PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Maria Schweidler die Bernsteinhexe.
Der intereſſanteſte aller, bisher bekannten Hexenprocesse; nach einer defecten Handſchrift ihres Vaters, des Pfarrers Abraham Schweidler in Coſerow auf Uſedom,
Gemeine Seelen machen in den Hexenproceſſen Alles zum Werke der Einbildung. Wer aber viele Hexenproceſſe geleſen, findet es unmöglich. (Jean Paul. )
Berlin. Verlag von Duncker und Humblot. 1843.
[II][III]

Vorrede.

Indem ich dem Publicum hiemit dieſen tief¬ rührenden und faſt romanartigen Hexenpro¬ ceß übergebe, den ich wohl nicht mit Unrecht auf dem vorſtehenden Titelblatte den intereſſanteſten Aller, bis jetzt bekannten, genannt habe, ertheile ich zuvörderſt über die Geſchichte des Manuſcri¬ ptes die folgende Auskunft:

In Coſerow auf der Inſel Uſedom auf meiner vorigen Pfarre, und derſelben, welcher unſer ehr¬ würdiger Verfaſſer vor länger als 200 Jahren vor¬ ſtand, befand ſich unter einem Chorgeſtühl der dor¬ tigen Kirche und faſt zu ebener Erde eine Art Ni¬ ſche, in welcher ich zwar ſchon öfter einige Scri¬ pturen liegen geſehen, die ich jedoch wegen mei¬ ner Kurzſichtigkeit und der Dunkelheit des Ortes für verleſene Geſangbücher hielt, wie denn in der That auch deren eine Menge hier umherlag. Ei¬ nes Tages jedoch, als ich mit Unterricht in der Kirche beſchäftigt ein Papierzeichen in den Kate¬ chismus eines Knaben ſuchte, und es nicht ſogleichIV finden konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähri¬ ger Küſter (der auch Appelmann hieß, aber ſeinem Namensverwandten in unſerer Lebensgeſchichte durchaus unähnlich und ein zwar beſchränkter aber ſehr braver Mann war) unter jenes Chorgeſtühl, und kehrte mit einem Folianten zurück, der mir nie zu Geſicht gekommen war, und aus dem er ohne Weiteres einen geeigneten Papierſtreifen riß und ihn mir überreichte. Ich griff ſogleich nach dem Buche und weiß nicht, ob ich ſchon nach wenigen Minuten erſtaunter oder entrüſteter über meinen köſtlichen Fund war. Das in Schweinsleder ge¬ bundene Manuſcript war nicht blos vorne und hinten defect, ſondern leider waren auch aus der Mitte hin und wieder mehrere Blätter geriſſen. Ich fuhr den Alten an, wie nie in meinem Leben; er entſchuldigte ſich aber dahin: daß einer meiner Vorgänger ihm das Manuſcript zum Zerreißen ge¬ geben, da es hier ſeit Menſchen Gedenken umher¬ gelegen, und er öfter in Papier-Verlegenheit geweſen ſei, beim Umwickeln der Altarlichte u. ſ. w. Der greiſe halb blinde Paſtor hätte es für alte Kirchen¬ rechnungen gehalten, die doch nicht mehr zu ge¬ brauchen ſeien*)Und in der That kommen im Original einige Rechnungen vor, die wohl beim erſten Anblick zu dieſem Irrthum verleiten konnten, und außerdem iſt die Handſchrift ſchwer zu leſen, und an einigen Stel¬ len vergilbt und verrottet. .

V

Kaum zu Hauſe angekommen machte ich mich über meinen Fund her, und nachdem ich mit vieler Mühe mich ein und durchgeleſen, regten mich die darin mitgetheilten Sachen mächtig an.

Ich fühlte bald das Bedürfniß mich über die Art und Weiſe dieſer Hexenproceſſe, über das Ver¬ fahren ja über die ganze Periode, in welche dieſe Erſcheinungen fallen, näher aufzuklären. Doch je mehr dieſer bewundernswürdigen Geſchichten ich las, je mehr wurde ich verwirrt, und weder der triviale Beeker (die bezauberte Welt) noch der vorſichtigere Horſt (Zauberbibliothek) und andere Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte, konnten meine Verwirrung heben, ſondern dienten nur dazu, ſie zu vermehren.

Es geht nicht bloß ein ſo tiefer dämoniſcher Zug durch die meiſten dieſer Schaudergeſchichten, daß den aufmerkſamen Leſer Grauſen und Ent¬ ſetzen anwandelt, ſondern die ewigen und unverän¬ derlichen Geſetze der menſchlichen Empfindungs - und Handlungsweiſe werden auch oft auf eine ſo gewaltſame Weiſe unterbrochen, daß der Verſtand im eigentlichem Sinne des Wortes ſtille ſteht; wie denn z. B. in einem der Originalproceſſe, die ein juriſtiſcher Freund in unſerer Provinz aufgeſtöbert, ſich die Relation findet, daß eine Mutter, nachdem ſie bereits die Folter überſtanden, das heilige Abend¬VI mahl genoſſen und im Begriff iſt, den Scheiter¬ haufen zu beſteigen, ſo ſehr alles mütterliche Ge¬ fühl bei Seite ſetzt, daß ſie ihre einzige, zärtlich ge¬ liebte Tochter, ein Mädchen von funfzehn Jahren, gegen welche Niemand einen Verdacht hegt, ſich in ihrem Gewiſſen gedrungen fühlt, gleichfalls als Hexe anzuklagen, um, wie ſie ſagt, ihre arme Seele zu ret¬ ten. Das Gericht mit Recht erſtaunt über dieſen, vielleicht nie wieder vorgekommenen Fall, ließ ih¬ ren Geſundheitszuſtand von Predigern und Aerz¬ ten unterſuchen, deren Original-Zeugniſſe den Ak¬ ten noch beiliegen und durchaus günſtig lauten. Die unglückliche Tochter, welche merkwürdiger Weiſe Eliſabeth Hegel hieß, wurde in Folge die¬ ſer mütterlichen Ausſage denn auch wirklich hinge¬ richtet*)Auch dieſen Proceß gedenke ich noch herauszugeben, da er ein ungemeines pſychologiſches Intereſſe hat. .

Die gewöhnliche Auffaſſung der neueſten Zeit, dieſe Erſcheinungen aus dem Weſen des thieriſchen Magnetismus zu begreifen reichen durchaus nicht hin. Wie will man z. B. die tiefe, dämoniſche Na¬ tur der alten Liſe Kolken in dem vorliegenden Werke daraus ableiten, die unbegreiflich iſt, und es ganz erklärlich macht, daß der alte Pfarrer, trotz des, ihm mit ſeiner Tochter geſpielten, entſetzlichenVII Betruges ſo feſt in ſeinem Glauben an das Hexen¬ weſen, wie in dem, an das Evangelium bleibt.

Die früheren Jahrhunderte des Mittelalters wußten wenig oder nichts von Hexen. Das Verbre¬ chen der Zauberei, wo es einmal vorkam, wurde milde beſtraft. So z. B. ſetzte das Concilium zu An¬ cyra (314) die ganze Strafe dieſer Weiber in ein blo¬ ßes Verbannen aus der chriſtlichen Gemeinſchaft; die Weſtgothen beſtraften ſie mit Prügeln, und Carl der Große ließ ſie auf den Rath ſeiner Biſchöfe ſo lange in gefänglicher Haft, bis ſie aufrichtige Buße thaten*)Horſt, Zauberbibliothek, VI, 231. . Erſt kurz vor der Reformation klagt Innocentius VIII., daß die Beſchwerden der gan¬ zen Chriſtenheit über das Unweſen dieſer Weiber, ſo allgemein und in einem ſolchen Grade laut wür¬ den, daß dagegen auf das Entſchiedenſte eingegrif¬ fen werden müſſe, und ließ zu dem Ende 1489 den berüchtigſten Hexenhammer (malleus malleficarum) anfertigen, nach welchem nicht blos in der ganzen katholiſchen, ſondern merkwürdiger Weiſe auch in der proteſtantiſchen Chriſtenheit, die doch ſonſt alles Katholiſche verabſcheuete und zwar mit ſolchem fanatiſchen Eifer inquirirt wurde, daß die Prote¬ ſtanten es weit den Katholiken an Grauſamkeit zu¬ vor thaten, bis katholiſcher Seits der edle Jeſuit J. Spee und proteſtantiſcher obgleich erſt ſiebzig JahreVIII ſpäter, der treffliche Thomaſius dem Unweſen all¬ mählig Einhalt thaten.

Nachdem ich mich auf das Eifrigſte mit dem Hexenweſen beſchäftigt hatte, ſah ich bald ein, daß unter allen dieſen, zum Theil ſo abenteuerlichen Geſchichten, keine einzige an lebendigem Intereſſe von meiner Bernſteinhexe übertroffen würde, und ich nahm mir vor, ihre Schickſale in die Ge¬ ſtalt einer Novelle zu bringen. Doch glücklicher Weiſe ſagte ich mir bald: aber wie? iſt ihre Ge¬ ſchichte denn nicht ſchon an und für ſich die in¬ tereſſanteſte Novelle? Laß ſie ganz in ihrer alten urſprünglichen Geſtalt; laß fort daraus, was für den gegenwärtigen Leſer, von keinem Intereſſe mehr, oder ſonſt allgemein bekannt iſt, und wenn du auch den fehlenden Anfang und das fehlende Ende nicht wiederherſtellen kannſt, ſo ſiehe zu, ob der Zuſammenhang es dir nicht möglich macht, die fehlenden Blätter aus der Mitte zu ergänzen, und fahre dann ganz in dem Ton und der Sprache deines alten Biographen fort, ſo daß wenigſtens der Unterſchied der Darſtellung und die gemachten Einſchiebſel nicht gerade ins Auge fallen.

Dies habe ich denn mit vieler Mühe und nach mancherlei vergeblichen Verſuchen gethan, ver¬ ſchweige aber, an welchen Orten es geſchehen iſt, um das hiſtoriſche Intereſſe der größten AnzahlIX meiner Leſer nicht zu trüben. Für die Kritik je¬ doch, welche nie eine bewundernswürdigere Höhe als in unſerer Zeit erreicht hat, wäre ein ſolches Geſtändniß hier vollends überflüſſig, da ſie auch ohne daſſelbe gar leichtlich unterſcheiden wird, wo der Paſtor Schweidler, oder wo der Paſtor Mein¬ hold ſpricht*)Vorläufige Proben des Ganzen befanden ſich bereits in der Chriſtoterpe von 1841 und 42. .

Von dem jedoch, was ich fortgelaſſen, bin ich dem Publikum noch eine nähere Nachricht ſchuldig. Dahin gehören:

  • 1) lange Gebete, inſofern ſie nicht durch chriſt¬ liche Salbung ausgezeichnet waren.
  • 2) allgemein bekannte Geſchichten aus dem drei¬ ßigjährigen Kriege.
  • 3) Wunderzeichen in den Wolken, die hie und da ſollten geſchehen ſein, und die auch andere pommerſche Schriftſteller dieſer Schreckens¬ zeit berichten, wie z. B. Micrälius
    **)vom alten Pommerlande. Buch V.
    **), ſtan¬ den jedoch ſolche Angaben in Verbindung mit dem Ganzen, z. B. das Kreuz auf dem Strek¬ kelberge; ſo habe ich ſie natürlich ſtehen laſſen.
  • 4) die Specification der ganzen Einnahme der Co¬ ſerower Kirche vor und während der Schrek¬ kenszeit des dreißigjährigen Krieges.
  • X
  • 5) die Aufzählung der Wohnungen, die nach den Verheerungen des Feindes in jedem Dorf der Parochie ſtehen geblieben.
  • 6) die Angabe der Oerter, wohin dieſes oder jenes Mitglied der Gemeine ausgewandert ſei.
  • 7) Ein Grundriß und eine Beſchreibung des alten Pfarrhauſes u. ſ. w.

Auch mit der Sprache habe ich mir hin und wieder einige Veränderungen erlaubt, wie denn auch mein Autor in Sprache und Orthographie nicht recht conſtant iſt. Letztere habe ich mit ge¬ ringen Ausnahmen beibehalten.

Und ſomit übergebe ich denn dies vom Feuer des Himmels wie der Hölle glühende Werk dem geneigten Leſer.

Meinhold.

[1]

Einleitung.

Die Abkunft unſers Biographen kann bei dem ver¬ loren gegangenen Anfange ſeiner Schrift nicht mehr mit Genauigkeit beſtimmt werden. Er ſcheint je¬ doch jedenfalls kein Pommeraner geweſen zu ſein, denn einmal ſpricht er von Schleſien, wo er in ſeiner Jugend ſich befunden; nennt ſodann weit zerſtreute Verwandte, nicht blos in Hamburg und Cöln ſondern ſogar in Ant¬ werpen und verräth vor allen Dingen durch ſeine ſüd¬ deutſche Sprache ſeine auswärtige Abkunft. Hieher rechne ich beſonders Ausdrücke als: eim für einem, und die eigne Derivation mancher Adjective z. B. tänein von Tanne, ſeidin von Seide, eine Sprechweiſe, die, ſo viel ich weiß, niemals in Pommern, wohl aber in Schwaben vorgekom¬ men iſt. Doch mußte er bei Abfaſſung ſeiner Schrift ſchon lange Zeit in Pommern gelebt haben, weil er faſt noch häufiger plattdeutſche Ausdrücke einmiſcht, ganz wie dies eingeborne Pommerſche Schriftſteller der damaligen Zeit auch wohl zu thun pflegen.

12

Da er von altadlicher Herkunft iſt, wie er bei ver¬ ſchiedenen Gelegenheiten ſagt; ſo möchte man vielleicht in den Adelsregiſtern des ſiebzehnten Jahrhunderts etwas Näheres über das Geſchlecht der Schweidler finden, und mithin auch über ſein wahrſcheinliches Vaterland; allein ich habe mich vergebens in den mir zugänglichen Quellen nach jenem Namen umgeſehen, und möchte daher ver¬ muthen, daß unſer Autor, wie dies ſo häufig geſchah, bei ſeinem Uebergange zur Theologie, ſeinen Adel mit Abänderung ſeines Namens ablegte.

