PRIMS Full-text transcription (HTML)
[1]
Des Freyherrn von Muͤnchhauſen Wunderbare Reiſen,
aus dem Engliſchen, mit Kupfern.
[2][3]
Wunderbare Reiſen zu Waſſer und Lande, Feldzuͤge und luſtige Abentheuer des Freyherrn von Muͤnchhauſen, wie er dieſelben bey der Flaſche im Cirkel ſeiner Freunde ſelbſt zu erzaͤhlen pflegt.
Aus dem Engliſchen nach der neueſten Ausgabe uͤberſetzt, hier und da erweitert und mit noch mehr Kupfern gezieret.
London1786.
[4]
Glaubt’s nur, ihr gravitaͤtiſchen Herrn? Geſcheidte Leute narriren gern.
[5]

Vorrede zur erſten Ausgabe.

Der Freyherr von Muͤnchhauſen zu Bodenwerder, ohnweit Hameln an der Weſer, gehoͤrt zu dem edlen Ge - ſchlechte gleiches Nahmens, welches den deutſchen Staaten des Koͤnigs von Großbritannien den verſtorbenen Premierminiſter und mehrere andere vornehme Beamten geſchenkt hat. A 3Er6Er iſt ein Mann von der originelle - ſten Laune; und da er vielleicht ge - funden hat, wie ſchwer es oft haͤlt, verſchrobenen Koͤpfen geraden Men - ſchenverſtand einzuraͤſoniren, und wie leicht hergegen ein dreiſter Haberecht eine ganze Verſammlung zu uͤbertaͤu - ben und aus ihren fuͤnf Sinnen hin - auszuſchreyen vermag: ſo laͤßt er ſich in ſolchen Faͤllen niemals auf Wi - derlegungen ein; ſondern wendet zu - erſt geſchickt die Unterredung auf gleichguͤltige Gegenſtaͤnde, und dann erzaͤhlt er irgend ein Geſchichtchen von ſeinen Reiſen, Feldzuͤgen und ſchnurrigen Abentheuern in einem ihmganz7ganz eigenthuͤmlichen Tone, der aber gerade der rechte iſt, die Kunſt zu luͤgen, oder hoͤflicher geſagt, das lange Meſſer zu handhaben, aus ih - rem ruhigen Schlupfwinkel hervor zu kitzeln und blank zu ſtellen.

Da dieſes Mittel ſchon oͤfter von gutem Erfolge geweſen iſt, ſo ſey es uns hiermit erlaubt, dem Publikum einige von ſeinen Geſchichtchen vor - zulegen, und diejenigen, die etwa unter beruͤchtigte Prahlhaͤnſe gerathen, zu bitten, ſich bey jeder ſchicklichen Gelegenheit ebendeſſelben zu bedienen. Gelegenheit aber wird ſeyn, ſo oftA 4Jemand8Jemand unter der Maske der Wahr - heit in ganzem Ernſte falſche Dinge behauptet und auf Koſten ſeiner ei - genen Ehre auch diejenigen hinter - gehet, die zum Ungluͤck ſeine Zuhoͤ - rer ſind.

Zur[9]

Zur zweyten Ausgabe.

Der ſchnelle Abgang der erſten Ausgabe dieſes Werkchens bew[e]iſet hinlaͤnglich, daß dem Publikum ſein moraliſcher Endzweck in dem rechten Lichte erſchienen iſt. Vielleicht haͤtte man es noch ſchicklicher: Luͤgen - ſtrafer, betitelt, da in der That keine Unart veraͤchtlicher iſt, als die Ohren ſeiner Freunde mit Unwahr - heiten zu behelligen.

A 5Der10

Der Baron ſelbſt iſt ein Mann von außerordentlicher Ehre, der ſein Vergnuͤgen daran findet, diejenigen zur Schau auszuſtellen, welche zu Betruͤgereyen jeder Art geneigt ſind. Er thut dieſes auf eine ſehr drollige Art, wenn er in großen Geſellſchaf - ten diejenigen Geſchichten erzaͤhlt, wel - che dem Publikum in dieſer kleinen Sammlung uͤberliefert werden. Sie iſt anſehnlich durch ſeine Schiff - und See-Abentheuer vermehrt, und durch vier Vorſtellungen von ſeinem eigenen Pinſel verſchoͤnert.

Zur[11]

Zur deutſchen Ueberſetzung.

Dieß Buͤchlein iſt in der deutſchen Ueberſetzung, die ſich eben nicht aͤngſtlich an die Worte bindet, hier und da durch neue Einſchaltungen erweitert, und duͤrfte bey einer kuͤnf - tigen Auflage, deren es ſich nicht ganz ohne Urſache ſchmeichelt, leichtnoch12noch um ein betraͤchtliches vermehrt werden. Denn unſer Land iſt nicht nur voll von aͤhnlichen Geſchichten, ſondern auch die Quelle, woraus dieſe entſprungen ſind, wird hoffent - lich noch nicht vertrocknet ſeyn. So ein Buͤchlein, wie dieſes, iſt frey - lich weder ein Syſtema, noch Tra - ctatus, noch Commentarius, noch Synopſis, noch Compendium, und es hat keine einzige von allen Claſſen unſerer vomehmſten Academien und Societaͤten der Wiſſenſchaften daranAntheil.13Antheil. Wenn es indeſſen auch weiter nichts thut, als daß es auf eine unſchuldige Art zu lachen macht, ſo braucht, deucht mich, der Vor - redner eben nicht gerade in pontifi - calibus in Mantel, Kragen und Stutzperuͤcke aufzutreten, um es dem geneigten Leſer ehrbarlich zu empfeh. len. Denn es iſt alsdann, ſo klein und frivol es immer ſcheinen mag, leicht mehr werth, als eine ganze große Menge dickbeleibter eh - renveſter Buͤcher, wobey man wederlachen14lachen noch weinen kann, und worin weiter nichts ſteht, als was in hun - dertmal mehr andern dickbeleibten ehrenveſten Buͤchern laͤngſt geſtanden hat. Auch paßt alsdann nicht uͤbel hieher eine Stelle aus des alten ehr - lichen vergeſſenen Rollenhagens Vorrede zu ſeinem Froſchmaͤuſeler, die ein wenig moderniſirt alſo lautet:

Der Graubart, der mit duͤrren
Knochen
Der Lehre nichts kann, als poltern
und pochen,
Und15
Und hoͤren mag kein luſtiges Wort
Der packe zuſammen und trolle ſich
fort!
Zwar wollen wir’s gaͤnzlich nicht ver -
ſchwoͤren,
Ihn auf ein andres Mal zu hoͤren,
Wenn nehmlich uns auch die Naſen
blau
Und Haar und Bart ſich faͤrben grau;
Auch ſonſt wohl zu gelegener Stund.
Denn Wermuth iſt nicht immer
geſund.
Man trinkt ja wohl auch neuen Wein,
Und tunkt in friſchen Honig ’mal ein.
Die Natur erneut ein neuer Genuß.
Stets Einerley macht Ueberdruß,
Wie16
Wie alles der alten Meiſter Trutzen,
Der Wechſel nur ſchafft Luſt und
Nutzen.
Man ſchilt oft ſpoͤttiſch Zeit -
vertreib,
Was ſtaͤrkt zur Arbeit Seel
und Leib.
Das nehmen wir nicht zu Herzen
und Sinnen,
Und wollen in Gottes Nahmen be -
ginnen.
Des[17]

Des Freyherrn von Muͤnchhauſen Eigene Erzaͤhlung.

Ich trat meine Reiſe nach Rußland von Haus ab mitten im Winter an, weil ich ganz richtig ſchloß, daß Froſt und Schnee die Wege durch die noͤrdli - chen Gegenden von Deutſchland, Poh - len, Kur - und Liefland, welche jeder Reiſende, als faſt noch elender, wie die nach dem Tempel der Tugend, be - ſchreibet, endlich, ohne beſondere Ko - ſten hochpreislicher wohlfuͤrſorgender Lan - des-Regierungen, ausbeſſern muͤßte. Ich reiſte zu Pferde, welches, wenn es ſonſt nur gut um Gaul und Rei -Bter18ter ſteht, die bequemſte Art zu reiſen iſt. Denn man riskirt alsdann we - der mit irgend einem hoͤflichen deut - ſchen Poſtmeiſter eine Affaire d’honneur zu bekommen, noch von ſeinem durſti - gen Poſtilion vor jede Schenke geſchleppt zu werden. Ich war nur leicht beklei - det, welches ich ziemlich uͤbel empfand, jeweiter ich gegen Nordoſt hin kam. Nun kann man ſich einbilden, wie bey ſo ſtrengem Wetter, unter dem rauhe - ften Himmelsſtriche, einem armen alten Manne zu Muthe ſeyn mußte, den ich in Pohlen unter einem Haſelbuſche an der Heerſtraße antraf, wie er ſo huͤlf - los und ſchaudernd dalag und kaum hatte, womit er ſeine Schaambloͤße bedecken konnnte.

Der arme Teufel dauerte mich von ganzer Seele. Ob mir nun gleich ſelbſt das Herz im Leibe fror, ſo warf ich dennoch meinen Reiſemantel uͤber ihn her. Ploͤzlich erſcholl eine Stimme vom Him -mel19mel, die dieſes Liebeswerk ganz ausneh - mend herausſtrich und mir zurief: Hohl mich der Teufel,! mein Sohn, das ſoll dir nicht unvergolten bleiben!

Ich ließ das gut ſeyn und ritt wei - ter, bis Nacht und Dunkelheit mich uͤberfielen. Nirgends war ein Dorf zu hoͤren, noch zu ſehn. Das ganze Land lag unter Schnee; und ich wußte weder Weg noch Steg.

Des Reitens muͤde ſtieg ich endlich ab, und band mein Pferd an eine Art von ſpitzem Baumſtaken, der uͤber dem Schnee hervorragte. Zur Sicherheit nahm ich meine Piſtolen unter den Arm, legte mich nicht weit davon in den Schnee nieder und that ein ſo geſundes Schlaͤfchen, daß mir die Augen nicht eher wieder aufgingen, als bis es heller lichter Tag war. Wie groß war aber mein Erſtaunen, als ich fand, daß ichB 2mitten20mitten in einem Dorfe auf dem Kirch - hofe lag! Mein Pferd war anfaͤnglich nir - gends zu ſehn; doch hoͤrte ichs bald dar - auf irgend wo uͤber mir. Als ich nun empor ſah, ſo wurde ich gewahr, daß es an den Wetterhahn des Kirchthurms gebunden war und von da heruntet hing. Nun wußte ich ſogleich, wie ich dran war. Das Dorf war nehmlich die Nacht uͤber ganz und gar zugeſchneyet geweſen; das Wetter hatte ſich auf ein - mal umgeſetzt ich war im Schlafe nach und nach, ſo wie der Schnee zuſammen geſchmolzen war, ganz ſanft herabge - ſunken; und was ich in der Dunkel - heit fuͤr den Stummel eines Baͤumchens, der uͤber dem Schnee hervorragte, ge - halten, und daran mein Pferd gebun - den hatte, das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirchthurmes geweſen.

Ohne mich nun lange zu bedenken, nahm ich eine von meinen Piſtolen, ſchoß nach dem Halfter, kam gluͤcklichauf

[figure]

21auf die Art wieder an mein Pferd und verfolgte meine Reiſe.

Hierauf ging alles gut, bis ich nach Rußland kam, wo es eben nicht Mode iſt, des Winters zu Pferde zu reiſen. Wie es nun immer meine Maxime iſt, mich nach dem bekannten: laͤndlich ſitt - lich, zu richten, ſo nahm ich dort einen kleinen Rennſchlitten auf ein einzelnes Pferd und fuhr wohlgemuth auf St. Petersburg los. Nun weiß ich nicht mehr recht, ob es in Eſthland, oder in Ingermanland war, ſo viel aber be - ſinne ich mich noch wohl, es war mitten in einem fuͤrchterlichen Walde, als ich einen entſetzlichen Wolf, mit aller Schnel - ligkeit des gefraͤßigſten Winterhungers hinter mir anſetzen ſah. Er hohlte mich bald ein; und es war ſchlechterdings un - moͤglich, ihm zu entkommen. Mecha - niſch legte ich mich platt in den Schlit - ten nieder und ließ mein Pferd zu un - ſerm beiderſeitigen Beſten ganz alleinB 3agiren.22agiren. Was ich zwar vermuthete, aber kaum zu hoffen und zu erwarten wagte, das geſchah unmittelbar. Der Wolf bekuͤmmerte ſich nicht im mindeſten um meine Wenigkeit, ſondern ſprang uͤber mich hinweg, fiel wuͤthend auf das Pferd, riß ab und verſchlang auf ein - mal den ganzen Hintertheil des armen Thieres, welches vor Schrecken und Schmerz nur deſto ſchneller lief. Wie ich nun auf die Art ſelbſt ſo unbemerkt und gut davon gekommen war, ſo erhob ich ganz verſtohlen mein Geſicht und nahm mit Entſetzen wahr, daß der Wolf ſich beynahe uͤber und uͤber in das Pferd hineingefreſſen hatte. Kaum aber hatte er ſich ſo huͤbſch hineingezwaͤnget, ſo nahm ich mein Tempo wahr, und fiel ihm tuͤchtig mit meiner Peitſchenſchnur auf das Fell. Solch ein unerwarteter Ueberfall in dieſem Futteral verurſachte ihm keinen geringen Schreck; er ſtrebte mit aller Macht vorwaͤrts; der Leichnam des Pferdes fiel zu Boden, und ſiehe! an ſeinerStatt23Statt ſteckte mein Wolf in dem Ge - ſchirre. Ich meines Orts hoͤrte nun noch weniger auf zu peitſchen, und wir langten in vollem Galopp geſund und wohlbehalten in St. Petersburg an, ganz gegen unſere beiderſeitigen reſpec - tive Erwartungen, und zu nicht gerin - gem Erſtaunen aller Zuſchauer.

Ich will Ihnen, meine Herren, mit Geſchwaͤtz von der Verfaſſung, den Kuͤn - ſten, Wiſſenſchaften und andern Merk - wuͤrdigkeiten dieſer praͤchtigen Hauptſtadt Rußlands keine lange Weile machen; vielweniger Sie mit allen Intriguen und luſtigen Abentheuern der Geſell - ſchaften vom Bonton, wo die Frau vom Hauſe den Gaſt allzeit mit einem Schnaps und Schmatz empfaͤngt, un - terhalten. Ich halte mich viel - mehr an groͤßere und edlere Gegen - ſtaͤnde Ihrer Aufmerkſamkeit, nehm - lich an Pferde und Hunde, wovon ich immer ein großer Freund geweſen bin;B 4ferner24ferner an Fuͤchſe, Woͤlfe und Baͤren, von welchen, ſo wie von anderm Wild - prett, Rußland einen groͤßern Ueber - fluß, als irgend ein Land auf Erden hat; endlich an ſolche Luſtparthien, Ritteruͤbungen und preisliche Thaten, welche den Edelmann beſſer kleiden, als ein Bischen muffiges Griechiſch, und Latein, oder alle Riechſaͤchelchen, Klun - kern und Capriolen franzoͤſiſcher Schoͤn - geiſter und Haarkraͤuſeler.

