Sie wundern ſich, mein Herr, daß ich immer noch nicht meine Stimme mit der Ihrigen vereinigen will, um den Fortſchritten, welche nach Ih - rem Urtheil, die deutſche Litteratur faſt taͤglich macht, Beyfall zu geben. Ich liebe unſer gemeinſchaftliches Vaterland ſo ſehr wie Sie; aber gerade eben dieſes iſt mir ein Beweggrund, ihm nicht eher Lob zu bewil - ligen, bis es ſich deſſelben wuͤrdig gemacht hat. Man erklaͤrt nicht einen Mann fuͤr Sieger, der noch mitten in der Laufbahn iſt, es zu werden. Ich erwarte, daß er das Ziel wird erreicht haben, und dann wird mein Beyfall eben ſo aufrichtig, als gerecht ſeyn.
A 2Sie4Sie wiſſen, daß in der gelehrten Republik eine vollkommene Freyheit der Meynungen herrſcht. Sie ſehen die Gegenſtaͤnde aus einem, ich aus einem an - dern Geſichtspunkt. Erlauben Sie alſo, daß ich mich erklaͤre, und Ihnen meine Art zu denken, ſo wie mei - ne Ideen uͤber die alte und neue Litteratur, genauer entwickele. Ich werde ſie in Abſicht der Sprachen, der Wiſſenſchaften und des Geſchmacks betrachten. Ich mache mit Griechenland, dieſer Wiege der ſchoͤ - nen Kuͤnſte, den Anfang. Die Sprache der griechi - ſchen Nation iſt die harmoniſchſte von allen, welche je geredet worden. Ihre erſten Theologen und Ge - ſchichtſchreiber waren Dichter. Dieſe brachten gluͤck - liche Wendungen in ihre Sprache, wurden Schoͤpfer einer Menge mahleriſcher Ausdruͤcke, und fuͤr alle ihre Nachfolger, Lehrer der Kunſt, ſich mit Anmuth, Fein - heit und Wuͤrde auszudruͤcken.
Ich gehe von Athennach Romuͤber, und finde hier eine Republik, welche zuerſt lange Zeit mit ihren Nachbarn krieget, und dann fuͤr die Ehre und die Ver - groͤſſerung ihres Reichs kaͤmpft. Alles in dieſem Staat war Nerve und Kraft, und nicht eher, bis Roms Nebenbuhlerin, Carthago, zerſtoͤrt war, fanden hier die Wiſſenſchaften Eingang. Der große Scipio der Afrikaner, der Freund des Laͤliusund Polybius, war der erſte Roͤmer, der die Wiſſenſchaften beſchuͤtzte. Dann folgten die Gracchen; dann Antoniusund Craſſus5 Craſſus, zwey beruͤhmte Redner ihrer Zeit. Doch ge - langten die Sprache und der Styl der roͤmiſchen Be - redſamkeit nicht eher zu ihrer Reife, als zu den Zeiten des Cicero, des Hortenſius, und der vortrefflichen Ge - nies, welche die Zierde der Regierung Auguſts waren.
Dieſe kurze Ueberſicht bezeichnet mir den natuͤr - lichen Gang der Litteratur. Ich bin uͤberzeugt, daß kein Schriftſteller gut in einer Sprache ſchreiben koͤn - ne, die noch nicht ausgebildet und verfeinert iſt. Ich ſehe auch, daß man in allen Laͤndern mit dem Noth - wendigen anfaͤngt, und erſt nachher das Angenehme hinzufuͤgt. Die roͤmiſche Republik faͤngt damit an, ſich zu bilden; dann kaͤmpft ſie, um Laͤnder zu bekom - men; dann ſucht ſie dieſelben anzubauen; und nicht eher, bis ſie nach den Puniſchen Kriegen, eine feſte und dauerhafte Verfaſſung erhalten, entſteht der Geſchmack fuͤr die Kuͤnſte, und gelangt die lateiniſche Sprache und Beredſamkeit zu einiger Vollkommenheit. Ich be - merke aber hiebey, daß zwiſchen dem Zeitalter des aͤl - tern Scipiound dem Conſulat des Ciceroſich ein Zeit - raum von hundert und ſechzig Jahren befindet. Ich ſchließe hieraus, daß die Fortſchritte zur Vollkommen - heit in allen Dingen, langſam ſind, und daß der Kern, den man in die Erde pflanzt, erſt Wurzel faſſen, her - vorkeimen, ſeine Zweige ausbreiten, Kraft und Staͤrke gewinnen muͤſſe, ehe er Blumen und Fruͤchte hervor - bringen koͤnne. Ich beurtheile dann DeutſchlandnachA 3dieſen6dieſen Regeln, um den Standpunkt, in welchem wir uns itzt wirklich befinden, mit Billigkeit zu beſtim - men; ich befreye mich von allen Vorurtheilen und laſ - ſe mich blos von der Wahrheit leiten. Und nun finde ich eine noch halb-barbariſche Sprache, in ſo viele ver - ſchiedene Dialekte vertheilt, als DeutſchlandProvin - zen hat. Jeder Kreiß haͤlt ſich uͤberzeugt, ſeine Sprache ſey die wahre aͤchte und deutſche. Wir beſitzen noch keine von der ganzen Nation gebilligte Sammlung, in der man alle Worte und Redensarten faͤnde, nach denen man die Reinigkeit der Sprache ſicher beurthei - len koͤnnte. Was man in Schwabenſchreibt, iſt in Hamburgkaum verſtaͤndlich; und der oͤſterreichiſche Styl iſt fuͤr die Sachſen dunkel. Es iſt alſo phyſiſch unmoͤglich daß auch ein Schriftſteller von dem groͤß - ten Geiſt, dieſe noch ungebildete Sprache vortrefflich behandeln koͤnne. Verlangt man vom Phidiaseine Venus von Gnidus; ſo muß man ihm einen Marmor ohne Fehler, feine Meißel und gute Grabſtichel geben. Nur dann darf man von ſeiner Arbeit etwas erwarten; aber ohne Werkzeuge laͤßt ſich kein Kuͤnſtler denken. Man koͤnnte mir vielleicht den Einwurf machen, daß auch die griechiſchen Republiken ehemals eben ſo viele verſchiedene Dialekte hatten, als wir; und daß man noch itzt das Vaterland eines Italiaͤners an ſeinem Styl und ſeiner Ausſprache erkennen koͤnne, die immer in einem Lande anders ſind, als in dem andern. Ichzweifle7zweifle an der Richtigkeit dieſer Behauptungen gar nicht; aber ſie duͤrfen uns nicht abhalten, den fernern Fortſchritten der Litteratur im alten Griechenlandund im neuern Italien, weiter nachzugehen. Die beruͤhm - ten Dichter, Redner und Geſchichtſchreiber dieſer Laͤn - der ſetzten die Sprache derſelben durch ihre Schriften feſt. Das Publikum nahm nach einer ſtillſchweigen - den Uebereinſtimmung, die Wendungen, Phraſen und Metaphern, als die beſten und richtigſten an, welche jene große Kuͤnſtler in ihren Werken gebraucht hatten. Ihre Ausdruͤcke wurden nach und nach allgemein aus - gebreitet, und die Sprachen wurden durch ſie verſchoͤ - nert, veredelt und bereichert.
Werfen wir nun wieder einen Blick auf unſer Vaterland, ſo finden wir ein Gewirre von Sprache, ohne alle Anmuth, das jeder nach ſeinen Einfaͤllen be - handelt. Man kennt hier keine Wahl der Ausdruͤcke, man vernachlaͤßigt die eigentlichſten und ausdruͤckend - ſten Worte; und man verſchwemmt oft allen Sinn und Gedanken in einem Meer von Epiſoden. Ich ge - be mir alle Muͤhe, um unſere Homere, unſere Virgile, unſere Anacreons, unſere Horatze, unſere Demoſthene, unſere Cicerone, unſere Thucydides, unſere Livius, aus - zuforſchen; aber ich finde ſie nirgend, alle meine Muͤhe iſt umſonſt. Ich daͤchte alſo, wir waͤren aufrichtig, und geſtuͤnden nur ehrlich, daß bis itzt die ſchoͤnen Wiſſenſchaften in unſerm Boden, noch nicht haben ge -A 4deihen8deihen wollen. Deutſchlandhat Philoſophen gehabt, welche die Vergleichung mit den Alten aushalten, und ſie ſogar in mehr als einer Gattung uͤbertreffen. Ich werde auch hierauf nachher noch zuruͤckkommen. Aber in Abſicht der ſchoͤnen Wiſſenſchaften muͤſſen wir unſre Duͤrftigkeit nur geſtehen. Alles was ich Ihnen, ohne mich zum Schmeichler meiner Landsleute zu erniedri - gen, zugeſtehn kann, iſt, daß wir in der kleinen Gat - tung der Fabel einen Gellertgehabt haben, der ſich ne - ben Aeſopund Phaͤdrusgeſetzt. Die Gedichte des Canitzſind ertraͤglich, aber nicht von Seiten der Sprache, ſondern mehr, weil er, jedoch nur ſchwach, den Horatznachahmt. Ich will auch die Idyllen des Gesnernicht ganz uͤbergehen, die einige Vertheidiger haben; aber ich muß mir doch die Erlaubniß ausbe - dingen, ihnen die Werke des Tibull, Catull, und Propertzvorzuziehn. Wenn ich die Geſchichtſchrei - ber durchgehe, finde ich nur die deutſche Geſchich - te von Maſcow, welche am wenigſten fehlerhaft iſt. Und erwarten Sie wohl im Ernſt, daß ich Ihnen vom Verdienſt unſrer Redner etwas ſagen ſoll? Ich wuͤßte Ihnen wenigſtens keinen zu nennen, als den beruͤhmten Quandtzu Koͤnigsberg, der die ſeltene und in ſeiner Art einzige Gabe beſaß, ſeine Sprache harmoniſch zu machen, und ich muß leider! zu unſrer Schande hin - zuſetzen, daß dieſes Verdienſt gar nicht erkannt wor - den, und ſeinen Namen nicht beruͤhmt gemacht habe. Und9Und wie kann man auch verlangen, daß die Menſchen ſich beeifern ſollen, jeder in ſeiner Art vollkommen zu werden, wenn der Ruhm nicht ihre Belohnung iſt? Indeß will ich zu den Herrn, die ich genannt habe, noch einen Ungenannten hinzuſetzen, von dem ich reimloſe Verſe geſehn habe; die Cadenz und Harmonie der - ſelben entſtand aus der Abwechſelung der Dactylen und Spondaͤen; ſie waren voll von Verſtand; und mein Ohr wurde ſehr angenehm durch einen Wohllaut der Toͤne geſchmeichelt, deſſen ich unſre Sprache kaum faͤhig geglaubt hatte. Ich moͤchte behaupten, daß die - ſe Art von Verſification ſich am beſten fuͤr unſre Spra - che ſchicke, und ſehr große Vorzuͤge vor dem Reim ha - be. Wollte man ſich Muͤhe geben, ſie dadurch voll - kommener zu machen; ſo wuͤrde man es wahrſcheinlich hierinn weit bringen.
Vom deutſchen Theater moͤchte ich Ihnen lieber gar nichts ſagen. Die Melpomeneiſt bey uns von ſehr ſeltſamen Leuten verehret worden; einige traben auf hohen Stelzen einher, andre kriechen im Staube; alle uͤbertreten die Regeln der Kunſt, koͤnnen daher nicht intereſſiren und ruͤhren, und muͤſſen von den Altaͤren der tragiſchen Muſe verwieſen werden. Die Liebhaber der Thaliaſind etwas gluͤcklicher geweſen; ſie haben uns wenigſtens eine wahre und originelle Comoͤdie geliefert, ich meyne den Poſtzug. Der Dichter dieſes Stuͤcks hat unſre Sitten und unſer eigenthuͤmliches Laͤcherliche aufA 5das10das Theater gebracht. Das Stuͤck iſt ſehr gut gemacht, und Moliere ſelbſt haͤtte den Gegenſtand deſſelben nicht gluͤcklicher bearbeiten koͤnnen. Es thut mir leid, daß ich Ihnen nicht eine groͤßre Menge unſrer guten Pro - dukte aufzaͤhlen kann. Ich mache deshalb der Nation keine Vorwuͤrfe; es fehlt ihr nicht an Genie und Geiſt. Aber gewiſſe Urſachen haben ſie zuruͤckgehalten und ver - hindert, ſich zu gleicher Zeit mit ihren Nachbarn zu erheben. Laſſen Sie uns bis zu der Wiederauflebung der Wiſſenſchaften zuruͤckgehn, und die verſchiedene La - ge gegen einander halten, in der ſich Italien, Frank - reichund Deutſchland, zur Zeit dieſer Revolution des menſchlichen Geiſtes befanden.
