PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Goethe's Zimmer im älterlichen Hauſe in Frankfurt am Main. C. Funke gest.

Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde.
Seinem Denkmal.
Erſter Theil.
Mit Königlich Würtembergiſchem Privilegium gegen den Nachdruck für alle 3 Bände.
Berlin,beiFerdinand Dümmler. 1835.

Dem Fürſten Pückler.

Haben ſie von Deinen Fehlen Immer viel erzählt, Und fürwahr, ſie zu erzählen Vielfach ſich gequält. Hätten ſie von Deinem Guten Freundlich Dir erzählt, Mit verſtändig treuen Winken Wie man Beſſ'res wählt; O gewiß! das Allerbeſte Blieb uns nicht verhehlt, Das fürwahr nur wenig Gäſte In der Klauſe zählt. ((Weſtöſtlicher Divan. Buch der Betrachtung.) )

Es iſt kein Geſchenk des Zufalls oder der Laune, was Ihnen hier dargebracht wird. Aus wohlüberlegten Gründen und mit freudigem Herzen biete ich Ihnen an, das Beſte was ich zu geben vermag. Als Zeichen meines Dankes für das Vertrauen was Sie mir ſchenken.

Die Menge iſt nicht dazu geeignet, die Wahrheit ſondern nur den Schein zu prü - fen; den geheimen Wegen einer tiefen Na - tur nachzuſpüren, das Räthſelhafte in ihr*aufzulöſen iſt ihr verſagt, ſie ſpricht nur ihre Täuſchungen aus, erzeugt hartnäckige Vorurtheile gegen beſſere Überzeugung, und beraubt den Geiſt der Freiheit das vom Gewöhnlichen Abweichende in ſeiner Eigen - thümlichkeit anzuerkennen. In ſolchen Ver - wirrungen waren auch meine Anſichten von Ihnen verſtrickt, während Sie aus eigner Bewegung, jedes verkleinernde Urtheil über mich abweiſend mir freundlich zutrauten: Sie würden Herz und Geiſt durch mich bereichern können, wie ſehr hat mich dies beſchämt! Die Einfachheit Ihrer An - ſichten, Ihrer ſich ſelbſtbeſchauenden ſelbſt - bildenden Natur, Ihr leiſer Takt für fremde Stimmung, Ihr treffendes fertiges Sprach - organ; ſinnb[i]ldlich vieldeutig in melodiſchem Styl innere Betrachtung wie äußere Ge - genſtände darſtellend, dieſe Naturkunſt Ih - res Geiſtes, alles hat mich vielfältig über Sie zurecht gewieſen, und mich mit jenem höheren Geiſt in Ihnen bekannt gemacht, der ſo manche Ihrer Äußerungen idealiſch parodirt.

Einmal ſchrieben Sie mir: Wer meinen Park ſieht, der ſieht in mein Herz. Es war im vorigen Jahr in der Mitte September, daß ich am frühen Morgen, wo eben die Sonne ihre Strah - len ausbreitete in dieſen Park eintrat; es war große Stille in der ganzen Natur, reinliche Wege leiteten mich zwiſchen fri - ſchen Raſenplätzen, auf denen die einzelnen Blumenbüſche noch zu ſchlafen ſchienen; bald kamen geſchäftige Hände ihrer zu pfle - gen, die Blätter, die der Morgenwind ab - geſchüttelt hatte, wurden geſammelt und die verwirrten Zweige geordnet; ich ging noch weiter an verſchiedenen Tagen und zu verſchiedenen Stunden nach allen Rich - tungen, ſo weit ich kam fand ich die - ſelbe Sorgfalt und eine friedliche An - muth, die ſich über alles verbreitete. So entwickelt und pflegt der Liebende den Geiſt**und die Schönheit des Geliebten, wie Sie hier ein anvertrautes Erbtheil der Natur pflegen. Gern will ich glauben, daß dies der Spiegel Ihres tiefſten Herzens ſei, da es ſo viel Schönes beſagt; gern will ich glauben, daß das einfache Vertrauen zu Ihnen nicht minder gepflegt und geſchützt ſei als jede einzelne Pflanze Ihres Parks. Dort hab 'ich Ihnen auch aus meinen Briefen und dem Tagebuch an Goethe vor - geleſen, Sie haben gern zugehört; ich gebe ſie Ihnen jetzt hin, beſchützen Sie dieſe Blätter wie jene Pflanzen, und ſo treten Sie abermals hier zwiſchen mich und das Vorurtheil derer, die ſchon jetzt noch eh ſie es kennen dies Buch als unecht verdammen und ſich ſelbſt um die Wahrheit betrügen.

Laſſen Sie uns einander gut geſinnt bleiben, was wir auch für Fehler und Ver - ſtoße in den Augen Anderer haben mögen, die uns nicht in demſelben Lichte ſehen, wir wollen die Zuverſicht zu einer höheren Idealität, die ſo weit alle zufällige Ver - ſchuldungen und Mißverſtändniſſe und alle angenommene und herkömmliche Tugend überragt, nicht aufgeben. Wir wollen die mannigfaltigen edlen Veranlaſſungen, Be - deutu[n]gen und Intereſſe verſtanden und ge - liebt zu werden nicht verläugnen, ob andre es auch nicht begreifen, ſo mag es ihnen ein Räthſel bleiben.

Im Auguſt 1834.

Bettina v. Arnim.

[I]

Vorrede.

Dies Buch iſt für die Guten und nicht für die Böſen.

Während ich beſchäftigt war dieſe Papiere für den Druck zu ordnen, hat man mich vielfäl - tig bereden wollen manches auszulaſſen oder an - ders zu wenden, weil es Anlaß geben könne zu Mißdeutungen. Ich merkte aber bald, man mag nur da guten Rath annehmen wo er der eignen Neigung nicht widerſpricht. Unter den vielen Rathge - bern war nur einer, deſſen Rath mir gefiel; er ſagte: Dies Buch iſt für die Guten und nicht für die Böſen; nur böſe Menſchen können es übel[ausdeu - ten], laſſen Sie alles ſtehen wie es iſt, das giebt dem Buch ſeinen Werth und Ihnen kann man auch nur Dank wiſſen, daß Sie das Zutrauen ha -II ben, man werde nicht mißdeuten, was der gute Menſch nie mißverſtehen kann. Dieſer Rath leuchtete mir ein, er kam von dem Factor der Buch - druckerei von Trowitzſch und Sohn, Herrn Klein, derſelbe, der mir Druck und Papier beſorgte, Ortho -[g]raphiefehler corrigirte, Komma und Punkt zurecht rückte, und bei meinem wenigen Verſtand in die - ſen Sachen viel Geduld bewies. Dieſe ſeine ausge - ſprochne Meinung beſtärkte mich darin, daß ich den böſen Propheten und den ängſtlichen Anſichten der Rathgebenden nicht nachgab. Wie auch der Erfolg dieſes Rathes ausfallen mag, ich freue mich ſeiner, da er unbezweifelt von den Guten als der edelſte anerkannt wird, die es nicht zugeben werden, daß die Wahrheit eines freudigen Gewiſſens ſich vor den Auslegungen der Böſen flüchte.

Auch dem Herrn Kanzler von Müller in Weimar ſage ich Dank, daß er auf meine Bitte ſich bemühte, trotz dem Drang ſeiner Geſchäfte, meine Briefe aus Goethes umfaſſenden Nachlaß her - vor zu ſuchen, es ſind jetzt achtzehn Monate, daß ich ſie in Händen habe; er ſchrieb mir damals:III So kehre denn dieſer unberührte Schatz von Liebe und Treue zu der reichen Quelle zurück von der er ausgeſtrömt! Aber eines möchte ich mir zum Lohn meiner gemeſſnen Vollziehung Ihres Wun - ſches und Willens, wie meiner Enthaltſamkeit doch von Ihrer Freundſchaft ausbitten. Schenken Sie mir irgend ein Blatt aus dieſer ohne Zweifel lebenswärmſten Correſpondenz; ich werde es heilig aufbewahren, nicht zeigen noch copiren laſſen, aber mich zuweilen dabei ſtill erfreuen, erbauen oder be - trüben, je nachdem der Inhalt ſein wird; immer - hin werde ich ein zweifach liebes Andenken, einen Tropfen gleichſam Ihres Herzbluts, das dem größten und herrlichſten Menſchen zuſtrömte daran beſitzen. Ich habe dieſe Bitte nicht befriedigt, denn ich war zu eiferſüchtig auf dieſe Blätter, denen Goethe eine ausgezeichnete Theil - nahme geſchenkt hatte, ſie ſind meiſtens von ſei - ner Hand corrigirt, ſowohl Orthographie als auch hie und da Wortſtellung, manches iſt mit Röthel unterſtrichen, anderes wieder mit Bleiſtift, manches iſt eingeklammert, anderes iſt durchſtrichen. IV Da ich ihn nach längerer Zeit wieder ſah, öff - nete er ein Schubfach worin meine Briefe lagen, und ſagte: Ich leſe alle Tage darin. Da - mals erregten mir dieſe Worte einen leiſen Schauer. Als ich jetzt dieſe Briefe wieder las, mit dieſen Spu - ren ſeiner Hand, da empfand ich denſelben Schauer, und ich hätte mich nicht leichtlich von einem der geringſten Blätter trennen mögen. Ich habe alſo die Bitte des Kanzler von Müller mit Schweigen übergangen aber nicht undankbar vergeſſen; möge ihm der[Gebrauch], den ich davon gemacht habe, beides meinen Dank und meine Rechtfertigung be - weiſen.

[V]

Anhang zum Briefwechſel mit Goethe's Mutter.

Liebſte Frau Rath.

Ich warte ſchon lange auf eine beſondre Veran - laſſung, um den Eingang in unſere Correſpondenz zu machen. Seitdem ich aus Ihrem Abrahamsſchooß, als dem Hafen ſtiller Erwartung, abgeſeegelt bin, hat der Sturmwind noch immer den Athem angehalten, und das Einerleileben hat mich wie ein ſchleichend Fie - ber um die ſchöne Zeit gebracht. Wie ſehr bejammere ich die angenehme Ausſicht, die ich auf der Schawell zu Ihren Füßen hatte, nicht die auf den Knopf desVI Katharinenthurms, noch auf die Feuereſſe der rußigen Cyklopen, die den goldnen Brunnen bewachen; nein! die Ausſicht in Ihren vielſagenden feurigen Blick, der ausſpricht was der Mund nicht ſagen kann. Ich bin zwar hier mitten auf dem Markt der Abentheuer, aber das köſtliche Netz, in dem mich Ihre mütterliche Begeiſtrung eingefangen, macht mich gleichgültig für alle. Neben mir an, Thür an Thür, wohnt der Adju - tant des Königs; er hat rothes Haar, große blaue Augen, ich weiß einen, der ihn für unwiderſtehlich hält: der iſt er ſelber. Vorige Nacht weckte er mich mit ſei - ner Flöte aus einem Traum, den ich für mein Leben gern weiter geträumt hätte, am andern Tag bedankt ich mich, daß er mir noch ſo fromm den Abendſeegen vorgeblaſen habe; er glaubte es ſei mein Ernſt und ſagte, ich ſei eine Betſchweſter, ſeitdem nennen mich alle Franzoſen ſo, und wundern ſich, daß ich mich nicht drüber ärgere; ich kann aber doch die Franzoſen gut leiden.

Geſtern iſt mir ein Abentheuer begegnet. Ich kam vom Spaziergang und fand den Rothſchild vor der Thür mit einem ſchönen Schimmel; er ſagte: es ſei ein Thier wie ein Lamm, und ob ich mich nicht draufſetzen wolle? ich ließ mich gar nicht bitten; kaum war ich aufgeſtiegen,VII ſo nahm das Lamm Reisaus und jagte in vollem Galopp mit mir die Wilhelmshöher Allee hinauf; eben ſo kehrte es wieder um. Alle kamen todtenblaß mir entgegen, das Lamm blieb plötzlich ſtehen und ich ſprang ab; nun ſprachen alle von ihrem gehabten Schreck; ich fragte: was iſt denn paſſirt? Ei, der Gaul iſt ja mit Ihnen durchgegangen! So! ſagt 'ich, das hab' ich nicht gewußt. Rothſchild wiſchte mit ſeinem ſeidnen Schnupftuch dem Pferde den Schweiß ab, legte ihm ſeinen Überrock auf den Rücken, damit es ſich nicht erkälten ſolle, und führte es in Hemdärmel nach Haus; er hatte gefürchtet es nimmermehr wieder zu ſehen. Wie ich am Abend in die Geſellſchaft kam, nannten mich die Franzoſen nicht mehr Betſchweſter, ſie riefen alle einſtimmig: ah l'héroïne!

Leb 'Sie wohl, ruf ich Ihr aus meiner Traumwelt zu, denn auch über mich verbreitet ſich ein wenig dieſe Gewalt. Ein gar ſchöner (ja ich müßte blind ſein wenn ich dies nicht fände), nun, ein feiner ſchlanker brauner Franzoſe ſieht mich aus weiter Ferne mit ſchar - fen Blicken an, er naht ſich beſcheiden, er bewahrt die Blume, die meiner Hand entfällt, er ſpricht von meiner Liebenswürdigkeit; Frau Rath wie gefällt einem das? ich thue zwar ſehr kalt und ungläubig; wenn man in -VIII deſſen in meiner Nähe ſagt: le roi vient, ſo befällt mich immer ein kleiner Schreck, denn ſo heißt mein lie - benswürdiger Verehrer.

Ich wünſche Ihr eine gute Nacht, ſchreib 'Sie mir bald wieder.

Bettine.

IX
Goethe's Mutter an Bettine.

Ich habe mir meine Feder friſch abknipſen laſſen und das vertrocknete Tintenfaß bis oben vollgegoſſen und weil es denn heute ſo abſcheulich Wetter iſt, daß man keinen Hund vor die Thür jagt, ſo ſollſt Du auch gleich eine Antwort haben. Liebe Bettine, ich vermiſſe Dich ſehr in der böſen Winterzeit; wie biſt Du doch im vorigen Jahre ſo vergnügt dahergeſprungen kom - men? wenn's kreuz und quer ſchneite, da wußt ich das war ſo ein recht Wetter für Dich, ich braucht nicht lange zu warten, ſo warſt Du da. Jetzt guck ich auch immer noch aus alter Gewohnheit nach der Ecke von der Katharinenpfort, aber Du kommſt nicht, und weil ich das ganz gewiß meiß, ſo kümmert's mich. Es kom - men Viſiten genug, das ſind aber nur ſo Leuteviſiten, mit denen ich nichts ſchwätzen kann.

Die Franzoſen hab 'ich auch gern, das iſt im - mer ein ganz ander Leben, wenn die franzöſiſche Ein - quartierung hier auf dem Platz ihr Brod und Fleiſch ausgetheilt kriegt, als wenn die preußiſche oder heſſiſche Holzböck' einrücken.

X

Ich hab 'recht meine Freud' gehabt am Napoleon, wie ich den geſehen hab '; er iſt doch einmal derjenige, der der ganzen Welt den Traum vorzaubert, und da - für können ſich die Menſchen bedanken, denn wenn ſie nicht träumten, ſo hätten ſie auch nichts davon und ſchliefen wie die Säck', wie's die ganze Zeit gegan - gen iſt.

Amüſire Dich recht gut und ſei luſtig, denn wer lacht, kann keine Todſünd 'thun.

Deine Freundin Eliſabeth Goethe.

Nach dem Wolfgang frägſt Du ja gar nicht; ich hab 'Dir's ja immer geſagt: wart' nur bis einmal ein andrer kommt, ſo wirſt Du ſchon nicht mehr nach ihm ſeufzen.

XI
Frau Rath.

Geh 'Sie doch mit Ihren Vorwürfen; das ant - wort' ich Ihr auf Ihre Nachſchrift, und ſonſt nichts.

Jetzt rath 'Sie einmal was der Schneider für mich macht. Ein Andrieng! Nein! Eine Kontuſche? Nein! Einen Joppel? Nein! Eine Mantille? Nein! Ein paar Boſchen? Nein! Einen Reif - rock? Nein! Einen Schlepprock? Nein! Ein paar Hoſen? Ja! Vivat jetzt kommen andre Zeiten angerückt, und auch eine Weſte und ein Überrock dazu. Morgen wird alles anprobirt, es wird ſchon ſitzen, denn ich hab' mir alles bequem und weit beſtellt, und dann werf 'ich mich in eine Chaiſe und reiſe Tag und Nacht Courier durch die ganzen Ar - meen zwiſchen Feind und Freund durch; alle Feſtungen thun ſich vor mir auf und ſo geht's fort bis Berlin, wo einige Geſchäfte abgemacht werden, die mich nichts angehn. Aber dann geht's eilig zurück und wird nicht eher Halt gemacht bis Weimar. O Frau Rath, wie wird's denn dort ausſehen? mir klopft das Herz gewaltig, obſchon ich noch bis zu Ende April reiſen kann, ehe ich dort hinkomme. Wird mein Herz auchXII Muth genug haben ſich ihm hinzugeben? iſt mir's doch, als ſtänd' er eben vor der Thür! Alle Adern klopfen mir im Kopf; ach wär 'ich doch bei Ihr! das allein könnt' mich ruhig machen, daß ich ſäh ', wie Sie auch vor Freud' außer ſich wär '; oder wollt' mir einer einen Schlaftrunk geben, daß ich ſchlief bis ich bei ihm erwachte. Was werd 'ich ihm ſagen? ach, nicht wahr, er iſt nicht hochmüthig? von Ihr werd' ich ihm auch alles erzählen, das wird er doch gewiß gern hören. Adieu, leb 'Sie wohl und wünſch' Sie mir im Herzen eine glückliche Reiſ '. Ich bin ganz ſchwindlich.

Bettine.

Aber das muß ich Ihr doch noch ſagen, wie's ge - kommen iſt. Mein Schwager kam und ſagte, wenn ich ſeine Frau überreden könne, in Männerkleidern mit ihm eine weite Geſchäftsreiſe zu machen, ſo wolle er mich mitnehmen, und auf dem Rückweg mir zu Lieb 'über Weimar gehen. Denk' Sie doch, Weimar ſchien mir immer ſo entfernt, als wenn es in einem andern Welttheil läg ', und nun iſt's vor der Thür.

[1]

Briefwechſel mit Goethe's Mutter.

Liebe Frau Rath,

Eine Schachtel wird Ihr mit dem Poſtwagen zu - kommen, beſte Frau Mutter, darin ſich eine Taſſe be - findet; es iſt das ſehnlichſte Verlangen Sie wieder zu ſehen, was mich treibt Ihr ſolche unwürdige Zeichen mei - ner Verehrung zu ſenden. Thue Sie mir den Gefallen Ihren Thee früh morgens d'raus zu trinken, und denk 'Sie meiner dabei. Ein Schelm giebt's beſſer als er's hat.

Den Wolfgang hab 'ich endlich geſehen; aber ach was hilft's? Mein Herz iſt geſchwellt wie das volleI. 12Seegel eines Schiff's, das feſt vom Anker gehalten iſt am fremden Boden, und doch ſo gern in's Vaterland zurück möchte.

Adieu meine liebe gute Frau Mutter, halt 'Sie mich lieb.

Bettine Brentano.

Goethe's Mutter an Bettine.

Was läßt Du die Flügel hängen? Nach einer ſo ſchönen Reiſe ſchreibſt Du einen ſo kurzen Brief, und ſchreibſt nichts von meinem Sohn, als daß Du ihn ge - ſehen haſt; das hab 'ich auch ſchon gewußt und er hat mir's geſtern geſchrieben. Was hab' ich von Deinem geankerten Schiff? da weiß ich ſo viel wie nichts. Schreib 'doch was paſſirt iſt. Denk' doch daß ich ihn acht Jahr nicht geſehen hab ', und ihn vielleicht nie wie - der ſeh; wenn Du mir nichts von ihm erzählen willſt, wer ſoll mir dann erzählen? hab' ich nicht Deine alberne Geſchichten hundertmal angehört, die ich aus - wendig weiß, und nun, wo Du etwas Neues erfahren haſt, etwas Einziges, wo Du weißt, daß Du mir die3 größte Freud 'machen könnteſt, da ſchreibſt Du nichts. Fehlt Dir denn was? es iſt ja nicht über's Meer bis nach Weimar. Du haſt ja jetzt ſelbſt erfahren, daß man dort ſein kann, bis die Sonne zweimal auf - geht. Biſt Du traurig? Liebe, liebe Tochter, mein Sohn ſoll Dein Freund ſein, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt, und Du ſollſt mich Mutter heißen in Zukunft für alle Täg, die mein ſpätes Alter noch zählt, es iſt ja doch der einzige Name der mein Glück umfaßt.

Deine treue Freundin Eliſabeth Goethe.

Vor die Taſſe bedank 'ich mich.

An Goethe's Mutter.

Ich hab 'geſtern an Ihren Sohn geſchrieben; ver - antwort' Sie es bei ihm. Ich will Ihr auch gern alles ſchreiben, aber ich hab 'jetzt immer ſo viel zu den - ken, es iſt mir faſt eine Unmöglichkeit, mich loszureißen, ich bin in Gedanken immer bei ihm; wie ſoll ich denn ſagen wie es geweſen iſt? Hab' Sie Nachſicht und1*4Geduld; ich will die ander Woch 'nach Frankfurt kom - men, da kann Sie mir alles abfragen.

Ihr Kind Bettine.

Ich lieg 'ſchon eine Weile im Bett und da treibt mich's heraus, daß ich Ihr alles ſchreib' von unſerer Reiſe. Ich hab 'Ihr ja geſchrieben, daß wir in männlicher Kleidung durch die Armeen paſſirten. Gleich vor'm Thor ließ uns der Schwager ausſteigen, er wollte ſehen wie die Kleidung uns ſtehe. Die Lullu ſah ſehr gut aus, denn ſie iſt prächtig gewachſen und die Klei - dung war ſehr paſſend gemacht; mir war aber alles zu weit und zu lang, als ob ich's auf dem Grempel - markt erkauft hätte. Der Schwager lachte über mich und ſagte, ich ſähe aus wie ein Savoyardenbube, ich könnte gute Dienſte leiſten. Der Kutſcher hatte uns vom Weg abgefahren durch einen Wald, und wie ein Kreuzweg kam, da wußt' er nicht wohinaus; obſchon es nur der Anfang war von der ganzen vier Wochen langen Reiſe, ſo hatt 'ich doch Angſt, wir könnten uns verirren und kämen dann zu ſpät nach Weimar; ich klettert' auf die höchſte Tanne und da ſah ich bald, wo die Chauſſee lag. Die ganze Reiſe hab 'ich auf dem Bock gemacht; ich hatte eine Mütze auf von Fuchspelz,5 der Fuchsſchwanz hing hinten herunter. Wenn wir auf die Station kamen, ſchirrte ich die Pferde ab und half auch wieder anſpannen. Mit den Poſtillions ſprach ich gebrochen deutſch als wenn ich ein Franzoſe wär'. Im Anfang war ſchön Wetter, als wollt 'es Frühling werden, bald wurd' es ganz kalter Winter; wir kamen durch einen Wald von ungeheuren Fichten und Tannen, alles bereift, untadelhaft, nicht eine Men - ſchenſeele was des Wegs gefahren, der ganz weiß war; noch obendrein ſchien der Mond in dieſes ver - ödete Silberparadies, eine Todtenſtille nur die - der pfiffen von der Kälte. Ich ſaß auf den Kutſcher - ſitz, und hatte gar nicht kalt; die Winterkält 'ſchlägt Funken aus mir; wie's nah an die Mitternacht rückte, da hörten wir pfeifen im Walde; mein Schwa - ger reichte mir ein Piſtol aus dem Wagen und fragte, ob ich Muth habe loszuſchießen, wenn die Spitzbu - ben kommen, ich ſagte: ja, er ſagte: ſchießen ſie nur nicht zu früh. Die Lullu hatte große Angſt im Wa - gen, ich aber unter freiem Himmel mit der geſpannten Piſtole, den Säbel umgeſchnallt, unzählige funklende Sterne über mir, die blitzenden Bäume, die ihren Rie - ſenſchatten auf den breiten mondbeſchienenen Weg war - fen, das alles machte mich kühn auf meinem erhabe -6 nen Sitz. Da dacht' ich an ihn, wenn der mich in ſeinen Jugendjahren ſo begegnet hätte, ob das nicht einen poetiſchen Eindruck auf ihn gemacht haben würde, daß er Lieder auf mich gemacht hätte und mich nimmermehr vergeſſen. Jetzt mag er anders denken, er wird erhaben ſein über einen magiſchen Eindruck; höhere Eigenſchaften (wie ſoll ich die erwerben?) werden ein Recht über ihn be - haupten. Wenn nicht Treue, ewige, an ſeine Schwelle gebannt, mir endlich ihn erwirbt! So war ich in je - ner kalten hellen Winternacht geſtimmt, in der ich keine Gelegenheit fand mein Gewehr loszuſchießen, erſt wie der Tag anbrach, erhielt ich Erlaubniß loszudrücken; der Wagen hielt und ich lief in den Wald und ſchoß in die dichte Einſamkeit Ihrem Sohn zu Ehren muthig los, indeſſen war die Axe gebrochen; wir fällten einen Baum mit dem Beil, das wir bei uns hatten, und kne - belten ihn mit Stricken feſt; da fand denn mein Schwa - ger daß ich ſehr anſtellig war, und lobte mich. So ging's fort bis Magdeburg; präcis 7 Uhr Abends wird die Feſtung geſperrt, wir kamen eine Minute nachher und mußten bis den andern Morgen um ſieben halten; es war nicht ſehr kalt, die beiden im Wagen ſchliefen. In der Nacht fing's an zu ſchneien, ich hatte den Mantel über den Kopf genommen und blieb ruhig7 ſitzen auf meinem freien Sitz; am Morgen guckten ſie aus dem Wagen, da hatte ich mich in einen Schnee - mann verwandelt, aber noch eh 'ſie recht erſchrecken konnten, warf ich den Mantel ab, unter dem ich recht warm geſeſſen hatte. In Berlin war ich wie ein Blinder unter vielen Menſchen, und auch geiſtesabwe - ſend war ich, an nichts konnt' ich Theil nehmen, ich ſehnte mich nur immer nach dem Dunkel, um von nichts zerſtreut zu ſein, um an die Zukunft denken zu können, die ſo nah gerückt war. Ach wie oft ſchlug es da Allarm! plötzlich, unverſehens, mitten in die ſtille Ruhe, ich wußte nicht von was. Schneller als ich's denken konnte, hatte mich ein ſüßer Schrecken erfaßt. O Mutter, Mutter! denk 'Sie an ihren Sohn, wenn Sie wüßte, ſie ſollte ihn in kurzer Zeit ſehen, ſie wär' auch wie ein Blitzableiter, in den alle Gewitter einſchlü - gen. Wie wir nur noch wenig Meilen von Weimar waren, da ſagte mein Schwager, er wünſche nicht den Umweg über Weimar zu machen und lieber eine andre Straße zu fahren. Ich ſchwieg ſtille, aber die Lullu litt es nicht; ſie ſagte: einmal wär 'mir's verſprochen und er müßte mir Wort halten. Ach Mutter! das Schwert hing an einem Haar über meinem Haupt, aber ich kam glücklich drunter weg.

8

In Weimar kamen wir um 12 Uhr an; wir aßen zu Mittag, ich aber nicht. Die beiden legten ſich auf's Sopha und ſchliefen; drei Nächte hatten wir durchwacht. Ich rathe Ihnen, ſagte mein Schwager, auch auszuru - hen; der Goethe wird ſich nicht viel draus machen, ob Sie zu ihm kommen oder nicht, und was Beſondres wird auch nicht an ihm zu ſehen ſein. Kann Sie denken, daß mir dieſe Rede allen Muth benahm? Ach ich wußte nicht was ich thun ſollte, ich war ganz allein in der fremden Stadt; ich hatte mich anders an - gekleidet, ich ſtand am Fenſter und ſah nach der Thurm - uhr, eben ſchlug es halb 3. Es war mir auch ſo, als ob ſich Goethe nichts draus machen werde mich zu ſehen; es fiel mir ein, daß ihn die Leute ſtolz nennen; ich drückte mein Herz feſt zuſammen, daß es nicht be - gehren ſolle; auf einmal ſchlug es 3 Uhr. Und da war's doch auch grad 'als hätte er mich gerufen, ich lief hinunter nach dem Lohnbedienten, kein Wagen war da, eine Portechaiſe? Nein, ſagt' ich, das iſt eine Equi - page für's Lazareth. Wir gingen zu Fuß. Es war ein wahrer Chokoladenbrei auf der Straße, über den dickſten Moraſt mußte ich mich tragen laſſen, und ſo kam ich zu Wieland, nicht zu Ihrem Sohn. Den Wieland hatte ich nie geſehen, ich that als ſey ich eine alte Be -9 kanntſchaft von ihm, er beſann ſich hin und her und ſagte: ja, ein lieber bekannter Engel ſind Sie gewiß, aber ich kann mich nur nicht beſinnen wann und wo ich Sie geſehen habe. Ich ſcherzte mit ihm und ſagte: jetzt hab 'ich's herausgekriegt daß Sie von mir träu - men, denn anderswo können Sie mich unmöglich ge - ſehen haben. Von ihm ließ ich mir ein Billet an Ih - ren Sohn geben, ich hab' es mir nachher mitgenom - men und zum Andenken aufbewahrt; und hier ſchreib 'ich's Ihr ab. Bettina Brentano, Sophiens Schweſter, Maxmilianens Tochter, Sophie La Rochens Enkelin wünſcht Dich zu ſehen, l. Br., und giebt vor, ſie fürchte ſich vor Dir, und ein Zettel - chen das ich ihr mitgebe, würde ein Talisman ſeyn, der ihr Muth gäbe. Wiewohl ich ziemlich gewiß bin, daß ſie nur ihren Spaß mit mir treibt, ſo muß ich doch thun, was ſie haben will, und es ſoll mich wun - dern, wenn Dir's nicht eben ſo wie mir geht.

W.

Mit dieſem Billet ging ich hin, das Haus liegt dem Brunnen gegenüber; wie rauſchte mir das Waſſer ſo betäubend, ich kam die einfache Treppe hinauf, in der Mauer ſtehen Statuen von Gyps, ſie gebieten1**10Stille. Zum wenigſten ich könnte nicht laut werden auf dieſem heiligen Hausflur. Alles iſt freundlich und doch feierlich. In den Zimmern iſt die höchſte Einfach - heit zu Hauſe, ach ſo einladend! Fürchte Dich nicht: ſagten mir die beſcheidnen Wände, er wird kommen und wird ſein, und nicht mehr ſein wollen wie Du, und da ging die Thür auf und da ſtand er feierlich ernſt, und ſah mich unverwandten Blickes an; ich ſtreckte die Hände nach ihm, glaub 'ich, bald wußt' ich nichts mehr, Goethe fing mich raſch auf an ſein Herz. Armes Kind, hab 'ich Sie er - ſchreckt, das waren die erſten Worte, mit denen ſeine Stimme mir in's Herz drang; er führte mich in ſein Zimmer und ſetzte mich auf den Sopha gegen ſich über. Da waren wir beide ſtumm, endlich unterbrach er das Schweigen: Sie haben wohl in der Zeitung geleſen daß wir einen großen Verluſt vor wenig Ta - gen erlitten haben durch den Tod der Herzogin Amalie. Ach! ſagt' ich, ich leſe die Zeitung nicht. So! ich habe geglaubt, alles intereſſire Sie, was in Wei - mar vorgehe. Nein, nichts intereſſirt mich als nur Sie, und da bin ich viel zu ungeduldig, in der Zeitung zu blättern. Sie ſind ein freundliches Kind. Lange Pauſe ich auf das fatale Sopha gebannt,11 ſo ängſtlich. Sie weiß daß er mir unmöglich iſt, ſo wohlerzogen da zu ſitzen. Ach Mutter! Kann man ſich ſelbſt ſo überſpringen? Ich ſagte plötzlich: hier auf dem Sopha kann ich nicht bleiben, und ſprang auf. Nun! ſagte er, machen Sie ſich's bequem; nun flog ich ihm an den Hals, er zog mich auf's Knie und ſchloß mich an's Herz. Still, ganz ſtill war's, alles verging. Ich hatte ſo lange nicht geſchlafen; Jahre waren vergangen in Sehnſucht nach ihm, ich ſchlief an ſeiner Bruſt ein; und da ich aufgewacht war, be - gann ein neues Leben. Und mehr will ich ihr diesmal nicht ſchreiben.

Bettine.

12

Frau Rath, ſo oft mir was Komiſches begegnet, ſo denk 'ich an Sie, und was das für ein Jubel und für eine Erzählung ſein würde, wenn Sie es ſelbſt er - lebt hätte. Hier, in dem traubenreichen Mildeberg, ſitze ich bei meinem Herrn Schwab, der ehmals bei unſerm Vater Schreiber war und uns Kinder alle mit ſeinen Märchen großgezogen hat. Er kann zum wenigſten ſo gut erzählen wie Sie, aber er ſchneidet auf und ver - braucht Juden - und Heidenthum, die entdeckte und un - entdeckte Welt zur Decoration ſeiner Abentheuer; Sie aber bleibt bei der Wahrheit, aber mit ſo freudigen Ausrufungszeichen, daß man Wunder denkt was paſſirt iſt. Ich habe das Eichhörnchen, was Sie mir mitgab, im großen Eichenwald ins Freie geſetzt, es war Zeit die 5 Meilen die es im Wagen fuhr, hat es großen Schaden gemacht, und im Wirthshaus hat es über Nacht dem Bürgermeiſter die Pantoffel zerfreſſen. Ich weiß gar nicht wie Sie es gemacht hat, daß es Ihr nicht alle Gläſer umgeworfen, alle Möbel angenagt, und alle Hauben und Tocken beſchmutzt hat. Mich hat's gebiſſen, aber im Andenken an den ſchönen ſtolzen13 Franzoſen, der es auf ſeinem Helm vom ſüdlichen Frankreich bis nach Frankfurt in ihr Haus gebracht hat, hab' ich ihm verziehen. Im Wald ſetzte ich's auf die Erde, wie ich wegging, ſprang es wieder auf meine Schulter und wollte von der Freiheit nichts pro - fitiren, und ich hätt's gern wieder mitgenommen, weil mich's lieber hatte als die ſchönen grünen Eichbäume. Wie ich aber in den Wagen kam, machten die andern ſo großen Lärm und ſchimpften ſo ſehr auf unſern lie - ben Stubenkameraden, daß ich's in den Wald tragen mußte. Ich ließ dafür auch lange warten; ich ſuchte mir den ſchönſten Eichbaum im ganzen Wald und kletterte hinauf. Da oben ließ ich's aus ſeinem Beutel, es ſprang gleich luſtig von Aſt zu Aſt und machte ſich an die Eicheln, unterdeſſen kletterte ich herunter. Wie ich unten ankam, hatte ich die Richtung nach dem Wagen verloren, und obſchon ich nach mir rufen hörte, konnte ich gar nicht unterſcheiden, wo die Stimmen herkamen. Ich blieb ſtehen, bis ſie herbeikamen, um mich zu ho - len; ſie zankten alle auf mich ich ſchwieg ſtill, legte mich im Wagen auf drei Selterskrüge unten am Bo - den, und ſchlief einen herrlichen Schlaf, bis bei Mond - ſchein, wo der Wagen umfiel, ganz ſanft, daß niemand beſchädigt ward. Eine nußbraune Kammerjungfer flog14 vom Bock und legte ſich am flachen Mainufer in ro - mantiſcher Unordnung grade vor das Mondantlitz in Ohnmacht; zwei Schachteln mit Blonden und Bändern flogen etwas weiter und ſchwammen ganz anſtändig den Main hinab; ich lief nach, immer im Waſſer, das jetzt bei der großen Hitze ſehr flach iſt, alles rief mir nach ob ich toll ſei, ich hörte nicht, und ich glaub 'ich wär' in Frankfurt wieder mit ſammt den Schachteln ange - ſchwommen, wenn nicht ein Nachen hervorgeragt hätte an dem ſie Halt machten. Ich packte ſie unter beide Ärme und ſpazierte in den klaren Wellen wieder zurück. Der Bruder Franz ſagte: Du biſt unſinnig Mädchen, und wollte mit ſeiner ſanften Stimme im - mer zanken; ich zog die naſſen Kleider aus, wurde in einen weichen Mantel gewickelt und in den zugemach - ten Wagen gepackt.

In Aſchaffenburg legte man mich mit Gewalt ins Bett und kochte mir Kamillenthee. Um ihn nicht zu trinken, that ich, als ob ich feſt ſchlafe. Da wurde von meinen Verdienſten verhandelt, wie ich doch gar ein zu gutes Herz habe, daß ich voll Gefälligkeit ſei und mich ſelber nie bedenke, wie ich gleich den Schach - teln nachgeſchwommen und wenn ich die nicht wieder - gefiſcht hätte, ſo würde man morgen nicht haben mit15 der Toilette fertig werden können, um bei'm Fürſt Pri - mas zu Mittag zu eſſen. Ach! ſie wußten nicht was ich wußte, daß nämlich unter dem Wuſt von fal - ſchen Locken, von goldnen Kämmen, Blonden, in roth - ſammtner Taſche ein Schatz verborgen war, um den ich beide Schachteln ins Waſſer geworfen haben würde, mit allem was mein und nicht mein gehörte, und daß, wenn dieſe nicht drinn geweſen wär ', ſo würde ich mich über die Rückfahrt der Schachteln gefreut haben. In dieſer Taſche liegt verborgen ein Veilchenſtrauß, den Ihr Herr Sohn, in Weimar in Geſellſchaft bei Wie - land, mir heimlich im Vorübergehen zuwarf. Frau Mutter, damals war ich eiferſüchtig auf den Wolf - gang und glaubte, die Veilchen ſeien ihm von Frauen - hand geſchenkt; er aber ſagte: kannſt Du nicht zu - frieden ſein, daß ich ſie Dir gebe? ich nahm heim - lich ſeine Hand und zog ſie an mein Herz, er trank aus ſeinem Glas und ſtellte es vor mich, daß ich auch draus trinken ſollte; ich nahm es mit der linken Hand und trank, und lachte ihn aus, denn ich wußte, daß er es hier hingeſtellt hatte, damit ich ſeine Hand los - laſſen ſollte. Er ſagte: haſt Du ſolche Liſt, ſo wirſt Du auch wohl mich zu feſſeln wiſſen mein Leben lang. Ich ſag' Ihr, mach 'Sie ſich nicht breit, daß ich Ihr16 mein heimlichſtes Herz vertraue; ich muß wohl je - mand haben, dem ich's mittheile. Wer ein ſchön Ge - ſicht hat, der will es im Spiegel ſehen, Sie iſt der Spiegel meines Glücks, und das iſt grade jetzt in ſei - ner ſchönſten Blüthe, und da muß es denn der Spie - gel oft in ſich aufnehmen. Ich bitte Sie, klatſch' Sie ihrem Herrn Sohn im nächſten Brief, den Sie gleich morgen ſchreiben kann, und nicht erſt eine Gelegenheit abzuwarten braucht, daß ich dem Veilchenſtrauß in der Schachtel in kühler Mondnacht nachgeſchwommen bin, wohl eine Viertelſtunde lang, ſo lang 'war es aber nicht, und daß die Wellen mich wie eine Waſſergöttin dahingetragen haben, es waren aber keine Wellen, es war nur ſeichtes Waſſer, das kaum die leichten Schachteln hob, und daß mein Gewand aufgebauſcht war um mich her wie ein Ballon. Was ſind denn die Reifröcke ſeiner Jugendliebſchaften alle gegen mein da - hinſchwimmendes Gewand! ſag' Sie doch nicht, Ihr Herr Sohn ſei zu gut für mich, um einen Veilchen - ſtrauß ſolche Lebensgefahr zu laufen! Ich ſchließ 'mich an die Epoche der empfindſamen Romane, und komme glücklich im Werther an, wo ich denn gleich die Lotte zur Thür hinauswerfen möchte. Ihr Herr Sohn hat einen ſchlechten Geſchmack an dem weißen Kleide mit17 Roſaſchleifen. Ich will gewiß in meinem Leben kein weißes Gewand anziehen; grün, grün ſind alle meine Kleider.

Apropos, guck 'Sie doch einmal hinter ihren Ofen - ſchirm, wo Sie immer die ſchön bemalte Seite gegen die Wand ſtellt, damit die Sonne ihn nicht ausbleicht; da wird Sie entdecken, daß das Eichhörnchen der Ofen - göttin großen Schaden gethan hat, und daß es ihr das ganze Angeſicht blaß gemacht hat. Ich wollt' Ihr nichts ſagen, weil ich doch das Eichhörnchen gegen Ih - ren Befehl an den Ofenſchirm gebunden hatte, und da fürchtete ich, Sie könnte böſ 'werden, drum hab' ich's Ihr ſchreiben wollen, damit Sie in meiner Abweſenheit Ihren Zorn kann austoben laſſen. Morgen geht's nach Aſchaffenburg, da ſchreib 'ich Ihr mehr. Mein Scha - wellchen ſoll die Lieschen ausklopfen, damit die Mot - ten nicht hineinkommen, laſſe Sie ja keinen andern drauf ſitzen, adje Fr. Rath, ich bin ihre unterthänige Magd.

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An Frau Rath Goethe.

Frau Rath, Sie hat eine recht garſtige Hand, eine wahre Katzenpfote, nicht die mit der Sie im Theater klatſcht, wenn der Schauſpieler Werdi wie ein Mül - lereſel dahertrappſt und tragiſches Schickſal ſpielen will, nein, ſondern die geſchriebene Hand iſt häßlich und unleſerlich. Mir kann Sie zwar immer ſo undeutlich wie Sie will ſchreiben, daß ich ein albernes Ding bin; ich kann's doch leſen, gleich am erſten großen A. Denn was ſollte es ſonſt heißen? Sie hat mir's ja oft genug geſagt; aber wenn Sie an Ihren Herrn Sohn ſchreibt, von mir, befleißige Sie ſich der Deut - lichkeit; die mildeberger Trauben hab 'ich noch herausge - kriegt, die Sie in chaldäiſchen und hebräiſchen Buchſtaben verzeichnet hat, ich werde Ihr eine ganze Schachtel voll beſtellen, das hätt' ich auch ohnedem gethan. Der Herr Schloſſer hat mir übrigens nichts Beſondres in Ihren Brief geſchrieben. Ich kann das auch nicht leiden, daß Sie ſich die Zeit von ihm vertreiben läßt, wenn ich nicht da bin, und ich ſag 'Ihr: laſſe Sie ihn nicht auf meiner Schawelle ſitzen, er iſt auch ſo einer der Laute ſpielen will, und glaubt er könne auf meiner Schawelle19 ſitzen, und Sie auch, wenn Sie ihn ſo oft ſieht, ſo bild't Sie ſich ein er wär' beſſer als ich; Sie hat ſo ſchon einmal geglaubt, er wär 'ein wahrer Apoll von Schönheit, bis ich Ihr die Augen aufgethan habe, und die Fr. Rath Schloſſer hat geſagt, daß wie er neugebo - ren war, ſo habe man ihn auf ein grünes Billard ge - legt, da habe er ſo ſchön abgeſtochen und habe aus - geſehen wie ein glänzender Engel; iſt denn Abſtechen eine ſo große Schönheit? Adieu, ich ſitze in einer Raufe wo die Kuh den Klee herausfrißt und ſchreibe; ſchreib' Sie das nicht an Ihren Sohn; das könnte ihm zu toll vorkommen, denn ich ſelbſt, wenn ich denke: ich fände meinen Schatz im Kuhſtall ſitzen und zärtliche Briefe an mich ſchreiben, ich weiß auch nicht wie ich mich benehmen ſollte. Doch ſitze ich hier oben aus lau - ter Verzweiflung und weil ich mich verſteckt habe, und weil ich allein ſeyn möchte, um an ihn zu denken. Adieu Fr. Rath.

Wir haben geſtern bei'm Primas zu Mittag ge - geſſen, es war Faſttag; da waren wunderliche Speiſen die Fleiſch vorſtellten und doch keins waren. Da wir ihm vorgeſtellt wurden, faßte er mich am Kinn und nannte mich kleiner Engel, liebliches Kind; ich fragte wie alt er denn glaubt 'daß ich ſei, nun, zwölf Jahre20 allenfalls, nein, dreizehn, ſagte ich; ja, ſagte er, das iſt ſchon alt, da müſſen Sie bald regieren.

(Die Antwort fehlt.)

Liebe Fr. Rath! Alles was ich aufgeſchrieben habe, das will ich Ihr vorleſen; Sie kann ſelbſt ſich überzeugen, daß ich nichts hinzugeſetzt habe und das blos geſchrieben, was meine Augen Ihr aus dem Mund geſogen haben, nur das kann ich nicht begreifen, daß es aus Ihrem Mund ſo geſcheut lautet und daß meine Feder es ſo dumm wieder giebt; daß ich nicht ſehr klug bin, davon geb 'ich häufige Beweiſe. Alſo das kann ich wohl zugeben, daß Sie zu den Leuten ſagt, Sie wünſcht' ſie wären alle ſo närriſch wie ich; aber ſag 'Sie ja nicht, ich ſey klug, ſonſt compromitirt Sie ſich, und der Wirth in Kaſſel an der großen Rheinbrücke kann den Gegenbeweis führen. Es war ſo langweilig bis unſere ganze Bagage an der Douane unterſucht war, ich nahm den Mückenplätſcher und verfolgte ein paar Mücken, ſie ſetzten ſich an die Fenſterſcheiben, ich ſchlug zu, die Scheibe flog hinaus, und mit ihr die Mücken21 in die goldne Freiheit, über den großen ſtolzen Rhein hinüber; der Wirth ſagte, das war dumm; und ich war ſehr beſchämt.

Ach, Fr. Mutter! Was iſt hier in dem Langen - winkel für ein wunderlich Leben; das ſoll ſchöne Natur ſein und iſt es auch gewiß, ich hab 'nur keinen Ver - ſtand es zu erkennen. Eh' meine Augen hinüber auf den Johannisberg ſchweifen, werden ſie von ein paar ſchmutzigen Gaſſen in Beſchlag genommen, und von einem langen Feld raupenfräßiger Quetſchen - und Birn - bäume. Aus jedem Gaubloch hängen Perlenſchnüre von getrockneten Schnitzeln und Hutzeln; der Lohgerber ge - gen uns über, durchdampft alle Wohlgerüche der Luft; alle fünf Sinne gehören dazu, um etwas in ſeiner Schönheit zu empfinden, und wenn auch die ganze Natur noch ſo ſehr entzückend wär 'und ihr Duft führte nicht auch den Beweis, ſo wär' der Prozeß verloren.

Die Orgel klingt auch ganz fa[l]ſch hier in der Kirche. Man mußte von Fr. bis Winckel reiſen, um eine ſo grobe Disharmonie zu Ehren Gottes aufführen zu hören.

Leb 'Sie recht wohl. Bettine.

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Unſer Kutſcher wird Ihr eine Schachtel mit Pfirſich bringen, verderb 'Sie ſich nicht den Magen, denn der iſt nicht göttlich und läßt ſich leicht verführen.

Wir waren am letzten Donnerstag mit den beiden Schloſſers bis Lorch. Man fuhr auf dem Waſſer, Chriſtian Schloſſer glaubte die Waſſerfahrt nicht ver - tragen zu können, und ging den Weg zu Fuß; ich ging mit ihm, um die Zeit ihm zu vertreiben, aber ich hab's bereut. Zum erſten Mal hab 'ich über den Wolf - gang mit einem andern geſprochen wie mit Ihr, und das war eine Sünde. Alles kann ich wohl vertragen von ihm zu hören, aber kein Lob und keine Liebe; Sie hat Ihren Sohn lieb, und hat ihn geboren, das iſt keine Sünde, und ich laſſe mir's gefallen: aber mehr nicht; die andern ſollen nur keine weitere Prätenſio - nen machen. Sie frägt zwar, ob ich ihn allein ge - pacht habe? ja, Fr. Rath, darauf kann ich Ihr antworten. Ich glaub' daß es eine Art und Weiſe giebt, Jemand zu beſitzen, die Niemand ſtreitig machen kann; dieſe üb 'ich an Wolfgang, keiner hat es vor mir gekonnt, das weiß ich, trotz allen ſeinen Liebſchaften, von denen ſie mir erzählt. Vor ihm thu' ich zwar ſehr demüthig, aber hinter ſeinem Rücken halte ich ihn feſt, und da müßte er ſtark zapplen, wenn er los will.

23

Fr. Rath! Ich kenne die Prinzen und Prin - zeſſinnen nur aus der Zauberwelt der Feenmärchen, und aus Ihren Beſchreibungen, und die geben einan - der nichts nach; dort ſind zwar die ſchönſten Prinzeſ - ſinnen in Katzen verwandelt, und gewöhnlich werden ſie durch einen Schneider erlöſt und geheirathet. Das überleg 'Sie doch auch, wenn Sie wieder ein Mährchen erfindet, und geb' Sie dieſem Umſtand eine moraliſche Erläuterung.

Bettine.

(Die Antwort fehlt.)

Ich habe freilich einen Brief vom Wolfgang hier im Rheingau erhalten, er ſchreibt: Halte meine Mut - ter warm und behalte mich lieb. Dieſe lieben Zeilen ſind in mich eingedrungen wie ein erſter Frühlings - regen; ich bin ſehr vergnügt, daß er verlangt, ich ſoll ihn lieb behalten; ich weiß es wohl, daß er die ganze Welt umfaßt; ich weiß, daß ihn die Menſchen ſehen wollen, und ſprechen, daß ganz Deutſchland ſagt: unſer Goethe. Ich aber kann Ihr ſagen, daß mir bis heute die allgemeine Begeiſtrung für ſeine Größe, für ſeinen Namen noch nicht aufgegangen iſt. Meine Liebe zu ihm beſchränkt ſich auf das Stübchen mit weißen Wän -24 den, wo ich ihn zuerſt geſehen, wo am Fenſter der Weinſtock, von ſeiner Hand geordnet, hinaufwächſt, wo er auf dem Strohſeſſel ſitzt und mich in ſeinen Ar - men hält; da läßt er keinen Fremden ein, und da weiß er auch von nichts als nur von mir allein. Frau Rath! Sie iſt ſeine Mutter, und Ihr ſag 'ich's: wie ich ihn zum erſten Mal geſehen hatte, und ich kam nach Haus, da fand ich, daß ein Haar von ſeinem Haupt auf meine Schulter gefallen war. Ich ver - brannte es am Licht, und mein Herz war ergriffen, daß es auch in Flammen ausſchlug, aber ſo heiter, ſo luſtig, wie die Flammen in blauer, ſonnenheller Luft, die man kaum gewahr wird, und die ohne Rauch ihr Opfer verzehrt. So wird mir's auch gehen: mein Le - ben lang werde ich luſtig in die Lüfte flackern, und die Leute werden nicht wiſſen woher ſich dieſe Luſt ſchreibt; es iſt nur, weil ich weiß, daß wenn ich zu ihm komme, er allein mit mir ſein will und alle Lor - beerkränze vergißt.

Leb 'Sie wohl und ſchreib' Sie ihm von mir.

Goe -25
Goethe's Mutter an Bettine.

Liebe Bettine, Deine Briefe machen mir Freude, und die Jungfer Lieschen, die ſie ſchon an der Adreſſe erkennt, ſagt: Fr. Rath, da bringt der Briefträger ein Plaiſir. Sei aber nicht gar zu toll mit meinem Sohn, alles muß in ſeiner Ordnung bleiben. Das braune Zimmer iſt neu tapezirt mit der Tapete die Du ausgeſucht haſt, die Farbe miſcht ſich beſonders ſchön mit dem Morgenroth das über'm Katharinen - thum heraufſteigt und mir bis in die Stube ſcheint. Geſtern ſah unſre Stadt recht wie ein Feiertag aus in dem unbefleckten Licht der Alba.

Sonſt iſt noch alles auf dem alten Fleck. Um Dei - nen Schemmel habe keine Noth, die Lieſe leidet's nicht daß jemand drauf ſitzt.

Schreib 'recht viel und wenn's alle Täg' wär ', Deiner wohlgeneigten Freundin Goethe.

I. 226
Frau Rath!

Wir ſind geſtern auf Müllereſeln geritten, weit in's Land hinaus über Rauenthal hinweg. Da geht's durch bewaldete Felswege, links die Ausſicht in die Thalſchlucht und rechts die waldige emporſteigende Felswand. Da haben mich dann die Erdbeeren ſehr verlockt, daß ich ſchier um meinen Poſten gekommen wär ', denn mein Eſel iſt der Leiteſel. Weil ich aber immer Halt machte um die Erdbeeren zu pflücken, ſo drängte die ganze Geſellſchaft auf mich ein und ich mußte tauſend rothe Beeren am Wege ſtehen laſſen. Heute ſind's acht Tage, aber ich ſchmachte noch danach, die geſpeiſten ſind vergeſſen, die ungepflückten brennen mich noch auf der Seele. Eben drum würde ich's ewig bereuen wenn ich verſäumte was ich das Recht habe zu genießen, und da braucht Sie nicht zu fürchten daß ich die Ordnung umſtoße. Ich häng' mich nicht wie Blei an meinen Schatz, ich bin wie der Mond der ihm in's Zimmer ſcheint, wenn die geputzten Leute da ſind und die vielen Lichter angezünd't, dann wird er wenig bemerkt, wenn die aber weg ſind und das Geräuſch iſt vorüber, dann hat die Seele um ſo größere Sehnſucht27 ſein Licht zu trinken. So wird auch er ſich zu mir wenden und meiner gedenken wenn er allein iſt. Ich bin erzürnt über alle Menſchen die mit ihm zu thun haben, doch iſt mir keiner gefährlich bei ihm, aber das geht Sie alles nichts an. Ich werde doch nicht die Mutter fürchten ſollen, wenn ich den Sohn lieb hab '?

An Bettine.

Ei Mädchen, Du biſt ja ganz toll, was bild'ſt Du Dir ein? Ei, wer iſt denn Dein Schatz, der an Dich denken ſoll bei Nacht im Mondſchein? meinſt Du der hätt 'nichts Beſſers zu thun? ja proſte Mahlzeit.

Ich ſag 'Dir noch einmal: alles in der Ordnung, und ſchreib' ordentliche Briefe, in denen was zu leſen ſteht. Dummes Zeug nach Weimar ſchreiben; ſchreib 'was Euch begegnet, alles ordentlich hinter ein - ander. Erſt wer da iſt, und wie Dir jeder gefällt, und was jeder an hat, und ob die Sonne ſcheint, oder ob's regnet, das gehört auch zur Sach'.

Mein Sohn hat mir's wieder geſchrieben, ich ſoll2*28Dir ſagen daß Du ihm ſchreibſt. Schreib 'ihm aber ordentlich, Du wirſt Dir ſonſt das ganze Spiel ver - derben.

Am Freitag war ich im Conzert, da wurde Vio - loncell geſpielt, da dacht 'ich an Dich, es klang ſo recht wie Deine braune Augen. Adieu Mädchen, Du fehlſt überall Deiner Frau Rath.

Frau Rath!

Ich will Ihr gern den Gefallen thun und einmal einen recht langen deutlichen Brief ſchreiben, meinen ganzen Lebensaufenthalt in Winckel.

Erſt ein ganzes Haus voll Frauen, kein einziger Mann, nicht einmal ein Bedienter. Alle Läden im Hauſ 'ſind zu, damit uns die Sonne nicht wie unreife Weinſtöcke behandelt und garkocht. Das Stockwerk in dem wir wohnen beſteht aus einem großen Saal, an das lauter kleine Kabinette ſtoßen die auf den Rhein ſehen, in deren jedem ein Pärchen von unſerer Geſellſchaft wohnt. Die liebe Marie mit den blonden Haaren iſt Hausfrau und läßt für uns backen und ſieden. Morgens kommen wir alle aus unſeren Ge -29 mächern im Saal zuſammen. Es iſt ein beſondres Plaiſir zu ſehen wie einer nach dem andern griechiſch drappirt hervorkommt. Der Tag geht vorüber in lau - nigem Geſchwätz, dazwiſchen kommen Bruchſtücke von Geſang und Harpegge auf der Guitarre. Am Abend ſpazieren wir an den Ufern des Rheins entlang, da lagern wir uns auf dem Zimmerplatz; ich leſe den Ho - mer vor, die Bauern kommen alle heran und hören zu; der Mond ſteigt zwiſchen den Bergen herauf und leuch - tet ſtatt der Sonne. In der Ferne liegt das ſchwarze Schiff, da brennt ein Feuer, der kleine Spitzhund auf dem Verdeck ſchlägt von Zeit zu Zeit an. Wenn wir das Buch zu machen, ſo iſt ein wahres politiſcher Ver - handeln; die Götter gelten nicht mehr und nicht weni - ger als andre Staatsmächte, und die Meinungen wer - den ſo hitzig behauptet, daß man denken ſollte, alles wär' geſtern geſchehen, und es wär 'manches noch zu ändern. Einen Vortheil hab' ich davon: hätt 'ich den Bauern nicht den Homer vorgeleſen, ſo wüßte ich heut' noch nicht was drinn ſteht, die haben mir's durch ihre Bemerkungen und Fragen erſt beigebracht. Wenn wir nach Hauſe kommen, ſo ſteigt einer nach dem an - dern wenn er müde iſt, zu Bette. Ich ſitze dann noch am Klavier, und da fallen mir Melodien ein, auf denen30 ich die Lieder die mir lieb ſind, gen Himmel trage. Wie iſt Natur ſo hold und gut. Im Bett richte ich meine Gedanken dahin wo mir's lieb iſt, und ſo ſchlafe ich ein. Sollte das Leben immer ſo fortge - hen? gewiß nicht.

Am Samſtag waren die Brüder hier, bis zum Montag. Da haben wir die Nächte am Rhein ver - ſchwärmt. George mit der Flöte, wir ſangen dazu, ſo ging's von Dorf zu Dorf, bis uns der aufgehende Tag nach Hauſe trieb. Fr. Mutter, auf dem prächtigen Rheinſpiegel in Mondnächten dahingleiten und ſingen, wie das Herz eben aufjauchzt, allerlei luſtige Aben - theuer beſtehen in freundlicher Geſellſchaft, ohne Sorge aufſtehen, ohne Harm zu Bette gehen, das iſt ſo eine Lebensperiode in der ich mitten inne ſtehe. Warum laſſe ich mir das gefallen? weiß ich's nicht beſſer? und iſt die Welt nicht groß und mancherlei in ihr, was blos des Menſchengeiſtes harrt um in ihm lebendig zu werden? und ſoll das alles mich unberührt laſſen? Ach Gott das Philiſterthum iſt eine harte Nuß, nicht leicht aufzubeißen, und mancher Kern vertrocknet un - ter dieſer harten Schale. Ja, der Menſch hat ein Ge - wiſſen, es mahnt ihn, er ſoll nichts fürchten, und ſoll nichts verſäumen was das Herz von ihm fordert. Die31 Leidenſchaft iſt ja der einzige Schlüſſel zur Welt, durch die lernt der Geiſt alles kennen und fühlen, wie ſoll er denn ſonſt in ſie hineinkommen? und da fühl 'ich daß ich durch die Liebe zu Ihm erſt in den Geiſt ge - boren bin, daß durch Ihn die Welt ſich mir erſt auf - ſchließt, da mir die Sonne ſcheint, und der Tag ſich von der Nacht ſcheidet. Was ich durch dieſe Liebe nicht lerne, das werde ich nie begreifen. Ich wollt' ich ſäß 'an ſeiner Thür, ein armes Bettelkind, und nähm' ein Stückchen Brod von ihm, und er erkennte dann an meinem Blick weß Geiſtes Kind ich bin, da zög 'er mich an ſich und hüllte mich in ſeinen Mantel, damit ich warm würde. Gewiß, er hieß mich nicht wieder gehen, ich dürfte fort und fort im Hauſ' herumwandeln, und ſo vergingen die Jahre und keiner wüßte wer ich wäre, und niemand wüßte wo ich hingekommen wär ', und ſo vergingen die Jahre und das Leben, und in ſeinem Antlitz ſpiegelte ſich mir die ganze Welt, ich brauchte nichts Andres mehr zu lernen. Warum thu' ich's denn nicht? es kommt ja nur drauf an daß ich Muth faſſe, ſo kann ich in den Hafen meines Glückes ein - laufen.

Weiß Sie noch wie ich den Winter durch Schnee und Regen geſprungen kam, und Sie fragt ', wie läufſt32 du doch über die Gaſſe, und ich ſagte, wenn ich die alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak - tiren ſollte, ſo würd' ich nicht weit in der Welt kom - men, und da meinte Sie, mir ſei gewiß kein Waſſer zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals ſchon: ja, wenn Weimar der höchſte Berg und das tiefſte Waſſer iſt. Jetzt kann ich's Ihr noch beſſer ſa - gen daß mein Herz ſchwer iſt und bleiben wird ſo lang 'ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der Ordnung finden oder nicht.

Adieu, leb 'Sie recht wohl. Ich werd' nächſtens bei Ihr angerutſcht kommen.

An Goethe's Mutter.

Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufſehen unter den Leuten; die möchten gern wiſſen was wir uns zu ſagen haben, da ich ihnen ſo unklug vorkomme. Sie kann getroſt glauben, ich werd 'auch nie klug wer - den. Wie ſoll ich Klugheit erwerben, mein einſamer Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr erlebt? Im Winter war ich krank; dann macht 'ich ein Schattenſpiel von Pappendeckel, da hatten die Katze33 und der Ritter die Hauptrollen, da hab' ich nah 'an ſechs Wochen die Rolle der Katze ſtudirt, ſie war keine Philoſophin, ſonſt hätt' ich vielleicht profitirt. Im Früh - jahr blühte der Orangenbaum in meinem Zimmer; ich ließ mir einen Tiſch d'rum zimmern und eine Bank, und in ſeinem duftenden Schatten hab 'ich an meinen Freund geſchrieben. Das war eine Luſt die keine Weis - heit mir erſetzen konnte. Im Spiegel gegenüber ſah ich den Baum noch einmal und wie die Sonnenſtrahlen durch ſein Laub brachen; ich ſah ſie drüben ſitzen die Braune, Vermeſſene; an den größten Dichter, an den Er - habenen über alle, zu ſchreiben. Im April bin ich früh drauß geweſen auf dem Wall und hab' die erſten Veil - chen geſucht und botaniſirt, im Mai hab 'ich fahren gelernt mit zwei Pferd', Morgens mit Sonnenaufgang fuhr ich hinaus nach Oberrad, ich ſpaziert 'in die Ge - müsfelder und half dem Gärtner alles nach der Schnur pflanzen, bei der Milchfrau hab' ich mir einen Nelken - flor angelegt, die dunkelrothen Nelken ſind meine Lieb - lingsblumen. Bei ſolcher Lebensweiſe, was ſoll ich da lernen, woher ſoll ich klug werden? Was ich Ihrem Sohn ſchreib 'das gefällt ihm, er verlangt im - mer mehr, und mich macht das ſeelig, denn ich ſchwelge in einem Überfluß von Gedanken die meine Liebe, mein2**34Glück ausdrücken, wie es Ihm erquicklich iſt. Was iſt nun Geiſt und Klugheit, da der ſeeligſte Menſch, wie ich, ihrer nicht bedarf?

Es war voriges Jahr im Eingang Mai da ich ihn ſah zum erſten Mal, da brach er ein junges Blatt von den Reben die an ſeinem Fenſter hinaufwachſen, und legt's an meine Wange und ſagte: das Blatt und deine Wange ſind beide wollig; ich ſaß auf dem Schemel zu ſeinen Füßen und lehnte mich an ihn, und die Zeit ver - ging im Stillen. Nun, was hätten wir Kluges ein - ander ſagen können was dieſem verborgnen Glück nicht Eintrag gethan hätte; welch 'Geiſteswort hätte dieſen ſtillen Frieden erſetzt der in uns blühte? O wie oft hab' ich an dieſes Blatt gedacht, und wie er damit mir die Stirne und das Geſicht ſtreichelte, und wie er meine Haare durch die Finger zog und ſagte: ich bin nicht klug; man kann mich leicht betrügen, du haſt keine Ehre davon wenn du mir was weis machſt mit deiner Liebe. Da fiel ich ihm um den Hals. Das alles war kein Geiſt und doch hab 'ich's tauſendmal in Ge - danken durchlebt, und werde mein Leben lang dran trinken wie das Aug' das Licht trinkt; es war kein Geiſt, und doch überſtrahlt es mir alle Weisheit der Welt. Was kann mir ſein freundliches Spielen mit35 mir erſetzen? was den feinen durchdringenden Strahl ſeines Blicks, der in mein Auge leuchtet? Ich achte die Klugheit nichts, ich habe das Glück unter anderer Geſtalt kennen lernen, und auch was andern weh thut das kann mir nicht Leid thun, und meine Schmerzen; das wird keiner verſtehen.