Da es einige Zeit dauerte, ehe ich bey der Armee angeſtellt werden konnte, ſo hatte ich ein Paar Monathe lang vollkommene Muße und Freyheit, meine Zeit ſowohl, als auch mein Geld auf die adelichſte Art von der Welt zu ver - junkeriren. Sie koͤnnen ſich leicht vor - ſtellen, meine Herren, daß ich von beiden nicht wenig außer der Stadt mit ſolchen wackern Kumpanen verthat, welche ein offenes unbeſchraͤnktes Wald - revier gehoͤrig zu ſchaͤtzen wußten. So -wohl25wohl die Abwechſelung des Zeitvertrei - bes, welchen dieſes mir darbot, als auch das außerordentliche Gluͤck, wo - mit mir jeder Streich gelang, gerei - chen mir noch immer zur angenehmſten Erinnerung.

Eines Morgens ſah ich durch das Fenſter meines Schlafgemachs, daß ein großer Teich, der nicht weit davon lag, mit wilden Enten gleichſam uͤberdeckt war. Flugs nahm ich mein Gewehr aus dem Winkel, ſprang zur Treppe hinab, und das ſo uͤber Hals und Kopf, daß ich unvorſichtiger Weiſe mit dem Geſichte gegen die Thuͤrpfoſte rennte. Feuer und Funken ſtoben mir aus den Augen; aber das hielt mich keinen Au - genblick zuruͤck. Ich kam bald zum Schuß; allein wie ich anlegte, wurde ich zu meinem großen Verdruſſe gewahr, daß durch den ſo eben empfangenen hef - tigen Stoß ſogar der Stein von dem Flintenhahne abgeſprungen war. WasB 5ſollte26ſollte ich nun thun? Denn Zeit war hier nicht zu verlieren. Gluͤcklicher Weiſe fiel mir ein, was ſich ſo eben mit meinen Augen zugetragen hatte. Ich riß alſo die Pfanne auf, legte mein Gewehr gegen das wilde Gefluͤgel an und ballte die Fauſt gegen eins von meinen Augen. Von einem derben Schlage flogen wieder Funken genug heraus, der Schuß ging los, und ich traf fuͤnf Paar Enten, vier Rothhaͤlſe, und ein Paar Waſſerhuͤhner. Gegenwart des Geiſtes iſt die Seele mannhafter Thaten. Wenn Soldaten und Seeleute oͤfters dadurch gluͤcklich da - von kommen, ſo dankt der Waidmann ihr nicht ſeltener ſein gutes Gluͤck.

So ſchwammen einſt auf einem Land - ſee, an welchen ich auf einer Jagdſtrei - ferey gerieth, einige Dutzend wilder Enten allzu weit von einander zerſtreut umher, als daß ich mehr denn eine ein - zige auf einen Schuß zu erlegen hoffen konnte; und zum Ungluͤck hatte ichmeinen27meinen letzten Schuß ſchon in der Flinte. Gleichwohl haͤtte ich ſie gern alle ge - habt, weil ich naͤchſtens eine ganze Menge guter Freunde und Bekannten bey mir zu bewirthen Willens war. Da beſann ich mich auf ein Stuͤckchen Schinkenſpeck, welches von meinem mit - genommenen Mundvorrath in meiner Jagdtaſche noch uͤbrig geblieben war. Dieſes befeſtigte ich an eine ziemlich lange Hundelinie, die ich aufdrehete und ſo wenigſtens noch um viermal ver - laͤngerte. Nun verbarg ich mich im Schilfgeſtraͤuch am[Ufer], warf meinen Speckbrocken aus und hatte das Ver - gnuͤgen zu ſehen, wie die naͤchſte Ente hur - tig herbeyſchwamm und ihn verſchlang. Der erſten folgten bald alle uͤbrigen nach, und da der glatte Brocken am Faden gar bald unverdauet hinten wieder heraus - kam, ſo verſchlang ihn die naͤchſte, und ſo immer weiter. Kurz der Brocken machte die Reiſe durch alle Enten ſamt und ſonders hindurch, ohne von ſeinem Fa -den28den loszureißen. So ſaßen ſie denn alle daran, wie Perlen an der Schnur. Ich zog ſie gar allerliebſt ans Land, ſchlang mir die Schnur ein halbes Du - tzendmal um Schultern und Leib, und ging meines Weges nach Hauſe zu. Da ich noch eine ziemliche Strecke dovon entfernt war, und mir die Laſt von einer ſolchen Menge Enten ziemlich beſchwerlich fiel, ſo wollte es mir faſt leid thun, ihrer allzu viele eingefangen zu haben. Da kam mir aber ein ſeltſamer Vorfall zu Statten, der mich Anfangs in nicht geringe Ver - legenheit ſetzte. Die Enten waren nehm - lich noch alle lebendig, fingen, als ſie von der erſten Beſtuͤrzung ſich erhohlt hatten, gar maͤchtig an mit den Fluͤ - geln zu ſchlagen und ſich mit mir hoch in die Luft zu erheben. Nun waͤre bey manchem wohl guter Rath theuer ge - weſen. Allein ich benutzte dieſen Um - ſtand, ſo gut ich konnte, zu meinem Vor - theil, und ruderte mich mit meinenRock -29Rockſchoͤßen nach der Gegend meiner Behauſung durch die Luft. Als ich nun gerade uͤber meiner Wohnung an - gelangt war und es darauf ankam, ohne Schaden mich herunter zu laſſen, ſo druͤckte ich einer Ente nach der Andern den Kopf ein, ſank dadurch ganz ſanft und allmaͤhlich gerade durch den Schorn - ſtein meines Hauſes mitten auf den Kuͤ - chenherd, auf welchem zum Gluͤck noch kein Feuer angezuͤndet war, zu nicht geringem Schreck und Erſtaunen meines Koches. Wie geſagt, man muß ſich nur in der Welt zu helfen wiſſen.

Ein andresmal ſtieß mir in einem anſehnlichen Walde von Rußland ein wunderſchoͤner ſchwarzer Fuchs auf. Es waͤre Jammer-Schade geweſen, ſeinen koſtbaren Pelz mit einem Kugel - oder Schrotſchuſſe zu durchloͤchern. Herr Reineke ſtand dicht bey einem Baume. Augenblicklich zog ich meine Kugel aus dem Laufe, lud dafuͤr einen tuͤchtigenBrett -30Brettnagel in mein Gewehr, feuerte[und] traf ſo kuͤnſtlich, daß ich ſeine Lunte feſt an den Baum nagelte. Nun ging ich ruhig zu ihm hin, nahm mein Waid - meſſer, gab ihm einen Kreuzſchnitt uͤbers Geſicht, griff nach meiner Peit - ſche und karbatſchte ihn ſo artig aus ſeinem ſchoͤnen Pelze heraus, daß es eine wahre Luſt und ein rechtes Wunder zu ſehen war.

Zufall und gutes Gluͤck machen oft manchen Fehler wieder gut. Davon erlebte ich bald nach dieſem ein Bey - ſpiel, als ich mitten im tiefſten Walde einen wilden Friſchling und eine Bache dicht hinter einander hertraben ſah. Meine Kugel hatte gefehlt. Gleichwohl lief der Friſchling vorn ganz allein weg, und die Bache blieb ſtehen, ohne Be - wegung, als ob ſie an den Boden feſt - genagelt geweſen waͤre. Wie ich das Ding naͤher unterſuchte, ſo fand ich, daß es eine alte blinde Bache war, dieihres31ihres Friſchlings Schwaͤnzlein im Rachen hielt, um von ihm aus kindlicher Pflicht fuͤrbaß geleitet zu werden. Da nun meine Kugel zwiſchen beiden hindurch gefahren war, ſo hatte ſie dieſen Leit - zaum zerriſſen, wovon die alte Bache das eine Ende noch immer kauete. Da nun ihr Leiter ſie nicht weiter vorwaͤrts gezogen hatte, ſo war ſie ſtehen geblieben. Ich ergriff daher das uͤbriggebliebene End - chen von des Friſchlings Schwanze, und leitete daran das alte huͤlfloſe Thier ganz ohne Muͤhe und Widerſtand nach Hauſe.

So fuͤrchterlich dieſe wilden Bachen oft ſind, ſo ſind die Keiler doch weit grauſamer und gefaͤhrlicher. Ich traf einſt einen im Walde an, als ich un - gluͤcklicher Weiſe weder auf Angriff noch Vertheidigung gefaßt war. Mit ge - nauer Noth konnte ich noch hinter einen Baum ſchluͤpfen, als die wuͤthende Be - ſtie aus Leibeskraͤften einen Seitenhieb nach mir that. Dafuͤr fuhren aberauch32auch ſeine Hauer dergeſtalt in den Baum hinein, daß er weder im Stande war, ſie ſogleich wieder heraus zu ziehen, noch den Hieb zu wiederholen. 〟Ha ha! dachte ich, nun wollen wir dich bald kriegen!〟 Flugs nahm ich einen Stein, hammerte noch vollends damit drauf los und nietete ſeine Hauer der - geſtalt um, daß er ganz und gar nicht wieder loskommen konnte. So mußte er ſich denn nun gedulden, bis ich vom naͤchſten Dorfe Karn und Stricke her - beygehohlt hatte, um ihn lebendig und wohlbehalten nach Hauſe zu ſchaffen, welches auch ganz vortreflich von Stat - ten ging.

Sie haben unſtreitig, meine Herren, von dem Heiligen und Schutzpatron der Waidmaͤnner und Schuͤtzen, St. Hu - bert, nicht minder auch von dem Statt - lichen Hirſche gehoͤrt, der ihm einſt im Walde aufſtieß, und welcher das hei - lige Kreuz zwiſchen ſeinem Geweyhe trug. Dieſem33Dieſem Sanct habe ich noch alle Jahre mein Opfer in guter Geſell - ſchaft dargebracht, und den Hirſch wohl tauſendmal, ſowohl in Kirchen abgemahlt, als auch in die Sterne ſeiner Ritter geſtickt, geſehen, ſo daß ich auf Ehre und Gewiſſen eines bra - ven Waidmanns kaum zu ſagen weiß, ob es entweder nicht vor Zeiten ſolcher Kreuzhirſche gegeben habe, oder wohl gar noch heutiges Tages gebe. Doch laſſen Sie ſich vielmehr erzaͤhlen, was ich mit meinen eigenen Augen ſah. Einſt, als ich alle mein Bley ver - ſchoſſen hatte, ſtieß mir ganz wider mein Vermuthen, der ſtattlichſte Hirſch von der Welt auf. Er blickte mir ſo, mir nichts, dir nichts, ins Auge, als ob ers auswendig gewußt haͤtte, daß mein Beutel leer war. Augenblicklich lud ich indeſſen meine Flinte mit Pul - ver und daruͤber her eine ganze Hand voll Kirſchſteine, wovon ich, ſo hurtig ſich das thun ließ, das Fleiſch abge -Cſogen34ſogen hatte. Und ſo gab ich ihm die volle Ladung mitten auf ſeine Stirn zwiſchen das Geweyhe. Der Schuß betaͤubte ihn zwar er taumelte machte ſich aber doch aus dem Staube. Ein oder zwey Jahre darnach war ich in eben demſelben Walde auf der Jagd; und ſiehe! zum Vorſchein kam ein ſtatt - licher Hirſch, mit einem vollausgewach - ſenen Kirſchbaume, mehr denn zehn Fuß hoch, zwiſchen ſeinem Geweyhe. Mir fiel gleich mein voriges Abentheuer wieder ein; ich betrachtete den Hirſch als mein laͤngſt wohl erworbenes Eigen - thum, und legte ihn mit einem Schuſſe zu Boden, wodurch ich denn auf ein - mal an Braten und Kirſchtunke zu - gleich gerieth. Denn der Baum hing reichlich voll Fruͤchte, die ich in meinem ganzen Leben ſo delicat nicht gegeſſen hatte. Wer kann nun wohl ſagen, ob nicht irgend ein paſſionirter heiliger Waidmann, ein jagdluſtiger Abt oder Biſchoff, das Kreuz auf eine aͤhnlicheArt

[figure]

35Art durch einen Schuß auf St. Hu - berts Hirſch zwiſchen das Gehoͤrne ge - pflanzt habe? Denn dieſe Herren wa - ren ja von je und je wegen ihres Kreuz - und Hoͤrnerpflanzens beruͤhmt, und ſind es zum Theil noch bis auf den heutigen Tag. Im Falle der Noth, und wenn es Aut oder Naut*)Ought or naught. Eine wenigſtens in Niederdeutſchland in dieſer Ausſprache ſehr populaͤr gewordene Redensart. gilt, welches einem braven Waidmanne nicht ſelten begegnet, greift er lieber wer weiß wozu, und verſucht eher alles, als daß er ſich die guͤnſtige Gelegenheit entwiſchen laͤßt. Ich habe mich manches liebes Mal ſelbſt in einer ſolchen Lage der Verſuchung befunden.

Was ſagen Sie zum Exempel vom folgenden Caſus? Mir waren ein - mal Tageslicht und Pulver in einem pohlniſchen Walde ausgegangen. Als ich nach Hauſe ging, fuhr mir ein ganz entſetzlicher Baͤr, mit offenem Rachen, bereit mich zu verſchlingen, auf denC 2Leib.36Leib. Umſonſt durchſuchte ich in der Haſt alle meine Taſchen nach Pulver und Bley. Nichts fand ich, als zwey Flintenſteine, die man auf einen Noth - fall wohl mitzunehmen pflegt. Davon warf ich einen aus aller Macht in den offenen Rachen des Ungeheuers, ganz ſeinen Schlund hinab. Wie ihm nun das nicht allzuwohl deuchten mochte, ſo machte mein Baͤr links um, ſo daß ich den andern nach der Hinterpforte ſchleudern konnte. Wunderbar und herr - lich ging alles von Statten. Der Stein fuhr nicht nur hinein, ſondern auch mit dem andern Steine im Magen derge - ſtalt zuſammen, daß es Feuer gab und den Baͤr mit einem gewaltigen Knalle auseinander ſprengte. Man ſagt, daß ſo ein wohl applicirter Stein a poſte - riori, beſonders wenn er mit einem a priori recht zuſammen fuhr, ſchon manchen baͤrbeißigen Gelehrten und Phi - loſophen in die Luft ſprengte. Ob ich nun gleich dasmal mit heilerHaut37Haut davon kam, ſo moͤchte ich das Stuͤckchen doch eben nicht noch einmal machen, oder mit einem Baͤr, ohne andere Vertheidigungsmittel, anbinden.

Es war aber gewiſſermaßen recht mein Schickſal, daß die wildeſten und gefaͤhrlichſten Beſtien mich gerade als - dann angriffen, wenn ich außer Stande war, ihnen die Spitze zu bieten, gleich - ſam als ob ihnen der Inſtinct meine Wehrloſigkeit verrathen haͤtte. So ſchoß mir einmal unverſehens ein fuͤrch - terlicher Wolf ſo nahe auf den Leib, daß mir nichts weiter uͤbrig blieb, als ihm, dem mechaniſchen Inſtinct zufolge, meine Fauſt in den offenen Rachen zu ſtoßen. Gerade meiner Sicherheit we - gen ſtieß ich immer weiter und weiter, und brachte meinen Arm beynahe bis an die Schulter hinein. Was war aber nun zu thun? Ich kann eben nicht ſagen, daß mir dieſe unbehuͤlfliche Situation ſonderlich anſtand. ManC 3denke38denke nur, Stirn gegen Stirn mit einem Wolfe! Wir aͤugelten uns eben nicht gar lieblich an. Haͤtte ich meinen Arm zuruͤckgezogen, ſo waͤre mir die Beſtie nur deſto wuͤthender zu Leibe ge - ſprungen. So viel ließ ſich klar und deutlich aus ſeinen flammenden Augen herausbuchſtabiren. Kurz, ich packte ihn beym Eingeweide, kehrte ſein aͤuße - res zu innerſt, wie einen Handſchuh, um, ſchleuderte ihn zu Boden und ließ ihn da liegen.

