt ja die Leute auf! —
Gute Nacht!
Gute Nacht!
Gute Nacht!
Gute Nacht, Du mein herziges Kind …
Du, Mizi …
(kleidet ſich eben zum weggehen an).
(tritt auf, nachdem ſie draußen angeklopft hat).
Guten Abend, Fräulein Chriſtin’.
Guten Abend.
Sie wollen grad weggehn?
Ich hab’s nicht ſo eilig.
Ich komm’ nemlich von meinem Mann, ob Sie mit uns nachtmahlen gehn wollen in’ Lehnergarten, weil heut dort Muſik iſt.
Danke ſehr, Frau Binder .... ich kann heut nicht … ein anders Mal, ja? — Aber Sie ſind nicht bös?
Keine Spur … warum denn? Sie werden ſich ſchon beſſer unterhalten können als mit uns.
Der Vater iſt ſchon im Theater? …
O nein; er kommt noch früher nach Haus. Jetzt fangts ja erſt um halb acht an!
Richtig, das vergeſſ’ ich alleweil. Da werd’ ich gleich auf ihn warten, weil ich ihn ſchon lang bitten möcht wegen Freikarten zu dem neuen Stück … Jetzt wird man’s doch ſchon kriegen? …
Freilich … es geht ja jetzt keiner mehr hinein, wenn einmal die Abende ſo ſchön werden.
Unſereins kommt ja ſonſt gar nicht dazu … wenn man nicht zufällig Bekannte bei einem Theater79 hat … Aber halten Sie ſich meinetwegen nicht auf, Fräulein Chriſtin’, wenn Sie weg müſſen. Meinem Mann wird’s freilich ſehr leid ſein .... und noch wem andern vielleicht auch ....
Wem?
Der Couſin von Binder iſt mit, natürlich … Wiſſen Sie, Fräulein Chriſtin, daß er jetzt fix an - geſtellt iſt?
Ah. —
Und mit einem ganz ſchönen Gehalt. Und ein ſo honetter junger Menſch. Und eine Verehrung hat er für Sie —
Alſo — auf Wiederſehn, Frau Binder!
Dem könnt’ man von Ihnen erzählen, was man will — der möcht kein Wort glauben ....
Es gibt ſchon ſolche Männer ....
Adieu, Frau Binder.
Adieu ....
Daß Sie nur zum Rendezvous nicht zu ſpät kommen, Fräul’n Chriſtin’!
Was wollen Sie eigentlich von mir? —
Aber nichts, Sie haben ja recht! Man iſt ja nur einmal jung.
Adieu.
Aber einen Rath, Fräulein Chriſtin’, möcht’ ich Ihnen doch geben: ein biſſel vorſichtiger ſollten Sie ſein!
Ja, was heißt denn das?
Schau’n Sie, — Wien iſt ja eine ſo große Stadt. … Müſſen Sie ſich Ihre Rendezvous g’rad hundert Schritt weit vom Haus geben?
Das geht wohl niemanden was an.
Ich hab’s gar nicht glauben wollen, wie mir’s der Binder erzählt hat. Der hat Sie nämlich geſehn … Geh’, hab’ ich ihm geſagt, Du wirſt Dich verſchaut haben. Das Fräulein Chriſtin’, die iſt keine Perſon, die mit eleganten jungen Herren am Abend ſpazieren geht, und wenn ſchon, ſo wird’s doch ſo geſcheidt ſein, und nicht g’rad in unſerer Gaſſen! Na, ſagt er, kannſt ſie ja ſelber fragen! Und, ſagt er, ein Wunder iſt’s ja nicht — zu uns kommt ſie gar nimmermehr — aber dafür lauft ſie in einer Tour mit der Schlager Mizi herum, iſt das eine Geſellſchaft für ein anſtändiges junges Mädel? — Die Männer ſind ja ſo ordinär, Fräul’n Chriſtin’. Und dem Franz hat er’s natürlich auch gleich erzählen müſſen, aber der iſt ſchön bös worden, — und für die Fräul’n Chriſtin’ legt er die Hand in’s Feuer, und wer was über ſie ſagt, der hat’s mit ihm zu thun. Und wie Sie ſo für’s Häusliche ſind, und wie lieb Sie alleweil mit der alten Fräul’n Tant’ geweſen ſind — Gott ſchenk’ ihr die ewige Ruh’ — und wie beſcheiden und wie eingezogen als Sie leben und ſo weiter …
Vielleicht kommen S’ doch mit zur Muſik?
