Goethe's Zimmer im älterlichen Hauſe in Frankfurt am Main. C. Funke gest.
Dem Fürſten Pückler.
Es iſt kein Geſchenk des Zufalls oder der Laune, was Ihnen hier dargebracht wird. Aus wohlüberlegten Gründen und mit freudigem Herzen biete ich Ihnen an, das Beſte was ich zu geben vermag. Als Zeichen meines Dankes für das Vertrauen was Sie mir ſchenken.
Die Menge iſt nicht dazu geeignet, die Wahrheit ſondern nur den Schein zu prü - fen; den geheimen Wegen einer tiefen Na - tur nachzuſpüren, das Räthſelhafte in ihr*aufzulöſen iſt ihr verſagt, ſie ſpricht nur ihre Täuſchungen aus, erzeugt hartnäckige Vorurtheile gegen beſſere Überzeugung, und beraubt den Geiſt der Freiheit das vom Gewöhnlichen Abweichende in ſeiner Eigen - thümlichkeit anzuerkennen. In ſolchen Ver - wirrungen waren auch meine Anſichten von Ihnen verſtrickt, während Sie aus eigner Bewegung, jedes verkleinernde Urtheil über mich abweiſend mir freundlich zutrauten: „ Sie würden Herz und Geiſt durch mich bereichern können, “wie ſehr hat mich dies beſchämt! — Die Einfachheit Ihrer An - ſichten, Ihrer ſich ſelbſtbeſchauenden ſelbſt - bildenden Natur, Ihr leiſer Takt für fremde Stimmung, Ihr treffendes fertiges Sprach - organ; ſinnb[i]ldlich vieldeutig in melodiſchem Styl innere Betrachtung wie äußere Ge - genſtände darſtellend, dieſe Naturkunſt Ih - res Geiſtes, alles hat mich vielfältig über Sie zurecht gewieſen, und mich mit jenem höheren Geiſt in Ihnen bekannt gemacht, der ſo manche Ihrer Äußerungen idealiſch parodirt.
Einmal ſchrieben Sie mir: „ Wer meinen Park ſieht, der ſieht in mein Herz. “— Es war im vorigen Jahr in der Mitte September, daß ich am frühen Morgen, wo eben die Sonne ihre Strah - len ausbreitete in dieſen Park eintrat; es war große Stille in der ganzen Natur, reinliche Wege leiteten mich zwiſchen fri - ſchen Raſenplätzen, auf denen die einzelnen Blumenbüſche noch zu ſchlafen ſchienen; bald kamen geſchäftige Hände ihrer zu pfle - gen, die Blätter, die der Morgenwind ab - geſchüttelt hatte, wurden geſammelt und die verwirrten Zweige geordnet; ich ging noch weiter an verſchiedenen Tagen und zu verſchiedenen Stunden nach allen Rich - tungen, ſo weit ich kam fand ich die - ſelbe Sorgfalt und eine friedliche An - muth, die ſich über alles verbreitete. So entwickelt und pflegt der Liebende den Geiſt**und die Schönheit des Geliebten, wie Sie hier ein anvertrautes Erbtheil der Natur pflegen. Gern will ich glauben, daß dies der Spiegel Ihres tiefſten Herzens ſei, da es ſo viel Schönes beſagt; gern will ich glauben, daß das einfache Vertrauen zu Ihnen nicht minder gepflegt und geſchützt ſei als jede einzelne Pflanze Ihres Parks. Dort hab 'ich Ihnen auch aus meinen Briefen und dem Tagebuch an Goethe vor - geleſen, Sie haben gern zugehört; ich gebe ſie Ihnen jetzt hin, beſchützen Sie dieſe Blätter wie jene Pflanzen, und ſo treten Sie abermals hier zwiſchen mich und das Vorurtheil derer, die ſchon jetzt noch eh ſie es kennen dies Buch als unecht verdammen und ſich ſelbſt um die Wahrheit betrügen.
Laſſen Sie uns einander gut geſinnt bleiben, was wir auch für Fehler und Ver - ſtoße in den Augen Anderer haben mögen, die uns nicht in demſelben Lichte ſehen, wir wollen die Zuverſicht zu einer höheren Idealität, die ſo weit alle zufällige Ver - ſchuldungen und Mißverſtändniſſe und alle angenommene und herkömmliche Tugend überragt, nicht aufgeben. Wir wollen die mannigfaltigen edlen Veranlaſſungen, Be - deutu[n]gen und Intereſſe verſtanden und ge - liebt zu werden nicht verläugnen, ob andre es auch nicht begreifen, ſo mag es ihnen ein Räthſel bleiben.
Im Auguſt 1834.
Bettina v. Arnim.
Dies Buch iſt für die Guten und nicht für die Böſen.
Während ich beſchäftigt war dieſe Papiere für den Druck zu ordnen, hat man mich vielfäl - tig bereden wollen manches auszulaſſen oder an - ders zu wenden, weil es Anlaß geben könne zu Mißdeutungen. Ich merkte aber bald, man mag nur da guten Rath annehmen wo er der eignen Neigung nicht widerſpricht. Unter den vielen Rathge - bern war nur einer, deſſen Rath mir gefiel; er ſagte: „ Dies Buch iſt für die Guten und nicht für die Böſen; nur böſe Menſchen können es übel[ausdeu - ten], laſſen Sie alles ſtehen wie es iſt, das giebt dem Buch ſeinen Werth und Ihnen kann man auch nur Dank wiſſen, daß Sie das Zutrauen ha -II ben, man werde nicht mißdeuten, was der gute Menſch nie mißverſtehen kann. “— Dieſer Rath leuchtete mir ein, er kam von dem Factor der Buch - druckerei von Trowitzſch und Sohn, Herrn Klein, derſelbe, der mir Druck und Papier beſorgte, Ortho -[g]raphiefehler corrigirte, Komma und Punkt zurecht rückte, und bei meinem wenigen Verſtand in die - ſen Sachen viel Geduld bewies. Dieſe ſeine ausge - ſprochne Meinung beſtärkte mich darin, daß ich den böſen Propheten und den ängſtlichen Anſichten der Rathgebenden nicht nachgab. Wie auch der Erfolg dieſes Rathes ausfallen mag, ich freue mich ſeiner, da er unbezweifelt von den Guten als der edelſte anerkannt wird, die es nicht zugeben werden, daß die Wahrheit eines freudigen Gewiſſens ſich vor den Auslegungen der Böſen flüchte. —
Auch dem Herrn Kanzler von Müller in Weimar ſage ich Dank, daß er auf meine Bitte ſich bemühte, trotz dem Drang ſeiner Geſchäfte, meine Briefe aus Goethes umfaſſenden Nachlaß her - vor zu ſuchen, es ſind jetzt achtzehn Monate, daß ich ſie in Händen habe; er ſchrieb mir damals:III „ So kehre denn dieſer unberührte Schatz von Liebe „ und Treue zu der reichen Quelle zurück von der „ er ausgeſtrömt! Aber eines möchte ich mir zum „ Lohn meiner gemeſſnen Vollziehung Ihres Wun - „ ſches und Willens, wie meiner Enthaltſamkeit doch „ von Ihrer Freundſchaft ausbitten. — Schenken „ Sie mir irgend ein Blatt aus dieſer ohne Zweifel „ lebenswärmſten Correſpondenz; ich werde es heilig „ aufbewahren, nicht zeigen noch copiren laſſen, aber „ mich zuweilen dabei ſtill erfreuen, erbauen oder be - „ trüben, je nachdem der Inhalt ſein wird; immer - „ hin werde ich ein zweifach liebes Andenken, „ einen Tropfen gleichſam Ihres Herzbluts, das „ dem größten und herrlichſten Menſchen zuſtrömte „ daran beſitzen. “— Ich habe dieſe Bitte nicht befriedigt, denn ich war zu eiferſüchtig auf dieſe Blätter, denen Goethe eine ausgezeichnete Theil - nahme geſchenkt hatte, ſie ſind meiſtens von ſei - ner Hand corrigirt, ſowohl Orthographie als auch hie und da Wortſtellung, manches iſt mit Röthel unterſtrichen, anderes wieder mit Bleiſtift, manches iſt eingeklammert, anderes iſt durchſtrichen. IV— Da ich ihn nach längerer Zeit wieder ſah, öff - nete er ein Schubfach worin meine Briefe lagen, und ſagte: „ Ich leſe alle Tage darin. “ Da - mals erregten mir dieſe Worte einen leiſen Schauer. Als ich jetzt dieſe Briefe wieder las, mit dieſen Spu - ren ſeiner Hand, da empfand ich denſelben Schauer, und ich hätte mich nicht leichtlich von einem der geringſten Blätter trennen mögen. Ich habe alſo die Bitte des Kanzler von Müller mit Schweigen übergangen aber nicht undankbar vergeſſen; möge ihm der[Gebrauch], den ich davon gemacht habe, beides meinen Dank und meine Rechtfertigung be - weiſen.
Ich warte ſchon lange auf eine beſondre Veran - laſſung, um den Eingang in unſere Correſpondenz zu machen. Seitdem ich aus Ihrem Abrahamsſchooß, als dem Hafen ſtiller Erwartung, abgeſeegelt bin, hat der Sturmwind noch immer den Athem angehalten, und das Einerleileben hat mich wie ein ſchleichend Fie - ber um die ſchöne Zeit gebracht. Wie ſehr bejammere ich die angenehme Ausſicht, die ich auf der Schawell zu Ihren Füßen hatte, nicht die auf den Knopf desVI Katharinenthurms, noch auf die Feuereſſe der rußigen Cyklopen, die den goldnen Brunnen bewachen; nein! die Ausſicht in Ihren vielſagenden feurigen Blick, der ausſpricht was der Mund nicht ſagen kann. — Ich bin zwar hier mitten auf dem Markt der Abentheuer, aber das köſtliche Netz, in dem mich Ihre mütterliche Begeiſtrung eingefangen, macht mich gleichgültig für alle. Neben mir an, Thür an Thür, wohnt der Adju - tant des Königs; er hat rothes Haar, große blaue Augen, ich weiß einen, der ihn für unwiderſtehlich hält: der iſt er ſelber. Vorige Nacht weckte er mich mit ſei - ner Flöte aus einem Traum, den ich für mein Leben gern weiter geträumt hätte, am andern Tag bedankt ich mich, daß er mir noch ſo fromm den Abendſeegen vorgeblaſen habe; er glaubte es ſei mein Ernſt und ſagte, ich ſei eine Betſchweſter, ſeitdem nennen mich alle Franzoſen ſo, und wundern ſich, daß ich mich nicht drüber ärgere; — ich kann aber doch die Franzoſen gut leiden.
Geſtern iſt mir ein Abentheuer begegnet. Ich kam vom Spaziergang und fand den Rothſchild vor der Thür mit einem ſchönen Schimmel; er ſagte: es ſei ein Thier wie ein Lamm, und ob ich mich nicht draufſetzen wolle? — ich ließ mich gar nicht bitten; kaum war ich aufgeſtiegen,VII ſo nahm das Lamm Reisaus und jagte in vollem Galopp mit mir die Wilhelmshöher Allee hinauf; eben ſo kehrte es wieder um. Alle kamen todtenblaß mir entgegen, das Lamm blieb plötzlich ſtehen und ich ſprang ab; nun ſprachen alle von ihrem gehabten Schreck; — ich fragte: „ was iſt denn paſſirt? “— „ Ei, der Gaul iſt ja mit Ihnen durchgegangen! “— „ So! “ſagt 'ich, „ das hab' ich nicht gewußt. “— Rothſchild wiſchte mit ſeinem ſeidnen Schnupftuch dem Pferde den Schweiß ab, legte ihm ſeinen Überrock auf den Rücken, damit es ſich nicht erkälten ſolle, und führte es in Hemdärmel nach Haus; er hatte gefürchtet es nimmermehr wieder zu ſehen. — Wie ich am Abend in die Geſellſchaft kam, nannten mich die Franzoſen nicht mehr Betſchweſter, ſie riefen alle einſtimmig: ah l'héroïne!
Leb 'Sie wohl, ruf ich Ihr aus meiner Traumwelt zu, denn auch über mich verbreitet ſich ein wenig dieſe Gewalt. Ein gar ſchöner (ja ich müßte blind ſein wenn ich dies nicht fände), nun, ein feiner ſchlanker brauner Franzoſe ſieht mich aus weiter Ferne mit ſchar - fen Blicken an, er naht ſich beſcheiden, er bewahrt die Blume, die meiner Hand entfällt, er ſpricht von meiner Liebenswürdigkeit; Frau Rath wie gefällt einem das? — ich thue zwar ſehr kalt und ungläubig; wenn man in -VIII deſſen in meiner Nähe ſagt: le roi vient, ſo befällt mich immer ein kleiner Schreck, denn ſo heißt mein lie - benswürdiger Verehrer.
Ich wünſche Ihr eine gute Nacht, ſchreib 'Sie mir bald wieder.
Bettine.
Ich habe mir meine Feder friſch abknipſen laſſen und das vertrocknete Tintenfaß bis oben vollgegoſſen und weil es denn heute ſo abſcheulich Wetter iſt, daß man keinen Hund vor die Thür jagt, ſo ſollſt Du auch gleich eine Antwort haben. Liebe Bettine, ich vermiſſe Dich ſehr in der böſen Winterzeit; wie biſt Du doch im vorigen Jahre ſo vergnügt dahergeſprungen kom - men? — wenn's kreuz und quer ſchneite, da wußt ich das war ſo ein recht Wetter für Dich, ich braucht nicht lange zu warten, ſo warſt Du da. Jetzt guck ich auch immer noch aus alter Gewohnheit nach der Ecke von der Katharinenpfort, aber Du kommſt nicht, und weil ich das ganz gewiß meiß, ſo kümmert's mich. Es kom - men Viſiten genug, das ſind aber nur ſo Leuteviſiten, mit denen ich nichts ſchwätzen kann.
Die Franzoſen hab 'ich auch gern, — das iſt im - mer ein ganz ander Leben, wenn die franzöſiſche Ein - quartierung hier auf dem Platz ihr Brod und Fleiſch ausgetheilt kriegt, als wenn die preußiſche oder heſſiſche Holzböck' einrücken.
XIch hab 'recht meine Freud' gehabt am Napoleon, wie ich den geſehen hab '; er iſt doch einmal derjenige, der der ganzen Welt den Traum vorzaubert, und da - für können ſich die Menſchen bedanken, denn wenn ſie nicht träumten, ſo hätten ſie auch nichts davon und ſchliefen wie die Säck', wie's die ganze Zeit gegan - gen iſt.
