PRIMS Full-text transcription (HTML)
Die Günderode.
Erſter Theil.
Grünberg und Leipzig,bei W. Levyſohn. 1840.

Briefe aus den Jahren 1804 1806.

Den Studenten.

Die Ihr gleich goldnen Blumen auf zertret¬ nem Feld, wieder aufſproſſet zuerſt! In fröhlichen Zukunftsträumen der Muttererde huldigt, harrend voll heiligem Glauben daß endlich Eurer Ahnung Gebild vollende der Genius, und Feſſeln der Liebe Euch umlege und großer Männer Unſterblichkeit in den Buſen Euch ſäe.

Die Ihr immer rege, von Geſchlecht zu Ge¬ ſchlecht, in der Noth wie in des Glückes Tagen auf Begeiſtrungspfaden ſchweift; in Germanias Hainen, auf ihren Ebnen und ſtolzen Bergen, am gemeinſamen Kelch heiligkühner Gedanken Euch be¬ rauſchend, die Bruſt erſchließt, und mit glühender Thräne im Aug, Bruderliebe ſchwört einander, Euch ſchenk ich dies Buch.

Euch Irrenden Suchenden! die Ihr hin¬ anjubelt den Parnaſſos, zu Kaſtalias Quell; reich¬ lich der aufbrauſenden Fluth zu ſchöpfen den He¬ roen der Zeit, und auch den Schlafenden im ſchwei¬ genden Thal, ſchweigend, feierlichen Ernſtes die Schale ergießt.

Die Ihr Hermanns Geſchlecht Euch nennt, Deutſchlands Jüngerſchaft! Dem Recht zur Seite, Klingenwetzend der Gnade trotzt; mit Schwerdterklirren und der Begeiſtrung Zuverſicht, der Burſchen Hochgeſang anſtimmt: Landesvater, Schutz und Rather! mit flammender Fackel, donnernd ein dreifach Hoch dem Herrſcher, dem Vaterland, dem Bruderbunde jauchzt, und: Strömen gleich, zuſammenrauſchet in ein gewaltig Heldenlied. Ihr die mit Trug noch nicht nach nichtiger Hoff¬ nung jagtet! Wenn der Philiſter Thorenge¬ ſchlecht den Stab Euch bricht, ſo gedenket Muſen¬ ſöhne! daß ihre Lärmtrommel, des leuchtenden Py¬ thiers Geiſt nicht betäubt; keine Lüge haftet an ihm, keine That, kein Gedanke! Er iſt wiſſend! und lenkt, daß unberührt von des Geſetzes Zwang, ſchnellen feurigen Wachsthums, das Göttliche er¬ blühe und in der Zeiten Wechſel, ein milder Ge¬ ſtirn ſchützend über Euch hinleuchte.

[1]

An die Günderode.

Der Plaudergeiſt in meiner Bruſt hat immer fort geſchwäzt mit Dir, durch den ganzen holperigen Wald bis auf den Trages, wo Alles ſchon ſchlief, ſie wachten auf und ſagten, es wäre ſchon 1 Uhr vorbei, auf dem Land blaſen ſie Abends die Zeit aus, wie eine Kerz, die man ſparen will. Wie ich erzählte, daß Du mit¬ gefahren warſt bis Hanau, da hätten ſie Dich All gern hier haben wollen, ein Jeder für ſich allein, da wär ich doch um Dich gekommen. Durch Dich feuert der Geiſt wie die Sonn durchs friſche Laub feuert, und mir gehts wie dem Keim, der in der Sonn brütet, wenn ich an Dich denken will, es wärmt mich und ich werd freudig und ſtolz und ſtreck meine Blätter aus, und oft bin ich unruhig und kann nicht auf einem Platz blei¬ ben, ich muß fort ins Feld, in den Wald; in freier Luft kann ich alles denken, was im Zimmer unmöglich war, da ſchwärmen die Gedanken über die Berg und ich ſeh ihnen nach.

12

Alles iſt heut nach Meerholz gefahren zum Vetter mit der zu großen Naſ, ich bin allein zu Haus, ich hab geſagt, ich wollt ſchreiben, aber die Haupturſach war die Naſ.

Eben komm ich aus der Lindenallee, ich hab das ganze Gewitter mitgemacht, die Bäum geben gut Bei¬ ſpiel, wie man ſoll ſtandhaft ſein im Ungewitter, Blitz und Donner hinter einander her, bis ſie außer Athem waren, nun ruhen alle Wälder. Ich war gleich naß, und ſo warm der Regen, hätt's nur ſtärker noch reg¬ nen wollen, aber bald wars ſchön Wetter. und der Re¬ genbogen auf dem Saatfeld, ich war wohl eine halbe Stund weit gelaufen und ihm doch nicht näher ge¬ kommen, da fiel mir ein, daß man oft denkt, es wär ſo nah alles, was man gern erreichen möcht, und wie man mit allem Eifer doch nicht näher rückt. Wenn nicht die Schönheit vom Himmel herab uns überſtrahlt, von ſelbſt, ihr entgegenlaufen iſt umſonſt, ich hab den ganzen Nachmittag verlaufen, eben kommen ſie ſchon angefahren.

Sonntag.

Geſtern ging ich noch allein in der Dunkelheit durchs Feld. Da fiel mir wieder ein, alles was wir3 am Sonntag von Frankfurt bis Hanau im Wa¬ gen zuſammen geredet haben; wer von uns bei¬ den zuerſt ſterben wird. Jetzt bin ich ſchon acht Tag hier, unſer Geſpräch klingt noch immer nach in mir. Es giebt ja noch Raum außer dieſer klei¬ nen Tags - und Weltgeſchichte, in dem die Seel ih¬ ren Durſt, ſelbſt etwas zu ſein, löſchen dürfe, ſag¬ teſt Du. Da hab ich aber gefühlt, und fühls eben wieder und immer: wenn Du nicht wärſt, was wär mir die ganze Welt? kein Urtheil, kein Menſch ver¬ mag über mich, aber Du! auch bin ich geſtorben ſchon jetzt, wenn Du mich nicht auferſtehen heißeſt und willſt mit mir leben immerfort; ich fühls recht, mein Leben iſt blos aufgewacht, weil Du mir riefſt, und wird ſterben müſſen, wenn es nicht in Dir kann fort¬ gedeihen. Frei ſein willſt Du, haſt Du geſagt? ich will nicht frei ſein, ich will Wurzel faſſen in Dir eine Waldroſe, die im eignen Duft ſich erquicke, will die der Sonne ſich ſchon öffnen und der Boden löſt ſich von ihrer Wurzel, dann iſts aus. Ja mein Le¬ ben iſt unſicher; ohne Deine Liebe, in die es einge¬ pflanzt iſt, wirds gewiß nicht aufblühen und mir iſts eben ſo durch den Kopf gefahren, als ob Du mich ver¬ geſſen könnteſt, es iſt aber vielleicht nur weils Wetter1*4leuchtet ſo blaß und kalt, und wenn ich denk an die feurigen Strahlen, mit denen Du oft meine Seele durchleuchteſt! bleib mir doch.

Bettine.

An die Bettine.

Ich habe die Zeit über recht oft an Dich gedacht, liebe Bettine. Vor einigen Nächten träumte mir, Du ſeiſt geſtorben, ich weinte ſehr darüber und hatte den ganzen Tag einen traurigen Nachklang davon in mei¬ ner Seele. Als ich den Abend nach Hauſe kam, fand ich Deinen Brief; ich freute mich und wunderte mich, weil ich glaubte, einen gewiſſen Zuſammenhang zwi¬ ſchen meinen Träumen und Deinen Gedanken zu finden.

Geſtern Abend iſt Clemens hier angekommen, ich wollte Du wärſt hier, es würde ihm viel behaglicher und heimlicher ſein, ich glaube, wenn Du nicht bald hierher kömmſt, ſo geht er nach Trages.

In dieſem ganzen Brief iſt wohl noch kein einzi¬ ges Wort, was Dich erfreut? Du drehſt das Blatt herum und ſieheſt ob nicht eine Art von ruſſiſchem Ca¬ briolet gefahren kommt; aber es will nichts kommen; weißt Du warum? weil ich Ihn in der ganzen Zeit5 nur zwei Minuten geſehen habe; weil Er geritten kam, und weil er kein vernünftiges Wort geſprochen hat. Sei luſtig Bettine, und laß Dir nicht mit Cabriolets im Herzen herum fahren.

Grüße den Savigny recht freundlich von mir, er¬ innere ihn doch zuweilen an mich, ich habe ihn ſehr lieb, aber nach Trages komme ich doch nicht.

Thue mir den Gefallen und frage die Sanchen, ob ich nicht einen Chignonkamm und eine Kette in Trages hätte liegen laſſen? Wenn Du noch nicht bald wie¬ der zu uns kommſt, ſo ſchreibe mir wieder, denn ich habe Dich lieb, ſage mir auch wie Ihr lebt.

Karoline.

Grüße doch auch die Gundel von mir. Auf mei¬ ner Heimfahrt von Hanau hab ich das Geſpräch ge¬ dichtet, es iſt ein bischen vom Zaun gebrochen. Ich wollt die Proſa wär edler, daß heißt: ich wollt ſie wär muſikaliſcher; es enthält viel, was wir im Geſpräch berührt haben. Du ſchreibſt mit mehr Muſik Deine Briefe, ich wollt ich könnt das lernen.

6

Die Manen.

Schüler. Weiſer Meiſter! ich war in den Kata¬ komben der Schwedenkönige, ich nahte mich dem Sarg des Guſtav Adolph mit ſonderbarem ſchmerzlichem Ge¬ fühl, ſeine Thaten gingen an meinem Geiſt vorüber, ich ſah zugleich ſein Leben und ſeinen Tod, ſeine über¬ ſchwengliche Thatkraft und die tiefe Ruhe, in der er ſchon dem zweiten Jahrhundert entgegenſchlummert; ich rief mir die grauſenvolle Zeit zurück, in der er lebte, mein Gemüth glich einer Gruft, aus der die ſchwan¬ kenden Schatten der Vergangenheit heraufſteigen. Ich weinte ſo heiße Thränen ſeinem Tod, als ſei er heute erſt gefallen. Dahin! Verloren! Vergangen! ſagte ich mir, ſind dies des großen Lebens Früchte alle? Ach! ich mußte die Gruft verlaſſen, ich ſuchte Zer¬ ſtreuung, ich ſuchte andre Schmerzen, aber der unterir¬ diſche trübe Geiſt verfolgt mich, ich kann die Wehmuth nicht los werden, die wie ein Trauerflor über meine Gegen¬ wart ſich legt, dies Zeitalter iſt mir nichtig und leer, ſehn¬ lich und gewaltig zieht michs in die Vergangenheit dahin! Vergangen, ſo ruft mein Geiſt. O möcht ich mit vergan¬ gen ſein und dieſe ſchlechte Zeit nie geſehen haben, in der die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verloren iſt.

7

Lehrer. Verloren iſt nichts, junger Schüler, und in keiner Weiſe, nur das Auge vermag nicht des Grun¬ des unendliche Folgenkette zu überſehen. Aber willſt Du auch dies nicht bedenken, Du kannſt doch nicht verloren nennen und dahin, was ſo mächtig auf Dich wirkt; Dein eigen Geſchick, die Gegenwart bewegen Dich ſo heftig nicht, wie das Andenken des großen Kö¬ nigs, lebt er da nicht jetzt noch mächtiger in Dir als die Gegenwart, oder[nennſt] Du nur Leben was im Fleiſch und im Sichtbaren fortlebt, und iſt Dir dahin und verloren was noch in Gedanken wirkt und da iſt?

Schüler. Wenn es Leben iſt, ſo iſt es doch nicht mehr als Schattenleben, dann iſt die Erinnerung des Geweſenen mehr als die bleiche Schattenwirklichkeit.

Lehrer. Gegenwart iſt ein flüchtiger Augenblick, ſie vergeht indem Du ſie erlebſt, des Lebens Bewußt¬ ſein liegt in der Erinnerung, in dieſem Sinn nur kannſt Du Vergangnes betrachten, gleichviel ob es längſt oder eben nur vorging.

Schüler. Du ſprichſt wahr! So lebt denn ein großer Menſch nicht nach ſeiner Weiſe in mir fort, ſondern nach der meinen. Wie ich ihn aufnehme, wie und ob ich mich ſeiner erinnern mag?

Lehrer. Freilich lebt das nur fort in Dir, was8 Dein Sinn befähigt iſt aufzunehmen, inſofern es Gleich¬ artiges mit Dir hat, das Fremdartige in Dir tritt nicht mit ihm in Verbindung, darauf kann er nicht wir¬ ken und mit dieſer Einſchränkung nur wirken alle Dinge. Wofür Du keinen Sinn haſt, das geht Dir verloren, wie die Farbenwelt dem Blinden.

Schüler. So muß ich glauben nichts gehe ver¬ loren, da alle Urſachen in ihren Folgen fortleben, daß ſie aber nur wirken auf das, was Empfänglichkeit oder Sinn für ſie hat. Der Welt mag genügen an die¬ ſem Nichtverlorenſein, an dieſer Art fortzuleben, mir iſt es nicht genug, ich möchte zurück in der Ver¬ gangenheit Schooß, ich ſehne mich nach unmittelbarer Verbindung mit den Manen der großen Vorzeit.

Lehrer. Hältſt Du es denn für möglich?

Schüler. Ich hielt es für unmöglich als noch kein Sehnen mich dahin zog, geſtern hätte ich noch jede Frage danach für thöricht gehalten, heute wünſche ich ſchon die Verbindung mit der Geiſterwelt wäre mög¬ lich, ja mir deucht ich wäre geneigt ſie glaublich zu finden.

Lehrer. Mir deucht die Manen des großen Gu¬ ſtav Adolph haben deinem innern Auge zum Lichte ver¬ holfen. So vernehme mich denn. So gewiß alles Har¬9 moniſche in Verbindung ſtehet, es mag ſichtbar oder unſichtbar ſein, ſo gewiß ſind auch wir in Verbindung mit dem Theil der Geiſterwelt, der mit uns harmonirt. Ähnliche Gedanken verſchiedener Menſchen, auch wenn ſie nie von einander wußten, iſt in geiſtigem Sinn ſchon Verbindung, der Tod eines Menſchen, der in ſol¬ cher Berührung mit mir ſtehet, hebt ſie nicht auf; der Tod iſt ein chemiſcher Prozeß, eine Scheidung der Kräfte, aber kein Vernichter, er zerreißt das Band zwiſchen mir und ähnlichen Seelen nicht, aber das Fortſchreiten des Einen und das Zurückbleiben des Andern kann wohl dieſe Gemeinſchaft aufheben, wie Einer, der in allem Trefflichen fortgeſchritten iſt, mit dem unwiſſend gebliebnen Jugendfreund nicht mehr zuſammen ſtimmen wird. Du wirſt dies leicht ganz allgemein und ganz aufs beſondere anwenden können.

Schüler. Vollkommen! Du ſagſt Harmonie der Kräfte iſt Verbindung, der Tod hebt dieſe Verbin¬ dung nicht auf, da er nur ſcheidet und nicht vernichtet.

Lehrer. Ich fügte hinzu, das Aufheben deſſen, was dieſe Harmonie bedingt, müßte auch nothwendig dieſe Verbindung aufheben eine Verbindung mit Verſtorbenen kann alſo Statt haben, inſofern ſie nicht aufgehört haben, mit uns zu harmoniren.

1**10

Schüler. Ich kann es faſſen.

Lehrer. Es kommt nur darauf an, dieſe Verbin¬ dung gewahr zu werden. Blos geiſtige Kräfte können unſern äußern Sinnen nicht offenbar werden, ſie wir¬ ken nicht durch Aug und Ohr, ſondern durch das Or¬ gan, durch das allein eine Verbindung mit ihnen mög¬ lich iſt; durch den innern Sinn, auf ihn wirken ſie un¬ mittelbar. Dieſer innere Sinn, das tiefſte und feinſte Seelenorgan, iſt bei faſt allen Menſchen unentwickelt und nur dem Keim nach da. Das Weltgeräuſch, der Menſchheit Handel und Wandel, der nur ober¬ flächlich und nur die Oberfläche berührt, laſſen es zu keiner Ausbildung, zu keinem Bewußtſein kommen, ſo wird es nicht erkannt, und was ſich zu allen Zeiten in ihm offenbarte, hat viele Zweifler und Schmäher ge¬ funden, und bis jetzt iſt ſein Empfangen und Wirken nur in ſeltnen Menſchen, die individuellſte Seltenheit. Ich will nicht ungeiſtigen Geſichten und Geiſtererſchei¬ nungen das Wort reden, aber ich fühle deutlich, daß der innere Sinn ſo hoch angeregt werden kann, daß die innere Erſcheinung vor das körperliche Auge treten kann, wie auch umgekehrt die äußere Erſcheinung vor das geiſtige Auge tritt; ſo brauch ich nicht durch Be¬ trug oder Sinnentäuſchung alles Wunderbare zu er¬11 klären, doch weiß ich, man nennt in der Weltſprache dieſe innere Entwicklung der Sinne, Einbildung.

Weſſen Geiſtesauge Licht auffängt, der ſieht dem Andern unſichtbare, mit ihm verbundene Dinge. Aus dieſem innern Sinn ſind die Religionen hervorgegan¬ gen, und ſo manche Apokalipſen alter und neuer Zeit. Aus dieſer Sinnenfähigkeit, Verbindungen wahrzunehmen, die andere, deren Geiſtesauge verſchloſſen iſt, nicht faſſen, entſteht die prophetiſche Gabe, Gegenwart und Ver¬ gangenheit mit der Zukunft zu verbinden, den noth¬ wendigen Zuſammenhang der Urſachen und Wirkungen zu ſehen, Prophezeihung iſt Sinn für die Zukunft. Man kann die Wahrſagerkunſt nicht erlernen, der Sinn für ſie iſt geheimnißvoll, er entwickelt ſich ge¬ heimnißvoller Art; er offenbart ſich oft nur wie ein ſchneller Blitz, der dann von dunkler Nacht wieder be¬ graben wird. Man kann Geiſter nicht durch Beſchwö¬ rung rufen, aber ſie können dem Geiſt ſich offenbaren, das Empfängliche kann ſie empfangen, dem inneren Sinn können ſie erſcheinen.

Der Lehrer ſchwieg und ſein Zuhörer verließ ihn. Mancherlei Gedanken bewegten ſein Inneres, und ſeine ganze Seele ſtrebte, ſich das Gehörte zum Eigenthum zu machen.

12

An die Günderode.

Du weißt, daß der Boſtel hier iſt, der läuft mir immer nach und ſagt: Bettine warum ſind Sie ſo unliebenswürdig? ich frag, wie ſoll ichs machen, um liebenswürdig zu ſein? Sein Sie wie Ihre Schweſter Loulou, ſprechen Sie ruhig mit Einem und bezeigen Sie doch nur ein klein wenig Theilnahme an, was man Ihnen ſagt, aber wenn man Sie auch aus Mitleid wie ein Mädchen, das ſchon was bedeutet, be¬ handlen wollt, es iſt nicht möglich, Sie haben nicht weniger Unruh als eine junge Katz, die einer Maus nachläuft, derweil man Ihnen die Ehre anthut, mit Ihnen zu ſprechen. Klettern Sie auf Tiſch und Schrän¬ ken herum, Sie ſteigen zu den alten Familienportraiten und ſcheinen weit mehr Antheil an deren Geſichter zu nehmen als an uns Lebenden. Ja Herr von Bo¬ ſtel das iſt blos weil die dort ſo ganz überſehen und vergeſſen ſind, weil kein Menſch mit denen ſpricht, da gehts mir grade wie es Ihnen mit mir geht. Aus Mit¬ leid, weil ich überſehen bin, ſprechen Sie mit mir jun¬ gem Gelbſchnabel und das ſteckt mich an, daß ich daſ¬ ſelbe Mitleid mit den alten gemalten Perücken haben13 muß. Aber ſagen Sie, ſind Sie geſcheut? Wie wollen ſie Mitleid haben mit gemalten Bildern? Ei Sie habens ja auch mit mir! Nun ja, aber die Bilder empfinden's doch nicht. Ei ich empfind's auch nicht. Aber bei Gott ich bemitleide Sie, Sie ſind auf dem Weg närriſch zu werden.

Ich hätt Dir die Dummheiten nicht erzählt, wenns nicht einen großen Lärm gegeben hätt, der Clemens wollte das vom guten Boſtel nicht haben, ſie redeten ſo heftig hin und her von Schelmufsky und dem Gro߬ mogul, und im kleinen Häuschen, wo ſie zuſammen hingegangen waren, ward es ſo laut, daß es ſich von Weitem wie Streit anhörte, ich ging hinunter und wartete bis der Boſtel herauskam, der war ganz er¬ hitzt, ich nahm alles auf mich, und bat um Verzeihung, daß ich ſo unartig geweſen ſei, und was weiß ich, was ich alles ſagte, bis er endlich verſprach, mit dem Cle¬ mens nicht mehr bös zu ſein, und wenn ich meine Un¬ art eingeſtehe, ſo wolle er mir verzeihen. Ich ge¬ ſtand alles zu, dachte aber doch heimlich, was der vor ein poſſierlicher Kerl wär; der Clemens kam dazu, da ward von beiden Seiten die Schuld auf mich geſcho¬ ben; ich ließ es ohne Widerſpruch geſchehen und be¬14 ſänftigte beide, ſie gaben einander die Hand und mir gute Lehren.

Die Menſchen ſind gut, ich bin es ihnen von Her¬ zen, aber wie das kommt, daß ich mit Niemand ſpre¬ chen kann? Das hat nun Gott gewollt, daß ich nur mit Dir zu Haus bin. Die Manen les ich im¬ mer wieder, ſie wecken mich recht zum Nachdenken. Du meinſt daß Dir die Sprache nicht drinn gefällt? Ich glaub, daß große Gedanken, die man zum erſten¬ mal denkt, die ſind ſo überraſchend, da ſcheinen einem die Worte zu nichtig, mit denen man ſie aufnimmt, die ſuchen ſich ihren Ausdruck, das iſt man als zu zag¬ haft einen zu gebrauchen, der noch nicht gebräuchlich iſt, aber was liegt doch dran? ich wollt immer ſo re¬ den wie es nicht ſtatthaft iſt, wenn es mir näher da¬ durch kommt in der Seel, ich glaub gewiß, Muſik muß in der Seele walten, Stimmung ohne Melodie iſt nicht fließend zu denken; es muß etwas der Seele ſo recht angebornes geben, worin der Gedankenſtrom fließt. Dein Brief iſt ganz melodiſch zu mir, vielmehr wie Dein Geſpräch. Wenn Du noch nicht bald wie¬ der zu uns kommſt, ſo ſchreibe mir wieder, denn ich habe Dich lieb. Dieſe Worte haben ei¬ nen melodiſchen Gang, und dann: Ich habe die15 Zeit über recht oft an Dich gedacht liebe Bet¬ tine! vor einigen Nächten träumte mir, Du ſeieſt geſtorben, ich weinte ſehr darüber und hatte den ganzen Tag einen traurigen Nach¬ klang davon in meiner Seele. Ich auch lieb¬ ſtes Günderödchen würde ſehr weinen, wenn ich Dich ſollt hier laſſen müſſen und in eine andre Welt gehen, ich kann mir nicht denken, daß ich irgendwo ohne Dich zu mir ſelber kommen möcht. Der muſikaliſche Klang jener Worte äußert ſich wie der Pulsſchlag Deiner Empfindung, das iſt lebendige Liebe, die fühlſt Du für mich. Ich bin recht glücklich; ich glaub auch daß nichts ohne Muſik im Geiſt beſtehen kann, und daß nur der Geiſt ſich frei empfindet, dem die Stimmung treu bleibt. Ich kanns auch noch nicht ſo deutlich ſagen, ich meine man kann kein Buch leſen, keins verſtehen, oder ſeinen Geiſt aufnehmen, wenn die angeborne Melodie es nicht trägt, ich glaub, daß alles müßt gleich be¬ greiflich oder fühlbar ſein, wenn es in ſeiner Melodie dahinfließt. Ja weil ich das ſo denke, ſo fällt mir ein, ob nicht alles, ſo lang es nicht melodiſch iſt, wohl auch noch nicht wahr ſein mag. Dein Schelling und Dein Fichte und Dein Kant ſind mir ganz unmögliche Kerle. Was hab ich mir für Mühe geben und ich bin16 eigentlich nur davon gelaufen hierher, weil ich eine Pauſe machen wollt. Repulſion, Atraction, höchſte Potenz.

Weißt Du wie mirs wird? Dreherig Schwin¬ del krieg ich in den Kopf und dann weißt Du noch? ich ſchäm mich, ja ich ſchäm mich, ſo mit Hacken und Brecheiſen in die Sprach hinein zu fahren, um etwas da heraus zu bohren, und daß ein Menſch, der geſund geboren iſt, ſich ordentliche Beulen an den Kopf denken muß, und allerlei phyſiſche Krankheiten dem Geiſt anbilden. Glaubſt Du ein Philoſoph ſey nicht fürchterlich hoffärtig? Oder wenn er auch einen Ge¬ danken hat, davon wär er klug? O nein, ſo ein Gedanke fällt ihm wie ein Hobelſpahn von der Drech¬ ſelbank, davon iſt ſo ein weiſer Meiſter nicht klug. Die Weisheit muß natürlich ſein, was braucht ſie doch ſolcher widerlicher Werkzeuge, um in Gang zu kommen, ſie iſt ja lebendig? ſie wird ſich das nicht gefallen laſſen. Der Mann des Geiſtes muß die Natur lie¬ ben über alles, mit wahrer Lieb, dann blüht er, dann pflanzt die Natur Geiſt in ihn. Aber ein Philo¬ ſoph ſcheint mir ſo einer nicht, der ihr am Buſen liegt, und ihr vertraut und mit allen Kräften ihr geweiht iſt. Mir deucht vielmehr er geht auf Raub, was17 er ihr abluchſen kann, das vermanſcht er in ſeine ge¬ heime Fabrik, und da hat er ſeine Noth, daß ſie nicht ſtockt, hier ein Rad, dort ein Gewicht, eine Maſchine greift in die andere, und da zeigt er den Schülern, wie ſein Perpetuum Mobile geht, und ſchwitzt ſehr da¬ bei, und die Schüler ſtaunen das an und werden ſehr dumm davon. Verzeih mirs, daß ich ſo fabelig Zeug red, Du weißt ich Habs mit meinem Abſcheu nie weiter gebracht als daß ich erhitzt und ſchwindelig geworden bin davon, und wenn die großen Gedanken Deines Geſprächs vor mir auftreten, die doch philoſophiſch ſind, ſo weiß ich wohl das nichts Geiſt iſt als nur Philo¬ ſophie, aber wends herum und ſag: es iſt nichts Phi¬ loſophie als nur ewig lebendiger Geiſt, der ſich nicht fangen, nicht beſchauen noch überſchauen läßt, nur em¬ pfinden, der in jedem neu und ideal wirkt, und kurz; der iſt wie der Äther über uns. Du kannſt ihn auch nicht faſſen mit dem Aug, Du kannſt Dich nur von ihm überleuchtet, umfangen fühlen, Du kannſt von ihm leben, nicht ihn für Dich erzeugen. Iſt denn der Schöpfernatur ihr Geiſt, nicht gewaltiger als der Philoſoph mit ſeinem Dreieck, wo er die Schöpfungs¬ kraft drinn hin und her ſtößt, was will er doch? meint er dieſe Gedankenaufführung ſei eine unwider¬18 ſtehliche Art, dem Naturgeiſt nahzukommen? Ich glaub einmal nicht, daß die Natur einen ſolchen, der ſich zum Philoſophen eingezwickt hat, gut leiden kann. Wie iſt Natur ſo hold und gut, die mich am Buſen hält. ſo was lautet wie Spott auf einen Philo¬ ſophen. Du aber biſt ein Dichter und alles was Du ſagſt iſt die Wahrheit und heilig. Man kann Gei¬ ſter nicht durch Beſchwörung rufen, aber ſie können ſich dem Geiſt offenbaren, das Em¬ pfängliche kann ſie empfangen, dem innern Sinn können ſie erſcheinen. Nun ja! wenn es auch die ganze heutige Welt nicht faßt, was Du da ausſprichſt, wie ich gewiß glaub, daß es umſonſt der Welt geſagt iſt, ſo bin ich aber der Schüler, deſſen ganze Seele ſtrebt, ſich das Gehörte zum Eigenthum zu machen. und aus dieſer Lehre wird mein künftig Glück erblühn, nicht weil ich's gelernt hab, aber weil ich's empfind; es iſt ein Keim in mir geworden und wurzelt tief, ja ich muß ſagen, es ſpricht meine Natur aus, oder vielmehr, es iſt das heilige Wort Es Werde was Du über mich ausſprichſt. Ich habs jetzt jede Nacht geleſen im Bett, und empfind mich nicht mehr allein und für nichts in der Welt; ich denk, da die Geiſter ſich dem Geiſt offenbaren können, ſo möchten19 ſie zu meinem doch ſprechen; und was die Welt über¬ ſpannte Einbildung nennt, dem will ich ſtill opfern, und gewiß meinen Sinn vor jedem bewahren, was mich unfähig dazu machen könnte, denn ich empfinde in mir ein Gewiſſen, was mich heimlich warnt dies und jenes zu meiden. Und wie ich mit Dir red heute, da fühl ich, daß es eine bewußtloſe Bewußtheit gebe, das iſt Gefühl, und daß der Geiſt bewußtlos erregt wird. ſo wirds wohl ſein mit den Geiſtern. Aber ſtill davon, durch Deinen Geiſt haucht mich die Natur an, daß ich erwach wie wenn die Keime zu Blättern werden. Ach eben iſt ein großer Vogel wider mein Fenſter ge¬ flogen und hat mich ſo erſchreckt, es iſt ſchon nach[Mitternacht], gute Nacht.

Bettine.

An die Bettine.

Es kömmt mir bald zu närriſch vor liebe Bettine, daß Du Dich ſo feierlich für meinen Schüler erklärſt, eben ſo könnte ich mich für den Deinen halten wollen, doch macht es mir viele Freude, und es iſt auch etwas Wahres daran, wenn ein Lehrer durch den Schüler an¬20 geregt wird, ſo kann ich mit Fug mich den Deinen nennen. Gar viele Anſichten ſtrömen mir aus Deinen Behauptungen zu, und aus Deinen Ahnungen, denen ich vertraue, und wenn Du ſo herzlich biſt, mein Schü¬ ler ſein zu wollen, ſo werd ich mich einſt wundern, was ich da für einen Vogel ausgebrütet habe.

Deine Erzählung vom Boſtel iſt ganz artig, nichts lieber thuſt Du als die Sünden der Welt auf Dich nehmen, Du trägſt keine Laſt an ihnen, ſie beflügeln Dich vielmehr zu Heiterkeit und Muthwillen, man könnte denken, Gott habe ſelber ſein Vergnügen an Dir. Aber dahin wirſt Du es nicht bringen, daß die Men¬ ſchen Dich als etwas Beſſers achten als ſie ſelber ſind. Doch wie auch Genie ſich Luft und Licht mache, es iſt immer ätheriſcher Weiſe, und wär es ſelbſt den Ballaſt des Philiſterthums auf den Flügeln tragend. In ſol¬ chen Dingen biſt Du gebornes Genie, darin kann ich nur Dein Schüler ſein, und trachte auch mit großem Fleiß Dir nachzukommen, es iſt ein ſpaßiges In die Runde laufen, daß während Dich jedermann ſo oft über Deine ſogenannte Inconſequenzen verklagt, ich heimlich mir Vorwürfe mache, daß mein Genie hierzu nicht ausreicht. Sorglos über die Fläche weg, wo vom kühnſten Wager die Bahn Dir nicht vorgegraben21 Du ſiehſt. immerhin nur das einzige thue mir, und fange nicht alles unter einander an, in Deinem Zim¬ mer ſah es aus wie am Ufer, wo eine Flotte geſtran¬ det war. Schloſſer wollte zwei große Folianten, die er für Dich von der Stadtbibliothek geliehen hat und die Du ſchon ein viertel Jahr haſt, ohne drinn zu leſen. Der Homer lag aufgeſchlagen an der Erde, dein Kana¬ rienvogel hatte ihn nicht geſchont, deine ſchöne er¬ fundne Reiſekarte des Odiſſeus lag daneben und der Muſchelkaſten mit dem umgeworfnen Sepianäpfchen und allen Farbenmuſcheln drum her, das hat einen brau¬ nen Fleck auf Deinen ſchönen Strohteppich gemacht, ich habe mich bemüht alles wieder in Ordnung zu brin¬ gen. Dein Flageolet was Du mitnehmen wollteſt und vergeblich ſuchteſt, rath wo ichs gefunden habe? im Orangen-Kübel auf dem Altan war es bis ans Mund¬ ſtück in die Erde vergraben, du hoffteſt wahrſcheinlich einen Flageoletbaum da bei Deiner Rückkunft aufkei¬ men zu ſehen, die Liesbet hat den Baum übermäßig begoſſen, das Inſtrument iſt angequollen, ich hab es an einen kühlen Ort gelegt, damit es gemächlich wieder eintrocknen kann und nicht berſtet, was ich aber mit den Noten anfange die daneben lagen das weiß ich nicht, ich hab ſie einſtweilen in die Sonne gelegt, vor22 menſchlichen Augen darfſt Du ſie nicht mehr ſehen laſ¬ ſen, ein ſauberes Anſehen erhalten ſie nicht wieder. Dann flattert das blaue Band an Deiner Guitarre, nun ſchon ſeitdem Du weg biſt, zum großen Gau¬ dium der Schulkinder gegenüber, ſo lang es iſt zum Fenſter hinaus, hat Regen und Sonnenſchein ausge¬ halten und iſt ſehr abgeblaßt, dabei iſt die Guitarre auch nicht geſchont worden, ich hab die Liesbet ein we¬ nig vorgenommen, daß ſie nicht ſo geſcheut war das Fenſter zuzumachen hinter den dunklen Plänen, ſie entſchuldigte ſich weils hinter den grünſeidnen Vorhän¬ gen verſteckt war, da doch ſo oft die Thüre aufgeht, die Fenſter vom Zugwind ſich bewegen. Dein Rieſen¬ ſchilf am Spiegel iſt noch grün, ich hab ihm friſch Waſſer geben laſſen. Dein Kaſten mit Hafer und was ſonſt noch drein geſäet iſt, iſt alles durch einander em¬ porgewachſen, es deucht mir viel Unkraut drunter zu ſein, da ich es aber nicht genau unterſcheiden kann, ſo hab ich nicht gewagt etwas auszureißen, von Büchern hab ich gefunden auf der Erde, den Oſſian, die Sa¬ contala, die Frankfurter Kronik, den zweiten Band Hemſterhuis, den ich zu mir genommen habe, weil ich den erſten Band von Dir habe, im Hemſterhuis lag bei¬ folgender philoſophiſcher Aufſatz, den ich mir zu ſchenken23 bitte wenn Du keinen beſondern Werth darauf legſt, ich hab mehr dergleichen von Dir, und da Dein Wi¬ derwille gegen Philoſophie dich hindert ihrer zu achten, ſo möchte ich dieſe Bruchſtücke Deiner Studien wider Willen, beiſammen bewahren, vielleicht werden ſie Dir mit der Zeit intereſſanter. Siegwart, ein Roman der Vergangenheit fand ich auf dem Klavier das Tintenfaß draufliegend, ein Glück daß es nur wenig Tinte mehr enthielt, doch wirſt Du Deine Mondſchein-Compoſition über die es ſeine Fluth ergoß, ſchwerlich mehr entziffern. Es rappelte was in einer kleinen Schachtel auf dem Fenſterbrett, ich war neugierig ſie aufzumachen, da flo¬ gen zwei Schmetterlinge heraus die Du als Puppen hineingeſetzt hatteſt, ich hab ſie mit der Liesbet auf den Altan gejagt, wo ſie in den blühenden Bohnen ihren erſten Hunger ſtillten. Unter Deinem Bett fegte die Liesbet Karl den Zwölften und die Bibel hervor, und auch einen Lederhandſchuh, der an keiner Dame Hand gehört, mit einem franzöſiſchen Gedicht darin, dieſer Handſchuh ſcheint unter Deinem Kopfkiſſen gelegen zu haben, ich wüßte nicht daß Du Dich damit abgiebſt franzöſiſche Gedichte im alten Styl zu machen, der Par¬ füm des Handſchuh iſt ſehr angenehm und erinnert mich, und macht mir immer heller im Kopf, und jeden Au¬24 genblick ſollte mir einfallen, wo des Handſchuh Gegen¬ ſtück ſein mag; indeß ſei ruhig über ſeinen Beſitz, ich hab ihn hinter des Kranachs Lukretia geklemmt, da wirſt Du ihn finden; wenn Du zurückkommſt; zwei Briefe hab ich auch unter den vielen beſchriebenen Pa¬ pieren gefunden noch verſiegelt der eine aus Darmſtadt alſo vom jungen Lichtenberg, der andre aus Wien. Was haſt Du denn da für Bekanntſchaft? und wie iſts möglich wo Du ſo ſelten Briefe empfängſt, daß Du nicht neugieriger biſt, oder vielmehr ſo zerſtreut. Die Briefe hab ich auf Deinen Tiſch gelegt. Alles iſt jetzt hübſch ordentlich, ſo daß Du fleißig und mit Be¬ hagen in Deinen Studien fortfahren kannſt.

Ich habe mit wahrem Vergnügen Dir Dein Zim¬ mer dargeſtellt weil es wie ein optiſcher Spiegel Deine apparte Art zu ſeyn ausdrückt, weil es Deinen ganzen Charakter zuſammenfaßt; Du trägſt allerlei wunderlich Zeug zuſammen um eine Opferflamme dran zu zünden, ſie verzehrt ſich, ob die Götter davon erbaut ſind das iſt mir unbekannt.

Karoline. Wenn Du Muſe findeſt, ſo ſchreib bald wieder.

Bei¬25

Beilage zum Brief der Günderode. (Ein apokaliptisches Fragment.)

1. Auf hohem Fels im Mittelmeer ſtand ich, vor mir der Oſt, hinter mir der Weſt, und der Wind ruhte auf der See.

2. Die Sonne ſank, kaum war ſie verhüllt im Niedergang, enthüllte im Aufgang ſich das Morgen¬ roth; Morgen, Mittag, Abend und Nacht jagten in ſchwindlender Eile um des Himmels Bogen.

3. Ich ſah ſtaunend ſie ſich drehen, mein Blut, meine Gedanken bewegten ſich nicht raſcher; die Zeit, indeß ſie außer mir nach neuen Geſetzen ſich bewegte, ging in mir den gewohnten Gang.

4. Ich wollte ins Morgenroth mich ſtürzen oder mich tauchen in die Schatten der Nacht, eilend mit ihr dahin ſtrömend um nicht ſo langſam zu leben, aber im Schauen verſunken ward ich müde und entſchlief.

5. Da ſah ich ein Meer vor mir von keinem Ufer umgeben, nicht im Oſt, noch Süd, noch Weſt, noch im Nord; kein Windſtoß bewegte die Wellen, aber in ihren Tiefen bewegte ſich, wie von innerer Gährung gereizt, die unermeßliche See.

226

6. Und mancherlei Geſtalten ſtiegen auf aus dem tiefen Meeresſchooß, und Nebel ſtiegen auf, und ſenk¬ ten ſich in Wolken, und in zuckenden Blitzen berührten ſie die gebärenden Wogen.

7. Und immer mannichfaltiger entſtiegen der Tiefe Geſtalten, mich ergriff Schwindel und Bangheit, meine Gedanken wurden hiehin und dorthin getrieben, wie eine Fackel vom Sturmwind, bis meine Erinnerung erloſch.

8. Als ich wieder erwachte und von mir zu wiſſen anfing, da beſann ich mich nicht, ob ich Jahrhunderte oder Minuten geſchlafen, denn in den dumpfen, verworrenen Träumen war mir nichts begegnet, was mich an die Zeit erinnert hatte.

9. Es war dunkel in mir, als habe ich geruht in dieſes Meeres Schooß und ſei wie andere Geſtal¬ ten ihm entſtiegen. Ich ſchien mir ein Tropfen Thaues, ich bewegte mich luſtig in der Luft hin und wieder, und freute mich, und mein Leben war, daß die Sonne ſich in mir ſpiegle und die Sterne mich be¬ ſchauten.

10. Ich ließ von den Lüften mich dahin tragen in raſchen Zügen, ich geſellte mich zum Abendroth, zu des Regenbogens ſiebenfarbigen Tropfen, ich reihte mit27 meinen Geſpielen mich um den Mond, wenn er ſich bergen wollte, und begleitete ſeine Bahn.

11. Die Vergangenheit war mir dahin, nur der Gegenwart gehörte ich an, eine Sehnſucht war in mir, die ihr Begehren nicht kannte, ich ſuchte immer, und was ich fand, war nicht das Geſuchte, und ſeh¬ nend trieb ich mich umher im Unendlichen.

12. Einſt ward ich gewahr, daß alle die Weſen, die dem Meer entſtiegen waren, wieder zu ihm zurück¬ kehrten, und in wechslenden Formen ſich wieder er¬ zeugten. Mich befremdete dieſe Erſcheinung, denn ich hatte von keinem Ende gewußt. Da dachte ich, meine Sehnſucht ſei auch zurückzukehren zu der Quelle des Lebens.

13. Und da ich dies dachte und lebendiger fühlte als all mein Bewußtſein, ward plötzlich mein Gemüth wie mit betäubenden Nebeln umfangen. Aber ſie ſchwanden bald, ich ſchien mir nicht mehr ich, meine Gränzen konnte ich nicht mehr finden, mein Bewußt¬ ſein hatte ich überſchritten, es war größer, anders, und doch fühlte ich mich in ihm.

14. Erlöſet war ich von den engen Schranken meines Weſens und kein einzelner Tropfen mehr, ich war allem wiedergegeben und alles gehörte mir mit an,2*28ich dachte und fühlte, wogte im Meer, glänzte in der der Sonne, kreiste mit den Sternen; ich fühlte mich in allem und genoß alles in mir.

15. Drum wer Ohren hat zu hören, der höre! Es iſt nicht zwei, nicht drei, nicht tauſende, es iſt Eins und Alles; es iſt nicht Leib und Geiſt geſchieden, daß das eine der Zeit, das andere der Ewigkeit angehöre, es iſt Eins, gehört ſich ſelbſt, und iſt Zeit und Ewig¬ keit zugleich, und ſichtbar und unſichtbar, bleibend im Wandel, ein unendliches Leben.

An die Günderode.

Wie wir hier leben das will ich Dir erzählen. Mor¬ gens kommen wir alle im Schlafzimmer von Savigny's zuſammen. Da wird gegalert und als ein bischen Krieg mit Kopfkiſſen und Rouleaux geführt, und im Neben¬ zimmer wird gefrühſtückt dabei. Wir nehmen uns zwar ſehr in Acht den großen Savigny zu treffen, aber er iſt geſcheut wenns Gefecht heiß wird da zieht er ſich zurück. Später zerſtreut ſich Alles. Wir ſind auch jetzt ſchon zweimal geritten, ich bin beidemal herunter ge¬29 fallen, einmal wie wir bergauf ritten und einmal vor Lachen. Nachmittags gehen wir manchmal in den Wald und Savigny lieſt vor, da hab ich meine Noth mit dem Zuhören, auf dem Wald-Raſen hab ich gar zu viel[Zerſtreuung], alle Augenblick iſt ein Kräutchen oder ein Spinnchen oder ein Räupchen oder ein Sandſteinchen, oder ich bohr ein Löchelchen in die Erd und find aller¬ lei da, der Savigny ſagt ich ſei hoffärtig und wollt nicht zuhören, er kanns nicht leiden, drum ſetz ich mich hinter ſeinen Kopf, da merkt ers als nicht. Wir gehen auch als auf die Jagd und ich nehm die kleine Flint, ich ſchieß aber immer was Du wohl weißt, wo¬ nach ich immer auf die Jagd geh, Hirngeſpinnſte aus der Luft, geſtern wollte mir der Boſtel lehren nach den Vögelchen zielen, ich ſchoß und das Vögelchen fiel her¬ unter, ich dacht gar nicht daß ichs treffen würde, ich war ſehr erſchrocken aber der Boſtel machte ſo großen Lärm von meinem ſcharfen Blick, und die Andern lob¬ ten mich alle daß ich ſo gut ziele, daß ich meine Reue über dieſen erſten Mord nicht merken ließ. Ich nahm das Vögelchen in die Hand wo es vollends erkaltete, in der Nachtſtille hab ichs begraben unter dem Fenſter von Deiner Schlafkammer und nicht ohne ſchwere Nach¬ gedanken; wahrlich ich hab es nicht mit Willen gethan,30 aber doch mit Leichtſinn. Was liegt am Vogel, alle Jäger ſchießen ihn ja! Aber ich nicht, ich hätt es niemals gethan, aus dem Laub, in ſeiner heiteren Le¬ benszeit den Vogel herunter zu ſchießen, den Gott mit der Freiheit des Flugs begabt hat. Gott ſchenkt ihm die Flügel und ich ſchieß ihn herunter, o nein das ſtimmt nicht!

Eben kommt Dein Brief an, Deinen Kamm und die Kette haſt Du wohl erhalten? ich hab ſie an Mienchen geſchickt in einer kleinen Schachtel, Clemens hat einen kleinen Brief beigeſchloſſen an Deine Schweſter, und ein paar Zeilen an Dich; mein Zimmer gefällt mir wohl in ſeiner Unordnung, und ich gefall mir alſo auch wohl da Du meinſt es ſtelle meinen Charakter vollkommen dar. Am liebſten iſt mir daß Du zur rechten Zeit kamſt um die Schmetterlinge zu befreien. Du kommſt immer zur rechten Zeit um meine Dummheiten gut zu machen. Den philoſophiſchen Aufſatz wie Du ihn zu nennen beliebſt ſchenk ich Dir, ich nenne ihn einen ſteifſtelligen verſchnippel¬ ten buchsbaumernen Zwerg, ein fataler grüner Würgen¬ gel von ſupperklugem Gewälſch, ohne Sprach ohne Mu¬ ſik, es ſei denn das hölzerne Gelächter; dem gleichts ganz im Ton und Inhalt; mach mich nicht närriſch, ich will nichts mehr davon wiſſen. Dein apokaliptiſch Frag¬31 ment macht mich auch ſchwindlen; bin ich zu unreif, oder was iſt es daß ich ſo fiebrich werd und daß Deine Fanta¬ ſieen mich ſchmerzlich kränken. Meine Gedanken wurden hie hin und dort hin getrieben wie eine Fackel vom Sturmwind bis meine Erinnerung erloſch. Warum ſchreibſt Du mir ſo was? das ſind mir bittere Gedanken! es macht mich unzufrieden und voll Bangigkeit daß Du Deinen Geiſt in eine Un¬ bewußtheit hinein verſetzeſt. Ich weiß nicht, wie ich im¬ mer empfinde als ſei alles Leben inner mir und nichts außer mir, Du aber ſucheſt in höheren Regionen nach Antwort auf Deine Sehnſucht, willſt mit Deinen Geſpielinnen den Mond umwallen, wo ich keine Möglichkeit mir denken kann mitzutanzen, willſt erlöſt ſein von den engen Schranken Deines Weſens und mein ganz Glück iſt doch, daß Gott Dich in Deiner Eigenthümlichkeit geſchaffen hat; und dann ſagſt Du noch ſo was trauriges: Ich ſchien mir nicht mehr Ich, und doch mehr als ſonſt Ich. Meinſt Du damit wär mir gedient? Meine Gränzen konnte ich nicht mehr finden, mein Bewußtſein hatte ſie überſchritten, es war anders. Mit dem allem iſt mein Urtheil geſprochen, mich quält Ei¬ ferſucht, mir ſcheint Dein Denken außer den Kreiſen zu32 ſchweifen, wo ich Dir begegne. Du biſt herablaſſend daß Du vor mir ſolche Dinge ausſprichſt, die ich nicht nachempfinden kann und auch nicht mag weil ſie un¬ ſern engen Lebenskreis überſchreiten, in dem allein mir nur lieb zu denken iſt. Straf mich nun mit Worten wie Du willſt, daß ich ſo dumm bin, aber der Eiferſucht Brand tobt in mir, wenn Du mir nicht am Boden bleibſt, wo auch ich bin. In dieſem Fragment leſe ich, daß Du nur im Vorübergehen mit mir biſt, ich aber wollte immer mit Dir ſein, jetzt und immer, und unge¬ miſcht mit andern; erſt haſt Du geweint im Traum um mich, und nachher im Wachen vergißt Du alles Daſein mit mir, ich kann mir nichts denken als nur ein Leben wie es grad dicht vor mir liegt, mit Dir auf der Gar¬ tentreppe, oder am Ofen, ich kann keine Fragmente ſchreiben, ich kann nur an Dich ſchreiben, aber innerlich weite Wege, große Ausſicht, aber nicht dem Mond nach¬ laufen und im Thau vergehen und im Regenbogen ver¬ ſchwimmen. Zeit und Ewigkeit, das iſt mir alles ſo weit¬ läuftig, da fürcht ich Dich aus den Augen zu verlieren, was iſt mir Ein unendliches Leben bleibend im Wandel, jeder Augenblick den ich leb iſt ganz Dein, und ich kanns auch gar nicht ändern daß meine Sinne nur blos auf Dich gerichtet ſind, Du wirfſt mich aus33 der Wiege, die Du auf dem großen Ocean ſchwimmend vor Dir hergetrieben haſt, hinaus in die Wellen, weil Du in die Sonne fahren willſt, unter die Sterne und im Meer zerrinnen. Mir iſt ſchwindelig, taumelig. So iſt einem der vom Feuer verzehrt wird, und kann doch kein Waſſer dulden das es löſche. Du verſtehſt mich nicht, und wenn Du noch ſo klug biſt und alles verſtehſt, das Kind in Deine Bruſt geboren, das ver¬ ſtehſt Du nicht. Ich weiß wohl wie mirs gehen wird mein ganzes Leben, ich weiß es wohl. Leb wohl.

Bettine.

Heut haben wir den 19. Mai, am 7. Mai hats zum erſtenmal gedonnert in dieſem Jahr, das wird grad geweſen ſein wo Du das verdammte apokaliptiſche Fie¬ ber hatteſt.

Noch vierzehn Tag bleiben wir, alles blüht, ein Ab¬ hang voll Kirſchbäume, ſo dunkelrothe Stämmchen ſo jung wie unſer eins, ich geh alle Morgen früh hinaus, und ſuch die Raupenneſter dort ab, ſo viel ich hinan reichen kann bieg ich die Zweige herab und brech die boshaften Raupenneſter heraus, ſie ſollen ſich freuen dies Jahr, die Bäume, und nicht mit kahlen Häuptern da ſtehen vor dem Herbſt. Ich thus auch, weil ich mich gegen Dich zu¬2**34ſammen nehmen will, haſt Du Deine Regenbogenkränzchen und Deine Mondcoterieen, wo Du übers Bewußtſein hin¬ ausſpazierſt, und das Heimkehren[vergißt], mit Deiner Hai¬ den, mit Deiner Nees, mit Deiner Lotte Serviere Reigen im Sternen-Nebel tanzeſt, ſo hab ich meine einſame Un¬ terredungen mit den jungen Erbskeimen und mit den Mirabellen und Reine claude und Kirſchbäumen in der Blüthe, und geſtern war ich mit dem Gingerich drauß am Goldweiher, da haben wir eine Hütte gemacht von Moos, da haben die zwei jungen Wiedertäufer gehol¬ fen, der mit dem braunrothen Bart der ſo ſtolz drauf iſt; der ſchöne Hans und der blonde Georg; ſie ließen beide ihre Pflüge ſtehen und kamen heran mir zu hel¬ fen, und ſchnitten mir Tannenäſte herunter, und alles was ich Loſes an mir hatte, damit hab ich die Äſte feſtgebunden, mit meiner hellblauen Schärpe und mit dem roſa Halstuch, wovon Du die andre Hälfte haſt hab ich ſie zuſammengeknüpft, und am Nachmittag kam der Savigny heraus und legte ſich in die Hütte, ſehr vergnügt, und ich las vor, Gedichte vom Bruder Anton, eine Waſſerreiſe nach den verſchiedenen Sauerbrünnchen und ein Gedicht auf Euphroſine Maximiliane, und eine philoſophiſche Abhandlung von einem gläſernen Eſel, der auf einer blumenreichen Wieſe ſich ſatt gefreſſen hatte,35 und dem die ſeltenſten Blumen durch den Bauch ſchim¬ mern, und ihn ſo verſchönen daß er die Bewunderung aller Laubfröſche iſt, die alle auf ihn hinaufhüpfen und ſich vergebens abmühen in dieſem ſchönen Blumen-La¬ byrinth herum zu hüpfen, ſo müſſen ſie ſichs vergehen laſſen, weil der gläſerne Bauch es umſchließt, und dann die Moral iſt von dieſer wunderbaren Fabel: Streben nach unmöglichen Genüſſen hilft zu nichts und verdirbt die Zeit, denn einmal hatte Gott ſchon früher dieſe ſchöne Blumenweide zur Verſchönerung des Eſels be¬ ſtimmt und nicht zur Schwelgerei der Fröſche, und zwei¬ tens war der vornehme Eſel auch zu ganz was anderem beſtimmt als zum Beluſtigungsort gemeiner Fröſche, denn als ihn zwei verſtändige Philoſophen und Gelehrte aus der an ſchönen Naturſeltenheiten reichen Stadt Frank¬ furt begegneten, ſo führten beide dieſen wunderſchönen Eſel an einem grünſeidnen Band durch die Stadt. Am Gal¬ len-Thor wo ſie einpaſſirten, präſentirte die Stadtwache das Gewehr vor ihm und auf dem Roßmarkt (alſo grade vor Deinem Stift) verſammelten ſich alle Bürger und begleiteten ihn mit Siegsgeſchrei auf den Römer, allwo der Herr Bürgermeiſter mit allen Rathsherrn verſammelt war, und die Herrn von der erſten Bank wie auch von der zweiten und dritten ſtimmten alle ein in das Lob36 der Wunder Gottes, als ſie in dem Bauch des Eſels die ſchönen Tulibanen, Levkoyen, Narciſſen, Hyazinthen, Schwertlilien, Kaiſerkronen und vor allem die ſchönen Roſen herum floriren ſahen. Als ſie deſſen ſattſam ſich erfreut hatten, ſo ließ der Herr Bürgermeiſter fortfahren in den angefangenen Rathſchlägen, und den gläſernen Blumeneſel einſtweilen auf einem erhabenen Platz auf¬ ſtellen, wie nun der Rath vollendet war, welcher wegen wichtigen Angelegenheiten etwas lange gedauert hatte, und man den Eſel in die Raritätskammer führen wollte, ſo hatte dieſer unterdeſſen ſeine Nothdurft verrichtet, und es war keine einzige Blume in ſeinem Bauch ge¬ blieben, ſondern war alles zu Miſt geworden, und der Bauch des Eſels ſah nicht anders aus als eine ſchmutzige ranzige Ölflaſche. Die Stadtmuſikanten, welche auf Befehl des Rathes herbeigekommen waren, um dieſe ſchöne Naturſeltenheit Gottes mit Trommeln und Pfei¬ fen durch die löbliche freie Reichsſtadt zu geleiten, wur¬ den zum großen Leidweſen der Gaſſenbuben verabſchie¬ det, die aus Rache den armen Eſel mit Steinen war¬ fen, daß ſein gläſerner Bauch in tauſend Stücken ging und er elendiglich ſich auf dem Scherbelhaufen vom Dippenmarkt am Pfarreiſen zum Verſcheiden hinlegte, wo er unter dem Geſpött und boshaften Zwicken ſeiner37 langen Ohren mit lautem Geſtöhn den Geiſt aufgab. Die Moral und große weiſe Lehre von dieſer Fabel iſt: Brüſte dich nicht vor deinem Ende; wenn das falſche Glück dir den Bauch voll der ſchönſten Blumen ſtopft, ſo zwingt Dich oft die Nothdurft, alles worauf Du einſt ſo ſtolz ſein konnteſt, als ſtinkenden Miſt wieder von dir zu geben, und jene ſo dir früher ſchmeichelten um deiner ſeltnen Gaben willen, ſind dann grade die, welche dich am unbarmherzigſten verfolgen. Hätteſt du Eſel, dich nicht von ein paar überſpannten hochtrabenden Gelehr¬ ten verführen laſſen, deine Blumenſchönheit in der Stadt Frankfurt, als eine bewundernswürdige Seltenheit zu zeigen, ſondern wärſt du ruhig in deinen Stall gewan¬ dert, ſo konnteſt du ruhig deine Verdauung abwarten, und jeden Tag in der Blumenzeit aufs neue deinen Bauch mit lieblichen würzigen Speiſen füllen, und dein Ruhm würde auch nicht ausgeblieben ſein, denn man würde zu dir hinausgekommen ſein ins Feld um dich zu bewundern. Die dritte Moral iſt die, daß doch ein hochweiſer Rath es ſich zur warnenden Lehre nehme, alles womit ein Eſel in ſeinem Bauche prahlt, ja nicht hoch anzuſchlagen, da es nach kurzer Zeit doch immer zu Miſt werden muß.

Den Savigny und alle hat die Geſchichte des An¬38 ton höchlich amüſirt, es wurde noch viel gelacht und zuletzt unter Geſang beim Untergehen der Sonne nach Hauſe gewandert.

Ich wollte zwar früher zurückkommen und mein Gewiſſen mahnt mich auch, nicht alles was ich dort angefangen, ſo lang aus den Augen zu laſſen; aber es ſchleicht ein Tag nach dem andern ſo anmuthig vor¬ über, und der Savigny iſt ſo anmuthig und kin¬ diſch, daß wir ihn nicht verlaſſen können, alle Augen¬ blick hat eins ihm ein Geheimniß anzuvertrauen, der führt ihn in den Wald, der andre in die Laube und die Gundel muß ſichs gefallen laſſen, und Geſcheutſein iſt gar nicht Mode, der Clemens hat ihm ſchon ein paar Wände mit abentheuerlichen Figuren vollgemalt, und Verſe und Gedichte werden mit ſchwarzer Farbe an alle Wände groß geſchrieben. Der Clemens hat Wieland, Herder, Göthe und die Prinzeſſin Amalie grau in grau gemalt und den dir bekannten Vers dazu. Heut muß ich aufhören, ich ſchick dir eine Schachtel mit dem großen Maiblumenſtrauß, ſchmücke Dein Haus¬ altar und verrichte eine Andacht für mich, es iſt meine liebſte Blum. Geh in Dich und frag Dich, wer Dir am nächſten ſteht von allen Menſchen; und frag Dich recht deutlich, wer ſich am liebſten an Dein Herz39 ſchmiegt ohne große Anforderungen an ein hyperboräi¬ ſches Glück, und da wirſt Du ſagen müſſen, daß ichs bin, die allein das Recht hat, Dir nah zu ſtehen, und wenn Du das nicht einſiehſt, ſo iſt der Schade mein, aber Dein auch.

Bettine.

Beilage zum Brief der Bettine. Der Aufſatz, der im Hemſterhuis lag.

Es ſind aber drei Dinge, aus dieſen entſpringt der Menſch, nicht nur ein Theil oder eine Erſcheinung von ihm, ſondern er ſelber mit allen Erſcheinungen in ihm, und ſein Saame und Keim liegt in dieſen drei Dingen, dieſe aber ſind die Elemente, aus welchen die ganze erſchaffne Natur ſich in dem Menſchen wieder bildet.

Das erſte iſt der Glaube, aus dieſem entſpringt der gewiſſe Theil des Menſchen, nemlich der Leib, oder das Kleid des Geiſtes; der Gedanke; dieſer iſt die Ge¬ burt, und ſichtliche Erſcheinung des Geiſtes, und eine Befeſtigung ſeines Daſeins. Der Glaube aber iſt Be¬ feſtigung und ohne dieſen ſchwebt alles und gewinnt keine Geſtalt, und verfliegt, in tauſend Auswegen, die die erſchaffende Natur noch nicht unter ſich gebracht40 hat, ſo wie der Natur Eigenſchaft aber iſt, den ewigen Stoff, die Zeit zu bearbeiten, ſo iſt jener ihre Eigen¬ ſchaft, die Geſtalt von ſich abzuſtoßen und nicht anzu¬ nehmen, bis ſie von der Natur in ſeligem Kampf be¬ ſiegt iſt.

Der Glaube aber iſt die Erſcheinung Gottes in der Zeit, der Glaube iſt Gewißheit und Ewigkeit. Die Er¬ ſcheinung Gottes iſt immer ewig, in jedem Augenblick, und ſo iſt der Menſch ewig, denn ſein Sein iſt Gottes Erſcheinung. Gott aber iſt Alles, das das Gute iſt als Gegenſatz gegen Nichts, das das Böſe iſt.

Daher iſt auch alles in dem Menſchen, der die Er¬ ſcheinung Gottes iſt; daher begreift er einzig in ſich Gott, und den Glauben an ihn, weil ſein Sein der Glaube iſt, ſein Weſen aber Gott.

Was alſo der Menſch erblickt mit ſeinen Augen außer ſich, das iſt Gottes Blick in ihm, was er aber hört mit ſeinen Ohren außer ſich, das iſt Gottes Stimme in ihm, was er aber fühlt mit ſeinem ganzen Leib und Geiſt außer ſich, das iſt Gottes Berührung, der Funke der Begeiſterung in ihm, was aber in ihm iſt, das erſchafft und bildet aus ihm, was aber er¬ ſchaffen und außer ihm iſt, das ſpricht ihn an und bil¬ det ſich wieder in ihn hinein, in ihm aber liegt auch41 die Zeit, und es iſt das Werk des Erſchaffens nichts anders, als die Zeit umwandlen in die Ewigkeit, wer aber die Zeit nicht umwandelt in die Ewigkeit, oder die Ewigkeit herabziehet in die Zeit, der wirkt böſes, denn alles was ein Ende nimmt, das iſt böſe.

Die Ewigkeit in die Zeit herabziehen, aber heißt wenn die Zeit der Ewigkeit mächtig wird, wenn die Nichtigkeit mächtiger wird, als die Gewalt des Schaf¬ fens, wenn der Stoff des Meiſters ſich bemeiſtert, der ihn behandelt.

Böſe iſt alſo der Selbſtmord, denn der Willen der Vernichtung iſt zeitlich, und der Gedanke geht in ſich ſelbſt zu Grund, weil er ein Kleid der Zeitlichkeit iſt, nicht aber eine ſichtbare Erſcheinung des ewigen Gei¬ ſtes, und hier lehnt ſich der Stoff die Zeit, gegen ſeinen Meiſter (das Schickſal der Ewigkeit) auf.

Wenn man aber ſagt, der Menſch iſt im Guten geboren, ſo iſt dieſes wahr, weil er im Glauben gebo¬ ren iſt; wenn man aber ſagt, er hat das Böſe nicht, ſondern er zieht es nur an, ſo iſt dieſes nicht wahr, denn er hat die Kraft, das Böſe von ſich zu ſtoßen, nicht aber es an ſich zu ziehen, denn das Böſe iſt die Zeit, und ſie dient zur Nahrung für das Göttliche und Ewige, die Zeit aber frißt die Ewigkeit und den Geiſt,42 der ewig ſein ſoll, wenn er ſich nicht ihrer bemächtigt und ſich zur Nahrung nimmt; denn das iſt das Böſe, daß das Zeitliche, Irdiſche, das ewige Himmliſche ver¬ ſchlingt, das Gute aber iſt, wenn das ewige Himm¬ liſche das Irdiſche in ſich umwandelt, und alles zu Gott in ihm macht.

Gott aber hat das Zeitliche nicht in ſich, denn ſein Sein iſt die Umwandlung des Zeitlichen ins Himm¬ liſche, weil er aber iſt, ſo iſt die Ewigkeit.

Die Vernunft aber iſt eine Säule, feſtgepflanzt in dem Menſchen, ſie iſt aber ewig, und alſo eine Stütze des Himmels, und wie ſie eingegraben iſt in uns und mit uns eins iſt, ſo geht ihr Haupt in die Wolken, und in ihrer Wurzel liegt die Zeit, aber wie ſich aus dem Stoff der Geiſt entwickelt, ſo entwickelt ſich die Ewigkeit aus dieſer Zeit, und ſteigt in der Vernunft zur Ewigkeit, und der Menſch wird durch die Vernunft aus einem Irdiſchen ein Himmliſches.

43

An die Bettine.

Frankfurt.

Melonen, Ananas, Feigen, Trauben und Pfirſich und die Fülle ſüdlicher Blüthen, die eben in eurem Hauſe ſorglich verpackt werden, haben mir Luſt gemacht, Dir das Violen - und Narciſſenſträußchen (Wan¬ del und Treue) beizulegen, ich hätte mich gern ſelbſt mit hineingelegt. Der Heliotrop mit den Nelken und Jasmin zuſammen iſt ein aparter Strauß vom Gontard für Dich, er trug mir auf, es Dir zu melden. Es iſt mir jetzt recht traurig, da Du fort biſt. Das Schick¬ ſal fröhnt Deiner Zerſtreutheit, bei Euch auch iſt ein ewiges Wandern, Kommen, Gehen. Ich bitte Dich, ſchreib wie lange Ihr bleibt, oder zu bleiben ge¬ denkt. Erſt wollt ich nicht, daß Du hier bliebſt, und wärſt Du nun ſchon wieder da! Es iſt keine heitere Zeit in mir, viel Muſe und keine Begeiſtrung für ſie; man hängt von manchem ab, dem man gar keinen Ein¬ fluß zugeſtehen würde, die Gewohnheit, Dich zu erwarten am Nachmittag, hängt mir wie ein zerrißner Glocken¬ ſtrang in den Kopf! Und doch muß ich immer in die Ferne lauſchen, ob ich Deinen Tritt nicht höre.

44

Der Sommer in der Stadt, es bedroht mich ganz dämoniſch, den hellen Himmel zu verſäumen. Meine Spaziergänge um das Eſchenheimer Thor ertödten mich gänzlich. Auch die Engländer wollen Euch dieſe Woche noch beſuchen, alles geht fort.

Schreib mir viel, auch über meine Sachen, ich ſchicke dann mehr. Daß ich als Narciß mich gegen Dich verſchanze, beſſer wie im Geſpräch, wo Du immer recht behältſt, mußt Du Dir gefallen laſſen, ſo mein ichs, und ſo hab ich Recht und Du haſt Unrecht; und ich meine, Du könnteſt immer zufrieden ſein damit, ſo empfunden zu ſein durch Deine eigne friſche Natur, daß Du meiner ſicher biſt. Wer im Ganzen etwas ſein kann, der wird ſich auch fühlbar zu machen wiſſen, und ſo wird der Wandel nirgend anders als bei der Treue heimkehren, denn ſie iſt die Heimath. Du biſt ja auch heute nicht was Du geſtern geweſen, und doch biſt Du eine ewige Folge Deiner ſelbſt. Mir ſcheint es noch außerdem höchſt verkehrt durch ſelbſtiſches Be¬ ſtehen auf dem, was nur wie Sonnenſchein vorüberge¬ hendes Geſchenk der Götter iſt, dem Geiſt die Freiheit zu verkümmern. Treue wächſt in dem Geiſt auf der liebt, gedeiht ſie zu einem ſtarken Baum, ſo wird kein Eiſen ſo ſcharf ſein, ihn auszurotten, aber ehe die45 Treue von ſelbſt ſtark geworden, kann man ihr nichts zumuthen, ſie würde nur bei einer Anforderung ihr auf¬ keimendes Leben einbüßen, wenn ſie aber einmal voll¬ kommen ausgebildet iſt, dann iſt ſie kein Verdienſt mehr, dann iſt ſie Bedürfniß geworden, Lebensathem; ſie hat keine Rechte mehr zu befriedigen, weil ſie ganz organiſches Leben geworden iſt. Das ſei unſre Sorge, daß jede Lebensregung eigenthümliches, organiſches Le¬ ben werde, das ſei unſre Fundamental-Treue, durch die wir in allem Erhabenen mit den Göttern uns vermäh¬ len. Bis dahin laß uns einander treffen in ihrem Tem¬ pel, die Gewohnheit, uns da zu finden, einander die Hand zu bieten in gleicher Abſicht, die wird den Baum der Treue in uns pflegen, daß er als ſelbſtſtändiges Leben von uns beiden ausgehe und ſtark werde.

Ich habe mich mit dem Gedanken oft herumgetra¬ gen, ob nicht alles, was ſich vollkommen und alſo le¬ bendig in der Seele ausbilde, ein ſelbſtſtändiges Leben gewinnen müſſe, das dann, als willenskräftige Macht, (wie jene Treue, mit der Du mich magnetiſirſt) Men¬ ſchengeiſter durchdringt, und ſie zu höherem Daſein in¬ ſpirirt. Was ſich im Geiſt ereignet iſt Vorbereitung einer ſich ausbildenden Zukunft, und dieſe Zukunft ſind wir ſelber. Du ſagſt, alles gehe ins Innere herein46 und Du empfändeſt die Welt nicht von außen. Aber iſt denn die äußere Welt nicht Dein Inneres? oder ſoll ſie es nicht werden? von innen heraus lernt man Sehen, Hören, Fühlen, um das Äußere ins In¬ nere zu verwandlen, das iſt nicht anders als wie wenn die Bienen den Blumenſtaub in die Kelche vertragen, die für die Zukunft ſich befruchten ſollen. In der Seele liegt die Zukunft in vielfältigen Knospen, da muß aus reiner Geiſtesblüthe der lebendige Staub hinein getra¬ gen werden. Das ſcheint mir Zukunft zu ſein. Jahre vergehen gleich einem tiefen Schlaf, wo wir nicht vor¬ wärts und nicht zurück uns bewegen, und wirkliche Zeitſchritte ſind nur die, in denen der Geiſt die Seele befruchtet, in der Zeiten Raum geht das wirkliche Le¬ ben aus ſolchen einzelnen befruchtenden Momenten wie die Blüthenperlen dicht an einander auf. Was iſt auch Zeit in der nichts vorgeht? die nicht vom Geiſt befruchtet iſt? Pauſe, bewußtloſes Nichts! Raum, den wir durchſchreiten, der noch unerfüllt iſt. Aber jene Momente müſſen noch ſo dicht geſäet werden, daß der ganze Raum ein ewiges Blüthenmeer von befruch¬ tenden Lebensmomenten ſei. Alle Anreizung in ſelbſt¬ ſtändiges Leben entwicklen, das Geiſt-bewaffnet nach eigenthümlicher Weiſe die Zukunftsblüthen erweckt, das47 allein iſt lebendige Zeit, aber uns ſelbſt für abgeſchloſſen halten, und einer Zukunft entgegenſchreiten, die nicht wir ſelbſt ſind, das ſcheint mir Unſinn und eben ſo wenig wahr, als wenn unſere Einſicht nicht Folge un¬ ſeres Begriffs wäre. Ich habe mich zuſammengenommen, um deutlich zu ſein, allein das iſt das ſchwerſte, man empfindet etwas unwiderſprechlich und kanns dennoch nicht ausſprechen. Deine Eiferſucht um mich, die ich wahrhaftig erſt für Laune hielt, ſpäter aber ihr Ge¬ rechtigkeit widerfahren ließ, obſchon ich ſie nicht billi¬ gen kann, leitete mich zu dieſen Betrachtungen. Ich bin Dir nicht entgegen Bettine, daß Du mit Ernſt und auch mit beſonderem und vielleicht auch mit mehr Recht Theil an mir habeſt, wie alle die andern; denn da wir ſo unwillkührlich manchem lebendigen Begriff, nur ge¬ genſeitiger Berührung zu danken haben, und ich mehr Dir, als Du mir, ſo ſollte dies organiſche Ineinander¬ greifen, uns auch frei machen von jeder kleinlichen Ei¬ genſucht, und wir ſollten wie die Jünglinge, während ſie nach dem Ziel laufen, nicht uns Zeit gönnen, an was anders zu denken, als im ſchwebenden Lauf aus¬ zuharren. Und was habe ich auch am Ende von allen Andern? Du kannſt Dir das ſelbſt wohl beantwor¬48 ten, und Deiner Seele darüber den höchſten Frieden, gönnen.

Schreibe, wenn Du antworteſt, auch einen Brief für den Clemens, er mahnt in ſeinem Schreiben an mich darum, es wird ihm ſehr überraſchend ſein, wenn er Deinen Aufenthalt im Schlangenbad erfährt. Adieu! ſchreib bald.

Karoline.

Beilage zum Brief der Günderode. Wandel und Treue.

Violetta.

Ja. du biſt treulos! laß mich von dir eilen; Gleich Fäden kannſt du die Empfindung theilen. Wen liebſt du denn? und wem gehörſt du an?

Narziß.

Es hat Natur mich alſo lieben lehren: Dem Schönen werd 'ich immer angehören Und nimmer weich ich von der Schönheit Bahn.

Violetta.

So iſt dein Lieben wie dein Leben, wandern! Von einem Schönen eileſt du zum Andern, Berauſcheſt dich in ſeinem Taumelkelch, Bis Neues ſchöner dir entgegen winket

Nar¬49

Narziß.

In höh'rem Reiz Betrachtung dann verſinket Wie Bienenlippen in der Blume Kelch.

Violetta.

Und traurig wird die Blume dann vergehen, Muß ſie ſich ſo von dir verlaſſen ſehen!

Narziß.

O Nein! es hat die Sonne ſie geküßt. Die Sonne ſank, und Abendnebel thauen. Kann ſie die Strahlende nicht mehr erſchauen, Wird ihre Nacht durch Sternenſchein verſüßt. Sah ſie den Tag nicht oft im Oſt verglühen? Sah ſie die Nacht nicht thränend ſtill entfliehen? Und Tag und Nacht ſind ſchöner doch als ich. Doch flieht ein Tag, ein Andrer kehret wieder; Stirbt eine Nacht, ſinkt eine Neue nieder, Denn Tröſtung gab Natur in jedem Schönen ſich.

Violetta.

Was iſt denn Liebe, hat ſie kein Beſtehen?

Narziß.

Die Liebe will nur wandlen, nicht vergehen; Betrachten will ſie alles Treffliche. Hat ſie dies Licht in einem Bild erkennet, Eilt ſie zu Andern, wo es ſchöner brennet, Erjagen will ſie das Vortreffliche?

350

Violetta.

So will ich deine Lieb 'als Gaſt empfangen; Da ſie entfliehet wie ein ſatt Verlangen, Vergönnt mein Herz Ihr keine Heimath mehr.

Narziß.