Nein …
682Guten Abend. … Ah, die Frau Binder. Wie geht’s Ihnen denn?
Dank’ ſchön.
Und das Linerl? — Und der Herr Gemahl? ..
Alles geſund, Gott ſei Dank.
Na, das iſt ſchön. —
Du biſt noch zu Haus bei dem ſchönen Wetter —?
G’rad hab’ ich fortgeh’n wollen.
Das iſt geſcheidt! — eine Luft iſt heut’ draußen, was, Frau Binder, das iſt was Wunderbar’s. Ich bin jetzt durch den Garten bei der Linie gegangen — da blüht der Flieder — es iſt eine Pracht! Ich hab’ mich auch einer Uebertretung ſchuldig gemacht!
Dank’ Dir, Vater.
Sein S’ froh, daß Sie der Wachter nicht erwiſcht hat.
Geh’n S’ einmal hin, Frau Binder — es riecht noch genau ſo gut dort, als wenn ich das Zweigerl nicht abgepflückt hätt’.
Wenn ſich das aber alle dächten —
Das wär’ freilich g’fehlt —!
Adieu, Vater!
Wenn Du ein paar Minuten warten möchteſt, ſo könnteſt Du mich zum Theater hinbegleiten.
Ich … ich hab’ der Mizi verſprochen, daß ich ſie abhol’ …
Ah ſo. — Iſt auch geſcheidter. Jugend gehört zur Jugend. Adieu, Chriſtin’ …
Adieu Frau Binder! —
Das iſt ja jetzt eine ſehr intime Freundſchaft mit der Fräul’n Mizi.
Ja. — Ich bin wirklich froh, daß die Tini eine Anſprach’ hat und nicht in einem fort zu Hauſe ſitzt. Was hat denn das Mädel eigentlich von ihrem Leben! …
Ja freilich.
Ich kann Ihnen gar nicht ſagen, Frau Binder, wie weh’ mir’s manchmal thut, wenn ich ſo nach Haus komm’, von der Prob’ — und ſie ſitzt da, und näht — und Nachmittag, kaum ſteh’n wir vom Tiſch auf, ſo ſetzt ſie ſich ſchon wieder hin und ſchreibt ihre Noten …
Na ja, die Millionäre haben’s freilich beſſer85 wie unſereins. Aber was iſt denn eigentlich mit ihrem Singen? —
Das heißt nicht viel. Für’s Zimmer reicht die Stimme ja aus, und für ihren Vater ſingt ſie ſchön genug — aber leben kann man davon nicht.
Das iſt aber ſchad’.
Ich bin froh, daß ſie’s ſelber einſieht. Werden ihr wenigſtens die Enttäuſchungen erſpart bleiben. — Zum Chor von unſerm Theater könnt’ ich ſie natür - lich bringen —
Freilich, mit der Figur!
Aber da ſind ja gar keine Ausſichten.
Man hat wirklich Sorgen mit einem Mädel! Wenn ich denk’, daß meine Linerl in fünf, ſechs Jahren auch eine große Fräul’n iſt. —
Aber was ſetzen Sie ſich denn nicht, Frau Binder?
Oh, ich dank ſchön, mein Mann holt mich gleich ab — ich bin ja nur heraufgekommen, die Chriſtin’ einladen! ..
Einladen —?
Ja, zur Muſik im Lehnergarten. Ich hab’ mir auch gedacht, daß ſie das ein Biſſel aufheitern wird — ſie braucht’s ja wirklich.
Könnt’ ihr wahrhaftig nicht ſchaden — beſonders nach dem traurigen Winter. Warum geht ſie denn nicht mit Ihnen —?
Ich weiß nicht ... Vielleicht weil der Couſin vom Binder mit iſt.
Ah, ſchon möglich. Den kann’s nämlich nicht ausſtehn. Das hat ſie mir ſelber erzählt.
