PRIMS Full-text transcription (HTML)

Bettina v. Arnim inv. C. Funke ſc. Nach der Originalzeichnung.

Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde.
Seinem Denkmal.
Zweiter Theil.
Berlin,beiFerdinand Dümmler.1835.
[1]
An Goethe.

Da ich Dir zum letztenmal ſchrieb, war's Sommer, ich war am Rhein und reiſte ſpäter mit einer heiteren Geſellſchaft von Freunden und Verwandten zu Waſſer bis Köln; als ich zurückgekommen war verbrachte ich noch die letzten Tage mit deiner Mutter, wo ſie freund - licher, leidſeeliger war wie je. Am Tag vor ihrem Tod war ich bei ihr, küßte ihre Hand und empfing ihr Lebe - wohl in deinem Namen. Denn ich hab 'Dich in keinem Augenblick vergeſſen; ich wußte wohl, ſie hätte mir gern deine beſte Liebe zum Erbtheil hinterlaſſen.

Sie iſt nun todt, vor welcher ich die Schätze mei - nes Lebens ausbreitete; ſie wußte wie und warum ich Dich liebe, ſie wunderte ſich nicht drüber. Wenn andre Menſchen klug über mich ſein wollten, ſo ließ ſie mich gewähren und gab dem Weſen keinen Namen. Noch enger hätte ich damals deine Kniee umſchließen mögen,II. 12noch feſter, tiefer Dich in's Auge faſſen, und alle andre Welt vergeſſen mögen, und doch hielt dies mich ab vom Schreiben. Später warſt Du ſo umringt, daß ich wohl ſchwerlich hätte durchdringen können.

Jetzt iſt ein Jahr vorbei, daß ich Dich geſehen habe, Du ſollſt ſchöner geworden ſein, Karlsbad ſoll Dich er - friſcht haben. Mir geht's recht hinderlich, ich muß die Zeit ſo kalt hinſtreichen laſſen ohne einen Funken zu erhaſchen an dem ich mir eine Flamme anblaſen könnte. Doch ſoll es nicht lange mehr währen bis ich Dich wie - der ſeh; dann will ich nur einmal Dich immer und ewig in meinen Armen feſthalten.

Dieſe ganze Zeit hab 'ich mit Jacobi, beinah alle Abende zugebracht, ich ſchätze es immer als ein Glück, daß ich ihn ſehen und ſprechen konnte; aber dazu bin ich nicht gekommen, aufrichtig gegen ihn zu ſein, und die Liebe die man ſeinem Wohlwollen ſchuldig iſt ihm zu bezeigen. Seine beiden Schweſtern verpaliſadi - ren ihn, es iſt empfindlich, durch leere Einwendungen von ihm abgehalten zu werden. Er iſt duldend bis zur Schwäche und hat gar keinen Willen gegen ein paar Weſen die Eigenſinn und Herrſchſucht haben, wie die Semiramis. Die Herrſchaft der Frauen verfolgt ihn bis zur Präſidentenſtelle an der Akademie, ſie wecken ihn,3 ſie bekleiden ihn, knöpfen ihm die Unterweſte zu, ſie reichen ihm Medizin, will er ausgehn ſo iſt's zu rauh, will er zu Hauſe bleiben ſo muß er ſich Bewegung ma - chen. Geht er auf die Akademie ſo wird der Nymbus geſchneutzt damit er recht hell leuchte: Da ziehen ſie ihm ein Hemd von Batiſt an mit friſchem Jabot und Manſchetten und einem Pelzrock mit prächtigem Zobel gefüttert, der Wärmkorb wird vorangetragen, kommt er aus der Sitzung zurück, ſo muß er ein bischen ſchlafen nicht ob er will; ſo gehts' bis zum Abend in fortwäh - rendem Wiederſpruch, wo ſie ihm die Nachtmütze über die Ohren ziehen und ihn zu Bette führen.

Der Geiſt: auch unwillkührlich bahnt ſich eine Frei - ſtätte in der ihn nichts hindert zu walten nach ſeinem Recht; was dieſem nicht Eintrag thut wird er gern der Willkühr andrer überlaſſen. Das hat die Mutter oft an Dir geprieſen, daß deine Würde aus deinem Geiſt fließe, und daß Du einer andern nie nachgeſtrebt ha - beſt; die Mutter ſagte: Du ſei'ſt dem Genius treu, der Dich in's Paradies der Weisheit führt, Du genießeſt alle Früchte die er Dir anbietet, daher blühen Dir immer wieder neue ſchon während Du die erſten verzehrſt. Lotte und Lehne aber, verbieten dem Jacobi das Den - ken als ſchädlich, und er hat mehr Zutrauen zu ihnen1*4als zu ſeinem Genius, wenn der ihm einen Apfel ſchenkt ſo fragt er jene erſt ob der Wurm nicht drinn iſt.

Es braucht keinen großen Witz und ich fühle es in mir ſelber gegründet, im Geiſt liegt der unauslöſchliche Trieb das überirdiſche zu denken, ſo wie das Ziel einer Reiſe hat er den höchſten Gedanken als Ziel; er ſchrei - tet forſchend durch die irdiſche Welt der himmliſchen zu, alles was dieſer entſpricht das reißt der Geiſt an ſich und genießt es mit Entzücken, drum glaub ich auch daß die Liebe der Flug zum Himmel iſt.

Ich wünſch 'es Dir Goethe, und ich glaub' es auch feſt, daß all' dein Forſchen, deine Erkenntniß, und das was die Muſe Dir lehrt und endlich auch deine Liebe vereint deinem Geiſt einen verklärten Leib bilden, und daß der dem irdiſchen Leib nicht mehr unterworfen ſein werde wenn er ihn ablegt, ſondern ſchon ihn jenen gei - ſtigen Leib übergeſtrömt. Sterben muß Du nicht, ſter - ben muß nur der deſſen Geiſt den Ausweg nicht findet. Denken beflügelt den Geiſt, der beflügelte Geiſt ſtirbt nicht, er findet nicht zurück in den Tod.

Mit der Mutter konnte ich über alles ſprechen, ſie begriff meine Denkweiſe, ſie ſagte: erkenne erſt alle Sterne und das letzte, dann erſt kannſt Du zweifeln, bis dahin iſt alles möglich.

5

Ich habe von der Mutter viel gehört was ich nicht vergeſſen werde, die Art wie ſie mir ihren Tod anzeigte hab 'ich aufgeſchrieben für Dich. Die Leute ſagen Du wendeſt Dich von dem traurigen was nicht mehr abzu - ändern iſt gerne ab, wende Dich in dieſem Sinne nicht von der Mutter ihrem Hinſcheiden ab, lerne ſie kennen wie weiſe und liebend ſie grade im letzten Augenblick war und wie gewaltig das Poetiſche in ihr.

Heute ſag 'ich Dir nichts mehr denn ich ſehne mich daß dieſer Brief bald an Dich gelange; ſchreib mir ein Wort, meine Zufriedenheit beruht darauf. In dieſem Augenblick iſt mein Aufenthalt in Landshut; in wenig Tagen gehe ich nach München um mit dem Capellmei - ſter Winter Muſik zu ſtudieren.

Manches möchte man lieber mit Gebärden und Mie - nen ſagen, ach beſonders Dir hab 'ich nichts höheres zu verkünden als blos Dich anzulächeln.

Leb wohl, bleib mir geneigt, ſchreib mir wieder daß Du mich lieb haſt, was ich mit Dir erlebt habe iſt mir ein Thron ſeeliger Erinnerung. Die Menſchen trachten auf verſchiedenen Wegen alle nach einem Ziel, nämlich glücklich zu ſein, wie ſchnell bin ich befriedigt wenn Du mir gut, und meiner Liebe ein treuer Bewahrer ſein willſt.

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Ich bitte die Frau zu grüßen, ſo bald ich nach München komme werde ich ihrer gedenken.

Dir innigſt angelobt Bettine Brentano, bei Baron von Savigny.

An Frau von Goethe.

Gerne hätte ich nach dem Beiſpiel der guten Mut - ter mein kleines Andenken zum Weihnachten zu rechter Zeit geſendet; allein ich muß geſtehen daß Mißlaune und tauſend andre Fehler meines Herzens mich eine ganze Weile von allem freundlichen Verkehr abhielten. Die kleine Kette war Ihnen gleich nach dem Tode der Mutter beſtimmt. Ich dachte Sie ſollten dieſe während der Trauer tragen und immer verſchob ich die Sendung, zum Theil weil es mir wirklich unerträglich war auch nur mit der Feder den Verluſt zu berühren, der für mich ganz Frankfurt zu einer Wüſte gemacht hat. Das kleine Halstuch hab 'ich noch bei der Mutter ge - ſtickt, und hier in den müſſigen Stunden vollendet.

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Bleiben Sie mir freundlich, erinnern Goethe in den guten Stunden an mich, ein Gedanke von ihm an mich, iſt mir eine ſtrahlende Zierde die mich mehr ſchmückt und ergötzt als die köſtlichſten Edelſteine. Sie ſehen alſo welchen Reichthum Sie mir ſpenden können indem Sie ihn beſcheidentlich meiner Liebe und Verehrung ver - ſichern. Auch für ihn hab 'ich etwas, es iſt mir aber ſo lieb, daß ich es ungern einer gefahrvollen Reiſe aus - ſetze. Ich mache mir Hoffnung ihn in der erſten Hälfte dieſes Jahrs noch zu ſehen, wo ich es ihm ſelbſt brin - gen kann. Erhalten Sie ſich geſund und recht heiter in dieſem kalten Winter. Meine Schwachheit Ihnen Freude machen zu wollen behandeln Sie wie immer mit gütiger Nachſicht.

Bettine.

An Goethe.

Andre Menſchen waren glücklicher als ich, die das Jahr nicht beſchließen durften ohne Dich geſehen zu ha - ben. Man hat mir geſchrieben wie liebreich Du die Freunde bewillkommteſt.

8

Seit mehreren Wochen bin ich in München, treib Muſik und ſinge viel bei dem Kapellmeiſter Winter, der ein wunderlicher Kauz iſt aber grade für mich paßt; denn er ſagt: Sängerinnen müſſen Launen haben, und ſo darf ich alle an ihm auslaſſen; viel Zeit bringe ich am Krankenlager von Ludwig Tiek zu, er leidet an Gicht, eine Krankheit die allen böſen Launen und Me - lancholie Audienz giebt; ich harre eben ſo wohl aus Ge - ſchmack wie aus Menſchlichkeit bei ihm aus; ein Kran - kenzimmer iſt an und für ſich, ſchon durch die große Ruhe ein anziehender Aufenthalt, ein Kranker der mit gelaſſnem Muth ſeine Schmerzen bekämpft macht es zum Heiligthum. Du biſt ein großer Dichter, der Tiek iſt ein großer Dulder, und für mich ein Phänomen, da ich vorher nicht gewußt habe, daß es ſolche Leiden giebt; keine Bewegung kann er machen ohne aufzuſeufzen, ſein Geſicht trieft von Angſtſchweiß, und ſein Blick irrt über der Schmerzensfluth oft umher, wie eine müde geäng - ſtigte Schwalbe die vergeblich einen Ort ſucht wo ſie ausruhen kann, und ich ſteh 'vor ihm verwundert und beſchämt, daß ich ſo geſund bin; dabei dichtet er noch Frühlingslieder, und freut ſich über einen Strauß Schnee - glöckchen die ich ihm bringe, ſo oft ich komme fordert er zuerſt daß ich dem Strauß friſch Waſſer gebe, dann9 wiſche ich ihm den Schweiß vom Geſicht ganz gelinde, man kann es kaum ohne ihm weh zu thun, und ſo leiſte ich ihm allerlei kleine Dienſte, die ihm die Zeit vertreiben, Engliſch will er mir auch lehren, allen Zorn und Krankheitsunmuth läßt er denn an mir aus, daß ich ſo dumm bin, ſo abſurd frage und nie die Antwort verſtehe, ich auch bin verwundert; denn ich hab' mit den Leuten geglaubt ich ſei ſehr klug wo nicht gar ein Genie, und nun ſtoße ich auf ſolche Untiefen wo gar kein Grund zu erfaſſen iſt, nämlich der Lerngrund, und ich muß erſtaunt bekennen daß ich in meinem Leben nichts gelernt habe.

Eh ich von Dir wußte, wußt ich auch nichts von mir, nachher waren Sinne und Gefühl auf Dich gerich - tet, und nun die Roſe blüht, glüht und duftet, ſo kann ſie's doch nicht von ſich geben, was ſie in Geheim er - fahren hat. Du biſt der mir's angethan hat, daß ich mit Schimpf und Schand beſtehe vor den Philiſtern, die eine Reihe von Talenten an einem Frauenzimmer ſchäz - zenswerth finden. Das Frauenzimmer ſelbſt aber ohne dieſe nicht.

Klavier ſpielen, Arien ſingen, fremde Sprachen ſpre - chen, Geſchichte und Naturwiſſenſchaft das macht den liebenswerthen Charakter, ach und ich hab 'immer hin -1**10ter allem dieſem erſt nach dem geſucht was ich lieben möchte; geſtern kam Geſellſchaft zu Tiek, ich ſchlich mich unbemerkt hinter einen Schirm, ich wär 'auch gewiß da eingeſchlafen wenn nicht mein Name wär' ausgeſprochen worden, da hat man mich gemalt, ſo daß ich mich vor mir ſelber fürchten müßte; ich kam auch plötzlich hervor und ſagte: Nein ich bin zu abſcheulich ich mag nicht mehr allein bei mir ſein. Dies erregte eine kleine Kon - ſternation, und mir machte es viel Spaß. So ging mir's auch bei Jacobi, wo Lotte und Lehne nicht be - merkt hatten, daß ich hinter dem großen runden Tiſch ſaß, ich rief hervor mitten in ihre Epiſtel hinein: Ich will mich beſſern. Ich weiß gar nicht warum mein Herz immer jauchzt vor Luſt wenn ich mich verunglimpfen höre, und warum ich ſchon im Voraus lachen muß wenn einer mich tadelt; ſie mögen mir aufbürden die aller ver - kehrteſten Dinge, ich muß alles mit Vergnügen anhören und gelten laſſen. Es iſt mein Glück; wollt ich mich dagegen vertheidigen ich käm in des Teufels Küche; wollte ich mit ihnen ſtreiten ich würde dummer wie ſie. Doch dieſe letzte Geſchichte hat mir Glück gebracht, Sai - ler war da, dem gefiel's, daß ich Lehnen dafür beim Kopf kriegte und ihr auf ihr böſes Maul einen herzli - chen Schmaz gab um es zu ſtopfen. Nachdem Sailer11 weg war ſagte Jacobi, nun die Bettine hat dem Sai - ler das Herz gewonnen; wer iſt der Mann? fragte ich. Wie! ſie kennen Sailer nicht, haben ihn nie nennen hören, den allgemein gefeierten, geliebten, den Philoſo - phen Gottes, ſo gut wie Plato der göttliche Philoſoph iſt? Dieſe Worte haben mir von Jacobi gefallen, ich freue mich unendlich auf den Sailer, er iſt Profeſſor in Landshut. Während dem Carneval iſt hier ein Strom von Feſten die einen wahren Strudel bilden, ſo greifen ſie in einander; es werden wöchentlich neue Opern ge - geben die meinen alten Winter ſehr im Athem erhalten, ich hör 'manches mit großem Antheil, wollt ich ihm ſa - gen was ich dadurch lerne er würde es nicht begreifen. Am Rhein haben wir über Muſik geſchrieben, ich weiß nicht mehr was; ich hab Dir noch mehr zu ſagen, neues, für mich erſtaunungswürdiges, kaum zu faſſen für mei - nen ſchwachen Geiſt, und doch erfahre ich's nur durch mich ſelbſt. Soll ich da nicht glauben, daß ich einen Dämon habe der mich belehrt, ja es kommt alles auf die Frage an, je tiefer Du fragſt je gewaltiger iſt die Antwort, der Genius bleibt keine ſchuldig; aber wir ſcheuen uns zu fragen und noch mehr, die Antwort zu vernehmen und zu begreifen denn das koſtet Mühe und Schmerzen, anders können wir nichts lernen, wo ſollten12 wir's herhaben, wer Gott fragt dem antwortet er das göttliche.

Auf den Feſten die man hier Akademien nennt Masken-Bälle in der Mitte ein kleines Theater wor - auf[pantomimiſche] Vorſtellungen gegeben werden von Harlequin Pierrot und Pantalon hab ich den Kron - prinzen kennen gelernt; ich habe eine Weile mit ihm ge - ſprochen ohne zu wiſſen wer er ſei, er hat etwas zu - ſprechendes freundliches und wohl auch originell geiſt - reiches; ſein ganzes Weſen ſcheint zwar mehr nach Frei - heit zu ringen als mit ihr geboren zu ſein; ſeine Stimme, ſeine Sprache und Gebärden haben etwas angeſtrengtes, wie ein Menſch der ſich mit großem Aufwand von Kräften an glatten Felswänden hinauf half, eine zit - ternde Bewegung in den noch nicht geruhten Gliedern hat. Und wer weiß wie ſeine Kinderjahre, ſeine Nei - gungen bedrängt oder durch Widerſpruch gereitzt wur - den, ich ſeh ihm an daß er ſchon manches überwinden mußte, und auch daß ſich großes aus ihm entwickeln kann; ich bin ihm gut, ein ſo junger Herrſcher in der Vorhölle, wo er leiden muß, daß ſich jede Zunge über ihn erbarmt; ſeine gute Münchner wie er ſie nennt ſind ihm nicht grün; ja wartet nur bis er mündig iſt, ent -13 weder er beſchämt Euch alle, oder er wird's Euch gar - ſtig eintränken.

Dem wunderbaren Frühlingswetter konnte ich nicht wiederſtehen, der warme mailiche Sonnenſtrahl der das harte, eiſige Neujahr ganz zuſammenſchmolz, war über - raſchend, es hat mich hinaus getrieben in den kahlen, engliſchen Garten, ich bin auf alle Freundſchaftstempel, chineſiſche Thürme, und Vaterlands-Monumente ge - klettert um die Tyroler Bergkette zu erblicken, die tau - ſendfach ihre geſpaltnen Häupter gen Himmel ragt; auch in meiner Seele kannſt Du ſolche große Bergmaſ - ſen finden, die tief bis in die Wurzel geſpalten ſind, und kalt und kahl ihre hartneckige Zacken in die Wol - ken ſtrecken. Bei der Hand möcht ich Dich nehmen und weit wegführen, daß Du Dich beſinnen ſollteſt über mich, daß ich Dir in deinen Gedanken aufginge als et - was merkwürdiges dem Du nachſpürteſt, wie zum Bei - ſpiel einem Intermaxilarknochen über den Du dein Recht in ſo eifriger Correſpondence gegen Soemering behaup - teſt, ſag mir aufrichtig werde ich Dir nie ſo wichtig ſein als ein ſolcher todter Knochen? Daß Gott alles wohl -14 gefügt habe, wer kann das bezweiflen. Ob Du aber dein Herz wohl mit meinem verſchränkt habeſt, dagegen erheben ſich bei mir zu manchen trüben Stunden Zwei - fel von ſchweren Seufzern begleitet. Am Rhein hab 'ich Dir viel und liebend geſchrieben, ja ich war ganz in deiner Gewalt, und was ich dachte und fühlte war weil ich im Geiſte Dich anſah, nun haben wir eine Pauſe gemacht beinah vier Monate, Du haſt mir noch nicht geantwortet auf zwei Briefe.

Es liegt mir an allem Nichts, aber daran liegt mir, daß ich um Dich nicht betrogen werde; daß mir kein Wort; kein Blick von Dir geſtohlen werde, ich hab Dich ſo lieb das iſt alles, mehr wird nicht in mich gehen, und anders wird man nichts an mir er - kennen, und ich denke auch das iſt genug, um mein ganzes Leben den Muſen als ein wichtiges Docu - ment zu hinterlaſſen; darum vergeht mir manche Zeit ſo hart und kalt wie dieſer[harte] Winter, darum blüth's wieder, und drängt von allen Seiten wieder in's Leben. Darum hüt 'ich oft meine Gedanken vor Dir. Dieſe ganze Zeit konnte ich kein Buch von Dir anrühren. Nein, ich konnt' keine Zeile leſen, es war mir zu trau - rig, daß ich nicht bei Dir ſein kann. Ach die Mutter fehlt mir die mich beſchwichtigte, die mich hart machte15 gegen mich ſelber, ihr klares feuriges Aug 'ſah mich durch und durch, ich brauchte ihr nichts zu geſtehen, ſie wußte alles, ihr feines Ohr hörte bei dem leiſeſten Klang meiner Stimme wie es um mich ſtehe; o ſie hat mir manche Gegengeſchichte zu meiner Empfindung erzählt, ohne daß ich ſie ihr wörtlich mittheilte, wie oft hat ein freudiges Zurufen von ihr alle Wolken in mir zertheilt, welche freundliche Briefe hat ſie mir in's Rheingau ge - ſchrieben; Tapfer! rief ſie mir zu; ſei Tapfer, da ſie Dich doch nicht für ein echtes Mädchen wollen gelten laſſen, und ſagen man könne ſich nicht in Dich verlie - ben, ſo biſt Du die eine Plage loß, ſie höflich abzuwei - ſen, ſo ſei denn ein tapferer Soldat, wehr Dich dage - gen, daß Du meinſt Du müßteſt immer bei ihm ſein und ihn bei der Hand halten, wehr Dich gegen deine eigne Melancholie, ſo iſt er immer ganz und innigſt Dein und kein Menſch kann Dir ihn rauben.

Solche Zeilen machten mich unendlich glücklich, wahr - haftig ich fand Dich in ihr wieder, wenn ich nach Frank - furt kam ſo flog ich zu ihr hin; wenn ich die Thür auf - machte, wir grüßten uns nicht, es war als ob wir ſchon mitten im Geſpräch ſeien. Wir zwei waren wohl die zwei einzig lebendige Menſchen, in ganz Frankfurt, und überall, manchmal küßte ſie mich und ſprach davon, daß16 ich in meinem Weſen ſie an Dich erinnere, ſie habe auch dein Sorgenbrecher ſein müſſen. Sie baute auf mein Herz. Man konnte ihr nicht weis machen, daß ich falſch gegen ſie ſei, ſie ſagte: der iſt falſch der mir meine Luſt an ihr verderben will, ich war ſtolz auf ihre Liebe.

Wenn Du nun nicht mehr auf der Welt wärſt! ach ich würde keine Hand mehr regen. Ach es regen ſich ſo viel tauſend Hoffnungen und wird nichts draus. Wenn ich nur manchmal bei Dir ſitzen könnte eine halbe Stunde lang; da wird vielleicht auch nichts draus, mein Freund!!

In den wenig Wochen die ich in Landshut zubrachte hab 'ich trotz Schnee und Eis nah und ferne Berge be - ſtiegen, da lag mir das ganze Land im blendendſten Ge - wand vor Augen; alle Farben vom Winter getödtet und vom Schnee begraben, nur mir röthete die Kälte die Wangen; wie ein einſames Feuer in der Wüſte ſo brennt der einzige Blick, der beleuchtet und erkennt, während die ganze Welt ſchläft. Ich hatte ſo kurz vor - her den Sommer verlaſſen, ſo reich beladen mit Frucht. Wo war's doch wo ich den letzten Berg am Rhein17 beſtieg? in Godesberg; warſt Du da auch oft? Es war bald Abend da wir oben waren; Du wirſt Dich noch erinnern es ſteht oben ein einziger hoher Thurm, und rund auf der Fläche ſtehen nach die alten Mauern. Die Sonne in großer Pracht ſenkte einen glühenden Purpur über die Stadt der Heiligen; der Kölner Dom, an deſſen dornigen Zierrathen die Nebel wie eine vor - überſtreifende Schaafheerde ihre Flocken hängen ließen, in denen Schein und Wiederſchein ſo fein ſpielten, da ſah ich ihn zum letztenmal; alles war zerfloſſen in dem ungeheuren Brand, und der kühle ruhige Rhein, den man viele Stunden weit ſieht, und die Siebenberge hoch über den Ufergegenden.

Im Sommer, in dem leidenſchaftlichen Leben und Weben aller Farben, wo die Natur, die Sinne als den rührendſten Zauber ihrer Schönheit feſthält; wo der Menſch durch das Mitempfinden ſelbſt ſchön wird: da iſt er ſich ſelbſt auch oft wie ein Traum, der vor dem Begriff wie Duft verfliegt, Das Lebensfeuer in ihm verzehrt alles; den Gedanken im Gedanken, und bildet ſich wieder in allem. Was das Aug 'erreichen kann ge - winnt er nur um ſich wieder ganz dafür hinzugeben: und ſo fühlt man ſich frei und keck in den höchſten Fels - ſpitzen, in dem kühnſten Waſſerſturz, ja mit dem Vogel18 in der Luft mit dem man in die Ferne zieht, und höher mit ihm ſteigt um früher den Ort der Sehnſucht zu er - blicken. Im Winter iſt's anders, da ruhen die Sinne mit der Natur, nur die Gedanken graben heimlich in der Seele fort wie die Arbeiter im Bergwerk nach. Darauf hoffe und baue auch ich, lieber Goethe, jetzt wo ich empfinde wie öde und mangelhaft es in mir iſt: daß die Zeit kommen werde wo ich Dir mehr ſagen und Dich mehr fragen kann. Einmal wird mir doch einleuchten was ich zu wiſſen fordere. Das deucht mir der einzige Umgang mit Gott, nämlich die Frage um das Überir - diſche; und das ſcheint mir die einzige Größe des Men - ſchen: dieſe Antwort zu empfinden, zu genießen. Ge - wiß iſt die Liebe auch eine Frage an Gott, und der Ge - nuß in ihr iſt eine Antwort von dem liebenden Gott ſelbſt.

Hier im Schloß welches man die Reſidenz heißt, und ſiebzehn Höfe hat, iſt in einem der Nebengebäude ein kleiner, einſamer Hof, in der Mitte deſſelben ſteht ein Springbrunnen: Perſeus der die Meduſa enthaup - tet, in Erz, von einem Raſenplatz umgeben; ein Gang19 von Granitſäulen führt dahin; Meerweibchen von Thon und Muſchlen gemacht, halten große Becken, in die ſie ehmals Waſſer ſpieen, Mohrenköpfe ſchauen aus der Mauer, die Decke und Seiten ſind mit Gemälden ge - ziert, die freilich ſchon zum Theil herunter gefallen ſind, unter andern Apoll der auf ſeinem Sonnenwagen ſich über die Wolken bäumt, und ſeine Schweſter Luna im herunterfahren begrüßt; der Ort iſt ſehr einſamlich, ſel - ten daß ein Hofbediente queer durchläuft, die Spatzen hört man ſchreien, und den kleinen Eidexen und Waſ - ſermäuschen ſeh ich da oft zu, die im verfallnen Spring - brunnen kampieren, es iſt dicht hinter der Hofkapelle; manchmal höre ich am Sonntag da auch das hohe Amt oder die Veſper mit großem Orcheſter; Du mußt doch auch wiſſen wo dein Kind iſt, wenn's recht treu und fleiſſig an Dich denkt. Adieu, leb recht wohl, ich glaub gewiß daß ich dieſes Jahr zu Dir komme und vielleicht bald, denk an mich, wenn Du Zeit haſt ſo ſchreib mir, nur daß ich Dich ſo fort lieben darf, mehrere von meinen Briefen müſſen verloren gegangen ſein, denn ich hab vom Rhein aus noch mehrmals an Dich ge - ſchrieben.

Die Frau bitte ich herzlich zu grüßen, ich weiß nicht20 ob eine kleine Schachtel die ich ihr unter deiner Addreſſe ſchickte verloren gegangen iſt.

Bettine.

Meine Addreſſe iſt[Landshut] bei Savigny.

Verehrte Freundin.

Empfangen Sie meinen Dank für die ſchönen Ge - ſchenke, welche ich von Ihnen erhalten habe, es hat mich außerordentlich gefreut, weil ich daraus erſah, daß Sie mir Ihr Wohlwollen fortdauer[n]d erhalten, um das ich noch nicht Gelegenheit hatte mich verdient zu machen.

Ich war nun acht Wochen in Frankfurt, die Ihri - gen alle haben mir viel Gutes erzeugt, ich weiß wohl, daß ich dies alles der großen Liebe und Achtung, die man hier für die verſtorbene Mutter hegte, zu danken habe; doch hab ich Ihre Gegenwart ſehr vermißt, Sie haben die Mutter ſehr geliebt und ich hatte auch ver - ſchiedene Aufträge vom Geheimenrath an Sie, von de - nen er glaubte, daß Sie dieſelben gerne übernehmen würden; ich habe nun alles ſo gut wie möglich ſelbſt beſorgt in dieſen traurigen Tagen. Alles was ich von21 Ihrer Hand unter den Papieren der Mutter fand, hab ich gewiſſenhaft an die Ihrigen abgegeben; ich fand es ſehr wohlgeordnet mit gelben Band zugebunden, und von der Mutter an Sie überſchrieben.

Sie machen uns Hoffnung auf einen baldigen Be - ſuch, der Geheimerath und ich ſehen dieſen ſchönen Ta - gen mit Freuden entgegen, nur wünſchen wir, daß es bald geſchehe, da der Geheimerath wahrſcheinlich in der Mitte des Monat Mai wieder nach Carlsbad gehen wird.

Er befindet ſich dieſen Winter außerordentlich wohl, welches er doch den heilſamen Quellen zu danken hat. Bei meiner Zurückkunft kam er mir ordentlich jünger vor und geſtern, weil große Cour an unſerm Hof war, ſah ich ihm zum erſtenmal mit ſeinen Orden und Bän - dern geſchmückt, er ſah ganz herrlich und ſtattlich aus, ich konnte ihn gar nicht genug bewundern, mein erſter Wunſch war wenn ihn doch die gute Mutter noch ſo geſehen hätte; er lachte über meine große Freude, wir ſprachen viel von Ihnen, er trug mir auf auch in ſei - nem Namen zu danken, für alles gütige und freund - liche was Sie mir erzeugen, er hat ſich vorgenommen ſelbſt zu ſchreiben und meine ſchlechte Feder zu entſchul - digen, mit der ich nicht nach Wunſch ausdrücken kann,22 wie werth mir Ihr Andenken iſt dem ich mich herzlich empfehle.

C. v. Goethe.

An Bettine.

Du biſt ſehr liebenswürdig, gute Bettine, daß Du dem ſchweigenden Freunde immer einmal wieder ein le - bendiges Wort zuſprichſt, ihm von deinen Zuſtänden und von den Localitäten in denen Du umherwandelſt einige Nachricht giebſt; ich vernehme ſehr gern wie Dir zu Muthe iſt, und meine Einbildungskraft folgt Dir mit Vergnügen ſowohl auf die Bergeshöhen als in die engen Schloß - und Kloſterhöfe. Gedenke meiner auch bei den Eidexen und Salamandern.

Eine Dankſagung meiner Frau wird bei Dir ſchon eingelaufen ſein, deine unerwartete Sendung hat un - glaubliche Freude gemacht, alles iſt einzeln bewundert und hochgeſchätzt worden. Nun muß ich Dir auch ſchnell für die mehreren Briefe danken die Du mir geſchrieben haſt, und die mich in meiner Carlsbader Einſamkeit an - genehm überraſchten, unterhielten und theilweiſe wieder - holt beſchäftigten, ſo waren mir beſonders deine Explo -23 ſionen über Muſik intereſſant, ſo nenne ich dieſe geſtei - gerten Anſchauungen deines Köpfchens die zugleich den Vorzug haben auch den Reiz dafür zu ſteigern.

Damals ſchickte ich ein Blättchen an Dich meiner Mutter, ich weiß nicht ob Du es erhalten haſt. Dieſe Gute iſt nun von uns gegangen, und ich begreife wohl wie Frankfurt Dir dadurch verödet iſt. Alles was Du mittheilen willſt über Herz und Sinn der Mutter, und über die Liebe mit der Du es aufzunehmen ver - ſtehſt, iſt mir erfreulich. Es iſt das ſeltenſte und da - her wohl auch das köſtlichſte zu nennen, wenn eine ſo gegenſeitige Auffaſſung und Hingebung immer die rechte Wirkung thut; immer etwas bildet was dem nächſten Schritt im Leben zu gut kommt, wie denn durch eine glückliche Übereinſtimmung des Augenblicks gewiß am lebendigſten auf die Zukunft gewirkt iſt, und ſo glaub ich Dir gern wenn Du mir ſagſt, welche reiche Lebens - quelle Dir in dieſem deinen Eigenheiten ſich ſo willig hingebenden Leben verſiegt iſt; auch mir war ſie dies, in ihrem Überleben aller anderen Zeugen meiner Jugend - jahre bewieß ſie, daß ihre Natur keiner andern Rich - tung bedurfte als zu pflegen und zu lieben was Ge - ſchick und Neigung ihr anvertraut hatten; ich habe in der Zeit nach ihrem Tode viele ihrer Briefe durchleſen,24 und bewundert wie ihr Geiſt bis zur ſpäteſten Epoche ſein Gepräge nicht verloren. Ihr letzter Brief war ganz erfüllt von dem Guten was ſich zwiſchen Euch gefun - den, und daß ihre ſpäten Jahre wie ſie ſelbſt ſchreibt von deiner Jugend ſo grün umwachſen ſeien; auch in dieſem Sinn alſo, wie in allem andern was dein le - bendiges Herz mir ſchon gewährt hat, bin ich Dir Dank ſchuldig.

Wilhelm Humboldt hat uns viel von Dir erzählt. Viel das heißt oft. Er fing immer wieder von deiner kleinen Perſon zu reden an, ohne das er ſo was recht eigentliches hätte zu ſagen gehabt, woraus wir denn auf ein eignes Intereſſe ſchließen konnten. Neulich war ein ſchlanker Architekt von Kaſſel hier, auf den Du auch magſt Eindruck gemacht haben.

Dergleichen Sünden magſt Du denn mancherlei auf Dir haben, deswegen Du verurtheilt biſt Gichtbrüchige und Lahme zu warten und zu pflegen.

Ich hoffe jedoch das ſoll nur eine vorübergehende Büßung werden, damit Du Dich des Lebens deſto beſſer und lebhafter mit den Geſunden freuen mögeſt.

Bring nun mit deiner reichen Liebe alles wieder in's Geleis einer mir ſo lieb gewordenen Gewohnheit, laſſe die Zeit nicht wieder in ſolchen Lücken verſtreichen laſſevon25von Dir vernehmen, es thut immer ſeine gute und freund - liche Wirkung, wenn auch der Gegenhall nicht bis zu Dir hinüberdringt; ſo verzichte ich doch nicht darauf Dir Beweiſe ihres Eindruckes zu liefern, an denen Du ſelbſt ermeſſen magſt ob die Wirkung auf meine Einbildungs - kraft, den Zaubermitteln der deinigen entſpricht. Meine Frau hör ich hat Dich eingeladen, das thue ich nicht und wir haben wohl beide recht. Lebe wohl, grüße freundlich die freundlichen und bleib mir Bettine.

G.

An Goethe.

Wenn deine Einbildungskraft geſchmeidig genug iſt mich in alle Schlupfwinkel von verfallenem Gemäuer, über Berg und Klüfte zu begleiten, ſo will ich's auch noch wagen Dich bei mir einzuführen; ich bitte alſo: komm, nur immer höher, drei Stiegen hoch hier in mein Zimmer, ſetz Dich auf den blauen Seſſel am grü - nen Tiſch, mir gegen über; ich will Dich nur anſehen, und Goethe! folgt mir deine Einbildungskraft im - mer noch? dann mußt Du die unwandelbarſte LiebeII. 226in meinen Augen erkennen, mußt jetzt liebreich mich in deine Arme ziehen; ſagen: ſo ein treues Kind iſt mir beſcheert, zum Lohn, zum Erſatz für manches. Es iſt mir werth dies Kind, ein Schatz iſt mir's, ein Kleinod das ich nicht verlieren will. Siehſt Du? und mußt mich küſſen; denn das iſt was meine Einbildungskraft der deinigen beſcheert.

Ich führ Dich noch weiter; tritt ſachte auf in meines Herzenskammer; hier ſind wir in der Vor - halle; große Stille! kein Humbold, kein Ar - chitekt, kein Hund der bellt. Du biſt nicht fremd; geh hin poch an es wird allein ſein und, herein Dir rufen. Du wirſt's auf kühlem, ſtillem Lager finden, ein freundlich Licht wird Dir entgegen leuchten, alles wird in Ruh und Ordnung ſein, und Du Will - kommen. Was iſt das? Himmel! die Flam - men über ihm zuſammenſchlagend! Woher die Feu - ersbrunſt? Wer rettet hier? armes Herz! ar - mes nothgedrungenes Herz. Was kann der Verſtand hier? der weiß alles beſſer und kann doch nichts helfen, der läßt die Arme ſinken.

Kalt und unbedeutend geht das Leben entweder ſo fort, das nennt man einen geſunden Zuſtand; oder wenn es wagt auch nur den einzigen Schritt tiefer in's Ge -27 fühl, dann greifen Leidenſchaften brennend mit Gewalt es an, ſo verzehrt ſich's in ſich ſelber. Die Augen muß ich zumachen und darf nichts anſehen was mir lieb iſt. Ach! die kleinſte Erinnerung macht mich er - grimmen in ſehnendem Zorn, und drum darf ich auch nicht immer in Gedanken Dir nachgehen, weil ich zor - nig werde und wild. Wenn ich die Hände ausſtrecke ſo iſt's doch nur nach den leeren Wänden, wenn ich ſpreche, ſo iſt's doch nur in den Wind, und wenn ich endlich Dir ſchreibe, ſo empört ſich mein eigen Herz, daß ich nicht die leichte Brücke von dreimal Tag und Nacht überfliege und mich in ſüßeſter, der Liebe ewig erſehnter Ruhe zu deinen Füßen lege.

Sag wie biſt Du ſo mild, ſo reichlich gütig in Dei - nem lieben Brief; mitten in dem hartgefrornen Winter, ſonnige Tage die mir das Blut warm machen; was will ich mehr? Ach ſo lang ich nicht bei Dir bin kein Seegen.

Ach ich möchte, ſo oft ich Dir wieder ſchreibe auch wieder Dir ſagen: wie und warum und alles; ich möchte Dich hier auf den einzigen Weg leiten den ich einzig will, damit es einzig ſei, und ich nur einzig ſei die ſo Dich liebt und ſo von Dir erkannt wird.

Ob Liebe die größte Leidenſchaft ſei, und ob zu2*28überwinden, verſteh ich nicht, bei mir iſt ſie Willen, mächtiger, unüberwindlicher.

Der Unterſchied zwiſchen göttlichem und menſchli - chem Willen iſt nur, daß jener nicht nachgiebt und ewig daſſelbe will; unſer Wille aber jeden Augenblick fragt: darf oder ſoll ich? Der Unterſchied iſt, daß der gött - liche Wille alles verewigt, und der menſchliche am irdi - ſchen ſcheitert; das iſt aber das große Geheimniß, daß die Liebe himmliſcher Wille iſt, Allmacht der nichts ver - ſagt iſt.

Ach Menſchenwitz hat keinen Klang, aber himmli - ſcher Witz der iſt Muſik, luſtige Energie, dem iſt das ir - diſche zum Spott; er iſt das glänzende Gefieder mit dem die Seele ſich aufſchwingt, hoch über die Anſiede - lungen irdiſcher Vorurtheile, von da oben herab iſt ihr alles Geſchick gleich. Wir ſagen, das Schickſal walte über uns? Wir ſind unſer eigen Schickſal, wir zer - reißen die Fäden die uns dem Glück verbinden, und knüpfen jene an die uns unſeelige Laſt auf's Herz le - gen; eine innere geiſtige Geſtalt will ſich durch die äu - ßere weltliche bilden, dieſer innere Geiſt regiert ſelbſt ſein eigen Schickſal wie es zu ſeiner höheren Organiſa - tion erforderlich iſt.

Du mußt mir's nicht verargen wenn ich's nicht29 deutlicher machen kann, Du weißt alles und verſtehſt mich, und weißt daß ich recht habe und freuſt Dich drüber.

Gute Nacht! bis Morgen gute Nacht. Alles iſt ſtill, ſchläft ein jeder im Haus, hängt träumend dem nach, was er wachend begehrt, ich aber bin allein wach mit Dir. Draußen auf der Straße kein Laut mehr ich möchte wohl verſichert ſein daß in dieſem Augenblick keine Seele mehr an Dich denkt, kein Herz einen Schlag mehr für Dich thut, und ich allein auf der weiten Welt ſitze zu deinen Füßen, das Herz in vollen Schlägen geht auf und ab; und während alles ſchläft bin ich wach dein Knie an meine Bruſt zu drücken, und Du? die Welt braucht's nicht zu wiſſen daß Du mir gut biſt.

Bettine.

An Goethe.

Heut bricht der volle Tag mit ſeinen Neuigkeiten in meine Einſamkeit herein, wie ein ſchwer beladener Frachtwagen auf einer leichten Brücke einbricht, die nur für harmloſe Spaziergänger gebaut war. Da hilft nichts, man muß Hand anlegen und helfen alles in30 Gang bringen; auf allen Gaſſen ſchreit man Krieg, die Bibliothekardiener rennen umher um ausgeliehene Ma - nuſcripte und Bücher wieder einzufordern, denn alles wird eingepackt. Hamberger, ein zweiter Hercules, denn wie jener die Stallungen der zwanzigtauſend Rin - der, ſo miſtet er die Bibliothek von achtzigtauſend Bän - den aus, und jammert daß alle geſchehene Arbeit um - ſonſt iſt. Auch die Gallerie ſoll eingepackt werden; kurz, die ſchönen Künſte ſind in der ärgſten Conſterna - tion. Opern und Muſik iſt Valet geſagt, der erlauchte Liebhaber der Prima Donna zieht zu Felde; die Aca - demie ſteckt Trauerampeln aus, und bedeckt ihr Antlitz bis der Sturm vorbei, und ſo wär alles in ſtiller - der Erwartung des Feindes, der vielleicht gar nicht kommt. Ich auch bin in Gährung, und zwar in revo - lutionairer. Die Tyroler, mit denen halt ich's, das kannſt Du denken. Ach ich bin's müde, des Nachbars Flöte oben in der Dachkammer bis in die ſpäte Nacht ihr Stückchen blaſen zu hören, die Trommel und die Trompete die machen das Herz friſch.

Ach hätt 'ich ein Wämslein und Hoſen und Hut, ich lief hinüber zu den gradnaſigen, gradherzigen Tyrolern und ließ ihre ſchöne grüne Standarte im Winde klatſchen.

31

Zur Liſt hab 'ich große Anlage, wenn ich nur erſt drüben wär, ich könnte ihnen gewiß Dienſte leiſten. Mein Geld iſt all fort, ein guter Kerl, ein Mediziner, hat eine Liſt erfunden, es den gefangnen Tyrolern, die ſehr hart gehalten ſind, zuzuſtecken. Das Gitter vom Gefängniß geht auf einen öden Platz am Waſſer, den ganzen Tag waren böſe Buben da verſammelt, die mit Koth nach ihnen warfen, am Abend gingen wir hin, unterdeſſen einer neben der Schildwache ausrief: Ach was iſt das für ein Rauch in der Ferne, und indem dieſe ſich nach dem Rauch umſah, zeigte der andere den Gefangenen das blinkende Goldſtück, wie er es in Pa - pier einwickelte und dann mit Koth eine Kugel draus machte; jetzt paß Achtung, rief er, und warf's dem Ty - roler zu, ſo gelang es mehrmals; die Schildwache freute ſich daß die böſen Jungen ſo gut treffen konnten.

Du kennſt vielleicht oder erinnerſt Dich doch geſehen zu haben einen Grafen Stadion, Domherr und kaiſer - licher Geſandter, von ſeinen Freunden der ſchwarze Fritz genannt, er iſt mein einziger Freund hier, die Abende, die er frei hat, bringt er gern bei mir zu, da lieſt er die Zeitung, ſchreibt Depeſchen, hört mir zu wenn ich was erzähle, wir ſprechen auch oft von Dir; ein Mann von kluger, freier Einſicht, von edlem Weſen. 32Er theilt mir aus ſeiner Herzens - und Lebensgeſchichte merkwürdige Dinge mit, er hat viel aufgeopfert, aber nichts dabei verloren, im Gegentheil iſt ſein Charakter hierdurch frei geworden von der Steifheit, die doch im - mer mehr oder weniger den Platz freiwilliger Grazie ein - nimmt, ſobald man mit der Welt in einer nicht unwich - tigen Verbindung iſt, wo man ſich zum Theil auch künſtlich verwenden muß; er iſt ſo ganz einfach wie ein Kind, und giebt meinen Launen in meiner Einſamkeit manche Wendung. Sonntags holt er mich ab in ſei - nem Wagen und lieſt mir in der königlichen Kapelle die Meſſe; die Kirche iſt meiſtens ganz leer, außer ein paar alten Leuten. Die ſtille einſame Kirche iſt mir ſehr erfreulich, und daß der liebe Freund, von dem ich ſo manches weiß was in ſeinem Herzen bewahrt iſt, mir die Hoſtie erhebt und den Kelch das freut mich. Ach ich wollt 'ich wüßte ihm auf irgend eine Art erſetzt was ihm genommen iſt.

Ach, daß das Entſagen dem Begehren die Waage hält! Endlich wird doch der Geiſt, der durch Schmer - zen geläutert iſt, über das Alltagsleben hinaus zum Himmel tanzen.

Und was wär 'Weisheit, wenn ſie nicht Gewalt brauchte um ſich allein geltend zu machen? jedes33 Entſagen will ſie ja lindernd erſetzen, und ſie ſchmeichelt Dir alle Vortheile ihres Beſitzes auf, während Du weinſt um das was ſie Dir verſagt.

Und wie kann uns das Ewige gelingen, als nur wenn wir das Zeitliche dran ſetzen?

Alles ſeh ich ein und möchte alle Weisheit dem er - ſten beſten Ablaßkrämer verhandeln, um Abſolution für alle Liebesintriguen, die ich mit Dir noch zu haben ge - denke.

Ach, wenn mich die Liebe nicht hellſehend machte, ſo wär ich elend, ich ſeh die gefrornen Blumen an den Fenſterſcheiben, und den Sonnenſtrahl, der ſie allmählig ſchmilzt, und denke mir alles in deiner Stube, wie Du auf - und niederwandelſt und dieſe gefrornen Landſchaf - ten mit Tannenwäldchen und dieſe Blumenſtücke ſinnend betrachteſt. Da erkenne ich ſo deutlich deine Züge, und es wird ſo wahr daß ich Dich ſehen kann; unter - deſſen geht die Trommel hier unter dem Fenſter von allen Straßen her und ruft die Truppen zuſammen.

2**34

Staatsangelegenheiten vertraut man mir nicht, aber Herzensangelegenheiten, geſtern Abend noch kam der liebe katholiſche Prieſter, das Geſpräch war ein träume - riſch Geliſpel früherer Zeiten; ein feines Geweb, das ein ſanfter Hauch wiegt in ſtiller Luft. Das Herz erlebt auch einen Sommer, ſagte er, wir können es dieſer hei - ßen Jahreszeit nicht vorenthalten, und Gott weiß daß der Geiſt reifen muß wie der goldne Waizen, ehe die Sichel ihn ſchneidet.

Ich bin begierig über Liebe ſprechen zu hören, die ganze Welt ſpricht zwar drüber, und in Romanen iſt genug ausgebrütet, aber nichts was ich gern hören will. Als Beweis meiner Aufrichtigkeit bekenne ich Dir: auch im Wilhelm Meiſter geht mir's ſo, die meiſten Men - ſchen ängſtigen mich drinn, wie wenn ich ein bös Ge - wiſſen hätte, da iſt es einem nicht geheuer innerlich und äußerlich, ich möchte zum Wilhelm Meiſter ſagen: komm, flüchte dich mit mir jenſeits der Alpen zu den Tyrolern, dort wollen wir unſer Schwert wetzen, und das Lumpenpack von Comödianten vergeſſen, und alle deine Liebſten müſſen denn mit ihren Prätenſionen und höheren Gefühlen eine Weile darben; wenn wir wieder -35 kommen, ſo wird die Schminke auf ihren Wangen er - bleicht ſein, und die flornen Gewande und die feinen Empfindungen werden vor deinem ſonneverbrannten Marsantlitz erſchaudern. Ja, wenn etwas noch aus Dir werden ſoll, ſo mußt Du deinen Enthuſiasmus an den Krieg ſetzen, glaub mir, die Mignon wär nicht aus die - ſer ſchönen Welt geflüchtet, in der ſie ja doch ihr Liebſtes zurücklaſſen mußte, ſie hätte gewiß alle Mühſeeligkeiten des Kriegs mit ausgehalten, und auf den rauhen Alpen in den Winterhöhlen übernachtet bei karger Koſt, das Freiheitsfeuer hätte auch in ihrem Buſen gezündet, und friſches, geſünderes Blut durch ihre Adern geleitet. Ach, willſt Du dieſem Kind zu Lieb nicht alle dieſe Men - ſchen zu Hauf verlaſſen? die Melancholie erfaßt Dich, weil keine Welt da iſt in der Du handeln kannſt. Wenn Du Dich nicht fürchteſt vor Menſchenblut: hier unter den Tyrolern kannſt Du handeln für ein Recht, das eben ſo gut aus reiner Natur entſprungen iſt, wie die Liebe im Herzen der Mignon. Du biſt's, Meiſter, der den Keim dieſes zarten Lebens erſtickt un - ter all dem Unkraut was Dich überwächſt. Sag, was ſind ſie alle gegen den Ernſt der Zeit, wo die Wahrheit in ihrer reinen Urgeſtalt emporſteigt, und dem Verder - ben, was die Lüge angerichtet hat, Trotz bietet?

36

O, es iſt eine himmliſche Wohlthat Gottes, an der wir alle geſunden könnten, eine ſolche Revolution: er läßt abermals und abermals die Seele der Freiheit wie - der neugeboren werden.

Siehſt Du, Meiſter, wenn Du heute in der ſtern - hellen kalten Nacht deine Mignon aus ihrem Bettchen holſt, in dem ſie geſtern mit Thränen um Dich einge - ſchlafen war; Du ſagſt ihr: ſei hurtig und gehe mit, ich will allein mit Dir in die Fremde ziehen; O, ſie wird's verſtehen, es wird ihr nicht unglaublich vorkom - men, Du thuft was ſie längſt von Dir verlangte und was Du unbegreiflich unterlaſſen haſt. Du wirſt ihr ein Glück ſchenken, daß ſie deine harten Mühen theilen darf, bei Nacht auf gefahrvollen Wegen, wo jeder Schritt täuſcht, da wird ihr Scharfblick, ihre kühne Zu - verſicht Dich ſicher leiten hinüber zum kriegbedrängten Volk; und wenn ſie ſieht, daß Du deine Bruſt den Pfeilen bieteſt, wird ſie nicht zagen, es wird ſie nicht kränken wie die Pfeile des ſchmeichelnden Syrenenvolks, ſie wird raſch heranreifen zu dem kühnen Vertrauen, mit einzuklingen in die Harmonie der Freiheitsbegeiſte - rung. Und wenn Du auch im Vordertreffen ſtürzen mußt, was hat ſie verloren? was könnte ihr dieſen ſchönen Tod erſetzen, an deiner Seite vielleicht? beide37 Arm in Arm verſchränkt lägt Ihr unter der kühlen ge - ſunden Erde, und mächtige Eichen beſchatteten Euer Grab; ſag, wär's nicht beſſer als daß Du bald ihr fei - nes Gebild den anatomiſchen Händen des Abée über - laſſen mußt daß er ein künſtliches Wachs hineinſpritze.

Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen früherer Zeit, die Du mir angethan, ich fühl mich jetzt ſo hülflos, ſo unverſtanden wie damals die Mignon. Da draußen iſt heute ein Lärm und doch geſchieht nichts, ſie haben arme Tyroler gefangen eingebracht, armes Taglöhnervolk, was ſich in den Wäldern ver - ſteckt hatte; ich hör hier oben das wahnſinnige Toben, ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's nicht mit anſehen, der Tag iſt auch ſchon im Scheiden, ich bin allein, kein Menſch, der wie ich menſchlich fühlte. Dieſe feſten, ſicheren, in ſich einheimiſchen Naturen, die den Geiſt der Treue und Freiheit mit der reineren Luft ihrer Berge einathmen, die müſſen ſich durch die kothi - gen Straßen ſchleifen laſſen, von einem biertrunkenen Volk, und keiner thut dieſem Einhalt, keiner wehrt ſei - nen Mißhandlungen; man läßt ſie ſich verſündigen an den höheren Gefühlen der Menſchheit. Teufel! wenn ich Herrſcher wär, hier wollt ich ihnen zeigen daß38 ſie Sclaven ſind, es ſollte mir keiner wagen ſich am Ebenbild Gottes zu vergreifen.

Ich meine immer der Kronprinz müſſe anders em - pfinden, menſchlicher, die Leute wollen ihn nicht loben, ſie ſagen: er ſei eigenſinnig und launig, ich habe Zu - trauen zu ihm, er pflegt den Garten, den er als Kind hatte, noch jetzt mit Sorgfalt, begießt die Blumen, die in ſeinen Zimmern blühen, ſelbſt, macht Gedichte, hol - perig, aber voll Begeiſterung, das alles ſagt mir gut für ihn.

Was wohl ein ſolcher für Gedanken hat, der jeden Gedanken realiſiren könnte? ein Fürſt, deſſen Geiſt das ganze Land erhellen ſoll? er müßte verharren im Gebet ſein Lebenlang, der angewieſen iſt in tauſend andern zu leben, zu handeln.

Ja, ob ein Königsſohn wohl den heiligen Geiſt in ſich erweckt, daß der regiere ſtatt ſeiner? der Sta - dion ſeufzt und ſagt: das beſte iſt, daß, wie die Wür - fel auch fallen, der Weg zum Himmel immer unver - ſperrt bleibt für König und Unterthan.

39

Ich habe keinen Muth und keinen Witz, ach, hätt ich doch einen Freund, der nächtlich mit mir über die Berge ging.

Die Tyroler liegen in dieſer Kälte mit Weib und Kind zwiſchen den Felſen, und ihr begeiſterter Athem durchwärmt die ganze Atmoſphäre. Wenn ich den Sta - dion frage, ob der Herzog Karl ſie auch gewiß nicht verlaſſen werde, dann faltet er die Hände und ſagt: ich will's nicht erleben.

Das Papier muß herhalten, einziger Vertrauter! was doch Amor für tückiſche Launen hat, daß ich in dieſer Reihe von Liebesbriefen auf einmal mich für Mars entzünde, mein Theil Liebesſchmerzen hab ich ſchon, ich müßte mich ſchämen in dieſem Augenblick ſie geltend machen zu wollen; und könnt ich nur etwas thun, und wollten die Schickſalsmächte mich nicht verſchmähen! das iſt das bitterſte, wenn man ihnen nichts gilt, wenn ſie einem zu nichts verwenden.

Denk nur, daß ich in dem verdammten München40 allein bin. Kein Geſicht, dem zu trauen wär; Savigny iſt in Landshut, dem Stadion ſchlagen die Wellen in dieſem politiſchen Meeresſturm über'm Kopf zuſammen, ich ſeh ihn nur auf Augenblicke, man iſt ganz miß - trauiſch gegen mich wegen ihm, das iſt mir grad lieb, wenn man auch hochmüthig iſt auf den eignen Wahn - ſinn, ſo ſoll man doch ahnden daß nicht jeder von ihm ergriffen iſt.

Heute Morgen war ich draußen im beſchneiten Park und erſtieg den Schneckenthurm, um mit dem Fernrohr nach den Tyrolerbergen zu ſehen, wüßte ich dein Dach dort, ich könnte nicht ſehnſüchtiger danach ſpähen.

Heute ließ Winter Probe halten von einem Marſch, den er für den Feldzug gegen Tyrol componirte, ich ſagte, der Marſch ſei ſchlecht, die Baiern würden alle ausreißen und der Schimpf auf ihn fallen. Winter zerriß die Compoſition und war ſo zornig, daß ſein langes Silberhaar wie ein vom Hagel getroffenes Ährenfeld hin - und herwogte. Ach, könnte ich doch an - dere Anſtalten auch ſo hintertreiben wie den Marſch.

Jacobi habe ich in 3 Wochen nicht geſehen, ob - ſchon ich ihm über ſeinen Woldemar, den er mir hier zu leſen gab, einen langen Brief geſchrieben habe; ich41 wollte mich üben die Wahrheit ſagen zu können, ohne daß ſie beleidigt, er war mit dem Brief zufrieden und hat mir mancherlei darauf erwiedert, wär ich nicht in das heftige Herzklopfen gerathen wegen den Tyrolern, ſo wär ich vielleicht in eine philoſophiſche Correſpondenz gerathen und gewiß drinn ſtecken geblieben; dort auf den Bergen aber nicht, da hätt ich meine Sache durch - gefochten.

Schelling ſeh ich auch ſelten, er hat etwas an ſich, das will mir nicht behagen, und dies Etwas iſt ſeine Frau, die mich eiferſüchtig machen will auf Dich, ſie iſt in Briefwechſel mit einer Pauline G. aus Jena, von dieſer erzählt ſie mir immer, wie lieb Du ſie haſt, wie liebenswürdige Briefe Du ihr ſchreibſt ꝛc., ich höre zu und werde krank davon, und dann ärgert mich die Frau. Ach, es iſt auch einerlei, ich kann nicht wollen daß Du mich am liebſten haſt, aber es ſoll ſich nie - mand unterſtehen ſeine Rechte mit mir zu meſſen in der Liebe zu Dir.