Dieß Stuͤckchen haͤtte ich nun wie - der nicht an einem tollen Hunde ver - ſuchen moͤgen, welcher bald darauf in einem engen Gaͤßchen zu St. Petersburg gegen mich anlief. 〟Lauf was du kannſt!〟 dachte ich. Um deſto beſſer fortzukommen, warf ich meinen Ueber - rock ab, und rettete mich geſchwind ins Haus. Den Rock ließ ich hernach durch meinen Bedienten hereinhohlen und zu den andern Kleidern in die Gar -derobe39derobe haͤngen. Tages darauf gerieth ich in ein gewaltiges Schrecken durch meines Johanns Geſchrey: Herr Gott, Herr Baron, ihr Ueberrock iſt toll!〟 Ich ſprang hurtig zu ihm hinauf und fand faſt alle meine Kleider umher ge - zerrt und zu Stuͤcken zerriſſen. Der Kerl hatte es auf ein Haar getroffen, daß der Ueberrock toll ſey. Ich kam gerade noch ſelbſt dazu, wie er uͤber ein ſchoͤnes neues Gallakleid herfiel und es auf eine gar unbarmherzige Weiſe zerſchuͤttelte und umherzauſte.

In allen dieſen Faͤllen, meine Herren, wo ich freylich immer gluͤck - lich, aber doch nur immer mit genauer Noth davon kam, half mir das Ohn - gefaͤhr, welches ich durch Tapferkeit und Gegenwart des Geiſtes zu meinem Vortheile lenkte. Alles zuſammen ge - nommen macht, wie Jedermann weiß, den gluͤcklichen Jaͤger, Seemann und Soldaten aus. Der aber wuͤrde einC 4ſehr40ſehr unvorſichtiger, tadelnswerther Waid - mann, Admiral und General ſeyn, der ſich uͤberall nur auf das Ohngefaͤhr, oder ſein Geſtirn verlaſſen wollte, ohne ſich weder um die beſonders erforderli - chen Kunſtfertigkeiten zu bekuͤmmern, noch ſich mit denjenigen Werkzeugen zu verſehen, die den guten Erfolg ſichern. Ein ſolcher Tadel trifft mich keinesweges. Denn ich bin immer beruͤhmt geweſen, ſowohl wegen der Vortreflichkeit meiner Pferde, Hunde und Gewehre, als auch wegen der beſondern Art, das alles zu handhaben, ſo daß ich mich wohl ruͤh - men kann, in Forſt, Wieſe und Feld meines Nahmens Gedaͤchtniß hinlaͤng - lich geſtiftet zu haben. Ich will mich nun zwar nicht auf Particularitaͤten von meinen Pferd - und Hundeſtaͤllen, oder meiner Gewehrkammer einlaſſen, wie Stall - Jagd - und Hunde-Junker ſonſt wohl zu thun pflegen; aber eines mei - ner Lieblingshunde muß ich doch noch Erwaͤhnung thun. Das Thierchen warein

[figure]

41ein Windſpiel. Mein lebelang hatte, oder ſah ich kein beſſeres. Es wurde alt in meinem Dienſte, und war minder wegen ſeiner Geſtalt, als wegen ſeiner außerordentlichen Schnelligkeit merkwuͤr - dig. Mit dieſem Hunde jagte ich be - ſtaͤndig Jahr aus Jahr ein. Haͤtten die Herrn ihn geſehen, ſo wuͤrden ſie ihn gewiß bewundert, und ſich gar nicht verwundert haben, daß ich ihn ſo lieb hatte und ſo oft mit ihm jagte. Er lief ſo ſchnell, ſo oft und ſo lange in meinem Dienſte, daß er ſich die Beine ganz bis dicht unterm Leibe weglief, und ich ihn in ſeiner letzten Lebenszeit nur noch als Dachsſucher gebrauchen konnte, in welcher Qualitaͤt er mir denn eben - falls noch manch liebes Jahr diente.

Weiland noch als Windſpiel bey - laͤufig zu melden, es war eine Huͤn - dinn ſetzte ſie einſt hinter einem Haſen her, der mir ganz ungewoͤhnlich dick vorkam. Es that mir leid um meineC 5arme42arme Huͤndinn; denn ſie war mit Jun - gen traͤchtig, und wollte doch noch eben ſo ſchnell laufen, als ſonſt. Nur in ſehr weiter Entfernung konnte ich zu Pferde nachfolgen. Auf einmal hoͤrte ich ein Geklaffe, wie von einer ganzen Kuppel Hunde, allein ſo ſchwach und zart, daß ich nicht wußte, was ich daraus machen ſollte. Wie ich naͤher kam, ſah ich mein himmelblaues Wun - der. Die Haͤſinn hatte im Laufen ge - ſetzt und meine Huͤndinn geworfen; und zwar jene gerade eben ſo viel junge Haſen, als dieſe junge Hunde. In - ſtinctmaͤßig hatten jene die Flucht ge - nommen, dieſe aber nicht nur gejagt, ſondern auch gefangen. Dadurch gelangte ich am Ende der Jagd auf einmal zu ſechs Haſen und Hunden, da ich doch nur mit einem einzigen angefangen hatte.

Ich gedenke dieſer wunderbaren Huͤn - dinn mit eben dem Vergnuͤgen, als eines vortreflichen Lithauiſchen Pferdes,welches43welches nicht mit Gelde zu bezahlen war. Dieß bekam ich durch ein Ohngefaͤhr, welches mir Gelegenheit gab, meine Reitkunſt zu meinem nicht geringen Ruhme zu zeigen. Ich war nehmlich einſt auf dem praͤchtigen Landſitze des Grafen Przobofsky in Lithauen und blieb im Staatszimmer bey den Damen zum Thee, indeſſen die Herrn hinunter in den Hof gingen, um ein junges Pferd von Ge - bluͤte zu beſehen, welches ſo eben aus der Stuterey angelangt war. Ploͤtzlich hoͤrten wir wie einen Nothſchrey. Ich eilte die Treppe hinab und fand das Pferd ſo wild und unbaͤndig, daß Nie - mand ſich getrauete, ſich ihm zu naͤhern, oder es zu beſteigen. Beſtuͤrzt und ver - wirrt ſtanden die entſchloſſenſten Reiter da; Angſt und Beſorgniß ſchwebte auf allen Geſichtern, als ich mit einem einzigen Sprunge auf ſeinem Ruͤcken ſaß, und das Pferd durch dieſe Ueberraſchung nicht nur in Schrecken ſetzte, ſondern es auch durch Anwendung meiner beſtenReiter -44Reiterkuͤnſte gaͤnzlich zu Ruhe und Ge - horſam brachte. Um dieß den Damen noch beſſer zu zeigen und ihnen alle un - noͤthige Beſorgniß zu erſparen, ſo zwang ich den Gaul, durch eins der offenen Fenſter des Theezimmers mit mir hin - einzuſetzen. Hier ritt ich nun verſchie - denemale, bald Schritt, bald Trott, bald Galopp herum, ſetzte endlich ſogar auf den Theetiſch, und machte da im Kleinen uͤberaus artig die ganze Schule durch, woruͤber ſich denn die Damen ganz aus - nehmend ergoͤtzten. Mein Roͤßchen machte alles ſo bewundernswuͤrdig ge - ſchickt, daß es weder Kannen noch Taſſen zerbrach. Dieß ſetzte mich bey den Da - men und dem Herrn Grafen ſo hoch in Gunſt, daß er mit ſeiner gewoͤhnlichen Hoͤflichkeit mich bat, das junge Pferd zum Geſchenke von ihm anzunehmen, und auf ſelbigem in dem Feldzuge gegen die Tuͤrken, welcher in kurzem unter Anfuͤh - rung des Grafen Muͤnnich eroͤffnet wer - den ſollte, auf Sieg und Eroberung aus - zureiten.

Ein45

Ein angenehmers Geſchenk haͤtte mir nun wohl nicht leicht gemacht wer - den koͤnnen, beſonders da es mir ſo viel gutes von einem Feldzuge weißagte, in welchem ich mein erſtes Probeſtuͤck als Soldat ablegen wollte. Ein Pferd, ſo gefuͤgig, ſo muthvoll und feurig Lamm und Bucephal zugleich mußte mich allezeit an die Pflichten eines braven Soldaten, und an die erſtaunlichen Tha - ten erinnern, welche der junge Alexan - der im Felde verrichtet hatte.

Wir zogen, wie es ſcheinet, unter andern auch in der Abſicht zu Felde, um die Ehre der ruſſiſchen Waffen, wel - che in dem Feldzuge unter Czaar Peter am Pruth ein wenig gelitten hatte, wieder herzuſtellen. Dieſes gelang uns auch vollkommen durch verſchiedene zwar muͤh - ſelige, aber doch ruͤhmliche Feldzuͤge, unter Anfuͤhrung des großen Feldherrn, deſſen ich vorhin erwaͤhnte.

Die46

Die Beſcheidenheit verbietet es Sub - alternen, ſich große Thaten und Siege zuzuſchreiben, wovon der Ruhm gemei - niglich den Anfuͤhrern, ihrer Alltags - qualitaͤten ungeachtet, ja wohl gar ver - kehrt genug Koͤnigen und Koͤniginnen in Rechnung gebracht wird, welche nie - mals anderes als Muſterungs-Pulver rochen, nie außer ihren Luſtlagern ein Schlachtfeld, noch außer ihren Wachtpara - den ein Heer in Schlachtordnung erblickten.

Ich mache alſo keinen beſondern Anſpruch an die Ehre von unſern groͤßern Affaͤren mit dem Feinde. Wir thaten insgeſamt unſere Schuldigkeit, welches in der Sprache des Patrioten, des Sol - daten, und kurz des braven Mannes ein ſehr viel umfaſſender Ausdruck, ein Ausdruck von ſehr wichtigem Inhalt und Belang iſt, obgleich der große Haufen muͤſſiger Kannengießer ſich nur einen ſehr geringen und aͤrmlichen Begriff da - von machen mag. Da ich indeſſen einCorps47Corps Huſaren unter meinen Comando hatte, ſo ging ich auf verſchiedene Ex - peditionen aus, wo das Verhalten mei - ner eigenen Klugheit und Tapferkeit uͤberlaſſen war. Den Erfolg hiervon, denke ich denn doch, kann ich mit gutem Fug auf meine eigene und die Rechnung derjenigen braven Gefaͤhrten ſchreiben, die ich zu Sieg und Eroberung fuͤhrte.

Einſt, als wir die Tuͤrken in Oc - zakow hineintrieben, gings bey der Avantgarde ſehr heiß her. Mein feu - riger Lithauer haͤtte mich beynahe in des Teufels Kuͤche gebracht. Ich hatte einen ziemlich entfernten Vorpoſten und ſah den Feind in einer Wolke von Staub gegen mich anruͤcken, wodurch ich wegen ſeiner wahren Anzahl und Ab - ſicht gaͤnzlich in Ungewißheit blieb. Mich in eine aͤhnliche Wolke von Staub ein - zuhuͤllen waͤre freylich wohl ein Alltags - pfiff geweſen, wuͤrde mich aber eben ſo wenig kluͤger gemacht, als uͤberhauptder48der Abſicht naͤher gebracht haben, warum ich vorausgeſchickt war. Ich ließ daher meine Flanqueurs zur linken und rechten auf beyden Fluͤgeln ſich zerſtreuen, und ſo viel Staub erregen, als ſie nur immer konnten. Ich ſelbſt aber ging gerade auf den Feind los, um ihn naͤher in Augenſchein zu nehmen. Dieß gelang mir. Denn er ſtand und focht nur ſo lange, bis die Furcht vor meinen Flan - queurs ihn in Unordnung zuruͤcktrieb. Nun wars Zeit, tapfer uͤber ihn her - zufallen. Wir zerſtreueten ihn voͤllig, richteten eine gewaltige Niederlage an, und trieben ihn nicht allein in ſeine Fe - ſtung zu Loche, ſondern auch durch und durch, ganz uͤber und wider unſere blut - gierigſten Erwartungen.

Weil nun mein Lithauer ſo außeror - dentlich geſchwind war, ſo war ich der Vorderſte beym Nachſetzen, und da ich ſah, daß der Feind ſo huͤbſch zum ge - genſeitigen Thore wieder hinausfloh, ſohielt49hielt ichs fuͤr rathſam, auf dem Markt - platze anzuhalten, und da zum Rendezvous blaſen zu laſſen. Ich hielt an, aber ſtellt euch, ihr Herren, mein Erſtaunen vor, als ich weder Trompeter, noch irgend eine lebendige Seele von meinen Huſaren um mich ſah. 〟Sprengen ſie etwa durch andere Straßen? Oder was iſt aus ihnen geworden?〟 dachte ich. Indeſſen konnten ſie meiner Mei - nung nach unmoͤglich fern ſeyn und muß - ten mich bald einholen. In dieſer Er - wartung ritt ich meinen athemloſen Li - thauer zu einem Brunnen auf dem Marktplatze und ließ ihn trinken. Er ſoff ganz unmaͤßig und mit einem Heiß - durſte, der gar nicht zu loͤſchen war. Allein das ging ganz natuͤrlich zu. Denn als ich mich nach meinen Leuten umſah, was meint Ihr wohl, Ihr Herren, was ich da erblickte? Der ganze Hintertheil des armen Thieres, Kreuz und Lenden waren fort, und wie rein abgeſchnitten. So lief denn hintenDdas50das Waſſer eben ſo wieder heraus, als es von vorn hineingekommen war, ohne daß es dem Gaul zu gute kam, oder ihn erfriſchte. Wie das zugegangen ſeyn mochte, blieb mir ein voͤlliges Raͤth - ſel, bis lich zum Stadtthore zuruͤckritt. Da ſah ich nun, daß man, als ich pêle mêle mit dem fliehenden Feinde hereingedrungen war, das Schutzgatter, ohne daß ichs wahrgenommen, fallen gelaſſen hatte, wodurch denn der Hin - tertheil, der noch zuckend an der Außen - ſeite des Thores lag, rein abgeſchlagen war. Der Verluſt wuͤrde unerſetzlich geweſen ſeyn, wenn nicht unſer Cur - ſchmid ein Mittel ausgeſonnen haͤtte, beyde Theile, ſo lange ſie noch warm waren, wieder zuſammen zu ſetzen. Er heftete ſie nehmlich mit jungen Lorbeer - Sproͤßlingen, die gerade bey der Hand waren, zuſammen. Die Wunde heilte zu; und es begab ſich etwas, das nur einem ſo ruhmvollen Pferde begegnen konnte. Nehmlich, die Sproſſen ſchlu -gen

[figure]

51gen Wurzel in ſeinem Leibe, wuchſen empor und woͤlbten eine Laube uͤber mir, ſo daß ich hernach manchen ehrlichen Ritt im Schatten meiner ſowohl als meines Roſſes Lorbeern thun konnte.