Amüſire Dich recht gut und ſei luſtig, denn wer lacht, kann keine Todſünd 'thun.
Deine Freundin Eliſabeth Goethe.
Nach dem Wolfgang frägſt Du ja gar nicht; ich hab 'Dir's ja immer geſagt: wart' nur bis einmal ein andrer kommt, ſo wirſt Du ſchon nicht mehr nach ihm ſeufzen.
Geh 'Sie doch mit Ihren Vorwürfen; — das ant - wort' ich Ihr auf Ihre Nachſchrift, und ſonſt nichts.
Jetzt rath 'Sie einmal was der Schneider für mich macht. Ein Andrieng! — Nein! Eine Kontuſche? — Nein! Einen Joppel? — Nein! Eine Mantille? — Nein! Ein paar Boſchen? — Nein! Einen Reif - rock? — Nein! Einen Schlepprock? — Nein! Ein paar Hoſen? — Ja! — Vivat — jetzt kommen andre Zeiten angerückt, — und auch eine Weſte und ein Überrock dazu. Morgen wird alles anprobirt, es wird ſchon ſitzen, denn ich hab' mir alles bequem und weit beſtellt, und dann werf 'ich mich in eine Chaiſe und reiſe Tag und Nacht Courier durch die ganzen Ar - meen zwiſchen Feind und Freund durch; alle Feſtungen thun ſich vor mir auf und ſo geht's fort bis Berlin, wo einige Geſchäfte abgemacht werden, die mich nichts angehn. Aber dann geht's eilig zurück und wird nicht eher Halt gemacht bis Weimar. O Frau Rath, wie wird's denn dort ausſehen? — mir klopft das Herz gewaltig, obſchon ich noch bis zu Ende April reiſen kann, ehe ich dort hinkomme. Wird mein Herz auchXII Muth genug haben ſich ihm hinzugeben? — iſt mir's doch, als ſtänd' er eben vor der Thür! — Alle Adern klopfen mir im Kopf; ach wär 'ich doch bei Ihr! — das allein könnt' mich ruhig machen, daß ich ſäh ', wie Sie auch vor Freud' außer ſich wär '; oder wollt' mir einer einen Schlaftrunk geben, daß ich ſchlief bis ich bei ihm erwachte. Was werd 'ich ihm ſagen? — ach, nicht wahr, er iſt nicht hochmüthig? — von Ihr werd' ich ihm auch alles erzählen, das wird er doch gewiß gern hören. Adieu, leb 'Sie wohl und wünſch' Sie mir im Herzen eine glückliche Reiſ '. Ich bin ganz ſchwindlich.
Bettine.
Aber das muß ich Ihr doch noch ſagen, wie's ge - kommen iſt. Mein Schwager kam und ſagte, wenn ich ſeine Frau überreden könne, in Männerkleidern mit ihm eine weite Geſchäftsreiſe zu machen, ſo wolle er mich mitnehmen, und auf dem Rückweg mir zu Lieb 'über Weimar gehen. Denk' Sie doch, Weimar ſchien mir immer ſo entfernt, als wenn es in einem andern Welttheil läg ', und nun iſt's vor der Thür.
Eine Schachtel wird Ihr mit dem Poſtwagen zu - kommen, beſte Frau Mutter, darin ſich eine Taſſe be - findet; es iſt das ſehnlichſte Verlangen Sie wieder zu ſehen, was mich treibt Ihr ſolche unwürdige Zeichen mei - ner Verehrung zu ſenden. Thue Sie mir den Gefallen Ihren Thee früh morgens d'raus zu trinken, und denk 'Sie meiner dabei. — Ein Schelm giebt's beſſer als er's hat.
Den Wolfgang hab 'ich endlich geſehen; aber ach was hilft's? Mein Herz iſt geſchwellt wie das volleI. 12Seegel eines Schiff's, das feſt vom Anker gehalten iſt am fremden Boden, und doch ſo gern in's Vaterland zurück möchte.
Adieu meine liebe gute Frau Mutter, halt 'Sie mich lieb.
Bettine Brentano.
Was läßt Du die Flügel hängen? Nach einer ſo ſchönen Reiſe ſchreibſt Du einen ſo kurzen Brief, und ſchreibſt nichts von meinem Sohn, als daß Du ihn ge - ſehen haſt; das hab 'ich auch ſchon gewußt und er hat mir's geſtern geſchrieben. Was hab' ich von Deinem geankerten Schiff? da weiß ich ſo viel wie nichts. Schreib 'doch was paſſirt iſt. Denk' doch daß ich ihn acht Jahr nicht geſehen hab ', und ihn vielleicht nie wie - der ſeh; wenn Du mir nichts von ihm erzählen willſt, wer ſoll mir dann erzählen? — hab' ich nicht Deine alberne Geſchichten hundertmal angehört, die ich aus - wendig weiß, und nun, wo Du etwas Neues erfahren haſt, etwas Einziges, wo Du weißt, daß Du mir die3 größte Freud 'machen könnteſt, da ſchreibſt Du nichts. Fehlt Dir denn was? — es iſt ja nicht über's Meer bis nach Weimar. Du haſt ja jetzt ſelbſt erfahren, daß man dort ſein kann, bis die Sonne zweimal auf - geht. — Biſt Du traurig? — Liebe, liebe Tochter, mein Sohn ſoll Dein Freund ſein, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt, und Du ſollſt mich Mutter heißen in Zukunft für alle Täg, die mein ſpätes Alter noch zählt, es iſt ja doch der einzige Name der mein Glück umfaßt.
Deine treue Freundin Eliſabeth Goethe.
Vor die Taſſe bedank 'ich mich.
Ich hab 'geſtern an Ihren Sohn geſchrieben; ver - antwort' Sie es bei ihm. — Ich will Ihr auch gern alles ſchreiben, aber ich hab 'jetzt immer ſo viel zu den - ken, es iſt mir faſt eine Unmöglichkeit, mich loszureißen, ich bin in Gedanken immer bei ihm; wie ſoll ich denn ſagen wie es geweſen iſt? — Hab' Sie Nachſicht und1*4Geduld; ich will die ander Woch 'nach Frankfurt kom - men, da kann Sie mir alles abfragen.
Ihr Kind Bettine.
Ich lieg 'ſchon eine Weile im Bett und da treibt mich's heraus, daß ich Ihr alles ſchreib' von unſerer Reiſe. — Ich hab 'Ihr ja geſchrieben, daß wir in männlicher Kleidung durch die Armeen paſſirten. Gleich vor'm Thor ließ uns der Schwager ausſteigen, er wollte ſehen wie die Kleidung uns ſtehe. Die Lullu ſah ſehr gut aus, denn ſie iſt prächtig gewachſen und die Klei - dung war ſehr paſſend gemacht; mir war aber alles zu weit und zu lang, als ob ich's auf dem Grempel - markt erkauft hätte. Der Schwager lachte über mich und ſagte, ich ſähe aus wie ein Savoyardenbube, ich könnte gute Dienſte leiſten. Der Kutſcher hatte uns vom Weg abgefahren durch einen Wald, und wie ein Kreuzweg kam, da wußt' er nicht wohinaus; obſchon es nur der Anfang war von der ganzen vier Wochen langen Reiſe, ſo hatt 'ich doch Angſt, wir könnten uns verirren und kämen dann zu ſpät nach Weimar; ich klettert' auf die höchſte Tanne und da ſah ich bald, wo die Chauſſee lag. Die ganze Reiſe hab 'ich auf dem Bock gemacht; ich hatte eine Mütze auf von Fuchspelz,5 der Fuchsſchwanz hing hinten herunter. Wenn wir auf die Station kamen, ſchirrte ich die Pferde ab und half auch wieder anſpannen. Mit den Poſtillions ſprach ich gebrochen deutſch als wenn ich ein Franzoſe wär'. Im Anfang war ſchön Wetter, als wollt 'es Frühling werden, bald wurd' es ganz kalter Winter; wir kamen durch einen Wald von ungeheuren Fichten und Tannen, alles bereift, untadelhaft, nicht eine Men - ſchenſeele was des Wegs gefahren, der ganz weiß war; noch obendrein ſchien der Mond in dieſes ver - ödete Silberparadies, eine Todtenſtille — nur die Rä - der pfiffen von der Kälte. Ich ſaß auf den Kutſcher - ſitz, und hatte gar nicht kalt; die Winterkält 'ſchlägt Funken aus mir; — wie's nah an die Mitternacht rückte, da hörten wir pfeifen im Walde; mein Schwa - ger reichte mir ein Piſtol aus dem Wagen und fragte, ob ich Muth habe loszuſchießen, wenn die Spitzbu - ben kommen, ich ſagte: ja, er ſagte: ſchießen ſie nur nicht zu früh. Die Lullu hatte große Angſt im Wa - gen, ich aber unter freiem Himmel mit der geſpannten Piſtole, den Säbel umgeſchnallt, unzählige funklende Sterne über mir, die blitzenden Bäume, die ihren Rie - ſenſchatten auf den breiten mondbeſchienenen Weg war - fen, — das alles machte mich kühn auf meinem erhabe -6 nen Sitz. — Da dacht' ich an ihn, wenn der mich in ſeinen Jugendjahren ſo begegnet hätte, ob das nicht einen poetiſchen Eindruck auf ihn gemacht haben würde, daß er Lieder auf mich gemacht hätte und mich nimmermehr vergeſſen. Jetzt mag er anders denken, — er wird erhaben ſein über einen magiſchen Eindruck; höhere Eigenſchaften (wie ſoll ich die erwerben?) werden ein Recht über ihn be - haupten. Wenn nicht Treue, — ewige, an ſeine Schwelle gebannt, mir endlich ihn erwirbt! So war ich in je - ner kalten hellen Winternacht geſtimmt, in der ich keine Gelegenheit fand mein Gewehr loszuſchießen, erſt wie der Tag anbrach, erhielt ich Erlaubniß loszudrücken; der Wagen hielt und ich lief in den Wald und ſchoß in die dichte Einſamkeit Ihrem Sohn zu Ehren muthig los, indeſſen war die Axe gebrochen; wir fällten einen Baum mit dem Beil, das wir bei uns hatten, und kne - belten ihn mit Stricken feſt; da fand denn mein Schwa - ger daß ich ſehr anſtellig war, und lobte mich. So ging's fort bis Magdeburg; präcis 7 Uhr Abends wird die Feſtung geſperrt, wir kamen eine Minute nachher und mußten bis den andern Morgen um ſieben halten; es war nicht ſehr kalt, die beiden im Wagen ſchliefen. In der Nacht fing's an zu ſchneien, ich hatte den Mantel über den Kopf genommen und blieb ruhig7 ſitzen auf meinem freien Sitz; am Morgen guckten ſie aus dem Wagen, da hatte ich mich in einen Schnee - mann verwandelt, aber noch eh 'ſie recht erſchrecken konnten, warf ich den Mantel ab, unter dem ich recht warm geſeſſen hatte. In Berlin war ich wie ein Blinder unter vielen Menſchen, und auch geiſtesabwe - ſend war ich, an nichts konnt' ich Theil nehmen, ich ſehnte mich nur immer nach dem Dunkel, um von nichts zerſtreut zu ſein, um an die Zukunft denken zu können, die ſo nah gerückt war. Ach wie oft ſchlug es da Allarm! — plötzlich, unverſehens, mitten in die ſtille Ruhe, ich wußte nicht von was. Schneller als ich's denken konnte, hatte mich ein ſüßer Schrecken erfaßt. O Mutter, Mutter! denk 'Sie an ihren Sohn, wenn Sie wüßte, ſie ſollte ihn in kurzer Zeit ſehen, ſie wär' auch wie ein Blitzableiter, in den alle Gewitter einſchlü - gen. — Wie wir nur noch wenig Meilen von Weimar waren, da ſagte mein Schwager, er wünſche nicht den Umweg über Weimar zu machen und lieber eine andre Straße zu fahren. Ich ſchwieg ſtille, aber die Lullu litt es nicht; ſie ſagte: „ einmal wär 'mir's verſprochen und er müßte mir Wort halten. “— Ach Mutter! — das Schwert hing an einem Haar über meinem Haupt, aber ich kam glücklich drunter weg.
8In Weimar kamen wir um 12 Uhr an; wir aßen zu Mittag, ich aber nicht. Die beiden legten ſich auf's Sopha und ſchliefen; drei Nächte hatten wir durchwacht. Ich rathe Ihnen, ſagte mein Schwager, auch auszuru - hen; der Goethe wird ſich nicht viel draus machen, ob Sie zu ihm kommen oder nicht, und was Beſondres wird auch nicht an ihm zu ſehen ſein. Kann Sie denken, daß mir dieſe Rede allen Muth benahm? — Ach ich wußte nicht was ich thun ſollte, ich war ganz allein in der fremden Stadt; ich hatte mich anders an - gekleidet, ich ſtand am Fenſter und ſah nach der Thurm - uhr, eben ſchlug es halb 3. — Es war mir auch ſo, als ob ſich Goethe nichts draus machen werde mich zu ſehen; es fiel mir ein, daß ihn die Leute ſtolz nennen; ich drückte mein Herz feſt zuſammen, daß es nicht be - gehren ſolle; — auf einmal ſchlug es 3 Uhr. Und da war's doch auch grad 'als hätte er mich gerufen, ich lief hinunter nach dem Lohnbedienten, kein Wagen war da, eine Portechaiſe? Nein, ſagt' ich, das iſt eine Equi - page für's Lazareth. Wir gingen zu Fuß. Es war ein wahrer Chokoladenbrei auf der Straße, über den dickſten Moraſt mußte ich mich tragen laſſen, und ſo kam ich zu Wieland, nicht zu Ihrem Sohn. Den Wieland hatte ich nie geſehen, ich that als ſey ich eine alte Be -9 kanntſchaft von ihm, er beſann ſich hin und her und ſagte: ja, ein lieber bekannter Engel ſind Sie gewiß, aber ich kann mich nur nicht beſinnen wann und wo ich Sie geſehen habe. Ich ſcherzte mit ihm und ſagte: jetzt hab 'ich's herausgekriegt daß Sie von mir träu - men, denn anderswo können Sie mich unmöglich ge - ſehen haben. Von ihm ließ ich mir ein Billet an Ih - ren Sohn geben, ich hab' es mir nachher mitgenom - men und zum Andenken aufbewahrt; und hier ſchreib 'ich's Ihr ab. „ Bettina Brentano, Sophiens Schweſter, Maxmilianens Tochter, Sophie La Rochens Enkelin wünſcht Dich zu ſehen, l. Br., und giebt vor, ſie fürchte ſich vor Dir, und ein Zettel - chen das ich ihr mitgebe, würde ein Talisman ſeyn, der ihr Muth gäbe. Wiewohl ich ziemlich gewiß bin, daß ſie nur ihren Spaß mit mir treibt, ſo muß ich doch thun, was ſie haben will, und es ſoll mich wun - dern, wenn Dir's nicht eben ſo wie mir geht. “
W.