Sie wiſſen, daß die Wiſſenſchaften zuerſt in Ita - lienwieder gebohren wurden, wo das Haus Eſte, die Medicis und der Pabſt Leo X.ſie beſchuͤtzten und ihre Fortſchritte beguͤnſtigten. Zu eben dieſer Zeit, da Ita - lienverfeinert wurde, war Deutſchland, durch die Zaͤn - kereyen der Theologen, in zwey Partheyen getheilt, de - ren jede durch erbitterten Haß gegen die andere, und durch fanatiſchen Enthuſiaſmus, ſich auszeichnete. In Frankreichbemuͤhte ſich dagegen Franz I.mit Italienden Ruhm der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften zu theilen. Aber ſeine Muͤhe war vergeblich, ſie in ſein Vaterland heruͤberzubringen. Die franzoͤſiſche Mo - narchie befand ſich damals in einem Zuſtande der Er - mattung, erſchoͤpft durch die Loskaufung ihres Koͤ -nigs11nigs von Carl V.Die Kriege der Ligue hinderten nach Franz I.Tode, die Franzoſen, ſich mit den ſchoͤnen Kuͤnſten zu beſchaͤftigen. Nicht eher als gegen das Ende der Re - gierung Ludwig XIII.da die Wunden der buͤrgerli - chen Kriege geheilt und die Zeitumſtaͤnde, unter dem Cardinal Richelieu, guͤnſtiger waren, kam man auf den Plan Franz I.zuruͤck. Der Hof ermunterte die Gelehrten und die ſchoͤnen Geiſter, die Nacheiferung ward allgemein, und es dauerte nicht lange, ſo gab unter Ludwig XIV. Parisweder Romnoch Florenzetwas nach. Und nun, wie ſahe es um dieſe Zeit in Deutſchlandaus? Gerade damals, wie Richelieuſich den hohen Ruhm erwarb, ſeine Nation zu bilden, wuͤthete der dreyßigjaͤhrige Krieg in ſeinem groͤßten Feuer. Deutſch - landwurde durch zwanzig verſchiedene Armeen verwuͤ - ſtet und gepluͤndert, die Sieger oder Beſiegte, allemal die Zerſtoͤrung hinter ſich fuͤhrten. Das Land wurde verwuͤſtet und nicht wieder angebauet, die Staͤdte bey - nahe ganz verlaſſen. Auch nach dem weſtphaͤliſchen Frieden hatte Deutſchlandnoch nicht Zeit, ſich wieder zu erholen. Bald mußte es der damals ſehr furchtba - ren Macht des ottomanniſchen Reichs widerſtehen; bald gegen die franzoͤſiſchen Armeen kaͤmpfen, welche die Herrſchaft ihres Reichs uͤber Deutſchlandauszu - breiten ſuchten. Zu eben der Zeit, als die Tuͤrken Wienbelagerten, Melakdie Pfalzverwuͤſtete, wo Staͤdte und Doͤrfer von den Flammen verzehret wurden, undwo12wo ſelbſt die ſonſt heilige Freyſtatt des Todes durch die ausgelaſſene Frechheit der Soldaten verletzt wurde, welche, die Leichname der Churfuͤrſten aus ihrer Gruft hervorzogen, um ihre elende Ueberbleibſel ſich zuzueig - nen; wo verlaſſene Muͤtter mit ihren abgezehrten Kin - dern auf dem Arm, ſich aus den Truͤmmern ihres Va - terlandes retteten: zu eben dieſer Zeit, darf man nicht erwarten, daß man zu Wienund Manheim, Sonnets verfertigt und ſich mit witzigen Epigrammen beſchaͤf - tigt habe. Die Muſen verlangen ruhige Zufluchtsor - te; ſie fliehen die Gegenden, wo die Verwirrung herrſcht und alles zerſtoͤrt wird. Erſt nach dem ſpaniſchen Succeſſionskriege fieng man an einigermaſſen wieder - herzuſtellen, was ſo vieles auf einander folgende Elend vernichtet hatte. Nicht alſo dem Geiſte und Genie der Nation muß man die ſchwachen Fortſchritte, die wir bisher gemacht, beymeſſen; ſondern wir muͤſſen die Urſache derſelben allein in einer Folge trauriger Umſtaͤnde, in den faſt unaufhoͤrlichen Kriegen ſuchen, die unſer Vaterland zerſtoͤrten, und eben ſo arm an Menſchen, als an Gelde, machten.
Laſſen Sie uns den Faden der Begebenheiten nie aus den Augen verliehren, ſondern itzt den Gang un - ſrer Vaͤter beobachten. Sie werden mit mir die Weis - heit loben, die ihr Betragen leitete. Sie handelten gerade ſo, wie es der Lage, in der ſie ſich befanden, an - gemeſſen war. Sie fiengen an, ſich auf den Landbauzu13zu legen, und aus Feldern, zu deren Bearbeitung bis - her keine Haͤnde da waren, einen neuen Werth zu ziehn. Sie ſtellten die zerſtoͤrten Haͤuſer wieder her; ſie be - guͤnſtigten die Fortpflanzung und Vermehrung des menſchlichen Geſchlechtes. Man iſt allenthalben be - muͤht geweſen, wuͤſte und verlaſſene Laͤnder wieder ur - bar zu machen; die vermehrte Bevoͤlkerung hat Indu - ſtrie hervorgebracht; auch der Luxus hat ſich bey uns eingefunden, ein Verderben fuͤr kleine Staaten, aber nuͤtzlich fuͤr die großen, in denen er die Circulation des Geldes befoͤrdert. Durchreiſen Sie itzt einmal Deutſch - landvon einer ſeiner Graͤnzen bis zur andern; allent - halben finden ſie ehemalige Flecken in bluͤhende Staͤdte verwandelt. Hier liegt Muͤnſter, etwas weiter hin Caſſel; hier Dresdenund Leipzig. In Frankenfin - den Sie Wuͤrzburg, Nuͤrnberg. Wenn Sie ſich dem Rheinnaͤhern, kommen Sie uͤber Fuldaund Frankfurt am Mayn, nach Manheim, von da zu - ruͤck uͤber Mainznach Bonn. Jede dieſer Staͤdte ſtellt dem erſtaunten Reiſenden Gebaͤude dar, die er an der Stelle des ehmaligen hercyniſchen Waldes nicht vermuthet haͤtte. Die maͤnnliche Thaͤtigkeit unſrer Landsleute begnuͤgte ſich alſo damit nicht, nur blos den Verluſt zu erſetzen, den das oͤffentliche Ungluͤck verur - ſacht hatte; ſie erhob ſich weiter und brachte das zur Vollkommenheit, wovon unſre Vorfahren nur die er - ſten Entwuͤrfe verſucht hatten. Seit der Zeit dieſergluͤck -14gluͤcklichen Veraͤnderungen ſehen wir den Wohlſtand weit allgemeiner werden. Der niedere Stand des Landmanns und Buͤrgers ſchmachtet nicht mehr in ei - ner ſchaͤndlichen Unterdruͤckung; Vaͤter koͤnnen itzt ih - re Soͤhne den Wiſſenſchaften widmen, ohne ſich zu verſchulden. Dies ſind die Erſtlinge der gluͤcklichen Revolution, die wir noch zu erwarten haben; itzt ſind die Bande, welche das Genie unſrer Vorfahren feſſel - ten, zerbrochen; ſchon bemerkt man, wie der Saame einer edlen Nacheiferung unter uns zu keimen anfaͤngt. Wir ſchaͤmen uns, in gewiſſen Gattungen noch nicht mit unſern Nachbarn uns vergleichen zu duͤrfen; wir wuͤnſchen mit unermuͤdeten Arbeiten die Zeit wieder zu gewinnen, die wir durch unſre Widerwaͤrtigkeiten ver - lohren haben. Ueberhaupt iſt itzt der Geſchmack der Nation ſo eifrig auf alles gerichtet, was unſer Vater - land beruͤhmt machen kann, daß man bey dieſen Ge - ſinnungen gar nicht zweifeln darf, die Muſen werden auch uns zu ſeiner Zeit in den Tempel des Ruhms einfuͤh - ren. Wir wollen alſo unterſuchen, wie das noch uͤbrig gebliebene Unkraut der Barbaren aus unſerm Boden voͤllig auszurotten ſeyn moͤchte, und was noch zu thun waͤre, um die Vollkommenheit zu beſchleunigen, zu der ſich unſre Landsleute zu erheben wuͤnſchen. Ich wie - derhole, was ich Ihnen ſchon geſagt habe; man muß damit anfangen die Sprache zu verbeſſern. Sie muß noch gefeilt, abgehobelt, und durch geſchickte Haͤndebearbei -15bearbeitet werden. Deutlichkeit iſt die erſte Regel, welche alle, die reden und ſchreiben, beobachten muͤſſen, weil ihre Abſicht iſt, die Gedanken und Begriffe zu mahlen, und durch Worte auszudruͤcken. Wozu dient es, die richtigſten, ſtaͤrkſten und glaͤnzendeſten Ideen zu denken, wenn man ſie nicht verſtaͤndlich ausdruͤcken kann? Vielen von unſern Schriftſtellern gefaͤllt ein verworrner Styl; ſie ſchließen eine Parentheſe in die andere, und oft findet man erſt am Ende einer Seite das Wort, von welchem der Sinn der ganzen Periode abhaͤngt. Nichts verwirrt die Conſtruktion mehr; anſtatt reich zu ſeyn, iſt man nachlaͤßig, und es wuͤrde leichter ſeyn, das Raͤthſel des Sphynx aufzuloͤ - ſen, als ihre Gedanken. Eben ſo ſchaͤdlich fuͤr die Fort - ſchritte der Wiſſenſchaften, als die Fehler, welche ich unſrer Sprache und unſerm Styl vorgeworfen, iſt der Mangel eines gruͤndlichen Studirens. Man hat un - ſerer Nation ehemals Pedanterie vorgeworfen, weil wir eine Menge Commentatoren, und gar zu ſorgfaͤl - tige Unterſucher von Kleinigkeiten unter unſern Ge - lehrten hatten. Um ſich von dieſem Vorwurf zu be - freyen, faͤngt man itzt an, das Studium der gelehrten Sprachen ganz zu vernachlaͤßigen; und um nicht fuͤr einen Pedanten gehalten zu werden, bleibt man in allen Wiſſenſchaften nur bey der Oberflaͤche ſtehn. Wenige unſrer heutigen Gelehrten koͤnnen ohne Schwie - rigkeit die griechiſchen und lateiniſchen klaſſiſchenSchrift -16Schriftſteller leſen. Will man aber ſein Ohr durch die Harmonie der homeriſchen Verſe bilden; ſo muß man dieſen Dichter ganz fertig ohne Huͤlfe eines Woͤr - terbuchs leſen koͤnnen. Eben dieſes gilt vom Demo - ſthenes, Ariſtoteles, Thucydidesund Plato. Und eben ſo wird eine vollkommene Kenntniß der Sprache dazu erfodert, wenn man die lateiniſchen Claſſiker ge - nau kennen lernen will. Aber unſre heutige Jugend legt ſich faſt gar nicht auf das Griechiſche, und weni - ge lernen ſo viel Latein, um die Werke der großen Maͤnner aus dem Zeitalter des Auguſts, nur mittel - maͤßig uͤberſetzen zu koͤnnen. Und doch ſind dieſe alten Schriftſteller die reichen Quellen, aus denen unſre Vor - gaͤnger, die Italiaͤner, die Franzoſen und Englaͤnder, ihre Kenntniſſe geſchoͤpft haben. Sie haben ſich, ſo viel ſie konnten, nach dieſen großen Muſtern gebildet; ihre Art zu denken, ſich eigen gemacht, und bey Bewun - derung der großen Schoͤnheiten, von denen die Werke der Alten voll ſind, haben ſie auch die Fehler derſelben nicht uͤberſehen. Denn billig muß man mit Einſicht und Unterſcheidung ſchaͤtzen, und ſich nie einer blin - den Schmeicheley uͤberlaßen. Jene gluͤckliche Zeiten, de - ren die Italiaͤner, Franzoſen und Englaͤnder vor uns genoſſen haben, fangen nun unvermerkt an ſich zu ver - liehren. Das Publikum iſt gleichſam geſaͤttigt von den Werken, die es erhalten hat; Kenntniſſe werden weniger geſchaͤtzt, nachdem ſie mehr verbreitet worden. Dieſe17Dieſe Nationen glauben ſich ſchon im Beſitz des Ruhms, den ihre Vorfahren erworben haben, und ſchlummern auf ihren Lorbeeren ein. Aber ich finde, daß dieſe Di - greſſion mich von meinem Gegenſtande ableitet; ich kehre zu ihm zuruͤck, und fahre fort zu unterſuchen, was vor Fehler mehr in unſrer Art zu ſtudiren ſich finden?
Ich glaube zu bemerken, daß die Schulen nicht ſo viele gute und geſchickte Lehrer haben, als ſie beduͤrf - ten. Denn wir haben viele Schulen, und alle wollen verſorgt ſeyn. Wenn die Lehrer Pedanten ſind, wenn ihr beſchraͤnkter Geiſt ſich in Kleinigkeiten vertieft, und uͤber denſelben wichtige Sachen vergißt; wenn ihr Unterricht verworren, langweilig und leer von Sa - chen iſt; ſo peinigen ſie ihre Schuͤler, und bringen ih - nen oft auf immer einen Widerwillen fuͤr den Wiſſen - ſchaften bey. Andre Schullehrer verrichten ihr Amt wie bloße Miethlinge. Es kuͤmmert ſie wenig, ob die Schuͤler von ihrem Unterricht Nutzen haben oder nicht; ſie ſind zufrieden, wenn ſie nur ihren Gehalt richtig ausgezahlt bekommen. Noch aͤrger iſt es, wenn die Lehrer ſelbſt keine Kenntniſſe haben. Was koͤnnen ſie andre lehren, wenn ſie ſelbſt nichts wiſſen? Ich weiß freylich ſehr wohl, daß es gluͤcklicherweiſe noch Aus - nahmen von dieſer Regel giebt, und daß man auch in Deutſchlandeinige ſehr geſchickte Schulmaͤnner findet. So wenig ich dieſes leugne, ſo wuͤnſche ich nur, daßBihre18ihre Zahl groͤßer ſeyn moͤchte. Ueber die fehlerhafte Methode der meiſten Lehrer, ihren Schuͤlern die Gram - matik, Rhetorik und Dialektik beyzubringen, koͤnnte ich noch Vieles ſagen. Wie kann man von ihnen er - warten, daß ſie den Geſchmack ihrer Untergebnen bil - den werden, wenn ſie einen verworrenen Styl fuͤr ei - nen ideenreichen; wenn ſie das Triviale und Niedrige fuͤr naiv, die fehlerhafte Nachlaͤßigkeit der Proſe fuͤr edle Simplicitaͤt; Galimathias fuͤr erhaben hal - ten; wenn ſie die Aufſaͤtze ihrer Schuͤler nicht mit Ge - nauigkeit verbeſſern, und nicht ihnen ihre Fehler vorhal - ten, ohne ſie niederzuſchlagen? wenn ſie ihnen nicht ſorg - faͤltig die Regeln einſchaͤrfen, die ſie bey dem Schreiben immer vor Augen haben muͤſſen? Gegen die genaue Richtigkeit der Metaphern, werden eben ſo oft Fehler von den Lehrern begangen. Ich erinnere mich in meiner Jugend in einer Zueigungsſchrift des Prof. Heinecciusan eine Koͤnigin, folgende ſchoͤne Phraſe geleſen zu ha - ben: „ Ihro Majeſtaͤt glaͤnzen, wie ein Karfunkel, „ am Finger der itzigen Zeit “. Kann man ſich ſchlech - ter ausdruͤcken? Warum iſt die Koͤnigin ein Karfunkel? Wer hat der Zeit einen Finger gegeben? Wenn die Kuͤnſtler die Zeit vorſtellen, ſo geben ſie ihr Fluͤgel, weil ſie ohne Unterlaß davon fliegt; eine Waſſeruhr, weil die Stunden die Zeit abtheilen; und ſie bewaff - nen ihren Arm mit einer Sichel, um anzudeuten, daß ſie alles, was da iſt, wegmaͤhet und zerſtoͤrt. Wennaber19aber die Lehrer ſich auf eine ſo niedrige und laͤcher - liche Art ausdruͤcken, was kann man denn von ihren Schuͤlern ſich verſprechen?