Bettine.

42
An Goethe.

Die Sonne geht mir launig auf, beleuchtet mir manches verborgne, blendet mich wieder. Mit ſchweren Wolken abwechſelnd zieht ſie über mir hin, bald ſtür - miſch Wetter dann wieder Ruh.

Es ebnet ſich nach und nach, und auf dem glatten Spiegel, hell und glühend, ſteht immer wieder des lieb - ſten Mannes Bildniß, wankt nicht, warum vor andern nur Du? warum nach allen immer wieder Du? und doch: bin ich Dir werther mit all der Lieb in der Bruſt? frag ich Dich? Nein, ich weiß recht gut, daß Du doch nichts antworteſt, und wenn ich auch ſagte lieber, geliebter einziger Mann.

Was hab ich alles erlebt in dieſen Tagen was mir das Herz gebrochen, ich möchte meinen Kopf an deinen Hals verſtecken, ich möchte meine Arme um Dich ſchlin - gen und die böſe Zeit verſchlafen.

Was hat mich alles gekränkt, nichts hab ich ge - habt in Kopf und Herzen als nur immer das mächtige Schickſal, das dort in den Gebirgen raſt.

Warum ſoll ich aber weinen, um die, die ihr Leben mit ſo freudiger Begeiſterung ausgehaucht haben? was erbarmt mich denn ſo? hier iſt kein Mitleid zu43 haben als nur mit mir, daß ich mich ſo anſtrengen muß es auszuhalten.

Will ich Dir alles ſchreiben, ſo verträume ich die Zeit die Zeit, die auf glühenden Sohlen durch's Tyrol wandert; ſo bittere Betrübniß hat mich durchdrungen, daß ich's nicht wage die Papiere, die in jenen Stunden geſchrieben ſind, an Dich abzuſchicken.

Ich bin hellſehend, Goethe, ich ſeh das vergoßne Blut der Tyroler triumphirend in den Buſen der Gott - heit zurückſtrömen. Die hohen gewaltigen Eichen, die Wohnungen der Menſchen, die grünen Matten, die glücklichen Heerden, der geliebte gepflegte Reichthum des Heldenvolks, die den Opfertod in den Flammen fanden, das alles ſeh ich verklärt mit ihnen gen Him - mel fahren, bis auf den treuen Hund, der ſeinen Herrn beſchützend, den Tod verachtet wie er.

Der Hund, der keinen Witz hat, nur Inſtinkt, und heiter in jedem Geſchick das rechte thut. Ach, hätte der Menſch nur ſo viel Witz den eignen Inſtinkt nicht zu verläugnen.

In all dieſen Tagen der Unruh, glaub's Goethe, vergeht keiner, den ich nicht mit dem Gedanken an Dich44 beſchließe, ich bin ſo gewohnt deinen Namen zu nennen, Nachts, eh ich einſchlafe, Dir alle Hoffnung an's Herz zu legen, und alle Bitten und Fragen in die Zukunft.

Da liegen ſie um mich her die Papiere mit der Ge - ſchichte des Tags und den Träumen der Nacht, lauter Verwirrung, Unmuth, Sehnſucht und Seufzer der Ohn - macht; ich mag Dir in dieſer Zeit, die ſich ſo geltend macht, nichts von meinem bedürftigen Herzen mittheilen, nur ein paar kleine Zufälle, die mich beſchäftigten, ſchrieb ich Dir auf, damit ich nicht verläugne vor Die daß ein höheres Geſchick auch mir Winke gab, obſchon ich zu unmündig mich fühle ihm zu folgen.

Im März war's, da leitete mir der Graf M.., bei deſſen Familie ich hier wohne, eine wunderliche Ge - ſchichte ein, die artig ausging. Der Hofmeiſter ſeines Sohnes giebt ihn bei der Polizei an, er ſei öſtreichiſch geſinnt und man habe an ſeinem Tiſch die Geſundheit des Kaiſers getrunken, er ſchiebt alles auf mich, und nun bittet er mich daß ich auf dieſe Lüge eingehe, da es ihm ſehr nachtheilig ſein könne, mir aber höchſtens einen kleinen Verweis zuziehen werde, ſehr willkommen war mir's, ihm einen Dienſt leiſten zu können, ich wil - lige mit Vergnügen ein; in einer Geſellſchaft wird mir der Polizeipräſident vorgeſtellt, unter dem Vorwand,45 meine Bekanntſchaft machen zu wollen, ich komme ihm zuvor und ſchütte ihm mein ganzes Herz aus, meine Begeiſterung für die Tyroler, und daß ich aus Sehn - ſucht alle Tage auf den Schneckenthurm ſteige mit dem Fernrohr, daß man heute aber eine Schildwache hinge - pflanzt habe, die mich nicht hinaufgelaſſen; gerührt über mein Zutrauen, küßt er mir die Hand und ver - ſpricht mir, die Schildwache wegzubeordern, es war keine Liſt von mir, denn ich hätte wirklich nicht gewußt mich anders zu benehmen, indeſſen iſt durch dieſes Ver - fahren der Freund weiß gebrennt und ich nicht ſchwarz.

Ein paar Tage ſpäter, in der Charwoche, indem ich Abends in der Dämmerung in meinem Zimmer al - lein war, treten zwei Tyroler bei mir ein, ich bin ver - wundert, aber nicht erſchrocken. Der eine nimmt mich bei der Hand und ſagt: wir wiſſen daß Du den Tyro - lern gut biſt und wollen Dich um eine Gefälligkeit bit - ten; es waren Papiere an Stadion und mündliche Auf - träge, ſie ſagten mir noch, es würde gewiß ein Augen - blick kommen, da ich ihnen Dienſte leiſten könne, es war mir ſo wunderlich, ich glaubte es könne eine Liſt ſein mich auszuforſchen, doch war ich kurz gefaßt und ſagte: Ihr mögt mich nun betrügen oder nicht, ſo werd ich thun was ihr von mir verlangt; der Tyroler ſieht46 mich an und ſagt: ich bin Leibhuſar des Königs, kein Menſch hat arges gegen mich, und doch hab ich nichts im Sinn als nur wie ich meinen Leuten helfen will, und nun haſt Du mich in Händen und wirſt nicht fürch - ten daß ein Tyroler auch ein Verräther ſein könne.

Wie die Tyroler weg waren, war ich wie betäubt, mein Herz ſchlug hoch vor Entzücken, daß ſie mir dies Zutrauen geſchenkt haben; am andern Tag war Char - freitag, da holte mich der Stadion ab, um mir eine ſtille Meſſe zu leſen. Ich gab ihm meine Depeſchen und erzählte ihm alles, und äußerte ihm voll Beſchä - mung die große Sehnſucht, daß ich fort möchte zu den Tyrolern; Stadion ſagt, ich ſoll mich auf ihn verlaſſen, er wolle einen Stutzen auf den Rücken nehmen und in's Tyrol gehen, und alles was ich möchte, das wolle er für mich ausrichten, und es ſei die letzte Meſſe, die er mir leſen werde, denn in wenig Tagen ſei ſeine Abreiſe beſtimmt. Ach, Gott, es fiel mir ſchwer auf's Herz daß ich ſo bald den lieben Freund verlieren ſollte.

Nach der Meſſe ging ich auf's Chor, Winter ließ die Lamentation ſingen, ich warf ein Chorhemd über und ſang mit, unterdeſſen kam der Kronprinz mit ſei - nem Bruder, das Kruzifix lag an der Erde, das beide Brüder küßten, nachher umarmten ſie ſich; ſie waren47 bis an den Tag entzweit geweſen über einen Hofmei - ſter, den der Kronprinz, weil er ihn für untauglich hielt, von ſeinem Bruder entfernt hatte; ſie verſöhnten ſich alſo hier in der Kirche mit einander, und mir machte es große Freude zuzuſehen. Bob, ein alter Clavier - meiſter des Kronprinzen, der auch mir Unterricht giebt, begleitete mich nach Hauſe, er zeigte mir ein Sonnet was der Kronprinz an dieſem Morgen gedichtet hatte; ſchon daß er dieſen Herzensdrang empfindet bei Ereig - niſſen die ihn näher angehen, zu dichten, ſpricht für eine tiefere Seele; in ihm waltet gewiß das Naturrecht vor, dann wird er auch die Tyroler nicht mißhandeln laſſen; ja, ich hab eine gute Zuverſicht zu ihm; der alte Bob erzählt mir alles was meinen Enthuſiasmus noch ſteigern kann. Am dritten Feyertag holt er mich ab in den engliſchen Garten, um die Anrede des Kronprinzen an ſeine verſammelte Truppen, mit denen er ſeinen er - ſten Feldzug machen wird, anzuhören; ich konnte nichts zuſammenhängendes verſtehen, aber was ich hörte war mir nicht recht, er ſpricht von ihrer Tapferkeit, ihrer Ausdauer und Treue, von den abtrünnigen, verrätheri - ſchen Tyrolern, daß er ſie, vereint mit ihnen, zum Ge - horſam zurückführen werde, und daß er ſeine eigne Ehre mit der ihrigen verflechte und verpfände ꝛc. Wie ich48 nach Haus komme wühlt das alles in mir, ich ſehe ſchon im Geiſt wie der Kronprinz, ſeinen Generalen überlaſſen, alles thut wogegen ſein Herz ſpricht, und dann iſt's um ihn geſchehen. So ein bairiſcher General iſt ein wahrer Rumpelbaß, aus ihm hervor brummt nichts als Baierns Ehrgeiz; das iſt die grobe, rauhe Stimme, mit denen er alle beſſeren Gefühle übertönt.

Das alles wogte in meinem Herzen da ich von dieſer öffentlichen Rede zurückkam, und daß kein Menſch in der Welt einem Herrſcher die Wahrheit ſagt, im Ge - gentheil nur Schmeichler ihnen immerdar Recht geben, und je tiefer ſich ein ſolcher irrt, je gewaltiger iſt in jenen die Furcht, er möge an ihrer Übereinſtimmung zweifeln; ſie haben nie das Wohl der Menſchheit, ſie haben nur immer die Gunſt des Herrn im Auge. Ich mußte alſo einen verzweifelten Schritt thun, um[den] Tumult der eignen Lebensgeiſter zu beſchwichtigen, und ich bitte Dich im Voraus um Verzeihung, wenn Du es nicht gut heißen ſollteſt.

Erſt nachdem ich dem Kronprinzen meine Liebe zu ihm, meine Begeiſterung für ſeinen Genius, Gott weiß in welchen Schwingungen an's Herz getrieben habe, vertraue ich ihm meine Anſchauung von dem Tyroler - volk, das ſich die Heldenkrone erwirbt, meine Zuverſicht,er49er werde Milde und Schonung da verbreiten, wo ſeine Leute jetzt nur rohe Wuth und Rachgierde walten laſ - ſen, ich frage ihn ob der Name Herzog von Tyrol nicht herrlicher klinge als die Namen der vier Könige, die ihre Mächte vereint haben um dieſe Helden zu wür - gen? und es möge nun ausgehen wie es wolle, ſo hoffe ich daß er ſich von jenen den Beinamen der Menſch - liche erwerben werde; dies ungefähr iſt der Inhalt eines vier Seiten langen Briefs, den ich, nachdem ich ihn in heftigſter Wallung geſchrieben (da ich denn auch nicht davor ſtehen kann was alles noch mit unterge - laufen), mit der größten Kaltblütigkeit ſiegelte, und ganz getroſt ihn in des Klaviermeiſters Hände gab, mit der Bedeutung: es ſeien wichtige Sachen über die Ty - roler, die dem Kronprinz von großem Nutzen ſein würden.

Wie gern macht man ſich wichtig, mein Bob pur - zelte faſt die Stiegen herab vor übergroßer Eile, dem Kronprinzen den intereſſanten Brief zu überbringen, und wie leichtſinnig bin ich, ich vergaß alles. Ich ging zu Winter, Pſalmen ſingen, zu Tieck, zu Jacobi, nir - gends ſtimmt man mit mir ein, ja alles fürchtet ſich, und wenn ſie wüßten was ich angerichtet habe, ſie wür -II. 350den mir aus Furcht das Haus verbieten, da ſeh ich denn ganz ironiſch drein und denke: ſeid ihr nur bai - riſch und franzöſiſch, ich und der Kronprinz wir ſind deutſch und tyroliſch, oder er läßt mich in's Gefängniß ſetzen, dann bin ich mit einem Male frei und ſelbſt - ſtändig, dann wird mein Muth ſchon wachſen, und wenn man mich wieder los läßt, dann geh ich über zu den Tyrolern und begegne dem Kronprinzen im Feld, und trotze ihm ab was er ſo mir nicht zugeſteht.

O, Goethe, wenn ich ſollte in's Tyrol wandern, und zu rechter Zeit kommen, daß ich den Heldentod ſterbe! es muß doch ein ander Weſen ſein, es muß doch eine Belohnung ſein für ſolche lorbeergekrönte Häupter; der glänzende Triumph im Augenblick des Übergangs iſt ja Zeugniß genug, daß die Begeiſterung, die der Heldentod uns einflößt, nur Widerſchein himm - liſcher Glorie iſt. Wenn ich ſterbe, ich freue mich ſchon drauf, ſo gaukle ich als Schmetterling aus dem Sarg meines Leibes hervor, und dann treffe ich Dich in dieſer herrlichen Sommerzeit unter Blumen, wenn ein Schmetterling Dich unter Blumen vorzieht, und lieber auf deiner Stirn ſich niederläßt und auf deinen Lippen als auf den blühenden Roſen umher, dann glaube ſicher es iſt mein Geiſt, der auf dem Tyroler -51 ſchlachtfeld, frei gemacht iſt von irdiſchen Banden, daß er hin kann wo die Liebe ihn ruft.

Ja wenn alles wahr würde was ich ſchon in der Phantaſie erlebt habe, wenn alle glanzvollen Ereigniſſe meines innern Lebens auch im äußern ſich ſpiegelten, dann hätteſt Du ſchon große und gewaltige Dinge von deinem Kind erfahren, ich kann Dir nicht ſagen was ich träumend ſchon gethan habe, wie das Blut in mir tobt, daß ich wohl ſagen kann ich hab eine Sehnſucht es zu verſpritzen.

Mein alter Claviermeiſter kam zurück zitternd und bleich: was hat in den Papieren geſtanden die Sie mir für den Kronprinzen anvertrauten ſagte er, wenn es mich nur nicht auf ewig unglücklich macht, der Kron - prinz ſchien aufgeregt, ja erzürnt während dem Leſen, und wie er mich gewahr wurde hieß er mich gehen ohne wie ſonſt mir auch nur ein gnädiges Wort zu ſagen. Ich mußte lachen, der Claviermeiſter wurde immer ängſt - licher ich immer luſtiger, ich freute mich ſchon auf meine Gefangenſchaft, und wie ich da in der Einſamkeit mei - nen philoſophiſchen Gedanken nachhängen würde, ich dachte: dann fängt mein Geſchick doch einmal an, Le - ben zu gewinnen, es muß doch einmal was draus ent - ſtehen; aber ſo kam es wieder nicht, ein einzigmal ſah3*52ich den Kronprinz im Theater, er winkte mir freundlich; nun gut: acht Tage hatte ich meinen Stadion nicht ge - ſehen, am 10. April wo ich die gewiſſe Nachricht erhielt er ſei in der Nacht abgereiſt, da war ich doch ſehr be - trübt, daß ich ihn ſollte zum letztenmal geſehen haben, es war mir eine wunderliche Bedeutung, daß er am Charfreitag ſeine letzte Meſſe geleſen hatte; die vie - len zurückgehaltenen und verläugneten Gefühle brachen endlich in Thränen aus. In der Einſamkeit da lernt man kennen was man will und was einem verſagt wird. Ich fand keine Lage für mein ringendes Herz, müde geworden vom weinen ſchlief ich ein, biſt Du ſchon eingeſchlafen, müde vom Weinen? Männer weinen wohl ſo nicht? Du haſt wohl nie geweint, daß die Seufzer noch ſelbſt im Schlaf die Bruſt beſchweren. So ſchluchzend im Traum hör ich meinen Namen ru - fen; es war dunkel, bei dem ſchwachen Dämmerſchein der Laternen von der Straße, erkenne ich einen Mann neben mir in fremder Soldatenkleidung, Säbel, Patron - taſche, ſchwarzes Haar, ſonſt würde ich glauben den ſchwarzen Fritz zu erkennen. Nein Du irrſt nicht, es iſt der ſchwarze Fritz der Abſchied von Dir nimmt, mein Wagen ſteht an der Thür, ich gehe eben als Soldat zur Oeſterreichiſchen Armee, und was deine Freunde die53 Tyroler anbelangt, ſo ſollſt Du mir keine Vorwürfe ma - chen oder Du ſiehſt mich nie wieder, denn ich gebe Dir mein Ehrenwort ich werde nicht erleben daß man ſie verrathe, es geht gewiß alles gut, eben war ich beim Kronprinzen, der hat mit mir die Geſundheit der Tyro - ler getrunken und dem Napoleon ein Pereat gebracht, er hat mich bei der Hand gefaßt und geſagt: erin - nern Sie ſich dran daß im Jahr Neune im April wäh - rend der Tyroler Revolution, der Kronprinz von Bai - ern dem Napoleon wiederſagt hat, und ſo hat er ſein Glas mit mir angeſtoßen, daß der Fuß zerſchellte; ich ſagte zu Stadion: nun bin ich allein und hab keinen Freund mehr, er lächelte und ſagte: Du ſchreibſt an Goethe, ſchreib ihm auch von mir, daß der Katholiſche Prieſter auf dem Tyroler Schlachtfeld ſich Lorbeern ho - len will, ich ſagte: Nun werde ich keine Meſſe ſo bald mehr hören; und ich werde ſobald auch keine mehr leſen, ſagte er. Da ſtieß er ſein Gewehr auf, und reichte mir die Hand zum Abſchied. Den werd ich ge - wiß nicht wiederſehen. Kaum war er fort, klopfte es ſchon wieder, der alte Bob kommt herein, es war finſter im Zimmer, an ſeiner Stimme erkenne ich daß er freu - dig iſt, er reicht mir feierlich ein zerbrochnes Glas und ſagt: das ſchickt Ihnen der Kronprinz und läßt Ihnen54 ſagen, daß er die Geſundheit derjenigen daraus getrun - ken hat die Sie protegieren, und hier ſchickt er Ihnen ſeine Kokarde als Ehrenpfand daß er Ihnen ſein Wort löſen werde, jeder Ungerechtigkeit, jeder Grauſamkeit zu ſteuern. Ich war froh, herzlich froh daß ich nicht kleinlich und zaghaft geweſen war dem Zutrauen zu folgen was der Kronprinz, und alles ja ſelbſt auch das wiederſprechendſte was ich von ihm erfahren habe mir einflößte; es war ſehr freundlich von ihm, daß er mich ſo grüßen ließ und daß er nicht meine Voreiligkeit von ſich wieß; ich werd es ihm nicht vergeſſen mag ich auch noch manches verkehrte von ihm hören; denn unter al - len die ihn beurtheilen hat gewiß keiner ein ſo gutes Herz als er, der es ſich ganz ruhig gefallen läßt. Ich weiß auch, daß er eine feierliche Hochachtung vor Dir hat, und nicht wie andre Prinzen die nur im Vorüber - ſtreifen einen ſolchen Geiſt berühren wie Du, nein es geht ihm vom Herzen wenn er Dich einmal ſieht und Dir ſagt, daß er ſich's zum größten Glück ſchätze.

Ich hab noch viel auf dem Herzen, denn ich habe Dich allein dem ich's mittheilen kann. Jeder Augenblick erregt mich auf's Neue, es iſt als ob das Schickſal dicht vor meiner Thüre ſeinen Markt aufgeſchlagen hätte; ſo wie ich den Kopf hinaus ſtecke bietet es Plunder, Ver -55 rath und Falſchheit feil, außer die Tyroler deren Sie - gesjubel durch alle Verläumdung und Erbitterung der Feinde durchklingt, aus deren friſch vergoſſnem Blut ſchon neue Frühlingsblumen ſprießen, und die Jünglinge friſch jeden Morgen von den Nebelverhüllten Felszacken dem gewiſſen Sieg entgegen tanzen.

Adieu, Adieu, auf meine Liebe weiſe ich Dich an, die hier in dieſen Blättern nur im Vorüberſtreifen den Staub ihrer üppigen Blüthe aus den vollen Kelchen ſchüttelt.

Bettine.

Friedrich Tiek macht jetzt Schellings Büſte, ſie wird nicht ſchöner als er, mithin ganz garſtig, und doch iſt es ein ſchönes Werk.

Da ich in Tiek's Werkſtätte kam, und ſah wie der große, breite, prächtige, viereckige Schellingskopf unter ſeinen fixen Fingern zum Vorſchein kam, dachte ich er habe unſerm Herrgott abgelernt wie er die Menſchen machte, und er werde ihm gleich den Athem einblaſen, und der Kopf werde lernen A B ſagen, womit ein Philoſoph ſo vieles ſagen kann.

56
An Bettine.

Man möchte mit Worten ſo gerne wie mit Gedan - ken Dir entgegen kommen liebſte Bettine; aber die Kriegs - zeiten die ſo großen Einfluß auf das Leſen haben, erſtrecken ihn nicht minder ſtreng auf das Schreiben, und ſo muß man ſich's verſagen deinen romantiſch cha - rakteriſtiſchen Erzählungen gleichlautende Geſinnungen deutlich auszuſprechen. Ich muß daher erwarten was Du durch eine Reihe von Briefen mich hoffen läßt, näm - lich Dich ſelbſt, um Dir alles mit Dank für deine nie verſiegende Liebe zu beantworten.

Erſt in voriger Woche erhielt ich dein Packet was der Courier in meiner Abweſenheit dem Herzog übergab, der es mir ſelbſt brachte. Seine[Neugierde] war nicht wenig geſpannt, ich mußte um nur durch zu kommen, deine wohlgelungenen politiſchen Verhandlungen ihm mittheilen, die denn auch ſo allerliebſt ſind, daß es ei - nem ſchwer wird ſie für ſich allein zu bewahren. Der Herzog bedauert ſehr, daß Du im Intereſſe anderer Mächte biſt.

Ich habe mich nun hier in Jena in einen Roman eingeſponnen, um weniger von allem Übel der Zeit er -57 griffen zu werden, ich hoffe der Schmetterling der da herausfliegt wird Dich noch als Bewohner dieſes Erden - runds begrüßen und Dir beweiſen wie die Pſychen auch auf ſcheinbar verſchiednen Bahnen einander begegnen.

Auch deine lyriſchen Aufforderungen an eine frü - here Epoche des Autors haben mir in manchem Sinne zugeſagt, und wüchſe der Menſch nicht aus der Zeit mehr noch wie aus Seelenepochen heraus, ſo würd ich nicht noch einmal erleben wie ſchmerzlich es iſt, ſolchen Bitten kein Gehör zu geben.

Deine intereſſanten Ereigniſſe mit dem hohen Pro - tektor eigner feindlicher Widerſacher, macht mich begie - rig noch mehr und auch von andrer Seite von ihm zu wiſſen, zum Beiſpiel könnteſt Du mir die Verſuche und Bruchſtücke ſeiner Gedichte in deren Beſitz Du biſt mit - theilen, mit Vergnügen würde ich ihn in dem unbefang - nen Spiel mit ſeiner jungen Muſe beobachten.

Die Gelegenheiten, mir ſicher deine Briefe zu ſchicken verſäume ja nicht, ſie ſind mir in dieſer armen Zeit äu - ßerſt willkommen. Auch was der Tag ſonſt noch mit ſich bringt berichte, von Freunden und merkwürdigen Leuten, Künſten und philoſophiſchen Erſcheinungen; da Du in einem Kreis vielfach aufgeregter Geiſter biſt, ſo kann Dir der Stoff hier nicht ausgehen.

3**58

Möchten doch auch die verſprochnen Mittheilungen über die letzten Tage meiner Mutter in dieſen verſchlin - genden Ereigniſſen nicht untergehen, mir iſt zwar man - cherlei von Freunden über ſie berichtet, wie ſie mit gro - ßer Beſonnenheit alle irdiſchen Anordnungen getroffen; von Dir aber erwarte ich noch etwas anders, daß dein liebender Sinn ihr ein Denkmal ſetze in der Erinnerung ihrer letzten Augenblicke.

Ich bin ſehr in deiner Schuld liebes Kind mit die - ſen wenigen Zeilen, ich kann Dir nur mit Dank bezah - len für alles was Du mir giebſt, geben möchte ich Dir das beſte wenn Du es nicht ſchon unwiederſtehlich an Dich geriſſen hätteſt.

Der ſchwarze Fritz iſt mir auch unter dieſem Na - men ein guter Bekannter, und die ſchönen Züge die Du von ihm berichteſt bilden ein vollkommnes Ganze mit dem was eine befreundete Erinnerung hinzubringt. Du haſt wohl recht zu ſagen, daß wo der Boden mit Hel - denblut getränkt wird, es in jeder Blume neu hervor - ſprieße, deinen Helden gönne ich, daß Mars und Mi - nerva ihm alles Glück zuwenden mögen, da er ſo ſchö - nem an deiner Seite entriſſen zu ſein ſcheint.

G.

59
An Goethe.

Der Kronprinz von Baiern iſt die angenehmſte un - befangenſte Jugend, iſt ſo edler natur, daß ihn Betrug nie verletzt, ſo wie den gehörnten Siegfried nie die Lan - zenſtiche verletzten. Er iſt eine Blüthe auf welcher der Morgenthau noch ruht, er ſchwimmt noch in ſeiner eig - nen Atmoſphäre, das heißt: ſeine beſten Kräfte ſind noch in ihm. Wenn es ſo fort ginge und daß keine - ſen Mächte ſeiner Meiſter würden? Wie gut hatten's doch jene Ritter, die von geneigten Feen mit kräftigen Talismanen verſehen wurden, wenn ſie zwiſchen feuri - gen Drachen und ungeſchlachten Rieſen nach dem tan - zenden Waſſer des Lebens oder nach goldnen Liebes - äpfel ausgeſandt waren, und eine in Marmor ver - wünſchte Prinzeſſin, ſo roth wie Blut, ſo weiß wie Schnee, ſchön wie das ausgeſpannte Himmelszelt über dem Frühlingsgarten, als ihrer Erlöſung Lohn ihnen zu Theil wurde. Jetzt iſt die Aufgabe anders: die un - bewachten Äpfelbäume hängen ihre fruchtbeladenen Zweige über den Weg, und Liebchen lauſcht hinter der Hecke um den Ritter ſelbſt zu fangen, und dieſem allem ſoll60 er entgehen und ſein Herz der Tugend weihen, die keine Jugend hat, ſondern eine gräuliche Larve, ſo daß man vor ihr Reißaus nehmen möchte; la belle et la bête, la bête iſt die Tugend und la belle iſt die Jugend, die ſich von ihr ſoll freſſen laſſen; da iſt's denn kein Wun - der, wenn die Jugend vor der Tugend Reißaus nimmt, und man kann ohne geheime partheiliche Wünſche nicht Zeuge von dieſem Wettrennen ſein. Armer Kronprinz! Ich bin ihm gut, weil er mit ſo ſchönem Willen hin - übergeht zu meinen Tyrolern, und wenn er auch nichts thut als der Grauſamkeit wehrt, ich verlaſſe mich auf ihn.

Geſtern bin ich zum erſtenmal wieder eine Strecke weit in's Freie gelaufen, mit einem kapriziöſen Liebha - ber der Wiſſenſchaften und Künſte, mit einem ſehr gu - ten, gehorſamen Kinde ſeiner eignen Launen, eine warme lebendige Natur, breit und ſchmal, wie Du ihn willſt, dreht ſich ſchwindellos über einem Abgrund herum, ſteigt mit Vergnügen auf die kahlen Spitzen der Alpen, um nach Belieben in den Ocean oder in's mittelländiſche Meer zu ſpeien, macht übrigens wenig Lärm. Wenn Du ihn je ſiehſt und nach dieſer Beſchreibung erkennſt. ſo ruf ihm nur Rumohr, ich vermuthe, er wird ſich nach Dir umſehen. Mit dieſem alſo hat meine unbefangne61 Jugend gewagt ſich das Ziel einer anderthalb Stund - weiten Reiſe zu ſetzen, der Ort unſerer Wallfarth heißt Harlachingen, auf franzöſiſch Arlequin. Ein heißer Nachmittag, recht um melancholiſche Blicke in Brand zu ſtecken.

Wir verlaſſen den grünen Teppig, ſchreiten über einen ſchmalen Balken auf die andre Seite des Ufers, wandern zwiſchen Weiden, Mühlen, Bächen, weiter; wie nimmt ſich da ein Bauer in rother Jacke gut aus, gelehnt an den hohen Stamm des edlen populus alba, deſſen feine Aeſte mit kaum entſproßnen Blättern einen ſanften grünen Schleier, gleichſam ein Frühlingsnetz niederſpinnen, in welchem ſich die tauſend Käfer und ſonſtige Beſtien fangen, ſcherzen und ganz lieblich haus - halten. Jetzt! warum nicht? da unter dem Baum iſt genugſam Platz ſeinen Gedanken Audienz zu geben, der launige Naturliebhaber läßt ſich da nieder, das Dolce farniente ſummt ihm ein Wiegenliedchen in die Ohren, die Augenlieder ſinken, Rumohr ſchläft. Natur hält Wache, liſpelt, flüſtert, lallt, zwitſchert. Das thut ihm ſo gut; träumend ſenkt er ſein Haupt auf die Bruſt; jetzt möcht ich Dich fragen, Rumohr was ich nie fragen mag wenn Du wach biſt. Wie kommt's, daß Du ſo ein großes Erbarmen haſt und freundlich biſt mit62 allen Thieren, und nicht Dich kümmerſt um das gewal - tige Geſchick jenes Bergvolks? Vor wenig Wochen, wie das Eis brach und der Fluß überſchwoll, da ſetzteſt Du alles dran eine Katze aus der Waſſersnoth zu retten. Vorgeſtern haſt Du[einem] todgeſchlagnen Hund, der am Wege lag, mit eignen Händen eine Grube gemacht und mit Erde bedeckt, obſchon Du in ſeidnen Strümpfen warſt, und einen Klaque in Händen[hatteſt]. Heute Morgen haſt Du mit Thränen geklagt, daß die Nach - barn ein Schwalbenneſt zerſtörten trotz deinen Bitten und Einreden. Warum gefällt Dir's nicht, deine Lange - weile, deine melancholiſche Laune zu verkaufen um ei - nen Stutzen, Du biſt ſo leicht und ſchlank wie eine Birke, Du könnteſt Sätze thun über die Abgründe, von einem Fels zum andern, aber faul biſt Du und furcht - bar krank an Neutralität. Da ſteh ich allein auf der Wieſe, Rumohr ſchnarcht, daß die Blumen erzittern, und ich denk an die Sturmglocke, deren Geläut ſo fürchter - lich in den Ohren der Feinde erklingt, und auf deren Ruf alle mit Trommel und Pfeifen ausziehen, ob auch die Stürme brauſen, ob Nacht oder Tag, und Ru - mohr, im Schatten eines jungbelaubten Baumes, einge - wiegt von ſcherzenden Lüftchen und ſingenden Mückchen, ſchläft feſt; was geht den Edelmann das Schickſal derer63 an, denen keine Strapaze zu hart, kein Marſch zu weit iſt, die nur fragen: wo iſt der Feind? dran, dran, für Gott, unſern lieben Kaiſer und Vaterland!! Das muß ich Dir ſagen, wenn ich je einen Kaiſer, einen Landesherrn lieben könnte, ſo wär's im Augenblick wo ein ſolches Volk im Enthuſiasmus ſein Blut für ihn verſpritzt; ja, dann wollt ich auch rufen: wer mir mei - nen Kaiſer nehmen will, der muß mich erſt todſchlagen, aber ſo ſag ich mit dem Apoſtel: ein jeder iſt geboren König zu ſein und Prieſter der eignen göttlichen Natur, wie Rumohr.

Die Iſar iſt ein wunderlicher Fluß. Pfeilſchnell ſtürzen die jungen Quellen von den Bergklippen herab, ſammlen ſich unten im felſigen Bett in einen reißenden Strom. Wie ein ſchäumender Drache mit aufgeſperr - tem Rachen brauſt er hüben und drüben, über hervor - ragende Felsſtücke verſchlingend her, ſeine grünen, dunk - len Wellen brechen ſich tauſendfach am Geſtein und ſchäumend jagen ſie hinab, ſie ſeufzen, ſie lallen, ſie ſtöhnen, ſie brauſen gewaltig. Die Möven fliegen zu Tauſenden über dem Waſſerſturz und netzen die Spitzen ihrer ſcharfen Flügel; und in ſo karger Gegend, ſchauderhaft anzuſehen, ein ſchmaler Steg von zwei Brettern, eine Viertel Stunde lang, ſchräg in die Länge64 des Fluſſes. Nun, wir gingen keine Gefahr ahndend drüber hin, die Wellen brachen ſich in ſchwindelnder Eile auf dem Weehr unter dem zitternden Steg. Außer daß die Bretter mit meiner Leichtigkeit hin - und her - ſchwankten, und Rumohr's Fuß zweimal durchbrach, waren wir ſchon ziemlich weit gekommen, ein dicker Bürger, mit der Verdienſtmedaille auf der Bruſt, kam von der andern Seite, keiner hatte den andern bemerkt, an einander vorbeizukommen war nicht, einer mußte umdrehen. Rumohr ſagte: wir müſſen erſt erfahren für was er die Medaille hat, darauf ſoll's ankommen wer umkehrt. Wahrhaftig ich fürchtete mich, mir war ſchon ſchwindlich, hätten wir umkehren müſſen, ſo war ich voran, während die loſen Bretter unter meinen Füßen ſchwankten. Wir erkundigten uns ehrerbietigſt nach der Urſache ſeines Verdienſtes: er hatte einen Dieb ge - fangen. Rumohr ſagte: dies Verdienſt weiß ich nicht zu ſchätzen, denn ich bin kein Dieb, alſo bitt ich umzu - kehren, der verwunderte dicke Mann ließ ſich mit Ru - mohr's Beihülfe umkehren und machte den Weg zurück.

Unter einem Kaſtanienbaum ließ ich mich nieder, träumend grub ich mit einem Reis in die Erde. Ru - mohr jagt mit Stock und Hut die Maikäfer auseinan - der, die wie viele Flintenkugeln uns umſchwirrten, beim65 nach Hauſe gehen in der Dämmerung. Nah an der Stadt auf einem grünen Platz am Ufer ſteht die Sta - tue des heiligen Johann von Nepomuk, der Waſſergott; vier[Laternen] werfen einen frommen Glanz auf ihn, die Leute knieen da nach einander hin, verrichten ihr Gebet, ſtört keiner den andern, gehen ab und zu, die Mond - ſichel ſtand oben; in der Ferne hörten wir Pauken und Trompeten, Signal der Freude über die Rückkunft des Königs; er war geflohen vor einer Handvoll wag - halſiger Tyroler, die wollten ihn gefangen haben, war - um ließ er ſich nicht fangen, da war er mitten unter Helden, keine beſſere Geſellſchaft für einen König; um - ſonſt wär's nicht geweſen, der Jubel würde nicht gering geweſen ſein, von Angeſicht zu Angeſicht hätte er viel - leicht beſſere Geſchäfte gemacht, er iſt gut, der König, der muß ſich auch fügen in's eiſerne Geſchick der fal - ſchen Politik. Die Stadt war illuminirt als wir hin - einkamen, und mein Herz war bei dem allen ſchwer, ſehr ſchwer, wollte gern mit jenen Felsſteinen in die Tiefe hinabrollen, denn weil ich alles geſchehen laſſen muß. Heut haben wir den 18. Mai, die Bäume blü - hen, was wird noch alles vorgehen bis die Früchte rei - fen. Vorgeſtern glühte der Himmel über jenen Alpen, nicht vom Feuer der untertauchenden Sonne, nein, vom66 Mordbrand; da kamen ſie in den Flammen um, die Mütter mit den Säuglingen, hier lag alles im ſchwei - genden Frieden der Nacht, und der Thau tränkte die Kräuter, und dort verkohlte die Flamme den mit Helden - blut getränkten Boden.

Ich ſtand die halbe Nacht auf dem Thurm im Hofgarten und betrachtete den rothen Schein, und wußte nicht was ich davon denken ſolle, und konnte nicht be - ten, weil es doch nichts hilft, und weil ein göttlich Ge - ſchick größer iſt als alle Noth, und allen Jammer auf - wiegt.

Ach, wenn ſehnſüchtiger Jammer beten iſt, warum hat dann Gott mein heißes Gebet nicht erhört? warum hat er mir nicht einen Führer geſchickt, der mich die Wege hinüber geleitet hätte? Ich zittere zwar vor Furcht und Schrecken über allen Gräuel, den man nimmer ahnden könnte, wenn er nicht geſchehen wär, aber die Stimme aus meinem Herzen hinüber zu ihnen übertäubt alles. Das Schloß der blinden Tannenberge haben ſie verrätheriſch abgebrennt; Schwatz, Greiſe, Kinder, Heiligthümer; ach, was ſoll ich Dir ſchreiben, was ich nimmermehr ſelbſt wiſſen möchte, und doch ha - ben die Baiern ſelbſt jubelnd ſich deſſen gerühmt, ſo was muß man tragen lernen mit kaltem Blut, und67 muß denken daß Unſterblichkeit ein ewiger Lohn iſt, der alles Geſchick überbietet.

Der König fuhr, da wir eben in die Stadt kamen, durch die erleuchteten Straßen, das Volk jauchzte und Freudenthränen rollten über die Wangen der harten Nation; ich warf ihm auch Kußhände zu, und ich gönn ihm daß er geliebt iſt. Adieu, hab dein treues Kind lieb, ſag ihm bald ein paar Worte.

Bettine.

An Goethe.

Heute Morgen zu meiner Überraſchung erhielt ich deinen Brief. Ich war gar nicht mehr gefaßt darauf, ſchon die ganze Zeit ſchreibe ich meine Blätter als ein verzweifelter Liebhaber, der ſie dem Sturmwind preis giebt, ob der ſie etwa hintrage zu dem Freund in den mein krankes Herz Vertrauen hat. So hat mich denn mein guter Genius nicht verlaſſen! er durchſauſet die Lüfte auf einem ſchlechten Poſtklepper, und am Morgen, einer Nacht voll weinender Träume, erblick ich erwachend das blaue Couvert auf meiner grünen Decke.

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So tretet denn ihr ſteilen Berge, ihr ſchroffen Fels - wände, ihr kecken, racheglühenden Schützen, ihr verwü - ſteten Thale und rauchenden Wohnungen beſcheiden zu - rück in den Hintergrund und überlaßt mich einer unge - meſſenen Freude die elektriſche Kette die den Funken von Ihm bis zu mir leitet zu berühren, und unzählige Mal nehm ich ihn in mich auf, Schlag auf Schlag, dieſen Funken der Luſt. Ein großes Herz, hoch über den Schrecken der Zeit, neigt ſich herab zu meinem Her - zen. Wie der ſilberne Faden ſich niederſchlängelt in's Thal zwiſchen hinabgrünenden Matten und blühenden Büſchen (denn wir haben ja Mai), und ſich unten ſammlet und im Spiegel mir mein Bild zeigt, ſo leiten deine freundlichen Worte hinab zu mir das ſchöne Be - wußtſein, aufbewahrt zu ſein im Heiligthum deiner Er - innerungen, deiner Gefühle; ſo wag ich's zu glauben, da dieſer Glaube mir den Frieden giebt.

O, lieber Freund, während Du Dich abwendeſt vor dem Unheil trüber Zeit, in einſamer Höhe Geſchicke bildeſt, und mit ſcharfen Sinnen ſie lenkeſt, daß ſie ih - rem Glück nicht entgehen, denn ſicher iſt dies ſchöne Buch, welches Du Dir zum Troſt über alles traurige erfindeſt, ein Schatz köſtlicher Genüſſe, wo Du in feinen Organiſationen und großen Anlagen der Charaktere69 Stimmungen einleiteſt und Gefühle die beſeeligen, wo Du mit freundlichem Hauch die Blume des Glücks er - weckeſt und in geheimnißvoll glühenden Farben erblühen machſt, was unſer Geiſt entbehrt. Ja, Goethe, wäh - rend dieſem hat es ſich ganz anders in mir geſtaltet. Du erinnerſt Dich wohl noch, daß die Gegend, das Klima meiner Gedanken und Empfindungen, heiter wa - ren, ein freundlicher Spielplatz, wo ſich bunte Schmet - terlinge zu Heerden über Blumen ſchaukelten, und wie dein Kind ſpielte unter ihnen, ſo leichtſinnig wie ſie ſelber, und Dich, den einzigen Prieſter dieſer ſchönen Na - tur, muthwillig umjauchzte, manchmal auch tiefbewegt allen Reiz beglückter Liebe in ſich ſammelnd zu deinen Füßen in Begeiſterung überſtrömte. Jetzt iſt es anders in mir, düſtere Hallen, die prophetiſche Monumente gewaltiger Todeshelden umſchließen, ſind der Mittel - punkt meiner ſchweren Ahnungen; der weiche Mondes - ſtrahl, der goldnen Birke Duft, dringen da nicht ein, aber wohl Träume, die mir das Herz zerreißen, die mir im Kopf glühen, daß alle Adern pochen. Ich liege an der Erde am verödeten Ort, und muß die Namen aus - rufen dieſer Helden, deren ſchauerliches Geſchick mich verwundet; ich ſeh ihre Häupter mit Siegeslorbeern ge - ſchmückt, ſtolz und mächtig unter dem Beil niederrollen70 auf das Schaffot. Ach Gott ach Gott! welch lauter Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei dieſen ein - bilderiſchen Träumen. Warum muß ich verzagen da noch nichts verloren iſt? ich hab ein Fieber ſo glüht mir der Kopf. Auf dem tonnenförmigen Gipfel des Kofels, Speckbachers Horſt der ſchlaflos, keiner Speiſe bedürfend, mit beſſerer Hoffnung beflügelt, leicht wie ein Vogel ſchwebt über dem Augenblick da es Zeit iſt. Auf dem Brenner wo Hofers unwandelbarer Gleichmuth die Geſchicke lenkt die Todtenopfer der Treue anordnet. Am Berge Iſchel wo der Kapuziner den weiſen Stecken in der Hand, alles errathend und vorbeugend ſich allen voranwagend, an der Spitze des Landvolks, Siegbewußt über die Saaten niederjagt in's Thal. Da ſeh ich auch mich unter dieſen, die kurze grün und weiße Standarte ſchwingend weit voran auf ſteilſtem Gipfel, und der Sieg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der böſe Traum und haut mit geſchwungener Axt mir die feſte Hand ab, die niederſtürzt mit ſammt der Fahne in den Abgrund, und dann iſt alles ſo öde und ſtumm, und die Finſterniß bricht ein und alles verſchwunden, nur ich allein auf der Felswand ohne Fahne, ohne Hand, verzeih's daß ich ſo raſe aber ſo iſt's.

Heute Morgen noch mein letzter Traum, da trat71 einer zu mir auf dem Schlachtfeld, ſanft von Geſicht, von gemeſſenem Weſen, (als wär es Hofer) der ſagte mitten unter Leichen ſtehend zu mir: Die ſtarben alle mit großer Freudigkeit. In demſelben Augenblick erwachte ich unter Thränen, da lag dein Brief auf dem Bett.

Ach vereine Dich doch mit mir, Ihrer zu gedenken die da hinſtürzen ohne Namen, kindliche Herzen ohne Fehl, luſtig geſchmückt wie zur Hochzeit mit goldnen Sträußern, die Mützen geziert mit Schwungfedern der Auerhähne und mit Gemsbärten, das Zeichen tollkühner Schützen. Ja! gedenke ihrer; es iſt des Dichters Ruhm daß er den Helden die Unſterblichkeit ſichere.

Geſtern da ich Dir geſchrieben hatte, da war die Sonne ſchon im Untergehen, da ging ich noch hinaus wo man die Alpen ſieht, was ſoll ich anders thun? es iſt mein täglicher Weg, da begegne ich oft einen der auch nach den Tyroler Alpen ſpäht. An jenem ſpäten Abend, ich glaub es war in der Mitte Mai wo Schwatz abbrennte, da war er mit auf dem Thurm, da konnte er ſich gar nicht faſſen, er rang die Hände und jam -72 merte leiſe o Schwatz! O liebes Vaterland! Geſtern war er wieder da und ergoß mit Freudebrauſen den ganzen Schatz ſeiner Neuigkeiten vor mir. Wenn's dem - nach wahr iſt, ſo haben die Tyroler am Herz-Jeſu-Feſt, (den Datum wußte er nicht) den Feind überwältigt und ganz Tyrol zum zweitenmal befreit. Ich kann nicht er - zählen was er alles vorbrachte, Du würdeſt es ſo we - nig verſtehen wie ich; Speckbachers Witz hat durch eine Batterie von Baumſtämmen als ob es Kanonen wären und durch zuſammen gebundne Flintenläufe den Knall nachahmend, den Feind betrogen, gleich drauf die Brücke bei Hall dreimal geſtürmt und den Feind mit ſammt den Kanonen zurückgetrieben, die Kinder dicht hinter drein; wo der Staub aufwirbelte, ſchnitten ſie mit ihren Meſſern die Kugeln aus und brachten ſie den Schützen. Der Hauptſieg war am Berg Iſel, dem Kapuziner iſt der Bart weggebrennt. Die namhaften Helden ſind alle noch vollzählig. Handbillet haben ſie vom Kaiſer mit gro - ßen Verheißungen aus der Fülle ſeines Herzens. Wenn's auch nicht alles wahr wird meinte mein Tyroler ſo war's doch wieder ein Freudentag für's Vaterland der aller Aufopferung werth iſt.

Vom Kronprinz hab ich kein Gedicht, ein einziges was er am Tag vor ſeinem Auszug in den Krieg machtean73an Heimath und die Geliebte zeigte mir der alte getreue Pantalon, er will's unter keiner Bedingung abſchrei - ben. Eine junge Muſe der Schauſpielkunſt beſitzt deren mehrere, der alte Bob hat ihr auf meine Bitte drum angelegen, ſie ſuchte danach unter den Theaterlumpen und fand ſie nicht, ſonſt hätten ſie zu Dienſten geſtan - den meinte ſie, der Kronprinz würde ihr andere machen.

Gold und Perlen hab ich nicht, der einzige Schatz nach dem ich gewiß allein greifen würde bei einer Feu - ersbrunſt ſind deine Briefe, deine ſchönen Lieder die Du mit eigner Hand geſchrieben, ſie ſind verwahrt in der rothen Sammettaſche, die liegt Nachts unter meinem Kopfkiſſen, darin iſt auch noch der Veilchenſtrauß, den Du mir in der Geſellſchaft bei Wieland ſo verborgen zuſteckteſt, wo dein Blick wie ein Sperber über allen Blicken kreiſte, daß keiner wagte aufzuſehen. Die junge Muſe giebt es auf, die Opfer, die der Kronprinz ihr in Dichterperlen geweiht zu Füßen legte, unter dem Wuſt von falſchem Schmuck und Flitterſtaat wieder zu finden, und doch waren ſie im Zauberhauch der Mond - nächte bei dem Lied der Nachtigall erfunden, Sylb um Sylbe; Klang um Klang aufgereiht. Wer Sylb um Sylbe die nicht liebt, nicht dieſen Schlingen ſich ge -II. 474fangen giebt, der mag von Himmelskräften auch nicht wiſſen, wie zärtlich die von Reim zu Reim ſich küſſen.

Deine Mutter werde ich nicht vergeſſen, und ſollt ich auch mitten im Kriegsgetümmel untergehen, ſo würde ich gewiß noch im letzten Moment die Erde küſſen zu ihrem Andenken. Was ich Dir noch merkwürdiges zu be - richten habe iſt ſchon aufgeſchrieben, im nächſten Brief wirſt Du es finden, dieſer wird ſchon zu dick, und ich ſchäme mich, daß ich Dir nichts wichtiges zu ſchreiben habe und doch nicht abbrechen kann. Geſchwätz! ich weiß ja wie's ging in Weimar, da ſagt ich auch nichts geſcheutes und doch hörteſt Du gern zu.

Vom Stadion weiß ich gar nichts, da muß ich kur - zen Prozeß machen und ihn verſchmerzen, wer weiß ob ich ihn je wieder ſeh.

Jacobi iſt zart wie eine Pſyche, zu früh geweckt, rührend; wär es möglich, ſo könnte man von ihm ler - nen, aber die Unmöglichkeit iſt ein eigner Dämon, der liſtig alles zu vereitlen weis zu was man ſich berech - tigt fühlt; ſo mein ich immer, wenn ich Jacobi von Ge - lehrten und Philoſophen umgeben ſeh, ihm wär beſſer er ſei allein mit mir. Ich bin überzeugt meine unbefang - nen Fragen, um von ihm zu lernen, würden ihm mehr75 Lebenswärme erregen, als jene alle die vor ihm etwas zu ſein als nothwendig erachten. Mittheilung iſt ſein höchſter Genuß; er appelirt in allem an ſeine Früh - lingszeit, jede friſch aufgeblühte Roſe erinnert ihn leb - haft an jene die ihm zum Genuß einſt blühten, und in - dem er ſanft durch die Haine wandelt, erzählt er, wie einſt Freunde Arm in Arm ſich mit ihm umſchlungen in köſtlichen Geſprächen, die ſpät in die laue Som - mernacht währten, und da weiß er noch von jedem Baum in Pempelfort, von der Laube am Waſſer auf dem die Schwäne kreiſten, von welcher Seite der Mond herein ſtrahlte auf reinlichem Kies, wo die Bachſtelzchen ſtolzierten; das alles ſpricht ſich aus ihm hervor wie der Ton einer einſamen Flöte, ſie deutet an: der Geiſt weilt noch hier; in ihren friedlichen Melodieen aber ſpricht ſich die Sehnſucht zum unendlichen aus. Seine höchſt edle Geſtalt iſt gebrechlich, es iſt als ob die Hülle leicht zuſammen ſinken könne um den Geiſt in die Frei - heit zu entlaſſen. Neulich fuhr ich mit ihm, den beiden Schweſtern, und dem Grafen Weſtenhold, nach dem Staremberger See. Wir aßen zu Mittag in einem an - genehmen Garten, alles war mit Blumen und blühenden Sträuchern überſäet, und da ich zur Unterhaltung der4*76gelehrten[Geſellſchaft] nichts beitragen konnte, ſo ſam - melte ich deren ſo viel als mein Strohhut faßte. Im Schiff, auf dem wir bei herannahendem Abend wohl an - derthalb Stunden fahren mußten, um das jenſeitige Ufer wieder zu erreichen, machte ich einen Kranz. Die untergehende Sonne röthete die weißen Spitzen der Al - penkette und Jacobi hatte ſeine Freude dran, er de - ployrte alle Grazie ſeiner Jugend, Du ſelbſt haſt mir einmal erzählt, daß er als Student nicht wenig eitel auf ſein ſchönes Bein geweſen, und daß er in Leipzig mit Dir in einen Tuchladen gegangen, das Bein auf den Ladentiſch gelegt, und dort die neuen Beinkleidermuſter drauf probiert, blos um das Bein der ſehr artigen Frau im Laden zu zeigen; in dieſer Laune ſchien er mir zu ſein; nachläſſig hatte er ſein Bein ausgeſtreckt, be - trachtete es wohlgefällig, ſtrich mit der Hand drüber, dann wenige Worte über den herrlichen Abend, flüſternd beugte er ſich zu mir herab da ich am Boden ſaß und den Schoos voll Blumen hatte wo ich die beſten aus - las zum Kranz, und ſo beſprachen wir uns einſylbig aber zierlich und mit Genuß in Geberden und Worten, und ich wußte es ihm begreiflich zu machen, daß ich ihn liebenswürdig finde, als auf einmal Tante Lehnens vorſorgende Bosheitspflege der feinen Gefühlsconquet -77 terie einen böſen Streich ſpielte; ich ſchäme mich noch wenn ich dran denke; ſie holte eine weiße langge - ſtrickte wollne Zipfelmütze aus ihrer Schürzentaſche, ſchob ſie in einander und zog ſie dem Jacobi weit über die Ohren, weil die Abendluft beginne rauh zu werden; grade in dem Augenblick als ich ihm ſagte: heute ver - ſteh ich's recht daß Sie ſchön ſind, und er mir zum Dank die Roſe in die Bruſt ſteckte die ich ihm gegeben hatte. Jacobi wehrte ſich gegen die Nachtmütze, Tante Lehne behauptete den Sieg, ich mochte nicht wieder auf - wärts ſehen ſo beſchämt war ich. Sie ſind recht Con - quett, ſagte der Graf Weſterhold, ich flocht ſtill an meinem Kranz, da aber Tante Lehne und Lotte einſtim - mend mir gute Lehren gaben, ſprang ich plötzlich auf, und trappelte ſo, daß der Kahn heftig ſchwankte, um Gotteswillen wir fallen! ſchrie alles, ja, ja! rief ich, wenn Sie noch ein Wort weiter ſagen über Dinge die Sie nicht verſtehen. Ich ſchwankte weiter, haben Sie Ruh es wird mir ſchwindlich. Weſterhold wollte mich an - rühren, aber da ſchwankte ich ſo, daß er ſich nicht vom Platz getraute, der Schiffer lachte und half ſchwanken, ich hatte mich vor Jacobi geſtellt um ihn nicht in der fatalen Mütze zu ſehen, jetzt wo ich ſie alle in der Ge - walt hatte, wendete ich mich nach ihm, nahm die Mütze78 beim Zipfel und ſchwenkte ſie weit hinaus in die Wel - len; da hat der Wind die Mütze weggeweht ſagte ich, ich drückte ihm meinen Kranz auf den Kopf der ihm wirklich ſchön ſtand, Lehne wollt es nicht leiden, die friſchen Blätter könnten ihm ſchaden. Laſſe ihn mir doch, ſagte Jacobi ſanft, ich legte die Hand über den Kranz. Jacobi ſagte ich: Ihre feinen Züge leuchten im gebrochnen Licht dieſer ſchönen Blätter wie die des ver - klärten Plato. Sie ſind ſchön, und es bedarf nur eines Kranzes den Sie ſo wohl verdienen, um Sie würdig der Unſterblichkeit darzuſtellen; ich war vor Zorn be - geiſtert und Jacobi freute ſich; ich ſetzte mich neben ihn an die Erde und hielt ſeine Hand die er mir auch ließ, keiner ſagte etwas, ſie wendeten ſich alle ab, um die Ausſicht zu betrachten, und ſprachen unter ſich, da lachte ich ihn heimlich an. Da wir an's Ufer kamen nahm ich ihm den Kranz ab und reichte ihn den Hut. Das war meine kleine Liebesgeſchichte jenes ſchönen Ta - ges, ohne welche der Tag nicht ſchön geweſen ſein würde; nun hängt der Kranz verwelkt an meinen Spie - gel, ich bin ſeit dem nicht wieder hingegangen, denn ich fürchte mich vor Helenen, die aus beleidigter Würde ganz ſtumm war und mir nicht Adieu ſagte; ſo mag denn Jacobi freundlich meiner gedenken wenn ich ihn79 nicht wieder ſehen ſollte, dieſer Abſchied kann ihm keinen unangenehmen Eindruck in der Erinnerung laſſen, und mir iſt es grade recht, denn ich möchte doch nicht Kunſt genug beſitzen, den vielen Fallſtricken und böſen Ausle - gungen zu entgehen, die jetzt wahrſcheinlich im Gang ſein mögen. Adieu, nun hab ich Dir auf alle Artikel deines lieben Briefes geantwortet und Dir mein ganzes Herz ausgeſchüttet. Verſicherungen meiner Liebe gebe ich Dir nicht mehr, die ſind in jedem Gedanken, im Be - dürfniß Dir alles an's Herz zu legen hinlänglich beur - kundet.

Bettine.

An Goethe.

Gott laſſe mir den einzigen Wunſch gedeihen Dich wieder zu ſehen und zögere nicht allzulang. So eben vernehme ich, daß jemand von meiner Bekanntſchaft nach Weimar geht. Das bläſt die Aſche von der Gluth, mich hält's, daß ich von hier aus die Tyrolerberge ſehen kann, ſonſt nichts. Es martert mich alle Tage, nicht80 zu wiſſen was dort vorgeht; ich käme mir vor wie ein feiger Freund, wenn ich mich dem Einfluß, den die Nähe des bedrängten Landes auf mich hat, entziehen wollte; wahrhaftig wenn ich Abends von meinem Schnecken - thurm die Sonne dort untergehen ſehe, da muß ich im - mer mit ihr.