Einer andern kleinen Ungelegenheit von dieſer Affaͤre will ich nur beylaͤufig erwaͤhnen. Ich hatte ſo heftig, ſo lange, ſo unermuͤdet auf den Feind los - gehauen, daß mein Arm dadurch endlich in eine unwillkuͤhrliche Bewegung des Hauens gerathen war, welcher ich nicht mehr ſteuern konnte, als der Feind ſchon laͤngſt uͤber alle Berge war. Um mich nun nicht ſelbſt, oder meine Leute, die mir zu nahe kamen, fuͤr nichts und wider nichts zu pruͤgeln, und zu Ruhe und Schlaf zu gelangen, ſah ich mich ge - noͤthigt, meinen Arm an die Acht Tage lang eben ſo gut in der Binde zu tra - gen, als ob er mir halb abgehauen ge - weſen waͤre.

D 2Einem52

Einem Manne, meine Herren, der einen Gaul, wie mein Lithauer war, zu reiten vermochte, koͤnnen Sie auch wohl noch ein anderes Voltigir - und Reiter - ſtuͤckchen zutrauen, welches außerdem vielleicht ein wenig fabelhaft klingen moͤchte. Wir belagerten nehmlich, ich weiß nicht mehr welche Stadt, und dem Feldmarſchal war ganz erſtaunlich viel an genauer Kundſchaft gelegen, wie die Sachen in der Feſtung ſtuͤnden. Es ſchien aͤußerſt ſchwehr, ja faſt unmoͤg - lich, durch alle Vorpoſten, Wachen und Feſtungswerke hinein zu gelangen, auch war eben kein tuͤchtiges Subject vorhan - den, wodurch man ſo was gluͤcklich aus - zurichten haͤtte hoffen koͤnnen. Vor Muth und Dienſteifer faſt ein wenig allzu raſch, ſtellte ich mich neben eine der groͤß - ten Kanonen, die ſo eben nach der Fe - ſtung abgefeuert ward, und ſprang im Hui auf die Kugel, in der Abſicht, mich in die Feſtung hineintragen zu laſſen. Als ich aber halbweges durch die Luftgeritten53geritten war, ſtiegen mir allerley nicht unerhebliche Bedenklichkeiten zu Kopfe. 〟Hum, dachte ich, hinein kommſt du nun wohl, allein wie hernach ſogleich wieder heraus? Und wie kanns dir in der Feſtung ergehen? Man wird dich ſogleich als einen Spion erkennen und an den naͤch - ſten Galgen haͤngen. Ein ſolches Bette der Ehren wollte ich mir denn doch wohl verbitten. Nach dieſen und aͤhnlichen Betrachtungen entſchloß ich mich kurz, nahm die gluͤckliche Gelegenheit wahr, als eine Kanonenkugel aus der Feſtung einige Schritte weit vor mir voruͤber nach unſerm Lager flog, ſprang von der meinigen auf dieſe hinuͤber, und kam, zwar unverrichteter Sache, jedoch wohlbehalten bey den lieben Unſrigen wieder an.

So leicht und fertig ich im Sprin - gen var, ſo war es auch mein Pferd. Weder Graben noch Zaͤune hielten mich jemals ab, uͤberall den geradeſten Weg zu reiten. Einſt ſetzte ich darauf hinterD 3einem54einem Haſen her, der queerfeldein uͤber die Heerſtraße lief. Eine Kutſche mit zwey ſchoͤnen Damen fuhr dieſen Weg gerade zwiſchen mir und dem Haſen vor - bey. Mein Gaul ſetzte ſo ſchnell und ohne Anſtoß mitten durch die Kutſche hin - durch, wovon die Fenſter aufgezogen waren, daß ich kaum Zeit hatte, meinen Huth abzuziehen, und die Damen wegen dieſer Freyheit unterthaͤnigſt um Verzeihung zu bitten.

Ein andres Mal wollte ich uͤber einen Moraſt ſetzen, der mir anſaͤnglich nicht ſo breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwe - bend in der Luft wendete ich daher wie - der um, wo ich hergekommen war, um einen groͤßern Anlauf zu nehmen. Gleich - wohl ſprang ich auch zum zweytenmale noch zu kurz, und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Moraſt. Hier haͤtte ich ohnfehlbar um - kommen muͤſſen, wenn nicht die Staͤrkemeines

[figure]

55meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, ſamt dem Pferde, welches ich feſt zwiſchen meine Kniee ſchloß, wieder herausgezogen haͤtte.

Trotz aller meiner Tapferkeit und Klugheit, trotz meiner und meines Pfer - des Schnelligkeit, Gewandtheit und Staͤrke, gings mir in dem Tuͤrkenkriege doch nicht immer nach Wunſche. Ich hatte ſogar das Ungluͤck, durch die Menge uͤbermannt und zum Kriegsgefangenen gemacht zu werden. Ja, was noch ſchlimmer war, aber doch immer unter den Tuͤrken gewoͤhnlich iſt, ich wurde zum Sclaven verkauft. In dieſem Stande der Demuͤthigung war mein Ta - gewerk nicht ſowohl hart und ſauer, als vielmehr ſeltſam und verdrießlich. Ich mußte nehmlich des Sultans Bienen alle Morgen auf die Weide treiben, ſie da - ſelbſt den ganzen Tag lang huͤten, und dann gegen Abend wieder zuruͤck in ihre Stoͤcke treiben. Eines Abends vermißteD 4ich56ich eine Biene, wurde aber ſogleich ge - wahr, daß zwey Baͤren ſie angefallen hatten, und ihres Honigs wegen in Stuͤcke zerreißen wollten. Da ich nun nichts anderes waffenaͤhnliches in Haͤn - den hatte, als die ſilberne Axt, welche das Kennzeichen der Gaͤrtner und Land - arbeiter des Sultans iſt, ſo warf ich dieſe nach den beiden Raͤubern, bloß in der Abſicht, ſie damit wegzuſcheu - chen. Die arme Biene ſetzte ich auch wirklich dadurch in Freyheit; allein durch einen ungluͤcklichen allzu ſtarken Schwung meines Armes flog die Axt in die Hoͤhe, und hoͤrte nicht auf zu fliegen, bis ſie im Monde nieder fiel. Wie ſollte ich ſie nun wieder kriegen? Mit welcher Lei - ter auf Erden ſie herunterholen? Da fiel mir ein, daß die tuͤrkiſchen Bohnen ſehr geſchwind und zu einer ganz erſtaun - lichen Hoͤhe empor wuͤchſen. Augenblick - lich pflanzte ich alſo eine ſolche Bohne, welche wirklich empor wuchs, und ſich an eines von des Mondes Hoͤrnern vonſelbſt

[figure]

57ſelbſt anrankte. Nun kletterte ich ge - troſt nach dem Monde empor, wo ich auch gluͤcklich anlangte. Es war ein ziemlich muͤhſeliges Stuͤckchen Arbeit, meine ſilberne Axt an einem Orte wie - der zu finden, wo alle andere Dinge gleichfalls wie Silber glaͤnzten. End - lich aber fand ich ſie doch auf einem Haufen von Spreu und Haͤckerling. Nun wollte ich wieder zuruͤckkehren, aber ach! die Sonnenhitze hatte indeſſen meine Bohne aufgetrocknet, ſo daß daran ſchlechterdings nicht wieder herabzuſteigen war. Was war nun zu thun? Ich flocht mir einen Strick von dem Haͤcker - linge, ſo lang ich ihn nur immer machen konnte. Dieſen befeſtigte ich an eines von des Mondes Hoͤrnern und ließ mich daran herunter. Mit der linken Hand hielt ich mich feſt und in der rechten fuͤhrte ich neine Axt. So wie ich nun eine Strcke hinunter geglitten war, ſo hieb ich inmer das uͤberfluͤßige Stuͤck uͤber mir ab, und knuͤpfte daſſelbe unten wiederD 5an,58an, wodurch ich denn ziemlich weit her - unter gelangte. Dieſes wiederhohlte Ab - hauen und Anknuͤpfen machte nun frey - lich den Strick eben ſo wenig beſſer, als ich mich voͤllig herab auf des Sul - tans Landgut brachte. Ich mochte wohl noch ein Paar Meilen weit droben in den Wolken ſeyn, als mein Strick auf einmal zerriß und ich mit ſolcher Hef - tigkeit herab auf Gottes Erdboden fiel, daß ich ganz betaͤubt davon wurde. Durch die Schwehre meines von einer ſolchen Hoͤhe herabfallenden Coͤrpers fiel ich ein Loch, wenigſtens neun Klafter tief, in die Erde hinein. Ich erhohlte mich zwar endlich wieder, wußte aber nun nicht, wie ich wieder herauskommen ſollte. Allein was thut nicht die Noth? Ich grub mir mit meinen Naͤgeln, deren Wuchs damals vierzigjaͤhrig war, eine Art von Treppe, und foͤrderte mich da - durch gluͤcklich zu Tage.

Durch dieſe muͤhſelige Erfahrung kluͤger gemacht, fing ichs nachher beſſeran,

[figure]

59an, der Baͤren, die ſo gern nach meinen Bienen und den Honigſtoͤcken ſtiegen, loß zu werden. Ich beſtrich die Deichſel eines Ackerwagens mit Honig, und legte mich nicht weit davon des Nachts in einen Hinterhalt. Was ich vermuthete, das geſchah. Ein ungeheurer Baͤr, herbeygelockt durch den Duft des Ho - nigs, kam an und fing vorn an der Spitze der Stange ſo begierig an zu lecken, daß er ſich die ganze Stange durch Schlund, Magen und Bauch bis hinten wieder hinausleckte. Als er ſich nun ſo artig auf die Stange hinauf ge - leckt hatte, lief ich hinzu, ſteckte vorn durch das Loch der Deichſel einen langen Pflock, verwehrte dadurch dem Naſcher den Ruͤckzug, und ließ ihn ſitzen bis an den andern Morgen. Ueber dieß Stuͤck - chen wollte ſich der Großſultan, der von ohngefaͤhr vorbey ſpazirte, faſt todtlachen.

Nicht lange hierauf machten die Ruſſen mit den Tuͤrken Frieden und ichwurde60wurde nebſt andern Kriegsgefangenen wieder nach St. Petersburg ausgelie - fert. Ich nahm aber nun meinen Ab - ſchied und verließ Rußland um die Zeit der großen Revolution vor etwa vier - zig Jahren, da der Kaiſer in der Wiege, nebſt ſeiner Mutter und ihrem Vater, dem Herzoge von Braunſchweig, dem Feldmarſchal von Muͤnnich und vie - len andern nach Sibirien geſchickt wur - den. Es herrſchte damals uͤber ganz Europa ein ſo außerordentlich ſtrenger Winter, daß die Sonne eine Art von Froſtſchaden erlitten haben muß, woran ſie ſeit der ganzen Zeit her bis auf den heutigen Tag geſiecht hat. Ich empfand daher auf der Ruͤckreiſe in mein Vaterland weit groͤßeres Ungemach, als ich auf meiner Hinreiſe nach Rußland erfahren hatte.

Ich mußte, weil mein Lithauer in der Tuͤrkey geblieben war, mit der Poſt reiſen. Als ſichs nun fuͤgte, daß wiran61an einen engen hohlen Weg zwiſchen hohen Dornhecken kamen, ſo erinnerte ich den Poſtilion, mit ſeinem Horne ein Zeichen zu geben, damit wir uns in die - ſem engen Paſſe nicht etwa gegen ein anderes entgegenkommendes Fuhrwerk feſtfahren moͤchten. Mein Kerl ſetzte an und blies aus Leibeskraͤften in das Horn, aber alle ſeine Bemuͤhungen waren umſonſt. Nicht ein einziger Ton kam heraus, welches uns ganz unerklaͤrlich, ja in der That fuͤr ein rechtes Ungluͤck zu achten war, indem bald eine andere uns entgegen kommende Kutſche auf uns ſtieß, vor welcher nun ſchlechterdings nicht vorbey zu kommen war. Nichts deſto weniger ſprang ich aus meinem Wagen und ſpannte zufoͤrderſt die Pferde aus. Hierauf nahm ich den Wagen, nebſt den vier Raͤdern und allen Paͤcke - reyen auf meine Schultern, und ſprang damit uͤber Ufer und Hecke, ohngefaͤhr neun Fuß hoch, welches in Ruͤckſicht auf die Schwere der Kutſche eben keineKleinig -62Kleinigkeit war, auf das Feld hinuͤber. Durch einen andern Ruͤckſprung gelangte ich, die fremde Kutſche voruͤber, wie - der in den Weg. Darauf eilte ich zuruͤck zu unſern Pferden, nahm unter jeden Arm eins, und hohlte ſie auf die vorige Art, nehmlich durch einen zwey - maligen Sprung hinuͤber und heruͤber, gleichfalls herbey, ließ wieder anſpannen und gelangte gluͤcklich am Ende der Sta - tion zur Herberge. Noch haͤtte ich an - fuͤhren ſollen, daß eins von den Pfer - den, welches ſehr muthig und nicht uͤber vier Jahr alt war, ziemlichen Unfug machen wollte. Denn als ich meinen zweyten Sprung uͤber die Hecke that, ſo verrieth es durch ſein Schnauben und Trampeln ein großes Mißbehagen an dieſer heftigen Bewegung. Dieß ver - wehrte ich ihm aber gar bald, indem ich ſeine Hinterbeine in meine Rocktaſche ſteckte. In der Herberge erhohlten wir uns wieder von unſerm Abentheuer. Der Poſtilion haͤngte ſein Horn an einenNagel63Nagel beym Kuͤchenfeuer, und ich ſetzte mich ihm gegen uͤber.

Nun hoͤrt, ihr Herren, was geſchah! Auf einmal gings: Tereng! Tereng! teng! teng! Wir machten große Augen und fanden nun auf einmal die Urſache aus, warum der Poſtilion ſein Horn nicht hatte blaſen koͤnnen. Die Toͤne waren in dem Horne feſtgefroren und kamen nun, ſo wie ſie nach und nach aufthaueten, hell und klar, zu nicht ge - ringer Ehre des Fuhrmanns heraus. Denn die ehrliche Haut unterhielt uns nun eine ziemliche Zeit lang mit der herrlichſten Modulation, ohne den Mund an das Horn zu bringen. Da hoͤrten wir den preuſſiſchen Marſch Ohne Lieb und ohne Wein Als ich auf meiner Bleiche Geſtern Abend war Vetter Michel da nebſt noch vielen andern Stuͤckchen, auch ſogar das Abend - lied: Nun ruhen alle Waͤlder Mit dieſem letzten endigte ſich denn dieſerThau -64Thauſpaß, ſo wie ich hiermit meine Ruſ - ſiſche Reiſe-Geſchichte.

Manche Reiſende ſind bisweilen im Stande, mehr zu behaupten, als genau genommen wahr ſeyn mag. Daher iſt es denn kein Wunder, wenn Leſer oder Zuhoͤrer ein wenig zum Unglauben ge - neigt werden. Sollten indeſſen einige von der Geſellſchaft an meiner Wahr - haftigkeit zweifeln, ſo muß ich ſie wegen ihrer Unglaͤubigkeit herzlich bemitleiden und ſie bitten, ſich lieber zu entfernen, ehe ich meine Schiffs-Abentheuer be - ginne, die zwar faſt noch wunderbarer, aber doch eben ſo authentiſch ſind.

Des65

Des Freyherrn von Muͤnchhauſen See-Abentheuer.