Aber laſſen Sie uns von den niedern Schulen auf die Univerſitaͤten uͤbergehen, und ſie gleichfalls un - partheyiſch unterſuchen. Ein Fehler, der mir ſogleich in die Augen faͤllt, iſt, daß man gar keine allgemeine Methode hat, die Wiſſenſchaften zu lehren. Jeder Profeſſor macht ſich ſelbſt ſeine eigne. Meiner Mey - nung nach aber giebt es nur eine gute Methode, an die man ſich halten ſollte. Aber wie verfaͤhrt man hier - inn itzt? Ein Profeſſor der Rechte, z. E. hat einige Lieblinge unter den beruͤhmten Rechtsgelehrten, und er - klaͤrt nur dieſer ihre Meynungen: er haͤlt ſich allein an ihre Schriften, ohne ſich um das zu bekuͤmmern, was andre Schriftſteller uͤber das Recht geſchrieben haben; er erhebt die Wuͤrde ſeiner Wiſſenſchaft, um ſeine Kenntniſſe zu zeigen; er bemuͤht ſich mit Fleiß dunkel in ſeinen Vorleſungen zu ſeyn, um fuͤr ein Orakel ge - halten zu werden; er erklaͤrt die Geſetze von Memphis, wenn von dem Herkommen des Stifts Oſnabruͤckdie Rede iſt; und er verbreitet ſich uͤber die Geſetze des Minos, wenn er einen kuͤnftigen Beyſitzer der Gerich - te von St. Gallenbilden ſoll.
Der Lehrer der Weltweisheit hat gewoͤhnlich auch ſein Lieblingsſyſtem, an das er ſich nur allein haͤlt. Seine Schuͤler verlaſſen ſeine Hoͤrſaͤle mit noch mehrB 2Vor20Vorurtheilen im Kopf, als ſie hineinbrachten; ſie ha - ben nur einen kleinen Theil menſchlicher Meynungen durchgelaufen, und kennen noch lange nicht alles Ir - rige und Abgeſchmackte derſelben.
Ich habe bey mir ſelbſt die Frage noch nicht ent - ſcheiden koͤnnen, ob die Medicin eine Kunſt ſey oder nicht? Aber ich bin feſt uͤberzeugt, daß kein Menſch in der Welt das Vermoͤgen habe, einen Magen, Lun - ge oder Niere neu zu machen, wenn dieſe fuͤr das menſchliche Leben weſentliche Theile einmal verletzt ſind; und ich rathe meinen Freunden ſehr, wenn ſie krank ſind, ihre Zuflucht zu einem Arzt zu nehmen, der ſchon mehr als einen Kirchhoff angefuͤllt hat, und nicht zu einem jungen Schuͤler von Hoffmannoder Boerhave, der noch nicht Gelegenheit gehabt, irgend einen Menſchen zu toͤdten.
An den Lehrern der Geometrie habe ich gar nichts zu tadeln. Dieſe Wiſſenſchaft allein hat niemals Sek - ten gehabt; ſie iſt auf die Analyſis, die Syntheſis und den Calkul gegruͤndet; ſie beſchaͤftigt ſich nur mit ganz unwiderſprechlichen Wahrheiten, und die Methode, ſie zu lehren, iſt in allen Laͤndern dieſelbe.
Auch in Abſicht der Theologie will ich ein ehrer - bietiges Stillſchweigen beobachten. Man ſagt, ſie ſey eine goͤttliche Wiſſenſchaft, in deren Heiligthum ſich die Layen nicht wagen duͤrfen.
Aber21Aber gegen die Herren Profeſſoren der Geſchich - te, glaube ich etwas weniger Behutſamkeit beobachten zu duͤrfen; und es wird mir erlaubt ſeyn, ihrer Pruͤ - fung einige kleine Zweifel vorzulegen. Ich neh - me mir alſo die Freyheit, ſie zu fragen: Ob das Studium der Chronologie der nuͤtzlichſte Theil der Geſchichte? und ob es ein unverzeilicher Fehler ſey, im Todesjahr des Belus, oder in Abſicht des Tages zu irren, da das Pferd des Dariusdurch ſein wiehern, ſeinen Herrn auf den Thron von Perſienbrachte? Ob ſo viel darauf ankomme, zu wiſſen, ob die goldne Bulle um ſechs Uhr Morgens, oder um vier Uhr Nach - mittags publicirt ſey? Was mich betrifft, ſo begnuͤge ich mich den Inhalt der goldnen Bulle, und dieſes zu wiſſen, daß ſie im Jahr 1356. bekannt gemacht worden. Ich will hiemit gar nicht die Geſchichtſchreiber entſchul - digen, welche Anachroniſmen begehen. Indeß wuͤrde ich kleine Verſehen dieſer Art mit mehr Nachſicht be - urtheilen, als die weit wichtigern Fehler, wenn ein Ge - ſchichtſchreiber die Begebenheiten verwirrt erzaͤhlt wenn er ihre Urſachen nicht mit Deutlichkeit entwickelt, wenn er keine gute Methode beobachtet, wenn er ſich lang bey Kleinigkeiten aufhaͤlt, und uͤber die wichtig - ſten Gegenſtaͤnde leicht wegeilt. Ich denke ohngefehr eben ſo uͤber die Genealogie, und glaube nicht, daß man einen Gelehrten ſteinigen muͤſſe, weil er etwa die Genealogie der heil. Helena, Mutter Kaiſer Conſtan -B 3tins22tins,oder der Hildegard, der Gemahlinn oder Mai - treſſe Carl des Großen,nicht genau auseinander zu ſetzen weiß. Der Lehrer der Geſchichte muß nur das lehren, was zu wiſſen noͤthig iſt, und das uͤbrige uͤbergehn. Vielleicht finden Sie meine Kritik zu ſtrenge? „ Nichts, werden Sie ſagen, „ iſt hienieden in unſrer Welt „ ganz vollkommen, und unſre Sprache, unſre Schu - „ len und Univerſitaͤten haben alſo das Recht, es auch „ nicht zu ſeyn. Die Kritik; koͤnnten Sie hinzuſetzen, „ iſt eine leichte Sache, aber die Kunſt iſt ſchwer; man „ muͤſſe ſich nicht begnuͤgen, blos die Fehler anzuzeigen, „ ſondern auch die Regeln, die man befolgen ſollte, um „ es beſſer zu machen, angeben. “ Ich geſtehe die Rich - tigkeit Ihrer Forderung ein, m. H. und bin ganz ge - neigt Sie zu befriedigen. Eben die Mittel, duͤnkt mich, durch welche andre Nationen zur Vollkommen - heit gelangt ſind, haben wir auch, und es kaͤme nur darauf an, ſie anzuwenden. Ich habe ſchon ſeit vieler Zeit in meinen muͤßigen Stunden dieſe Materien durch - gedacht; ſie ſind mir alſo gegenwaͤrtig genug, daß ich ſie hier auseinanderſetzen und Ihrem erleuchtetem Ur - theil vorlegen kann; es verſteht ſich von ſelbſt, daß ich keinen Anſpruch darauf mache, in meinen Grundſaͤtzen unfehlbar zu ſeyn.
Laſſen Sie uns wieder bey der deutſchen Sprache anfangen, die nach meiner Beſchuldigung, verwirrt und ſchwer zu bearbeiten iſt, wenig Wohllaut hat, undauch23auch nicht reich an Metaphern iſt, die doch nothwendig ſind, um neue Wendungen und Anmuth in ausgebildete Sprachen zu bringen. Wir werden den Weg, auf dem wir dieſe Fehler verbeſſern koͤnnen, am beſten aus - findig machen, wenn wir demjenigen nachgehen, auf dem unſre Nachbarn zu dem Grade der Vollkommen - heit gelangt ſind, den wir noch zu erreichen ſuchen. In Italienredte man zur Zeit Carl des Großen, noch einen barbariſchen Miſchmaſch von Sprache, der aus Worten, die man von den Gothen und Longobarden entlehnt hatte, zuſammengeſetzt, und mit lateiniſchen Phraſen gemiſcht war, die fuͤr die Ohren von Ciceround Virgilganz unverſtaͤndlich wuͤrden geweſen ſeyn. Indeß blieb dieſe Sprache in der Unvollkommen - heit waͤhrend der Folge barbariſcher Jahrhunderte. Erſt lange nachher erſchien Dante; ſeine Verſe be - zauberten die Leſer, und die Italiaͤner fiengen nun an zu glauben, daß ihre Sprache doch vielleicht wuͤrdig ſeyn duͤrfte, auf die der Ueberwinder der Welt zu fol - gen. Endlich kurz vor und waͤhrend der Wiederherſtel - lung der Wiſſenſchaften bluͤhten Petrarka, Arioſt, Sannazarund der Cardinal Bembo. Das Genie dieſer beruͤhmten Maͤnner hat vornehmlich der italiaͤ - niſchen Sprache ihre bleibende Geſtalt gegeben. Zu gleicher Zeit bildete ſich die Akademie della Cruſca, die fuͤr die Erhaltung, ſo wie fuͤr die Reinigkeit des Styls, ſorgte.
B 4Ich24Ich gehe itzt nach Frankreichuͤber, und finde am Hofe Franz I.eine eben ſo mißtoͤnende und unbeſtimm - te Sprache, als itzt unſre deutſche ſeyn kann. Die Verehrer von Marot, Rabelaisund Montagnemoͤgen es mir verzeihn, wenn ich bekenne, daß ich bey den gro - ben und ohne alle Anmuth geſchriebenen Werken jener Schriftſteller nur Langeweile und Widerwillen empfun - den habe. Nach ihnen, waͤhrend der Regierung Hein - rich IV.erſchien Malherbe. Er war Frankreichs er - ſter Dichter, oder vielmehr, um genauer zu reden, er - war als Versmacher weniger fehlerhaft, als ſeine Vor - gaͤnger. Um zu beweiſen, wie wenig er die Vollkom - menheit in ſeiner Kunſt erreicht hatte, darf ich Ihrer Erinnerung nur folgende Stelle aus einer ſeiner Oden zuruͤckrufen:
Prends ta foudre, Louis, et va comme un Lion, Donner le dernier coup à la derniere tête de la rebellion. (Ergreif deinen Donner, Ludwig, und, wie ein Loͤwe, verſetze dem letzten Haupt der Rebellion, den letzten Schlag.)
Hat man wohl jemals einen Loͤwen mit einem Donner bewaffnet geſehn? Die Fabel giebt ihn in die Haͤnde des Oberſten der Goͤtter, ſie bewaffnet auch wohl ſeinen Begleiter, den Adler, damit; aber nie hat der Loͤwe dieſes Attribut gehabt. Doch laſſen Sie uns den Mal - herbe mit ſeinen unſchicklichen Gleichniſſen verlaſſen,und25und zu den Corneille, den Racine, den Deſpreaux, den Boſſuets, den Fleſchiers, den Paſcals, den Fene - lons, den Bourſaults, den Vaugelasuͤbergehn. Die - ſe ſind die wahren Vaͤter der franzoͤſiſchen Sprache. Sie haben den Styl gebildet, den Gebrauch der Woͤrter feſt - geſetzt, die Perioden harmoniſch gemacht, und dem bar - bariſchen und mißtoͤnenden Dialekt ihrer Vorfahren, Kraft und Energie gegeben. Man nahm die Werke dieſer ſchoͤnen Geiſter mit groͤſter Begierde und Bey - fall auf. Was gefaͤllt, wird leicht im Gedaͤchtniß be - halten. Wer Talent fuͤr die Wiſſenſchaften hatte, ahmte ſie nach. Der Styl und Geſchmack dieſer groſ - ſen Maͤnner theilte ſich nachher der ganzen Nation mit. Erlauben Sie mir hier im Vorbeygehn noch die An - merkung zu machen, daß in Griechenland, in Italienund in Frankreichdie Poeten allemal die erſten waren, welche ihre Sprache biegſam und harmoniſch, und da - durch auch zur Bearbeitung der Schriftſteller, welche nach ihnen in Proſa ſchrieben, faͤhiger machten.