Genug ich will hier nicht weitere Hypotheſen wa¬ gen. Unſer Manuſcript, in welchem die anſehnliche Zahl von ſechs Kapiteln fehlt, und welches auf den nächſt vor¬ hergegangenen Blättern unſtreitig ſich über den Ausbruch des dreißigjährigen Krieges auf der Inſel Uſedom ver¬ breitet hat, beginnt mit den Worten: Kaiſerliche ge¬ hauſet und fährt dann fort wie folgt:

Koffer, Truhen, Schränke waren alleſammt erbrochen und zuſchlagen, auch mein Prieſterhemd zuriſ¬ ſen, ſo daß in großen Aengſten und Nöthen ſtande. Doch hatten ſie mein armes Töchterlein nit gefunden, maßen ich ſie in einem Stall, wo es dunkel war, verbor¬ gen, denn ſonſt ſorge ich, hätten ſie mir noch mehr Her¬ zeleid bereitet. Wollten die räudigen Hunde doch ſchon meine alte Ilſe ein Menſch bei ſchier 50 Jahren ange¬ hen, hätte es ihnen ein alter Kornett nicht gewegert. 3Dankete dahero meinem Schöpfer, als die wilden Gäſte wegkwaren, daß ich allermeiſt mein armes Kind vor ih¬ ren Klauen geborgen, wiewohl kein Stäublein Mehl, kein Körnlein Getreide noch ein Stücklein Fleiſch bei eines Fingers Länge mehr fürhanden, und ich nit wußte wie ich mein und meines armen Kindes Leben weiter friſten ſöllte. Item dankete Gott, daß ich noch die vasa sacra geborgen, welche ich gleich mit den beiden Fürſtehern als, Hinrich Seden und Claus Bulken von Uekeritze in der Kirchen vor dem Altar vergrube, Gott die Obhut empfehlend. Weil nun aber, wie bemeldet, ich bittern Hunger litte, ſo ſchrieb an Se. Geſtrengen den Herrn Amtshauptmann Wittich von Appelmann auf Pudgla*)Schloß auf Uſedom, früher ein berühmtes Kloſter. daß er umb Gotts und ſeines heiligen Evangeliums wil¬ len in ſollich ſchwerer Noth und Trübſal mir zukommen ließe, was Se. Fürſtliche Gnaden, Philippus Julius mir an Praestandis vom Kloſter zu Pudgla beigeleget, als nämlich 30 Schffl. Gerſte und 25 Mark Silbers, welche Sr. Geſtrengen mir aber bis nunmehro gewegert. (Denn er war ein faſt hart und unmenſchlicher Mann ſinte¬ malen er das heilige Evangelium und die Predigt ver¬ achtete, auch öffentlich und ſonder Scheue ſeinen Spott über die Diener Gottes hatte, nämblich, daß ſie unnütze Brodtfreſſer wären, und Lutherus den Schweineſtall der Kirchen nur halb geſäubert. Gott beſſers! ) Aber er antwortete mir nit, und ich wäre ſchier verſchmach¬1*4tet, wenn Hinrich Seden nicht für mich im Kapſel*)Allmoſen in der Gemeinde eingeſammelt. gebetet. Gott lohn's dem ehrlichen Kerl in der Ewig¬ keit! Er wurde dazumalen auch ſchon alt und hatte viel Plage von ſeinem böſen Weibe, Liſe Kollken. Dachte gleich, daß es nit ſonderlich gehen würd, als ich ſie traute; angeſehen ſie im gemeinen Geſchrei war, daß ſie lange mit Wittich Appelmann in Unzucht gelebet, welcher von jeher ein rechter Erzſchalk und auch abſonderlich ein hitzi¬ ger Jäger geweſt, denn ſo etwas geſegnet der Herre nicht. Selbiger Seden nun brachte mir 5 Brodte, 2 Würſte und eine Gans, ſo die alte Paalſche in Lod¬ din ihm verehret, item eine Seite Speck von Hans Te¬ wert dem Bauern. Müchte ihn aber vor ſeiner Frauen ſchützen, welche die Hälfte hätte vor ihr behalten wollen, und da er ſich gewegert, hätte ſie ihn vermaledeiet und die Kopfgicht angewünſcht, ſo daß er gleich ein Ziehen in der rechten Wangen verſpüret, welches jetzunder faſt hart und ſchwer geworden. Für ſolcher erſchröcklichen Nachricht entſetzte ich mich, wie einem guten Seelenhir¬ ten geziemet, fragende: ob er vielleicht gläubete, daß ſie in böſem Verkehr mit dem leidigen Satan ſtünde, und hexen könnte? Aber er ſchwiege und zuckete mit den Ach¬ ſeln. Ließ mir alſo die alte Liſe rufen welche ein lang, dürr Menſch, bei 60 Jahren war, mit Gluderaugen, ſo daß ſie Niemand nit gerade ins Antlitz ſchauete, item mit eitel rothen Haaren wie ſie ihr Kerl auch hatte. 5Aber obwol ich ſie fleißig aus Gotts Wort vermahnete gab ſie doch keine Stimme, und als ich endlich ſagete: Willtu deinen Kerl wieder umböten*)umzaubern. (denn ich ſahe ihn auf der Straßen durch das Fenſter allbereits als einen Unſinnigen rasen) oder willtu, daß ich's der Obrig - keit anzeige, gab ſie endlich nach und verſprache, daß es bald ſölle beſſer mit ihm werden; (was auch ge - ſchach) item bat ſie, daß ich ihr wölle etwas Speck und Brod verehren, dieweil ſie auch ſeit dreien Tagen kein ander Fleiſch und Nahrung mehr zwiſchen den Zäh¬ nen gehabt, denn ihre Zunge. Gab ihr mein Töchter - lein alſo ein halb Brod, und ein Stück Speck bei zweer Händen Länge, was ihr aber nicht genugſam bedünkete, ſondern mummelte zwiſchen den Zähnen, worauf mein Töchterlein ſagte: biſtu nicht zufrieden, alter Hexenſack, ſo packe dich und hilf erſt deinem Kerl, ſchaue wie er das Haubt auf Zabels Zaun geleget und mit den Fü¬ ßen vor Wehetage trampelt, worauf ſie ginge, doch aber¬ mals zwiſchen den Zähnen mummelnde: Ja ich will ihm helfen und dir auch! "

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Capitel 7.

Wie die Kaiſerlichen mir alles Uebrige geraubet, auch die Kirchen erbrochen und die vasa Sacra entwendet; item was ſonſten fürgefallen.

Nach etzlichen Tagen, als unſere Nothdurft faſt verzehret, fiel mir auch meine letzte Kuh umb (die andern hatten die Wülfe, wie oben bemeldet, all - bereits zuriſſen) nicht ohne ſonderlichen Verdacht, daß die Liſe ihr etwas angethan, angeſehen ſie den Tag vorhero noch wacker gefreſſen. Doch laſſe ich das in ſeinen Würden, dieweil ich Niemand nit verleumbden mag; kann auch geſchehen ſein durch die Schikkung des gerechten Gottes, deßen Zorn ich wohl verdienet hab ' Summa: ich war wiederumb in großen Nöthen und mein Töchterlein Maria zuriß mir noch mehr das Herze durch ihr Seufzen, als das Geſchreie anhub: daß aber¬ mals ein Trupp Kaiſerlicher nach Uekeritze gekommen, und noch gräulicher denn die erſten gemarodiret, auch das halbe Dorf in Brand geſtecket. Derohalben hielt ich mich nicht mehr ſicher in meiner Hütten, ſondern nachdem in einem brünſtigen Gebet Alles dem Herrn empfohlen, machte mich mit meinem Töchterlein und der alten Ilſen auf, in den Streckelberg*)Ein anſehnlicher Berg am Meere nahe bei Coſerow. wo ich allbe - reits ein Loch, einer Höhlen gleich, und trefflich von Brom¬7 melbeeren verrancket uns auserſehen, wenn die Noth uns verſcheuchen ſöllte. Nahmen daher mit, was uns an Nothdurft des Leibes geblieben, und rannten mit Seufzen und Weinen in den Wald, wohin uns aber bald die alten Greiſen und das Weibsvolk mit den Kin¬ dern folgten, welche ein groß Hungergeſchrei erhoben. Denn ſie ſahen, daß ſich mein Töchterlein auf einen Stubben satzte, und ein Stück Fleiſch und Brod ver¬ zehrete, kamen alſo die kleinen Würmer mit ausgereck¬ ten Händeleins angelaufen und ſchrieen: uck hebben, uck hebben*)auch haben, auch haben.. Wannenhero da mich ſolch groß Leid bil¬ lig jammerte, meinem Töchterlein nit wehrete, daß ſie alles Brod und Fleiſch ſo vorräthig unter die hungri¬ gen Kindlein vertheilete. Erſt mußten ſie aber dafür Aller Augen **)Pſ. 145, 15, 16. beten, über welche Wort ich dann eine tröſtliche Anſprach an das Volk hielte, daß der Herr, welcher jetzunder ihre Kindlein geſpeiſet auch Rath wiſ¬ ſen würde ihren eigenen Bauch zu füllen, möchten nur nit müde werden ihm zu vertrauen.

Aber ſollich Troſt währete nicht lange. Denn nach¬ deme wir wohl an die zween Stunden in und um der Höhlen uns gelagert, huben die Glocken im Dorfe ſo kläglich an zu gehen, daß es einem Jeglichen ſchier das Herze brach, angeſehen auch dazwiſchen ein laut Schie¬ ßen, item das Geſchrei der Menſchen und das Bellen der Hunde erſchallete, ſo daß männiglich gießen kunnte,8 der Feind ſei mitten im Dorfe. Hatte dannenhero ge¬ nug mit den Weibern zu tüſchen*)beſchwichtigen. daß ſie nicht durch ihr unverſtändig Lamentiren dem grimmigen Feind un¬ ſern Schlupfwinkel verrathen möchten, zumalen als es anfing ſchmockig zu riechen, und alſobald auch die helle Flamme durch die Bäume glitzerte. Schickete derohal¬ ben den alten Paaſsch oben auf den Berg daß er umb¬ herlugen ſollt, wie es ſtünde, hätte ſich aber wohl zu wahren, daß man ihn nicht vom Dorfe erſchaue, aner¬ wogen, es erſt zu ſchummern begunte. Solliches ver¬ ſprach er und kam alsbald auch mit der Bothſchaft zu¬ rücke, daß gegen 20 Reuter aus dem Dorfe gen die Damerow gejagt wären aber das halbe Dorf in rothen Flammen ſtünd. Item erzählete er, daß durch ſeltſame Schickung Gottes ſich ſehr viel Gevögel in den Knirk¬ büſchen**)Wachholderbüſche. und anderswo ſehen ließ, und meinete, wenn man ſie nur fangen künnte, daß ſie eine treffliche Speiß vor uns abgeben würden. Stieg alſo ſelbſten auf den Berg, und nachdem ich alles ſo befunden, auch gewahr worden daß durch des barmherzigen Gottes Hülf das Feuer im Dorfe nachgelaſſen, item daß auch mein Hütt¬ lein wider mein Verdienſt und Würdigkeit annoch ſtünde, ſtieg ich alsbald herunter, tröſtete das Volk und ſprach: der Herr hat uns ein Zeichen gegeben und will uns ſpei¬ ſen, wie einſt das Volk Israel in der Wüſten, denn er hat uns eine treffliche Schaar von Krammetsvögeln über9 die wüſte Sehe geſendet, welche aus jedem Büſchlein burren, ſo man ihm nahet. Wer will nun in das Dorf laufen und ſchneiden die Mähnhaare und den Schwanz von meiner gefallenen Kuh wegk, ſo hinten auf der Wör¬ the liegt. (Denn Roßhaare hatte es im ganzen Dorf nicht, dieweil alle Roß vom Feinde längſt genommen oder erſtochen waren.) Aber es wollte ſich Niemand nit finden angeſehen die Angſt noch größer war, denn der Hunger, als meine alte Ilſe anhub: ſo will ich ſchon gehen, denn ich fürchte mich nit, dieweil ich auf Got¬ tes Wegen bin, gebet mir nur einen guten Stock. Als ihr nun der alte Paaſsch ſeinen Stecken hingereichet, be¬ gunte ſie vor ſich zu ſingen Gott der Vater wohn uns bei, "und verlief ſich bald in das Gebüſche. Hierzwi¬ ſchen vermahnete ich nun das Volk, alsbald Hand an¬ zulegen, kleine Rüthlein zu den Dohnen zu ſchneiteln und Beeren zu ſuchen, dieweil es Mondſchein ware, und all¬ wärts viel Gänſeflieder auch Ebereſchen auf dem Berge ſtunden. Die kleinen Kindlein aber hütete ich mit mei¬ ner Marien, dieweil die Gegend nicht ſicher für Wül¬ fen war. Hatten derohalben ein luſtig Feuer angemacht, umb welches wir uns ſetzten und dem kleinen Volk die Gebot verhöreten, als es hinter uns kniſterte und kna¬ ſterte, und mein Töchterlein mit den Worten: proh do¬ lor, hostis!*)o Jammer der Feind ist da! Ueber die wunderbare Bildungsweiſe des Mädchens erklärt ſich unſer Verfaſſer ſpäter. auf und im die Höhlen ſprang. Aber10 es waren nur die rüſtigen Kerls, ſo im Dorfe verblie¬ ben, und nun kamen, uns Bothſchaft zu bringen, wie es alldorten ſtünde. Dahero rief ihr gleich zu: emer¬ gas, amici*)komm nur wieder hervor, es ſind Freunde! wo ſie denn auch mit großen Freuden wieder herfürſprang und bei uns zum Feuer niederſaß. Allſobald verzählete nun mein Fürſteher Hinrich Seden was derweilen fürgefallen, und wie er nur durch ſein Weib Liſe Kolken ſein Leben geborgen. Jürgen Flatow, Chim Burſe, Clas Peer und Chim Seideritz aber wä¬ ren erſchlagen, und läge letzterer recht auf dem Kirch¬ ſteig. Zwölf Katen hätten die grimmigen Mordbren¬ ner in Aſche geleget und wär es nit ihre Schuld, daß nicht das ganze Dorf draufgegangen angeſehen der Wind ihnen nicht gepaſſet. Hätten zum Hohn und Geſpötte die Glocken dazu geläutet, ob Niemand kommen wöllt und löſchen, und als er und die drei andern jungen Kerle herfürgeſprungen hätten ſie die Musqueten auf ſie ab¬ gedruckt, aber mit des großen Gotts Hülfe Niemand nit getroffen. Darauf wären ſeine Geſellen über die Zäune geſprungen, ihn aber hätten ſie erwiſchet, und ſchon das Gewehr über ihm ausgerecket, als ſein Weib Liſe Kollken mit eim andern Trupp aus der Kirchen her¬ fürgetreten, und ihnen gewinket daß er Ruhe gehabt. Lene Hebers aber hätten ſie in ihrem Wochenbett erſto¬ chen, das Kindlein geſpießet und über Claas Peers Zaum in den Neſſel geworfen, wo es annoch gelegen, als ſie11 abgelaufen. Wäre jetzunder im ganzen Dorf derohal¬ ben keine lebendige Seele mehr, und noch ſchwerer ein Biſſel Brods, ſo daß, wenn den Herrn nit ihre Noth jammerte, ſie alle des elendiglichen Hungertodes würden ſterben müſſen.

(Da ſage nun Einer: das wöllen Chriſtenmenſchen ſein!)

Fragte nunmehro, als er ſchwiege (mit wie viel Seufzen jedoch, kann man leichtlich gießen) nach mei¬ ner Hütten, wovon ſie aber nichts wußten, als daß ſie annoch ſtünde. Ich dankete dannenhero dem Herrn mit einem ſtillen Seufzerlein und alſobald den alten Seden fragend was ſein Weib in der Kirchen gemachet, hätte ich ſchier vergehen mügen für großem Schmerz, als ich hörete, daß die Lotterbuben, als ſie heraußer getreten, die beiden Kelche nebſt den Patenen in Händen getra¬ gen. Fuhr dahero die alte Liſe faſt heftig an, welche nun auch angeſchlichen kam durch das Buſchwerk, wor¬ auf ſie aber trotziglich zur Antwort gab: daß das fremde Volk ſie gezwungen die Kirche aufzuſchließen, da ihr Kerl ja ſich in den Zaum verkrochen, und Niemand Anders nit da geweſen. Selbige wären ſogleich für den Altar getreten, und da ein Stein nicht wohl gefuget (was aber eine Erzlüge war) hätten ſie alſobald angefangen mit ihren Schwertern zu graben, bis ſie auch die Kelche und Patenen gefunden. Könnte auch ſein daß ein An¬ derer ihnen den Fleck verrathen. Möchte dahero ihr nicht immer die Schuld beilegen, und ſie alſo heftig anſchnautzen.