Im Jahr 1766 ſchiffte ich mich zu Portsmouth auf einem engliſchen Kriegsſchiffe erſter Ordnung, mit hun - dert Kanonen und vierzehnhundert Mann, nach Nord-America ein. Ich koͤnnte hier zwar erſt noch allerley, was mir in Eng - land begegnet iſt, erzaͤhlen; ich verſpare es aber auf ein anderes Mal. Eins jedoch, welches mir uͤberaus artig vorkam, will ich nur noch im Vorbeygehn mitnehmen. Ich hatte das Vergnuͤgen den Koͤnig mit großem Pompe in ſeinem Staatswa - gen nach dem Parlament fahren zu ſehen. Ein Kutſcher mit einem ungemein re - ſpectablen Barte, worein das engliſche Wapen ſehr ſauber geſchnitten war, ſaß gravitaͤtiſch auf dem Bocke und klatſchteEmit66mit ſeiner Peitſche ein eben ſo deutli - ches als kuͤnſtliches*)Georg Rex.

[figure]

Anlangend unſere Seereiſe, ſo be - gegnete uns nichts merkwuͤrdiges, bis wir ohngefaͤhr noch dreyhundert Meilen von dem St. Lorenzfluſſe entfernt waren. Hier ſtieß das Schiff mit erſtaunlicher Gewalt gegen etwas an, das uns wie ein Fels vorkam. Gleichwohl konnten wir, als wir das Senkbley auswarfen, mit fuͤnfhundert Klaftern noch keinen Grund finden. Was dieſen Vorfall noch wunderbarer und beynahe unbe - greiflich machte, war, daß wir unſer Steuerruder verlohren, das Bog - ſpriet mitten entzweybrachen und alle unſere Maſten von oben bis unten aus zerſplitterten, wovon auch zwey uͤberBord67Bord ſtoben. Ein armer Teufel, wel - cher gerade oben das Hauptſegel bey - legte, flog wenigſtens drey Meilen weit vom Schiffe weg, ehe er zu Waſſer fiel. Allein er rettete noch dadurch gluͤck - lich ſein Leben, daß er, waͤhrend er in der Luft flog, den Schwanz einer Roth - gans ergriff, welches nicht nur ſeinen Sturz in das Waſſer milderte, ſondern ihm auch Gelegenheit gab, auf ihrem Ruͤcken, oder vielmehr zwiſchen Hals und Fittigen, ſo lange nach zu ſchwimmen, bis er endlich wieder an Bord genom - men werden konnte. Ein anderer Be - weis von der Gewalt des Stoßes war dieſer, daß alles Volk zwiſchen den Ver - decken empor gegen die Kopfdecke ge - ſchnellt ward. Mein Kopf ward da - durch ganz in den Magen hinabgepufft, und es dauerte wohl einige Monathe, ehe er ſeine natuͤrliche Stellung wieder bekam. Noch befanden wir uns insge - ſamt in einem Zuſtande des Erſtaunens und einer allgemeinen unbeſchreiblichenE 2Ver -68Verwirrung, als ſich auf einmal alles durch Erſcheinung eines großen Wall - fiſches aufklaͤrte, welcher an der Oberflaͤche des Waſſers, ſich ſoͤm - mernd, eingeſchlafen war. Dieß Un - geheuer war ſo uͤbel damit zufrie - den, daß wir es mit unſerm Schiffe geſtoͤrt hatten, daß es nicht nur mit ſeinem Schwanze die Gallerie und einen Theil des Oberlofs einſchlug, ſondern auch zu gleicher Zeit den Hauptanker, welcher, wie gewoͤhnlich, am Steuer aufgewunden war, zwiſchen ſeine Zaͤhne packte, und wenigſtens ſechzig Meilen weit, ſechs Meilen auf eine Stunde ge - rechnet, mit unſerm Schiffe davon eilte. Gott weiß, wohin wir gezogen ſeyn wuͤr - den, wenn nicht noch gluͤcklicher Weiſe das Ankertau zerriſſen waͤre, wodurch der Wallfiſch unſer Schiff, wir aber auch zugleich unſern Anker verlohren. Als wir aber ſechs Monathe hierauf wie der nach Europa zuruͤckſegelten, ſo fan - den wir eben denſelben Wallſiſch, ineiner69einer Entfernung weniger Meilen von eben der Stelle, todt auf dem Waſſer ſchwimmen, und er maß ungelogen der Laͤnge nach wenigſtens eine halbe Meile. Da wir nun von einem ſo ungeheuern Thiere nur wenig an Bord nehmen konnten, ſo ſetzten wir unſere Boote aus, ſchnitten ihm mit großer Muͤhe den Kopf ab, und fanden zu unſerer großen Freude nicht nur unſern Anker, ſondern auch uͤber vierzig Klafter Tau, welches auf der linken Seite ſeines Ra - chens in einem hohlen Zahne ſteckte. Dieß war der einzige beſondere Umſtand, der ſich auf dieſer Reiſe zutrug. Doch halt! Eine Fatalitaͤt haͤtte ich beynahe vergeſſen. Als nehmlich das erſte Mal der Wallfiſch mit dem Schiffe davon ſchwamm, ſo bekam das Schiff einen Leck und das Waſſer drang ſo heftig herein, daß alle unſere Pumpen uns keine halbe Stunde vor dem Sinken haͤtten bewahren koͤnnen. Zum guten Gluͤcke entdeckte ich das Unheil zuerſt. E 3Es70Es war ein großes Loch, ohngefaͤhr einen Fuß im Durchmeſſer. Auf aller - ley Weiſe verſuchte ich es, das Loch zu verſtopfen, allein umſonſt. Endlich rettete ich dieß ſchoͤne Schiff und alle ſeine zahlreiche Mannſchaft durch den gluͤcklichſten Einfall von der Welt. Ob das Loch gleich ſo groß war, ſo fuͤllte ichs dennoch mit meinem Liebwertheſten aus, ohne meine Beinkleider abzuzie - hen; und ich wuͤrde ausgelanget haben, wenn auch die Oeffnung noch viel groͤßer geweſen waͤre. Sie werden ſich dar - uͤber nicht wundern meine Herren, wenn ich Ihnen ſage, daß ich auf beyden Seiten von hollaͤndiſchen, wenigſtens weſt - phaͤliſchen Vorfahren abſtamme. Meine Situation, ſo lange ich auf der Brille ſaß, war zwar ein wenig kuͤhl, in - deſſen ward ich doch bald durch die Kunſt des Zimmermannes erloͤſet.

Zweytes71

Zweytes See-Abentheuer.

Einſt war ich in großer Gefahr im mittellaͤndiſchen Meere umzukommen. Ich badete mich naͤhmlich an einem Sommernachmittage, ohnweit Marſeille, in der angenehmen See, als ich einen großen Fiſch, mit weit aufgeſperrtem Rachen, in der groͤßten Geſchwindig - keit auf mich daherſchießen ſah. Zeit war hier ſchlechterdings nicht zu verlie - ren, auch war es durchaus unmoͤglich, ihm zu entkommen. Unverzuͤglich druͤckte ich mich ſo klein zuſammen, als moͤg - lich, indem ich meine Fuͤße heraufzog und die Arme dicht an den Leib ſchloß. In dieſer Stellung ſchluͤpfte ich denn gerade zwiſchen ſeinen Kiefern hindurch, bis in den Magen hinab. Hier brachte ich, wie man leicht denken kann, einige Zeit in gaͤnzlicher Finſterniß, aber doch in einer nicht unbehaglichen Waͤrme zu. Da ich ihm aber nach und nach Ma - gendruͤcken verurſachen mochte, ſo waͤreE 4er72er mich wohl gern wieder los geweſen. Weil es mir gar nicht an Raume fehlte, ſo ſpielte ich ihm durch Tritt und Schritt, durch Hopp und He, gar manchen Poſſen. Nichts ſchien ihn aber mehr zu beunruhigen, als die ſchnelle Bewe - gung meiner Fuͤße, da ichs verſuchte, einen ſchottiſchen Triller zu tanzen. Ganz entſetzlich ſchrie er auf und erhob ſich faſt ſenkrecht mit ſeinem halben Leibe aus dem Waſſer. Hierdurch ward er aber von dem Volke eines vorbeyſegeln - den italiaͤniſchen Kauffarthey-Schiffes entdeckt, und in wenigen Minuten mit Harpunen erlegt. Sobald er an Bord gebracht war, hoͤrte ich das Volk ſich berathſchlagen, wie ſie ihn aufſchneiden wollten, um die groͤßte Quantitaͤt Oehl von ihm zu gewinnen. Da ich nun Italiaͤniſch verſtand, ſo gerieth ich in die ſchrecklichſte Angſt, daß ihre Meſſer auch mich par Compagnie mit aufſchneiden moͤchten. Daher ſtellte ich mich ſo viel moͤglich in die Mitte des Magens,worin

[figure]

73worin fuͤr mehr als ein Dutzend Mann hinlaͤnglich Platz war, weil ich mir wohl einbilden konnte, daß ſie mit den Ex - tremitaͤten den Anfang machen wuͤrden. Meine Furcht verſchwand indeſſen bald, da ſie mit Eroͤffnung des Unterleibes anfingen. Sobald ich nun nur ein wenig Licht ſchimmern ſah, ſchrie ich ihnen aus voller Lunge entgegen, wie angenehm es mir waͤre, die Herren zu ſehen, und durch ſie aus einer Lage er - loͤſet zu werden, in welcher ich beynahe erſtickt waͤre. Unmoͤglich laͤßt ſich das Erſtaunen auf allen Geſichtern lebhaft genug ſchildern, als ſie eine Menſchen - ſtimme aus einem Fiſche heraus ver - nahmen. Dieß wuchs natuͤrlicher Weiſe noch mehr, als ſie lang und breit einen nackenden Menſchen herausſpazieren ſahn. Kurz, meine Herren, ich erzaͤhlte ihnen die ganze Begebenheit, ſo wie ich ſie Ihnen jetzt erzaͤhlt habe, woruͤber ſie ſich denn alle faſt zu Tode verwundern wollten.

E 5Nach -74

Nachdem ich einige Erfriſchungen zu mir genommen hatte und in die See geſprungen war, um mich abzuſpuͤlen, ſchwamm ich nach meinen Kleidern, welche ich auch am Ufer eben ſo wie - derfand, als ich ſie gelaſſen hatte. So viel ich rechnen konnte, war ich ohnge - faͤhr drittehalb Stunden in dem Magen dieſer Beſtie eingekerkert geweſen.

Drittes75

Drittes See-Abentheuer.

Als ich noch in tuͤrkiſchen Dienſten war, beluſtigte ich mich oͤfters in einer Luſt-Barke auf dem Mare di Marmora, von wo aus man die herrlichſte Ausſicht auf ganz Conſtantinopel, das Seraglio des Groß-Sultans mit eingeſchloſſen, beherrſchet. Eines Morgens, als ich die Schoͤnheit und Heiterkeit des Him - mels betrachtete, bemerkte ich ein run - des Ding, ohngefaͤhr wie eine Billard - Kugel groß, in der Luft, von welchem noch etwas anderes herunter hing. Ich griff ſogleich nach meiner beſten und laͤng - ſten Vogelflinte, ohne welche, wenn ichs aͤndern kann, ich niemals ausgehe, oder ausre[i]ſe, lud ſie mit einer Kugel und feuer[t]e nach dem runden Dinge in der Luft; allein umſonſt. Ich wieder - hohlte den Schuß mit zwey Kugeln, rich - tete aber noch nichts aus. Erſt der dritte Schuß, mit vier oder fuͤnf Ku - geln machte an einer Seite ein Lochund76und brachte das Ding herab. Stellen Sie ſich meine Verwunderung vor, als ein niedlich vergoldeter Wagen, haͤngend an einem ungeheuern Ballon, groͤßer als die groͤßte Thurm-Kuppel im Um - fange, ohngefaͤhr zwey Klafter weit von meiner Barke herunter ſank. In den Wagen befand ſich ein Mann und ein halbes Schaf, welches gebraten zu ſeyn ſchien. Sobald ſich mein erſtes Erſtaunen gelegt hatte, ſchloß ich mit meinen Leuten um dieſe ſeltſame Gruppe einen dichten Kreis.

Dem Manne, der wie ein Franzoſe ausſah, welches er denn auch war, hingen aus jeder Taſche ein Paar praͤch - tige Uhrketten mit Berlocken, worauf, wie mich duͤnkt, große Herren und Da - men abgemahlt waren. Aus jedem Knopfloche hing ihm eine goldene Me - daille, wenigſtens hundert Ducaten am Werth, und an jeglichem ſeiner Finger ſteckte ein koſtbarer Ring mit Brillan -ten77ten Seine Rocktaſchen waren mit vollen Goldboͤrſen beſchwehrt, die ihn faſt zur Erde zogen. Mein Gott, dachte ich, der Mann muß dem menſchlichen Ge - ſchlechte außerordentlich wichtige Dienſte geleiſtet haben, daß die großen Herren und Damen, ganz wider ihre heutzu - tage ſo allgemeine Kniker-Natur, ihn ſo mit Geſchenken, die es zu ſeyn ſchie - nen, beſchwehren konnten. Bey allen dem befand er ſich denn doch gegenwaͤr - tig von dem Falle ſo uͤbel, daß er kaum im Stande war, ein Wort hervorzu - bringen. Nach einiger Zeit erhohlte er ſich wieder, und ſtattete folgenden Bericht ab. 〟Dieſes Luftfuhrwerk hatte ich zwar nicht Kopf und Wiſſenſchaft genug ſelbſt zu erfinden, dennoch aber mehr denn uͤberfluͤßige Luftſpringer - und Seiltaͤnzer-Waghalſigkeit zu be - ſteigen, und darauf mehrmalen in die Luft empor zu fahren. Vor ohngefaͤhr ſieben oder acht Tagen denn ich habe meine Rechnung verlohren erhob ichmich78mich damit auf der Landſpitze von Corn - wall in England und nahm ein Schaf mit, um von oben herab vor den Augen vieler tauſend Nachgaffer Kunſtſtuͤcke damit zu machen. Ungluͤcklicher Weiſe drehete ſich der Wind innerhalb zehen Minuten nach meinem Hinaufſteigen; und anſtatt mich nach Exeter zu treiben, wo ich wieder zu landen gedachte, ward ich hinaus nach der See getrieben, uͤber welcher ich auch vermuthlich die ganze Zeit her in der unermeßlichſten Hoͤhe geſchwebet habe.