Gehe ich nach Englanduͤber, ſo finde ich dort eben das Gemaͤhlde, wie das von Frankreichund Italien. Dieſes Land wurde zuerſt von den Roͤmern, dann von den Angelſachſen, den Daͤnen, und endlich von Wil - helm dem Eroberer, Herzog der Normandie,erobert. Aus der Vermiſchung der Sprachen aller dieſer ver - ſchiedenen Sieger, zu denen noch die Sprache der Be - ſiegten hinzukam, welche noch itzt im Fuͤrſtenthum Wal -B 5lis26lisgeredt wird, entſtand das heutige Engliſche. Ich darf Ihnen nicht ſagen, daß waͤhrend der barbariſchen Jahrhunderte dieſe Sprache wenigſtens eben ſo roh und ungebildet war, als die, von denen ich Ihnen ge - redet habe. Die Wiederauflebung der Wiſſenſchaf - ten hatte bey allen Nationen dieſelben Wirkungen. Europader dicken Unwiſſenheit muͤde, mit der es ſo viele Jahrhunderte bedeckt geweſen war, wollte ſich itzt auf - klaͤren. Auch England, das immer eiferſuͤchtig auf Frankreichwar, wollte ſelbſt gute Schriftſteller her - vorbringen. Und da man, um zu ſchreiben, eine Sprache haben muß, in der ſich ſchreiben laͤßt, ſo fieng man mit der Verbeſſerung der Sprache an. Um die - ſelbe zu beſchleunigen, nahm man aus dem Lateiniſchen, Franzoͤſiſchen und Italiaͤniſchen alle Worte an, die man noͤthig zu haben glaubte. Die engliſche Nation hatte auch wirklich beruͤhmte Schriftſteller, die aber nicht im Stande waren, die ſcharfen Toͤne ihrer Spra - che, welche die Ohren der Fremden ſo ſehr beleidigen, ſanft zu machen. Alle andre Sprachen verliehren, wenn man ſie uͤberſetzt; die engliſche allein gewinnt dabey. Ich erinnere mich hiebey einer Antwort, die ich einmal einen Gelehrten, auf die Frage geben hoͤrte: Welcher Sprache ſich die Schlange bedient habe, als ſie unſre erſte Mutter verfuͤhrte? Der engliſchen, ant - wortete jener, denn die Schlange ziſcht. Nehmen Sie dieſen Einfall nach ſeinem Werthe.
Nachdem27Nachdem ich Ihnen nun gezeigt habe, wie andre Nationen verfuhren, als ſie ihre Sprache bildeten und vollkommner machten; ſo werden Sie von ſelbſt ſchlieſ - ſen, daß es uns eben ſo gut gelingen werde, wie ihnen, wenn wir nur dieſelben Mittel anwenden. Wir muͤſ - ſen große Redner und große Dichter haben, die uns dieſe Dienſte thun, welche ſie unſern Nachbarn geleiſtet haben, und die wir nicht von unſern Philoſophen er - warten duͤrfen. Dieſer ihr Geſchaͤft iſt, Irthuͤmer auszurotten und neue Wahrheiten zu entdecken. Aber Dichter und Redner muͤſſen uns durch ihre Harmonie bezaubern, uns ruͤhren und uͤberreden. Da man aber nicht befehlen kann, daß Genies zu beſtimmten Stun - den geboren werden ſollen; ſo wollen wir ſehen, ob wir nicht bis dahin, daß dieſe Genies unter uns erſcheinen werden, unterdeß einige Mittel gebrauchen koͤnnen, un - ſre Fortſchritte zu beſchleunigen. Um unſern Styl ge - drungner zu machen, ſollten wir die unnuͤtzen Paren - theſen wegwerfen, um Energie zu bekommen, ſollten wir die alten Schriftſteller uͤberſetzen, die ſich mit der meiſten Staͤrke und Anmuth ausgedruͤckt haben. Von den Griechen waͤren beſonders Thucydides, Xenophon, die Poetik des Ariſtoteles, das Handbuch des Epictets, die Gedanken des Marc Aurels, gute Muſter. Be - ſonders ſollte man ſich auch bemuͤhen, die Staͤrke des Demoſthenesin unſre Sprache gut uͤberzutragen. Von den Lateinern wuͤrde ich vorzuͤglich die Commen -tarien28tarien des Caͤſars, den Salluſt, Tacitus, und die Ar - tem poeticam des Horaz; von den Franzoſen aber die Penſées de Rochefoucault, die Lettres Perſanes, den Eſprit des Loix empfehlen. Die Schriften, welche ich hier vorſchlage, ſind in einem kurzen, ſententioͤſen Styl geſchrieben, werden alſo ihre Ueberſetzer zwin - gen, muͤſſige Phraſen und unnuͤtze Worte zu meiden. Unſre Schriftſteller werden allen ihren Scharfſinn an - wenden muͤſſen, um ihre Ideen gedraͤngt und kurz zu - ſammen zu ziehn, und dadurch ihrer Ueberſetzung eben die Staͤrke zu geben, die man in den Originalen be - wundert. Doch muͤſſen ſie bey ihrer Bemuͤhung, mit Energie zu ſchreiben, ſich auch wohl huͤten, daß ſie nicht dunkel werden. Immer muͤſſen ſie ſich erinnern, daß Deutlichkeit die erſte Pflicht jedes Schriftſtellers ſey; ſich daher nie von den Vorſchriften der Grammatik ent - fernen, ſondern die Worte, welche die Phraſen regie - ren, ſo ſtellen, daß niemals eine Zweydeutigkeit dar - aus entſtehn koͤnne. Ueberſetzungen dieſer Art wuͤrden dann die Muſter ſeyn, nach welchen unſre Schriftſtel - ler bey ihren eignen Arbeiten ſich bilden koͤnnten. Als - dann duͤrften wir uns ſchmeicheln, die Vorſchrift be - folgt zu haben, welche Horatzin ſeiner Arte poetica den Schriftſtellern giebt: Tot verba, tot pondera.
Eine noch weit ſchwerere Bemuͤhung aber wuͤrde es ſeyn, die harten Toͤne ſanfter zu machen, die wir noch ſo haͤufig in unſrer Sprache antreffen. Die Vo -kale29kale ſchmeicheln dem Ohr, aber zu viele Conſonanten hintereinander beleidigen es, weil ſie ſchwer auszuſpre - chen ſind, und gar keinen Wohlklang haben. Auch haben wir unter unſern Huͤlfs - und Zeitwoͤrtern viele, deren letzte Sylben faſt gar nicht gehoͤrt werden, und dadurch ſehr unangenehm ſind, als ſagen, geben, neh - men. Man darf dieſen Worten nur noch am Ende ein a hinzuſetzen, und ſie in ſagena, gebena, nehme - na verwandeln, ſo werden ſie unſerm Ohre gefallen. Aber ich weiß ſehr wohl, wenn auch der Kaiſer ſelbſt mit ſeinen acht Churfuͤrſten auf einem feyerlichen Reichstage durch ein Geſetz dieſe Ausſprache anbefoͤh - le; ſo wuͤrden doch die eifrigen Verehrer des aͤchten alten Deutſchen ſich an dieſe Geſetze gar nicht gebun - den halten, ſondern allenthalben in ſchoͤnem Latein ausruffen: Caeſarnon eſt ſuper Grammaticos, und das Volk, das in allen Laͤndern uͤber die Sprachen entſchei - det, wuͤrde immer fortfahren, ſagen und geben aus - zuſprechen. Die Franzoſen haben durch ihre Aus - ſprache viele Worte ſanfter gemacht, die ſonſt das Ohr beleidigten, und die den Kaiſer Julianveranlaßten, zu ſagen: Daß die Gallier, wie die Kraͤhen kraͤchzten. Worte der Art, wie man ſie ſonſt ausſprach, ſind, cro-jo-yent, voi-yai-yent. Itzt ſagt man croyent, voyent. Wenn dieſe Worte ſchon nicht dem Ohr ſchmeicheln, ſo ſind ſie doch nicht ſo unangenehm mehr. Mit gewiſſen Worten, duͤnkt mich, koͤnnten wir ebenſo30ſo verfahren. Noch einen Fehler darf ich nicht uͤber - gehen, ich meyne den, daß unſre Schriftſteller oft nie - drige und triviale Vergleichungen aus der Sprache des Poͤbels entlehnen. Ein gewiſſer Dichter, z. E. bediente ſich in ſeiner Zueignungsſchrift an einen Maͤ - cenaten folgenden Ausdrucks: Schieß, großer Goͤn - ner, ſchieß deine Strahlen Armdick auf deinen Knecht hernieder. Was halten Sie von dieſen arm - dicken Strahlen? Haͤtte man nicht dem Dichter ſagen ſollen - „ Mein Freund, lerne denken, ehe du dich mit „ dem Schreiben abgiebſt. “ Bey dieſen Maͤngeln un - ſrer Litteratur, daͤchte ich alſo, wir ahmten nicht die Armen nach, die gern fuͤr reich gehalten ſeyn moͤchten; und wir thaͤten beſſer, ganz aufrichtig unſre Duͤrftig - keit zugeſtehn. Der Gedanke an dieſelbe muß uns Muth einfloͤßen, durch unermuͤdete Arbeit die Schaͤtze der Litteratur auch fuͤr uns zu erwerben. Ihr Beſitz fehlt nur noch, um den Ruhm unſrer Nation ganz vollkommen zu machen.
Nachdem ich Ihnen nunmehr gezeigt, wie man unſre Sprache bilden koͤnnte; ſo erbitte ich mir nur noch Ihre Aufmerkſamkeit, wegen der Maaßregeln, die man nehmen muͤßte, um den Kreiß unſrer Kenntniſſe zu er - weitern, die Erwerbung derſelben leichter und nuͤtz - licher zu machen, und dabey zugleich den Geſchmack der Jugend zu bilden. Ich ſchlage alſo zuerſt vor, daß man mit mehr Ueberlegung die Rectoren waͤhlen moͤge,denen31denen man die Schulen anvertrauet, und daß man ihnen eine verſtaͤndige und gute Methode vorſchreibe, die ſie beym Unterricht der Grammatik, der Dialektik und der Rhetorik beobachten muͤßten; daß man kleine unterſcheidende Belohnungen fuͤr die Schuͤler, die ſich hervorthun, und leichte Strafen fuͤr die Nachlaͤßigen einfuͤhrte. Wolfs Logik iſt, meiner Meynung nach, die beſte und deutlichſte von allen. Alle Rektoren ſoll - ten ſich alſo bey ihrem Unterricht derſelben bedienen, da auch die von Batteuxnicht uͤberſetzt iſt, und jene nicht uͤbertrifft. In Abſicht der Rhetorik ſollte man ſich blos an Quinctilianhalten. Wer ihn ſtudirt, und nicht zur Beredſamkeit gelangt, wird ſie ſicher nie - mals lernen. Der Styl dieſes Werks iſt hell und deutlich, er enthaͤlt alle Vorſchriften und Regeln der Kunſt. Bey dieſem Unterricht aber muͤſſen die Lehrer nie verſaͤumen, die eignen Verſuche der Schuͤler ſorg - faͤltig zu pruͤfen, ſich nicht begnuͤgen, ihre Fehler zu verbeſſern, ſondern ihnen auch die Gruͤnde entwickeln, warum die Verbeſſerung noͤthig ſey? auch die Stellen loben, die ſie gut gemacht haben.
Wenn die Lehrer die Methode, welche ich hier vorſchlage, befolgen, ſo werden ſie die Keime von Ta - lenten entwickeln, welche die Natur geſaͤet hat; ſie werden die Urtheilskraft ihrer Schuͤler bilden, wenn ſie dieſelben gewoͤhnen, nie ohne Kenntniß der Sache zu entſcheiden; aus Vorderſaͤtzen allemal richtige Fol -gerungen32gerungen zu ziehen. Die Rhetorik wird dann ihren Geiſt methodiſch machen, ſie werden die Kunſt lernen, ihre Ideen zu ordnen, ſie zu verbinden, eine an die an - dre zu knuͤpfen, auch gluͤckliche, unmerkliche und na - tuͤrliche Uebergaͤnge von einer zur andern zu finden. Sie werden ihren Styl allemal dem Gegenſtande an - gemeſſen einrichten, nur an ſchicklichen Orten Figuren gebrauchen, ſowohl um die Monotonie des Styls zu unterbrechen, als auch Blumen uͤber die Stellen auszu - ſtreuen, die derſelben faͤhig ſind. Sie werden ſich be - ſonders vor dem Fehler huͤten, zwey Metaphern mitein - ander zu verwirren, welches den Sinn nothwendig dunkel und zweydeutig machen muß. Noch wird die Rhetorik ſie lehren, eine Auswahl von Worten zu ma - chen, wie ſie ſich fuͤr das Auditorium ſchickt, an das ſie gerichtet ſind. Sie werden lernen, wie ſie die Gemuͤ - ther einnehmen, wie ſie gefallen, ruͤhren, Unwillen oder Mitleiden erregen, uͤberreden, und alle Stimmen ge - winnen koͤnnen. Sie werden dann empfinden, wie goͤttlich die Kunſt ſey, mit der man blos durch den ge - ſchickten Gebrauch der Worte, ohne Gewalt und Zwang, die Seelen und Herzen beherrſchen, und in einer zahl - reichen Verſammlung die Leidenſchaften erregen kann, von denen man ſie eingenommen wiſſen will.