So hell wie dieſe Nacht iſt! Glanzverhüllt liegen die Berg 'da mit ihren Rebſtöcken und ſaugen ſchlaf - trunken das nahrhafte Mondlicht. Schreib' Sie bald; ich hab 'keinen Menſchen dem ich ſo gern vertraue, denn weil ich weiß daß Sie mit keinem andern mehr anbin - det und abgeſchloſſen für mich da iſt, und daß Sie mit niemand über mich ſpricht. Wenn Sie wüßt' wie tief es ſchon in der Nacht iſt! Der Mond geht unter, das betrübt mich. Schreib 'Sie mir recht bald.

Bettine.

Frau Rath, ich war mit dem Franz auf einer Eiſen - ſchmelze, zwei Tag 'mußt' ich in der engen Thalſchlucht aushalten, es regnete oder vielmehr näßte fortwährend, die Leute ſagten: ja, das ſind wir gewohnt, wir leben wie die Fiſch ', immer naß, und wenn einmal ein paar trockne Tage ſind, ſo juckt einem die Haut, man möchte36 wieder naß ſein; ich muß mich beſinnen wie ich Ihr das wunderliche Erdloch beſchreibe, wo unter dunklen gewaltigen Eichen die Gluth hervorleuchtet, wo an den Bergwänden hinan einzelne Hütten hängen und wo im Dunkel die einzelnen Lichter herüberleuchten, und der lange Abend durch eine ferne Schalmei die immer daſſelbe Stückchen hören läßt, recht an den Tag giebt daß die Einſamkeit hier zu Hauſ' iſt, die durch keine Geſelligkeit unterbrochen wird. Warum iſt denn der Ton einer einſamen Hausflöte die ſo vor ſich hinbläſt, ſo melancholiſch langweilig daß einem das Herz zer - ſpringen möcht 'vor Grimm, daß man nicht weiß wo aus noch ein; ach wie gern möcht' man da das Erden - kleid abſtreifen und hochfliegen weit in die Lüfte; ja, ſo eine Schwalbe in den Lüften, die mit ihren Flügeln wie mit einem ſcharfen Bogen den Äther durchſchneidet, die hebt ſich weit über die Sclavenkette der Gedanken, in's Unendliche, das der Gedanke nicht faßt.

Wir wurden in gewaltig große Betten logirt, ich und der Bruder Franz, ich hab 'viel mit ihm ge - ſcherzt und geplaudert, er iſt mein liebſter Bruder. Am Morgen ſagte er ganz myſtiſch: geb' einmal acht, der Herr vom Eiſenhammer hat ein Hochgericht im Ohr; ich konnt's nicht errathen; wie ſich aber37 Gelegenheit ergab in's Ohr zu ſehen, da entdeckt 'ich's gleich, eine Spinne hatte ihr Netz in's Ohr aufgeſtellt, eine Fliege war drinn gefangen und verzehrt, und ihre Reſte hingen noch im unverletzten Gewebe; daraus wollte der Franz das verſteinerte langweilige Leben recht deutlich erkennen, ich aber erkannte es auch am Tintefaß, das ſo pelzig war und ſo wenig Flüſſiges enthielt. Das iſt aber nur die eine Hälfte dieſes Lochs der Einſamkeit. Man ſollt's nicht meinen, aber geht man langſam in die Runde, ſo kommt man an eine Schlucht. Am Morgen, wie eben die Sonne aufge - gangen war, entdeckte ich ſie, ich ging hindurch, da be - fand ich mich plötzlich auf dem ſteilen höchſten Rand eines noch tieferen und weiteren Thalkeſſels, ſein ſammt - ner Boden ſchmiegt ſich ſanft an die ebenmäßigen Berg - wände die es rund umgeben und ganz beſäet ſind mit Lämmer und Schafen; in der Mitte ſteht das Schäfer - haus und dabei die Mühle die vom Bach, der mitten durchbrauſt, getrieben wird. Die Gebäude ſind hinter uralten himmelhohen Linden verſteckt, die grade jetzt blühen und deren Duft zu mir heraufdampfte und zwiſchen deren dichtem Laub der Rauch des Schorn - ſteins ſich durchdrängte. Der reine blaue Himmel, der goldne Sonnenſchein hatte das ganze Thal erfüllt. 38Ach lieber Gott, ſäß' ich hier und hütete die Schafe, und wüßte daß am Abend einer käm der meiner einge - denk iſt, und ich wartete den ganzen Tag, und die ſonneglänzenden Stunden gingen vorüber, und die Schattenſtunden mit der ſilbernen Mondſichel und dem Stern brächten den Freund, der fänd 'mich an Berges - rand ihm entgegenſtürzend in die offne Arme, daß er mich plötzlich am Herzen fühlte mit der heißen Liebe, was wär' dann nachher noch zu erleben. Grüß 'Sie Ihren Sohn und ſag' Sie ihm, daß zwar mein Leben friedlich und von Sonnenglanz erleuchtet iſt, daß ich aber der goldnen Zeit nicht achte, weil ich mich immer nach der Zukunft ſehne wo ich den Freund erwarte. Adieu leb 'Sie wohl. Bei Ihr iſt Mitternacht eine Stunde der Geiſter, in der Sie es für eine Sünde hält die Augen offen zu haben, damit Sie keine ſieht; ich aber ging eben noch allein in den Garten durch die langen Traubengänge, wo Traube an Traube hängt vom Mondlicht beſchienen, und über die Mauer hab' ich mich gelehnt und hab 'hinausgeſehen in den Rhein, da war alles ſtill. Aber weiße Schaumwellen ziſchten und es patſchte immer an's Ufer, und die Wellen lall - ten wie Kinder. Wenn man ſo einſam Nachts in der freien Natur ſteht, da iſt's als ob ſie ein Geiſt wär'39 die den Menſchen um Erlöſung bäte. Soll vielleicht der Menſch die Natur erlöſen? ich muß einmal dar - über nachdenken; ſchon gar zu oft hab 'ich dieſe Em - pfindung gehabt als ob die Natur mich jammernd weh - müthig um etwas bäte, daß es mir das Herz durch - ſchnitt nicht zu verſtehen was ſie verlangte. Ich muß einmal recht lang' dran denken, vielleicht entdeck 'ich etwas was über das ganze Erdenleben hinaushebt. Adieu Fr. Rath, und wenn Sie mich nicht verſteht, ſo denk' Sie nur wie Ihr noch immer in Ihren jetzigen Tagen ein Poſthorn das Sie in der Ferne hört, einen wunderlichen Eindruck macht, ungefähr ſo iſt mir's auch heute.

Bettine.

An Bettine.

Geſtern war Feuer am hellen Tag 'hier auf der Hauptwach', grad 'mir gegenüber, es brannte wie ein Blumenſtrauß aus dem Gaubloch an der Kathrinen - pfort'. Da war mein beſt Plaiſir die Gaſſenbuben mit ihrem Reffs auf dem Buckel, die wollten alle retten helfen, der Hausbeſitzer wollt 'nichts retten laſſen, denn40 weil das Feuer gleich aus war, da wollten ſie ein Trinkgeld haben, das hat er nicht geben, da tanzten ſie und wurden von der Polizei weggejagt. Es iſt viel Geſellſchaft zu mir kommen, die wollten alle fra - gen wie ich mich befind' auf den Schreck, und da mußt 'ich ihnen immer von vorne erzählen, und das iſt jetzt ſchon drei Täg' daß mich die Leut 'beſuchen und ſehen ob ich nicht ſchwarz geworden bin vom Rauch. Dein Melinchen war auch da und hat mir ein Brief ge - bracht von Dir, der iſt ſo klein geſchrieben daß ich ihn hab' müſſen vorleſen laſſen, rath einmal von wem?

Die Meline iſt aber einmal ſchön, ich hab 'geſagt die Stadt ſollt' ſie malen laſſen und ſollt 'ſie auf dem Rathſaal hängen, da könnten die Kaiſer ſehen was ihre gute Stadt für Schönheiten hat. Deine Brüder ſind aber auch ſo ſchön, ich hab' meiner Lebtag 'keine ſo ſchöne Menſchen geſehen als den George, der ſieht aus wie ein Herzog von Mailand, und alle andern Men - ſchen müſſen ſich ſchämen mit ihren Fratzengeſichtern ne - ben ihm. Adieu und grüß auch die Geſchwiſter von Deiner Freundin Goethe.

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An Bettine.

Da kommt der Fritz Schloſſer aus dem Rheingau und bringt nur drei geſchnittne Federn von Dir und ſagt: er hätt 'geſchworen daß er mir keine Ruh' laſſen will, ich müßt 'ſchreiben wer's geweſen iſt der Deine Brief' geleſen hat. Was hat's denn für Noth, wer ſollt's denn geweſen ſein? in Weimar iſt alles ruhig und auf dem alten Fleck. Das ſchreiben die Zeitungen ſchon allemal voraus, lang eh 'es wahr iſt, wenn mein Sohn zu einer Reiſ' Anſtalt macht, der kommt einem nicht mit der Thür in's Haus gefallen. Da ſieht man aber doch recht daß Dein Herz Deinem Kopf was weiß macht. Herz, was verlangſt du? Das iſt ein Sprich - wort, und wenn es ſagt was es will, ſo geht's wie in einem ſchlechten Wirthshaus, da haben ſie alles, nur keine friſche Eier, die man grad 'haben will. [Adieu], das hab' ich bei der Nachtlamp 'geſchrieben.

Ich bin Dir gut. Catharina Goethe.

Das hätt 'ich bald vergeſſen zu ſchreiben wer mir Deinen Brief geleſen hat, das war der Pfarrer Hufna - gel der wollt' auch ſehen was ich mach 'nach dem42 Schreck mit dem Feuer, ich ſagt: Ei Herr Pfarrer, iſt denn der Katharine Thurm grad ſo groß, daß er mir auf die Naſ' fällt wenn er umſtürtzt? Da hat er ge - ſeſſen mit ſeinem dicken Bauch im ſchwarzen Talar mit dem runden weißen Kragen im doppelten Falten, mit der runden[Stutzperück] und den Schnallenſchuh auf Deiner Schawell, und hat den Brief geleſen, hätt's mein Sohn geſehen er hätt 'gelacht.

Katharina Goethe.

Frau Mutter ich danke Ihr für die zwei Brief 'hinter einander das war einmal gepflügt, recht durch ſchweres Erdreich, man ſieht's, die Schollen liegen ne - ben an, wie dick; gewiß das ſind der Lischen ihre Fin - ger geweſen mit denen Sie die Furchen gezogen hat, die ſind recht krumm, was mich wundert das iſt daß ich Ihr ſo gern ſchreib', daß ich keine Gelegenheit verſäum ', und alles was mir begegnet, prüf ich, ob es nicht ſchön wär ihr zu ſchreiben, das iſt weil ich doch nicht alles und fortwährend an den Wolfgang ſchreiben kann, ich hab ihn geſagt in Weimar: Wenn ich dort wohnte, ſo wollt ich als nur die Sonn - und Feiertäg' zu ihm kommen und nicht alle Tag, das hat ihn gefreut; ſo43 mein ich, daß ich auch nicht alle Tag 'an ihn ſchreiben darf, aber er hat mir geſagt ſchreib alle Tag', und wenn's Folianten wären, es iſt mir nicht zu viel, aber ich ſelbſt bin nicht alle Tag 'in der Stimmung, manch - mal denke ich ſo geſchwind, daß ich's gar nicht ſchreiben kann, und die Gedanken ſind ſo ſüß, daß ich gar nicht abbrechen kann um zu ſchreiben, noch dazu mag ich gern grade Linien und ſchöne Buchſtaben machen und das hält im Denken auf, auch hab' ich ihm manches zu ſagen was ſchwer auszuſprechen iſt, und manches hab 'ich ihm mitzutheilen was nie ausgeſprochen werden kann; da ſitz' ich oft Stunden und ſeh in mich hinein und kann's nicht ſagen was ich ſeh, aber weil ich im Geiſt mich mit ihm zuſammen fühl ', ſo bleib ich gern dabei, und ich komme mir vor wie eine Sonnenuhr die grad' nur die Zeit angiebt, ſo lang 'die Sonne ſie beſcheint. Wenn meine Sonne mich nicht mehr anlächelt, dann wird man auch die Zeit nicht mehr an mir erkennen; es ſollte einer ſagen ich leb', wenn er mich nicht mehr lieb hat; das Leben was ich jetzt führ, davon hat kei - ner Verſtand, an der Hand führt mich der Geiſt ein - ſame Straßen, er ſetzt ſich mit mir nieder am Waſſers - rand, da ruht er mit mir aus, dann führt er mich auf hohe Berge; da iſt es Nacht da ſchauen wir in die Ne -44 bel-Thale da ſieht man den Pfad kaum vor den Füßen aber ich geh 'mit, ich fühl, daß er da iſt wenn er auch vor meinen leiblichen Augen verſchwindet, und wo ich geh und ſteh, da ſpühr ich ſein heimlich Wandeln um mich, und in der Nacht iſt er die Decke in die ich mich einhülle, und am Morgen iſt er es vor dem ich mich verhülle wenn ich mich ankleide, niemals mehr bin ich allein, in meiner einſamen Stube fühl ich mich ver - ſtanden und erkannt von dieſem Geiſt; ich kann nicht mit lachen ich kann nicht mit Comoedie ſpielen, die Kunſt und die Wiſſenſchaft die laſſe ich fahren; noch vor einem halben Jahr, da wollt' ich Geſchichte ſtudieren und Geo - graphie, es war Narrheit. Wenn die Zeit in der Wir leben, erſt recht erfüllt wär mit der Geſchichte, ſo daß einer alle Hände voll zu thun hätt ', um nur der Ge - ſchichte den Willen zu thun ſo hätt' er keine Zeit um nach den vermoderten Königen zu fragen, ſo geht mir's, ich hab 'keine Zeit ich muß jeden Augenblick mit meiner Liebe verleben. Was aber die Geographie anbelangt, ſo hab' ich einen Strich gemacht mit rother Tinte auf die Landkart. Der geht, von wo ich bin bis dahin wo es mich hinzieht, das iſt der rechte Weg alles andre ſind Irr - oder Umwege. Das ganze Firmament mit Sonne, Mond und Sterne gehören blos zur Ausſicht meiner45 Heimath. Dort iſt der fruchtbare Boden, indem mein Herz die harte Rinde ſprengt und in's Licht hinaufblüht.

Die Leute ſagen: Was biſt du traurig, ſollt ich ver - gnügt ſein? oder dies oder jenes? wie paßt das zu meinem innern Leben; ein jedes Betragen hat ſeine Urſache, das Waſſer wird nicht luſtig dahin tanzen und ſingen, wenn ſein Bett nicht dazu gemacht iſt. So werd 'ich nicht lachen, wenn nicht eine geheime Luſt der Grund dazu iſt; ja ich habe Luſt im Herzen, aber ſie iſt ſo groß ſo mächtig, daß ſie ſich nicht in's Lachen - gen kann; wenn es mich aus dem Bett aufruft vor Tag, und ich zwiſchen den ſchlafenden Pflanzen Berg - auf wandle, wenn der Thau meine Füße wäſcht, und ich denk demüthig, daß es der Herr der Welten iſt der meine Füße wäſcht, weil er will ich ſoll rein ſein von Herzen wie er meine Füße vom Staub reinigt; wenn ich dann auf des Berges Spitze komme und überſehe alle Lande im erſten Strahl der Sonne dann fühl' ich dieſe mächtige Luſt in meiner Bruſt ſich ausdehnen, dann ſeufz 'ich auf und hauch die Sonne an zum Dank, daß ſie mir in einem Bild erleuchte was der Reich - thum der Schmuck meines Lebens iſt, denn was ich ſehe was ich verſtehe es iſt alles nur Wiederhall meines Glückes.

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Adieu, läſt ſie ſich den Brief, auch vom Pfarrer vorſtudieren? ich hab 'ihn doch mit ziemlich großen Buchſtaben geſchrieben. Hat dann in meinem letzten Brief etwas geſtanden, daß ich ſeinen heißen Durſt hab', und daß ich mondſüchtig bin, oder ſo was? wie kann Sie ihm denn das leſen laſſen? ſie wirft ihm ja ſeinen gepolſterten Betſchemel um, in ſeinem Kopf. Die Bet - tine hat Kopfweh ſchon ſeit 3 Tagen und heut liegt ſie im Bett und küßt ihrer Frau Rath die Hand.

An Bettine.

Werd 'mir nicht krank Mädchen, ſteh auf aus Dei - nem Bett, und nimm's, und wandle. So hat der Herr Chriſtus geſagt zum Kranken, das ſag' ich dir auch, dein Bett iſt deine Liebe in der du krank liegſt, nimm ſie zu - ſammen und erſt am Abend breite ſie aus, und ruhe in ihr wenn du des Tages Laſt und Hitze ausgeſtanden haſt. Da hat mein Sohn ein paar Zeilen geſchrieben, die ſchenk ich dir, ſie gehören dem Inhalt nach dein.

Der Prediger hat mir deinen Brief vorgerumpelt wie ein ſchlechter Poſtwagen auf holperichem Weg, das ſchmeißt alles Paſſagiergut durcheinander; du haſt auch47 deine Gedanken ſo ſchlecht gepackt, ohne Komma ohne Punkt, daß wenn es Paſſagiergut wär 'keiner könnt' das ſeinige heraus finden; ich hab 'den Schnuppen und bin nicht aufgelegt, hätt' ich dich nicht ſo lieb ſo hatt 'ich nicht geſchrieben, wahr deine Geſundheit.

Ich ſag 'allemal wenn die Leut fragen was du machſt: Sie fängt Grillen, und das wird dir auch gar nicht ſauer, bald iſt's ein Nachtvogel der dir an der Naſ' vor bei fliegt, dann haſt du um Mitternacht wo alle ehrliche Leute ſchlafen etwas zu bedenken, und mar - ſchierſt durch den Garten an den Rhein in der kalten feuchten Nachtluft, du haſt eine Natur von Eiſen, und eine Einbildung wie eine Rakete, wie die ein Funken berührt, ſo platzt ſie los. Mach daß du bald wieder nach Haus kommſt. Mir iſt nicht heuer wie's vorige Jahr, manchmal krieg ich Angſt um dich, und an den Wolfgang muß ich Stundenlang denken, immer wie er ein klein Kind war, und mir unter den Füßen ſpielte, und dann wie er mit ſeinem Bruder Jacob ſo ſchön ge - ſpielt hat, und hat ihn Geſchichten gemacht; ich muß einen haben dem ich's erzähl, die andern hören mir alle nicht ſo zu wie Du; ich wollt 'wirklich wünſchen, die Zeit wär' vorbei und Du wärſt wieder da.

Adieu, mach das Du kommſt, ich hab 'alles ſo hell48 im Gedächtniß als ob's geſtern paſſiert wär', jetzt kann ich Dir die ſchönſten Geſchichten vom Wolfgang erzäh - len, und ich glaub 'Du haſt mich angeſteckt, ich mein immer das wär kein rechter Tag an dem ich nichts von ihm geſprochen hab'.

Deine Freundin Goethe.

Liebe Frau Rath.

Ich war in Köln da hab ich den ſchönen Krug ge - kauft, ſchenk Sie ihn Ihrem Sohn von ſich, das wird Ihr beſſer Freud 'machen, als wenn ich Ihr ihn ſchenkte. Ich ſelbſt mag ihm nichts ſchenken, ich will nur von ihm nehmen.

Köln iſt recht wunderlich, alle Augenblick hört man eine andre Glocke läuten, das klingt hoch und tief, dumpf und hell von allen Seiten unter einander. Da ſpazieren Franziskaner, Minoritten, Kapuziner, Domi - nikaner, Benediktiner an einander vorbei, die einen ſin - gen, die andern brummen eine Litaney, und wenn ſie aneinander vorbeikommen, da begrüßen ſie ſich mit ihren Fahnen und Heiligthümern und verſchwinden in ihren Klöſtern. Im Dom war ich grade bei Sonnenuntergang,da49da malten ſich die bunten Fenſterſcheiben durch die Sonne auf dem Boden ab, ich kletterte überall in dem Bau - werk herum, und wiegte mich in den geſprengten Bögen.

Fr. Rath, das wär 'Ihr recht gefährlich vorgekom - men, wenn Sie mich vom Rhein aus in einer ſolchen gothiſchen Roſe hätte ſitzen ſehen; es war auch gar kein Spaß; ein paarmal wollte mich Schwindel antreten, aber ich dachte: ſollte der ſtärker ſein wollen wie ich? und expreß wagt ich mich noch weiter. Wie die Dämmerung eintrat da ſah ich in Deutz eine Kirche mit bunten Scheiben von innen illuminirt, da tönte das Geläut herüber, der Mond trat hervor und einzelne Sterne. Da war ich ſo allein, rund um mich zwit - ſcherte es in den Schwalbenneſtern, deren wohl tau - ſende in den Geſimſen ſind, auf dem Waſſer ſah ich einzelne Seegel ſich blähen. Die andern hatten unter - deſſen den ganzen Kirchbau examinirt alle Monumente und Merkwürdigkeiten ſich zeigen laſſen. Ich hatte da - für einen ſtillen Augenblick, in dem meine Seele ge - ſammelt war, und die Natur, auch alles was Menſchen - hände gemacht haben und mich mit, in die feierliche Stimmung des im Abendroth glühenden Himmels ein - ſchmolz. Verſteh' Sie das, oder verſteh 'Sie es nicht, es iſt mir einerlei. Ich muß Sie freilich mit meinenI. 350überſichtigen Grillen behelligen, wem ſollt ich ſie ſonſt mittheilen!

Das iſt auch noch eine Merkwürdigkeit von Köln; die Betten die ſo hoch ſind, daß man einen Anlauf neh - men muß, um hinein zu kommen; man kann immer zwei, drei Verſuche machen ehe einer glückt; iſt man erſt drinn, wie ſoll man da wieder herauskommen? ich dachte, hier iſt gut ſein, denn ich war müde, und hatte mich ſchon den ganzen Tag auf meine Träume gefreut, was mir die beſcheeren würden; da kam mir auch, auf ihrem goldnen Strom ein Kahn beladen und geſchmückt mit Blumen aus dem Paradies entgegen, und ein Apfel den mir der Geliebte ſchickte, den hab 'ich auch gleich ver - zehrt.

Wir haben am Sonntag ſo viel Rumpelkammern durchſucht, Alterthümer, Kunſtſchätze betrachtet, ich hab 'alles mit großem Intereſſe geſehen. Ein Humpen, aus dem die Kurfürſten gezecht, iſt ſchön, mit vier Henkel, auf denen ſitzen Nymphen die ihre Füße im Wein ba - den, mit goldnen Kronen auf dem Kopf die mit Edel - ſteinen geziert ſind; um den Fuß windet ſich ein Drache mit vier Köpfen, die die vier Füße bilden, worauf das Ganze ſteht; die Köpfe haben aufgeſperrte Rachen die inwen - dig vergoldet ſind, auf dem Deckel iſt Bachus von zwei51 Satyrn getragen, er iſt von Gold und die Satyrn von Silber. So haben auch die Nymphen emaillirte Ge - wande an. Der Trinkbecher iſt von Rubinglas, und das Laubwerk was zwiſchen den Figuren ſich durchwin - det iſt ſehr ſchön von Silber und Gold durcheinander geflochten. Dergleichen Dinge ſind viel, ich wollt' Ihr blos den einen beſchreiben weil er ſo prächtig iſt, und weil Ihr die Pracht wohlgefällt.

Adieu Frau Rath! zu Schiff kamen wir herab, und zu Wagen fuhren wir wieder zurück nach Bonn.

Bettine.

Frau Rath.

Ich will nicht lügen: wenn Sie die Mutter nicht wär 'die Sie iſt, ſo würd' ich auch nicht bei Ihr ſchrei - ben lernen. Er hat geſagt, ich ſoll ihn vertreten bei Ihr, und ſoll Ihr alles Liebe thun was er nicht kann, und ſoll ſein gegen Sie, als ob mir all' die Liebe von Ihr angethan wär 'die er nimmer vergißt. Wie ich bei ihm war, da war ich ſo dumm und fragte ob er Sie liebhabe, da nahm er mich in ſeinen Arm und3*52drückte mich an's Herz und ſagte: berühr eine Saite, und ſie klingt, und wenn ſie auch in langer Zeit keinen Ton gegeben hätte. Da waren wir ſtill und ſprachen nichts mehr hiervon, aber jetzt hab 'ich ſieben Briefe von ihm, und in allen mahnt er mich an Sie; in einem ſagt er: Du biſt immer bei der Mutter, das freut mich; es iſt als ob der Zugwind von daher geblaſen habe, und jetzt fühl ich mich geſichert und warm, wenn ich Deiner und der Mutter gedenke; ich hab' ihm dagegen erzählt, daß ich Ihr mit der Schere das Wachstuch auf dem Tiſch zerſchnitten hab ', und daß Sie mir auf die Hand geſchlagen hat, und hat geſagt: grad' wie mein Sohn auch alle Unarten haſt Du von ihm!

Von Bonn kann ich nichts erzählen, da war's wie - der einmal ſo, daß man alles empfindet aber nichts da - bei denkt; wenn ich mich recht beſinne, ſo waren wir im botaniſchen Garten, grad 'wie die Sonn' unterging; alle Pflanzen waren ſchon ſchlaftrunken, die Siebenberg waren vom Abendroth angehaucht, es war kühl, ich wickelte mich in den Mantel und ſetzt 'mich auf die Mauer, mein Geſicht war vom letzten Sonnenſtrahl vergoldet, beſinnen macht ich mich nicht, das hätt' mich traurig gemacht in der gewaltigen verſtummten Natur. Da ſchlief ich ein, und da ich erwachte (ein großer -53 fer hat mich geweckt) da war's Nacht und recht kalt. Am andern Tag ſind wir wieder hier eingetroffen.

Adieu Fr. Rath, es iſt ſchon ſo ſpät in der Nacht, und ich kann gar nicht ſchlafen.

Bettine.

An Bettine.

Das kann ich nicht von Dir leiden, daß Du die Nächte verſchreibſt und nicht verſchläfſt, das macht dich melancholiſch und empfindſam, wollt ich drauf ant - worten, bis mein Brief ankäm ', da iſt ſchon wieder an - der Wetter. Mein Sohn hat geſagt: was einem drückt, das muß man verarbeiten, und wenn er ein Leid gehabt hat, da hat er ein Gedicht draus gemacht. Ich hab' Dir geſagt, Du ſollſt die Geſchichte von der Günderode aufſchreiben, und ſchick 'ſie nach Weimar, mein Sohn will es gern haben, der hebt ſie auf, dann drückt ſie Dich nicht mehr.

Der Menſch wird begraben in geweihter Erd ', ſo ſoll man auch große und ſeltne Begebenheiten begraben in einen ſchönen Sarg der Erinnerung, an den ein je - der hintreten kann und deſſen Andenken feiern. Das54 hat der Wolfgang geſagt, wie er den Werther geſchrie - ben hat; thues ihm zu Lieb' und ſchreib's auf.

Ich will Dir gern ſchreiben, was meine arme Fe - der vermag, weil ich Dir Dank ſchuldig bin; eine Frau in meinem Alter, und ein junges feuriges Mädchen, das lieber bei mir bleibt und nach nichts anderm frägt, ja das iſt Dankenswerth; ich hab's nach Weimar geſchrie - ben. Wann ich ihm von Dir ſchreib ', da antwortet er immer auf der Stell'; er ſagt, daß Du bei mir aus - hältſt, das ſei ihm ein Troſt. Adieu, bleib 'nicht zu lang' im Rheingau; die ſchwarzen Felswände, an de - nen die Sonne abprallt, und die alten Mauern die ma - chen Dich melancholiſch.

Deine Freundin Eliſabeth.

Der Moritz Bethmann hat mir geſagt, daß die Staël mich beſuchen will; ſie war in Weimar, da wollt ', ich, Du wärſt hier, da werd' ich mein Franzöſiſch recht zuſammen nehmen müſſen.

An Goethe's Mutter.

Diesmal hat Sie mir's nicht recht gemacht, Frau Rath; warum ſchickt Sie mir Goethe's Brief nicht? 55 Ich hab 'ſeit dem 13. Auguſt nichts von ihm, und jetzt haben wir ſchon Ausgang September. Die Staël mag ihm die Zeit verkürzt haben, da hat er nicht an mich gedacht. Eine berühmte Frau iſt was kurioſes, keine andre kann ſich mit ihr meſſen, ſie iſt wie Branntwein, mit dem kann ſich das Korn auch nicht vergleichen, aus dem er gemacht iſt. So Branntwein bitzelt auf der Zung', und ſteigt in den Kopf, das thut eine berühmte Frau auch; aber der reine Waizen iſt mir doch lieber, den ſäet der Säemann in die gelockerte Erd ', die liebe Sonne und der fruchtbare Gewitterregen locken ihn wie - der heraus, und dann übergrünt er die Felder, und trägt goldne Ähren, da giebt's zuletzt noch ein luſtig' Erndtefeſt; ich will doch lieber ein einfaches Waizen - korn ſein als eine berühmte Frau, und will auch lieber, daß Er mich als tägliches Brod breche, als daß ich ihm wie ein Schnaps durch den Kopf fahre. Jetzt will ich Ihr nur ſagen, daß ich geſtern mit der Staël zu Nacht gegeſſen hab 'in Mainz; keine Frau wollt neben ihr ſitzen bei Tiſch', da hab 'ich mich neben ſie geſetzt; es war unbequem genug, die Herren ſtanden um den Tiſch und hatten ſich alle hinter uns gepflanzt, und einer drückte auf den andern, um mit ihr zu ſprechen, und ihr in's Geſicht zu ſehen; ſie bogen ſich weit über56 mich; ich ſagte: Vos Adorateurs me suffoquent, ſie lachte. Sie ſagte, Goethe habe mit ihr von mir ge - ſprochen; ich blieb gern ſitzen, denn ich hätte gern ge - wußt, was er geſagt hat, und doch war mir's unrecht, denn ich wollt' lieber, er ſpräch 'mit niemand von mir; und ich glaub's auch nicht, ſie mag nur ſo geſagt haben; es kamen zuletzt ſo viele, die alle über mich hinaus mit ihr ſprechen wollten, daß ich's gar nicht län - ger konnte aushalten; ich ſagt' ihr: Vos lauriérs me pesent trop fort sur les épaules. Und ich ſtand auf und drängt 'mich zwiſchen den Liebhabern durch; da kam der Sis - mondi, ihr Begleiter, und küßt' mir die Hand, und ſagte, ich hätte viel Geiſt und ſagt's den andern, und ſie repetirten es wohl zwanzigmal, als wenn ich ein Prinz wär '; von denen findet man auch immer alles ſo geſcheut, wenn es auch das gewöhnlichſte wär'. Nachher hört 'ich ihr zu, wie ſie von Goethe ſprach; ſie ſagte, ſie habe erwartet, einen zweiten Werther zu finden, allein ſie habe ſich geirrt, ſo wohl ſein Benehmen wie auch ſeine Figur paſſe nicht dazu, und ſie bedauerte ſehr, daß er ihn ganz verfehle; Fr. Rath, ich wurd' zornig über dieſe Reden, ( das war überflüſſig, wird Sie ſagen) ich wendt 'mich an Schlegel, und ſagt' ihm auf Deutſch: die Fr. Staël hat ſich doppelt geirrt, einmal in der Er -57 wartung, und dann in der Meinung; Wir Deutſchen erwarten, daß Goethe zwanzig Helden aus dem Ärmel ſchüttlen kann, die den Franzoſen ſo imponiren, Wir meinen, daß er ſelbſt aber noch ein ganz andrer Held iſt. Der Schlegel hat unrecht, daß er ihr keinen beſ - ſern Verſtand hierüber beigebracht hat. Sie warf ein Lorbeerblatt, womit ſie geſpielt hatte, auf die Erde; ich trat[drauf] und ſchubſte es mit dem Fuß auf die Seite und ging fort. Das war die Geſchicht 'mit der be - rühmten Frau; hab' Sie keine Noth mit ihrem franzö - ſiſch, ſprech 'Sie die Fingerſprach mit ihr, und mache Sie den Commentar dazu mit ihren großen Augen, das wird imponiren; die Staël hat ja einen ganzen Amei - ſenhaufen Gedanken im Kopf, was ſoll man ihr noch zu ſagen haben? Bald komm' ich nach Frankfurt, da können wir's beſſer beſprechen.

Hier iſt's ſehr voll von Rheingäſten; wenn ich Morgens durch den dicken Nebel einen Nachen hervorſtechen ſeh ', da lauf' ich an's Ufer und wink 'mit dem Schnupftuch, immer ſind's Freunde oder Bekannte; vor ein paar Tagen waren Wir in Nothgottes, da war eine große Wallfahrt, der ganze Rhein war voll Nachen, und wenn ſie anlande - ten, ward eine Prozeſſion draus, und wanderten ſingend eine jede ihr eigen Lied, neben einander hin; das war3**58ein Schariwari, mir war Angſt, es möcht 'unſerm Herr - gott zu viel werden; ſo kam's auch: er ſetzte ein Ge - witter dagegen und donnerte laut genug, ſie haben ihn übertäubt, aber der gewaltige Regenguß hat die lieben[Wallfahrter] aus einander gejagt, die da im Gras la - gen, wohl tauſende und zechten; ich hab' grad 'kei - nen empfindſamen Reſpekt vor der Natur, aber ich kann's doch nicht leiden, wenn ſie ſo beſchmutzt wird mit Papier und Wurſtzipfel und zerbrochnen Tellern und Flaſchen, wie hier auf dem großen grünen Plan, wo das Kreuz zwiſchen Linden aufgerichtet ſteht, wo der Wandrer, den die Nacht überraſcht, gern Nachtruhe hält und ſich geſchützt glaubt durch den geweihten Ort. Ich kann Ihr ſagen, mir war ganz unheimlich; ich bin heut noch caput. Ich ſeh' lieber die Lämmer auf dem Kirchhof weiden, als die Menſchen in der Kirch '; und die Lilien auf dem Feld', die ohne zu ſpinnen, doch vom Thau genährt ſind, als die langen Prozeſſionen drü - ber ſtolpern, und ſie im ſchönſten Flor zertreten. Ich ſag 'Ihr gute Nacht, heut hab' ich bei Tag geſchrieben.

Bettine.

59

Koſtbare Pracht und Kunſtwerke, in Köln und auf der Reiſe dahin geſehen, und für meine liebſte Fr. Rath beſchrieben.

Geb 'Sie Achtung damit Sie es recht verſteht, denn ich hab' ſchon zweimal vergeblich verſucht eine gutge - ordnete Darſtellung davon zu machen.

Ein großer Tafelaufſatz der mir die ganze Zeit im Kopf herumſpukt, und den mir deucht im großen Ban - ketſaal der Kurfürſtlichen Reſidenz geſehen zu haben; er beſteht aus einer ovalen fünf bis ſechs Fuß langen chri - ſtallenen Platte einen See vorſtellend, in Wellen ſanft geſchliffen die ſich gegen die Mitte hin mehr und mehr heben, und endlich ganz hoch ſteigen, wo ſie einen ſil - bernen Fels mit einem Throne umgeben auf welchem die Venus ſitzt; ſie hat ihren Fuß auf den Rücken eines Tritonen geſtemmt, der einen kleinen Amor auf den Händen balancirt; rundum ſpritzt ſilberner Schaum, auf den höchſten Wellen umher reiten muthige Nym - phen, ſie haben Ruder in Händen um die Wellen zu peit - ſchen, ihre Gewande ſind emaillirt, meiſtens blasblau oder ſeegrün, auch gelblich; ſie ſcheinen in einem übermüthi - gen jauchzenden Waſſertanz begriffen; etwas tiefer, ſil -60 berne Seepferde von Tritonen gebändigt und zum Theil beritten; alles in Silber und Gold getrieben mit email - lirten Verzierungen. Wenn man in den hohlen Fels Wein thut, ſo ſpritzt er aus Röhrchen in regelmäßigen feinen Strahlen rund um die Venus empor, und fließt in ein verborgnes Becken unter dem Fels; das iſt die hohe Mittelgruppe. Näher am Ufer liegen bunte Mu - ſcheln, zwiſchen den Wellen, und emaillirte Waſſerlilien; aus ihren Kelchen ſteigen kleine Amoretten empor die mit geſpanntem Bogen einander beſchießen, zwiſchen durch flüchten Seeweibchen mit Fiſchſchweifen von See - männchen mit ſpitzen Bärten verfolgt, und an ihren Schilfkränzen erhaſcht oder mit Netzen eingefangen. Auf der andern Seite ſind Seeweibchen die einen kleinen Amor in der Luft gefangen halten und ihn unter die Wellen ziehen wollen, er wehrt ſich und ſtemmt ſein Füßchen der einen auf die Bruſt während die andre ihn an den bunten Flügeln hält; dieſe Gruppe iſt ganz köſtlich und ſehr luſtig; der Amor iſt ſchwarz von Am - bra, die Nymphen ſind von Gold mit emaillirten Krän - zen. Die Gruppen ſind vertheilt in beiden Halbovalen, alles emaillirt mit blau, grün, roth, gelb, lauter helle Farben; viele Seeungeheuer gucken zwiſchen den chriſtall - nen Wellen hervor mit aufgeſperrtem Rachen; ſie ſchnap -61 pen nach den fliehenden Nymphen, und ſo iſt ein bun - tes Gewirr von luſtiger, glitzernder Pracht über das ganze verbreitet; aus deſſen Mitte der Fels mit der Ve - nus emporſteigt; am einen Ende der Platte, wo ſonſt gewöhnlich die Handhabe iſt: ſitzt etwas erhaben gegen den Zuſchauer der berühmte Cyklop-Polyphem der die Ga - lathee in ſeinen Armen gefangen hält; er hat ein gro - ßes Aug 'auf der Stirn, ſie ſieht ſchüchtern herab auf die Schafheerde die zu beiden Seiten gelagert iſt, wo - durch die Gruppe ſich in einen ſanften Bogen mit zwei Lämmern, welche an beiden Enden liegen und ſchlafen, abſchließt. Jenſeits ſitzt Orpheus, auch gegen die Zu - ſchauer gewendet; er ſpielt die Leier, ein Lorbeerbaum hinter ihm, auf deſſen ausgebreiteten goldnen Zweigen Vögel ſitzen; Nymphen haben ſich herbeigeſchlichen mit Rudern in der Hand, ſie lauſchen; dann ſind noch al - lerlei Seethiere bis auf zwei Delphine, die auf beiden Seiten die Gruppe wie jenſeits in einem ſanften Bogen abſchließen; ſehr hübſch iſt ein kleiner Affe der ſich einen Sonnenſchirm von einem Blatt gemacht hat, zu Orpheus Füßen ſitzt und ihm zuhört. Das iſt wie Sie leicht denken kann ein wunderbares Prachtſtück; es iſt ſehr reich und doch erhaben; und ich könnte ihr noch eine halbe Stunde über die Schönheit der einzelnen Figuren62 vorſchwätzen. Gold und Silber macht mir den Eindruck von etwas heiligem; ob dies daher kommt, weil ich im Kloſter immer die goldnen und ſilbernen Meßgeſchirre, und den Kelch gewaſchen habe, den Weihrauchkeſſel ge - putzt, und die Altarleuchter vom abträuflenden Wachs gereinigt, alles mit einer Art Ehrfurcht berührt habe? ich kann Ihr nur ſagen, daß uns beim Betrachten die - ſes reichen und künſtlichen Werkes eine feierliche Stim - mung befiel.

Jetzt beſchreib 'ich Ihr aber noch etwas Schönes, das gefällt mir in der Erinnerung noch beſſer, und die Kunſtkenner ſagen auch es habe mehr Styl; das iſt ſo ein Wort, wenn ich frage was es bedeutet, ſagt man: Wiſſen Sie nicht was Styl iſt? und damit muß ich mich zufrieden geben, hierbei hab' ich's aber doch aus - gedacht. Alles große Edle muß einen Grund haben warum es edel iſt: Wenn dieſer Grund rein ohne Vor - urtheil ohne Pfuſcherei von Nebendingen und Abſichten, die einzige Baſis des Kunſtwerks iſt: das iſt der reine Styl. Das Kunſtwerk muß grade nur das ausdrücken, was die Seele erhebt und edel ergötzt und nicht mehr. Die Empfindung des Künſtlers muß allein darauf ge - richtet ſein, das übrige iſt falſch. In den kleinen Ge - dichten vom Wolfgang iſt die Empfindung aus einem63 Guß, und was er da ausſpricht, daß erfüllt reichlich eines jeden Seele mit derſelben edlen Stimmung. In allen liegt es, ich will Ihr aber nur dies kleinſte zitiren, das ich ſo oft mit hohem Genuß in den einſamen Wäl - dern geſungen habe, wenn ich allein von weitem Spa - zierwegen nach Hauſe ging.

Der Du von dem Himmel biſt,
Alles Leid und Schmerzen ſtilleſt,
Den der doppelt elend iſt,
Doppelt mit Erquickung fülleſt:
Ach ich bin des Treibens müde
Was ſoll all' der Schmerz und Luſt?
Süßer Friede!
Komm, ach komm in meine Bruſt.

Im Kloſter hab 'ich viel predigen hören, über den Weltgeiſt und die Eitelkeit aller Dinge, ich habe ſelbſt, den Nonnen die Legende Jahr aus Jahr ein vorgele - ſen, weder der Teufel noch die Heiligen haben bei mir Eindruck gemacht, ich glaub' ſie waren nicht vom reinen Styl; ein ſolches Lied aber erfüllt meine Seele mit der lieblichſten Stimmung, keine Mahnung, keine weiſe Leh - ren könnten mir je ſo viel Gutes einflößen; es befreit mich von aller Selbſtſucht, ich kann andern alles geben, und gönne ihnen das beſte Glück, ohne für mich ſelbſt etwas zu verlangen; das macht weil es vom reinen ed - len Styl iſt. So könnte ich noch manches ſeiner Lieder64 herſetzen die mich über alles erheben, und mir einen Ge - nuß ſchenken der mich in mir ſelber reich macht. Das Lied: Die ſchöne Nacht hab 'ich wohl hundertmal dies Jahr auf ſpätem Heimweg geſungen:

Luna bricht durch Buſch und Eichen
Zephyr meldet ihren Lauf,
Und die Birken ſtreun mit Neigen
Ihr den ſchönſten Weihrauch auf.

Wie war ich da glücklich und heiter in dieſem Früh - jahr wie die Birken, während meinem Geſang rund um mich her der eilenden Luna wirklich ihren duftenden Weihrauch ſtreuten. Es ſoll mir keiner ſagen, daß rei - ner Genuß nicht Gebet iſt. Aber in der Kirche iſt's mir noch nimmer gelungen, da hab 'ich geſeufzt vor ſchwe - rer Langenweile, die Predigt war wie Blei auf meinen Augenliedern. O je, wie war mir leicht wenn ich aus der Kloſterkirche in den ſchönen Garten konnte ſpringen, da war mir der geringſte Sonnenſtrahl eine beſſre Er - leuchtung als die ganze Kirchengeſchichte.

Das zweite Kunſtwerk welches ich Ihr beſchreibe, iſt ein Delphin aus einem großen Elephantenzahn ge - macht; er ſperrt ſeinen Rachen auf in den ihm zwei Amoretten das Gebiß einlegen; ein andrer der auf dem Nacken des Delphins ſitzt, nimmt von beiden Seiten den Zaum; auf der Mitte des Rückens liegt ein gold -65 ner Sattel mit einem Sitz von getriebener Arbeit, wel - ches Laubwerk von Weinreben vorſtellt; inmitten deſ - ſelben, ſteht Bacchus von Elfenbein; ein ſchöner, zarter, ſchlanker Jüngling mit goldnen Haaren und einer phry - chiſchem Mütze auf; er hat die eine Hand in die Seite geſtemmt, mit der andern hält er einen goldnen Rebſtock der unter dem Sattel hervorkömmt, und ihn mit ſchö - nem, feinem Laub überdacht; auf beiden Seiten des Sat - tels ſind zwei Muſcheln angebracht wie Tragkörbe, darin ſitzen zwei Nymphen von Elfenbein in jedem, und bla - ſen auf Muſcheln; die breiten Floßfedern, ſo wie der Schwanz des Fiſches ſind von Gold und Silber gear - beitet; unmittelbar hinter dem Sattel ſchlängelt ſich der Leib des Fiſches aufwärts als ob er mit dem Schweif in die Lüfte ſchnalzte; auf dem Bug deſſelben ſitzt ein zierliches Nymphchen, und klatſcht in die Hände; dieſes kommt etwas höher zu ſtehen, und ſieht über die Gruppe des Bacchus herüber; die Floßfedern des Schweifes bil - den ein zierliches Schattendach über der Nymphe; der Rachen des Fiſches iſt inwendig von Gold; man kann ihn auch mit Wein füllen, der dann in zwei Strahlen aus ſeinen Nüſtern empor ſpringt; man ſtellte dieſes Kunſtwerk bei großen Feſten in einem goldnen Becken auf den Nebentiſchen auf. Dieſes iſt nun ein Kunſt -66 werk vom erhabenen Styl, und ich kann auch ſagen, daß es mich ganz mit ſtummer heiliger Ehrfurcht er - füllte. Noch viele dergleichen ſind da; alles hat Be - zug auf den Rhein, unter andern ein Schiff von Ce - dernholz, ſo fein gemacht, mit ſchönen Arabesken; ein Basrelief umgiebt den Obertheil des Schiffes, auf deſſen Verdeck die drei Kürfürſten von Kölln, Mainz und Trier ſitzen und zechen; Knappen ſtehen hinter ihnen mit Hen - kelkrügen. Dies hat mir nicht ſo viel Freud 'gemacht, obſchon viel Schönes daran iſt, beſonders die Glücks - göttin, die am Vordertheil des Schiffes angebracht iſt.

Ich beſchreib 'Ihr noch einen Humpen, das iſt ein wahres Meiſterſtück und ſtellt eine Kelter vor. In der Mitte ſteht ein hohes Faß, das iſt der eigentliche Hum - pen; auf beiden Seiten klettern in zierlichen Verſchlin - gungen Knaben hinauf mit Butten voll Trauben über die Schultern von Männern, um an den Rand zu ge - langen und ihre Trauben auszuſchütten; in der Mitte, als Knopf des Deckels der etwas tief in den Rand des Humpens paßt, ſteht Bacchus mit zwei Tigern die an ihm hinanſpringen; er iſt im Begriff die Trauben, deren gehäufte Menge mit einzelnen Ranken dazwiſchen, den Deckel bilden, mit den Füßen zu keltern. Die Knaben die von allen Seiten herüberreichen um ihre Gefäße mit67 Trauben auszuleeren, bilden einen wunderſchönen Rand; die ſtarken Männer am Fuß der Kelter, die die kleinen Knaben auf ihre Schultern heben und auf mannigfache Weiſe heraufhelfen, ſind ganz außerordentlich herrlich, nackt, einem oder dem andern hängt ein Tigerfell über den Rücken, ſonſt ganz ungeniert. Am Humpen ſieht man auf einer Seite das mainzer Wappen, auf der andern das von Köln.

Der ganze Humpen ſteht auf einem Aufſatz der wie ein ſanfter Hügel geſtaltet iſt; auf dieſem ſitzen und liegen Nymphen im Kreis; ſie ſpielen mit Tamburinen, Becken, Triangel, andre liegen und balgen ſich mit Leoparden, die ihnen über die Köpfe ſpringen; es iſt gar zu ſchön. Das hab 'ich Ihr nun beſchrieben, aber hätte Sie es erſt geſehen, Sie würde vor Verwun - derung laut aufgeſchrieen haben. Was überfällt einem nur, wenn man ſo etwas von Menſchenhänden gemacht ſieht? Mir rauchte der Kopf, und ich meinte in der trunkenen Begeiſtrung ich werde keine Ruhe finden, wenn ich nicht auch ſolche ſchöne Sachen erfinden und machen könne. Aber wie ich hinaus kam und es war Abend geworden, und die Sonne ging ſo ſchön unter, da vergaß ich alles, blos um mit den letzten Strahlen der Sonne meine Sinne in dem kühlen Rhein zu baden.

68

Eine Mutter giebt ſich alle erdenkliche Mühe ihr kleines unverſtändiges Kindchen zufrieden zu ſtellen, ſie kömmt ſeinen Bedürfniſſen zuvor und macht ihm aus allem ein Spielwerk; wenn es nun auf nichts hören will und mit nichts ſich befriedigen läßt: ſo läßt ſie es ſeine Unart ausſchreien bis es müde iſt, und dann ſucht ſie es wieder von neuem mit dem Spielwerk ver - traut zu machen. Das iſt grade wie es Gott mit den Menſchen macht: er giebt das Schönſte um den Men - ſchen zur Luſt, zur Freude zu reizen, und ihm den Ver - ſtand dafür zu ſchärfen. Die Kunſt iſt ein ſo ſchönes Spielwerk, um den unruhigen, ewig begehrenden Men - ſchengeiſt auf ſich ſelbſt zurück zu führen, um ihn den - ken zu lehren und ſehen; um Geſchicklichkeit zu erwer - ben, die ſeine Kräfte weckt und ſteigert. Er ſoll lernen ganz der Unſchuld ſolcher Erfindung ſich hingeben, und vertrauen auf die Luſt und das Spiel der Phantaſie, die ihn zum Höchſten auszubilden und zu reifen ver - mag. Gewiß liegen in der Kunſt große Geheimniſſe höherer Entwicklung verborgen; ja ich glaub 'ſogar, daß alle Neigungen von denen die Philiſter ſagen, daß ſie keinen nützlichen Zweck haben, zu jenen myſtiſchen gehören die den Keim zu großen, in dieſem Leben noch unverſtändlichen Eigenſchaften in unſre Seele legen;69 welche dann im nächſten Leben als ein höherer In - ſtinkt aus uns hervorbrechen, der einem geiſtigeren Ele - ment angemeſſen iſt.

Die Art wie jene in Gold und Silber getriebne Kunſtwerke aufgeſtellt ſind, iſt auch zu bewundern und trägt ſehr dazu bei, dieſelben ſowohl in ihrer Pracht mit einem Blick zu überſchauen, als auch ein jedes ein - zelne bequem zu betrachten. Es iſt eine Wand von ſchwarzem Ebenholz mit tiefen Caſſetten, in der Mitte der Wand eine große, in welcher das Hauptſtück ſteht, auf beiden Seiten kleinere, in denen die anderen Kunſt - werke, als: Humpen, Becher ꝛc. ꝛc. ſtehen. An jeder Caſſette hebt ſich durch den Druck einer Feder der Bo - den heraus und läßt das Kunſtwerk von allen Sei - ten ſehen.

Noch eines Bechers gedenke ich, von Bronze, eine echte Antike wie man behauptet: und man muß es wohl glauben, weil er ſo einfach iſt und doch ſo ma - jeſtätiſch. Ein Jüngling: wahrſcheinlich Ganymed, ſitzt nachläſſig auf einem Stein, der Adler auf der Erde zwiſchen ſeinen Knieen breitet beide Flügel aus, als wolle er ihn damit ſchlagen, und legt den ausgeſtreck - ten Kopf auf des Jünglings Bruſt, der auf den Adler herabſieht, während er die Ärme emporhebt und mit70 beiden Händen ein herrliches Trinkgefäß hält, was den Becher bildet. Kann man ſich was Schöneres den - ken? Nein! Der wilde Adler, der ganz leidenſchaft - lich den ruhigen Jüngling gleichſam anfällt und doch an ihm ausruht, und jener, der ſo ſpielend den Becher emporhebt, iſt gar zu ſchön, und ich hab 'allerlei dabei gedacht. Eine andre Wand will ich Ihr noch beſchreiben und dann zu Bette gehn, denn ich bin müde; ſtell Sie ſich ein goldnes Honigwaben vor, aus dem die ganze Wand beſteht, lauter achteckige goldne Zellen, in jeder ein andrer Heiliger zierlich, ja wahrhaft reizend in Holz geſchnitzt, mit ſchönen Kleidern angethan, in bun - ter Farbe gemalt; in der Mitte wo die Zelle für den Bienenweiſel iſt, da iſt Chriſtus, auf beiden Seiten die vier Evangeliſten, dann rund umher die Apoſtel, dann die Erzväter, endlich die Märtyrer, zuletzt die Einſiedler. Dieſe Wand hab' ich in Oberweſel als Hauptaltar in der Kirche aufgeſtellt geſehen; es iſt keine Figur die man nicht gleich als ſchönes, naives, in ſeiner Art eigenthüm - liches Bild abmalen könnte. Adieu Frau Rath, ich muß abbrechen, ſonſt könnte der Tag heran kommen über mei - nem extemporiren.

Bettine.

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An Bettine.

Die Beſchreibung von Deinen Prachtſtücken und Koſtbarkeiten hat mir recht viel Plaiſir gemacht; wenn's nur auch wahr iſt, daß Du ſie geſehen haſt, denn in ſolchen Stücken kann man Dir nicht wenig genug trauen. Du haſt mir ja ſchon manchmal hier auf Deinem Schemel die Unmöglichkeiten vorerzählt, denn wenn Du, mit Ehren zu melden, in's Erfinden geräthſt, dann hält Dich kein Gebiß und kein Zaum. Ei, mich wundert's, daß Du noch ein End 'finden kannſt und nicht in einem Stück fortſchwäzſt, blos um ſelbſt zu erfahren, was alles noch in Deinem Kopf ſteckt. Manchmal mein ich aber doch es müßt wahr ſein, weil Du alles ſo natürlich vorbringen kannſt. Wo ſollteſt Du auch alles herwiſſen? Es iſt aber doch kurios, daß die Kurfürſten immer mit Fiſch und Waſſernymphen zu thun haben; auf der Krönung hab' ich in den Sil - berkammern auch ſolche Sachen geſehen, da war ein Springbrunnen von Silber mit ſchönen Figuren, da ſprang Wein heraus, der wurde zur Pracht auf die Tafel geſtellt. Und einmal hat der Kurfürſt von der Pfalz ein Fiſchballet aufführen laſſen, da tanzten die72 Karpfen, prächtig in Gold und Silberſchuppen ange - than, aufrecht einen Menuet. Nun, Du haſt das alles allein geſehen, ſolche Sachen die man im Kopf ſieht, die ſind auch da und gehören ins himmliſche Reich, wo nichts einen Körper hat, ſondern nur alles im Geiſt da iſt.

Mach doch daß Du bald wieder herkommſt, Du haſt den ganzen Sommer verſchwärmt, mir iſt es gar nicht mehr drum zu thun mit dem Schreiben, und ich hab 'Dich auch ſo lange nicht geſehen, es verlangt mich recht nach Dir.

Deine wahre Herzensfreundin Goethe.

An Goethe's Mutter.

Frau Rath, den ganzen Tag bin ich nicht zu Hauſ ', aber wenn ich an Sie ſchreib', dann weiß ich, daß ich eine Heimath habe; es iſt die Zeit, daß die Leut 'Feld - götter im Weinberg aufſtellen, um die Sperlinge von den Trauben zu ſcheuchen; heut' morgen konnt 'ich nicht begreifen, was für ein wunderbarer Beſuch ſich ſo früh im Weingarten aufhalte, der mir durch den dicken Ne - bel ſchimmerte; ich dachte erſt, es wär' der Teufel, denner73er hat einen ſcharlachrothen Rock und ſchwarze Unter - kleider und goldpapierne Mütze; und am Abend in der Dämmerung fürchtete ich mich dran vorbeizugehen, und zwar ſo ſehr, daß ich wieder umkehrte und nicht bis an's Waſſer ging, wie ich jeden Abend thue; und wie ich wieder im Zimmer war, da dachte ich, wenn mich jemand Liebes dort hinbeſtellt hätte, ſo würd 'ich wohl nichts von Furcht geſpürt haben; ich ging alſo noch einmal und glücklich an dem Lumpengeſpenſt vorbei, denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; die ſtille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein, über den brütenden Weinbergen, wem vergleiche ich die wohl, als dem ſtillen, ruhigen Abend, in dem mein An - denken ihm einen freundlichen Beſuch macht, und er ſich's gefallen läßt, daß das Schifflein mit meinen kin - diſchen Gedanken bei ihm anlande; was ich in ſo ein - ſamer Abendſtunde, wo die Dämmerung mit der Nacht tauſcht, denke, das kann Sie ſich am beſten vorſtellen, da wir es tauſendmal mit einander beſprochen haben, und haben ſo viel Ergötzen dabei gehabt. Wenn wir mit einander zu ihm gereiſt kämen, das denk' ich mir immer noch aus. Damals hatte ich ihn noch nicht geſehen, wie Sie meiner heißen Sehnſucht die Zeit da - mit vertrieb, daß Sie mir ſeine freudige ÜberraſchungI. 474malte und unſer Erſcheinen unter tauſenderlei Verände - rungen; jetzt kenne ich ihn und weiß, wie er lächelt und den Ton ſeiner Stimme, wie die ſo ruhig iſt und doch voll Liebe, und ſeine Ausrufungen, wie die ſo aus dem tiefen Herzen anſchwellen, wie der Ton im Geſang; und wie er ſo freundlich beſchwichtigt und bejaht, was man im Herzensdrang unordentlich herausſtürmt; wie ich im vorigen Jahr ſo unverhofft wieder mit ihm zuſammentraf, da war ich ſo außer mir, und wollte ſprechen und konnte mich nicht zurecht finden; da legt 'er mir die Hand auf den Mund und ſagt': Sprech 'mit den Augen, ich verſteh' alles; und wie er ſah, daß die voll Thränen ſtanden, ſo drückt 'er mir die Augen zu, und ſagte: Ruhe, Ruhe, die bekommt uns beiden am beſten; ja, liebe Mutter, die Ruhe war gleich über mich hingegoſſen, ich hatte ja alles, wonach ich ſeit Jahren mich einzig geſehnt habe. O Mutter, ich dank' es Ihr ewig, daß Sie mir den Freund in die Welt geboren, wo ſollt 'ich ihn ſonſt finden! Lach' Sie nicht da drüber, und denk 'Sie doch, daß ich ihn geliebt hab', eh 'ich das Geringſte von ihm wußt', und hätt 'Sie ihn nicht geboren, wo er dann geblieben wär', das iſt doch die Frage, die Sie nicht beantworten kann.

75

Über die Günderode iſt mir am Rhein unmöglich zu ſchreiben, ich bin nicht ſo empfindlich; aber ich bin hier am Platz nicht weit genug von dem Gegenſtand ab, um ihn ganz zu überſehen; geſtern war ich da unten, wo ſie lag; die Weiden ſind ſo gewachſen, daß ſie den Ort ganz zudecken, und wie ich mir ſo dachte, wie ſie voll Verzweiflung hier herlief, und ſo raſch das gewaltige Meſſer ſich in die Bruſt ſtieß, und wie das Tage lang in ihr gekocht hatte, und ich, die ſo nah mit ihr ſtand, jetzt an demſelben Ort, gehe hin und her an demſelben Ufer, in ſüßem Überlegen meines Glückes, und alles und das Geringſte was mir begegnet, ſcheint mir, mit zu dem Reichthum meiner Seeligkeit zu gehö - ren; da bin ich wohl nicht geeignet, jetzt alles zu ord - nen und den einfachen Faden unſeres Freundelebens, von dem ich doch nur alles anſpinnen könnte, zu ver - folgen. Nein, es kränkt mich und ich mache ihr Vorwürfe, wie ich ihr damals in Träumen machte, daß ſie die ſchöne Erde verlaſſen hat; ſie hätt 'noch lernen müſſen, daß die Natur Geiſt und Seele hat und mit dem Menſchen verkehrt, und ſich ſeiner und ſeines Geſchickes annimmt, und daß Lebensverheißungen in den Lüften uns umwehen; ja, ſie hat's böſ' mit mir gemacht, ſie iſt mir geflüchtet, grade wie ich mit ihr4*76theilen wollte alle Genüſſe. Sie war ſo zaghaft; eine junge Stiftsdame, die ſich fürchtete, das Tiſchgebet laut herzuſagen; ſie ſagte mir oft, daß ſie ſich fürchtete, weil die Reihe an ihr war; ſie wollte vor den Stifts - damen das Benedicite nicht laut herſagen; unſer Zu - ſammenleben war ſchön, es war die erſte Epoche, in der ich mich gewahr ward; ſie hatte mich zuerſt aufgeſucht, in Offenbach, ſie nahm mich bei der Hand und forderte, ich ſolle ſie in der Stadt beſuchen; nach - her waren wir alle Tage beiſammen, bei ihr lernte ich die erſten Bücher mit Verſtand leſen, ſie wollte mich Geſchichte lehren, ſie merkte aber bald, daß ich zu ſehr mit der Gegenwart beſchäftigt war, als daß mich die Vergangenheit hätte lange feſſeln können; wie gern ging ich zu ihr! ich konnte ſie keinen Tag mehr miſſen, ich lief alle Nachmittag zu ihr; wenn ich an die Thür des Stift's kam, da ſah 'ich durch das Schlüſſelloch, bis nach ihrer Thür, bis mir aufgethan ward; ihre kleine Wohnung war ebner Erde nach dem Garten; vor dem Fenſter ſtand eine Silberpappel, auf die klet - terte ich während dem Vorleſen; bei jedem Kapitel er - ſtieg ich einen höheren Aſt und las von oben herun - ter; ſie ſtand am Fenſter und hörte zu, und ſprach zu mir hinauf, und dann und wann ſagte ſie: Bettine,77 fall' nicht; jetzt weiß ich erſt, wie glücklich ich in der damaligen Zeit war, denn weil alles, auch das Ge - ringſte ſich als Erinnerung von Genuß in mich geprägt hat; ſie war ſo ſanft und weich in allen Zügen, wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augen - wimpern; wenn ſie lachte ſo war es nicht laut, es war vielmehr ein ſanftes, gedämpftes Girren in dem ſich Luſt und Heiterkeit ſehr vernehmlich ausſprach; ſie ging nicht, ſie wandelte, wenn man verſtehen will, was ich damit auszuſprechen meine; ihr Kleid war ein Gewand, was ſie in[ſchmeichelnden] Falten umgab, das kam von ihren weichen Bewegungen her; ihr Wuchs war hoch, ihre Geſtalt war zu fließend, als daß man es mit dem Wort ſchlank ausdrücken könnte; ſie war ſchüchtern-freundlich, und viel zu willenlos, als daß ſie in der Geſellſchaft ſich bemerkbar gemacht hätte. Einmal ſie bei dem Fürſt Primas mit allen Stifts - damen zu Mittag; ſie war im ſchwarzen Ordenskleid mit langer Schleppe und weißem Kragen mit dem Or - denskreuz; da machte jemand die Bemerkung, ſie ſähe aus wie eine Scheingeſtalt unter den andern Damen, als ob ſie ein Geiſt ſei, der eben in die Luft zerfließen werde. Sie las mir ihre Gedichte vor und freute78 ſich meines Beifalls, als wenn ich ein großes Publikum wär '; ich war aber auch voll lebendiger Begierde es anzuhören; nicht als ob ich mit dem Verſtand das Ge - hörte gefaßt habe, es war vielmehr ein mir unbe - kanntes Element, und die weichen Verſe wirkten auf mich wie der Wohllaut einer fremden Sprache die einem ſchmeichelt, ohne daß man ſie überſetzen kann. Wir laſen zuſammen den Werther, und ſprachen viel über den Selbſtmord; ſie ſagte: recht viel lernen, recht viel faſſen mit dem Geiſt, und dann früh ſterben; ich mag's nicht erleben, daß mich die Jugend verläßt; wir laſen vom[Jupiter] Olymp des Phidias, daß die Griechen von dem ſagten, der Sterbliche ſei um das Herrlichſte betro - gen, der die Erde verlaſſe, ohne ihn geſehen zu haben. Die Günderode ſagte, wir müſſen ihn ſehen, wir wol - len nicht zu den Unſeligen gehören, die ſo die Erde verlaſſen. Wir machten ein Reiſeprojekt, wir erdachten unſre Wege und Abentheuer, wir ſchrieben alles auf, wir malten alles aus, unſre Einbildung war ſo geſchäf - tig, daß wir's in der Wirklichkeit nicht beſſer hätten erleben können; oft laſen wir in dem erfundenen Reiſe - journal und freuten uns der allerliebſten Abentheuer, die wir drinn erlebt hatten, und die Erfindung wurde gleichſam zur Erinnerung, deren Beziehungen ſich noch79 in der Gegenwart fortſetzten. Von dem, was ſich in der Wirklichkeit ereignete, machten wir uns keine Mit - theilungen; das Reich, in dem wir zuſammentrafen, ſenkte ſich herab wie eine Wolke, die ſich öffnete um uns in ein verborgenes Paradies aufzunehmen; da war alles neu, überraſchend, aber paſſend für Geiſt und Herz; und ſo vergingen die Tage. Sie wollte mir Philoſophie lehren, was ſie mir mittheilte, verlangte ſie von mir aufgefaßt, und dann auf meine Art ſchriftlich wiedergegeben; die Aufſätze, die ich ihr hierüber brachte, las ſie mit Staunen; es war nie auch eine entfernte Ahndung von dem, was ſie mir mitgetheilt hatte; ich behauptete im Gegentheil, ſo hätt' ich es verſtanden; ſie nannte dieſe Aufſätze Offenbarungen, gehöht durch die ſüßeſten Farben einer entzückten Imagination; ſie ſammelte ſie ſorgfältig, ſie ſchrieb mir einmal: Jetzt ver - ſtehſt Du nicht, wie tief dieſe Eingänge in das Berg - werk des Geiſtes führen, aber einſt wird es Dir ſehr wichtig ſein, denn der Menſch geht oft öde Straßen; je mehr er Anlage hat durchzudringen, je ſchauerlicher iſt die Einſamkeit ſeiner Wege, je endloſer die Wüſte. Wenn Du aber gewahr wirſt, wie tief Du Dich hier in den Brunnen des Denkens niedergelaſſen haſt und wie Du da unten ein neues Morgenroth findeſt, und80 mit Luſt wieder heraufkömmſt und von Deiner tieferen Welt ſprichſt, dann wird Dich's tröſten, denn die Welt wird nie mit Dir zuſammenhängen, Du wirſt keinen andern Ausweg haben als zurück durch dieſen Brun - nen in den Zaubergarten Deiner Phantaſie; es iſt aber keine Phantaſie, es iſt eine Wahrheit, die ſich nur in ihr ſpiegelt. Der Genius benützt die Phantaſie, um unter ihren Formen das göttliche, was der Men - ſchengeiſt in ſeiner idealen Erſcheinung nicht faſſen könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirſt kei - nen andern Weg des Genuſſes in Deinem Leben ha - ben, als den ſich die Kinder verſprechen von Zauber - höhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch ſie gekommen ſo findet man blühende Gärten, Wunder - früchte, kryſtallne Paläſte, wo eine noch unbegriffne Muſik erſchallt, und die Sonne mit ihren Strahlen Brücken baut, auf denen man feſten Fußes in ihr Cen - trum ſpazieren kann; das alles wird ſich Dir in die - ſen Blättern zu einem Schlüſſel bilden, mit dem Du vielleicht tief verſunkene Reiche wieder aufſchließen kannſt, drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht ſolchen Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, ſondern lerne mit Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den Geiſt geboren wird; wenn er erſt in Dich eingefleiſcht81 iſt, dann wirſt Du Dich der Begeiſtrung freuen, wie der Tänzer ſich der Muſik freut.