Wir haben ſchon ſeit Wochen ſchlecht Wetter. Ne - bel und Gewölk, Wind und Regen und ſchmerzliche Botſchaft wird indeſſen durch dein Andenken wie durch einen Sonnenſtrahl erhellt. Beinah vier Wochen hab ich nicht geſchrieben, aber ich hab Dich dieſe ganze Zeit über bedacht mit Gedanken, Wort und Werken, und nun will ich's gleich auseinander ſetzen: Es iſt auf der hieſigen Gallerie ein Bild von Albrecht Dürrer, in ſei - nem achtundzwanzigſten Jahre von ihm ſelbſt gemalt; es hat die graziöſeſten Züge eines weisheitvollen, ern - ſten, tüchtigen Antlitzes; aus der Miene ſpricht ein Geiſt, der die jetzigen elenden Weltgeſichter niederkracht. Als ich Dich zum erſtenmal ſah war es mir auffallend, und bewegte zugleich zu inniger Verehrung, zu entſchiedener Liebe, daß ſich in deiner ganzen Geſtalt ausſprach, was David von den Menſchen ſagt: ein jeder mag König ſein über ſich ſelber. So meine ich nämlich, daß die Natur des inneren Menſchen die Oberhand erringe über81 die Unzuverläſſigkeit, über die Zufälle des äußeren, dar - aus entſtehe die edle Harmonie, das Weſen, was ſo wohl über Schönheit hinaus iſt, als der Häßlichkeit trotzt. So biſt Du mir erſchienen, die geiſtige Erſchei - nung der Unſterblichkeit, die der irdiſchen vergänglichen Meiſter wird. Obſchon nun Dürrer's Antlitz ein ganz anders iſt, ſo hat mich doch die Sprache ſeines Charak - ters mächtig an die Deinige erinnert, ich habe mir's ko - pieren laſſen. Ich hab das Bild den ganzen Win - ter über auf mein Zimmer gehabt und war nicht al - lein. Ich hab mich viel in Gedanken an dieſen Mann gewendet, hab Troſt und Leid von ihm empfunden, bald war's mir traurig zu fühlen, wie manches, worauf man doch in ſich ſtolz iſt, zu Grunde geht vor einem ſolchen, der recht wollte was er wollte; bald flüchtete ich mich zu dieſem Bild als zu einem Hausgott. Wenn mich die Lebenden langweilten, und daß ich Dir's recht ſage: mein Herz war in manchen Stunden ſo tief von dem reinen Scharfblick gerührt, der aus ſeinem edlen Augen dringt, daß er mir mehr im Umgang war als ein Le - bender. Dieſes Bild nun hatte ich eigentlich für Dich kopieren laſſen, ich wollte Dir's als einen Sachwalter meiner Herzensangelegenheiten ſenden, und ſo verging Woche um Woche, immer mit dem feſten Entſchluß es4**82die nächſtfolgende abzuſenden, ohne daß ich es je dazu bringen konnte mich davon zu trennen. Mein lieber Goethe, ich hab noch weniges geſehen in der Welt, ſo wohl von Kunſtwerken als ſonſt was mich herzlich in - tereſſierte. Daher wär wohl meiner kindiſchen Art zu verzeihen. Das Bild kann ich nun nicht mehr von mir losſagen, ſo wie man ſich von einem Freund nicht mehr losſagen kann, Dir aber will ich's ſchicken, meinem ge - liebteſten vor allen. Doch, wie es das Schickſal führt, ſoll es nicht in andre Hände kommen, und ſollte der Zu - fall es von Dir trennen, ſo müſſe es wieder in meine Hände kommen. Ich hoffte die ganze Zeit es ſelbſt bringen zu können, indeſſen iſt gar keine Wahrſcheinlich - keit in dieſem Augenblick, wenn ich nicht ſtets auf die kommende Zeit hoffte ſo würde ich verzweifeln Dich bald wieder zu ſehen; allein daß nach der Zukunft immer wieder eine iſt, das hat ſchon manchen Menſchen alt ge - macht. Du biſt mir lieb über alles, in der Erinne - rung wie in der Zukunft; der Frühling den deine Ge - genwart in mir erſchaffen hat, dauert; denn ſchon ſind zwei Jahre um, und noch hat kein Sturm ein Blätt - chen vom Aſt gelöſt, noch hat der Regen keine Blüthe zerſtört, alle Abend hauchen ſie noch den ſüßen Duft der Erinnerung aus; ja wahrhaftig kein Abend iſt bis83 jetzt zum ſchlafen gekommen, daß ich Dich nicht bei Namen gerufen und der Zeit gedacht, da Du mich auf meinen Mund geküßt, mich in deinen Arm genommen, und ich will ſtets hoffen, daß die Zeit wiederkehre. Da ich Dir nichts in der Welt vorziehe, ſo glaub ich's auch von Dir. Sei Du ſo alt und klug wie ich, laß mich ſo jung und weiſe ſein wie Du, und ſo möchten wir füglich die Hand einander reichen und ſein wie die bei - den Jünger, die zwei verſchiednen Propheten folgten in einem Lehrer.

Schreib mir wie Du glaubſt daß ich das Bild ohne Gefahr ſchicken könne, aber bald. Wenn Du mir keine Gelegenheit angeben kannſt, ſo werde ich ſelbſt ſchon eine finden. Hab niemand lieber wie mich; Du, Goethe, wärſt ſehr ungerecht, wenn Du andre mir vor - zögſt, da ſo meiſterlich, ſo herrlich, Natur mein Gefühl Dir verwebt hat, daß Du das Salz deines eignen Gei - ſtes in mir ſchmecken mußt.

Wenn kein Krieg, kein Sturm und vorab keine verwüſtende Zeitung, die alles bildende Ruhe im Buſen ſtörte, dann möchte ein leichter Wind, der durch die Grashalmen fährt, der Nebel wie er ſich von der Erde löſt, die Mondesſichel wie ſie über den Bergen hinzieht, oder ſonſt einſames Anſchauen der Natur einem wohl84 tiefe Gedanken erregen; jetzt aber in dieſer beweglichen Zeit, wo alle Grundveſten ein rechtes Krachen und Glie - derreißen haben, da will ſie keinem Gedanken Raum geſtatten, aber das, woran ein Freund Theil genommen, daß man ſich auf ſeinen Arm geſtützt, auf ſeiner Schul - ter geruht hat, dies einzige ätzt tief jede Linie der Ge - genſtände in's Herz, ſo weiß ich jeden Baum des Parks noch an dem wir vorübergegangen, und wie Du die Äſte der Zuckerplatane niederbogſt und zeigteſt mir die röthliche Wolle unter den jungen Blättern, und ſagteſt die Jugend ſei wollig; und dann die runde, grüne Quelle, an der wir ſtanden, die ſo ewig über ſich ſprudelt, bul, bul, und Du ſagteſt ſie rufe der Nachtigall, und die Laube mit der ſteinernen Bank, wo eine Kugel an der Wand liegt, da haben wir eine Minute geſeſſen, und Du ſagteſt: ſetze Dich näher, damit die Kugel nicht in Schatten komme, denn ſie iſt eine Sonnenuhr, und ich war einen Augenblick ſo dumm zu glauben die Sonnen - uhr könne aus dem Gange kommen, wenn die Sonne nicht auf ſie ſcheine, und da hab ich gewünſcht nur ei - nen Frühling mit Dir zu ſein; haſt Du mich ausge - lacht, da fragt ich, ob Dir dies zu lang ſei, ei nein, ſagteſt Du, aber dort kömmt einer gegangen, der wird gleich dem Spaß ein Ende machen; das war der Her -85 zog, der grad auf uns zukam, ich wollte mich verſtecken, Du warfſt deinen Überrock über mich, ich ſah durch den langen Ärmel wie der Herzog immer näher kam, ich ſah auf ſeinem Geſicht daß er was merkte, er blieb an der Laube ſtehen, was er ſagte, verſtand ich nicht, ſo große Angſt hatte ich unter deinem Überrock, ſo klopfte mir das Herz, Du winkteſt mit der Hand, das ſah ich durch meinen Rockärmel, der Herzog lachte und blieb ſtehen; er nahm kleine Sandſteinchen und warf nach mir, und dann ging er weiter. Da haben wir nachher noch lang geplaudert mit einander, was war's doch? nicht viel Weisheit, denn Du verglichſt mich damals mit der weisheitvollen Griechin, die dem Socrates über die Liebe belehrte, und ſagteſt: kein ge - ſcheutes Wort bringſt Du vor, aber deine Narrheit be - lehrt beſſer, wie ihre Weisheit, und warum waren wir da beide ſo tief bewegt? daß Du von mir ver - langteſt mit den einfachen Worten: Lieb mich immer, und ich ſagte: Ja. Und eine ganze Weile drauf, da nahmſt Du eine Spinnwebe von dem Gitter der Laube und hingſt mir's auf's Geſicht, und ſagteſt: bleib verſchleiert vor jedermann und zeige niemand was Du mir biſt. Ach! Goethe, ich hab Dir keinen Eid der Treue gethan mit den Lippen, die da zuckten vor hef -86 tiger Bewegung und keine Worte kannten; ich erinnere mich gar nicht, daß ich mit Selbſtbewußtſein Dir die Treue zugeſagt hätte, es iſt alles mächtiger in mir wie ich, ich kann nicht regieren, ich kann nicht wollen, ich muß alles geſchehen laſſen. Zwei einzige Stunden wa - ren ſo voll Ewigkeit; einen einzigen Frühling verlangte ich damals, und jetzt meine ich kaum daß ich dieſen bewältigen könne mein ganzes Leben lang, und mir klopft das Herz jetzt eben ſo vor Unruh, wenn ich mich in die Mitte jenes Frühlings denke. Ich bin am Ende des Blattes, und wär's nicht gar zu ſehr auf Dich ge - ſündigt, ſo möcht ich ein neues anfangen, um ſo fort zu plaudern; ich liege hier auf dem Sopha und ſchreibe den Brief auf einem Kiſſen, deswegen iſt er auch ſo ungleich. Daß ſie doch alle vergehen, wenn ich zu Dir ſprechen will, dieſe Gedanken, die ſo ungerufen vor mir auf - und niedertanzen, von denen Schelling ſagt: es ſei unbewußte Philoſophie.

Lebe wohl! So wie die vom Wind getragne Saa - menflocke auf den Wellen hintanzt, ſo ſpielt meine Phantaſie auf dieſem mächtigen Strom deines ganzen Weſens, und ſcheut nicht drinn unterzugehen; möchte ſie doch! welch ſeeliger Tod!

Geſchrieben am 16. Juni in München an einem87 Regentag, wo zwiſchen Schlaf und Wachen die Seele nach Wind und Wetter ſich bequemte.

Bettine.

Bleib ihr gut, ſchreib ihr bald und grüß die Deinen.

An Bettine.

In zwei deiner Briefe haſt Du ein reiches Füllhorn über mich ergoſſen, liebe Bettine, ich muß mich mit Dir freuen und mit Dir betrüben, und kann des Genuſſes nimmer ſatt werden. So laſſe Dir denn genügen, daß die Ferne deinen Einfluß nicht mindert, da Du mit un - widerſtehlicher Gewalt mich den mannigfachen Einwir - kungen deiner Gefühle unterwirfſt, und daß ich deine böſen wie deine guten Träume mit träumen muß. Was Dich nun mit Recht ſo tief bewegt, über das verſtehſt Du auch allein Dich wieder zu erheben, hierüber ſchweigt man denn wie billig, und fühlt ſich beglückt mit Dir in Befreundung zu ſtehen und Antheil an deiner Treue und Güte zu haben; da man doch Dich lieben lernen müßte, ſelbſt wenn man nicht wollte.

Du ſcheinſt denn auch deine liebenswürdige deſpo - tiſche Macht an verſchiednen Trabanten zu üben, die88 Dich als ihren erwählten Planeten umtanzen. Der hu - moriſtiſche Freund, der mit Dir die Umgegend recognos - cirt, ſcheint wohl nur durch die Atmoſphäre der heißen Junitage dem Schlaf zu unterliegen, während er träu - mend das anmuthige Bild deiner kleinen Perſon recog - noscirt, da mag es ihm denn freilich nicht beikommen, daß Du ihn unterdeſſen dahin verſetzen möchteſt, wo dein heroiſcher Geiſt ſelber weilt.

Was Du mir von Jacobi erzählſt, hat mich ſehr ergötzt, ſeine jugendlichen Eigenheiten ſpiegeln ſich voll - kommen darin; es iſt eine geraume Zeit her, daß ich mich nicht perſönlich mit ihm berührt habe, die artige Schilderung deiner Erlebniſſe mit ihm auf der Seefahrt, die dein Muthwille ausheckte, haben mir ähnliche heitere Tage unſeres Umgangs wieder zurückgerufen. Zu loben biſt Du, daß Du keiner authentiſchen Gewalt bedarfſt, um den Achtungswerthen ohne Vorurtheil zu huldigen. So iſt gewiß Jacobi unter allen ſtrebenden und philo - ſophirenden Geiſtern der Zeit derjenige, der am wenig - ſten mit ſeiner Empfindung und urſprünglichen Natur in Widerſpruch gerieth, und daher ſein ſittliches Gefühl unverletzt bewahrte, dem wir als Prädikat höherer Gei - ſter unſere Achtung nicht verſagen möchten. Wollteſt89 Du nun auf deine vielfach erprobte anmuthige Weiſe ihm zu verſtehen geben, wie wir einſtimmen in die wahre Hochachtung, die Du unter deinen liebenswürdi - gen Koboldſtreichen verbirgſt, ſo wäre dies ganz in mei - nem Sinne gehandelt.

Dein Eifer, mir die verlangten Gedichte zu ver - ſchaffen, verdient Anerkenntniß, obſchon ich glauben muß, daß es Dir eben ſo darum zu thun iſt, den Ge - fühlen deines Generaliſſimus näher auf die Spur zu kommen als auch meine Wünſche zu befriedigen, glau - ben wir indeſſen das beſte von ihm bis auf näheres; und da Du ſo entſchieden die Divinität des ſchöpferi - ſchen Dichtervermögens erhebſt, ſo glaube ich nicht un - paſſend beifolgendes kleine Gedicht vorläufig für Dich herausgehoben zu haben aus einer Reihe, die ſich in guten Stunden allmählig vermehrt, wenn ſie Dir ſpäter einmal zu Geſicht kommen werden, ſo erkenne daran, daß, während Du glaubſt, mein Gedächtniß für ſo ſchöne Vergangenheit wieder anfriſchen zu müſſen, ich unterdeſſen der ſüßeſten Erinnerung in ſolchen unzu - länglichen Reimen ein Denkmal zu errichten ſtrebe, deſ - ſen eigendſte Beſtimmung es iſt, den Wiederhall ſo zar - ter Neigung in allen Herzen zu erwecken.

90

Bleibe mir ſchreibend und liebend von Tag zu Tag beglückender Gewohnheit treu.

G.

Wie mit innigſtem Behagen
Lied, gewahr ich deinen Sinn;
Liebevoll ſcheinſt Du zu ſagen,
Daß ich ihm zur Seite bin.
Daß er ewig mein gedenket,
Seiner Liebe Seeligkeit
Immerdar der Dornen ſchenket.
Die ein Leben ihm geweiht.
Ja, mein Herz, es iſt der Spiegel,
Freund, worin Du Dich erblickt,
Dieſe Bruſt, wo deine Siegel
Kuß auf Kuß hereingedrückt.
Süßes Dichten, lautre Wahrheit,
Feſſelt mich in Sympathie!
Rein verkörpert Liebesklarheit
Im Gewand der Poeſie
*)Divan, Buch Suleika.
*).
An Goethe.

Kein Baum kühlt ſo mit friſchem Laub, kein Brun - nen labt ſo den Durſtigen, Sonn und Mondlicht und91 tauſend Sterne leuchten ſo nicht in's irdiſche Dunkel wie Du leuchteſt in mein Herz. Ach, ich ſage Dir: ei - nen Augenblick in deiner Nähe zu ſein hält ſo viel Ewigkeit in ſich, daß ein ſolcher Augenblick der Ewig - keit gleichſam einen Streich ſpielt, indem er ſie gefan - gen nimmt, zum Scherz nur, er entläßt ſie wieder, um ſie wieder zu fangen, und was ſollte mir auch in Ewig - keit noch für Freude geſchehen, da dein ewiger Geiſt, deine ewige Güte mich in ihre Herrlichkeit aufnehmen.

Geſchrieben am Tag, da ich deinen letzten Brief empfangen.

Das Gedicht gehört der Welt, nicht mein, denn wollt ich es mein nennen, es würde mein Herz ver - zehren.

Ich bin zaghaft in der Liebe, ich zweifle jeden Au - genblick an Dir, ſonſt wär ich ſchon auf eine Zeit zu Dir gekommen; ich kann mir nicht denken (weil es zu viel iſt) daß ich Dir werth genug bin, um bei Dir ſein zu dürfen.

Weil ich Dich kenne, ſo fürchte ich den Tod, die Griechen wollten nicht ſterben ohne Jupiter Olymp ge - ſehen zu haben, wie viel weniger kann ich die ſchöne Welt verlaſſen wollen, da mir prophezeit iſt von dei -92 nen Lippen, daß Du mich noch mit offnen Armen em - pfangen wirſt.

Erlaube mir, ja fordere es, daß ich dieſelbe Luft einathme wie Du, daß ich täglich Dir unter die Augen ſehe, daß ich den Blick aufſuche, der mir die Todes - götter bannt.

Goethe, Du biſt alles, Du giebſt wieder was die Welt, was die traurige Zeit raubt; da Du es nun ver - magſt mit gelaßnen Blick reichlich zu ſpenden, warum ſoll ich mit Zutrauen nicht begehren? Dieſe ganze Zeit bin ich nicht mehr in's Freie gekommen, die Gebirgs - ketten, die einzige Ausſicht, die man von hier hat, wa - ren oft von den Flammen des Kriegs geröthet, und ich habe nie mehr gewagt meinen Blick dahin zu wenden, wo der Teufel ein Lamm würgt, wo die einzige Frei - heit eines ſelbſtſtändigen Volkes ſich ſelber entzündet und in ſich verlodert. Dieſe Menſchen, die mit kaltem Blut und ſicher über ungeheure Klüfte ſchreiten, die den Schwindel nicht kennen, machen alle andere, die ihnen zuſehen, von ihrer Höhe herab ſchwindlich; es iſt ein Volk, das für den Morgen nicht ſorgt, dem Gott un - mittelbar grade, wenn die Stunde des Hungers kommt, auch die Nahrung in die Hand giebt; das, wie es den Adlern gleich, auf den höchſten Felsſpitzen über den Ne -93 beln ruht, auch ſo über den Nebeln der Zeit thront, das lieber im Licht untergeht, als im Dunkeln ein un - gewiſſes Fortkommen ſucht. O Enthuſiasmus des eig - nen freien Willens! wie groß biſt du, da du allen Ge - nuß, der über ein ganzes Leben verbreitet iſt, in einen Augenblick zuſammenfaſſeſt, darum ſo läßt ſich um ei - nen ſolchen Moment auch wohl das Leben wagen; mein eigner Wille aber iſt, Dich wieder zu ſehen, und allen Enthuſiasmus der Liebe wird ein ſolcher Moment in ſich faſſen, und darum begehre ich auch außer dieſem nichts mehr.

Von den Kuffſteiner Belagerungsgeſchichten möchte ich Dir manches erzählen was dem Dux gewiß Freude machen würde, und was auch verdiente verewigt zu werden; allein zu ſehr wird eine ernſte Theilnahme an dem echten Heroismus mißhandelt durch Betrug aller Art, und das macht auch daß man lieber gar nicht hin - horcht, als daß man das Herz durch Lügen ſich ſchwer machen läßt. Das Gute, was die Baiern als wahr paſſiren laſſen, daran iſt nicht zu zweifeln, denn wenn ſie es vermöchten, ſo würden ſie gewiß das Gelingen der Feinde läugnen. Speckbacher iſt ein einziger Held, Witz, Geiſt, kaltes Blut, ſtrenger Ernſt, unbegrenzte Güte, durchſichtige, bedürfnißloſe Natur; Gefahr iſt ihm94 gleich dem Aufgang der Sonne; da wird ihm Tag, da ſieht er deutlich was noth thut; und thut alles, indem er ſeinen Enthuſiasmus beherrſcht, er denkt auf ſeine Ehre und auf ſeine Verantwortung zugleich, er richtet alles durch ſich allein aus, die Befehle der Comman - danten und ſeine eignen wohl berechneten Pläne, und auch noch was der Augenblick erheiſcht; unter dem Ka - nonenfeuer der Feſtung verwüſtet er die Mühlen, er - beutet das Getreide und löſcht die Haubitzen mit dem Hut; keinen gefahrvollen Plan überläßt er einem an - dern, die kleine Stadt Kuffſtein ſteckte er ſelbſt in Brand mitten unter den Feinden; eine Schiffbrücke der Baiern macht er flott. In einer ſtürmiſchen Nacht, im Waſſer bis an die Bruſt, hält er aus bis zum Morgen mit zwei Kameraden, wo er noch die letzten Schiffe un - ter einem Hagel von Kartätſchen flott macht. Liſt iſt ſeine göttlichſte Eigenſchaft, den verwilderten Bart, der ihm das halbe Geſicht bedeckt, nimmt er ab, ver - ändert Kleidung und Geberde, und ſo verlangt er den Commandanten der Feſtung zu ſprechen, man läßt ihn ein, er macht ihnen was weis von Verrath, und erräth unterdeſſen alles was er wiſſen will, in dieſer großen Gefahr, mit noch zwei andern Kameraden, iſt er keinen Augenblick verlegen, läßt ſich beleuchten, unterſuchen,95 zutrinken, und endlich vom Commandanten bis zum kleinen Pförtchen, zu dem ſie hereingekommen waren, begleitet, nimmt er treuherzig Abſchied.

Alle dieſe Mühen und Aufopferungen werden in - deſſen zu nichte gemacht durch die Unzuverläſſigkeit von Öſtreich, das überhaupt iſt, als könne es keinen glück - lichen Erfolg ertragen, und fürchte ſich vor ſeinem gro - ßen Feind, einſt dieſe Siege verantworten zu müſſen, und ſo wird es auch noch kommen, es wird noch den großen Napoleon um Verzeihung bitten, daß man ihm die Ehre erzeigt, ihm ein Heldenvolk entgegen zu ſtel - len; ich breche ab, zu gewiß iſt mir, daß auf Erden al - lem großen ſchlecht vergolten wird.

Vor drei Wochen hat man ein Bild, eine Copie von Albrecht Dürrer's ſelbſt verfertigtem Portrait, an Dich abgeſchickt; ich war grade auf einige Tage ver - reiſt, und weiß alſo nicht ob es wohl eingepackt, und ob die Gelegenheit, mit welcher es ging, exakt iſt, Du mußt es der Zeit nach jetzt bald in Händen haben, ſchreib mir darüber, das Bild iſt mir ſehr lieb, und darum mußt ich Dir's geben, weil ich mich ſelbſt Dir geben möchte.

Selbſt in dem kalten Baiernlande reift alles nach und nach, das Korn wird ſchon gelb, und wenn die96 Zeit auch keine Roſen hier bricht, ſo bricht ſie doch der Sturm, und falbe Blätter fliegen ſchon genug auf dem naſſen Sandboden; wann wird denn eine gütige Sonne die Früchte an meinem Lebensbaum reifen, daß ich ernd - ten kann Kuß um Kuß?

Einen Weg geh ich alle Tage, jede Staude, jedes Gräschen iſt mir auf dieſem bekannt, ja, die Sandſtein - chen im Kiesweg hab ich mir ſchon betrachtet. Dieſer Weg führt nicht zu Dir, und doch wird er mir täglich lieber, wenn mich nun einer gewohnt würde zu Dir zu tragen, wie würden da Blumen und Kräuter erſt mit mir bekannt werden, und daß mir ſtets das Herz pochte bis an deine Schwelle, und allen Liebreiz hätte auf die - ſem Weg jeder Schritt.

Vom Kronprinz weiß ich Gutes, er hat mit den Gefangnen, die man hart behandelte und hungern ließ, zu Mittag gegeſſen. Die Kartoffeln waren gezählt, er theilte treulich mit ihnen, ſeitdem werden ſie gut be - dient und er hat ein ſcharfes Auge darauf; das hab ich durch ſeinen getreuen Bob, der die ausführliche Er - zählung mit etlichen Freudenthränen begleitete. Sein kaltes Blut mitten in Gefahren, ſeine Ausdauer bei al - len Mühen und Laſten werden auch noch anderweitig gerühmt, und immer iſt er dabei bedacht, nutzloſen Grau -ſam -97ſamkeiten vorzubeugen; das war von ihm zu erwarten, aber daß er dieſe Erwartung nicht zu Schanden ge - macht hat, dafür ſei er gelobt und geſegnet.

Einliegendes Kupfer von Heinze wirſt Du wohl er - kennen, ich hab's von Sömmering erhalten, und zu - gleich den Auftrag, um dein Urtheil darüber zu bitten, er ſelbſt findet es gleichend, aber nicht in den edelſten Zügen; ich ſage: es hat eine große Ähnlichkeit mit ei - nem Bock, dies ließe ſich noch rechtfertigen.

Tiek liegt noch immer als Kranker auf dem Ruhe - bettlein, ein Zirkel vornehmer und ſchöner Damen um - giebt ſein Lager, das paßt zu gut und gefällt ihm zu wohl als daß er je vom Platz rückte.

Jacobi befindet ſich ganz leidlich, Tante Lehne ſchreit zwar, ſein Kopf tauge nichts, der, ſo wie er et - was philoſophiſches ſchreiben wolle, ihn ſchmerze, zu - ſammt den Augen; wenn nun auch der Kopf nichts taugt, ſo war doch ſein Herz ſehr lebendig aufgeregt als ich ihm vorlas was Du für ihn geſchrieben haſt; ich mußte es ihm abſchreiben, er meinte, da er keine ſo freundliche Fürſprache bei Dir habe wie Du bei ihm, ſo müſſe er wohl ſelbſt Dir ſchriftlich danken, einſtwei - len ſchickt er beikommende Rede über Vernunft und Verſtand.

Bettine.

II. 598
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Köln, wo ich vor'm Jahr ſo fröhlich war, der launige Rumohr hat's hingekritzelt, er geht hier ſo ganz verträglich mit der Langenweile um, und bejammert mit aufrichtigem Herzen die Zeit, die wir mit einander am Rhein zubrachten.

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Hier ſpielt der Wind ſchon manches falbe Laub von den Äſten und mir die kalten Regentropfen in's Geſicht, wenn ich frühe, wo noch kein Menſch des We - ges geht, durch die feuchten Alleen des engliſchen Gar -100 tens wandre, denn die langen Schatten am frühſten Morgen ſind mir beßre Gefährten als alles was mir den ganzen Tag über begegnet.

Da beſuche ich alle Morgen meinen alten Winter; bei ſchönem Wetter frühſtückt er in der Gartenlaube mit der Frau, da muß ich immer den Streit zwiſchen beiden ſchlichten um die Sahne auf der Milch. Dann ſteigt er auf ſeinen Taubenſchlag, ſo groß wie er iſt muß er ſich an den Boden ducken, hundert Tauben um - flattern ihn, ſetzen ſich auf Kopf, Bruſt, Leib und Beine; zärtlich ſchielt er ſie an, und vor Freundlichkeit kann er nicht pfeifen, da bittet er mich: o pfeifen Sie doch; ſo kommen denn noch hunderte von draußen hereinge - ſtürzt mit pfeifenden Schwingen; gurren, ruckſen, lachen und umflattern ihn; da iſt er ſelig und möchte eine Muſik componiren, die grad ſo lautet. Da nun Win - ter ein wahrer Koloß iſt, ſo ſtellt er ziemlich das Bild des Nils dar, der von einem kleinen Geſchlecht um - krabbelt wird, und ich als Sphinx neben ihm kauernd, einen großen Korb voll Wicken und Erbſen auf dem Kopf. Dann werden Marcellos Pſalmen geſungen, eine Muſik, die mir in dieſem Augenblick ſehr zuſagt, ihr Charakter iſt feſt und herrſchend, man kann ſie nicht durch Ausdruck heben, ſie läßt ſich nicht behandeln, man101 kann froh ſein, wenn die Kraft ausreicht, welche der Geiſt dieſer Muſik fordert. Von höherer Macht fühlt man ſich als Organ benützt, Figur und Ton von Har - monie umkreißt und bedingt auszuſprechen. So iſt dieſe kunſtgerechte, gewaltige Sprache idealiſcher Em - pfindung, daß der Sänger nur Werkzeug, aber mit - denkend, mitgenießend ſich empfindet, und dann die Recitative, das Ideal äſthetiſcher Erhabenheit, wo Alles, ſei es Schmerz oder Freude, ein tobend Element der Wolluſt wird.

Wie lange haben wir nichts über Muſik geſpro - chen, damals am Rhein, da war's als müſſe ich Dir den gordiſchen Knoten auflöſen, und doch fühlte ich meine Unzulänglichkeit, ich wußt nichts von ihr, wie man auch vom Geliebten nichts weiß, als nur daß man in ihn verliebt iſt. Und jetzt bin ich erſt gar in's Stok - ken gerathen, alles möcht ich gern ausſprechen, aber in Worten zu denken was ich im Gefühl denke, das iſt ſchwer; ja, ſollteſt Du's glauben? Gedanken ma - chen mir Schmerzen, und ſo zaghaft bin ich, daß ich ihnen ausweiche, und alles was in der Welt vorgeht, das Geſchick der Menſchen und die tragiſche Auflöſung macht mir einen muſikaliſchen Eindruck. Die Ereigniſſe im Tyrol nehmen mich in ſich auf wie der volle Strom5*102allſeitiger Harmonie. Dies Streben mitzuwirken, iſt grade wie in meinen Kinderjahren, wenn ich die Sym - phonieen hörte im Nachbarsgarten, und ich fühlte, man müſſe mit einſtimmen, mitſpielen, um Ruhe zu finden; und alles zerſchmetternde in jenen Heldenereigniſſen iſt ja auch wieder ſo belebend, ſo begeiſtigend, wie dies Streiten und Gebahren der verſchiedenen Modulationen, die doch alle in ihren eigenſinnigen Richtungen unwill - kührlich durch ein Geſammtgefühl getragen, immer all - ſeitiger, immer in ſich concentrirter in ihrer Vollendung ſich abſchließen. So empfinde ich die Symphonie, ſo erſcheinen mir jene Heldenſchlachten auch Symphonieen des göttlichen Geiſtes, der in dem Buſen des Menſchen Ton geworden iſt himmliſcher Freiheit. Das freudige Sterben dieſer Helden iſt wie das ewige Opfern der Töne einem hohen gemeinſamen Zweck, der mit göttlichen Kräf - ten ſich ſelbſt erſtreitet; ſo ſcheint mir auch jede große Handlung ein muſikaliſches Daſein; ſo mag wohl die mu - ſikaliſche Tendenz des Menſchengeſchlechts als Orcheſter ſich verſammeln und ſolche Schlachtſymphonieen ſchla - gen, wo denn die die genießende, mitempfindende Welt neu geſchaffen, von Kleinlichkeit befreit, eine höhere Be - fähigung in ſich gewahrt.

Ich werde müde vom Denken und ſchläfrig, wenn103 ich mir Mühe gebe der Ahndung nachzugehen, da wird mir angſt, ja ich möchte die Hände ringen vor Angſt um einen Gedanken, den ich nicht faſſen kann. Da möcht ich mit einem Ausdruck Dir hingeben Dinge, denen ich nicht gewachſen bin, und da ſchwindet mir alle Erkenntniß, langſam wie die untergehende Sonne, ich weiß daß ſie ihr Licht ausſtrömt, aber ſie leuchtet mir nicht mehr.

Denken iſt Religion, für's erſte Feuer-anbeten, wir werden einſt noch weiter ſchreiten, wo wir mit dem ur - ſprünglich göttlichen Geiſt uns vereinen, der Menſch ge - worden und gelitten hat, blos um in unſer Denken ein - zudringen; ſo erkläre ich mir das Chriſtenthum als Symbol einer höheren Denkkraft, wie mir denn über - haupt alles Sinnliche Symbol des Geiſtigen iſt.

Nun, wenn auch die Geiſter ſich mit mir necken, und nicht fangen laſſen, ſo erhält es mich doch friſch und thätig, und ſie haben mir auf den Weg geſtreut gleich einem auserwählten Ritter der Tafelrunde gar mannigfach Ebentheuer auf holperigem Pfad, bekannt bin ich worden mit den dürren Geiſtern der Zeit, mit Ungeheuern verſchiedener Art, und wunderbar haben mich dieſe Beſeſſenen in ihr träumeriſch Schickſal gezogen. Aber nicht hab ich erblickt wie bei Dir, da von heiliger104 Leyer mir friſches Grün entgegenglänzte, und nicht hört ich wie bei Dir, dem unter den Füßen ſilbern der Pfad tönt, als der auf Straßen Apollo's wandelt. Da denk ich mit verſchloſſenen Augen, wie ich gewohnt war mit Dir lächelnd des Herzens Meinung zu wechſeln, den eignen Geiſt in der Seele fühlend. Deine Mutter ſagte mir manchmal von vergangner Zeit, da wollt ich nicht zuhören und hieß ſie ſchweigen, weil ich grad eben mich in deine Gegenwart träumte.

Franz Bader, der nach ſeiner Glasfabrik in Böh - men gereiſt iſt, hat mir beim Abſchied beigepackte Ab - handlungen für Dich gegeben und mich zugleich gebeten, Dich ſeiner innigſten Achtung zu verſichern, er hat mir dabei mancherlei aus ſeinem Leben erzählt, wie er in Schottland zum Beiſpiel gar gefahrvolle Reiſen gemacht, in einem winzigen Nachen, mit deinem Egmond, im Meer zwiſchen Klippen und Inſeln hin - und hergewor - fen, wie er mit den Meerkatzen fechten müſſen, wie Nacht und Sturm ihm alle Lebensgeiſter ausblieſen, und er mitten in der Noth nur immer deine Bücher zu ret - ten geſucht. Siehſt Du! ſo treibt's dein Geiſt auf allen Pfaden, zu Land wie zu Waſſer, und er zieht von der Quelle an fort mit dem Strom, bis wo er ſich ergießt, und ſo ziehen mit, die noch fremden Ufer, und die blaue105 Ferne ſinkt neigend zuſammen vor deiner Ankunft. Und es ſehen die Wälder Dir nach, und die vergoldende Sonne ſchmückt die Bergeshöhen zu deinem Empfang; es feiern aber im Mondglanz dein Andenken die Sil - berpappel und die Tanne am Weg, die deiner Jugend reine Stimme gehört.

Geſtern erhielt ich dein Bild, eine kleine Paſte in Gyps, aus Berlin, es gleicht, was hilft's, ich muß nach Dir verlangen.

Noch ein ägyptiſches Ungeheuer iſt mir hier auf Baierns feuchtem Boden begegnet, und nicht wundert mich daß ſeine trockne, ſandige Natur hier verfault, es iſt Kloz, der von den Geiſtern der Farbe verfolgte und gepeinigte, endlich ihrer Gewalt erliegend, ſein fünfundzwanzigjähri - ges Werk endet. Ägyptiſch nenne ich ihn, weil erſtens ſein Antlitz wie von glühenden Harzen geſchmiedet, zugleich eine ungeheure Pyramide darſtellt, und zweitens, weil er in fünfundzwanzig Jahren mit außerordentlicher Anſtren - gung ſich nicht vom Platze gearbeitet hat. Ich habe aus chriſtlicher Milde (und zugleich um Dir, als welcher nach Klotzens Ausſage einer Entſchuldigung bedürfte, Gerech - tigkeit wiederfahren zu laſſen) ſein ganzes Manuſcript angehört. Nun kann ich mich freilich, mit was ich von ihm erlernt, nicht breit machen, ich war mit Räthſeln106 umſtrickt, die durch ſeine Reden nur noch verwickelter wurden, und er war ängſtlich auf ſeiner Hut, daß ich ihm nicht eins ſeiner Geheimniſſe erſchnappe, um es Dir zu übertragen, er möchte gern mit Dir ſelber hierüber ſprechen, am meiſten klagte er, daß Du ihm auf einen demüthigen, aufrichtigen Brief keine Antwort gegeben, ich aber tröſtete ihn damit, daß Du mir auf einen bit - tenden, liebenden Brief auch keine Antwort gegeben, und ſo war es gut. Ich kann dem armen Mann nicht begreiflich machen, daß er die Perlen mit den Kleien gemiſcht, und daß wahrſcheinlich beides zuſammt von den Schweinen gefreſſen wird. Du aber könnteſt hier gewiß Gutes ſtiften, wenn Du Dich über ſeine Ent - deckungen mit ihm einlaſſen wollteſt. Beikommende Ta - belle hab ich ihm für Dich abgeluxt, ſie gefällt mir ſo wohl, daß ich ſie wie ein ſchönes Bild betrachte.

Jetzt hab ich noch eine geringe Frage, aber ſie gilt mir viel, denn ſie ſoll mir eine Antwort eintragen: haſt Du Albrecht Dürrer's Bildniß, welches ſchon vor ſechs Wochen von hier abging, erhalten? wo nicht, ſo bitte ich, laſſe doch in Weimar bei den Fuhrleuten nach - fragen.

Es geht hier eine Sage unter dem Volk, es werde bald eine Erſcheinung ſein, die ſoll Wahlverwandtſchaf -107 ten heißen, und von Dir in Geſtalt eines Romans aus - gehen. Ich habe einmal einen fünf Stunden langen, ſaueren Weg nach einem Sauerbrunnen gemacht, er lag ſo einſam zwiſchen Felſen, der Mittag konnte nicht zu ihm niederſteigen, die Sonne zerbrach tauſendfach ihre Strahlenkrone an dem Geſtein, alte dürre Eichen und Ulmen ſtanden wie die Todeshelden drum her, und Ab - gründe, die man da ſah, waren keine Abgründe der Weisheit, ſondern dunkle, ſchwarze Nacht, mir wollt's es nicht behagen, daß die himmliſche Natur ſolche Lau - nen habe, der Athem wurde mir ſchwer und ich hatte das Geſicht in's Gras gewühlt. Wenn ich aber dieſe Wahlverwandtſchaften dort an der Quelle wüßte, gern wollt ich den ſchauerlichen, unheimlichen Weg noch ein - mal machen, und zwar mit leichtem Schritt und leich - tem Sinn, denn erſtens dem Geliebten entgegengehen, beflügelt den Schritt, und zweitens mit dem Geliebten heimgehen, iſt der Inbegriff aller Seligkeit.

Bettine.

5**108
An Bettine.

Ihr Bruder Clemens, liebe Bettine, hatte mir bei einem freundlichen Beſuche den Albrecht Dürrer ange - kündigt, ſo wie auch in einem Ihrer früheren Briefe deſſelben gedacht war. Nun hoffte ich jeden Tag dar - auf, weil ich an dieſem guten Werk viel Freude zu er - leben gedachte, und wenn ich mir's auch nicht zugeeignet hätte, es doch gern würde aufgehoben haben bis Sie gekommen wären es abzuholen. Nun muß ich Sie bit - ten, wenn wir es nicht für verloren halten ſollen, ſich genau um die Gelegenheit zu erkundigen, durch welche es gegangen, damit man etwa bei den verſchiedenen Spediteurs nachkommen kann, denn aus Ihren heutigen Briefe ſehe ich, daß es Fuhrleuten abgeliefert worden. Sollte es inzwiſchen ankommen, ſo erhalten Sie gleich Nachricht.

Der Freund, welcher die Kölner Vignette gezeichnet, weiß was er will, und verſteht mit Feder und Pinſel zu handthieren, das Bildchen hat mir einen freundlichen guten Abend geboten.

Franz Bader'n werden Sie ſchönſtens für das ge - ſendete danken. Es war mir von den Aufſätzen ſchon manches einzelne zu Geſicht gekommen. Ob ich ſie ver -109 ſtehe, weiß ich ſelbſt kaum, allein ich konnte mir man - ches daraus zueignen. Daß Sie meine Unart gegen den Maler Kloz durch eine noch größere, die Sie mir ver - ziehen haben, entſchuldigt, iſt gar löblich, und hat dem guten Mann gewiß beſonders zur Erbauung gedient. Die Tafel iſt wohlbehalten angekommen, ſo angenehm auch der Eindruck iſt, den ſie auf das Auge macht, ſo ſchwer iſt ſie doch zu beurtheilen; wenn Sie ihn daher bewegen können, den Schlüſſel zu dieſem Farbenräthſel herzuleihen, ſo könnte ich vielleicht durch eine verſtän - dige und gegründete Antwort mein früheres Verſäum - niß wieder gut machen.

Wie viel hätte ich nicht noch zu ſagen, wenn ich auf Ihren vorigen lieben Brief zurückgehen wollte? Gegenwärtig nur ſo viel von mir, daß ich mich in Jena befinde, und vor lauter Verwandtſchaften nicht recht weiß, welche ich wählen ſoll.

Wenn das Büchlein, das man Ihnen angekündigt hat, zu Ihnen kommt, ſo nehmen Sie es freundlich auf, Ich kann ſelbſt nicht dafür ſtehen was es geworden iſt.

Mit eigner Hand.

Nimm es nicht übel, daß ich mit fremder Hand ſchreibe, die meine war müde, und ich wollte Dich doch nicht ohne Nachricht laſſen über das Bild, ſuche ihm110 doch ja auf die Spur zu kommen, fahre fort an mich zu denken und mir etwas von deinem wunderlichen Le - ben zu ſagen, deine Briefe werden wiederholt geleſen mit vieler Freude, was Dir auch die Feder darauf er - wiedern könnte, es wäre doch immer weit entfernt von dem unmittelbaren Eindruck, dem man ſich ſo gern hin - giebt, ſelbſt wenn es Täuſchung wär, denn wer vermag bei wachenden Sinnen zu glauben an den Reichthum deiner Liebe, den man als Traum aufzunehmen wohl am beſten thut. Was Du zum voraus über die Wahlverwandtſchaften ſagſt, iſt prophetiſcher Blick, denn leider geht die Sonne düſter genug dort unter. Suche doch ja dem Albrecht Dürrer auf die Spur zu kommen. Lebe recht wohl.

Goethe.

Heute bitt ich wieder einmal um Verzeihung, liebe Bettine, wie ich es ſchon oft hätte thun ſollen. Ich habe Dir wegen des Bildes vergebne Sorge gemacht, es iſt in Weimar wirklich angekommen, und nur durch Zufall und Vernachläſſigung kam die Nachricht nicht an mich herüber. Nun ſoll es mich bei meiner Rück -111 kehr in deinem Namen freundlichſt empfangen, und mir ein guter Wintergeſelle werden, auch ſo lang bei mir verweilen, bis Du zu mir kommſt es abzuholen. Laß mich bald wieder von Dir vernehmen. Der Herzog grüßt Dich auf's beſte, einiges muß ich ihm auch dies - mal aus deinen ſchönen Fruchtkranz von Neuigkeiten zukommen laſſen. Er iſt Dir mit beſonderer Neigung zugethan, und beſonders was die Schilderung von Kriegsſcenen anbelangt, theilt er vollkommen deine en - thuſiaſtiſche An - und Umſichten; erwartet aber auch nur ein tragiſches Ende.

Auguſt kommt Anfang Oktobers von Heidelberg zurück wo es ihm ganz wohlgegangen iſt. Auch hat er eine Rheinreiſe bis Coblenz gemacht. Lebe meiner gedenk.

G.

Wie ein Sperling kam mir dein Brief vom 11. Sep - tember auf den Schreibtiſch geflogen; zuletzt haſt Du zwar ein kleines Dompfaffenſtückchen dran gehängt, von beſonderer Theilnahme, allein ich laſſe mir nichts112 weis machen, das war nach der alten Drehorgel gepfif - fen. Hätteſt Du mich lieb, unmöglich könnteſt Du von deinem Secretair einen Brief abſchnurren laſſen wie ein Paternoſter, er iſt ein Philiſter daß er ſo was ſchreibt und Dich ſelbſt dazu macht, ich kann mir auch gar nicht vorſtellen, wie Du es mit ihm anſtellſt; ſprichſt Du ihm denn den Inhalt deines Brief's vor, oder giebſt Du ihm deine Gedanken ſo im Rummel, daß er ſie nachher rei - henweis neben einander aufſchichte?

Verliebt biſt Du und zwar in die Heldin deines neuen Romans und das macht Dich[ſo] eingezogen und ſo kalt gegen mich, Gott weiß welches Muſter Dir hier zum Ideal diente; ach Du haſt einen eignen Geſchmack an Frauen, Werther's Lotte hatte mich nie erbaut, wär ich nur damals bei der Hand geweſen, Werther hätte ſich nicht erſchießen dürfen, und Lotte hätte ſich geär - gert daß ich ihn ſo ſchön tröſten konnte.

So geht mir's auch im Wilhelm Meiſter, da ſind mir alle Frauen zuwieder, ich möchte ſie alle zum Tem - pel hinaus jagen, und darauf hatte ich auch gebaut, Du würdeſt mich gleich lieb gewinnen, wenn Du mich kennen lernteſt, weil ich beſſer bin und liebenswürdiger wie die ganze weibliche Comitee deiner Romane, ja wahrhaftig das iſt nicht viel geſagt, für Dich bin ich113 liebenswürdiger, wenn Du, der Dichter, das nicht her - aus finden willſt, für keinen andern bin ich geboren, bin ich nicht die Biene die hinausfliegt, aus jeder Blume Dir den Nektar heimbringt? und ein Kuß! meinſt Du der ſei gereift wie die Kirſche am Aſt? nein ein Umſchweben deiner geiſtigen Natur, ein Streben zu dei - nem Herzen, ein Sinnen über deine Schönheit ſtrömt zuſammen in Liebe; und ſo iſt dieſer Kuß ein tiefes unbegreifliches Einverſtändniß mit deiner unendlich ver - ſchiedenſten Natur von mir. O verſündige Dich nicht an mir, und mache Dir kein geſchnitzeltes Bild das ſel - bige anzubeten, während die Möglichkeit Dir zuhanden liegt ein wunderbares Band der Geiſterwelt zwiſchen uns zu weben.

Wenn ich mein Netz aufzog, ſo willkührlich gewebt, ſo kühn ausgeworfen, im Gebiet des Unbekannten, ich brachte Dir den Fang, und was ich Dir auch bot, es war der Spiegel des menſchlich Guten. Die Natur hat auch einen Geiſt und in jeder Menſchenbruſt emfindet dieſer Geiſt die höheren Ereigniſſe des Glücks und des Unglücks, wie ſollte der Menſch um ſein ſelbſt willen Seelig ſein können, da Seeligkeit ſich in allem empfin - det und keine Grenze kennt. So emfindet ſich Natur, ſeelig im Geiſt des Menſchen, das iſt meine Liebe zu114 Dir, und ſo erkennt der Menſchengeiſt dieſe Seeligkeit, das iſt deine Liebe zu mir: Geheimnißvolle Frage und unentbehrliche Antwort.

Genug! laſſe mich nicht vergebens bei Dir ange - klopft haben, nimm mich auf, und verhülle mich in dein tieferes Bewußtſein.

Dein zweiter Brief iſt auch hier der mir das glück - liche Einfangen des vagabondirenden Kunſtwerkes mel - det, möge es Dir bei deiner Heimkehr einleuchten; es iſt ein Geſicht, zwar nur ein gemaltes, aber unter tauſend lebendigen wird Dir kein ſo durchdringender Blick be - gegnen, der hat ſich angeſehen, hat ſich ſein tiefeſtes Herz abgefragt und auf die Leinwand gemalt daß es Rechen - ſchaft gebe von ihm den nachkommenden Geſchlechtern als der Würdiger unter den beſten.

Vom Welttheater auf den Felsſpitzen iſt nur zu melden, daß ſie gut balancieren. Am 3. September am Geburtstag deines gnädigſten Herrn und Freundes hat ganz Tyrol mit allen Glocken geläutet und Te Deum geſungen, es iſt grade Platz genug dort, daß von allen Seiten Heldenthaten dargeſtellt werden die ſo kühn ſind, ſo himmelanſtrebend wie die Felszacken von denen ſie ausgehen, und bald ſo tief vergeſſen ſein werden wie die tiefen Klüfte in denen ſie ihre Feinde begraben. Ent -115 ſchieden genaues erfährt man nicht; das großartige wird ſo viel wie möglich verketzert und verheimlicht; in dieſen letzten Wochen hat ſich Steger hervor gethan, auch ein allſeitiges Genie der ſich ſelber als ein Geſchenk Gottes betrachten kann für ſeine Landsleute. Von deinem Mu - ſenſohn dem Kronprinzen ſind Briefe hier, über Bege - benheiten melden ſie nichts, er iſt geſund und dichtet auch mitten in dem Tumult des Schickſals, das beweiſt daß er ſich in dieſem Element nicht fremd fühlt; weiter weiß ich nichts, das Gedicht bekam ich nicht zu leſen, ich hätte es Dir ſehr gern als Probe geſendet, man fürchtet es möchte mich zu tief ergreifen, ſonderbar! ich könnte mein ganzes Herz tätowiren, Namenszeichen und Andenken einbrennen laſſen, und doch blieb es ſo geſund und friſch dabei als ein geſunder Handwerks - burſche, ſo geht's, wenn man Freunde hat die ſich um einem kümmern, ſie beurtheilen einem verkehrt und miß - handeln einem danach, das nennen ſie Antheil nehmen, und dafür ſoll man ſich noch bedanken; ich habe mir nun ein appartes Plaiſir gemacht und ein ſchönes Minia - turbild des jungen Königſohns an mich gebracht, das betracht ich zuweilen, und bete ihm im Geiſt vor, wie es mit ihm werden ſoll; aber aber! es iſt dafür geſorgt daß die Bäume nicht im Himmel wachſen, ſag ich mit116 Dir; es hat gute Wege mit Weltherrſchern, daß die ihre Macht nicht gewahr werden, und ihre Fähigkeiten nicht Meiſter.

Rundum in der Gegend iſt der Typhus ausgebro - chen, durchmarſchierende Truppen haben ihn mitgebracht, ganze Familien ſterben auf dem Lande, einer einzigen Nacht-Einquartierung nach; es raffte ſchon die meiſten Lazarethärzte weg, geſtern hab ich einen jungen Medi - ziner der ſich freundlich an mich attaſchiert hatte ver - abſchiedet, er heißt Janſon, er ging nach Augsburg in's Lazareth um dort einen alten Lehrer der Frau und Kinder hat abzulöſen, dazu gehört auch großartiger Muth. Auch in Landshut, wo Savignys ſind, fährt der Tod ſeinen Karren triumphirend durch alle Straßen, und beſonders hat er mehrere junge Leute ausgezeichnet an Herz und Geiſt, die ſich der Krankenpflege annah - men, weggerafft, es waren treue Hausfreunde von Sa - vigny, ich werde nächſtens hingehen um böſe und gute Zeit mit auszuhalten. Denn ſag ich allen politiſchen Ereigniſſen Valet, was hilft alles Forſchen wenn man betrogen wird, und alle aufgeregten Gefühle nutzlos ſich verzehren müſſen. Adieu, ich bin Dir nicht grün, daß Du deinen Secretair an mich haſt ſchreiben laſſen. Es braucht nur wenig zu ſein zwiſchen uns aber nichts117 gleichgültiges das tödet das flüchtige Salz des Geiſtes und macht die Liebe ſcheu. Schreibe bald und mache wieder gut.

Bettine.

An Bettine.

Deinen Vorwürfen, liebſte Bettine, iſt nicht auszu - weichen, da bleibt nichts übrig als die Schuld zu bekennen und Beſſerung zu verſprechen, um ſo mehr da Du mit den geringen Beweiſen von Liebe die ich Dir geben kann zufrieden biſt; auch bin ich nicht im Stande Dir das von mir zu ſchreiben was Dir am intereſſanteſten ſein möchte, dagegen deine lieben Briefe ſo viel erfreuliches gewähren, daß ſie billig allem andern vorgehen; ſie be - ſcheeren mir eine Reihe von Feſttagen, deren Wiederkehr mich immer auf's neue erfreut.

Gern geb ich Dir zu, daß Du ein weit liebenswür - digeres Kind biſt, wie alle die man Dir als Geſchwiſter an die Seite zu ſtellen verſucht wird; eben darum er - wart ich von Dir, daß Du ihnen zu gute halten wer - deſt was Du vor ihnen voraus haſt. Verbinde nun mit ſolchen ſchönen Eigenſchaften auch die, immer zu wiſſen wie Du mit mir dran biſt; ſchreibe mir was Dir118 däucht, es wird jederzeit auf's herzlichſte aufgenommen, dein offenherziges Plaudern iſt mir eine ächte Unter - haltung und deine vertraulichen Hingebungen überwie - gen mir alles. Lebe wohl, bleibe mir nah, und fahre fort mir wohl zu thun.

Goethe.

Das Reich Gottes ſtehet in der Kraft zu jeder Zeit und an allen Orten, dies habe ich heute bemerkt bei einer hohlen Eiche, die da ſtand in der Schaar wilder hoher Waldpflanzen mächtig groß und ihre Jahrhun - derte zählte ganz abgewendet vom Sonnenſchein. Wolfs - ſtein iſt bei drei Stunden von hier, man muß über man - chen Stiegelhupfer, kömmt allmählig aufwärts zwiſchen Tannen und Fichten, die ihre breiten Äſte im Sand ſchleifen. Dort ſtand vor vielen hundert Jahren ein Jagdſchloß von Ludwig dem Schönen; Herzog in Bai - ern deſſen ſonderliche Luſt war, in Nebel und Abend - dämmerung herum zu ſchweifen, da war er einsmals abwärts gegangen, und hatte ihn die Dunkelheit heim - lich noch an eine Mühle geführt, das Waſſer hörte er119 brauſen und das Mühlenrad gehen, ſonſt war alles ſtill, er rief ob ihn niemand höre, die Müllerin die gar ſchön war wachte auf, zündete ein Kiehnholz an, und kam vor die Thür gegangen, da war der Herzog gleich ver - liebt da er ſie beim Schein der Flamme ſehen konnte, und ging mit ihr ein, blieb auch bis am frühen Mor - gen. Er ſuchte ſich aber einen heimlichen Weg wie er wieder zu ihr kommen möge. Er vergaß ihrer nicht, aber wohl vergaß er der Mark Brandenburg die er verlor, darum daß er auf nichts achtete als nur auf die Liebe, eine Ulmenallee die zur Mühle führt vom Schloß aus, und die er ſelbſt pflanzte ſteht noch; daran ſieht man daß die Bäume wohl alt werden, aber die Liebe nicht, ſagte einer von unſerer Geſellſchaft da wir durch die Allee gingen.

Und darum hat der Herzog nicht unrecht, daß er die Mark Brandenburg um die Liebe gab, denn dieſe iſt immer noch da und iſt dumm, aber in der Liebe geht man umher wie im Frühling, denn ſie iſt ein Regen von ſammetnen Blüthenblättern, ein kühles Hauchen am heißen Tag, und ſie iſt ſchön bis ſie am End iſt. Gäbſt Du nun auch die Mark um die Liebe? es würde mir nicht gefallen wenn Du Brandenburg lieber hätteſt wie mich.

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Der Mond ſcheint weit her über die Berge, die Winterwolken ziehen Heerdenweis vorüber. Ich habe ſchon eine Weile am Fenſter geſtanden und zugeſehen wie's oben jagt und treibt. Lieber Goethe, guter Goethe, ich bin allein, es hat mich wieder ganz aus den Angeln gehoben und zu Dir hinauf! wie ein neugeboren Kind - chen, ſo muß ich dieſe Liebe pflegen zwiſchen uns; ſchöne Schmetterlinge wiegen ſich auf den Blumen die ich um ſeine Wiege gepflanzt habe, goldne Fabeln ſchmücken ſeine Träume, ich ſcherze und ſpiele mit ihm, jede Liſt verſuch ich um ſeine Gunſt. Du aber beherrſch'ſt es - helos, durch das herrliche Ebenmaaß deines Geiſtes; es bedarf bei Dir keiner zärtlichen Ausbrüche keiner Be - theuerungen. Während ich ſorge um jeden Augenblick der Gegenwart, geht eine Kraft von Dir aus des See - gens, die da reicht über alle Vernunft und über alle Welt.

Ich fange gern hoch oben am Blatt an zu ſchrei - ben, und endige gern tief unten, ohne einen Platz zulaſſen121laſſen für den Reſpekt, das malt mir immer vor wie vertraut ich mit Dir ſein darf; ich glaub wahrhaftig ich hab's von meiner Mutter geerbt, denn alte Gewohn - heit ſcheint's mir, und wie das Ufer den Schlag der Wellen gewöhnt iſt, ſo mein Herz den wärmeren Schlag des Blutes, bei deinem Namen, bei allem was mich daran erinnert, daß Du in dieſer ſichtbaren Welt lebſt.

Deine Mutter erzählte mir, daß wie ich neu gebo - ren war ſo habeſt Du mich zuerſt an's Licht getragen und geſagt das Kind hat braune Augen, und da habe meine Mutter Sorge getragen Du würdeſt mich blen - den, und nun geht ein großer Glanz von Dir aus über mich.

Es geht hier ein Tag nach dem andern hin, und bringt nichts das iſt mir nicht recht; ich ſehne mich wie - der nach der Angſt die mich aus München vertrieben hat, ich habe Durſt nach den Mährchen von Tyrol, ich will lieber belogen ſein als gar nichts hören; ſo halte ich doch mit ihnen aus, und leide und bete für ſie.

Der Kirchthurm hat hier was wunderliches, ſo oft ein Domherr ſtirbt wird ein Stein am Thurm geweißt, da iſt er nun von oben bis unten weiß geplackt.

II. 6122

Indeſſen geht man an ſchönen Tagen hier weit ſpa - zieren mit einer liebenwürdigen Geſellſchaft die ſich an Savigny's menſchenfreundlicher Natur eben ſo erquickt wie an ſeinem Geiſt. Salvoti ein junger Italiener, den Savigny ſehr auszeichnet, hat ſchöne Augen, ich ſehe ihn aber doch lieber vor mir hergehen als in's Ge - ſicht, denn er trägt einen grünen Mantel dem er einen vortrefflichen Faltenwurf giebt, Schönheit giebt jeder Bewegung Geiſt; er hat das Heimweh und obſchon er alle Tage ſeinen vaterländiſchen Wein durch den baieri - ſchen Flußſand filtrirt um ſich zu gewöhnen, ſo wird er täglich blaſſer, ſchlanker, intereſſanter, und bald wird er ſeine Heimath aufſuchen müſſen um ihr ſeine heim - liche Liebe einzugeſtehen; ſo wunderliche Grillen hat Natur, zärtlich, aber nicht überall dieſelbe, demſelben.

