PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Liebelei.
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Liebelei
Schauſpiel in drei Akten.
BerlinS. Fiſcher, Verlag1896.
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    Perſonen.

  • Hans Weiring, Violinſpieler am Joſefſtädter Theater.
  • Chriſtine, ſeine Tochter.
  • Mizi Schlager, Modiſtin.
  • Katharina Binder, Frau eines Strumpfwirkers.
  • Lina, ihre neunjährige Tochter.
    • Fritz Lobheimer,
    • Theodor Kaiſer,
    • junge Leute.

  • Ein Herr.

Ort: Wien. Zeit: Gegenwart.

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Erſter Akt.

Zimmer Fritzens. Elegant und behaglich.
  • Fritz. Theodor.

    (Theodor tritt zuerſt ein, er hat den Ueberzieher auf dem Arm, nimmt den Hut erſt nach dem Eintritt ab, hat auch den Stock noch in der Hand.)

Fritz
(ſpricht draußen).

Alſo es war Niemand da?

Stimme des Dieners.

Nein, gnädiger Herr.

Fritz
(im Hereintreten).

Den Wagen könnten wir eigentlich wegſchicken?

Theodor.

Natürlich. Ich dachte, Du hätteſt es ſchon gethan.

Fritz
(wieder hinausgehend, in der Thür).

Schicken Sie den Wagen fort. Ja Sie können übrigens jetzt auch weg gehen, ich brauche Sie heute nicht mehr.

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(Er kommt herein. Zu Theodor).

Was legſt Du denn nicht ab?

Theodor
(iſt neben dem Schreibtiſch).

Da ſind ein paar Briefe.

(Er wirft Ueberzieher und Hut auf einen Seſſel, behält den Spazierſtock in der Hand).
Fritz
(geht haſtig zum Schreibtiſch).

Ah! ..

Theodor.

Na, na! .. Du erſchrickſt ja förmlich.

Fritz.

Von Papa ..

(erbricht den anderen)

von Lensky ..

Theodor.

Laß Dich nicht ſtören.

Fritz
(durchfliegt die Briefe).
Theodor.

Was ſchreibt denn der Papa?

Fritz.

Nichts beſonderes .. Zu Pfingſten ſoll ich auf acht Tage auf’s Gut.

Theodor.

Wär ſehr vernünftig. Ich möchte Dich auf ein halbes Jahr hinſchicken.

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Fritz
(der vor dem Schreibtiſch ſteht, wendet ſich nach ihm um).
Theodor.

Gewiß! reiten, kutſchiren, friſche Luft, Senne - rinnen

Fritz.

Du, Sennhütten giebt’s auf Kukuruzfeldern keine!

Theodor.

Na ja alſo, Du weißt ſchon, was ich meine ..

Fritz.

Willſt Du mit mir hinkommen?

Theodor.

Kann ja nicht!

Fritz.

Warum denn?

Theodor.

Menſch, ich hab ja Rigoroſum zu machen! Wenn ich mit Dir hinginge, wär es nur, um Dich dort - zuhalten.

Fritz.

Geh, mach Dir um mich keine Sorgen!

Theodor.

Du brauchſt nämlich das iſt meine Ueber - zeugung nichts anderes als friſche Luft! Ich12 hab’s heut geſehn. Da draußen, wo der echte grüne Frühling iſt, biſt Du wieder ein ſehr lieber und an - genehmer Menſch geweſen.

Fritz.

Danke.

Theodor.

Und jetzt jetzt knickſt Du natürlich zuſammen. Wir ſind dem gefährlichen Dunſtkreis wieder zu nah.

Fritz
(macht eine ärgerliche Bewegung).
Theodor.

Du weißt nämlich gar nicht, wie fidel Du da draußen geweſen biſt Du warſt geradezu bei Verſtand es war wie in den guten alten Tagen .. Auch neulich, wie wir mit den zwei herzigen Mäderln zuſammen waren, biſt Du ja ſehr nett ge - weſen, aber jetzt iſt es natürlich wieder aus, und Du findeſt es dringend notwendig

(mit ironiſchem Pathos)

an jenes Weib zu denken.

Fritz
(ſteht auf, ärgerlich).
Theodor.

Du kennſt mich nicht, mein Lieber. Ich habe nicht die Abſicht, das länger zu dulden.

Fritz.

Herrgott, biſt Du energiſch!

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Theodor.

Ich verlang ja nicht von Dir, daß Du

(wie oben)

jenes Weib vergiß’t ich möchte nur,

(herzlich)

mein lieber Fritz, daß Dir dieſe unglückſelige Ge - ſchichte, in der man ja immer für Dich zittern muß, nicht mehr bedeutet, als ein gewöhnliches Abenteuer .... Schau, Fritz, wenn Du eines Tages jenes Weib nicht mehr anbeteſt, da wirſt Du Dich wundern, wie ſympathiſch ſie Dir ſein wird. Da wirſt Du erſt drauf kommen, daß ſie garnichts dämoniſches an ſich hat, ſondern daß ſie ein ſehr liebes Frauerl iſt, mit dem man ſich ſehr gut amüſiren kann, wie mit allen Weibern, die jung und hübſch ſind und ein bischen Temperament haben. ..

Fritz.

Warum ſagſt Du für mich zittern ?

Theodor.

Du weißt es. Ich kann Dir nicht verhehlen, daß ich eine ewige Angſt habe, Du gehſt eines ſchönen Tages mit ihr auf und davon.

Fritz.

Das meinteſt Du?

Theodor
(nach einer kurzen Pauſe).

Es iſt nicht die einzige Gefahr.

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Fritz.

Du haſt Recht, Theodor es giebt auch andere.

Theodor.

Man macht eben keine Dummheiten.

Fritz
(vor ſich hin).

Es giebt andere

Theodor.

Was haſt Du? .... Du denkſt an was ganz beſtimmtes.

Fritz.

Ach nein, ich denke nicht an beſtimmtes ..

(Mit einem Blick zum Fenſter).

Sie hat ſich ja ſchon einmal getäuſcht.

Theodor.

Wieſo? was? ich verſteh Dich nicht.

Fritz.

Ach nichts.

Theodor.

Was iſt das? So red doch vernünftig.

Fritz.

Sie ängſtigt ſich in der letzten Zeit zuweilen.

Theodor.

Warum? Das muß doch einen Grund haben?

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Fritz.

Durchaus nicht. Nervoſität

(ironiſch)

ſchlechtes Gewiſſen, wenn Du willſt.

Theodor.

Du ſagſt, ſie hat ſich ſchon einmal getäuſcht

Fritz.

Nun ja und heute wohl wieder.

Theodor.

Heute Ja, was heißt denn das alles ?

Fritz
(nach einer kleinen Pauſe).

Sie glaubt, .... man paßt uns auf.

Theodor.

Wie?

Fritz.

Sie hat Schreckbilder, wahrhaftig, förmliche Hallucinationen.

(Beim Fenſter).

Sie ſieht hier durch den Ritz des Vorhangs irgend einen Menſchen, der dort an der Straßenecke ſteht, und glaubt

(unter - bricht ſich).

Iſt es überhaupt möglich, ein Geſicht auf dieſe Entfernung hin zu erkennen?

Theodor.

Kaum.

Fritz.

Das ſag ich ja auch. Aber das iſt dann ſchrecklich. 16Da traut ſie ſich nicht fort, da bekommt ſie alle möglichen Zuſtände, da hat ſie Weinkrämpfe, da möchte ſie mit mir ſterben

Theodor.

Natürlich.

Fritz.
(Kleine Pauſe).

Heute mußte ich hinunter, nach - ſehen. So gemüthlich, als wenn ich eben allein von Hauſe wegginge; Es war natürlich weit und breit kein bekanntes Geſicht zu ſeh’n ....

Theodor
(ſchweigt).
Fritz.

Das iſt doch vollkommen beruhigend, nicht wahr? Man verſinkt ja nicht plötzlich in die Erde, was? So antwort mir doch!

Theodor.

Was willſt Du denn darauf für eine Anwort? Natürlich verſinkt man nicht in die Erde. Aber in Hausthore verſteckt man ſich zuweilen.

Fritz.

Ich hab in jedes hineingeſehen.

Theodor.

Da mußt Du einen ſehr harmloſen Eindruck gemacht haben.

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Fritz.

Niemand war da. Ich ſag’s ja, Hallucinationen.

Theodor.

Gewiß. Aber es ſollte Dich lehren, vorſichtiger ſein.

Fritz.

Ich hätt es ja auch merken müſſen, wenn er einen Verdacht hätte. Geſtern habe ich ja nach dem Theater mit ihnen ſoupirt mit ihm und ihr und es war ſo gemüthlich, ſag ich Dir! .... lächerlich!

Theodor.

Ich bitt Dich, Fritz thu mir den Gefallen, ſei vernünftig. Gieb dieſe ganze verdammte Geſchichte auf ſchon meinetwegen. Ich hab ja auch Nerven Ich weiß ja, Du biſt nicht der Menſch, Dich aus einem Abenteuer in’s Freie zu retten, d’rum hab ich Dir’s ja ſo bequem gemacht, und Dir Ge - legenheit gegeben, Dich in ein anderes hinein zu retten

Fritz.

Du?

Theodor.

Nun, hab ich Dich nicht vor ein paar Wochen zu meinem Rendezvous mit Fräulein Mizi mit - genommen? Und hab ich nicht Fräulein Mizi ge - beten, ihre ſchönſte Freundin mitzubringen? Und218kannſt Du es leugnen, daß Dir die Kleine ſehr gut gefällt?

Fritz.

Gewiß iſt die lieb! So lieb! Und Du haſt ja gar keine Ahnung, wie ich mich nach ſo einer Zärtlichkeit ohne Pathos geſehnt habe, nach ſo was Süßem, Stillem, das mich umſchmeichelt, an dem ich mich von den ewigen Aufregungen und Martern erholen kann.

Theodor.

Das iſt es, ganz richtig! Erholen! Das iſt der tiefere Sinn. Zum Erholen ſind ſie da. D’rum bin ich auch immer gegen die ſogenannten inter - eſſanten Weiber. Die Weiber haben nicht intereſſant zu ſein, ſondern angenehm. Du mußt Dein Glück ſuchen, wo ich es bisher geſucht und gefunden habe, dort, wo es keine großen Scenen, keine Gefahren, keine tragiſchen Verwicklungen giebt, wo der Beginn keine beſonderen Schwierigkeiten und das Ende keine Qualen hat, wo man lächelnd den erſten Kuß em - pfängt und mit ſehr ſanfter Rührung ſcheidet.

Fritz.

Ja, das iſt es.

Theodor.

Die Weiber ſind ja ſo glücklich in ihrer geſunden Menſchlichkeit was zwingt uns denn, ſie um jeden Preis zu Dämonen oder zu Engeln zu machen?

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Fritz.

Sie iſt wirklich ein Schatz. So anhänglich, ſo lieb. Manchmal ſcheint mir faſt, zu lieb für mich.

Theodor.

Du biſt unverbeſſerlich; ſcheint es. Wenn Du die Abſicht haſt, auch die Sache wieder ernſt zu nehmen

Fritz.

Aber ich denke nicht daran. Wir ſind ja einig: Erholung.

Theodor.

Ich würde auch meine Hände von Dir abziehen. Ich hab Deine Liebestragödien ſatt. Du langweilſt mich damit. Und wenn Du Luſt haſt, mir mit dem berühmten Gewiſſen zu kommen, ſo will ich Dir mein einfaches Prinzip für ſolche Fälle ver - rathen: Beſſer ich als ein Anderer. Denn der An - dere iſt unausbleiblich wie das Schickſal.

(Es klingelt.)
Fritz.

Was iſt denn das?

Theodor.

Sieh nur nach. Du biſt ja ſchon wieder blaß! Alſo beruhige Dich ſofort. Es ſind die zwei ſüßen Mäderln.

2*20
Fritz
(angenehm überraſcht).

Was?

Theodor.

Ich hab mir die Freiheit genommen, ſie für heute zu Dir einzuladen.

Fritz
(im Hinausgehen).

Geh warum haſt Du mir’s denn nicht geſagt! Jetzt hab ich den Diener weg - geſchickt.

Theodor.

Um ſo gemüthlicher

Fritzens Stimme
(draußen).

Grüß Sie Gott, Mizi!

Theodor. Fritz. Mizi (tritt ein, ſie trägt ein Packet in der Hand.)
Fritz.

Und wo iſt denn die Chriſtin?

Mizi.

Kommt bald nach. Grüß Dich Gott, Dori.

Theodor
(küßt ihr die Hand).
Mizi.

Sie müſſen ſchon entſchuldigen, Herr Fritz; aber der Theodor hat uns einmal eingeladen

21
Fritz.

Aber das iſt ja eine famoſe Idee geweſen. Nur hat er eines vergeſſen, der Theodor

Theodor.

Nichts hat er vergeſſen, der Theodor!

(Nimmt der Mizi das Packet aus der Hand.)

Haſt Du alles mit - gebracht, was ich Dir aufgeſchrieben habe?

Mizi.

Freilich!

(Zu Fritz).

Wo darf ich’s denn hin - legen?

Fritz.

Geben Sie mir’s nur, Mizi, wir legen’s indeſſen da auf die Kredenz.

Mizi.

Ich hab noch extra was gekauft, was Du nicht aufgeſchrieben haſt, Dori.

Fritz.

Geben Sie mir Ihren Hut, Mizi, ſo

(legt ihn auf’s Klavier, ebenſo ihre Boa.)
Theodor.
(mißtrauiſch).

Was denn?

Mizi.

Eine Moccacrêmetorte.

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Theodor.

Naſchkatz!

Fritz.

Ja, aber ſagen Sie, warum iſt denn die Chriſtin nicht gleich mitgekommen?

Mizi.

Die Chriſtin, begleitet ihren Vater zum Theater, hin. Sie fährt dann mit der Tramway her.

Theodor.

Das iſt eine zärtliche Tochter

Mizi.

Na, und gar in der letzten Zeit, ſeit der Trauer.

Theodor.

Wer iſt ihnen denn eigentlich geſtorben?

Mizi.

Die Schweſter vom alten Herrn.

Theodor.

Ah, die Frau Tant!

Mizi.

Nein, das war eine alte Fräul’n, die ſchon immer bei ihnen gewohnt hat Na, und da fühlt er ſich halt ſo vereinſamt.

23
Theodor.

Nicht wahr, der Vater von der Chriſtin, das iſt ſo ein kleiner Herr mit kurzem grauen Haar

Mizi
(ſchüttelt den Kopf).

Nein, er hat ja lange Haar.

Fritz.

Woher kennſt Du ihn denn?

Theodor.

Neulich war ich mit dem Lensky in der Joſef - ſtadt, und da hab ich mir die Leut mit den Baß - geigen angeſchaut.

Mizi.

Er ſpielt ja nicht Baßgeigen, Violin ſpielt er.

Theodor.

Ach ſo ich hab gemeint, er ſpielt Baßgeige.

(Zu Mizi, die lacht.)

Das iſt ja nicht komiſch; das kann ich ja nicht wiſſen, Du Kind.

Mizi.

Schön haben Sie’s, Herr Fritz wunderſchön! Wohin haben Sie denn die Ausſicht?

Fritz.

Das Fenſter da geht in die Strohgaſſe, und im Zimmer daneben

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Theodor
(raſch).

Sagt mir nur, warum ſeid Ihr denn ſo geſpreizt mit einander? Ihr könntet Euch wirklich Du ſagen.

Mizi.

Beim Nachtmahl trinken wir Bruderſchaft.

Theodor.

Solide Grundſätze! Immerhin beruhigend. Wie geht’s denn der Frau Mutter?

Mizi
(wendet ſich zu ihm, plötzlich mit beſorgter Miene).

Denk Dir, ſie hat

Theodor.

Zahnweh ich weiß, ich weiß. Deine Mutter hat immer Zahnweh. Sie ſoll endlich einmal zu einem Zahnarzt gehen.

Mizi.

Aber, der Doktor ſagt, es iſt nur rheumatiſch.

Theodor
(lachend).