Mit ſolchen wunderbaren Lehren hat die Günde - rode die Unmündigkeit meines Geiſtes genährt. Ich war damals bei der Großmutter in Offenbach, um auf vier Wochen wegen meiner ſchwankenden Geſundheit die Landluft zu genießen; auf welche Weiſe berührten mich denn ſolche Briefe? verſtand ich ihren In - halt? hatte ich einen Begriff von dem, was ich ge - ſchrieben hatte? Nein; ich wußte mir ſo wenig den Text meiner ſchriftlichen Begeiſtrungen auszulegen, als ſich der Componiſt den Text ſeiner Erfindungen begreif - lich machen kann; er wirft ſich in ein Element, was höher iſt als er; es trägt ihn, es nährt ihn, ſeine Nah - rung wird Inſpiration, ſie reizt, ſie beglückt, ohne daß man ſie ſinnlich auszulegen vermöchte, obſchon die - higkeiten durch ſie geſteigert, der Geiſt gereinigt, die Seele gerührt wird. So war es auch zwiſchen mir und der Freundin: die Melodieen entſtrömten meiner gereizten Phantaſie, ſie lauſchte und fühlte unendlichen Genuß dabei, und bewahrte, was, wenn es mir geblie - ben wär ', nur ſtörend auf mich gewirkt haben würde; ſie nannte mich oft die Sibylle, die ihre Weiſſagungen nicht bewahren dürfe; ihre Aufforderungen reizten mich,4**82und doch hatte ich eine Art Furcht; mein Geiſt war kühn und mein Herz war zaghaft; ja, ich hatte ein wahres Ringen in mir; ich wollte ſchreiben, ich ſah in ein unermeßliches Dunkel, ich mußte mich auch äußer - lich vom Licht entfernen; am liebſten war mir, wenn ich die Fenſter verhing und doch durch ſah, daß draußen die Sonne ſchien; ein Blumenſtrauß, deſſen Farben ſich durch die Dämmerung ſtahlen, der konnte mich feſſeln und von der innern Angſt befreien, ſo daß ich mich vergaß, während ich in die ſchattigflammenden Blumen - kelche ſah, und Duft und Farbe und Formen gleichſam ein Ganzes bildeten; Wahrheiten hab 'ich da erfahren, von denen ich ausging in meinen Träumereien und die mir plötzlich den gebundnen Geiſt löſten, daß ich ruhig und gelaſſen das, was mir ahndete, faſſen und aus - ſprechen konnte; indem ich den Blumenſtrauß der nur durch eine Spalte im Fenſterladen erleuchtet war betrachtete, erkannte ich die Schönheit der Farbe, das Übermächtige der Schönheit; die Farbe war ſelbſt ein Geiſt, der mich anredete wie der Duft und die Form der Blumen; das erſte, was ich durch ſie vernahm, war, daß alles in den Naturgebilden durch das Gött - liche erzeugt ſei, daß Schönheit der göttliche Geiſt ſei, im Mutterſchoos der Natur erzeugt; daß die Schönheit83 größer ſei wie der Menſch, daß aber die Erkenntniß allein die Schönheit des freien Menſchengeiſtes ſei, die höher iſt als alle leibliche Schönheit. O ich brauchte mich hier nur in den Brunnen nieder zu laſſen, ſo könnte ich vielleicht wieder ſagen, alles was ich durch die Ge - ſpräche mit der Farbe und den Formen und dem Duft des Blumenſtraußes erfuhr; ich könnte auch noch mehr ſagen, was wunderlich und wunderbar genug klingt; ich müßte fürchten, es würde nicht geglaubt, oder für Wahnſinn und Unſinn geachtet; warum ſoll ich's aber hier verhehlen? Der's leſen wird, dem wird es einleuchten, er hat oft die wunderbaren Phänomene des Lichts beobachtet, wie ſie durch Farbe und zufällige oder beſondere Formen neue Erſcheinungen bildeten. So war's in meiner Seele damals, ſo iſt es auch jetzt. Das große und ſcharfe Auge des Geiſtes war vom in - nern Lichtſtrahl gefangen genommen, es mußte ihn ein - ſaugen, ohne ſich durch ſelbſtiſche Reflexion davon ab - löſen zu können; der Freund weiß ja, was dieſes ge - bannt-ſein im Blick auf einen Lichtſtrahl Farbengeiſt für Zauberei hervorbringt, und er weiß auch, daß der Schein hier kein Schein iſt, ſondern Wahrheit.

Trat ich aus dieſer innern Anſchauung hervor, ſo war ich geblendet; ich ſah Träume, ich ging ihren Ver -84 hältniſſen nach, das machte im gewöhnlichen Leben kei - nen Unterſchied; in dies paßte ich ohne Anſtoß, weil ich mich in ihm nicht bewegte; aber ohne Scheu ſag 'ich es meinem Herrn, der den Seegen hier über ſein Kind ſpre - chen möge: ich hatte eine innre Welt und geheime - higkeiten, Sinne, mit denen ich in ihr lebte; mein Auge ſah deutlich große Erſcheinungen, ſo wie ich es zu machte; ich ſah die Himmelskugel, ſie drehte ſich vor mir in unermeßlicher Größe um, ſo daß ich ihre Grenze nicht ſah, aber doch eine Empfindung von ihrer Rundung hatte; das Sternenheer zog auf dunklem Grund an mir vorüber, die Sterne tanzten in reinen geiſtigen Figuren, die ich als Geiſt begriff; es ſtellten ſich Monumente auf von Säulen und Geſtalten, hinter denen die Sterne wegzogen; die Sterne tauchten unter in einem Meer von Farben; es blühten Blumen auf, ſie wuchſen em - por bis in die Höhe; ferne goldne Schatten deckten ſie vor einem höheren weißen Licht, und ſo zog in dieſer Innenwelt eine Erſcheinung nach der anderen herauf; dabei fühlten meine Ohren ein feines ſilbernes Klingen, allmählig wurde es ein Schall, der größer war und ge - waltiger, je länger ich ihm lauſchte, ich freute mich, denn es ſtärkte mich, es ſtärkte meinen Geiſt, dieſen gro - ßen Ton in meinem Gehör zu herbergen; öffnete ich die85 Augen, ſo war alles nichts, ſo war alles ruhig, und ich empfand keine Störung, nur konnte ich die ſogenannte wirkliche Welt, in der die andern Menſchen ſich auch zu befinden behaupten, nicht mehr von dieſer Traum - oder Phantaſiewelt unterſcheiden; ich wußte nicht, welche Wachen oder Schlafen war, ja zuletzt glaubte ich im - mer mehr, daß ich das gewöhnliche Leben nur träume, und ich muß es noch heut unentſchieden laſſen, und werde nach Jahren noch daran zweifeln; dieſes Schwe - ben und Fliegen war mir gar zu gewiß; ich war in - nerlich ſtolz darauf und freute mich dieſes Bewußtſeins; ein einziger elaſtiſcher Druck mit der Spitze der Fuß - zehen und ich war in Lüften; ich ſchwebte leiſe und anmuthig zwei, drei Fuß über der Erde, aber ich be - rührte ſie gleich wieder, und flog wieder auf, und ſchwebte auf die Seite, von da wieder zurück; ſo tanzte ich im Garten im Mondſchein hin und her, zu meinem unausſprechlichen Vergnügen; ich ſchwebte über die Trep - pen herab oder herauf, zuweilen hob' ich mich zur Höhe der niederen Baumäſte, und ſchwirrte zwiſchen den Zwei - gen dahin; Morgens erwachte ich in meinem Bett mit dem Bewußtſein, daß ich fliegen könne, am Tag aber vergaß ich's. Ich ſchrieb an die Günderode ich weiß nicht was, ſie kam heraus nach Offenbach, ſah mich86 zweifelhaft an, that befremdende Fragen über mein Be - finden, ich ſah im Spiegel: ſchwärzer waren die Augen wie je, die Züge hatten ſich unendlich verfeinert, die Naſe ſo ſchmal und fein, der Mund geſchwungen, eine äußerſt weiße Farbe; ich freute mich, und ſah mit Ge - nuß meine Geſtalt, die Günderode ſagte, ich ſollte nicht ſo lang 'mehr allein bleiben, und nahm mich mit in die Stadt; da waren wenig Tage verfloſſen, ſo hatte ich das Fieber; ich legte mich zu Bett und ſchlief, und weiß auch nichts, als daß ich nur ſchlief: endlich er - wachte ich und es war am 14ten Tag, nach dem ich mich gelegt hatte; indem ich die Augen öffnete, ſah ich ihre ſchwanke Geſtalt im Zimmer auf - und abgehen und die Hände ringen; aber Günderode, ſagt ich, warum weinſt Du? Gott ſei ewig gelobt, ſagte ſie, und kam an mein Bett', biſt Du endlich wieder wach, biſt Du endlich wieder in's Bewußtſein gekommen? Von der Zeit an wollte ſie mich nichts Philoſophiſches leſen laſ - ſen, und auch keine Aufſätze ſollte ich mehr machen; ſie war feſt überzeugt, meine Krankheit ſei davon herge - kommen; ich hatte großes Wohlgefallen an meiner Ge - ſtalt, die Bläſſe, die von meiner Krankheit zurückgeblie - ben war, gefiel mir unendlich; meine Züge erſchienen mir ſehr bedeutend, die großgewordenen Augen herrſch -87 ten, und die anderen Geſichtstheile verhielten ſich gei - ſtig leidend; ich fragte die Günderode, ob nicht darin ſchon die erſten Spuren einer Verklärung ſich zeigten.

Hier hab 'ich abgebrochen, und hab' viele Tage nicht geſchrieben; es ſtieg ſo ernſt und ſchwer herauf, der Schmerz ließ ſich nicht vom Denken bemeiſtern; ich bin noch jung, ich kann's nicht durchſetzen, das unge - heure. Unterdeſſen hat man den Herbſt eingethan, der Moſt wurde vom Laubbekränzten Winzervolk unter Ju - belgeſang die Berge herabgefahren und getragen, und ſie gingen mit der Schalmei[voran] und tanzten. O Du! der Du dieſes lieſt, Du haſt keinen Mantel ſo weich, um die verwundete Seele drinn einzuhüllen. Was biſt Du mir ſchuldig? Dem ich Opfer bringe wie dies, daß ich Dich die Hand in die Wunden legen laſſe. Wie kannſt Du mir vergelten? Du wirſt mir nimmer vergelten; Du wirſt mich nicht locken und an Dich ziehen, und weil ich kein Obdach in der Liebe habe, wirſt Du mich nicht herbergen, und der Sehnſucht wirſt Du keine Linderung gewähren; ich weiß es ſchon im Voraus, ich werd 'allein ſein mit mir ſelber, wie ich heut' allein ſtand am Ufer bei den düſtern Weiden, wo die Todesſchauer noch wehen über dem Platz, da kein Gras mehr wächſt; dort hat ſie den ſchönen Leib ver -88 wundet, grad 'an der Stelle, wo ſie's gelernt hatte, daß man da das Herz am ſicherſten trifft; O Jeſus Ma - ria!

Du! mein Herr! Du! flammender Genius über mir! ich hab 'geweint; nicht über ſie, die ich ver - loren habe, die wie warme Frühlingbrütende Lüfte mich umgab; die mich ſchützte, die mich begeiſterte, die mir die Höhe meiner eignen Natur als Ziel vertraute; ich hab' geweint um mich, mit mir; hart muß ich wer - den wie Stahl, gegen mich, gegen das eigne Herz; ich darf es nicht beklagen, daß ich nicht geliebt werde, ich muß ſtreng ſein gegen dies leidenſchaftliche Herz; es hat kein Recht zu fordern, nein es hat kein Recht; Du biſt mild, und lächelſt mir, und deine kühle Hand mildert die Gluth meiner Wangen, das ſoll mir genügen.

Geſtern waren wir in Laubbekränzten Nachen den Rhein hinab gefahren, um die hundertfältige Feier des Weinfeſtes an beiden Bergufern mit anzuſehen; auf unſerem Schiff waren luſtige Leute, ſie ſchrieben Weinbegeiſterte Lieder und Sprüche, ſteckten ſie in die geleerten Flaſchen, und ließen dieſe unter wäh - rendem Schießen den Rhein hinabſch[w]immen; auf allen Ruinen waren große Tannen aufgepflanzt, die bei ein - brechender Dämmerung angezündet wurden; auf dem89 Mäuſethurm, mitten im ſtolzen Rhein, ragten zwei mäch - tige Tannen empor, ihre flammenden durchbrannten Aeſte fielen herab in die ziſchende Fluth, von allen Sei - ten donnerten ſie und warfen Raketen, und ſchöne Sträußer von Leuchtkugeln ſtiegen jungfräulich in die Lüfte, und auf den Nachen ſang man Lieder, und im Vorbeifahren warf man ſich Kränze zu und Trauben; da wir nach hauſe kamen, ſo war's ſpät, aber der Mond leuchtete hell; ich ſah zum Fenſter hinaus, und hörte noch jenſeits das Toben und Jauchzen der Heim - kehrenden, und dieſſeits nach der Seite, wo ſie todt am Ufer gelegen hatte, war alles ſtill, ich dacht ', da iſt kei - ner mehr der nach ihr frägt, und ich ging hin, nicht ohne Grauſen, nein mir war bang, wie ich von wei - tem die Nebel über den Weidenbüſchen wogen ſah, da wär' ich bald wieder umgekehrt, es war mir, als ſei ſie es ſelbſt, die da ſchwebte und wogte, und ſich ausdehnte; ich ging hin, aber ich betete unterwegs, daß mich Gott doch ſchützen möge; ſchützen? vor was? vor einem Geiſt, deſſen Herz voll liebendem Willen geweſen war gegen mich im Leben; und nun er des irdiſchen Leib's entledigt iſt, ſoll ich ihn fürchtend fliehen? Ach ſie hat vielleicht einen beſſren Theil ihres geiſtigen Vermö - gens auf mich vererbt ſeit ihrem Tod. Vererben doch90 die Vorältern auf ihre Nachkommen, warum nicht die Freunde? Ich weiß nicht, wie weh 'mir iſt! ſie, die freundlich klare hat meinen Geiſt vielleicht beſchenkt. Wie ich von ihrem Grab zurück kam, da fand ich Leute, die nach ihrer Kuh ſuchten, die ſich verlaufen hatte, ich ging mit ihnen; ſie ahndeten gleich, daß ich von dort her kam, ſie wußten viel von der Günderode zu erzählen, die oft freundlich bei ihnen eingeſprochen und ihnen Almoſen gegeben hatte; ſie ſagten, ſo oft ſie dort vorbeigehen, beten ſie ein Vater unſer; ich hab' auch dort gebetet zu und um ihre Seele, und hab 'mich vom Mondlicht rein waſchen laſſen, und hab' es ihr laut ge - ſagt, daß ich mich nach ihr ſehne, nach jenen Stunden, in denen wir Gefühl und Gedanken harmlos gegen ein - ander austauſchten.

Sie erzählte mir wenig von ihren ſonſtigen Ange - legenheiten, ich wußte nicht, in welchen Verbindungen ſie noch außer mir war; ſie hatte mir zwar von Daub in Heidelberg geſprochen und auch von Kreuzer, aber ich wußte von keinem, ob er ihr lieber ſei als der an - dre; einmal hatte ich von andern davon gehört, ich glaubte es nicht, einmal kam ſie mir freudig entgegen und ſagte: Geſtern hab 'ich einen Chirurg geſprochen, der hat mir geſagt, daß es ſehr leicht iſt, ſich umzu -91 bringen, ſie öffnete haſtig ihr Kleid, und zeigte mir un - ter der ſchönen Bruſt den Fleck; ihre Augen funkelten freudig; ich ſtarrte ſie an, es ward mir zum erſtenmal unheimlich, ich fragte: nun! und was ſoll ich denn thun, wenn Du todt biſt? O, ſagte ſie, dann iſt Dir nichts mehr an mir gelegen, bis dahin ſind wir nicht mehr ſo eng verbunden, ich werd' mich erſt mit Dir ent - zweien; ich wendete mich nach dem Fenſter, um meine Thränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu ver - bergen, ſie hatte ſich nach dem andern Fenſter gewen - det und ſchwieg; ich ſah ſie von der Seite an, ihr Aug 'war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war gebrochen, als ob ſich ſein ganzes Feuer nach innen ge - wendet habe; nachdem ich ſie eine Weile beobach - tet hatte, konnt' ich mich nicht mehr faſſen, ich brach in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals, und riß ſie nieder auf den Sitz und ſetzte mich auf ihre Knie, und weinte viel Thränen und küßte ſie zum er - ſtenmal an ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf und küßte ſie an die Stelle, wo ſie gelernt hatte das Herz treffen; und ich bat mit ſchmerzlichen Thränen, daß ſie ſich meiner erbarme, und fiel ihr wieder um den Hals; und küßte ihre Hände, die waren kalt und zit - terten, und ihre Lippen zuckten, und ſie war ganz kalt92 und ſtarr und todtenblaß, und konnte die Stimme nicht erheben; ſie ſagte leiſe: Bettine, brich mir das Herz nicht; ach, da wollte ich mich aufreißen und wollte ihr nicht weh thun; ich lächelte und weinte, und ſchluchzte laut, ihr ſchien immer banger zu werden, ſie legte ſich auf's Sopha; da wollt 'ich ſcherzen und wollt' ihr be - weiſen, daß ich alles für Scherz nehme; da ſprachen wir von ihrem Teſtament; ſie vermachte einen jeden etwas; mir vermachte ſie einen kleinen Apoll unter einer Glas - glocke, dem ſie einen Lorbeerkranz umgehängt hatte; ich ſchrieb alles auf; im nach Hauſe gehen machte ich mir Vorwürfe, daß ich ſo aufgeregt geweſen war; ich fühlte, daß es doch nur Scherz geweſen war, oder auch Phan - taſie die in ein Reich gehört, welches nicht in der Wirklichkeit ſeine Wahrheit behauptet; ich fühlte, daß ich unrecht gehabt hatte und nicht ſie, die ja oft auf dieſe Weiſe mit mir geſprochen hatte. Am andern Tag führte ich ihr einen jungen franzöſi - ſchen Huſaren-Offizier zu mit hoher Bärenmütze; es war der Wilhelm von Türkheim, der ſchönſte aller Jüng - linge, das wahre Kind voll Anmuth und Scherz; er war unvermuthet angekommen; ich ſagte: da hab 'ich Dir einen Liebhaber gebracht, der ſoll Dir das Leben wieder lieb machen. Er vertrieb uns allen die Melan -93 cholie; wir ſcherzten und machten Verſe, und da der ſchöne Wilhelm die ſchönſten gemacht zu haben behaup - tete, ſo wollte die Günderode, ich ſolle ihm den Lorbeer - kranz ſchenken; ich wollte mein Erbtheil nicht geſchmä - lert wiſſen. Doch mußt' ich ihm endlich die Hälfte des Kranzes laſſen; ſo hab 'ich denn nur die eine Hälfte. Ein - mal kam ich zu ihr, da zeigte ſie mir einen Dolch, mit ſilbernem Griff; den ſie auf der Meſſe gekauft hatte, ſie freute ſich über den ſchönen Stahl und über ſeine Schärfe; ich nahm das Meſſer in die Hand und probte es am Finger, da floß gleich Blut, ſie erſchrack, ich ſagte: O Günderode, Du biſt ſo zaghaft und kannſt kein Blut ſehen, und geheſt immer mit einer Idee um, die den höchſten Muth vorausſetzt, ich hab' doch noch das Bewußtſein, daß ich eher vermögend wär ', etwas zu wagen, obſchon ich mich nie umbringen würde; aber mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu hab' ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Meſſer auf Dich eindringe ſiehſt Du wie Du Dich fürchteſt? ſie zog ſich ängſtlich zurück; der alte Zorn regte ſich wie - der in mir, unter der Decke des glühendſten Muthwills; ich ging immer ernſtlicher auf ſie ein, ſie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen ledernen Seſſel, um ſich zu ſichern; ich ſtach in den Seſſel, ich riß ihn mit vielen94 Stichen in Stücke, das Roßhaar flog hier und dahin in der Stube, ſie ſtand flehend hinter dem Seſſel und bat, ihr nichts zu thun; ich ſagte: eh 'ich dulde, daß Du Dich umbringſt, thu' ich's lieber ſelbſt; mein armer Stuhl! rief ſie; ja was, Dein Stuhl, der ſoll den Dolch ſtumpf machen; ich gab ihm ohne Barmher - zigkeit Stich auf Stich, das ganze Zimmer wurde eine Staubwolke; ſo warf ich den Dolch weit in die Stube, daß er praſſelnd unter das Sopha fuhr; ich nahm ſie bei der Hand und führte ſie in den Garten, in die Weinlaube, ich riß die jungen Weinreben ab, und warf ſie ihr vor die Füße; ich trat drauf und ſagte: So mißhandelſt Du unſre Freundſchaft. Ich zeigte ihr die Vögel auf den Zweigen, und daß wir wie jene, ſpie - lend aber treu gegen einander bisher zuſammen gelebt hätten; ich ſagte: Du kannſt ſicher auf mich bauen, es iſt keine Stunde in der Nacht, die, wenn Du mir dei - nen Willen kund thuſt, mich nur einen Augenblick be - ſinnen machte; komm vor mein Fenſter und pfeif 'um Mitternacht, und ich geh' ohne Vorbereitung mit Dir um die Welt. Und was ich für mich nicht wagte, das wag 'ich für Dich; aber Du! was berechtigt Dich, mich aufzugeben? wie kannſt Du ſolche Treue verrathen; und verſprich mir, daß Du nicht mehr deine95 zaghafte Natur hinter ſo grauſenhafte praleriſche Ideen verſchanzen willſt; ich ſah ſie an, ſie war beſchämt und ſenkte den Kopf, und ſah auf die Seite und war blaß; wir waren beide ſtill, lange Zeit. Günderode, ſagte ich, wenn es ernſt iſt, dann gieb mir ein Zeichen; ſie nickte. Sie reiſte in's Rheingau; von dort aus ſchrieb ſie mir ein paarmal, wenig Zeilen; ich hab' ſie verloren ſonſt würde ich ſie hier einſchalten. Einmal ſchrieb ſie: iſt man allein am Rhein, ſo wird man ganz traurig, aber mit mehreren zuſammen, da ſind grade die ſchauerlichſten Plätze am Luſt aufreizend - ſten, mir aber iſt doch lieb, den weiten gedehnten Pur - purhimmel am Abend allein zu begrüßen, da dichte ich im Wandlen an einem Mährchen, das will ich Dir vor - leſen; ich bin jeden Abend begierig wie es weiter geht, es wird manchmal recht ſchaurig und dann taucht es wieder auf. Da ſie wieder zurückkam und ich das Mährchen leſen wollte, ſagte ſie: es iſt ſo traurig ge - worden, daß ich's nicht leſen kann; ich darf nichts mehr davon hören, ich kann es nicht mehr weiter ſchreiben: ich werde krank davon; und ſie legte ſich zu Bett; und blieb liegen mehrere Tage, der Dolch lag an ihrem Bett; ich achtete nicht darauf, die Nachtlampe ſtand dabei, ich kam herein; Bettine, mir iſt vor drei Wochen eine Schwe -96 ſter geſtorben; ſie war jünger als ich, Du haſt ſie nie geſehen; ſie ſtarb an der ſchnellen Auszehrung; warum ſagſt Du mir dies heute erſt, fragte ich? nun was könnte Dich dies intereſſieren? Du haſt ſie nicht gekannt, ich muß ſo was allein tragen, ſagte ſie mit trocknen Augen. Mir war dies doch etwas ſonderbar, mir jungen Natur waren alle Geſchwiſter ſo lieb, daß ich glaubte, ich würde verzweifeln müſſen, wenn einer ſtürbe, und daß ich mein Leben für jeden gelaſſen hätte; ſie fuhr fort: nun denk ': vor drei Nächten iſt mir dieſe Schweſter erſchienen; ich lag im Bett und die Nacht - lampe brannte auf jenem Tiſch; ſie kam herein in wei - ßem Gewand langſam, und blieb an dem Tiſch ſtehen; ſie wendete den Kopf nach mir und ſenkte ihn und ſah mich an; erſt war ich erſchrocken, aber bald war ich ganz ruhig, ich ſetzte mich im Bett auf, um mich zu überzeugen, daß ich nicht ſchlafe. Ich ſah ſie auch an und es war, als ob ſie etwas bejahend nickte; und ſie nahm dort den Dolch und hob' ihn gen Himmel mit der rechten Hand, als ob ſie mir ihn zeigen wolle, und legte ihn wieder ſanft und klanglos nieder, und dann nahm ſie die Nachtlampe, und hob ſie auch in die Höhe, und zeigte ſie mir, und als ob ſie mir bezeich[n]en wolle, daß ich ſie verſtehe, nickte ſie ſanft, führte die Lampe zuihren97ihren Lippen und hauchte ſie aus; denk 'nur, ſagte ſie voll Schauder, ausgeblaſen; und im Dunkel hatte mein Aug' noch das Gefühl von ihrer Geſtalt; und da hat mich plötzlich eine Angſt befallen, die ärger ſein muß, als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wär 'lieber geſtorben, als noch länger dieſe Angſt zu tragen.

Ich war gekommen, um Abſchied zu nehmen, weil ich mit Savigny nach Marburg reiſen wollte, aber nun wollte ich bei ihr bleiben. Reiſe nur fort, ſagte ſie, denn ich reiſe auch übermorgen wieder in's Rheingau; ſo ging ich denn weg. Bettine, rief ſie mir in der Thür zu: behalt 'dieſe Geſchichte, ſie iſt doch merkwür - dig! Das waren ihre letzten Worte. In Marburg ſchrieb ich ihr oft in's Rheingau von meinem wunder - lichen Leben; ich wohnte einen ganzen Winter am Berg, dicht unter dem alten Schloß, der Garten war mit der Feſtungsmauer umgeben, aus den Fenſtern hatt' ich eine weite Ausſicht über die Stadt und das reich bebaute Heſſenland; überall ragten die gothiſchen Thürme aus den Schneedecken hervor; aus meinem Schlafzimmer ging ich in den Berggarten, ich kletterte über die Fe - ſtungsmauer, und ſtieg durch die verödeten Gärten; wo ſich die Pförtchen nicht aufzwingen ließen, da brach ich durch die Hecken, da ſaß ich auf der Steintreppe,I. 598die Sonne ſchmolz den Schnee zu meinen Füßen, ich ſuchte die Mooſe, und trug ſie mit ſammt der angefror - nen Erde nach Haus; ſo hatt 'ich an dreißig bis vierzig Moosarten geſammelt, die alle in meiner kalten Schlaf - kammer in erdnen Schüſſelchen auf Eis gelegt, mein Bett umblühten; ich ſchrieb ihr davon, ohne zu ſagen, was es ſei; ich ſchrieb in Verſen: mein Bett ſteht mitten im kalten Land, umgeben von viel Hainen, die blühen in allen Farben, und da ſind ſilberne Haine uralter Stämme, wie der Hain auf der Inſel Cypros; die Bäume ſtehen dicht gereiht und verflechten ihre gewaltigen Äſte; der Raa - ſen, aus dem ſie hervorwachſen, iſt roſenroth und blaß - grün; ich trug den ganzen Hain heut' auf meiner er - ſtarrten Hand in mein kaltes Eisbettland; da ant - wortet 'ſie wieder in Verſen: das ſind Mooſe ewiger Zeiten, die den Teppich unterbreiten, ob die Herrn zur Jagd drauf reiten, ob die Lämmer drüber weiden, ob der Winterſchnee ſie decket, oder Frühling Blumen wecket; in dem Haine ſchallt es wieder, ſummen Mücken ihre Lieder; an der Silberbäume Wipfel hängen Tröpfchen Thau am Gipfel; in dem klaren Tröpfchen Thaue ſpie - gelt ſich die ganze Aue; Du mußt andre Räthſel machen, will Dein Witz des meinen lachen!

Nun waren wir in's Räthſel geben und löſen99 gerathen; alle Augenblick hatt 'ich ein kleines Aben - theuer auf meinen Spazierwegen, was ich ihr verbrämt zu errathen gab; meiſtens löſte ſie es auf eine kindlich - luſtige Weiſe auf. Einmal hatte ich ihr ein Häschen, was mir auf wildem, einſamem Waldweg begegnet war, als einen zierlichen Ritter beſchrieben, ich nannte es la petite perfection und daß er mir mein Herz ein - genommen habe; ſie antwortete gleich: auf einem ſchönen grünen Raſen, da ließ ein Held zur Mahlzeit blaſen, da flüchteten ſich alle Haſen; ſo hoff' ich wird ein Held einſt kommen, Dein Herz, von Haſen einge - nommen, von dieſen Wichten zu befreien und ſeine Gluthen zu erneuen; dies waren Anſpielungen auf kleine Liebesabentheuer. So verging ein Theil des Winters; ich war in einer ſehr glücklichen Geiſtesver - faſſung, andre würden ſie Überſpannung nennen, aber mir war ſie eigen. An der Feſtungsmauer, die den großen Garten umgab, war eine Thurmwarte, eine zer - brochne Leiter ſtand drinn; dicht bei uns war ein - gebrochen worden, man konnte den Spitzbuben nicht auf die Spur kommen, man glaubte, ſie verſteckten ſich auf jenem Thurm; ich hatte ihn bei Tag in Augen - ſchein genommen und erkannt ', daß es für einen ſtarken Mann unmöglich war, an dieſer morſchen, beinah ſtu -5*100fenloſen himmelhohen Leiter hinaufzuklimmen; ich ver - ſuchte es, gleitete aber wieder herunter, nachdem ich eine Strecke hinaufgekommen war; in der Nacht, nachdem ich ſchon eine Weile im Bett gelegen hatte und Me - line ſchlief, ließ es mir keine Ruhe; ich warf ein Überkleid um, ſtieg zum Fenſter hinaus, und ging an dem alten Marburger Schloß vorbei, da guckte der Kurfürſt Philipp mit der Eliſabeth lachend zum Fenſter heraus; ich hatte dieſe Steingrupp 'die beide Arm in Arm ſich weit aus dem Fenſter lehnen, als wollten ſie ihre Lande überſehen, ſchon oft bei Tage betrachtet, aber jetzt bei Nacht fürchtete ich mich ſo davor, daß ich in hohen Sprüngen davoneilte in den Thurm; dort ergriff ich eine Leiterſtange und half mir, Gott weiß wie, daran hinauf; was mir bei Tage nicht möglich war, gelang mir bei Nacht in der ſchwe - benden Angſt meines Herzens; wie ich beinah oben war, machte ich Halt; ich überlegte, wie die Spitzbuben wirk - lich oben ſein könnten und da mich überfallen und von der Warte hinunterſtürzen; da hing ich und wußte nicht hinunter oder herauf, aber die friſche Luft, die ich witterte, lockte mich nach oben; wie war mir da, wie ich plötzlich durch Schnee und Mondlicht die weit verbreitete Natur überſchaute, allein und geſichert, das101 große Heer der Sterne über mir! ſo iſt es nach dem Tod', die freiheitſtrebende Seele, der der Leib am angſt - vollſten laſtet, im Augenblick da ſie ihn abwerfen will; ſie ſiegt endlich, und iſt der Angſt erledigt; da hatte ich blos das Gefühl allein zu ſein, da war kein Gegen - ſtand, der mir näher war als meine Einſamkeit, und alles mußte vor dieſer Beſeligung zuſammenſinken; ich ſchrieb der Günderode, daß wieder einmal mein ganzes Glück von der Laune dieſer Grille abhänge; ich ſchrieb ihr jeden Tag, was ich auf der freien Warte mache und denke, ich ſetzte mich auf die Bruſtmauer und hing die Beine hinab. Sie wollte immer mehr von dieſen Thurmbegeiſtrungen, ſie ſagte: es iſt mein Labſal, Du ſprichſt wie ein auferſtandner Prophet! wie ich ihr aber ſchrieb, daß ich auf der Mauer, die kaum zwei Fuß breit war, im Kreis herumlaufe und luſtig nach den Sternen ſähe, und daß mir zwar am Anfang geſchwindelt habe, daß ich jetzt aber ganz keck und wie am Boden mich da oben befinde, da ſchrieb ſie: um Gotteswillen falle nicht, ich hab's noch nicht herauskriegen können, ob Du das Spiel böſer oder guter Dämonen biſt; falle nicht, ſchrieb ſie mir wieder, obſchon es mir wohlthätig war, Deine Stimme von oben herab über den Tod zu vernehmen, ſo fürchte102 ich nichts mehr, als daß Du elend und unwillkühr - lich zerſchmettert in's Grab ſtürzeſt; ihre Vermah - nungen aber erregten mir keine Furcht und keinen Schwindel, im Gegentheil war ich tollkühn; ich wußte Beſcheid, ich hatte die triumphirende Überzeugung, daß ich von Geiſtern geſchützt ſei. Das Seltſame war, daß ich's oft vergaß und daß es mich oft mitten aus dem Schlaf weckte und ich noch in unbeſtimmter Nachtzeit hineilte, daß ich auf dem Hinweg immer Angſt hatte und auf der Leiter jeden Abend wie den erſten, und daß ich oben allemal die Beſeligung einer von ſchwe - rem Druck befreiten Bruſt empfand; oben, wenn Schnee lag, ſchrieb ich der Günderode ihren Namen hinein und: Jesus nazarenus, rex judaeorum als ſchützen - den Talismann darüber, und da war mir, als ſei ſie ge - ſichert gegen böſe Eingebungen.

Jetzt kam Kreuzer nach Marburg, um Savigny zu beſuchen; häßlich wie er war, war es zugleich unbe - greiflich, daß er ein Weib intereſſiren könne; ich hörte, daß er von der Günderode ſprach, in Ausdrücken, als ob er ein Recht an ihre Liebe habe; ich hatte in mei - nem, von allem äußeren Einfluß abgeſchiednen Verhält - niß zu ihr, früher nichts davon geahndet, und war im Augenblick auf's Heftigſte eiferſüchtig; er nahm in mei -103 ner Gegenwart ein kleines Kind auf den Schoos und ſagte: wie heißt Du? Sophie. Nun, du ſollſt, ſo lang ich hier bin, Karoline heißen; Karoline, gieb mir einen Kuß. Da ward ich zornig, ich riß ihm das Kind vom Schoos, und trug es hinaus, fort durch den Garten auf den Thurm; da oben ſtellt 'ich es in den Schnee, neben ihren Namen, und legte mich mit dem glühenden Geſicht hinein und weinte laut und das Kind weinte mit, und da ich herunter kam, begegnete mir Kreuzer; ich ſagte: weg aus mei - nem Weg, fort. Der Philolog konnte ſich einbilden, daß Ganymed ihm die Schaale des Jupiters reichen werde. Es war in der Neujahrsnacht; ich ſaß auf meiner Warte und ſchaute in die Tiefe; alles war ſo ſtill kein Laut bis in die weiteſte Ferne, und ich war betrübt um die Günderode, die mir keine Antwort gab; die Stadt lag unter mir, auf einmal ſchlug es Mitternacht, da ſtürmte es herauf, die Trommeln rührten ſich, die Poſthörner ſchmetterten, ſie löſten ihre Flinten, ſie jauchzten, die Studentenlieder tönten von allen Seiten, es ſtieg der Jubellärm, daß er mich bei - nah wie ein Meer umbrauſ'te; das vergeſſe ich nie, aber ſagen kann ich auch nicht, wie mir ſo wunderlich war, da oben auf ſchwindelnder Höhe, und wie es104 allmälig wieder ſtill ward, und ich mich ganz allein empfand. Ich ging zurück und ſchrieb an die Günde - rode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich ihr die heißeſten Bitten that, mir zu antworten; ich ſchrieb ihr von dieſen Studentenliedern, wie die gen Himmel geſchallt hätten und mir das tiefſte Herz auf - geregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnſucht acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Mo - nate gingen vorüber, da war ich wieder in Frank - furt; ich lief ins Stift, machte die Thür auf: ſiehe da ſtand ſie und ſah mich an; kalt, wie es ſchien; Gün - derod', rief ich, darf ich hereinkommen? ſie ſchwieg, und wendete ſich ab; Günderod ', ſag' nur ein Wort, und ich lieg 'an Deinem Herzen. Nein, ſagte ſie, komme nicht näher, kehre wieder um, wir müſſen uns doch tren - nen. Was heißt das? So viel, daß wir uns in einander geirrt haben und daß wir nicht zuſammen ge - hören. Ach, ich wendete um! ach, erſte Verzweiflung, erſter grauſamer Schlag, ſo empfindlich für ein junges Herz! ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die Hingebung in dieſer Liebe, mußte ſo zurückgewieſen wer -105 den. Ich lief nach Haus zur Meline, ich bat ſie mit zu gehen zur Günderode, zu ſehen, was ihr fehle, ſie zu bewegen mir einen Augenblick ihr Angeſicht zu gön - nen; ich dachte, wenn ich ſie nur einmal in's Auge faſſen könne, dann wolle ich ſie zwingen; ich lief über die Straße, vor der Zimmerthür blieb ich ſtehen, ich ließ die Meline allein zu ihr eintreten, ich wartete, ich zit - terte und rang die Hände in dem kleinen engen Gang, der mich ſo oft zu ihr geführt hatte; die Meline kam heraus mit verweinten Augen, ſie zog mich ſchwei - gend mit ſich fort; einen Augenblick hatte mich der Schmerz übermannt, aber gleich ſtand ich wieder auf den Füßen; nun dacht' ich, wenn das Schickſal mir nicht ſchmeicheln will, ſo wollen wir Ball mit ihm ſpie - len; ich war heiter, ich war luſtig, ich war überreizt, aber Nächten weinte ich im Schlaf. Am zweiten Tag ging ich des Wegs, wo ihre Wohnung war, da ſah ich die Wohnung von Goethe's Mutter, die ich nicht näher kannte und nie beſucht hatte; ich trat ein. Frau Rath, ſagte ich, ich will Ihre Bekanntſchaft machen, mir iſt eine Freundin in der Stiftsdame Günderode verlo - ren gegangen und die ſollen Sie mir erſetzen; wir wollen's verſuchen, ſagte ſie, und ſo kam ich alle Tage und ſetzte mich auf den Schemel und ließ mir von ihrem5**106Sohn erzählen und ſchrieb's alles auf und ſchickte es der Günderode; wie ſie in's Rheingau ging, ſen - dete ſie mir die Papiere zurück; die Magd, die ſie mir brachte, ſagte, es habe der Stiftsdame heftig das Herz geklopft, da ſie ihr die Papiere gegeben, und auf ihre Frage, was ſie beſtellen ſolle, habe ſie geantwortet: nichts.

Es vergingen vierzehn Tage, da kam Fritz Schloſſer; er bat mich um ein paar Zeilen an die Günderode, weil er in's Rheingau reiſen werde, und wolle gern ihre Be - kanntſchaft machen. Ich ſagte, daß ich mit ihr broullirt ſei, ich bäte ihn aber, von mir zu ſprechen und acht zu geben, was es für einen Eindruck auf ſie mache; wann gehen Sie hin, ſagte ich, morgen? Nein, in acht Tagen; o gehen Sie morgen, ſonſt treffen Sie ſie nicht mehr; am Rhein iſt's ſo melancholiſch, ſagte ich ſcherzend, da könnte ſie ſich ein Leid's anthun; Schloſſer ſah mich ängſtlich an; ja, ja, ſagt 'ich muth - willig, ſie ſtürzt ſich in's Waſſer oder erſticht ſich aus bloßer Laune. Frevlen Sie nicht, ſagte Schloſſer, und nun frevelte ich erſt recht: Geben Sie acht, Schloſ - ſer, Sie finden ſie nicht mehr, wenn Sie nach alter Ge - wohnheit zögern, und ich ſage Ihnen, gehen Sie heute lieber wie morgen und retten ſie von unzeitiger me -107 lancholiſcher Laune; und im Scherz beſchrieb ich ſie, wie ſie ſich umbringen werde im rothen Kleid, mit auf - gelöſtem Schnürband, dicht unter der Bruſt die Wunde; das nannte man tollen Übermuth von mir, es war aber bewußtloſer Überreiz, in dem ich die Wahrheit vollkom - men genau beſchrieb. Am andern Tag kam Franz und ſagte: Mädchen, wir wollen in's Rheingau ge - hen, da kannſt Du die Günderode beſuchen. Wann? fragte ich. Morgen, ſagte er; ach, ich packte mit Übereile ein, ich konnte kaum erwarten, daß wir gin - gen; alles was ich begegnete, ſchob ich haſtig aus dem Weg, aber es vergingen mehrere Tage und es ward die Reiſe immer verſchoben; endlich, da war meine Luſt zur Reiſe in tiefe Trauer verwandelt, und ich wär' lie - ber zurückgeblieben. Da wir in Geiſenheim anka - men, wo wir übernachteten, lag ich im Fenſter und ſah in's mondbeſpiegelte Waſſer; meine Schwägrin Tonie ſaß am Fenſter; die Magd, die den Tiſch deckte, ſagte: Geſtern hat ſich auch eine junge ſchöne Dame, die ſchon ſechs Wochen hier ſich aufhielt, bei Winckel umgebracht; ſie ging am Rhein ſpazieren ganz lang, dann lief ſie nach Hauſe, holte ein Handtuch; am Abend ſuchte man ſie vergebens; am andern Morgen fand man ſie am Ufer unter Weidenbüſchen, ſie hatte das Handtuch voll108 Steine geſammelt und ſich um den Hals gebunden, wahrſcheinlich, weil ſie ſich in den Rhein verſenken wollte, aber da ſie ſich in's Herz ſtach, fiel ſie rück - wärts, und ſo fand ſie ein Bauer am Rhein liegen, unter den Weiden an einem Ort, wo es am tiefſten iſt. Er riß ihr den Dolch aus dem Herzen und ſchleuderte ihn voll Abſcheu weit in den Rhein, die Schiffer ſahen ihn fliegen, da kamen ſie herbei und trugen ſie in die Stadt. Ich hatte im Anfang nicht zugehört, aber zuletzt hört 'ich's mit an, und rief: das iſt die Günderode! Man redete mir's aus, und ſagte, es ſei wohl eine andre, da ſo viel Frankfurter im Rheingau waren. Ich ließ mir's gefallen und dachte: grade was man prophezeihe, ſei gewöhnlich nicht wahr. In der Nacht träumte mir, ſie käme mir auf einem mit Krän - zen geſchmückten Nachen entgegen, um ſich mit mir zu verſöhnen; ich ſprang aus dem Bett in des Bruders Zimmer und rief: es iſt alles nicht wahr, eben hat mir's lebhaft geträumt! Ach, ſagte der Bruder, baue nicht auf Träume! Ich träumte noch einmal, ich ſei eilig in einen Kahn über den Rhein gefahren, um ſie zu ſuchen; da war das Waſſer trüb' und ſchilfig, und die Luft war dunkel und es war ſehr kalt; ich landete an einem ſumpfigen Ufer, da war ein Haus mit feuch -109 ten Mauern, aus dem ſchwebte ſie hervor und ſah mich ängſtlich an und deutete mir, daß ſie nicht ſprechen könne; ich lief wieder zum Schlafzimmer der Ge - ſchwiſter und rief: nein, es iſt gewiß wahr, denn mir hat geträumt, daß ich ſie geſehen habe, und ich hab 'gefragt: Günderode, warum haſt Du mir dies gethan? Und da hat ſie geſchwiegen und hat den Kopf geſenkt und hat ſich traurig nicht verantworten können. Nun überlegte ich im Bett alles, und beſann mich, daß ſie mir früher geſagt hatte, ſie wolle ſich erſt mit mir entzweien eh' ſie dieſen Entſchluß ausführen werde; nun war mir unſre Trennung erklärt, auch daß ſie mir ein Zeichen geben werde, wenn ihr Entſchluß reif ſei; das war alſo die Geſchichte von ihrer todten Schweſter, die ſie mir ein halb Jahr[früher] mittheilte; da war der Entſchluß ſchon gefaßt. O ihr großen Seelen, dieſes Lamm in ſeiner Unſchuld, dieſes junge zaghafte Herz, welche ungeheure Gewalt hat es bewogen, ſo zu handeln? Am andern Morgen fuhren wir bei früher Zeit auf dem Rhein weiter; Franz hatte befohlen, daß das Schiff jenſeits ſich halten ſolle, um zu vermei - den, daß wir dem Platz zu nahe kämen, aber dort ſtand der Fritz Schloſſer am Ufer, und der Bauer, der ſie ge - funden, zeigte ihm, wo der Kopf gelegen hatte und die110 Füße, und daß das Gras noch nieder liege, und der Schiffer lenkte unwillkührlich dorthin, und Franz be - wußtlos ſprach im Schiff alles dem Bauer nach, was er in der Ferne verſtehen konnte, und da mußt 'ich denn mit anhören die ſchauderhaften Bruchſtücke der Erzäh - lung vom rothen Kleid, das aufgeſchnürt war, und der Dolch, den ich ſo gut kannte, und das Tuch mit Stei - nen um ihren Hals, und die breite Wunde; aber ich weinte nicht, ich ſchwieg. Da kam der Bruder zu mir und ſagte: ſei ſtark, Mädchen. Wir lande - ten in Rüdesheim; überall erzählte man ſich die Ge - ſchichte; ich lief in Windesſchnelle an allen vorüber, den Oſtein hinauf eine halbe Stunde Berg an, ohne auszuruhen; oben war mir der Athem vergangen, mein Kopf brannte, ich war den andern weit voraus - geeilt. Da lag der herrliche Rhein mit ſeinem ſchma - ragdnen Schmuck der Inſeln; da ſah ich die Ströme von allen Seiten dem Rhein zufließen, und die reichen friedlichen Städte an beiden Ufern, und die geſegneten Gelände an beiden Seiten; da fragte ich mich, ob mich die Zeit über dieſen Verluſt beſchwichtigen werde, und da war auch der Entſchluß gefaßt, kühn mich über den Jammer hinauszuſchwingen, denn es ſchien mir unwürdig, Jammer zu äußern, den ich einſtens beherrſchen könne.

[111]

Briefwechſel mit Goethe.

[112][113]
Mit Flammenſchrift war innigſt eingeſchrieben
Petrarca's Bruſt, vor allen andern Tagen,
Charfreitag. Eben ſo, ich darf's wohl ſagen,
Iſt mir Advent von Achtzehnhundert ſieben.
Ich fing nicht an, ich fuhr nur fort zu lieben
Sie, die ich früh im Herzen ſchon getragen,
Dann wieder weislich aus dem Sinn geſchlagen,
Der ich nun wieder bin ans Herz getrieben.
Petrarca's Liebe, die unendlich hohe,
War leider unbelohnt und gar zu traurig,
Ein Herzensweh, ein ewiger Charfreitag;
Doch ſtets erſcheine, fort und fort, die frohe,
Süß, unter Palmenjubel, wonneſchaurig,
Der Herrin Ankunft mir, ein ew'ger Maitag.
[114][115]
An Goethe.

Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage, für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück umfaßt; mein Sohn ſei Dein Freund, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt ꝛc.

Solche Worte ſchreibt mir Goethe's Mutter; zu was berechtigen mich dieſe? Auch brach es los wie ein Damm in meinem Herzen; ein Menſchenkind, einſam auf einem Fels, von Stürmen umbrauſ't, ſeiner ſelbſt ungewiß, hin - und herſchwankend, wie Dornen und Diſteln um es her ſo bin ich; ſo war ich da ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend 'ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und kann ihm mit dem von ſeinen Strahlen glühenden An - geſicht beweiſen, daß er mich durchdringt. O Gott! darf ich auch? und bin ich nicht allzu kühn?

116

Und was will ich denn? erzählen, wie die herr - liche Freundlichkeit, mit der Sie mir entgegen kamen, jetzt in meinem Herzen wuchert? alles andre Leben mit Gewalt erſtickt? wie ich immer muß hinverlan - gen, wo mir's zum erſten Mal wohl war? Das hilft alles nichts; die Worte Ihrer Mutter! ich bin weit entfernt, Anſprüche an das zu machen, was Ihre Güte mir zudenkt, aber dieſe haben mich geblendet; und ich mußte zum wenigſten den Wunſch befriedigen, daß Sie wiſſen möchten, wie mächtig mich die Liebe in jedem Augenblick zu Ihnen hinwendet.

Auch darf ich mich nicht ſcheuen, einem Gefühl mich hinzugeben, das ſich aus meinem Herzen hervor - drängt, wie die junge Saat im Frühling; es mußte ſo ſein, und der Saame war in mich gelegt; es iſt nicht mein vorſätzlicher Wille, wenn ich oft aus dem augenblicklichen Geſpräch zu Ihren Füßen getragen bin; dann ſetze ich mich an die Erde und lege den Kopf auf Ihren Schoos, oder ich drücke Ihre Hand an meinen Mund, oder ich ſtehe an Ihrer Seite und umfaſſe Ihren Hals; und es währt lange, bis ich eine Stellung finde, in der ich beharre. Dann plaudre ich, wie es mir be - hagt; die Antwort aber, die ich mir in Ihrem Namen gebe, ſpreche ich mit Bedacht aus: Mein Kind! mein117 artig gut Mädchen! liebes Herz! Ja, ſo klingt's aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte von Geiſtern in eine andre Welt getragen zu ſein; und wenn ich dann bedenke, daß es von Ihren Lippen ſo wie - derhallen könnte, wenn ich wirklich vor Ihnen ſtände, dann ſchaudre ich vor Freude und Sehnſucht zuſammen. O wie viel hundertmal träumt man, und träumt beſſer, als einem je wird. Muthwillig und übermüthig bin ich auch zuweilen, und preiſe den Mann glücklich, der ſo ſehr geliebt wird; dann lächlen Sie und bejahen es in freundlicher Großmuth.

Weh 'mir! wenn dies alles nie zur Wahrheit wird, dann werd' ich im Leben das Herrlichſte vermiſſen. Ach, iſt der Wein denn nicht die ſüßeſte und begehrlichſte un - ter allen himmliſchen Gaben? daß wer ihn einmal ge - koſtet hat, trunkner Begeiſtrung nimmer abſchwören möchte. Dieſen Wein werd 'ich vermiſſen, und alles andre wird mir ſein wie hartes geiſtloſes Waſſer, deſſen man keinen Tropfen mehr verlangt, als man bedarf.

Wie werd 'ich mich alsdann tröſten können? mit dem Lied etwa: Im Arm der Liebe ruht ſich's wohl, wohl auch im Schooß der Erde? oder: Ich wollt' ich läg 'und ſchlief zehntauſend Klafter tief.

Ich wollt 'ich könnte meinen Brief mit einem Blick118 in Ihre Augen ſchließen; ſchnell würde ich Vergebung der Kühnheit herausleſen, und dieſe noch mit einſiegeln; ich würde dann nicht ängſtlich ſein über das kindiſche Geſchwätz, das mir doch ſo ernſt iſt. Da wird es hin - getragen in raſcher Eile viele Meilen; der Poſtillion ſchmettert mit vollem Enthuſiasmus ſeine Ankunft in die Lüfte, als wolle er frohlockend fragen: was bring' ich! und nun bricht Goethe ſeinen Brief auf, und findet das unmündige Stammeln eines unbedeutenden Kindes. Soll ich noch Verzeihung fordern? O, Sie wiſſen wohl, wie übermächtig, wie voll ſüßen Gefühls das Herz oft iſt, und die kindiſche Lippe kann das Wort nicht treffen, den Ton kaum, der es wiederklin - gen macht.

Bettine Brentano.

119
An Bettine, im Brief an ſeine Mutter eingelegt von Goethe.

Solcher Früchte, reif und ſüß, würde man gern an jedem Tag 'genießen, den man zu den ſchönſten zu zählen berechtigt ſein dürfte.

Wolfgang Goethe.

Liebe Mutter, geben Sie dies eingeſiegelte Blätt - chen an Bettine und fordern ſie auf, mir noch ferner zu ſchreiben.

120
An Goethe.

Wenn die Sonne am heißeſten ſcheint, wird der blaue Himmel oft trübe; man fürchtet Sturm und Ge - witter, beklemmende Luft drückt die Bruſt, aber endlich ſiegt die Sonne; ruhig und golden ſinkt ſie dem Abend in Schoos.

So war mir's, da ich Ihnen geſchrieben hatte; ich war beklemmt, wie wenn ein Gewitter ſich ſpüren läßt, und ward oft roth über den Gedanken, daß Sie es un - recht finden möchten, und endlich ward mein Mißtrauen nur durch wenig Worte, aber ſo lieb gelöſt. Wenn Sie wüßten wie ſchnelle Fortſchritte mein Zutrauen in dem - ſelben Augenblick machte, da ich erkannte, daß Sie es gern wollen! Gütiger, freundlich geſinnter Mann! ich bin ſo unbewandert in Auslegung ſolcher köſtlichen Worte, daß ich ſchwankte über ihren Sinn; die Mutter aber ſagte: ſei nicht ſo dumm, er mag geſchrieben ha - ben, was er will, ſo heißt es, Du ſollſt ihm ſchreiben, ſo oft Du kannſt und was Du willſt. Ach ich kann Ihnen nichts anders mittheilen, als blos, was in mei - nem Herzen vorgeht. O dürft 'ich jetzt bei ihm ſein, dacht' ich, ſo glühend hell ſollte meine Freudenſonneihm121ihm leuchten, wie ſein Auge freundlich dem meinigen begegnet. Ja wohl herrlich! Ein Purpurhimmel mein Gemüth, ein warmer Liebesthau meine Rede, die Seele müßte wie eine Braut aus ihrer Kammer treten, ohne Schleier und ſich bekennen: o Herr, in Zukunft will ich Dich oft ſehen und lang 'am Tage, und oft ſoll ihn ein ſolcher Abend ſchließen.

Ich gelobe es, dasjenige, was von der äußeren Welt unberührt in mir vorgeht, heimlich und gewiſſen - haft demjenigen darzulegen, der ſo gern Theil an mir nimmt, und deſſen allumfaſſende Kraft den jungen Kei - men meiner Bruſt Fülle befruchtender Nahrung verſpricht.

Das Gemüth hat ohne Vertrauen ein hartes Loos; es wächſt langſam und dürftig, wie eine heiße Pflanze zwiſchen Felſen; ſo bin ich, ſo war ich bis heute, und dieſe Herzensquelle, die nirgend wo ausſtrömen konnte, findet plötzlich den Weg an's Licht, und para - dieſiſche Ufer im Balſamduft blühender Gefilde, beglei - ten ihren Weg.

O Goethe! meine Sehnſucht, mein Gefühl ſind Melodieen, die ſich ein Lied ſuchen, dem ſie ſich an - ſchmiegen möchten. Darf ich mich anſchmiegen? dann ſollen dieſe Melodieen ſo hoch ſteigen, daß ſie Ihre Lieder begleiten können.

I. 6122

Ihre Mutter ſchrieb wie von mir: daß ich keinen Anſpruch an Antworten mache; daß ich keine Zeit rau - ben wolle, die Ewiges hervorbringen kann; ſo iſt es aber nicht: meine Seele ſchreit, wie ein durſtiges Kind - chen; alle Zeiten, zukünftige und verfloſſene, möchte ich in mich trinken, und mein Gewiſſen würde mir wenig Bedenken machen, wenn die Welt von nun an weniger von Ihnen zu erfahren bekäme, und ich mehr. Beden - ken Sie indeß, daß nur wenig Worte von Ihnen ein größeres Maaß von Freude ausfüllen werden, als ich von aller ſpäteren Zeit erwarte.

Bettine.

Die Mutter iſt ſehr heiter und geſund, ſie trinkt noch einmal ſo viel Wein wie vor'm Jahr, geht bei Wind und Wetter in's Theater; ſingt in ihrem Über - muth mir vor: Zärtliche getreue Seele, deren Schwur kein Schickſal bricht.

Extrablatt.

Wir führen Krieg, ich und die Mutter, und nun iſt's ſo weit gekommen, daß ich kapituliren muß; die harte Bedingung iſt, daß ich ſelbſt Ihnen alles erzäh -123 len ſoll, womit ich's verſchuldet habe, und den die gute Mutter ſo heiter und launig ertragen hat; ſie hat eine Geſchichte daraus zuſammengeſponnen, die ſie mit tau - ſend Plaiſir erzählt; ſie könnte es alſo ſelbſt viel beſſer ſchreiben, das will ſie nicht, ich ſoll's zu meiner Strafe erzählen, und da fühl 'ich mich ganz beſchämt.

Ich ſollte ihr den Gall bringen, und führte ihr un - ter ſeinem Namen den Tieck zu; ſie warf gleich ihre Kopfbedeckung ab, ſetzte ſich und verlangte, Gall ſolle ihren Schädel unterſuchen, ob die großen Eigenſchaften ihres Sohnes nicht durch ſie auf ihn übergegangen ſein möchten; Tieck war in großer Verlegenheit, denn ich ließ ihm keinen Moment um der Mutter den Irr - thum zu benehmen; ſie war gleich in heftigem Streit mit mir, und verlangte, ich ſolle ganz ſtill ſchweigen und dem Gall nicht auf die Sprünge helfen; da kam Gall ſelbſt und nannte ſich; die Mutter wußte nicht zu welchem ſie ſich bekehren ſolle, beſonders da ich ſtark gegen den rechten proteſtirte, jedoch hat er endlich den Sieg davon getragen, indem er ihr eine ſehr ſchöne Ab - handlung über die großen Eigenſchaften ihres Kopfs hielt; und ich hab 'Verzeihung erhalten und mußte verſprechen ſie nicht wieder zu betrügen. Ein paar Tage ſpäter kam eine gar zu ſchöne Gelegenheit mich6*124zu rächen. Ich führte ihr einen jungen Mann aus Strasburg zu, der kurz vorher bei Ihnen geweſen war; ſie fragte höflich nach ſeinem Namen, noch eh 'er ſich nennen konnte, ſagte ich: der Herr heißt Schneegans, hat Ihren Herrn Sohn in Weimar beſucht und bringt Ihr viele Grüße von ihm. Sie ſah mich verächtlich an und fragte: darf ich um Ihren werthen Namen bitten? Aber noch ehe er ſich legitimiren konnte, hatte ich ſchon wieder den famöſen Namen Schneegans ausgeſprochen; ganz ergrimmt über mein grobes Verfah - ren, den fremden Herrn eine Schneegans zu ſchimpfen, bat ſie ihn um Verzeihung und daß mein Muthwill keine Grenzen habe und manchmal ſogar in's Alberne ſpiele; ich ſagte: der Herr heißt aber doch Schneegans. O ſchweig, rief ſie, wo kann ein vernünftiger Menſch Schneegans heißen! Wie nun der Herr endlich zu Wort kam und bekannte, daß er wirklich die Fatalität habe ſo zu heißen, da war es ſehr ergötzlich die Ent - ſchuldigungen und Betheuerungen von Hochachtung ge - genſeitig anzuhören; ſie amüſirten ſich vortrefflich mit einander, als hätten ſie ſich Jahre lang gekannt, und bei'm Abſchied ſagte die Mutter mit einem heroiſchen Anlauf: leben Sie recht wohl Herr von Schneegans,125 hätte ich doch nimmermehr geglaubt, daß ich's über die Zunge bringen könne!

Nun, da ich's geſchrieben habe, erkenne ich erſt wie ſchwer die Strafe iſt, denn ich hab 'einen großen Theil des Papiers beſchrieben, ohne auch nur ein Wörtchen von meinen Angelegenheiten, die mir ſo ſehr im Herzen liegen anzubringen. Ja, ich ſchäme mich Ihnen heute noch was anders zu ſagen, als nur meinen Brief mit Hochachtung und Liebe abzuſchließen. Aber Morgen da fange ich einen neuen Brief an, und der hier ſoll nichts gelten.

Bettine.

An Goethe.

Ich habe heut bei der Mutter einliegenden Brief an Sie abgeholt, um doch eher ſchreiben zu dürfen, ohne unbeſcheiden zu ſein. Ich möchte gar zu gern recht vertraulich, kindiſch und ſelbſt ungereimt an Sie ſchrei - ben dürfen, wie mir's im Kopf käme; darf ich? z. B., daß ich verliebt war fünf Tage lang, iſt das ungereimt? Nun, was ſpiegelt ſich denn in Ihrer Jugend -126 quelle? Nur hineingeſchaut; Himmel und Erde ma - len ſich drinn; in ſchöner Ordnung ſtehen die Berge und die Regenbogen, und die blitzdurchriſſ'nen Gewit - terwolken, und ein liebend Herz ſchreitet durch, höherem Glück entgegen; und den Sonnedurchleuchteten Tag kränzet der heimliche Abend in Liebchens Arm.

Drum ſei mir's nicht verargt, daß ich fünf Tage lang verliebt war.

Bettine.

127
Goethe an B.

Der Dichter iſt manchmal ſo glücklich, das unge - reimte zu reimen, und ſo wär 'es Ihnen zu geſtatten, liebes Kind, daß Sie ohne Rückhalt alles, was Sie der Art mitzutheilen haben, ihm zukommen ließen.

Gönnen Sie mir aber auch eine nähere Beſchrei - bung deſſen, der in fünftägigem Beſitz Ihres Herzens war, und ob Sie auch ſicher ſind, daß der Feind nicht noch im Verſteck lauert. Wir haben auch Nachrichten von einem jungen Mann, der in eine große Bärenmütze ge - hüllt in Ihrer Nähe weilt, und vorgiebt, ſeine Wunden heilen zu müſſen, während er vielleicht im Sinne hat, die gefährlichſten zu ſchlagen.

Erinnern Sie ſich jedoch bei ſo gefahrvollen Zeiten des Freundes, der es angemeſſener findet, Ihren Her - zenslaunen jetzt nicht in den Weg zu kommen.

G.

128
Lieber Goethe! lieber Freund!

Heute hab 'ich mit der Mutter Wahl gehalten, was ich Ihnen für einen Titel geben darf; da hat ſie mir die beiden frei gelaſſen, ich hab' ſie beide hingeſchrie - ben; ich ſeh 'der Zeit entgegen wo meine Feder anders dahin tanzen wird, unbekümmert, wo die Flammen hinausſchlagen; wo ich Ihnen mein verborgnes Herz entdecke, das ſo ungeſtüm ſchlägt und doch zittert. Wer - den Sie mir ſolche Ungereimtheiten auch auflöſen? Wenn ich in derſelben Natur mich weiß, deren inneres Leben durch ihren Geiſt mir verſtändlich wird, dann kann ich oft beide nicht mehr von einander unterſchei - den; ich leg' mich an grünen Raſen nieder mit umfaſ - ſenden Armen, und fühle mich Ihnen ſo nah wie da - mals, wo Sie den Aufruhr in meinem Herzen zu be - ſchwichtigen, zu dem einfachen Zaubermittel griffen, von meinen Armen umfaßt, ſo lange mich ruhig anzuſehen, bis ich von der Gewißheit meines Glückes mich durch - drungen fühlte.

Lieber Freund! wer dürfte zweifeln, daß das, was einmal ſo erkannt und ſo ergriffen war, wieder verlo -129 ren gehen könne? Nein! Sie ſind mir nimmer fern. Ihr Geiſt lächelt mich an und berührt mich zärt - lich vom erſten Frühlingsmorgen bis zum letzten Win - terabend.

