PRIMS Full-text transcription (HTML)
Maler Nolten.
Novelle in zwei Theilen
Mit einer Muſikbeilage.
I.
Stuttgart. E. Schweizerbart's Verlagshandlung.1832.
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Maler Nolten.

1[2][3]

Ein heiterer Juniusnachmittag beſonnte die Stra - ßen der Reſidenzſtadt. Der ältliche Baron Jaßfeld machte nach längerer Zeit wieder einen Beſuch bei dem Maler Tillſen, und nach ſeinen eilfertigen Schritten zu urtheilen, führte ihn dießmal ein ganz beſonderes Anliegen zu ihm. Er traf den Maler, wie gewöhnlich nach Tiſche, mit ſeiner jungen Frau in dem kleinen, ebenſo geſchmackvollen als einfachen Saale, deſſen an - tike Dekoration ſich gar harmoniſch mit den gewöhn - lichen Gegenſtänden des Gebrauchs und der Mode aus - nahm. Man ſprach zuerſt in heiterm Tone über ver - ſchiedene Dinge, bis die Frau ſich in Angelegenheiten der Haushaltung entfernte und die beiden Herren allein ließ.

Der Baron ſaß bequemlich mit übereinanderge - ſchlagenen Beinen im weichen Fauteil, und indeß die Wange in der rechten Hand ruhte, ſchien er während der eingetretenen Pauſe den Maler in freundlichem Nachſin - nen mit der neuen Anſicht zu vergleichen, die ſich ihm ſeit geſtern über deſſen Werke aufgedrungen. Mein Lieber! fing er jetzt an, daß ich Ihnen nur ſage, war -4 um ich vornehmlich hieher komme. Ich bin kürzlich bei dem Grafen von Zarlin geweſen und habe dort ein Gemälde geſehen, wieder und wieder geſehen und des Sehens kaum genug gekriegt. Ich fragte nach dem Meiſter, der Graf ließ mich rathen, ich rieth und ſagte: Tillſen! ſchüttelte aber unwillkürlich den Kopf dabei, weil mir zugleich war, es könne doch nicht wohl ſeyn; ich ſagte abermals: Tillſen, und ſagte zum zweiten Mal: Nein!

Bei dieſen Worten zeigte ſich eine Spur von Ver - druß und Verlegenheit auf des Malers Geſicht; er wußte ſie jedoch ſchnell zu verbergen und fragte mit guter Laune: Nun! das ſchöne Wunderwerk, das mei - nen armen Pinſel bereits zweimal verläugnet hat was iſt es denn eigentlich?

Stellen Sie ſich nicht, Beſter, erwiderte der Alte aufſtehend, mit herzlicher Fröhlichkeit und glänzen - den Augen, Ihnen iſt wohl bekannt, wovon ich rede. Der von Zarlin hat Ihnen das Bild abgekauft und Sie ſind nach ſeiner Verſicherung der Mann, der es gemacht. Hören Sie, Tillſen, hier ergriff er ſeine Hand, hören Sie! ich bin nun einmal eben ein auf - richtiger Burſche, und mag, wo ich meine Leute zu ken - nen glaube, nicht übertrieben viel Vorſicht brauchen, alſo plazte ich Ihnen gleich damit heraus, wie mir’s mit Ihrem Bilde ergangen; es enthält unverkennbar ſo Manches Ihrer Kunſt, beſonders was Farbe, was Schönheit im Einzelnen, was namentlich auch die Land -5 ſchaft betrifft, aber es enthält nein, es iſt ſogar durchaus wieder etwas Anderes, als was Sie bisher waren, und indem ich zugebe, daß die überraſchende Entdeckung gewiſſer Ihnen in minderem Grade eigenen Vorzüge mich irre gemacht, ſo liegt hierin ein Vorwurf gegen Ihre früheren Arbeiten, den Sie immer von mir gehört haben, ohne darum zu zweifeln, daß ich Sie für einen in ſeiner Art trefflichen Künſtler halte. Ich fand jetzt aber eine Keckheit und Größe der Kompoſition von Figuren, eine Freiheit überall, wie Sie meines Wiſſens der Welt niemals gezeigt hatten; und was mir ſchlech - terdings als ein Räthſel erſchien, iſt die auffallende Ab - weichung in der poetiſchen Denkungsart, in der Wahl der Gegenſtände. Dieß gilt insbeſondere von zwei Skizzen, deren ich noch gar nicht erwähnte und die Sie dem Grafen in Oel auszuführen verſprochen haben.

Hier iſt eine durchaus ſeltene Richtung der Phan - taſie; wunderbar, phantaſtiſch, zum Theil verwegen und in einem angenehmen Sinne bizarr. Ich denke dabei an die Geſpenſtermuſik im Walde und Mond - ſchein, an den Traum des verliebten Rieſen. Tillſen! um Gottes willen, ſagen Sie, wann iſt dieſe ungeheure Veränderung vorgegangen? wie erklären Sie mir ſie? Man weiß und hat es bedauert, daß Tillſen in an - derthalb Jahren keine Farbe angerührt; warum ſagten Sie mir während der lezten zwei Monate nicht eine Sylbe vom Wiederanfange Ihrer Arbeiten? Sie haben heimlich gemalt, Sie wollten uns überraſchen, und6 wahrlich, theuerſter, unbegreiflicher Freund, das iſt Ih - nen gelungen. Hier ſchüttelte der feurige Redner den ſtummen Hörer kräftig bei den Schultern, ſchmunzelte und ſah ihm nahezu unter die Augen.

Ich bin wahrhaftig, begann der Andere ganz ruhig, aber lächelnd, um den Ausdruck verlegen, Ihnen meine Verwunderung über Ihre Worte zu bezeugen, wovon ich das Mindeſte nicht verſtehe. Weder kann ich mich zu je - nem Gemälde zu jenen Zeichnungen bekennen, noch überhaupt faſſ ich Ihre Worte. Das Ganze ſcheint ein Streich von Zarlin zu ſeyn, den er uns wohl hätte erſparen mögen. Wie ſtehen wir einander nun ſeltſam beſchämt gegenüber! Sie ſind gezwungen, ein mir nicht gebührendes Lob zurück zu nehmen, und der Tadel, den Sie vergnügt ſchon auf die alte Rechnung ſezten, bleibt wo er hingehört. Das muß uns aber ja nicht geniren, Baron, wir bleiben, hoff ich, die beſten Freunde. Geben Sie mir aber doch, ich bitte Sie, einen deutlichen Begriff von den bewußten Stücken. Setzen Sie ſich!

Jaßfeld hatte dieſe Rede bis zur Hälfte mit offen ſtehendem Munde, beinahe ohne Athemzug an - gehört, während der andern Hälfte trippelte er im Zickzack durch den Saal, ſtand nun plötzlich ſtill und ſagte: Der Teufelskerl von Zarlin! Wenn ja der aber es iſt impoſſibel, ich behaupte trotz allen himm - liſchen Heerſchaaren, Sie ſind der Maler, kein Anderer; auch läßt ſich nicht annehmen, daß es etwa nur zum7 Theil Ihre Produktion wäre; Sie haben ſich in Ihrem Leben nie auf Fremdes verlegt. Der Maler bat wiederholt um die Schilderung der befragten Stücke.

Ich beſchreibe Ihnen alſo, weil Sie es verlangen, ihr eigen Werk, hub der alte Herr, ſich niederſetzend, an, aber kurz, und korrigiren Sie mich gleich, wenn ich wo fehle. Das ausgeführte Oelgemälde zeigt uns, wie einer Waſſernymphe ein ſchöner Knabe auf dem Kahn von einem Satyr zugeführt wird. Jene bildet neben einigen Meerfelſen linker Hand die vorderſte Figur. Sie drückt ſich, vorgeneigt und bis an die Hüften im Waſſer, feſt an den Rand des Nachens, indem ſie mit erhobenen Armen den reizenden Gegenſtand ihrer Wünſche zu empfangen ſucht. Der ſchlanke Knabe beugt ſich angſtvoll zurück und ſtreckt, doch unwillkürlich, Einen Arm entgegen; hauptſächlich mag es der Zauber ihrer Stimme ſeyn, was ihn unwiderſtehlich anzieht, denn ihr freundlicher Mund iſt halb geöffnet und ſtimmt rührend zu dem Verlangen des warmen Blicks. Hier erkannte ich Ihren Pinſel, Ihr Kolorit, Ihren unnachahmlichen Hauch, o Tillſen, hier rief ich Ih - ren Namen aus. Das Geſicht der Nymphe iſt faſt nur Profil, der ſchiefe Rücken und eine Bruſt iſt ſichtbar; unvergleichlich das naſſe, blonde Haar. Bei der Sen - kung einer Welle zeigt ſich wenig der Anſatz des ge - ſchuppten Fiſchkörpers, in der Nähe ſchlägt der thie - riſche Schwanz aus dem grünen Waſſer, aber man vergißt das Ungeheuer über der Schönheit des menſch -8 lichen Theils und der Knabe vergeht in dem Liebreiz dieſes Angeſichts; er verſäumt das leichte, nur noch über die Schulter geſchlungene Tuch, das der Wind als ſchmalen Streif in die Höhe flattern läßt. Eine Figur von großer Bedeutung iſt der Satyr als Zu - ſchauer. Die muskuloſe Figur ſteht, auf das Ruder gelehnt, etwas ſeitwärts im Schiffe, und überragt, obgleich nicht ganz aufrecht, die Uebrigen. Eine ſtumme Leidenſchaft ſpricht aus ſeinen Zügen, denn obgleich er der Nymphe durch den Raub und die Herbeiſchaf - fung des herrlichen Lieblings einen Dienſt erweiſen wollte, ſo ſtraft ihn jezt ſeine heftige Liebe zu ihr mit unverhoffter Eiferſucht. Er möchte ſich lieber mit Wuth von dieſer Scene[abkehren], allein er zwingt ſich zu ruhiger Betrachtung, er ſucht einen bittern Genuß darin. Das Ganze rundet ſich vortrefflich ab und mit Klugheit wußte der Maler das Eine leere Ende des Nachens rechter Hand hinter hohe Seegewächſe zu verſtecken. Uebrigens iſt vollkommene Meerausſicht und man befindet ſich mit den Perſonen einſam und ziemlich unheimlich auf dem hülfloſen Bereiche. Ich ſage Ihnen Nichts weiter, mein Freund. Ihre ge - laſſene Miene verräth mir eine hinlängliche Bekannt - ſchaft mit der Sache; Sie dürften übrigens, wenn keine Verwunderung, doch wahrlich ein wenig gerech - ten Stolz auf ihr Werk blicken laſſen, wofern nicht eben in dieſem Anſcheine von Gleichgültigkeit ſchon der höchſte Stolz liegt.

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Die Skizzen, wenn ich bitten darf! erwiderte der Andere; wie verhält es ſich damit? Sie haben mich ſehr neugierig gemacht.

Der Baron holte friſch Athem, lächelte und be - gann doch bald ernſthaft: Federzeichnung, mit Waſſer - farbe ziemlich ausgeführt, nach Ihrer gewöhnlichen Weiſe. Das Blatt, wovon jezt die Rede iſt, hat einen tiefen, und beſonders als ich es zum zweiten Mal bei Lichte ſah, einen faſt ſchauderhaften Ein - druck auf mich gemacht. Es iſt nichts weiter als eine nächtliche Verſammlung muſikliebender Geſpenſter. Man ſieht einen graſigen, etwas hüglichten Wald - platz, ringsum, bis auf Eine Seite, eingeſchloſſen. Jene offene Seite rechts läßt einen Theil der tiefliegenden, in Nebel glänzenden Ebene überſehen; dagegen erhebt ſich zur Linken im Vorgrunde eine naſſe Felswand, unter der ſich ein lebhafter Quell bildet und in deren Vertiefung eine gothiſch verzierte Orgel von mäßiger Größe geſtellt iſt; vor ihr auf einem bemoosten Blocke ſizt im Spiele begriffen gleich eine Hauptfigur, wäh - rend die Uebrigen theils ruhig mit ihren Inſtrumen - ten beſchäftigt, theils im Ringel tanzend oder ſonſt in Gruppen umher zerſtreut ſind. Die wunderlichen Weſen ſind meiſt in ſchleppende, zur Noth aufgeſchürzte Gewande von grauer oder ſonſt einer beſcheidenen Farbe gehüllt, blaſſe mitunter ſehr angenehme Todten - geſichter, ſelten etwas Graſſes, noch ſeltener das ge - ſchälte häßliche Todtenbein. Sie haben ſich, um nach10 ihrer Weiſe ſich gütlich zu thun, ohne Zweifel aus einem unfernen Kirchhof hieher gemacht. Dieß iſt ſchon durch die Kapelle rechts angedeutet, welche man unten in einiger Nähe, jedoch nur halb, erblickt, denn ſie wird durch den vorderſten Grabhügel abgeſchnitten, an deſſen eingeſunkenem Kreuze von Stein ein Flö - tenſpieler mit bemerkenswerther Haltung und trefflich drapirtem Gewande ſich hingelagert hat. Ich wende mich aber jezt wieder auf die entgegengeſezte Seite zu der anziehenden Organiſtin. Sie iſt eine edle Jung - frau mit geſenktem Haupte; ſie ſcheint mehr auf den Geſang der zu ihren Füßen ſtrömenden Quelle, als auf das eigene Spiel zu horchen. Das ſchwarze, ſee - lenvolle Auge taucht nur träumeriſch aus der Tiefe des inneren Geiſterlebens, ergreift keinen Gegenſtand mit Aufmerkſamkeit, ruht nicht auf den Taſten, nicht auf der ſchönen runden Hand, ein wehmüthig Lächeln ſchwimmt kaum ſichtbar um den Mundwinkel und es iſt, als ſinne dieſer Geiſt im jetzigen Augenblicke auf die Möglichkeit einer Scheidung von ſeinem zweiten leiblichen Leben. An der Orgel lehnt ein ſchlummer - trunkener Jüngling mit geſchloſſenen Augen und lei - denden Zügen, eine brennende Fackel haltend; ein großer goldenbrauner Nachtfalter ſizt ihm in den Seitenlocken. Zwiſchen der Wand und dem Kaſten ſcheint ſich der Tod als Kalkant zu befinden, denn eine knöcherne Hand und ein vorſtehender Fuß des Gerippes wird bemerkt. Unter den Geſtalten im11 Mittelgrunde zeichnet ſich namentlich eine Gruppe von Tanzenden aus, zwei kräftige Männer und eben ſo viel Frauen in anmuthigen und kunſtvollen Bewegun - gen, mit hochgehaltener Handreichung, wobei zuweilen nackte Körpertheile edel und ſchön zum Vorſchein kommen. Indeſſen, der Tanz ſcheint langſam und den ernſten, ja traurigen Mienen derjenigen zu entſprechen, welche ihn aufführen. Dieſen zu beiden Seiten und dann mehr gegen den Hintergrund entfaltet ſich ein vergnügteres Leben; man gewahrt muntere Stellun - gen, endlich poſſenhafte und neckiſche Spiele. Etwas fiel mir beſonders auf. Ein Knabengerippe im leich - ten Scharlachmäntelchen ſitzt da und wollte ſich gern von einem andern den Schuh ausziehen laſſen, aber das Bein bis zum Knie ging mit und der ungeſchickte Burſche will ſich zu Tode lachen. Hingegen ein an - derer Zug iſt folgender: Vorn bei dem Flötenſpieler befindet ſich ein Geſträuche, woraus eine magere Hand ein Neſtchen bietet, während ein hingekauerter Greis ſein Söhnchen bei der hingehaltenen Kerze bereits einem Vogel in die verwundert unſchuldigen Aeuglein blicken läßt; der Burſche hat übrigens ſchon eine zap - pelnde Fledermaus am Fittig. Es gibt mehrere Züge der Art; es gäbe überhaupt noch gar Vieles anzu - führen. Die Beleuchtung, der wundervolle Wechſel zwiſchen Mond - und Kerzenlicht, wie dieß einſt bei’m Oelgemälde, beſonders in der Wirkung auf’s Grün, ſich zauberiſch darſtellen wird, iſt überall bereits effekt -12 voll angedeutet und mit großer Kenntniß behandelt. Doch genug! der Henker mag ſo was beſchreiben.

Tillſen hatte ſchon ſeit einer Weile zerſtreut und brütend geſeſſen. Jezt da das Schweigen des Barons ihn zu ſich ſelbſt gebracht, erhob er ſich raſch mit glühender Stirn vom Seſſel und ſprach ent - ſchloſſen: Ja, mein Herr, ich darf es ſagen, von meiner Hand iſt, was Sie geſehen haben, doch hier brach er in ein gezwungenes Gelächter aus. Gott ſey Dank! unterbrach ihn der Baron, entzückt aufſpringend, nun hab ich genug; laſſen Sie ſich küſſen, umarmen, Charmanteſter! die anderthalb Jahre Faſtenzeit, worin Sie die Palette vertrocknen ließen, haben Wunder an Ihnen gereift, eine Periode ent - wickelt, über deren Früchte die Welt ſtaunen wird. Nun geht es Schlag auf Schlag, geben Sie Acht, ſeitdem der neue, ſtarke Frühling für Ihre Kunſt durchbrochen hat, und in dieſer Stunde prophezeih ich Ihnen die Fülle eines Ruhmes, der vielleicht Hun - derte begeiſtern wird, das ganze Mark der Kräfte an die edelſte Kunſt zu wenden, aber auch Tauſende zwin - gen muß, in muthloſem Neide ſie abzuſchwören. Ach lieber, beſcheidener Mann, Sie ſind bewegt, ich bin es nicht weniger von herzlicher Freude. Laſſen Sie uns in dieſem glücklichen Moment mit einem warmen Händedruck auseinander gehen, und kein Wort weiter. Ich gehe zum Grafen. Leben Sie wohl! auf Wieder - ſehen. Damit war er zur Thüre hinaus.

13

Der Maler, unbeweglich, ſah ihm nach. Es wollte ihn jezt fortreißen, dem Baron zu folgen, ihm eine plötzliche Aufklärung zu geben, aber ein unwill - kürlicher trockener Entſchluß hielt ihn wie an den Boden gefeſſelt. Erſt nach einer langen Stille brach er, beinahe ſchmerzlich lächelnd, in die Worte aus: O betrogener redlicher Mann! wie haſt du dich un - nöthig über mich verjubelt, mir arglos meine ganze Blöße gezeigt! Ich mußte ein Lob anhören, das nicht mir, ſondern einem Andern gehört und das juſt alles das heraus hob, was mir zum rechten Maler abgeht, ewig abgehen wird! Es iſt wahr, fuhr er in Ge - danken fort, die Ausführung jener Kompoſitionen iſt mein und iſt nicht das Schlechteſte am Ganzen; ſie dient, jenen Erfindungen die rechte Bedeutung zu geben; ohne mein Zuthun wären vielleicht die Skizzen des armen Zeichners gleichgültig überſehen worden. Aber nur auf der Spur ſeines Geiſtes ſtärkte, belebte ſich der meinige, und nur von jenem ermuthigt konnte ich ſogar auf eine Höhe des Ausdrucks kommen, bis zu welcher ich mich nie erhoben hatte. Wie arm, wie Nichts erſchein ich mir dieſem unbekannten Zeichner gegenüber! Wie würf ich mit Freuden Alles hin, was ſonſt an mir gerühmt wird, für die Gabe, ſolche Umriſſe, ſolche Linien, ſolche Anordnung zu ſchaffen! Ein Crayon, ein dürftig Papier iſt ihm genug, damit er mich über den Haufen ſtürze. Wüßten nur erſt die Herren, daß es die Werke eines Wahnſinnigen14 ſind, welche ſie bewundern, eines unſcheinbaren ver - dorbenen Menſchen, ihr Staunen würde noch größer ſeyn, als da ſie in mir den Meiſter gefunden zu ha - ben glauben. Noch kennt außer mir Niemand den wahren Erfinder, aber geſezt, ich wollte auf die Ge - fahr, das dieſer ſein eigenſinniges Incognito brechen kann, mir dennoch den Ruhm ſeiner Schöpfungen er - halten, ich fände einen weit ſtärkeren Grund dagegen in dem eigenen innern Bewußtſeyn. Darum muß es an den Tag, lieber heute als morgen, ich ſey keines - wegs der Rechte.

Das waren ungefähr die Gedanken des lebhaft aufgeregten Mannes. Indeſſen war er, was den lez - ten Punkt betrifft, noch nicht ſo ganz entſchieden. Hatte er bisher die Meinung der Freunde ſo hin - hängen laſſen, ohne ſie eben zu beſtärken, ohne zu widerlegen, indem er ſich mit zweideutigem Scherz in der Mitte hielt, ſo dachte er jezt, er könne unbe - ſchadet ſeines Gewiſſens noch eine Zeitlang zuwarten mit der Enthüllung, und er wolle ſein Benehmen nachher, wenn es nöthig ſey, ſchon auf ehrenvolle Art rechtfertigen.

So eben trat die junge[Frau] wieder ins Zim - mer: ſie bemerkte die auffallende Bewegung an ihrem Manne, ſie fragte erſchrocken, er läugnete und herzte ſie mit einer ungewohnten Inbrunſt. Dann ging er auf ſein Zimmer.

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Es verſtrichen mehrere Wochen, ohne daß unſer Maler gegen irgend Jemanden ſich über den wahren Zuſammenhang der Sache erklärte, ſeinen Schwager, den Major v. R., ausgenommen, dem er folgende auffallende Eröffnung machte. Es mag nun bald ein Jahr ſeyn, als mich eines Abends ein verwahrloſ’ter Menſch von ſchwächlicher Geſtalt und kränklichem Ausſehen, eine ſpindeldünne Schneiderfigur, in meiner Werkſtätte beſuchte. Er gab ſich für einen eifrigen Dilettanten in der Malerei aus. Aber die windige Art ſeines Benehmens, das Verworrene ſeines Ge - ſprächs über Kunſtgegenſtände war eben ſo verdächtig, als mir überhaupt der ganze Beſuch fatal und räth - ſelhaft ſeyn mußte. Ich hielt ihn zum wenigſten für einen aufdringlichen Schwätzer, wo nicht gar für einen Schelmen, wie ſie gewöhnlich in fremden Häuſern um - herſchleichen, die Leute zu beſtehlen und zu betrügen. Hingegen wie groß war meine Verwunderung, als er einige Blätter hervorzog, die er mit vieler Beſcheiden - heit für leichte Proben von ſeiner Hand ausgab. Es waren reinliche Entwürfe mit Bleiſtift und Kreide voll Geiſt und Leben, wenn auch manche Mängel an der Zeichnung ſogleich in’s Auge fielen. Ich verbarg meinen Beifall abſichtlich, um meinen Mann erſt aus - zuforſchen, mich zu überzeugen, ob das Alles nicht etwa fremdes Gut wäre. Er ſchien mein Mißtrauen zu bemerken und lächelte beleidigt, während er die Pa - piere wieder zuſammenrollte. Sein Blick fiel inzwi -16 ſchen auf eine von mir angefangene Tafel, die an der Wand lehnte, und wenn kurz vorher einige ſeiner Ur - theile ſo abgeſchmackt und lächerlich als möglich klan - gen, ſo ward ich jezt durch einige bedeutungsvolle Worte aus ſeinem Munde überraſcht, welche mir ewig unvergeßlich bleiben werden, denn ſie bezeichneten auf die treffendſte Weiſe das Charakteriſtiſche meiner Ma - nier und löſ’ten mir das Geheimniß eines Fehlers, den ich bisher nur dunkel empfunden hatte. Der wunderliche Menſch wollte mein Erſtaunen nicht bemerken, er griff eben nach dem Hute, als ich ihn lebhaft zu mir auf einen Sitz niederzog und zu einer weiteren Erörterung aufforderte. Es überſteigt jedoch alle Beſchreibung, in welch ſonderbarem Gemiſche des fadeſten und un - ſinnigſten Galimatias mit einzelnen äußerſt pikanten Streiflichtern von Scharfſinn ſich der Menſch in einer ſüßlich wiſpernden Sprache nun gegen mich verneh - men ließ. Dieß Alles zuſammengenommen und das unpaſſende Kichern, womit er ſich ſelber und mich gleichſam zu verhöhnen ſchien, ließ keinen Zweifel übrig, daß ich hier das ſeltenſte Beiſpiel von Ver - rücktheit vor mir habe, welches mir je begegnet war. Ich brach ab, lenkte das Geſpräch auf gewöhnliche Dinge und er ſchien ſich in ſeinem ſtutzerhaft affektir - ten Betragen nur immer mehr zu gefallen. Dieß elegante Vornehmthun machte mit ſeinem nothdürfti - gen Aeußern, einem abgetragenen, hellgrünen Fräck - chen und ſchlechten Ranking-Beinkleidern einen höchſt17 komiſchen, affreuſen Kontraſt. Bald zupfte er mit zierlichem Finger an ſeinem ziemlich ungewaſchenen Hemdſtrich, bald ließ er ſein Bambusröhrchen auf dem ſchmalen Rücken tänzeln, indem er zugleich bemüht war, durch Einziehung der Arme mir die ſchmähliche Kürze des grünen Fräckchens zu verbergen. Mit alle dieſem erregte er meine aufrichtige Theilnahme. Mußt ich mir nicht einen Menſchen denken, der mit ſeinem außerordentlichen Talente, vielleicht durch gekränkte Eitelkeit, vielleicht durch Liederlichkeit, dergeſtalt in Zerfall gerathen war, daß zulezt nur dieſer jämmer - liche Schatten übrig blieb? Auch waren jene Zeich - nungen, wie er ſelbſt bekannte, aus einer längſt ver - gangenen, beſſern Zeit ſeines Lebens. Auf die Frage, womit er ſich denn gegenwärtig beſchäftige, antwortete er haſtig und kurz: er privatiſire; und als ich von weitem die Abſicht blicken ließ, jene Blätter von ihm zu erſtehen, ſchien er trotz eines pretiöſen Lächelns nicht wenig erleichtert und vergnügt. Ich bot ihm drei Dukaten, die er mit dem Verſprechen zu ſich ſteckte, mich bald wieder zu ſehen. Nach vier Wochen erſchien er abermals und zwar ſchon in merklich beſ - ſerem Aufzuge. Er brachte mehrere Skizzen mit: ſie waren wo möglich noch intereſſanter, noch geiſtreicher. Indeſſen hatt ich beſchloſſen, ihm vor der Hand nichts weiter abzunehmen, bis ich über die Rechtmäßigkeit eines ſolchen Erwerbs völlig in’s Reine gekommen wäre, etwa dadurch, daß er veranlaßt würde, gleichſam unter218meinen Augen eine Aufgabe zu löſen, die ich ihm un - ter einem unverfänglichen Vorwande zuſchieben wollte. Ich hatte meine Gedanken hiezu ſchriftlich angedeutet, erklärte mich ihm auch mündlich darüber, und er eilte ſogleich mit der Hoffnung weg, mir ſeinen Verſuch in einigen Tagen zu zeigen. Aber wer ſchildert meine Freude, als ſchon am Abende des folgenden Tages die edelſten Umriſſe zu der angegebenen Gruppe aus dem Statius vor mir lagen, in der ganzen Auffaſſung des Gedankens weit kühner und ſinnreicher als der Umfang meiner Imagination jemals reichte. Manche flüchtige Bemerkung des närriſchen Menſchen bewies überdieß unwiderſprechlich, daß er mit Leib und Seele bei der Zeichnung geweſen. Auch dieſer Entwurf und in der Folge noch der eine und andere ward mein Eigenthum; allein plötzlich blieb der Fremde aus und eigenſinniger Weiſe hatte er mir weder Namen noch ſonſtige Adreſſe zurückgelaſſen. Nach und nach fühlte ich unwiderſtehliche Luſt, drei bis vier der vorhandenen Blätter vergrößert in Waſſerfarbe auf’s Neue zu ſkizzi - ren und ſofort in Oel darzuſtellen, wobei denn bald die liebevollſte wechſelſeitige Durchdringung meiner Manier und jenes fremden Genius Statt fand, ſo daß die Entſcheidung ſo leicht nicht ſeyn möchte, wenn nunmehr bei den völlig ausgemalten Tableaus ein zwiefaches und getrenntes Verdienſt gegen einander abgewogen werden ſollte. Vor einem Freunde und Schwager darf ich dieſes ſelbſtgefällige Bekenntniß gar19 wohl thun, und vielleicht wird das Publikum mir nicht mindere Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, wenn ich ihm demnächſt bei der öffentlichen Ausſtellung jene Bilder vorführen werde, ohne ihren doppelten Urſprung im mindeſten zu verläugnen; denn dieß war längſt mein feſter Entſchluß.

Das ſieht dir ähnlich, erwiderte hierauf der Major, welcher bisher mit geſpannter Aufmerkſamkeit zugehört hatte; es bedarf, dünkt mich, bei einem Künſtler von deinem Rufe nicht einmal großer Reſig - nation zu einer ſolchen Aufrichtigkeit, ja man wird in dem ganzen Unternehmen eine Art Herablaſſung finden, wodurch du jenes unbekannte Talent zu wür - digen und zu ehren dachteſt. Aber, um wieder auf den armen Tropfen zu kommen, haſt du ihn denn auf keine Weiſe ausfindig machen können?

Auf keine Weiſe. Einmal glaubte mein Be - dienter ſeine Spur zu haben, allein ſie verſchwand ihm wieder.

Es wäre doch des Teufels, rief der Major aus, wenn meine Spürhunde mich hier im Stiche ließen! Schwager, laß mich nur machen. Die Sache iſt zu merkwürdig, um ſie ganz hängen zu laſſen. Du magſt mich vor aller Welt nur ſelbſt für den geheim - nißvollen Narren ausgeben, wenn ich dir ihn nicht binnen vier und zwanzig Tagen aus irgend einer Spe - lunke, Dachſtube oder dem Narrenhauſe ſelbſt hervor - ziehe!

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Dieſe vier und zwanzig Tage waren noch nicht um, ſo geſchah es, daß Tillſen über die wahre Be - wandtniß der Sache auf einem ganz anderen Wege aufgeklärt wurde, als er je vermuthen konnte.

In ſeiner Abweſenheit meldete ſich eines Mor - gens ein wohlgekleideter junger Mann im Tillſen’ſchen Hauſe an, und die Frau führte ihn indeß in ein Sei - tenzimmer, wo er ihren Gemahl erwarten möchte. Sie ſelbſt, obgleich durch ſeine ſehr vielverſprechende und auffallend angenehme Geſichtsbildung nicht wenig intereſſirt, entfernte ſich ſogleich wieder, weil die zer - ſtreute Unruhe ſeiner Miene ihr hinlänglich ſagte, daß eine weitere Anſprache hier nicht am Platze ſeyn würde. Nach einer Viertelſtunde erſt trat der Maler in das bezeichnete Kabinet. Er fand den jungen Mann nachdenkend, den Kopf in beide Hände geſtüzt, auf einem Stuhle ſitzen, den Rücken ihm zugewandt und dem großen Gemälde gegenüber, das, bis auf die breit goldene Rahme, verhüllt an der Wand da hing. Der Maler, einigermaßen verwundert, trat ſtillſchweigend näher, worauf dann der Andere erſchrocken auffuhr, indem er zugleich hinter einer angenehmen, verlegenen Freundlichkeit die Thränen zu verſtecken ſuchte, worin er ſichtbar überraſcht worden war. Ich komme, fing er jezt mit heiterm Freimuthe an, ich komme in der wunderlichſten und zugleich in der erfreulichſten An - gelegenheit vor Ihr Angeſicht, verehrter Mann! Meine Perſon iſt Ihnen unbekannt, dennoch haben21 Sie, wie ich weiß, mein eigentliches Selbſt bereits dergeſtalt kennen gelernt und bis auf einen gewiſſen Grad ſogar liebgewonnen, daß ich mich nun mit un - abweislichem Vertrauen unter Ihre Stirne dränge. Doch, laſſen Sie mich deutlich reden. Ich heiße Theobald Nolten und ſtudire in hieſiger Stadt ziemlich unbekannt die Malerei. Nun fand ich geſtern in der aufgeſtellten Galerie unter andern ein Ge - mälde, das Opfer der Polyxena vorſtellend, das mir auf den erſten Blick als eine innig vertraute Erſchei - nung entgegentrat. Es war, als ſtünde durch Zau - berwerk hier ein früher Traum lebendig verkörpert vor meinem ſchwindelnden Auge. Dieſe ſchmerzvolle Königstochter ſchien mich ſo ſchweſterlich bekannt zu grüßen, ihre ganze Umgebung däuchte mir ſogar nicht fremd, und doch, über das Ganze war ein Licht, ein Reiz gegoſſen, der nicht aus meinem Innern, der von einer höhern Macht, von den Olympiſchen ſelbſt her - abgeſtrahlt ſchien; ich zitterte, bei Gott! ich

Was? unterbrach ihn Tillſen, Sie wären ja Sie ſind der wunderbare Künſtler, dem ich ſo Vieles abzubitten

Nicht doch, entgegnete jener feurig, nein! der Ihnen Unendliches zu danken hat. O edelſter Mann! Sie haben mich mir ſelbſt enthüllt, indem Sie mich hoch über mich hinausgerückt und getragen. Sie weckten mich mit Freundeshand aus einem Zuſtande der dunkeln Ohnmacht, riſſen mich auf die Sonnen -22 höhe der Kunſt, da ich im Begriffe war, an meinen Kräften zu verzweifeln. Ein Elender mußte mich be - ſtehlen, damit Sie Gelegenheit hätten, mir in Ihrem klaren Spiegel meine wahre, meine künftige Geſtalt zu zeigen. So empfangen Sie denn Ihren Schüler an das väterliche Herz! Laſſen Sie mich ſie küſſen die gelaſſene Hand, welche auf ewig die verworrenen Fäden meines Weſens ordnete mein Meiſter! mein Erretter!

So lagen ſich beide Männer einige Sekunden lang feſt in den Armen und von dieſem Augenblicke an war eine lebhafte Freundſchaft geſchloſſen, wie ſie wohl in ſo kurzer Zeit zwiſchen zwei Menſchen, die ſich eigentlich zum erſten Male im Leben begegnen, ſelten möglich ſeyn wird.

Erlauben Sie, mein Lieber, ſagte Tillſen, daß ich erſt zur Beſinnung komme. Noch weiß ich nicht, bin ich mehr beſchämt oder mehr erfreut durch Ihre herzlichen Worte. Ich werde Sie in der Folge noch beſſer verſtehen. So ſagen Sie für’s Erſte nur, wie verhält ſich’s denn mit dem diebiſchen Schufte, dem wenigſtens das Verdienſt bleiben muß, uns zuſammen geführt zu haben?

Wohl! Hören Sie! Nach meiner Rückkehr aus Italien, es iſt nun über ein Jahr, traf ich auf der Reiſe hieher, wo ich völlig fremd war, einen Haſen - fuß, Barbier ſeiner Profeſſion, er nannte ſich Wiſpel, der mir ſeine Dienſte als Bedienter an -23 trug, und ich nahm ihn aus einem humoriſtiſchen In - tereſſe an ſeiner Seltſamkeit um ſo lieber auf, da er neben einem, daß ich ſo ſage, univerſal-enthuſiaſtiſchen Hieb, neben einem badermäßigen Hochmuth, immer eine gewiſſe Gutmüthigkeit zeigte, die in der Folge nur der bornirteſten Eitelkeit weichen konnte; denn ſo wollt ich darauf ſchwören, er hatte mit jenen entwen - deten Koncepten Anfangs keine andere Abſicht, als vor Ihnen den Mann zu machen.

Allein er nahm doch Geld dagegen an?

Und wenn auch; dieſe Speculation ward ſicher - lich erſt durch Ihr Anerbieten bei ihm erweckt.

Aber er ſtellte ſich völlig närriſch!

Ich zweifle ſehr, daß er es darauf anlegte, oder geſezt, er legte es darauf an, ſo geſchah es nur, nach - dem er Ihnen bereits den intereſſanten Verdacht ab - gelauſcht. Seiner Dummheit kam übrigens die Liſt beinahe gleich; ſo wußte er mich unter einem ausge - ſuchten Vorwande zu einer Zeichnung aus dem Stegreife zu bewegen, die ohne Zweifel auch für Sie beſtimmt war, und wozu ich mich ſelbſt durch den angenehm pro - ponirten Gegenſtand angereizt fühlte. Wenn er Sie ferner durch den Schein eigener Bildung irre geführt hat, ſo begreif ich nur um ſo beſſer, warum er ſich bei den Unterhaltungen, welche gelegentlich zwiſchen mir und einem Freunde vorkamen, immer viel im Zim - mer zu ſchaffen machte. Er mag Ihnen auf dieſe Art manchen ſchlecht verdauten Brocken hingeworfen haben.

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Ach, ſagte Tillſen nicht ohne einige Beſchä - mung, freilich, dergleichen Aeußerungen ſahen mir dann immer verdächtig genug aus, wie Hieroglyphen auf einem Marktbrunnenſtein, ich wußte nicht, woher ſie kamen. Aber ein abgefeimter Burſche iſt es doch! Und wo ſteckt denn der Schurke jezt?

Das weiß Gott. Seit einem halben Jahre hat er ſich ohne Abſchied von mir beurlaubt; etliche Wochen ſpäter entdeckt ich die große Lücke in meinem Porte - feuille.

Ich will ſie wieder ausfüllen! erwiderte Tillſen mit Heiterkeit, indem er den Freund vor das verhängte Bild führte. Ich wollte es dieſen Morgen noch zur öffentlichen Ausſtellung wegtragen laſſen; doch, es iſt nun Ihr Eigenthum. Laſſen Sie ſehen, ob Sie auch hinter dieſem Tuche Ihre Bekannten erkennen.

Nolten hielt die Hand des Malers an, während er das Geſtändniß ablegte, daß er vorhin der Verſuchung nicht widerſtanden, den Vorhang um einige Span - nen zurückzuſtreifen, daß er ihn aber, wie von dem Ge - ſpenſte eines Doppelgängers erſchreckt, ſogleich wieder habe fallen laſſen, ohne die Ueberblickung des Ganzen zu wagen.

Jezt ſchlug Tillſen mit Einem Male die Hülle zurück und trat ſeitwärts, um den Eindruck des Stückes auf den Maler zu beobachten. Wir ſagen nichts von der unbeſchreiblichen Empfindung des Letztern und er - innern den Leſer an das wunderliche Geiſter-Konzert,25 wovon ihnen der alte Baron früher einen Begriff ge - geben. Bewegt und feierlich gingen die Freunde aus - einander.

Die umſtändlichere Erzählung dieſer Begebenheit mußte vorangeſchickt werden, um die raſche und er - freuliche Entwicklung deſto begreiflicher zu machen, welche es von nun an mit der ganzen Exiſtenz des jungen Künſtlers nahm. War es ein gewiſſer Klein - muth oder Eigenſinn, grillenhafter Grundſatz, was ihn bisher bewegen mochte, mit ſeinem Talente unbeſchrieen hinter dem Berge zu halten, bis er dereinſt mit ei - nem höhern Grade von Vollendung hervortreten könnte: ſo viel iſt gewiß, daß die Behandlung der Oelfarbe ihm bisher große Schwierigkeiten entgegenſezte, jedoch, wie Tillſen fand, nicht ſo große, als unſer beſchei - dener Freund ſich gleichſam ſelbſt gemacht hatte. Viel - mehr entdeckte Jener auch dießfalls an den Verſuchen des Leztern die überraſchendſten Fortſchritte, und gerne faßte er den Entſchluß zur förderlichen Mittheilung einzelner Vortheile. In Kurzem ſtand Nolten, was Geſchicklichkeit betrifft, jedem braven Künſtler gleich, und in Abſicht auf großartigen Geiſt hoch über Allen. Seine Werke, ſowie ſeine Empfehlung durch Tillſen, verſchafften ihm ſehr ſchätzbare Verbindungen, und na - mentlich erwies der Herzog Adolph, Bruder des Königs, ſich gar bald als einen freundſchaftlichen Gönner gegen ihn.

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War Theobald auf dieſe Weiſe durch die raſche und glänzende Veränderung ſeines bisherigen Zuſtan - des gewiſſermaßen ſelbſt überraſcht und anfänglich ſo - gar verlegen, ſo verwunderte er ſich in der Folge bei - nahe noch mehr über die Leichtigkeit, womit er ſich in ſeine jetzige Stellung gewöhnte und darin behauptete. Allerdings brauchte er die Achtung, durch die er ſich vor Andern ausgezeichnet ſah, nur als etwas Ver - dientes hinzunehmen, ſo kam ſie ihm auch ganz natür - lich zu.

Durch die Vermittlung des Herzogs erhielt er Zutritt im Hauſe des Grafen von Zarlin, der ſich ohne eigene Einſichten, und wie Mehrere behaupteten, aus bloßer Eitelkeit als einen leidenſchaftlichen Freund jeder Gattung von Kunſt hervorthat, und dem es wirk - lich gelang, einen Zirkel edler Männer und Frauen um ſich zu verſammeln, worin geiſtige Unterhaltung aller Art, namentlich Lektüre guter Dichterwerke vor - kam. Die lebendig machende Seele des Ganzen jedoch war, ohne es zu wollen, die ſchöne Schweſter des Grafen, Conſtanze von Armond, die junge Witt - we eines vor wenigen Jahren geſtorbenen Generals. Ihre Liebenswürdigkeit wäre mächtig genug geweſen, den Kreis der Männer zu beherrſchen und Geſetze vorzuſchreiben, aber die angenehme Frau blieb mit der ſanften Wirkung zufrieden, welche von ihrer Perſon auf alle übrigen Gemüther ausging, und ſich allge - mein in der erwärmteren Theilnahme an den Unter -27 haltungsgegenſtänden offenbarte; ja, Conſtanze ſchien ihrer natürlichen Lebendigkeit öfters einige Gewalt an - zuthun, um die Huldigung von ſich abzuleiten, wo - mit die Herren ſie nicht undeutlich für die Königin der Geſellſchaft erklärten. Auch Theobald fühlte ſich insgeheim zu ihr hingezogen, und während der anderthalb Monate, worin er jede Woche drei Abende in ihrer Nähe zubringen durfte, entwickelte ſich dieß heitere Wohlgefallen zu einem ſtärkeren Grade von Zuneigung, als er ſich ſelbſt eingeſtehen durfte. Die Reize ihrer Perſon, die Feinheit ihres gebildeten Gei - ſtes, verbunden mit einem lebhaften, ſelbſt ausübenden Intereſſe für ſeine Kunſt, hatten ihn zu ihrem leiden - ſchaftlichen Bewunderer gemacht, und wenn ſein Ver - ſtand, wenn die oberflächlichſte Betrachtung der äußern Verhältniſſe ihm jeden entfernten Wunſch niederſchlu - gen, ſo wiederholte er ſich auf der andern Seite doch ſo manche leiſe Spur ihrer beſondern Gunſt mit un - ermüdeter Selbſtüberredung, wobei er freilich nicht vergeſſen durfte, daß er in dem Herzog einen ſehr geiſtreichen Nebenbuhler zu fürchten habe, der ihm überdieß, was Gewandtheit und ſchmeichelhaften Ton des Umgangs betrifft, bei weitem überlegen war. Die Leidenſchaft des Herzogs war Theobalden deſto drückender, je inniger ſonſt ihr beiderſeitiges Verhält - niß hätte ſeyn können, dagegen nun der Letztere ſei - nem argloſen fürſtlichen Freunde gegenüber eine heim - liche Spannung nur mit Mühe verläugnete.

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Uebrigens hatte er wohl Grund, ſich über ſeine wachſende Neigung ſo gut wie möglich zu myſtificiren, denn eine früher geknüpfte Verbindung machte noch immer ihre ſtillen Rechte an ſein Herz geltend, ob - wohl er dieſelben mit einiger Ueberredung des Ge - wiſſens bereits entſchieden zu verwerfen angefangen hatte. Das reine Glück, welches der unverdorbene Jüngling erſtmals in der Liebe zu einem höchſt un - ſchuldigen Geſchöpfe gefunden, war ihm ſeit Kurzem durch einen unglückſeligen Umſtand geſtört worden, der für das reizbare Gemüth alsbald die Urſache zu eben ſo verzeihlichem als hartnäckigem Mißtrauen ward. Die Sache hatte wirklich ſo vielen Schein, daß er das entfernt wohnende Mädchen keines Wor - tes, keines Zeichens mehr würdigte, ihr ſelbſt nicht im Geringſten den Grund dieſer Veränderung zu er - kennen gab. Mit unverſöhnlichem Schmerz verhärtete er ſich ſchnell in dem Wahne, daß der edle Boden dieſes ſchönen Verhältniſſes für immerdar erſchüttert ſey, und daß er ſich noch glücklich ſchätzen müſſe, wenn es ihm gelänge, mit der Bitterkeit ſeines gekränkten Bewußtſeyns jeden Reſt von Sehnſucht in ſich zu er - tödten und zu vergiften. In der That blieb aber dieſer traurige Verluſt nicht ohne gute Folgen für ſein ganzes Weſen; denn offenbar half dieſe Erfah - rung nicht wenig ſeinen Eifer für die Kunſt beleben, welche ihm nunmehr Ein und Alles, das höchſte Ziel ſeiner Wünſche ſeyn ſollte. Vermochte er nun aber29 nach und nach über eine ſchmerzliche Empfindung, die ihn zu verzehren drohte, Herr zu werden, ſo war auf der andern Seite das Mädchen indeſſen nicht ſchlimmer daran. Agnes glaubte ſich noch immer geliebt, und dieſer glückliche Glaube ward, wie wir ſpäter erfahren werden, auf eine wunderliche Art, ganz ohne Zuthun Theobalds, unterhalten, während er ſchon eine frei - willige Auflöſung des Bündniſſes von ihrer Seite zu hoffen begann, denn das Ausbleiben ihrer Briefe nahm er ohne Weiteres für ein Zeichen ihres eigenen Schuldbewußtſeyns. In dieſer halbfreien, noch immer etwas wunden Stimmung fand er die Bekanntſchaft mit der Gräfin Conſtanze, und nun läßt ſich die Innigkeit um ſo leichter begreifen, womit die gereizten Organe ſeiner Seele ſich nach dieſem neuen Lichte hin - zuwenden ſtrebten.

Im ſpaniſchen Hofe, ſo hieß das bedeutendſte Hôtel der Stadt, war es am Abende des letzten De - zembers, wo die vornehme Welt ſich bereits eifrig zur Maskerade zu rüſten hatte, ungewöhnlich ſtille. In dem hinterſten grünen Eckzimmer leuchteten die beiden hellbrennenden Hänge-Lampen nur zweien Gäſten, wo - von der Eine, wie es ſchien, ein regelmäßiger, mit Welt und feinerer Gaſthofſitte wohlvertrauter Beſuch, ein penſionirter Staatsdiener von Range, der Andere ein junger Bildhauer war, der erſt vor wenig Stun -30 den in der Stadt anlangte. Sie unterhielten ſich, in ziemlicher Entfernung auseinander ſitzend, über alltäg - liche Dinge, wobei ſich Leopold, ſo nennen wir den Reiſenden, bald über die zerſtreute Einſylbigkeit des Alten heimlich ärgerte, bald mit einem gewiſſen Mit - leiden auf die krankhaften Verzerrungen ſeines Geſichts, auf die raſtloſe Geſchäftigkeit ſeiner Hände blicken mußte, die jezt ein Fältchen am fein ſchwarzen Kleide auszuglätten, jezt eine Partie Whiſtkarten zu miſchen, oder eine Priſe Spaniol aus der agatnen Doſe zu greifen hatten. Das Geſpräch war auf dieſe Weiſe ganz in’s Stocken gerathen, und um ihm wieder ei - nigermaßen aufzuhelfen, fing der Bildhauer an: Un - ter den Künſtlern dieſer Stadt und des Vaterlandes ſoll, wie ich mit Vergnügen höre, der junge Maler Nolten gegenwärtig große Aufmerkſamkeit erregen?

Dieſe Worte ſchienen den alten Herrn gleichſam zu ſich ſelber zu bringen. Seine Augen funkelten lebhaft unter ihrer grauen Bedeckung hervor. Da er jedoch noch wie geſpannt ſtille ſchwieg und eine Ant - wort nur erſt unter den ſchlaffen Lippen zurecht kaute, fuhr der Andere fort: Ich habe ſeit drei Jahren nichts von ſeiner Hand geſehen und bin nun äußerſt begierig, mich zu überzeugen, was an dieſem aus - ſchweifenden Lobe, wie an den heftigen Urtheilen der Kritiker Wahres ſeyn mag.

Befehlen Sie, ſagte der Alte faſt höhniſch, daß ich nun mit einem hübſchen Sätzchen antworte,31 wie etwa: vielleicht in der Mitte liegt das fürtreff - liche Talent, das ſeine beſtimmte Richtung erſt ſucht, oder: es iſt das Größte von ihm zu hoffen, wie das Schlimmſte zu fürchten, und was dergleichen dün - nen Windes mehr iſt? Nein! ich ſage Ihnen vielmehr geradezu, dieſer Nolten iſt der verdorbenſte und ge - fährlichſte Ketzer unter den Malern, einer von den halsbrecheriſchen Seiltänzern, welche die Kunſt auf den Kopf ſtellen, weil das ordinäre Gehen auf zwei Beinen anfängt langweilig zu werden; der widerwär - tigſte Phantaſie-Renommiſte! Was malt er denn? eine trübe Welt voll Geſpenſtern, Zauberern, Elfen und dergleichen Fratzen, das iſt’s, was er kultivirt! Er iſt recht verliebt in das Abgeſchmackte, in Dinge, bei denen keinem Menſchen wohl wird. Die geſunde, lautere Milch des Einfach-Schönen verſchmäht er und braut einen Schwindeltrank auf Kreuzwegen und un - ter’m Galgen; à propos, mein Herr! (hier lächelte er ganz geheimnißvoll) haben Sie ſchon Gelegenheit ge - habt, eine der köſtlichen Anſtalten zu ſehen, worein man die armen Teufel logirt, die ſo, verſtehn mich ſchon, einen krummen Docht im Lichte brennen nun? Kam Ihnen da nicht auch ſchon der Gedanke, wie es wäre, wenn ſich etwa der Ideendunſt, der von dieſen Köpfen aufſteigen muß, oben an der Decke an - ſezte, welche Figuren da in Fresko zum Vorſchein kommen müßten? Was ſagen Sie? Nolten hat ſie alle kopirt, , hat ſie ſämmtlich kopirt!

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Sie ſcheinen, erwiderte Leopold gelaſſen, wenn ich Sie anders recht faſſe, mehr die Gegen - ſtände zu tadeln, unter denen ſich dieſer Künſtler, nur vielleicht etwas zu vorliebig, bewegt, als daß Sie ſein Talent angreifen wollten; nun läßt ſich aber ohne Zweifel auf dem angedeuteten Felde ſo gut als auf irgend einem das Charakteriſtiſche und das Rein - Schöne mit großem Glücke zeigen, abgeſchmackte und häßliche Formen jedoch, gefliſſentliches Aufſuchen ſinn - widriger Zuſammenſtellungen kann man von Nolten nicht erwarten; ich kenne ſein Weſen von früher und kam in der Abſicht hieher, ihn mit einem gemein - ſchaftlichen Freunde, der auch Maler iſt, zu beſuchen und uns an ſeiner bisherigen Ausbildung zu erfreuen.

Der alte Herr hatte dieſe Worte wahrſcheinlich ganz überhört, denn er ging mit lautem Kichern nur wieder in den Refrain ſeines vorhin Geſagten über: Hat ſie ſämmtlich kopirt, ja ja, zum Todtlachen! Ei, das muß er täglich von mir ſelber hören.

In dieſem Augenblicke trat Ferdinand, der Reiſegefährte des Bildhauers, ein und rief dieſem mit einem glänzenden Blicke voll Freude zu: Er kommt! er folgt mir auf dem Fuße nach! Er iſt der gute Nolten noch, ſag ich dir! o gar nicht der achſel - blickende junge Glückspilz, wie man ihn ſchildern wollte. Stelle dir vor, er vergaß vorhin im Jubel über unſre Ankunft eine Einladung zum Herzog, mit dem er33 trefflich ſtehen muß, und eilte nur von der Straße weg, ſich zu entſchuldigen.

Nach einiger Zeit erſchien, in Begleitung eines Andern, der Erwartete wirklich. Es war ein herzer - freuendes Wiederſehen, ein immer neu erſtauntes trunkenes Begrüßen und Frohlocken unter den Dreien. Wie ergözten ſich die Freunde an dem ſtattlichen An - ſehen Theobalds, an dem reinen Anſtande, den ihm das Leben in höherer Geſellſchaft unvermerkt ange - haucht hatte, nur verbargen ſie ihm nicht, daß die kräftige Röthe ſeiner Wangen in Zeit von wenigen Jahren um ein Merkliches verſchwunden ſey. Er ſah jedoch immer noch geſund und friſch genug neben ſei - nem hageren Begleiter, dem Schauſpieler Larkens, aus, den er ſo eben freundſchaftlich produciren wollte, als dieſer ſofort mit der angenehmſten Art ſich ſelber empfahl und mit den Worten ſchloß: Nun ſetz dich, liebes Kleeblatt! Ich werde mich mit eurer Erlaubniß bald auch zu euch geſellen, aber den erſten Perl - und Brauſeſchaum des Wiederfindens müßt ihr durchaus mit - einander wegſchlürfen! Ich ſehe dort ein paar Spieler - hände konvulſiviſch fingern, das iſt auf mich abgeſehen.

Damit ſezte er ſich zu dem alten Herrn in der Ecke, den unſer Nolten erſt jezt gewahr wurde und nicht ohne Achtung begrüßte. Sag mir doch, fragte Leopold heimlich, was für eine Art von Kenner das iſt? Er hat die wunderlichſten Begriffe von dir.

Ach, lächelte der Freund, da kann ich dir334wenig dienen. Das iſt ein ſehr kurioſer Kauz, voll griesgrämiſcher Eigenheiten, übrigens von viel Ver - ſtand, und mir immer ein lieber Mann. Er beſizt gute Kenntniſſe von Gemälden, iſt aber auf dieſen Punkt von den einſeitigſten Theorieen eingenommen. Aus einigen meiner Stücke ſoll er eine eigene Vor - liebe und zugleich den unverholenſten Widerwillen ge - gen mich gefaßt haben, den ich mir kaum zu enträth - ſeln weiß. Denn daß ich es bloß als Künſtler mit ihm verdorben habe, iſt nicht wohl möglich, wenig - ſtens thäte er mir ſehr Unrecht, indem der Vorwurf des Phantaſtiſchen, den er mir zu machen ſcheint, nur den kleinſten Theil meiner Erfindungen träfe, wenn es je ein Vorwurf heißen ſoll. Die meiſten meiner Arbeiten bezeichnen in der That eine ganz andere Gattung. Ich vermuthe, der Mann hat irgend ein geheimes Aber an meiner Perſon entdeckt, und ich muß ihn, ohne mir das Geringſte bewußt zu ſeyn, mit irgend Etwas beleidigt haben, das er mir nicht vergeſſen kann, ſo gern er möchte, denn es iſt auffal - lend, ſo oft er mich anſieht, ſträubt ſich’s auf ſeinem Geſicht wie Sauer und Süß.

Auf dieſe Weiſe waren jene leidenſchaftlichen Aeußerungen einigermaßen erklärt, und es gab nun Veranlaſſung genug, ſich gegenſeitig über Geſchäfte, Schickſale und mancherlei Erfahrungen auszutauſchen. Sie durchliefen die Vergangenheit, erinnerten ſich des Aufenthalts in Italien, wo ſich vor drei Jahren ihre35 Bekanntſchaft entſponnen hatte. Endlich fing Ferdi - nand an: Du erräthſt wohl kaum, wo wir heute vor ſechs Tagen um dieſe Stunde zu Gaſte geſeſſen ſind; in welchem Dörfchen, in welchem Stübchen und wer uns bewirthete? Nein! ſagte Nolten; aber ein aufmerkſamer Beobachter würde in dieſer klein - lauten Verneinung ein ſehr ſchnell errathendes Ja ge - wittert haben. Neuburg, flüſterte Leopold freu - dig zuvorkommend und von der andern Seite flog der Name Agnes über Ferdinands Mund. Ich dank euch, ſagte Nolten, wie abbrechend, und ver - barg eine unangenehme Empfindung.

Was danken? du haſt ja den Gruß noch nicht einmal in der Hand, den wir dir zu bringen haben! und hiemit ſah er ſich einen Brief entgegengehal - ten, den er mit erzwungenem Wohlgefallen zu ſich ſteckte, indem er die Beiden durch einen Vorſicht ge - bietenden Blick auf die Spieler für jezt zum Still - ſchweigen zu vermögen ſuchte.

So laß mich, fuhr Ferdinand fort, wenig - ſtens des anmuthigen Oertchens, laß mich des Förſter - hauſes gedenken, wo du deine Knabenjahre bei einem zweiten Vater verlebteſt, bis der benachbarte Baron auf dem Schloſſe, der gute lebendige Mann, für die Förderung deines Talents ſorgte. Er lebt noch in friſchem Marke, der ehrliche Veteran, er und der from - me Förſter erinnerten ſich mit Herzlichkeit jenes glück - lichen Tages, da du mich, es ſind nun drei Jahre her,36 nach unſerer Rückkunft von der italieniſchen Reiſe, bei ihnen einführteſt. Wahrlich, es hätte wenig gefehlt, ſo hätten die Alten geweint wie die Kinder bei deinem Namen, ein paar anderer Augen nicht zu gedenken, die auch dabei ſtanden, und von denen es ſchien, als wollten ſie ſich im Voraus recht ſatt ſehen an mir und meinem Gefährten, an unſern Kleidern und Bündeln, weil das Alles in fünf Tagen mit dem Geliebten in Berührung kommen ſollte. Du pflegteſt das Mädchen ſonſt immer dein blondes Reh zu nennen; wie treffend fand ich dieſen Ausdruck wieder! ja, und das iſt ſie noch im lieblichſten rührendſten Sinne des Worts. Wie hätt ich gewünſcht, den Umriß ihrer niedlichen Figur mit dem Bleiſtift in mein Portefeuille für dich wegzu - ſtehlen, wie ich ſie ſo durch die halboffene Thür des Nebenzimmers am Tiſchchen ſitzen und den Brief ſchrei - ben ſah, den Rücken gegen uns gewendet, von der Seite kaum ein wenig ſichtbar, allein der Baron war allzu geſprächig.

Du biſt es auch, erwiderte Nolten freundlich - böſe, indem er aufſtand und ſich gegen den ſo eben her - beitretenden Larkens wandte. Dieſer ſagte: Nun, wirſt du die Herren nicht bewegen, ſich dieſen Abend in Domino’s zu ſtecken und ein paar Stunden mit närriſchen Leuten närriſch zu ſeyn? oder machen wir’s wie dort der Herr Hofrath, der an ſolchen Abenden hier im Gaſthofe zu Nacht ſpeist, und ſich dann ein Zim - mer vom Kellner anweiſen läßt, um füuf Straßen weit37 vom Lärm des Redoutenhauſes zu ſchlafen, das zum Unglücke ſeiner Wohnung gegenüber liegt? Ich dächte, ihr Herren, bevor Sie in den nächſten Tagen mit den hübſchen Realitäten unſerer Stadt Bekanntſchaft machen, müßte es unterhaltend für Sie ſeyn, heute im Masken - ſaale, ſo zu ſagen, die Fata morgana der hieſigen Menſchheit zu ſehen. Verzeihen Sie mein hinkendes Gleichniß und folgen Sie meinem Vorſchlage. Es koſtete Ueberredung, aber man entſchloß ſich und wünſchte dem ſeltſamen Hofrathe gute Nacht.

Nachdenklich, unbehaglich, ja traurig war Nolten mit den Andern vor den Thüren des großen heller - leuchteten Gebäudes angekommen, worin ſchon das mannigfaltigſte Leben wogte und wühlte. Alle mög - lichen Geſtalten, zum Theil in auffallendem Kontraſte, drehten ſich ſtumm, feierlich, fremde oder leiſe ſummend, kopfnickend und tanzend durcheinander. Unſer trübe geſtimmter Freund, ſchneller als er vermuthete, von ſei - nen Begleitern verloren, fühlte nach und nach in ſeiner Vermummung eine Art von dumpfem Troſte, und wie mit ſeiner Umgebung, ſo ſpielte er gewiſſermaßen mit dem eigenen Herzen Verſteckens, wobei er ſich kaum bekannte, welche beſondere Hoffnung ihn zwang, die Reihen der weiblichen Masken ſorgfältiger zu muſtern, als er ſonſt wohl gethan haben würde. Das beſchei - dene Bild Agneſens, das ihn aus weiter Ferne ſehn -38 ſüchtig und bittend anzulocken ſchien, trat mehr und mehr in den Hintergrund ſeiner Seele zurück, um einem ganz ande - ren Platz zu machen, das mit jeder neuen Entfaltung der glänzenden Gruppen leibhaftig aus der Menge her - vortreten ſollte. Conſtanze! ſprach er für ſich, wer entdeckt mir ſie? Und doch wie wäre es möglich, daß ich aus tauſend Drahtpuppen das einzige Weſen nicht ſollte herausfinden können, das in der einfachſten, un - willkürlichſten Bewegung jene angeborene Grazie, je - nen ſtets lächelnden Zauber verräth, den nur die ewig wahrhaftige Natur, den nur die Unſchuld ſelber zu ge - ben und ſo reizend und leicht mit der anerzogenen Sitte zu verſchmelzen vermag! Iſt nicht Alles, was an ihr ſich regt und bewegt, der unbewußte Ausdruck des Engels, der in ihr athmet? iſt nicht Alles nur Hauch, nur Geiſt an ihr? Und heute, eben heute, wie wohl thäte mir ihr Anblick! wie wollte ich mich drei Sekunden mit allen Sinnen und Gedanken an dieſer tröſtlichen Erſcheinung feſtklammern und davon eilen und mir zufrieden ſagen, daß mein Auge ſie ſah, daß ihr Fuß einen und denſelben Boden mit mir betrat, daß eine gemeinſchaftliche Luft meine und ihre Lippen berührte!

Unter dieſen und ähnlichen Gedanken hatte er ſich endlich ermüdet auf einen Sitz in einem Fenſter gewor - fen, als der Glockenſchlag zehn Uhr ihn mahnte, ſich mit den drei Freunden in einem zuvor abgeredeten leeren Zimmer des Hauſes zuſammenzufinden. Sie39 erſchienen faſt alle zu gleicher Zeit, und Larkens mit einer guten Ladung warmen Getränkes. Man freute ſich auf’s Neue des Wiederſehens; jeder brachte ſeine eigenen Bemerkungen aus dem Saale mit, nur Nolten ſchien Wenig oder Nichts geſehen zu haben. Es war beinahe komiſch, wie er auf die Fragen über eine oder die andere intereſſante Erſcheinung immer mit einem kleinlauten ich weiß nicht antwortete und zulezt, um ſich nicht gar auslachen zu laſſen, nur ſo that, als erinnerte er ſich. Wie gefiel dir der König Richard und der Herzog von Friedland? Recht gut, war die Antwort, ſehr artig, bei meiner Seele! der bucklichte König hätte können beſſer ſeyn. Lar - kens, indem er den Andern mit den Augen winkte, machte den Schalk und ſagte:

Ein Stückchen iſt aber doch wohl Allen entgan - gen. Ein Rieſe in altdeutſcher Tracht, ohne Zweifel einen Studenten vorſtellend, geht mit langen Sporen und der Tabakspfeife ſchwerfällig auf und ab; endlich, da er in einer Ecke ſtehen bleibt, eilt ein winziges Kerlchen herbei, ein kleiner Schornſteinfeger in einer Art von Hanswurſttracht, ſchwarz und weiß gewür - felten Beinkleidern und Wämschen, bindet den Rieſen, legt das ſchwarze Leiterchen an den breiten Rücken des Mannes an, klettert flink mit Scharreiſen und Beſen hinauf, hebt ihm vorſichtig den Scheitel wie einen Deckel ab, und fängt nach allerlei bedenklichen Grimaſſen an, den Kopf recht wacker auszufegen, in -40 dem er einen ganzen Plunder ſymboliſcher Ingredien - zien herauszieht, z. B. einen täuſchend nachgemachten Wurm von erſtaunlicher Länge, ein ſeltſam gezeichne - tes Kärtchen von Deutſchland, eine ganze und dann mehrere zerbrochene Kronen, kleine Dolche, Biergläſer, Bänder und dergleichen. Dagegen wurden andere Sächelchen hineingelegt, worunter man ein griechiſches ABC-Buch zu erkennen glaubte; der Kopf wurde ge - ſchloſſen, dann bekam der ganze Mann ein wenig Streiche und nach einer Weile kroch ein ganz ver - gnügtes, beſcheidenes, rundes Pfäfflein aus der prah - leriſchen Hülle hervor.

Die Freunde lachten im Stillen über die ächt. Larkens’ſche Lüge (die eigentlich nur ein verſteckter Hieb auf den Uebermuth burſchikoſer Studenten über - haupt war, deren einer vorhin im Saale ſich durch Streitſucht proſtituirt hatte), und man genoß heimlich den Triumph, daß Nolten ganz die Miene annahm, als hätte er die Farçe gar wohl geſehen, obgleich nicht von Weitem etwas Aehnliches vorgekommen war.