O ſieh den Frühling! gleicht er nicht der Liebe? Er lächelt wonnig, freundlich, und das trübe Gewölk des Winters, niemand ſchaut es mehr! Er iſt nicht Gaſt, er herrſcht in allen Dingen, Er küßt ſie Alle, und ein neues Ringen Und Regen wird in allen Weſen wach. Und dennoch reißt er ſich aus Tellas Armen, Auch andre Zonen ſoll ſein Hauch erwärmen, Auch Andern bringt er neuen, ſchönen Tag.

Violetta.

Haſt du die heil'ge Treue nie gekennet?

Narziß.

Mir iſt nicht Treue was ihr alſo nennet, Mir iſt nicht treulos was euch treulos iſt! Wer den Moment des höchſten Lebens theilet, Vergeſſend nicht, in Liebe ſelig weilet; Beurtheilt noch, und noch berechnend, mißt; Den nenn 'ich treulos, ihm iſt nicht zu trauen, Sein kalt Bewußtſein wird dich klar durchſchauen Und deines Selbſtvergeſſens Richter ſein. Doch ich bin treu! Erfüllt vom Gegenſtande51 Dem ich mich gebe in der Liebe Bande Wird Alles, wird mein ganzes Weſen ſein.

Violetta. Giebt's keine Liebe denn, die dich bezwinge?

Narziß.

Ich liebe Menſchen nicht, und nicht die Dinge, Ihr Schönes nur, und bin mir ſo getreu. Ja Untreu 'an mir ſelbſt wär andre Treue, Bereitete mir Unmuth, Zwiſt und Reue, Mir bleibt nur ſo die Neigung immer frei. Die Harmonie der inneren Geſtalten Zerſtören nie die ordnenden Gewalten Die für Verderbniß nur die Noth erfand. Drum laß mich, wie mich der Moment geboren. In ew'gen Kreiſen drehen ſich die Horen; Die Sterne wandeln ohne feſten Stand, Der Bach enteilt der Quelle, kehrt nicht wieder, Des Lebens Strom, er woget auf und nieder Und reißet mich in ſeinen Wirbeln fort. Sieh alles Leben! es hat kein Beſtehen, Es iſt ein ew'ges Wandern, Kommen, Gehen, Lebend'ger Wandel! buntes, reges Streben! O Strom! in dich ergießt ſich all mein Leben! Dir ſtürz ich zu! vergeſſe Land und Port!

3*52

An die Günderode.

Den erſten Tag als wir ankamen wars ſo heiß, daß es mehr wie unerträglich war; wir warfen unſere Nankin-Reiſe-Jacken aus, und legten uns in den Un¬ terkleidern, in Hemdsärmel, auf dem Gang vor unſerer Zimmerthür ins Fenſter, von da kann man verſteckt hinter Bäumen, auf eine Terraſſe ſehen, wo ſich die Ge¬ ſellſchaft zum Thee bei der Kurprinzeſſin von Heſſen verſammelt, die grade unter uns wohnt. Das machte mir Spaß, man konnte Manches verſtehen, und ein Wort aus der Ferne, wenns auch an ſich unbedeutend iſt, iſt immer anregend wie eine Comödie. Doch hat das Vergnügen dran nicht lang gedauert; ein krebsro¬ ther Kammerherr, der mir im Anfang Vergnügen machte zu ſehen, wie er hin und wieder lief, und den Frauen allerlei in die Ohren ziſchelte, und dann ein Herzog von Gotha mit langen Beinen, rothem Haar und ſehr melancholiſchen Geſichtszügen und ein großes weißes Windſpiel zwiſchen den Knieen, der trägt einen le¬ berfarbnen Rock; dann viele Damen mit überflüſſigem Putz, die Hauben auf hatten, als wärs die Flotte vom Nelſon mit aufgeſchwellten Segeln, und dann fran¬53 zöſiſche Schiffe, wenn ſo zwei mit einander parlierten, das war grad als ob einzelne Schiffe handgemein wür¬ den, bald brüſtete ſich das Schiff, dann thronte es wie¬ der, dann ſtreckte es ſeinen Schnabel in die Höh, und Herren und Damen von beſonderer Affection gegen ein¬ ander; bald zerſtreuten ſie ſich auf der Promenade, und plötzlich ſtand der rothe Kammerherr hinter uns auf dem Gang. Die Tonie entſetzte ſich, und ging ins Zim¬ mer, ich aber war gar nicht erſchrocken und fragte, was er wünſche; er war verlegen und ſagte, er wünſchte der Dame Bekanntſchaft zu machen; ich fragte: warum werden ſie denn ſo roth, er ward noch rother und wollte mich bei der Hand nehmen, ich ſagte: Nein! und ging ins Zimmer, er drängte ſich mir nach, ich rief: Tonie helf mir den Mann bezwingen, ſie war aber ſo voll Angſt, daß ſie ſich nicht vom Platz regte, denk Dir nur, und ich lehnte mich mit aller Gewalt wider die Thür und der rothe Mann dazwiſchen, der durch wollte; ich rief: Tonie zieh an der Schelle, denn unſre Bedien¬ ten waren alle noch am Packwagen beſchäftigt, aber die Tonie fand den Schellenzug nicht; der unartige Mann, immer wollte er doch noch herein, wo er doch ſah, daß man ihn nicht wollte, ich konnt gar nicht be¬ greifen, was er wollte, ich dachte einen Augenblick er54 wolle uns umbringen, ich erwiſchte einen Sonnenſchirm, der an der Thür ſtand, und ſtach mit dem nach ſeiner Lunge oder Leber, ich weiß nicht er zog ſich zu¬ rück und die Thüre fiel ins Schloß, da ſtand ich wie einer, der über Berg und Thal gejagt war von einem Geſpenſt, ich konnte eine viertel Stunde keinen Athem kriegen; ich dachte wirklich er ſei ein Mörder, ich hatte ſchon allerlei Anſchläge im Kopf, wie ich ihn erwürgen wollte. Die Tonie lachte und ſagte, geh doch, ein Kam¬ merherr und ein Mörder; ſie meinte, er ſei nur ein boshafter und gemeiner Schelm, wies deren am Hof die meiſten ſeien. Wir haben aber den Bedienten die Nacht vor der Schlafzimmerthür ſchlafen laſſen und die Liſette zu uns ins Zimmer genommen, ich konnte aber die ganze Nacht nicht ſchlafen, mich ſtörte es, daß der Diener vor der Thür lag. Es iſt doch zum erſten Mal in meinem Leben, daß ich Angſt hatte, aber denk doch nur, am andern Tag meldet uns der Bediente den rothen Herrn, er komme von der Fr. Kurprinzeſſin mit einem Auftrag und ließ ſehr bitten, ihn anzunehmen, ich rufe Nein! wir wollen von keiner Kurprinzeſſin was wiſſen, die Tonie aber ſagt, das geht nicht an, wir müſſen ihn annehmen. Ich bewaffnete mich mit dem Sonnenſchirm als er eintrat und uns zur Frau Kur¬55 prinzeſſin zum Thee auf die Terraſſe einlud, zugleich machte er viele Entſchuldigungen, er habe gar nicht ge¬ ahnt, wer wir ſeien, weil wir in Hemdsärmel im Fen¬ ſter gelegen haben; ich war ſtill, aber ich war ſehr er¬ grimmt über den rothen Mann. Als wir bei der Kur¬ prinzeſſin vorgeſtellt waren, die mich bei der Hand nahm und ins Geſicht küßte, da ſaßen wir alle in ei¬ nem Kreis, und der Rothe ſtellte ſich hinter mich, daß ich ſeinen Athem fühlte, das kränkte mich ſehr, ich ſagte, gehen Sie fort hinter mir Sie garſtiger Mann, da lief er weg, aber die Tonie ſah mich ſehr ernſthaft an, und wie wir wieder oben waren, da ſchmälte ſie, daß ich ſo laut geſprochen habe, das iſt mir aber einer¬ lei, ich kann ihn nicht in meiner Nähe leiden, was liegt mir dran, obs die Kurprinzeſſin merkt, wenn ſie frägt, ſo ſag ich, er hat uns wollen ermorden in unſerem Zimmer, und dann kann er ſich nachher vertheidigen, wenns nicht wahr iſt, und kann ſagen warum er uns ſo mörderiſcher Weiſe angefallen hat. Die Tonie will auch nicht, daß ich Abends allein ſpazieren gehe, ſie ſagt der Kammerherr könnte mir begegnen, ſo muß ich immer einen hinter mir drein laufen haben. Es iſt nichts ſchöner als ſo ein Spaziergang im Nebel, mit dem ſich, wenn die Nacht kommt, alle Schluchten56 füllen und in tauſenderlei Geſtalten im Thal herum¬ tanzt und an den Felſen hinauf. Aber einen hinter mir drein laufen zu haben das iſt mir verdrießlich. Ich kann nicht dichten wie Du Günderode, aber ich kann ſprechen mit der Natur, wenn ich allein mit ihr bin, aber es darf niemand hinter mir ſein, denn grad das Alleinſein macht, daß ich mit ihr bin. Auf der grünen Burg im Graben, im Nachtthau, da war es auch ſchön mit Dir, es ſind mir meine liebſte Stunden von meinem ganzen Leben, und ſo wie ich zurückkomm, ſo wollen wir noch acht Tage zuſammen dort wohnen, da ſtellen wir unſere Betten dicht neben einander und plaudern die ganze Nacht zuſammen, und dann geht als der Wind und klappert in dem rappeligen Dach, und dann kommen die Mäuschen und ſaufen uns das Öl aus der Lampe und wir beiden Philoſophen halten, von dieſen Zwiſchenſcenen lieblich unterbrochen, große tiefſinnige Speculationen, wovon die alte Welt in ih¬ ren eingeroſteten Angeln kracht, wenn ſie ſich nicht gar umdreht davon. Weißt Du was, Du biſt der Pla¬ ton und Du biſt dort auf die Burg verbannt, und ich bin Dein liebſter Freund und Schüler Dion, wir lieben uns zärtlich und laſſen das Leben für einander, wenns gilt, und wenns doch nur wollt gelten, denn ich möcht57 nichts lieber als mein Leben für Dich einſetzen. Es iſt ein Glück ein unermeßliches, zu großen heroiſchen Tha¬ ten aufgefordert ſein. Für meinen Platon, den großen Lehrer der Welt, den himmlichen Jünglingsgeiſt mit breiter Stirn und Bruſt, mit meinem Leben einſtehen! Ja ſo will ich Dich nennen künftig, Platon! und einen Schmeichelnamen will ich Dir geben, Schwan will ich Dir rufen, wie Dich der Socrates genannt hat, und Du ruf mir Dion.

Es wächſt hier viel Schierling in dem feuchten Moorgrund, ich fürchte es aber nicht, obſchon's Gift iſt; es iſt mir ein geheiligt Kraut, ich breche es ab im Vor¬ übergehn und berühre es mit meinen Lippen, weil der Socrates den Schierlingsbecher getrunken. Lieber Pla¬ ton, es iſt meine Reliquie, die mich von böſen Schwä¬ chen heilen ſoll, daß ich vor dem Tod nicht verzagen muß, wenn es gilt. Gute Nacht mein Schwan, gehe dort ſchlafen auf dem Altar des Eros.

Am Sonntag. Schlangenbad.

Hier iſt auch eine Kapelle, und eine kleine Orgel, die hängt an der Wand, die Kapelle iſt rund, ein mäch¬ tiger Altar nimmt faſt den ganzen Platz ein, ein gro¬ ßer goldener Pelikan krönt ihn, der einem dutzend Jun¬3**58gen ſein Blut zu trinken giebt. Das Ende der Predigt hörte ich aus als ich hineinkam, ich weiß nicht, wars der goldne Pelikan, die mit vielen Spinnweben über¬ florten Zierrathen und Kränze von Golddrath, die fri¬ ſchen Sträußer daneben, von Roſen und gelben Lilien und die düſteren Scheiben, wo oben grad über dem Pelikan die dunkelrothen und gelben Scheiben die Son¬ nenſtrahlen färben. Der Geiſtliche war ein Franziska¬ ner aus dem Kloſter bei Rauenthal. Wenn ich jetzt von Unglück ſprechen höre, ſo fallen mir immer die Worte Jeſu ein, der zu einem Jüngling ſagte, der un¬ ter ſeine Jünger wollte aufgenommen werden: die Füchſe haben Gruben, die Vögel des Himmels haben ihre Ne¬ ſter, aber des Menſchen Sohn hat keinen Stein, da er ſein Haupt hinlege. Ich frage Euch, ob durch dieſe Worte allein, nicht ſchon alles Unglück gebannt iſt? Er hatte keinen Stein, um auszuruhen, viel weniger einen Gefährten, der ihm ſein irdiſch Leben heimathlich gemacht hätte, und doch wollen wir klagen, wenn uns ein geliebter Freund verloren geht, wollen uns nicht wieder aufrichten, finden es nicht der Mühe werth, ins Leben uns zu wagen, werden matt wie ein Schlaf¬ trunkner. Sollten wir nicht gern die Gefährten Jeſu ſein wollen, wenn die Noth uns trifft? ſollten wir59 nicht Helden ſein wollen neben dieſem großen Überwin¬ der, der ein ſo weiches Herz hatte, daß er aus lieben¬ dem Herzen die Kinder zu ſich berief, daß er den Jo¬ hannes an ſeiner Bruſt liegen hieß? Er war menſchlich, wie wir menſchlich ſind, was uns zu höheren Weſen bildet, nemlich das Bedürfniß der Liebe, und zu ſelbſtverläug¬ nenden Opfern befähigt, das war die Grundlage ſeiner göttlichen Natur, er liebte und wollte geliebt ſein, be¬ durfte der Liebe; weil nun die Liebe auf Erden nicht zu Hauſe war, ſo fand er keinen Stein, da er ſein Haupt ruhen konnte, da verwandelte ſich dieſes reine Bedürfniß der Liebe in das göttliche Feuer der Selbſt¬ verläugnung, er brachte ſich dar, ein Opfer für die ge¬ liebte Menſchheit, ſein Geiſt ſtrahlte wieder himmel¬ wärts, von wo er in ſeine Seele eingeboren war, wie die Opferflamme hinaufſteigt ein Gebet für den Ge¬ liebten, und dies Gebet iſt erhört worden, denn wir fühlen uns allzumal durch dieſe Liebe geläutert, und wenn wir uns ihrer Betrachtung weihen, ſo werden wir göttlich durch ihr Feuer, und dieſes iſt wie der Odem Gottes, der alles ins Leben ruft, jeden Keim des Frühling, ſo auch ruft nun die Liebe Jeſu, die auf Er¬ den nicht begnügt und beglückt konnte werden, zu ſich, alle die mühſelig und beladen ſind, ſie ſind verſchloſſne60 thränenſchwere Knospen, die mächtige Sonne der gött¬ lichen Liebe wird ſie zum ewigen Leben der Liebe wecken, denn dies iſt alles Lebens, alles Strebens Ziel auf Er¬ den. Amen. Dieſe ſchönen Worte waren die einzigen, welche ich von der Predigt hörte, aber ſie waren mir genügend, um mich den ganzen Tag zu begleiten, ſie klangen wie ein himmliſch Geläut in mein Ohr, wie ein ſchöner Sonntag-Morgen; als Alles zum Tempel hinaus war, ging ich von der Emporkirche herab in die runde Kapelle, ein andrer Prieſter hatte eben die Meſſe geleſen, es kam ein alt Mütterchen, die löſchte die Kerzen und räumte auf; ich frug ob ſie Sacriſtan ſei, ſie ſagte ihr Sohn ſei Küſter, aber der ſei heut über Land, ich frug wo ſie die vielen Blumen hernehme, da ich doch nirgend einen Blumengarten geſehen, ſie ſagte die Blumen ſind aus unſerem Garten, mein Sohn pflegt ſie alle; ich hatte eine rechte Luſt mit in den Garten zu gehen, das war ſie zufrieden; das iſt ein Garten, ſo groß wie der Hof von unſerem Haus, an der weißen Wand des Hauſes wachſen Trauben und ein paar hohe Roſenbüſche ſind dazwiſchen verflochten, Roſen und Trauben, ich kann mir keine ſchönere Ver¬ mählung denken, Ariadne und Bacchus. Ein hölzern Bänkchen war da an der Mauer, ich ſetzte mich ganz61 ans End, und die Frau neben mich, es war kaum groß genug, daß wir Platz hatten, ich mußte recht dicht an die Frau heranrücken, ich legte meine Hand in ihre auf ihren Schooß, ſie hatte eine ſo harte Hand, ſie ſagt das ſind Schwülen vom Graben im Land, denn hier iſt ein felſiger Boden. Du glaubſt nicht, wie ſchön der Garten in der Sonne lag, denn jetzt iſt grade die reichſte Blumenzeit, alles iſt doch ſo ſchön; wenn die Natur mit Ordnung bedient wird, gleich iſts ein Tem¬ pel, wo ihre Geſchöpfe als Gebete aufſteigen, gleich iſts ein Altar, der voll kindlicher Opfergeſchenke bela¬ den iſt. So iſt das Gärtchen mir ſeinen reinlichen Kieswegen und buchsbaumnen Feldertheilchen; der Buchs¬ baum iſt ſo ein rechter Lebensfreund, von Jahr zu Jahr umfaßt und ſchützt er was der Frühling bringt, es keimt und welkt in ſeiner Umzäunung und er bleibt immer der grüne Treue, auch unterm Schnee, das ſagt ich der alten Frau, die ſagte, ja das iſt wohl wahr, der Buchsbaum muß alles Schickſal mitmachen. Aber ſtell Dir doch das hübſche Gärtchen vor, links vom traubenbewachsnen Haus die Mauer mit Jasmin; ge¬ genüber im Schatten eine recht dichte Laube von Geis¬ blatt, der Eingang zum Haus von beiden Seiten mit hohen Lilien beſetzt. So viel Levkoyen, ſo viel Ranun¬62 keln, ſo viel Ehrenpreiß und Ritterſporn und Lavendel, ein Beet mit Nelken, ein Maulbeerbaum in der einen Ecke und in der andern geſchützt gegen die kalten Winde, zwei Feigenbäume mit ihren lieben rein gefalteten Blät¬ tern, ich war ganz erfreut Kameraden von meinem Baum zu finden, unter denen ſpringt ein Quellchen her¬ vor in einen Steintrog, da kann die Frau gleich ihre Blumen begießen, und in den offnen Fenſtern hing ein Käfig mit Kanarienvögel, die ſchmetterten ſo laut. Ach es war recht Sonntagswetter, und Sonntagslaune in der Luft, und Sonntagsgefühl in meinem Herzen. Ich bitte Dich, ſorg das mein Baum von der Lisbet nicht verſäumt werde, er muß bald reife Früchte haben, wenn er ſo weit iſt wie die im Küſtergärtchen, die brech Dir ab. Die Frau ſchüttelte mir Maulbeeren ab, die ſam¬ melte ich auf einem Blatt und einen Strauß von Nel¬ ken und Ehrenpreiß und Ritterſporn hatte ich mir auch gepflückt; und wie ich ſo da ſteh ganz ſtill in der Sonn, da kommt der geiſtliche Herr aus der Thür, er hatte da ſein Frühſtück genoſſen, was die Küſterfrau immer nach der Kirche bereit hält. Der Geiſtliche iſt ein ſchöner ganz ſtiller Kopf, und ſanfte Augen, und noch jung. Mich ſtrahlten die ſchönen Worte, die ich von ihm ge¬ hört hatte, noch einmal aus ſeinem Geſicht an, ich63 konnte auch aus Ehrfurcht ihm nichts ſagen, er ſah mich aber freundlich an und ſagte: Ei wie! ſchon reife Maulbeeren; ich reichte ihm die Maulbeeren, er nahm auch welche davon, und den Strauß nahm er mir auch ab und ſteckte ihn in ſeinen Ärmel, denn ich war ſo überraſcht, als ich ihn kommen ſah, daß ich nicht wußte was ich that, und ihm beide Hände entgegenſtreckte, ich wußte gar nicht, daß ich ihm den Strauß geboten hatte, und erſt als er mir ihn mit einem Dank abnahm, merkte ichs. Nun ging er weg und ich blieb betäubt ſtehen, der Spitzhund aber begleitete ihn ſehr höflich vor die Gartenthür, ich hörte ihn noch vor der Thür freundlich mit dem Hund ſprechen: Geh nach Haus Lelaps ſagte er. Ich war recht vergnügt, und mehr als all die Tage über auf der Terraſſe, mit meinem Sonntagmorgen.

Wie ich nach Haus kam waren alle bei Leonhardi verſammelt und tranken Chocolade; ſie fragten wo ich geblieben war nach der Kirche, ich erzählte daß ich im Küſtergärtchen geweſen und hätte den lieben Prediger geſehen. Da war aber ſchon die Kritik drüber her ge¬ weſen und hatte die Unmöglichkeiten von unchriſtlicher Geſinnung drin gefunden; der Mann iſt berühmt und Leonhardis waren aus Neugierde auch drin geweſen64 und die Engländer und die Lotte und der Voigt, und noch ein paar Stiftsfräulein die Leonhardis ken¬ nen, der Fritz lag auf dem Bett ganz blauſchwarz von ſeinem Stahlbad, aus dem er eben gekommen war, wenn das noch lange dauert ſo wird er ein Mohr. Du hätteſt dieſen Schnattermarkt mit anhören ſollen, und der Niklas Voigt der im Mainzer Dialekt ſie alle aus¬ lachte und die Lotte mit der beſten Weisheit verſehen und der Chriſtian Schloſſer, was jeder ſagte oder viel¬ mehr über die andern hinausſchrie, das verſtand ich nicht, alſo noch weniger was jeder meinte, aber der Nik¬ las Voigt, dem Lotte in Ermanglung eines beſſeren Au¬ ditoriums ihre Weisheit übermachte, taumelte wie ein Betrunkener um den geſchloſſenen Zirkel der Disputiren¬ den, bejahte alles was ſie ſagten, und dann rief er wie¬ der: in meinem Leben hab ich kein ärger Kauderwälſch gehört als die Narren da durcheinander ſchreien, hören ſie doch Bettine was die vor Zeug ſchwätzen, und dann ſchrie er wieder drein ſie hätten ganz recht, ſo ein Pre¬ diger wär ein eitler Narr, ich ſagte: Ei Voigt! Nun was wollen Sie denn machen wenn Sie mitten unter den Wölfen ſind ſo müſſen Sie mit heulen, daß dich, daß dich, was vor kapitale Narren ſinds! Ei freilich iſt ein Prediger ein Narr, der ſeine himmliſche Weisheit ſo vor65 die Narren giebt, und ſo zerrte er mich zum Zimmer hinaus auf die Terraſſe, war ganz begeiſtert von der Predigt, ein Mann iſts wies unter hunderttauſenden keinen wieder giebt! ein Mann der ſeine individuelle Natur von Gott durchdringen läßt! ein lebendiger Mann der leider die Weisheit den hölzernen Maulaffen vor¬ predigt. Kein Menſch hat Andacht, Geiſtes-Andacht hat kein Menſch! Maulandacht, und eine Zucht und eine Sitte, wie man Hunde dreſſirt: ſo dreſſirt die ganze Menſchheit ihr eigen Gewiſſen, ſie verſtehens nicht beſ¬ ſer, ſie wiſſen nichts davon, daß der ganze Menſch gar kein Richter mehr über ſich ſelber ſein ſoll, ſondern ein lebendiger Anger wo kein Urtheil mehr Statt findet, ſon¬ dern lauter Seelennahrung, lauter Himmelsſpeis der Weisheit; wahre Weisheit die kann nur genoſſen wer¬ den, nicht beurtheilt, denn die iſt größer als daß der geringe Verſtand ſie durchſchaut, aber ſo gehts! was hilft mich die chriſtliche Religion, die Menſchen ſind Narren und werdens bleiben, und da hats dem Herrn Chriſtus auch nicht beſſer geglückt, daß er da herunter gekommen iſt. Ein Narr der ſich Chriſt nennt iſt halt eben auch einer! wenn er hundertmal vom Him¬ melsthron herunter gekommen iſt, er hat tauben Ohren gepredigt wie unſer geiſtlicher Herr, oder Narren hat66 er gepredigt, die es nach ihrem Behagen ausgelegt haben. Wäſch mir den Pelz und mach mir ihn nicht naß, das iſt die ganze Geſchicht mit der Frömmigkeit. Thu die Augen auf und werd geſcheut, denn unſer Herrgott kann keine Eſel brauchen, aber Ihr werd 'Eſel bleiben, und ſo tragt nur Euer ſchwere Säck von Vorurtheil auf Euerm Buckel bis in alle Ewigkeit, Ihr ſeid doch zu nichts tauglich als die Mühl zu treiben, in der Euch der Kopf immer duſſeliger wird. Aber das war nicht al¬ les was der Voigt ſagte, und dabei machte er Sätze links und rechts. Jetzt erzähl ich Dir wieder weiter wie's noch mit dem rothen Kammerherrn weiter gegan¬ gen iſt, alle Tage ſind wir auf der Terraſſe, da giebt bald eine Dame bald die andre ein Goutée, und dann wieder die Prinzeß, aber der Krebs iſt immer wieder hinter mich gekommen, da hab ich mir eine Schawell aus unſerm Zimmer geholt und dicht neben die Kurprinzeß geſtellt, und mich drauf geſetzt; und nun iſt das alle Tag mein Platz, und da darf er nicht mehr an mich ſtreifen, und wenn wir ſpazieren gehen über die Bergrücken nach dem Thee, da nimmt mich die Kurprinzeß immer bei der Hand; ſie hat ein klein Blondchen weiß und roth, dem fliegen die Sonnenhaare ſo flammig um den Kopf, dem lieben Heſſenkind, ich könnt recht gut mit ihm ſpie¬67 len, ſie halten mich ja doch für ein Kind, weil ich keine Geſellſchaftsmanieren hab; Ball werfen, um die Wett laufen; aber ſo einem Prinzeßchen iſt nicht beizu¬ kommen; da iſt eine Frau von Gundlach die führt das Regiment, und Kammerfrauen die begleiten es. Dann iſt mirs auch nicht möglich mit einem Kind Komödie zu ſpielen, ich muß mit ihm ſein können unter Gottes Schutz, nicht unter Menſchenaufſicht. Prinzeßchen, in Gold und Silber angethan, zu ihrer Geburt kommen gute Feen die ſie beſchenken, das erfährt man in Feen¬ märchen. Was mögen ſie dem feinen Kind alles ge¬ ſchenkt haben? Gaben die es noch nicht zu brauchen weiß, wer wirds ihm lehren? Scheu! aber keine ſchein¬ heilige, ich hab ſie vor allem Kinderſchickſal, unent¬ faltet noch in ſo ſüßer Knospe verſchloſſen, man hat auch Scheu eine junge Knospe zu berühren die der Früh¬ ling ſchwellt. Ein Wiegenkindchen lallt ſo berührſam wie kein Geſpräch mit Menſchen. Nur allein mit dir iſt Sprechen lebendig, wo wir ohne Vor - und Nachurtheil, den Gedanken uns auf die Schwingen werfen, und jauch¬ zen, und gen Himmel fahren. Um ſo ein Kinderſchickſal möcht ich einen Kreis ziehn, das Erdenſchickſal wollt ich aufheben von ihm, daß es ganz gleichgültig wär ob ihm dies oder jenes zu Theil werde, und nur ſein himm¬68 liſch Weisheitsſchickſal darf gelten. Lautere Güte, das iſt der Erfriſchungsquell für die Kindernatur aus dem ſie Geſundheit trinkt und Abends wenns ſchlummert, da haucht es Segen, wie die ſchlummernden Sträucher auch Segen duften, an denen man hingeht in der Däm¬ merung. Ein Kindchen einwiegen bei Mondenſchein, dazu würden mir gewiß ſchöne Melodieen einfallen, was geht einem die Welt an, die verkehrt iſt. Alles was ich ſeh wie man mit Kindern umgeht, iſt Ungerechtigkeit. Nicht Großmuth, nicht Wahrhaftigkeit, nicht freier Wille ſind die Nahrung ihrer Seele, es liegt ein Sclavendruck auf ihnen. Ach wenn ein Kind nicht innerlich eine Welt hätte, wo wollt es ſich hinretten vor dem Sündenun¬ verſtand, der bald den keimenden Wieſenteppich über¬ ſchwemmt. Da ſagen die Leute, ein Kind darf nicht alles wiſſen. Wie dumm! Was es faſſen kann, das darfs auch wiſſen, für was hätte es die Macht zu begreifen? Der Geiſt langt wie eine Pflanze mit jungen Ranken hinaus in die Lüfte und will was faſſen, und da kommt der Unverſtand, an den kann er ſich freilich nicht anſaugen, da muß der Kindergeiſt abſter¬ ben; ſonſt, wie bald würde die Weisheit der Unſchuld, den Aberwitz der Unverſchämtheit beſchämen. Ungeduld und Zorn und Mißſtimmung werden ihnen wie Autori¬69 täten entgegengeſtellt, man ſchämt ſich vor ihnen keiner böſen Regung, vor Andern hütet man ſich wohl, da verſteckt man die böſe Natur, aber vor Kindern nicht, man denkt ſie begreifens noch nicht, man ſollte doch lie¬ ber auf ihre Reinheit bauen, die das Böſe nicht gewahr wird, oder auf ihre Großmuth, ſie verzeihen viel und rechnen es einem nicht an. Deswegen ſind ſie aber nicht witzlos und untüchtig für den höchſten Begriff. Aber die Menſchen ſind über ſich ſelber ſo dumm, ſie glauben in ihrem ſchmäligen Unrecht noch an ihre eigne Weisheit wie an einen Ölgötzen, dem ſie Opfer bringen aller Art, nur die eigne Bosheit erwiſchen ſie nicht bei den Ohren, um ſie einmal zu ſchlachten. Der knospenvolle Lebenstrieb wird nichts geachtet, der ſoll nicht aufgehen, aus dem die Natur, hervor ans Licht ſich drängen will; da wird ein Netz geſtrickt wo jede Ma¬ ſche ein Vorurtheil iſt, keinen Gedanken aus freier Luft greifen und dem vertrauen, alles aus Philiſterthum beweiſen und erfordern, das iſt die Lebensſtraße die ih¬ nen gepflaſtert wird, und wo ſtatt der lebendigen Na¬ tur lauter verkehrte Grundſätze und Gewohnheiten es umſtricken. Der Voigt ſagte, ihm ſei das Lachen und Weinen nah geweſen beim Examen in der Muſterſchule, wo der Molitor mit ſo großem Eifer die Judenkinder70 examinirt habe über die Großthaten der Römer und Griechen, wenn er dächte welchen ſchmutzigen Lebenspfad ſie wandern müßten, Zieh Schimmel zieh, im Koth bis an die Knie, ja da mag einer noch ſo ein weißer Schimmel ſein, er muß im Moraſt ſtecken bleiben; und das ganze Lehrgebäude iſt blos wie Fabelwerk, alles lehrt man durch Exempel, aber große Thaten die zeigt man nur wie die Chimära aus dem Bilderbuch, da dreht jedermann um und läßt ſie ſtehen ohne weitere Ge¬ brauchsanweiſung. Dieſe Bemerkungen ſind alle aus Geſprächen mit dem Voigt, der mir gern ſeine Weisheit bringt aus dem Grund weil ihn kein Menſch ſonſt an¬ hört, er ſagte ich bin jedermann langweilig, aber ich kann Ihnen verſichern die Leute ſagen Sie wären auch langweilig; er ſagte: aus einem Kind ſollte lauter Weis¬ heit hervorblühen, daß alles Denken freudige Religion in ihm würde ohne ihm das Kreuzſchlagen zu lehren, oder Heiden und Chriſten zu unterſcheiden, und ſeine Seele müßte aufblühen am Lebensſtamm ohne zu fragen nach Gutem und Böſem. Weißt Du was, heut hat ſich das zarte Kind in der Thür den Finger ſehr arg ge¬ klemmt, und die Kurprinzeß war ſehr erſchrocken, und ganz hinfällig geworden, denn es hat ihm ſehr arg weh gethan, mich hats auch geängſtigt, es hatte Fieber, jetzt71 liegts im Bett und ſchläft, als es beruhigt war ging die Kurprinzeß zur Erholung ſpazieren, ſie nahm mich mit, ich lief von ihrer Seite um ihr Blumen zu holen die ich in der Ferne ſah, die nimmt ſie mir immer freund¬ lich ab und zeigt mir wohl ſelbſt, welche ich pflücken ſoll, ich brach aber ſo viele und kletterte jede ſteile Seite hinan; die Damen wunderten ſich über meine großen weiten Sprünge, und ſagten ich beſchwere die Hoheit mit den vielen Blumen, ich band einen Strauß mit mei¬ nem Hutband und gab ihn ihr zu tragen, ich ſagte er ſei fürs kranke Kind zum Spielen, nicht ins Waſſer zu ſtellen; ſie trug den großen Strauß und wollte nicht daß man ihr ihn abnahm. Die Geſellſchaft wunderte, ſich über meine naive Art, damit meinen ſie Unart, ich merkte es; ſie halten mich für einen halben Wilden, weil ich wenig oder nie mit ihnen ſpreche, weil ich mich durchdränge wohin ich will, weil ich mich ohne Erlaub¬ niß an der Prinzeß Seite ſetze, als ob ich den Platz gepachtet habe, ſagt Frau von B. R., weil ich ſo leiſe geſchlichen komm daß mich keiner merkt, weil ich davon laufe und nur das Windſpiel vom Herzog von Gotha ſich mit mir zu ſchaffen macht, das mir nachſetzt und bellt wenn ich ins Gebüſch ſpring; der L. H. ſagte mir daß man ſich über meine Unart aufgehalten, den72 Hund ſo laut bellen zu machen; er erzählte mir aber nicht was ich von der Tonie hernach hörte, daß die Kurprinzeß ſagte: ſie iſt ein liebes Kind, und daß der Herzog von Gotha ſagte: ein allerliebſtes Kind. Nun, ich gefall mir ſelbſt gut.

Lieb Günderödchen, über allen Wechſel und Zer¬ ſtreuung von heute hinweg klingen noch immer die Worte der Predigt in mich hinein, als wär heut ein feierlicher Tag geweſen. Es iſt ja wahr, Du und ich ſind bis jetzt noch die zwei einzigen die mit einander denken, wir haben noch keinen Dritten gefunden der mit uns denken wollt; oder dem wir vertraut hätten was wir denken, Du nicht und ich nicht; Niemand weiß was wir mit einander vorhaben, und wir laſſen jetzt ſchon ein ganzes Jahr die Leute ſich wundern warum ich doch alle Tag ins Stift lauf. Aber den Geiſt¬ lichen, wärs in Frankfurt geweſen, den hätt ich ange¬ redet daß er mit mir zu Dir gegangen wär. Der hat gewiß keinen Freund ſein Geiſt wird ſein Freund ſein müſſen, der wird ihm antworten. Ich denk, ob ei¬ ner mit ſeinem eignen Geiſt reden kann? Der Dämon des Cocrates wo iſt der geblieben? Ich glaub jeder Menſch könnte einen Dämon haben der mit ihm ſpre¬ chen würde, aber worauf der Dämon antworten kann,das73das muß unverletztes Forſchen nach Wahrheit ſein; da mein ich mit, es darf ſich kein andrer Wille drein mi¬ ſchen, als blos die Begierde zur Antwort. Frage iſt Liebe, und Antwort Gegenliebe. Wo die Frage blos Liebe zum Dämon iſt, da antwortet er, der Lieb kann Geiſt nicht widerſtehen, wie ich nicht und Du nicht. So lang ich vom Socrates weiß, geh ich dem Gedan¬ ken nach, wie Er einen Dämon zu haben; er hatte wohl ein inneres Heiligthum, ein Aſyl wo der Dämon zu ihm kommen mochte, ich hab in mir geſucht nach dieſer Thüre zum Alleinſein, wo ich dieſem Weisheitsgeiſt ins Geſicht ſehen könnt, flehend um Lieb. Aber Du haſt recht, ein muthwilliger Wind jagt meine Gedanken wie Spreu auseinander, ich werd fortgeriſſen von einem zum andern von meiner Zerſtreutheit, dann iſts ſo nüchtern in mir, und ſo beſchämend öde wenn ich mich ſammeln will, wie ſoll da der Geiſt ſich einfinden, wo es ſo leer iſt, der Socrates hatte wohl große Thaten gethan vor¬ her, und nie ſeinen Genius verleugnet, dann kam er zu ihm. Ich ſag als zu mir, laß nur ab, der Geiſt würde von ſelber kommen, könnt deine Natur ihn her¬ bergen. Ich denk als der Geiſt muß entſpringen aus vereinigten Naturkräften und ich hab ſo keine Feuer¬ natur die ſich ſo concentriren kann daß der Geiſt aus474ihr entſpringe, aber ich wollt es doch, ich ſehne mich nach ihm. Ich hab ihn nicht, ich denk mir ihn aber, und trag ihm alles vor in meinen Nachtgedanken, und manchmal ſchreib ich an Dich als wärſt Du ſein Bote, und er würde durch Dich alles erfahren von mir. Manchmal wenn wir zuſammen ſchwätzten im Dunkel bei dem verglommenen Feuer in Deinem Öfchen, wo der März¬ ſchnee vom Baum vor Deinem Fenſter herunter fiel, da dacht ich, was ſchüttelt doch den Baum? und da war ich gleich ſo begeiſtert, als lauſche was und reize mich an, und Du ſagteſt es fülle ſich unſer Geſpräch mit Gas, ein Gedanke nach dem andern ſtieg in die Wolken, und verglichſt ſie mit romaniſchen Lichtern die hoch über uns ſich in ſanften Leuchtkugeln ausbreiten. Das Raſſeln im beſchneiten Baum, an der Wand das neugierige Mondlicht, das aufflammende Feuerchen, Du, und ich die mit Deinen Fingern ſpielte beim Sprechen, das war als ſo, daß ich dacht der Geiſt wär nah bei uns und trenne uns von allem Unſinn; und das Leben war auch ſo weit ab, auf der Straße wenn ich nach Haus ging, wenn mir da Menſchen begegneten, ſo wars wie eine Scheidewand zwiſchen mir und ihnen und zwi¬ ſchen allem was in der Welt vorgehe. Ja die Welt, die auch von Begeiſtrung leben ſollte wie der Baum75 vom Thau, die ſtrömt ſo viel Stickluft aus (Lange¬ weile), daß der Geiſt nicht erathmen kann.

Heut ſind die Früchte angekommen und die Blu¬ men all noch friſch, Dein Brief duftet mit dem Helio¬ trop und gelben Jasmin in meiner Bruſt, wo ich ihn hingeſteckt hab. Was Du mir ſagſt ſcheint mir auch vom Dämon durch Dich gemeldet, Du kleideſt ſeine Weisheit in Balſam hauchende Redeblüthen ich ſoll und muß Dir Recht geben, nicht wahr? Meinſt Du es wird den Dämon verdrießen wenn ich ihm nicht nachgebe mit der Eiferſucht? und daß meine Leiden¬ ſchaft in ſo ſtolzen Flammen aufſprüht, und will ihn gefangen nehmen wo er ſich verborgen hat in Dir? Eiferſucht fährt heraus aus dem Geiſt der Liebe als wärs der Dämon ſelber, ſie iſt eine ſtarke bewegende Kraft, ich weiß was ich ihr zu danken hab; ja viel¬ leicht iſt ſie eine Geſtalt, in die ſich der Dämon klei¬ det; wenn ich eiferſüchtig bin iſt mirs immer göttlich zu Muth, alles muß ich verachten, alles ſeh ich unter mir, weil es ſo hell in mir leuchtet und nichts ſcheint mir unerreichbar, ich fliege wo andre mühſelig kriechen; und während mirs im Herzen ängſtlich pocht, da rauſchts im Geiſt ſo übermüthig, ich biete Trotz, ſo arg Trotz, daß ich ohnmächtig werden muß, aber mein Muth ſinkt4*76nicht, der iſt noch ſtärker wenn ich mich erhole, nach was verlang ich denn? was will ich mir erzwin¬ gen? Ja es iſt gewiß der Dämon den ich wittere; als ich Dir in die Hand biß und an zu weinen fing, ſo war es doch der Dämon der mich neckte, nicht Deine Geheimniſſe die Du mit andern haſt die mich nichts an¬ gehen, ich weiß daß die nicht zwiſchen uns treten, und Du, wo willſt Du hin? Ich und Du, uns berührt nichts in unſerer Eigenthümlichkeit mit einander. Aber es ſchlägt Feuer aus mir daß ich Ihn faſſen will und will mich an ihn klammern, denn er war gewiß oft zwiſchen uns beiden, meine Ahnung war nicht falſch, und ich wollt ihn gern an mich reißen als ich von Dir ging, drum biß ich Dich und ſchrie. Ja es iſt Eifer¬ ſucht wie ſoll ich aber nicht eiferſüchtig ſein, es iſt ja die einzige Möglichkeit meines Gefühls, ſchmeichlen kann ich ihm nicht, ihm vertrauen wie kann ich das, ich weiß ja nicht, ob er mir lauſcht. Aber daß meine Eiferſucht rege wird, wo ich ihn ahne, daß ich da mäch¬ tig mit den Flügeln ſchlage um ihn, der mich ſelber dazu reizt, das iſt die Stimme der Wahrheit heißer Liebe. Ja! ja! ja! da brauch ich mich nicht zu erſchöpfen in Vorbereitungen, da bin ich nicht mehr zerſtreut, und zaghaft gar nicht. Ach Günderode! und nun antwor¬77 tet er mir ſo ſanft in Deinem Brief, Du biſt ganz mit¬ leidig geworden durch ihn, er hat Dich ſo geſtimmt und verkündet mir in Deinen Worten, wie der Baum der Treue zwiſchen uns erwachſen und erſtarken werde und daß ich nicht verzage. Ja ich glaubs daß er mir alles ſagt, was Du mir ſchreibſt, er verſüßt mir die Pauſen mit Träumen von ihm, und verheißt mir daß er allen Raum ausfüllen werde mit Geiſtesblüthen, wie das Meer mit Wellen ausgefüllt iſt. Ewigkeit iſt all¬ umfaſſendes Empfinden, nicht wahr, das ſagt die Nar¬ ciſſe zur Viole, und die ſenkt den Blick in den eignen Buſen und beſchränkt ſich in die Unumkränztheit der Liebe, die ſie da ahnt und faſſen lernt. Nicht alles iſt der Liebe fähig, aber wenn ich dem nachgehe, was ihrer fähig iſt, dann werd ichs durchdringen. Wo ſoll mein Geiſt den Fuß aufſetzen, überall iſt er fremd, wenn es nicht ſelbſt erobertes Eigenthum der Liebe iſt. Verſteh ich mich? ich weiß ſelbſt nicht. Die Au¬ gen ſind mir vor Schlaf zugefallen ſo plötzlich über dem Beſinnen, ich muß morgen früh um ſieben Uhr den Brief dem Bothen mitgeben, überdies brennt mein Licht ſo dü¬ ſter, es wird bald ausgehen, gute Nacht Brief! Der Mond ſcheint ſo hell in meine Stube, daß ſie ganz klingend ausſieht die Berge gegenüber ſind präch¬78 tig, ſie dampfen Nebel in den Mond. Alleweil will das Licht den Abſchied nehmen, ich will aber ſehen, ob ich nicht im Mondſchein ſchreiben kann. Ich bin ſo vergnügt, wie die Blätter wenn ſie ganz beregnet ſind vom Gewitter in der Nacht und der Himmel wird wie¬ der hell, und ſie ſchlafen dann ruhig ein, weils Gewit¬ ter vorbei iſt. Da hör ich ſchon die ganze Zeit einen fremdartigen Vogel ſchreien, ſollte das ein Käuzchen ſein, das die Frau Hoch einen Todtenvogel nennt, er ſchreit ganz dicht vor meinem Fenſter; ach Günderöd¬ chen ich ſchäm mich ein wenig, weil ich mich ein we¬ nig fürchte. Meine Stube iſt ſo düſter, das Licht wird gleich ausgehn, die Berge da üben ſind ſo grauſend, man ſieht ſonderbare Geſtalten, die kleine Quell unter meinem Fenſter ruſchelt ſo leiſ und bedächtig wie ein alt Hausgeſpenſt. Was bin ich ſo dumm? Da fällt mir der Dämon ein, und ſollt mich fürchten vor dem Käuzchen, ſiehſt Du ſo albern bin ich, und doch macht die inwendig Seel ſolchen Anſpruch, der Geiſt ſoll ſie heimſuchen, und fürcht mich vor dem Käuz¬ chen! gleich mach ichs Fenſter auf und ſeh nach ihm, da fliegts weg, die Sterne funklen zu tauſenden am Himmel, da unter meinem Fenſter ſteht meine alte In¬ validenſchildwach und paßt vermuthlich auf ein Ständ¬79 chen von meiner Guitarre, was er gewohnt iſt alle Nacht zu hören, ich werd ihm ein Lied von der heili¬ gen Jungfrau Maria ſingen, denn es iſt heut Maria Himmelfahrt und nicht Sonntag, wie ich irriger Weiſe ſagte, ich hab dieſe Seite im Mondſchein geſchrieben, Du wirſt nicht leſen können, nun es ſchad nichts, es ſteht auch nichts drauf, was Du nothwendig wiſſen müßteſt, es iſt mir doch ſo wohl ſeit dem kleinen Schauer¬ chen von Furcht, ich hab auch keinen Schlaf mehr. Der Mond ſchwimmt ſo eilig hinter den weißen Wölkchen hervor, daß es mir ordentlich im Herzen Gewalt an¬ thut. Ich muß ſingen, ſonſt muß ich weinen.

Gute Nacht. Bettine.

Günderödchen. Die Engländer ſind recht närriſche Paſſagiere, ſie brachten mir einen Brief vom L'ange mit, der mich warnt mich nicht in ſie zu verlieben. Der mit dem gepuderten Haupte, Mr. Haiſe ließ ſich geſtern in einem Nanquin-Morgenrock auf der Terraſſe ſehen und gelben Pantoffeln, die Tonie ſah zum Fenſter hin¬ aus, ſie wollte nicht hinunter, ſie ſchämte ſich vor den Leuten, wenn er mit ihr ſpreche, weil er ſo abſonderlich ausſieht. Ich ſah aber wie er herauflugte nach un¬ ſern Fenſtern, und wie er die Tonie erblickte, da rief80 er ſie an, bei dem herrlichen Wetter herunter zu kom¬ men, ich mußte mit; er ſpannte einen grünen Para¬ plüie über ihr auf um ſie vor der Sonne zu ſchützen, ſo mußte ſie mit ihm die Terraſſe auf und ab wandlen, ich lief herauf und machte eine Zeichnung davon, die ich der Tonie ins Arbeitskäſtchen legte, was ſie immer mit nimmt auf die Terraſſe zum Thee, und freute mich ſchon auf die Bewundrung, wenn es erblickt würde. Aber ſie legte das Papier ſchnell zuſammen und wickelte Seide drauf; ſie wollte nachher ſchmälen, ich hatte ihr aber einen ſo ſchönen Kranz gemacht von Farrenkraut, der ihr ſo gut ſtand und ihre Wunderſchönheit noch erhöhte, daß wir ganz content auf den Ball kamen, der beinah aus ſo viel Karrikaturen beſtand als Men¬ ſchen da waren. Der Clemens hat mir aus Weimar geſchrieben und mich gewarnt vor dem Verlieben, überflüſſig! wär er doch auf dem Ball geweſen höchſtens daß man einem Rippenſtoß ausgeſetzt iſt, ſonſt iſt keine Gefahr. L. H. war auch da mit ſeinen Schweſtern, wird alle Tage blauſchwärzer von ſeinen Stahlbädern; ſein extra weißer Jabot und Halsbinde machten dies in die Augen fallend, er war ſehr fein und elegant gekleidet, denn da er eine diplomatiſche Ambition hat, ſo verſäumt er keine Gelegenheit ſich81 ſtandesmäßig auszuzeichnen. So lange wir am Ein¬ gang ſaßen, wo viele Menſchen ſich drängten, merkte keiner was, als L. H. aber vortrat um irgend wem ſein Compliment zu machen, entdeckte man und Franz der an meiner Seite ſaß zuerſt, daß er ſtatt eines Fracks einen Joppel an hatte[ohne] Schößen, rund wie ein Fleiſcherwams, dies ſah gar zu närriſch aus, mit ſchwarzſeidnen Beinkleidern, weißſeidnen Strümpfen und Schnallenſchuh, kurz vollkommne Hofetikette und Feder¬ claque unterm Arm. Er hatte, während die Familie ſich zum Ball fertig machte, den Überrock angezogen, dann lief er in ſein Zimmer, wo ihm der Wind das Licht auslöſchte, um den Frack anzuziehen, und ergriff ſtatt deſſen einen engliſchen Halbrock, den die Herrn nach neuſter Mode bei kühler Witterung über den Frack anziehen. Er hatte ſich bis jetzt noch nicht von hinten dem großen Publikum präſentirt, und noch mit dem Rücken gegen uns gewendet; es wurde in Eile Concilium gehalten und beſchloſſen, zwei Damen, Lotte und die B. ſollten ihn geſprächsweiſe ſanft rückwärts ſchreiten machen, ohne ihm das verfänglich Dilemma, in welchem er ſich befinde, zu entdecken bis er gerettet ſei; dabei ſollten Tonie, Franz und Voigt eine kleine Hin¬4**82tertruppe bilden, um ſeinen Rückzug zu decken; ich wurde ausgemerzt von dieſer Expedition, weil ich vor Lachen über die unerſchöpflichen Witze von Franz un¬ tauglich dazu war. Der Zug rückte aus und drängte ſich ſchon zwiſchen manchen verwunderten Blick, der auf dem ſchößloſen Rücken haftete, ſie ſchlichen immer behutſamer heran je näher ſie kamen, ſo ſchleicht man ſacht hinter einem Vogel her, dem man Salz auf dem Schwanz ſtreuen will um ihn fangen zu können, aber er fliegt weg ehe man nah genug kommt; ſo kam es auch hier, als ſie ſchon ganz nah waren und eben ihn zu haſchen meinten, wendete er ſich plötzlich um. Ach! ich ſprang hinter den Vorhang am Fenſter und wickelte mich hinein, und biß in den Vorhang vor Lachvergnü¬ gen, und ging nachher auch fort, denn mir wars zu übermüthig für den Geſellſchaftsſaal; der Voigt beglei¬ tete mich und erzählte mir, daß die Arrieregarde ihn durchpaſſiren laſſen, ſich dann dicht angeſchloſſen und wie einen vornehmen Staatsgefangenen transportirt bis zum Eingang, dort habe er ſich nieder gelaſſen wo man ihm ſeine äſthetiſche Fatalität mittheilte und er ſich umgeben von ſeinen Getreuen zurückzog; jetzt würden ſie wohl die ganze Nacht kein Auge zuthun, denn da er bei dem heſſiſchen Hof angeſtellt ſein möchte, ſo iſt83 ihm gewiß bange ſein Schickſal untergraben zu haben durch den zipfelloſen Aufzug. Voigt ging noch eine Weile mit mir auf der Terraſſe wo es ſo ſtill war, man hörte die Violinen vom Ball; die Wolken überzogen prophezeihend (ein Gewitter nemlich) das Sternenheer, und ſenkten ſich auf unſere Berge, die Bäume ſtanden ſo ehrfurchtsvoll ſtill den Gewitterſegen erwartend; die ganze Gegend ſah aus als ob ſie ſich zu ihrem Schö¬ pfer wende, Voigt vergaß darüber ſeine unzähligen Witze, mit denen er mich überſchwemmt hatte, die ent¬ fernten Lichter und Feuer, die in den umliegenden Hüt¬ ten brennten, funkelten durch das Grün der Bäume, wie Opferfeuer zum Allliebenden, ſo weit man ſehen konnte ſah die Welt aus als ob ſie unſern Herrgott um eine ſanfte Nacht bitten wolle für Alle; für Dich und für mich, für unſer ganz Leben, bis an die letzte Nacht. So iſt die Natur ſüße Fürbitterin, immerdar; alle Seufzer wiegt ſie ein, ſo wollen wir ihr denn dan¬ ken dafür und ihr vertrauen bis an die letzte Nacht.

Der Clemens mit ſeinen Warnungen? Ich hab ihm heut geſchrieben. Die Linden blühen wohl noch und hauchen einem ſüß an, aber keine Menſchen, und die Natur iſt ſchöner und gütiger und größer als alle Weisheit dieſer Welt. Was einer mit mir ſpricht dar¬84 auf möcht ich ihm antworten mit einem Tannenzapfen, den ich ihm in die Hand drücke, oder eine Schnecke die am Weg kriecht, oder einen angebiſſnen Holzapfel, es wär im¬ mer noch geſcheuter als die Antwort, die mir einfällt. Mich geht kein Erdenſchickſal was an, weil ich doch nicht Freiheit es zu lenken hab; Wär ich auf dem Thron ſo wollt ich die Welt mit lachendem Muth um¬ wälzen, ſagte ich geſtern Abend zum Voigt. Meinet¬ wegen, ſagte er, Schad iſts nicht drum, auf der neuen Seite kann ſie nicht verkehrter liegen als auf der alten. Alle die mühſeligen Perſonagen, die etwas unter Narren bedeuten, ſind ein abſurdes Zeugniß von ihrer lächerlichen Autorität, ſolche haben ſo großen Re¬ ſpekt vor ihrer hohen Tendenz, daß ſie ſich nicht ge¬ trauen ſich ins Gewiſſen zu reden, ſie meinen was durch ſie geſchähe wär der Schickſalsſchlüſſel, der durch ſie die Zukunft aufſchließt die ſchon fertig da läge und nicht erſt durch ihren Unſinn verkehrt gemacht wird, ſie würden ſich nicht getrauen vollkommne Menſchen aus ſich zu bilden und allenfalls die Bedürfniſſe der höheren Menſchenrechte vor ſich ſelber zu vertreten; O nein! je dringender die Forderungen der Zeit ihnen auf den Hals rücken, je mehr glauben ſie ſich mit Philiſterthum verſchanzen zu müſſen und ſuchen ſich Nothſtützen an85 alten wurmſtichigen Vorurtheilslaſten, und erſchaffen Räthe aller Art, geheime und öffentliche, die weder heim¬ lich noch öffentlich anders als verkehrt ſind; denn das rechte Wahre iſt ſo unerhört einfach, daß ſchon deswegen es nie an die Reihe kommt. Wenn alle Phariſäer an der Regierungsmaſchine auf einmal die Staarſucht bekämen, es würde der Welt nichts ab¬ gehen an ihrer Geſundheit, nicht einmal verſchnupfen würde ſie. So politiſirt mir der Voigt gewöhn¬ lich unterm Sternenhimmel noch eine Stunde vor, wo ich bei ſchönem Wetter auf der menſchenleeren Terraſſe mit ihm wandle; er ſagt: hören Sie mir immer zu, Sie ſind noch jung und haben mehr Energie im Judi¬ cium vor den andern Allen, oder vielmehr: wo iſts ge¬ blieben könnte man die andern fragen, denen die Oh¬ ren nach Fablen jücken, und die ſich von der Wahr¬ heit abwenden oder ſie nach eignem Gelüſt auslegen, daß ſie ihnen zur Fabel wird. Den Voigt will kein Menſch anhören, jedermann ſchreit über ihn, ich aber fühl mich ſehr geehrt, daß er mir gern das ernſte Große ſeines Geiſtes darlegt, ich hör ihm begierig zu. Er iſt ſo kurz und entſchieden zwiſchen Recht und Unrecht, daß man keine Zeit im Schwanken verliert und daß man einen Heldencharakter bedarf ihm zu folgen. Für86 einen Freund muß man in den Tod gehen können. Wer nicht Alles hingiebt, den eignen Genuß, die ſelbſt¬ erworbne Größe um den Freund zu ſtützen, gehört nicht zu der Gattung Geſchöpfe, die Freundſchaft empfinden. Was iſt Gefühl? Farbe, die nicht lebendig iſt als nur im Lichtſtrahl, der iſt die Liebe alſo braucht man vor keinem Sentiment Reſpekt zu haben, es iſt lauter eingebildet Zeug. Es giebt tauſend Handlun¬ gen die man niemand verargen kann, wer aber Hoch¬ ſinn hat der wird ſelbſt aus Demuth ſolche Handlungen tödten, zum Beiſpiel: einer der ſeinem Freund alles Böſe was in ſeiner Natur ihm widerſpricht offenbarte, tödtet der nicht auf der Stelle alle Phariſäer? Das war noch geſtern Abend, was ich von ſeinem Ge¬ ſpräch behielt, nicht der zehnte Theil, denn er iſt raſch wie ein Schmied beim glühenden Eiſen; ich frug ihn warum er vor andern nicht auch ſo ſpreche, er ſagte wenn ich, mit einem Wein will trinken, ſo muß ich ei¬ nen Becher haben, in den ich ihn eingieße, Ihre Seele iſt ein Becher.

Montag Zwei -, dreimal zwiſchen Eichen und Buchen und jungem lichten Gebüſch, Berg auf Berg ab da87 kommt man an einen Fels, glatte glänzende Baſalt¬ fläche, die die Sonnenſtrahlen wie ein dunkler Zauber¬ ſpiegel auffängt, dazwiſchen grüne Moosſitze, heute Morgen war ich hierher gegangen, es iſt mein gewöhn¬ licher Spaziergang wenn ich allein bin, nicht zu weit und doch verſteckt, da ſah ich noch den Nebel wie jungen Flaum zwiſchen den Felsſpalten hin und her ſchwimmen, und über mir wards immer goldner, die Morgenſchatten zogen ab, die Sonne krönte mich, ſie prallte ſcharf vom ſchwarzen Stein zurück, ſie brennte ſehr ſtark, ſie drückte doch nicht meine Stirn, ich wollte eine Krone ſchon tragen, wenn ſie nicht ſchärfer drückt als die heiße Auguſtſonne, ſo ſaß ich und ſang gegen die Felſen hin und hörte aufs Echo, und die Regie¬ rungsgedanken ſtiegen mir in den Kopf. So nach Grundſätzen die Welt regieren, die in innerſter Werk¬ ſtätte meiner Empfindung erzeugt wären, und alles Philiſterthum um und um ſtoßen, das ſind ſolche Wünſche die an einem ſo heißen Sonnenmorgen mir in den Kopf ſteigen und wozu Voigts Sternengeſpräche einen ſtar¬ ken Reiz geben; er ſagte, alles Gefühl, aller Begriff werde zu einem Vermögen, es ziehe ſich wohl zurück, aber zur unerwarteten Stunde trete es wieder hervor, und da ſetze ich mich an einſame Orte und ſimulire88 ſo ins Blaue hinein und komme zu nichts, zu keinem hellen Augenblick, nur daß mir oft das Herz unbändig klopft wenn ich dran denke daß ich das Geſchrei der Philiſter, die des Geiſtes Stimme mit Grundſätzen be¬ drängen, durch das bloße Regiment meiner Empfindung erſticken wolle; ja es wär eine himmliſche Satis¬ faction für die Ruthenſtreiche womit ſie blind alle Be¬ geiſtrung verfolgen. Günderode, ich wollt Du wärſt ein regierender Herr und ich Dein Kobold, das wär meine Sach, da weiß ich gewiß daß ich geſcheut würde vor lauter Lebensflamme. Aber ſo! iſt es ein Wun¬ der daß man dumm iſt? Und ſo war ich bald im Sonnenbrand ganz träumeriſch verſunken, und jagte im Traum auf einem Renner wie der Wind, nach allen Weltgegenden, und richtete mit hoher übertragner Be¬ geiſtrung von Dir, die Welt ein, und kommandirte wohl auch hier und da mit einem Fußtritt mit einem Fluch dazwiſchen damit es geſchwind gehe, aber Dein Dra¬ molet zu leſen was ich mitgenommen hatte, mich recht hinein zu ſtudiren, das hab ich verſäumt durch die vie¬ len heftigen Bewegungen meiner Seele, ich mußte mich beſchwichtigen mit Schlafen was mich immer befällt, wenn mir die Schläfe ſo brennen vor heißem Eifer in die Zukunft. O Seelenbecher, wie kunſtreich und gött¬89 lich begabt iſt Dein Rand geformt, daß er die brauſen¬ den Lebensfluthen faßt, wie unrettbar wär ich ſonſt über dich hinausgebrauſt. Mein Freund das Wind¬ ſpiel hatte mich aufgeſpürt, es weckte mich mit ſeinem Bellen und wollte mit mir ſpielen, es bellte daß alle Felſen dröhnten und echoten, es war als wenn eine ganze Jagd los wär, ich mußte jauchzen vor Vergnügen und Luſt mit dem Thier; es hatte mir meinen Strohhut apportirt den ich dem ſteilen Fels hinabgeworfen hatte, mit ſo zierlichen langhalſigen Sprüngen ſo iſts wenn man einem gut iſt, da mißt man nicht die Gefahr des Abgrunds, man vertraut in die eignen Kräfte und es gelingt. Ach Günderode, es wär viel, wenn der Menſch nur erſt ſo weit wär ſeinem eignen Genie zu trauen wie ſo ein Windſpiel, es legte mir ſeine Pfoten um den Hals wie es mir meinen Hut gebracht hatte ohne ihn zu verderben; ich nannte es zum Scherz Ero¬ dion, und dachte ſo müſſe der an der Göttin Imortalita hinauf geſehen haben, denn es iſt ſo edel und ſchön und kühn, und Menſchen ſehen nicht leicht ſo einfach groß und ungeſtört aus in ihrer Weiſe, wie Thiere es oft ſind. Der Herzog war dem Bellen ſeines Hundes nach¬ gegangen und kam hinter den Bäumen hervor, er fragte warum ich den Hund ſo nenne dem er Cales ruft, und90 ſagte es ſei der Name eines Wagenführers vor Troja den der Diomedes erſchlagen, ich zeigte ihm Dein Ge¬ dicht um zu erklären wo mir der Name Erodion her¬ komme, er ſetzte ſich auf den Fels und las es theilweis laut und machte mit dem Bleiſtift Bemerkungen, die ſend ich Dir, Du ſiehſt, er hat es mit Sammlung ge¬ leſen und dann ſogar mit Liebe. Ich weiß nicht wie oft Dich der Zufall begünſtigen wird die feineren Saiten der Seele zu rühren, ſo wirds Dich freuen. Er frug mich ob ich denn das Gedicht verſtehe? ich ſagte Nein! aber ich leſe es gern, weil Du meine Freundin ſeieſt und mich erziehſt. Er ſagte eine Knospe iſt dieſes kleine ſorgſam vor jeder fremden Einwirkung geſchützte Erzeugniß, die die große Seele der Freundin umſchließt, und in dieſen ſanft gefalteten Keimen einer noch un¬ entwickelten Sprache ſchlummern Rieſenkräfte. Die In¬ ſpiration der Wiedergeburt hebe ahnungsvoll die Schwin¬ gen in Dir; und weil die Welt zu ſchmutzig ſei für ſo kindlich reine Verſuche, Deine Ahnungen auszuſprechen, ſo werde ſie dieſen anſpruchloſen Schleier der Deine weit ausgreifende Phantaſie und Deinen hohen philo¬ ſophiſchen Geiſt umſchlinge, nicht entfalten. Ich ließ mir dieſes Lob verwundert gefallen; er begleitete mich, ich mußte ihm auf dem Weg von Dir erzählen, von91 unſerm Umgang, von Deinem Weſen, von Deiner Ge¬ ſtalt, da hab ich mich zum erſtenmal beſonnen wie ſchön Du biſt, wir ſahen eine vollſaftige weiße Silberbirke in der Ferne mit hängenden Zweigen die mitten am Fels aus einer Spalte aufgewachſen iſt und vom Wind ſanft bewegt gegen das Thal ſich neigt; unwillkührlich deu¬ tete ich hin wie ich von Deinem Geiſt ſprach und auch von Deiner Geſtalt, der Herzog fragte, die Freundin werde wohl jener Birke gleich ſein auf die ich hinweiſe? Ich ſagte, Ja. So wollte er mit mir zuſammen hin und Dich von nahem beſchauen, aber es war ſo glatt und ſteil da hinan, ich meinte nicht daß wir hin kom¬ men würden, er vertraute auf den Cales der werde uns ſchon einen Weg ausfinden. Was hat ſie denn für Haar? Schwärzlich glänzend braunes Haar, das in freien weichen Locken wie ſie wollen ſich um ihre Schultern legt. Was für Augen? Pallas¬ augen blau von Farbe, ganz voll Feuer, aber ſchwim¬ mend auch und ruhig. Und die Stirn? Sanft und weiß wie Elfenbein, ſtark gewölbt und frei, doch klein, aber breit wie Platon's Stirn; Wimpern die ſich lächelnd kräuſeln, Brauen wie zwei ſchwarze Drachen die mit ſcharfen Blick ſich meſſend, nicht ſich faſſend und nicht laſſend, ihre Mähnen trotzig ſträuben, doch aus92 Furcht ſie wieder glätten. So bewachet jede Braue, auf¬ geregt in Trotz und Zagheit ihres Auges ſanfte Blicke. Und die Naſe, und die Wange? Stolz ein wenig und verächtlich, wirft man ihrer Naſe vor, doch das iſt weil alle Regung, gleich in ihren Nüſtern bebet, weil den Athem ſie kaum bändigt, wenn Gedanken auf¬ wärts ſteigen von der Lippe, die ſich wölbet friſch und kräftig, überdacht und ſanft gebändigt von der feinen Oberlippe. Auch das Kinn mußt ich beſchreiben, wahrlich, ich hab nicht vergeſſen daß Erodion dort ge¬ ſeſſen und ein Dellchen drinn gelaſſen das der Finger eingedrückt, während weisheitsvolle Dichtung füllet ihres Geiſtes Räume; und die Birke ſtand ſo prächtig, ſo durchgoldet, ſo durchliſpelt von der Sonne, von den Lüftchen, war ſo willig ſich zu beugen, hold dem Strom der Morgenwinde, wogte ihre grünen Wellen freudig in den blauen Himmel, daß ich nicht entſcheiden konnte was noch zwiſchen beiden liege, jenem zukömmt und dem andern nicht. Cales fand mit manchen Sprüngen erſt den Weg zur Birke, dann der Herzog, ich blieb zu¬ rück, ich hätte leicht nachkommen können, aber ich wollte nicht in ſeiner Gegenwart. Er ſchnitt dort Buchſtaben in die Rinde ganz unten am Fuß und ſagte, er wolle ſie ſolle die Freundſchaftsbirke heißen; und er wolle auch93 unſer Freund ſein. Ich war bereitwillig dazu, Ach laß ihn, er kommt den Winter nach Frankfurt, erſtlich ver¬ gißt ein Prinz leicht ſo was über vielen andern Zer¬ ſtreuungen, denn der glaubt gar nicht daß es möglich wär, daß wenn man ſich ganz an etwas hingäbe, daß dadurch grade allein der Scharfblick die Wägungskraft der Allſeitigkeit entſpringe, nach der ſie alle jagen und ſich drin verflattern und dann iſt er auch krank und hat wenig geſunde Tage, einem ſolchen muß man alle heilende Quellen zuſtrömen. Adieu. Morgen Nach¬ mittag iſt eine große Parthie zu Eſel und morgen Vor¬ mittag geht die gute Kurprinzeſſin weg. Und in aller Früh um drei Uhr wollen die Engländer mit uns einen Berg erſteigen und die Sonne aufgehen ſehen, die andern wollten den Voigt nicht mit haben, ich habs ihm aber doch geſteckt, ſonſt langeweile ich mich, ſo wie die andern behaupten, daß er ſie langeweilt. Morgen früh kommt die Bothenfrau, ich ſchicke dieſen Brief mit, obſchon er noch nicht ſo gefährlich lang iſt wie mein erſter, aber du biſt maulhängoliſch und da will ich Dich ein bischen kitzeln, mit der unmuthigen Geſchichte vom Herzog, daß Du mit Gewalt lachen mußt wenn Du auch noch ſo ſehr den Mund zuſammenziehſt. Gelt es macht Dir doch Plaiſir? Ich hab mir ſeine Liebeserklärung94 abgeſchrieben an Deine Immortalita, die von ſeiner Hand gehört Dein er hats geſchrieben für Dich, Du kannſt Werth darauf legen, ich hör daß er ſehr berühmt iſt, großartig, witzig, und ſehr gefürchtet deswegen von manchen Menſchen, er wär aber auch ſehr großmüthig und gutmüthig, aber viele wollen doch nicht gern mit ihm zu thun haben aus Furcht ſeine beſte Freundlich¬ keit wär doch ein heimlicher Witz. Was das für eine Narrheit iſt, über mich möcht einer ſich luſtig machen ſo viel er wollt, es wär mir recht angenehm wenns ihm Plaiſir macht.

Bettine.

95

Beilage zum Brief an die Günderode. Immortalita.

Perſonen.

Immortalita, eine Göttin. Erodion. Charon. Hekate.

Erſte Scene.

Eine offene ſchwarze Höhle am Eingang der Unterwelt, im Hintergrunde der Höhle ſieht man den Stir und Charons Nachen der hin und her fährt, im Vordergrund der Höhle ein ſchwarzer Altar worauf ein Feuer brennt. Die Bäume und Pflanzen am Eingang der Höhle ſind alle Feuerfarb und ſchwarz, ſo wie die ganze Dekoration, Hekate und Charon ſind ſchwarz und Feuer¬ farb, die Schatten hellgrau, Immortalita weiß, Erodion wie ein römiſcher Jüngling gekleidet. Eine große feurige Schlange die ſich in den Schwanz beißt, bildet einen großen Kreis, deſſen Raum Immortalita nie überſchreitet.

Immortalita (aus der Betäubung erwachend). Cha¬ ron! Charon.

Charon (ſeinen Kahn inne haltend). Was rufſt du mich?

Immortalita. Wann kommt die Zeit?

96

Charon. Sieh die Schlange zu deinen Füßen, noch iſt ſie feſt geſchloſſen, der Zauber dauert ſo lange dieſer Kreis dich umſchließt, du weißt es, warum fragſt du mich?

Immortalita. Ungütiger Greis, wenn es mich nun tröſtet, die Verheißung einer beſſern Zukunft noch einmal zu vernehmen, warum verſagſt du mir ein freundlich Wort?

Charon. Wir ſind im Land des Schweigens.

Immortalita. Wahrſage mir noch einmal.

Charon. Ich haſſe die Rede.

Immortalita. Rede! Rede!

Charon. Frage Hekate (er fährt hinweg).

Immortalita (ſtreut Weihrauch auf den Altar). He¬ kate! der Mitternacht Göttin! der Zukunft Enthüllerin die ſchläft in des Nichtſeins dunklem Schooß! Geheim¬ nißvolle Hekate! Hekate! erſcheine.

Hekate. Mächtige Beſchwörerin! Was rufſt du mich aus den Höhlen ewiger Mitternacht; dies Ufer iſt mir verhaßt, ſein Dunkel zu helle, ja mir däucht ein niedrer Schein aus des Lebens Lande habe hierher ſich verirrt.

Immortalita. O vergieb Hekate! und erhöre meine Bitte.

He¬97

Hekate. Bitte nicht, du biſt hier Königin, du herrſcheſt hier und weiſt es nicht.

Immortalita. Ich weiß es nicht! warum kenn 'ich mich nicht?

Hekate. Weil du nicht dich ſelber ſehen kannſt.

Immortalita. Wer wird mir einen Spiegel zeigen, daß ich mich ſchaue?

Hekate. Die Liebe.

Immortalita. Warum die Liebe?

Hekate. Weil ihre Unendlichkeit nur ein Maas für deine iſt.

Immortalita. Wie weit erſtreckt ſich mein Reich?

Hekate. Über jenſeit einſt, über Alles.

Immortalita. Wie? die undurchdringliche Scheidewand, die mein Reich ſcheidet von der Oberwelt, wird ſie einſt zerfallen?

Hekate. Sie wird zerfallen! Du wirſt wohnen im Licht! alle werden dich finden.

Immortalita. O wann wird dies ſein?

Hekate. Wenn gläubige Liebe dich der Nacht entführt.

Immortalita. Wann? in Stunden? in Jahren?

598

Hekate. Zähle nicht die Stunden, bei dir iſt keine Zeit. Siehe zur Erde! die Schlange, die ängſtlich ſich windet, feſter beißt ſie ſich ein, vergeblich möcht in ihrem engen Kreis ſie dich gefangen halten, vergeblich iſt ihr Widerſtand; des Unglaubens Herrſchaft, der Barbarei und der Nacht ſinkt dahin.

(Sie verſchwindet.)

Immortalita. O Zukunft wirſt du ihr gleichen? jener ſeligen fernen Vergangenheit, wo ich mit Göttern in ewiger Klarheit wohnte. Ich lächelte ſie Alle an, und ihre Stirnen verklärten mein Lächeln wie kein Nektar ſie verklären konnte, und Hebe dankte ihre Jugend mir, und immer blühender Aphrodite ihre Reize. Aber durch der Zeiten Finſterniß getrennt von mir, noch ehe mein Hauch ihnen Dauer verliehen, ſtürz¬ ten von ihren Thronen die ſeligen Götter, und gingen zurück in die Lebenselemente; Jupiter in des Urhimmels Kräfte, Eros in die Herzen der Menſchen, Minerva in die Sinne der Weiſen, die Muſen in der Dichter Ge¬ ſänge; und ich Unſeligſte von Allen wand nicht des unverwelklichen Lorbeers um die Stirne dem Helden, dem Dichter. Verbannt in dies Reich der Nacht, der Schatten Land, dies düſtere Jenſeit. muß ich der Zu¬ kunft nun entgegen leben.

99

Charon (fährt mit Schatten vorüber). Neigt euch Schatten, der Königin des Erebos, daß ihr noch lebt nach eurem Leben, iſt ihr Werk.

Chor der Schatten.

Stille führet uns der Nachen
Nach dem unbekannten Land,
Wo die Sonne nicht wird tagen
An dem ewig finſtern Strand.
Zagend ſehen wir ihn eilen,
Denn der Blick möcht noch verweilen
An des Lebens buntem Rand.

(Sie fahren weg.)

Die vorige Scene.

Charons Nachen landend. Erodion ſpringt ans Ufer. Im¬ mortalita im Hintergrund.

Erodion. Zurück Charon, von dieſem Ufer, das kein Schatten darf betreten! Was ſiehſt du mich an? Ich bin kein Schatten wie ihr; eine frohe Hoffnung, ein träumeriſcher Glaube haben meines Lebens Funken zur Flamme angefacht.

Charon (für ſich). Gewiß iſt dieſer der Jüngling der die goldne Zukunft in ſich trägt (er fährt ab mit ſeinem Nachen).

Immortalita Ja du biſts von dem Hekate mir weiſſagte, bei deinem Anblick werde des Tages Strahl5*100durch dieſe alte Hallen, durch dieſe erebiſche Nacht her¬ einbrechen.