So kann ich Ihnen auch das Liebesgeheimniß mit der Bärenmütze für Ihren leiſen Spott über meine ernſte Treue auf das beſchämendſte erklären. Nichts iſt reizender als die junge Pflanze, in voller Blüthe ſte - hend, auf der der Finger Gottes jeden friſchen Mor - gen den zarten Thau in Perlen reihet, und ihre Blätter mit Duft bemalt. So blüheten im vori - gen Jahr ein paar ſchöne blaue Augen unter der - renmütze hervor, ſo lächelten und ſchwätzten die anmu - thigen Lippen, ſo wogten die ſchwanken Glieder, und ſo ſchmiegte ſich zärtliche Neigung in jede Frage und Ant - wort, und hauchten in Seufzern den Duft des tieferen Herzens aus, wie jene junge Pflanze. Ich ſah's mit an und verſtand die Schönheit, und doch war ich nicht verliebt; ich führte den jungen Huſaren zur Günderode, die traurig war; wir waren jeden Abend zuſammen, der Geiſt ſpielte mit dem Herzen, tauſend Äußerungen und ſchöne Modulationen hörte und fühlte ich, und doch war ich nicht verliebt. Er ging, man ſah, daß der Abſchied ſein Herz bedrängte; wenn ich nicht6**130wiederkehre, ſagte er, ſo glauben Sie, daß die köſtlichſte Zeit meines Lebens dieſe letzte war. Ich ſah ihn die Stiegen hinabſpringen, ich ſah ſeine reizende Geſtalt, in der Würde und Stolz ſeiner ſchwanken Jugend gleich - ſam einen Verweis gaben, ſich auf's Pferd ſchwingen und fort in den Kugelregen reiten, und ich ſeufzte ihm nicht nach.

Dies Jahr kam er wieder mit einer kaum vernarb - ten Wunde auf der Bruſt; er war blaß und matt, und blieb fünf Tage bei uns. Abends, wenn alles um den Theetiſch verſammelt war, ſaß ich im dunkeln Hinter - grund des Zimmers, um ihn zu betrachten, er ſpielte auf der Guitarre; da hielt ich eine Blume vor's Licht, und ließ ihren Schatten auf ſeinen Fingern ſpie - len, das war mein Wagſtück; mir klopfte das Herz vor Angſt, er möchte es merken; da ging ich in's Dunkel zurück und behielt meine Blume, und die Nacht legte ich ſie unter's Kopfkiſſen. Das war die letzte Hauptbegebenheit in dieſem Liebesſpiel von fünf Tagen.

Dieſer Jüngling, deſſen Mutter ſtolz ſein mag auf ſeine Schönheit; von dem die Mutter mir erzählte, er ſei der Sohn der erſten Heißgeliebten meines geliebten Freundes, hat mich gerührt.

Und nun mag der Freund ſich's auslegen, wie es131 kam, daß ich dies Jahr Herz und Aug 'für ihn offen hatte, und im vorigen Jahr nicht.

Du haſt mich geweckt mitten in lauen Sommer - lüften, und da ich die Augen aufſchlug, ſah ich die reifen Äpfel an goldnen Zweigen über mir ſchweben, und da langt ich nach ihnen.

Adieu! in der Mutter Brief ſteht viel von Gall und dem Gehirn; in dem meinigen viel vom Herzen.

Ich bitte, grüßen Sie den Doktor Schloſſer in Ih - ren Briefen an die Mutter nicht mehr mit mir in einer Rubrik; es thut meinem armen Hochmuth gar zu weh.

Bettine.

Dein Kind, dein Herz, dein gut Mädchen, das dem Goethe über al - les lieb hat, und ſich mit ſeinem An - denken über alles tröſten kann.

An Goethe.

Geſtern ſaß ich der Mutter gegenüber auf meinem Schemel, Sie ſah mich an und ſagte: Nun was giebt's? warum ſiehſt Du mich nicht an? ich wollte ſie ſolle mir erzählen; ich hatte den Kopf in meine Arme132 verſchränkt. Nein, ſagte ſie, wenn Du mich nicht an - ſiehſt, ſo erzähl 'ich nichts; und da ich meinen Eigen - ſinn nicht brechen konnte, ward ſie ganz ſtill. Ich ging auf und ab durch die drei langen, ſchmalen Zim - mer, und ſo oft ich an ihr vorüberſchritt, ſah ſie mich an, als wolle ſie ſagen: Wie lang' ſoll's dauern? endlich ſagte ſie: hör! ich dächte Du gingſt; Wo - hin? fragte ich. Nach Weimar zum Wolfgang, und holteſt Dir wieder Reſpekt gegen ſeine Mutter; ach Mutter, wenn das möglich wär '! ſagte ich, und fiel ihr um den Hals, und küßte ſie und lief im Zimmer auf und ab. Ei, ſagte ſie, warum ſoll es denn nicht mög - lich ſein? Der Weg dahin hängt ja an einander und iſt kein Abgrund dazwiſchen; ich weiß nicht was Dich abhält, wenn Du eine ſo ungeheure Sehnſucht haſt; eine Meile vierzigmal zu machen iſt der ganze Spaß, und dann kommſt Du wieder und erzählſt mir alles.

Nun hab 'ich die ganze Nacht von der einen Meile geträumt, die ich vierzigmal machen werde; es iſt ja wahr, die Mutter hat recht, nach vierzig durchjagten Stunden läg' ich am Herzen des Freundes; es iſt auf dieſer Erde, wo ich ihn finden kann, auf gebahnten Wegen gehet die Straße, alles deutet dorthin, der Stern am Him - mel leuchtet bis zu ſeiner Schwelle, die Kinder am Weg133 rufen mir zu: dort wohnt er! Was hält mich zurück? ich bin allein meiner heißen Sehnſucht Zeuge, und ſollte mir's nicht gewähren, was ich bitte und flehe, daß ich Muth haben möge? Nein ich bin nicht allein, dieſe ſehnſüchtigen Gedanken es ſind Geſtalten; ſie ſehen mir fragend unter die Augen: wie ich mein Leben ver - ſchleifen könne, ohne Hand in Hand mit ihm, ohne Aug 'in Aug' in ihrem Feuer zu verglühen. O Goe - the, ertrag 'mich, nicht alle Tage bin ich ſo ſchwach, daß ich mich hinwerfe vor Dir, und nicht aufhören will zu weinen, bis Du mir alles verſprichſt. Es geht wie ein ſchneidend Schwert durch mein Herz, daß ich bei Dir ſein möchte; bei Dir, und nichts anders will ich, ſo wie das Leben vor mir liegt, weiß ich nichts, was ich noch fordern könnte, ich will nichts neues wiſſen, nichts ſoll ſich regen, kein Blatt am Baum, die Lüfte ſollen ſchweigen; ſtille ſoll's in der Zeit ſein, und Du ſollſt ausharren in Gelaſſenheit, bis alle Schmerzen an Deiner Bruſt verwunden ſind.

Geſtern Abend war's ſo, lieber Goethe; plötzlich riß der Zugwind die Thür auf und löſchte mir das Licht,134 bei dem ich Dir geſchrieben habe. Meine Fenſter wa - ren offen, und die Pläne waren nieder gelaſſen; der Sturmwind ſpielte mit ihnen; es kam ein heftiger Gewitterregen, da ward mein kleiner Kanarienvogel auf - geſtört er flog hinaus in den Sturm, er ſchrie nach mir, und ich lockte ihn die ganze Nacht. Erſt wie das Wetter vorüber war legt 'ich mich ſchlafen; ich war müde und ſehr traurig, auch um meinen lieben Vogel. Wie ich noch bei der Günderode die Griechiſche Ge - ſchichte ſtudirte, da zeichnete ich Landkarten, und wenn ich die Seen zeichnete, da half er Striche hinein machen, daß ich ganz verwundert war, wie emſig er mit ſeinem kleinen Schnabel immer hin und her kratzte.

Nun iſt er fort, gewiß hat ihm der Sturm das Leben gekoſtet; da hab 'ich gedacht, wenn ich nun hin - ausflög', um Dich zu ſuchen, und käm 'durch Sturm und Unwetter bis zu Deiner Thür, die Du mir nicht öffnen würdeſt, nein Du wärſt fort; Du hätteſt nicht auf mich gewartet, wie ich die ganze Nacht auf meinen kleinen Vogel; Du geheſt andern Menſchen nach, Du bewegſt Dich in andern Regionen; bald ſind's die Sterne, die mit Dir Rückſprache halten, bald die tiefen abgründ - lichen Felskerne; bald ſchreitet dein Blick als Prophet durch Nebel und Luftſchichten, und dann nimmſt Du135 der Blumen Farben und vermählſt ſie dem Licht; deine Leyer findeſt Du immer geſtimmt, und wenn ſie Dir auch friſchgekränzt entgegen prangte, würdeſt Du fra - gen: Wer hat mir dieſen ſchönen Kranz gewunden? Dein Geſang würde dieſe Blumen bald verſengen; ſie würden ihre Häupter ſenken, ſie würden ihre Farbe ver - lieren, und bald würden ſie unbeachtet am Boden ſchleifen.

Alle Gedanken, die die Liebe mir eingiebt, alles heiße Sehnen und Wollen, kann ich nur ſolchen Feld - blumen vergleichen; ſie thun unbewußt über dem grünen Raſen ihre goldnen Augen auf, ſie lachen eine Weile in den blauen Himmel, dann leuchten tauſend Sterne über ihnen und umtanzen den Mond, und ver - hüllen die zitternden, Thränen-belaſteten Blumen in Nacht und betäubenden Schlummer. So biſt Du Poete ein vom Sternenreigen ſeiner Eingebungen umtanzter Mond; meine Gedanken aber liegen im Thal, wie die Feldblumen, und ſinken in Nacht vor Dir, und meine Begeiſterung ermattet vor Dir, und alle Gedanken ſchla - fen unter deinem Firmament.

Bettine.

136
Goethe an Bettine.

Mein liebes Kind! ich klage mich an, daß ich Dir nicht früher ein Zeichen gegeben, wie genußreich und erquickend es mir iſt, das reiche Leben deines Herzens überſchauen zu dürfen. Wenn es auch ein Mangel in mir iſt, daß ich Dir nur wenig ſagen kann, ſo iſt es Mangel an Faſſung über alles was Du mir giebſt.

Ich ſchreibe Dir dieſen Augenblick im Flug ', denn ich fürchte da zu verweilen, wo ſo viel überſtrömendes mich ergreift. Fahre fort, deine Heimath bei der Mut - ter zu befeſtigen; es iſt ihr zu viel dadurch geworden, als daß ſie dich entbehren könnte, und rechne Du auf meine Liebe und meinen Dank.

G.

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An Goethe.

Wenn ich alles aus dem Herzen in die Feder flie - ßen ließ, ſo würdeſt Du manches Blatt von mir bei Seite legen, denn immer von mir und von Dir, und einzig von meiner Liebe, das wär 'doch nur der be - wußte ewige Inhalt.

Ich hab's in den Fingerſpitzen, und meine ich müßte Dir erzählen, was ich Nachts von Dir geträumt habe, und denk 'nicht, daß Du für anders in der Welt biſt. Häufig hab' ich denſelben Traum, und es hat mir ſchon viel Nachdenken gemacht, daß meine Seele immer un - ter denſelben Bedingungen mit Dir zu thun hat; es iſt als ſolle ich vor Dir tanzen, ich bin ätheriſch gekleidet, ich hab 'ein Gefühl, daß mir alles gelingen werde, die Menge umdrängt mich. Ich ſuche Dich, dort ſitzeſt Du frei mir gegenüber; es iſt als ob Du mich nicht be - merkteſt und ſeieſt mit anderem beſchäftigt; jetzt trete ich vor Dich, goldbeſchuhet, und die ſilbernen Ärme hän - gen nachläſſig, und warte; da hebſt Du das Haupt, dein Blick ruht auf mir unwillkührlich, ich ziehe mit leiſen Schritten magiſche Kreiſe, dein Aug' verläßt mich nicht mehr, Du mußt mir nach, wie ich mich wende138 und ich fühle einen Triumph des Gelingens; alles was Du kaum ahndeſt, das zeige ich Dir im Tanz, und Du ſtaunſt über die Weisheit, die ich Dir vortanze, bald werf 'ich den luftigen Mantel ab und zeig' Dir meine Flügel, und ſteig 'auf in die Höhen; da freu' ich mich, wie dein Aug 'mich verfolgt; dann ſchweb' ich wieder herab, und ſink 'in deine umfaſſenden Arme; dann athmeſt Du Seufzer aus, und ſiehſt an mir hin - auf und biſt ganz durchdrungen; aus dieſen Träumen erwachend kehr' ich zu den Menſchen zurück wie aus weiter Ferne; ihre Stimmen ſchallen mir fremd, und ihre Geberden auch; und nun laß mich bekennen, daß bei dieſen Bekenntniß meiner Traumſpiele meine Thränen fließen. Einmal haſt Du für mich geſungen: So laßt mich ſcheinen bis ich werde, zieht wir das weiße Kleid nicht aus. Dieſe magiſchen Reize, dieſe Zauber - fähigkeiten ſind mein weißes Kleid; ich flehe auch, daß es mir bleibe bis ich werde, aber Herr: dieſe Ahndung läßt ſich nicht beſtreiten, daß auch mir das weiße Kleid ausgezogen werde, und daß ich in den gewöhnlichen des alltäglichen gemeinen Lebens einhergehen werde; und daß dieſe Welt, in der meine Sinne lebendig ſind, ver - ſinken wird; das, was ich ſchützend decken ſollte, das werde ich verrathen; da wo ich duldend mich unterwer -139 fen ſollte, da werde ich mich rächen; und da wo mir unbefangne kindliche Weisheit einen Wink giebt, da werd 'ich Trotz bieten und es beſſer wiſſen wollen; aber das traurigſte wird ſein, daß ich mit dem Fluch der Sünde belaſten werde, was keine iſt, wie ſie es alle machen; und mir wird Recht dafür geſchehen. Du biſt mein Schutzaltar, zu Dir werd' ich flüchten; dieſe Liebe, dieſe mächtige, die zwiſchen uns waltet, und die Erkenntniß, die mir durch ſie wird, und die Offen - barungen, die werden meine Schutzmauern ſein; ſie wer - den mich frei machen von denen, die mich richten wollen.

Dein Kind.

An Goethe.

Vorgeſtern waren Wir im Egmont, ſie riefen alle: Herrlich! Wir gingen noch nach dem Schauſpiel unter den Mondbeſchienenen Linden auf und ab, wie es Frankfurter Sitte iſt, da hört 'ich tauſendfachen Wie - derhall. Der kleine Dalberg war mit uns; er hatte deine Mutter im Schauſpiel geſehen und verlangte, ich ſolle ihn zu ihr bringen; ſie war eben im Begriff, Nachttoilette zu machen, da ſie aber hörte, er komme140 vom Primas, ſo ließ ſie ihn ein; ſie war ſchon in der weißen Negligeejacke, aber ſie hatte ihren Kopfputz noch auf. Der liebenswürdige, feine Dalberg ſagte ihr, ſein Onkel habe von oben herüber ihre Freudeglänzenden Augen geſehen, während der Vorſtellung, und er wünſche ſie vor ſeiner Abreiſe noch zu ſprechen, und möchte ſie doch am andern Tag bei ihm zu Mittag eſſen. Die Mutter war ſehr geputzt bei dieſem Diner das mit al - lerlei Fürſtlichkeiten und ſonſt merkwürdigen Perſonen beſetzt war, denen zu Lieb' die Mutter wahrſcheinlich invi - tirt war, denn alle drängten ſich an ſie heran, um ſie zu ſe - hen und mit ihr zu ſprechen. Sie war ſehr heiter und bered - ſam, und nur von mir ſuchte ſie ſich zu entfernen. Sie ſagte mir nachher, ſie habe Angſt gehabt, ich möge ſie in Verle - genheit bringen; ich glaube aber, ſie hat mir einen Streich geſpielt, denn der Primas ſagte mir ſehr wun - derliche Sachen über Dich, und daß deine Mutter ihm geſagt habe, ich habe einen erhabenen äſthetiſchen Sinn. Da nahm er einen ſchönen Engländer bei der Hand, einen Schwager des Lord Nelſon, und ſagte: dieſer feine Mann mit der Habichtsnaſe der ſoll Sie zu Tiſch füh - ren, er iſt der ſchönſte von der ganzen Geſellſchaft, neh - men Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er verſtand aber nichts davon. Bei Tiſch wechſelte er mein Glas,141 aus dem ich getrunken hatte und bat mich um Erlaub - niß, daraus zu trinken, der Wein würde ihm ſonſt nicht ſchmecken; das ließ ich geſchehen, und alle Weine, die ihm vorgeſetzt wurden, die goß er in dies Glas und trank ſie mit begeiſterten Blicken aus; es war eine wun - derliche Tiſchunterhaltung; bald rückte er ſeinen Fuß dicht an den meinigen und fragte mich, was meine liebſte Unterhaltung ſei: ich ſagte, ich tanze lieber als ich gehe, und fliege lieber als ich tanze, und dabei zog ich mei - nen Fuß zurück. Ich hatte meinen kleinen Strauß, den ich vorgeſteckt hatte, in's Waſſerglas geſtellt, damit er nicht ſobald welken ſolle, um ihn nach Tiſch wieder vor - zuſtecken, er frug: Will you give me this? ich nickte ihm, er nahm ihn daran zu riechen und küßte ihn; er ſteckte ihn in Buſen und knöpfte die Weſte drüber zu, und ſeufzte, und da ſah er, daß ich roth ward. Sein Geſicht übergoß ſich mit einem Schmelz von Freund - lichkeit; er wendete es zu mir, ohne die Augen aufzu - ſchlagen, als wolle er mich auffordern, ſeine wohlge - fällige Bildung zu beachten; ſein Fuß ſuchte wieder den meinen, und mit leiſer Stimme ſagte er: bee good fine girl. Ich konnte ihm nicht unfreundlich ſein, und doch wollte ich gerne meine Ehre retten; da zog ich das eine End 'meines langen Gürtels um ſein142 Bein, und band es geſchickt an dem Tiſchbein feſt, ganz heimlich, daß es Niemand ſah; er ließ es geſche - hen, ich ſagte: bee good fine boy. Und nun waren wir voll Scherz und Witz bis zum End' der Tafel, und es war wirklich eine zärtliche Luſt zwiſchen uns; und ich ließ ihn ſehr gern 'meine Hand an ſein Herz ziehen, wie er ſie küßte.

Ich hab 'meine Geſchichte der Mutter erzählt', die ſagt ', ich ſoll ſie Dir ſchreiben, es ſei ein artig Luſt - ſpiel für Dich, und Du würdeſt ſie allein ſchön ausle - gen; es iſt ja wahr, Du! der es weiß, daß ich gern den Nacken unter deine Füße lege, Du wirſt mich nicht ſchelten, daß ich der Kühnheit des Engländers, der gern mit meinem Fuß geſpielt hätte, keinen ſtrengeren Ver - weis gab. Du, der die Liebe erkennt, und die Fein - heit der Sinne, o wie iſt alles ſo ſchön in Dir; wie rauſchen die Lebensſtröme ſo kräftig durch dein erregtes Herz, und ſtürzen ſich mit Macht in die kalten Wellen deiner Zeit, und brauſen auf, daß Berg und Thal rau - chen von Lebensgluth, und die Wälder ſtehen mit glü - henden Stämmen an deinen Geſtaden; und alles was Du anblickſt wird herrlich und lebendig. Gott, wie gern möcht' ich jetzt bei Dir ſein! und wär 'ich im Flug, weit über alle Zeiten, und ſchwebte über Dir: ich müßte143 die Fittige ſenken und mich gelaſſen der ſtillen Allmacht Deiner Augen hingeben.

Die Menſchen werden Dich nicht immer verſtehen; und die Dir am nächſten zu ſtehen behaupten, die wer - den am meiſten Dich verläugnen; ich ſeh 'in die Zukunft, da ſie rufen werden: Steiniget ihn! Jetzt, wo Deine eigne Begeiſtrung, gleich einem Löwen ſich an Dich ſchmiegt und Dich bewacht, da wagt ſich die Gemein - heit nicht an Dich.

Deine Mutter ſagte letzt: Die Menſchen ſind zu jetziger Zeit alle wie Gerning, der immer ſpricht: wir übrigen Gelehrten, und ganz wahr ſpricht, denn er iſt übrig.

Lieber todt als übrig ſein! Ich bin es aber nicht, denn ich bin Dein, weil ich Dich erkenne in allem. Ich weiß, daß wenn ſich auch die Wolken vor dem Sonnengott aufthürmen, daß er ſie bald wieder nieder - drückt mit glänzender Hand; ich weiß, daß er keinen Schatten duldet, als den er unter den Sproſſen ſeines Ruhmes ſich ſelber ſucht. Die Ruhe des Bewußtſeins wird Dich überſchatten; ich weiß, daß wenn er ſich über den Abend hinwegbeugt, ſo erhebt er wieder im Morgen das goldne Haupt. Du biſt ewig. D'rum iſt es gut mit Dir ſein.

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Wenn ich Abends allein im dunklen Zimmer bin und des Nachbars Lichter den Schein an die Wand werfen, zuweilen auch Streiflichter Deine Büſte erleuch - ten, oder wenn es ſchon ſtill in der Stadt iſt, in der Nacht; hier und dort ein Hund bellt, ein Hahn ſchreit; ich weiß nicht, warum es mich oft mehr wie menſchlich ergreift; ich weiß nicht, wo ich vor Schmerz hin will. Ich möchte anders als wie mit Worten mit Dir ſprechen; ich möchte mich an Dein Herz drücken; ich fühl ', daß meine Seele lodert. Wie die Luft ſo fürchterlich ſtill ruht kurz vor dem Sturm, ſo ſtehen denn grad' meine Gedanken kalt und ſtill, und das Herz wogt wie das Meer. Lieber, lieber Goethe! dann löſt mich eine Rückerinnerung an Dich wieder auf; die Feuer - und Kriegszeichen gehen langſam an meinem Himmel unter, und Du biſt wie der hereinſtrömende Mondſtrahl. Du biſt groß und herrlich und beſſer als alles, was ich bis heute erkannt und erlebt hab ', Dein ganzes Leben iſt ſo gut.

An145
An Bettine.

Was kann man Dir ſagen und geben, was Dir nicht ſchon auf eine ſchönere Weiſe zugeeignet wäre; man muß ſchweigen und Dich gewähren laſſen; wenn es Gelegenheit giebt, Dich um etwas zu bitten, da mag man ſeinen Dank mit einfließen laſſen für das viele, was unerwartet durch Deine reiche Liebe einem geſchenkt wird. Daß Du die Mutter pflegſt, möchte ich Dir gern auf's Herzlichſte vergelten; von dorther kam mir der Zugwind, und jetzt, weil ich Dich mit ihr zuſammen weiß, fühl 'ich mich geſichert und warm.

Ich ſage Dir nicht: komm! ich will nicht den kleinen Vogel aus dem Neſte geſtört haben; aber der Zufall würde mir nicht unwillkommen ſein, der Sturm und Gewitter benützte, um ihn glücklich unter mein Dach zu bringen. Auf jeden Fall, liebſte Bettine, bedenke, daß Du auf dem Weg 'biſt, mich zu verwöhnen.

Goethe.

I. 7146
An Goethe.

Freund, ich bin allein; alles ſchläft, und mich hält's wach, daß es kaum iſt, wie ich noch mit Dir zuſammen war. Vielleicht, Göthe, war dies das höchſte Ereigniß meines Lebens; vielleicht war es der reichſte, der ſeligſte Augenblick; ſchönere Tage ſollen mir nicht kommen, ich würde ſie abweiſen.

Es war freilich ein letzter Kuß, mit dem ich ſchei - den mußte, da ich glaubte, ich müſſe ewig an Deinen Lippen hängen, und wie ich ſo dahin fuhr durch die Gänge unter den Bäumen, unter denen wir zuſammen gegangen waren, da glaubte ich, an jedem Stamme müſſe ich mich feſthalten, aber ſie verſchwanden, die grünen wohlbekannten Räume, ſie wichen in die Ferne, die geliebten Auen und Deine Wohnung war längſt hinabgeſunken, und die blaue Ferne ſchien allein mir meines Lebens Räthſel zu bewachen; doch die mußt 'auch noch ſcheiden, und nun hatt' ich nichts mehr als mein heiß 'Verlangen, und meine Thränen floſſen die - ſem Scheiden; ach, da beſann ich mich auf alles, wie Du mit mir gewandelt biſt in nächtlichen Stunden, und haſt mir gelächelt, daß ich Dir die Wolkenge -147 bilde auslegte und meine Liebe, meine ſchönen Träume, und haſt mit mir gelauſcht dem Geflüſter der Blätter im Nachtwind; der Stille der fernen weit verbreiteten Nacht. Und haſt mich geliebt, das weiß ich; wie Du mich an der Hand führteſt durch die Straßen, da hab' ich's an Deinem Athem empfunden, am Ton Dei - ner Stimme, an etwas, wie ſoll ich's Dir bezeichnen, das mich umwehte, daß Du mich aufnahmſt in ein in - neres, geheimes Leben, und hatteſt Dich in dieſem Au - genblick mir allein zugewendet und begehrteſt nichts als mit mir zu ſein; und dies alles, wer wird mir's rau - ben? was iſt mir verloren? Mein Freund, ich habe alles, was ich je genoſſen. Und wo ich auch hingehe mein Glück iſt meine Heimath.

Wie die Regentropfen raſſeln an den kleinen run - den Fenſterſcheiben, und wie der Wind furchtbar tobt! Ich habe ſchon im Bett gelegen, und hatte mich nach der Seite gewendet, und wollte einſchlafen in Dir, im Denken an Dich. Was heißt das: im Herrn ent - ſchlafen? Oft fällt mir dieſer Spruch ein, wenn ich ſo zwiſchen Schlaf und Wachen fühle, daß ich mit Dir beſchäftigt bin; ich weiß genau, wie das iſt: der ganze irdiſche Tag vergeht dem Liebenden, wie das ir - diſche Leben der Seele vergeht; ſie iſt hie und da in7*148Anſpruch genommen, und ob ſie ſich's ſchon verſpricht, ſich ſelber nicht zu umgehen; ſo hat ſie ſich am End 'durch das Gewebe der Zeiten durchgearbeitet, immer un - ter der heimlichen Bedingung, einmal nur Rückſprache zu nehmen mit dem Geliebten, aber die Stunden legen im Vorüberſchreiten jede ihre Bitten und Befehle dar; und da iſt ein übermächtiger Wille im Menſchen, der heißt ihn allem ſich fügen; den läßt er über ſich wal - ten, wie das Opfer über ſich walten läßt, das da weiß, es wird zum Altar geführt. Und ſo entſchläft die Seele im Herrn, ermüdet von der ganzen Lebenszeit, die ihr Tyrann war und jetzt den Szepter ſinken läßt. Da ſteigen göttliche Träume herauf, und nehmen ſie in ihren Schoos, und hüllen ſie ein, und ihr magiſcher Duft wird immer ſtärker und umnebelt die Seele, daß ſie nichts mehr von ſich weiß; das iſt die Ruhe im Grabe; ſo ſteigen Träume herauf jede Nacht, wenn ich mich beſinnen will auf Dich, und ich laſſe mich ohne Widerſtand einwiegen, denn ich fühle, daß mein Wol - kenbett aufwärts mit mir ſteigt!

Wenn Du dieſe Nacht auch wach gehalten biſt, ſo mußt Du doch einen Begriff haben von dem ungeheue - ren Sturm. Eben wollte ich noch ganz ſtark ſein und mich gar nicht fürchten; da nahm aber der Wind einen149 ſo gewaltigen Anlauf, und klirrte an den Fenſterſchei - ben und heulte ſo jammernd, daß ich Mitleid ſpürte, und nun riß er ſo tückiſch die ſchwere Thüre auf, er wollte mir das Licht auslöſchen; ich ſprang auf den Tiſch und ſchützte es, und ich ſah durch die offne Thür nach dem dunklen Gang, um doch gleich bereit zu ſein, wenn Geiſter eintreten ſollten; ich zitterte vor herz - klopfender Angſt; da ſah ich was ſich bilden, draußen im Gang; und es war wirklich, als wollten zwei Män - ner eintreten, die ſich bei der Hand hielten; einer weiß und breitſchultrig, und der andre ſchwarz und freund - lich; und ich dachte: das iſt Goethe! Da ſprang ich vom Tiſch Dir entgegen, und lief zur Thür hinaus auf den dunklen Gang, vor dem ich mich gefürchtet hatte, und ging bis an's Ende Dir entgegen, und meine ganze Angſt hatte ſich in Sehnſucht verwandelt; und ich war traurig daß die Geiſter nicht kamen, Du und der Her - zog. Ihr ſeid ja oft hier geweſen zuſammen, Ihr zwei freundlichen Brüder.

Gute Nacht, ich bin begierig auf morgen früh; da muß ſich's ausweiſen, was der Sturm wird angerichtet haben; das Krachen der Bäume, das Rieſeln der Waſſer wird doch was durchgeſetzt haben.

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Heute Morgen hat mich die Sonne ſchon halb fünf Uhr geweckt; ich glaub 'ich hab' keine zwei Stund 'geſchlafen; ſie mußte mir grad' in die Augen ſcheinen. Eben hatte es aufgehört mit Wolkenbrechen und Wind - wirblen, die goldne Ruh breitete ſich aus am blauen Morgenhimmel; ich ſah die Waſſer ſich ſammlen und ihren Weg zwiſchen den Felskanten ſuchen hinab in die Fluth; geſtürzte Tannen brachen den brauſenden Waſſerſturz, und Felsſteine ſpalteten ſeinen Lauf; er war unaufhaltſam; er riß mit ſich, was nicht wider - ſtehen konnte. Da überkam mich eine ſo gewaltige Luſt ich konnte auch nicht widerſtehen: ich ſchürzte mich hoch, der Morgenwind hielt mich bei den Haaren im Zaum; ich ſtützte beide Hände in die Seite, um mich im Gleichgewicht zu halten, und ſprang hinab, in küh - nen Sätzen von einem Felsſtück zum andern, bald - ben bald drüben, das brauſende Waſſer mit mir, kam ich unten an; da lag, als wenn ein Keil ſie geſpalten hätte bis an die Wurzel, der halbe Stamm einer hoh - len Linde, quer über den ſich ſammlenden Waſſern.

O liebſter Freund! der Menſch, wenn er Morgen - nebel trinkt und die friſchen Winde ſich mit ihm jagen, und der Duft der jungen Kräuter in die Bruſt eindringt151 und in den Kopf ſteigt; und wenn die Schläfe pochen und die Wangen glühen, und wenn er die Regentropfen aus den Haaren ſchüttelt, was iſt das für eine Luſt!

Auf dem umgeſtürzten Stamm ruhte ich aus, und da entdeckte ich unter den dick belaubten Äſten unzählige Vogelneſter, kleine Meiſen mit ſchwarzen Köpfchen und weißen Kehlen, ſieben in einem Neſte, und Finken und Diſtelfinken; die alten Vögel flatterten über meinem Kopf und wollten die jungen ätzen; ach, wenn's ihnen nur gelingt, ſie groß zu ziehen in ſo ſchwieriger Lage; denk 'nur: aus dem blauen Himmel herabgeſtürzt an die Erde, quer über einen reißenden Bach, wenn ſo ein Vögelchen heraus fällt, muß es gleich erſaufen, und noch dazu hängen alle Neſter ſchief. Aber die hun - derttauſend Bienen und Mücken die mich umſchwirrten, die all' in der Linde Nahrung ſuchten; wenn Du doch das Leben mit angeſehen hätteſt! Da iſt kein Markt ſo reich an Verkehr, und alles war ſo bekannt, jedes ſuchte ſein kleines Wirthshaus unter den Blüthen, wo es einkehrte; und emſig flog es wieder hinweg und begegnete dem Nachbar, und da ſummten ſie an einan - der vorbei, als ob ſie ſich's ſagten, wo gut Bier feil iſt. Was ſchwätze ich Dir alles von der Linde! und doch iſt's noch nicht genug; an der Wurzel hängt152 der Stamm noch zuſammen; ich ſah hinauf zu dem Gipfel des ſtehenden Baumes, der nun ſein halbes Le - ben am Boden hinſchleifen muß, und im Herbſt ſtirbt er ihm ab. Lieber Goethe, hätte ich meine Hütte dort in der einſamen Thalſchlucht, und ich wär' gewöhnt, auf Dich zu warten, welch großes Ereigniß wär 'dieſes; wie würd' ich Dir entgegen ſpringen und von weitem ſchon zurufen: Denk 'nur unſere Linde! Und ſo iſt es auch: ich bin eingeſchloſſen in meiner Liebe, wie in einſamer Hütte, und mein Leben iſt ein Harren auf Dich unter der Linde; wo Erinnerung und Gegenwart duftet, und die Sehnſucht die Zukunft herbeilockt. Ach, lieber Wolfgang, wenn der grauſame Sturm die Linde ſpaltet, und die üppigere ſtärkere Hälfte mit allem inne wohnenden Leben zu Boden ſtürzt, und ihr grü - nes Laub, über böſem Geſchick, wie über ſtürzenden Bergwaſſern, traurend welkt, und die junge Brut in ihren Äſten verdirbt; o dann denk' daß die eine Hälfte noch ſteht, und in ihr alle Erinnerung und alles Leben, was dieſer entſprießt, zum Himmel getragen wird.

Adieu! Jetzt geht's weiter; morgen bin ich Dir nicht ſo nah, daß ein Brief, den ich früh geſchrieben, Dir ſpät die Zeit vertreibt. Ach laſſe ſie Dir vertrei - ben als wenn ich ſelbſt bei Dir wär: zärtlich!

153

In Kaſſel bleib 'ich vierzehn Tage, dort werd' ich der Mutter ſchreiben; ſie weiß noch nicht, daß ich bei Dir war.

Bettine.

An Bettine.
War unerſättlich nach viel tauſend Küſſen,
Und mußt 'mit Einem Kuß am Ende ſcheiden.
Bei ſolcher Trennung herb empfundnem Leiden
War mir das Ufer, dem ich mich entriſſen,
Mit Wohnungen, mit Bergen, Hügeln, Flüſſen,
So lang 'ich's deutlich ſah, ein Schatz der Freuden.
Zuletzt im Blauen blieb ein Augenweiden
An fern entwichnen lichten Finſterniſſen.
Und endlich als das Meer den Blick umgränzte,
Fiel mir's zurück in's Herz, mein heiß Verlangen,
Ich ſuchte mein Verlornes gar verdroſſen.
Da war es gleich als ob der Himmel glänzte,
Mir ſchien, als wäre nichts mir, nichts entgangen,
Als hätt 'ich alles, was ich je genoſſen.
7**
154
Ein Strom entrauſcht umwölktem Felſenſaale,
Dem Ocean ſich eilig zu verbinden;
Was auch ſich ſpiegeln mag von Grund zu Gründen,
Er wandelt unaufhaltſam fort zu Thale.
Doch ſtürzt ſich Oreas mit einemmale,
Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden
Herab zur Flut, Behagen dort zu finden,
Und hemmt den Lauf, begränzt die weite Schaale.
Die Welle ſprüht und ſtaunt zurück und weichet,
Und ſchwillt Berg an, ſich immer ſelbſt zu trinken.
Gehemmt iſt nun zum Vater hin das Streben,
Sie ſchwankt und ruht zum See zurück gedeichet.
Geſtirne ſpiegelnd ſich, beſchau'n das Blinken
Des Wellenſchlags am Fels, ein neues Leben.

Deine fliegenden Blätter, liebſte Bettine, kamen grade zu rechter Zeit, um dem Verdruß über Dein Ver - ſchwinden in etwas zu ſteuern. Beiliegend gebe ich Dir einen Theil derſelben zurück; Du ſiehſt wie man ver - ſucht, ſich an der Zeit die uns des Liebſten beraubt, zu rächen und ſchöne Minuten zu verewigen. Möge ſich Dir der Werth darin ſpiegeln, den Du für den Dichter haben mußt.

Sollte Dein Vagabundenleben noch länger dauern, ſo verſäume nicht von allem Nachricht zu geben; ich155 folge Dir gerne, wo Dich auch Dein dämoniſcher Geiſt hinführt.

Ich lege dieſe Blätter an die Mutter bei, die Dir ſie zu freundlicher Stunde ſenden mag, da ich Deine Addreſſe nicht genau weiß. Lebe wohl und komme Deinen Verheißungen nach.

Goethe.

An Goethe.

Wer kann's deuten und ermeſſen, was in mir vor - geht? Ich bin glücklich jetzt im Andenken der Ver - gangenheit, als ich kaum damals in der Gegenwart war; mein erregtes Herz, die Überraſchung bei Dir zu ſein, dies Kommen und Gehen und Wiederkehren in den paar Tagen, das war alles wie eindringende Wolken an meinem Himmel; er mußte durch meine zu große Nähe zugleich meinen Schatten aufnehmen, ſo wie er auch immer dunkler iſt, wo er an die Erde gränzt; jetzt in der Ferne wird er mild und hoch und ganz hell.

Ich möchte Deine liebe Hand mit meinen beiden156 an mein Herz drücken und Dir ſagen: wie Friede und Fülle über mich gekommen iſt, ſeitdem ich Dich weiß.

Ich weiß, daß es nicht der Abend iſt, der mir jetzt in's Leben hereindämmert; o wenn er's doch wäre! Wenn ſie doch ſchon verlebt wären die Tage, und meine Wünſche und meine Freuden, möchten ſie ſich alle an Dir hinaufbilden, daß Du mit überdeckt wärſt und be - kränzt, wie mit immergrünem Laub.

Aber ſo warſt Du, wie ich am Abend allein bei Dir war, daß ich Dich gar nicht begreifen konnte; Du haſt über mich gelacht, weil ich bewegt war, und laut gelacht weil ich weinte, aber warum? Und doch war es Dein Lachen, der Ton Deines Lachens was mich zu Thränen rührte, ſo wie es meine Thränen waren die Dich lachen machten, und ich bin zufrieden und ſehe unter der Hülle dieſes Räth - ſels Roſen hervorbrechen, die der Wehmuth und der Freude zugleich entſprießen. Ja, Du haſt recht, Prophet: ich werde noch oft mit leichtem Herzen Scherz und Luſt durchwühlen, ich werde mich müde tummlen, ſo wie ich in meiner Kindheit (ach, ich glaub 'es war geſtern!) mich aus Übermuth auf den blühenden Fel - dern herumwälzte und alles zuſammen drückte, und die Blumen mit den Wurzeln ausriß, um ſie in's Waſſer157 zu werfen, aber auf ſüßem, warmem, feſtem Ernſt will ich ausruhen, und der biſt Du, lachender Pro - phet.

Ich ſag 'Dir's noch einmal: wer verſteht's auf der weiten Erde was in mir vorgeht, wie ich ſo ruhig in Dir bin, ſo ſtill, ſo ohne Wanken in meinem Gefühl; ich könnte, wie die Berge, Nächte und Tage in die Vergangenheit tragen, ohne nur zu zucken in Deinem Andenken. Und doch, wenn der Wind zuweilen von der ganzen blühenden Welt den Duft und Saamen zu - ſammen auf der Berge Wipfel trägt, ſo werden ſie auch berauſcht, ſo wie ich geſtern; da hab' ich die Welt geliebt, da war ich ſelig wie eine aufſprudelnde Quelle, in die die Sonne zum erſten Mal ſcheint.

Leb 'wohl, Herrlicher, der mich blendet und mich verſchüchtert. Von dieſem ſteilen Fels, auf den ſich meine Liebe mit Lebensgefahr gewagt hat, iſt nicht mehr herunter zu klettern, daran iſt gar nicht zu den - ken, da bräch' ich auf allen Fall den Hals.

Bettine.

Und ſo weit hatte ich geſtern geſchrieben, ſaß heute Morgen auf dem Seſſel und las ſtill und andächtig in einer Chronik, ohne mich zu bewegen, denn ich wurde dabei gemalt, ſo wie Du mich bald ſehen ſollſt, da158 brachte man mir das blaue Couvert, und ich brach auf und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergebo - ren, und zum erſten Mal glaubte ich an meine Se - ligkeit.

Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du be - täubſt mich, jeder kleine Lärm iſt mir zuwider; wär's nur ganz ſtill in der Welt, und ich brauchte nichts mehr zu erfahren nach dieſem einen Augenblick der mich ſchmerzt, und nach dem ich mich immer zu - rückſehnen werde. Ach! und was will ich denn mit Dir? Nicht viel; Dich anſehen oft und warm, Dich begleiten in Dein ſtilles Haus, Dich ausfragen in müßi - gen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, ſo wie ich Dein Angeſicht ausgefragt hab 'über ſeine frü - here und jetzige Schönheit. Auf der Bibliothek da konnte ich nicht umhin mich zu Deiner jungen Büſte aufzuſchwingen, und meinen Schnabel wie eine Nach - tigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie Du damals durch die üppigen Gegenden der Jugend durchbrauſteſt, und jetzt eben ganz ſtill durch Deine Wieſen zogſt; ach, und ich ſtürzte Dir Felsſteine vor; und wie Du wieder Dich aufthürmteſt; wahrlich es war nicht zu verwundern, denn ich hatte mich tief ein - gewühlt.

159

O Goethe! der Gott da oben iſt ein großer Dichter, der bildet Geſchicke frei im Äther ſchwebend, glanzvoller Geſtalt. Unſer armes Herz das iſt der Mut - terſchooß, aus dem er ſie mit großen Schmerzen gebo - ren werden läſſet; das Herz verzweifelt, aber jene Ge - ſchicke ſchwingen ſich aufwärts, freudig hallen ſie wieder in den himmliſchen Räumen. Deine Lieder ſind der Saamen, er fällt in's wohl vorbereitete Herz, ich fühl's, mag ſich's wenden wie es auch will, frei von irdiſcher Schwere wird es als himmliſches Gedicht einſt aufwärts ſich ſchwingen, und dem Gott da oben wer - den dieſe Schmerzen und dieſe Sehnſucht und dieſe be - geiſterten Schwingungen Sproſſen des jungen Lorbeers weihen, und ſelig wird das Herz ſein, das ſolche Schmer - zen getragen hat.

Siehſt Du, wie ich heute ernſthaft mit Dir zu ſprechen verſteh '? ernſter als je; und weil Du jung biſt, und herrlich, und herrlicher wie alle, ſo wirſt Du mich auch verſtehen. Ich bin ganz ſanft gewor - den durch Dich; am Tag' treib 'ich mich mit Men - ſchen, mit Muſik und Büchern herum, und Abends, wenn ich müde bin und will ſchlafen, da rauſcht die Fluth meiner Liebe mir gewaltſam in's Herz. Da ſeh' ich Bilder, alles was die Natur Sinnliches bietet, das160 umgiebt Dich und ſpricht für Dich; auf Höhen er - ſcheinſt Du; zwiſchen Bergwänden in verſchlungnen Wegen ereile ich Dich, und Dein Geſicht malt Räth - ſel, lieblich zu löſen. Den Tag, als ich Abſchied nahm von Dir, mit dem einen Kuß, mit dem ich nicht ſchied, da war ich Morgens beinah eine ganze Stunde allein im Zimmer, wo das Klavier ſteht; da ſaß ich auf der Erde im Eck und dachte: es geht nicht anders, Du mußt noch einmal weinen, und Du warſt ganz nah und wußteſt es nicht; und ich weinte mit lachendem Mund, denn mir ſchaute das feſte grüne Land durch den trübſinnigen Nebel durch. Du kamſt, und ich ſagte Dir recht kurz (und ich ſchränkte mich recht ein dabei) wie Du mir werth ſeiſt.

Morgen reiſe ich nach Frankfurt, da will ich der Mutter alle Liebe anthun und alle Ehre, denn ſelig iſt der Leib, der Dich getragen hat.

Bettine.

161
An Goethe.

Kannſt Du dir keinen Begriff machen, mit welchem Jubel die Mutter mich aufnahm! ſo wie ich hereinkam, jagte ſie alle fort, die bei ihr waren. Nun, Ihr Her - ren, ſagte ſie, hier kommt jemand, der mit mir zu ſpre - chen hat, und ſo mußten alle zum Tempel hinaus. Wie wir allein waren ſollte ich erzählen, da wußt 'ich nichts. Aber wie war's wie Du ankamſt? ganz mi - ſerabel Wetter; vom Wetter will ich nichts wiſſen; vom Wolfgang, wie war's, wie Du hereinkamſt? Ich kam nicht, er kam; nun wohin? in den Ele - phanten, um Mitternacht drei Treppen hoch; alles ſchlief ſchon feſt, die Lampen auf dem Flur ausgelöſcht, das Thor verſchloſſen, und der Wirth hatte den Schlüſſel ſchon unterm Kopfkiſſen, und ſchnarchte tüchtig. Nun wie kam er denn da herein? Er klingelte zwei - mal, und wie er zum drittenmal recht lang an der Glocke zog, da machten ſie ihm auf. Und Du? ich in meiner Dachſtube merkte nichts davon; Meline lag ſchon lange und ſchlief im Alkoven mit vorgezog - nen Vorhängen; ich lag auf dem Sopha, und hatte die Hände über'm Kopf gefaltet, und ſah, wie der Schein162 der Nachtlampe, wie ein großer runder Mond an der Decke ſpielte; da hört' ich's raſchlen an der Thür, und mein Herz war gleich auf dem Fleck; es klopfte, wäh - rend ich lauſchte, aber weil es doch ganz unmöglich war, in dieſer ſpäten Stunde, und weil es ganz ſtill war, ſo hört 'ich nicht auf mein ahndendes Herz; und da trat er herein, verhüllt bis an's Kinn im Mantel, und machte leiſe die Thür hinter ſich zu, und ſah ſich um, wo er mich finden ſollte; ich lag in der Ecke des So - phas ganz in Finſterniß eingeballt, und ſchwieg; da nahm er ſeinen Hut ab, und wie ich die Stirne leuch - ten ſah, und den ſuchenden Blick, und wie der Mund fragte: Nun, wo biſt Du denn? da that ich einen lei - ſen Schrei des Entſetzens über meine Seeligkeit, und da hat er mich auch gleich gefunden.

Die Mutter meinte, das würde eine ſchöne Ge - ſchichte geworden ſein in Weimar. Der Herr Miniſter um Mitternacht im Elephanten drei Treppen hoch eine Viſite gemacht! Ja wohl iſt die Geſchichte ſchön! jetzt, wo ich ſie hier überleſe, bin ich entzückt, überraſcht, hingeriſſen, daß mir dies all' begegnet iſt, und ich frag 'Dich: welche Stunde wird ſo ſpät ſein in deinem Le - ben, daß es nicht dein Herz noch rühren ſollte? Wie Du in der Wiege lagſt, da konnte kein Menſch ahn -163 den, was aus Dir werden würde, und wie ich in der Wiege lag, da hat mir's keiner geſungen, daß ich Dich einſt küſſen würde.

Hier fand ich alles auf dem alten Fleck; mein Fei - genbaum hat Feigen gewonnen und ſeine Blätter aus - gebreitet; mein Gärtchen auf dem großen Hausaltan, der von einem Flügel zum andern reicht, ſteht in voller Blüthe, der Hopfen reicht bis an's Dach, in die Laube hab 'ich meinen Schreibtiſch geſetzt; da ſitze ich und ſchreib' an Dich und träume von Dir, wenn mir der Kopf trunken iſt, von den Sonnenſtrahlen; ach, ich lieg 'ſo gern' in der Sonne und laſſe mich recht durchbrennen.

Geſtern ging ich am Stift vorbei, da klingelte ich nach früherer Gewohnheit, und da lief ich nach dem kleinen Gang, der nach der Günderode ihrer Wohnung führt. Die Thüre iſt noch verſchloſſen, es hat noch nie - mand wieder den Fuß über die Schwelle geſetzt; ich küßte dieſe Schwelle, über die ſie ſo oft geſchritten iſt, um zu mir zu gehen, und ich zu ihr. Ach, wenn ſie noch lebte, welch 'neues Leben würde ihr aufgehen, wenn ich ihr alles erzählte, wie Wir in jenen Nacht - ſtunden ſo ſtill neben einander geſeſſen haben, die Hände in einander gefügt, und wie die einzelnen Laute, die über deine Lippen kamen, mir in's Herz drangen. Ich164 ſchreib' dir's her, damit Du es nie vergeſſen ſollſt. Freund, ich könnte eiferſüchtig ſein über deine Anmuth; die Grazien ſind weiblich, ſie ſchreiten vor Dir her, wo Du eintrittſt, da iſt heilige Ordnung, denn alles zufäl - lige ſelbſt ſchmiegt ſich deiner Erſcheinung an. Sie umgeben Dich, ſie halten Dich gefangen, und in der Zucht, denn Du mögteſt vielleicht manchmal anders, aber die Grazien leiden's nicht, ja dieſe ſtehen Dir weit näher, ſie haben vielmehr Gewalt über Dich, als ich.

Der Primas hat mich auch einladen laſſen, wie er hörte, daß ich von Weimar komme; ich ſollte ihm von Dir erzählen. Da hab 'ich ihm allerlei geſagt, was ihm Freude machen konnte. Dein Mädchen hatte ſich geputzt, es wollte Dir Ehre machen, ja ich wollte ſchön ſein, weil ich Dich liebe, und weil es die Leute wiſſen, daß Du mir gut biſt; ein Roſa Atlaskleid mit ſchwar - zen Sammtärmeln und ſchwarzem Bruſtſtück, und ein ſchöner Strauß duftete an meinem Herzen, und goldne Spangen hielten meine ſchwarzen Locken zurück. Du haſt mich noch nie geputzt geſehen; ich kann Dir ſagen, mein Spiegel iſt freundlich bei ſolcher Gelegenheit, und das macht mich ſehr vergnügt, ſo daß ich geputzt immer ſehr luſtig bin. Der Primas fand mich auch hübſch und nennte die Farben meines Kleides préjugé vaincu,165 nein ſagte ich: Marlborough s'enva-t-en guerre, qui sait quand il reviendra. Le voilà de retour ſagte er, und zog meinen Engländer hervor der vor drei Wochen mit mir bei ihm zu Mittag gegeſſen hatte; nun mußte ich wieder neben ihm ſitzen beim Soupé, und er ſagte mir auch engliſch allerlei Zärtlichkeiten die ich nicht verſte - hen wollte, und worauf ich ihm verkehrte Antworten gab, ſo war ich ſehr luſtig; wie ich ſpät nach Hauſe kam, da duftete mein Schlafzimmer von Wohl - geruch, und da war eine hohe Blume die dieſen Duft ausſtrömte die ich noch nie geſehen hatte, eine Königin der Nacht, ein fremder Bedienter der nicht deutſch ſpre - chen konnte hatte ſie für mich gebracht; das war alſo ein freundliches Geſchenk vom Engländer der in dieſer Nacht noch abgereiſt war. Ich ſtand vor meiner Blume allein und beleuchtete ſie, und ihr Duft ſchien mir wie Tempelduft. Der Engländer hat's verſtanden mir zu gefallen.

Der Primas hat mir noch Aufträge gegeben; ich ſoll Dir ſagen, daß wenn dein Sohn kommt, ſo ſoll er ihn in Aſchaffenburg beſuchen, wohin er in dieſen Ta - gen abreiſt. Da er aber erſt zu Oſtern kommt, ſo wird der Primas wieder hier ſein.

Dein Kind küßt Dir die Hände.

166

Die Mutter läßt mich heut 'rufen, und ſagt', ſie habe einen Brief von Dir, und läßt mich nicht hinein ſehen, und ſagt, Du verlangſt, ich ſoll dem Dux ſchrei - ben ein paar Zeilen, weil er die Artigkeit gehabt hat, für die umgeſtürzte Linde zu ſorgen, und das nennſt Du in meine elegiſchen Empfindungen eingehen. Liebſter Freund, ich kann nicht leiden, daß ein andrer in meine Empfindung eingehe, die ich blos zu Dir hege; da treib 'ihn nur wieder heraus; und ſei Du allein in mir und mache mich nicht eiferſüchtig.

Dem Dux aber ſage, was meine Devotion mir hier eingiebt: daß es ein andrer hoher Baum iſt, für deſſen Pflege ich ihm danke, deſſen blühende Äſte weit über die Grenzen des Landes in andre Welttheile ragen, und Früchte ſpenden und duftenden Schatten geben. Für den Schutz dieſes Baumes, für die Gnadenquelle die ihn tränkt, für den Boden der Liebe und Freundſchaft, aus welchem er begeiſternde Nahrung ſaugt, bleibt mein Herz ihm ewig unterworfen, und dann dank 'ich ihm auch noch, daß er der Wartburger Linde nicht ver - gißt.

167
An Bettine.

Du haſt Dich, liebe Bettine, als ein wahrer klei - ner Chriſtgott erwieſen, wiſſend und mächtig, eines je - den Bedürfniſſe kennend und ausfüllend; und ſoll ich Dich ſchelten oder loben, daß Du mich wieder zum Kinde machſt? Denn mit kindiſcher Freude hab 'ich deine Beſcheerung vertheilt und mir ſelbſt zu geeignet. Deine Schachtel kam kurz vor Tiſche; verdeckt trug ich ſie dahin, wo Du auch einmal geſeſſen, und trank zu - erſt Auguſt aus dem ſchönen Glaſe zu. Wie verwun - dert war er, als ich es ihm ſchenkte! Darauf wurde Riemer mit Kreuz und Beutel beliehen; Niemand er - rieth, woher? Auch zeigte ich das künſtliche und zier - liche Beſteck; da wurde die Hausfrau verdrießlich, daß ſie leer ausgehen ſollte. Nach einer Pauſe, um ihre Geduld zu prüfen, zog ich endlich den ſchönen Gewand - ſtoff hervor; das Räthſel war aufgelöſt, und jedermann in deinem Lobe eifrig und fröhlich.

Wenn ich alſo das Blatt noch umwende, ſo hab 'ich immer nur Lob und Dank dacapo vorzutragen; das ausgeſuchte zierliche der Gaben war überraſchend. Kunſt -168 kenner wurden herbei gerufen, die artigen Balgenden zu bewundern genug, es entſtand ein Feſt, als wenn Du eben ſelbſt wieder gekommen wärſt. Du kommſt mir auch wieder in jedem deiner lieben Briefe und doch immer neu und überraſchend, ſo daß man glauben ſollte, von dieſer Seite habe man Dich noch nicht gekannt; und deine kleinen Abentheuer weißt Du ſo allerliebſt zu drehen, daß man gern der eiferſüchtigen Grillen ſich be - giebt, die einem denn auch zuweilen anwandlen; blos um das artige Ende des Spaßes mit zu erleben. So war es mit der launigen Epiſode des Engländers, deſ - ſen ungeziemendes Wagniß den Beweis für ſein ſchönes ſittliches Gefühl herbeiführen mußte. Ich bin Dir ſehr dankbar für ſolche Mittheilungen, die freilich nicht jedem recht ſein mögen; möge dein Vertrauen wachſen, das mir ſo viel zubringt, was ich jetzt nicht mehr gerne ent - behren mag; auch ein belobendes Wort muß ich Dir hier ſagen für die Art, wie Du dich mit meinem gnä - digſten Herrn verſtändigt haſt. Er konnte nicht um - hin, auch dein diplomatiſches Talent zu bewundern; du biſt allerliebſt meine kleine Tänzerin, die einem mit jeder Wendung unvermuthet den Kranz zuwirft. Und nun hoffe ich bald Nachricht, wie Du mit der guten Mutter lebſt, wie Du ihrer pflegſt, und welche ſchönever -169vergangne Zeiten zwiſchen Euch beiden wieder aufer - ſtehen.

Der lieben Meline Mützchen iſt auch angekommen. Ich darf's nicht laut ſagen; es ſteht aber niemand ſo gut als ihr. Freund Stollen's Attention auf dem blauen Papier hat Dir doch Freude gemacht. Adieu mein ar - tig Kind! ſchreibe bald, daß ich wieder was zu über - ſetzen habe.

An Goethe.

Freundlicher Mann! Du biſt zu gut, Du nimmſt alles, was ich Dir im heiteren Übermuth biete, als wenn es noch ſo viel Werth habe; aber ich fühl's recht in deinem freundlichen Herabneigen, daß Du mir gut biſt, wie dem Kind, das Gras und Kräuter bringt und meint, es habe einen auserleſenen Strauß zuſammen ge - ſucht; dem lächelt man auch ſo zu und ſagt; wie ſchön iſt dein Strauß, wie angenehm duftet er, er ſoll mir blühen in meinem Garten, hier unter mein Fenſter will ich ihn pflanzen; und doch ſind es nur wurzelloſe Feld - blumen, die bald welken. Ich aber ſehe mit Luſt, wieI. 8170Du mich in Dich aufnimmſt, wie Du dieſe einfachen Blumen, die am Abend ſchon welken müßten, in's Feuer der Unſterblichkeit hältſt und mir zurück giebſt. Nennſt Du das auch überſetzen, wenn der göttliche Genius die idealiſche Natur vom irdiſchen Menſchen ſcheidet, ſie läutert, ſie enthüllt, ſie ſich ſelbſt wieder anvertraut, und ſo die Aufgabe, ſeelig zu werden, löſt? ja, Goethe, ſo machſt Du die Seufzer die meine ſehnende Liebe aus - haucht zu Geiſtern, die mich auf der Straße der See - ligkeit umſchweben; ach, und wohl auch meiner Unſterb - lichkeit weit voraneilen.

Welch 'heiliges Abentheuer, das unter dem Schutze des Eros ſich kühn und ſtolz aufſchwingt, kann ein herr - licher Ziel erreichen, als ich in Dir erreicht habe! Wo Du mir zugiebſt mit Luſt: Gehemmt ſei nun zum Vater hin das Streben. O glaub' es: Nimmer trink 'ich mich ſatt an dieſen Liebesergießungen; ewig fühl' ich von brauſenden Stürmen mich zu deinen - ßen getragen, und in dieſem neuen Leben, in dem meine Glücksſterne ſich ſpieglen, vor Wonne untergehn.

Dieſe Thränen, die meine Schrift verblaſſen, die möcht 'ich wie Perlen aufreihen und geſchmückt vor Dir erſcheinen, und Dir ſagen: vergleiche ihr reines Waſſer mit deinen andern Schätzen, und dann ſollteſt Du mein171 Herz ſchlagen hören, wie am Abend, wo ich vor Dir kniete.

Geheimniſſe umſchweben Liebende, ſie hüllen ſie in ihre Zauberſchleier, aus denen ſich ſchöne Träume ent - falten. Du ſitzeſt mit mir auf grünem Raſen, und trinkſt dunklen Wein aus goldnem Becher, und gießeſt die Neige auf meine Stirn. [Aus] dieſem Traum erwachte ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt biſt. Ich glaube, daß Du Theil an ſolchen Träumen haſt; daß Du liebſt in ſolchen Augenblicken; wem ſollte ich ſonſt dies ſeelige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht gäbſt! Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag erwache, dann iſt mir alles ſo gleichgültig, und was mir auch geboten wird, ich entbehre es gern; ja ich möchte von allem geſchieden ſein, was man Glück nennt, und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Geiſt meine Liebe genießt, ſo wie meine Seele von deiner Güte ſich nährt.

Ich ſoll Dir von der Mutter ſchreiben; nun es iſt wunderlich zwiſchen uns beſchaffen, wir ſind nicht mehr ſo geſprächig, wie ſonſt, aber doch vergeht kein Tag, ohne daß ich die Mutter ſeh '. Wie ich von der Reiſe kam, da mußte ich die Rolle des Erzählens über - nehmen, und obſchon ich lieber geſchwiegen hätte, ſo8*172war doch ihres Fragens kein Ende, und ihrer Begierde mir zuzuhören auch nicht. Es reizt mich unwiderſtehlich, wenn Sie mit großen Kinderaugen mich anſieht, in de - nen der genügendſte Genuß funkelt. So löſ'te ſich meine Zunge, und nach und nach manches vom Herzen, was man ſonſt nicht leicht wieder[ausſpricht].

Die Mutter iſt liſtig, wie ſie mich zum Erzählen bringt, ſo ſagt ſie: Heute iſt ein ſchöner Tag, heut geht der Wolfgang gewiß nach ſeinem Gartenhaus, es muß noch recht ſchön da ſein, nicht wahr, es liegt im Thal? Nein es liegt am Berg, und der Garten geht auch Berg auf, hinter dem Haus, da ſind große Bäume, von ſchönem Wuchs und reich belaubt. So! und da biſt Du Abends mit ihm hingeſchlendert aus dem römiſchen Haus? Ja, ich hab's Ihr ja ſchon zwanzigmal er - zählt; ſo erzähl's noch einmal. Hattet Ihr denn Licht im Haus? Nein, wir ſaßen vor der Thür auf der Bank, und der Mond ſchien hell. Nun! und da ging ein kalter Wind? Nein, es war gar nicht kalt, es war warm, und die Luft ganz ſtill und wir waren173 auch ſtill. Die reifen Früchte fielen von den Bäumen, er ſagte: da fällt ſchon wieder ein Apfel und rollt 'den Berg hinab; da überflog mich ein Froſtſchauer; der Wolfgang ſagte: Mäuschen Du frierſt, und ſchlug mir ſeinen Mantel um, den zog ich dicht um mich und ſeine Hand hielt ich feſt, und ſo verging die Zeit und wir ſtanden beide zugleich auf, und gingen Hand in Hand durch den einſamen Wieſengrund; jeder Schritt klang mir wieder im Herzen, in der lautloſen Stille, der Mond kam hinter jedem Buſch hervor und beleuchtete uns, da blieb der Wolfgang ſtehen und lachte mich an im Mondglanz, und ſagte zu mir: Du biſt mein ſüßes Herz, und ſo führte er mich bis zu ſeiner Woh - nung und das war alles. Und das waren goldne Minuten die keiner mit Gold aufwiegen kann, ſagte die Mutter, und die ſind nur Dir beſcheert, und unter Tauſenden wird's keiner begreifen, was Dir für ein Glücksloos zugefallen iſt; ich aber verſteh' es und ge - nieße es, als wenn ich zwei ſchöne Stimmen ſich ſin - gend Red 'und Antwort geben hörte über ihr verſchwie - genſtes Glück.

Da holte mir die Mutter deinen Brief, und ließ mich leſen, was Du über mich geſchrieben haſt, daß es174 Dir ein großer Genuß ſei, meine Mittheilungen über Dich zu hören; die Mutter meint, ſie könne es nicht, es läg 'in meiner Art zu erzählen, das Beſte.

Da hab 'ich Dir nun dieſen ſchönen Abend be - ſchrieben.

Ich weiß ein Geheimniß: wenn zwei mit einander ſind, und der göttliche Genius waltet zwiſchen ihnen, das iſt das höchſte Glück.

Adieu mein lieber Freund.

An Goethe.

Ach frage nur nicht warum ich ſchon wieder ein neues Blatt vornehme, da ich Dir doch eigentlich nichts zu ſagen habe? ich weiß freilich noch nicht womit ich's ausfüllen ſoll, aber das weiß ich, daß es doch zu - letzt in deine lieben Hände kommt. Drum hauch ich's an mit allem was ich Dir ausſprechen würde, ſtänd 'ich ſelbſt vor Dir. Ich kann nicht kommen, drum ſoll der Brief mein ungetheiltes Herz zu Dir hinüber tragen, erfüllt mit Genuß vergangner Tage, mit Hoffnung auf neue, mit Sehnſucht und Schmerz um Dich; da weiß ich nun keinen Anfang und kein Ende.

175

Von Heute mag ich Dir nun gar nichts vertrauen, wie ſoll ich loskommen vom Wünſchen und Sinnen und Wähnen; wie ſoll ich Dir mein treues Herz das ſich von allem zu Dir allein hinüberwendet, ausſprechen? ich muß ſchweigen wie damals, als ich vor Dir ſtand, um Dich anzuſehen. Ach was hätt 'ich auch ſagen ſol - len? ich hatte nichts mehr zu verlangen*)Warum ich wieder zum Papier mich wende? Das mußt du, Liebſter, ſo beſtimmt nicht fragen: Denn eigentlich hab 'ich dir nichts zu ſagen; Doch kommt's zuletzt in deine lieben Hände. Weil ich nicht kommen kann, ſoll was ich ſende Mein[ungetheiltes] Herz hinüber tragen Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen: Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende. Ich mag vom heut'gen Tag dir nichts vertrauen, Wie ſich im Sinnen, Wünſchen, Wähnen, Wollen Mein treues Herz zu dir hinüber wendet:.

Geſtern waren viele witzige Köpfe im Haus Bren - tano beiſammen, da wurden unter andern gymnaſtiſchen Geiſtesübungen auch Räthſel aufgegeben, da waren ſehr geſchickte Einfälle und wie die Reihe an mich kam, da wußt ich nichts. Und wie ich in der Verlegenheit mich umſah, und kein Geſicht das mir einen befreundeten, ver - ſtändlichen Ausdruck hatte, da erfand ich dies Räthſel:176 Warum die Menſchen keine Geiſter ſehen? Keiner konnt es rathen, ich ſagte: weil ſie ſich vor Geſpenſter fürchten. Wer? Die Menſchen? Nein die Gei - ſter. Ja ſo grauſamlich kamen mir dieſe Geſichter vor, und ſo fremd, und unverſtändlich, aus denen nichts zu mir ſprach wie aus deinen geliebten Zügen, vor de - nen ſich die Geiſter gewiß nicht fürchten; nein es iſt deine Schönheit, daß die Geiſter mit deinen Mienen ſpielen, und dies iſt der unwiederſtehliche Reiz für den Liebenden, daß der Geiſt ewig dein Geſicht umſtrömt.