Es war gut, daß ich zu meinem Kunſtſtuͤckchen mit dem Schafe nicht hatte gelangen koͤnnen. Denn am dritten Tage meiner Luftfahrt, wurde mein Hun - ger ſo groß, daß ich mich genoͤthigt ſah, das Schaf zu ſchlachten. Als ich nun damals unendlich hoch uͤber dem Monde war, und nach einer ſechzehnſtuͤn - digen noch weitern Auffahrt endlich der Sonne ſo nahe kam, daß ich mir die Augenbraunen verſengte, ſo legte ich das todte Schaf, nachdem ich es vor -her79her abgehaͤutet, an denjenigen Ort im Wagen, wo die Sonne die meiſte Kraft hatte, oder mit andern Worten, wo der Ballon keinen Schatten hinwarf, auf welche Weiſe es denn in ohngefaͤhr drey Viertel Stunden voͤllig gar briet. Von dieſem Braten habe ich die ganze Zeit her gelebt〟 Hier hielt mein Mann ein, und ſchien ſich in Betrachtung der Gegenſtaͤnde um ihn her zu vertiefen. Als ich ihm ſagte, daß die Gebaͤude da vor uns das Seraglio des Großherrn zu Conſtantinopel waͤren, ſo ſchien er außerordentlich beſtuͤrzt, indem er ſich ganz wo anders zu befinden geglaubt hatte. 〟Die Urſache meines langen Fluges, fuͤgte er endlich hinzu, war, daß mir ein Faden zerriß, der an einer Klappe in dem Luftballe ſaß, und dazu diente, die inflammable Luft herauszu - laſſen. Waͤre nun nicht auf den Ball gefeuert und derſelbe dadurch aufgeriſſen worden, ſo moͤchte er wohl, wie Ma - homet, bis an den juͤngſten Tag zwi -ſchen80ſchen Himmel und Erde geſchwebt ha - ben. Den Wagen ſchenkte er hier - auf großmuͤthig meinem Bootsmanne, der hinten am Steuer ſtand. Den Ha - melsbraten warf er ins Meer. Was aber den Luftball anlangte, ſo war der von dem Schaden, welchen ich ihm zu - gefuͤgt hatte, im herunterfallen vollends ganz und gar zu Stuͤcken zerriſſen.

Viertes81

Viertes See-Abentheuer.

Da wir noch Zeit haben, meine Herren, eine friſche Flaſche auszutrin - ken, ſo will ich Ihnen noch eine an - dere ſehr ſeltſame Begebenheit erzaͤhlen, die mir wenige Monathe vor meiner letzten Ruͤckreiſe nach Europa begegnete.

Der Großherr, welchem ich durch die Roͤmiſch - und Ruſſiſch-Kaiſerlichen, wie auch franzoͤſiſchen Botſchafter vor - geſtellet worden war, bediente ſich meiner, ein Geſchaͤft von großer Wichtigkeit zu Großkairo zu betreiben, welches zugleich ſo beſchaffen war, daß es immer und ewig ein Geheimniß bleiben mußte.

Ich reiſete mit großem Pompe in einem ſehr zahlreichen Gefolge zu Lande ab. Unterweges hatte ich Gelegenheit, meine Dienerſchaft mit einigen ſehr brauchbaren Subjecten zu vermehren. Denn als ich kaum einige Meilen weit vonFConſtan -82Conſtantinopel entfernt ſeyn mochte, ſah ich einen kleinlichen ſchmaͤchtigen Men - ſchen mit großer Schnelligkeit queerfeld - ein daher laufen, und gleichwohl trug das Maͤnnchen an jedem Beine ein bleyernes Gewicht, an die funfzig Pfund ſchwehr. Verwunderungsvoll uͤber dieſen Anblick rief ich ihn an und fragte: Wohin, wo hin ſo ſchnell, mein Freund? Und warum erſchwehrſt du dir deinen Lauf durch eine ſolche Laſt?〟 〟Ich lief, verſetzte der Laͤufer, ſeit einer halben Stunde aus Wien, wo ich bisher bey einer vornehmen Herrſchaft in Dienſten ſtand, und heute meinen Abſchied nahm. Ich gedenke nach Conſtantinopel, um daſelbſt wieder anzukommen. Durch die Gewichte an meinen Beinen habe ich meine Schnelligkeit, die jetzt nicht noͤthig iſt, ein wenig mindern wollen. Denn moderata durant, pflegte weiland mein Praͤceptor zu ſagen. Dieſer Aſa - hel gefiel mir nicht uͤbel; ich fragte ihn, ob er bey mir in Dienſte treten wollte,und83und er war dazu bereit. Wir zogen hierauf weiter durch manche Stadt, durch man - ches Land. Nicht fern vom Wege auf einem ſchoͤnen Gras-Rein lag maͤußchen ſtill ein Kerl, als ob er ſchliefe. Allein das that er nicht. Er hielt vielmehr ſein Ohr ſo aufmerkſam zur Erde, als haͤtte er die Einwohner der unterſten Hoͤlle behorchen wollen. 〟Was horchſt du da, mein Freund?〟 〟Ich horche da zum Zeitvertreibe auf das Gras, und hoͤre, wie es waͤchſt. Und kannſt du das?〟 〟O Kleinig - keit!〟 〟So tritt in meine Dienſte, Freund, wer weiß, was es bisweilen nicht zu horchen geben kann. Mein Kerl ſprang auf und folgte mir. Nicht weit davon auf einem kleinen Huͤ - gel ſtand mit angelegtem Gewehr ein Jaͤger und knallte in die blaue leere Luft. 〟Gluͤck zu, Gluͤck zu, Herr Waidmann! Doch wonach ſchießeſt du? Ich ſehe nichts, als blaue leere Luft. 〟O ich verſuchte nur dieß neue Kuchen -F 2reuterſche84reuterſche Gewehr. Dort auf der Spitze des Muͤnſters zu Straßburg ſaß ein Sperling. Den ſchoß ich eben jetzt herab. Wer meine Paſſion fuͤr das edle Waid - und Schuͤtzenwerk kennt, den wird es nicht Wunder nehmen, daß ich dem vortreflichen Schuͤtzen ſogleich um den Hals fiel. Daß ich nichts ſparte, auch ihn in meine Dienſte zu ziehen, verſteht ſich von ſelbſt. Wir zogen dar - auf weiter durch manche Stadt, durch manches Land, und kamen endlich vor dem Berge Libanon vorbey. Daſelbſt vor einem großen Cedernwalde ſtand ein derber un - terſetzter Kerl und zog an einem Stricke, der um den ganzen Wald herum ge - ſchlungen war. 〟Was ziehſt du da, mein Freund?〟 fragte ich den Kerl. 〟O ich ſoll Bauholz hohlen, und habe meine Axt zu Hauſe vergeſſen. Nun muß ich mir ſo gut helfen, als es angehen will. Mit dieſen Worten zog er in einem Ruck den ganzen Wald, bey einer Quadratmeile groß, wie einenSchilf -85Schilfbuſch vor meinen Augen nieder. Was ich that, das laͤßt ſich rathen. Ich haͤtte den Kerl nicht fahren laſſen, und haͤtte er mir meinen ganzen Ambaſ - ſadeur-Gehalt gekoſtet. Als ich hier - auf fuͤrbaß und endlich auf aͤgyptiſchen Grund und Boden kam, erhob ſich ein ſo ungeheuerer Sturm, daß ich mit allen meinen Wagen, Pferden und Gefolge ſchier umgeriſſen und in die Luft davon gefuͤhrt zu werden fuͤrchtete. Zur linken Seite unſeres Weges ſtanden ſieben Windmuͤhlen in einer Reihe, deren Fluͤ - gel ſo ſchnell um ihre Achſen ſchwirrten, als eine Rockenſpindel der ſchnellſten Spinnerinn. Nicht weit davon zur Rechten ſtand ein Kerl, von Sir John Falſtafs Corpulenz, und hielt ſein rech - tes Naſenloch mit ſeinem Zeigefinger zu. Sobald der Kerl unſere Noth und uns ſo kuͤmmerlich in dieſem Sturme haſpeln ſah, drehte er ſich halb um, machte Fronte gegen uns, und zog ehrerbietig, wie ein Muſquetier vor ſeinem Oberſten,F 3den86den Huth vor mir ab. Auf einmal regte ſich kein Luͤftchen mehr und alle ſieben Windmuͤhlen ſtanden ploͤtzlich ſtill. Erſtaunt uͤber dieſen Vorfall, der nicht natuͤrlich zuzugehen ſchien, ſchrie ich dem Unhold zu: 〟Kerl was iſt das? Sitzt dir der Teufel im Leibe, oder biſt du der Teufel ſelbſt?〟 〟Um Verge - bung, Ihro Excellenz!〟 antwortete mir der Menſch; 〟ich mache da nur meinem Herrn, dem Windmuͤller, ein wenig Wind. Um nun die ſieben Windmuͤhlen nicht ganz und gar umzublaſen, mußte ich mir wohl das eine Naſenloch zu halten. Ey, ein vortrefliches Sub - ject! dachte ich in meinem ſtillen Sinn. Der Kerl laͤßt ſich gebrauchen, wenn du dereinſt zu Hauſe kommſt und dirs an Athem fehlt, alle die Wunderdinge zu erzaͤhlen, die dir auf deinen Reiſen zu Land und Waſſer aufgeſtoßen ſind. Wir wurden daher bald des Handels eins. Der Windmacher ließ ſeine Muͤhlen ſtehn und folgte mir.

Nach87

Nach gerade wars nun Zeit in Großkairo anzulangen. Sobald ich da - ſelbſt meinen Auftrag nach Wunſch aus - gerichtet hatte, gefiel es mir, mein ganzes unnuͤtzes Geſandten-Gefolge, außer meinen neuangenommenen nuͤtzli - chern Subjecten zu verabſchieden, und mit dieſen als ein bloßer Privatmann zuruͤck zu reiſen. Da nun das Wetter gar herrlich und der berufene Nilſtrom uͤber alle Beſchreibung reizend war, ſo gerieth ich in Verſuchung eine Barke zu miethen und bis Alexandrien zu Waſſer zu reiſen. Das ging nun ganz vor - treflich, bis in den dritten Tag. Sie haben, meine Herren, vermuthlich ſchon mehrmals von den jaͤhrlichen Ueber - ſchwemmungen des Nils gehoͤrt. Am dritten Tage, wie geſagt, fing der Nil ganz unbaͤndig an zu ſchwellen, und am folgenden Tage war links und rechts das ganze Land viele Meilen weit und breit uͤberſchwemmet. Am fuͤnften Tage nach Sonnen-Untergang verwickelte ſichF 4meine88meine Barke auf einmal in etwas, das ich fuͤr Ranken und Strauchwerk hielt. Sobald es aber am naͤchſten Morgen heller ward, fand ich mich uͤberall von Mandeln umgeben, welche vollkommen teif und ganz vortreflich waren. Als wir das Senkbley auswarfen, fand ſich, daß wir wenigſtens ſechzig Fuß hoch uͤber dem Boden ſchwebten, und ſchlech - terdings weder vor noch ruͤckwaͤrts konn - ten. Ohngefaͤhr gegen acht oder neun Uhr, ſoviel ich aus der Hoͤhe der Sonne abnehmen konnte, erhob ſich ein ploͤtzli - cher Wind, der unſere Barke ganz auf eine Seite umlegte. Hierdurch ſchoͤpfte ſie Waſſer, ſank unter, und ich hoͤrte und ſah in langer Zeit nichts wieder da - von, wie ſie gleich vernehmen werden. Gluͤcklicher Weiſe retteten wir uns ins - geſamt, naͤhmlich acht Maͤnner und zwey Knaben, indem wir uns an den Baͤu - men feſthielten, deren Zweige zwar fuͤr uns, allein nicht fuͤr die Laſt unſerer Barke hinreichten. In dieſer Situationverblie -

[figure]

89verblieben wir drey Wochen und drey Tage und lebten ganz allein von Man - deln. Daß es am Trunke nicht fehlte, verſtehet ſich von ſelbſt. Am zwey und zwanzigſten Tage unſers Unſterns fiel das Waſſer wieder eben ſo ſchnell, als es geſtiegen war; und am ſechs und zwanzigſten konnten wir wieder auf Terra firma fußen. Unſere Barke war der erſte angenehme Gegenſtand, den wir erblickten. Sie lag ohngefaͤhr zweyhun - dert Klafter weit von dem Orte, wo ſie geſunken war. Nachdem wir nun alles, was uns noͤthig und nuͤtzlich war, an der Sonne getrocknet hatten, ſo ver - ſahen wir uns mit den Nothwendig - keiten aus unſerm Schiffsvorrath, und machten uns auf, unſere verlohrne Straße wieder zu gewinnen. Nach der genaueſten Berechnung fand ſich, daß wir an die hundert und funfzig Meilen weit uͤber Gartenwaͤnde und mancherley Ge - haͤge hinweggetrieben waren. In ſieben Tagen erreichten wir den Fluß, der nunF 5wieder90wieder in ſeinen Bette ſtroͤmte, und er - zaͤhlten unſer Abentheuer einem Bey. Liebreich half dieſer allen unſern Beduͤrf - niſſen ab, und ſendete uns in einer von ſeinen eigenen Barken weiter. In ohn - gefaͤhr ſechs Tagen langten wir zu Ale - xandrien an, allwo wir uns nach Con - ſtantinopel einſchifften. Ich wurde von dem Großherrn uͤberaus gnaͤdig empfan - gen, und hatte die Ehre ſeinen Harem zu ſehen, wo ſeine Hoheit ſelbſt mich hineinzufuͤhren und ſo viele Damen, ſelbſt die Weiber nicht ausgenommen, anzu - bieten geruheten, als ich mir nur immer zu meinem Vergnuͤgen ausleſen wollte.

Mit meinen Liebes-Abentheuern pflege ich nie groß zu thun, daher wuͤnſche ich Ihnen, meine Herren, jetzt insge - ſammt eine angenehme Ruhe.

Fuͤnftes91

Fuͤnftes See-Abentheuer.

Nach Endigung der aͤgyptiſchen Reiſegeſchichte wollte der Baron auf - brechen und zu Bette gehen, gerade als die erſchlaffende Aufmerkſamkeit jedes Zuhoͤrers bey Erwaͤhnung des Groß - herrlichen Harems in neue Spannung ge - rieth. Sie haͤtten gar zu gern noch etwas von dem Harem gehoͤrt. Da aber der Baron ſich durchaus nicht darauf einlaſſen und gleichwohl der mit Bitten auf ihn losſtuͤrmenden muntern Zuhoͤrer - ſchaft nicht alles abſchlagen wollte, ſo gab er noch einige Stuͤckchen ſeiner merk - wuͤrdigen Dienerſchaft zum Beſten und fuhr in ſeiner Erzaͤhlung alſo fort.

