PRIMS Full-text transcription (HTML)
Lucinde.
Ein Roman
Erſter Theil.
Berlin. Bei Heinrich Frölich. 1799.
[1]

Prolog.

Mit lächelnder Rührung überſchaut und eröffnet Petrarca die Samm - lung ſeiner ewigen Romanzen. Höf - lich und ſchmeichelnd redet der kluge Boccaz am Eingang und am Schluß ſeines reichen Buchs zu allen Da - men. Und ſelbſt der hohe Cervan - tes, auch als Greis und in der Agonie noch freundlich und voll von zartem Witz, bekleidet das bunte Schauſpiel der lebensvollen Werke mit dem koſtbaren Teppich einer Vor - rede, die ſelbſt ſchon ein ſchönes ro - mantiſches Gemälde iſt.

Hebt eine herrliche Pflanze ausLucinde I. A2dem fruchtbaren mütterlichen Boden, und es wird ſich manches liebevoll daran hängen, was nur einem Kar - gen überflüſſig ſcheinen kann.

Aber was ſoll mein Geiſt ſeinem Sohne geben, der gleich ihm ſo arm an Poeſie iſt als reich an Liebe?

Nur ein Wort, ein Bild zum Ab - ſchiede: Nicht der königliche Adler allein darf das Gekrächz der Raben verachten; auch der Schwan iſt ſtolz, und nimmt es nicht wahr. Ihn küm - mert nichts, als daß der Glanz ſei - ner weißen Fittiche rein bleibe. Er ſinnt nur darauf, ſich an den Schooß der Leda zu ſchmiegen, ohne ihn zu verletzen; und alles was ſterblich iſt an ihm, in Geſänge auszuhauchen.

[3]

Bekenntniſſe eines Ungeſchickten.

A 2[4][5]

Julius an Lucinde

Die Menſchen und was ſie wollen und thun, erſchienen mir, wenn ich mich daran erinnerte, wie aſchgraue Figuren ohne Bewegung: aber in der heiligen Einſamkeit um mich her war alles Licht und Farbe und ein friſcher warmer Hauch von Leben und Liebe wehte mich an und rauſchte und regte ſich in allen Zweigen des6 üppigen Hains. Ich ſchaute und ich genoß alles zugleich, das kräftige Grün, die weiße Blüthe und die goldne Frucht. Und ſo ſah ich auch mit dem Auge meines Geiſtes die Eine ewig und einzig Geliebte in vielen Geſtalten, bald als kindliches Mädchen, bald als Frau in der vol - len Blüthe und Energie der Liebe und der Weiblichkeit, und dann als würdige Mutter mit dem ernſten Knaben im Arm[.]Ich athmete Früh - ling, klar ſah ich die ewige Jugend um mich und lächelnd ſagte ich: Wenn die Welt auch eben nicht die beſte oder die nützlichſte ſeyn mag, ſo weiß ich doch, ſie iſt die ſchönſte. In dieſem Gefühle oder Gedanken hätte mich auch nichts ſtören können,7 weder allgemeine Zweifel noch eigne Furcht. Denn ich glaubte einen tie - fen Blick in das Verborgne der Na - tur zu thun; ich fühlte, daß alles ewig lebe und daß der Tod auch freundlich ſey und nur eine Täu - ſchung. Doch dachte ich daran ei - gentlich nicht ſehr, wenigſtens zum Gliedern und Zergliedern der Be - griffe war ich nicht ſonderlich ge - ſtimmt. Aber gern und tief verlor ich mich in alle die Vermiſchungen und Verſchlingungen von Freude und Schmerz, aus denen die Würze des Lebens und die Blüthe der Empfin - dung hervorgeht, die geiſtige Wolluſt wie die ſinnliche Seligkeit. Ein fei - nes Feuer ſtrömte durch meine Adern; was ich träumte, war nicht etwa8 bloß ein Kuß, die Umſchließung dei - ner Arme, es war nicht bloß der Wunſch, den quälenden Stachel der Sehnſucht zu brechen und die ſüße Gluth in Hingebung zu kühlen; nicht nach Deinen Lippen allein ſehnte ich mich, oder nach deinen Augen, oder nach deinem Leibe: ſondern es war eine romantiſche Verwirrung von al - len dieſen Dingen, ein wunderſames Gemiſch von den verſchiedenſten Er - innerungen und Sehnſuchten. Alle Myſterien des weiblichen und des männlichen Muthwillens ſchienen mich zu umſchweben, als mich Einſamen plötzlich deine wahre Gegenwart und der Schimmer der blühenden Freude auf deinem Geſichte vollends ent - zündete. Witz und Entzücken be -9 gonnen nun ihren Wechſel und wa - ren der gemeinſame Puls unſers ver - einten Lebens; wir umarmten uns mit eben ſo viel Ausgelaſſenheit als Religion. Ich bat ſehr, du möch - teſt dich doch einmal der Wuth ganz hingeben, und ich flehte dich an, du möchteſt unerſättlich ſeyn. Dennoch lauſchte ich mit kühler Beſonnenheit auf jeden leiſen Zug der Freude, da - mit mir auch nicht einer entſchlüpfe und eine Lücke in der Harmonie bleibe. Ich genoß nicht bloß, ſon - dern ich fühlte und genoß auch den Genuß.

Du biſt ſo außerordentlich klug, liebſte Lucinde, daß du wahrſchein - lich ſchon längſt auf die Vermuthung gerathen biſt, dies alles ſey nur ein10 ſchöner Traum. So iſt es leider auch, und ich würde untröſtlich darüber ſeyn, wenn ich nicht hoffen dürfte, daß wir wenigſtens einen Theil davon nächſtens realiſiren könn - ten. Das Wahre an der Sache iſt, daß ich vorhin am Fenſter ſtand; wie lange, das weiß ich nicht recht: denn mit den andern Regeln der Vernunft und der Sittlichkeit iſt auch die Zeitrechnung dabey ganz von mir vergeſſen worden. Alſo ich ſtand am Fenſter und ſah ins Freye; der Morgen verdient allerdings ſchön genannt zu werden, die Luft iſt ſtill und warm genug, auch iſt das Grün hier vor mir ganz friſch, und wie ſich die weite Ebne bald hebt bald ſenket, ſo windet ſich der ruhige,11 breite ſilberhelle Strom in großen Schwüngen und Bogen, bis er und die Fantaſie des Liebenden, die ſich gleich dem Schwane auf ihm wiegte, in die Ferne hinziehen und ſich in das Unermeßliche langſam verlieren. Den Hain und ſein ſüdliches Colorit verdankt meine Viſion wahrſcheinlich dem großen Blumenhaufen hier ne - ben mir, unter denen ſich eine be - trächtliche Anzahl von Orangen be - findet. Alles übrige läßt ſich leicht aus der Pſychologie erklären. Es war Illuſion, liebe Freundin, alles Illuſion, außer daß ich vorhin am Fenſter ſtand und nichts that, und daß ich jetzt hier ſitze und etwas thue, was auch nur wenig mehr12 oder wohl gar noch etwas weniger als nichts thun iſt.

So weit war an dich geſchrie - ben, was ich mit mir geſprochen hatte, als mich mitten in meinen zarten Gedanken und ſinnreichen Ge - fühlen über den eben ſo wunderba - ren als verwickelten dramatiſchen Zuſammenhang unſrer Umarmungen ein ungebildeter und ungefälliger Zufall unterbrach, da ich eben im Begriff war, die genaue und ge - diegne Hiſtorie unſers Leichtſinns und meiner Schwerfälligkeit in klaren und wahren Perioden vor dir auf - zurollen, die von Stufe zu Stufe allmählig nach natürlichen Geſetzen13 fortſchreitende Aufklärung unſrer den verborgenen Mittelpunkt des feinſten Daſeyns angreifenden Mißverſtänd - niſſe zu entwickeln, und die mannich - fachen Produkte meiner Ungeſchicklich - keit darzuſtellen, nebſt den Lehrjah - ren meiner Männlichkeit; welche ich im Ganzen und in ihren Theilen nie überſchauen kann, ohne vieles Lächeln, einige Wehmuth und hin - längliche Selbſtzufriedenheit. Doch will ich als ein gebildeter Liebhaber und Schriftſteller verſuchen, den ro - hen Zufall zu bilden und ihn zum Zwecke geſtalten. Für mich und für dieſe Schrift, für meine Liebe zu ihr und für ihre Bildung in ſich, iſt aber kein Zweck zweckmäßiger, als der, daß ich gleich Anfangs das14 was wir Ordnung nennen vernichte, weit von ihr entferne und mir das Recht einer reizenden Verwirrung deutlich zueigne und durch die That behaupte. Dies iſt um ſo nöthiger, da der Stoff, den unſer Leben und Lieben meinem Geiſte und meiner Feder giebt, ſo unaufhaltſam pro - greſſiv und ſo unbiegſam ſyſtematiſch iſt. Wäre es nun auch die Form, ſo würde dieſer in ſeiner Art einzige Brief dadurch eine unerträgliche Ein - heit und Einerleyheit erhalten und nicht mehr können, was er doch will und ſoll: das ſchönſte Chaos von erhabnen Harmonien und in - tereſſanten Genüſſen nachbilden und ergänzen. Ich gebrauche alſo mein unbezweifeltes Verwirrungsrecht und15 ſetze oder ſtelle hier ganz an die un - rechte Stelle eines von den vielen zerſtreuten Blättern die ich aus Sehn - ſucht und Ungeduld, wenn ich dich nicht fand wo ich dich am gewiſſe - ſten zu finden hoffte, in deinem Zim - mer, auf unſerm Sopha, mit der zuletzt von dir gebrauchten Feder, mit den erſten den beſten Worten, ſo jene mir eingegeben, anfüllte oder verdarb, und die du Gute, ohne daß ich es wußte, ſorgſam bewahrteſt.

Die Auswahl wird mir nicht ſchwer. Denn da unter den Träu - mereyen, die hier ſchon den ewigen Lettern und dir anvertrauet ſind, die Erinnerung an die ſchönſte Welt noch das gehaltvollſte iſt, und noch am erſten eine gewiſſe Art von16 Ähnlichkeit mit den ſogenannten Ge - danken hat: ſo nehme ich vor allen andern die dithyrambiſche Fantaſie über die ſchönſte Situazion. Denn wiſſen wir erſt ſicher, daß wir in der ſchönſten Welt leben: ſo iſt es unſtreitig das nächſte Bedürfniß uns über die ſchönſte Situazion in dieſer ſchönſten Welt durch andre oder durch uns ſelbſt gründlich zu be - lehren.

Dithyrambiſche Fantaſie über die ſchönſte Situazion.

Eine große Thräne fällt auf das heilige Blatt, welches ich hier ſtatt deiner fand. Wie treu und wie ein - fach haſt du ihn aufgezeichnet, den kühnen alten Gedanken zu meinemlieb -17liebſten und geheimſten Vorhaben. In dir iſt er groß geworden und in dieſem Spiegel ſcheue ich mich nicht, mich ſelbſt zu bewundern und zu lieben. Nur hier ſehe ich mich ganz und harmoniſch, oder vielmehr die volle ganze Menſchheit in mir und in dir. Denn auch dein Geiſt ſteht beſtimmt und vollendet vor mir; es ſind nicht mehr Züge die erſchei - nen und zerfließen: ſondern wie eine von den Geſtalten, die ewig dauern, blickt er mich aus hohen Augen freu - dig an und öffnet die Arme, den meinigen zu umſchließen. Die flüch - tigſten und heiligſten von jenen zar - ten Zügen und Äußerungen der Seele die dem, welcher das höchſte nicht kennt, allein ſchon SeligkeitLucinde I. B18ſcheinen, ſind nur die gemeinſchaft - liche Atmoſphäre unſers geiſtigen Athmens und Lebens.

Die Worte ſind matt und trübe; auch würde ich in dieſem Gedränge von Erſcheinungen nur immer das eine unerſchöpfliche Gefühl unſrer urſprünglichen Harmonie von neuem wiederholen müſſen. Eine große Zu - kunft winkt mich eilends weiter ins Unermeßliche hinaus, jede Idee öff - net ihren Schooß und entfaltet ſich in unzählige neue Geburten. Die äußerſten Enden der zügelloſen Luſt und der ſtillen Ahndung leben zu - gleich in mir. Ich erinnere mich an alles, auch an die Schmerzen, und alle meine ehemaligen und künftigen Gedanken regen ſich und ſtehen19 wider mich auf. In den geſchwollnen Adern tobt das wilde Blut, der Mund durſtet nach Vereinigung und unter den vielen Geſtalten der Freude wählt und wechſelt die Fantaſie und findet keine, in der die Begierde ſich endlich erfüllen und endlich Ruhe finden könnte. Und dann gedenke ich wieder plötzlich und rührend der dunkeln Zeit, da ich immer wartete, ohne zu hoffen, und heftig liebte, ohne daß ich es wußte; da mein innerſtes Weſen ſich ganz in unbe - ſtimmte Sehnſucht ergoß und ſie nur ſelten in halb unterdrückten Seuf - zern aushauchte.

Ja! ich würde es für ein Mähr - chen gehalten haben, daß es ſolche Freude gebe und ſolche Liebe, wieB 220ich nun fühle, und eine ſolche Frau, die mir zugleich die zärtlichſte Ge - liebte und die beſte Geſellſchaft wäre und auch eine vollkommene Freun - din. Denn in der Freundſchaft be - ſonders ſuchte ich alles, was ich ent - behrte und was ich in keinem weib - lichen Weſen zu finden hoffte. In dir habe ich es alles gefunden und mehr als ich zu wünſchen vermochte: aber du biſt auch nicht wie die an - dern. Was Gewohnheit oder Ei - genſinn weiblich nennen, davon weißt du nichts. Außer den kleinen Eigenheiten beſteht die Weiblichkeit deiner Seele bloß darin, daß Leben und Lieben für ſie gleich viel bedeu - tet; du fühlſt alles ganz und un - endlich, du weißt von keinen Ab -21 ſonderungen, dein Weſen iſt Eins und untheilbar. Darum biſt du ſo ernſt und ſo freudig; darum nimmſt du alles ſo groß und ſo nachläſſig, und darum liebſt du mich auch ganz und überläßt keinen Theil von mir etwa dem Staate, der Nachwelt oder den männlichen Freunden. Es gehört dir alles[und] wir ſind uns überall die nächſten und verſtehn uns am beſten. Durch alle Stufen der Menſchheit gehſt du mit mir von der ausgelaſſenſten Sinnlichkeit bis zur geiſtigſten Geiſtigkeit und nur in dir ſah ich wahren Stolz und wahre weibliche Demuth.

Das äußerſte Leiden, wenn es uns nur umgäbe, ohne uns zu tren - nen, würde mir nichts ſcheinen als22 ein reizender Gegenſatz für den hohen Leichtſinn unſrer Ehe. Warum ſoll - ten wir nicht die herbeſte Laune des Zufalls für ſchönen Witz und aus - gelaſſene Willkühr nehmen, da wir unſterblich ſind wie die Liebe? Ich kann nicht mehr ſagen, meine Liebe oder deine Liebe; beyde ſind ſich gleich und vollkommen Eins, ſo viel Liebe als Gegenliebe. Es iſt Ehe, ewige Einheit und Verbindung un - ſrer Geiſter, nicht bloß für das was wir dieſe oder jene Welt nennen, ſondern für die eine wahre, untheil - bare, namenloſe, unendliche Welt, für unſer ganzes ewiges Seyn und Leben. Darum würde ich auch, wenn es mir Zeit ſchiene, eben ſo froh und eben ſo leicht eine Taſſe23 Kirſchlorberwaſſer mit dir ausleeren, wie das letzte Glas Champagner, was wir zuſammen tranken, mit den Worten von mir: » So laß uns den » Reſt unſers Lebens austrinken. « So ſprach und trank ich eilig, ehe der edelſte Geiſt des Weins ver - ſchäumte; und ſo, das ſage ich noch einmal, ſo laß uns leben und lie - ben. Ich weiß, auch du würdeſt mich nicht überleben wollen, du wür - deſt dem voreiligen Gemahle auch im Sarge folgen, und aus Luſt und Liebe in den flammenden Abgrund ſteigen, in den ein raſendes Geſetz die Indiſchen Frauen zwingt und die zarteſten Heiligthümer der Will - kühr durch grobe Abſicht und Befehl entweiht und zerſtört.

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Dort wird dann vielleicht die Sehnſucht voller befriedigt. Ich bin oft darüber erſtaunt: jeder Gedan - ke und was ſonſt gebildet in uns iſt, ſcheint in ſich ſelbſt vollendet, einzeln und untheilbar wie eine Per - ſon; eines verdrängt das andre, und was eben ganz nah und gegenwär - tig war, ſinkt bald in Dunkel zu - rück. Und dann giebt es doch wie - der Augenblicke plötzlicher, allgemei - ner Klarheit, wo mehrere ſolche Gei - ſter der innern Welt durch[wunder - bare] Vermählung völlig in Eins verſchmelzen, und manches ſchon ver - geſſene Stück unſers Ich in neuem Lichte ſtrahlt und auch die Nacht der Zukunft mit ſeinem hellen Scheine öffnet. Wie im Kleinen ſo, glaube25 ich, iſt es auch im Großen. Was wir ein Leben nennen, iſt für den ganzen ewigen innern Menſchen nur ein einziger Gedanke, ein un - theilbares Gefühl. Auch für ihn giebts ſolche Augenblicke des tiefſten und vollſten Bewußtſeyns, wo ihm alle die Leben einfallen, ſich anders miſchen und trennen. Wir beide werden noch einſt in Einem Geiſte anſchauen, daß wir Blüthen Einer Pflanze oder Blätter Einer Blume ſind, und mit Lächeln werden wir dann wiſſen, daß was wir jetzt nur Hoffnung nennen, eigentlich Erin - nerung war.

Weißt du noch, wie der erſte Keim dieſes Gedankens vor dir in meiner Seele aufſproßte und auch26 gleich in der deinigen Wurzel faßte? So ſchlingt die Religion der Liebe unſre Liebe immer inniger und ſtärker zuſammen, wie das Kind die Luſt der zärtlichen Eltern dem Echo gleich verdoppelt.

Nichts kann uns trennen und gewiß würde jede Entfernung mich nur gewaltſamer an dich reißen. Ich denke mir, wie ich bey der letzten Umarmung im Gedränge der hef - tigen Widerſprüche zugleich in Thrä - nen und in Lachen ausbreche. Dann würde ich ſtill werden und in einer Art von Betäubung durchaus nicht glauben, daß ich von dir entfernt ſey, bis die neuen Gegenſtände um mich her mich wider Willen über - zeugten. Aber dann würde auch27 meine Sehnſucht unaufhaltſam wach - ſen, bis ich auf ihren Flügeln in deine Arme ſänke. Laß auch die Worte oder die Menſchen ein Mis - verſtändniß zwiſchen uns erregen! Der tiefe Schmerz würde flüchtig ſeyn und ſich bald in vollkommenere Harmonie auflöſen. Ich würde ihn ſo wenig achten, wie die liebende Geliebte im Enthuſiasmus der Wol - luſt die kleine Verletzung achtet.

Wie könnte uns die Entfernung entfernen, da uns die Gegenwart ſelbſt gleichſam zu gegenwärtig iſt. Wir müſſen ihre verzehrende Gluth in Scherzen lindern und kühlen und ſo iſt uns die witzigſte unter den Geſtalten und Situazionen der Freude auch die ſchönſte. Eine unter allen28 iſt die witzigſte und die ſchönſte: wenn wir die Rollen vertauſchen und mit kindiſcher Luſt wetteifern, wer den andern täuſchender nach - äffen kann, ob dir die ſchonende Hef - tigkeit des Mannes beſſer gelingt, oder mir die anziehende Hingebung des Weibes. Aber weißt du wohl, daß dieſes ſüße Spiel für mich noch ganz andre Reize hat als ſeine eig - nen? Es iſt auch nicht bloß die Wol - luſt der Ermattung oder das Vor - gefühl der Rache. Ich ſehe hier eine wunderbare ſinnreich bedeu - tende Allegorie auf die Vollendung des Männlichen und Weiblichen zur vollen ganzen Menſchheit. Es liegt viel darin, und was darin liegt,29 ſteht gewiß nicht ſo ſchnell auf wie ich, wenn ich dir unterliege.

Das war die dithyrambiſche Fantaſie über die ſchönſte Situazion in der ſchönſten Welt! Ich weiß noch recht gut, wie du ſie damals gefun - den und genommen haſt. Aber ich glaube auch eben ſo gut zu wiſſen, wie du ſie hier finden und nehmen wirſt; hier in dieſem Büchelchen, von dem du mehr treue Geſchichte, ſchlichte Wahrheit und ruhigen Verſtand, ja ſogar Moral, die liebenswürdige Moral der Liebe erwarteſt. » Wie » kann man ſchreiben wollen, was » kaum zu ſagen erlaubt iſt, was » man nur fühlen ſollte? « Ich30 antworte: Fühlt man es, ſo muß man es ſagen wollen, und was man ſagen will, darf man auch ſchreiben können.

Ich wollte dir erſt beweiſen und begründen, es liege urſprünglich und weſentlich in der Natur des Man - nes ein gewiſſer tölpelhafter Enthu - ſiasmus, der gern mit allem Zarten und Heiligen herausplatzt, nicht ſel - ten über ſeinen eignen treuherzigen Eifer ungeſchickterweiſe hinſtürzt und mit einem Worte leicht bis zur Grob - heit göttlich iſt.

Durch dieſe Apologie wäre ich zwar gerettet, aber vielleicht nur auf Unkoſten der Männlichkeit ſelbſt: denn ſo viel ihr auch im einzelnen von dieſer haltet, ſo habt ihr doch31 immer viel und vieles wider das Ganze der Gattung. Ich will in - deſſen auf keinen Fall gemeine Sache mit einer ſolchen Race haben und vertheidige oder entſchuldige daher meine Freyheit und Frechheit lieber bloß mit dem Beyſpiele der unſchul - digen kleinen Wilhelmine, da ſie doch auch eine Dame iſt, die ich überdem auf das zärtlichſte liebe. Darum will ich ſie auch gleich ein wenig charakteriſiren.

Charakteriſtik der kleinen Wil - helmine.

Betrachtet man das ſonderbare Kind nicht mit Rückſicht auf eine einſeitige Theorie, ſondern wie es ſich ziemt, im Großen und Ganzen:32 ſo darf man kühnlich von ihr ſagen, und es iſt vielleicht das beſte was man überhaupt von ihr ſagen kann: Sie iſt die geiſtreichſte Perſon ihrer Zeit oder ihres Alters. Und das iſt nicht wenig geſagt: denn wie ſelten iſt harmoniſche Ausbildung unter zweyjährigen Menſchen? Der ſtärkſte unter vielen ſtarken Beweiſen für ihre innere Vollendung iſt ihre hei - tere Selbſtzufriedenheit. Wenn ſie gegeſſen hat, pflegt ſie beide Ärm - chen auf den Tiſch ausgebreitet ih - ren kleinen Kopf mit närriſchem Ernſt darauf zu ſtützen, macht die Augen groß und wirft ſchlaue Blicke im Kreiſe der ganzen Familie umher. Dann richtet ſie ſich auf mit dem lebhafteſten Ausdrucke von Ironieund33und lächelt über ihre eigne Schlau - heit und unſre Inferiorität. Über - haupt hat ſie viel Bouffonerie und viel Sinn für Bouffonerie. Mache ich ihre Gebehrden nach, ſo macht ſie mir gleich wieder mein Nachma - chen nach; und ſo haben wir uns eine mimiſche Sprache gebildet und verſtändigen uns in den Hierogly - phen der darſtellenden Kunſt. Zur Poeſie glaube ich hat ſie weit mehr Neigung als zur Philoſophie; ſo läßt ſie ſich auch lieber fahren und reiſet nur im Nothfall zu Fuß. Die harten Übelklänge unſrer nordiſchen Mutterſprache verſchmelzen auf ihrer Zunge in den weichen und ſüßen Wohllaut der Italiäniſchen und In - diſchen Mundart. Reime liebt ſieLucinde I. C34beſonders, wie alles Schöne; ſie kann oft gar nicht müde werden, alle ihre Lieblingsbilder, gleichſam eine klaſſiſche Auswahl ihrer kleinen Genüſſe, ſich ſelbſt unaufhörlich nach einander zu ſagen und zu ſingen. Die Blüthen aller Dinge jeglicher Art flicht Poeſie in einen leichten Kranz und ſo nennt und reimt auch Wilhelmine Gegenden, Zeiten, Be - gebenheiten, Perſonen, Spielwerke und Speiſen, alles durch einander in romantiſcher Verwirrung, ſo viel Worte ſo viel Bilder; und das ohne alle Nebenbeſtimmungen und künſt - lichen Übergänge, die am Ende doch nur dem Verſtande frommen und jeden kühneren Schwung der Fan - taſie hemmen. Für die ihrige iſt alles35 in der Natur belebt und beſeelt; und ich erinnere mich noch oft mit Ver - gnügen daran, wie ſie in einem Al - ter von nicht viel mehr als einem Jahre zum erſtenmal eine Puppe ſah und fühlte. Ein himmliſches Lächeln blühte auf ihrem kleinen Geſichte und ſie drückte gleich einen herzlichen Kuß auf die gefärbten Lippen von Holz. Gewiß! es liegt tief in der Natur des Menſchen, daß er alles eſſen will, was er liebt, und jede neue Erſcheinung unmittelbar zum Munde führt, um ſie da wo möglich in ihre erſten Beſtandtheile zu zergliedern. Die geſunde Wißbegierde wünſcht ihren Gegenſtand ganz zu faſſen, bis in ſein Innerſtes zu durchdringen und zu zerbeißen. Das BetaſtenC 236dagegen bleibt bey der äußerlichen Oberfläche allein ſtehn, und alles Begreifen gewährt eine unvollkom - mene nur mittelbare Erkenntniß. Indeſſen iſt es doch ſchon ein in - tereſſantes Schauſpiel, wenn ein geiſt - reiches Kind ein Ebenbild von ſich erblickt, es mit den Händen zu be - greifen und ſich durch dieſe erſten und letzten Fühlhörner der Vernunft zu orientiren ſtrebt; ſchüchtern ver - kriecht und verſteckt ſich der Fremd - ling und ämſig iſt die kleine Philo - ſophin hinterdrein, den Gegenſtand ihrer angefangenen Unterſuchung zu verfolgen.

Aber freylich iſt Geiſt, Witz und Originalität bey Kindern gerade ſo ſelten wie bey Erwachſenen. Doch37 alles dies und ſo vieles andre ge - hört nicht hieher und würde mich über die Gränzen meines Zweckes führen! Denn dieſe Charakteriſtik ſoll ja nichts darſtellen als ein Ideal, welches ich mir ſtets vor Augen hal - ten will, um in dieſem kleinen Kunſt - werke ſchöner und zierlicher Lebens - weisheit nie von der zarten Linie des Schicklichen zu verirren, und dir, damit du alle die Freyheiten und Frechheiten, die ich mir noch zu nehmen denke, im voraus verzeihſt, oder doch von einem höhern Stand - punkte beurtheilen und würdigen kannſt.

Habe ich etwa Unrecht, wenn ich die Sittlichkeit bey Kindern, Zart - heit und Zierlichkeit in Gedanken38 und Worten vornehmlich beym weib - lichen Geſchlecht ſuche?

Und nun ſieh! dieſe liebenswür - dige Wilhelmine findet nicht ſelten ein unausſprechliches Vergnügen da - rin, auf dem Rücken liegend mit den Beinchen in die Höhe zu geſti - culiren, unbekümmert um ihren Rock und um das Urtheil der Welt. Wenn das Wilhelmine thut, was darf ich nicht thun, da ich doch bey Gott! ein Mann bin, und nicht zar - ter zu ſeyn brauche wie das zarteſte weibliche Weſen?

O beneidenswürdige Freyheit von Vorurtheilen! Wirf auch du ſie von dir, liebe Freundin, alle die Reſte von falſcher Schaam, wie ich oft die fatalen Kleider von dir riß und39 in ſchöner Anarchie umherſtreute. Und ſollte dir ja dieſer kleine Roman meines Lebens zu wild ſcheinen: ſo denke dir, daß er ein Kind ſey und ertrage ſeinen unſchuldigen Muth - willen mit mütterlicher Langmuth und laß dich von ihm liebkoſen.

Wenn du es mit der Wahrſchein - lichkeit und durchgängigen Bedeut - ſamkeit einer Allegorie nicht ſogar ſtrenge nehmen und dabey ſo viel Ungeſchicklichkeit im Erzählen erwar - ten wollteſt, als man von den Be - kenntniſſen eines Ungeſchickten fodern muß, wenn das Coſtum nicht ver - letzt werden ſoll: ſo möchte ich dir hier einen der letzten meiner wa - chenden Träume erzählen, da er ein ähnliches Reſultat giebt wie die40 Charakteriſtik der kleinen Wilhel - mine.

Allegorie von der Frechheit.