Sonntag, ganz allein im einſamen großen Haus alles iſt ausgefahren und geritten und gegangen, und deine Mutter iſt vor dem Bockenheimer Thor im Gar - ten, weil heute die Birn geſchüttelt werden von dem Baum der bei deiner Geburt gepflanzt wurde.

Bettine.

*)
So ſtand ich einſt vor dir, dich anzuſchauen
Und ſagte nichts. Was hätt 'ich ſagen ſollen?
Mein ganzes Weſen war in ſich vollendet.
(Goethes Werke 2ter Band Seite 11.)
*)
177
An Bettine.

Du biſt ein feines Kind, ich leſe deine lieben Briefe mit innigem Vergnügen, und werde ſie gewiß immer wieder leſen mit demſelben Genuß. Dein Malen des Erlebten ſammt aller innern Empfindung von Zärtlichkeit, und dem was Dir dein witziger Dämon eingiebt, ſind wahre Originalſkizen, die auch neben den ernſteren Be - ſchäftigungen ihr hohes Intereſſe nicht verläugnen, nimm es daher als eine herzliche Wahrheit auf wenn ich Dir danke. Bewahre mir dein Vertrauen und laſſe es wo möglich noch zu nehmen. Du wirſt mir immer ſein und bleiben was Du biſt. Mit was kann man Dir auch vergelten, als nur, daß man ſich willig von allen deinen guten Gaben bereichern läßt. Wie viel Du meiner Mutter biſt weißt Du ſelbſt, ihre Briefe flie - ßen in Lob und Liebe über. Fährſt Du ſo fort den flüchtigen Momenten guten Glückes, liebliche Denkmale der Erinnerung zu widmen; ich ſtehe Dir nicht dafür, daß ich mir's anmaaßen könnte ſolche geniale leben - volle Entwürfe zur Ausführung zu benützen, wenn ſie dann nur auch ſo warm und wahr an's Herz ſprechen.

Die Trauben an meinem Fenſter die ſchon vor ih -8**178rer Blüthe, und nun ein zweitesmal Zeugen deiner freundlichen Erſcheinung waren, ſchwellen ihrer vol - len Reife entgegen, ich werde ſie nicht brechen ohne Deiner dabei zu gedenken, ſchreibe mir bald und liebe mich.

G.

An Goethe.

Mit nächſtem Poſtwagen wirſt Du einen Pack Muſik erhalten, beinah 'alles vierſtimmig, alſo für Dein Hausorcheſter eingerichtet. Ich hoffe, daß Du ſie nicht ſchon beſitzeſt; bis jetzt iſt es alles was ich in die - ſer Art habhaft werden konnte. Gefällt ſie Dir, ſo ſchick' ich nach was ich noch auftreiben kann; auf meine Wahl mußt Du Dich nicht dabei verlaſſen, ich richte mich nur nach dem Ruf dieſer Werke und kenne das Wenigſte. Muſik imponirt mir nicht, auch kann ich ſie nicht beurtheilen; ich verſtehe den Eindruck nicht, den ſie auf mich macht, ob ſie mich rührt, ob ſie mich begeiſtert; nur das weiß ich, daß ich keine Antwort darauf habe, wenn ich gefragt werde ob ſie mir ge - falle. Da könnte einer ſagen, ich habe keinen Verſtand179 davon, das muß ich zugeben, allein ich ahnde in ihr das Unermeßliche. Wie in den andern Künſten das Geheimniß der Dreifaltigkeit ſich offenbart, wo die Na - tur einen Leib annimmt, den der Geiſt durchdringt und der mit dem Göttlichen in Verbindung iſt; ſo iſt es in der Muſik, als wenn die Natur ſich hier nicht in's ſinn - lich Wahrnehmbare herabneige, ſondern daß ſie die Sinne reizt, daß die ſich mit empfinden in's Überirdiſche.

Wenn man von einem Satz in der Muſik ſpricht, und wie der durchgeführt iſt, oder von der Begleitung eines Inſtruments und von dem Verſtand mit dem es behandelt iſt, da meine ich grade das Gegentheil, näm - lich daß der Satz den Muſiker durchführt, daß der Satz ſich ſo oft aufſtellt, ſich entwickelt, ſich koncentrirt, bis der Geiſt ſich ganz in ihn gefügt hat. Und das thut wohl in der Muſik; ja alles, was den Erdenleib ver - läugnet, das thut wohl. Ich habe einen ſehr ausge - zeichneten Muſiker zum Lehrer, wenn ich den frage, warum? ſo hat er nie ein Weil zur Antwort, und er muß geſtehen, alles in der Muſik iſt himmliſches Ge - ſetz, und dies überzeugt mich mehr, daß in der Berüh - rung zwiſchen dem Göttlichen und Menſchlichen keine Erläuterung ſtattfinde. Ich habe hier eine freundliche Bekanntſchaft mit einer ſehr muſikaliſchen Natur; wir180 ſind oft zuſammen in der Oper, da macht ſie mich auf - merkſam auf die einzelnen Theile, auf das Durchfüh - ren eines Satzes, auf das Einwirken der Inſtrumente; da bin ich denn ganz perplex, wenn ich ſolchen Bemer - kungen nachgehe; das Element der Muſik, in dem ich mich aufgenommen fühlte, ſtößt mich aus, und dafür erkenne ich ein gemachtes, decorirtes, mit Geſchmack be - handeltes Thema. Ich bin nicht in einer Welt die mich aus der Finſterniß in's Licht geboren werden läßt, wie damals in Offenbach, wo ich in der Großmutter Gar - ten auf grünem Raſen lag, und in den ſonnigen blauen Himmel ſah, während im Nachbarsgarten Onkel Bern - hards Kapelle die ganze Luft durchſtrömte und ich nichts wußte, nichts wollte, als meine Sinne der Muſik ver - trauen. Damals hatte ich kein Urtheil, ich hörte keine Melodieen heraus, es war kein Schmachten, kein Be - geiſtern für Muſik, ich fühlte mich in ihr wie der Fiſch ſich im Waſſer fühlt. Wenn ich gefragt würde, ob ich damals zugehört habe, ſo könnte ich's nicht eigent - lich wiſſen, es war nicht Zuhören, es war Sein in der Muſik; ich war viel zu tief verſunken, als daß ich ge - hört hätte auf das was ich vernahm.

Ich bin dumm, Freund, ich kann nicht ſagen was ich weiß. Gewiß, Du würdeſt mir recht geben, wenn181 ich mich deutlich ausſprechen könnte, und auf andre Weiſe wirſt Du am wenigſten ſie verſtehen lernen. Verſtehen, wie der Philiſter verſtehet, der ſeinen Ver - ſtand mit Conſequenz anwendet und es ſo weit bringt, daß man Talent nicht vom Genie unterſcheidet. Ta - lent überzeugt, aber Genie überzeugt nicht; dem, dem es ſich mittheilt, giebt es die Ahndung vom Un - gemeſſenen, Unendlichen, während Talent eine genaue Grenze abſteckt und ſo, weil es begriffen iſt, auch be - hauptet wird.

Das Unendliche im Endlichen, das Genie in jeder Kunſt iſt Muſik. In ſich ſelbſt aber iſt ſie die Seele, indem ſie zärtlich rührt; indem ſie aber ſich dieſer Rüh - rung bemächtigt, da iſt ſie Geiſt, der ſeine eigne Seele wärmt, nährt, trägt, wiedergebärt; und darum verneh - men wir Muſik, ſonſt würde das ſinnliche Ohr ſie nicht hören, ſondern nur der Geiſt; und ſo iſt jede Kunſt der Leib der Muſik, die die Seele jeder Kunſt iſt; und ſo iſt Muſik auch die Seele der Liebe, die auch in ihrem Wirken keine Rechenſchaft giebt, denn ſie iſt das Be - rühren des Göttlichen mit dem Menſchlichen, und auf jeden Fall iſt das Göttliche die Leidenſchaft die das Menſchliche verzehrt. Liebe ſpricht nichts für ſich aus, als daß ſie in Harmonie verſunken iſt; Liebe iſt flüſſig,182 ſie verfliegt in ihrem eignen Element; Harmonie iſt ihr Element.

Lieber Goethe, halte meine wunderlichen Gedanken dem wunderlichen Platz zu gut, wo ich mich befinde; ich bin in der Karmeliterkirche, in einem verborgnen Winkel hinter einem großen Pfeiler; da geh ich alle Tage her in der Mittagſtunde, da ſcheint die Herbſt - ſonne durch's Kirchenfenſter und malt den Schatten der Weinblätter hier auf die Erde und an die weiße Wand, da ſeh ich wie der Wind die bewegt und wie eins nach dem andern abfällt; hier iſt tiefe Einſamkeit, und die Menſchen, die ich hier zur ungewöhnlichen Stunde treffe, die ſind gewiß da um an ihre Todten zu denken, die hier begraben ſein mögen. Hier am Eingang iſt die Gruft wo Vater und Mutter begraben liegen und ſie - ben Geſchwiſter; da ſteht ein Sarg über dem andern. Ich weiß nicht was mich in dieſe große düſtre Kirche lockt; für die Todten beten? ſoll ich ſagen: Lieber Gott im Himmel, heb 'doch dieſe Verſtorbenen zu Dir in den Himmel? Die Liebe iſt ein flüſſig Element, ſie löſt Seele und Geiſt in ſich auf, und das iſt Selig -183 keit. Wenn ich hier in die Kirche gehe, an der Gruft vorbei die meine Eltern und Geſchwiſter deckt, da falte ich die Hände, und das iſt mein ganzes Gebet.

Der Vater hat mich zärtlich geliebt, ich hatte eine große Gewalt über ihn; oft ſchickte mich die Mutter mit einer ſchriftlichen Bitte an ihn und ſagte: laß den Vater nicht los, bis er ja ſagt, und da hing ich mich an ſeinen Hals und umklammerte ihn, und da ſagte er: Du biſt mein liebſtes Kind, ich kann nicht verſagen.

Der Mutter erinnere ich mich auch noch, ihrer großen Schönheit; ſie war ſo fein und doch ſo erha - ben, und glich nicht den gewöhnlichen Geſichtern; Du ſagteſt von ihr, ſie ſei für die Engel geſchaffen, die ſoll - ten mit ihr ſpielen. Deine Mutter hat mir erzählt, wie Du ſie zum letzten Mal geſehen, daß Du die Hände zuſammen ſchlugſt über ihre Schönheit, das war ein Jahr vor ihrem Tod; da lag der General Brentano in unſerem Hauſ 'an ſchweren Wunden; die Mutter pflegte ihn, und er hatte ſie ſo lieb, daß ſie ihn nicht verlaſſen durfte. Sie ſpielte Schach mit ihm, er ſagte: matt! und ſank zurück in's Bett; ſie ließ mich ho - len, weil er nach den Kindern verlangt hatte, ich trat mit ihr an's Bett, da lag er blaß und ſtill;184 die Mutter rief ihm: mein General! Da öffnete er die Augen, reichte ihr lächelnd die Hand und ſagte: meine Königin! und ſo war er geſtorben.

Ich ſeh 'die Mutter noch wie im Traum, daß ſie vor dem Bett ſteht und die Hand dieſes erblaßten Hel - den feſt hält und ihre Thränen leiſe aus den großen ſchwarzen Augen über ihr ſtilles Antlitz rollen. Damals haſt Du ſie zum letzten Mal geſehen, und Du ſagteſt voraus, daß Du ſie nicht wiederſehen würdeſt. Deine Mutter hat mir's erzählt, wie Du tief bewegt über ſie warſt. Wie ich Dich zum erſten Mal ſah, da ſagteſt Du: Du gleichſt Deinem Vater, aber der Mutter gleichſt Du auch, und dabei haſt Du mich an's Herz gedrückt und warſt tief gerührt, und das war doch lange Jahre nachher.

Adieu. Bettine.

Von den Juden und den neuen Geſetzen ihrer Städtigkeit hat Dir die Mutter ſchon Meldung ge - than; alle Juden ſchreiben ſeitdem; der Primas hat viel Vergnügen an ihrem Witz. Alle Chriſten ſchrei - ben über Erziehung; es kommt beinah alle Woche ein neuer Plan von einem neu verheiratheten Erzieher her -185 aus. Mich intereſſiren die neuen Schulen nicht ſo ſehr als das Judeninſtitut, in das ich oft gehe.

An Bettine.

Sie haben, liebe kleine Freundin, die ſehr gran - dioſe Manier, uns Ihre Gaben recht in Maſſe zu ſen - den. So hat mich Ihr letztes Packet gewiſſermaßen er - ſchreckt, denn wenn ich nicht recht haushälteriſch mit dem Inhalt umgehe, ſo erwürgt meine kleine Hauska - pelle eher daran, als daß ſie Vortheil davon ziehen ſollte. Sie ſehen alſo meine Beſte, wie man ſich durch Großmuth ſelbſt dem Vorwurf ausſetzen könne; laſſen Sie ſich aber nicht irre machen. Zunächſt ſoll Ihre Ge - ſundheit von der ganzen Geſellſchaft recht ernſtlich ge - trunken und darauf das Confirma hoc Deus von Jomelli angeſtimmt werden, ſo herzlich und wohl ge - meint, als nur jemals ein salvum fac Regem.

Und nun gleich wieder eine Bitte, damit wir nicht aus der Übung kommen. Senden Sie mir doch die jüdiſchen Broſchüren. Ich möchte doch ſehen wie ſich186 die modernen Iſraeliten gegen die neue Städtigkeit ge - behrden, in der man ſie freilich als wahre Juden und ehmalige kaiſerliche Kammerknechte traktirt. Mögen Sie etwas von den chriſtlichen Erziehungsplänen bei - legen, ſo ſoll auch das unſern Dank vermehren. Ich ſage nicht, wie es bei ſolchen Gelegenheiten gewöhnlich iſt, daß ich zu allen gefälligen Gegendienſten bereit ſei, doch wenn etwas bei uns einmal reif wird was Sie freuen könnte, ſo ſoll es auch zu Ihnen gelangen.

Liebſtes Kind, verzeih daß ich mit fremder Hand ſchreiben mußte. Über Dein muſikaliſches Evangelium und über alles was Du mir Liebes und Schönes ſchreibſt, hätte ich Dir ſo heute nichts ſagen können, aber laß Dich nicht ſtören in Deinem Eigenſinn und in Deinen Launen, es iſt mir viel werth Dich zu haben wie Du biſt, und in meinem Herzen findeſt Du immer eine warme Aufnahme. Du biſt ein wunderliches Kind, und bei Deiner Anſiedlung in Kirchen könnteſt Du leicht zu einer wunderlichen Heiligen werden, ich gebe Dir's zu bedenken.

Goethe.

187
An Goethe.

Wer draußen auf der Taunusſpitze wär 'und die Ge - gend und ganze liebe Natur von Schönheit zu Schön - heit ſteigen und ſinken ſähe Abends und Morgens, wäh - rend ſein Herz ſo mit Dir beſchäftigt wär' wie meins, der würde freilich auch beſſer ſagen können was er zu ſagen hat. Ich möchte ſo gern vertraulich mit Dir ſprechen, und Du verlangſt ja auch ich ſoll Eigenſinn und Laune Dir preisgeben.

Du kennſt mein Herz, Du weißt das alles Sehn - ſucht iſt, Wille, Gedanke und Ahndung; Du wohnſt unter Geiſtern, ſie geben Dir göttliche Wahrheit. Du mußt mich ernähren, Du giebſt alles zum Voraus was ich nicht zu fordern verſtehe. Mein Geiſt hat einen kleinen Umfang, meine Liebe einen großen, Du mußt ſie in's Gleichgewicht bringen. Die Liebe kann nicht ruhig werden als wenn der Geiſt ihr gewachſen iſt; Du biſt meiner Liebe gewachſen; Du biſt mild, freund - lich, nachſichtig; laſſe mich's fühlen wenn mein Herz ſich nicht im Takt wiegt, ich verſteh Deine leiſen Winke.

Ein Blick von Deinen Augen in die meinen, ein Kuß von Dir auf meinen Mund, belehrt mich über188 alles; was könnte dem auch wohl noch erfreulich ſchei - nen zu lernen, der wie ich, hiervon Erfahrung hat. Ich bin entfernt von Dir, die Meinen ſind mir fremd geworden, da muß ich immer in Gedanken auf jene Stunde zurückkehren, wo Du mich in den ſanften Schlingen Deiner Arme hielteſt, da fang 'ich an zu weinen; aber die Thränen trocknen mir unverſehens wieder: Er liebt ja herüber in dieſe verborgne Stille, denke ich, und ſollte ich mit meinem ewigen ungeſtör - ten Sehnen nach ihm nicht in die Ferne reichen? Ach vernimm es doch was Dir mein Herz zu ſagen hat, es fließt über von leiſen Seufzern, alle flüſtern Dir zu: mein einzig Glück auf Erden ſei Dein freundlicher Wille zu mir. O lieber Freund, gieb mir doch ein Zeichen*)Ein Blick von Deinen Augen in die meinen, Ein Kuß von Deinem Mund auf meinem Munde, Wer davon hat, wie ich, gewiſſe Kunde, Mag dem was anders wohl erfreulich ſcheinen? Entfernt von Dir, entfremdet von den Meinen, Führ 'ich ſtets die Gedanken in die Runde, Und immer treffen ſie auf jene Stunde, Die einzige; da fang' ich an zu weinen. Die Thräne trocknet wieder unverſehens: Er liebt ja, denk 'ich, her in dieſe Stille, Und ſollteſt Du nicht in die Ferne reichen? , Du ſeiſt meiner gewärtig. Du ſchreibſt daß Du meine189 Geſundheit trinken willſt, ach ich gönne ſie Dir, laſſe keinen Tropfen übrig, möchte ich mich ſelber doch ſo in Dich ergießen und Dir wohl bekommen.

Deine Mutter erzählte mir wie Du kurz, nachdem Du den Werther geſchrieben, im Schauſpiel geſeſſen, und wie Dir da anonym ein Billet ſei in die Hand gedrückt worden, darin geſchrieben war: ils ne te com - prendront point Jean Jaques. Sie behauptet, ich aber könne immer zu jedem ſagen: tu ne me comprendras point Jean Jaques, denn welcher Hans Jacob wird Dich nicht mißverſtehen, oder Dich gelten laſſen wollen. Sie ſagt aber, Du Goethe verſtündeſt mich, und ich gelte alles bei Dir.

Die Erziehungsplane und Judenbroſchüren werd 'ich mit nächſtem Poſttag ſenden. Obſchon Du nicht zu allen gefälligen Gegendienſten bereit biſt; aber doch mir ſchicken willſt was reif iſt, ſo denke doch, daß meine Liebe dir brennende Strahlen zuſendet um jede Regung für mich zu ſüßer Reife zu bringen.

Bettine.

*)
Vernimm das Liſpeln dieſes Liebewehens;
Mein einzig Glück auf Erden iſt Dein Wille,
Dein freundlicher zu mir; gieb mir ein Zeichen!
(Goethes Werke 2ter Band Seite 10.)
*)
190
An Goethe.

Was ſoll ich Dir denn ſchreiben, da ich traurig bin und nichts neues freundliches zu ſagen weiß? lieber mögt 'ich Dir gleich das weiße Blatt ſchicken, ſtatt daß ich's erſt mit Buchſtabe beſchreibe, die doch immer nicht ſagen, was ich will, und Du füllteſt es zu deinen Zeit - vertreib aus, und machteſt mich überglücklich und ſchick - teſt es an mich zurück, und wenn ich denn den blauen Umſchlag ſähe und riß ihn auf: Neugierig eilig, wie die Sehnſucht immer der Seeligkeit gegenwärtig iſt, und ich leſe nun, was mich aus deinem Mund' einſt entzückte: Lieb 'Kind, mein artig Herz, mein einzig Liebchen, klein Mäuschen, die ſüßen Worte mit denen Du mich verwöhnteſt, ſo freundlich mich be - ſchwichtigend; ach! mehr wollt' ich nicht, alles hätt 'ich wieder, ſogar dein Liſpeln würde ich mitleſen, mit dem Du mir leiſe das lieblichſte in die Seele ergoſſen und mich auf ewig vor mir ſelbſt verherrlichſt haſt*)Wenn ich nun gleich das weiße Blatt dir ſchickte, Anſtatt daß ich's mit Lettern erſt beſchreibe, Ausfüllteſt du's vielleicht zum Zeitvertreibe Und ſendeteſt's an mich, die Hochbeglückte. . 191 Da ich noch an deinem Arm durch die Straßen ging: Ach, wie eine geraume Zeit dünkt mir's, da war ich zu - frieden, alle Wünſche waren ſchlafen gegangen, hatten wie die Berge, Geſtalt und Farbe, in Nebel eingehüllt; ich dachte, ſo ging es, und weiter, ohne große Müh - ſeeligkeit vom Land 'in die hohe See, kühn und ſtolz, mit gelöſ'ten Flaggen und friſchem Wind. Aber Goe - the, feurige Jugend will die Sitten der heißen Jahres - zeit, wenn die Abendſchatten ſich über's Land ziehen, dann ſollen die Nachtigallen nicht ſchweigen: ſingen ſoll alles, oder ſich freudig ausſprechen; die Welt ſoll ein üppiger Fruchtkranz ſein, alles ſoll ſich drängen im Ge - nuß, und aller Genuß ſoll ſich mächtig ausbreiten, er ſoll ſich ergießen wie gährender Moſt, der brauſend ar -*)Wenn ich den blauen Umſchlag dann erblickte; Neugierig ſchnell, wie es gezi mt dem Weibe, Riſſ 'ich ihn auf, daß nichts verborgen bleibe; Da läſ' ich was mich mündlich ſonſt entzückte:Lieb Kind! Mein artig Herz! Mein einzig Weſen! Wie du ſo freundlich meine Sehnſucht ſtillteſt Mit ſüßem Wort und mich ſo ganz verwöhnteſt. Sogar dein Liſpeln glaubt 'ich auch zu leſen, Womit du liebend meine Seele füllteſt Und mich auf ewig vor mir ſelbſt verſchönteſt. (Goethes Werke 2ter Band Seite 12.) 192 beitet, bis er zur Ruhe kommt, untergehen ſollen wir in ihm, wie die Sonne unter die Meereswellen, aber auch wiederkommen wie ſie. So iſt dir's geworden, Goethe, keiner weiß wie Du mit Gott vertraut warſt, und was für Reichthum Du von ihm erlangt haſt, wenn Du un - tergegangen warſt im Genuß.

Das ſeh 'ich gerne, wenn die Sonne untergeht, wenn die Erde ihre Gluth in ſich ſaugt, und ihr die feurigen Flügel leiſe zuſammen faltet und die Nacht durch gefangen hält, da wird es ſtill auf der Welt, die Sehnſucht ſteigt ſo heimlich aus den Finſterniſſen em - por; ihr leuchten die Sterne ſo unerreichbar über'm Haupt, ſo unreichbar, Goethe!

Wenn man ſeelig ſein ſoll, da wird man ſo zag - haft, das Herz ſcheidet zitternd vom Glück, noch ehe es den Willkommen gewagt; auch ich fühl's, daß ich meinem Glück nicht gewachſen bin. Welche Allbefähi - gung, um Dich zu faſſen! Liebe muß eine Meiſter - ſchaft erwerben, das Geliebte beſitzen wollen, wie es der gemeine Menſchenverſtand nimmt, iſt nicht der ewigen Liebe würdig, und ſcheitert jeden Augenblick am klein - ſten Ereigniß. Das iſt meine erſte Aufgabe, daß ich mich Dir aneigne, nicht aber Dich beſitzen wolle, Du allbegehrlichſter!

Ich193

Ich bin doch noch ſo jung, daß es ſich leicht ent - ſchuldigen läßt, wenn ich unwiſſend bin. Ach, für Wiſ - ſenſchaft hab 'ich keinen Boden, ich fühl's, ich kann's nicht lernen, was ich nicht weiß, ich muß es erwarten, wie der Prophet in der Wüſte die Raben erwartet, daß ſie ihm Speiſe bringen. Der Vergleich iſt ſo uneben nicht: durch die Lüfte wird meinem Geiſt Nahrung zu - getragen, oft grade, wenn er im Verſchmachten iſt.

Seitdem ich Dich liebe, ſchwebt ein unerreichbares mir im Geiſt; ein Geheimniß, das mich nährt. Wie vom Baum die reifen Früchte fallen, ſo fallen hier mir Gedanken zu, die mich erquicken und reitzen. O Goethe, hätte der Springquell eine Seele, er könnte ſich nicht erwartungsvoller an's Licht drängen, um wieder empor zu ſteigen, als ich mit ahnender Gewißheit mich dieſem neuen Leben entgegen dränge, das mir durch Dich ge - geben iſt, und das mir zu erkennen giebt, daß ein - herer Lebenstrieb den Kerker ſprengen will, der nicht ſchont der Ruhe und Gemächlichkeit gewohnter Tage, die er in brauſender Begeiſterung zertrümmert. Dieſen erhabenen Geſchick entgeht der liebende Geiſt nicht, ſo wenig der Saame der Blüthe entgeht, wenn er einmal in friſcher Erde liegt. So fühl 'ich mich in Dir, du fruchtbarer geſeegneter Boden! Ich kann ſagen, wieI. 9194das iſt wenn der Keim die harte Rinde ſprengt, es iſt ſchmerzlich, die lächlenden Frühlingskinder ſind unter Thränen erzeugt.

O Goethe, was geht mit dem Menſchen vor? was erfährt er, was erlebt er in dem innerſten Flammenkelch ſeines Herzens? Ich wollte Dir meine Fehler gern bekennen, allein die Liebe macht mich ganz zum ideali - ſchen Menſchen. Viel haſt Du für mich gethan, noch eh 'Du von mir wußteſt, über vieles, was ich begehrte und nicht erlangte, haſt Du mich hinweg gehoben.

Bettine

An Goethe.

Hier in Frankfurt iſt es naß, kalt, verrucht, ab - ſcheulich; kein guter Chriſt bleibt gerne hier; wenn die Mutter nicht wär ', der Winter wär' unerträglich, ſo ganz ohne Hältniß, nur ewig ſchmelzender Schnee! Ich habe jetzt einen Nebenbuhler bei ihr, ein Eich - hörnchen, was ein ſchöner franzöſiſcher Soldat als Ein - quartirung hier ließ, von dem läßt ſie ſich alles gefal - len, ſie nennt es Hänschen, und Hänschen darf Tiſche und Stühle zernagen, ja es hat ſelbſt ſchon gewagt,195 ſich auf ihre Staatshaube zu ſetzen, und dort die Blu - men und Federn anzubeißen. Vor ein paar Tagen iſt ging ich Abends noch hin, die Jungfer ließ mich ein, mit dem Bedeuten, ſie ſei noch nicht zu Hauſe, müſſe aber gleich kommen. Im Zimmer war's dunkel, ich ſetzte mich an's Fenſter und ſah hinaus auf den Platz. Da war's, als wenn was kniſterte, ich lauſchte und glaubte athmen zu hören; mir ward unheimlich, ich hörte wieder etwas ſich bewegen, und fragte, weil ich's gern auf's Eichhörnchen geſchoben hätte: Hänschen biſt Du es? ſehr unerwartet und für meinen Muth ſehr niederſchlagend, antwortet eine ſonore Baßſtimme aus dem Hintergrund: Hänschen iſt's nicht, es iſt Hans, und dabei räuſpert ſich der ubeque malus Spiritus. Voll Ehrfurcht wag 'ich mich nicht aus der Stelle, der Geiſt läßt ſich auch nur noch durch Athmen und einmaliges Nieſen vernehmen; da hör' ich die Mutter, ſie ſchrei - tet voran, die kaum angebrannte, noch nicht vollleuch - tende Kerze hinter drein, von Jungfer Lieschen getragen. Biſt Du da? fragte die Mutter, in dem ſie ihre Haube abnimmt, um ſie auf ihren nächtlichen Stammhalter, eine grüne Bouteille, zu hängen; ja, rufen wir beide, und aus dem Dunkel tritt ein beſternter Mann hervor und fragt: Fr. Rath, werd 'ich heut' Abend mit Ihnen9*196einen Speckſalat mit Eierkuchen eſſen? Daraus ſchloß ich denn ganz richtig, daß Hans ein Prinz von Meck - lenburg ſei; denn wer hätte die ſchöne Geſchichte nicht von deiner Mutter gehört, wie auf der Kaiſerkrönung die jetzige Königin von Preußen, damals als junges Prinzeſſinnenkind und ihr Bruder, der Frau Rath zu - ſahen, wie ſie ein ſolches Gericht zu ſpeiſen im Begriff war, und daß dies ihren Appetit ſo reizte, daß ſie es beide verzehrten, ohne ein Blatt zu laſſen. Auch dies - mal wurde die Geſchichte mit vielem Genuß vorgetra - gen und noch manche andre, z. B. wie ſie den Prinzeſ - ſinnen den Genuß verſchaffte, ſich im Hof am Brunnen recht ſatt Waſſer zu pumpen, und die Hofmeiſterin durch alle mögliche Argumente abhält, die Prinzeſſinnen abzurufen, und endlich, da dieſe nicht darauf Rückſicht nimmt, Gewalt braucht und ſie im Zimmer einſchließt. Denn: ſagte die Mutter, ich hätte mir eher den ärgſten Verdruß über den Hals kommen laſſen, als daß man ſie in dem unſchuldigen Vergnügungen geſtört hätte, das ihnen nirgend wo gegönnt war, als in meinem Haus; auch haben ſie mir's beim Abſchied geſagt, das ſie nie vergeſſen würden, wie glücklich und vergnügt ſie bei mir waren. So könnte ich Dir noch ein paar Bogen voll ſchreiben von allen Rückerinnerungen!

197

Adieu, lieber Herr! Die Frau grüß 'ich, Rie - mer's Sonett kracht wie neue Sohlen; er ſoll meiner Geſchäfte gewärtig ſein, und ſeinen Dienſteifer nicht umſonſt gehabt haben.

Gelt ', ich mach's grade wie dein Liebchen, ſchreibe, kritzele, mach' Tintenkleckſe und Orthographiefehler, und denk ', es ſchadet nichts, weil er weiß, daß ich ihn liebe, und der Brief, den Du mir geſchrieben, war doch ſo artig und zierlich abgefaßt, das Papier mit goldnem Schnitt! Aber, Goethe, erſt ganz zuletzt denkſt Du an mich! erlaub', daß ich ſo frei bin Dir einen Ver - weis zu geben, für dieſen Brief, faſſe alles kurz ab, was Du verlangſt und ſchreib's mit eigner Hand, ich weiß nicht warum Du einen Secretair anſtellſt um das überflüſſige zu melden, ich kann's nicht vertragen, es be - leidigt mich, es macht mich krank; im Anfang glaubt 'ich der Brief ſei gar nicht an mich, nun trag' ich doch gern 'ſolch einen Brief auf dem Herzen, ſo lange bis der neue kommt, wie kann ich aber mit einer ſolchen fremden Secretairshand verfahren? nein, diesmal hab' ich Dich in meinem Zorn verdammt, daß Du gleich mit dem Secretair in die alte Schublade eingeklemmt wur - deſt, und der Mutter hab 'ich gar nicht geſagt, daß Du198 geſchrieben hatteſt, ich hätte mich geſchämt, wenn ich ihr dieſen Perückenſtyl hätte vortragen müſſen. Adieu, ſchreibe mir das einzige, was Du zu ſagen haſt und nicht mehr.

Bettine.

An Goethe.

Nun ſind's beinahe ſechs Wochen, daß ich auch nur ein Wort von Dir gehört habe, weder durch die Frau Mutter, noch durch irgend eine andre Gelegenheit. Ich glaube nicht, daß, wie viele andere ſind, Du auch biſt, und dir durch Geſchäfte und andere Wichtigkeiten den Weg zum Herzen verſperrſt; aber ich muß fürchten, daß meine Briefe Dir zu häufig kommen, und muß mich zu - rückhalten, was mich doch ſeelig machen könnte, wenn es nicht ſo wär ', und ich glauben dürfte, daß meine Liebe, die ſo anſpruchslos iſt, daß ſie ſelbſt deinen Ruhm ver - gißt, und zu Dir wie zu einem Zwillingsbruder ſpricht, Dich erfreut. Wie ein Löwe möcht' ich für Dich fechten, möcht 'alles verderben und in die Flucht jagen, was nicht werth iſt, Dich zu berühren; muß um deinetwillen die ganze Welt verachten, muß ihr um deinetwillen199 Gnade widerfahren laſſen, weil Du ſie verherrlichſt, und weiß nichts von Dir! ſag' nur, ob Du's zufrieden biſt, daß ich Dir ſchreibe? ſag 'nur: ja Du darfſt! Wenn ich nun in etlichen Wochen, denn da haben wir ſchon Frühling hier, in's Rheingau gehe, dann ſchreib' ich Dir von jedem Berg aus; bin Dir ſo immer viel näher, wenn ich außer den Stadtmauern bin, da glaub 'ich manchmal mit jedem Athemzug Dich zu fühlen, wie Du im Herzen regierſt, wenn es recht ſchön iſt draußen, wenn die Luft ſchmeichelt, ja wenn die Natur gut und freundlich iſt, wie Du, da fühl ich Dich ſo deutlich. Aber was ſoll ich mit Dir? Du ſelbſt haſt mir nichts zu ſagen, in dem Brief, den Du mir ſchriebſt, den ich zwar ſo lieb habe, wie meinen Augapfel, da nennſt Du mich nicht einmal wie Du gewohnt warſt, grad' als ob ich Deiner Vertraulichkeiten nicht werth wäre. Ach, es geht ja von Mund zu Herzen bei mir! ich würde nichts von Schatz und Herz und Kuß veräußern, und wenn ich auch am Hungertuch nagen müßte. In der Karmeliterkirche hab 'ich im Herbſt allerlei geſchrieben, Erinnerungen aus der Kindheit, ſie fielen mir immer ein wenn ich dahin kam, und doch war ich blos hinge - kommen, um ungeſtört an Dich zu denken! Jede Le - benszeit geht mir in Dir auf, ich denke mir die Kinder -200 jahre, als ob ich ſie mit Dir verſpiele, und wachs empor und wähne mich geborgen in Deinem Schutz, und fühle ſtolz mich in Deinem Vertrauen, und da regte ſich's im Herzen vor heißer Liebe, da ſuch' ich Dich, wie ſoll ich Ruhe finden? an Deiner Bruſt nur, umſchränkt von Deinen Armen. Und wärſt Du es nicht, ſo wär 'ich bei Dir; aber ſo muß ich mich fürch - ten vor aller Augen, die ſind auf Dich gerichtet, ach, und vor dem ſtechenden Blick, der unter Deinem Kranz hervorleuchtet! *)(Goethe's Werke, 2ter Band, Seite 7.)

Außer Dir erſcheinen mir alle Menſchen wie einer und derſelbe, ich unterſcheide ſie nicht, ich begehr 'nicht nach dem ungeheuren allſeitigen Meer der Ereigniſſe. Der Lebensſtrom trägt Dich, Du mich, in Deinen Ar - men durchſchiff' ich ihn, Du trägſt mich bis zum Ende, nicht wahr? Und wenn es auch noch tauſendfache Exiſtenzen giebt, ich kann mich nicht hinüberſchwin - gen, bei Dir bin ich zu Hauſe, ſo ſei doch auch zu Hauſe mit mir, oder weißt Du etwas beſſeres als mich und Dich im magiſchen Kreis des Lebens?

Unlängſt hatten wir ein kleines Feſt im Hauſe wegen201 Savignys Geburtstag. Deine Mutter kam Mittags um zwölf, und blieb bis Nachts um ein Uhr, ſie fand ſich auch den andern Tag ganz wohl darauf. Bei der Tafel war große Muſik von blaſenden Inſtrumenten, auch wurden Verſe zu Savignys Lob geſungen, wo ſie ſo tapfer ein - ſtimmte, daß man ſie durch den ganzen Chor durchhörte. Da wir nun auch deine und ihre Geſundheit tranken, wobei Trompeten und Pauken ſchmetterten, ſo ward ſie feierlich vergnügt. Nach Tiſch erzählte ſie der Geſellſchaft ein Mähr - chen, alles hatte ſich in feierlicher Stille um ſie verſammelt. Im Anfang holte ſie weit aus, das große Auditorium mochte ihr doch ein wenig bange machen; bald aber tanzten alle Rollefähigen Perſonen in der grotesken Weiſe aus ihrem großen Gedächtniß-Kaſten auf das fantaſtiſchſte geſchmückt, es wurden noch allerlei kleinen Scenen aufgeführt, dann trat eine junge Spaniſche Tän - zerin auf, die mit Caſtegnetten ſehr ſchön tanzte. Die - ſes graziöſe Kind giebt hier beim Theater Vorſtellungen, ich hab 'Dir von ihr noch nicht geſagt, daß ſie mich ſeit Wochen in einem ſtillen Enthuſiasmus erhält, und daß ich oft denke, ob denn Gott was anders will, als daß ſich die Tugend in die reine Kunſt verwandle, daß man nehmlich nach den Geſetzen einer himmliſchen Har - monie die Glieder des Geiſtes mit leichtem Enthuſias -9**202mus rege, und ſo mit anmuthigen Geberden die Tugend ausdrücke, wie jene den Takt und den Sinn der Muſik. Nach dem Souper tanzte man, ich ſaß etwas ſchläfrig an der Seite deiner Mutter, ſie hielt mich umhalſ't und hatte mich lieb wie den Joſeph; ich hatte dazu auch einen rothen Rock an. Man hat einſtimmig beſchloſſen, es ſolle nie ein Familienfeſt gegeben werden ohne die Mutter, ſo ſehr hat man ihren guten Einfluß empfun - den; ich hab 'mich gewundert wie ſchnell ſie die Herzen gewinnen kann, blos weil ſie mit Kraft genießt und dadurch die ganze Umgebung auch zur Freude bewegt.

Die Deinen grüße ich herzlich, ich habe nicht ver - geſſen, was ich für deine Frau verſprach; nächſtens wird alles fertig ſein, nur die Frau von Sch. mußte ich ſchändlicherweiſe vergeſſen mit dem Tuch! nun was iſt zu thun? mein Miniſter, denk 'ich, bekömmt hier eine ſchöne Negotiation. Gelt', ich mißbrauch 'deine Geduld? Guter! Beſter! dem mein Herz ewig dient.

Dein Sohn wird ſein Bündel bald ſchnüren; nur nicht zu feſt! denn ich will ihm bei der Durchreiſe noch einen Pack guter Lehren mitgeben, die er auch noch mit einſchnüren muß. Mein Bruder George hat ein kleines Landhaus in Rödelheim gekauft, Du mußt es203 kennen, da du ſelbſt den Plan dazu gemacht und mit Baſſet, der jetzt in Amerika wohnt, den Bau beſorgteſt. Ich freu 'mich gar ſehr über ſeine ſchönen Verhältniſſe, ich meine, dein Charakter, deine Geſtalt und deine Be - wegungen ſpiegeln ſich in ihnen. Wir fahren beinah alle Tage hinaus, geſtern ſtieg ich auf's Dach; die Sonne ſchien ſo warm, es war ſo hell, man konnte ſo recht die Berge im Schoos der Thäler liegen ſehen. O Jammer, daß ich nicht fliegen kann! was nützt es all', daß ich Dich ſo lieb hab? jung und kräftig und ſtolz bin ich in Dir; ich mag's nicht ausle - gen, die Welt ſchiebt doch alles Gefühl in ihr einmal gemachtes Regiſter, Du biſt über alles gut, daß Du meine Liebe duldeſt, in der ich überglücklich bin. Wie das Weltmeer ohne Ufer, iſt mein Gemüth, ſeine Wellen tragen, was ſchwimmen kann; Dich aber hab' ich mit Gewalt in's tiefſte Geheimniß meines Lebens gezogen, und walle Freudebrauſend dahin über der Gewißheit deines Beſitzes.

Wenn ich mich ſonſt im Spiegel betrachtete und meine Augen ſich ſelbſt ſo feurig anſchauten, und ich fühlte, daß ſie in dieſem Augenblick hätten durchdringen müſſen, und ich hatte niemand, dem ich einen Blick ge -204 gönnt hätte, da war mir's leid, daß alle Jugend ver - loren ging, jetzt aber denk ich an Dich.

Bettine.

An Goethe.

Kleine unvorhergeſehene Reiſen in die nächſten Ge - genden, um den Winter vor ſeinem Scheiden noch ein - mal in ſeiner Pracht zu bewundern, haben mich abge - halten ſogleich meines einzigen und liebſten Freundes in der ganzen Welt, Wunſch zu befriedigen. Hierbei ſende ich alles was bis jetzt erſchienen, außer ein Jour - nal, welches die Juden unter dem Namen Sulamith herausgeben. Es iſt ſehr weitläufig; begehrſt Du es, ſo ſend 'ich's, da die Juden es mir als ihrem Protector und kleinen Nothhelfer, verehren. Es enthält die ver - ſchiedenſten Dinge, kreuz und quer; beſonders zeichnen ſich die Oden die ſie dem Fürſt Primas widmen, darin aus; ein großes Gedicht, was ſie ihm am Neujahrstag brachten, ſchickte er mir und ſchrieb: Ich verſtehe kein hebräiſch, ſonſt würde ich eine Dankſagung ſchreiben, aber da für die kleine Freundin der Hebräer nichts zu verkehrt und undeutſch iſt, ſo trage ich ihr auf, in mei -205 nem Namen ein Gegengedicht zu machen. Der bos - hafte Primas! Ich hab' ihn aber geſtraft! Und geſtern im Konzert ſagte er mir: es iſt gut, daß die Juden nicht eben ſo viel Heldengeiſt als Handelsgeiſt haben, ich wär 'am End' nicht ſicher, daß ſie mich in meinem Taxiſchen Haus blokirten.

Während dem bin ich im Odenwald geweſen, und bin auf des Götz altem Schloß herumgeklettert, ganz oben auf den Mauern wo beinah kein menſchlicher Fuß mehr ſich ſtützen kann; über Mauerſpalten, die mich doch zuweilen ſchwindlen machten, als immer im Ge - danken an Dich, an Deine Jugend, an Dein Leben bis jetzt, das wie ein lebendig Waſſer fortbrauſt. Weißt Du? es thut ſo wohl, wenn einem das Herz ſo ganz ergriffen iſt. Wie ich mich drehe und wende, ſo ſpiegelt ſich mir im Gemüth, was ich im Hinterhalt habe und was mir wie ein ſeliger Traum nachgeht, und das biſt Du!

Dort war es wunderſchön! Ein ungeheurer Thurm, worauf ehmals die Wächter ſaßen, um die Frankenſchiffe in dem kleinen Mildeberg zu verkünden mit Trompeten - ſtoß. Tannen und Fichten wachſen oben, die beinah halb über ſeine Höhe hervorragen.

Zum Theil waren die Weinberge noch mit Schnee206 bedeckt; ich ſaß auf einem abgebrochnen Fenſterbalken und fror, und doch durchdrang mich heiße Liebe zu Dir, und ich zitterte vor Angſt, hinunter zu ſtürzen, und klet - terte doch noch höher, weil mir's einfiel Dir zu lieb 'wollt' ich's wagen. So machſt Du mich oft kühn; es iſt ein Glück, daß die wilden Wölfe aus dem Oden - walde nicht herbei kamen, ich hätte mich mit ihnen bal - gen müſſen, hätte ich Deiner Ehre dabei gedacht; es ſcheint Unſinn, aber ſo iſt's. Die Mitternacht, die böſe Stunde der Geiſter, weckt mich; ich leg 'mich im kalten Winterwind an's Fenſter; ganz Frankfurt iſt todt, der Docht in den Straßenlaternen iſt im Ver - glimmen, die alten roſtigen Wetterfahnen greinen mir was vor, und da denk' ich: iſt das die ewige Leier? Und da fühl 'ich, daß dies Leben ein Ge - fängniß iſt, wo ein jeder nur eine kümmerliche Aus - ſicht hat in die Freiheit: das iſt die eigne Seele. Siehſt Du, da raſ't es in mir; ich möchte hinauf über die alten ſpitzen Giebeldächer, die mir den Himmel abſchneiden; ich verlaſſe das Zimmer, eile über die weiten Gänge unſeres Hauſes, ſuche mir einen Weg über die alten Böden, und hinter dem Sparrwerk ahnde ich Geſpenſter, aber ich achte ihrer nicht; da ſuche ich die Treppe zum kleinen Thürmchen, wenn207 ich endlich oben bin, da ſeh ich aus der Thurmluke den weiten Himmel, und frier' gar nicht; und da iſt's als müſſe ich die geſammelten Thränen abladen, und dann bin ich am andern Tag ſo heiter und ſo neuge - boren, und ich ſuche mit Liſt nach einem Scherz den ich ausführen möchte; und kannſt Du mir glauben? das alles biſt Du.

Bettine.

Die Mutter kommt oft zu uns, wir machen ihr Maskeraden und alle mögliche Ergötzlichkeit; ſie hat unſere ganze Familie in ihren Schutz genommen, iſt friſch und geſund.

An Bettine.

Die Documente philanthropiſcher Chriſten - und Ju - denſchaft ſind glücklich angekommen, und Dir ſoll da - für, liebe kleine Freundin, der beſte Dank werden. Es iſt recht wunderlich, daß man eben zur Zeit, da ſo viele Menſchen todt geſchlagen werden, die übrigen auf's beſte und zierlichſte auszuputzen ſucht. Fahre fort, mir von dieſen heilſamen Anſtalten, als Beſchützerin derſel -208 ben, von Zeit zu Zeit Nachricht zu geben. Dem braun - ſchweigiſchen Judenheiland ziemt es wohl, ſein Volk anzuſehen, wie es ſein und werden ſollte; dem Fürſten Primas iſt aber auch nicht zu verdenken, daß er dies Geſchlecht behandelt wie es iſt, und wie es noch eine Weile bleiben wird. Mache mir doch eine Schilderung von Herrn Molitor. Wenn der Mann ſo vernünftig wirkt als er ſchreibt, ſo muß er viel Gutes erſchaffen. Deinem eignen philanthropiſchen Erziehungsweſen aber wird Überbringer dieſes, der ſchwarzäugige und braun - lockige Jüngling empfohlen. Laſſe ſeine väterliche Stadt auch ihm zur Vaterſtadt werden, ſo daß er glaube, ſich mitten unter den Seinen zu befinden. Stelle ihn Dei - nen lieben Geſchwiſtern und Verwandten vor, und ge - denke mein, wenn Du ihn freundlich aufnimmſt. Deine Berg -, Burg -, Kletter - und Schaurelationen verſetzen mich in eine ſchöne heitere Gegend, und ich ſtehe nicht davor, daß Du nicht gelegentlich davon eine phan - taſtiſche Abſpiegelung in einer Fata[Morgana] zu ſe - hen kriegſt.

Da nun von Auguſt Abſchied genommen iſt, ſo richte ich mich ein, von Haus und der hieſigen Gegend gleichfalls Abſchied zu nehmen und baldmöglichſt nach dem Carlsbader Gebirge zu wandeln.

209

Heute um die eilfte Stunde wird confirma hoc Deus geſungen, welches ſchon ſehr gut geht und großen Beifall erhält.

G.

An Goethe.

Wir haben einen naßkalten April, ich merk's an Deinem Brief, der iſt wie ein allgemeiner Landre - gen; der ganze Himmel überzogen von Anfang bis an's Ende; Du beſitzeſt zwar die Kunſt, in kleinen Formen - zügen und Linien Dein Gefühl ahnen zu laſſen, und in dem was Du unausgeſprochen läßt, ſtiehlt ſich die Ver - ſicherung in's Herz, daß man Dir nicht gleichgültig iſt; ja ich glaub's, daß ich Dir lieb bin, trotz Deinem kal - ten Brief; aber wenn Deine ſchöne Mäßigung plötzlich zum Teufel ging ', und Du bliebſt ohne Kunſt und ohne feines Taktgefühl, ſo ganz wie Dich Gott geſchaffen hat, in Deinem Herzen, ich würde mich nicht vor Dir fürchten, wie jetzt, wenn ein ſo kühler Brief ankömmt, wo ich mich beſinnen muß was ich denn gethan hab'.

210

Heute ſchreibe ich aber doch mit Zuverſicht, weil ich Dir erzählen kann wie Dein einziger Sohn ſich hier wohl und luſtig befindet; er giebt mir alle Abend im Theater ein Rendezvous in unſerer Loge; früh Morgens ſpaziert er ſchon auf den Stadtthürmen herum, um die Gegend ſeiner väterlichen Stadt recht zu beſchauen; ein paarmal hab 'ich ihn hinausgefahren, um ihm die Ge - müsgärtnerei zu zeigen, da grade jetzt die erſten wunder - barlichen Vorbereitungen dazu geſchehen, wo jeder Staude ihr Standort mit der[Richtſchnur] abgemeſſen wird, und wo dieſe fleißigen Gärtner mit ſo großer Sorgfalt je - dem Pflänzchen ſeinen Lebensunterhalt anweiſen; auch an's Stallburgsbrünnchen hab' ich ihn geführt, auf die Pfingſtwieſe, auf den Schneidewall; dann hinter die ſchlimme Mauer, wo in der Jugend Dein Spielplatz war; dann zum mainzer Thürchen hinaus; auch in Offenbach war er mit mir und der Mutter, und ſind gegen Abend bei Mondſchein zu Waſſer wieder in die Stadt gefahren; da hat unterwegs die Mutter recht losgelegt von all Deinen Geſchichten und Luſtparthieen; und da legte ich mich am Abend zu Bett mit trunkner Einbildung, was mir einen Traum eintrug, von dem die Erinnerung mir eine Zeit lang Nahrung ſein wird. Es war als lief ich in Weimar durch den Park,211 in dem ein ſtarker Regen fiel; es war grade alles im erſten Grün, die Sonne ſchien durch den Regen. Als ich an Deine Thür kam, hört 'ich Dich ſchon von Weitem ſprechen; ich rief, Du hörteſt nicht, da ſah ich Dich auf derſelben Bank ſitzen, hinter welcher im vorigen Jahr die ſchöne breite Malve noch ſpät ge - wachſen war; gegenüber lag auch die Katze wie da - mals, und als ich zu Dir kam, ſagteſt Du auch wieder: Setze Dich nur dort üben zur Katze, wegen Deinen Augen, die mag ich nicht ſo nah. Hier wachte ich auf, aber weil mir der Traum ſo lieb war, konnt' ich ihn nicht aufgeben; ich träumte fort, trieb allerlei Spiel mit Dir, und bedachte dabei Deine Güte, die ſolche Zutraulichkeit erlaubt. Du! der einen Kreis des Lebendigen umfaſſet, in dem wir alle Dein Ver - trauen in ſo mächtigen Zügen ſchon eingeſogen haben. Ich fürchte mich manchmal, die Liebe, die raſch in mei - nem Herzen aufſteigt, wenn auch nur in Gedanken, vor Dir auszuſprechen; aber ſo ein Traum ſtürzt wie ein angeſchwollner Strom über den Damm. Es mag ſich einer ſchwer entſchließen eine Reiſe nach der Sonne zu thun, weil ihn die Erfahrung, daß man da nicht an - kömmt, davon abhält; mir gilt in ſolchen Augen -212 blicken die Erfahrung nichts, und ſo ſcheint mir denn, Dein Herz zu erreichen in ſeinem vollen Glanze, nichts Unmögliches.

Molitor war geſtern bei mir; ich las ihm die Worte über ihn aus Deinem Briefe vor, ſie haben ihn ſehr ergötzt; dieſer Edle iſt der Meinung, daß, da er einen Leib für die Juden zu opfern habe, und einen Geiſt ihnen zu widmen, beide auch recht nützlich anzu - wenden; es geht ihm übrigens nicht ſehr wohl, außer in ſeinem Vertrauen auf Gott, bei welchem er jedoch feſt glaubt, daß die Welt nur durch Schwarzkunſt wie - der in's Gleichgewicht zu bringen iſt. Er hat groß Vertrauen auf mich und glaubt, daß ich mit der Divi - nationskraft begabt bin; brav iſt er, und will ernſtlich das Gute; bekümmert ſich deswegen nichts um die Welt und um ſein eigen Fortkommen; iſt mit einem Stuhl, einem Bett und mit fünf Büchern die er im Vermögen hat, ſehr wohl zufrieden.

Adieu, ich eile Toilette zu machen, um mit Deiner Mutter und Deinem Sohn zum Primas zu fahren, der heute ihnen zu Ehren ein großes Feſt giebt; da werd 'ich denn wieder recht mit dem Schlaf zu kämpfen haben; dieſe vielen Lichter, die geputzten Leute, die ge -213 ſchminkten Wangen, das ſummende Geſchwätz haben eine narkotiſche unwiderſtehliche Wirkung auf mich.

Bettine.

An Frau von Goethe.

Erinnern Sie ſich noch des Abends den wir bei Frau von Schoppenhauer zubrachten, und man eine Wettung machte, ich könne keine Nähnadel führen? Ein Beweis, daß ich damals nicht gelogen habe, iſt beikommendes Röckelein; ich hab 'es ſo ſchön gemacht, daß mein Talent für weibliche Handarbeit ohne Unge - rechtigkeit doch nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann. Betrachten Sie es indeſſen mit Nachſicht, denn im Stillen muß ich Ihnen bekennen, daß ich meinem Genie beinah zu viel zugetraut habe. Wenn Sie nur immer darin erkennen, daß ich Ihnen gern ſo viel Freude machen möchte, als in meiner Gewalt ſteht.

Auguſt ſcheint ſich hier zu gefallen; das Feſt wel - ches der Fürſt Primas der Großmutter und dem Enkel gab, beweiſt recht, wie er den Sohn ehrt. Ich will in - deſſen der Frau Rath nicht vorgreifen, die es Ihnen mit den ſchönſten Farben ausmalen wird. Auguſt ſchwärmt214 in der ganzen Umgegend umher; überall ſind Jugend - freunde ſeines Vaters, die von der Höhen da und dort hindeuten und erzählen, welche glückliche Stunden ſie mit ihm an ſo ſchönen Orten verlebten; und ſo geht es im Triumph von der Stadt auf's Land, und von da wieder in die Stadt. In Offenbach, dem zierlich - ſten und reinſten Städtchen von der Welt, das mit himmelblauſeidenem Himmel unterlegt iſt, mit ſilbernen Wellen garnirt und mit blühenden Feldern von Hia - zynthen und Tauſendſchönchen geſtickt; da war des Erzählens der Erinnerungen an jene glückliche Zeiten kein Ende.

Beiliegende Granaten hab 'ich aus Salzburg er - halten; tragen Sie dieſelben zu meinem Andenken.

Bettine.

Einliegende Bücher für den Geheimenrath.

An Bettine.

Auch geſtern wieder, liebes Herz, hat ſich aus Dei - nem Füllhorn eine reichliche Gabe zu uns ergoſſen, grade zur rechten Zeit und Stunde, denn die Frauenzimmer215 waren in großer Überlegung, was zu einem angeſagten Feſt angezogen werden ſollte. Nichts wollte recht paſſen, als eben das ſchöne Kleid ankam, das denn ſogleich nicht geſchont wurde.

Da unter allen Seeligkeiten, deren ſich meine Frau vielleicht rühmen möchte, die Schreibſeeligkeit die aller geringſte iſt: ſo verzeihe Du, wenn ſie nicht ſelbſt die Freude ausdrückt, die Du ihr gemacht haſt. Wie leer es bei uns ausſieht, fällt mir erſt recht auf, wenn ich umherblicke und Dir doch auch einmal etwas Freund - liches zuſchicken möchte. Darüber will ich mir nun alſo weiter kein Gewiſſen machen und auch für die gedruck - ten Hefte danken, wie für Manches wovon ich noch jetzt nicht weiß, wie ich mich ſeiner würdig machen ſoll. Das wollen wir denn mit beſcheidenem Schweigen über - gehen, und uns lieber abermals zu den Juden wenden, die jetzt in einem entſcheidenden Moment zwiſchen Thür und Angel ſtecken, und die Flügel ſchon ſperren, noch ehe ihnen das Thor der Freiheit weit genug geöff - net iſt.

Es war mir ſehr angenehm, zu ſehen, daß man den finanzgeheimeräthlichen, jacobiniſchen Iſraelsſohn ſo tüchtig nach Hauſe geleuchtet hat. Kannſt Du mir den Verfaſſer der kleinen Schrift wohl nennen? Es216 ſind treffliche einzelne Stellen drin, die in einem Plai - doyer von Beaumarchais wohl hätten Platz finden kön - nen. Leider iſt das Ganze nicht raſch, kühn und luſtig genug geſchrieben, wie es hätte ſein müſſen, um jenen Humanitätsſalbader vor der ganzen Welt ein - für alle - mal lächerlich zu machen. Nun bitte ich aber noch um die Judenſtädtigkeit ſelbſt, damit ich ja nicht zu bitten und zu verlangen aufhöre.

Was Du mir von Molitor zu ſagen gedenkſt, wird mir Freude machen; auch durch das Letzte was Du von ihm ſchickſt, wird er mir merkwürdig, beſonders durch das was er von der Peſtalozziſchen Methode ſagt.

Lebe recht wohl! Hab 'tauſend Dank für die gute Aufnahme des Sohns, und bleibe dem Vater günſtig.

G.

An Goethe.

Die Städtigkeits - und Schutzordnung der Juden - ſchaft wird hierbei von einer edlen Erſcheinung beglei - tet; nicht allein um Dir eine Freude zu machen, ſon - dern weil dies Bild mir lieb iſt, hab 'ich's von derWand217Wand an meinem Bett genommen, an dem es ſeit drei Tagen hing, und ſeine Schönheit dem Poſtwagen an - vertraut; Du ſollſt nur ſehen was mich reizen kann. Häng 'dies Bild vor Dich, ſchau ihm in dieſe ſchönen Augen, in denen der Wahnſinn ſeiner Jugend ſchon überwunden liegt, dann fällt es Dir gewiß auf, was Sehnſucht erregt. Dies Unwie - derbringliche, was nicht lang' das Tagslicht verträgt, und ſchnell entſchwindet, weil es zu herrlich iſt für den Mißbrauch. Dieſem aber iſt es nicht entſchwun - den, es iſt ihm nur tiefer in die Seele geſunken, denn zwiſchen ſeinen Lippen haucht ſich ſchon wieder aus, was ſich im erhellten Aug 'nicht mehr darf ſehen laſſen. Wenn man das ganze Geſicht anblickt: man hat's ſo lieb man möcht' mit ihm geweſen ſein, um alle Pein mit ihm zu dulden, um alles ihm zu ver - güten durch tauſendfache Liebe, und wenn man den breiten vollen Lorbeer erblickt, ſcheinen alle Wünſche für ihn erfüllt. Sein ganzes Weſen, das Buch was er an ſich hält, macht ihn ſo lieb; hätt 'ich damals gelebt, ich hätt' ihn nicht verlaſſen.

Auguſt iſt weg; ich ſang ihm vor: Sind's nicht dieſe, ſind's doch andre, die da weinen wenn ich wan - dre, holder Schatz, gedenk 'an mich. Und ſo wan -I. 10218derte er zu den Pforten unſeres republikaniſchen Hauſes hinaus; hab 'ihn auch von Herzen umarmt, zur Erin - nerung für mich an Dich; weil Du mich aber vergeſſen zu haben ſcheinſt, und mir nur immer von dem Volk ſchreibſt welches verflucht iſt, und es Dir lieb iſt wenn Jacobſon heimgeſchickt wird, aber nicht wenn ich heim - lich mit Dir bin, ſo ſchreib' ich's zur Erinnerung für Dich an mich, die Dich trotz deiner Kälte doch immer lieb haben muß halt, weil ſie muß.

Dem Primas hüt 'ich mich wohl, deine Anſichten über die Juden mitzutheilen, denn einmal geb' ich Dir nicht recht, und hab 'auch meine Gründe; ich läugne auch nicht, die Juden ſind ein heißhungriges, unbeſchei - denes Volk; wenn man ihnen den Finger reicht, ſo reißen ſie einem bei der Hand an ſich, daß man um und um purtzeln möchte; das kommt eben daher, daß ſie ſo lang in der Noth geſteckt haben; ihre Gattung iſt doch Menſchenart, und dieſe ſoll doch einmal der Freiheit theilhaftig ſein, zu Chriſten will man ſie abſo - lut machen, aber aus ihrem engen Fegfeuer der über - füllten Judengaſſe will man ſie nicht heraus laſſen; das hat nicht wenig Überwindung der Vorurtheile gekoſtet, bis die Chriſten ſich entſchloſſen hatten ihre Kinder mit den armen Judenkindern in eine Schule zu ſchicken,219 es war aber ein höchſt genialer und glücklicher Gedanke von meinem Molitor, für's erſte Chriſten - und Juden - kinder in eine Schule zu bringen; die können's denn mit einander verſuchen, und den Alten mit gutem Bei - ſpiel vorgehen. Die Juden ſind wirklich voll Untu - gend, das läßt ſich nicht läugnen; aber ich ſehe gar nicht ein, was an den Chriſten zu verderben iſt; und wenn denn doch alle Menſchen Chriſten werden ſollen, ſo laſſe man ſie in's himmliſche Paradies, da werden ſie ſich ſchon bekehren, wenn's ihnen ge - fällig iſt.

Siehſt Du, die Lieb 'macht mich nicht blind, es wär' auch ein zu großer Nachtheil für mich, denn mit ſehenden Augen bin ich alles Schönen inne geworden.

Adieu, kalter Mann, der immer über mich hinaus nach den Judenbroſchüren reicht; ich bitte Dich, ſteck 'das Bild an die Wand mit vier Nadeln, aber in dein Zimmer, wo ich das einzige Mal drin war, und her - nach nicht mehr.

Bettine.

10*220
An Bettine.

Du zürnſt auf mich, da muß ich denn gleich zu Kreuz kriechen und Dir recht geben, daß Du mir den Prozeß machſt über meine kurzen kalten Briefe, da doch deine lieben Briefe, dein lieb Weſen, kurz alles was von Dir ausgeht, mit der ſchönſten Anerkenntniß müßte belohnt werden. Ich bin Dir immer nah, das glaube feſt, und daß es mir wohler thut, je länger ich deiner Liebe gewiß werde. Geſtern ſchickte ich meiner Mutter ein kleines Blättchen für Dich; nimm's als ein baa - res Äquivalent für das, was ich anders auszuſprechen in mir kein Talent fühle; ſehe zu wie Du Dir's an - eignen kannſt. Leb 'wohl, ſchreib' mir bald, alles was Du willſt.

Goethe.

Der durchreiſende Paſſagier wird Dir hoffentlich werth geblieben ſein bis an's Ende. Nehme meinen Dank für das Freundliche und Gute, was Du ihm er - zeigt haſt. Wenn ich in Carlsbad zur Ruh 'bin, ſo ſollſt Du von mir hören. Deine Briefe wandern mit221 mir; ſchreib' mir ja recht viel von deinen Reiſen, Land - parthieen, alten und neuen Beſitzungen; das leſe ich nun ſo gern.

Sonett, im Brief an Goethe's Mutter eingelegt.

Als kleines art'ges Kind nach Feld und Auen
Sprangſt du mit mir, ſo manchen Frühlingsmorgen.
Für ſolch ein Töchterchen, mit holden Sorgen,
Mocht 'ich als Vater ſegnend Häuſer bauen!
Und als du anfingſt in die Welt zu ſchauen,
War deine Freude häusliches Beſorgen.
Solch eine Schweſter! und ich wär 'geborgen:
Wie könnt' ich ihr, ach! wie ſie mir vertrauen!
Nun kann den ſchönen Wachsthum nichts beſchränken;
Ich fühl 'im Herzen heißes Liebetoben.
Umfaſſ' ich ſie, die Schmerzen zu beſchwichtgen?
Doch ach! nun muß ich dich als Fürſtin denken:
Du ſtehſt ſo ſchroff vor mir emporgehoben;
Ich beuge mich vor deinem Blick, dem flüchtgen.
222
An: Goethe.

Iſt es Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung, beſchämt zu Deinen Füßen zu ſehen, ſo ſehe jetzt auf mich herab; ſo geht's der armen Schäfermaid, der der König die Krone aufſetzt; wenn ihr Herz auch ſtolz iſt, ihn zu lieben, ſo iſt die Krone doch zu ſchwer; ihr Köpf - chen ſchwankt unter der Laſt, und noch obendrein iſt ſie trunken von der Ehre, von den Huldigungen, die der Geliebte ihr ſchenkt.

Ach, ich werde mich hüten ferner zu klagen, oder um ſchön Wetter zu beten, kann ich doch den blen - denden Sonnenſtrahl nicht vertragen. Nein, lieber im Dunkel ſeufzen, ſtill verſchwiegen, als von deiner Muſe an's helle Tageslicht geführt, beſchämt, bekränzt; das ſprengt mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht ſo lange, nimm mir die Krone ab, verſchränke deine Arme um mich an Deinem Herzen, und lehre mich vergeſſen über Dir ſelber, daß Du mich verklärt mir wieder - ſchenkſt.