Bey dem Groß-Sultan galt ich ſeit meiner aͤgyptiſchen Reiſe alles in allem. Seine Hoheit konnten gar ohne mich nicht leben und baten mich jeden Mittag und Abend bey ſich zum Eſſen. Ich muß bekennen, meine Herren, daßder92der tuͤrkiſche Kaiſer unter allen Poten - taten auf Erden den delicateſten Tiſch fuͤhret. Jedoch iſt dieß nur von den Speiſen, nicht aber von dem Getraͤnke zu verſtehen, da, wie Sie wiſſen wer - den, Mahomets Geſetz ſeinen Anhaͤn - gern den Wein verbietet. Auf ein gutes Glas Wein muß man alſo an oͤffent - lichen tuͤrkiſchen Tafeln Verzicht thun. Was indeſſen gleich nicht oͤffentlich ge - ſchieht, das geſchieht doch nicht ſelten heimlich; und des Verbots ungeachtet, weiß mancher Tuͤrk ſo gut, als der beſte deutſche Praͤlat, wie ein gutes Glas Wein ſchmeckt. Das war nun auch der Fall mit Seiner tuͤrkiſchen Hoheit. Bey der oͤffentlichen Tafel, an welcher gewoͤhnlich der tuͤrkiſche General-Su - perintendent, naͤhmlich der Mufti, in partem Salarii mit ſpeiſete und vor Tiſche das: Aller Augen nach Tiſche aber das Gratias beten mußte, wurde des Weines auch nicht mit einer einzigen Sylbe gedacht. Nach aufgehobenerTafel93Tafel aber wartete auf Seine Hoheit gemeiniglich ein gutes Flaͤſchchen im Cabinette. Einſt gab der Großſultan mir einen verſtohlenen freundlichen Wink, ihm in ſein Cabinett zu folgen. Als wir uns nun daſelbſt eingeſchloſſen hatten, hohlte er aus einem Schraͤnkchen eine Flaſche hervor, und ſprach: Muͤnch - hauſen, ich weiß ihr Chriſten verſteht euch auf ein gutes Glas Wein. Da habe ich noch ein einziges Flaͤſchchen Tockaier. So delicat muͤßt ihr ihn in euerm Leben nicht getrunken haben. Hierauf ſchenkten Seine Hoheit ſowohl mir als ſich eins ein und ſtießen mit mir an. Nun was ſagt ihr? Gelt! es iſt was extra feines?〟 〟Das Weinchen iſt gut, Ihro Hoheit, er - wiederte ich; allein mit Ihrem Wohl - nehmen muß ich doch ſagen, daß ich ihn in Wien beym Hochſeligen Kaiſer Carl dem ſechſten weit beſſer getrunken habe. Potz Stern! den ſollten Ihro Hoheit einmal verſuchen. FreundMuͤnch -94Muͤnchhauſen, euer Wort in Ehren! Allein es iſt unmoͤglich, daß irgend ein Tockaier beſſer ſey. Denn ich bekam einſt nur dieß eine Flaͤſchchen von einem Ungariſchen Cavalier und er that ganz verzweifelt rar damit. Poſſen, Ihro Hoheit! Tockaier und Tockaier iſt ein großmaͤchtiger Unterſchied. Die Herren Ungarn uͤberſchenken ſich eben nicht. Was gilt die Wette, ſo ſchaffe ich Ihnen in Zeit von einer Stunde gerades Weges und unmittelbar aus dem Kaiſerlichen Keller eine Flaſche Tockaier, die aus ganz andern Au - gen ſehen ſoll. 〟Muͤnchhau - ſen, ich glaube ihr faſelt. 〟Ich faſele nicht. Gerades Weges aus dem Kaiſerlichen Keller in Wien ſchaffe ich Ihnen in Zeit von einer Stunde eine Flaſche Tockaier von einer ganz andern Nummer, als dieſer Kraͤtzer hier. Muͤnchhauſen, Muͤnchhauſen! Ihr wollt mich zum Beſten haben und das ver - bitte ich mir. Ich kenne euch zwarſonſt95ſonſt als einen uͤberaus wahrhaften Mann, allein jezt ſollte ich doch faſt denken, Ihr flunkertet. 〟Ey nun, Ihro Hoheit! Es kommt ja auf die Probe an. Erfuͤlle ich nicht mein Wort denn von allen Aufſchneide - reyen bin ich der abgeſagteſte Feind ſo laſſen Ihro Hoheit mir den Kopf abſchlagen. Allein mein Kopf iſt kein Pappenſtiel. Was ſetzen Sie mir da - gegen?〟 〟Top! Ich halte euch beym Worte. Iſt auf den Schlag Vier nicht die Flaſche Tockaier hier, ſo koſtets euch ohne Barmherzigkeit den Kopf. Denn foppen laſſe ich mich auch von meinen beſten Freunden nicht. Be - ſteht ihr aber, wie Ihr verſprecht, ſo koͤnnet ihr aus meiner Schatzkammer ſo viel an Gold, Silber, Perlen und Edel - geſteinen nehmen, als der ſtaͤrkſte Kerl davon zu ſchleppen vermag. 〟Das laͤßt ſich hoͤren!〟 antwortete ich, bat mir gleich Feder und Dinte aus und ſchrieb an die Kaiſerinn-Koͤnigian Maria Thereſia folgendes Billet:〟Ihre96〟Ihre Majeſtaͤt haben ohnſtreitig 〟als Univerſal-Erbinn auch Ihres 〟Hoͤchſtſeligen Herren Vaters Kel - 〟ler mitgeerbt. Duͤrſte ich mir 〟wohl durch Vorzeigern dieſes 〟eine Flaſche von dem Tockaier 〟ausbitten, wie ich ihn bey Ih - 〟rem Herren Vater oft getrunken 〟habe? Allein von dem Beſten! 〟Denn es gilt eine Wette. Ich 〟diene gern dafuͤr wieder, wo 〟ich kann, und beharre uͤbrigens 〟u. ſ. w.

Dieß Billet gab ich, weil es ſchon fuͤnf Minuten uͤber drey Uhr war, nur ſogleich offen meinem Laͤufer, der ſeine Ge - wichte abſchnallen und ſich unverzuͤglich auf die Beine nach Wien machen mußte. Hierauf tranken wir, der Groß - ſultan und ich, den Reſt von ſeiner Flaſche in Erwartung des beſſern vol - lends aus. Es ſchlug ein Viertel, es ſchlug Halb, es ſchlug drey Viertel auf Vier, und noch war kein Laͤufer zu hoͤrenund97und zu ſehen. Nach gerade, geſtehe ich, fing mir an ein wenig ſchwul zu werden; denn es kam mir vor, als blickten Seine Hoheit ſchon bisweilen nach der Glockenſchnur, um nach dem Scharf - richter zu klingeln. Noch erhielt ich zwar Erlaubniß, einen Gang hinaus in den Garten zu thun, um friſche Luft zu ſchoͤpfen, allein es folgten mir auch ſchon ein Paar dienſtbare Geiſter nach, die mich nicht aus den Augen ließen. In dieſer Angſt, und als der Zeiger ſchon auf fuͤnf und funfzig Minuten ſtand, ſchickte ich noch geſchwind nach meinem Horcher und Schuͤtzen. Sie kamen un - verzuͤglich an, und der Horcher mußte ſich platt auf die Erde niederlegen, um zu hoͤren, ob nicht mein Laufer endlich ankaͤme. Zu meinem nicht geringen Schrecken meldete er mir, daß der Schlin - gel irgendwo, allein weit weg von hier, im tiefſten Schlafe laͤge und aus Leibes - kraͤften ſchnarchte. Dieß hatte mein braver Schuͤtze nicht ſobald gehoͤrt, alsGer98er auf eine etwas hohe Terraſſe lief und, nachdem er ſich auf ſeinen Zehen noch mehr empor gereckt hatte, haſtig ausrief: 〟Bey meiner armen Seele! Da liegt der Fau - lenzer unter einer Eiche bey Belgrad und die Flaſche neben ihm. Wart! Ich will dich aufkitzeln. Und hier - mit legte er unverzuͤglich ſeine Kuchen - reuterſche Flinte an den Kopf und ſchoß die volle Ladung oben in den Wipfel des Baumes. Ein Hagel von Eicheln, Zweigen und Blaͤttern fiel herab auf den Schlaͤfer, erweckte und brachte ihn, da er ſelbſt fuͤrchtete, die Zeit beynahe verſchlafen zu haben, dermaßen geſchwind auf die Beine, daß er mit ſeiner Flaſche und einem eigenhaͤndigen Billet von Maria Thereſia, um 59½ Minuten auf vier Uhr vor des Sultans Cabinette anlangte. Das war ein Gau - dium! Ey, wie ſchluͤrfte das Großherr - liche Leckermaul! 〟Muͤnchhauſen, ſprach er, Ihr muͤßt es mir nicht uͤbel neh - men, wenn ich dieſe Flaſche fuͤr michallein99allein behalte. Ihr ſteht zu Wien beſſer, als ich; Ihr werdet ſchon an noch mehr zu kommen wiſſen. Hier - mit ſchloß er die Flaſche in ſein Schraͤnk - chen, ſteckte den Schluͤſſel in die Ho - ſentaſche, und klingelte nach dem Schatz - meiſter. O welch ein angenehmer Silberton meinen Ohren! 〟Ich muß euch nun die Wette bezahlen. Hier! ſprach er zum Schatzmeiſter, der ins Zimmer trat, laßt meinem Freunde Muͤnchhauſen ſo viel aus der Schatz - kammer verabfolgen, als der ſtaͤrkſte Kerl wegzutragen vermag. Der Schatzmeiſter neigte ſich vor ſeinem Herrn bis mit der Naſe zur Erde, mir aber ſchuͤttelte der Großſultan ganz treuher - zig die[Hand], und ſo ließ er uns beyde gehn.

Ich ſaͤumte nun, wie Sie denken koͤnnen, meine Herren, keinen Augen - blick, die erhaltene Aſſignation geltend zu machen, ließ meinen Starken mitG 2ſeinem100ſeinem langen haͤnfenen Stricke kommen und verfuͤgte mich in die Schatzkammer. Was da mein Starker, nachdem er ſein Buͤndel geſchnuͤrt hatte, uͤbrig ließ, das werden Sie wohl ſchwehrlich hohlen wollen. Ich eilte mit meiner Beute gerades Weges nach dem Hafen, nahm dort das groͤßte Laſtſchiff, das zu be - kommen war, in Beſchlag, und ging wohlbepackt mit meiner ganzen Diener - ſchaft unter Segel, um meinen Fang in Sicherheit zu bringen, ehe was wi - driges dazwiſchen kam. Was ich be - fuͤrchtet hatte, das geſchah. Der Schatz - meiſter hatte Thuͤr und Thor von der Schatzkammer offen gelaſſen und freylich wars nicht groß mehr noͤthig, ſie zu verſchließen war uͤber Hals und Kopf zum Großſultan gelaufen und hatte ihm Bericht abgeſtattet, wie vollkom - men wohl ich ſeine Aſſignation genutzt hatte. Das war denn nun dem Groß - ſultan nicht wenig vor den Kopf gefah - ren. Die Reue uͤber ſeine Uebereilungkonnte101konnte nicht lange ausbleiben. Er hatte daher gleich dem Großadmiral befohlen, mit der ganzen Flotte hinter mir her - zueilen, und mir zu inſinuiren, daß wir ſo nicht gewettet haͤtten. Als ich daher noch nicht zwey Meilen weit in See war, ſo ſah ich ſchon die ganze tuͤrkiſche Kriegsflotte mit vollen Segeln hinter mir herkommen, und ich muß geſtehen, daß mein Kopf, der kaum wieder feſt geworden war, nicht wenig von neuem anfing zu wackeln. Allein nun war mein Windmacher bey der Hand und ſprach: 〟Laſſen ſich Ihro Excellenz nicht bange ſeyn!〟 Er trat hierauf auf das Hinterverdeck meines Schiffes, ſo daß ſein eines Naſenloch nach der tuͤr - kiſchen Flotte, das andere aber auf un - ſere Segel gerichtet war, und blies eine ſo hinlaͤngliche Portion Wind, daß die Flotte an Maſten, Segel - und Tauwerk gar uͤbel zugerichtet, nicht nur bis in den Hafen zuruͤckgetrieben, ſondern auchG 3mein102mein Schiff in wenig Stunden gluͤcklich nach Italien getrieben ward. Von meinem Schatze kam mir jedoch wenig zu gute. Denn in Italien iſt, trotz der Ehrenrettung des Herrn Bibliothekar Jagemann in Weimar*)S. deutſches Muſeum 1786., Armuth und Betteley ſo groß und die Polizey ſo ſchlecht, daß ich erſtlich, weil ich viel - leicht eine allzu gutwillige Seele bin, den groͤßten Theil an die Straßenbettler aus - ſpenden mußte. Der Reſt aber wurde mir auf meiner Reiſe nach Rom, auf der geheiligten Flur von Loretto, durch eine Bande Straßenraͤuber abgenommen. Das Gewiſſen wird dieſe Herrn nicht ſehr daruͤber beunruhigt haben. Denn ihr Fang war noch immer ſo anſehnlich, daß um den tauſendſten Theil die ganze honette Geſellſchaft ſowohl fuͤr ſich, als ihre Erben und Erbnehmen, auf alle vergangene und zukuͤnftige Suͤnden, voll - kommenen Ablaß ſelbſt aus der er -ſten103ſten und beſten Hand in Rom dafuͤr er - kaufen konnte.

Nun aber, meine Herren, iſt in der That mein Schlafſtuͤndchen da. Schlafen Sie wohl!

G 4Sechſtes104

Sechſtes und letztes See-Abentheuer.

Nach Endigung des vorigen Aben - theuers, ließ ſich der Baron nicht laͤn - ger halten, ſondern brach wirklich auf, und verließ die Geſellſchaft in der beſten Laune. Als ſich nun Jedermann nach ſeiner Weiſe uͤber die Unterhaltung herausließ, die er ſo eben verſchafft hatte, ſo bemerkte einer von der Ge - ſellſchaft, ein Partiſan des Barons, der ihn auf ſeiner letzten Reiſe in die Tuͤrkey begleitet hatte, daß ohnweit Conſtantinopel ein ungeheuer großes Geſchuͤtz befindlich ſey, deſſen der Ba - ron Tott in ſeinen neulich herausgekom - menen Denkwuͤrdigkeiten ganz beſonders erwaͤhnet. Was er davon meldet, iſt, ſo viel ich mich erinnere, folgendes: 〟Die Tuͤrken hatten ohnweit der Stadt uͤber der Citadelle auf dem Ufer des beruͤhmten Fluſſes Simois, ein unge - heueres Geſchuͤtz aufgepflanzt. Daſſelbe war ganz aus Kupfer gegoſſen, undſchoß105ſchoß eine Marmorkugel wenigſtens elf - hundert Pfund an Gewicht. Ich hatte große Luſt, ſagt Tott, es abzufeuern, um erſt aus ſeiner Wirkung gehoͤrig zu urtheilen. Alles Volk um mich her zitterte und bebte, weil es ſich ver - ſichert hielt, daß Schloß und Stadt davon uͤbern Haufen ſtuͤrzen wuͤrden. Endlich ließ doch die Furcht ein wenig nach, und ich bekam Erlaubniß, das Geſchuͤtz abzufeuern. Es wurden nicht weniger, als Dreyhundert und dreyßig Pfund Pulver dazu erfordert, und die Kugel wog, wie ich vorhin ſagte, Elf - hundert Pfund. Als der Kanonier mit dem Zuͤnder ankam, zog ſich der Haufen, der mich umgab, ſo weit zu - ruͤck, als er konnte. Mit genauer Noth uͤberredete ich den Baſſa, der aus Be - ſorgniß herzukam, daß keine Gefahr zu beſorgen ſey. Selbſt dem Kanonier, der es nach meiner Anweiſung abfeuern ſollte, klopfte vor Angſt das Herz. Ich nahm meinen Platz in einer Mauer -G 5ſchanze106ſchanze hinter dem Geſchuͤtze, gab das Zeichen und fuͤhlte einen Stoß, wie von einem Erdbeben. In einer Ent - fernung von dreyhundert Klaftern zer - ſprang die Kugel in drey Stuͤcke; dieſe flogen uͤber die Meerenge, prallten von dem Waſſer empor an die gegenſeitigen Berge und ſetzten den ganzen Canal, ſo breit er war, in Einen Schaum.

Dieß, meine Herren, iſt, ſoviel ich mich erinnere, Baron Totts Nach - richt von der groͤßten Kanone in der bekannten Welt. Als nun der Herr ven Muͤnchhauſen und ich jene Gegend beſuchten, wurde die Abfeuerung dieſes ungeheuern Geſchuͤtzes durch den Baron Tott uns als ein Beyſpiel der außer - ordentlichen Herzhaftigkeit dieſes Herren erzaͤhlt.