Sorglos ſtand ich in einem kunſt - reichen Garten an einem runden Beet, welches mit einem Chaos der herr - lichſten Blumen, ausländiſchen und einländiſchen, prangte. Ich ſog den würzigen Duft ein und ergötzte mich an den bunten Farben: aber plötz - lich ſprang ein häßliches Unthier mitten aus den Blumen hervor. Es ſchien geſchwollen von Gift, die durch - ſichtige Haut ſpielte in alle Farben und man ſah die Eingeweide ſich winden wie Gewürme. Es war groß genug, um Furcht einzuflößen; dabey öffnete es Krebsſcheeren nach41 allen Seiten rund um den ganzen Leib; bald hüpfte es wie ein Froſch, dann kroch es wieder mit ekelhafter Beweglichkeit auf einer unzähligen Menge kleiner Füße. Mit Entſetzen wandte ich mich weg: da es mich aber verfolgen wollte, faßte ich Muth, warf es mit einem kräftigen Stoß auf den Rücken, und ſogleich ſchien es mir nichts als ein gemei - ner Froſch. Ich erſtaunte nicht we - nig, und noch mehr, da plötzlich Jemand ganz dicht hinter mir ſagte: » Das iſt die öffentliche Meinung, » und ich bin der Witz; deine fal - » ſchen Freunde, jene Blumen ſind » ſchon alle welk. « Ich ſah mich um und erblickte eine männliche Ge - ſtalt mittlerer Größe; die großen42 Formen des edlen Geſichts waren ſo ausgearbeitet und übertrieben, wie wir ſie oft an römiſchen Bruſtbil - dern ſehn. Ein freundliches Feuer ſtrahlte aus den offnen lichten Au - gen, und zwey große Locken warfen und drängten ſich ſonderbar auf der kühnen Stirn. » Ich werde ein al - » tes Schauſpiel vor dir erneuern, » ſprach er: einige Jünglinge am » Scheidewege. Ich ſelbſt habe es » der Mühe werth gehalten, ſie in » müſſigen Stunden mit der göttli - » chen Fantaſie zu erzeugen. Es ſind » die ächten Romane, vier an der » Zahl und unſterblich wie wir. « Ich ſchaute wohin er winkte, und ein ſchöner Jüngling flog kaum be - kleidet über die grüne Ebne. Schon43 war er fern und ich ſah nur noch eben, daß er ſich auf ein Roß ſchwang und davon eilte als wollte er den lauen Abendwind überflügeln und ſeiner Langſamkeit ſpotten. Auf dem Hügel zeigte ſich ein Ritter in voller Rüſtung, groß und hehr von Geſtalt, beynah ein Rieſe: aber die genaue Richtigkeit ſeines Wuchſes und ſeiner Bildung nebſt der treu - herzigen Freundlichkeit in ſeinen be - deutenden Blicken und umſtändlichen Gebehrden gab ihm dennoch eine gewiſſe altväteriſche Zierlichkeit. Er neigte ſich gegen die untergehende Sonne, ließ ſich langſam auf ein Knie nieder und ſchien mit großer Inbrunſt zu beten, die rechte Hand aufs Herz, die linke an der Stirn. 44Der Jüngling, der zuvor ſo ſchnell war, lag nun ganz ruhig am Ab - hange und ſonnte ſich in den letzten Strahlen; dann ſprang er auf, ent - kleidete ſich, ſtürzte in den Strom und ſpielte mit den Wellen, tauchte unter, kam wieder hervor und warf ſich von neuem in die Fluth. Fern - ab im Dunkel des Hains ſchwebte etwas in Griechiſchem Gewande wie eine Geſtalt: aber wenn es eine iſt, dachte ich, ſo kann ſie kaum der Erde angehören; ſo matt waren die Farben, ſo eingehüllt das Ganze in heiligen Nebel. Da ich länger und genauer hinſah, zeigte ſich's, daß es auch ein Jüngling ſey, aber von ganz entgegengeſetzter Art. Haupt und Arme lehnte die hohe Geſtalt45 an eine Urne; ſeine ernſten Blicke ſchienen bald ein verlohrnes Gut auf dem Boden zu ſuchen, bald die blaſſen Sterne, die ſchon zu ſchim - mern begannen, etwas zu fragen; ein Seufzer öffnete die Lippen, um die ein ſanftes Lächeln ſchwebte.

Jener erſte ſinnliche Jüngling war unterdeſſen der einſamen Leibes - übungen überdrüſſig geworden und eilte mit leichten Schritten gerade auf uns zu. Er war nun ganz bekleidet, faſt wie ein Schäfer, aber ſehr bunt und ſonderbar. Er hätte ſo auf einer Maskerade erſcheinen können, auch ſpielten die Finger ſeiner Lin - ken mit den Fäden, an denen eine Maske hing. Man hätte den fan - taſtiſchen Knaben eben ſo gut für46 ein muthwilliges Mädchen halten mögen, das ſich aus Laune verklei - det. Bisher ging er in gerader Richtung, aber plötzlich wurde er unſicher; er ging erſt auf die eine Seite, dann eilte er zurück nach der andern und lachte dabey über ſich ſelbſt. » Der junge Menſch weiß » nicht, ob er ſich zur Frechheit oder » zur Delikateſſe halten ſoll, « ſagte mein Begleiter. Ich ſah zur Linken eine Geſellſchaft ſchöner Frauen und Mädchen; zur Rechten ſtand eine große allein, und da ich hinſehen wollte nach der gewaltigen Form, begegnete ihr Blick dem meinen ſo ſcharf und kühn, daß ich die Augen niederſchlug. Mitten unter den Da - men war ein junger Mann, den ich47 ſogleich für einen Bruder der an - dern Romane erkannte. Einer von denen wie man ſie gegenwärtig ſieht, aber viel gebildeter; ſeine Geſtalt und ſein Geſicht war nicht ſchön, aber fein, ſehr verſtändig und äuſ - ſerſt anziehend. Man hätte ihn eben ſo gut für einen Franzoſen wie für einen Deutſchen halten können; ſeine Kleidung und ſeine ganze Art war einfach, aber ſorgfältig und völlig modern. Er unterhielt die Geſell - ſchaft und ſchien ſich für alle lebhaft zu intereſſiren. Die Mädchen waren ſehr beweglich um die vornehmſte Dame und ſchwatzten viel unter einander. » Ich habe doch noch mehr » Gemüth wie du, liebe Sittlichkeit! » ſagte die eine; aber ich heiße auch48 » Seele und zwar die ſchöne. « Die Sittlichkeit wurde etwas blaß und die Thränen ſchienen ihr nahe zu ſeyn. » Ich war doch geſtern ſo tu - » gendhaft, ſagte ſie, und mache im - » mer größere Fortſchritte in der An - » ſtrengung. Ich habe genug an » meinen eignen Vorwürfen, warum » muß ich noch welche von dir - » ren? « Eine andre, die Beſchei - denheit, war neidiſch auf die welche ſich die ſchöne Seele nannte und ſprach: » Ich bin böſe mit dir, du » willſt mich[nur] als Mittel brau - » chen. « Die Decenz, da ſie die arme öffentliche Meinung ſo hülf - los auf dem Rücken liegen ſah, ver - goß drittehalb Thränen und gebehr - dete ſich dann auf eine intereſſanteWeiſe,49Weiſe, das Auge zu trocknen, wel - ches aber gar nicht mehr naß war. » Wundre dich nicht über dieſe Of - » fenheit, ſagte der Witz; ſie iſt we - » der gewöhnlich noch willkührlich. » Die allmächtige Fantaſie hat dieſe » weſenloſen Schatten mit ihrem Zau - » berſtabe berührt, damit ſie ihr In - » neres offenbaren. Du wirſt gleich » noch mehr hören. Aber die Frech - » heit redet von freyen Stücken ſo. «

» Der junge Schwärmer da, ſagte » die Delikateſſe, ſoll mich recht amü - » ſiren; der wird immer ſchöne Verſe » auf mich machen. Ich werde ihn » in der Ferne halten wie den Ritter. » Der Ritter iſt freylich ſchön, wenn » er nur nicht ſo ernſthaft und feyer - » lich ausſähe. Der klügſte vonLucinde I. D50» allen iſt wohl der Elegant, der jetzt » mit der Beſcheidenheit ſpricht; ich » glaube, er perſifflirt ſie. Wenig - » ſtens hat er über die Sittlichkeit » und ihr fades Geſicht viel hübſches » geſagt. Er hat doch mit mir am » meiſten geſprochen, und könnte mich » wohl einmal verführen, wenn ich » mich nicht anders beſinne, oder » wenn keiner erſcheint, der noch mehr » nach der Mode iſt. « Der Ritter hatte ſich der Geſellſchaft nun auch genähert; die linke Hand ſtützte ſich auf den Griff des großen Schwerdtes, und mit der rechten bot er den An - weſenden höflichen Gruß. » Ihr » ſeyd doch alle gewöhnlich und ich » habe Langeweile, « ſagte der mo - derne Mann, gähnte und ging fort. 51Ich ſah nunmehr, daß die Frauen, die ich beym erſten Blick für ſchön gehalten hatte, eigentlich nur blü - hend und artig übrigens aber un - bedeutend waren. Sah man genau zu, ſo fanden ſich ſogar gemeine Züge und Spuren von Verderbt - heit. Die Frechheit ſchien mir nun weniger hart, ich konnte ſie dreiſt anſehen und mußte es mir mit Ver - wunderung geſtehn, daß ihre Bil - dung groß und edel ſey. Sie ging haſtig auf die ſchöne Seele zu und griff ihr gerade ins Geſicht. » Das » iſt nur eine Maske, ſagte ſie; » du biſt nicht die ſchöne Seele, ſon - » dern höchſtens die Zierlichkeit, » oft auch die Coquetterie. « Dann wandte ſie ſich zum Witz mit denD 252Worten: » Wenn du die gemacht » haſt, die man jetzt Romane nennt, » ſo hätteſt du deine Zeit auch beſſer » anwenden können. Kaum hie und » da finde ich in den beſten etwas » von der leichten Poeſie des flüchti - » gen Lebens: aber wohin iſt ſie ent - » flohen, die kühne Muſik des liebe - » raſenden Herzens, ſie die alles mit » ſich fortreißt, ſo daß der Wildeſte » zärtliche Thränen vergießt und die » ewigen Felſen ſelber tanzen? Kei - » ner iſt ſo albern und keiner ſo nüch - » tern, der nicht von Liebe ſchwatzt: » aber wer ſie noch kennt, hat kein » Herz und keinen Glauben, ſie aus - » zuſprechen. « Der Witz lachte, der himmliſche Jüngling winkte Beyfall aus der Ferne, und ſie fuhr fort:53 » Wenn die, welche unvermögend am » Geiſt ſind, Kinder mit ihm zeugen » wollen; wenn die, welche es gar » nicht verſtehn, zu leben wagen: das » iſt höchſt unanſtändig, denn es iſt » höchſt unnatürlich und höchſt un - » ſchicklich. Aber daß der Wein » ſchäumt und der Blitz zündet, iſt » ganz richtig und ganz ſchicklich. « Der leichtfertige Roman hatte nun gewählt; er war bey dieſen Worten ſchon um die Frechheit und ſchien ihr ganz ergeben. Sie eilte Arm in Arm mit ihm davon und ſagte nur im Vorbeygehn zu dem Ritter: » Wir ſehn uns wieder. « » Das » waren nur äußerliche Erſcheinungen, » ſprach mein Beſchützer, und du wirſt » gleich das Innere in dir ſchauen. 54» Übrigens bin ich eine wahre Perſon » und der wahre Witz; das ſchwöre » ich dir bey mir ſelber, ohne den Arm » in die Unendlichkeit auszuſtrecken. « Alles verſchwand nun, und auch der Witz wuchs und dehnte ſich, bis er nicht mehr war. Nicht mehr vor und außer mir, wohl aber in mir glaubte ich ihn wieder zu finden; ein Stück meines Selbſt und doch verſchieden von mir, in ſich leben - dig und ſelbſtſtändig. Ein neuer Sinn ſchien mir aufgethan; ich ent - deckte in mir eine reine Maſſe von mildem Licht. Ich kehrte in mich ſelbſt zurück und in den neuen Sinn, deſſen Wunder ich ſchaute. Er ſah ſo klar und beſtimmt, wie ein gei - ſtiges nach Innen gerichtetes Auge:55 dabey waren aber ſeine Wahrneh - mungen innig und leiſe wie die des Gehörs, und ſo unmittelbar wie die des Gefühls. Ich erkannte bald die Scene der äußern Welt wieder, aber reiner und verklärt, oben den blauen Mantel des Himmels, unten den grünen Teppich der reichen Erde, die bald von fröhlichen Geſtalten wimmelte. Denn was ich nur im Innerſten wünſchte, lebte und drängte ſich gleich hier, ehe ich ſelbſt den Wunſch noch deutlich gedacht hatte. Und ſo ſah ich denn bald bekannte und unbekannte liebe Geſtalten in wunderlichen Masken, wie ein großes Carneval der Luſt und Liebe. Innre Saturnalien, an ſeltſamer Mannich - faltigkeit und Zügelloſigkeit der56 großen Vorwelt nicht unwürdig. Aber nicht lange ſchwärmte das gei - ſtige Bacchanal durch einander, ſo zerriß dieſe ganze innre Welt wie durch einen elektriſchen Schlag und ich vernahm ich weiß nicht wie und woher die geflügelten Worte: » Ver - » nichten und Schaffen, Eins und » Alles; und ſo ſchwebe der ewige » Geiſt ewig auf dem ewigen Welt - » ſtrome der Zeit und des Lebens » und nehme jede kühnere Welle wahr, » ehe ſie zerfließt. « Furchtbar ſchön und ſehr fremd tönte dieſe Stimme der Fantaſie, aber milder und mehr wie an mich gerichtet die folgenden Worte: » Die Zeit iſt da, das innre » Weſen der Gottheit kann offenbart » und dargeſtellt werden, alle My -57 » ſterien dürfen ſich enthüllen und die » Furcht ſoll aufhören. Weihe dich » ſelbſt ein und verkündige es, daß » die Natur allein ehrwürdig und » die Geſundheit allein liebenswürdig » iſt. « Bey den geheimnißvollen Worten, die Zeit iſt da, fiel wie eine Flocke von himmliſchem Feuer in meine Seele. Es brannte und zehrte in meinem Mark; es drängte und ſtürmte ſich zu äußern. Ich griff nach Waffen, um mich in das Kriegsgetümmel der Leidenſchaften, die mit Vorurtheilen wie mit Waf - fen wüthen, zu ſtürzen und für die Liebe und die Wahrheit zu kämpfen: aber es waren keine Waffen da. Ich öffnete den Mund, um ſie in Geſang zu verkündigen, und ich58 dachte, alle Weſen müßten ihn ver - nehmen und die ganze Welt ſollte harmoniſch wiederklingen: aber ich beſann mich, daß meine Lippen die Kunſt nicht gelernt hätten, die Ge - ſänge des Geiſtes nachzubilden. » Du mußt das unſterbliche Feuer » nicht rein und roh mittheilen wol - » len, « ſprach die bekannte Stimme meines freundlichen Begleiters. » Bil - » de, erfinde, verwandle und erhalte » die Welt und ihre ewigen Geſtalten » im ſteten Wechſel neuer Trennun - » gen und Vermählungen. Verhülle » und binde den Geiſt im Buchſta - » ben. Der ächte Buchſtabe iſt all - » mächtig und der eigentliche Zauber - » ſtab. Er iſt es, mit dem die un - » widerſtehliche Willkühr der hohen59 » Zauberin Fantaſie das erhabene » Chaos der vollen Natur berührt, » und das unendliche Wort ans Licht » ruft, welches ein Ebenbild und » Spiegel des göttlichen Geiſtes iſt, » und welches die Sterblichen Uni - » verſum nennen. «

Wie die weibliche Kleidung vor der männlichen, ſo hat auch der weibliche Geiſt vor dem männlichen den Vorzug, daß man ſich da durch eine einzige kühne Combination über alle Vorurtheile der Cultur und bür - gerlichen Conventionen wegſetzen und mit einemmale mitten im Stande der Unſchuld und im Schooß der Natur befinden kann.

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An wen ſollte alſo wohl die Rhe - torik der Liebe ihre Apologie der Natur und der Unſchuld richten als an alle Frauen, in deren zarten Herzen das heilige Feuer der gött - lichen Wolluſt tief verſchloſſen ruht, und nie ganz verlöſchen kann, wenn es auch noch ſo ſehr verwahrloſt und verunreinigt wird? Nächſtdem frey - lich auch an die Jünglinge, und an die Männer die noch Jünglinge ge - blieben ſind. Bey dieſen iſt aber ſchon ein großer Unterſchied zu ma - chen. Man könnte alle Jünglinge eintheilen in ſolche, die das haben, was Diderot die Empfindung des Fleiſches nennt, und in ſolche die es nicht haben. Eine ſeltne Gabe! Viele Maler von Talent und Ein -61 ſicht ſtreben ihr ganzes Leben um - ſonſt danach, und viele Virtuoſen der Männlichkeit vollenden ihre Lauf - bahn, ohne eine Ahndung davon gehabt zu haben. Auf dem gemei - nen Wege kommt man nicht dahin. Ein Libertin mag verſtehen mit ei - ner Art von Geſchmack den Gürtel zu löſen. Aber jenen höhern Kunſt - ſinn der Wolluſt, durch den die männliche Kraft erſt zur Schönheit gebildet wird, lehrt nur die Liebe allein den Jüngling. Es iſt Elek - trizität des Gefühls, dabey aber im Innern ein ſtilles leiſes Lauſchen, im Äußern eine gewiſſe klare Durch - ſichtigkeit, wie in den hellen Stellen der Malerey, die ein reizbares Auge ſo deutlich fühlt. Es iſt eine wun -62 derbare Miſchung und Harmonie aller Sinne: ſo giebt es auch in der Muſik ganz kunſtloſe, reine, tiefe Accente, die das Ohr nicht zu - ren, ſondern wirklich zu trinken ſcheint, wenn das Gemüth nach Liebe durſtet. Übrigens aber möchte ſich die Empfindung des Fleiſches nicht weiter definiren laſſen. Das iſt auch unnöthig. Genug ſie iſt für Jüng - linge der erſte Grad der Liebeskunſt und eine angeborne Gabe der Frauen, durch deren Gunſt und Huld allein ſie jenen mitgetheilt, und angebildet werden kann. Mit den Unglückli - chen, die ſie nicht kennen, muß man nicht von Liebe reden: denn von Natur iſt in dem Manne zwar ein Bedürfniß aber kein Vorgefühl der -63 ſelben. Der zweyte Grad hat ſchon etwas Myſtiſches, und könnte leicht vernunftwidrig ſcheinen wie jedes Ideal. Ein Mann der das innere Verlangen ſeiner Geliebten nicht ganz füllen und befriedigen kann, verſteht es gar nicht zu ſeyn, was er doch iſt und ſeyn ſoll. Er iſt eigentlich unvermögend, und kann keine gül - tige Ehe ſchließen. Zwar verſchwin - det auch die höchſte endliche Größe vor dem Unendlichen, und durch bloße Kraft läßt ſich alſo das Pro - blem auch bey dem beſten Willen nicht auflöſen. Aber wer Fantaſie hat, kann auch Fantaſie mittheilen, und wo die iſt, entbehren die Lie - benden gern, um zu verſchwenden; ihr Weg geht nach Innen, ihr Ziel64 iſt intenſive Unendlichkeit, Unzertrenn - lichkeit ohne Zahl und Maaß; und eigentlich brauchen ſie nie zu ent - behren, weil jener Zauber alles zu erſetzen vermag. Aber ſtill von die - ſen Geheimniſſen! Der dritte und höchſte Grad iſt das bleibende Ge - fühl von harmoniſcher Wärme. Wel - cher Jüngling das hat, der liebt nicht mehr bloß wie ein Mann, ſondern zugleich auch wie ein Weib. In ihm iſt die Menſchheit vollendet, und er hat den Gipfel des Lebens erſtiegen. Denn gewiß iſt es, daß Männer von Natur bloß heiß oder kalt ſind: zur Wärme müſſen ſie erſt gebildet werden. Aber die Frauen ſind von Natur ſinnlich und geiſtig warm und haben Sinn für Wärme jeder Art.

Wenn65

Wenn dieſes tolle kleine Buch einmal gefunden, vielleicht gedruckt, und gar geleſen wird, ſo muß es auf alle glücklichen Jünglinge un - gefähr den gleichen Eindruck machen. Nur verſchieden nach den verſchiede - nen Stufen ihrer Ausbildung. De - nen vom erſten Grad wird es die Empfindung des Fleiſches erregen; die vom zweyten kann es ganz be - friedigen; und denen vom dritten ſoll bloß warm dabey werden.

Ganz anders würde es mit den Frauen ſeyn. Unter ihnen giebt es keine Ungeweihten; denn jede hat die Liebe ſchon ganz in ſich, von deren unerſchöpflichem Weſen wir Jünglinge nur immer ein wenig mehr lernen und begreifen. SchonLucinde I. E66entfaltet, oder noch im Keime, das iſt gleich viel. Auch das Mädchen weiß in ihrer naiven Unwiſſenheit doch ſchon alles, noch ehe der Blitz der Liebe in ihrem zarten Schooß gezündet, und die verſchloßne Knoſpe zum vollen Blumenkelch der Luſt entfaltet hat. Und wenn eine Knoſpe Gefühl hätte, würde nicht das Vorge - fühl der Blume deutlicher in ihr ſeyn, als das Bewußtſeyn ihrer ſelbſt?

Darum giebt es in der weibli - chen Liebe keine Grade und Stufen der Bildung, überhaupt nichts all - gemeines; ſondern ſo viel Indivi - duen, ſo viel eigenthümliche Arten. Kein Linné kann uns alle dieſe ſchö - nen Gewächſe und Pflanzen im großen Garten des Lebens klaſſifiziren67 und verderben; und nur der einge - weihte Liebling der Götter verſteht ihre wunderbare Botanik; die gött - liche Kunſt, ihre verhüllten Kräfte und Schönheiten zu errathen und zu erkennen, wann die Zeit ihrer Blüthe ſey und welches Erdreich ſie bedürfen. Da wo der Anfang der Welt oder doch der Anfang der Menſchen iſt, da iſt auch der eigentliche Mittelpunkt der Origina - lität, und kein Weiſer hat die Weib - lichkeit ergründet.

Eines zwar ſcheint die Frauen in zwey große Klaſſen zu theilen. Das nämlich, ob ſie die Sinne ach - ten und ehren, die Natur, ſich ſelbſt und die Männlichkeit: oder ob ſie dieſe wahre innere Unſchuld verlorenE 268haben, und jeden Genuß mit Reue erkaufen, bis zur bittern Gefühllo - ſigkeit gegen innere Misbilligung. Das iſt ja die Geſchichte ſo vieler. Erſt ſcheuen ſie die Männer, dann werden ſie Unwürdigen hingegeben, welche ſie bald haſſen oder betrügen, bis ſie ſich ſelbſt und die weibliche Beſtimmung verachten. Ihre kleine Erfahrung halten ſie für allgemein und alles andre für lächerlich; der enge Kreis von Rohheit und Gemein - heit, in dem ſie ſich beſtändig drehen, iſt für ſie die ganze Welt, und es fällt ihnen gar nicht ein, daß es auch noch andre Welten geben könne. Für dieſe ſind die Männer nicht Men - ſchen, ſondern bloß Männer, eine eigne Gattung, die fatal aber doch69 gegen die Langeweile unentbehrlich iſt. Sie ſelbſt ſind denn auch eine bloße Sorte, eine wie die andre, ohne Originalität und ohne Liebe.

Aber ſind ſie unheilbar weil ſie ungeheilt ſind? Mir iſt es ſo ein - leuchtend und klar, daß nichts un - natürlicher für eine Frau ſey, als Prüderie (ein Laſter an das ich nie ohne eine gewiſſe innerliche Wuth denken kann) und nichts beſchwer - licher als Unnatürlichkeit, daß ich keine Gränze beſtimmen, und keine für unheilbar halten möchte. Ich glaube ihre Unnatur kann nie zu - verläßig werden, wenn ſie auch noch ſo viel Leichtigkeit und Unbefangen - heit darin erlangt haben, bis zu einem Schein von Conſequenz und70 Charakter. Es bleibt doch nur Schein; das Feuer der Liebe iſt durchaus unverlöſchlich, und noch unter der tiefſten Aſche glühen Funken.

Dieſe heilige Funken zu wecken, von der Aſche der Vorurtheile zu reinigen, und wo die Flamme ſchon lauter brennt, ſie mit beſcheidenem Opfer zu nähren; das wäre das höchſte Ziel meines männlichen Ehr - geizes. Laß mich's bekennen, ich liebe nicht dich allein, ich liebe die Weiblichkeit ſelbſt. Ich liebe ſie nicht bloß, ich bete ſie an, weil ich die Menſchheit anbete, und weil die Blume der Gipfel der Pflanze und ihrer natürlichen Schönheit und Bil - dung iſt.

71

Es iſt die älteſte kindlichſte ein - fachſte Religion, zu der ich zurück - gekehrt bin. Ich verehre als vor - züglichſtes Sinnbild der Gottheit das Feuer; und wo giebts ein ſchöneres, als das was die Natur tief in die weiche Bruſt der Frauen verſchloß? Weihe du mich zum Prieſter, nicht um es müßig zu beſchauen, ſondern um es zu befreyen, zu wecken, und zu reinigen: wo es rein iſt, erhält es ſich ſelber, ohne Wache und ohne Veſtalinnen.

Ich ſchreibe und ſchwärme, wie du ſiehſt, nicht ohne Salbung; aber es geſchieht auch nicht ohne Beruf, und zwar göttlichen Beruf. Was darf ſich der nicht zutrauen, zu dem der Witz ſelbſt durch eine Stimme72 vom geöffneten Himmel herab ſprach: » Du biſt mein lieber Sohn an dem » ich Wohlgefallen habe. « Und warum ſoll ich nicht aus eigner Vollmacht und Willkühr von mir ſagen: » Ich bin des Witzes lieber » Sohn; « wie mancher Edle, der auf Abentheuer durch's Leben wan - derte, von ſich ſagte: » Ich bin des » Glückes lieber Sohn. «

Übrigens wollte ich eigentlich davon reden, welchen Eindruck die - ſer fantaſtiſche Roman auf die Frauen machen würde, wenn der Zufall oder die Willkühr ihn fände und öffentlich aufſtellte. Es wäre auch in der That unſchicklich, wenn ich dir nicht in aller Kürze mit einigen kleinen Beweiſen von Weiſſagung73 und Divination aufwartete, um mein Recht auf die Prieſterwürde dar - zuthun.

Verſtehen würden mich alle, keine ſo mißverſtehen und ſo mißbrauchen wie die uneingeweihten Jünglinge. Viele würden mich beſſer verſtehen als ich ſelbſt, aber nur Eine ganz, und die biſt du. Alle übrigen hoffe ich wechſelsweiſe anzuziehen und abzuſtoßen, oft zu verletzen und eben ſo oft zu verſöhnen. Bey je - der gebildeten wird der Eindruck ganz verſchieden, und ganz eigen ſeyn; ſo eigen und ſo verſchieden wie ihre eigenthümliche Art zu ſeyn, und zu lieben. Clementinen wird das Ganze bloß intereſſiren als eine Sonderbarkeit, hinter der aber doch74 wohl etwas ſeyn könnte; einiges in - deſſen wird ſie richtig finden. Man nennt ſie hart und heftig, und doch glaube ich an ihre Liebenswürdig - keit. Ihre Heftigkeit verſöhnt mich mit ihrer Härte, obgleich beyde ſich dem äußern Anſchein nach vermeh - ren. Wäre die Härte allein, ſo müßte ſie Kälte und Mangel an Herz ſcheinen; die Heftigkeit zeigt, daß heiliges Feuer da iſt, was durch - brechen will. Du kannſt leicht den - ken wie ſie einem mitſpielen würde, den ſie im Ernſt liebte. Die weiche und verletzbare Roſamunde wird ſich eben ſo oft anneigen als wegwen - den, bis » ſcheue Zartheit kühner » wird und nichts als Unſchuld ſieht » in inn'ger Liebe Thun. « Juliane75 hat eben ſo viel Poeſie als Liebe, eben ſo viel Enthuſiasmus als Witz: aber beydes iſt zu iſolirt in ihr, da - rum wird ſie bisweilen über das kühne Chaos weiblich erſchrecken, und dem Ganzen etwas mehr Poeſie und etwas weniger Liebe wünſchen.

Ich könnte ſo noch lange fort - fahren, denn ich ſtrebe aus allen Kräften nach Menſchenkenntniß, und ich weiß meine Einſamkeit oft nicht würdiger anzuwenden, als indem ich darüber reflektire, wie dieſe oder jene intereſſante Frau in dieſem oder jenem intereſſanten Verhältniſſe wohl ſeyn und ſich verhalten dürfte. Doch genug für jetzt, ſonſt möchte es dir zu viel werden, und die Vielſeitig - keit deinem Propheten übel gerathen.

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Denke nur nicht ſo arg von mir und glaube, daß ich nicht allein für dich ſondern für die Mitwelt dichte. Glaube mir, es iſt mir bloß um die Objektivität meiner Liebe zu thun. Dieſe Objektivität und jede Anlage zu ihr beſtätigt und bildet ja eben die Magie der Schrift, und weil es mir verſagt iſt, meine Flamme in Geſänge auszuhauchen, muß ich den ſtillen Zügen das ſchöne Ge - heimniß vertrauen. Dabey denke ich aber eben ſo wenig an die ganze Mitwelt, als an die Nachwelt. Und muß es ja eine Welt ſeyn, an die ich denken ſoll: ſo ſey es am liebſten die Vorwelt. Die Liebe ſelbſt ſey ewig neu und ewig jung, aber ihre Sprache ſey frey und kühn,77 nach alter klaſſiſcher Sitte, nicht züch - tiger wie die römiſche Elegie und die Edelſten der größten Nazion, und nicht vernünftiger wie der große Plato und die heilige Sappho.