Waͤren die guten Schriftſteller der Alten und Nachbarn einmal uͤberſetzt, ſo wuͤrde ich ihre Lektuͤre als eine nothwendige und hoͤchſt wichtige Sache em -pfehlen.33pfohlen. Zur Bildung in der Logik giebt es keine beſ - ſere Buͤcher, als Baylens Gedanken uͤber die Co - meten, und ſeinen Commentar uͤber die Worte: Noͤ - thige ſie hereinzugehn. Nach meiner Einſicht iſt Bayleder erſte Dialektiker, den Europaje gehabt hat. Er raiſonnirt nicht nur mit Staͤrke und Praͤciſion; ſon - dern ſein Hauptvorzug beſteht beſonders darinn, daß er immer mit einem Blick alles uͤberſieht, was nur ir - gend an einem Gegenſtande geſehen werden kann; nichts entgeht ihm, nicht die ſchwache, nicht die ſtarke Seite. Er weiß ſogleich, wie ein Satz behauptet wer - den, und wie man die Einwuͤrfe derer, die ihn angreif - fen moͤchten, wiederlegen muͤſſe. In ſeinem großen Dictionaire tadelt er den Ovidwegen ſeiner Erklaͤrung vom Chaos; die Artikel uͤber die Manichaͤer, den Zoroa - ſter, den Epikurund ſo viele andre, ſind vortreflich. Alle verdienen geleſen und ſtudirt zu werden. Es wuͤr - de ein unſchaͤtzbarer Vortheil fuͤr junge Leute ſeyn, wenn ſie die Staͤrke des Raiſonnements und den aus - nehmenden Scharfſinn dieſes großen Mannes ſich ganz eigen machten.
Sie errathen ſchon von ſelbſt, welche Schriftſteller ich beſonders denen empfehlen werde, die ſich vorzuͤg - lich auf die Beredſamkeit legen wollen. Damit ſie den Grazien opfern lernen, wuͤrde ich ihnen rathen, die großen Dichter Homerund Virgilzu leſen, und eini - ge der auserleſenſten Oden vom Horatz, einige LiederCvom34vom Anakreondamit zu verbinden. Um ihren Ge - ſchmack fuͤr die große Beredſamkeit zu bilden, wuͤrde ich ihnen den Demoſthenesund Ciceroin die Haͤnde geben. Man bemerke ihnen die Verſchiedenheit des Verdienſts dieſer beyden großen Redner. Bey dem erſten darf man nichts zuſetzen, bey dem andern nichts wegnehmen. Denn muͤßte die Lektuͤre der beſten Lei - chenreden des Boſſuetund Flechiers, der franzoͤſiſchen Demoſthenesund Cicero, und der Faſtenpredigten des Maſſilonfolgen, welche voll von Zuͤgen der er - habenſten Beredſamkeit ſind. Um zu lernen, wie man in der Geſchichte ſchreiben muͤſſe, wuͤrde ich den Li - vius, Salluſtiusund Tacitusempfehlen. Man muͤßte die erhabene Schreibart und die Schoͤnheit der Erzaͤh - lung dieſer großen Schriftſteller den jungen Leſern recht entwickeln, dabey aber auch die Leichtglaͤubigkeit des Liviustadeln, der allemal am Ende jedes Jahrs ein Verzeichniß von Wundern auffuͤhrt, deren immer eines laͤcherlicher iſt, als das andre. Nachher konnte man mit den jungen Leuten die Hiſtoire univerſelle von Boſſuerund die Revolutions romaines von Vertotdurchlaufen, und auch noch die Einleitung von Robert - ſons Geſchichte Carl V.hinzuſetzen. Dieſe Werke wuͤrden ihren Geſchmack bilden, und ihnen lehren, wie man ſchreiben muͤſſe. Hat aber ein Rektor ſelbſt kei - ne Kenntniſſe; ſo wird er ſich begnuͤgen zu ſagen: Hier hat Demoſthenesein ſehr ſtarkes redneriſchesArgu -35Argument gebraucht; da, und im groͤſten Theil ſeiner Rede bedient er ſich des Enthymema; da iſt eine Apoſtrophe; da eine Proſopopeia; da eine Me - tapher; hier eine Hyperbel. Dies alles iſt recht gut, aber wenn der Lehrer die Schoͤnheiten ſeines Schriftſtellers nicht beſſer zu entwickeln, und auch die Fehler (welche doch den groͤſten Rednern entwiſchen) zu bemerken weiß; ſo erfuͤllt er ſeine Pflicht nicht ganz. Ich dringe auf alles dieſes ſo ſehr, weil ich wuͤnſchte, daß unſre Juͤnglinge die Schulen mit deutlichen und beſtimmten Ideen verlaſſen moͤchten, und daß die Leh - rer ſich nicht begnuͤgten, ihr Gedaͤchtniß anzufuͤllen, ſondern vornehmlich ihre Urtheilskraft zu bilden ſuch - ten, damit ſie das Gute von dem Schlechten unterſchei - den lernen, und nicht blos ſagen, dies gefaͤllt mir nicht, ſondern auch Gruͤnde angeben koͤnnen, warum ſie etwas billigen oder verwerfen.
Um ſich zu uͤberzeugen, wie wenig Geſchmack noch bis itzt in Deutſchlandherrſche, duͤrfen Sie nur unſre oͤffent - lichen Schauſpiele beſuchen. Sie finden daſelbſt die ab - ſcheulichen Stuͤcke von Shakeſpearaufgefuͤhrt, die man in unſre Sprache uͤberſetzt hat. Die ganze Verſamm - lung findet ein ausnehmendes[Vergnuͤgen daran], dieſe laͤcherlichen Farcen anzuſehn, die nur wuͤrdig waͤren, vor den Wilden von Canadageſpielt zu werden. Ich[be - urtheile] dieſe Stuͤcke ſo hart, weil ſie wider alle Regeln des Schauſpiels ſuͤndigen. Dieſe Regeln ſind nichtC 2will -36willkuͤhrlich. Sie finden dieſelbe in der Poetik des Ari - ſtoteles, wo die drey Einheiten der Zeit, des Orts und der Handlung, als die einzigen und wahren Mittel vorgeſchrieben ſind, die Tragoͤdien intereſſant zu machen. In den Stuͤcken jenes engliſchen Schrift - ſtellers aber geht die Handlung ganze Jahre fort. Wo bleibt hier die Wahrſcheinlichkeit? Bald erſcheinen in denſelben Laſttraͤger oder Todtengraͤber und reden, wie es ſich fuͤr ſie ſchickt. Dann kommen Koͤniginnen und Prinzen. Wie iſt es moͤglich, daß ein ſo wunderliches Gemiſch von Großem und Niedrigem, vom Tragiſchen und Harlequinspoſſen gefallen und ruͤhren koͤnne? Dem Shakeſpearkann man indeß ſeine ſonderbare Ausſchweifungen wohl verzeihen; denn er lebte zu ei - ner Zeit, da die Wiſſenſchaften in Englanderſt gebo - ren wurden, und man alſo noch keine Reife von denſel - ben erwarten konnte. Aber erſt vor einigen Jahren iſt ein Goͤtz von Berlichingenauf unſerm Theater er - ſchienen, eine abſcheuliche Nachahmung jener ſchlechten engliſchen Stuͤcke: und doch bewilligt unſer Publikum dieſem eckelhaften Gewaͤſche ſeinen lauten Beyfall, und verlangt mit Eifer ihre oͤftere Widerholung. Ich weiß, daß man uͤber den Geſchmack nicht ſtreiten darf; indeß werden Sie mir doch erlauben zu ſagen, daß die - jenigen, welche gleiches Vergnuͤgen daran finden, Seil - taͤnzer und Marionetten oder die Tragoͤdien des Raci - nezu ſehn, nur ihre Zeit zu verbringen ſuchen. Siewollen37wollen lieber, daß man zu ihren Augen als zu ihrem Verſtande rede, und ſie ziehen ein bloßes Schauſpiel dem vor, was das Herz ruͤhrt.
Aber laſſen Sie uns wieder zu unſerm Gegen - ſtande zuruͤckkommen. Ich habe Ihnen bisher von den niedern Schulen geredet, und werde nun eben ſo frey uͤber die Univerſitaͤten urtheilen, Ihnen ſolche Ver - beſſerungen vorſchlagen, die Denjenigen, welche ſich die Muͤhe geben wollen, uͤber die Sache gruͤndlich nach - zudenken, die nuͤtzlichſten und vortheilhafteſten ſcheinen werden. Man darf nicht glauben, daß die Methode, nach welcher die Profeſſoren die Wiſſenſchaften lehren, gleichguͤltig ſey. Iſt in derſelben nicht Deutlichkeit und Beſtimmtheit, ſo iſt alle uͤbrige Muͤhe vergebens. Aber die meiſten Profeſſoren haben den Plan ihrer Vorleſun - gen einmal entworfen, und halten ſich allein daran. Ob er gut oder ſchlecht ſey, darum[bekuͤmmert] ſich nie - mand. Man ſieht auch, wie wenig Vortheil bey die - ſer Art des Studirens herauskoͤmmt, und wie wenige junge Leute von dieſen Vorleſungen ſo viel Kenntniſſe als ſie ſollten, zuruͤckbringen. Nach meiner Idee muͤß - te man alſo jedem Profeſſor genau die Regeln vor - ſchreiben, die er bey ſeinen Vorleſungen zu befolgen haͤtte. Ich will verſuchen, dieſe Regeln in einem kurzen Ent - wurfe anzugeben. Den Geometer und den Theolo - gen uͤbergehe ich ganz, weil die Evidenz des erſtern gar keiner Zuſaͤtze mehr faͤhig iſt, und man die einmal an -C 3genom -38genommenen Meynungen des andern nicht angreifen darf. Ich wende mich alſo ſogleich zum Philoſophen. Ich verlange, daß er ſeine Vorleſungen mit einer ge - nauen Definition der Philoſophie anfange, daß er alsdann bis zu den entfernteſten Zeiten zuruͤckgehe, und alle die verſchiedenen Meynungen, welche die Men - ſchen gehabt und gelehrt haben, nach der Ordnung der Zeit, genau entwickele und beurtheile. Er muß, z. E. ſich nicht begnuͤgen, bloß zu ſagen, daß nach dem Sy - ſtem der Stoicker, die menſchliche Seelen, Theilchen der Gottheit ſind. So ſchoͤn und erhaben dieſe Idee auch bey dem erſten Anblick ſcheint; ſo muß unſer Profeſſor doch zeigen, wie ſie einen wahren Widerſprnch enthaͤlt, weil der Menſch, wenn er ein Theil der Gottheit waͤre, unendliche Kenntniſſe haben muͤßte, die er doch nicht hat; weil, wenn Gott in dem Menſchen waͤre, itzt der engliſche Gott mit dem franzoͤſiſchen und ſpaniſchen Krieg fuͤhren, und alſo die verſchiedenen Theile der Gott - heit ſich gegenſeitig zu zerſtoͤren ſuchen wuͤrden; weil endlich nach dieſer Lehre, die ſchaͤndlichſten Handlun - gen und alle Verbrechen, welche die Menſchen begehn, goͤttliche Werke ſeyn wuͤrden. Iſt es nicht abge - ſchmackt, ſolche abſcheuliche Meinungen anzunehmen? Sie koͤnnen eben deshalb, weil ſie ſo ungereimt ſind, nicht wahr ſeyn.
Wenn39Wenn der Lehrer zum Syſtem des Epikursuͤber - geht, ſo wird er ſich beſonders dabey aufhalten, daß dieſer Philoſoph ſeinen Goͤttern alle Empfindung ab - leugnet, welches den Begriffen von der goͤttlichen Na - tur geradezu widerſpricht. Er muß auch nicht vergeſ - ſen die Ungereimtheit des Satzes von der Bewegung der Atomen zu zeigen, und uͤberhaupt alles bemerken, was dem Raiſonnement dieſes Philoſophen an Ge - nauigkeit und richtigem Zuſammenhange fehlt. Er wird ohne Zweifel auch der acataleptiſchen oder ſcepti - ſchen Sekte erwaͤhnen, und frey geſtehen, daß ſich die Menſchen oft in der Nothwendigkeit befinden, ihr Ur - theil zuruͤck zu halten, wenn die Analogie und die Er - fahrung ihnen keinen Leitfaden darbiethen, der ſie aus dieſem Irrgarten fuͤhren kann. Wenn unſer Lehrer viele andre philoſophiſche Syſteme durchgegangen, wird er hernach zum Galileikommen, deſſen Syſtem er recht beſtimmt vortragen, und die Ungereimtheit des Betragens der roͤmiſchen Cleriſey zeigen muß, die nicht erlauben wollte, daß ſich die Erde um ihre Achſe dreh - te, daß es Menſchen gaͤbe, die Antipoden von uns waͤ - ren; und die, ſo unfehlbar ſie auch zu ſeyn glaubt, doch diesmal vor dem Richterſtuhl der geſunden Vernunft ihren Prozeß verlohr. Hierauf folgen Copernikus, Tycho de Brache, und das Wirbelſyſtem des Descar - tes. Der Profeſſor muß ſeinen Zuhoͤrern zeigen, wie unmoͤglich es ſey, daß ein angefuͤllter Raum ſich allerC 4Bewe -40Bewegung widerſetze; und er wird bis zur Evidenz beweiſen, Descartesmag ſagen, was er will, daß die Thiere keine Maſchienen ſind. Hierauf muͤßte dann ein kurzer Abriß des Syſtems von Neutonfolgen, nach welchem man den leeren Raum annehmen muß, ohne daß man beſtimmen kann, ob er eine bloße Nega - tion alles Daſeyns, oder ein Weſen ſey, uͤber deſſen Natur man durchaus keine beſtimmte Begriffe haben kann. Dieſes darf den Lehrer nicht abhalten ſein Au - ditorium zu belehren, wie vollkommen das Syſtem, das Neuton durch ſeinen Calkul auf der Studierſtube fand, mit den Phaͤnomenen uͤbereinſtimmt, die uns die Natur zeigt, und wie daher die neuere Weltweiſen ge - zwungen worden, die Schwere, die Centripetal - und Centrifugalkraft anzunehmen, verborgene und unbe - greifliche Eigenſchaften der Natur, von denen man bis auf unſre Zeiten gar keinen Begriff hatte.