Mein Goͤnner, der es durchaus nicht vertragen konnte, daß ein Fran - zoſe ihm etwas zuvorgethan haben ſollte,nahm107nahm eben dieſes Geſchuͤtz auf ſeine Schulter, ſprang, als ers in ſeine eigentliche wagrechte Lage gebracht hatte, gerades Weges ins Meer, und ſchwamm damit an die gegenſeitige Kuͤſte. Von dort aus verſuchte er un - gluͤcklicher Weiſe die Kanone auf ihre vorige Stelle zuruͤck zu werfeu. Ich ſage, ungluͤcklicher Weiſe! denn ſie glitt ihm ein wenig zu fruͤh aus der Hand, gerade als er zum Wurf aus - hohlte. Hierdurch geſchah es denn, daß ſie mitten in den Kanal fiel, wo ſie nun noch liegt, und wahrſcheinlich bis an den juͤngſten Tag liegen blei - ben wird.

Dieß, meine Herren, war es ei - gentlich, womit es der Herr Baron bey dem Großſultan ganz und gar ver - darb. Die Schatz-Hiſtorie, der er vorhin ſeine Ungnade beymaß, war laͤngſt vergeſſen. Denn der Großſultanhat108hat ja genug einzunehmen, und konnte ſeine Schatzkammer bald wieder fuͤllen. Auch befand der Herr Baron, auf eine eigenhaͤndige Wiedereinladung des Groß - ſultans, die er zu Rom erhielt, ſich erſt jetzt zum letzten Male in der Tuͤrkey; und waͤre vielleicht wohl noch da, wenn der Verluſt dieſes beruͤchtig - ten Geſchuͤtzes den grauſameu Tuͤrken nicht ſo aufgebracht haͤtte, daß er nun unwiederruflich den Befehl gab, dem Baron den Kopf abzuſchlagen. Eine gewiſſe Sultaninn aber, von welcher er ein großer Liebling geworden war, gab ihm nicht nur unverzuͤglich von dieſem blutgierigen Vorhaben Nachricht, ſon - dern verbarg ihn auch ſo lange in ih - rem eigenen Gemache, als der Offi - cier, dem die Execution aufgetragen war, mit ſeinen Helfershelfern nach ihm ſuchte. In der naͤchſtfolgenden Nacht fluͤchteten wir an den Bord eines nach Venedig beſtimmten Schiffes,welches109welches gerade im Begriffe war unter Segel zu gehen, und kamen gluͤck - lich davon.

Dieſer Begebenheit erwaͤhnt der Baron nicht gern, weil ihm da ſein Verſuch mißlang und er noch dazu um ein Haar ſein Leben oben drein verlohren haͤtte. Da ſie gleichwohl ganz und gar nicht zu ſeiner Schande gereicht, ſo pflege ich ſie wohl bis - weilen hinter ſeinem Ruͤcken zu erzaͤhlen.

Nun, meine Herren, kennen Sie insgeſamt den Herren Baron von Muͤnch - hauſen, und werden[hoffentlich] an ſei - ner Wahrhaftigkeit im mindeſten nicht zweifeln. Damit Ihnen aber auch kein Zweifel gegen die Meinige zu Kopfe ſteige, ein Umſtand, den ich ſoſchlecht -110ſchlechtweg eben nicht vorausſetzen mag, ſo muß ich Ihnen doch ein wenig ſagen, wer ich bin.

Mein Vater, oder wenigſtens der - jenige, welcher dafuͤr gehalten wurde, war von Geburt ein Schweizer, aus Bern. Er fuͤhrte daſelbſt eine Art von Oberaufſeher uͤber Straßen, Alle en, Gaſſen und Bruͤcken. Dieſe Beamten heißen dort zu Lande hm! Gaſſenkehrer. Meine Mutter war aus den Savoyſchen Gebirgen gebuͤrtig, und trug einen uͤberaus ſchoͤnen großen Kropf am Halſe, der bey den Damen jener Gegend etwas ſehr gewoͤhnliches iſt. Sie verließ ihre Eltern ſehr jung, und ging ihrem Gluͤcke in eben der Stadt nach, wo mein Vater das Licht der Welt erblickt hatte. So lange ſie noch ledig war, gewann ſie ihren Unterhalt durch aller - ley Liebeswerk an unſerm Geſchlechte. Denn man weiß, daß ſie es niemalsabſchlug,111abſchlug, wenn man ſie um eine Ge - faͤlligkeit anſprach und beſonders ihr mit gehoͤriger Hoͤflichkeit in der Hand zuvorkam. Dieſes liebenswuͤrdige Paar begegnete einander von ohngefaͤhr auf der Straße, und da ſie beyderſeits ein wenig berauſcht waren, ſo tau - melten ſie gegen einander, und taumel - ten ſich alle beyde uͤber den Haufen. Wie ſich nun bey dieſer Gelegenheit ein Theil immer noch unnuͤtzer machte als der andere, und das Ding zu laut wurde, ſo wurden ſie alle beyde erſt in die Schaarwache, hernach aber in das Zuchthaus geſchleppt. Hier ſahen ſie bald die Thorheit ihrer Zaͤnkerey ein, machten alles wieder gut, ver - liebten ſich und heuratheten einander. Da aber meine Mutter zu ihren alten Streichen zuruͤckkehrte, ſo trennte mein Vater, der gar hohe Begriffe von Ehre hatte, ſich ziemlich bald von ihr, und wies ihr die Revenuͤen von einemTrag -112Tragkorbe zu ihrem kuͤnftigen Unter - halte an. Sie vereinigte ſich hierauf mit einer Geſellſchaft, die mit einem Puppenſpiel umherzog. Mit der Zeit fuͤhrte ſie das Schickſal nach Rom, wo ſie eine Auſter-Bude hielt.

Sie haben ohnſtreitig insgeſamt von dem Pabſt Ganganelli, oder Cle - mens XIV., und wie gern dieſer Herr Auſtern , gehoͤrt. Eines Frey - tags, als derſelbe in großem Pompe nach der St. Peters Kirche zur hohen Meſſe durch die Stadt zog, ſah er meiner Mutter Auſtern (welche, wie ſie mir oft erzaͤhlt hat, ausnehmend ſchoͤn und friſch waren) und konnte un - moͤglich voruͤberziehen, ohne ſie zu ver - ſuchen. Nun waren zwar mehr als fuͤnftauſend Perſonen in ſeinem Ge - folge; nichts deſtoweniger aber ließ er ſogleich alles ſtill halten und in dieKirche113Kirche ſagen, er koͤnnte vor Morgen das Hochamt nicht halten. Sodann ſprang er vom Pferde denn die Paͤbſte reiten allemal bey ſolchen Ge - legenheiten ging in meiner Mutter Laden, erſt alles auf, was von Auſtern daſelbſt vorhanden war, und ſtieg hernach mit ihr in den Keller hinab, wo ſie noch mehr hatte. Dieſes unterirdiſche Gemach war meiner Mut - ter Kuͤche, Viſitenſtube und Schlaf - kammer zugleich. Hier gefiel es ihm ſo wohl, daß er alle ſeine Begleiter fortſchickte. Kurz, Seine Heiligkeit brachten die ganze Nacht dort mit mei - ner Mutter zu. Ehe Dieſelben am andern Morgen wieder fortgingen, er - theilten Sie ihr vollkommen Ablaß, nicht allein fuͤr jede Suͤnde, die ſie ſchon auf ſich hatte, ſondern auch fuͤr alle diejenigen, womit ſie ſich etwa kuͤnftig noch zu befaſſen Luſt haben moͤchte.

HNun,114

Nun, meine Herren, habe ich darauf das Ehrenwort meiner Mutter und wer koͤnnte wohl eine ſolche Ehre bezweifeln? daß ich die Frucht jener Auſternacht bin.

Inhalt.
[115]

Inhalt.

  • Vorrede zur erſten AusgabeS. 5
  • ---- zur zweyten Ausgabe9
  • ---- zur deutſchen Ueberſetzung11
  • Der Freyherr von Muͤnchhauſen reiſet nach Rußland17
  • ---- Verrichtet ein Liebeswerk18
  • ---- Erhaͤlt eine kraͤftige Verſicherung vom Himmel19
  • ---- Bindet ſein Pferd aus Irrthum an eine Kirchthurm-Spitze19
  • ---- Zerſchießt den Halfter und be - kommt es wieder20
  • ---- Wird von einem Wolfe angefallen21
  • ---- Peitſchet ihn in ein Pferd22
  • ---- Bedient ſich ſeiner Augen ſtatt des Flintenſteines und erlegt auf einen Schuß fuͤnf Paar wilde Enten und verſchiedenes anderes Gefluͤgel25
  • ---- Faͤngt die wilden Enten mit Speck26
  • ---- Sonderbare Luftfahrt28
  • Er karbatſcht einen Fuchs aus ſeinem Pelze29
  • [116]
  • Schießt zwey wilde Schweine ausein - anderS. 30
  • Faͤngt einen Keiler und fuͤhrt ihn nach Hauſe31
  • Betrachtungen uͤber St. Huberts Kreuz - hirſch32
  • Der Baron ſchießt einen Hirſch mit Kirſch - kernen auf den Kopf, wovon ein Baum entſprießt33
  • Brennt und ſprengt einen Baͤr aus - einander35
  • Kehrt einen Wolf um37
  • Sein Ueberrock wird toll38
  • Practiſche Betrachtungen39
  • Sein Windſpiel laͤuft ſich die Beine ab40
  • Sein Hund wirft Junge, waͤhrend er einen Haſen jagt41
  • Der Haſe ſetzt Junge, waͤhrend ihn der Hund verfolgt42
  • Der Baron ſetzt mit einem Pferde zum Fenſter hinein und reitet auf ei - nem Theetiſche die Schule, ohne weder Kannen noch Taſſen zu zer - brechen42 - 44
  • Practiſche Betrachtungen45 - 47
  • Das Pferd wird in zwey Stuͤcke zerſchla - gen, aber wieder zuſammen geflickt48 - 50
  • Lorbeerzweige wachſen hinten aus dem Pferde und woͤlben eine Lanbe, worunter der Baron reitet51
  • [117]
  • Der Baron kann nach der Schlacht ſeinen noch immer hauenden Arm nicht wieder beſaͤnftigenS. 51
  • Er reitet auf Kanonen-Kugeln durch die Luft52
  • Setzt mit ſeinem Pferde durch eine Kut - ſche mit aufgezogenen Fenſtern53
  • Reißt ſich nebſt ſeinem Pferde ſelbſt an ſeinem Haarzopfe aus einem Moraſte54
  • Er geraͤth in tuͤrkiſche Sclaverey55
  • Zwey Baͤren fallen eine Biene an56
  • Der Baron ſteigt ſeiner Axt bis in den Mond nach und kommt zuruͤck56
  • Faͤllt zwey Meilen hoch aus den Wolken58
  • Graͤbt ſich mit ſeinen Naͤgeln aus einem neun Klafter tiefen Loche empor58
  • Faͤngt einen Baͤr auf einer Wagendeichſel59
  • Wird wieder nach St. Petersburg ausge - liefert und nimmt ſeinen Abſchied59
  • Hilft ſich mit ſeinem Waaen in einem engen Paſſe vor einem andern auf eine nicht leicht begreifliche Weiſe vorbey60-63
  • Naͤrriſche Streiche eines Poſthorns63
  • Des Herrn von Muͤnchhauſen See-Aben - theuer65
  • Beylaͤufige Erwaͤhnung eines geſchickten engliſchen Kutſchers66
  • Gefahr eines Schiffbruchs durch einen Wallſiſch66
  • [118]
  • Ein Matroſe wird wunderbarlich durch eine Rothgans gerettetS. 67
  • Des Barons Kopf geraͤth in eine ſelt - ſame Stellung67
  • Der Wallfiſch wirthſchaftet gar uͤbel mit dem Schiffe und ſchwimmt endlich gar damit fort68
  • Es geht ein Anker und ziemliches Stuͤck Tau verlohren, ſo aber in einem hohlen Zahne wieder gefunden wird68-69
  • Ein Schiff-Leck, den der Baron mit dem verſtopft, was ihm die Natur verliehen69
  • Jonas der zweyte im mittellaͤndiſchen Meere71
  • Rettet ſein Leben durch einen Schotti - ſchen Triller72
  • Wiedergeburt des Barons daſelbſt73
  • Er ſchießt bey Conſtantinopel einen Luft - ballon herunter75
  • Particularitaͤten von der Perſon die daran hing76-80
  • Der Baron gebt als Ambaſſadeur nach Groß-Cairo81
  • Nimmt verſchiedene tuͤchtige Subjecte in Dienſte, nehmlich, Einen Laͤufer82
  • Horcher83
  • Schuͤtzen83
  • Starken84
  • Windmacher85
  • [119]
  • Kehrt nach ausgerichteter Sache von Groß-Cairo auf dem Nil zuruͤck, der ihn mit ſeiner Barke auf ei - nen Mandelbaum ſchwemmetS. 87-89
  • Kommt wieder aufs Trockne und reiſet nach Conſtantinopel zuruͤck89
  • Der Großſultan fuͤhrt ihn in ſeinem Harem und laͤßt ihn da ausleſen, was ihm beliebt90
  • Der Baron laͤßt ſich von der Geſellſchaft bereden, noch einige Stuͤckchen ſeiner Dienerſchaft zu erzaͤhlen91
  • Bericht von der Tafel des Groß - ſultans91
  • Der Baron trinkt mit dem Großſultan bey verſchloſſenen Thuͤren eine Fla - ſche Tockaier, wovon derſelbe großes Weſen macht93
  • Diſpuͤt mit dem Großſultan uͤber die Guͤte des Weines, nebſt einer Wette93-95
  • Billet des Barons an die Kaiſerinn Ma - ria Thereſia96
  • Stuͤckchen des Laͤufers96
  • des Horchers97
  • des Schuͤtzen98
  • Der Großſultan laͤßt die Wette auszahlen99
  • Stuͤckchen des Starken99
  • Dem Großſultan kommt die Reue an100
  • Stuͤckchen des Windmachers101
  • [120]
  • Der Varon langt ſchwehrbeladen in Ita - lien an, wo ihn Bettler und Straßenraͤuber leicht machenS. 102
  • Er verlaͤßt die Geſellſchaft und ein Par - tiſan von ihm ſetzt die Erzaͤhlung ſeiner Abentheuer fort104
  • Neue Proben von des Barons Staͤrke104-107
  • Der Großſultan will ihm den Kopf ab - ſchlagen laſſen108
  • Durch Vorſchub einer Sultaninn rettet er ſein Leben und fluͤchtet von Cor - ſtantinopel108
  • Der Partiſan giebt Nachricht von ſeiner eigenen Herkunft, mit einigen Anecdoten, woruͤber ſich der ge - neigte Leſer nicht wenig verwun - dern wird110

About this transcription

TextWunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt
Author Rudolf Erich Raspe
Extent146 images; 14268 tokens; 3946 types; 96519 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationWunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt Rudolf Erich Raspe. Gottfried August Bürger (ed.) . 114 S., 3 Bl. DieterichGöttingen1786.

Identification

SUB Göttingen Göttingen SUB, 8 FAB VI, 2802 RARAhttps://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=8%20FAB%20VI%2C%202802%20RARA

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:29:38Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibrarySUB Göttingen
ShelfmarkGöttingen SUB, 8 FAB VI, 2802 RARA
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.