Ja warum denn nicht? Der Franz iſt ein ſehr anſtändiger Menſch — jetzt iſt er ſogar fix angeſtellt, das iſt doch heutzutag ein Glück für ein …
Für ein … armes Mädel —
Für ein jedes Mädel iſt das ein Glück.
Ja, ſagen Sie mir, Frau Binder, iſt denn ſo ein blühendes Geſchöpf wirklich zu nichts anderem da, als für ſo einen anſtändigen Menſchen, der zu - fällig eine fixe Anſtellung hat?
Iſt doch das geſcheidteſte! Auf einen Grafen kann man ja doch nicht warten, und wenn einmal einer kommt, ſo empfiehlt es ſich dann gewöhnlich, ohne daß er einen geheirathet hat ...
Na ja ... Deswegen ſag’ ich auch immer; man kann bei einem jungen Mädel nicht vorſichtig genug ſein — beſonders mit dem Umgang —
Ob’s nur dafür ſteht, ſeine jungen Jahre ſo einfach zum Fenſter hinauszuwerfen? — Und was hat denn ſo ein armes Geſchöpf ſchließlich von ihrer ganzen Bravheit, wenn ſchon — nach jahrelangem Warten — richtig der Strumpfwirker kommt!
Herr Weiring, wenn mein Mann auch ein88 Strumpfwirker iſt, er iſt ein honetter und ein braver Mann, über den ich mich nie zu beklagen gehabt hab’ …
Aber, Frau Binder — geht denn das auf Sie! .. Sie haben ja auch Ihre Jugend nicht zum Fenſter hinausgeworfen.
Ich weiß von der Zeit nichts mehr.
Sagen S’ das nicht — Sie können mir jetzt erzählen, was Sie wollen — die Erinnerungen ſind doch das beſte, was Sie von Ihrem Leben haben.
Ich hab’ gar keine Erinnerungen.
Na, na …
Und was bleibt denn übrig, wenn eine ſchon ſolche Erinnerungen hat, wie Sie meinen? .. Die Reu’.
Na, und was bleibt denn übrig — wenn ſie — nicht einmal was zum Erinnern hat —? Wenn89 das ganze Leben nur ſo vorbei gegangen iſt,
ein Tag wie der andere, ohne Glück und ohne Liebe — dann iſt’s vielleicht beſſer?
Aber Herr Weiring, denken Sie doch nur an das alte Fräul’n — an Ihre Schweſter! … Aber es thut Ihnen noch weh, wenn man von ihr redt, Herr Weiring …
Es thut mir noch weh, ja …
Freilich … wenn zwei Leut’ ſo an einander gehängt haben … ich hab’s immer geſagt, ſo einen Bruder wie Sie find’t man nicht bald.
Es iſt ja wahr. Sie haben ihr doch als ein ganz junger Menſch Vater und Mutter erſetzen müſſen.
Ja, ja —
Das muß ja doch wieder eine Art Troſt ſein. Wenn man ſo weiß, daß man immer der Wohl - thäter und Beſchützer von ſo einem armen Geſchöpf geweſen iſt —
Ja, das hab ich mir früher auch eingebildet, — wie ſie noch ein ſchönes junges Mädel war, — und bin mir ſelber weiß Gott wie geſcheidt und edel vorgekommen. Aber dann, ſpäter, wie ſo langſam die grauen Haar’ gekommen ſind und die Runzeln, und es iſt ein Tag um den andern hingegangen — und die ganze Jugend — und das junge Mädel iſt ſo allmälig — man merkt ja ſowas kaum — das alte Fräulein geworden, — da hab ich erſt zu ſpüren angefangen, was ich eigentlich gethan hab’!
Aber Herr Weiring —
Ich ſeh’ ſie ja noch vor mir, wie ſie mir oft gegenübergeſeſſen iſt am Abend, bei der Lampe, in dem Zimmer da, und hat mich ſo angeſchaut mit ihrem ſtillen Lächeln, mit dem gewiſſen gottergebenen, — als wollt’ ſie mir noch für was danken; — und ich — ich hätt’ mich ja am liebſten vor ihr auf die Kniee hingeworfen, ſie um Verzeihung bitten, daß ich ſie ſo gut behütet hab’ vor allen Gefahren — und vor allem Glück!