12

Hierzwiſchen kamen nun auch die alten Greiſen und Weiber mit trefflich vielen Beeren an, item meine alte Magd mit dem Kuhſchwanz und den Mähnhaaren, welche verzählete, daß das ganze Haus umbgewühlet, die Fen¬ ſter zuſchlagen, die Bücher und Scripturen auf der Stra¬ ßen in den Koth getreten und die Thüren aus den Hes¬ pen gehoben wären. Solliches aber war mir ein gerin¬ ger Leid, denn die Kelche, dahero nur das Volk vermah¬ nete Biegel und Schneere zu machen, umb am nächſten Morgen mit des barmherzigen Gotts Hilfe unſer Jagd¬ werk zu vollenführen. Klöbete dahero ſelber die Rüth¬ lein bis um Mitternacht und da wir eine anſehnliche Zahl gefertiget, ließ ich den alten Hinrich Seden den Abend¬ ſeegen beten, den wir alle knieende anhöreten, worauf ich endiglichen noch ein Gebet that, und das Volk ſodann vermahnete, die Männer apart und die Weiber auch apart ſich für der Kälte (Dieweil es ſchon im Monat Sep¬ tembri war und faſt friſch von der Seekante herwehete) in dem Buſchwerk zu verkriechen. Ich ſelbſten ſtieg aber mit meinem Töchterlein und der Magd in die Höhlen, hatte aber noch nicht lange geſchlummert, als ich den alten Seden faſt heftig wimmern hörete, weilen ihn die Kolik überfallen, wie er klagte. Stand dahero wieder auf und gab ihm mein Lager, und ſetzte mich wieder zum Feuer, und ſchneitelte Dohnen, bis ich ein halb Stünd¬ lein entſchlief und der Morgen anbrach, worauf es beſ¬ ſer mit ihm worden war, und ich nun auch alſobald mich aufmachte und das Volk zum Morgenſeegen weckte. Die¬13 ſesmal thät ihn der alte Paaſsch kunnte aber nit recht hineinkommen, weshalb ich ihm aushelfen mußte. Hatt 'er ihn vergeſſen oder thats die Angſt, das laſſe ich un¬ geſagt. Summa. Nachdem wir All recht inniglichen ge¬ betet, ſchritten wir alſofort zum Werk, keilten die Doh¬ nen in die Bäume und umbhingen ſie mit Beeren, un¬ terdeſſen mein Töchterlein der Kinder hüthete, und Brum¬ melbeeren vor ſie zum Frühſtück ſuchete. Nun ſoll man aber wiſſen, daß wir quer durch den Buſch gen den Weg nach Uekeritze hin keileten, und da merke nun männiglich wieder die ſonderbare Gnadenſchickung des barmherzigen Gotts. Denn als ich mit dem Beil in der Hand (es war Seden ſein Beil, ſo er in der Frühe aus dem Dorfe gehohlet) in bemeldeten Weg trate, nehm ich auf der Erden ein Brod wahr, bei eines Armes Länge, worauf ein Rabe pickete, und welches ſonder Zweifel ein kaiſerlicher Reuter Tags vorhero aus ſeinem Schnapp¬ ſack verloren, dieweil noch friſche Roßtrappen im Sande dabei ſtunden. Knöpfe mir es alſo heimlich über den Wanſt, ſo daß Niemand nichtes merkete, obſchon bemel¬ deter Paaſsch dicht hinter mir ſchritt, item alle Andern in nicht gar guter Ferne ihm folgeten. Als wir nun ſo die Dohnen beſtellet in großer Frühe, hatte es ſchon gegen die liebe Mittagszeit eine ſo große Menge Vö¬ gel darinnen, daß Käthe Berow welche mir zur Seiten ſchritt, als ich ſie abbande, dieſelben in ihrem Schurz¬ fleck faſt nit zu laſſen mußte, und auf dem andern Ende der alte Pagels auch nit viel weniger aus ſeinem Bruſt¬14 latz und Rocktaſchen herfürlangte. Mein Töchterlein ſatzte ſich alſo mit den andern Frauensvolk hin, das Gevögel zu rupfen, und da es an Salz gebrach, (denn deſſen hatten die Meiſten von uns lange nicht mehr gekoſtet,) vermahnete ſie ein Paar Männer, zur Sehe zu ſteigen, und in einem Grapen, ſo noch von Staffer Zuter ge¬ borgen war, ein wenig geſalzen Waſſer zu hohlen, was ſie auch thäten. In ſolchem Waſſer tunketen wir nun¬ mehro die Vöglein und brieten ſie darauf bei einem großen Feuer, wobei uns allen ſchon vom den, ſüßen Ge¬ ruch das Maul zu wäſſern begunnte, da wir ſo lange keiner Speiſen nicht gekoſtet.

Sage dahero als alles fertig, und das Volk ſich auf der Erden gelagert hat: nun ſchauet wie der Herr ſein Volk Israel in der Wüſten noch immerdar mit friſchen Wachteln ſpeiſet, ſollt er nun ein Uebriges thun, und uns auch ein Stücklein Mannabrod vom Himmel ſenden, was meinet ihr, würdet ihr dann jemalen müde werden zu gläuben, und nit vielmehr alle Noth, Trüb¬ ſal, Durſt und Hunger williglich tragen, ſo er euch för¬ der nach ſeinem gnädigen Willen auferlegen ſöllte? wor¬ auf ſie alle antworteten und ſprachen: ja ſicherlich! Ego: Wöllt ihr mir das wahrhaftiglichen verſprechen, worauf ſie wiederumb ſageten: ja das wollen wir! Da zog ich mit Thränen das Brod von meinem Wanſt herfür, hub es hoch in die Höhe und rufete: nun ſchau du armes, gläubiges Häuflein, welch ein ſüßes Mannabrod dein treuer Erlöſer Dir durch mich geſendet, worauf alles15 ſchriee, ächzete, weinete, auch die kleinen Kinder aber¬ mals herbeiſprangen, und die Händlein ausrecketen, in¬ deme ſie ſchrien: kiekt Brod, kiekt Brod! " Da ich aber vor Wehemuth ſelbſten nit beten kunte, ließ ich Paaſsch ſein klein Mägdlein das Gratias beten, in währender Zeit meine Maria das Brodt zuſchnitt und einem Jeg¬ lichen ſein Theil reichete. Und nun langeten wir alle¬ ſammt freudig zu dem lieben Gottesmaal in der Wüſten.

Hierzwiſchen mußte nun aber erzählen, wie ich das liebe Mannabrod gefunden, wobei nit verſäumete ſie abermals zu vermahnen, daß ſie wöllten das große Wun¬ derzeichen ſich zu Herzen gehen laſſen, ſo der barmher¬ zige Gott, wie weiland an dem Propheten Eliſa, an ih¬ nen auch gethan, angeſehen wie ein Raab in der gro¬ ßen Hungersnoth demſelbigen das Brod in der Wüſten zugeführet, der Herr auch mir dieſes Brod durch einen Raben zugeführet, daß ich es finden gemüßt, da ich ihm ſonſt wohl in meiner Trübſal vorbeigeſchritten, und es nimmer geſehen hätte.

Als wir endiglichen unſern Bauch mit Nothdurft gefüllet, hielte die Dankſagung über Lucas 12, v. 24, wo der Herre ſpricht: nehmet wahr den Raben, ſie ſäen nicht, ſie erndten auch nit, ſie haben auch keine Keller noch Scheuen, und Gott nähret ſie doch, Wieviel aber ſeid ihr beſſer denn die Vögel? Aber unſere Sün¬ den ſtunken vor dem Herrn. Denn da die alte Liſe, wie ich bald in Erfahrung gebracht ihre Vögel nit ver¬ zehret, weilen ſie ihr zu nüchtern fürkamen, ſondern ſel¬16 bige in den Knirkbuſch*)Wachholdergebüſch. geworfen, ergrimmete ſein Zorn über uns, wie weiland über das Volk Israel, und wir hatten zur Nacht nur ſieben Vögel auf den Schneeren, am andern Morgen aber nur zween. Auch kam kein Raab wieder, der uns Brod wieſe. Darumb ſchalt ich die alte Liſe und vermahnete das Volk, ſollich gerechte Strafe des höchſten Gottes williglich auf ſich zu nehmen, fleißig zu beten, in ſeine verlaſſenen Hütten zurückzuwal¬ len, und zu ſehen, ob der grundgütige Gott vielleicht auf der Sehe mehr beſcheeren möcht. Würde ihn auch in mein Gebet Tag und Nacht anrufen; doch noch eine Zeit lang mit meinem Töchterlein und der Magd in der Höhlen verblieben und der Dohnen hüten, ob ſich ſein Zorn wenden möcht. Sollten mir inzwiſchen mein Pfarrhaus nach beſten Kräften wieder zurichten, damit ich es bald wieder beziehen könnt, ſintemalen die Kälte mir faſt ſchwer fiele. Solliches gelobten ſie auch zu thun, und ſchieden mit Seufzen von dannen. Welch ein klein Häuflein! fande nur noch bei 25 Köpfen, da deren doch ſonſten über 80 geweſt; alle andern hatte der Hun¬ ger, das Schwert und die Peſtilenz**)fand im Jahre 1628 ſtatt und häufte das Elend des 30jährigen Krieges auf der hieſigen Inſel auf das Un¬ erträglichſte. Schade, daß die Schilderung des alten Pfar¬ rers, welche er ohne Zweifel in dem Vorhergehenden gege¬ ben, verloren iſt. gewürget. Blieb dahero noch mit meinem Gebet für Gott eine Zeitlang17 einſam und traurig in den Höhlen, und ſendete nur mein Töchterlein nebſt der Magd mit zum Dorfe, daß ſie ſich umbſehen ſollten, wie es in der Widemen*)Pfarrhaus. ſtände, item die Schriften und Bücher wieder zuſammenleſen, auch mir Kundſchaft bringen, ob Hinze der Zimmermann, den ich alſobald in's Dorf zurückgeſendet, die Särge vor die elenden Leichnahme zuſammengehämmert, daß ich ſie des nächſten Tages begraben möchte. Darauf ſchritt ich zu den Dohnen, aber nur ein einig Vögelein war darinnen zu verſpüren, woraus ich denn merkete, daß der Zorn Gottes noch nit vorüber. Traf jedoch einen ſchönen Brummelbeerenbuſch, woran ich bei einer Metze Beeren pflückete, mit dem Vogel ſelbige in Staffer Zu¬ ter ſeinen Grapen thät, den der gute Kerl uns noch eine Friſt gelaſſen und zur Nachtkoſt auf ein Feuer ſetzete, wann mein Kind mit der Magd zurückkehren würd. Wäh¬ rete auch nicht lange, als ſie durch den Buſch brachen und von dem Gräuel der Verwüſtung erzähleten, ſo der leidige Satan unter Zulaſſung des gerechten Gottes im Dorf und in der Widemen angerichtet. Mein Töchter¬ lein hatte noch ein paar Bücher zuſammengeleſen, die ſie mit ſich trug, vor andern einen Virgilium und eine griechiſche Bibel. Und als ſie darauf verzählet, daß der Zimmermann erſt morgen fertig würd, wie auch alsbald unſern Bauch zur Nothdurft geſtillet, mußte ſie mir zur Stärkung meines Glaubens noch einmal den locum von218den lieben Raaben Lucas am 12ten aus dem Griechi¬ ſchen fürleſen, item den ſchönen Iocum parallelum Matth. am 6ten, worauf die Magd den Abendſeegen betete, und wir uns nach den Höhlen zur Nachtruh begaben. Als ich nun am andern Morgen erwachte, als eben die liebe Sonne aus der Sehe herfürbrach und über den Berg ſchauete, hörete ich, daß mein arm hungrig Töchterlein ſchon vor der Höhlen ſtand und das ſchöne Liedlein von den Freuden des Paradieſes recitirte, ſo der heilige Au¬ gustinus gefertiget, und ich ihr gelernet. *)Dies iſt ein Irrthum. Das nachfolgende Lied iſt von dem Cardinal-Biſchof von Oſtia Peter Damianus ( 23ſten Febr. 1072) nach Auguſtins Proſa überdichtet. Sie ſchluchzete für Jammer als ſie die Worte ſprach:

uno pane vivunt dives utriusque patriae
avidi et semper pleni, quod habent, desiderant
non sacietas fastidit, neque fames cruciat
inhiantes semper edunt, et edentes inhiant
flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum,
Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum,
virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt
pigmentorum spirat odor liquor et aromatum,
pendent poma floridorum non lapsura nemorum
non alternat luna vices, sol vel cursus syderum
agnus est foelicis urbis lumen inocciduum
**)Wir verſuchen hier eine Ueberſetzung dieſer ſchönen Stelle:
**)

Bei dieſen Worten wurde ich ſelbſten weich, und als ſie ſchwiege, fragte ich: was machſt du da mein Töch¬19 terlein? worauf ſie mir zur Antwort gäbe: ich eſſe Vater. was mir erſt recht die Thränen herfürtrieb, ſo daß ich anfing ſie zu loben, daß ſie die arme Seele ſpei¬ ßen wöllt, da ſie es nicht ihren armen Leib künnte. Hatte aber noch nit viel geſprochen, als ſie aufſchriee, daß ich das große Wunderwerk doch betrachten ſöllte, ſo ſich aus der Sehe herfürthät, und allbereits über der Höhlen her¬ einbrach. Denn ſiehe, eine Wolke, ganz wie ein Kreuz geformiret, kam über uns und ließ dicke ſchwere Tropfen bei einer guten Erbſen groß und drüber auf uns nie¬ derfallen, worauf ſie alsbald hinter das Gehäge ſank. **)Alle Bürger dieſes Landes*)Es war von den Engeln und Seelen der Heiligen die Rede. *) leben nur von einem Brod. Hungrig ſtets und ſtets geſättigt, trübt ihr Sehnen keine Noth, Fühlen nie der Sattheit Ekel, auch die Qual des Hun¬ gers nie, Athmend eſſen ſie beſtändig, ha und eſſend athmen ſie! Ewig blüht die Roſenknospe hier im ew'gen Frühling auch Weiß die Lilie, roth der Krokus, duftend träuft der Bal¬ ſamſtrauch, Grün die Wieſen, grün die Saaten, und von Honig rinnt der Bach. Das Aroma ſüßer Blumen haucht und duftet tauſendfach. Blühnde Wälder tragen Aepfel, deren Stengel nimmer bricht. Und nicht Sonne, Mond noch Sterne wechſeln dorten mehr ihr Licht. Denn ihr Licht, das nimmer ſchwindet, iſt des Lammes Angeſicht. 2 *20Richtete mich dannenhero ſogleich in die Höhe, und rannte mit meinem Töchterlein flugs auf das Gebirge, ihr nach¬ zuſchauen. Sie zog gen das Achterwaſſer*)Ein Buſen, den der Peenefluß in der Nähe bildet. , wo ſie ſich weit auseinander thät, und hinterwärts alsbald einen gro¬ ßen blauen Streifen formirete, welchen wunderlich die Sonne beſchien, ſo daß er ſchier wie eine güldne Brük¬ ken anzuſchauen war, wie mein Töchterlein ſagte, auf welcher die lieben Engel tanzten. Fiel daher mit ihr ſogleich auf die Kniee und dankete dem Herrn, daß un¬ ſer Kreuz für über gezogen, aber ach unſer Kreuz ſollte erſt anheben, wie man weiter leſen wird.

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Capitel 8.

Wie unſere Noth immer größer wird, ich die alte Ilſe mit einem andern Schreiben gen Pudgla fande, und was mir daraus noch für ein größer Leid erfolget.

Als ich des andern Tags mit gemeinem Geſchrei, des ganzen Dorfs die elenden Leichname beerdi¬ get (merke, da wo die Linde*)Iſt jetzt nicht mehr vorhanden. über die Mauer ſchat¬ tet, ſeind ſie alle begraben) hörete ich mit vielen Seuf¬ zern, daß auch weder die Sehe noch das Achterwaſſer etwas hergeben gewöllt. Dies dauerte bei zehn Tagen, daß das arme Volk faſt kein Fiſches Auge nit kunnte fangen. Ging dahero ans das Feld, und ſanne, wie der Zorn des gerechten Gottes über uns zu wenden wär, dieweil der harte Winter vor der Thür und kein Korn, kein Fiſch, kein Apfel, kein Fleiſch nicht ſowohl im Dorfe als im ganzen Kapſel mehr zu finden. Denn Gewilde hatte es zwar genugſam in der Coſerowſchen und Uek¬ keritzer Heiden, aber der alte Heidenreuter Zabel Neh¬ ring war im verſchienen Jahr an der Peſtilenz geſtor¬ ben, und noch kein neuer daſelbſten. Auch war im gan¬ zen Kapſel keine einige Mousquete oder Kraut dazu auf¬ zufinden, ſintemalen der Feind alles geraubet und zu¬22 brochen. Wir mußten dahero alle Tage anſehen, wie Hirſche, Rehe, Haaſen, Schweine et cet. uns fürbei ſprangen, da wir ſie doch lieber in unſerm Magen ge¬ habt, aber in unſerer Unmacht ſie nicht gewinnen, kunn¬ ten. Und in Gruben wollten ſie ſich nicht fahen laſſen. Doch hatte Claus Peer ein Rehe darin gefangen, und mir auch ein Stück davon verehret, was ihm Gott loh¬ nen wölle. Item an zahmen Vieh war faſt gar nichtes mehr in Kapſel fürhanden, auch kein Hund, weder eine Katze, welche das Volk in der großen Hungersnoth zum Theile gegeſſen, zum Theile aber vorlängſt geſchlagen oder verſäufet. Doch hatte der alte Bauer Paaſsch noch zwei Kühe item ſoll in Uekeritze noch ein alter Mann ein Fer¬ kelken gehabt haben, das war Alles. Darumb lebete faſt alles Volk von Brummel - und andern Waldbeeren, welche aber auch ſchon begunnten ſeltſam zu werden, wie man leichtlich gießen mag. Auch hatte ſich dabei allbereits ein Knabe bei 14 Jahren verloffen, (den alten Labahn ſein Junge) und nie nichtes wieder von ſich hören laſ¬ ſen, ſo daß ich ſchier befahre, daß ihn die Wülfe ge¬ freſſen.