Bettine.

223
An Goethe.

Schon acht Tage bin ich in der lieblichſten Ge - gend des Rheins, und konnte vor Faulheit, die mir die liebe Sonne einbrennt, keinen Augenblick finden, deinem freundlichen Brief eine Antwort zu geben. Wie läßt ſich da auch ſchreiben! Die Allmacht Gottes ſchaut mir zu jedem Fenſter herein und neigt ſich an - muthig vor meinem begeiſterten Blick.

Dabei bin ich noch mit einem wunderbaren Hell - ſehen begabt, was mir die Gedanken einnimmt. Seh 'ich einen Wald, ſo wird mein Geiſt auch alle Haſen und Hirſche gewahr, die drin herumſpringen; und hör' ich die Nachtigall, ſo weiß ich gleich was der kalte Mond an ihr verſchuldet hat.

Geſtern Abend ging ich noch ſpät an den Rhein; ich wagte mich auf einen ſchmalen Damm, der mitten in den Fluß führt, an deſſen Spitze von Wellen um - brauſ'te Felsklippen hervorragen; ich erreichte mit eini - gen gewagten Sprüngen den aller vorderſten, der grade ſo viel Raum bietet, um trocknen Fußes drauf zu ſtehen. Die Nebel umtanzten mich; Heere von Raben flogen über mir, ſie drehten ſich im Kreis, als wollten ſie ſich aus der Luft herablaſſen; ich wehrte mich dagegen mit224 einem Tuch, das ich über meinem Kopf ſchwenkte, aber ich wagte nicht über mich zu ſehen, aus Furcht in's Waſſer zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war guter Rath theuer; ich konnte kaum begreifen wie ich hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer vorüber, dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der Schiffer wollte zu der weißen Geſtalt, die er trocknen Fußes mitten auf dem Fluſſe ſtehen ſah, und die die Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen faſſen; endlich lernte er begreifen wie ich dahin gekommen war, und nahm mich an Bord ſeines Dreibords. Da lag ich auf ſchmalem Brett, Himmel und Sterne über mir; wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo ſeine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem ſehen, wie die Leute bei hellem Feuer Theer kochten und ihr Fahrzeug anſtrichen.

Wie leidenſchaftlos wird man, wenn man ſo frei und einſam ſich befindet, wie ich im Kahn; wie ergießt ſich Ruh 'durch alle Glieder, ſie ertränkt einen mit ſich ſelbſten, ſie trägt die Seele ſo ſtill und ſanft wie der Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht eine Welle plätſchern hörte. Da ſehnte ich mich nicht wie ſonſt meine Gedanken vor Dir auszuſprechen, daß ſie gleich den Wellen an der Brandung anſchlagen und225 belebter weiter ſtrömen; ich ſeufzte nicht nach jenen Re - gungen im Innern, von denen ich wohl weiß, daß ſie Geheimniſſe wecken und dem glühenden Jugendgeiſt Werkſtätte und Tempel öffnen. Mein Schiffer mit der rothen Mütze, in Hemdärmeln, hatte ſein Pfeifchen an - gezünd't; ich ſagte: Herr Schiffskapitain, Ihr ſeht ja aus als hätt' die Sonne Euch zum Harniſch ausglü - hen wollen; ja, ſagte er, jetzt ſitz 'ich im Kühlen; aber ich fahre nun ſchon vier Jahre alle Reiſende bei Bingen über den Rhein, und da iſt keiner ſo weit her - gekommen wie ich. Ich war in Indien; da ſah ich ganz anders aus, da wuchſen mir die Haare ſo lang. Und war in Spanien; da iſt die Hitze nicht ſo bequem, und ich hab' Strabatzen ausgeſtanden; da fielen mir die Haare aus, und ich kriegte einen ſchwarzen Kraus - kopf. Und hier am Rhein wird's wieder anders: da wird mein Kopf gar weiß; in der Fremde hatt 'ich Noth und Arbeit, wie es ein Menſch kaum erträgt; und wenn ich Zeit hatte, konnte ich vierundzwanzig Stunden hin - ter einander ſchlafen, da mocht' es regnen und blitzen unter freiem Himmel. Hier ſchlaf 'ich Nachts keine Stunde; wer's einmal geſchmeckt hat auf offner See, dem kann's nicht gefallen hier alle Polen und rothaa - rige Holländer über die Goſſe zu fahren, und ſollt' 10**226ich dem ganzen Rhein hinunterſchwimmen auf meinen dünnen Rippen, ſo muß ich fort aus einem Ort, wo's nichts zu lachen giebt und nichts zu ſeufzen. Ei, wo möchtet Ihr denn hin? Da, wo ich am meiſten aus - geſtanden habe, das war in Spanien; da möcht 'ich wieder ſein, und wenn's noch einmal ſo hart herging'! Was hat Euch denn da ſo glücklich gemacht? Er lachte und ſchwieg, wir landeten; ich beſtellte ihn zu mir, daß er ſich ein Trinkgeld bei mir hole, weil ich nichts bei mir hatte; er wollte aber nichts nehmen. Im Nachhauſegehen überlegte ich, wie mein Glück ganz von Dir ausgeht; wenn Du nicht wärſt, im langweiligen Deutſchland, ſo möcht 'ich wahrhaftig auch auf meinen dünnen Rippen den unendlichen Rhein hinabſchwimmen. Unſre Großmutter hat uns oft ſo erhabene Dinge geſagt von Deutſchlands großen Geiſtern, aber Du warſt nicht dabei, ſonſt hätt' ich mich vor Dir gehütet, und Du wärſt meiner Begeiſtrung verluſtig geweſen. Im Ein - ſchlafen fühlte ich mich noch immer gewiegt in ſüßer, gedankloſer Zerſtreuung, und es war mir, als hab 'ich Dir große Dinge mitzutheilen, von denen ich glaubte, ich dürfe nur wollen, ſo werde ſie der Mund meiner Gedanken ausſprechen; jetzt aber, nach ausgeſchlafnem Traumleben, weiß ich nichts als mich deinem Andenken,227 deiner freundlichen Neigung auf's innigſte anzuſchmie - gen; denn wärſt Du mir nicht, ich weiß nicht was ich dann wär'; aber gewiß: unſtät und unruhig würde ich ſuchen, was ich jetzt nicht mehr ſuche.

Dein Kind.

Wie iſt mir, lieber einziger Freund! Wie ſchwin - delt mir, was willſt Du mir ſagen, Schatz! köſt - licher! von dem ich alles lerne tief in der Bruſt, der mir alle Feſſeln abnimmt die mich drücken, der mir winkt in die Lüfte, in die Freiheit.

Das haſt Du mir gelehrt, daß alles was meinem Geiſt eine Feſſel iſt, allein nur drückende Unwiſſenheit iſt; wo ich mich fürchte, wo ich meinen Kräften nicht traue, da bin ich nur unwiſſend.

Wiſſen iſt die Himmelsbahn; das höchſte Wiſſen iſt Allmacht, das Element der Seeligkeit; ſo lange wir nicht in ihm ſind, ſind wir noch ungeboren. Seelig ſein iſt frei ſein; ein freies, ſelbſtſtändiges Leben haben, deſſen Höhe und Göttlichkeit nicht abhängt von ſeiner Geſtaltung; das in ſich göttlich iſt, weil nur reiner Entfaltungstrieb in ihm iſt; ewiges Blühen an's Licht und ſonſt nichts.

228

Liebe iſt Entfaltungstrieb in die göttliche Freiheit. Dies Herz, das von Dir empfunden ſein will, will frei werden; es will entlaſſen ſein aus dem Kerker in dein Bewußtſein. Du biſt das Reich, der Stern, den es ſei - ner Freiheit erobern will. Liebe will allmählig die Ewig - keit erobern, die, wie Du weißt, kein Ende nehmen wird.

Dies Sehnen iſt jenſeits der Athem, der die Bruſt hebt; und die Liebe iſt die Luft, die wir trinken.

Durch Dich werd 'ich in's unſterbliche Leben einge - hen; der Liebende geht ein durch den Geliebten in's Göttliche, in die Seeligkeit. Liebe iſt Überſtrömen in die Seeligkeit.

Dir alles ſagen, das iſt mein ganzes Sein mit Dir; der Gedanke iſt die Pforte, die den Geiſt entläßt; da rauſcht er hervor und hebt ſich hinüber zur Seele die er liebt, und läßt ſich da nieder, und küßt die Ge - liebte, und das iſt Wolluſtſchauer: den Gedanken empfin - den, den die Liebe entzündet.

Möge mir dies ſüße Einverſtändniß mit Dir be - wahrt bleiben, in dem ſich unſer Geiſt berührt; dies kühne Heldenthum, das ſich über den Boden der Be - drängniß und Sorge hinweg hebt, auf himmliſchen Stufen aufwärtsſchreitend, ſolchen ſchönen Gedanken entgegen, von denen ich weiß, ſie kommen aus Dir.

229
Goethe an B.

Nur wenig Augenblicke vor meiner Abreiſe nach Carlsbad kommt dein lieber Brief aus dem Rheingau; auf jeder Seite ſo viel Herrliches und Wichtiges leuch - tet mir entgegen, daß ich im voraus Beſchlag lege auf jede prophetiſche Eingebung deiner Liebe; deine Briefe wandern mit mir, die ich wie eine buntgewirkte Schnur auftrößle, um den ſchönen Reichthum den ſie enthalten, zu ordnen. Fahre fort, mit dieſem lieblichen Irrlichter - tanz mein beſchauliches Leben zu ergötzen, und bezie - hende Abentheuer zu lenken; es iſt mir alles aus eigner Jugenderinnerung bekannt, wie die heimathliche Ferne, deren man ſich deutlich bewußt fühlt, obſchon man ſie ſchon lange verlaſſen hat. Forſche doch nach dem Lebenslauf deines hartgebrannten Schiffers, wenn Du ihm wieder begegneſt; es wäre doch wohl intereſſant zu erfahren, wie der indiſche Seefahrer endlich auf den Rhein kömmt, um zur gefährdeten Stunde den böſen Raubvögeln mein liebes Kind abzujagen, Adieu! Der Eichwald und die kühlen Bergſchluchten, die meiner harren, ſind der Stimmung nicht ungünſtig, die Du ſo unwiderſtehlich herauszulocken verſtehſt; auch pre -230 dige deine Naturevangelien nur immer in der ſchö - nen Zuverſicht, daß Du einen frommen Gläubigen an mir haſt.

Die gute Mutter hat mir ſehr bedauerlich geſchrie - ben, daß ſie dieſem Sommer Dich entbehren ſoll; deine reiche Liebe wird auch dahin vorſorgend wirken, und Du wirſt Einen in dem Andern nicht vergeſſen.

Möchteſt Du doch auch gelegentlich meinen Dank, meine Verehrung unſerm vortrefflichen Fürſten Primas ausdrücken, daß er meinen Sohn ſo über alle Erwar - tung geehrt, und der braven Großmutter ein ſo einziges Feſt gegeben. Ich ſollte wohl ſelbſt dafür danken, aber ich bin überzeugt, Du wirſt das, was ich zu ſagen habe, viel artiger und anmuthiger, wenn auch nicht herzlicher vortragen.

Deine Briefe werden mir im Carlsbad bei den drei Mohren der willkommenſte Beſuch ſein, von denen ich mir das beſte Heil verſpreche. Erzähle mir ja recht viel von deinen Reiſen, Landparthieen, alten und neuen Beſitzun - gen, und erhalte Dich mir in fortdauerndem lebendigem Andenken.

G.

231
An Goethe.

Hier ſind noch tauſend herrliche Wege, die alle nach berühmten Gegenden des Rheins führen; jenſeits liegt der Johannisberg, auf deſſen ſteilen Rücken wir täglich Prozeſſionen hinaufklettern ſehen, die den Weinbergen Seegen erflehen, dort überſtrömt die ſcheidende Sonne das reiche Land mit ihrem Purpur, und der Abendwind trägt feierlich die Fahnen der Schutzheiligen in den Lüf - ten, und bläht die weitfaltigen weißen Chorhemden der Geiſtlichkeit auf, die ſich in der Dämmerung wie ein räthſelhaftes Wolkengebilde den Berg hinabſchlängeln. Im Näherrücken entwickelt ſich der Geſang; die Kin - derſtimmen klingen am vernehmlichſten; der Baß ſtößt nur ruckweiſe die Melodie in die rechten Fugen, damit ſie das kleine Schulgewimmel nicht all' zu hoch treibe, und dann pauſirt er am Fuß des Bergs, wo die Wein - lagen aufhören. Nachdem der Herr Kaplan den letz - ten Rebſtock mit dem Wadel aus dem Weihwaſſerkeſſel beſpritzt hat, fliegt die ganze Prozeſſion wie Spreu aus - einander, der Küſter nimmt Fahne, Weihkeſſel und Wa - del, Stola und Chorhemd, alles unter dem Arm, und trägt's eilends davon, und als ob die Grenze der Wein -232 berge auch die Grenze der Audienz Gottes wär ', ſo fällt das weltliche Leben ein, Schelmenliedchen bemächtigen ſich der Kehlen, und ein heiteres Allegro der Ausgelaſ - ſenheit verdrängt den Bußgeſang, alle Unarten gehen los, die Knaben balgen ſich, und laſſen ihre Drachen am Ufer im Mondſchein fliegen, die Mädchen ſpannen ihre Leinwand aus, die auf der Bleiche liegt, und die Burſche bombardieren ſie mit wilden Caſtanien; da jagt der Stadthirt die Kuhheerde durch's Getümmel, den Ochs voran, damit er ſich Platz mache; die hübſchen Wirthstöchter ſtehen unter den Weinlauben vor der Thür und klappen mit dem Deckel der Weinkanne, da ſprechen die Chorherren ein, und halten Gericht über Jahrgänge und Weinlagen, der Herr Frühmeſſner ſagte nach gehaltner Proceſſion zum Herrn Kaplan: Nun haben wir's unſerm Herrgott vorgetragen, was unſerm Wein Noth thut: noch acht Tage trocken Wetter, dann Morgens früh Regen und Mittags tüchtigen Sonnen - ſchein, und das ſo fort Juli und Auguſt! wenn's dann kein gutes Weinjahr giebt, ſo iſt's nicht unſre Schuld.

Geſtern wanderte ich, der Prozeſſion vorüber, hin - auf nach dem Kloſter, wo ſie herkam. Oft hatte ich im Aufſteigen halt gemacht, um den verhallenden Geſang noch zu hören. Da oben auf der Höhe war große Ein -233 ſamkeit, nach dem auch das Geheul der Hunde, die das Pſalmiren obligat begleitet hatten, verklungen war, ſpürte ich in die Ferne; da hörte ich dumpf das ſinkende Treiben des ſcheidenden Tags; ich blieb in Gedan - ken ſitzen, da kam aus dem fernen Waldgeheg 'von Vollrath's her etwas Weißes, es war ein Reiter auf einem Schimmel; das Thier leuchtete wie ein Geiſt, ſein weicher Galopp tönte mir weiſſagend, die ſchlanke Figur des Reiters ſchmiegte ſich ſo nachgebend den Bewegun - gen des Pferdes, das den Hals ſanft und gelenk bog; bald in läſſigem Schritt kam er heran, ich hatte mich an den Weg geſtellt, er mogte mich im Dunkel für einen Knaben halten, im braunen Tuchmantel und ſchwarzer Mütze ſah ich nicht grade einem Mädchen ähn - lich. Er fragte, ob der Weg hier nicht zu ſteil ſei zum Hinabreiten, und ob noch weit ſei bis Rüdesheim. Ich leitete ihn den Berg herab, der Schimmel hauchte mich an, ich klatſchte ſeinen ſanften Hals. Des Reiters ſchwarzes Haar, ſeine erhabene Stirn und Naſe waren bei dem hellen Nachthimmel deutlich zu erkennen. Der Feldwächter ging vorüber und grüßte, ich zog die Mütze ab, mir klopfte das Herz neben meinem zweifelhaften Begleiter, wir gaben einander wechſelweiſe Raum, uns näher zu betrachten, was er von mir zu denken beliebte,234 ſchien keinen großen Eindruck auf ihn zu machen; ich aber entdeckte in ſeinen Zügen, ſeiner Kleidung und Be - wegungen eine reizende Eigenheit nach der andern. Nachläſſig, Bewußtlos, Naturlaunig ſaß er auf ſeinem Schimmel, der das Regiment mit ihm theilte. Dort - hin flog er im Nebel[ſchwimmend], der ihn nur allzubald mir verbarg; ich aber blieb bei den letzten Reben, wo heute die Prozeſſion in ausgelaſſnem Übermuth ausein - ander ſprengte, allein zurück: Ich fühlte mich ſehr ge - demüthigt, ich ahndete nicht nur, ich war überzeugt, dies raſche Leben, das eben gleichgültig an mir vorüber ge - ſtreift war, begehre mit allen fünf Sinnen, des Köſt - lichſten und Erhabenſten im Daſein ſich zu bemäch - tigen.

Die Einſamkeit giebt dem Geiſt Selbſtgefühl; die duftenden Weinberge ſchmeichelten mich wieder zufrieden.

Und nun vertraue ich Dir ſchmucklos meinen Rei - ter, meine gekränkte Eitelkeit, meine Sehnſucht nach dem lebendigen Geheimniß in der Menſchenbruſt. Soll ich in Dir lebendig werden, genießen, athmen und ruhen, alles im Gefühl des Gedeihens, ſo muß ich, deiner - heren Natur unbeſchadet, alles bekennen dürfen, was mir fehlt, was ich erlebe und ahnde; nimm mich auf,235 weiſe mich zurecht und gönne mir die heimliche Luſt des tiefſten Einverſtändniſſes.

Die Seele iſt zum Gottesdienſt geboren, daß ein Geiſt in dem andern entbrenne, ſich in ihm fühle und verſtehen lerne, das iſt mir Gottesdienſt je inniger: je reiner und lebendiger.

Wo ich mich hinlagere am grünenden Boden, von Sonne und Mond beſchienen, da biſt Du meine Hei - ligung.

Bettine.

Du wirſt doch auch einmal den Rhein wieder be - ſuchen, den Garten deines Vaterlands, der dem ausge - wanderten die Heimath erſetzt, wo die Natur ſo freund - lich groß ſich zeigt; Wie hat ſie mit ſympatheti - ſchem Geiſt die mächtigen Ruinen auf's neue belebt, wie ſteigt ſie auf und ab an den düſtern Mauern und be - gleitet die verödeten Räume mit ſchmeichelnder Begra - ſung, und erzieht die wilden Roſen auf den alten War - ten und die Vogelskirſche, die aus verwitterter Mauer - luke herablacht. Ja komm 'und durchwandre den mäch - tigen Bergwald vom Tempel herab zum Felſenneſt das über dem ſchäumenden Bingerloch herabſieht, die Zinnen236 mit jungen Eichen gekrönt; wo die ſchlanken Dreiborde wie ſchlaue Eidexen durch die reißende Fluth am Mäu - ſethurm vorbeiſchießen. Da ſtehſt Du und ſiehſt, wie der helle Himmel über grünenden Rebhügeln aus dem Waſſerſpiegel herauflacht, und Dich ſelbſt auf deinem kecken, eigenſinnigen, baſaltnen Ehrenfels inmitten ab - gemalt, in ernſte, ſchaurig umfaſſende Felshöhen, und hartnäckige Vorſprünge eingerahmt; da betrachte Dir die Mündungen der Thale, die mit ihren friedlichen Klöſtern zwiſchen wallenden Saaten aus blauer Ferne hervorgrünen, und die Jagdreviere und hängenden Gär - ten, die von einer Burg zur andern ſich ſchwingen, und das Geſchmeide der Städte und Dörfer, das die Ufer ſchmückt.

O Weimar, O Karlsbad, entlaßt mir den Freund! Schließ 'dein Schreibpult zu und komm' hier her lieber, als nach Carlsbad; das iſt ja ein Kleines, daß Du den Poſtillion ſagſt: links ſtatt rechts; ich weiß was Du be - darfſt, ich mache Dir dein Zimmer zurecht neben Mei - nem, das Eckzimmer, mit dem einen Fenſter den Rhein hinunter, und dem andern hinüber; ein Tiſch, ein Seſſel, ein Bett[und] ein dunkler Vorhang, daß die Sonne Dir nicht zu früh herein ſcheint. Muß es denn immer auf237 dem Weg zum Tempel des Ruhms fortgeleiert ſein, wo man ſo oft marode wird?

Eben entdeckte ich den Briefträger, ich ſprang ihm entgegen, er zeigte mir auch von weitem deinen Brief, er freute ſich mit mir und hatte auch Urſache dazu, er ſagte: Gewiß iſt der Brief von dem Herrn Liebſten! Ja, ſagte ich, für die Ewigkeit! das hielt er für ein melancholiſches Ausrufungszeichen.

Die Mutter hat mir auch heute geſchrieben, ſie ſagt mir's herzlich, daß ſie mir wohl will, von deinem Sohn erhalte ich zuweilen Nachricht durch andre, er ſelbſt aber läßt nichts von ſich hören.

Und nun leb 'wohl, dein Aufenthalt im Karlsbad ſei Dir gedeihlich, ich ſegne deine Geſundheit, wenn Du krank wärſt und Schmerzen litteſt, würde ich ſehr mit - leiden, ich hab' ſo Manches nachfühlen müſſen; was Du wohl längſt verſchmerzt hatteſt, noch eh 'ich Dich kannte.

Die drei Mohren ſollen deine Wächter ſein, daß ſich kein fremder Gaſt bei Dir einſchleiche, und Du Dir kein geſchnitzeltes Bild machſt, daſſelbige anzubeten. Laß Dir's bei den drei Mohren geſagt ſein, daß ich um den Ernſt deiner Treue bitte, erhalte mir ſie unter den zier - lichen müſſigen Badenymphen, die Dich umtanzen, die238 Nadel mit dem Gordiſchen Knoten trag 'an deiner Bruſt, denk daran, daß Du aus der Fülle meiner Liebe keine Wüſte des Jammers machen ſollſt, und ſollſt den Kno - ten nicht entzwei hauen.

Dem Primas hab 'ich geſchrieben in deinem Auf - trag, er iſt in Aſchaffenburg, er hat mich eingeladen, dorthin zu kommen; ich werde auch wahrſcheinlich mit der ganzen Familie ihn beſuchen, da kann ich ihm alles noch einmal mittheilen. Ich werde Dir Nachricht dar - über geben.

Nun küſſe ich Dir zum letztenmal Hand und Mund, um Morgen einen neuen Brief zu beginnen.

Bettine.

An Goethe.

Wenn ich Dir alle Ausflüge beſchreiben ſollte, lieb - ſter Herr, die wir von unſerm Rheinaufenthalt aus ma - chen, ſo blieb mir keine Minute übrig zum Schmachten und Seufzen. Das wär 'mir ſehr lieb, denn wenn mein Herz voll iſt, ſo möcht' ich's gerne vor Dir überſtrömen laſſen; aber ſo geht's nicht: Hat man den ganzen Tag im heißen Sonnenbrand einen Berg um den andern er -239 ſtiegen, alle Herrlichkeiten der Natur mit Haſt in ſich getrunken, wie den kühlen Wein in der Hitze, ſo möchte man am Abend den Freund lieber an's Herz drücken, und ihm ſagen, wie lieb man ihn hat, als noch viele Beſchreibung von Weg und Steg machen. Was ver - mag ich auch vor Dir, als nur Dich innigſt anzuſehen! Was ſoll ich Dir vorplaudern? Was können Dir meine einfältigen Reden ſein?

Wer ſich nach der ſchönen Natur ſehnt, der wird ſie am beſten beſchreiben, der wird nichts vergeſſen keinen Sonnenſtrahl, der ſich durch die Felsritze ſtiehlt, keinen Windvogel, der die Wellen ſtreift, kein Kraut, kein Mückchen, keine Blume am einſamen Ort. Wer aber Mitten drinnen iſt, und mit glühendem Geſicht oben ankommt, der ſchläft wie ich gern auf dem grünen Raſen ein, und denkt weiter nicht viel, manch - mal giebt's einen Stoß an's Herz, da ſeh 'ich mich um und ſuche, wem ich's vertrauen ſoll.

Was ſollen mir all' die Berge bis zur blauen Ferne, die blähenden Segel auf dem Rhein, die brauſenden Waſſerſtrudel! es drückt einem doch nur, und keine Antwort, niemals, wenn man auch noch ſo begeh - rend fragt.

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So lauten die Stoßſeufzer am Abend, am Morgen klingt's anders, da regt ſich's ſchon vor Sonnenauf - gang und treibt mich hinaus, wie einer längſt erſehn - ten Botſchaft entgegen. Den Nachen kann ich ſchon allein regieren, es iſt mein liebſtes Morgengebet ihn liſtig und verſtohlen von der Kette zu löſen, und mich hinüber an's Ufer zu ſtudieren. Allemal muß ich's wie - der von neuem lernen, es iſt ein Wagſtück, mit Muthwill begonnen, aber ſehr andächtig beſchloſſen; denn ich danke Gott, wenn ich glücklich gelandet bin. Ohne Wahl belaufe ich dann einen der vielen Strahlenwege, die ſich hier nach allen Seiten aufthun. Jedesmal lauſcht die Er - wartung im Herzen, jedesmal wird ſie gelöſ't, bald durch die allumfaſſende Weite auf der Höh ', durch die Sonne die ſo plötzlich alles aus dem Schlaf weckt; ich klimme herab an Felswänden, reinliches Moos, zierliches Flechtwerk begleitet den Stein, kleine Höhlen zum Lager wie gegoſſen, in denen verſchnauf' ich, dort zwiſchen dunklen Felſen leuchtet ein helleres Grün: kräf - tig blühend, untadelich, mitten in der Wüſte find 'ich die Blume auf reinlichem Heerd, einfache Haushaltung Gottes; inmitten von Blüthenwänden die Opferſtättefeier -241feierlich umſtellt von ſchwanken prieſterlichen Nymphen, die Libationen aus ihren Kelchkrüglein ergießen, und Weihrauch ſtreuen, und wie die indiſchen Mädchen gold - nen Staub in die Lüfte werfen. Dann ſeh 'ich's blitzen im Sand; ich muß hinab und wieder hinauf, ob's vielleicht ein Diamant iſt, den der Zufall an's Licht gebracht hat. Wenn's einer wär', ich ſchenkte ihn Dir, und denk 'mir deine Verwunderung über das Kleinod unſerer rheini - ſchen Felſen. Da lieg' ich am unbeſchatteten Ort mit brennenden Wangen, und ſammle Muth, wieder hinüber zu klettern zur duftenden Linde. Am Kreuzweg, beim Opferſtock des heiligen Petrus, der mit großem Him - melsſchlüſſel in's vergitterte Kapellchen eingeſperrt iſt, ruh 'ich aus auf weichem Gras, und ſuch' vergebens, o Himmel! an deinem gewölbten Blau das Loch, in das der Schlüſſel paſſen könnte, da ich heraus möchte aus dem Gefängniß der Unwiſſenheit und Unbewußt - heit; wo iſt die Thür die dem Licht und der Freiheit ſich öffnet. Da ruſchelt's, da zwitſchert's im Laub, dicht neben mir, unter niederem Aſt ſitzt das Finken - weibchen im Neſt und ſieht mich kläglich an.

Das ſind die kleinen allerliebſten Abentheuer und Mühſeligkeiten des heutigen Tags. Heimwärts machte ich die Bekanntſchaft der kleinen Gänſehirtin, ſie ſtrahlteI. 11242mich von weitem an mit ihren zolllangen ſchwarzen Augenwimpern, die andern Kinder lachten es aus und ſagten alle Menſchen hielten ſich drüber auf, daß es ſo lange Wimpern habe. Es ſtand beſchämt da, und fing endlich an zu weinen. Ich tröſtete es und ſagte: Weil Dich Gott zur Hüterin über die ſchönen weißen Gänſe beſtellt hat, und Du immer auf freier Wieſe geheſt, wo die Sonne ſo ſehr blendet, ſo hat er Dir dieſe langen Augenſchatten wachſen laſſen. Die Gänſe drängten ſich an ihre weinende Hüterin, und ziſchten mich und die lachenden Kinder an, könnt 'ich malen das gäb' ein Bild!

Gut iſt's, daß ich nicht viel von dem weiß, was in der Welt vorgeht, und von Künſten und Wiſſenſchaf - ten nichts verſteh ', ich könnte leicht in Verſuchung ge - rathen, Dir darüber zu ſprechen, und meine Phantaſie würde alles beſſer wiſſen wollen, jetzt nährt ſich mein Geiſt von[Inſpirationen]. Manches hör' ich nennen, anwenden, vergleichen, was ich nicht begreife, was hin - dert mich danach zu fragen? was macht mich ſo gleichgültig dagegen? oder warum weiche ich wohl gar aus, etwas Neues zu erfahren?

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Ein Heer von Wolken macht mir heute meine frühe Wanderung zu Waſſer, dort drüben die Ufer ſind heute wie Schatten der Unterwelt ſchwankend und ſchwin - dend; die Thurmſpitzen der Nebelbegrabenen Städte und Ortſchaften dringen kaum durch, die ſchöne grüne Au 'iſt verſchwunden. Es iſt noch ganz früh ich merk's! kaum kann es vier Uhr ſein, da ſchlagen die Hähne an, von Ort zu Ort in die Runde bis Mittelheim, von Nachbar zu Nachbar; keiner verkümmert dem andern die Ehre des langen Nachhalls, und ſo geht's in die Ferne wie weit! die Morgenſtille dazwiſchen, wie die Wächter der Moſcheen, die das Morgengebet ausrufen.

Morgenſtund 'hat Gold im Mund', ſchon ſeh 'ich's glänzen und flimmern auf dem Waſſer, die Strahlen brechen durch, und ſäen Sterne in den eilenden Strom, der ſeit zwei Tagen, wo es unaufhörlich gießt, ange - ſchwollen iſt.

Da hat der Himmel ſeine Schleier zerriſſen! nun iſt's gewiß, daß wir heute ſchön Wetter haben, ich bleibe zu Hauſe und will alle Segel zählen, die vorüber zie - hen, und allen Betrachtungen Raum geben, die mir die ferne allmählig erhellende Ausſicht zuführt. Du kennſt den Fluß des Lebens wohl genau; und weißt, wo die Sand -11*244bänke und Klippen ſind, und die Strudel, die uns in die Tiefe ziehen, und wie weit der jauchzende Schiffer mit geſpanntem Segel, mit friſchem Wind wohl kom - men wird, und was ihn am Ufer erwartet.

Wenn Dir's gefällt, einen Augenblick nachzuden - ken über den Eigenſinn meiner Neigung und über die Erregbarkeit meines Geiſtes, ſo mag dir's wohl anſchau - lich ſein, was mir unmündig Schiffenden noch begegnen wird. O ſag 'mir's, daß ich nichts erwarten ſoll von jenen Luftſchlöſſern, die die Wolken eben im Saffran und Purpurfeld der aufgehenden Sonne aufthürmen, ſag mir: Dies Lieben und Aufflammen, und dies trotzige Schweigen zwiſchen mir und der Welt ſei nichtig und nichts!

Ach, der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer Au 'ſeinen diamantnen Fuß aufſetzt und ſich über's Haus hinüberſchwingt auf den Johannisberg, der iſt wohl grad' wie der ſeelige Wahn, den ich habe von Dir und Mir. Und der Rhein, der ſein Netz ausſpannt, um das Bild ſeiner paradieſiſchen Ufer drinn aufzufangen, der iſt wie dieſe Lebensflamme, die von Spiegelungen des Unerreichbaren ſich nährt. Mag ſie denn der Wirklich - keit auch nicht mehr abgewinnen, als den Wahn; es wird mir eben auch den eigenthümlichen Geiſt geben245 und den Charakter, der mein Selbſt ausſpricht, wie dem Fluß das Bild, das ſich in ihm ſpiegelt.

Heute Morgen ſchiffte ich noch mit dem launigen, Rheinbegeiſterten Niklas Vogt nach der Ingelheimer Au ', ſeine enthuſiaſtiſchen Erzählungen waren ganz von dem O und Ach vergangner ſchönen Zeiten durchwebt. Er holte weit aus und fing von da an, ob Adam hier nicht im Paradieſe gelebt habe, und dann erzählte er vom Urſprung des Rheins und ſeinen Windungen durch wilde Schluchten und einengende Felsthale, und wie er da nach Norden ſich wende und wieder zurückgewieſen werde links nach Weſten, wo er den Bodenſee bilde, und dann ſo kräftig ſich über die entgegenſtellenden Fel - ſen ſtürze; ja, ſagte der gute Vogt ganz liſtig und lu - ſtig, man kann den Fluß ganz und gar mit Goethe vergleichen. Jetzt geben Sie acht: die drei Bächlein die von der Höhe des ungeheuren Urfelſen, der ſo mannig - faltige, abwechſelnde Beſtandtheile hat, niederfließen und den Rhein bilden, der als Jünglingskind erſt ſprudelt, das ſind ſeine Muſen, nämlich Wiſſenſchaft, Kunſt und Poeſie, und wie da noch mehr herrliche Flüſſe ſind: der246 Teſſin, der Adda und Inn, worunter der Rhein der ſchönſte und berühmteſte, ſo iſt Goethe auch der be - rühmteſte und ſchönſte vor Herder, Schiller und Wie - land; und da wo der Rhein den Bodenſee bildet, das iſt die liebenswürdige Allgemeinheit Goethe's, wo ſein Geiſt von den drei Quellen noch gleichmäßig durchdrun - gen iſt, da, wo er ſich über die entgegenſtaunenden Fel - ſen ſtürzt: das iſt ſein trotzig Überwinden der Vorur - theile, ſein heidniſch Weſen, das brauſ't tüchtig auf und iſt tumultuariſch begeiſtert; da kommen ſeine Xenien und Epigramme, ſeine Naturanſichten, die den alten Philiſtern ins Geſicht ſchlagen, und ſeine philoſophiſchen und religiöſen Richtungen, die ſprudeln und toben zwi - ſchen dem engen Felsverhak des Widerſpruchs und der Vorurtheile ſo fort, und mildern ſich dann allmählig; nun aber kömmt noch der beſte Vergleich: Die Flüſſe die er aufnimmt: die Limmat, die Thur, die Reuß, die Ill, die Lauter, die Queich, lauter weibliche Flüſſe, das ſind die Liebſchaften, ſo gehts immer fort bis zur letzten Station. Die Selz, die Nahe, die Saar, die Moſel, die Nette, die Ahr; nun kommen ſie ihm vom Schwarzwald zugelaufen und von der rauen Alpe, lauter Flußjungfern: die Elz, die Treiſam, die Kinzig, die Murg, die Kraich, dann die Reus, die Jaxt; aus247 dem Odenwald und Melibocus herab, haben ſich ein paar allerliebſte Flüßchen auf die Beine gemacht: die Wesnitz und die Schwarzbach; die ſind ſo eilig: was giltſt Du, was haſt Du? Dann führt ihm der Main ganz verſchwiegen die Nid und die Krüftel zu; das verdaut er alles ganz ruhig, und bleibt doch immer er ſelber; und ſo macht's unſer großer deutſcher Dichter auch, wie unſer großer deutſcher Fluß; wo er geht und ſteht, wo er geweſen iſt und wo er hinkommt, da iſt immer was Liebes, was den Strom ſeiner Begeiſtrung anſchwellt.

Ich war überraſcht von der großen Geſellſchaft; Vogt meinte, das wären noch lange nicht alle; der Vergleiche waren noch kein Ende: Geſchichte und Fabel, Feuer und Waſſer, was über und unter der Erde ge - deiht, wußte er paſſend anzuwenden; ein Rhinoceros - gerippe und verſteinerte Palmen, die man am Rhein gefunden, nahm er, als deine intereſſanteſten Studien bezeichnend. So belehrte er mich und prophezeihte, daß Du auch bis an's End ', wie der Rhein, aushalten wer - deſt, und nachdem Du wie er, alle geſättigt und ge - noſſen, ſanft und gemachſam dem Meer der Ewigkeit zuwallen werdeſt; er ſchrieb mir das Verzeichniß aller Flüſſe auf, und verglich mich mit der Nidda; ach wie248 leid thut mir's, daß nach dieſer noch die Lahn, die Sayn, die Sieg, die Roer, die Lippe und die Ruhr kommen ſollen!

Adieu! Ich nenne dieſen Brief die Epiſtel der Spaziergänge; wenn ſie Dir nicht gefallen, ſo denke, daß die Nidda keine Goldkörner in ihrem Bett führt wie der Rhein, nur ein bischen Queckſilber.

Sei mir gegrüßt bei den drei Mohren. Bettine.

An Bettine.

Zwei Briefe von Dir, liebe Bettine, ſo reich an Erlebtem, ſind mir kurz nach einander zugekommen; der erſte indem ich im Begriff war das Freie zu ſuchen. Wir nahmen ihn mit und bemächtigten uns ſeines In - halts auf einem wohlgeeigneten bequemen Ruhepunkt, wo Natur und Stimmung, im Einklang mit deinen ſinnig heiteren Erzählungen und Bemerkungen, einen höchſt erfreulichen Eindruck nicht verfehlten, der ſich fortan durch den gordiſchen Knoten ſignaliſiren ſoll. Mögen die Götter dieſen magiſchen Verſchlingungen ge -249 neigt ſein, und kein tückiſcher Dämon daran zerren! an mir ſoll's nicht fehlen, deine Schutz - und Trutzgerecht - ſame zu bewahren gegen Nymphen und Waldteufel.

Deine Beſchreibung der Rheinprozeſſion und der flüchtigen Reitergeſtalt haben mir viel Vergnügen ge - macht, ſie bezeichnen wie Du empfindeſt und empfun - den ſein willſt; laſſe Dir dergleichen Viſionen nicht ent - gehen, und verſäume ja nicht ſolche vorüberſtreifende Aufregungen bei den drei Haaren zu erfaſſen, dann bleibt es in deiner Gewalt das Verſchwundene in idea - liſcher Form wieder herbei zu zaubern. Auch für deine Naturbegeiſtrungen in die Du mein Bild ſo anmuthig verſtrickſt, ſei Dir Dank, ſolchen allerliebſten Schmeiche - leien iſt nicht zu wehren.

Heute Morgen iſt denn abermals deine zweite Epi - ſtel zu mir gelangt, die mir das ſchöne Wetter erſetzte. Ich habe ſie mit Muße durchleſen, und dabei den Zug der Wolken ſtudiert. Ich bekenne Dir gern, daß mir deine reichen Blätter die größte Freude machen; deinen launigen Freund, der mir ſchon rühmlichſt bekannt iſt, grüße in meinem Namen und danke ihm für den groß - müthigen Vergleich; obſchon ich hierdurch mit ausge - zeichneten Prärogativen belehnt bin, ſo werd 'ich dieſe doch nicht zum Nachtheil deiner guten Geſinnung miß -11**250brauchen; liebe mich ſo fort, ich will gern die Lahn und die Sayn ihrer Wege ſchicken.

Der Mutter ſchreibe, und laſſe Dir von ihr ſchrei - ben; liebet Euch unter einander, man gewinnt gar viel wenn man ſich durch Liebe einer des andern bemächtigt; und wenn Du wieder ſchreibſt, ſo könnteſt Du mir neben - her einen Gefallen thun, wenn Du mir immer am Schluß ein offnes, unverhohlnes Bekenntniß des Datums machen möchteſt; außer manchen Vortheilen die ſich erſt durch die Zeit bewähren, iſt es auch noch beſonders erfreulich gleich zu wiſſen, in wie kurzer Zeit dies alles von Her - zen zu Herzen gelangt. Das Gefühl der Friſche hat eine wohlthuende, raumverkürzende Wirkung, von wel - cher Wir beide ja auch Vortheil ziehen können.

G.

An Goethe.

Warſt Du ſchon auf dem Rochusberg? er hat in der Ferne was ſehr Anlockendes, wie ſoll ich es Dir beſchreiben? ſo, als wenn man ihn gern befühlen, ſtreichlen möchte, ſo glatt und ſammetartig. Wenn die Kapelle auf der Höhe von der Abendſonne beleuchtet iſt, und man ſieht in die reichen, grünen, runden Thäler,251 die ſich wieder ſo feſt an einander ſchließen, ſo ſcheint er, ſehnſüchtig an das Ufer des Rheins gelagert, mit ſeinem ſanften Anſchmiegen an die Gegend, und mit den geglätteten Furchen die ganze Natur zur Luſt er - wecken zu wollen. Er iſt mir der liebſte Platz im Rhein - gau; er liegt eine Stunde von unſerer Wohnung; ich habe ihn ſchon Morgens und Abends, im Nebel, Regen und Sonnenſchein beſucht. Die Kapelle iſt erſt ſeit ein paar Jahren zerſtört, das halbe Dach iſt herunter, nur die Rippen eines Schiffgewölbes ſtehen noch, in welches Weihen ein großes Neſt gebaut haben, die mit ihren Jungen ewig aus - und einfliegen, ein wildes Geſchrei halten das ſehr an die Waſſergegend gemahnt. Der Hauptaltar ſteht noch zur Hälfte, auf demſelben ein hohes Kreuz, an welches unten der heruntergeſtürzte Chriſtusleib feſtgebunden iſt. Ich kletterte an dem Al - tar hinauf; um den Trümmern noch eine letzte Ehre anzuthun, wollte ich einen großen Blumenſtrauß, den ich unterwegs geſammelt hatte, zwiſchen eine Spalte des Kopfes ſtecken; zu meinem größten Schrecken fiel mir der Kopf vor die Füße, die Weihen und Spatzen und alles was da geniſtet hatte, flog durch das Gepol - ter auf, und die ſtille Einſamkeit des Orts war Minu - ten lang geſtört. Durch die Öffnungen der Thüren252 ſchauen die entfernteſten Gebirge: auf der einen Seite der Altkönig, auf der andern der ganze Hundsrück bis Kreuznach vom Donnersberg begrenzt; rückwärts kannſt Du ſo viel Land überſehen, als Du Luſt haſt. Wie ein breites Feiergewand zieht es der Rhein ſchleppend hinter ſich her, den Du vor der Kapelle mit allen grü - nen Inſeln wie mit Schmaragden geſchmückt, liegen ſiehſt; der Rüdesheimer Berg, der Scharlach - und Jo - hannisberg, und wie all das edle Gefels heißt, wo der beſte Wein wächſt, liegen von verſchiednen Seiten, und fangen die heißen Sonnenſtrahlen wie blitzende Juwelen auf; man kann da alle Wirkung der Natur in die Kraft des Weines deutlich erkennen, wie ſich die Nebel zu Ballen wälzen und ſich an den Bergwänden herab - ſenken, wie das Erdreich ſie gierig ſchluckt, und wie die heißen Winde drüber herſtreifen. Es iſt nichts ſchöner, als wenn das Abendroth über einen ſolchen benebelten Weinberg fällt; da iſt's, als ob der Herr ſelbſt die alte Schöpfung wieder angefriſcht habe, ja, als ob der Wein - berg vom eignen Geiſt benebelt ſei. Und wenn dann endlich die helle Nacht heraufſteigt und allem Ruh 'giebt, und mir auch, die vorher wohl die Arme aus - ſtreckte und nichts erreichen konnte; die an Dich gedacht hat; deinen Namen wohl hundertmal auf den Lip -253 pen hatte, ohne ihn auszuſprechen; müßten nicht Schmerzen in mir erregt werden, wenn ich es einmal wagte? und keine Antwort? alles ſtill? Ja Na - tur! wer ſo innig mit ihr vertraut wär', daß er an ihrer Seeligkeit genug hätte! aber ich nicht! Lieber, lieber Freund, erlaub's doch, daß ich Dir jetzt beide Hände küſſe; zieh 'ſie nicht zurück, wie Du ſonſt gethan haſt.

Wo war ich heut Nacht? wenn Sie's wüßten, daß ich die ganze Nacht nicht zu Hauſe geſchlafen habe und doch ſo ſanft geruht habe! Dir will ich's ſa - gen; Du biſt weit entfernt, wenn Du auch ſchmälſt, bis hierher verhallt der Donner deiner Worte.

Geſtern Abend ging ich noch allein auf den Rochus - berg, und ſchrieb Dir bis hierher, dann träumte ich ein wenig, und wie ich mich wieder beſann und glaubte, die Sonne wolle untergehen, da war's der aufgehende Mond; ich war überraſcht, ich hätte mich gefürchtet, die Sterne litten's nicht; dieſe hunderttauſende und ich beiſammen in dieſer Nacht! Ja, wer bin ich, daß ich mich fürchten ſollte, zähl 'ich denn mit? Hinun - ter traute ich mich nicht, ich hätte keinen Nachen ge - funden zum Überfahren; die Nacht iſt auch gar nicht lang jetzt, da legt' ich mich auf die andere Seite und254 ſagte den Sternen gute Nacht; bald war ich eingeſchla - fen, dann und wann weckten mich irrende Lüftchen, dann dacht 'ich an Dich; ſo oft ich erwachte, rief ich Dich zu mir, ich ſagte immer im Herzen: Goethe, ſei bei mir, damit ich mich nicht fürchte; dann träumte ich, daß ich längs den ſchilfigen Ufern des Rheins ſchiffe, und da wo es am tiefſten war, zwiſchen ſchwarzen Fels - ſpalten, da entfiel mir dein Ring; ich ſah ihn ſinken, tiefer und tiefer, bis auf den Grund! Ich wollte nach Hülfe rufen, da erwachte ich im Morgenroth, neu - beglückt, daß der Ring noch am Finger war. Ach Pro - phet! deute mir dieſen Traum; komm dem Schickſal zuvor, laß unſerer Liebe nicht zu nahe geſchehen, nach dieſer ſchönen Nacht, wo ich zwiſchen Furcht und Freude im Rath der Sterne deiner Zukunft gedachte*)Als ich auf dem Euphrat ſchiffte, Streifte ſich der goldne Ring Fingerab in Waſſerklüfte, Den ich jüngſt von Dir empfing. Alſo träumt 'ich. Morgenröthe Blitzt' in's Auge durch den Baum, Sag 'Poete, ſag' Prophete! Was bedeutet dieſer Traum? . Ich255 hatte ſchon längſt Sehnſucht nach dieſem ſüßen Aben - theuer; nun hat es mich ſo leiſe beſchlichen, und alles ſteht noch auf dem alten Fleck. Keiner weiß wo ich war, und wenn ſie's auch wüßten, könnten ſie ahn - den, warum? Dort kamſt Du her, durch den flüſtern - den Wald, von milder Dämmerung umfloſſen, und wie Du ganz nahe warſt, das konnten die müden Sinne nicht ertragen, der Thymian duftete ſo ſtark; da ſchlief*)Dies zu deuten bin erbötig! Hab 'ich Dir nicht oft erzählt, Wie der Doge von Venedig Mit dem Meere ſich vermählt? So von deinen Fingergliedern Fiel der Ring dem Euphrat zu. Ach zu tauſend Himmelsliedern, Süßer Traum, begeiſterſt du! Mich, der von den Indoſtanen Streifte bis Damasrus hin, Um mit neuen Caravanen Bis an's rothe Meer zu ziehn,Mich vermählſt Du deinem Fluſſe, Der Terraſſe, dieſem Hain, Hier ſoll bis zum letzten Kuſſe Dir mein Geiſt gewidmet ſein. (Goethe's Werke, 5ter Band Seite 147 u. 148.) 256 ich ein, es war ſo ſchön, alles Blüthe und Wohlge - ruch. Und das weite, grenzenloſe Heer der Sterne, und das flatternde Mondſilber, das von Ferne zu Ferne auf dem Fluß tanzte, die ungeheure Stille der Natur, in der man alles hört, was ſich regt; ach, hier fühle ich meine Seele eingepflanzt in dieſe Nachtſchauer; hier keimen zukünftige Gedanken; dieſe kalten Thauperlen, die Gras und Kräuter beſchweren, von denen wächſt der Geiſt; er eilt, er will Dir blühen, Goethe; er will ſeine bunten Farben vor Dir ausbreiten; Liebe zu Dir iſt es, daß ich denken will, daß ich ringe nach noch Unausgeſprochenem. Du ſiehſt mich an im Geiſt, und dein Blick zieht Gedanken aus mir; da muß ich oft ſagen, was ich nicht verſtehe, was ich nur ſehe.

Der Geiſt hat auch Sinne; ſo wie wir manches nur hören, oder nur ſehen, oder nur fühlen: ſo giebt's Ge - danken, die der Geiſt auch nur mit einem dieſer Sinne wahrnimmt; oft ſeh 'ich nur was ich denke, oft fühle ich's; und wenn ich's höre, da erſchüttert mich's. Ich weiß nicht wie ich zu dieſen Erfahrungen komme, die ſich nicht aus eigner Überlegung erzeugen; ich ſehe mich um nach dem Herrn dieſer Stimme; und dann meine ich, daß ſich alles aus dem Feuer der Liebe er - zeuge. Es iſt Wärme im Geiſt, wir fühlen es; die257 Wangen glühen vom Denken, und Froſtſchauer über - laufen uns, die die Begeiſtrung zu neuer Gluth an - fachen. Ja, lieber Freund, heute Morgen da ich er - wachte, war mir's als hätte ich Großes erlebt, als hät - ten die Gelübde meines Herzens Flügel, und ſchwängen ſich über Berg und Thal in's reine, heitre, lichterfüllte Blau. Keinen Schwur, keine Bedingungen, alles nur angemeſſne Bewegung, reines Streben nach dem Himm - liſchen. Das iſt mein Gelübde: Freiheit von allen Ban - den, und daß ich nur dem Geiſt glauben will, der Schö - nes offenbart, der Seeligkeit prophezeiht.

Der Nachtthau hatte mich gewaſchen; der ſcharfe Morgenwind trocknete mich wieder; ich fühlte ein leiſes Fröſteln, aber ich erwärmte mich beim Herabſteigen von meinem lieben ſammtnen Rochus; die Schmetterlinge flo - gen ſchon um die Blumen; ich trieb ſie alle vor mir her, und wo ich unterwegs einen ſah, da jagte ich ihn zu meiner Heerde; unten hatte ich wohl an dreißig bei - ſammen, ich hätte ſie gar zu gerne mit über den Rhein getrieben, aber da haſpelten ſie alle aus einander.

Eben kommt eine Ladung frankfurter Gäſte; Chriſtian Schloſſer bringt mir einen Brief von der Mut - ter und Dir, ich ſchließe, um zu leſen.

Dein Kind.

258

Lieber Goethe! Du biſt zufrieden mit mir, und freuſt Dich über alles was ich ſchreibe, und willſt meine goldne Halsnadel tragen; ja thu 'es, und laſſe ſie ein Talismann ſein für dieſe glückerfüllte Zeit. Heute haben wir den 21ſten.

An Goethe.

Ich ſchreibe Dir in der chriſtallnen Mitternacht; ſchwarze Baſaltgegend, in's Mondlicht eingetaucht! Die Stadt macht einen rechten Katzenbuckel mit ihren ge - duckten Häuſern, und ganz bepelzt mit himmelſträuben - den Felszacken und Burgtrümmern; und da gegenüber ſchauert's und flimmert's im Dunkel, wie wenn man der Katze das Fell ſtreicht.

Ich lag ſchon im Bett unter einer wunderlichen Damaſtdecke, die mit Wappen und verſchlungenen Na - menszügen, und verblichnen Roſen und Jasminranken ganz ſtarr geſtickt iſt; ich hatte mich aber drunter in das Dir bekannte Fell des Silberbären eingehüllt. Ich lag recht bequem und angenehm, und überlegte mir, was der Chriſtian Schloſſer mir unterwegs hierher alles259 vorgefaſelt hat; er ſagt, Du verſtehſt nichts von Muſik, und hörſt nicht gern vom Tod reden. Ich fragte, wo - her er das wiſſe; er meint, er habe ſich Mühe ge - geben, Dich über Muſik zu belehren; es ſei ihm nicht gelungen; vom Tod aber habe er gar nicht ange - fangen, aus Furcht, Dir zu mißfallen. Und wie ich eben in dem alleinigen, mit großen Federbüſchen ver - zierten Ehebett darüber nachdenke, hör 'ich draußen ein Liedchen ſingen, in fremder Sprache; ſo viel Geſang ſo viel Pauſe! ich ſpringe im Silberbär an's Fenſter, und gucke hinaus, da ſitzt mein ſpaniſcher Schiffs - mann in der friſchen Mondnacht und ſingt. Ich er - kannt' ihn gleich an der goldnen Quaſte auf ſeiner Mütze; ich ſagte: guten Abend Herr Kapitain, ich dachte, Ihr wär't ſchon vor acht Tagen den Rhein hinab in's Meer geſchwommen. Er erkannte mich gleich und meinte, er habe drauf gewartet, ob ich nicht mit wolle. Ich ließ mir das Lied noch einmal ſingen; es klang ſehr feierlich, in den Pauſen hörte man den Wiederhall an der kleinen ſcharfkantigen Pfalz, die in mitten umdrängender ſchwarzer Felsgruppen, mit ihren elfenbeinernen Veſten und ſilbernen Zinnen ganz in's Mondlicht eingeſchmolzen war.

Lieber Goethe, ich weiß nicht was Dir der Schloſ -260 ſer über Muſik demonſtrirt hat mit ſeiner verpelzten Stimme, aber hätteſt Du heute Nacht mit mir dem fremden Schiffer zugehört, wie da die Töne unter ſich einen feierlichen Reihgen tanzten; wie ſie hinüber wall - ten an die Ufer, die Felſen anhauchten und der leiſe Wiederhall in tiefer Nacht ſo ſüß geweckt, träumeriſch nachtönte; der Schiffer, wie er aus verſchmachteter Pauſe wehmüthig aufſeufzt, in hohen Tönen klagt, und auf - geregt in Verzweiflung, hallend ruft nach Unerreichba - rem, und dann mit erneuter Leidenſchaft der Erinne - rung ſeinen Geſang weiht, in Perlenreihen weicher Töne den ganzen Schatz ſeines Glückes hinrollt; O und Ach! haucht, lauſcht, ſchmetternd ruft; wieder lauſcht und ohne Antwort endlich die Heerde ſam - melt, in Vergeſſenheit die kleinen Lämmer zählt: eins, zwei, drei, und weg zieht vom verödeten Strand ſeines Lebens, der arme Schäfer. Ach wunderbare Vermitt - lung des Unausſprechlichen, was die Bruſt bedrängt; ach Muſik!

Ja hätteſt Du's mit angehört, mit eingeſtimmt; hät - teſt Du in die Geſchicke mitgeſeufzt, mitgeweint, und Begeiſtrung hätte Dich durchzückt, und mich, lieber Goethe, die ich auch dabei war, tief bewegt; mich hätte der Troſt in deinen Armen ereilt.

261

Mir ſagte der Schiffer gute Nacht, ich ſprang in mein großes Bett unter die damaſtene Decke; ſie knarrte mir ſo vor den Ohren; ich konnte nicht ſchlafen, ich wollte ſtill liegen, da hörte ich in den gewunde - nen Säulen der Bettſtelle die Todtenwürmchen picken; eins nach dem andern legte los, wie geſchäftige Ge - ſellen in einer Waffenſchmiede.

Ich muß mich ſchämen vor Dir; ich fürchte mich zuweilen, wenn ich ſo allein bin in der Nacht und in's Dunkel ſehe; es iſt nichts, aber ich kann mich nicht da - gegen wehren; dann möcht 'ich nicht allein ſein, und blos darum denke ich manchmal, ich müſſe heirathen, damit ich einen Beſchützer habe gegen dieſe verwirrte angſtvolle Geſpenſterwelt. Ach Goethe! nimmſt Du mir das übel? Ja wenn der Tag anbricht, dann bin ich ſelbſt ganz unzufrieden über ſolche alberne Verzagt - heit. Ich kann in der Nacht gehen im Freien und im Wald, wo jeder Buſch, jeder Aſt ein ander Geſicht ſchneidet; mein wunderlicher, der Gefahr trotzender Muth - wille bezwingt die Angſt. Draußen iſt es auch was ganz andres, da ſind ſie nicht ſo zudringlich; man fühlt das Leben der Natur als ewiges, göttliches Wir - ken, das alles und einem ſelbſt durchſtrömt; wer kann ſich da fürchten? Vorgeſtern auf dem Rochus,262 in tiefer[Nacht] allein, da hörte ich den Wind ganz von weitem herankommen; er nahm zu in raſcher Eile, je näher er kam, und dann, grade zu meinen Füßen ſenkte er die Flügel ſanft, ohne nur den Mantel zu be - rühren, kaum daß er mich anhauchte, mußte ich da nicht glauben, er ſei blos geſendet, um mich zu grüßen? Du weißt es doch, Goethe, Seufzer ſind Boten; Du ſäßeſt allein am offnen Fenſter, am ſpäten Abend, und dächteſt und fühlteſt die letzte Begeiſterung für die letzte Geliebte in deinem Blut wallen; dann unwillkührlich ſtößt Du den Seufzer aus, der macht ſich augen - blicklich auf den Weg und jagt, Du kannſt ihn nicht zurückrufen.

Irrende Seufzer nennt man, die aus unruhiger Bruſt aus verwirrtem Denken und Wünſchen entſprin - gen; aber ein ſolcher Seufzer aus mächtiger Bruſt, wo die Gedanken, in ſchöner Wendung ſich verſchränkend, auf hohen Kothurnen die Thaugebadeten Füße in hei - ligem Takte bewegen, von ſchwebender Muſe geleitet; ein ſolcher Seufzer, der deinen Liedern die Bruſt[entriegelt], der ſchwingt ſich als Herold vor ihnen her, und meine Seufzer, lieber Freund! zu tauſen - den umdrängen ſie ihn.

Heute Nacht nun hab 'ich mich grauſam gefürchtet. 263 ich ſah nach dem Fenſter, wo es hell war, ich wär' ſo gern 'dort geweſen! ich war auf mein fatales Erblager aus dem vorigen Jahrhundert, in dem Ritter und Prälaten ſchon mögen ihren Geiſt ausgehaucht ha - ben, und ein Dutzend kleiner Meiſter vom Hammer, alle emſig, pochten und pickten feſt gebannt. Ach, wie ſehnt' ich mich nach der kühlen Nachtluft. Kann man ſo närriſch ſein. Plötzlich hatte ich überwunden, ich ſtand mitten in der Stube. Auf den Füßen, da bin ich gleich ein Held, es ſoll mir einer nah 'kommen, ach, wie pochten mir Herz und Schläfe, die vierzehn Nothhelfer, die ich aus alter Gewohnheit vom Kloſter her noch herbeirief, ſind auch keine Geſellſchaft zum La - chen, da der eine ſeinen eignen Kopf, der andre ſein Eingeweide im Arm trägt, und ſo weiter. Ich entließ ſie alle zum Fenſter hinaus. Und du magiſcher Spie - gel, in dem alles ſo zauberiſch wieder ſcheint, was ich erlebe, was war's denn, was mich beſeligte? Nichts! Tiefes Bewußtſein, Friede athmen, ſo ſtand ich am Fenſter und erwartete den anbrechenden Tag.

Bettine.

264

Über Muſik laſſe ich Dich nicht los. Du ſollſt mir bekennen, ob Du mich liebſt, Du ſollſt ſagen, daß Du Dich von ihr durchdrungen fühlſt. Der Schloſſer hat Generalbaß ſtudiert, um ihn Dir beizubringen, und Du haſt Dich gewehrt, wie er ſagt, gegen die kleine Sept, und haſt geſagt: bleibt mir mit Eurer Sept vom Leibe, wenn Ihr ſie nicht in Reih 'und Glied könnt' aufſtellen, wenn ſie nicht einklingt in die ſo bündig ab - geſchloſſnen Geſetze der Harmonie, wenn ſie nicht ihren ſinnlich natürlichen Urſprung hat, ſo gut wie die an - dern Töne, und Du haſt den verdutzten Miſſionair zu deinem heidniſchen Tempel hinausgejagt und bleibſt einſtweilen bei deiner Lydiſchen Tonart, die keine Sept hat. Aber Du mußt ein Chriſt werden, Heide! Die Sept klingt freilich nicht ein, und ohne ſinnliche Baſis; ſie iſt der göttliche Führer, Vermittler der ſinnlichen Na - tur mit der Himmliſchen; ſie iſt überſinnlich, ſie führt in die Geiſterwelt, ſie hat Fleiſch und Bein angenom - men, um den Geiſt vom Fleiſch zu befreien, ſie iſt zum Ton geworden, um den Tönen den Geiſt zu geben, und wenn ſie nicht wär ', ſo würden alle Töne in der Vor - hölle ſitzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die Grundaccorde was Geſcheuteres wären, als die Erzvä -ter265ter vor der Erlöſung, vor der Himmelfahrt. Er kam und führte ſie mit ſich gen Himmel, und jetzt, wo ſie erlöſ't ſind, können ſie ſelber erlöſen, ſie können die harrende Sehnſucht befriedigen. So iſt es mit den Chriſten, ſo iſt es mit den Tönen: ein jeder Chriſt fühlt den Erlöſer in ſich, ein jeder Ton kann ſich ſelbſt zum Vermittler, zur Sept erhöhen, und da das ewige Werk der Erlöſung aus dem Sinnlichen in's Himmliſche voll - bringen, und nur durch Chriſtum gehen wir in das Reich des Geiſtes ein, und nur durch die Sept wird das erſtarrte Reich der Töne erlöſ't und wird Muſik; ewig bewegter Geiſt, was eigentlich der Himmel iſt; ſo wie ſie ſich berühren, erzeugen ſich neue Geiſter, neue Be - griffe; ihr Tanz, ihre Stellungen werden göttliche Of - fenbarungen, Muſik iſt das Medium des Geiſtes, wo - durch das Sinnliche geiſtig wird und wie die Er - löſung über alle ſich verbreitet, die von dem lebendigen Geiſt der Gottheit ergriffen, nach ewigem Leben ſich ſeh - nen: ſo leitet die Sept durch ihre Auflöſung alle Töne die zu ihr um Erlöſung bitten, auf tauſend ver - ſchiednen Wegen zu ihrem Urſprung, zum göttli - chen Geiſt. Und wir arme Menſchen ſollten uns ge - nügen laſſen, daß wir fühlen: unſer ganzes Daſein iſt ein Zubereiten, Seeligkeit zu faſſen, und ſollten nichtI. 12266warten auf einen wohlgepolſterten, aufgeputzten Him - mel, wie deine Mutter, die da glaubt, daß dort alles, was uns auf Erden Freude gemacht hat, in erhöhtem Glanz ſich wieder finde; ja ſogar behauptet, ihr ver - blichnes Hochzeitkleid von blaßgrüner Seide mit Gold - und Silberblättern durchwirkt und ſcharlachrothem Sammt - überwurf, werde dort ihr himmliſches Gewand ſein, und der juwelene Strauß, den ein grauſamer Dieb ihr ent - wendet, ſauge ſchon jetzt einſtweilen das Licht der Sterne ein, um auf ihrem Haupt als Diadem unter den himm - liſchen Kronen zu glänzen. Sie ſagt: für was wär 'dies Geſicht das meinige, und warum ſpräche der Geiſt aus meinen Augen dieſen oder jenen an, wenn er nicht vom Himmel wär' und die Anwartſchaft auf ihn hätte? alles was todt iſt, macht keinen Eindruck; was aber Eindruck macht, das iſt ewig lebendig. Wenn ich ihr etwas erzähle, erfinde, ſo meint ſie, das ſind alles Dinge, die im Himmel aufgeſtellt werden. Oft erzähle ich ihr von Kunſtwerken meiner Einbildung. Sie ſagt: das ſind Tapeten der Phantaſie, mit denen die Wände der himmliſchen Wohnungen verziert ſind. Letzt war ſie im Conzert und freute ſich ſehr über ein Violoncell; da nahm ich die Gelegenheit wahr, und ſagte: Geb 'Sie acht, Frau Rath, daß ihr die Engel nicht ſo lang' mit267 dem Fidelbogen um den Kopf ſchlagen, bis Sie ein - ſieht, der Himmel iſt Muſik. Sie war ganz frappirt, und nach langer Pauſe ſagte ſie: Mädchen, Du kannſt Recht haben.