Und es wär doch manche froh, wenn ſie immer91 ſo einen Bruder an der Seite gehabt hätt’ … und nichts zu bereuen …
Guten Abend! … Da iſt aber ſchon ganz dunkel … man ſieht ja gar nichts mehr. — Ah, die Frau Binder. Ihr Mann iſt unten, Frau Binder, und wart’ auf Sie … Iſt die Chriſtin’ nicht zu Haus? …
Sie iſt vor einer Viertelſtunde weggegangen.
Haben Sie ſie denn nicht getroffen? Sie hat ja mit Ihnen ein Rendezvous gehabt?
Nein … wir haben uns jedenfalls verfehlt … Sie gehn mit Ihrem Mann zur Muſik, hat er mir geſagt —?
Ja, er ſchwärmt ſo viel dafür. Aber hören Sie, Fräulein Mizi, Sie haben ein reizendes Hüterl auf. Neu, was?
Aber keine Spur. — Kennen Sie denn die Form92 nimmer? Vom vorigen Frühjahr; nur aufgeputzt iſt er neu.
Selber haben Sie ſich ihn neu aufgeputzt?
Na, freilich.
So geſchickt!
Natürlich — ich vergeß’ immer, daß Sie ein Jahr lang in einem Modiſtengeſchäft waren.
Ich werd’ wahrſcheinlich wieder in eins gehn. Die Mutter will’s haben — da kann man nichts machen.
Wie geht’s denn der Mutter?
Na gut — ein biſſel Zahnweh hat’s — aber der Doktor ſagt, es iſt nur rheumatiſch. …
Ja, jetzt iſt es aber für mich die höchſte Zeit ..
Ich geh’ gleich mit Ihnen hinunter, Herr Weiring …
Ich geh’ auch mit … Aber nehmen Sie ſich doch den Ueberzieher, Herr Weiring, es wird ſpäter noch recht kühl.
Glauben Sie?
Freilich … Wie kann man denn ſo unvor - ſichtig ſein.
Da iſt ſie ja …
Schon zurück vom Spaziergang?
Ja. Grüß Dich Gott, Mizi. … Ich hab’ ſo Kopfweh …
Wie? ..
Das iſt wahrſcheinlich von der Luft …
Geh’, was haſt denn, Chriſtin’! .. Bitt’ Sie, Fräulein Mizi, zünden S’ die Lampe an.
Aber das kann ich ja ſelber.
Ich möcht’ Dein Geſicht ſehn, Chriſtin’! ..
Aber Vater, es iſt ja gar nichts, es iſt gewiß von der Luft draußen.
Manche Leut’ können grad’ das Frühjahr nicht vertragen.
Nicht wahr, Fräulein Mizi, Sie bleiben noch bei der Chriſtin’?
Freilich bleib’ ich da …
Aber es iſt ja gar nichts, Vater.
Meine Mutter macht nicht ſo viel Geſchichten mit mir, wenn ich Kopfweh hab’ ..
Biſt Du ſo müd’? ..
Ich ſteh’ ſchon wieder auf.
So — jetzt ſchauſt Du ſchon wieder ganz anders aus. —
Ganz anders ſchaut ſie aus, wenn ſie lacht, was ..? Alſo Adieu, Chriſtin’ …
Und daß das Kopferl nimmer weh thut, wenn ich nach Haus komm’! ..
Habt’s Ihr Euch gezankt? …
Frau Binder …!
Adieu! ..
Weißt, woher die Kopfweh kommen? Von dem ſüßen Wein geſtern. Ich wunder’ mich ſo, daß ich gar nichts davon geſpürt hab … Aber luſtig iſt’s geweſen, was ..?
Sind ſehr feſche Leut’, beide; — kann man gar nichts ſagen, was? — Und ſchön eingerichtet iſt der Fritz, wirklich prachtvoll! Beim Dori …
Ah nichts .. — Geh’, haſt noch immer ſo ſtarke Kopfſchmerzen? Warum redſt denn nichts? .. Was haſt denn? ..
Denk Dir, — er iſt nicht gekommen. —
Er hat Dich aufſitzen laſſen? Das geſchieht Dir recht!