Ja, wenn’s nur rheumatiſch iſt

Mizi
(ein Album in der Hand).

Lauter ſo ſchöne Sachen haben Sie da!

(Im Blättern).

Wer iſt denn das? .. Das ſind ja Sie, Herr Fritz In Uniform!? Sie ſind bei Militär?

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Fritz.

Ja.

Mizi.

Dragoner! Sind ſie bei den gelben oder bei den ſchwarzen!

Fritz
(lächelnd.)

Bei den gelben.

Mizi
(wie in Träume verſunken).

Bei den gelben.

Theodor.

Da wird ſie ganz träumeriſch! Mizi, wach auf!

Mizi.

Aber jetzt ſind Sie Lieutenant in der Reſerve?

Fritz.

Allerdings.

Mizi.

Sehr gut müſſen Sie ausſchau’n mit dem Pelz.

Theodor.

Umfaſſend iſt dieſes Wiſſen! Du, Mizi, ich bin nemlich auch bei Militär.

Mizi.

Biſt Du auch bei den Dragonern?

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Theodor.

Ja.

Mizi.

Ja, warum ſagt Ihr einem denn das nicht?

Theodor.

Ich will um meiner ſelbſt willen geliebt werden.

Mizi.

Geh, Dori, da mußt Du Dir nächſtens, wenn wir zuſammen wohin gehn, die Uniform anziehn.

Theodor.

Im Auguſt hab ich ſowieſo Waffenübung.

Mizi.

Gott, bis zum Auguſt

Theodor.

Ja, richtig ſo lange währt die ewige Liebe nicht.

Mizi.

Wer wird denn im Mai an den Auguſt denken. Iſt’s nicht wahr, Herr Fritz? Sie, Herr Fritz, warum ſind denn Sie uns geſtern durchgegangen?

Fritz.

Wieſo ....

Mizi.

Na ja nach dem Theater.

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Fritz.

Hat mich denn der Theodor nicht bei Euch ent - ſchuldigt?

Theodor.

Freilich hab ich Dich entſchuldigt.

Mizi.

Was hab denn ich oder vielmehr die Chriſtin von Ihrer Entſchuldigung! Wenn man was ver - ſpricht, ſo halt man’s.

Fritz.

Ich wär wahrhaftig lieber mit Euch geweſen

Mizi.

Is wahr? ..

Fritz.

Aber, ich konnt nicht. Sie haben ja geſehen, ich war mit Bekannten in der Loge, und da hab ich mich nachher nicht losmachen können.

Mizi.

Ja, von den ſchönen Damen haben Sie ſich nicht losmachen können. Glauben Sie, wir haben Sie nicht geſehn von der Gallerie aus?

Fritz.

Ich hab Euch ja auch geſehn

28
Mizi.

Sie ſind rückwärts in der Loge geſeſſen.

Fritz.

Nicht immer.

Mizi.

Aber meiſtens. Hinter einer Dame mit einem ſchwarzen Sammtkleid ſind Sie geſeſſen und haben immer

(parodirende Bewegung)

ſo hervorgeguckt.

Fritz.

Sie haben mich aber genau beobachtet.

Mizi.

Mich geht’s ja nichts an! Aber wenn ich die Chriſtin wär Warum hat denn der Theodor nach dem Theater Zeit? Warum muß der nicht mit Bekannten ſoupiren gehn?

Theodor
(ſtolz).

Warum muß ich nicht mit Bekannten ſoupiren gehn?

(Es klingelt.)
Mizi.

Das iſt die Chriſtin.

Fritz
(eilt hinaus).
Theodor.

Mizi, Du könnteſt mir einen Gefallen thun.

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Mizi
(fragende Miene).
Theodor.

Vergiß auf einige Zeit wenigſtens Deine militäriſchen Erinnerungen.

Mizi.

Ich hab ja gar keine.

Theodor.

Na Du, aus dem Schematismus haſt Du die Sachen nicht gelernt, das merkt man.

Theodor. Mizi. Fritz. Chriſtine (mit Blumen in der Hand).
Chriſtine
(grüßt mit ganz leichter Befangenheit).

Guten Abend.

(Begrüßung. Zu Fritz).

Freut’s Dich, daß wir ge - kommen ſind? Biſt nicht bös?

Fritz.

Aber Kind! Manchmal iſt ja der Theodor geſcheidter als ich.

Theodor.

Na, geigt er ſchon, der Herr Papa?

Chriſtine.

Freilich; ich hab ihn zum Theater hinbegleitet.

30
Fritz.

Die Mizi hat’s uns erzählt.

Chriſtine
(zu Mizi).

Und die Kathrin hat mich noch auf - gehalten.

Mizi.

O jeh, die falſche Perſon.

Chriſtine.

Oh, die iſt gewiß nicht falſch, die iſt ſehr gut zu mir.

Mizi.

Du glaubſt auch einer jeden.

Chriſtine.

Warum ſoll die denn gegen mich falſch ſein?

Fritz.

Wer iſt denn die Kathrin?

Mizi.

Die Frau von einem Strumpfwirker und ärgert ſich alleweil, wenn wer jünger iſt wie ſie.

Chriſtine.

Sie iſt ja ſelbſt noch eine junge Perſon.

Fritz.

Laſſen wir die Kathrin. Was haſt Du denn da?

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Chriſtine.

Ein paar Blumen hab ich Dir mitgebracht.

Fritz
(nimmt ſie ihr ab und küßt ihr die Hand).

Du biſt ein Engerl. Wart, die wollen wir da in die Vaſe

Theodor.

Oh nein! Du haſt gar kein Talent zum Feſt - arrangeur. Die Blumen werden zwanglos auf den Tiſch geſtreut Nachher übrigens, wenn auf - gedeckt iſt. Eigentlich ſollte man das ſo arrangiren, daß ſie von der Decke herunterfallen. Das wird aber wieder nicht gehen.

Fritz
(lachend).

Kaum.

Theodor.

Unterdeſſen wollen wir ſie doch da hinein ſtecken.

(giebt ſie in die Vaſe).
Mizi.

Kinder, dunkel wird’s!

Fritz
(hat der Chriſtine geholfen die Ueberjacke ausziehen, ſie hat auch ihren Hut abgelegt, er gibt die Dinge auf einen Stuhl im Hintergrund).

Gleich wollen wir die Lampe anzünden.

32
Theodor.

Lampe! Keine Idee! Lichter werden wir an - zünden. Das macht ſich viel hübſcher. Komm, Mizi, kannſt mir helfen.

(Er und Mizi zünden die Lichter an; die Kerzen in den zwei Armleuchtern auf dem Trumeau, eine Kerze auf dem Schreibtiſch, dann zwei Kerzen auf der Kredenz.)
(Unterdeſſen ſprechen Fritz und Chriſtine mit einander.)
Fritz.

Wie geht’s Dir denn, mein Schatz?

Chriſtine.

Jetzt geht’s mir gut.

Fritz.

Na, und ſonſt?

Chriſtine.

Ich hab mich ſo nach Dir geſehnt.

Fritz.

Wir haben uns ja geſtern erſt geſehen.

Chriſtine.

Geſehn von weitem

(Schüchtern).

Du, das war nicht ſchön, daß Du ....

Fritz.

Ja, ich weiß ſchon; die Mizi hat’s mir ſchon geſagt. Aber Du biſt ein Kind wie gewöhnlich. 33Ich hab nicht los können. So was mußt Du ja begreifen.

Chriſtine.

Ja Du, Fritz, wer waren denn die Leute in der Loge?

Fritz.

Bekannte das iſt doch ganz gleichgültig, wie ſie heißen.

Chriſtine.

Wer war denn die Dame im ſchwarzen Sammt - kleid?

Fritz

Kind, ich hab gar kein Gedächtnis für Toiletten.

Chriſtine
(ſchmeichelnd).

Na!

Fritz.

Das heißt, .. ich hab dafür auch ſchon ein Gedächtnis in gewiſſen Fällen. Zum Beiſpiel an die dunkelgraue Blouſe erinner ich mich ſehr gut, die Du angehabt haſt, wie wir uns das erſte Mal geſehen haben. Und die weiß-ſchwarze Taille, geſtern im Theater.

Chriſtine.

Die hab ich ja heut auch an!

Fritz.

Richtig von weitem ſieht die nämlich ganz334anders aus im Ernſt! Oh, und das Medaillon, das kenn ich auch!

Chriſtine
(lächelnd).

Wann hab ich’s umgehabt?

Fritz.

Vor na, damals, wie wir in dem Garten bei der Linie ſpazieren gegangen ſind, wo die vielen Kinder geſpielt haben nicht wahr ?

Chriſtine.

Ja Du denkſt doch manchmal an mich.

Fritz.

Ziemlich häufig, mein Kind

Chriſtine.

Nicht ſo oft wie ich an Dich. Ich denke immer an Dich den ganzen Tag und froh kann ich doch nur ſein, wenn ich Dich ſeh!

Fritz.

Sehn wir uns denn nicht oft genug?

Chriſtine.

Oft…

Fritz.

Freilich. Im Sommer werden wir uns weniger ſehn… Denk Dir, wenn ich zum Beiſpiel einmal35 auf ein paar Wochen verreiſte, was möchteſt Du da ſagen?

Chriſtine
(ängſtlich).

Wie? Du willſt verreiſen?

Fritz.

Nein… Immerhin wär es aber möglich, daß ich einmal die Laune hätte, acht Tage ganz allein zu ſein…

Chriſtine.

Ja, warum denn?

Fritz.

Ich ſpreche ja nur von der Möglichkeit. Ich kenne mich, ich hab ſolche Launen. Und Du könnteſt ja auch einmal Luſt haben, mich ein paar Tage nicht zu ſehn das werd ich immer verſtehn.

Chriſtine.

Die Laune werd ich nie haben, Fritz.

Fritz.

Das kann man nie wiſſen.

Chriſtine.

Ich weiß es ich hab Dich lieb.

Fritz.

Ich hab Dich ja auch ſehr lieb.

3*36
Chriſtine.

Du biſt aber mein Alles, Fritz, für Dich könnt ich

(ſie unterbricht ſich).

Nein, ich kann mir nicht denken, daß je eine Stunde kommt, wo ich Dich nicht ſehen wollte. So lang ich leb, Fritz

Fritz
(unterbricht).

Kind, ich bitt Dich ſo was ſag lieber nicht .. die großen Worte, die hab ich nicht gern. Von der Ewigkeit reden wir nicht…

Chriſtine
(traurig lächelnd).

Hab keine Angſt, Fritz ich weiß ja, daß es nicht für immer iſt

Fritz.

Du verſtehſt mich falſch, Kind. Es iſt ja möglich,

(lachend)

daß wir einmal überhaupt nicht ohne ein - ander leben können, aber wiſſen können wir’s ja nicht, nicht wahr? Wir ſind ja nur Menſchen

Theodor
(auf die Lichter weiſend).

Bitte ſich das gefälligſt an - zuſehn… Sieht das nicht anders aus, als wenn da eine dumme Lampe ſtünde?

Fritz.

Du biſt wirklich der geborene Feſtarrangeur.

37
Theodor.

Kinder, wie wär’s übrigens, wenn wir an das Souper dächten? ..

Mizi.

Ja! Komm Chriſtin! ..

Fritz.

Wartet, ich will Euch zeigen, wo Ihr alles noth - wendige findet.

Mizi.

Vor allem brauchen wir ein Tiſchtuch.

Theodor
(mit engl. Accent, wie ihn die Clowns zu haben pflegen).

Eine Tiſchentuch.

Fritz.

Was? ..

Theodor.

Erinnerſt Dich nicht an den Clown im Orpheum? Das iſt eine Tiſchentuch Das iſt eine Blech . Das iſt eine kleine piccolo.

Mizi.

Du, Dori, wann gehſt denn mit mir in’s Orpheum? Neulich haſt Du mir’s ja verſprochen. Da kommt die Chriſtin aber auch mit, und der Herr Fritz auch.

(Sie nimmt eben Fritz das Tiſchtuch aus der Hand, das38 dieſer aus der Kredenz genommen).

Da ſind aber dann wir die Bekannten in der Loge

Fritz.

Ja, ja

Mizi.

Da kann dann die Dame mit dem ſchwarzen Sammtkleid allein nach Haus gehn.

Fritz.

Was Ihr immer mit der Dame in Schwarz habt, das iſt wirklich zu dumm.

Mizi.

Oh, wir haben nichts mit ihr So Und das Eßzeug? ..

(Fritz zeigt ihr alles in der ge - öffneten Kredenz).

Ja Und die Teller? .. Ja, danke So, jetzt machen wir’s ſchon allein .... Gehn Sie, gehn Sie, jetzt ſtören Sie uns nur.

Theodor
(hat ſich unterdeſſen auf den Divan der Länge nach hin - gelegt; wie Fritz zu ihm nach vorne kommt:)

Du ent - ſchuldigſt

(Mizi und Chriſtine decken auf).
Mizi.

Haſt ſchon das Bild vom Fritz in der Uniform geſehn?

39
Chriſtine.

Nein.

Mizi.

Das mußt Du Dir anſchau’n. Feſch! ..

(Sie reden weiter).
Theodor
(auf dem Divan).

Siehſt Du, Fritz, ſolche Abende ſind meine Schwärmerei.

Fritz.

Sind auch nett.

Theodor.

Da fühl ich mich behaglich Du nicht?

Fritz.

Oh, ich wollte, es wär mir immer ſo wohl.

Mizi.

Sagen Sie, Herr Fritz, iſt Kaffee in der Maſchin drin?

Fritz.

Ja Ihr könnt auch gleich den Spiritus an - zünden auf der Maſchin dauert’s ſowieſo eine Stund, bis der Kaffee fertig iſt

Theodor
(zu Fritz).

Für ſo ein ſüßes Mäderl geb ich zehn dämoniſche Weiber her.

40
Fritz.

Das kann man nicht vergleichen.

Theodor.

Wir haſſen nämlich die Frauen, die wir lieben und lieben nur die Frauen, die uns gleichgiltig ſind.

Fritz
(lacht).
Mizi.

Was iſt denn? Wir möchten auch was hören!

Theodor.

Nichts für Euch, Kinder. Wir philoſophieren.

(Zu Fritz).

Wenn wir heut mit denen das letzte Mal zuſammen wären, wir wären doch nicht weniger fidel, was?

Fritz.

Das letzte Mal Na, darin liegt jedenfalls etwas melancholiſches. Ein Abſchied ſchmerzt immer, auch wenn man ſich ſchon lang darauf freut!

Chriſtine.

Du, Fritz, wo iſt denn das kleine Eßzeug?

Fritz
(geht nach hinten, zur Kredenz).

Da iſt es, mein Schatz.

Mizi (iſt nach vorn gekommen, fährt dem Theodor, der auf dem Divan liegt, durch die Haare).
41
Theodor.

Du Katz, Du!

Fritz
(öffnet das Packet, das Mizi gebracht).

Großartig

Chriſtine
(zu Fritz).

Wie Du alles hübſch in Ordnung haſt!

Fritz

Ja

(Ordnet die Sachen, die Mizi mitgebracht, Sardinenbüchſe, kaltes Fleiſch, Butter, Käſe).
Chriſtine.

Fritz willſt Du mir’s nicht ſagen?

Fritz.

Was denn?

Chriſtine
(ſehr ſchüchtern).

Wer die Dame war?

Fritz.

Nein, ärger mich nicht.

(Milde).

Schau, das haben wir ja ſo ausdrücklich mit einander ausgemacht: Gefragt wird nichts. Das iſt ja gerade das ſchöne. Wenn ich mit Dir zuſammen bin, verſinkt die Welt punktum. Ich frag Dich auch um nichts.

Chriſtine.

Mich kannſt Du um alles fragen.

42
Fritz.

Aber ich thu’s nicht. Ich will ja nichts wiſſen.

Mizi
(kommt wieder hin).

Herrgott, machen Sie da eine Unordnung

(Uebernimmt die Speiſen, legt ſie auf die Teller).

So

Theodor.

Du, Fritz, ſag, haſt Du denn irgend was zum Trinken zu Hauſe?