Ringseis der Arzt der mir den Intermaxilarknochen ſehr ſchön preparirt hat, um mir zu zeigen wie Goethe Recht hat, und viele freundliche Leute ſind unſre Be - gleiter, man ſucht die ſteilſten Berge und die beſchwer - lichſten Wege, man übt ſich auf's kommende Frühjahr, wo man eine Reiſe in die Schweitz und Tyrol vor hat; wer weiß wie's dann dort ausſehen wird, dann werden die armen Tyroler ſchon ſeufzen gelernt haben.

Heute Nacht hab ich von Dir geträumt, was konnte123 mir ſchöneres wiederfahren? Du warſt ernſthaft und ſehr geſchäftig, und ſagteſt: ich ſolle Dich nicht ſtören. Das machte mich traurig, da drückteſt Du ſehr freund - lich meine Hand auf mein Herz und ſagteſt: Sei nur ruhig, ich kenne Dich und weiß alles, da wachte ich auf; dein Ring, den ich im Schlaf an mich gedrückt hatte, war auf meiner Bruſt abgebildet, ich paßte ihn wieder in die Abbildung und drückte ihn noch feſter an, weil ich Dich nicht an mich drücken konnte. Iſt denn ein Traum nichts? mir iſt er alles; ich will gern die Geſchäfte des Tages aufgeben, wenn ich Nachts mit Dir ſein und ſprechen kann. O ſei's, gern im Traum, mein Glück, Du!

Auch hier hab ich der Muſik ein Luſtlager aufzu - ſchlagen gewußt, ich habe mir eine Kapelle von ſechs bis acht Sängern errichtet, ein alter geiſtlicher Herr, Eix - dorfer (behalte ſeinen Namen, ich werde Dir noch mehr von ihm erzählen), ein tüchtiger Bärenjäger und noch kühnerer Generalbaßſpieler, iſt Capellmeiſter. An Re - gentagen werden in meinem kleinen Zimmer die Pſal - men von Marcello aufgeführt, ich will Dir gern die6 *124ſchönſten davon abſchreiben laſſen, wenn Du ſie ſelbſten nicht haſt, ſchreib nur ein Wort drum, denn die Muſik iſt einzig herrlich und nicht gar leicht zu haben. Auch die Duetten von Durante ſind ſchön, das Gehör muß ſich erſt dran gewöhnen eh es ihre harmoniſche Dishar - monie bändigen mag, eine Schaar gebrochner Seufzer und Liebesklagen, die in die Luft wie ein irrendes Ver - hallen abbricht; drum ſind ſie aber auch ſo gewaltig, wenn ſie recht geſungen werden, daß man ſich immer wieder neu in dieſen Schmerzen verſchmachten ließe. Man hatte indeſſen ein barbariſches Urtheil über dieſe und Marcello gefällt, ich wurde bizarr genannt, daß ich täglich zweimal, Morgens und Abends, nur dieſe Muſik ſingen ließ. Nach und nach, wie jeder Sänger ſeinen Poſten verſtehen lernte, gewann er auch mehr In - tereſſe. Auf Apoll's hohen Kothurnen ſchreiten, mit Jupiter's Blitzen um ſich ſchleudern, mit Mars Schlach - ten liefern, Sclavenketten zerbrechen, den Jubel der Frei - heit ausſtrömen, bachantiſche Luſt ausraſen, mit dem Schild der Minerva die anſtürmenden Chöre zuſammen - drängen, ihre Evolutionen ordnend ſchützen, das ſind ſo einzelne Theile dieſer Muſik, an denen ein jeder die Kraft ſeiner Begeiſterung kann wirkſam machen. Da iſt denn auch kein Widerſtand; Muſik macht die Seele125 zu einem gefühligen Leib, jeder Ton berührt ſie; Muſik wirkt ſinnlich auf die Seele, wer nicht ſo erregt iſt im Spiel wie in der Compoſition, der bringt nichts ge - ſcheutes hervor; die ſcheinheiligen, moraliſchen Tenden - zen ſeh ich ſo alle zum Teufel gehen mit ihrem erloge - nen Plunder, denn nur die Sinne erzeugen in der Kunſt wie in der Natur, und Du weißt das am beſten.

Von Klotzens Farbenmartyrthum hab ich Dir noch Rechenſchaft zu geben; es iſt nichts mit ihm anzufan - gen, ich habe zum Theil mit Langerweile, aber doch auch mit Theilnahme, mein Ohr ſeinem fünfundzwanzigjährigen Manuſcriptgeliehen, mich mühſam durchgearbeitet, und mit Verwunderung entdeckt, daß er ſich ſelbſt in höchſt pro - ſaiſchem Wahnſinn hinten angehängt hat; nichts hab ich beſſer verſtanden als dies eine: Ich bin Ich, und beim Lichte beſehen, hat er ſich durch häufiges Hinein - ſinnen endlich ſelbſt in drei grobe, ſchmutzige Stofffar - ben verwandelt. Nachdem ich eine wahre Marter bei ihm ausgeſtanden hatte, beſonders durch ſein ſchauer - liches Geſicht, ſo konnt ich nach endlich beendigten Col - legien nicht mehr über mich gewinnen ihn zu beſuchen,126 und kam mir eine ſeltſame Furcht, wenn ich ihn auf der Straße witterte. Bei Sonn - und Mondenſchein ſtürzt er auf mich los, ich ſuche zu entweichen, ach, ver - gebens, die Angſt lähmt meine Glieder und ich falle in ſeine Hände. Nun fing er an ſein Syſtem von Grund aus in meine Seele einzukeilen, damit ich den Unter - ſchied von Goethe's Anſicht ja recht auffaſſe; auch lud er mich ein, um mir ſeine Lichttheorie auf franzöſiſch vorzuleſen, er überſetzt das Ganze, um es der pariſer Academie zu übergeben; da nun ein Dämon in mir dem allen entgegen arbeitet, was ſich als Wirklichkeit behauptet, keine Form veredelt, alles poetiſche läugnet oder höchſt gleichgültig überbaut oder zertrümmert, ſo hab ich ihm durch meine große Lügen, Parodieen und Vergleichſammlungen wiederum das Leben, das ganz er - ſtarren wollte, auf etliche Zeit gefriſtet.

Ich meinte, da ich durch ſein Prisma ſah in den ſchwarzen Streif, und alles ſah was er wollte, daß der Glaube die Geburt und ſichtliche Erſcheinung des Gei - ſtes ſei, und eine Befeſtigung ſeines Daſeins, denn ohne ihn ſchwebt alles und gewinnt keine Geſtalt, und ver - fliegt in tauſend Auswegen. So auch wenn ich zweifle und nicht glaube, ſo verfliegt mir auch dein ſchönes An - denken und ich habe Nichts.

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Um etwas bitte ich, Du darfſt mir's nicht abſchla - gen, man kann nämlich während der Lebzeit nicht ge - nug ſammeln der Dinge, die die Einſamkeit des Grabes verſüßen, als da ſind: Schleifen, Haarlocken der Ge - liebten ꝛc. ; meine Liebe zu Dir iſt zu groß, als daß ich Dir ein Haar krümmen möchte, viel weniger eins ab - ſchneiden, denn dein Haar gehört zu Dir, und Du biſt ein Ganzes, das meine Liebe ſich angeeignet hat, und will auch nicht ein Haar an Dir miſſen. Gieb mir dein Buch laſſe es ſchön einbinden in eine freund - liche Farbe, in Roth etwa, denn das iſt eine Farbe in der wir uns oft begegneten, und dann ſchreibe mit eig - ner Hand vorne herein: Bettine oder Schatz ꝛc. dies Buch ſchenk ich Dir.

Zwei Briefe erhielt ich von Dir über Dürrer's Bild - niß, Du mußt mir aber auch Nachricht geben, ob es unbeſchädigt angekommen und ob es Dir gefällt? ſag mir, was Du Lobenswerthes daran findeſt, damit ich's dem ſehr armen Maler wiederſagen kann. Ich128 habe jetzt noch obendrein gehäufte Correſpondenzen mit jungen Aufſchößlingen der Kunſt, einem jungen Bau - meiſter in Köln, ein Muſiker von 18 Jahren, der bei Winter Compoſition ſtudiert, reich an ſchönen Melo - dieen, wie ein ſilberner Schwan, der in hellblauer Luft mit ausgeſpannten Flügeln ſingt. Der Schwan hat einen verflixt bairiſchen Namen, er heißt Lindpaintner, doch ſagt Winter, er wird dieſen Namen zu Ehren brin - gen. Ein junger Kupferſtecher, der bei Heß in Mün - chen ſtudiert. Beiliegendes radirtes Blättchen iſt von ihm, es iſt der erſte Abdruck, noch verwiſcht und unzart, auch iſt das Ganze etwas düſter und nach dem Urtheil anderer zu alt, indeſſen ſcheint mir's nicht ganz ohne Verdienſt, er hat es ohne Zeichnung gleich nach der Na - tur auf's Kupfer gearbeitet; wenn Dir's gefällt, ſo ſchick ich ein reineres, beſſeres, mit mehr Sorgfalt gepackt, das kannſt Du an dein Bett an die Wand ſtecken. All dieſen Menſchen ſpreche ich nun in verſchiedner Art Troſt zu, und iſt mir eine angenehme Würde, als ihr kleines Orakel von ihnen berathen zu werden, ich lehre ſie nun ihre fünf Sinne verſtehen; wie das aller Dinge Weſen in ihnen fliegt und kriecht, wie Duft der Lüfte, wie Kraft der Erde, wie Drang der Wäſſer und Far - ben des Feuers in ihnen leben und arbeiten, wie die129 wahre Äſthetik im hellen Spiegel der Schöpfung liege, wie Reif, Thau und Nebel, Regenbogen, Wind, Schnee, Hagel, Donner und die drohenden Kometen, die Nord - ſcheine ꝛc. einen ganz andern Geiſt herbeiziehen. Der Gott, der den Winden Flügel anbindet, der wird ſie euerm Geiſt auch anbinden.

Merkſt Du denn nicht daß mein Datum immer zu - rück ſtatt vorwärts geht? ich habe mir nämlich eine Liſt ausgeſonnen; da die Zeit mich immer weiter trägt, und nie zu Dir, ſo will ich zurückgehen bis auf den Tag, wo ich bei Dir war, und dort will ich ſtehen blei - ben und will von dem: In Zukunft; und: Mit der Zeit; und: Bald, gar nichts mehr wiſſen, ſondern dem allen den Rücken kehren, ich will der Zukunft ein Schloß vor die Thür legen, und ſomit Dir auch den Weg ver - ſperren, daß Du nirgends als zu mir kannſt.

Schreib mir über die Muſik, damit ich ſie ſchicken kann, wenn Du ſie nicht haſt, ich ſchicke ſo gern etwas, dann bitte ich an die Frau meinen lieblichſten Gruß, des Sohns gedenke ich auch, Du aber ſchreib mir an einem hellen Tag; ich bilde mir immer ein, daß ich Dir6**130unter vielem das liebſte ſei. Als deine Mutter noch lebte, da konnte ich mich mit ihr drum beſprechen, die erklärte mir aus deinen paar flüchtigen Zeilen alles; ich kenne ja den Wolfgang, ſagte ſie, das hat er mit ſchwebendem Herzen geſchrieben, er hält Dich ſo ſicher in ſeinen Armen wie ſein beſtes Eigenthum. Da ſtreichelte mich dieſe Hand, die deine Kindheit gepflegt hatte, und ſie zeigte mir zuweilen noch manches aus dem ehmaligen Hausrath, wo Du dabei geweſen warſt. Das waren Lieblichkeiten.

Bettine.

Morgen geh ich wieder nach München, da werde ich den liebenswürdigen Präſidenten wiederſehen. In der diesjährigen öffentlichen Sitzung der Academie iſt eine ſehr ſchöne Abhandlung über die ehmalige Geſchichte des Salzweſens zu Reichenhall geleſen worden. Sie hatte das eigne Schickſal, jedermann zu ennuyren, wenn mein Brief dies Schickſal mit ihr theilt, ſo leſe ihn im - mer um des Zwangs, den ich mir angethan, auch von was anderm als meiner ewigen Liebe zu ſprechen.

131
Goethe an Bettine.

Wie könnte ich mich mit Dir, liebe Bettine, wollen in Wettſtreit einlaſſen, Du übertriffſt die Freunde mit Wort und That, mit Gefälligkeiten und Gaben, mit Liebe und Unterhaltung; das muß man ſich denn alſo gefallen laſſen, und Dir dagegen ſo viel Liebe zuſenden als möglich, und wenn es auch im Stillen wäre.

Deine Briefe ſind mir ſehr erfreulich, könnteſt Du ein heimlicher Beobachter ſein während ich ſie ſtudiere, Du würdeſt keineswegs zweifeln an der Macht, die ſie über mich üben; ſie erinnern mich an die Zeit, wo ich vielleicht ſo närriſch war wie Du, aber gewiß glücklicher und beſſer als jetzt.

Dein hinzugefügtes Bild ward gleich von deinen Freunden erkannt und gebührend begrüßt. Es iſt ſehr natürlich und kunſtreich, dabei ernſt und lieblich. Sage dem Künſtler etwas Freundliches darüber, und zugleich: er möge ja fortfahren ſich im Radieren nach der Natur zu üben, das Unmittelbare fühlt ſich gleich, daß er ſeine Kunſtmaximen dabei immer im Auge habe, verſteht ſich von ſelbſt. Ein ſolches Talent müßte ſogar lucrativ werden, es ſei nun daß der[Künſtler] in einer großen132 Stadt wohnte, oder darauf reiſte. In Paris hatte man ſchon etwas ähnliches. Veranlaſſe ihn doch, noch je - mand vorzunehmen, den ich kenne, und ſchreibe ſeinen Namen, vielleicht gelingt ihm nicht alles wie das inte - reſſante Bettinchen, fürwahr ſie ſitzt ſo treulich und herz - lich da, daß man dem etwas korpulenten Buche, das übrigens im Bilde recht gut komponirt, ſeine Stelle be - neiden muß. Das zerknillte Blättchen habe ich ſogleich aufgezogen, mit einem braunen Rahmen umſtrichen, und ſo ſteht es vor mir indem ich dies ſchreibe, ſende ja bald beſſere Abdrücke.

Albrecht Dürrer wäre ganz glücklich angekommen, wenn man nicht die unſelige Vorſicht gehabt hätte, fei - nes Papier oben auf zu packen, das denn im Kleide an einigen Stellen gerieben hat, die jetzt reſtaurirt werden. Die Kopie verdient alle Achtung, ſie iſt mit großem Fleiß und mit einer ernſten, redlichen Abſicht verfertigt, das Original möglichſt wieder zu geben. Sage dem Künſtler meinen Dank, Dir ſag ich ihn täglich, wenn ich das Bild erblicke; ich möchte von dieſem Pinſel wohl einmal ein Portrait nach der Natur ſehen.

Da ich das Wort Natur abermals niederſchreibe, ſo fühle ich mich gedrungen Dir zu ſagen: daß Du doch dein Naturevangelium, das Du den Künſtlern pre -133 digſt, in etwas bedingen möchteſt, denn wer ließe ſich nicht von ſo einer holden Pythoniſſe gern in jeden Irr - thum führen. Schreibe mir, ob Dir der Geiſt ſagt was ich meine. Ich bin am Ende des Blatts und nehme dies zum Vorwand, daß ich verſchweige was ich zu ſa - gen keinen Vorwand habe. Ich bitte Dich nur noch durch Überſendung Durantiſcher und Marcelliſcher Com - poſitionen abermals lieblich in meinem Hauſe zu ſpuken.

In dieſen Tagen ließ ſich eine Freundin melden, ich wollte ihr zuvorkommen, und glaubte wirklich Dir ent - gegen zu gehen, da ich die zweite Treppe im Elephan - ten erſtieg, aber es entwickelte ſich ein ganz ander Ge - ſicht aus der Reiſekaputze, doch iſt mir's ſeit dem ange - than, daß ich mich oft nach der Thür wende, in der Meinung, Du kommſt, meinen Irrthum zu berichtigen; durch eine baldige erſehnte Überraſchung würde ich mich auch noch der in meiner Familie altherkömmlichen pro - phetiſchen Gabe verſichert halten, und man würde ſich mit Zuverſicht auf ein ſo erfreuliches Ereigniß vorbe - reiten, wenn der böſe Dämon nicht grade eingeübt wär zuvörderſt dem Herzen ſeine tückiſchſten Streiche zu ſpie - len; und wie die zarteſten Blüthen oft noch mit Schnee gedeckt werden, ſo auch die lieblichſte Neigung in Kälte zu verwandeln, auf ſo was muß man denn immer ge -134 faßt ſein, und es iſt mir zum warnenden Merkzeichen, daß ich dem launigen April, obſchon im Scheiden be - griffen, deine erſte Erſcheinung verdanke.

Goethe.

An Goethe.

Ach, es iſt ſo ſchauerlich mit ſich allein ſein in man - cher Stunde! Ach, ſo mancher Gedanke bedarf des Tro - ſtes, den man doch Niemand ſagen kann, ſo manche Stimmung, die gradezu in's Ungeheure, Geſtaltloſe hin - zieht, will verwunden ſein. Hinaus in's Kalte, Freie, auf die höchſten Schneealpen, mitten in der Nacht, wo der Sturmwind einem anblies, wo man dem einzigen einengenden Gefühl der Furcht hart und keck entgegen träte, da könnte einem wohl werden, bilde ich mir ein.

Wenn dein Genius eine Sturmwolke an dem ho - hen, blauen Himmel hinträgt und ſie endlich von den breiten, mächtigen Schwingen niederſchmettern läßt in die volle Blüthe der Roſenzeit, das erregt nicht allge - meines Mitleid; mancher genießt den Zauber der Ver - wirrung, mancher löſt ſein eignes Begehren drinn auf, ein dritter (mit dieſem ich) ſenkt ſich neben die Roſe135 hin, ſo wie ſie vom Sturm gebrochen iſt, und erblaßt mit ihr und ſtirbt mit ihr, und wenn er dann wieder auflebt, ſo iſt er neu geboren in ſchönerer Jugend. Durch deinen Genius, Goethe. Dies ſag ich Dir von dem Eindruck jenes Buchs: die Wahlverwandtſchaften.

Eine helle Mondnacht hab ich durchwacht, um dein Buch zu leſen, das mir erſt vor wenig Tagen in die Hände kam. Du kannſt Dir denken daß in dieſer Nacht eine ganze Welt ſich durch meine Seele drängte. Ich fühle, daß man nur bei Dir Balſam für die Wunde holen kann, die Du ſchlägſt; denn als am andern Mor - gen dein Brief kam mit allen Zeichen deiner Güte, da wußte ich ja daß Du lebſt, und auch für mich; ich fühlte, daß mir der Sinn mehr geläutert war, mich dei - ner Liebe zu würdigen. Dies Buch iſt ein ſturmerregtes Meer, da die Wellen drohend an mein Herz ſchlagen, mich zu zermalmen. Dein Brief iſt das liebliche Ufer, wo ich lande, und alle Gefahr mit Ruhe, ja ſogar mit Wohlbehagen überſehe.

Du biſt in ſie verliebt, Goethe, es hat mir ſchon lange geahnt, jene Venus iſt dem brauſenden Meer dei - ner Leidenſchaft entſtiegen, und nachdem ſie eine Saat von Thränenperlen ausgeſäet, da verſchwindet ſie wie - der in überirdiſchem Glanz. Du biſt gewaltig, Du136 willſt, die ganze Welt ſoll mit Dir trauern, und ſie ge - horcht weinend deinem Wink. Aber ich, Goethe, hab auch ein Gelübde gethan; Du ſcheinſt mich frei zu ge - ben in deinem Verdruß, lauf hin, ſagſt Du zu mir und ſuch Dir Blumen, und dann verſchließſt Du Dich in die innerſte Wehmuth deiner Empfindung, ja, das will ich, Goethe! Das iſt mein Gelübde, ich will Blumen ſu - chen, heitere Gewinde ſollen deine Pforte ſchmücken, und wenn dein Fuß ſtrauchelt, ſo ſind es Kränze, die ich Dir auf die Schwelle gelegt, und wenn Du träumſt, ſo iſt es der Balſam magiſcher Blüthen, der Dich betäubt; Blumen einer fernen fremden Welt, wo ich nicht fremd bin wie hier, in dem Buch, wo ein gieriger Tieger das feine Gebild geiſtiger Liebe verſchlingt; ich verſtehe es nicht, dieſes grauſame Räthſel, ich begreife nicht, warum ſie alle ſich unglücklich machen, warum ſie alle einem tückiſchen Dämon mit ſtachelichem Scepter dienen; und Charlotte, die ihm täglich, ja ſtündlich Weihrauch ſtreut, die mit mathematiſcher Conſequenz das Unglück für alle vorbereitet. Iſt die Liebe nicht frei? ſind jene beiden nicht verwandt? warum will ſie es ihnen wehren dies unſchuldige Leben mit und neben einander? Zwil - linge ſind ſie; in einander verſchränkt reifen ſie der Ge - burt in's Licht entgegen, und ſie will dieſe Keime tren -137 nen, weil ſie nicht glauben kann an eine Unſchuld; das ungeheure Vorurtheil der Sünde impft ſie der Unſchuld ein, o, welche unſeelige Vorſicht!

Weißt Du was? keiner iſt vertraut mit der ideali - ſchen Liebe, jeder glaubt an die gemeine, und ſo pflegt, ſo gönnt man kein Glück, das aus jener höheren ent - ſpringt, oder durch ſie zum Ziel geführt könnte werden. Was ich je zu gewinnen denke! es ſei durch dieſe idea - liſche Liebe; ſie ſprengt alle Riegel in neue Welten der Kunſt und der Weiſſagung und der Poeſie; ja, natür - lich, ſo wie ſie in einem erhabeneren Sinn nur ſich be - friedigt fühlt, ſo kann ſie auch nur in einem erhabne - ren Element leben.

Hier fällt mir deine Mignon ein, wie ſie mit ver - bundenen Augen zwiſchen Eiern tanzt. Meine Liebe iſt geſchickt, verlaſſe Dich ganz auf ihren Inſtinkt, ſie wird auch blind dahin tanzen und wird keinen Fehltritt thun.

Du nimmſt Theil an meinen Zöglingen der Kunſt, das macht mir und ihnen viel Freude. Der junge Menſch, welcher mein Bildchen radirt hat, iſt aus einer Familie, deren jedes einzelne Mitglied mit großer Auf - merkſamkeit an deinem Beginnen hängt; ich hörte den beiden älteren Brüdern oft zu, wie ſie Pläne machten,138 Dich nur einmal von weitem zu ſehen; der eine hatte Dich aus dem Schauſpiel gehen ſehen, in einen großen grauen Mantel gehüllt, er erzählte es mir immer wie - der. Wie mir das ein doppelter Genuß war! denn ich war ja ſelbſt an jenem Regentag mit Dir im Schauſpiel geweſen, und dieſer Mantel ſchützte mich vor den Augen der Menge wie ich in deiner Loge war, und Du nannteſt mich Mäuschen, weil ich ſo heimlich ver - borgen aus ſeinen weiten Falten hervorlauſchte; ich ſaß im Dunkel, Du aber im Licht der Kerzen, Du mußteſt meine Liebe ahnen, ich konnte deine ſüße Freundlichkeit, die in allen Zügen, in jeder Bewegung verſchmolzen war, deutlich erkennen; ja, ich bin reich, der goldne Pactolus fließt durch meine Adern und ſetzt ſeine Schätze in meinem Herzen ab. Nun ſieh! ſolch ſüßer Ge - nuß von Ewigkeit zu Ewigkeit, warum iſt der den Lie - benden in deinen Roman nicht erlaubt? oder warum genügt er ihnen nicht? ja, es kann ſein daß ein an - der Geſchick noch zwiſchen uns tritt, ja, es muß ſein, da doch alle Menſchen handeln wollen, ſo werden ſie einen ſolchen Spielraum nicht unbenutzt laſſen; laß ſie gewähren, laß ſie ſäen und erndten, das iſt es nicht; die Schauer der Liebe, die tief empfundnen, werden einſt wieder auftauchen; die Seele liebt ja; was iſt es denn139 was im keimenden Saamen befruchtet wird? die tief verſchloßne, noch ungeborne Blüthe, dieſe, ihre Zu - kunft, wird erzeugt durch ſolche Schauer; die Seele aber iſt die verſchloßne Blüthe des Leibes, und wenn ſie aus ihm hervorbricht, dann werden jene Liebesſchauer in erhöhtem Gefühl mit hervorbrechen, ja, dieſe Liebe wird nichts anders ſein, als der Athem jenes zukünfti - gen himmliſchen Lebens, drum klopft uns auch das Herz und der Athem regiert das unbegreifliche Wonnegefühl; bald ſchöpft er mit tiefem Seufzer aus dem Abgrund der Seeligkeit, bald kann er mit Windesſchnelle kaum alles erfaſſen was ihn gewaltig durchſtrömt. Ja, ſo iſt es, lieber Goethe, ich empfinde jede Minute, in der ich deiner gedenke, daß ſie die Grenze des irdiſchen Lebens überſchreitet, und die tiefen Seufzer wechſeln unverſehen mit den raſchen Pulſen der Begeiſterung; ja, ſo iſt es, dieſe Schauer der Liebe ſind der Athem eines höheren Lebens, dem wir einſt angehören werden, und das uns in dieſen irdiſchen Beſeeligungen nur ſanft anbläſt.

Nun will ich wieder zu meinem jungen Künſtler zurückkehren, der einer der liebenswürdigſten Familien angehört, deren alle ſehr hoch begabten Mitglieder ſo jung ſchon jetzt weit über ihre Zeit hinausragen. Lud - wig Grimm, der Zeichner, machte ſchon vor zwei Jahren,140 da er noch gar wenig Übung hatte, aber viel ſtillen vergrabenen Sinn, ein Bildchen von mir; für mich hat es Bedeutung, es hat Wahrheit aber kein Geſchick für's äußere, wenig Menſchen finden es daher ähnlich; auch hat mich noch niemand über der Bibel eingeſchlafen ge - ſehen, im rothen Kleid in der kleinen gothiſchen Kapelle, mit den Grabſteinen und Inſchriften rund umher, ich eingeſchlafen über der Weisheit Salomonis. Laſſe es einrahmen als[Lichtſchirm], und denke dabei daß während er dein Abendlicht in ſtille Dämmerung verwandelt, ich träumend einer Hellung nachſpähe, die den feurigliebend - ſten der Könige erleuchtet.

Des jungen Künſtlers Charakter iſt übrigens ſo, daß das übrige Gute was Du für ihn ſagſt, nicht anwend - bar iſt; er iſt furchtſam, ich habe ihn mit Liſt erſt nach und nach zahm gemacht, ich gewann ihn dadurch, daß ich mit Luſt eben ſo Kind war wie er, wir hatten eine Katze mit der wir um die Wette ſpielten, in einer un - bewohnten Küche kochte ich ſelbſt das Nachteſſen wäh - rend alles beim Feuer ſtand, ſaß ich daneben auf einem Schemel und las; wie es der Zufall wollte, war ich ge - kleidet, gelagert, drappiert. Mit großem Enthuſias - mus für den günſtigen Zufall machte er Skizzen nach der Natur und litt nicht, daß ich auch nur eine Falte141 änderte, ſo brachten wir eine intereſſante kleine Samm - lung zuſammen wie ich gehe und ſtehe und liege; in die umliegende Gegend iſt er gereiſt wo ſchöne anzie - hende Geſichter ſind, er brachte allemal einen Schatz von radierten Blättchen mit, mit ſchöner Treue, für das ge - müthliche nachgeahmt; das einfache Evangelium was ich ihm predige iſt nichts anders als was dem Veilchen der laue Weſtwind zuflüſtert. Dadurch wird's nicht in Irrthümer geführt werden. Beiliegende radierte Blätt - chen nach der Natur werden Dich erfreuen.

Der Muſiker iſt mein Liebling, und bei dieſem könnte ich ſchon eher in meinen Kunſtpredigten über die Schnur gehauen haben, denn da hole ich weiter aus, und hier ſchenke ich Dir nichts; es geht nächſtens wieder über Dich her, Du mußt das überſtrömende unbegriffne Ahnungs - gefühl wunderbarer Kräfte und ihrer myſtiſchen Wir - kungen in Dich aufnehmen, nächſtens werde ich tiefer Athem holen und alles vor Dir ausſprechen. Sehr ſon - derbar iſt es, auch einen Architekten lernte ich früher ſchon kennen, der in deinen Wahlverwandtſchaften un - verkennbar erſcheint; er verdient es durch frühere enthu - ſiaſtiſche Liebe zu Dir. Er machte damals einen Plan zu einem ſehr wunderbaren Haus für Dich das auf ei -142 nem Felſen ſtand und mit vielen erznen Figuren Spring - brunnen und Säulen geziert war.

Wie viel hätte ich Dir noch zu ſagen auf ein herr - lich Wort aus deinem Brief, es wird ſich aber von ſelbſt beantworten oder ich bin nicht werth, daß Du ſo viel Herablaſſung an mich vergeudeſt. Oft möcht ich Dich anſehen um Dir Glück in die Augen zu tragen und wieder auch Glück daraus zu ſaugen, darum höre ich auch jetzt auf zu ſchreiben.

Bettine.

An Goethe.

Die Welt wird mir manchmal zu eng. Was mich drückt, es iſt der Waffenſtillſtand, der Friede mit allen ſchauerlichen Folgen mit aller verruchten Verrätherei der Politik. Die Gänſe die mit ihrem Geſchrei das Capitol einſt retteten laſſen ſich ihr Recht nicht ſtreitig machen, ſie allein führen das Wort.

Aber Du freundlicher Goethe! Sonnenſchein! Der auch mitten im Winter auf den beſchneiten Höhen liegt und in mein Zimmer guckt. Ich hab mir des Nach -143 bars Dach das Morgens von der Sonne beſchienen iſt als ein Zeichen von Dir geſetzt.

Ohne Dich wär ich vielleicht ſo traurig geworden als ein blindgeborner der von den Himmelslichtern kei - nen Begriff hat. Du klarer Brunnen in dem der Mond ſich ſpiegelt da man die Sterne mit hohler Hand zum trinken ſchöpft; Du Dichter, Freier der Natur der ihr Bild in der Bruſt, uns arme Sklavenkinder es anbeten lehrt.

Daß ich Dir ſchreibe iſt ſo ſonderbar als wenn eine Lippe zur andern ſpräche: höre ich habe Dir was zu ſagen, ja ich hole zu weit aus da ſich doch alles von ſelbſt verſteht, und was ſollte die andere Lippe darauf antworten? Im Bewußtſein meiner Liebe, meiner innig - ſten Verwandſchaft zu Dir ſchweigſt Du. Ach wie konnte doch Ottilie früher ſterben wollen? O ich frage Dich: iſt es nicht auch Buße, Glück zu tragen, Glück zu genießen? O Goethe, konnteſt Du keinen erſchaffen der ſie gerettet hätte? Du biſt herrlich aber grauſam daß Du dies Leben ſich ſelbſt vernichten läßt; nachdem nun einmal das Unglück herein gebrochen war, da mußteſt Du decken wie die Erde deckt und wie ſie neu über den Gräbern erblüht, ſo mußten höhere Ge - fühle und Geſinnungen aus dem Erlebten erblühen, und144 nicht durfte der unreife jünglinghafte Mann ſo entwur - zelt weggeſchleudert werden, und was hilft mich aller Geiſt und alles Gefühl in Ottiliens Tagebuch? nicht kindlich iſt's, daß ſie dem Geliebten verläßt und nicht von Ihm die Entfaltung ihres Geſchicks erwartet, nicht weiblich iſt's, daß ſie nicht blos ſein Geſchick berathet; und nicht mütterlich, da ſie ahnen muß die jungen Keime alle, deren Wurzeln mit den ihrigen verwebt ſind, daß ſie ihrer nicht achtet und alles mit ſich zu Grunde richtet.

Es giebt eine Grenze zwiſchen einem Reich was aus der Nothwendigkeit entſteht und jenem höheren was der freie Geiſt anbaut; in die Nothwendigkeit ſind wir geboren, wir finden uns zuerſt in ihr, aber zu jenem freien werden wir erhoben. Wie die Flügel den Vogel in die Lüfte tragen, der unbefiedert vorher in's Neſt ge - bannt war, ſo trägt jener Geiſt unſer Glück ſtolz und unabhängig in die Freiheit; hart an dieſe Grenze führſt Du deine Lieben, kein Wunder! wir alle die wir den - ken und lieben, harren an dieſer Grenze unſerer Erlöſung; ja die ganze Welt kommt mir vor wie am Strand ver - ſammelt und einer Überfahrt harrend, durch alle Vorur - theile böſe Begierden und Laſter hindurch zum Land da einer himmliſchen Freiheit gepflegt werde. Wir thunun -145unrecht zu glauben, dazu müſſe der Leib abgelegt wer - den, um in den Himmel zu kommen. Wahrhaftig! wie die ganze Natur von Ewigkeit zu Ewigkeit ſich vorbe - reitet, eben ſo bereitet ſich der Himmel vor, in ſich ſelb - ſten, in der Erkenntniß eines keimenden geiſtigen Lebens, dem man alle ſeine Kräfte widmet bis es ſich von ſelbſt in die Freiheit gebäre, dies iſt unſere Aufgabe unſre geiſtige Organiſation, es kommt drauf an daß ſie ſich belebe, daß der Geiſt Natur werde, damit dann wieder ein Geiſt ein weiſſagender ſich aus dieſer entfalte. Der Dichter (Du Goethe) muß zuerſt dies neue Leben ent - falten, er hebt die Schwingen und ſchwebt über den ſehnenden, und lockt ſie und zeigt ihnen wie man über dem Boden der Vorurtheile ſich erhalten könne; aber ach! deine Muſe iſt eine Sapho ſtatt dem Genius zu folgen hat ſie ſich hinabgeſtürzt.

Geſtern hab ich ſo weit geſchrieben, da hab ich mich in's Bett gelegt aus lauter Furcht, und wie ich alle Abend thue, daß ich im Denken an Dich zu deinen Füßen einſchlafe ſo wollte es mir geſtern nicht gelingen, ich mußte mich ſchämen daß ich ſo hoffärtig geſchwätztII. 7146habe, und alles iſt vielleicht doch nicht wie ich's meine. Am End iſt es die Eiferſucht die mich ſo aufbringt daß ich einen Weg ſuche wie ich Dich wieder an mich reiße und ihrer vergeſſen mache; nun prüfe mich, und wie es auch ſei, ſo vergeſſe nur meiner Liebe nicht, und ver - zeihe mir auch, daß ich Dir mein Tagebuch zuſchicke; am Rhein hab ich's geſchrieben, ich habe darin das Le - ben meiner Kinderjahre vor Dir ausgebreitet und Dir gezeigt wie unſer beider Wahlverwandtſchaft mich trieb, wie ein Bächlein eilend dahin zu rauſchen über Klippen und Felſen zwiſchen Dornen und Moſen bis dahin wo Du gewaltiger Strom mich verſchlingſt. Ja ich wollte dies Buch behalten bis ich endlich wieder bei Dir ſein würde, da wollte ich Morgens in deinen Augen ſehen was Du Abends drinn geleſen hatteſt; nun aber quält mich's daß Du mein Tagebuch an die Stelle von Otti - lien ihrem legeſt, und die lebende liebſt die bei Dir bleibt, mehr, wie jene die von Dir gegangen iſt.

Verbrenne meine Briefe nicht, zerreiße ſie nicht, es möchte Dir ſonſt ſelber weh thun, ſo feſt ſo wahrhaft lebendig häng ich mit Dir zuſammen, aber zeige ſie auch niemanden halt's verborgen wie eine geheime Schön - heit, meine Liebe ſteht Dir ſchön, Du biſt ſchön weil Du Dich geliebt fühlſt.

147

Über Nacht blüht oft ein Glück empor wie die tür - kiſche Bohne die am Abend gepflanzt bis zum Morgen hinaufwuchs und ſich in die Mondſichel einrankte; aber beim erſten Sonnenſtrahl verwelkt alles bis zur Wur - zel, ſo hat ſich heute Nacht mein Traum blühend zu Dir hinauf gerankt, und eben war's am ſchönſten, Du nannteſt mich dein Alles, da dämmerte der Morgen und der ſchöne Traum war verwelkt, wie die türkiſche Bohne an der man Nachts ſo bequem das Mondland erſtieg.

Ach ſchreibe mir bald, ich bin unruhig über alles was ich gewagt habe in dieſem Brief, ich ſchließe ihn um einen neuen anzufangen, ich könnte zwar zurück - halten was ich Dir über die Wahlverwandtſchaften ſagte, aber wär es recht dem Freund zu verſchweigen was im Labyrinth der Bruſt wandelt in der Nacht?

Bettine.

7*148
An Goethe.

Ach ich will dem Götzendienſt abſchwören! von Dir ſpreche ich nicht, denn welcher Prophet ſagt daß Du kein Gott ſeiſt?

Ich ſpreche von großem und kleinem was die Seele irrt. O wüßteſt Du was Dir zum Heile dient jetzt in den Tagen deiner Heimſuchung? Lucas XIX.

Ich hätte Dir vieles zu ſagen aber in meinem Her - zen zuckt es, und ſchmerzliche Gedanken thürmen ſich über einander.

Der Friede beſtätigt ſich. Im Augenblick der glor - reichſten Siege wo die Energie dieſes Volkes ſeinen Gi - pfel erreichte, mahnt Öſtreich die Waffen niederzulegen; was hat es für ein Recht dazu? Hat es nicht lange ſchon tükiſch furchtſam ſeine Sache von der der Tyro - ler getrennt? Da ſtehen die gekrönten Häupter um dieſen Edelſtein Tyrol, ſie ſchielen ihn an, und ſind alle von ſeinem reinen Feuer geblendet; aber ſie werfen ein Leichentuch drüber hin: ihre abgefeimte Politik! und nun entſcheiden ſie kaltblütig über ſein Loos. Wollt ich ſagen welche tiefe Wunden mir die Geſchichte dieſes149 Jahres geſchlagen, wer würde mich bemitleiden? Ach und wer bin ich daß ich meine Anklage meinen Fluch dürfte verlauten laſſen? Jeder hat das Recht ſich den höchſten Geſchicken zu vermählen dem es ſo raſt im Herzen wie mir, ach ich hab auch zu nichts mehr Luſt und Vertrauen; der kalte Winterwind der heute ſtürmt mit dem bin ich nicht im Wiederſpruch der belügt mich doch nicht. Vor ſechs Wochen waren noch ſchöne Tage wir machten eine Re[i]ſe in's Gebürg, wie wir uns dem Kettenwerk der felſigen Alpen näherten, das hat mäch - tig in mir gearbeitet, die Aſche fiel vom Herzen es ſtrömte Frühlingsgluth in den matten Schein der Herbſt - ſonne. Es war herrlich unter den Tannen und Fichten auf der Hochalme, ſie neigten im Windesrauſchen ihre Wipfel zu einander; war ich ein Kätzchen, in ihrem Schatten hätte mich des Kaiſers Majeſtät nicht geblen - det. Hier lag ich am jähen Abhang, und überſchaute das enge Thal, dem verkuppelt mit Bergen hierogly - phiſche Felswände entſtiegen. Ich war allein auf ſteil - ſter Höhe und überſah unzählige Schluchten, die ge - fühlvollen Entzückungsprediger waren zurückgeblieben es war für ſie zu ſteil. Wären wir beide doch dort beiſammen im Sommer, und ſtiegen Hand in Hand be - dachtſam, langſam, einſam den gefahrſamen Pfad hinab,150 das waren ſo meine heilige Gedanken da oben; wärſt Du dabei geweſen wir hätten noch anderes bedacht. Ein Kranz kühlt und ſteht ſchön zu erhitzten Wangen; was willſt Du? Tannen ſtechen, Eichen wollen ſich nicht geſchmeidig biegen, Ulme ſind die Zweige zu hoch, Pappel ſchmückt nicht, und der Baum der Dein iſt, der iſt nicht hier. Das hab ich oft geſagt der mein iſt, der iſt nicht hier, Du biſt mein Du biſt aber nicht hier.

Es könnte ſich auch fügen, daß nach deiner pro - phetiſchen Viſion in kurzer Zeit mein Weg mich mit Dir zuſammen führte, ich bedarf dieſer Entſchädigung für die böſe Zeit die ich ohne Dich verlebte.

Eine ausgezeichnete Klaſſe von Menſchen, worun - ter herrliche Leute waren ſind die Mediziner, da die Krankheiten ſo ſchrecklich durch den Krieg in Aufruhr kamen, wurden die meiſten ein Opfer ihrer Thätigkeit, da merkt man denn erſt wie viel einer werth war, wenn er nicht mehr lebt. Der Tod treibt zur Unzeit die Kno - ſpen in die Blüthe.

Beiliegende Zeichnung iſt das Portrait von Tiede - mann, eines hieſigen Profeſſors der Medizin, er intereſ - ſirt ſich ſo ſehr für die Fiſche, daß er ein ſchönes Werk über die Fiſchherzen ſchrieb, mit gar guten Kupfern ver - ſehen; da Du nun in deinen Wahlverwandtſchaften ge -151 zeigt, daß Du Herz und Nieren genau prüfſt, ſo wer - den Dir Fiſchherzen auch intereſſant ſein, und vielleicht entdeckſt Du, daß deine Charlotte das Herz eines Weis - fiſches hat; mit nächſtem wo ich noch manches andre überſende werd ich's mit ſchicken. Die Zeichnung achte nicht gering, lernſt Du den Mann einmal kennen, ſo wirſt Du ſehen daß er ſeinem Spiegel Ehre macht.

Um wieder auf etwas bitteres zu kommen, die Me - line mit den ſchönen Augenwimpern von der Du ſag - teſt ſie gleiche einer Roſe die der Thau eben aus tiefen Schlaf geweckt, die heirathet einen Mann von dem die allgemeine Sage geht er ſei ein ganz vortrefflicher Menſch. O wie iſt das traurig, Sklave der Vortrefflichkeit ſein, da bringt man es nicht weiter wie Charlotte es gebracht hat, man ketzert ſich und andre mit der Tugend ab. Verzeih nur daß ich immer wieder von deinem Buch anfange ich ſollte lieber ſchweigen, da ich nicht Geiſt ge - nug habe es ganz zu faſſen.

Seltſam iſt es, daß während die Wirklichkeit mich ſo gewaltig aufregt, ſchlägt mich die Dichtung ſo ge - waltig nieder. Die ſchwarzen Augen die groß ſind und etwas weit offen, aber ganz erfüllt voll Freundlichkeit wenn ſie mich anſehen, der Mund von deſſen Lippen Lieder fließen, die ich ſchließen kann mit einem Siegel,152 die dann viel ſchöner ſingen, ſüßer und wärmer plau - dern als vorher, und die Bruſt, an die ich mich verber - gen kann, wenn ich zu viel geſchwätzt habe, die werd ich doch nie mißverſtehen, die werden mir nie fremd ſein. Gute Nacht hierüber.

Beiliegende Kupfer ſind von unſerm Grimm, die beiden Bubenköpfchen machte er nur flüchtig auf einer Reiſe nach dem Staremberger See, die Zeichnung davon iſt noch beſſer, ſie iſt mit ſammt der Gegend, die Bu - ben, der braune auf einer Bank in der Sonne ſitzend, der blonde auf die Brunnenmauer gelehnt, alles ganz lieblich nach der Natur. Das Mädchen iſt ein früherer Verſuch ſeiner Nadel, dein Lob hat ihm großen Eifer gegeben, ſein Lehrer iſt der Kupferſtecher Heß, dem ich manchmal mit ſtillem Staunen bei ſeinen großen ern - ſten Arbeiten zuſehe.

Marcello's Pſalmen werden hier in Landshut zu ſchlecht abgeſchrieben, es iſt alter Kirchenſtyl, ich muß Geduld haben bis ich einen Abſchreiber finde.

Lebe wohl, alles grüße herzlich von mir was dein iſt.

Meine Adreſſe iſt in Graf Jomers Hauſe in Lands - hut.

Bettine.

153
An Goethe.

Ich habe meine Thüre verriegelt, und um doch nicht ſo ganz allein zu ſein mit meinem Mißmuth, ſucht ich deine Eugenie; ſie hatte ſich ganz in den hinterſten Winkel des Bücherſchranks verſteckt, mir ahnete ein Troſt, ein himmliſcher Gedanke werde mich drinn an - wehen, ich habe ſie eingeſogen wie Blumenduft, unter drückenden Wolken bin ich gelaſſen unermüdet vorwärts geſchritten bis zum einſamen Ziel, wo keiner gern weilt, weil da die vier Winde zuſammenſtoßen und den ar - men Menſchen nicht jagen, aber feſt in ihrer Mitte hal - ten; ja, wen das Unglück recht anbrauſt, den treibt's nicht hin und her, es verſteinert ihn wie Niobe.

Da nun das Buch geleſen iſt, verzieht ſich der dichte Erdennebel, und nun muß ich mit Dir reden. Ich bin oft unglücklich und weiß nicht warum, heute meine ich nun es komme daher, weil ich dem Boten deinen Brief abzunehmen glaubte, und es war ein an - derer, nun klopfte mir das Herz ſo gewaltig, und dann war's nichts. Als ich herein kam, fragten alle, warum ſiehſt Du ſo blaß aus? und ich reichte meinen Brief hin und fiel ganz matt auf einen Seſſel, man glaubte Wunder was er enthalte, es war eine alte Rechnung7**154von 4 Fl. von dem alten Maler Robert aus Kaſſel, bei dem ich nichts gelernt habe; ſie lachten mich alle aus, ich kann aber doch nicht lachen, denn ich hab ein bös Gewiſſen, ich weiß ja wenig was Geiſt, Seele und Herz für Prozeſſe mit einander führen, warum hab ich Dir denn allerlei geſchrieben was ich nicht verantwor - ten kann? Du biſt nicht böſe auf mich, wie könnte mein unmündig Geſchwätz Dich beleidigen, aber Du antwor - teſt nicht, weil ich ja doch nicht verſtehe was Du ſagen könnteſt, und ſo hat mich mein Aberwitz um mein Glück gebracht, und wer weiß wann Du wieder einlenkſt. Ach, Glück! du läßt dich nicht meiſtern und nicht bil - den, wo du erſcheinſt, da biſt du immer eigenthümlich, und vernichteſt durch deine Unſchuld alles planmäßige, alle Berechnung auf die Zukunft.

Unglück iſt vielleicht die geheime Organiſation des Glückes, ein flüſſiger Demant, der zum Kryſtall an - ſch[l]ießt, eine Krankheit der Sehnſucht, die zur Perle wird. O ſchreib mir bald.

Bettine.

155
Goethe an Bettine.

Das iſt ein liebes, feines Kind, liſtig wie ein Füchs - chen, mit einer Glücksbombe fährſt Du mir in's Haus, in der Du deine Anſprüche und gerechte Klagen ver - ſteckſt. Das ſchmettert einem denn auch ſo nieder, daß man gar nicht daran denkt ſich zu rechtfertigen. Die Weſte, innen von weichem Sammt, außen glatte Seide, iſt nun mein Bußgewand, je behaglicher mir unter die - ſem wohlgeeigneten Bruſtlatz wird, je bedrängter iſt mein Gewiſſen, und wie ich gar nach zwei Tagen zu - fällig in die Weſtentaſche fahre und da das Regiſter meiner Sünden herausziehe, ſo bin ich denn auch gleich entſchloſſen, keine Entſchuldigungen für mein langes Schweigen aufzuſuchen. Dir ſelbſt aber mache ich es zur Aufgabe, mein Schweigen bei deinen ſo überraſchen - den Mittheilungen auf eine gefällige Weiſe auszulegen, die deiner nie verſiegenden Liebe, deiner Treue für ge - genwärtiges und vergangenes auf verwandte Weiſe ent - ſpricht. Über die Wahlverwandtſchaften nur dies: der Dichter war bei der Entwickelung dieſer herben Geſchicke tief bewegt, er hat ſein Theil Schmerzen getragen, ſchmäle daher nicht mit ihm, daß er auch die Freunde zur Theilnahme auffordert. Da nun ſo manches trau -156 rige unbeklagt den Tod der Vergangenheit ſtirbt, ſo hat ſich der Dichter hier die Aufgabe gemacht, in die - ſem einen erfundnen Geſchick, wie in einer Grabesurne, die Thränen für manches verſäumte zu ſammeln. Deine tiefen, aus dem Geiſt und der Wahrheit entſpringende Anſichten gehören jedoch zu den ſchönſten Opfern, die mich erfreuen, aber niemals ſtören können, ich bitte da - her recht ſehr, mit gewiſſenhafter Treue dergleichen dem Papier zu vertrauen, und nicht allenfalls in Wind zu ſchlagen wie bei deinem geiſtigen Commers und Über - fluß an Gedanken leichtlich zu befahren iſt. Lebe wohl und laſſe bald wieder von Dir hören.

Goethe.

Meine Frau mag Dir ſelbſt ſchreiben wie verlegen ſie um ein Maskenkleid geweſen, und wie erfreut ſie bei Eröffnung der Schachtel war, es hat feinen herr - lichen Effekt gethan. Über der lieben Meline Heirath ſage ich nichts, es macht einem nie wohl, wenn ein ſo ſchönes Kind ſich weggiebt, und der Glückwunſch, den man da anbringt, drückt einem nur auf dem Herzen.

157
An Goethe.

Fahre fort ſo liebreich mit mir zu ſein, packe ſelbſt zuſammen was Du mir ſchickſt, mache ſelbſt die Adreſſe auf's Paket, das alles freut mich, und dein Brief, der allen Schaden vergütet, ja meine eignen Schwächen ſo ſanft ſtützt, mich mir ſelbſt wiedergiebt, indem er ſich meiner annimmt.

Nun ich bin angeblaſen von allen Launen, ich drücke die Augen zu und brumme, um nichts zu ſehen und zu hören, keine Welt, keine Einſamkeit, keinen Freund, keinen Feind, keinen Gott und endlich auch keinen Himmel.

Den Hofer haben ſie in einer Sennhütte auf den Paſſeyrer Bergen gefangen, dieſe ganze Zeit bin ich die - ſem Helden mit Gebet heimlich nachgegangen, geſtern erhalt ich einen Brief mit einem gedruckten Tyroler Klagelied: Der Commandant der Heldenſchaar, auf hoher Alp gefangen gar, findet viel Thränen in unſe - ren Herzen. Ach, dieſer iſt nicht unbeweint von mir, aber die Zeit iſt eiſern und macht jede Klage zu Schan - den, ſo muß man auch das ärgſte fürchten, obſchon es unmöglich iſt. Nein, es iſt nicht möglich, daß ſie die -158 ſem ſanften Helden ein Haar krümmen, der da für alle Aufopferung, die er und ſein Land umſonſt gemacht hatten, keine andre Rache nahm, als daß er in einem Brief an Speckbacher ſchrieb: deine glorreichen Siege ſind alle umſonſt, Öſtreich hat mit Frankreich Friede ge - ſchloſſen und Tyrol vergeſſen.

In meinem Ofen ſauſt und brauſt der Wind und treibt die Gluth in Flammen, und brennt die alten bai - riſchen Tannen recht zu Aſche zuſammen, dabei hab ich denn meine Unterhaltung wie es kracht und rumpelt, und ſtudiere zugleich Marpurg's Fugen, dabei thut mir denn gar wohl, daß das Warum nie beantwortet wer - den kann, daß man unmittelbare Herrſchaft des Füh - rers (Dux) annehmen muß, und daß der Gefährte ſich anſchmiegt, ach, wie ich mich gern an Dich anſchmiegen möchte; weſentlich möchte ich eben ſo Dir ſein, ohne viel Lärm zu machen, alle Lebenswege ſollten aus Dir hervorgehen und ſich wieder in Dir ſchließen, und das wäre eine echte, ſtrenge Fuge, wo dem Gefühl keine Forderung unbeantwortet bleibt, und wo ſich der Phi - loſoph nicht hineinmiſchen kann.

Ich will Dir beichten, will Dir alle meine Sünden aufrichtig geſtehen, erſt die, an welchen Du zum Theil Schuld haſt und die Du auch mitbüßen mußt, dann159 die, ſo mich am meiſten drücken, und endlich jene, an denen ich ſogar Freude habe.

Erſtens: ſage ich Dir zu oft, daß ich Dich liebe, ja ich weiß gar nichts anders, wenn ich's hin - und her - wende, es kömmt ſonſt nichts heraus.

Zweitens: beneide ich alle deine Freunde, die Ge - ſpielen deiner Jugend und die Sonne, die in dein Zim - mer ſcheint, und deine Diener, vorab deinen Gärtner, der unter deinem Commando Spargelbeete anlegt.

Drittens: gönne ich Dir keine Luſt, weil ich nicht dabei bin, wenn einer Dich geſehen hat, von deiner Hei - terkeit und Anmuth ſpricht, das iſt mir eben kein be - ſonder Vergnügen; wenn er aber ſagt, Du ſeiſt ernſt, kalt und zurückhaltend ꝛc. geweſen, das iſt mir recht lieb.

Viertens: vernachläſſige ich alle Menſchen um dei - netwillen, es gilt mir keiner etwas, aus ihrer Liebe mache ich mir gar nichts; ja, wer mich lobt, der miß - fällt mir, das iſt Eiferſucht auf mich und Dich und eben kein Beweis von einem großen Herzen, und iſt eine elende Natur, die auf einer Seite ausdürrt, wenn ſie auf der andern blühen will.

Fünftens: hab ich eine große Neigung die Welt zu verachten, beſonders in denen, ſo Dich loben, alles was gutes über Dich geſagt wird, kann ich nicht hören, nur160 wenige einfache Menſchen, denen kann ich's erlauben, daß ſie über Dich ſprechen, und das braucht nicht grade Lob zu ſein, nein, man kann ſich ein bischen über Dich luſtig machen, und da kann ich Dir ſagen, daß ſich ein unbarmherziger Muthwille in mir regt, wenn ich die Sclavenketten ein bischen abwerfen kann.

Sechſtens: hab ich einen tiefen Unwillen in der Seele, daß Du es nicht biſt mit dem ich unter einem Dach wohne und dieſelbe Luft einathme, ich fürchte mich in der Nähe fremder Menſchen zu ſein, in der Kirche ſuche ich mir einen Platz auf der Bank der Bettler, weil die am neutralſten ſind, je vornehmer die Menſchen, je ſtärker iſt mein Widerwillen; angerührt zu werden, macht mich zornig, krank und unglücklich; ſo kann ich's auch in Geſellſchaften auf Bällen nie lange aushalten, tan - zen mag ich gern, wenn ich allein tanzen könnte, auf einem freien Platz, wo mich der Athem, der aus fremder Bruſt kömmt, nicht berührte. Was könnte das für ei - nen Einfluß auf die Seele haben, nur neben dem Freund zu leben? um ſo ſchmerzlicher der Kampf gegen das was geiſtig und leiblich ewig fremd bleiben muß.

Siebentens: wenn ich in Geſellſchaft ſoll vorleſen hören, ſetze ich mich in eine Ecke und halte die Ohren heimlich zu, oder ich verliere mich über dem erſten beſten161 Wort ganz in Gedanken, wenn denn einer etwas nicht verſteht, ſo erwache ich aus einer andern Welt und maße mir an die Erklärung darüber zu geben, und was andre für Wahnwitz halten, das iſt mir verſtändlich und hängt zuſammen mit einem innern Wiſſen, das ich nicht von mir geben kann. Von Dir kann ich durch - aus nichts leſen hören, noch ſelbſt vorleſen, ich muß mit mir und Dir allein ſein.

Achtens: kann ich gegen Niemand fremd oder vor - nehm bleiben, wenn ich im mindeſten unbequem bin, ſo werde ich ganz dumm, denn es ſcheint mir ungeheuer dumm, einander was weis zu machen. Auch daß ſich der Reſpekt mehr in etwas erlerntem, als in etwas ge - fühltem äußert, ich meine, daß Ehrfurcht nur aus Ge - fühl der inneren Würde entſpringen müſſe. Dabei fällt mir ein, daß nahe bei München ein Dorf liegt, was Kultersheim heißt, auf einem Spaziergang dahin er - klärte man mir, daß dieſer Name von Kultursheim her - rühre, weil man da dem Bauernſtand eine höhere Bil - dung zu geben beabſichtigt habe; das ganze hat ſich jedoch auf den alten Fuß geſetzt, und dieſe gute Bauern, die dem ganzen Land mit ſchönem Beiſpiel voranſchrei - ten ſollten, ſitzen bei der Bierkanne und zechen um die Wette, das Schulhaus iſt ſehr groß und hat keine runde,162 ſondern lauter viereckige Scheiben, doch liebt der Schul - meiſter die Dämmerung; er ſaß hinter dem Ofen, hatte ein blaues Schnupftuch über dem Kopf hängen, um ſich vor den Fliegen zu ſchützen, die lange Pfeife war ihm entfallen, und er ſchlief und ſchnarchte daß es wieder - hallte; die Schreibbücher lagen alle aufgehäuft vor ihm, um Vorſchriften im Schönſchreiben zu machen; ich malte einen Storch, der auf ſeinem Neſte ſteht, und ſchrieb darunter:

Ihr Kind lernt bauen Euer Neſt, mit eigner Hand auf's allerbeſt. Die Tanne in dem Walde ſtolz, die fällt zu Euerm Zimmerholz. Und dann, wenn alle Wände ſtehn, müßt Ihr Euch nach 'ner Eich umſehn; daraus Ihr ſchnitzelt Bank und Tiſch, worauf Ihr ſpeiſt gebrat - nen Fiſch. Das beſt Holz nehmt zu Bett und Wiegen für Frau und Kind, die Ihr werd't kriegen, und lernt benützen Gottes Seegen, bei Sonnenſchein und auch bei Regen. Dann ſteht Ihr ſtolz auf eignem Hort, wie der Storch auf ſeinem Neſte dort. Der möge ſtets bei Euch einkehren, um böſes Schickſal abzuwehren. Dann lernt noch ſchreiben Euern Namen, unter gerechte Sach, ich ſage Amen. Das iſt das echte Kultursheim, wor - auf ich machte dieſen Reim.