Erodion Wenn ich der Mann bin deiner Weiſſa¬ gungen, Mädchen oder Göttin! wie ich dich nennen ſoll, ſo glaube, du biſt die innerſte Ahnung des Her¬ zens mir.

Immortalita. Sage, wer biſt du, wie heißeſt du, und wo fandſt du den Weg zum pfadloſen Ge¬ ſtade hierher? wo Schatten nicht, noch Menſchen wandlen dürfen, nur unterirdiſche Götter.

Erodion. Ungern möcht 'ich zu dir von an¬ derm reden, als nur von meiner Liebe. Aber red ich dir von meiner Liebe ſo iſts ja mein Leben. Höre mich denn: Eros Sohn bin ich und ſeiner Mutter Aphro¬ dite, der Liebe und Schönheit Doppelverein hatte in mein Daſein ſchon die Idee jenes Genuſſes gelegt, den ich nirgend fand, und überall doch ahnete und ſuchte. Lange war ich ein Fremdling auf Erden, von ihren Schattengütern mocht ich nichts genießen, bis träumend mir durch deine Eingebung eine dunkle Vorſtellung von dir in die Seele kam. Überall geleitete mich dieſer Idee Abglanz von dir, überall verfolgte ich ihre ge¬ liebte Spur, auch wenn ſie mir untertauchte im Land der Träume, und ſo führte ſie mich zu den Thoren der101 Unterwelt, aber nie konnt ich zu dir durchdringen; ein unſelig Geſchick rief mich immer wieder zu der Oberwelt.

Immortalita. Wie Knabe! ſo haſt du mich geliebt, daß lieber den Hälios und das Morgenroth du nicht mehr ſehen wollteſt, als mich nicht finden?

Erodion. So hab ich dich geliebt, und ohne dich, konnte die Erde nicht mehr mich ergötzen, nicht mehr der blumige Frühling, der ſonnige Tag, die thauige Nacht, die zu beſitzen der finſtere Pluto gern ſein Zepter hätt vertauſcht. Aber wie eine größere Liebe in meiner Eltern Umarmungen ſich vereint hatte, als alle andre Liebe, denn ſie waren die Liebe ſelbſt, ſo die Sehnſucht auch, die zu dir mich trieb, war die mächtigſte, und über alle Hinderniſſe ſiegreich war mein Glaube dich zu finden; denn meine Eltern wußten, daß der aus Lieb und Schönheit entſprungen, nichts höheres auf Erden finde, als ſich ſelbſt, und hatten dieſen Glauben zu dir, mir gegeben, daß meine Kraft nicht ſollt ermüden, nach Höherem zu ſtreben außer mir.

Immortalita. Aber wie kamſt du endlich zu mir? unwillig nimmt Charon Lebende in das morſche Fahrzeug, für Schatten nur erbaut.

Erodion. Einſt war mein Sehnen dich zu ſchauen ſo groß, daß alles was die Menſchen erdacht102 dich ungewiß zu machen, mir klein erſchien und nichtig. Muth begeiſterte mein ganzes Weſen: ich will nichts, nichts als ſie beſitzen, ſo dacht ich, und kühn warf ich dieſer Erde Güter alle, weg von mir, und führte mein Fahrzeug hin zu dem gefahrvollen Fels, wo alles Irdiſche ſcheitern ſollte. Noch einmal dacht ich: wenn du alles verlörſt um nichts zu finden? aber hohe Zuverſicht verdrängte den Zweifel, fröhlich ſagt 'ich der Oberwelt das letzte Lebewohl, die Nacht verſchlang mich, eine gräßliche Pauſe! ich fand mich bei dir. Die Fackel meines Lebens flammt noch jenſeit der ſtygiſchen Waſſer.

Immortalita. Die Heroen der Vorwelt ha¬ ben dieſen Pfad ſchon betreten, der Muth hat her¬ über zu ſtreifen gewagt, aber der Liebe nur war vor¬ behalten, ein dauernd Reich hier zu gründen. Die Be¬ wohner des Orkus ſagen, mein Daſein hauche ihnen unſterbliches Leben ein; ſo ſei denn auch du unſterb¬ lich; denn du haſt Unnennbares in mir bewirkt, ich lebte ein Mumienleben, aber du haſt mir eine Seele eingehaucht. Ja, theurer Jüngling! in deiner Liebe er¬ blicke ich mich verklärt; ich weiß nun wer ich bin, weiß, daß ein ſonniger Tag dieſe alten Hallen beglän¬ zen wird.

103

Hekate tritt hinter dem Altar hervor.

Hekate. Erodion! trete in den Kreis der Schlange. (Er thut es: die Schlange verſchwindet.) Zu lange, Immor¬ talita, warſt du, durch die Macht des Unglaubens und der Barbarei, von Wenigen gekannt, von Vielen be¬ zweifelt, in dieſen engen Kreis gebannt. Ein Orakel, ſo alt als die Welt, ſagt, der glaubigen Liebe werde gelingen, dich ſelbſt in dem erebiſchen Dunkel zu finden, dich hervorzuziehen und deinen Thron in ewiger Klarheit, zu gründen, zugänglich für Alle. Dieſe Zeit iſt nun gekommen, dir, Erodion, bleibt nur noch etwas zu thun übrig.

Der Schauplatz verwandelt ſich in einen Theil der eliſaiſchen Gärten, die Scene iſt matt erleuchtet, man ſieht Schatten hin und wieder irren. Zur Seite ein Fels, im Hintergrund der Styx und Charons Nachen.

Die Vorigen.

Hekate. Sieh Erodion, dieſen Einſturzdrohen¬ den Fels, er iſt die unüberſteigliche Scheidewand, der des ſterblichen Lebens Reich von dem deiner Gebie¬ terin ſcheidet, er verwehrt der Sonne ihre Strah¬ len her zu ſenden, und getrennten Lieben ſich wie¬ der zu begegnen. Erodion! verſuche es, dieſen Fel¬ ſen einzuſtürzen, daß deine Geliebte auf ſeinen Trüm¬104 mern aus der engen Unterwelt ſteigen möge; daß fer¬ ner nichts Unüberſteigliches das Land der Todten von dem der Lebenden mag trennen.

Erodion ſchlägt an den Felſen, er ſtürzt ein, es wird plötz¬ lich helle.

Immortalita. Triumph! der Fels iſt geſunken, von nun an ſei den Gedanken der Liebe, den Träu¬ men der Sehnſucht, der Begeiſterung der Dichter ver¬ gönnt, aus dem Lebenslande in das Schattenreich her¬ abzuſteigen und wieder zurück zu gehen auch.

Hekate. Heil! dreifaches, unſterbliches Leben, wird dies blaſſe Schattenreich beſeelen, nun dein Reich gegründet iſt.

Immortalita. Komm Erodion, ſteige mit mir auf, in ewige Klarheit; und alle Liebe, alles Hohe ſoll meines Reiches theilhaftig werden. Du Cha¬ ron, entfalte deine Stirn, ſei freundlicher Geleiter de¬ nen, die mein Reich betreten wollen.

Erodion. Wohl mir, daß ich die heilige Ahnung meines Herzens, wie der Veſta Feuer, treu bewahrte; wohl mir, daß ich, der Sterblichkeit zu ſterben, der Unſterblichkeit zu leben, das Sichtbare dem Unſichtbaren zu opfern, Muth hatte.

105

Von der Hand des Herzogs Emil Auguſt von Gotha auf das Manuſcript der Immortalita geſchrieben.

Es iſt eine Kleinigkeit, die deiner Aufmerkſamkeit nicht werth iſt, daß ich es ein Geſchenk des Himmels achte, dich zu verſtehen, du edles Leben. Siehſt du zur Erde nieder, giebſt gleich der Sonne du, ihr einen ſchö¬ nen Tag, doch auf zum Himmel wirſt du vergeblich ſchauen, ſuchſt deines Gleichen du unter den Sternen.

Wie friſche Blüthenſtengel ſo ſchmückt deiner Ge¬ danken ſorglos Leben den bezwungenen Mann; ſein Buſen bebt von tiefen Athemzügen, wenn dein Geiſt gleich aufgelöſten Locken, die jetzt dem Band entfallen, ihn umſpielt.

Er ſieht dich an, ein Liebender! wie ſtille Roſen und ſchwankende Lilien ſchweben deiner ſegnenden Ge¬ danken Blicke ihm zu. Vertraute, nahe dem Herzen ſind ſie. Wahrhaftiger, heller und ſchöner beleuchten ſein Ziel ſie ihm und ſeinen Beruf, und auf ſchweigen¬ dem Pfade der Nacht, ſind hochſchauende Sterne, Zeu¬ gen ſeiner Gelübde dir.

5**106

Doch iſt eine Kleinigkeit nur, die deiner Aufmerk¬ ſamkeit nicht werth iſt, daß ich als ein Geſchenk des Himmels es achte, dich zu verſtehen, du edles Leben.

Emil Auguſt.

An die Bettine.

Dein Brief liebe Bettine iſt wie der Eingang zu einem lieblichen Roman, ich habe ihn genippt wie den Becher des Lyäus der ein Sorgenbrecher iſt, es that mir auch ſehr wohl, mich bewegten grade Sorgen um Dinge, die eine nothwendige Folge des Lebens und daher nicht unerwartet ſind; die ich Dir nicht mittheile weil ſie in Deinen Lebensgang nicht einſtimmen*)Ihr war eine Schweſter geſtorben.. Du biſt mein Eckchen Sonne das mich erwärmt wenn überall ſonſt der Froſt mich befällt. Ich werde die Stadt auf ein paar Wochen verlaſſen, ein Brief wird mich am Donnerſtag noch treffen, dann aber, den nächſten find ich wenn ich zurückkomme, und dann ſind wir bald wieder ganz bei¬ ſammen. Laſſe Deine Briefe recht heiter ſein ohne ſchwer¬107 müthigen Nachklang, Deiner Natur iſt eine freie unge¬ hemmte Lebensluſt gemäß; die trüben mißmuthigen Re¬ gungen mit denen Du zuweilen prahlſt, ſind nur Zeichen geheimnißvoller Gährungen denen der Raum zu eng iſt ſich zu läutern, das muß ich glauben wenn ich Deine jetzige natürliche Stimmung vergleiche mit jener gereizten, die Dich zuletzt hier befiel, wo mir ganz bange um Dich war. Es war Dir nichts weiter nöthig, als die been¬ gende Stadtluft nicht mehr zu athmen. Du biſt wie eine Pflanze, ein bischen Regen erfriſcht Dich, die Luft begeiſtert Dich und die Sonne verklärt Dich. Die Tonie ſchreibt hierher daß Du geſund ausſäheſt und keine Spur von der interreſſanten Bläſſe übrig ſei; rathe wer darüber ſeinen Ärger nicht verhehlen kann? Elle ne sera plus ce quelle a été gab er mir auf alle Troſtgründe zur Antwort. Indeſſen hoffe ich daß unſereins auch noch bei Dir gilt, und mir iſts lieber daß Du auf Koſten jener interreſſanten Bläſſe zunimmſt, als daß ich immer hören muß Deine Lebendigkeit werde Dich noch tödten, was komiſch klingt und auf mich geſtichelt iſt. Ich habe mir ſelber die Vorwürfe nicht erſpart. Was Du Schlaftrunkenheit nennteſt, das war nach Sömmering Nervenfieber, er ſagt Du habeſt keinen Sinn für Krankheitszuſtände, Du habeſt die Kinder¬108 krankheiten wie luſtige Spiele durchgemacht, diesmal ſei es von überſpanntem Studiren gekommen. Die phi¬ loſophiſchen Ausdrücke Abſolutismus, Dualismus, höchſte Potenz ꝛc. mit denen Du in Deine Fieberphantaſien ſpielteſt zeugten wider mich. Ich habe mir feſt vorgenommen, dieſen Winter nur ſolche Sachen mit Dir zu treiben, die Dir recht von Herzen zuſagen. Ich bin zwar nicht ſo ganz allein an dieſem Mißgriff ſchuld, Andre denen ich vertraue, die wie mir ſchien nicht mit Unrecht Dir viel philoſophiſchen Sinn zuſprechen, meinten er müſſe entwickelt werden, ich folgte unſchuldig dieſen Weiſungen und nahm Deinen Widerſpruch für die ge¬ wohnte Unbequemheit, Dich etwas Ernſtem zu fügen. Der Hohenfeld ſagte mir, Ebel erzähle Du habeſt aus überreiztem Widerwillen gegen die Philoſophie ſtarkes Erbrechen gehabt, daraus ſich ein galliges Nervenfieber gebildet habe; er warnte mich und ſagte Du ſeieſt ein unbedeutendes Mädchen und kein philoſophiſcher Kopf, der Deine könne zwar übermüthig und überſpannt, weiſer aber nicht werden ꝛc. Ich errieth daß er ein diplomatiſcher Abgeſandter ſei von klugen Leuten, die viel von einem wiſſen und von denen man nichts weiß; ſeine Citatio¬ nen von überſpannten Reden und abſurden Behaup¬ tungen die hier unter den Philiſtern im Umlauf ſind,109 ergötzten mich: Dein eigner Brief der wie der junge Strauch das kränkelnde Laub abwirft und in friſchen Trieben ergrünt, macht mich mit dem guten Hohenfeld einverſtanden über Deine Unbedeutenheit, auch gefällt ſie mir beſſer, als was ich an Gelahrtheit Dir zuſchan¬ zen könnte, Du biſt gefühlig für die Alltäglichkeit der Natur, Morgendämmerung, Mittagſchein und Abend¬ wolken ſind Deine lieben Geſellen mit denen Du Dich verträgſt wenn kein Menſch mit Dir auskommt. Wenn Du willſt ſo können wir umtauſchen und ich Dein Jünger werden in der Unbedeutenheit, ſo wie Du Dich für meinen Schüler hielteſt als ich einen ſtarken Geiſt aus Dir bilden wollte. Jetzt wo es rückwärts geht muß Du mein Lehrer ſein, ein Zaghafter kann ſicherer bergauf gehen, aber einen ſteilen Weg hinab, dazu gehört Entſchloſſenheit, die haſt Du, Du ſchwindelſt nicht und haſt Dich noch nie beſonnen über Hecken und Gräben zu ſetzen. Es dämmern mir ſchon ganz glück¬ liche Spekulationen über den Geiſt der Unbedeutenheit auf; ich hatte unſägliche Luſt de[m]Domdechant, der mich ſo hoch ſtellt, als Überläufer ein paar Dummhei¬ ten zu ſagen, die ihm Zweifel in ſein Urtheil gäben, ich habe ihm auch eine geſagt worüber er die Hände zuſammenſchlug, und meine Behauptung, daß ich viel110 von Dir empfange und Dein Umgang mich belehre, auf mein Unvermögen mich ſelbſt zu ſchätzen ſchob, das mir da einen abſurden Streich ſpiele, alle Welt wundere ſich daß ich meine Zeit mit dem Sauſewind verbringe und ihm vor andern ſolche köſtliche Minuten ſchenke. Nun es wird mir nicht fehlen daß mir nächſtens die ergötzliche Unbedeutenheit aus dieſen meinen Verkehrt¬ heiten zuerkannt werde, um die mich keiner beneiden wird weil man eben das Bedeutende nicht zu ſchätzen weiß. Ich ahne ſehr hell, daß wenn in dem beſcheide¬ nen Knospenzuſtand Unbedeutenheit verborgen, nicht der volle innere Lebenstrieb wirkte, das Bedeutende nie ans Licht blühen würde, am wenigſten wenn diebiſcher Eigennutz ſich der Zeit vordrängt blos um auf der Höhe zu ſtehen, wo die Andern zu ſeinen ſchimmernden Phan¬ tomen aufſehen müſſen. Wie die Titanen mit großem Gepolter ihre Treppe zu der Götter Burgen aufthürm¬ ten, und die ſtillen Gipfel des Olympos als unbedeutend hinabſtürzten. Eins empfinde ich in Dir, daß die Na¬ tur das Ideal des Menſchengeiſtes, gleichwie das Pflan¬ zenglück unter warmer, nährender Decke vorbereiten muß, ſonſt werden die Menſchen davon nicht wachſen und reifen und im Sonnenglanze grünen.

Deine Begebenheiten, Deine Bemerkungen, alles111 macht mir Freude, ſorge daß mir nichts verloren gehe, wenns nur Deiner Geſundheit nicht ſchadet, ſo ſchreibe doch jeden Abend, darum bittet der Dämon der mirs zuflüſtert und gern alles von Dir bewahren will.

Wo ſoll ich mit Deinem Kanarienvogel hin? Ich nehme ihn mit in fremde Lande, es wird nicht viel Mühe machen, ich kann ihn niemand anvertrauen ſo wenig wie Dich. Apropos! Wenn ich nun auch eiferſüch¬ tig ſein wollte auf die Prinzeß mit der Du immer Hand in Hand gehſt? Haſt Du Dich je von mir an der Hand führen laſſen, wenn wir draußen waren? ſummteſt umher wie eine wilde Hummel durch alle Gebüſche und ließſt mich allein nachſteigen? Was vermag doch dieſe Fürſtlichkeit über Dich daß Du Dich ſo zahm an der Hand führen läßt im Freien? Dein Vogel iſt mir eben ſo zahm geworden, daß er mir in den Mund pickt, das iſt nicht anders als Liebe zu mir, ich weiß nicht, ob er mir jetzt nicht mehr zuthunlich iſt wie Dir, grad wie Du mit der Kurprinzeß. Ich war in Sor¬ gen um ihn, denn wie ich einmal zur Gartenthür hin¬ ausging flog er mir nach in den Garten, aber wie er eine Weile unter den Bäumen herum geflattert war, ſetzte er ſich mir auf den Kopf und ließ ſich ruhig wie¬ der hinein tragen, ich war recht froh, denn ich hätte112 nicht gewußt wie ich beſtehen ſolle, wenn Du ihn nicht wiederfandſt. Der Feigen waren eilf an Deinem Baum, ich habe am Montag Ernte gehalten, drei da¬ von habe ich vom Baum verſpeiſt, drei habe ich in Ge¬ ſellſchaft verzehrt mit dem Jemand, der mich in der Thür begegnete, er begleitete mich nach Haus und ſchien ſich zu freuen, daß der Baum der von ihm ſtammt ſo ſüße Früchte bringt. Nun liegen noch fünf Früchte, die noch etwas härtlich waren, unter der Glasglocke beim Apoll die ich in die Sonne geſtellt habe, ſie haben auch ſchon nachgereift, ich werde ſie vor meiner Abreiſe in Kom¬ pagnie verzehren, aber mit Niemand der ſie allenfalls wie eine unbedeutende Frucht mit Stumpf und Stiel hinunter ſchluckte, ſondern mit Jemand der Deiner Pflege für den Baum die Süßigkeit der Frucht zuſchreibt, und ſie dankbar genießt.

Karoline.

Eine Merkwürdigkeit muß ich Dir noch melden von Deiner Altan, die Spinnen haben eine große Braban¬ ter Spitze gewoben von einem Ende zum andern, von der kleinen Edeltanne über den Orangenbaum, über die Bohnenlaube in die man nicht hinein kann wenn man dies Kunſtwerk nicht durchbrechen will, dann über113 den Granatbaum zum Feigenbaum; ich habe alles ge¬ ſchont beim Brechen der Früchte. Dein Bruder Domi¬ nikus kam herunter und ſprüzte im Kreis ſie alle an mit der kleinen Gießkanne, die Mittagsſonne ſchien ſehr hell. Da ſpiegelten die criſtallnen Tropfen allerliebſt in den Netzen, Dein Bruder meinte, wenn die Netze noch weiter gingen ſo könne das eine Voliere für Schmet¬ terlinge ſein, die er vergeblich ſich bemüht als Raupen zu zähmen, denn wenn ſie aus der Puppe ausflögen ſo hätten ſie aller Pflege und Nahrungsſorgen die er für ſie als Raupen getragen vergeſſen. Mich amüſirte ſehr ſeine ernſthafte Behauptung bei der Raupe und Puppe auf die Seele des Schmetterlings wirken zu wollen. Ich meine die ungeheuren Spinnen würden wohl alle Dankbaren und Undankbaren verzehren die in dieſer Voliere eingefangen wären. Noch ſoll ich Dir ſagen von ihm, daß der Hopfen übers Dach hinauf gewachſen iſt in die offnen Fenſter herein. Du hörſt gern von Deinem kleinen Paradiesgarten in dem alles ſo ſchön iſt und kein Baum von dem man die Äpfel nicht eſſen darf.

114

An die Günderode.

Mit der einen Hand hab ich meinen Brief dem Both gereicht, mit der andern Deinen genommen, wir kamen eben von unſerm Sonnenaufgang zurück, ſo ſah ich den Both überm Thal am Berg herſteigen, ich wollt mit ihm zuſammen ankommen, ich lief, die andern wußten nicht warum, ſie riefen mir nach, ich galopirte als an der Bergwand hin und ſchlug mit dem Stecken an die Äſt, das regnete im heißen Lauf kühlen Thau auf mich, dann ſchoß ich Berg ab ins Thal und konnt nicht einhalten, der gut Both ſtellte ſich gegenüber und fing mich auf; oben ſtand die ganz Geſellſchaft, ein Kopf über dem andern, der Mſtr. Haiſe in der Mitt und guckt durchs Perſpektiv, ich legt mich ins Gras und ſchnaufte aus. Potztauſend wie viel Hämmerchen pochten in meinem Kopf, lauter Goldſchmied, und der große Hammer in meiner Bruſt das war ein Grob¬ ſchmied; die andern kamen herbei, wie ich im hohen Gras verſchwand glaubten ſie, ich ſei ohnmächtig oder ſonſt was, der Voigt ſchrie, Gott bewahr, ſolche Ein¬ bildungen hat ſie nicht; ich guckte aus dem Gras her¬115 vor und lachte ſie aus, aber da ſchrie alles: ich hätt können den Hals abſtürzen, ich hätt können Arm und Bein brechen, mich hätt können der Schlag rühren, unvorſichtig, tollkühn, ſinnlos ſchrieen ſie. Was Guckuck, ich wollts nicht mehr hören, ich ſetzt mich wie¬ der in Galopp, der Badepeter hatte grad die Bäder angelaſſen, ich rief ihm zu: ſagt nicht, wo ich geblie¬ ben bin, und ſprang ins Waſſer mit Schuh und Strümpf, und allen Kleidern; da unterm Waſſer warf ich die Kleider ab, und dacht nicht gleich, daß ich Dei¬ nen Brief im Buſen ſtecken hatt, bis er auf dem Waſ¬ ſer ſchwamm, ich hab ihn gleich aus einander gelegt und an dem Strick feſtgemacht in der Mitte vom Ba¬ degewölb, womit man die Klapp aufzieht wenns zu heiß iſt, er flatterte im Luftzug über mir, und drehte ſich hin und her, ich bin ihm immer nachgeſchwommen, links und rechts, und hab ihn buchſtabiert, hier ein Theil und dort wieder, wie der Wind das Blatt drehte, das hat mich ergötzt und auch hab ich mich gefreut, wenn ich aus dem Bad käm ihn zu leſen, und dann ſtimmt ich an: O du der Götter Höchſter, der über Olympia mächtiglich waltet, laß beim Laufe der Flur günſtige Winde in den Schläfe-beſchattenden Kränzen mir wehen. Da wußten ſie auf einmal, wo ich ge¬116 blieben war, denn alles war in den Bädern und meine Stimme ſchallte laut am Gewölb; und da hört ich ſie rufen: La voila! und: wieder eine Tollheit, ſo er¬ hitzt ins Waſſer zu ſpringen. Wollt ich nicht von allen Seiten ſchreien hören, ſo mußt ich wieder ſingen: Laß o Jupiter mit leichten Füßen mich hingleiten dem ſchnellfüßigen Tage zuvor, der mich ſieggekrönt am Abend begrüße mit der Unſterblichkeit ſüß hallendem Ruf. Da kam die Liſett als Geſandtſchaft von den andern, was war die verwundert, als ſie die Klei¬ der unter Waſſer ſah, und die Schuh auf der unterſten Treppe, zwei volle Becher. Ich ſah ihr die Be¬ ſtürzung an, ſie glaubte ich ſei toll geworden, ſie reichte mir verſtummt ein Zettelchen, darauf ſtand: Wohlan Füllenbändiger, opfere einen feiſten Stier der Roſſebe¬ zähmerin Pallas Athene und ihren goldgewürkten Zü¬ gel wirf ſchnell um den jungfräulichen Hals. Ich frag wer ihr den Zettel gab, ſie ſagt der Badpeter, ich frag den Badpeter, der ſagt ſein Sohn Lipps, ich frag den Lipps, der ſagt am Röhrbrünnchen ein Herr in Schlappſchuhen, eine Zigarre im Mund. Was hatte er an, wie ſah er aus? Weißer Mantel, graue Sammetmütze. Ich hielt fürs beſte zu ſchwei¬ gen und niemand was vom Zettel zu ſagen, den Zettel117 legt ich zu meiner merkwürdigen Naturalienſammlung, worunter iſt ein goldglänzendes Horn von einem Wein¬ ſchröter, das hohl iſt und ſo zierlich, daß es ſehr gut als Trinkhorn könnt paſſen für ein Elfchen, das ein Jäger wär, ich habs deswegen aufgehoben, wenn mir einmal eins begegnet, ferner mehrere durchſichtige Steine, die ſehr gut Edelſteine ſein könnten, wenn die Sonn nur noch ein bischen beſſer durchſchien, und eine Puppe, aus der ich ſelbſt den Schmetterling hab auskriechen ſehen, die thut ſich auf und entläßt den Schmetterling und ſchließt ſich wieder, ſie hat inwendig wie kleine Stahlfedern, an die rührt der Schmetterling, wenn er reif iſt, und dann öffnet ſie ſich, außen iſt die Puppe ganz hart, daß man ſie nicht verletzen kann. Ich hab mirs expreß aufgehoben für Dich, ich will Dirs zeigen und über die Unſterblichkeit mit Dir nachdenken dabei. Wenn ich ſo was ſeh in der Natur, wovor geſorgt iſt, daß alles geſchützt iſt ſo ſorgſam, daß es nicht geſtört wird bis es reif iſt, das ſchauert mich an, und gewiß iſt nichts ſo traurig, als ſie ſtören, denn ſo zärtlich wie ſie iſt, muß es ihr durch die Seele gehen. Ich mag mich nicht an ihr verſündigen, nicht mich empor drängen und was ſein wollen vor der Zeit, mag nicht ein ſtarker Kopf werden, ſie wills nicht, die Na¬118 tur, ſie ſagt ich ſoll laufen und ſpringen und Überle¬ gung ſoll ich gar nicht haben, und in Deinem Brief ſtehts nun auch geſchrieben, was mich ſo ſehr freut, Unbedeutend! Da bin ich von Herzen dabei, wenn Du nur auch ſo dumm ſein willſt und mich den bedeu¬ tenden Leuten vorziehen. Du mußt allen Leuten zuge¬ ben, daß nichts iſt mit mir, da wird ſichs bald geben; eigentlich wer ſchuld iſt, das iſt der Clemens, der hat aus großer Lieb zu mir, ſich immer an allem gefreut, was ich gethan hab, und hat meine unbedachtſame Re¬ den als wunderſchön gefunden. Nun was liegt dran? Aber auf die Burg kommſt Du doch noch? Nicht wahr? da ſind wir zwei mit dem Dämon zuſammen und fragen nach ſonſt Niemand. Ich freu mich ſo drauf, daß mir manchmal das Herz klopft, und wenn ich mich beſinn, was es iſt, ſo ſind es die acht Tage, wo wir zwei zuſammen in einer Stube ſchlafen, und der[Herbſtwind] geht dann ſchon, und ſchüttelt das Laub ab von den Platanen, und Nachts wecken wir uns, wenn wir einen Gedanken haben, und ſchlafen dann gleich wieder. Ich kann Dir auch viel hier erzäh¬ len, ich hab eine Menge Gedanken, die ich nicht auf¬ ſchreiben kann, manchmal ſpring ich auf als müßt ich zu Dir und Dir gleich was ganz neu gedachtes ſagen. 119 Aber ich hab Dir ja noch nicht erzählt, was heut noch vorgefallen iſt. Um zwölf Uhr ſind wir hinunter, blos ich und die Tonie zur Kurprinzeſſin, um Abſchied von ihr zu nehmen, die Tonie hatte ihr auf den Tiſch im Vorſaal all die ſchönen Früchte aufgeſtellt und die Blumen dazwiſchen, ſie nahm ſehr freundlich von allen und ſagte ſo viel herzlich gutes zur Tonie, daß ich zum erſtenmal empfand, als wenn es wahr wär, was ich bei andern nie glaub, wenn ſie höflich ſind. Du frägſt: wenn Du nun auch eiferſüchtig ſein wollteſt auf die Kurprinzeß. Ei warum biſt du's nicht? Das iſt eben, was mir leid iſt, wenn ich Dir heut ſagte, ſie wollt mich mitnehmen und ganz bei ſich behalten, da würdeſt Du am End ganz kalt ſchreiben: Liebe Bettine, es thut mir zwar leid, daß unſer Umgang hierdurch unterbrochen wird, aber ich rathe Dir ſehr, laß Dich dadurch nicht abhalten. Und ich würde das aber nicht thun, ſelbſt wenn ich mir denk, daß Du mir ſo kalt antworten könnteſt und könnteſt es leicht verſchmer¬ zen, obſchon mir die Kurprinzeß am liebſten iſt von al¬ len, die ich geſehen hab, denn außer der Großmama und Dir hab ich nie Frauen geſehen, die mir edel vor¬ kamen, denn ich häng innerlich mit Dir zuſammen, das weiß ich, und der Dämon hält mich auch feſt bei Dir;120 und wo ſollt ich noch einmal fühlen ſo vertraulich? kann man ſo bei Prinzeſſinnen ſimuliren, ſo im Mond¬ ſchein im Zimmer an der Erde liegen und ihm nachrücken und Geſchichten erfinden wie wir den Winter, und wenn ich Dein Haar flechten wollt, da haſt Du michs laſſen aufflechten und wieder flechten, und erfandeſt Oſſians - Geſänge, während ich es kämmte.

Deine Locken gleich den Raben düſter,
Deine Stimme wie des Schilfs Geflüſter,
Wenn der Mittagswind ſich leiſe wiegt.

Weißt Du noch, wie ichs Dir ſtill nachſang, was Du ſo ſchauerlich mir vorſagteſt, und weißt Du wohl, daß da mein Herz ganz voll Thränen war, mehr wie einmal, und heimlich ſtritt ich mit mir, daß ich ſtark ſein wollt und meine Schmerzen bezwingen? Ich wollt Dirs nicht zeigen, wie tief das in mich ging:

Denn mein Schwert umgiebt wie Blitzes Flügel
Dich du liebliche, du ſchönes Licht.

Wie oft hab ich das geſungen für mich, und war ein Held.

Collas Tochter ſank zum Schlafe nieder
O! wann grüßeſt du den Morgen wieder?
Schöngelockte wirſt du lange ruhn?
Ach! die Sonne tritt nicht an dein Bette
Spricht, erwach aus deiner Ruhestätte,
Collas121
Collas ſchöne Tochter ſteig herauf!
Junges Grün entkeimet ſchon dem Hügel
Frühlingslüfte fliegen drüber her.
Sonne birg in Wolken deinen Schimmer!
Denn ſie ſchläft, der Frauen Erſte! nimmer
Kehret ſie in ihrer Schönheit mehr.

Das hab ich ſo oft geſungen, und auch am Fels vorgeſtern, und ich kann ſo ſchöne Melodieen drauf, die mir alle durchs Herz gehen, und wenn wir auf der Burg ſind den Herbſt, dann wollt ich Dirs vorſingen wenns dunkel iſt, eh das Licht kommt; wie kannſt Du denn nur denken, daß ich die Kurprinzeß lieber haben könnt? aber Du denkſt es auch nicht, du ſtellſt Dich nur ſo, denn ſonſt wärs gar zu traurig für mich, daß Du nicht betrübt darüber wärſt. Ich kann mir un¬ ter Collas Tochter immer nur Dich denken; denn ſie ſchläft der Frauen Erſte! und ſo hab ich in man¬ cher Stunde mit Thränen Dich beſungen, denn ich kann das nicht ſingen ohne daß es mein Herz ſo ſtark be¬ wegt, Abends wenn ich allein bin, daß ich oft meinen Kopf in die Kopfkiſſen ſtecke und will alle Wehmuth erſticken, weil ſie mich gar zu ſchmerzlich befällt. Aber was ſoll ich doch hier ſo fern von Dir, Dir von meinen bitteren Stunden ſagen, das kann Dich nur traurig machen, und Du biſt jetzt ſo betrübt. Aber6122laß dichs nicht betrüben von mir, das iſt nur ſo vor¬ übergehend, wie eben die Schloſſen, die hier fielen, ich will Dir, lieber noch weiter erzählen von der Kurprin¬ zeß, du weißt, daß ich traue in Deine Lieb und gar nicht denk, daß ich Dir gleichgültig bin und auch nicht, daß Du an mir zweifelſt. Die Kurprinzeß verlangte heut morgen, ich ſollte ihr noch ein Lied ſingen zur Guitarre, das ſie als zuweilen vom Fenſter gehört habe, das erſchreckte mich ſehr, denn der Herzog ſtand dabei und zog den Mund ſo kurios zuſammen, und ſagte, er hab auch meine Stimme gehört, ſie ſei ſehr ſchön; ich hätt gern ausgewichen, aber ich fühlte, daß es unſchick¬ lich war, ich holte alſo meine Guitarre und unterwegs bezwang ich meine Angſt vor dem Herzog, vor der Prinzeß hätt ich mich auch nicht gefürcht, denn ich hatte ſchon oft die Abende in dem Laubgang vor ihrem Fen¬ ſter allerlei Melodieen improviſirt, weil mich einmal eine geheime Neigung zu ihr anregte, daß ich als recht zärtliche Melodieen erfand. Vor dem Herzog hätt ich mich auch nicht gefürcht, aber weil ich den Morgen im Bad geſungen hatte, ſo dacht ich, er hätts gehört und möcht wohl gar davon anfangen, und an den Zettel dacht ich auch. Aber da kam mir mit einmal ein Gedanke, der half mir drüber hinaus, ich nahm dein123 Darthulagedicht*)Anhang 1. aus meiner Brieftaſche mit und ſang draus was ich da oben Dir hingeſchrieben aus dem Kopf in eine Melodie hinein, im Anfang wars ein we¬ nig ſteif, aber bald gings recht wie ich manchmal ſelbſt überraſcht bin, und tief erſchüttert, wie die Melodie ſo viel gewaltiger es ausdrückt, und erſt das Herz empfin¬ den lehrt, und ich wiederholte es, da wars ſo ſchön, ach wenn ichs doch noch einmal ſo ſingen könnt vor Dir; der Herzog verlangte, ich ſollte noch fortſingen, da war ich nicht mehr bang, ich ſang gleich:

Laß zehntauſend Schwerter ſich empören
Usnoth ſollt von meiner Flucht nicht hören
Ardan! ſag ihm rühmlich war mein Fall.
Winde! warum brauſen eure Flügel?
Wogen warum rauſcht ihr ſo dahin?
Wellen! Stürme! denkt ihr mich zu halten?
Nein ihr könnts nicht, ſtürmiſche Gewalten!
Meine Seele läßt mich nicht entfliehn.
Wenn des Herbſtes Schatten wiederkehren,
Mädchen, und du biſt in Sicherheit,
Dann verſammle um dich Ethas Schönen
Laß für Nathos deine Harfe tönen
Meinem Ruhme ſei dein Lied geweiht.

Und dies zweite Mal ſang ich noch beſſer, mit tieferer Stimme und war ſelbſtfühliger; es ſind die zwei Stellen, die ich aus Deinem Lied auswendig weiß, weil Du ſie in meiner Gegenwart gemacht haſt, im Dunkel, und ſagteſt zu mir: behalt es auswendig bis Licht kommt,6*124ich will unterdeß weiter dichten, und ich wiederholte immer vier Verſe bis noch vier dazu fertig waren, die Du auch meinem Gedächtniß vertrauteſt und immer weiter ſchiffteſt im Ocean, Günderode, wie ſchön war doch das? wie werd ich je ſchöneres erleben als mit Dir? Dem Herzog hab ich Dein Gedicht gegeben und geſagt, es ſei von Dir, und auch den Don Juan*)Anhang 2. hab ich ihm geſchenkt, er lag dabei, ich dacht du giebſt mirs wieder; ich wollt ihm es ſo gern geben, weil ich ſah, daß er große Freude dran hatte. Du giebſt mirs wieder. Die Kurprinzeß verlangte, ich ſoll ihr die Melodie abſchreiben laſſen von dem Lied, ich ſagte ja, aber wo iſt die hin? ich weiß nicht mehr, ſie hat mich auch noch herzlich geküßt auf beide Wangen; und der Tonie ſagte ſie ſehr freundlich, wenn ſie es erlaube, ſo wolle ſie den Strauß aus der Ananas mitnehmen und zum Andenken in ihrem Treibhaus pflanzen laſſen. Gelt das war ſo freundlich, und ich will dirs nur geſtehen, daß mir heimlich recht leid gethan hat, wie ſie fort war und alles kam mir ſo leer vor, daß ich doch drüber weinen mußte, obſchon ich nicht wollt, ich hielt mich auch gar nicht dabei auf, eben weil ich an Dich dachte und Dir keine Untreue wollte begehen. 125 Wir begleiteten ſie bis zum Wagen und ſie ſagte mir noch, wo ich ſie begegnete, da ſollte ich immer zu ihr kommen, ich küßte ihre Hand und ging zurück, denn der Herzog ſprach noch mit ihr. Sein Wagen war auch vorgefahren, er legte mir die Hand auf den Kopf und ſagte, auf Wiederſehen, und lachte mich an, und ich dachte: Ach Gott, am End hat er den Zettel dem Lipps gegeben. Er ſtieg in den Wagen im leberfarb¬ nen Rock, und wie das Windſpiel nachſprang und ſich zu ſeinen Füßen legte, da ſah ich wohl ſo etwas auf dem Rückſitz liegen, wie einen weißen Mantel, der hell¬ blau gefüttert war, aber er ſah doch nicht ganz weiß aus, ſondern mehr hellgrau, aber die graue Mütze ſah ich, wie mich deucht, auch. Ja ich ſah ſie gewiß, ich wollt ſie nur nicht erkennen, weil ich mich ſchämte; aber das dauerte noch eine Weile, daß ich mich gar nicht tröſten konnte, und ſo oft mirs einfällt werd ich aufs Neue roth vor mir ſelber. Aber ich denk nur immer, ein Prinz hat kein lang Gedächtniß, er wirds bald vergeſſen. Ach wenn ers nur recht bald vergäße! Gute Nacht. Morgen erzähl ich Dir noch mehr von heut, von unſerm Sonnenaufgang hab ich Dir noch gar nichts erzählt, daß wir den gar nicht geſehen haben, und daß die Sonne hinter uns aufging, und126 daß alles über die in der Ferne liegenden Berge ſah und meinte, ſie ſollt dort hervorkommen, und daß ſie hinter der Felswand in unſerm Rücken aufſtieg und der Mſtr. Haiſe mit dem Perſpektiv bewaffnet, und der Voigt, der mir immer ins Ohr ſagte: geben Sie acht was paſſiren wird, ſie werden ſich alle bald verwundern, kein Menſch achtete ſeiner Reden. Es ward hell und hell und die Sonn kam nicht, und auf einmal war ſie hinter uns, ganz mäßig und vernünftig, ohne Aufwand, wie wir ſie beim Frühſtück auf der Terraſſe auch hätten ſehen können, aber der große Streit, der vorfiel, keiner wollte der ſein, der es nicht gleich gedacht hatte, jeder ſollt den andern verführt haben, es war wirklich ein wun¬ derlicher Streit und der Mſtr. Haiſe mit dem Perſpektiv, mit dem er die Sonn zuerſt hatte entdecken wollen! der Voigt wurde am meiſten gezankt und er ſollte zu¬ letzt allein dran ſchuld geweſen ſein, er hätt ſie mit Fleiß all herum gewendet, und er hätte davon geſpro¬ chen zuerſt, daß dort gen Morgen läg. Er ſagt aber, nein, er hätt ſie nicht verführt, er hätt es aber wohl gewußt, drum hätt er auch geſagt: ſie würden ſich bald alle ſehr verwundern, aber er wüßt, er ſtände in ſo ſchlech¬ tem Kredit bei ihnen, daß er ſich nicht getraut hab es ihnen zu ſagen, denn ſie hättens doch nicht geglaubt.

127

Am Samſtag

Den Kanarienvogel ſchenk ich Dir, Du ſollſt ihn behalten, er hat Dich lieber wie mich, und ich bin ihm gut, was ſoll ich ihm ſeine eingeſperrte Lebensfreud verketzern. Ich bin aber kein Kanarienvogel und Du kannſt mich nicht hingeben wollen, denn ich ſchenk Dir alles, Du ſollſt mich nicht hergeben. Meine Altan iſt doch ſchön, nicht wahr? als Kinder hat uns da der Herr Schwab die bibliſche Geſchichten vorerzählt, Abends, eh wir zu Bett gingen, da hab 'ich den Mond zum erſtenmal ſcheinen ſehen. Wie wunderlich wars doch, und die Fenſter von den Stuben nebenan, wenn da Abends Licht drinn war, die malten den Schatten von den Sträuchern auf den Boden, da ſaß ich ſo gern allein auf dem Boden und ſah den Schatten rund um mich ſich bewegen. Ich hab mich wohl immer gefürch¬ tet als Kind, aber mehr bei Tag, wenn ich allein war, und im Zimmer, wo alles ſo nüchtern ausſah, aber in der Nacht war was vertrauliches, was mich lockte, und noch eh ich was von Geiſtern gehört hatte, war die Empfindung in mir, daß etwas Lebendiges in der Um¬ gebung ſei, deſſen Schutz ich vertraute; ſo war mirs auf der Altan als Kind von drei oder vier Jahren, wo beim Sonnenuntergang immer alle Glocken den Tod128 des Kaiſers einläuteten, und wies da immer nächter ward und kühler, und es waren keine Leute um mich und als ob die Luft lauter[Geläute] ſei, was mich um¬ fing; da kam eine Traurigkeit über mein kleines Herz¬ chen, und dann wieder ſo raſches Zuſammennehmen, ich fühls noch, wie wenn der Schutzengel mich auf den Arm nähm. Jetzt muß ich aber ſagen: Was iſt doch das Leben für ein groß Geheimniß, das ſo dicht die Seel umſchließt, wie die Puppe den Schmetterling, kein Licht ſtrahlt durch den Sarg, aber die Sonnenwärme empfindet die inwendige Seele und wächſt und wächſt unter ſchweren Ahnungen, unter Thränen. Ach ver¬ zeihs, daß ich gleich traurig war, aber die Altan! Dort hab ich ganz ſehnſüchtige Augenblicke ſchon ge¬ habt, die mir wie Schwerter durchs Herz gingen und ich wußte nicht was es war, und weiß es noch nicht. Grad in der ſchönen blühenden Zeit war mirs immer ſo traurig, grad am hellen Mittag, wenn da ſo ein Bienchen eine Weile herumſchwärmte. Ach was! ich will lieber was anders denken. Du biſt recht gut, daß Du allerlei ſo sub rosa hervorleuchten läßt, was mich heimlich freut. Was mir doch noch wird? ob ich je aus dem Licht heraustrete, was Dein lebendig Aug auf mich ſtrahlt? denn Du kommſt mir vor129 wie ein ewig lebender Blick und als wenn von ihm mein Leben abhing. Aber davon will ich auch nicht reden. Von der Eſelsparthie geſtern nach Rauhen¬ thal, ſie iſt zu Waſſer geworden aber erſt am End, es kam ein ungeheurer Platzregen wie wir noch eine halbe Stunde von der Heimkehr entfernt waren, das zuſam¬ menlaufende Waſſer von den Bergen herab ins Thal gab ordentlich Seen, die der Wind wellig kräuſelte. Und wie die Eſel mitten durchs Waſſer pfatſchten mit uns, kam ein ungeheurer Donnerſchlag, die meiſten ſchrieen auf, die Eſel ſchrieen nicht, aber ſie warfen uns alle mit einemmal herunter in die Pfützen und da konnt keiner ſich halten, nur der Engländer wollte es zwingen mit ſeinen langen Beinen, der Eſel warf ſich nieder und bäumte ſich, und ſo galopirten alle Eſel fort, daß ſie im Nu aus den Augen waren, die Eſeltreiber hinterdrein, denen nachgerufen wurde, uns Laternen zu ſchicken. Der ganze Haufe conſultirte in der Pfütze, ſetzte ſich nach wieder erlangter Beſinnung in Bewegung, auf das verwirrte Untereinanderſchreien folgte bald Stille, der Weg war zu beſchwerlich als daß man auf etwas anders denken konnte als nur wie man den Fuß mit ſammt dem Schuh wieder aus dem Moraſt heben wolle, dies aber war nicht möglich, die6**130meiſten Schuhe blieben ſtecken, die Laternen kamen uns bald entgegen, die beſchwichtigten Eſel wurden wieder heran geführt, und ſo kamen wir zwar beritten an, aber in welchem Zuſtand? Alle Strohhüte hatten im Mo¬ raſt gelegen. Die Schuhe fehlten, die Damengewande ſo naß, als ſollten ſie zu Statuen Modell ſtehen, und die Herren nicht minder; man verfügte ſich in die Bä¬ der und kam neugeboren und neugeſtrählt heraus, ein Geſammt-Abendthee in Pantoffel und Schlafröcken und Pudermäntel eingenommen, machte den Beſchluß, alles beſchrie des Unfalls Jammer und lachte ſich halb todt drüber. Mſtr. Haiſe, deſſen natürliche Haarfarbe jetzt zu Tag kam, war nicht mehr zu erkennen, aber ſeine Schönheit wurde allgemein bewundert, ſein braunrothes Haar ſtand ihm ſo viel ſchöner als der Puder, womit ers hatte verbergen wollen, daß man ſchrie: jetzt könne er erſt intereſſiren, was man vorher für unmöglich hielt. Wer war vergnügter wie Er, der feierlich dem Puder abſchwor und mit himmliſcher Selbſtzufriedenheit bei den Frauen herumſpazierte, ſich bewundern zu laſ¬ ſen. Ich und die Liſett haben noch bis Mitternacht die Strohhüte renovirt, ich ſchlug ſie alle auf der einen Seite mit einer Kokarde auf, wenn man nun im Schat¬ ten ſein will, ſo ſetzt man die Schippe nach vornen,131 wo die Sonn nicht ſcheint dreht man ſie herum; die Verwandlung fand allgemeinen Beifall und ſieht nach Voigt maleriſch aus. Heut morgen kamen die Eſeltreiber mit den verlornen Schuhen auf ihren Stek¬ ken in Prozeſſion angerückt; ſie hofften ein Trinkgeld, es mußte auch bezahlt werden, obſchon die Schuhe beſ¬ ſer wären geblieben wo ſie begraben waren; man war ärgerlich, daß ſie die beſchmutzten Schuhe ſo öffentlich zur Schau trugen. Das war die geſtrige Geſchichte. Voigt hatte ſchon lange drum gebeten, die ganze Ge¬ ſellſchaft zu Eſel in ſein Skitzenbuch zeichnen zu dürfen, heut Morgen war ein ſchöner heller Himmel und doch wars abgekühlt vom Gewitter, wir machten uns ſo ma¬ leriſch wie möglich, ließen Bänder flattern, Schleier wehen, die Herrn ſteckten Sträucher auf den Hut, ga¬ ben ſich nachläſſige Poſituren, ſchaukelten mit den Bei¬ nen, ſo gings langſam vorwärts, Voigt war voran mit ſeinem Malkaſten, hatte die Palette aufgeſetzt, ſaß auf einem Zeltſtuhl vor der Höhe, wo wir herabkamen und beobachtete den Zug mit dem Fernglas, auf einmal rief er halt, ich war voran mit einer grünſeidenen Fahne, die ich mir gemacht hatte, die ſtemmt ich in die Seite und hielt recht feierlich ſtill, die Guitarre hing auch am Sattel Voigt malte eifrig auf ein Stück Wachslein¬132 wand, das auf ein Brett genagelt war. Es dauerte ein Weilchen, die Eſel hingen die Ohren und waren eingeſchlafen, die Sonne brannte, die Mücken ſtachen, die Schleier und Bänder hingen ſchlaff, ſie glaubten alle, ſie könntens nicht länger aushalten, ich hätte doch dem guten Voigt ſo gern das Plaiſir gegönnt, daß ſeine Skitze fertig wurde; ich nahm meine Guitarre und ſtimmte den Koſiusko an, Crothwith begleitete mich auf dem Flageolett, mehrere Maultrommeln der Eſeltreiber¬ jungen fielen ein, es erhob die Stimme Baß und Dis¬ cant, andere pfiffen, Haiſe neben mir an gab einen Ton von ſich mit dem er eine Pauke nachmachte, die mit einer Ruthe und einem Klöppel geſchlagen wird, pfitſch pfitſch, bum bum. Die Eſel wachten auf und ſpitzten die Ohren wieder, die Lüftchen regten ſich wieder in den flatternden Bändern, alles war be¬ geiſtert und Voigt malte ſchneller als eine Wind¬ mühle in die der Sturmwind bläſt; die Eſeljungen hatten ſich auch in nachläſſigen Stellungen poſtirt, bald wars ſo weit, daß wir umwenden konnten, Voigt be¬ ſtieg ſeinen Eſel und wir zogen vergnügt und ſingend zurück. Die Skitze iſt allerliebſt kräftig, er will ſie zu Frankfurt fertig malen, wärſt Du doch auch dabei ge¬ weſen. Im Nachhauſereiten ſah ich die Birke von133 fern, die ſo leiſe wehte, in der ich ohne daran zu den¬ ken wie eine Viſion Dein Bild geſehen hatte. Ich dachte daran, ob ichs doch verſuchen wollte, Dich hier zu beſuchen, wenn man allein iſt, da kann man viel beſſer klettern, und wie heut Nachmittag alles Siesta hielt, bin ich hierher gekommen und hab geſehen, was der Herzog für Buchſtaben in den Baum geſchnitten hat: Z D F und ſeinen Namen drunter, ich weiß was es heißt, grade was er unter Dein Manuſcript von der Immortalita geſchrieben hat. Der Voigt ſagt mir, ſein Buch ſei ſehr witzig und hat mir noch man¬ ches Schöne erzählt von ihm und auch Sonderbares. Das Buch müſſen wir zuſammen leſen den Winter. Heut Nachmittag war alles verſammelt beim Thee auf der Terraſſe. Die Luſt auf weite Parthieen iſt gedämpft, wir ſpielten Federball, und machten Seifenblaſen, die flogen zwiſchen die Bäum und bald hier oder dort hin, auch eine auf dem Haiſe ſeine Naſ glaub ich.

Sonntag.

Heut Morgen war man zum letzten Frühſtück ver¬ ſammelt, denn morgen geht alles fort, der ganze Vor¬ mittag verging mit Spaziergängen von Paar und Paar im Wald, ich ſchlenderte mit dem Voigt nach einem134 grünen Platz und las ihm vor aus deiner Brieftaſche, ich las ihm die Manen vor, und knüpfte allerlei Ideen dran, die ich nicht recht ausſprechen konnt, ich kann vor niemand ſprechen wie vor Dir, ich fühl auch die Luſt und das Feuer nicht dazu als nur bei Dir, und was ich Dir auch ſag oder wie es herauskommt, ſo ſpür ich, daß etwas ſich in mir regt als ob meine Seele wachſe und wenn ichs auch ſelbſt nicht einmal verſteh, ſo bin ich doch geſtärkt durch Deine ruhigen klugen Au¬ gen, die mich anſehen, erwartend als verſtänden ſie mich und als wüßten ſie, was noch kommen wird, Du zauberſt dadurch Gedanken aus mir, deren ich vorher nicht bewußt war, die mich ſelbſt verwundern, andre Leut haben mit mir keine Geduld, auch der Voigt nicht, der ſagt: ich weiß ſchon was Sie wollen, und ſagt etwas was ich gar nicht gewollt hab. Dann mach ichs aber wie Du und hör ihm zu, und da hör ich al¬ lemal was Kluges, Gutes. Heut ſagte er: die Ver¬ nunft ſei von den Philoſophen als ihr Gott umtanzt und angebetet wie jeder ſeinen Gott anbete, nemlich als ein Götze, der zu allem gelogen werde was man nur in der Einbildung für wahr halte, Dinge, die man auf dem Weg des Menſchenſinnes und der Empfindung al¬ lein finden könne und ſolle; die würden zu Sätzen,135 die auf keiner empfundenen Wirklichkeit beruhen, nur als willkührliche Einbildungen gelten und wirken. Phi¬ loſophie müſſe nur durch die Empfindung begriffen wer¬ den, ſonſt ſei es leeres Stroh was man dreſche, man ſage zwar Philoſophie ſolle erſt noch zur Poeſie werden, da könne man aber lange warten, man könne aus dürrem getheertem Holz keinen grünen Hain erwarten, und da möge man Stecken bei Stecken pflanzen, und den beſten Frühlingsregen erbitten, er werde dürr blei¬ ben, während die wahre Philoſophie nur als die jüngſte und ſchönſte Tochter der geiſtigen Kirche aus der Poeſie ſelbſt hervorgehe, dies ſagte er dem Mſtr. Haiſe, der ſtudirter Philoſoph iſt, der war darüber ſo aufgebracht, daß Voigt die Poeſie die Religion der Seele nenne, daß er mit beiden Füßen zugleich in die Höhe ſprang und nachher mir allein ſagte: ich möge dem Voigt nicht ſo ſehr trauen, denn ſeine Weisheit ſei ungeſund und könne leicht ein junges Herz verfüh¬ ren, ſonſt war alles ganz gut, wir tranken Nachmittag auf dem Muſenfels Kaffee und machten ein luſtig Feuer im Wald an und tanzten zuletzt einen Ringelreihen drum, bis die letzten Flammen aus waren, und alle wa¬ ren wie die Kinder ſo vergnügt, und mir kam vor als wenn gar kein Falſch oder verſteckte Geſinnung mehr136 unter allen wär. Ein freies Gemüth iſt doch wohl das höchſte im Menſchen. Nie eine Periode des Menſchen¬ lebens verlaſſen ſo wie ſie rein erſchaffen iſt, um in eine andre überzugehen, dabei nie eine derſelben vermiſſen, ewig Kind ſein, als Kind ſchon Mann, und Sclave des Guten ſein, Gott anbeten in Ehrfurcht und mit ihm ſcherzen und ſpielen in ſeinen Werken, die ſelbſt ein Spiel ſeiner Weisheit, ſeiner Liebe ſind, ſagte Voigt auf dem Heimweg zum Mſtr. Haiſe und der war zu¬ frieden und reichte ihm die Hand.

Gute Nacht.

Am Montag.

Geſtern hätt ich nun rechte Zeit gehabt Dir zu ſchreiben, alles iſt fort, aber ich war müde. Tonie liegt auf dem Bett und ſchläft, man war bis ſpät in der Nacht auf geweſen, ich ging noch auf die Terraſſe um Abſchied zu nehmen, weil am Morgen alles vor Tag abreiſte; nur der Voigt blieb da bis Mittag, weil er nur bis Mainz ging. Er ging mit mir in die kleine Kapelle zur Meſſe, da war eben die Predigt wieder am Ende, es war unſer Franziskaner. Warum hat Je¬ ſus, da er ans Kreuz geſchlagen iſt und die bitterſten Schmerzen leidet, zugleich eine himmliſche Glorie um137 ſein Haupt, die allen Anweſenden das Mitleid verbie¬ tet, die zugleich das ſeligſte ruhmvollſte Entzücken an¬ deutet mit dem menſchlichen Kampfe im Elend? Warum liegt in jedem ſeiner Thaten, ſeiner Worte, das Irrdiſche mit dem Ewigen ſo eng verbunden? Er hat ſeine Leiden nicht mit Freuden vertauſcht da er es wohl vermochte. Alſo Menſch hab dein Schickſal lieb, wenn es dir auch Schmerz bringt, denn nicht dein Schickſal iſt traurig, wenn es dir auch noch ſo viel Menſchenunglück zuführt, aber daß du es verſchmä¬ heſt, das iſt eigentlich das große Unglück, und ſo ſchließ ich wovon ich ausging, daß allemal das Schickſal des Menſchen, das höchſte Kleinod ſei, das nicht wegwer¬ fend zu behandlen iſt, ſondern es ſoll mit Ehrfurcht ge¬ pflegt und ſich ihm unterworfen werden. Der Voigt bereuete ſehr, daß er die Predigt nicht ganz gehört habe und meint, da er in wenig Worte ſo viel zuſam¬ mendränge, ſo müſſe er in der Entwickelung ſehr geiſt¬ reich ſein. Ich aber war froh, daß wir zu ſpät gekom¬ men waren, denn mir ſchien das Thema ſehr traurig, Leiden im Voraus zu ahnen und ſich darauf vorzube¬ reiten, das will mir nicht in Sinn. Am Abend wa¬ ren wir ganz einſam, die Tonie und ich, es iſt gar nie¬ mand mehr hier, ich wär ſo gern noch hinaus ſpazie¬138 ren gegangen, und ließ mir den Lelaps holen, den Hund von der Küſtersfrau, der mich kennt, weil ich ſchon oft ihn mitgenommen habe auf dem Spaziergang, der kam mit einem Laternchen am Hals mit einem brennenden Lämpchen, womit er immer bei neblichem Wetter ſeinen Herrn begleitet; das machte mir groß Plaiſir, ich nahm meinen guten Stock, der zuſammengeflochten iſt von drei guten ſpaniſchen Rohren, und den mir der Savigny geſchenkt hat und ging mit meinem guten Lelaps als fort zwiſchen die Schluchten, in denen der Nebel hin und her wogte und ſein klein Lichtchen verſchwand oft, daß ich ihn nicht mehr ſah, aber wenn ich rief, da kam er durch den dicken Nebel herbei gelaufen, da wurde das Lichtchen wieder ſichtbar, was mir das für Spaß gemacht hat, der Hund und ich allein, und die Nebel, die herum flankirten wie Geiſter, herüber und hinüber, aufſtiegen und hinabkletterten, es war eine Geſchäftig¬ keit in dieſen Felsritzen und an den Bergwänden hinab, wo man einen freien Blick ins Thal hatte, ich konnt mir gar nicht denken, daß es nicht Geiſter wären, und ich glaubs noch, und ich war innerlich recht glücklich und froh, daß ich dazu gekommen war, und daß ich und der Hund von den Geiſtern ſo gut gelitten war, denn Du glaubſt nicht wie gut der Nebel thut, wie139 ſanft, wie weich er ſich einem anſchmiegt, mein Geſicht war ganz glatt davon, und wir ſind auch glücklich wieder nach Haus gekommen. Ich bin ſo froh, daß ich unbedeutend bin, da brauch ich keine geſcheute Ge¬ danken mehr aufzugablen, wenn ich Dir ſchreib, ich brauch nur zu erzählen, ſonſt meint ich, ich dürfte nicht ſchreiben ohne ein bischen Moral oder ſonſt was Klu¬ ges, womit man den Briefinhalt ein bischen beſchwert, jetzt denk ich nicht mehr dran einen Gedanken zurecht zu meislen oder zuſammen zu leimen, das müſſen jetzt andre thun, wenn ichs ſchreiben ſoll, ich ſelbſt denk nicht mehr. Ach von dem Einfältigſten, Ungelehrteſten ver¬ ſtanden und gefühlt zu werden iſt auch was werth; und dann dem Einzigen, der mich verſteht, der für mich klug iſt, keine Langeweile zu machen, das kommt auf Dich an.

Wir waren am Rhein und ſind wieder den andern Tag zurück ſpät Abends, ſo iſt heut ſchon Donnerstag, es war ſchön in Rüdesheim, die Tonie hatte dort über Jemand zu ſprechen, der als Geiſtlicher in unſer Haus ſoll, ich guckte indeß auf der Bremſerin aus dem großen ſchwarzen Gewölb auf die Wieſe im Abendſchein, es flogen als die Schmetterlinge über mich hinaus, denn da oben auf der Burg wächſt ſo viel Tymian und Gin¬140 ſter und wilde Roſen und alles hat der Wind hinauf¬ getragen; man meint als, der fliegende Blumenſamen müßt eine Seel haben und hätt ſich nicht weiter wollen treiben laſſen vom Wind, und wär am liebſten da ge¬ blieben, alles blüht und grünt, ſo viel Glockenblumen und Steinnelken und Balſam, ich dacht wie iſts doch möglich, daß das alte Gemäuer ſo überblüht iſt. Blum an Blum! Unten in der Ruine wohnt ein Bet¬ telmann mit der Frau und zwei Kindern, ſie haben eine Ziege, die bringen ſie hinauf, die graſt den duftenden Teppich mir nichts dir nichts ab. Ich war eine ganze Stunde allein da und hab hinaus auf dem Rhein die Schiffe fahren ſehen, da iſt mirs doch recht ſehnſüchtig geworden, daß ich wieder zu Dir will, und wenns noch ſo ſchön iſt, es iſt doch traurig ohne Widerhall in der lebendigen Bruſt, der Menſch iſt doch nichts als Begeh¬ ren ſich zu fühlen im Andern. Du lieber Gott! eh ich Dich geſehen hatt da wußt ich nichts, da hatt ich ſchon oft geleſen und gehört, Freund und Freundin, und nicht gedacht, daß das ein ganz neu Leben wär, was dacht ich doch vorher von Menſchen? gar nichts! Der Hund im Hof, den holt ich mir immer um in Geſell¬ ſchaft zu ſein; aber nachher wie ich eine Weile mit Dir geweſen war, und hatte ſo manches von Dir gehört,141 da ſah ich jed Geſicht an wie ein Räthſel, und hätt auch manches gern errathen oder ich habs errathen, denn ich bin gar ſcharfſinnig. Der Menſch drückt wirk¬ lich ſein Sein aus, wenn mans nur recht zuſammen¬ nimmt und nicht zerſteut iſt und nichts von der eignen Einbildung dazuthut, aber man iſt immer blind wenn man dem Andern gefallen will und will was vor ihm ſcheinen, das hab ich an mir gemerkt. Wenn man je¬ mand lieb hat, da ſollt man ſich lieber recht faſſen, um ihn zu verſtehen, und ganz ſich ſelbſt vergeſſen und ihn nur anſehen, ich glaub, man kann den ganz verborgnen Menſchen aus ſeinem äußern Weſen heraus erkennen. Das hab ich ſo plötzlich erkennt, wie ich Menſchen ſah, die ich nicht verſtand, was ſie mir ſollten, und nun ſind mir die meiſten, daß ich ſie nicht lang überlegen mag, weil ich nichts merk, was mir gefällt oder mit mir ſtimmt, aber mit Dir hab ich wie eine Muſik em¬ pfunden, ſo daheim war ich gleich; ich war wie ein Kind, das noch ungeboren aus ſeinem Heimathland entfrem¬ det, in einem fremden Land geboren war, und nun auf einmal von weit her übers Meer wieder herüber getragen von einem fremden Vogel, wo alles neu iſt, aber viel näher verwandt und heimlicher, und ſo iſt mirs immer ſeit dem geweſen, wenn ich in Dein Stüb¬142 chen eintrat; und ſo wars auch auf den alten Burg¬ trümmern geſtern: ſo lachend wie die Wieſen wa¬ ren und die luſtigen Mädchen die ſangen, und der Abendſchein und die Schiffe und die Schmetterlinge, alles war mir nichts, ich ſehnt mich nach Dir, nur nach Deinem Stübchen, ich ſehnt mich nach dem Winter, daß doch draus Schnee ſein möcht und recht früh dun¬ kel und drinn brennt Feuer; der Sonnenſchein und's Blühen und Jauchzen zerreißt mirs Herz. Ich war recht froh wie die Tonie mit dem Wagen vorfuhr, wie ich unten hin kam waren dem Bettelmann ſeine zwei hübſchen Kinder blos im Hemdchen, und kugelten mit Lachen über einander und hatten ſich ſo umfaßt; ich ſagt, wie heißt Ihr denn? Röſchen und Bien¬ chen. Das Röſchen iſt blond mit rothen Wängelchen, und das Bienchen iſt braun mit ſchwarzen ſtechenden Augen. Das Bienchen und Röſchen hatten ſich ſo recht in einander gewühlt. Um Mitternacht heimgekehrt höchſt angenehmer Schlaf beim Rauſchen vom Spring¬ brunnen.

143

Am Montag.

Ich hab Deinen letzten Brief noch oft geleſen, er kommt mir ganz beſonders vor, wenn ich ihn mit an¬ dern vergleiche, die ich auch hier in derſelben Zeit erhalten hab, ſo muß ich denken, daß es Schick¬ ſale giebt im Geiſt, die ſo entfernt ſind von einander und ſo verſchieden, wie im gewöhnlichen Tagesleben, der eine wird ſichs nicht einbilden vom andern, was der denkt und träumt, und was er fühlt beim Träu¬ men und Denken. Dein ganz Sein mit Andern iſt träumeriſch, ich weiß auch warum; wach könnteſt Du nicht unter ihnen ſein und dabei ſo nachgebend, nein ſie hätten Dich gewiß verſchüchtert, wenn Du ganz wach wärſt, dann würden Dich die gräßlichen Geſichter, die ſie ſchneiden, in die Flucht jagen. Ich hab ein¬ mal im Traum das ſelbſt geſehen, ich war erſt zwei Jahr alt, aber der Traum fällt mir noch oft plötzlich ein, daß ich denke, die Menſchen ſind lauter ſchreckliche Larven, von denen ich umgeben bin, und die wollen mir die Sinne nehmen, und wie ich auch damals im Traum die Augen zumachte, ums nicht zu ſehen und vor Angſt zu vergehen, ſo machſt Du auch im Leben aus Großmuth die Augen zu, magſt nicht ſehen wies144 beſtellt iſt um die Menſchen, Du willſt keinen Abſcheu in Dir aufkommen laſſen gegen ſie, die nicht Deine Brüder ſind, denn Abſurdes iſt nicht Schweſter und nicht Bruder; aber Du willſt doch ihr Geſchwiſter ſein und ſo ſtehſt Du unter ihnen mit träumendem Haupt, und lächelſt im Schlaf, denn Du träumſt Dir alles blos als dahin ſchweifenden grotesken Maskentanz. Das leſe ich heute wieder in Deinem Brief, denn es iſt jetzt ſo ſtill hier und da kann man denken, Du biſt zu gut, für mich auch, weil Du unter allen Menſchen gegen mich biſt als wärſt du mehr wach; als machteſt Du die Augen auf, und trauteſt wirklich mich anzuſe¬ hen, O ich hab auch ſchon oft dran gedacht, wie ich Deinen Blick nie verſcheuchen wollte, daß Du nicht auch am End nachſichtig die Augen zumachſt und mich nur anblinzelſt, damit Du alles Böſe und Schlechte in mir nicht gewahr werdeſt.

Du ſagſt: Wir wollen unbedeutend zuſammen ſein! Weißt Du wie ich mir das ausleg? wie das was Du dem Clemens letzt in meinem Brief ſchriebſt: immer neu und lebendig iſt die Sehnſucht in mir, mein Leben in einer bleibenden Form auszuſprechen, in einer Geſtalt, die würdig ſei, zu den Vortrefflichſten hinzuzutreten, ſiezu145zu grüßen und Gemeinſchaft mit ihnen zu haben. Ja nach dieſer Gemeinſchaft hat mir ſtets gelüſtet, dies iſt die Kirche, nach der mein Geiſt ſtets wallfahrtet auf Erden. Du ſagſt aber jetzt, wir wollen unbedeutend zuſammen ſein, weil Du lieber unberührt ſein willſt, weil Du keine Gemeinſchaft findeſt; und Du glaubſt wohl jetzt noch, daß irgend wo eine Höhe wär, wo die Luft ſo rein weht und ein erſehnt Gewitter auf die Seele niederregnet, wovon man freier und ſtärker wird? Aber gewiß iſts nicht in der Philoſophie; es iſt nicht der Voigt, dem ichs nachſpreche, aber er giebt mir Zeug¬ niß für meine eigne Empfindung. Menſchen, die ge¬ ſund athmen, die können nicht ſich ſo beengen, ſtell Dir einen Philoſophen vor, der ganz allein auf einer In¬ ſel wohnte, wo's ſo ſchön wär, wie der Frühling nur ſein kann, daß alles frei und lebendig blühte und die Vögel ſängen dann, und alles, was die Natur geboren hätt wär vollkommen ſchön, aber es wären keine Ge¬ ſchöpfe da, denen der Philoſoph was weiß machen könnt, glaubſt Du, daß er da auf ſolche Sprünge käm wie die ſind, die ich bei Dir nicht erzwingen konnt. Hör, ich glaub, er biß lieber in einen ſchönen Apfel, aber ſo eine hölzerne Kurioſität von Gedanken-Sparrwerk würde7146er wohl nicht zu eigener Erbauung aus den hohen Ze¬ dern des Libanon zurecht zimmern; ſo verbindet und verſetzt, und verändert, und überlegt, und vereinigt der Philoſoph alſo nur ſein Denkwerk, nicht um ſich ſelbſt zu verſtehen, da würde er nicht ſolchen Aufwand machen, ſondern um den andern von oben herab, den erſten Gedanken beizubringen wie hoch er geklettert ſei, und er will auch nicht die Weisheit ſeinen untenſte¬ henden Gefährten mittheilen, er will nur das Hokuspo¬ kus ſeiner Maſchine Superlativa vortragen, das Dreieck, das alle Parallelkreiſe verbindet, die gleichſchenklichen und verſchobenen Winkel, wie die in einander greifen und ſeinen Geiſt nun auf jener Höhe ſchwebend tragen, das will er, es iſt aber nur der müßige Menſch, der noch ſich ſelber unempfundne, der davon gefangen wird; ein andrer lügt, wenn er die Natur verleugnet und die¬ ſem Sparrwerk anhängt und auch hinaufklettert, es iſt Eitelkeit, und oben wirds Hoffart, und der haucht Schwefeldampf auf den Geiſt herab, da kriegen die Menſchen in dem blauen Dunſt eine Eingebildtheit als nähmen ſie den hohen Beweggrund des Seins wahr; ich bin aber um dies Wiſſen gar nicht bang, daß es mir entgehen könnt, denn in der Natur iſt nichts, aus dem der Funke der Unſterblichkeit nicht in Dich hinein¬147 fährt, ſobald Du's berührſt; erfüll Deine Seele mit dem was Deine Augen ſchöpfen auf jener ſeegensreichen Inſel, ſo wird alle Weisheit Dich elektriſch durchſtrömen, ja ich glaub, wenn man nur unter dem blühenden Baum der Großmuth ſeine Stätte nimmt, der alle Tugenden in ſeinem Wipfel trägt, ſo iſt die Weisheit Gottes nä¬ her als auf der höchſten Thurmſpitze, die man ſich ſelbſt aufgerichtet hat. Alle Früchte fallen zur Erde, daß wir ſie genießen, ſie haben keine Flügel, daß ſie davon flie¬ gen, und die Blüthen ſchwenken ihren Duft herab zu uns. Der Menſch kann nicht über den Apfel hinaus, der für ihn am Baum wächſt, ſteigt er hinauf in den Wipfel, ſo nimmt er ihn ſich, ſteht er unterm Baum und wartet, ſo fällt der Apfel ihm zu und giebt ſich ihm, aber außer am Baum wird er ſich keine Früchte erziehen. Du ſprichſt von Titanen, die die Berge mit großem Gepolter auf einander thürmen, und dann die ſtillen Gipfel der Unſterblichkeit hinabſtürzen, da meinſt Du doch wohl die Philoſophen, wenn Du von ihnen ſagſt, daß ihr diebiſcher Eigennutz ſich der Zeit vordrängt und ſie mit ſchimmernden Phantomen blendet. Ach aller Eigennutz iſt ſchändliche Dieberei, wer mit dem Geiſt geizt, mit ihm prahlt, wer ihn aufſchichtet oder ihm einen Stempel einbrennt, der iſt der eigennützigſt[e]7*148Schelm, und was thun denn die Philoſophen, als daß ſie ſich um ihre Einbildungen zanken, wer zuerſt dies gedacht hat; haſt Du's gedacht oder geſagt, ſo war es doch ohne Dich wahr, oder beſſer: ſo iſts eine Chi¬ märe, die Deine Eitelkeit geboren hat. Was geitzeſt Du mit Münze, die nur dem elenden Erdenleben ange¬ hört, nicht den himmliſchen Sphären. Ich möcht doch wiſſen, ob Chriſtus beſorgt war drum, daß ſeine Weis¬ heit ihm Nachruhm bringe? Wenn das wär, ſo war er nicht göttlich. Aber doch haben die Menſchen ihm nur einen Götzendienſt eingerichtet, weil ſie ſo drauf halten, ihn äußerlich zu bekennen, aber innerlich nicht; äußerlich dürfte er immer vergeſſen ſein, und nicht er¬ kannt, wenn die Lieb im Herzen keimte. Ich will Dir was ſagen, mag der Geiſt auch noch ſo ſchöne er¬ habene Gewande zuſchneiden und anlegen und damit auf dem Theater herumſtolziren, was wills anders als blos eine Vorſtellung, die wir wie ein Heldenſtück de¬ klamiren, aber nicht zu wirklichen Helden werden da¬ durch. Du ſchriebſt an den Clemens: Sagen Sie nicht, mein Weſen ſei Reflexion oder gar, ich ſei mistrauiſch, das Mistrauen iſt eine Harpye, die ſich gierig über das Göttermal der Begeiſtrung wirft und es beſudelt mit unreiner Erfahrung und gemeiner Klugheit, die ich149 ſtets jedem Würdigen gegenüber verſchmäht habe. Dieſe Worte hab ich oft hingeſtellt wie vor einen Spiegel Deiner Seele und da hab ich immer ein Gebet empfun¬ den, daß Gott einen ſo großen Inſtinkt in Dich gelegt hat, der einem aus den Angeln der Gemeinheit heraus¬ hebt, wo alles klappt und ſchließt; und wenns ſich nicht paſſen wollt, zurecht gerichtet wird fürs Leben, ach nein, Du biſt ein Geiſt ohne Thür und Riegel, und wenn ich zu Dir mein Sehnen ausſpreche nach etwas Großem und Wahrem, da ſiehſt Du Dich nicht ſcheu um, Du ſagſt: Nun ich hoff es zu finden mit Dir.

Am Montag.