Fritz.

Oh ja, es wird ſich ſchon was finden.

(Er geht ins Vorzimmer).
Theodor
(erhebt ſich und beſichtigt den Tiſch).

Gut.

Mizi.

So, ich denke, es fehlt nichts mehr!

Fritz
(kommt mit einigen Flaſchen zurück).

So, hier wäre auch was zum trinken.

Theodor.

Wo ſind denn die Roſen, die von der Decke herunterfallen?

Mizi.

Ja richtig, die Roſen haben wir vergeſſen!

(Sie nimmt die Roſen aus der Vaſe, ſteigt auf einen Stuhl und läßt die Roſen auf den Tiſch fallen).

So!

43
Chriſtine.

Gott, iſt das Mädel ausgelaſſen!

Theodor.

Na, nicht in die Teller ....

Fritz.

Wo willſt Du ſitzen, Chriſtin?

Theodor.

Wo iſt denn ein Stoppelzieher?

Fritz
(holt einen aus der Kredenz).

Hier iſt einer.

Mizi
(verſucht den Wein aufzumachen).
Fritz.

Aber geben Sie das doch mir.

Theodor.

Laßt das mich machen ....

(Nimmt ihm Flaſche und Stoppelzieher aus der Hand).

Du könnteſt unter - deſſen ein bischen

(Bewegung des Klavierſpiels).
Mizi.

Ja ja, das iſt feſch!

(Sie läuft zum Klavier, öffnet es, nachdem ſie die Sachen, die darauf liegen, auf einen Stuhl gelegt hat.)
Fritz
(zu Chriſtine).

Soll ich?

44
Chriſtine.

Ich bitt Dich, ja, ſo lang ſchon hab ich mich danach geſehnt.

Fritz
(am Clavier).

Du kannſt ja auch ein biſſel ſpielen?

Chriſtine
(abwehrend).

Oh Gott.

Mizi.

Schön kann ſie ſpielen, die Chriſtin, ſie kann auch ſingen.

Fritz.

Wirklich, das haſt Du mir ja nie geſagt? ..

Chriſtine.

Haſt Du mich denn je gefragt?

Fritz.

Wo haſt Du denn ſingen gelernt?

Chriſtine.

Gelernt hab ich’s eigentlich nicht. Der Vater hat mich ein biſſel unterrichtet aber ich hab nicht viel Stimme. Und weißt Du, ſeit die Tant ge - ſtorben iſt, die immer bei uns gewohnt hat, da iſt es noch ſtiller bei uns wie es früher war.

Fritz.

Was machſt Du eigentlich ſo den ganzen Tag?

45
Chriſtine.

Oh Gott, ich hab ſchon zu thun!

Fritz.

So im Haus wie?

Chriſtine.

Ja. Und dann ſchreib ich Noten ab, ziemlich viel.

Theodor.

Muſiknoten?

Chriſtine.

Freilich.

Theodor.

Das muß ja horrend bezahlt werden.

(Wie die anderen lachen.)

Na, ich würde das horrend bezahlen. Ich glaube, Noten ſchreiben muß eine fürchterliche Arbeit ſein!

Mizi.

Es iſt auch ein Unſinn, daß ſie ſich ſo plagt.

(Zu Chriſtine.)

Wenn ich ſo viel Stimme hätte, wie Du, wär ich längſt beim Theater.

Theodor.

Du brauchteſt nicht einmal Stimme Du thuſt natürlich den ganzen Tag gar nichts! was?

Mizi.

Na, ſei ſo gut! Ich hab ja zwei kleine Brüder,46 die in die Schul gehn, die zieh ich an in der früh; und dann mach ich die Aufgaben mit ihnen

Theodor.

Da iſt doch kein Wort wahr.

Mizi.

Na, wennſt mir nicht glaubſt! Und bis zum vorigen Herbſt bin ich ſogar in einem Geſchäft ge - weſen von acht in der früh bis acht am Abend

Theodor
(leicht ſpottend).

Wo denn?

Mizi.

In einem Modiſtengeſchäft. Die Mutter will, daß ich wieder eintrete.

Theodor
(wie oben).

Warum biſt Du denn ausgetreten?

Fritz
(zu Chriſtine.)

Du mußt uns dann was vorſingen!

Theodor.

Kinder, eſſen wir jetzt lieber, und Du ſpielſt dann, ja? ....

Fritz
(aufſtehend, zu Chriſtine.)

Komm, Schatz!

(Führt ſie zum Tiſch hin.)
47
Mizi.

Der Kaffee! Jetzt geht der Kaffee über und wir haben noch nichts gegeſſen!

Theodor.

Jetzt iſt’s ſchon alles eins!

Mizi.

Aber er geht ja über!

(Bläſt die Spiritusflamme aus.)
(Man ſetzt ſich zu Tiſch.)
Theodor.

Was willſt Du haben, Mizi? Das ſag ich Dir gleich: die Torte kommt zuletzt! Zuerſt mußt Du lauter ganz ſauere Sachen eſſen.

Fritz
(ſchenkt den Wein ein.)
Theodor.

Nicht ſo: das macht man jetzt ganz anders. Kennſt Du nicht die neueſte Mode?

(Steht auf, affec - tirt Grandezza, die Flaſche in der Hand, zu Chriſtine.)

Vöslauer Ausſtich achtzehnhundert ....

(Spricht die nächſten Zahlen unverſtändlich. Schenkt ein, zu Mizi.)

Vöslauer Ausſtich achtzehnhundert ....

(Wie früher. Schenkt ein, zu Fritz.)

Vöslauer Ausſtich achtzehn - hundert ....

(Wie früher. An ſeinem eigenen Platz.)

Vöslauer Ausſtich

(Wie früher. Setzt ſich.)
Mizi
(lachend.)

Alleweil macht er Dummheiten.

48
Theodor
(erhebt das Glas, alle ſtoßen an).

Proſit.

Mizi.

Sollſt leben, Theodor! ....

Theodor
(ſich erhebend).

Meine Damen und Herren

Fritz.

Na, nicht gleich!

Theodor
(ſetzt ſich).

Ich kann ja warten.

(Man ißt.)
Mizi.

Das hab ich ſo gern, wenn bei Tiſch Reden gehalten werden. Alſo ich hab einen Couſin, der redet immer in Reimen.

Theodor.

Bei was für einem Regiment iſt er?

Mizi.

Geh, hör auf Auswendig redt er und mit Reimen, aber großartig, ſag ich Dir, Chriſtin. Und iſt eigentlich ſchon ein älterer Herr.

49
Theodor.

O, das kommt vor, daß ältere Herren noch in Reimen reden.

Fritz.

Aber, Ihr trinkt ja garnicht. Chriſtin!

(Er ſtößt mit ihr an.)
Theodor
(ſtößt mit Mizi an).

Auf die alten Herren, die in Reimen reden.

Mizi
(luſtig).

Auf die jungen Herren, auch wenn ſie gar - nichts reden zum Beiſpiel auf den Herrn Fritz Sie, Herr Fritz, jetzt trinken wir Bruderſchaft, wenn Sie wollen und die Chriſtin muß auch mit dem Theodor Bruderſchaft trinken.

Theodor.

Aber nicht mit dem Wein, das iſt kein Bruder - ſchaftswein.

(Erhebt ſich, nimmt eine andere Flaſche gleiches Spiel wie früher.)

Xeres de la Frontera mille huit cent cinquante Xeres de la Frontera Xeres de la Frontera Xeres de la Frontera.

Mizi
(nippt).

Ah

Theodor.

Kannſt Du nicht warten, bis wir alle trinken Alſo Kinder bevor wir uns ſo feierlich450verbrüdern, wollen wir auf den glücklichen Zufall trinken, der, der und ſo weiter

Mizi.

Ja, iſt ſchon gut!

(Sie trinken).
(Fritz nimmt Mizi’s, Theodor Chriſtinen’s Arm, die Gläſer in der Hand, wie man Bruderſchaft zu trinken pflegt.)
Fritz
(küßt Mizi).
Theodor
(will Chriſtine küſſen).
Chriſtine
(lächelnd).

Muß das ſein?

Theodor.

Unbedingt, ſonſt gilt’s nichts

(Küßt ſie ..)

So, und jetzt à place!

Mizi.

Aber ſchauerlich heiß wird’s in dem Zimmer.

Fritz.

Das iſt von den vielen Lichtern, die der Theodor angezündet hat.

Mizi.

Und von dem Wein.

(Sie lehnt ſich in den Fauteuil zurück.)
Theodor.

Komm nur daher, jetzt kriegſt Du ja erſt das51 Beſte.

(Er ſchneidet ein Stückchen von der Torte ab und ſteckt’s ihr in den Mund.)

Da, Du Katz gut?

Mizi.

Sehr!

(Er giebt ihr noch eins.)
Theodor.

Geh, Fritz, jetzt iſt der Moment! Jetzt könnteſt Du was ſpielen!

Fritz.

Willſt Du, Chriſtin?

Chriſtine.

Bitte!

Mizi.

Aber was Feſches!

Theodor
(füllt die Gläſer).
Mizi.

Kann nicht mehr.

(Trinkt.)
Chriſtine
(nippend).

Der Wein iſt ſo ſchwer.

Theodor
(auf den Wein weiſend).

Fritz!

Fritz
(leert das Glas, geht zum Klavier).
4*52
Chriſtine
(ſetzt ſich zu ihm.)
Mizi.

Herr Fritz, ſpielen’s den Doppeladler.

Fritz.

Den Doppeladler Wie geht der?

Mizi.

Dori, kannſt Du nicht den Doppeladler ſpielen?

Theodor.

Ich kann überhaupt nicht Klavier ſpielen.

Fritz.

Ich kenne ihn ja; er fällt mir nur nicht ein.

Mizi.

Ich werd ihn Ihnen vorſingen La la lalalala la

Fritz.

Aha, ich weiß ſchon.

(Spielt, aber nicht ganz richtig.)
Mizi
(geht zum Klavier).

Nein, ſo

(Spielt die Melodie mit einem Finger.)
Fritz.

Ja, ja

(Er ſpielt, Mizi ſingt mit)
53
Theodor.

Das ſind wieder ſüße Erinnerungen, was?

Fritz
(ſpielt wieder unrichtig und hält inne).

Es geht nicht. Ich hab gar kein Gehör.

(Er phantaſirt.)
Mizi
(gleich nach dem erſten Takt).

Das iſt nichts!

Fritz
(lacht.)

Schimpfen Sie nicht, das iſt von mir!

Mizi.

Aber zum tanzen iſt es nicht.

Fritz

Probiren Sie nur einmal

Theodor
(zu Mizi).

Komm, verſuchen wir’s.

(Er nimmt ſie um die Taille, ſie tanzen.)
Chriſtine
(ſteht am Klavier und ſchaut auf die Taſten.)
(Es klingelt.)
Fritz
(hört plötzlich auf zu ſpielen; Theodor und Mizi tanzen weiter).
Theodor und Mizi zugleich:

Was iſt denn das? Na!

54
Fritz.

Er hat eben geklingelt

(zu Theodor).

Haſt Du denn noch jemanden eingeladen? ..

Theodor.

Keine Idee Du brauchſt ja nicht zu öffnen.

Chriſtine
(zu Fritz).

Was haſt Du denn?

Fritz

Nichts

(Es klingelt wieder.)
Fritz
(ſteht auf, bleibt ſtehen).
Theodor.

Du biſt einfach nicht zu Hauſe.

Fritz.

Man hört ja das Klavierſpielen bis auf den Gang Man ſieht auch von der Straße her, daß es beleuchtet iſt.

Theodor.

Was ſind denn das für Lächerlichkeiten? Du biſt eben nicht zu Haus.

Fritz.

Es macht mich aber nervös.

55
Theodor.

Na, was wird’s denn ſein? Ein Brief! Oder ein Telegramm Du wirſt ja um

(auf die Uhr ſehend)

um neun keinen Beſuch bekommen.

(Es klingelt wieder.)
Fritz.

Ach was, ich muß doch nachſeh’n

(geht hinaus).
Mizi.

Aber Ihr ſeid auch gar nicht feſch

(ſchlägt ein paar Taſten auf dem Klavier an).
Theodor.

Geh, hör jetzt auf!

(Zu Chriſtine.)

Was haben Sie denn? Macht Sie das Klingeln auch nervös?

Fritz
(kommt zurück, mit erkünſtelter Ruhe).

Theodor und Chriſtine zugleich. Na, wer war’s? Wer war’s?

Fritz
(gezwungen lächelnd).

Ihr müßt ſo gut ſein, mich einen Moment zu entſchuldigen. Geht unterdeſſen da hinein.

Theodor.

Was giebt’s denn?

56
Chriſtine.

Wer iſt’s?

Fritz.

Nichts, Kind, ich habe nur zwei Worte mit einem Herrn zu ſprechen

(Hat die Thür zum Nebenzimmer geöffnet, geleitet die Mäd - chen hinein, Theodor iſt der letzte, ſieht Fritz fragend an,)
Fritz
(leiſe, mit entſetztem Ausdruck).

Er! ..

Theodor.

Ah! ..

Fritz.

Geh hinein, geh hinein.

Theodor.

Ich bitt Dich, mach keine Dummheiten, es kann eine Falle ſein

Fritz.

Geh geh

(Theodor ins Nebenzimmer).
(Fritz geht raſch durch’s Zimmer, auf den Gang, ſo daß die Bühne einige Augenblicke leer bleibt. Dann tritt er wieder auf, indem er einen elegant gekleideten Herrn von etwa fünfunddreißig Jahren voraus eintreten läßt. Der Herr iſt in gelbem Ueberzieher, trägt Handſchuhe, hält den Hut in der Hand.)
57
Fritz. Der Herr.
Fritz
(noch im Eintreten).

Pardon, daß ich Sie warten ließ ich bitte

Der Herr
(in ganz leichtem Tone).

Oh, das thut nichts. Ich bedaure ſehr, Sie geſtört zu haben.

Fritz.

Gewiß nicht. Bitte wollen Sie nicht

(weiſt ihm einen Stuhl an).
Der Herr.

Ich ſehe ja, daß ich Sie geſtört habe. Kleine Unterhaltung, wie?

Fritz.

Ein paar Freunde.

Der Herr
(ſich ſetzend, immer freundlich).

Maskenſcherz wahr - ſcheinlich?

Fritz
(befangen).

Wieſo?

Der Herr.

Nun, Ihre Freunde haben Damenhüte und Mantillen.

58
Fritz.

Nun ja

(lächelnd).

Es mögen ja Freundinnen auch dabei ſein

(Schweigen.)
Der Herr.

Das Leben iſt zuweilen ganz luſtig ja

(Er ſieht den andern ſtarr an.)
Fritz
(hält den Blick eine Weile aus, dann ſieht er weg)

Ich darf mir wohl die Frage erlauben, was mir die Ehre Ihres Beſuches verſchafft.

Der Herr.

Gewiß

(Ruhig.)

Meine Frau hat nämlich ihren Schleier bei Ihnen vergeſſen.

Fritz.

Ihre Frau Gemahlin, bei mir? .. ihren

(Lächelnd)

Der Scherz iſt ein bischen ſonderbar

Der Herr
(plötzlich aufſtehend, ſehr ſtark, faſt wild, in dem er ſich mit der einen Hand auf die Stuhllehne ſtützt.)

Sie hat ihn vergeſſen.

Fritz
(erhebt ſich auch, und die beiden ſtehen einander gegenüber).
Der Herr
(hebt die Fauſt, als wollte er ſie auf Fritz niederfallen laſſen; in Wuth und Ekel).

Oh !

59
Fritz
(wehrt ab, geht einen kleinen Schritt nach rückwärts.)
Der Herr
(nach einer langen Pauſe).

Hier ſind Ihre Briefe.

(Er wirft ein Packet, das er aus der Taſche des Ueberziehers nimmt, auf den Schreibtiſch.)

Ich bitte um die, welche Sie erhalten haben

Fritz
(abwehrende Bewegung).
Der Herr.
(heftig, mit Bedeutung).