Idylle über den Müſſiggang.

» Sieh ich lernte von ſelbſt, und » ein Gott hat mancherley Weiſen » mir in die Seele gepflanzt. « So darf ich kühnlich ſagen, wenn nicht von der fröhlichen Wiſſenſchaft der Poeſie die Rede iſt, ſondern von der gottähnlichen Kunſt der Faul - heit. Mit wem ſollte ich alſo lie - ber über den Müſſiggang denken und reden als mit mir ſelbſt? Und ſo ſprach ich denn auch in jener un - ſterblichen Stunde, da mir der Genius78 eingab, das hohe Evangelium der ächten Luſt und Liebe zu verkündi - gen, zu mir ſelbſt: » O Müſſig - » gang, Müſſiggang! du biſt die Le - » bensluft der Unſchuld und der Be - » geiſterung; dich athmen die See - » ligen, und ſeelig iſt wer dich hat » und hegt, du heiliges Kleinod! ein - » ziges Fragment von Gottähnlich - » keit, das uns noch aus dem Pa - » radieſe blieb. « Ich ſaß, da ich ſo in mir ſprach, wie ein nachdenkli - ches Mädchen in einer gedankenloſen Romanze am Bach, ſah den fliehen - den Wellen nach. Aber die Wellen flohen und floßen ſo gelaſſen, ruhig und ſentimental, als ſollte ſich ein Narciſſus in der klaren Fläche be - ſpiegeln und ſich in ſchönen79 Egoiſmus berauſchen. Auch mich hätte ſie locken können, mich immer tiefer in die innere Perſpektive mei - nes Geiſtes zu verlieren, wenn nicht meine Natur ſo uneigennützig und ſo praktiſch wäre, daß ſogar meine Spekulazion unaufhörlich nur um das allgemeine Gute beſorgt iſt. Daher dachte ich auch, ungeachtet mein Gemüth in ſeiner Behaglichkeit ſo matt war, wie die von der ge - waltigen Hitze aufgelöſten und hin - geſunknen Glieder, ernſtlich über die Möglichkeit einer dauernden Umar - mung nach. Ich ſann auf Mittel das Beyſammenſeyn zu verlängern, und künftig lieber alle kindlich rüh - renden Elegieen über plötzliche Tren - nung zu verhüten, als uns wie bis -80 her an dem Komiſchen einer ſolchen Fügung des Schickſals zu ergötzen, weil es nun doch einmal geſchehen und unabänderlich ſey. Erſt nach - dem die Kraft der angeſpannten Vernunft an der Unerreichbarkeit des Ideals brach und erſchlaffte, über - ließ ich mich dem Strome der Ge - danken, und hörte willig alle die bunten Mährchen an, mit denen Begierde und Einbildung, unwider - ſtehliche Sirenen in meiner eignen Bruſt, meine Sinne bezauberten. Es fiel mir nicht ein das verführeriſche Gaukelſpiel unedel zu kritiſiren, un - geachtet ich wohl wußte, daß das meiſte nur ſchöne Lüge ſey. Die zarte Muſik der Fantaſie ſchien die Lücken der Sehnſucht auszufüllen. Dank -81Dankbar nahm ich das wahr und beſchloß, was das hohe Glück mir diesmal gegeben, auch künftig durch eigne Erfindſamkeit für uns beide zu wiederholen, und dir dieſes Ge - dicht der Wahrheit zu beginnen. So erzeugte ſich der erſte Keim zu dem wunderſamen Gewächs von Willkühr und Liebe. Und frey wie es ent - ſproſſen iſt, dacht 'ich, ſoll es auch üppig wachſen und verwildern, und nie will ich aus niedriger Ordnungs - liebe und Sparſamkeit die lebendige Fülle von überflüſſigen Blättern und Ranken beſchneiden.

Gleich einem Weiſen des Orients war ich ganz verſunken in ein hei - liges Hinbrüten und ruhiges An - ſchauen der ewigen Subſtanzen, vor -Lucinde I. F82züglich der deinigen und der meini - gen. Größe in Ruhe, ſagen die Meiſter, ſey der höchſte Gegenſtand der bildenden Kunſt; und ohne es deutlich zu wollen, oder mich un - würdig zu bemühen, bildete und dichtete ich auch unſre ewigen Sub - ſtanzen in dieſem würdigen Styl. Ich erinnerte mich, und ich ſah uns, wie gelinder Schlaf die Umarmten mitten in der Umarmung umfing. Dann und wann öffnete einer die Augen, lächelte über den ſüßen Schlaf des andern und wurde wach genug um ein ſcherzendes Wort, eine Liebkoſung zu beginnen: aber noch ehe der angefangene Muth - wille geendigt war, ſanken wir beide feſt verſchlungen in den ſeeligen83 Schooß einer halbbeſonnenen Selbſt - vergeſſenheit zurück.

Mit dem äußerſten Unwillen dachte ich nun an die ſchlechten Menſchen, welche den Schlaf vom Leben ſubtrahiren wollen. Sie ha - ben wahrſcheinlich nie geſchlafen, und auch nie gelebt. Warum ſind denn die Götter Götter, als weil ſie mit Bewußtſeyn und Abſicht nichts thun, weil ſie das verſtehen und Meiſter darin ſind? Und wie ſtreben die Dichter, die Weiſen und Heiligen auch darin den Göttern ähnlich zu werden! Wie wetteifern ſie im Lobe der Einſamkeit, der Muße, und ei - ner liberalen Sorgloſigkeit und Un - thätigkeit! Und mit großem Recht: denn alles Gute und Schöne iſtF 284ſchon da und erhält ſich durch ſeine eigne Kraft. Was ſoll alſo das un - bedingte Streben und Fortſchreiten ohne Stillſtand und Mittelpunkt? Kann dieſer Sturm und Drang der unendlichen Pflanze der Menſchheit, die im Stillen von ſelbſt wächſt und ſich bildet, nährenden Saft oder ſchöne Geſtaltung geben? Nichts iſt es, dieſes leere unruhige Treiben, als eine nordiſche Unart und wirkt auch nichts als Langeweile, fremde und eigne. Und womit beginnt und endigt es als mit der Antipathie ge - gen die Welt, die jetzt ſo gemein iſt? Der unerfahrne Eigendünkel ahndet gar nicht daß dies nur Man - gel an Sinn und Verſtand ſey und hält es für hohen Unmuth über die85 allgemeine Häßlichkeit der Welt und des Lebens, von denen er doch noch nicht einmal das leiſeſte Vorgefühl hat. Er kann es nicht haben, denn der Fleiß und der Nutzen ſind die To - desengel mit dem feurigen Schwerdt, welche dem Menſchen die Rückkehr ins Paradies verwehren. Nur mit Gelaſſenheit und Sanftmuth, in der heiligen Stille der ächten Paſſivität kann man ſich an ſein ganzes Ich erinnern, und die Welt und das Le - ben anſchauen. Wie geſchieht alles Denken und Dichten als daß man ſich der Einwirkung irgend eines Genius ganz überläßt und hingiebt? Und doch iſt das Sprechen und Bilden nur Nebenſache in allen Kün - ſten und Wiſſenſchaften, das Weſent -86 liche iſt das Denken und Dichten, und das iſt nur durch Paſſivität möglich. Freylich iſt es eine abſicht - liche, willkührliche, einſeitige, aber doch Paſſivität. Je ſchöner das Klima iſt, je paſſiver iſt man. Nur Italiäner wiſſen zu gehen, und nur die im Orient verſtehen zu liegen; wo hat ſich aber der Geiſt zarter und ſüßer gebildet als in Indien? Und unter allen Himmelsſtrichen iſt es das Recht des Müſſiggangs was Vornehme und Gemeine unterſchei - det, und das eigentliche Prinzip des Adels.

Endlich wo iſt mehr Genuß, und mehr Dauer, Kraft und Geiſt des Genuſſes; bey den Frauen, deren Verhältniß wir Paſſivität nennen,87 oder etwa bey den Männern, bey denen der Übergang von übereilen - der Wuth zur Langenweile ſchneller iſt, als der Übergang vom Guten zum Böſen?

In der That man ſollte das Studium des Müſſiggangs nicht ſo ſträflich vernachläſſigen, ſondern es zur Kunſt und Wiſſenſchaft, ja zur Religion bilden! Um alles in Eins zu faſſen: je göttlicher ein Menſch oder ein Werk des Menſchen iſt, je ähnlicher werden ſie der Pflanze; dieſe iſt unter allen Formen der Na - tur die ſittlichſte, und die ſchönſte. Und alſo wäre ja das höchſte vol - lendetſte Leben nichts als ein reines Vegetiren.

Ich nahm mir vor, mich zufrie -88 den im Genuß meines Daſeyns über alle doch endliche, und alſo verächt - liche Zwecke und Vorſätze zu erhe - ben. Die Natur ſelbſt ſchien mich in dieſem Unternehmen zu beſtärken, und mich gleichſam in vielſtimmigen Chorälen zum fernern Müſſiggang zu ermahnen, als ſich plötzlich eine neue Erſcheinung offenbarte. Ich glaubte unſichtbarerweiſe in einem Theater zu ſeyn: auf der einen Seite zeigten ſich die bekannten Bretter, Lampen, und bemalten Pappen; auf der andern ein unermeßliches Ge - dränge von Zuſchauern, ein wahres Meer von wißbegierigen Köpfen und theilnehmenden Augen. An der rech - ten Seite des Vorgrundes war ſtatt der Dekoration ein Prometheus ab -89 gebildet, der Menſchen verfertigte. Er war an einer langen Kette ge - feſſelt, und arbeitete mit der größten Haſt und Anſtrengung; auch ſtan - den einige ungeheure Geſellen da - neben, die ihn unaufhörlich antrie - ben und geiſſelten. Leim und an -[der] Materialien waren im Überfluß da; das Feuer nahm er aus einer großen Kohlenpfanne. Gegenüber zeigte ſich auch als ſtumme Figur der vergötterte Herkules wie er ab - gebildet wird mit der Hebe auf dem Schooß. Vorn auf der Bühne lie - fen und ſprachen eine Menge ju - gendlicher Geſtalten, die ſehr fröh - lich waren, und nicht bloß zum Schein lebten. Die jüngſten glichen Amorinen, die mehr erwachſenen90 den Bildern von Faunen: aber jeder hatte ſeine eigne Manier, eine auf - fallende Originalität des Geſichts, und alle hatten irgend eine Ähnlich - keit von dem Teufel der chriſtlichen Maler oder Dichter; man hätte ſie Satanisken nennen mögen. Einer der kleinſten ſagte: » Wer nicht ver - » achtet, der kann auch nicht achten; » beides kann man nur unendlich, » und der gute Ton beſteht darin, » daß man mit den Menſchen ſpielt. » Iſt alſo nicht eine gewiſſe äſtheti - » ſche Bosheit ein weſentliches Stück » der harmoniſchen Ausbildung? « » Nichts iſt toller, ſagte ein andrer, » als wenn die Moraliſten Euch » Vorwürfe über den Egoiſmus ma - » chen. Sie haben vollkommen Un -91 » recht: denn welcher Gott kann dem » Menſchen ehrwürdig ſeyn, der » nicht ſein eigner Gott iſt? Ihr irrt » freylich darin, daß Ihr ein Ich zu » haben glaubt; aber wenn ihr in - » deſſen euren Leib und Namen oder » eure Sachen dafür haltet, ſo wird » doch wenigſtens ein Logis bereitet, » wenn etwa ja noch ein Ich kom - » men ſollte. « » Und dieſen Pro - » metheus könnt ihr nur recht in Eh - » ren halten, ſagte einer der größten; » er hat euch alle gemacht, und macht » immer mehrere eures gleichen. « In der That warfen auch die Ge - ſellen jeden neuen Menſchen, ſo wie er fertig war, unter die Zuſchauer herab, wo man ihn ſogleich gar nicht mehr unterſcheiden konnte, ſo92 ähnlich waren ſie alle. » Er fehlt » nur in der Methode! « fuhr der Sataniskus fort: » Wie kann man » allein Menſchen bilden wollen? » Das ſind gar nicht die rechten » Werkzeuge. « Und dabey winkte er auf eine rohe Figur vom Gott der Gärten, die ganz im Hintergrunde der Bühne zwiſchen einem Amor und einer ſehr ſchönen unbekleideten Venus ſtand. » Darin dachte unſer » Freund Herkules richtiger, der funf - » zig Mädchen in einer Nacht für » das Heil der Menſchheit beſchäftigen » konnte, und zwar heroiſche. Er hat » auch gearbeitet und viel grimmige » Unthiere erwürgt, aber das Ziel » ſeiner Laufbahn war doch immer » ein edler Müſſiggang, und darum93 » iſt er auch in den Olymp gekom - » men. Nicht ſo dieſer Prometheus, » der Erfinder der Erziehung und Auf - » klärung. Von ihm habt ihr es, daß » ihr nie ruhig ſeyn könnt, und euch » immer ſo treibt; daher kommt es, » daß ihr, wenn ihr ſonſt gar nichts » zu thun habt, auf eine alberne » Weiſe ſogar nach Charakter ſtreben » müßt, oder euch einer den andern » beobachten und ergründen wollt. » Ein ſolches Beginnen iſt niederträch - » tig. Prometheus aber, weil er die » Menſchen zur Arbeit verführt hat, » ſo muß er nun auch arbeiten, er » mag wollen oder nicht. Er wird » noch Langeweile genug haben, und » nie von ſeinen Feſſeln frey werden. « Da dies die Zuſchauer hörten, brachen94 ſie in Thränen aus, und ſprangen auf die Bühne um ihren Vater der lebhafteſten Theilnahme zu verſichern; und ſo verſchwand die allegoriſche Komödie.

Treue und Scherz.

Du biſt doch allein Lucinde? Ich weiß nicht ... vielleicht ... ich glaube Bitte, Bitte! liebe Lu - cinde. Weißt du wohl wenn die kleine Wilhelmine, Bitte, Bitte! ſagt, und man thut's nicht gleich, ſo ſchreyt ſie's immer lauter und ernſt - hafter, bis ihr Wille geſchieht. Alſo das haſt du mir ſagen wollen, darum ſtürzeſt du ſo außer Athem ins Zimmer und haſt mich ſo er - ſchreckt? Sey nicht böſe, ſüßes95 Weib! o laß mich, mein Kind! du Schöne! mach mir keine Vorwürfe, gutes Mädchen! Nun wirſt du noch nicht bald ſagen: ſchließ die Thüren zu? So? ... Gleich will ich dir antworten. Nur erſt einen recht langen Kuß, und wieder einen, dann noch einige und viele andre mehr. O, du mußt mich nicht ſo küſſen wenn ich vernünftig bleiben ſoll. Das macht böſe Gedanken. Die verdienſt du. Kannſt du wirk - lich lachen, meine verdrießliche Dame? Wer hätte das denken ſollen! aber ich weiß wohl, du lachſt bloß weil du mich auslachen kannſt. Aus Luſt thuſt du es nicht. Denn wer ſah nur eben ſo ernſthaft aus wie ein römiſcher Senator? Recht ent -96 zückend hätteſt du ausſehen können, liebes Kind! mit deinen heiligen dunkeln Augen, mit deinen langen ſchwarzen Haaren im glänzenden Wiederſchein der Abendſonne, wenn du nicht da geſeſſen hätteſt, als ſäßeſt du zu Gericht. Bey Gott! du haſt mich ſo angeblickt, daß ich or - dentlich zurückfuhr. Ich hätte bald das wichtigſte vergeſſen, und bin ganz in Confuſion gerathen. Aber warum ſprichſt du denn gar nicht? Bin ich dir zuwider? Nun das iſt komiſch! du närriſcher Julius! wen läßt du zum Reden kommen? deine Zärtlichkeit fließt heute ja wie ein Platzregen. Wie dein Geſpräch in der Nacht. O das Halstuch laſſen Sie nur, mein Herr. Laſſen? Nichts97Nichts weniger als das. Was ſoll ſo ein elendes dummes Halstuch? Vorurtheile! Aus der Welt muß es. Wenn uns nur nicht jemand ſtört! Sieht ſie nicht ſchon wie - der aus, als ob ſie weinen wollte! Du biſt doch wohl? Warum ſchlägt dein Herz ſo unruhig? Komm laß mich's küſſen. Ja du ſagteſt vorhin von Thüren zuſchließen. Gut, aber ſo nicht, nicht hier. Geſchwind her - unter durch den Garten, nach dem Pavillon, wo die Blumen ſtehn. Komm! o laß mich nicht ſo lange warten. Wie Sie befehlen mein Herr! Ich weiß nicht, du biſt heute ſo ſonderbar. Wenn du an - fängſt zu moraliſiren, lieber Freund, ſo könnten wir eben ſo gut wiederLucinde I. G98zurückgehen. Lieber gebe ich dir noch einen Kuß und laufe voran. O fliehen Sie nicht ſo ſchnell Lucinde, die Moral wird Sie doch nicht ein - holen. Du wirſt fallen, Liebe! Ich habe dich nicht länger warten laſſen wollen. Nun ſind wir ja da. Und du biſt auch eilig. Und du ſehr gehorſam. Aber jetzt iſt nicht Zeit zu ſtreiten. Ruhig, ruhig! Siehſt du, hier kannſt du weichlich ruhn und wie es recht iſt. Nun wenn du diesmal nicht ... ſo haſt du gar keine Entſchuldigung. Wirſt du nicht wenigſtens erſt den Vorhang niederlaſſen? Du haſt Recht, die Beleuchtung wird ſo viel reizender. Wie ſchön glänzt dieſe weiße Hüf - te in dem rothen Schein! .... Warum99 ſo kalt, Lucinde? Lieber, ſetze die Hyacinthen weiter weg, der Geruch betäubt mich. Wie feſt und ſelbſt - ſtändig, wie glatt und fein! Das iſt harmoniſche Ausbildung. O nein, Julius! laß, ich bitte dich, ich will nicht. Darf ich nicht fühlen, ob du glühſt wie ich? O ſo laß mich doch die Schläge deines Herzens lau - ſchen, die Lippen in dem Schnee des Buſens kühlen! .... Kannſt du mich wegdrücken? Ich werde mich rächen. Umarme mich feſter, Kuß gegen Kuß; nein! nicht mehre einen ew - gen. Nimm meine Seele ganz und gieb mir deine! .... O ſchönes herrliches Zugleich! Sind wir nicht Kinder? Sprich doch! wie konn - teſt du nur erſt ſo gleichgültigG 2100und kalt ſeyn, und nachher wie du mich endlich feſter an dich zogſt, machteſt du in demſelben Augenblick ein Geſicht, als wenn dir etwas weh thäte, als ob es dir leid wäre, daß du meine Gluth erwiederteſt. Was iſt dir? du weinſt? Verbirg nicht dein Geſicht! Sieh mich an, Geliebte! O laß mich hier an dich liegen, ich kann dir nicht in die Augen ſehen. Es war recht ſchlecht von mir, Julius! Kannſt du mir verzeihen, du liebenswürdiger Mann! Wirſt du mich nicht verlaſſen? kannſt du mich noch lieben? Komm zu mir, mein ſüßes Weib! hier an mei - nem Herzen. Weißt du noch neu - lich, wie ſchön es war, wie du in meinen Armen weinteſt? wie leicht101 dir wurde? Aber ſprich nun auch, was iſt dir, Liebe? biſt du böſe auf mich? Auf mich bin ich böſe. Ich könnte mich ſchlagen ... Dir freylich wäre ganz Recht geſchehen; und wenn Sie ſich künftig wieder einmal ehemännlich betragen, mein Herr! ſo werde ich ſchon beſſer da - für ſorgen, daß Sie mich auch wie eine Ehefrau finden ſollen. Darauf kannſt du dich verlaſſen. Ich muß lachen, wie es mich überraſcht hat. Aber bilden Sie ſich nur nicht ein, mein Herr, daß du ſo unmenſchlich liebenswürdig biſt. Diesmal war es eigner Wille, daß ich meinen Vor - ſatz brach. Der erſte und der letzte Wille iſt immer der beſte. Da - für daß die Frauen meiſtens weniger102 ſagen, als ſie meinen, thun ſie bis - weilen mehr als ſie wollen. Das iſt nicht mehr als billig: der gute Wille verführt euch. Der gute Wille iſt etwas ſehr gutes, aber das iſt ſchlimm an ihm, daß er immer da iſt, auch wenn man ihn nicht will. Das iſt ein ſchöner Fehler. Aber ihr ſeyd voll von böſem Willen und verſtockt euch darin. O nein! wenn wir verſtockt ſcheinen, ſo iſts bloß weil wir nicht anders können und alſo nicht böſe. Wir können nicht, weil wir nicht recht wollen; es iſt alſo nicht böſer Wille, ſondern Man - gel an Willen. Und an wem liegt da wieder die Schuld als an euch, daß ihr uns nicht mittheilen wollt von eurem Überfluß, und den guten103 Willen allein behalten wollt? Übri - gens iſts ganz wider Willen geſche - hen, daß ich hier ſo in den Willen gerathen bin, und ich weiß ſelbſt nicht was wir damit wollen. In - deſſen iſts immer beſſer, wenn ich mein Müthchen an einigen Worten kühle, als wenn ich das ſchöne Por - cellan zerſchlüge. Bey dieſer Ge - legenheit habe ich mich doch von meinem erſten Erſtaunen über Ihr unerwartetes Pathos, Ihre vortref - liche Rede und Ihren rühmlichen Vorſatz etwas erholen können. In der That iſt dies einer der ſeltſam - ſten Streiche von denen, die Sie mir die Ehre verſchafft haben kennen zu lernen; und ſoviel ich mich er - innern kann, haben Sie ſchon ſeit104 einigen Wochen bey Tage nicht in ſo geſetzten und vollen Perioden ge - redet, wie in Ihrer gegenwärtigen Predigt. Iſt es Ihnen gefällig, Ihre Meinung in Proſa zu über - ſetzen? Haſt du den geſtrigen Abend und die intereſſante Geſell - ſchaft wirklich ſchon ganz vergeſſen? Freylich, das wußte ich nicht. Alſo darüber biſt du böſe, weil ich zu viel mit Amalien geſprochen habe? Sprechen Sie doch ſo viel Sie wollen und mit wem Sie wol - len. Aber artig ſollſt du mir be - gegnen, das will ich haben. Du ſprachſt ſo ſehr laut, der Fremde ſtand gleich daneben, ich war ängſt - lich und wußte mir nicht anders zu helfen. Als unartig zu ſeyn, weil105 du ungeſchickt warſt? Verzeih mir nur! Ich bekenne mich ſchuldig, du weißt wie verlegen ich mit dir in Geſellſchaft bin. Es thut mir leid in Gegenwart der Andern mit dir zu ſprechen. Wie ſchön weiß er ſich heraus zu reden! Laß mir ſo etwas nie hingehen, und ſey recht aufmerkſam und ſtrenge. Aber ſieh, was du nun gethan haſt! Iſt es nicht Entweihung? O nein! es iſt nicht möglich, es iſt mehr als das. Geſteh mir's nur, es war Eifer - ſucht. Den ganzen Abend hatteſt du mich unfreundlich vergeſſen. Ich wollte dir heute früh alles ſchreiben, aber ich habe es wieder zerriſſen. Und da ich eben kam? Verdroß mich deine gewaltige Eil. Könnteſt106 du mich lieben, wenn ich nicht ſo brennbar und elektriſch wäre? biſt du es nicht auch? haſt du unſre erſte Umarmung vergeſſen? In einem Augenblick iſt die Liebe da, ganz und ewig, oder gar nicht. Alles Göttliche und alles Schöne iſt ſchnell und leicht. Oder ſammelt die Freude ſich etwa ſo wie Geld und andre Materien durch ein conſequentes Be - tragen? Wie eine Muſik aus der Luſt, überraſcht uns das hohe Glück, erſcheint und verſchwindet. So biſt du mir erſchienen, du Theurer! Aber willſt du mir verſchwinden? Das ſollſt du nicht, ich ſage es dir. Ich will nicht. Ich will bey dir bleiben, überhaupt, und auch jetzt. Höre ich habe große Luſt107 einen langen Diſkurs über die Eifer - ſucht mit dir zu halten: aber eigent - lich ſollten wir erſt die beleidigten Götter verſöhnen. Lieber erſt den Diſkurs, und hernach die Götter. Du haſt Recht, wir ſind noch nicht würdig, und du fühlſt es lange nach, wann du geſtört und verſtimmt wurdeſt. Wie ſchön iſt es daß du ſo empfindlich biſt! Ich bin nicht empfindlicher wie du, nur anders. Nun ſo ſage mir: ich bin nicht eiferſüchtig; wie kommts, daß du eiferſüchtig biſt? Bin ich's denn ohne Urſache? Antworten Sie mir! Ich weiß ja nicht was du meinſt. Nun eiferſüchtig bin ich eigentlich nicht; aber ſage mir, was Ihr den ganzen Abend zuſammen108 geſprochen habt? Auf Amalien alſo? iſt das möglich? So eine Kin - derey! Von gar nichts habe ich mit ihr geſprochen, und darum war es amüſant. Und habe ich nicht eben ſo lange mit Antonio geſprochen, den ich doch eine Zeit her faſt alle Tage ſah? Ich ſoll alſo wohl glauben, du ſprichſt mit der koquet - ten Amalia wie mit dem ſtillen ernſt - haften Antonio? Nicht wahr, es iſt nichts wie klare reine Freundſchaft? O nein, das ſollſt du nicht glau - ben, und mußt es auch nicht glau - ben; ſo iſt es gar nicht. Wie kannſt du mir eine ſolche Albernheit zu - traun? denn etwas recht albernes iſt es, wenn ſo zwey Perſonen von verſchiedenem Geſchlecht ſich ein Ver -109 hältniß ausbilden und einbilden, wie reine Freundſchaft. Mit Amalien iſt es gar nichts, als daß ich ſie zum Scherz liebe. Ich möchte ſie gar nicht, wenn ſie nicht ein wenig koquett wäre. Gäbe es nur mehr ſolche in unſerm Cirkel! eigentlich muß man alle Frauen im Scherze lieben. Julius! ich glaube, du wirſt ganz närriſch. Nun verſteh mich wohl; nicht eigentlich alle, ſondern nur alle, die liebenswürdig ſind und die einem eben vorkommen. Das iſt alſo weiter nichts als was die Franzoſen Galanterie und Coquett nennen. Weiter nichts, außer daß ichs mir ſchön und witzig denke. Und dann müſſen die Menſchen wiſ - ſen, was ſie thun und was ſie110 wollen, und das iſt ſelten der Fall. Der feine Scherz verwandelt ſich in ihren Händen gleich wieder in gro - ben Ernſt. Dieſes im Scherz lie - ben iſt nur gar nicht ſcherzhaft zu - zuſehen. Daran iſt der Scherz unſchuldig; das iſt nichts wie die fatale Eiferſucht. Verzeih mir, Liebe! ich will nicht auffahren, aber ich begreife durchaus nicht wie man ei - ferſüchtig ſeyn kann: denn Beleidi - gungen finden ja nicht Statt unter Liebenden, ſo wenig wie Wohltha - ten. Alſo muß es Unſicherheit ſeyn, Mangel an Liebe und Untreue ge - gen ſich ſelbſt. Für mich iſt das Glück gewiß und die Liebe Eins mit der Treue. Freylich wie die Men - ſchen ſo lieben, iſt es etwas anders. 111Da liebt der Mann in der Frau nur die Gattung, die Frau im Mann nur den Grad ſeiner natür - lichen Qualitäten und ſeiner bürger - lichen Exiſtenz, und beyde in den Kindern nur ihr Machwerk und ihr Eigenthum. Da iſt die Treue ein Verdienſt und eine Tugend; und da iſt auch die Eiferſucht an ihrer Stelle. Denn darin fühlen ſie un - gemein richtig, daß ſie ſtillſchwei - gend glauben, es gäbe ihres Glei - chen viele, und einer ſey als Menſch ungefähr ſo viel werth wie der andre, und alle zuſammen nicht eben ſonderlich viel. Du hältſt alſo die Eiferſucht für nichts anders als leere Rohheit und Unbildung. Ja oder für Mißbildung und Verkehrtheit,112 was eben ſo arg, oder noch ärger iſt. Nach jenem Syſtem iſt es noch das beſte, wenn man mit Abſicht aus bloßer Gefälligkeit und Höflich - keit heirathet; und gewiß muß es für ſolche Subjekte eben ſo bequem als unterhaltend ſeyn, im Verhält - niß der Wechſelverachtung neben einander weg zu leben. Beſonders die Frauen können eine ordentliche Paſſion für die Ehe bekommen; und wenn eine ſolche erſt Geſchmack da - ran findet, ſo geſchieht es leicht, daß ſie ein halbes Dutzend nach einan - der heirathet, geiſtig oder leiblich; wo es denn nie an Gelegenheit ge - bricht, mit Abwechſelung delikat zu ſeyn und viel von der Freundſchaft zu reden. Du haſt ſchon vorhinſo113ſo geſprochen als hielteſt du uns zur Freundſchaft unfähig. Iſt das wirk - lich deine Meinung? Ja! aber die Unfähigkeit, glaube ich, liegt mehr in der Freundſchaft als in euch. Ihr liebt alles was ihr liebt ganz, wie den Geliebten und das Kind. Dieſen Charakter würde ſelbſt ein ſchweſterliches Verhältniß bey euch annehmen. Darin haſt du Recht. Die Freundſchaft iſt für euch zu vielſeitig und zu einſeitig. Sie muß ganz geiſtig ſeyn und durchaus be - ſtimmte Gränzen haben. Dieſe Ab - ſonderung würde euer Weſen nur auf eine feinere Art eben ſo vollkom - men zerſtören wie bloße Sinnlichkeit ohne Liebe. Für die Geſellſchaft aber iſt ſie zu ernſt, zu tief und zuLucinde I. H114heilig. Können denn Menſchen nicht mit einander reden, ohne da - nach zu fragen, ob ſie Männer oder Frauen ſind? Das dürfte ſehr ernſthaft ausfallen. Aufs höchſte möchte es einen intereſſanten Klubb geben. Du verſtehſt was ich meine. Es wäre ſchon viel, wenn man da frey und witzig reden dürfte, und weder zu wild noch zu ſteif wäre. Das Feinſte und das Beſte würde immer fehlen, was überall, wo ſich ein bischen gute Geſellſchaft zeigt, Geiſt und Seele davon iſt. Und das iſt der Scherz mit der Liebe und die Liebe zum Scherz, der ohne den Sinn für jenen zum Spaß her - abſinkt. Aus dieſem Grunde nehme ich auch die Zweydeutigkeiten in115 Schutz. Thuſt du das im Scherz oder zum Spaß? Nein, nein! ich thue es im vollen Ernſt. Aber doch nicht ſo ernſthaft und ſo feyer - lich wie Paulline und ihr Liebha - ber? Gott behüte! ich glaube, die ließen die Betglocken anziehen, wenn ſie ſich umarmen, falls es nur ſchick - lich wäre. O! es iſt wahr, meine Freundin, der Menſch iſt von Na - tur eine ernſthafte Beſtie. Man muß dieſem ſchändlichen und leidigen Han - ge aus allen Kräften und von allen Seiten entgegenarbeiten. Dazu ſind die Zweydeutigkeiten auch gut, nur ſind ſie ſo ſelten zweydeutig, und wenn ſie es nicht ſind und nur ei - nen Sinn zulaſſen, das iſt eben nicht unſittlich, aber zudringlich undH 2116platt. Leichtfertige Geſpräche müſſen geiſtig und zierlich und beſcheiden ſeyn, ſo viel als möglich; übrigens aber ruchlos genug. Das iſt gut, aber was ſollen ſie grade in der Geſellſchaft? Sie ſollen das Ge - ſpräch friſch erhalten, wie das Salz an den Speiſen. Es frägt ſich gar nicht, warum man ſie ſagen ſoll, ſondern nur wie man ſie ſagen ſoll. Denn laſſen kann und darf mans doch nicht. Es wäre ja grob mit einem reizenden Mädchen ſo zu re - den, als ob ſie ein geſchlechtsloſes Amphibion wäre. Es iſt Pflicht und Schuldigkeit immer auf das anzu - ſpielen, was ſie iſt und ſeyn wird; und ſo unzart, ſteif und ſchuldig, wie die Geſellſchaft einmal beſteht,117 iſt es wirklich eine komiſche Situa - zion, ein unſchuldiges Mädchen zu ſeyn. Das erinnert mich an den berühmten Buffo der ſelbſt oft ſehr traurig war, während er alle zu lachen machte. Die Geſellſchaft iſt ein Chaos, das nur durch Witz zu bilden und in Harmonie zu bringen iſt; und wenn man nicht ſcherzt und tändelt mit den Elementen der Lei - denſchaft, ſo ballt ſie ſich in dicke Maſſen und verfinſtert alles. So mögen hier wohl Leidenſchaften in der Luft ſeyn: denn es iſt beynah finſter. Gewiß haben Sie Ihre Augen zugeſchloſſen, Dame meines Herzens! Sonſt würde eine allge - meine Klarheit unfehlbar das Zim - mer durchſtrahlen. Wer iſt wohl118 leidenſchaftlicher, Julius! ich oder du? Wir ſind's beide genug. Ohne das möchte ich nicht leben. Und ſieh! darum könnte ich mich mit der Eiferſucht ausſöhnen. Es iſt alles in der Liebe: Freundſchaft, ſchöner Umgang, Sinnlichkeit und auch Leidenſchaft; und es muß alles darin ſeyn, und eins das andre ver - ſtärken und lindern, beleben und er - höhen. Laß dich umarmen, du Treuer! Aber nur unter einer Bedingung kann ich dir die Eifer - ſucht erlauben[.]Ich habe oft ge - fühlt, daß eine kleine Doſis von ge - bildetem, verfeinertem Zorn einen Mann nicht übel kleidet. Vielleicht iſt's dir ſo mit der Eiferſucht. Getroffen! und alſo brauche ich ſie119 nicht ganz abzuſchwören. Wenn ſie ſich nur immer ſo ſchön und ſo witzig äußerte wie heute bey dir! Findeſt du das? Nun wenn du das nächſtemal ſchön und witzig auf - fährſt, werde ich dir's auch ſagen und dich loben. Sind wir nun nicht würdig, die beleidigten Götter zu verſöhnen? Ja, wenn dein Diskurs ganz zu Ende iſt, ſonſt ſage noch das übrige.