Indeſſen wurde die Aufmerkſamkeit der Freunde durch eine wirkliche Maske angezogen, welche ſich un - verſehens im Zimmer befand. Es war eine hohe Ge - ſtalt, einfach in ein grob braunes ſchweres Gewand gehüllt, eine Laterne und einen Stock in der Hand, den Kopf bedeckte eine Kapuzze. Haltung, Anſtand und der tief herabfallende weiße Bart, Alles gab der Perſon etwas Ehrwürdiges, Staunenerweckendes. Wie41 ſie ſo eine Zeitlang geſtanden, ohne daß von beiden Seiten ein Wort fiel, begann die Maske mit ange - nehmer Stimme, worin man jedoch trotz einer gewiſ - ſen Dumpfheit gar bald das Frauenzimmer unter - ſcheiden konnte, folgendermaßen:

Ihr kennet mich nicht, meine Herren, aber Euer Ausſehen ſagt mir, ich ſey in keiner frivolen Geſell - ſchaft. Schwerlich ſeyd Ihr geſonnen, dieſe ernſte Nacht, die Geburtsſtunde eines neuen Jahres, in ge - dankenloſem Rauſche hinzubringen. Wollte es Euch gefallen, ein Stündchen mit mir in frommer Unter - haltung zuſammen zu ſitzen, ſo bezeichne ich Euch ei - nen traulichen Ort. In meiner Kleidung erkennet Ihr den Wächter der Nacht. Es ſtoße ſich Niemand an dem ſonſt verachteten Titel. Ich bin der Geiſt die - ſer Zunft, ich nenne mich den König der Wächter dieſes Landes. Mancher fromme Angehörige meines nächtlichen Staats wird Euch von meinem Daſeyn, meinem Thun und Treiben erzählt haben. Heute mit dem zwölften Glockenſchlage wird es hundert Jahre, ſeit ich die Dörfer und Städte des Reiches beſuche, unter heite - rem Sternenhimmel, wie im wilden Winterſturme. Vor Mitternacht werd ich im Wächterſtübchen auf dem Thurme der Albanikirche ſeyn.

Hiemit neigte er ſich und ging mit kaum ver - nehmlichem Tritte hinweg.

Einſtimmig war man geneigt, der ſonderbaren Einladung zu folgen, was ihr auch immer zu Grunde42 liegen möge; an einen bösartigen Scherz oder ein ge - meines Abenteuer ſey hier auf keinen Fall zu den - ken, und auf einen vergeblichen Gang könne man ſich ja gefaßt halten. Ohne die treuherzige Miene und die große Neugierde, womit auch Larkens die Sache aufnahm, hätte leicht der Verdacht einer Myſtifikation auf ihn fallen können, denn ſein Humor war bekannt genug, er hatte ihn mit Unrecht in den Ruf eines bösartigen Spötters und Intriguanten gebracht, wozu mitunter auch ſein Aeußeres beitrug, ſo wenig eben eine gelbe Hautfarbe und ein paar ſchwarze blitzende Augen häßlich, oder das lauernde Lächeln um den Mund gefährlich war. Es war einer von den Menſchen, die man auf den Grund kennen muß, um ſie nicht zu fürchten. Als Schauſpieler und Sänger ſchäzte man ihn ſehr, er wäre der Liebling des Pub - likums geweſen, hätte er nicht die räthſelhafte und hartnäckige Grille gehabt, das Fach des Komiſchen, wozu er durchaus geboren war, mit ernſten Rollen zu vertauſchen, die er, ohne es ſelbſt zu fühlen, nur mit - telmäßig ausfüllte. Zuweilen ſchien ſich die unter - drückte Neigung ſeiner Natur durch eine unwiderſteh - liche Sehnſucht nach dem Luſtſpiele rächen zu wollen, und es war immer eine Feſttagsbeute für die Kaſſe, wenn der Name Larkens bei einer Hollberg’ſchen oder Shakeſpear’ſchen Komödie auf dem Zettel ſtand. Dann hatte es aber auch das Anſehen, als wäre der Gott des Scherzes ſelbſt in den entzückten Mann ge -43 fahren. Der Beifall der Verſtändigen und zulezt auch des gemeinen Volks war ihm um ſo gewiſſer, je be - ſcheidener die ſtrotzende Ader der komiſchen Kraft in - nerhalb der feinen Schönheitslinie blieb, die nur der ächte Künſtler, vom richtigſten Takte geleitet, zwiſchen Begeiſterung und Weisheit hin zu ziehen weiß. Statt, wie ſo Mancher an ſeinem Platze, immer gleichſam auf erhiztem Boden zu gehen, ſchien Meiſter Lar - kens nur von einer ſanften Wärme belebt, die ihm die Grazien angehaucht, und die Funken des Genies, welche er auswarf, entzündeten keineswegs ihn ſelber. Maaßhaltung blieb immer die Seele ſeines Spiels, aber ſie verdiente um ſo mehr Bewunderung, wenn es wahr iſt, was genauere Freunde behaupteten, daß ſeine humoriſtiſche Stimmung jederzeit nur die günſtige Kriſe eines ſchmerzhaft bewegten und gedrückten Ge - müthes war. Wie dem auch ſeyn mag, die Direktion beſoldete ihn eigentlich nur um dieſer außergewöhnlichen Darſtellungen willen, und ließ ihn im Uebrigen, weil er nicht gezwungen werden konnte, gewähren.

Die Viere waren ſchon nach eilf Uhr auf dem Albanithurme angekommen. Außer dem Thürmer, ſeiner Frau und Kindern ſaßen in dem Stübchen um die einzige Lampe her noch einige junge Stadtmuſiker, die nach althergebrachter Sitte um Mitternacht ein Lied auf der Galerie abzublaſen hatten. Die neuen Gäſte wurden gar freundlich aufgenommen, zumal ſie für eine Kollation mit Wein geſorgt hatten. Nach44 einem allgemeinen Geſpräche fanden die Freunde durch einige beiläufige Fragen zu ihrer nicht geringen Ver - wunderung, daß die Sage von einem geſpenſterhaften Nachtwächter dem Aberglauben dieſer Leute längſt nichts Fremdes war, wiewohl ſie die Verſicherung, man habe heute einen Beſuch der Art zu erwarten, bloß für einen angelegten Spaß der Herren nehmen wollten. Indeſſen kam die Unterhaltung auf ähnliche Mährchen und Geſchichten, wahre Leckerbiſſen für Larkens, und ſelbſt Nolten konnte ſich ſeine Mu - ſterkarte phantaſtiſcher Stoffe mit manchem neuen Zuge bereichern, wäre er weniger ſtumpf gegen Alles ge - weſen, was ſeiner gegenwärtigen Laune keine Nahrung gab. Deſto aufmerkſamer waren die Uebrigen, die in ſolchen Erzählungen gleichſam einen abenteuerlichen Widerſchein jener bunten Gaukelbilder des Masken - ſaals zu finden glaubten. Ein ſolches Geſchichtchen aus dem Munde eines jungen hübſchen Burſchen aus der Geſellſchaft war auch folgendes:

In der Lohgaſſe, wenn ſie den Herren bekannt iſt, wo noch zwei Reihen der urälteſten Gebäude un - ſerer Stadt ſtehen, ſieht man ein kleines Haus, ſchmal und ſpitz und neuerdings ganz baufällig; es iſt die Werkſtatt eines Schloſſers. Im oberſten Theile deſ - ſelben ſoll aber ehmals ein junger Mann, nur allein, gewohnt haben, deſſen Lebensweiſe Niemanden näher bekannt geweſen, der ſich auch niemals blicken laſſen, außer jedes Mal vor dem Ausbruche einer Feuers -45 brunſt. Da ſah man ihn in einer ſcharlachrothen, netzartigen Mütze, welche ihm gar wunderſam zu ſei - nem todtbleichen Geſichte ſtand, unruhig am kleinen Fenſter auf und abſchreiten, zum ſicherſten Vorzeichen, daß das Unglück nahe bevorſtehe. Eh noch der erſte Feuerlärm entſtand, eh ein Menſch wußte, daß es wo brenne, kam er auf ſeinem mageren Klepper unten aus dem Stalle hervorgeſprengt und wie der Satan davon gejagt, unfehlbar nach dem Orte des Brandes hin, als hätt er’s im Geiſt gefühlt. Nun geſchah’s

Ei, ſo laß dein langweilig Geſchwätz! fiel dem Erzähler ein Kamerade in die Rede, und ſing das Stückchen lieber in dem Liede, das du davon haſt, laut’t ja viel beſſer ſo und hat gar eine ſchöne ſchauerliche Weiſe. Sing, Chriſtoph!

Der Burſche ſah die Gäſte verlegen an, und da ſie ihm begierig zuſprachen, begann er alsbald mit einer klangreichen, kraftvollen Stimme:

Sehet ihr am Fenſterlein
Dort die rothe Mütze wieder?
Muß nicht ganz geheuer ſeyn,
Denn er geht ſchon auf und nieder.
Und was für ein toll Gewühle
Plötzlich auf den Gaſſen ſchwillt
Horch! das Jammerglöcklein grillt:
Hinter’m Berg, hinter’m Berg
Brennt’s in einer Mühle!
46
Schaut, da ſprengt er, wüthend ſchier,
Durch das Thor, der Feuerreiter,
Auf dem rippendürren Thier,
Als auf einer Feuerleiter;
Durch den Qualm und durch die Schwüle
Rennt er ſchon wie Windesbraut,
Aus der Stadt da ruft es laut:
Hinter’m Berg, hinter’m Berg
Brennt’s in einer Mühle!
Keine Stunde hielt es an,
Bis die Mühle borſt in Trümmer,
Und den wilden Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer;
Darauf ſtille das Gewühle
Kehret wiederum nach Haus,
Auch das Glöcklein klinget aus:
Hinter’m Berg, hinter’m Berg
Brennt’s!
Nach der Zeit ein Müller fand
Ein Gerippe ſammt der Mützen,
Ruhig an der Kellerwand
Auf der beinern Mähre ſitzen.
Feuerreiter, wie ſo kühle
Reiteſt du in deinem Grab!
Huſch! da fällt’s in Aſche ab
Ruhe wohl, ruhe wohl,
Drunten in der Mühle!

Schon vor dem Schluſſe des Geſanges öffnete ſich die Thür und leiſe trat die Geſtalt des Nacht - wächters herein. Er blieb unbeweglich an der47 Wand hingepflanzt ſtehen, während der erſchrockene Sänger, im Begriffe abzubrechen, auf einen Wink des Larkens mit der lezten Strophe fortfuhr, deren Eindruck durch die Gegenwart dieſes fremden Weſens entweder nur um ſo mehr erhöht wurde oder ganz verloren ging.

Jezt begrüßte der ſonderbare Gaſt mit Würde die Anweſenden, und wenn ſich auch Anfangs einige Verlegenheit von Seiten der Freunde bemerken ließ, ſo war doch bald eine eben ſo natürliche als eigen - thümliche Unterhaltung eingeleitet. Man ſprach vom geheimnißvollen Reize des Wohnens auf Thürmen, von dem frommen und großen Sinn des Mittelalters, wie er ſich in den Formen der Baukunſt, der heiligen beſonders, offenbarte, und dergleichen mehr. Die Ge - genwart des Unbekannten, ſo ſparſam bis jezt ſeine Worte waren, übte dennoch den größten Einfluß auf die Bedeutung und die ſteigende Wärme des Geſprächs. Die hohl aus der Maske tönende Sprache und der ruhige Ernſt der durchblickenden, dunkel feurigen Au - gen konnte ſogar ein vorübergehendes Grauen erregen und einen momentanen Glauben an etwas Ueber - menſchliches aufkommen laſſen.

Auf einmal erhob ſich der Unbekannte, öffnete ein Fenſter und ſah in die klare Winterluft hinaus, indem er ſagte: Noch eine kurze Weile, ſo iſt der Sand verlaufen, hoch empor gehalten ſchwebt der48 Faden der Zeit. Kommt hieher und fühlet, wie es ſchon friſch herüberduftet aus der nahen Zukunft!

Jezt ſchlug das letzte Viertel vor zwölf Uhr. Die Zinkeniſten ſchlichen mit ihren Inſtrumenten auf die Galerie, und ſchon ließen ſich von der entfernten Paulskirche herüber einige ſanfte, faſt klagende Töne vernehmen, die von unſerer Seite anfänglich in ſchwa - chen, dann in immer ſtärkeren Akkorden erwiedert wurden; jene bezeichneten das ſcheidende, dieſe das erwachende Jahr, und beide begegneten ſich in einer Art von Wechſelgeſang, der am lebhafteſten wurde, als endlich die Glocken von verſchiedenen Seiten her die Stunde ausſchlugen; die dießſeitige Partie ging in freudige Melodieen über, während es von drüben immer ſchmerzlicher und wehmüthiger klang, bis mit dem fernſten Glöckchen, das wie ſilbern durch die reine Luft erzitterte, die traurigen Klarinetten den lezten ſterbenden Hauch verſandten. Nun erfolgte eine Pauſe, und jezt erſt trat das vorhandene Jahr im ſiegreichſten Triumphe hervor.

Nachdem Alles ſtill geworden und die Geſellſchaft wieder traulich um den Tiſch verſammelt war, ergriff man das freundliche Anerbieten des idealiſchen Wäch - ters, etwas aus ſeinem Tag - oder Nachtbuch vom vorigen Jahre mitzutheilen, mit allgemeinem Beifalle. Er zog ein mit ſonderbaren Charakteren geſchriebenes Heft hervor, welches unter regelmäßigen Daten, ab - geriſſene Bemerkungen und Gedanken zu enthalten49 ſchien, wie ſie ihm auf ſeinen nächtlichen Wanderun - gen, auf den Straßen der Städte und Dörfer ſich dargeboten haben mochten; charakteriſtiſche Bilder aus den verſchiedenſten Verhältniſſen und Zuſtänden der Menſchen. Wir übergehen den größten Theil ſeiner Vorleſung und führen bloß Eine Stelle an, die auf Nolten um ſo tiefern Eindruck machte, je vielſagen - der der Blick war, womit Larkens ihn darauf auf - merkſam zu machen ſuchte.

Nacht vom 7. auf den 8. Januar im Dorfe . Ich trete vor ein reinlich gebautes Haus; ich kenne es wohl; es wohnen glückliche Menſchen darin. In harmloſer Stille blühet hier eine Braut, deren Verlobter ferne lebt. Vergönne mir, du Haus des Friedens, einen Blick in deine Gemächer. Mein Auge iſt geheiligt wie das eines Prieſters; hundert Jahre ſchon belauſcht es die Nächte der Könige dieſes Landes und die Schlummerſtätten der Armen im Volk, und meine Gebete erzählen dem Himmel, was ich ge - ſehen. Sieh da! was zeigt mir mein magiſcher Spie - gel? Es iſt die Kammer des Mädchens. Wie ruhig athmet die Schlafende dort! Ihr liebliches Haupt iſt hinabgeſunken nach der Seite des Lagers. Der Mond ſchaut durch das kleine Fenſter; mit Einem Strahle berührt er eben das unſchuldige Kinn der Schläferin. Eine Hyacinthe neigt ihre blauen Glocken gegen das Kiſſen her und miſcht ihren Duft in die450Frühlingsträume der Braut, indeß der Winter dieſe Scheiben mit Eiſe beblümt. Wo mögen ihre Gedan - ken jetzo ſeyn? Auf dieſem Teppiche ſind ſeltſame Figuren eingewoben, hundert ſegelnde Schiffe. Viel - leicht auf dieſen Bildern ruhte ihr ſinnendes Auge noch kurz, eh ſie die Lampe löſchte, nun träumt ſie den Geliebten in die wilde See hinaus verſchlagen und ihre Stimme kann ihn nicht erreichen. O beſſer, daß er in die Tiefe des Meeres verſänke, als daß du ihn treulos fändeſt, gutes Kind! Aber du lächelſt ja auf Einmal ſo ſelig, träumſt ihn im Arme zu hal - ten, ſeinen Kuß zu fühlen. Vielleicht in dem Augen - blicke, da du mit ſeinem Schatten ſpieleſt, ſucht er wachend ein verbotenes Glück und treibt ſchändlichen Verrath mit deiner Liebe. Aber immer noch ſeh ich dich freundlich; du argloſe Seele, ach wohl, es iſt auch unerhört und faſt unglaublich; was ſucht er denn, das er bei dir nicht fände? Schönheit und Jugendreiz? ich weiß nicht, was die Sterblichen ſo nennen, aber hier darf ſelbſt der Himmel wohlgefällig über ſeine Schöpfung lächeln. Verſtand und Geiſt? O ſchlüge ſich dieß Auge auf! aus ſeiner dunkelblauen Tiefe leuchtet mit Kindesblick die Ahnung jedes höch - ſten Gedankens. Wie, oder Frömmigkeit? die Frage klingt wie Spott auf ihn. Ihr beſcheidnen Wände zeuget, wie oft ihr ſie habt knieen ſehn im brünſtigen Gebet, wenn Alles rundum ſchlief! Biſt ernſt geworden, mein Töchterchen; wie ſeltſam wechſelt51 dein Traum! Ach, nur zu bald wirſt du weinen. Gott helfe dir. Gute Nacht.

Dieß war die auffallende Stelle, die Nolten mit heimlichem Unmuthe gegen Larkens anhörte, denn nun zweifelte er nicht mehr, daß dieſer das Ganze veranſtaltet hatte. Was noch weiter aus dem Hefte vorgetragen wurde, war ohne beſondere Bezie - hung, und der Vorleſer hörte eben zur rechten Zeit auf, als die Ungeduld Noltens am höchſten war. Der Leztere konnte kaum erwarten, bis man ausein - ander ging und er Gelegenheit fand, dem Larkens einige Worte zuzuflüſtern, die ihm wenigſtens andeu - ten ſollten, wie wenig jener Wink am Platze geweſen. Ich danke dir, ſagte er mit beleidigtem Tone, in - dem ſie die Treppen des Thurmes hinabſtiegen, ich danke dir für deine wohlgemeinte Zurechtweiſung in einer Sache, worin ich übrigens füglich mein eigener Richter ſeyn könnte. Ich habe mich dir ſchon früher im All - gemeinen darüber erklärt, du ſcheinſt mich aber nicht verſtanden zu haben. Verlang es, und ich will mich weitläuftiger vor dir rechtfertigen.

Für’s Erſte, antwortete der Freund halb - chelnd, berg ich dir meine Freude darüber keines - wegs, daß du meinen verſteckten Ausfall auf dein Gewiſſen nicht ſpaßhaft aufgenommen, ſo ſeltſam auch die Komödie war; aber es thäte mir auf der andern Seite eben ſo leid, wenn du einen Popanz oder ſelbſt -52 gefälligen Sittenrichter in mir erblicken wollteſt. Nie - mand würde ſich mit weniger Recht hiezu aufwerfen, als ich, der ich ſelber erſt vor Kurzem dem Teufel entlaufen bin und Dreiviertel meines Seelenheils an ihn verloren habe; aber ich ſchwör ihm auch das lezte theure Reſtchen vollends zu, wenn ich daran lügen ſollte, daß ein uneigennützig Mitleid mit jenem liebenswürdigen Geſchöpfe, ja mit euch Beiden, mich zwinge, Allem aufzubieten, was deine unſelige Ent - fremdung von dem Mädchen hintertreiben kann.

Gut, wir ſprechen uns bald mehr darüber, ſagte Nolten, und wollte ihm freundlich die Hand drücken, was jedoch Larkens nach ſeiner Art ſchnell abthat, weil ihn der geringſte Anſchein von Sentiment zwiſchen Freunden immer verlegen und ärgerlich machte.

Nachdem man die beiden auswärtigen Freunde bis zu ihrem Quartiere begleitet und die nächſte Zu - ſammenkunft abgeredet hatte, gingen die Andern, welche in Einem Hauſe und auf demſelben Boden wohnten, ziemlich einſylbig ihre gemeinſchaftliche Straße.

Unſer Maler fand zwiſchen den eigenen Wänden jene Wohlthat ungeſtörter Einſamkeit, nach welcher er ſich vor wenigen Minuten ſo ungeduldig hinge - drängt hatte, keineswegs. Die Eindrücke dieſer lezten Stunden waren zu mannigfaltig, zu mächtig, zu ent - gegengeſezt, als daß er hoffen konnte, ſie zu ordnen,53 ſich ihrer mit Vernunft zu bemeiſtern. Er ſchickte den Bedienten, der ihn auskleiden ſollte, zu Bette, und ſaß eine Weile unſchlüſſig, den Kopf in die Hand geſtüzt, den Blick auf die ruhige Flamme der vor ihm brennenden Kerze geheftet. Erſt der Anblick jenes unwillkommenen Briefs (er lag noch uneröffnet auf dem Tiſche) ſchien ſeinem Unmuth, ſeinem Grame eine entſchiedene Geſtalt zu geben. O! brach er aus, muß heute ſich Alles herzudrängen, mich zu peinigen? ſoll ich nicht zu mir ſelbſt kommen? Was kann ſie wollen mit dem Briefe? muß ſie nicht fühlen, wir ſind getrennt auf immer, muß ſie’s nicht? Ja, wenn dieß wirklich der Inhalt dieſes Blattes wäre! Könnt ich’s nur ahnen aus den Zügen dieſer Aufſchrift! Doch, die ſind treu und gut, und blicken ſchmeichelhaft wie in den glücklichen Tagen Nein, nein, ich wag es nicht, dieß Siegel zu erbrechen.

Er ſtand plötzlich auf und ſuchte die Geſellſchaft des Freundes. Zu ſeinem Troſte traf er ihn noch wach am Kamine ſitzend und nicht minder geneigt, die wenigen Stunden bis zum Tagesbruch vollends in vertrautem Geſpräche zuzubringen. Recht, daß du kommſt! hieß es, du triffſt mich mit ernſthaften Be - trachtungen über dich beſchäftigt. Es wäre gar ſchön von dir, wollteſt du mich jezt ein wenig tiefer in deine Karten ſchauen laſſen, denn nach dem, was du heute gemunkelt, ſollte man ja beinahe glauben, daß deine Erkältung gegen Agnes noch ihre abſonderlichen54 Urſachen habe, wiewohl ich immer bloß die Symptome eines ganz ordinären Liebesfroſts an dir zu bemerken meinte, der ſich ſelten anders erklären läßt, als im Allgemeinen aus einem gewiſſen Deficit von Wärme. In der Folge mag denn auch Gräfin Conſtanze ei - nigen Einfluß gehabt haben; was? oder hätte ſie wirk - lich ſchon Alles wie mit Beſen gekehrt in deinem Herzſchrank angetroffen?

Laß uns nicht leichtſinnig von einer ernſthaften Sache reden! verſezte Nolten, nein, glaub es, Alter, mein Verhältniß zu Agnes fand den Grund ſeiner Zerſtörung nicht eben da, wo ihn dein Scharf - ſinn mit ſo viel Zuverſicht entdecken will. Du hätteſt mir die Urſache längſt abmerken können; eine ausführ - liche Entwicklung der verhaßten Geſchichte war mir zu verdrießlich, und zudem mag mich eine dumme Schaam abgehalten haben, über die ich nicht gebieten konnte. Mich von einem kindiſchen Geſchöpfe ſo genarrt, ſo gekränkt zu wiſſen! mich ſelber ſo zu narren, ſo zu täuſchen! Höre nun; du weißt, was mich an das Mädchen gefeſſelt hatte, was ich Alles in ihr ſuchte, tauſendfach fand; aber dir iſt nicht bekannt, wie ſehr mich meine Rechnung zulezt betrog. Siehſt du, wenn äußerſte Reinheit der Geſinnung, wenn kindliche Be - ſcheidenheit und eine unbegränzte Ergebung von jeher in meinen Augen für die Summe desjenigen galt, was ich von einem weiblichen Weſen verlangen müſſe, das ich für immer ſollte lieben können, ſo iſt der Eigenſinn55 begreiflich und verzeihlich, womit ſich mein Herz ver - ſchloß, ſobald jene Eigenſchaften anfingen, ſich im Ge - ringſten zu verläugnen; denn je gemäßigter meine An - ſprüche in jedem andern Sinne waren, deſto beharr - licher durften ſie ſeyn in dieſer einzigen Rückſicht, mit welcher nach meinem Gefühle der ſchönſte und blei - bendſte Reiz aller Weiblichkeit wegfällt.

Ha ha ha! lachte der Freund, deine Forderun - gen ſind beſcheiden, und doch auch impertinent groß von Weibern der jetzigen Welt!

O, fuhr der Andere fort, o Larkens! ja verlache mich, denn ich verdien’s! daß ich der Thor ſeyn konnte, zu glauben an die Unwandelbarkeit jener urſprünglichen Einfalt, die mir unendlichen Erſatz für jeden glänzenden Vorzug der Erziehung gab! Wo blieb doch jener fromm genügſame Sinn, den auch die leiſe Ahnung nie beſchlich, daß es außer dem Geliebten noch etwas Wünſchenswerthes geben könne? jene ungefärbte Wahrheit, welche auch den kleinſten Rückhalt nicht in ſich duldet, jene Demuth, die ſich ſelbſt Geheimniß iſt? Das Alles lag einſt in dem Mädchen! Wie heimlich und entzückt belauſcht ich nicht zu tauſend Malen das reine Aderſpiel ihres verborgenſten Lebens! Durch - ſichtig wie Kryſtall ſchien der ganze Umfang ihres Da - ſeyns vor mir aufgeſchloſſen und auch nicht Ein un - ebner Zug ließ ſich entdecken. Sprich! mußte darum nicht der erſte Schatten weiblicher Falſchheit mich auf ewig von ihr ſchrecken? Mein Paradies, geſteh es,56 Larkens! war vergiftet von dieſem Augenblicke. Kann ich es ändern? kann ſie es ändern? Sie ſelbſt mag zu entſchuldigen ſeyn, auch ich entſchuldige ſie, aber die Bedeutung des Ganzen iſt mir verloren, iſt weg, unwiederbringlich. Und wenn ihre Liebe, gött - lich neugeboren, mir entgegen weinte, ich müßte die Hände ſinken laſſen, ſie fände ihre alte Wohnung nicht mehr.

Larkens ſchwieg einige Zeit nachdenklich. Aber, fing er nun an, was verbrach denn das Mädchen ei - gentlich? wo ſtreckte denn der Satan, der in ſie gefah - ren ſeyn ſoll, zuerſt ſein Horn heraus? wo ſind die Indicia?

Meinſt du, fuhr Nolten fort, es ſey mir nicht ſchon fatal geweſen, da es bereits vor einem Jahre bei meinem lezten Beſuch in Neuburg ſehr deutlich das Anſehen hatte, als ob dem Närrchen bange würde um eine genügende Verſorgung durch mich? und wenn mir der Vater mit kritiſchem Geſichte zu verſtehen gab, es wolle nirgends recht fort mit meiner Kunſt, mit mei - nem Erwerbe, er ſelber könne uns nur wenig unter die Arme greifen, ich möge mich doch wohl bedenken, ob ich mir eine Familie zu nähren getraue, und was des Geſchwätzes mehr war, ſo nahm das Töchterchen mich zwar zärtlich genug in eine Ecke, küßte mir die Runzeln von der Stirn, lächelte und verbarg doch nur mit Müh und Noth ihre Sorgen, ihre Thränen. Das ließ ich denn ſo gehen und hielt’s ihnen zu Gute. 57Aber bald nachher, verflucht! die garſtige Niederträch - tigkeit!

Nun?

Ein zierlicher Laffe kam in’s Haus, Geometer, oder was er iſt, ein weitläuftiger Vetter aus der be - nachbarten Stadt. Mir ward von freundſchaftlicher Hand ein Wink gegeben, daß man ſich in dem Bur - ſcheu, nur auf gewiſſe Fälle, ein Schwiegerſöhnchen reſerviren wolle.

Iſt nicht möglich das! rief Larkens erſchrocken aufſpringend.

Und iſt gewiß. Zwar Agnes wußt Anfangs nicht um den ſaubern Plan, man wollt abwarten, ob ihr s Mäulchen nicht ſelber überliefe, man ſteckte die Leutchen recht gefliſſentlich zuſammen, daß dem Mädel zulezt wirklich ſchwindlich ward, denn mein Rival trug ohne Zweifel eine brillante Vorſtecknadel, wußte treff - liche Dinge von Bällen und dergleichen zu erzählen, wunderte ſich recht mitleidig, daß Fräulein Agnes an ſolchen Herrlichkeiten keinen Theil nehme, worauf denn das gute Schäfchen ſich ebenfalls im Stillen ver - wunderte, ſich ganz tiefſinnig in die neue prächtige Welt verguckte, von welcher ſie auf ihrem ſtillen Waldhäuschen bisher das Mindeſte nicht geahnt. Mir entdeckten jedoch ihre ſehr liebreichen, wiewohl etwas ſparſamen, Briefe nichts von dieſen Viſionen, die Wiſchchen waren lieb und ſimpel und treuherzig, wie ſonſt auch, rochen weder nach eau de Portugal noch de58 mille fleurs, ſondern es war genau der alte ächte Maiblumen - und Erdbeernduft, aber den hölliſchen Geſtank brachten mir die Briefe ſehr ehrenwerther Perſonen unter die Naſe; dort iſt von muſikaliſchen und andern Notturni’s, von Rendezvous im Gärtchen, kurz von allerliebſten Sachen die Rede, die ich zuerſt unglaublich und bis zur Deſperation abſcheulich, dann aber ganz natürlich und zum Todtlachen plauſibel fand.

Die Briefe, von wem denn?

Sie ſind gleichviel.

Das nun eben nicht, mein Beſter!

Nun ja, ich bin den Perſouen eine gewiſſe Dis - kretion ſchuldig.

Nur ungefähr; männlich? weiblich? oho! nun rath ich den Pfeffer; die Epiſteln hat der Neid diktirt.

Unwürdiger Verdacht! Und ich hab außerdem Beweiſe, die o laß mich ſchweigen, laß mich ver - geſſen! nur jezt verſchone mich, du ſiehſt ja, wie mich’s martert!

Aber was ſagte Agnes zur Entſchuldigung?

Nichts, und ich macht ihr keinen Vorhalt.

Alle Teufel! biſt du verrückt? du ſtellteſt ſie nicht zur Rede?

Mit keiner Sylbe. Der Herr Papa, in Furcht, ich habe Wind erhalten von dem Spaß, kam mir mit Rechtfertigungen zuvor, vielleicht weil ihm der Reukauf angekommen. Da verſteigt er ſich nun in den59 rührendſten pſychologiſchen Subtilitäten, als gälte es eine Preisaufgabe, den Leichtſinn einer läppiſchen Dirne wieder zu Ehren zu bringen. Er ruft ſogar die Medizin zu Hülfe; es iſt wahr, das Mädchen war kurz vorher krank, aber was, zum Henker! hatten die Nerven meiner Braut mit dem Geometer zu ſchaffen? Kurzum, ich weiß nun, was ich von Allem zu glauben habe. Ich ſchrieb ihr, wie du weißt, ſeit ſechs Monaten nicht mehr, und hoffte zulezt, auch ſie habe ſtillſchweigend reſignirt, allein der Alte mag von Verbeſſerung meiner Umſtände gehört haben: nun er - halt ich geſtern unerwartet einen Wiſch durch Fer - dinand da!

Larkens griff haſtig nach dem Briefe, und zwar mit einer Beſtürzung, die nur in dieſem Augenblicke dem Freunde entgehen konnte. Nolten drang ihm das Papier beinahe bittend auf, indem er wiederholt ſagte: behalt es, vergrab es bei dir, beſter einziger Larkens! und wenn es möglich iſt, verſchone mich mit ſeinem Inhalt, antworte ſtatt meiner, nicht wahr, du thuſt mir die Liebe? O wie mir nun wieder leicht iſt, ſeit ich des Quarks los bin! Alter, komm, laß Wein bringen! Wollen uns einmal wieder luſtig machen. Der Tag ſchläft noch feſt. Laß dieſe trübe Lampe mit unſern verdüſterten Geiſtern ſich im Kar - funkel des Burgunders ſpiegeln!

In Kurzem ſtand eine kühle Flaſche auf dem Tiſche. Man ſuchte einige Lieblingsmaterien der Kunſt60 auf und war bald im Feuer des Geſprächs. Mit der Morgendämmerung trennte man ſich, um noch eine kurze Ruhe nachzuholen.

Noch Eins! rief Theobald unter der Thür, wer war denn der Vermummte auf dem Albanithurm?

Frag mich jezt nicht; es iſt gleichgültig; du ſollſt’s ein ander Mal erfahren. Schlaf wohl.

Nolten war auf ſeinem, vom Frühlichte blaß erhellten Schlafzimmer angekommen. Er will ſich ſo eben auf’s Bette werfen, als ihm an dem ſpaniſchen Hute, welchen er geſtern auf dem Balle gebraucht, eine Zierde auffällt, die ihm völlig fremd iſt; die rothe Blüthe einer Granate, der Natur täuſchend nachgemacht. Das Blut ſteigt ihm in die Wange, eine plötzliche Ahnung ſchießt ihm durch den Kopf von Ihr! von Ihr! o ſicherlich von dir, Con - ſtanze! rief er aus. Die Liebe deutet mir das räthſelhafte Wort, das du vor wenig Tagen, halb Scherz, halb Ernſt, gegen mich haſt fallen laſſen. Die Blüthe der Granate war’s nicht ſo? Ja, ſo war’s! Und nun heute Nacht, ſtuzte mein Auge nicht mehr als Einmal an der Blumen austheilenden Gärtnerin und ihrem kleinen Diener? So iſt Sie’s doch geweſen! gewiß, der Junge hat mir’s angeſteckt, wie ich verdrießlich in jenem Fenſter ſaß. Sie muß ihm den Wink gegeben haben. So erkannte ſie mich doch. Du Engel! Engel! Und du, mein ſeliges Herz! ja hoffe nur und hoffe kühn! das iſt ein theures, un -61 ſchätzbares Merkzeichen. Mir beginnt ein neues Le - ben! Herauf, du ſchläfriger Morgen! O warum ſtürzt die Sonne ſich nicht prächtig und entzückt mit Einem Mal über den ſchattenden Berg, da mich ein Wunder glücklich macht? Du grauer Tag, wie blickſt du ſelt - ſam in die glühende Blätterkrone dieſes geborſtenen Kelchs! Lieber, grauer Tag, wahrſage mir nicht Schlimmes mit dieſer gelaſſenen Miene! und willſt du neidiſch ſeyn, ſo wiſſ es nur und ärgre dich Sie liebt mich! Mich! Ja, Sie mich!

Indeſſen hatte Larkens das ihm übergebene Briefchen Agneſens geöffnet und geleſen; es war ein einfacher Gruß, wobei ſie Theobalden auf’s lebhaf - teſte dankt für ſein leztes Schreiben, welches je - doch, die Wahrheit zu ſagen, von ganz anderer Hand, und, wie ſo manche frühere Sendung, bloß unterſchoben war.

Du bitteſt mich, ſagte Larkens nach einer Pauſe gerührten Nachdenkens vor ſich hin, du bitteſt mich, armer Freund, ich ſoll das Blättchen bei mir vergraben, ſoll den Knoten zerhauen, ſoll deine ganze verleidete Sache über Hals und Kopf der Vergeſſen - heit überliefern, und ſo Alles mit Einem Male gut machen. Ich will gut machen, aber auf ganz andere Art als du denkſt, und Gott ſey Dank, daß mir nicht jezt erſt einfällt, dieſe Sorge auf mich zu nehmen. Wie preiſ ich den Genius, der mir gleich Anfangs62 das Mittel eingab, dem guten Kinde deinen Wankel - muth zu verbergen, ihm durch eine leichte Täuſchung allen Schmerz, alle Angſt zu erſparen, und, wenig - ſtens ſo lange ſich noch Heilung für den Verblendeten hoffen läßt, das holde Geſchöpf im ſchönen Traum ſeiner Liebe zu laſſen. Aus einem Verhältniſſe zu der Gräfin kann offenbar nichts werden, tauſend Um - ſtände ſind dagegen; Conſtanze ſelber, wie ich ſie kenne, hat nicht den entfernten Gedanken an ſo et - was, kann ihn gar nicht haben. Theobald wird müſſen ſeiner Leidenſchaft entſagen lernen, ich ſeh Alles voraus, es wird tief bei ihm einſchneiden, ſchad’t nichts, das ſoll mir ihn zu ſich ſelbſt bringen, ſoll mir ihn weich machen für Agnes; er wird dem Himmel danken, wenn ihm das weggeworfene Kleinod erhalten blieb. Für jezt wär’s Unſinn, ihm die Gräfin gewaltſam vom Herzen reißen zu wollen; ich hoffe, es iſt nur ein Uebergang, und ich müßt ihn ſchlecht kennen, oder es kann ihm in die Länge ſelbſt nicht ſchmecken. Auf jeden Fall läßt er mich ja an Allem Theil nehmen, was etwa mit ihm und Conſtanzen vorgeht, und Larkens iſt bei der Hand, wenn Feuer im Dach auskommen ſollte; überdieß will ich meinen Leuten ſo genau aufpaſſen, daß mir nichts in die Quere laufen ſoll. Das Erſte iſt nun, ich muß wiſ - ſen, was an dem Mährchen mit Agnes iſt; gewiß irgend eine verläumderiſche Teufelei, und mein vor - trefflichſter Nolten hat in der blinden Hitze einmal63 wieder daneben geſchoſſen; ich laſſe mich rädern, das iſt’s. Hm! freilich, hätt ich nur ein einzig Mal das Mädel mit dieſen meinen Augen geſehen! aber ſo, was bürgt mir für ſie? Man hat Beiſpiele, daß ſo ein Engelchen auch einmal einen ſchlechten Streich macht, oder, was bei ihnen gerade ſo viel iſt, einen dummen. Nein, zum Henker, ich kann’s wieder nicht denken! Sind mir ihre Briefe nicht Zeugniß genug? So ſchreibt doch wahrlich keine Galgenfeder! Und ge - ſezt, ſie hätt einmal ein paar Tage einen Wurm im Kopf gehabt und ein biſſel nebenaus geſchielt, etwas Gift mag ſo was immer anſetzen bei’m Liebhaber, doch im Ganzen was thut’s? Ein verdammter Egois - mus, daß wir Männer uns Alles lieber verzeihen, als ſo einem lieben Närrchen; eben als hätten wir allein das Privilegium, uns zuweilen vom Leibhafti - gen den Pelz ein wenig ſtreicheln zu laſſen, ohne ihn juſt zu verbrennen. Wetter! dieſe frommen Hexchen haben ſo gut Fleiſch und Blut wie unſer einer, und der nächſte Blick auf die Perſon des Alleinzigen wirft den Hundertſtels-Gedanken von Untreue und das ge - wagteſte Luftſchloß wieder über’n Haufen; dann gibt es nichts pikanter Wollüſtiges für ſo eine ſüße Krabbe, als die Thränchen, womit ſie gleich drauf die Ver - irrung ihrer Phantaſie am bärtigen Halſe des Lieb - ſten unter tauſend Küſſen ſtillſchweigend abbüßet. Aber auch nicht ein〈…〉〈…〉, dieſer leichten Seitenſprünge halt ich Agneſen [h]ig; wenigſtens wär mir leid64 um das goldreine Chriſtengelsbild, das ich mir ſo nach und nach von dem Mädchen conſtruirte. Mord und Tod! daß man doch gar, gar Nichts in der Welt ſoll denken können, wobei einem der alte Verderber nicht wieder ein Eſelsohr drehte! Ich möcht mich in Stücke reißen vor Wuth! nicht um meinetwillen, für mich iſt nichts mehr zu verlieren: nein, nur um Noltens willen, der ſo ehrlich, gut knabenartig ſein Ideal in einer Dorflaube ſalvirt glaubte und nun eben auch in faule Aepfel beißen ſoll. So geht’s, ei, und am Ende haben wir’s All nicht beſſer ver - dient. Aber laß ſehn, es fragt ſich ja immer noch Verflucht! was doch das Mißtrauen anſteckt! Stand nicht bis den Augenblick mein Glaube an das Mäd - chen feſt wie ein Fels? und, ſachte beim Licht beſehn, ſteht er noch wie vor. So laß mich denn meine Ma - ſchinen getroſt fortſpielen! meine Maskencorreſpondenz mit dem Liebchen mag dauern ſo lang ſich’s thut. Bin ich durch dieſe ſechs Monat lange Uebung im Styl der Liebe, im Ausdruck und individueller Gedankenweiſe nicht ſo ganz und gar zum andern Nolten geworden, daß ich faſt fürchten muß, das Mädchen, wenn heut oder Morgen der Spuck an Tag käme, könnte ſich in mich verlieben? was denn ceteris paribus auch ſo übel nicht wäre. Doch, ſoviel iſt gewiß, ich glaube für hundert galante Schurkereien, wozu ich ehedem meine gewandte Handſchrift〈…〉〈…〉 rauchte, mir hinläng - liche Abſolution dadurch er〈…〉〈…〉 ben zu haben, daß ich65 die Kunſt, ehrlichen Leuten ihre Züge abzuſtehlen, endlich einmal für einen guten Zweck nütze. Du liebes betro - genes Kind! und haſt du denn niemals bei’m innigen vertieften Anſchaun meiner Lügenſchrift etwas Unheim - liches verſpürt, wenn du das Blatt mit dankbarem Entzücken an deine Lippen drückteſt? hat nicht der En - gel deiner Liebe dir zugeflüſtert: halt, eine fremde Hand ſchiebt der des Geliebten ſich unter? Nein doch! dein Schutzengel wird ſich ja eher mit mir verſchwören, als daß er dich mit der unzeitigen Wahrheit betrüben ſollte, die dir zugleich den Geliebten raubt! Immerhin alſo laß mich gewähren. Und hat es mir zeither an Vorwänden nicht gefehlt, dich über das immer verſcho - bene Wiederſehn deines Theobalds und die lang - entbehrte Umarmung zu tröſten, ſo wird es mir, denk ich, noch gelingen, dir ihn bald als einen völlig Neuen entgegenzuführen, und du wirſt nicht einmal wiſſen, daß es ein ſtrafwürdiger, aber bekehrter Flüchtling iſt, der zu deinen Füßen weint.

Dieß war ſo ziemlich das bald leiſe, bald laute Selbſtgeſpräch Larkens. Judem wir es wiederzugeben ſuchten, weihten wir den Leſer in das Geheimniß ein, das ihm gegenwärtig vor Allem am Herzen lag. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß er gleich bei’m Beginn ſei - nes wunderlichen Briefwechſels mit Agnes alle Vor - ſicht gebrauchte und jene namentlich unter irgend einem Vorwand aufforderte, ihre Briefe immer unter der Larkens’ſchen Adreſſe laufen zu laſſen. Dieß geſchah566indeſſen auch pflichtlich, nur das lezte Billet machte eine Ausnahme, weil Agnes die Gelegenheit durch die Freunde ohne Umſchweif nützen zu können meinte, und ſo war das Papier wirklich zu Anfangs nicht ge - ringem Schrecken des heimlichen Korreſpondenten in die Hände desjenigen gelangt, für den es am wenigſten gehörte, und dem ſein Inhalt das ganze hübſche Ge - webe hätte verrathen müſſen. Eine geſchärfte Inſtruk - tion für die Briefſtellerin war die einzige Folge dieſer glücklich abgeleiteten Gefahr, aber einen weit wichtigern Grund, ungeſäumt an Agnes, ſo wie auch an den Förſter, zu ſchreiben, fand Larkens in der Ungewiß - heit über die bewußte Ehrenſache. Er ſezte ſich noch in dieſer Stunde nieder, doch mit dem Vorſatze, ſeine Sorge nur ſo gelinde als möglich reden zu laſſen, und ſeine Erkundigungen ganz im Allgemeinen zu halten, damit nicht etwa ein Verſtoß gegen frühere Verhand - lungen, die ihm unbekannt waren, zum Vorſchein komme.

Um aber die Stellung Noltens gegen die Braut ganz anſchaulich zu machen, müſſen wir in der Zeit etwas zurückſchreiten und Folgendes er - zählen.

Das Verhältniß der Verlobten ſtand in der wün - ſchenswertheſten Blüthe, als Agnes durch eine heftige Nervenkrankheit dem Tode nahe gebracht ward. Der kritiſche Zeitpunkt ging indeſſen gegen Erwartung glück -67 lich vorüber, und mehrere Wochen verſtrichen, ohne daß es mit der allmähligen Geneſung des Mädchens irgend einen auffallenden Anſtoß gegeben hätte. Jezt aber konnte es dem Vater, und wer ihn ſonſt beſuchen mochte, nimmer entgehen, daß mit der Tochter eine Veränderung, und zwar eine ſehr bedeutende, vorge - gangen ſey. Offenbar war ſie tief am Gemüthe ange - griffen, auch körperlich bemerkte man die ſonderbarſte Reizbarkeit an ihr; im Ganzen war ſie ſanft, meiſt niedergeſchlagen, zuweilen ungewöhnlich heiter und ge - gen ihr ſonſtiges Weſen zu allerlei Poſſen geneigt. Oft machte ſie ihrem Herzen durch heftige Thränen Luft, brach in Klagen aus um den entfernten Geliebten, den ſie mit Sehnſucht zu ſich wünſchte. Zugleich äußerte ſie eine leidenſchaftliche Liebe zur Muſik, verlangte nichts ſo ſehr als irgend ein Inſtrument ſpielen zu kön - nen, und ſezte jedesmal hinzu, ſie wünſche dieß nur um Noltens willen, damit er künftig doch wenigſtens Ein Vergnügen von ihr haben möge. Ich bin ein gar zu bäuriſches einfältiges Geſchöpf, und ſolch ein Mann! O werden wir denn auch jemals für einander taugen? Und wollte man ſie nun beruhigen, ſezte der Vater den ſchlichten treuen Sinn des Bräutigams recht faßlich auseinander, ſo konnte ſie nur um deſto heftiger aus - rufen: das iſt ja eben der Jammer, daß er ſich ſelber ſo betrügt! ihr Alle betrügt euch, und ich mich ſelbſt in mancher thörichten Viertelſtunde. Meint ihr denn, wie er im vorigen Herbſte da war, ich hätte nicht ge -68 merkt, daß er oft lange Weile bei mir hatte, daß ihn etwas beengte, ſtocken machte? Seht, wenn er bei mir ſaß, mir ſeine Hand hinlieh und ich verſtummte, nichts in der Welt begehrte, als ihm nur immer in die Augen zu ſehn, dann lächelt er wohl, ach, und wie lieb, wie treulich! nein, das macht ihm kein An - derer nach! Und hab ich dann nicht oft, mitten in der hellen Freude, beſtürzt mich weggewandt und das Ge - ſicht mit beiden Händen zugedeckt, geweint und ihm verhehlt, was eben an mich kam? ach, denn ich fürchtete, er könnte mir im Stillen Recht geben, ich wollt ihm nicht ſelber drauf helfen, wie ungleich wir uns ſeyen, wie übel er im Grunde mit mir berathen ſey. So fuhr ſie eine Zeitlang fort und endete zulezt mit bittern Thränen; dann konnte es geſchehn, daß ſie ſich ſchnell zuſammennahm, gleichſam gegen den Strom ihres Gefühls zu ſchwimmen ſtrebte, und mit dem Ton des liebenswürdigſten Stolzes fing das ſchöne Kind nun an, ſich zu rechtfertigen, ſich zu vergleichen; die blaſſe Wange färbte ſich ein wenig, ihr Auge leuchtete, es war der rührendſte Streit von leidender Demuth und edlem Selbſtbewußtſeyn.

Dieſe ſonderbare Unzufriedenheit, ja dieß Ver - zweifeln an allem eigenen Werthe fiel deſto ſtärker auf, da Theobald in der That nicht die geringſte Urſache zu dergleichen gegeben, man auch früher kaum die Spur von einer ſolchen Aengſtlichkeit an ihr entdeckte. Jezt ward es freilich aus manchen ihrer Aeußerungen69 klar, daß ſie ſchon in geſunden Tagen dieſe Sorge heimlich genährt und wieder unterdrückt hatte, daß ein krankes Gefühl, das von jenem Nervenübel bei ihr zurückgeblieben war, ſich mit Gewalt auf den verletzbarſten Theil des zarten Gemüthes geworfen haben müſſe.

Damit wir jedoch ſogleich über das Ganze ein hinreichendes Licht verbreiten, ſind wir die Erzäh - lung einer Thatſache ſchuldig, welche jenen Symptomen von Schwermuth vorausging, und wodurch das, was vielleicht nur vorübergehende Grille war, eine weit ſchwierigere Geſtalt annahm.

Zwei Wochen, nachdem Agnes vom Kranken - lager frei geſprochen war, hatte ſie vom Arzte die Er - laubniß erhalten, zum erſten Mal wieder die freie Luft zu koſten. Es war an jenem Tage eben ein weitläuf - tiger Verwandter, deſſen eigentliche Bekanntſchaft man jezt erſt machte, im Hauſe gegenwärtig; der junge Mann war ſeit Kurzem in der benachbarten Stadt bei der Landesvermeſſung angeſtellt und bei dem Förſter ein um ſo willkommnerer Gaſt, als er neben einem an - genehmen Aeußern manches ſchöne geſellige Talent bewies. Man ſpeiſ’te fröhlich zu Mittag und Agnes durfte den Vetter Otto nach Tiſch beim wärmſten Sonnenſchein eine Strecke gegen die Stadt hin beglei - ten. Das Mädchen, wie neugeboren unter’m offenen Himmel, genoß ganz das erhebende Vergnügen neuge - ſchenkter Geſundheit, das ſich mit nichts vergleichen läßt;70 ſie ſprach wenig, eine ſtille, gegen Gott gewendete Freude ſchien ihr den Mund zu verſchließen und ih - ren Fuß im leichten Gang vom Boden aufzuheben; ihr war, als ſey ihr Inneres nur Licht und Sonne; ein deutliches Gefühl von körperlicher Kraft ſchien ſich mit einem kleinen Reſt von Schwäche angenehm bei ihr zu miſchen; ſie kehrte früher um und nahm Abſchied von Otto, damit ſie völlig ungeſtört ſich dem Ueberfluſſe des Entzückens und des Danks hin - geben könne.

Ihr Weg führte ſie durch ein Birkenwäldchen, bei deſſen lezten Büſchen ſie eine Zigeunerin allein am Raſen ſitzen fand, eine Perſon von anſprechendem und trotz ihres geſezten Alters noch immer von jung - fräulichem Ausſehen. Man grüßt ſich, Agnes geht weiter, und hat kaum fünfzehn Schritte zurückgelegt, als ſie bereuet, die Unbekannte nicht angeredet zu haben, deren ganzes Weſen und freundlich bedeuten - der Blick doch ſogleich den größten Eindruck auf ſie gemacht hatte. Sie beſinnt ſich, ſie lenkt um und eine Unterredung wird angeknüpft. Nach einer Weile, während der man gleichgültige Dinge geſprochen, pflückt das braune Mädchen gleichſam ſpielend einige Gräſer, knüpft ſie in eine regelmäßige Figur zuſam - men, löſ’t ſodann kopfſchüttelnd den einen oder an - dern Knoten wieder auf und ſagt: Sezt Euch zu mir. Der Herr, den Ihr da vorhin ausgefolgt,71 iſt Euer Schatz zwar nicht, doch denkt an mich, er wird es werden.

Agnes, obgleich etwas betreten, ſcherzt Anfangs über eine ſo unglaubliche Prophezeihung, verwickelt ſich aber immer angelegentlicher und haſtiger in’s Ge - ſpräch, und da die Aeußerungen und Fragen der Fremden eine ganz unbegreifliche Bekanntſchaft mit den eigentlichen Verhältniſſen der Braut vorauszuſetzen ſcheinen, ſo kommt ſie den Worten der Zigeunerin un - vermerkt entgegen. Das gutmüthige Benehmen der - ſelben entfernt zugleich faſt jedes Mißtrauen bei Ag - neſen. Wie ſchmerzhaft aber und wie unvermuthet wird ihr geheimſtes Herz mit Einem Male aufgedeckt, da ſie aus jenem ahnungsvollen Munde unter andern die Worte vernimmt: Was Euern jetzigen Verlobten anbelangt, ſo wär es grauſam Unrecht, Euch zu ver - bergen, daß Ihr auch allerdings nicht geboren ſeyd für einander. Seht hier die ſchiefe Linie! das iſt ver - wünſcht; ſtimmt doch das Ganze ſonſt gar hübſch zu - ſammen! Aber die Geiſter necken ſich und machen Krieg mit den Herzen, die freilich jezt noch feſt zuſammen - halten. Ei närriſch, närriſch! mir kam ſo was noch wenig vor.

Agnes fand Sinn in dieſen dunkeln Reden, denn ſie erklärten ihr nur ihre eigene Furcht. Wie? ſagte ſie leiſe und ſtarrte lange denkend in den Schoß, ſo iſt’s ſo iſt’s! ja Ihr habt Recht.

Nicht ich, mein Töchterchen, nur Stern und Gras72 behalten Recht. Vergib, daß ich die Wahrheit ſagte; aber Wermuth kann auch Arznei ſeyn, und ſey ver - ſichert, Zeit bringt Roſen.

Hier ſtand die Fremde auf. Agnes, im Innern wie gelähmt und an den Gliedern wie gebunden, ver - mochte kaum ſich zu erheben, ſie hatte nicht den Muth, die Augen aufzuſchlagen, es war ihr leid, daß ſie ver - rieth, wie ſehr ſie ſich getroffen fühlte. Und doch, in - dem ſie auf’s Neue in das Geſicht der Unbekannten ſah, glaubte ſie etwas unbeſchreiblich Hohes, Vertrauen - erweckendes, ja Längſtbekanntes zu entdecken, in deſſen ſeelenvollem Anblicke der Geiſt ſich von der Laſt des gegenwärtigen Schmerzens befreie, ja ſelbſt die Angſt der Zukunft überwinde.

Behüt dich Gott, mein Täubchen! und hab im - merhin guten Muth. Läßt dich die Liebe mit Einer Hand los, ſo faßt ſie dich gleich wieder mit der an - dern. Und ſtoße nur dein neues Glück nicht eigen - ſinnig von dir; es iſt gefährlich, dem Geſtirn Trotz bieten. Nun noch das Lezte: bevor ein Jahr um iſt, wirſt du Niemand verrathen, was ich dir geſagt; es möchte ſchlimm ausfallen, hörſt du wohl?

Dieß Leztere hatte die Zigeunerin mit beſonderem Nachdrucke geſprochen. Auf’s Aeußerſte ergriffen dankte das Mädchen beim Abſchiede und reichte der Fremden ein feines Tuch zum Angedenken hin.

Agnes war allein und vermochte kaum ſich ſel - ber wieder zu erkennen; ſie glaubte einer fremden, ent -73 ſetzlichen Macht anzugehören, ſie hatte etwas erfahren, was ſie nicht wiſſen ſollte, ſie hatte eine Frucht ge - koſtet, die unreif von dem Baume des Schickſals ab - geriſſen, nur Unheil und Verzweiflung bringen müſſe. Ihr Buſen ſtritt mit hundertfältigen Entſchlüſſen und ihre Phantaſie ſtand im Begriffe, den Rand zu über - ſteigen. Sie hätte ſterben mögen, oder ſollte Gott ihrer Neugierde verzeihen und ſchnell das fürchterliche Bewußtſeyn jener Worte von ihr nehmen, die ſich wie Feuer immer tiefer in ihre Seele gruben, und deren Wahrheit ſie nicht umſtoßen konnte.

Erſchöpft kam ſie nach Hauſe und legte ſich ſo - gleich mit einem ſtarken Froſte; der Alte befürchtete einen Rückfall in das kürzlich erſt beſiegte Uebel, allein vom wahren Grunde ihres Zuſtandes kam keine Sylbe über ihre Lippen. Sie ließ ſich ältere und neuere Briefe Theobalds auf’s Bette bringen, aber ſtatt des gehofften Troſtes fand ſie beinahe das Ge - gentheil; das liebevollſte Wort, die zärtlichſten Ver - ſicherungen, ſchon gleichſam angeweht vom vergiften - den Hauche der Zukunft, betrachtete ſie mit Wehmuth, wie man getrocknete Blumen betrachtet, die wir als Zeichen vergangener ſchöner Augenblicke aufbewahrten: ihr Wohlgeruch iſt weg und bald wird jede Farben - ſpur daran verbleichen.

Dergleichen traurige Ahnungen erfüllten ſie mit deſto ungeduldigerem Schmerz, je mehr ſie Theobal - den noch in dem vollen Irrthum ſeiner Liebe befan -74 gen denken mußte, in einem Irrthum, den ſie nicht länger mit ihm theilen durfte noch wollte, der ihr abſcheulich und[beneidenswerth] zugleich vorkam.

Jener Fieberanfall ging indeß vorüber und außer einer gewiſſen Ueberſpannung hielt man das Mädchen für geſund. Die Ungewißheit ihres Schickſals be - ſchäftigte ſie Tag und Nacht. Suchte ſie auch einen Augenblick jene drohenden Ausſprüche mit ruhigem Verſtande zu beſtreiten, ſchalt ſie ſich abergläubiſch, thöricht, ſchwach, ſie fand doch immer zwanzig Gründe gegen Einen, und ſelbſt im Fall die unerhörteſte Täuſchung des Weibes mit im Spiele war, ſo ſchien dieſer ſeltſame Zufall ihr wenigſtens eine früher ge - fühlte Wahrheit auf’s wunderbarſte zu beſtätigen. Denn freilich hatte ſie bei dem Geſpräch im Walde nicht bemerkt, wie viel ihr die Zigeunerin, nachdem das erſte auf’s Ungefähr keck hingeworfene Wort einmal gezündet, mit leiſem Taſten abzulauſchen wußte, noch weniger ließ ſie ſich träumen, daß eben dieſe Perſon auf ſehr natürlichem Wege von der äußeren Lage der Dinge im Allgemeinen unterrichtet, mit Theobald nicht unbekannt, und, wie ſich ſpäterhin entdecken wird, überhaupt gar ſehr bei der Sache intereſſirt war. Was aber immer die geheime Abſicht dabei ſeyn mochte, genug, das arme Kind war ſchon ge - neigt, einen höheren Wink in jenem Auftritte zu er - blicken.

Indeſſen, es gehen zuweilen Veränderungen in un -75 ſerer Seele vor, von welchen wir uns eigentlich keine Rechenſchaft geben und denen wir nicht widerſtehen können, wir machen den Uebergang vom Wachen zum Schlaf ohne Bewußtſeyn und ſind nachher ihn zu be - zeichnen nicht im Stande: ſo ward in Agnes nach und nach die Ueberzeugung von der Unvereinbarkeit ihres Schickſals und Noltens befeſtigt, ohne daß ſie genau wußte, wann und wodurch dieſer Gedanke eine unwiderſtehliche Gewalt bei ihr gewonnen. Ihre Grundempfindung war Mitleid mit einem geliebten und verehrten Manne, hinter deſſen Geiſt ſie ſich weit zurückſtellte, den ſie durch ihre Hand nur unglücklich zu machen fürchtete, weil es in der Folge doch auch ihm ſelbſt nicht mehr verborgen bleiben könne, wie wenig ſie ihm als Gattin genüge. Allein wenn dieß Gefühl, das unſtreitig aus dem reinſten Grunde un - eigennütziger Liebe hervorging, das gute Geſchöpf all - mählig einer frommen und in ſich ſelber troſtvollen Reſignation entgegendrängte, ſo wurde der Entſchluß freiwilliger Trennung auf der andern Seite wieder durch eine Idee verkümmert, welche ſich ſehr natürlich aufdrang: ein künftiges Mißverhältniß war ja nur in dem Falle gedenkbar, wenn Nolten überhaupt ſeine urſprüngliche Geſinnung verläugnete, wenn er dem erſten reinen Zuge ſeines Herzens untreu würde; und ſo betrachtete ſich nun Agnes ſchon zum Voraus auf’s Tiefſte gekränkt von dem Verlobten, ſie war verſucht, ihm dasjenige bereits als Schuld anzurechnen,76 wovon er ſelbſt noch keine Ahnung hatte, was aber unvermeidlich kommen müſſe. So ſonderbar es klin - gen mag, ſo iſt es doch gewiß, es traten Augenblicke ein, wo ihre Empfindung gegen Theobald nicht fern von Widerwillen, ja von Abſcheu war, allein dergleichen feindliche Regungen widerſtrebten dergeſtalt ihrer innerſten Natur, ſie ſelbſt kam ſich dabei als ein ſo haſſenswürdiges, entſtelltes Weſen vor, daß ſie mit Abſicht Alles und Jedes vorkehrte, was den Bräutigam, auch im äußerſten Falle, rechtfertigen könnte. Es kam eine tödtliche Angſt über ſie, wenn ihr zuweilen die Möglichkeit erſchien, daß ſie von Dem, der ihr noch jüngſt das Theuerſte der Welt ge - weſen, jemals geringer denken oder daß er ihr gar ſollte gleichgültig werden können, es war ihr, wenn es dahin kommen ſollte, als zerſtöre ſie ihr eigen Selbſt, als ſey die innerſte Wurzel ihres Lebens an - gegriffen, als müßte ſie jedem ſchönen Glauben, Allem, was würdig, hoch und heilig ſey, für immerdar ent - ſagen. Sie nahm in dieſer äußerſten Noth ihre Zu - flucht zum Gebet, und flehte mit Inbrunſt, Gott möge die Liebe zu Nolten ſtets friſch bei ihr erhalten, er möge ihr nur helfen, Alles, was leidenſchaftlich an dieſer Neigung ſey, aus ihrem Herzen wegzuſcheiden.

Bemerkenswerth iſt es, daß das treffliche Mäd - chen, von einem richtigen Takte geleitet, ſich mitunter alle Gewalt anthat, ganz unabhängig von jener ver - dächtigen Prophetenſtimme zu denken und zu handeln,77 ſo wie ſie ſich auch leicht beredete, die Verzichtleiſtung auf den Verlobten ſey in Betracht der erſten Gründe doch immer aus ihr ſelbſt hervorgegangen. Vielleicht ſie unterſchied hierin nicht ſcharf genug, und jene dunkle Stimme behielt auf Agneſens Thun und Laſſen den mächtigſten Einfluß; nur verſcheuchte ſie jede Erinnerung an den verhaßten Fingerzeig des Weibes, der ſo entſchieden auf ein neues Bündniß hindeutete; nicht ohne heimliches Schaudern konnte ſie in dieſem Sinne an den Vetter denken, ja ſie ver - mied ſeinen Anblick eine Zeitlang gefliſſentlich, nur um dieſer unerträglichen Vorſtellung los zu werden.

Wie ſehr das Mädchen unter ſolchen Umſtänden litt, von wie viel Seiten ihr Gemüth im Stillen zer - riſſen und gepeinigt war, läßt ſich wohl beſſer fühlen als beſchreiben. Unglaublich erſcheint bei dieſem Allen der Wechſel ihrer Stimmung; denn während ſie jede Hoffnung auf Theobald verbannte und in den nüch - ternſten Stunden ſogar die Fähigkeit bei ſich entdeckte, ihn ſeinem beſſern Schickſale frei zu geben, fehlte es mitunter nicht an Augenblicken, wo alle jene düſtern Bilder gleich Geſpenſtern vor der aufgehenden Sonne zurückflohen, wo ihre Liebe mit Einemmal wieder in dem heiterſten Lichte vor ihr ſtand und eine Vereini - gung mit Nolten ihr, allen Orakeln der Welt zum Trotze, nothwendiger, natürlicher, harmloſer däuchte, als jemals. Mit Entzücken ergriff ſie dann eilig die Feder, dem theuren Freund ein liebevolles Wort zu78 ſenden, und ſich im Schreiben gleichſam ſelbſt des überglücklichen Bewußtſeyns zu verſichern, daß ſie und Nolten ewig unzertrennlich ſeyen.

In ſolchen Stimmungen mochte ſie auch Ottos Gegenwart nicht ungern leiden, ſie behandelte ihn noch immer mit einiger Zurückhaltung und hatte auch dieſe ſchon halb überwunden; nur als der Vater ge - legentlich dem Vetter, der die Mandoline fertig ſpielte, den Vorſchlag machte, das Bäschen in die Lehre zu nehmen, ward ſie einigermaßen verlegen und zauderte, wiewohl ſie den Wunſch früher ſelbſt geäußert hatte und noch jezt in gewiſſer Hinſicht Luſt dazu empfand. Auf das freundlichſte Zureden Ottos entſchloß ſie ſich wirklich, und ſogleich wurde die Probe gemacht, die denn auch ganz munter von Statten ging; Ag - nes bewies den größten Eifer, denn es galt, den Geliebten ſpäter mit dieſem neuen Talent zu überra - ſchen, und das kleine Geheimniß machte ſie glückſelig.

Aber dergleichen lichte Zwiſchenräume waren vor - übergehend; jene ſchwermüthigen Zweifel kehrten nur um deſto angſtvoller zurück, und ein ſolcher alle Kraft der Seele anſpannender Wechſel diente nur, eine Epoche vorzubereiten, worin die geiſtige Natur der Armen unter der Laſt einer ſchrecklichen Einbildung und eines unſeligen Geheimniſſes unterlag.

Noch immer beobachtete Agnes das tiefſte Stillſchweigen über die Begebenheit im Walde, bloß im Allgemeinen gab ſich ihr Gram in lauten Klagen79 zu erkennen, wovon wir gleich Anfangs ein Beiſpiel gegeben.

Die muſikaliſchen Lektionen wurden ausgeſezt und fingen wieder an, weil es der Vater verlangte, der in ſolchen Unterhaltungen eine willkommene Zer - ſtreuung für ſeine Tochter ſah. Dieſe zeigte nun - mehr eine ſonderbare ſtille Gleichgültigkeit, ließ mit ſich anfangen, was man wollte, oder ging ihr lebloſes träumeriſches Weſen ſprungweiſe in jene zweideutige Munterkeit über, wovon wir oben geſprochen. Der Alte ſah es gern, wenn ſie mit Otto ſich luſtig machte, nur ſtuzte er oft über die Ausgelaſſenheit, ja Keckheit ſeines Mädchens, wenn es nach beendigter Lektion an ein Spaßen, Lachen und Necken zwiſchen den jungen Leuten ging, wenn die Schülerin dem Lehrmeiſter blitzſchnell in die Locken fuhr und auch wohl einen lebhaften Kuß auf die Stirne drückte, ſo daß Freund Otto ſelbſt etwas verlegen ward und mit all ſeiner ſonſtigen Gewandtheit ſich zum erſten Mal ein wenig linkiſch der reizenden Couſine gegen - über ausnahm. Biſt doch mein lieber Vetter, lachte ſie dann, was zierſt du dich ſo närriſch? Aber für - wahr, ich wollte, wir wären Brautleute! mit dir könnt ich leben, du biſt ganz darnach gemacht, daß man dich nicht zu viel und nicht zu wenig lieben kann!