Mit dieſem Billet ging ich hin, das Haus liegt dem Brunnen gegenüber; wie rauſchte mir das Waſſer ſo betäubend, — ich kam die einfache Treppe hinauf, in der Mauer ſtehen Statuen von Gyps, ſie gebieten1**10Stille. Zum wenigſten ich könnte nicht laut werden auf dieſem heiligen Hausflur. Alles iſt freundlich und doch feierlich. In den Zimmern iſt die höchſte Einfach - heit zu Hauſe, ach ſo einladend! Fürchte Dich nicht: ſagten mir die beſcheidnen Wände, er wird kommen und wird ſein, und nicht mehr ſein wollen wie Du, — und da ging die Thür auf und da ſtand er feierlich ernſt, und ſah mich unverwandten Blickes an; ich ſtreckte die Hände nach ihm, glaub 'ich, — bald wußt' ich nichts mehr, Goethe fing mich raſch auf an ſein Herz. Armes Kind, hab 'ich Sie er - ſchreckt, das waren die erſten Worte, mit denen ſeine Stimme mir in's Herz drang; er führte mich in ſein Zimmer und ſetzte mich auf den Sopha gegen ſich über. Da waren wir beide ſtumm, endlich unterbrach er das Schweigen: Sie haben wohl in der Zeitung geleſen daß wir einen großen Verluſt vor wenig Ta - gen erlitten haben durch den Tod der Herzogin Amalie. Ach! ſagt' ich, ich leſe die Zeitung nicht. — So! — ich habe geglaubt, alles intereſſire Sie, was in Wei - mar vorgehe. — Nein, nichts intereſſirt mich als nur Sie, und da bin ich viel zu ungeduldig, in der Zeitung zu blättern. — Sie ſind ein freundliches Kind. — Lange Pauſe — ich auf das fatale Sopha gebannt,11 ſo ängſtlich. Sie weiß daß er mir unmöglich iſt, ſo wohlerzogen da zu ſitzen. — Ach Mutter! Kann man ſich ſelbſt ſo überſpringen? — Ich ſagte plötzlich: hier auf dem Sopha kann ich nicht bleiben, und ſprang auf. — Nun! ſagte er, machen Sie ſich's bequem; nun flog ich ihm an den Hals, er zog mich auf's Knie und ſchloß mich an's Herz. — Still, ganz ſtill war's, alles verging. Ich hatte ſo lange nicht geſchlafen; Jahre waren vergangen in Sehnſucht nach ihm, — ich ſchlief an ſeiner Bruſt ein; und da ich aufgewacht war, be - gann ein neues Leben. Und mehr will ich ihr diesmal nicht ſchreiben.
Bettine.
Frau Rath, ſo oft mir was Komiſches begegnet, ſo denk 'ich an Sie, und was das für ein Jubel und für eine Erzählung ſein würde, wenn Sie es ſelbſt er - lebt hätte. Hier, in dem traubenreichen Mildeberg, ſitze ich bei meinem Herrn Schwab, der ehmals bei unſerm Vater Schreiber war und uns Kinder alle mit ſeinen Märchen großgezogen hat. Er kann zum wenigſten ſo gut erzählen wie Sie, aber er ſchneidet auf und ver - braucht Juden - und Heidenthum, die entdeckte und un - entdeckte Welt zur Decoration ſeiner Abentheuer; Sie aber bleibt bei der Wahrheit, aber mit ſo freudigen Ausrufungszeichen, daß man Wunder denkt was paſſirt iſt. Ich habe das Eichhörnchen, was Sie mir mitgab, im großen Eichenwald ins Freie geſetzt, es war Zeit — die 5 Meilen die es im Wagen fuhr, hat es großen Schaden gemacht, und im Wirthshaus hat es über Nacht dem Bürgermeiſter die Pantoffel zerfreſſen. Ich weiß gar nicht wie Sie es gemacht hat, daß es Ihr nicht alle Gläſer umgeworfen, alle Möbel angenagt, und alle Hauben und Tocken beſchmutzt hat. Mich hat's gebiſſen, aber im Andenken an den ſchönen ſtolzen13 Franzoſen, der es auf ſeinem Helm vom ſüdlichen Frankreich bis nach Frankfurt in ihr Haus gebracht hat, hab' ich ihm verziehen. Im Wald ſetzte ich's auf die Erde, wie ich wegging, ſprang es wieder auf meine Schulter und wollte von der Freiheit nichts pro - fitiren, und ich hätt's gern wieder mitgenommen, weil mich's lieber hatte als die ſchönen grünen Eichbäume. Wie ich aber in den Wagen kam, machten die andern ſo großen Lärm und ſchimpften ſo ſehr auf unſern lie - ben Stubenkameraden, daß ich's in den Wald tragen mußte. Ich ließ dafür auch lange warten; ich ſuchte mir den ſchönſten Eichbaum im ganzen Wald und kletterte hinauf. Da oben ließ ich's aus ſeinem Beutel, — es ſprang gleich luſtig von Aſt zu Aſt und machte ſich an die Eicheln, unterdeſſen kletterte ich herunter. Wie ich unten ankam, hatte ich die Richtung nach dem Wagen verloren, und obſchon ich nach mir rufen hörte, konnte ich gar nicht unterſcheiden, wo die Stimmen herkamen. Ich blieb ſtehen, bis ſie herbeikamen, um mich zu ho - len; ſie zankten alle auf mich ich ſchwieg ſtill, legte mich im Wagen auf drei Selterskrüge unten am Bo - den, und ſchlief einen herrlichen Schlaf, bis bei Mond - ſchein, wo der Wagen umfiel, ganz ſanft, daß niemand beſchädigt ward. Eine nußbraune Kammerjungfer flog14 vom Bock und legte ſich am flachen Mainufer in ro - mantiſcher Unordnung grade vor das Mondantlitz in Ohnmacht; zwei Schachteln mit Blonden und Bändern flogen etwas weiter und ſchwammen ganz anſtändig den Main hinab; ich lief nach, immer im Waſſer, das jetzt bei der großen Hitze ſehr flach iſt, alles rief mir nach ob ich toll ſei, — ich hörte nicht, und ich glaub 'ich wär' in Frankfurt wieder mit ſammt den Schachteln ange - ſchwommen, wenn nicht ein Nachen hervorgeragt hätte an dem ſie Halt machten. Ich packte ſie unter beide Ärme und ſpazierte in den klaren Wellen wieder zurück. Der Bruder Franz ſagte: Du biſt unſinnig Mädchen, und wollte mit ſeiner ſanften Stimme im - mer zanken; ich zog die naſſen Kleider aus, wurde in einen weichen Mantel gewickelt und in den zugemach - ten Wagen gepackt. —
In Aſchaffenburg legte man mich mit Gewalt ins Bett und kochte mir Kamillenthee. Um ihn nicht zu trinken, that ich, als ob ich feſt ſchlafe. Da wurde von meinen Verdienſten verhandelt, wie ich doch gar ein zu gutes Herz habe, daß ich voll Gefälligkeit ſei und mich ſelber nie bedenke, wie ich gleich den Schach - teln nachgeſchwommen und wenn ich die nicht wieder - gefiſcht hätte, ſo würde man morgen nicht haben mit15 der Toilette fertig werden können, um bei'm Fürſt Pri - mas zu Mittag zu eſſen. Ach! ſie wußten nicht was ich wußte, — daß nämlich unter dem Wuſt von fal - ſchen Locken, von goldnen Kämmen, Blonden, in roth - ſammtner Taſche ein Schatz verborgen war, um den ich beide Schachteln ins Waſſer geworfen haben würde, mit allem was mein und nicht mein gehörte, und daß, wenn dieſe nicht drinn geweſen wär ', ſo würde ich mich über die Rückfahrt der Schachteln gefreut haben. In dieſer Taſche liegt verborgen ein Veilchenſtrauß, den Ihr Herr Sohn, in Weimar in Geſellſchaft bei Wie - land, mir heimlich im Vorübergehen zuwarf. — Frau Mutter, damals war ich eiferſüchtig auf den Wolf - gang und glaubte, die Veilchen ſeien ihm von Frauen - hand geſchenkt; er aber ſagte: kannſt Du nicht zu - frieden ſein, daß ich ſie Dir gebe? — ich nahm heim - lich ſeine Hand und zog ſie an mein Herz, er trank aus ſeinem Glas und ſtellte es vor mich, daß ich auch draus trinken ſollte; ich nahm es mit der linken Hand und trank, und lachte ihn aus, denn ich wußte, daß er es hier hingeſtellt hatte, damit ich ſeine Hand los - laſſen ſollte. Er ſagte: haſt Du ſolche Liſt, ſo wirſt Du auch wohl mich zu feſſeln wiſſen mein Leben lang. Ich ſag' Ihr, mach 'Sie ſich nicht breit, daß ich Ihr16 mein heimlichſtes Herz vertraue; — ich muß wohl je - mand haben, dem ich's mittheile. Wer ein ſchön Ge - ſicht hat, der will es im Spiegel ſehen, Sie iſt der Spiegel meines Glücks, und das iſt grade jetzt in ſei - ner ſchönſten Blüthe, und da muß es denn der Spie - gel oft in ſich aufnehmen. Ich bitte Sie, klatſch' Sie ihrem Herrn Sohn im nächſten Brief, den Sie gleich morgen ſchreiben kann, und nicht erſt eine Gelegenheit abzuwarten braucht, daß ich dem Veilchenſtrauß in der Schachtel in kühler Mondnacht nachgeſchwommen bin, wohl eine Viertelſtunde lang, ſo lang 'war es aber nicht, und daß die Wellen mich wie eine Waſſergöttin dahingetragen haben, — es waren aber keine Wellen, es war nur ſeichtes Waſſer, das kaum die leichten Schachteln hob, und daß mein Gewand aufgebauſcht war um mich her wie ein Ballon. Was ſind denn die Reifröcke ſeiner Jugendliebſchaften alle gegen mein da - hinſchwimmendes Gewand! ſag' Sie doch nicht, Ihr Herr Sohn ſei zu gut für mich, um einen Veilchen - ſtrauß ſolche Lebensgefahr zu laufen! Ich ſchließ 'mich an die Epoche der empfindſamen Romane, und komme glücklich im Werther an, wo ich denn gleich die Lotte zur Thür hinauswerfen möchte. Ihr Herr Sohn hat einen ſchlechten Geſchmack an dem weißen Kleide mit17 Roſaſchleifen. Ich will gewiß in meinem Leben kein weißes Gewand anziehen; grün, grün ſind alle meine Kleider.
Apropos, guck 'Sie doch einmal hinter ihren Ofen - ſchirm, wo Sie immer die ſchön bemalte Seite gegen die Wand ſtellt, damit die Sonne ihn nicht ausbleicht; da wird Sie entdecken, daß das Eichhörnchen der Ofen - göttin großen Schaden gethan hat, und daß es ihr das ganze Angeſicht blaß gemacht hat. Ich wollt' Ihr nichts ſagen, weil ich doch das Eichhörnchen gegen Ih - ren Befehl an den Ofenſchirm gebunden hatte, und da fürchtete ich, Sie könnte böſ 'werden, drum hab' ich's Ihr ſchreiben wollen, damit Sie in meiner Abweſenheit Ihren Zorn kann austoben laſſen. Morgen geht's nach Aſchaffenburg, da ſchreib 'ich Ihr mehr. Mein Scha - wellchen ſoll die Lieschen ausklopfen, damit die Mot - ten nicht hineinkommen, laſſe Sie ja keinen andern drauf ſitzen, adje Fr. Rath, ich bin ihre unterthänige Magd. —
Frau Rath, Sie hat eine recht garſtige Hand, eine wahre Katzenpfote, nicht die mit der Sie im Theater klatſcht, wenn der Schauſpieler Werdi wie ein Mül - lereſel dahertrappſt und tragiſches Schickſal ſpielen will, nein, ſondern die geſchriebene Hand iſt häßlich und unleſerlich. Mir kann Sie zwar immer ſo undeutlich wie Sie will ſchreiben, daß ich ein albernes Ding bin; ich kann's doch leſen, gleich am erſten großen A. Denn was ſollte es ſonſt heißen? Sie hat mir's ja oft genug geſagt; aber wenn Sie an Ihren Herrn Sohn ſchreibt, von mir, befleißige Sie ſich der Deut - lichkeit; die mildeberger Trauben hab 'ich noch herausge - kriegt, die Sie in chaldäiſchen und hebräiſchen Buchſtaben verzeichnet hat, ich werde Ihr eine ganze Schachtel voll beſtellen, das hätt' ich auch ohnedem gethan. Der Herr Schloſſer hat mir übrigens nichts Beſondres in Ihren Brief geſchrieben. Ich kann das auch nicht leiden, daß Sie ſich die Zeit von ihm vertreiben läßt, wenn ich nicht da bin, und ich ſag 'Ihr: laſſe Sie ihn nicht auf meiner Schawelle ſitzen, er iſt auch ſo einer der Laute ſpielen will, und glaubt er könne auf meiner Schawelle19 ſitzen, und Sie auch, wenn Sie ihn ſo oft ſieht, ſo bild't Sie ſich ein er wär' beſſer als ich; Sie hat ſo ſchon einmal geglaubt, er wär 'ein wahrer Apoll von Schönheit, bis ich Ihr die Augen aufgethan habe, und die Fr. Rath Schloſſer hat geſagt, daß wie er neugebo - ren war, ſo habe man ihn auf ein grünes Billard ge - legt, da habe er ſo ſchön abgeſtochen und habe aus - geſehen wie ein glänzender Engel; iſt denn Abſtechen eine ſo große Schönheit? Adieu, ich ſitze in einer Raufe wo die Kuh den Klee herausfrißt und ſchreibe; ſchreib' Sie das nicht an Ihren Sohn; das könnte ihm zu toll vorkommen, denn ich ſelbſt, wenn ich denke: ich fände meinen Schatz im Kuhſtall ſitzen und zärtliche Briefe an mich ſchreiben, ich weiß auch nicht wie ich mich benehmen ſollte. Doch ſitze ich hier oben aus lau - ter Verzweiflung und weil ich mich verſteckt habe, und weil ich allein ſeyn möchte, um an ihn zu denken. Adieu Fr. Rath.