So ernſthaft hab ich geſchrieben, ich weiß ſelbſt nicht wie ich darzu komme, doch iſts der Nachklang von vor Mitternacht. Ich weiß ſelbſt nicht, wenn ichs an¬ ſehe, warums daſteht. Du gehſt weit über mich hinaus im reinen Schauen, denn Du biſt ein Seher, ich be¬ trachte nur die Schatten des Geiſtertanzes in den Lüf¬ ten, die Dich umſchweben. Was ſoll das alles vor Dir, ich fühl, daß ich von einer viel niederen Stufe, zu Dir hinanrufe, ob dies und das ſo iſt; ich ahne auch, daß Du mit einem leiſen Zauberſchlag mich ſtrafen kannſt, daß ich bei ſolchen Nachgedanken mich aufhalte. Ich150 weiß und weiß nicht. Im Thau baden, in den Mond ſchauen bei nächtlicher Weile iſt ſchöner als ſich wenden und den Schatten meſſen, den man in die beleuchtete Ebne wirft; ja ich war auch traurig wie ich geſtern ſchrieb, und aus der Traurigkeit ſteigt mir immer ſolcher Qualm von Hyperklugheit auf, Philiſtergeiſt! Ich ſchäme mich es iſt eine ſchlechte Sonate, deren Thema man bald auswendig kann und die einem abgeleiert vorkommt, wenn man ſie wiederholen wollt, das kommt vom Einſamſein her, da meint man, man müſſe was beſſers vorſtellen, wenn man mit ſich ſelber ſpricht. Ich merkt es als beim Schreiben das ſelbſtgefällige Geſchwätz, was ſich ſo ſchön fügte, mich verführte, und nun auf einmal bin ichs ſatt. Wie anmuthig und ſcherzend haſt Du alles ausgeſprochen und mit Deinem Zauberſtab Dir ſpielend einen Kreis gemacht, mit mir drin zu ſcherzen, und ich hab mit Dornen und Neſſel und Diſteln um mich gepeitſcht; ach ich fühl einen Widerwillen gegen meine Schreiberei von geſtern. Hätt ich Dir nicht beſ¬ ſer den wunderlichen Abend beſchrieben, Die ſeltſame Nacht, die ich mit der Tonie erlebt habe. So eine Wundernacht vergeht nicht, ſie beſteht ewig mit ihren leiſen Schattenbildern, mit ihren Lichtdämmerungen und eiligen Luftzügen und wie ſie den Schlummer Woge151 auf Woge wälzt; gewiß wie die Welt geboren wurde, da war es Nacht und da ſtiegen die Gipfel der Unſterb¬ lichkeit, die ſtillen von denen Du ſagſt, zuerſt auf aus den Waſſern und da drängte ſich die Welt ihnen nach und liegt nun, und über ihr ſtrömen die Sprachen jener Einſamen durch den Nachthimmel. Ja ich find mich nicht zurecht, wenn in einer ſolchen Nacht alles ſchläft weit und breit, und der Geiſt mächtig mit ſeinen Flü¬ geln die Luft durchſegelt. Und alle die Philoſophen, die die Menſchheit erwecken wollen, ſchlafen doch ſo feſt und fühlens nicht. Und ob blos, wenns einem ge¬ gönnt wär in jeder Nacht die Augen zu öffnen, und ihren tiefen Faltenmantel zu durchſchauen, den ſie über die Natur ausbreitet und dann ihre heimlichen Geiſter umher¬ ſchweifen, anhauchen alles Lebende; ob der nicht hierdurch ein Seher würde himmliſchem Wiſſen. Es iſt doch ſo Seltſames in der Nacht, man ſollte meinen, der Tag ſei einmal ſchon in Beſchlag genommen von der Verkehrtheit, aber die Nacht ſei noch ganz frei da¬ von; man fühlt ſich in der lautloſen ſilbernen Mond¬ zeit aufgezogen wie die rankende Pflanze, die hinaus¬ ſtrebt in die Lüfte, den vorüberſchweifenden Geiſtern ſich anzuhängen und hier und dort von ihrem Hauch zu trinken. Aber was ſteig ich und ſchwindel ich152 denn immer noch, als lief ich am Waldrand hin? ja in der Nacht wars ſo klar in meinem Sinn, daß ich laut lachte, und nun ſchweifts von Berg zu Thal und betaſtet die Erinnerung. Und all mein Denken ſol¬ cher Nachhall wie wär ich in eine Kluft gefallen. Wir waren am Nachmittag zum weiten Spaziergang fort¬ gewandert und wußten wohl nicht genau die Zeit, die ſpäter war als wir glaubten, und weil überall der Pfad an etwas Neugierigem ſich hinzog, bald ein brauſend Bächlein zwiſchen Klippen, bald ſonnenhelles Grün und Hügel und Gemäuer und dann ein Wald mit mächti¬ gen Kronen, da kamen noch Schaaren von Vögel über uns hingezogen, denen wir nachſahen, da wars bald gar aus, wir wußten nicht wo wir hergekommen waren und wo wir hinwollten, gern wären wir wieder umge¬ wendet, wenn wir nur ahnen konnten wo der Heimweg war. Wir machten einander Muth durch den Wald auf einem breitern Weg, der quer lief, fortzuwandern; weil friſche Spuren da waren, ſo mußte er dort zu Men¬ ſchen führen, noch hielten wir den Wind, die allmälig ſinkende Helle für vorüberziehende Wolken, aber es war der Abendwind, der das Laub vor uns her wehte, wir ſagten es einander nicht, aber merkten es bald, ſchrit¬ ten immer fort und ſahen bald zwiſchen den hohen153 Wipfeln durch, den rothen Himmel glänzen, und wie der ſich verzog in ein dämmerndes Gold, aber ohne Schein und endlich ein Blau, ſchweigende Sternchen glitzerten, und der Pfad lief immer fort im Wald und die Sterne ſahen hoch herab, und keins wagte die Stille zu unter¬ brechen, ſchweigend, ein Tritt nach dem andern raſchelte durchs Laub. Ach, ſagt ich, laß uns einen Augen¬ blick ausruhen, Du wirſt ſehen, dann wird der Wald auf einmal ſich aufthun; ach, ſagte die Tonie leiſe, was wird das werden, wo kommen wir hin? ſtatt zu klagen, mußte ich laut lachen; um Gotteswillen wie kannſt Du ſo ſchaurig lachen, ſchweig ſtill, es können böſe Leute in der Nähe ſein, die uns hören. Ich meint aber, wenn wir ſo ſacht redeten und wanderten, das könnt noch viel gefährlicher ſein, und die Tonie ließ ſich überreden, daß ich ein Lied ſang. Das ſchallte! Das machte mich ſo glücklich, und der ſchweigende Wald, und dann ich wieder, und dann er wieder. Die Tonie hatte ſich auf dem Pfad ſo geſetzt, um die Richtung nicht zu verlieren, der wir ſchon die ganze Zeit gefolgt waren, ich aber lag rückwärts und ſah in die Höh, auf ein¬ mal entdeckte ich, daß der Wald links lichter ward, und daß der Himmel ganz frei war; ich ſagte, dort müſſen wir hin, da ſind wir gleich aus dem Wald. 7**154 Um Gotteswillen verlaß den Pfad nicht, denn ſo im Dickicht herum zu ſtolpern in der Nacht, da können wir in Gruben fallen, laß uns ruhig auf dem Weg fortgehen, ich war aber ſchon vorwärts geſchritten und ſtolperte wirklich und raffte mich auf und fiel wieder, und kletterte über Stock und Stein, und die Tonie rief von Zeit zu Zeit, ich antwortete, und da war ich plötzlich im Freien auf der Höhe, die ſich abflachte in eine weite Ebne, die ich nicht ermeſſen konnt, aber ganz in der Ferne ſah ichs glänzen, ich rief: hier ſteh ich und ſeh den Rhein, Du mußt aus dem Wald heraus, denn auf dem Waldpfad kannſt Du noch Stunden lang unnütz fortwandern. Wir kamen uns entgegen mit Rufen durch die Nacht, doch rückt ich nicht weit herein, aus Furcht, den Weg zu verlieren, endlich reich¬ ten wir einander die Hand und nun zog ich ſie hinter mir her. Es iſt ein dumm klein Abenteuerchen, aber es machte mich doch ſo froh, ſo aus dem finſtern Wald heraus gefunden zu haben. Da ſtanden wir und guck¬ ten uns um ob das dort ein Dorf iſt; oder dort, ob das ein Licht iſt? Wir ſetzten uns am Waldrand hin und lugten, es ließ ſich nichts hören, kein Vögel¬ chen, es war gewiß ſchon ſpät, vielleicht bald elf Uhr, und da brennte auch kein Licht mehr in den Örtern,155 drum konnten wir ſie in der Ferne nicht ſehen; wir ruhten gelaſſen ein Weilchen, und da war es ſo groß um uns her, und das that ſo wohl, und dann ward es heller, der Mond mußte bald kommen, da wußten wir, daß es um elf Uhr war. Jetzt ſah die Tonie einen Ort für ganz gewiß, ſie ſah das Kirchdach deut¬ lich glänzen, wir ſchlenderten, rutſchten, kletterten und kamen in die Ebene. Die Tonie behielt das Kirchdach im Aug, ich war zu kurzſichtig, aber ich lief voran, denn einen Weg zu bahnen, das kann ich beſſer. Links! rechts! rief ſie, und ſo gings über abgemähte Felder, endlich an einen Graben mit Waſſer, den wir glücklich überſprangen, dann über Zäune, dann Wieſen, dann Gärten, und der Mond war auf, beleuchtet einen brei¬ ten Weg, der nach dem Ort führt, aber ein großes feſtes Thor ſchließt dieſe verwünſchte Stadt, die in ihrem Mondſchein in Todtenſtille verſunken liegt, daß nicht ein Hund bellt, nicht eine Katz mauzt. Da ſtehen wir mit unſern Stecken in der Hand und gucken das Thor an, das war mir ſchon ſehr lächerlich, ich ſag: ob ich verſuch hinüber zu klettern? denn es war oben offen, aber unmöglich, denn es war ſehr hoch, von eichnen Bohlen in ein Paar glatte dicke Pfähle die An¬ geln eingefügt. Da ſeh mal, ſagt die Tonie, da iſt156 zwiſchen dem Pfahl und der Stadtmauer ein Ritz, Hand breit wenn ich die Oberkleider abwerf und den Athem anhalt, ſo kann ich durch, und nun ge¬ ſchwind alles, was mich hinderte, an die Erd geworfen und durch war ich, da ſetzte ich mich aber erſt auf den Eckſtein am Thor und lachte, und das ſchallte die Straße hinab und fand ein Echo und ſchallte wieder herauf. Ach ich bitte Dich, lach nicht, Du weckſt alle Leute auf und die können uns wer weiß was thun, flehte ſie durch den Ritz, ich nahm mich zuſammen, beſichtigte das Thor, fand daß es mit zwei ſtarken ei¬ ſernen Riegeln zugebummſt war, nahm einen Stein und klopfte die Riegel zurück. Mach keinen Lärm, poltere nicht ſo, aber das half nicht, ich war im hei¬ ßen Eifer, das Thor mußte weichen, auf einmal gingen beide Flügel aus einander, und da ſtand ſie vor mir und hielt ihren Einzug; jetzt wanderten wir ſchweigend durch die Straßen und muſterten die Häuſer, wir klopf¬ ten an den Thüren, an den Laden, kein Laut gab Ant¬ wort, endlich öffnet ſich ein Giebelfenſterchen, ein Männ¬ chen guckt heraus mit einem brennenden Kienſpahn in die Luft leuchtend, bei deſſen Flamme wir ein bebarte¬ tes Kinn entdecken, und alſo auf ein ungetauftes Mit¬ glied der Menſchheit ſchließen, welches ſeine Stimme157 auch nicht läugnet. Wir ſind Kurgäſte aus Schlan¬ genbad, die ſich verirrt haben und hätten gern einen Führer. Er bedeutet, daß gegenüber der Thorwächter wohnt. Wir klopfen an, eine Weile dauert es, auf einmal thut ſich ein Loch am Boden auf und un¬ ter der Erde kommt herauf ein in braunem Pelz ein¬ gehüllter Rieſe mit einem Baum in der Hand, ein Stock wars nicht, dazu wars zu groß, er ſetzt ſich in Trapp und treibt uns vor ſich her zum Thor hinaus, immer zu, den Pfad am Berg hinauf, bald aber ſagte mir die Tonie ins Ohr, wenn der gewaltige Mann dahinter uns mit ſeinem Kolben einen Schlag gäbe, es iſt mir recht bang, nun wir laſſen den Mann vor uns gehen, da ſehen wir doch wenn er uns was thun will. So marſchierte denn der Goliath vor uns her, ach wie rauſchten die Birken neben uns her und malten ihren Schatten uns unter die Füße, wie quoll das Dunkel aus dem Wald dem Mondlicht entgegen, und die kleinen Wäſſer rauſchten von den Bergen nie¬ der und wallten zwiſchen Weiden fort, und an manchem ſchlafenden Dorf gings vorüber, und dann auf der Höh, noch einmal mußt ich mich noch umſehen nach dem Silberſtreifen des Rheins im Mondglanz, und Berge in der Ferne ſanken und ſtiegen, aber am meiſten war158 doch das Regen in der Luft, was umherſchwirrte und flüſterte in den Zweigen, und Träume, kindiſche, die mir das Herz beben machten, und dunkle Bilder, die aus dem Wald nebenan hervortraten, das hielt mir die Seele wach und doch wars als ſchlummre ich ſorglos und wandle nur im Traum, und die Himmelsſterne er¬ blaßten allmählig und die einzelnen Hütten im Thal waren noch unbewußt des Tags, der ſich ahnen ließ, aber die Wachteln ſchlugen im Feld und kündeten ihn an, da ſahen wir Schlangenbad. Wer war froher wie wir, ich aber über alles, mich freut die herrliche Nacht. Die Schatten am Weg, die unſern beleuchteten Weg ſtill umſtanden, und der Abſchied der Nacht, wie ſie noch einmal die Wipfel ſchüttelte, das alles iſt mir lieb, es iſt ein Geſchenk von den Göttern, wie ſo manche andre Stunden, wo's war als wollten ſie mich beſchenken mit ſüßem ſchwärmeriſchem Gefühl von in¬ nerlicher Kraft des Entzückens. Das wars, was ich Dir erzählen wollt und was viel ſchöner iſt, wie alles Denken und Urtheilen: ſich dem Leben der Natur na¬ hen und ſtill und ſtumm ihre Vorbereitungen mit an¬ ſehen und wie ſie weiht und reinigt in feierlicher Nachtſtille.

159

An die Günderode.

Offenbach. Mai 1805.

Sorg nicht um meine Geſundheit; im Dachſtübchen bin ich ganz fidel; ich muß mit meinem Schatten an der Wand lachen. Drei Sätz die Trepp herauf, und die Flügel geſpreizt und herunter hinter die Pappel¬ wand, wo was weißes flattert. Da, wo wir vorm Jahr den Spitz begraben haben, ſpielte der Wind im Mondſchein mit einem Papier; es flog aber gleich über die Gartenwand, wie ichs haſchen wollt. Mit dem gu¬ ten Spitz fürchtete ich mich nicht in der Nacht; er bellte nur als immer die Geiſter aus dem Weg. Der Kla¬ vierhofmann iſt noch immer unſer Nachbar; heut Nacht wie ich im Bett lag, da jagte er wieder wie ſonſt ſeine enharmoniſchen Läufe im geſtreckten Galopp auf und ab; ich gab meinen Schlaf auf, und meine Sinne freudig drein, die jagten mit. Mit dem Verſtand Muſik faſſen, wie die muſikaliſchen Philiſter, das geht nicht, ich muß empfinden. Sinne-gewiegt von der Muſik mich hingeben wie ſchlummernd, dann hab ich Gedanken, ſchnell wie die Sterne dahin fah¬ ren, oft am Himmel. Ich bekümmre mich als, daß160 ich nicht denken kann was ich will, und muß von allem mich irren laſſen, wie auf dem Markt, wo man hin und her läuft vom Guckkaſten zum Puppenſpiel, zum Bär der tanzt, oder mit den Zigeunern mich er¬ götzen am Mainufer, wenns Marktſchiff Philiſter aus¬ ſpeit, und die betrunknen Muſikanten ſchmettern ſie hinaus. Allerlei geht mir im Kopf herum, aber wenn ich ſchreiben will, iſt die Luft leer von Gedanken, und die meiſten Worte ſind überflüſſig, ich muß ſie wieder wegſtreichen, wie hier im Brief. Bei Muſik bin ich geſammelt, die Gedanken fahren nicht herum, ſie ſind ſtill und ſchauen innerlich Ding, was mich vergnügt. Die Seel wächſt, die Knosp ſpringt auf und ſaugt Mondlicht. Eine Weil hört ich zu im Bett, wies Ge¬ witter kam ſprang ich heraus und ſetzte mich aufs Fen¬ ſter. Muſik bringt alles in Einklang, ſie donnert durch die hellſternige Nacht ihren gewaltigen Strom, dann tanzt ſie hin und grüßt mit jeder Well die Blum, die da heimlich blüht am Ufer. Wenn dann die Wol¬ ken vom Windſturm daher gejagt kommen, dann wer¬ den ſie als gleich, als von ihrem Hauch bezaubert; der Regen rollt Perlen unter ihren tanzenden Schritt, beim leuchtenden Blitz vom Donner durch die ſchwarze Nacht geſchnellt, die er mit ſchallenden Schwingen durchraſt,161 das iſt alles ein Hymnus mit der Muſik; nichts widerſpricht, noch ſtörts das ſtille Brüten der Sinne. So hab ich die halbe Nacht verlebt, ein Leben, wies nicht beſſer iſt noch ſein wird mit der Zeit. Jetzt ſteh ich in der Blüth, Honig bis an Rand voll, alles aus dem Innern. Mit den Andern hab ich kein Verſtehen, ich ſchäm mich, vor ihnen anders zu ſein wie ſie. Du biſt mir gut, und der Clemens, mit dem kann ich doch nicht ſein wie ich bin, er fürchtet ſich und kann nicht ver¬ tragen, daß ich mich ausſtröm, bald iſts zu feurig, bald zu wehmüthig, wo ich doch gar nicht traurig bin, aber weil er ſchön iſt wie ein Gedanke aus meiner Seel, ſo muß ich liebvoll zu ihm ſein. Das weiß er nicht, daß es Muſik iſt in mir, die ihn liebt, ich muß es ſo gehn laſſen, alles muß reifen mit der Zeit. Mit Dir ungeſtört ſein, da fühl ich das junge Grün, wie das aus mir hervorkeimt, Du machſt kein Weſen davon, daß im Frühjahr die friſchen Grashalme und Kräuter duften; ſo bin ich zufrieden und blüh all meine Ge¬ danken heraus vor Dir.

162

20. Mai.

Geſtern war Sonntag, heut Morgen war ich gar nicht ärgerlich, wie mich die Hühner aus dem beſten Traum gegagſt haben, wie als in Frankfurt, wo die Lisbet als grad Holz in Ofen geworfen hat, wie eben ein goldner Vogel mir wollt aus die Hand fliegen. Die Acacien im Hof ſind recht gewachſen, ſie ſchneien im Sonnenſchein ihr letzt Silber aufs Grün. Der Gar¬ ten lag ſo Morgentrunken vorm Fenſter, ich ging hinab, meinen alten Weg nach der Bretterwand hinter den Pappeln, und kletterte herüber ins Boskett, wo ich Dir hier ſchreib. Daß doch immer meine Kleider reißen, wenn ich recht jauchzend bin. Zank nur nicht, daß ich mein Gewand nicht geſchont habe. Dornen - Röschen hat mir ein Fetzchen davon behalten, wie ich verſucht hab, ob ich noch zwiſchen dem Eiſengeländer vom Boskett durchwitſchen kann; es geht noch, ich hab noch nicht zugenommen an Erdenballaſt, da ſitz ich auf der Terraß am Main, auf dem die Waſſerſpinnen luſtig in der Frühſonne herumfahren. Käm der Genius doch daher gewandelt; ich könnt ihm mehr nicht ſagen, als was die Bienen ſummen. Iſt mir doch als ge¬ hör ich zu dem blühenden Zitronenbaum; iſt ſo ſtill163 alles wie am Feiertag, und der reinliche Kies mir unter den Füßen klirrt ſchüchtern, Alles voll Schauer und Harren, daß Er komme, Der, auf den auch Ich harre, oder war er ſchon hier? und hat es früher ſo geordnet für mich, daß ich merke, Er ſei's geweſen, dem die ſonnebelaſteten Äſte ſich gebeugt, und die Welle nachmurmelt zu meinen Füßen. Ich wollts be¬ ſingen, abers Lüftchen, das nach ihm ſucht im Gebüſch, kehrt wieder und hat ihn nicht gefunden und ſchweigt, und regt ſich nicht mehr, ſo muß ich auch ſtumm ſein.

An die Bettine.

Dein Brief macht mir Freude, es iſt ein geſundes, munteres Leben darin, das ich immer lieb in Dir ge¬ habt habe. Du führſt eine Sprache, die man Styl nen¬ nen könnte, wenn ſie nicht gegen allen herkömmlichen Takt war. Poeſie iſt immer echter Styl, da ſie nur in harmoniſchen Wellen dem Geiſt entſtrömt, was deſſen unwürdig iſt, dürfte gar nicht gedacht werden, oder viel¬ mehr darf alles Ereigniß den Geiſt nur poetiſch berüh¬ ren, ſonſt leidet er Abbruch, wie ich das heute Morgen164 habe erfahren müſſen, wo mir von Hanau eine veraltete Familien-Schuhmacher-Rechnung 17 Flr. zugeſchickt wurde, die ich nicht bezahlen kann, meine Verlegenheit poetiſch aufzulöſen ſchicke ich Dir den kleinen Apoll als Geißel ſammt Türkheims Lorbeerkranz, gieb mir das Geld.

Wenn Du einige Stunden in der Geſchichte genom¬ men haſt, ſo ſchreibe doch darüber; beſonders in wel¬ cher Art Dein Lehrmeiſter unterrichtet, und ob Du auch rechte Freude dran haſt. An dem Mährchen hab ich die Zeit ſehr fleißig geſchrieben, aber etwas ſo leichtes,[buntes], wie mein erſter Plan war, kann ich wohl jetzt nicht hervorbringen; es iſt mir oft ſchwer zu Muth und ich habe nicht recht Gewalt über dieſe Stimmung.

Grüße den Clemens wenn Du ſchreibſt, ich denke daran, ihm zu ſchreiben, und warte nur den Moment ab, wo mirs wieder leichter iſt, damit ich ihm mit gu¬ tem Gewiſſen ſeinen Unmuth und ſeine Launen vor¬ werfen kann.

Karoline.

165

An die Günderode.

Geld liegt im Pult am großen Spiegel, in der dritten Schublad links, in den andern Schubladen liegt aber auch vielleicht noch, zieh alle Schubladen ganz heraus, ob etwas dahinter gefallen iſt. Der Schlüſſel liegt unter dem Blumenkaſten auf der Altan, wo die Kapuzinerblumen ſtehn, den Apoll halt rein vom Staub, und daß ihn die Fliegen nicht bedippeln mit ſammt dem Lorberkranz; und vom Styl weiß ich nichts als von Dir, nichts überflüſſiges, nur was zur Sach ge¬ hört ſollt ich ſchreiben. Ich hab meinen Brief verputzt, wie beim Apfelbaum, alle Raupenneſter und Zweige ohne Fruchtkeime ausgebrochen, bis er ganz kahl war. Man ſoll von jedem unnützen Wort Rechenſchaft geben, geſchrieben kann man nicht abläugnen, ſo muß man ſich zuſammennehmen. Der Menſch empfängt den Geiſt mit Gedanken und Worten, es ſind die Gemächer, in denen er ihn herbergt, die Ehrengewande, die er ihm umlegt, aber die müſſen durchſichtig ſein und knapp anliegen, und die Räume einfach, denn was er nicht ausfüllt, das verbaut ihn. Ich merk als daß die Men¬ ſchen ſehr dumm ſind, und fürchterliche Umwege ma¬166 chen ums Zentrum, ja mir ſcheint jede Wahrheit ein Zentrum zu ſein, das wir nur umkreiſen, nie berühren. Geſtern mußt ich der Großmutter aus dem Hemſterhuis vorleſen, ſie ſagte, das iſt ein herrlicher Gedanke, und legte mir eine Pfeffernuß drauf, da kam mir dieſer, Gedanke.

Am Montag.

Der Geſchichtslehrer kommt dreimal die Woch, Dienſtag, Mittwoch und Donnerſtag, eingeklammert hinten und vorn in zwei Faulenzer, Freitag Samſtag am End, Sonntag Montag am Anfang. Er un¬ terrichtet mich ſo, daß ich wahrſcheinlich der Zukunft ewig den Rücken drehen werde, und ſo auch um die liebe Gegenwart geprellt wär, wenn die unreifen Apri¬ koſen in der Großmutter Garten nicht meinen Diebsſinn weckten, mit dem ich doch für meinen Verſtand etwas handgreiflicheres zu erbeuten gedenke, als: Die Ge¬ ſchichte Ägyptens iſt in den erſten Zeiten dunkel und ungewiß. Das iſt ein Glück, ſonſt müßten wir uns auch noch da rum bekümmern; Menes iſt der erſte König, von dem wir wiſſen, mir auch recht, wenn wir nur was geſcheutes von ihm erfahren haben. Er erbaute Memphis und leitete den Nil in ein ſiche¬167 res Bett. Möris grub den See Möris, die ſchädlichen Überſchwemmungen des Nils zu hindern. Dann folgt Seſotris der Eroberer, der ſich ſelbſt entleibte. Warum? War er ſchön? hat er geliebt? war er jung? war er melancholiſch? auf all dies er¬ folgt vom Lehrer keine Antwort, nur die Bemerkung, er möge wohl eher alt zu denken ſein. Ich demon¬ ſtrire ihm vor, daß er jung war, blos um das Rad der Zeit in Schwung zu bringen, das im Geſchichtskoth der Langenweil immer ſtecken bleibt. Es rumpelte auch noch über den Buſiris, der Thebä erbaute, Pſamtichus, der die getheilten Staaten unter ſeine Flügel nahm, dann die Kriege mit Babylonien, Nebucadnezar, dems der Cambyſes Cyrus Sohn wieder abnimmt. Die Ägyp¬ ter vereinen ſich mit Lybien, machen ſich wieder frei, kriegen mit den Perſern, bis Alexander dem Streit und zu meinem Vergnügen dieſer Geſchichte ein End macht. Das iſt der Inhalt der erſten Stunde, Du ſiehſt, daß ich aufgepaßt hab. Hätt ich aber den Sporn nicht gehabt, Jagd auf die Langeweile zu machen, und Dir zu zeigen, wie unnütz es iſt, die Aſche, von der die Natur nicht einmal das Salz verbrauchen kann, wieder anzufachen, es giebt doch keine Gluth mehr; ich dächte wir ließen einſtweilen die alten Herrſcher in ihren Py¬168 ramiden fortſchimmeln. Frühling ſchwellet die Erde, ringsum drängt er die Keime und grünt in entfal¬ tenen Blättern drängt auch wohl meinen Sinn, be¬ rauſchet mir ſchwellend die Lippe, daß in erneuerter Sonne die ſpröden Hüllen und Knoſpen meiner Gedan¬ ken zerberſten. Ich war heut Morgen im Wald, an der Chauſſee ſchon mit der Morgenröth, die eine Saf¬ franbinde um ſeine Wipfel legte, der feuchte Grund wechſelte die blauen Vergißmeinnichtbeete mit den gold¬ nen Butterblumen, es war ſo feucht, ſo warm, ſo mooſig, es war ſo brennend im Geſicht, und ſo kühlig am Boden.

Der Thau war ſo ſtark, ich war ganz naß gewor¬ den; als ich nach Hauſe kam, da trat mir der Lehrer ſchon mit dem achtzehnhundertſten Jahr der Welt entgegen, wo Nimrod Babylonien geſtiftet. Ich wollte nicht fragen, wer der Nimrod war, aus Furcht er möcht mirs ſagen, und es wär eben auch unnütz, es zu wiſſen. Wenn nun der Nimrod ein guter Kerl war, um den es ſchad wär und der mir beſſer gefallen könnt, als die jetzigen Menſchen, ſo wollt ich ihm wohl die Dauer der Unſterblichkeit gönnen, aber der Lehrer jagte gleich den Aſſyrer Ninus hinter drein, der das Reich erobert, von wo er Mittelaſien beherrſcht, ich jagte alſo ohneAuf¬169Aufenthalt mit, bis das Reich wieder befreit wird durch Nabopolaſar, von dem ich auch nicht weiß, woher er geflogen kam. Nebucadnezar erobert Ägypten; Ba¬ bylonier, Aſſyrer, Meder führen Krieg bis Cyrus der Perſer alle Reiche wieder erobert. Babiloniſche Ge¬ ſchichte umfaßt 1600 Jahr, hat um elf Uhr angefangen und Glockenſchlag zwölf Uhr aus, ich ſpring in Garten.

Freitag.

Heut Morgen war der Geſchichtskerl nicht da, da hab ich Generalbaß ſtudiert, von dem könnte ich eher ſagen, daß ich was gelernt hab, über den hab ich Ge¬ danken, er ſpricht mich an wie Geheimniß, obſchon der Hofmann ſagt: Alles iſt klar wie der Tag ich gebs zu deswegen iſt der klare Tag mir auch ein Ge¬ heimniß, ſo gut wie der einfache Harmonienſprung, von dem Hofmann heut ſagte: Betrachtet man die Tonika nicht allein als ſolche, ſondern auch in Bezug auf jede andre Tonika, als eine ihr verwandte Tonart, wo ſie vermöge, und in dem Grade ihrer Verwandtſchaft wie¬ der Beziehung hat auf alle Seitenverwandtſchaften, und daher immer wieder als ſolche ſich geltend machen kann; ſo ſieht man leicht, wie alle möglichen Gattun¬ gen von Dreiklängen vermittelſt einfacher Harmonien¬8170ſprünge auf einander folgen können. Ich glaubs, aber begreifs nicht; betrachten? kann man denn alles betrachten, wie man will? kann ich die Wolken da oben betrachten wie mein Daunenbett, ſo werden ſie doch nicht herunter kommen, mich zudecken. Der kleine Hofmann ſieht mich an, erſtaunt über meine Dummheit und wird ſelbſt ganz dumm, denn er verſtummt. End¬ lich ſagt er ganz freundlich, das nächſtemal werde er gewiß eine Form gefunden haben, um mirs begreiflich zu machen, er ging in die Muſikprobe, wo er tauſend Har¬ monienſprünge mitſpringen wird. Käm doch bald die nächſte Stund, am Tanz der Dreiklänge möcht ich er¬ proben, ob mein Geiſt auch einen kühnen Sprung thun kann, oder ob ich geboren bin, kriechend zu lernen wie die Raupe. Wahrlich, ich möchte gern wiſſen; nicht wie mit der alten raupenfräßigen Geſchichte. Ach Gott! ich hab keine Ausſicht! Geſtern Abend ging ich noch nach dem Nachteſſen hier im Garten; da hört ich ordentlich das Gras wachſen, aber ſo was gilt nicht für Geſcheutheit oder Verſtand. Die grünen Äpfel am Spalier unterm grauen Laub, die bepelzten Pfirſich muß ich reſpektiren, die kommen vorwärts, aber ich da wollt ich mich beſinnen auf was ich von je an gelernt hab, da kann ich doch nicht die Gebetchen171 mehr, die ich vier Jahr lang jeden Tag herſagte. Das Vaterunſer, den Glauben, den engliſchen Gruß kann ich nur noch bruchſtückweis; den ganzen Sommerabend, auf den ich ſo lüſtern war, hab ich verſimulirt, um den Glauben wieder zuſammen zu flicken: Aufgefah¬ ren zu den Himmeln ſo weit, ſchreibe mirs im nächſten Brief, was folgt. Aber im Grund: Auf¬ gefahren zu den Himmeln, wär ein gut End, wenn Du's alſo auch vergeſſen haſt, ſo ſchad's nichts, ſo brau¬ chen wir beide es nicht zu wiſſen; aber nachkommen thut noch was, das weiß ich.

Samstag.

Ach geſtern war ein Tag voll Sonnenſchein, die Mückchen und Käfer haben ihn vertanzt und verſummt, die verſtehn das Schwelgen im Genuß; ich hab ſie be¬ lauſcht, im hohen Gras überbaut von der Leinwand, die da auf der Bleiche liegt. Die alte Couſine begoß ſie ein paarmal in der Mittagsgluth, es dauerte eine Weile bis die einzelnen Tropfen durchkamen und mich benez¬ ten, ich hörte da unten der Muſikprobe zu von den Symphonien, die aus dem Boskett herüberſchallten in mein ungebildet Ohr, und es in Erſtaunen ſetzten über alles was es nicht faſſen konnt. Muſik, in Tönen da¬8*172her getragen, durch die Lüfte, die ganze Gewalt der Of¬ fenbarung über uns ausſtrömend, und dann verſchwe¬ bend; wer kann ſie wieder wecken, wenn ſie verhallt iſt; ich bin ſo närriſch, mir deucht ich müßt verzweifeln, daß ſie verklungen iſt, und hab ihr nichts abgewinnen können. So wirds noch manchmal gehen, es wird klingen und ich werds nicht faſſen. Geſtern ſprach ich mit der Großmutter, die ſagte: was der Ver¬ ſtand nicht faßt, das begreift das Herz. Ich begreif das wieder nicht.

Heut Morgen ſagt der Hoffmann: Der einfache Harmonienſprung iſt, wenn zwiſchen zwei auf einander folgenden Accorden eine Harmonie im Verſtande gehört wird. Ich hör nicht im Verſtand dieſe Harmonie, ich bin ganz durchdrungen von dem was ich fühle, nicht was ich verſteh. Glaubs, Muſik wirkt, begeiſtert, entzückt, nicht dadurch, daß wir ſie hören, ſondern durch die Macht der übergangnen dazwiſchenliegenden Har¬ monien, dieſe halten den hörbaren körperlichen Geiſt der Muſik durch ihre unhörbare geiſtige Macht verbun¬ den mit ſich. Das iſt das ungeheure Einwirken auf uns, daß wir durchs Gehörte gereizt werden zum Un¬ gehörten; denn wir ſind durch Einen Ton mit allen173 verwandt und durch Alle mit jedem einzelnen beſonders; allein ich kanns ſagen, gewiß ich bin während der Muſikprobe auf einen Gedanken gefallen wie Gott die Welt erſchaffen hat. Das große Wort: Es werde, leuchtet mir ein. Ohne das Eine iſt Alles nichts; Ohne Alles iſt nicht das Eine. Im Athemzug wallt die ganze Schöpfung: Feuer, Erde, Luft und Waſſer, und alles Leben und alles Sein iſt Vermählung dieſer vier Geiſter, die das Leben des Weltalls ſind. Dieſe Vier ſchaffen und erzeugen auch ſich ſelbſt im Geiſt, den ſie in einan¬ der vereinigen. Muſik iſt Selbſterzeugung dieſer vier Elemente in einander. In jedem Weſen das lebt, er¬ zeugen ſich die Elemente; das iſt Geiſt der iſt Muſik. Auch das Thier hat Muſik, es iſt ſinnlich durchdrungen von Waſſer, Luft, Erde und Feuer, von ihrem Geiſt, der in ihm ſich erzeugt, darum wirds ſo aufgeregt durch Muſik, weil ſeine Sinne in ihr ſchlummern, träumen, und alles hat gleiche Rechte an die Gottheit, was durch Selbſterzeugung der Elemente in ihm, zu Geiſt erhoben wird. Ich habs aufgeſchrieben, ich ſtarr dieſe Zeilen an, und weiß nicht was ich ſagen wollte.

Am lichten Tag zerſtiebt das Geiſterheer der Ge¬ danken, aber dort unter der Leinwand, wo die Sonne174 durch die geſammelten Waſſertropfen auf mich tropfte, wo ich im Netz gefangen lag all der blühenden Gräſer, dort war mirs klar: Nicht was wir mit den Sinnen vernehmen iſt wahre Wolluſt, nein! vielmehr das was unſere Sinne bewegt zum Mitleben, Mitſchaf¬ fen, das iſt Leben, das iſt Wolluſt, Wirkend ſein! Genug, die Geiſter waren mächtig in mir während der Muſik; deutlich riefen ſie mir zu: Eine Geige nimm und fall ein, ſo wie du fühlſt, daß du zur Entfaltung des Harmonienſtroms mitwirken kannſt, und kannſt ihn heben und dich geltend machen im Verbrauſen deiner Begeiſtrung; und dort auf der Höhe dich ausdeh¬ nen, dich fühlen in jedem Ton durch die Verwandtſchaft deiner Stimme mit. Sollte Einer Harmonielehre ver¬ ſtehen und mit Verſtand anwenden, er müßte heimlich die Welt beherrſchen, ohne daß es einer merkt, und das ganze Univerſum kläng ihm wie eine Symphonie und die ganze Weltgeſchichte trommelte und pfiff und ſchal¬ meiete zu ſeinem großen Weltplaiſir.

Ja ich verſtehs, dem Hoffmann werd ichs zwar ſo nicht ſagen, dem werd ich den erſten, zweiten und drit¬ ten Grad aller Verwandtſchaften darlegen, und wie al¬ les mir unterworfen iſt zu dienen, wie ich jedem die Herrſchaft übertragen kann, und wieder abnehmen und175 wie ich alſo immer herrſche, ſo lang ich im Strom gött¬ licher Harmonie mitſchwimme.

Adieu! ich ſtrecke wie ein Krebs meine Scheeren aus dem ſeichten Grund meiner Wahrnehmungen und packe was ich zuerſt erwiſche um mich aus dem eignen Unverſtand loszuwinden.

An die Bettine.

Halte doch noch eine Weile aus, mit Deinem Ge¬ ſchichtslehrer; daß er Dir möglichſt kurz die Phyſiogno¬ mien der Völkerſchaften umſchreibt, iſt ganz weſentlich. Du weißt jetzt, daß Ägypten mit Babylonien, Medien und Aſſirien im Wechſelkrieg war, fortan wird dieſes Volk kein ſtehender Sumpf mehr in Deiner Einbildung ſein Regſam und zu jeder Aufgabe kräftig waren ihre Unternehmungen für unſre Faſſungsgabe beinah zu gewaltig; ſie zagten nicht, bei dem Beginn das Ende nicht zu erreichen, ihr Leben verarbeitete ſich als Tag¬ werk in die Bauten ihrer Städte, ihrer Tempel, ihre Herrſcher waren ſinnvoll und umfaſſend heroiſch in ih¬ ren Plänen, das Wenige, was wir von ihnen wiſſen,176 giebt uns den Vergleich von der Gewalt ihrer Willens¬ kraft, die ſtärker war, als die jetzige Zeit zugiebt, und leitet zu dem Begriff hin, was die menſchliche Seele ſein könnte, wenn ſie fort und fort wüchſe, im einfachen Dienſt ihrer ſelbſt. Es iſt mit der Seelennatur wohl wie mit der irdiſchen, ein Rebgarten auf einen öden Berg gepflanzt, wird die Kraft des Bodens bald durch den Wein auf Deine Sinne wirken laſſen; ſo auch wird die Seele auf Deine Sinne wirken, die vom Geiſt durch¬ drungen den Wein Dir ſpendet der Kunſt oder der Dich¬ tung oder auch höherer Offenbarung. Die Seele iſt gleich einem ſteinigten Acker, der dem Reben vielleicht grade das eigenthümliche Feuer giebt, verborgne Kräfte zu wecken; und zu erreichen, zu was wir vielleicht uns kein Genie zutrauen dürften. Du ſtehſt aber wie ein läſ¬ ſiger Knabe vor ſeinem Tagwerk, Du entmuthigſt Dich ſelbſt, indem Du Dir den ſteinigten Boden, über den Dorn und Diſtel ihren Flügelſamen hin und her jagen, nicht urbar zu machen getrauſt. Unterdeß hat der Wind manch edlen Keim in dieſe verwilderte Steppe gebettet, der aufgeht um tauſendfältig zu prangen. Dein ſcheuer Blick wagt nicht den Geiſt in Dir ſelber aufzufaſſen. Du gehſt trutzig an Deiner eignen Natur vorüber, Du dämpfſt ihre üppige Kraft mit muthwilliger Verſchwörung177 gegen ihren Wahrnehmungsgeiſt, der Dirs dann doch wieder über dem Kopf wegnimmt, denn mitten in Dei¬ ner Deſolationslitanei ſprühſt Du Feuer, wo kommt es her? haben Dich die Erdgeiſter angehaucht? fällt Dirs vom Himmel? ſchlürfſt Du's mit der Luft in Dich? ich weiß es nicht, ſoll ich Dich mahnen, ſoll ich Dich ſtillſchweigend gewähren laſſen? und ver¬ trauen auf den, der Dirs ins Geſicht geſchrieben hat? ich weiß es wieder nicht. Ich möchte wohl, aber dann wird mir zuweilen ſo bange, wenn ich, wie in Deinem letzten Brief, das Vermögen in Dir gewahr werde, wie das läſſig in ſich verſchränkt keinen Mucks thut, als ob der Schlaf es in Banden halte, und wenn's ſich regt, dann iſts wie im Traum, nur Du ſelber ſchläfſt um ſo feſter, nach ſolchen Exploſionen! Ob ich recht thue, Dir ſo was zu ſagen? das quält mich auch, man ſoll den nicht wecken, der während dem Gewitter ſchläft! Du kommſt mir nun immer vor, als entlüden ſich elek¬ triſche Wolken über Deinem verſchlafenen Haupt in die träge Luft, der Blitz fährt Dir in die geſunkne Wimper, erhellt Deinen eignen Traum, durchkreuzt ihn mit Be¬ geiſterung, die Du laut ausſprichſt, ohne zu wiſſen was Du ſagſt, und ſchläfſt weiter. Ja ſo iſts. Denn Deine Neugierde müßte aufs Höchſte geſpannt ſein auf alles,8**178was Dir Dein Genius ſagt, trotz dem, daß Du ihn oft nicht zu verſtehen wagſt. Denn Du biſt feige ſeine Eingebungen fordern Dich auf zum Denken; das willſt Du nicht, Du willſt nicht geweckt ſein, Du willſt ſchla¬ fen. Es wird ſich rächen an Dir magſt Du den Lie¬ benden ſo abweiſen? der ſich Dir feurig nähert? iſt das nicht Sünde? ich meine nicht mich, nicht den Clemens, der mit Beſorgniß Deinen Bewegungen lauſcht, ich meine Dich ſelbſt, Deinen eignen Geiſt, der ſo treu über Dir wacht und den Du ſo bockig zurückſtößt. Je näher die Berge, je größer ihr Schatten, vielleicht daß Dich die Gegenwart nicht befriedigt, was uns nä¬ her liegt wirft Schatten in unſre Anſchauung, und da¬ her iſt gut, daß der Vergangenheit Licht die dunkle Ge¬ genwart beleuchte. Darum ſchien mir die Geſchichte we¬ ſentlich, um das träge Pflanzenleben Deiner Gedanken aufzufriſchen, in ihr liegt die ſtarke Gewalt aller Bil¬ dung, die Vergangenheit treibt vorwärts, alle Keime der Entwicklung in uns ſind von ihrer Hand geſäet. Sie iſt die eine der beiden Welten der Ewigkeit, die in dem Menſchengeiſt wogt, die andere iſt die Zukunft, daher kömmt jede Gedankenwelle, und dorthin eilt ſie! Wär der Gedanke blos der Moment, in uns geboren? Dies iſt nicht. Dein Genius iſt von Ewigkeit zwar,179 doch ſchreitet er zu Dir heran durch die Vergangenheit, die eilt in die Zukunft hinüber ſie zu befruchten; das iſt Gegenwart, das eigentliche Leben; jeder Moment, der nicht von ihr durchdrungen in die Zukunft hinein¬ wächſt, iſt verlorne Zeit von der wir Rechenſchaft zu geben haben. Rechenſchaft iſt nichts anders als Zurück¬ holen des Vergangenen, ein Mittel das Verlorne wieder einzubringen, denn mit dem Erkennen des Verſäumten fällt der Thau auf den vernachläſſigten Acker der Ver¬ gangenheit, und belebt die Keime noch in die Zukunft zu wachſen. Haſt Du's nicht ſelbſt letzten Herbſt im Stiftsgarten geſagt, wie der Diſtelbuſch an der Treppe, den wir im Frühling ſo viele Bienen und Hummeln hatten umſchwärmen ſehen, ſeine Samenflocken aus¬ ſtreute: Da führt der Wind, der Vergangenheit Sa¬ men in die Zukunft. Und auf der grünen Burg in der Nacht, wo wir vor dem Sturm nicht ſchlafen konnten, ſagteſt Du damals nicht, der Wind komme aus der Ferne, ſeine Stimme töne herüber aus der Vergangen¬ heit, und ſein feines Pfeifen ſei der Drang in die Zu¬ kunft hinüber zu eilen. Unter dem Vielen, was Du in jener Nacht ſchwäzteſt, lachteſt, ja frevelteſt, hab ich dies behalten, und kann Dir nun auch zum Deſſert mit Deinen eignen großen Roſinen aufwarten, deren Du ſo180 weidlich in Deinen muſikaliſchen Abſtraktionen umher¬ ſtreuſt. Du gemahnſt mich an die Fabel vom Storch und Fuchs, nur daß ich armes Füchslein ganz unſchul¬ dig die flache Schüſſel Geſchichte Dir anbot, Du aber Langſchnabel, haſt Dir mit Fleiß die langhalſige Flaſche der Myſtik im Generalbaß und Harmonielehre er¬ wählt, wo ich denn freilich nüchtern und heißhungrig dabei ſtehe. Den Blumenſtrauß hat der Jude*)Ein Briefbote, der alle Tage von Offenbach nach Frank¬ furt ging. abge¬ geben, den Wachholderſtrauch hab ich hinter dem Apoll aufgepflanzt, ſie umduften ihn, die blauen Perlen, und die feinen Nadlen ſtichlen auf ihn. Wenn Du kommſt, ſo verbrennen wir ſie im Windöfchen in meiner Kam¬ mer, und alle böſe Omen mit, drum ſei nicht ungehal¬ ten, wenn ich Dir manchmal ein wenig einheitze, ich freu mich aufs luſtige Feuerchen.

Karoline.

Sei mir ein bischen ſtandhaft, trau mir, daß der Geſchichtsboden für Deine Phantaſien, Deine Begriffe ganz geeignet, ja nothwendig iſt. Wo willſt Du Dich ſelber faſſen, wenn Du keinen Boden unter Dir haſt? Kannſt Du Dich nicht ſammeln, ihre Einwir¬181 kung in Dich aufzunehmen? Vielleicht weil, was Du zu faſſen haſt gewaltig iſt, wie Du nicht biſt. Viel¬ leicht weil der in den Abgrund ſpringt freudigen Her¬ zens für ſein Volk, ſo ſehr hatte ihn Vergangenheit für Zukunft begeiſtert, während Du keinen Reſpekt für Va¬ terlandsliebe haſt, vielleicht weil der die Hand ins Feuer legt für die Wahrheit, während Du Deine phan¬ taſtischen Abweichungen zu unterſtützen nicht genug der Lügen aufbringen kannſt, denen Du allein die Ehre giebſt, und nicht den vollen ſüßen Trauben der Offenba¬ rung, die über Deinen Lippen reifen.

Ob Hofmann Deine muſikaliſchen Erleuchtungen unter der naſſen Leinwand begreifen wird bin ich be¬ gierig zu erfahren. Wenn er verſtehen ſoll, ob Du recht verſtanden haſt, ſo wirſt Du ihm wenigſtens in deut¬ licheren Modulationen Deinen enharmoniſchen Schwindel vortragen wie mir. Das iſt es eben, die heilige Deutlichkeit, die doch allein die Verſicherung uns ge¬ währt, ob uns die Geiſter liebend umfangen. Wenns nur nicht bald einmal aus wird ſein mit der Muſik wie mit Deinen Sprachſtudien, mit Deinen phyſikali¬ ſchen Eruptionen und Deinen philoſophiſchen Aufſätzen, und dies alles als erſtarrte Grillen in Dein Daſein hineinragt; wo Du vor Hochmuth nicht mehr auf182 ebnem Boden wirſt gehen können, ohne jeden Augen¬ blick einen Purzelbaum wider Willen zu machen.

Karoline.

An die Günderode.

Du ſtrahlſt mich an mit Deinem Geiſt, Du Muſe, und kommſt wo ich am Weg ſitze, und ſtreuſt mir Salz auf mein trocken Brod. Ich hab Dich lieb! pfeif in der ſchwarzen Mitternacht vor meinem Fenſter und ich reiß mich aus meinem mondhellen Traum auf, und geh mit Dir. Deine Schellingsphiloſophie iſt mir zwar ein Abgrund, es ſchwindelt mir da hinab zu ſehen wo ich noch den Hals brechen werd, eh ich mich zurecht find in dem finſtern Schlund, aber Dir zu lieb will ich durchkriechen auf allen Vieren. Und die lü¬ neburger Haid der Vergangenheit, die kein End nimmt, mit jedem Schritte breiter wird; Du ſagſt im Brief, der mir zu Lieb ſo lang geſchrieben iſt, ſie ſei mir noth¬ wendig zum Nachdenken, zur Selbſterkenntniß zu kom¬ men; ich will nicht widerſprechen! Könnteſt Du doch die neckenden grauſenerregenden Geſpenſter gewahr werden, die mich in dieſer Geſchichts-Einöde verfolgen183 und mir den heiligen Weg zum Tempel der Begeiſtrung vertreten, auf dem Du ſo ruhig dahin walleſt, und mir die Zaubergärten der Phantaſie unſicher und unheimlich machen, die Dich in ihre tauſendfarbigen Schatten auf¬ nehmen. Thut der Lehrer den Mund auf, ſo ſehe ich hinein wie in einen unabſehbaren Schlund, der die Mam¬ muthsknochen der Vergangenheit ausſpeit, und allerlei verſteinert Zeug, das nicht keimen, nicht blühen mehr will, wo Sonn und Regen nicht lohnt. Indeß brennt mir der Boden unter den Füßen, um die Gegenwart, um die ich mich bewerben möcht, ohne mich grad erſt der Vergangenheit auf den Amboß zu legen und da plattſchlagen zu laſſen. Du ſprichſt von meinem Wahr¬ nehmungsvermögen mit Reſpekt; hab ichs aus der Ver¬ gangenheit empfangen wie Du meinſt, wenn ich Dich nämlich recht verſteh, ſo weiß ichs doch nicht wies zu¬ ging. Iſts der Genius, der dort herüber gewallt kommt? das willſt Du mir weiß machen! fei¬ ner Schelm! Mein Genius, der blonde, dem der Bart noch nicht keimt, ſollte aus dem Schimmel herausgewachſen ſein wie ein Erdſchwamm! Wahr¬ lich, es giebt Geiſter, die drehen ſich um ſich ſelber wie Sonnen; ſie kommen nicht woher und gehen nicht wo¬ hin, ſie tanzen auf dem Platz, Taumeln iſt ihr Ver¬184 gnügen, der meinige iſt ganz berauſcht davon, ich laſſe mich taumelnd dahin tragen. Der Rauſch giebt Dop¬ pelkraft, er ſchwingt mich auf, und wenn er mich auch aus Übermuth den vier Winden preis giebt, es macht mir nicht Furcht, es macht mich ſelig wie ſie Ball mit mir ſpielen, die Geiſter der Luft! und dann komm ich doch wieder auf gleiche Füße zu ſtehen, mein Ge¬ nius ſetzt mich ſanft nieder das nennſt Du ſchlafen in träger Luft, das nennſt Du feige? ich bin nicht feige; ſeine Eingebungen fordern mich auf zum Denken, meinſt Du, und daß ich dann lieber ſchlafe meinſt Du, Ach Gott! Denken, das hab ich verſchwo¬ ren, aber wach und feurig im Geiſt, das bin ich. Was ſoll ich denken, wenn meine Augen ſchauen jene Vergangenheit hinter mir im Dunklen, wie kann ich ſie an den Morgen knüpfen, der mit mir vorwärts eilt. Das iſt die Gegenwart, die mich mit ſich fortreißt ins ungewiſſe Blaue, ja ins Ungewiſſe; aber ins himmli¬ ſche, blonde, goldſtrahlende Antlitz des Sonnengotts ſchauen, der die Roſſe gewaltig antreibt, und weiter nichts. Der Abend fängt mich auf in ſeinem Schooß, ſinnend lieg ich ein Weilchen, lauſch in die Ferne! grö¬ ßere Helden deucht mir da auf der vollen Heerſtraße der Geſchichte, am heutigen Tage ihre muthigen Roſſe tummeln185 zu hören; ja ich will, ich möcht hin, das Banner vor ihnen hertragen, wie wollt ich mich des Lüftchens freun das drinn flattert, wie wollt ich mich der eignen Locken freun, die getragen im jauchzenden Galopp mich umſpielen mit leiſem Schlag auf meine Wangen, wie kühn ins Leben hinein gejagt, wie raſch hinter Ihm drein, über die Haid! Wie luſtig! aufwärts, vorwärts, hinab durch den Dampf. Der auf dem Berg winkt, ſein Aug ruht auf mir, ſeine Trommeln lenken, ſeine Trompete ruft! und dann in der Nacht vor ſeinem Zelt! und ſchlaf feſt, denn Er, der Zeiten Genius, weckt zur rechten Stund, und im Schutze ſeines Gefieders, ſchau ich die Gefilde, Ihn überwallen, die Völker wecken, ſie anglühn mit ſeinem Feuerblick, daß ſie freudig Hoch¬ zeit machen mit dem Tod, auf Lorbeerumſproßtem Bett; nun Kamerad willſt Du mit?

Heute hat die Vergangenheit ausgeſpieen, ſo kurz wie möglich, denn ich ſaß ihr auf dem Dach, das aſſyriſche Reich von Aſſer gleich nach dem babylo¬ niſchen Reich geſtiftet; das Wort geſtiftet macht mir immer Zerſtreuung, vom Kloſter her noch, wo ich ſo oft hab vorleſen müſſen, der heilige Bonifacius ſtiftete den heiligen Orden der Benediktiner, oder der Antonius von Padua oder Franziscus ꝛc., es gemahnt mich an186 jene Kämpfe, die dieſe heiligen Feldherrn mit der Legion Teufel zu beſtehen hatten, und da denk ich mir gleich alle Völker, mit denen ſie im Kampf waren, gehörnt mit Bocksfüßen, feuerſpeiend und peſtilenzialiſchen Geſtank verbreitend, den mir die Vergangenheit herüberweht. Die heiligen Aſſyrer aber in Kutten, die ihnen das Kämpfen erſchweren. Ich denk, ich denk alle Teu¬ fel, unterdeß Ninus der Eroberer von Mittelaſien her¬ überwitſcht, Ninive die Hauptſtadt von Aſſyrien er¬ baut, mit Tod abgeht, ſeinem kriegs - und bauluſtigen Weib Semiramis noch ein Stück Babylon zu bauen übrig läßt, worauf ſie glänzende Feldzüge macht; das alles verſäumt über dem Kloſter und Waldteufel ſammt heiligen Ordensmännern. Durch Winkelzüge und Fragen kriegt ichs aus dem Lehrer noch heraus, daß weiter nichts paſſirt war. Über der Geſchichte der Semiramis hat Vergangenheit ſo dicken Schimmel wachſen laſſen, daß ſie noch eben mit dem blauen Aug der Unſterblichkeit ihres Namens davon kommt, ſonſt wüßten wir gar nichts. In der Folge beherrſchten die Meder Aſſyrien, es machte ſich wieder frei, bis der ba¬ byloner König Nabopolaſar, (unter welchem ich mir einen Centaur denk, der Cylbenfall ſeines Namens hat etwas Ähnliches mit dem Galopp eines leichten arabiſchen187 Renners) es erobert und mit den Perſern theilt. Damit hat die Vergangenheit für heute noch nicht ge¬ nug, ſondern meldet ferner: Die älteſte Geſchichte der Meder iſt unbekannt, Arbazes, ihr Statthalter, befreit durch Überwindung des Sardanapals vom aſſyriſchen Joch im Jahr der Welt 3108, genau gemeſſen, des Leh¬ rers Phantaſie erſtreckt ſich lediglich aufs Jahr der Welt. Dejozes erbaut Eckbatana (lies Tians Offenba¬ rungen über dieſe herrliche Stadt). Aſtyaches (wo kommt der her?) vermählt ſeine Tochter dem Perſerkö¬ nig Cambyſes, deſſen Sohn Cyrus ſeinen Großvater vom Thron ſtieß, (der alſo zu lang ſitzen geblieben war), er vereinigt Medien, Aſſyrien und Perſien und ſtiftet das große Medoperſiſche Reich, der Jud Hirſch vom Geſchlecht Eſau ſtreckt ſeine rauhe Hand herein, es in Beſitz zu nehmen, er wirds unterjocht hal¬ ten in ſeinem alten Sack, bis Du's befreieſt, ſchmeißt Du's ins Ofenloch mit dem alten Papier, ſo bringſt Du mich um einige ſchwer eroberte Vergangenheit.

Schreib vom Mährchen.

Schreib dem Clemens nichts von mir, ſag ihm nur nichts von meiner Ausgelaſſenheit, er meint gleich, ich wär beſeſſen, er thut mir tauſend Fragen, er iſt ganz verwundert, daß ich ſo bin, er forſcht, er ſucht eine Ur¬188 ſach und frägt andre Leut, ob ich verliebt ſei, wo ich doch nur im heiligen Orden meiner eignen Natur lebe. Zum Beiſpiel wenn er wüßte, daß ich Abends auf dem Dach vom Taubenſchlag ſitz und der untergehenden Sonne auf dem Flageolett vorblaſe, würde ers gut hei¬ ßen? Mein arm jung Leben liegt mir am Herzen, ich kann ihm nichts verſagen. Red nichts von mir, laß die Leute bei ihrer herzlich ſchlechten Meinung von mir, es iſt meine beſte Freud, ich geh mit meinem Dä¬ mon um, der ſagt: Du ſollſt Dich nicht verthei¬ digen. Ich thu was er will, alles andre iſt mir ei¬ nerlei; einmal hab ich Viſionen von ihm, ſo gut wards der Pſyche nicht, ſie ſah doch nicht ſeinen Wiederſchein, denn es war ſtockfinſtre Nacht um ſie, ich aber, wenn ichs im Herzen fühl, ſo ſeh ichs auch was mich ent¬ zückt, warum ich leben mag, himmliſch feucht Leben im Jugendſtrahl, vortretend, ein Biſchen auf die Seit ge¬ neigt, ſteht er immer vor mir, nicht den Blick mir grade zuwendend, nein beſcheiden zeigt er ſich in meiner Bruſt, der Gott, dem ich mich einſchmeichle, mit ſüßen Thrä¬ nen, der mich Morgens vom Lager ſchüttelt, wo's kaum tagt, ich ſoll mich aufmachen, vielleicht begegne ich ihn bei Tagesanbruch, ſo eil ich flüchtig vorwärts, ich fühl mich ſchön im Herzen, ich fühl meine Schönheit, mein189 Geiſt iſt ein Spiegel, der iſt voll himmliſchem Reiz, jeder Thautropfen am Weg ſagt mir, ich gefalle mei¬ nem ihm, was brauchts mehr, wem ſollt ich noch gefallen wollen außer ihm? Nein glaubs doch nur, er iſt wirklich! er ſchreitet ſo leicht, er entſchwindet mit jedem Tritt, aber er iſt gleich wieder da! Wie ſich das Licht im Auge ſpiegelt, mich blendend deckt es ſich im Schatten, dann faßt es wieder Licht, dann ſchwin¬ delts, es ſieht den Strahl verſchweben, doch leuchtet der fernhin wieder auf, das Auge ſucht ihn, es hat ihn ſchon gefunden, dann ſchließt ſichs und ſiehet innerlich, das iſt ein ſtill Genießen. O ich weiß alles! ich weiß zu lieben, aber nur den Genius. Keiner darf wiſſen das Geheimniß, was ſich im Feuerkreis um mich ſchwingt. Wenn ich ſo da ſteh, ſtill mit geſchloſſe¬ nen Armen. Und der Blick, den nennt die Gro߬ mama ſtarr; Mädele was ſtarrſt, ſollt man glauben. Du wärſt außer der Welt entrückt. Ich fuhr auf da lacht ſie. Gutes Kind wo biſcht? biſcht beim Schutzengel? und zieht meine Hand an ihre Bruſt, ſo ſagen die Schwaben, wenn einer ſo in ſich verſtummt. Ich wollts bejahen und konnt doch nicht. Der ruft mir: Schweig! und ſollt ich einen Laut thun? ? Nein er ſagt: Schweig! das190 ſchließt mir den Mund auf ewig. Ewig, Günderod. Du biſt der Widerhall nur, durch den mein irdiſch Leben den Geiſt vernimmt, der in mir lebt, ſonſt hätt ichs nicht, ſonſt wüßt ichs nicht, wenn ichs vor Dir nicht ausſpräch. Dem Clemens ſag nichts als daß ich brav ſtudier wies vom Himmel regnet, und daß nichts dabei herauskommt, das ſage auch, aber von mir von Uns ſag nichts. Er brauchts nicht zu wiſſen, daß wir ſo himmliſche Kerle ſind, heimlich mit einander, wo er nicht dabei iſt und keiner. Schau auf, Günderod, gleich wird ein himmliſcher Tänzer aus den Couliſſen hervor ſchweben. Tanz iſt der Schlüſſel meiner Ahnun¬ gen von der andern Welt. Er weckt die Seel, ſie redt irr wie ein Kind, was in Blumen-Labyrinthen ſich verliert, da ſchwankts Kindchen und die Ärmchen ſtreckts aus, nach blühenden Zweigen, weils taumelt, weils ſo lang im Kreiſe ſich drehte; ſchauts auf, da ſteht der Mond über ihm und ſänftigt den Schwindel mit an¬ gehaltnem, ſtillem Blick, an dem erholt's ſich wieder. Was meinſt Du was ich Dir da vorſchwindel und muß die Thränen verbeißen. Ich mein als, ich könnt die ganz Welt auf die Welt bringen mit meinem Mund, wenn der nur ſprechen wollt wies Gott ihm auf die Zung legt, aber wenn ſie heraus damit ſoll,191 dann ſtockt ſie. Aber dabei bleibts, wir mögen ſtammeln oder lallen oder auch nur ſeufzen, wir wollens einan¬ der alles ſtill verborgen abhören, nicht wahr? wie auf der grünen Burg im Abendroth, wo wir im Feld¬ graben lagen, da war ich freudig mit der Zung, da wars immer als wär einer hinter mir der mirs ein¬ flüſtre, Du frugſt, was ich mich denn umdreh ſo oft? ich ſagt: hinter mir tanzt's denn ich wollt nicht ſa¬ gen: ſprichts, denn es war mehr ſo getanzt, und flüchtig geſchwungen im Kreis, Nymphen die ſich bei der Hand hielten hinter den drei großen Cypreſſen her¬ vor, ſchmiegten ſich anmuthig, die Füßchen zuſammen, und die Köpfchen, Du gucktſt mich an und ſagteſt: ſei kein Narr! haha, ich muß lachen das war zu ſpät, freilich bin ich ein Narr! denn was ich Dir da vorplaudre, das iſt eine Weiſe, nach der wird ge¬ tanzt hinter mir, und ſo war unſer tiefer Philoſophen¬ text in die Luft geſprengt, was wars doch? von der innerlichen Wahrnehmung und von der Anſchauung im Geiſt, ob die verſchieden wären und wo ſie herkämen, aus der Empfindung oder aus dem Gefühl, und wo dieſe Quellen ſich herleiten, ob links ob rechts; das alles wollteſt Du da im zunehmenden Dämmerlicht aus mir herauspumpen. Schwernoth! das war zu arg, ich möcht192 Dir heut noch eine Ohrfeig geben drüber, aber das war grad mein himmliſchſtes, daß Du nicht bös gewor¬ den biſt, und haſt die geſchlagne Wange ſanft an mich gelehnt, und haſt gegirrt wie eine Taube, und ſagteſt: ja wie ich fragte, thuts weh, aber es thut nichts. Hier hab ichs hingeſchrieben, denn wenn ſo viel un¬ nütz Zeug geſchrieben ſteht, ſo kann auch geſchrieben ſtehen, daß ich Dir eine Ohrfeig gab. Aber die große ſchöne Verſöhnungsſtille über uns, die Dämmerung, die immer breiter ward und größer, und der Nebel¬ vorhang vor dem Weidengang vom Feldberg herab, und der Feuerſaum längs dem ganzen Horizont, wie werd ichs vergeſſen? erſt hingen wir einander im Arm, ganz ſtill, und dann lag ich quer über Deinen Füßen, ſo dacht ich Du ſchläfſt, weil ich Dich hart ath¬ men hörte, und wollt eben auch einſchlafen. Da fingſt Du an zu reden (da haſt Du's in Muſik geſetzt):

Liebſt du das Dunkel
Thauigter Nächte
Graut dir der Morgen?
Starrſt du ins Spätroth
Seufzeſt beim Mahle
Stößeſt den Becher
Weg von den Lippen
Liebſt du nicht Jagdluſt
Reizet dich Ruhm nicht
Schlach -193
Schlachtengetümmel
Welken dir Blumen
Schneller am Busen
Als ſie ſonſt welkten,
Drängt ſich das Blut dir
Pochend zum Herzen

Ach Du ſtockteſt. Das hab ich meiner Ungeduld zu danken zu hören, nein zu fühlen Deinen ſüßen Wör¬ tertanz, wie er ſich mit vollem Buſen ſanft hinablehnte zu den Wellen, die ihn umfaſſen wollten und kühlen. Ich konnts nicht erwarten, daß Du weiter tanzteſt Dei¬ ner Seele Tanz. Und da wars vorbei; da macht ich einen Vers dazwiſchen um Dich in Trapp zu bringen, Du ſagteſt: geh Du Eſel da wars aus. Ach wie viel Melodien hab ich auf dieſen Vers geſungen, alle Stimmungen hat er müſſen aufnehmen, heut noch längs der Gartenwand ſchlug ich mit einem Stock ans Eiſen¬ gitter, das dröhnte mir im Herzen wieder als als wärs Herzpochen, und ſang dazu ſo kühn, ſo laut, ſo ſchreivoll, als ſtünd mein Herz mitten in Flammen und eilte ſich mit Pochen über alle Maßen. Weißt Du nicht weiter zu ſingen, was paſſirt, wenn ſich das Blut pochend zum Herzen drängt? oder willſt mirs nicht ſagen? bin ich Dir dazu auch noch zu jung? wenn Du das meinſt, dann will ich Dir beweiſen, daß ich weit drüber9194hinausgreif und daß ich mehr weiß als viele denen das Herz ſchon gepocht hat wie mir nicht. Einmal erregt ſich das Herzpochen durch Anlächeln das hab ich aus eigner Wahrnehmung, geſtern Abend erſt auf der Bank vor der Hofthür, da ſaß ich es war elf Uhr, alles ſchlief, beim Nachbar brannte ein Nachtlämpchen.

Adieu, ſchlaf recht wohl, denn es iſt elf Uhr, alles ſchläft wieder, ich will wieder mich auf die Bank ſetzen vor die Hofthür, es iſt Vollmond, geht gleich auf, ich will ihn ſteigen ſehen. Gute Nacht.

An die Bettine.

Dein buntes Füllhorn fröhlicher Verſchwendung er¬ löſt mich vom Übel. Gedanken ſind mir oft läſtig in der Nacht, die mir am Tage einen trüben Nachklang geben, ſo wars heute! Dein jung friſch Leben, das Schmettern und Toſen Deiner Begeiſterung und beſon¬ ders Dein Naturgenuß ſind Balſamhauch für mich, laß mirs gedeihen und ſchreib fort, auch Deine Dithyrambi¬ ſchen Ausſchweifungen, die ſo plötzlich der Flamme be¬ raubt verkohlen, als habe ſie ein muthwilliger Zugwind ausgeblaſen, ſind mir gar lieb. Bleib mir zu195 Lieb noch eine Weile bei der Geſchichte, ſo wie Du es jetzt treibſt kann es Dir nicht läſtig fallen, wenn ſie auch jetzt Dir noch nicht viel Ausbeute giebt, ſo weißt Du ſie doch ins Kunſtgeflecht Deines Tags zu verwen¬ den, ich ſeh Dich bald, George hat mir verſprochen, mich im Gick mit hinauszunehmen, verbring Deine Nächte nicht ohne Schlaf, klettre nicht auf die Dächer und Bäume, daß Du den Hals nicht brichſt, und denk, daß dies der Weg nicht iſt, Deine Geſundheit zu ſtär¬ ken. Was ſagt denn die Großmama dazu, iſt ſie da¬ mit zufrieden?

Dem Clemens will ich gern von Deinen Briefen an mich nichts ſagen, weil Du es nicht willſt, und ich fühl auch, das es nicht ſein kann, es wär Störung ohne Gewinn, er ſieht Dich ſo ganz anders, ohne daß er Dich falſch beurtheilt, nur ſieht er in jedem Farbenſtrahl Deines Weſens, wie Diamanten, die er meint faſſen zu müſſen und doch nicht erfaſſen kann, weil es eben nur Strahlenbrechen Deiner Phantaſie iſt, die ihn und jeden verwirrt. Glaubſt Du denn, daß ich ruhig bin, wenn Du ſo mit mir ſprichſt, von einem zum andern ſpringſt, daß ich Dich jeden Augenblick aus dem Auge verliere. Du hebſt mich aus den Angeln mit Deinen Wunder¬ lichkeiten! Doch ich will nicht freveln! Dein La¬9*196chen, das mich oft außer mir gebracht hat, womit Du mich beſchwichtigen wollteſt nun ich muß mir es ge¬ fallen laſſen, daß Du mit allen Pfeilen wie ein armes Wild mich hetzeſt. Und der Clemens, der mich immer ſpornt mit Dir zu lernen, der immer von mir wiſſen will, was und wie Du es treibſt. Dem es leid thut um jeden Athemzug, der von Dir verloren geht, der hinge¬ riſſen iſt von Deinen kleinen Briefen an ihn, wo Du ganz anders, wie ein Kind ſchreibſt, ſo fromm, und an mich ſo ausgelaſſen, was ſoll ich dem nur ſagen? Das Eine thu mir nur, und rappel mir nicht einmal vom Dach herunter mit Deinem Flageolett; hätt ich nicht Vertrauen in Gott, daß der weiß, zu was alles in Dir ſo iſt und nicht anders, und daß es ja doch nur ihn angeht, da es ſein Belieben war. Deine Seele ſo zu bilden. Was ſollt ich von Dir denken? Clemens ſchreibt, Du müßteſt fortwährend dichten und nichts dürfe Dich berühren als nur was Deine Kräfte weckt, es iſt mir ordentlich rührend, daß während er ſelber ſorglos leichtſinnig, ja vernichtend über ſich und alles hin¬ ausgeht was ihm in den Weg kommt, er mit ſolcher An¬ dacht vor Dir verweilt, es iſt als ob Du die einzige Seele wärſt, die ihm unantaſtbar iſt. Du biſt ihm ein Heiligthum, wenn er manchmal von Offenbach herüber¬197 kam, da war er ganz ſtill in ſich vertieft, wo ſonſt ſeine Koketterie fortwährend geſpannt war, kleine Kritze¬ leien von Dir hat er oft ſorgfältig aufgehoben, es wäre traurig wenn Du keinen liebenden Willen zu ihm hät¬ teſt; ſchreib doch nicht mehr paſſirt , das Wort iſt nicht deutſch, hat einen gemeinen Charakter und iſt ohne Klang, kannſt Du nicht lieber in den rei¬ chen deutſchen Ausdrücken wählen wie es der reine Ausdruck fordert. Vorgehet, ereignet, begiebt, geſchieht, wird, kömmt; das alles kannſt Du anwenden aber nicht: paſſirt. Ich muß Dir aber doch antworten, weiter paſ¬ ſirt nichts. Und Du weißts ja ſchon alles beſſer wie Du ſchreibſt, da Du in der Nacht auf der Hofbank ſo große Abenteuer erfahren haben willſt, die Dein Herz bewegten. Ich bin nicht bange, daß Du mir es nicht ſagen ſollteſt, wenns wirklich was Erlebtes iſt und Du Deine Lügen bis zum nächſten Brief nicht ver¬ geſſen haſt. Dann auch bitt ich, daß Du nicht mehr fluchſt, Deine Briefe ſind mir ſo lieb, und Deine Extra¬ vaganzen alle ſind mir verſtändlich und lieb, aber Worte, die Du blos um zu prahlen hinzufügſt, wie Schwere¬ noth, und die keine Bedeutung haben in Deinem Mund, die kannſt Du ungeſagt laſſen, denn ſonſt glaub ich nicht, daß der Wohllautenheit und des Tanzes Genius198 Deine innern Erlebniſſe begleiten. Zweitens ſchieb mir nichts zu, was ich nicht verſchuldet habe; des Abends auf der Burg erinnere ich mich deutlich, grade wie Du ihn beſchreibſt, ich war auch ſehr heimlich und bewußt, und bis zum andern Tag war die Stimmung mir geblieben von den Worten, die Du mit mir wechſelteſt, aber Eſel hab ich Dich nicht geſchimpft, das iſt wieder eine von Deinen ungeeigneten Erfundenheiten, laß nichts der¬ gleichen wieder auf mir belaſten, ich bin empfindlich; im Anfang Deines Briefes nennſt Du mich Muſe und am End läßt Du Deine Muſe Dich Eſel ſchimpfen, es wär zum Lachen, wenns nicht zum Weinen wär, daß Du Deine eigene Muſe ſo zu beſchimpfen wagſt.

Karoline.

An die Günderode.