Dieſe und ähnliche Reden, ſo arglos ſie auch hingeworfen waren, klangen dem Alten bedenklich,80 und vollends finden wir ſein Erſtaunen gerecht, als er einmal beim Weggehen Ottos, welcher Agneſen wie ſonſt auf der Schwelle die Hand gab, eine Thräne in ihrem klaren Auge bemerkte. Was ſoll doch das, mein Kind? fragte der Vater, nachdem ſie allein waren, betroffen. Nichts, erwiderte ſie mit einigem Erröthen und drehte ſich zur Seite; ſein Anblick rührt mich oft, er gefällt mir nun einmal. Dann ging ſie ſorglos, wie es ſchien, und ſingend in der Stube auf und nieder.

Vorübergehende Auftritte der Art brachten den Förſter auf mancherlei Gedanken, und es iſt zu be - greifen, wenn er es endlich mehr als wahrſcheinlich fand, daß hinter dieſem unnatürlichen Zuſtande eine aufkeimende Leidenſchaft für Otto ſich verſtecke, die er nur einer krankhaften Reizbarkeit des Mädchens Schuld geben konnte. Der Zeit nach, worein die er - ſten Beſuche des Vetters und jene erſten grillenhaften Aeußerungen Agneſens fielen, widerſprach jener Vermuthung nichts. Der Leſer aber kann über den wahren Zuſammenhang des wunderlichen Gewebes wohl nimmer im Zweifel ſeyn.

Der Verſtand des guten Weſens hatte das Gleich - gewicht verloren, und der traurige Riß war kaum ge - ſchehen, als die Schatten des Aberglaubens mit ver - ſtärkter Wuth aus ihrem Hinterhalte brachen, um ſich der wehrloſen Seele völlig zu bemächtigen. Jene Idee von Otto fixirte ſich gleichſam künſtlich im Ge -81 müthe der Armen, und die eingebildete Nothwendig - keit fing an, den Widerwillen gegen ihn zu überbieten.

Die Art jedoch, wie ſich Agnes äußerlich be - trug, ließ in der That nicht auf eine ſo bedeutende Störung ihres Innern ſchließen, und der Vater glaubte nicht an eigentlichen Wahnſinn. Der ſonderbare Hang zur Luſtigkeit verlor ſich ganz und machte einer geſez - ten Ruhe, einem liebenswürdigen Gleichmuthe Platz, der dem Geſpräche ſo wie dem ordentlichen Gange der hänslichen Geſchäfte gleich günſtig war, man be - merkte nichts Verkehrtes in ihrem Thun und Reden, nichts Schwärmeriſches in Miene und Geberde; aber an Theobald wollte ſie nicht erinnert ſeyn, ſelbſt Ottos Namen berührte ſie kaum, ſo lange er abwe - ſend war, nur wenn er kam, ſah man ſie ihre ganze Aufmerkſamkeit, alle Anmuth und Freundlichkeit an ihn verſchwenden.

Wenn nun der Alte, durch ein ſo unerhörtes Benehmen zur Verzweiflung gebracht, ſie zur Rede ſtellte, ſie bald mit Sanftmuth, bald mit drohenden Vorwürfen an ihre Pflicht, an ihr Gewiſſen mahnte, ſo zeigte ſie entweder eine ſtumme Gelaſſenheit, oder ſie lief weinend aus dem Zimmer und ſchloß ſich ein.

Der Vater hatte indeſſen auf die Entfernung des jungen Menſchen gedacht und ihm bereits einige leiſe Winke gegeben, die aber bis jezt ganz ohne Wirkung blieben; er war in der peinlichſten Noth, zumal er Urſache hatte, zu befürchten, daß die Reize682des Mädchens auch nicht ohne Eindruck auf Otto ge - blieben ſeyn möchten. Und wirklich, wie erſtaunte nicht der gute Mann, als er eines Tages dem Vetter unter vier Augen ſeine Bitte ſo ſchonend als möglich vortrug, und dieſer mit dem unumwundenen Geſtänd - niſſe hervortrat: er ſey von der Neigung Agneſens für ihn vollkommen überzeugt und nichts halte ihn ab, ſie offen zu erwiedern, wenn er vom Vater die Zuſtim - mung erhalten würde, die er ohnehin in dieſen Tagen zu erbitten entſchloſſen geweſen ſey; es komme nun freilich auf ihn an, ob er dem innigſten Wunſche ſeiner Tochter Gehör ſchenken oder auf Koſten ihrer Ruhe und ihrer Geſundheit eine Verbindung erzwingen wolle, welche man, alle Vorzüge Noltens in Ehren gehalten, nun einmal durchaus für den gröbſten Mißgriff halten müſſe.

Der Förſter, über eine ſo kühne Sprache wie billig empört, unterdrückte dennoch ſeinen Unmuth und wies den vorſchnellen Freier mit Mäßigung zurecht, indem er ihn vor der Hand zur Geduld ermahnte und wenigſtens für die nächſte Zeit das Haus zu meiden bat, worauf denn jener willig zuſagte und nicht ohne geheime Hoffnung wegging.

Nun überlegte der Alte, was zu thun ſey. Bald ward er mit ſich einig, daß unter ſo mißlichen Um - ſtänden Veränderung des Orts, eine ſtarke Distraction, das Räthlichſte ſeyn dürfte. Zwar dachte er Anfangs daran, ob nicht gerade eine Reiſe zu dem Bräutigam83 das kürzeſte Mittel zu Ausgleichung des Ganzen wäre, allein die geringſte Erwähnung des Planes bei Agne - ſen verſezte dieſe in den größten Jammer, ſie beſchwor den Vater auf den Knien, von dem Vorhaben abzu - ſtehen, das ihr gewiß den Tod bringen würde. Da nun überhaupt von einer Reiſe, gleichviel wohin, die Rede war, ſchien ſie vielmehr erfreut als abgeneigt, und gerne ließ der Förſter ſich’s gefallen, bei dieſer Gelegenheit einen ziemlich entfernten Freund, den er ſeit vielen Jahren nicht geſehen, heimzuſuchen.

In Kurzem befanden Vater und Tochter ſich un - terwegs in einem wohlgepackten Gefährt. Das Wetter war das ſchönſte, nach wenig Stationen ſah man ſchon völlig neue Gegenden. Das Mädchen war zufrieden, ohne gerade lebhafter zu ſeyn.

Mit dem Aufenthalte in dem kleinen Städtchen Wiedecke, wo der vieljährige Bekannte des Förſters, ein jovialer behaglicher Sechziger, als Verwalter eines edelmänniſchen Guts wohlhabend wie ein kleiner Fürſt lebte, begann für Agnes bald eine ganz andere Art den Tag hinzubringen, als ſie es bisher gewohnt war. Der lebensfrohe Mann machte ſich’s zur Pflicht, ſeine Gäſte auf die mannigfaltigſte Weiſe zu vergnügen, und im eigentlichen Sinne des Worts keine Stunde ruhen zu laſſen. Sie mußten die Güter der gräflichen Herr - ſchaft, Gärten, Waldungen, Parks und Fiſchplätze mu - ſtern, gelegentlich die Ordnung des Verwalters und ſeine Einſichten bewundern, man durfte mit keinem84 ſeiner Freunde im Städtchen und der Umgegend unbe - kannt bleiben, eine ländliche Partie verdrängte die andere, kurz der Förſter ſah ſeine Wünſche, die im Stillen hauptſächlich nur auf Zerſtreuung der Tochter gingen, beinahe über alles Maaß und mehr als ſie ertragen konnte, erfüllt; eigentlich gab ſie ſich mehr nur aus Gutmüthigkeit zu all der geräuſchvollen Luſtbarkeit her, als daß ſie mit ganzem Herzen Theil genommen hätte.

Großen und ſchönen Eindruck machte bei ihr eines Abends der erſtmalige Anblick eines Theaters, wozu eine wandernde Truppe das Wiedecker Publikum lud. Das Stück war von der leichten, heitern Gattung und wurde überdieß ſehr brav geſpielt. Agnes lachte zum erſten Mal wieder recht herzlich und ging ganz aufgeräumt zu Bette. Doch in der Nacht kam ſie in das Schlafzimmer des Vaters geſchlichen, weckte ihn, und wollte Anfangs auf die Frage, was ihr zugeſto - ßen ſey, lange mit der Sprache nicht heraus. Sie habe, geſtand ſie endlich, von Theobalden ſo lebhaft, ſo deutlich geträumt; er ſey troſtlos geweſen und habe ſie um Gottes willen gebeten, ihn nicht zu ver - laſſen, zulezt ſey ſie aufgewacht, erſtickt von ſeinen Küſſen. Nun ſeht, Vater, fuhr ſie unter heißen Thränen fort, Euch darf ich wohl bekennen, daß er mich unbeſchreiblich dauert, ob ich ihn gleich nicht mehr liebe; er wird ſein Glück gewiß bei einer An - dern finden, aber das ſieht er jezt nicht ein, und es85 wäre vergeblich, ihn überreden zu wollen; man muß nur abwarten, bis er von ſelbſt zur Ueberzeugung kommt. Aber (hier brach ſie in lautes Schluchzen aus) wenn er während der Zeit verzweifelte! wenn er ſich ein Leid anthäte nein! nein! das wird er nicht, das kann er nicht! nicht wahr, Vater, ſo weit kann es unmöglich kommen? Ach, könnt ich ihn über dieſe Zwiſchenzeit nur ſchnell wegheben, ihn mit irgend was beruhigen, ihm einen Troſt zuſenden!

Der Alte vernahm dieſe Worte mit heimlicher Zufriedenheit, denn ſie waren ihm nichts anders als das Zeichen der wiedererwachten Neigung für den Bräutigam. Wenn du es über dich vermöchteſt, ſagte er, ihm deine volle Liebe wieder zu ſchenken, da wäre freilich am beſten geholfen. Siehſt du, noch iſt im Grunde nichts verloren, noch verdorben; ja, prüfe dich, mein Kind! ſey mein verſtändiges Mäd - chen wieder! nimm auf’s Neue meinen Segen mit Theobald hin; ſchreib ihm gleich morgen einen un - befangenen heitern Brief, ſo wie dein lezter vor drei Wochen war, das wird ihn freuen.

Nach einigem Nachdenken antwortete Agnes: Ihr wißt nicht, Vater, wie es um die Zukunft ſteht, drum mögt Ihr wohl ſo ſprechen. Aber ſeht, ich denke nun, Theobald muß ja mein Mann nicht eben ſeyn, und ich darf ihn dennoch lieb behalten. Iſt’s ja doch ohnehin noch nicht an der Zeit, daß wir uns die Brautſchaft förmlich aufſagen, und warum86 ſoll ich ihn eher als nöthig iſt, aus ſeinem guten Glauben reißen, da er die Wahrheit jezt noch nicht begriffe, warum nicht immerfort ſo an ihn ſchreiben, wie er’s bisher an mir gewohnt war? Ach, ganz gewiß, ich ſündige daran nicht, mein Herz ſagt mir’s; er ſoll, er darf noch nicht erfahren, was ihm blüht, und, Vater, wenn Ihr ihn lieb habt, wenn Euch an ſeinem Frieden etwas liegt, ſagt Ihr ihm auch nichts! Dagegen aber kann ich euch verſprechen, ich will vor der Hand mit Otto nichts mehr gemein haben. Die Zeit wird ja das Uebrige ſchon lehren.

Der Förſter wußte nicht ſo recht, was er aus dieſen Reden machen ſollte, er ſchüttelte den Kopf, nahm ſich aber vor, das Beſte zu hoffen, und entließ Agneſen, die ſich ruhig wieder niederlegte.

Wie groß war ſeine Freude, als er ſie des an - dern Morgens in aller Frühe mit einem Brief an Theobald beſchäftigt fand, den ſie ihm auch nachher zur Durchſicht reichte, wiewohl mit Widerſtreben und ohne gegenwärtig zu bleiben, ſo lange der Alte las. Aber welch köſtliche, hinreißende, und doch wohlbe - dachte Worte waren das! So kann bloß ein Mädchen ſchreiben, das völlig ungetheilt in dem Geliebten lebt und webt. Nur die abſichtliche Leichtigkeit, womit jene ernſten und tiefen Bewegungen in Agneſens innerm Leben hier gänzlich übergangen waren, frap - pirte den Vater an dem ſonſt ſo redlichen Kinde. Er ſelber hatte noch geſchwankt, ob die Pflicht von ihm87 fordere, Theobalden von dieſen Dingen in Kennt - niß zu ſetzen, oder ob es nicht vielmehr gerathen ſey, jenem die Sorge und der Braut die Beſchämung über eine Sache zu erſparen, die am Ende doch nur un - willkürliche und vorübergehende Folge eines ſonder - baren Krankheitszuſtandes ſey. Und nun, da offen - bare Hoffnung war, daß Alles ſich von ſelbſt aus - gleiche, bereute er um ſo weniger, in ſeinem lezten Schreiben bloß im Allgemeinen von wiederholten Ge - ſundheitsſtörungen geſprochen zu haben. Er ſah be - reits die ſchöne Zeit voraus, wo er dem Schwieger - ſohne den ganzen Verlauf der ſeltſamen Begebenhei - ten in einer traulichen Abendſtunde ruhig und wohl - gemuth wie ein glücklich überſtandenes Abenteuer würde erzählen können.

Die Rückreiſe nach Neuburg wurde endlich an - getreten. Man begrüßte die Heimath nach längerer Abweſenheit mit doppelter Liebe. Agnes ward all - gemein blühender, anſprechender, geſelliger gefunden, als man ſie vor vier Wochen hatte abreiſen ſehen; was aber der Vater mit beſonderem Wohlgefallen be - merkte, war, daß ihr die alte Nähe des Vetters gar nicht einzufallen ſchien. Dieſer wurde indeſſen durch ſeine Geſchäfte ganz außerhalb der Gegend feſtgehal - ten, und der Förſter durfte einen Ueberfall, worauf er ſich bereits gefaßt gemacht, ſobald noch nicht be - fürchten.

Uebrigens mußte es nach und nach befremden,88 daß Nolten ſeit einem vollen Monat und darüber nichts von ſich hören ließ. Der Alte fand es uner - klärlich, denn eine Irrung, welche etwa durch die fatale Geſchichte entſtanden ſeyn möchte, war kaum gedenkbar, da weiter Niemand darum wiſſen konnte; möglicher ſchien es, daß Nolten krank, daß Briefe verloren gegangen ſeyen. Agnes hatte dabei ihre beſonderen Gedanken und ſchwieg nur immer, indem ſie auf etwas Entſcheidendes zu ſpannen ſchien.

Wirklich hatte ſich inzwiſchen nicht wenig Be - deutendes in der Ferne zugetragen.

Es waren, bald nachdem der Vetter die Bekannt - ſchaft des Förſterhauſes gemacht, von zwei verſchie - denen Seiten und von ſehr wohlmeinenden Perſonen Briefe an Nolten gelangt, worin er auf ein ſehr zweideutiges Benehmen des Alten und ſeiner Tochter in Betreff des jungen Menſchen aufmerkſam gemacht wurde. Eine dieſer Warnungen kam ſogar von dem guten Baron auf dem Schloſſe bei Neuburg, welcher ſonſt mit dem Förſter in freundlichem Vernehmen ſtand, und von deſſen Rechtlichkeit und vorſichtigem Urtheil ſich weder Uebereilung noch Parteilichkeit er - warten ließ. Schon dieſe erſten Laute des Verdachts, obgleich ſie unſern Maler noch keineswegs zu über - zeugen vermochten, erſchütterten und lähmten, ja ver - nichteten ihn doch dergeſtalt, daß er ſich lange nicht entſchließen konnte, auch nur eine Zeile nach Neuburg zu richten, ſeinen väterlichen Freund, den Baron, aus -89 genommen, dem er eine nochmalige genaue Nachfor - ſchung dringendſt empfahl. Allein nach mehreren Wochen erhielt er auf eine höchſt unerwartete Weiſe die vollkommenſte Beſtätigung ſeines Argwohns, und zwar durch das ausführliche Schreiben Otto Lien - hart’s, ein Name, den er früher einmal gele - gentlich von Agnes gehört zu haben ſich ſogleich er - innerte. Daß dieß eine und dieſelbe Perſon mit dem mehrerwähnten Vetter ſey, brauchen wir kaum anzu - merken.

Der Eingang des Briefes nimmt auf eine eben ſo beſcheidene als verſtändige Art das Vertrauen Theobalds in Anſpruch; der Unbekannte bittet um ruhiges und männliches Gehör für dasjenige, was er vorzutragen habe; es ſey, verſicherte er, ſo ſon - derbar und ſo feindſelig gar nicht, als es wohl in dem erſten Augenblicke erſcheinen könnte. Nun geht er auf das innere Mißverhältniß der Verlobten über, wie die Natur der Charaktere ein ſolches weſentlich und nothwendig begründe, ohne daß einem der beiden Theile das Geringſte dabei zur Schuld falle. Sodann wird die Neigung des Mädchens zu ihm, dem Vetter, entwickelt, gerechtfertigt und endlich wird ohne Anmaßung erklärt, in welchem Sinne er Ag - neſen ihren erſten Freund, deſſen eigenthümlichen Werth ſie noch immer verehre, zu erſetzen hoffen dürfe. Wenn nun die angeführten Gründe hinreichen würden, um Nolten zu freiwilliger Abtretung ſeiner90 Anſprüche zu bewegen, ſo hänge am Ende Alles nur vom Vater ab. Es ſcheine, daß dieſer im Stillen einen ſolchen Wechſel gut heiße und ſich nur vor Nolten ſcheue, deßwegen halte er die Sache mit ſchwankendem Entſchluſſe hin und ſorge in der That für keinen Theil ſehr vortheilhaft, wenn er Theo - balden noch immer in einer Hoffnung laſſe, auf welche er ſelber insgeheim verzichte; er thue Unrecht, daß er die Tochter ſtets auf’s Neue irre zu machen ſuche und ſie nöthige, in ihren Briefen unredlich gegen Theobald zu ſeyn. Ihr Herz habe für im - mer entſchieden. Einige Briefe von Agneſens ei - gener Hand an den Couſin werden ihre Geſinnung hinreichend beweiſen. (Die Blätter lagen bei, und man hat ſich Briefe zu denken, welche die Unglückliche ohne Vorwiſſen des Förſters an Otto geſandt.) Er habe dieſe Eröffnungen für Pflicht gehalten, und Nolten möge ſeine Maßregeln darnach ergreifen. Sollte der Förſter, was jedoch wenig Wahrſcheinlich - keit habe, zulezt eigenſinnig und grauſam die Rechte des Vaters geltend machen, oder Theobald die des Verlobten, ſo könne nur ein vollendetes Unglück für Alle daraus entſpringen, während im andern Falle Nolten wenigſtens den Troſt für ſich behalte, den der Mann im Bewußtſeyn einer ungemein und groß - herzig erfüllten Pflicht von jeher gefunden.

Ein ſchallendes, verzweiflungsvolles Gelächter war das erſte Lebenszeichen, das unſer Maler, nach -91 dem er einige Sekunden wie beſinnungslos geſtanden, von ſich gab. Wir ſchildern nicht, in welchem Kreis - laufe von Zerknirſchung, Wuth, Verachtung und Weh - muth er ſich nun wechſelnd umgetrieben ſah. Was blieb hier zu denken, was zu unternehmen übrig? Haß, Liebe, Eiferſucht zerriſſen ſeine Bruſt, er faßte und verwarf Entſchluß auf Entſchluß, und hatte er die wirbelnden Gedanken bis in’s Unmögliche und Ungeheure matt gehezt, ſo ließ er plötzlich muthlos jeden Vorſatz wieder fallen und blickte nur in eine grenzenloſe Leere.

Nach Verfluß einiger Tage war er ſo weit mit ſich im Reinen, daß er ſtillſchweigend Allem und Je - dem ſeinen Lauf laſſen und etwa zuſehen wollte, wie man in Neuburg ſich weiter geberden würde. Seinem Larkens, der indeſſen von einer kleinen Reiſe zu - rückgekommen war, und dem ſein Kummer bald auf - fiel, entdeckte er ſich keineswegs; denn Einmal wollte er ſich in ſeinem Benehmen in der Sache durch frem - des Urtheil nicht geirrt wiſſen, er fürchtete die Ge - ſchäftigkeit, welche ſein lebhafter und unternehmender Freund in ſolchem Falle ſicherlich nicht würde ver - läugnen können, und dann hielt ihn ein ſonderbares Gefühl von Schaam zurück, wie es denn ſeinem Cha - rakter eigen war, fremdes Mitleid, und käme es auch vom geliebteſten Freunde, ſo viel möglich zu verſchmähen.

Gewiſſe weggeworfene Aeußerungen des Malers, ſo wie eine Menge kleiner Umſtände, ließen jedoch92 dem Schauſpieler keinen Zweifel mehr übrig, wen die Verſtimmung betreffe; aber weit entfernt, den Fehler auf Seiten Agneſens zu ſuchen, ſah er an ſeinem Freunde im Stillen nur den ſeichten Ueberdruß, die undankbare Laune eines Liebhabers, und es mußte ihn die kleinlaute Verlegenheit Theobalds, wenn dar - auf die Rede kam, in der Meinung beſtärken, dieſer fühle ſein Unrecht. Dem Maler war ein ſolcher Irrthum gewiſſermaßen nicht zuwider, er mochte lieber den Schein der Untreue haben, als ſein wahres Elend täglich in den Augen des Schauſpielers leſen.

Dem Leztern konnte es nicht entgehen, daß die gewöhnlichen Briefe nach Neuburg ſeit einiger Zeit ſtockten, obwohl von dorther immer welche einliefen, und ſo entſtand denn in dem ſonderbaren Manne der Entſchluß, Noltens Pflicht in dieſem Punkte zu verſehen. Allerdings nahm er ſogleich das Unſichere und Zufällige mit in Rechnung, doch zu befürchten war ja eigentlich nichts, auch wenn das kecke Spiel früher oder ſpäter an den Tag käme.

In der Zwiſchenzeit aber, d. h. vor der heim - lichen Einrichtung, in deren Folge nachher Alles vom Förſterhauſe an den Bräutigam Geſchriebene in die Hände des unächten Correſpondenten gelangte, waren mehrere Briefe theils von Seiten des Alten, theils von Agneſen ſelbſt an Nolten gekommen, und ſie waren von der Art, daß Theobalds Urtheil, in ſofern es bis jezt unbedingt verwerfend geweſen, ſich93 gewiſſermaßen modifiziren mußte. Der Alte erſucht nämlich ſeinen Schwiegerſohn in einem eben ſo herz - lichen als wahrhaftigen Ton, er möchte von gewiſſen Gerüchten, welche ſich zu Neuburg durch die Zudring - lichkeit eines eingebildeten jungen Menſchen verbreitet hätten, und die vielleicht auch was wohl der Grund ſeines langen Stillſchweigens ſey bis zu ihm gedrungen ſeyn könnten, auf keine Weiſe Notiz nehmen. Der Alte ſezt die Verirrung des Mädchens nach ſeinen Begriffen auseinander, macht, ohne das Rechte zu treffen, eine nicht eben unwahrſcheinliche Erklärung davon, wobei Alles am Ende auf eine ſelt - ſame Skrupuloſität, melancholiſche Ueberſpannung und zulezt auf alberne Kinderei reducirt wird. Nolten möchte der Jugend, der Unerfahrenheit des Mädchens vergeben; er als Vater betheure, daß der Vorgang in keinem Sinne ſtörende Folgen nach ſich ziehen werde, Agnes habe ſich gefaßt, ihr Herz ſey rein und hänge mit doppelter Innigkeit an ihm. Indeſſen, fährt der Vater von ſich fort, ſey er ſo unbillig nicht, es dem Bräutigam zu verdenken, wenn die Sache ihn erſchreckt habe, wenn er der Zeit die Probe überlaſſe, ob die Braut ſeiner nicht unwerth geworden, nur wäre zu wünſchen, daß er ſich perſönlich überzeugte, und er ſey deßhalb auf’s freundlichſte nach Neuburg eingeladen. Uebrigens möchte er, wenn er Agneſen ſchreibe, ihr tief gebeugtes Gemüth ſo viel wie mög - lich ſchonen, ſie wiſſe nichts von dieſen Mittheilungen94 und ſcheine ſich vorzubehalten, ihm bald mündlich die treueſte Rechenſchaft zu geben. Schließlich möge er ſich doch wohl bedenken, ehe er ein Geſchöpf, deſſen ganzes Glück an ihn gebunden ſey, um eines immer - hin räthſelhaften und darum ſchwer zu richtenden Ver - gehens willen, ohne weitere Prüfung verſtoße.

Dieſe Nachricht verſezte den Maler in die ſonder - barſte Unruhe. Er war während des Leſens weich ge - worden, er mußte wider Willen ſeinen entſchiedenen Haß mit einem tiefen Verdruß und ärgerlichen Mit - leid vertauſchen, und er fühlte ſich dabei faſt unglück - licher als zuvor.

Wenn er freilich Agneſens urſprüngliche, ſo äußerſt reine Natur mit ihrem neueſten Betragen ver - glich, ſo ſchien ihm der Abſprung ſo gräßlich widerſin - nig, daß er ſich jezt wunderte, wie er eine Weile an die Möglichkeit einer Untreue im gewöhnlichen Sinne des Worts hatte glauben können; der Fall ſtritt der - geſtalt gegen alle Erfahrung, daß eben das Außeror - dentliche des Vergehens zugleich deſſen Entſchuldigung ſeyn mußte. Aber was auch immer die Urſache ſey, rief Theobald auf’s Neue verzweifelnd aus, wie tief der Grund auch liegen mag, die Thatſache bleibt, um den erſten heiligen Begriff von Reinheit, Demuth, ungefärbter Neigung bin ich für immer beſtohlen! Was ſoll mir eine verſchraubte, kindiſche Kreatur? Werd ich nun meine ſchönſten Hoffnungen zerbrochen als küm - merliche Trümmer, halb knirſchend, halb weinend, am95 Boden aufſammeln und mir einbilden, was ich zuſam - menſtückle, ſey mein altes köſtliches Kleinod wieder? O hätt ich den bübiſchen Fratzen zur Stelle, der mir an meine ſüße Lilie rührte! könnt ich die Augen aus - reißen, die mir das treuſte Herz verlockt! dürft ich den heilloſen Schwätzer zertreten, der in die ſtille Däm - merung meiner Blume den frechen Sonnenſchein des eiteln, breiten Tages fallen ließ! Unmündig, uner - fahren, noch ganz ein Kind, ach wohl, das war ſie freilich, das könnte ſie entſchuldigen bei Dem und Je - nem, vielleicht auch bei mir, aber bin ich darum weni - ger betrogen, hilft mir das ihr entſtelltes Bild herſtel - len, hilft es meiner verbluteten Liebe das Leben wie - der einhauchen? Ich fühl’s, hier iſt an kein Ausglei - chen mehr zu denken. Vergeſſen, was ich einſt beſaß, das bleibt das Einzige, was ich verſuchen kann.

Dieß waren die Empfindungen des Malers und ſie blieben noch immer dieſelben, während im Förſter - hauſe zu Neuburg durch Larkens’s Vermittlung längſt Alles wieder einen friedlichen Gang angenommen hatte. Zwar wunderte es den Alten, daß jene vertrau - ten Eröffnungen ganz mit Stillſchweigen übergangen wurden, doch hielt er zulezt dafür, es geſchehe mit Abſicht und der Schwiegerſohn wolle den gehäſſigen Gegenſtand für jezt nicht berührt wiſſen. Was Agne - ſens inneres Leben betrifft, ſo verhüllte ſich jener hoffnungsloſe Wahn, der die Unglückliche noch immer beherrſchte, vor dem Vater und gewiſſermaßen vor96 ihr ſelbſt unter dem Eifer, womit ſie Noltens Liebe durch ſchriftlichen Verkehr noch eine Zeit lang nähren zu müſſen glaubte, und während ſie ſich einzig nur auf ſeine Ruhe bedacht ſchien, wollte ſie keineswegs gewahr werden, wie begierig das eigene Herz bei dieſem ſüßen Geſchäfte ſein Theil für ſich wegnahm, wie gerne es, den Willen des Schickſals gleichſam hintergehend, den holden Tönen lauſchte, welche Larkens täuſchend ge - nug dem wirklichen Geliebten nachzuſpielen wußte. Uebrigens blieb Vetter Otto immer das gefürchtete Augenmerk ihrer kranken Einbildung; er ſelbſt hatte ſich, nachdem ihn der Förſter in aller Stille ernſtlich abgewieſen, beſchämt und ärgerlich zurückgezogen.

Die Zigeunerin war inzwiſchen auch wieder zum Vorſchein gekommen; Agnes offenbarte ihr bei einer heimlichen Zuſammenkunft den Plan ihrer Entſagung, womit die Betrügerin ſehr zufrieden ſchien, und ſogar einen Brief an Nolten zu beſorgen verſprach.

Auf dieſe Weiſe ſtanden die Perſonen eine ge - raume Zeit in der wunderlichſten Situation gegen ein - ander, indem Eines das Andere mit mehr oder weniger Falſchheit, mit mehr oder weniger Leidenſchaft zu hin - tergehen bemüht war.

Nolten kam um ſo weniger in Verſuchung, dem Schauſpieler den wahren Grund ſeiner Entfremdung von der Braut zu entdecken, da dieſer nicht weiter in ihn drang, indem er, vielleicht von eigenen Erfahrun - gen in der Liebe ausgehend, Alles nur einer ekeln97 Lauheit zuſchrieb, wogegen kein anderes Heilmittel ſey als die Zeit, von der er denn auch mit größter Zuverſicht das Beſte hoffte, wenn nur ſein Freund, erſt anderwärts durch leichten Schaden klug geworden, die Anſicht mit ihm theilen gelernt hätte, daß die ver - feinertſten Reize der weiblichen Welt keinen Erſatz für ein ſo ſeltenes Gut gewähren, als jenes einfache Mädchen nach der Ueberzeugung des Schauſpielers war.

Wenn alſo zwiſchen beiden Freunden die Sache nur ſehr wenig berührt wurde, ſo fehlte es gleich - wohl nicht an Auftritten wie der, deſſen ſich der Le - ſer vielleicht noch von jener Neujahrsnacht erinnert, wo übrigens unſer Maler von einer offenen Darle - gung der Umſtände nur noch durch die Furcht abge - halten ward, der Schauſpieler möchte ihm in’s Ge - wiſſen reden, und das zur höchſten Unzeit, da ihm in Conſtanzen ein neues herrliches Geſtirn aufging.

Länger als gewöhnlich entbehrte Theobald die Gelegenheit, das Zarlin’ſche Haus zu beſuchen. Der Graf und Conſtanze hatten eine längſt vorgehabte Reiſe zu einer Verwandten ausgeführt. Zwölf Tage verſtrichen ihm unter leeren Zerſtreuungen, unter der peinlichſten Unruhe, denn frühe genug hatten ſich ver - ſchiedene Zweifel über das hohe Glück bei ihm einge - ſtellt, das er ſich vielleicht zu voreilig aus dem ſon -798derbaren Vorfall in jener Ballnacht gedeutet haben konnte. Daß Conſtanze unlängſt in ſeiner und an - derer Freunde Gegenwart, als eben von der Blumen - ſprache die Rede war, aus Gelegenheit eines blühen - den Granatbaums das feurige Roth deſſelben für das Symbol lebhafter Neigung erklärt hatte, indem ſie ſich dabei ſchalkhaft geheimnißvoll auf das Urtheil Noltens als beſonders paſſionirten Kenners vor - zugsweiſe berief, und daß ihm eine Woche ſpäter von unbekannter Hand ein ſolcher Strauß war angeheftet worden, konnte ſehr leicht bloße Neckerei des Zufalls ſeyn, oder wohl gar, und dieſer Meinung ſind wir ſelbſt, der Schelmſtreich einer luſtigen Perſon, welche nicht nur jenen Ausdruck der Gräfin mit an - gehört, ſondern auch dem Maler ſeine ſchwache Seite längſt mochte abgelauſcht haben. Er befand ſich deß - halb in der größten Ungewißheit; nur ſo viel ſchien ihm bisher ausgemacht, daß die Gräfin damals auf dem Balle geweſen, und jezt erſt fiel ihm ein, ſich näher zu erkundigen. Aber auch wenn er manchmal ſich ſelbſt gefliſſentlich die vielverheißende Bedeutung jenes Zeichens ausredete, wenn er Alles verwarf, was er ſich ſonſt zu ſeinem Vor - theil ausgelegt, ſo konnte er am Ende bei jedem Blick in ſein Inneres bemerken, daß ein unerklärlicher Glaube, eine ſtille Zuverſicht in ihm zurückgeblieben war, und er nahm ſodann dieſe wunderſame Hoffnung gleichſam wieder als ein neues Orakel, dem er unbe - dingt zu vertrauen habe. So eigen pflegt der Geiſt99 mit ſich ſelber zu ſpielen, wenn jene träumeriſche Lei - denſchaft uns beherrſcht.

Endlich kam der Abend, der den auserleſenen Zirkel wieder in das Haus des Grafen lud. Mit bangen Empfindungen ſchritt Nolten, gegen die kalte Winterluft dicht in den Mantel gehüllt, an der Seite ſeines Freundes Larkens nach der geliebten Straße zu. Aber ſie ſahen die Jalouſiefenſter, deren ſanft durchſcheinendes Licht den kommenden Gäſten ſonſt ſchon von Weitem ein wohl erwärmtes, fröhlich be - lebtes Zimmer verſprach, dießmal nicht erhellt, und ſchon beſorgten ſie eine widrige Täuſchung, als der Bediente, der im untern Hausflur die Mäntel, Degen und Stöcke der Herren abzunehmen hatte, ſie hinten durch den Garten nach dem Pavillon wies, deſſen er - leuchtete Glasthüren auch wirklich ſchon von ferne die glänzende Geſellſchaft zeigten.

Sie traten in einen angenehmen, geräumigen, halbrunden Saal, deſſen Wände rings mit Spiegel - lampen verſehen waren. Maler Tillſen und der wunderliche Herr Hofrath ſind die erſten, von welchen unſer Freund ſogleich in’s Geſpräch gezogen wird. Die ſchöne Hauswirthin, von einer Menge Damen umringt, ſchien ſein Eintreten Anfangs nicht zu be - merken, aber während Theobald zuweilen mit rech - ter Ungeduld hinüber ſchielte nach den freundlich be - redten Lippen, nach dem ſtets gefällig mitnickenden Köpfchen, glitt zufällig ihr Blick über die verſammel -100 ten Gruppen hin und eine gütige Verbeugung gegen Nolten ſezte deſſen Lebensgeiſter auf Einmal in eine muntere, mit aller Welt ausgeſöhnte Bewegung. Der Graf kam indeſſen mit einer Rolle Papier her - bei und flüſterte: Hier meine Herren, wir könn - ten ſpäter nicht mehr ſo leicht dazu kommen, eine neue Zeichnung in Tuſch von unſerer eigenſinnigen Künſtlerin, die uns gerne Alles verſteckte und ver - ſchöbe, aber dießmal hab ich ſelbſt einigen An - theil an dem Lobe, das Sie ihr gönnen werden; die Idee iſt, ſo zu ſagen, hälftig mein. Er wollte eben das Blatt entrollen, als ihm von hinten eine zarte Hand in die Finger griff Erlauben meine Herren! ſagte die herbeigeeilte Schweſter, merklich erröthend, es iſt billig, daß ich die Sache ſelbſt vorzeige: zu ſeiner Zeit, heißt das! ſezte ſie lachend hinzu und eilte mit dem Blatte nach dem Schrank, wo ſie es trotz aller Einſprache der Anweſenden raſch verſchloß. Sie verſchwand in einem Kabinet, nach dem Thee zu ſehen.

Wenn ſie ſo auf Augenblicke abweſend war, ſo mochte Theobald gerne im ruhigſten Anſchauen ihres geiſtigen Bildes das Auge auf irgend einen der leblo - ſen Gegenſtände heften, mit dem ihre Perſon noch ſo eben in Berührung gekommen war. So ſtand auf einem ſchmalen Mahagonipfeiler an der Wand eine offene Kalla in buntgemaltem Topfe, der den goldenen Buchſtaben C. im blauen Schilde trug. Dieſe Pflanze,101 dachte er bei ſich, nimmt ſie nicht in meiner Einbildung einen Theil von Conſtanzens eigenem Weſen an? Ja, dieſer herrliche Kelch, der aus ſeiner ſchneeigen Tiefe die mildeſten Geiſter entläßt, dieſe dunkeln Blät - ter, die ſich ſchützend und geſchüzt unter das ſtille Hei - ligthum der Blume breiten, wie ſchön wird durch das Alles die Geliebte bezeichnet und was ſie umgibt! wie vertritt die Pflanze mir durch ihre ahnungsvolle Ge - genwart die himmliſche Geſtalt!

Unverſehens war Conſtanze wieder da, die Ge - ſellſchaft dießmal allein bedienend. Sie brachte endlich Theobalden die Taſſe, und indeß Larkens eine neue Anekdote zu allgemeiner Beluſtigung Preis gab, nahm je - ner Anlaß, ſich ſcherzhaft gegen Conſtanze wegen der vorenthaltenen Tuſcharbeit zu beſchweren.

Ei, war die Antwort, Sie haben’s nicht um mich verdient, Sie haben mir neulich einen übeln Schrecken zugefügt, der mir wohl das Leben hätte koſten können, zwar bloß im Traume.

Wie? meine Gnädige, ich wäre ſo unglücklich geweſen? und ſo glücklich doch, daß mein Bild im kleinſten Ihrer Träume ?

Das eben nicht, doch ja, Ihr Bild, ein Bild aus Ihrer Phantaſie.

Wie ſo, wenn ich fragen darf?

So hören Sie und lachen mich aus! Vorige Nacht beliebte es Ihrer geſpenſterhaften Orgelſpielerin, ungebührlicherweiſe aus dem Rahmen des ſchauer -102 lichen Gemäldes heraus zu ſchreiten und leibhaftig vor mich hinzutreten.

Nolten war beſtürzt, ohne eigentlich zu wiſſen, warum.

Ja, ja, mein Herr! mit recht kurioſen, hämi - ſchen Augen ſtarrte ſie mir tief in’s Geſicht und ſagte nein! das ſollen Sie jezt nicht hören.

Ich bitte!

Nehmen Sie ſich in Acht

Sagte ſie?

Nicht doch, das ſag ich; eben gleitet Ihnen ja die Taſſe aus der Hand!

Wirklich faſt Aber was ſprach der Geiſt? fragte Nolten dringend auf’s Neue, und nach einer Pauſe brachte die ſchöne Frau mit kaum unterdrückter Verwirrung die Worte hervor: Conſtanze Joſe - phine Armond wird auch bald die Orgel mit uns ſpielen.

Aber, mein Gott, erwiderte Nolten, doch hat der Traum Sie nicht erſchrecken können?

Bis zum Erwachen doch; übrigens dank ich ihm, daß er mir Anlaß gibt, meinem etwaigen Berufe zu dieſer Gattung von Muſik, ſo wie meiner Aufnahme in ſo ernſte Geſellſchaft, auch ein wenig nachzudenken.

Theobald, wie er nun wieder allein ſtand, wußte nicht, was er aus den lezten Worten machen ſollte; dem Tone nach konnten ſie nur für Scherz gelten, aber das Ganze hatte einen ſtörenden Ein -103 druck bei ihm zurückgelaſſen. Warum denn juſt dieſe Figur? Er wußte zu gut, daß er gerade in ihr das getreue Portrait eines Zigeunermädchens, einer Perſon dargeſtellt hatte, welche einſt verhängnißvoll genug in ſein eigenes Leben eingegriffen hatte. Auf der andern Seite ließ ſich Alles und Jedes ganz natürlich aus dem ſtarken Eindruck erklären, welchen das Gemälde auf eine ſehr empfängliche Einbildungskraft machen mußte.

Was übrigens den Muth unſers Freundes noch weit mehr niederſchlug, das war die aus dem Ver - folg des allgemeinen Geſprächs für ihn hervorgegangene Gewißheit, daß Conſtanze damals wirklich nicht an der Maskerade Theil genommen, ſondern bereits auf der Reiſe begriffen geweſen.

Die nicht mehr erwartete Ankunft des Herzogs verurſachte eine plötzliche Bewegung. Nolten aber, ſtatt durch die Gegenwart ſeines Rivals nur immer trüber und unmächtiger in ſich ſelbſt zu verſinken, fühlte ſich dadurch zu einem gewiſſen Kraftaufwande genöthigt, der, obgleich Anfangs nur erkünſtelt, doch bald, von Larkens ehrlicher Munterkeit unterſtüzt, eine wohlthätige Wirkung auf das Ganze ausübte. Vorzüglich willkommen war es Theobalden, als man endlich auf den Wunſch des Herzogs ſelbſt An - ſtalt machte, ein gewiſſes Spiel vorzunehmen, das auf eine ſinnreiche Art drei verſchiedene Künſte in Ver - bindung brachte, den Tanz, die Malerei oder Zeich - nung, und untergeordneter Weiſe die Muſik. Dieß104 ſezt jedoch folgende Bemerkung voraus. Conſtanze, bekannt als fertige und geiſtreiche Zeichnerin, war zu - gleich eine große Freundin des ſchönen künſtlichen Tanzes und entwickelte namentlich bei Solopartien eine hohe Grazie. Nun hatte Nolten einmal ge - legentlich den Einfall geäußert, es müßte eine artige Unterhaltung abgeben, wenn einige Perſonen in Zeit von einer kleinen Stunde zuſammen ein Tableau, irgend eine Scene zeichneten, indem ſie den Kreiden - ſtift von Hand zu Hand gebend, nach einer langſamen Melodie tanzend, abwechslungsweiſe vor eine aufge - richtete Tafel träten und den darzuſtellenden Gegen - ſtand immer nur um einige Striche weiter förderten, bis zulezt eine harmoniſche Kompoſition zum Vorſchein käme, über die man ſich zuvor im Allgemeinen ver - ſtändigt, deren Einzelheiten aber der augenblicklichen Eingebung eines Jeden überlaſſen war. Der Ge - danke fand Beifall, und nach einigem Beſprechen zeigte ſich die Möglichkeit ſeiner Ausführung vollkommen, obwohl man Anfangs verlegen war, die gehörige An - zahl von Tänzern, die auch zugleich gute Zeichner wären, und umgekehrt, zu finden. Doch hiezu wußte man Rath. Nolten ſelbſt, obgleich ein abgeſagter Feind alles des Schlendrians, um den ſich unſere Ballbeluſtigungen gewöhnlich zu drehen pflegen, beſaß doch Leichtigkeit der Glieder und reinen Sinn genug für eine edle rhythmiſche Bewegung. Die dritte Rolle mußte nothwendig Herrn Tillſen übergeben werden,105 denn wenn vielleicht auch der ungeübteſte Tänzer im - mer noch beſſer geweſen wäre als er, ſo blieb doch die andere Eigenſchaft die wichtigere. Und, ſagte er verbindlich zu der Gräfin, neben Ihnen würde ein Beſtris überſehen werden, glücklicher Weiſe alſo auch Tillſen, der ich in dieſem Stück zum Voraus allem Neid und jedem Ruhm entſage.

Seitdem hatte man dieſe Unterhaltung ſchon et - liche Abende mit Glück verſucht. So ließ man denn auch jezt die eigens hiezu beſtimmte große Tafel auf - ſtellen, deren angenehm grau lackirte Fläche recht ei - gentlich einladend ſich dem ſchwarzen Stifte darbot. Ein ſchöner Fußteppich lag unmittelbar davor auf dem Boden gebreitet, für eine ſtärkere Beleuchtung war ebenfalls geſorgt. Die drei Virtuoſen kamen heimlich in der Wahl eines anziehenden Sujets über - ein. Larkens nahm die Violine zur Hand und er - öffnete das Spiel mit einer gewiſſen Feierlichkeit, da - durch die Erwartung nur noch mehr geſpannt wurde. Jezt trat Conſtanze, im weißen Atlaskleide, mit ernſtem Schritt hervor, ſtellte ſich einige Momente ſinnend der Tafel gegenüber, allmählig fing ihre Ge - ſtalt an mit der Muſik ſich zu heben, in mäßiger Bewegung bald nach beiden Seiten ſchwebend, bald der Tafel entgegen. Sie ſchien dabei noch immer den erſten entſcheidenden Strich zu überlegen, jezt hielt ſie vor dem Brette ſtill, indem ſie leicht vorgebeugt auf dem rechten Fuße feſtſtehend, den linken rückwärts106 auf die Zehe geſtüzt, die Kreide anſezte. Das beglei - tende Adagio der Violine ſchien die Hand gefällig auf der glatten Fläche hinzuführen. Bald erkannte man die Umriſſe eines lieblichen Knabenkopfs, welcher mit dringenden Blicken bittend an etwas hinaufſieht. Die - ſer Ausdruck des Affekts war von der Art, daß er in der vorgreifenden Phantaſie des Zuſchauers beinahe jezt ſchon ein paar flehend ausgeſtreckte Arme und Hände hervorrufen mußte. Doch die Zeichnerin hielt inne, und unter einem Allegro zurücktretend, beobach - tete ſie, während ihr reizender Leib ſich hin und her wiegte, das angefangene Werk noch eine kleine Weile. Mit einer Verbeugung empfing Tillſen die Kreide aus ihrer Hand und ohne viel Umſtände ſtellte dieſer Meiſter mit raſchen Zügen den oberen kraftvollen Körper eines Mannes in drohender Geberde dem Mitleid fordernden Geſichtchen gegenüber. Die Begierde der Geſellſchaft wuchs mit jeder Linie; es ließen ſich ſchon einige Beifall rufende Stimmen vernehmen, es hieß: der junge Prinz Arthur iſt’s, wie er vor ſei - nem Mörder ſteht! Aber der freudigſte Applaus ent - ſtand, als Conſtanze, nachdem Tillſen für Theo - bald den Platz geräumt, vom Eifer ihres Gedankens hingeriſſen, dem Leztern in den Weg ſprang und nun die beiden großen Geſtalten mit trefflich mimiſcher Heftigkeit um das Vorrecht der Kreide rangen, die denn zulezt in zwei geſchickte Theile brach, worauf das Paar bei lebhafter Muſik ein verſchlungenes Duo107 tanzte, um dann vereinigt vor die Tafel zu ſchreiten. Die Hauptſache war in kurzer Zeit gethan, die Ver - ſammlung drängte ſich herbei, inzwiſchen Tillſen noch mit einigen derben Strichen nachhalf. Man lobte, tadelte, lachte, bewunderte, wie es auch bei einer ſolchen Stegreifproduktion nicht fehlen konnte, daß neben den glücklichſten Spuren eines umfaſſenden, gleichartigen Geiſtes doch immer etwas Inkorrektes oder Halbes hervorſprang. Im Ganzen war die Scene ſo wohl gerathen, daß Tillſen der Aufforderung gerne nachgab, ſie gelegentlich für das kleine Geſell - ſchaftsarchiv zu kopiren.

In der Hitze des Hin - und Widerredens war in - deſſen kaum Jemanden aufgefallen, wie Conſtanze mit jedem Augenblicke blaß und bläſſer wurde. Sie entfernt ſich in ein Seitenzimmer, man flüſtert, die Damen eilen nach, Alles wird aufmerkſam, der Herzog läßt ſich nicht halten, ſie ſelbſt zu ſehen, er klagt ſich an, daß er den anſtrengenden Tanz verlangt, am mei - ſten iſt Nolten beſtürzt. Es kann ihm nicht entge - hen, daß unter der Thüre noch Conſtanzens lezter Blick mit einem matten ſonderbaren Lächeln auf ihm ruht. Endlich geht man auseinander, nachdem der Graf, aus dem Kabinete tretend, die Verſicherung gegeben, man habe von dem Anfall keine Folgen zu befürchten.

In den folgenden Tagen erging vom Grafen eine Einladung an Theobald, gemeinſchaftlich das un -108 fern der Stadt gelegene Luſtſchluß des Königs, Wet - terswyl, zu beſuchen, wo man eben im Begriff war, mehrere kürzlich vom Ausland angekommene Statuen aufzuſtellen. Der italieniſche Künſtler mußte ſelbſt dabei zugegen ſeyn, und ſowohl die Perſönlichkeit des Leztern als jene Werke lockten manchen Gebildeten und manchen Neugierigen heraus. Unſerem Freunde war die Gelegenheit nicht minder erwünſcht, doch zog er es vor, den angenehmen, auch zur Winterszeit im - mer noch gar mannichfaltigen Weg dahin allein zu Pferde zu machen, während der Graf im Schlitten fuhr. Der heiterſte Januarmorgen begünſtigte den Ausflug; die Sonne war kaum aufgegangen, als Theobald ſchon, in lebhaftem Trabe ſich erwärmend, von der Straße ab, den ſchönen einſamen Gründen zuſtrich, welche, größtentheils von Fichten und Niederwald beſezt, all - mählig der Höhe des königlichen Parks zuführten. Rings gewährte die Landſchaft, in dichter Schneehülle und nur von dunkeln Waldſtrecken durchbrochen, ein vollſtändiges Wintergemälde, und die Gemüthsſtimmung Noltens nahm dieſe ſtillen Eindrücke heute ganz be - ſonders willig auf. Eine unbeſtimmte Miſchung von Lebensluſt und Wehmuth lag allen ſeinen Betrachtun - gen zu Grunde, wobei er Anfangs deutlich zu fühlen glaubte, daß die Neigung zu Conſtanzen keinen oder doch nur einen ſehr entfernten Antheil daran habe, bis ihm mitten unter ſeinen Träumereien ein längſt vergeſſenes Lied von Larkens wieder vor der Seele109 aufging, welches ihm ſeinen gegenwärtigen Zuſtand wunderbar zu erklären ſchien. Er wiederholte ſich die Verſe ſeines Freundes, und konnte zulezt nicht umhin, ſie laut für ſich zu ſingen.

In dieſer Winterfrühe,
Wie iſt mir doch zu Muth?
O Morgenroth! ich glühe
Von deinem Jugendblut.
Es glüht der alte Felſen,
Die Wälder Funken ſprühn;
Berauſchte Nebel wälzen
Sich in dem Thale hin.
Wie von der Höhe nieder
Der reinſte Himmel flimmt,
Der nun um Roſenglieder
Entzückter Engel ſchwimmt!
Und Wunderkräfte ſpielen
Mir fröhlich durch die Bruſt,
In taumelnden Gefühlen
Kaum bin ich mir bewußt.
Mit thatenluſt’ger Eile
Erhebt ſich Geiſt und Sinn,
Und flügelt gold’ne Pfeile
Durch alle Ferne hin.
Wo denk ich hinzuſchweifen?
Faßt mich ein Zauberſchwarm?
Will ich die Welt ergreifen
Mit dieſem jungen Arm?
110
Auf Zinnen möcht ich ſpringen,
In alter Fürſten Schloß,
Möcht hohe Lieder ſingen,
Mich ſchwingen auf das Roß;
Und ſtolzen Siegeswagen
Stürzt ich mich brauſend nach,
Die Harfe wird zerſchlagen,
Die nur von Liebe ſprach.
Wie? ſchwärmſt du ſo vermeſſen,
Herz! haſt du mich bedacht,
Haſt, Närrchen, ganz vergeſſen,
Was dich ſo trunken macht?
Ach wohl, was aus mir ſinget
Iſt nur der Liebe Glück;
Die wirren Töne ſchlinget
Sie ſanft in ſich zurück.
Was hilft, was hilft mein Sehnen!
Geliebte, wärſt du hier!
In tauſend Freudethränen
Verging die Erde mir.

Bei ſeiner Ankunft im Schloſſe fand er den Ita - liener, einen lebhaften Mann von mittleren Jahren, in komiſch leidenſchaftlichem Kommando mit den Leuten begriffen, welche die marmornen Kunſtwerke in dem Hauptſaale aufzuſtellen hatten. Zwiſchen Zorn und Spaß ſchrie und lachte der Strudelkopf auf das Grellſte und brauchte zuweilen auch wohl den Stock gegen einen der Arbeiter, wovon keiner ſeine Sprache verſtand. 111Theobald, nach einer ſorgfältigen Beachtung der in ihrer Art einzigen Skulpturen, redete den Fremden italieniſch an, und würde ſich bei ſeiner Unterhaltung hinlänglich intereſſirt gefunden haben, wäre das Be - ſtreben des Fremden, immer nur recht paradox zu ſeyn und das Ernſthafte ins Lächerliche zu ziehen, nicht allzu widrig aufgefallen. Ja, am Ende, als der künſtleriſche Charakter Theobalds zur Sprache kam, konnte der Mann eine gewiſſe tückiſche Neckerei nicht laſſen. Halb gekränkt und unwillig entzog ſich unſer Freund, um auf die ſpätere Ankunft des Grafen ein fruga - les Mittagsmahl in der Meierei zu beſtellen. Müſſig wie er war, beſah er ſich ſodann die Umgebun - gen und die innere Einrichtung des fürſtlichen Aufent - halts. Mehrere Zimmer gewährten eine reiche und belehrende Unterhaltung an ausgeſuchten Malereien; es war leicht, ſich in dieſen geſchmackvollen Räumen auf einige Zeit ſelber zu vergeſſen, und ſo ſtand er eben betrachtend mit ſich allein, als ihm der entfernte Spie - gel eines dritten Zimmers zwei von der entgegengeſezten Seite herbeikommende Perſonen zeigte, in denen er bei genauerem Hinblicken endlich den Grafen, und gegen alle ſeine Erwartung, Conſtanzen ſelbſt erkennen konnte. Ganz außer Faſſung gebracht ſchaute er un - verrückt mit klopfendem Herzen noch immer auf die nah und näher im Spiegel herbeiſchwebenden Geſtalten, bis die Tritte hinter ihm rauſchten, und ſeinerſeits ein ziemlich verwirrtes, andererſeits ein durchaus unbefan -112 genes und fröhliches Willkommen Statt fand. Nie war ihm die Gräfin ſo reizend, ſo anmuthig vorgekommen, ſie trug ein mild graues Kleid mit rothen Schnüren, Gürtel und Schleifen, deren Faltung und Farbe ihm flüchtig die Granatblüthe wieder in das Gedächtniß rief; an die zarte Wange, von der friſchen Luft mit einem leiſen Karmin überhaucht, legte ſich ein weißer Pelz, und der zurückgeſchlagene Schleier ließ dem Be - ſchauer den Anblick des holdeſten Geſichtes frei. Man kehrte für’s Erſte zu den neuen Sehenswürdigkeiten und ihrem tollen Meiſter zurück, an deſſen Art und Weiſe der Graf ſich dergeſtalt erbaute, daß die Schwe - ſter, ſich mit einiger Ungeduld nach Anderem umſehend, den Vorſchlag Noltens, in den mannichfaltigen Sälen hin und wieder zu wandeln, nicht ungerne annahm. Gar bald ging ihre Unterhaltung auf eigene Verhält - niſſe und Perſönlichkeiten über, denn Noltens lei - denſchaftlich beengte und zurückhaltende Stimmung gab Conſtanzen Anlaß, einen leichten Vorwurf gegen ihn auszuſprechen, den er ſogleich ergriff und in’s Allge - meine über ſich ausdehnte.

Sie haben Recht! ſagte er, und nicht heute, nicht in gewiſſen Augenblicken bloß bemächtigt ſich mei - ner dieſer läſtige, mir ſelbſt verhaßte Mißmuth; es iſt keine Laune, die nur kommt und geht, es iſt ein ſtetes unruhiges Gefühl, daß es anders mit mir ſeyn ſollte und könnte, als es iſt.

Wie meinen Sie das? Sollte Ihnen Ihre Lage113 nicht genügen? Das wäre mir doch kaum gedenk - bar.

Sprechen Sie’s geradezu aus, gnädige Frau: Es wäre unbillig. Wohl, es iſt wahr, ich könnte glücklich ſeyn, aber ich weiß nicht eigentlich zu ſagen, warum ich es nicht bin. Ich wäre undankbar, wollte ich nicht gerne bekennen, daß während meines ganzen Lebens ſich alle Umſtände vereinigten, mich endlich bis zu dem Punkte zu führen, auf dem ich jezt ſtehe, in eine Lage, die mancher andere und würdigere Mann vergebens ſuchte. Ein günſtiges Schickſal, ſo grillenhaft und mißwollend es mitunter ſcheinen mochte, trug nur dazu bei, ein Talent in mir zu fördern, in deſſen freier Ausübung ich von jeher das einzige Ziel meiner Wünſche erblickt hatte. Manche Arbeit iſt mir gelungen, ich habe, wenn ich meinen Freunden glauben darf, den höheren For - derungen der Kunſt einiges Genüge gethan, und, was mir faſt eben ſo lieb ſeyn ſollte, man hat von der Zu - kunft größere Erwartungen, ohne daß mir vor ihrer Erfüllung bange wäre. Ein unendliches Feld dehnt ſich vor mir aus, und wenn ich ſonſt an der Möglich - keit verzweifelte, die Welt, welche ſich in mir drängte, jemals in heiterer Geſtaltung an das Licht hervorzuführen, ſo ſeh ich, daß ſie jezt, ſobald ich recht will, von ſelber leicht und zwanglos unter meinem Pinſel ſich befreit. Aber wie kommt es, daß eben jezt mein Fleiß und meine Luſt nachläßt? Warum ſo manche Arbeit ange - fangen, ohne ſie zu vollenden? Woher die Ungeduld,8114ſich auswärts umzuthun, überall, nur nicht in meinen vier Pfählen, vor meiner Staffelei mich zu befriedigen? Was den Künſtler ſonſt wohl reizt und treibt und er - muntert, das iſt die Hoffnung auf die ruhmvolle Aner - kennung der Verſtändigen, die rege Theilnahme zunächſt ſeiner Freunde; auch mir war dieß Gefühl nicht fremd, jezt vermag es nichts mehr auf mich. Ungenüzt und trocken und verdrießlich gehn mir die Wochen dahin, und nur die Stunden glaub ich wirklich gelebt zu haben, die mir in Ihrem Hauſe vergönnt ſind. Aber nun, für einen Mann, welcher ſeine Pflicht ſo gut fühlt, als ein jeder Andere, ſagen Sie mir, iſt ſo ein Leben nicht ein unerträgliches? Und ſehen Sie ein Mittel, es zu ändern? Könnten Sie auch nur den kranken Fleck entdecken, wovon mir all dieß Unheil kommt, das mich ſo gänzlich von mir ſelber trennt und ſcheidet?

Mit Verwunderung, Nolten, hör ich Sie an, erwiderte die Gräfin, und Ihre Klagen, ich geſtehe es, mißfallen mir mehr, als daß mein Mitleid dadurch rege würde. Ich verſtehe Sie nicht ganz, nur glaub ich faſt zu ſehen, die Schuld liegt meiſt an Ihnen. Gern dacht ich Sie mir dieſe ganze Zeit her thätig, friſch und aller Hoffnung voll. Ließen nicht Ihre Ge - ſpräche nur den wärmſten Eifer blicken für Ihren Be - ruf und Alles, was dahin gehört? War Ihr Beneh - men denn nicht weit mehr heiter als zerſtreut und un - befriedigt? Wie angenehm für unſern kleinen Kreis, wenn Sie des Abends als ein mehr und mehr unent -115 behrlich werdender Gaſt bei uns erſchienen, munter, gefällig, theilnehmend an Allem, erfinderiſch für jede Art von Unterhaltung, dabei beſcheiden und ohne viel Worte. Dann, was ſoll ich’s Ihnen bergen, ſo wie auf dieſe Weiſe wir Ihnen Manches ſchuldig wurden, ſo mochten wir uns gerne überreden, daß eben in un - ſerem Hauſe eine Zuflucht für Nolten gefunden ſey, wo der Künſtler das vielfach bewegte Leben ſeines Innern harmlos und ruhig mit der Geſellſchaft zu vermitteln im Stande wäre, um immer wieder mit freigeklärter Stirne in den Ernſt ſeiner Werkſtätte zurückzukehren und ſich mit mehr Gelaſſenheit alles desjenigen zu bemeiſtern, was ſonſt mit verworrener Uebermacht betäubend und niederſchlagend auf ihn ein - drang. Ja, mein Freund, Sie mögen im Stillen meiner ſpotten, ich läugne nicht, ſo weit gingen meine Hoffnungen.

Verhüte Gott es, edle vortreffliche Frau, daß ich verkennen ſollte, was Sie mit unverdienter Güte für mich dachten! Mehr, weit mehr als Sie ſo eben angedeutet haben, könnte der herrliche Kreis mir ge - währen, wofern ich den Segen zu nutzen verſtünde, den er mir bietet. Aber, meine Gnädige, wenn gerade der neue Reiz dieſer ſchönen Sphäre einen Zwieſpalt in mir hervorbrächte, wenn der innige Antheil, den das Herz hier nehmen muß, dem weit allgemeineren Intereſſe des Geiſtes im Wege ſtünde, wenn ich, ſtatt beruhigt und geſtärkt zu mir ſelbſt zurückzukehren,116 immer das leidenſchaftliche Verlangen fühlte, in den Mittelpunkt eines ſo lieblichen Vereins alle Strahlen meines menſchlichen und künſtleriſchen Daſeyns zu verſammeln, ſie ewig dort feſtzuhalten, und ſo meinem Beſtreben einen um ſo wärmeren Schwung, einen un - mittelbarern Lohn zu verſchaffen, als der zerſtreute Beifall der Welt jemals gewähren kann?

Es liegt, antwortete die Gräfin nach einigem Nachſinnen mit Heiterkeit, es liegt in der Natur von Männern Ihresgleichen, Alles nur einſeitig zu nehmen, von Einer Seite her Alles zu erwarten, und zwar je unmöglicher, je ſchädlicher es wäre. Indeſſen, mein lieber Maler, ich bin für jezt nicht gefaßt, noch ge - neigt, in Ihren gegenwärtigen Zuſtand, in Ihr Wün - ſchen und Wollen augenblicklich rathend und helfend einzugehen. Die erhabenen Grillen dieſes Geſchlechts von Künſtlern ſind ſchwer zu faſſen, und wir ſcharf - ſinnigen Frauen haben jedes Mal Mühe, um bei der - gleichen ſubtilen Erörterungen, wo wir nur lauſchen, nur taſten und halb erwiedern können, nicht unſern Blödſinn, unſre Einfalt zu verrathen. Am Ende möchten wir bei einem Menſchen, welchem wir doch einmal herzlich wohl wollen, Alles gerne mit Einem Schlage gut machen, und, dem Unnatürlichen zum Trotz, mit der natürlichſten Auskunft dazwiſchen fah - ren. Gar oft ſind wir aber ſelbſt um eine ſolche Zauberformel verlegen, ja wenn wir ſie gefunden zu haben glauben, will es uns manchmal gefährlich dün -117 ken, davon Gebrauch zu machen, und ſo können wir zu - lezt nichts Beſſeres thun, als mit Bedeutung ſchweigen und die Herren an ihren Genius verweiſen.

Theobald machten dieſe Worte nachdenklich; ſie ſchienen ein Verſtändniß der Abſicht, welche er vorhin halb verſteckt Conſtanzen nahe gelegt, eben ſo zweideutig zu verhüllen, und obgleich ſich bereits ein guter Schluß auf die Geſinnungen der liebens - würdigen Frau daraus machen ließ, ſo hatte der muntere ablehnende Ton ihn doch etwas erſchreckt, ſogar verlezt.

Die Gräfin ſah ſich im Vorbeigehen nach den beiden Herren um; da jedoch der Italiener ſo eben in einer luſtigen und langen Erzählung begriffen war, welche für ein weibliches Ohr nicht eben von der de - likateſten Art ſeyn mochte, ſo zog ſich Conſtanze wieder zurück, und Theobald verfehlte keineswegs, ihr Geſellſchaft zu leiſten.

Sie ſtiegen die breiten Stufen zur Gartenanlage hinab, und die Gräfin bezeugte auf eine drollige und neckiſche Art ihre Freude über die Leichtigkeit, womit ſie auf der gefrorenen Schneedecke hinſchlüpfen konnte, indeß ihr Begleiter zuweilen unverſehens mit dem Fuße einſank. Aber all ihr munteres Weſen ver - mochte kaum etwas gegen den ſinnenden Ernſt des Malers. Sie kamen vor eine dunkle Gruppe hoher Forchen, welche den Eingang zu der ſogenannten ſchönen Grotte vorbereiteten. Dieſe zog ſich eine118 beträchtliche Länge unter einem reichbewachſenen Felſen fort und führte unmittelbar in den großen Saal der Orangerie. Nicht ohne vielen Sinn war die Sache ſo angelegt worden, um dem Spaziergänger eine höchſt überraſchende Szene zu bereiten, wenn man, beſonders zu dieſer Jahreszeit, aus dem todten Wintergarten in eine ſchauerliche Nacht eingetreten, nach etlichen hun - dert Schritten mit Einem Male einen hellgrünen, warmen Frühling zauberhaft aus breiten Glasthüren ſich entgegenleuchten ſah.

Theobald forderte zu einem Gang durch die Höhle auf, und die Gräfin, die den Ort noch nicht kannte, nahm nach kurzem Zaudern den Arm ihres Begleiters an. Ein eiſernes Geländer, woran man fortlief, leitete ſicher an den Wänden hin, und ſo waren Beide mit vorſichtigen Tritten eine Strecke weit gewandert, als Conſtanze, das Ende des dun - keln Ganges vergeblich erwartend, bereits ängſtlich die Umkehr verlangte. Nolten bat dringend, vollends auszuhalten und überredete ſie endlich. Aber in ſteter Furcht, einen Mißtritt zu thun, oder gegen einen Vorſprung des Felſen zu ſtoßen, hielt ſich die zarte Frau feſt und feſter an ihren Führer, und indeß Beide ſchweigend und ſachte neben einander gingen, wie ſeltſam war es unſerem Freunde, ſo viel Schön - heit und Jugend in voller und doch unſichtbarer Ge - genwart leis athmend an ſeiner Seite! Sein Herz pochte gewaltſamer, und wie ſchon das Wunderbare119 und Großartige eines ſolchen Ortes erhöhend auf die Sinne wirkt, ſo ſteigerte ſich jezt ſeine Phantaſie bis zu einer gewiſſen Feierlichkeit, Alles ſchien ihm etwas Außerordentliches, etwas Entſcheidendes ankündigen zu wollen.