Hieraus möge nun ein chriſtlich Herze vor ſich ſelb¬ ſten abnehmen, in was Gram und Trübſal ich meinen Stecken zur Hand genommen, angeſehen mein Töchter¬ lein für den leidigen Hunger wie ein Schatten verging, obſchon ich ſelbſten als ein alter Körper, durch die Gnade des barmherzigen Gottes noch keinen ſonderbaren Abgang meiner Kräfte verſpürete. Indeme ich nun ſo ginge im23 fortwähren zu dem Herrn wimmernd, gewahrete ich auf dem Wege gen Uekeritze ſo ich eingeſchlagen, einen Bett¬ lersmann, der ſaß mit ſeinem Ränzel auf einem Stein und verzehrete ein Stücklein ſeltene Gottesgabe, verſtehe ein Stücklein Brod. Ach, da liefen mir armen Mann die Backen ſo voll Waſſers, daß ich mich erſt bücken und es zur Erde mußte laufen laſſen, ehe ich fragen kunte: wer biſtu, und wo kommſtu her, daß du Brod haſt? Worauf er antwortete: daß er ein armer Mann aus Bannemin ſei, deme der Feind Allens genommen, und da er erfahren, daß der Lieper Winkel*)Ein abgelegener Theil der Inſel Uſedom. faſt lange Frieden gehabt, hätt er ſich aufgemacht daſelbſten zu ſchnurren. Nun ſage ich darauf: du armer Bettlers¬ mann, ſo theile einem betrübten Diener Chriſti der är¬ mer iſt denn du, nur eine kleine Schnede**)Plattdeutſch, für Schnitte. Brodt für ſein armes Töchterlein ab, denn du ſollt wiſſen, ich bin ein Pfarrherr hier im Dorf und mein Kind will ſterben für Hunger. Ich beſchwere dich bei dem lebendigen Gott, daß du mich nit gehen läſſeſt, ohne dich mein zu erbar¬ men, wie man ſich dein erbarmet hat. Aber der Bett¬ lersmann wollte mir nichts abtheilen, ſprechende: daß er ſelbſten ein Weib und vier Kinder hätte, die auch dem bittern Hungerstode zuwanketen, maſſen die Noth in Ban¬ nemin noch viel größer ſei, denn hier, wo wir doch Beere hätten. Ob ich nit erfahren, daß vor wenig Tagen dort24 ein Weibsbild (die er auch nennete, hab es aber für Schrecken nicht gleich beachtet) ihr eigen Kind geſchlach¬ tet, und für Hunger aufgezehret*)Dieſes entſetzliche Ereigniß führt auch Micraelius in ſeiner pommerſchen Geſchichte an.? Könne mir dahero nicht helfen und möchte ich ſelbſten nach dem Lieper Win¬ kel gehen.

Für ſolche Rede entſatzte ich mich, wie leicht zu er¬ achten, da in unſerer Noth noch nichs daran vernom¬ men, auch wenig oder gar kein Wanken iſt, von einem Dorf in das andere, und an Jeruſalem gedenkend**)wo nach Joſephus daſſelbe geſchah. und ſchier verzweifelnde, daß uns der Herr heimſuchete, wie weiland dieſe gottloſe Stadt, wiewohl wir ihn nicht verrathen noch gekreuziget, vergaß ich faſt meiner Noth, und ſetzte meinen Stecken an, umb fürbaſt zu gehen. Doch war ich kaum ein paar Ehlen geſchritten, als mir der Bettlersmann nachrief, daß ich ſtehen ſöllte. Wanndte mich dahero wieder als er nur mit einer guten Schnede Brod, ſo er aus ſeinem Queerſack gehohlet entgegentrat und ſprach: Da! äwer bedet uck för mi, datt ick to Huuſe kame, denn wenn ſe unnerweges rücken, datt uk Brod hebbe, ſchleht mi min egen Broder dod, köhnt gi glö¬ wen. ***)Da! aber betet auch für mich, daß ich zu Hauſe komme, denn wenn man unterweges riechet, daß ich Brod habe, ſchlägt mich mein eigener Bruder todt, könnt Ihr glauben.Solliches verſprach mit Freuden, und kehrete flugs um, meinem Töchterlein den heiligen Chriſt zu brin¬25 gen, ſo ich in meiner Rocktaſchen verborgen. Doch ſiehe, als ich gegen die Straßen komme, ſo vom Wege nach Loddin führet (vorhero hatt ich es in meiner Betrüb¬ niß überſehen) trauete kaum meinen Augen, als ich all¬ dorten mein Ackerſtück bei ſieben Scheffeln groß, bega¬ tet*)zur Saat vorbereitet, d. i. gepflügt und geeggt., beſäet und beſtaudet antraff, ſo daß die liebe Roggenſaat, ſchon bei eines Fingers Länge luſtig aus der Erden geſchoſſen war. Konnte nicht anders gläu¬ ben, als daß der leidige Satan mir ein Blendwerk für¬ geſpielet; doch wie ich mir auch die Augen riebe, es war Roggen und bliebe Roggen. Und weilen den al¬ ten Paaſch ſein Stück ſo daneben ſtieß imgleichen be¬ ſäet und die Hälmlein zu gleicher Höhe mit den mei¬ nigen geſchoſſen waren, kunnte gar leicht bei mir ab¬ nehmen, daß der gute Kerl ſolliches gethan, anerwogen die andern Stücken alleſammt wüſte lagen. Verziehe ihm dahero gerne, daß er den Morgenſeegen nit gewußt und dem Herrn dankend vor ſo viel Liebe bei meinen Kapſelkindern und ihn brünſtiglich anflehend: er wölle mir Kraft und Glauben gewehren, bei ihnen nunmehro auch unverdroſſen auszuhalten, und alle Kümmernüß und Trübſal ſo er nach ſeinem grundgütigen Willen uns fer¬ ner auferlegen ſöllte, williglich zu tragen, lief ich mehr denn ich ginge in das Dorf zurücke und auf den alten Paaſsch ſeinen Hof, wo ich ihn antraf, daß er eben ſeine Kuh zuhauete, ſo er für grimmigem Hunger nunmehro26 auch geſchlachtet. Gott hilf dir! ſage ich du from¬ mer Kerl, daß du mir meinen Acker begatet haſt, wie ſoll ich dir's lohnen? Aber der alte Mann gab zur Antwort: Lat he dat man weſen und bede he man för uns*)Laß Er daß nur ruhen und bete er nur für uns. und als ich ſolliches gerne zuſagete und ihn fra¬ gete: wie er ſein Korn für dem grimmigen Feind ge¬ borgen, verzählete er mir, daß er es in der Höhlen im Streckelberge heimlichen verſteckt gehabt, nunmehro aber auch all ſein Fürrath aufgezehret ſei. Inzwiſchen ſchnitt er ein groß ſchön Stück Fleiſch dem Haubt aus der Lenden und ſprach: da hett he uck wat, und wenn et All , kann he noch eiß kamen. **)Da hat Er auch was, und wenn es verzehret iſt, kann er noch einmal kommen.Als ich nun mit vieler Dankſagung gehen wöllt, griff mich ſeine kleine Marie bei der Hand, ein Kindlein bei ſieben Jahren, ſo im Streckelberge das Gratias gebetet und wollt mit zu meiner Tochter nach der Schulen. Da da, wie vor¬ bemeldet, mein custos in der Peſtzeit auch dieſes Zeit¬ liche geſegnet, muß ſie die Paar kleinen Kinder im Dorf informiren, welches aber ſeit lange unterblieben. Wollt es ihr dahero nicht wegern, obwohl ich gleich beſorgete, daß mein Töchterlein das Brod mit ihr theilen würd, angeſehen ſie das Mägdlein ſehr lieb hatte, da es ihre Päthe war. Und ſo geſchahe denn auch. Denn als das Kind ſahe, daß ich das Brod herfürlangete. ſchriee es27 gleich für Freuden auf und begunnte auf die Bank zu klettern. Daher bekam ſie einen Theil von der Schnede, einen Theil unſere Magd und den dritten Theil ſteckte mein Töchterlein in den Mund, da ich Nichtes haben wollte, ſondern ſprach: ich verſpüre keinen Hunger und wölle warten bis ſie das Fleiſch geſotten, welches ich nunmehro auch auf die Bank wurf. Da hätte man ſe¬ hen ſollen, welche Freude mein armes Kind empfund, zumalen ich ihr nun auch von dem Roggen verzählete. Sie fiel mir umb meinen Hals, weinete, ſchluchzete, hob alsdann das kleine Mägdlein auf ihre Arme, tanzete mit ſelbiger in der Stuben und recitirete nach ihrer Weiß dazu allerhand lateiniſche versus ſo ſie auswendig wußte. Nun wöllte ſie uns auch ein recht ſchön Abendbrod zu¬ richten, da in einer Fleiſchtonnen, ſo die Kaiſerlichen zu¬ ſchlagen, noch ein wenig Salz auf dem Boden geblie¬ ben. Ließ ſie alſo ihr Weſen treiben, und kratzete et¬ was Ruß aus dem Schornſtein, ſo ich mit Waſſer ver¬ mengete, riß alsdann ein faſt weißes Blatt aus dem Virgilio und ſchriebe an den pastorem Liepensem, Ehre Abrahm Tiburtius: Daß er umb Gottes willen ſich wölle unſere Noth zu Herzen gehen laſſen, und ſeine Kapſelleute vermahnen, daß ſie uns für dem grimmigen Hungertod ſchützen und mildthätiglich an Speiſe und Trank abtheilen wöllten, was der grundgütige Gott ihnen ge¬ laſſen, angeſehen ein Bettlersmann mir verzählet, daß ſie ſeit langer Zeit Friede für dem erſchröcklichen Feind gehabt. Wußte aber nit, womit ich den Brief ver¬28 ſchließen ſöllte, als ich in der Kirchen noch ein wenig Wachs an einem hölzernen Altarleuchter funde, ſo die Kaiſerlichen nicht werth geachtet, daß ſie ihn aufhüben, und nur die meſſingſchen mit ſich geführet hatten. Mit ſolchem Brief mußten ſich drei Kerls und der Fürſteher Hinrich Seden in ein Boot ſetzen und nach der Liepe aufmachen.

Eher noch ſtellte aber meiner alten Ilſen für ſo aus der Liepe bürtig war, ob ſie nit lieber wöllte mit in ihre Heimath ziehen, maßen ſie ſähe, wie es ſtünd, ich ihr auch vors Erſte keinen Witten an Lohn geben künnte. (Merke: ſie hatte ſich ein ſchön Sümmlein erſparet, an¬ geſehen ſie länger denn 20 Jahre bei mir in Dienſt geweſt, aber das Kriegsvolk hatte ihr Allens abgenom¬ men.) Aber ich kunnte ſie nicht dazu bringen, ſondern ſie weinete bitterlich und bate, daß ich ſie nur bei der gu¬ ten Jungfer laſſen ſöllte, ſo ſie ſchon in der Wiegen gekennet. Wöllte gerne mit uns hungern, wenn es ſein müßt, möchte ſie nur nit verſtoßen. Dahero ließ ich ſie und fuhren die Andern allein ab.

Unterdeß war auch die Suppen gar worden. Doch als wir kaum das Gratias gebetet, und zulangen woll¬ ten, kamen alle Kindlein aus dem ganzen Dorfe bei ſie¬ ben an der Zahl zur Thüre herein, und wollten Brod haben, welches ſie von meiner Tochter ihrer kleinen Päthe gehöret. Da brach ſelbiger nun wieder das Herze, und obgleich ich ſie bate, ſich hart zu machen, vertröſtete ſie mich doch mit der Lieper Bothſchaft, und kellete einem29 jeden Kindlein ſein Theil Suppen auf einen hölzernen Teller (denn dieſe hatte der Feind nicht geachtet) und ſtach ihm auch ein wenig Fleiſch in die Händeken, ſo¬ daß unſer Fürrath mit einmal aufgezehret ward. Blie¬ ben dahero des andern Morgens wieder nüchtern bis gegen Mittag, wo das ganze Dorf ſich auf der Wie¬ ſen am Ufer verſammblet hatte, als das Boot zurücke kam. Aber Gott erbarm's, wir hatten faſt umbſonſt gehoffet! Nur ſechs Brode und ein Hammel item ein Viert Backäpfel war allens was ſie hatten. Denn Ehre Abraham Tiburtius ſchriebe mir, daß, nachdem das Geſchrei von ihrem Reichthumb über die ganze Inſel er¬ ſchollen, ſoviel Bettlersleute bei ihnen umbgingen, daß ſie ihnen unmüglich gerecht werden künnten, angeſehen ſie ſelbſten nicht wüßten, wie es noch mit ihnen in die¬ ſer ſchweren betrübten Zeit ablaufen würd. Indeſſen wöllte er ſehen, ob er noch mehr auftreiben künnte. Ließ alſo den kleinen Fürrath mit vielem Seufzen in die Wi¬ demen tragen, und obgleich zwei Brode wie pastor li¬ pensis ſchriebe, vor mich allein ſollten, gabe ich ſie doch mit in die Theilung, womit auch Alle ſich zufrieden ſtell¬ ten, ausgenommen den alten Seden ſein gluderäugigt Weib nit, ſo noch apart für ihren Mann ſeine Reiſe etwas haben wollte, was aber, wie leicht zu erachten, nit geſchah, weshalben ſie wieder, da ſie abzoge, etzliche Worte zwüſchen die Zähne mummelte, die aber Niemand nit verſtand. Es war ein ſchier verrucht Weib, ſo ſich durch Gottes Wort nicht beikommen ließ.

30

Nun kann aber männiglich von ſich ſelbſten abneh¬ men daß ſolcher Fürrath nit lange aushielt. Da nun zugleich auch bei allen Kapſelleuten ein brünſtig Ver¬ langen nach der geiſtlichen Speiſe ſich verſpüren ließ; ich ſelbſten und die Fürſteher aber nur 8 Witten*)etwa 16 Pfennige. im ganzen Kapſel auftreiben kunnten, ſo nit auslangeten, umb Brod und Wein anzuſchaffen, kam ich auf die Ge¬ danken, abermals dem Herrn Ambthauptmann unſere Noth zu vermelden. Mit wie ſchwerem Herzen ich ſolli¬ ches that, kann man leicht erachten. Aber Noth kennt kein Gebot. Riße dahero auch das Hinterblättlein aus dem Virgilio und bate, ümb der heiligen Dreieinigkeit willen, daß Seine Geſtrengen ſich meiner und des gan¬ zen Kapſels gemeine Noth wöllte zu Herzen gehen laſ¬ ſen, und ein wenig Geld hergeben, zum Troſt der be¬ trübten Seelen das heilige Sacrament zu halten, auch wo müglich einen Kelch zu kaufen, ſo er auch nur von Zinne ſein ſöllte, ſintemalen der Feind die fürhandenen geraubet, und ich ſonſten gezwungen wär das heilige Nachtmal in einem Topf zu conſacriren. Item möcht er ſich auch unſerer leiblichen Noth erbarmen, und mir endiglichen mein, ſeit ſo viel Jahren hinterſtelliges Miſt¬ korn verabreichen. Wöllte es nicht allein vor mich ſelb¬ ſten haben ſondern es gern mit dem ganzen Kapſel thei¬ len, bis der grundgütige Gott mehr beſcheeren würd.