Wir haben geſtern bei'm Primas zu Mittag ge - geſſen, es war Faſttag; da waren wunderliche Speiſen die Fleiſch vorſtellten und doch keins waren. Da wir ihm vorgeſtellt wurden, faßte er mich am Kinn und nannte mich kleiner Engel, liebliches Kind; ich fragte wie alt er denn glaubt 'daß ich ſei, nun, zwölf Jahre20 allenfalls, nein, dreizehn, ſagte ich; ja, ſagte er, das iſt ſchon alt, da müſſen Sie bald regieren.
(Die Antwort fehlt.)
Liebe Fr. Rath! — Alles was ich aufgeſchrieben habe, das will ich Ihr vorleſen; Sie kann ſelbſt ſich überzeugen, daß ich nichts hinzugeſetzt habe und das blos geſchrieben, was meine Augen Ihr aus dem Mund geſogen haben, nur das kann ich nicht begreifen, daß es aus Ihrem Mund ſo geſcheut lautet und daß meine Feder es ſo dumm wieder giebt; daß ich nicht ſehr klug bin, davon geb 'ich häufige Beweiſe. Alſo das kann ich wohl zugeben, daß Sie zu den Leuten ſagt, Sie wünſcht' ſie wären alle ſo närriſch wie ich; aber ſag 'Sie ja nicht, ich ſey klug, ſonſt compromitirt Sie ſich, und der Wirth in Kaſſel an der großen Rheinbrücke kann den Gegenbeweis führen. Es war ſo langweilig bis unſere ganze Bagage an der Douane unterſucht war, ich nahm den Mückenplätſcher und verfolgte ein paar Mücken, ſie ſetzten ſich an die Fenſterſcheiben, ich ſchlug zu, die Scheibe flog hinaus, und mit ihr die Mücken21 in die goldne Freiheit, über den großen ſtolzen Rhein hinüber; der Wirth ſagte, das war dumm; und ich war ſehr beſchämt.
Ach, Fr. Mutter! Was iſt hier in dem Langen - winkel für ein wunderlich Leben; das ſoll ſchöne Natur ſein und iſt es auch gewiß, ich hab 'nur keinen Ver - ſtand es zu erkennen. Eh' meine Augen hinüber auf den Johannisberg ſchweifen, werden ſie von ein paar ſchmutzigen Gaſſen in Beſchlag genommen, und von einem langen Feld raupenfräßiger Quetſchen - und Birn - bäume. Aus jedem Gaubloch hängen Perlenſchnüre von getrockneten Schnitzeln und Hutzeln; der Lohgerber ge - gen uns über, durchdampft alle Wohlgerüche der Luft; alle fünf Sinne gehören dazu, um etwas in ſeiner Schönheit zu empfinden, und wenn auch die ganze Natur noch ſo ſehr entzückend wär 'und ihr Duft führte nicht auch den Beweis, ſo wär' der Prozeß verloren.
Die Orgel klingt auch ganz fa[l]ſch hier in der Kirche. Man mußte von Fr. bis Winckel reiſen, um eine ſo grobe Disharmonie zu Ehren Gottes aufführen zu hören.
Leb 'Sie recht wohl. Bettine.
Unſer Kutſcher wird Ihr eine Schachtel mit Pfirſich bringen, verderb 'Sie ſich nicht den Magen, denn der iſt nicht göttlich und läßt ſich leicht verführen.
Wir waren am letzten Donnerstag mit den beiden Schloſſers bis Lorch. Man fuhr auf dem Waſſer, Chriſtian Schloſſer glaubte die Waſſerfahrt nicht ver - tragen zu können, und ging den Weg zu Fuß; ich ging mit ihm, um die Zeit ihm zu vertreiben, aber ich hab's bereut. Zum erſten Mal hab 'ich über den Wolf - gang mit einem andern geſprochen wie mit Ihr, und das war eine Sünde. Alles kann ich wohl vertragen von ihm zu hören, aber kein Lob und keine Liebe; Sie hat Ihren Sohn lieb, und hat ihn geboren, das iſt keine Sünde, und ich laſſe mir's gefallen: aber mehr nicht; die andern ſollen nur keine weitere Prätenſio - nen machen. Sie frägt zwar, ob ich ihn allein ge - pacht habe? — ja, Fr. Rath, darauf kann ich Ihr antworten. Ich glaub' daß es eine Art und Weiſe giebt, Jemand zu beſitzen, die Niemand ſtreitig machen kann; dieſe üb 'ich an Wolfgang, keiner hat es vor mir gekonnt, das weiß ich, trotz allen ſeinen Liebſchaften, von denen ſie mir erzählt. — Vor ihm thu' ich zwar ſehr demüthig, aber hinter ſeinem Rücken halte ich ihn feſt, und da müßte er ſtark zapplen, wenn er los will.
23Fr. Rath! — Ich kenne die Prinzen und Prin - zeſſinnen nur aus der Zauberwelt der Feenmärchen, und aus Ihren Beſchreibungen, und die geben einan - der nichts nach; dort ſind zwar die ſchönſten Prinzeſ - ſinnen in Katzen verwandelt, und gewöhnlich werden ſie durch einen Schneider erlöſt und geheirathet. Das überleg 'Sie doch auch, wenn Sie wieder ein Mährchen erfindet, und geb' Sie dieſem Umſtand eine moraliſche Erläuterung.
Bettine.
(Die Antwort fehlt.)
Ich habe freilich einen Brief vom Wolfgang hier im Rheingau erhalten, er ſchreibt: Halte meine Mut - ter warm und behalte mich lieb. Dieſe lieben Zeilen ſind in mich eingedrungen wie ein erſter Frühlings - regen; ich bin ſehr vergnügt, daß er verlangt, ich ſoll ihn lieb behalten; ich weiß es wohl, daß er die ganze Welt umfaßt; ich weiß, daß ihn die Menſchen ſehen wollen, und ſprechen, daß ganz Deutſchland ſagt: unſer Goethe. Ich aber kann Ihr ſagen, daß mir bis heute die allgemeine Begeiſtrung für ſeine Größe, für ſeinen Namen noch nicht aufgegangen iſt. Meine Liebe zu ihm beſchränkt ſich auf das Stübchen mit weißen Wän -24 den, wo ich ihn zuerſt geſehen, wo am Fenſter der Weinſtock, von ſeiner Hand geordnet, hinaufwächſt, wo er auf dem Strohſeſſel ſitzt und mich in ſeinen Ar - men hält; da läßt er keinen Fremden ein, und da weiß er auch von nichts als nur von mir allein. Frau Rath! Sie iſt ſeine Mutter, und Ihr ſag 'ich's: wie ich ihn zum erſten Mal geſehen hatte, und ich kam nach Haus, da fand ich, daß ein Haar von ſeinem Haupt auf meine Schulter gefallen war. Ich ver - brannte es am Licht, und mein Herz war ergriffen, daß es auch in Flammen ausſchlug, aber ſo heiter, ſo luſtig, wie die Flammen in blauer, ſonnenheller Luft, die man kaum gewahr wird, und die ohne Rauch ihr Opfer verzehrt. So wird mir's auch gehen: mein Le - ben lang werde ich luſtig in die Lüfte flackern, und die Leute werden nicht wiſſen woher ſich dieſe Luſt ſchreibt; es iſt nur, weil ich weiß, daß wenn ich zu ihm komme, er allein mit mir ſein will und alle Lor - beerkränze vergißt.
Leb 'Sie wohl und ſchreib' Sie ihm von mir.
Liebe Bettine, Deine Briefe machen mir Freude, und die Jungfer Lieschen, die ſie ſchon an der Adreſſe erkennt, ſagt: Fr. Rath, da bringt der Briefträger ein Plaiſir. — Sei aber nicht gar zu toll mit meinem Sohn, alles muß in ſeiner Ordnung bleiben. Das braune Zimmer iſt neu tapezirt mit der Tapete die Du ausgeſucht haſt, die Farbe miſcht ſich beſonders ſchön mit dem Morgenroth das über'm Katharinen - thum heraufſteigt und mir bis in die Stube ſcheint. Geſtern ſah unſre Stadt recht wie ein Feiertag aus in dem unbefleckten Licht der Alba.
Sonſt iſt noch alles auf dem alten Fleck. Um Dei - nen Schemmel habe keine Noth, die Lieſe leidet's nicht daß jemand drauf ſitzt.
Schreib 'recht viel und wenn's alle Täg' wär ', Deiner wohlgeneigten Freundin Goethe.
Wir ſind geſtern auf Müllereſeln geritten, weit in's Land hinaus über Rauenthal hinweg. Da geht's durch bewaldete Felswege, links die Ausſicht in die Thalſchlucht und rechts die waldige emporſteigende Felswand. Da haben mich dann die Erdbeeren ſehr verlockt, daß ich ſchier um meinen Poſten gekommen wär ', denn mein Eſel iſt der Leiteſel. Weil ich aber immer Halt machte um die Erdbeeren zu pflücken, ſo drängte die ganze Geſellſchaft auf mich ein und ich mußte tauſend rothe Beeren am Wege ſtehen laſſen. Heute ſind's acht Tage, aber ich ſchmachte noch danach, die geſpeiſten ſind vergeſſen, die ungepflückten brennen mich noch auf der Seele. Eben drum würde ich's ewig bereuen wenn ich verſäumte was ich das Recht habe zu genießen, und da braucht Sie nicht zu fürchten daß ich die Ordnung umſtoße. Ich häng' mich nicht wie Blei an meinen Schatz, ich bin wie der Mond der ihm in's Zimmer ſcheint, wenn die geputzten Leute da ſind und die vielen Lichter angezünd't, dann wird er wenig bemerkt, wenn die aber weg ſind und das Geräuſch iſt vorüber, dann hat die Seele um ſo größere Sehnſucht27 ſein Licht zu trinken. So wird auch er ſich zu mir wenden und meiner gedenken wenn er allein iſt. — Ich bin erzürnt über alle Menſchen die mit ihm zu thun haben, doch iſt mir keiner gefährlich bei ihm, aber das geht Sie alles nichts an. Ich werde doch nicht die Mutter fürchten ſollen, wenn ich den Sohn lieb hab '? —
Ei Mädchen, Du biſt ja ganz toll, was bild'ſt Du Dir ein? — Ei, wer iſt denn Dein Schatz, der an Dich denken ſoll bei Nacht im Mondſchein? — meinſt Du der hätt 'nichts Beſſers zu thun? — ja proſte Mahlzeit.
Ich ſag 'Dir noch einmal: alles in der Ordnung, und ſchreib' ordentliche Briefe, in denen was zu leſen ſteht. — Dummes Zeug nach Weimar ſchreiben; — ſchreib 'was Euch begegnet, alles ordentlich hinter ein - ander. Erſt wer da iſt, und wie Dir jeder gefällt, und was jeder an hat, und ob die Sonne ſcheint, oder ob's regnet, das gehört auch zur Sach'.
Mein Sohn hat mir's wieder geſchrieben, ich ſoll2*28Dir ſagen daß Du ihm ſchreibſt. Schreib 'ihm aber ordentlich, Du wirſt Dir ſonſt das ganze Spiel ver - derben.
Am Freitag war ich im Conzert, da wurde Vio - loncell geſpielt, da dacht 'ich an Dich, es klang ſo recht wie Deine braune Augen. Adieu Mädchen, Du fehlſt überall Deiner Frau Rath.
Ich will Ihr gern den Gefallen thun und einmal einen recht langen deutlichen Brief ſchreiben, meinen ganzen Lebensaufenthalt in Winckel.
Erſt ein ganzes Haus voll Frauen, kein einziger Mann, nicht einmal ein Bedienter. Alle Läden im Hauſ 'ſind zu, damit uns die Sonne nicht wie unreife Weinſtöcke behandelt und garkocht. Das Stockwerk in dem wir wohnen beſteht aus einem großen Saal, an das lauter kleine Kabinette ſtoßen die auf den Rhein ſehen, in deren jedem ein Pärchen von unſerer Geſellſchaft wohnt. Die liebe Marie mit den blonden Haaren iſt Hausfrau und läßt für uns backen und ſieden. Morgens kommen wir alle aus unſeren Ge -29 mächern im Saal zuſammen. Es iſt ein beſondres Plaiſir zu ſehen wie einer nach dem andern griechiſch drappirt hervorkommt. Der Tag geht vorüber in lau - nigem Geſchwätz, dazwiſchen kommen Bruchſtücke von Geſang und Harpegge auf der Guitarre. Am Abend ſpazieren wir an den Ufern des Rheins entlang, da lagern wir uns auf dem Zimmerplatz; ich leſe den Ho - mer vor, die Bauern kommen alle heran und hören zu; der Mond ſteigt zwiſchen den Bergen herauf und leuch - tet ſtatt der Sonne. In der Ferne liegt das ſchwarze Schiff, da brennt ein Feuer, der kleine Spitzhund auf dem Verdeck ſchlägt von Zeit zu Zeit an. Wenn wir das Buch zu machen, ſo iſt ein wahres politiſcher Ver - handeln; die Götter gelten nicht mehr und nicht weni - ger als andre Staatsmächte, und die Meinungen wer - den ſo hitzig behauptet, daß man denken ſollte, alles wär' geſtern geſchehen, und es wär 'manches noch zu ändern. Einen Vortheil hab' ich davon: hätt 'ich den Bauern nicht den Homer vorgeleſen, ſo wüßte ich heut' noch nicht was drinn ſteht, die haben mir's durch ihre Bemerkungen und Fragen erſt beigebracht. — Wenn wir nach Hauſe kommen, ſo ſteigt einer nach dem an - dern wenn er müde iſt, zu Bette. Ich ſitze dann noch am Klavier, und da fallen mir Melodien ein, auf denen30 ich die Lieder die mir lieb ſind, gen Himmel trage. Wie iſt Natur ſo hold und gut. Im Bett richte ich meine Gedanken dahin wo mir's lieb iſt, und ſo ſchlafe ich ein. Sollte das Leben immer ſo fortge - hen? — gewiß nicht.