Lehrjahre der Männlichkeit.

Pharao zu ſpielen mit dem An - ſcheine der heftigſten Leidenſchaft und doch zerſtreut und abweſend zu ſeyn; in einem Augenblicke von Hitze alles zu wagen und ſobald es ver - loren war, ſich gleichgültig wegzu -120 wenden: das war nur eine von den ſchlimmen Gewohnheiten, unter de - nen Julius ſeine wilde Jugend ver - ſtürmte. Dieſe eine iſt genug, den Geiſt eines Lebens zu ſchildern, wel - ches in der Fülle der empörten Kräfte ſelbſt den unvermeidlichen Keim ei - nes frühen Verderbens enthielt. Eine Liebe ohne Gegenſtand brannte in ihm und zerrüttete ſein Innres. Bey dem geringſten Anlaß brachen die Flammen der Leidenſchaft aus; aber bald ſchien dieſe aus Stolz oder aus Eigenſinn ihren Gegenſtand ſelbſt zu verſchmähen, und wandte ſich mit verdoppeltem Grimme zurück in ſich und auf ihn, um da am Mark des Herzens zu zehren. Sein Geiſt war in einer beſtändigen Gährung;121 er erwartete in jedem Augenblick, es müſſe ihm etwas außerordentliches begegnen. Nichts würde ihn be - fremdet haben, am wenigſten ſein eigner Untergang. Ohne Geſchäft und ohne Zweck trieb er ſich umher unter den Dingen und unter den Menſchen wie einer, der mit Angſt etwas ſucht, woran ſein ganzes Glück hängt. Alles konnte ihn rei - zen, nichts mochte ihm genügen. Daher kam es, daß ihm eine Aus - ſchweifung nur ſo lange intereſſant war, bis er ſie verſucht hatte und näher kannte. Keine Art derſelben konnte ihm ausſchließend zur Ge - wohnheit werden: denn er hatte eben ſo viel Verachtung als Leichtſinn. Er konnte mit Beſonnenheit ſchwelgen122 und ſich in den Genuß gleichſam ver - tiefen. Aber weder hier noch in den mancherley Liebhabereyen und Stu - dien, auf die ſich oft ſein jugendli - cher Enthuſiasmus mit einer ge - fräßigen Wißbegier warf, fand er das hohe Glück, das ſein Herz mit Ungeſtüm forderte. Spuren davon zeigten ſich überall, täuſchten und erbitterten ſeine Heftigkeit. Am mei - ſten Reiz hatte der Umgang aller Art für ihn und ſo oft er auch ſo - gar ſie überdrüßig ward, waren es doch die geſellſchaftlichen Zerſtreuun - gen, zu denen er endlich immer wie - der zurückkehrte. Die Frauen kannte er eigentlich gar nicht, ungeachtet er ſchon früh gewohnt war, mit ihnen zu ſeyn. Sie erſchienen ihm wun -123 derbar fremd, oft ganz unbegreiflich und kaum wie Weſen ſeiner Gat - tung. Junge Männer aber, die ihm einigermaßen glichen, umfaßte er mit heißer Liebe und mit einer wahren Wuth von Freundſchaft. Doch war das allein für ihn noch nicht das rechte. Es war ihm, als wolle er eine Welt umarmen und könne nichts greifen. Und ſo verwilderte er denn immer mehr und mehr aus unbefriedigter Sehnſucht, ward ſinn - lich aus Verzweiflung am Geiſtigen, beging unkluge Handlungen aus Trotz gegen das Schickſal und war wirklich mit einer Art von Treuher - zigkeit unſittlich. Er ſah wohl den Abgrund vor ſich, aber er hielt es nicht der Mühe werth, ſeinen Lauf124 zu mäßigen. Er wollte lieber gleich einem wilden Jäger den jähen Ab - hang raſch und muthig durchs Le - ben hinunterſtürmen, als ſich mit Vorſicht langſam quälen.

Bey dieſem Charakter mußte er oft in der geſelligſten und fröhlich - ſten Geſellſchaft einſam ſeyn, und er fand ſich eigentlich am wenigſten allein, wenn niemand bey ihm war. Dann berauſchte er ſich in Bildern der Hoffnung und Erinnerung und ließ ſich abſichtlich von ſeiner eignen Fantaſie verführen. Jeder ſeiner Wünſche ſtieg mit unermeßlicher Schnelligkeit und faſt ohne Zwiſchen - raum von der erſten leiſen Regung zur gränzenloſen Leidenſchaft. Alle ſeine Gedanken nahmen ſichtbare125 Geſtalt und Bewegung an und wirk - ten in ihm und wider einander mit der ſinnlichſten Klarheit und Gewalt. Sein Geiſt ſtrebte nicht die Zügel der Selbſtherrſchaft feſt zu halten, ſondern warf ſie freywillig weg, um ſich mit Luſt und mit Übermuth in dies Chaos von innerm Leben zu ſtürzen. Er hatte weniges erlebt und war doch voll von Erinnerun - gen, auch aus früher Jugend: denn ein ſonderbarer Augenblick von lei - denſchaftlicher Stimmung, ein Ge - ſpräch, ein Geſchwätz aus der Tiefe des Herzens blieb ihm ewig theuer und deutlich, und noch nach Jahren wußte er's genau, als wäre es ge - genwärtig. Aber alles was er liebte und mit Liebe dachte, war abge -126 riſſen und einzeln. Sein ganzes Da - ſeyn war in ſeiner Fantaſie eine Maſſe von Bruchſtücken ohne Zu - ſammenhang; jedes für ſich Eins und Alles, und das andre was in der Wirklichkeit daneben ſtand und damit verbunden war, für ihn gleich - gültig und ſo gut wie gar nicht vorhanden.

Noch war er nicht ganz verdor - ben als im Schooß der einſamen Wünſche ein heiliges Bild der Un - ſchuld in ſeine Seele blitzte. Ein Strahl von Verlangen und Erinne - rung traf und entzündete ſie und dieſer gefährliche Traum war ent - ſcheidend für ſein ganzes Leben.

Er gedachte an ein edles Mäd - chen, mit dem er in ruhigen glück -127 lichen Zeiten der friſchen Jugend aus reiner kindlicher Zuneigung freund - lich und fröhlich getändelt hatte. Da er der erſte war, welcher ſie durch ſein Intereſſe an ihr reizte, ſo wandte auch das liebliche Kind ihre junge Seele nach ihm hin, wie ſich die Blume zum Licht der Sonne neigt. Daß ſie kaum reif und noch an der Gränze der Kindheit war, reizte ſein Verlangen nur um ſo unwiderſteh - licher. Sie zu beſitzen, ſchien ihm das höchſte Gut; er war entſchloſ - ſen alles zu wagen und glaubte nicht ohne das leben zu können. Dabey verabſcheute er die entfern - teſte Erinnerung an bürgerliche Ver - hältniſſe, wie jede Art von Zwang.

Er eilte zurück in ihre Nähe und128 fand ſie ausgebildeter, aber noch eben ſo edel und eigen, ſo ſinnig und ſtolz wie ehedem. Was ihn noch mehr reizte als ihre Liebens - würdigkeit, waren die Spuren von tiefem Gefühl. Sie ſchien nur fröh - lich und leichtfertig durchs Leben zu ſchwärmen wie über eine blumen - reiche Ebne, und verrieth doch ſeinem aufmerkſamen Auge die entſchiedenſte Anlage zu einer gränzenloſen Leiden - ſchaftlichkeit. Ihre Neigung, ihre Unſchuld und ihr verſchwiegenes und verſchloſſenes Weſen boten ihm leicht Mittel dar, ſie allein zu ſehen, und die Gefahr, die damit verbunden war, erhöhte den Reiz des Unter - nehmens. Aber mit Verdruß mußte er ſich's geſtehen, daß er ſeinemZiele129Ziele nicht näher kam und ſchalt ſich zu ungeſchickt, ein Kind zu verfüh - ren. Willig überließ ſie ſich einigen Liebkoſungen und erwiederte ſie mit ſchüchterner Lüſternheit. Sobald er aber dieſe Gränzen zu überſchreiten verſuchte, widerſetzte ſie ſich, ohne beleidigt zu ſcheinen, mit unerbitt - lichem Eigenſinn; vielleicht mehr aus Glauben an ein fremdes Gebot als aus eignem Gefühl von dem, was allenfalls erlaubt ſey und von dem, was durchaus nicht.

Indeſſen wurde er nicht müde zu hoffen und zu beobachten. Einſt überraſchte er ſie, als ſie es am we - nigſten erwartete. Sie war ſchon lange allein geweſen und mochte ſich ihrer Fantaſie und einer unbeſtimm -Lucinde I. I130ten Sehnſucht mehr als gewöhnlich überlaſſen haben. Da er dies ge - wahr ward, wollte er den Augen - blick, der vielleicht nie wieder käme, nicht verſcherzen und gerieth durch die plötzliche Hoffnung ſelbſt in einen Taumel von Begeiſterung. Ein Strom von Bitten, von Schmeiche - leien und von Sophismen floß von ſeinen Lippen. Er bedeckte ſie mit Liebkoſungen und er gerieth außer ſich vor Entzücken, da das liebens - würdige Köpfchen endlich an ſeine Bruſt ſank, wie ſich die zu volle Blume an ihrem Stengel ſenket. Ohne Zurückhaltung ſchmiegte ſich die ſchlanke Geſtalt um ihn, die ſeidnen Locken der goldnen Haare floſſen über ſeine Hand, mit zärt -131 licher Sehnſucht öffnete ſich die Knoſpe des ſchönen Mundes, und aus den frommen dunkelblauen Augen ſtrahlte und ſchmachtete ein ungewohntes Feuer. Sie ſetzte den kühnſten Liebkoſungen nur noch ſchwachen Widerſtand entgegen. Bald hörte auch dieſer auf, ſie ließ plötz - lich ihre Arme ſinken, und alles war ihm hingegeben, der zarte jungfräu - liche Leib und die Früchte des jun - gen Buſens. Aber in demſelben Au - genblick brach ein Strom von Thrä - nen aus ihren Augen, und die bit - terſte Verzweiflung entſtellte ihr Ge - ſicht. Julius erſchrack heftig; nicht ſowohl über die Thränen, aber er kam nun mit einem male zur vollen Beſinnung. Er dachte an alles wasJ 2132vorhergegangen war, und was nun folgen würde; an das Opfer vor ihm und an das arme Schickſal der Menſchen. Da überlief ihn ein kal - ter Schauder, ein leiſer Seufzer ſtahl ſich aus tiefer Bruſt über ſeine Lip - pen. Er verſchmähte ſich ſelbſt von der Höhe ſeines eignen Gefühls, und vergaß die Gegenwart und ſeine Ab - ſicht in Gedanken von allgemeiner Sympathie.

Der Augenblick war verſäumt. Er ſuchte nur das gute Kind zu trö - ſten und zu beſänftigen, und eilte mit Abſcheu von dem Orte hinweg, wo er den Blüthenkranz der Un - ſchuld muthwillig hatte zerreißen wollen. Er wußte wohl, daß man - cher ſeiner Freunde, der noch weniger133 an weibliche Tugend glaubte wie er, ſein Benehmen ungeſchickt und - cherlich finden würde. Er war bey - nah ſelbſt dieſer Meinung, da er wieder mit Kälte zu überlegen an - fing. Indeſſen hielt er ſeine Dumm - heit doch für ausgezeichnet und in - tereſſant. Er glaubte, es ſey noth - wendig, daß edle Naturen in ge - meinen Verhältniſſen und in den Augen der Menge einfältig oder ra - ſend erſcheinen müßten. Da bey dem nächſten Wiederſehn, wie er ſchlau bemerkte oder ſich einbildete, das Mädchen eher unzufrieden ſchien, daß es nicht ganz verführt ſey, be - ſtätigte er ſich in ſeinem Mißtrauen und gerieth in eine große Erbitte - rung. Es wandelte ihn beynah134 eine Art von Verachtung an, zu der er doch ſo wenig berechtigt war. Er floh, zog ſich wieder in die alte Einſamkeit zurück und verzehrte ſich in ſeiner eignen Sehnſucht.

So lebte er von neuem eine Zeit auf die alte Weiſe in einem Wechſel von Schwermuth und Ausgelaſſen - heit. Der einzige Freund, der Kraft und Ernſt genug hatte, ihn tröſten und beſchäftigen zn können und auf dem Wege zum Verderben einzuhal - ten, war weit entfernt, und ſeine Sehnſucht alſo auch von dieſer Seite unbefriedigt. Heftig ſtreckte er einſt die Arme nach ihm aus, als müſſe er nun endlich da ſeyn, und troſt - los ließ er ſie wieder ſinken, nach - dem er lange vergeblich gewartet. 135Er vergoß keine Thräne, aber ſein Geiſt fiel in eine Agonie von hoff - nungsloſer Wehmuth, aus der er ſich nur zu neuen Thorheiten er - mannte.

Er freute ſich laut, da er im Glanz der prachtvollen Morgenſonne auf die Stadt zurückſah, die er ſchon als Kind geliebt und wo er nur noch eben ſo ganz lebte, und die er nun auf immer zu verlaſſen hoffte. Er athmete ſchon das friſche Leben der neuen Heimath, die ihn in der Fremde erwarten ſollte, und deren Bilder er ſchon mit Heftig - keit liebte.

Er fand bald einen andern rei - zenden Wohnort, wo ihn zwar nichts feſſelte, aber doch vieles an -136 zog. Alle ſeine Kräfte und Neigun - gen wurden rege durch die neuen Gegenſtände; ohne Zweck und Maaß in ſeinem Innern, nahm er Theil an allem Äußern, was nur irgend merkwürdig war, und ließ ſich überall ein.

Da er auch in dieſem Geräuſch bald Leerheit und Überdruß empfand, ſo kehrte er oft zurück zu ſeinen einſamen Träumen und wiederholte das alte Gewebe ſeiner unbefriedig - ten Wünſche. Eine Thräne entfiel ihm über ſich ſelbſt, da er einſt im Spiegel ſah, wie trübe und ſtechend das Feuer der unterdrückten Liebe aus ſeinem dunkeln Auge brannte und wie ſich unter der wilden ſchwar - zen Locke leiſe Furchen in die137 kämpfende Stirn gruben, und wie die Wange ſo bleich war. Er ſeufzte über ſeine ungenutzte Jugend; ſein Geiſt empörte ſich und wählte unter den ſchönen Frauen ſeiner Bekannt - ſchaft die, welche am freyſten lebte und am meiſten in der guten Ge - ſellſchaft glänzte. Er nahm ſich vor, nach ihrer Liebe zu ſtreben und er erlaubte ſeinem Herzen, ſich ganz zu überfüllen mit dieſem Gegenſtande. Was ſo wild und willkührlich begon - nen wurde, konnte nicht geſund en - digen, und die Dame, welche eben ſo eitel als ſchön war, mußte es ſonderbar und mehr als ſonderbar finden, wie Julius ſie mit der ernſt - hafteſten Aufmerkſamkeit förmlich zu umgeben und zu belagern anfing138 und dabey bald ſo dreiſt und zu - verſichtlich war wie ein alter Be - ſitzer, bald ſo ſchüchtern und fremd wie ein völlig Unbekannter. Da er ſich ſo ſeltſam zeigte, hätte er bey weitem reicher ſeyn müſſen, als er war, um ſolche Anſprüche haben zu dürfen. Sie hatte ein leichtes, mun - teres Weſen und ihm ſchien ſie ar - tig zu reden. Aber was er an der Geliebten für göttlichen Leichtſinn nahm, war nichts als ein gedan - kenloſes Schwärmen ohne eigentliche Freude und Fröhlichkeit, und auch ohne Geiſt, ausgenommen ſo viel Verſtand und Schlauigkeit, als es braucht, um alles abſichtlich und zwecklos zu verwirren, die Männer zu locken und zu lenken und ſich139 ſelbſt in Schmeicheleyen zu berau - ſchen. Zu ſeinem Unglücke erhielt er einige Zeichen von Gunſt; von der Art, welche die Geberin nicht binden, weil ſie ſich nie dazu be - kennen darf und welche den gefan - genen Neuling durch den Zauber der Heimlichkeit noch unauflöslicher feſſeln. Ihn konnte ſchon ein ver - ſtohlner Blick und Händedruck ganz bezaubern, oder ein Wort, was vor allen geſagt in ſeiner eigentlichen Beziehung und Anſpielung nur ihm verſtändlich war, wenn dir einfache und wohlfeile Gabe nur durch den Schein einer eignen ſonderbaren Be - deutſamkeit gewürzt wurde. Sie gab ihm, wie er glaubte, ein noch deut - licheres Zeichen und es beleidigte ihn140 tief, daß ſie ihn ſo wenig verſtehe, daß ſie ihm ſo ſehr zuvorkomme. Er war nicht wenig ſtolz darauf, daß ihn das beleidigte und doch reizte es ihn unwiderſtehlich, wenn er dachte, er dürfe nur ſchnell ſeyn und die günſtige Gelegenheit ergrei - fen, um ohne Hinderniß ans Ziel zu gelangen. Er machte ſich ſchon bittre Vorwürfe über ſeine Langſam - keit, als er plötzlich Verdacht ſchöpfte, ihr Zuvorkommen ſey nur Täuſchung, ſie meine es auch mit ihm nicht ehr - lich; und da ein Freund ihn vollends aufklärte, konnte ihm kein Zweifel bleiben. Er ſah, daß man ihn - cherlich finde und mußte ſich geſtehn, daß es ganz in der Ordnung ſey. Darüber gerieth er etwas in Wuth141 und hätte leicht Unheil begonnen, wenn er dieſe leeren Menſchen, ihre kleinen Verhältniſſe und Mißver - hältniſſe und das ganze Spiel ge - heimer Abſichten und Rückſichten nicht genau beobachtet und alſo gründlich verachtet hätte. Auch wurde er wieder ungewiß und da ſein Arg - wohn nun keine Gränzen mehr kannte, ſo war er gegen ſein eignes Mißtrauen mißtrauiſch. Bald ſah er den Grund des Übels nur in ſei - nem Eigenſinne und übertriebnem Zartgefühl und faßte dann neue Hoffnung und neues Zutrauen; bald ſah er in allem Unglück, was ihn in der That abſichtlich zu verfolgen ſchien, nur das künſtliche Werk ihrer Rache. Alles ſchwankte, nur das142 ward ihm immer klarer und feſter, daß vollendete Narrheit und Dumm - heit im Großen das eigentliche Vor - recht der Männer ſey, muthwillige Bosheit hingegen mit naiver Kälte und lachender Gefühlloſigkeit eine angebohrne Kunſt der Frauen. Das war alles, was er lernte durch ſein angeſtrengtes Beſtreben nach Men - ſchenkenntniß. Im Einzelnen ver - fehlte er immer auf eine ſcharfſinnige Art das rechte, weil er überall künſt - liche Abſichten vorausſetzte und tie - fen Zuſammenhang, und gar keinen Sinn hatte für das Unbedeutende. Dabey wuchs ſeine Leidenſchaft zum Spiel, deſſen zufällige Verwickelun - gen, Sonderbarkeiten und Glücks - fälle ihn auf eben die Art intereſ -143 ſirten, wie wenn er in höhern Ver - hältniſſen mit ſeinen Leidenſchaften und ihren Gegenſtänden aus reiner Willkühr ein hohes Spiel wagte oder zu wagen glaubte.