Hierzwiſchen fiel mir aber ein ſtattlicher Kläcks auf31 das Papier. Denn da die Fenſter mit Brettern ver¬ ſpundet waren, ware das Zimmer tunkel und nur ein wenig Licht kam durch zwei kleine Scheiblein Glas, ſo ich aus der Kirchen gebrochen, und hineingeſetzet. Sol¬ liches mochte wohl die Urſache ſein, daß ich mich nit beſſer fürſah. Da ich aber kein neues Stücklein Papier mehr auftreiben kunnte, ließ ich es paſſiren, und befahle der Magd, ſo ich mit dem Brieflein gen Pudgla ſandte, ſolliches bei Sr. Geſtrengen, dem Herrn Ambtshaubtmann zu entſchuldigen, welches ſie auch zu thun verſprach; an¬ geſehen ich ſelbſten kein Wörtlein mehr auf dem Pa¬ pier beiſetzen kunnte, dieweil alles beſchrieben war. Sie¬ geln thät ich es, wie vorbemeldet.

Allein die arme Perſon kehrete zitternd für Angſt und weinend zurücke, und ſprach: Seine Geſtrengen hätte ſie mit dem Fuß aus der Schloßpforten geſtoßen und gedräuet, ſie in den Ganten*)Schandpfahl. ſetzen zu laſſen, ſo ſie wiederumb vor ihn käme. Ob der Pfaffe gläube, daß ihm das Geld ſo looſe ſäß, wie mir die Tinte, hätte ja Waſſer genug das Abendmahl zu halten. Denn hätte Gottes Sohn einmal das Waſſer in Wein gewandelt, könnt er’s auch öftermalen. Hätt ich keinen Kelch ſollt ich meine Schaaf aus einem Eimer tränken, wie er’s auch thät, und was ſolcher Gottesläſterungen mehr wa¬ ren, ſo er mir nachgehends auch ſelbſten ſchriebe, und wovor ich mich, wie leicht abzunehmen, auf das erſchröck¬32 lichſte entſatzte. Von dem Miſtkorn verzählete ſie, hätte er gar Nichtes geſagt. In ſolcher meiner großen See¬ len - und Leibesnoth kam der liebe Sonntag heran, wo faſt die ganze Gemeind zu Gottes Tiſch gehen wollt, aber nicht kunnte. Ich ſprach dannenhero über die Worte St. Augustins: crede et manducasti*)glaube und du haſt gegeſſen. wobei ich für¬ ſtellete, daß die Schuld nit mein und treulichen erzäh¬ lete, wie es meiner armen Magd in Pudgla ergangen, doch dabei noch Vieles verſchwiege, und nur Gott bate, er wölle das Herz der Obrigkeit zu unſerm Frommen erwecken. Kann auch in Wahrheit ſein, daß ich här¬ ter geſprochen, denn ich gegläubet, was ich nit mehr weiß, ſintemalen ich ſprach: wie mir umb's Herze war. Zum Schluß mußte die ganze Gemeine auf ihre Knie fallen bei einer Stunde lang und den Herrn umb ſein heilig Sacrament anrufen, item umb Linderung ihrer Leibesnoth, wie ſolliches zeithero auch alle Sonntage und ſonſten in den täglichen Betſtunden geſchahe, ſo ich ſeit der ſchweren Peſtzeit zu halten gewohnt geweſt. Ende¬ lichen ſtimmte ich noch das feine Liedlein an: wenn wir in höchſten Nöthen ſein, worauf nicht ſobald geſchloſſen als mein neuer Fürſteher Claus Bulk von Uekeritze, ſo früher ein Reutersmann bei Sr. Geſtrengen geweſen, und den er nunmehro zu einem Bauern eingeſetzet, gen Pudgla rannte, und avertirte, was in der Kirchen für¬ gefallen. Solliches verdroß Sr. Geſtrengen heftiglichen,33 ſo daß er den ganzen Kapſel, noch bei 150 Köpfen ſtark, die Kinder ungerechnet, zuſammenrief, und ad proto¬ collum diktirte, was ſie von der Predigt behalten, ma¬ ßen er Seiner fürſtlichen Gnaden dem Herzogen von Pom¬ mern zu vermelden geſonnen, welch gottesläſterliche Lü¬ gen ich gegen ihn ausgeſpieen, wovor ja ein chriſtlich Herz erſchrecken müßt; item welch ein Geizhals ich wär, daß ich nur immer von ihm haben wöllt, und ihn in die¬ ſer harten und ſchweren Zeit, ſozuſagen tagtäglich mit meinen Sudelbrieffen anrennete, wo er ſelbſten vor ſich nichts zu eſſen hätte. Das ſöllte dem Pfaffen den Hals brechen, da Se. fürſtliche Gnaden alles thät, was er fürzuſtellen käme, und brauchte Niemand im Kapſel mir Nichtes mehr zu verabreichen ſondern ſie ſöllten mich nur lauffen laſſen. Er wölle ſchon ſorgen, daß ſie einen ganz andern Prieſter wieder erlangeten, denn ich wär.

(Möchte den aber wohl ſehen, der ſich in ſollich Un¬ glück hineinzubegeben entſchloſſen geweſen wär.) Dieſe Botſchaft wurde mir aber noch in ſelbiger Nacht hinter¬ bracht, wovor ich faſt heftig erſchrack, angeſehen ich wohl einſahe, daß ich nun nit einen gnädigen Herrn an Sr. Geſtrengen bekommen, ſondern Zeit meines erbärmlichen Lebens, wenn ich es anderſt ſöllte friſten können, eine ungnädige Herrſchaft haben würd. Doch tröſtete mich bald ein Etwas, als Chim Krüger aus Ueckeritze, ſo mir ſolches hinterbrachte, ein Stücklein von ſeinem Ferkel aus der Taſchen zog, das er mir verehrete. Darüber kam auch der alte Paaſsch hinzu, welcher daſſelbe ſagte, und334noch ein Stücklein von ſeiner alten Kuh herfürlangte, item mein anderer Fürſteher Hinrich Seden mit einer Schnete Brod, und einem Braxen*)Braxen, Blei, ein zum Karpfengeſchlecht gehöriger Fiſch. , ſo er in den Reu¬ ſen gehabt, alle ſagende: daß ſie keinen beſſern Prieſter wöllten, als ich, und möchte ich nur bitten, daß der barm¬ herzige Gott mehr beſcheeren wölle, wo es mir dann auch an Nichtes fehlen ſöllt, inzwiſchen aber ſöllte ich ſtille ſein, und ſie nit verrathen. Solliches gelobte ich Alles zu thun, und mein Töchterlein Maria hob alſo¬ bald die liebe Gottesgab von dem Tiſche und trug ſie in die Kammer. Aber o Jammer, des andern Mor¬ gens als ſie das Fleiſch in den Grapen thun wollte, war Allens fort! Weiß nicht wer mir dieſes neue Herzeleid bereitet doch meine faſt, daß es Hinrich Seden ſein bö¬ ſes Weib gethan, ſintemalen er nicht ſchweigen kann, und ihr wie gläublich, wohl alles wiedererzählet. Auch hat Paaſschen ſein klein Töchterlein geſehen, daß ſie zum andern Mittag Fleiſch in dem Topf gehabt, item daß ſie mit ihrem Mann gehaddert, und nach ihme mit dem Fiſchbrett geſchmiſſen, auf welchem noch friſche Fiſchſchup¬ pen geſeſſen; hätte aber ſich gleich begriffen, als ſie ih¬ rer gewahr worden. (Pfui dich alte Hexe, es wird ge¬ nug wahr ſein!) Dahero blieb uns nichts übrig, als unſere arme Seele mit Gottes Wort zu ſpeiſen. Aber auch dieſe war ſo verzaget, daß ſie nichts mehr anneh¬ men wöllte, ſo wenig als der Magen. Denn mein arm35 Töchterlein inſonderheit, ward von Tag zu Tag blaſſer, grauer und gelber, und ſpiee immer wieder die Speiß aus, da ſie Allens ohne Salz und Brod genoß. Wun¬ derte mich ſchon lange, daß das Brod aus der Liepe nit wollte all werden, ſondern ich alle Mittag bisher ein Stücklein gehabt. Hatte auch öftermalen gefraget, wo haſtu denn immerfort das liebe Brod her, am Ende hebeſt du Alles vor mich allein auf, und nimmſt weder vor dich ein Stücklein, noch vor die Magd. Aber beide hoben dann immer ein Stücklein tannen Bork*)Rinde. in die Höhe, ſo ſie zurecht geſchnitten und vor ihren Teller ge¬ legt, und da es dunkel war in der Stuben, merkete ich die Schalkheit nit, ſondern gläubete ſie äßen auch Brod. Aber endiglichen zeigt es mir die Magd an, daß ich es nit länger leiden ſöllte, dieweil mein Töchterlein ihr ſelb¬ ſten nit hören wölle. Da kann nun männiglich abneh¬ men, wie mir um das Herze war, als ich mein arm Kind auf ihr Moosbett liegen und ringen ſah mit dem grimmigen Hunger. Aber es ſollte noch härter kom¬ men, denn der Herr wollte mich ganz zerſchlagen in ſei¬ nem Zorn wie einen Topf. Siehe auf den Abend deſ¬ ſelbigen Tages kommt der alte Paaſsch angelaufen kla¬ gende, daß all ſein und mein Korn im Felde umbgeha¬ ket und elendiglich zerſtöret ſei, und müſſe dies ſchier der leidige Satan gethan haben, angeſehen nicht die Spur eines Ochſen weder eines Roſſes zu ſehen wär. Für3 *36ſolche Rede ſchriee mein arm Kind laut auf und fiel in Unmacht. Wollte ihr dahero zu Hülfe ſpringen, aber ich erharrete nit ihr Lager, ſondern fiel für gräulichen Jammer ſelbſten zur Erden. Als nun die Magd wie der alte Paaſsch ein laut Geſchrei herfürſtießen, kamen wir zwar wieder bei uns, aber ich konnte mich nit al¬ lein mehr von der Erden erheben, ſo hatte der Herr meine Gebein zermalmet. Bate daher, als ſie mir bei¬ ſprangen, ſo wöllten mich nur liegen laſſen, und als ſie ſolches zu thun ſich wegerten, ſchriee ich, daß ich doch gleich wieder zur Erden müßt 'ümb zu beten und möch¬ ten ſie nur Alle bis auf mein Töchterlein aus der Stu¬ ben gehn. Solliches thäten ſie, aber das Beten wollte nit gehen. Ich geriethe in ſchweren Unglauben und Ver¬ zweiflung, und mürrete wieder den Herrn, daß er mich härter plagete denn Lazarum und Hiob. Denn dem Lazaro ſchriee ich Elender, hatteſt du doch die Broſa¬ men und die barmherzigen Hündlein gelaſſen, aber mir haſt du nichts gelaſſen, und bin ich ſelber ſchlechter vor dir, denn ein Hund geachtet, und den Hiob haſt du nicht geſtrafet, ehe du gnädiglich ihm ſeine Kinder genommen, mir aber läſſeſt du mein arm Töchterlein, daß ihre Qual meine eingene noch tauſendfältiglich häufen muß. Siehe darumb kann ich dich nichts mehr bitten, denn daß du ſie bald von dieſer Erden nimmſt, damit mein graues Haubt ihr freudig nachfahren könne in die Grube! Wehe ich ruchloſer Vater, was hab' ich gethan? Ich hab Brod geſſen und mein Kindlein hungern laſſen! O Herr Jeſu,37 der du ſprichſt: welcher iſt unter euch Menſchen, ſo ihn ſein Sohn bittet um Brod, der ihm einen Stein biete? Siehe ich bin dieſer Menſch, ſiehe ich bin dieſer ruch¬ loſe Vater, ich habe Brod geſſen und meinem Töchter¬ lein Holz geboten, ſtrafe mich, ich will dir gerne ſtille halten! O mein gerechter Jeſu, ich habe Brod geſſen und meinem Töchterlein Holz geboten! Als ich ſolli¬ ches nicht redete ſondern laut herfürſchrie, indem ich meine Hände range, fiel mir mein Töchterlein ſchluchzend umb den Hals, und ſtrafete mich, daß ich gegen den Herrn murrete, da doch ſie ſelbſten als ein ſchwach und ge¬ brechlich Weib gleichwohl nicht an ſeiner Gnade verzwei¬ felt ſei; ſo daß ich bald mit Schaam und Reue wieder zu mir ſelbſten kam, und mich vor dem Herrn demü¬ thigte für ſolche Sünden.

Hierzwiſchen war aber die Magd mit großem Ge¬ ſchrei in das Dorf gerannt, ob ſie ein wenig für ihre arme Jungfer gewinnen möcht. Aber die Leute hatten ihr Mittag ſchon verzehret und die Meiſten waren auf der Sehe, ſich die liebe Nachtkoſt zu ſuchen; dahero ſie nichts gewann, angeſehen die alte Sedenſche ſo allein noch einen Fürrath gehabt, ihr nichts hätte verabreichen wöllen, obſchon ſie ſelbige um die Wunden Jeſu gebeten.