Nun wird die Reihe kommen, von Leibniz, dem Syſtem der Monaden, und der vorherbeſtimmten Harmonie zu reden. Unſer Lehrer wird ohne Zweifel die Bemerkung machen, daß ſich keine Zahl ohne Ein - heit denken laſſe, und er wird daraus die Folgerung ziehen, daß die Materie zuletzt aus untrennbaren Koͤr - pern zuſammengeſetzt ſey. Er wird auch noch ſeinen Zuhoͤrern bemerken, daß ſich eine unendliche Theilbar - keit der Materie zwar wohl denken laſſe, aber daß in der Natur ſelbſt, die urſpruͤnglichen Beſtandtheile ſofein41fein ſind, daß ſie unſern Sinnen entwiſchen und man alſo nothwendig annehmen muͤſſe, daß die erſten Grund - ſtoffe der Elemente unzerſtoͤrbar ſind. Denn aus nichts kann nichts hervorgebracht werden, und nichts kann vernichtet werden. Das Syſtem der vorherbe - ſtimmten Harmonie wird unſer Weltweiſe als den Roman eines Mannes von vielem Geiſte vorſtellen, und dabey bemerken, wie die Natur allemal die kuͤrze - ſten Wege waͤhle, um ihren Zweck zu erreichen, und wie man niemals ohne Noth die Weſen vervielfaͤltigen muͤſſe. Hernach wird er zum Spinoſakommen, deſ - ſen Wiederlegung ihm nicht viel Muͤhe koſten wird, da hier eben die Gruͤnde zu gebrauchen ſind, deren man ſich gegen die Stoicker bedienet. Nichts aber wird unſerm Lehrer leichter ſeyn, als dieſes Syſtem von der Seite zu zerſtoͤren, da es die Exiſtenz Gottes leugnet; er darf nur zeigen, wie jede Sache in der Welt zu ei - nem gewiſſen Zweck beſtimmt, und auf das vollkom - menſte ſo eingerichtet iſt, dieſen Zweck zu erfuͤllen. Alles, ſogar das Wachsthum des geringſten Graß - halms, beweiſet die Gottheit. Der Menſch beſitzet einen Grad von Verſtand, den er ſich ſelbſt nicht gegeben hat, hieraus folget unwiderſprechlich, daß das Weſen, von dem er Alles hat, noch einen viel tiefern und unermeßlichern Verſtand beſitzen muͤſſe.
C 5Auch42Auch der Mallebranchemuß nicht ganz vergeſ - ſen werden. Bey der Entwickelung der Grundſaͤtze dieſes gelehrten Moͤnchs findet man bald, daß die na - tuͤrlichen Folgen derſelben, uns zu dem Syſtem der Stoicker zuruͤckfuͤhren, nemlich zu der allgemeinen Weltſeele, von der alle Weſen belebt und Theile ſind. Wenn wir alles in Gott ſehen, wenn alle unſre Em - pfindungen, unſre Gedanken, unſer Wollen und Begeh - ren unmittelbar von ſeiner intellektuellen Einwuͤrkung auf unſre Organen herruͤhren; ſo ſind wir bloße Ma - ſchienen, die durch goͤttliche Haͤnde in Bewegung ge - ſetzt werden. Die Gottheit bleibt alsdann nur allein uͤbrig und der Menſch verſchwindet ganz.
Ich traue unſerm Herrn Profeſſor zu viel Ueber - legung zu, als daß er den weiſen Lockevergeſſen ſoll - te; er iſt der einzige Metaphyſiker, der die Einbildungs - kraft der geſunden Vernunft ganz aufopfert, der nur der Erfahrung folgt, und vorſichtig ſtille ſteht, ſo bald dieſer ſichre Fuͤhrer ihn verlaͤßt. Bey der Moral wird unſer Lehrer etwas vom Sokratesſagen, dem Mar - kus AureliusGerechtigkeit wiederfahren laßen, und ſich vorzuͤglich bey dem Buch des Cicerode officiis verweilen, dem beſten, das je uͤber die Moral geſchrie - ben worden, und jemals geſchrieben werden wird.
Mit den Aerzten habe ich nur zwey Worte zu re - den. Sie muͤſſen beſonders ihre Schuͤler gewoͤhnen, die Symptomen der Krankheiten ſorgfaͤltig zu unter -ſuchen,43ſuchen, um ihre Gattungen genau zu kennen. Dieſe Symptomen ſind ein ſchneller oder ſchwacher, ein ſtar - ker oder heftiger oder unterbrochner Puls; Trockenheit der Zunge; Beſchaffenheit der Augen: die Natur der Ausduͤnſtung; und alle Arten von Abſonderungen, ſowohl durch den Urin als den Stuhlgang. Hieraus zieht der Arzt Folgen, nach denen er mit einiger Sicherheit die Art des Maraſmus beſtimmen kann, welcher die Krank - heit verurſacht, und nach dieſen Kenntniſſen waͤhlt er als - dann die ſicherſten Mittel ſie zu heilen. Der Lehrer der Arzneykunſt muß auch beſonders ſich Muͤhe geben, ſeinen Schuͤlern die ausnehmende Verſchiedenheit der Tem - peramente und die Aufmerkſamkeit, die ſie erfordern, zu zeigen. Er muß ihnen deutlich machen, wie dieſel - be Krankheit bey jedem Temperament ganz verſchieden ſich aͤuſere, und wie nothwendig es daher ſey, die Arz - neymittel auch in derſelben Krankheit auf das genaue - ſte nach der Conſtitution des Patienten, abzumeſſen. Nach allen dieſem Unterricht wage ich es doch nicht zu hoffen, daß unſere junge Aeſculape Wunder thun wer - den; aber das Publikum wird doch den Vortheil da - von haben, daß die Unwiſſenheit oder Traͤgheit der Aerzte kuͤnftig einige Buͤrger des Staats weniger toͤd - ten werden.
Um kurz zu ſeyn, uͤbergehe ich die Botanik, die Chimie und Experimental-Phyſik, und komme daher de - ſto eher zu dem Herrn Profeſſor der Rechte, der mireine44eine ſehr unfreundliche Mine zu haben ſcheint. Mein Herr, moͤchte ich zu ihm ſagen, wir leben nicht mehr in dem Jahrhunderte der Worte, ſondern der Sachen. Waͤre es Ihnen gefaͤllig, ſo wuͤnſchte ich, zum Beſten des Publikums, Sie braͤchten in Ihre hochgelahrten Vorleſungen, etwas weniger Pedantiſmus und dage - gen deſto mehr geſunde Vernunft. Sie verderben nur Ihre Zeit, wenn Sie ein Staatsrecht lehren, das nicht einmal unter Privatperſonen gilt, das von den Maͤchtigen nicht geachtet wird, und den Schwachen kei - nen Schutz giebt; oder, wenn Sie Ihre Schuͤler ganz vollſtaͤndig von den Geſetzen des Minos, des Solon, des Likurg, den zwoͤlf Tafeln, dem Juſtinianiſchen Co - dex unterrichten; und ihnen faſt gar nichts von den Geſetzen und dem Herkommen unſrer Lande ſagen. Um Sie zu beruhigen, wollen wir Ihnen gerne zugeben, daß Ihr Gehirn eine Quinteſſenz der vereinigten Ge - hirne des Bartolus und Cujacius ausmache; aber bedenken Sie doch dagegen auch, daß nichts koſtbarer als die Zeit iſt, und derjenige, der ſie mit unnuͤtzen Phraſen hinbringt, fuͤr einen Verſchwender erklaͤrt werden muͤſſe, uͤber den Sie eine Sequeſtration er - kennen wuͤrden, wenn ihm vor Ihrem Richtſtuhl der Prozeß gemacht werden ſollte. Erlauben Sie mir alſo, ſo gelehrt Sie immer ſeyn moͤgen, daß ich als ein bloßer Laye (wenn Sie mir einigen Muth machen werden,) es wage, Ihnen einen juriſtiſchen Curſinn vorzuſchlagen.
Sie45Sie fingen, daͤcht ich, mit dem Beweiſe an, daß Geſetze nothwendig ſind, weil keine Geſellſchaft ohne ſie beſtehen kann. Sie zeigten hierauf, wie es buͤrgerliche, Criminal - und bloſſe Conventionsgeſetze gebe. Die erſten dienen dazu, alle Art von Beſitz zu ſichren, als Erbſchaften, Heyrathsteuer, Leibge - dinge, Kauf - und Verkaufskontrakte, u. ſ. w. Sie enthalten die Grundſaͤtze, nach denen man die Graͤnzen beſtimmen und ſtreitige Rechte erklaͤren und entſchei - den muß. Die peinlichen Geſetze haben mehr den Zweck von den Verbrechen abzuſchrecken, als ſie zu ſtrafen. Die Strafen muͤſſen immer den Verbrechen angemeſ - ſen, und die gelindeſten, ſo oft es nur moͤglich, den haͤrteſten vorgezogen werden. Conventionsgeſetze ſind diejenigen, welche die Regierungen einfuͤhren, um die Handlung und den Fleiß ihrer Staaten zu befoͤr - dern. Die beyden erſten Gattungen der Geſetze ſind bleibend und ewig; die letztern aber ſind Veraͤnderun - gen unterworfen, weil ſo wohl innere als aͤußere Ur - ſachen die Regierungen veranlaſſen koͤnnen, einige die - ſer Geſetze abzuſchaffen und neue einzufuͤhren. Hat der Herr Profeſſor dieſe vorlaͤufigen Grundſaͤtze mit der noͤthigen Deutlichkeit vorgetragen; ſo wuͤnſchte ich, daß es ihm gefaͤllig ſeyn moͤchte, ohne den Grotiusund Puffendorffweiter um Rath zu fragen, die Geſetze des Landes, in dem er lebt, genau durchzugehen und zu entwickeln. Er muß ſich dabey ja huͤten, daß erſeinen46ſeinen Schuͤlern keinen Geſchmack an der Streitſucht beybringe, und nicht Leute aus ihnen bilde, welche die Geſchaͤfte noch mehr verwickeln, ſtatt ſie zu entwi - ckeln. Er wird ſich beſonders bemuͤhen, Richtigkeit, Deutlichkeit und Praͤciſion in ſeine Vorleſungen zu bringen. Um ſeine Zoͤglinge von fruͤher Jugend an ſelbſt an dieſe Methode zu gewoͤhnen, wird unſer Leh - rer alles anwenden, um ihnen Verachtung der Streit - ſucht beyzubringen, die uͤber alles ſophiſtiſche Erklaͤ - rungen macht, und ein unerſchoͤpfliches Repertorium von Subtilitaͤten und Chikanen zu ſeyn ſcheint.
Ich wende mich itzt an den Profeſſor der Ge - ſchichte, und ſtelle ihm zum Muſter den beruͤhmten und gelehrten Thomaſiusvor. Dieſem groſſen Mann ſich nur zu naͤhern, wird unſerm Profeſſor einen guten Ruf, ihm gleich zu werden, hohen Ruhm er - werben. Er muß ſeine Vorleſungen mit der alten Geſchichte anfangen, und mit der neuen beſchlieſſen; aber auch kein Volk vergeſſen, das in der Folge der Jahrhunderte ſich ausgezeichnet, ſo wie Boſſuetin ſeinem ſonſt ſehr ſchaͤtzbaren Buch, die Sineſer, die Ruſſen, Pohlen und den ganzen Norden uͤbergangen hat. Vorzuͤglich muß ſich unſer Lehrer mit Deutſch - landbeſchaͤftigen, weil dieſes fuͤr Deutſche das inte - reſſanteſte Land iſt.