Drei Uhr Morgens! Hier bin ich auf der Terraſſe am Main, ich wollt als immer einmal hergehn in der Früh wenn der Tag noch nicht auf den Beinen iſt und Lärm macht, am Tag bin ich zerſtreut, was mir immer wie Sünde deucht, daß ich Antheil nehm an199 was mich nichts angeht. Aber in der Früh, da hab ich ein ganz lauter Herz; und ſchäm mich nicht die Natur zu fragen, und ich verſteh ſie auch, geſtern Abend war mir ſo wohl hier, wie Bernhards Schiff mit der Harmonie hin und her fuhr auf dem Main, die meiſten Leut waren nachgefahren auf Nachen, wir blieben am Ufer, ich hatt mich ganz in die Ecke geſetzt, da ſteht ein großer Zitronenbaum, es war Wetterleuchten, aber die Hitz war doch nicht abgekühlt, und die Blüthen vom Baum wetterleuchteten auch, oder ſollt ich mich getäuſcht haben? denn ich war eingeſchlafen über der Muſik, und wie ich aufwachte, da ſah ich ganz ver¬ wundert wie der Zitronenbaum Flammen hauchte aus den Blüthen. Ich kanns doch nicht geträumt haben? Denn ich guckte eine ganze Weile zu, bis ein leiſer Regen kam, da gingen wir nach Haus. Wer weiß, was doch alles vorgeht in der Natur, was ſie uns verbirgt. Der Menſch hat ja auch als Gefühle, die er nimmer wollt belauſcht haben. Daß aber der Baum über mir fortleuchtete, wie ich mich beſann und ihm zuſchaute, das iſt mir ſo lieb, ich konnt nicht ſchlafen im Bett, es war mir zu wohl dort geſtern, wo ich den Herzſchlag der Natur fühlte und wo ſie mit ihren Blumen mich anflammte. Im Dunkel haucht man die Lieb aus, und ſchämt ſich nicht200 vor dem Schatz, weils dunkel iſt. Nun bin ich mit Zagen hergeſchlichen, heimlich, daß es nicht gewußt ſei, wie auch jenes Leuchten nicht gewußt iſt. Erſt greinte die Hofthür, aber heut Abend will ich ſie ſalben, wie der Properz, wenn er einen Liebesweg vor hat; dann krachte die Gartenthür, dann ſchurrte der Kies unter den Füßen. Man ſcheut das Gebüſch zu wecken, ſo ſtill iſt alles mit Ruh gedeckt. Die verſchlafnen Federnelk¬ chen ſchuckern zuſammen im frühen Thau, und mich ſchauert auch das ſtille Wirken der Natur, hier über der ſchlafenden Welt, obſchon der Wind nicht ſo ſcharf iſt der den Tag heraufweht. Heut iſt doch ganz milde, geſtern Abend war der Himmel grün und miſchte ſich mit dem Roth, das vom Untergang heraufzog, unten waren Purpurſtreifen und Violett mit Feuer umſäumt, dann kam die Nacht herauf. Heut früh ſchlagen die Morgenwolken ihre Feuerflügel um Euern ſchwarzen Dom, man denkt als, ſie wollten ihn in der Gluth ver¬ zehren; dazu ſchmettern die Nachtigallen, und das blaue Gebirg drüben, ſo ſtolz und kühl! das alles freut mich beſſer als Weisheit, hier unter dem Zitronen¬ baum, der geſtern Flammen und heut Thränen über mich ſchüttelt.

Und jetzt geh ich, Dir hab ich alles eingeprägt, das201 iſt nicht ausgeplaudert, mich lockts, damit es nicht ver¬ geſſen ſein ſoll, daß ich Dirs vertraut hab.

Nr. 2. Am Abend.

Heut iſt der Jud erſt um ſieben Uhr kommen.

Mit der Großmama bin ich im beſten Vernehmen, ſo lang die Tante im Bad iſt bleib ich hier, es gefällt ihr, daß ich gern bei ihr bleib, ich hab aber noch ſo manch andres was mich anzieht, wovon ſie nichts weiß. Heut Morgen kam ich dazu wie der Bernhards Gärt¬ ner mit einem Nelkenheber die dunkelrothen Nelken in einen Kreis um einen Berg von weißen Lilien verſetzte, in der Mitte ſtand ein Roſenbuſch. Dieſe Früharbeit gefiel mir wohl und hab mit Andacht dabei geholfen, der Dienſt der Natur, der iſt wie Tempeldienſt. Wenn der Knabe Jon vor die Tempelhalle tritt, und die zie¬ henden Störche bedeutet, daß ſie ihm die Zinne des Tempels nicht verunreinigen ſollen, wenn er dann die Schwelle mit kühler Fluth beſprengt, die Halle fegt und ſchmückt, ſo fühl ich in dieſem einſamen Tagwerk ein hohes Geſchick, vor dem ich Ehrfurcht habe. Ach ich möcht ein Knab ſein, Waſſer holen in der Morgenfriſche, wenn alles noch ſchläft, den Marmor poliren von den Säulen, meine Götterbilder ſtill bedeutſam waſchen, und9**202alles reinigen vom Staub, daß es leuchte im Dämmer¬ licht; dann, nach der Arbeit die heiße Stirn auf die küh¬ len Stufen legen und ruhen, in heimlichem Genügen; ruhen die Bruſt, die ſchwillt von Thränen, daß es ſo ſchön iſt in der dämmrigen Stille im Tempel; ſo ſcheint mir auch die heutige Arbeit ein Tempeldienſt der Natur; dann ihre Blumen in Kreiſen ſchön verſchlingen, iſt das nicht ihr gedient? Die Blumen, die ihren Duft un¬ ter einander ſchwenken in ſo dichter Fülle, iſt denen nicht ein ſchönerer Frühling bereitet? denn was uns ſchöner iſt in der Natur, iſt das nicht auch ihr ſelber ſchöner? Und ihre Bäume vom Moos reinigen, in nachbarliche Reihen pflanzen, ihre Blumenkelche fül¬ len, iſt das nicht ihrem Willen ſich hingeben? Läßt ſie die Sorge nicht gedeihen, und giebt der Früchte vom gepropften Reiß mehr und ſchöner und ſüßer da¬ für? Tempel und Natur, friedliche Nachbarn, Freunde! wie ich und Du, theilen ihre Gaben wie ich und Du. Vom Frühling bis zum Winter (da haſt Du mein Gelübde) theil ich mit Dir, wie mit dem Tempel der Naturgarten der ihn umzieht im Frühling haſt Du meine Keime, die alle dicht um Dich her aufwachen. Im Sommer wilder Vögelgeſang, der anſchlägt in ein¬ ſamer Nacht an deinen verſchloſſnen Pforten, und dann in203 der Ferne auch, wenn die Pilger heimziehen, die am Tag deinen Göttern huldigten, da glühen die Blumen, am Weg von mir zu Dir. Im Herbſt da roll ich meine Früchte zu Dir hin, leg ſie auf Deinen Altar, und den Honig meiner Bienen die Dich umſummen, be¬ wahr ich in Deinen Opferſchalen. Dann rauſch ich die fal¬ ben Blätter herab auf Deine Stufen, die umtanzen Dich im Winterwind, begraben ſich unterm Schnee, den meine belaſteten Äſte auf Dich niederſtürzen, dann brauſt es draußen und ſtürmt, aber meine Seele wohnt in Dir und pflegt Dich, giebt der Lampe reines Öl zu, die Deine ſtille Halle erleuchtet, und die Sterne vom hohen Fir¬ mament herab, leuchten über Deiner Zinne. Still iſts dann und verlaſſen von allen Menſchen ſind wir, die gebahnten Wege verſchneit, allein in Dir zu woh¬ nen, wenn wir des Lebens Grenzen mit einander ermeſ¬ ſen haben.

Wie die Natur eingeht zum Tempel im Winter und ruht da im Gottfühlen aus, das nennen die Men¬ ſchen Winterſchlaf, dann kehrt ſie wieder mit neuer Blüthekraft, und thaut und duftet den eingeſognen Him¬ melsathem, und ewig iſt der Tempel Gottes angehaucht von der Liebe der Natur.

Ich ſchreibs dahin, daß mirs ſo wohl iſt heut weil204 die Sonn mir aufs Papier ſcheint und meine Gedanken beleuchtet, da leſe ich ſo deutlich in meinem Herzen.

Der Gärtner iſt ſo gut, er ſuchte mir aus allen Büſchen die ſchönſten Blumen heraus, der Strauß ragte mir über den Kopf mit ſchönem Bandgras, auch friſches Laub dabei, und vom Lerchenbaum und von der Schar¬ lach-Eiche. Dieſer Baum iſt, was man ſchön gewachſen nennt, er ſtreckt ſein ſcharlachroth Laub in die blaue Luft hinaus zum Tanzen, der leiſeſte Wind bewegt ihn. Im Heimgehn hatt ich Gedanken, die mich ergözten, an denen mir gelegen iſt, daß ſie wahr ſein möchten, ſie waren nicht in mich gepflanzt, ſie wuchſen von ſelbſt auf wie jene Blumen auf der Haide. Morgenſtund hat Gold im Mund wär ich nicht früh draus gewe¬ ſen, ſo hätt ich ſie nicht denken können. Natur iſt lehrſam, wer ihre Lehrſtund nicht verſäumt, der hat zu denken genug, er kriegt die trocknen Lebenswege gar nicht unter die Füße, auf denen andern die Sohlen brennen. Was haſt Du zu ſorgen um mein Nacht¬ wachen? So viel Blumen, die nur des Nachts duf¬ ten! Müſſen denn alle Menſchen in der Nacht ſchla¬ fen? können ſie nicht auch wie der Nachtſchatten und Viola matronalis am Tag ſchlafen und Nachts ihren Duft aushauchen? Warum ſind manche Menſchen205 ſo unaufgeweckt und können nicht zu ſich ſelbſt kom¬ men am Tag, als weil es Nachtblüthen ſind, aber die leidige Tagsordnung hat ſie aus den Angeln gerückt, daß ſie kein Gefühl haben von ihrem Naturwillen. Drum verlieben ſie ſich auch verkehrt. weil ihre Sinne ganz verwirrt ſind. Manche Leut ſind nur geſcheut zwiſchen Licht und Dunkel, am Abend verſtehen ſie al¬ les, Morgens haben ſie lebhafte Träume, am Tag ſind ſie wie die Schaaf, ſo geht mirs, mein Wachen iſt früh, ich muß dem Sonnengott zuvorkommen, wie jener Tem¬ pelknabe ſeinen, Tempel reinigen dann kehrt er ein bei mir und lehrt mir Orakelſprüche alles paßt, fügt ſich wollt ich ſagen auch daß ich immer ſo unaufgeweckt bin wenn der Geſchichtslehrer kommt in der Mittagsſtund, das iſt grad meine verſchlafenſte Zeit. Du biſt auch keine Tagsnatur, Dein Wachen deucht mir anzufangen, wenn der Taggott ſich neigt, und nicht mehr ſo hoch am Himmel ſteht Dir neigt er ſich herab, und wandelſt anmuthig mit Ihm die Bahn vom ſpäten Nachmittag zum ſpäten Untergang, und winkt Euch noch mit Eurer Gewande Saum fern hin, dann leuchtet der Abendſtern zu Deinen Nachgedanken von ihm, und wogſt einſam in der Erinnerung wie die Meereswelle am Fels wogt zur Zeit der Fluth, und ihn206 abſpühlt von den Gluthen die ihm der Tagesgott ein¬ gebrannt hat zur Zeit der Ebbe. Der Jud kommt, Adieu. Was haſt Du denn, daß Dich ſo unmuthig macht, laß Dich anhauchen von meinem Brief. Sa¬ vignys ſind noch drei Wochen auf dem Trages, geh doch hin. Aber, Teufel, Donnerwetter iſt das auch geflucht. Darf ich das auch nicht ſagen?

Vom Clemens glaub doch nicht, daß ich ihn be¬ lüg, ich bin anders mit ihm in meinen Briefen, weil ich ſo ſein muß. In Bürgel die kleine Orgel hat elf Regiſter, groß und kleine Choralſtimm, Harfenſtimm, Trompetenſtimm, Poſaunen-Ton, ſchnarrende Engels¬ ſtimm, was weiß ichs alles und vox humana, der Hofmann hat mir geſtern eine halbe Stund lang davon erzählt, und daß es Orgeln giebt die dreißig Regiſter ha¬ ben, er ſagt meine Kehl wär wie ſo eine Orgel, ich zög allemal ein ander Regiſter wenn ich ſanft oder be¬ geiſtert ſing, oder ſchmetternd wenn ich tob, oder be¬ wegt wenns zum Seufzen ſtimmt in meiner Bruſt, oder gewaltig wenn mirs iſt als ob ichs allein alles zwingen müßt. Das hat der kleine Kerl alles ge¬ wußt, er hat mir zugehört geſtern Abend wie ich einen homeriſchen Hymnus an die Diana ableierte aus dem Dach weils Vollmond iſt. Das deuchte mir ſo ſchön207 dieſer Göttin einen vollen ſtrömenden Gottesdienſt aus meiner Bruſt zu halten, daß ich nicht dran dachte ans Belauſchen und hab recht geſchmettert. Der Hof¬ mann ſagt es war zum Verwundern. Nun ich mein der Clemens zieht immer das Regiſter der Kinderſtimm aus meiner Bruſt. In Frankfurt, in der Geſellſchaft beim Primas, da prädominirt die quarrende Engels¬ ſtimm. Bei dir da muß ich immer das Gewalts-Po¬ ſaunenregiſter mit Gewalt mit der ſanften vox humana unterdrücken.

An die Bettine.

Mit dem Clemens verſteh ich Dich, oder ahne doch wie es zuſammenhängt, ich hab auch gar nicht die Idee, daß es anders ſein ſolle, nur über das was er von Dir ſagt, wie er Dich ausſpricht, und das ge¬ ſchieht oft, iſt mir manchmal ſo wunderlich zu Muth, weil er ganz prophetiſch Dich durchſieht, andre Leute ſagen er ſchneide auf, und das iſt auch eigentlich ſo, aber er trifft die Wahrheit wie ich unter allen allein es am Beſten weiß. Dann um ſeine Extravaganz zu beweiſen, fällt wohl alles hinter ſeinem Rücken über208 Dich her, was in ſeiner Gegenwart man nie wagt, wo man immer ſtillſchweigt, mir iſts oft peinlich gewe¬ ſen über Dich urtheilen zu hören, jetzt aber hab ich dieſe kleinliche Ängſtlichkeit überwunden. Geſtern war Ebel, St. Clair, Link, die Lotte und ich im kleinen Cabinett bei der Tonie, da ich weiß, wie weit die Pfeile vom Ziele ablenken, die man gegen Dich ſchnellt, ſo hat ich keine Furcht um Dich, Ebel iſt nicht aus perſönlichem Wider¬ willen, ſondern aus Abgeneigtheit ſeiner Natur, wider Dich. Und weil er während dem Hierſein von Cle¬ mens immer am meiſten erdulden mußte, da er aus Zaghaftigkeit ſeinem Eifer nie auszuweichen wagte, ſo iſts ihm nicht zu verdenken, daß er jetzt mit vollem Ge¬ nuß ſich ſchadlos halte. St. Clair ſchüttelte mit dem Kopf und ſah mich an, weil die Lotte perorirte: gänzli¬ cher Mangel an hiſtoriſchem Sinn und gar keine Logik beweiſe, daß du ein Narr ſeiſt. Er ſagte: Gebt ihr eine Fahne in die Hand und laßt ſie uns voranſchreiten, ſo führt ſie uns ſicher, trotz ihrem Mangel an hiſtoriſchem Sinn, zu einem geſunden Wendepunkt der Geſchichte. Möcht Ihr mit Eurer Logik in Gefahr ſchweben, ſo wird ſie ihr entgehen lehren, ſo unlogiſch ſie's nach Eu¬ rer Weiſe auch anfangen würde. Und geht doch, ſagte er, mit Eurem Weisheitsurtheil über ein Naturkind,209 das von ihr nicht ſtiefmütterlich behandelt iſt, es iſt ihr an der Stirne geſchrieben, daß ihr keine Sorge zuge¬ meſſen iſt. Er reichte mir die Hand, er ſah mirs an, daß es mich freute auf der Lotte ihre breite Rede, die nun mit verdoppeltem Eifer ſich durchdrängte mit ih¬ rer Weisheit, ſagte er nichts weiter, und keiner; das Geſpräch ging aus wie ein Licht das ein ſtarker Wind¬ zug ausgeblaſen. Um ſo mehr bin ich geneigt Dich vor allen zu verſchweigen. Der Clemens er wird Dich einſt nach hundert Jahren auf dem Berge Arafat finden, wie Adam, als er nach ſeiner Verbannung aus dem Paradieſe die Eva aus den Augen verlor, die in der Nähe von Mekka auf jenem Berge weilte, er aber auf Serendib oder die Inſel Ceylon verſchlagen war, er kannte ſie wohl, ihre Seele war in ſeine Seele eingeprägt, und ſuchte ſie fleißig; oft auch redete er die wilden Thiere an, und die Gewitter auf den Ber¬ gen und die Vögel, daß wenn ſie hinziehen und ihr begegnen, ſie ſollen ſie ehren; und ſo ſuchte er nach ihr, und ſprach von ihr zu dem Gevögel und den Pflanzen und Thieren des Waldes, bis der Engel Gabriel den Adam auf den Gipfel jenes Berges bei Mekka führte, wovon der Berg ſeinen Namen Arafat, heißt auf ara¬ biſch: Erkennen, erhielt. Auf welchem die Pilgrimme210 von Mekka am Tage Arafah, dem neunten im letzten Monat des arabiſchen Jahres, ihre Andacht auf dieſem Berge verrichten. Mag denn Clemens wie Adam den Unthieren und Bergklüften von Dir vorpredigen, ich bin zufrieden unterdeß, daß Du mich zum Hüter Deiner ver¬ borgnen Wohnung beſtellt haſt und mich zum Kerbholz Deiner heimlichen Seligkeiten machſt; ich möchte Dir immer ſtill halten, ſo anmuthig fühle ich mich bemalt und beſchrieben von Deinen Erlebniſſen, verſäume nichts, ſchreib mir alles, wie wenn es geſungen wär, wo Du auch keinen Ton auslaſſen darfſt, ohne die Harmonie zu zerſtücklen, ich werd gewiß ſtill halten und ſtill ſchweigen. Und die Gedanken die Dich er¬ götzen, von denen Du wünſcheſt, daß ſie wahr ſein mö¬ gen, und die von ſelbſt in Dir aufwachſen , willſt Du ſie nicht auch aufzeichnen für mich? Ich warte alle Tage auf Deine Briefe, mir bangt immer du mögeſt einen Tag überſchlagen, bis jetzt warſt Du ſehr gütig gegen mich ich geh mit Zuverſicht wenn ich Abends nach Hauſe komme und faſſe den Brief auf meinem Kopfkiſſen, wo er hingelegt wird von der Magd, im Dunklen, und halt ihn bis Licht kommt im Bett leſe ich ihn noch einmal, das macht mir gute Gedan¬ ken, ich bin auch jetzt ganz heiter, nur kann ich ſelbſt211 nichts thun. Deine Erzählungen und Ahnungen be¬ ſchäftigen mich, ich träum mich in den Schlaf, in dem ich Dir alles nachfühle und nachdenke. Ich hab einen innerlichen Glauben an Deine Schwindeleien von mir, ich ging heut hinaus vors Gallenthor, als der Sonnen¬ gott hinabſtieg, weil du meinſt es ſei meine Zeit mit ihm, ich war auch da ganz durchdrungen von ſeiner großen Gegenwart, allein beim Nachhauſegehen verdar¬ ben mir zwei frankfurter Philiſter die Andacht, die hinter mir gingen und von Dir und mir ſprachen; die Frau ſagte zum Mann: Im Stift wird dem Mädchen noch ganz das Conzept verdorben, daß ſie am End gar närriſch wird, ſie iſt ſo ſchon zu allen Tollheiten auf¬ gelegt, ſie ſoll im Stiftsgarten immer aufs Dach ſtei¬ gen, vom Gartenhaus oder auf einen Baum, und von da herunterpredigen und die lange G ... s, die Gün¬ derode, ſteht unten und hört zu. Jetzt gingen ſie an mir vorüber, ich erkannte die Frau Euler mit ihrer Tochter Salome und den Doktor Lehr, der erkannte mich in der Dämmerung und ſagte es ihr, ſie blieb ſte¬ hen und ſah mich an bis ich wieder an ihr vorbei ge¬ gangen war, was doch gewiß noch dummer war als wenn ich unterm Baum ſtehen blieb, wo du predigſt. Teufel, und Donnerwetter iſt auch zum Fluchen üb¬212 lich, hat aber einen anregenden kriegeriſchen Geiſt, alſo unter gewiſſen Bedingungen, wenn zum Beiſpiel Du jenes Banner wehen lieſeſt, das St. Clair, Dir Glück und Heil vertrauend, überantworten wollte, allen Phili¬ ſtern zum Trotz; dann magſt Du Deiner Zunge den Zü¬ gel ſchießen laſſen, bis dann aber, laſſe Deinen Muth nicht in vergeblichen Ausbrüchen verrauchen.

Adieu! Am Märchen ſchreib ich nicht. Der ver¬ gißt mit dem Pflug umzudrehen; über den Sternen die er im Waſſer blinken ſieht. Leb wohl und gedenke meiner Karoline.

Die Urſache, warum der Streit angegangen war über Dich, war ein Brief von Dir, den Du im achten oder neunten Jahr, kurz vor Deines Vaters Tod aus dem Kloſter an ihn geſchrieben hatteſt, und der Deinen Va¬ ter ſehr gefreut haben ſoll, ſo daß er ihn in ſeiner Krankheit oft geleſen, St. Clair hatte ihn vom Cle¬ mens, der ihn aufbewahrt, abgeſchrieben, und ſagte in dieſem Brief läge Deiner ganzen Anmuth Keim. Das wollte die Lotte nicht zugeben, und meinte es ſei lächer¬ lich nur ihn als Brief zu rühmen, der Clemens verdrehe Dir den Kopf. Der Brief lautete wie folgt, da magſt213 Du ſelbſt Dich beurtheilen: Lieber Papa! Nix die Link (da war eine Hand mit der Feder gezeichnet) durch den Jabot gewitſcht auf dem Papa ſein Herz, die Recht (wieder eine Hand gemalt) um den Papa ſein Hals. Wenn ich keine Händ hab kann ich nit ſchreiben Ihre liebe Tochter Bettine.

Fritzlar 1796 am 4ten April.

Was mich verſtimmte, war, daß die Lotte den Brief fortwährend mit gellender Stimme vortrug, und die Dummheit eines achtjährigen Kindes und die Liebe des verſtorbenen Vaters nicht ſchonte, ich warf dem St. Clair vor, daß er ihn herausgegeben hatte, ach! ſagte er, ich habs ſchon hundertmal bereut. Man kann ihr auch einſt zurufen wie dem Simſon: Bettine Phili¬ ſter über Dir, zum Glück liegt ihre Stärke nicht in den Locken, die man abſchneiden kann, ſondern im Geiſt, und der wird ſich nicht gefangen geben. Gelt, das iſt ein gut Geſchichtchen, ich glaub der St. Clair liebt Dich, die Lotte meinte, Du habeſt letzt auf der Gerbermühl eine ſo lange Unterhaltung heimlich mit ihm gepflogen.

214

An die Günderode.

Vor ein paar Jahren wohnte hier neben an in dem jetzt leerſtehenden Haus ein Mann der war aus der Fremde gekommen, ich glaub es war die Schweiz, der that Wunder mit ſeiner Willenskraft, bei Tiſch war viel die Rede, er könne mit ſeinem Blick die kranken Menſchen zum Schlafen bringen, daß die ihm dann über ihre Krankheit im Schlaf mittheilen, wie man ſie heilen könne, und daß ſie auch hellſehen in die Zukunft und in die Vergangenheit, beim Erwachen aber nichts mehr davon wiſſen, dieſer Mann hatte mir was ge¬ heimnißvolles, da die Leute ſo unheimlich von ihm ſpra¬ chen. Auf einer Raſenbank an der Gartenwand konnt ich in ſeinen Garten ſehen, wo er im Mondſchein auf und ab wandelte, er kam auf mich zu und reichte mir ein paar Erdbeeren über die Wand und ſagte: Eſſe ſie mit Bedacht und koſte ſie recht, ſo haſt Du mehr da¬ von als wenn Du einen ganzen Korb voll, unbedacht¬ ſam ißt. Ich ſtieg von der Bank mit meinen Erd¬ beeren und eine nach der andern, verwundert über den freundlichen Mann. Und am andern Tag, wie ich ihn im Garten wandlen ſah, ging ich wieder hin, er215 kam und reichte mir die Hand, die hielt ich feſt und ſagte: die Erdbeeren hab ich geſchmeckt. So? Nach was ſchmeckten ſie denn? Nach ſchönem Wet¬ ter und ganz fruchtbarem Erdboden. Dem Mann gefiel die Antwort, er ſagte: jetzt iſts zu dunkel, aber Morgen bei Tag nehme ein Blatt von einem Baum oder ſonſt von einer Blume und halte es ſo, daß die Sonnenſtrahlen durchſchimmern, da wirſt Du eine Menge Gefäße drin erkennen die vom Licht durchſtrömt ſind; ſo iſt es auch mit Deinen kleinen Kopf, er iſt geeignet, daß das Licht leichtlich durchſtröme und Dich reife, daß Du auch dann ſchmeckſt wie die Erdbeere, nach ſchönem Wetter, nach Sonnen - und Mondſtrahlen ich ſagte ihm, daß ich gehört habe, er ſchaue mit ſeinem Willen in die Menſchen, daß ſie denken müſſen was er wolle. Er ſagte: Ja ich will immer, daß ſie die Wahrheit denken von ſich und da folgen ſie ganz leicht, weil es ihrer Natur gemäß iſt; von Dir will ich auch, daß Du die Wahrheit denkſt die Dir gemäß iſt, wenn Du dem folgſt, wirſt Du ſo manches in Dir erleben, was Dir vollauf genügt. Ich redete noch mehr mit ihm er ſagte ein paarmal: Du thuſt recht wunderliche Fragen, aber ich muß immer Ja dazu ſagen, denn ſie ſind wahr. Er ehrte mich noch mit manchen freundli¬216 chen Lehren, ich hab ihn nicht mehr geſehen und hab auch nichts mehr von ihm gehört, er war wenige Tage darauf weggezogen, man wußte nicht wohin. Es wurde noch mancherlei von ihm geſprochen, als ſei er ein Betrüger, ich nahm mir das nicht an, ich hielt am Wort was er mir geſagt hatte, daß die Sonne und Mond mich wollten wohlſchmeckend machen, obſchon es mir beinah ſo ging wie den Andern, die beim Erwa¬ chen nichts mehr wiſſen; ich konnte mich nicht mehr auf das beſinnen, was ich mir doch gewiß vorgenom¬ men hatte, nicht zu vergeſſen. Aber wenn mir ſo Ge¬ danken kommen, die mich belehren, da denk ich manch¬ mal auf den Mann zurück, ich möchte ſie zwar gern behalten oder aufſchreiben, aber ſie ziehen mich immer weiter, und um den nächſten nicht zu verſäumen, muß ich den früheren aufgeben, ſo iſts daß ich nicht anders kann; es muß doch ſo in der Natur des Lichts liegen was den Menſchen durchſtrömt und ihn nährt, wie die Sonnenſtrahlen die Pflanze daß das friſche Licht immer das frühere verdrängt, wie im Strom eine Welle die andere, ſo mag es denn hingehen, daß ich kein Buch ſchreiben kann wie der Clemens will, ich müßt ein Herbarium machen und ſie trocknen, daß ich ſie könnt neben einander hinlegen, unterdeſſen würden ſoman¬217manche Blumen verblühen, das will ich nicht, weil ich aber auf Dich gerichtet bin, fliegen ſo manche Gedan¬ ken auf zu Dir von ſelbſt. Ja ſie kommen ſogar zwi¬ ſchen uns wenn ich mit Dir bin. Du biſt eben gar nicht wie ein Menſch der mich faſſen und halten will, Du biſt wie die Luft, der Sonnenſtrahl fährt nieder durch Dich in meinen Geiſt, ſo hell biſt Du.

Die Eule, die Jungfer Salome, der weiſe Mei¬ ſter im Abendſchein, eine Viſion des Philiſterthums, in deſſen Geiſt ſie verſammelt waren.

In der Bibliothek hab ich heute einen geſchnittnen Stein gefunden, der blecherne lackirte Kerl, der heut aus Homburg herüber kam, der G. r. g., der die Welt durchs Perſpektiv beguckt um alles zu durchſchauen, (zu¬ fällig paſſirt nichts vorm Guckloch), erklärt den Stein für antik, ſonſt wollt die Großmama mir ihn ſchon ſchenken für Dich. Daphnis vom Apoll verfolgt, wur¬ zelt feſt mit der flüchtigen Sohle und ſprießt in Lor¬ beer auf. Das paßt ſo ſchön auf Dich. Dein Schick¬ ſal, du ſiehſt's vor Augen, Geliebt, verfolgt, umfan¬ gen vom Gott der Muſen, und dann, ewig immerdar goldne Keime aufſchoſſend, und der Dichter reiner Or¬ den der Dich umwandelt mit Dir ſich zu berühren, das iſt kein Philiſterthum, ſolche Geſchicke wie heilige Ge¬10218fäße, umfaßten ein Menſchenleben zur Zeit der Griechen. (Iſt mir doch als ſpräch ich mit Deinen Lippen.) Aber heut! aber ich Mein Kopf ein Feld das brach liegt, ich wandle zwiſchen Hecken, ſeh jede Erdſcholle benutzt, der Sallatkopf in der Mitt, die Bohnenſtangen oben drü¬ ber, und mir bangt daß ich nicht angepflanzt bin, ich denk daß Du dir Müh giebſt mit mir, daß es nichts hilft. Nachts denk ich als, wenn die Sonn aufgeht will ich lernen, am Tag wollt ich, die Nacht käm doch daß ich allein wär und könnt mich ſelbſt verſtehen, ich armes Käuzlein kleine.

Und ſtiftete das große Medoperſiſche Reich. Da ſind wir geblieben, da hab ich ein groß Meduſenhaupt in mein Geſchichtbuch gezeichnet mit aufgeſperrtem Rachen, fräß es doch die ganze alte Geſchichte mit ſammt dem Arenswald auf. Ich war ſo froh über die Pfingſttage eine ganze Woche war er ausgeblieben, ich hatte mich ſo ſchön entwöhnt! Die Perſer, von den Grie¬ chen Cephonen genannt, von Cepheo dem Sohne Belli, deſſen Tochter Andromeda, Perſeus der Sohn Jupiters und der Danae geehelicht, ich glaub der Kerl hat ge¬ faukelt, ich mein den Geſchichtslehrer. Wird ein Göt¬ terjüngling ein Philiſter ſein und eheligen. Indeß mel¬ det Arenswald einen Sprößling dieſer Ehe der das Ce¬219 phonenland beherrſcht unter dem Namen Perſien, Cy¬ rus vereints mit Medien, erobert Babylon, Klein Aſien, bleibt in der Schlacht gegen die Königin der Maſage¬ ten. Ich frag gar nicht mehr wer und woher wer kann das Volk all im Kopf behalten. 3458, Camby¬ ſes erobert Ägypten, bekriegt die Ethioper, der Magier Smerdis ſchwingt ſich auf den Thron und hätt das Land bezaubern können, die Großen des Reichs zu eſel¬ haft von einem Zauberer ſich beherrſchen zu laſſen, ent¬ thronten ihn durch Mord. 3462, Darius Hystaspis bezwingt Babylon im Aufruhr, erobert Thrazien, Ma¬ cedonien, Indien. Sein Sohn Xerxes bezwingt Ägyp¬ ten im Aufruhr, zieht gen Griechenland, wird beſiegt heimkehrend ermordet. Artaxerxes ſchließt Frieden, ſein Feldherr kehrt die Waffen gegen ihn, wird vom II Xer¬ xes unterjocht, Sogdian aber mordet ſeinen Bruder Xerxem, Ochus aber mordet ſeinen Bruder Sogdian, be¬ herrſcht als II Darius Perſien, der zweite Artaxerxes aber mordet ſeinen Bruder Ochus, zerſtört das Reich, der dritte Artaxerxes aber mordet ſeine Brüder alle, er¬ obert Ägypten, Togoas aber ermordet den III Artaxer¬ xem. Togoas aber mordet deſſen Sohn Aëſtes und den größten Theil der königlichen Familie, damits gleich in einem hingeht (Bemerkung des Lehrers), der Stadt¬10*220halter aber mordet den letzten Königsſprößling Darius Codomanus. Zweihundert fünf und zwanzig Jahr be¬ ſtand die Fürſtenſchlachtbank von Perſien. Alexander kommt und beherrſcht's 3654. Der Lehrer ſieht mir den Ärger über ſeine lederne Geſchichte an, reißt aus, Gott weiß wies zuging, daß die Thür ſeine Hoſen faßte, es blieb ein Fetzen dran hängen, jetzt muß ich ihm für ſeine Mordlitaney noch eine Gratification ge¬ ben, damit er ſich ein paar neue kaufen kann. Cle¬ mens verfolgt mich mit Bitten, daß ich Bücher oder Verſe, oder Erlebniſſe und Erinnerungen aus dem Klo¬ ſter aufſchreiben ſoll. Da haſt Du ſeinen Brief. Der Abgrund der vermoderten Geſchichte unter mir, der unerreichbare Sternenhimmel über mir und Nachts Gedanken die mir den Kopf zerbrechen.

(Am 10.)

Heut morgen hab ich Deinen Brief beim Früh¬ ſtück der Großmama vorgeleſen, ſie iſt ſchon ſo alt, ſie nimmts all mit ins Grab, ſie hat Dich ſo lieb, ſie ſagt Du wärſt die edelſte Kreatur die ſie je geſehen, und dann ſprach ſie von Deiner Anmuth; ſie ſpricht im¬ mer ſchwäbiſch wenn ſie recht heiter iſt. Siehſt Mädele wie anmuthig und doch gar bequem deine Freundin iſt. 221 Sie iſt wirklich liebreizend, und da las ich ihr auch meinen Brief vor, ſie ſagt Du biſcht halter e verkerts Dingele, und dann hat ſie mir den Stein mit der Daphnis doch geſchenkt für Dich, ich laſſe ihn faſſen, du mußt ihn tra¬ gen und mußt nicht ſagen von wem er iſt. Was iſt Dein Brief voll ſchöner Geſchichten, nur der Clemens iſt doch mein Adam nicht, das prophezeihſt du ſchlecht daß er mich erſt nach hundert Jahren auf dem Berg der Erkenntniß treffen werde. Ich hab ihn ſo lieb, ſo lang kann ich nicht Verſteckelches mit ihm ſpielen, und doch haſt Du vielleicht recht, im nächſten Brief will ichs ſagen, aber dem Clemens fall ich um den Hals und küß ihn, da hat er mich wie ich bin. Aber! es geht ein Weg der führt in die Alleinigkeit. Iſt der Menſch in ſein eignen Leib allein geboren, ſo muß er auch in ſeinen Geiſt allein geboren ſein. Der St. Clair iſt gut, voll Herz, er wollt ja zum kranken Höl¬ derlin reiſen er ſoll doch hin! nach Homburg ich möcht wohl auch hin. Er ſagt es würde dem Höl¬ derlin geſund geweſen ſein, ich möcht wohl, ich darf nicht. Der Franz ſagte: Du biſt nicht recht ge¬ ſcheut, was willſt Du bei einem Wahnſinnigen? willſt Du auch ein Narr werden? Aber wenn ich wüßt222 wie ichs anfing, ſo ging ich hin, wenn Du mitgingſt, Günderode, und wir ſagtens Niemand, wir ſagten wir gingen nach Hanau. Der Großmama dürften wirs ſagen, die litts, ich hab heute auch mit ihr von ihm geſprochen, und ihr erzählt daß er dort an einem Bach in einer Bauernhütte wohnt, bei offnen Thüren ſchläft, und daß er Stunden lang beim Gemurmel des Bachs griechiſche Oden herſagt, die Prinzeß von Homburg hat ihm einen Flügel geſchenkt, da hat er die Saiten entzwei geſchnitten, aber nicht alle, ſo das mehrere Kla¬ ves klappen, da fantaſirt er drauf, ach ich möcht wohl hin, mir kommt dieſer Wahnſinn ſo mild und ſo groß vor. Ich weiß nicht wie die Welt iſt, wär das ſo was unerhörtes zu ihm zu gehen und ihn zu pflegen. Der St. Clair ſagte mir, ja wenn Sie das könnten, er würde geſund werden, denn es iſt doch ge¬ wiß, daß er der größte elegiſche Dichter iſt, und iſts nicht traurig, daß nicht ein ſolcher behandelt werde und geſchützt als ein heiliges Pfand Gottes von der Na¬ tion, ſagte er, aber es fehlt der Geiſt, der Begriff, kei¬ ner ahnt ihn und weiß was für ein Heiligthum in dem Mann ſteckt, ich darf ihn hier in Frankfurt gar nicht nennen, da ſchreit man die fürchterlichſten Dinge über ihn aus, blos weil er eine Frau geliebt hat um den223 Hyperion zu ſchreiben, die Leute nennen hier Lieben, heirathen wollen, aber ein ſo großer Dichter verklärt ſich in ſeiner Anſchauung, er hebt die Welt dahin, wo ſie von Rechtswegen ſtehen ſollte, in ewiger dichteriſcher Fermentation; ſonſt werden wir nie die Geheimniſſe ge¬ wahr werden die für den Geiſt bereitet ſind. Und glau¬ ben Sie, daß Hölderlins ganzer Wahnſinn aus einer zu feinen Organiſation entſtanden, wie der indiſche Vo¬ gel in einer Blume ausgebrütet, ſo iſt ſeine Seele, und nun iſt es die härteſte rauhe Kalkwand die ihn umgiebt, wo man ihn mit den Uhus zuſammenſperrt, wie ſoll er da wieder geſund werden. Dieſes Klavier, wo er die Saiten zerriſſen, das iſt ein wahrer Seelenabdruck von ihm, ich hab auch den Arzt darauf aufmerkſam machen wollen, aber einem Dummen kann man noch weniger begreiflich machen als einem Wahnſinnigen. Er ſagte mir noch ſo viel über ihn, was mir tief durch die Seele ging, über den Hölderlin, was ich nicht wieder ſag, und ich hab mehre Nächte nicht ſchlafen können vor Sehnſucht hinüber nach Homburg, ja wollt ich ein Gelübde thun ins Kloſter zu gehen, das könnt doch niemand wehren, gleich wollt ich das Gelübde thun dieſen Wahnſinnigen zu umgeben, zu lenken, das wär noch keine Aufopferung, ich wollt ſchon Geſpräche mit224 ihm führen, die mich tiefer orientiren in dem was meine Seele begehrt, ja gewiß weiß ich daß die zerbrochnen unbeſaiteten Taſten ſeiner Seele dann wieder anklingen würden. Aber ich weiß daß es mir nicht erlaubt würde. So iſt es, das natürliche Gefühl was jedem aus der Seele tönt, wenn er nur drauf hören wollte (denn in jeder Bruſt, auch in der härteſten, iſt die Stimme die ruft hilf Deinem Bruder), dieſe Stimme wird nicht allein unterdrückt, ſondern auch noch als der größte Unſinn geſtraft, in denen ſie ſich vernehmlich macht. Ich mag gar von Religion und von Chriſten¬ thum nichts mehr hören, ſie ſind Chriſten geworden um die Lehre Chriſti zu verfälſchen. Brocken hinwerfen und den nackten Leib decken, das nennt man Werke der Barmherzigkeit aber Chriſtus in die Wüſte folgen und ſeine Weisheit lernen, das weiß Keiner anzufan¬ gen. Bildungsflicken hängt man einem auf, mit de¬ nen man nichts anzufangen weiß, aber die Tiefe und Gewalt eines einzigen Seelengrunds zu erforſchen, da hat kein Menſch Zeit dazu, glaubſt Du denn nicht daß ich ſtatt dem Geſchichtsgerümpel, wohl mit der größten Sammlung, mit der tiefſten Andacht hätte Je¬ nem folgen wollen, wenn er mir gelehrt hätte wie er an¬ dern lehren mußte um ſein Leben zu gewinnen, und wahn¬225 ſinnig drüber werden mußte. Wenn ich bedenk wel¬ cher Anklang in ſeiner Sprache! Die Gedichte die mir St. Clair von ihm vorlas zerſtreut in einzelnen Ka¬ lendern ach was iſt doch die Sprache für ein heilig Weſen. Er war mit ihr verbündet, ſie hat ihm ihren heimlichſten innigſten Reiz geſchenkt, nicht wie dem Goethe durch die unangetaſtete Innigkeit des Gefühls, ſondern durch ihren perſönlichen Umgang. So wahr! er muß die Sprache geküßt haben. Ja ſo gehts, wer mit den Göttern zu nah verkehrt, dem wenden ſies zum Elend.

St. Clair gab mir den Oedipus den Hölderlin aus dem Griechiſchen überſetzt hat, er ſagte man könne ihn ſo wenig verſtehen oder wolle ihn ſo übel verſtehen daß man die Sprache für Spuren von Verrücktheit erklärt, ſo wenig verſtehen die Deutſchen was ihre Sprache Herr¬ liches hat. Ich hab nun auf ſeine Veranlaſſung die¬ ſen Oedipus ſtudirt; ich ſag Dir, gewiß, auf Spuren hat er mich geleitet, nicht der Sprache, die ſchreitet ſo tönend, ſo alles Leiden, jeden Gewaltausdruck in ihr Organ aufnehmend, ſie und ſie allein bewegt die Seele daß wir mit dem Oedipus klagen müſſen, tief tief. Ja es geht mir durch die Seele, ſie muß mittönen wie die Sprache tönt, Aber wie mir das Schmerzliche im Leben zu kränkend auf die Seele fällt, daß ich fühl10**226wie meine Natur ſchwach iſt. So fühl ich in dieſem Mit¬ erleiden eines Vergangnen Verlebten, was erſt im griechi¬ ſchen Dichter in ſeinen ſchärfſten Regungen durch den Geiſt zum Lichte trat, und jetzt durch dieſen ſchmerzlichen Überſetzer zum zweitenmal in die Mutterſprache getragen, mit Schmerzen hineingetragen dies Heiligthum des Wehthums, über den Dornenpfad trug er es ſchmerzlich durchdrungen. Geweihtes Blut tränkt die Spur der ver¬ letzten Seele und ſtark als Held trug er es herüber. Und das nährt mich, ſtärkt mich, wenn ich Abends ſchlafen gehe dann ſchlag ichs auf und leſe es, leſe hier dem Päan geſungen, den Klaggeſang, den ſing ich Abends auf dem Dach vom Taubenſchlag aus dem Steg¬ reif, und da weiß ich, daß auch ich von der Muße be¬ rührt bin und daß ſie mich tröſtet, ſelbſt tröſtet. O was frag ich nach den Menſchen, ob die den Mangel an hiſtoriſchem Sinn und der Logik an mir rügen, ich weiß den Teufel was Logik iſt. Und daß mir St. Clair ſo viel zutraut, daß ich die Fahne glücklich ſchwingen werde und ſicher, und die Beſſeren und Hohen unter ihr ſammlen. Sag ihm von mir ich werde nicht feh¬ len, was mir einer zutraut, alle Kräfte dran zu ſetzen. Den kleinen Brief vom Papa hab ich ihm ſelbſt ge¬ ſchenkt, er wollte ein Andenken von mir zum Gegenge¬227 ſchenk für den Oedipus, da hab ich ihn wählen laſſen unter meinen Papieren, da hat er den hervorgezogen.

Leſe hier den Klaggeſang dem Päan geweiht, obs Dir nicht durch die Seele weint.

Weh! Weh! Weh! Weh!
Ach! wohin auf Erden?
Jo! Dämon! wo reissest du hin?
Jo! Nachtwolke mein! du furchtbare,
Umwogend, unbezähmt, unüberwältigt!
O mir! wie fährt in mich
Mit dieſen Stacheln
Ein Treiben der Übel!
Apollon wars, Apollon, o ihr Lieben.
Der das Wehe vollbracht,
Hier meine, meine Leiden.
Ich Leidender
Was ſollt ich ſehn,
Dem zu ſchauen nichts ſüß war.
Was hab ich noch zu ſehen und zu lieben,
Was Freundliches[zu] hören? ihr Lieben!
Führt aus dem Orte geſchwind mich,
Führt, o ihr Lieben! den ganz Elenden,
Den Verfluchteſten und auch
Den Göttern verhaßt am meiſten unter den Menſchen.

ſo hab ich mir die Zeilen zuſammengerückt ſie zu ſingen, dieſe Leidenſprache, und ſie feſſelt mich an ſeine Ferſe, der ſich Frevler nennt.

Wirf aus dem Lande mich, ſo ſchnell du kannſt,
Wo ich mit Menſchen ins Geſpräch nicht komme.
228

In die Ferne ſehend, nach dem Taunus ſtill getränkt im Abendſchein, der die Nebel durchlichtet, die flüchten¬ den die ihn umſchweifen; da denk ich mir das Grab¬ mal ſelber ihm erkoren von Vater und Mutter, ſein Kithäron. Da ſing ich meinen Geſang hinüber, und der Wind ſpielt mich an, und gewiß, er bringt mein Lied hinüber zum Grab; mir iſts eins, ob der Zeiten Laſt ſich drüber gewälzt, doch dringt die Thrän hinab das Grab zu netzen, drang doch ſein Weh herauf zu mir; und heute nur ſtiegs auf mir im Herzen, als ich die Laute dem Gott die jammernden, der ganzen Welt geſchrieen zaghaft in Muſik verwandelte. Und dort wohnt auch Er, der die noch lebenswarme Bruſt voll Wehe, und geſäet voll der Keime des Dichtergottes, jetzt zermalmt im Buſen die Saat, in aufſeufzenden Tönen herübertrug ins Mutterland, und wärmte das Jammergeſchick des Zwillingsbruders in der Liebe, die aus der Verzweiflung Abgrund ihn mit heißer Begierde heraufrief, das müde jammervolle Haupt ſanft zu lehnen, zuſammen mit dem Geſchick, das ausgeblutet hat. Ja wer mit Gräbern ſich vermählt, der kann leicht wahnſinnig werden den Lebenden, denn er träumt nur hier am Tag, wie wir träumen in der Nacht, aber drunten im Schlaf wacht er und geht mit jenen mitleidsvoll Hand in Hand,229 die längſt verſchollen der geſchäftigen Eile des Tags ſind. Dort fällt der Thau auf die Seele ihm, die hier nicht Feuchtung in der Kehle mehr hatte zum Seufzen. Dort grünen die Saaten und blühen, die hier der Dumm¬ heit Pflug die Wurzel umſtürzend, wie Unkraut der Luft preis gab, und die thauvolle Blüthe rein vom Staube, ſtürzt in der Erde Grab. Denn irgendwie muß die Saat der Götter lebendig werden, ſie können Ewiges nicht verdorren laſſen. Seine Seele wächſt, die hier unten ſchläft und verwirrte Träume hat, hinauf als himmliſches Grün, die ſchwebende Ferſe der Götterjüng¬ linge umſpielend, wie der friſche Raſen hier ſeine tanzenden Blumen an meinem flüchtigen Lauf hinbewegt. Ach Poeſie! heilig Grabmal, das ſtill den Staub des Gei¬ ſtes ſammelt und ihn birgt vor Verletzung. O du läßt ihn auferſtehen wieder, laß mich hinabſteigen zu ihm und die Hand ihm reichen im Traum, daß er mit heiligem Finger die goldnen Saatkörner mir auf die offne Lippe ſtreue und mich anblaſe mit dem Odem, den er nach dem Willen der Götter aus ihrem Buſen trinkt. Denn ich begehr ſehnſüchtig, mit zu tragen gemeinſam Weh des Tags, und gemeinſam Tröſtung zu empfangen in den Träumen der Nacht.

Was willſt Du? halte mirs zu gut Günderode,230 daß ich ſo ſpreche, verfolg den Faden meiner Gedanken, ſo wirſt Du ſehen es geht nicht anders. Du trägſt ja auch mit mir, daß ſie Dich meiner Narrheit beſchuldigen. Mangel an hiſtoriſchem Sinn iſt es doch, das Weh was in der Fabelwelt begraben liegt, mit dem zu mi¬ ſchen des heutigen Tages. Sie haben Recht mir keine Logik zuzuſprechen, da müßt ich ja den dort verlaſſen, der aufgegeben iſt, da müßt ich mich aufgeben, was doch nichts fruchtet. Sei nicht bang um mich, ich bin nicht alle Tage ſo, aber ich komm eben vom Tauben¬ ſchlag, wo die Sonne mir die blauen Berge anglänzte, wo Hölderlin ſchläft über dem Grabe des Oedipus, und hab ihnen den Geſang geſungen, mit Tönen unzurech¬ nungsfähig der Kunſt, auffaſſend was ſie vermochten an ſcharfem Wehe und es beſänftigend mit dem Schmelz der Liebe, den ich durch die Stimme hinzugoß aus dem Herzen, daß der durch die Wolken dringe, hinab am Ho¬ rizont, hinauf, wo die gewaltigen Geſchicke immer auch weilen, und ſich miſche mit ihren bitteren, ſalzigen Fluthen. Was wären doch die Dichter, wären ſie es nicht, die das ſchauervolle ins Göttliche verwandlen. Wo der Geſang doch allein aus meinen Sinnen hervor¬ dringt, nicht aus dem Bewußtſein, da ſprichts nachher ſo aus mir, daß Stimmen aus mir reden die mit kei¬231 nem andern im Einklang ſind, der Ton der Rhythmus, den ich übe, iſt es auch nicht; keiner würde zuhören wollen, aber jene denen ich ſinge die müſſens doch wohl hören, nicht wahr?

Es ahnt mir ſchon, Du wirſt wieder bange werden um mich wie vorm Jahr! aber Du weißt ja, es iſt nichts, ich raſe nicht, wie die andern mich beſchuldigen, und mir die Hand auf den Mund legen wenn ich ſpre¬ chen will. Sei nicht dumm, laſſe Dir nicht von den Philiſtern bange machen um meine Geſundheit, wo ſie mir ſchon den Verſtand abſprechen; wer ſeinen Bruder einen Narren ſchilt iſt des Todes ſchuldig, ſie ſind un¬ ſchuldig, ich bin ihr Bruder nicht, Du biſt mein Bruder. Noch einmal, ich bin nicht krank, ſtöre mich nicht da¬ mit daß Du mir das Geringſte ſagſt, denn ich will Dir noch mehr ſagen wenns möglich iſt, was hätteſt Du an mir, wenn ich nicht lernte Dir meine Seele geben, nackt und blos. Freundſchaft! das iſt Umgang der Geiſter, nackt und blos.

232

An die Bettine.

Liebe Bettine! Du drückſt mir die Schreibefinger zuſammen, daß ich kaum athme noch weniger aber es wage zu denken, denn aus Furcht, ich könne willkühr¬ liche Gedanken haben, denke ich lieber gar nicht, magſt Du am Ende meines Briefes fühlen, ob ich in den en¬ gen Grenzen meiner geiſtigen Richtungen Dich nicht ver¬ letzte, ſo daß Dein Vertrauen ohne Hinderniß hinab¬ ſtröme zu mir, ja hinab, denn ich bin nichts. So laſſe mich denn geſund mit Dir ſprechen, da nichts mir fremd iſt in Dir, denn in Deine Töne eingehen, das wäre Deinen Lauf ſtören.

In Dein Lamento über Deine Geſchichtsmiſere ſtimme ich ein, ſie macht mich mit caput, kauf in Gottes Na¬ men ein paar Beinkleider als Sühnopfer, und entlaſſe Deinen Arenswald in Gnaden. Clemens ſchreibt, daß ich ihm Antwort ſchuldig ſei, ich wußte nicht daß er in Marburg iſt, wenn Du ihm ſchreibſt ſo gieb ihm die Einlage, er iſt mehr wie unendlich gut gegen Dich, und es iſt ein eigen Schickſal daß unſer beider Bemühung Dich zu einer innern Bildung zu leiten oder vielmehr ſie Dir zu erleichtern nicht gelingen will, ſo ſchreibt er233 mir heute. Unter vielen Witzfaſeleien, träumeriſchem Ge¬ ſeufze und Betheuerungen, daß er gar nicht mehr der¬ ſelbe ſei, iſt es das Einzige was auf Dich Beziehung hat. Weil er Dich immer auffordert, Deine phantaſti¬ ſchen Ahnungen zu ſammlen, dieſe Fabelbruchſtücke Dei¬ ner Vergleiche, Deine Weltanſchauung in irgend einer Form niederzulegen, ſo meinte ich wie ein guter Bienen¬ vater Deinen Gedankenſchwärmen eine Blumenwieſe um¬ her zu bauen, wo Deine Gedanken nur hin und her ſummen dürfen Honig zu ſammlen. Ein glücklicher Schif¬ fer muß guten Fahrwind haben; ich dachte Deine Stu¬ dien ſollten wie friſcher Morgenwind Dir in die Segel blaſen. Ich ſchrieb heute an Clemens, es werde ſich nicht thun laſſen Deinen Geiſt wie Moſt zu keltern und und ihn auf Krüge zu füllen, daß er klarer trinkbarer Wein werde. Wer nicht die Trauben vom Stock ge¬ nießen will, wie Lyaeus der Berauſcher, der Sohn zweier Mütter, der aus der Luna geborne, endlich ſie reifen laſſe, der Vorfechter der Götter, der Raſende; und hei¬ lige Bäume pflanzte, heilige Wahrſagungen ausſprach.

Der Naturſchmelz, der Deinen Briefen und Weſen eingehaucht iſt, der meint Clemens, ſolle in Gedichten oder Märchen aufgefaßt werden können von Dir; ich glaubs nicht. In Dich hinein biſt Du nicht ſelbſtthätig,234 ſondern vielmehr ganz hingegeben bewußtlos, aus Dir heraus, zerfließt alle Wirklichkeit wie Nebel, menſchlich Thun, menſchlich Fühlen in das biſt Du nicht hineingebo¬ ren, und doch biſt Du immer bereit, unbekümmert alles zu beherrſchen, Dich allem anzueignen. Da war der Icarus ein vorſichtiger, überlegter, prüfender Knabe gegen Dich, er verſuchte doch das Durchſchiffen des Sonnenoceans, mit Flügeln, aber Du brauchſt nicht Deine Füße zum Schreiten, Deinen Begriff nicht zum Faſſen, Dein Ge¬ dächtniß nicht zur Erfahrung, und dieſe nicht zum Fol¬ gern. Deine gepanzerte Phantaſie die im Sturm alle Wirklichkeit zerſtiebt, bleibt bei einer Schwarzwurzel in Verzückung ſtocken. Der Strahlenbündel im Blu¬ menkelch, der Dir am Sonntag im Feldweg in die Quer kam, wie Du dem rückwärts gehenden Philoſophen Ebel Deine Philoſophie eintrichtern wollteſt, iſt eine blü¬ hende Scorza nera, ſo ſagt Lehr der weiſe Meiſter. Ich werd eingeſchüchtert von Deinen Behauptungen, ins Feuer gehalten von Deiner Überſchwenglichkeit. Hier am Schreibtiſch verlier ich die Geduld über das Farbloſe meiner poetiſchen Verſuche, wenn ich Deines Hölderlin gedenke. Du kannst nicht dichten, weil Du das biſt was die Dichter poetiſch nennen, der Stoff bildet ſich nicht ſelber, er wird gebildet, Du deuchſt mir235 der Lehm zu ſein den ein Gott bildend mit Füßen tritt, und was ich in Dir gewahr werde iſt das gährende Feuer was ſeine überſinnliche Berührung ſtark in Dich einknetet. Laſſen wir Dich alſo jenem über, der Dich bereitet wird Dich auch bilden. Ich muß mich ſelber bilden und machen ſo gut ichs kann. Das kleine Ge¬ dicht, was ich hier für Clemens ſende hab ich mit inner¬ lichem Schauen gemacht, es giebt eine Wahrheit der Dichtung, an die hab ich bisher geglaubt. Dieſe irdiſche Welt, die uns verdrießlich iſt, von uns zu ſtoßen wie den alten Sauerteig, in ein neues Leben aufzu¬ ſtreben, in dem die Seele ihre höheren Eigenſchaften nicht mehr verläugnen darf, dazu hielt ich die Poeſie geeignet; denn liebliche Begebenheiten, reinere An¬ ſchauungen vom Alltagsleben ſcheiden, das iſt nicht ihr letztes Ziel; wir bedürfen der Form, unſere ſinnliche Natur einem gewaltigen Organismus zuzubilden, eine Harmonie zu begründen in der der Geiſt ungehindert einſt ein höheres Thatenleben führt, wozu er jetzt nur gleichſam gelockt wird durch Poeſie, denn ſchöne und große Thaten ſind auch Poeſie, und Offenbarung iſt auch Poeſie, ich fühle und bekenne alles mit Dir was Du dem Ebel auf der Spazierfahrt entgegneteſt und ich begreife es in Dir als Dein nothwendigſtes Element,236 weil ich Deine Strömungen kenne und oft von ihnen mitgeriſſen bin worden, und noch täglich empfinde ich Deinen gewaltigen Wellenſchlag. Du biſt die wilde Brandung und ich bin kein guter Steuermann glücklich durchzuſchiffen, ich will Dich gern ſchirmen gegen die Forderungen und ewigen Verſuche des Clemens, aber wenn auch in der Mitte meines Herzens das feſte Ver¬ trauen zu Dir und Deinen guten Sternen innewohnt, ſo zittert und erbebt doch alles rings umher furchtſam in mir vor Menſchenſatzung und Ordnung beſtehender Dinge, und noch mehr erbebe ich vor Deiner eignen Natur. Ja ſchelte mich nur, aber Dir mein Bekenntniß unverholen zu machen: mein einziger Gedanke iſt, wo wird das hinführen? Du lachſt mich aus, und kannſt es auch, weil eine elektriſche Kraft Dich ſo durchdringt, daß Du im Feuer ohne Rauch keine Ahnung vom Erſticken haſt. Aber ich habe nichts was mich von jenem Lebenerdrückenden Vorläufer des Feuers rette, ich fühle mich ohnmächtig in meinem Wil¬ len, ſo wie Du ihn anregſt, obſchon ich empfinde, daß Deine Natur ſo und nicht anders ſein dürfte, denn ſonſt wär ſie gar nicht, denn Du biſt nur blos das was außer den Grenzen, dem Gewöhnlichen unſichtbar, uner¬ reichbar iſt; ſonſt biſt Du unwahr, nicht Du ſelber, und237 kannſt nur mit Ironie durchs Leben gehen. Manchmal deucht mir zu träumen, wenn ich Dich unter den an¬ dern ſehe, alle halten Dich für ein Kind das ſeiner ſelbſt nicht mächtig, keiner glaubt, keiner ahnt was in Dir, und Du thuſt nichts als auf Tiſch und Stühle ſpringen, Dich verſtecken, in kleine Eckchen zuſammenkauern, auf euren langen Hausgängen im Mondſchein herumſpa¬ zieren, über die alten Boden im Dunklen klettern, dann kommſt Du wieder herein, träumeriſch in Dich verſunken, und doch hörſt Du gleich alles, will einer was, ſo biſt Du die Treppe ſchon hinab es zu holen, ruft man Dei¬ nen Namen, ſo biſt Du da und wärſt Du in dem ent¬ fernteſten Winkel; ſie nennen Dich den Hauskobold, das alles erzählte mir Marie geſtern, ich war zu ihr gegangen um ſie zu fragen, ob es thunlich ſein möchte, daß ich mit Dir nach Homburg reiſe, ſie iſt gut, ſie hätte es Dir gern gegönnt und ich war Dir zu Gefallen gerne mit Dir hingereiſt; St. Clair hatte uns begleiten wollen, und ich ſagte auch der Marie nichts als, ich möchte wohl nach Homburg reiſen und Dich mitnehmen, dort den kranken Hölderlin zu ſehen, das war aber leider grad das verkehrte, ſie meinte im Gegentheil dahin ſolle ich Dich nicht mitnehmen, ſie glaube man müſſe Dich hüten vor jeder Überſpannung238 ich mußte doch lachen über dieſe wohlgemeinte Be¬ merkung, nun kam Tonie, der es Marie mittheilte, ſie meinten Du ſeiſt ſo blaß geweſen im Frühjahr und auch letzt habeſt Du noch krankhaft ausgeſehen, nein, ſagt Tonie, nicht krank, ſondern geiſterhaft, und wenn ich nicht wüßte, daß ſie das natürlichſte Mäd¬ chen wär, die immer noch iſt wie ein unentwickeltes Kind, was noch gar nichts vom Leben weiß, ſo müßte man fürchten ſie habe eine geheime Leidenſchaft, aber hier in der Stadt befindet ſie ſich nur wohl in der Kinderſtube, ſie ſchleicht immer weg aus der Ge¬ ſellſchaft und vom Tiſch, und geht an die Wiege, nimmt die kleine Max heraus, hält ſie wohl eine Stunde auf dem Schooß und freut ſich an jedem Ge¬ ſicht das ſie ſchneidet. Das Kind hatte die Röthen, niemand kam zu mir. Sie allein ſaß Stunden lang beim Kinde, es hat ihr nicht geſchadet; ſie kann alles aushalten, noch nie hab ich ſie klagen hören über Kopf¬ weh oder ſonſt etwas, wie lange hat ſie bei der Clau¬ dine gewacht, kein Menſch könnte das, ich glaub ſie iſt vierzehn Tage nicht ins Bett gekommen, ſie iſt wie zu Haus in jeder Krankenſtube, und amüſirt ſich köſtlich wo andre ſich langeweilen. Aber ihr ganzer Geiſt beſteht in239 ihrem Sein, denn ein geſcheutes Wort hab ich noch nie von ihr gehört, ihr liebſtes iſt den Franz zu erſchrecken, alle Augenblick ſucht ſie ſich einen andern Ort wo ſie ihn überraſchen kann, letzt hat ſie ſich ſogar auf den einen Bettpfoſten gehockt, ich dachte ſie könne keine Minute da aushalten, nun dauerte es eine Viertelſtunde bis Franz kam, als der im Bett lag, ſchwang ſie ſich herunter, ich dachte ſie bricht den Hals, wir konnten ſie die ganze Nacht nicht aus dem Zimmer bringen. Über dieſer Erzählung war Lotte gekommen, die be¬ hauptete ernſthaft, Du hätteſt Anlage zum Veitztanz. Deine Bläſſe deute darauf, du kletterteſt auch beim Spazierengehen immer an ſo gefährliche Orte, und letzt wärt Ihr im Mondſchein noch um die Thore gegangen mit dem Domherrn von Hohenfeld und da ſeiſt Du oben auf dem Glacis gelaufen bald hin, bald her Dich wen¬ dend ohne nur ein einzigmal zu fallen, und der Hohenfeld auch, habe geſagt das ging nicht mit natürlichen Dingen zu. Kaum hatte Lotte ihre Geſchichte, wo immer der Re¬ frain war, Mangel an hiſtoriſchem Sinn und keine Lo¬ gik, geendet, ſo trat Ebel ein, er wurde auch conſultirt wegen der Fahrt nach Homburg (ach hätt ich doch nicht in dies Wespenneſt geſchlagen), der fing erſt recht an240 zu peroriren, der wußte alles: um Gottes Willen nicht, Lotte ſaß im Seſſel und ſecundirte; nein um Gottes Willen nicht, man muß logiſch ſein. Ebel ſagte: Wahn¬ ſinn ſteckt an, ja ſagt L.: beſonders wenn man ſo viel Anlage hat. Nun Lotte Du machſt's zu arg, ſie kann wohl dumm ſein, und das iſt noch die Frage, denn ſie iſt eigentlich weder dumm noch geſcheut, oder vielmehr iſt ſie beides, dumm und geſcheut. Ebel aber ſagte: ich muß hier als Naturphiloſoph ſprechen, ſie iſt ein ganz appartes Weſen, das von der Natur zu viel elek¬ triſchen Stoff mit bekommen, ſie iſt wie ein Blitzableiter, wer ihr nahe iſt beim Gewitter, der kanns empfinden, er war nämlich letzt aus der Spazierfahrt mitten im Gewitter unter Donner und Blitz im ſtärkſten Platzregen trotz Schuh und Strümpfen blos wegen Dir aus dem Wagen und im kurzermelichen Rock querfeldein nach Hauſe geſprungen. Die Tonie ſagte ihm dies und er geſtand es ein, es ſei Furcht geweſen, das Gewitter könne durch Deine elektriſche Natur angezogen werden, er glaubt ſteif und feſt, der Schlag ſei ſo dicht vor den Pferden niedergefahren, weil Du in Deiner Begeiſtrung zu viel Elektricität ausſtrömteſt. Der arme Freund, ſeine Rockermel ſind vom Regen noch mehr verkürzt. Lotte241Lotte behauptete es ſei unlogiſch von Ebel zu ſagen, Be¬ geiſterung, denn dazu müſſe ein logiſcher Grund ſein und der ſei in Deiner Seele nicht zu finden. Dabei kam St. Claire auch zur Theeſtunde, ich hatte ihn hin beſtellt, um zu hören wie der Verſuch ausfallen werde, wärs gelungen, ſo hätten wir Dich heute überraſcht und Dich gleich mit dem Wagen abgeholt, aber Franz kam herauf und George, denen wurde es vorgetragen. Lotte behauptete fort und fort, es würde das unlogiſchſte der Welt ſein Dich hingehen zu laſſen, denn trotz Deiner Unweisheit, Faſelei und gänzlichem Mangel ꝛc. ſeiſt Du doch ſehr exentriſch und es wurde einmüthig beſchloſſen, Du ſolleſt nicht mit; Tonie behauptete noch, Du ſeiſt ihr von Clemens noch mehr auf die Seele gebunden und der würde ihr ein unangenehmes Conzert machen, wenn ſie ihren Beifall dazu gäbe. Ich weiß einen, der ihnen allen gern die Hälſe herumgedreht hätte, das war St. Clair, er war ſo ernſt, er that den Mund nicht auf, aber ich ſah ſeine Lippen beben, kein Menſch wußte, welchen Antheil er daran nahm, er nahm ohne ein Wort zu ſagen ſeinen Huth und ging, und ich ſah daß ihm die Thränen in den Augen ſtanden, Deinem Ritter.

11242

An Clemens.

Die Hirten lagen auf der Erde
Und ſchlummerten um Mitternacht,
Da kam mit freundlicher Geberde
Ein Engel in der Himmelspracht.
Mit Sonnenglanz war er umgeben.
Und zu den Hirten neigt er ſich,
Er ſprach geboren iſt das Leben,
Euch offenbart der Himmel ſich.
Auch ich lag träumend auf der Erde,
Ihr dunkler Geiſt war ſchwer auf mir,
Da trat mit freundlicher Geberde
Die heil’ge Poeſie zu mir,
In ihrem Glanz warſt Du verkläret,
Vertrauet mit der Geiſterwelt,
Den Becher hatteſt Du geleeret.
Der Dich zu ihrem Chor geſellt.
Dein Lied war eine Strahlenkrone,
Die ſich um Deine Stirne wand,
Die Töne eine Lebensſonne
Erleuchtend der Verheißung Land.
Der Liebe Reich hab ich geſehen
In Deiner Dichtung Abendroth;
Wie Moſes auf des Berges Höhen,
Als ihm der Herr zu ſchaun gebot;
Er ſah das Ziel der Erdenwallen
Und mochte fürder nichts mehr ſehn.
Wohin, wohin ſoll ich noch wallen,
Da ich das Heilige geſehn?
243

An die Günderode.

Ich hab mirs nicht gedacht, daß ich ſo ſein könnt in dieſen ſchönen Tagen. In Deinem Brief, Zeile für Zeile, leſe ich nichts Trauriges und doch macht er mich ſchwer. Du redeſt von Dir als ſeiſt Du anders wie ich, ganz anders, ach und ſtehſt mir doch allein unter allen Menſchen gegenüber, und alles was wir mit einan¬ der beſprachen, da waren wir nicht eins, Du warſt an¬ ders geſinnt und ich anders, und doch haſt Du mich immer vertreten, ja gewißlich ich bin anders wie Du, ich fühls auch heut aus jeder Zeile Deines Briefs, die mir doch ſo wahr ſind und den tiefen Grund Deiner Seele beleuchten. Wie iſt doch jeder Menſch ein groß Geheimniß, und bis alles ins Himmliſche ſich verwan¬ delt, wie viel bleibt da unverſtanden. Aber ganz ver¬ ſtanden ſein, das deucht mir die wahre alleinige Meta¬ morphoſe, die einzige Himmelfahrt. Im Gartenhäus¬ chen, wo wir vorm Jahr um die Zeit uns zum erſten¬ mal geſehen haben alſo ein ganz Jahr ſind wir ſchon gut Freund mit einander???!!! und ſo könnt ich fortfahren Zeichen zu machen der Verwun¬ derung, des Stummſeins, des Denkens Seufzens, ja11*244wenn ich ein Zeichen des Schauderns, der Thränen zu machen wüßte, ſo könnte ich die Blätter voll der merk¬ würdigſten Gefühle bezeichnen, denen ich keine Namen zu geben weiß. Das Geisblatt, das da herabſchwankt über die Latten, blüht dies Jahr viel üppiger. Weißt Du, das war unſer erſt Wort, ich ſagte zu Dir: es war ein recht kalter Winter dies Jahr, der Hanenfuß hat ſeine meiſten Zweige erfroren, die Laube giebt wenig Schatten; da ſagteſt Du: die Sonne giebt und die Laube nimmt, was ſie nicht faſſen kann vom Licht das muß ſie durchlaſſen zu uns, und dann ſagteſt Du dieſe Pflanze ſei ſchöner benannt Geisblatt als Hahnenfuß, weil man dabei eine ſchöne Ziege ſich denke, die mit Anmuth gewürzige Blumen freſſe, und daß die Natur für jedes Geſchöpf ein idealiſch Leben darbiete. Und wie die Elemente in ungeſtörter Wirkung das Leben er¬ zeugen, tragen, nähren und vollenden, ſo bereite ſich im Genuß einer ungeſtörten Entwickelung abermal ein Ele¬ ment, in dem das Ideal des Geiſtes blühen, gedeihen und ſich vollenden könne. Und dann ſagteſt Du, ich ſolle mich doch weiß kleiden der Natur zu Lieb, die rund um uns her ſo herrliche Blumen aufſprieße, dabei ein Kleid tragen zu wollen mit gedruckten Blumen, das ſei geſchmacklos und man müſſe im Einklang leben wollen245 mit der Natur, ſonſt könne die Knospe des Menſchen¬ geiſtes nicht aufblühen. Ich dachte ein Weilchen über Deine Reden, ſo waren wir beide ſtill ' die Antwort war an mir ich getraute mich gar nicht, Du kamſt mir ſo weisheitsvoll vor, es ſchien mir Dein Denken wirklich mit der Natur übereinzuſtimmen, und Dein Geiſt rage über die Menſchen hinaus, wie die Wipfel voll duftiger Blüthen im Sonnenſchein, im Regen und Wind, Nacht und Tag immer fort ſtreben in die Lüfte. Ja Du kamſt mir vor wie ein hoher Baum von den Naturgeiſtern bewohnt und genährt. Und wie ich meine Stimme hörte, die Dir antworten wollte, da ſchämte ich mich als ſei ihr Ton nicht edel genug für Dich. Ich konnts nicht herausſagen, Du wolltſt mir helfen und ſagteſt, der Geiſt ſtrömt in die Empfindung, und die geht aus allem hervor was die Natur erzeugt, der Menſch habe Ehrfurcht vor der Natur, weil ſie die Mutter iſt die den Geiſt nährt mit dem, was ſie ihm zu empfinden giebt. Wie ſehr hab ich an Dich ge¬ dacht, und Deine Worte, und an Deine ſchwarzen Au¬ genwimpern die Dein blau Aug decken, wie ich Dich geſehen hatt zum allererſtenmal, und Dein freundlich Mienenſpiel und Deine Hand, die mein Haar ſtreichelte. Ich ſchrieb auf: Heut hab ich die Günderode geſehen,246 es war ein Geſchenk von Gott, Heut leſe ich das wieder, und ich möcht Dir alles zu Lieb thun, und ſags mirs lieber nicht, wenn Du mit andern Menſchen auch gut biſt. Das heißt: ſei mit andern was Du willſt, nur laß das uns nichts angehen. Wir müſſen uns mit einan¬ der abſchließen, in der Natur, da müſſen wir Hand in Hand gehen und mit einander ſprechen nicht von Din¬ gen, ſondern eine große Sprache. Mit dem Lernen wirds nichts, ich kanns nicht brauchen, was ſoll ich ler¬ nen was andere ſchon wiſſen, das geht ja doch nicht verloren, aber das was grad nur uns zu Lieb geſchieht, das möcht ich nicht verſäumen mit Dir auch zu erleben, und dann möcht ich auch mit Dir all das überflüſſige Weltzeugs abſtreifen, denn eigentlich iſt doch nur alles comme il faut eine himmelſchreiende Ungerechtigkeit ge¬ gen die große Stimme der Poeſie in uns, die weiſt die Seele auf alles Rechte an. Einmal iſt mir die Höflich¬ keit zuwider die ſich immer neigt vor andern und doch keinen Verkehr mit einem hat, als ob das unhöflich wär, dem auszuweichen der einem nichts angeht; wär die Natur ſo verkehrt, ſo intrigant und unſinnig wie die Menſchen ſind, es könnte kein Erdapfel reifen, viel weniger denn ein Baum blühen, alles iſt die reine Folge der Großmuth in der Natur, jede Kornähre die247 den Samen doppelt ſpendet, giebt Zeugniß. Engherzig¬ keit wird nimmer ihren Samen ſpalten zum Licht, ſie verkeimt. Jetzt fang ich an zu fühlen zu was ich da bin. Alle Morgen bet ich wenn ich aufwache: Lieber Gott, warum bin ich geboren, und jetzt weiß ichs, darum daß ich nicht ſo unſinnig ſein ſoll wie die an¬ dern ſind, daß ich den reinen Pfad wandle in meinem Herzen bezeichnet, für was hätt ihn der Finger Gottes mir eingeprägt und meine fünf Sinne in die Schule ge¬ nommen, daß ein jeder ihn buchſtabiren lerne, wenn es nicht wär dieſen Weg zu bekennen. Ja man muß dem Menſchen Weisheit zumuthen und ſie ihm als den einfachen Weg der Natur vorſchreiben, aber das Ver¬ läugnen eines großen mächtigen Weltſinnes in uns, iſt immer Folge unſeres Sittenlebens mit andern, das hängt ſich einem an, daß man keinen freien Athemzug mehr thun kann, nicht groß denken, nicht groß fühlen aus lauter Höflichkeit und Sittlichkeit. Groß handlen, das dank einem der Teufel, das müßte von ſelbſt ge¬ ſchehen wenn alles natürlich im Leben zuging. Es iſt eine Schande, was die Menſchen alles mit dem Namen Großmuth belegen, als ob nicht ein raſches ſelbſtthätiges Leben, immer das als elektriſches Feuer ausſtrömen müſſe was man große Handlung nennt.