Ich will nicht, daß man ſie ſpäter bei Ihnen findet.

Fritz
(ſehr ſtark).

Man wird ſie nicht finden.

Der Herr
(ſchaut ihn an. Pauſe).
Fritz.

Was wünſchen Sie noch von mir?

Der Herr
(höhniſch).

Was ich noch wünſche ?

Fritz.

Ich ſtehe zu Ihrer Verfügung

Der Herr
(verbeugt ſich kühl).

Gut.

(Er läßt ſeinen Blick im Zimmer umhergehen; wie er wieder den gedeckten Tiſch,60 die Damenhüte ꝛc. ſieht, geht eine lebhafte Bewegung über ſein Geſicht, als wollte es zu einem neuen Ausbruch ſeiner Wuth kommen).
Fritz
(der das bemerkt, wiederholt).

Ich bin ganz zu Ihrer Verfügung. Ich werde morgen bis zwölf Uhr zuhauſe ſein.

Der Herr
(verbeugt ſich und wendet ſich zum Gehen).
Fritz
(begleitet ihn bis zur Thür, was der Herr abwehrt. Wie er weg iſt, geht Fritz zum Schreibtiſch, bleibt eine Weile ſtehen. Dann eilt er zum Fenſter, ſieht durch eine Spalte, die die Rouleaux gelaſſen, hinaus, und man merkt, wie er den auf dem Trittoir gehenden Herrn mit den Blicken ver - folgt. Dann entfernt er ſich von dem Fenſter, bleibt, eine Sekunde lang zur Erde ſchauend, ſtehen; dann geht er zur Thür des Nebenzimmers, öffnet ſie zur Hälfte und ruft).

Theodor, auf einen Moment.

Fritz. Theodor. (Sehr raſch dieſe Scene).
Theodor
(erregt).

Nun

Fritz.

Er weiß es.

Theodor.

Nichts weiß er. Du biſt ihm ſicher hinein - gefallen. Haſt am Ende geſtanden. Du biſt ein Narr, ſag ich Dir, Du biſt

61
Fritz
(auf die Briefe weiſend).

Er hat mir meine Briefe zurückgebracht.

Theodor
(betroffen).

Oh

(nach einer Pauſe).

Ich ſag es immer, man ſoll nicht Briefe ſchreiben.

Fritz

Er iſt es geweſen, heute Nachmittag, da unten

Theodor.

Alſo was hat’s denn gegeben? ſo ſprich doch

Fritz.

Du mußt mir nun einen großen Dienſt erweiſen, Theodor.

Theodor.

Ich werde die Sache ſchon in Ordnung bringen.

Fritz.

Davon iſt hier nicht mehr die Rede.

Theodor.

Alſo

Fritz.

Es wird für alle Fälle gut ſein

(ſich unter - brechend)

aber wir können doch die armen Mädeln nicht ſo lange warten laſſen.

62
Theodor.

Die können ſchon warten. Was wollteſt Du ſagen?

Fritz.

Es wird gut ſein, wenn Du heute noch Lensky aufſuchſt.

Theodor.

Gleich, wenn Du willſt.

Fritz.

Du triffſt ihn jetzt nicht aber zwiſchen elf und zwölf kommt er ja ſicher in’s Kaffeehaus vielleicht kommt Ihr dann beide noch zu mir

Theodor.

Geh, ſo mach doch kein ſolches Geſicht in neunundneunzig Fällen von hundert geht die Sache gut aus

Fritz.

Es wird dafür geſorgt ſein, daß dieſe Sache nicht gut ausgeht.

Theodor.

Aber ich bitt Dich, erinnere Dich, im vorigen Jahr, die Affaire zwiſchen dem Doktor Billinger und dem Herz, das war doch genau dasſelbe.

Fritz.

Laß das, Du weißt es ſelbſt, er hätte mich63 einfach hier in dem Zimmer niederſchießen ſollen, es wär auf’s gleiche herausgekommen.

Theodor
(gekünſtelt).

Ah, das iſt famos! Das iſt eine groß - artige Auffaſſung Und wir, der Lensky und ich, wir ſind nichts? Du meinſt, wir werden es zu - geben

Fritz.

Bitt Dich, laß das! Ihr werdet einfach annehmen, was man proponiren wird.

Theodor.

Ah!

Fritz.

Wozu das alles, Theodor. Als wenn Du’s nicht wüßteſt.

Theodor.

Unſinn. Ueberhaupt, das ganze iſt Glücksſache Ebenſo gut kannſt Du ihn

Fritz
(ohne darauf zu hören).

Sie hat es geahnt. Wir beide haben es geahnt. Wir haben es gewußt

Theodor.

Geh, Fritz

Fritz
(zum Schreibtiſch, ſperrt die Briefe ein).

Was ſie in dieſem Augenblick nur macht. Ob er ſie Theodor64 .. das mußt Du morgen in Erfahrung bringen, was dort geſchehen iſt.

Theodor.

Ich werd es verſuchen

Fritz

Sieh auch, daß kein überflüſſiger Aufſchub

Theodor.

Vor übermorgen früh wird’s ja doch kaum ſein können.

Fritz
(beinahe angſtvoll).

Theodor!

Theodor.

Alſo Kopf hoch. Nicht wahr, auf innere Ueberzeugungen iſt doch auch etwas zu geben und ich hab die feſte Ueberzeugung, daß alles gut ausgeht.

(Redet ſich in Luſtigkeit hinein).

Ich weiß ſelbſt nicht warum, aber ich hab einmal die Ueberzeugung!

Fritz
(lächelnd).

Was biſt Du für ein guter Kerl! Aber was ſagen wir nur den Mädeln?

Theodor.

Das iſt wohl ſehr gleichgiltig. Schicken wir ſie einfach weg.

65
Fritz.

Oh nein. Wir wollen ſogar möglichſt luſtig ſein. Chriſtine darf garnichts ahnen. Ich will mich wieder zum Klavier ſetzen; ruf Du ſie indeſſen herein.

(Theodor wendet ſich, unzufriedenen Geſichts, das zu thun.)

Und was wirſt Du ihnen ſagen?

Theodor.

Daß ſie das gar nichts angeht.

Fritz
(der ſich zum Klavier geſetzt hat, ſich nach ihm umwendend).

Nein, nein

Theodor.

Daß es ſich um einen Freund handelt das wird ſich ſchon finden.

Fritz
(ſpielt ein paar Töne).
Theodor.

Bitte, meine Damen.

(Hat die Thür geöffnet.)
Fritz. Theodor. Chriſtine. Mizi.
Mizi.

Na endlich! Iſt der ſchon fort?

Chriſtine.
(zu Fritz eilend).

Wer war bei Dir, Fritz?

566
Fritz
(am Klavier, weiterſpielend).

Iſt ſchon wieder neu - gierig!

Chriſtine.

Ich bitt Dich, Fritz, ſag’s mir.

Fritz.

Schatz, ich kann’s Dir nicht ſagen, es handelt ſich wirklich um Leute,[die] Du gar nicht kennſt.

Chriſtine
(ſchmeichelnd).

Geh, Fritz, ſag mir die Wahrheit!

Theodor.

Sie läßt Dich natürlich nicht in Ruh Daß Du ihr nichts ſagſt! Du haſt’s ihm verſprochen!

Mizi.

Geh, ſei doch nicht ſo[fad], Chriſtin, laß ihnen die Freud! Sie machen ſich eh nur wichtig!

Theodor.

Ich muß den Walzer mit Fräulein Mizi zu Ende tanzen.

(Mit der Betonung eines Clowns.)

Bitte, Herr Kapellmeiſter eine kleine Muſik.

Fritz
(ſpielt).
(Theodor und Mizi tanzen; nach wenig Takten:)
Mizi.

Ich kann nicht!

(Sie fällt in einen Fauteuil zurück.)
67
Theodor
(küßt ſie, ſetzt ſich auf die Lehne des Fauteuils, zu ihr).
Fritz
(bleibt am Klavier, nimmt Chriſtine bei beiden Händen, ſieht ſie an).
Chriſtine
(wie erwachend).

Warum ſpielſt Du nicht weiter?

Fritz
(lächelnd).

Genug für heut

Chriſtine.

Siehſt Du, ſo möcht ich ſpielen können

Fritz.

Spielſt Du viel?

Chriſtine.

Ich komme nicht viel dazu; im Haus iſt immer was zu thun. Und dann, weißt, wir haben ein ſo ſchlechtes Pianino.

Fritz.

Ich möcht’s wohl einmal verſuchen. Ich möcht überhaupt gern Dein Zimmer einmal ſeh’n.

Chriſtine
(lächelnd).

’s iſt nicht ſo ſchön, wie bei Dir! ..

Fritz.

Und noch eins möcht ich: daß Du mir einmal5*68viel von Dir erzählſt recht viel ich weiß eigentlich ſo wenig von Dir.

Chriſtine.

Iſt wenig zu erzählen. Ich hab auch keine Geheimniſſe, wie wer anderer

Fritz.

Du haſt noch keinen lieb gehabt?

Chriſtine
(ſieht ihn nur an).
Fritz
(küßt ihr die Hände).
Chriſtine.

Und werd auch nie wen andern lieb haben

Fritz
(mit faſt ſchmerzlichem Ausdruck).

Sag das nicht ſag’s nicht was weißt Du denn? .. Hat Dich Dein Vater ſehr gern, Chriſtin?

Chriſtine.

Oh Gott! .. Es war auch eine Zeit, wo ich ihm alles erzählt hab.

Fritz.

Na, Kind, mach Dir nur keine Vorwürfe Ab und zu hat man halt Geheimniſſe das iſt der Lauf der Welt.

69
Chriſtine.

Wenn ich nur wüßte, daß Du mich gern haſt da wär ja alles ganz gut.

Fritz.

Weißt Du’s denn nicht?

Chriſtine.

Wenn Du immer in dem Ton zu mir reden möchteſt, ja dann

Fritz.

Chriſtin! Du ſitzt aber recht unbequem.

Chriſtine.

Ach laß mich nur es iſt da ganz gut!

(Sie legt den Kopf auf’s Klavier).
Fritz
(ſteht auf und ſtreichelt ihr die Haare).
Chriſtine.

Oh, das iſt gut.

(Stille im Zimmer).
Theodor.

Wo ſind denn die Cigarren, Fritz?

Fritz
(kommt zu ihm hin, der bei der Kredenz ſteht und ſchon geſucht hat).
70
Mizi
(iſt eingeſchlummert).
Fritz
(reicht ihm ein Cigarrenkiſtchen).

Und der ſchwarze Kaffee!

(Er ſchenkt zwei Taſſen ein).
Theodor.

Kinder, wollt Ihr nicht auch ſchwarzen Kaffee haben?

Fritz.

Mizi, ſoll ich Dir eine Taſſe

Theodor.

Laſſen wir ſie ſchlafen Du trink übrigens keinen Kaffee heut. Du ſollteſt Dich möglichſt bald zu Bette legen und ſchauen, daß Du ordentlich ſchläfſt.

Fritz
(ſieht ihn an und lacht bitter).
Theodor.

Na ja, jetzt ſtehn die Dinge nun einmal ſo wie ſie ſtehn und es handelt ſich jetzt nicht darum, ſo großartig oder ſo tiefſinnig, ſondern ſo vernünftig zu ſein als möglich darauf kommt es an in ſolchen Fällen.

Fritz.

Du kommſt noch heute Nacht mit Lensky zu mir ja?

Theodor.

Das iſt ein Unſinn. Morgen früh iſt Zeit genug.

71
Fritz.

Ich bitt Dich drum.

Theodor.

Alſo ſchön

Fritz.

Begleiteſt Du die Mädeln nach Hauſe?

Theodor.

Ja, und zwar ſofort Mizi! Erhebe Dich!

Mizi.

Ihr trinkt da ſchwarzen Kaffee ! Gebt’s mir auch einen!

Theodor.

Da haſt Du, Kind

Fritz
(zu Chriſtine hin).

Biſt müd, mein Schatz?

Chriſtine.

Wie lieb das iſt, wenn Du ſo ſprichſt.

Fritz.

Sehr müd?

Chriſtine
(lächelnd).

Der Wein. Ich hab auch ein biſſel Kopfweh

72
Fritz.

Na, in der Luft wird Dir das ſchon vergehn!

Chriſtine.

Gehn wir ſchon? Begleiteſt Du uns?

Fritz.

Nein, Kind. Ich bleib jetzt ſchon zu Haus Ich hab noch einiges zu thun.

Chriſtine
(der wieder die Erinnerung kommt).

Jetzt Was haſt Du denn jetzt zu thun?

Fritz
(beinahe ſtreng).

Du, Chriſtin, das mußt Du Dir abgewöhnen!

(Mild).

Ich bin nämlich wie zer - ſchlagen wir ſind heut, der Theodor und ich, draußen auf dem Land zwei Stunden herumgelaufen

Theodor.

Ah, das war entzückend. Nächſtens fahren wir alle zuſammen hinaus auf’s Land.

Mizi.

Ja, das iſt feſch! Und Ihr zieht Euch die Uniform dazu an.

Theodor.

Das iſt doch wenigſtens Naturſinn!

73
Chriſtine.

Wann ſehen wir uns denn wieder?

Fritz
(etwas nervös).

Ich ſchreib’s Dir ſchon.

Chriſtine
(traurig).

Leb wohl

(Wendet ſich zum Gehen).
Fritz
(bemerkt ihre Traurigkeit).

Morgen ſehn wir uns, Chriſtin!

Chriſtine
(froh).

Ja?

Fritz.

In dem Garten dort bei der Linie wie neulich um ſagen wir, um ſechs Uhr ja? Iſt’s Dir recht?

Chriſtine
(nickt).
Mizi.
(zu Fritz).

Gehſt mit uns, Fritz?

Theodor.

Die hat ein Talent zum Duſagen !

Fritz.

Nein, ich bleib ſchon zu Haus.

74
Mizi.

Der hat’s gut! Was wir noch für einen Rieſen - weg nach Haus haben

Fritz.

Aber, Mizi, Du haſt ja beinah die ganze gute Torte ſtehn laſſen. Wart, ich pack ſie Dir ein ja?

Mizi
(zu Theodor).

Schickt ſich das?

Fritz
(ſchlägt die Torte ein).
Chriſtine.

Die iſt wie ein kleines Kind

Mizi
(zu Fritz).

Wart, dafür helf ich Dir die Lichter auslöſchen.

(Löſcht ein Licht nach dem andern aus; das Licht auf dem Schreibtiſch bleibt).
Chriſtine.

Soll ich Dir nicht das Fenſter aufmachen? es iſt ſo ſchwül.

(Sie öffnet das Fenſter, Blick auf das gegenüberliegende Haus.)
Fritz.

So Kinder. Jetzt leucht ich Euch.

Mizi.

Iſt denn ſchon ausgelöſcht auf der Stiege?

75
Theodor.

Na, ſelbſtverſtändlich.

Chriſtine.

Ah, dieLuft iſt gut, die da hereinkommt!

Mizi.

Mailüfterl

(Bei der Thür, Fritz hat den Leuchter in der Hand.)

Alſo, wir danken für die freundliche Aufnahme!

Theodor
(ſie drängend.)

Geh, geh, geh, geh

Fritz
(geleitet die andern hinaus. Die Thür bleibt offen, man hört die Perſonen draußen reden. Man hört die Wohnungs - thür aufſchließen.)
Mizi.

Alſo pah!

Theodor.

Gieb acht, da ſind Stufen.

Mizi.

Danke ſchön für die Torte

Theodor.

Pſt, Du weckſt ja die Leute auf!

Chriſtine.

Gute Nacht!

76
Theodor.

Gute Nacht!

(Man hört, wie Fritz die Thüre draußen ſchließt und ver - ſperrt. Während er hereintritt und das Licht auf den Schreibtiſch ſtellt, hört man das Hausthor unten öffnen und ſchließen.)
Fritz
(geht zum Fenſter und grüßt hinunter).
Chriſtine
(von der Straße).

Gute Nacht!

Mizi
(ebenſo; übermüthig).

Gute Nacht, Du mein herziges Kind

Theodor
(ſcheltend).