Dieß trat auch nur zu bald und auf ganz an - dere Weiſe ein, als er ſich hätte je vermuthen können; denn in dem Augenblick, wo ihm vorne ein dämmernd hereinfallendes Licht den nahen Ausgang verheißt, glaubt er von derſelben Seite her eine Stimme zu vernehmen, deren wohlbekannter Ton ihn plötzlich ſtarr wie eingewurzelt ſtehen bleiben macht. Con - ſtanze fühlt, wie er zuſammenſchrickt, wie ſein Athem ungeſtüm ſich hebt, wie er mit der Fauſt gegen die Bruſt fährt. Was iſt das? um Gottes willen, Nolten, was haben Sie? Er ſchweigt. Wird Ihnen nicht wohl? Ich beſchwöre, reden Sie doch!

Keine Furcht, edle Frau! Beſorgen Sie nichts aber ich gehe nicht weiter, keinen Schritt den - ken Sie was Sie wollen, nur fragen Sie mich nicht!

Nolten! entgegnete die Gräfin mit Heftig - keit, was ſoll der unſinnige Auftritt? kommen Sie! Soll ich mich etwa krank hier frieren? Was haben Sie vor? Den Augenblick verlaſſ ich dieſen Ort werden Sie mir folgen oder geh ich allein? Laſſen Sie mich los! ich befehl es Ihnen. Er hält ſie feſter. Nolten! ich rufe laut, wenn Sie beharren!

Ja, rufen Sie! rufen Sie ihn herbei er iſt120 nicht weit von uns ich habe ſeine Stimme gehört, meines ſchlimmſten, meines tödtlichſten Feindes, Herzog Adolph iſt in der Nähe!

Nun erſt ſchien Conſtanze zu begreifen; ſie ſtand ſprachlos, ohne Bewegung.

Der Augenblick iſt da! rief Theobald, ich fühl es, jezt, jezt oder niemals muß es heraus, das Geheimniß, das ſeit Monaten an meinem Leben zehrt und frißt, das mich zu Grunde richten wird, wenn ich’s nicht endlich darf aus der Bruſt ſtoßen Con - ſtanze! ahneſt Du es nicht? O daß ich Dir in’s Auge blicken, Dir’s von der Stirne leſen könnte, Du habeſt längſt errathen!

Still, Nolten! ſchweigen Sie um meiner Ruhe willen, kein Wort weiter! Kommen Sie vor - wärts, dort an das Licht

Dorthin? nein, nimmermehr! ſeyn Sie barm - herzig Nicht, daß ich mich fürchtete vor ihm, dem Uebermüthigen ſein Anblick nur iſt mir unerträg - lich Jezt, eben jezt, als hätte die Hölle ihn be - ſtellt, mir jede meiner kurzen Seligkeiten zu vergiften! Ich haſſ ihn, haſſ ihn, weil er um deine Liebe ſchleicht, Conſtanze! Iſt’s nicht ſo? kannſt Du’s läugnen? und dürft er hoffen? Er? Gib einen Laut! Laß mich’s erfahren! Alles weißt Du, weißt, was ich leide, mein Herz, mein Verlangen kann Dir nicht unbekannt ſeyn; Engel! o himmliſcher, gib mir ein Zeichen! Laſſ 'mir ein Lispeln, mir einen ſchwachen121 Händedruck bekennen, was Du im Stillen mir zudenkſt, was deine Güte ſchüchtern mir gewähren möchte! Glaub mir, ein Gott hat uns hieher geführt, mein Innerſtes erſt bitter aufgeregt und Alles, Alles, Haß, Verzweiflung, Angſt, die unbegrenzte Wonne dei - ner Nähe zuſammengedrängt hier in dieſen verborge - nen Winkel, um endlich mein Herz hervorzurufen, mir das Bekenntniß zu entreißen, und auch deine Lippen aufzuſchließen So ſprich denn, o ſprich! die Mi - nuten ſind koſtbar! Er zog die Zitternde, Verſtummte an ſich. Ihr Haupt ſinkt unwillkürlich an ſeine Bruſt, indeß ihre Thränen fließen und ſein Kuß auf ihrem Halſe brennt. Den Mund in die dichte Lockenfülle drückend, hätte er erſticken mögen vom ſüß betäubenden Dufte dieſer üppigen Haare der Boden ſchien ſich zu theilen unter den Füßen Conſtanzens Erd und Himmel zu taumeln vor ihrem geſchloſſenen Auge in eine unendliche Nacht voll ſeliger Qualen ſtürzt ihr Gedanke hinab liebliche Bilder in flammendem Roſenſchein, wechſelnd mit drohenden, grünaugigen Larven, dringen auf ſie ein aber noch immer halten ihre Kniee ſich aufrecht, noch immer entfährt ihr kein Laut, kein Seufzer, nur von einem flüchtigen Schauder zuckt augenblicklich ihr Körper zuſammen. Mächtiger, kecker fühlt das herrliche Weib ſich umſchlungen; da rauſcht auf Einmal der Tritt eines Menſchen unfern von ihnen, jäher Schrecken faßt Theobald an, und eh er noch ſeitwärts ausbeugen kann, ſtreift ſchon das122 Kleid des Vorübergehenden an ihnen hin. Glücklich war die Gefahr überſtanden. Niemand als der Herzog kann es geweſen ſeyn. Theobald ſchöpft wieder Athem. Conſtanze, regungslos in ſeinen Armen, ſcheint von Allem nichts bemerkt zu haben. Nach einer Weile fährt ſie wie aus einem Traume empor und Fort! fort! ruft ſie mit durchdringender Stimme Wo bin ich? was ſoll ich hier? Hinweg, hinweg! Sie riß ſich heftig los und eilte voran, ſo daß Theobald kaum mehr folgen konnte. Ein blendendes Meer von Son - nenſchein empfängt die Eilenden an der Schwelle des blühenden Saales. Nolten will ſo eben die Gräfin erreichen, aber die große Glasthüre ſchlägt klirrend hinter ihr zu, ohne daß er ſie wieder öffnen könnte. Er ſieht die geliebte Geſtalt zwiſchen dem Laub der Orangen verſchwinden. Trunken an allen Sinnen, rath - los, verwirrt, in ſchmerzlicher Furcht ſteht er allein. Noch einmal verſucht er das verwünſchte Schloß umſonſt, er ſieht ſich gezwungen, rückwärts zu gehen. Wüthend rennt er eine Strecke fort bis in die Gegend der verhängnißvollen Stelle, wo er ſtehen bleibt, ſich fragt, ob es Blendwerk, ob es Wirklichkeit geweſen, was hier vorgegangen? Unmöglich ſchien es, daß noch ſo eben Conſtanze hier zwiſchen dieſen Felſen geſtan - den, daß er ſie, ſie ſelber in ſeinen Armen gehalten, ihren Buſen an dem ſeinigen klopfen gehört. Wie kalt und theilnahmlos lag jezt dieſe Finſterniß um ihn her, wie ſo gar nichts ſchienen dieſe rohen Maſſen von jener123 holden Gegenwart zu wiſſen, deren Gottheit noch ſo eben rings die Nacht purpuriſch glühen machte! Hier klang das Rufen der Geliebten, hier fiel der Tropfe aus dem ſchönen Auge! O läßt kein leiſer Geiſterton ſich hören, der mir verſichere: ja, hier war es, hier ge - ſchah’s! Begreife denn dein Glück, ungläubig Herz! umfaſſ, umſpanne den vollen Gedanken, wenn du es kannſt, denn ohne Grenzen iſt dein Glück, auch dann, wenn du ſie nimmer ſehen ſollteſt, wenn dich ihr Zorn, ihr Stolz auch auf immer verbannte! War ſie nicht dein, dir hingegeben einen vollen, unerſchöpflichen Moment? O dieſer Augenblick ſollte eine bettelarme, leere Ewigkeit reich machen können!

Glühend aufgeregt verließ der Freund den Ort, und um ſich, ſo gut es gehen mochte, noch zu ſammeln, nahm er abſichtlich einen weiten Umweg nach dem Saale, wo die Geſellſchaft bei einander war.

Sie bleiben lange aus! rief ihm der Graf ent - gegen, und haben dadurch den Herzog verſäumt, wel - cher dieſen Morgen auf eine Stunde hier geweſen, aber bereits wieder weg iſt.

Die Unbefangenheit dieſes Empfangs, den er mit einer leichten Entſchuldigung erwiederte, und die Ruhe, welche ſich in Conſtanzens Benehmen ausſprach, überzeugte Theobald hinlänglich, daß ihre und ſeine Abweſenheit nicht aufgefallen war. Dennoch wollte ihn die Art, wie die ſchöne Frau ſich anließ, befremden: ſie kam ihm beinahe wie ein anderes Weſen vor, ernſt124 ohne niedergeſchlagen, zurückhaltend und höflich, ohne abſtoßend zu ſeyn; eine gleichgültige Frage, die er an ſie richtete, beantwortete ſie mit mehr Natürlichkeit und Geiſtesgegenwart, als der Frager in dieſem Augen - blicke ſelbſt beſaß. Bei alle dem ſchien ihre Miene das, was vorgefallen war, eher ſtillſchweigend zu ver - zeihen als zu billigen, ja es hatte das Anſehen, als verläugnete ſie die Erinnerung daran ganz und gar.

Nicht mehr lange, ſo wurde das Mittageſſen an - geſagt, wozu der Graf ohne Weiteres auch den Italiener geladen hatte, zu nicht geringem Verdruſſe Noltens, der es denn auch geduldig geſchehen laſſen mußte, als Jener ſich die Gnade erbat, Eccellenza der Frau Gräfin ſeinen Arm zum Gange nach dem Meierhauſe leihen zu dürfen.

Die kleine Tafel fiel reichlicher aus, als man er - wartet hatte, denn außer dem fremden Weine, der im Schlitten des Grafen mitgekommen war, fand ſich ein ſchmackhafter und ſeltener Biſſen Geflügel ein, bei deſſen Auftiſchung der Graf zu bemerken nicht unter - ließ, daß man den trefflichen Seevogel der Galanterie Seiner Hoheit verdanke, der Herr Herzog haben ihn vorhin am großen Teiche geſchoſſen.

Der Italiener hielt ſich beſonders an den feinen Rouſſillon und ſchwazte kunterbuntes Zeug durch ein - ander, was indeſſen für Theobald zu jeder andern Zeit ärgerlicher geweſen wäre, als jezt, wo er ſeine Zerſtreuung gerne hinter dieſen Lärm verbarg. Man125 redete dem Ausländer zu Liebe, der kein Deutſch ver - ſtand, und Conſtanzen, der das Italieniſche nicht geläufig war, franzöſiſch, und unſer Freund fand in dieſer fremden Sprache eine willkommene Art von Scheidewand zwiſchen ſich ſelber und ſeinem gegenwär - tigen Gefühl; aber ſonderbarer Weiſe rückte ſich ihm auch die lebhafte Scene von heute Morgen nur um deſto mehr in das Unglaubliche, ja Conſtanze ſelbſt verſchwand ihm in eine zweifelhafte Ferne, ſo nahe ihm ihre äußere Geſtalt auch war. Er ſah die jezt ver - floſſenen Stunden, wenn er je ſie wirklich verlebt haben ſollte, wie eine längſt entflohene Vergangenheit an, aber die Gegenwart däuchte ihm deßhalb um nichts wahrhafter und gegenwärtiger und die Zukunft völlig ein Unding.

So leidlich auf dieſe Art die Stimmung Theo - balds war, ſo bitter ſollte ſie bald geſtört werden. Der fremde Künſtler nahm nach und nach Anlaß, ſeine gute Laune an dem Manne zu üben, welchen er doch in keinem Betracht als Nebenbuhler anſehen konnte. Erſt waren es leichte Spötteleien, dann höchſt indiskrete Fragen, worauf Nolten Anfangs mit gutmüthigem Spaße, zulezt mit einiger Schärfe antwortete, ohne jedoch ſeinen Gegner zu dem Grade von Wuth reizen zu wollen, welcher ſich alsbald ſehr ungeſittet hervor - that, ſo daß Nolten ſchnelle aufſtand und dem Schreier den Vorſchlag machte, den Streit außerhalb des Zim - mers mit ihm abzuthun, damit wenigſtens das Ohr126 der Uebrigen nicht beleidigt würde. Conſtanze hatte bereits den Tiſch verlaſſen.

Sie ſind Zeuge! rief der jähzornige Mann dem Grafen zu, Sie geſtehen, daß Signor meinen Scherz abſichtlich böſe mißverſtand, um mich beleidigen zu können! Aber es ſoll ihm nicht hingehen, ſo wahr ich lebe, Signor wird mir Genugthuung verſchaffen!

Sehr gern! erwiderte Theobald, doch dünkt mich, wer dieß am erſten fordern könnte, das wäre ich; indeſſen hätte ich für meine Perſon darauf ver - zichtet, weil Sie durch Ihre Reden meine Ehre nicht zu kränken vermochten, weder in meinen noch in den Augen der Anweſenden. Sollten Sie aber die Rettung der Ihrigen noch auf irgend eine Art verſuchen wol - len, ſo will ich Alles dazu beitragen, wiewohl ich mir faſt lächerlich dabei vorkomme.

Lächerlich, Signor? triumphirte der Italiener, das Wort falſch deutend, mit entſetzlichem Lachen, lächerlich? ja, ja, nun ja, da haben Sie Recht! ich kann beinahe zufrieden ſeyn mit dieſem Geſtändniß, hi, hi, hi!

Nolten wollte ſich dem Unverſchämten mit der - ber Wahrheit erklären, aber ein Wink des Grafen bat ihn um Zurückhaltung, und er folgte um ſo williger, je mehr er dabei an Conſtanzen und ihre entſchie - dene Abneigung gegen dergleichen Ehrenerörterungen dachte. Doch der Italiener wollte ſich ſeines Siegs noch weiter freuen, er wandte ſich gegen ſeinen Mann127 mit den Worten: Gratuliren Sie ſich, daß Sie ſo wegkommen, mein Herr Maler! Künftig etwas beſchei - dener, will ich gerathen haben! Sie dürften ſonſt eine deutſche Klinge mit einer welſchen meſſen, oder daß ich es recht ſage, ich möchte mir leicht einmal den Spaß machen, und mein scarpello aufheben gegen einen deutſchen Pinſel; verſtanden?

Wohl, mein Herr, verſezte Nolten ruhig, ich bin der Meinung, Sie machten die Probe je eher je lieber; ich werde mich dießfalls heute noch in beſter Form eines Nähern bei Ihnen vernehmen laſ - ſen. Was inzwiſchen den deutſchen Pinſel betrifft, ſo mögen Sie immerhin den Maler in mir verachten, und zwar noch ehe Sie ihn kennen gelernt haben, ich bin gegen den Bildhauer gerecht, deſſen Werke ich vorhin geſehen habe; ſie ſind vortrefflich, und ſind es ſo ſehr, daß es der frechſten Lüge gleich ſieht, wenn Sie, mein Herr, ſich den Schöpfer derſelben nennen.

Dieſer lezte Ausfall machte den Fremden offen - bar ein wenig betroffen, obgleich er gethan, als hörte er nichts; aber er wurde noch verlegener, da Nolten ihm tiefer in’s Geſicht ſchaute, den Kopf ſchüttelte und mit einem zweifelnden Lächeln dem Grafen zu - winkte; noch einen prüfenden Blick auf die ſelt - ſame Phyſiognomie des Italieners, noch einen, und wieder einen und Gemach, mein Freund! rief Theobald, den Burſchen am Schnurrbart packend, da er eben aus der Thür ſchlüpfen wollte, ich glaube,128 wir kennen uns! Wunder! der falſche Schnurr - bart blieb Nolten in den Fingern, der arme Teufel ſelber fiel zitternd auf ſeine Kniee, es war kein an - derer Menſch als Barbier Wispel, der entlau - fene Bediente Noltens.

Der Graf traute ſeinen Augen kaum bei dieſer Scene, und unſer Freund, ungewiß, ſollte er lachen oder zürnen, rief: Du unterſtehſt dich, Elender, nachdem du mich einmal ſchändlich beſtohlen, auf’s Neue deinen Betrug, deine Narrheit an mir und in dieſer Gegend auszuüben, wo dich das Zuchthaus er - wartet? Wie kommſt du nur zu dieſen Kleidern, wie kommſt du überhaupt dazu, dieſe apokryphiſche Rolle zu ſpielen?

In der That konnte Nolten trotz aller ange - nommenen und wirklichen Indignation ein herzliches Lachen kaum zurückdrängen. Es nahm ihn nun gar nicht mehr Wunder, wie er ſich eine Zeitlang wirklich in der Perſon dieſes Menſchen täuſchen konnte; denn es war bei Weitem nicht der magere, ſplitterdünne Wispel mehr, es mußte ihm auf ſeinen neuen Rei - ſen ganz beſonders wohl ergangen ſeyn, auch von ſei - nen früheren Manieren hatte ſich Vieles verwiſcht, oder legte er ſie auf einige Stunden ab, und dann die künſtlich braun gefärbte Haut, veränderte Stimme, verſtellte Friſur, Bart und ſonſtige Ausſtattung, Alles half zu dieſem närriſchen Quiproquo. Aus ſeinen Bekenntniſſen ergab ſich nach und nach, daß er in die129 Dienſte des fremden Künſtlers ungefähr auf dieſelbe Weiſe gekommen war, wie einſt in Theobalds; es ging dieß um ſo leichter an, da ihm von ſeinen frühe - ren Landſtreichereien noch einige Kenntniß der Sprache ſeines Herrn geblieben war, und er dieſem als Dol - metſcher auf ſeiner Reiſe nach Deutſchland, an deſſen Grenze ſie ſich kennen gelernt, gar oft nützlich ſeyn konnte. Die guten Kleider, die er am Leibe trug, waren theils Geſchenk ſeines Herrn, theils hatte er ſich zu Ausführung des gegenwärtigen Prunkſtückchens die Garderobe des Künſtlers heimlich zu Nutze ge - macht. Der Italiener, erſt vorgeſtern angelangt, hielt ſich in der Stadt auf, und ſollte erſt dieſen Abend zu Anordnung der Bildwerke herauskommen, weil aber durch ein Mißverſtändniß die Handlanger ſchon in der Frühe vergeblich hieher geſprengt worden, ſo empfand Wispel einen unüberwindlichen Reiz, vor dieſen Leuten und den etwa ſich einfindenden Fremden jenen berühmten Mann vorzuſtellen, deſſen bizarres Weſen er zwar mit Uebertreibung, doch nicht ganz unglück - lich, nachzuahmen wußte. Es ſey ihm ſelber, geſtand er nun, ſehr leid geweſen, als ihm Nolten, ſein ehemaliger Gebieter, ſo unerwartet in den Wurf ge - kommen, und noch jezt wiſſe er nicht recht, was ihn verführt habe, augenblicklich eine offenſive Stellung gegen ihn anzunehmen.

Aber Menſch, wie konnteſt du ſo unbegreiflich9130grob, ſo frech gegen mich ſeyn? Weißt du, was du noch im Reſt bei mir ſitzen haſt?

Ach, mein charmanteſter, mein göttlicher Herr, wie ſollt ich’s nicht wiſſen? aber das ſteht ja in gu - ter Hand es mag etwa eine halbe Carolin ſeyn, was Sie mir an meinem Lohn noch ſchulden Ba - gatell wenn Sie gelegentlich, aber wohl verſtanden, nur ganz gelegentlich, das Pöſtchen

Hier bekam Wispel unverſehens einen Backen - ſtreich von Theobalds Hand, daß ihm die Haut feuerte. Schandbube! eine Anweiſung in’s Spinn - haus bin ich dir ſchuldig! Aber gib Rechenſchaft über das, was ich eben frage: wie warſt du fähig, gegen deinen ehemaligen Wohlthäter dich ſo zu vergeſſen?

Ach, antwortete er, ganz wieder mit ſeiner ge - wohnten Affektation, mit jenem Hüſteln und Blinzeln, dem Himmel is es bewußt, wie das zuging, ich wollte mich durch ſolch ein Betragen gleichſam unkenntlich machen, mich gegen meine eigene Rührung verſchan - zen, daher meine Wuth, meine Malice, auch läugn ich nicht, es war vielleicht ein ein vielleicht ein Kitzel, das heiße Blut des Südens an mir ſelbſt zu bewundern, und ſo und dann aber gewiß werden Sie mir zugeben, Monſieur, ich habe den - hern Ton der Chikane und den eigentlichen vornehmen Takt, womit das point d’honneur behandelt werden muß, mir ſo ziemlich angeeignet. Wie? ich bitte, ſagen Sie, was denken Sie?

131

Mit dieſem lezten Zuſatz war es ſeiner Eitelkeit ſo völlig Ernſt, er war ſo geſpannt auf ein ſchmeichel - haftes Urtheil Noltens, daß dieſer und der Graf nur ſtaunten über die unſinnigſte Art von Ehrgeiz, womit dieſes Subjekt wie mit einer Krankheit geſtraft war. Erinnerte man ſich vollends der einzelnen Mo - mente, in denen der Menſch ſeit heute früh ſich ſtu - fenweiſe, zuerſt bei der Ankunft Theobalds, dann bei’m Grafen, endlich als Weltmann bei der Gräfin geltend gemacht, ſo hätte man ſich beinahe ſchämen müſſen, wäre die Sache weniger luſtig und neu ge - weſen. Sogar Conſtanze, welche vom Bruder her - beigerufen ward, konnte, nachdem ſie den unglaublichen Betrug eingeſehen, ſich des Lächelns nicht enthalten, obgleich ſie den Entlarvten, deſſen Beſchämung ſie ſich ſchmerzlicher als billig vorſtellte, mit einem faſt pein - lichen Gefühl, wie einen armen Verrückten, betrachtete. Die Fragen, welche ſie etwa an ihn that, bildeten durch ihre wahrhaft naive Delikateſſe einen faſt komiſch rührenden Kontraſt zwiſchen der edlen Frau und der verächtlichen Kreatur. Theobald fand ſich hiedurch auch wirklich zu einem gewiſſen Grad von Mitleid mit dem ärmlichen Sünder bewogen, und als Wispel auf das Beredteſte ihn um Wiederaufnahme in ſein Haus erſuchte, konnte er ſich zwar hiezu nicht ver - ſtehen, aber er verſprach, ihm außer einer Warnung, die man dem Italiener ſchuldig ſey, keineswegs ſcha - den zu wollen. Hierauf verabſchiedete ſich Wispel132 mit gehörigem Anſtand, er wollte Conſtanzen die Hand küſſen, was jedoch höflich verbeten wurde.

Die Geſellſchaft verhehlte ſich den im Ganzen verſöhnenden Eindruck nicht, welchen der lezte Auftritt bei ihr zurückgelaſſen hatte. Bei der Gräfin ſelbſt war der Rückblick auf den heutigen Morgen leichter, weil ſeine Wirkung wenigſtens äußerlich durch ſo manches Andre in etwas war verdrängt worden; nur ſobald Nolten ihr näher kommen wollte, wich ſie ſchüchtern und unbehaglich aus. Im Allgemeinen, dieß durfte er ſich mit Recht ſagen, ließ ihr Benehmen ſich gar nicht zu ſeinen Ungunſten auslegen, ja er konnte den tief gegründeten Keim wirklicher Liebe nicht mehr an ihr verkennen, er hoffte eine zwar langſame, aber unaufhaltſame Entwicklung. Nur jede Voreiligkeit, alles dringend Heftige, ſo ſehr dieß in ſeinem Temperamente lag, beſchloß er zu vermeiden, und wir ſelber ſind der Meinung, daß er dabei ſeinen Vortheil und die Sinnesart der Frauen von Con - ſtanzens Werthe fein genug zu ſchätzen gewußt.

Man hätte gerne noch den ächten Italiener ge - ſehen, allein der Abend nahte ſtark heran, es war un - wahrſcheinlich, daß der Künſtler noch käme, überdieß verlangte Conſtanze nach Haus, und ſo ſchickte man ſich denn zum Aufbruch an.

Nolten, der den Schlitten des Grafen eine Weile raſch verfolgte, blieb mit ſeinem Pferde doch bald zurück. Er hatte Zeit, ſeinen Gedanken über den133 heutigen Tag, ſeinen Beſorgniſſen und Hoffnungen ſtille nachzuhängen, indeß der Mond mit immer hel - lerem Lichte die dämmernde Schneelandſchaft überſchien. Was hatte ſich doch verändert in den wenigen Stun - den, ſeit er dieſe Wege hergeritten! um wie viel näher war er gegen alles Denken und Vermuthen ſeinem erſehnteſten Ziele gekommen, ja, das er wirk - lich ſchon erreicht, das er ſchon mit kühnen Armen umſchlungen und auf alle Zukunft für ſich geweiht hatte! Je verwunderter er dieſe raſche Wendung bei ſich überlegte, deſto ſtärker drang ſich ihm der alte Glaube auf, daß es Augenblicke gebe, wo ein innerer Gott den Menſchen unwiderſtehlich beſinnungslos vor - wärts ſtoße, einer großen Entſcheidung entgegen, ſo daß er, daß ſein Schickſal und ſein Glück ſich ſelber gleichſam übertreffen müſſen. Er ſchauderte im In - nerſten, er drang mit weit offenem Aug in das tiefe Blau des nächtlichen Himmels und forderte die Ge - ſtirne heraus, ſeine Seligkeit mitzuempfinden. Was doch jezt in Conſtanzen vorgehen mag! er hätte die Welt verſchenken mögen, um dieſes Einzige zu wiſſen, und doch pries er wieder ſeine Ungewißheit, weil ſie ihm vergönnte, Alles zu glauben, was er wünſchte. Sollte jezt nicht auch in ihrem Buſen der wonnevollſte Tumult von Freude, Furcht und Hoffnung laut ſeyn? und iſt nicht der Grund ihrer Seele, wie die Tiefe eines ſtillen Meeres, jezt von jener unend - lichen Ruhe beherrſcht, welche im Bewußtſeyn hoher134 Liebe liegt? So dachte er, ſo durchlief er noch Manches, was ihn mächtig emporhob; kräftig gab er ſeinem Pferde die Sporen, als gälte es, noch heute allen ſeinen Wünſchen die Krone aufzuſetzen.

In derſelben Woche kamen Briefe aus Neuburg an an Theobald, wie gewöhnlich unter der Aufſchrift an Larkens. Voll Begierde nach dem Inhalte, welcher ihm, wie er zuverläſſig hoffte, jeden Zweifel über Agnes benehmen ſollte, riß er das Couvert auf. Jedesmal ergriff ihn die eigenſte Rührung, wenn er ſolche treuherzige Linien anſah, die nach des Mädchens Meinung der Geliebte leſen ſollte, und die unſer Schauſpieler doch wiederum nur ſich ſelber zueignen konnte, da es nur Antworten auf dasjenige waren, was er zwar ganz im früheren Sinne Noltens ge - ſchrieben, aber doch gleichſam durch alle Faſern des eigenen innigſten Gefühls übertragend, empfunden hatte. In der That, er kam ſich dann immer wie ein gedoppeltes Weſen vor, und nicht ſelten koſtete es ihn Mühe, ſein Ich von der Theilnahme an dieſem zärt - lichen Verhältniß auszuſchließen.

Was Agneſens gegenwärtigen Brief betrifft, ſo klangen ihm die Worte Anfangs einigermaßen räth - ſelhaft, bis ihm ein größeres Schreiben vom Vater in die Hände fiel, das er auch zugleich von Blatt zu Blatt mit immer ſteigendem Erſtaunen haſtig durchlas. 135Der Alte beruft ſich auf ſeinen frühern Brief an Theobald, worin die ſonderbare Verirrung des Mädchens, ſo weit es damals möglich geweſen, bereits entwickelt worden ſey; er wolle aber, da einige erſt neuerdings entdeckte Umſtände die Anſicht des Ganzen bedeutend verändert hätten, Alles von vorn herein er - zählen, und ſo ſezt er denn dasjenige weitläufig aus - einander, was wir dem Leſer ſchon mitgetheilt haben. Mehrere auffallende Vorgänge hatten dem Förſter zu - lezt über das Daſeyn eines ſtillen Wahnſinns keinen Zweifel mehr übrig gelaſſen. Es ward ein Arzt zu Rath gezogen, und mit Hülfe dieſes einſichtsvollen Mannes gelang es gar bald, den eigentlichen Grund des Unheils aus dem Mädchen hervorzulocken. Hiebei mußte es für den aufmerkſamen Beobachter ſolcher abnormen Zuſtände von dem größten Intereſſe ſeyn, zu bemerken, daß ſchon das Ausſprechen des Geheim - niſſes an und für ſich entſcheidend für die Heilung war. Denn von dem Augenblicke, da der Auftritt mit der Zigeunerin über Agneſens Lippen kam, ſchien der Dämon, der die Seele des armen Geſchöpfs umſtrickt hielt, ſeine Beute fahren zu laſſen, und ein herzzer - ſchneidender Strom der heftigſten Thränen ſchien die Rückkehr der Vernunft anzukündigen. Die Entdeckung jener geheimen Urſache fand aber um ſo weniger Schwierigkeit, da das Mädchen ſelbſt ſeit der zweiten Unterredung mit der Zigeunerin ein gewiſſes Miß - trauen gegen dieſelbe nährte, worin ſie ſich nun eben136 nicht ungerne beſtärken ließ. Wirklich rührend war es anzuſehen, mit welcher Begierde ſie jedes Wort einſchluckte, das man zum Beweis eines offenbaren Be - trugs vorbringen mochte. Auf ihrem zwiſchen Angſt und dankbarer Freude wechſelnden Geſichte malten ſich die lezten Zuckungen des abergläubiſchen Gewiſſens, dem die vernünftige Beredſamkeit des Vaters nun den Todesſtoß gab. Dennoch fühlte ſie noch immer eine Art von Zwieſpalt im Innern, ſie fand ſich ſchwer zu - recht, und wie der Blindgeweſene ſich nur langſam wie - der an das Licht gewöhnt, das alle Welt erfreut, ſo dauerte es einige Zeit, bis Agnes ihr Glück zu faſſen vermochte, bis ſie es wagte, ſich den andern Menſchen wieder gleich zu ſtellen. Oft kam es ihr noch vor, als ob irgend ein finſterer Zeuge ihres Schickſals hinter ihrem Rücken lauſchte und auf Rache denke, weil ſie ſeinen Banden entſprungen. Aber der Verbrecher, der durch eine feierliche Abſolution aus dem Munde des heiligen Vaters mit Einem Mal ſich einer ganzen Hölle entbunden fühlt, kann nicht leichter athmen als Agnes, nachdem endlich das düſtere Phantom für immer verabſchiedet war. Wie ganz anders konnte ſie nun an Nolten denken! Wie herzhaft prüfte ihre Liebe wieder die alte Freiheit ihrer Flügel! Wie un - gewohnt erſchien ihr Alles, was in Bezug auf ihn geſagt oder gethan ward! Sprach Jemand ſeinen Namen aus, ſo konnte ſie den Namen mit ſeligem Be - fremden vor ſich wiederholen und mit Entzücken rief137 ſie ihn dann laut aus, ſo daß man ſie kaum begreifen wollte. Kam ihr zufällig ſeine Handſchrift vor’s Auge, ſo däuchten ihr die Züge wie ſprechend, ſie betrachtete ſie mit einem völlig neuen Sinn kurz, es ſchien, als ſey er ihr erſt heute geſchenkt, als heiße ſie jezt zum erſten Male Noltens Braut.

Dieſelbe unſchuldige Trunkenheit athmete aus ih - rem Briefe, den Larkens jezt in der Hand hielt. Sie vermied ſo viel möglich jede Berührung jener ſtö - renden Ereigniſſe, und ihre Worte verriethen nicht die geringſte Unruhe darüber, wie Theobald die Geſchichte ihrer Krankheit aufnehmen werde, welche der Vater mit ihrem Vorwiſſen, jedoch ohne der Toch - ter ſie leſen zu laſſen, ihm aufrichtig mittheilte.

Mit Staunen und Rührung legte Larkens die Blätter auf den Tiſch, nachdem er ſie zwei und drei - mal mit der größten Sorgfalt durchleſen hatte. Er hatte Mühe, ſich die Fäden dieſer unerhörten Ver - wirrung klar zu machen, ſich zu ſammeln und ein ruhiges Bild vom Ganzen zu gewinnen, um hierauf ſeine Entſchließung zu faſſen. An der getreuen Dar - ſtellung der Begebenheiten zweifelte er keinen Augen - blick, Alles trug zu ſehr das Gepräge der inneren Wahrheit. Aber was ihn bei der Sache beſonders nachdenklich machte, das war die Einmiſchung der Zi - gennerin. Denn auf der Stelle war es wie ein Blitz in ihn geſchlagen, daß er die Perſon kenne, daß ihm ihr ſonderbarer Bezug zu Nolten nicht unbekannt138 ſey. Nach dem ſehr beſtimmten Bilde, das er von ihrem Charakter hatte, befremdete ihn einigermaßen ihr falſches Spiel gegen Agnes, dennoch hatte er guten Grund, ſie deßhalb keineswegs mit den gemei - nen Betrügerinnen ihrer Nation zu verwechſeln, ja ihn ergriff das tiefſte Mitleid, wenn er bedachte, daß eben dieſes unbegreifliche Weſen, das an Agneſens Verrückung Schuld war, ſelbſt ein trauriges Opfer des Wahnſinns ſey. So verhielt es ſich wirklich; und in dieſen Zuſtand miſchte ſich eine Leidenſchaft für Theobald, von deren wunderbarer Entſtehung wir dem Leſer in der Folge Rechenſchaft geben wer - den. Die Unglückliche glaubte ſich in Agnes von einer Nebenbuhlerin befreien zu müſſen, und leider kam der Zufall, wie wir geſehen haben, ihrer Abſicht gar ſehr zu Hülfe. Ihre Liſt mochte übrigens leicht von der Art ſeyn, wie ſie ſich bei Verrückten häufig mit der höchſten Gutmüthigkeit gepaart findet, und Larkens entſchuldigte ſie um ſo mehr, da er Eli - ſabeth (ſo hieß das Mädchen) immer von einer äu - ßerſt argloſen, ja kindlichen Seite kennen gelernt hatte. Wie viel eigentliche Lüge und wie viel Selbſtbetrug an jener verhängnißvollen Prophezeihung Antheil ge - habt, wäre daher nicht wohl zu entſcheiden, nur wird es jezt um ſo begreiflicher, daß die Erſcheinung und der ganze Ausdruck der Prophetin eine ſo gewaltſame und hinreißende Wirkung auf das kränklich reizbare Gemüth Agneſens machen konnte.

139

Einige Augenblicke war der Schauſpieler ent - ſchloſſen, ſogleich mit dem ganzen Paket zu ſeinem Freunde zu eilen. Aber die Sache näher betrachtet verbot ſolches die Klugheit. Nolten wäre im ge - genwärtigen Zeitpunkt zu einer unbefangenen Anſicht der Dinge nicht fähig geweſen und es war zu be - fürchten, daß ihm die Ueberzeugung von der Tadel - loſigkeit des Mädchens jezt eben nicht willkommen wäre, daß er, von zweien Seiten auf’s Aeußerſte ge - drängt, an einen Abgrund widerſprechender Leiden - ſchaften gezerrt, nichts übrig hätte, als an Allem zu verzweifeln. Larkens ſah dieß deutlich ein, und ſtand wirklich eine Zeitlang rathlos, was zu thun ſey. Ich muß auf einen Kapitalſtreich ſinnen, rief er aus, das Zögern wird mir gefährlich, es iſt Zeit, daß man dem Teufel ein Bein breche!

Vor Allem wollte er ſuchen, es gelte was es wolle, einen Bruch mit der Gräfin vorzubereiten. Aus einzelnen Spuren hatte er neuerdings von der Neigung Noltens doch ernſtlichere Begriffe bekom - men, und er fing an, mehr und mehr an der Offen - heit ſeines Freundes in dieſem Punkte zu zweifeln, wie denn auch wirklich der Vorfall im Parke bisher ganz und gar ein Geheimniß für Larkens geblieben war. Für jezt dachte dieſer nur auf ſchleunige Be - ruhigung des Mädchens durch einen abermaligen Brief, den er auch ſogleich, und mit ungewöhnlicher Wärme und Heiterkeit des Ausdrucks, niederſchrieb.

140

Es gingen, bis Nolten wieder eine Einladung zu Zarlins erhielt, zwei volle Wochen auf, und wenn dieſe lange Zwiſchenzeit unſerem Freunde deſto un - ausſtehlicher vorkam, je bedeutender ſeine gegenwär - tige Stellung zu Conſtanzen war, ſo ſtand er nun doch betroffen und unentſchieden, ob Furcht oder Freude mächtiger in ihm ſey. Aber als er ſich nun an dem beſtimmten Abende mit Larkens wieder in jenen geliebten Wänden, in jener edlen Umgebung fühlte, als die Gräfin nun die Verſammlung bewill - kommte und auch ihn mit einer Fröhlichkeit begrüßte, wie man ſie ſonſt kaum an ihr wahrnahm, da ſchien ſich um ihn und über ſein ganzes Daſeyn ein Licht - glanz herzugießen, in welchem ſich alle Vergangen - heit und Zukunft ſeines Lebens wie durch Magie verklärte: und doch war es nur die Sorgloſigkeit ih - rer Miene, es war die edle Freiheit ihres Beneh - mens, was ihn ſo tief erquickte, und was ihm, auch abgeſehen von jeder andern Vorbedeutung, die unei - gennützigſte Rührung hätte abgewinnen müſſen, indem es ihm die Wiederherſtellung des ſchönen Friedens ihrer Seele verbürgte, welchen geſtört zu haben er ſich zum Verbrechen rechnete.

Von ähnlicher Munterkeit wurde denn auch die übrige Geſellſchaft belebt, und die lezte beengende Rückſicht bei Nolten fiel vollends weg mit der Nach - richt, Herzog Adolph werde heute nicht gegenwär - tig ſeyn.

141

Herren und Damen ſaßen bereits in bunter Ord - nung, als die Gräfin ſich mit den Worten an Lar - kens wandte: Sie ſagten ja von etwas ganz Be - ſonderem, das Sie uns dießmal zum Beſten geben wollten; machen Sie doch die Geſellſchaft mit Ihrem Vorhaben bekannt, ich zweifle nicht, wir dürfen uns etwas recht Hübſches, zum mindeſten etwas Unge - wöhnliches verſprechen.

Es liegt, antwortete Larkens mit guter Laune, in dieſem Komplimente etwas ſo verzweifelt Beding - tes, daß ich nun erſt ſchüchtern werde, mit meinem Schatz hervorzutreten. Wirklich, es iſt immer gewagt, wenn ein Einzelner oder wenn zwei Mitglieder eines gebildeten Kreiſes die Unterhaltung ausſchließlich über ſich nehmen wollen, und obendrein iſt mein Gegen - ſtand von der Beſchaffenheit, daß ihm ein allgemei - nes Intereſſe ſehr ſchwerlich zukommen möchte, we - nigſtens in ſo weit ich dabei bethätigt bin. Aber was mich tröſtet, iſt einzig die Unterſtützung durch mei - nen Freund Nolten, der Ihneu bei dieſer Gelegen - heit ein ganz neues Genre ſeiner Kunſt vorführen wird.

Ich meines Theils, erwiderte der Maler, muß die Geſellſchaft unterthänigſt bitten, auf dieſe Bedin - gung hin von ihren Forderungen an Larkens nicht nagelsgroß nachzulaſſen, da mein Beitrag als bloße Verzierung und Erläuterung der Hauptſache an und für ſich nicht in Betracht kommen kann.

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Kurz, meine Gnädigſten, fiel der Schauſpieler ihm in’s Wort, was wir Ihnen dießmal zeigen, iſt nichts Anderes, als ein Schattenſpiel.

Ein Schattenſpiel! riefen die Damen in die Hände klatſchend, ach, das iſt ja ganz unvergleich - lich! wirklich ein ordentliches, chineſiſches werden wir ſehen?

Allerdings, ſagte der Graf und zwar ein ganz neu eingerichtetes, wozu Herr Nolten die Bil - der auf Glas gemalt, und dieſer Herr, der als Dich - ter noch allzu wenig von ſich hören ließ, den Text geliefert hat. So viel ich weiß, beſteht der leztere durchaus in einer dramatiſirten Fabel, rein von der Erfindung des Herrn Larkens.

Dieſe Fabel, bemerkte der Schauſpieler, und der Ort, wo ſie vorgeht, iſt freilich närriſch genug, und es bedarf einer kleinen Vorerinnerung, wenn man den Poeten nicht über alle Häuſer wegwerfen ſoll.

Ich hatte in der Zeit, da ich noch auf der Schule ſtudirte, einen Freund, deſſen Denkart und äſthetiſches Beſtreben mit dem meinigen Hand in Hand ging; wir trieben in den Freiſtunden unſer Weſen miteinander, wir bildeten uns bald eine eigene Sphäre von Poeſie, und noch jezt kann ich nur mit Rührung daran zurückdenken. Was man auch zu dem Nachfolgenden ſagen mag, ich bekenne gern, da - mals die ſchönſte Zeit meines Lebens genoſſen zu ha -143 ben. Lebendig, ernſt und wahrhaft ſtehen ſie noch alle vor meinem Geiſte, die Geſtalten unſerer Einbil - dung, und wem ich nur Einen Strahl der dichteri - ſchen Sonne, die uns damals erwärmte, ſo recht gül - den, wie ſie war, in die Seele ſpielen könnte, der würde mir wenigſtens ein heiteres Wohlgefallen nicht verſagen, er würde ſelbſt dem reiferen Manne es verzeihen, wenn er noch einen müßigen Spaziergang in die duftige Landſchaft jener Poeſie machte und ſo - gar ein Stückchen alten Geſteins von der geliebten Ruine mitbrachte. Doch zur Sache. Wir erfanden für unſere Dichtung einen außerhalb der bekannten Welt gelegenen Boden, eine abgeſchloſſene Inſel, wor - auf ein kräftiges Heldenvolk, doch in verſchiedene Stämme, Grenzen und Charakter-Abſtufungen getheilt, aber mit ſo ziemlich gleichförmiger Religion, gewohnt haben ſoll. Die Inſel hieß Orplid, und ihre Lage dachte man ſich in dem ſtillen Ozean zwiſchen Neu - Seeland und Süd-Amerika. Orplid hieß vorzugsweiſe die Stadt des bedeutendſten Königreichs: ſie ſoll von göttlicher Gründung geweſen ſeyn und die Göttin Weyla, von welcher auch der Hauptfluß des Eilands den Namen hatte, war ihre beſondere Beſchützerin. Stückweiſe und nach den wichtigſten Zeiträumen er - zählten wir uns die Geſchichte dieſer Völker. An merkwürdigen Kriegen und Abenteuern fehlte es nicht. Unſere Götterlehre ſtreifte hie und da an die griechi - ſche, behielt aber im Ganzen ihr Eigenthümliches;144 auch die untergeordnete Welt von Elfen, Feen und Kobolden war nicht ausgeſchloſſen.

Orplid, einſt der Augapfel der Himmliſchen, mußte endlich ihrem Zorne erliegen, als die alte Ein - falt nach und nach einer verderblichen Verfeinerung der Denkweiſe und der Sitten zu weichen begann. Ein ſchreckliches Verhängniß raffte die lebende Menſch - heit dahin, ſelbſt ihre Wohnungen ſanken, nur das Lieblingskind Weyla’s, nämlich Burg und Stadt Orplid, durfte, obgleich ausgeſtorben und öde, als ein traurig ſchönes Denkmal vergangener Hoheit ſtehen bleiben. Die Götter wandten ſich auf Ewig ab von dieſem Schauplatz, kaum daß jene erhabene Herrſcherin zuweilen ihm noch einen Blick vergönnte, und auch dieſen nur um eines einzigen Sterblichen willen, der, einem höheren Willen zufolge, die allgemeine Zerſtö - rung weit überleben ſollte.

Neuerer Zeiten, immerhin nach einem Zwiſchen - raum von beinahe tauſend Jahren, geſchah es, daß eine Anzahl europäiſcher Leute, meiſt aus der niedern Volksklaſſe, durch Zufall die Inſel entdeckte und ſich darauf anſiedelte. Wir Freunde durchſtöberten mit ihnen die herrlichen Reſte des Alterthums, ein gelehr - ter Archäologe, ein Engländer, mit Namen Harry, war zum Glück auf dem Schiffe mitgekommen, ſeine kleine Bibliothek und ſonſt Materialien verſchiedenen Gebrauchs waren gerettet worden; Nahrung aller Art zollte die Natur im Ueberfluß, die neue Kolonie145 geſtaltete ſich mit jedem Tage beſſer und bereits blüht eine zweite Generation in dem Zeitpunkte, wo unſer heutiges Schauſpiel ſich eröffnet.

Was nun dieſe dramatiſche, oder vielmehr ſehr undramatiſche Kleinigkeit betrifft, ſo ſind meine Wün - ſche erfüllt, wenn die verehrten Zuſchauer ſich mit einiger Theilnahme in die geiſtige Temperatur meiner Inſel ſollten finden können, wenn ſie für die will - kürliche Oekonomie meines Stückes einen freund - ſchaftlichen Maaßſtab mitbringen und ſich mehr nur an den Charakter, an das Pathologiſche der Sache halten. Das ganze Ding machte ſich, ich weiß nicht wie, vor Kurzem erſt, nachdem mir ſeit langer Zeit wieder einmal eines Abends die alten Erinnerungen in den Ohren ſummten. Eine längſt gehegte tragiſche Lieblingsvorſtellung drang ſich vorzüglich in dem Cha - rakter des lezten Königs von Orplid auf; dagegen gab es Veranlaſſung, zwei moderne, aus dem Leben gegrif - fene Nebenfiguren luſtig einzuflechten, wovon die eine in der Laufbahn meines Freundes Nolten dergeſtalt Epoche gemacht, daß dieſe Perſon und ſie ſoll ja neuerdings wieder in unſerer Stadt ſpucken. ſogar einigen der Anweſenden als eine nicht ganz unbekannte Fratze wieder begegnen wird.

Hier ſteckten ſich einige begierige Köpfe zuſammen, und als es hieß, daß jener diebiſche Bediente Nol - tens im Schattenſpiel ſeine Aufwartung machen werde, verlautete allgemein ein herzliches Vergnügen; man10146machte ſich überhaupt auf eine ergötzliche Unterhaltung gefaßt, nur Tillſen fühlte ſich im Stillen durch jene komiſche Berührung verlezt, wiewohl Niemand an et - was Beleidigendes dachte.

In einem andern Subjekt, fuhr der Schauſpie - ler fort, in dem Kameraden des Vorigen zeig ich Ih - nen meinen eigenen ehmaligen Sancho; es machte mir Freude, dieſe beiden Tröpfe einmal treulich zu kopiren, Nolten verfehlte keinen Zug, und die Geſell - ſchaft muß uns ſchon vergeben, wenn wir ſie auf einen Augenblick in das Dachſtübchen dieſer Schmutzbärte zu ſchauen zwingen.

Indeſſen hatte Larkens den erforderlichen Ap - parat aus ſeinem Hauſe holen laſſen; der Diener brachte ein braunes Käſtchen, worin das Zaubergeräthe verſchloſſen war; zugleich zog der Schauſpieler ein Manuſeript hervor, blätterte und ſagte: In Abſicht auf die Art und Weiſe, wie die Tableaux den Text begleiten, verſteht ſich von ſelbſt, daß der Schauplatz zuweilen, wiewohl nur ſelten, leer bleiben wird, daß für den Maler nicht jede Scene gleich brauchbar ſeyn konnte, daß er von einer Scene meiſt nur Einen Mo - ment, Eine hervorſtechende Gruppe darſtellen konnte, daß jedoch ſo viel Varietät als nur immer möglich in die Bilder gebracht wurde. Nun hab ich nur noch Eine Bitte, den Vortrag des Dialogs betreffend. Ich werde zwar ſämmtliche männliche Perſonen aus meinem Munde mit abwechſelnder Stimme unter ſich ſprechen147 laſſen, für die weiblichen aber und für die Kinderkeh - len ſollte mir doch Eins und das andre der Fräulein zur Seite ſtehen und mit mir aus der Rolle leſen. Welche von den Damen würde wohl die Gefälligkeit haben? Sie, Fräulein von R. und von G. erfreuten uns ſchon auf dem Liebhabertheater, an Sie richt ich meine Bitte im Namen Aller.

Die Schönen mußten ſich’s gefallen laſſen, ſie traten mit dem dargereichten Hefte beiſeit, es vorläufig zu durchſehen, während Larkens ſich von der Gräfin einen geheizten Saal mit weißen Wänden ausbat und ſeine Einrichtung traf.

Nach kurzer Zeit ertönte ſein Glöckchen, das die Geſellſchaft hinüber lud in den verdunkelten Saal. Hinter einer ſpaniſchen Wand, die nach einer Seite offen war, befanden ſich Larkens und ſeine Gehülfinnen neben der magiſchen Laterne, welche inzwiſchen nur einen runden hellen Schein an die Zimmerdecke warf. Man nahm im Halbkreiſe Platz, und Nolten hatte ſich ſo geſezt, daß er Conſtanzen in’s Auge faſſen konnte.

Nachdem Alles ſtille geworden, begann hinter der Gardine eine einleitende Symphonie auf dem Klavier von einem Mitgliede der Geſellſchaft geſpielt und von Larkens mit dem Violoncello begleitet. Unter den lezten Akkorden erſchien an der breiteſten, völlig freien Wandſeite des Saales in bedeutender Größe die An - ſicht einer fremdartigen Stadt und Burg, im Mond -148 ſchein, vom See beſpült, links im Vorgrund drei ſitzende Perſonen und der Dialog nahm ſeinen Anfang.

Wir bedenken uns nicht, den Leſer an dem Spiele Theil nehmen zu laſſen, da es nachher in den Gang unſerer Geſchichte einſchlägt und die wichtigſten Folgen hat. Zugleich mag es einen lebhaften Begriff von dem inueren Leben jenes Schauſpielers geben, welcher bereits unſere Aufmerkſamkeit erregte und noch mehr künftig unſere Theilnahme gewinnen wird.

Der lezte König von Orplid. Ein phantasmagoriſches Zwiſchenſpiel.

Erſte Scene.

Anblick der Stadt Orplid mit dem Schloſſe; vorn noch ein Theil vom See. Es wird eben Nacht. Drei Einwohner ſitzen vor einem Haus der unteren Stadt auf einer Bank im Geſpräch. Suntrard, der Fiſcher, mit ſeinem Knaben, und Löwener, der Schmied.
Suntrard.

Laſſet uns hieher ſitzen, ſo werden wir nach einer kleinen Weile den Mond dort zwiſchen den zwei Dächern herauf kommen ſehen.

Knabe.

Vater, haben denn vor Alters in all den vielen Häuſern dort hinauf auch Menſchen gewohnt?

149
Suntrard.

Ja wohl. Als unſere Väter, vom Meerſturm verſchlagen, vor ſechszig Jahren zufälliger Weiſe an dem Ufer dieſer Inſel, was das Einhorn heißt, an - langten, und tiefer landeinwärts dringend ſich rings umſchauten, da trafen ſie nur eine leere ſteinerne Stadt an; das Volk und das Menſchengeſchlecht, welches dieſe Wohnungen und Keller für ſich gebauet, iſt wohl ſchon bald tauſend Jahr ausgeſtorben, durch ein be - ſonderes Gerichte der Götter, meint man, denn weder Hungersnoth noch allzuſchwere Krankheit entſteht auf dieſer Inſel.

Löwener.

Tauſend Jahr, ſagſt du, Suntrard? Gedenk ich ſo an dieſe alten Einwohner, ſo wird mir’s, mein Seel, nicht anders, als wie wenn man das Klingen kriegt im linken Ohr.

Suntrard.

Mein Vater erzählt, wie er, ein Knabe damals noch, mit wenigen Leuten, fünf und ſiebenzig an der Zahl, auf einem zerbrochenen Schiffe angelangt, und wie er ſich mit den Genoſſen verwunderte über eine ſolche Schönheit von Gebirgen, Thälern, Flüſſen und Wachsthum, wie ſie darauf fünf, ſechs Tage herum - gezogen, bis von ferne ſich auf einem blanken, ſpiegel - klaren See etwas Dunkeles gezeigt, welches etwan ausgeſehen, wie ein ſteinernes Wundergewächs, oder auch wie die Krone der grauen Zackenblume. Als ſie150 aber mit zweien Kähnen darauf zugefahren, war es eine felſige Stadt von fremder und großer Bauart.

Knabe.

Eine Stadt, Vater?

Suntrard.

Wie fragſt du, Kind? Eben dieſe, in der du wohneſt. Deß erſchracken ſie nicht wenig, vermei - nend, man käme übel an; lagen auch die ganze Nacht, wo es in Einem fort regnete, vor den Mauern ruhig, denn ſie getrauten ſich nicht. Nun es aber gegen Morgen dämmerte, kam ſie beinahe noch ein ärger Grauen an; es kräheten keine Hähne, kein Wagen ließ ſich hören, kein Bäcker ſchlug den Laden auf, es ſtieg kein Rauch aus dem Schornſtein. Es brauchte dazumal Jemand das Gleichniß, der Himmel habe über der Stadt gelegen, wie eine graue Augbraun über einem erſtarrten und todten Auge. Endlich traten ſie Alle durch die Wölbung der offenen Thore; man ver - nahm keinen Sterbenslaut als den des eigenen Fußtritts und den Regen, der von den Dächern niederſtrollte, obgleich nunmehr die Sonne ſchon hell und goldig in den Straßen lag. Nichts regte ſich auch im Innern der Häuſer.

Knabe.

Nicht einmal Mäuſe?

Suntrard.

Nun, Mäuſe wohl vielleicht, mein Kind.

(Er küßt den Knaben.)
151
Löwener.

Ja, aber Nachbar, ich bin zwar, wie du, geboren hier und groß geworden, allein es wird einem doch alleweil noch ſonderlich zu Muth, wenn man ſo des Nachts noch durch eine von den leeren Gaſſen geht und es thut, als klopfte man an hohle Fäſſer an.

Knabe.

Aber warum doch wohnen wir neuen Leute faſt alle wie ein Häuflein ſo am Ende der Stadt und nicht oben in den weitläuftigen ſchönen Gebäuden?

Suntrard.

Weiß ſelber nicht ſo recht; iſt ſo herkommen von unſern Eltern. Auch wäre dort nicht ſo vertraut zu - ſammenniſten.

Löwener.

Wo wir wohnen, das heißt die untere Stadt, hier waren vor Alters wahrſcheinlich die Buden der Krämer und Handwerker. Die ganze Stadt aber be - trägt wohl ſechs Stunden im Ring.

Suntrard.

Wenn der Mond vollends oben iſt, laßt uns noch eine Strecke aufwärts gehen, bis wo die Sonnenkeile*)Sonnenkeile ſo nannte man drei eigenthümlich gegen einan - der geſtellte ſteinerne Spitz-Säulen, welche durch den Schatten, den ſie werfen, den Ur-Einwohnern als eine Art von Sonnenuhr gedient haben ſollen. iſt. Nachbar, als ein kleiner Junge, wenn wir Bu - ben noch Abends ſpät durch die unheimlichen Plätze152 ſtreiften bis zur Sonnenkeile, ſo trieb und plagte mich’s immer, den Stein mit dem Finger zu berühren, weil ein Glauben in mir war, daß er den warmen Strahl der Sonne angeſchluckt, wie ein Schwamm, und Funken fahren laſſe, welches im Mondſchein ſo wunderlich ausſehen müſſe.

Löwener.

Hört, was weiß man denn auch neuerdings von dem Königsgeſpenſt, das an der Nordküſte umgeht?

Suntrard.

Kein Geſpenſt! wie ich dir ſchon oft verſicherte. Es iſt der tauſendjährige König, welcher dieſer Inſel einſt Geſetze gab. Der Tod ging ihn vorbei; man ſagt, die Götter wollten ihn in dieſer langen Probe - zeit und Einſamkeit geſchickt machen, daß er nachher ihrer einer würde, wegen ſeiner ſonſtigen großen Tu - gend und Tapferkeit. Ich weiß das nicht; doch er iſt Fleiſch und Bein, wie wir.

Löwener.

Glaub das nicht, Fiſcher.

Suntrard.

Ich hab es ſicher und gewiß, daß ihn der Koll - mer, der Richter iſt in Elnedorf, jeweilig insgeheim beſucht; ſonſt ſieht ihn kein ſterblicher Menſch.

Knabe.

Gelt, Vater, er trägt einen Mantel und trägt ein eiſern ſpitzig Krönlein in den Haaren?

153
Suntrard.

Ganz recht, und ſeine Locken ſind noch braun, ſie welken nicht.

Löwener.

Laßt’s gut ſeyn! iſt ſchon ſpät. Das Licht dort in der äußerſten Ecke vom Schloß iſt auch ſchon aus. Dort wohnt Herr Harry, der bleibt am längſten auf. Will noch eine Weile in die Schenke. Gut Nacht!

Suntrard.

Schlaf wohl, Freund Löwener. Komm Knabe, gehen zur Mutter.

Zweite Scene.

Oeder Strand. Im Norden.
Weber
allein.

Hier pflegt er umzugehn, dieß iſt der Strand, Den er einförmig mit den Schritten mißt.

Mich wundert, wo er bleiben mag. Vielleicht Trieb ihn ſein irrer Sinn auf andre Pfade, Denn oft konnt ich gewahren, daß ſein Geiſt Und Körper auf verſchied’ner Fährte geh’n.

O wunderbar! mich jammert ſein Geſchick, Denk ich daran, was doch kaum glaublich ſcheint, Daß die Natur in einem Sterblichen Sich um Jahrhunderte ſelbſt überlebt Wie? tauſend Jahre? tauſend ja nun wird mir Zum erſten Male plötzlich angſt und enge,154 Als müßt ich’s zählen auf der Stell, durchleben In Einem Athemzug Hinweg! man wird zum Narren!

Hm, tauſend Jahr; ein König einſt! o eine Zeit So langſam, als man ſagt, daß Steine wachſen. Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft, Gäb es für die Vernunft ein Drittes noch, So müßt er dort verweilen in Gedanken.

Sind’s aber einmal tauſend, ja, ſo können Unzählige noch kommen; ſagt man nicht, Daß auch ein Ball, geworfen über die Grenze Der Luft, bis wo der Erde Athem nicht mehr hinreicht, Nicht wieder rückwärts fallen könne, nein, Er müſſe kreiſen, ewig, wie ein Stern. So, fürcht ich, iſt es hier.

Auch ſpricht man von der Inſelgöttin Weyla, Daß ſie ein Blümlein liebgewann von ſeltner Und nie geſeh’ner Art, ein einzig Wunder, Dieß ſchloß die Göttin in das klare Waſſer Des härt’ſten Diamant’s ein, daß es daure Mit Farben und Geſtalt; wahrhaftig nein, Ich möchte ſo geliebt nicht ſeyn von Weyla, Doch dieſem König hat ſie’s angethan.

Oft ahnte mir, er ſelber ſey ein Gott, So anmuthsvoll iſt ſein verfinſtert Antlitz; Das iſt ſein größtes Unglück, darum ward, Wie ich wohl deutlich merke, eine Fee Von heißer Liebe gegen ihn entzündet, Und er kann ihrem Dienſte nicht entgehn,155 Sie hat die Macht ſchon über ihn, daß er, So oft ſich ihr Gedanke nach ihm ſehnt, Tag oder Nacht, und aus der fernſten Gegend, Nach ihrem Wohnſitz plötzlich eilen muß. Wenn dieſer Ruf an ihn ergeht, ſo reißt Der Faden ſeines jetzigen Gedankens Auf Ein Mal von einander, ganz verändert Erſcheint ſein Weſen, hell’res Licht durchwittert Des Geiſtes Nacht, der längſt verſchüttete Brunn Der rauhen und gedämpften Rede klingt Mit Ein Mal hell und ſanft, ſogar die Miene Scheint jugendlicher, doch auch ſchmerzlicher: Denn gräulich iſt verhaßter Liebe Qual.

Drum ſinnt er ſicherlich in ſchwerem Gram, Wie er ſich ledig mache dieſer Pein; Dahin auch deut ich jene Worte mir, Die er einſt fallen laſſen gegen mich: Willt du mir dienſtbar ſeyn, ſo gehe hin Zur Stadt, dort liegt in einem unerforſchten Winkel Ein längſt verloren Buch von ſeltner Schrift, Das iſt geſchrieben auf die breiten Blätter Der Thranuspflanze, ſo man göttlich nennt, Das ſuche du ohn Unterlaß, und bring es. Drauf lächelt er mitleidig, gleich als hätt er Unmögliches verlangt, und redete Zeither auch weiter nicht davon. Nun aber Kam mir zufällig jüngſt etwas zu Ohren Von ein paar ſchmutzigen, unwiſſenden Burſchen,156 Die hätten der Art einen alten Schatz Beſtäubt und ungebraucht im Hauſe liegen. Vielleicht, es träfe ſich; ſo will ich denn Vom König nähere Bezeichnung hören; Doch aber zweifl ich, zweifle ſehr Horch! ja, dort kommt er Den Hügel vor. O trauervoller Anblick! Sein Gang iſt müde. Horch, er ſpricht mit ſich.

König.

O Meer! Du der Sonne Grüner Palaſt mit goldenen Zinnen! Wohinab zu deiner kühlen Treppe?

Kollmer.

(Ob ich es wagen darf, ihn anzurufen?) Mein theurer König!

König

Wer warf meinen Schlüſſel in die See?

Kollmer.

Mein hoher Herr, vergönnt

König
(ihn erblickend).

Was willſt du hier? Wer biſt du? Fort! Hinweg! Fort! willſt du nicht fort? Fluch auf dich!

Kollmer.

Kennſt du mich nicht mehr? dem du manches Mal Dein gnädig Antlitz zugewendet haſt?

157
König.

Du biſt’s; ich kenne dich. So ſag mir an, Wovon die Rede zwiſchen uns geweſen Das lezte Mal. Mein Kopf iſt alt und krank.

Kollmer.

Nach jenem Buche hießeſt du mich ſuchen.

König.

Wohl, wohl, mein Knecht. Doch ſuchet man umſonſt, Was Weyla hat verſcharrt, die kluge Jungfrau, Nicht wahr?

Kollmer.

Gewiß, wenn nicht ihr Finger ſelbſt Mich führt; wir aber hoffen das, mein König. Für jezt entdeck mir mehr vom heil’gen Buche.

König.

Mehr noch, mein Knecht? das kann ſchon ſeyn, kann ſeyn, Will mich bedenken; wart, ich weiß ſehr gut Wär vor der Stirn die Wolke nicht! merkſt du? Elend! Elend! hier, hier, merkſt du? die Zeit Hat mein Gehirn mit zäher Haut bezogen. Manchmal doch hab ich gutes Licht…

Kollmer.

Ach Armer! Laß, laß es nur, ſey ruhig! Herr, was ſeh ich? Was wirfſt du deine Arme ſo gen Himmel, Ballſt ihm die Fäuſt in’s Angeſicht? Mir graut.

158
König.

Ha! mein Gebet! meine Morgenandacht! Was? Willſt einen König lehren, er ſoll knie’n? Seit hundert Jahren ſind ihm wund die Kniee Was hundert ? o ich bin ein Kind! Komm her, Und lehr mich zählen Alte Finger! Pfui! Auf, Sklave, auf! Ruf deine Brüder all! Sag an, wie man der Götter Wohnung ſtürmt! Sey mir was nütze, feiger Schurke du! Die Hölle laß uns ſtürmen, und den Tod, Das faule Scheuſal, das die Zeit verſchläft, Herauf zur Erde zerren an’s Geſchäft! Es leben noch viel Menſchen; Narre du, Mir iſt es auch um dich! willſt doch nicht ewig Am ſchaalen Lichte ſaugen?

Kollmer.

Weh! er raſet.

König.

Still, ſtill! Ich ſinne was. Es thut nicht gut, Daß man die Götter ſchmähe. Sag, mein Burſch, Iſt dir bekannt, was, wie die Weiſen meinen, Am meiſten iſt verhaßt den ſel’gen Göttern?

Kollmer.

Lehr mich’s, o König.

König.

Das verhüte Weyla, Daß meine Zunge nennt was auch zu denken Schon Fluch kann bringen. Haſt du wohl ein Schwert?

159
Kollmer.

Ich habe eins.

König.

So ſchone deines Lebens, Und laß uns allezeit die Götter fürchten! Was hülf es auch, zu trotzen? Das Geſchick Liegt feſt gebunden in der Weiſſagung, So dein’s wie meines. Nun wohlan, wie lautet Der alte Götterſpruch? ein Prieſter ſang Ihn an der Wiege mir, und drauf am Tag Der Krönung wieder.

Kollmer.

Gleich ſollſt du ihn hören; Du ſelber haſt ihn neulich mir vertraut.

Ein Menſch lebt ſeiner Jahre Zahl:
Ulmon allein wird ſehen
Den Sommer kommen und gehen
Zehn hundertmal.
Einſt eine ſchwarze Weide blüht,
Ein Kindlein muß ſie fällen,
Dann rauſchen die Todeswellen,
Drin Ulmons Herz verglüht.
Auf Weylas Mondenſtrahl
Sich Ulmon ſoll erheben,
Sein Götterleib dann ſchweben
Zum blauen Saal.
König.

Du ſagſt es recht, mein Mann; ein ſüßer Spruch! 160Mich dünkt, die wen’gen Worte ſättigen rings Die irdiſche Luft mit Weylas Veilchenhauch.

Kollmer.

Ergründeſt du der Worte Sinn, o Herr?

König.

Ein König, iſt er nicht ein Prieſter auch? Still, meine heil’ge Seele kräuſelt ſich, Dem Meere gleich, bevor der Sturm erſcheint, Und wie ein Seher möcht ich Wunder künden, So rege wird der Geiſt in mir. Freilich, zu trüb, zu trüb iſt noch mein Aug Ha, Sklave, ſchaff das Buch! mein lieber Sklave!

Kollmer.

Beſchreib es mir erſt beſſer.

König.