So verwirrte er ſich immer tie - fer in die Intriguen einer ſchlechten Geſellſchaft und was ihm noch übrig blieb von Zeit und Kraft in dem Wirbel der Zerſtreuungen, wandte er auf ein Mädchen, die er ſo ſehr als möglich allein zu beſitzen ſtrebte, obgleich er ſie unter denen gefunden hatte, die beynah öffentlich ſind. Was ſie ihm ſo intereſſant machte, war nicht allein das weshalb ſie all - gemein geſucht und gleichſam be - rühmt war, ihre ſeltne Gewandtheit und unerſchöpfliche Mannichfaltigkeit144 in allen verführeriſchen Künſten der Sinnlichkeit. Ihr naiver Witz über - raſchte ihn mehr und reizte ihn am meiſten, wie die hellen Funken von rohem tüchtigem Verſtand, vorzüg - lich aber ihre entſchiedne Manier und ihr konſequentes Betragen. Mit - ten im Stande der äußerſten Ver - derbtheit zeigte ſie eine Art von Cha - rakter; ſie war voll von Eigenhei - ten und ihr Egoismus nicht im ge - meinen Styl. Nächſt der Unabhän - gigkeit liebte ſie nichts ſo unmäßig wie das Geld, aber ſie wußte es zu brauchen. Dabey war ſie billig gegen jeden, der nicht ſehr reich war und ſelbſt gegen die andern treuher - zig in ihrer Habſucht und ohne Ränke. Sie ſchien ganz ſorgenlosnur145nur in der Gegenwart zu leben und war doch immer auf die Zukunft bedacht. Sie ſparte im Kleinen um nach ihrer Art im Großen zu ver - ſchwenden und im Überflüſſigen das Beſte zu haben. Ihr Boudoir war einfach und ohne alle gewöhnlichen Meublen, nur von allen Seiten große, koſtbare Spiegel und wo noch Raum übrig blieb, einige gute Co - pien von den wollüſtigſten Gemäl - den des Correggio und Tizian, des - gleichen einige ſchöne Originale von friſchen, vollen Blumen - und Frucht - ſtücken; ſtatt der Lambris die leben - digſten und fröhlichſten Darſtellun - gen in Basrelief aus Gips nach der Antike; ſtatt der Stühle ächte orien - taliſche Teppiche und einige GruppenLucinde I. K146aus Marmor in halber Lebensgröße: ein gieriger Faun, der eine Nymphe, die im Fliehen ſchon gefallen iſt, eben völlig überwinden wird; eine Venus, die mit aufgehobenem Ge - wande lächelnd über den wollüſtigen Rücken auf die Hüften ſchaut und andre ähnliche Darſtellungen. Hier ſaß ſie oft auf türkiſche Sitte Tage lang allein und die Hände müſſig im Schooß, denn ſie verabſcheute alle weiblichen Arbeiten. Sie er - friſchte ſich nur von Zeit zu Zeit mit Wohlgerüchen und ließ ſich da - bey von ihrem Jockey, einem bild - ſchönen Knaben, den ſie ſich in ſei - nem vierzehnten Jahre eigends ver - führt hatte, Geſchichten, Reiſebe - ſchreibungen und Mährchen vorleſen. 147Sie gab wenig darauf Acht, außer wenn etwas Lächerliches vorkam, oder eine allgemeine Bemerkung, die ſie auch wahr fand. Denn ſie achtete nichts und hatte Sinn für nichts als für Realität und fand alle Poeſie lächerlich. Sie war einmal Schau - ſpielerin geweſen, aber nur kurze Zeit und ſie machte ſich gern luſtig über ihr Ungeſchick dazu und über die Langeweile, die ſie dabey aus - geſtanden. Es war eine von ihren vielen Eigenheiten, daß ſie bey ſol - chen Gelegenheiten in der dritten Per - ſon von ſich ſprach. Auch wenn ſie erzählte, nannte ſie ſich nur Liſette, und ſagte oft, wenn ſie ſchreiben könnte, wollte ſie ihre eigne Ge - ſchichte ſchreiben, aber ſo als ob esK 2148ein andrer wäre. Für Muſik hatte ſie gar kein Gefühl, für die bilden - den Künſte aber ſo viel daß Julius oft mit ihr über ſeine Arbeiten und Ideen ſprach, und die Skizzen für die beſten hielt, die er unter ihren Augen und bey ihrem Geſpräch ent - worfen hat. Doch ſchätzte ſie an Statuen und an Zeichnungen nur die lebendige Kraft, und an Gemäl - den nur den Zauber der Farben, die Wahrheit des Fleiſches und allenfalls die Täuſchung des Lichtes. Sprach ihr jemand von Regeln, vom Ideal und von der ſogenannten Zeichnung, ſo lachte ſie oder hörte nicht zu. Selbſt etwas zu verſuchen, ſo viele bereitwillige Lehrer ſich auch anboten, war ſie viel zu träge und verwöhnt149 und befand ſich zu wohl bey ihrer Lebensart. Auch traute ſie allen Schmeicheleien nicht und blieb feſt überzeugt, ſie würde es mit aller Noth und Arbeit in der Kunſt zu nichts Ordentlichem bringen. Lobte man ihren Geſchmack und ihr Zim - mer, in welches ſie nur ſelten aus - erwählte Lieblinge führte, ſo rühmte ſie dagegen auf eine komiſche Weiſe zuerſt das gute alte Schickſal, die ſchlaue Liſette und dann die Eng - länder und Holländer als die beſten Nazionen unter allen, die ſie kenne; weil die volle Caſſe einiger Neulinge von dieſer Sorte zuerſt einen guten Grund zu ihrer reichlichen Einrich - tung gelegt hatte. Überhaupt freute ſie ſich ſehr damit, wenn ſie jeman -150 den, der dumm war, übervortheilt hatte: aber ſie that es auf eine drol - lige, faſt kindiſche Art, mit Witz und mehr aus Übermuth als aus Rohheit. Ihre ganze Klugheit wandte ſie darauf, ſich der Zudringlichkeit und Unart der Männer zu erweh - ren, und es gelang ihr ſo ſehr, daß die rohen, wüſten Menſchen mit einer innigen Achtung von ihr ſpra - chen, die dem, welcher ſie nicht kannte und nur von ihrem Gewerbe wußte, ſehr komiſch dünkte. Das war es auch, was den neugierigen Julius zuerſt reizte, eine ſo ſonder - bare Bekanntſchaft zu ſuchen und er fand bald noch mehr Urſach zu er - ſtaunen. Bey den gewöhnlichen Männern litt und that ſie, was ſie151 ſchuldig zu ſeyn glaubte; genau, mit Geſchicklichkeit und mit Kunſtſinn, aber ganz kalt. Gefiel ihr ein Mann, führte ſie ihn gar in ihr heiliges Ca - binet; ſo ſchien ſie eine ganz neue Perſon zu werden. Sie gerieth dann in eine ſchöne bacchantiſche Wuth; wild, ausſchweifend und unerſättlich vergaß ſie beynah der Kunſt und verfiel in eine hinreißende Anbetung der Männlichkeit. Darum liebte ſie Julius, und auch weil ſie ihm ſo ganz ergeben ſchien, ungeachtet ſie davon nicht viele Worte machte. Sie merkte bald, ob jemand Verſtand habe, und wo ſie den zu finden glaubte, ward ſie offen und herzlich, und ließ ſich dann gern von ihrem Freunde erzählen, was er von der152 Welt wußte. Mancher hatte ſie be - lehrt, keiner aber hatte ihr innerſtes Weſen ſo verſtanden, ſo fein ge - ſchont und ihren eigentlichen Werth ſo geachtet wie Julius. Darum hing ſie auch mehr an ihm als ſich ſagen läßt. Sie erinnerte ſich vielleicht zum erſtenmal mit Rührung an ihre erſte Jugend und Unſchuld und gefiel ſich nicht in der Umgebung, mit der ſie ſonſt ganz zufrieden war. Julius fühlte das und freute ſich damit, aber er konnte nie über die Gering - ſchätzung Herr werden, die ihm ihr Stand und ihr Verderben einflößte, und ſein unauslöſchliches Mistrauen ſchien ihm hier gerecht zu ſeyn. Wie entrüſtet war er daher, als ſie ihm einſt unerwarteter Weiſe die Ehre153 der Vaterſchaft ankündigte. Und er wußte es doch, daß ſie trotz ihres Verſprechens noch vor kurzem Be - ſuche von einem andern angenom - men hatte. Das Verſprechen konnte ſie ihm nicht abſchlagen. Sie ſelbſt hätte es wahrſcheinlich gern gehal - ten, aber ſie brauchte mehr als er geben konnte; ſie wußte nur eine Art, Geld zu erwerben, und aus einer Delikateſſe, die ſie einzig für ihn hatte, nahm ſie nur das we - nigſte von dem, was er geben wollte. Alles das bedachte der aufgebrachte Jüngling nicht, er hielt ſich für be - trogen, er ſagte es ihr mit harten Worten und verließ ſie in dem lei - denſchaftlichſten Zuſtande, wie er glaubte, auf immer. Nicht lange154 nachher ſuchte ihn der Knabe mit Thränen und Klagen und ließ nicht ab, bis er mit ihm ging. Er fand ſie faſt entkleidet in dem ſchon dun - keln Cabinet, er ſank in die gelieb - ten Arme, mit denen ſie ihn ſo hef - tig an ſich riß wie ſonſt, aber ſie ſanken ſogleich an ihm nieder. Er hörte einen tiefen ſtöhnenden Seuf - zer, es war der letzte; und da er ſich anſah, war er mit Blut bedeckt. Voll Entſetzen ſprang er auf und wollte fliehen. Er verweilte nur, um eine große Locke zu ergreifen, die neben dem gefärbten Meſſer auf dem Boden lag. Sie hatte dieſelbe in einem Anfalle von begeiſterter Verzweiflung kurz zuvor, ehe ſie ſich die vielen Wunden gab, von denen155 die meiſten tödtlich waren, abge - ſchnitten. Wahrſcheinlich mit dem Gedanken, ſich dadurch dem Tode und dem Verderben als Opfer zu weihen. Denn nach der Ausſage des Knaben ſprach ſie dabey mit lauter Stimme die Worte: » Liſette » ſoll zu Grunde gehn, zu Grunde » jetzt gleich: ſo will es das Schick - » ſal, das eiſerne. «

Der Eindruck, den dieſe über - raſchende Tragödie auf den reizbaren Jüngling machte, war unauslöſch - lich, und brannte durch ſeine eigne Kraft immer tiefer. Die erſte Folge von Liſettens Ruin war, daß er ihr Andenken mit ſchwärmeriſcher Ach - tung vergötterte. Er verglich ihre hohe Energie mit den nichtswürdigen156 Intriguen der Dame, die ihn ver - ſtrickt hatte, und ſein Gefühl mußte laut entſcheiden, daß jene ſittlicher und weiblicher ſey: denn dieſe Co - quette gab nie eine kleine oder große Gunſt ohne Nebenabſicht; und doch ward ſie von aller Welt geachtet und bewundert, wie ſo viele andre, die ihr gleichen. Darüber wider - ſetzte ſich ſein Verſtand mit Heftig - keit allen falſchen und allen wahren Meinungen, die man über die weib - liche Tugend hat. Es ward Grund - ſatz bey ihm, die geſellſchaftlichen Vorurtheile, welche er bisher nur vernachläſſigte, nun ausdrücklich zu verachten. Er gedachte an die zarte Louiſe, die beynah ein Raub ſeiner Verführung geworden wäre und er157 erſchrack. Denn auch Liſette war von guter Familie, früh gefallen, entführt und in der Fremde verlaſ - ſen, zu ſtolz geweſen umzukehren, und durch die erſte Erfahrung ſo belehrt wie andre nicht durch die letzte. Mit ſchmerzlichem Vergnügen ſammelte er manchen intereſſanten Zug von ihrer frühen Jugend. Sie war damals mehr ſchwermüthig als leichtſinnig, aber in der Tiefe ganz Flamme und ſchon als kleines Mäd - chen traf man ſie bey Gemälden von nackten Geſtalten oder bey an - dern Gelegenheiten in ſonderbaren Äußerungen der heftigſten Sinn - lichkeit.

Dieſe Ausnahme von dem, was Julius für gewöhnlich hielt beym158 weiblichen Geſchlecht, war einzig und die Umgebung, in der er ſie fand, zu unrein, als daß er da - durch zu einer wahren Anſicht hätte gelangen können. Vielmehr trieb ihn ſein Gefühl, ſich faſt ganz von den Frauen und von den Geſell - ſchaften, wo ſie Ton angeben, zurück zu ziehen. Er fürchtete ſeine Leidenſchaftlichkeit und warf ſeinen ganzen Sinn auf die Freundſchaft mit Jünglingen, die wie er der Be - geiſterung fähig waren. Dieſen er - gab er ſein Herz, nur ſie waren für ihn wahrhaft wirklich, die übrige Menge gemeiner Schattenweſen freute er ſich z verachten Mit Leiden - ſchaft und mit Spitzfindigkeit ſtritt er innerlich und grübelte über ſeine159 Freunde, über ihre verſchiedenen Vorzüge und Verhältniſſe zu ihm. Er erhitzte ſich in ſeinen eigenen Gedanken und Geſprächen und war berauſcht von Stolz und von Männ - lichkeit. Auch glühten ſie alle von edler Liebe, unentwickelt ſchlummerte hier manche große Kraft, und ſie ſagten nicht ſelten in rohen aber treffenden Worten erhabene Dinge über die Wunder der Kunſt, über den Werth des Lebens und über das Weſen der Tugend und Selbſt - ſtändigkeit. Vorzüglich aber über die Göttlichkeit der männlichen Freund - ſchaft, die Julius zum eigentlichen Geſchäft ſeines Lebens zu machen geſonnen war. Er hatte viele Ver - bindungen, und war unerſättlich160 immer neue zu knüpfen. Jeden Mann, der ihm intereſſant erſchien, ſuchte er, und ruhte nicht, bis er ihn gewonnen und die Zurückhal - tung des andern durch ſeine jugend - liche Zudringlichkeit und Zuverſicht beſiegt hatte. Es läßt ſich denken, daß er, der ſich eigentlich alles er - laubt hielt und ſich ſelbſt über das Lächerliche wegſetzen konnte, eine andre Schicklichkeit im Sinne nnd vor Augen hatte als die, welche all - gemein gilt.

In dem Gefühl und Umgang des einen Freundes fand er mehr als weibliche Schonung und Zartheit bey erhabenem Verſtande und feſt gebildetem Charakter. Ein zweyter brannte mit ihm in edlem Unwillenüber161über das ſchlechte Zeitalter und wollte etwas Großes wirken. Der liebens - würdige Geiſt des dritten war noch ein Chaos von Andeutungen: aber er hatte zarten Sinn für alles und ahndete die Welt. Den einen ver - ehrte er als ſeinen Meiſter in der Kunſt würdig zu leben. Den an - dern dachte er als ſeinen Jünger und wollte ſich nur vor der Hand zur Theilnahme an ſeinen Ausſchwei - fungen herablaſſen, um ihn ganz zu kennen und zu gewinnen, und dann ſeine große Anlage zu retten, die ſo nah am Abgrunde wandelte wie ſeine eigne.

Es waren große Gegenſtände, nach denen ſie mit Ernſt ſtrebten. Indeſſen blieb es bey hohen WortenLucinde I. L162und vortrefflichen Wünſchen. Julius kam nicht weiter und ward nicht klarer, er handelte nicht und er bil - dete nichts. Ja er vernachläßigte ſeine Kunſt faſt nie mehr, als da er ſich und ſeine Freunde mit Pro - jekten überſtrömte von allen Wer - ken, die er vollbringen wollte, und die ihm im Augenblick der erſten Begeiſterung ſchon fertig ſchienen. Die wenigen Anwandlungen von Nüchternheit, die ihm noch übrig blieben, erſtickte er in Muſik, die für ihn ein gefährlicher, bodenloſer Abgrund von Sehnſucht und Weh - muth war, in den er ſich gern und willig verſinken ſah.

Dieſe innere Gährung hätte heil - ſam ſeyn können, und aus der Ver -163 zweiflung wäre endlich Ruhe und Feſtigkeit hervorgegangen, und er wäre klar geworden über ſich ſelbſt. Aber die Wuth der Unbefriedigung zerſtückte ſeine Erinnerung, er hatte nie weniger eine Anſicht vom Gan - zen ſeines Ich. Er lebte nur in der Gegenwart, an der er mit durſtigen Lippen hing, und vertiefte ſich ohne Ende in jeden unendlich kleinen und doch unergründlichen Theil der un - geheuren Zeit, als müſſe es nun in dieſem endlich zu finden ſeyn, was er ſchon ſo lange ſuche. Dieſe Wuth der Unbefriedigung mußte ihn bald mit ſeinen Freunden ſelbſt verſtim - men und entzweyen, von denen die meiſten bey den herrlichſten Anlagen eben ſo unthätig und mit ſich uneinsL 2164waren wie er. Dieſer ſchien ihn nicht zu verſtehn, jener bewunderte nur ſeinen Geiſt, äußerte aber Miß - trauen gegen ſein Herz und that ihm wirklich Unrecht. Da hielt er ſeine innerſte Ehre gekränkt und fühlte ſich von geheimen Haß zerriſ - ſen. Er überließ ſich dieſem Gefühl ohne Scheu, denn er glaubte, nur wen man achten müſſe, dürfe man haſſen, und nur Freunde könnten einer dem andern das zarteſte Ge - fühl ſo tief verletzen. Der eine Jüngling war durch eigne Schuld zu Grunde gegangen; der andre fing gar an ſelbſt gewöhnlich zu werden. Mit einem dritten war ſein Verhältniß verſtimmt und faſt gemein geworden. Es war ganz165 geiſtig geweſen, und ſo hätte es auch bleiben ſollen. Aber eben weil es ſo zart war, mußte mit der feinſten Blüthe alles verloren gehn, als die Gelegenheit es gab, daß einer dem andern Dienſte leiſtete. Da geriethen ſie in Wettſtreite von Großmuth und Dankbarkeit und fingen endlich an, in der geheimſten Tiefe der Seele irrdiſche Forderungen an ſich zu ma - chen und zu vergleichen.

Bald hatte der Zufall ohne Scho - nung aufgelöſt, was nur durch Willkühr leidenſchaftlich verbunden war. Immer mehr und mehr ge - rieth Julius in einen Zuſtand, der von der Verrückung nur dadurch verſchieden war, daß es einigermaßen auf ihn ankam, wann und wie weit166 er ſich ſeiner Gewalt hingeben wollte. Auch war ſein äußeres Betragen jeder bürgerlichen und geſellſchaftli - chen Ordnung gemäß, und grade jetzt fingen die Menſchen an, ihn vernünftig zu nennen, da eine Ver - wirrung aller Schmerzen ſein Innres wild zerriß, und die Krankheit des Geiſtes immer tiefer und geheimer an dem Herzen nagte. Es war mehr eine Raſerey des Gefühls als des Verſtandes, und das Übel war nur um ſo gefährlicher, weil er äußerlich froh und luſtig ſchien. So war ſeine gewöhnliche Stimmung, und man fand ihn ſogar angenehm. Nur wenn er mehr Wein genoſſen hatte als gewöhnlich, ward er über - aus traurig und zu Thränen und167 Klagen geneigt. Aber ſelbſt dann ſprudelte er, wenn andre zugegen waren, von bitterm Witz und allge - meinem Spott, oder er trieb ſein Spiel mit ſonderbaren und dummen Menſchen, deren Umgang er nun über alles liebte, und die er in die beſte Laune zu ſetzen wußte, ſo daß ſie ſich von Herzen mittheilten und ganz zeigten, wie ſie waren. Das Ge - meine reizte und unterhielt ihn; nicht aus liebenswürdiger Herablaſſung, ſondern weil es nach ſeiner Anſicht närriſch und toll war.

An ſich ſelbſt dachte er nicht, nur dann und wann überfiel ihn ein klares Gefühl, er werde plötzlich zu Grunde gehn. Die Reue unter - drückte er durch Stolz, und die Ge -168 danken und Bilder des Selbſtmordes waren ihm ſchon in ſeiner frühſten jugendlichen Schwermuth ſo geläufig geweſen, daß ſie den Reiz der Neu - heit für ihn verloren hatten. Einen ſolchen Entſchluß auszuführen, wäre er ſehr fähig geweſen, wenn er nur überhaupt zu einem Entſchluß hätte kommen können. Es ſchien ihm kaum der Mühe werth, weil er doch nicht hoffen wollte, der Langeweile des Daſeyns und dem Eckel über das Schickſal auf dieſem Wege zu entfliehn Er verachtete die Welt und alles, und war ſtolz darauf.

Auch dieſe Krankheit wie alle vo - rigen heilte und vernichtete der erſte Anblick einer Frau die einzig war, und die ſeinen Geiſt zum erſtenmal169 ganz und in der Mitte traf. Seine bisherigen Leidenſchaften ſpielten nur auf der Oberfläche, oder es waren vorübergehende Zuſtände ohne Zu - ſammenhang. Jetzt ergriff ihn ein neues unbekanntes Gefühl, daß die - ſer Gegenſtand allein der rechte, und dieſer Eindruck ewig ſey. Der erſte Blick ſchon entſchied, beym zweyten wußte er's, und ſagte ſich's, daß es nun gekommen, und wirklich da ſey, was er ſo lange dunkel erwar - tet hatte. Er erſtaunte, und er - ſchrack, denn wie er dachte, daß es ſein höchſtes Gut ſeyn würde, von ihr geliebt zu werden und ſie ewig zu beſitzen, ſo fühlte er zugleich daß dieſer höchſte und einzige Wunſch ewig unerreichbar ſey. Sie hatte170 gewählt und hatte ſich gegeben; ihr Freund war auch der ſeinige, und lebte ihrer Liebe würdig. Julius war der Vertraute, er wußte daher alles genau, was ihn unglücklich machte, und urtheilte mit Strenge über ſeinen eignen Unwerth. Gegen dieſen wandte ſich die ganze Kraft ſeiner Leidenſchaft. Er entſagte der Hoffnung und dem Glück, aber er beſchloß, es zu verdienen, und Herr über ſich ſelbſt zu werden. Nichts verabſcheute er ſo ſehr, als den Ge - danken, das Geringſte von dem was ihn erfüllte, auch nur durch ein un - deutliches Wort durch einen verſtohl - nen Seufzer zu verrathen. Gewiß wäre auch jede Äußerung widerſinnig geweſen, und da er ſo heftig, ſie ſo171 ſein, und das Verhältniß ſo zart war, hätte ein einziger Wink, von denen, die unwillkührlich ſcheinen, und doch bemerkt ſeyn wollen, im - mer weiter führen, und alles ver - wirren müſſen. Darum drängte er alle Liebe in ſein Innerſtes zurück, und ließ da die Leidenſchaft wüthen, brennen und zehren; aber ſein Äuſ - ſeres war durchaus verwandelt, und ſo gut gelang ihm der Schein der kindlichſten Unbefangenheit und Un - erfahrenheit und einer gewißen brü - derlichen Härte, die er annahm, da - mit er nicht aus dem Schmeichel - haften ins Zärtliche fallen möchte, daß ſie nie den leiſeſten Argwohn ſchöpfte. Sie war heiter und leicht in ihrem Glück, ſie ahndete nichts,172 ſcheute alſo nichts, ſondern ließ ih - rem Witz und ihrer Laune freyes Spiel, wenn ſie ihn unliebenswür - dig fand. Überhaupt lag in ihrem Weſen jede Hoheit und jede Zierlich - keit, die der weiblichen Natur eigen ſeyn kann, jede Gottähnlichkeit, und jede Unart, aber alles war fein, ge - bildet, und weiblich. Frey und kräftig entwickelte und äußerte ſich jede einzelne Eigenheit, als ſey ſie nur für ſich allein da, und dennoch war die reiche, kühne Miſchung ſo ungleicher Dinge im Ganzen nicht verworren, denn ein Geiſt beſeelte es, ein lebendiger Hauch von Har - monie und Liebe. Sie konnte in derſelben Stunde irgend eine komiſche Albernheit mit dem Muthwillen und173 der Feinheit einer gebildeten Schau - ſpielerin nachahmen, und ein erha - benes Gedicht vorleſen mit der hin - reißenden Würde eines kunſtloſen Geſanges. Bald wollte ſie in Ge - ſellſchaft glänzen und tändeln, bald war ſie ganz Begeiſterung, und bald half ſie mit Rath und That, ernſt, beſcheiden und freundlich wie eine zärtliche Mutter. Eine geringe Begebenheit ward durch ihre Art ſie zu erzählen ſo reizend wie ein ſchö - nes Mährchen. Alles umgab ſie mit Gefühl und mit Witz, ſie hatte Sinn für alles, und alles kam ver - edelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren ſüß redenden Lippen. Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre174 leidenſchaftlichſte Theilnahme. Sie vernahm jede Andeutung, und ſie erwiederte auch die Frage, welche nicht geſagt war. Es war nicht möglich, Reden mit ihr zu halten; es wurden von ſelbſt Geſpräche und während dem ſteigenden Intereſſe ſpielte auf ihrem feinen Geſichte eine immer neue Muſik von geiſtvollen Blicken und lieblichen Mienen. Die - ſelben glaubte man zu ſehen, wie ſie ſich bey dieſer oder bey jener Stelle veränderten, wenn man ihre Briefe las, ſo durchſichtig und ſee - lenvoll ſchrieb ſie, was ſie als Ge - ſpräch gedacht hatte. Wer ſie nur von dieſer Seite kannte, hätte den - ken können, ſie ſey nur liebenswür - dig, ſie würde als Schauſpielerin175 bezaubern müſſen, und ihren geflü - gelten Worten fehle nur Maaß und Reim, um zarte Poeſie zu werden. Und doch zeigte eben dieſe Frau bey jeder großen Gelegenheit Muth und Kraft zum Erſtaunen, und das war auch der hohe Geſichtspunkt, aus dem ſie den Werth der Menſchen beurtheilte.

Dieſe Größe der Seele war die Seite, von der Julius im Anfange ſeiner Leidenſchaft ihr Weſen am meiſten ergriff, weil dieſe zu dem Ernſt derſelben am beſten ſtimmte. Sein ganzes Weſen war gleichſam von der Oberfläche zurückgetreten nach dem Innern; er verſank in eine allgemeine Verſchloſſenheit und floh den Umgang der Menſchen. 176Rauhe Felſen waren ſeine liebſte Geſellſchaft, am Geſtade des einſa - men Meeres hing er ſeinen Gedan - ken nach, und ging zu Rathe mit ſich ſelbſt, und wenn das Sauſen des Windes in den hohen Tannen rauſchte, ſo wähnte er, die mächti - gen Wogen tief unter ihm wollten ſich aus Theilnahme und Mitleiden ihm nähern, und ſchwermüthig blickte rr den fernen Schiffen nach und der ſinkenden Sonne. Dieſer Ort war ſein Liebling, er ward ihm durch die Erinnerung zu einer hei - ligen Heimath aller Schmerzen und Entſchlüſſe.

Die Vergötterung ſeiner erhabe - nen Freundin wurde für ſeinen Geiſt ein feſter Mittelpunkt und Bodeneiner177einer neuen Welt. Hier ſchwanden alle Zweifel, in dieſem wirklichen Gute fühlte er den Werth des Le - bens und ahndete die Allmacht des Willens. Er ſtand in Wahrheit auf friſchem Grün einer kräftigen müt - terlichen Erde, und ein neuer Him - mel wölbte ſich unermeßlich über ihm im blauen Äther. Er erkannte in ſich den hohen Beruf zur gött - lichen Kunſt, er ſchalt ſeine Träg - heit, daß er noch ſo weit zurück ſey in der Bildung und zu weichlich ge - weſen war zu jeder gewaltigen An - ſtrengung. Er ließ ſich nicht in müſſige Verzweiflung ſinken, ſondern er folgte der weckenden Stimme je - ner heiligen Pflicht. Alle Mittel, die ihm die Verſchwendung noch gelaſſenLucinde I. M178hatte, ſpannte er nun an. Er zer - riß alle Bande von Ehedem, und machte ſich mit einem Streich ganz unabhängig. Seine Kraft und ſeine Jugend weihte er der erhabenen künſtleriſchen Arbeit und Begeiſterung. Er vergaß ſein Zeitalter und bildete ſich nach den Helden der Vorwelt, deren Ruinen er mit Anbetung liebte. Auch für ihn ſelbſt gab es keine Ge - genwart, denn er lebte nur in der Zukunft und in der Hoffnung, der - einſt ein ewiges Werk zu vollenden zum Denkmal ſeiner Tugend und ſeiner Würde.

So litt und lebte er viele Jahre, und wer ihn ſah, hielt ihn für älter als er war. Was er bildete, war groß gedacht und in altem Styl,179 aber der Ernſt war abſchreckend, die Formen fielen ins Ungeheure, das Antike ward ihm zu einer harten Manier, und ſeine Gemälde blieben bey aller Gründlichkeit und Einſicht ſteif und ſteinern. Es war vieles zu loben, nur die Anmuth fehlte; und darin glich er ſeinen Werken. Sein Charakter war rein gebrannt im Leiden göttlicher Liebe und glänzte in heller Kraft, aber er war ſpröde und ſtarr wie ächter Stahl. Er war aus Kälte ruhig, und nur dann ge - rieth er in Aufruhr, wenn ihn eine hohe Wildniß der einſamen Natur mehr als gewöhnlich reizte, wenn er ſeiner entfernten Freundin treuen Be - richt gab von dem Kampf ſeiner Bildung und dem Ziel aller Arbeit,M 2180oder wenn ihn die Begeiſterung für die Kunſt in Gegenwart andrer über - raſchte, daß nach langem Schweigen einige geflügelte Worte aus ſeinem innerſten Gemüth brachen. Doch das geſchah nur ſelten, denn er nahm ſo wenig Antheil an den Menſchen als an ſich ſelbſt. Über ihr Glück und ihr Beginnen konnte er nur freundlich lächeln und er glaubte es ihnen aufs Wort, wenn er bemerkte, wie ſie ihn unliebend und unliebens - würdig fanden.

Doch ſchien ihn eine edle Frau etwas zu bemerken und vorzuziehn. Ihr feiner Geiſt und ihr zartes Ge - fühl zog ihn lebhaft an, da ſie noch durch den Reiz einer liebenswürdigen und dabey ſonderbaren Geſtalt und181 durch ein Auge voll ſtiller Schwer - muth erhöht wurden. Aber ſo oft er herzlicher werden wollte, ergriff ihn das alte Mißtrauen und die ge - wohnte Kälte. Er ſah ſie häufig und konnte ſich nie äußern, bis auch dieſer Strom von Gefühl zurückfloß in das innere Meer allgemeiner Be - geiſterung. Selbſt die Gebieterin des Herzens trat in ein heiliges Dunkel zurück, und würde ihm fern geblie - ben ſeyn, wenn er ſie wiedergeſehn hätte.

Das einzige was ihn milder und wärmer ſtimmte, war der Umgang mit einer andern Frau, die er als Schweſter ehrte und liebte, und die er auch ganz ſo betrachtete. Er ſtand ſchon länger in bürgerlichen Ver -182 hältniſſen mit ihr, ſie war kränklich und etwas älter wie er; dabey aber von hellem reifen Verſtand, von gradem geſundem Sinn, und ſelbſt im Auge der Fremden bis zur Lie - benswürdigkeit rechtlich. Alles was ſie unternahm, athmete den Geiſt freundlicher Ordnung, und wie von ſelbſt entwickelte ſich die gegenwär - tige Thätigkeit allmählig aus der vorigen und bezog ſich ſtill auf die künftige. In dieſer Anſchauung be - griff es Julius klar, daß es keine andre Tugend gebe als Conſequenz. Aber es war nicht die kalte ſteife Übereinſtimmung berechneter Grund - ſätze oder Vorurtheile, ſondern die beharrliche Treue eines mütterlichen Herzens, das den Kreis ſeiner Wirk -183 ſamkeit und ſeiner Liebe mit beſcheid - ner Kraft erweitert und in ſich ſelbſt vollendet, und die rohen Dinge der umgebenden Welt zu einem freund - lichen Eigenthum und Werkzeug des geſelligen Lebens bildet. Dabey war ihr jede Beſchränktheit häuslicher Frauen fremd, und mit tiefer Scho - nung und gefühlter Milde ſprach ſie über die herrſchenden Meinungen der Menſchen, und über die Ausnah - men und Ausſchweifungen derer, die gegen den Strom leben: denn ihr Verſtand war ſo unbeſtechlich als ihr Gefühl rein und unverfälſcht. Sie ſprach überhaupt gern, vorzüg - lich über ſittliche Gegenſtände, wo ſie den Streit oft ins Allgemeine ſpielte und auch wohl an Spitzfindig -184 keiten Gefallen hatte, wenn ſie et - was zu enthalten ſchienen und ſinn - reich klangen. Sie war nicht ſpar - ſam mit Worten und ihr Geſpräch ward durch keine ängſtliche Ordnung gelenkt. Es war eine reizende Ver - wirrung von einzelnen Einfällen und allgemeiner Theilnahme, von fort - geſetzter Aufmerkſamkeit und plötzli - cher Zerſtreuung.

Die Natur belohnte endlich die mütterliche Tugend der vortrefflichen Frau und es keimte, da ſie es kaum hoffte, ein neues Leben unter ihrem treuen Herzen. Das erfüllte den Jüngling, der ſo ſehr an ihr hing und an ihrem häuslichen Glücke den wärmſten Antheil nahm, mit leb - hafter Freude: aber es regte vieles185 in ihm an, was lange geſchwiegen hatte.

Da nun einige ſeiner künſtleri - ſchen Verſuche auch in ſeiner Bruſt ein neues Zutrauen weckten, und ihn der erſte Beyfall großer Meiſter aufmunterte; da ihn die Kunſt an neue ſehenswürdige Orte und unter fremde fröhliche Menſchen führte: ſo erweichte ſich ſein Gefühl und floß mächtig, wie ein großer Strom, wenn das Eis ſchmilzt und bricht, und die Wogen mit neuer Kraft ſich durch die alte Bahn reißen.