Du, Mizi

(Man hört ſeine Worte, ihr Lachen, die Schritte verklingen. Theodor pfeift die Melodie des Doppeladler , die am ſpäteſten verklingt. Fritz ſieht noch ein paar Sekunden hinaus, dann ſinkt er auf den Fauteuil neben dem Fenſter).
Vorhang.
[77]

Zweiter Akt.

Zimmer Chriſtinens. Beſcheiden und nett.
  • Chriſtine

    (kleidet ſich eben zum weggehen an).

  • Katha - rina

    (tritt auf, nachdem ſie draußen angeklopft hat).

Katharina.

Guten Abend, Fräulein Chriſtin.

Chriſtine
(die vor dem Spiegel ſteht, wendet ſich um).

Guten Abend.

Katharina.

Sie wollen grad weggehn?

Chriſtine.

Ich hab’s nicht ſo eilig.

Katharina.

Ich komm nemlich von meinem Mann, ob Sie mit uns nachtmahlen gehn wollen in Lehnergarten, weil heut dort Muſik iſt.

78
Chriſtine.

Danke ſehr, Frau Binder .... ich kann heut nicht ein anders Mal, ja? Aber Sie ſind nicht bös?

Katharina.

Keine Spur warum denn? Sie werden ſich ſchon beſſer unterhalten können als mit uns.

Chriſtine
(Blick).
Katharina.

Der Vater iſt ſchon im Theater?

Chriſtine.

O nein; er kommt noch früher nach Haus. Jetzt fangts ja erſt um halb acht an!

Katharina.

Richtig, das vergeſſ ich alleweil. Da werd ich gleich auf ihn warten, weil ich ihn ſchon lang bitten möcht wegen Freikarten zu dem neuen Stück Jetzt wird man’s doch ſchon kriegen?

Chriſtine.

Freilich es geht ja jetzt keiner mehr hinein, wenn einmal die Abende ſo ſchön werden.

Katharina.

Unſereins kommt ja ſonſt gar nicht dazu wenn man nicht zufällig Bekannte bei einem Theater79 hat Aber halten Sie ſich meinetwegen nicht auf, Fräulein Chriſtin, wenn Sie weg müſſen. Meinem Mann wird’s freilich ſehr leid ſein .... und noch wem andern vielleicht auch ....

Chriſtine.

Wem?

Katharine.

Der Couſin von Binder iſt mit, natürlich Wiſſen Sie, Fräulein Chriſtin, daß er jetzt fix an - geſtellt iſt?

Chriſtine
(gleichgiltig).

Ah.

Katharina.

Und mit einem ganz ſchönen Gehalt. Und ein ſo honetter junger Menſch. Und eine Verehrung hat er für Sie

Chriſtine.

Alſo auf Wiederſehn, Frau Binder!

Katharina.

Dem könnt man von Ihnen erzählen, was man will der möcht kein Wort glauben ....

Chriſtine
(Blick).
Katharina.

Es gibt ſchon ſolche Männer ....

80
Chriſtine.

Adieu, Frau Binder.

Katharina.

Adieu ....

(nicht zu boshaft im Ton).

Daß Sie nur zum Rendezvous nicht zu ſpät kommen, Fräul’n Chriſtin!

Chriſtine.

Was wollen Sie eigentlich von mir?

Katharina.

Aber nichts, Sie haben ja recht! Man iſt ja nur einmal jung.

Chriſtine.

Adieu.

Katharina.

Aber einen Rath, Fräulein Chriſtin, möcht ich Ihnen doch geben: ein biſſel vorſichtiger ſollten Sie ſein!

Chriſtine.

Ja, was heißt denn das?

Katharina.

Schau’n Sie, Wien iſt ja eine ſo große Stadt. Müſſen Sie ſich Ihre Rendezvous g’rad hundert Schritt weit vom Haus geben?

Chriſtine.

Das geht wohl niemanden was an.

81
Katharina.

Ich hab’s gar nicht glauben wollen, wie mir’s der Binder erzählt hat. Der hat Sie nämlich geſehn Geh, hab ich ihm geſagt, Du wirſt Dich verſchaut haben. Das Fräulein Chriſtin, die iſt keine Perſon, die mit eleganten jungen Herren am Abend ſpazieren geht, und wenn ſchon, ſo wird’s doch ſo geſcheidt ſein, und nicht g’rad in unſerer Gaſſen! Na, ſagt er, kannſt ſie ja ſelber fragen! Und, ſagt er, ein Wunder iſt’s ja nicht zu uns kommt ſie gar nimmermehr aber dafür lauft ſie in einer Tour mit der Schlager Mizi herum, iſt das eine Geſellſchaft für ein anſtändiges junges Mädel? Die Männer ſind ja ſo ordinär, Fräul’n Chriſtin. Und dem Franz hat er’s natürlich auch gleich erzählen müſſen, aber der iſt ſchön bös worden, und für die Fräul’n Chriſtin legt er die Hand in’s Feuer, und wer was über ſie ſagt, der hat’s mit ihm zu thun. Und wie Sie ſo für’s Häusliche ſind, und wie lieb Sie alleweil mit der alten Fräul’n Tant geweſen ſind Gott ſchenk ihr die ewige Ruh und wie beſcheiden und wie eingezogen als Sie leben und ſo weiter

(Pauſe).

Vielleicht kommen S doch mit zur Muſik?

Chriſtine.

Nein

682
Katharina. Chriſtine. Weiring (tritt auf. Er hat einen Fliederzweig in der Hand.)
Weiring.

Guten Abend. Ah, die Frau Binder. Wie geht’s Ihnen denn?

Katharina.

Dank ſchön.

Weiring.

Und das Linerl? Und der Herr Gemahl? ..

Katharina.

Alles geſund, Gott ſei Dank.

Weiring.

Na, das iſt ſchön.

(Zu Chriſtine).

Du biſt noch zu Haus bei dem ſchönen Wetter ?

Chriſtine.

G’rad hab ich fortgeh’n wollen.

Weiring.

Das iſt geſcheidt! eine Luft iſt heut draußen, was, Frau Binder, das iſt was Wunderbar’s. Ich bin jetzt durch den Garten bei der Linie gegangen da blüht der Flieder es iſt eine Pracht! Ich hab mich auch einer Uebertretung ſchuldig gemacht!

(Giebt den Fliederzweig der Chriſtine).
83
Chriſtine.

Dank Dir, Vater.

Katharina.

Sein S froh, daß Sie der Wachter nicht erwiſcht hat.

Weiring.

Geh’n S einmal hin, Frau Binder es riecht noch genau ſo gut dort, als wenn ich das Zweigerl nicht abgepflückt hätt.

Katharina.

Wenn ſich das aber alle dächten

Weiring.

Das wär freilich g’fehlt !

Chriſtine.

Adieu, Vater!

Weiring.

Wenn Du ein paar Minuten warten möchteſt, ſo könnteſt Du mich zum Theater hinbegleiten.

Chriſtine.

Ich ich hab der Mizi verſprochen, daß ich ſie abhol

Weiring.

Ah ſo. Iſt auch geſcheidter. Jugend gehört zur Jugend. Adieu, Chriſtin

6*84
Chriſtine
(küßt ihn. Dann)

Adieu Frau Binder!

(Ab; Weiring ſieht ihr zärtlich nach).
Katharina. Weiring.
Katharina.

Das iſt ja jetzt eine ſehr intime Freundſchaft mit der Fräul’n Mizi.

Weiring.

Ja. Ich bin wirklich froh, daß die Tini eine Anſprach hat und nicht in einem fort zu Hauſe ſitzt. Was hat denn das Mädel eigentlich von ihrem Leben!

Katharina.

Ja freilich.

Weiring.

Ich kann Ihnen gar nicht ſagen, Frau Binder, wie weh mir’s manchmal thut, wenn ich ſo nach Haus komm, von der Prob und ſie ſitzt da, und näht und Nachmittag, kaum ſteh’n wir vom Tiſch auf, ſo ſetzt ſie ſich ſchon wieder hin und ſchreibt ihre Noten

Katharina.

Na ja, die Millionäre haben’s freilich beſſer85 wie unſereins. Aber was iſt denn eigentlich mit ihrem Singen?

Weiring.

Das heißt nicht viel. Für’s Zimmer reicht die Stimme ja aus, und für ihren Vater ſingt ſie ſchön genug aber leben kann man davon nicht.

Katharina.

Das iſt aber ſchad.

Weiring.

Ich bin froh, daß ſie’s ſelber einſieht. Werden ihr wenigſtens die Enttäuſchungen erſpart bleiben. Zum Chor von unſerm Theater könnt ich ſie natür - lich bringen

Katharina.

Freilich, mit der Figur!

Weiring.

Aber da ſind ja gar keine Ausſichten.

Katharina.

Man hat wirklich Sorgen mit einem Mädel! Wenn ich denk, daß meine Linerl in fünf, ſechs Jahren auch eine große Fräul’n iſt.

Weiring.

Aber was ſetzen Sie ſich denn nicht, Frau Binder?

86
Katharina.

Oh, ich dank ſchön, mein Mann holt mich gleich ab ich bin ja nur heraufgekommen, die Chriſtin einladen! ..

Weiring.

Einladen ?

Katharina.

Ja, zur Muſik im Lehnergarten. Ich hab mir auch gedacht, daß ſie das ein Biſſel aufheitern wird ſie braucht’s ja wirklich.

Weiring.

Könnt ihr wahrhaftig nicht ſchaden beſonders nach dem traurigen Winter. Warum geht ſie denn nicht mit Ihnen ?

Katharina.

Ich weiß nicht ... Vielleicht weil der Couſin vom Binder mit iſt.

Weiring.

Ah, ſchon möglich. Den kann’s nämlich nicht ausſtehn. Das hat ſie mir ſelber erzählt.

Katharina.

Ja warum denn nicht? Der Franz iſt ein ſehr anſtändiger Menſch jetzt iſt er ſogar fix angeſtellt, das iſt doch heutzutag ein Glück für ein

87
Weiring.

Für ein armes Mädel

Katharina.

Für ein jedes Mädel iſt das ein Glück.

Weiring.

Ja, ſagen Sie mir, Frau Binder, iſt denn ſo ein blühendes Geſchöpf wirklich zu nichts anderem da, als für ſo einen anſtändigen Menſchen, der zu - fällig eine fixe Anſtellung hat?

Katharina.

Iſt doch das geſcheidteſte! Auf einen Grafen kann man ja doch nicht warten, und wenn einmal einer kommt, ſo empfiehlt es ſich dann gewöhnlich, ohne daß er einen geheirathet hat ...

(Weiring iſt beim Fenſter. Pauſe.)

Na ja ... Deswegen ſag ich auch immer; man kann bei einem jungen Mädel nicht vorſichtig genug ſein beſonders mit dem Umgang

Weiring.

Ob’s nur dafür ſteht, ſeine jungen Jahre ſo einfach zum Fenſter hinauszuwerfen? Und was hat denn ſo ein armes Geſchöpf ſchließlich von ihrer ganzen Bravheit, wenn ſchon nach jahrelangem Warten richtig der Strumpfwirker kommt!

Katharina.

Herr Weiring, wenn mein Mann auch ein88 Strumpfwirker iſt, er iſt ein honetter und ein braver Mann, über den ich mich nie zu beklagen gehabt hab

Weiring
(begütigend).

Aber, Frau Binder geht denn das auf Sie! .. Sie haben ja auch Ihre Jugend nicht zum Fenſter hinausgeworfen.

Katharina.

Ich weiß von der Zeit nichts mehr.

Weiring.

Sagen S das nicht Sie können mir jetzt erzählen, was Sie wollen die Erinnerungen ſind doch das beſte, was Sie von Ihrem Leben haben.

Katharina.

Ich hab gar keine Erinnerungen.

Weiring.

Na, na

Katharina.

Und was bleibt denn übrig, wenn eine ſchon ſolche Erinnerungen hat, wie Sie meinen? .. Die Reu.

Weiring.

Na, und was bleibt denn übrig wenn ſie nicht einmal was zum Erinnern hat ? Wenn89 das ganze Leben nur ſo vorbei gegangen iſt,

(ſehr einfach, nicht pathetiſch)

ein Tag wie der andere, ohne Glück und ohne Liebe dann iſt’s vielleicht beſſer?

Katharina.

Aber Herr Weiring, denken Sie doch nur an das alte Fräul’n an Ihre Schweſter! Aber es thut Ihnen noch weh, wenn man von ihr redt, Herr Weiring

Weiring.

Es thut mir noch weh, ja

Katharina.

Freilich wenn zwei Leut ſo an einander gehängt haben ich hab’s immer geſagt, ſo einen Bruder wie Sie find’t man nicht bald.

Weiring
(abwehrende Bewegung).
Katharina.

Es iſt ja wahr. Sie haben ihr doch als ein ganz junger Menſch Vater und Mutter erſetzen müſſen.

Weiring.

Ja, ja

Katharina.

Das muß ja doch wieder eine Art Troſt ſein. Wenn man ſo weiß, daß man immer der Wohl - thäter und Beſchützer von ſo einem armen Geſchöpf geweſen iſt

90
Weiring.

Ja, das hab ich mir früher auch eingebildet, wie ſie noch ein ſchönes junges Mädel war, und bin mir ſelber weiß Gott wie geſcheidt und edel vorgekommen. Aber dann, ſpäter, wie ſo langſam die grauen Haar gekommen ſind und die Runzeln, und es iſt ein Tag um den andern hingegangen und die ganze Jugend und das junge Mädel iſt ſo allmälig man merkt ja ſowas kaum das alte Fräulein geworden, da hab ich erſt zu ſpüren angefangen, was ich eigentlich gethan hab!

Katharina.

Aber Herr Weiring

Weiring.

Ich ſeh ſie ja noch vor mir, wie ſie mir oft gegenübergeſeſſen iſt am Abend, bei der Lampe, in dem Zimmer da, und hat mich ſo angeſchaut mit ihrem ſtillen Lächeln, mit dem gewiſſen gottergebenen, als wollt ſie mir noch für was danken; und ich ich hätt mich ja am liebſten vor ihr auf die Kniee hingeworfen, ſie um Verzeihung bitten, daß ich ſie ſo gut behütet hab vor allen Gefahren und vor allem Glück!

(Pauſe).
Katharina.

Und es wär doch manche froh, wenn ſie immer91 ſo einen Bruder an der Seite gehabt hätt und nichts zu bereuen

Katharina. Weiring. Mizi (tritt ein).
Mizi.

Guten Abend! Da iſt aber ſchon ganz dunkel man ſieht ja gar nichts mehr. Ah, die Frau Binder. Ihr Mann iſt unten, Frau Binder, und wart auf Sie Iſt die Chriſtin nicht zu Haus?

Weiring.

Sie iſt vor einer Viertelſtunde weggegangen.

Katharina.

Haben Sie ſie denn nicht getroffen? Sie hat ja mit Ihnen ein Rendezvous gehabt?

Mizi.

Nein wir haben uns jedenfalls verfehlt Sie gehn mit Ihrem Mann zur Muſik, hat er mir geſagt ?

Katharina.

Ja, er ſchwärmt ſo viel dafür. Aber hören Sie, Fräulein Mizi, Sie haben ein reizendes Hüterl auf. Neu, was?

Mizi.

Aber keine Spur. Kennen Sie denn die Form92 nimmer? Vom vorigen Frühjahr; nur aufgeputzt iſt er neu.

Katharina.

Selber haben Sie ſich ihn neu aufgeputzt?

Mizi.

Na, freilich.

Weiring.

So geſchickt!

Katharina.

Natürlich ich vergeß immer, daß Sie ein Jahr lang in einem Modiſtengeſchäft waren.

Mizi.

Ich werd wahrſcheinlich wieder in eins gehn. Die Mutter will’s haben da kann man nichts machen.

Katharina.

Wie geht’s denn der Mutter?

Mizi.

Na gut ein biſſel Zahnweh hat’s aber der Doktor ſagt, es iſt nur rheumatiſch.

Weiring.

Ja, jetzt iſt es aber für mich die höchſte Zeit ..