Ja, was heißt das? Was hab’ ich denn gethan? —
Verwöhnen thuſt Du ihn, zu gut biſt Du zu ihm. Da muß ja ein Mann arrogant werden.
Aber Du weißt ja nicht, was Du ſprichſt.
Ich weiß ganz gut, was ich red’. — Schon die ganze Zeit ärger’ ich mich über Dich. Er kommt zu ſpät zu den Rendezvous, er begleit’ Dich nicht nach Haus, er ſetzt ſich zu fremden Leuten in die97 Log’ hinein, er laßt Dich einfach aufſitzen — das laßt Du Dir alles ruhig gefallen und ſchauſt ihn noch dazu
mit ſo verliebten Augen an. —
Geh’, ſprich nicht ſo, ſtell’ Dich doch nicht ſchlechter, als Du biſt. Du haſt ja den Theodor auch gern.
Gern — freilich hab’ ich ihn gern. Aber das erlebt der Dori nicht, und das erlebt überhaupt kein Mann mehr, daß ich mich um ihn kränken thät — das ſind ſie alle zuſamm’ nicht werth, die Männer.
Nie hab’ ich Dich ſo reden gehört, nie! —
Ja, Tinerl — früher haben wir doch überhaupt nicht ſo mit einander gered’t. — Ich hab’ mich ja garnicht getraut. Was glaubſt denn, was ich für einen Reſpekt vor Dir gehabt hab’! … Aber ſiehſt, das hab’ ich mir immer gedacht: wenn’s einmal über Dich kommt, wird’s Dich ordentlich haben. Das erſte Mal beutelt’s einen ſchon zu -[ſammen]! — Aber dafür kannſt Du auch froh ſein, daß Du bei Deiner erſten Liebe gleich eine ſo gute Freundin zum Beiſtand haſt.
Mizi!
Glaubſt mir’s nicht, daß ich Dir eine gute Freundin bin? Wenn ich nicht da bin und Dir ſag’: Kind, er iſt ein Mann wie die anderen und alle zuſammen ſind’s nicht eine böſe Stund’ werth, ſo ſetzt Du Dir weiß Gott was für Sachen in den Kopf. Ich ſag’s aber immer: Den Männern ſoll man überhaupt kein Wort glauben.
Was redſt Du denn — die Männer, die Männer — was gehn mich denn die Männer an! — Ich frag ja nicht nach den anderen. — In meinem ganzen Leben werd ich nach keinem andern fragen — —
… Ja, was glaubſt Du denn eigentlich … hat er Dir denn ..? freilich! — es iſt ſchon alles vorgekommen; aber da hätteſt Du die Geſchichte anders anfangen müſſen …
Schweig endlich!
Na, was willſt denn von mir? Ich kann ja nichts dafür, — das muß man ſich früher überlegen. 99Da muß man halt warten, bis einer kommt, dem man die ernſten Abſichten gleich am Geſicht an - kennt …
Mizi, ich kann ſolche Worte heute nicht vertragen, ſie thun mir weh. —
Na, geh —
Laß mich lieber … ſei nicht bös … laß mich lieber allein!
Warum ſoll ich denn bös ſein? Ich geh’ ſchon. Ich hab Dich nicht kränken wollen, Chriſtin’, wirklich …
Ah, der Herr Fritz.
Guten Abend!
Fritz, Fritz!
Aber —
Alle ſagen, daß Du mich verlaſſen wirſt! Nicht wahr, Du thuſt es nicht — jetzt noch nicht — jetzt noch nicht …
Wer ſagt denn das? … Was haſt Du denn …
Aber Schatz! … Ich hab’ mir eigentlich gedacht, daß Du recht erſchrecken wirſt, wenn ich plötzlich da herein komme. —
Oh — daß Du nur da biſt!
Geh’, ſo beruhig’ Dich doch — haſt Du lang auf mich gewartet?
Warum biſt Du denn nicht gekommen?
Ich bin aufgehalten worden, hab’ mich verſpätet. Jetzt bin ich im Garten geweſen, und hab’ Dich nicht gefunden — und hab’ wieder nach Haus gehen wollen. Aber plötzlich hat mich eine ſolche Sehn - ſucht gepackt, ein ſolche Sehnſucht nach dieſem lieben ſüßen Geſichtel …
Is’ wahr?