Bey dem dunkeln und ungewiſſen Urſprung der Nation aber, muß der Lehrer ſich nicht zu lange auf -halten,47halten, weil wir zu wenig Denkmaale haben, und die Kenntniß, die man allenfals hieruͤber erwerben kann, wenig nuͤtzlich iſt. Er wird auch das neunte, zehnte, eilfte und zwoͤlfte Jahrhundert nur durchlau - fen ohne ſich dabey aufzuhalten. Im dreyzehnten wird er anfangen tiefer einzudringen, weil hier die Ge - ſchichte intereſſanter zu werden anfaͤngt. Je mehr er ſich den neuern Zeiten naͤhert, deſto mehr muß er ſich in das Detail der Begebenheiten einlaſſen, weil ſie im - mer mehr mit der Geſchichte unſrer Zeit zuſammen - haͤngen. Er muß dabey auch ein richtiges Verhaͤlt - niß beobachten, und ſich immer laͤnger bey denen Be - gebenheiten verweilen, welche Folgen gehabt, als bey denen, welche (wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf) fuͤr die Nachkommen gleichſam todt ſind. Beſonders wird der Profeſſor auch den Urſprung der Rechte, Gebraͤuche und Geſetze bemerken, und zeigen bey wel - chen Veranlaſſungen ſie im deutſchen Reiche eingefuͤhrt ſind. Er muß die Epoken angeben, da die Kaiſerl. Reichsſtaͤdte die Unmittelbarkeit erhielten; und worin ihre Privilegien beſtanden? wie der Bund der Han - ſeeſtaͤdte entſtanden? wie die Biſchoͤfe und Aebte Sou - verains wurden? Er wird endlich, ſo gut er kann, es erklaͤren, wie die Churfuͤrſten das Recht erhalten ha - ben, den Kaiſer zu waͤhlen. Auch die Verſchie - denheit der Rechtsverwaltung in dieſer Folge der Jahrhunderte, darf nicht uͤbergangen werden. Abervon48von Carl V.an muß beſonders unſer Profeſſor zeigen, daß er Beurtheilungskraft und Geſchicklichkeit be - ſitze. Von dieſem Zeitpunkt an wird alles intereſſant und denkwuͤrdig. Daher muß der Lehrer alle Muͤhe anwenden, die Urſachen der großen Begebenheiten zu entwickeln. Gleichguͤltig gegen die Perſonen, muß er das Gute und Boͤſe, wo er es findet, loben und ta - deln, wie ein jeder daſſelbe verdient. Nun kommt die Zeit der Religionsunruhen, der Lehrer der Geſchich - te muß ſie wie ein Philoſoph, beurtheilen. Hierauf folgen die Kriege, zu welchen jene Unruhen Gelegen - heit gaben, und Begebenheiten, welche mit der Wuͤr - de behandelt werden muͤſſen, die ihr großes Intereſſe erfordert. Schweden, z. E. nimmt im dreyßigjaͤhri - gen Kriege die Parthey gegen den Kaiſer. Hier muß alſo der Lehrer zeigen, was Guſtav Adolphbewog, ſich nach Deutſchlandzu begeben; und warum Frank - reichſich fuͤr Schwedenund die proteſtantiſche Sache erklaͤrte; aber er muß ſich wohl in Acht nehmen, die alten Unwahrheiten zu wiederholen, welche gar zu leichtglaͤubi - ge Geſchichtſchreiber verbreitet haben. Er wird alſo nicht ſagen, daß Guſtav Adolphvon einem deutſchen Fuͤr - ſten getoͤdtet ſey, der unter ſeiner Armee diente, weil dieſes Vorgeben durch nichts bewieſen und ganz un - wahrſcheinlich iſt. Der weſtphaͤliſche Friede verdient eine noch umſtaͤndlichere Eroͤrterung, weil er die Haupt - ſtuͤtze der deutſchen Freiheiten und ein Grundgeſetz ge -worden49worden iſt, auf welches ſich unſre heutige Verfaſſung gruͤndet, und wodurch der Ehrgeiz der Kaiſer in ſei - nen gebuͤhrenden Schranken erhalten wird. Nachher muß der Lehrer der Geſchichte, die Begebenheiten unter der Regierung der Kaiſer Leopold, Joſeph I.und Carl VI.vortragen. Dieſes Feld von ſo weitem Umfange wird ihm Gelegenheit genug geben, ſein Genie und ſeine Gelehrſamkeit zu zeigen, wenn er nur nichts Weſent - liches uͤbergeht. Hat unſer Profeſſor die Begeben - heiten jedes Jahrhunderts auf dieſe Art auseinander - geſetzt; ſo muß er auch nicht vergeſſen, von den herr - ſchenden Meynungen deſſelben, und den wackern Maͤn - nern Rechenſchaft zu geben, welche ſich durch ihre Ta - lente, ihre Entdeckungen und ihre Schriften am meiſten bekannt gemacht haben; er wird auch dabey die Auslaͤn - der nicht uͤbergehn, welche Zeitgenoſſen jener Deut - ſchen waren. Hat man auf dieſe Art die Geſchichte behandelt, daß man ein Volk nach dem andern durch - geht; ſo wuͤrde es fuͤr die Schuͤler ſehr nuͤtzlich ſeyn, wenn man nun alle Materien wieder nach der Zeitord - nung zuſammenſtellte und ſie ihnen in einem großen Gemaͤhlde zeigte. Hier iſt beſonders die chronologi - ſche Ordnung nothwendig, um nicht die Zeiten mit ein - ander zu verwechſeln, und um zu lehren, daß man je - de wichtige Begebenheit immer in die Stelle ſetzen muͤſſe, in die ſie gehoͤrt; Zeitgenoſſen neben Zeitgenoſ - ſen. Um das Gedaͤchtniß nicht zu ſehr mit Datis zuDuͤber -50laden, wuͤrde das beſte ſeyn, die wichtigſten Vorfaͤlle zu Epoken zu machen. Dieſe ſind Standpunkte fuͤr das Gedaͤchtniß, die man leicht behaͤlt, und welche ver - hindern, daß das unermeßliche[Chaos] der Geſchichte ſich nicht in dem Kopfe der jungen Leute verwirre. Ein ſolcher Curſus der Geſchichte, wie ich ihn vorſchla - ge, muß tief durchgedacht und wohl geordnet ſeyn, auch durchaus keine Kleinigkeiten enthalten. Nicht im Theatro Europaeo, nicht in der deutſchen Geſchich - te von Buͤnau muß der Geſchichtslehrer Rath ſuchen; ich wuͤrde ihn lieber auf die Hefte vom Thomaſiusverweiſen, wenn man ſie noch haben kann.
Wird die Geſchichte auf dieſe Art gelehret, ſo iſt es unſtreitig das interreſſanteſte, unterrichtendſte und nuͤtzlichſte Schauſpiel fuͤr einen jungen Menſchen, der in die Welt tritt, dieſe Reihe von Veraͤnderungen durchzugehen, die ſo oft die Geſtalt der Welt veraͤn - dert haben. Nirgend lernt man das Nichts aller menſchlichen Dinge beſſer kennen, als wenn man auf den Truͤmmern ſo vieler Reiche und maͤchtigen Staa - ten einherwandelt. Bey der unuͤberſehbaren Menge von Verbrechen, die man dem Blick des edlen Juͤng - lings vorbeyfuͤhrt, wird es ihm ein ausnehmendes Vergnuͤgen machen, doch zuweilen große und goͤttliche Seelen zu finden, die um Verzeihung fuͤr das uͤbrige verderbte Menſchengeſchlecht zu bitten ſcheinen. Hier findet er Muſter, denen er nachahmen muß. Dortſieht51ſieht er gluͤckliche Menſchen, mit Schmeichlern um - ringt; ſie fliehn, ſo bald der Tod ihren Goͤtzen beruͤhrt; die Wahrheit erſcheint dann, und die laute Stimme des oͤffentlichen Abſcheues macht den gedungenen Paͤ - negyriſten verſtummen. Ich ſchmeichle mir, daß unſer Profeſſor ſo viel Verſtand haben werde, um ſeinen Schuͤ - lern deutlich zu machen, wie eine edle Nacheiferung von einem ſtrafbaren Ehrgeitz verſchieden ſey, und daß er ſie zum Nachdenken uͤber ſo viele ſchreckliche Leiden - ſchaften anfuͤhren wird, die den maͤchtigſten Staaten das groͤſte Ungluͤck bereitet haben. Mit hundert Exem - peln kann er beweiſen, wie die guten Sitten die ſicher - ſten Mittel zur Erhaltung der Staaten ſind, und wie ihre Verderbniß, die Einfuͤhrung des Luxus, und unge - maͤßigte Liebe der Reichthuͤmer zu allen Zeiten die Vor - laͤufer ihres Falls waren.
Wenn der Profeſſor den Plan befolgt, den ich ihm vorſchlage; ſo wird er ſich nicht darauf einſchraͤn - ken, nur Begebenheiten in dem Gedaͤchtniß ſeiner Schuͤler zu haͤufen; ſondern er wird ſich bemuͤhen, ih - re Urtheilskraft zu bilden, und ihre Art zu denken, zu berichtigen, beſonders aber ihnen Liebe zur Tugend ein - zufloͤſſen, welches meiner Meinung nach, allen unver - dauten Kenntniſſen weit vorzuziehen iſt, mit denen man den Kopf eines jungen Menſchen anzufuͤllen pflegt.
D 2Der52Der Schluß von Allem, was ich Ihnen bisher vorgetragen, iſt, daß man ſich mit dem groͤßten Eifer bemuͤhen muͤßte, alle claſſiſche Autoren der alten und neuern Sprachen gut zu uͤberſetzen. Wir wuͤrden da - von den doppelten Vortheil haben, daß unſre Sprache gebildet, und die Kenntniſſe allgemeiner gemacht wuͤr - den. Wenn wir die guten Schriftſteller unter uns naturaliſirten, ſo wuͤrden ſie uns neue Ideen zufuͤhren; ihre Diction und die Anmuth ihres Styls wuͤrde uns bereichern, und wie viele wichtige Kenntniſſe wuͤrde nicht das Publikum dadurch erhalten? Ich glaube nicht, daß unter den ſechs und zwanzig Millionen Menſchen, die man Deutſchlandbeylegt, ſich hundert - tauſend befinden, welche das Latein gut verſtehn, be - ſonders wenn Sie den Haufen der Pfaffen und Moͤnche abrechnen, die es kaum ſo weit gebracht haben, die Re - geln des Syntax nur einigermaßen zu verſtehen. So ſind alſo 25,900000 Menſchen von den wichtigſten Kenntniſſen ganz ausgeſchloſſen, weil ſie dieſelben nicht in ihrer Mutterſprache bekommen koͤnnen. Welch eine gluͤckliche Veraͤnderung waͤre es alſo, wenn unter dieſer Menge von Menſchen jene Kennt - niſſe allgemeiner gemacht werden koͤnnten. Der Edel - mann, der ſein Leben auf dem Lande zubringt, wuͤrde ſich diejenigen Buͤcher auswaͤhlen, die ſich fuͤr ihn ſchick - ten, und durch ſie ſich eben ſo ſehr unterrichten als be - luſtigen. Der Buͤrger wuͤrde weniger roh werden,und53und die muͤſſigen Menſchen faͤnden im Leſen eine ſichere Zuflucht wider die Langeweile. Der Geſchmack fuͤr die Wiſſenſchaften wuͤrde allgemein werden, Anmuth und Vergnuͤgen uͤber die menſchliche Geſellſchaft ver - breiten, und eine unerſchoͤpfliche Quelle fuͤr die Con - verſation ſeyn. Aus ſolchem beſtaͤndigen gegenſeitigen Reiben der Geiſter wuͤrde der gute Geſchmack und das feine Gefuͤhl entſtehen, das mit eben ſo richtiger als geſchwinder Beurtheilung das Schoͤne empfindet, das Mittelmaͤßige verwirft und das Schlechte verachtet. Das Publikum wird alsdenn auch uͤber neue Werke des Geſchmacks mit mehr Erleuchtung urtheilen, und die Schriftſteller zwingen, ihre Werke mit groͤßerm Fleiß und mit Sorgfalt auszuarbeiten, und ſie nicht eher herauszugeben, bis ſie genau und oͤfterer gepruͤft und gefeilt ſind.
Der Gang, den ich zur Verbeſſerung unſrer Lit - teratur vorſchlage, iſt nicht aus meiner Einbildung ge - nommen; er iſt der, den alle Voͤlker, die ſich aufge - klaͤrt, gewaͤhlt haben. Jemehr der Geſchmack fuͤr die Wiſſenſchaften allgemeiner werden wird, deſto mehr Vorzuͤge und andre Vortheile werden die zu erwarten haben, die ſie mit beſonderm Fleiß cultiviren; deſto mehr wird das Beyſpiel einiger immer mehrere an - feuern. Deutſchlandhat ſchon Maͤnner genug, die zu den muͤhſamſten Unterſuchungen ganz gemacht ſind, es hat Philoſophen, Genies, und Alles, was man zuD 3ihrer54ihrer Entwicklung wuͤnſchen kann, nur ein Prometheusfehlt noch, der das goͤttliche Feuer vom Himmel hole, und ſie belebe. Eben das Land, welches den beruͤhm - ten Petrus de Vineis, den Canzler des ungluͤcklichen Kaiſers Friedrich II.und die Verfaſſer der bekannten Epiſtolarum obſcurorum virorum (die uͤber ihr Zeit - alter ſehr erhaben ſind) hervorgebracht hat; das Land, in welchem Eraſmusgeboren iſt, deſſen Lob der Narr - heit voll von Witz iſt, und noch beſſer ſeyn wuͤrde, wenn man einige zu niedrige Stellen wegnaͤhme, an denen man das Kloſter und den Geſchmack der Zeit erkennet; ein Boden, der den eben ſo weiſen als gelehrten Me - lanchton, und ſo viel andere große Maͤnner hervorge - bracht hat, iſt noch nicht erſchoͤpft, und kann noch im - mer wieder Genies erzeugen, die den genannten gleich kommen. Ich koͤnnte auch zu den angefuͤhrten noch große Namen hinzuſetzen, denn ich rechne zu den unſri - gen auch einen Copernik, deſſen Calkul das Plane - tenſyſtem und dasjenige berichtigte, was Prolomaͤusetliche tauſend Jahr vor ihm behauptet hatte. In ei - nem andern Theile Deutſchlands entdeckte ein Moͤnch durch ſeine chymiſche Proceſſe, die erſtaunenswuͤrdige Wirkungen des Ausbruchs des Pulvers. Auch war es ein Deutſcher, der die Buchdruckerey erfand, dieſe herrliche Kunſt, welche die guten Buͤcher verewiger, und das Publikum in den Stand ſetzt ſich mit gerin - gen Koſten zu unterrichten. Dem erfinderiſchen Geiſteeines55eines Otto Guerikehaben wir die Luftpumpe zu danken. Und wie koͤnnte ich den großen Leibnitzuͤbergehen, deſſen Name in ganz Europaſo beruͤhmt iſt. Hat ihn auch zuweilen die lebhafte Einbildung zu ſyſtematiſchen Traͤumen verleitet; ſo muß man doch geſtehen, daß ſelbſt ſeine Verirrungen ſeinen großen Geiſt beweiſen. Ich koͤnnte dieſe Liſte noch mit den Namen von Tho - maſius, Bilfinger, Hallerund ſehr vielen andern vergroͤſſern, wenn ich nicht beſſer faͤnde, von der neue - ſten und gegenwaͤrtigen Zeit nichts zu ſagen. Das Lob der erwaͤhnten wuͤrde die Eigenliebe der uͤbergan - genen beleidigen.