Solliches verzählete ſie noch, als wir es in der Kam¬ mer poltern höreten, und alſobald ihr guter alter Ehe¬ kerl, der dorten heimlich in das Fenſter geſtiegen war, einen Topf mit einer kräftigen Suppen uns brachte, ſo er ſeinem, Weibe von dem Feuer gehoben, die nur ei¬38 nen Gang in den Garten gethan. Er wiſſe wohl, daß ſein Weib ihm dieſes baß vergelten würde, aber das ſöllt ihn nicht verdrießen, und möchte die Jungfer nur trin¬ ken, es wäre geſalzen und Allens. Er wölle nur gleich wieder durchs Fenſter eilen und ſehen, daß er vor ſei¬ nem Weibe ins Haus käme, damit ſie es nicht merken thät, wo er geweſen. Aber mein Töchterlein wollte den Topf nit nehmen, was ihn ſehr verdroß, ſo daß er ihn fluchend zur Erden ſetzte und wieder in die Kammer lief. Nicht lange, ſo trat auch ſein gluderäugigt Weib zur Vorderthüren herein, und als ſie den Topf auf der Erden noch dampfen ſahe, ſchriee ſie: du Deef*)Dieb. du verfluch¬ tes deefſches Aas und wollte meiner Magd in die Mütze fahren. Ich bedräuete ſie alſo, und verzählete, was für¬ gefallen; wöllte ſie es nit gläuben ſo möcht ſie in die Kammer gehen und durchs Fenſter ſchauen, wo ſie ih¬ ren Kerl vielleicht noch laufen ſäh. Solliches that ſie, und höreten wir ſie auch alſogleich ihrem Kerl nachſchreien: Teuf di ſall de Düwel de Arm utrieten, kumm mie man wedder int Huus**)Warte, dir ſoll der Teufel die Arme aus¬ reißen, komm mir nur wieder ins Haus. worauf ſie wieder hereintrat, und mummelnd den Topf von der Erden hob. Ich bat ſie umb Gottes willen, ſie wölle meinem Töchterlein ein we¬ nig abtheilen, aber ſie höhnete mich und ſprach: ji koehet ehr jo wat vör prädigen, ji mie dahn hebt***)ihr könnt ihr ja etwas vorpredigen, als ihr mir gethan habt. und39 ſchritt mit dem Topf zur Thüren. Zwar bat mich mein Töchterlein ich ſöllte ſie laſſen, aber ich konnt nicht umb¬ hin, daß ich ihr nachſchrie: um Gottes willen nur einen guten Trunk, ſonſt giebt mein armes Kind den Geiſt auf; willtu, daß Gott ſich dein am jüngſten Tage er¬ barme, ſo erbarme dich heute mein! Aber ſie höhnete uns abermals und rief: he kann ſich jo Speck kaken*)kochen., und ſchritt aus der Thüren. Sandte ihr alſo die Magd nach mit der Sanduhr, ſo vor mir auf dem Tiſche ſtund, daß ſie ihr ſelbige bieten möcht 'vor einem guten Trunk aus ihrem Topf. Aber die Magd kam mit der Sand¬ uhren wieder, und ſagte: ſie hätt es nicht gewollt. Ach wie ſchriee und ſeufzete ich nun abermals, als mein arm ſterbend Kind den Kopf mit einem lauten Seufzer wie¬ der in das Moos ſteckete! Doch der barmherzige Gott war gnädiger, als ich es mit meinen Unglauben verdient. Denn, da das hartherzige Weibsbilde dem al¬ ten Paaſsch ihrem Nachbarn ein wenig Suppen mitge¬ theilt, bracht' er ſie ſogleich vor mein Töchterlein, da er von der Magd wußte, wie es umb ſie ſtünde, und achte ich, daß dieſe Suppen, nebſt Gott, ihr allein das Leben er¬ halten, dieweil ſie gleich wieder das Haupt aufreckte, als ſie ſelbige genoſſen, und nach einer Stunden ſchon wieder im Hauſe umbhergehen konnte. Gott lohn's dem ehrli¬ chen Kerl! Hatte dahero noch heute große Freude in mei¬ ner Noth; doch als ich am Abend beim Kaminfeuer nie¬40 derſaß, und an meine Verhängnüß gedachte, brach wieder der Schmerz herfür, und beſchloß nun mehro mein Haus und meine Pfarre ſelbſt zu verlaufen, und als ein Bett¬ lersmann mit meiner Tochter durch die weite Welt zu zie¬ hen. Urſache kann man genugſam denken. Denn da nun¬ mehro alle Hoffnung mir weggeſtochen war, maſſen mein ganzes Feld geruiniret, und der Amtshaubtmann mein er¬ grimmter Feind worden war, ich auch binnen fünf Jah¬ ren keine Hochzeit, item binnen einem Jahre nur zwo Taufen gehabt, ſahe meinen und meines Kindes Tod für Augen, dieweil gar nit abzuſehen, daß es vors Erſte beſ¬ ſer ſöllte werden. Hiezu trat die große Furcht in der Ge¬ mein. Denn obwohl ſie durch Gottes wunderliche Gnade ſchon anfingen manchen guten Zug beides in der Sehe wie im Achterwaſſer zu thun, auch mancher in den andern Dörfern ſich ſchon Salz, Brod, Grütze etc. von den An¬ klammſchen und Laſſanſchen Pöltern und Quatznern*)befahren bis zu dieſer Stunde in kleinen Fahrzeugen (Polten und Quatzen) alltäglich das Achterwaſſer und kau¬ fen dem Bauern die gefangenen Fiſche ab. vor ſeine Fiſche hatten geben laſſen, brachten ſie mir doch Nichtes, weil ſie ſich ſcheueten, daß es möcht gen Pudgla verlauten, und ſie einen ungnädigen Herrn ha¬ ben. Winkete dannenhero mein Töchterlein neben mich, und ſtellte ihr für, was mir im Gedanken lage. Der grundgütige Gott könne mir ja immer eine andere Ge¬ meine wieder beſcheeren, ſo ich ſollte ſolcher Gnade wür¬ dig vor ihm befunden werden, angeſehen die grimmige41 Peſt - und Kriegeszeit manchen Diener ſeines Worts ab¬ gerufen, ich auch nicht, wie ein Miethling von ſeiner Heerde flöhe, beſondern bis dato Noth und Tod mit ihr getheilet. Ob ſie aber wohl des Tages ein oder zwo Meilen würde gehen künnen? dann wöllten wir uns gen Hamburg durchbitten zu meiner ſeligen Frauen ihrem Stiefbruder, Martin Behring ſo dorten ein für¬ nehmer Kaufmann iſt.

Solliches kam ihr anfänglich ſeltſam für, inmaſſen ſie wenig aus unſerm Kapſel gekommen auch ihre ſe¬ lige Mutter und Brüderlein auf unſerm Kirchhof la¬ gen. Wer dann ihr Grab aufmachen und mit Blu¬ men bepflanzen ſöllte? item, da der Herre ihr ein glatt Geſicht gegeben, was ich thun wöllte, wenn ſie in die¬ ſer wilden grimmigen Zeit auf der Landſtraßen von dem umbherſtreichenden Kriegsvolk und andern Lotterbuben angefallen würd, da ich ein alter ſchwacher Mann ſei und ſie nit ſchützen könnte, item womit wir uns für dem Froſte ſchützen wöllten, da der Winter hereinbräch, und der Feind unſere Kleider geraubet, ſo daß wir ja kaum unſere Blöße decken künnten? " Dieſes Alles hatte ich mir noch nicht fürgeſtellet, mußte ihr alſo recht geben, und wurde nach vielem Disputiren beſchloſſen, daß wir zur Nacht die Sache wöllten dem Herrn über¬ laſſen, und was er am andern Morgen uns würde in das Herze geben, wöllten wir thun. Doch ſahen wir wohl, daß wir auf keinerlei Weiß würden die alte Magd länger behalten können. Rief ſie alſo aus der Küchen42 herbei, und ſtellete ihr für: daß ſie morgen frühe zu gu¬ ter Zeit ſich nach der Liepen aufmachen möchte, dieweil es dorten noch zu eſſen hätte, und ſie hier verhungern würd, angeſehen wir ſelber vielleicht ſchon morgen den Kapſel und das Land verlaufen würden. Dankete ihr auch für ihre bewieſene Liebe und Treue, und bate ſie endlich unter lautem Schluchzen meiner armen Tochter, ſie wölle lieber nur ſogleich heimblich hinweggehen, und uns beiden nicht das Herze durch ihren Abſchied noch ſchwerer machen, angeſehen der alte Paaſsch die Nacht auf dem Achterwaſſer wöllte fiſchen ziehen, wie er mir geſaget, und ſie gewis gerne in Grüßow an das Land ſetzete, wo ſie ja auch ihre Freundſchaft hätte, und ſich noch heute ſatt eſſen könnte. Aber ſie kunnte vor vie¬ lem Weinen kein Wörtlein herfürbringen; doch da ſie ſahe, daß es mein Ernſt war, ging ſie aus der Stu¬ ben. Nit lange darauf hörten wir auch die Hausthüre zuklinken, worauf mein Töchterlein wimmerte: ſie geht ſchon und flugs an das Fenſter rannte, ihr nachzuſchauen Ja, ſchrie ſie , als ſie durch die Scheiblein geblicket, ſie geht ſchon! und rang die Hände und wollte ſich nit tröſten laſſen. Endiglichen gab ſie ſich doch, als ich auf die Magd Hagar kam ſo Abraham auch verſtoßen, und deren gleichwohl der Herr ſich in der Wüſten er¬ barmet und darauf befahlen wir uns dem Herrn, und ſtreckten uns auf unſer Mooslager.

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Capitel 9.

Wie mich die alte Magd mit ihrem Glauben de¬ muͤthigt und der Herr mich unwuͤrdigen Knecht dennoch geſegnet.

Lobe den Herrn meine Seele und was in mir iſt, ſeinen heiligen Namen. Lobe den Herrn und ver¬ giß nicht, was er dir Guts gethan hat. Der dir alle deine Sünde vergiebt, und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöſet, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit. Pf. 103.

Ach ich armer elender Menſch, wie ſoll ich alle Wohl¬ that und Barmherzigkeit faſſen, ſo mir der Herre ſchon des andern Tages widerfahren ließe. Ich heulte für Freuden, wie ſonſt für Jammer, und mein Töchterlein tanzete in der Stuben wie eine junge Rehe, und wollte nit zu Bette gehen, wollte nur weinen und tanzen, wie ſie ſagete, und dazwiſchen den 103ten Pſalm beten, und dann wieder weinen und tanzen, bis der Morgen an¬ brechen würd. Da ſie aber noch merklich ſchwach war, unterſagte ich ihr ſolchen Fürwitz angeſehen dies auch hieße den Herrn verſuchen, und nun merke man, was fürgefallen:

Nachdem wir beide mit großem Seufzen am Mor¬ gen erwacht waren und den Herrn angerufen, er wölle uns in unſern Herzen offenbaren, was wir thun ſöll¬44 ten, konnten wir gleichwohl noch immer nicht an einen Beſchluß kommen, dahero mein Kind vermahnete, ſo ſie anders ſo viel Kräfte in ſich verſpüre, ihr Lager zu verlaſſen, und Feuer in den Ofen zu werfen, dieweilen unſere Magd weg ſei. Wöllten nachhero die Sache fer¬ ner in Ueberlegung ziehen. Sie ſtand dahero auch auf, kehrete aber alſobald mit einem Freudengeſchrei zurücke, daß die Magd ſich wieder heimlich in das Haus ge¬ ſchlichen, und allbereits Feuer in den Ofen geſtochen. Ließ ſie mir alſo vors Lager kommen, und verwunderte mich über ihren Ungehorſam, was ſie hier ferner wölle, als mich und mein Töchterlein noch mehr quälen, und warumb ſie nicht geſtern mit den alten Paaſsch gezo¬ gen? Aber ſie lamentirte und jünſete*)ſtöhnte., daß ſie kaum ſprechen konnte, und verſtand ich nur ſo viel: ſie hätte mit uns geſſen darumb wölle ſie auch mit uns hungern und möcht ich ſie nur nit verſtoßen, ſie könne nun ein¬ mal nit von der lieben Jungfer laſſen, ſo ſie ſchon in der Wiegen gekennet. Solche Lieb 'und Treue erbar¬ mete mich ſo, daß ich faſt mit Thränen ſprach: aber haſtu nit gehöret daß, mein Töchterlein und ich entſchloſ¬ ſen ſeind, als Bettlersleute ins Land zu gehen, wo wiltu denn bleiben? Hierauf gab ſie zur Antwort, daß ſie nit wölle, angeſehen es gebührlicher**)ſchicklicher. vor ſie, als vor uns wäre, ſchnurren***)betteln. zu gehen. Daß ſie aber noch nit einſäh, warumb ich ſchon wöllte in die weite Welt45 ziehen. Ob ich ſchon vergeſſen, daß ich in meiner An¬ trittspredigt geſaget: daß ich bei meiner Gemein in Noth und Tod wölle verharren. Möchte dannenhero noch ein wenig verziehen, und ſie ſelbſten einmal nach der Lie¬ pen ſenden dieweilen ſie hoffe, bei ihrer Freundſchaft und anderswo was rechtes für uns aufzutreiben. Solche Rede, inſonderheit von meiner Antrittspredigt fiel mir faſt ſchwer aufs Gewiſſen, und ich ſchämete mich für meinen Unglauben, ſintemalen nicht allein mein Töch¬ terlein, beſondern auch meine Magd einen ſtärkern Glau¬ ben hätten denn ich, der ich doch wöllte ein Diener beim Worte ſein. Erachtete alſo, daß der Herr um mich armen, furchtſamen Miethling zurücke zu halten, und gleicher Weiß mich zu demüthigen dieſe arme Magd ewecket, ſo mich verſuchen gewußt wie wailand die Magd im Pallaſt des Hohenprieſters den furchtſamen St. Pe¬ trum. Wandte dahero wie Hiskias mein Angeſicht gen die Wand und demüthigte mich vor dem Herrn, was kaum geſchehen als mein Töchterlein abermals mit einem Freudengeſchrei zur Thüren hereinfuhr. Siehe ein chriſtliches Herze war zur Nacht heimlich ins Haus ge¬ ſtiegen und hatte uns zwo Brode, ein gut Stück Fleiſch, einen Beutel mit Grütze item einen Beutel mit Salz, bei einer Metzen wohl, in die Kammer geſetzet. Da kann nun männiglich gießen, welch groß Freudengeſchrei wir alleſammt erhoben. Auch ſchämete mich nit, für meiner Magd meine Sünden zu bekennen, und in un¬ ſerm gemeinen Morgengebet, ſo wir auf den Knieen46 hielten, dem Herrn aufs Neu Gehorſam und Treu zu geloben. Hielten dannenhero dieſen Morgen ein ſtatt¬ lich Frühſtück und ſchickten noch Etwas an den alten Paaſsch aus; item ließ mein Töchterlein nun wieder alle Kinderlein kommen, und ſpeiſete ſie, bevorab ſie auf¬ ſagen mußten, erſt mildiglich mit unſerm Fürrath. Und als mein kleingläubig Herz darüber ſeufzete, wiewohl ich nichts ſagete, lächelte ſie, und ſprach: darumb ſor¬ get nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine ſorgen. *)Matth. 6, 34.

Solche Weiſſagung thät der heilige Geiſt aus ihr, wie ich nit anders glauben kann, und Du auch nit mein Lieber, denn merke, was geſchah: Zu Nachmittag war ſie, verſtehe mein Töchterlein, in den Streckelberg ge¬ gangen, um Brommelbeeren zu ſuchen, weilen der alte Paaſsch ihr hatte durch die Magd ſagen laſſen, daß es dorten noch einige Büſche hätte. Die Magd hackete Holz auf dem Hofe, wozu ſie ſich den alten Paaſsch ſein Beil geliehen, denn meines hatten die kaiſerlichen Schnapphähne verworfen, da es nirgend nit zu finden; ich ſelbſten aber wandelte in der Stuben auf und ab und ſanne meine Predigt aus: als mein Töchterlein mit hoher Schürzen bald wieder in die Thüre fuhr, ganz roth und mit funkelnden Augen, konnte aber für Freu¬ den nichts mehr ſprechen denn: Vater, Vater, was hab ich? Nun, geb ich zur Antwort, was haſtu47 denn mein Kind? worauf ſie die Schürze von ein¬ ander thät, und trauete kaum meinen Augen, als ich vor die Brommelbeeren, ſo ſie zu hohlen gangen war, darinnen zween Stücke Bernſtein glitzern ſah ein jegli¬ ches faſt ſo groß, denn ein Mannskopf, die kleinen Stück¬ lein nit gerechnet, ſo doch auch mit unter die Länge meiner Hand hatten, und habe ich weiß Gott keine kleine Hand. Schriee alſo: Herzenskind, wie kömmſtu zu die¬ ſen Gottesſeegen? " Worauf ſie, als ſie gemach wieder zu Athem kame, verzählete wie folgt:

Daß ſie nach den Beeren ſuchende in einer Schlucht nahe dem Strande zu, etwas in der Sonnen hätte gliz¬ zern geſehen, und als ſie hinzugetreten, hätte ſie dieſen wunderlichen Fund gethan, angeſehen der Wind den Sand von einer ſchwarzen Birnſteinader fortgeſpielet. *)Kommt auch jetzt noch öfter vor, und iſt dem Her¬ ausgeber ſelbſt begegnet. Doch enthielt die kleine ſchwarze Ader nur wenige Stücken Bernſtein mit Holzkohle vermiſcht, letzteres ein ſicheres Zeichen ſeines vegetabiliſchen Urſprungs, worüber beiläufig geſagt, jetzt auch kaum ein Zweifel ob¬ waltet, ſeitdem man in Preußen ſogar ganze Bernſteinbäume aufgefunden hat, und auf dem Muſeum zu Königsberg be¬ wahrt.Hätte ſofort mit einem Stöcklein dieſe Stücken herausgebro¬ chen, und wäre noch ein großer Fürrath vorhanden, maſ¬ ſen es unter dem Stocke rings umbher gebullert, als ſie ihn in den Sand geſtoßen, auch hätte ſelbiger nit tiefer, als zum höchſten einen Schuh ſich in den Boden ſchie¬ ben laſſen. Item verzählete ſie: daß ſie die Stätte wie¬48 der mit Sand überſchüttet, und darnach mit ihrer Schür¬ zen überwedelt, damit keine Spur nit übrig bliebe.