Und dann hab ich auch plötzlich eine ſo unbe - ſchreibliche Luſt bekommen, zu ſehen, wo Du eigentlich wohnſt — ja im Ernſt — ich hab das einmal ſehen müſſen — und da hab ich’s nicht aus - gehalten und bin da herauf … es iſt Dir alſo nicht unangenehm?
O Gott!
Es hat mich niemand geſehn — und daß Dein Vater im Theater iſt, hab ich ja gewußt.
Was liegt mir an den Leuten!
Alſo da —?
Das alſo iſt Dein Zimmer? Sehr hübſch …
Du ſiehſt ja gar nichts.
Nein, laß nur, das blendet mich, Iſt beſſer ſo …102 Alſo da? Das iſt das Fenſter, von dem Du mir erzählt haſt, an dem Du immer arbeiteſt, was? — Und die ſchöne Ausſicht!
Ueber wieviel Dächer man da ſieht … Und da drüben — ja, was iſt denn das, das ſchwarze, das man da drüben ſieht?
Das iſt der Kahlenberg!
Richtig! Du haſt’s eigentlich ſchöner als ich.
Oh!
Ich möchte gern ſo hoch wohnen, über alle Dächer ſehn, ich finde das ſehr ſchön. Und auch ſtill muß es in der Gaſſe ſein?
Ach, bei Tag iſt Lärm genug.
Fährt denn da je ein Wagen vorbei?
Selten, aber gleich im Haus drüben iſt eine Schloſſerei.
Oh, das iſt ſehr unangenehm.
Das gewöhnt man! Man hört’s gar nicht mehr.
Bin ich wirklich zum erſten Mal da —? Es kommt mir alles ſo bekannt vor! … Genau ſo hab’ ich mir’s eigentlich vorgeſtellt.
Nein, anſchaun darfſt Du Dir da nichts. —
Was ſind denn das für Bilder? …
Geh! …
Ah, die möcht ich mir anſehn.
… Abſchied — und Heimkehr.
Richtig — Abſchied und Heimkehr!
Ich weiß ſchon, daß die Bilder nicht ſchön ſind. — Beim Vater drin hängt eins, das iſt viel beſſer.
Was iſt das für ein Bild?
Das iſt ein Mädel, die ſchaut zum Fenſter hinaus, und draußen, weißt, iſt der Winter — und das heißt „ Verlaſſen “. —
So …
Ah, und da iſt Deine Bibliothek
Die ſchau’ Dir lieber nicht an —
Warum denn? Ah! — Schiller … Hauff … Das Converſationslexicon … Donnerwetter! —
Geht nur bis G …
Ach ſo … Das Buch für Alle … Da ſchauſt Du Dir die Bilder drin an, was?
Natürlich hab ich mir die Bilder angeſchaut.
— Wer iſt denn der Herr da auf dem Ofen?
Das iſt doch der Schubert.
Richtig —
Weil ihn der Vater ſo gern hat. Der Vater hat früher auch einmal Lieder componirt, ſehr ſchöne.
Jetzt nimmer?
Jetzt nimmer.
So gemüthlich iſt es da! —
Gefällt’s Dir wirklich?
Sehr … Was iſt denn das?
Er hat ſchon wieder was gefunden! …
Nein, Kind, das gehört nicht da herein … das ſieht verſtaubt aus.
Die ſind aber gewiß nicht verſtaubt.
Künſtliche Blumen ſehen immer verſtaubt auſ .. In Deinem Zimmer müſſen wirkliche Blumen ſtehn, die duften und friſch ſind. Von jetzt an werde ich Dir …
Was denn? … Was wollteſt Du denn ſagen?
Nichts, nichts …
Was? —
Daß ich Dir morgen friſche Blumen ſchicken werde, hab’ ich ſagen wollen …
Na, und reut’s Dich ſchon? — Natürlich! Morgen denkſt Du ja nicht mehr an mich.
Gewiß! Wenn Du mich nicht ſiehſt, denkſt Du nicht an mich.
Aber was redſt Du denn?
Oh ja, ich weiß es. Ich ſpür’s ja.