Er war verwundert ſich wieder ausgelaſſen und fröhlich in der Ge - ſellſchaft der Menſchen zu fühlen. Seine Denkart war männlich und rauh, aber ſein Herz in der Ein -186 ſamkeit wieder kindlich und ſchüch - tern geworden. Er ſehnte ſich nach einer Heimath und dachte an eine ſchöne Ehe, die mit den Foderungen der Kunſt nicht ſtreiten ſollte. War er dann unter der Blüthe junger Mädchen, ſo fand er leicht eine oder mehrere von ihnen liebenswürdig. Heyrathen, meinte er, wolle er ſie gleich, wenn er ſie ſchon nicht lie - ben könne. Denn der Begriff und ſelbſt der Namen der Liebe war ihm überheilig und blieb ganz in der Ferne. Bey ſolchen Gelegenheiten lächelte er dann über die ſcheinbare Beſchränktheit ſeiner augenblicklichen Wünſche und fühlte wohl, wie un - ermeßlich viel ihm noch fehlen möchte, wenn ſie durch einen Zauberſchlag187 ſogleich erfüllt würden. Ein ande - resmal lachte er lauter über ſeine alte Heftigkeit nach ſo langem Ent - halten, da ihm eine ſchnelle Gele - genheit einen friſchen Genuß anbot, und ſein Gemüth durch einen Ro - man, der in wenigen Minuten an - gefangen, vollendet und beſchloſſen war, wenigſtens von einigem Brenn - ſtoff befreyte und erleichterte.

Einem ſehr gebildeten Mädchen gefiel er, weil er ihr ſeelenvolles Geſpräch und ihren ſchönen Geiſt mit ſichtbarer Innigkeit bewunderte, und ihr, ohne eine Schmeicheley aus - zuſprechen, bloß durch die Art ſeines Umgangs huldigte, ſo gut, daß ſie ihm nach und nach alles erlaubte, außer das letzte. Und ſelbſt dieſe188 Gränze ſetzte ſie ihm nicht aus Kälte, noch aus Vorſicht und Grundſatz: denn ſie war reizbar genug, ſie hatte eine ſtarke Anlage zum Leichtſinn und lebte in den freyſten Verhält - niſſen. Es war weiblicher Stolz und Scheu vor dem, was ſie für thieriſch und roh hielt. So wenig nun ein ſolches Beginnen ohne Vollendung nach Julius Sinne war, und ob - gleich er über die kleine Einbildung des Mädchens lächeln mußte, wenn er bey dieſem verkehrten und ver - künſtelten Weſen an das Schaffen und Wirken der allmächtigen Natur, an ihre ewigen Geſetze, an die Hoheit und Größe der Mutterwürde, und an die Schönheit des Mannes dachte, den in der Fülle der Geſundheit und189 Liebe die Begeiſterung des Lebens ergreift, oder des Weibes, das ſich ihr hingiebt: ſo freute er ſich doch bey dieſer Gelegenheit zu ſehn, daß er den Sinn für zarten und feinen Genuß noch nicht verloren habe.

Bald aber vergaß er dieſe und andre ähnliche Kleinigkeiten, da er eine junge Künſtlerin traf, welche das Schöne gleich ihm leidenſchaft - lich verehrte, die Einſamkeit und Natur eben ſo zu lieben ſchien. In ihren Landſchaften ſah und fühlte man den lebendigen Hauch wahrer Luft, es war immer ein ganzer Blick. Die Umriſſe waren zu un - beſtimmt, und zwar auf eine ſolche Weiſe, daß ſie den Mangel einer gründlichen Schule verriethen. Aber190 alle die Maſſen ſtimmten zuſammen zu einer Einheit für das Gefühl, die ſo klar und deutlich war, als ſey es unmöglich, etwas anderes dabey zu fühlen. Sie trieb die Ma - lerey nicht wie ein Gewerbe oder eine Kunſt, ſondern bloß aus Luſt und Liebe, und warf jede Anſicht, ſo wie auf ihren Wanderungen ihr eine gefiel oder merkwürdig ſchien, nach Zeit und Laune mit der Feder oder in Waſſerfarben aufs Papier. Zum Öl hatte es ihr an Geduld und an Fleiß gefehlt, und ſelten mahlte ſie ein Portrait, nur wann ſie ein Geſicht ſehr ausgezeichnet und werth hielt. Dann arbeitete ſie mit der gewiſſenhafteſten Treue und Sorgfalt und wußte die Paſtellfarben191 mit einer bezaubernden Weichheit zu behandeln. So bedingt und gering der Werth dieſer Verſuche für die Kunſt ſeyn mochte, ſo freute ſich Julius doch nicht wenig über die ſchöne Wildheit in ihren Landſchaf - ten und über den Geiſt, mit dem ſie die unergründliche Mannichfaltigkeit und wunderbare Übereinſtimmung der menſchlichen Geſichtszüge auffaßte. Und ſo einfach die der Künſtlerin ſelbſt waren, ſo waren ſie doch nicht unbedeutend, und Julius fand in ih - nen einen großen Ausdruck, der ihm immer neu blieb.

Lucinde hatte einen entſchiednen Hang zum Romantiſchen, er fühlte ſich betroffen über die neue Ähnlich - keit und er entdeckte immer mehrere. 192Auch ſie war von denen, die nicht in der gemeinen Welt leben, ſondern in einer eignen ſelbſtgedachten und ſelbſtgebildeten. Nur was ſie von Herzem liebte und ehrte, war in der That wirklich für ſie, alles andre nichts; und ſie wußte was Werth hat. Auch ſie hatte mit kühner Entſchloſſenheit alle Rückſichten und alle Bande zerriſſen und lebte völlig frey und unabhängig.

Die wunderbare Gleichheit zog den Jüngling bald in ihre Nähe, er bemerkte daß auch ſie dieſe Gleich - heit fühle, und beyde nahmen es gewahr, daß ſie ſich nicht gleichgül - tig wären. Es war noch nicht lan - ge daß ſie ſich ſahen und Julius wagte nur einzelne abgerißne Worte,die193die bedeutend aber nicht deutlich waren. Er ſehnte ſich mehr von ih - ren Schickſalen und ihrem ehemali - gen Leben zu wiſſen, worüber ſie gegen andre ſehr geheimnißvoll war. Ihm geſtand ſie nicht ohne gewalt - ſame Erſchütterung, ſie ſey ſchon Mutter geweſen von einem ſchönen ſtarken Knaben, den ihr der Tod bald wieder entriſſen. Auch er er - innerte ſich an die Vergangenheit und ſein Leben ward ihm, indem er es ihr erzählte, zum erſtenmal zu einer gebildeten Geſchichte. Wie freute ſich Julius, da er mit ihr über Muſik ſprach, und ſeine inner - ſten und eigenſten Gedanken über den heiligen Zauber dieſer romanti - ſchen Kunſt aus ihrem Munde hörte! Lucinde I. N194Da er ihren Geſang vernahm, der ſich rein und ſtark gebildet aus tie - fer weicher Seele hob, da er ihn mit dem ſeinigen begleitete, und ihre Stimmen bald in Eins floſſen, bald Fragen und Antworten der zarteſten Empfindung wechſelten, für die es keine Sprache giebt! Er konnte nicht widerſtehn, er drückte einen ſchüch - ternen Kuß auf die friſchen Lippen und die feurigen Augen. Mit ewi - gem Entzücken fühlte er das gött - liche Haupt der hohen Geſtalt auf ſeine Schulter ſinken, die ſchwarzen Locken floſſen über den Schnee des vollen Buſens und des ſchönen Rük - kens, leiſe ſagte er herrliche Frau! als die fatale Geſellſchaft unerwartet hereintrat.

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Nun hatte ſie ihm nach ſeinen Begriffen eigentlich ſchon alles ge - währt; es war ihm nicht möglich zu künſteln an einem Verhältniß, das er ſich ſo rein und groß dachte, und doch war ihm jede Zögerung uner - träglich. Von einer Gottheit, dachte er, begehrt man nicht erſt das, was man nur als Übergang und Mittel denkt, ſondern man bekennt ſogleich mit Offenheit und Zuverſicht das Ziel aller Wünſche. So bat auch er ſie mit der unſchuldigſten Unbe - fangenheit um alles, was man eine Geliebte bitten kann, und ſtellte ihr in einem Strome von Beredſamkeit dar, wie ſeine Leidenſchaftlichkeit ihn zerſtören würde, wenn ſie zu weib - lich ſeyn wollte. Sie war nichtN 2196wenig überraſcht, aber ſie ahndete wohl, daß er nach der Hingebung liebender und treuer ſeyn würde wie vorher. Sie konnte keinen Entſchluß faſſen, und überließ es nur den Um - ſtänden, die es ſo fügten, wie es gut war. Sie waren nur wenige Tage allein, als ſie ſich ihm auf ewig ergab und ihm die Tiefe ihrer großen Seele öffnete, und alle Kraft Natur und Heiligkeit, die in ihr war. Auch ſie lebte lange in ge - waltſamer Verſchloſſenheit, und nun brachen zwiſchen den Umarmungen in Strömen der Rede das zurückge - drängte Zutrauen und die Mitthei - lung mit einemmale hervor aus dem innerſten Gemüth. In einer Nacht wechſelten ſie mehr als einmal heftig197 zu weinen und laut zu lachen. Sie waren ganz hingegeben[und] eins und doch war jeder ganz er ſelbſt, mehr als ſie es noch je geweſen wa - ren, und jede Äußerung war voll vom tiefſten Gefühl und eigenſten Weſen. Bald ergriff ſie eine unend - liche Begeiſterung, bald tändelten nnd ſcherzten ſie muthwillig und Amor war hier wirklich, was er ſo ſelten iſt, ein fröhliches Kind.

Durch das, was ſeine Freundin ihm offenbart hatte, ward es dem Jünglinge klar, daß nur ein Weib recht unglücklich ſeyn kann und recht glücklich, und daß die Frauen allein, die mitten im Schooß der menſch - lichen Geſellſchaft Naturmenſchen ge - blieben ſind, den kindlichen Sinn198 haben, mit dem man die Gunſt und Gabe der Götter annehmen muß. Er lernte das ſchöne Glück ehren, was er gefunden hatte, und wenn er es mit dem häßlichen unächten Glück verglich, was er ehedem vom Eigen - ſinn des Zufalls künſtlich erzwingen wollte, ſo erſchien es ihm wie eine natürliche Roſe am lebendigen Stamm gegen eine nachgemachte. Aber we - der im Taumel der Nächte noch in der Freude der Tage wollte er es Liebe nennen. So ſehr hatte er ſich beredet, daß dieſe gar nicht für ihn ſey und er nicht für ſie! Es fand ſich leicht ein Unterſchied, um dieſe Selbſttäuſchung zu beſtätigen. Er hege, ſo war ſein Urtheil, eine hef - tige Leidenſchaft für ſie und werde199 ewig ihr Freund ſeyn. Was ſie ihm gab und für ihn fühlte, nannte er Zärtlichkeit, Erinnerung, Hingabe und Hoffnung.

Indeſſen floß die Zeit und die Freude wuchs. Julius fand in Lu - cindens Armen ſeine Jugend wieder. Die üppige Ausbildung ihres ſchönen Wuchſes war für die Wuth ſeiner Liebe und ſeiner Sinne reizender, wie der friſche Reiz der Brüſte und der Spiegel eines jungfräulichen Lei - bes. Die hinreißende Kraft und Wärme ihrer Umſchließung war mehr als mädchenhaft; ſie hatte einen An - hauch von Begeiſterung und Tiefe, den nur eine Mutter haben kann. Wenn er ſie im Zauberſchein einer milden Dämmerung hingegoſſen ſah,200 konnte er nicht aufhören, die ſchwel - lenden Umriſſe ſchmeichelnd zu be - rühren, und durch die zarte Hülle der ebnen Haut die warmen Ströme des feinſten Lebens zu fühlen. Sein Auge indeſſen berauſchte ſich an der Farbe die ſich durch die Wirkung der Schatten vielfach zu verändern ſchien und doch immer eine und die - ſelbe blieb. Eine reine Miſchung, wo nirgends Weiß oder Braun oder Roth allein abſtach oder ſich roh zeigte. Das alles war verſchleyert und verſchmolzen zu einem einzigen harmoniſchen Glanz von ſanftem Le - ben. Auch Julius war männlich ſchön, aber die Männlichkeit ſeiner Geſtalt offenbarte ſich nicht in der hervorgedrängten Kraft der Muſkeln. 201Vielmehr waren die Umriſſe ſanft, die Glieder voll und rund, doch war nirgends ein Überfluß. In hellem Licht bildete die Oberfläche überall breite Maſſen und der glatte Kör - per ſchien dicht und feſt wie Mar - mor, und in den Kämpfen der Liebe entwickelte ſich mit einemmale der ganze Reichthum ſeiner kräftigen Bildung.

Sie erfreuten ſich des jugendlichen Lebens, Monate vergingen wie Tage und mehr als zwey Jahre waren vor - über. Nun ward Julius erſt allmäh - lig inne, wie groß ſeine Ungeſchicklich - keit ſey und ſein Mangel an Ver - ſtand. Er hatte die Liebe und das Glück überall geſucht, wo ſie nicht zu finden waren, und nun da er202 das Höchſte beſaß, hatte er nicht einmal gewußt oder gewagt, ihm den rechten Namen zu geben. Er erkannte nun wohl daß die Liebe, die für die weibliche Seele ein un - theilbares durchaus einfaches Gefühl iſt, für den Mann nur ein Wechſel und eine Miſchung von Leidenſchaft, von Freundſchaft und von Sinnlich - keit ſeyn kann; und er ſah mit fro - hem Erſtaunen, daß er eben ſo un - endlich geliebt werde wie er liebe.

Überhaupt ſchien es vorherbe - ſtimmt, daß jede Begebenheit ſeines Lebens ihn durch ein ſonderbares Ende überraſchen ſolle. Nichts zog ihn anfangs ſo ſehr an, und hatte ihn ſo mächtig getroffen, als die Wahrnehmung, daß Lucinde von203 ähnlichem ja gleichem Sinn und Geiſt mit ihm ſelbſt war, und nun mußte er von Tage zu Tage neue Verſchiedenheiten entdecken. Zwar gründeten ſich ſelbſt dieſe nur auf eine tiefere Gleichheit, und je reicher ihr Weſen ſich entwickelte, je vielſei - tiger und inniger ward ihre Ver - bindung. Er hatte es nicht geahn - det, daß ihre Originalität ſo uner - ſchöpflich war wie ihre Liebe. Ihr Ausſehn ſogar ſchien jugendlicher und blühender in ſeiner Gegenwart; und ſo blühte auch ihr Geiſt durch die Berührung des ſeinigen auf und bildete ſich in neue Geſtalten und in neue Welten. Er glaubte alles in ihr vereinigt zu beſitzen, was er ſonſt einzeln geliebt hatte: die ſchöne204 Neuheit des Sinnes, die hinreißende Leidenſchaftlichkeit, die beſcheidne Thä - tigkeit und Bildſamkeit und den gro - ßen Charakter. Jedes neue Verhält - niß, jede neue Anſicht war für ſie ein neues Organ der Mittheilung und Harmonie. Wie der Sinn für einander, wuchs auch der Glauben an einander, und mit dem Glauben ſtieg der Muth und die Kraft.

Sie theilten ihre Neigung zur Kunſt und Julius vollendete einiges. Seine Gemälde belebten ſich, ein Strom von beſeelendem Licht ſchien ſich darüber zu ergießen und in fri - ſcher Farbe blühte das wahre Fleiſch. Badende Mädchen, ein Jüngling der mit geheimer Luſt ſein Ebenbild im Waſſer anſchaut, oder eine hold -205 ſelig lächelnde Mutter mit dem ge - liebten Kinde im Arm waren beynah die höchſten Gegenſtände ſeines Pin - ſels. Die Formen ſelbſt entſprachen vielleicht nicht immer den angenomme - nen Geſetzen einer künſtlichen Schön - heit. Was ſie dem Auge empfahl, war eine gewiſſe ſtille Anmuth, ein tiefer Ausdruck von ruhigem heitern Daſeyn und von Genuß dieſes Da - ſeyns. Es ſchienen beſeelte Pflan - zen in der gottähnlichen Geſtalt des Menſchen. Eben dieſen liebenswür - digen Charakter hatten auch ſeine Umarmungen, in deren Verſchieden - heit er unerſchöpflich war. Die mahlte er am liebſten, weil der Reiz ſeines Pinſels ſich hier am ſchönſten zeigen konnte. In ihnen ſchien wirk -206 lich der flüchtige und geheimnißvolle Augenblick des höchſten Lebens durch einen ſtillen Zauber überraſcht und für die Ewigkeit angehalten. Je entfernter von bakchantiſcher Wuth, je beſcheidner und lieblicher die Be - handlung war, je verführeriſcher war der Anblick, bey dem Jünglinge und Frauen ein ſüßes Feuer durchſtrömte.

Wie ſeine Kunſt ſich vollendete und ihm von ſelbſt in ihr gelang, was er zuvor durch kein Streben und Arbeiten erringen konnte: ſo ward ihm auch ſein Leben zum Kunſt - werk, ohne daß er eigentlich wahr - nahm, wie es geſchah. Es ward Licht in ſeinem Innern, er ſah und überſah alle Maſſen ſeines Lebens und den Gliederbau des Ganzen klar207 und richtig, weil er in der Mitte ſtand. Er fühlte daß er dieſe Ein - heit nie verlieren könne, das Räth - ſel ſeines Daſeyns war gelöſt, er hatte das Wort gefunden, und alles ſchien ihm dazu vorherbeſtimmt und von den frühſten Zeiten darauf an - gelegt, daß er es in der Liebe fin - den ſollte, zu der er ſich aus ju - gendlichem Unverſtand ganz unge - ſchickt geglaubt hatte.

Leicht und melodiſch floſſen ihnen die Jahre vorüber, wie ein ſchöner Geſang, ſie lebten ein gebildetes Leben, auch ihre Umgebung ward harmoniſch und ihr einfaches Glück ſchien mehr ein ſeltnes Talent als eine ſonderbare Gabe des Zufalls. Julius hatte auch ſein äußeres Be -208 tragen verändert; er war geſelliger, und obgleich er viele ganz verwarf, um ſich mit wenigen deſto inniger zu verbinden, ſo unterſchied er doch nicht mehr ſo hart, wurde vielſeiti - ger und lernte das gewöhnliche ver - edeln. Er zog allmählig manche vorzügliche Menſchen an ſich, Lu - cinde verband und erhielt das Ganze und ſo entſtand eine freye Geſell - ſchaft, oder vielmehr eine große Fa - milie, die ſich durch ihre Bildung immer neu blieb. Auch vorzüg - liche Ausländer erhielten den Zutritt. Julius ſprach ſeltner mit ihnen, aber Lucinde wußte ſie gut zu unterhal - ten; und zwar ſo daß ihre groteſke Allgemeinheit und ausgebildete Ge - meinheit zugleich die andern ergötzte,und209und weder ein Stillſtand noch ein Mislaut in der geiſtigen Muſik er - regt ward, deren Schönheit eben in der harmoniſchen Mannichfaltigkeit und Abwechſelung beſtand. Neben dem großen, ernſten Styl in der Kunſt der Geſelligkeit ſollte auch jede nur reizende Manier und flüch - tige Laune ihre Stelle darin finden.

Eine allgemeine Zärtlichkeit ſchien Julius zu beſeelen, nicht ein nützen - des oder mitleidendes Wohlwollen an der Menge, ſondern eine an - ſchauende Freude über die Schönheit des Menſchen, der ewig bleibt, wäh - rend die einzelnen ſchwinden; und ein reger und offner Sinn für das Innerſte in ſich und in andern. Er war faſt immer gleich geſtimmt zumLucinde I. O210kindlichſten Scherz und zum heilig - ſten Ernſt. Er liebte nicht mehr nur die Freundſchaft in ſeinen Freunden, ſondern ſie ſelbſt. Jede ſchöne Ahn - dung und Andeutung die in der Seele liegt, ſtrebte er im Geſpräch mit ähnlich geſinnten ans Licht zu bringen und zu entwickeln. Da ward ſein Geiſt in vielfachen Richtungen und Verhältniſſen ergänzt und berei - chert. Aber die volle Harmonie fand er auch von dieſer Seite allein in Lu - cindens Seele, wo die Keime alles Herrlichen und alles Heiligen nur auf den Strahl ſeines Geiſtes war - teten, um ſich zur ſchönſten Religion zu entfalten.

211

Ich verſetze mich gern in den Frühling unſrer Liebe; ich ſehe alle die Veränderungen und Verwand - lungen, ich lebe ſie noch einmal, und ich möchte wenigſtens einige von den leiſen Umriſſen des entflie - henden Lebens ergreifen und zu ei - nem bleibenden Bilde geſtalten, jetzt da es noch voller warmer Sommer in mir iſt, ehe auch das vorüber und es auch dazu zu ſpät wird. Wir Sterblichen ſind, ſo wie wir hier ſind, nur die edelſten Gewächſe die - ſer ſchönen Erde. Die Menſchen vergeſſen das ſo leicht, höchlich mis - billigen ſie die ewigen Geſetze der Welt und wollen die geliebte Ober - fläche durchaus im Mittelpunkte wie - derfinden. Nicht alſo du und ich. O 2212Wir ſind dankbar und zufrieden mit dem was die Götter wollen und was ſie in der heiligen Schrift der ſchönen Natur ſo klar angedeutet haben. Das beſcheidne Gemüth er - kennt es, daß es auch ſeine wie al - ler Dinge natürliche Beſtimmung ſey, zu blühen zu reifen und zu welken. Aber es weiß, daß eines doch in ihm unvergänglich ſey. Die - ſes iſt die ewige Sehnſucht nach der ewigen Jugend, die immer da iſt und immer entflieht. Noch klaget die zärtliche Venus um den Tod des holden Adonis in jeder ſchönen Seele. Mit ſüßem Verlangen erwartet und ſucht ſie den Jüngling, mit zarter Wehmuth erinnert ſie ſich an die himmliſchen Augen des Geliebten,213 an die ſanften Züge und an die kindlichen Geſpräche und Scherze, und lächelt dann eine Thräne, hold erröthend, auch ſich nun unter den Blumen der bunten Erde zu er - blicken.

Andeuten will ich dir wenigſtens in göttlichen Sinnbildern, was ich nicht zu erzählen vermag. Denn wie ich auch die Vergangenheit über - denke, und in mein Ich zu dringen ſtrebe, um die Erinnerung in klarer Gegenwart anzuſchauen und dich an - ſchauen zu laſſen: es bleibt immer etwas zurück, was ſich nicht äußer - lich darſtellen läßt, weil es ganz innerlich iſt. Der Geiſt des Men - ſchen iſt ſein eigner Proteus, ver - wandelt ſich und will nicht Rede214 ſtehn vor ſich ſelbſt, wenn er ſich greifen möchte. In jener tiefſten Mitte des Lebens treibt die ſchaffen - de Willkühr ihr Zauberſpiel. Da ſind die Anfänge und Enden, wohin alle Fäden im Gewebe der geiſtigen Bildung ſich verlieren. Nur was allmählig fortrückt in der Zeit und ſich ausbreitet im Raume, nur was geſchieht iſt Gegenſtand der Ge - ſchichte. Das Geheimniß einer au - genblicklichen Entſtehung oder Ver - wandlung kann man nur errathen und durch Allegorie errathen laſſen.

Es war nicht ohne Grund, daß der fantaſtiſche Knabe, der mir am meiſten gefiel unter den vier unſterb - lichen Romanen, die ich im Traum ſah, mit der Maske ſpielt. Auch215 in dem was reine Darſtellung und Thatſache ſcheint, hat ſich Allegorie eingeſchlichen, und unter die ſchöne Wahrheit bedeutende Lügen gemiſcht. Aber nur als geiſtiger Hauch ſchwebt ſie beſeelend über die ganze Maſſe, wie der Witz der unſichtbar mit ſei - nem Werke ſpielt und nur leiſe lächelt.

Es giebt Dichtungen in der al - ten Religion, die ſelbſt in ihr einzig ſchön, heilig und zart erſcheinen. Die Poeſie hat ſie ſo fein und reich gebildet und umgebildet, daß ihre ſchöne Bedeutſamkeit unbeſtimmt ge - blieben iſt, und immer neue Deu - tungen und Bildungen erlaubt. Un - ter dieſen habe ich, um dir einiges von dem anzudeuten, was ich über216 die Metamorphoſen des liebenden Gemüths ahnde, die gewählt, von denen ich glaubte, der Gott der Harmonie könnte ſie, nachdem ihn die Liebe vom Himmel auf die Erde geführt und ihn zum Hirten gemacht, den Muſen erzählt oder doch von ihnen angehört haben. Damals an den Ufern des Amphryſos hat er auch, wie ich glaube, die Idylle und die Elegie erſonnen.

Metamorphoſen.

In ſüßer Ruhe ſchlummert der kindliche Geiſt und der Kuß der lie - benden Göttin erregt ihm nur leichte Träume. Die Roſe der Schaam färbt ſeine Wange, er lächelt und ſcheint die Lippen zu öffnen, aber217 er erwacht nicht, und er weiß nicht was in ihm vorgeht. Erſt nachdem der Reiz des äußern Lebens, durch ein innres Echo vervielfältigt und verſtärkt, ſein ganzes Weſen überall durchdrungen hat, ſchlägt er das Auge auf, frohlockend über die Son - ne, und erinnert ſich jetzt an die Zauberwelt die er im Schimmer des blaſſen Mondes ſah. Die wunder - bare Stimme, die ihn weckte, iſt ihm geblieben, aber ſie tönt nun ſtatt der Antwort von den äußern Ge - genſtänden zurück; und wenn er dem Geheimniß ſeines Daſeyns mit kindlicher Schüchternheit zu entfliehen ſtrebt, das Unbekannte mit ſchöner Neugier ſuchend, vernimmt er über - all nur den Nachhall ſeiner eignen Sehnſucht.

218

So ſchaut das Auge in dem Spie - gel des Fluſſes nur den Wiederſchein des blauen Himmels, die grünen Ufer, die ſchwankenden Bäume und die eigne Geſtalt de in ſich ſelbſt verſunkenen Betrachters. Wenn ein Gemüth voll unbewußter Liebe da, wo es Gegenliebe hoffte, ſich ſelbſt findet, wird es von Erſtaunen ge - troffen. Doch bald läßt ſich der Menſch wieder durch den Zauber der Anſchauung locken und täuſchen, ſeinen Schatten zu lieben. Dann iſt der Augenblick der Anmuth gekom - men, die Seele bildet ihre Hülle noch einmal, und athmet den letzten Hauch der Vollendung durch die Geſtalt. Der Geiſt verliert ſich in ſeiner kla - ren Tiefe und findet ſich wie Nar - ciſſus als Blume wieder.

219

Liebe iſt höher als Anmuth und wie bald würde die Blüthe der Schönheit fruchtlos welken ohne die ergänzende Bildung der Gegenliebe!

Dieſer Augenblick, der Kuß des Amor und der Pſyche iſt die Roſe des Lebens. Die begeiſterte Dio - tima hat ihren Sokrates nur die Hälfte der Liebe offenbart. Die Liebe iſt nicht bloß das ſtille Ver - langen nach dem Unendlichen; ſie iſt auch der heilige Genuß einer ſchönen Gegenwart. Sie iſt nicht bloß eine Miſchung, ein Übergang vom Sterb - lichen zum Unſterblichen, ſondern ſie iſt eine völlige Einheit beyder. Es giebt eine reine Liebe, ein untheil - bares und einfaches Gefühl ohne die leiſeſte Störung von unruhigem220 Streben. Jeder giebt daſſelbe was er nimmt, einer wie der andre, al - les iſt gleich und ganz und in ſich vollendet wie der ewige Kuß der göttlichen Kinder.

Durch die Magie der Freude zer - fließt das große Chaos ſtreitender Geſtalten in ein harmoniſches Meer der Vergeſſenheit. Wenn der Strahl des Glücks ſich in der letzten Thräne der Sehnſucht bricht, ſchmückt Iris ſchon die ewige Stirn des Himmels mit den zarten Farben ihres bunten Bogens. Die lieblichen Träume werden wahr, und ſchön wie Ana - dyomene heben ſich aus den Wogen des Lethe die reinen Maſſen einer neuen Welt und entfalten ihren Glie - derbau in die Stelle der verſchwund -221 nen Finſterniß. In goldner Jugend und Unſchuld wandelt die Zeit und der Menſch im göttlichen Frieden der Natur, und ewig kehrt Aurora ſchöner wieder.

Nicht der Haß, wie die Weiſen ſagen, ſondern die Liebe trennt die Weſen und bildet die Welt, und nur in ihrem Licht kann man dieſe fin - den und ſchauen. Nur in der Ant - wort ſeines Du kann jedes Ich ſeine unendliche Einheit ganz fühlen. Dann will der Verſtand den innern Keim der Gottähnlichkeit entfalten, ſtrebt immer näher nach dem Ziele und iſt voll Ernſt, die Seele zu bilden, wie ein Künſtler das einzig geliebte Werk. In den Myſterien der Bil - dung ſchaut der Geiſt das Spiel222 und die Geſetze der Willkühr und des Lebens. Das Werk des Pyg - malion bewegt ſich, und den über - raſchten Künſtler ergreift ein freudi - ger Schauer im Bewußtſeyn eigner Unſterblichkeit, und wie der Adler den Ganymedes reißt ihn die gött - liche Hoffnung mit mächtigem Fittich zum Olymp.

Zwey Briefe.

I.

Iſt es denn wahr und wirklich, was ich ſo oft in der Stille wünſchte und nicht zu äußern wagte? Ich ſehe das Licht einer heiligen Freude auf deinem Antlitz lächeln, und be - ſcheiden giebſt du mir die ſchöne Ver - heißung.