Im Uebrigen würde dorthin auch kein Fremder ſo leichtlich kommen, angeſehen keine Brommelbeeren in der Nähe ranketen, und ſie mehr aus Fürwitz und um nach der Sehe überzuſchauen, den Gang gethan, denn aus Nothdurft. Sie ſelbſten wolle aber ſchon die Stätte wiederfinden, alldieweilen ſie ſich dieſelbige durch drei Steinlein gemerket. Was nun unſer Erſtes geweſen, nachdeme der grundgütige Gott uns aus ſollicher Noth geriſſen, ja uns, wie es der Anſchein war, mit großem Reichthumb begabet hatte, kann ſich ein Jeglicher ſelb¬ ſten fürſtellen. Als wir endlich wieder von unſern Knieen aufſtunden, wollte mein Töchterlein zuerſt zur Magd laufen und ihr unſere fröhliche Zeitung hinterbringen. Aber ich unterſagete es ihr, maſſen wir nit wiſſen könn¬ ten, ob die Magd es ihren Freundinnen nicht wieder verzählete, obwohl ſie ſonſten ein treu und gottesfürch¬ tig Menſch ſei. Thät ſie aber ſoliches, ſo würde es ſon¬ der Zweifel der Amtshaubtmann erfahren, und unſern Schatz vor Se. fürſtliche Gnaden den Herzog, will ſa¬ gen vor ſich ſelbſten aufheben, und uns nichts nit, denn das Zuſehen verbleiben, und darumb unſere Noth bald wieder von vornen beginnen. Wöllten dannenhero ſa¬ gen, wenn man uns nach unſerm Seegen fragen würde, daß mein ſeliger Bruder ſo ein Rathsherr in Rotter¬ damm geweſen uns ein gut Stück Geldes hinterlaſſen, wie es denn auch wahr iſt, daß ich für einem Jahre49 bei 200 Fl. von ihme geerbet, welche mir aber das Kriegsvolk, wie oben bemeldet, jämmerlich entwendet. Item ich wölle morgen ſelbſten nach Wolgaſt gehen und die kleinen Stücklein verkaufen, ſo gut es müglich wäre, ſagende, du hätteſt ſie an der Sehe gefunden; ſolches kannſtu auch meinethalben der Magd ſagen, und ſie ihr zeigen, aber die großen Stücke zeigeſtu Niemand nit, die will ich an deinen Ohm gen Hamburg ſenden, uns ſolche zu verſilbern. Vielleicht, daß ich auch eins da¬ von in Wolgaſt verkaufe, ſo ich Gelegenheit hab, umb Dir und mir die Winternothdurft auf den Leib zu ſchaf¬ fen, dahero du mitgehen kannſt. Die Witten, ſo die Gemein zuſammengebracht, nehmen wir vors Erſte für Fährgeld, und kannſtu die Magd uns auf den Abend nachbeſtellen, daß ſie auf der Fähren auf uns harre, umb die Alimenten zu tragen. Dieſes Allens verſprach ſie zu thun, meinete aber, wir könnten erſt mehr Birn¬ ſtein brechen, damit wir was Rechtes in Hamburg krie¬ geten, was ich auch thate, und dannenhero des andern Tages noch zu Hauſe verblieb, maßen es uns noch nit an Koſt gebrach, mein Töchterlein auch ſowohl als ich, uns erſt wieder gänzlich recreiren wollten, bevorab wir die Reiſ 'anträten, item wir auch bedachten, daß der alte Mei¬ ſter Rothoog in Loddin, ſo ein Tiſchler iſt, uns bald ein Kiſtlein zuſammenſchlagen würd, um den Birnſtein hineinzuthun, dannenhero ich zu Nachmittag die Magd zu ihm ſchickete, unterdeſſen wir ſelbſten in den Stre¬ kelberg ſchritten, allwo ich mir mit meinem Taſchenmeſ¬450ſer, ſo ich für dem Feinde geborgen, ein Tännlein ab¬ ſchnitte, und es wie einen Spaten formirete, damit ich könnte beſſer damit zur Tiefen fahren. Sahen uns aber vorher auf dein Berge wohl umb, und da wir Nie¬ mand nit gewahreten, ſchritt mein Töchterlein voran, zu der Stätte, welche ſie auch alſofort wiederfunde. Gro¬ ßer Gott, was hatts hier für Birnſtein! Die Ader ging bei 20 Fuß Länge, wie ich ungefährlich abfühlen mochte, die Tiefe aber kunnte ich nicht ergründen. Doch brachen wir heute außer vier anſehnlichen Stücken, doch faſt nit ſo groß, als die von geſtern ſeind, nur klein Gruuswerk, nicht viel größer als was die Apotheker zu Stänkerpulver*)Wahrſcheinlich Räucherpulver. zuſtoßen. Nachdeme wir nun den Ort wieder mit äußerſtem Fleiß bedecket und bewedelt, wär uns bald ein großer Unfall zugeſtoßen. Denn uns be¬ gegnete Witthanſch ihr Mädken, ſo Brummelbeeren ſuchte, und da ſie fragete, was mein Töchterlein in der Schürzen trug und dieſe roth würde und ſtockete, wär alſobald unſer Geheimniß verrathen, hätt ich mich nicht begriffen und geſaget: was gehts dich an, ſie träget Tannenzapfen umb damit einzuheitzen, was ſie auch gläubte. Wir ſatzten uns dahero für, in Zukunft nur des Nachts und bei Mondenſchein auf den Berg zu ſteigen, und ka¬ men noch vor der Magd zu Hauſe, woſelbſt wir unſern Schatz in der Bettſtätt verburgen, damit ſie es nicht merken ſollte.

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Capitel 10.

Wie wir nach Wolgaft reiſen und daſelbſten gute Raufmannſchaft halten.

Zwei Tage darauf, ſagt mein Töchterlein, die alte Ilſe aber meint drei Tage (und weiß ich nit was wahr iſt) ſeind wir endiglichen zur Stadt geweſt, angeſehen Meiſter Rothoog die Kiſte nit eher fertig hatte. Mein Töchterlein deckete ein Stück von meiner ſeeligen Frau ihrem Brautkleid darüber ſo die Kaiſerlichen zwar zerfetzet, doch als ſie es darauf wohl draußen liegen laſ¬ ſen, von dem Winde in den Pfarrzaum war getrieben, wo wir es wiederfunden. War auch ſchon vorher ziem¬ lich unlieblich, ſonst achte ich, hätten ſie es wohl mit ſich geführet. Umb der Kiſten willen aber nahmen wir die alte Ilſe gleich mit, ſo ſelbige tragen mußte, und da Birnſtein eine faſt leichte Waare iſt, gläubete ſie es leichtlich, daß nur etwas Eßwaar in ſelbiger vor¬ handen ſei. Setzeten alſo bei Tages Anbruch mit Gott unſern Stecken vor uns. Bei dem Zitze*)Dorf auf der Hälfte des Weges zwiſchen Coſerow und Wolgaſt, jetzt Zinnowitz genannt. lief ein Haaſe vor uns über den Weg, was nichts Gutes bedeuten ſoll; ach ja! Als wir darauf gen Bannemin kamen, fragte ich einen Kerl, ob es wahr ſei, daß hier eine Mutter ihr eigen Kind für Hunger geſchlachtet, wie ich vernom¬4 *52men. Er ſagte ja, und nannte das alte Weib Zisſe¬ ſche. Der liebe Gott aber hätte ſich für ſolchem Gräuel entſetzet, und es hätte ihr doch nicht geholfen, maſſen ſie ſich ſo ſehr bei dem Eſſen geſpeiet, daß ſie davon den Geiſt aufgegeben. Sonſten meinte er, ſtünd 'es im Kapſel ſchon etwas beſſer, dieweil der liebe Gott ſie reichlich mit Fiſchen ſowohl in der Sehe als im Ach¬ terwaſſer geſegnet. Doch wären auch hier viel Leute für Hunger geſtorben. Von ſeinem Pfarrherrn Ehre Johannes Lampius*)In dem hieſigen Pfarrarchiv ſind auch noch einige, obgleich ſehr kurze und unvollſtändige Andeutungen von ſei¬ nen Leidenstagen während jenes Schreckenkrieges vorhanden. verzählete er, daß ſein Haus von den Kaiſerlichen gebrennet ſei, und er in einer Kir¬ chenbude**)Bude, davon Büdner, eine Hütte. läge. Ich ließ ihne grüßen, und möcht er doch bald einmal ſich zu mir aufmachen (welches der Kerl auch zu beſorgen verſprach), denn Ehre Jo¬ hannes iſt ein frommer gelehrter Mann, und hat auch etzliche lateiniſche Chronosticha auf dieſe elendig Zeit in metro heróico geſtellet, ſo mir ſehr gefallen, muß ich ſagen***)Der alte Herr hat ſie ſogar unter die noch vor¬ handenen Kirchenrechnungen geſetzt, und mögen ein Paar davon zur Probe hier ſtehen: auf 1620 VsqVe qVo DoMlne IrasCerIs, sIs nobIs pater! auf 1628 InqVe tVa DeXtra ſer operaM tV ChrIste benIgne! .

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Als wir nun über die Fähr kamen, ſprachen wir auf den Schloßplatz bei Sehms ein, ſo ein Krüger iſt, welcher uns verzählete, daß die Peſt noch immer nit ganz in der Stadt aufgehöret, worüber ich faſt erſchrake, zumalen er auch noch viele andere Gräuel und Leiden dieſer betrübten Zeit, ſo hier und an andern Orten be¬ ſchehen, uns für Augen ſtellete, e. g. von der großen Hungersnoth im Land zu Rügen, wo viele Menſchen für Hunger ſo ſchwarz wie die Mohren geworden, ein wunderlich Ding, ſo es wahr iſt, und möchte man daraus faſt gießen, wie die erſten Mohren enſtanden ſeind*)Auch Micraelius im alten Pommerlande, V, 171, 12. gedenket dieſes Umſtandes, ſagt aber blos: Die nach Stral¬ ſund überliefen waren ganz ſchwarz vom erlittenen Hun¬ ger anzuſehen. Daher wohl die ſeltſame Uebertreibung des Wirths und der noch ſeltſamere Schluß unſers Autors.. Aber das laſſen wir jetzt in ſeinen Würden. Summa als Meiſter Sehms uns verzählet, was er Neues wußte, und wir daraus zu unſerm Troſte ſahen, daß der Herr uns nicht allein heimbgeſuchet in dieſer ſchweren Zeit, rieffe ich ihn in eine Kammer, und fragete ihn, ob es hier nicht wo Gelegenheit hätte, ein Stück Birnſtein zu verſilbern, ſo mein Töchterlein an der Sehe gefun¬ den. Aber er ſagte erſtlich nein, darauf aber ſich be¬ ſinnende hub er an: halt laß Er ſehen. Denn es ſeind hier beim Schloßwirth Niclas Grecken zwo holländiſche fürnehme Kaufleute in Herberge, als: Dieterich von Pehnen und Jakob Kiekebuſch, welche Theer und Bret¬54 ter kaufen, item Schiffholz und Balken, vielleicht daß dieſe auch auf Seinen Birnſtein feilſchen, doch geh Er Selbſten auf das Schloß, denn ich weiß nit mehr vor gewis, ob ſie heute noch hier ſeind. Solliches thate ich auch, obwohl ich bei dem Manne noch nichts ver¬ zehret, angeſehen ich erſt abſehen wöllte, wie's mit dem Handel abliefe, und die Witten ſo der Kirchen gehör¬ ten, bis ſo lange verſpaaren. Kame alſo auf den Schlo߬ hof. Aber du lieber Gott, wie war auch Sr. fürſt¬ lichen Gnaden Haus ſeit kurzer Zeit faſt zur Wüſtenei worden. Den Marſtall und das Jagdhaus hatten anno 1628 die Dänen gebrochen; item viele Zimmer im Schloſſe geruiniret, und in Sr. fürſtlichen Gnaden des Herzogen Philippi Locament, wo er mich ao. 22 mit meinem Töchterlein, wie man weiter unten leſen wird, ſo mildiglich getractiret, hauſete jetzt der Schloßwirth Niclas Graeke, und waren all die ſchönen Tapecereyen, worauf die Wallfahrt Sr. fürſtlichen Gnaden weiland Bagislai X. gen Jeruſalem fürgeſtellet war, heraußer¬ geriſſen, und die Wände grau und garſtig*)vergl. Hellers Chronik der Stadt Wolgaſt, S. 42. ff. die Unordnung rührte wohl daher, weil der Nachfolger von Philippus Julius ( 6ten Febr. 1625) und zugleich der letzte Pommerſche Herzog, Bogislaus XIV. in Stettin reſidirte. Zur Zeit iſt das Schloß eine gänzliche Ruine, und nur noch mehrere große mit Kreuzgewölben verſehene Keller ſind vorhanden, in welchen die dortigen Kaufleute zum Theil ihre Waaren-Niederlagen haben.. Solli¬ ches ſahe mit betrübtem Herzen, fragte darum alſo¬55 bald nach den Kaufleuten, welche hinter dem Tiſche ſa¬ ßen, und ſchon Abſchiedszeche hielten, dieweil ihr Reiſe¬ geräthe allbereits umb ſie lag, umb damit nacher Stet¬ tin aufzubrechen. Als nun der eine von der Zeche auf¬ ſprange, ein kleiner Kerl, mit einem gar ſtattlichen Wanſt, und einem ſchwarzen Pflaſter über der Na¬ ſen, und mich fragete: was ich wölle? nahme ich ihn abſeiten in ein Fenſter, und ſagte: daß ich ſchönen Birn¬ ſtein hätte, und ob er geſonnen, mir ſolchen zu ver¬ ſilbern, was er gleich zu thun verſprach. Und nachdem er ſeinem Geſellen etwas ins Ohr gemürmelt, wurd er faſt lieblich ausſehen, und reichte mir auch erſt den Krug, bevorab wir in meine Herberge gingen. That ihm alſo recht wacker Beſcheid, da ich, wie obbemel¬ det noch nüchtern war, ſo daß mir gleich baß umbs Herze wurde. (Du lieber Gott, was gehet doch über einen guten Trunk ſo es mit Maßen geſchieht!) Dar¬ auf ſchritten wir in meine Herberge, und mußte die Magd die Kiſte abſeiten in ein Kämmerlein tragen. Doch hatte ich ſelbige kaum aufgethan, und das Kleid davon gezogen, als der Mann (ſo Dieterich von Peh¬ nen war, wie er mir unterwegs geſaget) für Freuden die Hände in die Höhe hub, und ſagete: daß er ſol¬ chen Segen in Birnſtein noch niemals nit geſehen, und wie ich dazu gekommen? Antwortete alſo, daß ihn mein Töchterlein an der Sehe gefunden, worüber er ſich ſehr verwunderte, daß es hier ſo viel Birnſtein hätte, und mir gleich vor die ganze Kiſte 300 Fl. bote. War56 für Freuden über ſolchen Bot außer mir, doch ließ mir nichtes merken, beſondern feilſchte mit ihme bis auf 500 Fl. und ſöllte ich nur mit ins Schloß kommen und dorten gleich mein Geld haben. Beſtellete dahero gleich bei dem Wirth einen Krug Bier, und vor mein Töch¬ terlein ein gutes Mittagbrod, und machte mich mit dem Mann und der Magd, ſo die Kiſte truge wieder ins Schloß auf, bittende: er wölle aber, umb gemeiner Verwundrung willen, nichtes nicht von meinem großen Seegen zu dem Wirth oder ſonſt zu männiglich hier in der Stadt ſagen, und mir mein Geld ſonderlich*)beſonders, privatim. auf¬ zählen, maſſen man auch nit wiſſen könnte ob mir die Schnapphanichen**)Räuber. nicht unterweges aufpaßten, wenn ſie ſolches erführen, welches der Mann auch thät. Denn er mürmelte gleich ſeinem Geſellen wieder ins Ohr, wor¬ auf dieſer ſeinen ledernen Rock aufthät, item ſein Wams und ſeine Hoſen, und ſich ein Kätzlein von ſeinem Wanſt ſchnallete, ſo trefflich geſpicket war, und er ihme rei¬ chete. Summa: es währete nit lange, ſo hatte ich mei¬ nen Reichthumb in der Taſchen, und bate der Mann noch überdies, wenn ich wieder Birnſtein hätte, ſölle ich ja gen Amſterdamm an ihn ſchreiben, was ich auch zu thun verſprach. Aber der gute Kerl iſt, wie ich her¬ nachmals erfahren in Stettin an der Peſt mit ſeinem Geſellen verſtorben, welches ich ihm nicht gewünſchet. ***)Auch Micraelius gedenket dieſer holländiſchen Han¬ delsleute, a. a. D. V., S. 171, behauptet aber, die Urſache57Darauf wäre bald in große Ungelegenheit kommen. Denn da ich mich ſehnete auf meine Kniee zu fallen, und die Zeit nit abwarten konnte, wo ich meine Herberge er¬ reichet, lief ich die Schloßtreppe bei vier Stufen hinauf, und trat in ein klein Gemach, wo ich mich für dem Herrn demüthigte. Aber der Wirth Niclas Gräke folgte mir alsbald, und vermeinete, daß ich ein Dieb ſei und wollte mich feſt halten, wußte dahero nicht anders los zu kom¬ men als, daß ich fürgabe, ich wäre trunken worden von dem Wein, ſo mir die fremden Kaufleute geſpendet (denn er hatte geſehen, welchen trefflichen Zug ich gethan) an¬ geſehen ich heute Morgen noch nüchtern geweſen, und hätte mir ein Kämmerlein aufgeſucht umb ein wenig zu ſchlummern, welche Lüge er auch gläubete (ſo es anders eine Lüge war; denn ich war ja auch in Wahr¬ heit trunken, obgleich nit vom Wein, ſondern von Dank und Andacht zu meinem Schöpfer) und mich derohal¬ ben lauffen ließ.