Am Samſtag waren die Brüder hier, bis zum Montag. Da haben wir die Nächte am Rhein ver - ſchwärmt. George mit der Flöte, wir ſangen dazu, ſo ging's von Dorf zu Dorf, bis uns der aufgehende Tag nach Hauſe trieb. — Fr. Mutter, auf dem prächtigen Rheinſpiegel in Mondnächten dahingleiten und ſingen, wie das Herz eben aufjauchzt, allerlei luſtige Aben - theuer beſtehen in freundlicher Geſellſchaft, ohne Sorge aufſtehen, ohne Harm zu Bette gehen, das iſt ſo eine Lebensperiode in der ich mitten inne ſtehe. Warum laſſe ich mir das gefallen? — weiß ich's nicht beſſer? — und iſt die Welt nicht groß und mancherlei in ihr, was blos des Menſchengeiſtes harrt um in ihm lebendig zu werden? — und ſoll das alles mich unberührt laſſen? — Ach Gott das Philiſterthum iſt eine harte Nuß, nicht leicht aufzubeißen, und mancher Kern vertrocknet un - ter dieſer harten Schale. Ja, der Menſch hat ein Ge - wiſſen, es mahnt ihn, er ſoll nichts fürchten, und ſoll nichts verſäumen was das Herz von ihm fordert. Die31 Leidenſchaft iſt ja der einzige Schlüſſel zur Welt, durch die lernt der Geiſt alles kennen und fühlen, wie ſoll er denn ſonſt in ſie hineinkommen? — und da fühl 'ich daß ich durch die Liebe zu Ihm erſt in den Geiſt ge - boren bin, daß durch Ihn die Welt ſich mir erſt auf - ſchließt, da mir die Sonne ſcheint, und der Tag ſich von der Nacht ſcheidet. Was ich durch dieſe Liebe nicht lerne, das werde ich nie begreifen. Ich wollt' ich ſäß 'an ſeiner Thür, ein armes Bettelkind, und nähm' ein Stückchen Brod von ihm, und er erkennte dann an meinem Blick weß Geiſtes Kind ich bin, da zög 'er mich an ſich und hüllte mich in ſeinen Mantel, damit ich warm würde. Gewiß, er hieß mich nicht wieder gehen, ich dürfte fort und fort im Hauſ' herumwandeln, und ſo vergingen die Jahre und keiner wüßte wer ich wäre, und niemand wüßte wo ich hingekommen wär ', und ſo vergingen die Jahre und das Leben, und in ſeinem Antlitz ſpiegelte ſich mir die ganze Welt, ich brauchte nichts Andres mehr zu lernen. Warum thu' ich's denn nicht? — es kommt ja nur drauf an daß ich Muth faſſe, ſo kann ich in den Hafen meines Glückes ein - laufen.
Weiß Sie noch wie ich den Winter durch Schnee und Regen geſprungen kam, und Sie fragt ', wie läufſt32 du doch über die Gaſſe, und ich ſagte, wenn ich die alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak - tiren ſollte, ſo würd' ich nicht weit in der Welt kom - men, und da meinte Sie, mir ſei gewiß kein Waſſer zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals ſchon: ja, wenn Weimar der höchſte Berg und das tiefſte Waſſer iſt. Jetzt kann ich's Ihr noch beſſer ſa - gen daß mein Herz ſchwer iſt und bleiben wird ſo lang 'ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der Ordnung finden oder nicht.
Adieu, leb 'Sie recht wohl. Ich werd' nächſtens bei Ihr angerutſcht kommen.
Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufſehen unter den Leuten; die möchten gern wiſſen was wir uns zu ſagen haben, da ich ihnen ſo unklug vorkomme. Sie kann getroſt glauben, ich werd 'auch nie klug wer - den. Wie ſoll ich Klugheit erwerben, mein einſamer Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr erlebt? — Im Winter war ich krank; dann macht 'ich ein Schattenſpiel von Pappendeckel, da hatten die Katze33 und der Ritter die Hauptrollen, da hab' ich nah 'an ſechs Wochen die Rolle der Katze ſtudirt, ſie war keine Philoſophin, ſonſt hätt' ich vielleicht profitirt. Im Früh - jahr blühte der Orangenbaum in meinem Zimmer; ich ließ mir einen Tiſch d'rum zimmern und eine Bank, und in ſeinem duftenden Schatten hab 'ich an meinen Freund geſchrieben. Das war eine Luſt die keine Weis - heit mir erſetzen konnte. Im Spiegel gegenüber ſah ich den Baum noch einmal und wie die Sonnenſtrahlen durch ſein Laub brachen; ich ſah ſie drüben ſitzen die Braune, Vermeſſene; an den größten Dichter, an den Er - habenen über alle, zu ſchreiben. Im April bin ich früh drauß geweſen auf dem Wall und hab' die erſten Veil - chen geſucht und botaniſirt, im Mai hab 'ich fahren gelernt mit zwei Pferd', Morgens mit Sonnenaufgang fuhr ich hinaus nach Oberrad, ich ſpaziert 'in die Ge - müsfelder und half dem Gärtner alles nach der Schnur pflanzen, bei der Milchfrau hab' ich mir einen Nelken - flor angelegt, die dunkelrothen Nelken ſind meine Lieb - lingsblumen. — Bei ſolcher Lebensweiſe, was ſoll ich da lernen, woher ſoll ich klug werden? — Was ich Ihrem Sohn ſchreib 'das gefällt ihm, er verlangt im - mer mehr, und mich macht das ſeelig, denn ich ſchwelge in einem Überfluß von Gedanken die meine Liebe, mein2**34Glück ausdrücken, wie es Ihm erquicklich iſt. Was iſt nun Geiſt und Klugheit, da der ſeeligſte Menſch, wie ich, ihrer nicht bedarf? —
Es war voriges Jahr im Eingang Mai da ich ihn ſah zum erſten Mal, da brach er ein junges Blatt von den Reben die an ſeinem Fenſter hinaufwachſen, und legt's an meine Wange und ſagte: das Blatt und deine Wange ſind beide wollig; ich ſaß auf dem Schemel zu ſeinen Füßen und lehnte mich an ihn, und die Zeit ver - ging im Stillen. — Nun, was hätten wir Kluges ein - ander ſagen können was dieſem verborgnen Glück nicht Eintrag gethan hätte; welch 'Geiſteswort hätte dieſen ſtillen Frieden erſetzt der in uns blühte? — O wie oft hab' ich an dieſes Blatt gedacht, und wie er damit mir die Stirne und das Geſicht ſtreichelte, und wie er meine Haare durch die Finger zog und ſagte: ich bin nicht klug; man kann mich leicht betrügen, du haſt keine Ehre davon wenn du mir was weis machſt mit deiner Liebe. — Da fiel ich ihm um den Hals. — Das alles war kein Geiſt und doch hab 'ich's tauſendmal in Ge - danken durchlebt, und werde mein Leben lang dran trinken wie das Aug' das Licht trinkt; — es war kein Geiſt, und doch überſtrahlt es mir alle Weisheit der Welt. — Was kann mir ſein freundliches Spielen mit35 mir erſetzen? — was den feinen durchdringenden Strahl ſeines Blicks, der in mein Auge leuchtet? — Ich achte die Klugheit nichts, ich habe das Glück unter anderer Geſtalt kennen lernen, und auch was andern weh thut das kann mir nicht Leid thun, und meine Schmerzen; das wird keiner verſtehen.
So hell wie dieſe Nacht iſt! Glanzverhüllt liegen die Berg 'da mit ihren Rebſtöcken und ſaugen ſchlaf - trunken das nahrhafte Mondlicht. — Schreib' Sie bald; ich hab 'keinen Menſchen dem ich ſo gern vertraue, denn weil ich weiß daß Sie mit keinem andern mehr anbin - det und abgeſchloſſen für mich da iſt, und daß Sie mit niemand über mich ſpricht. — Wenn Sie wüßt' wie tief es ſchon in der Nacht iſt! Der Mond geht unter, das betrübt mich. Schreib 'Sie mir recht bald.
Bettine.
Frau Rath, ich war mit dem Franz auf einer Eiſen - ſchmelze, zwei Tag 'mußt' ich in der engen Thalſchlucht aushalten, es regnete oder vielmehr näßte fortwährend, die Leute ſagten: ja, das ſind wir gewohnt, wir leben wie die Fiſch ', immer naß, und wenn einmal ein paar trockne Tage ſind, ſo juckt einem die Haut, man möchte36 wieder naß ſein; ich muß mich beſinnen wie ich Ihr das wunderliche Erdloch beſchreibe, wo unter dunklen gewaltigen Eichen die Gluth hervorleuchtet, wo an den Bergwänden hinan einzelne Hütten hängen und wo im Dunkel die einzelnen Lichter herüberleuchten, und der lange Abend durch eine ferne Schalmei die immer daſſelbe Stückchen hören läßt, recht an den Tag giebt daß die Einſamkeit hier zu Hauſ' iſt, die durch keine Geſelligkeit unterbrochen wird. Warum iſt denn der Ton einer einſamen Hausflöte die ſo vor ſich hinbläſt, ſo melancholiſch langweilig daß einem das Herz zer - ſpringen möcht 'vor Grimm, daß man nicht weiß wo aus noch ein; ach wie gern möcht' man da das Erden - kleid abſtreifen und hochfliegen weit in die Lüfte; ja, ſo eine Schwalbe in den Lüften, die mit ihren Flügeln wie mit einem ſcharfen Bogen den Äther durchſchneidet, die hebt ſich weit über die Sclavenkette der Gedanken, in's Unendliche, das der Gedanke nicht faßt. —
Wir wurden in gewaltig große Betten logirt, ich und der Bruder Franz, ich hab 'viel mit ihm ge - ſcherzt und geplaudert, er iſt mein liebſter Bruder. Am Morgen ſagte er ganz myſtiſch: geb' einmal acht, der Herr vom Eiſenhammer hat ein Hochgericht im Ohr; ich konnt's nicht errathen; wie ſich aber37 Gelegenheit ergab in's Ohr zu ſehen, da entdeckt 'ich's gleich, eine Spinne hatte ihr Netz in's Ohr aufgeſtellt, eine Fliege war drinn gefangen und verzehrt, und ihre Reſte hingen noch im unverletzten Gewebe; daraus wollte der Franz das verſteinerte langweilige Leben recht deutlich erkennen, ich aber erkannte es auch am Tintefaß, das ſo pelzig war und ſo wenig Flüſſiges enthielt. Das iſt aber nur die eine Hälfte dieſes Lochs der Einſamkeit. Man ſollt's nicht meinen, aber geht man langſam in die Runde, ſo kommt man an eine Schlucht. Am Morgen, wie eben die Sonne aufge - gangen war, entdeckte ich ſie, ich ging hindurch, da be - fand ich mich plötzlich auf dem ſteilen höchſten Rand eines noch tieferen und weiteren Thalkeſſels, ſein ſammt - ner Boden ſchmiegt ſich ſanft an die ebenmäßigen Berg - wände die es rund umgeben und ganz beſäet ſind mit Lämmer und Schafen; in der Mitte ſteht das Schäfer - haus und dabei die Mühle die vom Bach, der mitten durchbrauſt, getrieben wird. Die Gebäude ſind hinter uralten himmelhohen Linden verſteckt, die grade jetzt blühen und deren Duft zu mir heraufdampfte und zwiſchen deren dichtem Laub der Rauch des Schorn - ſteins ſich durchdrängte. Der reine blaue Himmel, der goldne Sonnenſchein hatte das ganze Thal erfüllt. 38Ach lieber Gott, ſäß' ich hier und hütete die Schafe, und wüßte daß am Abend einer käm der meiner einge - denk iſt, und ich wartete den ganzen Tag, und die ſonneglänzenden Stunden gingen vorüber, und die Schattenſtunden mit der ſilbernen Mondſichel und dem Stern brächten den Freund, der fänd 'mich an Berges - rand ihm entgegenſtürzend in die offne Arme, daß er mich plötzlich am Herzen fühlte mit der heißen Liebe, was wär' dann nachher noch zu erleben. Grüß 'Sie Ihren Sohn und ſag' Sie ihm, daß zwar mein Leben friedlich und von Sonnenglanz erleuchtet iſt, daß ich aber der goldnen Zeit nicht achte, weil ich mich immer nach der Zukunft ſehne wo ich den Freund erwarte. Adieu leb 'Sie wohl. Bei Ihr iſt Mitternacht eine Stunde der Geiſter, in der Sie es für eine Sünde hält die Augen offen zu haben, damit Sie keine ſieht; ich aber ging eben noch allein in den Garten durch die langen Traubengänge, wo Traube an Traube hängt vom Mondlicht beſchienen, und über die Mauer hab' ich mich gelehnt und hab 'hinausgeſehen in den Rhein, da war alles ſtill. Aber weiße Schaumwellen ziſchten und es patſchte immer an's Ufer, und die Wellen lall - ten wie Kinder. Wenn man ſo einſam Nachts in der freien Natur ſteht, da iſt's als ob ſie ein Geiſt wär'39 die den Menſchen um Erlöſung bäte. Soll vielleicht der Menſch die Natur erlöſen? ich muß einmal dar - über nachdenken; ſchon gar zu oft hab 'ich dieſe Em - pfindung gehabt als ob die Natur mich jammernd weh - müthig um etwas bäte, daß es mir das Herz durch - ſchnitt nicht zu verſtehen was ſie verlangte. Ich muß einmal recht lang' dran denken, vielleicht entdeck 'ich etwas was über das ganze Erdenleben hinaushebt. Adieu Fr. Rath, und wenn Sie mich nicht verſteht, ſo denk' Sie nur wie Ihr noch immer in Ihren jetzigen Tagen ein Poſthorn das Sie in der Ferne hört, einen wunderlichen Eindruck macht, ungefähr ſo iſt mir's auch heute.
Bettine.
Geſtern war Feuer am hellen Tag 'hier auf der Hauptwach', grad 'mir gegenüber, es brannte wie ein Blumenſtrauß aus dem Gaubloch an der Kathrinen - pfort'. Da war mein beſt Plaiſir die Gaſſenbuben mit ihrem Reffs auf dem Buckel, die wollten alle retten helfen, der Hausbeſitzer wollt 'nichts retten laſſen, denn40 weil das Feuer gleich aus war, da wollten ſie ein Trinkgeld haben, das hat er nicht geben, da tanzten ſie und wurden von der Polizei weggejagt. — Es iſt viel Geſellſchaft zu mir kommen, die wollten alle fra - gen wie ich mich befind' auf den Schreck, und da mußt 'ich ihnen immer von vorne erzählen, und das iſt jetzt ſchon drei Täg' daß mich die Leut 'beſuchen und ſehen ob ich nicht ſchwarz geworden bin vom Rauch. Dein Melinchen war auch da und hat mir ein Brief ge - bracht von Dir, der iſt ſo klein geſchrieben daß ich ihn hab' müſſen vorleſen laſſen, rath einmal von wem? —
Die Meline iſt aber einmal ſchön, ich hab 'geſagt die Stadt ſollt' ſie malen laſſen und ſollt 'ſie auf dem Rathſaal hängen, da könnten die Kaiſer ſehen was ihre gute Stadt für Schönheiten hat. Deine Brüder ſind aber auch ſo ſchön, ich hab' meiner Lebtag 'keine ſo ſchöne Menſchen geſehen als den George, der ſieht aus wie ein Herzog von Mailand, und alle andern Men - ſchen müſſen ſich ſchämen mit ihren Fratzengeſichtern ne - ben ihm. — Adieu und grüß auch die Geſchwiſter von Deiner Freundin Goethe.