Ich ſehe voraus, daß man meinem Raiſonnement vielleicht noch einen Einwurf entgegenſetzen wird, den ich noch beantworten muß. Waͤhrend der buͤrgerlichen Kriege, ſagt man vielleicht, bluͤhte in Italien Pico von Mirandola; ich geſtehe dieſes ein, aber der Mann war auch nur ein bloßer Gelehrter. Waͤhrend daß Cromwell, (kann man mir weiter einwerfen,) die Ver - faſſung ſeines Vaterlandes umſtuͤrzte, und ſeinen Koͤ - nig auf dem Schafot hinrichten ließ, erſchien Tindalmit ſeinem Leviathan, und bald nachher Miltonmit ſeinem verlohrnen Paradieſe; ja ſchon zur Zeit der Koͤnigin Eliſabethund Jacob I.erleuchtete der Canz - ler Baconganz Europa, und wurde ein Orakel fuͤr die Philoſophie, da er die noch moͤglichen Entdeckun - gen und den Weg anzeigte, auf dem man zu ihnen ge -D 4langen56langen koͤnte. Auch in Frankreichwaren die vortref - lichſten Schriftſteller Zeitgenoſſen der blutigen Kriege unter Ludwig XIV.Warum, kann man alſo ſagen, waren unſre deutſche Kriege ſo viel fuͤrchterlicher fuͤr die Wiſſenſchaften, als bey andern Nationen? Es wird mir nicht ſchwer ſeyn hierauf zu antworten. In Italienhaben die Wiſſenſchaften nur zu der Zeit ge - bluͤhet, als Lorenz von Medicis, der Papſt Leo X.und das Haus Eſte ihnen Schutz gaben. Es fielen in dieſe Zeit einige voruͤbergehende, aber nicht zerſtoͤ - rende Kriege; und Italien, eiferſuͤchtig auf die Eh - re die Wiſſenſchaften wieder hergeſtellt zu haben, un - terſtuͤtzte ſie ſo ſehr, als es nur irgend ſeine Kraͤfte er - laubten. In Englandzielte Cromwels durch den Fa - natiſmus unterſtuͤtzte Politik, nur allein auf den Ihren; grauſam gegen ſeinen Koͤnig regierte er die Nation mit Weisheit. Daher war Englands Handel nie ſo bluͤhend als waͤhrend ſeinem Protektorat. Der Be - hemoth war auch nur eine Partheyſchrift. Das ver - lohrne Paradies von Miltoniſt unſtreitig von hoͤ - herem Werth; der Dichter deſſelben beſaß eine unge - mein ſtarke Einbildungskraft, und nahm das Sujet aus einer der religioͤſen Farcen, die zu ſeiner Zeit noch in Italiengeſpielt wurden; aber man muß beſonders bemerken, daß Englanddamals ſchon wieder ruhig und in bluͤhendem Wohlſtande war. Der Canzler Baconlebte an dem feinen und aufgeklaͤrten Hofeder57der Eliſabeth; er beſaß die durchdringenden Augen vom Adler des Jupiters, mit denen er die Wiſſenſchaf - ten durchſchauete, und die Weisheit der Minerva, um ſie zu ordnen. Bacons Genie gehoͤrt unter die ſelte - nen Phaͤnomene, die immer nur einzeln und in weiter Entfernung von einander erſcheinen, und die ihrem Jahrhundert eben ſo viel Ehre machen, als dem menſch - lichen Geſchlecht uͤberhaupt.
In Frankreichhatte RichelieusMiniſterium das ſchoͤne Jahrhundert von Ludwig XIV.ſchon von ferne bereitet. Die Wiſſenſchaften fiengen mit dem Anfang ſeiner Regierung an ſich zu verbreiten, und konnten durch den Krieg de la Fronde, der nur ein Kinderſpiel war, nicht unterbrochen werden. Ludwig XIV.begie - rig nach jeder Art von Ruhm, wollte ſeine Nation zur erſten in Abſicht des Geſchmacks und der Litteratur machen, wie ſie es durch ihre Macht, ihre Eroberun - gen, ihre Politik und Handel ſchon war. Seine ſieg - reichen Waffen drangen in die Lande ſeiner Feinde ein. Frankreichwar ſtolz uͤber das Gluͤck ſeines Monarchen, ohne die Verwuͤſtungen des Krieges zu empfinden. Ganz natuͤrlich alſo ließen die Muſen, die gern immer neben Ruhe und Ueberfluß wohnen, ſich in ſeinem Reiche nieder.
Aber ich muß Sie auf noch einen Unterſchied auf - merkſam machen, der ſich zwiſchen uns und unſern Nach - barn, die uns vorgegangen ſind, befindet. In Ita -D 5lien,58lien,in Frankreichund Englandſchrieben die erſten Gelehrten und ihre Nachfolger allemal in der Landes - ſprache. Das Publikum nahm ihre Werke mit groͤß - ter Begierde auf, und die Kenntniſſe verbreiteten ſich durch die ganze Nation. Bey uns war es hierinn ganz anders. Die Religionszaͤnkereyen lieferten uns eini - ge Streiter, welche ganz unverſtaͤndliche Materien auf eine ſehr dunkle Art unterſuchten; dieſelben Saͤtze bald behaupteten, bald beſtritten; und die Sophiſmen nur mit Schimpfworten vermengten. Unſere erſten Ge - lehrten waren, wie ſie es allenthalben geweſen, Maͤn - ner, die nur Begebenheiten in ihrem Gedaͤchtniß an - haͤuften; Pedanten ohne Beurtheilungskraft, wie die Lipſius, die Freinshemius, die Gronovius, die Graͤ - vius, welche auf eine ſehr ſchwerfaͤllige Art einige dunk - le Phraſen wieder herſtellten, die ſie in alten Manu - ſcripten fanden. Dieſes konnte bis auf einen gewiſſen Grad ganz nuͤtzlich ſeyn; aber man mußte nicht allen ſeinen Fleiß und Aufmerkſamkeit auf dergleichen un - wichtige Kleinigkeiten wenden. Und doch machte die pedantiſche Eitelkeit dieſer Herren auf den Beyfall von ganz EuropaAnſpruch; theils um ihr ſchoͤnes La - tein zu zeigen, theils um auch von fremden Pedanten bewundert zu werden, ſchrieben ſie durchaus nicht an - ders, als lateiniſch. Ihre Werke waren daher fuͤr das ganze uͤbrige Deutſchlandungeſchrieben. Hier - aus entſtanden zwey Unbequemlichkeiten. Die deutſcheSprache59Sprache wurde gar nicht cultivirt und blieb immer mit ihrem alten Roſt bedeckt. Der Haupttheil der Nation, der kein Latein verſtand, konnte ſich auf kei - ne Weiſe unterrichten, und blieb immer mit dicker Unwiſſenheit umhuͤllt. Dies ſind Wahrheiten, de - nen Niemand etwas entgegenſetzen kann. Unſre Herren Gelehrten ſollten ſich zuweilen erinnern, daß die Wiſſenſchaften die Nahrungsmittel der Seele ſind; das Gedaͤchtniß empfaͤngt ſie, wie der Magen die Spei - ſen; wenn die Urtheilskraft aber nicht ihre Verdauung befoͤrdert, ſo iſt Unverdaulichkeit des Geiſtes unver - meidlich. Wenn die Wiſſenſchaften Schaͤtze ſind, ſo muß man ſie nicht aufhaͤufen und verſchließen; ſondern dadurch nutzen, daß man ſie in allgemeinen Umlauf - bringt, und dieſes kann nur durch die Sprache geſche - hen, welche alle Buͤrger des Staats verſtehn.
Noch nicht ſeit langer Zeit haben unſre Gelehr - ten es gewagt, in ihrer Mutterſprache zu ſchreiben, und ſchaͤmen ſich nicht mehr Deutſche zu ſeyn. Sie wiſ - ſen, daß das erſte deutſche Woͤrterbuch noch nicht alt iſt; ich erroͤthe faſt dafuͤr, wenn ich bedenke, daß ein ſo ausnehmend nuͤtzliches Buch nicht wenigſtens hun - dert Jahre vor mir in die Welt gekommen iſt. Bey alle dem bemerkt man itzt, daß uns allmaͤhlich eine Gaͤhrung und Veraͤnderung bevorſtehe. Man faͤngt an von Ruhm der Nation zu reden; wir wollen uns in gleiche Reihe mit unſern Nachbarn erheben, undWege60Wege zum Parnaß, ſo wie zum Tempel des Anden - kens bahnen. Wer ein feines Gefuͤhl hat, kann dieſes ſchon bemerken. Man muß alſo nur die alten und neuern klaſſiſchen Schriftſteller in unſre Sprache uͤber - ſetzen. Soll das Geld bey uns circuliren, ſo muͤſſen wir es ins Publikum bringen, und die Wiſſenſchaften, die ehemals ſo ſelten waren, allgemeiner machen. Um endlich nichts zu uͤbergehen, was die Fortſchritte un - ſerer Litteratur aufgehalten hat, will ich auch noch den Umſtand bemerken, daß an den meiſten Hoͤfen die deutſche Sprache ſo wenig geredet wird. Unter Kai - ſer Joſeph I.redete man in Wiennur Italiaͤniſch; unter Carl VI.wurde dieſes vom Spaniſchen verdrun - gen; und waͤhrend der Regierung Franz I.eines ge - bornen Lothringers, wurde am Wiener Hofe weit mehr Franzoͤſiſch als Deutſch geredet. An den Churfuͤrſtli - chen Hoͤfen gieng es eben ſo. Sie werden hievon kei - ne andre Urſache finden, als die ich Ihnen ſchon oft an - gefuͤhrt habe. Die ſpaniſche, italiaͤniſche und franzoͤ - ſiſche Sprache waren gebildet und beſtimmt; die un - ſre war es nicht. Aber es muß uns troͤſten, daß Frank - reicheben dieſes Schickſal erfahren hat. Unter [ Franz I.,] Carl IX.und Heinrich III.redte man in allen guten Geſellſchaften mehr Spaniſch und Italiaͤniſch als Fran - zoͤſiſch. Die Landesſprache bekam nicht eher die Ober - hand, bis ſie feiner, deutlich und zierlich geworden, auch von einer Menge klaſſiſcher Schriftſteller durch mah -leriſche61leriſche Ausdruͤcke verſchoͤnert war und grammatikali - ſche Beſtimmtheit erhalten hatte. Unter der Regie - rung Ludwig XIV.verbreitete ſich die franzoͤſiſche Sprache durch ganz Europa, und dieß ruͤhrte zum Theil daher, weil man begierig war, die ſchoͤnen Schrift - ſteller und die guten Ueberſetzungen der Alten zu leſen, welche man damals in dieſer Sprache fand. Itzt iſt dieſelbe das allgemeinſte Mittel geworden, um in allen Staͤdten und Haͤuſern Zutritt zu erhalten. Wer von Liſſabonnach Petersburgund von Stockholmnach Neapelreiſet, und franzoͤſiſch redet, wird allenthalben verſtanden. Dieſe einzige Sprache macht uns eine Menge andre entbehrlich, die wir ſonſt wiſſen muͤßten, und die unſer Gedaͤchtniß mit Worten beladen wuͤr - den, an deren Stelle wir itzt Sachen bringen koͤnnen, welches gewiß ein erheblicher Vorzug iſt.
Ich habe Ihnen nun die verſchiedenen Hinder - niſſe entwickelt, welche uns in der Litteratur nicht ſo geſchwind haben gehen laſſen, als unſre Nachbarn. Indeß uͤbertreffen die Spaͤtern zuweilen ihre Vorgaͤn - ger. Dieß koͤnnte vielleicht bey uns eher der Fall ſeyn, als man es glauben ſollte; wenn nur unſre Regenten Geſchmack an den Wiſſenſchaften bekommen; diejenigen ermuntern, die ſich mit denſelben beſchaͤftigen, und de - nen Lob und Belohnungen ertheilen, welche es vorzuͤg - lich weit bringen. Wenn wir Medicishaben, werden auch unſre Genies hervorkeimen; und die Auguſtewer -den62den ſchon Virgilemachen. Wir werden dann auch unſre klaſſiſchen Schriftſteller bekommen; Jeder wird ſie leſen wollen; unſre Nachbarn werden Deutſch ler - nen und die Hoͤfe es mit Vergnuͤgen reden. Und viel - leicht bringen unſre guten Schriftſteller es dahin, daß unſre zur Vollkommenheit gebrachte und verfeinerte Sprache noch einſt von einem Ende von Europabis zum andern wird geredet werden. Noch ſind dieſe ſchoͤ - nen Tage unſrer Litteratur nicht gekommen; aber ſie naͤhern ſich, und erſcheinen gewiß. Ich kuͤndige ſie Ihnen an, obgleich mein Alter mir die Hoffnung nimmt, ſie noch ſelbſt zu ſehen. Ich bin wie Moſes, ich ſehe das gelobte Land von ferne, werde aber nicht ſelbſt hereinkommen. Erlauben Sie mir dieſe Vergleichung. Ich laſſe ſonſt den Moſesin allen ſeinen Wuͤrden, und will mich auf keine Weiſe mit ihm in Vergleichung ſetzen. Auch ſind die ſchoͤnen Tage unſrer Litteratur, denen wir entgegen ſehen, gewiß weit mehr werth, als die nackten und duͤrftigen Felſen des unfrucht - baren Jdumaͤa.
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