223

Du wirſt Mutter ſeyn!

Lebe wohl Sehnſucht und du leiſe Klage, die Welt iſt wieder ſchön, jetzt liebe ich die Erde, und die Morgenröthe eines neuen Früh - lings hebt ihr Roſenſtrahlendes Haupt über mein unſterbliches Daſeyn. Wenn ich Lorbeern hätte, würde ich ſie um deine Stirn flechten, um dich einzuweihen zu neuem Ernſt und zu neuer Thätigkeit; denn auch für dich beginnt nun ein anderes Leben. Da - für gieb du mir den Myrthenkranz. Es ſteht mir wohl an, mich jugend - lich zu ſchmücken mit dem Sinnbilde der Unſchuld, da ich im Paradieſe der Natur wandle. Was vorher war zwiſchen uns, iſt nur Liebe ge - weſen und Leidenſchaft. Nun hat224 uns die Natur inniger verbunden, ganz und unauflöslich. Die Natur allein iſt die wahre Prieſterin der Freude; nur ſie verſteht es, ein hochzeitliches Band zu knüpfen. Nicht durch eitle Worte ohne See - gen, ſondern durch friſche Blüthen und lebendige Früchte aus der Fülle ihrer Kraft. Im endloſen Wechſel neuer Geſtalten flicht die bildende Zeit den Kranz der Ewigkeit, und heilig iſt der Menſch, den das Glück berührt, daß er Früchte trägt und geſund iſt. Wir ſind nicht etwa taube Blüthen unter den Weſen, die Götter wollen uns nicht ausſchließen aus der großen Verkettung aller wirkenden Dinge, und geben uns deutliche Zeichen. So laß uns dennunſre225unſre Stelle in dieſer ſchönen Welt verdienen, laß uns auch die unſterb - lichen Früchte tragen, die der Geiſt und die Willkühr bildet, und laß uns eintreten in den Reigen der Menſchheit. Ich will mich anbauen auf der Erde, ich will für die Zu - kunft und für die Gegenwart ſäen und erndten, ich will alle Kräfte brauchen, ſo lange es Tag iſt, und mich dann am Abend in den Armen der Mutter erquicken, die mir ewig Braut ſeyn wird. Unſer Sohn, der kleine ernſthafte Schalk wird um uns ſpielen, und manchen Muth - willen gegen dich mit mir aus - ſinnen.

Lucinde I. P226

Du haſt Recht, das kleine Land - gut müſſen wir durchaus kaufen. Es iſt gut, daß du gleich die An - ſtalten getroffen haſt, ohne auf meine Entſcheidung zu warten. Richte al - les ein, wie es dir gefällt; nur nicht gar zu ſchön, wenn ich bitten darf, aber auch nicht zu nützlich und vor allen Dingen nicht zu weitläufig.

Wenn du nur alles ganz nach deinem eignen Sinn machſt, und dir nichts einreden läßt von Gewöhnli - chem und Schicklichem, ſo wird es ſchon recht ſeyn, wie es ſeyn muß und wie ichs wünſche, und ich werde eine herrliche Freude haben über das ſchöne Eigenthum. Was ich ſonſt brauchte, hatte ich gedankenlos und ohne Gefühl von Beſitz. Leichtſinnig227 lebte ich über die Erde weg, und war nicht einheimiſch auf ihr. Nun hat das Heiligthum der Ehe mir das Bürgerrecht im Stande der Natur gegeben. Ich ſchwebe nicht mehr im leeren Raum einer allgemeinen Begeiſterung, ich gefalle mir in der freundlichen Beſchränkung, ich ſehe das Nützliche in einem neuen Lichte und finde alles wahrhaft nützlich, was irgend eine ewige Liebe mit ih - rem Gegenſtande vermählt, kurz al - les was zu einer ächten Ehe dient. Die äußerlichen Dinge ſelbſt flößen mir Hochachtung ein, wenn ſie in ihrer Art tüchtig ſind, und du wirſt am Ende noch frohlockende Lobreden auf den Werth eines eignen Heer -P 2228des und über die Würde der Häus - lichkeit von mir hören.

Ich verſtehe jetzt deine Vorliebe fürs Landleben, ich liebe ſie an dir, und ich fühle wie du. Ich mag ſie gar nicht mehr ſehn, dieſe unbeholf - nen Klumpen von allem was ver - derbt und krank iſt in der Menſch - heit; und wenn ich ſie im allgemei - nen denken will, erſcheinen ſie mir wie wilde Thiere an der Kette, die nicht einmal frey wüthen können. Auf dem Lande können die Menſchen doch noch beyſammen ſeyn, ohne ſich häßlich zu drängen. Da könnten, wenn alles wäre wie es ſollte, ſchö - ne Wohnungen und liebliche Hütten wie friſche Gewächſe und Blumen den grünen Boden ſchmücken und229 einen würdigen Garten der Gotthett bilden.

Freylich werden wir auch auf dem Lande die Gemeinheit wieder finden, die noch überall herrſcht. Es ſollte eigentlich nur zwey Stände unter den Menſchen geben, den bil - denden und den gebildeten, den männlichen und den weiblichen, und ſtatt aller künſtlichen Geſellſchaft eine große Ehe dieſer beiden Stände, und allgemeine Brüderſchaft aller Einzel - nen. Statt deſſen ſehen wir nur eine Unzahl von Rohheit, und als unbedeutende Ausnahme einige die durch Mißbildung verkehrt ſind! Aber in der freyen Luft kann doch das Einzelne, was ſchön und gut iſt, nicht ſo erdrückt werden durch230 die ſchlechte Maſſe und durch den Schein ihrer Allmacht.

Weißt du, welche Zeit unſrer Liebe mir beſonders ſchön glänzt? Zwar iſt mir alles ſchön und rein in der Erinnerung, und auch an die erſten Tage denke ich mit wehmüthi - gem Entzücken. Aber das wertheſte unter allem werthen ſind mir doch die letzten Tage, die wir zuſammen auf dem Gute lebten. Ein neuer Grund, um wieder auf dem Lande zu wohnen!

Noch eins. Laß mir die Wein - reben nicht zu ſehr beſchneiden. Ich ſchreibe dies nur, weil du ſie gar zu wild und üppig fandeſt, und weil es dir einfallen möchte, das kleine Haus von allen Seiten durch -231 aus ſauber vor dir zu ſehn. Auch der grüne Raſenplatz muß bleiben wie er iſt. Darauf ſoll das Kleine ſein Weſen treiben, kriechen, ſpielen und ſich wälzen.

Nicht wahr, der Schmerz, den dir mein trauriger Brief erregt hat, iſt völlig vergütet? Ich kann mich in allen dieſen Herrlichkeiten und im Taumel der Hoffnung nicht länger mit Sorge quälen. Mehr Schmerz als ich haſt du nicht dabey empfun - den. Aber was liegt daran, wenn du mich liebſt, wirklich liebſt, ſo recht im Innerſten, ohne einen Hinter - halt von Fremdem. Welcher Schmerz wäre der Rede werth, wenn wir232 damit ein tieferes, heißeres Bewußt - ſeyn unſrer Liebe gewinnen? Auch du biſt ſo geſinnt. Alles was ich dir da ſage, wußteſt du lange. Über - haupt iſt kein Entzücken und keine Liebe in mir, die nicht ſchon in ir - gend einer Tiefe deines Weſens ver - borgen läge, du Unendliche und Glückliche!

Mißverſtändniſſe ſind auch gut, damit das heiligſte einmal zur Spra - che kömmt. Das Fremde, was dann und wann zwiſchen uns zu ſeyn ſcheint, iſt nicht in uns, in keinem von uns. Es iſt nur zwiſchen uns und auf der Oberfläche, und ich hoffe bey dieſer Gelegenheit wirſt du es ganz von dir und aus dir wegtreiben.

233

Und woher entſtehen ſolche kleine Abſtoßungen als aus der gegenſei - tigen Unerſättlichkeit im Lieben und Geliebtwerden? Ohne dieſe Unerſätt - lichkeit giebt's keine Liebe. Wir le - ben und lieben bis zur Vernichtung. Und wenn die Liebe es iſt, die uns erſt zu wahren vollſtändigen Men - ſchen macht, das Leben des Lebens iſt, ſo darf auch ſie wohl die Wi - derſprüche nicht ſcheuen, ſo wenig wie das Leben und die Menſchheit; ſo wird auch ihr Frieden nur auf den Streit der Kräfte folgen.

Ich fühle mich glücklich, daß ich eine Frau liebe, die ſo wie du lie - ben kann. So wie du iſt ein grö - ßeres Wort als alle Superlative. Wie kannſt du nur meine Worte234 loben, da ich, ohne es zu wollen, welche traf, die dich ſo verletzen mußten? Ich möchte ſagen, ich ſchreibe zu gut, um dir ſagen zu können, wie mir im innerſten Ge - müth iſt. Ach Liebe! glaube es nur, daß keine Frage in dir ohne Ant - wort in mir iſt. Deine Liebe kann nicht ewiger ſeyn als die meinige. Köſtlich iſt aber deine ſchöne Ei - ferſucht auf meine Fantaſie und ihre Wuthbeſchreibungen. Das bezeichnet recht die Gränzenloſigkeit deiner Treue, läßt aber doch hoffen, daß deine Eiferſucht nahe daran ſey, in ihrem eignen Übermaaß ſich ſelbſt zu vernichten.

Es bedarf nun dieſer Art von Fantaſie der geſchriebenen nicht235 mehr. Ich werde bald bey dir ſeyn. Ich bin heiliger, ruhiger wie ſonſt. Ich kann dich im Geiſte nur an - blicken und ſtets vor dir ſtehn. Du fühlſt alles ohne daß ichs ſage, und glühſt freudig halb den geliebten Mann halb das Kind im Herzen.

Weißt du noch, wie ich dir ſchrieb, keine Erinnerung könne dich mir entweihen, du ſeyſt ewig rein wie die heilige Jungfrau von un - beflecktem Empfängniß, und nichts fehle dir zur Madonna wie das Kind?

Nun haſt du es, nun iſt es da und wirklich. Bald trage ich ihn auf dem Arm, bald erzähle ich ihm236 Mährchen, bald unterrichte ich ihn ſehr ernſthaft, bald gebe ich ihm gute Lehren, wie der junge Menſch ſich in der Welt zu betragen hat.

Und dann kehrt mein Geiſt wie - der zurück zur Mutter, ich gebe dir einen unendlichen Kuß, ich ſehe wie ſich dein Buſen ſehnend hebt, und fühle wie ſich's unter deinem Herzen geheimnißvoll regt.

Wenn wir nur erſt wieder bey - ſammen ſind, wollen wir unſrer Ju - gend ganz eingedenk ſeyn, und ich will die Gegenwart heilig halten. Wohl haſt du Recht: Eine Stunde ſpäter iſt unendlich viel ſpäter.

Es iſt hart, daß ich eben jetzt237 nicht bey dir ſeyn kann! Ich begin - ne aus Ungeduld viel Närriſches. Ich ſtreife faſt von Morgen bis Abend umher in der herrlichen Ge - gend; ich eile als ob es Wunder wie nothwendig wäre, und gerathe endlich an einen Ort, wohin ich am wenigſten wollte. Ich gebehrde mich als ob ich heftige Reden hielte; ich glaube allein zu ſeyn und bin plötz - lich unter Menſchen; und muß dann lächeln, wenn ich bemerke, wie ab - weſend ich war. Auch ſchreiben kann ich nicht lange und will nur bald wieder hinaus, den ſchönen Abend an den Ufern des ruhigen Stroms zu verträumen.

Heute habe ich unter andern auch vergeſſen, daß es Zeit war, den238 Brief abzuſenden. Dafür erhältſt du nun deſto mehr Verwirrung und Freude.

Die Menſchen ſind wirklich ſehr gut mit mir. Sie verzeihn es mir nicht nur daß ich ſo oft keinen Theil nehme und dann mit einemmale ihr Geſpräch auf eine ſonderbare Art unterbreche: ſie ſcheinen ſich ſogar in der Stille an meiner Freude herz - lich zu freuen. Beſonders Juliane. Ich ſage ihr nur weniges von dir, aber ſie hat viel Sinn dafür und erräth das übrige. Es giebt doch nichts liebenswürdigeres als das reine uneigennützige Wohlgefallen an der Liebe!

239

Ich glaube freylich, ich würde jetzt meine Freunde hier lieben, wenn ſie auch weniger vortreffliche Men - ſchen wären. Ich fühle eine große Veränderung in meinem Weſen: eine allgemeine Weichheit und ſüße Wärme in allen Vermögen der Seele und des Geiſtes, wie die ſchö - ne Ermattung der Sinne die auf das höchſte Leben folgt.

Und doch iſts nichts weniger als Weichlichkeit. Vielmehr weiß ich, daß ich alles was meines Berufs iſt, von nun an mit größerer Liebe und friſcher Kraft treiben werde. Ich fühlte nie mehr Zuverſicht und Muth, als Mann unter Männern zu wirken, ein heldenmäßiges Leben zu beginnen und auszuführen und240 mit Freunden verbrüdert für die Ewig - keit zu handeln.

Das iſt meine Tugend; ſo ziemt es mir, den Göttern ähnlich zu wer - den. Die deinige iſt es, gleich der Natur als Prieſterin der Freude das Geheimniß der Liebe leiſe zu offen - baren und in der Mitte würdiger Söhne und Töchter das ſchöne Le - ben zu einem heiligen Feſt zu weihen.

Ich mache mir oft Sorge über deine Geſundheit. Du kleideſt dich gar zu leicht und liebſt die Abend - luft! Das ſind gefährliche Gewohn - heiten, die du wie manche andre ablegen mußt.

Denke, daß eine neue Ordnungder241der Dinge für dich beginnt. Bisher hieß ich deinen Leichtſinn ſchön, weil er an der Zeit war und zum Gan - zen ſtimmte. Ich fand es weiblich, wenn du mit dem Glück ſcherzen, und alle Rückſichten zerreißen und ganze Maſſen deines Lebens oder deiner Umgebung vernichten konnteſt.

Nun iſt aber etwas da, worauf du immer Rückſicht nehmen, worauf du alles beziehen wirſt. Nun mußt du dich allmählich zur Ökonomie bilden, verſteht ſich im allegoriſchen Sinn.

In dieſem Brief geht alles recht bunt durch einander, wie im menſch - lichen Leben Gebet und Eſſen, Schel -Lucinde I. Q242merei und Entzücken. Nun gute Nacht. Ach warum kann ich nicht wenigſtens im Traume bei dir ſeyn, wirklich mit dir und in dir träu - men! Denn wenn ich bloß von dir träume, iſts doch immer nur al - lein. Du willſt wiſſen, warum du nicht von mir träumſt, da du doch ſo viel an mich denkſt? Liebe! ſchweigſt du nicht auch oft lange über mich?

Amaliens Brief hat mir große Freude gemacht. Freilich ſeh 'ich aus dem ſchmeichelnden Ton, daß ſie mich nicht von den Männern ausnimmt, die der Schmeichelei be - dürfen. Ich verlange das auch gar243 nicht. Es wäre unbillig zu fodern, daß ſie meinen Werth auf unſre Weiſe anerkennen ſoll. Genug, daß eine mich ganz kennt! Sie erkennt ihn ja auf ihre Art ſo ſchön! Sollte ſie wohl wiſſen, was Anbe - tung iſt? Ich zweifle daran und bedaure ſie, wenn ſie es nicht weiß. Du nicht auch?

Heute fand ich in einem franzö - ſiſchen Buche von zwei Liebenden den Ausdruck: » Sie waren einer dem andern das Univerſum. «

Wie fiel mir's auf, rührend und zum Lächeln, daß, was da ſo ge - dankenlos ſtand, bloß als eine Fi -Q 2244gur der Übertreibung, in uns buch - ſtäblich wahr geworden ſey!

Eigentlich iſt's zwar auch für ſo eine franzöſiſche Paſſion buchſtäblich wahr. Sie finden das Univerſum einer in dem andern, weil ſie den Sinn für alles andre verlieren.

Nicht ſo wir. Alles, was wir ſonſt liebten, lieben wir nun noch wärmer. Der Sinn für die Welt iſt uns erſt recht aufgegangen. Du haſt durch mich die Unendlichkeit des menſchlichen Geiſtes kennen gelernt, und ich habe durch dich die Ehe und das Leben begriffen, und die Herr - lichkeit aller Dinge.

Alles iſt beſeelt für mich, ſpricht zu mir und alles iſt heilig. Wenn man ſich ſo liebt wie wir, kehrt245 auch die Natur im Menſchen zu ihrer urſprünglichen Göttlichkeit zu - rück. Die Wolluſt wird in der ein - ſamen Umarmung der Liebenden wie - der, was ſie im großen Ganzen iſt das heiligſte Wunder der Natur; und was für andre nur etwas iſt, deſſen ſie ſich mit Recht ſchämen müſſen, wird für uns wieder, was es an und für ſich iſt, das reine Feuer der edelſten Lebenskraft.

Drei Dinge wird unſer Kind ge - wiß haben: viel Muthwillen, ein ernſthaftes Geſicht und etwas Anla - ge zur Kunſt. Alles andre erwarte ich mit ſtiller Ergebung. Sohn oder Tochter, darüber kann ich keinen be -246 ſtimmten Wunſch haben. Aber über die Erziehung habe ich ſchon unſäg - lich viel gedacht, nämlich, wie wir unſer Kind vor aller Erziehung ſorg - fältig bewahren wollen; vielleicht mehr als drei vernünftige Väter denken und ſorgen, um ihre Nach - kommenſchaft gleich von der Wiege in lauter Sittlichkeit einzuſchnüren.

Ich habe einige Entwürfe gemacht, die dir gefallen werden. Auf dich iſt ſehr dabei gerechnet. Nur mußt du die Kunſt nicht vernachläßigen! Würdeſt du für deine Tochter wenn es eine Tochter wäre, lieber das Portrait oder die Landſchaft wäh - len?

247

Du Thörin mit deinen äußerli - chen Dingen! Du willſt wiſſen, was mich umgiebt, wo, wann und wie ich alles thue, lebe und bin? Sieh doch um dich, auf dem Stuhl neben dir, in deinen Armen, an deinem Herzen, da lebe und bin ich. Trifft dich nicht der Strahl des Ver - langens, und ſchleicht mit ſüßer Wärme bis an dein Herz, bis an den Mund, wo es in Küſſen über - ſtrömen möchte?

Nun rühmſt du dich noch gar, daß du immer innerlich an mich ſchriebſt und ich nur oft, du Syl - benſtecherin! Erſtlich denke ich immer ſo an dich, wie du es beſchreibſt, daß ich neben dir gehe, dich ſehe, höre, ſpreche. Dann aber auch noch248 anders, beſonders wenn ich des Nachts aufwache.

Wie kannſt du nur an der Wür - digkeit und Göttlichkeit deiner Briefe zweifeln! Der letzte blickt und leuchtet aus hellen Augen; es iſt nicht Schrift ſondern Geſang.

Ich glaube wenn ich noch einige Monate fern von dir wäre, würde dein Styl ſich völlig ausbilden. In - deſſen finde ich es doch rathſamer, daß wir den Styl und das Schrei - ben nun laſſen und die ſchönſten und höchſten Studien nicht länger ausſetzen, und ich bin ſo ziemlich entſchloſſen, in acht Tagen ſchon zu reiſen.

249

Zweyter Brief.

Es iſt ſonderbar, daß der Menſch ſich nicht vor ſich ſelbſt fürchtet. Die Kinder haben Recht, daß ſie ſo neu - gierig und doch ſo bange in die Ge - ſellſchaft der unbekannten Geiſter hin - einblicken. Jeder einzelne Atom der ewigen Zeit kann eine Welt von Freude faſſen, aber ſich auch zu ei - nem unermeßlichen Abgrund von Lei - den und Schrecken öffnen. Ich be - greife nun das alte Mährchen von dem Manne, welchen ein Zauberer in wenigen Augenblicken viele Jahre durchleben ließ: denn ich habe die furchtbare Allmacht der Fantaſie an mir ſelbſt erfahren.

250

Seit dem letzten Briefe deiner Schweſter es ſind nun drei Ta - ge habe ich die Schmerzen eines ganzen Menſchenlebens gefühlt, von dem Sonnenlicht der glühenden Ju - gend, bis zum blaſſen Mondſchein des weißen Alters.

Jeder kleine Umſtand, den ſie mir von deiner Krankheit ſchrieb, beſtätigte mich, mit dem was ich in der vorigen von dem Arzt gehört und ſelbſt beobachtet hatte, in dem Gedanken, ſie ſey weit gefährlicher, als ihr wüßtet, ja eigentlich nicht mehr gefährlich, ſondern entſchieden. In dieſen Gedanken verloren, alle Kräfte durch die Unmöglichkeit, aus der weiten Ferne zu dir zu eilen, gelähmt, war mein Zuſtand wirklich251 ſehr troſtlos. Erſt jetzt weiß ich's recht, wie er war, da ich durch die fröhliche Bothſchaft deiner Geſund - heit wiedergeboren bin. Denn ge - ſund biſt du nun, ſo gut als völlig geſund. Das ſchließe ich aus allen Berichten mit eben der Zuverſicht, mit der ich vor wenigen Tagen das Todesurtheil über uns ausſprach.

Ich dachte es mir gar nicht als noch künftig oder als geſchehe es jetzt. Alles war vergangen; ſchon lange warſt du im Schooß der küh - len Erde verhüllt, Blumen keimten allmählig auf dem geliebten Grabe, und meine Thränen floſſen ſchon milder. Stumm und einſam ſtand ich und ſah nichts als die geliebten Züge und die ſüßen Blitze der ſpre -252 chenden Augen. Unbeweglich blieb dieſes Bild vor mir, nur trat bis - weilen das bleiche Geſicht des letzten Lächelns und des letzten Schlummers leiſe an die Stelle, oder plötzlich ver - wirrten ſich die verſchiedenen Erinne - rungen. Mit unglaublicher Schnelle veränderten ſich die Umriſſe, kehrten zur erſten Geſtalt zurück, und ver - wandelten ſich von neuem, bis der überſpannten Einbildung alles ver - ſchwand. Nur deine heiligen Augen blieben im leeren Raum und ſtan - den unbeweglich da, wie die freund - lichen Sterne ewig über unſrer Ar - muth ſchimmern. Unverrückt ſchaute ich nach den ſchwarzen Lichtern, die mit bekanntem Lächeln in die Nacht meiner Trauer winkten. Bald brannte253 ein ſtechender Schmerz aus dunkeln Sonnen mit unerträglichem Blenden, bald ſchwebte und floß ein ſchöner Glanz, als wollte er mich locken. Da war es, als wehte eine friſche Morgenluft mich an, ich warf mein Haupt in die Höhe, und es rief laut in mir: » Warum ſollſt du dich quälen, in wenigen Augenblicken kannſt du ja bei ihr ſeyn. «

Schon eilte ich, dir zu folgen, aber plötzlich hielt mich ein neuer Gedanke an, und ich ſagte zu mei - nem Geiſt: » Unwürdiger, du kannſt nicht einmal die kleinen Diſſonanzen dieſes mittelmäßigen Lebens ertragen und du hältſt dich ſchon für ein - heres reif und würdig? Gehe hin zu leiden und zu thun was dein Beruf254 iſt, und melde dich wieder, wenn deine Aufträge vollendet ſind. « Iſt es nicht auch dir auffallend, wie alles auf dieſer Erde nach der Mitte ſtrebt, wie ſo ordentlich alles iſt, wie ſo unbedeutend und kleinlich? So ſchien es mir ſtets; daher ver - muthe ich und ich habe dir dieſe Vermuthung, wenn ich nicht irre, ſchon einmal mitgetheilt, daß unſer nächſtes Daſeyn größer, im Guten wie im Schlechten kräftiger, wilder, kühner, ungeheurer ſeyn wird.

Die Pflicht zu leben hatte ge - ſiegt, und ich war wieder in dem Gewühl des Lebens und der Men - ſchen, ihrer und meiner ohnmächti - gen Handlungen und fehlervollen255 Werke. Da befiel mich Entſetzen, wie wenn ein Sterblicher ſich in der Mitte unabſehlicher Eisgebirge plötz - lich allein fände. Alles war mir kalt und fremd und ſelbſt die Thrä - ne gefror.

Wunderliche Welten erſchienen und ſchwanden mir im ängſtlichen Traum. Ich war krank und litt viel, aber ich liebte meine Krankheit und hieß ſelbſt den Schmerz willkom - men. Ich haßte alles Irdiſche und freute mich, daß es beſtraft und zer - rüttet würde; ich fühlte mich ſo al - lein und ſo ſonderbar, und wie ein zarter Geiſt oft mitten im Schooß des Glücks über ſeine eigne Freude wehmüthig wird, und uns grade auf dem Gipfel des Daſeyns das256 Gefühl ſeiner Nichtigkeit überfällt, ſo ſchaute ich mit geheimer Luſt auf meinen Schmerz. Er ward mir zum Sinnbilde des allgemeinen Lebens, ich glaubte die ewige Zwietracht zu fühlen und zu ſehen, durch die alles wird und exiſtirt, und die ſchönen Geſtalten der ruhigen Bildung ſchie - nen mir todt und klein gegen dieſe ungeheure Welt von unendlicher Kraft, und von unendlichem Kampf und Krieg bis in die verborgenſten Tie - fen des Daſeyns.

Durch dieſes ſonderbare Gefühl ward die Krankheit zu einer eignen Welt in ſich vollendet und gebildet. Ich fühlte, ihr geheimnißreiches Le - ben ſey voller und tiefer als die ge - meine Geſundheit der eigentlich träu -men -257menden Nachtwandler um mich her. Und mit der Kränklichkeit, die mir gar nicht unangenehm war, blieb mir auch dieſes Gefühl und ſonderte mich völlig ab von den Menſchen, wie mich von der Erde der Gedan - ke trennte, dein Weſen und meine Liebe ſey zu heilig geweſen, um nicht ihr und ihren groben Banden flüch - tig zu enteilen. Es ſey alles gut ſo und dein nothwendiger Tod nichts als ein ſanftes Erwachen nach lei - ſem Schlummer.

Auch ich glaubte zu wachen, wenn ich dein Bild anſchaute, das ſich immer mehr zu einer heitern Reinheit und Allgemeinheit verklär - te. Ernſt und doch liebreizend, ganz Du und doch nicht mehr Du, dieLucinde I. R258göttliche Geſtalt umſchienen von wunderbarem Glanz. Bald war es wie der furchtbare Lichtſtrahl der ſichtbaren Allmacht und bald ein freundlicher Schimmer goldener Kind - heit. Mit langen ſtillen Zügen ſog mein Geiſt aus der Quelle der küh - len reinen Gluth, ſich heimlich berau - ſchend und in dieſer ſeeligen Trun - kenheit fühlte ich eine geiſtliche Wür - de eigner Art, weil mir in der That jede weltliche Geſinnung ganz frem - de war und mich niemals das Ge - fühl verließ, daß ich dem Tode ge - weiht ſey.

Langſam floſſen die Jahre und mühevoll trat eine That nach der andern, ein Werk und dann wieder eines an ſein Ziel, das ſo wenig259 das meinige war als ich jene Tha - ten und Werke für das was ſie hei - ßen nahm. Es waren mir nur hei - lige Sinnbilder, alles Beziehungen auf die eine Geliebte, die die Mitt - lerin war zwiſchen meinem zerſtück - ten Ich und der untheilbaren ewi - gen Menſchheit; das ganze Daſeyn ein ſteter Gottesdienſt einſamer Liebe.

Endlich nahm ich wahr, das ſey nun das lezte. Die Stirn war nicht mehr glatt und die Locken wurden bleich. Meine Laufbahn war geen - digt aber nicht vollendet. Die beſte Kraft des Lebens war dahin und noch ſtand die Kunſt und die Tu - gend ewig unerreichbar vor mir. Ich wäre verzweifelt, hätte ich nicht beyde in Dir geſehn und vergöttert,R 2260holdſelige Madonna! und Dich und Deine milde Göttlichkeit in mir.

Da erſchienſt Du mir bedeutend und winkteſt tödtlich. Schon ergriff mich ein herzliches Verlangen nach Dir und nach der Freyheit; ich ſehn - te mich nach dem geliebten alten Va - terlande und wollte eben den Staub der Reiſe von mir ſchütteln, als ich wieder ins Leben gerufen ward durch das Verheißen und die Gewißheit Deiner Geneſung.

Nun ward ich meines wachen Traums inne, erſchrack über alle die bedeutenden Beziehungen und Ähn - lichkeiten und ſtand ängſtlich an dem unſichtbaren Abgrund dieſer innern Wahrheit.

261

Weißt Du was mir am meiſten klar dadurch geworden iſt? Zuerſt, daß ich Dich vergöttre, und daß es gut iſt, daß ich ſo thue. Wir bey - de ſind eins und nur dadurch wird der Menſch zu einem und ganz er ſelbſt wenn er ſich auch als Mittel - punkt des Ganzen und Geiſt der Welt anſchaut und dichtet. Doch warum Dichtet, da wir den Keim zu allem in uns finden und doch ewig nur ein Stück von uns ſelbſt bleiben?

Und dann weiß ichs nun, daß der Tod ſich auch ſchön und ſüß fühlen läßt. Ich begreife, wie das freye Gebildete ſich in der Blüthe aller Kräfte nach ſeiner Auflöſung und Freyheit mit ſtiller Liebe ſehnen262 und den Gedanken der Rükkehr freu - dig anſchauen kann wie eine Mor - genſonne der Hoffnung.