Was mache ich denn Goethe, meine halben Nächte verſchreib 'ich an Dich, geſtern früh im Nachen da ſchlief ich; wir fuhren bis St. Goar und träumte über Muſik, und was ich Dir geſtern Abend halb ermüdet und halb beſeſſen niedergeſchrieben habe, iſt kaum eine Spur von dem, was ſich in mir ausſprach, aber Wahrheit liegt drinnen; es iſt eben ein großer Unterſchied zwiſchen dem, was einem ſchlafend der Geiſt eingiebt, und dem, was man wachend davon behaupten kann. Ich ſage Dir, ich hoffe in Zukunft mehr bei Sinnen zu ſein, wenn ich Dir ſchreibe; ich werde mich mäßigen und alle kleine Züge ſammlen, unbekümmert, ob ſie aus einer Anſchau - ung hervorgehen, ob ſie ein Syſtem begründen. Ich möchte ſelbſt gerne wiſſen, was Muſik iſt, ich ſuche ſie, wie der Menſch die ewige Weisheit ſucht. Glaube nicht, daß, was ich geſchrieben habe, nicht mein wahrer Ernſt ſei, ich glaube dran, grad' weil ich's gedacht habe, ob -12*268ſchon es der himmliſchen Genialität entbehrt, und man ordentlich erkennt, wie ich froh war, mich vor meinem zürnenden Dämon, daß ich ihn ſo ſchlecht verſtand, hin - ter den goldnen Reifrock deiner Mutter verbergen zu können. Adieu! geſtern Abend ging ich noch ſpät in der ſchönen, blühenden Lindenallee im Mondſchein am Ufer des Rheins, da hörte ich's klappen und ſanft ſin - gen. Da ſaß vor ihrer Hütte unter dem blühenden Lin - denbaum, die Mutter von Zwillingen, eins hatte ſie an der Bruſt, und das andre wiegte ihr Fuß im Takt, während ſie ihr Lied ſang; alſo im Keim, wo kaum die erſte Lebensſpur ſich regt, da iſt Muſik ſchon die Pfle - gerin des Geiſtes, es ſummt in's Ohr und dann ſchläft das Kind, die Töne ſind die Geſellen ſeiner Träume, ſie ſind ſeine Mitwelt; es hat ja nichts das Kind, ob es die Mutter auch wiege, es iſt allein im Geiſt; aber die Töne dringen in es ein und feſſeln es an ſich, wie die Erde das Leben der Pflanze an ſich feſſelt, und wenn Muſik das Leben nicht hielt ', ſo würde es erkalten. und ſo brütet Muſik fort, von da an wo der Geiſt ſich regt, bis er reif und flück und ungeduldig hinausſtrebt nach jenſeits, und da werden wir's wohl auch erfahren, daß Muſik die Mutterwärme war, um den Geiſt unter der Erdenhülle auszubrüten. Amen.

269

Dies heimliche Ergötzen an deiner Bruſt zu ſchla - fen: denn dies Schreiben an Dich nach durchlaufner Tagsgeſchichte iſt ein wahres Träumen an deinem Her - zen von deinen Armen umſchlungen, ich freu 'mich im - mer, wenn wir in die Herberge einziehen und es heißt: wir wollen früh zu Bett' denn wir müſſen auch früh wieder heraus, der Franz jagt mich immer zuerſt in's Bett ', und ich bin auch ſo müde, daß ich's kaum er - warten kann; ich werfe in Haſt die Kleider ab, und ſinke vor Müdigkeit in einen tiefen Brunnen, da um - fängt mich das Waldrevier, durch das wir am Tag' geſchritten waren, das Licht der Träume blitzt durch die dunkeln Wölbungen des Schlafs. Träume ſind Schäume, ſagt man, ich hab 'eine andre Bemerkung gemacht, ob die wahr iſt? allemal die Gegend, die Umgebung in der ich mich im Traum fühle, die deutet auf die Stimmung, auf das Paſſive meines Gemüths. So träum' ich mich jetzt immer in Verborgenes, Heimli - ches; es ſind Höhlen von weichem Moos bei kühlen Waſſern, verſchränkt von blühenden Zweigen; es ſind dunkle Waldſchluchten, wo uns gewiß kein Menſch fin - det und ſucht. Da wart 'ich auf Dich im Traum, ich harre, und ſehe mich um nach Dir; ich gehe auf engen,270 verwachſenen Wegen hin und her, und eile zurück, weil ich glaub' jetzt biſt Du da; dann bricht plötzlich der Wille durch, ich ringe in mir, Dich zu haben, und das iſt mein Erwachen. Dann färbt ſich's ſchon im Oſten, ich rücke mir den Tiſch an's Fenſter, die Dämmerung verſchleiert noch die erſten Zeilen; bis ich aber das Blatt zu Ende geſchrieben habe, ſcheint ſchon die Sonne. Ach, was ſchreib 'ich Dir denn? Ich hab' ſelbſt kein Urtheil drüber, aber ich bin allemal neugierig, was kom - men wird. Laß andre ihre Schickſale bereichern durch ſchöne Walfarthen in's gelobte Land, laß ſie ihr Jour - nal ſchreiben von gelehrten und andern Dingen, wenn ſie Dir auch einen Elephantenfuß oder eine verſteinerte Schneck mitbringen, darüber will ich ſchon Herr wer - den, wenn ſie ſich nur nicht in ihren Träumen in Dich verſenken, wie ich. Laß mir die ſtille Nacht, nimm keine Sorgen mit zu Bett, ruh aus in dem ſchönen Frieden, den ich Dir bereite, ich bin ja auch ſo glücklich in Dir! Es iſt freilich ſchön wie Du ſagſt, ſich in dem Labyrinth geiſtiger Schätze mit dem Freund zu ergehen; aber darf ich nicht bitten für das Kind, das ſtumm vor Liebe iſt? Denn eigentlich iſt dieſes geſchriebene Geplauder nur eine Nothhülfe die tiefſte Liebe in mir iſt ſtumm: es iſt, wie ein Mückchen ſummt um deine Ohren im Schlaf,271 und wenn Du nicht wach werden willſt, und meiner bewußt ſein, dann wird Dich's ſtechen. Sag! iſt dies Leidenſchaft, was ich Dir hier vorbete? O ſag's doch; wenn's wahr wäre, wenn ich geboren wär in Lei - denſchaft zu verflammen, wenn ich die hohe Ceder wär, auf dem die Welt überragenden Libanon, angezündet zum Opfer deinem Genius, und verduften könnte in Wohlgerüchen, daß jeder deinen Geiſt einſöge durch mich; wenns ſo wär, mein Freund, das Leidenſchaft den Geiſt des Geliebten entbindet, wie das Feuer den Duft! und ſo iſt es auch! dein Geiſt wohnt in mir, und entzündet mich, und ich verzehre mich in Flammen, und verdufte, und was die ausſprühenden Funken erreichen, das verbrennt mit; ſo knackert und flackert jetzt die Muſik in mir, die muß auch herhalten zum luſtigen Opferfeuer; ſie will nur nicht recht zünden, und ſetzt viel Rauch. Ich gedenke hier Deiner und Schiller's; die Welt ſieht Euch an wie zwei Brüder auf einem Thron, er hat ſo viel Anhänger wie Du; ſie wiſ - ſen's nicht, daß ſie durch den einen vom andern berührt werden; ich aber bin deſſen gewiß. Ich war auch einmal ungerecht gegen Schiller, und glaubte, weil ich Dich liebe, ich dürfe ſeiner nicht achten; aber nachdem ich Dich geſehen hatte, und nach dem ſeine272 Aſche, als letztes Heiligthum ſeinen Freunden als Ver - mächtniß hinterblieb, da bin ich in mich gegangen; ich fühlte wohl, das Geſchrei der Raben über dieſem heili - gen Leichnam ſei gleich dem ungerechten Urtheil. Weißt Du, was Du mir geſagt haſt, wie wir uns zum erſten - mal ſahen? Ich will Dir's hier zum Denkſtein hin - ſetzen deines innerſten Gewiſſens, Du ſagteſt: Ich denke jetzt an Schiller, indem ſah'ſt Du mich an und ſeufzteſt tief, und da ſprach ich drein, und wollte Dir ſagen, wie ich ihm nicht anhinge, und Du ſagteſt abermals: ich wollte, er wär 'jetzt hier. Sie würden anders fühlen, kein Menſch konnte ſeiner Güte widerſtehen, wenn man ihn nicht ſo reich achtet und ſo ergiebig, ſo war's, weil ſein Geiſt einſtrömte in alles Leben ſeiner Zeit, und weil jeder durch ihn genährt und gepflegt war, und ſeine Mängel ergänzt. So war er Andern, ſo war er mir des meiſten, und ſein Verluſt wird ſich nicht erſetzen. Damals ſchrieb ich deine Worte auf, nicht um ſie als merkwürdiges Urtheil von Dir andern mitzutheilen; nein, ſondern weil ich mich beſchämt fühlte. Dieſe Worte haben mir wohlgethan, ſie haben mich belehrt, und oft wenn ich im Begriff war über einen den Stab zu bre - chen, ſo fiel mir's ein, wie Du damals in deiner milden Gerechtigkeit den Stab über meinen Aberwitz gebrochen. 273Ich mußte in aufgeregter Eiferſucht doch anerkennen, ich ſei nichts. Man berührt nichts umſonſt, ſagteſt Du, dieſe langjährige Verbindung, dieſer ernſte, tiefe Ver - kehr, der iſt ein Theil meiner ſelbſt geworden; und wenn ich jetzt ins Theater komme und ſeh' nach ſeinem Platz, und muß es glauben, daß er in dieſer Welt nicht mehr da iſt, daß dieſe Augen mich nicht mehr ſuchen, dann verdrießt mich das Leben, und ich möchte auch lieber nicht mehr da ſein.

Lieber Goethe, Du haſt mich ſehr hochgeſtellt, daß Du damals ſo köſtliche Gefühle und Geſinnungen vor mir ausſprachſt. Es war zum erſtenmal, daß jemand ſein innerſtes Herz vor mir ausſprach, und Du warſt es! ja Du nahmſt keinen Anſtoß, und ergabſt Dich dieſen Nachwehen in meiner Gegenwart; und freilich hat Schiller auf mich gewirkt, denn er hat Dich zärt - lich und weich geſtimmt, daß Du lange an mir gelehnt bliebſt, und mich endlich feſt an Dich drückteſt!

Ich bin müde; ich habe geſchrieben von halb 3 bis jetzt gegen 5 Uhr; heute wird's gar nicht hell werden es hängen dicke Regenwolken am Himmel; da werden wir wohl warten bis Mittag, eh wir weiter fahren. Du ſollteſt nur das Getümmel von Nebel ſehen auf dem Rhein, und was an den einzelnen Felszacken hängt! 12**274Wenn wir hier bleiben, dann ſchreib 'ich dir mehr heute Nachmittag, denn ich wollte Dir von Muſik ſagen, und von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zuſammen - hängt das bohrt mir ſchon lange im Kopf.

Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß ſchlafen.

Ich bin ſehr müde, lieber Freund, und würde Dir nicht ſchreiben, aber ich ſeh ', daß dieſe Blätter auf die - ſer wunderlichen Kreuz - und Querreiſe ſich zu etwas ganzem bilden, und da will ich doch nicht verſäumen, wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages feſt zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwechſelnd ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in St. Goarshauſen geblieben, und haben den Rheinfels erſtiegen; meine Hände ſind von Dornen geritzt und meine Kniee zittern noch von der Anſtrengung, denn ich war voran und wählte den kürzeſten und ſteilſten Weg. Hier oben ſieht es ſo feierlich und düſter aus: eine Reihe nackter Felſen ſchieben ſich gedrängt hinter einander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten Burgtrümmern gekrönt; und ſo treten ſie keck ins Fluß - bett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen275 ſtillen See um den verzauberten Lurelei ſich herum - ſchwingt, über Felsſchichten hinrauſchend, ſchäumt, bul - lert, ſchwillt, gegen den Riff anſchießt und den über - brauſenden Zorn der ſchäumenden Fluthen, wie ein echter Zecher, in ſich hineintrinkt.

Da oben ſah ich bequem unter der ſchützenden Mauer des Rheinfels die Nachkommenden mit rothen und grünen Parapluies mühſam den ſchlüpfrigen Pfad hinaufklettern, und da eben der Sonne letzter Hoffnungs - ſtrahl verſchwand, und ein tüchtiger Guß dem Gebet um ſchön Wetter ein End 'machte, kehrte die Naturlie - bende Geſellſchaft beinah am Ziel, verzagt wieder um und ich blieb allein unter den gekrönten Häuptern. Wie beſchreib' ich Dir dieſe erlebte Stunde mit kurzem Wort, treffend; kaum konnte ich Athem holen, ſo ſtreng und gewaltig. Ach ich bin glücklich! die ganze Welt iſt ſchön, und ich erleb 'alles für Dich.

Ich ſah ſtill und einſam in die tobende Fluth, die Rieſengeſichter der Felſen ſchüchterten mich ein; ich ge - traute kaum den Blick zu heben; manche machen's zu arg, wie ſie ſich überhängen, und mit dem düſtern Geſträuch, das ſich aus geborſtener Wand hervor drängt; die nackten Wurzeln, kaum vom Stein gehalten, die hängenden Zweige ſchwankend im reißenden Strom; 276 es wurde ſo finſter, ich glaubte, heute könne nicht mehr Tag werden. Eben überlegte ich, ob mich die Wölfe heute Nacht freſſen würden, da trat die Sonne hervor, und umzog mit Wolken kämpfend die Höhen mit einem Feuerring. Die Waldkronen flammten, die Höhlen und Schluchten hauchten ein ſchauerliches Dun - kelblau aus über den Fluß hin; da ſpielen mannigfal - tige Wiederſcheine auf den verſteinerten Gaugrafen, und eine Schattenwelt umtanzt ſie in flüchtigem Wechſel auf der bewegten Fluth; alles wankte, ich mußte die Au - gen abwenden. Ich riß den Epheu von der Mauer herab und machte Kränze und ſchwang ſie mit meinem Hakenſtock, mit dem ich hinaufgeklettert war, weit in die Fluth. Ach, ich ſah ſie kaum, weg waren ſie! Gute Nacht!

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Goethe, guten Morgen! ich war früh um 4 Uhr bei den Salmenfiſchern und habe helfen lauern, denn ſie meinen auch: im Trüben iſt gut fiſchen, aber es half nichts, es wurde keiner gefangen. Einen Karpfen hab 'ich losgekauft und Gott und Dir zu Ehren wieder in die Fluth entlaſſen.

Das Wetter will ſich nicht aufklären; eben ſchiffen wir über, um auf dem linken Ufer zu Wagen wieder nach Hauſe zu fahren, ich hätte gar zu gern noch ein paar Tage hier herumgekreuzt.

An Bettine.

Ich muß ganz darauf verzichten, Dir zu antwor - ten, liebe Bettine; Du läßt ein ganzes Bilderbuch herr - licher, allerliebſter Vorſtellungen zierlich durch die Fin - ger laufen; man erkennt im Flug die Schätze, und man weiß, was man hat, noch eh 'man ſich des Inhalts bemächtigen kann. Die beſten Stunden benütze ich dazu, um näher mit ihnen vertraut zu werden, und ermuthige278 mich, die elektriſchen Schläge Deiner Begeiſtrungen aus - zuhalten. In dieſem Augenblick hab ich kaum die erſte Hälfte Deines Briefs geleſen, und bin zu bewegt, um fortzufahren. Hab' einſtweilen Dank für alles; verkünde ungeſtört und unbekümmert Deine Evangelien und Glaubensartikel von den Höhen des Rheins, und laß Deine Pſalmen herabſtrömen zu mir und den Fiſchen; wundre Dich aber nicht, daß ich, wie dieſe verſtumme. Um eines bitte ich Dich: höre nicht auf, mir gern zu ſchreiben; ich werde nie aufhören Dich mit Luſt zu leſen.

Was Dir Schloſſer über mich mitgetheilt hat, ver - leitet Dich zu ſehr intereſſanten Excurſionen aus dem Naturleben in das Gebiet der Kunſt. Daß Muſik mir ein noch räthſelhafter Gegenſtand ſchwieriger Unterſu - chung iſt, läugne ich nicht; ob ich mir den harten Aus - ſpruch des Miſſionairs, wie Du ihn nennſt, muß gefallen laſſen, das wird ſich erſt dann erweiſen wenn die Liebe zu ihr, die jetzt mich zu wahrhaft abſtrakten Studien bewegt, nicht mehr beharrt. Du haſt zwar flammende Fackeln und Feuerbecken ausgeſtellt in der Finſterniß, aber bis jetzt blenden ſie mehr als ſie erleuchten, indeſſen erwarte ich doch von der ganzen Illumination einen herrlichen Totaleffekt, ſo bleibe nur dabei und ſprühe nach allen Seiten hin.

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Da ich nun heute bis zum Amen Deiner reichen inhaltsvollen Blätter gekommen bin, ſo möchte ich Dir ſchließlich nur mit einem Wort den Genuß ausdrücken, der mir daraus erwächſt und Dich bitten, daß Du mir ja das Thema über Muſik nicht fallen läßt, ſondern viel - mehr nach allen Seiten hin und auf alle Weiſe variirſt. Und ſo ſage ich Dir ein herzliches Lebewohl; bleibe mir gut, bis günſtige Sterne uns zu einander führen.

G.

An Goethe.

Fünf Tage waren wir unterwegs, und ſeitdem hat es unaufhörlich geregnet. Das ganze Haus voll Gäſte, kein Eckchen wo man ſich der Einſamkeit hätte freuen können, um Dir zu ſchreiben.

So lang 'ich Dir noch zu ſagen habe, ſo lang' glaub 'ich auch feſt, daß dein Geiſt auf mich gerichtet iſt, wie auf ſo manche Räthſel der Natur; wie ich denn glaube, daß jeder Menſch ein ſolches Räthſel iſt, und daß es die Aufgabe der Liebe iſt zwiſchen Freunden, das Räthſel aufzulöſen; ſo daß ein jeder ſeine tiefere Natur durch und in dem Freund kennen lerne. Ja280 Liebſter, das macht mich glücklich, daß ſich allmählig mein Leben durch Dich entwickelt, drum möcht' ich auch nicht falſch ſein, lieber möcht 'ich's dulden, daß alle Fehler und Schwächen von Dir gewußt wären, als Dir einen falſchen Begriff von mir geben; weil dann deine Liebe nicht mit mir beſchäftigt ſein würde, ſondern mit einem Wahnbild, was ich Dir ſtatt meiner untergeſcho - ben hätte. Darum mahnt mich auch oft ein Gefühl, daß ich dies oder jenes Dir zu lieb meiden ſoll, weil ich es doch vor Dir läugnen würde.

Lieber Goethe, ich muß Dir die tiefſten Sachen ſa - gen; ſie kommen eigentlich allen Menſchen zu, aber nur Du hörſt mich an und glaubſt an mich, und giebſt mir in der Stille recht. Ich habe oft darüber nachge - dacht, daß der Geiſt nicht kann was er will, daß eine geheime Sehnſucht in ihm verborgen liegt, und daß er die nicht befriedigen kann; zum Beiſpiel, daß ich eine große Sehnſucht habe bei Dir zu ſein, und daß ich doch nicht, wenn ich auch noch ſo ſehr an Dich denke, Dir dies fühlbar machen kann; ich glaube es kommt daher, weil der Geiſt wirklich nicht im Reich der Wahrheit lebt, und er alſo ſein eigentliches Leben noch nicht wahr machen kann, bis er ganz aus der Lüge heraus in das Reich der Offenbarung übergegangen iſt; denn die Wahr -281 heit iſt ja nur Offenbarung, und dann wird ſich ein Geiſt auch dem andern zu offenbaren vermögen. Ich möchte Dir noch anderes ſagen, aber es iſt ſchwer, mich befällt Unruh ', und ich weiß nicht wohin ich mich wen - den ſoll; ja, im erſten Augenblick iſt alles reich, aber will ich's mit dem Wort anfaſſen, da iſt alles verſchwun - den, ſo wie im Märchen, wo man einen koſtbaren Schatz findet, in dem man alle Kleinode deutlich erkennt, will man ihn berühren, ſo verſinkt er, und das beweiſt mir auch, daß der Geiſt hier auf Erden das Schöne nur träumt und noch nicht ſeiner Meiſter iſt, denn ſonſt könnte er fliegen, ſo gut wie er denkt daß er fliegen möchte. Ach, wir ſind ſo weit von einander! welche Thür ich auch öffne und ſehe die Menſchen beiſammen, Du biſt nicht unter ihnen; ich weiß es ja, noch eh' ich öffne, und doch muß ich mich erſt überzeugen und empfinde die Schmerzen eines Getäuſchten; ſollte ich Dir nun auch noch meine Seele verbergen? oder das was ich zu ſagen habe, einhüllen in Gewand, weil ich mich ſchäme der verzagten Ahndungen? ſoll ich nicht das Zutrauen in Dich haben, daß Du das Leben liebſt, wenn es auch noch unbehülflich der Pflege be - darf, bis es ſeinen Geiſt mittheilen kann? Ich habe mir große Mühe gegeben, mich zu ſammlen und mich282 ſelbſt auszuſprechen; ich hab 'mich vor dem Sonnenlicht verſteckt und in dunkler Nacht, wo kein Stern leuchtet und die Winde brauſen, da bin ich in die Finſterniß hinaus, und hab' mich fortgeſchlichen bis zum Ufer; da war es immer noch nicht einſam genug, da ſtör - ten mich die Wellen, das Rauſchen im Gras, und wenn ich in die dichte Finſterniß hineinſtarrte und die Wol - ken ſich theilten, daß ſich die Sterne zeigten, da hüllte ich mich in den Mantel und legte das Geſicht an die Erde, um ganz, ganz allein zu ſein; das ſtärkte mich, daß ich freier war, da regte es mich an, das, was vielleicht keiner beachtet, zu beachten; da beſann ich mich, ob ich denn wirklich mit Dir ſpreche, oder ob ich nur mich vor Dir hören laſſe? Ach Goethe! Muſik, ja Muſik! hier kommen wir wieder auf das heilige Kapi - tel, da hören wir auch zu, aber wir ſprechen nicht mit, aber wir hören, wie ſie unter einander ſprechen, und das erſchüttert uns, das ergreift uns; ja, ſie ſprechen unter einander, und wir hören und empfinden, daß ſie eins werden im Geſpräch. Drum, das wahre Sprechen iſt eine Harmonie, ohne Scheidung alles in ſich vereint; wenn ich Dir die Wahrheit ſage, ſo muß deine Seele in meine überfließen, das glaub 'ich.

Wo kommen ſie her, dieſe Geiſter der Muſik? 283 Aus des Menſchen Bruſt; er ſchaut ſich ſelber an, der Meiſter; das iſt die Gewalt, die den Geiſt zitirt. Er ſteigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und ſie ſehen ſich ſcharf an, der Meiſter und der Geiſt, das iſt die Begeiſtrung; ſo ſieht der göttliche Geiſt die Natur an, davon ſie blüht. Da blühen Geiſter aus dem Geiſt; ſie umſchlingen einander, ſie ſtrömen aus, ſie trinken einander, ſie gebären einander; ihr Tanz iſt Form, Gebild; wir ſehen ſie nicht wir empfin - den's, und unterwerfen uns ſeiner himmliſchen Gewalt; und indem wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung, die uns heilt. Das iſt Muſik.

O, glaub 'gewiß, daß wahre Muſik übermenſchlich iſt. Der Meiſter fordert das Unmögliche von den Gei - ſtern, die ihm unterworfen ſind, und ſiehe, es iſt möglich, ſie leiſten es. An Zauberei iſt nicht zu zwei - flen, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch im Reich der Übermacht geleiſtet werde, und daß das Höchſte von der Ahndung, von dem Streben desjenigen abhänge, dem die Geiſter ſich neigen. Wer das Gött - liche will, dem werden ſie Göttliches leiſten. Was iſt aber das Göttliche? Das ewige Opfer des menſch - lichen Herzens an die Gottheit; dies Opfer geht hier geiſtiger Weiſe vor; und wenn es der Meiſter auch284 läugnet, oder nicht ahndet es iſt doch wahr. Er - faßt er eine Melodie, ſo ahndet er ſchon ihre Vollkom - menheit, und das Herz unterwirft ſich einer ſtrengen Prüfung, es läßt ſich alles gefallen, um dem Göttlichen näher zu kommen; je höher es ſteigt, je ſeeliger; und das iſt das Verdienſt des Meiſters, daß er ſich gefallen laſſe, daß die Geiſter auf ihn eindringen, ihm nehmen, ſein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere zu ſuchen unter ewigen Schmerzen der Begeiſtrung. Wo ich das alles, und einzig was ich gehört habe, war Muſik. Wie ich aus dem Kloſter kam nach Offenbach, da lag ich im Garten auf dem Raſen und hörte Salieri und Win - ter und Mozart und Cherubini und Haydn und Beet - hoven. Das alles umſchwärmte mich; ich begriff's we - der mit den Ohren noch mit dem Verſtand, aber ich fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht fühlte; das heißt, der innere, höhere Menſch fühlte es; und ſchon damals fragte ich mich: wer iſt das, der da geſpeiſt und getränkt wird durch Muſik, und was iſt das, was da wächſt und ſich nährt und pflegt und ſelbſt thätig wird durch ſie? denn ich fühlte eine Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht was ich ergreifen ſollte. Oft dachte ich, ich müſſe mit fliegender Fahne voranziehen den Völkern; ich würde ſie auf -285 hen führen über den Feind, und dann müßten ſie auf mein Geheiß, auf meinen Wink hinunterbrauſen in's Thal, und ſiegend ſich verbreiten. Da ſah ich die rothen und weißen Fähnlein fliegen, und den Pulverdampf in den ſonneblendenden Gefilden; da ſah ich ſie heranſpren - gen im Galopp die Siegesboten, mich umringen und mir zujauchzen; da ſah und fühlte ich, wie der Geiſt in der Begeiſtrung ſich löſt und zum Himmel auf - ſchwingt; die Helden, an den Wunden verblutend, zer - ſchmettert, ſeelig aufſchreiend im Tod', ja, und ich ſelbſt hab 'es mit erlebt, denn ich fühlte mich auch verwundet, und fühlte wie der Geiſt Abſchied nahm, gern noch verweilt hätte unter den Palmen der Sieges - göttin, und doch, da ſie ihn enthob, auch gern ſich mit ihr aufſchwang. Ja, ſo hab' ich's erlebt und anderes noch: wo ich mich einſam fühlte, in tiefe, wilde Schluch - ten ſah, nicht tief untief; unendliche Berge über mir, ahndend die Gegenwart der Geiſter. Ja, ich nahm mich zuſammen und ſagte: kommt nur, ihr Geiſter, kommt nur heran; weil ihr göttlich ſeid und höher als ich, ſo will ich mich nicht wehren. Da hörte ich aus dem unſäglichen Gebrauſ 'der Stimmen die Geiſter ſich losreißen; ſie wichen von einander ich ſah ſie aus der Ferne in glänzendem Fluge mir nahen; durch286 die himmliſche blaue Luft verdufteten ſie ihre ſilberne Weisheit, und ſie neigten ſich in den Felſenſaal herab und ſtrömten Licht über die ſchwarzen Abgründe, daß alles ſichtbar war. Da ſprangen die Wellen in Blu - men in die Höhe und umtanzten ſie, und ihr Nahen, ihr ganzes Sprechen war ein Eindringen ihrer Schön - heit auf mich, daß meine Augen ſie kaum faßten mit allem Beiſtand des Geiſtes und das war ihre ganze Wirkung auf mich.

O Goethe! ich könnte Dir noch viele Geſichte mit - theilen; ja, ich glaub's, daß Orpheus ſich umringt ſah von den wilden Thieren, die in ſüßer Wehmuth auf - ſtöhnten mit den Seufzern ſeines Geſangs; ich glaub's, daß die Bäume und Felſen ſich nahten, und neue Grup - pen und Wälder bildeten, denn auch ich hab's erlebt; ich ſah Säulen emporſteigen und wunderbares Gebälk tragen, auf dem ſich ſchöne Jünglinge wiegten; ich ſah Hallen, in denen erhabene Götterbilder aufgeſtellt wa - ren; wunderbare Gebäude, deren Glanz den Blick des ſtolzen Auges brachen; deren Gallerieen Tempel waren, in denen Prieſterinnen mit goldnen Opfergeräthen wan - delten und die Säulen mit Blumen ſchmückten, und de - ren Zinnen von Adlern und Schwanen umkreiſ't waren; ich ſah dieſe ungeheuren Architekturen mit der Nacht287 ſich vermählen, die elfenbeinenen Thürme mit ihren dia - mantnen Lazuren im Abendroth ſchmelzen, und über die Sterne hinausragen, die im kalten Blau der Nacht wie geſammelte Heere dahin flogen, und tanzend im Takt der Muſik, und um die Geiſter ſich ſchwingend, Kreiſe bildeten. Da hörte ich in den fernen Wäl - dern das Seufzen der Thiere um Erlöſung; und was ſchwärmte alles noch vor meinem Blick, und in mei - nem Wahn. Was glaubte ich thun zu müſſen und zu können; welche Gelübde hab 'ich den Gei - ſtern ausgeſprochen; alles, was ſie verlangten, hab' ich auf ewig und ewig gelobt. Ach Goethe, das alles hab 'ich erlebt in dem grünen goldgeblümten Gras. Da lag ich in der Spielſtunde, und hatte die feine Lein - wand über mich gebreitet, die man da bleichte, ich hörte oder fühlte mich vielmehr getragen und umbrauſt von dieſen unausſprechlichen Symphonieen, die keiner deuten kann; da kamen ſie, und begoſſen die Leinwand; und ich blieb liegen und fühlte die Gluth behaglich abgekühlt. Du wirſt gewiß auch Ähnliches erlebt haben; dieſe Fieber - reize, in's Paradies der Phantaſie aufzuſteigen haben Dich auf irgend eine Weiſe durchdrungen; ſie durchglü - hen die Natur, die wieder erkaltet etwas anders ge - worden, zu etwas anderm befähigt iſt. An Dich haben288 die Geiſter Hand gelegt, in's unſterbliche Feuer gehal - ten; und das war Muſik; ob Du ſie verſtehſt, oder empfindeſt; ob Unruh' oder Ruhe Dich befällt; ob Du jauchzeſt, oder tief trauerſt; ob Dein Geiſt Freiheit ath - met oder ſeine Feſſeln empfindet: es iſt immer die Geiſterbaſis des Übermenſchlichen in Dir. Wenn auch weder die Terz noch die Quint Dir ein Licht aufſtecken, wenn ſie nicht ſo gnädig ſind, ſich von Dir beſchauen und befühlen zu laſſen, ſo iſt es blos, weil Du durch - gegangen biſt durch ihre Heiligung, weil die Sinne, ge - reift an ihrem Licht, ſchon wieder die goldnen Frucht - körner zur Saat ausſpreuen. Ja, Deine Lieder ſind die ſüßen Früchte, ihres Balſams voll. Balſam ſtrömt in Deiner dityrambiſchen Wolluſt! ſchon ſind's nicht mehr Töne es ſind ganze Geſchlechter in Deinen Gedichten, die ihre Gewalt tragen und verbreiten. Ja, das glaub 'ich gewiß, daß Muſik jede echte Kunſterſcheinung bildet und ſich freut, in Dir ſo rein wiedergeboren zu ſeyn. Kümmere Dich nicht um die leeren Eierſchalen, aus de - nen die flückgewordenen Geiſter entſchlüpft ſind; nicht um die Terz und die Quint' und um die ganze Baaſen - und Vetterſchaft der Dur - und Molltonarten, Dir ſind ſie ſelber verwandt; Du biſt mitten unter ihnen. Das Kind fragt nicht unter den Seinigen: wer ſind dieſe, und wiekommen289kommen ſie zu einander? es fühlt das ewige Geſetz der Liebe, daß es allen verbindet. Und dann muß ich Dir auch noch eins ſagen: Komponiſten ſind keine Mau - rer, die Steine auf einander backen; den Rauchfang nicht vergeſſen; die Treppe nicht, und nicht den Dach - ſtuhl, und die Thür nicht, wo ſie wieder herausſchlüpfen können und glauben, ſie haben ein Haus gebaut. Das ſind mir keine Komponiſten, die Deinen Liedern ein artig Gewand zuſchneiden, das hinten und vornen lang genug iſt. O, Deine Lieder, die durch's Herz bre - chen mit ihrer Melodie; wie ich vor zehn Tagen da oben ſaß auf dem Rheinfels, und der Wind die ſtarken Eichen bog, daß ſie krachten, und ſie ſaus'ten und braus'ten im Sturm, und ihr Laub, getragen vom Wind, tanzte über den Wellen. Da hab 'ich's gewagt zu ſingen; da war's keine Tonart da war's kein Übergang da war's kein Malen der Gefühle oder Gedanken, was ſo gewaltig mit in die Natur einſtimmte: es war der Drang, eins mit ihr zu ſein. Da hab' ich's wohl empfunden, wie Muſik[Deinem] Genius einwohnt! Der hat ſich mir gezeigt, ſchwebend über den Waſſern, und hat mir's ein - geſchärft, daß ich Dich liebe. Ach Goethe, laß Dir keine Liedchen vorlallen, und glaube nicht, Du müßteſt ſie verſtehen und würdigen lernen; ergieb Dich aufI. 13290Gnad und Ungnad; leide in Gottesnamen Schiffbruch mit Deinem Begriff; was willſt Du alles Göttliche ordnen und verſtehen, wo's her kommt und hin will. Siehſt Du, ſo ſchreib 'ich, wenn ich zügellos bin und nicht danach frage, ob's der Verſtand billigt. Ich weiß nicht, ob es Wahrheit iſt; mehr, als das, was ich erſt prüfe, aber ſo möcht' ich lieber ſchreiben, ohne zu befürchten, daß Du, wie andre, mich ſchweigen hie - ßeſt; was könnt 'ich Dir alles ſagen, wenn ich mich nicht beſinnen wollte! bald würde ich Herr werden, und nicht ſollte ſich mir verbergen, was ich halten wollte mit dem Geiſt, und wenn Du einſtimmteſt und neigteſt Dich meinem Willen, wie der Sept-Accord ſich der Auflöſung entgegen drängt, dann wär's wie die Liebe es will.

Ich kann oft vor Luſt, daß jetzt die ſeelige einſame Stunde dazu iſt, nicht zum Schreiben kommen. Hier oben, im goldnen Sommer an die goldne Zukunft den - ken, denn das iſt meine Zukunft: Dich wieder ſehen;291 ſchon von dem Augenblick an, wo Du mir die Hand zum Abſchied reichſt und zu verſtehen giebſt, es ſei ge - nug der Zärtlichkeit, da wende ich in Gedanken ſchon wieder um zu Dir. Darum lache ich auch mit dem einen Auge, während ich mit dem andern weine.

Wie ſeelig, alſo Dich zu denken, wie geſchwätzig wird meine Seele in jedem kleinen Ereigniß, aus dem ſie hofft, den Schatz zu heben.

Mein erſter Gang war hier herauf, wo ich Dir den letzten Brief ſchrieb, eh 'wir reiſten. Ich wollte ſehen, ob mein Tintenfaß noch da ſei und meine kleine Mappe mit Papier. Alles noch an Ort und Stelle; Ach Goethe, ich habe Deine[Briefe] ſo lieb, ich habe ſie eingehüllt in ein ſeidnes Tuch, mit bunten Blumen und goldnem Zierath geſtickt. Am letzten Tag vor unſerer Rheinreiſe, da wußte ich nicht wohin mit, mitnehmen wollte ich ſie nicht, da wir alleſammt nur einen Mantelſack hatten; in meinem Zimmerchen, das ich nicht verſchließen konnte, weil es gebraucht wurde, mochte ich ſie auch nicht laſ - ſen, ich dachte, der Nachen könnte verſinken und ich verſaufen, und dann würde dieſe Briefe deren einer um den andern an meinem Herzen gelegen hat, in fremde Hand kommen. Erſt wollte ich ſie den Nonnen in Voll - raths aufzuheben geben; es ſind Bernhardinerinnen,13*292die aus dem Kloſter vertrieben, jetzt dort wohnen, nachher hab 'ich's anders überlegt. Das letztemal habe ich hier auf dem Berg einen Ort gefunden: unter dem Beichtſtuhl der Rochuskapelle, der noch ſteht, in dem ich auch immer meine Schreibereien verwahre, hab' ich eine kleine Höhle gegraben, und hab 'ſie inwendig mit Mu - ſcheln vom Rhein und wunderſchönen kleinen Kieſelſtein - chen ausgemauert, die ich auf dem Berge fand; da hab' ich ſie in ihrer ſeidnen Umhüllung hinein gelegt, und eine Diſtel vor die Stelle gepflanzt, deren Wurzel ich ſorgfältig mit ſammt der Erde ausgeſtochen. Unterwegs war mir oft bange; Welcher Schlag hätte mich ge - troffen, hätte ich ſie nicht wieder[gefunden], mir ſteht das Herz ſtill; Sieben Tag 'war ſchlecht Wetter nach unſerer Heimkehr; es war nicht möglich hinüber zu kommen; der Rhein iſt um drei Fuß geſtiegen und ganz verödet von Nachen; ach, wie hab' ich's ver - wünſcht, daß ich ſie da oben hingebracht hatte; Keinem mocht 'ich's ſagen, aber die Ungeduld, hinüber zu kom - men, ich hatte Fieber aus Angſt um meine Briefe, ich konnte mir ja erwarten, der Regen würde irgendwo durchgedrungen ſein und ſie verderben; ach ſie haben auch ein bischen Waſſernoth gelitten, aber nur ganz wenig, ich war ſo froh wie ich von weitem die Diſtel293 blühen ſah, da hab' ich ſie denn ausgegraben und in die Sonne gelegt; ſie ſind gleich trocken und ich nehm 'ſie mit. Die Diſtel hab' ich zum ewigen Andenken wie - der feſtgepflanzt. Nun muß ich dir auch erzählen, was ich hier oben für eine neue Einrichtung gefunden, nehmlich oben im[Beichtſtuhl] ein Brett befeſtigt und darauf einen kleinen viereckigen Bienenkorb. Die Bie - nen waren ganz matt und ſaßen auf dem Brettchen und an dem Korb. Nun muß ich Dir aus dem Kloſter erzählen. Da war eine Nonne, die hieß man Mere ce - latrice, die hatte mich an ſich gewöhnt, daß ich ihr alle Geſchäfte beſorgen half. Hatten wir den Wein im Kel - ler gepflegt, ſo ſahen wir nach den Bienen; denn ſie war Bienenmutter, und das war ein ganz bedeutendes Amt. Im Winter wurden ſie von ihr gefüttert, die Bie - nen ſaugten aus ihrer Hand ſüßes Bier; im Sommer hingen ſie ſich an ihren Schleier, wenn ſie im Garten ging, und ſie behauptete, von ihnen gekannt und geliebt zu ſein. Damals hatte ich große Neigung zu dieſen Thierchen. Die Mere celatrice ſagte, vor allem müſſe man die Furcht überwinden, und wenn eine ſtechen wolle, ſo müſſe man nicht zucken, dann würden ſie nie ſtark ſtechen. Das hat mich große Überwindung geko - ſtet, nachdem ich den feſten Vorſatz gefaßt hatte, mitten294 unter den ſchwärmenden Bienen ruhig zu ſein, befiel mich die Furcht, ich lief, und der ganze Schwarm mir nach. Endlich hab 'ich's doch gelernt, es hat mir tau - ſend Freud gemacht, oft hab' ich ihnen einen Beſuch gemacht und einen duftenden Strauß hingehalten, auf den ſie ſich ſetzten. Den kleinen Bienengarten hab 'ich gepflegt, und die gewürzigen dunklen Nelken beſonders hab' ich hineingepflanzt. Die alte Nonne that mir auch den Gefallen, zu behaupten, daß man alle Blumen, die ich gepflanzt hatte, aus dem Honig herausſchmecke. So lehrte ſie mich auch, daß wenn die Bienen erſtarrt wa - ren, ſie wieder beleben. Sie rieb ſich die Hand mit Neſſeln und mit einem duftenden Kräutchen, welches man Katzenſtieg nennt; machte den großen Schieber des Bienenhauſes auf und ſteckte die Hand hinein. Da ſetz - ten ſie ſich alle auf die Hand, und wärmten ſich, das hab 'ich oft auch mitgemacht; da ſteckte die kleine Hand und die große Hand im Bienenkorb. Jetzt wollt' ich's auch probiren, aber ich hatte nicht mehr das Herz; ſiehſt du, ſo verliert man ſeine Unſchuld und die hohen Gaben, die man durch ſie hat.

Bald hab 'ich auch den Eigenthümer des Korbes kennen lernen, indem ich am mitten Berg lag, um im Schatten ein wenig zu faulenzen, hört' ich ein Getrap -295 pel im Traumſchlummer; das war die Binger Schaaf - heerde nebſt Hund und Schäfer; er ſah auch gleich nach ſeinem Bienenkorb; er ſagte mir, daß er noch eine Weile hier weide, da hab 'ihm der volle blühende Thymian und das warme, ſonnige Plätzchen ſo wohl gefallen, daß er den Schwarm junger Bienen hier herauf gepflanzt habe, damit ſie ſich recht wohl befinden, und wenn ſie ſich dann mehren ſollten und den ganzen gegitterten Beicht - ſtuhl einnehmen, wenn er übers Jahr wiederkäme, ſo ſolle es ihm recht lieb ſein.

Der Schäfer iſt ein alter Mann; er hat einen lan - gen, grauen Schnurrbart, er war Soldat, und erzählte mir allerlei von den Kriegsſcenen und von der früheren Zeit; dabei pfiff er ſeinen Hund, der ihm die Heerde regierte. Von verſchiedenen Burggeiſtern erzählte er auch, das glaube er alles nicht, aber auf der Ingelhei - mer Höhe, wo noch Ruinen von dem großen Kaiſerſaal ſtehen, da ſei es nicht geheuer; er habe ſelbſt auf der Haide im Mondſchein einen Mann begegnet, ganz in Stahl gekleidet, dem ſei ein Löwe gefolgt; und da der Löwe Menſchen gewittert, ſo habe er fürchterlich ge - heult; da habe der Ritter ſich umgekehrt, mit dem Finger gedroht, und gerufen: bis ſtille, frevelicher Hund! da ſei der Löwe verſtummt und habe dem296 Mann die Füße geleckt. Der Schäfer erzählte mir dies mit beſonderem Schauer, und ich ſchauderte zum Plaiſir ein klein bischen mit; ich ſagte: ich glaube wohl, daß ein frommer Schäfer ſich vor dem Hüter eines Löwen fürchten muß. Was? ſagte er, ich war damals kein Schäfer, ſondern Soldat, und auch gar nicht[be - ſonders] fromm; ich freite um ein Schätzchen, und war herübergegangen nach Ingelheim um Mitternacht, um Thür und Riegel zu zwingen; aber in der Nacht ging ich nicht weiter; ich kehrte um. Nun, fragt 'ich: Euer Schätzchen, das hat wohl umſonſt auf Euch ge - wartet? Ja, ſagte er, wo Geiſter ſich ein - miſchen, da muß der Menſch dahinten bleiben. Ich meinte, wenn man liebe, brauche man ſich vor Geiſtern nicht zu fürchten, und könne ſich grade dann für ihres Gleichen achten; denn die Nacht iſt zwar keines Men - ſchen Freund, aber des Liebenden Freund iſt ſie.

Ich fragte den Schäfer, wie er ſich bei ſeinem ein - ſamen Geſchäft die Zeit vertreibe in den langen Ta - gen; er ging den Berg hinauf, die ganze Heerde hinter ihm drein, über mich hinaus, er kam wieder, die Heerde nahm wieder keinen Umweg; er zeigte mir eine ſchöne Schalmei ſo nannte er ein Hautbois mit ſil - bernen Klappen und Elfenbein zierlich eingelegt; er ſagte:297 die hat mir ein Franzoſe geſchenkt, darauf kann ich blaſen, daß man es eine Stunde weit hört, wenn ich hier auf der Höhe weide, und ſeh 'ein Schiffchen mit luſtigen Leuten drüben, da blaſ' ich; in der Ferne nimmt ſich die Schalmei wunderſchön aus, beſonders wenn das Waſſer ſo ſtill und ſonnig iſt wie heute; das Blaſen iſt mir lieber wie Eſſen und Trinken. Er ſetzte an, und wendete ſich nach dem Thal, um das Echo hören zu laſſen; nun blies er das Lied des weiſſagenden Tempel - knaben aus Axur von Ormus mit Variationen eigner Eingebung; die feierliche Stille, die aus dieſen Tönen hervorbricht und ſich mitten im leeren Raum ausdehnt, beweiſt wohl, daß die Geiſter auch in der ſinnlichen Welt einen Platz einnehmen; zum wenigſten ward alles anders: Luft und Gebirge, Wald und Ferne, und der ziehende Strom mit den gleitenden Nachen waren von der Melodie beherrſcht, und athmeten ihren weiſſagen - den Geiſt; die Heerde hatte ſich zum Ruhen gelagert; der Hund lag zu des Schäfers Füßen, der von mir entfernt auf der Höhe ſtand, und die Begeiſtrung eines Virtuoſen empfand, der ſich ſelbſt überbietet, weil er er fühlt, er werde ganz genoſſen und verſtanden. Er ließ das Echo eine ſehr feine Rolle drin ſpielen; hier und da ließ er es in eine Lücke einſchmelzen; dann wie -13**298derholte er die letzte Figur zärtlicher, eindringender; das Echo wieder! er ward noch feuriger und ſchmach - tender; und ſo lehrte er dem Wiederhall, wie hoch ers treiben könne, und dann endigte er in einer brillanten Fermate, die alle Thäler und Schluchten des Donners - bergs und Hundsrücks wiederhallen machte. Er zog blaſend mit der Heerde um den Berg. Ich packte meine Schreibereien auf, da die Einſamkeit doch hier oben aufgehoben iſt, und ſchlenderte noch eine Weile bei gewaltigem Abendroth, mit dem Schäfer in weiſen Reden begriffen, hinter der weißen Heerde drein; er entließ mich mit dem Compliment, ich ſei geſcheuter als alle Menſchen, die er kenne; dies war mir was ganz Neues, denn bisher hab 'ich von geſcheuten Leuten ge - hört, ich ſei gänzlich unklug; ich kann aber doch dem Schäfer nicht unrecht geben; ich bin auch geſcheut, und habe ſcharfe Sinne.

Bettine.

Geſtern hab 'ich meinen Brief zugemacht und ab - geſchickt; aber noch nicht geſchloſſen. Wüßteſt Du, was mich bei dieſen einfachen Erzählungen oft für Un -299 ruhe und Schmerzen befallen! es ſcheint Dir alles nur ſo hingeſchrieben wie erlebt; ja! aber ſo manches ſeh ich, und denke es, und kann es doch nicht ausſpre - chen; und ein Gedanke durchkreuzt den andern, und einer nimmt vor dem andern die Flucht, und da[n]n iſt es wieder ſo öde im Geiſt wie in der ganzen Welt. Der Schäfer meinte, Muſik ſchütze vor böſen Gedanken und vor Langerweile; da hat er recht, denn die Melan - cholie der Langeweile entſteht doch nur, weil wir uns nach der Zukunft ſehnen. In der Muſik ahnden wir dieſe Zukunft; da ſie doch nur Geiſt ſein kann und nichts anderes, und ohne Geiſt giebt es keine Zukunft; wer nicht im Geiſt aufblüht, wie wollte der leben und Athem holen? Aber ich habe mir zu gewaltiges vor - genommen, Dir von Muſik zu ſagen; denn weil ich weiß, daß ihre Wahrheit doch nicht mit irdiſcher Zunge auszuſprechen iſt. So vieles halte ich zurück, aus Furcht, Du mögeſt es nicht genehmigen, oder eigentlich, weil ich glaube, daß Vorurtheile Dich blenden, die Gott weiß von welchem Philiſter in Dich geprägt ſind. Ich habe keine Macht über Dich; Du glaubſt Dich an ge - lehrte Leute wenden zu müſſen; und was die Dir ſagen können, das iſt doch nur dem höheren Bedürfniß im Wege; O Goethe, ich fürchte mich vor Dir und dem300 Papier, ich fürchte mich aufzuſchreiben, was ich für Dich denke.

Ja das hat der Chriſtian Schloſſer geſagt: Du ver - ſtündeſt keine Muſik, Du fürchteſt Dich vor dem Tod, und habeſt keine Religion, was ſoll ich dazu ſagen? ich bin ſo dumm wie ſtumm, wenn ich ſo empfindlich gekränkt werde. Ach Goethe, wenn man kein Obdach hätte, das vor ſchlechtem Wetter ſchützt, ſo könnte einem der kalte, liebloſe Wind ſchon was anhaben, aber ſo ich weiß Dich in Dir ſelber geborgen; die drei Räthſel aber ſind mir eine Aufgabe. Ich möchte Dir nach allen Seiten hin Muſik erklären, und fühl 'doch ſelbſt, daß ſie über - ſinnlich iſt, und von mir unverſtanden; dennoch kann ich nicht weichen von dieſem Unauflösbaren und bete zu ihm: nicht daß ich es begreifen möge; nein, das[Unbe - greifliche] iſt immer Gott, und es giebt keine Zwiſchen - welt, in der noch andere Geheimniſſe begründet wären. Da Muſik unbegreiflich iſt, ſo iſt ſie gewiß Gott; dies muß ich ſagen, und Du wirſt mit Deinem Begriff von der Terz und der Quint mich auslachen! Nein, Du biſt zu gut, Du lachſt nicht; und denn biſt du auch zu weiſe; Du wirſt wohl gerne Deine Studien und errun - genen Begriffe aufgeben gegen ein ſolches, alles heili - gende Geheimniß des göttlichen Geiſtes in der Muſik. 301Was lohnte denn auch die Mühe der Forſchung, wenn es nicht dies wäre! nach was können wir forſchen, was bewegt uns, als nur das Göttliche! und was können Dir andere, die Wohlſtudirten, Beſſeres und - heres darüber ſagen; und wenn einer dagegen was aufbringen wollte, müßte er ſich nicht ſchämen? Wenn einer ſagen wollte: Muſik ſei nur da, daß der Men - ſchengeiſt ſich darin ausbilde? Nun ja! wir ſollen uns in Gott bilden. Wenn einer ſagt, ſie ſei nur Ver - mittlung zum Göttlichen, ſie ſei nicht Gott ſelbſt! Nein, Ihr falſchen Kehlen, Euer eitler Geſang iſt nicht gött - lich durchdrungen. Ach, die Gottheit ſelbſt lehrt uns den Buchſtaben begreifen, damit wir gleich ihr, aus eig - nem Vermögen im Reich der Gottheit regieren lernen. Alles Lernen in der Kunſt iſt nur dazu, daß wir den Grund der Selbſtſtändigkeit in uns legen, und daß es unſer Errungenes bleibe. Einer ſagte von Chriſtus, daß er nichts von Muſik gewußt habe; dagegen konnte ich nichts ſagen; einmal weiß ich ſeinen Lebenslauf nicht genau, und dann was mir dabei einfiel, kann ich nur Dir ſagen, obſchon ich nicht weiß, was Du dazu ſagen wirſt. Chriſtus ſagt: Auch Euer Leib ſoll verklärt wer - den! Iſt nun Muſik nicht die Verklärung der ſinnli - chen Natur? Berührt Muſik nicht unſere Sinne,302 daß ſie ſich eingeſchmolzen fühlen in die Harmonie der Töne, die Du mit Terz und Quint berechnen willſt? Lerne nur verſtehen, Du wirſt um ſo mehr Dich wun - dern über das Unbegreifliche. Die Sinne fließen in den Strom der Begeiſterung, und das erhöht ſie. Alles was den Menſchen geiſtigerweiſe anſpricht, geht hier in die Sinne über; drum fühlt' er ſich auch durch ſie zu al - lem bewegt. Liebe und Freundſchaft und kriegeriſcher Muth, und Sehnſucht nach der Gottheit alles wallt im Blut; das Blut iſt geheiligt; es entzündet den Leib, daß er mit dem Geiſt zuſammen daſſelbe wolle. Das iſt die Wirkung der Muſik auf die Sinne; das iſt die Verklärung des Leibes; die Sinne von Chriſtus waren eingeſchmolzen in den göttlichen Geiſt; ſie wollten mit ihm daſſelbe; er ſagt: Was Ihr berührt mit dem Geiſt, wie mit den Sinnen, das ſei göttlich, denn dann wird Euer Leib auch Geiſt. Siehſt Du, das hab 'ich un - gefähr empfunden und gedacht da, man ſagte, Chriſtus habe nichts von Muſik gewußt.

Verzeihe mir, daß ich ſo mit Dir ſpreche, gleichſam ohne Baſis, denn mir ſchwindelt, und ich deute kaum an, was ich ſagen möchte und vergeſſe alles ſo leicht wieder; aber wenn ich in Dich das Zutrauen nicht ha -303 ben ſollte Dir zu bekennen, was ſich mir aufdringt, wem ſollte ich's ſonſt mittheilen!

Dieſen Winter hatte ich eine Spinne in meinem Zimmer; wenn ich auf der Guitarre ſpielte, kam ſie ei - lig herab in ein Netz, was ſie tiefer ausgeſpannt hatte. Ich ſtellte mich vor ſie und fuhr über die Saiten; man ſah deutlich, wie es durch ihre Gliederchen dröhnte; wenn ich Accord wechſelte, ſo wechſelten ihre Bewegungen, ſie waren unwillkührlich; bei jedem verſchiedenen Harpege wechſelte der Rhythmus in ihren Bewegungen; es iſt nicht anders, dies kleine Weſen war freudedurchdrungen oder geiſtdurchdrungen, ſo lang mein Spielen währte; wenns ſtill war, zog ſie ſich wieder zurück. Noch ein kleiner Geſelle war eine Maus, der aber mehr der Vo - calmuſik geneigt war; ſie erſchien meiſtens, wenn ich die Tonleiter ſang; je ſtärker ich den Ton anſchwellen ließ, je näher kam ſie; in der Mitten Stube blieb ſie ſitzen; mein Meiſter hatte große Freude an dem Thierchen; wir nahmen uns ſehr in Acht, ſie nicht zu ſtören. Wenn ich Lieder und abwechſelnde Melodieen ſang, ſo ſchien ſie ſich zu fürchten; ſie hielt dann nicht aus und lief eilend weg. Alſo die Tonleiter ſchien dieſem kleinem Geſchöpfchen angemeſſen, die durchgriff ſie, und wer kann zweiflen: bereitete ein Höheres in ihr vor; dieſe304 Töne, ſo rein wie möglich getragen, in ſich ſchön, die berührten dieſe Organe. Dieſes Aufſchwellen und wie - der Sinken bis zum Schweigen nahm das Thierchen in ein Element auf. Ach Goethe, was ſoll ich ſagen? es rührt mich alles ſo ſehr, ich bin heute ſo empfindlich, ich möchte weinen; wer im Tempel wohnen kann auf reinen heiteren Höhen, ſollte der verlangen, hinaus in eine Spitzbubenherberge? Dieſe beiden kleinen Thier - chen haben ſich der Muſik hingegeben; es war ihr Tem - pel, in dem ſie ihre Exiſtenz erhöht, vom Göttlichen be - rührt fühlten, und Du, der ſich bewegt fühlt durch das ewige Wallen des Göttlichen in Dir, Du habeſt keine Religion? Du, deſſen Worte, deſſen Gedanken immer an die Muſe gerichtet ſind, Du lebteſt nicht in dem Ele - ment der Erhöhung, der Vermittelung mit Gott. Ach ja: das Erheben aus dem bewußtloſen Leben in die Of - fenbarung, das iſt Muſik.

Gute Nacht.

Iſt es wahr, was die verliebten Poeten ſagen, daß keine ſüßere Freude ſei, als das geliebte zu ſchmücken,305 ſo haſt Du das größte Verdienſt um mich. Da iſt mir durch die Mutter eine Schachtel voll der ſchönſten Lie - besäpfel zugekommen, an goldnen Ketten zierlich auf - gereiht; ſchier wären ſie in meinem Kreiſe zu Zankäpfeln geworden. Ich ſehe unter dieſem[Geſchenk] und der An - weiſung dabei eine Spiegelfechterei verborgen, die ich nicht umhin kann zu rügen, denn da Du liſtig genug biſt, mich mitten im heißen Sommer aufs Eis zu füh - ren, ſo möchte ich Dir auch meinen Witz zeigen, wie ich auch[unvorbereitet] und unverhofft mit Geſchicklichkeit dieſe Winterfreuden zu beſtehen wage; ich werde Dir nicht ſagen, daß ich keinen lieber ſchmücken möchte wie Dich, denn ſchmucklos haſt Du mich überraſcht, und ſchmucklos wirſt Du mich ewig ergötzen. Ich hing die Perlenreihe chineſiſcher Früchte zwiſchen den geöffneten Fenſterflügeln auf, und da eben die Sonne drauf ſchien, ſo hatte ich Gelegenheit, ihre Wirkung an dieſen bal - ſamartigen Gewächſen zu beachten. Das brennende Roth verwandelte ſich da, wo die Strahlen auflagen, bald in dunklen Purpur, in Grün und entſchiedenes Blau; alles von dem echten Gold des Lichtes gehöht; kein anmuthigeres Spiel der Farben habe ich lange beob - achtet, und wer weiß, zu welchen Umwegen mich das alles verführen wird; zum wenigſten würde der Schwa -306 nenhals, von dem die Dir gehorſamen Schreibefinger der Mutter mir melden, ſchwerlich mich zu ſo entſchie - denen Betrachtungen und Reflexionen veranlaßt haben; und ſo hab 'ich es denn Deinem Willen ganz angemeſſen gefunden, mich ſo dran zu erfreuen und zu belehren, und ich hüte vielmehr meinen Schatz vor jedem lüſter - nen Auge, als daß ich ihn der Wahl preiß geben ſollte. Deiner gedenk' ich dabei und aller Honigfrüchte der Son - nenlande, und ausgießen möcht 'ich Dir gerne die geſammten Schätze des Orients, wenn es auch wäre, um zu ſehen, wie Du ihrer nicht achteſt, weil Du Dein Glück in anderem begründet fühlſt.

Dein freundlicher Brief, Deine reichen Blätter ha - ben mich hier bei einer Zeit aufgeſucht, wo ich Dich gerne ſelbſt auf - und angenommen hätte. Es war eine Zeit der Ungeduld in mir; ſchon ſeit mehreren Poſtta - gen ſah ich allemal den freundlichen Poſtknaben, der noch in den Schelmenjahren iſt, mit ſpitzen Fingern Deine wohlbeleibten Pakete in die Höhe halten. Da ſchickte ich denn eilig hinunter, ſie zu holen und fand meine Erwartung nicht betrogen; ich hatte Nahrung von einem Poſttag zum andern; nun war ſie aber zweimal vergeblich erwartet und ausgeblieben. Rechne mir's nicht zu hoch an, daß ich ungeduldig wurde; Gewohnheit iſt307 ein gar zu ſüßes Ding. Die liebe Mutter hatte aus einer übrigens ſehr löblichen Ökonomie Deine Briefe ge - ſammelt und ſie der kleinen Schachtel beigepackt, und nun umſtrömt mich alles eine andere Gegend, ein anderer Himmel, Berge, über die auch ich gewandert bin; Thäler, in denen auch ich die ſchönſten Tage ver - lebt und trefflichen Wein getrunken habe; und der Rhein, den auch ich hinunter geſchwommen bin in einem klei - nen, lecken Kahn. Ich habe alſo ein doppeltes Recht an Dein Andenken; einmal war ich ja dort, und ein - mal bin ich bei Dir, und vernehme mit beglückendem Erſtaunen die Lehren Deiner Weisheit, wie auch die ſo lieblichen Ereigniſſe, denn in allen biſt Du es, die ſie durch ihre Gegenwart verherrlicht.

Hier noch eine kleine wohlgemeinte Bemerkung, mit Dank für das Eingeſendete, die Du demjenigen, den es angeht, gelegentlich mittheilen mögeſt: ob ich gleich den Nifelheimiſchen Himmel nicht liebe, unter welchem ſich der ..... gefällt; ſo weiß ich doch recht gut, daß ge - wiſſe Climaten und Atmosphären nöthig ſind, damit dieſe und jene Pflanze, die wir doch auch nicht entbeh - ren mögen, zum Vorſchein komme. So heilen wir uns durch Rennthiermoos, das an Orten wächſt, wo wir nicht wohnen möchten, und um ein ehrſameres Gleichniß308 zu brauchen, ſo ſind die Nebel von England nöthig - um den ſchönen grünen Raſen hervor zu bringen.

So haben auch mir gewiſſe Aufſchößlinge dieſer Flora recht wohl behagt. Wäre es dem Redakteur je - derzeit möglich, dergeſtalt auszuwählen, daß die Tiefe niemals hohl, und die Fläche niemals platt würde, ſo ließe ſich gegen ein Unternehmen nichts ſagen, dem man in mehr als einem Sinne Glück zu wünſchen hat. Grüße mir den Freund zum ſchönſten und entſchuldige mich, daß ich nicht ſelbſt ſchreibe.

Wie lang 'wirſt Du noch im Rheinlande verwei - len? was wirſt Du zu der Zeit der Weinleſe vorneh - men? mich finden Deine Blätter wohl noch einige Mo - nate hier, zwiſchen den alten Felſen, neben den heißen Quellen, die mir auch diesmal ſehr wohlthätig ſind: ich hoffe, Du wirſt mich nicht vergeblich warten laſſen, denn meine Ungeduld zu beſchwichtigen, alles zu erfah - ren, was in Deinem Köpfchen vorgeht, dafür ſind dieſe Quellen nicht geeignet.

Meinem Auguſt geht es bis jetzt in Heidelberg ganz wohl. Meine Frau beſucht in Lauchſtädt Theater und Tanzſaal. Schon haben mich manche entfernte Freunde hier brieflich beſucht; mit andern bin ich ganz unver - muthet perſönlich zuſammen gekommen.

309

Ich habe ſo lange gezaudert, daher will ich dies Blatt gleich fort ſchicken, und ſchlage es an meine Mut - ter ein. Sage Dir alles ſelbſt, wozu mir der Platz hier nicht gegönnt iſt, und laſſe mich gleich von Dir hören.

G.

Überall wo es gut iſt, da muß man zu früh ver - laſſen; ſo war es mir wahrlich gut bei Dir, drum mußt 'ich Dich zu früh verlaſſen.

Ein guter lieber Aufenthalt iſt für mich, was das fruchtbare Land einem Schiffer iſt, der eine unſichre Reiſe vor hat, er wird Vorrath[einſsammeln], ſo viel ihm Zeit und Mittel erlauben. Ach, wenn er auf der ein - ſamen weiten See iſt, wenn die friſchen Früchte ſchwin - den, das ſüße Waſſer! er ſieht kein Ziel vor ſich; wie ſehnſuchtsvoll wird die Erinnerung an's Land. Jetzt geht mir's auch ſo, in zwei Tagen muß ich den Rhein verlaſſen, um mit dem ganzen Familientroß in Schlangenbad zuſammen zu treffen. Ich war in deſſen nicht immerwährend hier, ſonſt hätte Dich ſchon lange wieder eine Epiſtel von mir erreicht; viele Streifereien haben mich abgehalten: die Reiſe in die Wetterau, von wel -310 cher ich Dir hier ein Bruchſtück beilege. Den Primas hab 'ich in Aſchaffenburg beſucht, er meint immer, ich habe die Kinderſchuhe noch nicht ausgetreten, und be - grüßt mich, indem er mir die Wangen ſtreichelt, und mich herzlich küßt. Diesmal ſagte er: Mein gutes, lie - bes Schätzchen, wie Sie friſch ausſehen und wie ſie ge - wachſen ſind! Ein ſolches Betragen hat nun eine zauberiſche Wirkung auf mich; ich fühlt mich ganz und gar, wie er mich anſah, und betrug mich auch als ob ich nur zwölf Jahr alt ſei, ich erlaubte mir allen Scherz und gänzlichen Mangel an Hochachtung, unter ſolchen zweifelhaften Umſtänden trug ich ihm deine Aufträge vor. Sei nur nicht beſtürzt, ich kenne dein würdevolles Benehmen mit großen Herren, und habe Dir als Both - ſchafter nichts vergeben, ich hatte mir einen ſchriftlichen Auszug aus dem Brief an deine Mutter gemacht, und legte ihm denſelben vor, und die Zeile, wo Du geſchrie - ben haſt: Die Bettine ſoll ſich doch alle Mühe geben, dies auf eine artige Weiſe vom Primas heraus zu locken, die hielt ich mit der Hand zu; nun wollte er grade ſe - hen, was da unten verborgen ſei; ich machte vorher meine Bedingungen, er verſprach mir das kleine Indi - ſche Herbarium, es iſt in Paris, und er wollte noch den - ſelben Tag drum ſchreiben. Was die Papiere des Probſt311 D'umée anbelangt, ſo hat er ſehr intereſſante, wiſſen - ſchaftliche Sachen die er Dir alle verſpricht, die Corre - ſpondence mit giebt er nicht heraus, ich ſoll nur ſagen, Du habeſt es nicht verdient, und er werde dieſe Briefe als einen wichtigen Famil[i]enſchatz aufbewahren, und als ein Muſter von feurigen Ausdrücken bei der höchſten Ehrerbietung. Ich weiß nicht, was mich befiel bei dieſer Rede, ich fühlte, daß ich roth ward, da hob er mir das Kinn in die Höhe und ſagte: Was fehlt Ihnen denn, mein Kind, ſie ſchreiben wohl auch an Goethe? Ja, ſagte ich, unter der Obhut ſeiner Mut - ter. So, ſo, das iſt ganz ſchön, kann denn die Mutter leſen? Da mußt ich ungeheuer lachen, ich ſagte: Wahrhaftig, Euer Hoheit haben's errathen; ich muß der Mutter alles vorleſen, und was ſie nicht wiſſen ſoll, das übergeh 'ich. Er brachte noch allerlei Scherzhaf - tes vor und frug, ob ich Dich Du nenne, und was ich Dir alles ſchreibe? ich ſagte des Rythmus halber nenne ich Dich Du, und eben habe ich ſeine Diſpenſa - tion einholen wollen um ſchriftlich beichten zu dürfen, denn ich wolle Dir gern beichten; er lachte, er ſprang auf, (denn er iſt ſehr vif und macht oft große Sätze) und ſagte: Geiſt wie der Blitz! ja, ich gebe Ihnen Di - ſpenſation und ihm, ſchreiben Sie es ihm ja, geb'312 ich Macht, vollkommnen Ablaß zu ertheilen, und nun werden Sie doch mit mir zufrieden ſein? Ich hatte große Luſt ihm zu ſagen, daß ich nicht mehr zwölf Jahr ſondern ſchon eine Weile in's Blüthenalter der Empfindung eingerückt ſei; aber da hielt mich etwas ab: bei ſeinen luſtigen Sprüngen fiel ihm ſeine kleine geiſtliche violetſammtne Mütze vom Kopf; ich nahm ſie auf, und weil mir ahndete, ſie würde mir gut ſtehen, ſo ſetzte ich ſie auf. Er betrachtete mich eine Weile, und ſagte: ein allerliebſter kleiner Biſchof! die ganze Kleriſey würde hinter ihm drein laufen, und nun mochte ich ihm den Wahn nicht mehr benehmen, daß ich noch ſo jung ſei, denn es kam mir vor, was ihn an einem Kind erfreuen dürfe, das könne ihm bei einer ver - ſtändigen Dame, wie ich doch eine ſein müßte, als höchſt inconvenable erſcheinen. Ich ließ es alſo dabei, und nahm die Sünde auf mich, ihm was weiß gemacht zu haben, in dem ich mich dabei auf die Kraft des Ablaſ - ſes verlaſſe, den er Dir übermacht.