Ich flirrte jeden Augenblick zur Thür hinaus, aus163 Angſt, der Schulmeiſter möge aufwachen, draußen machte ich meinen Reim und ſchlich wieder auf den Zehen herbei, um ihn mit einer einſeitigen Feder, die wahrſcheinlich mit dem Brodkneip zugeſchnitten war, aufzuſchreiben, zuletzt nahm ich das blaue Band von meinem Strohhut und machte eine ſchöne Schleife um das Buch, damit er's doch ſehen möge, denn ſonſt hätte dies ſchöne Gedicht leicht unter dem Wuſt der Schreib - bücher verloren gehen können. Vor der Thür ſaß Ru - mohr, mein Begleiter, und hatte unterdeſſen eine Schüſ - ſel mit ſaurer Milch ausgeſpeiſt, ich wollte nichts eſſen und auch mich nicht mehr aufhalten, aus Furcht, der Schulmeiſter könne aufwachen, unterwegs ſprach Ru - mohr ſehr ſchön über den Bauernſtand, über ihre Be - dürfniſſe und wie das Wohl des Staats von dem ih - rigen abhinge, und wie man ihnen keine Kenntniſſe auf - zwingen müſſe, die ſie nicht ſelbſt in ihrem Beruf un - mittelbar benützen könnten, und daß man ſie zu freien Menſchen bilden müſſe, das heißt: zu Leuten, die ſich alles ſelbſt verſchaffen was ſie brauchen. Dann ſprach er auch über ihre Religion, und da hat er etwas ſehr ſchönes geſagt, er meinte nämlich, jedem Stand müſſe das als Religion gelten, was ſein höchſter Beruf ſei, des Bauern Beruf ſei, das ganze Land vor Hungers -164 noth zu ſchützen, hierin müſſe ihm ſeine Wichtigkeit für den Staat, ſeine Verpflichtungen für denſelben begreif - lich gemacht werden, es müſſe ihm an's Herz gelegt werden, welchen großen Einfluß er auf das Wohl des Ganzen habe, und ſo müſſe er auch mit Ehrfurcht be - handelt werden, daraus werde die Selbſtachtung entſte - hen, die doch eigentlich jedem Menſchen mehr gelte wie jeder andre Vortheil, und ſo würden die Opfer, die das Schickſal fordert, ungezwungen gebracht werden, wie die Mutter, die ihr eignes Kind nährt, auch demſelben mit Freuden ihr letztes aufopfert; ſo würde das unmit - telbare Gefühl dem Wohl des Ganzen weſentlich zu ſein, gewiß jedes Opfer bringen, um ſich dieſe Würde zu erhalten; keine Revolutionen würden dann mehr ent - ſtehen, denn der gewitzigte Staatsgeiſt in allen würde jeder gerechten Forderung vorgreifen, und das würde eine Religion ſein, die jeder begreife und wo das ganze Tagewerk ein fortwährendes Gebet ſei, denn alles was nicht in dieſem Sinn geſchehe, das ſei Sünde; er ſagte dies noch viel ſchöner und wahrer, ich bin nur dieſer Weisheit nicht gewachſen und kann es nicht ſo wieder geben.

So bin ich denn auf einmal von meiner Beichte abgekommen, ich wollte Dir noch manches ſagen was165 man ſündlich finden dürfte, wie daß ich dein Gewand lieber habe wie meinen Nebenmenſchen, daß ich die Stiege küſſen möchte, auf der deine Füße auf - und nie - derſteigen ꝛc. Dies könnte man Abgötterei nennen, oder iſt es ſo, daß der Gott, der Dich belebt, auch an jeder Wand deines Hauſes hinſchwebt? daß, wenn er in deinen Mund und Augen ſpielt, er auch unter dei - nen Füßen hingleitet und ſelbſt in den Falten deines Gewandes ſich gefällt, daß, wenn er ſich im Masken - zug in alle bunten Geſtalten verwandelt, er wohl auch im Papier, in welches Du den Maskenzug einpackſt, verborgen ſein kann? alſo, wenn ich's Papier küſſe, ſo iſt es das geliebte in Dir, das ſich mir zu Lieb auf die Poſt ſchicken ließ.

Adieu! behalte dein Kind lieb in trüben wie in hel - len Tagen, da ich ewig und ganz dein bin.

Bettine.

Du haſt mein Tagebuch erhalten, aber lieſt Du auch darin, und wie gefällt Dir's?

166
An Bettine.

Liebe Bettine, ich habe mich ſchon wieder eines Ver - ſehens an Dir ſchuldig gemacht, daß ich Dir nicht den Empfang deines Tagebuchs angezeigt habe, Du mußt glauben, daß ich einen ſo ſchönen Geſchenkes nicht wür - dig bin, indeſſen kann ich Dir nicht mit Worten ſchil - dern, was ich darauf zu erwiedern habe. Du biſt ein einziges Kind, dem ich mit Freuden jede Erheiterung, jeden lichten Blick in ein geiſtiges Leben verdanke, deſ - ſen ich ohne Dich vielleicht nie wieder genoſſen haben würde; es bleibt bei mir verwahrt, an einem Ort, wo ich alle deine lieben Briefe zur Hand habe, die ſo viel Schönes enthalten, wofür ich Dir niemals genug dan - ken kann, nur das ſage ich Dir noch, daß ich keinen Tag vergehen laſſe ohne drinnen zu blättern. An mei - nem Fenſter wachſen wohl gepflegt eine Auswahl zier - licher ausländiſcher Pflanzen; jede neue Blume und Knoſpe, die mich am frühen Morgen empfängt, wird abgeſchnitten und nach indiſchem Gebrauch als Opfer - gras in dein liebes Buch eingeſtreut. Alles was Du ſchreibſt, iſt mir eine Geſundheitsquelle, deren kryſtallne167 Tropfen mir Wohlſein geben, erhalte mir dieſe Erquik - kung, auf die ich meinen Verlaß habe.

Goethe.

An Goethe.

Ach, lieber Goethe! deine Zeilen kamen mir zu rechter Stunde, da ich eben nicht wußte wohin mit al - ler Verzweiflung; zum erſtenmal hab ich die Weltbege - benheiten verfolgt mit großer Treue für die Helden, die ihr Heiligthum verfochten; dem Hofer war ich nachge - gangen auf jeder Spur, wie oft hat er nach des Tages Laſt und Hitze ſich in der ſpäten Nacht noch in die ein - ſamen Berge verborgen und mit ſeinem reinen Gewiſſen berathſchlagt, und dieſer Mann, deſſen Seele frei von böſen Fehlen, offen vor jedem lag, als ein Beiſpiel von Unſchuld und Heldenthum, hat nun endlich am 20. Fe - bruar zur Beſtätigung ſeines großen Schickſals den Tod erlitten; wie konnt es anders kommen, ſollte er die Schmach mittragen? das konnt nicht ſein, ſo hat es Gott am beſten gemacht, daß er nach kurzer Pauſe, ſeit dieſer verklärenden Vaterlandsbegeiſterung, mit großer Kraft und Selbſtbewußtſein, und nicht gegen ſein Schick -168 ſal klagend, ſeinem armen Vaterland auf ewig entriſſen ward. Vierzehn Tage lag er gefangen in dem Kerker bei Porta Molina, mit vielen andern Tyrolern. Sein Todesurtheil vernahm er gelaſſen und unerſchüttert; Abſchied ließ man ihn von ſeinen geliebten Landsleuten nicht nehmen, den Jammer und das Heulen der einge - ſperrten Tyroler übertönte die Trommel, er ſchickte ih - nen durch den Prieſter ſein letztes Geld, und ließ ihnen ſagen: er gehe getroſt in den Tod und erwarte, daß ihr Gebet ihn hinüber begleite. Als er an ihren Kerkerthüren vorbeiſchritt, lagen ſie alle auf den Knieen, beteten und weinten; auf dem Richtplatz ſagte er: er ſtehe vor dem, der ihn erſchaffen, und ſtehend wolle er ihm ſeinen Geiſt übergeben; ein Geldſtück, was unter ſeiner Adminiſtration geprägt war, übergab er dem Cor - poral, mit dem Bedeuten: es ſolle Zeugniß geben, daß er ſich noch in der letzten Stunde an ſein armes Vaterland mit allen Banden der Treue gefeſſelt fühle. Dann rief er: Gebt Feuer! ſie ſchoſſen ſchlecht, zweimal nach einander gaben ſie Feuer, erſt zum dritten Mal machte der Corporal, der die Exe - cution leitete, mit dem dreizehnten Schuß ſeinem Leben ein Ende.

Ich muß meinen Brief ſchließen, was könnte ichDir169Dir noch ſchreiben? die ganze Welt hat ihre Farbe für mich verloren. Ein großer Mann ſei Napoleon, ſo ſa - gen hier alle Leute, ja äußerlich, aber dieſer äußern Größe opfert er alles was ſeine unplanetariſche Lauf - bahn durchkreuzt. Unſer Hofer, innerlich groß, ein hei - liger deutſcher Charakter, wenn Napoleon ihn geſchützt hätte dann wollt ich ihn auch groß nennen. Und der Kaiſer, konnte der nicht ſagen, gieb mir meinen Tyroler Helden ſo geb ich Dir meine Tochter, ſo hätte die Ge - ſchichte groß genennt was jetzt ſie klein nennen muß.

Adieu! daß Du mein Tagebuch zum Tempel einer indiſchen Gottheit erhebſt iſt Prädeſtination. Von jenen lichten Waldungen des Äthers, von Sonnenwohnungen, vom vielgeſtaltigen Dunkel und einer bildloſen Klarheit in der die tiefe Seele lebt und athmet, habe ich oft ſchon geträumt.

An Rumohr konnt ich deinen Gruß nicht beſtellen, ich weiß nicht nach welcher Seite er mit dem Winde davon geſtoben iſt.

II. 8170
An Bettine.

Liebe Bettine es iſt mir ein unerläßlich Bedürfniß deiner patriotiſchen Trauer ein paar Worte der Theil - nahme zuzurufen, und Dir zu bekennen wie ſehr ich mich von deinen Geſinnungen mit ergriffen fühle. Laſſe Dir nur das Leben mit ſeinen eigenſinnigen Wendun - gen nicht allzuſehr verleiden. Durch ſolche Ereigniſſe ſich durch zu kämpfen iſt freilich ſchwer, beſonders mit einem Charakter der ſo viel Anſprüche und Hoffnungen auf ein idealiſches Daſein hat wie Du. Indem ich nun deinen letzten Brief zu den andern lege ſo finde ich abermals mit dieſem eine intereſſante Epoche abge - ſchloſſen. Durch einen lieblichen Irrgarten zwiſchen phi - loſophiſchen, hiſtoriſchen und muſikaliſchen Anſichten haſt Du mich zu dem Tempel des Mars geleitet und überall behauptet ſich deine geſunde Energie, habe den herzlich - ſten Dank dafür, und laſſe mich noch ferner der Einge - weihte deiner innern Welt ſein, und ſei gewiß daß die Treue und Liebe die Dir dafür gebührt, Dir im Stillen gezollt wird.

Goethe.

171
An Goethe.

Lieber Goethe! viel tauſend Dank für deine zehn Zeilen, in denen Du Dich tröſtend zu mir neigſt, ſo mag denn dieſe Periode abgeſchloſſen ſein; dieſes Jahr von 1809 hat mich ſehr turbirt; nun ſind wir an einem Wendepunkt: in wenig Tagen verlaſſen wir Landshut und gehen über und durch manche Orte, die ich Dir nicht zu nennen weiß. Die Studenten packen eben Savig - ny's Bibliothek ein, man klebt Nummern und Zettel an die Bücher legt ſie in Ordnung in Kiſten, läßt ſie an einem Flaſchenzug durch's Fenſter hinab wo ſie un - ten von den Studenten mit einem lauten Halt empfan - gen werden, alles iſt Luſt und Leben, obſchon man ſehr betrübt iſt den geliebten Lehrer zu verlieren; Savigny mag ſo gelehrt ſein wie er will, ſo übertrifft ſeine kind - liche Freundesnatur dennoch ſeine glänzendſten Eigen - ſchaften, alle Studenten umſchwärmen ihn, es iſt keiner der nicht die Überzeugung hätte auch außer dem gro - ßen Lehrer noch ſeinen Wohlthäter zu verlieren; ſo ha - ben auch die meiſten Profeſſoren ihn lieb, beſonders die Theologen. Sailer gewiß ſein beſter Freund. Man ſieht ſich hier täglich und zwar mehr wie einmal, Abends begleitet der Wirth vom Hauſe leichtlich ſeine Gäſte8*172mit angezündetem Wachsſtock einen jeden bis zu ſeiner Hausthür, gar oft hab ich die Runde mitgemacht; heute war ich noch mit Sailer auf dem Berg auf dem die Trausnitz ſteht, ein Schloß alter Zeit: Traue nicht. Die Bäume ſchälen ihre Knoſpen! Frühling! die Sper - linge flogen ſchaarenweis vor uns her, von Sailer hab ich Dir wenig erzählt und doch war er mir der liebſte von allen. Im harten Winter gingen wir oft über die Schneedecke der Wieſen und Ackerfläche, und ſtiegen mit einander über die Hecken von einem Zaun zum andern, und alles was ich ihm mittheilte daran nahm er gern Theil, und manche Gedanken die aus Geſprächen mit ihm hervorgingen die hab ich aufgeſchrieben, obſchon ſie in meinen Briefen nicht Platz finden, ſo ſind ſie doch für Dich, denn nie denke ich etwas ſchönes, ohne daß ich mich darauf freue es Dir zu ſagen.

Zur Beſinnung kann ich während dem Schreiben nicht kommen, der Studentenſchwarm verläßt das Haus nicht mehr ſeit dem Savigny's Abreiſe in wenig Tagen beſtimmt iſt; eben ſind ſie vorbei gezogen an meiner Thür mit Wein und einem großen Schinken den ſie beim Packen verzehren, ich ſchenkte ihnen meine kleine Bibliothek die ſie eben auch einpacken wollten, da ha - ben ſie mir ein Vivat gebracht. Abends bringen ſie173 oft ein Ständchen mit Guitarren und Flöten und das dauert oft bis nach Mitternacht, dabei tanzen ſie um einen großen Springbrunnen der vor unſerm Hauſe auf dem Markt ſteht; ja die Jugend kann ſich aus allem einen Genuß machen, die allgemeine[Conſternation] über Savigny's Abreiſe hat ſich bald in ein Jubelfeſt ver - wandelt; denn man hat beſchloſſen zu Pferd und zu Wagen uns durch das Salzburgiſche zu begleiten, wer ſich kein Pferd verſchaffen kann der geht zu Fuß vor - aus; nun freuen ſich alle gar ſehr auf den Genuß die - ſer letzten Tage beim aufgehenden Frühling durch eine herrliche Gegend mit ihrem geliebten Lehrer zu reiſen; auch ich erwarte mir ſchöne glückliche Tage, ach ich glaub ich bin nah an dem Ziel wo mein Leben am ſchönſten und herrlichſten iſt. Sorgenfrei, voll ſüßem Feuer der Frühlingsluſt, in Erwartung herrlicher Ge - nüße, ſo klingen Ahnungstöne in meiner Bruſt, wenn das wahr wird, ſo muß es gewiß wahr werden daß ich Dich bald begegne; ja nach ſo vielem was ich erlebt und Dir treulich mitgetheilt habe, wie kann es anders ſein da muß das Wiederſehen eine neue Welt in mir erſchaffen. Wenn alle freudigen Hoffnungen in die Wirk - lichkeiten ausbrechen, wenn die Gegenwart die Finſter - niß der Ferne durch ihr Licht verſcheucht, ach und mit174 einem Worte wenn Gefühl und Blick Dich erfaßt und hält. Da weiß ich wohl daß mein Glück zu ungemeſſ - nem Leben ſich ſteigert, ach und es reißt mich mit Win - desflügeln zu dieſen höchſten Augenblicken, wenn auch bald die ſüßeſten Genüſſe ſcheidend fliehen, einmal muß doch wiederkehren zu feſtem Bund was ſich begehrt*)Buch Suleika..

Bettine.

Wenn Du mir eine Zeile gönnen wollteſt über dei - nen Aufenthalt dieſes Sommers, ſo bitte ich an Sailer in Landshut zu addreſſiren, dieſer bleibt mit Savigny in Correſpondenz und wird mir am beſten die Kleinodien deiner Zeilen nachſchicken.

An Bettine.

Von Dir liebe Bettine habe ich ſehr lange nichts gehört, und kann meine Reiſe in's Karlsbad unmöglich antreten ohne Dich nochmals zu begrüßen, und Dich zu erſuchen mir dorthin ein Lebenszeichen zu geben; möge ein guter Genius Dir dieſe Bitte an's Herz legen, da ich nicht weiß wo Du biſt, ſo muß ich ſchon meine Zu -175 flucht zu höheren Mächten nehmen. Deine Briefe wan - dern mit mir, ſie ſollen mir dort dein freundliches, lie - bevolles Bild vergegenwärtigen. Mehr ſage ich nicht denn eigentlich kann man Dir nichts geben, weil Du Dir alles entweder ſchaffſt oder nimmſt. Lebe wohl und gedenke mein.

Goethe.

Ein ungeheurer Maiblumenſtrauß durchduftet mein kleines Cabinet, mir iſt wohl hier im engen kleinen Käm - merchen auf dem alten Thurm wo ich den ganzen Pra - ter überſehe: Bäume und Bäume von majeſtätiſchen An - ſehen, herrlicher grüner Raſen. Hier wohne ich im Hauſe des verſtorbnen Birkenſtock, mitten zwiſchen 20000 Ku - pferſtichen, eben ſo viel Handzeichnungen, ſo viel hun - dert alten Aſchenkrügen und hetruriſchen Lampen, Mar - morvaſen, antiken Bruchſtücken von Händen und Füßen, Gemälden, chineſiſchen Kleidern, Münzen, Steinſamm - lung, Meerinſekten, Ferngläſer, unzählbare Landkarten, Plane alter verſunkener Reiche und Städte, kunſtreich geſchnitzter Stöcke, koſtbare Dokumente und endlich das Schwert des Kaiſer Karolus. Dies alles umgiebt uns176 in bunter Verwirrung und ſoll grade in Ordnung ge - bracht werden, da iſt denn nichts zu berühren und zu verſtehen, und die Kaſtanienallee in voller Blüthe und die rauſchende Donau die uns hinüber trägt auf ihrem Rücken, da kann man es im Kunſtſaal nicht aushalten, heute Morgen um 6 Uhr frühſtückten wir im Prater, rund umher unter gewaltigen Eichen lagerten Türken und Griechen, wie herrlich nehmen ſich auf grünem Tep - pig dieſe anmuthigen buntfarbigen Gruppen ſchöner Männer aus! welchen Einfluß mag auch die Kleidung auf die Seele haben, die mit leichter Energie die Eigen - thümlichkeit dieſer fremden Nationen, hier in der friſchen Frühlingsnatur zum allgemein gültigen erhebt, und die Einheimiſchen in ihrer farbloſen Kleidung beſchämt. Die Jugend, die Kindheit beſchauen ſich immer noch in den reifen Geſtalten und Bewegungen dieſer Südländer; ſie ſind kühn und unternehmend, wie die Knaben raſch und liſtig und doch gutmüthig. Indem wir an ihnen vor - über gingen, konnte ich nicht umhin einen Pantoffel der einem hingeſtreckten Türken entfallen war, unter meinen Füßen eine Strecke mit fort zu ſchlurren endlich ſchleifte ich ihn in's Gras und ließ ihn da liegen; wir ſaßen und frühſtückten, es währte nicht lange ſo ſuchten die Türken den verlornen Pantoffel. Goethe, was mir das177 für eine geheime Luſt erregte! wie vergnügt ich war ſie über dies Wunder des verſchwundenen Pantoffels ſtau - nen zu ſehen; auch unſre Geſellſchaft nahm Antheil daran wo der Pantoffel geblieben ſein möchte; nun wurde mir zwar Angſt ich möchte geſchmält werden, al - lein der Triumpf den Pantoffel herbei zu zaubern war zu ſchön, ich erhob ihn plötzlich zur allgemeinen Anſicht auf einer kleinen Gerte die ich vom Baum geriſſen hatte, nun kamen die ſchönen Leute heran und lachten und jubelten, da konnt ich ſie recht in der Nähe betrachten, mein Bruder Franz war einen Augenblick beſchämt aber er mußte mitlachen, ſo ging alles noch gut.

Es[ſind] nicht Luſtparthieen die mich abhalten Dir zu ſchreiben, ſondern ein ſcharlachkrankes Kind meines Bruders bei dem ich Tage und Nächte verbringe, und ſo vergeht die Zeit ſchon in die dritte Woche; von Wien hab ich nicht viel geſehen, und von der Geſellſchaft noch weniger, weil einem eine ſolche Krankheit eine Discre - tion auflegt wegen Anſteckung. Der Graf Herberſtein der in meiner Schweſter Sophie eine geliebte Braut ver - loren hat, hat mich mehrmals beſucht und iſt mit mir ſpazieren gegangen, und hat mich alle Wege geführt8**178die er mit Sophie gewandert iſt, da hat er mir ſehr ſchönes, rührendes von ihr erzählt, es iſt ſeine Freude meiner Ähnlichkeit mit ihr nach zu ſpühren; er nannte mich gleich Du, weil er die Sophie auch ſo genannt hatte, manchmal wenn ich lachte wurde er blaß weil die Ähnlichkeit mit Sophie ihn frappierte. Wie muß dieſe Schweſter liebenswürdig geweſen ſein da ſie jetzt noch im Herzen der Freunde ſo tiefe Spuren der Weh - muth ließ. Bänder, Taſſen, Locken, Blumen, Handſchuhe, die zierlichſten Billette, Briefe, alle dieſe Andenken lie - gen in einem kleinen Cabinet umher zerſtreut, er berührt ſie gern und lieſt die Briefe oft, die freilich ſchöner ſind als alles was ich je in meinem Leben geleſen habe; ohne heftige Leidenſchaft deutet jeder Ausdruck auf innige Freundlichkeit, nichts entgeht ihr, jeder Reitz der Natur dient ihrem Geiſt. O was iſt Geiſt für ein wunderba - rer Künſtler, wär ich doch im Stande Dir von dieſer geliebten Schweſter einen Begriff zu geben, ja wär ich ſelbſt im Stande ihre Liebenswürdigkeit zu faſſen, alle Menſchen die ich hier ſehe, ſprechen mir von ihr als wenn man ſie erſt vor kurzer Zeit verloren hätte, und Herber - ſtein meinte, ſie ſei ſeine letzte und erſte einzig wahre Liebe, dies alles bewegt mich, giebt mir eine Stimmung für's Vergangne und Zukünftige, dämpft mein Feuer179 der Erwartung. Da denk ich an den Rhein bei Bin - gen, wie da plötzlich ſeine lichte, majeſtätiſche Breite ſich einengt zwiſchen düſteren Felſen ziſchend und brauſend, ſich durch Schluchten windet, und nie werden die Ufer wieder ſo ruhig, ſo kindlich ſchön wie ſie vor der Bin - ger Untiefe waren; ſolche Untiefen ſtehen mir alſo be - vor, wo ſich der Lebensgeiſt durch ſchauerliche Schluch - ten winden muß. Muth! die Welt iſt rund, wir kehren zurück mit erhöhten Kräften und doppeltem Reiz, die Sehnſucht ſtreut gleich beim Abſchied ſchon den Saamen der Wiederkehr; ſo bin ich nie von Dir geſchieden, ohne zugleich mit Begeiſterung der Zukunft zu gedenken, die mich in deinen Armen wieder empfangen werde, ſo mag wohl alle Trauer um die Abgeſchiednen ein beſcheidner Vorgenuß einer zukünftigen Wiedervereinigung ſein, ge - wiß, ſonſt würden keine ſolche Empfindungen der Sehn - ſucht das Herz durchdringen.

Am Ende März war's wohl wie ich Dir zum letz - tenmal von Landshut aus ſchrieb; ja, ich hab lange ge - ſchwiegen, beinah zwei Monate, heute erhielt ich durch Sailer von Landshut deine liebe Zeilen vom 10. Mai,180 in denen Du mich mit Schmeichelworten an's Herz drückſt, nun fällt mir's erſt ein was ich alles nachzu - holen habe, denn jeder Weg, jeder Blick in die Natur hängt am Ende mit Dir zuſammen. Landshut war mir ein gedeihlicher Aufenthalt, in jeder Hinſicht muß ich's preiſen. Heimathlich die Stadt, freundlich die Natur, zuthunlich die Menſchen, und die Sitten harmlos und biegſam; kurz nach Oſtern reiſten wir ab, die ganze Univerſität war in und vor dem Hauſe verſammelt, viele hatten ſich zu Wagen und zu Pferde eingefunden, man wollte nicht ſo von dem herrlichen Freund und Lehrer ſcheiden, es ward Wein ausgetheilt, unter wäh - rendem Vivatrufen zog man zum Thor hinaus, die Rei - ter begleiteten das Fuhrwerk, auf einem Berg, wo der Frühling eben die Augen aufthat, nahmen die Profeſſo - ren und ernſten Perſonen einen feierlichen Abſchied, die andern fuhren noch eine Station weiter, unterwegs tra - fen wir alle Viertel Stunde noch auf Parthieen, die dahin vorausgegangen waren, um Savigny zum letzten - mal zu ſehen; ich ſah ſchon eine Weile vorher die Ge - witterwolken ſich zuſammenziehen, im Poſthauſe drehte ſich einer um den andern nach dem Fenſter, um die Thrä - nen zu verbergen. Ein junger Schwabe, Nußbaumer, die perſonificirte Volksromanze, war weit vorausgelaufen, um181 den Wagen noch einmal zu begegnen, ich werde das nie vergeſſen wie er im Felde ſtand und ſein kleines Schnupf - tüchelchen im Winde wehen ließ, und die Thränen ihn hinderten aufzuſehen wie der Wagen an ihm vorbei - rollte; die Schwaben hab ich lieb.

Mehrere der geliebteſten Schüler Savigny's beglei - teten uns bis Salzburg, der erſte und älteſte, Nepomuk Ringseis, ein treuer Hausfreund, hat ein Geſicht wie aus Stahl gegoſſen, alte Ritterphyſiognomie, kleiner, ſcharfer Mund, ſchwarzer Schnauzbart, Augen, aus de - nen die Funken fahren, in ſeiner Bruſt hämmert's wie in einer Schmiede, will vor Begeiſterung zerſpringen, und da er ein feuriger Chriſt iſt, ſo möchte er den Ju - piter aus der Rumpelkammer der alten Gottheiten vor - kriegen, um ihn zu Taufen und zu bekehren.

Der zweite, ein Herr von Schenk, hat weit mehr feine Bildung, hat Schauſpieler kennen lernen, decla - mirt öffentlich, war verliebt ganz glühend, oder iſt es noch, mußte ſeine Gefühle in Poeſie ausſtrömen, lauter Sonette, lacht ſich ſelbſt aus über ſeine Galanterie, blonder Lockenkopf, etwas ſtarke Naſe, angenehm, kind - lich, äußerſt ausgezeichnet im Studieren. Der dritte, der Italiener Salvotti, ſchön im weiten grünen Mantel,182 der die edelſten Falten um ſeine feſte Geſtalt wirft, un - ſtörbare Ruhe in den Bewegungen, glühende Regſam - keit im Ausdruck, läßt ſich kein geſcheut Wort mit ihm ſprechen, ſo tief iſt er in Gelehrſamkeit verſunken. Der vierte, Freiherr von Gumpenberg, Kindesnatur, edlen Herzens, bis zur Schüchternheit ſtill, um ſo mehr über - raſcht die Offenherzigkeit, wenn er erſt Zutrauen gefaßt hat, wobei ihm denn unendlich wohl wird, nicht ſchön, hat ungemein liebe Augen, ein unzertrennlicher Freund des fünften, Freiberg, zwanzig Jahr alt, große männ - liche Geſtalt, als ob er ſchon älter ſei, ein Geſicht wie eine römiſche Gemme, geheimnißvolle Natur, verborgner Stolz, Liebe und Wohlwollen gegen alle, nicht vertrau - lich, verträgt die härteſten Anſtrengungen, ſchläft wenig, guckt Nachts zum Fenſter hinaus nach den Sternen übt eine magiſche Gewalt über die Freunde, obſchon er ſie weder durch Witz, noch durch entſchiedenen Willen zu behaupten geneigt iſt; aber alle haben ein unerſchüt - terliches Zutrauen zu ihm, was der Freiberg will, das muß geſchehen. Der ſechſte war der junge Maler Lud - wig Grimm, von dem ich Dir mein Bildchen und die ſchönen radirten Studien nach der Natur geſchickt habe, ſo luſtig und naif, daß man mit ihm bald zum Kind in der Wiege wird, das um nichts lacht, er theilte mit183 mir den Kutſcherſitz, von wo herab wir die ganze Natur mit Spott und Witz begrüßten; warum ich Dir dieſe alle ſo deutlich beſchreibe? weil keiner unter ihnen iſt, der nicht durch Reinheit und Wahrheit im allgemei - nen Leben hervorleuchten würde, und weil ſie Dir als Grundlagen zu ſchönen Charaktern in deiner Welt die - nen können; dieſe alle feiern dein Andenken in treuem Herzen, Du biſt wie der Kaiſer, wo er hinkömmt, jauch - zen ihm die Unterthanen entgegen.

Der Tagereiſen waren zwei bis Salzburg, auf der erſten kamen wir bis Alt-Ortingen, wo das wunderthä - tige Marienbild in einer düſteren Kapelle die Pilger von allen Seiten herbeilockt. Schon der ganze Platz umher und die äußern Mauern ſind mit Votiftafeln gedeckt, es macht einen ſehr ängſtlichen Eindruck, die Zeugniſſe ſchauerlicher Geſchicke und tauſendfachen Elen - des gedrängt neben einander, und über dieſe hin ein beſtändiges Ein - und Ausſtrömen der Wallfahrer mit bedrängenden Gebeten und Gelübden um Erhörung, je - den Tag des Jahres von Sonnenaufgang bis Sonnen - untergang. Früh Morgens um 4 Uhr beginnt der Gottesdienſt mit Muſik und währt bis zur Nacht. Das innere der Kapelle iſt ganz mit ſchwarzem Sammt über - zogen, auch ſelbſt das Gewölbe, und mehr durch Ker -184 zenlicht als vom Tag erleuchtet, die Altäre von Silber, an den Wänden hängen ſilberne Glieder und Gebeine, und viele ſilberne Herzen mit goldnen Flammen oder feurigen Wunden, wie ſonderbar, Goethe! der Menſch! er bringt ſeine Schmerzen als Opfer der Gottheit, und da mögen dieſe Schmerzen entſtanden ſein woher ſie wollen, in Gott wird alles göttlich; Max von Baiern knieet in Lebensgröße auch von Silber auf den ſchwar - zen Stufen des Altars, vor dem kohlrabenſchwarzen Muttergottesbild, das ganz in Diamanten gekleidet iſt, zwei Männerſtimmen, von der dumpfen Orgel begleitet, ſingen ihr Hymnen, das ſtille Meſſeleſen, die Menſchen, die mit Thränen die Stufen des Altars küſſen, viele tauſend Seufzer aus allen Ecken, das macht den wun - derlichſten Eindruck. Wo alle beten, ſollt ich auch be - ten, dachte ich, aber nimmermehr, das Herz war in be - ſtändigem Klopfen; ich hatte vor der Thür einem Bet - telmann einen Veilchenkranz abgekauft, da ſtand ein kleines Kind vor dem Altar mit blonden Locken, es ſah mich ſo freundlich an und langte nach dem Kranz, den gab ich ihm, da warf es ihn auf den Altar, denn es war zu klein um hinauf zu reichen, der Kranz fiel grade zu den Füßen der Mutter Gottes, es war ein glücklicher Wurf, der machte mein Herz leicht. Der Strom der185 Pilger zog mich mit ſich fort zur gegenüberſtehenden Thür hinaus, ich wartete lange auf das Kind, ich hätte es ſo gern geküßt, und wollte ihm eine kleine goldne Kette ſchenken, die ich am Hals trage, weil es mir ein ſo gutes Zeichen gegeben hatte für Dich, denn ich dachte grade in dem Augenblick, wo es mir den Kranz abnahm, an Dich, aber das Kindchen kam nicht heraus, der Wa - gen ſtand vor der Thür, ich ſchwang mich auf meinen Kutſcherſitz, auf jeder Station hatte ich einen andern Kameraden, der den Sitz mit mir theilte und zugleich mir ſeine Herzensangelegenheiten mittheilte, ſie fingen immer ſo ſchüchtern davon an, daß mir bange ward, aber weit gefehlt, allemal war's eine andre, keinmal war ich's.

Unſre Reiſe ging durch einen Wald von Blüthen, der Wind ſtreute ſie wie einen Regen nieder, die Bie - nen flogen nach den Blumen, die ich hinter's Ohr ge - ſteckt hatte, gelt, das war angenehm!

Von Salzburg muß ich Dir noch erzählen. Die letzte Station, vorher Laufen, diesmal ſaß Freiberg mit mir auf dem Kutſcherſitz, er öffnete lächelnd ſeinen Mund,186 um die Natur zu preiſen, bei ihm iſt aber ein Wort wie der Anſchlag in einem Bergwerk, eine Schicht führt zur andern; es ging in einen fröhlichen Abend über, die Thäler breiteten ſich rechts und links, als wären ſie das eigentliche Reich, das unendliche gelobte Land. Lang - ſam wie Geiſter hob ſich hie und da ein Berg, und ſank allmählig in ſeinem blitzenden Schneemantel wie - der unter. Mit der Nacht waren wir in Salzburg, es war ſchauerlich die glattgeſprengten Felſen himmelhoch über den Häuſern hervorragen zu ſehen, die wie ein Erd - himmel über der Stadt ſchwebten im Sternenlicht, und die Lanternen, die da all mit den Leutlein durch die Straßen fackelten, und endlich die vier Hörner, die ſchmetternd vom Kirchthurm den Abendſeegen blieſen, da tönte alles Geſtein und gab das Lied vielfältig zu - rück. Die Nacht hatte in dieſer Fremde ihren Zau - bermantel über uns geworfen, wir wußten nicht wie das war daß alles ſich beugte und wankte, das ganze Fir - mament ſchien zu athmen, ich war über alles glücklich, Du weißt ja wie das iſt, wenn man aus ſich ſelber, wo man ſo lange geſonnen und geſponnen, heraustritt ganz in's Freie.

Wie kann ich Dir nun von dieſem Reichthum er -187 zählen, der ſich am andern Tag vor uns ausbreitete? wo ſich der Vorhang allmählig vor Gottes Herrlichkeit theilet, und man ſich nur verwundert, daß alles ſo ein - fach iſt in ſeiner Größe. Nicht einen, aber hundert Berge ſieht man von der Wurzel bis zum Haupt ganz frei, von keinem Gegenſtand bedeckt, es jauchzt und triumphirt ewig da oben, die Gewitter ſchweben wie Raubvögel zwiſchen den Klüften, verdunkeln einen Au - genblick mit ihren breiten Fittigen die Sonne, das geht ſo ſchnell und doch ſo ernſt, es war auch alles begei - ſtert. In den kühnſten Sprüngen, von den Bergen her - ab bis zu den Seen ließ ſich der Übermuth aus, tauſend Gaukeleien wurden in's Steingerüſt gerufen, ſo verleb - ten wir wie die Prieſterſchaft der Ceres bei Brod, Milch und Honig ein paar ſchöne Tage; zu ihrem Andenken wurde noch zuletzt ein Granatſchmuck von mir ausein - ander gebrochen, jeder nahm ſich einen Stein und den Namen eines Berges, den man von hier aus ſehen konnte, und nennen ſich die Ritter vom Granatorden, geſtiftet auf dem Watzmann bei Salzburg.

Von da ging die Reiſe nach Wien, es trennten ſich die Gäſte von uns, bei Sonnenaufgang fuhren wir über die Salza, hinter der Brücke iſt ein großes Pul - vermagazin, hinter dem ſtanden ſie alle, um Savigny188 ein letztes Vivat zu bringen, ein jeder rief ihm noch eine Betheuerung von Lieb und Dank zu. Freiberg, der uns bis zur nächſten Station begleitete, ſagte: wenn ſie nur alle ſo ſchrieen daß das Magazin in die Luft ſprengte, denn uns iſt doch das Herz geſprengt; und nun erzählte er mir, welch neues Leben durch Savigny aufgeblüht war, wie alle Spannung und Feindſchaft unter den Profeſſoren ſich gelegt oder doch ſehr gemil - dert habe, beſonders aber ſei ſein Einfluß wohlthätig für die Studenten geweſen, die weit mehr Freiheit und Selbſtgefühl durch ihn erlangt haben. Nun kann ich Dir auch nicht genug beſchreiben wie groß Savigny's Talent iſt mit jungen Leuten umzugehen; zuvörderſt fühlt er eine wahre Begeiſterung für ihr Streben, ihren Fleiß; eine Aufgabe, die er ihnen macht, wenn ſie gut behandelt wird, ſo macht es ihn ganz glücklich, er möchte gleich ſein Innerſtes mit jedem theilen, er be - rechnet ihre Zukunft, ihr Geſchick, und ein leuchtender Eifer der Güte erhellt ihnen den Weg, man kann von ihm wohl in dieſer Hinſicht ſagen, daß die Unſchuld ſei - ner Jugend auch der Geleitsengel ſeiner jetzigen Zeit iſt, und das iſt eigentlich ſein Charakter, die Liebe zu de - nen, denen er mit den ſchönſten Kräften ſeines Geiſtes und ſeiner Seele dient; ja, das iſt wahrhaft liebens -189 würdig, und muß Liebenswürdigkeit nicht allein Größe beſtätigen? dieſe naive Güte, mit der er ſich allen gleich ſtellt bei ſeiner äſthetiſchen Gelahrtheit, macht ihn doppelt groß. Ach, liebes Landshut, mit dei - nen geweißten Giebeldächern und dem geplackten Kirch - thurm, mit deinen Springbrunnen, aus deſſen verroſte - ten Röhren nur ſparſam das Waſſer lief, um den die Studenten bei nächtlicher Weile Sprünge machten und ſanft mit Flöte und Guitarre accompagnirten, und dann aus fernen Straßen ſingend ihr Gutenacht ertönen lie - ßen; wie ſchön war's im Winter auf der leichten Schnee - decke, wenn ich mit dem ſiebzigjährigen Canonicus Eix - dorfer, meinem Generalbaßlehrer und vortrefflichen - renjäger, ſpazieren ging, da zeigte er mir auf dem Schnee die Spuren der Fiſchottern, und da war ich als manchmal recht vergnügt und freute mich auf den an - dern Tag, wo er mir gewiß ein ſolches Thier auffinden wollte, und wenn ich denn am andern Tag kam, daß er mich verſprochnermaßen auf die Otternjagd begleiten ſolle, da machte er Ausflüchte, heute ſeien die Ottern beſtimmt nicht zu Hauſe; wie ich Abſchied von ihm nahm, da gab er mir einen wunderlichen Seegen, er ſagte: möge ein guter Dämon Sie begleiten, und das Gold und die Kleinodien, die Sie beſitzen, allemal zu190 rechter Zeit in Scheidemünze verwandeln, womit Sie allein ſich das erwerben können was Ihnen fehlt. Dann verſprach er mir auch noch, er wolle mir einen Otternpelz zuſammenfangen, und ich ſolle über's Jahr kommen ihn holen. Ach, ich werde nicht wiederkommen in das liebe Landshut, wo wir uns freuten, wenn's ſchneite und Nachts der Wind recht geſtürmt hatte, ſo gut als wenn die Sonne recht herrlich ſchien, wo wir alle einander ſo gut waren, wo die Studenten Concerte gaben und in der Kirche hölliſch muſizirten, und es gar nicht übel nahmen, wenn man ihnen davon lief.

Und nun iſt weiter nichts Merkwürdiges auf der Reiſe bis Wien vorgefallen, außer daß ich am nächſten Morgen die Sonne aufgehen ſah, ein Regenbogen drü - ber und davor ein Pfau, der ſein Rad ſchlug.

Wie ich dieſen ſah, von dem ich Dir jetzt ſprechen will, da vergaß ich der ganzen Welt, ſchwindet mir doch auch die Welt, wenn mich Erinnerung ergreift, ja ſie ſchwindet. Mein Horizont fängt zu meinen - ßen an, wölbt ſich um mich, und ich ſtehe im Meer des Lichts, das von Dir ausgeht, und in aller Stille ſchweb191 ich gelaſſenen Flugs über Berg und Thal zu Dir. Ach, laſſe alles ſein, mache deine lieben Augen zu, leb in mir einen Augenblick, vergeſſe was zwiſchen uns liegt, die weiten Meilen und auch die lange Zeit. Von da aus, wo ich Dich zum letztenmal ſah, ſehe mich an; ſtänd ich doch vor Dir! könnt ich's Dir deut - lich machen! der tiefe Schauder, der mich ſchüttelt, wenn ich eine Weile der Welt mit zugeſehen habe, wenn ich dann hinter mich ſehe in die Einſamkeit und fühle wie fremd mir alles iſt. Wie kömmt's, daß ich dennoch grüne und blühe in dieſer Öde? Wo kömmt mir der Thau, die Nahrung, die Wärme, der Seegen her? von dieſer Liebe zwiſchen uns, in der ich mich ſelbſt ſo lieblich fühle. Wenn ich bei Dir wär, ich wollte Dir viel wiedergeben für alles. Es iſt Beethoven, von dem ich Dir jetzt ſprechen will, und bei dem ich der Welt und deiner vergeſſen habe; ich bin zwar unmündig, aber ich irre darum nicht, wenn ich ausſpreche (was jetzt viel - leicht keiner verſteht und glaubt), er ſchreite weit der Bildung der ganzen Menſchheit voran, und ob wir ihn je einholen? ich zweifle; möge er nur leben bis das gewaltige und erhabene Räthſel, was in ſeinem Geiſte liegt, zu ſeiner höchſten Vollendung herangereift iſt, ja - möge er ſein höchſtes Ziel erreichen, gewiß dann läßt192 er den Schlüſſel zu einer himmliſchen Erkenntniß in un - ſeren Händen, die uns der wahren Seeligkeit um eine Stufe näher rückt.

Vor Dir kann ich's wohl bekennen, daß ich an ei - nen göttlichen Zauber glaube, der das Element der gei - ſtigen Natur iſt, dieſen Zauber übt Beethoven in ſeiner Kunſt; alles weſſen er Dich darüber belehren kann, iſt reine Magie, jede Stellung iſt Organiſation einer - heren Exiſtenz, und ſo fühlt Beethoven ſich auch, als Begründer einer neuen ſinnlichen Baſis im geiſtigen Le - ben; Du wirſt wohl herausverſtehen was ich ſagen will und was wahr iſt. Wer könnte uns dieſen Geiſt er - ſetzen? von wem könnten wir ein gleiches erwarten? Das ganze menſchliche Treiben geht wie ein Uhrwerk an ihm auf und nieder, er allein erzeugt frei aus ſich das Ungeahnte, Unerſchaffne, was ſollte dieſem auch der Verkehr mit der Welt, der ſchon vor Sonnenaufgang am heiligen Tagwerk iſt, und nach Sonnenuntergang kaum um ſich ſieht, der ſeines Leibes Nahrung vergißt, und von dem Strom der Begeiſterung im Flug an den Ufern des flachen Alltagslebens vorüber getragen wird; er ſelber ſagte: wenn ich die Augen aufſchlage, ſo muß ich ſeufzen, denn was ich ſehe iſt gegen meine Re - ligion, und die Welt muß ich verachten, die nicht ahntdaß193daß Muſik höhere Offenbarung iſt als alle Weisheit und Philoſophie, ſie iſt der Wein, der zu neuen Erzeu - gungen begeiſtert, und ich bin der Bacchus, der für die Menſchen dieſen herrlichen Wein keltert und ſie geiſtes - trunken macht, wenn ſie dann wieder nüchtern ſind, dann haben ſie allerlei gefiſcht was ſie mit auf's Trockne bringen. Keinen Freund hab ich, ich muß mit mir allein leben; ich weiß aber wohl daß Gott mir näher iſt wie den andern in meiner Kunſt, ich gehe ohne Furcht mit ihm um, ich hab ihn jedesmal erkannt und verſtanden, mir iſt auch gar nicht bange um meine Muſik, die kann kein bös Schickſal haben, wem ſie ſich verſtändlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit ſich die andern ſchleppen. Dies alles hat mir Beethoven geſagt wie ich ihn zum erſtenmal ſah, mich durchdrang ein Gefühl von Ehrfurcht wie er ſich mit ſo freundlicher Offenheit gegen mich äußerte, da ich ihm doch ganz unbedeutend ſein mußte; auch war ich verwundert, denn man hatte mir geſagt, er ſei ganz menſchenſcheu und laſſe ſich mit Niemand in ein Ge - ſpräch ein. Man fürchtete ſich mich zu ihm zu führen, ich mußte ihn allein aufſuchen, er hat drei Wohnungen, in denen er abwechſelnd ſich verſteckt, eine auf dem Lande, eine in der Stadt und die dritte auf der Baſtei,II. 9194da fand ich ihn im dritten Stock; unangemeldet trat ich ein, er ſaß am Clavier, ich nennte meinen Namen, er war ſehr freundlich und fragte: ob ich ein Lied - ren wolle was er eben componirt habe? dann ſang er ſcharf und ſchneidend, daß die Wehmuth auf den Hörer zurückwirkte: Kennſt du das Land, nicht wahr, es iſt ſchön, ſagte er begeiſtert, wunderſchön! ich will's noch einmal ſingen, er freute ſich über mei - nen heiteren Beifall. Die meiſten Menſchen ſind ge - rührt über etwas Gutes, das ſind aber keine Künſt - lernaturen, Künſtler ſind feurig, die weinen nicht, ſagte er. Dann ſang er noch ein Lied von Dir, das er auch in dieſen Tagen componirt hatte: Trocknet nicht Thränen der ewigen Liebe. Er beglei - tete mich nach Hauſe, und unterwegs ſprach er eben das viele Schöne über die Kunſt, dabei ſprach er ſo laut und blieb auf der Straße ſtehen, daß Muth dazu ge - hörte zu zuhören, er ſprach mit großer Leidenſchaft und viel zu überraſchend, als daß ich nicht auch der Straße vergeſſen hätte, man war ſehr verwundert ihn mit mir in eine große Geſellſchaft, die bei uns zum Diner war, eintreten zu ſehen. Nach Tiſch ſetzte er ſich unaufge - fordert an's Inſtrument und ſpielte lang und wunder - bar, ſein Stolz fermentirte zugleich mit ſeinem Genie;195 in ſolcher Aufregung erzeugt ſein Geiſt das Unbegreif - liche und ſeine Finger leiſten das Unmögliche. Seit - dem kommt er alle Tage oder ich gehe zu ihm. Dar - über verſäume ich Geſellſchaften, Gallerieen, Theater und ſogar den Stephansthurm. Beethoven ſagt: Ach, was wollen Sie da ſehen! ich werde Sie abholen, wir gehen gegen Abend durch die Allee von Schönbrunn. Geſtern ging ich mit ihm in einen herrlichen Garten, in voller Blüthe, alle Treibhäuſer offen, der Duft war betäubend; Beethoven blieb in der drückenden Sonnen - hitze ſtehen und ſagte: Goethe's Gedichte behaupten nicht allein durch den Inhalt, auch durch den Rhythmus eine große Gewalt über mich, ich werde geſtimmt und aufgeregt zum Componiren durch dieſe Sprache, die wie durch Geiſter zu höherer Ordnung ſich aufbaut und das Geheimniß der Harmonieen ſchon in ſich trägt. Da muß ich denn von dem Brennpunkt der Begeiſterung die Melodie nach allen Seiten hin ausladen, ich ver - folge ſie, hole ſie mit Leidenſchaft wieder ein, ich ſehe ſie dahin fliehen, in der Maſſe verſchiedener Aufregun - gen verſchwinden, bald erfaſſe ich ſie mit erneuter Lei - denſchaft, ich kann mich nicht von ihr trennen, ich muß mit raſchem Entzücken in allen Modulationen ſie ver - vielfältigen, und im letzten Augenblick da triumphire9*196ich über den erſten muſikaliſchen Gedanken, ſehn Sie, das iſt eine Symphonie; ja, Muſik iſt ſo recht die Ver - mittelung des geiſtigen Lebens zum ſinnlichen. Ich möchte mit Goethe hierüber ſprechen, ob der mich ver - ſtehen würde? Melodie iſt das ſinnliche Leben der Poeſie. Wird nicht der geiſtige Inhalt eines Gedichts zum ſinnlichen Gefühl durch die Melodie? empfindet man nicht in dem Lied der Mignon ihre ganze ſinnliche Stimmung durch die Melodie? und erregt dieſe Empfin - dung nicht wieder zu neuen Erzeugungen? Da will der Geiſt zu ſchrankenloſer Allgemeinheit ſich ausdehnen, wo alles in Allem ſich bildet zum Bett der Gefühle, die aus dem einfachen muſikaliſchen Gedanken entſprin - gen, und die ſonſt ungeahnt verhallen würden; das iſt Harmonie, das ſpricht ſich in meinen Symphonieen aus, der Schmelz vielſeitiger Formen wogt dahin in ei - nem Bett bis zum Ziel. Da fühlt man denn wohl, daß ein Ewiges, Unendliches, nie ganz zu Umfaſſendes in allem geiſtigen liege, und obſchon ich bei meinen Werken immer die Empfindung des Gelingens habe, ſo fühle ich einen ewigen Hunger, was mir eben erſchöpft ſchien mit dem letzten Paukenſchlag, mit dem ich mei - nen Genuß, meine muſikaliſche Überzeugung den Zuhö - rern einkeilte, wie ein Kind von neuem anzufangen. 197Sprechen Sie dem Goethe von mir, ſagen Sie ihm, er ſoll meine Symphonieen hören, da wird er mir recht geben, daß Muſik der einzige unverkörperte Eingang in eine höhere Welt des Wiſſens iſt, die wohl den Men - ſchen umfaßt, daß er aber nicht ſie zu faſſen vermag. Es gehört Rhythmus des Geiſtes dazu, um Muſik in ihrer Weſenheit zu faſſen, ſie giebt Ahnung, Inſpira - tion himmliſcher Wiſſenſchaften, und was der Geiſt ſinn - lich von ihr empfindet, das iſt die Verkörperung geiſti - ger Erkenntniß. Obſchon die Geiſter von ihr leben, wie man von der Luft lebt, ſo iſt es noch ein anders, ſie mit dem Geiſte begreifen; je mehr aber die Seele ihre ſinnliche Nahrung aus ihr ſchöpft, je reifer wird der Geiſt zum glücklichen Einverſtändniß mit ihr. Aber wenige gelangen dazu, denn ſo wie Tauſende ſich um der Liebe willen vermählen, und die Liebe in dieſen Tauſenden ſich nicht einmal offenbart, obſchon ſie alle das Handwerk der Liebe treiben, ſo treiben Tau - ſende einen Verkehr mit der Muſik, und haben doch ihre Offenbarung nicht; auch ihr liegen die hohen Zei - chen des Moralſinns zum Grund wie jeder Kunſt, alle ächte Erfindung iſt ein moraliſcher Fortſchritt. Sich ſelbſt ihren unerforſchlichen Geſetzen unterwerfen, ver - möge dieſer Geſetze den eignen Geiſt bändigen und len -198 ken, daß er ihre Offenbarungen ausſtröme, das iſt das iſolirende Prinzip der Kunſt; von ihrer Offenbarung aufgelöſt werden, das iſt die Hingebung an das Gött - liche, was in Ruhe ſeine Herrſchaft an dem Raſen ungebändigter Kräfte übt, und ſo der Phantaſie die höchſte Wirkſamkeit verleihet. So vertritt die Kunſt allemal die Gottheit, und das menſchliche Verhältniß zu ihr iſt Religion, was wir durch die Kunſt erwerben, das iſt von Gott, göttliche Eingebung, die den menſchlichen Befähigungen ein Ziel ſteckt was er erreicht.

Wir wiſſen nicht was uns Erkenntniß verleihet; das feſt verſchloßne Saamenkorn bedarf des feuchten, elektriſch warmen Bodens, um zu treiben, zu denken, ſich auszuſprechen. Muſik iſt der elektriſche Boden, in dem der Geiſt lebt, denkt, erfindet. Philoſophie iſt ein Niederſchlag ihres elektriſchen Geiſtes; ihre Bedürftig - keit, die alles auf ein Urprinzip gründen will, wird durch ſie gehoben, und obſchon der Geiſt deſſen nicht mächtig iſt was er durch ſie erzeugt, ſo iſt er doch glück - ſeelig in dieſer Erzeugung, und ſo iſt jede ächte Erzeu - gung der Kunſt unabhängig, mächtiger als der Künſtler ſelbſt, und kehrt durch ihre Erſcheinung zum Göttlichen zurück, und hängt nur darin mit dem Menſchen zuſam -199 men, daß ſie Zeugniß giebt von der Vermittelung des Göttlichen in ihm.

Muſik giebt dem Geiſt die Beziehung zur Harmo - nie. Ein Gedanke abgeſondert, hat doch das Gefühl der Geſammtheit der Verwandtſchaft im Geiſt; ſo iſt jeder Gedanke in der Muſik in innigſter, untheilbarſter Ver - wandtſchaft mit der Geſammtheit der Harmonie die Einheit.

Alles elektriſche regt den Geiſt zu muſikaliſcher, flie - ßender, ausſtrömender Erzeugung.

Ich bin elektriſcher Natur. Ich muß abbrechen mit meiner unerweislichen Weisheit, ſonſt möchte ich die Probe verſäumen, ſchreiben Sie an Goethe von mir, wenn Sie mich verſtehen, aber verantworten kann ich nichts, und will mich auch gern belehren laſſen von ihm. Ich verſprach ihm, ſo gut ich's begreife, Dir alles zu ſchreiben. Er führte mich zu einer großen Muſikprobe mit vollem Orcheſter, da ſaß ich im weiten unerhellten Raum in einer Loge ganz allein; einzelne Streiflichter ſtahlen ſich durch Ritzen und Aſtlöcher, in denen ein Strom bunter Lichtfunken hin und her tanzte, wie Himmelsſtraßen mit ſeeligen Geiſtern bevölkert.

Da ſah ich denn dieſen ungeheuren Geiſt ſein Re - giment führen. O, Goethe! kein Kaiſer und kein König200 hat ſo das Bewußtſein ſeiner Macht, und daß alle Kraft von ihm ausgehe, wie dieſer Beethoven, der eben noch im Garten nach einem Grund ſuchte, wo ihm denn alles herkomme; verſtünd ich ihn ſo wie ich ihn fühle, dann wüßt ich alles. Dort ſtand er ſo feſt entſchloſſen, ſeine Bewegungen, ſein Geſicht drückten die Vollendung ſeiner Schöpfung aus, er kam jedem Fehler, jedem Miß - verſtehen zuvor, kein Hauch war willkührlich, alles war durch die großartige Gegenwart ſeines Geiſtes in die beſonnenſte Thätigkeit verſetzt. Man möchte weiſſa - gen daß ein ſolcher Geiſt in ſpäterer Vollendung als Weltherrſcher wieder auftreten werde.

Geſtern Abend ſchrieb ich noch alles auf, heute Mor - gen las ich's ihm vor, er ſagte: Hab ich das ge - ſagt? nun dann hab ich einen Raptus gehabt; er las es noch einmal aufmerkſam, und ſtrich das oben aus und ſchrieb zwiſchen die Zeilen, denn es iſt ihm drum zu thun daß Du ihn verſtehſt.

Erfreue mich nun mit einer baldigen Antwort, die dem Beethoven beweiſt daß Du ihn würdigſt. Es war ja immer unſer Plan, über Muſik zu ſprechen, ja ich wollte auch, aber durch Beethoven fühl ich nun erſt daß ich der Sache nicht gewachſen bin.

Bettine.

201

Meine Adreſſe iſt Erdbeergaſſe im Birkenſtockiſchen Hauſe, noch vierzehn Tage trifft mich dein Brief.

An Bettine.