Eine Reflexion.

Es iſt meinem Gemüth nicht ſel - ten ſonderbar aufgefallen, wie ver - ſtändige und würdige Menſchen mit nie ermüdender Induſtrie und mit ſo großem Ernſt das kleine Spiel in ewigem Kreislauf immer von neuem wiederholen können, welches doch offenbar weder Nutzen bringt noch ſich einem Ziele nähert, obgleich es das frühſte aller Spiele ſeyn mag.

Dann fragte mein Geiſt, was wohl die Natur, die überall ſo viel denkt, die Liſt im Großen treibt und263 ſtatt witzig zu reden, gleich witzig handelt, bey jenen naiven Andeu - tungen denken mag, welche gebilde - te Redner nur durch ihre Namenlo - ſigkeit benennen.

Und dieſe Namenloſigkeit ſelbſt iſt von zweydeutiger Bedeutung. Je verſchämter und je moderner man iſt, je mehr wird es Mode ſie aufs Schamloſe zu deuten. Für die al - ten Götter hingegen hat alles Le - ben eine gewiſſe claſſiſche Würde und ſo auch die unverſchämte Hel - denkunſt lebendig zu machen. Die Menge ſolcher Werke und die Grö - ße der Erfindungskraft in ihr be - ſtimmt Rang und Adel im Reiche der Mythologie.

Dieſe Zahl und dieſe Kraft ſind264 gut, aber ſie ſind nicht das Höchſte. Wo ſchlummert alſo das erſehnte Ideal verborgen? Oder findet das ſtrebende Herz in der höchſten aller darſtellenden Künſte ewig nur andre Manieren und nie einen vollendetem Styl?

Das Denken hat die Eigenheit, daß es nächſt ſich ſelbſt am liebſten über das denkt, worüber es ohne Ende denken kann. Darum iſt das Leben des gebildeten und ſinnigen Menſchen ein ſtetes Bilden und Sin - nen über das ſchöne Räthſel ſeiner Beſtimmung. Er beſtimmt ſie im - mer neu, denn eben das iſt ſeine ganze Beſtimmung, beſtimmt zu wer - den und zu beſtimmen. Nur in ſei - nem Suchen ſelbſt findet der Geiſt265 des Menſchen das Geheimniß wel - ches er ſucht.

Was iſt denn aber das Beſtimmen - de oder das Beſtimmte ſelbſt? In der Männlichkeit iſt es das Namen - loſe. Und was iſt das Namenloſe in der Weiblichkeit? das Unbe - ſtimmte.

Das Unbeſtimmte iſt geheimniß - reicher, aber das Beſtimmte hat mehr Zauberkraft. Die reizende Ver - wirrung des Unbeſtimmten iſt ro - mantiſcher, aber die erhabene Bil - dung des Beſtimmten iſt genialiſcher. Die Schönheit des Unbeſtimmten iſt vergänglich wie das Leben der Blu - men und wie die ewige Jugend ſterblicher Gefühle; die Energie des Beſtimmten iſt vorübergehend wie266 das ächte Ungewitter und die ächte Begeiſterung.

Wer kann meſſen und wer kann vergleichen was eines wie das an - dre unendlichen Werth hat, wenn beydes verbunden iſt in der wirkli - chen Beſtimmung, die beſtimmt iſt, alle Lücken zu ergänzen und Mittle - rin zu ſeyn zwiſchen dem männli - chen und weiblichen Einzelnen und der unendlichen Menſchheit?

Das Beſtimmte und das Unbe - ſtimmte und die ganze Fülle ihrer beſtimmten und unbeſtimmten Bezie - hungen; das iſt das Eine und Gan - ze, das iſt das wunderlichſte und doch das einfachſte, das einfachſte und doch das höchſte. Das Univer - ſum ſelbſt iſt nur ein Spielwerk des267 Beſtimmten und des Unbeſtimmten und das wirkliche Beſtimmen des Beſtimmbaren iſt eine allegoriſche Miniatur auf das Leben und We - ben der ewig ſtrömenden Schöp - fung.

Mit ewig unwandelbarer Symme - trie ſtreben beyde auf entgegenge - ſetzten Wegen ſich dem Unendlichen zu nähern und ihm zu entfliehen. Mit leiſen aber ſichern Fortſchritten er - weitert das Unbeſtimmte ſeinen an - gebohrnen Wunſch aus der ſchönen Mitte der Endlichkeit ins Gränzen - loſe. Das vollendete Beſtimmte hin - gegen wirft ſich durch einen kühnen Sprung aus dem ſeeligen Traum des unendlichen Wollens in die Schranken der endlichen That und268 nimmt ſich ſelbſt verfeinernd immer zu an großmüthiger Selbſtbeſchrän - kung und ſchöner Genügſamkeit.

Auch in dieſer Symmetrie offen - bart ſich der unglaubliche Humor, mit dem die conſequente Natur ih - re allgemeinſte und einfachſte Anti - theſe durchführt. Selbſt in der zier - lichſten und künſtlichſten Organiſa - zion zeigen ſich dieſe komiſche Spi - tzen des großen Ganzen mit ſchalk - hafter Bedeutſamkeit wie ein ver - kleinertes Portrait und geben aller In - dividualität, die allein durch ſie und den Ernſt ihrer Spiele entſtehet und beſtehet, die letzte Rundung und Vollendung.

Durch dieſe Individualität und jene Allegorie blüht das bunte Ideal269 witziger Sinnlichkeit hervor aus dem Streben nach dem Unbedingten.

Nun iſt alles klar! Daher die Allgegenwart der namenloſen unbe - kannten Gottheit. Die Natur ſelbſt will den ewigen Kreislauf immer neuer Verſuche; und ſie will auch, daß jeder einzelne in ſich vollendet einzig und neu ſey, ein treues Ab - bild der höchſten untheilbaren Indi - vidualität.

Sich vertiefend in dieſe Indivi - dualität nahm die Reflexion eine ſo individuelle Richtung, daß ſie bald anfing aufzuhören und ſich ſelbſt zu vergeſſen.

270

» Was ſollen wir dieſe Anſpielun - gen die mit unverſtändlichem Ver - ſtand nicht an der Gränze ſondern bis in die Mitte der Sinnlichkeit nicht ſpielen ſondern widerſinnig ſtrei - ten? «

So wirſt Du und würde Julia - ne zwar nicht ſagen aber doch ge - wiß fragen.

Liebe Geliebte! darf der volle Blumenſtrauß nur ſittſame Roſen, ſtille Vergißmeinnicht und beſcheidne Veilchen zeigen, und was ſonſt mädchenhaft und kindlich blüht, oder auch alles andre was in bunter Glorie ſonderbar ſtrahlt?

Die männliche Ungeſchicklichkeit iſt ein mannigfaltiges Weſen und reich an Blüthen und Früchten jeder271 Art. Gönne ſelbſt der wunderlichen Pflanze, die ich nicht nennen will, ihre Stelle. Sie dient wenigſtens zur Folie für die hellbrennende Gra - nate und die lichten Orangen. Oder ſoll es etwa ſtatt dieſer bunten Fülle nur eine vollkommne Blume geben, welche alle Schönheiten der übrigen vereint und ihr Daſeyn überflüſſig macht?

Ich entſchuldige nicht, was ich lieber ſogleich noch einmal thun will, mit vollem Zutrauen auf Deinen ob - jektiven Sinn für die Kunſtwreke der Ungeſchicklichkeit, welche den Stoff zu dem was ſie bilden will oft nicht ungern von der männlichen Begeiſterung entlehnt.

Es iſt ein zärtliches Furioſo und272 ein kluges Adagio der Freundſchaft: Du wirſt verſchiednes daraus lernen können: daß Männer mit ungemei - ner Delicateſſe zu haſſen verſtehn, wie ihr zu lieben; daß ſie dann ei - nen Zank, wenn er vollendet iſt, in eine Diſtinction umbilden, und daß Du ſo viele Anmerkungen darüber machen darfſt als Dir gefällig iſt.

Julius an Antonio.

I.

Du haſt Dich ſehr verändert ſeit einiger Zeit! Sieh Dich vor Freund, daß der Sinn für das Gro - ße Dir nicht abhanden kommt, ehe Du es gewahr wirſt. Was ſoll das geben? Du wirſt endlich ſo viel Zart - heit und Feinheit anſetzen, daß Herzund273und Gefühl drauf geht. Wo bleibt da die Männlichkeit und handelnde Kraft? Ich werde noch dahin kommen, Dir zu thun wie Du mir thuſt, ſeit wir nicht mehr mit ein - ander ſondern neben einander leben. Ich werde dir Gränzen ſetzen müſ - ſen und ſagen, wenn er auch Sinn für alles hat, was ſonſt ſchön iſt, ſo fehlt ihm doch der eine für die Freundſchaft. Doch werde ich den Freund und ſein Thun und Laſſen nie moraliſch kritiſiren; wer das kann, der verdient nicht das hohe ſeltne Glück einen zu haben.

Daß Du Dich zuerſt an Dir ſelbſt vergreifſt, macht die Sache nur ſchlimmer. Sage mir im Ernſt, ſuchſt Du die Tugend in dieſen küh -Lucinde I. S274len Spitzfindigkeiten des Gefühls, in dieſen Kunſtübungen des Ge - müths, die den Menſchen aushöhlen und am vollen Mark ſeines Lebens zehren?

Schon lange war ich ergeben und ſtill. Ich zweifelte gar nicht, daß Du, da Du ſo vieles weißt, auch wohl die Urſachen wiſſen wür - deſt durch die unſre Freundſchaft un - tergegangen iſt. Faſt ſcheint es ich habe mich geirrt, da Du ſo erſtau - nen konnteſt, daß ich mich ganz an Eduard anſchließen will, da Du gleichſam nicht begreifend zu fragen ſchienſt, wodurch Du mich denn be - leidigt hätteſt. Wenn es nur das wäre, nur etwas einzelnes, dann wäre es den Mislaut einer ſolchen275 Frage nicht werth, dann würde ſichs von ſelbſt beantworten und ausglei - chen. Iſt es aber nicht mehr wenn ich bey jeder Veranlaßung es immer wieder als Entweihung fühlen muß, daß ich Dir alles von Eduard wie es vorfiel, mittheilte? Gethan haſt Du freilich nichts gegen ihn, auch nicht laut geſagt: aber ich weiß und ſehe recht gut wie Du denkſt. Und wenn ich es nicht wüßte und ſähe, was wäre denn die unſichtbare Ge - meinſchaft unſrer Geiſter und die ſchöne Magie dieſer Gemeinſchaft? Es kann Dir gewiß nicht einfallen, Dich hier noch länger zurückziehen und durch bloße Feinheit das Mis - verſtändniß in Nichts auflöſen zuS 2276wollen: denn ſonſt hätte auch ich wirklich nichts weiter zu ſagen.

Unſtreitig ſeyd ihr durch eine ewige Kluft geſchieden. Die ruhige klare Tiefe Deines Weſens, und der heiße Kampf ſeines raſtloſen Lebens liegen an den entgegengeſetzten En - den des menſchlichen Daſeyns. Er iſt ganz Handlung, Du biſt eine füh - lende und beſchauende Natur. Dar - um ſollteſt Du eben Sinn für alles haben und haſt ihn auch, wo Du Dich nicht ſelbſt abſichtlich verſchlie - ßeſt. Und das verdrüßt mich ei - gentlich. Möchteſt Du den Herrli - chen lieber haſſen als verkennen! Aber wohin ſoll es führen, wenn man ſich unnatürlich gewöhnt, das wenige Große und Schöne was noch277 etwa da iſt, ſo gemein zu nehmen, als es der Scharfſinn nur immer nehmen kann, ohne die Anſprüche auf den Sinn aufzugeben? Was man überall ſehn will, muß man endlich ſelbſt werden.

Iſt das die gerühmte Vielſeitig - keit? Freilich beobachteſt Du da - bey den Grundſatz der Gleichheit, und einem gehts nicht viel beſſer wie dem andern; nur daß jeder auf ei - ne eigne Art verkannt wird. Haſt Du nicht auch mein Gefühl gezwun - gen über das was ihm das heilig - ſte iſt ewig zu ſchweigen gegen Dich wie gegen jeden andern? Und das darum, weil Du Dein Urtheil nicht ſchweigen laſſen konnteſt bis es Zeit war, und weil Dein Verſtand über -278 all Gränzen erdichtet, ehe er ſeine eigenen finden kann. Du haſt mich beynah in den Fall gebracht, Dir auseinanderſetzen zu müſſen, wie groß eigentlich mein Werth ſey, wie viel richtiger und ſichrer Du gegan - gen ſeyn würdeſt, wenn Du dann und wann nicht geurtheilt ſondern geglaubt, wenn Du hie und da in mir ein unbekanntes Unendliches vor - ausgeſetzt hätteſt.

Freilich iſt meine eigne Nachlä - ßigkeit an allem Schuld. Vielleicht wars auch Eigenſinn, daß ich die ganze Gegenwart mit Dir theilen wollte, und Dich über Vergangen - heit und Zukunft doch nicht belehr - te. Ich weiß nicht, es widerſtand meinem Gefühl, auch hielt ichs für279 überflüßig, denn ich traute Dir in der That unendlich viel Verſtand zu.

O Antonio, wenn ich an ewigen Wahrheiten zweifeln könnte, ſo hät - teſt Du mich dahin gebracht, jene ſtille ſchöne Freundſchaft, die auf der bloßen Harmonie des Seyns und Zuſammenſeyns beruht, für etwas fal - ſches und verkehrtes zu halten!

Iſt es nun noch unbegreiflich wenn ich mich ganz auf die andre Seite werfe? Ich entſage dem zarten Genuß und ſtürze mich in den wilden Kampf des Lebens. Ich eile zu Eduard. Alles iſt verabre - det. Wir wollen nicht bloß zuſam - men leben, ſondern im brüderlichen Bunde vereint wirken und handeln. Er iſt rauh und herbe, ſeine Tugend280 iſt mehr kräftig als empfindſam: aber er hat ein männliches großes Herz, und in jedem beſſern Zeitalter wäre er, das ſage ich kühn, ein Held geweſen.

II.

Es iſt wohl ſchön, daß wir end - lich einmal wieder mit einander ge - ſprochen haben; ich bin es auch zu - frieden, daß Du durchaus nicht ſchrei - ben wollteſt, und auf die armen un - ſchuldigen Buchſtaben ſchiltſt, weil Du wirklich zum Sprechen mehr Ge - nie haſt. Aber ich habe doch noch eins und das andre auf dem Her - zen, was ich nicht ſagen konnte und was ich verſuchen will, Dir brieflich anzudeuten.

281

Warum aber auf dieſem We - ge? O mein Freund, wenn ich nur noch ein feineres gebildeteres Element der Mittheilung wüßte, um das was ich möchte, in zarter Hülle leiſe aus der Ferne zu ſagen! Das Geſpräch iſt mir zu laut und zu nah und auch zu einzeln. Dieſe einzelnen Worte geben immer wieder nur eine Seite, ein Stück von dem Zuſammenhange, von dem Ganzen, das ich in ſeiner vollen Harmonie andeuten möchte.

Und können Männer die zuſam - men leben wollen, zu zart gegen einander in ihrem Umgange ſeyn? Es iſt nicht als ob ich befürchtete, etwas zu heftiges zu ſagen, und daß ich darum gewiſſe Perſonen und282 gewiſſe Gegenſtände in unſerm Ge - ſpräch vermied. Darüber denke ich iſt ja wohl die Gränzſcheidung zwi - ſchen uns auf immer vernichtet!

Was ich Dir noch ſagen wollte, iſt etwas ganz Allgemeines; und doch wähle ich lieber dieſen Um - weg. Ich weiß nicht ob es eine falſche oder eine wahre Delicateſſe iſt, aber es würde mir ſchwer fallen, viel von der Freundſchaft mit Dir zu reden von Angeſicht zu Angeſicht.

Und doch ſinds Gedanken über dieſe, die ich Dir ſagen muß. Die Anwendung und auf die kommt es am meiſten an wirſt Du leicht ſelbſt machen können.

Für mein Gefühl giebts zwey Arten von Freundſchaft.

283

Die erſte iſt ganz äußerlich. Un - erſättlich eilt ſie von That zu That und nimmt jeden würdigen Mann auf in den großen Bund vereinter Helden, ſchlingt den alten Knoten durch jede Tugend feſter, und trach - tet ſtets neue Brüder zu gewinnen; je mehr ſie hat, je mehr begehrt ſie.

Erinnre Dich an die Vorwelt und Du wirſt dieſe Freundſchaft, die den redlichen Krieg gegen alles - ſe, wenn es auch in uns oder im Geliebten wäre, kämpft, überall fin - den, wo die edle Kraft in großen Maſſen wirkt und Welten bildet oder beherrſcht.

Jetzt ſind andre Zeiten, aber das Ideal dieſer Freundſchaft wird in284 mir ſeyn, ſo lange wie ich ſelbſt ſeyn werde.

Die andre Freundſchaft iſt ganz innerlich. Eine wunderbare Symme - trie des Eigenthümlichſten, als wenn es vorher beſtimmt wäre, daß man ſich überall ergänzen ſollte. Alle Gedanken und Gefühle werden ge - ſellig durch die gegenſeitige Anre - gung und Ausbildung des Heilig - ſten. Und dieſe reingeiſtige Liebe, dieſe ſchöne Myſtik des Umgangs ſchwebt nicht bloß als fernes Ziel vor einem vielleicht vergeblichem Streben. Nein, ſie iſt nur vollendet zu finden. Auch hat da keine Täu - ſchung Statt, wie bey jener andern heroiſchen. Ob die Tugend eines Mannes Stich hält, muß die That285 lehren. Aber wer ſelbſt in ſeinem Innern die Menſchheit und die Welt fühlt und ſieht, der wird nicht leicht allgemeinen Sinn und allgemeinen Geiſt da ſuchen können wo er nicht iſt.

Zu dieſer Freundſchaft iſt nur fähig, wer in ſich ganz ruhig wur - de und in Demuth die Göttlichkeit des andern zu ehren weiß.

Haben die Götter einem Men - ſchen eine ſolche Freundſchaft ge - ſchenkt, ſo kann er weiter nichts, als ſie mit Sorge vor allem was äußerlich iſt bewahren und das hei - lige Weſen ſchonen. Denn vergäng - lich iſt die zarte Blüthe.

286

Sehnſucht und Ruhe.

Leicht bekleidet ſtanden Lucinde und Julius am Fenſter im Pavillon, erfriſchten ſich an der kühlen Mor - genluft und waren verloren im An - ſchaun der aufſteigenden Sonne, die von allen Vögeln mit munterem Ge - ſang begrüßt ward.

Julius, fragte Lucinde, warum fühle ich in ſo heitrer Ruhe die tiefe Sehnſucht? Nur in der Sehn - ſucht finden wir die Ruhe, antworte - te Julius. Ja die Ruhe iſt nur das, wenn unſer Geiſt durch nichts ge - ſtört wird, ſich zu ſehnen und zu ſuchen, wo er nichts höheres finden kann als die eigne Sehnſucht.

287

Nur in der Ruhe der Nacht, ſagte Lucinde, glüht und glänzt die Sehnſucht und die Liebe hell und voll wie dieſe herrliche Sonne. Und am Tage, erwiederte Julius, ſchimmert das Glück der Liebe blaß, ſo wie der Mond nur ſparſam leuch - tet. Oder es erſcheint und ſchwin - det plötzlich ins allgemeine Dunkel, fügte Lucinde an, wie jene Blitze, die uns das Gemach erhellten, da der Mond verhüllt war.

Nur in der Nacht ſingt Klagen, ſprach Julius, die kleine Nachtigall und tiefe Seufzer. Nur in der Nacht eröffnet ſich die Blume ſchüchtern und athmet frey den ſchönſten Duft, um Geiſt und Sinne in gleicher Wonne zu berauſchen. Nur in der288 Nacht, Lucinde, ſtrömet tiefe Liebes - gluth und kühne Rede göttlich von den Lippen, die im Geräuſch der Ta - ge ihr ſüßes Heiligthum mit zartem Stolz verſchließen.

Lucinde.

Nicht ich, mein Julius, bin die die Du ſo heilig mahlſt; obſchon ich klagen möchte wie die Nachtigall und, wie ich innig fühle, nur der Nacht geweiht bin. Du biſts, es iſt die Wunderblume Deiner Fantaſie, die Du in mir, die ewig Dein iſt, dann erblickſt, wenn das Gewühl verhüllt iſt und nichts gemeines Dei - nen hohen Geiſt zerſtreut.

Julius.

Laß die Beſcheidenheit und ſchmei - chle nicht. Gedenke, Du biſt diePrie -289Prieſterin der Nacht. Im Strahl der Sonne ſelbſt verkündigts der dunkle Glanz der vollen Locken, der ernſten Augen lichtes Schwarz, der hohe Wuchs, die Majeſtät der Stirn und aller edlen Glieder.

Lucinde.

Die Augen ſinken, indem Du rühmſt, weil jetzt der laute Morgen blendet, und luſtger Vögel buntes Lied die Seele ſtört und ſchreckt. Sonſt möchte wohl das Ohr in ſtil - ler dunkler Abendkühle des ſüßen Freundes ſüße Rede gierig trinken.

Julius.

Es iſt nicht eitle Fantaſie. Un - endlich iſt nach dir und ewig uner - reicht mein Sehnen.

Lucinde I. T290

Lucinde.

Seys was es ſey, Du biſt der Punkt in dem mein Weſen Ruhe fin - det.

Julius.

Die heilige Ruhe fand ich nur in jenem Sehnen, Freundin.

Lucinde.

Und ich in dieſer ſchönen Ruhe jene heilge Sehnſucht.

Julius.

Ach, daß das harte Licht den Schleyer heben darf, der dieſe Flam - men ſo verhüllte, daß der Sinne Scherz die heiße Seele kühlend lin - dern mochte!

Lucinde.

So wird einſt ewig kalter ern - ſter Tag des Lebens warme Nacht291 zerreißen, wenn Jugend flieht und wenn ich Dir entſage wie Du der großen Liebe größer einſt entſagteſt.

Julius.

Daß ich doch Dir die unbekann - te Freundinn zeigen dürfte und ihr das Wunder meines wunderbaren Glücks.

Lucinde.

Du liebſt ſie noch und wirſt ſie ewig mein auch ewig lieben. Das iſt das große Wunder Deines wun - derbaren Herzens.

Julius.

Nicht wunderbarer als das Dei - ne. Ich ſehe Dich an meine Bruſt gelehnt mit Deines Guido Locke ſpie - len; uns beyde brüderlich vereintT 2292die würdge Stirn mit ewgen Freu - dekränzen zieren.

Lucinde.

Laß ruhn in Nacht, reiß nicht ans Licht, was in des Herzens ſtiller Tiefe heilig blüht.

Julius.

Wo mag des Lebens Woge mit dem Wilden ſcherzen, den zart Gefühl und wildes Schickſal heftig fortriß in die herbe Welt?

Lucinde.

Verklärt und einzig glänzt der hohen Unbekannten reines Bild am blauen Himmel Deiner reinen Seele.

Julius.

O ewge Sehnſucht! Doch endlich wird des Tages fruchtlos Sehnen, eitles Blenden ſinken und293 erlöſchen, und eine große Liebesnacht ſich ewig ruhig fühlen.

Lucinde.

So fühlt ſich, wenn ich ſeyn darf wie ich bin, das weibliche Ge - müth in liebeswarmer Bruſt. Es ſehnt ſich nur nach Deinem Sehnen, iſt ruhig wo Du Ruhe findeſt.

Tändeleyen der Fantaſie.

Durch die ſchweren lauten An - ſtalten zum Leben wird das zarte Götterkind Leben ſelbſt verdrängt und jämmerlich erſtickt in der Umarmung der nach Affenart liebenden Sorge.

Abſichten haben, nach Abſichten handeln, und Abſichten mit Abſichten zu neuer Abſicht künſtlich verweben; dieſe Unart iſt ſo tief in die närri -294 ſche Natur des gottähnlichen Men - ſchen eingewurzelt, daß er ſichs nun ordentlich vorſetzen und zur Abſicht machen muß, wenn er ſich einmal ohne alle Abſicht, auf dem innern Strom ewig fließender Bilder[und] Gefühle frey bewegen will.

Es iſt der Gipfel des Verſtandes aus eigner Wahl zu ſchweigen, die Seele der Fantaſie wiederzugeben und die ſüßen Tändeleyen der jun - gen Mutter mit ihrem Schooßkinde nicht zu ſtören.

Aber ſo verſtändig iſt der Ver - ſtand nach dem goldnen Zeitalter ſei - ner Unſchuld nur ſehr ſelten. Er will die Seele allein beſitzen; auch wenn ſie wähnt allein zu ſeyn mit ihrer angebohrnen Liebe, lauſcht er295 im Verborgnen und ſchiebt an die Stelle der heiligen Kinderſpiele nur Erinnerung an ehemalige Zwecke oder Ausſichten auf künftige. Ja er weiß den hohlen kalten Täuſchun - gen einen Anſtrich von Farbe und eine flüchtige Hitze zu geben und will durch ſeine nachahmende Kunſt der argloſen Fantaſie ihr eigenſtes Weſen rauben.

Aber die jugendliche Seele läßt ſich durch die Argliſt des Altklugen nicht bethören, und immer ſieht ſie den Liebling ſpielen mit den ſchönen Bildern der ſchönen Welt. Willig läßt ſie ihre Stirn umflechten von den Kränzen, die das Kind aus den Blüthen des Lebens flicht, und wil - lig läßt ſie ſich in wachen Schlum -296 mer ſinken, Muſik der Liebe träu - mend, und geheimnißvoll freundliche Götterſtimmen vernehmend, wie die einzelnen Laute einer fernen Ro - manze.

Alte wohlbekannte Gefühle - nen aus der Tiefe der Vergangen - heit und Zukunft. Leiſe nur berüh - ren ſie den lauſchenden Geiſt und ſchnell verlieren ſie ſich wieder in den Hintergrund verſtummter Muſik und dunkler Liebe. Alles liebt und lebt, klaget und freut ſich in ſchöner Verwirrung. Hier öffnen ſich am rauſchenden Feſt die Lippen aller Fröhlichen zu allgemeinem Geſange; und hier verſtummt das einſame Mädchen vor dem Freunde, dem ſie ſich vertrauen möchte und verſagt297 den Kuß mit lächelndem Munde. Gedankenvoll ſtreue ich Blumen auf das Grab des zu früh entſchlafnen Sohnes, die ich bald voll Freude und voll Hoffnung der Braut des ge - liebten Bruders darreiche, während die hohe Prieſterin mir winkt und mir die Hand reicht zu ernſtem Bun - de, bey dem ewig reinen Feuer ewi - ge Reinheit und ewige Begeiſterung zu geloben. Ich enteile dem Altar und der Prieſterin um das Schwerdt zu ergreifen und mit der Schaar der Helden in den Kampf zu ſtürzen, den ich bald vergeſſe, wo ich in tief - ſter Einſamkeit nur den Himmel und mich beſchaue.

Welche Seele ſolche Träume ſchlummert, die träumt ſie ewig fort,298 auch wenn ſie erwacht iſt. Sie fühlt ſich umſchlungen von den Blüthen der Liebe, ſie hütet ſich wohl die lo - ſen Kränze zu zerreißen, ſie giebt ſich gern gefangen und weiht ſich ſelbſt der Fantaſie und läßt ſich gern be - herrſchen von dem Kinde, das alle Mutterſorgen durch ſeine ſüßen Tän - deleyen lohnt.

Dann zieht ſich ein friſcher Hauch von Jugendblüthe über das ganze Daſeyn und ein Heiligenſchein von kindlicher Wonne. Der Mann ver - göttert die Geliebte, die Mutter das Kind und alle den ewigen Men - ſchen.

Nun verſteht die Seele die Kla - ge der Nachtigall und das Lächeln des Neugebohrnen, und was auf299 Blumen wie an Sternen ſich in ge - heimer Bilderſchrift bedeutſam offen - bart, verſteht ſie; den heiligen Sinn des Lebens wie die ſchöne Sprache der Natur. Alle Dinge reden zu ihr und überall ſieht ſie den liebli - chen Geiſt durch die zarte Hülle.

Auf dieſem feſtlich geſchmückten Boden wandelt ſie den leichten Tanz des Lebens, ſchuldlos und nur be - ſorgt dem Rhythmus der Geſellig - keit und Freundſchaft zu folgen und keine Harmonie der Liebe zu ſtören.

Dazwiſchen ewger Geſang, von dem ſie nur dann und wann ein - zelne Worte vernimmt, welche noch höhere Wunder verrathen laſſen.

Immer ſchöner umgiebt ſie die - ſer Zauberkreis. Sie kann ihn nie300 verlaſſen und was ſie bildet oder ſpricht, lautet wie eine wunderbare Romanze von den ſchönen Geheim - niſſen der kindlichen Götterwelt, be - gleitet von einer bezaubernden Mu - ſik der Gefühle und geſchmückt mit den bedeutendſten Blüthen des liebli - chen Lebens.

About this transcription

TextLucinde
Author Friedrich von Schlegel
Extent311 images; 30086 tokens; 5951 types; 199118 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationLucinde Ein Roman Erster Theil Friedrich von Schlegel. . 300 S. FrölichBerlin1799. (Darüber hinaus sind keine weiteren Teile erschienen.)

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BBAW BBAW, Sc 28535

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LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; mts

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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