248

Das mühſelige Menſchengeſchlecht plappert wie die Elſtern, es verſteht nicht das Stöhnen der Liebe, das muß ich ſagen weil die Nachtigallen ſo ſüß ſtöh¬ nen über mir. Vier Nachtigallen ſinds, auch im vori¬ gen Jahr warens Vier. Ja lieben werd ich wohl nie, ich müßt mich vor den Nachtigallen ſchämen daß ichs nicht könnt wie die. Wie hauchen ſie doch ihre Seel in die Kunſt der Wolluſt, in die Muſik und in ei¬ nen Ton hinein, ſo rein, ſo unſchuldig ſo wahr und tief was keine Menſchenſeele weder durch die Stimme noch durch das Inſtrument hervorbringen kann. War¬ um doch der Menſch erſt ſingen lernen muß, während die Nachtigall es ſo rein, ſo ganz ohne Fehl verſteht tief ins Herz zu ſingen, ich hab noch gar keinen Ge¬ ſang gehört von Menſchen, der mich ſo berührt wie die Nachtigall eben dacht ich, weil ich ihnen ſo tief zu¬ hör, ob ſie mir wohl auch zuhören wollten, wie ſie eine Pauſe machten, kaum heb ich die Stimm, da ſchmettern ſie alle vier zuſammen los, als wollten ſie ſagen, laſſe uns unſer Reich. Arien, Operngeſänge ſind wie lauter falſche Tendenzen der ſittlichen Welt, es iſt die Decla¬ mation einer falſchen Begeiſterung. Doch iſt der Menſch hingeriſſen von erhabner Muſik, Warum nur, wenn er nicht ſelbſt erhaben iſt? Ja, es iſt doch ein249 geheimer Wille in der Seele groß zu ſein. Das er¬ quickt wie Thau, den eignen Genius die Urſprache füh¬ ren zu hören, Nicht wahr? O wir möchten auch ſo ſein wie dieſe Töne, die raſch ihrem Ziele zuſchrei¬ ten ohne zu wanken. Da umfaſſen ſie die Fülle, und dann, in jedem Rhythmus ein tief Geheimniß inner¬ licher Geſtaltung, aber der Menſch nicht. Gewiß, Melodien ſind gottgeſchaffne Weſen, die in ſich fort¬ leben, jeder Gedanke aus der Seele hervor leben¬ dig, der Menſch erzeugt die Gedanken nicht, ſie er¬ zeugen den Menſchen. Ach! Ach! Ach! da fällt nur ein Lindenblüthchen auf die Nas und da regnets ein Biſchen; was ſchreib ich doch hier dumm Zeug hin, und kanns kaum mehr leſen, jetzt dämmerts ſchon ſtark wie ſchön doch die Natur ihren Schleier ausbreitet ſo licht, ſo durchſichtig jetzt fangen die Pflanzen¬ ſeelen an umher zu ſchweifen, und die Orangen im Boskett. Und der Lindenduft es kommt Well auf Well herüber geſtrömt es wird ſchon dunkel Nachtigallen werden ſo eifrig ſie ſchmettern recht in die Mondſtille, ach wir wollen was recht großes thun wir wollen nicht umſonſt zuſammen getroffen haben in dieſer Welt laß uns eine Religion ſtiften für die Menſchheit, bei ders ihr wieder wohl wird 11**250ein Sein mit Gott dein Mahomet hats mit ein paar Ritt in den Himmel auch zu Wege gebracht. Ein bischen Spazierenreiten in den Himmel.

An die Günderode.

Geſtern hab ich vergeſſen Dir zu ſchreiben, daß ich Dein Gedicht an den Clemens geſchickt hab nach Mar¬ burg, ich hab mirs aber erſt abgeſchrieben, ich wollt Dir auch ſagen wie ſchön ichs find. Aber vor Dank¬ barkeit daß ich Dich als Freundin hab, hab ichs ver¬ ſäumt. Aber Du ſiehſts doch im Brief geſpiegelt, daß es Dein groß Herz iſt, das mich rührt, und daß ich mich unwerth halt Deine Schuriemen zu löſen. Du wählſt Dir einen ſchönen Gedanken und fügſt ihn in Reime zu einem Ehrenmantel für den Clemens, ach was haſt Du da für eine ſchöne Tugend, hebſt den Geiſt heraus aus dem Erdenleben. Gott ſchuf die Welt aus Nichts, predigten immer die Nonnen, da wollt ich immer wiſſen wie das war das konnten ſie mir nicht ſagen und hießen mich ſchweigen, aber ich ging umher und ſchaute alle Kräuter an, als müßte ich finden aus was ſie geſchaffen ſeien. Jetzt weiß ichs, er hat ſie251 nicht aus nichts geſchaffen, er hat ſie aus dem Geiſt geſchaffen, das lern ich vom Dichter, von Dir, Gott iſt Poet, ja ſo begreif ich ihn heut las ich bei der Großmama aus dem Hemſtruis vor: der Choi¬ ſeil ſagte, il faut que Dieu ait la figure de l'homme comme il l'a créé d'après son immage, der d'Allaris meinte: C'est fort singulier monsieur de se figurer la figure de Dieu avec un visage humain, comme celui la est fait pour des besoin et des fonctions terrestres au¬ quelles dieu ne doit avoir aucun raport, en raison de sa force et de son grand courage le monde entier de¬ vrait s'en aller en poussière si par exemble le bon Dieu s'amusait une seule foix a eternuer de bon coeur. Wenn Gott den Menſchen nach ſeinem Ebenbild geſchaffen, ſo begreife ich dies ſo, Gott hat eine Per¬ ſönlichkeit die kann aber er ſelbſt nur faſſen, denn er ſteht ſich ſelbſt allein gegenüber, aber als Poet ver¬ ſchwindet ihm ſeine Perſönlichkeit, ſie löſt ſich auf in die Erfindung ſeiner Erzeugung. So iſt Gott perſön¬ lich und auch nicht. Der Dichter ſtellt dies dar der iſt perſönlich und auch nicht, eben ganz nach Gottes Ebenbild, denn er erſchafft mit dem Geiſt was ganz außer dem ſinnlichen Daſein liegt, und doch iſt es ſinn¬ lich da es die Sinne faſſen, und ſich hierdurch gewiegt252 fühlen und genährt, und da doch Nahrung der Sinne nur ihre höhere Entwicklung iſt, ſo löſt der Dichter, wie Gott, ſeine Perſönlichkeit auf, durch ſein Denken in eine höhere Form, und bildet ſich ſelbſt in eine höhere Entwicklung hinüber. Was ſag ich Dir da? Ach ich habs einen Augenblick verſtanden was Gott iſt, als könnt ichs in den Wolken leſen, und da ſah ich am Himmel wie der Mond hervorſchwippt, und zerſtreut mir die Gedanken, daß ich eben gar nichts mehr leſen kann, alles iſt zerfloſſen, und die Worte da oben, in denen ichs feſthalten wollt, die ſind verſchwommen, ich habs mit andern Worten müſſen reden, es iſt nicht recht wie ichs gemeint hab. Ja, Gott läßt ſich nicht fangen, ich dacht ich hätt ihn ſchon. Aber das eine hab ich behalten, daß Gott die Poeſie iſt, daß der Menſch nach ſeinem Ebenbild geſchaffen iſt, daß er alſo geborner Dichter iſt, daß aber alle berufen ſind und wenige auserwählt, das muß ich leider an mir ſel¬ ber erfahren, aber doch bin ich Dichter, obſchon ich kei¬ nen Reim machen kann, ich fühls wenn ich gehe in der freien Luft, im Wald oder an Bergen hinauf, da liegt ein Rhythmus in meiner Seele, nach dem muß ich den¬ ken, und meine Stimmung ändert ſich im Takt. Und denn, wenn ich unter Menſchen bin, und laſſe mich von253 ihrem Takt oder Metrum, was ganz auf den gemeinen Gaſſenhauer geht, mit fortreißen, da fühl ich mich er¬ bärmlich und weiß nichts mehr als lauter dumm Zeug, fühlſt Du das auch, daß dumme Menſchen einem noch viel dummer machen als ſie ſelber ſind, die haben nicht ſo unrecht, wenn ſie ſagen ich ſei dumm. Aber Herz was mich verſteht komme nur und ich will Dir ein Gaſtmahl geben was Dich ehrt. Aber hör doch nur weiter: Alle große Handlung iſt Dichtung, iſt Verwandlung der Perſönlichkeit in Gottheit, und welche Handlung nicht Dichtung iſt, die iſt nicht groß, aber groß iſt alles was mit dem Licht der Vernunft gefaßt wird das heißt: alles was Du in ſeinem wahren Sinn faſſeſt das muß groß ſein, und gewiß iſt es, daß jeder ſolcher Gedanke eine Wurzel muß haben die in den Boden der Weisheit gepflanzt iſt, und eine Blume die blüht im göttlichen Licht. Hervorgehen aus dem See¬ lengrund, nach Gottes Ebenbild, hinüber, hinauf in un¬ ſern Urſprung. Gelt, ich hab recht? Und wenn es wahr iſt, daß der Menſch ſo ſein kann, warum ſoll er anders ſein? ich begreifs nicht, alle Menſchen ſind anders als wie es ſo leicht wär zu ſein; ſie hän¬ gen an dem was ſie nicht achten ſollten, und verachten das an dem ſie hängen ſollten.

254

Ach ich hab eine Sehnſucht rein zu ſein von die¬ ſen[Fehlern]. Ins Bad ſteigen, und mich abwaſchen von allen Verkehrtheiten. Die ganze Welt kommt mir vor wie verrückt, und ich ſchußbartele immer ſo mit, und doch iſt in mir eine Stimme, die mich beſſer belehrt. Laſſe uns doch eine Religion ſtiften, ich und Du, und laſſe uns einſtweilen Prieſter und Laie darin ſein, ganz im Stillen, und ſtreng danach leben, und ihre Geſetze entwickeln, wie ſich ein junger Königsſohn entwickelt der einſt der größte Herrſcher ſollt werden der ganzen Welt. So muß es ſein, daß er ein Held ſei, und durch ſeinen Willen alle Gebrechen abweiſe und die ganze Welt umfaſſe, und daß ſie müſſe ſich beſſern. Ich glaub auch, daß Gott nur hat Königsſtämme wer¬ den laſſen, damit ſie dem Auge, den Menſchen ſo erhaben hinſtellen, um ihn nach allen Seiten zu erkennen. Der König hat Macht über alles, alſo erkennt der Menſch, der ſeinem öffentlichen Thun zuſieht, wie ſchlecht er es anfängt, oder auch wenn ers gut macht, wie groß er ſelber ſein könne. Dann, ſteht grade der König ſo, daß ihm allein gelinge, was kein andrer vermag, ein genia¬ ler Herrſcher reißt mit Gewalt ſein Volk auf die Stufe, wohin es nie ohne ihn kommen würde. Alſo müſſen wir unſere Religion ganz für den jungen Herrſcher bil¬255 den, O wart nur, das hat mich ganz orientirt, jetzt will ich ſchon fertig werden. Ach ich bitt dich, nehm ein bischen Herzensantheil dran, das macht mich friſch ſo aus reinem Nichts alles zu erdenken wie Gott, dann bin ich auch Dichter. Ich denke mirs ſo ſchön alles mit Dir zu überlegen, wir gehen dann zuſammen hier in der Großmama ihren Garten auf und ab, in den herrlichen Sommertagen, oder im Boskett, wos ſo dunkle Laubgänge giebt, wenn wir ſimuliren ſo gehen wir dort hin und entfalten alles im Geſpräch, dann ſchreib ichs Abends alles auf und ſchick Dirs mit dem Jud in die Stadt, und Du bringſt es nachher in eine dichteriſche Form, damit wenns die Menſchen einſt fin¬ den, ſie um ſo mehr Ehrfurcht und Glauben dran ha¬ ben, es iſt ein ſchöner Scherz, aber nehms nur nicht für Scherz, es iſt mein Ernſt denn warum ſollten wir nicht zuſammen denken über das Wohl und Bedürfniß der Menſchheit. Warum haben wir denn ſo manches zuſammen ſchon bedacht was andere nicht überlegen, als weils der Menſchheit fruchten ſoll, denn alles was als Keim hervortreibt, aus der Erde wie aus dem Geiſt, von dem ſteht zu erwarten daß es endlich Frucht bringe, ich wüßte alſo daher nicht, warum wir nicht mit ziem¬ licher Gewißheit auf eine gute Ernte rechnen könnten,256 die der Menſchheit gedeihen ſoll. Die Menſchheit, die arme Menſchheit, ſie iſt wie ein Irrlicht in einem Netz gefangen, ſie iſt ganz matt und ſchlammig. Ach Gott ich ſchlaf gar nicht mehr, gute Nacht, alleweil fällt mir ein, unſre Religion muß die Schwebe-Re¬ ligion heißen, das ſag ich Dir Morgen.

Aber ein Geſetz in unſerer Religion muß ich Dir hier gleich zur Beurtheilung vorſchlagen, und zwar ein erſtes Grundgeſetz. Nämlich: Der Menſch ſoll immer die größte Handlung thun und nie eine andre, und da will ich Dir gleich zuvorkommen und ſagen, daß jede Handlung eine größte ſein kann und ſoll. Ach hör! ich ſehs ſchon im Geiſt, wenn wir erſt ins Rath¬ ſchlagen kommen, was wird das für Staubwolken geben.

Wer nit bet, kan nit denken, das laß ich auf eine erdne Schüſſel malen und da eſſen unſre Jünger Suppe draus. Oder wir könnten auch auf die andre Schüſſel malen: Wer nit denkt, lernt nit beten. Der Jud kommt, ich muß ihm eilig unſere Welt¬ umwälzung in den Sack ſchieben, auch wir werden einſt ſagen können, was doch Gott für wunderbare Werk¬ zeuge zum Mittel ſeiner Zwecke macht, wie die alt257 Nonn in Fritzlar. Siehſt Du den St. Clair? grüß ihn.

An die Bettine.

Oder am beſten können wir ſagen: Denken iſt Beten, damit iſt gleich was gutes ausgerichtet, wir gewinnen Zeit, das Denken mit dem Beten, und das Beten mit dem Denken. Du willſt ungereimtes Zeug vorbringen. Du biſt ungeheuer liſtig, und meinſt ich ſoll es reimen. Deine Projekte ſind immer ungemein waghalſig, wie eines Seiltänzers, der ſich darauf ver¬ läßt, daß er balanciren kann, oder einer der Flügel hat, und weiß, er kann ſie ausbreiten, wenn der Wind¬ ſturm ihn von der Höhe mit fortnimmt. Übrigens hab ich Dich wohl verſtanden, trotz der vielen ſüßen Lobe, die Du einſtreuſt wie Opfergras, daß ich das Opfer bin was Du geſchechtet haſt, um mit dem Jud zu reden. Ich fühls, daß Du recht haſt, und weiß, daß ich zu furchtſam bin, und kann nicht, was ich inner¬ lich für recht halte, äußerlich gegen die aus der Lüge hergeholten Gründe vertheidigen, ich verſtumme und bin beſchämt grade wo Andre ſich ſchämen müßten, und258 das geht ſo weit in mir, daß ich die Leute um Verzei¬ hung bitte, die mir unrecht gethan haben, aus Furcht ſie möchtens merken. So kann ich durchaus nicht ertra¬ gen, daß einer glaube, ich könne Zweifel in ihn ſetzen, ich lache lieber kindiſch zu allem was man mir entgeg¬ net, ich mag nicht dulden, daß die, welche ich doch nicht eines Beſſern überzeugen kann, noch den Wahn von mir hegen, ich ſei geſcheuter als ſie. Wenn ſich zwei verſtehen ſollen, dazu gehört lebenvolles Wirken von einem dritten Göttlichen. So nehm ich auch un¬ ſer Seyn an, als ein Geſchenk von den Göttern, in dem ſie ſelber die vergnüglichſte Rolle ſpielen; aber meine innere Fühlungen, folgeloſen Behauptungen aus¬ ſtellen, dazu leiht mir weder die blauäugige Minerva, noch Areus der Streitbare*)Dem die Jungfrauen einen Widder opferten, wenn ſie öf¬ fentlich einen Wettlauf hielten. Beiſtand. Ich gebe Dir aber recht, es wäre beſſer ich könnte mich mann¬ hafter betragen, und dürfte dieſen großmächtigen Weltſinn in dem Sittenleben mit andern nicht mir untergehen laſſen. Aber was willſt Du mit einer ſo Zaghaften aufſtellen, die ſich immer noch fürchtet im Stift das Tiſchgebet laut genug herzuſagen. Laſſe mich und vertrage mich wie ich bin, hab ich das Herz259 nicht meine Stimme zu erheben gegen allen Unſinn, ſo hab ich auch dafür an dieſem harten Fels keine kleinſte Welle Deiner brauſenden Lebensfluthen ſich brechen laſ¬ ſen. Er ſteht trocken und unbeſchäumt von Deinen hei¬ ligen Begeiſterungen, ſo kannſt Du auch unbekümmert darum, Dein Leben dahin fließen. Ich weiß, daß es Dir weh thut, weil wir den Hölderlin nicht beſuchten. St. Clair iſt geſtern abgereiſt, er war noch vorher bei mir, er ſah Deinen dicken Brief, er war ſo ſehnſüchtig etwas daraus zu vernehmen, und die Zaghafte war kühn genug auf ihr richtiges Gefühl hin, ihm die Stelle zu leſen, wo die Bettine über den Oedipus ſpricht. Er wollte es abſchreiben, er mußte es abſchreiben, ſeine Seele wär ſonſt vergangen, und die Zaghafte war zu muthlos es ihm abzuſchlagen. Er ſagte, ich leſe es ihm vor, vielleicht wirkt es wie Balſam auf ſeine Seele, und wo nicht, ſo muß es doch ſo ſein, daß die höchſte Erregung durch ſeine Dichternatur erzeugt, auch wie¬ der an ihm verhalle, ſo wie er verhallte. Ich muß es ihm leſen, es wird doch zum wenigſten ihm ein Lächeln abgewinnen. Nun ſieh mich ſchon wieder voll Zag¬ heit, daß Dir meine Kühnheit mißfalle, aber doch be¬ trog mich mein Ohr nicht, ſo war jener Hymnus auf dem Taubenſchlag dem armen Dichter geſungen, daß260 er ſolle dort mit in ſein zerriſſnes Saitenſpiel ein¬ tönen.

Ich hab jetzt ſo viele Geſellſchaftsnoth, ich muß dieſe Woche ſchon zum zweitenmal in den ſchwarzen Stiftstalar kriechen, auch dahinein verfolgt mich meine närriſche Feigheit, ich komme mir ſo fremd drinn vor, es iſt mir ſo ungewöhnlich eine angelehnte Würde öf¬ fentlich zu behaupten, daß ich immer den Kopf hängen muß und muß auf die Seite ſehen, wenn ich angeredet werde. Geſtern haben wir in Corpore beim Primas zu Mittag geſpeiſt, da verlor ich mein Ordenskreuz, es lag unterm Stuhl, ich fühlte es mit der Fußſpitze, das machte mich ſo confus, und denk nur der Primas ſelbſt hat es aufgehoben, und bat um Erlaubniß es anzuheften auf die Schulter, dazu kam unſere Duenna und nahm die Mühe auf ſich, Gott ſei Dank, ich konnte doch die ganze Nacht nicht vor der Geſchichte ſchlafen, ich muß roth werden, wenn ich dran denke, dann war ich bei der Haiden der Moritz im Cabriolet iſt mir begeg¬ net, von da in der Comödie in Eurer Loge, George führte mich hinein. Die Geſchwiſter. Es war ſehr leer wegen der Hitze, George war fortgegangen, die Frau Ruth ſaß ganz allein auf meiner Seite, ſie rief aufs Theater: Herr Verdy ſpielen Sie nur tüchtig, Ich bin261 da , es machte mich recht verlegen, hätte er geantwortet, ſo wär ein Geſpräch draus geworden, indem ich am Ende noch eine Rolle hätte übernehmen müſſen. Im Parterre ſaßen keine funfzig Menſchen. Verdy ſpielte recht gut und die Rath klatſchte bei jeder Scene, daß es widerhallte, Verdy verbeugte ſich tief gegen ſie, es war gar wunderlich, das leere Haus und die offnen Logenthüren wegen der Hitze, durch die der Tag herein¬ ſchien, dann kam Zugwind und ſpielte mit den lumpig¬ ten Decorationen, da rief die Goethe dem Verdy zu, Ah das Windchen iſt herrlich und fächelte ſich, es war doch grad als ſpiele ſie mit, und die Zwei auf dem Theater, ſo gut als wären ſie allein in vertraulich häus¬ lichem Geſpräch, dabei mußt ich an den größten Dichter denken, der nicht verſchmähte ſo prunklos ſeine tiefe Na¬ tur auszuſprechen. Ja Du magſt recht haben, es iſt was Großes darin, und es iſt ſchauerlich, und daher tra¬ giſch geweſen dieſe Leere, dieſe Stille, die offnen Thüren, die einzige Mutter voll Ergötzen als habe ihr der Sohn den Thron gebaut, auf dem ſie weit erhaben über den Erdenſtaub ſich die Huldigung der Kunſt gefallen läßt. Sie ſpielten auch recht brav, ja begeiſtert, blos wegen der Fr. Rath, ſie weiß einem in Reſpekt zu ſetzen. Sie ſchrie auch am Ende ganz laut, ſie bedanke ſich und262 wolle es ihrem Sohn ſchreiben. Darüber fing eine Un¬ terhaltung an, wobei das Publicum eben ſo aufmerk¬ ſam war, die ich aber nicht mit anhörte, weil ich ab¬ geholt wurde. Morgen wird ſie wohl in der ganzen Stadt herumkommen.

Ich bin nicht wohl, ſonſt wär ich heut hinausge¬ kommen ſo ſehr interreſſirt mich Dein Brief, Du hängſt Dich an die Gipfel der Lebenshöhen, wie das junge Gefieder, und ſiehſt Dich gleich um, wie am be¬ ſten nach der Sonne zu ſteuern ſei, dann zerſtreueſt Du Dich eben ſo leicht wieder. Wenn ich wohl bin, ſo komme ich die Woche noch, ich glaube die Angſt vor dem Aderlaſſen macht mich krank, ich kann mich nicht drein finden, wenn ich denk daß ich Blut vergießen ſoll ſo wird mir übel. Schreibe mir doch heute noch von der Schwebe-Religion was das heißen ſoll, daß ich was zu denken und zu faslen hab, weil ich nichts anfangen kann und das Zimmer hüten muß.

Caroline.

263

An die Günderode.

Ach laſſe doch ja nicht zur Ader, aus tauſend Grün¬ den, denn (vielleicht): wenn einer nur einmal zur Ader gelaſſen hat, ſo kann er kein Soldat mehr ſein, kein Held! man kann gar nicht wiſſen was ſo ein Eingriff in die Natur für Verändrung im menſchlichen Geiſt macht, und wozu er als die Fähigkeit verlieren kann. Ich bitte Dich, laſſe nicht zur Ader, im Kloſter, da, wenn der Tag kam wo das Aderlaßmännchen im Ka¬ lender ſteht, ich glaub es war grad in der heißen Zeit wie jetzt, da ließen die Nonnen alle am linken Fuß zur Ader, da kam ein Chirurg, ich war immer im Anſtau¬ nen ſeiner Häßlichkeit verloren, er hieß Herr Has. Eine alte Nonne ſagte einmal, man könne in ſeine Pok¬ kengruben, in denen ſehr viel erdiger Schmutz war, Kreſſe ſäen, ſo würde er einen grünen Bart bekommen, ich hielt alſo immer Kreſſe bereit und paßte auf die Gele¬ genheit ihm den Samen einzuſtreuen, und habe auch einen Augenblick wo er über dem Warten auf die Non¬ nen eingeſchlafen war, benutzt, und Du magſts glauben oder nicht, die Kreſſe hatte einen ſehr günſtigen Boden, ſie begann mit Macht emporzuſchießen, man brauchte264 ihn nur mit Eſſig und Öl einzuſeifen, ſo hatte man den trefflichſten Salat von ſeinem Bartſchabſel. Aber gelt Du gläubeſt nicht? Aber hör, da fällt mir ein, eſſe doch eine recht tüchtige Schüſſel voll Salat, das kühlt das Blut ab, aber wenn Du bei einer Entzündung noch Blut verlierſt, ſo wird natürlich dieſe verſtärkt, denn wenn Du ein Dippen mit Waſſer kochend haſt, und ſchüttſt einen Theil davon weg, ſo kochts viel ſtär¬ ker. Die Hahnen krähen es iſt ſchon nach Mitter¬ nacht, und nun will ich Dir fortſchreiben bis morgen früh, daß Du recht viel zu leſen haſt auf Deinem Kran¬ kenlagerchen, gleich fang ich von der neu Religion an, aber erſt will ich Dir noch was erzählen, wie der Jud kam mit Deinem Brief, das war vier Uhr, da dacht ich auf was, was Dir recht gut wär, da dacht ich gleich die Aprikoſen in der Großmama ihrem Garten müßten Dir geſund ſein, da ging ich um die Bäum herum und erſpähte die beſten, und lernte ſie alle auswendig wo ſie hingen, und ſo ſpazierte ich in einem Wiederholen meiner Lection, bis die Sonne unterging, denn bei Tag konnt ich ſie nicht ſtehlen, ich mußte warten bis alles am Spieltiſch ſaß, es war Dir das ſchönſte Plaiſir, dieſe Aprikoſen zu ſtehlen, erſtens die Angſt iſt ein wah¬ rer Spaß, das Herz klopfte mir ſo, ich mußte ſo lachenvor265vor Freud; Herzklopfen iſt ſo was angenehmes, und denn wars grad als ließen ſie ſich recht gern ſtehlen, ſie fielen mir in die Hand, ich hatte mir ein Tuch um den Hals gebunden da warf ich ſie hinein, zwanzig! ich war recht froh wie ich ſie all hatte, und glücklich auf meiner Stube war, da hab ich ſie alle in die jungen Weinblätter gepackt, die ſind vom zweiten Schuß und haben einen ſo weichen Sammt auf der linken Seite. Da liegen ſie in der Schachtel und gucken mich an als hätten ſie Appetit auf einen Biß von meinem Mund, aber da wird nichts draus, ſie ſind all für Dich, ſie müſſen ſichs vergehn laſſen von mir geſpeiſt zu wer¬ den. Eſſe ſie Günderod, ſie ſind gut, Gott hat ſie ge¬ ſchaffen für Entzündungen, damit die aus dem Blut wieder in den Geiſt zurückgehen ſoll, aus dem ſie ei¬ gentlich nur ausgetreten war ins Blut. Laß nur nicht zur Ader, denn wie geſagt, es ahnt mir, daß dadurch etwas im Menſchen zu Grunde gehen könne, vielleicht das echte Heldenthum; wer weiß, ob nicht einer, der einmal Ader gelaſſen hat, hierdurch nicht ſeine ganze Nachkommen um die Tapferkeit gebracht hat, und daß dieſe Tugend eben darum jetzt ſo rar iſt. Das Ader¬ laßmännchen iſt der Teufel, der hat ſich ſo ganz ſachte in den Kalender geſchlichen, um die Menſchen um das12266einzige zu betrügen was ihm Widerſtand leiſten kann, um den Stahl im Blut, der übergeht in den Geiſt, und den feſt macht daß er thun kann was er will. Weis¬ heit und Tapferkeit! der Menſch will immer die Weis¬ heit, er hat aber den Muth nicht ſie durchzuſetzen. Eins bedingt das Andere, denn wenn der Muth dazu wäre, ſo wär auch die Weisheit da. Denn es iſt nicht möglich, daß wenn Kraft in der Seele iſt das Höchſte zu thun, daß in ihr nicht auch der Same der Weisheit aufblühen ſollte, der das höchſte Thun lehrt. Wer zum Beiſpiel Muth hat das Geld zu verachten, der wird bald auch Weisheit haben zu erkennen welch fürchterlicher Wahnſinn aus dieſem grauſamen Vorur¬ theil hervorſchießt, und wie Reichthum und Macht ſo ſehr ſehr arm ſind. Weisheit und Tapferkeit müſſen einander unterſtützen. Ach in unſerer Religion ſoll die Tapfer¬ keit obenan ſtehen, denn wenn wir nur darüber wa¬ chen daß wir kühn genug ſind das Große zu thun und die Vorurtheile nicht zu achten, ſo wird aus jeder That immer eine höhere Erkenntniß ſteigen die uns zur nächſten That vorbereitet, und wir werden bald Dinge beweiſen die kein Menſch noch glaubt. Zum Beiſpiel man kann nicht von der Luft leben! Ei das könnt doch ſehr möglich ſein, und es iſt eine ſehr dumme Behaup¬267 tung, die der Teufel gemacht hat um den Menſchen an die Sclavenkette zu legen des Erwerbs, daß man nicht von der Luft leben könne, daß er nur recht viel habe. Wer viel hat der kann vor lauter Arbeit nicht zur Hoch¬ zeit kommen; und von der Luft lebt man doch allein, denn alles was uns nährt iſt durch die Luft genährt und auch unſere erſte Bedingung zum Leben iſt das Athemholen. Und Gott ſagt damit: du theilſt die Luft mit allen ſo theile auch das Leben mit allen, und wer weiß denn wie ſehr die Natur ſich noch ändern kann, und kann ſich dem Geiſt anſchmiegen, wenn der einmal die Seele mehr regiert, ob dann der Leib nicht auch mehr Luft bedarf und weniger andere Nahrung. Alle al¬ berne Gedanken, Begierden und verkehrte Einbildungen die machen ſo hungrig nach thieriſcher Nahrung, ich weiß an mir daß wenn mir etwas durch den Geiſt fährt dem ich nachgehen muß, aus Ahnung daß es Lebensluft enthalte, ſo hab ich gar keinen Hunger, und die Fran¬ zoſen, wenn ſie witzig ſind, ſo haben ſie immer auf was petillantes oder gewürztes Appetit, es käme alſo ſehr auf den Geiſt an, daß wir am End gern von der Luft leben. Und unſer Tiſchgebet ſoll heißen: Herr ich eſſe im Vertrauen, daß es mich nähre, und die alten Küchenzettel und Bratſpieß und Backgeſchichten all dem12*268Teufel in die Garküch geſchmiſſen, daß er den Hals drüber bricht, wir haben keine Zeit uns dabei aufzu¬ halten, geh zum Nachbar und nehm Brod von ihm und nehme die Frucht vom Baum dazu, und vom Opfer¬ mal ein Weniges, und dulde nicht, daß ſich Bedürfniſſe des Mahls bei Dir einniſten, zu dieſer oder jener Stunde; oder ſonſt Dinge, die den Leib abhängig machen. Da fällt mir noch etwas ein, mit dem verdammten Zugwind, oder mit der Nachtluft, alle Augenblick heißts, hier ziehts! und dann reißen die Leute aus als ob ihnen der Tod im Nacken ſäß, oder der Nachtwind hindert ſie die nächtliche Natur zu genießen, oder der Abendthau iſt ihnen gefährlich, und doch hat man je bei einem Ge¬ fecht in der Schlacht geſehen daß ein Held vor dem Nachtthau ausreiße? alſo auch, über die Verkältung hin¬ weg im Nachtwind wie im Sonnenſchein ſein eigner Herr bleiben, das muß ein Geſetz unſerer ſchwebenden Religion ſein. Ich weiß nicht, es duftet mir ordentlich im Geiſt, als würden wir auf ſehr wunderbare Entdeckungen kom¬ men. Jetzt haben wir ſchon entdeckt, daß man nicht Aderlaſſen muß, damit der Stahl im Blute nicht abge¬ laſſen werde der die Begeiſterung der Tapferkeit erzeugt, da könnte einer ſagen durch eine Wunde im Krieg könne denn auch dieſer Geiſt des Stahls entfliehen, ſo269 daß ein Tapferer könne zu einem Feigen werden, dem iſt aber nicht ſo, denn bei einer Wunde die in der Be¬ geiſtrung ſelbſt empfangen wird, da haucht das Blut ſelbſt Unſterblichkeit aus. Wenn nämlich die Tugend (die Tapferkeit) wach iſt in dem Menſchen, das heißt: wenn der Genius in ſein Blut geſtiegen iſt und kämpft, und er geht auf die Wunde los die er empfangen ſoll, da iſt die Kühnheit ſo Herr, daß keine ſclaviſche Ent¬ weichung ſtattfinden könne, denn dann iſt grad aller Stahl im Blut in den Geiſt übergegangen, denn wie Gott immerdar in jedem Hauch erzeugt weil er ganz Weisheit iſt, ſo erzeugt auch das Genie weil es mit Gottes elektriſcher Kette verbunden iſt, ewig ſeine Schläge empfängt und wieder einſchlägt ins Blut. Ich bitte Dich, wie willſt Du denn die elektriſche Kraft erklären, anders, als daß durch Gottes Geiſt die Natur zuckt und bis ins Blut geht, wo ſie im Menſchen wieder den Weg in die Begeiſtrung findet, weil der Geiſt hat. Und ſiehe da! die Kraft empfängt den Blitzſtrahl, und ſo erzeu¬ gen Weisheit und Tapferkeit ſich in einander. Was hab ich im vorigen Brief geſagt: Gott ſei die Poeſie, und heute, daß er die Weisheit iſt, das iſt ſchon eine alte Geſchichte, das haben glaub ich die Kirchenväter herausgeſtellt, und haben deswegen großen Reſpekt vor270 Gott, aber heute haben wir herausgekriegt, daß Gott die große elektriſche Kraft iſt die durch die Natur fährt und ins Blut des Menſchen, und von da ſich als Ge¬ nius in den Geiſt des Menſchen hinüber bildet. Der Ge¬ nius ſteigt aus dem Stahl auf im Blut, und dort dringt er auch wieder ein, wenn er wirkend iſt in den Sinnen. Wer keinen Stahl im Blut hat kann auf die Weiſe Gott nicht empfangen. Es iſt ſchon drei Uhr, wenn ich ſo fortſchreib, ich glaub ich brächt allerlei kurioſe Sachen heraus, die mich ſelbſt verwundern. Ich wittre ſchon den Tag, mein Licht brennt ganz nüchtern. Ich ſollt ſchlafen gehen, aber ich will Dir doch für einen ganzen Tag zu denken geben weil Du allein biſt. Aber jetzt muß ich erſt von der Religion abſpringen und Dir was dazwiſchen erzählen. Du ſchreibſt, der Moritz hat Dich im Kabriolet begegnet, ich bedanke mich, aber ich hab grad auf vierzehn Tag wo ich noch hier bin ein Gelübd gethan, und kann alſo Deiner Mahnung kein Gehör geben, ſags ihm wenn Du ihn ſiehſt. Der Bernhards Gärtner iſt ein junger ſchlanker Mann, er hat eine feingebogne Naſe, blaue Augen, ſchwarze Wim¬ pern, ſchwarze Haare und hat eine ſanfte Stimme zum wenigſten gegen mich, denn wie er letzt den Hund wollt zurückhalten der mich anbellte, da hatte er eine271 ſehr kräftige Stimme. Dem Moritz wird das wun¬ derlich vorkommen, aber mir iſt es keine Scheidewand, weil er von der gebildeten Klaſſe überſehen wird. Ein Menſch von Race müßte ſeine Race auch unter der Sclaventracht wittern, aber das iſt die Unechtheit des Adels, denn gewiß iſt daß das echte Blut zerſtreut iſt in der Welt und viel ungeſtempelt herumläuft, und doch will man nur das gelten laſſen was geſtempelt iſt, aber das ſag ich Dir, ich halte alle Menſchen für unadelich die ihre Race nicht erkennen auch im Kittel. Der Gärtner alſo, der mir immer Arbeit giebt Morgens früh, Du weißt, ich hab ihm die abgeblühten Federnelken von den Rabatten geſchnitten, ich hab die Erdbeeren umge¬ ſetzt, ich hab die Reben ausgelaubt, ich hab das Geis¬ blatt binden helfen, ich hab die Pfirſich ſpaliert, ich hab die Nelken geſtengelt, ich hab die Melonenräuber aus¬ gebrochen, und noch mancherlei anders hab ich immer Morgens früh thun helfen wenn ich in der Früh zum Mainufer lief, weil ich ſchreiben wollt oder dichten für den Clemens, und es wollt nicht gehn, weil mir nichts einfiel, weil die Natur zu groß iſt, als daß man in ih¬ rer Gegenwart ſich erlaubte zu denken, da hab ich denn mit dem Gärtner lieber Erbſen gepflückt, als auf der Lauer nach großen Gedanken da hat mir der Gärt¬272 ner als immer einen Strauß verehrt, erſt recht ſchön voll, und ſeltne Blumen, dann weniger und einfacher, ich denk weil ich alle Tag kam es wär ihm zu viel, aber zuletzt es war grad am Tag wo ich Zuckererb¬ ſen brach, da gab er mir blos eine Roſe und

Morgens.

Da hab ich ſo nachgedacht und bin drüber einge¬ ſchlafen. Die Roſe hab ich mit ins Bett genommen. Was ſoll ſie im Glas langſam welken überall ſollt man ein Heiligthum der Natur mit herumtragen, das frei macht vom Böſen, wer kann in Gegenwart einer Roſe nicht mit edlen Gedanken erfüllt ſein, ich habs lieb das Röſchen mit dem ich geſchlafen hab, es war matt, nun hab ichs ins Waſſer geſtellt, es erholt ſich. Ich bin ſo dumm, ich ſchreib ſo einfältig Zeug der arme Gärtner.

273

An die Günderode.

Der Jud kommt heut um fünf Uhr und ſagt er hatt den Brief heut Morgen im Stift abgegeben und hat nichts von Dir gehört, der ungeheure Eſel mußte heute wie ein Windſpiel herumlaufen, er hätt müſſen Paradiesäpfel zum Lauberhüttenfeſt einkaufen, da hätt er nicht warten können, der Kerl ſah ſo närriſch aus, aus ſeinem Sack guckten lange Palmzweige über ſeinen Kopf, mit der einen Hand hielt er ſeinen langen Bart feſt, mit der andern ſtellt er ſeinen langen Stab weit von ſich und ſchwört immer bei ſeinem Bart, und keuchte unter der Laſt; ich ließ ihn eine Weile ſtehen, ſo gut gefiels mir ihn anzuſehen, ein Bild, wers verſtünd zu malen. Diesmal haben alſo meine Religionsdepeſchen wegen der Lauberhüttenangelegenheit nicht können be¬ fördert werden; wenn Du nur geſund biſt, wie¬ der. Heut Abend mußt ich mit der Großmama ſpazieren gehen, am Kanal im Mondſchein. Sie er¬ zählte mir aus ihrer Jugendzeit, wie ſie noch mit dem Großpapa in Warthauſen beim alten Stadion wohnte, und wie der den Großpapa weit lieber gehabt als die andern Söhne, und wie der ihn erzogen hat, gar wun¬12**274derlich mit großer Sorgfalt, er ließ ihn als Jüngling von nicht achtzehn Jahren ſchon eine große und aus¬ gebreitete politiſche Correſpondenz führen, er gab ihm Briefe von Kaiſer und König, von allen Reichsverweſern und Staatsbeamten aller Art zu beantworten, es kamen Verhandlungen über alle mögliche Staatsangelegenhei¬ ten vor, Handel, Schiffahrt, alte Anrechte, neue For¬ derungen, Ländertheilung, Verräthereien, Umtriebe, Ge¬ fangennehmung großer Perſonen, Mönchs-Sachen, klö¬ ſterliche Stiftungen, Geldangelegenheiten, kurz alles, was einem großen Staatsminiſter obliegt zu unterſu¬ chen und zu ordnen, dies alles beſprach der Stadion mit ihm, ließ ihm ſeine Meinung drüber darſtellen Aufſätze darüber machen, dann mit eignem Beifügen von Bemerkungen ließ er dieſe von ihm ins Reine ſchreiben, Briefe an verſchiedne Potentaten ſchreiben, namentlich führte er die Correſpondenz mit Maria Thereſia, zuför¬ derſt über Thronbeſteigung, über Mitregentſchaft ihres Gemals, dann über die leere Schatzkammer, dann über die Heereskraft des Landes, über Mißvergnügen des Volks, über die Anſprüche von Baiern an die öſtrei¬ chiſchen Erblande, und wie die Kurfürſten wollten die Erbfolge der Thereſia nicht anerkennen, über den Krieg mit Friedrich dem Zweiten, mit England, Anträge um275 Hülfsgelder; Briefe an einen franzöſiſchen General Belle-isle, dann ein Briefwechſel mit Karl von Lothrin¬ gen, mit dem Kardinal Fleuri, mit dem öſtreichiſchen Feldherrn Fürſten Lobkowitz, dann endlich einen Brief¬ wechſel mit der Marquiſe de Pompadour, immer im In¬ tereſſe der Kaiſerin, dieſe letzte Correſpondenz war erſt ins Galante und endlich ganz ins Zärtliche übergegan¬ gen, es kamen Briefe mit Madrigalen als Antwort worauf der Großpapa im Namen Stadions wieder in franzöſiſcher Poeſie antworten mußte, da habe der Gro߬ papa manche Feder zerkaut, und der Stadion habe ihm gelehrt die Politik mit einfließen zu laſſen, und hat Anſpielungen machen müſſen auf Reize, auf blonde und braune Locken, und dem Stadion iſts häufig nicht zärtlich genug geweſen. Die Antworten ſind dann mit großer Freude vom Stadion ihm mitgetheilt worden, beſonders wenn ſie Empfindlichkeit für des Großpapas Galantrieen hatten ſpüren laſſen, da hat der Stadion ſo gelacht und ihn angewieſen wie die feinſte Delica¬ teſſe zu beobachten ſei. Und endlich einmal, als nach der Thronbeſteigung der Maria Thereſia und ihrer Krö¬ nung als Kaiſerin, die Gratulationen abgefertigt waren, an ſeinem einundzwanzigſten Geburtstage, da ſchenkte Stadion dem Laroche einen Schreibtiſch worin er alle ſeine276 Briefe in drei Jahren geſchrieben, die er über Land und Meer gegangen wähnte, noch verſiegelt wiederge¬ funden, und die Antworten, welche von Stadion ſelbſt erfunden waren und von verſchiedenen Secretairen ab¬ geſchrieben, dazu, und er ſagte ihm daß er ihn ſo habe zum Staatsmann bilden wollen. Dies hat den Gro߬ papa erſt ſehr beſtürzt gemacht, dann aber ihn tief ge¬ rührt, und hat dieſe Briefe als ein heilig Merkmal von Stadions großem liebevollem Geiſt ſich aufbewahrt. Die Großmama hat dieſe Briefe noch alle und will mir ſie ſchenken. Sie war geſprächiſch heut, ſie wird alle Tage liebevoller zu mir, ſie ſagt, mir erzähle ſie gern, obſchon manches in die Erinnerung zu wecken ihr ſchwer werde; ſie ſprach viel von der Mama, von ihrer Anmuth und feinem Herzen, ſie ſagte: Alles was Ihr Kinder an Schönheit und Geiſt theilt das hat Eure Mutter in ſich vereint; und dann hat ſie zu ſehr geweint um von ihr weiter zu ſprechen, die Thränen erſtickten ihre Stimme. Sie legte die Hand auf meinen Kopf wäh¬ rend ſie ſprach, und als der Mond hinter den Wolken hervorkam da ſagte ſie wie ſchön Dich der Mond beleuchtet, das wär ein ſchönes Bild zum malen. Und ich hatte in demſelben Augenblick auch den Gedan¬ ken von der Großmama, es war gar wunderlich wie277 ſie unter einem großen Kaſtanienbaum mir gegenüber¬ ſtand, am Kanal, in dem der Mond ſich ſpiegelte, mit ihren großen ſilberweißen Locken ihr ums Geſicht ſpie¬ lend, in dem langen ſchwarzen Grosdetourkleid mit langer Schleppe, noch nach dem früheren Schnitt der in ihrer Jugendzeit Mode war, lange Taille mit einem breiten Gurt. Ei wie fein iſt doch die Großmama, alle Menſchen ſehen gemein aus ihr gegenüber, die Leute werfen ihr vor ſie ſei empfindſam, das ſtört mich nicht, im Gegentheil findet es Anklang in nur und obſchon ich manchmal über gar zu Seltſames hab mit den andern lachen müſſen, ſo fühl ich doch eine Wahrheit meiſtens in Allem. Wenn ſie im Garten geht, da biegt ſie alle Ranken wo ſie gerne hinmöchten, ſie kann keine Unordnung leiden, kein verdorbenes Blatt, ich muß ihr alle Tage die abſterbenden Blumen ausſchneiden, geſtern war ſie lange bei der Geisblattlaube beſchäftigt, und ſprach mit jedem Trieb: Ei kleins Äſtele wo willſt du hin, und da flocht ſie alles zart in einander und bands mit rothen Seidenfaden ganz loſe zuſammen und da darf kein Blatt gedrückt ſein, alles muß fein ſchnaufen können ſagte ſie und da brachte ich ihr heute Morgen weiße Bohnenblüthen und rothe, weil ich ihr geſtern eine Scene aus ihrem Roman vorgeleſen hatte, worin die278 eine Rolle ſpielen, ſie fand ſie auf ihrer Frühſtückſtaſſe. Sie ließ ſich aus über das friſche Rubinroth der Blüthe, hielts gegens Licht und war ergötzt über die Gluth mir iſts lieb wenn ſie ſo ſchwäzt ich ſagt ihr, ſie komme mir vor wie ein Kind, das alles zum erſtenmal ſehe. Was ſoll ich anders als nur ein Kind werden, ſind doch alle Lebenszerſtreuungen jetzt entſchwunden die dem Kinderſinn früher in den Weg traten, ſo beſchreibt das Menſchenleben einen Kreis und bezeichnet ſchon hier daß es auf die Ewigkeit angewie¬ ſen iſt, ſagte ſie, jetzt wo mein Leben vollendet ſo gut als mirs der Himmel hat werden laſſen ſo viel der ſchönen Blüthen ſind mir abgeblüht, ſo viel Früchte gereift, jetzt wo das Laub abfällt da bereitet ſich der Geiſt vor auf friſche Triebe im nächſten Lebenskreislauf, und da magſt Du ganz recht ahnen. Ach Günde¬ rode, ich will auch erſt wieder ein Kind werden eh ich ſterb, ich will einen Kreis bilden, nicht wie Du willſt, recht früh ſterben, nein, das will ich nicht, wo iſts ſchö¬ ner als auf der ſchönen Erde, und dann als Kind, wos am ſchönſten iſt, wieder hinüber wo die Sonne untergeht. Die Großmama erzählte auch noch eine ſchöne Geſchichte die ich dir hierher ſchreiben will, weil ich ſie nicht gern vergeſſen, möchte, von dem Vater des279 Stadion, der habe einen Löwen gehabt der ſey zahm geweſen, der habe Nachts an ſeinem Bett geſchlafen, da ſei er eines Morgens aufgewacht weil ihn der Löwe gar hart an der Hand leckte, da war er von ſeiner rauhen Zunge bis aufs Blut geleckt, und dem Löwen hat das Blut ſehr gut geſchmeckt, der Stadion hat ſich nicht getraut die Hand zurückzuziehen und hat, mit der andern Hand nach einer geladnen Piſtol ge¬ griffen die am Bett hing, und dem Löwen vor dem Kopf abgedrückt. Und als die Leut auf den Lärm hereingedrungen waren zu ihrem Herrn, da hat der Stadion über dem todten Löwen gelegen und ihn um¬ halſt und ihn ganz ſtarr angeſehn, und hat einen großen Schrei gethan, ich hab meinen beſten Freund gemordet, und da hat er ſich mehrere Tage in ſein Zimmer eingeſchloſſen, weil es ihn ſo ſehr gekränkt hatte. Ach ich hätte dies Thier lieber nicht umgebracht, und hätt auf ſeine Großmuth gebaut, ob der Löwe mich gefreſſen hätt, ich glaubs noch nicht, und mir wär lie¬ ber geweſen die Geſchicht wär nicht ſo ausgegangen. Sie erzählte noch manches von ihm, was ſeine große Gegenwart des Geiſtes bewieß, und ſprach ſo weiſe über dieſe große Eigenſchaft, daß ich ganz verſunken war im Zuhören; ſie ſagte, daß die Menſchen als lang280 ſich abmühen was Genie ſei, ſie kenne kein größeres Genie als in dieſer Macht über ſich ſelber, und daß die endlich über alles ſich ausbreite, da man alles be¬ herrſchen könne wenn man ſich ſelber nicht mit Zaum und Gebiß durchgehe, wie Du, kleines Mädele , ſagte ſie zu mir, ſo ſteil hinanſprengſt mit den Füßen wie mit dem Geiſt und der Großmama Schwindel machſt ; und wenn je große Herrſcher geweſen, ſo wären ſie durch dieſe Geiſteskraft allein hervorgebildet worden, die ſie in einem früheren Leben genöthigt waren zu üben. Die Großmama glaubt, die Seele, das We¬ ſen des Menſchen gehe aus einem Geiſtesſamen in ein ander Leben über, dieſer Same ſei was er wäh¬ rend einem Leben in ſich reife, und dann ſich durch all¬ mählige Erkenntniß, durch geübtere Fähigkeiten immer in höhere Sphären erzeuge. Dann erzählte ſie mir von dem Ahnherrn unſeres Großvaters, der im dreißigjähri¬ gen Krieg ſei auf dem Schlachtfeld gefunden, bei Dutt¬ lingen, wo die Franzoſen eine große Niederlage erlit¬ ten, als Fahnenjunker die Fahne um den Leib gewik¬ kelt, und die Stange durch Bruſt und Leib geſtoßen und eingehauen, und ſein Bruder auch todt über ihm gelegen, der hat die Fahne ſchützen wollen, und mit281 ſeinem Leben bezahlt; ſie waren in franzöſiſchen Dienſten, das hat der große Condé geſehen und geſagt: ferme comme une roche, da ſie ſonſt Frank von Frankenſtein geheißen, ſo haben ſie jetzt ſich ge¬ nannt Laroche, weil der König der Wittwe ſeines Bruders der auch in jenem Gefecht geblieben, ein Landgut im Elſaß geſchenkt hat und ihnen drei Fah¬ nen zu dem Fels ins Wappen gegeben, über dieſe letzte Geſchichte hab ich meine eigne Betrachtungen angeſtellt, eine ſo einfache und doch ſo große Handlung hab ich mir im Geiſt dargelegt, er war Fahnenjunker dieſer Ahne von mir, und haben eine unſterbliche That ge¬ than, beide Brüder, indem ſie die Fahne zu der ſie ge¬ ſchworen treu vertheidigten, und ließen ihr Leben dafür, da der Junker die Fahne ſich um den Leib gebogen und ſo den Tod fand, ſo ſchützte ſie ſein Bruder der Wacht¬ meiſter war, noch im Tod mit ſeinem Leib, und retteten dem Heer die Fahne des Condé, daß ſie nicht als Siegeszeichen in die Hände des kaiſerlichen Tilly komme, obſchon ſie von Geburt Deutſche waren. Ein Schwur muß doch Erwecker einer großen Kraft im Menſchen ſein, und die gewaltiger iſt wie das irdiſche Leben. Ich glaub, alles was gewaltiger iſt wie das irdiſche282 Leben, macht den Geiſt unſterblich. Ein Schwur iſt wohl eine Verpflichtung, eine Gelobung das Zeitliche ans Geiſtige ans Unſterbliche zu ſetzen da hab ichs gefunden was ich mein was der innerſte Kern unſerer ſchwebenden Religion ſein müßt. Ein jeder muß ein inneres Heiligthum haben dem er ſchwört, und wie jener Fahnenjunker ſich als Opfer in ihm unſterblich machen denn Unſterblichkeit muß das Ziel ſein, nicht der Himmel, den mag ich denken wie ich will ſo macht er mir Langeweile, und ſeine Herrlichkeit und Genuß lockt mich nicht, denn die wird man ſatt, aber Aufopfe¬ rung und Noth die wird man nicht müde. Und im Glück, im Genuß wird der Menſch nicht wachſen, in dem will er immer ſtille ſtehen. Und was iſt denn das wahre das einzige Fünklein Glück was von dem gro¬ ßen Götterheerd herüber ſprüht ins Leben? Das iſt Gefühl, daß Bedrängniß das Feuer[aus] dem Stahl im Blut ſchlägt, ja das iſts allein; die geheime innerliche Überzeugung der lebendigen Mitwirkung aller Kräfte, daß alles thätig und raſch ſei in uns, einzugreifen mit dem Geiſt, und die eigne irdiſche Natur wie ihr Beſitz¬ thum und Alles dran zu ſetzen. Nun wohl, geiſtige Kraft die die irdiſche zum eignen Dienſt verwendet, die iſt das einzige menſchliche Glück. Ja ich glaub283 Beſitz iſt nur inſofern Glücksgüter zu nennen, als ſie uns gegeben ſind damit wir ſie verläugnen können um der höheren Bedürfniſſe der inneren Menſchheit willen. Dies Verläugnen, dies Dahingeben, daß es durch jene Glücksgüter in die Hand gegeben iſt, uns über ſie hinaus zu ſchwingen, das deucht mir göttliche Gabe, ach! ach! die laſſen wir aber fallen; wir laſſen die Begeiſterung, die im Göttertrank des Glücks unſre Sinne durchrauſchen dürfte und fürchten uns davor, und wenn wir ſchon lüſtern wären, doch deucht es ge¬ fährlich wie ein Gott trunken den Becher in die Weite hinzuſchleudern wenn er ausgetrunken iſt. Merks, zu unſerer ſchwebenden Religion gehört das auch daß wir den Wein den Göttern trinken und trunken die Neige mit ſammt dem Becher in den Strom der Zeiten ſchleudern. So iſts, ſonſt weiß ich nichts was glück¬ lich wär zu preiſen als nur Thatenfroh immer Neues ſchaffen, und nimmer mit Argusaugen Altes bewachen. Außerdem wüßt ich nichts was mich anfechte, was ich möcht ſein oder haben als nur mit meinem Geiſt durchdringen. Von mir ſoll niemand hören ich ſei unglücklich, mags gehen wies will, und was mir begeg¬ net im Lebensweg das nehm ich auf mich als ſeis von Gott mir auferlegt. Merks wieder, das gehört auch284 noch zu unſerer ſchwebenden Religion und mein in¬ neres Glück das mach ich mit den Göttern ab. Dieſe Momente, wo ein Gefühl: Göttertriebe ſeien in uns wach, dem Stolz das Gefieder aufblättert, daß die Ge¬ danken Reſpekt vor uns haben, die Gemeinen, und uns aus dem Weg gehen. Ach das iſts dann ſteigt man allein auf die Berggipfel und athmet die Lüfte ein im Nachtwind, in denen der Genius uns anhaucht vor Luſt und Dank daß er ohne Sünde, ohne Verläugnung wiedergeboren ward in uns; und dann weiht man aufs neue ſich ihm und verſchwiſtert ſich mit ſich ſelber, al¬ les zu tragen, zu dulden. Nichts iſt zu klein was ſolche große Seelenkräfte in Anſpruch nimmt, denn eben dieſe zu üben iſt ja das Große; und verſäumen kann man nicht das Höhere um das Geringere, denn eben daß an das Geringe alle Seelenkraft gewendet werde, mit Fürſorge gleich der des Lebenſpenders, das iſt das wahre Opfer was uns göttlich macht. Man muß al¬ les dem lieben Gott überlaſſen ſagen die guten Chri¬ ſten ja wohl, von ihm nehme ich an was er mir zuerſt entgegenſendet, wozu die erſte Regung meines Geiſtes mich mahnt, und laß aus dem Zeitenſtrom mich dahinſchwimmen den er mir geſchenkt, und ob ich da früheres verſäume oder größeres, das kann ich nicht285 wiſſen, und wenns ein Bienchen wär daß ohne meine Hülfe ertrinken müßte ſo reich ich erſt den Zweig ihm ſich zu retten, das iſt das Fundament von meinem in¬ nerlichen Glück, überhaupt was ſollt ich doch um irdiſch Glück für Noth haben, es ficht mich nicht an. Soll ſich einer glücklich preiſen, ich müßt ihn auslachen. Sagt mir einer dir geſchieht nichts, die Tage gehen vorbei, und kannſt dein Wirken nicht vereinen mit der Zeit, ſie will nichts von dir, und läuft ihren Weg, ſie hat taube Ohren im Gebrauſe aller deren jeder einer für ſich ſorgend ſeine Stimme will geltend machen und ſich durchfechten. Nun das iſt mir nichts. Ob han¬ delnd oder fühlend, tiefempfindend mit dem Genius um¬ gehen, das iſt daſſelbe, was iſt denn Handlen anders als fühlbar werden das Rechte, und es thun. Handlen iſt nur der Buchſtabe des Geiſtes, es iſt noch nicht ſo ſüße als die heimliche himmliſche Schule des Geiſtes. Wo ich auch hinaus denk, mir deucht nichts glücklicher als im Schatten liegen jener großen Linde unter ihren fallenden Blüthen, und durch ihr rauſchend Gezweig dem Geliebten entgegen lauſchen, dem heiligen Geiſt. Der iſt mein Geliebter, der kommt und beſucht mich jetzt in der heißen Jahreszeit, wenn ich im Boskett lunze, und es regnet Lindenblüthen auf mich mit jedem286 leiſen Lüftchen. Ach er macht kein Weſen von der Weisheit, von Gottesgelahrtheit, von Tugend, von Re¬ ligion. Ich bin ihm recht wie ich bin, er lacht mich aus wenn ich belehrt ſein will und bläſt mich an; da haſt du Weisheit, ſagt er. Dann ſpring ich auf und glüh im Geſicht von ſeinem Hauch ich lauf ins Haus, ich denk, wie bin ich doch glücklich! ich werf mich auf die Erd mit dem Angeſicht und küß die Erde. Das iſt mein Gebet wie ſoll ich ihn umfaſ¬ ſen als blos wenn ich die Erde küß? Einſam bin ich nicht iſt der Schatz überall, die dritte Perſon in der Gottheit überall; auch im Blumenſtrauß vom Gärtner der an meinem Bett ſteht vom Mond beleuchtet in der Nacht, wenns alles ſtill iſt und tief ſchläft alles, und kein Licht mehr brennt in den Nach¬ barhäuſern, da fangen dieſe bunten Farben das Mond¬ licht auf; wenn ich den anſeh, dann ſag ich: gelt das iſt deine Rede zu mir heiliger Geiſt, dies Farben¬ ſpiel in den Blumen? das läugnet er nicht daß ich ihn verſteh. Dir kann ichs alles ſagen denn durch Dich hab ich ihn faſſen gelernt, wenn ich Dir gegen¬ über ſaß und Du laſeſt mir vor am Morgen was Du am Abend gedichtet hatteſt, da ſah ich mich immer nach Dem um der Dirs wohl vorbuchſtabirt hätt, der287 Klang der riß mich hin, ich ahnte es war der Geiſt der auch mir begegnet draus wenn ich auf der Höhe ſteh, und er braußt von Ferne daher, beugt die Wipfel auf und nieder, und kommt näher und näher und fährt grad auf mich zu umſchlingt mich! wer ſolls ſein? wer kanns wehren? ich fühl ſeine Weisheit, ſeine Liebe iſt Rhythmus. Was iſt Rhythmus? Wi¬ derhall der Gefühle am großen Himmelsbogen, daß es ſchallt! zurück! macht ſich uns hörbar, was wir fühlten, daß es zärtlich anſchlägt ans Ohr der Seele bis tief ins Herz, das iſt Rhythmus, das iſt der heilige Geiſt, aus der eignen Gedankenkelter giebt er uns zu trinken, ſüßen Moſt, der ſüße heilige Geiſt.

Am Mittag.

Ach Günderode, ich weiß was das iſt, die Welt¬ ſeele, ich hab oft gedacht, was doch ſo braußt wenn ich ganz allein ſitze in der Mittagsſonne, denn da iſt das Brauſen am ſtärkſten: das iſt mein Geliebter der unter der Linde mit mir iſt und im Abendwind. Der heilige Geiſt iſt die Weltſeele. Er berührt alles, er weckt von den Todten auf, und hätt ich ihn nicht, ſo wär alles todt. Und Leben iſt Leben wecken, ich war verwundert als der Geiſt mirs ſagte. Ich beſann288 mich ob ich Leben wecke oder ob ich todt ſei. Und da fiel mir ein, daß Gott ſprach: Es werde, und daß die Sprach Gottes ein Erſchaffen ſei; und das wollt ich nachahmen. Ich ging am Mainufer am Abend, ich ſah in der Ferne den blauen Taunus, und ſah ihn drauf an daß er lebendig ſolle werden. Wie bald war mein Wille erfüllt! Du hätteſt ſehen ſollen und fühlen den Strom lebendigen Athems der herüberwallte von ihm auf mich, wo ich ſaß. Die Schwalben kamen vorausgeflogen, die Nebel ſtiegen herab, die Abendſtrah¬ len überleuchteten ihn flüchtig und die Wieſen am Ab¬ hang, die Blumengärten alles ſtrömte er hinab aus ſeinem Thalſchooß mir zu, und enthüllte ſich vor mir daß der Blick ihn deutlich faſſen konnt, wie ſah mein Aug gewaltig. Aha! ſonſt hab ich weiter nichts gedacht, er war mir der langerwartete, innigbekannte Geliebte! ſo wandelt ſich denn der Geiſt in alles was ich mit Leben - weckendem Blick anſeh. Und keiner wird mir begegnen mich zu lieben, es iſt der heilige Geiſt der aus ihm zu mir ſpricht. Ach ja! ich kann von Glück ſagen! Seelenlauſchen! himmliſche Grazie! Du trägſt mich ins Liebesbett, auf den grünen Raſen. Was du weckſt, das weckt dich wieder, und was uns weckt, das iſt der heilige Geiſt, der an ferneGi¬289Gipfel über den Nebeln mir aufſtieg, denn weil ich gern mit Augen ihn ſehen wollt. Wie vertiefte ſich doch mein Blick in ihn, und merkte nichts vom Abenddun¬ kel und daß er mich im Schleier fing der Nacht und ganz drinn einwickelte. Ja wecke Du das Leben ſo iſts gleich ſelbſtſtändig und überrumpelt Dich. Und Du gehörſt ihm ſtatt das es dein gehöre. Ich hab aber noch was ganz anders im Schild, das will ich Dir hier ſagen: ſtärker die Gewalt je lebendiger iſt ſie, drum iſt Schönheit der lebendige Geiſt, denn ſie weckt allein Leben, alles andre weckt den Geiſt nicht. Ach wie ſchmachtet doch die Seele nach Schönheit, nach Leben, die Schönheit iſt Lebensnahrung der Seele. Das ganze Unglück iſt wenn nicht alles Schönheit um uns iſt, da ſtirbt alles ab, und auch für die Ewigkeit iſt alles verloren was nicht Keim der Schönheit iſt. Sehnſucht iſt Schönheitskeim der ſich entfaltet. Sehnſucht iſt inbrünſtige Schönheitsliebe.

Heute Nachmittag brachte der Büri der Gro߬ mama ein Buch für mich Schillers Äſtetik ich ſollts leſen meinen Geiſt zu bilden; ich war ganz erſchrocken wie er mirs in die Hand gab als könnts mir ſchaden, ich ſchleuderts von mir. meinen Geiſt13290bilden! ich hab keinen Geiſt, ich will keinen eig¬ nen Geiſt; am Ende könnt ich den heiligen Geiſt nicht mehr verſtehen, Wer kann mich bilden außer ihm. Was iſt alle Politik gegen den Silberblick der Natur! Nicht wahr das ſoll auch ein Hauptprin¬ zip der ſchwebenden Religion ſein daß wir keine Bil¬ dung geſtatten, Das heißt kein angebildet Weſen, jeder ſoll neugierig ſein auf ſich ſelber, und ſoll ſich zu Tage fördern wie aus der Tiefe ein Stück Erz oder ein Quell, die ganze Bildung ſoll darauf ausgehen daß wir den Geiſt ans Licht hervorlaſſen. Mir deucht mit den fünf Sinnen die uns Gott gegeben hat könnten wir alles erreichen ohne dem Witz durch Bildung zu nahe zu kommen. Gebildete Menſchen ſind die witzlo¬ ſeſte Erſcheinung unter der Sonne. Echte Bildung geht hervor aus Übung der Kräfte die in uns liegen, nicht wahr? Ach könnt ich doch alle Ketten ſprengen die uns daran hindern jeder innern Forderung Genüge zu leiſten; denn dadurch allein würden die Sinne in ihre volle Blüthe aufbrechen.

Ich leſe eben meinen Brief durch und wundre mich über den Paradegaul von prahleriſchen Gedanken der drinn an der Leine im Kreis läuft. Ein philoſophi¬291 ſcher Harttraber, ich fühl mich nicht bequem wenn ich ihn reite, was kommt mir doch ſo viel in den Kopf was ich ſelbſt gar nicht wiſſen mag, könnt ich nur immer von der Himmelsleiter des Übermuths herab un¬ ter die Philiſter ſpeien. Gute Nacht das iſt der vierte Tag wo ich nichts von Dir weiß, jetzt wenn Mor¬ gen kein Brief kommt ſo frag Dich doch ſelber was ich dann denken ſoll.

An die Bettine.

Geſtern Abend kam ich von Hanau, wo ich drei Tage in proſaiſchen Geſchäftsaufträgen verbrachte, Deine zwei Briefe lagen auf meinem Kopfkiſſen, und einer von Clemens der nach Dir frägt, weil er die ganze Zeit nichts von Dir gehört habe, keine Antwort auf mehrere Briefe. Er meint Du könnteſt krank ſein, haſt Du ihm denn gar nicht geſchrieben? verſäume doch nicht gleich zu ſchreiben, er frägt nach Deinen Studien und meint Dein Generalbaß-Eifer von dem Du mit ſo viel Begeiſtrung ihm geſchrieben, ſei wohl auch wieder ins Stocken gerathen. Ich ſoll Dein faſelig Weſen13*292zur Beſonnenheit bringen, und ſchilt mich einen Fa¬ ſelhans, und klagt mich an ich verſäume Dich, ich mache mir ſelber Vorwürfe und kann doch nach al¬ lem Überlegen zu keinem beſſeren Reſultat kommen als eben Dich ganz Dir ſelber überlaſſen. Der Clemens meint Du habeſt ein enormes Talent zu jeder Kunſt, und es müſſe die Steine am Wege erbarmen Dich ſo dahin ſchlampen zu laſſen, Deine Selbſtzufriedenheit hänge davon ab daß Du Dich mit Leib und Seel ein¬ mal dran gebeſt, es ſei der Schlüſſel Deines ganzen Lebens. Ich darf ihm nicht ſagen daß Du ein Reli¬ gionsſtifter biſt, und die ganze Menſchheit auf Dich genommen haſt, und willſt ſie laſſen von der Luft le¬ ben, und bildungslos dahertappen, und willſt nichts Gekochtes mehr eſſen, von lauter rohen Moorüben und Zwiebel leben, und die Bratſpieße alle zum Teufel wer¬ fen, und Dir das ganze Taunusgebirg zur Geſellſchaft bitten und daß Deine Religion ſchweben ſolle, und daß Du in dem Gärtner einen adeligen Herrn entdeckt haſt, das darf ich ihm doch alles nicht ſagen. Was ſoll ich ihm denn ſagen? Da helf mir doch einmal ein bischen drauf. Der raſche Wechſel von Anregungen in Deinen Briefen würden dem Clemens die Haare zu Berge ſte¬293 hen machen, und Dein zärtlicher Umgang mit dem hei¬ ligen Geiſt, wie Du das nennſt, den Du gleich einem Jagdhund witterſt, das würde ihm unſägliche Sorgen machen. Er frägt mich was Du mir ſchreibſt, denn er wiſſe, daß ich enorm lange Briefe von Dir bekomme. Wo er das her weiß das iſt mir ein Räthſel, ich hab mit Niemand davon geſprochen. Ich mein daß der Cle¬ mens recht hat, denn wenn du auch ein neues Leben ausgefunden haſt indem Du mit Dir ſelber zuſammen¬ triffſt, wie Du ſagſt, ſo mußt Du doch auch füh¬ len: ſo gut wie in jenen Naturerſcheinungen, die Dein Genius, wie Du meinſt, benutzt, um zu Dir zu gelan¬ gen, ſo würde er jede Kunſt wohl auch benutzen dazu, wenn Du ihm nur die Pforte öffnen wollteſt, aber der Arme! ich glaube Du würdeſt ihn eher zerquetſchen ehe Du ihn da durch ließeſt. Was Dich einen Augenblick anregt, wozu ſich wirklich Dein Feuer ſammelt, das zerſtreueſt Du mit allem Fleiß wieder, und giebſt es den vier Winden preiß. Du kannſt nicht läugnen daß die Muſik mit allem was Anregung in Dir bedurfte übereinſtimmt. Du haſt mir ſelber geſchrie¬ ben, Dein eigner Lebensgeiſt rufe Dir immer zu, eine Geige nimm, und verſtärke den Strom der Harmonieen,294 ſonſt kannſt Du nimmer glücklich werden. Dies wars oder doch was ganz ähnliches, was Du mir vor vier Wochen geſchrieben, und daß Du fühleſt die Muſik ſei der Urgeiſt aller Elemente, und ſie allein wecke den Geiſt im Menſchen, und Geiſt könne nur Muſik ſein, und was dergleichen prahleriſche Gedanken mehr wa¬ ren die wie ich ſehe aber gänzlich aus Deinen Kopf verſchwunden ſind. Wo iſt nun Dein muſikaliſcher Urgeiſt jetzt hin? ich will Deinem Lebensweg gar nicht in den Weg treten, aber daß Du dem Geiſt der Dir auf geheimen Wegen entgegen kommt, den Du ſo liebſt daß Du meinſt in allem ſei nur Er es den Du je lieben werdeſt, daß Du dem zu Lieb nicht einmal eine Kunſt üben willſt, Dich zu nichts anſtrengen, kein Buch leſen; nur ſpazieren gehen, auf Dächer klettern und über die Hecken auf Nebelpfaden umherſchweifen, ſchwe¬ bende Religionen zu erfinden, das iſt ein wahrer Jam¬ mer! wie gerne wollte ich alles an Dir verſuchen was Clemens als meine Pflicht mir vorhält, aber Du ſtehſt mir ja doch nicht Rede, und haspelſt wie ein Schmet¬ terling über Dich ſelber hinaus. Wie lang bleibſt Du noch draußen. Die Tonie läßt Dir ſagen, ſie werde Dich am Mittwoch abholen Abends um halb295 neun Uhr, auf einen Ball den der Moritz in Nieder¬ rath giebt, ſie conſultirte mit Marie und Claudine über Deine Kleidung, weil Du keinen Ballanzug in Offenbach haſt, eine weiße Krepp-Tunika eine breite blaue Schärpe und blaue Achſelſchärpe, meinte Clau¬ dine, und was auf den Kopf? Du trügeſt nichts auf dem Kopf, meint die Marie ich will aber doch diesmal Dich auffordern daß Du Dir einen Kranz von Aſchenkraut aufſetzeſt, das muß gar gut ſtehen, der Moritz will Dir einen Strauß ſchicken. Heut ha¬ ben wir Samſtag, am Mittwoch alſo wenn Du nicht abſchreibſt.

An die Günderode.

Ich ſchreib nicht den Ball ab, ich freu mich recht drauf, ich bin jetzt ſchon vier Wochen recht vergnügt hier, und will auch durchaus noch bei der Großmama bleiben bis die Tante aus dem Bad kömmt, wir haben uns gar ſehr ineinander gewöhnt die Großmama und ich, ich hab ſie um Erlaubniß gefragt ob es ihr nicht296 unlieb ſei wenn ich auf den Ball gehe. Sie ſagt nein gut Mäuschen, haſt lang genug hier ausgehalten, wann kommſt Du wieder? Denn Du wirſt doch wohl den andern Tag in Fr. bleiben? ich ſagte ich wolle noch in der Nacht wieder herauskommen, denn ich ſah ihr an das ſie fürchtete ich möchte in der Stadt bleiben, und das könnt leicht kommen: daß die Brü¬ der mich dann nicht wieder herauslaſſen, und ich will doch nicht eher fort bis die Großmama ſelber will und nicht mehr allein iſt, richte es alſo mit Tonie und Ma¬ rie ſo ein daß die zuſammen fahren und ich mit dem George ſeinem Gick herausfahren kann, denn ich fürcht mich nicht vor der Nachtluft, das weißt Du ja daß das ein Geſetz iſt in unſerer ſchwebenden Religion. Und Dein fürchterlich Gebrummel, davor fürcht ich mich gar nicht, denn ich weiß doch daß es Dir grad ſo ge¬ fällt, und mach dem Clemens weis was Du willſt aber ſag ihm nichts wieder aus meinen Briefen; wers ihm geſagt hat daß ich Dir ſo lange Briefe ſchreib, das war der St. Clair, dem haſt Du ein Stück aus meinem längſten Brief gezeigt und abgeſchrieben, wenn er ihm nur nicht auch vom Inhalt geſprochen oder ihm gar mitgetheilt hat, dann weiß ich gewiß daß mich der Clemens lang anſehen wird, und wird mit Fragen hin¬297 ten herum kommen, ich weiß gewiß er wird allerlei Ku¬ rioſigkeiten fragen, und ſo lang über mich hinausfah¬ ren ins Kreuz mit Segenſprüchen, um mich von der Behexung los zu machen. Wie ich Dir ſag, mit dem Clemens führ ich ein ganz ander Leben, es iſt ein an¬ der Regiſter das da aufgezogen iſt wenn ich an ihn ſchreib, es hat gar denſelben Ton nicht wie mit Dir.

Es iſt noch nicht aus mit der Muſik, es ſind noch keine erſtarrten Grillen. Ich bin aufrichtig, und die einzige Tugend der Wahrheit geht durch mein Nerven¬ ſyſtem, alles iſt in ihr aneinander gereiht wies menſch¬ liche häusliche Leben in meinem Geiſt. Wenn ich Dir den großen Einfluß den die Muſik auf mich hat zu verſchiedenenmalen mitgetheilt hab, ſo kannſt du den¬ ken daß ich dabei nicht ſtehen blieb, allein wenn man Wege betritt die noch zu keinem Ziel geführt haben, wo alles noch wüſte iſt, noch keine Löſung hat, noch ſelber mir nicht einleuchtet, was kann ich da viel ſpre¬ chen. Die Bekanntſchaft mit dem innern Leben ei¬ ner Muſik wird von den Virtuoſen ganz auf eine Weiſe gemacht die bloß auf Auseinanderſetzung ih¬ rer einzelnen Theile geht, und ſie wiſſen ſich recht viel mit ihrer gelehrten Unterhaltung darüber; ſie wirbelt mir13**298auch nicht, wie ein blauer Dunſt durch den Kopf, mir geht noch zugleich ein romantiſch oder geiſtig Bild da¬ bei auf, das eine giebt mir Stimmungen, das andre wohl Offenbarungen, erſt geſtern wurde im Bosket unter verſchiedener neuer Muſik die mich gar nicht anregte, eine Symphonie aufgeführt von Friedrich dem Zweiten. Gleich vorne ſteigt er mit klirrenden Sporen in Steifſtie¬ feln muthig auf, von allen Seiten her tönts ihm wieder er müſſe keck über die ſchüchterne Menſchheit weggalo¬ piren, und bald macht er ſich kein Gewiſſen mehr draus; nur die einzige Muſe, die Tonkunſt, tritt ihm feſt ent¬ gegen, ſein Roß hat ihn in die einſamſte Öde getra¬ gen, fern von den Menſchen die er wie eine Koppel Hunde mit einem Pfiff lenkt. Hier ſinkt er vor der einzig Übermächtigen nieder, hier bekennt er die weite Leere ſeines Gemüths, hier will er Balſam auf alle Wunden gelegt haben, ungeduldig und zärtlich, de¬ muthsvoll küßt er die Spuren ihres Wandels, und mit Vertrauen beugt das gekrönte Haupt ſich unter ihrem Segen. Gereinigt, getröſtet, wie wenn nichts geſche¬ hen wär mit ihm, kehrt er aus dieſem Flöten-Adagio wieder zu den Seinigen in das brillante Geklirre der Violinen und Hoboen zurück. Ich aber ſpürs was299 die Kunſt für Weisheit übt. Wo keine Hand hinreicht, wo keine Lippe ſich öffnet, kein Gedanke ſich hinwagt, da tritt ſie als Prieſterin auf, und das Herz bricht vor ihr, legt flehend ſeine Bekenntniſſe dar, will jedes Fehls ſich zeihen, will ganz im Buſen ihr aufgenommen ſein. Ja Muſik ſie ſchrotet Gold und Stahl, kein Helm ſitzt ſo feſt auf dem Haupt, und kein Harniſch auf der Bruſt, ſie dringt durch, und es gelobet ſich Ihr der König wie der Vaſall.