Doch nun muß ich erſtlich meine Hiſtorie mit Sr. fürſtlichen Gnaden verzählen, wie mir oben fürgenom¬ men. Als ich Anno 22 von ungefährlich mit meim Töchterlein, ſo damals ein Kind bei 12 Jahren war, hier in Wolgaſt in dein Schloßgarten luſtwandelte, und ihr die ſchönen Blumen zeigete, ſo darinnen herfürge¬***)ihres Todes ſei zweifelhaft geweſen, und habe der Stadt¬ phyſikus Dr. Laurentius Eichstadius in Stettin, einen eigenen medizinaliſchen Discurs darüber geſchrieben. Doch nennt er einen derſelben Kiekepoſt anſtatt Kiekebuſch.58 wachſen waren, begab es ſich, als wir umb ein Buſch¬ werk lenketen, daß wir meinen gnädigen Herrn Herzog Philippum Julium mit Sr: fürſtlichen Gnaden dem Herzogen Bogislaff ſo hier zum Beſuche lag, auf ei¬ nem Hügel ſtehen und disputiren ſahen, wannenhero wir ſchon umbkehren wollten. Da aber meine gnädige Her¬ ren alsbald fürbaß ſchritten, der Schloßbrücken zu, be¬ ſahen wir uns den Hügel, wo dieſelben geſtanden, und erhobe mein klein Mädken alsbald ein laut Freudenge¬ ſchrei, angeſehen, ſie einen koſtbaren Siegelring an der Erden liegen ſahe, ſo Ihro fürſtliche Gnaden ohn Zwei¬ fel verloren. Ich ſagete dannenhero: komme, wir wol¬ len unſere gnädigen Herren ganz eilend nachgehen, und ſagſtu auf lateiniſch: Serenissimi principes quis ve¬ strum hunc annulum deperdidit*)Geſtrenge Fürſten, wer von Euch hat dieſen Ring verloren.? (Denn wie oben bemeldet hatte ich mit ihr die lateiniſche Sprach ſchon ſeit ihrem ſiebenten Jahr traktiret) und ſagt nun einer: ego; ſo giebſtu ihm den Ring. Item fräget er dich auf lateiniſch, wem du gehöreſt, ſo ſei nit blöde und ſprich: ego sum filia pastoris Coserowiensis**)ich bin die Tochter des Pfarrers zu Coſerow. ſiehe ſo werden Ihre fürſtlichen Gnaden ein Wohlge¬ fallen an dir haben, denn es ſeind beide freundliche Leute, inſonderheit aber der große, welches unſer gnädi¬ ger Landesherr Philippus Julius ſelbſten iſt.

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Solliches verſprach ſie zu thun; doch da ſie im Wei¬ terſchreiten merklich zitterte, redete ich ihr noch mehr zu und verſprach ihr ein neu Kleid ſo ſie es thäte, an¬ geſehen ſie ſchon als ein klein Kind viel umb ſchöne Kleider gegeben. Als wir dahero auf dem Schloßhof kommen, blieb ich bei der Statue Sr: fürſtlichen Gna¬ den des Herzogen Ernſt Ludewig*)Der Vater von Philippus Julius zu Wolgaſt den 17ten Junius 1592. ſtehen, und blies ihr ein, nunmehro dreuſt nachzulaufen, da Ihre f. G. nur wenige Schritte für uns gingen, und ſich ſchon ge¬ gen die große Hauptthüre wendeten. Sollich-s thät ſie auch, blieb aber plötzlich ſtehen und wollte wieder umb¬ kehren, weil ſie ſich vor den Sporen Ihrer f. G. ge¬ fürchtet, wie ſie nachgehends ſagete, maßen dieſelben faſt heftig geknarret und geraſtert.

Dieſes ſahe aber meine gnädige Frau, die Herzo¬ ginne Agnes aus dem offenen Fenſter, in welchem ſie lage und rief, S. f. G. zu: mein Herre, es iſt ein klein Mädchen hinter Euch, ſo Euch ſprechen will, wie es mir ſcheinet, worauf Sr. f. G. ſich gleich niedlich lächelnd umwendete, ſo daß meinem kleinen Mädken der Muth alſobald wiederkehrete und ſie den Ring in die Höhe haltende auf lateiniſch ſagete, wie ihr geboten. Darüber verwunderten ſich beide Fürſten über die Ma¬ ßen, und nachdeme Se. fürſtliche Gnaden, mein gnädi¬ ger Herzog Philippus ſich an den Finger gefühlet, ant¬60 wortete er: Dulcissima puella, ego perdidi*)mein ſüßes Mädchen, ich habe ihn verloren. wor¬ auf ſie ihm ſolchen reichete. Davor klopfete er ihr die Wangen und fragte abermals: Sed quaenam es et unde venis?**)Aber wer biſt du und woher kömmst du? worauf ſie dreuſt ihre Antwort thät, und zugleich nach mir an der Statuen mit dem Finger wieſe, worauf Se. fürſtliche Gnaden mir winketen, näher zu kommen. Dieſes Alles hatte auch meine gnädige Frau aus dem Fenſter mitgeſehen, war aber mit einem Male wegk. Doch kam ſie ſchon zurücke, ehe ich noch zu mei¬ nen gnädigen Herren demüthig herangetreten, winkete alsbald meinem Töchterlein, und hielt ihr eine Blin¬ ſche***)Vielleicht Plinze, eine Art Kuchen. aus dem Fenſter welche ſie haben ſollte. Da ich ihr zuredete lief ſie auch hinan, aber Ihre fürſtliche Gnaden kunnte nit ſo tief niederlangen, und ſie nit ſo hoch über ſich umb ſelbige zu greifen, wannenhero meine gnädige Frau ihr gebot, ſie ſölle in das Schloß kom¬ men und da ſie ſich ängſtiglich nach mir umbſchauete mich auch heranwinkete, wie mein gnädiger Herr ſelb¬ ſten, der alſobald die kleine ſcheue Magd bei der Hand faſſete und mit Sr: fürſtlichen Gnaden dem Herzogen Bogislaff vorauf ging. Meine gnädige Frau kam uns aber allbereits bei der Thüren entgegen, liebkoſete und umbſing mein klein Töchterlein, ſo daß ſie bald dreuſt wurde, und die Blinſche . Nachdem nun mein g. Herr mich gefraget, wie ich hieße, item warumb ich61 ſeltſamer Weiß meinem Töchterlein die lateiniſche Sprache gelernet, antwortete ich: daß ich gar viel durch einen Vetter in Cöln von der Schurmannin*)Anna Maria Schurmann geb. zu Cöln am 5ten Novbr. 1607, geſtorben zu Wiewardin d. 5ten May 1678 war nach dem übereinſtimmenden Zeugniß ihrer Zeitgenoſ¬ ſen ein Wunder der Gelehrſamkeit und vielleicht das ge¬ lehrteſte Weib, das je auf Erden lebte. Der Franzoſe Nandé urtheilt von ihr; was die Hand bilden und der Geiſt faſ¬ ſen kann, trifft man bei ihr allein. Keine malt beſſer, keine bildet beſſer in Erz, Wachs und Holz. In der Stickerei übertrifft ſie alle alten und neuen Weiber. Man weiß nicht in welcher Art der Gelehrſamkeit ſie ſich am mehrſten aus¬ gezeichnet. Nicht mit den europäiſchen Sprachen zufrieden, verſieht ſie hebräiſch, arabiſch, ſyriſch und ſchreibt ein La¬ tein, daß kein Mann, der ſein Leben darauf verwendet, es beſſer kann. Der berühmte Niederländer Spanheim nennt ſie eine Lehrerin der Gratien und Muſen, der noch be¬ rühmtere Salmaſius geſteht: er wiſſe nicht in welcher Art der Gelehrſamkeit er ihr den Vorzug geben ſolle, und der Pole Rotyer nennt ſte gar das einzige Exemplar aller Wunderwerke an einem gelehrten Menſchen, und ein gänz¬ liches Monstrum ihres Geſchlechts doch ohne Fehler und Ta¬ del. Denn in der That behielt ſie bei ihrem außerordent¬ lichen Wiſſen eine bewunderswürdige Demuth, wiewohl ſie ſelbſt geſteht, daß die unmäßigen Lobſprüche der Gelehrten ſie jezuweilen zu eigener Selbſtverblendung verleitet hät¬ ten. In ſpäteren Jahren trat ſie zu der Gemeine der La¬ badiſten über, welche manche Aehnlichkeit mit den neuern Muckern gehabt zu haben ſcheint, ſtarb aber unvermählt, da eine frühe Liebe (ſchon in ihrem 15ten Jahre) mit dem Holländer Caets ſich zerſchlagen hatte. Als Seltſamkeit von ihr wird angeführt, daß ſie gerne Spinnen gegeſſen. Ihre gehöret und da ich ein faſt trefflich ingenium bei meinem Kinde ver¬62 ſpüret, auch in meiner einſamen Pfarren genugſam Zeit dazu gehabt, hätte ich nit angeſtanden, ſie von Jugend auf fürzunehmen und zu unterweiſen, maßen ich keine Knäblein beim Leben hätte. Darüber verwunderten ſich I. I. f. f. G. G. und thaten annoch einige latei¬ niſche Fragen an ſelbige, welche ſie auch beantwortete, ohne daß ich ihr etwas einblieſe, worauf mein gnädi¬ ger Herr, Herzog Philippus auf deutſch ſagete: wenn du groß geworden biſt und einmal heirathen wilt, ſo ſags mir, dann ſolltu von mir wieder einen Ring ha¬ ben und was ſonſten noch vor eine Braut gehöret, denn du haſt mir heute einen guten Dienſt gethan, angeſe¬ hen mir dieſer Ring ein groß Kleinod iſt, da ich ihn von meiner Frauen empfangen. Ich blies ihr darauf ein, Sr: fürſtlichen Gnaden vor ſolches Verſprechen die Hand zu küſſen, was ſie auch thät.

(Aber, ach du allerliebſter Gott, verſprechen und halten, ſeind zweierlei Ding! Wo iſt jetzt Se: fürſtli¬ chen Gnaden? Darumb laß mich immer bedenken: nur Du biſt allein wahrhaftig und was Du zuſagſt hälltſtu gewis. Pſ. 33, 4. Amen.)

Item als Se, fürſtliche Gnaden nunmehro auch nach mir und meiner Pfarren gekundſchaftet und gehöret, daß ich alt adlichen Geſchlechtes und mein Salarium faſt zu ſchwach ſei, rief ſie dero Canzler D. Rungium,*)geſammelten Werke gab der berühmte Spanheim unter dem Titel: Annae Mariae a Schurmann opuscula, Leyden 1648, zuerſt heraus.63 der draußen an dem Sonnenzeiger ſtund und ſchauete, aus dem Fenſter und befahle ihme, daß ich vom Klo¬ ſter zu Pudgla, item von dem Kammergut Ernſthoff eine Beilage haben ſollte, wie oben bemeldet. Aber Gott ſeis geklagt, habe ſelbige niemalen erhalten, ob¬ wohl das Instrumentum donationis*)Schenkungsurkunde. mir bald her¬ nach auch durch Sr: fürſtlichen Gnaden Canzler geſen¬ det ward.

Darauf gab es vor mich auch Blinſchen, item ein Glas wälſchen Wein aus einem gemalten Wappenglas, worauf ich demüthig mit meinem Töchterlein meinen Abtritt nahm.

Umb nun aber wieder auf meine Kaufmannſchaft zu kommen, ſo kann männiglich vor ſich ſelbſten abneh¬ men, welche Freude mein Kind empfande, als ich ihr die ſchöne Dukaten und Gulden wieſe, ſo ich vor den Birnſtein erhalten. Der Magd aber ſagten wir, daß wir ſolchen Segen ererbet durch meinen Bruder in Hol¬ land, und nachdem wir abermals dem Herrn auf un¬ ſern Knieen gedanket, und unſer Mittagsbrod verzeh¬ ret, hielten wir gute Kaufmannſchaft an Fleiſch, Brode, Salz, Stockfiſch, item an Kleidern, angeſehen ich vor uns drei von dem Wandſchneider die Winternothdurft beſorgete. Vor mein Töchterlein aber kaufte noch ab¬ ſonderlich eine geſtrickte Haarhaube und ein roth ſei¬ din Leibichen mit ſchwarzen Schurzfleck und weißem Rock,64 item ein fein Ohrgehänge, da ſie faſt heftig darumb bat, und nachdem ich auch bei dem Schuſter die Noth¬ durft beſtellet, machten wir uns endiglichen, da es faſt ſchon tunkel ward, auf den Heimbweg, kunnten aber faſt nit alles tragen, ſo wir eingekaufet. Derohalben mußte uns ein Bauer von Bannemin helfen, ſo auch zur Stadt geweſen war, und als ich von ihm erfor¬ ſchet, daß der Kerl, ſo mir die Schnede Brod gegeben, ein Katenmann, Namens Pantermehl geweſt, und an der Dorfſtraßen wohne, ſchobe ich ihm zwo Brode in ſeine Hausthüre, als wir davor gekommen, ohne daß er es gemerket, und zogen darauf unſerer Straßen bei gutem Mondſchein weiter, ſo daß wir auch mit Gotts Hülfe umb 10 Uhren Abends zu Hauſe anlangeten. Dem andern Kerl hatte ich auch vor ſeine Mühe ein Brod geben, obwohl er es nit verdient, angeſehen er nit weiter als bis zum Zitze mit uns gehen wollte. Doch laß ihn laufen, habs ja auch nit verdienet, daß mich der Herr ſo geſegnet!

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Capitel 11.

Wie ich die ganze Gemein geſpeiſet, item wie ich nach Gützkow zum Roßmarkt gereiſet und was mir alldort gearriviret.

Des andern Morgens zutheilete mein Töchterlein die lieben Brod, und ſchickte einem Jeglichen im Dorf eine gute Schnede. Doch da wir ſahen, daß unſer Fürrath bald würde auf die Neige laufen, ſchik¬ kete abermals die Magd mit einer Karren, ſo ich von Adam Lempkem gekauft, nach Wolgaſt mehr Brod zu hohlen, welches ſie auch thate. Item ließ ich im gan¬ zen Kapſel herumbſagen, daß ich am Sonntag wölle das heilige Abendmahl halten, und kaufete unterdeß im Dorf alle großen Fiſche, ſo ſie fingen. Als nun end¬ diglich