Katharina.

Ich geh gleich mit Ihnen hinunter, Herr Weiring

93
Mizi.

Ich geh auch mit Aber nehmen Sie ſich doch den Ueberzieher, Herr Weiring, es wird ſpäter noch recht kühl.

Weiring.

Glauben Sie?

Katharina.

Freilich Wie kann man denn ſo unvor - ſichtig ſein.

Vorige. Chriſtine.
Mizi.

Da iſt ſie ja

Katharina.

Schon zurück vom Spaziergang?

Chriſtine.

Ja. Grüß Dich Gott, Mizi. Ich hab ſo Kopfweh

(Setzt ſich).
Weiring.

Wie? ..

Katharina.

Das iſt wahrſcheinlich von der Luft

Weiring.

Geh, was haſt denn, Chriſtin! .. Bitt Sie, Fräulein Mizi, zünden S die Lampe an.

94
Mizi
(macht ſich bereit).
Chriſtine.

Aber das kann ich ja ſelber.

Weiring.

Ich möcht Dein Geſicht ſehn, Chriſtin! ..

Chriſtine.

Aber Vater, es iſt ja gar nichts, es iſt gewiß von der Luft draußen.

Katharina.

Manche Leut können grad das Frühjahr nicht vertragen.

Weiring.

Nicht wahr, Fräulein Mizi, Sie bleiben noch bei der Chriſtin?

Mizi.

Freilich bleib ich da

Chriſtine.

Aber es iſt ja gar nichts, Vater.

Mizi.

Meine Mutter macht nicht ſo viel Geſchichten mit mir, wenn ich Kopfweh hab ..

Weiring
(zu Chriſtine, die noch ſitzt).

Biſt Du ſo müd? ..

95
Chriſtine
(vom Seſſel aufſtehend).

Ich ſteh ſchon wieder auf.

(Lächelt).
Weiring.

So jetzt ſchauſt Du ſchon wieder ganz anders aus.

(Zu Katharina).

Ganz anders ſchaut ſie aus, wenn ſie lacht, was ..? Alſo Adieu, Chriſtin

(küßt ſie).

Und daß das Kopferl nimmer weh thut, wenn ich nach Haus komm! ..

(Iſt bei der Thür).
Katharina.
(leiſe zu Chriſtine).

Habt’s Ihr Euch gezankt?

(Unwillige Bewegung Chriſtinens).
Weiring
(bei der Thür).

Frau Binder !

Mizi.

Adieu! ..

(Weiring und Katharina ab).
Mizi. Chriſtine.
Mizi.

Weißt, woher die Kopfweh kommen? Von dem ſüßen Wein geſtern. Ich wunder mich ſo, daß ich gar nichts davon geſpürt hab Aber luſtig iſt’s geweſen, was ..?

Chriſtine (nickt).
96
Mizi.

Sind ſehr feſche Leut, beide; kann man gar nichts ſagen, was? Und ſchön eingerichtet iſt der Fritz, wirklich prachtvoll! Beim Dori

(Unter - bricht ſich).

Ah nichts .. Geh, haſt noch immer ſo ſtarke Kopfſchmerzen? Warum redſt denn nichts? .. Was haſt denn? ..

Chriſtine.

Denk Dir, er iſt nicht gekommen.

Mizi.

Er hat Dich aufſitzen laſſen? Das geſchieht Dir recht!

Chriſtine.

Ja, was heißt das? Was hab ich denn gethan?

Mizi.

Verwöhnen thuſt Du ihn, zu gut biſt Du zu ihm. Da muß ja ein Mann arrogant werden.

Chriſtine.

Aber Du weißt ja nicht, was Du ſprichſt.

Mizi.

Ich weiß ganz gut, was ich red. Schon die ganze Zeit ärger ich mich über Dich. Er kommt zu ſpät zu den Rendezvous, er begleit Dich nicht nach Haus, er ſetzt ſich zu fremden Leuten in die97 Log hinein, er laßt Dich einfach aufſitzen das laßt Du Dir alles ruhig gefallen und ſchauſt ihn noch dazu

(ſie parrodirend)

mit ſo verliebten Augen an.

Chriſtine.

Geh, ſprich nicht ſo, ſtell Dich doch nicht ſchlechter, als Du biſt. Du haſt ja den Theodor auch gern.

Mizi.

Gern freilich hab ich ihn gern. Aber das erlebt der Dori nicht, und das erlebt überhaupt kein Mann mehr, daß ich mich um ihn kränken thät das ſind ſie alle zuſamm nicht werth, die Männer.

Chriſtine.

Nie hab ich Dich ſo reden gehört, nie!

Mizi.

Ja, Tinerl früher haben wir doch überhaupt nicht ſo mit einander gered’t. Ich hab mich ja garnicht getraut. Was glaubſt denn, was ich für einen Reſpekt vor Dir gehabt hab! Aber ſiehſt, das hab ich mir immer gedacht: wenn’s einmal über Dich kommt, wird’s Dich ordentlich haben. Das erſte Mal beutelt’s einen ſchon zu -[ſammen]! Aber dafür kannſt Du auch froh ſein, daß Du bei Deiner erſten Liebe gleich eine ſo gute Freundin zum Beiſtand haſt.

798
Chriſtine.

Mizi!

Mizi.

Glaubſt mir’s nicht, daß ich Dir eine gute Freundin bin? Wenn ich nicht da bin und Dir ſag: Kind, er iſt ein Mann wie die anderen und alle zuſammen ſind’s nicht eine böſe Stund werth, ſo ſetzt Du Dir weiß Gott was für Sachen in den Kopf. Ich ſag’s aber immer: Den Männern ſoll man überhaupt kein Wort glauben.

Chriſtine.

Was redſt Du denn die Männer, die Männer was gehn mich denn die Männer an! Ich frag ja nicht nach den anderen. In meinem ganzen Leben werd ich nach keinem andern fragen

Mizi.

Ja, was glaubſt Du denn eigentlich hat er Dir denn ..? freilich! es iſt ſchon alles vorgekommen; aber da hätteſt Du die Geſchichte anders anfangen müſſen

Chriſtine.

Schweig endlich!

Mizi.

Na, was willſt denn von mir? Ich kann ja nichts dafür, das muß man ſich früher überlegen. 99Da muß man halt warten, bis einer kommt, dem man die ernſten Abſichten gleich am Geſicht an - kennt

Chriſtine.

Mizi, ich kann ſolche Worte heute nicht vertragen, ſie thun mir weh.

Mizi.
(gutmüthig).

Na, geh

Chriſtine.

Laß mich lieber ſei nicht bös laß mich lieber allein!

Mizi.

Warum ſoll ich denn bös ſein? Ich geh ſchon. Ich hab Dich nicht kränken wollen, Chriſtin, wirklich

(Wie ſie ſich zum Gehen wendet).

Ah, der Herr Fritz.

Vorige. Fritz (iſt eingetreten).
Fritz.

Guten Abend!

Chriſtine.
(aufjubelnd).

Fritz, Fritz!

(Ihm entgegen, in ſeine Arme).
Mizi.
(ſchleicht ſich hinaus, mit einer Miene, die ausdrückt: Da bin ich überflüſſig).
7*100
Fritz
(ſich losmachend).

Aber

Chriſtine.

Alle ſagen, daß Du mich verlaſſen wirſt! Nicht wahr, Du thuſt es nicht jetzt noch nicht jetzt noch nicht

Fritz.

Wer ſagt denn das? Was haſt Du denn

(Sie ſtreichelnd).

Aber Schatz! Ich hab mir eigentlich gedacht, daß Du recht erſchrecken wirſt, wenn ich plötzlich da herein komme.

Chriſtine.

Oh daß Du nur da biſt!

Fritz.

Geh, ſo beruhig Dich doch haſt Du lang auf mich gewartet?

Chriſtine.

Warum biſt Du denn nicht gekommen?

Fritz.

Ich bin aufgehalten worden, hab mich verſpätet. Jetzt bin ich im Garten geweſen, und hab Dich nicht gefunden und hab wieder nach Haus gehen wollen. Aber plötzlich hat mich eine ſolche Sehn - ſucht gepackt, ein ſolche Sehnſucht nach dieſem lieben ſüßen Geſichtel

101
Chriſtine.
(glücklich).

Is wahr?

Fritz.

Und dann hab ich auch plötzlich eine ſo unbe - ſchreibliche Luſt bekommen, zu ſehen, wo Du eigentlich wohnſt ja im Ernſt ich hab das einmal ſehen müſſen und da hab ich’s nicht aus - gehalten und bin da herauf es iſt Dir alſo nicht unangenehm?

Chriſtine.

O Gott!

Fritz.

Es hat mich niemand geſehn und daß Dein Vater im Theater iſt, hab ich ja gewußt.

Chriſtine.

Was liegt mir an den Leuten!

Fritz.

Alſo da ?

(Sieht ſich im Zimmer um).

Das alſo iſt Dein Zimmer? Sehr hübſch

Chriſtine.

Du ſiehſt ja gar nichts.

(Will den Schirm von der Lampe nehmen).
Fritz.

Nein, laß nur, das blendet mich, Iſt beſſer ſo 102 Alſo da? Das iſt das Fenſter, von dem Du mir erzählt haſt, an dem Du immer arbeiteſt, was? Und die ſchöne Ausſicht!

(Lächelnd).

Ueber wieviel Dächer man da ſieht Und da drüben ja, was iſt denn das, das ſchwarze, das man da drüben ſieht?

Chriſtine.

Das iſt der Kahlenberg!

Fritz.

Richtig! Du haſt’s eigentlich ſchöner als ich.

Chriſtine.

Oh!

Fritz.

Ich möchte gern ſo hoch wohnen, über alle Dächer ſehn, ich finde das ſehr ſchön. Und auch ſtill muß es in der Gaſſe ſein?

Chriſtine.

Ach, bei Tag iſt Lärm genug.

Fritz.

Fährt denn da je ein Wagen vorbei?

Chriſtine.

Selten, aber gleich im Haus drüben iſt eine Schloſſerei.

Fritz.

Oh, das iſt ſehr unangenehm.

(Er hat ſich niedergeſetzt).
103
Chriſtine.

Das gewöhnt man! Man hört’s gar nicht mehr.

Fritz
(ſteht raſch wieder auf).

Bin ich wirklich zum erſten Mal da ? Es kommt mir alles ſo bekannt vor! Genau ſo hab ich mir’s eigentlich vorgeſtellt.

(Wie er Miene macht, ſich näher im Zimmer umzuſehen.)
Chriſtine.

Nein, anſchaun darfſt Du Dir da nichts.

Fritz.

Was ſind denn das für Bilder?

Chriſtine.

Geh!

Fritz.

Ah, die möcht ich mir anſehn.

(Er nimmt die Lampe und beleuchtet die Bilder).
Chriſtine.

Abſchied und Heimkehr.

Fritz.

Richtig Abſchied und Heimkehr!

Chriſtine.

Ich weiß ſchon, daß die Bilder nicht ſchön ſind. Beim Vater drin hängt eins, das iſt viel beſſer.

104
Fritz.

Was iſt das für ein Bild?

Chriſtine.

Das iſt ein Mädel, die ſchaut zum Fenſter hinaus, und draußen, weißt, iſt der Winter und das heißt Verlaſſen .

Fritz.

So

(ſtellt die Lampe hin).

Ah, und da iſt Deine Bibliothek

(ſetzt ſich neben die kleine Bücherſtellage).
Chriſtine.

Die ſchau Dir lieber nicht an

Fritz.

Warum denn? Ah! Schiller Hauff Das Converſationslexicon Donnerwetter!

Chriſtine.

Geht nur bis G

Fritz
(lächelnd).

Ach ſo Das Buch für Alle Da ſchauſt Du Dir die Bilder drin an, was?

Chriſtine.

Natürlich hab ich mir die Bilder angeſchaut.

Fritz
(noch ſitzend).

Wer iſt denn der Herr da auf dem Ofen?

105
Chriſtine
(belehrend).

Das iſt doch der Schubert.

Fritz
(aufſtehend).

Richtig

Chriſtine.

Weil ihn der Vater ſo gern hat. Der Vater hat früher auch einmal Lieder componirt, ſehr ſchöne.

Fritz.

Jetzt nimmer?

Chriſtine.

Jetzt nimmer.

(Pauſe).
Fritz
(ſetzt ſich).

So gemüthlich iſt es da!

Chriſtine.

Gefällt’s Dir wirklich?

Fritz.

Sehr Was iſt denn das?

(Nimmt eine Vaſe mit Kunſtblumen, die auf dem Tiſch ſteht).
Chriſtine.

Er hat ſchon wieder was gefunden!

Fritz.

Nein, Kind, das gehört nicht da herein das ſieht verſtaubt aus.

106
Chriſtine.

Die ſind aber gewiß nicht verſtaubt.

Fritz.

Künſtliche Blumen ſehen immer verſtaubt auſ .. In Deinem Zimmer müſſen wirkliche Blumen ſtehn, die duften und friſch ſind. Von jetzt an werde ich Dir

(Unterbricht ſich; wendet ſich ab, um ſeine Be - wegung zu verbergen).
Chriſtine.

Was denn? Was wollteſt Du denn ſagen?

Fritz.

Nichts, nichts

Chriſtine
(ſteht auf, zärtlich).

Was?

Fritz.

Daß ich Dir morgen friſche Blumen ſchicken werde, hab ich ſagen wollen

Chriſtine.

Na, und reut’s Dich ſchon? Natürlich! Morgen denkſt Du ja nicht mehr an mich.

Fritz
(abwehrende Bewegung).
Chriſtine.

Gewiß! Wenn Du mich nicht ſiehſt, denkſt Du nicht an mich.

107
Fritz.

Aber was redſt Du denn?

Chriſtine.

Oh ja, ich weiß es. Ich ſpür’s ja.

Fritz.

Wie kannſt Du Dir denn das nur einbilden

Chriſtine.

Du ſelbſt biſt Schuld daran. Weil Du immer Geheimniſſe vor mir haſt! Weil Du mir gar nichts von Dir erzählſt. Was thuſt Du ſo den ganzen Tag?

Fritz.

Aber Schatz, das iſt ja ſehr einfach. Ich geh in Vorleſungen zuweilen dann geh ich in’s Kaffehaus dann leſ ich zuweilen ſpiel ich auch Klavier dann plauder ich mit dem oder jenem dann mach ich Beſuche das iſt doch alles ganz belanglos. Es iſt ja langweilig davon zu reden. Jetzt muß ich übrigens gehn, Kind

Chriſtine.

Jetzt ſchon

Fritz.

Dein Vater wird ja bald da ſein.

108
Chriſtine.

Noch lang nicht, Fritz. Bleib noch eine Minute bleib noch

Fritz.

Und dann hab ich der Theodor erwartet mich Ich hab mit ihm noch was zu ſprechen.

Chriſtine.

Heut?

Fritz.

Gewiß heut.

Chriſtine.

Wirſt ihn morgen auch ſehn!

Fritz.

Ich bin morgen vielleicht garnicht in Wien!

Chriſtine.

Nicht in Wien?

Fritz
(ihre Aengſtlichkeit bemerkend, ruhig heiter).

Nun ja, das kommt ja vor? Ich fahr übern Tag weg oder auch über zwei, Du Kind.

Chriſtine.

Wohin?

Fritz.

Wohin! Irgendwohin Ach Gott, ſo mach109 doch kein ſolches Geſicht Auf’s Gut fahr ich zu meinen Eltern na, iſt das auch un - heimlich?

Chriſtine.

Auch von denen, ſchau, erzählſt Du mir nie!

Fritz.

Nein, was Du für ein Kind biſt Du ver - ſtehſt gar nicht, wie ſchön das iſt, daß wir ſo voll - kommen mit uns allein ſind. Sag, ſpürſt Du denn das nicht?

Chriſtine.