Nur Geduld. Ich ſah es nie und kein gemeiner Menſch. Von Prieſterhand verzeichnet ſteht darin, Was Götter einſt Geweihten offenbarten, Zukünft’ger Dinge Wachsthum und Verknüpfung; Auch wie der Knoten meines armen Daſeyns Dereinſt entwirrt ſoll werden, deutet es. (Laß mich vollenden, weil die Rede fließt Im Tempel Nidru-Haddin hütete Die weiſe Schlange ſolches Heiligthum, Bis daß die große Zeit erfüllet war, Und alle Menſchen ſtarben; ſieh, da nahm161 Die Göttin jenes Buch, und trug es weg An andern Ort, wer wollte den erkunden? Auch meinen Schlüſſel nahmen ſie hinweg, Die Himmliſchen, und warfen ihn in’s Meer.

Kollmer.

Herr, welchen Schlüſſel?

König.

Der zum Grabe führt Der Könige.

Kollmer.

Was zitterſt du? erbleichſt?

König.

Die Zaubrin lockt Thereile reißt an mir Leb wohl! Ich muß

(Beide nach verſchiedenen Seiten ab.)

Dritte Scene.

Nacht. Ein offener, grüner Platz an einem ſanften Waldabhang beim Schmet - tenberg, ohnweit des Fluſſes Weyla. Thereile, eine junge Feenfürſtin. Kleine Feen um ſie her. König an der Seite, mehr im Vorgrund.
Thereile.

Seyd ihr Alle da?

Morry.

Zähl nur, Schweſter, ja!

Thereile.

Ein, zwei, drei, vier, fünf, ſechs, ſieben. Silpelitt iſt ausgeblieben! 11162Hat doch ſtets beſondre Neſter! Nun, ſo ſucht, ihr faulen Dinger, Steckt euch Lichtlein an die Finger!

(Kinder eilen davon.)
Morry
(die heimlich zurückbleibt, leiſe).

Weithe!

Weithe.

Was?

Morry.

Siehſt du nicht dort Ihren Buhlen bei der Schweſter? Darum ſchickt ſie uns nun fort, Dieſes hat was zu bedeuten.

Weithe.

Ei, ſie mag ihn gar nicht leiden.

Morry.

Bleibe doch! und laſſ uns lauſchen, Wie ſie wieder Küſſe tanſchen. Guck, wie ſpröd ſie thut zum Scheine, Trutzig ihre Zöpfe flicht! Sie nur immer iſt die Feine, Unſer eins beſieht man nicht.

Weithe.

Aber wir ſind auch noch kleine.

Morry.

Nun, ſo ſag, iſt dieſes Paar Nicht ſo dumm wie Eines war? 163Darf ſich ſüße Feenbrut Einem Sterblichen wohl gatten? Beide zwar ſind Fleiſch und Blut, Doch die Braut wirft keinen Schatten.

Weithe.

Ja, das iſt doch unanſtändig.

Morry.

Aber ſtets war ſie unbändig.

Weithe.

Morry, laß uns lieber fort! Mir wird angſt an dieſem Ort.

Morry.

Wie ſich wohl dieß Spiel noch endet! Beide ſtehen abgewendet; Wahrlich, wie im tiefſten Schlummer Steht der König, unbeweglich.

Weithe.

Ach, wie traurig ſcheint der Mann! Liebe Schweſter, iſt’s nur möglich, Daß man ſo betrübt ſeyn kann?

Morry.

Seine Stirne, voller Kummer, Seine Arme ſind geſenkt!

Weithe.

Was nur unſre Schweſter denkt!

164
Morry.

Wär er mir wie ihr ſo gut, Ich ließ mich küſſen wohlgemuth.

Weithe.

Bitte, komm und laß uns geh’n! Wollen nach dem Walde ſeh’n, Ob die holden Nachtigallen Bald in unſre Netze fallen.

(Beide ab.)

Vierte Scene.

König und Thereile allein.
König
(für ſich).

Still, ſachte nur, mein Geiſt; gib dich zur Ruhe! Lagſt mir ſo lang in ungeſtörter Dumpfheit, Hinträumend allgemach in’s Nichts dahin, Was weckt dich wieder aus ſo gutem Schlummer? Lieg ſtille nur ein Weilchen noch!

Umſonſt! umſonſt! es ſchwingt das alte Rad Der glühenden Gedanken unerbittlich Sich vor dem armen Haupte mir! Will das nicht enden? mußt du ſtaunend immer Auf’s Neue dich erkennen? mußt dich fragen, Was leb ich noch? was bin ich? und was war Vor dieſer Zeit mit mir? Ein König einſt, Ulmon mein Name; Orplid hieß die Inſel; Wohl, wohl, mein Geiſt, das haſt du ſchlau behalten; Und doch mißtrau ich dir; Ulmon Orplid 165 Ich kenne dieſe Worte kaum, ich ſtaune Dem Klange dieſer Worte Unergründlich Klafft’s dahinab O wehe, ſchwindle nicht!

Ein Fürſt war ich? So ſey getroſt und glaub es. Die edle Kraft der Rückerinnerung Ermattete nur in dem tiefen Sand Des langen Weges, den ich hab durchmeſſen; Kaum daß manchmal durch ſelt’ne Wolkenriſſe Ein flücht’ges Blitzen mir den alten Schauplatz Verſunk’ner Tage wunderſam erleuchtet. Dann ſeh ich auf dem Throne einen Mann Von meinem Anſehn, doch er iſt mir fremd, Ein glänzend Weib bei ihm, es iſt mein Weib. Halt an, o mein Gedächtniß, halt ein wenig! Es thut mir wohl, das ſchöne Bild begleitet Den König durch die Stadt und zu den Schiffen. Ja, ja, ſo war’s; doch jezt wird wieder Nacht. Seltſam! durch dieſe ſchwanken Luftgeſtalten Winkt ſtets der Thurm von einem alten Schloſſe, Ganz ſo, wie jener, der ſich wirklich dort Gen Himmel hebt. Vielleicht iſt Alles Trug Und Einbildung und ich bin ſelber Schein.

(Er ſinkt im Nachdenken; blickt dann wieder auf.)

Horch! auf der Erde feuchtem Bauch gelegen Arbeitet ſchwer die Nacht der Dämmerung entgegen, Indeſſen dort, in blauer Luft gezogen, Die Fäden leicht, kaum hörbar fließen, Und hin und wieder mit geſtähltem Bogen Die luſt’gen Sterne gold’ne Pfeile ſchießen.

166
Thereile
(noch immer in einiger Entfernung).

Wie ſüß der Nachtwind nun die Wieſe ſtreift, Und klingend jezt den jungen Hain durchläuft! Da noch der freche Tag verſtummt, Hört man der Erdenkräfte flüſterndes Gedränge, Das aufwärts in die zärtlichen Geſänge Der reingeſtimmten Lüfte ſummt.

König.

Vernehm ich doch die wunderbarſten Stimmen Vom lauen Wind wollüſtig hingeſchleift, Indeß mit ungewiſſem Licht geſtreift Der Himmel ſelber ſcheinet hinzuſchwimmen.

Thereile.

Wie ein Gewebe zuckt die Luft manchmal, Durchſichtiger und heller aufzuwehen, Dazwiſchen hört man weiche Töne geheu Von ſel’gen Elfen, die im blauen Saal Zum Sphärenklang, Und fleißig mit Geſang, Silberne Spindeln hin und wieder drehen.

König.

O holde Nacht, du gehſt mit leiſem Tritt Auf ſchwarzem Sammt, der nur am Tage grünet, Und luftig ſchwirrender Muſik bedienet Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt,167 Womit du Stund um Stunde miſſeſt, Dich lieblich in dir ſelbſt vergiſſeſt Du ſchwärmſt, es ſchwärmt der Schöpfung Seele mit!

(Thereile legt ſich auf einen Raſen, das Auge ſehn - ſüchtig nach dem Könige gerichtet. Er fährt fort, mit ſich ſelbſt zu reden.)

Im Schoos der Erd, im Hain und auf der Flur Wie wühlt es jetzo rings in der Natur Von nimmerſatter Kräfte Gährung! Und welche Ruhe doch, und welch ein Wohlbedacht! Dadurch in unſrer eignen Bruſt erwacht Ein gleiches Widerſpiel von Fülle und Entbehrung. In meiner Bruſt, die kämpft und ruht, Welch eine Ebbe, welche Fluth!

(Pauſe.)

Almiſſa ! Wie? Wer flüſtert mir den Namen, Den langvergeſſ’nen, zu? Hieß nicht mein Weib Almiſſa? Warum kommt mir’s jezt in Sinn? Die heil’ge Nacht, gebückt auf ihre Harfe, Stieß träumend mit dem Finger an die Saiten, Da gab es dieſen Ton. Vielleicht genoß ich In ſolcher Stunde einſt der Liebe Glück

(Langes Schweigen. Aufſchauend endlich gewahrt er The - reilen, die ſich ihm liebevoll genähert hat.)

Ha! bin ich noch hier? Stehſt du immer da? So tief verſank ich in die ſtummen Thäler, Die mir Erinn’rung grub in mein Gehirn, Daß mir jezt iſt, ich ſäh zum erſten Mal Dich, die verhaßte Zeugin meiner Qual. O warf ein Gott mich aus der Menſchheit Schranken,168 Damit mich deine fluchenswerthe Gunſt Gefeſſelt hält in ſeligem Erkranken, Mich ſättigend mit ſchwülem Zauberdunſt, Mir zeigend aller Liebesreize Kunſt, Indeß du dich in ſtillem Gram verzehrſt Um den Genuß, den du dir ſelbſt verwehrſt? Denn dieſer Leib, trotz deinen Mitteln allen, Iſt noch dem Blut, das ihn gezeugt, verfallen; Umſonſt, daß ich den deinen an mich drücke, Vergebens dieſe durſtig ſchöne Bruſt, So bleiben unſre Küſſe, unſre Blicke Fruchtloſe Boten unbegränzter Luſt!

(für ſich.)

Weh! muß ich eitle Liebesklage heucheln, Mir Mitleid und Erlöſung zu erſchmeicheln?

Darum, unſterblich Weib, ich bitte ſehr, Verkenne dich und mich nicht länger mehr! Verbanne mich aus deinem Angeſicht, So endigſt du dieß jammervolle Schwanken, Mein unwerth Bildniß trage länger nicht Im goldnen Netze liebender Gedanken!

Thereile.

Ganz recht! was ungleich iſt, wer kann es paaren? Wann wäre Hochzeit zwiſchen Hund und Katze? Und doch, ſie ſind ſich gleich bis auf die Tatze. Wie ſoll, obwohl er Floſſen hat, der Pfeil Alsbald, dem Fiſche gleich, den See befahren? Hat ja ein edes Ding ſein zugemeſſen Theil;169 Doch weiß ich nichts, das wie des Menſchen Mund So viel verſchied’ne Dienſte je beſtund: Ei, der kann Alles trennen und vereinen, Kann eſſen, küſſen, lachen oder weinen, Nicht ſelten ſpricht er, wenn er küſſen ſoll; Muß aber einmal doch geſprochen ſeyn, So iſt es Wahrheit, ſollt ich meinen, Schön Dank! da iſt er aller Lügen voll.

Denn ſieh, mit welcher Stirn wirfſt du mir ein, Wir glichen uns nur halb, und nur zum Schein? Kann der von Bitter ſagen oder Süß, Den ich den Rand noch nicht des Bechers koſten ließ? Still, ſtill! ich will nichts hören, nicht ein Wort! So wenig lohnt es ſich mit dir zu rechten, Als wollt ich einem Bären Zöpfe flechten. Thu, was du magſt. Geh, trolle dich nur fort! Ich bin des Schnickeſchnackens müde.

König.

Iſt es dein Ernſt?

Thereile.

Ernſt? o behüte! Jezt überfällt mich erſt die wahre Luſt, Dir zum Verdruß dich recht zu lieben. Komm, laß uns tanzen! Komm, mein Freund, du mußt!

(Sie fängt an zu tanzen.)
König
(für ſich).

Wie haſſ ich ſie! und doch, wie ſchön iſt ſie! 170Hinweg! mir wird auf Einmal angſt und bange Bei dieſer kleinen golden-grünen Schlange. Von ihren rothen Lippen träuft Ein Lächeln, wie drei Tropfen ſüßes Gift, Das in dem Kuß mit halbem Tode trifft. Ha! wie ſie Kreiſe zieht, Anmuth auf Anmuth häuft! Doch ſtößt’s mich ab von ihr, ich weiß nicht wie.

(Es ruft etwas entfernt: Thereile! Ach Thereile! )
König.

Horch!

Thereile.

Die Kinder kommen; welch Geſchrei!

Fünfte Scene.

Die Borigen und die Kinder mit Silpelitt.
Thereile.

Was habt ihr denn? was iſt geſchehn? ſprich, Malwy! Talpe, oder du!

Malwy.

Ach Schweſter!

Thereile.

Nun! Der Athem ſteht euch ſtill. Wo habt ihr Silpelitt?

Silpelitt
(hervortretend).

Hie bin ich.

Malwy.

Als wir Silpelitt ſuchten, konnten wir ſie gar nicht finden. Wir rannten wohl neun Elfenmeilen,171 darfſt glauben, und ſtöberten in dem Schilf herum, wo ſie zu ſitzen pflegt, wenn ſie ſich verlaufen hat. Auf Einmal an dem Fels, wo das Gras aus den mau - ligen Löchern wächst, ſteht Talpe ſtill und ſagt: hört ihr nicht Silpelitts Stimme, ſie redet mit Jemand und lacht. Da löſchten wir die Laternlein aus und liefen zu. Ach du mein! Thereile, da iſt ein großer, grauſam ſtarker Mann geweſen, dem ſaß Silpclitt auf dem Stiefel und ließ ſich ſchaukeln. Er lachte auch dazu, aber mit einem ſo tückiſchen Geſicht

Talpe.

Schweſter, ich weiß wohl, das iſt der Rieſe, er heißt der ſichere Mann.

Thereile.

Ueber das verwegene, ungerathene Kind! Warte nur, du böſes, duckmäuſeriges Ding! Weißt du nicht, daß dieſes Ungeheuer die Kinder alle umbringt?

Talpe.

Bewahre, er ſpielt nur mit ihnen, er knetet ſie unter ſeiner Sohle auf dem Boden herum und lacht und grunzt ſo artig dabei und ſchmunzelt ſo gütig.

Thereile
(zum König).

Mir tödtete er einſt den ſchönſten Elfen durch dieſe heilloſe Beſchäftigung. Er iſt ein wahrer Sumpf an langer Weile.

Talpe
(zu einem andern Kind).

Gelt? ich und du wir haben ihn einmal belauſcht,172 wie er bis über die Bruſt im Brulla-Sumpf geſtanden, ſammt den Kleidern; da ſang er ſo laut und brummelte dazwiſchen: ich bin eine Waſſerorgel, ich bin die aller - ſchönſte Waſſernachtigall!

Thereile.

Haſt du dieſes Ungethüm ſchon öfter beſucht, Silpelitt? Ich will nicht hoffen.

Silpelitt.

Er thut mir nichts zu Leide.

König
(für ſich).

Wer iſt das Kind? Es gleicht den Andern nicht. Mit ſonderbarem Anſtand trägt es ſich, Und ernſthaft iſt ſein Blick. Nein, dieſes iſt Kein Feenkind, vielleicht die Fürſtin hat Es grauſam aus der Wiege einſt entführt.

(Man hört in der Ferne eine gewaltige Stimme: Trallirra a aa ü Pfuldararaddada ! ! Die Anweſenden erſchrecken heftig. Die Kinder hängen ſich ſchreiend an Thereile.)
Thereile.

Seyd ſtille! ſeyd doch ruhig! Er kommt gar nicht daher, es geht gar nicht auf uns.

(Zum König)

Es iſt die Stimme deſſen, von dem wir vorhin ſprachen.

König.

Horch!

Thereile.

Horcht! ..

173
König.

Dieß iſt der Wiederhall davon; das Echo, das durch die Krümmen des Bergs herumläuft.

Thereile.

Habt gute Ruhe, Kinder. Jezt muß er ſchon um die Ecke des Gebirgs gewendet haben.

Nun auf und fort ihr närriſchen Dinger alle! Und ſammelt tauſend wilde Roſen ein; In jeder ſoll mit grünem Dämmerſchein Ein Glühwurm, wie ein Licht, gebettet ſeyn, Und damit ſchmückt, noch eh der Morgen wach, Mein unterirdiſch Schlafgemach Im kühlen Bergkryſtalle!

(Die Kinder hüpfen davon. Thereile wendet ſich wie - der an den König.)

Du biſt heut nicht gelaunt zum Tanz, Den alten Trotzkopf ſeh ich wieder ganz. Was möcht ich doch nicht Alles thun, Dir nur die kleinſte Freude zu bereiten! Laſſ uns in ſanfter Wechſelrede ruh’n, Zwei Kähnen gleich, die aneinander gleiten.

Sieh, wie die Weide ihre grünen Locken Tief in die feuchte Nacht der Waſſer hängt, Indeſſen dort der erſte Morgenwind Ihr ihre keuſchen Blüthenflocken Muthwillig zu entführen ſchon beginnt.

König.

Und ſiehſt du nicht dieß hohe Feenkind,174 Vom Athemzug der lauen Nacht beglückt, Nicht ahnend, welche ſchmeichelnde Gefahr Auf ihre Tugend nah und näher rückt?

Thereile.

Du biſt ein Schalk! Dieß iſt nicht wahr!

König.

Geſtatte wenigſtens, daß wir nun ſcheiden, Und, möcht es ſeyn, für immerdar; Ich ſehe keine Rettung ſonſt uns Beiden, Wenn nicht dein Herz, verbot’ner Liebe voll, So wie das meine, ganz verzweifeln ſoll.

Thereile.

O Gimpel! ich muß lachen über dich. Leb wohl für heute. Morgen ſiehſt du mich.

(Sie ſtößt ihn fort.)

Sechste Scene.

Thereile
(allein; nach einer Pauſe, auffahrend).

O Lügner, Lügner! ſchau mir in’s Geſicht! Sprich frei und frech, du liebſt Thereile nicht! Dieß nur zu denken zitterte mein Herz, Und hinterlegte ſich’s mit kümmerlichem Scherz. Nun ſteh mir, Rache, bei ! Doch dieß iſt ſo: Von nun an wird Thereile nimmer froh. Hätt ich den Hunger eines Tigers nur, Dein falſches Blut auf Einmal auszuſaugen! Ha, triumphire nur, du Scheuſal der Natur,175 Ich ſah es wohl, allein mit blinden Augen. Doch, bleibt mir nicht die Macht, ihn feſt zu halten? Iſt er gefeſſelt nicht durch ein geheimes Wort? Ich bann ihn jeden Augenblick, Wenn ich nur will, zu mir zurück. So fliehe denn, ja ſtiehl dich immer fort, Ich martre dich in tauſend Spuckgeſtalten!

(Sie ſinnt wieder nach.)

Oft in der Miene ſeines Angeſichts Ahnt ich ſchon halb mein jetziges Verderben; Ich hatte Wunden, doch ſie thaten nichts: Da ich ſie ſehe, muß ich daran ſterben!

(ab.)

Siebente Scene.

Wirthsſtube in der Stadt Orplid. Kollmer aus Eine und einige Bürger ſitzen an den Tiſchen umher, trinkend und ſchwatzend.
Ein Weber.

Hört, Kollmer! Ihr habt ja neulich wieder nach den beiden Lumpenhunden gefragt, von denen ich Euch ſagte, daß ſie gern die alte Chronik an Euch los wären, die kein Menſch leſen kann. Wenn Ihr noch Luſt habt, ſo mögt Ihr dazu thun, ſie wollen’s auf’s Schloß dem gelehrten Herrn bringen, dem Harry; der iſt Euch wie beſeſſen auf dergleichen Schnurrpfeife - reien aus.

Kollmer.

Seyd außer Sorgen, ich hab den Schatz ſchon in Händen und wir ſind bereits halb Handels einig. Dieſen Abend wird es vollends abgemacht.

176
Glasbrenner.

Wenn ich Euch rathen darf, laßt Euch nicht zu tief mit den ſaubern Kameraden ein; Ihr habt ſie ſonſt immer auf’m Hals.

Müller.

Mir denkt’s kaum, daß ich ſie Ein Mal ſah.

Weber.

O ſie liegen ganze Nachmittage im lieben Son - nenſchein auf’m Markt, haben Maulaffen feil, ſchlagen Fliegen und Bremſen todt und erdenken allerlei Pfiffe, wie ſie mit Stehlen und Betrügen ihr täglich Brod gewinnen. Es ſind die einzigen Taugenichtſe, die wir auf der Inſel haben; Schmach genug, daß man ſie nur duldet. Wenn’s nicht den Anſchein hätte, als ob die Götter ſelbſt ſie aus irgend einer ſpaßhaften Grille ordentlich durch ein Wunder an unſern Strand gewor - fen, ſo ſollte man ſie lange erſäuft haben. Nehmt nur einmal: Unſere Kolonie beſteht ſchon ſechszig Jahre hier, ohne daß außer den Störchen und Wachteln auch nur Ein lebend Weſen aus einem fremden Welttheil ſich über’s Meer hieher verirrt hätte. Die ganze übrige Menſchheit iſt, ſo zu ſagen, eine Fabel für unſer einen; wenn wir’s von unſern Vätern her nicht wüß - ten, wir glaubten kaum, daß es ſonſt noch Kreaturen gäbe, die uns gleichen. Da muß nun von Ungefähr einem tollen Nordwind einfallen, die paar Tröpfe, den Unrath fremder Völker, an dieſe Küſten zn ſchmeißen. Iſt’s nicht unerhört?

177
Schmid.

Wohl, wohl! Ich weiß noch als wär’s von ge - ſtern, wie eines Morgens ein Johlen und Zuſammen - rennen war, es ſeyen Landsleute da aus Deutſchland. All das Fragen und Verwundern hätt kaum ärger ſeyn können, wenn einer warm vom Mond gefallen wär. Die armen Teufel ſtanden keuchend und ſchwitzend vor der gaffenden Menge, ſie hielten uns für Menſchen - freſſer, die zufällig auch deutſch redeten. Mit Noth bracht man aus ihnen heraus, wie ſie mit einer Aus - rüſtung von Dings da, von wie heißt das große Land? nun, von Amerika aus, beinah zu Grund ge - gangen, wie ſie, auf Booten weiter und weiter getrie - ben, endlich von den Andern verloren, ſich noch zulezt auf einigen Planken hieher gerettet ſahen.

Glasbrenner.

Hätt doch ein Wallfiſch ſie gefreſſen! Der Eine iſt ohnehin ein Häring, der winddürre lange Fleder - wiſch, der ſich immer für einen geweſenen Informator ausgibt, oder wie er ſagt, Profeſſer. Der Henker behalt alle die ausländiſchen Wörter, welche die Kerls mitbrachten. Ein Barbier mag er geweſen ſeyn. Sein Geſicht iſt wie Seife und er blinzelt immer aus triefigen Augen.

Schmid.

Ja, und er trägt Jahr aus Jahr ein ein knappes Fräcklein aus Nanking, wie er’s nennt, und grasgrüne Beinkleider, die ihm nicht bis an die Knöchel reichen,12178aber er thut euch doch ſo zierlich und ſchnicklich, wie von Zucker und bläst ſich jedes Stäubchen vom Aermel weg.

Weber.

Ich hab ihn nie geſehen, wo er nicht ängſtliche, halbfreundliche Geſichter gemacht hätte, wie wenn er bei jedem Athemzug beſorgte, daß ihm ſein Freund, der Buchdrucker, Eins hinter’s Ohr ſchlüge. Ich war Zeuge, als ihm dieſer von Hinten eine Tabaks - pfcife mit dem Saft auf ſeine Häupten ausleerte, um einen Anlaß zu Händeln zu haben.

Glasbrenner.

Richtig, der mit dem rothen ſchwammigten Aus - ſehen, das iſt erſt der rechte; ſo keinen Säufer ſah ich in meinem Leben. Sein Verſtand iſt ganz verſchlammt, er redt langſam und gebrochen, auf zehn Schritte riecht er nach Branntwein.

Weber.

So haltet nur die Naſe zu, denn dort ſeh ich beide edle Männer an der Thür.

Kollmer.

Sie werden mich ſuchen wegen des Kaufs. Auf Wiederſehn, ihr Herren!

(Ab.)
Schmid.

Was will denn der Kollmer mit dem unnützen Zeug, dem Buch, oder was es iſt?

179
Weber.

Er ſagt, er lege vielleicht eine Sammlung an von dergleichen alten Stücken.

Schmid.

Ein ſonderbarer Kauz. Es heißt auch, er gehe mit Geſpenſtern um.

Weber.

Man red’t nicht gern davon. Was geht’s mich an!

Achte Scene.

Eine kleine ſchlechte Stube.
Buchdrucker
(allein; er ſteht an die Wand gelehnt mit geſchloſſenen Augen).

Den Fund hab ich gethan, nicht du! So iſt die Sache. Du haſt keinen Theil an der Sache, miſerable Kreatur! Ich hab die Rarität entdeckt, ich hab im alten Keller im Schloß, hab ich das eiſerne Kiſtel alle Wetter! hab ich’s nicht aufgebrochen? Willſt gleich mein Stemmeiſen an Kopf, Nickel verfluchter?

(Er ſchaut auf und kommt zu ſich.)

Wieder einmal geſchlafen. Ah! Der Musje Kollmer wird jezt bald da ſeyn. Muß ihn der Teufel juſt herführen, wenn ich beſoffen bin? Nimm dich zuſammen, Buchdrucker, halt die Augen offen, lieber Drucker. Und der Tropf, der Wispel muß weg, wenn mein Beſuch kommt, er ſchenirt mich nur; der Affe würde thun, als gehörte der Profit ihm und die Ehre.

180
Wispel
(kommt haſtig herein. Durchaus mit Affektation).

Bruder, geſchwind! Wir wollen aufräumen, wir wollen uns ankleiden. Der Herr wird gleich kommen, er will Bunkt Ein Uhr kommen. Jezt haben wir gerade Zwölf.

Buchdrucker.

Ja, man muß ſich ein wenig einrichten. Ich will mich etwas putzen. Wenn ich mich heut mit lauem Waſſer waſche, kann er zufrieden ſeyn; er wird es zu rühmen wiſſen.

Wispel
(geſchäftig hin und her).

Es kömmt darauf an, daß ich in größter Eile meine Toilette rangire oder embellire.

Buchdrucker.

Wo wirſt du dich indeſſen aufhalten, während mich der Fremde ſpricht?

Wispel
(ſchnell).

Ich bleibe, Guter, ich bleibe. Wo iſt das Zähne - bürſtchen, das Zäh die Schuhbürſte wollt ich ſagen. Aber meine Zähne ſind ebenfalls häßlich und theilweiſe ausgefallen Ei, was thut’s aber? ich be - komme dadurch eine ſehr weiche Ausſprache, eine Dik - tion, die mich beſonders bei den Damen ſehr empfehlen muß, denn, verſtehſt du, weil der Buchſtabe r in ſei - ner ganzen Rohheit gar nicht ohne die Zähne ausge - ſprochen werden kann, ſo darf ich von meinen ausge -181 fallenen Zähnen füglich ſagen, es ſeyen lauter elidirte Erre. Durch dergleichen Eliſionen gewinnt aber eine Sprache unendlich an ſüßem italieniſchem Charakter. Aber, mein Gott, dieſes Hemd iſt gar zu ſchmutzig Nun!

Buchdrucker
(ſtellt ſich dicht neben ihn).

Wo willſt du denn hingehen, ſo lang der Herr mich abfertigt, mich honorirt?

Wispel.

und meine Kamaſchen ebenfalls etwas abgetragen. Wie? Ich bleibe, ich bleibe, Beſter.

Buchdrucker.

Vielleicht machſt du in dieſer Zeit einen Gang um die Stadt, Bruder? Geh, führ dich ab!

Wispel.

Freilich, wir ſollten ihn eher an einem dritten Ort empfangen, du haſt Recht. Es is doch gar zu unreinlich in unſerm Zimmerchen, in unſerm klei - nen Apartementchen. Eine unſäuberliche Manſarde präſentirt ſich nicht gut, malpropre.

Buchdrucker
(für ſich).

Er muß fort er muß fort. Wie er ſich puzt! Ich würde wie ein Schwein ausſehen neben ihm; neben ſeiner geläufigen Zunge müßte ich wie ein einfältiger unwiſſender Weinzapf da ſtehn. Ich kann es nicht ertragen, daß er zuſehen ſoll, wie ich meinen Profit einſtreiche, er würde gleich auch ſeine182 knöcherne Tatze dazwiſchen ſtrecken, mein Seel, er wär im Stand und bedankte ſich mit allerhand Aus - drücken für die Bezahlung.

(laut)

Was haſt du denn in dem großen Hafen da?

Wispel.

Es is nur ein Schmalznäpfchen, Bruder. Ich habe das Näpfchen unter Wegs ä ä ent - lehnt, um meine Haare ein wenig zu befetten, weil wir keine Pomade haben für unſre beiderſeitigen Ka - pillen. Es is nur e nemlich, daß man nicht ohne alle Elegançe erſcheint vor dem Manne; mein Gott!

Buchdrucker.

Das iſcht ja aber eine wahre Schweinerei!

Wispel.

Nämlich ä nein, es is

Buchdrucker
(für ſich).

Aber er wird ſich doch gut damit herausſtaffiren, er wird für einen Prinzen neben mir gelten. Herr Gott! was ſich dieſe Spitzmaus einreibt! was ſich dieſer unſcheinbare weiße Ferkel auf Ein Mal her - ausſtriegelt!

(Der Buchdrucker taucht jezt die Hand auch in den Topf und ſtreicht ſich’s auf. Es ſtehen Beide um den Tiſch; in der Mitte der Topf.)
Wispel.

Hör mal, Bruder, es ſoll gar ein kurioſer Mann ſeyn, auf Ehre; ganz eichen, welcher ſeine Liebhaberei183 an abenteuerlichen, ſeltſamen, dunkeln Redensarten und Ideen hat. Ich denke recht in ihn einzugehen, recht mit ihm zu conſerviren. Ich freue mich ſehr, wahrhaftig.

Buchdrucker.

Nein, nein, nein! bitt dich! juſt das Gegentheil! Je weniger man red’t, je ſtummer und verſtockter man iſt, deſto mehr nimmt man an Achtung bei dieſem eigenen, allerdings raren Manne zu.

Wispel.

Gottlob, daß mich mein beſeligter Vater in der Erziehung nicht vernachläſſigte. Ich werde ihm z. B. von dem eigentlichen ſinnigen Weſen der unterirdi - ſchen Quellen oder Fontainen, von den Kryſtallen unterhalten.

Buchdrucker
(für ſich).

So wahr ich lebe, Kryſtallknöpfe trägt er wirk - lich an ſeinem Rock. Ich werde ihm auch von Ko - rallen und Steinen allerhand ſagen.

Wispel
(im Ankleiden).

Seit meiner berühmten Seefahrt hab ich gewiß allen Anſpruch auf Diſtinktion; ich werde mich erbie - ten, ein praktiſches Kollegium über Nautik und - here Schwimmkunſt vorzutragen; ich werde dem gu - ten Kollmer überhaupt dieſes und jenes Phantom communiziren. Und was das ſeltene Buch betrifft, ſo überlaſſ nur mir, zu handeln. Man muß etwa184 folgendergeſtalt auftreten: Mein Herr! Es is’n Band, der, wie er einmal vor uns liegt, ohne Eigen - dünkel zu reden, in der That ein antiquariſches In - tereſſe, eine antiquariſche Geſtalt annimmt. Wenn Sie zu dem bereits feſtgeſezten Kaufpreis, nemlich zu den drei Butten Mehl, dem Fäßchen Honig und dem goldenen Kettlein, etwa noch eine Kleinigkeit, eine Hemdkrauſe, eine Buſennadel oder dergleichen ä hinzufügen wollten, ſo möcht es gehen. Nun macht er entweder Basta oder macht nicht Basta; ich werde jedoch auf jeden Fall delikat genug ſeyn, um ſchnell abzubrechen; es wäre gemein, werd ich ſagen, zu wuchern um etwas ganz Triwiales; tranſi - liren wir auf andere Materie. Ich habe oft eigene Gedanken und Ideen, mein Herr, auch weiß ich, daß Sie nicht minder Liebhaber ſind. So z. B. fällt mir hier ein, es wäre eichen, wenn ſich ä wart, ich hab es ſogleich Ja, nun eben ſtößt mir’s auf, ich hab es: nemlich in der Natur, wie ſie einmal vor uns liegt, ſcheint mir Alles belebt, rein Alles, obgleich in ſcheinbarer Ruhe ſchlummernd und fanta - tiſirend; ſo par exemple, wenn ſich einmal die Stra - ßenſteine zu einem Aufruhr gegen die ſtolzen Gebäude verſchwüren, ſich zuſammenrotteten, die Häuſer ſtürz - ten, um ſelbſt Häuſer zu bilden? Wie? heißt das nicht eine geniale Fantaisie? Comment?

Buchdrucker.

Eſel! So? Wenn ſich die Finger meiner Hand185 auch zuſammenrottiren und machen eine Fauſt und ſchlagen dir deinen Schafskopf entzwei? Comment?

Wispel
(lächelt).

Ae ! ja das wäre meine Idee etwas zu weit ausgeführt, Beſter. Aber was treibſt du ? Ciel! Deine Haare werden ja ſo ſtarr wie ein Seil! Dein Haupt iſt ja wie eine Blechhaube! Du leerteſt ja die Hälfte des Topfes aus!

Buchdrucker.

Alle Milliarden Hagel Donnerwetter! Warum ſagſt du’s nicht gleich! du hundsföttiſcher neidiſcher Blitz!

(mißhandelt ihn.)
Wispel.

Himmel! wie konnt ich es früher äußern, da ich es in dieſem Moment erſt gewahre? ſo wahr ich lebe, Bruder Himmel! du beſchmutzeſt ja mein Fräckchen völlig, ſchlag auf die Wange, lieber auf die Wange! um deiner Freundſchaft willen

Buchdrucker.

Daß dich das hölliſche Pech! Du Krötenlaich! Du Stinkthier! Schwerenoth! die Brüh läuft mir den Hals ’nunter! Ein Kamm her! Ein Kamm!

Wispel
(trocknet ihn mit einem Tuch).

So. So. Es is ja Alles wieder gut und hübſch Ich habe dich nie ſo glänzend geſehen, auf Ehre. So. Jezt ſind wir ja fix und fertig.

(geht vor ein kleines Spiegel -186 chen und hüpft freudig empor.)

Ach alle Engel! Ich ſehe aus wie gemalt.

(Singt.)
Das Bräutchen ſchön zu grüßen
Stürz ich vor ihre Füßen

Sieh her, du hätteſt eben freilich auch ſolche kleine Löckchen zwirbeln ſollen Schau ich hab hier mehrere Dutzende auf der Stirn; allein du ſiehſt, wie geſagt, nicht ſo übel aus, gar nicht ſo übel aus Horch! Es klopft doch nicht?

Buchdrucker.

Laſſ es klopfen!

Wispel.

Schön geſagt! das erinnert treffend an Don Gio - vanni, wo der Geiſt auftreten muß Eine treffliche Oper.

Buchdrucker
(gibt ihm eine Ohrfeige).

Da haſt du einen Schiowanni und eine Ooper. Und jezt gehſt du auf der Stell, weil mich Jemand ſprechen will, weil ich einen Werth von drei Louisd’or einnehmen will Geh ſpazieren!

(Man hört anklopfen.)
Wispel.

Er kömmt! Bruder Was ſtößt mir auf wir ſind noch nicht balbirt!

Buchdrucker.

Laſſ dich vom Henker einſeifen, Chineſe!

Wispel.

Soll ich durch den Spalt wispern und ſagen: er ſoll in einer halben Stunde wieder kommen; wir ſeyen187 zwar ſchon raſirt, aber wir hätten ä noch einen Brief zu ſchreiben?

Buchdrucker.

Dummer Hund! Herein!

Ein Mädchen
des Wirths (tritt herein).

Drunten hat ein Knecht von Elne einige Sachen gebracht, und einen Gruß von Herrn Kollmer.

Wispel.

Mein! Will denn der Herr nicht ſelbſt kommen?

Mädchen.

Scheint nicht.

Wispel.

Ich bin des Todes! Mich ſo um Nichts und wie - der Nichts präparirt mich bei zwei Stunden o himmelſchreiend! Denke nur, gutes Kind, ich hatte ihm die wichtigſten Eröffnungen zu machen!

Mädchen.

Mein Vater, der Wirth, läßt die Herrn erſuchen, Sie möchten bei dieſer Gelegenheit auch an die halb - jährige Rechnung denken.

Wispel.

Ja Mädchen, ich wollte Herrn Kollmern ſogar den Plan zur Grundlegung einer gelehrten Geſellſchaft mittheilen. So was wie die Academie française.

Mädchen.

Der Vater läßt fragen, ob er Ihre Schuldigkeit188 nicht lieber gleich von den bei uns niedergelegten Sachen abziehen ſoll, die der Knecht gebracht hat.

Wispel.

So manche Erfindungen der gebildeten Europa dachte ich auch auf unſerer armen Inſel einzuführen! z. B. die Buchdruckerkunſt, welch ein herrlicher Wir - kungskreis gleich für dich, mein Bruder! ſodann die Fabrikation des Schießpulvers das Münzweſen ein Nationaltheater ein hôtel d’amour ich wollte der Schöpfer eines neuen Paris werden.

Mädchen.

Was ſag ich denn meinem Vater als Antwort?

Wispel.

Und dieſer Monſieur Kollmer wäre offenbar der einzige Mann, den ich mir aſſoçiiren könnte.

Mädchen.

Ade, ihr Herrn!

Buchdrucker.

Bleibe ſie ein wenig bei uns, lieber Schatz. Ver - treibe ſie uns ein wenig die Zeit!

Wispel.

Ja, laſſen Sie uns einiger Zärtlichkeit fröhnen!

Mädchen
(macht ſich ſchnell davon).
Buchdrucker
(nach einem Stillſchweigen).

Jezt muß eine ganz beſondere Maaßregel ergriffen werden, und ergib dich nur gutwillig drein.

189
Wispel.

Was ſoll dieſer Strick, Bruder?

Buchdrucker.

Bei meiner armen Seele, und ſo wahr ich ſelig werden will, ich drehe dir den Kragen um, wenn du nicht Alles ſtillſchweigend mit dir anfangen läßt, was ich mit dieſem Strick vorhabe.

Wispel.

Grand Dieu! o Himmel! nur ſchone mein bischen Leben, nur jugulire mich nicht! bedenke, was ein Bru - dermord beſagt!

Buchdrucker.

Schweig, ſag ich!

(Er bindet ihm beide Füße an einen Pfoſten und knebelt ihn feſt.)

So. Ich will nur nicht haben, daß du bei’m Auspacken meines Profits die Naſe überall voraus habeſt, Racker! Adio indeſſen.

(Ab. Wispel wimmert und ſeufzt, dann fängt er in der langen Weile an, mit dem Saft ſeines Mundes künſtliche Blaſen nach Art der Seifenblaſen zu bilden. Der Buchdrucker ſieht ihm eine Zeitlang durch’s Schlüſſelloch zu. Endlich ſchläft Wispel ein.)

Neunte Scene.

Nacht. Mondſchein. Waldiges Thal. Mummelſee. Im Hintergrunde den Berg herab gegen den See ſchwebt ein Leichenzug von beweglichen Nebelgeſtalten. Vorne auf einem Hügel der König, ſtarr nach dem Zuge blickend. Auf der andern Seite, unten, den König nicht bemerkend, zwei Feen - kinder.
190
Die Feenkinder
(im Zwiegeſpräch).

Vom Berge, was kommt dort um Mitternacht ſpät Mit Fackeln ſo prächtig herunter? Ob das wohl zum Tanze, zum Feſte noch geht? Mir klingen die Lieder ſo munter. Ach nein! So ſage, was mag es wohl ſeyn?

Das was du da ſieheſt iſt Todtengeleit, Und was du da höreſt ſind Klagen; Gewiß einem Könige gilt es zu Leid, Doch Geiſter nur ſind’s, die ihn tragen. Ach wohl! Sie ſingen ſo traurig und hohl.

Sie ſchweben hernieder in’s Mummelſeethal, Sie haben den See ſchon betreten, Sie rühren und netzen den Fuß nicht einmal, Sie ſchwirren in leiſen Gebeten; O ſchau! Am Sarge die glänzende Frau!

Nun öffnet der See das grünſpiegelnde Thor, Gib Acht, nun tauchen ſie nieder! Es ſchwankt eine lebende Treppe hervor Und drunten ſchon ſummen die Lieder. Hörſt du? Sie ſingen ihn unten zur Ruh.

Die Waſſer, wie lieblich ſie brennen und glüh’n! Sie ſpielen in grünendem Feuer, Es geiſten die Nebel am Ufer dahin, Zum Meere verzieht ſich der Weiher. Nur ſtill, Ob dort ſich nichts rühren will?

191

Es zuckt in der Mitte! O Himmel, ach hilf! Ich glaube, ſie nahen, ſie kommen! Es orgelt im Rohr und es klirret im Schilf; Nur hurtig, die Flucht nur genommen! Davon! Sie wittern, ſie haſchen mich ſchon!

(Die Kinder entfliehen. Der Zug ſtreicht wieder den Berg hinan. Während er verſchwindet, ruft der König mit ausgeſtreckten Armen nach.)
König.

Halt! Haltet! Steht! Hier iſt der König Ulmon! Ihr habt den leeren Sarg verſenkt, o kommt! Ich, der ihn füllen ſollte, bin noch hier. Almiſſa, Königin! hier iſt dein Gatte! Hörſt du nicht meine Stimme? kennſt ſie nimmer? Nein, kennſt ſie nimmer. Weh, o weh mir, weh! Könnt ich zur Leiche werden, ſie vergönnten Mir auch ſo kühles Grab. Leb ich denn noch? Wach ich denn ſtets? Mir däucht, ich lag in dem kryſtallnen Sarge, Mein Weib, die göttliche Geſtalt, ſie beugte Sich über mich mit Lächeln; wohl erkannt ich Sie wieder und ihr liebes Angeſicht. Fluch! wenn ſie einen Anderen begraben, Wenn einem Fremden ſie ſo freundlich that! Wie? ſo ſtarb Lieb und Treue vor mir hin? Freilich, zu lange ſäumt ich hier im Leben O Weyla, hilf! laß ſchnell den Tod mich haben! Auf kurze Weile nur führ mich hinab In’s Reich der Abgeſchied’nen, daß ich eilig192 Mein Weib befragen mag, ob ſie mir Treue Bewahrt, bis daß ich komme.

Und wenn dem nicht ſo wäre, wenn ich ganz Vergeſſen wäre bei den ſel’gen Todten? O Weyla hilf! Laß dieſes Aergſte mich Nicht ſchauen, dieß nur nicht! Denn eher fleh ich, Wenn deine Gottheit keinen Ausweg weiß, Laß lieber hier mich an der ird’ſchen Sonne, Die traur’gen Tage durch die Ewigkeit Fortſpinnend, leben, fern gebannt von Jenen, Die meine königliche Seele ſo Gekränkt. O ſchändlich, ſchändlich! unbegreiflich! Almiſſa, du mein Kind? Sollt ich das glauben?

(Man hört eine beſänftigende Muſik. Pauſe.)

Das Nachtgeſichte, das ich vorhin ſah, Ich wag es nun zu deuten Ja, mir ſagt’s Der tiefe Geiſt. Die Götter zeigten wohlgeſinnt und gütig Im Schattenbilde mir das bald’ge Ende All meiner Noth. Es war das holde Vorſpiel Des Todes, der mir zubereitet iſt. Vor Freude ſtürmt mein Herz! Und ſchwärmt ſchon an des Scees Ufern hin Wo endlich mir die dunkle Blume duftet. O, eilet, Götter, jezt mit mir! Laßt bald Mich euren Kuß empfangen! ſey es nun Im Wetterſtrahl, der ſchlängelnd mich verzehre, Sey es im Windhauch, der die ſtillen Gräſer193 Vorüberwandelnd neigt und weht die Seele Ulmons dahin.

(Ab.)

Zehnte Scene.

Mittag. In der Nähe des Meeres.
Weber
allein.

Welch Wunder wird geſchehen durch dieß Buch! Ja, welch ein Wunder hat ſich ſchon ereignet In meiner Gegenwart! Denn als ich ihm, Dem König, jene Blätter übergab, Warf er ſein Haupt empor mit ſolchem Blick, Als ſollt es kommen, daß vom Himmel ein Stern Herniederſchießend rückwärts würde prallen Vor’m Sterne dieſes ſiegestrunk’nen Auges. Dann, alsbald meiner Gegenwart vergeſſend, Lief er mit ſchnellem Schritt davon. Gewiß Iſt jenes dunkle Buch die Weiſſagung Und Löſung ſeines Lebens, es enthüllet Das Räthſel der Befreiung Horch, Es donnert! Horch! Die Inſel zittert rings, Sie hüpfet wie ein neugebornes Kind In den Windeln des Meers! Neugierige Delphine fahren rauſchend Am Strand herauf, zu Schaaren kommen ſie! Ha! welch ein lieblich Sommerungewitter Flammt roſenhell in kühlungsvoller Luft13194Und färbt dieß grüne Eiland morgenfriſch! Ihr Götter, was iſt dieß? Mich wundert nicht, Wenn nun, am hellen Tag, aus ihren Gräbern Geſpenſter ſtiegen, wenn um alle Ufer In grauen Wolken ſich die Vorzeit lagerte!

(Ein heftiger Donnerſchlag. Kollmer flieht.)

Eilfte Scene.

Mondnacht. Wald. König tritt herein. Silpelitt ſpringt voraus.
Silpelitt.

Hier iſt der Baum, o König, den du meinſt, Den meine Schweſter manche Nacht beſucht; Das Haupt anlehnend pflegt ſie dann zu ſchlummern.

König.

Von gelber Farbe iſt der glatte Stamm, Sehr ſchlank erhebt er ſich, und, ſonderbar, Die ſchwarzen Zweige ſenken ſich zur Erde, Wie ſchwere Seide anzufühlen. Kind, Wir ſind am Ziel. Sey mir bedankt, du haſt Mich mühſam den verſteckten Pfad geleitet, Die zarten Füße hat der Dorn gerizt, Doch ſind wir noch zu Ende nicht. Sag mir

Silpelitt.

Ich will dir Alles ſagen, nichts verſchweigen

König.

Was haſt du? Warum fängſt du an zu zittern? Nicht dich zu ängſtigen kam ich hieher.

195
Silpelitt.

Nein, du mußt Alles wiſſen, aber nur Der Schweſter ſage nichts

König.

Gewißlich nicht.

Silpelitt.

Schon ſeit der Zeit, als ich mich kann beſinnen, War ich Thereilen unterthan, der Fürſtin; Doch nur bei Nacht (dieß iſt der Feeen Zeit) War ich gehorſam, gleich den andern Kindern; Allein am Morgen, wenn ſie ſchlafen gingen, Band ich die Sohlen wieder heimlich unter, Nach Elnedorf zu wandern, und im Nebel Schlüpft ich dahin, von Allen unbemerkt. Dort wohnt ein Mann, heißt Kollmer, dieſer nennt Mich ſeine Tochter, warum? weiß ich nicht. Er meint, ich wäre gar kein Feeenkind. Er iſt gar gütig gegen mich. Bei Tag Sitz ich an ſeinem Tiſch, geh aus und ein Mit andern Hausgenoſſen, ſpiele Mit Nachbarkindern in dem Hofe, oder Wenn ich nicht mag, ſo zerren ſie mich her Und ſchelten mich ein ſtolzes Ding; ey aber Sie ſind zuweilen auch einfältig gar. Zur Nachtzeit geh ich wieder fort und thue, Als lief ich nach der obern Kammerthür, So glaubt der Vater auch, denn droben ſteht196 Mein Bettlein, wo ich ſchlafen ſoll. Allein Ich eile hinten über’n Gartenzaun Durch Wald und Wieſen flugs zum Schmettenberg, Damit Thereile meiner nicht entbehre; Auch hat ſie’s nie gemerkt, doch Ein Mal faſt.

König.

Beſorge nichts; vertraue mir; bald hörſt du weiter.

(Silpelitt verliert ſich während des Folgenden etwas im Walde.)
König.

Dieß iſt die Frucht von einem ſeltnen Bund, Den vor eilf Jahren eine ſchöne Fee Mit einem Sterblichen geſchloſſen hat; Nachher verließ ſie ihn, ja ſie benahm Ihm das Gedächtniß deſſen, was geſchah, Vermittelſt einer langen Krankenzeit; Nur dieſes Kind ſollt ihm als wie ein eignes Lieb werden und vertraut. Ja, ſonder Zweifel Iſt es der Mann, der, wenn mein Geiſt nicht irrt, Mich oft beſucht und mir das Buch verſchaffte. So alſo ward der Vater Silpelitts Zum erſten Werkzeug meiner Rettung weislich Erleſen von den Göttern, doch das Kind Soll noch das Werk vollenden, aber Beide Erwartet gleicher Lohn. Dieß liebliche Geſchöpf Wird eine Handlung feierlicher Art Nach Ordnung dieſes Buchs mit mir begehen, Und in dem Augenblicke, wo der Zauber Thereilens von mir weicht durch dieſes Kind’s197 Unſchuld’ge Hand, iſt auch das Kind befreit; Ein ſüß Vergeſſen kommt auf ſeine Sinne, Und der geliebte Vater wird in ihm Die eigne Tochter freudevoll umarmen. Zum erſten Male morgen, Silpelitt, Wirſt du den Fuß in’s kleine Bettlein ſetzen, Das noch bis jezt dein reiner Leib nicht hat Berühren dürfen; dennoch ſollſt du glauben, Du wärſt es ſo gewohnt, Thereile aber Wird dir ein fabelhafter Name ſeyn. Wo bleibſt du, Mädchen?

Silpelitt
(kommend).

Sieh, hier bin ich ſchon. Ich war den Felſen dort hinangeklettert, Mein Schweſter Morry hat einmal auf ihm ’nen rothen Schuh verloren.

König.

Sey bereit, Hier rechter Hand die Schlucht hinabzuſteigen. Dort wirſt du eine Grotte finden

Silpelitt.

Wohl. Ich kenne ſie. Noch geſtern hat der Rieſe, Der ſtarke Mann, den Felſen weggeſchoben. Jezt iſt der Eingang frei. Ich ſah ihm zu Bei ſeiner Arbeit. Herr, die Erde krachte, Da er den Block umwarf, ihm ſtund der Schweis198 Auf ſeiner Stirn, doch ſang er Trallira! Und ſagte: dieß wär nur ein Kinderſpiel. Dann nahm er mich und ſezt mich auf den Gipfel; Ich bat und weint, er aber ließ mich zappeln, Bis ich ihm oben ein hübſch Liedchen ſang. Nun trollt er weg und brummt: ich ſoll dich grüßen, Wenn du ihn wieder braucheſt, ſollſt’s nur ſagen. Verzeih, daß ich’s vergaß.

König.

Schon gut; nun höre! Durch jene ſchmale Oeffnung dringeſt du Zu einer Höhle, deren Innerſtes Ein Schießgeräth mit einem Pfeil verwahrt. Dieß Beides hole mir.

(Sie geht.)

So lehret mich Das Buch des Schickſals, ſo heißt mich ein Gott. Dort lehnt ein uralt ſchwer Geſchoß, zeither Von keines Menſchen Hand berührt, nur heute Soll dieſer Bogen an das Tageslicht, Den Pfeil zu ſchleudern in den gift’gen Auswuchs Reizvoller Liebe, die nach kurzem Schmerz Zur Heilung ſich erholet. O Thereile, Ich nehme bittern Abſchied, denn es fährt Die feige Schneide, die uns trennen ſoll, Bald rücklings in dein treues Herz; hier ſteht Der träumeriſche Baum, in deſſen Saft Du unſer Beider Blut vor wenig Monden199 Haſt eingeimpft. Jezt kreiſet es in ſüßer Gährung noch Im Innern dieſes Stammes auf und nieder. Wie ſehr die Nacht auch ſtille ſey, mein Ohr Beſtrebet ſich vergeblich, zu vernehmen Den leiſen Takt in dieſem Webeſtuhl Der Liebe, die mit holden Träumen oft Dein angelehnet Haupt bethöret hat. Bald aber rinnet von dem gold’nen Pfeil Der Liebe Purpur aus des Baumes Adern, Und alsbald aus der Ferne ſpürt dein Herz Die Qual der ſchrecklichen Veränderung, Doch nach vertobtem Wahnſinn wird im Schlummer Sich Ruhe ſenken auf dein Augenlied.

O Himmel! wie verlangt mich nach Erlöſung! Die Senne jenes göttlichen Geſchoſſes Zu ſpannen, fordert tauſendjähr’ge Stärke, Ich habe ſie; doch wahrlich, o wahrhaftig, Auch ohnedem fühlt ich die Kraft in mir, Gleich jenem Gott, der den demant’nen Pfeil Zum höchſten Himmel ſchnellte, daß er knirſchend Der Sonne Kern durchſchnitt und weiter flog, Bis wo des Lichtes lezter Strahl verlöſchte.

(Das Kind kommt zurück mit einer Art von Armbruſt. Er ſpannt ſie mit leichter Mühe, legt auf, und reicht ſie dem Mädchen in der Richtung nach dem Baume. Silpelitt drückt ab und in dem Augenblicke wird es ganz finſter. Man hört ein Seufzen von der ge - troffenen Stelle her. Beide ſchnell ab.)
200

Zwölfte Scene.

Vor Tagesanbruch. Thal.
Die Feenkinder
(treten auf).
Morry.

Hurtig! nur ſchnelle! Entſpringt und verſteckt euch Da hier in’s Gebüſche! Laſſ keine ſich blicken! Los bricht ſchon das Wetter.

Talpe.

Was haſt du? Was ſchnakſt du?

Morry.

Gift ſpeit die Schweſter! Sie raſet, ſie heulet Mit Wahnſinnsgebärde Dort hinter dem Felſen Durch’s Wäldchen daher.

Weithe.

Was iſt ihr begegnet? Ach laßt uns ihr helfen! Hat Dorn ſie geſtochen? Eidechslein gebiſſen?

Morry.

Dummköpfige Ratte, Halt’s Maul und verſteck dich! 201Das iſt ihre Stimme Die Kniee mir zittern.

(Alle ducken ſich zur Seite in’s Geſträuch.)
Thereile
(tritt auf).

Sieh her! Sieh her, o Himmel! Seht an, ſeht an, ihr Bäume, Thereile, die Fürſtin, Die Jammergeſtalt!

Die Freud hin auf immer! Verrathen die Treue! Und weh! nicht erreichen, Und weh! nicht beſtrafen Kann ich den Verräther, Entflohen iſt er.

O armer Zorn! Noch ärmere Liebe! Zornwuth und Liebe Verzweifelnd aneinander gehezt, Beiden das Auge voll Thränen, Und Mitleid dazwiſchen, Ein flehendes Kind.

Hinweg! kein Erbarmen! Ich muß ihn verderben! Ha! möcht ich ſein Blut ſehn, Ihn ſterben ſehen, Gemartert ſterben Von dieſen Händen, Die einſt ihm gekoſet,202 Die Stirn ihm geſtreichelt Wie zuckt mir die Fauſt!

Vergebliche Rachluſt! So reiſſ ich zerfleiſchend Hier, hier mit den Nägeln Die eigenen Wangen, Die ſeidenen Haare Du haſt ſie geküſſet, O garſtiger Heuchler!

Weh! Schönheit und Anmuth Was frag ich nach dieſen! Iſt Freud hin auf immer, Iſt brochen die Liebe, Was hilft mir die Schönheit, Was frag ich darnach!

Und bleibt nichts zu hoffen? Ach leider, ach nimmer! Der Riß iſt geſchehen, Er traf aus der Ferne Mir jählings das Leben, Mein Zauber iſt aus.

Weithe
(hervorſtürzend).

Ich halt mich nicht O liebe ſüße Schweſter!

Thereile.

Du hier? und ihr? Was iſt’s, verdammte Fratzen?

Weithe.

Gewiß nicht lauſchen wollten wir; ſie fürchten203 Sich nur vor deiner argen Meine ſo, Da ſteckten wir uns neben in’s Gebüſch.

Thereile.

Was glozt ihr ſo, gefällt euch mein Geſicht? Könnt’s auch ſo haben, wenn ihr wollt. Wo habt ihr Silpelitt? Antwort! ich will’s!

Weithe.

Sey gütig, Schweſter, wir verſchulden’s nicht; Sie fehlt uns ſchon ſeit geſtern.

Thereile.

Wirklich? So? Ihr falſchen Kröten! Ungeziefer! Was? Ich will euch lehren, eure Augen brauchen.

(Mißhandelt ſie.)

Daß euch die ſchwarze Peſt! Ja, wimmert nur! Ich brech euch Arm und Bein, ihr ſollt’s noch büßen!

(Alle ab.)

Dreizehnte Scene.

Nacht. Wald. Bezauberte Stelle. Feenkinder.
Talpe.

Dieß iſt der Platz; dort ſteht die ſchwarze Weide. Was nun? ſagt, wie befahl die Fürſtin uns?

Windigal.

Was kümmert’s mich? Ich rühre keine Hand.

Talpe.

Haſt du die Püffe ſchon verſauſ’t von geſtern?

204
Windigal.

Pfui! Bückel und Beulen über’n ganzen Leib! Ich lege mich in’s weiche Moos; kommt nur, Wir ruhen noch ein Stündchen aus und plaudern; Zur Arbeit iſt noch Zeit; die Andern ſind Auch noch nicht da. Seht, eine feine Nacht!

Malwy.

Vollmond faſt gar.

Windigal.

Wir ſingen Eins; paßt auf!

(ſie ſingen.)

Bei Nacht im Dorf der Wächter rief: Elfe! Ein ganz kleines Elfchen im Walde ſchlief; Elfe! Und meint, es rief ihm aus dem Thal Bei ſeinem Namen die Nachtigall, Oder Silpelitt hätt ihm gerufen.

Drauf ſchlüpft’s an einer Mauer hin, Daran viel Feuerwürmchen glüh’n: Was ſind das helle Fenſterlein! Da drin wird eine Hochzeit ſeyn, Die Kleinen ſitzen beim Mahle Und treiben’s in dem Saale; Da guck ich wohl ein wenig ’nein Ei, ſtößt den Kopf an harten Stein! Elfe, gelt, du haſt genug? Gukuk! Gukuk!

Morry
(kommt mit den Andern).

Ei brav. So? thut ſich’s? Nun, das iſt ein Fleiß; Wollt ihr nicht lieber ſchnarchen gar? Thereile205 Wird euch fein wecken. Das vertrackte Volk, Noch bluten Maul und Naſen ihm, und doch Um nichts gebeſſert.

Talpe
(leiſe).

Schaut, wie ſie ſich ſpreizt! Sie äfft der Schweſter nach, als wenn ſie nicht So gut wie wir voll blauer Mäler wäre.

Morry.

Den Baum ſollt ihr umgraben, rings ein Loch, Bis tief zur Wurzel, dann wird er gefällt. Dieß Alles muß geſchehen ſeyn, bevor Die erſte Lerche noch den Tag verkündet. Raſch, ſpudet euch, faßt Hacken an und Schaufel!

Windigal.

Hört ihr nicht donnern dort?

Talpe.

Beim Käuzchen, ja. Es wetterleuchtet blau vom Häupfelberg, Der Mond packt eilig ein; gleich wird es regnen.

Morry.

Dann habt ihr leidlich graben. Friſch daran!

Thereile
(tritt auf in Trauerkleidern, für ſich).

Zum lezten Mal betritt mein ſcheuer Fuß Den Ort der Liebe, den ich haſſen muß. Vor dieſem Abſchied wehret ſich mein Herz Und krümmt ſich wimmernd im verwaisten Schmerz! 206Verblutet haſt du, vielgeliebter Baum, Vom gold’nen Pfeil, zerronnen iſt dein Traum. Wie grauſam du es auch mit mir geſchickt, Seyſt du zu guter Lezte doch geſchmückt! Ach, mit dem Schönſten, was Thereile hat, Bekränzet ſie der Liebe Leichenſtatt: Ihr ſüßen Haargeflechte, glänzend reich, Mit dieſer Schärfe langſam löſ ich euch; Umwickelt ſanft die Wunde dort am Stamm! Noch quillt die Sehnſucht nach dem Bräutigam. Mit euch verweſe Liebesluſt und Leiden, Auf ſolche will ich keine neuen Freuden! Und du, verwünſchtes, mördriſches Geſchoß, Um das die Thräne ſchon zu häufig floß, Mein Liebling hat dich noch zulezt berührt, So nimm den Kuß, ach, der dir nicht gebührt!

Und nun, ihr kleinen Schweſtern, macht ein Grab, Und berget Stamm und Zweige tief hinab. Seyd ohne Furcht, und wenn ich ſonſten gar Zu hart und ungeſtüm und mürriſch war, Von heute an, geliebte Kinder mein, Wird euch Thereile hold und freundlich ſeyn.

(Ab.)

Vierzehnte Scene.

Morgen. Mummelſee. König ſteht auf einem Felſen über’m See.
König.
Ein Menſch lebt ſeiner Jahre Zahl,
Ulmon allein wird ſehen
Den Sommer kommen und gehen
Zehn hundert Mal.
207
Einſt eine ſchwarze Weide blüht,
Ein Kindlein muß ſie fällen,
Dann rauſchen die Todeswellen,
Drin Ulmons Herz verglüht.
Auf Weyla’s Mondenſtrahl
Sich Ulmon ſoll erheben,
Sein Götterleib dann ſchweben
Zum blauen Saal.

So kam es und ſo wird es kommen. Raſch Vollendet ſich der Götter Wille nun.

Noch Einmal tiefaufathmend in der Luft, Die mich ſo lang genährt, ruf ich mein Leztes Der Erde zu, der Sonne und euch Waſſern, Die ihr dieß Land umgebet und erfüllt. Doch du, verſchwieg’ner See, empfängſt den Leib, Und wie du grundlos, unterirdiſch, dich Dem weiten Meer verbindeſt, ſo wirſt du Mich fluthend führen in’s Unendliche, Mein Geiſt wird bei den Göttern ſeyn; ich darf Mit Weyla theilen bald das roſ’ge Licht.

Gehab dich wohl, du wunderbare Inſel! Von dieſem Tage lieb ich dich; ſo laſſ Mich kindlich deinen Boden küſſen; zwar Kenn ich dich wenig als mein Vaterland, So ſtumpf, ſo blind gemacht durch lange Jahre Kenn ich nicht meine Wiege mehr; gleichviel, Du warſt zum wenigſten Stiefmutter mir, Ich bin dein treuſtes Kind Leb wohl, Orplid!

208

Wie wird mir frei und leicht! wie gleitet mir Die alte Laſt der Jahre von dem Rücken! O Zeit, blutſaugendes Geſpenſt! Haſt du mich endlich ſatt? ſo ekel ſatt Wie ich dich habe? Iſt es möglich? iſt Das Ende nun vorhanden? Freudeſchauer Zuckt durch die Bruſt! Und ſoll ich’s faſſen das? Und ſchwindelt nicht das Auge meines Geiſtes Noch ſtets hinunter in den jähen Trichter Der Zeit? Zeit, was heißt dieſes Wort? Ein hohles Wort, das ich um Nichts gehaßt; Unſchuldig iſt die Zeit; ſie that mir nichts. Sie wirft die Larve ab und ſteht auf Einmal Als Ewigkeit vor mir, dem Staunenden.

Wie neugeboren ſieht der müde Wandrer Am Ziele ſich.

Er blickt noch rückwärts auf die leidenvoll Durchlauf’ne Bahn; er ſieht die hohen Berge Fern hinter ſich, voll Wehmuth läßt er ſie, Die ſtummen Zeugen ſeines bittern Gangs: Und ſo hat meine Seele jetzo Schmerz Und Heiterkeit zugleich. Ha! fühl ich mir Nicht plötzlich Kräfte gnug, auf’s Neu den Kreis Des ſchwülen Daſeyns zu durchrennen Wie? Was ſagt ich da? Nein! Nein! o güt’ge Götter, Hört nimmer, was ich nur im Wahnſinn ſprach! Laßt ſterben mich! O ſterben, ſterben! Nehmt,209 Reiſſ’t mich dahin! Du Gott der Nacht, kommſt du? Was rauſcht der See? was locken mich die Wellen Was für ein Bild? Ulmon, erkennſt du dich? Fahr hin! Du biſt ein Gott! ..

(Bei den lezten Worten ſtieg Silpelitt in der Mitte des See’s mit einem großen Spiegel hervor, den ſie ihm entgegenhielt. Wie der König ſich im Bildniß als Knaben und dann als gekrönten Fürſten erblickt, ſtürzt er unmächtig vom Felſen und verſinkt im See.)

Das Spiel war beendigt. Das Pianoforte machte nach einigen erhebenden Triumph-Paſſagen zulezt einen wehmüthig beruhigenden Schluß, der den übrig ge - bliebenen Eindruck vom Grame Thereilens mild ver - klingen laſſen ſollte. Die Geſellſchaft erhob ſich unter ſehr getheilten Empfindungen. Einige, beſonders die Männer, klatſchten den herzlichſten Beifall, drei oder vier Geſichter ſahen zweifelhaft aus und erwartungs - voll, was Andere urtheilen würden. Schon während der Vorſtellung war hin und wieder ein befremdetes, deutelndes Flüſtern entſtanden, jezt ſchienen ein paar hochweiſe unglückverkündende Frauennaſen nur auf Conſtanzens Miene und Aeußerung geſpannt, aber ſie zogen ſich eilig wieder ein, als die liebenswürdige Frau ganz munter und arglos, bald dem Schauſpieler, bald Theobalden das ungeheucheltſte Lob ertheilte, wobei die Mehrzahl der Männer und Damen fröhlich mit einſtimmte. Endlich konnten die Bedenklichen ſich14210doch der beſcheidenen Frage nicht enthalten, ob nicht irgend etwas Politiſches, Satyriſches, Perſönliches dem Stücke zu Grund liege? irgend ein verſteckter Sinn? denn für das, was es nur obenhin an Poeſie prätendire, könne man es doch nicht einzig nehmen.