Da kommt der Fritz Schloſſer aus dem Rheingau und bringt nur drei geſchnittne Federn von Dir und ſagt: er hätt 'geſchworen daß er mir keine Ruh' laſſen will, ich müßt 'ſchreiben wer's geweſen iſt der Deine Brief' geleſen hat. — Was hat's denn für Noth, wer ſollt's denn geweſen ſein? — in Weimar iſt alles ruhig und auf dem alten Fleck. Das ſchreiben die Zeitungen ſchon allemal voraus, lang eh 'es wahr iſt, wenn mein Sohn zu einer Reiſ' Anſtalt macht, der kommt einem nicht mit der Thür in's Haus gefallen. Da ſieht man aber doch recht daß Dein Herz Deinem Kopf was weiß macht. Herz, was verlangſt du? — Das iſt ein Sprich - wort, und wenn es ſagt was es will, ſo geht's wie in einem ſchlechten Wirthshaus, da haben ſie alles, nur keine friſche Eier, die man grad 'haben will. [Adieu], das hab' ich bei der Nachtlamp 'geſchrieben.
Ich bin Dir gut. Catharina Goethe.
Das hätt 'ich bald vergeſſen zu ſchreiben wer mir Deinen Brief geleſen hat, das war der Pfarrer Hufna - gel der wollt' auch ſehen was ich mach 'nach dem42 Schreck mit dem Feuer, ich ſagt: Ei Herr Pfarrer, iſt denn der Katharine Thurm grad ſo groß, daß er mir auf die Naſ' fällt wenn er umſtürtzt? — Da hat er ge - ſeſſen mit ſeinem dicken Bauch im ſchwarzen Talar mit dem runden weißen Kragen im doppelten Falten, mit der runden[Stutzperück] und den Schnallenſchuh auf Deiner Schawell, und hat den Brief geleſen, hätt's mein Sohn geſehen er hätt 'gelacht.
Katharina Goethe.
Frau Mutter ich danke Ihr für die zwei Brief 'hinter einander das war einmal gepflügt, recht durch ſchweres Erdreich, man ſieht's, die Schollen liegen ne - ben an, wie dick; gewiß das ſind der Lischen ihre Fin - ger geweſen mit denen Sie die Furchen gezogen hat, die ſind recht krumm, was mich wundert das iſt daß ich Ihr ſo gern ſchreib', daß ich keine Gelegenheit verſäum ', und alles was mir begegnet, prüf ich, ob es nicht ſchön wär ihr zu ſchreiben, das iſt weil ich doch nicht alles und fortwährend an den Wolfgang ſchreiben kann, ich hab ihn geſagt in Weimar: Wenn ich dort wohnte, ſo wollt ich als nur die Sonn - und Feiertäg' zu ihm kommen und nicht alle Tag, das hat ihn gefreut; ſo43 mein ich, daß ich auch nicht alle Tag 'an ihn ſchreiben darf, aber er hat mir geſagt ſchreib alle Tag', und wenn's Folianten wären, es iſt mir nicht zu viel, aber ich ſelbſt bin nicht alle Tag 'in der Stimmung, manch - mal denke ich ſo geſchwind, daß ich's gar nicht ſchreiben kann, und die Gedanken ſind ſo ſüß, daß ich gar nicht abbrechen kann um zu ſchreiben, noch dazu mag ich gern grade Linien und ſchöne Buchſtaben machen und das hält im Denken auf, auch hab' ich ihm manches zu ſagen was ſchwer auszuſprechen iſt, und manches hab 'ich ihm mitzutheilen was nie ausgeſprochen werden kann; da ſitz' ich oft Stunden und ſeh in mich hinein und kann's nicht ſagen was ich ſeh, aber weil ich im Geiſt mich mit ihm zuſammen fühl ', ſo bleib ich gern dabei, und ich komme mir vor wie eine Sonnenuhr die grad' nur die Zeit angiebt, ſo lang 'die Sonne ſie beſcheint. Wenn meine Sonne mich nicht mehr anlächelt, dann wird man auch die Zeit nicht mehr an mir erkennen; es ſollte einer ſagen ich leb', wenn er mich nicht mehr lieb hat; das Leben was ich jetzt führ, davon hat kei - ner Verſtand, an der Hand führt mich der Geiſt ein - ſame Straßen, er ſetzt ſich mit mir nieder am Waſſers - rand, da ruht er mit mir aus, dann führt er mich auf hohe Berge; da iſt es Nacht da ſchauen wir in die Ne -44 bel-Thale da ſieht man den Pfad kaum vor den Füßen aber ich geh 'mit, ich fühl, daß er da iſt wenn er auch vor meinen leiblichen Augen verſchwindet, und wo ich geh und ſteh, da ſpühr ich ſein heimlich Wandeln um mich, und in der Nacht iſt er die Decke in die ich mich einhülle, und am Morgen iſt er es vor dem ich mich verhülle wenn ich mich ankleide, niemals mehr bin ich allein, in meiner einſamen Stube fühl ich mich ver - ſtanden und erkannt von dieſem Geiſt; ich kann nicht mit lachen ich kann nicht mit Comoedie ſpielen, die Kunſt und die Wiſſenſchaft die laſſe ich fahren; noch vor einem halben Jahr, da wollt' ich Geſchichte ſtudieren und Geo - graphie, es war Narrheit. Wenn die Zeit in der Wir leben, erſt recht erfüllt wär mit der Geſchichte, ſo daß einer alle Hände voll zu thun hätt ', um nur der Ge - ſchichte den Willen zu thun ſo hätt' er keine Zeit um nach den vermoderten Königen zu fragen, ſo geht mir's, ich hab 'keine Zeit ich muß jeden Augenblick mit meiner Liebe verleben. Was aber die Geographie anbelangt, ſo hab' ich einen Strich gemacht mit rother Tinte auf die Landkart. Der geht, von wo ich bin bis dahin wo es mich hinzieht, das iſt der rechte Weg alles andre ſind Irr - oder Umwege. Das ganze Firmament mit Sonne, Mond und Sterne gehören blos zur Ausſicht meiner45 Heimath. Dort iſt der fruchtbare Boden, indem mein Herz die harte Rinde ſprengt und in's Licht hinaufblüht.
Die Leute ſagen: Was biſt du traurig, ſollt ich ver - gnügt ſein? — oder dies oder jenes? — wie paßt das zu meinem innern Leben; ein jedes Betragen hat ſeine Urſache, das Waſſer wird nicht luſtig dahin tanzen und ſingen, wenn ſein Bett nicht dazu gemacht iſt. So werd 'ich nicht lachen, wenn nicht eine geheime Luſt der Grund dazu iſt; ja ich habe Luſt im Herzen, aber ſie iſt ſo groß ſo mächtig, daß ſie ſich nicht in's Lachen fü - gen kann; wenn es mich aus dem Bett aufruft vor Tag, und ich zwiſchen den ſchlafenden Pflanzen Berg - auf wandle, wenn der Thau meine Füße wäſcht, und ich denk demüthig, daß es der Herr der Welten iſt der meine Füße wäſcht, weil er will ich ſoll rein ſein von Herzen wie er meine Füße vom Staub reinigt; wenn ich dann auf des Berges Spitze komme und überſehe alle Lande im erſten Strahl der Sonne dann fühl' ich dieſe mächtige Luſt in meiner Bruſt ſich ausdehnen, dann ſeufz 'ich auf und hauch die Sonne an zum Dank, daß ſie mir in einem Bild erleuchte was der Reich - thum der Schmuck meines Lebens iſt, denn was ich ſehe was ich verſtehe es iſt alles nur Wiederhall meines Glückes.
46Adieu, läſt ſie ſich den Brief, auch vom Pfarrer vorſtudieren? — ich hab 'ihn doch mit ziemlich großen Buchſtaben geſchrieben. Hat dann in meinem letzten Brief etwas geſtanden, daß ich ſeinen heißen Durſt hab', und daß ich mondſüchtig bin, oder ſo was? — wie kann Sie ihm denn das leſen laſſen? ſie wirft ihm ja ſeinen gepolſterten Betſchemel um, in ſeinem Kopf. Die Bet - tine hat Kopfweh ſchon ſeit 3 Tagen und heut liegt ſie im Bett und küßt ihrer Frau Rath die Hand.
Werd 'mir nicht krank Mädchen, ſteh auf aus Dei - nem Bett, und nimm's, und wandle. So hat der Herr Chriſtus geſagt zum Kranken, das ſag' ich dir auch, dein Bett iſt deine Liebe in der du krank liegſt, nimm ſie zu - ſammen und erſt am Abend breite ſie aus, und ruhe in ihr wenn du des Tages Laſt und Hitze ausgeſtanden haſt. — Da hat mein Sohn ein paar Zeilen geſchrieben, die ſchenk ich dir, ſie gehören dem Inhalt nach dein.
Der Prediger hat mir deinen Brief vorgerumpelt wie ein ſchlechter Poſtwagen auf holperichem Weg, das ſchmeißt alles Paſſagiergut durcheinander; du haſt auch47 deine Gedanken ſo ſchlecht gepackt, ohne Komma ohne Punkt, daß wenn es Paſſagiergut wär 'keiner könnt' das ſeinige heraus finden; ich hab 'den Schnuppen und bin nicht aufgelegt, hätt' ich dich nicht ſo lieb ſo hatt 'ich nicht geſchrieben, wahr deine Geſundheit.
Ich ſag 'allemal wenn die Leut fragen was du machſt: Sie fängt Grillen, und das wird dir auch gar nicht ſauer, bald iſt's ein Nachtvogel der dir an der Naſ' vor bei fliegt, dann haſt du um Mitternacht wo alle ehrliche Leute ſchlafen etwas zu bedenken, und mar - ſchierſt durch den Garten an den Rhein in der kalten feuchten Nachtluft, du haſt eine Natur von Eiſen, und eine Einbildung wie eine Rakete, wie die ein Funken berührt, ſo platzt ſie los. Mach daß du bald wieder nach Haus kommſt. Mir iſt nicht heuer wie's vorige Jahr, manchmal krieg ich Angſt um dich, und an den Wolfgang muß ich Stundenlang denken, immer wie er ein klein Kind war, und mir unter den Füßen ſpielte, und dann wie er mit ſeinem Bruder Jacob ſo ſchön ge - ſpielt hat, und hat ihn Geſchichten gemacht; ich muß einen haben dem ich's erzähl, die andern hören mir alle nicht ſo zu wie Du; ich wollt 'wirklich wünſchen, die Zeit wär' vorbei und Du wärſt wieder da.
Adieu, mach das Du kommſt, ich hab 'alles ſo hell48 im Gedächtniß als ob's geſtern paſſiert wär', jetzt kann ich Dir die ſchönſten Geſchichten vom Wolfgang erzäh - len, und ich glaub 'Du haſt mich angeſteckt, ich mein immer das wär kein rechter Tag an dem ich nichts von ihm geſprochen hab'.
Deine Freundin Goethe.
Ich war in Köln da hab ich den ſchönen Krug ge - kauft, ſchenk Sie ihn Ihrem Sohn von ſich, das wird Ihr beſſer Freud 'machen, als wenn ich Ihr ihn ſchenkte. Ich ſelbſt mag ihm nichts ſchenken, ich will nur von ihm nehmen.
Köln iſt recht wunderlich, alle Augenblick hört man eine andre Glocke läuten, das klingt hoch und tief, dumpf und hell von allen Seiten unter einander. Da ſpazieren Franziskaner, Minoritten, Kapuziner, Domi - nikaner, Benediktiner an einander vorbei, die einen ſin - gen, die andern brummen eine Litaney, und wenn ſie aneinander vorbeikommen, da begrüßen ſie ſich mit ihren Fahnen und Heiligthümern und verſchwinden in ihren Klöſtern. Im Dom war ich grade bei Sonnenuntergang,da49da malten ſich die bunten Fenſterſcheiben durch die Sonne auf dem Boden ab, ich kletterte überall in dem Bau - werk herum, und wiegte mich in den geſprengten Bögen.
Fr. Rath, das wär 'Ihr recht gefährlich vorgekom - men, wenn Sie mich vom Rhein aus in einer ſolchen gothiſchen Roſe hätte ſitzen ſehen; es war auch gar kein Spaß; ein paarmal wollte mich Schwindel antreten, aber ich dachte: ſollte der ſtärker ſein wollen wie ich? — und expreß wagt ich mich noch weiter. Wie die Dämmerung eintrat da ſah ich in Deutz eine Kirche mit bunten Scheiben von innen illuminirt, da tönte das Geläut herüber, der Mond trat hervor und einzelne Sterne. Da war ich ſo allein, rund um mich zwit - ſcherte es in den Schwalbenneſtern, deren wohl tau - ſende in den Geſimſen ſind, auf dem Waſſer ſah ich einzelne Seegel ſich blähen. Die andern hatten unter - deſſen den ganzen Kirchbau examinirt alle Monumente und Merkwürdigkeiten ſich zeigen laſſen. Ich hatte da - für einen ſtillen Augenblick, in dem meine Seele ge - ſammelt war, und die Natur, auch alles was Menſchen - hände gemacht haben und mich mit, in die feierliche Stimmung des im Abendroth glühenden Himmels ein - ſchmolz. — Verſteh' Sie das, oder verſteh 'Sie es nicht, es iſt mir einerlei. Ich muß Sie freilich mit meinenI. 350überſichtigen Grillen behelligen, wem ſollt ich ſie ſonſt mittheilen!