Nein, es iſt gar nicht ſchön, daß Du mir nie was von Dir erzählſt Schau, mich intereſſirt ja alles, was Dich angeht, ach ja alles, ich möcht mehr von Dir haben als die eine Stunde am Abend, die wir manchmal beiſammen ſind. Dann biſt Du ja wieder fort, und ich weiß gar nichts Da geht dann die ganze Nacht vorüber und ein ganzer Tag mit den vielen Stunden und nichts weiß ich. Darüber bin ich oft ſo traurig.

Fritz.

Warum biſt Du denn da traurig?

Chriſtine.

Ja, weil ich dann ſo eine Sehnſucht nach Dir hab, als wenn Du gar nicht in derſelben Stadt,110 als wenn Du ganz wo anders wärſt! Wie ver - ſchwunden biſt Du da für mich, ſo weit weg

Fritz
(etwas ungeduldig).

Aber

Chriſtine.

Na ſchau, es iſt ja wahr!

Fritz.

Komm daher, zu mir

(ſie iſt bei ihm).

Du weißt ja doch nur eins, wie ich daß Du mich in dieſem Augenblicke liebſt

(Wie ſie reden will).

Sprich nicht von Ewigkeit.

(Mehr für ſich).

Es giebt ja vielleicht Augenblicke, die einen Duft von Ewigkeit um ſich ſprühen. Das iſt die einzige, die wir verſtehen können, die einzige, die uns gehört

(Er küßt ſie. Pauſe. Er ſteht auf. Ausbrechend).

Oh, wie ſchön iſt es bei Dir, wie ſchön!

(Er ſteht beim Fenſter).

So weltfern iſt man da, mitten unter den vielen Häuſern ſo einſam komm ich mir vor, ſo mit Dir allein

(leiſe)

ſo geborgen

Chriſtine.

Wenn Du immer ſo ſprächſt da könnt ich faſt glauben

Fritz.

Was denn, Kind?

111
Chriſtine.

Daß Du mich ſo lieb haſt, wie ich’s mir geträumt hab an den Tag, wo Du mir den erſten Kuß gegeben haſt erinnerſt Du Dich daran?

Fritz
(leidenſchaftlich).

Ich hab Dich lieb!

(Er umarmt ſie; reißt ſich los).

Aber jetzt laß mich fort

Chriſtine.

Reut’s Dich denn ſchon wieder, daß Du mir’s geſagt haſt? Du biſt ja frei, Du biſt ja frei Du kannſt mich ja ſitzen laſſen, wann Du willſt, Du haſt mir nichts verſprochen und ich hab nichts von Dir verlangt Was dann aus mir wird es iſt ja ganz einerlei ich bin doch einmal glücklich geweſen, mehr will ich ja vom Leben nicht. Ich möchte nur, daß Du das weißt, und mir glaubſt: daß ich keinen lieb gehabt vor Dir, und daß ich keinen lieb haben werde wenn Du mich einmal nimmer willſt

Fritz
(mehr für ſich).

Sag’s nicht, ſag’s nicht es klingt zu ſchön

(Es klopft).
Fritz
(ſchrickt zuſammen).

Es wird Theodor ſein

112
Chriſtine
(betroffen).

Er weiß, daß Du bei mir biſt ?

Chriſtine. Fritz. Theodor (tritt ein).
Theodor.

Guten Abend. Unverſchämt, was?

Chriſtine.

Haben Sie ſo wichtige Dinge mit ihm zu be - ſprechen?

Theodor.

Gewiß und hab ihn ſchon überall geſucht.

Fritz
(leiſe).

Warum haſt Du nicht unten gewartet?

Chriſtine.

Was flüſterſt Du ihm zu?

Theodor
(abſichtlich laut).

Warum ich nicht unten gewartet habe? Ja, wenn ich beſtimmt gewußt hätte, daß Du da biſt Aber da ich das nicht habe riskiren können, unten zwei Stunden auf und ab zu ſpazieren

Fritz
(mit Beziehung).

Alſo Du fährſt morgen mit mir?

113
Theodor
(verſtehend).

Stimmt!

Fritz.

Das iſt geſcheidt

Theodor

Ich bin aber ſo gerannt, daß ich um die Er - laubniß bitten muß, mich auf zehn Sekunden nieder - zuſetzen.

Chriſtine.

Bitte ſehr

(macht ſich beim Fenſter zu ſchaffen).
Fritz
(leiſe.)

Giebt’s was Neues? Haſt Du etwas über ſie erfahren?

Theodor
(leiſe zu Fritz).

Nein. Ich hol Dich nur da herunter, weil Du leichtſinnig biſt. Wozu noch dieſe über - flüſſigen Aufregungen? Schlafen ſollſt Du dich legen Ruhe brauchſt Du!

(Chriſtine wieder bei ihnen).
Fritz.

Sag, findeſt Du das Zimmer nicht wunderlieb?

Theodor.

Ja, es iſt ſehr nett

(Zu Chriſtine).

Stecken Sie den ganzen Tag da zu Haus? Es iſt übrigens wirklich ſehr wohnlich. Ein Bischen hoch für meinen Geſchmack.

8114
Fritz.

Das find ich grad ſo hübſch.

Theodor.

Aber jetzt entführ ich Ihnen den Fritz, wir müſſen morgen früh aufſtehn.

Chriſtine.

Alſo Du fährſt wirklich weg?

Theodor.

Er kommt wieder, Fräulein Chriſtin!

Chriſtine.

Wirſt Du mir ſchreiben?

Theodor.

Aber wenn er morgen wieder zurück iſt

Chriſtine.

Ach, ich weiß, er fährt auf länger fort

Fritz
(zuckt zuſammen).
Theodor
(der es bemerkt).

Muß man denn da gleich ſchreiben? Ich hätte Sie gar nicht für ſo ſentimental ge - halten Dich will ich ſagen wir ſind ja per Du Alſo gebt Euch nur den Ab - ſchiedskuß, da Ihr auf ſo lang

(unterbricht ſich)

Na, ich bin nicht da.

115
(Fritz und Chriſtine küſſen einander.)
Theodor
(nimmt eine Cigarettentaſche hervor und ſteckt eine Cigarette in den Mund, ſucht in ſeiner Ueberziehertaſche nach einem Streichholz. Wie er keines findet.)

Sagen Sie, liebe Chriſtine, haben Sie kein Zündholz?

Chriſtine.

O ja, da ſind welche!

(Auf ein Feuerzeug auf der Kommode deutend).
Theodor.

Da iſt keins mehr.

Chriſtine.

Ich bring Ihnen eins.

(Läuft raſch in’s Neben - zimmer).
Fritz
(ihr nachſehend; zu Theodor).

O Gott, wie lügen ſolche Stunden!

Theodor.

Na, was für Stunden denn!

Fritz.

Jetzt bin ich nahe dran zu glauben, daß hier mein Glück wäre, daß dieſes ſüße Mädel

(er unter - bricht ſich)

aber dieſe Stunde iſt eine große Lügne - rin

8*116
Theodor.

Abgeſchmacktes Zeug Wie wirſt Du da - rüber lachen.

Fritz.

Dazu werd ich wohl keine Zeit mehr haben.

Chriſtine
(kommt zurück mit Zündhölzchen).

Hier haben Sie!

Theodor.

Danke ſehr Alſo adieu.

(Zu Fritz).

Na, was willſt Du denn noch?

Fritz
(ſieht im Zimmer hin und her, als wollte er noch einmal alles in ſich aufnehmen).

Da kann man ſich kaum trennen.

Chriſtine.

Geh, mach Dich nur luſtig.

Theodor
(ſtark).

Komm. Adieu, Chriſtine.

Fritz.

Leb wohl

Chriſtine.

Auf Wiederſehn!

(Theodor und Fritz gehn).
117
Chriſtine
(bleibt beklommen ſtehn, dann geht ſie bis zur Thür, die offen ſteht; halblaut).

Fritz!

Fritz
(kommt noch einmal zurück und drückt ſie an ſein Herz).

Leb wohl!

Vorhang.
[118]

Dritter Akt.

Daſſelbe Zimmer wie im vorigen. Es iſt um die Mittag - ſtunde.
  • Chriſtine

    allein. Sie ſitzt am Fenſter; näht; legt die Arbeit wieder hin.

  • Lina,

    die neunjährige Tochter Katharinens, tritt ein.

Lina.

Guten Tag, Fräul’n Chriſtin!

Chriſtine
(ſehr zerſtreut).

Grüß Dich Gott, mein Kind, was willſt denn?

Lina.

Die Mutter ſchickt mich, ob ich die Karten für’s Theater gleich mitnehmen darf.

Chriſtine.

Der Vater iſt noch nicht zu Haus, Kind; willſt warten?

Lina.

Nein, Fräul’n Chriſtin, da komm ich nach dem Eſſen wieder her.

119
Chriſtine.

Schön.

Lina
(ſchon gehend, wendet ſich wieder um.)

Und die Mutter laßt das Fraulein Chriſtin ſchön grüßen, und ob’s noch Kopfweh hat?

Chriſtine.

Nein, mein Kind

Lina.

Adien, Fräul’n Chriſtin!

Chriſtine.

Adieu!

Wie Lina hinausgeht, iſt Mizi an der Thür.
Lina.

Guten Tag, Fräul’n Mizi.

Mizi.

Servus, kleiner Fratz!

Lina
(ab).
Chriſtine. Mizi.
Chriſtine
(ſteht auf, wie Mizi kommt, ihr entgegen).

Alſo ſind ſie zurück?

120
Mizi.

Woher ſoll ich denn das wiſſen?

Chriſtine.

Und Du haſt keinen Brief, nichts ?

Mizi.

Nein.

Chriſtine

Auch Du haſt keinen Brief?

Mizi.

Was ſollen wir uns denn ſchreiben?

Chriſtine.

Seit vorgeſtern ſind ſie fort!

Mizi.

Na ja, das iſt ja nicht ſo lang! Deswegen muß man ja nicht ſolche Geſchichten machen. Ich verſteh Dich gar nicht Wie Du nur ausſiehſt. Du biſt ja ganz verweint. Dein Vater muß Dir ja was anmerken, wenn er nach Haus kommt.

Chriſtine
(einfach).

Mein Vater weiß alles.

Mizi
(faſt erſchrocken).

Was?

121
Chriſtine.

Ich hab es ihm geſagt.

Mizi.

Das iſt wieder einmal geſcheidt geweſen. Aber natürlich, Dir ſieht man ja auch gleich alles am Ge - ſicht an. Weiß er am End auch, wer’s iſt?

Chriſtine.

Ja.

Mizi.

Und hat er ſehr geſchimpft?

Chriſtine
(ſchüttelt den Kopf)
Mizi.

Alſo was hat er denn geſagt?

Chriſtine.

Nichts Er iſt ganz ſtill weggegangen, wie gewöhnlich.

Mizi.

Und doch war’s dumm, daß Du was erzählt haſt. Wirſt ſchon ſeh’n Weißt, warum Dein Vater nichts drüber geredet hat ? Weil er ſich denkt, daß der Fritz Dich heirathen wird.

Chriſtine.

Warum ſprichſt Du denn davon!

122
Mizi.

Weißt Du, was ich glaub?

Chriſtine.

Was denn?

Mizi.

Daß die ganze Geſchicht mit der Reiſe ein Schwindel iſt.

Chriſtine.

Was?

Mizi.

Sie ſind vielleicht gar nicht fort.

Chriſtine.

Sie ſind fort ich weiß es. Geſtern Abend bin ich an ſeinem Haus vorbei, die Jalouſieen ſind heruntergelaſſen; er iſt nicht da.

Mizi.

Das glaub ich ſchon. Weg werden ſie ja ſein. Aber zurückkommen werden ſie halt nicht zu uns wenigſtens nicht.

Chriſtine
(angſtvoll).

Du

Mizi.

Na, es iſt doch möglich!

Chriſtine.

Das ſagſt Du ſo ruhig

123
Mizi.

Na ja, ob heut oder morgen oder in einem halben Jahr, das kommt doch ſchon auf eins heraus.

Chriſtine.

Du weißt ja nicht, was Du ſprichſt .... Du kennſt den Fritz nicht er iſt ja nicht ſo, wie Du Dir denkſt, neulich hab ich’s ja geſehn, wie er hier war, in dem Zimmer. Er ſtellt ſich nur manch - mal gleichgiltig aber er hat mich lieb

(als würde ſie Mizi’s Antwort errathen).

ja, ja nicht für immer, ich weiß ja aber auf einmal hört ja das nicht auf !

Mizi.

Ich kenn ja den Fritz nicht ſo genau.

Chriſtine.

Er kommt zurück, der Theodor kommt auch zurück, gewiß!

Mizi.
(Geſte, die ausdrückt: iſt mir ziemlich gleichgiltig).
Chriſtine.

Mizi Thu mir was zu lieb.

Mizi.

Sei doch nicht gar ſo aufgeregt alſo was willſt denn?

Chriſtine.

Geh Du zum Theodor, es iſt ja ganz nah,124 ſchauſt halt vorüber .... Du fragſt bei ihm im Haus, ob er ſchon da iſt, und wenn er nicht da iſt, wird man im Haus vielleicht wiſſen, wann er kommt.

Mizi.

Ich werd doch einem Mann nicht nachlaufen.

Chriſtine.

Er braucht’s ja gar nicht zu erfahren. Vielleicht triffſt ihn zufällig. Jetzt iſt bald ein Uhr; jetzt geht er grad zum Speiſen

Mizi.

Warum gehſt denn Du nicht, Dich im Haus vom Fritz erkundigen?

Chriſtine.

Ich trau mich nicht Er kann das ſo nicht leiden .... Und er iſt ja ſicher noch nicht da. Aber der Theodor iſt vielleicht ſchon da und weiß, wann der Fritz kommt. Ich bitt Dich, Mizi!

Mizi.

Du biſt manchmal ſo kindiſch

Chriſtine.

Thu’s mir zu lieb! Geh hin! Es iſt ja doch nichts dabei.

Mizi.

Na, wenn Dir ſo viel daran liegt, ſo geh ich125 ja hin. Aber nützen wird’s nicht viel. Sie ſind ſicher noch nicht da.

Chriſtine.

Und Du kommſt gleich zurück .... ja?

Mizi.

Na ja, ſoll die Mutter halt mit dem Eſſen ein biſſel warten.

Chriſtine.

Ich dank Dir, Mizi, Du biſt ſo gut ....

Mizi.

Freilich bin ich gut; jetzt ſei aber Du ver - nünftig ja? .... alſo grüß Dich Gott

Chriſtine.

Ich dank Dir!

Mizi
(geht).
Chriſtine. (Später) Weiring.
Chriſtine
(allein. Sie macht Ordnung im Zimmer. Sie legt das Nähzeug zuſammen u. ſ. w. Dann geht ſie zum Fenſter und ſieht hinaus. Nach einer Minute kommt Weiring herein, den ſie anfangs nicht ſieht. Er iſt in tiefer Er - regung, betrachtet angſtvoll ſeine Tochter, die am Fenſter ſteht.)
126
Weiring.

Sie weiß noch nichts, ſie weiß noch nichts

(Er bleibt an der Thüre ſtehn und wagt keinen Schritt weiter zu machen).
Chriſtine
(wendet ſich um, bemerkt ihn, fährt zuſammen).
Weiring
(verſucht zu lächeln. Er tritt weiter in’s Zimmer herein).

Na, Chriſtin ....

(Als riefe er ſie zu ſich.)
Chriſtine
(auf ihn zu, als wollte ſie vor ihm niederſinken).
Weiring
(läßt es nicht zu).

Alſo .... was glaubſt Du, Chriſtin? Wir

(mit einem Entſchluß)

wir werden’s halt vergeſſen was?

Chriſtine
(erhebt den Kopf).
Weiring.

Na ja .... ich und Du!

Chriſtine.

Vater, haſt Du mich denn heut früh nicht ver - ſtanden?

Weiring.

Ja, was willſt denn, Chriſtin? .... Ich muß Dir doch ſagen, was ich drüber denk! Nicht wahr? Na alſo ....

127
Chriſtine.

Vater, was ſoll das bedeuten?

Weiring.

Komm her, mein Kind .... hör mir ruhig zu. Schau, ich hab Dir ja auch ruhig zugehört, wie Du mir’s erzählt haſt. Wir müſſen ja

Chriſtine.