Und warum denn nicht, meine Gnädigſte? fragte Larkens die Hofdame, indem er jenes ſchneidend ſcharfe Geſicht zeigte, das einem durch die Seele ging.

Weil weil ich meinte nur

Aber wie? wenn ich Sie alles Meinens und Vermuthens überhebe, wenn ich Sie verſichere, es iſt ein reines Kindermährchen, womit ich Sie zu unter - halten wagte? Doch Sie vermiſſen die Pointe dabei ja, ſo iſt der Dichter eben ein ruinirter Mann!

Er mag nur ſorgen, daß er kein ſolcher wird, wenn man die Pointe wirklich herausgefunden haben ſollte; raunte der Baron von Veſten einem Geheimen - rath in’s Ohr und zog ihn bei Seite, merken Sie denn nicht, daß das Ganze ein Pasquill auf unſern verewigten König und ſeine Geſchichte mit der Fürſtin Viktorie iſt?

Was ſagen Sie? Ja, wahrlich, jezt geht mir ein Licht auf! Mir däucht ſogar, die Figur im Schauſpiel hatte Aehnlichkeit mit den Zügen des Höchſtſeligen

Allerdings! allerdings! nun? iſt das aber nicht ein ungeziemender Spaß? iſt es nicht impertinent von dieſem Larkens? aber ich hielt ihn von jeher für einen malitiöſen Menſchen.

211

Fein und edel wär’s auf keinen Fall, ich muß ſa - gen, wenn es ſich wirklich ſo verhielte. Denn, was man auch behaupten mag, der Verewigte war doch ein geiſtreicher, vortrefflicher Mann. Es iſt ſeine Schuld nicht, daß er in der Folge krank und elend wurde, daß er zum Verdruß gewiſſer Patrioten ein übermäßiges Alter erreichte, daß ihn die Fürſtin nun! könnten wir uns aber nicht etwa täuſchen, wenn wir dieſe Be - ziehungen

Täuſchen? täuſchen? Gerechter Gott! Sind Sie blind, Excellenz? Stieß ich denn nicht nach dem zwei - ten Auftritt gleich meine Frau an? und fiel es ihr nicht auch plötzlich auf? Treffen nicht die meiſten Um - ſtände zu? Daß der Vogel ſich dann wieder hinter an - dere unweſentliche Züge verſteckte, das hat er ſchlau genug gemacht, aber er mag ſich wahren; es gibt Leute, die die Lunte riechen, und ich thue mir in der That etwas darauf zu Gute, daß ich die Bemerkung zuerſt gemacht.

Jedoch, nur das noch, Baron! mir däuchte doch, der alte Narr in der Piece da, er benimmt ſich, wenig - ſtens der Abſicht des Poeten nach, immer recht nobel, beſonders vis à vis der Hexe oder was es iſt, und es widerfährt ihm, wie mir’s vorkam, zulezt noch gleich - ſam göttliche Ehre.

Spott! Spott! lauter infame Ironie! ich will mich lebendig verbrennen laſſen, wenn es was anders iſt. Und wie gemein mitunter, lispelte die bleichſüchtige Tochter Veſtin’s, hinzutretend, wie pöbelhaft!

212

Die Uebrigen hatten ſich inzwiſchen wieder in das vordere Zimmer begeben. Man unterhielt ſich noch eine Weile über das ſonderbare Stück, allein bald ſtockte das Geſpräch; ein vorſichtiges Anſichhalten, eine ge - wiſſe Verlegenheit theilte ſich auch dem Unbefangen - ſten mit, es glaubten endlich Mehrere, es müſſe Je - mand aus der Geſellſchaft beleidigt worden ſeyn und man ſah einander lauſchend an. Wer ſich allein nicht irre machen ließ, das war die ſchöne Wirthin des Hauſes, und dann Larkens ſelbſt, welcher nur deſto mehr ſchwazte, lachte, dem Wein zuſprach, je kälter das Benehmen der Uebrigen war, das er im Stillen gutmüthig mehr nur als eine verzeihliche Gleichgültig - keit gegen ſein fremdartiges Produkt, denn als Span - nung auslegte.

Da es übrigens ſchon ſpät war, ging man in Kur - zem auseinander. Conſtanze beehrte den verkann - ten Schauſpieler noch auf der Schwelle mit der Bitte, ſein Manuſcript zu nochmaliger Erbauung da behalten zu dürfen, und Freund Nolten bekam eine, wie ihm ſchien, ungewöhnlich freundliche Gute Nacht mit auf den Weg.

Im Heimgehen machte Theobald ſeinen Be - gleiter auf jene Störung aufmerkſam. Gott weiß, antwortete Larkens, was die Fratzen im Kopfe hatten! Am Ende war’s nur Unbeholfenheit, was ſie zu dem exotiſchen Ding ſagen ſollten; wären wir doch lieber damit zu Hauſe geblieben oder hätten ihnen eine213 gut bürgerliche Komödie gegeben Ei aber ein ver - dammter Streich müßt es doch ſeyn, wenn ſie eine Necke - rei mit der alten Majeſtät darunter ſuchten!

Das fürcht ich, erwiderte Nolten, und rieth ich dir nicht damals ſchon, wie du mich mit der Sache bekannt machteſt, es lieber bei dir zu behalten, weil für keine Mißdeutung zu ſtehen ſey? Es war voraus zu ſehen. Denn daß dir der alte Nikolaus und die Maitreſſe bei der ganzen Kompoſition vorgeſchwebt, geſtehſt du ſelber und hat ſich heute nur zu ſehr gerechtfertigt

Zumal, unterbrach der Andere ihn mit Geläch - ter, zumal, wenn es wahr ſeyn ſollte, daß dir ſelbſt der Teufel auch einige Mal in den Pinſel gefahren iſt, weil du, wie du ſagteſt, den herrlichen Kopf des Alten auf dem Portrait über meinem Schreibtiſch länger als räthlich war, in’s Auge gefaßt!

Leid genug auf alle Fälle ſollte mir’s ſeyn, ge - ſtand Nolten nach einigem Beſinnen, man weiß nicht, wie ſo was umkommt und ſich in der Leute Mund ver - unſtaltet.

Was da! rief der Andere, wer wird ſo abge - ſchmackt ſeyn und etwas Böſes da heraus combiniren wollen? weißt du mir was Tolleres? Gar zu klein fänd ich es ſchon, wenn dieſe Kreaturen, die ſich Ge - bildete nennen, überhaupt einem fremden Gedanken da - bei Raum geben und über das Poetiſche der ſchlichten Fabel hinausgehen konnten. Aber das iſt ganz in der214 Art eines ſchöngeiſtigen Klubbs, das weiß man ja lange. Laſſen wir’s halt gut ſeyn; werden uns den Prozeß nicht machen.

So kamen die Beiden in ihrer Wohnung an. Theobald, ganz nur in der heimlich entzückten Er - innerung an die Güte der Geliebten ſchwelgend, ließ ſich den ärgerlichen Gegenſtand wenig anfechten, er freute ſich auf die Stille ſeines Zimmers, wo er unge - ſtört mit ſeinem Herzen weiter reden konnte. Larkens pfiff wie gewöhnlich, wenn er bei der Nachhauſekunft den Schlüſſel in die Thüre ſteckte, ſeine fröhliche Arie, und ſo überließ ſich denn Jeder ſich ſelber.

Dem Leſer aber mag zum Verſtändniſſe des Obigen Folgendes dienen.

Der ſeit etwa zwei Jahren mit Tod abgegangene König Nikolaus, Vater und Vorfahrer des regie - renden, galt bis in ſein ſpäteres Alter für einen ausneh - mend ſchönen und auch ſonſt ſehr begabten Mann. Er hatte mit einer ungleich jüngeren Dame aus einem verwandten Fürſtenhauſe ein zärtliches Verhältniß, das die Leztere mit einiger Aufdringlichkeit und ſo glaubte man aus eigennützigen, politiſchen Abſichten auch dann noch fortzuſetzen wußte, als der Monarch für die Reize der Jugend bereits abgeſtorben ſeyn ſollte, oder ihnen auch wirklich ſchon entſagt hatte. Aber Schwäche des Charakters, oder eine Verbindlichkeit, der er nicht ausweichen konnte, machten ihn gegen die Zauberin nachgiebiger, als wohl ſeinem Rufe dienlich war. Eine215 beſchwerliche Nervenkrankheit, aber mehr noch die Sorge, er genüge als Regent ſeinem Volke nimmer, verbitterte ihm vollends das Leben, er ſehnte ſich mit einer Unge - duld, deren Ausbrüche oft ſchauerlich geweſen ſeyn ſol - len, dem Tode entgegen, und man wollte wiſſen, daß er einen mißlungenen Verſuch zum Selbſtmorde ge - macht. Bekannt genug war die Anekdote, wonach er einſt in einem Anfall von Verzweiflung bitter ſcherzend ausgerufen: der Himmel will einen neuen Methuſalah aus mir haben, und Viktorie zerrt mich mit Gewalt in die Jünglingsjahre zurück. Dieſe Worte klangen um ſo komiſcher, je mehr man der boshaften Meinung einiger Spötter trauen wollte, daß die ſchneeweißen Locken Seiner Majeſtät ſich noch immer nicht ungerne von den Roſen der jungen Fürſtin ſchmeicheln ließen. Wie dem auch geweſen ſeyn mag unter denjenigen, welchen das Gedächtniß dieſes merkwürdigen, früher ſehr wohlthätigen Regenten höchſt ehrwürdig, ja heilig blieb, war auch unſer Larkens, und zwar abgeſehen von der perſönlichen Gunſt des Königes gegen ihn als Schauſpieler, war Nikolaus in ſeinen Augen ein großartiges tragiſches Räthſel der Menſchennatur, eine mächtige graue Trümmer an dem uralten Königspalaſt. Geſchmäht von dem Geſchmacke einer frivolen Zeit, an - geſtaunt von wenigen edleren Geiſtern, hätte ſich die herrliche Säule, wie ſie bereits mit halbem Leibe ſchon in die Erde eingeſunken war, gramvoll lieber vollends unter den Boden verborgen mit ihren für dieſes Ge -216 ſchlecht unlesbar gewordenen Chiffern, aber es war an - ders mit ihr beſchloſſen, und ſo konnte oder wollte ſie auch den Troſt nicht von ſich abwehren, daß ein jugend - licher Epheu ſich liebevoll an ihr hinanſchlinge.

Zu entſchuldigen iſt es nun, wenn der Freund einen Theil jener Idee mit frommem Sinne auf ein Gebilde ſeiner Phantaſie übertrug, und gewiſſermaßen eine Apotheoſe jenes unglücklichen Fürſten liefern wollte, ohne weder zu hoffen noch zu fürchten, daß Andere, denen er ſeinen Verſuch vorgeführt, auch nur entfern - ter Weiſe geneigt ſeyn könnten, irgend eine würdige oder unwürdige Deutung zu machen.

Es war eine überaus klare und ſchöne Winter - nacht. Die Glocke ſchlug ſo eben eilf. Im Zarlin - ſchen Hauſe war Alles ſchon ſtille geworden, nur das Schlafzimmer der Gräfin finden wir noch erhellt. Con - ſtanze, im weißen Nachtgewande, allein vor einem Tiſchchen bei dem Bette ſitzend, iſt beſchäftigt, die ſchönen Haare loszuwickeln, das Ohrgehänge und die ſchmale Perlſchnur abzulegen, die ihrem Halſe immer ſo einfach reizend geſtanden. Sie hob die Schnur nachdenklich ſpielend am kleinen Finger gegen das Licht, und wenn wir recht auf ihrer Stirne leſen, ſo iſt es Theobald, an den ſie gegenwärtig denkt. Scheint es doch, als wüßte ſie, daß ſie ihm dieſe Gabe verdanke, daß das Geſchenk nur vermittelſt eines künſtlichen Umwegs aus217 ſeiner Hand durch eine dritte in die ihrige gelangt war! aber, in der That, ſie wußte es nicht; und doch wiederholte ſie ſich heute nicht zum Erſtenmal jene Worte, die er einſt, im Anſchaun ihrer Geſtalt verloren, gegen ſie hatte fallen laſſen. Perlen, ſagte er, haben von jeher etwas eigen Sinn - und Gedan - kenvolles in ihrem Weſen für mich gehabt, und wahr - lich, dieſe hier hängen um dieſen Hals, wie eine Reihe verkörperter Gedanken, aus einer trüben Seele hervorgequollen. Ich wollte, daß ich es hätte ſeyn dürfen, der das Glück hatte, Ihnen das Andenken umzuknüpfen. Es liegt ein natürliches unſchuldiges Vergnügen darin, zu wiſſen, daß eine Perſon, die wir verehren, der wir ſtets nahe ſeyn möchten, irgend eine Kleinigkeit von uns bei ſich trage, wodurch un - ſer Bild ſich ihr vergegenwärtigen muß. Warum dürfen doch Freunde, warum dürfen entferntere Be - kannte ſich einander nicht alle Mal in dieſem Sinne beſchenken? muß das edlere Gefühl überall der Kon - venienz weichen?

Conſtanze erinnerte ſich gar wohl, wie ſie da - mals erröthete, und was ſie ſcherzhaft zur Antwort gab. Ach, ſeufzte ſie jezt vor ſich hin, wüßte er, wie tief ich ſein Bild im Innerſten des Herzens bewahre, er würde den Geber dieſer armen Zierde nicht be - neiden.

Unruhig ſtand ſie auf, unruhig trat ſie an’s Fen - ſter und ließ den herrlich erleuchteten Himmel mit218 aller ſeiner Ahnung, mit all ſeiner Hoheit auf ihre Seele wirken. Die Liebe zu jenem Manne, von ihren erſten unmerklichen Pulſen bis zu dem beſtürzten Zu - ſtande des völligen Bewußtſeyns, von der Zeit an, wo ihr Gefühl bereits zur Sehnſucht, zum Verlangen ward, bis zu dem Gipfel der mächtigſten Leidenſchaft Alles durchlief ſie in Gedanken wieder und Alles ſchien ihr unbegreiflich. Sie ſah unter leiſem Kopfſchütteln, mit ſchauderndem Lächeln in die reizende Kluft des Schickſals hinab. Die Augen traten ihr über wie damals in der Grotte, wo die noch getrennten Ele - mente ihrer Liebe, durch Noltens unwiderſtehliche Gluth aufgereizt, zum Erſtenmal in volle ſüße Gäh - rung überſchlugen und alle Sinne umhüllten. Sie hatte nichts zu beweinen, nichts zu bereuen, es waren die Thränen, die dem Menſchen ſo willig kommen, wenn er, ſich ſelbſt anſchauend, das Haupt geduldig in den Mutterſchoos eines allwaltenden Geſchicks verbirgt, das die Waage über ihm ſchweben läßt; er betrachtet ſich in ſolchen Momenten mit einer Art ge - rührter Selbſtachtung, die höhere Bedeutſamkeit einer Lebensepoche macht ihn in ſeinen eigenen Augen gleich - ſam zu einem ſeltnen Pflegekinde der Gottheit, es iſt, als fühlte er ſich hoch an die Seite ſeines Genius gehoben.

Lange, lange noch ſtarrte Conſtanze, ſtillver - ſunken, einer Bildſäule gleich an die Fenſterpfoſte angelehnt, hinaus in die ſchöne Nacht. Jezt über -219 wältigte ſie der Drang ihrer Gefühle; ſie ſank unwill - kürlich auf die Kniee nieder, und indem ſie die Hände faltete, wußte ſie kaum, was Alles in ihrem Innern durcheinander fluthete; und doch, ihr Mund bewegte ſich leiſe zu Worten des brünſtigen Dankes, der innig - ſten Bitten.

Nachdem ſie ſich wieder erhoben, glaubte ſie, der Himmel wolle ihr in der ruhigen Heiterkeit, wovon ihre Seele jezt wie getragen war, Erhörung ihres Gebets ankündigen. In der That, jezt war ſie auch beherzt genug, um endlich nicht länger die Frage ab - zuweiſen: was denn zulezt von dieſer Liebe zu hoffen oder zu fürchten ſey? was es mit Theobald, was es mit ihr werden ſolle? Sie ſtellte ſich aufrichtig alle Verhältniſſe vor, ſie verſchwieg ſich kein Beden - ken, keine Schwierigkeit, ſie wog Jegliches gegen ein - ander ab, und mehr und mehr vertraute ſie der Mög - lichkeit einer ehrenvollen und glücklichen Vereinigung, ja, wenn ſie ſich genauer prüfte, ſo fand ſie dieſe Hoff - nung längſt vorbereitet im Hintergrund ihrer Seele gelegen. Aber nicht allzukühn durfte ſie ihr ſich über - laſſen, denn ſchon der nächſte Augenblick wies ihr ſo manches Hinderniß, worunter der Adelſtolz der Fa - milie keineswegs das geringſte war, in einem ſtren - geren Lichte, als es ihr noch kaum vorher erſchien. Es bemächtigte ſich ihrer eine nie empfundene Angſt; ſie wollte ſich für heute der Sache ganz entſchla - gen, ſie griff nach einem Buche: umſonſt, kein Ge -220 danke wollte haften; Mitternacht war vorüber; ſollte ſie ſich niederlegen, ſchlafen? Es wäre unmöglich ge - weſen, ſo bang, ſo heiß und unbehaglich wie ihr war.

Ich will Emilien wecken, fiel ihr endlich ein, das Mädchen ſoll mit mir plaudern. Sie bedachte ſich um ſo weniger, die Geſellſchaft des Kammermädchens zu ſuchen, da zu ihrer Verwunderung wirklich noch der Schein eines Lichtes in dem Erker zu ſehen war, wo jene ſchlief. Sie ging leiſe über den Gang, öffnete das Kabinet und fand das Mädchen feſt eingeſchlafen im Bette, daneben das Licht, ausflammend in den Leuchter hinabgeſunken. Eine offene Brieftaſche und eine Anzahl zerſtreuter Blätter lag unter den Händen der Schlafenden. Auf einen Anruf erwachte dieſe, hef - tig erſchrocken, und ihre erſte Bewegung war, ſchnell Taſche und Papiere zu verbergen, ſo daß Conſtanze dadurch aufmerkſam gemacht, gelaſſen fragte: was ſie hier ge - leſen?

Ach! war die bebende Antwort, zürnen Sie nicht, gnädige Frau! es ſind alte Briefe, die ich nach langer Zeit einmal wieder vornahm, und darüber muß der Schlaf mich überraſcht haben wie viel Uhr iſt es doch?

Wie viel? ſagte Conſtanze, ſie ſcharf anſe - hend, ich denke es iſt halb gelogen, was du da ſprichſt. Laß doch ſehen!

O bitte, liebſte, ſüße gnädige Frau! ich habe ja gewiß nichts Unrechtes aber erlaſſen Sie’s mir!

221

Nicht weiter, mein Kind, verlang ich, als einen Blick, mich zu überzeugen.

So reichte denn Emilie mit Zittern Alles hin, indem ſie in lautes Weinen ausbrach. Aber Con - ſtanze, wie mußte ſie erſchrecken, als der Anblick der Taſche, als die goldgedruckten Lettern T.N. auf der dunkelblauen Saffiandecke zur Genüge den Eigenthümer bezeichneten.

Wie kommſt du zu dieſem? fragte ſie, mit Mühe ihre Verlegenheit bergend.

Drüben, ſchluchzte das Mädchen, wo die Herren heute das Spiel machten, lag die Taſche hinter dem Schattenſpielkäſtchen, ich wollte mir nur die bunten Gläſer ein wenig beſehen, und da nun da nahm ich

Hinter dem Käſtchen, ſagſt du?

Ja ja, gnädige Frau! ich ſage nun die reine Wahrheit, es hälfe mir ja doch nichts mehr, und auf - geſchlagen lag ſie da, ganz nachläſſig, als hätte man ſie eben erſt gebraucht und dann vergeſſen; richtig! die Bleifeder war auch herausgenommen, ſie muß noch auf dem Tiſchchen zu finden ſeyn. Wahrhaftig, wäre nicht Alles ſo offen da gelegen, ich hätte mich nicht unter - ſtanden.

Eine Entſchuldigung iſt das in keinem Falle. In - deſſen blieb nichts mehr zurück? Sieh im Bette nach!

Sie haben das lezte Papierchen.

Ich werde das zu mir nehmen bis morgen. Löſche222 dein Licht. Gute Nacht! Unwillig und ängſtlich eilte ſie auf ihr Zimmer. Daß das, was ſie in Händen hielt, Nolten zugehöre, zweifelte ſie keinen Augenblick; auch wie es zu dem Larkens’ſchen Apparate gekommen, erklärte ſie ſich leicht daher, daß Theobald Einmal hinter die Gardine getreten war, um mit irgend etwas auszuhelfen, wobei er vielleicht der Taſche bedurfte. Aber die Möglichkeit, es könnte außer dem Mädchen ſonſt noch Jemand neugierig auf den Inhalt derſelben geweſen ſeyn, beunruhigte ſie um ſo ſtärker, je mehr ſie Urſache hatte zu der Vermuthung, daß auch ihr Name und damit ein gefährliches Geheimniß darin be - rührt ſeyn könnte. Dieſe Rückſicht und vielleicht mit - unter ein verzeihliches Intereſſe des eigenen Herzens bewog ſie, zwar mit beklommenem Athem, erſt nur ei - nen halben Blick, dann einen ganzen, endlich mehrere und immer gierigere Blicke in die Blätter zu werfen. Aber mitten im wärmſten Zuge riß ihr das Gefühl von etwas Unerlaubtem, Verächtlichen die Taſche wie - der aus der Hand. Vor lauter ängſtlicher Haſt hatte ſie bis jezt nichts Zuſammenhängendes leſen können, und ſie ſagte das ihrem Gewiſſen zum Troſte, während ſie, dennoch mit einiger Ueberwindung, den Schatz bei Seite legte. Allein plötzlich ſteigt ihr eine Beſorgniß auf, die alles Blut in ihre Wangen jagt. Sie hatte vorhin nur oberflächlich einige Briefe von zarter, unbekannter Schrift geſehen, und, ohne zu wiſſen warum, an eine Schweſter Theobalds dabei gedacht; jezt meldete223 ſich noch ein ganz anderer Gedanke. Entſchloſſen kehrte ſie zu dem Gegenſtande ihres Verdachts zurück und griff einiges Geſchriebene heraus, ſie las und las, er - röthend, erblaſſend; ihr Buſen kämpfte mit lauten Schlägen; jezt entfällt das Papier ihren Fingern, ſie ſinkt auf das Lager, einer Leiche gleich, keines Lautes, keiner Thräne mächtig.

Ein Pochen an der Thür bringt ſie endlich zu ſich, ſie fährt auf, und indem ſie verworren umherblickt, lächelt die Arme, wie fragend, ob jenes Entſetzliche ihr bloß im Schlummer begegnet ſey, und lächelt wieder, aber wie eine Verzweifelte, da das Blatt auf dem Bo - den ihr die traurige Wahrheit bezeugt.

Es klopfte von Neuem an und eine klägliche Mädchenſtimme ließ ſich hören: Nein! ich kann nicht ruhen, ich will erfrieren hier, bis ich ſie geſprochen habe, bis ſie mir vergeben hat! Gnädige Frau! Liebe! Gute!

Da keine Antwort erfolgte, bat es wiederholt im flehentlichſten Tone: Um Gotteswillen, laſſen Sie Emilien ein, nur auf zwei Minuten, nur auf zwei Worte! Vergeben Sie mir!

Ja, ja doch! geh nur, mein Kind! erwiderte Conſtanze kaum hörbar, und das Mädchen ſchlich getröſtet weg, ohne alle Ahnung, welchen Schmerz ſie ihrer Herrin bereitet. Wir wagen es nicht, dieſen Schmerz zu ſchildern. Aber wie alles zum Aeußerſten und Unnatürlichen Geſteigerte ſich nicht lange auf die -224 ſer Höhe erhält, ſo fiel alsbald ein unwiderſtehlicher tiefer Schlaf über die Erſchöpfte her und verſenkte ſie in ein wohlthätiges Vergeſſen ihres mitleidswer - then Zuſtandes.

Eben ſo ruhig und gelaſſen wie vor einer Stunde, da der Blick der Sterne das Gebet einer Glücklichen zu ſegnen ſchien, funkelten ſie jezt auf das Lager des unglücklichſten Weibes herab. So raſch kann ſich an die höchſte irdiſche Wonne das Daſeyn unüberſehba - ren Jammers drängen.

Noch ehe es vollkommen Tag geworden, erwachte Conſtanze, und leider ſchnell genug beſann ſie ſich auf den betäubenden Schlag. Sie bat Gott um Stär - kung und Faſſung, ſtand ermattet auf und ordnete mit trockenem Aug die Brieftaſche, woraus ihr zum Ueberfluſſe noch eine Haarlocke, ohne Zweifel von der unbekannten Briefſtellerin, entgegenfiel.

Sie erſchien ſich ſelber im Spiegel wie ein ver - ändertes Weſen, das, ſeitdem etwas Ungeheures mit ihm vorgegangen, gar nicht mehr in die bisherigen Umgebungen, in dieſe Wände, unter dieſe Geräthe paſſen wolle; es ſchien ſie Alles umher wie einen lange entfernten Gaſt, ja als eine Abgeſchiedene an - zublicken, und ſie ſelbſt kam ſich mit ihrem ſchwanken Tritt, mit ihrem Schmerz-verklärten, ſtillen Gefühl beinahe wie ein erſt kurz aus dem Grabe Entlaſſenes225 vor, das noch nicht feſten Fuß gefaßt und den Ein - druck des lezten Todeskrampfs nur nach und nach los werden kann.

Indeſſen ſie ſich langſam ankleidete, wunderte ſie ſelbſt ihre Ruhe, die freilich mehr Stumpfheit zu nennen war. Sie eilte aus dem traurigen Gemach und hinüber in die vorderen Zimmer, wo noch Nie - mand war. Bald erſchien die Morgenſonne in den Fenſtern und lud zu Heiterkeit und Leben ein. Ge - dankenlos ſchaute Conſtanze durch die Scheiben, und um nur etwas zu thun, rieb ſie die Meubles mit dem Staubtuch ab, wobei ſie manchmal zerſtreut inne hielt. Emilie trat herein, voll Erſtaunen, ihre Gebieterin ſchon hier zu treffen. Ich habe dir dein Geſchäft abgenommen! ſagte die Gräfin freund - lich, ſiehſt du, zum Zeichen, daß ich wieder gut bin. Aber den Gefallen thu mir und rede kein Wort wei - ter darüber. Ein warmer Handkuß dankte der Gütigen.

Sehr willkommen war es der ſonderbar geſtimm - ten Frau, als jezt auch ihr Bruder erſchien. Guten Tag, mein Schweſterchen! So früh wie der Vogel ſchon auf? Die Sorge um das Gewächshaus trieb mich aus den Federn; das war eine grimmkalte Nacht, mein Thermometer zeigt faſt fünf und zwanzig; ich muß nur nachſehen, ob unten nichts gelitten hat. Ich darf dich begleiten! ſagte die Gräfin und warf die Saloppe um. Ihr Weſen, erzwungen munter und15226verſtört, machte den Bruder einen Augenblick ſtutzig, aber er hatte faſt keine Augen vor lauter Erwartung, wie es im Garten ſtehe.

Die ſtreng friſche Luft that Conſtanzen wohl. In gereizten Stimmungen, wie die ihrige jezt war, hat der Menſch auf einige Sekunden vielleicht die höchſte Empfänglichkeit für die Natur, in welcher Ge - ſtalt ſie ihm auch entgegentreten mag; er möchte mit Einem Sprung ſich ganz nur ihrer Freundſchaft, ihres göttlich ſtillen Lebens bemächtigen, um auf Ein - mal eine Laſt von alten Zuſtänden abzuwerfen und zu vergeſſen. Aber dieſes ſchnell aufflackernde Gefühl iſt nur der Sonnenblick, dem alsbald wieder die vorige Wolkentrübe folgt. Conſtanze erwehrte ſich ſo gut wie möglich. Doch als der Graf zu ſeiner größten Freude die Gewächſe meiſt unverlezt fand, und bei jedem neuen Stocke bemüht war, die Schweſter von ſeinem Glück zu überzeugen, da konnte ſie den wehmü - thigen Gedanken nicht bei ſich unterdrücken: wie war mir zu Muthe in der Stunde, als dieſen Pflanzen, dieſen edlen Stämmchen der Froſt das Verderben drohte? Sie grünen noch und blühen, wie auch ich noch aufrecht ſtehe, mir ſelber zum Wunder; aber vielleicht der in - nerſte Lebenskeim dieſer zarten Staude iſt doch an - gegriffen, es wird ſich zeigen, ob ſie uns nicht mit dem bloßen Scheine von Geſundheit täuſcht, ob nicht heute Abend ſchon dieſe Knoſpe erſtorben dahängt, und

227

Conſtanzens künſtliche Faſſung war weg, ſie eilte, ihr Geſicht bedeckend, mit ſchnellen Schritten nach dem Hauſe zu. Bei dem Wiederſehen ihres Zimmers, deſſen Thüre ſie ſogleich hinter ſich zurie - gelte, brach aller verhaltene Schmerz mit doppelter und dreifacher Gewalt hervor, und ſie überließ ſich ihm ohne Schonung. Nun erſt überdachte ſie, was geſchehen war, nun erſt wagte ſie ganz in den Ab - grund ihres Elends hinabzutauchen. Wie begierig auch ihr Verſtand mitunter nach einer Auskunft, nach einem Troſte umhertaſtete, wie ſcharfſinnig auch ſelbſt die Verzweiflung noch war, um einen erträglichen Zu - ſammenhang der Sache zu entdecken, um den unge - heuren Widerſpruch, worin Nolten in dem Doppel - verhältniß zu ihr und einer Unbekannten erſchien, be - ruhigend zu löſen oder doch zu erklären, ſie fand kei - nen Ausweg, keinen Schimmer von Licht. Verglich ſie alles dasjenige, wodurch er ihr die unzweideutigſte Leidenſchaft an den Tag gelegt, mit den fremden Brie - fen, deren ganzer Ausdruck ein längſt begründetes und ſehr blühendes Verlobtenverhältniß verrieth, ſo blieb nichts übrig, als Theobalden für den ruchlo - ſeſten Heuchler zu erkennen, der zwei Geſchöpfe zu - gleich betrog, oder für einen Wahnſinnigen, Charak - terloſen, welcher mit ſich ſelber in unerhörtem Zwie - ſpalte lebt. Beides aber iſt mit der ganzen Art und Weiſe, wie Nolten ſonſt ſich gab, ſchlechterdings nicht zu reimen. Denn ſelbſt die Spuren excentriſchen228 Weſens an ihm waren bei weitem gemäßigter, als ſie zuweilen ſogar an geachteten Männern von verwand - tem Talente und Beſtreben hervorzutreten pflegen. Am wenigſten konnte Conſtanze die Güte ſeines Herzens aufgeben. Jeder einzelne Moment, den ſie ſich zurückrief und worin ſie in die Falten ſeines ei - genſten Denkens und Empfindens geblickt zu haben glaubte, ſo mancher Anlaß, wo in wenigen treffend ausgeſprochenen Worten über Leben, über Kunſt, ein gedrungener Strahl ſeines Gemüths aufgeſtiegen war und auf eine ganze Verſammlung anregend wirkte, endlich der ganze erſchöpfende Begriff, den ſie ſich nach ſo langem Umgange von ihm abgezogen hatte Alles ſtritt mit dem finſtern, unheimlichen Zerrbilde, das vielleicht ein blinder Zufall ihr aufdringen wollte, ſie zu ſchrecken, zu ängſtigen, und worüber der Ge - liebte, der wahre unverfälſchte, wohl ſelbſt verwun - dert lächeln würde. Ein Funke von Hoffnung be - ſchleicht ſie, ſie ſchaut auf’s Neue nach dem Datum der Briefe, ſie rechnet ſchnell Monate, Wochen, Tage, aber das Reſultat iſt immer nicht tröſtlich, immerhin fällt ein Theil der zärtlichen Korreſpondenz in die Zeit, wo Theobald Conſtanzen bereits unverkennbare Zeichen ſeiner Abſichten gegeben. Und geſezt auch, die Neigung, wovon jene Briefe zeugen, wäre bloß eine einſeitige, was jedoch den Anſchein gar nicht hat, geſezt, Nolten hätte, den Glauben des Mädchens hinhaltend, ſich indeſſen heimlich einer un -229 glaublichen Veränderung ſchuldig gemacht, was würde das Conſtanzen helfen? was hätte ſie von einem ſolchen Manne zu gewarten? wie möchte ſie ein an - deres Geſchöpf um ſeine theuerſten Hoffnungen be - ſtehlen? und ein Geſchöpf, das ſie wirklich nicht haſſen konnte, das Allem nach das rührendſte Bild der Un - ſchuld, der hingebenden Liebe iſt? ja, wie konnte ihr die heißeſte Liebe Theobalds nur im Entfernten noch ſchmeicheln, wenn dieſe der ſündige Raub an einem fremden guten Weſen wäre?

Aber noch immer war ja die Frage nicht über - wunden, wie nur Nolten eines ſo beiſpielloſen Be - trugs fähig ſeyn konnte?

Conſtanzens Auge ſtand weit, groß, nachden - kend in einen Winkel des Zimmers gerichtet, während ihr Geiſt ſich nach und nach den unglückſeligen Gedan - ken zurecht arbeitete: es könne denn doch wohl einen Menſchen geben, der aus Schwäche, frevelhafter Selbſt - ſucht und gelegentlich aus einem Reſt urſprünglicher Gutmüthigkeit zuſammengeſezt, vor Andern, wie zum Theil auch vor ſich ſelber, einen Schein von Vortreff - lichkeit zu erhalten und vor dem eigenen Gewiſſen jede Unthat zu rechtfertigen wiſſe, es laſſe ſich ein Grad von Verſtellung denken, der alle gewöhnlichen Begriffe überſteige. Der genaue Umgang Theobalds mit Larkens, ſo wenig ſie dem Leztern bis jezt mißtraut hatte, konnte ſie nun, wenn ſie ſich der Meinungen Anderer erinnerte, in ihrem Urtheile nur beſtärken,230 und ſie glaubte in ihm den Verführer entdeckt zu haben.

Theilnehmend blickte ſie auf’s Neue nach den Brie - fen Agneſens, ſie enthielt ſich nicht, den reinen har - moniſchen Sinn zu bewundern, welcher ſich in jedem Worte des Mädchens ausſprach. Arme Agnes! ſagte ſie, armes betrogenes Kind! Iſt es möglich? ſollte er ſich nicht der Sünde gefürchtet haben, dieſe Seele zu hintergehen, wenn er ſie auch nur ſo weit kennen ge - lernt hatte, als ich ſie aus dieſen Blättern kennen lernte? Gütiger Gott! ſolch ein Lamm und ſolch eine Schlange, wie kommen ſie zuſammen? Mich hat Got - tes Finger noch zu rechter Zeit gewarnt, aber ſie thue ich Recht, wenn ich ſie ihrem Schickſal überlaſſe? iſt’s nun nicht an mir, zu warnen? Ja, wahrlich, das kommt mir zu Und doch, es könnte übereilt ſeyn; wer weiß, ob ich Schlimmes nicht ſchlimmer machte, ob der Verräther, wenn der Himmel ihn noch retten will, nicht einzig durch die Liebe dieſes Engels zu ret - ten iſt?

Der lezte Zweifel über die Geſinnungen Noltens verſchwand vollends, als ein Dokument von ſeiner eige - nen Hand zum Vorſchein kam das Koncept eines Schreibens an die Braut, das erſt geſtern entworfen worden war. Mit einem tiefen Gefühle von Unwillen, von Wehmuth, von Verachtung, ja von Schauder ver - nahm ſie hier die Sprache der beredteſten Liebe und einen ſehr redlichen, männlich klingenden Ton. Eine231 Stelle aber war ihr beſonders merkwürdig. Ich be - fand mich, hieß es, dieſe lezte Zeit her in einem vielleicht nicht ganz löblichen Rauſche von Zerſtreuun - gen aller Art, wobei denn die geiſtige Geſtalt meiner Agnes doch immer auf’s lebendigſte durchblickte. Ja, ich darf dir wohl geſtehen, daß ich ſeit der glücklichen Beilegung jenes argwöhniſchen Skrupels mit doppelter Innigkeit in dir lebe.

Die Aeußerung ſah faſt aus wie ein verſtecktes Geſtändniß ſeiner Herzensverirrung, das ihm vielleicht ſein Gewiſſen nothdürftig abgedrungen. Dieſe Verir - rung ſelbſt konnte nunmehr in Conſtanzens Augen, wenn auch keinen Entſchuldigungsgrund, doch eine Art Er - klärung für Noltens Betragen abgeben, wenn ſie an - nahm, daß das Mißverſtändniß, wovon ſie auch in ei - nem Briefe Agneſens eine Spur gefunden, der An - laß zu einer heftigen und nachhaltigen Verſtimmung für Theobald geworden, daß er, ſeinem extremen Charakter nicht ungemäß, ſich in einen deſperaten Wech - ſel geſtürzt habe, und daß ſie als das Opfer dienen müſſen. Seine Bekehrung war natürlich in die Zeit zwiſchen geſtern und jener Luſtpartie gefallen, und Allem nach unterzog er ſich ihr ſehr willig.

So viel Wahrſcheinliches dieſe Schlüſſe hat - ten, und ſo ſehr ſie auch geeignet ſchienen, ein wenig - ſtens erträgliches Licht auf Noltens Benehmen zu werfen, ſo wenig Troſt gaben ſie der ſchönen Frau. Denn von dem Augenblicke an, wo ihre Achtung für232 ihn ſich einigermaßen erholte, begann auch ihre Liebe wieder zu athmen, und nun war ſie faſt übler daran, als ſo lange ſie ihn getroſt verabſcheuen konnte. Alſo Noltens Glück war wieder hergeſtellt, das Mädchen ſelig in ſeinem Beſitz und ſieſelbſt hatte nur auf eine kurze Zeit die Lücke gebüßt, um jezt wieder allein, verlaſſen, vergeſſen dazuſtehen, den bittern Stachel im Herzen. Eine Regung von Zorn flammte in ihr auf, ſie fühlte ihre weibliche Würde beleidigt, mit Füßen getreten, ſie fühlte alle Qual verſchmähter Liebe. Und hatte ſie vorhin einen reinen Zug ſchweſterlicher Nei - gung zu Agnes empfunden, ſo konnte ſie nun einer Anwandlung von ſchmerzlicher Mißgunſt nicht wider - ſtehen, ſo lebhaft ſie ſich auch darüber anklagte. Aber auch indem es ihr gelang, allen Groll von der Un - ſchuldigen ab und auf den geliebten Ueberläufer zu werfen es blieb nur das Bewußtſeyn ihrer Un - macht, ihrer Kränkung übrig. Jede Erinnerung an das Vergangene, das kleinſte Zeichen, womit ſie ihm ihre Gunſt verrathen haben mochte, verſezte jezt ihrem Stolze, ihrem Ehrgefühle Stich auf Stich. Noch ge - ſtern bei’m Abſchied unter der Thüre hatte ſie ihn mit bedeutungsvoller Freundlichkeit entlaſſen und ſo kam es ihr jezt vor ihm beliebte kaum ein kalter Dank darauf. Am meiſten demüthigte und beſchämte ſie der Auftritt in der Grotte, ſie bedeckte bei dieſem Gedan - ken ihr glühendes Geſicht mit dem Tuche, weinend und ſchluchzend.

233

Kein Wunder, wenn ihr jezt die kläglichen Worte Thereilens aus dem geſtrigen Schauſpiele einka - men, das gleichſam weiſſagend von ihr geſprochen; kein Wunder, gab ſie auf einen Augenblick dem wi - derſinnigen Gedanken Raum, als hätte Larkens einige Mal eine boshafte Anſpielung auf ſie im Sinne gehabt. Aber ganz iſt ihr gegenwärtiger Zuſtand durch die leidenſchaftlichen Zeilen bezeichnet:

O armer Zorn!
Noch ärmere Liebe!
Zornwuth und Liebe
Verzweifelnd an einander gehezt,
Beiden das Auge voll Thränen,
Und Mitleid dazwiſchen,
Ein flehendes Kind!

Deſſelben Morgens gegen zehn Uhr, als Lar - kens eben von einem Ausgange nach Hauſe kam, übergab ſein Bedienter ihm das braune Käſtchen, das die Laterna magica verwahrte; man habe es vor ei - ner Viertelſtunde aus dem Zarlin’ſchen Hauſe hie - her gebracht nebſt dem Danke der gnädigen Frau. Unſer Schauſpieler öffnete den Deckel, zog begierig die zu oberſt liegende Brieftaſche heraus, unterſuchte ſie von allen Seiten und ſein Mund verzog ſich zu einem vergnügten, doch gewiſſermaßen befremdeten Lächeln, indem er ausrief: Bei’m Himmel! die Falle hat ge - lockt, der Speck iſt angebiſſen, und das wacker! kein234 Zettelchen blieb unverrückt. Ich ſorge nur, der Spaß iſt in plumpere Hände gerathen, als ich gewollt hatte. Sey’s drum; durch die Finger von Madame iſt die Taſche auf jeden Fall auch gekommen, und ich müßte mich übel auf Evas Geſchlecht verſtehen, wenn dieſe Finger mehr Diskretion gehabt hätten, als mir für den Kaſus lieb wäre. Genug; es wird ſich zeigen, die Wirkung kann nicht ausbleiben. Dießmal hätteſt du fürwahr meiſterlich kalkulirt, Bruder Larkens, der Herr gebe ſeinen Segen dazu.

Wirklich war es die Abſicht des Freundes ge - weſen, daß Conſtanze die Taſche finden und ſich ihrer Geheimniſſe nicht enthalten möge; er konnte darauf zählen, daß man ſie für das Eigenthum Nol - tens erkennen würde, in der That aber war ſie nur ein Geſchenk, das dieſer dem Freunde zu der Zeit ge - macht hatte, wo er Alles, was ihn an Agnes erin - nern konnte, Briefe, Haare und hundert andere Klei - nigkeiten, auf immer los werden wollte.

Larkens hoffte durch jenen ausgedachten, wohl - gemeinten Streich theils bei der Gräfin jeder mög - lichen Neigung gegen Theobald vorzubeugen, theils glaubte er, ſie müßte von nun an, eingedenk des Ver - hältniſſes mit Agnes, durch ihr Betragen unzugäng - lich für Nolten ſelber werden. Nun hatte zwar Larkens, zu Folge der mißtrauiſchen Verſchloſſen - heit ſeines Freundes mit der wahren Lage der Dinge unbekannt, ſich in ſeinem Plane etwas geirrt; er235 hätte, wäre er beſſer unterrichtet geweſen, viel - leicht einen ganz andern Weg eingeſchlagen, aber auch auf dieſem erreichte er, wie wir geſehen haben, ſeinen Hauptzweck vollſtändig, nur freilich auf eine grauſamere Art, als er ſich vorgeſtellt hatte. Sehr übereilt und tadelnswerth würden wir ſeine eigen - mächtige Handlungsweiſe nennen müſſen, wenn er eine Ahnung von den großen Fortſchritten gehabt hätte, welche Theobalds neue Liebe bereits gemacht hatte, weil Larkens jene Rechte der Braut nur auf große Ko - ſten der Ehrlichkeit ſeines Freundes aufdecken konnte; übereilt und unſicher müßten wir ſein einſeitiges Ver - fahren auch in ſo fern ſchelten, als er ja nicht wiſſen konnte, ob Nolten, wenn er ſich auch bis jezt noch gegen Conſtanze zurückgehalten, doch in Kurzem nicht vielleicht ihr ſein Herz anbieten werde, da er dann nothwendig im zweideutigſten Lichte vor ihr er - ſcheinen müßte; allein für’s Erſte hatte Larkens nicht die mindeſte Vermuthung davon, wie weit be - reits das Verſtändniß der Beiden gediehen war, und für’s Zweite, was die Zukunft betrifft, ging er neuer - dings ernſtlich mit dem Gedanken um, Theobalden die Zeugniſſe für Agneſens Unſchuld vorzulegen, ihn zu näherer Prüfung der Sache zu vermögen, ihn im Nothfall damit zu bedrohen, daß er die Gräfin ſelbſt zur freundſchaftlichen Schiedsrichterin darüber aufrufen werde.

Vor allen Dingen widmete er der Frage, in wie236 fern es gerathen ſey, Theobalden ſchon jezt ſeine Pflichten für die Verlobte aufzudringen, eine reifliche Ueberlegung. Wir überlaſſen ihn jezt ſeinen Ge - danken und kehren in das Zarlin’ſche Haus zurück.

Dort meldete ſich des andern Tages gegen Abend ein vornehmer Beſuch. Herzog Adolph erſchien, und Conſtanze, in Abweſenheit ihres Bruders, empfing ihn allein. Das ungewöhnlich blaſſe und ver - ſtörte Ausſehen der ſchönen Frau mochte ihm ſogleich auffallen, er erkundigte ſich auf das Angelegentlichſte nach ihrem Befinden, ging dann mit einer leichten Wendung auf ſein eigenes Anliegen über und erzählte mit ſichtbarem Verdruſſe, was ihm geſtern von einer höchſt ärgerlichen Sache bekannt geworden, wobei er bedaure, daß ſie gerade in dieſem, ihm ſo höchſt ſchätzbaren, Hauſe habe vorfallen müſſen. Der König, ſein Bruder, deſſen Ehre dabei betheiligt wäre, ſey auf das genaueſte davon unterrichtet und aus deſſen eigenem Munde habe er es gehört.

Conſtanze erſchrack, erklärte, wie ſie zwar an jenem Abende die allgemeine Bewegung der Geſell - ſchaft wahrgenommen, wie auch ſie nachher den Grund davon erfahren, wie ſie aber an einen ſolchen Frevel von ſolchen Männern nicht ſogleich habe glauben kön - nen. Sie bat, man möge doch wenigſtens ſie aller Stimme dabei überheben, da Leute von beſſerer Ein - ſicht, von bedeutenderem Urtheil zugegen geweſen. Aber der Herzog geſtand, daß der König die vorläu -237 fige Ausmittelung der Sache ihm anbefohlen, daß er das Manuſcript und was dazu gehöre, bereits in Be - ſchlag genommen, daß er aber nach wiederholtem Le - ſen und genauer Prüfung alles Einzelnen noch nicht ganz habe mit ſich einig werden können. Er ſey zu - lezt auf den Einfall gerathen, Alles von der Entſchei - dung einer eben ſo ſcharfſinnigen, als unbefangenen Dame abhängen zu laſſen, und er werde dießfalls auf ſeiner Bitte beharren, ihrem Ausſpruch werde er unbedingt vertrauen. Freilich, ſezte er mit einem pikanten Accente hinzu, freilich, wenn meine getroſte Vorausſetzung von der gänzlichen Unbefangenheit mei - ner geliebten Freundin mich denn doch etwas trügte, wenn ihr Einer oder der Andere von den Beklagten mehr als billig am Herzen läge, dann, meine Gnädige, wäre es wirklich höchſt undelikat, trotz Ihrer Weigerung einen gerechten Spruch aus Ihrem Munde zu ver - langen.

Gelaſſen ſchaute die Gräfin ihn an und erwiderte: Beide Männer waren mir ſehr viel werth; Sie ſelbſt haben dieſen Nolten begünſtigt, und ſchon um Ih - retwillen, Adolph, ſollte es mir leid ſeyn, wenn Ihnen ein Freund unſchuldig gekränkt würde. Was aber jenen Fehler, ich ſagte füglich, jenes Verbrechen, betrifft, das man dieſen Leuten Schuld gibt, ſo will ich keineswegs der Gerechtigkeit im Wege ſtehen, nur ſie zu befördern bin ich außer Stande. Sie ſelbſt können, dünkt mich, doch wohl am beſten wiſſen, was238 Ihrem Freunde allenfalls zuzutrauen wäre, Sie dür - fen von ihm aus dann getroſt auf die Geſinnungen des Schauſpielers ſchließen, denn Beide ſind ja Ein Sinn und Ein Gedanke. Richten Sie alſo. Sie waren zwar nicht Zeuge jenes Abends, aber die Do - kumente liegen in Ihren Händen, was hätt ich dem - nach vor Ihnen voraus, das mich zu einem Urtheil geſchickter machte?

Der Herzog ſtand auf, machte einige Schritte und ſagte dann im freundlichſten Tone: Ich that Ih - nen Unrecht, meine Liebe! vergeben Sie’s. Ich ſehe, wir ſind Beide in einer und derſelben Verlegenheit, und wären ſo ziemlich gleich geneigt, das Ganze zu entſchuldigen, wenigſtens zum Guten zu wenden. Ich finde nun erſt, wie unbillig es von meinem Bruder war, mich in dieſen ſchlimmen Fall zu ſetzen, wie thöricht von mir, den Auftrag anzunehmen. Zwar auch meine Ehre mußte dabei intereſſirt ſeyn, aber je leidenſchaftlicher ich die Sache aufnahm, um ſo weniger konnt ich hoffen, klar darin zu ſehen, und meinem Unwillen hielt auf der andern Seite die Nei - gung für Nolten kaum das Gleichgewicht, da dieſe, in der lezten Zeit gar zu läſſig von ihm gepflegt, ſo gut wie eingeſchlafen war; um ſo ſchlimmer für Nol - tens Recht, wenn ich ohnehin Urſache hatte, ihm böſe zu ſeyn. Bei Ihnen, Beſte, ſpricht ein reines menſchliches Gefühl zu Gunſten des übrigens ſo bra - ven Künſtlerpaares, und ich geſtehe Ihnen, auch mich239 will in Ihrer Nähe die alte Vorliebe für dieſen Maler wieder einnehmen, ohne daß Sie noch ein Wort zu ſeiner Vertheidigung vorgebracht aber vielleicht gerade darum könnt ich ihm verzeihen, weil Sie ihn nicht vertheidigen. Könnte ich bei dem Lärm, bei der Erbitterung, die der tolle Vorfall ſchon bei Hofe veranlaßt hat, ganz ruhig ſeyn, mich vor dem Verdachte der Parteilichkeit bei meinem Bruder ſichern, ich möchte die Herren wohl frei ſprechen und Alles zu vertuſchen ſuchen; ſo aber bin ich der Sorge doch nicht los, und meiner Stellung zu dem guten Maler erwächſt aus der dummen Geſchichte auf alle Fälle eine bleibende Schwierigkeit. Doch, was beſchwere ich Sie mit dieſen Unbilden Laſſen Sie uns davon ſchweigen. Am artigſten wär’s, ſezte er ſcherzend hinzu, man ſezte ein Gericht nieder, beſtehend aus einem Archäo - logen, einem Profeſſor der Aeſthetik und einem Advo - katen, die ſich über das Manuſcript und die Bilder her - machen ſollten. Nicht wahr, meine Schönſte?

Die wahre Geſinnung des Herzogs und ſeine ſchwierige Lage läßt ſich übrigens leicht aus folgenden Bemerkungen erkennen.

Weit entfernt von der Thorheit, in der fabelhaf - ten Figur jenes tauſendjährigen Königs eine eh - renrührige Beziehung zu entdecken, fand er dieſe Be - ziehung eher ſchön und wohlgemeint; dagegen ihm die Aehnlichkeit jener Feenfürſtin mit Viktorien um ſo bedenklicher vorkam. Denn wenn gleich das wahre240 Verhältniß dieſer Perſon zum verſtorbenen Regenten nicht ganz getroffen ſeyn mochte, ſo war die ſchein - barſte Seite davon doch ſo charakteriſtiſch herausge - hoben, daß man nicht läugnen konnte, ein ſehr frap - pantes Bild von Viktoriens Erſcheinung vor ſich zu haben. Die Zeichnung des ſelbſtſüchtigen ſchalk - haften und doch wieder ſo innigen Weſens ahmte wirklich die leiſeſten Nüancen nach. Das Alles hätte noch hingehen mögen. Aber dieſe Dame glänzte noch am Hofe, das Vertrauen, das Nikolaus ihr ge - ſchenkt hatte, ward noch vom Sohne geehrt. In ſo ferne müſſen wir jenes Spiel höchſt unbedachtſam nennen. Dennoch hätte es vielleicht dem Herzog nicht ſchwer ſeyn müſſen, den möglichen Schaden abzulenken, wäre nicht der König ſelbſt in einer müßigen Stunde auf das verſchrieene Manuſcript neugierig geweſen. Hier entging ihm denn ſo manche Verwandtſchaft kei - neswegs, er äußerte ſich mit großer Unzufriedenheit über eine ſo unſchickliche Anſpielung, namentlich die leichtfertige oder ernſte Einführung der bewußten werthgeſchäzten Frau empörte ihn als eine unverzeih - liche Vermeſſenheit. Der Herzog beſänftigte ihn vor - läufig, indem er Dieſes und Jenes noch problematiſch darſtellte, verſprach, das Ganze nochmals genau zu durchgehen, ſo wie auch nähere Erkundigungen einzu - ziehen; weil er aber doch ein gerechtes Gefühl des Bruders nicht ſchlechterdings umgehen und das Zu - trauen nicht mißbrauchen wollte, womit dieſer ihm die241 Entſcheidung des keineswegs gleichgültigen Gegenſtan - des überließ, ſo kam er wirklich mit einer doppelten Pflicht in’s Gedränge, er hätte eben ſo gerne den Maler geſchont als dem Bruder Genüge gethan; da - her denn auch jene Anfrage bei Conſtanze nichts we - niger als bloße Pantomime war; er dachte ſie bei dieſer Gelegenheit ein wenig zu ſchrauben, fand aber ein ſolches Frauen-Orakel wirklich bequem für ſeine Unſchlüſſigkeit, nur glaubte er auf den Fall, daß die Geſchichte Rumor machen könnte, aus Diskretion ge - gen Viktorie den eigentlichen Grund des Aergerniſ - ſes verſtecken und mehr das Allgemeine vorkehren zu müſſen.

Conſtanze blickte noch immer ernſt vor ſich nieder, ohne eine Miene zu ändern. Den Herzog rührte ihr Anblick, worin er von jezt an wirklich nur die edelſte Theilnahme an dem Schickſale zweier Haus - freunde zu leſen glaubte; ihr ganzes Weſen, von die - ſem Kummer leicht beſchattet, däuchte ihm nie fo rei - zend, ſo weich geweſen zu ſeyn. Er ſezte ſich an ihre Seite und gab dem Geſpräch eine andere Richtung, ſie ging ſo viel möglich darauf ein, und der Zwang, den ſie ſich mitunter dabei anthat, machte ſie nur immer liebenswürdiger, kindlicher, unwiderſtehlicher. Dazu kam die einladende Ruhe dieſer Stunde, von zweien auf dem Tiſche brennenden Kerzen traulich ver - klärt. Der Herzog ergriff in der Unterhaltung die Hand ſeiner ſchweigſamen Nebenſitzerin, er ließ die16242ſchmeichelhafteſten Vorwürfe gegen ſie ſpielen über die karge Art, womit ſie ſeiner Zärtlichkeit immer entgegne, auch jezt erfuhr dieſe noch einigen Widerſtand, doch ſo ſchien es dem ſchlauen Manne, mehr einen anſtändigen als ſtrenge zurückweiſenden Widerſtand.

Aber als ihr gepreßter Schmerz, ihre Unruhe, ihr Mißbehagen ſich immer weniger verbarg, als der wärmer gewordene Liebhaber auf’s Neue mißtrauiſch werden wollte, bald mit dringenden Worten, bald mit den lebhafteſten Liebkoſungen zu einer Erklärung - thigte, da war es ſeltſam, jammervoll anzuſehen, wie die arme Frau ganz außer ſich gerieth, in dem Au - genblick, wo ſie von ihrem unſeligen Geheimniß auf’s Höchſte bewegt, an die verlorene Liebe doppelt ſchmerz - lich erinnert werden mußte, indem eine andere, bisher verhaßte, ſich hülfreich ſtürmiſch aufdrang. Jezt ſtößt ſie den Herzog heftig weg, jezt gibt ſie ſich ſeiner Kühnheit unerhört willig hin, dem bängſten Seufzer, dem heißeſten Guſſe von Thränen folgt plötzlich ein Lachen, deſſen kindiſche Lieblichkeit, deſſen herzlicher Klang unter jeden andern Umſtänden hätte bezaubernd ſeyn müſſen. Der Herzog ſah in alle dieſem nur den unbeſchreiblich rührenden Ausdruck einer bis jezt ver - hüllten Leidenſchaft für ihn, welche ſich endlich ver - rathen und noch im entzückten Momente der erſten Umarmung mit holder Scham und ſüßer Reue käm - pfe, ihn ſelber jedoch zum ſeligſten der Menſchen mache. Wie ganz anders ſah es im Buſen Con -243 ſtanzens aus! Oft war es ihr, als ſäße ſie, von einem Dämon, von einem hölliſchen Weſen umſchlun - gen, in entſetzlicher Unmacht feſtgebannt; Luſt und Unluſt empörten ſich wechſelſeitig in ihrem Innern, ſie überließ ſich ſeinem Kuſſe mit einem ſcyneidenden Gefühle von Widerwillen, ja von Ekel, ſie empfand es unerträglich, wie elend ſie ſich verirrt, wie thöricht raſend ihre Einbildung ſey, als ob ſie auf dieſe Art an jenem Verräther heimlich Rache üben könnte! Er (ſo rief, ſo wimmerte es in ihrer Seele) ja er allein hat es verſchuldet, daß Conſtanze ſo ſich verläugnet, daß ich thue, was ich ſonſt verabſcheut hätte, und doch wie wird Alles werden? wie ſoll das enden? wohl, wohl mag es, wie es kann! Sie rang ſich los, drückte den Kopf in die Purpur - kiſſen des Sopha, ihr Schluchzen zerriß dem Herzog das Herz, er berührte ſie ſchüchtern, er bat, er be - ſchwor ſie um Faſſung; ſie möge ſich doch beſinnen, warum ſie denn eigentlich verzweifle, ob das unfrei - willige Bekenntniß einer Neigung, die ihn auf ewig zu einem guten, mit Welt und Himmel glücklich aus - geſöhnten Menſchen zu machen beſtimmt ſey, ob die Furcht, daß dieſes ſchöne Verſtändniß jemals dem ro - hen Urtheil der Menſchen bloßgeſtellt werden könne, ob ein Zweifel an ſeiner Verſchwiegenheit, an ſeiner Treue, ein Zweifel an ſeiner Ehrfurcht vor ihrer Tu - gend ſie quäle? Conſtanze! Theure! Geliebte! blicken Sie auf! ſagen Sie, daß ich für heute, für244 jezt, mich entfernen ſoll, fordern Sie, daß ich Sie mein Leben lang durch nichts, durch kein halbes Wort, mit keiner Miene, keinem leiſen Wunſche mehr an dieſen Abend mahne! Mir aber darf er unvergeß - lich bleiben; ſo wie jezt wird auf ewig dieſes Zimmer, wird das Licht dieſer Kerze und wovon es Zeuge ge - weſen, vor meiner Erinnerung ſtehen o Gott! und ſo, in dieſer traurig abgewendeten Lage muß die Ge - ſtalt der edelſten Frau vor mir erſcheinen, um allen himmliſchen Reiz des vorigen Augenblicks wieder aus - zulöſchen! ich werde vergehen, verzweifeln, wenn Sie ſich nicht aufrichten, wenn ich Sie ſo verlaſſen muß.

Er faßte ſie ſchonend an beiden Schultern, und ſanft rückwärts gebeugt lehnte ſie den Kopf an ihn, ſo daß die offenen ſchwimmenden Augen unter ſeinem Kinne aufblickten. Freundlich gedaukenlos ſchaut ſie hinan, freundlich ſenkt er die Lippen auf die klare Stirne nieder.

Lang unterbrach die athmende Stille nichts. End - lich ſagt er heiter: Iſt’s nicht ein artig Sprüch - wort, wenn man bei der eingetretenen Pauſe eines lange gemüthlich fortgeſezten Geſprächs zu ſagen pflegt: es geht ein Engel durch die Stube?

Conſtanze ſchüttelte, als wollte ſie ſagen: der vorige, der gegenwärtige Auftritt habe doch wohl ei - nen ſo friedſamen Geiſt nicht herbeilocken können.

Abermals verſagt ihm ein weiteres Wort; er ſinnt über den Zuſtand der Gräfin nach, der ihm auf’s245 Neue Verſchiedenes zu bedenken gibt. Nicht ohne Abſicht kommt er daher ſpielend wieder auf Nolten und Larkens zurück. Nein, ſagt er zulezt, es würde mir ſehr angenehm ſeyn, wenn Sie, meine Liebe, mir über den böſen Punkt Ihre Anſicht offen - baren wollten. Ganz gewiß ſind Sie längſt darüber im Reinen, zum wenigſten haben Sie eine Meinung. Reden Sie mir, ich bitte recht ernſtlich Halten Sie die Beiden für ſchuldig?

Die Befragte bedenkt ſich eine Weile und ſagt mit einer ſonderbar zuckenden Bewegung: Schuldig? er iſt’s!

Wer doch?

Nun, der Nolten

Ich erſtaune! und Larkens?

Wohl eben ſo gut. Ja, mein Herr, darauf verlaſſen Sie ſich.

Und ſind ſtrafbar?

So denk ich.

Nun, auf mein Wort! ſo ſollen ſie’s bereuen.

Der Herzog ſtand auf; Conſtanze blieb wie angefeſſelt. Er hatte dieß ſtrenge Urtheil aus Con - ſtanzens Munde am wenigſten erwartet, um ſo gegründeter mußte es ſeyn. Er fragte Einiges, was ihre Anſicht näher beſtimmen ſollte, ſie verſicherte, nichts weiter zu wiſſen: er möge ſich damit begnügen und auf keinen Fall ſie verrathen. Nun erſt, da er Gewißheit zu haben glaubte, da ſelbſt dieſe billig den -246 kende Frau von ſolcher Ungebühr bewegt, entrüſtet ſchien, erwachte Aerger und Verdruß in ihm, er ent - hielt ſich der empfindlichſten Ausdrücke nicht, wieder - holt dankte er der Geliebten ihre Aufrichtigkeit, die er als natürliche Folge einer zärtlich aufgeſchloſſenen Stimmung auslegte. Ihm ahnete nicht, von wel - chem Aufruhr widerſprechender Gefühle die Gräfin innerlich zerriſſen war, ſeitdem ſie das Entſcheidende ausgeſprochen. Wie verſteinert vor ſich hinſtarrend, blieb ſie auf Einer Stelle ſitzen, war mehr als Ein - mal verſucht zu Milderung, zu völliger Widerrufung des Geſagten, aber ein unbegreiflich Etwas band ihr die Zunge. Plötzlich hört man den Wagen des Gra - fen vor dem Haus anrollen, ein eiliger Kuß, ein ſchmeichelhaft Wort verſiegelt von Seiten des Her - zogs das Geheimniß dieſer Stunde.

Ehe wir noch auf die Folgen zu reden kommen, welche dieſe Vorgänge raſch genug nach ſich gezogen, enthalten wir uns nicht, einen allgemeinen Blick auf die Gemüther zu werfen, zwiſchen denen ſich durch die fatalſte Verſchränkung der Umſtände, durch ein doppeltes und dreifaches Mißverſtändniß eine ſo un - geheure Kluft gebildet hatte.

Indem unſer Maler ſich den Ausſichten eines unbegränzten Glückes überläßt, mit jedem Tage der völligen Entſcheidung deſſelben entgegenblickt und ſo -247 eben beſchäftigt iſt, der Gräfin ſeine Wünſche, ſeine Anerbietungen in einem ruhig beſonnenen Briefe frei und edel hinzulegen, ſpinnt ihm die Liebe ſelbſt durch Conſtanze ein verrätheriſches Netz. Der redliche Wille eines Freundes, der im Dunkeln ſeinen Zweck hartnäckig verfolgte, ward zum Spiel eines ſchlimmer oder beſſer geſinnten Schickſals: die ſorgſam aber grillenhaft angelegte Mine, womit Larkens einen gefährlichen Standpunkt der Perſonen nur leicht aus - einander zu ſprengen dachte, hat ſich tückiſch entladen und iſt im Begriff, ihrer Viere, und darunter ihn ſel - ber, mit bitterm Unheil zu treffen, ſo daß man kaum wüßte, wer von Allen am meiſten zu bedauern ſey, wenn es nicht jenes unſchuldige Mädchen iſt, um deſ - ſen gerechtes Wohl es ſich von Anfang an handelte. Aber, ſcheint Conſtanze unſer Mitleid verſcherzt zu haben, ſeitdem ſie ſich zu einer heftigen Rache hinreiſ - ſen ließ und derſelben einen falſchen Grund unterzu - ſchieben wußte, ja ſeitdem es den Anſchein hat, als wolle ſie ſich an einen zweideutigen Verehrer weg - werfen, ſo werden wir doch billig genug ſeyn, uns den Zuſtand eines weiblichen Herzens zu vergegen - wärtigen, das auf’s grauſamſte getäuſcht, von der Höhe eines herrlichen Gefühls herabgeſtürzt, an ſich ſelber, wie an der Menſchheit, auf einen Augenblick irre werden mußte. Was Theobalden ſelbſt be - trifft, ſo ſehen wir ſchon jezt, wie ſich ein zwar ſehr verzeihliches, aber dennoch übereiltes Mißtrauen in248 der Liebe durch ein ganz ähnliches an ihm beſtraft, und wir wollen erwarten, ob dieſe harte Züchtigung mehr zu ſeinem Unglück oder zu ſeinem Heile aus - ſchlagen ſoll.

Die auf Befehl des Herzogs geſchehene Konfis - kation des verdächtigen Spielkäſtchens war den Freun - den ſchon kein gutes Zeichen. Larkens gerieth in Wuth über dieſen abgeſchmackten Gewaltſtreich, wie er’s nannte. Mögen ſie ſich doch, rief er dem Ma - ler zu, die Zähne ausbeißen an dieſen armſeligen ver - klexten Gläſern! und dem erſten Schöpſen, der die Naſe in mein argloſes Machwerk ſtecken wird, ſchlage der Geiſt des alten Nikolaus nur tüchtig hinter’s Ohr, zur Erleichterung des kritiſchen Verſtändniſſes!