Das iſt auch noch eine Merkwürdigkeit von Köln; die Betten die ſo hoch ſind, daß man einen Anlauf neh - men muß, um hinein zu kommen; man kann immer zwei, drei Verſuche machen ehe einer glückt; iſt man erſt drinn, wie ſoll man da wieder herauskommen? ich dachte, hier iſt gut ſein, denn ich war müde, und hatte mich ſchon den ganzen Tag auf meine Träume gefreut, was mir die beſcheeren würden; da kam mir auch, auf ihrem goldnen Strom ein Kahn beladen und geſchmückt mit Blumen aus dem Paradies entgegen, und ein Apfel den mir der Geliebte ſchickte, den hab 'ich auch gleich ver - zehrt.
Wir haben am Sonntag ſo viel Rumpelkammern durchſucht, Alterthümer, Kunſtſchätze betrachtet, ich hab 'alles mit großem Intereſſe geſehen. Ein Humpen, aus dem die Kurfürſten gezecht, iſt ſchön, mit vier Henkel, auf denen ſitzen Nymphen die ihre Füße im Wein ba - den, mit goldnen Kronen auf dem Kopf die mit Edel - ſteinen geziert ſind; um den Fuß windet ſich ein Drache mit vier Köpfen, die die vier Füße bilden, worauf das Ganze ſteht; die Köpfe haben aufgeſperrte Rachen die inwen - dig vergoldet ſind, auf dem Deckel iſt Bachus von zwei51 Satyrn getragen, er iſt von Gold und die Satyrn von Silber. So haben auch die Nymphen emaillirte Ge - wande an. Der Trinkbecher iſt von Rubinglas, und das Laubwerk was zwiſchen den Figuren ſich durchwin - det iſt ſehr ſchön von Silber und Gold durcheinander geflochten. — Dergleichen Dinge ſind viel, ich wollt' Ihr blos den einen beſchreiben weil er ſo prächtig iſt, und weil Ihr die Pracht wohlgefällt.
Adieu Frau Rath! — zu Schiff kamen wir herab, und zu Wagen fuhren wir wieder zurück nach Bonn.
Bettine.
Ich will nicht lügen: wenn Sie die Mutter nicht wär 'die Sie iſt, ſo würd' ich auch nicht bei Ihr ſchrei - ben lernen. Er hat geſagt, ich ſoll ihn vertreten bei Ihr, und ſoll Ihr alles Liebe thun was er nicht kann, und ſoll ſein gegen Sie, als ob mir all' die Liebe von Ihr angethan wär 'die er nimmer vergißt. — Wie ich bei ihm war, da war ich ſo dumm und fragte ob er Sie liebhabe, da nahm er mich in ſeinen Arm und3*52drückte mich an's Herz und ſagte: berühr eine Saite, und ſie klingt, und wenn ſie auch in langer Zeit keinen Ton gegeben hätte. Da waren wir ſtill und ſprachen nichts mehr hiervon, aber jetzt hab 'ich ſieben Briefe von ihm, und in allen mahnt er mich an Sie; in einem ſagt er: Du biſt immer bei der Mutter, das freut mich; es iſt als ob der Zugwind von daher geblaſen habe, und jetzt fühl ich mich geſichert und warm, wenn ich Deiner und der Mutter gedenke; ich hab' ihm dagegen erzählt, daß ich Ihr mit der Schere das Wachstuch auf dem Tiſch zerſchnitten hab ', und daß Sie mir auf die Hand geſchlagen hat, und hat geſagt: grad' wie mein Sohn — auch alle Unarten haſt Du von ihm! —
Von Bonn kann ich nichts erzählen, da war's wie - der einmal ſo, daß man alles empfindet aber nichts da - bei denkt; wenn ich mich recht beſinne, ſo waren wir im botaniſchen Garten, grad 'wie die Sonn' unterging; alle Pflanzen waren ſchon ſchlaftrunken, die Siebenberg waren vom Abendroth angehaucht, es war kühl, ich wickelte mich in den Mantel und ſetzt 'mich auf die Mauer, mein Geſicht war vom letzten Sonnenſtrahl vergoldet, beſinnen macht ich mich nicht, das hätt' mich traurig gemacht in der gewaltigen verſtummten Natur. Da ſchlief ich ein, und da ich erwachte (ein großer Kä -53 fer hat mich geweckt) da war's Nacht und recht kalt. Am andern Tag ſind wir wieder hier eingetroffen.
Adieu Fr. Rath, es iſt ſchon ſo ſpät in der Nacht, und ich kann gar nicht ſchlafen.
Bettine.
Das kann ich nicht von Dir leiden, daß Du die Nächte verſchreibſt und nicht verſchläfſt, das macht dich melancholiſch und empfindſam, wollt ich drauf ant - worten, bis mein Brief ankäm ', da iſt ſchon wieder an - der Wetter. Mein Sohn hat geſagt: was einem drückt, das muß man verarbeiten, und wenn er ein Leid gehabt hat, da hat er ein Gedicht draus gemacht. — Ich hab' Dir geſagt, Du ſollſt die Geſchichte von der Günderode aufſchreiben, und ſchick 'ſie nach Weimar, mein Sohn will es gern haben, der hebt ſie auf, dann drückt ſie Dich nicht mehr.
Der Menſch wird begraben in geweihter Erd ', ſo ſoll man auch große und ſeltne Begebenheiten begraben in einen ſchönen Sarg der Erinnerung, an den ein je - der hintreten kann und deſſen Andenken feiern. Das54 hat der Wolfgang geſagt, wie er den Werther geſchrie - ben hat; thues ihm zu Lieb' und ſchreib's auf.
Ich will Dir gern ſchreiben, was meine arme Fe - der vermag, weil ich Dir Dank ſchuldig bin; eine Frau in meinem Alter, und ein junges feuriges Mädchen, das lieber bei mir bleibt und nach nichts anderm frägt, ja das iſt Dankenswerth; ich hab's nach Weimar geſchrie - ben. Wann ich ihm von Dir ſchreib ', da antwortet er immer auf der Stell'; er ſagt, daß Du bei mir aus - hältſt, das ſei ihm ein Troſt. — Adieu, bleib 'nicht zu lang' im Rheingau; die ſchwarzen Felswände, an de - nen die Sonne abprallt, und die alten Mauern die ma - chen Dich melancholiſch.
Deine Freundin Eliſabeth.
Der Moritz Bethmann hat mir geſagt, daß die Staël mich beſuchen will; ſie war in Weimar, da wollt ', ich, Du wärſt hier, da werd' ich mein Franzöſiſch recht zuſammen nehmen müſſen.
Diesmal hat Sie mir's nicht recht gemacht, Frau Rath; warum ſchickt Sie mir Goethe's Brief nicht? —55 Ich hab 'ſeit dem 13. Auguſt nichts von ihm, und jetzt haben wir ſchon Ausgang September. Die Staël mag ihm die Zeit verkürzt haben, da hat er nicht an mich gedacht. Eine berühmte Frau iſt was kurioſes, keine andre kann ſich mit ihr meſſen, ſie iſt wie Branntwein, mit dem kann ſich das Korn auch nicht vergleichen, aus dem er gemacht iſt. So Branntwein bitzelt auf der Zung', und ſteigt in den Kopf, das thut eine berühmte Frau auch; aber der reine Waizen iſt mir doch lieber, den ſäet der Säemann in die gelockerte Erd ', die liebe Sonne und der fruchtbare Gewitterregen locken ihn wie - der heraus, und dann übergrünt er die Felder, und trägt goldne Ähren, da giebt's zuletzt noch ein luſtig' Erndtefeſt; ich will doch lieber ein einfaches Waizen - korn ſein als eine berühmte Frau, und will auch lieber, daß Er mich als tägliches Brod breche, als daß ich ihm wie ein Schnaps durch den Kopf fahre. — Jetzt will ich Ihr nur ſagen, daß ich geſtern mit der Staël zu Nacht gegeſſen hab 'in Mainz; keine Frau wollt neben ihr ſitzen bei Tiſch', da hab 'ich mich neben ſie geſetzt; es war unbequem genug, die Herren ſtanden um den Tiſch und hatten ſich alle hinter uns gepflanzt, und einer drückte auf den andern, um mit ihr zu ſprechen, und ihr in's Geſicht zu ſehen; ſie bogen ſich weit über56 mich; ich ſagte: „ Vos Adorateurs me suffoquent,” ſie lachte. — Sie ſagte, Goethe habe mit ihr von mir ge - ſprochen; ich blieb gern ſitzen, denn ich hätte gern ge - wußt, was er geſagt hat, und doch war mir's unrecht, denn ich wollt' lieber, er ſpräch 'mit niemand von mir; und ich glaub's auch nicht, — ſie mag nur ſo geſagt haben; — es kamen zuletzt ſo viele, die alle über mich hinaus mit ihr ſprechen wollten, daß ich's gar nicht län - ger konnte aushalten; ich ſagt' ihr: „ Vos lauriérs me pesent trop fort sur les épaules. Und ich ſtand auf und drängt 'mich zwiſchen den Liebhabern durch; da kam der Sis - mondi, ihr Begleiter, und küßt' mir die Hand, und ſagte, ich hätte viel Geiſt und ſagt's den andern, und ſie repetirten es wohl zwanzigmal, als wenn ich ein Prinz wär '; von denen findet man auch immer alles ſo geſcheut, wenn es auch das gewöhnlichſte wär'. — Nachher hört 'ich ihr zu, wie ſie von Goethe ſprach; ſie ſagte, ſie habe erwartet, einen zweiten Werther zu finden, allein ſie habe ſich geirrt, ſo wohl ſein Benehmen wie auch ſeine Figur paſſe nicht dazu, und ſie bedauerte ſehr, daß er ihn ganz verfehle; Fr. Rath, ich wurd' zornig über dieſe Reden, („ das war überflüſſig, “wird Sie ſagen) ich wendt 'mich an Schlegel, und ſagt' ihm auf Deutſch: die Fr. Staël hat ſich doppelt geirrt, einmal in der Er -57 wartung, und dann in der Meinung; Wir Deutſchen erwarten, daß Goethe zwanzig Helden aus dem Ärmel ſchüttlen kann, die den Franzoſen ſo imponiren, Wir meinen, daß er ſelbſt aber noch ein ganz andrer Held iſt. — Der Schlegel hat unrecht, daß er ihr keinen beſ - ſern Verſtand hierüber beigebracht hat. Sie warf ein Lorbeerblatt, womit ſie geſpielt hatte, auf die Erde; ich trat[drauf] und ſchubſte es mit dem Fuß auf die Seite und ging fort. — Das war die Geſchicht 'mit der be - rühmten Frau; hab' Sie keine Noth mit ihrem franzö - ſiſch, ſprech 'Sie die Fingerſprach mit ihr, und mache Sie den Commentar dazu mit ihren großen Augen, das wird imponiren; die Staël hat ja einen ganzen Amei - ſenhaufen Gedanken im Kopf, was ſoll man ihr noch zu ſagen haben? Bald komm' ich nach Frankfurt, da können wir's beſſer beſprechen.
Hier iſt's ſehr voll von Rheingäſten; wenn ich Morgens durch den dicken Nebel einen Nachen hervorſtechen ſeh ', da lauf' ich an's Ufer und wink 'mit dem Schnupftuch, immer ſind's Freunde oder Bekannte; vor ein paar Tagen waren Wir in Nothgottes, da war eine große Wallfahrt, der ganze Rhein war voll Nachen, und wenn ſie anlande - ten, ward eine Prozeſſion draus, und wanderten ſingend eine jede ihr eigen Lied, neben einander hin; das war3**58ein Schariwari, mir war Angſt, es möcht 'unſerm Herr - gott zu viel werden; ſo kam's auch: er ſetzte ein Ge - witter dagegen und donnerte laut genug, ſie haben ihn übertäubt, aber der gewaltige Regenguß hat die lieben[Wallfahrter] aus einander gejagt, die da im Gras la - gen, wohl tauſende und zechten; — ich hab' grad 'kei - nen empfindſamen Reſpekt vor der Natur, aber ich kann's doch nicht leiden, wenn ſie ſo beſchmutzt wird mit Papier und Wurſtzipfel und zerbrochnen Tellern und Flaſchen, wie hier auf dem großen grünen Plan, wo das Kreuz zwiſchen Linden aufgerichtet ſteht, wo der Wandrer, den die Nacht überraſcht, gern Nachtruhe hält und ſich geſchützt glaubt durch den geweihten Ort. — Ich kann Ihr ſagen, mir war ganz unheimlich; ich bin heut noch caput. Ich ſeh' lieber die Lämmer auf dem Kirchhof weiden, als die Menſchen in der Kirch '; und die Lilien auf dem Feld', die ohne zu ſpinnen, doch vom Thau genährt ſind, — als die langen Prozeſſionen drü - ber ſtolpern, und ſie im ſchönſten Flor zertreten. Ich ſag 'Ihr gute Nacht, heut hab' ich bei Tag geſchrieben.
Bettine.
Geb 'Sie Achtung damit Sie es recht verſteht, denn ich hab' ſchon zweimal vergeblich verſucht eine gutge - ordnete Darſtellung davon zu machen.