Ich bitt Dich ſprich nicht ſo zu mir, Vater .. wenn Du jetzt drüber nachgedacht haſt und einſiehſt, daß Du mir nicht verzeihen kannſt, ſo jag mich davon aber ſprich nicht ſo ....

Weiring.

Hör mich nur ruhig an, Chriſtin! Du kannſt ja dann noch immer thun, was Du willſt .... Schau, Du biſt ja ſo jung, Chriſtin. Haſt denn noch nicht gedacht ....

(ſehr zögernd)

daß das Ganze ein Irrthum ſein könnt.

Chriſtine.

Warum ſagſt Du mir das, Vater? Ich weiß ja, was ich gethan hab und ich verlang ja auch nichts von Dir und von keinem Menſchen auf der Welt, wenn’s ein Irrthum geweſen iſt Ich hab Dir ja geſagt jag mich davon, aber

Weiring.
(ſie unterbrechend).

Wie kannſt denn ſo reden 128 Wenn’s auch ein Irrthum war, iſt denn da gleich eine Urſach zum verzweifelt ſein für ſo ein junges Geſchöpf, wie Du eins biſt? Denk doch nur, wie ſchön, wie wunderſchön das Leben iſt. Denk nur, an wie vielen Dingen man ſich freuen kann, wie viel Jugend, wie viel Glück noch vor Dir liegt Schau, ich hab doch nicht mehr viel von der ganzen Welt, und ſogar für mich iſt das Leben noch ſchön und auf ſo viel Sachen kann ich mich noch freuen. Wie Du und ich zuſammen ſein werden wie wir uns das Leben einrichten wollen Du und ich wie Du wieder jetzt, wenn die ſchöne Zeit kommt, anfangen wirſt zu ſingen, und wie wir dann, wenn die Ferien da ſind, auf’s Land hinausgehn werden in’s Grüne, gleich auf den ganzen Tag ja oh, ſo viel ſchöne Sachen giebt’s ſo viel. Es iſt ja unſinnig, gleich Alles aufzugeben, weil man ſein erſtes Glück hingeben muß oder irgend was, das man dafür gehalten hat

Chriſtine.
(angſtvoll).

Warum muß ich’s denn hingeben ?

Weiring.

War’s denn eins? Glaubſt denn wirklich, Chriſtin, daß Du’s Deinem Vater erſt heut haſt ſagen müſſen? Ich hab’s längſt gewußt! und auch daß Du mir’s ſagen wirſt, hab ich gewußt. Nein, nie war’s ein129 Glück für Dich! Kenn ich denn die Augen nicht? Da wären nicht ſo oft Thränen drin geweſen, und die Wangen da wären nicht ſo blaß geworden, wenn Du einen lieb gehabt hätteſt, der’s verdient.

Chriſtine.

Wie kannſt Du das Was weißt Du Was haſt Du erfahren?

Weiring.

Nichts, gar nichts aber Du haſt mir ja ſelbſt erzählt, was er iſt So ein junger Menſch, was weiß denn der? Hat denn der nur eine Ahnung von dem, was ihm ſo in den Schoß fällt weiß denn der den Unterſchied von echt und unecht und von Deiner ganzen unſinnigen Lieb hat er denn von der was verſtanden?

Chriſtine.
(immer angſtvoller).

Du haſt ihn Du warſt bei ihm?

Weiring.

Aber was fallt Dir denn ein! Er iſt ja wegge - fahren, nicht? Aber Chriſtin, ich hab doch noch meinen Verſtand, ich hab ja meine Augen im Kopf! Schau, Kind, vergiß drauf! vergiß drauf! Deine Zukunft liegt ja ganz wo anders! Du kannſt, Du wirſt noch ſo glücklich werden, als Du verdienſt. Du wirſt auch9130einmal einen Menſchen finden, der weiß, was er an Dir hat

Chriſtine
(iſt zur Commode geeilt ihren Hut zu nehmen.)
(Sehr raſch).
Weiring.

Was willſt Du denn?

Chriſtine.

Laß mich, ich will fort

Weiring.

Wohin willſt Du?

Chriſtine.

Zu ihm zu ihm

Weiring.

Aber was fällt Dir denn ein

Chriſtine.

Du verſchweigſt mir irgend was laß mich hin

Weiring
(ſie feſt zurückhaltend.)

So komm doch zur Beſinnung, Kind. Er iſt ja gar nicht da Er iſt ja viel - leicht auf ſehr lange fortgereiſt Bleib doch bei mir, was willſt Du dort Morgen oder am131 Abend ſchon geh ich mit Dir hin. So kannſt Du ja nicht auf die Straße weißt Du denn, wie Du ausſchauſt

Chriſtine.

Du willſt mit mir hingehn ?

Weiring.

Ich verſprech Dir’s. Nur jetzt bleib ſchön da, ſetz Dich nieder, und komm wieder zu Dir. Man muß ja beinah lachen, wenn man Dich ſo anſchaut, .. für nichts und wieder nichts. Hältſt Du’s denn bei Deinem Vater gar nimmer aus?

Chriſtine.

Was weißt Du?

Weiring
(immer rathloſer).

Was ſoll ich denn wiſſen ich weiß, daß ich Dich lieb hab, daß Du mein einziges Kind biſt, daß Du bei mir bleiben ſollſt, daß Du immer bei mir hätteſt bleiben ſollen.

Chriſtine.

Genug laß mich

(Sie reißt ſich von ihm los, macht die Thür auf, in der Mizi erſcheint).
    • Weiring.
    • Chriſtine.
    • Mizi.
    • (Dann)

  • Theodor.
Mizi
(ſchreit leiſe auf, wie Chriſtine ihr entgegenſtürzt).

Was erſchreckſt mich denn ſo

9*132
Chriſtine
(weicht zurück, wie ſie Theodor ſieht).
Theodor
(in der Thür ſtehen bleibend, er iſt ſchwarz gekleidet).
Chriſtine.

Was was iſt denn

(Sie erhält keine Antwort; ſie ſieht Theodor in’s Geſicht, der ihren Blick vermeiden will.)

Wo iſt er, wo iſt er?

(In höchſter Angſt ſie erhält keine Antwort, ſieht die verlegenen und traurigen Geſichter.)

Wo iſt er?

(Zu Theodor.)

So ſprechen Sie doch!

Theodor
(verſucht zu reden.)
Chriſtine
(ſieht ihn groß an, ſieht um ſich, begreift den Ausdruck der Mienen und ſtößt, nachdem in ihrem Geſicht ſich das allmälige Verſtehen der Wahrheit kundgegeben, einen furcht - baren Schrei aus)

Theodor! Er iſt

Theodor
(nickt).
Chriſtine
(ſie greift ſich an die Stirn, ſie begreift es nicht, ſie geht auf Theodor zu, nimmt ihn beim Arm wie wahn - ſinnig).

Er iſt todt ?

(als frage ſie ſich ſelbſt.)
Weiring.

Mein Kind

133
Chriſtine
(wehrt ihn ab).

So ſprechen Sie doch, Theodor!

Theodor.

Sie wiſſen alles.

Chriſtine.

Ich weiß nichts Ich weiß nicht, was ge - ſchehen iſt glauben Sie ich kann jetzt nicht alles hören Wie iſt das gekommen Vater Theodor

(zu Mizi)

Du weißt’s auch

Theodor.

Ein unglücklicher Zufall.

Chriſtine.

Was, was?

Theodor.

Er iſt gefallen.

Chriſtine.

Was heißt das: Er iſt

Theodor.

Er iſt im Duell gefallen.

Chriſtine.
(Aufſchrei).

Ah!

(Sie droht umzuſinken, Weiring hält ſie auf, giebt dem Theodor ein Zeichen, er möge jetzt gehen.)
Chriſtine
(merkt es, faßt Theodor).

Bleiben Sie Alles134 muß ich wiſſen. Meinen Sie, Sie dürfen mir jetzt noch etwas verſchweigen

Theodor.

Was wollen Sie weiter wiſſen?

Chriſtine.

Warum warum hat er ſich duellirt?

Theodor.

Ich kenne den Grund nicht.

Chriſtine.

Mit wem, mit wem ? Wer ihn umgebracht hat, das werden Sie ja doch wohl wiſſen Nun, nun .

Theodor.

Niemand, den Sie kennen

Chriſtine.

Wer, wer?

Mizi.

Chriſtin!

Chriſtine.

Wer? Sag Du mir’s

(zu Mizi).

Du, Vater

(keine Antwort.) (Sie will fort. Weiring hält ſie zurück.)

Ich werde doch erfahren dürfen, wer ihn umgebracht hat, und wofür !

Theodor.

Es war ein nichtiger Grund

135
Chriſtine.

Sie ſagen nicht die Wahrheit Warum, warum

Theodor.

Liebe Chriſtine

Chriſtine
(als wollte ſie unterbrechen, geht ſie auf ihn zu ſpricht anfangs nicht, ſieht ihn an und ſchreit dann plötzlich).

Wegen einer Frau?

Theodor.

Nein

Chriſtine.

Ja für eine Frau

(zu Mizi gewendet)

für dieſe Frau Für dieſe Frau, die er geliebt hat Und ihr Mann ja, ja, ihr Mann hat ihn umgebracht Und ich was bin denn ich? was bin denn ich ihm geweſen ? Theodor .. haben Sie denn gar nichts für mich hat er nichts niedergeſchrieben ? Hat er Ihnen kein Wort für mich geſagt haben Sie nichts ge - funden einen Brief einen Zettel

Theodor
(ſchüttelt den Kopf).
Chriſtine.

Und an dem Abend wo er da war, wo Sie ihn da abgeholt haben da hat er’s ſchon136 gewußt, da hat er gewußt, das er mich vielleicht nie mehr Und er iſt von da weggegangen, um ſich für eine andere umbringen zu laſſen Nein, nein es iſt ja nicht möglich hat er denn nicht gewußt, was er für mich iſt hat er

Theodor.

Er hat es gewußt. Am letzten Morgen, wie wir hinausgefahren ſind hat er auch von Ihnen geſprochen.

Chriſtine.

Auch von mir hat er geſprochen! Auch von mir! Und von was denn noch? Von wie viel andern Leuten, von wie viel anderen Sachen, die ihm grad ſo viel geweſen ſind wie ich? Von mir auch! Oh Gott! .. Und von ſeinem Vater und von ſeiner Mutter und von ſeinen Freunden und von ſeinem Zimmer und vom Frühling und von der Stadt und von allem, von allem, was ſo mit dazu gehört hat zu ſeinem Leben und was er grad ſo hat verlaſſen müſſen wie mich; .. von allem hat er mit Ihnen geſprochen und auch von mir ....

Theodor
(bewegt).

Er hat Sie gewiß lieb gehabt.

Chriſtine.

Lieb! Er? Ich bin ihm nichts geweſen137 als ein Zeitvertreib und für eine andere iſt er geſtorben ! Und ich hab ihn angebetet! Hat er denn das nicht gewußt? .. Daß ich ihm alles gegeben hab, was ich ihm hab geben können, daß ich für ihn geſtorben wär daß er mein Herrgott geweſen iſt und meine Seligkeit hat er das garnicht bemerkt? Er hat von mir fortgehn können, mit einem Lächeln, fortgehn aus dem Zimmer und ſich für eine andere niederſchießen laſſen… Vater, Vater, verſtehſt Du das?

Weiring.

Chriſtin!

(Bei ihr).
Theodor
(zu Mizi).

Schau Kind, das hätteſt Du mir erſparen können

Mizi
(ſieht ihn bös an).
Theodor.

Ich hab genug Aufregungen gehabt dieſe letzten Tage

Chriſtine
(mit plötzlichem Entſchluß).

Theodor, führen Sie mich hin ich will ihn ſehn noch einmal will ich ihn ſehn das Geſicht Theodor führen Sie mich hin.

138
Theodor
(wehrt ab, zögernd).

Nein

Chriſtine.

Warum denn nein? Das können Sie mir doch nicht verweigern? Seh’n werd ich ihn doch noch einmal dürfen ?

Theodor.

Es iſt zu ſpät.

Chriſtine.

Zu ſpät? Seine Leiche zu ſehn iſt es zu ſpät? Ja ja

(ſie begreift nicht).
Theodor

Heut früh hat man ihn begraben.

Chriſtine
(mit dem höchſten Ausdrucke des Entſetzens).

Begraben… Und ich hab’s nicht gewußt? Erſchoſſen haben ſie ihn und in den Sarg haben ſie ihn gelegt und hinausgetragen haben ſie ihn und in die Erde haben ſie ihn eingegraben und ich hab ihn nicht noch einmal ſehen dürfen? Zwei Tage lang iſt er todt und Sie ſind nicht gekommen und haben mir’s geſagt ?

Theodor
(ſehr bewegt).

Ich hab in dieſen zwei Tagen Sie können nicht ahnen, was alles in dieſen zwei139 Tagen Bedenken Sie, daß ich auch die Ver - pflichtung hatte, ſeine Eltern zu benachrichtigen ich mußte an ſehr viel denken und dazu noch meine Gemüthsſtimmung

Chriſtine.

Ihre

Theodor.

Auch hat das es hat in aller Stille ſtatt - gefunden Nur die allernächſten Verwandten und Freunde

Chriſtine.

Nur die nächſten ! Und ich ? Was bin denn ich?

Mizi.

Das hätten die dort auch gefragt.

Chriſtine.

Was bin denn ich ? Weniger als alle Andern ? Weniger als ſeine Verwandte, weniger als Sie?

Weiring.

Mein Kind, mein Kind. Zu mir komm, zu mir

(Er umfängt ſie. Zu Theodor).

Gehen Sie laſſen Sie mich mit ihr allein!

Theodor.

Ich bin ſehr

(Mit Thränen in der Stimme).

Ich hab das nicht geahnt

140
Chriſtine.

Was nicht geahnt? Das ich ihn geliebt habe?

(Weiring zieht ſie an ſich; Theodor ſieht vor ſich hin. Mizi ſteht bei Chriſtine).
Chriſtine
(ſich von Weiring losmachend).

Führen Sie mich zu ſeinem Grab

Weiring.

Nein, nein

Mizi.

Geh nicht hin, Chriſtin

Theodor.

Chriſtine ſpäter morgen bis Sie ruhiger geworden[ſind]

Chriſtine.

Morgen? Wenn ich ruhiger ſein werde?! Und in einem Monat ganz getröſtet, wie? Und in einem halben Jahr kann ich wieder lachen, was ?

(Auflachend).

Und wann kommt denn der nächſte Liebhaber? ..

Weiring.

Chriſtin

141
Chriſtine.

Bleiben Sie nur ich find den Weg auch allein

Weiring.

Geh nicht.

Mizi.

Geh nicht.

Chriſtine.

Es iſt ſogar beſſer wenn ich Laßt mich, laßt mich.

Weiring.

Chriſtin, bleib

Mizi.

Geh nicht hin! Vielleicht findeſt Du grad die Andere dort beten.

Chriſtine.
(vor ſich hin, ſtarren Blickes).

Ich will dort nicht beten .. nein

(Sie ſtürzt ab die Anderen anfangs ſprachlos.)
Weiring.

Eilen Sie ihr nach.

(Theodor und Mizi ihr nach.)
Weiring.

Ich kann nicht, ich kann nicht

(Er geht142 mühſam von der Thür bis zum Fenſter).

Was will ſie was will ſie

(Er ſieht durchs Fenſter ins leere).

Sie kommt nicht wieder ſie kommt nicht wieder!

(Er ſinkt laut ſchluchzend zu Boden.)
(Vorhang.)

Ende.

Druck von Max Schmerſow vorm. Zahn & Baendel, Kirchhain N. -L.

About this transcription

TextLiebelei
Author Arthur Schnitzler
Extent153 images; 15057 tokens; 2614 types; 101341 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationLiebelei Schauspiel in drei Akten Arthur Schnitzler. . 142 S. FischerBerlin1896.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 974407http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=764025813

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Drama; Belletristik; Drama; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:34:40Z
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ShelfmarkSBB-PK, 974407
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