Wie kannſt Du Dir denn das nur einbilden
Du ſelbſt biſt Schuld daran. Weil Du immer Geheimniſſe vor mir haſt! … Weil Du mir gar nichts von Dir erzählſt. — Was thuſt Du ſo den ganzen Tag?
Aber Schatz, das iſt ja ſehr einfach. Ich geh’ in Vorleſungen — zuweilen — dann geh’ ich in’s Kaffehaus … dann leſ’ ich … zuweilen ſpiel’ ich auch Klavier — dann plauder’ ich mit dem oder jenem — dann mach’ ich Beſuche … das iſt doch alles ganz belanglos. Es iſt ja langweilig davon zu reden. — Jetzt muß ich übrigens gehn, Kind …
Jetzt ſchon —
Dein Vater wird ja bald da ſein.
Noch lang nicht, Fritz. — Bleib’ noch — eine Minute — bleib’ noch —
Und dann hab’ ich … der Theodor erwartet mich … Ich hab mit ihm noch was zu ſprechen.
Heut?
Gewiß heut.
Wirſt ihn morgen auch ſehn!
Ich bin morgen vielleicht garnicht in Wien!
Nicht in Wien? —
Nun ja, das kommt ja vor? Ich fahr übern Tag weg — oder auch über zwei, Du Kind. —
Wohin?
Wohin! … Irgendwohin — Ach Gott, ſo mach109 doch kein ſolches Geſicht … Auf’s Gut fahr’ ich zu meinen Eltern … na, … iſt das auch un - heimlich?
Auch von denen, ſchau, erzählſt Du mir nie!
Nein, was Du für ein Kind biſt … Du ver - ſtehſt gar nicht, wie ſchön das iſt, daß wir ſo voll - kommen mit uns allein ſind. Sag, ſpürſt Du denn das nicht?
Nein, es iſt gar nicht ſchön, daß Du mir nie was von Dir erzählſt … Schau, mich intereſſirt ja alles, was Dich angeht, ach ja … alles, — ich möcht mehr von Dir haben als die eine Stunde am Abend, die wir manchmal beiſammen ſind. Dann biſt Du ja wieder fort, und ich weiß gar nichts … Da geht dann die ganze Nacht vorüber und ein ganzer Tag mit den vielen Stunden — und nichts weiß ich. Darüber bin ich oft ſo traurig.
Warum biſt Du denn da traurig?
Ja, weil ich dann ſo eine Sehnſucht nach Dir hab’, als wenn Du gar nicht in derſelben Stadt,110 als wenn Du ganz wo anders wärſt! Wie ver - ſchwunden biſt Du da für mich, ſo weit weg …
Aber …
Na ſchau’, es iſt ja wahr! …
Komm’ daher, zu mir
Du weißt ja doch nur eins, wie ich — daß Du mich in dieſem Augenblicke liebſt …
Sprich nicht von Ewigkeit.
Es giebt ja vielleicht Augenblicke, die einen Duft von Ewigkeit um ſich ſprühen. — … Das iſt die einzige, die wir verſtehen können, die einzige, die uns gehört …
Oh, wie ſchön iſt es bei Dir, wie ſchön! …
So weltfern iſt man da, mitten unter den vielen Häuſern … ſo einſam komm’ ich mir vor, ſo mit Dir allein …
ſo geborgen …
Wenn Du immer ſo ſprächſt … da könnt’ ich faſt glauben …
Was denn, Kind?
Daß Du mich ſo lieb haſt, wie ich’s mir geträumt hab’ — an den Tag, wo Du mir den erſten Kuß gegeben haſt … erinnerſt Du Dich daran? —
Ich hab’ Dich lieb! —
Aber jetzt laß mich fort —
Reut’s Dich denn ſchon wieder, daß Du mir’s geſagt haſt? Du biſt ja frei, Du biſt ja frei — Du kannſt mich ja ſitzen laſſen, wann Du willſt, … Du haſt mir nichts verſprochen — und ich hab nichts von Dir verlangt … Was dann aus mir wird — es iſt ja ganz einerlei — ich bin doch einmal glücklich geweſen, mehr will ich ja vom Leben nicht. Ich möchte nur, daß Du das weißt, und mir glaubſt: daß ich keinen lieb gehabt vor Dir, und daß ich keinen lieb haben werde — wenn Du mich einmal