Dein Brief, herzlich geliebtes Kind, iſt zur glück - lichen Stunde an mich gelangt, Du haſt Dich brav zu - ſammengenommen, um mir eine große und ſchöne Na - tur in ihren Leiſtungen wie in ihrem Streben, in ihren Bedürfniſſen wie in dem Überfluß ihrer Begabtheit dar - zuſtellen, es hat mir großes Vergnügen gemacht, dies Bild eines wahrhaft genialen Geiſtes in mich aufzuneh - men, ohne ihn klaſſifiziren zu wollen, gehört doch ein pſychologiſches Rechnungskunſtſtück dazu, um das wahre Facit der Übereinſtimmung da heraus zu ziehen, indeſ - ſen fühle ich keinen Widerſpruch gegen das was ſich von deiner raſchen Exploſion erfaſſen läßt; im Gegen - theil möchte ich Dir für einen innern Zuſammenhang meiner Natur, mit dem was ſich aus dieſen mannigfal - tigen Äußerungen erkennen läßt, einſtweilen einſtehen, der gewöhnliche Menſchenverſtand würde vielleicht Wi - derſprüche darin finden, was aber ein ſolcher vom - mon beſeſſener ausſpricht, davor muß ein Laie Ehrfurcht haben, und es muß gleich viel gelten, ob er aus Ge -9**202fühl oder aus Erkenntniß ſpricht, denn hier walten die Götter und ſtreuen Saamen zu künftiger Einſicht, von der nur zu wünſchen iſt daß ſie zu ungeſtörter Ausbil - dung gedeihen möge; bis ſie indeſſen allgemein werde, da müſſen die Nebel vor dem menſchlichen Geiſt ſich erſt theilen. Sage Beethoven das Herzlichſte von mir, und daß ich gern Opfer bringen würde, um ſeine per - ſönliche Bekanntſchaft zu haben, wo denn ein Austauſch von Gedanken und Empfindungen gewiß den ſchönſten Vortheil brächte, vielleicht vermagſt Du ſo viel über ihn daß er ſich zu einer Reiſe nach Carlsbad beſtimmen läßt, wo ich doch beinah jedes Jahr hinkomme und die beſte Muſe haben würde von ihm zu hören und zu ler - nen; ihn belehren zu wollen, wäre wohl ſelbſt von ein - ſichtigern, als ich, Frevel, da ihm ſein Genie vorleuchtet, und ihm oft wie durch einen Blitz Hellung giebt, wo wir im Dunkel ſitzen und kaum ahnen von welcher Seite der Tag anbrechen werde.

Sehr viel Freude würde es mir machen, wenn Beet - hoven mir die beiden componirten Lieder von mir ſchik - ken wollte, aber hübſch deutlich geſchrieben, ich bin ſehr begierig ſie zu hören, es gehört mit zu meinen erfreu - lichſten Genüſſen, für die ich ſehr dankbar bin, wenn ein ſolches Gedicht früherer Stimmung mir durch eine203 Melodie (wie Beethoven ganz richtig erwähnt) wieder auf's neue verſinnlicht wird.

Schließlich ſage ich Dir noch einmal den innigſten Dank für deine Mittheilungen und deine Art mir wohl - zuthun, da Dir alles ſo ſchön gelingt, da Dir alles zu belehrendem, freudigem Genuß wird, welche Wünſche könnten da noch hinzugefügt werden, als daß es ewig ſo fortwähren möge; ewig auch in Beziehung auf mich, der den Vortheil nicht verkennt, zu deinen Freunden ge - zählt zu werden. Bleibe mir daher was Du mit ſo großer Treue warſt, ſo oft Du auch den Platz wechſel - teſt und ſich die Gegenſtände um Dich her veränderten und verſchönerten.

Auch der Herzog grüßt Dich und wünſcht nicht ganz von Dir vergeſſen zu ſein. Ich erhalte wohl noch Nach - richt von Dir in meinem Carlsbader Aufenthalt bei den drei Mohren.

G.

An Goethe.

Liebſter Freund! dem Beethoven hab ich deinen ſchö - nen Brief mitgetheilt, ſo weit es ihn anging, er war204 voll Freude und rief: Wenn ihm jemand Verſtand über Muſik beibringen kann ſo bin ich's. Die Idee Dich im Carlsbade aufzuſuchen ergriff er mit Begeiſtrung, er ſchlug ſich vor den Kopf und ſagte: konnte ich das nicht ſchon früher gethan haben? aber wahrhaftig ich hab ſchon daran gedacht ich hab's aus Timidität unterlaſſen, die neckt mich manchmal als ob ich kein rechter Menſch wär, aber vor dem Goethe fürcht ich mich nun nicht mehr. Rechne daher darauf daß Du ihn im näch - ſten Jahr ſiehſt.

Nun antworte ich nur noch auf die letzten Punkte deines Briefs aus denen ich Honig ſammle: Die Gegen - ſtände um mich her verändern ſich zwar aber ſie ver - ſchönern ſich nicht, das Schönſte iſt ja doch, daß ich von Dir weiß, und mich würde nichts freuen wenn Du nicht wärſt vor dem ich es ausſprechen dürfte; und zweifelſt Du daran ſo iſt Dir auch dran gelegen, und bin ich auch glücklicher als mich alle gezählten und un - gezählten Freunde je machen können. Mein Wolfgang Du zählſt nicht mit unter den Freunden, lieber will ich gar keinen zählen.

Den Herzog grüße, leg mich ihm zu Füßen, ſag ihm daß ich ihn nicht vergeſſen habe, auch keine Minute die ich dort mit ihm erlebt habe. Daß er mir er -205 laubte auf dem Schemel zu ſitzen worauf ſein Fuß ruhte, daß er ſich ſeine Zigarre von mir anrauchen ließ, daß er meine Haarflechte aus den Krallen des böſen Af - fen befreite, und gar nicht lachte obſchon es ſehr komiſch war; das vergeſſe ich gar nicht wie er dem Affen ſo bittend zuredete; dann der Abend beim Soupee, wo er dem Ohrenſchlüpfer den Pfirſig hinhielt daß er ſich drinn verkriechen ſolle, und wie jemand anders das Thierchen vom Tiſch herunterwarf um es todt zu treten; er wen - dete ſich zu mir und ſagte: ſo böſe ſind Sie nicht, das hätten Sie nicht gethan! ich nahm mich zuſammen in dieſer kitzlichen Affaire und ſagte: Ohrenſchlüpfer ſoll man bei einem Fürſten nicht leiden; er fragte, hat man auch die zu meiden die es hinter den Ohren haben, ſo muß ich mich vor Ihnen hüten; auch die Promenade zu den jungen ausgebrüteten Enten die ich mit ihm zählte und wo Du dazu kamſt und über unſre Geduld Dich ſchon lange gewundert hatteſt, ehe wir fertig waren, und ſo könnte ich Dir Zug für Zug jeden Moment wie - der herbeirufen, der mir in ſeiner Nähe gegönnt war. Wer ihm nah ſein darf dem muß wohl werden, weil er jeden gewähren läßt und doch mit dabei iſt; und die ſchönſte Freiheit geſtattet, und nicht unwillig iſt um die Herrſchaft des Geiſtes, und dennoch ſicher iſt einen jeden206 durch dieſe großartige Milde zu beherrſchen. Das mag in's Große und Allgemeine gehen, ſo wie ich's im klei - nen und einzelnen erfahren habe. Er iſt groß der Her - zog und wächſt dennoch, er bleibt ſich ſelber gleich und giebt jeglichen Beweis daß er ſich überbieten kann. So iſt der Menſch der einen hohen Genius hat, er gleicht ihm er wächſt ſo lange bis er eins mit ihm wird.

Danke ihm in meinem Namen daß er an mich denkt, beſchreibe ihm meine zärtliche Ehrfurcht. Wenn mir wieder beſcheert iſt ihn zu ſehen dann werde ich von ſeiner Gnade den möglichſten Ertrag ziehen.

Morgen packen wir auf, und gehen hin wo lauter böhmiſche Dörfer ſind. Wie oft hat mir deine Mutter geſagt wenn ich ihr allerlei Projekte machte, das ſind lauter böhmiſche Dörfer, nun bin ich begierig ein böh - miſches Dorf zu ſehen. Beide Lieder von Beethoven ſind hier beigelegt, die beiden andern ſind von mir, Beethoven hat ſie geſehen und mir viel Schönes drüber geſagt, daß wenn ich mich dieſer Kunſt gewidmet hätte, ich große Hoffnungen darauf bauen könnte; ich aber ſtreife ſie nur im Flug, denn meine Kunſt iſt Lachen und Seufzen in einem Säckelchen, und über die iſt mir keine.

207

Adieu! vieles hole ich noch nach im böhmiſchen Schloß Bukowan.

Bettine.

An Goethe.

Wie bequem iſt's, wie lieblich an Dich zu denken, unter dieſem Dach von Tannen und Birken, die den heißen Mittag in hoher Ferne halten. Die ſchweren Tannzapfen glänzen und funkeln mit ihrem Harze, wie tauſend kleine Tagſterne, machen's droben nur noch hei - ßer und hier unten kühler. Der blaue Himmel deckt mein hohes enges Haus; ich meſſe rücklings ſeine Ferne wie er unerreichbar ſcheint, doch trug mancher ſchon den Himmel in der Bruſt; iſt mir doch als hab auch ich ihn in mir feſt gehalten einen Augenblick, dieſen weitgedehn - ten über Berg und Thal hinziehenden: über alle Ströme, Brücken; durch alle Felſen, Höhlen; über Stock und Stein in einem Strich fort der Himmel über mir, bis dort an dein Herz, da ſinkt er mit mir zuſammen.

Liegt es denn nur in der Jugend, daß ſie ſo innig wolle, was ſie will? biſt Du nicht ſo? begehrſt208 nicht nach mir? möchteſt Du nicht zuweilen bei mir ſein? Sehnſucht iſt ja doch die rechte Fährte, ſie weckt ein höheres Leben, giebt helle Ahnung noch uner - kannter Wahrheiten, vernichtet allen Zweifel, und iſt ſie die ſicherſte Prophetin ſeines Glückes.

Dir ſind alle Reiche aufgethan, Natur, Wiſſen - ſchaft und Kunſt, aus allen ſind den Fragen deiner Sehn - ſucht göttliche Wahrheiten zugeſtrömt. Was hab ich? ich habe Dich auf tauſend Fragen.

Hier in der tiefen Felsſchlucht denk ich ſo allerlei; ich hab mich einen halsbrechenden Weg herunter ge - wagt, wie werd ich wieder hinauf kommen an dieſen glatten Felswänden an denen ich vergeblich die Spur ſuche wo ich herab geglitten bin. Selbſtvertrauen iſt Vertrauen auf Gott, er wird mich doch nicht ſtecken laſ - ſen! Ich lieg hier unter friſchen hohen Kräutern die mir die heiße Bruſt kühlen, viele kleine Würmchen und Spinnen klettern über mich hinaus, alles wimmelt ge - ſchäftig um mich her. Die Eidexen ſchlüpfen aus ihren feuchten Löchern und heben das Köpfchen und ſtaunen mich an mit ihren klugen Augen, und ſchlüpfen eilig zurück; ſie ſagen's einander daß ich da bin; ich der Liebling des Dichters es kommen immer mehr und gucken.

209

Ach ſchöner Sommernachmittag! ich brauch nicht zu denken, der Geiſt ſieht müſſig hinauf in die chriſtallne Luft. Kein Witz, keine Tugend, nackt und blos iſt die Seele in der Gott ſein Ebenbild erkennt.

Die ganze Zeit war Regenwetter, heute brennt die Sonne wieder. Nun lieg ich hier zwiſchen Steinen auf weichem Moos von vielen Frühlingen her, die jungen Tannen dampfen heißes Harz aus, und rühren mit den Äſten meinen Kopf. Ich muß jedem Fröſchchen nach - gucken, mich gegen Heuſchrecken und Hummeln wehren, dabei bin ich ſo faul was ſoll ich mit Dir ſchwätzen, hier wo ein Hauch das Laub bewegt durch das die Sonne auf meine geſchloſſnen Augenlieder ſpielt? Guter Meiſter! hör in dieſem Liſpeln wie ſehr Du meine Einſamkeit beglückſt; der Du alles weißt, und al - les fühlſt, und weißt wie wenig die Worte dem innern Sinn gehorchen. Wann ſoll ich Dich wiederſehen? Wann? Daß ich mich nur ein klein wenig an Dich anlehnen möge und ausruhen, ich faules Kind.

Bettine.

Wie ich geſtern aus meiner Faulheit erwachte und mich beſann, da waren die Schatten ſchon lang gewor -210 den, ich mußte mich an den jungen Birkenſtämmchen die aus den Felsritzen wachſen aus meiner Untiefe her - aufſchwingen, das Schloß Bukowan mit ſeinen rothen Dächern und ſchönen Thürmen ſah ich nirgends, ich wußte nicht welchen Weg ich einſchlagen ſollte und ent - ſchloß mich kurz ein Paar Ziegen nach zu gehen, die brachten mich wieder zu Menſchen mit denen ſie in ei - ner Hütte wohnen, ich machte dieſen verſtändlich daß ich nach Bukowan wolle, ſie begleiteten mich, der Tag ging ſchlafen, der Mond ging auf, ich ſang, weil ich doch nicht mit ihnen ſprechen konnte, nachher ſangen ſie wieder, und ſo kam ich am ſpäten Abend an, ein paar - mal hatte ich Angſt die Leute konnten mich irre führen, und war recht froh wie ich in meiner kleinen Thurm - ſtube ſaß.

Ich bin übrigens nicht ohne Beſchäftigung ſo ein - ſam es auch iſt, an einem Morgen hab ich mehrere Hundert kleine Backſteine gemacht, das Bauen iſt meine Freude, mein Bruder Chriſtian iſt ein wahres Genie er kann alles, eben iſt das Modell einer kleinen Schmiede fertig geworden, das nun auch gleich im großen ausge - führt werden ſoll. Die Erfindungsgabe dieſes Bruders iſt ein unverſiegbarer Quell und ich bin ſein beſter Hand - langer ſo weit meine Kräfte reichen, mehrere ideale Ge -211 bäude ſtehen in kleinen Modellen um uns her in einem großen Saal, und da ſind der Aufgaben ſo viele die ich zu löſen habe, daß ich Abends oft ganz müde bin, es hindert mich jedoch nicht, Morgens den Sonnenauf - gang auf dem Peteetſch zu erwarten, ein Berg der rund iſt wie ein Backofen und hiervon den Namen trägt, (denn Pedeetſch heißt auf böhmiſch Backofen) etwas er - höht über hundert ſeines gleichen, die wie ein großes Lager von Zelten ihn umgeben, da ſeh ich denn aber - mals und abermals die Welt dem Licht erwachen; allein und einſam wie ich bin kämpft's in meiner Seele, müßte ich länger hier bleiben, ſo ſchön es auch iſt, ich könnt's nicht aushalten. Vor kurzem war ich noch in der gro - ßen Wienſtadt, ein Treiben, ein Leben unter den Men - ſchen als ob es nie aufhören ſollte, da wurden in Ge - meinſchaft die üppigen Frühlingstage verlebt, in ſchönen Kleidern ging man geſellig umher. Jeder Tag brachte neue Freude und jeder Genuß wurde eine Quelle inte - reſſanter Mittheilungen, über das alles hinaus ragte mir Beethoven, der große übergeiſtige, der uns in eine unſichtbare Welt einführte, und der Lebenskraft einen Schwung gab, daß man das eigne beſchränkte Selbſt zu einem Geiſteruniverſum erweitert fühlte. Schade daß er nicht hier iſt in dieſer Einſamkeit, daß ich über ſei -212 nem Geſpräch das ewige Zirpen jener Grille vergeſſen möchte, die nicht aufhört mich zu mahnen, daß nichts außer ihrem Ton die Einſamkeit unterbricht. Heute habe ich mich eine ganze Stunde exerciert einen Kranz von Roſen mit dem Stock auf ein hohes ſteinernes Kreuz zu ſchwingen das am Fahrweg ſteht, es war ver - gebens der Kranz entblätterte, ich ſetzte mich ermüdet auf die Bank drunter, bis der Abend kam, und dann ging ich nach Hauſe. Kannſt Du glauben daß es mich ſehr traurig machte ſo einſam nach Hauſe zu gehen, und daß es mir war als hänge ich mit nichts zuſam - men in der Welt, und daß ich unterwegs an deine Mut - ter dachte, wenn ich im Sommer zum Eſchenheimer Thor hereinkam vom weiten Spaziergang, da lief ich zu ihr hinauf, ich warf Blumen und Kräuter alles was ich ge - ſammelt hatte mitten in die Stube, und ſetzte mich dicht an ſie heran und legte den Kopf ermüdet auf ihren Schoos; ſie ſagte: haſt Du die Blumen ſo weit herge - bracht, und jetzt wirfſt Du ſie alle weg, da mußte ihr die Lieschen ein Gefäß bringen und ſie ordnete den Strauß ſelbſt, über jede einzelne Blume hielt ſie ihre Betrachtung, und ſagte vieles was mir ſo wohlthätig war, als ſchmeichle mir eine liebe Hand; ſie freute ſich daß ich alles mitbrachte, Kornähren und Grasſaamen213 und Beeren am Aſte, hohe Dolden, ſchöngeformte Blät - ter, Käfer, Mooſe, Saamendolden, bunte Steine, ſie nannte es eine Muſterkarte der Natur, und bewahrte es immer mehrere Tage; manchmal bracht ich ihr aus - erleſene Früchte und verbot ihr, ſie zu eſſen, weil ſie zu ſchön waren, ſie brach gleich einen ſchön geſtreiften Pfir - ſich auf und ſagte: man muß allem Ding ſeinen Wil - len thun, der Pfirſich läßt mir nun doch keine Ruh bis er verzehrt iſt. In allem, was ſie that, glaubt ich Dich zu erkennen, ihre Eigenheiten und Anſichten waren mir liebe Räthſel, in denen ich Dich errieth.

Hätt ich die Mutter noch, ſo wüßt ich wo ich zu Haus wär, ich würde ihren Umgang allem andern vor - ziehen, ſie machte mich ſicher im Denken und Handeln, manchmal verbot ſie mir etwas, wenn ich aber doch als meinem Eigenſinn gefolgt war, vertheidigte ſie mich ge - gen alle, und da holte ſie aus in ihrem Enthuſiasmus, wie der Schmidt, der das glühende Eiſen auf dem Am - bos hat, ſie ſagte: wer der Stimme in ſeiner Bruſt folgt, der wird ſeine Beſtimmung nicht verfehlen, dem wächſt ein Baum aus der Seele, aus dem jede Tugend und jede Kraft blüht, und der die ſchönſten Eigenſchaf - ten wie köſtliche Äpfel trägt, und Religion, die ihm nicht im Weg iſt, ſondern ſeiner Natur angemeſſen,214 wer aber dieſer Stimme nicht horcht, der iſt blind und taub, und muß ſich von andern hinführen laſſen, wo ihre Vorurtheile ſie ſelbſt hin verbannen. Ei, ſagte ſie: ich wollte ja lieber vor der Welt zu Schanden werden, als daß ich mich von Philiſterhand über einen gefähr - lichen Steig leiten ließ, am End iſt auch gar nichts ge - fährlich, als nur die Furcht ſelber, die bringt einem um alles. Grad im letzten Jahr war ſie am lebendigſten und ſprach über alles mit gleichem Antheil, aus den einfachſten Geſprächen entwickelten ſich die feierlichſten und edelſten Wahrheiten, die einem für das ganze Le - ben ein Talismann ſein konnten; ſie ſagte: der Menſch muß ſich den beſten Platz erwählen, und den muß er behaupten ſein Leben lang, und muß all ſeine Kräfte dran ſetzen, dann nur iſt er edel und wahrhaft groß. Ich meine nicht einen äußern, ſondern einen innern Eh - renplatz, auf den uns ſtets dieſe innere Stimme hinweiſt, könnten wir nur das Regiment führen in uns ſelbſt wie Napoleon das Regiment der Welt führt, da würde ſich die Welt mit jeder Generation erneuern und über ſich ſelbſt hinausſchwingen. So bleibt's immer beim alten, weil's halt keiner in ſich weiter treibt wie der vorige, und da langweilt man ſich ſchon, wenn man auch eben erſt angekommen iſt, ja, man fühlt's gleich, wenn man's215 auch zum erſtenmal hört daß die Weisheit ſchon altes abgedroſchenes Zeug iſt. Ihre franzöſiſche Einquar - tierung mußte ihr viel vom Napoleon erzählen, da fühlte ſie mit, alle Schauer der Begeiſterung; ſie ſagte: der iſt der Rechte, der in allen Herzen wiederhallt mit Entzücken, höheres giebt es nichts, als daß ſich der Menſch im Men - ſchen fühlbar mache, und ſo ſteigere ſich die Seeligkeit durch Menſchen und Geiſter wie durch eine elektriſche Kette, um zuletzt als Funken in das himmliſche Reich überzu - ſpringen. Die Poeſie ſei dazu, um das edle, ein - fache, große aus den Krallen des Philiſterthums zu ret - ten, alles ſei Poeſie in ſeiner Urſprünglichkeit, und der Dichter ſei dazu, dieſe wieder hervorzurufen, weil alles nur als Poeſie ſich verewige; ihre Art zu denken hat ſich mir tief eingeprägt, ich kann mir in ihrem Sinn auf alles Antwort geben, ſie war ſo entſchieden, daß die allgemeine Meinung durchaus keinen Einfluß auf ſie hatte, es kam eben alles aus ſo tiefem Gefühl, ſie ſagte mir oft, ihre Vorliebe für mich ſei blos aus der ver - kehrten Meinung andrer Leute entſtanden, da habe ſie gleich geahnet, daß ſie mich beſſer verſtehen werde. Nun, ich werde mich noch auf alles beſinnen, denn mein Gedächtniß wird mir doch nicht weniger treu ſein wie mein Herz. Am Pfingſtfeſt in ihrem letzten Lebensjahr,216 da kam ich aus dem Rheingau, um ſie zu beſuchen, ſie war freudig überraſcht, wir fuhren in's Kirſchenwäld - chen; es war ſo ſchön Wetter, die Blüthen wirbelten leiſe um uns herab wie Schnee, ich erzählte ihr von einem ähnlichen ſchönen Feiertag wie ich erſt dreizehn Jahr alt geweſen, da hab ich Nachmittags allein auf einer Raſenbank geſeſſen, und da habe ſich ein Kätzchen auf meinen Schooß in die Sonne gelegt und ſei einge - ſchlafen, und ich bin ſitzen geblieben, um ſie nicht zu ſtören, bis die Sonne unterging, da ſprang die Katze fort. Die Mutter lachte und ſagte: damals haſt Du vom Wolfgang noch nichts gewußt, da haſt Du mit der Katze vorlieb genommen.

Ja, hätte ich die Mutter noch! mit ihr brauchte man nichts Großes zu erleben, ein Sonnenſtrahl, ein Schneegeſtöber, der Schall eines Poſthorns weckte Ge - fühle, Erinnerung und Gedanken. Ich muß mich ſchä - men vor Dir daß ich ſo verzagt bin. Biſt Du mir nicht gut, und nimmſt mich auf wie eine gute Gabe? und kann einer Gabe annehmen, der ſich nicht hin - giebt der Gabe? und iſt das Gabe, die nicht ganz und immerdar ſich giebt? Geht auch ein Schritt vor - wärts, der nicht in ein neues Leben geht? geht einer rückwärts, der nicht mit dem ewigen Leben verfallenwäre? 217wäre? Siehſt Du, das iſt ein ſehr einfaches Rechen - exempel, warum man nicht verzagen ſoll, weil das ewige keine Grenze hat. Wer will der Liebe, wer kann dem Geiſt Grenzen ſetzen! Wer hat je geliebt der ſich et - was vorbehalten habe? Vorbehalt iſt Selbſtliebe. Das irdiſche Leben iſt Gefängniß, der Schlüſſel zur Freiheit iſt Liebe, ſie führt aus dem irdiſche Leben in's himm - liſche. Wer kann aus ſich ſelbſt erlöſt werden ohne die Liebe? die Flamme verzehrt das irdiſche um dem Geiſt grenzenloſen Raum zu gewinnen, der auffliegt zum Äther; der Seufzer der ſich in der Gottheit auflöſt hat keine Grenze. Nur der Geiſt hat ewige Wirkung, ewiges Leben, alles andre ſtirbt. Gute Nacht, gute Nacht, es iſt um die Geiſterſtunde.

Dein Kind das ſich an Dich drängt aus Furcht vor ſeinen eignen Gedanken.

An Bettine.

Da Du in der Fülle intereſſanter Begebenheiten und Zerſtreuungen der volkreichſten Stadt nicht verſäumt haſt mir ſo reichhaltige Berichte zu ſenden, ſo wäre es unbillig wenn ich jetzt in deinen verborgnen Schlupf -II. 10218winkel Dir nicht auch ein Zeichen meines Lebens und meiner Liebe dahinüber ſchickte. Wo ſteckſt Du denn? Weit kann es nicht ſein; die eingeſtreuten Lavendel - blüthen in deinem Brief ohne Datum, waren noch nicht welk da ich ihn erhielt, ſie deuten an daß wir einander vielleicht näher ſind als wir ahnden konnten. Verſäume ja nicht bei deinen allſeitigen Treiben und wunderlichen Verſuchen, der Göttin Gelegenheit, einen Tempel aus ge - machten Backſteinen zu errichten, und erinnere Dich da - bei daß man ſie ganz kühn bei den drei goldnen Haa - ren ergreifen muß um ſich ihrer Gunſt zu verſichern. Eigentlich hab ich Dich ſchon hier, in deinen Briefen in deinen Andenken und lieblichen Melodieen, und vor allem in deinem Tagebuch mit dem ich mich täglich be - ſchäftige, um mehr und mehr deiner reichen erhabenen Phantaſie mächtig zu werden, doch möchte ich Dir auch mündlich ſagen können wie Du mir werth biſt.

Deine Weisſagungen über Menſchen und Dinge über Vergangenheit und Zukunft ſind mir lieb und nütz - lich, und ich verdiene auch daß Du mir das beſte gönnſt. Treues, liebevolles Andenken hat vielleicht einen beſ - ſern Einfluß auf Geſchick und Geiſt, als die Gunſt der Sterne ſelbſt, von denen wir ja doch nicht wiſſen ob wir219 ſie nicht den Beſchwörungen ſchöner Liebe zu danken haben.

Von der Mutter ſchreib alles auf, es iſt mir wich - tig; ſie hatte Kopf und Herz zur That wie zum Gefühl.

Was Du auf deiner Reiſe geſehen und erfahren haſt ſchreib mir alles, laſſe Dich die Einſamkeit nicht bößlich anfallen, Du haſt Kraft ihr das beſte abzuge - winnen.

Schön wär's wenn das liebe böhmer Gebirg nun auch deine liebe Erſcheinung mir beſcheerte. Lebe wohl liebſtes Kind, fahre fort mit mir zu leben und laſſe mich deine lieben ausführlichen Briefe nicht miſſen.

Goethe.

An Goethe.

Dein Brief war ganz raſch da, ich glaubte deinen Athem noch drinn zu erhaſchen noch eh ich ihn geleſen hatte, hab ich dem eine Falle geſtellt, an der Landcharte bin ich auch geweſen. Wenn ich heute von hier ab - reiſte ſo läg ich Morgen früh zu deinen Füßen; und wie ich an der weichen Moltonart deines Schreibens er - kenne, ſo würdeſt Du mich nicht lange da ſchmachten10*220laſſen, Du würdeſt mich bald an's Herz ziehen, und in ſtürmender Freude würde gleich Cymbeln und Pauken mit raſchem Wirbelſchlag ein durch Mark und Bein dringendes Finale der ſüßen Ruhe vorangehen, die mich in deiner Gegenwart beglückt. Wem entdeck ich's? Die kleine Reiſe zu Dir? Ach nein ich ſag's nicht, es verſteht's doch keiner wie ſeelig es mich machen könnte, und dann iſt es ja auch ſo allgemein die Freude der Begeiſtrung zu verdammen, ſie nennen es Wahnſinn und Verkehr[t]heit. Glaub nicht, daß ich ſagen dürfte wie lieb ich Dich habe, was man nicht begreift das findet man leicht toll, ich muß ſchweigen. Aber der herrlichen Göttin, die mit den[Philiſtern] ihr Spiel treibt, hab ich nach deinem Wink und um meiner Ungeduld zu ſteuern mit ſelbſt gemachten Backſteinen ſchon den Grund zum Tempelchen gelegt. Hier male ich Dir den Grundriß: eine viereckige Halle, in der Mitte ihrer vier Wände, Thüren klein und ſchmal, innerhalb derſelben eine zweite auf Stufen erhaben, die auch in der Mitte jeder Wand eine Thüre hat; dieſer Raum ſteht aber quer, alſo daß die Ecken auf die vier Thüren der äußern Halle gerich - tet ſind; in dieſem ein dritter viereckiger Raum, der auf Stufen erhöht liegt, nur eine Thüre hat, und wieder mit dem äußerſten Raum gleich ſteht, die drei Ecken221 welche ſich durch den innerſten Raum in dem zweiten abſchneiden und durch große Öffnungen ſich an den - ſelben anſchließen, während die vierte Ecke den Eingang zur Thüre bildet: ſtellen die Gärten der Heſperiden dar, in der Mitte auf weichgepolſtertem Thron die Göttin; nachläſſig hingelehnt ſchießt ſie ohne Wahl, nur ſpie - lend nach den goldnen Äpfeln der Heſperiden, die mit Jammer zuſehen müſſen, wie die vom Pfeil zufällig durchſchoſſnen Äpfel über die umwachte Grenze hinaus fliegen. O Goethe! wer nun von außen die rechte Thür wählt, und ohne langes Beſinnen durch die Vor - hallen grade zum[innerſten] Tempel gelangt, den Apfel am fliegenden Pfeil kühn erhaſcht, wie glücklich iſt der!

Die Mutter ſagte: alle ſchönen Erfindungen des Menſchengeiſtes, wenn ſie auch auf Erden nicht auszu - führen ſeien, ſo wären ſie dem Himmel wo alles ohne Leib, nur im Geiſt da ſei doch nicht verloren. Gott habe geſagt es werde, und habe dadurch die ganze ſchöne Welt erſchaffen, eben ſo ſei dem Menſchen dieſe Kraft eingeboren, was er im Geiſt erfinde, daß werde durch dieſe Kraft im Himmel erſchaffen. Denn der Menſch baue ſich ſeinen Himmel ſelbſt, und ſeine herr - lichen Erfindungen verzieren das ewige unendliche Jen - ſeits; in dieſem Sinne alſo, baue ich unſerer Göttin222 den ſchönen Tempel, ich[bekleide] ſeine Wände mit lieb - lichen Farben und Marmorbildern, ich lege den Boden aus mit bunten Steinen, ich ſchmücke ihn mit Blu - men, und erfülle durchwandelnd die Hallen mit dem Duft des Weihrauchs, auf den Zinnen aber bereite ich dem glückbringenden Storch ein bequemes Neſt, und ſo vertreibe ich mir die ungeduldige Zeit, die mich aus einer Aufregung in die andere ſtürzt. Ach ich darf gar nicht hinhorchen in die Ferne, wie ſonſt, wenn ich in der waldrauſchenden Einſamkeit, auf das Zwitſchern der Vögel lauſchte um ihr Neſtchen zu entdecken. Jetzt am hohen Mittag, ſitz ich allein im Garten, und möchte nur fühlen nicht denken was Du mir biſt; da kommt ſo leiſe der Wind, als käm er von Dir; er legt ſich ſo friſch an's Herz, er ſpielt mit dem Staub zu meinen Füßen und jagt unter die tanzenden Mückchen, er ſtreift mir die heißen Wangen, hält ſchmeichelnd den Brand der Sonne auf; am unbeſchnittnen Rebengelän - der hebt er die Ranken, und flüſtert in den Blättern, dann ſtreift er eilend über die Felder über die neigenden Blumen. Brachte er Bothſchaft? hab ich ihn recht ver - ſtanden? Iſt's gewiß? er ſoll mich tauſendmal grü - ßen vom Freund, der gar nicht weit von hier meiner harrt um mich tauſendmal willkommen zu heißen? 223 Ach könnt ich noch einmal ihn fragen! er iſt fort; laſſ ihn ziehen, zu andern die auch ſich ſehnen, ich wende mich zu ihm der allein mein Herz ergreift mein Leben erneut mit ſeinem Geiſt, mit dem Hauch ſeiner Worte*)Suleika 180.

Frag nur nicht nach dem Datum, ich hab keinen Kalender, und ich muß Dir geſtehen, es iſt als ob ſich's nicht ſchicke für meine Liebe, daß ich mich um die Zeit bekümmere. Ach Goethe! ich mag nicht hinter mich ſe - hen und auch nicht vor mich. Dem himmliſchen Augen - blick iſt die Zeit ein Scharfrichter das ſcharfe Schwert das ſie über ihm ſchwingt, ſeh ich mit ſcheuer Ahnung blitzen; nein ich will nicht fragen nach der Zeit, wo ich fühle, daß die Ewigkeit mir den Genuß nicht über die Grenze des Augenblicks ausdehnen würde; aber doch wenn Du wiſſen willſt, über's Jahr vielleicht, oder in ſpäterer Zeit, wann es doch war daß mich die Sonne braun gebrannt hat, und ich's nicht ſpürte vor tiefem Sinnen an Dich; ſo merk Dir es iſt grade wo die Jo -224 hannisbeeren reif ſind, der ſpeculirende Geiſt des Bru - ders will ſich in einem trefflichen Goose-beery vine ver - ſuchen, ich helfe keltern. Geſtern Abend im Mondlicht haben wir Traubenleeſe gehalten, da flogen unzählige Nachtfalter mir um den Kopf; wir haben eine ganze Welt träumeriſcher Geſchöpfe aufgeſtört bei dieſer nächt - lichen Ernte, ſie waren ganz irre geworden. Wie ich in mein Zimmer kam fand ich unzählige die das Licht umſchwärmten, ſie dauerten mich, ich wollte ihnen wie - der hinaus helfen, ich hielt lange das Licht vor's Fen - ſter, und hab die halbe Nacht mit zugebracht, es hat mich keine Mühe verdroſſen. Goethe habe doch auch Geduld mit mir wenn ich Dich umſchwärme, und von den Strahlen deines Glanzes mich nicht trennen will, da möchteſt Du mir wohl auch gern nach Hauſe leuchten.

Bettine.

Heute Morgen hat der Chriſtian der auch Arznei - wiſſenſchaft treibt eine zahme Wachtel kurirt die in mei - nen Zimmer herumläuft, und krank war, er verſuchte ihr einen Tropfen Opium einzuflößen, unverſehens trat er auf ſie daß ſie ganz platt und todt da lag. Er faßte225 ſie raſch und ribbelte ſie mit beiden Händen wieder rund, da lief ſie hin als wenn ihr nichts gefehlt hätt, und die Krankheit iſt auch vorbei, ſie macht ſich gar nicht mehr dick, ſie frißt, ſie ſäuft, badet ſich und ſingt, alles ſtaunt die Wachtel an.

Heute gingen wir auf's Feld um die Wirkung ei - ner Maſchine zu ſehen mit der Chriſtian bei großer Dürre die Saaten wäſſern will, ein ſich weit verbrei - tender Perlenregen ſpielte in der Sonne und machte uns viel Vergnügen. Mit dieſem Bruder geh ich gern ſpa - zieren, er ſchlendert ſo vor mir her, und findet überall was merkwürdiges; er kennt das Leben der kleinen In - ſekte und ihre Wohnungen und wie ſie ſich nähren und mehren; alle Pflanzen nennt er, und kennt ihre Abkunft und Eigenſchaften, manchmal bleibt er den ganzen Tag auf einem Fleck liegen und ſimulirt wer weiß was er da alles denkt, in keiner Stadt gäb's ſo viel zu thun als was ſeine Erfindſamkeit jeden Augenblick ausheckt; bald hab ich beim Schmidt, bald bei dem Zimmermann oder Maurer ſubtile Geſchäfte für ihn, bei dem einen zieh ich den Blasbalg, bei dem andern halte ich Schnur10**226und Richtmaaß. Mit der Nähnadel und Scheere muß ich auch eingreifen; eine Reiſemütze hat er erfunden de - ren Zipfel ſich in einen Sonnenſchirm ausbreitet, und einen Reiſewagen rund wie eine Paucke, mit Lämmer - fell ausgeſchlagen, der von ſelbſt fährt, Gedichte macht er auch; ein Luſtſpiel hat er gemacht zum Lachen für Mund und Herz; auf der Flöte bläſt er in die tiefe Nacht hinein ſelbſt gemachte ſehr ſchöne brillante Va - riationen die im ganzen Praginer Kreis wiederhallen. Er lehrt mich reiten und das Pferd regieren wie ein Mann; er läßt mich ohne Sattel reiten, und wundert ſich daß ich ſitzen bleib im Galopp. Der Gaul will mich nicht fallen laſſen, er kneipt mich in den Fuß zum Scherz und daß ich Muth haben ſoll, er iſt vielleicht ein verwünſchter Prinz dem ich gefall. Fechten lehrt mich der Chriſtian auch, mit der linken Hand und mit der rechten, und nach dem Ziel ſchießen nach einer gro - ßen Sonnenblum, das lern ich alles mit Eifer, damit mein Leben doch nicht gar zu dumm wird, wenn's wie - der Krieg giebt; heute Abend waren wir auf der Jagd und haben Schmetterlinge geſchoſſen, zwei hab ich ge - troffen auf einen Schuß.

So geht der Tag raſch vorüber, erſt fürchtete ich vor Zeitüberfluß allzulange Briefe zu ſchreiben, oder227 Dich mit ſpeculativen Gedanken über Gott und Reli - gion zu behelligen, weil ich in Landshut viel in der Bi - bel geleſen habe und in Luther's Schriften. Jetzt iſt mir alles ſo rund wie die Weltkugel, wo denn gar nichts zu bedenken iſt, weil wir nirgend wo herunter fallen können, deine Lieder ſinge ich im gehen in der freien Natur, da finden ſich die Melodieen von ſelbſt die mei - ner Erfindung den rechten Rythmus geben; in der Wild - niß mach ich bedeutende Fortſchritte, das heißt kühne Sätze von einer Klippe zur andern. Da hab ich einen kleinen Tummelplatz von Eichhörnchen entdeckt, unter einem Baum lagen eine große Menge dreieckiger Nüſſe, auf dem Baum ſaßen zum wenigſtens ein Dutzend Eich - hörnchen und warfen mir die Schalen auf den Kopf, ich blieb ſtill unten liegen und ſah durch die Zweige ih - ren Balletſprüngen und mimiſchen Tanz zu, was man mit ſo großem Genuß verzehren ſieht das macht einem auch unwiderſtehlichen Appetit, ich habe ein ganzes Tuch voll dieſer Nüſſe, die man Bucheckern nennt, geſammelt, und die ganze Nacht dran geknuſpert wie die Eichhörn - chen; wie ſchön ſpeiſen die Thiere des Waldes wie an - muthig bewegen ſie ſich dabei, und wie beſchreibt ſich in ihren Bewegungen der Charakter ihrer Nahrungs - mittel. Man ſieht der Ziege gleich an daß ſie gerne228 ſäuerliche Kräuter frißt denn ſie ſchmazt. Die Menſchen ſeh ich nicht gerne eſſen, da fühl ich mich beſchämt. Der Geruch aus der Küche wo allerlei bereitet wird, kränkt mich, da wird geſotten und gebraten und geſpickt; Du weißt vielleicht nicht was das iſt? Das iſt eine ge - waltig große Nähnadel in die wird Speck eingefädelt, und damit wird das Fleiſch der Thiere benäht, da ſetzen ſich die vornehmen, gebildeten Männer die den Staat regieren an die Tafel und kauen in Geſellſchaft. In Wien wie ſie den Tyrolern Verzeihung für die Revo - lution ausgemacht haben, die ſie doch ſelbſt angezettelt hatten, und haben den Hofer an die Franzoſen verkauft, das iſt alles bei Tafel ausgemacht worden, mit trunk - nem Muth ließ ſich das ohne ſonderliche Gewiſſensbiſſe einrichten.

Die Diplomaten haben zwar die Liſt des Teufels, der Teufel hat ſie aber doch zum beſten, das ſieht man an ihren närriſchen Geſichtern, auf denen der Teufel alle ihre Intriguen abmalt. In was liegt denn die höchſte Würde als nur im Dienſt der Menſchheit, welche herr - liche Aufgabe für den Landesherrn, daß alle Kinder kommen und flehen gieb uns unſer täglich Brod? und daß er ſagen kann: da habt! nehmt alles, denn ich bedarf nur daß Ihr verſorgt ſeid, ja wahrlich! was229 kann einer für ſich haben wollen als alles nur für an - dre zu haben, das wäre der beſte Schuldentilger; aber den armen Tyrolern haben ſie doch ihre Schulden nicht bezahlt. Ach was geht mich das alles an, der Bothe geht ab und nun hab ich Dir nichts geſchrieben von vielem was ich Dir ſagen wollte, ach wenn es doch käme daß ich Dich bald begegnete was gewiß werden wird, ja es muß wahr werden. Dann wollen wir alle Welthändel ſein laſſen, und wollen jede Minute gewiſ - ſenhaft verwenden*)Hier iſt eine Lücke in der Correſpondenz.

Bettine.

An Bettine.

Deine Briefe, allerliebſte Bettine ſind von der Art, daß man jederzeit glaubt der letzte ſei der intereſſanteſte So ging mir's mit den Blättern die Du mitgebracht hatteſt, und die ich am Morgen deiner Abreiſe fleißig las und wieder las. Nun aber kam dein letztes das alle die andern übertrifft**)Briefe und Blätter fehlen.. Kannſt Du ſo fortfahren Dich ſelbſt zu überbieten ſo thue es, Du haſt ſo viel230 mit Dir genommen, daß es wohl billig iſt etwas aus der Ferne zu ſenden. Gehe Dir's wohl!

Goethe.

Deinen nächſten Brief muß ich mir unter gegen - überſtehender Adreſſe er - bitten wie ominos! O weh! Was wird er ent - halten?

Durch Herrn Hauptmann von Verlohren in Dresden.

An Goethe.

Beſchuldige mich nicht daß ich ſo viel mit mir fort - genommen habe, denn wahrlich ich fühle mich ſo ver - armt, daß ich mich nach allen Seiten umſehe nach et - was an das ich mich halten kann; gieb mir etwas zu thun wozu ich kein Tageslicht brauche, kein Zuſammen - ſein mit den Menſchen, und was mir Muth giebt al - lein zu ſein. Dieſer Ort gefällt mir nicht, hier ſind keine Höhen von denen man in die Ferne ſchauen könnte.

231

Ich ſtieg einmal auf einen Berg. Ach! was mein Herz beſchwert? ſind Kleinigkeiten ſagen die Menſchen. Zuſammenhängend ſchreiben? ich könnte meiner Lebtag die Wahrheit nicht hervorbringen; ſeit - dem wir in Töplitz zuſammen geſeſſen haben, was ſoll ich Dir noch lang ſchreiben was der Tag mit ſich bringt, das Leben iſt nur ſchön wenn ich mit Dir bin. Nein ich kann Dir nichts zuſammenhängendes erzählen, buch - ſtabir Dich durch wie damals durch mein Geſchwätz. Schreib ich denn nicht immer was ich ſchon hundert - tauſendmal geſagt habe? Die da von Dresden ka - men erzählten mir viel von deinen Wegen und Stegen, grad als wollten ſie ſagen: dein Hausgott war auf andrer Leute Heerd zu Gaſt, und hat ſich da gefallen. Z ..... hat dein Bild überkommen und hat es wieder ſein graubraunes Conterfei geſtützt; ich ſeh in die Welt, und in dieſem tauſendfältigen Narrenſpiegel ſeh ich häu - fig dein Bild das von Narren geliebkoſ't wird. Du kannſt doch wohl denken daß dies mir nicht erfreulich iſt. Du und Schiller Ihr wart Freunde und Eure Freundſchaft hatte eine Baſis im Geiſterreich; aber Goe - the dieſe nachkömmlichen Bündniſſe die gemahnen mich232 grad wie die Trauerſchleppe einer erhabenen vergange - nen Zeit die durch allen Schmutz des gemeinen Lebens nachſchleppt. Wenn ich mich bereite Dir zu ſchreiben, und denke ſo in mich hinein, da fallen mir allemal die einzelnen Momente meines Lebens ein, die ſo ruhig, ſo auffaßlich in mich herein geklungen haben, wie allen - falls einem Maler ähnliche Momente in der Natur wie - der erſcheinen wenn er mit Luſt etwas malt; ſo gedenke ich jetzt der Abenddämmerung im heißen Monat Auguſt wie Du am Fenſter ſaßeſt und ich vor Dir ſtand, und wie wir Rede wechſelten, ich hatte meinen Blick wie ein Pfeil ſcharf Dir in's Auge gedrückt, und ſo blieb ich drinn haften und bohrte mich immer tiefer und tiefer ein und wir waren beide ſtille, und Du zogſt meine auf - gelößten Haare durch die Finger. Ach Goethe da frag - teſt Du ob ich künftig deiner gedenken werde beim Licht der Sterne, und ich hab es Dir verſprochen und jetzt haben wir Mitte Oktober und ſchon oft hab ich nach den Sternen geſehen und habe deiner gedacht, und es überläuft mich kalter Schauer, und Du der meinen Blick dahin gebannt hat, denke doch wie oft ich noch hinauf blicken werde, ſo ſchreib es denn auch täglich neu in die Sterne daß Du mich liebſt, damit ich nicht ver -233 zweifeln muß, ſondern daß mir Troſt von den Sternen niederleuchtet, jetzt wo wir nicht bei einander ſind. Vorm Jahr um dieſe Zeit da ging ich an einem Tag weit ſpa - zieren und blieb auf einem Berg ſitzen, da oben ſpielt ich mit dem glitzernden Sand den die Sonne beſchien, und knipſte den Saamen aus den verdorrten Stäud - chen, bei mit nebelkämpfender Abendröthe ging ich und überſah alle Lande ich war frei im Herzen, denn meine Liebe zu Dir macht mich frei. So was beengt mich zuweilen, wie damals die erfriſchende Luft mich kräftig, ja beinah geſcheut machte, daß ich nicht immer geh im - mer wandre unter freiem Himmel, und mit der Natur ſpreche. Ein Sturmwind nimmt in größter Schnelle ganze Thäler ein, alles berührt er, alles bewegt er, und der es empfindet wird von Begeiſtrung ergriffen. Die gewaltige Natur läßt keinen Raum und bedarf keinen Raum, was ſie mit ihrem Zauberkreis umſchlingt das iſt herein gebannt. O Goethe Du biſt auch hinein ge - bannt, in keinem Wort in keinem Hauch deiner Gedichte läßt ſie Dich los. [Und] wieder muß ich vor dieſer Menſchwerdung niederknieen, und muß Dich lieben und begehren wie alle Natur.

Da wollt ich Dir noch viel ſagen, ward abgerufen und heute am 29. Oktober komme ich wieder zum ſchrei -234 ben. Es iſt halt überall ruhig, oder vielmehr öde. Daß die Wahrheit ſei, dazu gehört nicht einer; aber daß die Wahrheit ſich an ihnen bewähre dazu gehören alle Menſchen. Mann! deſſen Fleiſch und Bein ſo von der Schönheit deiner Seele durchdrungen iſt, wie darf ich Leib und Seele ſo beiſammen lieb haben! oft denk ich bei mir ich möchte beſſer und herrlicher ſein damit ich doch die Anſprüche an Dich rechtfertigen könnte aber kann ich's? Dann muß ich an Dich denken, Dich vor mir ſehen, und habe nichts wenn mir die Liebe nicht als Verdienſt gelten ſoll? ſolche Liebe iſt nicht unfruchtbar. Und doch darf ich nicht nach - denken, ich könnte mir den Tod dran holen, iſt was dran gelegen? ja wohl! ich hab eine Wiege in dei - nem Herzen und wer mich da heraus ſtielt, ſei es Tod oder Leben der raubt Dir ein Kind. Ein Kopfkiſſen möcht ich mit Dir haben, aber ein hartes; ſag es nie - mand daß ich ſo bei Dir liegen möchte, in tiefſter Ruh an deiner Seite. Es giebt viele Auswege und Durchgänge in der Welt, einſame Wälder und Höhlen die kein End haben, aber keiner iſt ſo zum Schlaf zum Wohlſein eingerichtet als nur Gottes Schooß; ich denk mir's da breit und behaglich, und daß einer mit dem Kopf auf des andern Bruſt ruhe, und daß ein warmer235 Athmen am Herz hinſtreife, was ich mir ſo ſehr wünſche zu fühlen, deinen Athem.

Bettine.

An Bettine.

Nun bin ich, liebe Bettine, wieder in Weimar an - ſäſſig und hätte Dir ſchon lange für deine lieben Blät - ter*)Die Blätter fehlen. danken ſollen die mir alle nach und nach zuge - kommen ſind, beſonders für dein Andenken vom 27. Au - guſt. Anſtatt nun alſo Dir zu ſagen wie es mir geht wovon nicht viel zu ſagen iſt, ſo bring ich eine freund - liche Bitte an Dich. Da Du doch nicht aufhören wirſt mir gerne zu ſchreiben, und ich nicht aufhören werde Dich gern zu leſen, ſo könnteſt Du mir noch neben her einen Gefallen thun. Ich will Dir nämlich bekennen daß ich im Begriff bin meine Bekenntniſſe zu ſchreiben, daraus mag nun ein Roman oder eine Geſchichte werden, das läßt ſich nicht vorausſehen, aber in jedem Fall be - darf ich deiner Beihülfe. Meine gute Mutter iſt ab - geſchieden, und ſo manche andre die mir das Vergangne236 wieder hervorrufen könnten, das ich meiſtens vergeſſen habe. Nun haſt Du eine ſchöne Zeit mit der theuern Mutter gelebt, haſt ihre Mährchen und Anekdoten wie - derholt vernommen, und trägſt und hegſt alles im fri - ſchen belebenden Gedächtniß. Setze Dich alſo nur gleich hin und ſchreibe nieder was ſich auf mich und die Mei - nigen bezieht, und Du wirſt mich dadurch ſehr erfreuen und verbinden. Schicke von Zeit zu Zeit etwas, und ſprich mir dabei von Dir und deiner Umgebung. Liebe mich bis zum Wiederſehn.

G.

Du haſt doch immer eine Urſache mir zu ſchreiben, ich hab aber nichts behalten, noch in Betracht gezogen, als nur das Ende: Liebe mich bis zum Wiederſehn. Hätteſt Du dieſe letzten Worte nicht hingeſetzt, ſo hätt ich vielleicht noch Rückſicht genommen auf's vorherge - hende; dieſe einzige Freundlichkeit hat mich überſchwemmt, hat mich gefangen gehalten in tauſend ſüßen Gedanken von geſtern Abend an bis wieder heut Abend. Aus dem allen kannſt Du ſchließen, daß mir dein Brief ungefähr237 vor vierundzwanzig Stunden friſche[Luft] in's Zimmer gebracht hat. Nun war ich aber ſeitdem wie ein Dachs, dem die Winterwelt zu ſchlecht iſt, und habe mich in den warmen Boden meiner eignen Gedanken vergraben. Was Du verlangſt, hat für mich immer den Werth, daß ich es der Gabe würdig achte; ich gebe daher die Nahrung, das Leben zweier regen Jahre gern in dein Gewahrſam, es iſt wenig in Bezug auf viel, aber un - endlich, weil es einzig iſt; Du ſelber könnteſt Dich viel - leicht wundern, daß ich Dinge in den Tempel eintrug, und mein Daſein durch ſie weihete, die man doch aller Orten findet; an jeder Hecke kann man in der Früh - lingszeit Blüthen abbrechen; aber wie, lieber Herr! ſo unſcheinbar die Blüthe auch iſt, wenn ſie nun nach Jah - ren immer noch duftet und grünt? Deine Mutter gebar Dich in ihrem ſiebzehnten Jahr, und im ſechsund - ſiebigſten konnte ſie alles noch mitleben was in deinen erſten Jahren vorging, und ſie beſäete das junge Feld, das guten Boden, aber keine Blumen hatte, mit dieſen ewigen Blüthen; und ſo kann ich Dir wohl gefallen, da ich gleichſam ein duftender Garten dieſer[Erinnerun - gen] bin, worunter deiner Mutter Zärtlichkeit die ſchönſte Blüthe iſt, und darf ich's ſagen? meine Treue die gewaltigſte. Ich trug nun ſchon früher Sorge238 darum, daß, was bei der Mutter ſo kräftig Wurzeln ſchlug und bei mir Blüthen trieb, endlich auch in ſüßer Frucht vom hohen Stamm an die Erde niederrollen möchte. Nun höre! da lernte ich in München einen jungen Arzt kennen, verbranntes, von Blattern zerriſſe - nes Geſicht, arm wie Hiob, fremd mit Allen, große aus - gebreitete Natur, aber grade darum in ſich fertig und geſchloſſen, konnte den Teufel nicht als das abſolut Böſe erfaſſen, aber wohl als einen Kerl mit zwei Hörnern und Bocksfüßen (natürlich an den Hörnern läßt ſich ei - ner packen, wenn man Courage hat), der Weg ſeiner Begeiſterung ging nicht auf einer Himmels -, aber wohl auf einer Hühnerleiter in ſeine Kammer, allwo er auf eigne Koſten mit Armen, Kranken darbte und freudig das Seinige mit ihnen theilte, ſeine junge, enthuſiaſtiſche Kunſt an ihnen gedeihen machte; er war ſtumm durch Krankheit bis in ſein viertes Jahr, ein Donner - ſchlag löſte ihm die Zunge, mit funfzehn Jahren ſollte er Soldat werden, dafür, daß er des Generals wildes Pferd zähmte, gab ihn dieſer frei, dadurch, daß er ei - nen Wahnwitzigen kurirte, bekam er eine kleine unbe - queme Stelle in München, in dieſer Lage lernte ich ihn kennen, bald ging er bei mir aus und ein, dieſer gute Geiſt, reich an Edelmuth, der außerdem nichts hatte als239 ſeine Einſamkeit; nach beſchwerlicher Tageslaſt, aus hülfreicher Leidenſchaft lief er oft noch Abends ſpät mei - lenweite Strecken, um die gefangnen Tyroler zu begeg - nen und ihnen Geld zuzuſtecken, oder er begleitete mich auf den Schneckenthurm, wo man die fernen Alpen ſe - hen kann, da haben wir überlegt, wenn wir Nebel und röthlichen Schein am Himmel bemerkten, ob's Feuer ſein könnte, da hab ich ihm auch oft meine Pläne mitge - theilt, daß ich hinüber möchte zu den Tyrolern, da ha - ben wir auf der Karte einen Weg ausſtudiert, und ich ſah es ihm auf dem Geſicht geſchrieben, daß er nur meiner Befehle harre.

So war's, da in Augsburg die peſtartigen Laza - rethe ſich häuften und in kurzer Zeit die Ärzte mit den Kranken wegrafften; mein junger Eisbrecher wanderte hin, um Laſt und Gefahr einem alten Lehrer abzuneh - men, der Familienvater war, er ging mit ſchwerer Ahn - dung, ich gab ihm ein Sacktuch, alten Wein und das Verſprechen zu ſchreiben zum Abſchied. Da wurde denn überlegt und all des Guten gedacht, was ſich während dieſer kurzen Bekanntſchaft ereignet hatte, und da wurde überdacht, daß meine Worte über Dich, mein liebendes Wiſſen von Dir und der Mutter ein heiliger Schatz ſei, der nicht verloren gehen ſolle, in der äußern Schaale240 der Armuth würde ein ſolches Kleinod am heiligſten be - wahrt ſein, und ſo kam's, daß meine Briefe mit den einzelnen Anekdoten deiner Jugend erfüllt waren, deren eine jede wie Geiſter zu rechter Zeit eintrat, und Laune und Verdruß verſcheuchten. Der Zufall, uns der ge - heiligte, trägt auf ſeinen tauſendfach beladenen Schwin - gen auch dieſe Briefe, und vielleicht wird es ſo, daß wenn Fülle und Üppigkeit einſt ſich wieder durch das mißhandelte Fruchtland empordrängen, auch er die goldne Frucht niederſchüttelt in's allgemeine Wohl.

Manches habe ich ſchon in dermaliger Zeit mit we - nig Worten gedeutet, mehr zu Dir darüber ſprechend, da ich Dich noch nicht kannte, nicht geſehen hatte, oder auch war ich mit dem Senkblei tief in eignes Wohl und Weh eingedrungen. Verſtehſt Du mich? da Du mich liebſt?

Willſt Du ſo daß ich Dir die ehmalige Zeit vor - trage, wo, ſo wie mir dein Geiſt erſchien, ich mich mei - ner eignen Geiſtigkeit bemächtigte, um ihn zu faſſen, zu lieben. Und warum ſollte ich nicht ſchwindeln vor Begeiſterung, iſt denn das mögliche[Hinabſtürzen] ſo furchtbar? Wie der Edelſtein vom einſamen Strahl berührt, tauſendfache Farben ihm entgegenſpiegelt, ſoauch241auch wird deine Schönheit vom Strahl der Begeiſterung allein beleuchtet, tauſendfach bereichert.