Theobald wollte den Herzog ſelbſt belehren, der Schauſpieler gab es nicht zu, indem er behauptete, man müſſe dem Pack den Gefallen nicht thun, man müſſe abwarten, bis die Maus ſelbſt aus dem unheil - ſchwangern Berg hervorſpringe und die Dummheit ſich proſtituire. Da demungeachtet der Maler in ſei - ner gütlichen Abſicht den fürſtlichen Gönner aufſuchte, ward er zu ſeiner größten Beſtürzung und Verdruß nicht vorgelaſſen. Ganz troſtlos aber machte es ihn, als er ſich ſeine lezte Zuflucht zu Zarlin’s auf glei - che unerhörte Weiſe abgeſchnitten ſah. Er wußte ſich nicht zu helfen, nicht zu rathen, er hätte mit Freu - den den Haß des ganzen Hofes auf ſich geladen, wenn er nur über Conſtanze hätte ruhig ſeyn können.

249

Inzwiſchen ward jene mißliche Sache durch einen neu hinzugetretenen Umſtand gar ſehr verſchlimmert, ja ſie bekam eine völlig veränderte Geſtalt. Wie im - mer ein Uebel das andere erzeugt und in ſolchen Fäl - len des Unheils kein Ende iſt, ſo hatten einige Stim - men nicht ermangelt, bei dieſer Gelegenheit an gewiſſe vor längerer Zeit anhängig gemachte und zum Theil wirklich erhobene Kriminalfälle, geheime Umtriebe be - treffend, zu erinnern, und obgleich dieſe Dinge bereits für abgethan galten, ſo glaubte man doch keinen un - bedeutenden Nachtrag hinter dem Schauſpieler ſuchen zu müſſen.

Der unruhige Geiſt, welcher, von gewiſſen poli - tiſchen Freiheitsideen ausgehend, eine Zeitlang die Jugend Deutſchlands, der Univerſitäten beſonders, er - griffen hatte, iſt bekannt. Die Regierung, von wel - cher hier die Rede iſt, behandelte dergleichen Gegen - ſtände mit um ſo größerer Aufmerkſamkeit, als ſich entdeckte, daß immer auch einige durch reiferes Alter, Geiſt und übrigens unbeſcholtenen Charakter ausge - zeichnete Männer nicht verſchmäht hatten, an ſolchen Geheimverbindungen, im weiteren oder engeren Sinne, Theil zu nehmen. So hegten denn namentlich zwei genaue Bekannte unſere Schauſpielers dieſe gefähr - liche Tendenz mit vieler Vorliebe, und der Leztere, weit entfernt von jedem ernſtlichen Intereſſe an der Sache, verbarg dieſen Leuten gegenüber ſeine Gleich - gültigkeit und Geringſchätzung hinter der Maske des250 feurigſten Enthuſiaſten, indem er ſich das Vergnügen nicht verſagen konnte, ſeine Genoſſen auf eine jeden - falls unverantwortliche Weiſe zum Beſten zu haben. Er ſchrieb ihnen Briefe voll ſchwärmeriſchen Schwungs, machte die abſurdeſten Vorſchläge und wußte den Ver - dacht einer bloßen Aefferei durch eine kunſtvolle iro - niſche Einkleidung, durch abwechſelnd vernünftige Ge - danken, ſo wie durch die höchſte Konſequenz in der perſönlichen und mündlichen Darſtellung zu entfernen, ſo daß ihn die Geſellſchaft zwar für ein ſeltſam über - ſpanntes, doch aber höchſt talentvolles Mitglied an - ſprach, wenn es gleich an einzelnen klugen Köpfen nicht fehlte, die ihm heimlich mißtrauten und ſcharf auf die Finger ſahen; er bemerkte dieß, ſpielte den Gekränkten, zog ſich noch eben zu rechter Zeit zurück und erhielt ge - gen das Verſprechen der tiefſten Verſchwiegenheit ſeine ſchriftlichen Aufſätze ſämmtlich zurück. Als es zwei Jahre nachher von Staats wegen zur Unterſuchung und Aufhebung der Verbrüderten kam, und entfern - terweiſe auch ſeiner erwähnt ward, konnte es ihm bei der Diskretion der Bundesgenoſſenſchaft wirklich ge - lingen, ſich wie ein Aal aus der Klemme zu winden, während andere, zum Theil ſchon in öffentlichen Aem - tern ſtehende, Männer zu nachdrücklicher Beſtrafung gezogen wurden. So erfreute er ſich geraume Zeit einer guten Sicherheit, aber ſein frevelhafter Muth - wille ſollte nicht ungerächt bleiben. Das berüchtigte Schauſpiel rief die alten Erinnerungen wieder hervor,251 übelwollende, wichtig thuende Aufklauber übten ſo - gleich ihre ganze Geſchäftigkeit, und der König ſah ſich bewogen, einen ſo verhaßten Gegenſtand aber - mals in öffentliche Anregung zu bringen. Der Her - zog, ſeinerſeits an die Erheblichkeit dieſes neuen Ver - dachtes keineswegs glaubend, bedauerte dieſe höchſt verdrießliche Wendung der ohnehin ſo ſchief gedrehten Geſchichte um ſo aufrichtiger, je weniger Freund Nol - ten ungefährdet dabei bleiben konnte, und je weniger er ſelbſt ſich verhehlte, daß vielleicht einige glücklich an - gebrachte Winke von ihm hingereicht haben würden, den erſten ſchwierigen Eindruck des bewußten Gedich - tes zu vernichten, und ſo jedem weitern Nachhalle vor - zubeugen. Er ſah nur zu deutlich ein, wie es am Ende doch jenes einzige Wort aus Conſtanzens Munde geweſen, was ſeine Schritte geirrt und ſeine verſöhnliche Geſinnung mit einem geheimen Aber an - geſteckt habe. Jezt konnte an eine Vertuſchung nicht mehr gedacht werden, und Alles nahm ſeinen ſtrengen, geſetzlichen Gang.

Wie ein Donnerſchlag traf es die Freunde, als ihre Verhaftung nun wirklich erfolgte. Eine Kommiſ - ſion ward beauftragt, ihre Papiere zu durchſuchen, und zum Unglück kam dieß Alles ſo raſch, ſo unvermuthet, Beide hatten ſo gar keine Ahnung von den neueſten Gerüchten, daß Larkens nicht von Weitem daran dachte, jene verfänglichen Briefe[auf] die Seite zu ſchaf - fen; denn leider waren ſie noch vorhanden, er hatte252 die Vertilgung ſo merkwürdiger Aktenſtücke nicht über ſich vermocht, vielmehr lagen ſie über die Zeit der er - ſten Unterſuchungen als geheimes Depoſitum in dem Hauſe eines unverdächtigten Bekannten, ſpäter nahm ſie der Verfaſſer wieder zu ſich und ein verſiegeltes Portefeuille in ſeinem Pult verwahrte den verrätheri - ſchen Schatz. Wie ſehr der Umſtand unſern Schauſpie - ler beunruhigen mußte in dem Augenblick, als ihm die Feſtnehmung ſeiner eigenen Perſon das Ernſtliche der Abſicht genugſam bewies, läßt ſich denken; denn daß man die Briefe finden würde, daß der Inhalt, obwohl höchſt komiſcher Natur, gar ſehr gegen ihn zeugen müſſe, war zu erwarten.

Die Beiden wußten kaum, wie ihnen geſchah, als ſie ſich eines Morgens in zwei abgeſonderte Zimmer des ſogenannten alten Schloſſes zu trauriger Einſam - keit verwieſen ſahen. Leopold und Ferdinand waren theilnehmende Begleiter auf dem verhaßten Gange. Beim Abſchied konnte Nolten kein Wort vorbringen, kaum fand er Gelegenheit, dem Bildhauer ein kurzes Billet an den Grafen nochmals zu empfeh - len. Larkens’s Benehmen drückte einen knirſchenden Schmerz aus, er kehrte das Geſicht ab, während er Noltens Hand zum lezten Mal faßte.

Wenn der Menſch von einem unerwarteten Strei - che des ungerechteſten Geſchickes betäubt ſtille ſteht und ſich allein betrachtet, abgeſchloſſen von allen äußeren mitwirkenden Urſachen, wenn das verworrene Geſchrei253 ſo vieler Stimmen immer leiſer und matter im Ohre ſummt, ſo geſchieht es wohl, daß plötzlich ein zuver - ſichtliches, fröhliches Licht in unſerm Innern aufſteigt, und mit Heiterkeit ſagen wir uns, es iſt ja nicht mög - lich, daß dieß Alles wirklich mit mir geſchieht, ungeheu - rer Schein und Lüge iſt es! Wir fühlen uns mit Händen an, wir erwarten, daß jeden Augenblick der Nebel zerreiſſe, der uns umwickelt. Aber dieſe Mau - ern, dieſe ſorgſam verriegelte Thür wieſen dem armen Maler mit frecher Miene ihr feſtes unbezwingliches Daſeyn. Erſchüttert, mit lautem Seufzen ließ er ſich auf den nächſten Stuhl nieder, ohne einmal an das Fenſter zu treten, das ihm eine weite Ausſicht in’s Freie und ſeitwärts einen kleinen Theil der Stadt freundlich und tröſtlich hätte zeigen können. In der That hatte das Zimmer eine angenehme Lage, in dem oberſten Theil des ohnehin hochgelegenen, alterthümli - chen, hie und da noch befeſtigten Gebäudes. Dieſer Eine Flügel war, die Wohnung des Kommandanten und des Wärters ausgenommen, ganz unbewohnt, von einer andern Seite, wo Garniſon lag, tönte zuweilen ein munterer militäriſcher Klang, Trommel und Muſik nicht allzu geräuſchvoll. Auch die nächſten Umgebun - gen Theobalds nahmen ſich eben nicht ſehr düſter aus, die Wände rein geweißt und trocken, die Eiſen - ſtäbe vor den Fenſtern weit genug, um nichts zu ver - dunkeln, die Heizung regelmäßig, ſo weit die herankom - mende Frühlingszeit ſie nicht gar entbehr[e]ich machte. 254Aber an der nothdürftigſten Unterhaltung mit Büchern, Schreibzeug und dergleichen fehlte es, und jede Art von Material für den Künſtler insbeſondere ſchien ausdrück - lich verwehrt. Auch dachte unſer Gefangener für jezt noch an alle das keineswegs; vielmehr liefen ſeine Ge - danken mit der Geliebten, mit dem ganzen zerriſſenen und verhüllten Bilde ſeiner Zukunft beſchäftigt, immer in demſelben Schwindelkreiſe, wie an einem unüber - ſteiglichen, von keiner Seite zugänglichen Walle, ver - zweifelnd hin und her. Und wenn er ſich das Aergſte, das Aeußerſte vorgehalten, ſo kam ihm doch ſtets wie - der der Glaube an Conſtanzens richtiges Gefühl, an ihre Klarheit, ihre treue Geſinnung muthig entgegen. Sie mochte ihn damals abgewieſen haben, weil ihre Stellung zum Hofe ihr dieſen Zwang auflegte, ſie mochte ſelbſt, auf kurze Zeit vom allgemeinen Irrthum ange - ſteckt, einigen Unwillen hegen, aber ihr Herz werde ihn frei ſprechen, werde mit ihm leiden, ſie ſelbſt werde eine Milderung des gegenwärtigen Uebels zu befördern wiſſen. Dieſe ſeine Hoffnung, gewann nach und nach ſo viel Stärke, daß ihm die Geſtalt der ſchönen Frau nicht anders als mit dem Ausdruck mitleidiger Liebe wie ein Friedensbote vorſchwebte, ja zulezt mit dem reizenden Ungeſtüm einer angſtvollen Braut, welche die Befreiung des Verlobten fordert. Aber furchtbar laſtete die Zeit der Ungewißheit auf ihm, bis er den erſten gütige[n]. Laut von ihr vernehmen könnte! Jenes Billet an den Grafen kaum erinnerte er ſich der255 haſtig hingeworfenen Worte drückte eigentlich nur eine lebhafte Betheurung ſeiner Unſchuld, einen ſchmerz - lichen Klageton aus, der hauptſächlich auf das Gemüth Conſtanzens berechnet ſeyn mochte. Ein früher ent - worfenes Schreiben an die Leztere, wovon wir oben et - was geſagt, hatte er mit ſich hieher gebracht; er las jezt dieſe gemäßigten, freudig hoffenden, kühn verſpre - chenden Linien auf’s Neue; er glaubte die Theure vor Augen zu haben, ihre zarte Hand zu ergreifen, ihre Zuſage zu hören, den Hauch ihres Mundes zu fühlen, und ach! wie ſtumpfte dann wieder der Anblick dieſer Zelle gegen den lebendigſten Traum!

Larkens an ſeinem Orte quälte ſich nicht weni - ger mit Zweifeln und Sorgen auf und nieder. Es ent - behrte ſeine Phantaſie der immer noch lieblichen Hin - terg〈…〉〈…〉 nde, womit jener Leidensbruder ſich ſeinen Zu - ſtand aufſchmeichelte. Ueberdieß mußte er nach einer Aeußerung, die ihm privatim zugekommen war, und die er ſchonungsvoll für ſich allein behalten, die Ausſicht auf baldige Losſprechung viel weiter hinaus denken, als man ſonſt geneigt war; und er empfand dieß um ſo peinlicher, je mehr er alle Schuld dieſes doppelten Miß - geſchicks auf ſich zurückführte. Für die auswärtigen Angelegenheiten ſeines Freundes glaubte er indeſſen vorläufig dadurch geſorgt zu haben, daß, er auf den Fall eines längeren Stillſtandes im ſchriftlichen Ver - kehr mit Agnes, dieſe unter Vorſchützung einer Ge - ſchäftsreiſe beruhigte. Einigen Vortheil für ſeinen ge -256 heimen Plan fand er in der Entfernung Noltens von der Perſon Conſtanzens. Aber dieſer kleine Ge - winn, wie theuer erkauft! Und bedachte er vollends, was er ſelbſt entbehre durch die Trennung von Theo - bald, was in ſolcher Widerwärtigkeit der Troſt eines gemeinſamen Geſpräches wäre, erwog er die Unmöglich - keit, ſich auch nur durch einen Buchſtaben von Zeit zu Zeit wechſelsweiſe mitzutheilen und anzufriſchen, ſo hätte er laut toben, er hätte aufſchreien mögen über die Einförmigkeit eines Daſeyns, wovon er, der unge - bundene, keck verwöhnte und reizbare Menſch nie einen Begriff gehabt. Die einzige Hoffnung ſezte er auf ein Verhör.

Schon waren einige Tage verſtrichen, als die Lage der Beiden durch die zugeſtandene Erholung mit Lektüre bereits erträglicher zu werden verſprach, doch Larkens wies dergleichen ſtarrſinnig von ſich, und während Nol - ten bei allem erdenklichen Leidweſen doch den Vorzug genoß, daß ihm theils die Liebe, theils ein zu Hülfe gerufener Künſtlerſinn immer neuen Stoff zu innerlicher Belebung zuführte, ſo verſank der Schauſpieler gar bald in die Finſterniß ſeines eigenen Selbſt, er wurde die freiwillige Beute eines feindſeligen Geiſtes, den wir bisher nur wenig an ihm kennen gelernt, weil er ihn ſelber bis auf einen gewiſſen Grad glücklich genug bekämpft hatte. Um uns übrigens hierin ganz ver - ſtändlich zu machen, wird folgender Aufſchluß hinreichen.

Von vermögenden Eltern herkommend, ohne ſorg -257 fältige Erziehung von Hauſe aus, bezog er ſehr jung die Akademie, wo er, keinen feſten Plan im Auge, neben einem luſtigen kameradſchaftlichen Treiben den - noch ſchöne philoſophiſche und äſthetiſche Studien machte. Eine Reiſe nach England und die Höhe des dortigen Schauſpielweſens bekräftigte den Entſchluß, ſich mit höchſtem Ernſte dieſer Kunſt zu weihen. Seine erſte theatraliſche Schule begleiteten bereits öffentliche Pro - ben auf einem der angeſehenſten Schauplätze, und die Aufmerkſamkeit des Publikums wurde zur Bewunde - rung, als er, obwohl ungerne, dem Rathe eines er - fahrnen Mannes folgend, ſich eine Zeitlang in durch - aus komiſchen Repräſentationen erging. In dem Maße, wie er, einem ſonderbaren Naturzwang zufolge, wieder zum Ernſthaften einlenkte, nahm der allgemeine Bei - fall ab, und ſo ſchwankte er unbefriedigt, mißlauniſch ein volles Jahr hin und her, ohne einſehen zu wol - len, welchem von beiden Fächern er ſein Talent zu - wenden müſſe. Dazu kam der Uebelſtand, daß dem praktiſchen Künſtler ſeine poetiſche Produktivität viel - mehr hinderlich als förderlich war; er wollte im Reiche ſeiner eigenen Dichtung leben und empfand es übel, wenn ihn mitten in der ſchaffenden Luſt das Hand - werk ſtörte, was um ſo unvermeidlicher war, da ſeine Arbeiten ganz außer der allgemeinen Bühnenſphäre lagen und nur von einem engen Freundeskreiſe ge - faßt und geſchäzt werden konnten. Dieſer widrige Konflikt des Dichters und des Brodmenſchen brachte17258die erſten Stockungen und Unordnungen in ſeinem Leben hervor; aus Verdruß über die Unausführbar - keit ſeiner höhern Geiſteswelt warf er ſich in den Strudel der gemeinen, und die Leidenſchaften, welche er durch kunſtmäßige Darſtellung im ſchönen Gleich - gewichte mit ſeinem beſſern Selbſt zu erhalten gedacht hatte, ließ er jezt in zügelloſer Wirklichkeit raſen.

Um jene Zeit hatte ſich unter ſeinen Freunden die eigene Sucht hervorgethan, ſich durch Erfindung und Durchführung fein angelegter Intriguen zu zeigen. Larkens ſpielte in einem gutartigen Sinne hierin gerne den Meiſter, aber leider verwickelte ihn dieß Unweſen bald mit einer, als ſchön und witzig gleich bekannten, Schauſpielerin, ein Umgang, der ihn bald in einen Wirbel der verderblichſten Genüſſe niederzog. Sein Beruf ward ihm leidige Nebenſache, und, mehr als Einmal im Begriffe, verabſchiedet zu werden, er - hielt er ſich nur dadurch, daß er von Zeit zu Zeit durch eine Vorſtellung, worin er allem Genie aufbot, die Gunſt ſeiner Leute gewaltſam an ſich riß. Mit Schmerzen blickte man ihm nach, als er freiwillig den Ort verließ, welcher Zeuge ſeiner traurigen Ver - ſunkenheit geweſen. Er entſagte dem unwürdigen Leben, raffte ſich zu neuer Thätigkeit auf, und ward ein erfreulicher Gewinn für die Stadt, worin wir ihn ſpäter als Noltens Freund kennen lernten. Aber jene fleckenvolle Zeit ſeines Lebens hinterließ auch dann noch eine unüberwindliche Unruhe, eine Leere259 bei ihm, als er ſeine ſittliche und phyſiſche Natur längſt mit den beſten Hoffnungen aus dem Schiffbruch gerettet hatte. Des heiteren geiſtreichen Mannes be - mächtigte ſich eine tiefe Hypochondrie, er glaubte ſei - nen Körper zerrüttet, er glaubte die urſprüngliche Stärke ſeines Geiſtes für immer eingebüßt zu haben, obgleich er den zwiefachen Irrthum durch tägliche Proben widerlegte. Wie oft hielt er Theobalden, wenn dieſer bemüht war, ſeine Grillen zu verjagen, mit wehmüthigem Lachen das traurige Argument ent - gegen: Das Bischen, was noch aus mir glänzt und flimmt, iſt nur ein deſperates Vexir-Lichtchen, durch optiſchen Betrug in euren Augen vergrößert und ver - ſchönert, weil ſich’s im trüben Hexendunſte meiner Katzen-Melancholieen bricht. Mit ſolchen Ausdrücken konnte er ſich ganze Stunden gegen Theobald er - hitzen, und erſt nachdem er ſich gleichſam völlig zer - fezt und vernichtet hatte, gewann er einige Ruhe, eine natürliche Heiterkeit wieder, wobei er, nach dem Zeugniß Aller, die ihn umgaben, unglaublich ſanft und liebenswürdig geweſen ſeyn ſoll. Außer Theobald und etwa einem andern früheren Vertrauten kannte ihn jedoch keine Seele von dieſer ſchwermüthigen Seite, er wußte ſie trefflich zu verbergen, und ſein Betragen auf dieſen Punkt gab ſelbſt dem Menſchenkenner nie - mals eine Blöße. Inzwiſchen war der gute Einfluß nicht zu mißkennen, den Noltens Umgang, ſein kräf - tiger Sinn, auf jenes verdunkelte Temperament aus -260 übte, denn wenn gleich unſer Maler ſelbſt an einer gewiſſen Einſeitigkeit leiden mochte, ſo war doch ſein ſittlicher Grundcharakter unerſchütterlich, und ein Stre - ben nach voller geiſtiger Geſundheit beurkundete ſich zeitig in der mehr und mehr zum Allgemeinen auf - ſteigenden Richtung ſeiner Kunſt, mit Bereinigung alles deſſen, was ihm von einer phantaſtiſchen Entwicklungs - periode noch anklebte. Larkens ſchöpfte mit Luſt aus dieſer Quelle ein reines Waſſer auf ſein dürres Land, er hielt ſich leidenſchaftlich an den neuerworbe - nen Freund, ohne doch dieſe Inbrunſt ſtürmiſch im Worte zu verrathen; vielmehr gerieth er unwillkürlich in die gemäßigte Rolle eines Mentors hinein, eines Meiſters, welcher durch eigenen unſäglichen Schaden klug geworden, dem Jüngern gar wohl gelegentlich auf die rechte Spur helfen zu können glaubt. Und indem er ſo am raſchen Strom eines in jugendlicher Fülle ſtrebenden Geiſtes Theil nahm, erwuchs ihm ein neues Zutrauen zu ſich ſelber, die Schuppen ſeines veralteten Weſens fielen ab, eine friſche Bildung er - ſchien darunter. Immer ſeltener wurden jene ſelbſt - quäleriſchen Ausbrüche, ja ſie verſchwanden zulezt völlig; was Wunder, daß nun ein Gefühl von Dank - barkeit ihn unſerem Freunde auf ewig verband, daß er ſich’s zur Pflicht machte, mit aller Kraft für das Wohl des Geliebten zu arbeiten? Mögen wir auch an einem auffallenden Beiſpiele, das er von dieſem warmen Eifer gab, einen Hang zum Seltſamen keines -261 wegs verkennen, ſo war die Intention dennoch die lauterſte, brüderlichſte, und wer wollte ihm verargen, wenn er bei der zarten Pflege, die er einem gebro - chenen Liebesverhältniß widmete, zugleich ſeinem Her - zen den Triumph bereitete, welcher in dem Zeugniß lag, daß er als ein vielverſuchter Abenteurer ſich den - noch mit unſchuldiger Innigkeit an der eingebildeten Liebe eines engelreinen Weſens erfreuen konnte, eines Mädchens, das er nie mit Augen geſehen und an deſſen Beſitz er niemals gedacht hatte, ſo wünſchens - werth er auch erſcheinen mochte. Gerne begnügte er ſich mit der Fähigkeit, ein ſchönes Ideal noch in ſich aufnehmen und außer ſich fortbilden zu können; er fing an, mit ſich ſelber, mit der Welt ſich zu verſöh - nen. So weit war Alles in gutem Geleiſe: nun aber herausgeriſſen aus aller Thätigkeit, aus einem geſellig zerſtreuenden Leben, dem Elemente ſeines Da - ſeyns, gefoltert überdieß von dem Gedanken, einem theuren Freunde Veranlaſſung zu bedenklichem Unfalle geworden zu ſeyn, erwehrte er ſich eines allgemeinen Trübſinnes nicht mehr, die alten Wunden brachen wieder auf, geſchäftig wühlte er darin, Vergangenheit und Gegenwart floſſen in ein grinzendes Bild vor ihn zuſammen, er betrachtete ſich als den Elendeſten der Menſchen, er verlor ſich mit Wolluſt in der Vorſtel - lung, daß dem Manne, durch Schuld und Jammer überreif, die Macht gegeben ſey, das Leben eigenwillig abzuſchütteln. Je gewiſſer er im äußerſten Falle auf262 dieſe lezte Freiſtatt rechnen konnte, und je ruhiger er nach und nach den entſetzlichen Gedanken beherrſchen lernte, deſto mehr gewann ſein Gemüth auf der an - dern Seite an Freiheit und an Muth, die nächſte Zukunft duldend abzuwarten; ſein Zuſtand wurde mil - der, ſogar heiterer.

Eine unerwartete Unterbrechung dieſes brütenden Stilleſitzens, ſo angenehm ſie erſchien, wollte ihn doch beinahe ſtörend überraſchen, da er die erſten Fäden einer allmähligen Verpuppung durch den Zudrang friſchen Lebenshauches wieder zerriſſen, und ſich ſelbſt zu neuer Hoffnung aufgemuntert ſah. Denn eines Morgens, in der vierten Woche der Gefangenſchaft, trat der Kommandant in’s Zimmer, mit der Nachricht: es ſolle beiden Herren erlaubt ſeyn, zuweilen einen und den andern Freund bei ſich zu ſehen, doch Jeder nur auf ſeinem eigenen Zimmer und ohne daß die Gefangenen ſelbſt zuſammengeführt würden. Larkens dankte ſo gut er konnte, beſonders verdroß ihn die lezte Bedingung; auch hatte der Offizier einem weite - ren guten Vorurtheil, das man aus dieſer Vergün - ſtigung ziehen mochte, nicht undeutlich vorgebeugt, und überdieß vermuthete Larkens, daß man dieſe Gunſt nur der beſonderen Attention des Herzogs ge - gen Nolten zu verdanken habe.

Den erſten Abend brachten Ferdinand und Leopold bei Theobald zu, den folgenden bei dem Schauſpieler, wozu ſich noch ein dritter Freund an -263 ſchloß. So lebhaft ein ſolches Wiederſehen ſeyn mußte, ſo freundlich die lieben Gäſte mit Neuigkeiten aller Art und mit dem beſten Weine zu Belebung der Gemüther das Ihrige thaten, ſo war es doch nur er - zwungene Freude, und Theobald wußte ſich um ſo weniger zu laſſen, da er gleich Anfangs hören mußte, daß ſein Billet an Zarlin zwar angenommen wor - den, daß jedoch bei einem Beſuche, welchen Leopold im Hauſe gemacht, der Graf bloß ein allgemeines, ziemlich kühles Bedauern geäußert habe. In ſo fern Leopold nichts von der wahren Beziehung wiſſen ſollte, welche Noltens Intereſſe für jene Familie hatte, ſo konnte dieſer nur durch entfernte Fragen herauslauſchen, daß Conſtanze gar nicht ſichtbar, auch keine Rede von ihr geweſen ſey.

Dieſe Lage der Dinge drückte nun freilich ſchwer auf das Herz des geängſtigten Liebhabers, aber wie ward ihm vollends zu Muthe, als der Bildhauer ſein vor einigen Wochen ſchon gemachtes Anerbieten wie - derholte, einen Brief an Agnes zu beſorgen, ja als er gutmüthig äußerte, wie er die ganze Zeit her im Zweifel geweſen, ob er nicht ſelbſt dieſe Pflicht über - nehmen und dem Vater des Mädchens die leidigen Begebenheiten ſchonungsvoll beibringen ſolle, wie ihn aber ein Wort, das Larkens gleich Anfangs hierüber fallen laſſen, dennoch beruhigt habe. Ja wohl, ſagte Nolten, dafür iſt ſchon Rath geſchafft! und ver - drängte dieſe Materie, während er im Stillen aus264 der ablehnenden Aeußerung, welche der Schauſpieler gethan haben ſollte, nicht ganz klug werden konnte, und überhaupt auf die traurigſten Kombinationen verfiel.

Die Art, wie Larkens die Beſuche aufnahm, war im Grunde anſprechender, denn er ſezte von jeher einen Vorzug darein, ſich vor Menſchen zuſammenzu - nehmen und eine wohlwollende Annäherung, auch wenn ſie zur Unzeit kam, gutmüthig, zart und gefällig zu er - wiedern. Die Nachricht aber, womit man ihn beſon - ders zu erfreuen dachte, daß das Theater und deſſen Liebhaber herzlich und laut um ihren beſten Liebling trauern, nahm er gleichgültig auf und er wollte nichts da - von hören. Die Urtheile der Stadt im Allgemeinen betreffend, hieß es, man trage ſich mit allerlei übertrie - benen Meinungen von dem Vergehen der Verhafteten; die Vernünftigen zucken die Achſel, Niemand wolle an eine gänzliche Unſchuld der Beiden glauben. Auch hatten indeſſen drei Verhöre ſtatt gefunden, ohne daß man dadurch einer glücklichen Entſcheidung um Vieles näher gerückt wäre.

War der Zuſtand unſeres Paares unter dieſen Umſtänden beklagenswerth genug, ſo ſollte noch die ſchwerſte Prüfung über den Maler ergehen, indem ſich auf alle die heftigen Erſchütterungen ein Fieber bei ihm ankündigte, das der Arzt ſogleich für bedeutend erkannte. Der Kranke verließ ſeit drei Tagen das Bett nicht mehr, häufig lag er ohne Bewußtſeyn da und in265 freieren Stunden war das Gefühl ſeines Elends nur um ſo ſtärker; die Phantaſien der Fieberhitze ſezten ihr grelles Spiel auch im Wachen fort und ſchleuderten den Gequälten in unbarmherzigem Wechſel hin und her. Bald nahte ſich Conſtanze ſeinem Lager, und wenn ſein inniger Klageton ihr Mitleid, ihre Liebe an - ſprach, wenn ſich die edle Geſtalt ſo eben über den Lei - denden herzuſenken ſchien, floh ſie entſezt und zürnend wieder weg; bald zeigte ſich die verſtoßene Agnes an der Thür, den ſtillen Blick betrübt auf ihn gerichtet, bis ſie ſich nicht mehr hielt und lautweinend neben ihm auf die Kniee ſtürzte, ſeine Hand mit tauſend Küſ - ſen bedeckte und er die arme Reuevolle gleichfalls lieb - reich an ſich herzuziehen genöthigt war.

Dergleichen Vorſtellungen, worin ſich der Reſt ſeiner Neigung zu jenem verkannten liebenswürdigen Kinde nun auf dem durch Krankheit und Schwäche er - weichten Grunde ſeines Gemüthes ſonderbar und leb - haft abſpiegelte, wiederholten ſich immer häufiger und waren um ſo weniger abzuweiſen, da ſie ihm zunächſt durch einen ſeltſamen Zufall von Außen aufgedrungen worden waren. Denn eines Morgens erwachte er vor Tag aus einem unruhigen Halbſchlafe an einem weib - lichen Geſang, der aus der Küche des Wärters unter ſeinem Fenſter zu kommen ſchien. Der Inhalt des Lieds, ſo wenig es ihm ſelber gelten konnte, traf ihn im Innerſten der Seele, und die Melodie klang unend - lich rührend durch das Schweigen der dunkeln Frühe,266 ja die Töne ſelber nahmen in ſeiner Einbildung eine wunderbare Aehnlichkeit mit der Stimme Agne - ſens an.

Früh, wenn die Hähne krähn,
Eh die Sternlein verſchwinden,
Muß ich am Heerde ſtehn,
Muß Feuer zünden.
Schön iſt der Flammen Schein,
Es ſpringen die Funken,
Ich ſchaue ſo drein,
In Leid verſunken.
Plötzlich da kommt es mir,
Treuloſer Knabe!
Daß ich die Nacht von dir
Geträumet habe.
Thräne auf Thräne dann
Stürzet hernieder,
So kommt der Tag heran
O ging er wieder!

Zum Erſtenmale ſeit undenklicher Zeit fühlte Theo - bald wieder die Wohlthat unaufhaltſamer Thränen. Die Stimme ſchwieg, nichts unterbrach die Ruhe des langſam andämmernden Morgens. Der Kranke barg das Geſicht in die Kiſſen, ganz der Süßigkeit eines dennoch ſo bittern! Schmerzens genießend.

267

An demſelben Morgen bekam Larkens, da er kaum das Bett verlaſſen hatte, von Leopold, dem Bildhauer, einen Beſuch, der eigentlich Theobalden beſtimmt war; auf die Nachricht vom Pförtner je - doch, daß der Kranke nach einer erträglichen Nacht ſo eben noch ruhig ſchlummere, wagte der Freund keine Störung und ließ ſich das Zimmer des Schauſpielers aufſchließen. Er fand den Leztern in der traurigſten Stimmung, worein ihn die Sorge um Nolten ver - ſezte, und Leopold, gleichfalls heftig bewegt, hatte Mühe, ihn zu tröſten.

Nach einiger Zeit fing der Bildhauer an: Nun muß ich Ihnen eine Eröffnung machen, die freilich zunächſt für Nolten gehörte, ſie betrifft einen Vorfall, womit ich mich ſchon drei Tage herumtrage, ohne daß ich Gelegenheit erhalten konnte, ihn einem oder dem andern von Ihnen mitzutheilen; denn der Obriſt ſchlug mir die Bitte zweimal ab, zumal da der Arzt den Kranken ſo wenig als möglich durch Geſellſchaft beun - ruhigt wiſſen will; geſtern bekam ich mit Noth auf eine Stunde Erlaubniß; die Angſt um Nolten und, ich darf wohl ſagen, auch meine Neuigkeit ließ mir nicht Raſt noch Ruhe mehr. Das was ich mitzuthei - len habe, iſt unerhört, iſt ganz unbegreiflich, für Nol - ten taugt es unter gegenwärtigen Umſtänden auf kei - nen Fall.

Nun, nur um Gotteswillen kein Unglück! ſagte der Schauſpieler verdrießlich lächelnd über den langen268 Eingang; ich meine ſchon von einer neuen Reſolution hören zu müſſen, daß wir armen Tropfen am Ende noch Karren ſchieben werden bei Waſſer und Brod?

Nichts! Setzen wir uns, und hören Sie. Es war an dem Abend unſerer neulichen Zuſammenkunft; ich und Ferdinand hatten Sie kaum verlaſſen, das Schloß lag hinter uns, ich wollte ſo eben in die Prin - zenſtraße einlenken, ſo zeigt mir ein zufälliger Seiten - blick in die leere Kaſtanienallee, wo wir vorüber muß - ten, ein weibliches Weſen ganz ruhig an einen der Bäume gelehnt. Das Auge der Unbekannten begeg - nete dem meinigen. Ich kam faſt von Sinnen beim Anblick dieſer Phyſiognomie, denn doch zuvor muß ich fragen Sie erinnern ſich wohl des tollen Ge - mäldes von Nolten?

Welches?

Der Organiſtin.

Ganz wohl.

Und wenn ich Ihnen nun ſage, dieſe war’s, werden Sie mir glauben?

Nicht, bis ich erſt ausgerechnet, wie viel Bouteil - len wir damals getrunken.

Spaſſen Sie; es war heller Mondſchein, ich ſah das Geſicht deutlich wie am Tage, und was meine Nüch - ternheit betrifft

Schon gut! unterbrach ihn Larkens aufſtehend und ging einigemal nachdenklich auf und ab, indeſſen Leopold fortfuhr. Noch muß ich Ihnen gleich eine269 Schwachheit bekennen, lieber Larkens, und Sie - gen mich immerhin darüber ausſchelten, aber wer in aller Welt iſt ganz vor’m Aberglauben ſicher, ſonder - lich unter ſolchen Umſtänden? Kaum war mir vorgeſtern geſagt worden, Theobald habe ſich gefährlich krank gelegt, ſo deutete ich mein Begegniß mit der geſpenſti - gen Orgelſpielerin urplötzlich als ein Omen aus, denn mir fiel ein, was man von Trauerfällen ſagt, welche auf ähnliche Weiſe angekündigt worden. Und dieſer dummen Furcht bin ich noch heute nicht ganz los, ob - wohl ich recht gut weiß, daß die Erſcheinung keine Viſion, noch Geſpenſt oder dergleichen, ſondern ein or - dentliches Menſchenkind geweſen.

Aufrichtig geſprochen, mein Beſter, ſagte Lar - kens, ich zweifle an dieſer Apparition ſo gar nicht im Mindeſten, daß ich Ihnen vielleicht ſelber den Schlüſſel zu dem Räthſel geben kann. Doch, ſchwei - gen Sie darüber gegen unſern Freund, verſprechen Sie mir reinen Mund zu halten.

Gewiß, wenn Sie’s für nöthig finden.

Nun denn aber zuvor wär ich begierig, wie Ihr Abenteuer abgelaufen. Sie ſprachen die Perſon?

Mein Gott, nicht doch! denn (beinahe ſchäme ich mich, es zu bekennen) die Erſcheinung beſtürzte mich dergeſtalt, daß ich mich wohl drei - viermal im Ring herum wirbelte, und während ich nach meinem zurück - gebliebenen Begleiter umſah, war das Nachtbild ſchon verſchwunden, auch mit aller Mühe nicht mehr aufzu -270 finden. Das Einzige erfuhren wir des andern Tages zufällig von Theobalds Bedienten, daß eine Bettle - rin, deren Beſchreibung mit jener Perſon vollkommen zuſammenſtimmte, ſich Tags vorher in Noltens Hauſe eingefunden und auf die Verſicherung, er ſey auf län - gere Zeit abweſend, ſich wieder fortgeſchlichen. Alles mein Fragen und Forſchen blieb fruchtlos.

Alſo fing Larkens an merken Sie auf. Zwei Tage vor der lezten Neujahrsnacht, die Ihnen hoffentlich noch im Gedächtniß iſt, traf ich auf meinem Hausflur ein Mädchen an, deſſen Aeußeres mich gleich frappirte, und zwar eben auch in der von Ihnen ange - gebenen Beziehung. Es war eine Zigeunerin, hoch, ſchlank gewachſen, nicht mehr ganz jung, aber immer noch eine wirkliche Schönheit, kurz die Aehnlichkeit mit jenem Bilde bis auf wenig zwiſchenliegende Jahre voll - kommen. Ein Korb mit hölzerner Schnitzwaare hing ihr am Arme, allein meine erſte Ahnung, daß ſie wohl in anderer Abſicht als des Verkaufs wegen hieherge - kommen, beſtätigte mir bald ihre Frage nach einem Maler, der hier wohnen ſollte; ſie zog einen Brief hervor, es war die Handſchrift von Noltens Braut, doch lautete die Adreſſe, ich weiß nicht mehr warum, an mich, die Sendung ſelbſt gehörte für Nolten. Es hatte nämlich die Zigeunerin auf ihren Streifzügen auch Neuburg berührt und einen Gruß mit hieher ge - nommen. Mir war die Perſon nach mehrfältigen Er - zählungen Theobalds nichts weniger als fremd, aber271 je genauer ich um ihre frühere Berührung mit unſerm Freunde wußte, deſto bedenklicher fand ich’s, ſo ohne Weiteres zur Erfüllung ihres Wunſches beizutragen, welcher dahin ging, den ſchönen herrlichen Jungen, wie ſie ihn nannte, Einmal wieder zu ſehen. Wenig - ſtens, dacht ich, müßte der herrliche Junge vorbereitet werden, und bei näherer Betrachtung ſchien mir die Hintertreibung einer ſolchen Zuſammenkunft das Si - cherſte und Zweckmäßigſte. Ich gebrauchte allerlei Fin - ten, ſie ein für allemal von jedem Verſuche abzuſchre - cken; da indeſſen das närriſche Ding darauf beſtand und ihr Verlangen eben ſo gerecht als arglos und treuher - zig erſchien, ſo ſann ich auf Mittel, wie Nolten ihr gezeigt werden könnte, ohne daß jedoch er ſie gewahr würde. Das ließ ſich nun wohl auf verſchiedene Weiſe machen. Mir gefiel aber, wie ich gern geſtehen will, ein etwas romantiſch ſeltſamer Weg beſſer als etwa ein ſimples Gucken durch Spalt und Schlüſſel - loch, kurz, die Neujahrsmaskerade kam mir eben recht zu Statten und

Was? rief Leopold verwundert, am Ende wird noch der Nachtwächter vom Albanithurm aus der Geſchichte hervorſpringen!

Das erräth ſich nun leicht; ſo hören Sie kurz noch den Hergang. Nachdem ich das Mädchen mit meinem Plane bekannt gemacht, den ſie Anfangs frei - lich gar nicht faſſen wollte; nachdem ſie mir ferner auf eine mir unvergeßlich rührende Weiſe das Verſprechen272 gegeben, mit Willen ſchlechterdings nichts gegen meine genaue Inſtruktion zu thun oder merken zu laſſen, ſo diktirt ich ihr einige Seiten, welche ſie zu meiner größten Freude mit fremden Zeichen ſchrieb, da ſie unſere Buchſtaben nur ſehr ſchlecht zu machen wußte. Aber es koſtete immer noch Mühe genug, bis ich ihr meine Worte geſchickt in die Feder gegeben und noch mehr, bis ſie ſich die Rolle einigermaßen angeeignet hatte. Sodann ſchafft ich die nöthige Kleidung, und wahres Vergnügen gewährte mir die naive Miene, womit ſie ſich ſelbſt in ihrer idealiſchen Vermummung betrachtete. Sie behandelte das Ganze mit einer ge - wiſſen Feierlichkeit und gefiel ſich gar wohl dabei; ihre Recitation freilich war hart und trocken, allein ihr Be - griff von dieſer poetiſchen Figur ſo ziemlich richtig. Sämmtliche Vorbereitungen geſchahen in einem abgele - genen Zimmer außer dem Hauſe, wo ich Schauſpielern beiderlei Geſchlechts zuweilen Unterricht ertheilte, ſo daß mein jetziges Geſchäft Niemanden auffiel. Wie anſtändig das Mädchen ſeine Sache machte, haben Sie ja geſehen, und ich ſelbſt verwunderte mich im Stillen über die glückliche Ausführung.

Leopold ward kaum fertig, ſein Erſtaunen aus - zudrücken, indem er ſich die Einzelnheiten der Neu - jahrsfeier auf dem Thurme zurückrief. Da er nun um ſo mehr Verlangen bezeugte, über die ſonderbare Per - ſon der Zigeunerin und ihr früheres Verhältniß zu Theobald eines Näheren belehrt zu werden, zeigte273 ſich der Schauſpieler nicht ungerne bereit; er wollte ſo eben ſeine Erzählung beginnen, als er ſich bedenkend inne hielt und endlich ſagte: Wiſſen Sie was, mein Lieber? Sie erfahren die kurze Geſchichte am beſten aus einigen Blättern, worin ich dasjenige, was mir Nolten im Anfange unſerer Bekanntſchaft vertraute, treulich darzuſtellen geſucht habe, da mir die Begeben - heit gar wohl der Aufbewahrung werth geſchienen; be - ſonders merkwürdig iſt das mit dem Ganzen verfloch - tene Schickſal eines gewiſſen längſt geſtorbenen Ver - wandten der Nolten’ſche Familie, in deſſen Leben überhaupt ich die prototypiſche Erklärung zur Geſchichte unſeres Freundes zu finden glaube. Vor mehreren Wochen entlehnte ein Bekannter das Heft von mir, ich gebe Ihnen einige Zeilen an ihn mit und er wird es Ihnen einhändigen. Durchläuft man dieß Bruch - ſtück aus unſers Noltens Leben mit Bedacht, und vergleicht man damit ſeine ſpätere Entwicklung bis auf die Gegenwart, ſo erwehrt man ſich kaum, den wun - derlichen Bahnen tiefer nachzuſinnen, worin oft eine unbekannte höhere Macht den Gang des Menſchen planvoll zu leiten ſcheint. Der meiſt unergründlich verhüllte, innere Schickſalskern, aus welchem ſich ein ganzes Menſchenleben herauswickelt, das geheime Band, das ſich durch eine Reihe von Wahlverwandtſchaften hindurchſchlingt, jene eigenſinnigen Kreiſe, worin ſich gewiſſe Erſcheinungen wiederholen, die auffallenden Aehnlichkeiten, welche ſich aus einer genauen Verglei -18274chung zwiſchen früheren und ſpäteren Familiengliedern in ihren Charakteren, Erlebniſſen, Phyſiognomieen hie und da ergeben (ſo wie man zuweilen unvermuthet eine und dieſelbe Melodie, nur mit veränderter Tonart, in demſelben Stücke wieder klingen hört), ſodann das ſeltſame Verhängniß, daß oft ein Nachkomme die un - vollendete Rolle eines längſt modernden Vorfahren aus - ſpielen muß dieß Alles ſpringt uns offener, überraſchen - der als bei hundert andern Individuen hier am Bei - ſpiele unſeres Freundes in das Auge. Dennoch wer - den Sie bei dieſen Verhältniſſen nichts Unbegreifli - ches, Grobfataliſtiſches, vielmehr nur die natürlichſte Entfaltung des Nothwendigen entdecken. Die Spitze des Ganzen beſteht aber in der Art und Weiſe, wie unſer Freund als Knabe zur innigſten Vermählung mit der Kunſt geleitet worden, deren urſprünglicher Cha - rakter ſich noch heute in einem großen Theil ſeiner Ge - mälde erkennen läßt. Genug, Sie mögen ſelbſt urthei - len. Aber ach! was werden Sie bei dieſer Lektüre fühlen, wenn Sie denken, daß eben derjenige, deſſen ahnungsvolle Knabengeſtalt Ihnen in den Blättern be - gegnet, nunmehr als Mann von der ſinnloſen Fauſt eines fremdartigen Geſchickes aus ſeiner eigenen Sphäre herausgeſtoßen, und noch ehe er die Hälfte ſeiner Rech - nung abgeſchloſſen, hier in dieſen Mauern eilig ver - welken und vergehen ſoll! Denn, o mein Freund! ich fürchte Alles, und dieſer Kummer wird mich aufreiben, wird mich noch vor Ihm tödten und möchte er nur! 275Sehen Sie mich an; ich glaube zu fühlen und mein Spiegel ſagt es mir, daß der Gram dieſer drei Tage mich um doppelt ſo viel Jahre älter gemacht hat. Still; ich muß abbrechen, wenn ich nicht von Sinnen kommen will. Gehen Sie hinüber zu dem Armen und drücken ihm die Hand im Namen des Larkens. Ach, möcht ich ihn wenigſtens Einmal wieder von Angeſicht ſehen! und doch ich fürchtete mich davor.

Leopold griff nach dem Hute und erbat ſich noch die Anweiſung zu dem merkwürdigen Heft; da eben der Schließer eintrat, ſäumte er nicht länger, um vor Allem den geliebten Patienten zu beſuchen. Mit hei - ßen Blicken ſah ihm der Schauſpieler nach, eine unbe - gränzte Sehnſucht nach Theobald übermannte ihn, aber umſonſt, die Thüre zog ſich zu und drüben hörte er das Schloß zum Zimmer des Geliebten rauſchen.

So ſtand nun der Bildhauer vor dem Bette Nol - tens, und heimlich entſezt über das äußerſt elende Ausſehen des Kranken mußte er aller Faſſung aufbie - ten, um ſeine Bewegung nicht zu verrathen. Den Gemüthszuſtand Noltens konnte er im Ganzen nicht gewahr werden, er ſprach wenig und nur angeſtrengt mit matter Stimme. Einmal fragte er den Wärter, wer doch des Morgens in aller Frühe unten in der Küche ſo hübſch zu ſingen pflege? Etwas kleinlaut er - widerte der Alte: Meine Tochter. Ich will’s ihr aber unterſagen, es ſchickt ſich nicht; und ach! das Geſinge iſt noch ihr einzig Leben. Theobald bat276 ſehr, man möge das Mädchen ja nicht irre machen in dieſen Unterhaltungen; er fragte, wie es komme, daß ſie nur ernſte traurige Lieder zu kennen ſcheine? Der Henker weiß, war die Antwort, woher ſie all das Zeug herkriegt; ſie war von Kindheit auf ein närriſches Ding, nicht auch luſtig und raſch wie die andere Ju - gend, aber fleißig und verſtändig, und beſorgt mir Alles in der Haushaltung ſeit ihrer Mutter Tod. Da der Alte ſofort über den Verluſt ſeiner Frau, deren Tu - gend er nicht genug rühmen konnte, in die beweglich - ſten Klagen ausbrach, auch zulezt immer wärmer und aufrichtiger werdend eine unglückliche Liebſchaft ſeines Kindes auseinander zu ſetzen anfing, konnte man leicht bemerken, wie angreifend ſolche Dinge auf Nolten wirkten, daher Leopold dem Erzähler einen Wink gab. Endlich ſchied der Bildhauer mit ungewiſſem be - klommenen Herzen. Er eilte, nachdem er ſich zuvor das bewußte Manuſcript verſchafft, allein aus dem Ge - räuſche der Stadt, einen ſelten betretenen Weg verfol - gend. Ein warmer, ſonnenheller Tag ſchmolz vollends die lezten Reſte Schnee und Eis hinweg, eine erqui - ckende Luft ſchmeichelte bereits mit Vorgefühlen des Frühlings. So gelangt unſer ernſter Fußgänger, eh er ſich’s verſah, in die ländlichſte Umgebung, ein freund - liches Dorf lacht ihm entgegen. Dort ſucht er nach einem ſtillen Garten hinter dem nächſten beſten Wirths - hauſe und findet auch bald ein hübſches erhöhtes Plätz - chen zwiſchen Weinbergen mit Tiſch und Bank, von wo277 man die angenehmſte Ausſicht hat. Er beſtellt eine Flaſche Wein, ſezt ſich und holt jene Schrift hervor, deren Inhalt wir dem Leſer nicht vorenthalten können.

Ein Tag aus Noltens Jugendleben.

Die Zeit war wieder erſchienen, wo der ſechs - zehnjährige Theobald von der Schule der Haupt - ſtadt aus die Seinigen auf zwei Wochen beſuchen durfte. In dem Pfarrhauſe zu Wolfsbühl war daher gegen - wärtig große Freude, denn Vater und Schweſtern (die Mutter lebte nicht mehr) hingen an dem jungen blü - henden Menſchen mit ganzem Herzen. Ein beſonders inniges Verhältniß fand aber zwiſchen Adelheid und dem nur wenig jüngern Bruder Statt. Sie hatten ihre eigenen Gegenſtände der Unterhaltung, worein ſonſt Niemand eingeweiht werden konnte; ſie hatten hundert kleine Geheimniſſe, ja zuweilen ihre einige Sprache. Es beruhte dieß zarte Einverſtändniß vor - nämlich auf einer gleichartigen Phantaſie, welche in den Tagen der Kindheit unter dem Einfluß eines mährchenreichen, faſt abergläubiſchen Dorfes und einer merkwürdigen Gegend die erſte Nahrung empfangen und ſich nach und nach auf eine eigenthümliche und ſehr gereinigte Weiſe ihren beſtimmten Kreis gezogen hatte. Von der Richtung, welche die beiden jugend -278 lichen Gemüther genommen, war alſo, wie es ſchien, nichts zn befürchten, und ſelbſt äußerlich wurde das Verhältniß keineswegs einſeitig auf Koſten der übri - gen drei minder empfänglichen Schweſtern unterhalten. Es herrſchte eine gutmüthige heitere Verträglichkeit; nur die ältere Tochter, Erneſtine, deren Sorge vor - züglich das Hausweſen überlaſſen blieb, zeigte mitun - ter ein finſteres, gebieteriſches Weſen, und ſie hatte den Vater bereits mehr als billig war auf ihre Seite gebracht.

An einem trüben Morgen in der lezten Zeit des Oktobers ſpazierten Theobald und ſeine Vertraute zuſammen im Gärtchen hinter dem Hauſe. Er er - zählte ſo eben ſeinen Traum von heute Nacht und die Schweſter ſchien ernſthaft zuzuhören, indeß ſie unver - wandt nach der Seite hinüberblickte, wo die alte Ruine, der Rehſtock genannt, tief in Nebel geſteckt liegen mußte.

Aber du gibſt nicht Acht, Adelheid! Ich habe vorhin, um dich zu prüfen, abſichtlich den tollen Un - ſinn in meinen ſonſt vernünftigen Traum hineinge - bracht und du nahmſt es ſo natürlich wie zweimal zwei vier.

Das Mädchen erſchrack ein wenig über die Er - tappung, lachte ſich jedoch ſogleich herzlich ſelber aus und ſagte: Ja richtig! ich hab nur mit halbem Ohr gehört, wie du unaufhörlich von einer großen großen, unterirdiſchen Kellerthür ſchwazteſt, welche endlich mit279 beiden Hinterfüßen nach dem armen Mann ausge - ſchlagen habe. Indeſſen, was iſt im Traum nicht Alles möglich? Gib mir aber keck eine Ohrfeige! ich hatte fürwahr ganz andere Gedanken. Höre! und daß du es nur weißt, wir gehen heute auf den Rehſtock. Noch nie hab ich ihn an einem Tag geſehen, wie der heutige iſt, und mich däucht, da muß ſich das alte Gemäuer, die herbſtliche Waldung ganz abſonderlich ausnehmen; mir iſt, als könnten wir heut Einmal die Freude haben, ſo ein paar ſtille heimliche Wolken zu belauſchen und zu überraſchen, wenn ſie ſich eben recht breit in die hohlen Fenſter lagern wollen. Wie meinſt du? Schlag ein. Wir werden’s vom Papa ſchon erhalten, daß mir Johann das Pferd ſatteln darf und du ſelbſt biſt ja rüſtig auf den Füßen. Wir gehen gleich nach dem Frühſtück wo möglich ganz allein, und kommen erſt mit dem Abend wieder.

Dem Bruder war der Vorſchlag recht; es wurde verabredet, man wolle alles Erdenkliche von Gefällig - keit thun, um die Uebrigen günſtig zu ſtimmen. Adel - heid flocht der ältern Schweſter, der eiteln Erne - ſtine, dießmal den Zopf mit ungewöhnlichem Fleiße, verlangte nicht einmal den Gegendienſt, und der Kuß, den ſie dafür erhielt, war für die Beiden ungefähr daſſelbe gute Zeichen, was für Andere, wenn ſie ein gleiches Vorhaben gehabt hätten, der erſte Sonnenblick gewe - ſen wäre. Ehe man es dachte, hat Theobald die Sache bereits beim Vater vermittelt und bald ſtand280 der Braune mit dem bequemen Frauenſattel ausge - rüſtet im Hofe. Man ließ das Pärchen ungehindert ziehen. Der Alte brummte unter dem Fenſter mit einem geſchmeichelten Blick auf die ſchlanke Reiterfigur ſeines Mädchens bloß vor ſich hin: Narrheiten! Erneſtine kreiſchte nur etwas Weniges zur Em - pfehlung der zerbrechlichen, mit Mundvorrath gefüllten Gefäße nach, welche der Knecht in einer Ledertaſche nebſt den Schirmen hinten nachtrug, und die ehrlichen Wolfsbühler, an das berittene Frauenzimmer längſt gewöhnt, grüßten durch’s ganze Dorf auf das Freund - lichſte.

Die Sonne hielt ſich brav hinter ihrem Verſteck und der Tag behielt zu Adelheids größter Zufrie - denheit ſein mockiges Geſicht bei.

Indem ich, hob ſie nach einer Weile an, wohl gute Luſt hätte, recht wehmüthig zu ſeyn, wie dieſer graue Tag es ſelber iſt, ſo rührt ſich doch faſt wider meinen Willen ein wunderlicher Jubel in einem klei - nen feinen Winkel meines Innerſten, eine Freudigkeit, deren Grund mir nicht einfällt. Es iſt am Ende doch nur die verkehrte Wirkung dieſes melancholiſchen Herbſt - anblicks, welche ſich von Kindheit an gar oft bei mir gezeigt hat. Mir kommt es vor, an ſolchen trauer - farbnen Tagen werde die Seele am meiſten ihrer ſelbſt bewußt; es wandelt ſie ein Heimweh an, ſie weiß nicht wornach, und ſie bekommt plötzlich wieder einen Schwung zur Fröhlichkeit, ſie kann nicht ſagen woher. Ich freue281 mich der Freiheit auf meinem guten Pferde, ich wickle mich mit kindiſchem Vergnügen in mein Mäntelchen gegen die rauhe Luft, die da auf uns zuſtreicht, und halte mir das ſichre Herze warm und wiege mich in meinen Gedanken. Aber nicht wahr, als wir noch in Rißthal wohnten, da war es ein Anderes, auszureiten? Enges Thal, dichter Wald, wohin man immer ſah. Hier das platte Feld und lauter Fruchtbaum. Wir haben anderthalb gute Stunden, bis es ein wenig krauſer hergeht. Glücklich, daß wir wenigſtens die Landſtraße nicht brauchen.

Beide Geſchwiſter durchliefen jezt in unerſchöpflichen Geſprächen die Lichtpunkte ihres früheren Lebens in Rißthal, einem dürftigen Orte, wo der Vater zwölf Jahre lang Pfarrer geweſen. Sie begegneten ſich mit der innigſten Freude bei ſo mancher angenehmen, kaum noch in ſchwachen Anklängen vorhandenen Erinnerung, es wagten ſich nach und nach gegenſeitige Worte der Rührung und Frömmigkeit über die Lippen, wie ſie ſonſt, von einer Art falſcher Schaam bewacht, zwiſchen jungen Leuten nicht gewechſelt werden.

Endlich ſagte der Bruder: Indem wir da ſo offen - herzig plaudern, läßt mich’s nicht ruhen, dir zu geſte - hen, daß ich doch Ein Geheimniß auch vor dir habe, Adelheid! Es iſt nichts Verdächtiges, nichts, was ich verheimlichen müßte, eine Grille hat mich bisher abgehalten, dir es mitzutheilen. Aber heute ſollſt du es hören, und zwar unter den Mauern des alten282 Rehſtocks, damit du künftig daran denken magſt, wenn du hinaufſiehſt.

Gut! erwiderte die Schweſter, ich freue mich, und für jezt kein Wörtchen weiter davon!

Unter hundert Wendungen des Geſprächs war man in weniger als zwei Stunden unvermerkt dem erwünſchten Ziele ziemlich nahe gekommen. Deutlich und deutlicher traten die Umriſſe der hohen Trümmer hervor; in kurzer Zeit ſtand man am Fuße des wenig bewachſenen Bergs, an deſſen Rückſeite ſich jedoch die lange Fortſetzung eines waldreichen Gebirgs anſchloß. Hier ward geraſtet und die faſt vergeſſene Proviant - taſche mit weniger Gleichgültigkeit geöffnet, als man ſie am Morgen hatte füllen ſehen. Dann ging es langſam die Krümmung des Weges hinan, nachdem das Pferd an Johann abgegeben war, um es in einem nahe gelegenen Meierhof unterzubringen und zur be - ſtimmten Zeit wieder hier mit ihm einzutreffen. Auf der Höhe angelangt ſchweiften die Glücklichen zuerſt Hand in Hand, dann zerſtreut durch die weitläuftigen Räume über Wälle und Graben, durch zerfallene Ge - mächer, feuchte Gänge, verworrenes Geſträuch. Man verlor ſich freiwillig und traf ſich wieder unvermuthet an verſchiedenen Seiten. So geſchah es, daß Adel - heid eben allein mit der Entzifferung einer unver - ſtändlichen Inſchrift beſchäftigt war, als auf Einmal ſich die verlorenen Töne eines, wie es ſchien, weibli - chen Geſanges vernehmen ließen. Das Mädchen er -283 ſchrack, ohne zu wiſſen warum. Ein beſorgter Ge - danke an ihren Bruder, an Hülferufen, an ein Unglück hatte ſie flüchtig ergriffen. Sie horchte mit geſchärf - tem Ohr, ſie glaubte ſchon ſich getäuſcht zu haben, aber in dieſem Augenblick hörte ſie dieſelbe Stimme deutlicher und allem Anſcheine nach innerhalb des Mauerwerks auf’s Neue ſich erheben, den ſchwermü - thigen Klängen einer Aeolsharfe nicht unähnlich. In einem gemiſchten Gefühle von feierlicher Rührung und einer unbeſtimmten Furcht, als wären Geiſterlaute hier wach geworden, wagte die Ueberraſchte kaum ei - nige Schritte vorwärts und ſtand wieder ſtill bei je - dem neuen Anſchwellen des immer reizendern Geſan - ges, und während unwillkürlich ihre Lippen ſich zu dem Lächeln einer angenehmen Verwunderung beweg - ten, fühlte ſie doch faſt zu gleicher Zeit ihren Körper von leiſem Schauder überlaufen. Jezt verſtummte die räthſelhafte Stimme; nur das Rauſchen des Windes in dem dürren Laube, der leiſe Fall eines da und dort losbröckelnden Geſteins, oder der Flug eines Vogels unterbrach die todtenhafte Stille des Orts. Das Mädchen ſtand eine geraume Zeit nachdenklich, unent - ſchloſſen, ſtets in bänglicher Erwartung, daß die un - ſichtbare Sängerin jeden Augenblick an einer Ecke her - vorkommen werde, ja ſie machte ſich bereits auf eine kecke Anrede gefaßt, wenn die Erſcheinung ſich blicken laſſen ſollte. Da rauſchten plötzlich ſtarke, haſtige, aber wohlbekannte Tritte. Theobald kam athemlos284 einen Schutthügel heraufgeklommen, war froh, die Schweſter wieder gefunden zu haben und ſagte: Höre nur! mir iſt etwas Sonderbares begegnet

Mir auch; haſt du den wunderlichen Geſang gehört?

Nein, welchen? aber bei dem Eingang in die Kaſematte, wo der verſchüttete Brunnen iſt, ſizt eine Geſtalt in brauner Frauenkleidung und mit ver - hülltem Haupt. Sie hatte mir den Rücken zugekehrt, ich konnte nichts weiter erkennen und lief bald, dich zu ſuchen.

Die Schweſter erzählte ihrerſeits auch, was vor - gegangen, und beide kamen bald dahin überein, man müſſe ſich die Perſon genauer beſehen, man müſſe ſie anreden, ſey es auch wer es wolle. Ein aͤhnliches Gelüſten, wie das unſrige, hat dieſen Beſuch wohl ſchwerlich veranlaßt, meinte Adelheid; das heutige Wetter findet außer mir und dir gewiß Jedermann gar unluſtig zu ſolchen Partien; ich vermuthe eine Unglückliche, Verirrte, Vertriebene, welche zu tröſten vielleicht eben wir beſtimmt ſind. Und laß es ein Geſpenſt ſeyn! rief Theobald, wir gehen darauf zu!

So eilte man nach der bezeichneten Stelle hin. Sie fanden eine Jungfrau, deren fremdartiges, aber keineswegs unangenehmes Ausſehen auf den erſten Blick eine Zigeunerin zu verrathen ſchien. Bildung des Geſichts, Miene und Anſtand hatte ein auffallen - des Gepräge von Schönheit und Kraft, Alles war285 geeignet, Ehrfurcht, ja ſelbſt Vertrauen einzuflößen, wenn man einem gewiſſen kummervollen Ausdruck des Geſichts nachging. Bis zu dem Gruße Adelheids hatte die Unbekannte die Annäherung der Beiden nicht bemerkt, oder nicht beachten wollen; jezt aber hielt ſie die ſchwarzen Augen groß und ruhig auf die jun - gen Leute geſpannt und erſt nach einer Pauſe erwi - derte ſie in wohlklingendem Deutſch: Guten Abend! wobei ein Schimmer von Freundlichkeit ihren gelaſſe - nen Ernſt beſchlich. Adelheid, hiedurch ſchnell er - muthigt, war ſo eben im Begriff, ein Wörtchen wei - ter zu ſprechen, als ein erſchrockener Blick der Zigeu - nerin auf Theobald ſie mitten in der Rede unter - brach. Sie ſah, wie er zitterte, erbleichte, wie ihm die Kniee wankten. Der junge Herr iſt unwohl! Laſſen Sie ihn niederſitzen! ſagte die Fremde, und war ſelbſt beſchäftigt, ihn in eine erträgliche Lage zu bringen und ihr Bündel unter ſeinen Kopf zu legen. Gewiß eine Erkältung in den ungeſunden Gewölben? ſezte ſie fragend gegen das Mädchen hinzu, das ſprach - los in zagender Unruhe über dem ohnmächtig Gewor - denen hing und nun in lautes Jammern ausbrach. Kind! Kind! was machſt du? der Unfall hat ja, will ich hoffen, wenig zu bedeuten; wart ein Weilchen, ich will ſchon helfen! tröſtete die Fremde, indem ſie in ihrer Taſche ſuchte und ein Fläſchchen mit ſtark - riechender Eſſenz hervorholte, das ſich gar bald recht kräftig erweiſen ſollte an dem hübſchen guten Jungen, 286wie ſie ſich ausdrückte. Als aber nach wiederholten Verſuchen die Augen des Bruders geſchloſſen blieben und Adelheid untröſtlich davon gehen wollte, ver - wies ihr die Zigeunerin das Benehmen durch einen unwiderſtehlich Ruhe gebietenden Wink, ſo daß das Mädchen unbeweglich und gleichſam gelähmt nur von der Seite zuſah, wie die ſeltſame Tochter des Waldes ihre flache Hand auf die Stirne des Kranken legte und ihr Haupt mit leiſem Flüſtern gegen ſein Geſicht herun - terſenkte. Dieſer ſtumme Akt dauerte mehrere Minu - ten, ohne daß Eines von den Dreien ſich rührte. Siehe, da erhub ſich weit und helle der Blick des Knaben und blieb lange feſt, aber wie bewußtlos, an den zwei dun - keln Sternen geheftet, welche ihm in dichter Nähe be - gegneten. Und als er ſich wieder geſchloſſen, um bald ſich auf’s Neue zu öffnen und nun er klar erwachte, da begegnete ihm ein blaues Auge ſtatt des ſchwarzen; er ſah die Freudethränen der Schweſter. Die Unbekannte ſtand ſeitwärts, er konnte ſie nicht ſogleich bemerken, aber er richtete ſich auf und lächelte befriedigt, da er ſie gefunden. Es trat nun einige Heiterkeit überhaupt auf die Geſichter, und Theobald erholte ſich mehr mit jedem Athemzug.