Ein großer Tafelaufſatz der mir die ganze Zeit im Kopf herumſpukt, und den mir deucht im großen Ban - ketſaal der Kurfürſtlichen Reſidenz geſehen zu haben; er beſteht aus einer ovalen fünf bis ſechs Fuß langen chri - ſtallenen Platte einen See vorſtellend, in Wellen ſanft geſchliffen die ſich gegen die Mitte hin mehr und mehr heben, und endlich ganz hoch ſteigen, wo ſie einen ſil - bernen Fels mit einem Throne umgeben auf welchem die Venus ſitzt; ſie hat ihren Fuß auf den Rücken eines Tritonen geſtemmt, der einen kleinen Amor auf den Händen balancirt; rundum ſpritzt ſilberner Schaum, auf den höchſten Wellen umher reiten muthige Nym - phen, ſie haben Ruder in Händen um die Wellen zu peit - ſchen, ihre Gewande ſind emaillirt, meiſtens blasblau oder ſeegrün, auch gelblich; ſie ſcheinen in einem übermüthi - gen jauchzenden Waſſertanz begriffen; etwas tiefer, ſil -60 berne Seepferde von Tritonen gebändigt und zum Theil beritten; alles in Silber und Gold getrieben mit email - lirten Verzierungen. Wenn man in den hohlen Fels Wein thut, ſo ſpritzt er aus Röhrchen in regelmäßigen feinen Strahlen rund um die Venus empor, und fließt in ein verborgnes Becken unter dem Fels; das iſt die hohe Mittelgruppe. Näher am Ufer liegen bunte Mu - ſcheln, zwiſchen den Wellen, und emaillirte Waſſerlilien; aus ihren Kelchen ſteigen kleine Amoretten empor die mit geſpanntem Bogen einander beſchießen, zwiſchen durch flüchten Seeweibchen mit Fiſchſchweifen von See - männchen mit ſpitzen Bärten verfolgt, und an ihren Schilfkränzen erhaſcht oder mit Netzen eingefangen. Auf der andern Seite ſind Seeweibchen die einen kleinen Amor in der Luft gefangen halten und ihn unter die Wellen ziehen wollen, er wehrt ſich und ſtemmt ſein Füßchen der einen auf die Bruſt während die andre ihn an den bunten Flügeln hält; dieſe Gruppe iſt ganz köſtlich und ſehr luſtig; der Amor iſt ſchwarz von Am - bra, die Nymphen ſind von Gold mit emaillirten Krän - zen. Die Gruppen ſind vertheilt in beiden Halbovalen, alles emaillirt mit blau, grün, roth, gelb, lauter helle Farben; viele Seeungeheuer gucken zwiſchen den chriſtall - nen Wellen hervor mit aufgeſperrtem Rachen; ſie ſchnap -61 pen nach den fliehenden Nymphen, und ſo iſt ein bun - tes Gewirr von luſtiger, glitzernder Pracht über das ganze verbreitet; aus deſſen Mitte der Fels mit der Ve - nus emporſteigt; am einen Ende der Platte, wo ſonſt gewöhnlich die Handhabe iſt: ſitzt etwas erhaben gegen den Zuſchauer der berühmte Cyklop-Polyphem der die Ga - lathee in ſeinen Armen gefangen hält; er hat ein gro - ßes Aug 'auf der Stirn, ſie ſieht ſchüchtern herab auf die Schafheerde die zu beiden Seiten gelagert iſt, wo - durch die Gruppe ſich in einen ſanften Bogen mit zwei Lämmern, welche an beiden Enden liegen und ſchlafen, abſchließt. Jenſeits ſitzt Orpheus, auch gegen die Zu - ſchauer gewendet; er ſpielt die Leier, ein Lorbeerbaum hinter ihm, auf deſſen ausgebreiteten goldnen Zweigen Vögel ſitzen; Nymphen haben ſich herbeigeſchlichen mit Rudern in der Hand, ſie lauſchen; dann ſind noch al - lerlei Seethiere bis auf zwei Delphine, die auf beiden Seiten die Gruppe wie jenſeits in einem ſanften Bogen abſchließen; ſehr hübſch iſt ein kleiner Affe der ſich einen Sonnenſchirm von einem Blatt gemacht hat, zu Orpheus Füßen ſitzt und ihm zuhört. — Das iſt wie Sie leicht denken kann ein wunderbares Prachtſtück; es iſt ſehr reich und doch erhaben; und ich könnte ihr noch eine halbe Stunde über die Schönheit der einzelnen Figuren62 vorſchwätzen. Gold und Silber macht mir den Eindruck von etwas heiligem; ob dies daher kommt, weil ich im Kloſter immer die goldnen und ſilbernen Meßgeſchirre, und den Kelch gewaſchen habe, den Weihrauchkeſſel ge - putzt, und die Altarleuchter vom abträuflenden Wachs gereinigt, alles mit einer Art Ehrfurcht berührt habe? ich kann Ihr nur ſagen, daß uns beim Betrachten die - ſes reichen und künſtlichen Werkes eine feierliche Stim - mung befiel.
Jetzt beſchreib 'ich Ihr aber noch etwas Schönes, das gefällt mir in der Erinnerung noch beſſer, und die Kunſtkenner ſagen auch es habe mehr Styl; das iſt ſo ein Wort, wenn ich frage was es bedeutet, ſagt man: Wiſſen Sie nicht was Styl iſt? — und damit muß ich mich zufrieden geben, hierbei hab' ich's aber doch aus - gedacht. Alles große Edle muß einen Grund haben warum es edel iſt: Wenn dieſer Grund rein ohne Vor - urtheil ohne Pfuſcherei von Nebendingen und Abſichten, die einzige Baſis des Kunſtwerks iſt: das iſt der reine Styl. Das Kunſtwerk muß grade nur das ausdrücken, was die Seele erhebt und edel ergötzt und nicht mehr. Die Empfindung des Künſtlers muß allein darauf ge - richtet ſein, das übrige iſt falſch. In den kleinen Ge - dichten vom Wolfgang iſt die Empfindung aus einem63 Guß, und was er da ausſpricht, daß erfüllt reichlich eines jeden Seele mit derſelben edlen Stimmung. In allen liegt es, ich will Ihr aber nur dies kleinſte zitiren, das ich ſo oft mit hohem Genuß in den einſamen Wäl - dern geſungen habe, wenn ich allein von weitem Spa - zierwegen nach Hauſe ging.
Im Kloſter hab 'ich viel predigen hören, über den Weltgeiſt und die Eitelkeit aller Dinge, ich habe ſelbſt, den Nonnen die Legende Jahr aus Jahr ein vorgele - ſen, weder der Teufel noch die Heiligen haben bei mir Eindruck gemacht, ich glaub' ſie waren nicht vom reinen Styl; ein ſolches Lied aber erfüllt meine Seele mit der lieblichſten Stimmung, keine Mahnung, keine weiſe Leh - ren könnten mir je ſo viel Gutes einflößen; es befreit mich von aller Selbſtſucht, ich kann andern alles geben, und gönne ihnen das beſte Glück, ohne für mich ſelbſt etwas zu verlangen; das macht weil es vom reinen ed - len Styl iſt. So könnte ich noch manches ſeiner Lieder64 herſetzen die mich über alles erheben, und mir einen Ge - nuß ſchenken der mich in mir ſelber reich macht. Das Lied: Die ſchöne Nacht hab 'ich wohl hundertmal dies Jahr auf ſpätem Heimweg geſungen:
Wie war ich da glücklich und heiter in dieſem Früh - jahr wie die Birken, während meinem Geſang rund um mich her der eilenden Luna wirklich ihren duftenden Weihrauch ſtreuten. Es ſoll mir keiner ſagen, daß rei - ner Genuß nicht Gebet iſt. Aber in der Kirche iſt's mir noch nimmer gelungen, da hab 'ich geſeufzt vor ſchwe - rer Langenweile, die Predigt war wie Blei auf meinen Augenliedern. O je, wie war mir leicht wenn ich aus der Kloſterkirche in den ſchönen Garten konnte ſpringen, da war mir der geringſte Sonnenſtrahl eine beſſre Er - leuchtung als die ganze Kirchengeſchichte.
Das zweite Kunſtwerk welches ich Ihr beſchreibe, iſt ein Delphin aus einem großen Elephantenzahn ge - macht; er ſperrt ſeinen Rachen auf in den ihm zwei Amoretten das Gebiß einlegen; ein andrer der auf dem Nacken des Delphins ſitzt, nimmt von beiden Seiten den Zaum; auf der Mitte des Rückens liegt ein gold -65 ner Sattel mit einem Sitz von getriebener Arbeit, wel - ches Laubwerk von Weinreben vorſtellt; inmitten deſ - ſelben, ſteht Bacchus von Elfenbein; ein ſchöner, zarter, ſchlanker Jüngling mit goldnen Haaren und einer phry - chiſchem Mütze auf; er hat die eine Hand in die Seite geſtemmt, mit der andern hält er einen goldnen Rebſtock der unter dem Sattel hervorkömmt, und ihn mit ſchö - nem, feinem Laub überdacht; auf beiden Seiten des Sat - tels ſind zwei Muſcheln angebracht wie Tragkörbe, darin ſitzen zwei Nymphen von Elfenbein in jedem, und bla - ſen auf Muſcheln; die breiten Floßfedern, ſo wie der Schwanz des Fiſches ſind von Gold und Silber gear - beitet; unmittelbar hinter dem Sattel ſchlängelt ſich der Leib des Fiſches aufwärts als ob er mit dem Schweif in die Lüfte ſchnalzte; auf dem Bug deſſelben ſitzt ein zierliches Nymphchen, und klatſcht in die Hände; dieſes kommt etwas höher zu ſtehen, und ſieht über die Gruppe des Bacchus herüber; die Floßfedern des Schweifes bil - den ein zierliches Schattendach über der Nymphe; der Rachen des Fiſches iſt inwendig von Gold; man kann ihn auch mit Wein füllen, der dann in zwei Strahlen aus ſeinen Nüſtern empor ſpringt; man ſtellte dieſes Kunſtwerk bei großen Feſten in einem goldnen Becken auf den Nebentiſchen auf. Dieſes iſt nun ein Kunſt -66 werk vom erhabenen Styl, und ich kann auch ſagen, daß es mich ganz mit ſtummer heiliger Ehrfurcht er - füllte. Noch viele dergleichen ſind da; alles hat Be - zug auf den Rhein, unter andern ein Schiff von Ce - dernholz, ſo fein gemacht, mit ſchönen Arabesken; ein Basrelief umgiebt den Obertheil des Schiffes, auf deſſen Verdeck die drei Kürfürſten von Kölln, Mainz und Trier ſitzen und zechen; Knappen ſtehen hinter ihnen mit Hen - kelkrügen. Dies hat mir nicht ſo viel Freud 'gemacht, obſchon viel Schönes daran iſt, beſonders die Glücks - göttin, die am Vordertheil des Schiffes angebracht iſt.
Ich beſchreib 'Ihr noch einen Humpen, das iſt ein wahres Meiſterſtück und ſtellt eine Kelter vor. In der Mitte ſteht ein hohes Faß, das iſt der eigentliche Hum - pen; auf beiden Seiten klettern in zierlichen Verſchlin - gungen Knaben hinauf mit Butten voll Trauben über die Schultern von Männern, um an den Rand zu ge - langen und ihre Trauben auszuſchütten; in der Mitte, als Knopf des Deckels der etwas tief in den Rand des Humpens paßt, ſteht Bacchus mit zwei Tigern die an ihm hinanſpringen; er iſt im Begriff die Trauben, deren gehäufte Menge mit einzelnen Ranken dazwiſchen, den Deckel bilden, mit den Füßen zu keltern. Die Knaben die von allen Seiten herüberreichen um ihre Gefäße mit67 Trauben auszuleeren, bilden einen wunderſchönen Rand; die ſtarken Männer am Fuß der Kelter, die die kleinen Knaben auf ihre Schultern heben und auf mannigfache Weiſe heraufhelfen, ſind ganz außerordentlich herrlich, nackt, einem oder dem andern hängt ein Tigerfell über den Rücken, ſonſt ganz ungeniert. Am Humpen ſieht man auf einer Seite das mainzer Wappen, auf der andern das von Köln.
Der ganze Humpen ſteht auf einem Aufſatz der wie ein ſanfter Hügel geſtaltet iſt; auf dieſem ſitzen und liegen Nymphen im Kreis; ſie ſpielen mit Tamburinen, Becken, Triangel, andre liegen und balgen ſich mit Leoparden, die ihnen über die Köpfe ſpringen; es iſt gar zu ſchön. — Das hab 'ich Ihr nun beſchrieben, aber hätte Sie es erſt geſehen, Sie würde vor Verwun - derung laut aufgeſchrieen haben. Was überfällt einem nur, wenn man ſo etwas von Menſchenhänden gemacht ſieht? Mir rauchte der Kopf, und ich meinte in der trunkenen Begeiſtrung ich werde keine Ruhe finden, wenn ich nicht auch ſolche ſchöne Sachen erfinden und machen könne. Aber wie ich hinaus kam und es war Abend geworden, und die Sonne ging ſo ſchön unter, da vergaß ich alles, blos um mit den letzten Strahlen der Sonne meine Sinne in dem kühlen Rhein zu baden.
68Eine Mutter giebt ſich alle erdenkliche Mühe ihr kleines unverſtändiges Kindchen zufrieden zu ſtellen, ſie kömmt ſeinen Bedürfniſſen zuvor und macht ihm aus allem ein Spielwerk; wenn es nun auf nichts hören will und mit nichts ſich befriedigen läßt: ſo läßt ſie es ſeine Unart ausſchreien bis es müde iſt, und dann ſucht ſie es wieder von neuem mit dem Spielwerk ver - traut zu machen. Das iſt grade wie es Gott mit den Menſchen macht: er giebt das Schönſte um den Men - ſchen zur Luſt, zur Freude zu reizen, und ihm den Ver - ſtand dafür zu ſchärfen. — Die Kunſt iſt ein ſo ſchönes Spielwerk, um den unruhigen, ewig begehrenden Men - ſchengeiſt auf ſich ſelbſt zurück zu führen, um ihn den - ken zu lehren und ſehen; um Geſchicklichkeit zu erwer - ben, die ſeine Kräfte weckt und ſteigert. Er ſoll lernen ganz der Unſchuld ſolcher Erfindung ſich hingeben, und vertrauen auf die Luſt und das Spiel der Phantaſie, die ihn zum Höchſten auszubilden und zu reifen ver - mag. Gewiß liegen in der Kunſt große Geheimniſſe höherer Entwicklung verborgen; ja ich glaub 'ſogar, daß alle Neigungen von denen die Philiſter ſagen, daß ſie keinen nützlichen Zweck haben, zu jenen myſtiſchen gehören die den Keim zu großen, in dieſem Leben noch unverſtändlichen Eigenſchaften in unſre Seele legen;69 welche dann im nächſten Leben als ein höherer In - ſtinkt aus uns hervorbrechen, der einem geiſtigeren Ele - ment angemeſſen iſt. —
Die Art wie jene in Gold und Silber getriebne Kunſtwerke aufgeſtellt ſind, iſt auch zu bewundern und trägt ſehr dazu bei, dieſelben ſowohl in ihrer Pracht mit einem Blick zu überſchauen, als auch ein jedes ein - zelne bequem zu betrachten. Es iſt eine Wand von ſchwarzem Ebenholz mit tiefen Caſſetten, in der Mitte der Wand eine große, in welcher das Hauptſtück ſteht, auf beiden Seiten kleinere, in denen die anderen Kunſt - werke, als: Humpen, Becher ꝛc. ꝛc. ſtehen. An jeder Caſſette hebt ſich durch den Druck einer Feder der Bo - den heraus und läßt das Kunſtwerk von allen Sei - ten ſehen.
Noch eines Bechers gedenke ich, von Bronze, eine echte Antike wie man behauptet: und man muß es wohl glauben, weil er ſo einfach iſt und doch ſo ma - jeſtätiſch. Ein Jüngling: wahrſcheinlich Ganymed, ſitzt nachläſſig auf einem Stein