Nur erſt, wenn alles begriffen iſt, kann das Etwas ſeinen vollen Werth erweiſen, und ſomit begreifſt Du mich, wenn ich Dir erzähle, daß das Wochenbett deiner Mutter, worin ſie Dich zur Welt brachte, blaugewür - felte Vorhänge hatte. Sie war damals achtzehn Jahr alt und ein Jahr verheirathet, hier bemerkte ſie, Du würdeſt wohl ewig jung bleiben, und dein Herz würde nie veralten, da Du die Jugend der Mutter mit in den Kauf habeſt. Drei Tage bedachteſt Du Dich eh Du an's Weltlicht kamſt und machteſt der Mutter ſchwere Stunden. Aus Zorn, daß Dich die Noth aus dem ein - gebornen Wohnort trieb, und durch die Mißhandlung der Amme kamſt Du ganz ſchwarz und ohne Lebens - zeichen. Sie legten Dich in einen ſogenannten Fleiſch - arden und bäheten Dir die Herzgrube mit Wein, ganz an deinem Leben verzweifelnd. Deine Großmutter ſtand hinter dem Bett, als Du zuerſt die Augen aufſchlugſt, rief ſie hervor: Räthin, er lebt! da erwachte mein mütterliches Herz und lebte ſeitdem in fortwährender Begeiſterung bis zu dieſer Stunde! ſagte ſie mir in ihrem fünfundſiebzigſten Jahr. Dein Großvater, der der Stadt ein herrlicher Bürger und damals Syndikus war,II. 11242wendete ſtets Zufall und Unfall zum Wohl der Stadt an, und ſo wurde auch deine ſchwere Geburt die Ver - anlaſſung, daß man einen Geburtshelfer für die Armen einſetzte. Schon in der Wiege war er den Menſchen eine Wohlthat, ſagte die Mutter, ſie legte Dich an ihre Bruſt, allein Du warſt nicht zum Saugen zu brin - gen, da wurde Dir eine Amme gegeben. An dieſer hat er mit rechtem Appetit und Behagen getrunken, da es ſich nun fand, ſagte ſie, daß ich keine Milch hatte, ſo merkten wir bald, daß er geſcheuter geweſen war wie wir alle, da er nicht an mir trinken wollte.

Siehſt Du, nun biſt Du einmal geboren, nun kann ich ſchon immer ein wenig pauſiren, nun biſt Du ein - mal da, ein jeder Augenblick iſt mir lieb genug um da - bei zu verweilen, ich mag den zweiten nicht herbeiru - fen, daß er mich vom erſten verdränge. Wo Du biſt iſt Lieb und Güte, wo Du biſt Natur! jetzt wart ich's erſt ab daß Du mir wieder ſchreibeſt: Nun erzähl weiter. Dann werd ich erſt fragen: Nun, wo ſind wir denn geblieben? und dann werd ich Dir erzählen von deinen Großeltern, von deinen Träumen, Schönheit, Stolz, Liebe ꝛc. Amen.

Räthin, er lebt! das Wort ging mir immer243 durch Mark und Bein, ſo oft es die Mutter im erhöh - ten Freudenton vortrug.

Das Schwert der Gefahr
Hängt oft an einem Haar,
Aber der Seegen einer Ewigkeit
Liegt oft in einem Blick der Gnade bereit.

kann man bei deiner Geburt wohl ſagen.

Bettine.

P. S.

Schreib bald, Herzenskind, dann wirſt Du auch bald wachſen, in die liebſten Jahre kommen, wo dein Muthwille Dich allen gefährlich machte und über alle Gefahr hinweghob. Soll ich Dir bekennen, daß die - ſes Geſchäft mir Schmerzen macht, und daß die tau - ſend Gedanken ſich um mich herlagern, als wollten ſie mich für ewig gefangen nehmen.

Zelter läutet und bummelt mir deine Lieder vor, wie eine Glocke, die von einem faulen Küſter angeläutet wird, es geht immer Bim und zu ſpät wieder Bam. Sie fallen alle übereinander her, Zelter über Reichard, dieſer über Hummel, dieſer über Righini und dieſer wieder über den Zelter; es könnte ein jeder ſich ſelbſt ausprügeln, ſo hätte er immer den andern einen größeren Gefallen ge - than, als wenn er ihn zum Conzert eingeladen hätte. 11*244Nur die Todten ſollen ſie mir ruhen laſſen, und den Beethoven, der gleich bei ſeiner Geburt auf ihr Erbtheil Verzicht gethan hat. Das gilt aber alles nichts ..... Lieber Freund! wer Dich lieb hat wie ich, der ſingt Dich im tiefſten Herzen, das kann aber keiner mit ſo breiten Knochen und ſo langer Weſte.

Schreib bald, ſchreib gleich, wenn Du wüßteſt wie in einem einzigen Wort von Dir oft ein ſchwerer Traum gelöſt wird! ruf mir nur zu: Kind ich bin ja bei Dir! dann iſt alles gut. Thu es.

Würde es Dich nicht intereſſiren Briefe, die Du an Jugendfreunde geſchrieben, wieder zu bekommen? ſchreib darüber, ſie könnten Dich doch wohl um ſo leb - hafter in die damalige Zeit verſetzen, und derſelben zum Theil habhaft zu werden, wäre doch auch nicht unmög - lich, antworte mir lieber Freund, unterdeſſen will ich keinen Tag vergehen laſſen, ohne an deiner Aufgabe zu arbeiten.

245
An Bettine.

Hier die Duette! In dieſem Augenblick habe ich nicht mehr Faſſung und Ruhe, als Dir zu ſagen, fahre fort ſo lieb und anmuthig zu ſein. Laß mich nun bald taufen! Adieu.

G.

Mein theuerſter Freund.

Ich kenne Dich nicht! nein, ich kenne Dich nicht! ich kann deine Worte mißverſtehen, ich kann mir Sor - gen um Dich machen, da Du doch Freiheit haſt über aller Sclaverei, da doch dein Antlitz nie vom Unglück überſchattet war, und ich kann Furcht haben bei dem edelſten Gaſtfreund des Glückes? die wahre Liebe hat kein Bekümmerniß. Ich habe mir oft vorgenommen, daß ich Dich viel zu heilig halten will, als elende Angſt um Dich zu hegen, und daß Du in mir nur Troſt und Freude hervorbringen ſollſt. Sei es wie es mag, hab ich Dich auch nicht, ſo hab ich Dich doch, und nicht wahr, in meinen Briefen da fühlſt Du daß ich Wahr - heit rede? da haſt Du mich, und ich? weiſſagend verfolge ich die Züge deiner Feder, die Hand, die mir246 gnädig iſt, hat ſie geführt, das Auge, das mir wohl will, hat ſie überſehen, und der Geiſt, der ſo vieles, ſo verſchiednes umfängt, hat ſich eine Minute lang aus - ſchließlich zu mir gewendet, da hab ich Dich, ſoll ich Dir einen Commentar hierzu machen? Ein Au - genblick iſt ein ſchicklicherer Raum für eine göttliche Er - ſcheinung als eine halbe Stunde der Augenblick, den Du mir ſchenkſt, macht mich ſeeliger als das ganze Leben.

Heute am 24ſten hab ich die Duetten erhalten mit den wenigen Zeilen von Dir, die mich auf's Gradewohl irre führten, es war mir als könnteſt Du krank ſein, oder ich weiß nicht was ich mir alles dachte, aber daran dachte ich nicht, daß Du in jenem Augenblick, bloß weil dein Herz ſo voll war, ſo viel in ſo wenig Worten ausdrücken könnteſt, und endlich, für Dich iſt ja nichts zu fürchten, nicht zu zittern. Aber wenn auch! Weh mir, wenn ich Dir nicht freudig folgen könnte, wenn meine Liebe den Weg nicht fände, der Dir immer ſo nah iſt, wie mein Herz dem Deinigen iſt und war.

Bettine.

Hierbei ſchicke ich Dir Blätter mit allerlei Geſchich - ten und Notizen aus deinem und der Mutter Leben. Es iſt die Frage, ob Du es wirſt brauchen können,247 ſchreib mir, ob Dir mehr erforderlich iſt, in dieſem Fall müßte ich das Notizenbuch zurückerhalten was ich hier mitſchicke, ich glaub aber gewiß, daß Du beſſer und mehr darin finden wirſt, als ich noch hinzuſetzen könnte. Ver - zeih alles Überflüſſige, wozu denn wohl am erſten die Tintenkleckſe und ausgeſtrichnen Worte gehören.

An Goethe.

Die Himmel dehnen ſich ſo weit vor mir, alle Berge, die ich je mit ſtillem Blick maß, heben ſich ſo unermeß - lich, die Ebnen, die noch eben mit dem glühen[den]Rand der aufgehenden Sonne begränzt waren, ſie haben keine Gränzen mehr. In die Ewigkeit hinein. Will denn ſein Leben ſo viel Raum haben?

Von ſeiner Kindheit: wie er ſchon mit neun Wo - chen ängſtliche Träume gehabt, wie Großmutter und Großvater und Mutter und Vater und die Amme um ſeine Wiege geſtanden und lauſchten, welche heftige Be - wegungen ſich in ſeinen Mienen zeigten, und wenn er erwachte, in ein ſehr betrübtes Weinen verfallen, oft auch ſehr heftig geſchrieen hat, ſo daß ihm der Athem entging und die Eltern für ſein Leben beſorgt waren, ſie ſchafften eine Klingel an; wenn ſie merkten, daß er248 im Schlaf unruhig ward, klingelten und raſſelten ſie heftig, damit er bei dem Aufwachen gleich den Traum vergeſſen möge; einmal hatte der Vater ihn auf dem Arm und ließ ihn in den Mond ſehen, da fiel er plötz - lich wie von etwas erſchüttert zurück, und gerieth ſo au - ßer ſich, daß ihm der Vater[Luft] einblaſen mußte, da - mit er nicht erſticke. Dieſe kleinen Zufälle würde ich in einem Zeitraum von ſechzig Jahren vergeſſen haben, ſagte die Mutter, wenn nicht ſein fortwährendes Leben mir dies alles geheiligt hatte; denn ſoll ich die Vorſe - hung nicht anbeten, wenn ich bedenke, daß ein Leben damals von einem Lufthauch abhing, das ſich jetzt in tauſend Herzen befeſtigt hat? und mir iſt es nun gar das einzige, denn Du kannſt wohl denken Bettine, daß Weltbegebenheiten mich nicht ſehr anfechten, daß Geſellſchaften mich nicht erfüllen. Hier in meiner Ein - ſamkeit, wo ich die Tage nach einander zähle, und kei - ner vergeht, daß ich nicht meines Sohnes gedenke, und alles iſt mir wie Gold.

Er ſpielte nicht gern mit kleinen Kindern, ſie muß - ten denn ſehr ſchön ſein. In einer Geſellſchaft fing er plötzlich an zu weinen und ſchrie: das ſchwarze Kind ſoll hinaus, das kann ich nicht leiden, er hörte auch nicht auf mit Weinen bis er nach Haus kam, wo ihn249 die Mutter befragte über die Unart, er konnte ſich nicht tröſten über des Kindes Häßlichkeit. Damals war er drei Jahr alt. Die Bettine, welche auf einem Sche - mel zu Füßen der Frau Rath ſaß, machte ihre eignen Gloſſen darüber und drückte der Mutter Knie an's Herz.

Zu der kleinen Schweſter Cornelia hatte er, da ſie noch in der Wiege lag, ſchon die zärtlichſte Zuneigung, er trug ihr alles zu und wollte ſie allein nähren und pflegen, und war eiferſüchtig, wenn man ſie aus der Wiege nahm, in der er ſie beherrſchte, da war ſein Zorn nicht zu bändigen, er war überhaupt viel mehr zum Zürnen wie zum Weinen zu bringen.

Die Küche im Haus ging auf die Straße, an ei - nem Sonntag Morgen, da alles in der Kirche war, ge - rieth der kleine Wolfgang hinein und warf alles Ge - ſchirr nach einander zum Fenſter hinaus, weil ihn das Rappeln freute und die Nachbarn, die es ergötzte, ihn dazu aufmunterten; die Mutter, die aus der Kirche kam, war ſehr erſtaunt, die Schüſſeln alle herausfliegen zu ſehen, da war er eben fertig und lachte ſo herzlich mit den Leuten auf der Straße, und die Mutter lachte mit.

Oft ſah er nach den Sternen, von denen man ihm ſagte, daß ſie bei ſeiner Geburt eingeſtanden haben, hier mußte die Einbildungskraft der Mutter oft das Unmög -11**250liche thun, um ſeinen Forſchungen Genüge zu leiſten, und ſo hatte er bald heraus, daß Jupiter und Venus die Regenten und Beſchützer ſeiner Geſchicke ſein wür - den; kein Spielwerk konnte ihn nun mehr feſſeln, als das Zahlbrett ſeines Vaters, auf dem er mit Zahlpfen - nigen die Stellung der Geſtirne nachmachte, wie er ſie geſehen hatte; er ſtellte dieſes Zahlbrett an ſein Bett und glaubte ſich dadurch dem Einfluß ſeiner günſtigen Sterne näher gerückt; er ſagte auch oft zur Mutter ſor - genvoll: die Sterne werden mich doch nicht vergeſſen und werden halten was ſie bei meiner Wiege verſpro - chen haben? da ſagte die Mutter: warum willſt Du denn mit Gewalt den Beiſtand der Sterne, da wir an - dre doch ohne ſie fertig werden müſſen, da ſagte er ganz ſtolz: mit dem was andern Leuten genügt, kann ich nicht fertig werden, damals war er ſieben Jahr alt.

Sonderbar fiel es der Mutter auf, daß er bei dem Tod ſeines jüngern Bruder Jacob, der ſein Spielkam - merad war, keine Thräne vergoß, er ſchien vielmehr eine Art Ärger über die Klagen der Eltern und Ge - ſchwiſter zu haben, da die Mutter nun ſpäter den Trotzigen fragte, ob er den Bruder nicht lieb gehabt habe, lief er in ſeine Kammer, brachte unter dem Bett hervor eine Menge Papiere, die mit Lectionen und Ge -251 ſchichtchen beſchrieben waren, er ſagte ihr, daß er dies alles gemacht habe, um es dem Bruder zu lehren.

Die Mutter glaubte auch ſich einen Antheil an ſei - ner Darſtellungsgabe zuſchreiben zu dürfen, denn ein - mal, ſagte ſie, konnte ich nicht ermüden zu erzählen, ſo wie er nicht ermüdete zuzuhören, Luft, Feuer, Waſſer und Erde ſtellte ich ihm unter ſchönen Prinzeſſinnen vor, und alles was in der ganzen Natur vorging, dem er - gab ſich eine Bedeutung, an die ich bald ſelbſt feſter glaubte als meine Zuhörer, und da wir uns erſt zwi - ſchen den Geſtirnen, Straßen dachten, und daß wir einſt Sterne bewohnen würden, und welchen großen Geiſtern wir da oben begegnen würden, da war kein Menſch ſo eifrig auf die Stunde des Erzählens mit den Kindern wie ich, ja, ich war im höchſten Grad begierig unſere kleinen eingebildeten Erzählungen weiter zu führen, und eine Einladung, die mich um einen ſolchen Abend brachte, war mir immer verdrießlich. Da ſaß ich, und da ver - ſchlang er mich bald mit ſeinen großen ſchwarzen Au - gen, und wenn das Schickſal irgend eines Lieblings nicht recht nach ſeinem Sinn ging, da ſah ich wie die Zornader an der Stirn ſchwoll und wie er die Thränen verbiß. Manchmal griff er ein und ſagte noch eh ich meine Wendung genommen hatte, nicht wahr, Mutter,252 die Prinzeſſin heirathet nicht den verdammten Schneider, wenn er auch den Rieſen todſchlägt; wenn ich nun Halt machte und die Kataſtrophe auf[d]en nächſten Abend verſchob, ſo konnte ich ſicher ſein, daß er bis dahin al - les zurecht gerückt hatte, und ſo ward mir denn meine Einbildungskraft, wo ſie nicht mehr zureichte, häufig durch die ſeine erſetzt, wenn ich denn am nächſten Abend die Schickſalsfäden nach ſeiner Angabe weiter lenkte und ſagte: Du haſt's gerathen, ſo iſt's gekommen, da war er Feuer und Flamme, und man konnte ſein Herzchen unter der Halskrauſe ſchlagen ſehen. Der Großmutter, die im Hinterhauſe wohnte und deren Liebling er war, vertraute er nun allemal ſeine Anſichten, wie es mit der Erzählung wohl noch werde, und von dieſer erfuhr ich wie ich ſeinen Wünſchen gemäß weiter im Text kommen ſolle, und ſo war ein geheimes diplomatiſches Treiben zwiſchen uns, das keiner an den andern verrieth; ſo hatte ich die Satisfaction zum Genuß und Erſtaunen der Zuhörenden, meine Mährchen vorzutragen, und der Wolfgang, ohne je ſich als den Urheber aller merkwür - digen Ereigniſſe zu bekennen, ſah mit glühenden Augen der Erfüllung ſeiner kühn angelegten Pläne entgegen, und begrüßte das Ausmalen derſelben mit enthuſiaſti - ſchem Beifall. Dieſe ſchönen Abende, durch die ſich253 der Ruhm meiner Erzählungskunſt bald verbreitete, ſo daß endlich alt und jung daran Theil nahm, ſind mir eine ſehr erquickliche Erinnerung. Das Welttheater war nicht ſo reichhaltig, obſchon es die Quelle war zu immer neuen Erfindungen, that, durch ſeine grauſenhafte Wirk - lichkeit, die alles Fabelhafte überſtieg, für's erſte der Mährchenwelt Abbruch, das war das Erdbeben von Liſſabon; alle Zeitungen waren davon erfüllt, alle Men - ſchen argumentirten in wunderlicher Verwirrung, kurz, es war ein Weltereigniß, das bis in die entfernteſten Gegenden alle Herzen erſchütterte, der kleine Wolfgang, der damals im ſiebenten Jahr war, hatte keine Ruhe mehr; das brauſende Meer, das in einem Nu alle Schiffe niederſchluckte und dann hinaufſtieg am Ufer, um den ungeheuern königlichen Pallaſt zu verſchlingen, die hohen Thürme, die zuvörderſt unter dem Schutt der kleinern Häuſer begraben wurden, die Flammen, die überall aus den Ruinen heraus, endlich zuſammenſchla - gen und ein großes Feuermeer verbreiten, während eine Schaar von Teufeln aus der Erde hervorſteigt, um al - len böſen Unfug an den Unglücklichen auszuüben, die von vielen tauſend zu Grunde gegangnen noch übrig waren, machten ihm einen ungeheuren Eindruck. Jeden Abend enthielt die Zeitung neue Mähr, beſtimmtere Er -254 zählungen, in den Kirchen hielt man Bußpredigten, der Papſt ſchrieb ein allgemeines Faſten aus, in den katho - liſchen Kirchen waren Requiem für die vom Erdbeben verſchlungenen. Betrachtungen aller Art wurden in Ge - genwart der Kinder vielſeitig beſprochen, die Bibel wurde aufgeſchlagen, Gründe für und wieder behauptet, dies alles beſchäftigte den Wolfgang tiefer als einer ahn - den konnte, und er machte am Ende eine Auslegung davon die alle an Weisheit übertraf.

Nachdem er mit dem Großvater aus einer Pre - digt kam in welcher die Weisheit des Schöpfers gleich - ſam gegen die betroffne Menſchheit vertheidigt wurde und der Vater ihn fragte wie er die Predigt verſtan - den habe, ſagte er: Am End mag alles noch viel einfacher ſein als der Prediger meint, Gott wird wohl wiſſen daß der unſterblichen Seele durch böſes Schickſal kein Schaden[geſchehen] kann. Von da an warſt Du wieder oben auf, doch meinte die Mutter daß deine re - volutionairen Aufregungen bei dieſem Erdbeben, ſpäter beim Prometheus wieder zum Vorſchein gekommen ſeien.

Laß mich Dir noch erzählen daß dein Großvater zum Gedächtniß deiner Geburt einen Birnbaum in dem wohl gepflegten Garten vor dem Bockenheimer Thor ge - pflanzt hatte, der Baum iſt ſehr groß geworden, von255 ſeinen Früchten die köſtlich ſind hab ich gegeſſen und Du würdeſt mich auslachen wenn ich Dir alles ſa - gen wollte. Es war ein ſchöner Frühling ſonnig und warm, der junge hochſtämmige Birnbaum war über und über bedeckt mit Blüthen, nun war's glaub ich am Geburtstag der Mutter, da ſchafften die Kinder den grünen Seſſel auf dem ſie Abends wenn ſie erzählte zu ſitzen pflegte, und der darum der Mährchenſeſſel genannt wurde, in aller Stille in den Garten, putzten ihn auf mit Bändern und Blumen, und nachdem Gäſte und Verwandte ſich verſammelt hatten trat der Wolfgang als Schäfer gekleidet mit einer Hirtentaſche, aus der eine Rolle mit goldnen Buchſtaben herabhing, mit einem grünen Kranz auf dem Kopf unter den Birnbaum, und hielt eine Anrede an den Seſſel als den Sitz der ſchö - nen Mährchen, es war eine große Freude den ſchönen bekränzten Knaben unter den blühenden Zweigen zu ſe - hen wie er im Feuer der Rede, welche er mit großer Zuverſicht hielt, aufbrauſte. Der zweite Theil dieſes ſchönen Feſtes beſtand in Seifenblaſen, die im Sonnen - ſchein, von Kindern, welche den Mährchenſtuhl umkreiſ - ten in die heitere Luft gehaucht von Zephyr aufgenom - men und ſchwebend hin und her geweht wurden; ſo oft eine Blaſe auf den gefeierten Stuhl ſank, ſchrie alles256 ein Mährchen! ein Mährchen, wenn die Blaſe von der krauſen Wolle des Tuchs eine Weile gehalten endlich platzte ſchrieen ſie wieder, das Mährchen platzt. Die Nachbarsleute in den angränzenden Gärten guckten über Mauer und Verzäunung und nahmen den lebhafteſten Antheil an dieſem großen Jubel, ſo daß dies kleine Feſt am Abend in der ganzen Stadt bekannt war. Die Stadt hat's vergeſſen, die Mutter hat's behalten und es ſich ſpäter oft als eine Weiſſagung deiner Zukunft ausgelegt.

Nun lieber Goethe muß ich Dir bekennen daß es mir das Herz zuſammenſchnürt wenn ich Dir dieſe ein - zelnen Dinge hinter einander hinſchreibe die mit tauſend Gedanken zuſammen hängen welche ich Dir weder er - zählen noch ſonſt deutlich machen kann, denn Du liebſt Dich nicht wie ich, und Dir muß dies wohl unbedeutend erſcheinen, während ich keinen Athemzug von Dir ver - lieren möchte. Daß vieles ſich nicht verwindet wenn's einmal empfunden iſt, daß es immer wiederkehrt, iſt nicht traurig; aber daß die Ufer ewig unerreichbar blei - ben, das ſchärft den Schmerz. Wenn mir deine Liebe zu meiner Mutter durchklingt und ich überdenke das ganze, dies zurückhalten dies verbrauſen der Jugend auf tauſend Wegen es muß ſich ja doch einmal löſen. Mein Leben: was war's anders als ein tiefer Spie -257 gel des Deinigen, es war liebende Ahnung die alles mit ſich fortzieht die mir von Dir Kunde gab; und ſo war ich Dir nachgekommen an's Licht, und ſo werd ich Dir nachziehen in's Dunkel. Mein lieber Freund, der mich nimmermehr verkennt! ſieh ich löſe mir das Räthſel auf mancherlei ſchöne Weiſe; aber, frag nicht was es iſt und laß das Herz gewähren ſag ich mir hundertmal.

Ich ſah um mich empor wachſen Pflanzen ſeltner Art, ſie haben Stacheln und Duft, ich mag keine be - rühren, ich mag keine miſſen. Wer ſich in's Leben her - einwagt, der kann nur ſich wieder durcharbeiten in die Freiheit; und ich weiß daß ich Dich einſt noch feſthal - ten werde und mit Dir ſein, und in Dir ſein das iſt das Ziel meiner Wünſche, das iſt mein Glaube.

Leb wohl, ſei geſund und laß Dir ein einheimiſcher Gedanke ſein, daß Du mich wiederſehn wolleſt, vieles möcht ich vor Dir ausſprechen.

An Goethe.

Schön wie ein Engel, warſt Du, biſt Du, und bleibſt Du, ſo waren auch in deiner früheſten Jugend aller Augen auf Dich gerichtet. Einmal ſtand jemand am Fenſter bei deiner Mutter da Du eben über die258 Straße herkamſt mit mehreren andern Knaben, ſie be - merkten daß Du ſehr gravitätiſch einher ſchritteſt und hielten Dir vor, daß Du Dich mit deinem Gradehalten ſehr ſonderbar von den andern Knaben auszeichneteſt. Mit dieſem mache ich den Anfang, ſagteſt Du, und ſpäter werd ich mich mit noch allerlei auszeichnen, und das iſt auch wahr geworden ſagte die Mutter.

Einmal zur Herbſtleſe, wo denn in Frankfurt am Abend in allen Gärten Feuerwerke abbrennen und von allen Seiten Raquetten aufſteigen, bemerkte man in den entfernteſten Feldern wo ſich die Feſtlichkeit nicht hin erſtreckt hatte, viele Irrlichter, die hin und her hüpften bald auseinander bald wieder eng zuſammen, endlich fingen ſie gar an, figurierte Tänze aufzuführen, wenn man nun näher drauf los kam verloſch ein Irrlicht nach dem andern manche thaten noch große Sätze und ver - ſchwanden, andere blieben mitten in der Luft und ver - loſchen dann plötzlich, andere ſetzten ſich auf Hecken und Bäume weg waren ſie, die Leute fanden nichts, gingen wieder zurück gleich fing der Tanz von vorne an; ein Lichtlein nach dem andern ſtellte ſich wieder ein und tanzte um die halbe Stadt herum. Was war's? Goethe der mit vielen Kameraden die ſich Lichter auf die Hüte geſteckt hatten, da draußen herum tanzte.

259

Das war deiner Mutter eine der liebſten Anekdoten, ſie konnte noch manches dazu erzählen wie Du nach ſolchen Streichen immer luſtig nach Hauſe kamſt und hundert Abentheuer gehabt u. ſ. w. deiner Mutter war gut zuhören!

In ſeiner Kleidung war er nun ganz entſetzlich eigen, ich mußte ihm täglich drei Toiletten beſorgen, auf einen Stuhl hing ich einen Überrock, lange Beinkleider, ordinäre Weſte, ſtellte ein Paar Stiefel dazu, auf den zweiten, einen Frack, ſeidne Strümpfe die er ſchon angehabt hatte, Schuhe u. ſ. w., auf den dritten kam alles vom feinſten nebſt Degen und Haarbeutel, das erſte zog er im Hauſe an, das zweite wenn er zu täglichen Bekann - ten ging, das dritte zum Galla, kam ich nun am an - dern Tag hinein da hatte ich Ordnung zu ſtiften, da ſtanden die Stiefeln auf den feinen Manſchetten und Halskrauſen, die Schuhe ſtanden gegen Oſten und We - ſten, ein Stück lag da das andre dort; da ſchüttelte ich den Staub aus den Kleidern legte friſche Wäſche hin, brachte alles wieder in's Geleis; wie ich nun ſo eine Weſte nehme und ſie am offnen Fenſter recht herzhaft in die Luft ſchwinge, fahren mir plötzlich eine Menge kleiner Steine in's Geſicht, darüber fing ich an zu flu - chen, er kam hinzu, ich zanke ihn aus, die Steine hät -260 ten mir ja ein Aug aus dem Kopf ſchlagen können; nun es hat Ihr ja kein Aug ausgeſchlagen, wo ſind denn die Steine, ich muß ſie wieder haben, helf Sie mir ſie wieder ſuchen ſagte er; nun muß er ſie wohl von ſeinem Schatz bekommen haben, denn er bekümmerte ſich gar nur um die Steine, es waren ordinäre Kieſelſtein - chen und Sand, daß er den nicht mehr zuſammen leſen konnte war ihm ärgerlich, alles was noch da war wik - kelte er ſorgfältig in ein Papier und trug's fort, den Tag vorher war er in Offenbach geweſen da war ein Wirthshaus zur Roſe, die Tochter hieß das ſchöne Gret - chen er hatte Sie ſehr gern, das war die erſte von der ich weiß daß er ſie lieb hatte.

Biſt Du böſ daß die Mutter mir dies alles erzählt hat? dieſe Geſchichte habe ich nun ganz ungemein lieb, deine Mutter hat ſie mir wohl zwanzigmal erzählt, manchmal ſetzte ſie hinzu daß die Sonne in's Fenſter geſchienen habe, daß Du roth geworden ſeiſt, daß Du die aufgeſammelten Steinchen feſt an's Herz gehalten und damit fort marſchiert, ohne auch nur eine Ent - ſchuldigung gemacht zu haben, daß ſie ihr in's Geſicht geflogen. Siehſt Du was die alles gemerkt hat, denn ſo klein die Begebenheit ſchien, war es ihr doch eine Quelle von freudiger Betrachtung über deine Raſchheit,261 funkelnde Augen, pochend Herz, rothe Wangen u. ſ. w. es ergötzte ſie ja noch in ihrer ſpäten Zeit. Dieſe und die folgende Geſchichte haben mir den lebhafteſten Eindruck gemacht ich ſeh Dich in beiden vor mir, in vollem Glanz deiner Jugend. An einem hellen Winter - tag an dem deine Mutter Gäſte hatte machteſt Du ihr den Vorſchlag mit den Fremden an den Main zu fah - ren. Mutter Sie hat mich ja doch noch nicht Schlitt - ſchuhe laufen ſehen und das Wetter iſt heut ſo ſchön u. ſ. w. Ich zog meinen karmoiſinrothen Pelz an der einen langen Schlepp hatte und vorn herunter mit gold - nen Spangen zugemacht war, und ſo fahren wir denn hinaus, da ſchleift mein Sohn herum wie ein Pfeil zwi - ſchen den andern durch, die Luft hatte ihm die Backen roth gemacht und der Puder war aus ſeinen braunen Haaren geflogen, wie er nun den Karmoiſinrothen Pelz ſieht, kommt er herbei an die Kutſch; und lacht mich ganz freundlich an, nun was willſt Du? ſag ich: Ei Mutter Sie hat ja doch nicht kalt im Wagen, geb Sie mir ihren Sammetrock Du wirſt ihn doch nicht gar anziehen wollen freilich will ich ihn anziehen. Ich zieh halt mein prächtig warmen Rock aus, er zieht ihn an, ſchlägt die Schleppe über den Arm, und da fährt er hin, wie ein Götterſohn auf dem Eis; Bettine wenn262 Du ihn geſehen hätteſt!! So was ſchönes giebt's nicht mehr, ich klatſchte in die Hände vor Luſt! mein Lebtag ſeh ich noch wie er den einen Brückenbogen hin - aus und den andern wieder herein lief, und wie da der Wind ihm den Schlepp lang hinten nach trug, damals war deine Mutter mit auf dem Eis der wollte er ge - fallen.

Nun bei dieſer Geſchichte kann ich wieder ſagen, was ich Dir in Töplitz ſagte: daß es mich immer durch - glüht wenn ich an deine Jugend denke, ja es durchglüht mich auch, und ich hab einen ewigen Genuß dran. Wie freut es einem, den Baum vor der Hausthür den man ſeit der Kindheit kennt, im Frühjahr wieder grü - nen und Blüthen gewinnen zu ſehen; wie freut es mich, da Du mir ewig blühſt, wenn zu Zeiten deine Blüthen eine innigere höhere Farbe ausſtrahlen; und ich in lebhafter Erinnerung mein Geſicht in die Kelche hineinſenke und ſie ganz einathme.

Bettine.

263
An Goethe.

Ich weiß daß Du alles was ich Dir von Dir er - zähle nicht wirſt brauchen können, ich hab in einer ein - ſamen Zeit über dieſen einzelnen Momenten geſchwebt wie der Thau auf den Blumen der im Sonnenſchein ihre Farben ſpiegelt. Noch immer ſeh ich Dich ſo ver - herrlicht, aber mir iſt's unmöglich es Dir darſtellend zu beweiſen, Du biſt beſcheiden und wirſt's auf ſich beru - hen laſſen, Du wirſt mir's gönnen daß deine Erſchei - nung grade mich anſtrahlte, ich war die Einſame die durch Zufall oder vielmehr durch bewußtloſen Trieb zu deinen Füßen ſich einfand. Es koſtet mir Mühe und ich kann nur ungenügend darlegen was ſo eng mit mei - nem Herzen verbunden iſt, das doch einmal in meiner Bruſt wohnt, und ſich nicht ſo ganz ablöſt. Indeſſen bedurft es nur ein Wort von Dir, daß ich dieſe Klein - odien rauh und ungeglättet wie ich ſie empfing wieder in deinen ungeheueren Reichthum hereinwerfe; was in die Stirn, die liebendes Denken geründet hat, in meinen Blick, der mit Begeiſtrung auf Dich gerichtet war, in die Lippen die von dieſem Liebesgeiſt berührt zu Dir ſpra - chen, hierdurch eingeprägt ward das kann ich nicht wie -264 der geben, es entſchwebt, wie der Ton der Muſik ent - ſchwebt, und für ſich beſteht in dem Augenblick da ſie aufgeführt wird.

Jeder Anekdote die ich hinſchreibe, möchte ich ein Lebewohl zu rufen; die Blumen ſollen abgebrochen werden, damit ſie noch in ihrer Blüthe in's Herbarium kommen. So hab ich mir's nicht gedacht, da ich Dir in meinem vorletzten Brief meinen Garten ſo freundlich an - bot, lächelſt Du? Du wirſt doch als überflüſſiges Laub abſondern und des Thau's noch des Sonnenſcheins nicht mehr achten, der außer meinem Territorium nicht mehr drauf ruht. Der Schütze wird nicht müde tau - ſend und tauſend Pfeile zu verſenden, der nach der Liebe zielt. Er ſpannt abermal und zieht die Senne bis an's Aug heran, und blickt ſcharf, und zielt ſcharf; und Du! ſieh dieſe verſchoſſnen Pfeile die zu deinen Füßen hin - ſinken gnädig an, und denke daß ich mich nicht zurück - halten kann Dir ewig daſſelbe zu ſagen. Und be - rührt Dich ein ſolcher Pfeil niemals, auch nur ein klei - nes wenig?

Dein Großvater war ein träumender und Traum - deuter es ward ihm vieles über ſeine Familie durch Träume offenbar, einmal ſagte er einen großen Brand, dann die unvermuthete Ankunft des Kaiſers voraus;die -265dieſes war zwar nicht beachtet worden, doch hatte es ſich in der Stadt verbreitet und erregte allgemeines Staunen da es eintraf. Heimlich vertraute er ſeiner Frau ihm habe geträumt, daß einer der Schöffen ihm ſehr verbindlicher Weiſe ſeinen Platz angeboten habe, nicht lange darauf ſtarb dieſer am Schlag, ſeine Stelle wurde durch die goldne Kugel deinem Großvater zu Theil. Als der Schultheiß geſtorben war wurde noch in ſpäter Nacht durch den Rathsdiener auf den andern Morgen eine außerordentliche Rathsverſammlung an - gezeigt, das Licht in ſeiner Laterne war abgebrannt, da rief der Großvater aus ſeinem Bette: gebt ihm ein neues Licht, denn der Mann hat ja doch die Mühe blos für mich. Kein Menſch hatte dieſe Worte beachtet, er ſelbſt äußerte am andern Morgen nichts und ſchien es ver - geſſen zu haben, ſeine älteſte Tochter (deine Mutter) hatte ſich's gemerkt und hatte einen feſten Glauben dran, wie nun der Vater in's Rathhaus gegangen war, ſteckte ſie ſich nach ihrer eignen Ausſage in einen un - menſchlichen Staat, und friſirte ſich bis an den Him - mel. In dieſer Pracht ſetzte ſie ſich mit einem Buch in der Hand im Lehnſeſſel an's Fenſter. Mutter und Schwe - ſtern glaubten, die Schweſter Prinzeß (ſo wurde ſie we - gen ihrem Abſcheu vor häuslicher Arbeit, und Liebe zurII. 12266Kleiderpracht und Leſen genannt) ſei närriſch, ſie aber verſicherte ihnen, ſie würden bald hinter die Bettvor - hänge kriechen, wenn die Rathsherrn kommen würden, Ihnen wegen dem Vater der heute zum Syndicus er - wählt werde, zu gratuliren, da nun die Schweſtern ſie noch wegen ihrer Leichtgläubigkeit verlachten, ſah ſie vom hohen Sitz am Fenſter den Vater im ſtattlichen Gefolge vieler Rathsherrn daher kommen, verſteckt Euch, rief ſie, dort kommt er und alle Rathsherrn mit; keine wollt es glauben, bis eine nach der andern den unfriſirten Kopf zum Fenſter hinaus ſteckte, und die feierliche Pro - zeſſion daher ſchreiten ſah liefen alle davon und ließen die Prinzeß allein im Zimmer um ſie zu empfangen.

Dieſe Traumgabe ſchien auf die eine Schweſter fort - geerbt zu haben, denn gleich nach deines Großvaters Tod da man in Verlegenheit war das Teſtament zu finden, träumte ihr es ſei zwiſchen zwei Brettchen im Pult des Vaters zu finden die durch ein geheimes Schloß verbunden waren, man unterſuchte den Pult und fand alles richtig. Deine Mutter aber hatte das Talent nicht, ſie meinte es komme von ihrer heitern ſorgeloſen Stim - mung und ihrer großen Zuverſicht zu allem Guten, grade dies mag wohl ihre prophetiſche Gabe geweſen267 ſein, denn ſie ſagte ſelbſt daß ſie in dieſer Beziehung ſich nie getäuſcht habe.

Deine Großmutter kam einſt nach Mitternacht in die Schlafſtube der Töchter und blieb da bis am Mor - gen, weil ihr etwas begegnet war was ſie vor Angſt ſich nicht zu ſagen getraute, am andern Morgen er - zählte ſie, daß etwas im Zimmer geraſchelt habe wie Papier, in der Meinung das Fenſter ſei offen und der Wind jage die Papiere von des Vaters Schreibpult im anſtoßenden Studierzimmer umher, ſei ſie aufgeſtanden aber die Fenſter ſeien geſchloſſen geweſen. Da ſie wie - der im Bett lag, rauſchte es immer näher und näher heran mit ängſtlichem Zuſammenknittern von Papier, endlich ſeufzte es tief auf, und noch einmal dicht an ihrem Angeſicht daß es ſie kalt anwehte, darauf iſt ſie vor Angſt zu den Kindern gelaufen; kurz hiernach ließ ſich ein Fremder melden da dieſer nun auf die Haus - frau zuging und ein ganz zerknittertes Papier ihr dar - reichte wandelte ſie eine Ohnmacht an. Ein Freund von ihr der in jener Nacht ſeinen herannahenden Tod geſpürt, hatte nach Papier verlangt, um der Freundin in einer wichtigen Angelegenheit zu ſchreiben, aber noch ehe er fertig war hatte er vom Todeskrampf ergriffen, das Papier gepackt, zerknittert und damit auf der Bett -12*268decke hin und her gefahren endlich zweimal tief aufge - ſeufzt und dann war er verſchieden; obſchon nun das was auf dem Papiere geſchrieben war nichts entſchei - dendes beſagte, ſo konnte ſich die Freundin doch vor - ſtellen was ſeine letzte Bitte geweſen, dein edler Groß - vater nahm ſich einer kleinen Waiſe jenes Freundes, die keine rechtlichen Anſprüche an ſein Erbe hatte an, ward ihr Vormund, legte eine Summe aus eignen Mitteln für ſie an, die deine Großmutter mit manchem kleinen Erſparniß mehrte.

Seit dieſem Augenblick verſchmähte deine Mutter keine Vorbedeutungen, noch ähnliches, ſie ſagte: wenn man es auch nicht glaubt ſo ſoll man es auch nicht läugnen oder gar verachten, das Herz werde durch der - gleichen tief gerührt. Das ganze Schickſal entwickle ſich oft an Begebenheiten die ſo unbedeutend erſcheinen daß man ihrer gar nicht erwähne, und innerlich ſo gelenk und heimlich arbeiten daß man es kaum empfinde; noch täglich, ſagte ſie, erleb ich Begebenheiten die kein and - rer Menſch beachten würde, aber ſie ſind meine Welt, mein Genuß und meine Herrlichkeit; wenn ich in einen Kreis von langweiligen Menſchen trete, denen die auf - gehende Sonne kein Wunder mehr iſt, und die ſich über alles hinaus glauben was ſie nicht verſtehen, ſo denk ich269 in meiner Seele, ja meint nur ihr hättet die Welt ge - freſſen, wüßtet Ihr was die Frau Rath heute alles er - lebt hat! Sie ſagte mir daß ſie ſich in ihren ganzen Leben nicht mit der ordinairen Tagsweiſe haben begnü - gen können, daß ihr ſtarker Geiſt auch wichtige und tüchtige Begebenheiten habe verdauen wollen, und daß ihr dies auch in vollem Maaße begegnet ſei, ſie ſei nicht allein um ihres Sohns willen da, ſondern der Sohn auch um ihrentwillen; und ſie könne ſich wohl ihres Antheils an deinem Wirken und an deinem Ruhm verſichert halten, indem ſich ja auch kein vollendeteres und erhabeneres Glück denken laſſe als um des Sohnes willen allgemein ſo geehrt zu werden, ſie hatte recht, wer braucht das noch zu beleuchten es verſteht ſich von ſelbſt. So entfernt Du von ihr warſt, ſo lange Zeit auch: Du warſt nie beſſer verſtanden als von ihr; wäh - rend Gelehrte, Philoſophen und Kritiker Dich und deine Werke unterſuchten, war ſie ein lebendiges Beiſpiel wie Du aufzunehmen ſeiſt. Sie ſagte mir oft einzelne Stel - len aus deinen Büchern vor, ſo zu rechter Zeit, ſo mit herrlichem Blick und Ton, daß in dieſen, auch meine Welt anfing lebendigere Farbe zu empfangen, und Ge - ſchwiſter und Freunde dagegen in die Schattenſeite tra - ten. Das Lied: O laß mich ſcheinen bis ich werde,270 legte ſie herrlich aus, ſie ſagte, daß dies allein ſchon beweiſen müſſe welche tiefe Religion in Dir ſei, denn Du habeſt den Zuſtand darin beſchrieben in der allein die Seele wieder ſich zu Gott ſchwingen könne, nämlich ohne Vorurtheile, ohne ſelbſtiſche Verdienſte aus reiner Sehnſucht zu ihrem Erzeuger; und daß die Tugenden mit denen man glaube den Himmel ſtürmen zu können lauter Narrenspoſſen ſeien, und daß alles Verdienſt vor der Zuverſicht der Unſchuld die Seegel ſtreichen müſſe, dieſe ſei der Born der Gnade der alle Sünde abwaſche, und jedem Menſchen ſei dieſe Unſchuld eingeboren und ſei das Urprinzip aller Sehnſucht nach einem gött - lichen Leben; auch in dem verwirrteſten Gemüth vermit - tele ſich ein tiefer Zuſammenhang mit ſeinem Schöpfer, in jener unſchuldigen Liebe und Zuverſicht, die ſich trotz aller Verirrungen nicht ausrotten laſſe, an dieſe ſolle man ſich halten denn es ſei Gott ſelber im Menſchen, der nicht wolle daß er in Verzweiflung aus dieſer Welt in jene übergehe, ſondern mit Behagen und Geiſtesge - genwart, ſonſt würde der Geiſt wie ein Trunkenbold hinüber ſtolpern, und die ewigen Freuden durch ſein La - mento ſtöhren, und ſeine Albernheit würde da keinen großen Reſpekt einflößen, da man ihm erſt den Kopf wieder müſſe zurecht ſetzen. Sie ſagte von dieſem Lied271 es ſei der Geiſt der Wahrheit mit dem kräftigen Leib der Natur angethan, und nannte es ihr Glaubensbe - kenntniß, die Melodieen waren elend und unwahr ge - gen den Nachdruck ihres Vortrags, und gegen das Gefühl was in vollem Maaße aus ihrer Stimme hervorklang. Nur wer die Sehnſucht kennt; ihr Auge ruhte dabei auf den Knopf des Katharinenthurms, der das letzte Ziel der Ausſicht war die ſie vom Sitz an ihrem Fenſter hatte, die Lippen bewegten ſich herb, die ſie am End immer ſchmerzlich ernſt ſchloß, während ihr Blick in die Ferne verloren glühte, es war als ob ihre Jugendſinne wieder anſchwellen, dann drückte ſie mir wohl die Hand, und überraſchte mich mit den Wor - ten: Du verſtehſt den Wolfgang und liebſt ihn. Ihr Gedächtniß war nicht allein merkwürdig, es war ſehr herrlich; der Eindruck mächtiger Gefühle entwickelte ſich in ſeiner vollen Gewalt bei ihren Erinnerungen, und hier will ich Dir die Geſchichte, die ich Dir ſchon in München mittheilen wollte und die ſo wunderbar mit ihrem Tode zuſammen hing, als Beiſpiel ihres großen Herzens hinſchreiben, ſo einfach wie ſie mir ſelbſt es er - zählt hat. Eh ich in's Rheingau reiſte kam ich um Ab - ſchied zu nehmen, ſie ſagte indem ſich ein Poſthorn auf der Straße hören ließ, daß ihr dieſer Ton immer noch272 das Herz durchſchneide, wie in ihrem ſiebenzehnten Jahr damals war Karl der ſiebente mit dem Zunamen der Unglückliche in Frankfurt, alles war voll Begeiſterung über ſeine große Schönheit; am Charfreitag ſah ſie ihn im langen ſchwarzen Mantel zu Fuß mit vielen Herren und ſchwarz gekleideten Pagen die Kirchen beſuchen. Him - mel was hatte der Mann für Augen; wie melancholiſch blickte er unter den geſenkten Augenwimpern hervor! ich verließ ihn nicht folgte ihm in alle Kirchen, überall kniete er auf der letzten Bank unter den Bettlern und legte ſein Haupt eine Weile in die Hände, wenn er wieder empor ſah war mir's allemal wie ein Donner - ſchlag in der Bruſt; da ich nach Hauſe kam fand ich mich nicht mehr in die alte Lebensweiſe, es war als ob Bett, Stuhl und Tiſch nicht mehr an dem gewohnten Ort ſtünden, es war Nacht geworden, man brachte Licht herein, ich ging an's Fenſter und ſah hinaus auf die dunkeln Straßen, und wie ich die in der Stube von dem Kaiſer ſprechen hörte da zitterte ich wie Eſpenlaub, am Abend in meiner Kammer legt ich mich vor meinem Bett auf die Knie, und hielt meinen Kopf in den Hän - den wie er, und es war nicht anders wie wenn ein gro - ßes Thor in meiner Bruſt geöffnet wär; meine Schwe - ſter die ihn enthuſiaſtiſch pries, ſuchte jede Gelegenheit273 ihn zu ſehen, ich ging mit ohne daß einer ahndete wie tief es mir zu Herzen gehe, einmal da der Kaiſer vor - über fuhr ſprang ſie auf einen Prallſtein am Weg und rief ihm ein lautes Vivat zu, er ſah heraus und winkte freundlich mit dem Schnupftuch, ſie prahlte ſich ſehr daß der Kaiſer ihr ſo freundlich gewinkt habe, ich war aber heimlich überzeugt daß der Gruß mir gegolten habe, denn im Vorüberfahren ſah er noch einmal rück - wärts nach mir; ja beinah jeden Tag wo ich Gelegen - heit hatte ihn zu ſehen ereignete ſich etwas was ich mir als ein Zeichen ſeiner Gunſt auslegen konnte, und am Abend in meiner Schlafkammer kniete ich allemal vor meinem Bett und hielt den Kopf in meinen Händen, wie ich von ihm am Charfreitag in der Kirche geſehen hatte, und dann überlegte ich was mir alles mit ihm begegnet war, und ſo baute ſich ein geheimes Liebesein - verſtändniß in meinem Herzen auf von dem mir un - möglich war zu glauben, daß er nichts davon ahnde, ich glaubte gewiß er habe meine Wohnung erforſcht da er jetzt öfter durch unſre Gaſſe fuhr wie ſonſt, und alle - mal heraufſah nach den Fenſtern und mich grüßte. O wie war ich den vollen Tag ſo ſeelig wo er mir am Morgen einen Gruß geſpendet hatte; da kann ich wohl ſagen daß ich weinte vor Luſt. Wie er einmal offne12**274Tafel hielt, drängte ich mich durch die Wachen, und kam in den Saal ſtatt auf die Gallerie. Es wurde in die Trompeten geſtoßen, bei dem dritten Stoß erſchien er in einem rothen Sammtmantel, den ihm zwei Kam - merherrn abnahmen, er ging langſam mit etwas ge - beugtem Haupt. Ich war ihm ganz nah, und dachte an nichts, daß ich auf dem unrechten Platz wäre, ſeine Geſundheit wurde von allen anweſenden großen Herren getrunken und die Trompeten ſchmetterten drein, da jauchzte ich laut mit, der Kaiſer ſah mich an, er nahm den Becher um Beſcheid zu thun und nickte mir, ja da kam mir's vor als hätte er den Becher mir bringen wol - len, und ich muß noch heute dran glauben, es würde mir zu viel koſten wenn ich dieſen Gedanken, dem ich ſo viel Glücksthränen geweint habe, aufgeben müßte; warum ſollte er auch nicht, er mußte ja wohl die große Begeiſtrung in meinen Augen leſen; damals im Saal bei dem Geſchmetter der Pauken und Trompeten die den Trunk, womit er den Fürſten Beſcheid that, beglei - teten, ward ich ganz elend und betäubt, ſo ſehr nahm ich mir dieſe eingebildete Ehre zu Herzen, meine Schweſter hatte Mühe mich hinaus zu bringen an die friſche Luft, ſie ſchmälte mit mir daß ſie wegen meiner des Vergnügens verluſtig war den Kaiſer ſpeiſen zu ſe -275 hen, ſie wollte auch nach dem ich am Röhrbrunnen Waſſer getrunken, verſuchen wieder hinein zu kommen, aber eine geheime Stimme ſagte mir, daß ich an dem was mir heute beſcheert geworden mir ſolle genügen laſſen und ging nicht wieder mit, nein ich ſuchte meine einſame Schlafkammer auf und ſetzte mich auf den Stuhl am Bett und weinte dem Kaiſer ſchmerzlich ſüße Thränen der heißeſten Liebe, am andern Tag reiſte er ab, ich lag früh Morgens um vier Uhr[in] meinem Bett, der Tag fing eben an zu grauen, es war am 17. April, da hörte ich fünf Poſthörner blaſen, das war er, ich ſprang aus dem Bett, vor übergroßer Eile fiel ich in die Mitte der Stube und that mir weh, ich achtete es nicht und ſprang an's Fenſter, in dem Augenblick fuhr der Kaiſer vorbei, er ſah ſchon nach meinem Fenſter noch eh ich es aufgeriſſen hatte, er warf mir Kußhände zu und winkte mir mit dem Schnupftuch bis er die Gaſſe hinaus war. Von der Zeit an hab ich kein Poſthorn blaſen hören ohne dieſes Abſchieds zu ge - denken und bis auf den heutigen Tag wo ich den Lebensſtrom ſeiner ganzen Länge nach durchſchifft habe und eben im Begriff bin zu landen, greift mich ſein weitſchallender Ton noch ſchmerzlich an, und wo ſo vieles worauf die Menſchen werth legen rund um276 mich verſunken iſt ohne daß ich Kummer drum habe. Soll man da nicht wunderliche Gloſſen machen wenn man erleben muß, daß eine Leidenſchaft die gleich im Entſtehen eine chimäre war, alles wirkliche überdauert und ſich in einem Herzen behauptet dem längſt ſolche Anſprüche als Narrheit verpöhnt ſind. Ich hab auch nie Luſt gehabt davon zu ſprechen es iſt heute das er - ſtemal, bei dem Fall den ich damals vor übergroßer Eile that, hatte ich mir das Knie verwundet, an einem großen Brettnagel der etwas hoch aus den Diehlen her - vor ſtand, hatte ich mir eine tiefe Wunde über dem rech - ten Knie geſchlagen, der ſcharfgeſchlagne Kopf des Na - gels bildete die Narbe als einen ſehr feinen regelmäßi - gen Stern, den ich oft drauf anſah während den vier Wochen in denen bald darauf der Tod des Kaiſers mit allen Glocken jeden Nachmittag eine ganze Stunde ein - geläutet wurde, ach was hab ich da für ſchmerzliche Stunden gehabt wenn der Dom anfing zu läuten mit der großen Glocke und es kamen erſt ſo einzelne mäch - tige Schläge als wanke er troſtlos hin und her, nach und nach klang das Geläut der kleinern Glocken und der ferneren Kirchen mit, es war als ob alle über den Trauerfall ſeufzten und weinten; und die Luft war ſo ſchauerlich und es war gleich bei Sonnenuntergang, da277 hörte es wieder auf zu läuten, eine Glocke nach der an - dern ſchwieg, bis der Dom ſo wie er angefangen hatte zu klagen auch die allerletzten Töne in die Nachtdämme - rung ſeufzte; damals war die Narbe über meinem Knie noch ganz friſch, ich betrachtete ſie jeden Tag und er - innerte mich dabei an alles.

Deine Mutter zeigte mir ihr Knie über dem das Mahl in Form eines ſehr deutlichen regelmäßigen Ster - nes ausgebildet war, ſie reichte mir die Hand zum Ab - ſchied und ſagte mir noch in der Thür, ſie habe niemals hiervon mit jemand geſprochen als nur mit mir; wie ich kaum im Rheingau war ſchrieb ich mir aus der Er - innerung ſo viel wie möglich mit ihren eignen Worten alles auf, denn ich dachte gleich daß Dich dies gewiß einmal intereſſiren müſſe, nun hat aber der Mutter Tod dieſer kindlichen Liebesgeſchichte, von der ich mir denken kann daß ſie kein edles männliches Herz viel weniger den Kaiſer würde haben ungerührt gelaſſen, eine herr - liche Krone aufgeſetzt und ſie zu etwas vollendet Schö - nem geſtempelt. Im September wurde mir in's Rhein - gau geſchrieben die Mutter ſei nicht wohl, ich beeilte meine Rückkehr, mein erſter Gang war zu ihr, der Arzt war grade bei ihr, ſie ſah ſehr ernſt aus, als er weg war reichte ſie mir lächelnd das Rezept hin, und ſagte278 da leſe welche Vorbedeutung mag das haben, ein Um - ſchlag von Wein, Myren, Öl und Lorbeerblättern um meine Knie zu ſtärken das mich ſeit dieſem Sommer anfing zu ſchmerzen, und endlich hat ſich Waſſer unter der Narbe geſammelt, Du wirſt aber ſehen es wird nichts helfen, mit dieſen kaiſerlichen Spezialien von Lorbeer, Wein und Öl womit die Kaiſer bei der Krönung ge - ſalbt werden. Ich ſeh das ſchon kommen, daß das Waſſer ſich nach dem Herzen ziehen wird und da wird es gleich aus ſein; ſie ſagte mir Lebe-wohl und ſie wolle mir ſagen laſſen wenn ich wieder kommen ſolle; ein Paar Tage darauf ließ ſie mich rufen ſie lag zu Bett, ſie ſagte: heute lieg ich wieder zu Bett wie damals als ich kaum ſechszehn Jahr alt war an derſelben Wunde; ich lachte mit ihr hierüber, und ſagte ihr ſcherzweiſe viel was ſie rührte und erfreute; da ſah ſie mich noch einmal recht feurig an, ſie drückte mir die Hand und ſagte: Du biſt ſo recht geeignet um mich in dieſer Lei - denszeit aufrecht zu halten, denn ich weiß wohl daß es mit mir zu Ende geht. Sie ſprach noch ein Paar Worte von Dir und daß ich nicht[aufhören] ſolle Dich zu lie - ben, und ihrem Enkel ſolle ich zu Weihnachten noch einmal die gewohnten Zuckerwerke in ihrem Namen ſen - den, zwei Tage drauf am Abend wo ein Conzert in ih -279 rer Nähe gegeben wurde, ſagte ſie, nun will ich im Ein - ſchlafen an die Muſik denken die mich bald im Him - mel empfangen wird, ſie ließ ſich auch noch Haare ab - ſchneiden und ſagte man ſolle ſie mir nach ihrem Tode geben, nebſt einem Familienbild von Seekatz, worauf ſie mit deinem Vater deiner Schweſter und Dir als Schäfer gekleidet in anmuthiger Gegend abgemalt ſind, am andern Morgen war ſie nicht mehr, ſie war nächt - lich hinüber geſchlummert.

Das iſt die Geſchichte die ich Dir ſchon in Mün - chen verſprochen hatte, jetzt wo ſie niedergeſchrieben iſt, weiß ich nicht wie Du ſie aufnehmen wirſt, mir war ſie immer als etwas ganz außerordentliches vorgekom - men und ich habe bei ihr ſo manche Gelübde gethan.