Indeß Adelheid nach dem innerſten Hofraum der Burg eilte, wo die Reiſetaſche lag, um Wein für den Bruder herbeizuholen, entſpann ſich zwiſchen den Zurückgebliebenen ein ſonderbares Geſpräch. Theo - bald nämlich begann nach einigem Stillſchweigen mit287 bewegter Stimme: Sagt mir doch, ich bitte Euch ſehr, wißt Ihr, warum das mit mir geſchehen iſt, was Ihr vorhin mit angeſehen habt?

Nein! war die Antwort.

Wie? Ihr habt nicht in meiner Seele geleſen?

Ich verſtehe Euch nicht, lieber Herr!

Seht nur, fuhr jener fort als ich Euch anſah, da war es, als verſänk ich tief in mich ſelbſt, wie in einen Abgrund, als ſchwindelte ich, von Tiefe zu Tiefe ſtürzend, durch alle die Nächte hindurch, wo ich Euch in hundert Träumen geſehen habe, ſo, wie Ihr da vor mir ſtehet; ich flog im Wirbel herunter durch alle die Zeiträume meines Lebens und ſah mich als Knaben und ſah mich als Kind neben Eurer Geſtalt, ſo wie ſie jezt wieder vor mir aufgerichtet iſt; ja ich kam bis an die Dunkelheit, wo meine Wiege ſtand, und ſah Euch den Schleier halten, welcher mich bedeckte: da verging das Bewußtſeyn mir, ich habe vielleicht lange geſchla - fen, aber wie ſich meine Augen aufhoben von ſelber, ſchaut ich in die Eurigen, als in einen unendlichen Brunnen, darin das Räthſel meines Lebens lag.

Er ſchwieg und ruhte in ihrer Betrachtung, dann ſagte er lebhaft: Laßt mich Eure Rechte Einmal faſſen! Die Fremde gab es zu, und eine ſchönge - bildete braune Hand wog er mit ſeligem Nachdenken in der ſeinigen, als hielte er ein Wunder gefaßt; nur wie endlich ein warmer Tropfen nach dem andern auf die hingeliehenen Finger zu fallen begann, zogen dieſe288 ſich ſchnell zurück, die Jungfrau ſelber entfernte ſich mit auffallender Gebärde nach einer andern Seite, wo ſie hinter den Mauern verſchwand. In dieſem Au - genblick kam Adelheid rüſtig den Wall herunterge - ſprungen, allein ſie hielt mit Einemmal betroffen an, denn der alte Geſang ſchwang ſich mächtig, durchdrin - gend, anders als vorhin, wild wie ein flatternd ſchwar - zes Tuch, in die Luft. Die Worte konnte man nicht unterſcheiden. Ein leidenſchaftlicher, ein düſterer Geiſt beſeelte dieſe unregelmäßig auf und abſteigenden Melo - dieen, ſo fromm und lieblich auch zuweilen einige Töne waren. Erſtaunt erhob ſich Theobald von ſeinem Sitz, mit Entſetzen trat ihm die Schweſter nahe. Wir haben eine Wahnſinnige gefunden, ſagte ſie, mache, daß wir fortkommen. Um Gotteswillen bleib! rief Theobald, durch das Ungewöhnliche des Auftritts zu einer außerordentlichen Kraft geſteigert: Liebe Schweſter, du warſt doch ſonſt keine von denen, die für das Seltene, was ſie nicht begreifen, gleich einen ver - pönenden Namen wiſſen. Ja, und wär es auch eine Wahnſinnige, ſie wird uns nicht ſchaden. Ich kenne ſie und ſie kennt mich. Du ſollſt noch Vieles hören. Damit ging er nach dem Orte hin, von wo der Geſang gekommen war, welcher indeſſen wieder aufgehört hatte. Die Schweſter, ihren Ohren kaum trauend, ſah ihm nach, unter verworrenen Ahnungen, in äußerſter Be - ſorgniß. So blieb ſie eine geraume Weile, dann rief289 ſie, von unerträglicher Angſt ergriffen, mehrmals und laut den Namen ihres Bruders.

Er kam, und zwar Hand in Hand mit der Frem - den, traulich und langſam heran. Es ſchien, daß un - ter der Zeit eine entſchiedene Verſtändigung zwiſchen den Beiden Statt gefunden haben müſſe. Wenn die Miene Theobalds nur eine tiefbefriedigte, ent - zückte Hingebung ausdrückte, ſo brach zwar aus der Jungfrau noch ein matter Reſt des vorigen Aufruhrs ihrer Sinne wie Wetterleuchten hervor, aber um ſo reizender und rührender war der Uebergang ihres Bli - ckes zur ſanften, gefälligen Ruhe, wozu ſie ſich gleichſam Gewalt anthat. Adelheid begriff nichts von Allem; doch milderte der jetzige Anbl〈…〉〈…〉 der Unbe - kannten ihre Furcht um Vieles, erweckte ihre Theil - nahme, ihr Mitleid. Sie geht mit uns nach Hauſe, Schweſter, damit du es nur weißt! fing Theobald an, ich habe ſchon meinen Plan ausgedacht. Nicht wahr, Eliſabeth, du gehſt? Ihr Kopfſchütteln auf dieſe Frage ſchien bloß das ſchüchterne Verneinen von Jemand, der bereits im Stillen zugeſagt hat. Laßt uns aber lieber gleich aufbrechen, es will ſchon Abend werden! ſezte jener hinzu; und ſo rüſtete man ſich, packte zuſammen und ging.

Ich ſehe nicht, flüſterte Adelheid in einem günſtigen Augenblick, während Eliſabeth weit vor - auslief, dem Bruder zu, ich begreife nicht, was daraus werden kann! Haſt du denn überlegt, wie der Vater19290dieß Abenteuer aufnehmen wird? Wenn du die Ab - ſicht haſt, daß dieſe Perſon heute Nacht eine Unterkunft bei uns finde, was kann ihr dieſes viel nützen? oder was trägſt du ſonſt im Sinne? Um des Himmelswil - len, gib mir nur erſt Aufſchluß über dein räthſelhaftes Benehmen! Welche Bewegung! welche Leidenſchaft! Wie hängt denn Alles zuſammen? du handelſt wie ein Träumender vor mir!

Da magſt du wohl Recht haben, war die Ant - wort ja, wie ein Träumender! weiß ich doch kaum, wie Alles kam. Ich zweifle zuweilen an der Wirklich - keit deſſen, was da vorging. Aber doppelt wunderbar iſt es, daß dasjenige, was ich dir heute auf dem Reh - ſtock offenbaren wollte und was nirgends als in meiner Einbildung lebte, uns Beiden in leibhafter Geſtalt hat erſcheinen müſſen.

Nach und nach erklärte er, daß ihm das Mädchen über ſich ſelbſt nichts weiter zu ſagen gewußt, als: ſie habe ſich vor vier Tagen heimlich von ihrer Geſellſchaft, einer übrigens öffentlich geduldeten Zigeunerhorde, ge - trennt, weil ſie ihre Heimath habe wieder ſuchen wol - len, der man ſie in jungen Jahren entriſſen, deren ſie ſich auch nur ſchwach mehr erinnere. Dieſe Nachricht diente keineswegs, die Theilnahme Adelheids ſehr zu vermehren, vielmehr erregte der angegebene Grund der Entweichung ihren Verdacht in hohem Grade als unwahrſcheinlich. Indeſſen war das vernünftige Mäd - chen in der Vorausſicht, daß eine Zurechtweiſung des291 Bruders für jezt ſchlechterdings vergeblich wäre, nur darauf bedacht, unter mißlichen Umſtänden wenigſtens größeres Unheil zu verhüten. Theobalds körperli - cher Zuſtand, der nach einer unnatürlichen Anſpannung eine gefährliche Schwäche befürchten ließ, war das Nächſte, was ſie beunruhigte, und ihr Vorſchlag, man wolle den benachbarten Rittmeiſter um ſein Gefährt anſprechen, fand bei dem Bruder nur inſoferne Wider - ſpruch, als Eliſabeth ihrer Seits darauf beharrte, den Weg zu Fuße zu machen. Johann, welcher in - zwiſchen treulich gewartet hatte, ward jedoch mit den geeigneten Aufträgen nach dem nächſten Hofe zu dem alten Herrn Rittmeiſter, einem guten Bekannten des Pfarrers, abgeſchickt. Während einer peinlichen halben Stunde des Wartens fand Adelheid Veranlaſſung, den Gegenſtand ihres Unmuths und ihres Mißtrauens von einer wenigſtens unſchuldigen Seite kennen zu lernen. Eliſabeth äußerte auf die unzweideutigſte Weiſe eine faſt kindliche Reue darüber, daß ſie ſich von ihrer Bande weggeſtohlen, wo man ſie nun recht mit Sorgen vermiſſe, wo ihr nie ein Leid geſchehen ſey, wo ſie, ſo oft ſie krank geweſen, immer guten Troſt und geſchickte Pflege bei gar muntern und redlichen Leuten gefunden habe. Bei dem Wörtchen krank legte ſie mit einer traurig lächerlichen Grimaſſe den Zeigefinger an die Stirn, und gab auf dieſe Art ganz unverholen ein freiwilliges Bekenntniß deſſen, was Adelheid An - fangs gefürchtet hatte. Aber ſie fügte ſogar noch den292 naiven Troſt hinzu: Seyd nur nicht bang, ihr guten Kinder, daß ich Jemand Uebels zufüge, wenn mein Leid mich übernimmt. Da ſorgt nur nicht. Ich gehe dann immer allein bei Seite und ſinge das Lied, wel - ches Frau Faggatin, die Großmutter, mich gelehrt, da wird mir wieder gut. Du, armer Junge, du ſollſt auch das Lied noch lernen, du haſt gar viel zu leiden; ich habe das wohl bald bemerkt, darum geh ich mit dir, bis du zu Hauſe biſt, doch behalten könnt ihr mich nicht. Auch ſchlaf ich heute nicht bei euch. Dieſe Nacht noch zieht Eliſabeth weiter, woher ſie gekom - men, denn die Heimath iſt nicht mehr zu finden. Man hat mir ſie verſtellt; die Berge, das Haus und den grünen See, mir Alles verſtellt! Wie das nur mög - lich iſt! Ich muß lachen!

Der Knecht kam jezt mit der verlangten Aushülfe; nicht mehr zu frühe, denn ſchon war es dunkel gewor - den. Um ſo weniger wollte Theobald und ſelbſt Adelheid es geſchehen laſſen, daß Eliſabeth neben dem Gefährt herging. Allein ſie war nicht zu überre - den, und ſo rückte man immerhin raſch genug vorwärts.

Indeß die Geſchwiſter nun unter ſehr verſchiede - nen Empfindungen, jedoch einverſtanden über die näch - ſten Maßregeln, ſich auf dieſe Weiſe dem väterlichen Orte nähern und Theobald endlich der Schweſter die ganze wunderſame Bedeutung des heutigen Tags ent - deckt, iſt man zu Hauſe ſchon in großer Erwartung der Beiden, und der Vater machte ſeine Verſtimmung we -293 gen des längern Ausbleibens der jungen Leute bereits auf ſeine Art fühlbar. Um übrigens einen richtigen Begriff von der gegenwärtigen Stimmung im Pfarr - hauſe zu geben, müſſen wir, ſo ungerne es geſchieht, ſchlechterdings eine gewiſſe Gewohnheit des Hausvaters anführen, welche ſo eben jezt wieder in Ausübung ge - bracht wurde. Der Pfarrer nämlich, ein Mann von den widerſprechendſten Launen, wohlwollend und tückiſch, menſchenſcheu, hypochondriſch, und dabei oft ein belieb - ter Geſellſchafter, hatte neben manchen höchſt widrigen Eigenheiten den Fehler der Trägheit in einem faſt ab - ſcheulichen Grade und ſie verleitete ihn zu den abge - ſchmackteſten Liebhabereien. Konnte es ihm gefallen, mit geſundem Leibe ganze Tage im Bette zuzubringen und über Ein und daſſelbe Zeitungsblatt hinzugähnen, ſo machte dieſes wenigſtens Niemanden unglücklich. Nun aber fand er, der in früheren Tagen gelegentlich ein Jagdfreund geweſen war, eine Art von Zeitvertreib darin, vom Bette aus nach allen Seiten des Zimmers hin mit dem Vogelrohr zu ſchießen. Zu dieſem Behuf knetete er mit eigenen Fingern kleine Kugeln aus einem Stücke Lehm, das ſtets auf ſeinem Nachttiſch liegen mußte. Er ſelbſt war ſo gelegen, daß er von ſeinem Schlafgemach aus faſt das ganze Wohnzimmer mit ſei - nem Rohr beherrſchen konnte. Das Ziel ſeiner Uebun - gen blieb jedoch nicht immer der große Eſſigkrug auf dem Ofen, oder das Thürchen des Vogelkäfigs, oder das alte Portrait Friedrichs von Preußen, ſondern der294 Pfarrherr betrachtete es mitunter als den angenehm - ſten Theil ſeiner Kinderzucht, gewiſſe Unarten, die er an den Töchtern bemerken wollte, durch dergleichen Schüſſe zu verweiſen. Jungfer Nantchen, bei Licht am Nähtiſche beſchäftigt, brauchte z. B. vorhin etwas längere Zeit, als dem Vater billig vorkam, um ihren Faden durch das Nadelöhr zu ſchleifen und unerwartet klebte eine Kugel an ihrem bloßen Arm, die denn auch ſo derb geweſen ſeyn muß, daß das gute Kind recht ſchmerzhaft aufſeufzte. Es kamen dieſen Abend noch ei - nige Fälle der Art vor, wobei doch Jungfer Erne - ſtine verſchont blieb, ein Vorzug, welchen gewöhnlich auch Adelheid, Theobald ohnehin, mit ihr theilen durfte. Allein welchen Empfang können wir den Lez - tern unter ſolchen Umſtänden verſprechen? Es wurde acht Uhr, bis ſie gegen das Dorf herfuhren. Sie waren inzwiſchen übereingekommen, man wolle Eliſabeth, welche jedes Nachtquartier fortwährend mit Hartnäckig - keit ausſchlug, zum wenigſten über Tiſch behalten, wozu ſie ſich zulezt auch verſtand.

Die endliche Ankunft der Vermißten war indeſſen im Pfarrhauſe ſchon durch einen Burſchen hinterbracht, den man entgegengeſandt und welchem der ehrliche Johann im Vertrauen das Merkwürdigſte zugeraunt hatte. Dieß veranlaßte denn ein groß Verwundern, ein gewaltig Geſchrei im Haus. Dem Pfarrer ſank das Spielzeug aus der Hand, da von einer Zigeunerin, von der Chaiſe des Rittmeiſters, von Unpäßlichkeit ſeines295 Sohns verlautete. Er ſtand vom Bette auf und warf den Schlafrock um unter den Worten: Was? eine Kartenſchlägerin? eine Landfährerin? alle Satan! eine Hexe? und deßwegen mein Sohn plötzlich unwohl ge - worden? und ein Fuhrwerk eine Heidin, was? Ich will ſie bekehren, ich will ihr die Nativität ſtellen! gebt mir mein Rohr her! nicht das mein ſpani - ſches! Wie hat Johann geſagt? Die Pferde ſeyen ſcheu geworden, wenn die Zigeunerin neben ihnen hergelaufen?

Die Thür ging auf. Adelheid und Theobald ſtanden im Zimmer; jene mit ſtockender Stimme, an ihrer Angſt ſchluckend, dieſer mehr beſchämt und vor bitterem Unwillen glühend über das unwürdige Be - nehmen ſeines Vaters. Umſonſt ſtellte er ſich dem hitzigen Manne beſchwörend in den Weg, als er mit dem Licht in den Hausflur treten wollte, wo Eliſa - beth in einer Ecke unbeweglich hingepflanzt ſtand und ihm nun groß und unerſchrocken entgegenſchaute. Jezt aber folgte eine den geſpannten Erwartungen aller Um - ſtehenden völlig entgegengeſezte Scene. Dem Pfarrer erſtickt die rauhe Anrede auf der Zunge, wie er die Geſichtszüge der Fremden in’s Auge faßt, und mit dem Ausdruck des höchſten Erſtaunens tritt er einige Schritte zurück. Auf der Schwelle des Zimmers wirft er noch einen Blick auf die Geſtalt, und in lächerlicher Verwirrung läuft er nun durch alle Stuben. Wie kommt ſie denn zu euch? was wißt ihr von dem Weibs -296 bild? fragt er Adelheiden, während Theobald ſich auf den Gang hinaus ſchleicht. Das Mädchen berichtete, was es wußte, und ſezte zulezt noch hinzu, daß der Bruder von einem Bilde geſagt, welches er ſchon als Kind öfters in einer Dachkammer geſehen und das die wunderbarſte Aehnlichkeit mit dem Mädchen habe. Der Pfarrer winkte verdrießlich mit der Hand und ſeufzte laut. Er ſchien in der That über die Perſon der Fremden mehr im Reinen zu ſeyn, als ihm ſelber lieb ſeyn mochte, und der lezte Zweifel verſchwand vol - lends während einer Unterredung, welche er, ſo gut es gehen mochte, mit Eliſabeth unter vier Augen auf ſeiner Studirſtube vornahm. Er ward überzeugt, daß er hier die traurige Frucht eines längſt mit Stillſchwei - gen zugedeckten Verhältniſſes vor ſich habe, das einſt unabſchbares Aergerniß und unſäglichen Jammer in ſeiner Familie angerichtet hatte. Was jedoch Eliſa - beth jezt über ihr bisheriges Schickſal vorbrachte, war nicht viel mehr, als was die Andern bereits von ihr wußten, und der Pfarrer fand nicht für gut, ſie über das Geheimniß ihrer Geburt und ſomit über die nahe Beziehung aufzuklären, worin ſie dadurch zu ſeinem Hauſe ſtand. Den auffallenden Umſtand aber, daß die Flüchtige juſt in dieſe Gegend gerieth, machten einige Aeußerungen des Mädchens klar, aus welchen hervor - ging, daß ein unzufriedenes Mitglied jener Bande ſich an dem Anführer durch die Entfernung Eliſabeths rächen wollte, wozu ihm die Leztere ſelbſt durch die häu -297 fige Bitte Gelegenheit gegeben haben mußte, er möchte ſie doch einmal in ihre Heimath zu Beſuche führen, und allerdings war der Menſch, wie ſich ſpäter ergab, von der eigentlichen Herkunft des Mädchens, ſo wie von dem Daſeyn einiger Verwandten ihres Vaters vollkommen unterrichtet; er beabſichtigte, ſie nach Wolfsbühl zu bringen, wo er ſich nicht geringen Dank verſprach, aber wenige Stunden von dem Orte traf er auf die Spur von Zigeunern, welche ohne Zweifel ihm nachzuſetzen kamen. Er ließ das Mädchen im Stiche und ſezte ſeine Flucht allein fort.

Jungfer Erneſtine mahnte bereits zum dritten Male an das ohnehin verſpätete Nachteſſen; man ſchickte ſich alſo an, und wohl ſelten mag eine Mahlzeit einen ſonderbarern Anblick dargeboten haben. Sie ging ziemlich einſylbig von Statten. Der fremde Gaſt war natürlich unausgeſezt von neugierigen zweifelhaf - ten Blicken verfolgt, die nur, wenn zuweilen ein Strahl aus jenen dunkeln Wimpern auf ſie traf, pfeilſchnell und ſchüchtern auf den Teller zurückfuhren.

Eliſabeth erſah ſich nach Tiſche den ſchicklichſten Zeitpunkt, um aus der Thür und ſo fort geſchwinde aus dem Haus zu entſchlüpfen, ohne auch nachher, als man ſie vermißte, wieder aufgefunden werden zu kön - nen. Der Vater ſchien dadurch eher erleichtert als bekümmert. Sie hatte jedoch, wie man jezt erſt bemerkte, ihr Bündel zurückgelaſſen; ſie mußte alſo wahrſcheinlich wieder erſcheinen, und Theobald tröſtete ſich mit dieſer Hoffuung.

298

Eine mächtige und tiefgegründete Leidenſchaft, ſo viel ſehen wir wohl ſchon jezt, hat ſich dieſes reizba - ren Gemüths bemeiſtert, eine Leidenſchaft, deren Ur - ſprung vielleicht ohne Beiſpiel iſt und deren Gefahr dadurch um nichts geringer wird, daß eine reine Gluth in ihr zu liegen ſcheint. Der junge Menſch befand ſich, ſeit das räthſelhafte Weſen verſchwunden war, in dem Zuſtand eines ſtillen dumpfen Schmerzens, wobei er, ſo oft Adelheid ihn mitleidig anſah, Mühe hatte, die Thränen zurückzuhalten. Sie nöthigte ihn auf ſeine Schlafkammer, wo ſie ihm bald gute Nacht ſagte. Der Pfarrer war durch das unerwartete Er - eigniß des heutigen Abends in ſeinem gewohnten Gleich - muthe dergeſtalt geſtört, daß er jezt noch an keine Ruhe denken konnte. Die Erinnerung an eine bedeutende Vergangenheit, an das unglückliche Schickſal eines leib - lichen Bruders wurde nach langer Zeit wieder zum erſten Male heftig in ihm aufgeregt, er fühlte ein Be - dürfniß, ſich ſeiner älteſten Tochter mitzutheilen, und Erneſtine, von jeher nur wenig unterrichtet über jenes merkwürdige Familienverhältniß, ſah jezt mit neugieriger Miene den Vater ein beſtäubtes Manu - ſcript hervorholen, worin die Geſchichte ihres Oheims größtentheils von deſſen eigener Hand verzeichnet ſtand. Alle Uebrigen im Hauſe hatten ſich zu Bette begeben, nur Adelheid ſaß nachdenklich in einem Winkel des Zimmers und hörte beſcheiden zu, indeß der Vater aus dem Gedächtniß erzählte, nachdem er die vor ihm lie -299 gende Handſchrift mit Wehmuth, ja mit Grauen, bald wieder auf die Seite geſchoben hatte.

Mein jüngerer Bruder Friedrich, fing er an, dein ſeliger Oheim, war ein Genie, wie man zu ſagen pflegt, und leider bei aller Herzensgüte ein über - ſpannter Kopf, welcher ſchon in der früheſten Jugend nichts wollte und nichts vornahm, was in der Ord - nung geweſen wäre. Er bewies ein außerordentliches Geſchick zur Malerkunſt und mit der Zeit unterſtüzte ihn der Fürſt auf das Großmüthigſte. Er ließ ihn auf ſechs Jahre nach Italien reiſen, gab ihm auch nach ſeiner Zurückkunft ungemeine Zeichen ſeiner Gnade. Anfänglich nahm er ſeinen Aufenthalt in der Haupt - ſtadt, ſpäter kaufte er ſich das etwa fünf Stunden von Rißthal und drei von hier entfernte Gütchen F., wo er, noch immer unverheirathet, bloß für ſein Geſchäft lebte. In dieſer Zeit hab ich ihn gar oft geſehen. Es war ein großer ſchöner Mann und gar munter, wenn es an ihn kam. Er hätte glücklich ſeyn können, aber eine Reiſe hat ihn in ſein Verderben geführt. Er entſchloß ſich nämlich im Frühjahr 17** auf den Rath der Aerzte, ſeiner Erholung wegen, einen Freund in Böhmen zu beſuchen, mit dem er zu gleicher Zeit in Rom geweſen war. Ach, er ahnete nicht, welchem Verhängniß er entgegenging!

So ſprach der Pfarrer und nun folgte die Er - zählung einer Geſchichte, welche der Leſer beſſer aus dem Tagebuch des Malers ſelbſt erfährt.

300

In der Gegend von H ** den 22. Mai. Schon ſeit Wochen fühle ich meine Geſundheit kräftiger als jemals; aber ſeit wenigen Tagen ſtreckt auch der Geiſt ſeine erſchlafft geweſenen Organe ſo be - gierig und arbeitsdurſtig wieder aus, daß ich ordentlich über mich ſelbſt erſtaune. Ich ſpüre, es will ſich ein neues Leben hervordrängen, es will ein Wunder in mir werden. Ich wüßte Niemanden, dem ich die Urſache dieſer mächtigen Revolution, die Geſchichte der lezten vier Tage, ſo vertraulich mittheilen könnte, als dieſen verſchwiegenen Blättern. Aber fürwahr, ich thue es beinahe bloß in der grillenhaften Beſorgniß, daß mein gegenwärtiges Glück, ja daß mir ſelbſt die Erinnerung an dieſe außerordentliche Zeit entriſſen werden könne.

Am 17. Mai trat ich von G. aus eine kleine Ex - kurſion an, und zwar allein, weil mein Freund verhin - dert war. Ich fand etwas Reizendes in dem Gedanken, ſo wie zuweilen im Vaterland, jezt auch auf böhmiſchem Boden einmal ohne beſtimmtes Ziel und beſondere Ab - ſicht auszufliegen, nur dachte ich an das ſchöne Gebirge gegen *** zu, das ich vom Fenſter aus als dunkel - blauen Streif geſehen hatte. Ich ſchlug alſo ungefähr dieſe Richtung ein und ließ mich nach Bequemlichkeit vom nächſten beſten Wege fortziehen, verweilte bei Al - lem, was mir neu und merkwürdig war, machte meine Beobachtungen an Menſchen und Natur, zog mein Skizzenbuch hervor, zeichnete oder las wie mir’s einkam, und ließ es mir mitunter in den dürftigſten Dorfſchen -301 ken auf’s Beſte gefallen. Am zweiten Abend meiner Wanderung befand ich mich bereits in einer anziehenden Gebirgsgegend und der darauf folgende Mittag ſah mich ſchon tief in den herrlichſten Waldungen herum - ſchwärmen, wo ich nach Herzensluſt den wilden Athem der Natur koſtete, die Schauer der Einſamkeit empfand, mich hundert Zerſtreuungen überließ. Unvermerkt ſank die Dämmerung herein, da es mir denn erſt einfiel, den Fußſteig wieder aufzuſuchen, der, wie man mir ge - ſagt hatte, nach einer guten, mitten im Walde gelege - nen Herberge führen mußte. Das ging aber nicht ſo leicht; eine volle halbe Stunde quälte ich mich ab, ohne eine Spur zu entdecken. Jezt war es faſt Nacht. Meine Wahl ging nahe zuſammen. Auf gut Glück lief ich noch eine Zeitlang vorwärts, bis das dicker werdende Ge - ſträuch und eine große Müdigkeit mich verdroſſen ſtille ſtehen machte. Ungeduld und Aerger über meine Un - vorſichtigkeit waren auf’s Aeußerſte geſtiegen, da über - raſchte mich mit Einemmal der Gedanke, daß ich mir ehedem oft eine ſolche Situation gewünſcht, und daß dieſer ſcheinbar widerwärtige Zufall recht eigentlich im Charakter meiner Reiſe ſey. Hiemit gab ich mich denn auch wirklich zufrieden. Unbequem genug lagerte ich mich unter einer hohen Eiche, murmelte etwas von der Lieblichkeit der warmen Sommernacht, vom baldigen Aufgang des Mondes und konnte doch nicht verhüten, daß meine Gedanken einige Mal in dem verfehlten Wirthshaus einkehrten, wo ein ordentliches Abendbrod302 und ein leidlicheres Bette auf mich gewartet haben würden. Mit ſolchen Bildern beſchäftigt, bemerkte ich jezt in einiger Entfernung durch das Gezweige hindurch den Glanz eines Feuers. Meine ganze Einbildungs - kraft entzündete ſich in dieſem Anblick unter tauſend mehr oder weniger angenehmen Vermuthungen; aber bald entſchloß ich mich zu einer genauern Unterſuchung. Nach einer mühſam zurückgelegten Strecke von etwa fünfzehn Schritten unterſchied ich eine bunte Geſellſchaft von Männern, Weibern und Kindern auf einem etwas freien Platz um ein Feuer herumſitzend und zum Theil von einer Art unordentlichen Gezeltes bedeckt; ſie führ - ten, ſo viel ich hörte, ein zufriedenes aber lebhaftes Geſpräch.

Das Herz hüpfte mir vor Freuden, hier einen Trupp von Zigeunern anzutreffen, denn ein altes Vor - urtheil für dieß eigenthümliche Volk wurde ſelbſt durch das Bewußtſeyn meiner gänzlichen Schutzloſigkeit nicht eingeſchreckt. Ich weiß nicht, welches raſche zuverſicht - liche Gefühl mich überredete, daß wenigſtens bei dieſer Verſammlung durch eine offene Anſprache nichts zu wagen ſey. Mein kleiner Tubus trug in keinem Fall etwas dazu bei, denn bei einer phyſiognomiſchen Unter - ſuchung der vom rothen Schein der Flamme beleuchte - ten Köpfe hätte mein Urtheil unentſchieden bleiben müſ - ſen, trotz der frappanteſten Deutlichkeit, womit jeder Zug ſich vor mein Auge ſtellte. Ich trat hervor, ich grüßte treuherzig und erfuhr ganz die gehoffte Auf -303 nahme, nachdem ich mich durch das erſte barſche Wort des Häuptlings nicht hatte irre machen laſſen. Meine unbefangene Keckheit ſchien ihm plötzlich zu gefallen, auch meinen Anzug muſterte er jezt mit ſichtbarem Reſpekt. Man lud mich ein, auf einen Teppich nie - derzuſitzen und bot mir zu eſſen an. Ich gab mir ein mehr und mehr treuherziges und redſeliges Weſen, deſſen gute Wirkung ſich gar bald an meinen Leuten zeigte, die mit Aufmerkſamkeit meinen Schilderungen aus fremden Ländern zuhörten, während ich mich nebenher an den merkwürdigen Geſichtern und köſtlichen Grup - pen in die Runde erquicken konnte.

Dieß dauerte ungeſtört eine ganze Zeit. Jezt ließ ſich ein ferner Donner vernehmen und man machte ſich auf ein Gewitter gefaßt, das auch wirklich un - vermuthet ſchnell herbeikam. Jedes ſchüzte ſich ſo gut wie möglich.

Bei dieſer allgemeinen Bewegung, indeß der Re - gen unter heftigen Donnerſchlägen ſtromweiſe nieder - goß und eines der ſeitwärts ſtehenden Pferde ſcheu wurde, war mir mein Portefeuille entfallen. Ich ſuchte es in der dickſten Finſterniß am Boden und hatte es ſo eben glücklich aufgehoben, als ich plötzlich beim jähen Licht eines ſtarken Blitzes hart an meiner Seite ein weibliches Geſicht erblickte, das freilich derſelbe Moment, welcher es mir gezeigt, wieder in die vorige Nacht verſchlang. Aber noch ſtand ich geblendet wie in einem Meere von Feuer und vor meinem innern304 Sinne blieb jenes Geſicht mit beſtimmter Zeichnung wie eine feſte Maske hingebannt, in grünflammender Umgebung des naſſen glänzenden Gezweigs. Nichts in meinem Leben hat einen ſolchen Eindruck auf mich gemacht, als die Erſcheinung dieſes Nu. Unwillkür - lich ſtreckte ſich mein Arm aus, um mich zu überzeu - gen, aber es rauſchte ſchon an mir vorüber und eine längere Zeit, als meine Ungeduld wollte, verging, bis ich in’s Klare kommen ſollte. Doch das blieb nicht aus.

Ein Mädchen, das Anfangs in dem Zelt ver - borgen geweſen ſeyn mochte, und das man mit dem Namen Loskine rief, zeigte ſich jezt auch unter den Andern, als man bei nachlaſſendem Regen wieder Feuer anmachte und ſich unter wechſelnden Scherz - und Scheltworten auf den ſtörenden Ueberfall wieder in Ordnung brachte. Das Mädchen iſt die Nichte des Hauptmanns. Loskine wie ſoll ich ſie beſchreiben? Sind doch ſeit jener Nacht vier volle Tage hingegangen, in denen ich dieß Gebilde der ei - genſten Schönheit ſtündlich Aug in Auge vor mir hatte, ohne daß dem Maler in mir eingefallen wäre, ſich ihrer durch das elende Medium von Linien und Stri - chen zu bemächtigen! O dieſe wenigen Tage, wie reich an Entdeckungen, wie unermeßlich in ihren Folgen für meine ganze Art zu exiſtiren!

Ich bin ſeither der freiwillige Begleiter dieſer ſtreifenden Geſellſchaft. Ja, das bin ich und ich er - röthe keineswegs über dieſen Einfall, den mir auch305 kein Professor ordinarius der ſchönen Künſte beach - ſelzucken ſoll, weil ich ihn einem Professori ordinario ſicherlich nicht erzählen werde. Oder ſchändet es in der That einen vernünftigen Mann, den ſein Beruf ſelber auf Entdeckung originaler Formen hinweiſet, eine Zeit - lang der Beobachter von wilden Leuten zu ſeyn, wenn er unter ihnen unerſchöpflichen Stoff, die überraſchend - ſten Züge, den Menſchen in ſeiner geſundeſten phyſi - ſchen Entwicklung findet, und dabei die übrige Natur wie mit neuen Augen, mit doppelter Empfänglichkeit anſchaut? Ich lerne mit jeder Stunde und die Leute ſind die Gefälligkeit ſelbſt gegen mich. Einiger Eigen - nutz iſt freilich immer dabei; meine Freigebigkeit behagt ihnen, aber mich wird ſie nie gereuen.

Einen Tag ſpäter. Ich muß lächeln, wenn ich mein geſtriges Rai - ſonnement von Malerſtudium und Kunſtgewinn wie - der leſe. Es mag ſeine Richtigkeit damit haben, aber wie käme dieſe hochtrabende Selbſtrechtfertigung hie - her, wenn nicht noch etwas Anderes dahinter ſtäke, um was ich mir mit guter Art einen Lappen hängen wollte? Doch ich geſtehe ja, daß Loskine ſchon an und für ſich allein die Mühe verlohnen könnte, ſich eine Woche lang mit dem Zug herum zu treiben. Ich kann dieß Geſchöpf nicht anſehen, ohne die Be - wunderung immer neuer geiſtiger, wie körperlicher Reize. Sie feſſelt mich unwiderſtehlich, und wäre es20306auch nur durch das Intereſſe an der ungewöhnlichen Miſchung dieſes Charakters.

Aeußerungen eines feinen Verſtandes und einer kindiſchen Unſchuld, trockner Ernſt und plötzliche An - wandlung ausgelaſſener Munterkeit wechſeln in einem durchaus ungeſuchten und höchſt anmuthigen Kontraſte mit einander ab und machen das bezauberndſte Far - benſpiel. Das Unbegreifliche dieſer Kompoſition und dieſer Uebergänge iſt auch bloß ſcheinbar; für mich hat das Alles bereits die nothwendige Ordnung einer ſchönen Harmonie angenommen. Erſtaunlich iſt zu - weilen die Behendigkeit ihrer äußern Bewegungen und herrlich das Lächeln der Ueberlegenheit, wenn es ihr mitunter gefällt, die Gefahr gleichſam zu necken. Mit Zittern ſeh ich zu, wie ſie einen jähen Abhang hin - unter rennt und ſo von Baum zu Baum ſtürzend ſich nur einen kurzen Anhalt gibt; oder wenn ſie ſich auf den Rücken eines am Boden ruhenden Pferdes wirft und es durch Schläge zum plötzlichen Aufſtehen zwingt. Unter den Uebrigen bildet ſie indeſſen eine ziemlich iſolirte Figur; man läßt ſie auch gehen, weil man ihre Art ſchon kennt, und doch hängen Alle mit einer gewiſſen Vorliebe an ihr. Beſonders ſcheint der Sohn des Anführers, ein geſcheidter männlich ſchöner Kerl, größere Aufmerkſamkeit für ſie zu haben, als ich leiden mag, wobei mich zwar eines Theils ihre Kälte freut, auf der andern Seite aber ſein heimlicher Verdruß doch wieder herzlich rührt. Mich mag ſie gerne um ſich dul -307 den, allein ich ſcheue mich faſt vor Marwin, ſo heißt jener Menſch, und bin ſchon daran gewöhnt, vorzüglich nur die Gelegenheit zu benützen, wann er eben auf Rekognoszirung oder ſonſt in einem Geſchäft ausgeſchickt wird, was häufig vorkommt. Ich habe ihr ſchon manche kleine Geſchenke gekauft, deren Abſichtlichkeit ich durch ähnliche Gaben an die Andern zu bemänteln weiß. Aber, mein Gott! was will ich denn eigentlich? Noch treffe ich nicht die Spur eines Gedankens an die Umkehr bei mir an. Vorgeſtern ſchrieb ich, unter einem nicht ſehr wahr - ſcheinlichen Vorwand und ohne das Geringſte von mei - nem jetzigen Leben verlauten zu laſſen, an Freund S., er möchte mir meine ganze Baarſchaft nach dem Städt - chen G *** ſenden, wo wir, wie der Hauptmann ſagt, in vier Tagen zur Marktzeit eintreffen werden. Dieſer Marſch bringt mich dem Orte, von dem ich ausgegan - gen, wieder um fünf Meilen näher. Aber doch welche Entfernung immer noch! Gut, daß ich in dieſen Ge - genden nicht fürchten muß, auf irgend ein bekanntes Geſicht zu ſtoßen, wofern ich anders in meinem gegen - wärtigen Zuſtand noch kenntlich wäre. Ich habe meinem Anzug durch einige geborgte Kleidungsſtücke ein etwas freieres Weſen gegeben, um mich meinen Geſellen ei - nigermaßen zu konformiren. Eine violett und rothe Zipfelmütze auf dem Kopf, ein breiter Gürtel um den Leib thut wahrlich ſchon viel.

26. Mai. Einen artigen Auftritt hat es gegeben. Wir raſte -308 ten nach einem ermüdenden Strich Mittags in einem Tannengehölze. Marwin war abweſend und ſonſt überließ ſich faſt Alles dem Schlafe. Loskine ſuchte ihre Lieblingsſpeiſe, das durſtlöſchende, angenehme Blatt des Sauerklees, der dort in großer Menge wächst. Ich begleitete ſie und wir ſezten uns endlich hinter einem Hügel an einer ſchattigen Stelle auf den von abgefallenen Nadeln ganz überſäeten Moosboden. Ich weiß nicht, wie wir auf allerlei Mährchen und wunderbare Dinge zu ſprechen kamen, woran ſie bei weitem reicher war als ich. Unter Anderem wußte ſie von der ſpinnenden Wald - frau zu ſagen, die im Frühen, wenn der herbſtliche Wald von der Morgenröthe glühet, unter den Bäumen hergehe und das Laub, wie vom Rocken, in grün und goldnen Fäden abſpinne, indeß die Spindel neben ihr hertanze. Auch vertraute ſie mir Vieles von der heimlichen Kraft der Kräuter und Wurzeln, was nicht wiederholt werden kann, ohne zugleich ihre eigenen Worte zu ha - ben. Dazwiſchen arbeitete ſie mit dem Schnitzmeſſer ſehr fertig an einem niedlichen Geräthe, dergleichen die Zigeuner aus einem gelben Holze zum Verkauf machen. Ich hatte zulezt beinahe kein Ohr mehr für ihre Er - zählungen ob der Aufmerkſamkeit auf die Bewegung der Lippen, auf das Spiel ihrer Miene, und endlich von ſtille glühenden Wünſchen innerlich beſtürmt und aufgeregt, wandte ich mich von ihr ab, ſo daß ich etwas tiefer ſitzend ihr Geſicht im Rücken und ihren nackten Fuß denn ſo geht ſie gar häufig dicht vor meinem309 Auge hatte. Wie trunken an allen Sinnen und meiner nicht mehr mächtig ergriff ich den Fuß und drückte mei - nen Mund feſt auf die feine braune Haut. In dieſem Augenblick gab Loskine mir lachend einen derben Stoß, wir ſtanden Beide auf und ich bemerkte eine hohe Röthe auf ihrer Wange, eine Verwirrung, die ich ſchnell zu deuten wußte. Dadurch kühn gemacht ſchlang ich ohne Beſinnen die Arme um die treffliche Geſtalt, und ſie widerſtand mir nicht. Heiß brannten ihre Lippen, und ihr Blick ſprühte in den meinigen ſein ſchwarzes Feuer. Aber kurz nur, denn jezt kehrte er ſich verwor - ren ab, und der nächſte Gegenſtand, auf den er zugleich mit dem meinigen fällt, iſt Marwin, welcher ruhig an einen unfernen Baum gelehnt ein Zeuge die - ſer Scene war. Loskine ſtand wie vom Schlage ge - rührt. Ich ſuchte, ohne Marwin bemerken zu wollen, ihn über den Vorfall zu täuſchen, indem ich laut und ſcherzhaft mich über Sprödigkeit beklagte und daß ſie mir das Geſicht ſchändlich zerkrazt hätte. Bei dieſer Komödie leiſtete mir das Mädchen nicht die geringſte Unterſtützung. Sie ſtarrte ſchweigend vor ſich hin und unter ſtille hervorſtürzenden Thränen entfernte ſie ſich langſam. Nun erſt grüßte ich ganz verwundert meinen Nebenbuhler, ging auf ihn zu und wollte in meiner Rolle fortfahren, allein er ſah mich ein paar Sekunden lang verächtlich an, dann ließ er mich ſtehen und ging.

Es ſind ſeitdem ſechzehn Stunden verfloſſen, ohne310 daß ſich bisher die mindeſte Folge gezeigt hätte, außer daß Loskine mir überall ausweicht.

In einer Bauernhütte zu ***Ich bin getrennt von meiner Bande, aber um welchen Preis getrennt!

An demſelben Morgen, da ich das Lezte ſchrieb, nahm der Hauptmann mich bei Seite und erklärte mir mit Mäßigung, aber mit finſterm Unmuth, daß ich ihn verlaſſen müßte oder mich ganz ſo verhalten, als ob Loskine gar nicht vorhanden wäre. Sein Sohn wünſche ſie als Weib zu beſitzen, er ſelber habe ſie ihm verſprochen, ſie werde ſich auch jezt nicht län - ger weigern. Ich möchte überhaupt auf meiner Hut ſeyn, Marwin wolle mir ſehr übel, nur die Furcht vor ihm, ſeinem Vater, habe ihn im Zaum gehalten, daß er ſich nicht an mir vergriffen. Ich erwiderte, wenn mein argloſes Wohlgefallen an dem Mädchen Verdruß errege, ſo wäre es mir ein Leichtes, künftig behutſam zu ſeyn; wenn aber Marwin überhaupt durch meine Gegenwart beunruhigt werde, ſo würde ich auch dieſe aufheben. Der Hauptmann, im Be - wußtſeyn der nicht unbeträchtlichen Vortheile, die ihm meine Geſellſchaft brachte, lenkte ein. Ich antwor - tete darauf wieder in unbeſtimmten Ausdrücken und ſo beruhte die Sache auf ſich. Aber bald kam ich zu einer herzzerſchneidenden Scene, woran ich ſogleich ſelber Theil nehmen ſollte. Loskine, mit dem Strick - zeug auf dem Schooſe, ſaß an der Erde, das Geſicht311 mit beiden Händen bedeckend, indeß ihr Liebhaber un - ter gräßlichen Verwünſchungen und im heftigſten Schmerz ihr ein offenes Geſtändniß über jenen Vor - fall auszupreſſen ſuchte. Wie er mich gewahr wurde, ſprang er gleich einem Wüthenden auf mich los, faßte mich an der Bruſt und forderte von mir, was jene ihm vorenthalte. Er zog das Meſſer und drohte mir noch immer, als wir ſchon von fünf bis ſechs Per - ſonen, die herbeieilten, umringt waren. Der Vater entwaffnete ihn auf der Stelle. Aber erſt Loskine, welche ſich jezt mit einem mir unvergeßlichen Aus - druck von würdevoller Ruhe aufhob, machte dem Lär - men ein Ende; ſie faßte, ohne ein Wort zu ſprechen, Marwin mit einem viel ſagenden Blicke bei der Hand und er, der von der Bedeutung ihrer feierli - chen Gebärde ſo mächtig ergriffen zu ſeyn ſchien, wie ich, folgte wie ein Lamm, als ſie ihn tief mit ſich in das Gebüſche führte.

Nach einer Weile kehrte ſie allein zurück, ging mit entſchiedenem Schritt auf mich zu, den ſie gleich - falls aus der Mitte der Uebrigen hinweg winkte.

Ich habe ihm verſprochen, fing ſie, da wir weit genug entfernt waren und ſtille ſtanden, in ernſtem Tone an, ich hab ihm verſprochen, dir zu ſagen, daß ich dich haſſe wie meinen ärgſten Feind und bis in den Tod. Ich ſage dir alſo dieſes. Doch du weißt es anders. Ich ſage dir für mich, daß ich dich viel - mehr liebe wie meinen liebſten Freund, und das ſo312 lange ein Athem in mir ſeyn wird. Aber du mußt fort von uns, auch das hab ich ihm zugeſagt. Mach es kurz, ich darf nicht lange ausbleiben. Küſſe mich!

Muß ich fort, antwortete ich, durch das Groß - artige dieſes Augenblicks faſt über allen Affekt hin - ausgehoben, muß ich fort, und iſt es wahr daß du mich mehr liebeſt als Alles, ſo laß uns zuſammen gehen.

Sie ſah mich ſtaunend an, dann ſchüttelte ſie ge - dankenvoll das ſchöne Haupt.

Loskine! rief ich, wolle nur, und was dir un - möglich ſcheint, ſoll gewiß möglich gemacht werden. Aber noch Eins zuvor beantworte mir: Kannſt du Marwins Verlangen nicht gutwillig erfüllen? Kannſt du nicht die Seinige werden?

Sie ſchwieg. Ich that dieſelbe Frage wieder, worauf ſie ein beſtimmtes: Nein! ausſtieß. Mir fiel ein Berg vom Herzen und zugleich war mein Ent - ſchluß gefaßt. Mit Blitzesſchnelle ordnete ſich ein Plan in meinem Kopfe, deſſen Unſicherheit ich freilich ſogleich fühlte. Er lief darauf hinaus, daß ich nach meiner unverzüglichen Trennung von ihren Leuten allein bis G *** vorausreiſen wolle, dem Städtchen, wo ſie, wie ich ja wußte, nächſtens auch eintreffen würden. Dort ſolle ſie ſich alsdann von den Ihrigen verlieren, ſich unter der Hand und mit kluger Art nach dem angeſehenſten Gaſthaus erkundigen, wo ich mich unfehlbar bereits befinden und alle Anſtalten zur313 ſchnellen Flucht getroffen haben würde. Loskine hatte meinen Vorſchlag kaum vernommen, ſo entriß ſie ſich mir eilig, denn wir hörten Geräuſch. In ei - nem Gewirre von ängſtlich ſich durchkreuzenden Ge - danken über die Ungewißheit, in welcher ich in mehr als Einer Hinſicht mit meinem Plane ſtand, blieb ich mir ſelber überlaſſen. Hat das Mädchen mich verſtanden? Werde ich Gelegenheit finden, ſie noch Einmal darüber zu vernehmen? oder, wenn ſie mich gefaßt hat, wird ſie ſich zu dem Schritte ent - ſchließen? iſt der leztere überhaupt ausführbar? Dieſe Zweifel beunruhigten mich nicht wenig, bis mir der glückliche Einfall kam, Alles dem Willen des Schickſals anheim zu ſtellen und zulezt das Glücken oder Mislingen meiner Abſichten als Probe ihrer Güte oder Verwerflichkeit anzuſehen. Mit dieſer Idee ſchmeichelte ich mir ordentlich, ſowie durch den ſtren - gen Vorſatz, Loskinen für jezt nicht mehr aufzuſuchen, mich wenigſtens nicht näher mit ihr darüber zu ver - ſtändigen. Um wie viel bedeutender dieß ſchwebte im Hintergrund meiner Seele um wie viel glän - zender wird nachher die Erfüllung deiner Erwartungen ſeyn! Aber auch ſelbſt in ihrem Fehlſchlagen ſah ich einen für mich reizenden Schmerz und eine ſchöne Entſagung voraus.

Jezt begab ich mich zu meiner Geſellſchaft, zog den Hauptmann bei Seite und erklärte ihm die Nothwen - digkeit meiner Entfernung, die ich ihm durch einen314 lezten Beweis meiner Erkenntlichkeit um ſo leichter verſchmerzen machte. Er empfing mein immer an - ſehnliches Geſchenk mit einer Miene von Stolz und Freundlichkeit, erbot ſich zu einem Ehrengeleite, was ich aber ausſchlug, und er verſprach, meiner Bitte ge - mäß, die Andern in meinem Namen zu grüßen, da ich aus Schonung für Marwin einen allgemeinen Abſchied vermeiden wolle. Im Grunde aber unter - ließ ich den Abſchied aus Schonung für mich ſelber, aus einem eigenen Schamgefühl, das mich nicht vor den Menſchen treten ließ, den ich um ſeine ſchönſte Hoffnung zu betrügen gedachte. Ich ſuchte mich da - mit zu tröſten, daß ich mir ſagte, er werde um Nichts beraubt, das er je beſeſſen hätte oder jemals beſitzen könnte, denn Loskinens Herz war weit von ihm entfernt.

In kurzer Zeit befand ich mich wieder allein und in meinen ordentlichen Kleidern. Ich verfolgte zu Pferde mit einem gleichfalls berittenen Begleiter aus dem nächſten Dorfe einen Umweg nach G ***, wel - chen, wie zu vermuthen war, der Hauptmann nicht einſchlug. Dieſe Vorſicht gebrauchte ich auf alle Fälle, ſo wie ich ihm auch die Richtung meiner Reiſe falſch angab.

In G. langt ich bei Zeiten an und nahm mein Abſteigequartier gemäß dem Loskinen gegebenen Worte. Was meine Abſicht weiter fördern konnte ward unverzüglich eingeleitet. Einige neue Kleidungs -315 ſtücke, vor Allem ein anſtändiger Mantel lag für die Geliebte bereit. Es fand ſich ein bequemer verſchloſ - ſener Wagen, deſſen Anblick mich mit abwechſelnd glücklichen und bekümmerten Ahnungen erfüllte; doch erhielt ſich meine Hoffnung um ſo aufrechter, je wei - ter ich die Zeit hinausſezte, wo meiner Berechnung nach die Ankunft des Trupps erfolgen konnte. Dieß war auf den folgenden Morgen, als den eigentlichen Markttag. Ganz gelaſſen ſchaute ich ſo eben von mei - nem Zimmer auf die Straße hinab und überlegte, nicht ohne einige bedenkliche Rückſicht auf den ſehr herabgeſunkenen Zuſtand meiner Börſe, die Art und Weiſe, wie ich das in den nächſten Tagen unfehlbar hier auf der Poſt einlaufende Paket von S. wollte am zweckmäßigſten heimwärts mir nachſchicken laſſen. Ich ſah unter dieſen Betrachtungen ruhig zu, wie unter meinem Fenſter ein Junge vom Haus mit einer neuen hölzernen Armbruſt ſpielte, wobei ein dunkles, gleichgültiges Gefühl in mir war, als wäre mir ein gleiches Inſtrument während der lezten Zeit irgendwo vorgekommen. Wie ein Blitz durchzückt mich plötzlich der Gedanke, daß ich noch vor zwei Tagen dergleichen Schnitzarbeit in den Händen Loskinens geſehen, daß ſie bereits in der Nähe ſeyn müſſe, daß ſie jeden Augenblick in das Haus treten könne. Ich war au - ßer mir vor Freude, vor Erwartung und Angſt. Aber dieſer peinvolle Zuſtand ſollte nicht lange dauern. O Gott! wer ſchildert den Augenblick, da die herr -316 liche Geſtalt in mein Zimmer ſchlüpfte, dieſe Arme ſie empfingen und ſie mit erſticktem Athem rief: Da bin ich! da bin ich Unglückliche! beginne mit mir, was du willſt!

In Kurzem ſaßen wir im Wagen; erſt fuhr ich allein eine Strecke weit vor die Stadt und erwartete ſie dort. Wir reiſ’ten den Tag und die Nacht hin - durch und ſind vor der Hand weit genug, um nichts mehr zu fürchten. Aber welche Roth, welche ſüße Noth hatt ich, den Jammer des holden Geſchöpfs zu mäßigen. Sie ſchien jezt erſt den ungeheuren Schritt zu überdenken, den ſie für mich gewagt, ſie quälte ſich mit den bitterſten Vorwürfen und dann wieder lachte ſie mitten durch Thränen, mit Leiden - ſchaft mich an ſich preſſend. So kamen wir gegen Tagesanbruch im Grenzorte B. ermüdet an. Ich ſchreibe dieß in einem elenden Gaſthof, indeſſen Los - kine nicht weit von mir auf ſchlechtem Lager eines kurzen Schlafs genießt. Getroſt, gutes Herz, in we - nig Tagen zeig ich dir eine Heimath. Du ſollſt die Fürſtin meines Hauſes ſeyn, wir wollen zuſammen ein Himmelreich gründen, und die Meinung der Welt ſoll mich nicht hindern, der Seligſte unter den Men - ſchen zu ſeyn.

Hier brach das Tagebuch des Malers ab. Der Pfarrer machte eine Pauſe und Jungfer Erneſtine ſagte: Er brachte ſie alſo ins Vaterland und nahm317 ſie förmlich zum Weibe? Ja, leider, daß Gott er - barm! er ſezt es durch. Er verläugnete die ab - ſcheuliche Herkunft der Perſon, doch man merkte ſogleich Unrath, und wer von der Familie hätte ſich nicht da - vor bekreuzen ſollen, ſo eine wildfremde Verwandt - ſchaft einzugehen? Alles rieth dem Bruder ab, Alles verſchwor ſich gegen eine Verbindung, ich ſelbſt, Gott vergebe mir’s, habe mich verfeindet mit ihm, ſo lieb ich ihn hatte. Umſonſt, der Fürſt war auf ſeiner Seite, er ward in der Stille getraut und lebte mit dem Weibsbild einſam genug auf ſeinem kleinen Gute. Seine Kunſt nährte ihn vollauf, aber es konnte kein Seegen dabei ſeyn; beide Ehleute, ſagt man, hätten ſich geliebt, abgöttiſch geliebt, und doch, heißt es, ſey ſie in den erſten Monaten krank geworden vor Heim - weh nach ihren Wäldern, nach ihren Freunden. Man ſage mir was man will, ich behaupte, ſo ein Geſindel kann das Vagiren nicht laſſen, und mein armer Bru - der muß tauſendfachen Jammer erduldet haben. Es dauerte kein Jahr, ſo ſchlug der Tod ſich in’s Mittel, die Frau ſtarb in dem erſten Kindbett. Euer Onkel, ſtatt, wie man hoffte, dem Himmel auf den Knieen zu danken, that über den Verluſt wie ein Verzwei - felnder; er lebte eine Zeitlang nicht viel beſſer als ein Einſiedler; ſein einziger Troſt war noch das Kind, das am Leben erhalten war und in der Folge eine unglaubliche Aehnlichkeit mit der Mutter zeigte. Er ließ das Mädchen ſorgfältig bei ſich erziehen bis in318 ſein ſiebentes Jahr. Da ſtrafte Gott den hart Ge - züchtigten mit einem neuen Unglück. Das Kind ward eines Tags vermißt, niemand begriff, wohin es gera - then ſeyn konnte. Später fand man Urſache, zu glau - ben, daß die verruchte Bande den Aufenthalt meines Bruders entdeckt, und weil die Frau nicht mehr zu ſtehlen war, ſich durch den Raub des Mädchens an dem Vater gerächt habe. Sein halb Vermögen ließ dieſer es ſich koſten, ſeinen Augapfel wieder an ſich zu bekommen; vergebens, er mußte die Tochter verloren geben, und nie vernahm man weiter etwas von ihr. Und heute nun es iſt ja unfaßlich, es iſt rein zum toll werden, mir wirbelt der Verſtand, wenn ich’s denke, heute muß ich es erleben, daß der Baſtard mir durch meine eigenen Kinder über die Schwelle gebracht wird. Mir iſt nur wohl, ſeit ſie wieder aus dem Haus iſt! Wenn ſie ſich nur nicht irgendwo verſteckt! dort liegt ja ihr Bündel noch; wenn nur nicht der ganze Trupp hier in der Nähe umherſchleicht! Heiliger Gott! wenn ſie mir das Haus anzündeten, die Mordbrenner Auf, Kinder! mir läuft es ſiedend über den Rücken, mir ahnet ein Un - glück! Durchſucht jeden Winkel der Knecht ſoll den Schultheiß wecken man ſoll Lärm machen im Dorfe

Um Gotteswillen, Vater, was denken Sie? riefen die Mädchen, beſinnen Sie ſich doch! die Zi -319 geuner ſind ja meilenweit von uns entfernt und das Mädchen wird uns nicht ſchaden.

Was? nicht ſchaden? wißt ihr das? Iſt ſie nicht von Sinnen? Was iſt von einer Närrin nicht Alles zu fürchten!

So kann ja Johann die Nacht wachen, wir alle wollen wachen.

Keinen Augenblick hab ich Ruh, bis ich mich überzeugt, daß nicht irgendwo Feuer eingelegt iſt. Kommt! ich habe nun einmal die Grille; begleitet mich.

So tappte man denn zu Dreien ohne Licht durch das ganze Haus; die Gänge, die Ställe, die Bühne, Alles wurde ſorgfältig unterſucht. Als man in die Dachkammer kam, wo ſich das merkwürdige Bild be - fand, empfanden die Mädchen einen heimlichen, jedoch reizenden Schauder; es war ſo aufgehängt, daß ſo eben der Mond ſein ſtarkes Licht darauf fallen ließ, und ſelbſt der Pfarrer ward wider Willen von der dämo - niſchen Schönheit des Geſichtes feſtgehalten; man hätte es wirklich für ein Porträt Eliſabeths halten kön - nen; von ganz eigenem, nicht weiter zu beſchreiben - den Ausdruck waren beſonders die braunen durch - dringenden Augen. Keins von den Dreien wollte ein lautes Wort ſprechen, nur Adelheid fragte den Vater, ob der Onkel es gemalt? ob es ſeine Frau vorſtelle? Der Pfarrer nickte, nahm das Bild ſeuf - zend von der Wand und verſteckte es in die hin - terſte Ecke.

320

Im Vorbeigehen traten ſie in Theobalds Schlafkammer, er ſchlief ruhig, die Hände lagen ge - faltet über der Decke.

Mitternacht war vorüber. Der Alte hatte we - nig Luſt ſich zur Ruhe zu begeben, die Töchter ſoll - ten ihm Geſellſchaft leiſten, und um ſie wach zu erhal - ten mußte er den Reſt der traurigen Geſchichte erzäh - len. Dieſer geht nahe zuſammen; ſagte er. Der Unfall mit dem Kinde vernichtete den Oheim ganz; der Aufenthalt im Vaterlande ward ihm unerträglich, er ging auf Reiſen, nach Frankreich und England, ſoll aber in ſteter Verbindung mit ſeinem Fürſten ge - blieben ſeyn und fortwährend für ihn gearbeitet ha - ben, bis er aus unbekannten Gründen mit dem Hofe zerfiel. Auf Einmal verſcholl er und man weiß bloß, daß er mit einem Schiffe zwiſchen England und Nor - wegen umgekommen. Den größten Theil ſeines Ver - mögens hatte er bei ſich, aber aus dem, was er zu - rückließ, zu ſchließen, ſchien er eine Heimkehr nicht aufgegeben zu haben. Seine Güter fielen der Herr - ſchaft zu, welche Anſpruch darauf machte. Außer einem kleinen Vorrath von Effekten, worunter auch jenes Gemälde und das Diarium ſich befand, kam nichts an uns. So endete der Bruder eures Va - ters. Ich ſage, Friede ſey mit ihm! Ich werde ihn aufrichtig beweinen bis an meinen Tod, ob ich gleich was er that nicht billigen kann und Jeden warnen muß, dem Gott ein ſo gefährlich Temperament ver -321 lieh, daß er den Fallſtrick des Verſuchers vermeide und nie die Bahn heilſamer Ordnung verlaſſe. Ich denke hier an meinen eigenen Sohn, an Theobald. Der Junge hat, ſo fromm und ſanft er iſt, mich manchmal ſchon erſchreckt. So ganz das Gegentheil von mir! So manches Uebertriebene, Unnatürliche! So heute wieder mir läuft die Galle über, wenn ich’s denke was ſoll die dumme Neugierde auf die Fremde? nichts, als daß ſeine Phantaſie toll wird! Und du, Adelheid, machſt oft gemeinſchaftliche Sache mit ihm, ſtatt ihn zu leiten. Er läßt ſich nicht wie andere Knaben ſeines Alters an. Da ſtunden - lang oben im Glockenſtuhl ſitzen, wie ein Träumer, Spinnen ätzen und aufziehen, einfältige Geheimniſſe, Zettel, Münzen unter die Erde vergraben was ſind mir das für Bizarrerien? Und daß ich einen Maler aus ihm mache, ſoll er ſich nur nicht einbil - den. Das iſt das ewige Zeichnen und Pinſeln! wo man hinſieht, ärgert man ſich über ſo ein Fratzenge - ſicht, das er gekritzelt hat, und wär’s auch nur auf dem Zinnteller. Wenn er einmal Sonntags Nachmittag zur Erholung ſich eine Stunde hinſezte und machte einen ordentlichen Baum, ein Haus und dergleichen nach einem braven Original, ſo hätt ich nichts dage - gen, aber da ſind es nur immer ſeine eigenen Grillen, hexenhafte Karikaturen und was weiß ich. Bei Gott! gerade ſolche Poſſen hat Onkel Friedrich in ſeiner Jugend gehabt. Nein, bei meiner armen Seele, mein21322Sohn ſoll mir kein Maler werden! So lang ich lebe und gebiete, ſoll er’s nicht!

Die Mädchen machten große Augen zu dieſen Worten, denn es war beinahe das Erſtemal, daß der Vater über ſeinen Liebling entrüſtet ſchien, und doch war auch dieß nur der ängſtliche Ausdruck ſeiner grän - zenloſen Vorliebe für ihn. Endlich brach er auf und noch während des Auskleidens redete er nach ſeiner heftigen Gewohnheit laut mit ſich ſelber über den ſtörenden Vorfall des Abends.

Am folgenden Morgen meldete der Knecht, daß, als er mit Tagesanbruch aufgeſtanden und in den Hof getreten, um Waſſer zu ſchöpfen, das Zigeuner - mädchen ihm dort in die Hände gelaufen ſey; ſie hätte ſich nur ihr Kleiderbündel von ihm bringen laſ - ſen, um ſogleich weiter zu gehen. Sie habe ihm ei - nen freundlichen Gruß an Adelheid, beſonders aber an den jungen Herren befohlen. Ein Medaillon, das ſie vom Halſe losgeknüpft, ſoll man ihm als Ange - binde von ihr einhändigen.

Der Vater nahm das Kleinod ſogleich in Em - pfang; es war von feinem Golde, blau emaillirt, mit einer unverſtändlichen orientaliſchen Inſchrift; er ver - ſchloß es und verbot Jedermann auf’s Strengſte, ſei - nem Sohn etwas von dieſem Auftrage kund zu thun.

Der junge Menſch hatte außer Adelheiden keine Seele, der er ſein Inneres hätte offenbaren -323 gen. Er wandelte, ſeitdem er Eliſabethen geſehen, eine Zeitlang wie im Traume.

Wenn er ſeit ſeinen Kinderjahren, in Rißthal ſchon, ſo manchen verſtohlenen Augenblick mit der Betrachtung jenes unwiderſtehlichen Bildes zugebracht hatte, wenn ſich hieraus allmählig ein ſchwärmeriſch religiöſer Umgang wie mit dem geliebten Idol eines Schutzgeiſts entſpann, wenn die Treue, womit der Knabe ſein Geheimniß verſchwieg, den Reiz deſſelben unglaublich erhöhte, ſo mußte der Moment, worin das Wunderbild ihm lebendig entgegentrat, ein unge - heurer und unauslöſchlicher ſeyn. Es war, als er - leuchtete ein zauberhaftes Licht die hinterſten Schach - ten ſeiner inneren Welt, als bräche der unterirdiſche Strom ſeines Daſeyns plötzlich lautrauſchend zu ſeinen Füßen hervor aus der Tiefe, als wäre das Siegel vom Evangelium ſeines Schickſals geſprungen.

Niemand war Zeuge von dem ſeltſamen Bünd - niß, welches der Knabe in einer Art von Verzückung mit ſeiner angebeteten Freundin dort unter den Rui - nen ſchloß, aber nach dem, was er Adelheiden dar - über zu verſtehen gab, ſollte man glauben, daß ein gegenſeitiges Gelübde der geiſtigſten Liebe Statt gefun - den, deren geheimnißvolles Band, an eine wunderbare Naturnothwendigkeit geknüpft, beide Gemüther, aller Entfernung zum Trotze, auf immer vereinigen ſollte.

Doch dauerte es lang, bis Theobald die tiefe Sehnſucht nach der Entfernten überwand. Sein gan -324 zes Weſen war in Wehmuth aufgelöst, mit doppelter Inbrunſt hielt er ſich an jenes theure Bild; der Trieb zu bilden und zu malen ward jezt unwiderſtehlich und ſein Beruf zum Künſtler war entſchieden.

In Kurzem ſtarb der Vater am Schlagfluſſe. Die Kinder wurden zerſtreut. Theobald ward ei - nem wackern Manne (dem Förſter zu Neuburg) in die Koſt gegeben, von deſſen Hauſe aus er die benach - barte Malerſchule zu *** beſuchte. Nach fünfthalb Jahren fleißiger Studien fand ein reicher Gönner ſich bewogen, dem jungen Manne die Mittel zu ſeiner weiteren Bildung im Auslande zu reichen. In ho - hem Grade fruchtbar ward ihm der Aufenthalt zu Rom und Florenz, aber ſelbſt die mannigfaltigen An - ſchauungen dieſer herrlichen Kunſtwelt vermochten den Grundton jener früheren Eindrücke nie völlig zu ver - drängen, deren myſteriöſer Charakter zunächſt in der Idee des Chriſtlichen eine analoge Befriedigung fand.

Eliſabethen hat er nie wieder geſehen.

About this transcription

TextMaler Nolten
Author Eduard Mörike
Extent335 images; 64833 tokens; 12477 types; 446424 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationMaler Nolten Novelle in zwei Theilen I Eduard Mörike. . 324 S. SchweizerbartStuttgart1832.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yx 1608<a> Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=450882489

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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