Wie aber iſts mit der Symphonie von Beethoven die gleich drauf folgte? Willſt Du mit hinüber un¬ ter jenes Ölwalds gleiche Stämme mit Laub wie Sammt, ſchwimmend im Wind der Wellen ſchlägt in ihren grünen Schleiern, und ſanft auf flockigem Raſen den einſam lautloſen Tritt Dir umflüſtert! Komm! ſchau die Sonne im Feuerpanzer ihre Pfeilſtrahlen vom Bogen ſtrömend ins ewige Blau. Bald vom Wechſel der Wogen getragen ſchwankt unter Dir das unendliche Meer. Der Wind fährt daher zwiſchen thür¬ menden Wellen bahnt Weg ſilbernen Göttern die aufrauſchend, ſich umſchlingen mit Dir nach himmliſchen Rhythmen Dir aus der Bruſt geboren. So nah iſt alles verwandt Dir. Doch ohne End wechſelnd dies300 Meer, fährt es dahin, in ſeiner Launen-Verzückung durchſchlüpft Färbung auf Färbung ſein Wellenſpiel, feſſelt Dein Schauen durchdringt Deine Sinne, ſchmach¬ tend und dann feurig, lächlend, weinend, blendend und verhüllt wieder ſo raſch vorüber ſtreifts wie von ge¬ liebten Augen der Begeiſtrung Blick; kannſt ihn nicht faſſen, nicht laſſen von ihm. Rein von Gewölk der Himmel, ſein Hauch ſanft jagt vor ſich her Wellchen unzählige eins ums andere, und ſterben am Ufer alle mit leiſem Geſeufz. Ach! ſüßer Moment herrſchend über der Leidenſchaften Meer! Da ſtockt Dein Athem, und mögteſt halten ganz und immer was jeden Augenblick ohne Aufhören Dir alles ent¬ ſchwindet.

Was iſts, die Seele im Meer der Muſik? fühlt ſie Schmerzen? Hat ſie Wonnen, die wunderbar Bewegliche? Kein Gedanke mag ihr folgen fühlt ſie mit durch Rückwirkung alle Regungen? Liebt ſie wenn wir lieben? Schmeichelts ihrem Schäumen wenn unſre Thränen hinein ſich miſchen. O ich möcht hinein mich werfen in die ſchmaragdnen Lagu¬ nen, über die leiſe hingetragen durchs ungeheure Meer bis zu ſeiner Höhe, uns zwei verwandte Seelen har¬301 moniſch der Kahn wiegt bis zum[letzten] Ton, und dann dieſelbe Luftſtille, dieſelbe Himmelsreinheit, der¬ ſelbe Athem, ſüß unberührt, daſſelbe Sonnenlicht im Geiſt, trunken von ſüßem Schwanken der Töne die durch den Buſen wühlen. Doch bald erhebt ſichs! Der große Geiſt des Erſchaffens Du hörſt im Brau¬ ſen ſeine Stimme, der alles ſich ſchmiegt, verathmen dann hebt im Schauer Deiner Bruſt ihr Hauch ſich wieder und jetzt gewaltig in unermüdlichem Steigen und Sinken ſtrömt ſie ſchäumend den Winden entgegen, die dröhnen in Abgrund ſich wühlend ſie Ja das iſt Beethovens Meer der Muſik, von Himmel zu Himmel ſteigen die Töne und kühner je öfter hinab ſie wieder ſtrömen, und fühlſt hoch über dieſem Doppel¬ ſchall Dich geborgen auf freiem Fels, umkreiſt von jenen wüthenden Orkanen, jenen Wogen, die ohne Ende Dir ans Herz ſteigen und ohne Ende zurückgeworfen, ohne Aufhören wiederkehren mit erneuter Macht, Dich umſchmettern einander überwogend und doch ſich wieder theilend im Sonnenocean der Harmonie. Und endlich die ſehnenden Stimmen all, tummlend in fröhlicher Ver¬ wirrung des Jauchzens der Wehmuth, und der tauſend Gefühle die von ſeiner Meiſterhand ein einzig lei¬302 ſes Zeichen alle zugleich einſtimmen: jetzt iſts ge¬ nug!

Ach wie iſts doch da in der Bruſt? ja geſteh! iſt ſie nicht das Meer, die Muſik? und Er, der Bee¬ thoven, iſt Er es nicht der ihm gebietet? Und fühlſt nicht auch hier: das Göttliche, was den Geiſt des Erſchaf¬ fens giebt, ſei die ungebändigte Leidenſchaft? Und glaubſt nicht, daß Gottes Geiſt ſei nur lauter Leiden¬ ſchaft? Was iſt Leidenſchaft, als erhöhtes Leben durchs Gefühl das Göttliche ſei Dir nah, Du könneſt es erreichen, Du könneſt zuſammenſtrömen mit ihm? Was iſt Dein Glück, Dein Seelenleben, als Leidenſchaft, und wie erhöht ſich Deines Wirkens Kraft, welche Of¬ fenbarungen thun ſich auf in Deiner Bruſt, von denen Du vorher noch nicht geträumt hatteſt? Was iſt Dir zu ſchwer? welches Deiner Glieder würde ſich nicht re¬ gen in ihrem Dienſt, wo bleibt Dein Durſt, Dein Hun¬ ger? ſiehſt Du wohl, da fängſt Du ſchon an von der Luft zu leben; leicht wie ein Vogel überſteigſt Du, Unerſteigliches, und in die Ferne hinüber ſendeſt Du Deiner Unſterblichkeit Flammen, und ſie entzünden Ewi¬ ges, und es weiht ſich Deinem Dienſt, ergießt ſich auch in Leidenſchaftsſtrömen, in den großen Ocean über dem303 die ewigen Sterne Dir leuchten und die Nacht in ih¬ rem Glanz erbleicht und die Morgenröthen freudig auf¬ wachen. Ja drum! der Irrthum der Kirchen¬ väter, Gott ſei die Weisheit, hat gar manchen An¬ ſtoß gegeben; denn Gott iſt die Leidenſchaft. Groß, allumfaſſend im Buſen der alles Leben ſpiegelt wie der Ocean, und alle Leidenſchaft ergießt ſich in ihn wie Lebensſtröme. Und ſie alle umfaſſend iſt Leiden¬ ſchaft die höchſte Ruhe.

Jetzt will ich Dir was ſagen: ich will nicht mehr haben daß Du voll Angſt ſeufzeſt um mein Nichtsthun! ich weiß wohl und wenn ichs beim Licht betracht ſo konnt ich meine Zeit beſſer zubringen als ſie zu dem verdammen was mein Herz nicht erfüllt, ſo hätt ich mir ſelbſt mehr gewonnen, und meine Liebe zum Beſten, zum Höchſten hätt die Ungerechtigkeit nicht zur Stütze gehabt, ich weiß wohl daß ich im Eifer allem was mir nicht unmittelbar Lebensnahrung war unrecht gethan hab. Ich hab mich immer im Voraus gewaffnet, da ich nicht wußt ob es Streit geben werde; ich hab hundertmal die Wahrheit ſelbſt über die Klinge ſpringen laſſen wenn ich ſagte dieſes oder jenes rege meinen Geiſt nicht an, denn alles regt ihn an, ja alles, und ich fühle304 Deinen Beruf mich zu leiten mich zu lehren mit einer innern Stimme zuſammentönend, die mich eben mahnt wie Du; aber der Drang mich meiner Leidenſchaft zu überlaſſen iſt ſo mächtig in mir daß ich glaub eine ſo ſtarke Stimme überwinden zu wollen iſt Unſinn! Nicht möglich, nein nicht möglich iſt mirs auf irgend etwas auch nur mehr acht zu geben als nur im Vorüberſchif¬ fen, ſo wie man die Ufer kommen und ſchwinden ſieht; mein Blick fängt ſie auf und faſſet ſie ſcharf daß ich ſie feſt mir einpräge, aber im innern Gefühl nur vorüberſtreifend. Das Weiterziehen liegt mir im Herzen, das Abſchiednehmen wo ich kaum anlange, liegt ſchon im Willkomm; und das geringſte was meine Fahrt belangt ſeis nur ein Schiffsſeil theeren, thu ich mit mehr Genuß als an jenen Ufern der Kunſt und des Wiſſens mich aufhalten; ſollte ihr Sand auch lauter Gold ſein, ihre Felſen Diamant und ihr Thau Perlen. Und wo will ich hin? auf die Inſel, wos Äpfel und Birn giebt hätt ich bald geſagt. Aber ja freilich dorthin wos Moos duftet, wos Blüthen reg¬ net, wo die Himmelslüfte ſprechen, wo der Sommerwind die Äſte ſchüttelt, wo die Wälder die Nacht in ihren Schatten hüten, daß ſie ſich gefangen giebt ſo lange305 der Tag weilt, wo auf blühender Wieſe die Adler nie¬ derfahren und holen die Jünglinge hinan zum Allvater daß er ihnen koſe einen Augenblick und wieder ſie ent¬ laſſe zum Spiel am Bach. Wo die Bienenſchaa¬ ren von Dichterlippen und in ſeinen blumenſproſſenden Tritten Honig ſammlen, und wo Geiſter, lichte Berg¬ gipfel umtanzen, wo die Seele ſich aufſchließt leis wie eine Knospe und des Geiſtes Strahlen in ihrem Kelch eingebettet, wie die goldnen Staubfäden in der Roſe, ihr Leben entwicklen und auch beenden. Dort will ich hin, das liegt mir im Sinn, nichts wie Blü¬ thenmeer, Duft einathmen, Birn ſpeiſen und reife Trau¬ ben und ſüße Pfirſig getheilt mit mir von Doppellip¬ pen, ich die Hälfte, und die Er der heute noch am Scheideweg meiner harrte als die Sonne hinunter war. Was iſts? es wird mich ſchon erziehen, Thränen wirds geben, das weiß ich, aber auch Luſt, ſo iſts immer wo Schönheit reifen ſoll, und das iſt alles was ich ver¬ lang vom Schickſal, es ſoll mich ſcheiden vom Schlechten, es ſoll keine Sünde in mir dulden, in mei¬ nen unaufhörlichen Träumen nur möcht ich eine Vollen¬ dung empfinden der Liebe, der Schönheit das iſt mein Ziel, und mein Geiſt ſtrebt eine Natur da heraus306 zu finden in dem ich dem Schönen fortwährend begegne. Das iſts und nichts anders. Und alles was ich erfahre von der Kunſt, von Poeſie und Wiſſen, das ſchlägt an wie Echo in den unbekannten Tiefen meiner Bruſt, da erſchreck ich daß es doch wohl wahr ſein möge was manchmal nur wie Traum in mir wogt, da toben alle Pulſe vor Hoffnung es ſei ein Doppelleben was wirk¬ lich auch Doppelliebe kann haben, und daß wenn ich heiß mich ſehne verſtanden zu ſein daß ich dann verſtan¬ den ſei, wo? wie ach was weiß ichs! vom Nebel der dort flattert, vom Wind in der Ferne, vom letzten Lichtſtreif wenn die Nachtkuppel ſchon ſich ſenkt über mir, kurz ich weiß nicht, alles was ich anſeh das müßte Geiſt haben, liebenden Geiſt, wahrlich ſonſt thut mirs Unrecht. Welche Wege übernehme ich doch? Welche Gefahren beſteh ich im Geiſt? da ſchwimm ich im Dunkel in uferloſen Fluthen, eine Woge ſtürzt mich auf die andre, aber ich vertrau, und eine Stimme in mir daß ich dem Genius zu Lieb ſo kühn bin! o das lebendige Feuer, und trotz dem Stürmen halt ich die Palme hoch, und eile dem leiſen Schein des Morgen¬ roths entgegen, weil das Er ſelber iſt.

Gott ſei die Poeſie hab ich in meinem letzten Brief geſagt, und die Weisheit, ſagen die Kirchenväter, ich307 habs geläugnet und geſagt, Gott ſei die Leidenſchaft, die Weisheit, die kommt ihm zu gut das Leidenſchaftsall zu beſtehen, aber ſie iſt nicht er ſelber; meine Gründe: was ſollte Gott mit aller Weisheit, wenn er ſie nicht anbringen kann. Wenn aus allem was geſchaffen iſt, ſich Neues erzeugt, wenn keine Gewalt, keine Kraft überflüſſig iſt, ſondern grad um ihrer höchſten Entwicke¬ lung willen ſich ewig ſelbſt anregend ſteigern muß, ſo kann die Weisheit Gottes nicht ſelbſt die Händ in den Schooß legen wollen. Himmel und Erde regieren wo Sonn und Mond und alle Stern ſchon für die Ewig¬ keit angepapt ſind, das kann der Weisheit kein Reiz ſein; ſich in Menſchenangelegenheit miſchen, ihre Gebete erhören die alle verkehrt ſind, das muß bei himmliſcher Hofhaltung doch wohl von ſelber gehen. Sollte Gott ſich des Dings ſelber annehmen, es wäre unweiſe, denn der Hauch Gottes überwiegt alles geiſtige Wehen der Menſch¬ heit, ſo würde dieſe denn nimmer der eignen Weisheit Keim löſen können in ſich. Unſer Geiſt iſt feuermächtig, er ſoll ſich ſelbſt anfachen; wir haben die Leidenſchaft, ſie ſoll im Geiſtesfeuer gen Himmel ſteigen zum ewigen Erzeuger, in ſeiner Leidenſchaften Gluth mit allem über¬ gehen; nicht umſonſt ſteigt in der Leidenſchaft der mächtige Geiſt der Unſterblichkeit auf, jeder Hauch,308 jeder Blick ſoll ewig währen, das ſagt eine innere Stimme. Alles was mich entzückt in der Natur, dem ſchwör ich ewige Treue, der Lüfte Liebkoſungen, wie könnt ich ihnen den heißen Athem weigern, der heiß nur iſt um in der Lüfte Liebe ſich zu kühlen. Die klaren ſchwankenden Wäſſer, wie ſollt ich ihnen nicht vertrauen die mich tragen, ruhig gebettet, auf ewig re¬ gem Leben wie die Liebe das Geliebte trägt, und die ſanfte weiche Erde, wie ſollten die Sinne ihr ſich ab¬ wenden die keine Regung ungeboren läſſet, jeden Keim in die Lüfte trägt, und Flügel giebt, heimlich in die Wiege alles Geſchaffnen, die der Geiſt mächtig zum Himmel einſt entfalte wenn er gereift iſt durch ihre Spende ſie die himmliſche Erde, auf der frohlockend ſich alles Leben tummelt und alles trägt im Buſen und über ihm, die ſie auf ſich herumtrapplen läßt all die Leben¬ digen, und giebt ihnen die Milch ihrer Kräuter und Früchte die in ſo großer Fülle aus dem Buſen ihr ſpringen, ja wie ſollt ich nicht mit heißer Liebe ſie lieben die Doppelliebige? Und dann, das Licht das nie¬ derſteigt ins Dunkel einſam drinn zu ſpielen; und der Einſamkeit Odem einbläſet, und der Erde Kräfte nährt und tränkt, die dann den Geiſt umſpielen daß er im verſchloſſenen Dunkel ſeiner Selbſt, des Lichtes309 Leidenſchaft für ihn ſich erinnere und auch ihm zuwachſe ſich mit ihm zu küſſen. Wenn Ihr alle dichtet von jenen Wahrheiten, ſo mächtig ſo ſelbſtlebend daß ſie dem Dichter den Buſen bewegen daß er ihr Element werde, und ſie ewig ausſpreche, o ſo laſſet ſie für mich geboren ſein daß ich ihnen traue, daß ich mich ihnen hingebe und ſie genieße, für was drängten ſie ſich ewig in Eu¬ ren Geiſt, für was rührten ſie Eure Lippen die Ihr ſie ausſprecht, wenn ſie nicht wahrhaft lebendig Leben wä¬ ren das durch Euch wiedergeboren ſoll werden in die Sinne der Menſchen. Nun meine Sinne ſind frucht¬ barer Acker, ſie haben Euren Samen aufgenommen, o denket daß nichts von Euch geahnet war, nichts, was Ihr nur in den Wolken geleſen, was mir nicht lebendig geworden. Das iſts! Und was wollt ich doch ſa¬ gen? Ach wie weit hab ich mich verlaufen, und wollte doch nur ſagen von dem Gott, und daß er nicht die Weisheit könne ſein, ſondern die Leidenſchaft, die der Weisheit bedürfe um kühn und tapfer zu Stande zu bringen was in ihr gährt. Wie ſag ich Dirs doch wenn Du's nicht von ſelbſt verſtehſt, wenn Du nicht verſtehſt daß alles Weſen durch Leidenſchaft ausgeſpro¬ chen ſein wolle, ja ſelbſt die Ruhe nichts anders ſei als nur Leidenſchaft, daß der Menſch nur mit einem Göt¬310 terbuſen geſchaffen ſei, in dem die Leidenſchaften ihren Heerd haben, dem Göttlichen ewig lebendige Gluth zu opfern. Wenn Du nicht dazu ja ſagſt, wie kann ichs Dir abdringen. Drum komm und laſſe uns Weisheit ſammlen, um unſerer Leidenſchaften Gluth da¬ mit zu ſchüren.

Das Gott die Weisheit ſei, das haben wir prote¬ ſtirt, aber daß Weisheit und Tapferkeit in einander verliebt ſeien, aber nicht die der Kirchenväter, das iſt unſere Lehre; ſie ſind der Heerd auf dem die Leiden¬ ſchaften flammen, ohne ſie kann Leidenſchaft nicht ath¬ men. Und wenn es keine brennenden Leidenſchaften zwiſchen der Kraft und dem Geiſt gäbe wo ſollt ihr Feuer herkommen? denn um nichts iſt wieder nichts, ſie würden ſich ſchlafen legen und abſterben, die Kräfte und der Geiſt aber der heiße Trieb in einan¬ der zu ſchwelgen, einander zu beſitzen, die ſchüren das Lebensfeuer in ihnen, da iſt fortwährend innerlich Be¬ wegen zu einander. Gefühl in jeder Regung ſie ſei empfunden von der andern, das iſt das innere le¬ bendige Leben und alles andre iſt nicht lebendig in uns. Für was würde man ſich vor ſich ſelber ſchämen, wär nicht dieſe innerliche Liebesdespotin die das Gefühl zur Re¬ chenſchaft forderte daß man einem inneren Mächtigen311 die Treue gebrochen, oder einer Schwäche ſich hingege¬ ben vor dem Geliebten. Was iſt das Gewiſſen anders als der Minnehof des Geiſtes mit den Sinnen wo ſie ſich einander hingeben, und Opfer, Heldenthaten für einander thun, und innerlichen Minneſold empfan¬ gen. Und dann jene Stimme, die jegliche Stimmung prüft; je tiefer und weiter ſich dies Leben ausbildet, je feſter gründet ſie die Anſprüche und Berechtigungen, je leichter verletzbar. Ach ich ſag Dir, es liegt ein Adel, ein ſteigernder Trieb in der Seele der auf die Auſſen¬ ſeite des Lebens zurückſtrahlt, alles aus leidenſchaftlicher Berührung der Sinne mit dem Geiſt; wenn Du ſchrei¬ teſt, wenn Du Dich wendeſt, wenn Du die Stimme er¬ hebſt was auch des geringſten nur, Dich einen Au¬ genblick aus der Gegenwart (Einwirkung) jener Lebens¬ regungen entfernt, fühlſt Du nicht Vorwürfe? ein Stocken, eine Ohnmacht in Dir? ſchlägt nicht Dein Herz in Pein als müſſe es rückkehren? dahin wo die Sinne ſich geliebt wähnen vom Geiſt, ſich zärtlich um¬ armen mit ihm. Ach ich muß ſolchen Unſinn reden mit Thränen, denn ich bin ſo tief bewegt von etwas, wie ſoll ich Dir das ſagen? Der edle Menſch ein Tummelplatz von Leidenſchaften, lauter Kräfte die auf¬ ſtreben ins Leben durch die Liebe unter einander! 312 Die regt jene auf, zärtlich oder feurig alle mitſammt glühen für einander durch den Geiſt, und da glühts und da ſprühts, und da ſcheint endlich der Alletagstag ſo nüchtern hinein, und reißt die Feuer auseinander, und löſcht die Brände und macht den Alltagsmenſchen aus einem; das iſt eure Noth um mich, und dieſe Schickſale ſchweben mir in der Bruſt indeſſen, und fordern Ant¬ wort jeden Augenblick. Ach da giebts Streit, Verſöh¬ nung, heimlich Glückſpenden, und dies alles iſt wie der laue Abendwind der von ſelbſt herübergeklettert kommt, ich hör ihn ſchleichen, ſacht an mich heran, und mir am Herzen flattern, und dann bin ich ſchmerzzerriſſen; von was? ich kanns nichts ſagen; mein Herz zu ſchwach iſts. Daß es geliebt wär von einer höhern Macht, ſüß begehrend! es kanns nicht tragen. Den Geiſt außer mir, in der Luftwelle oder im Mondglanz, oder ſonſt ſpricht der mit mir, das ertrag ich nicht dann bitt ich laß mich ſchlafen Dir im Schooß. Denn ich kann ihm nicht ins Antlitz ſchauen, und ſag ihm ich wolle ſterben, er ſoll mich zudecken mit grünen Zweigen, Er der neben mir ſteht, oder über mir, und mich anſieht ſo ſtill. Was iſt vernichtendes in der Liebe? daß ich ſag ich wolle ſterben? denn ichhab313hab nichts anders in der Seel als dieſe Sprache; denn meine Hände können nicht hinlangen. Wollt ich in die Luft reichen? nein ich darf nicht er verſchwindet, und mein Blick, der ſieht nur auf wenns Nacht iſt, nicht bei hellem Tag. Aber in der Nacht im Finſtern, da geh ich ihm entgegen da treibt michs oft eilig in die dunklen Laubgänge, und ganz am End da ſeh ich wie wenn ich überzeugt ſein dürfte Er ſei es. Nicht freu¬ dig, nicht traurig tiefe Stille in mir, manchmal ſchlägts Herz bang, dann ſeh ich den Schatten vor ihm herſtreifen über den Raſen. Dann ruf ich mich auf: laß mich doch denken können! und ſammle meine Sinne, und immer ſo vorwärts ſchreit ich, eilig, und im¬ mer näher, dann am Baum leg ich mich nieder auf die Wurzeln, die küß ich dieſe Wurzeln es ſind die Füße des Dichtergeiſtes über mir. Aber ich muß ſchlafen gehen, zu müde bin ich, ſchon zweimal eingeſchlafen während dem Schreiben.

Heut ſeh ich daß ich Dir von nichts geſchrieben hab was Du mich frägſt und bin aus Mangel an Logik ins Geſchwärm gerathen. Und doch wollt ich Dir nur ſagen, ich ſtudier noch Geſchichte fort, nur wollt ich Dir keine trocknen Auszüge mehr davon in meinen Briefen machen, dafür zeichne ich Landkarten und hab andre14314Speculationen, ſo ſtudier ich die Woche zweimal mit Hofmann Muſik, nicht mehr Generalbaß, er meint ich werd den von ſelbſt in mich kriegen, ich ſoll lie¬ ber meine Melodieen aufſchreiben, auf die er einen Werth legt, und mir gern zuhört wenn ich Abends ſing, auch hat er mehrere Gänge mir abgehört und ſie aufgeſchrieben, und letzt hat er im Conzert phan¬ taſirt blos auf Thema die er von mir erlauſchte, drum, es war nur auch ſo wunderlich, es ſtand mir die ganze Muſik ſo ſpöttiſch gegenüber, ich wußt gar nicht was ich dazu ſagen ſollt, ich hatte es nicht errathen, am Morgen frug er wie mirs gefallen hätt, ich ſagt es ſei mir geweſen als müſſe ich ihm immer voranlau¬ fen, und wiſſe ſchon alles wies kommen werde; es ſei geweſen als haben ſeine Phantaſieen einen Ver¬ ſtand den ich begreife. Ja das war weil es Ihre eignen Wege waren, die Sie gegangen ſind; und ſeitdem will er daß ich aufſchreiben lerne, das iſt mir viel ſchwerer als alles andre, kein Gedanke hält eine Minute feſt, und gelingt mirs an einem Ende ihn zu faſſen, dann reißt er mitten entzwei und ich kann das andre nicht dazu finden ſo wie es an¬ fänglich aus meinem Geiſt hervorgegangen war, dann315 ſind ich wohl ein ander End, aber weil es nicht das erſte war was von ſelbſt aus meinen Sinnen hervorge¬ gangen, dann bin ich unruhig als ſei es falſch, und den Takt zu finden das iſt mir ganz unmöglich der Hof¬ mann will mir oft Takttheile zuſammenrücken, das kann ich nicht wollen, oft geb ichs zu, dann wills mein Gefühl wieder anders, der Hofmann hat eine unſägliche Ge¬ duld mit mir, und meint dies alles werd ſich finden, ſo wie ich erſt gewohnt ſei aufzuſchreiben da werde ich der Sache ſchon Meiſter werden; wenn er mir das ſagt das macht mich ganz traurig ich mag nicht Meiſter wer¬ den ich will mich bemeiſtern laſſen von dieſen Muſik¬ fluthen von denen ich nicht weiß ob ſie Werth haben können für ein ander Ohr, das ſchadet nicht, ſie reden mit mir, und ſagen mir volle Lebensaccorde die ich er¬ kenne als Eins mich machend mit der Natur, das iſts was mich hindert. Es iſt mir als wolle ich in Weis¬ ſagungen pfuſchen. Ja es wird ſchwer gehen mit dem Lernen. Und doch! ich hab den Willen und thue das mögliche in dieſer Einöde von Talentloſigkeit; und von dem Geiſt der Leben in mir iſt da muß ich Abſchied nehmen wenn ich lernen will, da ſag ich mir es ſei nur auf Zeiten, er werde wiederkehren der Geiſt,14*316und dann fühl ich mich reif zum Abſchied und ſterb wenn ich lernen will.

Jetzt will ich Dir auch noch auf Deine letzte Frage antworten von der gemeinen Frau, das war kurz ehe ich von Frankfurt hier herauskam, da war ich allein von dem Bockenheimer Thor aus dem Garten wo die Tonie wohnt hereingegangen in die Stadt. Da begeg¬ nete mir eine Frau der war das Band aufgegangen am Schuh, und ſie konnte ſich nicht bücken denn ſie ging mit einem Kinde und ſeufzte ſehr unter ihrer Laſt, ich ließ ſie ihren Fuß auf mein Knie ſtellen um das Schuh¬ band ihr zuzubinden, dann aber führte ich ſie nach ihrer Wohnung weil ſie ſo ſehr jammerte über Schmer¬ zen, es war ſchon dämmerig, als wir in die Stadt ka¬ men da begegnete mir eben auch die Frau Euler welche unſer beider böſer Dämon zu ſein ſcheint, ich machte ihr eine tiefe Verbeugung zu meinem Plaiſir, und ſchleppte die Frau weiter, die fing aber an mir bang zu machen denn ſie ſeufzte ſo ſchwer und ward ſo blaß und der Schweiß trat ihr auf die Stirn, da kam der gute Dok¬ tor Neville, dem übergab ich die Frau, und als ich auf den Roßmarkt kam da begegnete mir der Moritz der ſagte: ach wie blaß ſehen Sie aus, es fehlt Ihnen was, ich habe ſo großen Hunger, ſagte ich und es war317 auch wahr, die Angſt mit der Frau hatte mir Hunger gemacht, der Moritz griff in die Taſche die hatte er voll getrockneter Oliven, die eſſe ich gern, er leerte ſeine Taſche in meinen Handſchuh aus, den ich ausgezogen hatte um ſie hineinzufüllen, da führt der Gukuk die Lotte vorbei; der Moritz ging, die Lotte kam an mich heran und fragte wie kannſt du nur auf offner Straße mit dem Moritz Hand in Hand ſtehen, das ärgerte mich, ich ging ins Stift zu Dir herein wo ich meine Oliven ſpeiſte und die Kerne alle in eine Reihe legte aufs Fen¬ ſterbrett, Du ſtandſt neben mir und warſt ganz ſtill verſunken in die Dämmerung und endlich ſagteſt Du, warum biſt du heute ſo ſchweigſam? ich ſagte: ich eſſe meine Oliven das beſchäftigt mich, aber Du biſt doch auch ſtille, warum biſt Du ſtill? Es giebt ein Ver¬ ſtummen der Seele ſagteſt Du wo alles tod iſt in der Bruſt. Iſt es ſo in Dir, fragte ich Du ſchwiegſt eine Weile, dann ſagteſt Du: es iſt grade ſo in mir wie da draußen im Garten, die Dämmerung liegt auf meiner Seele wie auf jenen Büſchen, ſie iſt farblos aber ſie erkennt ſich, aber ſie iſt farblos, ſagteſt Du noch einmal, und dies letztemal ſo klanglos auch, daß ich Dich im Nachtſchimmer anſah verwundert und verſchüchtert, denn ich traute mich nicht mehr zu318 reden, ich ſann auf Worte wie ich mit Dir anheben ſollt; ich ſuchte in weiten Kreiſen umher, nichts ſchien mir geeignet dieſe Stille zu unterbrechen, die immer tie¬ fer und tiefer ſich wurzelte und mir wie einen Schlum¬ mer durch den Kopf ſtrömte, dem ich nicht mehr wider¬ ſtand ich legte mich träumend auf die Fenſterbank mit dem Kopf, und ſo wer weiß wie viel Zeit verging, da kam Licht ins Zimmer, und als ich aufſah da ſtandſt Du über mir gebeugt und ſahſt auf mich, und als ich Dich fragend anſah, da gabſt Du zur Antwort: Ja ich fühle oft wie eine Lücke hier in der Bruſt, die kann ich nicht berühren, ſie ſchmerzt; ich ſagte kann ich ſie nicht ausfüllen dieſe Lücke? Auch das würde ſchmerzen ſagteſt Du; da reicht ich Dir die Hand und ging, und lang verfolgte mich Dein Blick der ſo ſtill war und ſo innerlich und doch nur wie über mir hinſtreifte. O ich hatte Dich im Heimgehen ſo lieb, ich ſchlang meine Arme um Dich ſo feſt in Gedanken, ich dacht ich wollte Dich tragen auf meinen Armen ans End der Welt, und dort Dich an einen ſchönen moos¬ reichen Platz niederſetzen, da wollt ich Dir dienen und nichts Dich berühren laſſen was Dir weh thun könne; ja ſo wars in meinem kindiſchen Herzen, mit Gewalt wollt ich Dich fröhlich machen und dachte einen Augen¬319 blick es ſolle mir gelingen, aber ich weiß wohl daß mir ſo was nicht gelingen kann und daß es nur Verwechs¬ len iſt von meinen Sinnen, die wie Kinder Fernes und Nahes nicht unterſcheiden können, die auch meinen ſie können den Mond herablangen mit der Hand und kön¬ nen den Spielkamerad damit tröſten wenn er ſtumm und traurig iſt. Als ich nach Hauſe kam, da waren alle beim Thee verſammelt und ich war ſtumm weil ich an Dich dachte, und ſetzte mich auf einen Schemel am Ofen, und da ging ich tief in mein Herz hinein wie ich doch ein inneres Leben aus meinem Geiſt wek¬ ken wolle, das Dich ein bischen berühre, da Du mir bisher alles allein gegeben haſt und ich hab nie die Stimme in meiner Bruſt können vor Dir laut werden laſſen; da dacht ich wenn ich fern von Dir wär da würd ich in Briefen wohl eher zu mir ſelber kommen, weil das vielfältige ja das tauſendfältige Getümmel in mir mich verſtummen macht daß ich nicht zu Wort komme vor mir ſelber. Und ich erinnerte mich daß wie wir einmal von den Monologen des Schleiermacher ſprachen, die mir nicht gefielen, ſo warſt Du andrer Meinung und ſagteſt zu mir: und wenn er auch nur das einzige Wort geſagt hätte: der Menſch ſolle alles Innerliche ans Taglicht fördern was ihm im Geiſt320 innewohne, damit er ſich ſelber kennen lerne, ſo wär Schleiermacher ewig göttlich und der erſte größte Geiſt. da dacht ich wenn ich von Dir fern wär da würd ich in Briefen wohl Dir die ganze Tiefe meiner Natur offenbaren können Dir und mir; und ganz in ihrer un¬ geſtörten Wahrheit wie ich ſie vielleicht noch nicht kenne, und wenn ich will daß Du mich liebſt, wie ſoll ich das anders anfangen als mit meinen, innerſten Selbſt, ſonſt hab ich gar nichts anders, und von Stund an ging ich mir nach wie einem Geiſt, den ich Dir ins Netz locken wollt. Am Abend hatte mir der Franz noch ein paar freund¬ liche aber doch mahnende Worte darüber geſagt daß ich mit dem Moritz aus der Straß geſtanden hatte und geplau¬ dert; die Lotte hatte es der Schwägerin geſagt; ich antwortete ihm nicht darauf, denn vertheidigen ſchien mir nicht paſſend, wie denn das meiner Seele ohnedem nicht einverleibt iſt daß ich ſolche Irrthümer aufklären möchte und am Ende ſchien mir der Moritz doch werth daß man freundlich mit ihm Hand in Hand ſtehe, obſchon er mir bei jener Vermahnung ſehr ſchwarz gemacht wurde, er begegnete mir am andern Morgen auf dem Vorplatz und ich ſah mich um ob niemand mich erſpä¬ hen könne und zog ihn in die Ecke wo die Wendel¬ treppe hinaufführt zu meinem Zimmer, da küßte ich ihn321 auf ſeinen Mund zwei dreimal, und daß er meine Thränen auf ſeinem Geſicht fühlte, denn er wiſchte ſie mit der Hand ab, und ſagte was iſt das? was fehlt Dir Kind, was iſt Dir? ich riß mich los und ſprang hinauf auf die Altan hinter die Bohnen und war ſehr ſchnell oben daß ers nicht ſah, er glaubte mich in meinem Zimmer und kam herauf und klopfte an, und weil er keine Antwort bekam, ſo machte er leiſe auf und weilte einen Augenblick im Zimmer, als er herauskam ſah er nach der Altan, mir war recht bang er würde mein weiß Kleid erblicken denn das ſchimmerte durch das dünne Bohnenlaub. Ich weiß nicht ob er mich ſah und mein Verbergen achtete, aber ich glaubs, und das gefiel mir ſo wohl von ihm; als ich ins Zim¬ mer kam fand ich auf meinem Tiſch im Cabinett am Bett ein Fläſchchen in zierlichem Braſilienholz mit Roſenöl; am Abend auf dem Ball bei ſeiner Mutter ſprach er nichts zu mir wie ſonſt aber er kam in meine Nähe und weil das Fläſchchen ſo ſüß duftete hinter dem Strauß von Aſchenkraut und Roſen, da lächelte er mich an und ich lächelte mit, aber ich fühlte daß gleich mir die Thränen kommen wollten, ich mußte mich abwenden, er merkte14**322es und ging zurück und ſtellte ſich unter die andern, er mußte auch tanzen mit den Prinzeſſinnen und hatte viel Geſchäfte und mußte eine Weile mit dem König von Preußen ſprechen, aber ich ſah doch daß er mich im Aug behielt den ganzen Abend, und ſelbſt während er mit dem König ſprach ſah er herüber, ſehr ernſthaft immer, ich war heimlich vergnügt aber doch hätt ich jeden Augenblick weinen mögen, als wir weggingen flüſterte er mir ins Ohr, Du gleichſt der So¬ phie. Was war das alles was mir durch die Seele ging? ich weiß es nicht. Am andern Tag wo ich nicht wie gewöhnlich zu Dir kam, da hatte Moritz am Morgen ſeinen Gärtner geſchickt mit einem Wagen voll ſchöner ſeltner Blumen die ſtellte er ohne mein Wiſſen hinter der Bohnenwand auf und als ich ſie ſah, war ich erſt gar erſchrocken, und verſtand nicht wie die Blu¬ men daher gekommen waren, aber bald verſtand ich, er müßte mich doch wohl geſehen haben hinter der Boh¬ nenwand am vorigen Tag. Ach ich war während dieſen Stunden ſo wunderlich bewegt geweſen: von Dir, von Kränkungen, von Mitleid daß er verläumdet war; von ſeinem feinen Weſen zu mir, und dann daß er mir geſagt hatte ſo leiſe, Du gleichſt der Sophie, die ihm doch geſtorben war, daß ich nicht mehr wußte was323 ich wollte. Am Nachmittag kam Chriſtian Schloſſer, vom Neville geſchickt der der Frau beigeſtanden hatte bei der Geburt von einem kleinen Mädchen, denn das war gleich in der Stunde auf die Welt gekommen, der ließ mich fragen ob ich nicht wolle zur armen Frau kommen, die ſei ſehr krank und auch das Kindchen, und ich ſolle es aus der Tauf heben, der Chriſtian Schloſſer wolle mit Taufzeuge ſein, ich ging mit, da war der Pfarrer, der taufte das Kind, und die Frau war ſehr krank, wie der Pfarrer weg war, ſo nahm die Wartfrau das Kindchen auf den Arm und ſagte es wird gleich ſterben, da war mir ſo bang, ich hatte nie¬ mals jemand ſterben ſehen, und die kranke Frau im Bett weinte ſo ſehr ums Kind, die Hebamme ſagte, eben ſtirbts; und ſchüttelte es, da wars plötzlich todt. Ach wie ich nach Hauſe kam war ich ſo traurig der Franz ſagte: Du ſiehſt ſeit einiger Zeit ſo blaß aus, Deine Geſundheit ſcheint mir gar nicht feſt, und als am Abend wieder das Geſpräch auf den Moritz kam wobei er gar nicht geſchont wurde, da ſchrieb ich an die Großmama ſie ſolle mich vom Franz zu ſich begeh¬ ren nach Offenbach. Das war Allen recht und mir auch, ſo war ich ihrer Meinung nach dem Moritz aus dem Weg geſchafft, und ich meiner Meinung nach, brauchte324 doch nichts Böſes von ihm zu hören, denn ich will nichts Böſes von ihm hören, nein nimmermehr will ich was Böſes von ihm hören. Aber hier in Offenbach war ich gleich wieder ruhig, und da ward mir mein Ge¬ lübde gleich wieder klar das ich an jenem Abend vor Deiner Thür noch ausſprach als Du ſo kalt warſt und ſo traurig, daß ich eine Gabe Dir wollt geben von meiner Seele, daß ich mein Innerſtes wollt Dir zu Lieb zu Tage fördern, weil Du das ſo hochſchätzeſt wie jener Schleiermacher. Und da hab ich in meinem In¬ nerſten Wege geſchritten, und bin dahin gerathen wo Du jetzt ſtockſt, und willſt nicht weiter und fürchteſt Dich mich anzuhören; denn ich habs wohl gemerkt an Deinem Brief, Du fürchteſt Dich vor meinen Abwegen. O fürcht Dich nicht, ich gab Dir treulich wies Echo, was wiederhallte aus mir. Ach!

Ich bin jetzt glücklich, ſei Dus auch! ſchöne Träume hab ich und das iſt ein Zeichen das die Götter mit mir zufrieden ſind. Im Herzen iſt mirs wenn ich erwache am Morgen als ob ich von Dichterlippen geküßt ſei, ja merk Dirs von Dichterlippen. Nein ich fürchte mich nicht mehr vor der Zukunft! ich weiß durch was ich ſie mir zum Freund mache, ja ich weiß es. Ich will auch wie die Großmama einen Ewig¬325 keitskreis mit meinem Leben ſchließen, nicht wie Du ge¬ ſagt haſt, jung ſterben. Viel wiſſen, viel lernen, ſagteſt Du, und dann jung ſterben, warum ſagſt Du das? mit jedem Schritt im Leben begegnet Dir einer der was zu fordern hat an Dich, wie willſt Du ſie alle befriedi¬ gen? Ja ſage, willſt Du einen ungeſpeißt von Dir laſſen der von Deinen Broſamen fordert? nein das willſt Du nicht! Drum lebe mit mir, ich hab jeden Tag an Dich zu fordern. Ach! wo ſollt ich hin wenn Du nicht mehr wärſt? Ja dann, gewiß vom Glück wollt ich die Spur nimmer ſuchen. Hingehen wollt ich mich laſſen ohne zu fragen nach mir, denn nur um Deinetwillen frag ich nach mir, und ich will alles thun was Du willſt. Nur um Deinetwillen leb ich hörſt Dus? Mir iſt ſo bang Du biſt groß, ich weiß es nicht Du biſts nein ſo laut will ich Dich nicht anreden nein Du biſts nicht. Du biſt ein ſanftes Kind, und weils den Schmerz nicht tra¬ gen kann ſo verläugnet es ihn ganz und gar das weiß ich, ſo haſt Du Dir gar manchen Verluſt ver¬ ſchleiert. Aber in Deiner Nähe, in Deiner Geiſtesat¬ moſphäre deucht mir die Welt groß; Du nicht fürchte Dich nicht, aber weil alles Leben ſo rein iſt in Dir, jede Spur ſo einfach von Dir aufgenommen,326 da muß der Geiſt wohl Platz gewinnen ſich auszudeh¬ nen und groß zu werden. Verzeih mirs heut, ein Spiegel iſt vor meinen Augen, als hätte einer den Schleier vor ihm weggezogen, und ſo traurig iſt mirs, lauter Gewölk ſeh ich im Spiegel, und klagende Winde als müßt ich ewig weinen weil ich an Dich denk ich war draus heut Abend am Main, da rauſchte das Schilf ſo wunderlich und weil ich in der Einſamkeit immer mit Dir allein bin, da fragt ich Dich in meinem Geiſt, was iſt das? redet das Schilf mit Dir , hab ich gefragt. Denn ich will Dirs geſtehen, denn ich möchte nicht ſo angeredet ſein, ſo klagvoll, ſo jammervoll, ich wollts von mir wegſchieben! Ach Günderode ſo trau¬ rig bin ich, war das nicht feige von mir das ich die Klagen der Natur abwenden wollt von mir, und ſchobs auf Dich als hätte ſie mit Dir geredet wie ſie ſo wehmuthsvoll aufſchrie im Schilf. Ich will ja doch gern alles mit Dir theilen, es iſt mir Genuß, großer Genuß Deine Schmerzen auf mich zu nehmen, ich bin ſtark, ich bin hart, ich ſpürs nicht ſo leicht, mir ſind Thränen zu ertragen, und dann ſprießt die Hoffnung ſo leicht in mir auf, als könnt wieder alles werden und beſſer noch als was die Seele verlangt. Verlaß Dich auf mich! wenns Dich ergreift als woll es Dich327 in den Abgrund ſtoßen, ich werde Dich begleiten überall hin kein Weg iſt mir zu düſter wenn Dein Aug das Licht ſcheut wenn es ſo traurig iſt. Ich bin gern im Dunkel liebe Günderode ich bin da nicht allein, ich bin voll von neuem was in der Seele Tag ſchaffet grade im Dunkel da ſteigt mir der lichte hellglänzende Friede auf. O verzweifle an mir nicht, denn ich war in meinen Briefen auf einſamen Wegen gegangen, ja, zu ſehr als ſuch ich nur mich ſelbſt, das wollt ich doch nicht, ich wollte Dich ſuchen, ich wollt vertraut mit Dir werden, nur um mit Dir die Lebensquellen zu trinken, die da rieſeln in unſerm Weg. Ich fühls wohl an Deinem Brief Du willſt Dich mir entziehen das kann ich nicht zugeben die Feder kann ich nicht niederlegen ich denk Du müſſeſt aus der Wand ſpringen ganz geharniſcht wie die Minerva und müßteſt mir ſchwö¬ ren, meiner Freundſchaft ſchwören, die nichts iſt als nur in Dir Du wolleſt fortan im blauen Äther ſchwim¬ men, große Schritte thun, wie ſie, behelmt im Sonnen¬ licht wie ſie, und nicht mehr im Schatten traurig wei¬ len. Adieu ich geh zu Bett ich geh von Dir, obſchon ich könnt die ganze Nacht warten auf Dich daß Du Dich mir zeigſt, ſchön wie Du biſt und im Frieden, und Freiheit athmend wies Deinem Geiſt geziemt der das328 Beſte das Schönſte vermag. Eine Ruheſtätte Dir auf Erden das ſei Dir meine Bruſt. Gute Nacht! ſei mir gut ein weniges nur.

Montag.

Jetzt hab ich ſchon drei Tage an dieſem Brief ge¬ ſchrieben und heute will ich ihn abſchicken, ach ich mag ihn nicht überleſen, geſchrieben iſt er, wahrheitsvoll iſt er auch, wenn Du die augenblickliche Stimmung der Wahrheit würdigeſt, wie ich ſie deren würdige und nur ſie allein, obſchon die Philiſter ſagen ſie ſei die Wahr¬ heit nicht, nur was nach reiflichem Überlegen und wohlgeprüft vom Menſchengeiſt ſie angenommen, das ſei Wahrheit. Ach dieſe Stimmungen, ſie bauen das Feld, und was uns zukommt als ſei die Seele mit im Abendroth zerſchmolzen oder als löſe ſie ſich frei vom Gewölk, und thue ſich auf im weiten Äther das bringt uns auch wie das fruchtbare Wetter Gedeihen. Iſt mirs doch, da ich meinen Brief ſchließen will als ob das ſchönſte Leben uns bevorſtehe wenn Du nur willſt, und willſt ſo viel mich würdigen daß Du ruhig Deine Hand in der meinen liegen läſſeſt wenn ich ſie faſſe. Ich war heut Morgen draus und hab mir den Aſchenkranz zum Ball beſtellt wie Dus geſagt329 haſt aber gelt der Moritz hat Dirs geſagt ich ſoll den Kranz aufſetzen? Ich kam hin zum Gärtner er ſtand zwiſchen der Thür vom Bosket und dem Blu¬ mengarten gelehnt, gewiß er hat auf mich gewartet denn ich war ſchon zwei Tage nicht da geweſen. Aber geſtern Abend wie ich ſchlafen ging da hat ich mir feſt vorgenommen ich wollt gewiß keinen Menſchen unglück¬ lich machen, oder beſſer ich wollt gewiß jedem geben an Glück was ich kann. Und mir ſolls nichts zu gering ſein und was iſt ehrender als wenn Du mit einem Blick oder Wort wohl thun kannſt. Nun hör nur mein lieb Geſpräch mit dem Gärtner an. Weil ich kam ſo ſagt ich: ich hätt wohl eine Bitte an den Anton. (Denn ich rede ihn nicht anders an, denn ich mag ihn nicht Er nennen.) Ich geh auf den Ball heut und da möcht ich einen Kranz, und weil ich gar nicht vergnügt bin daß ich zum Tanz ſoll gehen, ſo wollt ich einen traurigen Kranz gern haben von Aſchenkraut, und keine Blumen wollt ich gar nicht. Iſt wohl ſo viel Aſchenkraut da daß wir einen Kranz kön¬ nen machen ohne die Büſche zu verderben? da ging er voran und brach mir eins nach dem andern und ich bands am Draht feſt. Er hatte mir doch noch kein Wort geſagt und legte mir die Sproſſen nach einan¬330 der auf den Schooß, ich ſaß auf der Blumenbank am Treibhaus, er rückte die Blumen über mir und um mich her zuſammen während ich meinen Kranz flocht, und holte noch mehrere aus dem Treibhaus, daß ich wohl merkt ich war ganz eingerahmt, und da war eine große purpurrothe Paſſionsblume die hing herab an meiner Seite, er ſchnitt ſie ab und legte ſie ſchweigend an das Geflecht, ich band ſie auch ſchweigend mit ein, ich pro¬ bierte ihn auf, er war weit genug, er nahm ihn mir aus der Hand, ſtreifte ſich den Ermel auf, maß am Arm die Länge vom Kranz und band ihn ſelber feſt, ſchnitt die überflüſſigen Stiele und Blätter ab, und gab ihn mir. Das alles war ſchweigend geſchehen, es es iſt heut ſo ſchönes Wetter ſagte ich find ich Euch Morgen im Garten wenn ich früh komme? O das werden Sie wohl verſchlafen weil Sie die Nacht durch tanzen. O nein, um halber zwölf fahr ich ſchon wieder zurück, und Ihr könnt mich heimfahren hören an Eurer Wohnung vorbei ich fahr im Cabriolet, nur mit einem Pferd hier vorbei, da könnt Ihr hören ob ich Euch nicht Wort halt, da! ich geb Euch meine Hand drauf. Er ward roth, der Gärtner, als ich ihm die Hand reichte und's Schnupftuch fallen lies das er mit der andern Hand auffing und mir reichte,331 ich ſah es an nahms ihm aber nicht ab. Ich ſagte der Kranz iſt unbezahlbar. Ihr habt ihn aus der Mitte von jedem Buſch geſchnitten wie werd ichs Euch loh¬ nen, ich werd ihn Euch wiedergeben müſſen! ja ſagt er plötzlich, der Kranz gehört mein. Nun, ſagt ich, verlaßt Euch drauf ich bring ihn wieder.

Geſtern um halb acht Uhr fuhr ich mit der Tonie auf den Ball, auf dem Weg nach dem Forſthaus wa¬ ren die Leute vom Moritz mit Fackeln zu Pferd und begleiteten die Wagen, von weitem wars ergötzlich all die Fackeln galoppirend durch den hochſtämmi¬ gen Weg im Wald. Das Wäldchen war mit bun¬ ten Lampen erleuchtet. Ach wie ſchön wars! und dazu lächelten die unendlichen Sterne! der Moritz empfing uns, ich ſagte ach wie ſchön iſts hier! ja? gefällt Dirs? Du biſt auch ſchön! und ſo ging er wieder. Ach ich war ſo ver¬ gnügt ich mußte lächeln mit mir, es weckte mich aus dem Traum als ich tanzen mußte, und der Traum war ſo ſchmeichelig ſelbſtvergeſſen mitten im Getümmel ein Wonnegrab, da kamen die Grabesſchauer mir nachgeflogen, und weckten Ge¬ dankenſeelen in der Bruſt begraben, die gaukelten über mir im Blauen, und der Tag heut, ſpiegelt die332 Nacht, und die Nacht wieder den Tag die iſt ſo helle¬ glänzend daß die Sterne erblaſſen und der Tag ſo ſchattig ſo kühl daß die Sonne nichts vermag.

Beim Nachteſſen kam der Moritz, wir ſaßen an kleinen Tiſchen, ich am allerletzten mit der Pauline Cha¬ meau und Willig. Der Moritz ſetzte ſich neben mich, er fragte: Wer hat heut Ihre Toilette beſorgt, ſo ein¬ fach, ſo originell! die blaue Schärpe! was bedeu¬ ten die blaue Bänder? und der graue Kranz! wer hat den aſchgrauen Kranz beſorgt? ich ſagte, der Widerhall. Gris de cendre, joyeux et tendre, ſo muß denn der Widerhall freudiger Zärtlichkeit an Ihr Ohr geſchlagen haben? er ging. So ein Liebesgeſpräch, mitten an offner Tafel, von keinem ver¬ ſtanden, nur von mir, ſo leicht ſo luftig wie nimmſt Dus? iſts nicht Blüthenſtaub vom lauen Weſtwind Dir ins Geſicht geweht! ja alles müſſen wir der Natur vergleichen was voll heiteren Entzückens uns durchdringt, nichts anders kanns ausſprechen noch wiedergeben im Bild. Will ich mir von jenen Worten die Regung im Herzen lebhaft wieder in die Sinne rufen ſo muß ich doch an Blüthenbäume denken die ihre Geſchenke dem Morgenwind auf die Flügel laden für mich, und dann ſchauerts mich ſo frühlingsmäßig wenn ich das denke. 333 Als wir alle wegfuhren, die Schwägerinnen im Stadt¬ wagen zuerſt, und ich ins hohe luftige Gick vom George, da ließ der Moritz ſeinen Mantel holen mir auf die Füße zu werfen weils kühl ſei, er fragte ob ich froh geweſen ſei? ja! ſagte ich, alles war ſchön und ſtimmte in einander, der Raſenteppich und die bunten Lichter, und die Sterne am Himmel, rauſchende Bäume und die Muſik der Geigen und Flöten, und auch die der ſüßen Reden. Er drückte mich an ſich und ſagte Du warſt die Königin vom Feſt, Dir hab ich die Lichter angezündet und die Flöten rufen laſſen, es ſchmeichelt mir unendlich daß Du Gefallen hatteſt dran, und ſchenk mir was zum Lohn und zur Erinnerung der ſchönen Nacht. Ich hab nichts, was ſoll ich Ihnen geben? Der Kranz ſteht Dir zu gut den will ich nicht, gieb mir die blaue Schärpe ich will ſie heut Nacht um den Hals ſchlingen. Ich gab ſie ihm, er hob mich ins Gick warf mir ſeinen Mantel über, vier Reiter jagten mit[Fackeln] voran durch den Wald. Wie war mirs doch? ein Zauber ſo ſchnell die Schatten der Bäume im Flammenſchein verſchwindend, und wieder da gleich, im ſtillen Nachthimmel; ich freute mich es dauerte ſo eine Weile daß die Sterne mit den Fackeln um die Wette mich auffingen, und als wir vor den334 Wald kamen da war der Mond aufgegangen, da wa¬ ren die Reiter eben ſo ſchnell wieder in den Wald zu¬ rück und jagten wie die Pfeile, ich ſah ihnen nach, mein Blick war ganz trunken vom Flammenwind der da durchbrauſte. Schreib dirs ins Herz ſagt ich mir heimlich, das iſt dein Leben, wie ein fliegender Feuer¬ drache iſt dein Geiſt, er leuchtet die heilige Natur an, ihre dunklen Räume; mit heißer durſtiger Zunge leckt er an ihr hinauf, aber er verſehrt ſie nicht der Drache iſt nicht wild und giftig, nein! zahm und ſanft auch; er ſchwingt ſich in zärtlicher Unruh im Kreis und ſtrömt ſeine Feuer in ſanften Laven in die Bäche am Weg und ſein glühender Athem erliſcht in den Nacht¬ nebeln. Ja der Drache iſt zärtlich und liebend auch, nicht giftig und tödtend, nur will ihn keiner verſtehn, und alle fürchten ſich vor ihm, aber nicht Du meine Günderode, Du ſcheuſt den Drachen nicht, Du koſeſt ihm und legſt ſeinen Flammenrachen zärtlich in Dei¬ nen Schooß. Jetzt war ich aufgewacht aus meinen Träumen, ich nahm dem Reitknecht an meiner Seite, die Zügel und jagte durch die breite Ebne ganz im Mondlicht ſchwimmend. Ach wie luſtig! allerlei Glücksempfindung! Mit Dir hab ich den Pindar ge¬ leſen, Du haſt auf Deinen Lippen die Begeiſtrung auf¬335 gefangen und mir auf die Seele geträufelt. Wenn der Sänger mit ſauſenden Schwingen dahin flog, an uns vorüber! Weißt Du's noch? dahin raſte der hei߬ brauſende Hymnenſturm Latonens Sohn zum Preis! Weißt Du's Günderode noch? das Licht war ausgebrannt. Du lagſt auf dem Bett, die Seele voll Klang, und wiederholteſt die Verſe in feſterprägenden Rhythmen wo ich das Versmaß ſinken ließ, und bei der Nachtlampe las ich weiter:

Hört mich Ihr Söhne ſtolzer Helden und bei Götter
Denn ich verkünde dieſem meergepeitſchen Land,
Einſt werde Epaphus Tochter eine Städtewurzel pflanzen
Auf des harmmoniers Boden, den Sterblichen zur Wonne,
Die kurzbefiederten Delphine vertauſchen alsdann
Mit ſchnellen Roſſen werden ſie, die Ruder mit Zügeln,
Und fahren auf ſturmfüßigen Wagen dahin.

Ich nahm dieſe letzten Zeilen zwiſchen die Lippen von Zeit zu Zeit und ſtieß ſie im Geſang hinausrufend in die weit ſchlafende einſame Weite, und der Mond eilte mit hinter leichtem Gewölk hervor. Hörſt Du auch wieder die alten Hymnen Latone, deinen Söhnen ge¬ ſungen, rief ich, und ſo füllten ſich allmählig meine Sinne und rauſchten auf als ſeien ſie von einem Har¬ fenrührer erſchüttert mit goldnem Plecktrum und jugend¬ brauſenden Muth. Glückliche Nacht wo die Gedan¬336 ken wie Blüthen im Südwind ſich aufthun fröhlicher Hoffnung voll, und ein Gefühl heitern Geſchickes wie glänzende Strahlen aus den feurigen Blitzen ſich ergießt die der Drache in die kühlen Mondlüfte ſpie!

So kamen wir nach Offenbach, ich wendete links ab ſtatt in die Domſtraße zu fahren, der Reitknecht wollt mir in die Zügel greifen weil ich den Weg ver¬ fehle, ich wehrte ihm und ſo fuhr ich raſch am Bosket vorüber, wo die Pappeln ſo anmuthig ſich neigten ſo ſchüchtern rauſchten als wollten ſie mich grüßen. Ich lenkte in den engen Weg nach des Gärtners Haus, ich hatte geſagt um halb zwölf Uhr, es war drei Uhr in der Nacht der Tag war im Aufwachen, der Gärtner ſtand vor ſeiner Thür und nahm die Mütze ab als er mich kommen hörte. Guten Morgen ſagte ich, heut werd ich nicht in den Garten kommen ich will ausſchla¬ fen, da iſt Euer Kranz, und lenkte wieder um voll Vergnügen daß ichs durchgeführt hatt mit dem Kranz denn ich war unterwegs voll Zweifel ob ichs thun ſolle oder nicht. Dem Moritz den Gürtel dem Gärtner den Kranz ſagte ich mir immer; aber eine innere Stimme ſagte mir, warum ſoll der Gärtner den Kranz entbehren er gehört doch ſein, und er war ihm früher verſprochen und dann fühlt ich wie weh es ihm thun werde wennich337ich mein Verſprechen nicht halten würde und wie das ohne Lüge nicht abgehen könne, ich müſſe ihm ſagen der Kranz ſei verloren oder zerriſſen und das wär eine doppelte Unachtſamkeit und müſſe ihn doppelt verletzen, nein ich mußt ihn ihm geben. Meine Seele war or¬ dentlich leicht als er hingeworfen war und er ihn mit der Hand auffing, er erröthete ſo freundlich, grad mit der Morgenröthe! die aufſtieg. Dem Moritz den Gürtel, ihm den Kranz! ja beiden gehörts. Denn beide ſind freundlich geſandt vom Dichter-Genius, der in der lautloſen Stille, wenns von Menſchen nicht ge¬ wußt oder nicht bedacht, mir durchs Labyrinth der Bruſt ſchweifet in der Nacht.

Zu Haus im Bett wie war mirs da? Letzt ſah ich dem Franz ſein Kindchen an der Amme trinken da mußte es ſo ſchnell ſchlucken, es konnt nicht eifrig genug trinken ſo ſtrömte ihm die Milch zu. Grad ſo war mirs im Herzen, ich ſchluckte ſüße Milch, alle ſüße Erinnerung ſtrömte, ſo wie meine Gedanken nur einen Augenblick wollten an ihr ſaugen, und wies Kindchen ſich von einer Bruſt zur andern wen¬ det weil ſie zu voll ſtrömen bis es vor Ermüdung des Saugens einſchläft, ſo wendete ich mich von einer Seite zur andern, und ſchlief auch endlich15338vor Ermüdung des Genießens ein. So hab ich geſchlafen bis Mittag, da brachten ſie mir einen Strauß der war mir aus dem Bosket geſchickt worden. Hör nur was das für ein Strauß war, und wie witzig der Gärtner iſt; und wie gebunden, und was das bedeuten mag, in der Mitte eine Moosroſenknospe, da her¬ um Vergißmeinnicht und Heidekraut die einen Kranz bil¬ den, dann rund herum höher herauf Wachholderzweige und Neſſeln, die ſchirmt wieder allerlei Dornwerk und Laub was höher ſteigt, ſo zierlich gebunden wie ein Kelch in deſſen tiefſter Mitte die Moosroſe glüht. Das leſe ich ſo: Die Moosroſe iſt mein Geſchenk, der Kranz; das Heidekraut was die Roſe ſchirmt das iſt der be¬ ſcheidne Gärtner, eine Blume wie ſie unzählig ſich auf dem Feld ausbreitet, die Vergißmeinnicht, das iſt das ewige Andenken; er wirds nimmer vergeſſen daß ich ihm den Kranz geſchenkt hab, der Wachholder iſt der ſchlichte Weihrauch den er meiner Gabe als Opferrauch duftet, die Neſſeln bedeuten daß es ihm im Herzen brennt und ſchmerzt, das Dornwerk und das Laub was rundum in Kelchform aufſteigt die Roſe zu verbergen, die ſagen daß es in ſeinem Herzen ſoll geheim blei¬ ben, und daß er es im Herzenskelch vor aller Au¬ gen ſtill bewahren wolle. Der St. Clair iſt wieder339 zurück hat mir die Tonie geſagt. War er bei Dir? Was hat er vom Hölderlin erzählt?

An die Bettine.

Der St. Clair war bei mir, er kam von Mainz, heut erſt geht er nach Homburg, bleibt acht Tage oder länger dort, wenn er zurückkommt das wird am Sonn¬ tag ſein, will er nach Offenbach kommen, er glaubt Du werdeſt dann am Morgen wohl ein paarmal mit ihm im Garten auf und abgehen da will er Dir vom Höl¬ derlin alles erzählen.

Am Mittwoch reiſe ich auf drei Wochen zur Nees auf ihr Gut bei Würzburg; von dort will ich Dir deut¬ licher ſchreiben, hier im Augenblick von kleinen Reiſe¬ angelegenheiten geſtört, kann ich nicht, wie ich wohl möchte, antworten auf Deine Liebe, der ich eben auch vertrau wie dem untadelichen Grund Deiner Seele. Schon fühl ich mich bewogen Deine Empfindungen Dein Thun, ohne Einwurf gelten zu laſſen, thue wie Dirs der Geiſt eingiebt, weil es das beſte und einzige iſt wo keines Menſchen Rath auslangt; und auch weil Du, ſo nur den unberufnen Vorkehrungen und Rath¬15*340gebern kannſt ausweichen; das iſt was hier zu befahren iſt; nicht Dein kühner Sinn; Dein ſicher abwägendes Gefühl haben wir nicht zu befahren, aber das Meſ¬ ſen mit dem Maaßſtab der nirgendwie mit Dir zu¬ ſammenſtimmt. Ich ſelber weiß oft nicht mit wel¬ chem Winde ich ſteuern ſoll, und überlaſſe mich allen. Hab Geduld mit mir da Du mich kennſt, und denke daß es nicht eine einzelne Stimme iſt der ich zu wider¬ ſprechen habe, aber eine allgemeine die wie die lernaeiſche Schlange immer neue Köpfe erzeugt. Was Du ſagſt und treibſt und ſchreibſt geht mir aus der Seele oder in die Seele; ich fühle zu nichts[Neigung] was die Welt behauptet; und muſtere ich gelaſſen ihre Forde¬ rungen ihre Geſetze und Zwecke, ſo kommen ſie alle¬ ſammt mir ſo verkehrt vor wie Dir, aber Deine ab¬ ſurdeſten Demonſtrationen wie ſie Deine Gegner nen¬ nen, habe ich noch nie in Zweifel gezogen, ich hab Dich verſtanden wie meinen eignen Glauben, ich hab Dich geahnt und begriffen zugleich, und doch muß ich in die Sünde verfallen Dich zu verläugnen; es iſt mir nicht gleichgültig daß ich dieſe Schwäche habe, kannſt Du ſie mir ausrotten helfen ſo bin ich willig zur Buße. Das ſei Dir genug zum Fühlen wie die Vorwürfe, die Du Dir um mich machſt mich nur drücken können. Das341 Produkt jener Stunde, wo Deine Liebe dieſer gewaltſa¬ men Stimmung in mir ſo ſtreng entgegentrat leg ich Dir hier bei. Dichten in jedem Herzensdrang hat mich immer neu erfriſcht, ich war nicht länger gedrückt wenn ich mein Verſtummen konnt erklingen laſſen.

Des Wandrers Niederfahrt.

Wandrer.
Dies iſt, hat mich der Meiſter nicht betrogen
Des Weſtes Meer in dem der Nachtwind braußt.
Dies iſt der Untergang von Gold umzogen,
Und dies die Grotte, wo mein Führer haußt.
Biſt du es nicht, den Tag und Nacht geboren
Des Scheitel freundlich Abendröthe küßt!
In dem ſein Leben Hälios verloren
Und deſſen Gürtel ſchon die Nacht umfließt.
Herold der Nacht! biſt du's der zu ihr führet
Der Sohn den ſie dem Sonnengott gebieret?
Führer.
Ja, du biſt an deſſen Grotte,
Der dem ſtarken Sonnengotte
In die Zügel fiel.
342
Der die Roſſe weſtwärts lenket,
Daß ſich hin der Wagen ſenket,
An des Tages Ziel.
Und es ſendet mir noch Blicke,
Liebevoll der Gott zurücke
Scheidend küßt er mich;
Und ich ſeh es, weine Thränen
Und ein ſüßes ſtilles Sehnen
Färbet bleicher mich;
Bleicher, bis mich hat umſchlungen,
Sie, aus der ich halb entſprungen,
Die verhüllte Nacht.
In ihre Tiefen führt mich ein Verlangen
Mein Auge ſchauet noch der Sonne Pracht,
Doch tief im Thale hat ſie mich umpfangen
Den Dämmerſchein verſchlingt ſchon Mitternacht.
Wandrer.
O führe mich! du kenneſt wohl die Pfade
Ins alte Reich der dunklen Mitternacht;
Hinab will ich ans finſtere Geſtade
Wo nie der Morgen, nie der Mittag lacht.
Entſagen will ich jenem Tagesſchimmer
Der ungern nur der Erde ſich vermählt,
Geblendet hat mich trüg'riſch, nur der Flimmer,
Der Ird'ſches nie zur Heimath ſich erwählt.
343
Vergebens wollt 'den Flüchtigen ich faſſen,
Er kann doch nie vom ſteten Wandel laſſen,
Drum führe mich zum Kreis der ſtillen Mächte,
In deren tiefem Schooß das Chaos ſchlief,
Eh, aus dem Dunkel ew'ger Mitternächte,
Der Lichtgeiſt es herauf zum Leben rief.
Dort, wo der Erde Schooß noch unbezwungen
In dunkle Schleier züchtig ſich verhüllt,
Wo er, vom frechen Lichte nicht durchdrungen,
Noch nicht erzeugt dies ſchwankende Gebild
Der Dinge Ordnung, dies Geſchlecht der Erde!
Dem Schmerz und Irrſal ewig bleibt Gefährte.
Führer.
Willſt du die Götter befragen,
Die des Erdballs Stützen tragen,
Lieben der Erde Geſchlecht.
Die in ſeliger Eintracht wohnen,
Ungeblendet von irdiſchen Sonnen,
Ewig ſtreng und gerecht;
So komm, eh ich mein Leben ganz verhauchet,
Eh mich die Nacht in ihre Schatten tauchet.
Horch! es heulen laut die Winde,
Und es engt ſich das Gewinde
Meines Wegs durch Klüfte hin.
Die verſchloß'nen Ströme brauſen,
344
Und ich ſeh mit kaltem Grauſen
Daß ich ohne Führer bin.
Ich ſah ihn bläſſer, immer bläſſer werden,
Und es begrub die Nacht mir den Gefährten.
In Waſſerfluthen hör ich Feuer ziſchen
Seh wie ſich brauſend Elemente miſchen,
Wie, was die Ordnung trennet, ſich vereint.
Ich ſeh, wie Oſt und Weſt ſich hier umpfangen,
Der laue Süd ſpielt um Boreas Wangen,
Das Feindliche umarmet ſeinen Feind
Und reißt ihn fort in ſeinen ſtarken Armen:
Das Kalte muß in Feuersgluth erwarmen.
Tiefer führen noch die Pfade
Mich hinab, zu dem Geſtade
Wo die Ruhe wohnt,
Wo des Lebens Farben bleichen,
Wo die Elemente ſchweigen
Und der Friede thront.
Erdgeiſter.
Wer hieß herab dich in die Tiefe ſteigen
Und unterbrechen unſer ewig Schweigen?
Wandrer.
Der rege Trieb: die Wahrheit zu ergründen!
345
Erdgeiſter.
So wollteſt in der Nacht das Licht du finden?
Wandrer.
Nicht jenes Licht das auf der Erde gaſtet
Und trügeriſch dem Forſcher nur entflieht,
Nein, jenes Urſein das hier unten raſtet
Und rein nur in der Lebensquelle glüht.
Die unvermiſchten Schätze wollt 'ich heben
Die nicht der Schein der Oberwelt berührt
Die Urkraft, die, der Perle gleich, vom Leben
Des Daſeins Meer in ſeinen Tiefen führt.
Das Leben in dem Schooß des Lebens ſchauen,
Wie es ſich kindlich an die Mutter ſchlingt
In ihrer Werkſtatt die Natur erſchauen,
Sehn, wie die Schöpfung ihr am Buſen liegt.
Erdgeiſter.
So wiſſ! es ruht die ew'ge Lebensfülle
Gebunden hier noch in des Schlafes Hülle
Und lebt und regt ſich kaum,
Sie hat nicht Lippen um ſich auszuſprechen,
Noch kann ſie nicht des Schweigens Siegel brechen,
Ihr Daſein iſt noch Traum
Und wir, wir ſorgen daß noch Schlaf ſie decke
Daß ſie nicht wache, eh 'die Zeit ſie wecke.
15**346
Wandrer.
O ihr! die in der Erde waltet,
Der Dinge Tiefe habt geſtaltet,
Enthüllt, enthüllt euch mir!
Erdgeiſter.
Opfer nicht und Zauberworte
Dringen durch der Erde Pforte,
Erhörung iſt nicht hier.
Das Ungeborne ruhet hier verhüllet
Geheimnißvoll, bis ſeine Zeit erfüllet.
Wandrer.
So nehmt mich auf, geheimnißvolle Mächte,
O wieget mich in tiefem Schlummer ein.
Verhüllet mich in eure Mitternächte,
Ich trete freudig aus des Lebensreihn.
Laßt wieder mich zum Mutterſchooße ſinken,
Vergeſſenheit und neues Daſein trinken.
Erdgeiſter.
Umſonſt! an dir iſt unſ're Macht verloren,
Zu ſpät! du biſt dem Tage ſchon geboren;
Geſchieden aus dem Lebenselement.
Dem Werden können wir, und nicht dem Seyn ge¬ bieten
Und du biſt ſchon vom Mutterſchooß geſchieden
347
Durch dein Bewußtſein ſchon von Traum getrennt.
Doch ſchau hinab, in deiner Seele Gründen,
Was du hier ſucheſt wirſt du dorten finden.
Des Weltalls ſeh'nder Spiegel biſt du nur.
Auch dort ſind Mitternächte die einſt tagen.
Auch dort ſind Kräfte, die vom Schlaf erwachen
Auch dort iſt eine Werkſtatt der Natur.

Der Tonie hat Clemens geſchrieben er komme in wenig Tagen er hofft mich hier zu finden, ich kanns nicht ändern daß ich fortgehe grade wie er kommt, es thut mir leid, wie gern ich ihn geſprochen hätte, Du ſags ihm doch, in drei Wochen bin ich zurück, bitte ihn daß er ſo lange bleibe ich werde gewiß um keinen Tag zögern, es liegt mir daran ihn zu ſehen, das einliegende Blatt gieb ihm er hats von mir ver¬ langt, es iſt ein Gedicht was ich ſchon früher gemacht habe. Clemens wird zu Dir hinauskommen, ich glaube Du thuſt wohl noch ſo lang in Offenbach zu bleiben bis ich wieder zurück bin, Du biſt vergnügt dort und niemand legt Dir was in den Weg, hier würden Sit¬ len - und Splitterrichter Dich verdrießlich machen, Cle¬ mens würde dabei manche Frage an Dich thun die Dir unlieb ſein dürfte, und mir iſts unangenehm wenn er Dich ins Gebet nimmt.

348

Du ſchreibſt mir doch! ſchicke Deine Briefe ins Stift, dort iſt am Samſtag und den Donnerſtag drauf Gelegenheit etwas an mich zu ſchicken. Ich wäre gern noch hinaus gekommen, glaubſt Du daß George mich im Cabriolet hinausfahren ließe? Wollteſt Du wohl bei ihm drum fragen?

Was Dir die Großmama aus ihrem Leben erzählt das merk Dir doch alles wenns auch nur mit wenig Zeilen iſt, ſpäter iſt es einem gar intereſſant. Adieu und bleib mir gut, ich will Dirs abzuverdienen ſuchen.

Karoline.
Iſt alles ſtumm und leer,
Nichts macht mir Freude mehr,
Düfte ſie düften nicht,
Lüfte ſie lüften nicht,
Mein Herz ſo ſchwer!
Iſt alles öd und hin,
Bange mein Geiſt und Sinn,
Wollte, nicht weiß ich was
Jagt mich ohn Unterlaß
Wüßt ich wohin?
Ein Bild von Meiſterhand
Hat mir den Sinn gebannt
Seit ich das Holde ſah
Iſts fern und ewig nah
Mir anverwandt.
Ein Klang im Herzen ruht,
Der noch erfüllt den Muth
349
Wie Flötenhauch ein Wort,
Tönet noch leiſe fort,
Stillt Thränenfluth.
Frühlinges Blumen treu,
Kommen zurück aufs Neu,
Nicht ſo der Liebe Glück
Ach es kommt nicht zurück
Schön doch nicht treu.
Kann lieb ſo unlieb ſein,
Von mir ſo fern was mein?
Kann Luſt ſo ſchmerzlich ſein
Untreu ſo herzlich ſein?
O Wonn 'o Pein.
Phönix der Lieblichkeit
Dich trägt dein Fittig weit
Hin zu der Sonne Strahl
Ach was iſt dir zumal
Mein einſam Leid?