Ach, ich möchte Dir lieber andere Dinge ſchreiben, aber die Mutter, der ich alles erzählen mußte, quälte mich drum, ſie meint, ſo was mache Dir Freude und Du hielteſt etwas drauf, dergleichen genau zu wiſſen; ich holte mir auch einen lieben Brief von Dir bei ihrab,313ab, der mich dort ſchon an vierzehn Tagen erwartete, und doch möcht 'ich Dich über dieſen ſchmälen. Du biſt ein coquetter, zierlicher Schreiber, aber Du biſt ein har - ter Mann; die ganze ſchöne Natur, die herrliche Ge - gend, die warmen Sommertage der Erinnerung, das alles rührt Dich nicht; ſo fre[u]ndlich Du biſt, ſo kalt biſt Du auch. Wie ich das große Papierformat ſah, auf allen vier Seiten beſchrieben, da dacht 'ich, es würde doch hier und da durchblitzen daß Du mich liebſt; es blitzt auch, aber nur von Flittern, nicht von leiſem, be - glückendem Feuer. O, welcher gewaltige Abſtand mag ſein zwiſchen jener Correſpondence, die der Primas nicht heraus geben will, und unſerm Briefwechſel; das kommt daher weil ich Dich zu ſehr liebe und es Dir auch be - kenne, das ſoll eine ſo närriſche Eigenheit der Männer ſein, daß ſie dann kalt ſind, wenn man ſie zu ſehr liebt.

Die Mutter iſt nun immer gar zu vergnügt und freundlich, wenn ich von meinen Streifereien komme; ſie hört mit Luſt alle kleine Abentheuer an, ich mache denn nicht ſelten aus Klein, Groß, und diesmal war ich reichlich damit verſehen, da nicht nur allein Menſchen, ſondern Ochſen, Eſel und Pferde ſehr ausgezeichnete Rollen dabei ſpielten. Du glaubſt nicht, wie froh esI. 14314mich macht, wenn ſie recht von Herzen lacht. Mein Un - glück führte mich grade nach Frankfurt, als Frau von Staël durchkam, ich hatte ſie ſchon in Mainz einen gan - zen Abend genoſſen, die Mutter aber war recht froh, daß ich ihr Beiſtand leiſtete, denn ſie war ſchon preve - nirt, daß die Staël ihr einen Brief von Dir bringen würde, und ſie wünſchte, daß ich die Intermezzos ſpie - len möge, wenn ihr bei dieſer großen Kataſtrophe Er - holung nöthig ſei. Die Mutter hat mir nun befohlen, Dir alles ausführlich zu beſchreiben; die entervue war bei Bethmann-Schaaf, in den Zimmern des Moritz Bethmann. Die Mutter hatte ſich ob aus Ironie oder aus Übermuth, wunderbar geſchmückt, aber mit deutſcher Laune, nicht mit franzöſiſchem Geſchmack, ich muß Dir ſagen, daß wenn ich die Mutter anſah, mit ihren drei Federn auf dem Kopf, die nach drei verſchie - denen Seiten hinſchwankten, eine rothe, eine weiße und eine blaue die franzöſiſchen Nationalfarben, welche aus einem Feld von Sonnenblumen emporſtiegen, ſo klopfte mir das Herz vor Luſt und Erwartung; ſie war mit großer Kunſt geſchminkt, ihre großen ſchwarzen Au - gen feuerten einen Kanonendonner, um ihren Hals ſchlang ſich der bekannte goldne Schmuck der Königin von Preußen, Spitzen von altherkömmlichem Anſehen315 und großer Pracht, ein wahrer Familienſchatz, verhüllte ihren Buſen, und ſo ſtand ſie mit weißen Glacée-Hand - ſchuhen, in der einen Hand einen künſtlichen Fächer, mit dem ſie die Luft in Bewegung ſetzte, die andre, welche entblößt war ganz beringt mit blitzenden Stei - nen, dann und wann aus einer goldnen Tabatiere mit einer Miniatüre von Dir, wo Du mit hängenden Locken gepudert, nachdenklich den Kopf auf die Hand ſtützeſt, eine Priſe nehmend. Die Geſellſchaft der vornehmen äl - teren Damen bildete einen Halbkreis in dem Schlafzim - mer des Moritz Bethmann; auf Purpurrothem Teppich in der Mitte ein weißes Feld, worauf ein Leoparde, ſah die Geſellſchaft ſo ſtattlich aus, daß ſie wohl im - poniren konnte. An den Wänden ſtanden ſchöne ſchlanke Indiſche Gewächſe, und das Zimmer war mit matten Glaskugeln erleuchtet, dem Halbkreis gegenüber ſtand das Bett auf einer zwei Stufen erhabenen Eſtrade auch mit einem purpurnen Teppich verhüllt, an beiden Sei - ten Kandelaber. Ich ſagte zur Mutter: die Fr. Staël wird meinen, ſie wird hier vor Gericht des Minnehofs zitirt, denn dort das Bett ſieht aus wie der verhüllte Thron der Venus. Man meinte, da dürfte es manches zu verantworten geben. Endlich kam die Langerwar - tete durch eine Reihe von erleuchteten Zimmern, beglei -14*316tet von Benjamin Conſtant, ſie war als Corrina geklei - det ein Turban von aurora - und orangefarbener Seide, ein eben ſolches Gewand mit einer orangen Tunika, ſehr hoch gegürtet, ſo daß ihr Herz wenig Platz hatte, ihre ſchwarzen Augenbraunen und Wimpern glänzten, ihre Lippen auch von einem myſtiſchen Roth; die Handſchuh waren herabgeſtreift und bedeckten nur die Hand, in der ſie das bekannte Lorbeerzweiglein hielt. Da das Zimmer, worin ſie erwartet war, ſo viel tiefer liegt, ſo mußte ſie vier Treppen herabſteigen. Unglücklicher Weiſe nahm ſie das Gewand vorne in die Höhe ſtatt hinten; dies gab der Feierlichkeit ihres Empfangs einen gewaltigen Stoß, denn es ſah wirklich einen Moment mehr als komiſch aus, wie dieſe ganz in orientaliſchem Ton über - ſchwankende Geſtalt, auf die ſteifen Damen der Tugend - verſchwornen Frankfurter Geſellſchaft loßrückte. Die Mutter warf mir einige couragierte Blicke zu, da man ſie einander präſentirte. Ich hatte mich in die Ferne geſtellt um die ganze Scene zu beobachten. Ich be - merkte das Erſtaunen der Staël über den wunderbaren Putz und das Anſehen deiner Mutter, bei der ſich ein mächtiger Stolz entwickelte. Sie breitete mit der lin - ken Hand ihr Gewand aus, mit der rechten ſalutirte ſie mit dem Fächer ſpielend, und indem ſie das Haupt317 mehrmals ſehr herablaſſend neigte, ſagte ſie mit erha - bener Stimme, daß man es durch's ganze Zimmer - ren konnte: Je suis la mère de Goethe: ah, je suis charmée ſagte die Schriftſtellerin, und hier folgte eine feierliche Stille. Dann folgte die Präſentation ihres geiſtreichen Gefolges, welches eben auch begierig war, Goethe's Mutter kennen zu lernen. Die Mutter beant - wortete ihre Höflichkeiten mit einem franzöſiſchen Neu - jahrswunſch, welchen ſie mit feierlichen Verbeugungen zwiſchen den Zähnen murmelte, kurz, ich glaube die Audienz war vollkommen, und gab einen ſchönen Be - weis von der Deutſchen Grandezza. Bald winkte mich die Mutter herbei, ich mußte den Dolmetſcher zwiſchen beiden machen; da war denn die Rede nur von Dir, von deiner Jugend, das Portrait auf der Tabatiere wurde betrachtet es war gemalt in Leipzig, eh 'Du ſo krank warſt, aber ſchon ſehr mager, man erkennt je - doch deine ganze jetzige Größe in jenen kindlichen - gen, und beſonders den Autor des Werther. Die Staël ſprach über deine Briefe, und daß ſie gern leſen möchte wie Du an deine Mutter ſchreibſt, und die Mut - ter verſprach es ihr auch, ich dachte daß ſie von mir gewiß deine Briefe nicht zu leſen bekommen würde, denn ich bin ihr nicht grün, ſo oft deine Name von318 ihren nicht wohlgebildeten Lippen kam, überfiel mich ein innerlicher Grimm; ſie erzählte mir, daß Du ſie Amie in deinen Briefen nennteſt; ach, ſie hat mir's gewiß angeſehen, daß dies mir ſehr unerwartet kam; ach, ſie ſagte noch mehr. Nun riß mir aber die Ge - duld; wie kannſt Du einem ſo unangenehmen Ge - ſicht freundlich ſein? Ach, da ſieht man, daß Du eitel biſt. Oder ſie hat auch wohl nur gelogen! Wär' ich bei Dir, ich litt's nicht. So wie Feen mit feurigen Drachen, würd 'ich mit Blicken meinen Schatz bewachen. Nun ſitz' ich weit entfernt von Dir, weiß nicht was Du alles treibſt, und bin nur froh, wenn mich keine Gedanken plagen.

Ich könnte Dir ein Buch ſchreiben über alles was ich in den acht Tagen mit der Mutter verhandelt und erlebt habe. Sie konnte kaum erwarten, daß ich kam, um alles mit ihr zu recapituliren. Da gab's Vorwürfe; ich war empfindlich, daß ſie auf ihre Bekanntſchaft mit der Staël einen ſo großen Werth legte; ſie nannte mich kindiſch und albern und eingebildet, und was zu ſchätzen ſei, dem müſſe man die Achtung nicht verſagen, und man könne über eine ſolche Frau nicht wie über eine Goſſe ſpringen und weiter laufen; es ſei allemal eine ausgezeichnete Ehre vom Schickſal, ſich mit einem be -319 deutenden und berühmten Menſchen zu berühren. Ich wußte es ſo zu wenden, daß mir die Mutter endlich deinen Brief zeigte, worin Du ihr Glück wünſcheſt, mit dieſem Meteor zuſammen zu ſtoßen, und da polterte denn alle ihre vorgetragne Weisheit aus deinem Brief hervor. Ich erbarmte mich über Dich und ſagte: Eitel iſt der Götterjüngling; er führt den Beweis für ſeine ewige Jugend. Die Mutter verſtand keinen Spaß; ſie meinte: ich nehme mir zu viel heraus, und ich ſoll mir doch nicht einbilden, daß Du ein anderes Intereſſe an mir habeſt, als man an Kindern habe, die noch mit der Puppe ſpielen; mit der Staël könneſt Du Welt - weisheit machen; mit mir könneſt Du nur tändlen. Wenn die Mutter recht hätte? wenn's nichts wär 'mit meinen neu erfundnen Gedanken, von denen ich glaubte, ich habe ſie alleine? Wie hab' ich doch in dieſen paar Monaten, wo ich am Rhein lebe, nur blos an Dich gedacht! Jede Wolke hab 'ich um Rath ge - fragt, jeden Baum, jedes Kraut hab' ich angeſprochen um Weisheit; und von jeder Zerſtreuung hab 'ich mich abgewendet, um recht tief mit Dir zu ſprechen. O - ſer, harter Mann, was ſind das für Geſchichten? Wie oft hab' ich zu meinem Schutzengel gebetet, daß er doch für mich mit Dir ſprechen ſoll, und dann hab 'ich mich320 ſtill verhalten und die Feder laufen laſſen. Die ganze Natur zeigte mir im Spiegel, was ich Dir ſagen ſoll; wahrhaftig, ich habe geglaubt, alles ſei von Gott ſo angeordnet, daß die Liebe einen Briefwechſel zwiſchen uns führe. Aber Du haſt mehr Zutrauen in die be - rühmte Frau, die das große Werk geſchrieben hat sur les passions, von welchen ich nichts weiß. Ach glaub' nur, Du biſt vor die unrechte Schmiede gegangen; Lieben: das allein macht klug.

Über Muſik hatte ich Dir auch noch manches zu ſagen; es war alles ſchon ſo hübſch angeordnet; erſt mußt Du begreifen, was Du ihr alles ſchon zu verdan - ken haſt. Du biſt nicht feuerfeſt. Muſik bringt Dich nicht in Gluth, weil Du einſchmelzen könnteſt.

So närriſch bin ich nicht, zu glauben, daß Muſik keinen Einfluß auf Dich habe. Da ich doch glaube an das Firmament in deinem Geiſt, da Sonne und Mond ſammt allen Sternen in Dir leuchten, da ſoll ich zweiflen, daß dieſer höchſte Planet über alle, der Licht ergießt, der ein Gewaltiger iſt unſerer Sinne, Dich nicht durch - ſtröme? Meinſt Du dann, Du wärſt der Du biſt, wenn es nicht Muſik wäre in Dir? Du ſollteſt Dich vor dem Tod fürchten, da doch Muſik ihn auflöſt? Du321 ſollteſt keine Religion haben, da doch Muſik in Dich die Anbetung pflanzt?

Horch in Dich hinein, da wirſt Du in deiner Seele der Muſik lauſchen, die Liebe zu Gott iſt; dies ewige Jauchzen und Wallen zur Ewigkeit, das allein Geiſt iſt.

Ich könnte Dir Sachen ſagen, die ich ſelbſt fürchte auszuſprechen, obſchon eine innere Stimme mir ſagt, ſie ſind wahr. Wenn Du mir bleibſt, ſo werd 'ich viel lernen; wenn Du mir nicht bleibſt, ſo werde ich wie der Saame unter der Erde ruhen, bis die Zeit kommt daß ich in Dir wieder blühe.

Mein Kopf glüht; ich hab 'mich während dem Schreiben herumgeſtritten mit Gedanken, deren ich nicht mächtig werden konnte. Die Wahrheit liegt in ihrer ganzen Unendlichkeit im Geiſt, aber ſie im einfachſten Begriff zu faſſen, das iſt ſo ſchwer; ach, es kann ja nichts verloren gehen. Wahrheit nährt ewig den Geiſt, der alles Schöne als Früchte trägt, und da es ſchön iſt, daß wir einander lieben, ſo wolle die Wahrheit nicht länger verläugnen.

Ich will Dir lieber noch ein bischen von unſerm Zigeunerleben erzählen, das wir hier am Rhein führen, den wir ſo bald verlaſſen werden, und wer weiß, ob ich ihn wiederſeh! Hier, wo die Frühlingslüfte14**322balſamiſch uns umwehen, laß einſam uns er - gehen; nichts trenne Dich von mir! und auch nicht die Frau von Staël!

Unſre Haushaltung iſt allerliebſt eingerichtet; wir ſind zu acht Frauen, kein männliches Weſen iſt im Haus; da es nun ſehr heiß iſt, ſo machen wir's uns ſo bequem wie möglich, zum Beiſpiel ſind wir ſehr leicht gekleidet, ein Hemd und dann noch eins, griechiſch drap - pirt. Die Thüren der Schlafzimmer ſtehen Nachts of - fen; je nachdem eins Luſt hat, ſchlägt es ſein Nacht - lager auf dem Vorgang oder an ſonſt einem kühlen Ort auf; im Garten unter den Platanen, auf der ſchö - nen, mit breiten Platten gedeckten Mauer liegend, dem Rhein gegenüber den Aufgang der Sonne zu erwarten, hab 'ich ſchon ein paar Mal zu meinem Plaiſir Nächte zugebracht; ich bin eingeſchlafen auf meinem ſchmalen Bett; ich hätte können hinunterfallen im Schlaf, beſon - ders wenn ich träume, daß ich Dir entgegen ſpringe. Der Garten liegt hoch, und die Mauer nach jenſeits geht tief hinab, da könnte ich leicht verunglücken; ich bitte Dich alſo, wenn Du meiner gedenkſt im Traum, halte mir die ſchützenden Arme entgegen, damit ich doch gleich hinein ſinke; denn alles iſt doch nur ein Traum! Am Tage geht's bei uns in großer323 Finſterniß her; alle Läden ſind zu im ganzen Hauſe, alle Vorhänge vorgezogen; früher machte ich Morgens weite Spaziergänge, aber das iſt bei dieſer Hitze nicht mehr möglich; die Sonne beizt die Weinberge, und die ganze Natur ſeufzt unter der Brutwärme. Ich gehe doch jeden Morgen zwiſchen vier und fünf Uhr heraus mit einem Schnikermeſſer, und hole friſche kühle Zweige, die ich im Zimmer aufpflanze. Vor acht Wochen hatte ich Birken und Pappeln, die glänzten wie Gold und Sil - ber, und dazwiſchen dicke duftende Sträußer von Mai - blumen. Wie ein Heiligthum iſt der Saal, an den alle Schlafkabinette ſtoßen; da liegen ſie noch in den Bet - ten, wenn ich nach Hauſe komme und warten, bis ich fertig bin; dann haben die Linden und Kaſtanien hier abgeblüht, und himmelhohes Schilf, das ſich oben an der Decke umbiegt, mit blühenden Winden umſtrickt; und die Feldblumen ſind reizend, die kleinen Grasdol - den, die Schafgarbe, die Johannisblume, Waſſerlilien, die ich mit einiger Gefahr fiſche, und das ewig ſchöne Vergißmeinnicht. Heute hab' ich Eichen aufgepflanzt, hohe Äſte, die ich aus dem oberſten Gipfel geholt. Ich klettere wie eine Katze; die Blätter ſind ganz purpur - roth, und in ſo zierlichen Sträuſern gewachſen, als hät - ten ſie ſich tanzend in Gruppen vertheilt.

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Ich ſollte mich ſcheuen, Dir von Blumen zu ſprechen; Du haſt mich ſchon einmal ein bischen ausgelacht, und doch iſt der Reiz gar zu groß; die vielen ſchlafenden Blüthen, die nur im Tod erwachen, das träumende Ge - ſchlecht der Wicken, die Herrgottsſchückelchen, Himmels - ſchlüſſel mit ihrem ſanften freundlichen Duft ſie iſt die geringſte aller Blumen. Wie ich kaum ſechs Jahr alt war, und die Milchfrau hatte verſprochen, mir einen Strauß Himmelsſchlüſſel mitzubringen, da riß mich die Erwartung ſchon mit dem erſten Morgenſtrahl aus dem Schlaf im Hemdchen an's Fenſter; wie friſch waren die Blumen! Wie athmeten ſie in meiner Hand! Ein - mal brachte ſie mir dunkle Nelken in einen Topf ein - gepflanzt; welcher Reichthum! Wie war ich über - raſcht von der Großmuth! Dieſe Blumen in der Erde ſie ſchienen mir ewig an's Leben gebunden, es waren mehr als ich zählen konnte; immer fing ich von vorne an; ich wollte kein Knöſpchen überſpringen; wie dufteten ſie! Wie war ich demüthig vor dem Geiſt, den ſie ausſtrömten! Ich wußte ja noch wenig von Wald und Flur, und die erſte Wieſe, im Abendſchein eine unendliche Fläche für's Kinderaug ', mit goldnen Sternen überſäet; ach, wie hat Natur aus Liebe es dem Geiſt Gottes nachahmen wollen. Und wie liebt325 er ſie. Wie neigt er ſich herab zu ihr für dieſe Zärt - lichkeit, ihm entgegen zu blühen! Wie hab' ich ge - wühlt im Gras und hab 'geſehen, wie eins neben dem andern ſich hervordrängt. Manches hätte ich vielleicht überſehen bei der Fülle, aber ſein ſchöner Name hat mich mit ihm vertraut gemacht, und wer ſie genannt hat, der muß ſie geliebt und verſtanden haben. Das kleine Schäfertäſchchen zum Beiſpiel ich hätte es nicht bemerkt, aber wie ich ſeinen Namen hörte, da fand ich's unter vielen heraus, ich mußte ein ſolches Täſchchen öffnen, und fand es gefüllt mit Saamenper - len. Ach, alle Form enthält Geiſt und Leben, um ſich auf die Ewigkeit zu vererben. Tanzen die Blumen nicht? ſingen ſie nicht! ſchreiben ſie nicht Geiſt in die Luft? malen ſie nicht ſich ſelbſt ihr Innerſtes in ihrem Bild? Alle Blumen hab' ich geliebt, eine jede in ihrer Art, wie ich ſie nach einander kennen lernte, und keiner bin ich untreu geworden, und wie ich ihre Muskelkraft entdeckte: das Löwenmäulchen, wie es mir zum erſten Mal die Zunge aus ſeinem ſammtnen Rachen entgegen ſtreckte, als ich es zu kräftig anfaßte. Ich will ſie nicht nennen alle, mit denen ich ſo innig ver - traut wurde, wie ſie mir jetzt im Gedächtniß erwachen; nur eines einzigen gedenk ich, eines Myrthenbaums,326 den eine junge Nonne dort pflegte. Sie hatte ihn Winters und Sommers in ihrer Zelle; ſie richtete ſich in allem nach ihm; ſie gab ihm Nachts wie Tags die Luft, und nur ſo viel Wärme erhielt ſie im Winter, als ihm noth that. Wie fühlte ſie ſich belohnt, da er mit Knoſpen bedeckt war! Sie zeigte mir ſie, ſchon wie ſie kaum angeſetzt hatten; ich half ihn pflegen; alle Morgen füllte ich den Krug mit Waſſer am Madlenen - brünnchen; die Knoſpen wuchſen und rötheten ſich, end - lich brachen ſie auf; am vierten Tag ſtand er in vol - ler Blüthe; eine weiße Zelle jede Blüthe, mit tauſend Strahlenpfeilen in ihrer Mitte, deren jeder auf ſeiner Spitze eine Perle darreicht. Er ſtand im offenen Fen - ſter, die Bienen begrüßten ihn. Jetzt erſt weiß ich, daß dieſer Baum der Liebe geweiht iſt; damals wußt 'ich's nicht; und jetzt verſtehe ich ihn. Sag': kann die Liebe ſüßer gepflegt werden, als dieſer Baum? und kann eine zärtliche Pflege ſüßer belohnt werden, als durch eine ſo volle Blüthe? Ach, die liebe Nonne mit halb verblühten Roſen auf den Wangen, in Weiß verhüllt, und der ſchwarze Florſchleier, der ihren raſchen zierlichen Gang umſchwebte; wie aus dem weiten Ärmel des ſchwarzen wollenen Gewands die ſchöne Hand her - vorreichte, um die Blumen zu begießen! Einmal ſteckte327 ſie ein kleines ſchwarzes Böhnchen in die Erde, ſie ſchenkte mir's und ſagte, ich ſolle es pflegen; ich werde ein ſchönes Wunder dran erleben. Bald keimt 'es und zeigte Blätter wie der Klee; es zog ſich an einem Stöckchen in die Höh' wie die Wicke mit kleinen gerin - gelten Haken; dann bracht 'es ſparſame gelbe Blüthen hervor; aus denen wuchs ſo groß wie eine Haſelnuß ein grünes Eichen, das ſich in Reifen bräunte. Die Nonne brach es ab, und zog es am Stiel auseinander, in eine Kette von zierlich geordneten Stacheln, zwiſchen denen der Saame von kleinen Bohnen gereift war. Sie flocht daraus eine Krone, ſetzte ſie ihrem elfenbei - nernen Chriſtus am Kruzifix zu Füßen, und ſagte mir, man nennt dieſe Pflanze Corona Christi.

Wir glauben an Gott, und an Chriſtus, daß er Gott war, der ſich an's Kreuz ſchlagen ließ; wir ſingen ihm Litaneien und ſchwenken ihm den Weihrauch; wir verſprechen, heilig zu werden, und beten, und empfin - den's nicht. Wenn wir aber ſehen, wie die Natur ſpielt, und in dieſem Spiel eine Sprache der Weisheit kindlich ausdrückt; wenn ſie auf Blumenblätter Seufzer malt, ein O, und Ach, wenn die kleinen Käfer das Kreuz auf ihren Flügeldecken gemalt haben und dieſe kleine Pflanze eben, ſo unſcheinbar, eine mit Sorgfalt gehegte, künſt -328 liche Dornenkrone trägt; wenn wir Raupen und Schmet - terlingen mit dem Geheimniß der Dreifaltigkeit bezeich - net ſehen, dann ſchaudert uns, und wir fühlen, die Gott - heit ſelber nimmt ewigen Antheil an dieſen Geheimniſ - ſen; dann glaub 'ich immer, daß Religion alles erzeugt hat, ja daß ſie ſelber der ſinnliche Trieb zum Leben in jedem Gewächs und jedem Thier iſt. Die Schönheit erkennen in allem Geſchaffenen, und ſich ihrer freuen, das iſt Weisheit und fromm; wir beide waren fromm, ich und die Nonne; es werden wohl zehn Jahr ſein, daß ich im Kloſter war. Voriges Jahr hab' ich's im Vorüberreiſen wieder beſucht. Meine Nonne war Prio - rin geworden, ſie führte mich in ihren Garten, ſie mußte an einer Krücke gehen, ſie war lahm geworden, ihr Myrrthenbaum ſtand in voller Blüthe. Sie fragte mich, ob ich ihn noch kenne; er war ſehr gewachſen; umher ſtanden Feigenbäume mit reifen Früchten und große Nelken, ſie brach ab, was blühte und was reif war, und ſchenkte mir alles, nur der Myrrthe ſchonte ſie; das wußte ich auch ſchon im Voraus. Den Strauß befeſtigte ich im Reiſewagen; ich war wieder einmal ſo glücklich, ich betete, wie ich im Kloſter gebetet hatte; ja ſeelig ſein macht beten!

329

Siehſt Du, das war ein Umweg und etwas von meiner Weisheit; ſie kann ſich freilich der Weltweisheit, die zwiſchen Dir und Deiner Amie Staël obwaltet, nicht begreiflich machen; aber das kann ich Dir ſagen: ich hab 'ſchon viele große Werke geſehen von zähem Inhalt in ſchweinsledernem Einband; ich habe Gelehrte brummen hören, und ich habe immer gedacht eine ein - zige Blume müſſe all' dies beſchämen, und ein einziger Maikäfer müſſe durch einen Schneller, den er einem Philoſophen an die Naſe giebt, ſein ganzes Syſtem umpurzeln.

Pax tecum! wir wollen's einander verzeihen; ich, daß Du einen Herzens - und Geiſtesbund mit der Staël geſchloſſen haſt, worüber, der Prophezeihung Deiner Mutter nach, ganz Deutſchland und Frankreich die Au - gen aufreißen wird, denn es wird doch nichts draus; und Du, daß ich ſo aberwitzig bin, alles beſſer wiſſen und mehr als alle Dir gelten zu wollen, denn das ge - fällt Dir.

Heute geh 'ich noch einmal auf den Rochusberg; ich will ſehen, was die Bienen machen im Beichtſtuhl ich nehme allerlei Pflanzen mit, die in Scherben einge - ſetzt ſind, und auch einen Rebſtock; die grab ich dort oben ein; die Rebe ſoll am Kreuz hinauf wachſen, in330 deſſen Schutz ich eine ſo ſchöne Nacht verſchlafen habe; am Beichtſtuhl pflanz' ich Kaiſerkronen und Je länger je lieber, Deiner Mutter zu Ehren; vielleicht, wenn mir's um's Herz iſt, beicht 'ich Dir da oben, da ich zum letz - tenmal dort ſein werde; um doch den Ablaß des Pri - mas in Wirkung zu ſetzen; aber ich glaube wohl, ich habe nichts Verborgnes mehr in mir; du ſiehſt in mich hinein, und außer dem iſt nichts in mir zu finden.

Den geſtrigen Tag wollen wir zum Schluß noch hierher malen, denn er war ſchön. Wir gingen mit ei - nem irreführenden Wegweiſer durch eine Thalſchlucht einem Fluß entlang, den man die Wiſper nennt, wahr - ſcheinlich wegen dem Rauſchen des Waſſers, das über lauter platte Felsſteine ſich windet, und in den Lücken ſchäumt und flüſtert. Auf beiden Seiten gehen hohe Felſen her, auf denen zerfallene Burgen ſtehen, mit al - ten Eichen umwachſen. Das Thal wird endlich ſo enge, daß man genöthigt iſt, im Fluß zu gehen. Da kann man nicht beſſer thun, als barfuß und etwas hochge - ſchürzt, von Stein zu Stein zu ſpringen, bald hüben, bald drüben am Ufer ſich fort zu helfen. Es wird im - mer enger und enger hoch über uns; die Felſen und Berge umklammern ſich endlich; die Sonne kann nur noch die Hälfte der Berge beleuchten; die ſchwarzen331 Schlagſchatten der übergebogenen Felsſtücke durchſchnei - den ihre Strahlen; aus der Wiſper, die kein ganz un - bedeutender Fluß iſt ſie rauſcht mit ziemlicher Ge - walt ſtehen erhöhte Felsplatten, wie harte, kalte, hei - ligen Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Geſicht auf dem feuchten Stein; das ſtürzende Waſſer bereg - nete mich fein, die Sonnenſtrahlen kamen sans rime et raison quer durch die Felsſchichten, um mich und mein Bett zu vergolden; über mir war Finſterniß; meinen Strohut, den ich ſchon längſt mit Naturmerkwürdigkei - ten angefüllt hatte, ließ ich ſchwimmen, um die Wur - zeln der Pflanzen zu tränken; wie wir weiter ka - men, drängten die Berge ſich neſterweiſe an einander, die nur dann und wann von ſchroffen Felſen geſchieden wurden. Ich wär 'gar zu gern hinauf geklettert, um zu ſehen, wo man war; es war zu ſchroff, die Zeit er - laubte es nicht, dem geſcheuten Wegweiſer waren alle Sorgen auf dem Geſichte gemalt; er verſicherte jedoch, daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unſe - rer engen Schlucht; ſo kühl war mir's auch innerlich; wir trippelten immer vorwärts.

Das Ziel unſerer Reiſe war ein Sauerbrunnen hin - ter Weißenthurn, der in einer wüſten Wildniß liegt. 332Wir hatten alle Umwege der Wiſper gemacht; der kluge Wegweiſer dachte, wenn wir uns von der nicht entfern - ten, müßten wir endlich das Ziel erreichen, da die Wis - per an dem Brunnen vorüber führt, und ſo hatte er uns auf einen Weg geführt, der wohl ſelten von Men - ſchen betreten wird. Da wir dort ankamen, erleichterte er ſeine Bruſt durch ein Heer von Seufzern. Ich glaub ', der fürchtete ſich nicht allein vor dem Teufel, ſondern vor Gott und allen Heiligen, daß ſie ihn würden zur Rechenſchaft ziehen, weil er uns in's Verderben geſtürzt habe; kaum waren wir angekommen, ſo ſchlug die Kukuksuhr in der einſamen Hütte bei dem Brunnen, und mahnte an den Rückweg. Es war acht Uhr! zu eſſen war nichts, auch kein Brod, nur Salat mit Salz ohne Eſſig und Öl. Eine Frau mit zwei Kindern wohnte da; ich frug, von was ſie lebe; ſie deutete mir in die Ferne auf den Backofen, der zwiſchen vier majeſtätiſche Eichen auf einem freien Platz in voller Gluth ſtand. Ihr kleines Söhnchen ſchleppte eben ein Reiſerbündel hinter ſich heran; ſein Hemdchen hatte noch Ärmel, die Hinterwand und den Knopf vom Kragenbund, mit dem es befeſtigt war; vorne war es weggeriſſen; ſeine Schwe - ſter-pſyche wiegte ſich quer über einen Block auf einem langen Backſchieber; auf dem als Gegengewicht die zu333 backenden Brode lagen; ihr Gewand beſtand auch aus einem Hemd, und aus einer Schürze, die ſie um den Kopf befeſtigt hatte, um die Haare vor dem Verbren - nen zu bewahren, wenn ſie in den Ofen guckte und die Reiſer anlegte. Wir gaben der Frau ein Geldſtück; ſie frug, wie viel es wär; da ſahen wir, daß es nicht in unſerer Macht war, ſie zu beſchenken, denn ſie war zufrieden und wußte nicht, daß man mehr brauchen könne, als man bedürfe.

Ich marſchirte alſo wieder links um, ohne auszu - ruhen und kam Nachts um ein Uhr zu Hauſe an; in allem war ich zwölf Stunden unterwegs geweſen und durchaus nicht ermüdet. Ich ſtieg in ein Bad das mir bereitet war, und ſetzte eine Flaſche Rheinwein an, und ließ es ſo lange herunterglucken, bis ich den Boden ſah. Die Zofe ſchrie, und dachte es könne mir ſchaden im heißen Bad, allein ich ließ mir nicht wehren; ſie mußte mich ins Bett tragen; ich ſchlief ſanft, bis ich am Mor - gen durch ein wohlbekanntes Krähen und Nachahmen eines ganzen Hühnerhofs vor meiner Thür geweckt wurde.

Du ſchreibſt: meine Briefe verſetzen Dich in eine bekannte Gegend, in der Du Dich heimathlich fühlſt; verſetzen ſie Dich denn auch zu mir? ſiehſt Du mich in Gedanken wie ich mit langem Hakenſtock auf die334 Berge klettere, und ſiehſt Du in mein Herz, wo Du Dich von Angeſicht zu Angeſicht erblicken kannſt? dieſe Gegend möcht 'ich Dir doch am aller anſchaulichſten machen!

Noch acht Wochen werde ich wohl in allerlei Ge - genden herum ſtreifen, im Oktober mit Savigny erſt auf ein paar Monate nach München, und dann nach Landshut gehen, wenn es der Himmel nicht anders fügt.

Ich bitte Dich, wenn Du Dich meiner mit der Fe - der erbarmen ſollteſt, um zu ſtrafen oder zu lohnen, ſo adreſſire gleich nach Schlangenbad, über Wisbaden; ich werde drei Wochen dort bleiben. Schickſt Du den Brief an die Mutter, ſo wartet ſie auf eine Gelegenheit; und ich will lieber einen Brief ohne Da - tum, als daß ich am Datum erkennen muß, daß er mir vierzehn Tage vorenthalten iſt.

Der Mutter ſchreib 'ich alles, was unglaublich iſt; obſchon ſie weiß, was ſie davon zu halten hat, ſo hat es doch ihren Beifall, und fordert mich auf, ihr immer noch mehr dergleichen mitzutheilen; ſie nennt dies mei - ner Phantaſie Luft machen.

Bettine.

335

Es iſt noch die Frage, liebſte Bettine, ob man Dich mehr wunderlich oder wunderbar nennen kann; beſinnen darf man ſich auch nicht; man denkt endlich nur darauf, wie man ſich gegen die reißende Fluth Deiner Gedanken ſicher zu ſtellen habe; laß Dir daher genügen, wenn ich nicht ausführlich Deine Klagen, Deine Forderungen, Fragen und Beſchuldigungen beſchwichtige, befriedige, beantworte und ablehne; im ganzen aber Dir herzlich danke, daß Du mich wieder ſo reichlich beſchenkt haſt.

Mit dem Primas haſt Du Deine Sache klug und artig gemacht. Ich habe ſchon ein eigenhändiges Schrei - ben von ihm, worin er mir alles zuſichert, was Du ſo anmuthig von ihm erbettelt haſt, und mir andeutet, daß ich Dir alles allein zu verdanken habe und mir noch viel Artiges von Dir ſchreibt, was Du in Deinem ausführlichen Bericht vergeſſen zu haben ſcheinſt.

Wenn wir alſo Krieg miteinander führen wollten, ſo hätten wir wohl gleiche Truppen; Du die berühmte Frau, und ich den liebenswürdigen Fürſten voll Güte gegen mich und Dich. Beiden wollen wir die Ehre336 und den Dank nicht verſagen, die ſie ſo reichlich um uns verdienen, aber beiden wollen wir auch den Zutritt verweigern, wo ſie nicht hingehören, ſondern nur ſtörend ſein würden, nehmlich zwiſchen das erfreulichſte Ver - trauen Deiner Liebe und meiner warmen Aufnahme der - ſelben. Wenn ich auch Deine Antagoniſtin in der Weltweisheit, in einer nur zufälligen Correspondence Amie nenne, ſo greife ich damit keineswegs in die Rechte ein, die Du mit erobernder Eigenmacht ſchon an Dich geriſſen haſt. Ich bekenne Dir indeſſen, daß es mir geht, wie dem Primas: du biſt mir ein liebes, freund - liches Kind, das ich nicht verlieren möchte, und durch welches ein großer Theil des erſprießlichſten Se - gens mir zufließt. Du biſt mir ein freundliches Licht, das den Abend meines Lebens behaglich erleuchtet, und da gebe ich Dir, um doch zu Stande zu kommen mit allen Klagen, zum letzten Schluß beikommendes Räthſel; an dem magſt Du Dich zufrieden rathen.

Goethe.

Cha -337
Charade.
Zwei Worte ſind es, kurz, bequem zu ſagen,
Die wir ſo oft mit holder Freude nennen,
Doch keineswegs die Weſen deutlich kennen,
Wovon ſie eigentlich den Stempel tragen.
Es thut gar wohl, an ſchön beſchloßnen Tagen
Eins an dem andern kecklich zu verbrennen,
Und kann man ſie vereint zuſammen nennen,
So drückt man aus ein ſeliges Behagen.
Nun aber ſuch 'ich ihnen zu gefallen
Und bitte mit ſich ſelbſt mich zu beglücken;
Ich hoffe ſtill; doch hoff' ich's zu erlangen;
Als Namen der Geliebten ſie zu lallen,
In Einem Bild ſie beide zu erblicken,
In Einem Weſen beide zu umfangen.

Es findet ſich noch Platz und auch noch Zeit, der guten Mutter Vertheidigung hier zu übernehmen; ihr ſollteſt Du nicht verargen, daß ſie mein Intereſſe an dem Kinde, was noch mit der Puppe ſpielt, heraus hebt da Du es wirklich noch ſo artig kannſt, daß Du ſelbſt die Mutter noch dazu verführſt, die ein wahres Ergötzen dran hat, mir die Hochzeitfeier Deiner Puppe mit dem kleinen Frankfurter Rathsherrn ſchriftlich anzuzeigen, der mir in ſeiner Alongeperücke, Schnabelſchuhen und Hals - ſchmuck von feinen Perlen im kleinen Plüſchſeſſel, nochI. 15338gar wohl erinnerlich iſt. Er war die Augenweide unſe - rer Kinderjahre, und wir durften ihn nur mit geheilig - ten Händen anfaſſen. Bewahr 'doch alles ſorgfältig, was Dir die Mutter bei dieſen Gelegenheiten aus mei - ner und der Schweſter Kindheit mittheilt; es kann mir mit der Zeit wichtig werden.

Dein Kapitel über die Blumen würde wohl ſchwer - lich Eingang finden bei den Weltweiſen, wie bei mir; denn obſchon Dein muſikaliſches Evangelium etwas hier - durch geſchmälert iſt (was ich doch ja nicht zu verſäu - men bitte im nächſten, recht bald zu erwartenden Brief), ſo iſt es mir dadurch erſetzt, daß meine frühſten Kinder - jahre ſich mir auf eine liebliche Weiſe drin abſpiegeln, denn auch mir erſchienen die Geheimniſſe der Flora als ein unmöglicher Zauber.

Die Geſchichte des Myrrthenbaums und der Nonne erregt warmen Antheil; möge er vor Froſt und Scha - den bewahrt bleiben! Aus voller Überzeugung ſtimme ich mit Dir ein, daß die Liebe nicht ſüßer gepflegt kann werden, als dieſer Baum, und keine zärtliche Pflege reichlicher belohnt, als durch eine ſolche Blüthe.

Auch Deine Pilgrimſchaft im rauſchenden Fluß mit der allerliebſten Vignette der beiden Kinder giebt ein er -339 götzliches Bild, und Deinen Rheinabentheuern einen an - muthig abrundenden Schluß.

Bleib 'mir nun auch hübſch bei der Stange und gehe nicht zu ſehr ins Blaue; ich fürchte ſo, daß die Zerſtreuungen eines beſuchten Badeorts Deine idealen, Eingebungen auf dem einſamen Rochus verdrängen werden; ich muß mich darauf gefaßt machen, wie auch auf noch manches andere, was Dir im Köpfchen und Herzen ſpuken mag.

Ein bischen mehr Ordnung in Deinen Anſichten könnte uns beiden von Nutzen ſein; ſo haſt Du Deine Gedanken, wie köſtliche Perlen, nicht alle gleich geſchlif - fen, auf loſem Faden gereiht, der leicht zerreißt, wo ſie denn in alle Ecken rollen können und manche ſich verliert.

Doch ſage ich Dir Dank, wie dem lieben Rhein ein herzliches Lebewohl, von dem Du mir ſo manches Schöne haſt zukommen laſſen. Bleibe Dir's feſt und ſicher, daß ich gern ergreife, was Du mir reichſt, und daß ſo das Band zwiſchen uns ſich nicht leicht löſen wird.

Goethe.

15*340

Ich hatte mir's vorgenommen, noch einmal hier herauf zu gehen, wo ich in Gedanken ſo glückliche Stun - den mit Dir verlebt habe, und vom Rhein Abſchied zu nehmen, der in alle Empfindungen eingeht, und der größer, feuriger, kühner und luſtiger, und überirdiſcher als alle iſt; ich komme um 5 Uhr Nachmittags hier oben an; finde alles im friedlichen Sonnenlicht, die Bienen angeſiedelt, von der Nordſeite geſchützt durch die Mauer; Beichtſtuhl und Altar ſtehen gegen Morgen. Meine Pflanzen hab 'ich alle eingeſetzt mit Hülfe des Schiffsjungen, der ſie mir herauf bringen half; die Rebe im Topf, welche ſchon an 6 Fuß hoch iſt und voll Trauben hängt, hab' ich am Altar zwiſchen eine ge - brochne Steinplatte geſetzt; den Topf hab 'ich zerſchla - gen und die Scherben leiſe abgenommen, damit die Erde hübſch an den Wurzeln bleibt; es iſt eine Muska - tellerart, die ſehr feine Blätter hat; dann hab' ich ihn am Kreuz auf dem Altar feſtgebunden; die Trauben hängen grade über den Chriſtusleib; wenn er ſchön einwächſt und gedeiht, da werden ſich die Menſchen wundern, die hier oben herkommen; des Schäfers Bie - nen im Beichtſtuhl mit dem Geisblatt, das ihn umzieht,341 und das Kreuz mit Trauben. Ach ſo viele Menſchen haben große Paläſte und prächtige Gärten; ich möchte nur dieſe einſame Rochuskapelle haben, und daß alles ſo ſchön fortwüchſe, wie ich's eingepflanzt habe; vom Berg 'hab' ich mit den Scherben die Erde los ge - graben und an die Rebe gelegt, und zweimal hab 'ich unten am Rhein den Krug gefüllt, um ihn zu begießen; es iſt wohl zum letztenmal, daß er Rheinwaſſer trinkt. Jetzt, nach beendigtem Werk, ſitz' ich hier im Beicht - ſtuhl, und ſchreib 'an Dich; die Bienen kommen alle hintereinander heim; ſie ſind ſchon ganz eingewohnt; könnt' ich einziehen in Dein Herz mit jedem Gedanken, ſo gefühlig, ſo ſüß ſummend, wie dieſe Bienen, beladen mit Honig und Blumenſtaub, den ich von allen Feldern zuſammen trage, und alles heim bringen zu Dir nicht wahr?

Alles hat ſeine Zeit! ſprech 'ich mit dem Weiſen; ich habe die Reben ihre Blätter entfalten ſehen; ihre Blüthe hat mich betäubt und trunken gemacht; nun ſie Laub haben und Früchte, muß ich Dich verlaſſen, du342 ſtiller, ſtiller Rhein! Noch geſtern Abend war alles ſo herrlich; aus der dunklen Mitternacht trat mir eine große Welt entgegen. Als ich von meinem Bett auf - ſtand in die kühle Nachtluft am Fenſter, da war der Mond ſchon eine halbe Stunde aufgegangen und hatte die Welten alle unter ſich getrieben; er warf einen frucht - baren Schein über die Weinberge; ich nahm das volle Laub des Weinſtocks, der an meinem Fenſter hin - aufwächſt, im Arm und nahm Abſchied von ihm; kei - nem Lebendigen hätte ich den Augenblick dieſer Liebe gegönnt; wär' ich bei Dir geweſen, ich hätte geſchmei - chelt, gebeten und geküßt.

Nur das ſei mir gegönnt! und ach, es wird mir nicht leicht, es auszuſprechen, was ich will, wenn mich manchmal der Athem drückt, daß ich laut ſchreien möchte.

Es überfliegt mich zuweilen in dieſen engbegränzten Gegenden, wo die Berge übereinander klettern und den Nebel tragen, und in den tiefen kühlen Thälern die Einſamkeit gefangen halten, ein Jauchzen, das wie ein343 Blitz durch mich fährt. Nun ja! das ſei mir ge - gönnt: daß ich dann mich an einen Freund ſchließe, er ſei noch ſo fern, daß Er mir freundlich die Hand aufs klopfende Herz lege und ſich ſeiner Jugend erinnere. O wohl mir, daß ich Dich geſehen hab '! jetzt weiß ich doch, wenn ich ſuche und kein Platz mir genügt zum Ausruhen, wo ich zu Haus bin und wem ich angehöre.

Etwas weißt Du noch nicht, was mir eine liebe Erinnerung iſt, obſchon ſie ſeltſam ſcheint. Als ich Dich noch nie geſehen hatte, und mich die Sehnſucht zu Deiner Mutter trieb, um alles von Dir zu erfor - ſchen, Gott, wie oft hab 'ich auf meinem Schemel hinter ihr auf die Bruſt geſchlagen, um meine Ungeduld zu dämpfen. Nun: wenn ich da nach Hauſe kam, ſo ſank ich oft mitten im Spielen von Scherz und Witz zuſammen; ſah mein Bild vor dem Deinen ſtehen, ſah Dich mir nah kommen, und wie Du freundlich warſt auf verſchiedene Weiſe, und gütig, bis mir die Augen vor freudigem Schmerz übergingen.

So hab 'ich Dich durchgefühlt, daß mich das ſtille Bewußtſein einer innerlichen Glückſeligkeit vielleicht manche ſtürmiſche Zeit meines Gemüths über den Wellen erhalten hat. Damals weckte mich oft dieſes Bewuß[t]-344 ſein aus dem tiefen Schlaf; ich verpraßte denn ein paar Stunden mit ſelbſterſchaffnen Träumen, und hatte am End ', was man nennt, eine unruhige Nacht zugebracht; ich war blaß geworden und mager; ungeduldig, ja ſelbſt hart, wenn eins von den Geſchwiſtern zur Unzeit mich zu einer Zerſtreuung reizen wollte; dachte oft, daß, wenn ich Dich jemals ſelbſt ſehen ſollte, was mir unmöglich ſchien, ſo würde ich vielleicht viele Nächte ganz ſchlaflos ſein. Da mir nun endlich die Gewißheit ward, fühlte ich eine Unruhe, die mir beinah unerträglich war. In Berlin, wo ich zum erſtenmal eine Oper von Gluck hörte (Muſik feſſelt mich ſonſt ſo, daß ich mich von allem losmachen kann), wenn da die Pauken ſchlugen, lache nur nicht ſchlug mein Herz heftig mit; ich fühlte Dich im Triumpf einziehen; es war mir feſtlich wie dem Volk, das dem geliebten Fürſten entgegen zieht, und ich dachte: in wenig Tagen wird alles, was Dich ſo von außen ergreift, in Dir ſelber erwachen! Aber da ich nun endlich, endlich bei Dir war: Traum! jetzt noch: wunderbarer Traum! da kam mein Kopf auf Deiner Schulter zu ruhen, da ſchlief ich ein paar Minuten nach vier bis fünf ſchlafloſen Nächten zum[er]ſten Mal.

Siehſt Du, ſiehſt Du! da ſoll ich mich hüten345 vor Lieb ', und hat mir nie ſonſt Ruhe geglückt; aber in Deinen Armen, da kam der lang' verſcheuchte Schlaf, und ich hatte kein ander Begehren; alles andre, woran ich mich angeklammert hatte und was ich glaubte zu lieben, das war's nicht; aber ſoll keiner ſich hüten oder ſich um ſein Schickſal kümmern, wenn er das rechte liebt; ſein Geiſt iſt erfüllt, was nützt das andere!

Wenn ich nun auch zu Dir kommen wollte, würde ich den rechten Weg finden? Da ſo viele neben einander herlaufen, ſo denk 'ich immer, wenn ich an einem Weg - weiſer vorübergehe, und bleibe oft ſtehen und bin trau - rig, daß er nicht zu Dir führt; und dann eil' ich nach Hauſ 'und mein', ich hätte Dir viel zu ſchreiben! Ach, Ihr tiefen, tiefen Gedanken, die Ihr mit ihm ſpre - chen wollt, kommt aus meiner Bruſt hervor! aber ich fühl's in allen Adern, ich will Dich nur locken, ich will, ich muß Dich nur ſehen.

Wenn man bei der Nacht im Freien geht, und hat die Abendſeite vor ſich: am äußerſten Ende des dunkeln Himmels ſieht man noch das letzte helle Gewand eines glänzenden Tags langſam abwärts ziehen ſo geht15**346mir's bei der Erinnerung an Dich. Wenn die Zeit noch ſo dunkel und traurig iſt; weiß ich doch wo mein Tag untergegangen iſt.

Ich habe ſelten eine Zeit in meinem Leben ſo er - füllt gehabt, daß ich ſagen könnte ſie ſei mir unvermerkt verſtrichen; ich fühl 'nicht wie andere Menſchen, die ſich amüſiren, wenn ihnen die Zeit ſchnell vergeht; im Ge - gentheil, es iſt mir der Tag verhaßt, der mir vergangen iſt, ich weiß nicht wie. Von jedem Augenblick bleibe mir eine Erinnerung tief oder luftig, freudig oder ſchmerz - lich, ich wehre mich gegen ſonſt nichts, als nur ge - gen nichts.

Gegen dies Nichts, das einem beinah überall er - ſtickt!

Vorgeſtern war ein herrlicher Abend und Nacht; ganz mit dem glänzenden friſchen Schmelz der lebhaf - teſten Farben und Begebenheiten, wie ſie nur in Roma - nen gemalt ſind: ſo ungeſtört; der Himmel war beſäet mit unzähligen Sternen, die wie blitzende Diamanten347 durch das dichte Laub der blühenden Linden funkelten; die Terraſſen, welche an dem Berg hinauf gebaut ſind, an deſſen Fuß die großen Badehäuſer liegen (die einzi - gen im engen Thal), haben etwas ſehr feſtliches und ru - higes durch die Regelmäßigkeit ihrer Hecken, die auf je - der Terraſſe ein Bosquet von Linden und Nußbäumen umgeben; die vielen Quellen und Brunnen, die man unter ſich rauſchen hört, machen es nun gar reizend. Alle Fenſter waren erleuchtet, die Häuſer ſahen wun - derbar belebt unter dem dunklen einſamen Wald des überſteigenden Gebirges hervor. Die junge Fürſtin von Baaden ſaß mit der Geſellſchaft auf der unterſten Terraſſe und trank den Thee; bald hörten wir Wald - hörner aus der Ferne; wir glaubten's kaum, ſo leiſe, gleich antwortet es in der Nähe; dann ſchmetterte es über uns im Gipfel; ſie ſchienen ſich gegenſeitig zu lok - ken, rückten zuſammen und in milder Entfernung ent - falteten ſie die Schwingen als wollten ſie himmelwärts ſteigen, und immer ſenkten ſie ſich wieder auf die liebe Erde herab; das Geplauder der Franzoſen ver - ſtummte, ein paarmal hörte ich neben mir ausrufen: délicieux! Ich wendete mich nach dieſer Stimme: ein ſchöner Mann, edle Geſtalt und Geſicht, geiſtreicher Ausdruck, nicht mehr jung, bebändert und beſternt; 348 er kam mit mir in's Geſpräch und ſetzte ſich neben mich auf die Bank. Ich bin nun ſchon gewohnt, für ein Kind angeſehen zu werden, und war alſo nicht ver - wundert, daß mich der Franzoſe cher enfant nannte; er nahm meine Hand und fragte, von wem ich den Ring habe? Ich ſagte: von Goethe; comment de Goethe? Je le connais; und nun erzählte er mir, daß er nach der Schlacht von Jena mehrere Tage bei Dir zugebracht habe, und Du habeſt ihm einen Knopf von ſeiner Uniform abgeſchnitten, um ihn als Andenken in deiner Münzſammlung zu bewahren; ich ſagte: und mir habeſt Du den Ring zum Andenken gegeben, und mich gebeten, Dich nicht zu vergeſſen. Et cela vous a remué le coeur? Aussi tendrement et aussi pas - sionnement que les sons, qui se font entendre haut! Da fragte er: Et vous n'avez réellement que treize ans? Du wirſt wohl wiſſen, wer er iſt, ich habe um ſeinen Namen nicht gefragt.

Sie blieſen ſo herrlich in den Wald hinein, und mir zugleich alle weltliche Gedanken aus dem Kopf; ich ſchlich mich leiſe hinauf, ſo nah als möglich und ließ mir's die Bruſt durchdröhnen; recht mit Gewalt. Der Anſatz der Töne war ſo weich, ſie wurden allmählig349 ſo mächtig, daß es unwiderſtehliche Wolluſt war, ſich ihnen hinzugeben. Da hatt 'ich allerlei wunderliche Ge - danken, die ſchwerlich bei dem Verſtand die Mauth paſ - ſirt hätten; es war als läg' das Geheimniß der Schöp - fung mir auf der Zunge. Der Ton, den ich lebendig in mir fühlte, gab mir die Empfindung, wie durch die Macht ſeiner Stimme Gott alles hervorgerufen, und wie Muſik dieſen ewigen Willen der Liebe und der Weisheit in jeder Bruſt wiederholt. Und ich war beherrſcht von Gefühlen, die von der Muſik getragen, durchdrungen, vermittelt, verändert, vermiſcht und geho - ben wurden; ich war endlich ſo in mich verſunken, daß ſelbſt die ſpäte Nacht mich nicht vom Platz brachte. Das Hofgeſchwirr und die vielen Lichter, von deren Wiederſchein die Bäume in grünen Flammen brannten, ſah ich von oben herab verſchwinden; endlich war alles weg; kein Licht brannte mehr in den Häuſern; ich war allein in der kühlen himmliſchen Ruhe der Nacht; ich dachte an Dich! Ach hätten wir doch beiſammen unter jenen Bäumen geſeſſen, und bei dem Rauſchen und Plätſchern der Waſſer mit einander geſchwätzt!

350

Immer noch hab 'ich Dir was zu erzählen; den letzten Abend am Rhein ging ich noch ſpät in's nächſte Dorf mit Begleitung; als ich am Rhein hinſchlenderte, ſah ich von Ferne etwas Flammendes heranſchwimmen; es war ein großes Schiff mit Fackeln, die zuweilen das Ufer grell erleuchteten; oft verſchwanden die Flammen; Minuten lang war alles dunkel; es gab dem Fluß eine magiſche Wirkung, die ſich mir tief einprägte als Ab - ſchluß von allem, was ich dort erlebt habe.

Es war Mitternacht, der Mond ſtieg trüb 'auf; das Schiff, deſſen Schatten in dem erleuchteten Rhein wie ein Ungeheuer mitſegelte, warf ein grelles Feuer auf die waldige Ingelheimer Aue, an der ſie hinſteuerten, hinter welcher ſich der Mond ſo mild beſcheiden her - vortrug, und allmählig ſich in die dünne Nebelwolke wie in einen Schleier einwickelte. Wenn man der Natur ruhig und mit Bedacht zuſieht, greift ſie immer in's Herz. Was hätte Gott meine Sinne inniger zu - wenden können? was mich leichter von dem Unbe - deutenden, was mich drückt, löſen können? Ich ſchäme mich nicht, Dir zu bekennen, daß dein Bild da - bei heftig in meiner Seele aufflammte. Wahr iſt's:351 Du ſtrahlſt in mich, wie die Sonne in den Kryſtal der Traube, und wie dieſe kochſt Du mich immer feuriger, aber auch klarer aus.

Ich hörte nun die Leute auf dem Schiff ſchon deut - lich ſprechen und zur Arbeit anrufen; ſie ankerten an der Inſel, löſchten die Fackeln; nun wurde alles ſtill, bis auf den Hund der bellte, und die Flaggen, die ſich in der friſchen Nachtluft drehten. Nun ging 'auch ich nach Hauſ, zum Schlafen, und wenn Du's erlaubſt, ſo legte ich mich zu deinen Füßen nieder, und es belohnte mich der Traum mit Liebkoſungen von Dir, wenns nicht Falſchheit war.

Wer wollte nicht an Erſcheinung glauben! Be - glückt mich doch die Erinnerung dieſer Träume noch heute! Ja ſag: was geht der Wirklichkeit ab? O ich bin ſtolz, daß ich von Dir träume; ein guter Geiſt dient meiner Seele; er führt Dich ein, weil meine Seele Dich ruft; ich ſoll deine Züge trinken, weil mich nach ihnen dürſtet; ja, es giebt Bitten und Forderungen, die werden erhört.

Nun wehr 'Dich immer gegen meine Liebe; was kann Dir's helfen? Wenn ich nur Geiſt genug habe! Dem Geiſt ſtehen die Geiſter bei.

Bettine

352

Ich öffne das Siegel wieder, um Dir zu ſagen, daß ich deinen Brief vom 10. ſeit geſtern Abend in Händen habe, und habe ihn fleiſſig ſtudirt. O Goethe, Du ſagſt zwar, Du willſt keinen Krieg führen, und verlangſt Friede, und ſchlägſt doch mit dem Primas wie mit einer Herkuleskeule drein. Mutz 'mir doch den Primas nicht auf! wenn ich's ihm ſagte, er ſpränge Decken hoch und verliebte ſich in mich aber Du biſt nicht eifer - ſüchtig, Du biſt nur gütig und voll Nachſicht.

Deine Charade hab 'ich ſchlaftrunken an's Herz ge - legt, aber gerathen hab' ich ſie nicht; wo hätt 'ich Beſinnung hernehmen ſollen? Mag es ſein, was es will, es macht mich ſeelig: ein Kreis liebender Worte! ſo unterſcheidet man auch nicht Liebkoſungen, man genießt ſie und weiß, daß ſie die Blüthen der Liebe ſind. Ach ich möchte wiſſen, was es iſt:

Ich hoffe ſtill; doch hoff ich's zu erlangen,
Als Namen der Geliebten ſie zu lallen.

Was hoffſt Du? ſag mirs, und wie ſoll die Ge - liebte Dir heißen? welche Bedeutung hat der Name, daß Du mit Entzücken ihn nur zu lallen vermagſt?

353
In Einem Bild ſie beide zu erblicken,
In Einem Weſen beide zu umfangen.

Wer ſind die beide? wer iſt mein Nebenbuhler? in wel - chen Bild ſoll ich mich ſpieglen? und mit wem ſoll ich in deinen Armen verſchmelzen? ach wie viele Räthſel in einem verborgen, und wie brennt mir der Kopf! Nein, ich kann es nicht rathen; es will nicht gelingen, mich von deinem Herzen loszureißen und zu ſpekulieren.

Es thut gar wohl, an ſchön beſchloſſnen Tagen
Eins an dem andern kecklich[zu] verbrennen.
Und kann man ſie vereint zuſammen nennen,
So drückt man aus ein ſeliges Behagen.

Das thut Dir wohl, daß ich an Dir verglühe, an ſchön beſchloſſnen Tagen, wo ich den Abend in deiner Nähe zubringe, und mir auch.

Und kann man uns vereint zuſammen nennen
ſo drückt man aus mein ſeligſtes Behagen.

Du ſiehſt, Freund, wie Du mich hinüberrathen läßt in die Ewigkeit; aber das irdiſche Wort, was der Schlüſ - ſel zu allem iſt, das kann ich nicht finden.

Aber deinen Zweck haſt Du erlangt, daß ich mich354 zufrieden rathen ſolle, ich errathe daraus meine Rechte; meine Anerkenntniß, meinen Lohn und die Bekräftigung unſers Bundes, und werde jeden Tag deine Liebe neu errathen, verbrenne mich immer, wenn Du mich zugleich umfangen und ſpiegeln willſt in deinem Geiſt, und ver - eint mit mir, gern genennt ſein willſt.

Wenn Dir die Mutter ſchreibt, ſo macht ſie den Bericht allemal zu ihrem Vortheil, die Geſchichte war ſo: Ein buntes Röckchen, mit Streifen und Blumen durchwürkt, und ein Flormützchen mit ſilbernen Blüm - chen geſchmückt, holte ſie aus dem großen Tafelſchrank, und zeigte ſie mir als deinen erſten Anzug, in dem Du in die Kirche und zu den Pathen getragen wurdeſt. Bei dieſer Gelegenheit hörte ich die genaue Geſchichte deiner Geburt, die ich gleich aufſchrieb. Da fand ſich denn auch der kleine Frankfurther Rathsherr mit der Alonge - perücke! ſie war ſehr erfreut über dieſen Fund und erzählte mir, daß man ſie ihnen geſchenkt habe, wie ihr Vater Syndikus geworden war. Die Schnallen an den Schuhen ſind von Gold, wie auch der Degen und die Perlen-Quaſten am Halsſchmuck ſind echt; ich hätte den kleinen Kerl gar zu gern gehabt. Sie meinte er müſſe deinen Nachkommen aufbewahrt bleiben, und ſo kam's,355 daß wir ein wenig Komödie mit ihm ſpielten. Sie er - zählte mir dabei viel aus ihrer eignen Jugend, aber nichts von Dir; aber eine Geſchichte, die mir ewig wich - tig bleiben wird, und gewiß das ſchönſte, was ſie zu erzählen vermag.

Du erfreuſt Dich an der Geſchichte des Myrrthen - baums meiner Frizlarer Nonne, er iſt wohl die Ge - ſchichte eines jeden feurig liebenden Herzens. Glück iſt nicht immer das, was die Liebe nährt, und ich hab 'mich ſchon oft gewundert, daß man ihm jedes Opfer bringt, und nicht der Liebe ſelbſt, wodurch allein ſie blühen könnte, wie jener Myrrthenbaum. Es iſt beſſer, daß man Verzicht auf alles thue, aber die Myrrthe, die einmal eingepflanzt iſt, die ſoll man nicht entwurzeln man ſoll ſie pflegen bis an's Ende.

Alles was Du verlangſt, hoff 'ich Dir noch zu ſa - gen, Du haſt recht vermuthet, daß mir die Zerſtreuung hier viel rauben würde, aber dein Wille hat Macht über mich, und ich hoffe, er ſoll Feuer aus dem Geiſt ſchlagen. Die Herzogin von Baden iſt fort, aber unſre Familie ſammt anhängenden Freunden iſt ſo groß, daß wir ganz Schlangenbad übervölkern. Adieu, ich ſchäme356 mich meines dicken Brief's in dem viel Unſinn ſtecken mag. Wenn Du nicht frei Porto hätteſt, ich ſchickte ihn nicht ab.

Von der Mutter hab 'ich die beſten Nachrichten.

Bettine.
Ende des erſten Bandes.

Gedruckt bei Trowitzſch und Sohn in Berlin.

About this transcription

TextGoethe's Briefwechsel mit einem Kinde
Author Bettina von Arnim
Extent391 images; 69671 tokens; 11024 types; 443325 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGoethe's Briefwechsel mit einem Kinde Seinem Denkmal Erster Theil Bettina von Arnim. . [10], XII, 356 S. DümmlerBerlin1835.

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Zentral- und Landesbibliothek Berlin Berlin ZLB, o CL 913

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Briefe; core; ready; china; women

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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