An die Günderode.

Warum Du aufs Landgut grade gehſt wie wir im beſten Verkehr ſind, das begreif ich nicht, es war ſchon als hätt ich Wurzel gefaßt in dieſem ſchönen Briefle¬ ben, wie die Erdbeeren beim Erröthen fühlt ich einen aromatiſchen Duft in mir wenn ich mich heiß geſchrie¬ ben hatte, Du biſt immer unterwegs, ich begreif nicht350 wo Du Zeit hernimmſt zu Allem! Dies ſchöne Ge¬ dicht! Wann haſt Dus geſchrieben? Es dreht ſich im Tanz und ſpielt ſich ſelbſt dazu auf ſo leicht, als ob ſichs ſo nur aus Deiner Bruſt athme ohne An¬ ſtoß. Dein Gedicht was Du in der klangloſen Stunde geſchrieben iſt doch klangreich, es ſchöpft die Töne aus der Bruſt und ſtimmt ſie zu Melodieen. Doch weile ich lieber bei dem erſteren, denn das haſt Du doch ſpä¬ ter gemacht nicht wahr? und fühlſt auch wie ich daß die Schmerzen im Geiſt immer mit auf die Pein der Langeweile gegründet ſind. Denn nehms wie Du willſt; bräche das Leben ſich mit einmal eine neue Bahn und wär ſie auch noch ſo uneben und holperig, die Verzweiflung hätt ein Ende. Denn alles Schmerz¬ gefühl, alle Sehnſucht kommt doch nur daher weil die grade Bahn des Lebens gehemmt iſt. Beſinn Dich doch auf unſere Reiſe-Abentheuer die wir den Winter mit einander durchmachten, keiner von uns hatte eine trübe Minute den ganzen Winter nicht, Deine Sehn¬ ſucht ins Innere von Aſien hinein brachte uns immer unter die wilden Thiere. Tieger und Löwen und Ele¬ phanten haben uns Schabernack geſpielt. Was haben wir für Sonnenhitz ausgeſtanden mitten im Eis; erſt ſpäter merkte ich wie ſehr wir uns in dies Leben ver¬351 tieft hatten, da alle Leute dieſen Winter als einen der kälteſten durchgehuſtet haben. Weißt Du am Neujahrs¬ tag kam ich zu Dir! alle Räder pfiffen an den vielen Staatswagen, die gepuderten Kutſcher mit den rothge¬ frornen Geſichtern! da kam ich zu Dir in die Stube herein und ſagte Gott es iſt ſo heiß hier in Aſien daß wir nur ſo hinſchmachten und drauß vor der Thür in Frankfurt da hängen dem Kutſcher die Eiszapfen am Knebelbart. Was haben wir gelacht Günderode; und haben unter Zimmetbäumen eine Taſſe Chokolade getrunken die wir in Deinem Öfchen kochten mit wohl¬ riechendem Sandelholz; und da kam ein Salamander ins Feuer und färbte ſich da in allerlei Farben und warf die Chokoladenkanne um, und wir melkten die weiße Elephantin die ihr junges in unſerer Nähe ſäugte und machten Elephantenbutter, ich wollt als immer Löwenbutter machen das litteſt Du nicht denn Du warſt ſehr vorſichtig. Du meinteſt es ſei zu viel Gefahr da¬ bei, die Löwin könne mir einmal wild werden über dem Melken Und die Erlebniſſe am Ganges und Indus. die ſchönen Knaben die uns da begegneten wo wir uns verſteckten und ſahen ſie vorübergehen und ſich waſchen in den heiligen Fluthen und Gebete thun, da ſagteſt Du es müſſen wohl Tempelknaben ſein, wir müſſen352 nach dem Tempel hier in der Gegend ſuchen. Da führte eine Allee von großen Tulipanen hin, die hab ich ent¬ deckt, wir brachten Stundenlang hin mit der Bewun¬ drung der Blumen, und da waren Goldfruchtbäume und Trauben und Melonen, alles das wuchs in ſchön¬ ſter Fülle rund um die Säulen der Tempel zu denen wir fremde Völkerſtämme hinwallen ſahen, da ſagteſt Du einen Hymnus her den hätten ſie geſungen beim Sonnenaufgang: Ätherwüſte! ſo fing Dein Hym¬ nus an, und ich machte eine Melodie drauf, die ließeſt Du Dir vorſingen zur Zitter von mir, und Du hör¬ teſt zu, ſo ſtill als wär es indiſcher Tempelgeſang; Abends im Mondſchein das war unſre beſte Zeit wo wir phantaſirten, und hielten uns einander bei den Händen wenn wir die Berge hinanſtiegen und ruhten unter Dattelbäumen aus, Du machteſt immer die Reiſe¬ route weil Du die Kenntniſſe des Landes hatteſt, und da ſtiegen wir auf einen Berg der hieß Bogdo, von da aus, ſagteſt Du, könne man alle Gebirgsketten über¬ ſehen, da eilte ich mich voran zu kommen um zuerſt oben zu ſein, und da ſchrie ich Dir entgegen ich ſähe das rothe Korallenmeer mit der Todespforte. Da hatte ich mich aber geirrt, denn Du bewieſeſt mir daß man es von da aus nicht ſehen könne da es an der Grenze353 von Afrika liege, und der Bogdo liege in der Mitte von Hochaſien. Wir waren doch ſo glücklich, wie ſchwärmte mein Kopf von brennenden Farben der Blü¬ thenwelt, wie waren wir entzückt vom Duft, der uns umwallte! das dauerte den ganzen Winter, und kein Menſch wußte daß wir in einer ſüdlichen Welt lebten, wir gingen grade in den Gärten von Damas¬ kus ſpazieren ganz entzückt von dem Blumenparadies und trunken von ihrem Duft, da kam der alte Herr von Hohenfeld und brachte Dir das erſte Veilchen was er auf ſeinen Spaziergang im Stadtgraben gefunden hatte. Ach da verließen wir Damaskus und ließen uns von Hohenfeld hinausführen wo er das Veilchen ge¬ funden hatte und ſuchten noch mehrere; und von da an war der Zauber aufgehoben, und wir lachten recht daß uns das Veilchen ſo ſchnell aus Aſien herüber ge¬ zaubert hatte nach Frankfurt auf die alten Feſtungs¬ wälle, denn wir gingen von nun an in den ſchönen Frühlingstagen jeden Mittag hinaus, und machten uns Kränze die ſtanden Dir ſo ſchön, ſo war die ge¬ ringſte Wirklichkeit ſchon wieder ein Paradies für uns. Sieben Spaziergänge haben wir ſo gemacht, Günde¬ rode, ich hab mir ſie gezählt, ſie kamen mir wie das köſtlichſte im Leben vor. Du ſaßeſt immer unter der354 großen Eiche und bedauerteſt Deinen arabiſchen Ren¬ ner, daß Du den nicht mit aus Aſien herüber gebracht hatteſt; während ich am Abhang nieder kletterte wo Du immer Furcht hatteſt daß ich hinunter falle; am Neu¬ jahrstag war ich wirklich da hinunter gekollert, ich war mit George da ſpazieren gegangen es war Glatteis, ich glitt aus und Er den Augenblick ohne ſich zu beſinnen mir nach, da faßte er mich und hielt ſich mit der an¬ dern Hand an einer Wurzel feſt. Er war ganz blaß und wankte denn er konnte ſchwer das Gleichgewicht halten. Oben ſagte er: jetzt wären wir Beide[zerſchmet¬ tert] hätte Gott mir nicht beigeſtanden denn ich hätte mich Dir nachgeſtürzt. Ich war bis dahin gar nicht erſchrocken geweſen, denn ich bin ſo faſelig und merk nie Gefahr. Aber das erſchütterte mich daß des Bru¬ ders Leben an dem meinen hing wie an einem Haar, und daß es Gott nicht reißen ließ. Wie Geſchwiſter doch aneinander hängen, wie Glieder eines Leibes, eins ſtürzt dem andern nach in den Abgrund; eins rettet das andere. Möge ichs doch nie vergeſſen das Vater und Mutter mir den Bruder geſchenkt haben.

Was wollt ich Dir doch ſagen! ja, daß damals mir zuerſt der Gedanke kam wie das Leben nur als Nothbehelf vernutzt werde. Ich dachte daß wir Ge¬355 danken haben ſo raſch, und daß die Zeit hinten nach¬ kommt und mag nichts erfüllen, und daß die Melan¬ cholie allein aus dieſer Quelle des Lebensdrang fließt, der ſich nirgend ergießen kann. Die Welt muß voll deſſen ſein was unſer Leben entwickelt, kämen die Tha¬ ten und überflügelten unſere Sehnſucht daß wir nicht immer ans Herz ſchlagen müßten über den trägen Le¬ bensgang Nicht wahr Du fühlſt es auch das wär die wahre Geſundheit, und wir würden dann ſchei¬ den lernen von dem was wir lieben und würden ler¬ nen die Welt bauen, und das würde die Tiefen der Seele beglücken. So müßte es ſein, denn es iſt viel Arbeit in der Welt, mir zum wenigſten deucht nichts am rechten Platz. Und was ich niemand ſage wie nur Dir, ich mein immer ich müſſe die ganze Welt um¬ wenden, ja ich ſage Dir, es liegt mir ſo nah daß ich oft in Träumen mich nach dem Scepter umſehe, wo Gott den für mich hingelegt hat, und würde gewiß die Verwirrung lichten. Nur ein einzig Ding am rechten Ende angefaßt zieht eine Menge andere nach ſich die von ſelbſt dann ins rechte Geſchick kommen würden. Die Menſchen lernen dann allmählig auch das Rechte denken, wenn ſie erſt eine Weile das Rechte haben thun müſſen. Denn ich ſage nur immer ſo: konnten356 ſie ſo feſt in der Unnatur ſich einwurzeln, wie viel fe¬ ſter und kräftiger dann im Boden der ihre höhere Na¬ tur erzieht. Sollt ich irren? Menſchengeiſt horcht auf Göttergebot in der eignen Stimme; horcht auf jene heilige Urphiloſophie die ohne Lehre als Offen¬ barung jedem ſich giebt der mit reinem Willen zur Wahrheit betet. Das haſt Du ſelber geſagt, es ſind Deine eignen Worte. Wie oft hab ich doch einſam um Wahrheit gefleht! und wie unermeßlich iſt doch Vol¬ lendung über die Sterne hinauf, Und die Zeit darf nicht mehr ſein da wo wir ſie gegenwärtig fühlen. O beſſere Tage wo ſeid ihr? O kommt uns entgegen, laßt nicht immer nur harren auf euch daß nicht auch wir nur wie Schattenbilder an euch vorübergehen. Laſ¬ ſet euch dienen ihr Tage die ihr den Geiſt der Liebe ſollt hinüberſchiffen; ſtill und heimlich euch landen helfen, und den Genius aufnehmen, lehren die Menſchen, daß ſie ihn nimmer verſchmähen der in allem allein nur darf gelten! ſo red ich das Morgenlicht an das mich weckt, und denke dabei Dei¬ ner und meiner. Was ſind Freundſchaftsbande? Was iſt Zuſammenleben, und Austauſch der Gedanken wenn der Dritte nicht niederſteigt, der Göttliche der herab ſich läßt um das Leben geneſen zu machen? 357 Ach ſo deutlich ſteht es geſchrieben in meiner Bruſt! gefaßt und b ſonnen muß der Geiſt ſein, das weiß ich und das Herz iſt oft ein ungeduldiger Kran¬ ker, aber der Geiſt wird auch alles für es aufbieten, und eine Höhe muß es geben wo grade durch den Geiſt es mit allem Leiden verſöhnt werde. Das denke, wenn es zu hart Dich bedroht, laſſe Dir nicht ſchwin¬ deln und denk daß Begeiſtrung immer das höchſte Er¬ denſchickſal iſt, und daß die aus dem Schmerz ſich er¬ zeuge wie aus der Freude. Und mags kommen wies will ſo ſollen zu Helden wir uns bilden, mit der Freude wie mit dem Schmerz unſre Freiheit erkaufen. O kommt mir das Feld der Schickſale doch vor wie der Blumengarten Gottes, wo jede Knospe in ihren ei¬ genthümlichen Farben ſich erſchließt, der weiſe Gärtner giebt Schatten den einen und Kühle und harten Boden, den andern Sonne und fruchtbare Erde, ſo wie jedes be¬ darf zum Blühen. Und das Blühen iſt ja die Erfül¬ lung aller Sehnſucht. Drum laſſe uns das Leben lieben, weil es uns, zu dieſer Blüthe bringt, und denken, die Wolke über uns, ſchütte ſich aus den Staub von uns abzuwaſchen und daß dann die Sonne aufs neue uns anglänzt.

Ich bin traurig, ich kann nicht von Dir los 358 Dein Lied ſchmerzt mich ja es weckt Melodieen aber ſo ſchmerzliche daß ich in ihrem Geſang den Widerhall Deines Weh's empfinde, und mich ſchäme daß ich ſo heiter war dieſe Zeit über, an jedem Weg mir Blumen ſammelte und Dir zuwarf in Scherz und Übermuth, und das war ſchlecht lieben gelernt von mir, wo ich doch herausgezogen war um dieſer Schule mich ganz zu widmen.

Was werd ich dem Clemens ſagen wenn er auf meine Bildung zu ſprechen kommt? Ich freu mich ſehr auf den Clemens das wird mich für Dein Fortlau¬ fen tröſten, ich mag gar nicht dran denken daß Du mit ſo viel Menſchen umgehen kannſt mit denen ich kein ungeſcheut Wort zu ſprechen vermag. Wie iſt mir doch Hören und Sehen[verkürzt] durch Dein Weggehen! Geſtern Abend noch blies mir die hundertjährige Couſine das Licht aus, ich ſolle nicht die ganze Nacht durch ſchreiben meinte ſie, oder ſie wolle es der Gro߬ mama ſagen daß ich meine Geſundheit verderbe, ich hatte einen Schachteldeckel vors Licht geſtellt daß ſies nicht ſehen ſollt durchs Schlüſſelloch, aber ſie bemerkte den Widerſchein; ich ſagte Sie alte Hundertjährige was will Sie mit mir auf der Welt. Sie kann doch unmöglich noch einmal hundert Jahr leben, dann gehen359 wir zuſammen, nein wenn Dus ſo machſt dann kannſt Du mir nit e mal Quartier beſtellen ich überleb Dich hun¬ dertmal. Ich mußt mirs gefallen laſſen, das Licht war aus, ich nahm ſie aber dafür auf den Arm und trug ſie mit ſammt ihrem Laternchen hinunter auf ihren Le¬ derſeſſel. Sie ſchrie erſt, ich werde ſie der Treppe herun¬ terwerfen, aber mitten in der Todesgefahr war ſie vor Angſt ganz ſtill, unten auf dem Seſſel wollte ſie anfan¬ gen zu zanken, ich nahm aber ihr Federbett und warfs ihr auf den Kopf und lief fort. Jetzt kommt ſie ge¬ wiß nicht wieder. Obſchon ich müde war hätt gern noch geſchrieben was ich jetzt nicht mehr weiß, heut ſchwärmt mirs nur vor Augen und Ohren daß Du nicht mehr auf Deinem alten Plätzchen meine Briefe bekom¬ men ſollſt. Die Großmama hatte geſtern einen Anfall von Schwindel, ich mag nicht nach Frankfurt verlangen, und auch mag ich nicht hin, was ſoll ich dort wenn Deine Haiden Deine Holzhauſen Deine Nees Dich in Beſchlag nehmen! Ich glaubte, ja wahrhaftig ich glaubte ich wär Dir lieber wie die andern und es wär Dir Ernſt mit unſrer religiöſen Weltumwälzung wies auch mir iſt, und ſo wars auch recht von Gott angeordnet daß wir beide nicht beiſammen und doch ſo nah waren daß jeden Tag unſere Briefe ſich erreichten360 ſo kam es doch zu Papier, ſonſt hätten wirs verſchwätzt. Was hilfts! übermorgen gehſt Du bis Würzburg, das liegt außer der Welt, und läßt mich hier auf dem Dach vom Taubenſchlag ſchmachten. Wenn Du gut ſein willſt ſo komm morgen früh um ſieben Uhr auf die Gerbermühl; hierher komme nicht, weil die Großmama unwohl iſt, da ich jetzt immer in ihrem Vorzimmer bin, aber bis morgen um zehn Uhr wo ich erſt zu ihr gehe, kann ich mit Dir ſein, um ſechs Uhr geh ich auf die Gerbermühl, der George läßt Dich hinfahren ich habs ihm geſchrieben. Hinter der Mühl in dem langen Heckengang auf dem Stein am Kreuz wollen wir uns ein bischen hinſetzen zuſammen. Du kannſt nach der Stadt zurückfahren, Du kannſt auch das Ca¬ briolet zurückſchicken und zu Waſſer heimfahren, das wär mir lieber damit Du nicht ängſtlich ſein ſollſt ums Cabriolet halten zu laſſen ſo lang mir beliebt. Ach am Sonntag hab ich auch eine Waſſerfahrt gemacht mit Jeannot und Dorwille auf Bernhards Nachen hin¬ ter dem Schiff mit der Harmonie, alles war in Scherz und Liebesreden begriffen wenn die Muſik pauſirte, ich aber hatte keinen Antheil dran, der Gärtner ſaß am Steuer dem wollt ich nicht leid thun, er hatte ſchönefeine

361feine Hemdärmel und mein Schnupftuch um den Hals geknüpft.

An die Günderode nach Würzburg.

Weil ich jetzt weiß, daß Du außer der Welt biſt ſo hab ich ein ganz ander Leben angefangen und mein Sinn hat ſich ganz geändert. Ich möcht auch fort in die Welt, ja ich möcht fort! Ich bin doch in mei¬ nem Leben noch auf keinen Berg geſtiegen, von wo aus man die ganze Welt überſieht, und in meiner Seel überſeh ich doch die Welt. Du zankſt daß ich alles beſſer wiſſen will, und ich weiß doch alles beſſer, und ich kann doch nichts davor daß mirs anders und beſſer einfällt. Ja mir kömmt vor als ſei mein Bewußt¬ ſein ein Geſang meiner Seele dem ich mit Vergnügen zuhör, denn wenn ich einmal etwas nicht weiß, ſo iſt es nur als hätt ichs vergeſſen gehabt, aber ich hatte es doch ſchon einmal gewußt. Nur bei kleinen Dingen ſteht mir manchmal der Verſtand ſtill, zum Beiſpiel ge¬ ſtern bei einer wilden Kaſtanie die ich aus ihrer grünen Hülfe losmachte, da lagen drei Kaſtanien in einander16362gefügt, noch unreif, blendend weiß, da mein ich immer, ich müßt mit Gewalt wiſſen lernen was alle dieſe Formen ſprechen, denn gewiß iſts, alles geſchaffene iſt durch den heiligen Geiſt erzeugt. Es iſt unmöglich daß eine Form ſei, ſie iſt denn durch Gottes Wort, Es Werde, hervorgegangen. Nun, was durch den ewi¬ gen Erzeugungswillen hervorgeht das muß doch eine Selbſtſprache haben, das muß ſich nemlich ausſprechen und ſich auch beantworten. Dein Leben muß doch eine Sprache führen, denn ſonſt iſt es ja nichts. Alſo wen Gott liebt mit dem führt er Geſpräche, alſo blos Liebes¬ geſpräche, ja was iſt auch Geſpräch als blos die Liebe, ſo iſt denn alle Form in der Natur ein Aus¬ druck der Liebe. Die Sprach der Lieb iſt alſo Sprach Gottes. Gott iſt der Liebende iſt denn Gott perſön¬ lich? hat er ein Antlitz? kann ich ihm die Hand reichen? wo find ich ihn, daß ich Liebesgeſpräch mit ihm führ. Meine Lieb zu Menſchen iſt Mitleid, ich muß um ſie trauren daß es ſo und nicht anders iſt. Liebe iſt glaub ich nur Göttergeſpräch. Weil ich weiß daß ich alles weiß, nur kann ichs nicht finden, ſo ſuch ich alles in mir, das iſt ein Geſpräch mit Gott. Das iſt alſo Liebesgeſpräch, wenn ich mich aufs Geſicht363 leg im Schatten und hör den Bach rauſchen neben mir, was der redet alles, und Antwort drauf geben muß! und ſtreck die Ärm aus im kühlen Gras überm Kopf, und frag in meine Seel hinein alles was ich wiſſen will. Da wird mir Antwort, ich kann ſie aber nicht gleich in Worte übertragen. Aber es giebt auch ein Geſpräch ohne Worte. Aber Liebe iſt doch wohl blos Gottheits¬ geſpräch? Ja was ſoll ſie anders ſein? Frage und ſüße Antwort; könnt ich aufhören danach mich ewig zu ſehnen? ich wär mir ſelber geſtorben. Und die Seele die mich am tiefſten verſteht mir am ſehn¬ ſüchtigſten Antwort giebt, mich wieder frägt um Antwort, die muß ich lieben. Wiſſen wollen, iſt ja ſchon Wiſ¬ ſen, es iſt Anſchauen; und wenn ich anſchaue ſo nehm ich ein Bild in mich auf, und das iſt Wiſſen. Wie kann ſich doch der Menſch nicht enthalten irgend was anders ſein zu wollen als ein Liebender? Wie komm ich doch darauf? das iſt von heut früh auf der Ger¬ bermühl unſer Geſpräch; ich ſag Dir wenn ich ge¬ ſchwiegen hab ſo iſt das weil mir die Worte nicht wohl¬ tönend genug vorkamen, ich ſeh mich im Geiſt um nach Klang, wenn ich etwas ſagen will da find ich keinen Ton der ſtimmt, und Du kannſt mirs glauben manches16*364laß ich ungeſagt, weil ichs nicht edel genug auszuſpre¬ chen vermag, durch Muſik hab ichs herausgefühlt daß aller Geiſt im Menſchen liegt, daß er aber nicht die Melodie dazu findet ihn auszuſprechen. Denn jeder Gedanke hat eine Verklärung, das iſt Muſik, die muß Sprache ſein, alle Sprache muß Muſik ſein, die erſt iſt der Geiſt, nicht der Inhalt, der wird nur Liebesge¬ ſpräch durch die Muſik der Sprache. Geiſt iſt grö¬ ßer wie der Menſch, immer will der an ihm hinaufra¬ gen, ſpricht er ihn aus, ſo hat er ſelber ſich in den Geiſt überſetzt, Geiſt iſt Muſik, ſo muß auch die Sprache durch die er uns in ſich aufnimmt Muſik ſein. Wie könnten wir ihn begreifen mit den Sinnen zugleich, in unwürdiger Geſtalt! Nein! Geiſt iſt verinnigt mit Schönheit, er iſt nur dann Geiſt wenn er Schön¬ heit iſt. Durch den Dichter ſpricht er ſich aus, denn der hats Gefühl daß Geiſt nur Schönheit iſt. Alle ſchöne Handlung, alles Große iſt ein Gedicht des Gei¬ ſtes. Ach ich ſtreck die Händ zum Himmel und möcht was anders als was die Menſchen thun. Denn ich fühl wohl mein Nichtsthun iſt Sünde. Aber was ſoll ich thun was mich weckt. Die Kunſt meint der Clemens! ſo iſts blos weil er mich innerlich nicht365 kennt, mit was ich alles zu thun hab. Denn das muß wohl meine größte Anlage ſein was mich am ſchnellſten aufregt und mich ganz mit ſich fortnimmt. Nun, obſchon ich keine Weltgeſchicht ſtudiren mag, und bei dem Zeitungleſen vor Ungeduld mich kaum zuſam¬ mennehmen kann, ſo iſts doch die Welt die ich regieren möcht und mich reißts hin darüber nachzudenken. Wenn Du an den Clemens ſchreibſt ſo ſag ihms, das ſcheine mir mein entſchiedenſtes Talent, die Welt regieren; weiß er Gelegenheit mich darin zu üben ſo will ich fleißig ſein Tag und Nacht. Schon jetzt nehmen mir die Re¬ gierungsgedanken den Schlaf, von allen Seiten wo ich die Welt anſeh möcht ich ſie umdrehen. Eine Zeitlang hat alles was ich im Leben erfahren hab wie eine hölzerne Maſchine auf mich gewirkt. So der ganze Religions¬ unterricht, der machte mich völlig dumm. Z. B. die Lehre, mit welchen Waffen die Ketzer zu bekämpfen, mit welchen Grundſätzen ſie bekämpfen? da kam mir Ketzer und Waffe und Glaube alles wie ein Unſinn vor, und hätt ich nicht meine Zuflucht dazu genommen gar nicht zu denken ſo wär ich ein Narr geworden. Wie denn wirklich alle Menſchen Narren ſind, mein großer Courage dies zu glauben und ohne viel Speranzien ſie366 auch danach zu reſpektiren das hat mich frei gemacht von der Narrheit. Und wie ſollt doch einer aus dem Schlamm des Philiſterthums herauskommen als von fri¬ ſchem ſich in die Hände Gottes geben, der hat nicht um¬ ſonſt den Menſchen aus Lehm gemacht, da er ihn nur anzuſpeien braucht daß er wieder feucht wird um ihn von Grund auf neu durchzukneten und ſeine erſte reine Geſtalt wiederzugeben. Woran erkennt man einen katholiſchen Chriſten? am Zeichen des heiligen Kreu¬ zes! dies ſchlug mir den erſten widerſpenſtigen Funken aus dem Geiſt. Denn was braucht doch der natürliche Menſch ein katholiſcher Chriſt zu ſein und ſich bekreu¬ zigen? iſt das der nächſte Weg Gott ähnlich zu werden? iſt Gott ein katholiſcher Chriſt? oder iſt er wie Du ein Ketzer? und warum machen wir doch das Kreuz, als blos um wie die Hunde dem Ketzer die Zähne zu fletſchen. Als wir aus dem Kloſter zurück¬ geholt wurden ins väterliche Haus, da ließ uns die Frau Priorin vor ſich kommen und ſchärfte uns ein, ja nicht den katholiſchen Glauben zu verlaſſen; wenn wir zuunſrer Großmutter kommen, die eine lutheriſche Dame ſei, ſondern wir ſollten alles dran wenden ſie zu be¬ kehren. Sie ſagte das mit ſo viel Herzenswärme, ich hätte367 ihr die Hand drauf geben wollen, aber ich wußte nicht was katholiſch ſei ich half mir; alles was nicht lu¬ theriſch iſt, das ſei katholiſch. Alles was man lernen muß hüllt den Verſtand in eine Nebelkappe daß die Wahrheit uns nicht einleuchte. Alles was wir zu thun bewogen ſind iſt Eſelei. Meinungen von geiſtreichen Männern zu hören was der Großmama ihre Paſſion iſt, das ſcheint mir leeres Stroh, liebe Großmama Du kannſt doch nicht läugnen liebes Kind daß ſie die Welt verſtehen und dazu berufen ſind ſie zu leiten? ſagte ſie geſtern. Nein liebe Großmama mir ſcheint vielmehr daß ich dazu berufen bin. Geh ſchlaf aus Du biſt e närriſch's Dingle.

Bei der Großmama wird jetzt Abends allerlei Politiſches unter den Emigranten verhandelt da wird die Umwälzung des großen Weltkürbiß von allen Seiten verſucht, er deucht ihnen angefault. Außer Choiſeil, Ducailas, D'Allaris die immer das Wort führen, kamen geſtern noch ein Herr von Marcelange und Varicourt, dieſer letztere beſonders ſchön von edler Haltung, ritterlich, ich könnt keinen Augenblick glauben daß ihm je etwas Unebenes in den Sinn komme; er wendete ſich immer zu mir als ob er um meinen Beifall368 werbe ai-je raison? ſeine Reden machten mir Eindruck, er war in Begleitung einer Herzogin von Bouillon (Heſ¬ ſen-Rothenburg) und einer Prinzeß Biron die Mittags auch die Großmama beſucht hatten, durch Frankfurt ge¬ kommen, ein Graf Catälan hat ihn zur Großmama ge¬ führt, die litt nicht, daß die Emigranten wie gewöhn¬ lich Politik ſprachen weil ſie meiſtens getheilter Geſin¬ nung ſind, ſpäter erzählte ſie daß ſein Bruder jener Va¬ ricourt ſei der als garde du roi am 6. October 1790 in Verſailles an der Thür der Königin ermordet wurde als er ihr zurief: Königinn! retten Sie ſich, es iſt der letzte Dienſt den ich Ihnen leiſte, die Großmama erzählte mir von ſeiner Mutter die ſie kurz nachher in der Schweiz auf einem verfallenen Landſitz bei Nyon getroffen hatte in einer düſtern großen Vorhalle die zugleich Küche war mit alten wollnen Tapeten ſo faltig be¬ hangen, ein altes Ruhebett auf dem der Hut ihres Sohns mit weißer Cocarde lag, ein paar Strohſtühl¬ chen ein ungeheuer großer Camin mit einem kleinen Feuer von einigen Rebenreiſer wo ein Keſſelchen mit Theewaſſer für die kranke alte Frau kochte, eine ſchla¬ fende Katze zu ihren Füßen, ein einziges ſchmales hohes Fenſter in dieſem zerfallenen Wohnſitz einer ausgeſtor¬369 benen Familie, da habe die Frau den Hut ihr gezeigt und geſagt es war eine Zeit wo das weiße Band ganz Frankreich zum Gehorſam für ſeinen König aufrief ꝛc. Ich hörte der Großmutter gern zu ſo lang ſie dies erzählte, dabei brachte ſie aber noch ſo manches andre vor was keinen Zuſammenhang damit hatte, ſo ſprach ſie von einer Heerde mehrerer hundert Kühe die man damals an einem Ort zuſammengetrieben, wo ſie wegen einer Seuche alle todtgeſchoſſen wurden; ſie jammer¬ ten und tobten bei den erſten Schüſſen, als aber der Bulle niedergeſchoſſen war, hat keine Kuh ſich mehr ge¬ wehrt, alle haben ruhig den Tod erwartet, vergleiche: Emigranten und ihren König dann hat die Gro߬ mama noch Unendliches von unſchätzbaren Leuten erzählt; von Seideſpinnerei, von 360 Coccons eine Unze Seide, von 2893 ein Pfund, ſo viel Simmer Sei¬ denwürmer ſpinnen an 5 Pfund Seide fraßen zu viel Maulbeerblätter, man gab ihnen Latuk, Spinat, und Blätter von Johannistrauben welches ſie mit Vergnü¬ gen fraßen recht gut Seide ſpannen nur daß ſie etwas grüngelb wurde, zuletzt erzählte ſie mir noch aus dem Leben der heil. Jutta welche Naturgeſchichte und See¬ lenlehre ſtudirt hatte und dies führte ſie auf den Mi¬16**370rabeau, als ich zu Bett ging war ich ganz verwirrt und konnt an nichts Liebes mehr denken, ich mußt gleich einſchlafen. Wies doch in der Großmama ihrem Kopf ausſehen mag? ſo viel an einander gehängt wozu kein Menſch die Löſung fände, ob ich wohl auch ſo bin! Das Haus wird jetzt nicht leer an merkwürdi¬ gen Leuten, alle franzöſiſche Journale werden geleſen und beſprochen, ich muß wider Willen Antheil nehmen an ihren Witzen über Hof und Hofſtaat, Koſtüm, Li¬ vreen, Uniformen, Schmuck und Spitzenbehänge des weiblichen Perſonals, alles wird durchgemuſtert, dann die allgemeine große Ablaßanonce von dreißig Tagen um die Franzoſen aus des Teufels Sclaverei zu befreien. Ich ſtehe unter den Disputirenden wie unter einer Traufe; Proteſtant, Philoſoph, Enciclopediſt, Illuminat, Demo¬ krat, Jacobiner, Terroriſt, homme de sang, alles regnet auf mich herab, worunter man immer daſſelbe verſteht. Von oben herab verkennen ſie alles ſagte der Vari¬ court, von unten iſt alles Bosheit und Lüge der hinan¬ klimmenden , und ſprach noch über die ungeheuren Schmeicheleien die Bonaparte einſchlucke: ce n'est pas du bon style que d'avaler de si gros mensonges, la véracité est le seul moyen de cultiver la nature hu¬371 maine; pour la grandeur il y fait faute, il n'a point le sens céleste pour l'avenir pour lequel seul s'immo¬ lera un grand coeur; il est le grand monstre de la médiocrité encombrant un monde qui s'ignore soi même. Die Emigranten hörten ihm feierlich zu, als ſpreche er von der Kanzel herab. Nous n'avons que trop bien[ pas] comprendre ce que c'est que l'esprit régé¬ nérateur, ce n'est que lâcheté que de nous soumettre à une tyranie, qui a recours aux moyens puérils dont se sert Buonaparte pour captiver une nation qui a sa¬ crifié son meilleur sang pour la liberté. C'est une ju¬ ste punition pour avoir attenté au sang inviolablement sacré des rois, que de n'avoir pas reconnu ce que le grand génie de Mirabeau nous avait prophétisé. La revolution faite, la première des lois était d'honorer la loi, mais point cet expédient des têtes bornées, qui pour maintenir leur pouvoir, ne font que faire trem¬ bler; il faut gagner les coeurs, et puis c'est si facile! le peuple est déja reconnaissant si ses supérieurs ne lui font pas tout le mal qui est en leur pouvoir; ce n'est que la bêtise qui punit, la véritable grandeur prévient les fautes; c'est abuser du pouvoir que d'a¬ gir autrement, il est maladroit de ne point se servir372 des hommes tels qu'ils sont, c'est la sagesse qui est souveraine, elle exploite le bien du mal, mais non pas en tranchant les têtes!! Les lois doivent être tracées par le génie de l'humanité, ce que Buonaparte ne sera jamais. Und ich möchte auch über allen Plunder von menſchlichen Zurüſtungen hin¬ ausſtieflen können, ihre Zankäpfel ihnen aus den Hän¬ den winden, und ihnen dafür Selbſtbeſchauung, Selbſt¬ erzeugung empfehlen. Ja! iſts nicht der einzige Zweck der menſchlichen Natur daß ſie lerne ſich ſelbſt erzeu¬ gen? Und iſt die Wahrheit nicht das Geheimniß aus der die Selbſterzeugung hervorgeht? Und wenn ein Herrſcher aus ſich hervorgehen könnte ins reine Licht der Wahrheit, würde er nicht die ganze Menſchheit re¬ generiren? Ich frag Dich! Beſinn Dich hab ich nicht recht, es ſchwebt mir ſo dunkel vor als ob aus dem Geiſt des Einen die Wiedergeburt Aller hervorge¬ hen müſſe. Ach ich würde gar nicht drum verlegen ſein dies keck anzugreifen denn verderben kann man nichts, alles was noch grünt und zu blühen ſcheint ſteckt doch im Sumpf der Dummheit und iſt es eine ſo große Sache klüger zu ſein. Wie ſoll einem da nicht der Verſtand aufgehen, wenn man rund um ſich her373 ſieht wie alles Narrheit iſt. Und liegt es nicht in der geſunden Menſchennatur die Idee einer göttlichen Menſchheit in ſich zu entwicklen? Und was iſt doch alles Denken als blos dieſe ideale Richtung? Und iſt doch ein Menſch geboren, deſſen Aufgabe es nicht wär ſein eignes Ideal zu erzeugen? Und wenn das iſt, wie ſoll mir da nicht jeder unſchuldige Menſch wich¬ tig ſein, ihm meine Gedanken mitzutheilen? Man braucht mich auch nicht zu beſchuldigen daß ich alles durch einander werfe, und von einem zum andern ſpring, es giebt etwas was andre gar nicht faſſen von dem ſpring ich eben nicht ab, mein Geiſt bildet ſich ſelbſt ſeine Übergänge. Sobald der reine Wille in uns liegt das Göttliche zu ſuchen, ſo iſt die Religion da von der ich meine daß ſie den Menſchen allein ent¬ wicklen könne, denn ohne ſein Zuthun iſt es der ihn er¬ füllende Gott der aus ihm redet, und dies eine iſt es allein was mir Religion deucht; und wie aus einem ed¬ len Samen alles ſich bildet, wie es organiſch muß, ſo bin ich gewiß daß aus einem Geiſt, der blos das gött¬ liche denkt um ſein ſelbſtwillen, auch alles folgerecht ſich entwickelt, und in der menſchlichen Handlung nichts mir ein Anſtoß ſein würde. Denn gegen Denken iſt374 das Handlen nichts, denn der Gedanke ſelbſt iſt Gott, hingegen Handlen iſt nur ſich nach Gott richten, wenn ich alſo Gott durch mein Denken ſuche, empfinde erlebe, wie ſollt ich da verlegen ſein ums Handlen, ums Re¬ gieren? Ei nein! das ging ganz von ſelbſt, ich würd mich auch keinen Augenblick beſinnen, denn wer den Geiſt der Wahrheit einathmet wie ſollte der ihn nicht auch aushauchen? Nebenabſichten muß der Menſchen¬ geiſt gar nicht haben, er muß eine heilige Richtung ha¬ ben. Der Menſch iſt ſich immer eine Hauptnebenab¬ ſicht, drum muß er ſich ganz verläugnen ſonſt erreicht er ſich ſelber nicht, das lautet zwar ganz verkehrt und iſt doch wahr. Das wahrhafte Ideal des Menſchen iſt die lautere Selbſtverläugnung, aus ihr auch allein kann alle Weisheit hervorgehen in allen Handlungen die das Schickſal erheiſcht; zu derſelben Selbſtverläugnung ſind wir berechtigt alle Menſchen aufzufordern, denn ſei das Reſultat eines ſolchen Thun was es wolle ſie hand¬ len in Gott und das iſt Religion, und da machs Kreuz, oder ſei Ketzer oder Heid oder Jud. Himmli¬ ſcher Sinn fürs Unſichtbare Unendliche aus dem allein die wahre Religion hervorgeht weil dies allein zur Gottheit führt. Das alles fällt mir ſo ein wenn ich375 meine Geſpräche mit dem Franzoſen in Gedanken wei¬ ter führe. Ich brauch nur auf eine Natur zu treffen die mir liebreitzend ſcheint ſo bin ich gleich voller Ge¬ danken die mich belehren, als ſeien ſie geweckt von je¬ nem; ſo jagt der Franzoſe in ſeinem adeligen Weſen jetzt eine Begeiſtrung nach der andern in mir auf, und ich glaub: keine Frage die ich nicht beantworten könnte ſobald ich mir innerlich denke er höre mir zu, keine Hand¬ lung die ich nicht kühn genug wäre zu vollbringen wenn er mir zuſähe, und was das auch ſein möge was mich ſo anreizt gewiß iſt es was großes was ganz göttliches daß der Menſch wo er das göttliche ahnt, das Schöne und Große gewahr wird, gleich harmoniſch mit einſtimmt und alle Feuer in ihm aufflammen. Ach ich denk mich ſchon in eine Schlacht auf einem Schim¬ mel neben ihm herreitend zwiſchen allem Donner der Geſchütze, Rauch und Pulverdampf, in der Verwirrung großer entſcheidender Momente, wie ſeinem ſicheren Blick vertrauend ich alles glücklich vollende, ich denk noch mehr, alles was glühender Ehrgeiz nur zu unter¬ nehmen wagt das fährt durch meine Seele, ich erleb's ich bin glücklich, freudig, jauchze im Gelingen, und alles Volk umringt mich mitjauchzend und harrt mei¬376 ner daß ich ihm Labung zutröpfle heiliger Freiheit. All dies erleb ich mit dem Franzoſen der ſich vor meinen Augen zum Heros entwickelt. Ich möchte doch wiſ¬ ſen wenn man alle Erlebniſſe ſich zuſammen rechnet ob da nicht dieſe eingebildeten auch gelten, ſie glühen und damasziren doch die Seele durch dieſen feinen Stahl der Begeiſtrung der mit ihr zuſammen geſchweißt, ge¬ beizt und geäzt wird, und mir edler deucht wie jede an¬ dre Politur, und beſſer zu benützen, zäher feſter, der Kraft des Willens nachgebend und ihr folgend. Kühne feſte Handlung, Thatkraft muß doch auch einen Samen haben in die Seele geborgen, iſt dies nicht Same? mich deucht etwas gedacht zu haben iſt Samen im Boden der Seele der ans Licht dringt und ſich erſchließt, heute oder morgen.

Da ging die Thür auf, Clemens kam herein, große Freud! ſie ſtärkt es blitzt innerlich. Iſt mein Verſtand mir verloren und ſuch ihn an der leeren weißen Wand und find ihn nicht, aber in dem ſchönen großen Aug vom Clemens find ich ihn. Du ſagſt Du kannſt ihm nicht in die Augen ſehen weil er einen verzehrenden Blick habe, ich nicht, ich ſchöpf Freud drinn[und] ich weiß nicht was, von lebendiger377 Nahrung unüberſetzbares. Vor allem möcht ich Herr werden über mein Denken; daß ich nämlich die Zeit ausfülle mit lebendigem (lebengebendem) Denken. Es giebt ein Denken was verlebt und eins was erlebt. Wie mich ſammlen daß ich meinen Geiſt immer auf das Erleben richte? Dies Eine nur! und das Auf¬ fahren gen Himmel iſt mir gewiß.

Das Schlafen kann mit dem Denken im Rapport geſetzt werden, das Schlafen was aus dem Denken ent¬ ſpringt, erzeugt wieder Denkkraft. ſo kann ſich der denkbefliſſne Geiſt erſchaffen. Überall mit Geiſt durchdringen ſo iſt das Schlechte geſprengt, denn es hat keinen Platz mehr, denn es iſt zu ſchwach und zu eng um Geiſt zu faſſen.

Ich wundre mich über meine Gedanken! Dinge über die ich nie etwas erfahren, die ich nie gelernt, oder vielleicht grade das Gegentheil davon, ſtehen hell und deutlich in meinem Geiſt. Kann ich denn wiſſen ob ich nicht vielleicht von einem Geiſt beſeſſen bin? und iſt Beſeſſenſein nicht vielleicht ein Aufgeben der Indivi¬ dualität, und ſind die Widerſpenſtigen die ſich dem Geiſt widerſetzen nicht vielleicht individuell ſtärker, als die vom Geiſt durchdrungnen? Ach liegt wohl die Stärke378 im Hingeben? Iſt nicht manches im Geiſt und in der Seele Wirkung anderer Welten? Die Liebe, die Leidenſchaft, iſt die nicht Anziehungskraft von der Sonne?

Wir ſaßen auf der Hoftreppe ich und der Clemens in der Dämmerung, und ſchwätzten allerlei. Es iſt alles recht lieblich was Du da vorbringſt , ſagte er aber werd nur nicht faſelig, manchmal ängſtigt michs was aus Dir werden ſoll, Du zerſplitterſt Deinen Geiſt, mit dem Du dir eine ſo herrliche Freiheit erringen könn¬ teſt. Ach kannſt Du Dich denn nicht auf Eins hin¬ wenden mit Deinen fünf Sinnen, und das ganz auf¬ faſſen? Wenn Du ſprichſt biſt Du geſcheut, und giebſt manchen Aufſchluß von dem die Philoſophen noch nichts wiſſen. Schreib doch was! haſt Du mir nicht Kindermärchen verſprochen? ſchreib doch alles auf was Du im Kloſter erlebt haſt, Du kannſt ſo ſchön davon erzählen. Was treibſt Du denn mit der Gün¬ derode? Lernſt Du mit ihr? Ich hab ſo große Sorge um Dich ich muß manchmal die Hände ringen, daß alle Anmuth Deines Geiſtes den vier Winden preis¬ gegeben iſt. Der liebſte Clemens! ich mußte ihn küſſen in der ſtillen Nachtdämmerung auf ſeine leuch¬ tende Stirn unter den ſchwarzen Locken für ſeine Liebe. 379Es ward windig da ſaßen wir beide in ſeinen Mantel ge¬ wickelt, und ſahen den Wolken zu wie ſie ſich eilten, da ſagte der Clemens ſo viel von Dir was Dich gewiß freut, Du ſeiſt ſo hell wie der Mond. Das flüchtige un¬ ſtete Weſen was Dich oft befalle ſei nur wie Wolken die über den Mond hinziehen und verdunklen aber Du ſelber ſeiſt reines poetiſches Licht und Du drängeſt tief ins Gehör, der Klang Deiner Gedichte ſei Geiſtes¬ muſik, und dies ſei jetzt nur der Eingang zum Gei¬ ſtesconzert indem ſich immer und nach allen Seiten Me¬ lodieen entfalten; und es ſei ſo edel ſich innerlich einem ſolchen Leben hingeben, und ſo könnte und ſollte ich auch mich ſammeln, daß ich meinen Geiſt nicht weg¬ werfe und ein Leben führe das würdig ſei. Was meinſt Du daß ich zu all dieſem geſagt hab? Nichts! mir wird bang einen Augenblick, daß ich ſo ſelbſt¬ verlaſſen bin, und daß ſich mein Geiſt nichts um mich bekümmern will, in die Weite hinausſchweift, wo eine Biene ſich unſcheinbare Blüthen ſucht, von denen nippt aber Honig will er nicht machen, er verzehrt alles ſelber. Da nun die Biene aus Inſtinkt Honig macht, mein Geiſt aber nicht, ſo wird der wohl nicht überwin¬ tern wo er dann keinen Vorrath braucht, er gehört, wohl ins Land wo ewiger Frühling iſt. Der Cle¬380 mens iſt eben wieder in die Stadt, der ganze Himmel iſt überzogen da regnets ſchon ſo gewaltig ob er wol ſchon in der Stadt iſt? er geht in ein paar Tagen zu Schiff nach Mainz und Coblenz und bleibt drei Wochen am Rhein, alſo wirſt Du ihn ſehen.

Bettine.

Ich hab ihm verſprechen müſſen, daß ich bei ſeiner Rückkehr was wollt geſchrieben haben, ich werde nie beſſer verſtehen lernen wie die Welt mit Brettern zuge¬ nagelt iſt, als wenn ich verſuche ein Buch zu ſchreiben, und wenn nun gar der Clemens von einer freien Zu¬ kunft ſpricht und daß ich ohne ein Buch zu ſchreiben nie meine Zukunft werde genießen! Ein Buch iſt dick und hat viel leere Seiten, die alle voll zu ſchreiben kann ich doch nicht aus der Luft greifen, mir deucht dies erſt recht eine Feſſel meiner Freiheit. Wenn ich mich an den kiehnernen Schreibtiſch ſetze und es fällt mir gar nichts Extraes ein, und ich ſchneide mit dem Federmeſſer eine dumme Fratze nach der andern in den Tiſch, die mich alle auslachen daß mir nichts einfällt, da werf ich mein Buch weg wo lauter Versanfänge drinn ſtehen und kein Reim drauf. Es iſt wirklich eine381 Unmöglichkeit. Ich möcht dem Clemens alles zu Lieb thun was er will, aber ich hab einmal keine Gedanken; andre Leute waren ſchon vor mir da, ich bin zuletzt ge¬ kommen, alſo was ich auch vorbringen könnt, ſo habens andre ſchon früher erlebt; ich ging einmal mit dem Cle¬ mens dies Frühjahr ſpazieren, da waren allerlei neu auf¬ geblühte Kräuter, die ich nicht kannte, die wollt ich bre¬ chen; er ſagte: wenn Du bei jedem Mauſeöhrchen oder Vergißmeinnicht hocken bleibſt, ſo werden wir nicht weit kommen, daran denke ich jetzt immer wenn ich was neues in mir ſelber erfahr, daß andre dies alles wohl ſchon wiſſen und nichts Neues mehr für ſie mehr ſein mag, wie jene Violen und Gänſeblümchen am Weg die ich mir ſammlen wollte. So ſchreib ichs denn nicht auf, und auch weil die Gedanken ſich an mich hängen wie Schmetterlinge an die Blumen, wer ſoll ſie haſchen? ſie merkens gleich und fliegen davon, und faſſe ich einen ſo hab ich bald ſeine ſchöne Farbe abgewiſcht mit dem Schreibefinger, oder ſeine Flügel erlahmen. Und ſo ein Gedanke in der Luft flattert ſo luſtig, aber auf dem Papier kann er ſich nicht wiegen wie auf der Blume; und kann ſich nicht auf die Roſen ſetzen von einer zur andern, er ſitzt da wie angeſpießt. Ich ſehs ja an de¬382 nen paar die ich ſo erwiſcht und aufgeſchrieben hab. Da war ich grad am End vom Garten, ich lief eilig hinein weil ich ihn geſchwind ins Buch ſchreiben wollt eh ich ihn vergeſſe, und jetzt, ſo oft ich das Buch auf¬ mache lacht mich der Gedanke aus und ſagt: Du biſt recht dumm. Jetzt will ich Dir nur gleich das Blatt herausreißen, und da les die Gedanken die ich wie Haa¬ ſen auf einer dürftigen Jagd hab zuſammenſchießen müſ¬ ſen, und bin mit jedem einzelnen aus meinem Gedanken¬ wäldchen nach Haus gelaufen um ihn aufzuſchreiben, und immer die drei Treppen hinauf. Weißt Du was? die drei Treppen waren mir nicht zu hoch, aber ich hab mich geſchämt vor den drei Treppen, wahrhaftig ich hab die Augen zugedrückt, weil ich dacht ſie merkens daß ich ſo eine kümmerliche Natur hab, und bring da die armen nackten Gedanken-Pfeilmuther an; ſo hei¬ ßen im Tyrol die Schmetterlinge, ich habs vorm Jahr auf der Meſſe gelernt bei dem Tyroler, der im Braun¬ fels Handſchuh verkauft, der mit dem ſchönen ſchwarzen Bart, Du weißt, Du ſagteſt der habe ein Antlitz und kein Geſicht, ich fragte: was iſt das ein Antlitz? Du belehrteſt mich, das ſei noch aus der Form Gottes, nach ſeinem Ebenbild geſchaffen, aber Geſichter, die ſeien nur383 ſo nachgepetert, wo die Natur nicht hat wollen mit da¬ bei ſein, und die Philiſter allein ſich erzeugen laſſen; und da hab ich Dich gefragt: hab ich ein Antlitz? da haſt Du gelacht und geſagt: es[ſteckt] noch zu tief in der Knospe ich kanns nicht erkennen. Noch an je¬ nem Abend hab ich mich vor den Spiegel geſtellt und gebetet Gott ſoll mich doch aus der Knospe herauslaſſen mit einem Antlitz, und nicht mit einem Geſicht; denn wenn ich kein Antlitz hab wie kann ich da einem Antlitz gefallen. Noch an jenem Abend fragte ich die Frau Hoch, weil Wartfrauen von Schönheitsmitteln manches wiſſen, ſie meinte wenn man keine Sünde thue, ſo könne man nicht unſchön werden und wenn es darauf ankomme ſo werde ich gewiß mich vor allen Sünden hüten; wie aber die Frau Hoch draus war um den Kindchen die Suppe zu kochen, da kletterte ich vors Fenſter auf das Blumenbrett und hockte mich ganz klein zuſammen, wie ſie wieder hereinkam wars ganz ſtill, es war dunkel und noch kein Licht angezündet, da meinte die Hoch ſie wär allein und wollte ihr Abendgebet herſagen weil das Kindchen noch ſchlief. Jetzt geh ich ins ewige Leben, ſprach er mit freudiger Seele neigte das Haupt und er¬ bleichte. Das hörte ich auf dem Blumenbrett vom Ge¬384 bet der Frau Hoch. Ich dachte, ob es wohl unrecht ſein möge ſie zu belauſchen und da fiel mir meine Ant¬ litzknospe ein, ob die vom Meelthau der Sünde hier¬ durch könne angegriffen werden, denn ſo geſcheut war ich wohl daß dies keine Kapitalſünde ſei, aber weil ich abſolut wollt wunderſchön ſein, und ohne den geringſten Tadel, ſo hielt ich mir die Ohren mit beiden Händen zu um nichts zu hören, da ließ ich die Stange los vom Brett und wär ſchier in den Hof gefallen. Ich konnt mir die Ohren nicht[verſperren] wenn ich nicht fallen wollt, und da hört ich ſie noch ſingen:

Wenn der güldne Morgen blinkt;
Der zu dieſer Hochzeit winkt,
Wo die reinen Seraphinen
Bei der hohen Tafel dienen.

Da ſang ich die zweite Stimme, die Hoch ſieht ſich in allen Ecken um, holt Licht, ſucht oben auf dem Ofen, auf dem Vorhanggeſtell, und überall und kann mich nicht finden. Ich pflückte eine Nelke vom Stock und ſtellte mich in den Fenſterrahm, den ſtieß ich auf und reicht ihr die Nelke. Da ſtand ſie mit ihrem kleinen Wachsſtock und beleuchtet mich und meint ich wär eine Erſcheinung. Ich bin ihr aber um den Hals gefallen,denn385denn ich hab die Frau ſehr lieb. Ich fragte obs eine Sünde ſei daß ich ihr zugehört hab, ſie ſagte: das iſt grad keine Sünde, aber Sie hätten können in den Hof fallen, und da wollen wir lieber ein Danklied ſingen daß Sie nicht gefallen ſind. Hier haſt Du das Lied, zu dem ich eine Melodie gemacht hab.

Der du das Land mit Dunkel pflegſt zu decken,
Ach reine mich von jedem leiſen Flecken.
Reich mir der Schönheit Kleid
Daß ich an jedem Morgen meiner Blüthe
Erkennen mag wie Deine Gnad ſie hüte.
Obſchon die Sonne entzogen ihre Wangen,
Obſchon ihr Gold der Erde iſt entgangen
Das kränket mich nicht ſehr.
Erleucht 'in mir nur deines Geiſtes Licht,
Dadurch der Schönheit Geiſt wird aufgerecht.
Kann ich des Nachts gleich nicht zum Schlafen kommen,
So mag dies meiner Schönheit dennoch frommen,
Das endet wenn man ſtirbt.
Gieb nur o Gott daß ich ſo Nacht wie Tag
Der Schönheit Ruhe mir erhalten mag.
Wenn du mich willſt, o Schöpfer, einſt genießen,
Muß über mich der Born der Schönheit fließen,
Wie wollt ich fröhlich ſein!
Sonſt acht ich nichts was Muth und Blut beliebt,
Noch was die Welt, noch was der Himmel giebt.
17386

Die Hoch ſagte: Sie haben das Lied ſchön verketzert, kein Menſch wirds für ein Andachtslied erkennen Ich hab es doch mit wahrer Andacht geſungen, iſt es eine Sünde, ſo wollen wir lieber ein Bußlied ſingen damit mir nicht gar noch ein Bart davon wächſt. Die Hoch ſagte: Ach gehn Sie doch, das wär Ihnen grad recht wenn Ihnen ein Bart wüchſe.

Am andern Morgen ging die Tonie zum Tyroler und ich ging mit um mir ſein Antlitz einzuprägen, ich dachte wenn man ſich ſo was tief in die Seel ſchreibt, ſo blühts am End mit einem auf, und weil die Tonie Handſchuh ausſuchte ſetzte ſich ein Schmetterling der vom Main herübergeflogen kam auf den Strauß an ſeinem Hut. Ach guck den Schmetterling, den haben die Blu¬ men an Deinem Hut herbeigelockt! Der Tyroler fragte: Was iſt das für ein Ding ein Schmetterling? und ſieht ihn fliegen und ruft: Ei was, das iſt ja ein Pfeilmuther und kein Schmetterling. Du biſt ein Schmetterling, und kriegt mich um den Hals und küßt mich auf den Mund. Die Tonie macht ein bös Geſicht und kauft gleich keine Handſchuh mehr bei ihm und geht fort, na ruft er ihr nach, nem Sies nit übel das Madel nimts ja auch nit übel auf, und die Tonie mußt387 lachen und die Handſchuh kaufen. Die Geſchicht wollt ich als immer aufſchreiben weil ſie mir gefällt, aber zu einem Buch paßt ſie nicht, denn ſie iſt ja gleich aus, und was ſoll dann weiter paſſiren? Der Clemens meint ich ſoll alles ſchreiben was mir durch den Kopf geht, er denkt es wär Markt da; er ſchreibt ich ſoll aus dem Kloſter alles aufſchreiben, aber nun les nur erſt die dummen Gedanken die in meinem Buch ſtehen ob man da was vernünftiges dran ſchreiben kann, und habs noch dazu auf den[Deckel] inwendig geſchrieben weil ich meint, ich wollts recht voll ſchreiben, ja hat ſich was, ich bin ſchon über vier Wochen noch immer am Deckel. Du ſteht erſtens oben an:

Ob Tugend nicht auch Genialität ſein möchte,
Und ob wir vielleicht nur deswegen ſo müh¬
ſelig hinanklettern zum Erhabenen, weil wir
kein Genie haben.

Das war auf der Pappel an der ich ſo bequem hinauf¬ klettern kann, ich ſah die Vögel geflogen kommen und dacht in mir du haſt kein Genie du mußt mühſelig zu allem hinanklettern und dann kannſt du dich nicht oben erhalten mußt immer wieder hinunter. Und da fühlt17*388ich recht in mir wie alles in mir ſchwankt nichts errei¬ chen kann, wie ein Feuer in mir brauſt, jede Kunſt liegt in mir ſo nah ich mein ich hätte ſie ſchon in mir, die Wangen glühn mir gleich ſo hoch, ſie brennen mir wenn ich nur in die Ferne denk, da liegen mir goldne Berge. Ich ſteh da als hätt ich nur den Zauberſtab in der Hand, alles inwendig im Geiſt, aber wenns heraus ſoll, da bleib ich beim Buchdeckel und muß mühſelig Sandkörnchen für Sandkörnchen zuſammentragen. Wie ich von der Pappel herunter der Trepp herauf war und hatt meinen erſten papiernen Gedanken aufgeſchrieben, der mich noch immer anlachte ſo wollt ich doch noch ein bischen im Abendſchein mich wiegen, denn beim Wie¬ gen kommen mir Gedanken. Kaum war ich der halben Pappel hinaufgeklettert ſo fiel mir ſchon wieder was ein, ich klettert alſo gleich wieder herunter und wieder die Trepp hinauf und ſchrieb auf:

Der ganze Menſch muß in ſich einverſtanden
ſein nämlich Herz und Kopf und Hand und
Mund.

Da ſtand ich noch ſo eine Weile vor dem Gedanken ſtill und dacht vor dem hätt ich immer auf der Pappel können ſitzen bleiben und es that mir ſchon leid daß ich das Buch mit bekleckſt hatte, aber weil der Clemens389 geſagt hatte ich ſoll alles ſchreiben was mir durch den Kopf geht, ſo wollt ichs durchſetzen. Jetzt gefällt mir aber doch etwas in dem Gedanken, ich kann ihn ja zu was Großem machen wenn ich einen großen Sinn hineinlege, und wenn ich alles was ich ſo ſchreib ohne zu wiſſen warum mit Gewalt wahr mache. Ja ich fühl es hängt mit dem erſten Gedanken zuſammen, es iſt die Genialität der Tugend wenn der ganze Menſch in ſich einverſtanden iſt, und es iſt gewiß was die mei¬ ſten nicht thun. Ach nun kommt mir gar die Moral in Weg, laß mich nur lieber die Gedanken weiter ab¬ ſchreiben, dann kleb ich den Deckel zu vom Buch daß ich ſie nicht mehr ſeh. Dann fallen mir vielleicht beſ¬ ſere Sachen ein die nicht ſo ſteifſtellig ſind. Ich bin alſo wieder auf meine Pappel geklettert, denn es iſt mir grad als kämen mir nur da oben Gedanken, aber kaum war ich droben ſo mußt ich auch ſchon wieder herunter, und der kam mir ganz begeiſternd vor ſo daß ich mit großen Freuden meine drei Treppen heraufgeſprungen kam.

Den Geiſt nähren, das iſt Religion. Ja wenn ich das könnt, dacht ich wie ich wieder auf meiner Pappel ſaß und jetzt[nicht] mehr herunter wollt, denn es war ſo ſchön geworden der ganze Himmel, Abendroth, und der Luftkryſtalle unendlich viele die390 ſchnell im Purpur anſchoſſen, was hab ich alles geſehn von Farben und von wogenden Wipfeln, die ſich ein¬ ſchmelzenden Farben und Lichtglanz in der Ferne und wie war die Natur ſo gütig gegen mich grad als ob ich ſie nicht verläugnet hätt gehabt mit meinem Aber¬ witz auf dem Papier. Alles Selbſtdenken kommt mir wie Sünde vor wenn ich in der Natur bin; könnt man ihr nicht lieber zuhören? ja Du meinſt, davon denkt man ja daß man ihr zuhört, nein das iſt doch noch ein Unterſchied. Wenn ich der Natur lauſche, Zuhören will ichs nicht nennen, denn es iſt mehr als man mit dem Ohr faſſen kann, aber lauſchen das thut die Seele. Siehſt Du da fühl ich alles was in ihr vorgeht, ich fühl den Saft der in die Bäume hinaufſteigt bis zum Wipfel in meinem Blut aufſteigen, ich ſteh ſo da und lauſch und dann da empfind ich ich denk aber nicht grad, oder doch nicht daß ichs wüßt, aber wart nur einmal wies weiter geht. Alles was ich anſeh ja das empfind ich plötzlich ganz grad als wär ich die Natur ſelber, oder vielmehr alles was ſie erzeugt, Grashalme wie ſie jung aus der Erd heraustreiben, dies fühl ich bis zur Wurzel und alle Blumen und alle Knospen alles fühl ich verſchieden. Seh ich den gro¬ ßen Roſenſtrauch an da auf dem Inſelberg, er hatte391 beinah ſchon abgeblüht, jetzt iſt ein Nachſchuß da, das betracht ich alles, das dringt mir alles mit etwas ins Herz, ſoll ichs Sprach nennen? mit was berührt man denn die Seel, iſt die Sprach nicht die Lieb die die Seel berührt, wie der Kuß den Menſchen berührt? Vielleicht doch, nun ſo iſt das was ich in der Natur er¬ fahr gewiß Sprache denn ſie küßt meinen Geiſt, jetzt weiß ich auch was küſſen iſt, denn ſonſt wärs nichts wenns das nicht wär, jetzt geb acht:

Küſſen iſt die Form und den Geiſt der Form
in uns aufnehmen die wir berühren, das iſt
der Kuß, ja die Form wird in uns geboren.

und darum iſt die Sprache auch küſſen, es küßt uns jedes Wort im Gedicht, alles aber was nicht gedichtet iſt das iſt nicht geſprochen das iſt nur gegautzt wie die Hunde. Ja was willſt Du denn anders mit der Sprache als die Seele berühren, und was will der Kuß anders, er will die Form in ſich ſaugen und die Seele berühren, alles das iſt eins, ich habs von der Natur gelernt, ſie küßt mich beſtändig ich mag gehn und ſtehn wo ich will, ſie küßt mich und ich bin auch ſchon ſo ganz dran ge¬ wöhnt daß ich ihr gleich mit den Augen entgegen komme denn die Augen ſind der Mund den die Natur küßt, ſiehſt Du, ſo fühl ich auch daß mich eine Knospe an¬392 ders küßt als eine Blume, denn warum ſie ſind verſchie¬ den in der Form, dies Küſſen iſt aber ſprechen, ich könnt ſagen: Natur dein Kuß ſpricht in meine Seele hinein, ja das iſt auch ein Gedanke den ich ins Buch ge¬ ſchrieben hab, aber den wollt ich ſtehen laſſen, an ihn kann ich noch weiteres anknüpfen. Ach wenn ich mich ſo umſeh, wie ſich alle Zweige gegen mich ſtrecken und reden mit mir das heißt küſſen meine Seele, und alles ſpricht, alles was ich anſeh hängt ſich mit ſeinen Lip¬ pen an meine Seelenlippen, und dann die Farbe, die Geſtalt, der Duft alles will ſich geltend machen in der Sprache, nun ja die Farbe iſt der Ton die Geſtalt iſt das Wort und der Duft iſt der Geiſt, ſo kann ich wohl ſagen die ganze Natur ſpricht in mich hinein das heißt ſie küßt meine Seele, davon muß die Seele wachſen, es iſt ihr Element, denn alles hat ſein Element in der Natur was Leben hat. Der Seele ihr Element iſt alſo das Schauen, das iſt das Lauſchen, ſie ſaugt alle Form das iſt Sprache der Natur. Aber die Natur hat nun auch ſelbſt eine Seele, und dieſe Seele will auch geküßt ſein und genährt, grad wie meine Seele von ihrer Sprache genährt wird, wenn ich ſo durchdrungen war von ihr, (denn es giebt Augenblicke wo die Seele wie ein Feuer iſt von Leben, wo ſie ganz und gar nur das393 iſt was ſie in ſich aufgenommen, nämlich Selbſtſprache der Natur, da erkennt ſie die Natur wieder als nah¬ rungbedürftig,) ſo hab ich vor ihr geſtanden und hab mich wieder in ſie hineingeſprochen, ich hab ſie geküßt mit meinen Seelenlippen. Sieh das war Geiſt, der war nicht gedacht der war urſprünglicher Lebensgeiſt ohne Erdform, Gedanken iſt die Erdform des Geiſtes aber mein Geiſt hat dieſe Form nicht angenommen als er mit ihr ſprach, es war nicht Gedanke, es war nicht Ge¬ fühl oder Empfindung, denn das deucht mir auch noch verſchieden, es war Wille ja Wille wars, der ſah ſo raſch und feſt die Natur an als wolle er ihr nun wie¬ der ſchenken alles was ſie ihm gab, nämlich Leben. Das iſts, alles iſt ein Wechſelwirken, alles was lebt, giebt Leben und muß Leben empfangen. Und glaub nur nicht daß alle Menſchen leben, die ſind zwar leben¬ dig aber ſie leben nicht, das fühl ich an mir, ich leb nur wenn mein Geiſt mit der Natur in dieſer Wechſel¬ wirkung ſteht. Da weiß ich auch daß Thränen noch gar keine Folgen von Schmerz zu ſein brauchen oder von Luſt ſie können auch eine natürliche Folge ſein, wie auch Schlaf die Folge iſt vom aufgeregten Geiſt. Denn ich muß oft plötzlich weinen ohne vorher gerührt zu ſein, das iſt alſo gewiß wenn die Natur mich ſo er¬17**394faßt heimlich meine Seele erſchüttert daß ſie weinen muß. Und oft leg ich mich auch am Boden auf die ſammet¬ ſchwarze aufgepflügte Erde die ſo warm von untenauf dampft, und das wärmt mich weil ich dann frier ja der Geiſt friert in mir, da leg ich mich am Boden hin, da wird gleich der ganze Geiſt wieder warm, da fühl ichs wies durch den Kopf zieht und durch die Bruſt und da muß ich gleich die Hände betend zuſammenhalten. Siehſt Du, das iſt alles nicht gedacht und iſt doch Geiſt. Geiſt der mit der Natur in Wechſelwirkung iſt ich bin ordentlich froh daß ich heut das Wort gefun¬ den hab, ich hätt ſchon früher mit Dir davon geſpro¬ chen aber ich fand die Worte nicht aber ich könnt Dir noch ganz andere Sachen ſagen ach nein ich fürcht mich gar nicht vor Dir daß Du mich ſchelten ſollteſt, Du wirſt wohl auch mit mir einverſtanden ſein daß ſo weit der Geiſt ſeinen Flug erheben mag ſo weit darf er auch, warum hat ihm Gott Flügel gege¬ ben, Geiſt iſt ja eigentlich Fliegen. So muß ich lachen über die Lotte wenn die von Conſequenz ſpricht, das iſt kein Geiſt Inconſequenz iſt Geiſt im Flug hin und her ſchweben, alles was er berührt gleich mit ihm zuſammenfließen, das iſt Geiſt daß er gleich ſich verwandle in das was er berührt, ſo verwan¬395 delt der wahre Geiſt ſich in die Natur, weil die ihm begegnet all überall, weil ihr Berühren mit ihm allein Geiſt iſt, er wär nicht, wär die Natur nicht leidenſchaft¬ lich ſeiner bedürftig, das eben ruft ihn jeden Augenblick ins Leben, Geiſt iſt fortwährendes Lebendigwerden um die Natur zu küſſen, ſeine Formen in ſie prägen; die Natur ſaugt die Geiſtesformen in ſich, davon lebt ſie, und Geiſt fließt durch alle Geſtalten mit ihr zuſammen, ſo faßt die Natur ſich ſelber in ihren Formen, das iſt eben der ganz göttliche Reiz in ihr, Reiz iſt Zauber, wo kann Zauber her entſtehen als durch das Sichſelbſt¬ erfaſſen? ja das iſt ſchon wieder was neues das wollen wir morgen beſprechen. Heute Abend thut mir der Nacken weh vom ſchreiben, das wollt ich nur noch ſagen: mein Geiſt, oder durch mich ſpricht der Geiſt mit ihr, und dabei bin ich ganz unregſam, ich beſinn mich nicht, ich denk nichts, ich hab keine Betrachtung, aber nachher kann ich davon erzählen wie Du ſiehſt, heut zum erſtenmal, alſo erzeugt das Ineinanderfließen des Geiſtes mit der Natur doch Gedanken, die man nachher hat. Was ſind das aber vor Gedanken, ei¬ ner könnt ſagen es ſind Lügen, oder Dummheiten Fabe¬ leien und alſo keine Gedanken, denn was kann ichs be¬ weiſen oder zu was frommen und führen dieſe Gedan¬396 ken. Ja das iſt es eben, Geiſtesgedanken berühren nichts was ſchon da iſt, ſie erzeugen neu, da ſiehſt Du wieder daß ich recht hab; weil der Geiſt und die Natur ſich einander berühren ſo ſind ſie fortwährend lebendig und erzeugen fortwährend neu, denn wir ſol¬ len übergehen in ein neu Leben nach dieſem Leben, wie ſollen wirs aber anfangen wenn der Geiſt ſich nicht ſelber hinüber erzeugt in die andre Welt? er muß ſich alſo ſelbſt wie ein klein Kind im Mutterleib tragen, er muß mit ſich geſegnet (guter Hoffnung) ſein und muß ſich nähren bis er ſelbſt als Frucht in ſich reif wird, dann bringt er ſich zur Welt, wo wie und wann, das iſt alles einerlei; eine reife Frucht kommt allemal zur Welt, die Welt iſt da vor der Frucht, ſie kann nicht aus jener Welt in das ihr Leben überſtrebt, herausfallen, ſie kann nur in ſie geboren werden. Der Geiſt alſo der fortwährend mit der Natur ſich küßt, das heißt der ihre Sprache trinkt der nährt ſich ſelbſt in ihr um ſich zu gebähren, die Natur thut das auch, ſie reift ſich für die künftige Frucht des Geiſtes, in ihrem Berühren mit ihm, und ſo wird die neugeborne Frucht des Geiſtes in die Welt einer höher gereiften Natur übergehen, denn Gott läßt nie von der Natur, überall iſt ſie es die der neugebornen Seele wieder begegnet, wieder ihre Formen ihr zu küſ¬397 ſen giebt, das heißt ihre Sprache die ihr in die Seele ſpricht, wovon die Seele ſich nährt, ſo iſt es gewiß mit allen lebenden Kreaturen die ſo weit ſind daß der Geiſt ſchon gelöſt iſt und ſelbſt denken kann. Alle Men¬ ſchen erleiden dieſelbe Berührung von der Natur, ſie wiſſens nur nicht, ich bin grade wie ſie,[nur] der Unter¬ ſchied iſt, daß ich bewußt bin, denn ich hab das Herz gehabt dringend, und mit leidenſchaftlicher Liebe zu fragen, andre Menſchen leſens wohl als poetiſche Fabel daß die Natur um Erlöſung bitte, andre Menſchen empfinden wohl eine Unheimlichkeit wenn ſie ſo in der lautloſen ſtillen Natur daſtehen, es bedrängt ihr Herz, ſie wiſſen weder den Geiſt zu wecken in ſich, noch zu bezwingen, da gehen ſie ihr fühllos aus dem Weg, ihr Inneres ſagt ihnen wohl, hier geht was vor, du ſollteſt dich dem hingeben, dann überkommt ſie eine Angſt, und ſie ziehen ſich wieder ins Gewohnheitsleben, wo eine Mahlzeit die andere verabſchiedet, bis der Schlaf oben drauf ſich einſtellt und dann iſt der Tag und die Nacht herum; und dafür hätte man gelebt? Nein das iſt nimmermehr wahr! der Gedanke hat mich ſchon lang verfolgt warum lebſt du doch beſonders eben wenn ich ſo manchmal bei Sonnenun¬ tergang ſpazieren ging im Wald auf der Hombur¬398 ger Chauſſee, da ſtand iſt als ſtill und fragte mich das, da hörte ich dieſe traurige Stille der Natur, da lag eine Scheidewand zwiſchen mir und ihr, das fühlt ich deutlich daß ich nicht bis zu ihr drang; da dacht ich wenns nicht eine lebendige nähere Beziehung gäb zu ihr ſo würdeſt du das nicht ſo deutlich empfinden, du fühlſt ja ordentlich in deiner Seele wie ſie traurig iſt, alſo geht ſie doch lebendig an dich heran und du fühlſt daß ſie einen Geiſt hat der ihr allein angehört, und der ſich mittheilen will, da faßt ich mir einmal ein Herz und wollte ſprechen, da wußt ich nicht ſollt ich laut mit ihr ſprechen wie mit den Menſchen, denn ans Küſſen ihrer Form und ſo mit ihr ſprechen das war mir nicht deutlich, obſchon gewiß ich es unbewußt im Kloſter gethan, denn vom Kloſter da kann ich Dir gar wunderliche Dinge ſagen. Ich dachte an einem Sonn¬ tag Morgen als wir den Weg von Bürgel aus der Kirche zurückkamen, heut wollt ich am Nachmittag mir einen recht einſamen Platz ſuchen, und wollt da mit ihr ſprechen ganz laut wie man mit den Menſchen ſpricht, und es war mir ganz ſchauerlich als ich aus ei¬ nem großen Garten, wo wir zuſammen mit andern wa¬ ren, heraus ſchlich und längs der Chauſſee am Wald ging, dann den Bach verfolgte der mir entgegen ge¬399 rauſcht kam und ſo kam ich an eine Stelle wo Fels¬ ſteine liegen, und der Bach theilt ſich und muß Umwege machen und ſchäumt und brauſt, da blieb ich eine Weil ſtehen, das Brauſen war mir grad ſo ein Seufzen, das lautete mir als wärs von einem Kind, da redete ich auch zu ihr wie zu einem Kind. Du! Liebchen