Von deinem Vater erzählte ſie mir auch viel ſchö - nes, er ſelbſt war ein ſchöner Mann, ſie heirathete ihn ohne beſtimmte Neigung, ſie wußte ihn auf mancherlei Weiſe zum Vortheil der Kinder zu lenken denen er mit einer gewiſſen Strenge im Lernen zuſetzte, doch muß er auch ſehr freundlich gegen Dich geweſen ſein, da er Stundenlang mit Dir von zukünftigen Reiſen ſprach und Dir deine Zukunft ſo glanzvoll wie möglich aus - malte, von einem großen Hausbau den dein Vater un - ternahm, erzählte die Mutter auch und wie ſie Dich da280 als junges Kind oft mit großen Sorgen habe auf den Gerüſten herumklettern ſehen. Als der Bau beendigt war, der Euer altes rumpeliges Haus mit Windeltrep - pen und ungleichen Etagen, in eine ſchöne anmuthige Wohnung umſchuf, in denen werthvolle Kunſtgegenſtände mit Geſchmack die Zimmer verzierten, da richtete der Va - ter mit großer Umſtändlichkeit eine Bibliothek ein, bei der Du beſchäftigt wurdeſt, über deines Vaters[Leiden - ſchaft] zum Reiſen erzählte die Mutter ſehr viel. Seine Zimmer waren mit Landkarten, Planen von großen Städ - ten behängt, und während Du die Reiſebeſchreibung vor - laſeſt, ſpazierte er mit dem Finger drauf herum um jeden Punkt aufzuſuchen, dies ſagte weder deiner Ungeduld noch dem eilfertigen Temperament der Mutter zu, ihr ſehntet euch nach Hinderniſſen ſolcher langweiligen Win - terabende, die denn endlich auch durch die Einquartie - rung eines franzöſiſchen Kommandanten in die Pracht - ſtuben völlig unterbrochen wurden, hierdurch war nichts gebeſſert, der Vater war nicht zu tröſten, daß ſeine kaum eingerichtete Wohnung die ihm ſo manches Opfer geko - ſtet hatte, der Einquartierung preißgegeben war, daraus erwuchs mancherlei Noth die deine Mutter trefflich aus - zugleichen verſtand; ein paar Blätter mit Notizen ſchicke ich noch mit ich kann ſie nicht beſſer ausmalen, Dir aber281 können ſie wohl zur Wiederaufweckung von tauſenderlei Dingen dienen die Du dann auch wieder in ihrem Zu - ſammenhang finden wirſt, die Liebesgeſchichten aus Of - fenbach mit einem gewiſſen Gretchen, die nächtlichen Spaziergänge und was dergleichen mehr hat deine Mut - ter nie im Zuſammenhang erzählt, und Gott weiß ich hab mich auch geſcheut danach zu fragen.

Bettine.

An Goethe.

Was mich ſo lange gefangen hielt, war die Muſik, ungeſchnittne Federn, ſchlechtes Papier, dicke Tinte, es treffen immer viel Umſtände zuſammen.

Am 4. December war kalt und ſchauerlich Wetter, es wechſelte ab im Schneien, Regnen und Eiſen ...................... was hab 'ich nun beſſeres zu thun als Dein Herz warm zu halten, die Unterweſte hab' ich ſo ſchmeichelnd warm gemacht als mir nur möglich. Denk 'an mich.

Ich habe des Fürſten Radziwill ſeine Muſik aus dem Fauſt gehört, das Lied vom Schäfer iſt ſo einzig lebendig, darſtellend, kurz, alle löbliche Eigenſchaften beſitzend, daß es gewiß nimmermehr ſo trefflich kann componirt werden. Das Chor: drinnen ſitzt einer ge -282 fangen es geht einem durch Mark und Bein. Das Chor der Geiſter wo Fauſt einſchlummert, herrlich! man hört den Polen durch, ein Deutſcher hätt 'es nicht ſo angefangen, um ſo reizender. Es muß ſo leicht vorge - tragen werden wie fliegende Spinnweb in den Som - merabenden.

Zelter iſt manchmal bei uns, ich ſuche heraus zu bringen was er iſt. Ungeſchliffen iſt er zwar, Recht und Unrecht hat er auch, Dich lieb zu haben behauptet er auch, er möchte der Welt dienen und führt Klage, daß ſie ſich's nicht will gefallen laſſen und daß er alle Weisheit für ſich behalten muß. Einen Standpunkt hat er ſich erwählt von dem aus er ſie von oben herab beſchaut. Und der Welt iſt's einerlei, daß er mit den Krähen auf der Zinne ſitzt und ſie ſich auf ihren Ge - meinplätzen tummeln ſieht. An der Liedertafel iſt er Cäſar und freut ſich ſeiner Siege; in der Singacademie iſt er Napoleon und jagt durch ſein Machtwort alles in Schrecken, und ſeine Truppen gehen mit Zuverſicht durch Dick und Dünn; zum Glück iſt geſungen nicht gehauen und geſtochen. Seine Leibgarde der Baß hat den Katharr. In der Welt in der Geſellſchaft und auf Reiſen da iſt er Goethe, und zwar ein recht menſchli - cher voll herablaſſender Güte, er wandelt, er ſteht, wirft283 ein kurzes Wort hin, nickt freundlich zu unbedeutenden Dingen, hält die Hände auf dem Rücken, das macht ſich alles; nur zuweilen ſpeit er aus, und zwar herzhaft, das trifft nicht, da geht die ganze Illuſion zum Teufel.

Die Verwirrung, die das Magiſche in jeder Kunſt bei den Philiſtern veranlaßt, iſt bei der Muſik auf den höchſten Grad geſtiegen; Zelter zum Beiſpiel läßt nichts die Mauth paſſiren was er nicht ſchon verſteht und ei - gentlich iſt das doch nur Muſik was grade da beginnt, wo der Verſtand nicht mehr ausreicht, und die ewig vernichtenden Quergeiſter, die es ſo gut meinen, wenn ſie zuförderſt das Verſtändliche in der Kunſt fordern: daß die nicht begreifen daß ſie das höchſte Element ei - ner göttlichen Sprache herabwürdigen, wenn ſie es nur mit dem ausfüllen was ſie verſtehen, indem ſie ja doch nur das Gemeine verſtehen, und daß ſie höhere Offen - barung nie erfahren wenn ſie ewig geſcheuter ſein wollen, wie ihre Botſchafter die Phantaſie und die Begeiſtrung. Obſchon in der Muſik die Zauberformeln ewig lebendig ſind, ſo ſpricht ſie der Philiſter vor Schreck, ſie nicht zu verſtehen, oft nur halb oft rückwärts aus, und nun ſtehen die ſonſt ſo beweglichen, blitzenden, naßkalt, lang - wierig, beſchwerlich, und freilich unverſtändlich im Weg.

Dagegen iſt der Begeiſterte ein anderer: mit heim -284 licher Zuverſicht lauſcht er und wird eine Welt gewahr, ſie läßt ſich nicht definiren, ſie kann dem Gemüth wohl ihre Wirkung aber nicht ihren Urſprung mittheilen, da - her die plötzlich reife Erſcheinung des Genies, das lang in ungebundner Selbſtbeſchauung zerſtreut war, nun in ſich ſelbſt erhöht hervorbricht an's Tageslicht, unbeküm - mert ob die Ungeweihten es verſtehen da es mit Gott ſpricht (Beethoven). So ſteht's mit der Muſik, das Genie kann nicht offenbar werden, weil die Philiſter nichts anerkennen als was ſie verſtehen. Wenn ich mir da meinen Beethoven denke, der den eignen Geiſt fühlend; freudig ausruft, ich bin elektriſcher Natur, und darum mache ich ſo herrliche Muſik!

Viele Sinne zu einer Erſcheinung des Geiſtes. Ste - tes lebhaftes Wirken des Geiſtes auf die Sinne (Men - ſchen), ohne welche kein Geiſt, keine Muſik.

Wolluſt in's Vergangne zu ſchauen wie durch Kri - ſtall, Einſicht der Beherrſchung, der Tragung, der Erre - gung des Geiſtes; nimmermehr in der Muſik, was verklungen iſt hatte ſeinen eignen Tempel. Der iſt mit ihm verſunken, Muſik kann nur ewig neu erſtehen.

Sonderbares Schickſal der Muſikſprache nicht ver - ſtanden zu werden. Daher immer die Wuth gegen das was noch nicht gehört war, daher der Ausdruck: uner -285 hört. Dem Genie in der Muſik ſteht der Gelehrte in der Muſik allemal als ein Holzbock gegenüber (Zelter muß vermeiden dem Beethoven gegenüber zu ſtehen), das Bekannte verträgt er, nicht weil er es begreift ſon - dern weil er es gewohnt iſt, wie der Eſel den täglichen Weg. Was kann einer noch, wenn er auch alles wollte, ſo lang er nicht mit dem Genius ſein eignes Leben führt da er nicht Rechenſchaft zu geben hat, und die Gelehr - ſamkeit ihm nicht hinein pfuſchen darf. Die Gelehrſam - keit verſteht ja doch nur höchſtens was ſchon da war, aber nicht was da kommen ſoll, er kann die Geiſter nicht löſen vom Buchſtaben, vom Geſetz. Jede Kunſt ſteht eigenmächtig da den Tod zu verdrängen, den Menſchen in den Himmel zu führen; aber wo ſie die Philiſter bewachen und als Meiſter losſprechen, da ſteht ſie mit geſchornem Haupt, beſchämt, was freier Wille, freies Leben ſein ſoll, iſt Uhrwerk. Und da mag nun einer zuhören und glauben und hoffen, es wird doch nichts draus. Nur durch Wege konnte man dazu ge - langen, die dem Philiſter verſchüttet ſind, Gebet, Ver - ſchwiegenheit des Herzens im ſtillen Vertrauen auf die ewige Weisheit auch in dem Unbegreiflichen. Da ſtehen wir an den unüberſteiglichen Bergen, und doch:286 da oben nur lernt man die Wolluſt des Athmens ver - ſtehen.

Der Frau das kleine Andenken mit meinem Glück - wunſch zum neuen Jahr. Dem Hrn. R. die ungemachte Weſte, ſeine Vollkommenheit hat mich in Töplitz zu ſehr geblendet, als daß ich mir das rechte Maaß hätte denken können, die Vorſtecknadeln ſeien hier zu geſchmacklos, als daß ich ihm eine hätte ſchicken mögen, aber lauter und lauter Vergißmeinnicht in der Weſte! er mag nicht wenig ſtolz darauf ſein. Sollte ſein Geſchmack noch nicht ſo weit gebildet ſein dies ſchön zu finden, ſo ſoll er nur auf mein Wort glauben, daß ihn alle Menſchen darum beneiden werden; noch muß ich erinnern, daß ſie als Unterweſte getragen wird. Nun er wird mir gewiß ſchreiben und wird ſich bedanken. Und Du? hm.

Du Einziger, der mir den Tod bitter macht!

Bettine.

Grüß doch die Frau recht herzlich von mir, es iſt ihr doch Niemand ſo von Herzen gut wie ich.

Adieu Magnetberg. Wollt 'ich auch da - und dorthin die Fahrt lenken, an Dir würden alle Schiffe ſcheitern.

Adieu einzig Erbtheil meiner Mutter.

Adieu Brunnen aus dem ich trinke.

287
An Bettine.

Du erſcheinſt von Zeit zu Zeit, liebe Bettine, als ein wohlthätiger Genius, bald perſönlich, bald mit guten Gaben. Auch diesmal haſt Du viel Freude an - gerichtet, wofür Dir der ſchönſte Dank von allen abge - tragen wird ..................................

Daß Du mit Zeltern manchmal zuſammen biſt iſt mir lieb, ich hoffe immer noch Du wirſt Dich noch beſ - ſer in ihn finden, es könnte mir viel Freude machen. Du biſt vielſeitig genug, aber auch manchmal ein recht beſchränkter Eigenſinn, und beſonders was die Muſik betrifft haſt du wunderliche Grillen in Deinem Köpfchen erſtarren laſſen, die mir in ſofern lieb ſind weil ſie dein gehören, deswegen ich Dich auch keinesweges deshalb meiſtern noch quälen will; im Gegentheil wenn ich Dir ein unverholnes[Bekenntniß] machen ſoll, ſo wünſch ich Deine Gedanken über Kunſt überhaupt wie über die Muſik mir zugewendet. In einſamen Stunden kannſt Du nichts beſſers thun als deinen lieben Eigenſinn nach - hängen und ihn mir zu vertrauen, ich will Dir auch nicht verhehlen, daß Deine Anſichten trotz allem abſon -288 derlichen einen gewiſſen Anklang in mir hat, und ſo manches was ich in früherer Zeit wohl auch in feinem Herzen getragen wieder anregt, was mir denn in die - ſem Augenblick ſehr zu ſtatten kommt; bei Dir wäre ſehr zu wünſchen, was die Weltweiſen als die weſent - lichſte Bedingung der Unſterblichkeit fordern, daß näm - lich der ganze Menſch aus ſich heraustreten müſſe an's Licht. Ich muß Dir doch auf's dringendſte anempfehlen, dieſen weiſen Rath ſo viel wie möglich nach zu kom - men, denn[obſchon] ich nicht glaube, daß hierdurch alles Unverſtandne und Räthſelhafte genügend gelößt würde, ſo wären doch wohl die erfreulichſten Reſultate davon zu erwarten.

Von den guten Muſikſachen die ich Dir verdanke iſt ſchon gar manches einſtudirt und wird oft wiederholt. Überhaupt geht unſre kleine muſikaliſche Anſtalt dieſen Winter recht ruhig und ordentlich fort.

Von mir kann ich Dir wenig ſagen als daß ich mich wohl befinde, welches denn auch ſehr gut iſt. Für lauter Äußerlichkeiten hat ſich von innen nichts entwik - keln können. Ich denke das Frühjahr und einige Ein - ſamkeit wird das Beſte thun. Ich danke Dir zum ſchönſten für das Evangelium juventutis, wovon Dumir289mir einige Pericopen geſendet haſt. Fahre fort von Zeit zu Zeit wie es Dir der Geiſt eingiebt.

Und nun lebe wohl und habe nochmals Dank für die warme Glanzweſte. Meine Frau grüßt und dankt zum ſchönſten. Riemer hat wohl ſchon ſelbſt geſchrieben. Jena, wo ich mich vierzehn Tage hinbegeben.

G.

An Goethe.

Alſo iſt mein lieber Freund allein! das freut mich, daß Du allein biſt, denke meiner! lege die Hand an die Stirne und denke meiner, daß ich auch allein bin. In beiliegenden Blättern der Beweis, daß meine Einſamkeit mit Dir erfüllt iſt, ja wie ſollte ich anders zu ſolchen Anſchauungen kommen als indem ich mich in Deine Gegenwart denke.

Ich habe eine kalte Nacht verwacht um meinen Gedanken nachzugehen, weil Du ſo freundlich alles zu wiſſen verlangſt, ich hab doch nicht alles aufſchreiben können weil dieſe Gedanken zu flüchtig ſind. Ach ja Goethe, wenn ich alles aufſchreiben wollte wie wunder -II. 13290lich würde das ſein. Nimm vorlieb, ergänze Dir alles in meinem Sinn, in dem Du ja doch zu Hauſe biſt. Du und kein andrer hat mich je gemahnt Dir meine Seele mitzutheilen, und ich möchte Dir nichts vorent - halten, darum möcht ich aus mir heraus an's Licht tre - ten, weil Du allein mich erleuchteſt.

Beiliegende Blätter geſchrieben in der Montag Nacht.

Über Kunſt. Ich hab ſie nicht ſtudirt, weiß nichts von ihrer Entſtehung, ihrer Geſchichte, ihrem Stand - punkt. Wie ſie einwirkt, wie die Menſchen ſie verſte - hen, das ſcheint mir unächt.

Die Kunſt iſt Heiligung der ſinnlichen Natur, hier - mit ſag 'ich alles was ich von ihr weiß. Was geliebt wird das ſoll der Liebe dienen, der Geiſt iſt das geliebte Kind Gottes, Gott erwählt ihn zum Dienſt der ſinnli - chen Natur, das iſt die Kunſt. Offenbarung des Geiſtes in den Sinnen iſt die Kunſt. Was Du fühlſt das wird Gedanke und was Du denkſt, was Du zu erdenken ſtrebſt das wird ſinnliches Gefühl. Was die Menſchen in der Kunſt zuſammen tragen, was ſie hervorbringen, wie ſie ſich durcharbeiten, was ſie zu viel oder zu we - nig thun, das möchte manchen Widerſpruch erdulden, aber immer iſt es ein Buchſtabiren des göttlichen Es werde.

291

Was kann uns ergreifen an der Darſtellung einer Geſtalt die ſich nicht regt, die den Moment ihrer gei - ſtigen Tendenz nicht zu entwickeln vermag? Was kann uns durchdringen in einer gemalten Luftſchicht, in welcher die Ahnung des ſteigenden Lichts nie erfüllt wird? was bewegt uns zu heimathlichem Sehnen in der gemalten Hütte ſogar? was zu dem vertraulichen Hinneigen zum nachgeahmten Thiere? wenn es nicht eine Sanction des keimenden Geiſtes der Erzeugung iſt!

Ach was fragſt Du nach der Kunſt, ich kann Dir nichts genügendes ſagen? frage nach der Liebe, die iſt meine Kunſt, in ihr ſoll ich darſtellen, in ihr ſoll ich mich faſſen und heiligen.

Ich fürchte mich vor Dir, ich fürchte mich vor dem Geiſt den Du in mir aufſtehen heißeſt, weil ich ihn nicht ausſprechen kann. Du ſagſt in Deinem Brief der ganze Menſch müſſe aus ſich heraustreten an's Licht; nie hat dies einfache untrügliche Gebot mir früher eingeleuchtet, jetzt aber wo Deine Weisheit mich an's Licht fordert, was hab ich da aufzuweiſen als nur Verſchuldungen gegen dieſen inneren Menſchen; ſiehe da! er war miß - handelt und unterdrückt. Iſt aber dieſes Hervortre - ten des inneren Menſchen an's Licht nicht die Kunſt? Dieſer innere Menſch der ans Licht begehrt, daß ihm13*292Gottes Finger die Zunge löſe, das Gehör entbinde, alle Sinne wecke, daß er empfange und ausgebe! Und iſt hier die Liebe nicht allein Meiſterin und wir ihre Schüler in jedem Werke das wir durch ihre Inſpira - tion vollbringen.

Kunſtwerke ſind zwar allein das was wir Kunſt nennen, durch was wir die Kunſt zu erkennen und zu genießen glauben. Aber ſo weit die Erzeugung Gottes in Herz und Geiſt, erhaben iſt über die Begriffe und Mittheilungen die wir uns von ihm machen, über die Geſetze die von ihm unter uns im zeitlichen Leben gel - ten ſollen, eben ſo erhaben iſt die Kunſt über das was die Menſchen unter ſich von ihr geltend machen. Wer ſie zu verſtehen wähnt der wird nicht mehr leiſten, als was der Verſtand beherrſcht. Weſſen Sinne aber ih - rem Geiſt unterworfen ſind, der hat die Offenbarung.

Alles Erzeugniß der Kunſt iſt Symbol der Offen - barung, und da hat oft der auffaſſende Geiſt mehr Theil an der Offenbarung als der erzeugende. Die Kunſt iſt Zeugniß daß die Sprache einer höheren Welt deutlich in der unſern vernommen wird, und wenn wir ſie auslegen zu wollen uns nicht vermeſſen, ſo wird ſie ſelbſt die Vorbereitung jenes höheren Geiſtesleben in uns bewirken von dem ſie die Sprache iſt. Es iſt293 nicht nöthig daß wir ſie verſtehen aber daß wir an ſie glauben. Der Glaube iſt der Saame durch den ihr Geiſt in uns aufgeht ſo wie durch ihn alle Weisheit aufgeht, da er der Saame iſt einer unſterblichen Welt. Da das höchſte Wunder wahr iſt ſo muß wohl alles was dazwiſchen liegt eine Annäherung zur Wahrheit ſein, und nur der richtende Menſchengeiſt führt in die Irre. Was kann und darf uns billiger Weiſe noch wundern als unſre eigne Kleinheit. Alles iſt Vater und Sohn und heiliger Geiſt, der irdiſchen Weisheit Gränze ſind die Sternebeſchienenen Menſchlein, die von ihrem Lichte fabeln. Die Wärme Deines Blutes iſt Weisheit, denn die Liebe giebt das Leben allein. Die Wärme Deines Geiſtes iſt Weisheit, denn die Liebe belebt den Geiſt allein; wärm 'mein Herz durch Deinen Geiſt den Du mir einhauchſt, ſo hab ich den Geiſt Gottes; der nur allein vermags.

Dieſe kalte Nacht hab ich zugebracht am Schreib - tiſch um das Evangelium juventutis weiter zu führen und hab viel gedacht was ich nicht ſagen kann.

Die Vorrathskammer der Erfahrung hat Vortheile aufgeſpeichert, dieſe benützen zu können nach Bedürfniß iſt Meiſterſchaft, ſie auf den Schüler über zu tragen iſt Belehrung; hat der Schüler alles erfaßt und verſteht294 er es anzuwenden ſo wird er losgeſprochen; dies iſt die Schule durch welche die Kunſt ſich fortpflanzt. Ein ſo Losgeſprochner iſt Einer dem alle Irrwege zwar offen ſtehn aber nicht der rechte. Aus der langgewohnten Herberge in die die Lehre der Erfahrung ihn eingepfergt hatte, entlaſſen, iſt die Wüſte des Irrthums ſeine Welt, aus der er nicht heraus zu treten vermag, jeder Weg den er ergreift iſt ein einſeitiger Pfad des Irrthums, des göttlichen Geiſtes baar, durch Vorurtheile verlei - tet, ſucht er ſeine Kunſtgriffe in Anwendung zu brin - gen, hat er ſie alle an ſeinem Gegenſtand durchge - ſetzt, ſo hat er ein Kunſtwerk hervorgebracht. Mehr hat noch nie das Beſtreben eines durch die Kunſtſchule gebildeten Künſtlers erworben. Wer je zu etwas ge - kommen iſt in der Kunſt, der hat ſeiner Kunſtgriffe ver - geſſen, deſſen Fracht von Erfahrungen hat Schiffbruch gelitten und die Verzweiflung hat ihn am rechten Ufer landen laſſen. Was aus ſolcher gewaltſamen Epoche hervorgeht, iſt zwar oft ergreifend aber nicht überzeugend, weil der Maasſtab des Urtheils und des Begriffs immer nur jene Erfahrungen und Kunſtgriffe ſind die nicht paſſen, wo das Erzeugniß nicht durch ſie vermittelt iſt; dann auch: weil das Vorurtheil der errungnen Meiſterſchaft, nicht zuläßt daß etwas ſei was nicht in ihm begriffen iſt;295 und ſo die Ahnung einer höheren Welt ihm verſchloſ - ſen bleibt. Die Erfindung dieſer Meiſterſchaft wird ge - rechtfertigt durch den Grundſatz: Es iſt nichts Neues, alles iſt vor der Imagination erfunden. Ihre Erzeugniſſe theilen ſich in den Mißbrauch des Erfundenen, zu neuen Erfindungen, in das Scheinerfinden wo das Kunſtwerk nicht den Gedanken in ſich trägt, ſondern ſeine Entbeh - rung durch die Kunſtgriffe und Erfahrung der Kunſt - ſchule vermittelt ſind, und in die Erzeugungen die ſo weit gehen als dem Gedanken durch Bildung erlaubt iſt etwas zu faſſen. Je klüger, je abwägender, je fehler - freier, je ſicherer: je wohlverſtandener von und für die Menge und dieß nennen wir Kunſtwerke.

Wenn wir eines Helden Standbild machen. Wir kennen ſeine Lebensverhältniſſe wir verbinden dieſe mit der Genugthuung der Ehre auf eine gebildete Weiſe, ein jeder einzelne Theil enthält einen harmoniſchen Be - griff ſeiner Individualität, das ganze entſpricht dem Maaße der Erfahrung im Schönen und ſo ſind wir hinlänglich befriedigt. Dies iſt aber nicht die Auf - gabe des Kunſtwerks die durch das Genie gefördert wird; dieſe iſt nicht befriedigend ſondern überwältigend, ſie iſt nicht der Repräſentant einer Erſcheinung ſondern die Offenbarung des Genies ſelbſt, in der Erſcheinung. Ihr296 werdet nicht ſagen: dies iſt das Bild eines Mannes der ein Held war, ſondern: dies iſt die Offenbarung des Heldenthums das ſich in dieſem Kunſtwerk verkörperte. Zu ſolcher Aufgabe gehört nicht Berechnung ſondern Lei - denſchaft oder vielmehr Erleiden einer göttlichen Gewalt. Und welcher Künſtler das Heldenthum (ich nehme es als Repräſentant jeder Tugend, denn jede Tugend iſt lediglich Sieg) ſo darſtellt, daß es die Begeiſtrung die ſeine Erſcheinung iſt, mittheilt: der iſt dieſer Tugend nicht allein fähig ſondern ſie iſt ſchon in ihm wieder - geboren. In der bildenden Kunſt ſteht der Gegenſtand feſt wie der Glaube, der Geiſt des Menſchen umwandelt ihn wie der Begriff; Erkenntniß im Glauben bildet das Kunſtwerk welches erleuchtet.

In der Muſik iſt die Erzeugung ſelbſt ein Wan - deln der göttlichen Erkenntniß die in den Menſchen her - einleuchtet ohne Gegenſtand, und der Menſch ſelbſt iſt die Empfängniß. In allem iſt ein Verein der Liebe, ein Ineinanderfügen geiſtiger Kräfte.

Jede Erregung wird Sprache, Aufforderung an den Geiſt; er antwortet: und dies iſt Erfindung. Dies alſo iſt die geheime Grundlage der Erfindung: das Vermögen des Geiſtes auf eine Frage zu antworten, die nicht einen beſtimmten Gegenſtand zur Aufgabe hat,297 ſondern die vielleicht bewußtloſe Tendenz der Erzeu - gung iſt.

Alle Regungen geiſtiger Ereigniſſe des Lebens nach außen, haben einen ſolchen tief verborgnen Grund; ſo wie der Lebensathem ſich in die Bruſt ſenkt um auf's neue Athem zu ſchöpfen, ſo ſenkt ſich der erzeugende Geiſt in die Seele um auf's neue in die höhere Region ewiger Schöpfungskraft aufzuſteigen.

Die Seele athmet durch den Geiſt, der Geiſt ath - met durch die Inſpiration, und die iſt das Athmen der Gottheit.

Das Aufathmen des göttlichen Geiſtes iſt Schöpfen, Erzeugen; das Senken des göttlichen Athems iſt Gebä - ren und Ernähren des Geiſtes, ſo erzeugt und gebärt und ernährt ſich das Göttliche im Geiſt; ſo, durch den Geiſt in der Seele, ſo durch die Seele in dem Leib, der Leib iſt die Kunſt, ſie iſt die ſinnliche Natur in's Leben des Geiſtes erzeugt.

In der Künſtlerſprache heißt es: Es kann nichts neues erfunden werden, alles iſt ſchon vorher da gewe - ſen; ja! wir können auch nur im Menſchen erfinden, außer ihm giebt es nichts, denn da iſt der Geiſt nicht, denn Gott ſelbſt hat keine andere Herberge als den Geiſt des Menſchen. Der Erfinder iſt die Liebe. Da13**298nur das Umfaſſen der Liebe das Daſein gründet, ſo liegt auſſer dieſem Umfaßten kein Daſein, kein Er - fundenes. Das Erfinden iſt nur ein Gewahrwer - den wie der Geiſt der Liebe in dem von ihr begründeten Daſein waltet.

Der Menſch kann nicht erfinden, ſondern nur ſich ſelbſt empfinden, nur auffaſſen, erkennen was der Geiſt der Liebe zu ihm ſpricht, wie er ſich in ihm nährt, und ihn durch ſich belehrt. Außer dieſem Gewahr - werden der göttlichen Liebe, in Sprache der Erkenntniß umſetzen: iſt keine Erfindung.

Wie könnte der Geiſt nun erfinden wollen, da nur er das Erfundene iſt, da die Entfaltung ſeines Lebens, nur die Entwicklung der Leidenſchaft iſt, die ihm einzu - flößen der göttlichen Liebe Genuß und Nahrung iſt, da ſein Athem nur das Verzehren dieſer Leidenſchaft iſt, und da ſeine Erzeugniſſe nur das Verkörpern dieſer Lei - denſchaft ſind.

Alſo das Daſein iſt das Umfaſſen der Liebe, das Geliebtſein. Das Erfinden, das Ausſprechen iſt das Ein - flößen ihrer Leidenſchaft in den menſchlichen Geiſt. Die Schönheit aber iſt der Spiegel ihrer Seeligkeit, die ſie in der Befriedigung ihrer Leidenſchaft hat. Die See - ligkeit der Liebe ſpiegelt ſich in dem Geiſt den ſie er -299 zeugt den ſie mit Leidenſchaft durchdringt, daß er ſie begehre; dieſes Begehren zu befriedigen erzeugt ihren Genuß, dieſes Mitgefühl ihres Genuſſes ihrer Seelig - keit ſpricht der Geiſt durch Schönheit aus. Die Schön - heit verkörpert ſich durch den liebenden Geiſt, der die Form mit Leidenſchaft durchdringt, ſo wie die Liebe die ſelbſterſchaffene Form des Geiſtes durchdringt. Dann ſpricht nachher die ſinnliche Form die Schönheit des Geiſtes aus, wie der von Leidenſchaft erfüllte Geiſt die Schönheit der Liebe ausſpricht. Und ſo iſt die Schön - heit der irdiſchen Form der Spiegel der Seeligkeit des liebenden Geiſtes, wie die Schönheit der Seele der Spie - gel der Seeligkeit der liebenden Gottheit iſt.

Mein Freund glaubt vielleicht ich ſei mondſüchtig, da wir heute Vollmond haben, ich glaub's auch.

300

Nicht geahndet hab 'ich es, daß ich je wieder ſo viel Herz faſſen würde an Dich zu ſchreiben, biſt Du es denn? oder iſt es nur meine Erinnerung die ſich ſo in der Einſamkeit zu mir lagert und mich allein mit ihren offnen Augen anblickt, ach wie vielmal hab' ich in ſolchen Stunden Dir die Hand dargeboten, daß Du die Deinigen hineinlegen mögteſt, daß ich ſie beide an meine Lippen drücken könnte. Ich fühl 'es jetzt wohl, daß es nicht leicht war mich in meiner Leidenſchaftlich - keit zu ertragen, ja ich ertrage mich ſelbſt nicht, und mit Schauder wende ich mich von all den Schmerzen, die die Betrachtung in mir aufwühlt.

Warum aber grad heute, nachdem Jahre vorüber ſind, nachdem Stunden verwunden ſind, wo ich mit Geiſtern zu kämpfen hatte, die mich zu Dir hin mahn - ten? heute bedachte ich es, daß vielleicht auch Du nie eine Liebe erfahren habeſt, die bis an's End gewährt habe, heute hatte ich die Haare in Händen, die Deine Mutter ſich abſchnitt, um ſie mir als ein Zeichen ihrer Liebe nach ihrem Tode reichen zu laſſen, und da faßte ich Herz, einmal will ich Dich noch rufen, was kann mir widerfahren wenn Du nicht hörſt?

301

Die Leute gehen jetzt häufig in die Kirche, ſie gehen zum Abendmahl, ſie ſprechen viel von ihrem Freund und Herrn von dem Sohn ihres Gottes; ich habe nicht einmal den Freund bewahrt, den ich mir ſelbſt erwählte, mein Mund hat ſich geſchloſſen über ihn, als ob ich ihn nicht kenne, ich habe das Richtſchwerd der Zunge über ihm blitzen ſehen und hab 'es nicht abgewehrt, ſiehſt Du ſo wenig gutes iſt in mir, da ich doch damals ſo gewiß beſſer ſein wollte als alle die ſo ſind.

Mir träumte vor drei Jahren, ich erwache aus ei - nem ruhigen Schlaf auf Deinen Knieen ſitzend an einer langen gedeckten Tafel, Du zeigteſt mir ein Licht was tief herabgebrennt war und ſagteſt: ſo lange hab 'ich dich an meinem Herzen ſchlafen laſſen, alle Gäſte ſind von der Tafel weggegangen ich allein bin um deine Ruhe nicht zu ſtören ſitzen geblieben, nun werfe mir nicht mehr vor, daß ich keine Geduld mir dir habe ja wahrlich, das träumte ich, ich wollte Dir damals ſchreiben, aber eine Bangigkeit, die mir bis in die Fin - gerſpitzen ging hielt mich davon ab; nun grüße ich Dich nochmals durch alle Nacht der Vergangenheit, und drücke die Wunden wieder zu, die ich ſo lange nicht zu be - ſchauen wagte, und warte ab ob Du mich auch noch hören willſt, eh ich Dir mehr erzähle.

Bettine.

302

Den Tag an dem ich dies geſchrieben gerieth das Komödienhaus in Brand, ich ging nach dem Platz wo Tauſende mit mir dies unerhörte Schauſpiel genoſſen, die wilden Flammendrachen riſſen ſich vom Dache los und ringelten ſich nieder oder wurden von Windſtößen zerriſſen, die Hitze hatte die ſchon tröpfelnden Wolken verzehrt oder zertheilt, und man konnte durch die rothe Gluth ruhig in's Antlitz der Sonne ſehen, der Rauch wurde zum röthlichen Schleier. Das Feuer ſenkte ſich in die innern Gemächer und hüpfte von außen hier und dort auf dem Rand des Gebäudes umher, das Gebälke des Daches war in einem Nu in ſich herein geſtürzt und das war herrlich; nun muß ich Dir auch erzählen, daß es während dem in mir jubelte, ich glühte mit, der irdiſche Leib verzehrte ſich, und der unechte Staat ver - zehrte ſich mit, man ſah durch die geöffnete Thüre, durch die dunkeln todten Mauern alle Fenſter ſchwarz, den Vorhang des Theaters brennend niederſtürzen, nun war das Theater im Augenblick ein Feuermeer, jetzt ging ein leiſes Kniſtern durch alle Fenſtern und ſie waren weg, ja wenn die Geiſter ſolcher Elemente einmal die Flügel aus den Ketten los haben, dann machen ſie es arg. In dieſer andern Welt in der ich nun ſtand dachte ich an Dich, den ich ſchon ſo lange verlaſſen hatte,303 Deine Lieder die ich lange nicht geſungen hatte zuckten auf meinen Lippen, ich allein vielleicht unter den Tau - ſenden die da ſtanden, die ſchauderten, die jammerten, ich allein fühlte in ſeeliger einſamer Begeiſterung wie feuerfeſt Du biſt ein Räthſel hatte ſich gelöſt, deut - licher und beſſer konnte der Schmerz der oft in früheren Zeiten in meiner Bruſt wühlte nicht erläutert werden, ja es war gut, mit dieſem Hauſe brannte ein dumpfes Gebäude nieder, frei und licht wards in meiner Seele, und die Vaterlandsluft wehte mich an noch eins will ich Dir davon erzählen: in den erſten Nachmit - tagsſtunden ſchon hatte das Feuer ſeine Rolle im In - nern ausgeſpielt, wie der Mond aufging, hüpften die kleinen Flammengeiſter ſpielend in den Fenſtermauern, in den Verzierungen tanzend, lichteten ſie die geſchwärz - ten Masken. Am dritten Tag ſchlug die Flamme aus den tief gehölten Balkenlöchern. Gelt mehr läßt ſich nicht erwarten willſt Du mir nun über all dieſen Schutt die Hand wieder reichen, willſt Du bis an's End mich warm und liebend für Dich wiſſen, ſo ſag 'ein Wort aber bald, denn ich habe Durſt.

Seit den langen Jahren hab 'ich das Schreiben verlernt die Gedanken arbeiten ſich auf ungeebnetem Weg durch, und doch denk' ich mich noch wie den ſchäu -304 menden Becher in Deiner Hand, aus dem Du gern nippen magſt.

Wenn das beigefügte Blatt noch ſeine Farbe hat, ſo kannſt Du ſehen, welche Farbe meine Liebe zu Dir hat, denn immer kommts mir vor, als ob's grad ſo innig roth und ſo ruhig, und der goldne Saamen - ſtaub auch, ſo iſt Dein Bett in meinem Herzen be - reitet, verſchmähe es nicht. Meine Addreſſe iſt Geor - gen Straße No. 17.

305
An Goethe.

Mit Dir hab 'ich zu ſprechen! nicht mit dem, der mich von ſich geſtoßen, der Thränen nicht geachtet, und karg keinen Fluch wie keinen Seegen zu ſpenden hat, vor dem weichen die Gedanken zurück. Mit Dir Genius! Hüter und Entzünder! der mit gewaltigen Schwingen oft die Flamme aus der verſunknen Aſche wieder emporwehte, mit Dir der es mit heimlichem Ent - zücken genoß, wenn der jugendliche Quell brauſend em - pörend über Gefels ſich den Weg ſuchte zur ruhigen Bucht zu Deinen Füßen, da es mir genügte Deine Kniee zu umfaſſen.

Aug 'in Aug'! einzig Leben! keine Begeiſtrung die über Dich geht! die Seeligkeit geſehen zu ſein und Dich zu ſehen!

Ob ich Dich liebte? das fragſt Du? macht Ihr es aus über unſern Häuptern, Ihr Schwingenbe - gabte. Glaub an mich! glaub an einen heißen Trieb Lebenstrieb will ich ihn nennen, ſo ſing ich Deinem träumenden Buſen vor. Du träumſt, Du ſchläfſt! und ich träume mit.

306

Ja die damalige Zeit iſt jetzt ein Traum, der Blitz der Begeiſtrung hatte ſchnell Dein irdiſch Gewand ver - zehrt und ich ſah Dich wie Du biſt ein Sohn der Schön - heit, jetzt iſt's ein Traum.

Ich hatte mich ſelbſt, ein ernſtes ſtilles ſchauerliches Geheimniß Dir opfernd zu Füßen zu legen, ſtill und tief verborgen wie der unreife Saame in ſeiner Hülle. An Dir an Deiner vergebenden Liebe ſollte er reifen je - den unwillkührlichen Fehl, jede Sünde wollte ich einge - ſtehn, ich wollte ſie wegſaugen aus Deinen Augen mit meinem thränenbeladenen Blick, mit meinem Lächeln; aus Deinem Bewußtſein mit der Gluth meines Herzens die Du nicht zum zweitenmal findeſt, aber dies al - les iſt nun ein Traum.

Zehn Jahre der Einſamkeit haben ſich über meinem Herzen aufgebaut, haben mich getrennt von dem Quell aus dem ich Leben ſchöpfte, keiner Worte hab ich mich ſeitdem wieder bedient, alles war verſunken was ich[ge - fühlt] und geahnt hatte. Mein letzter Gedanke war: Es wird wieder eine Zeit kommen in der ich ſein werde, denn für diesmal haben ſie meine Sinne begraben und mein Herz verhüllt.

Dieſe zukünftige Zeit, o Freund! ſchwebt über mir hin gleich den Winden der Wüſte, die ſo manches Da -307 ſein mit leichtem Flugſand verſcharren und es wird mich keine Stimme wieder erwecken außer der deinen, und das bleibt wohl auch nur ein Traum?

Damals betete ich oft um das einzige, daß ich Dei - nen letzten Athemzug küſſen dürfe, denn ich wollte gern Deine auffliegende Seele mit meinen Lippen berühren; ja Goethe! Zeiten die Ihr vorüber ſeid, wendet Euch am fernen Horizont noch einmal nach mir her, Ihr tragt das Bild meiner Jugendzeit in dichte Schleier gehüllt.

Nein! Du kannſt doch nicht ſein was Du jetzt biſt: hart und kalt wie Stein! Sei es immer für dieſe Welt, für dieſe verrinnende Zeiten, aber dort wo die Gewölke ſich in triumphirenden Fahnen aufrollen, un - ter denen Deine Lieder zu dem Thron aufſteigen, wo Du ihr Schöpfer, und Schöpfer Deiner Welt, ruheſt, nachdem Du das Werk Deiner Tage geſchaffen, zum Leben geſchaffen; da laß mich mit Dir ſein um meiner Liebe willen, die mir von geſchäftigen Geiſtern jener - heren Welt zugetragen ward, wie der Honig dem wil - den Fruchtbaum in den hohlen Stamm von tauſend geſchäftigen Bienen eingeimpft wird, der dann ob auch nicht aus ſich ſelber, dennoch einen köſtlicheren Schatz in ſich bewahrt als der Baum der edle Früchte trägt. 308Ja laß das wilde Reis ſeine Wurzeln mit den deinen verſtricken, verzehre es wenn Du es nicht dulden magſt.

Ja wohl! ich bin zu heftig, ſiehe da, der Damm iſt verſchüttet welchen Gewohnheit baut, und Ungewohn - tes überſtrömt Herz und Papier. Ja ungewohnte Thrä - nen, Ihr überſtrömt mein Geſicht, das heute die Sonne ſucht und vor Thränen nicht ſieht, und auch nicht weil ſie mir heute nicht ſcheinen will.

Alle Blumen die noch im Garten ſtehen einſam - meln, Roſen und friſche Trauben noch in der ſpäten Jahrszeit zuſammenbringen iſt kein unſittlich Geſchäft und verdient nicht den Zorn deſſen dem ſie angeboten ſind. Warum ſoll ich mich fürchten vor Dir? daß Du mich zurückgeſtoßen haſt mit der Hand, die ich küſ - ſen wollte, das iſt ſchon lange her, und heut biſt Du anders geſinnt. Dem Becher aus dem Du heute ge - trunken ſei dieſer Strauß in den Kelch gepflanzt, er übernachte dieſe letzte Blumen, er ſei ein Grab dieſen Blumen, morgen wirf den Strauß weg und fülle den Becher nach Gewohnheit. So haſt Du mir's auch gemacht, Du haſt mich weggeworfen aus dem Gefäß das Du an die Lippen zu ſetzen gewohnt biſt.

309

Eine Zeitlang flattert die Seele am Boden aber bald ſchwebt ſie aufwärts in den kühlenden Äther. Schönheit iſt Äther! ſie kühlt, nicht entflammt. Die Schönheit erkennen, das iſt die wahre Handlung der Liebe. Liebe iſt kein Irrthum, aber ach! der Wahn der ſie verfolgt. Du ſiehſt ich will einen Ein - gang ſuchen mit Dir zu ſprechen, aber wenn ich auch auf Kothurnen ſchreite der Leib iſt zu ſchwach den Geiſt zu tragen, beladne Äſte ſchleifen die Früchte am Boden. Ach! bald werden dieſe Träume ausgeflammt haben.

Du ſiehſt an dieſem Papier das es ſchon alt iſt und daß ich's ſchon lang mit mir herumtrage, ich ſchriebs im vorigen Jahr gleich nachdem ich Dich verlaſſen hatte. Es war mir plötzlich als wollen alle Gedanken mit mir zuſammenbrechen, ich mußte aufhören zu ſchreiben; doch ruft von Zeit zu Zeit eine Stimme daß ich Dir noch alles ſagen ſoll. Ich geh auf's Land, da will ich wo möglich den Blick über dies Erdenleben hinaustragen, ich will ihn in Nebel hüllen, daß er nichts gewahr werde310 außer Dir. Außer der Sonne, die den Thautropfen in ſich faſſet ſoll er nichts faſſen. Jede Blüthe, die ſich dem Lichte öffnet faſſet einen Thautropfen, der das Bild der wärmenden belebenden Kraft aufnimmt; aber Stamm und Wurzel ſind belaſtet mit der finſteren fe - ſten Erde; und wenn die Blüthe keine Wurzel hätte, ſo hätte ſie wohl Flügel.

Heute iſt ſo warm, heute ſei ergeben in die Gedan - ken die Dir dies Papier bringt. Zeit und Raum laß weichen zwiſchen unſern Herzen, und wenns ſo iſt dann hab ich keine Bitte mehr, denn da muß das Herz ver - ſtummen.

Bettine.

Von Goethes Hand auf dieſen Brief geſchrieben: Empfangen

An Goethe.

Schon oft hab ich mich im Geiſt vorbereitet Dir zu ſchreiben, aber Gedanken und Empfindungen, wie die Sprache ſie nicht ausdrücken kann, erfüllen die Seele, und ſie vermag nicht ihr Schweigen zu brechen.

So iſt denn die Wahrheit eine Muſe, die das Kunſtgebilde ihrer Melodieen zwar in dem den ſie durch -311 ſchreitet, harmoniſch begründet, nicht aber ſie erklingen läßt. Wenn alles irdiſche Bedürfniß ſchweigt, alles irdiſche Wiſſen verſtummt dann erſt hebt ſie ihrer Ge - ſänge Schwingen. Liebe! Trieb aller Begeiſterung, erneut das Herz, macht die Seele kindlich und unbe - fleckt. Wie oft iſt mein Herz unter der Schlummerdecke des Erdenlebens erwacht, begabt mit dieſer myſtiſchen Kraft ſich zu offenbaren; der Welt war ich erſtorben, die Seele ein Mitlauter der Liebe, und daher mein Den - ken mein Fühlen, ein Aufruf an Dich: Komm! Sei bei mir! finde mich in dieſem Dunkel! Es iſt mein Athem der um deine Lippen ſpielt, der deine Bruſt an - fliegt; ſo dachte ich aus der Ferne zu Dir, und meine Briefe trugen Dir dieſe Melodieen zu; es war mein einzig Begehren daß Du meiner gedenken mögeſt, und ſo wie in Gedanken ich immer zu deinen Füßen lag, deine Knie umfaſſend, ſo wollte ich, daß deine Hand ſeegnend auf mir ruhe. Dieß waren die Grundaccorde meines Geiſtes die in Dir ihre Auflöſung ſuchten. Da war ich was allein Seeligkeit iſt, ein Element von Gewalten höherer Natur durchdrungen, meine Füße gin - gen nicht, ſie ſchwebten der Zukunftsfülle entgegen über die irdiſchen Pfade hinaus; meine Augen ſahen nicht, ſie erſchufen die Bilder meiner ſeeligſten Genüſſe; und312 was meine Ohren von Dir vernahmen das war Keim des ewigen Lebens, der vom Herzen aus mit fruchten - der Wärme gehegt ward. Sieh ich durcheile mit die - ſen Erinnerungen die Vergangenheit. Zurück! von Klippe zu Klippe abwärts, in's Thal einſamer Jugend; hier Dich findend, das bewegte Herz an deiner Bruſt be - ſchwichtigend, fühl ich mich zu dieſer Begeiſtrung auf - geregt, mit der der Geiſt des Himmels in menſchlicher Empfindung ſich offenbart.

Dich auszuſprechen wär wohl das kräftigſte Inſie - gel meiner Liebe ja es bewieſe, als ein Erzeugniß gött - licher Natur meine Verwandtſchaft mit Dir. Es wär ein gelöſtes Räthſel, gleich dem lange verſchloſſnen Berg - ſtrom der endlich zum Lichte ſich drängt, den ungeheu - ren Sturz mit wollüſtiger Begeiſtrung erleidend, in ei - nem Lebensmoment, durch welchen, nach welchem ein höheres Daſein beginnt. Du Vernichter der Du den[freien] Willen von mir genommen, Du Erzeuger! der Du die Empfindung des Erwachens in mich geboren; mit tauſend elektriſchen Funken aus dem Reiche heiliger Natur mich durchzuckt. Durch Dich hab ich das Ge - winde der jungen Rebe lieben lernen, auf ihre bereiften Früchte fielen meiner Sehnſucht Thränen. Das junge Gras hab ich um deinetwillen geküßt, die offne Bruſtum313um deinetwillen dem Thau geboten, um deinetwillen hab ich gelauſcht wenn der Schmetterling und die Biene mich umſchwärmten. Denn Dich wollte ich empfinden in dem heiligſten Kreis deiner Genüſſe. O Du! im Ver - borgnen mit der Geliebten ſpielend! mußte ich, die das Geheimniß erlauſcht hatte nicht Liebetrunken werden?

Ahndeſt Du die Schauer die mich durchbebten, wenn die Bäume ihren Duft und ihre Blüthen auf mich ſchüt - telten? Da ich dachte und empfand und feſt glaubte es ſei dein Koſen mit der Natur, dein Genießen ihrer Schönheit, ihr Schmachten, ihr Hingeben an Dich die dieſe Blüthen von den bewegten Zweigen löſe und ſie leiſe niederwirble in meinen Schooß. O Ihr Spiegelnächte des Mondes! wie hat an euerm Himmelsbogen mein Geiſt ſich ausgedehnt! da entnahm der Traum das ir - diſche Bewußtſein, und wieder erwachend war die Welt mir fremd. Im herannahen der Gewitter ahndete ich den Freund. Das Herz empfand ihn der Athem ſtrömte ihm zu, freudig löſte ſich das gebundne Leben unter dem Kreuzen der Blitze und dem Rollen der Donner.

Die Gabe des Eros, iſt die einzige genialiſche Be - rührung die den Genius weckt; aber die andern die den Genius in ſich entbehren nennen ſie Wahnſinn. Die Begabten aber entſchwingen ſich mit dem fern hintref -II. 14314fenden Pfeil dem Bogen des Gottes, und ihre Luſt und ihre Liebe hat ihr Ziel erreicht, wenn ſie mit ſolchen göttlichen Pfeil zu den Füßen des Geliebten niederſinkt. Es halte einen ſolchen Pfeil heilig und bewahre ihn im Buſen als ein Kleinod, wer zu ſeinen Füßen ihn findet, denn er iſt ein Doppelgeſchenk des Eros, da ein Leben, im Schwung ſolchen Pfeiles, ihm geweihet ver - glüht. Und nun ſage ich auch Dir: Achte mich als ein ſolches Geſchenk das deiner Schönheit ein Gott gewei - het habe, denn mein Leben iſt für Dich einem höheren verſöhnt, dem irdiſchen verglüht; und was ich Dir in dieſem Leben noch ſage, iſt nur das Zeugniß was der zu deinen Füßen erſtreckte Pfeil Dir giebt.

Was im Paradieſe erquickender, der Himmelsbeſee - ligung entſprechender ſei: Ob Freunde wieder finden und umgebende Fülle ſeeliger Geiſter, oder allein die Ruhe genießen, in welcher der Geiſt ſich ſammelt, in ſtiller Betrachtung ſchwebend über dem was Liebe in ihm erzeugt habe, das iſt mir keine Frage; denn ich eile unzerſtreuet an den einſamſten Ort, und dort das Antlitz in die betenden Hände verbergend, küſſe ich die Erſcheinung deſſen was mein Herz bewegt.

Ein König wandelte durch die Reihen des Volkes, und wie Ebbe und Fluth es erheiſchen ſo trug die Woge315 der Gemeinheit ihn höher, aber ein Kind vom Strahl ſeiner Augen entzündet, ergriff den Saum ſeines Ge - wandes und begleitete ihn bis zu den Stufen des Thro - nes, dort aber drängte das berauſchte Volk den unſchul - digen ungenannten, unberathnen Knaben zurück hinter der Philiſter aufgepflanzte Fahnenreihe. Jetzt harret er auf die einſame Stätte des Grabes, da wird er die Mauern um den Opferaltar hochbauen, daß kein Wind die Flamme verlöſche, während ſie, der Aſche des Ge - liebten zu Ehren, die dargebrachten Blumen in Aſche verwandelt. Aber Natur! biſt du es die den Aufge - löſten verbirgt? Nein! nein! denn die Töne die der Leier entſchweben ſind dem Lichte erzeugt, und der Erde entnommen, und wie das Lied, entſchwebt auch der ge - liebte Geiſt in die Freiheit höherer Regionen und je un - ermeßlicher die Höhe, je endloſer die Tiefe deſſen der liebend zurück bleibt, wenn nicht der befreite Geiſt ihn erkennt, ihn berührt, ihn weihet im Entfliehen.

Und ſo mir o Goethe wird die Verzweiflung den Buſen durchſchneiden, wenn am einſamſten Orte ver - weilend ich dem Genuß Deiner Betrachtung mich weihe und die Natur um mich her wird ein Kerker der mich allein umſchließt wenn Du ihm entſchwebt biſt, ohne daß dein Geiſt, der Inhalt meiner Liebe mich berührt14*316habe. O thue dem nicht alſo, ſei nicht meiner Begeiſt - rung früher erſtorben, laſſe das Geheimniß der Liebe noch einmal zwiſchen uns erblühen; ein ewiger Trieb, iſt außer den Grenzen der irdiſchen Zeit, und ſo iſt meine Empfindung zu Dir, ein Urquell der Jugend, der da erbrauſet in ſeiner Kraft, und ſich fortreißt mit er - neuten Lebensgluthen bis an das Ende.

Und ſo iſt es Mitternacht geworden bei dem Schrei - ben und Bedenken dieſer letzten Zeilen, ſie nennen es die Sylveſternacht in der die Menſchen einen Augenblick das Fortrücken der Zeit wahrnehmen. Nun bei dieſer Er - ſchütterung, die dem Horn des Nach[t]wächters ein grü - ßendes Zeichen entlockt, beſchwöre ich Dich: denke von dieſen geſchriebenen Blättern, daß ſie wie alle Wahr - heit wiederkehren aus vergangner Zeit. Es liegt hier nicht ein bloßes Erinnern ſondern eine innige Verbin - dung mit jener Zeit zum Grund. Wie der Zauberſtab der ſich aus dem Strahl liebender Augen bildet und den Geliebten aus der Ferne berührt, ſo bricht ſich der Lichtſtrahl jener frühen Zeit an meiner Erinnerung und wird zum Zauberſtab an meinem Geiſt. Eine Empfin - dung unmittelbarer Gewißheit, meines eigenſten wahr - hafteſten Lebens Anſicht, iſt für mich dieſe Berührung aus der Vergangenheit; und während Schickſal und317 Welt nur wie Fantome im Hintergrund nie wahrhaften Einfluß auf mich hatten, ſo hat der Glaube, als ſei ich Dir näher verwandt, als habe dein Sehen, dein Hören, dein Fühlen einen Augenblick meinem Einfluß ſich er - geben, allein mir zur Verſicherung meiner Selbſt ver - holfen. Der Weg zu Dir iſt die Erinnerung, durch ſie wirke ich an einer Gemeinſchaft mit Dir, ſie iſt mir Er - ſcheinung und Gegenerſcheinung; Geiſtergeſpräch, Mit - theilung und Zueignung, und was mir damals ein Räth - ſel war, daß ich bei zärtlichem Geſpräch mehr den Be - wegungen deiner Züge lauſchte, als deinen Worten, daß ich deine Pulsſchläge Dein Herzklopfen zählte, die Schwere und Tiefe deines Athems berechnete, die Linien an den Falten deiner Kleider betrachtete, ja den Schat - ten den deine Geſtalt warf, mit Geiſterliebe in mich ein - ſog, das iſt mir jetzt kein Räthſel mehr ſondern Offen - barung durch die mir deine Erſcheinung um ſo fühlbarer wird, und auch mein Herz bei der Erinnerung zum Klo - pfen und den Athem zum Seufzen bewegt.

Sieh! an den Stufen der Verklärung wo ſich alle willkührliche Thätigkeit des Geiſtes niederbeugen läßt von irdiſcher Schwere, keine Liebe, keine Bewunderung ihre Flügel verſucht um die Nebel zu durchdringen in die der Scheidende ſich einhüllt, und die zwiſchen hier14**318und jenſeits aufſteigen, bin ich in liebender Ahndung Dir ſchon vorangeeilt, und während Freunde, Kinder und Schützlinge, und das Volk daß Dich ſeinen Dich - ter nennt, die Seele zum Abſchied bereitend, Dir in fei - erlichem Zug langſam nachſchreitet: Schreite, fliege, jauchze ich bewillkommend Dir entgegen die Seele in den Duft der Wolken[tauchend], die deine Füße tragen aufgelöſt in die Atmoſphäre deiner Beſeeligung; ob wir uns in dieſem Augenblick verſtehen, mein Freund! der noch den irdiſchen Leib trägt, dieſer Leib der ſeinen Geiſt ein Urquell der Grazie ausſtrömte über mich, mich hei - ligte, verwandelte, der mich anbeten lehrte die Schön - heit im Gefühl, der dieſe Schönheit als einen ſchützen - den Mantel über mich ausbreitete, und mein Leben un - ter dieſer Verhüllung in einen heiligen Geheimnißzuſtand erhob, ob wir uns verſtehen will ich nicht fragen in dieſem Augenblick tiefſter Rührung. Sei bewegt, wie ich es bin; laß mich erſt ausweinen deine Füße in mei - nen Schoos verbergend, dann ziehe mich herauf an's Herz, gieb deinem Arm noch einmal die Freiheit mich zu umfaſſen, lege die ſeegnende Hand auf das Haupt das ſich Dir geweihet hat, überſtröme mich mit deinem Blick, nein! mehr! verdunkle, verberge deinen Blick in meinem, und es wird mir nicht fehlen, daß deine Lip -319 pen die Seele auf den meinen als dein Eigenthum be - ſiegelt. Dies iſt, was ich dieſſeits von Dir verlange.

Im Schooße der Mitternacht, umlagert von den Proſpekten meiner Jugend; das hingebendſte Bekennt - niß aller Sünden deren Du mich zeihen willſt im Hin - terhalt, den Himmel der Verſöhnung im Vorgrund, er - greife ich den Becher mit dem Nachttrunke und leere ihn auf dein Wohl, indem ich bei dem dunkeln Erglü - hen des Weines aus kriſtallnem Rande, der herrlichen Wölbung deiner Augen gedenke.

Der herrlichen Wölbung Deiner Augen gedenkend auch heute am erſten Tag des Jahres, da ich ſo unwiſ - ſend bin wie am erſten Tag meines Lebens, denn nichts hab ich gelernt und keine Künſte hab ich verſucht, und keiner Weisheit bin ich mir bewußt; allein der Tag an dem ich Dich geſehen habe, hat mich verſtändigt, mit dem was Schönheit iſt. Nichts ſpricht überzeugender von Gott als wenn er ſelbſt aus der Schönheit ſpricht, ſo iſt denn ſeelig wer da ſiehet, denn er glaubt, ſeit die - ſem Tag hab ich nichts gelernt wo ich nicht durch Er - leuchtung belehrt wurde. Der Erwerb des Wiſſens und und der Künſte ſchien mir todt und nicht zu beneiden. 320Tugend die nicht die höchſte Wolluſt iſt währt nur kurz und mühſeelig, bald glaubt der Strebende ſie zu er - faſſen, bald eilt er der Fliehenden nach, bald iſt ſie ihm entſchwunden, und er iſt's zufrieden, da er der Mühe überhoben wird ſie zu erwerben. So ſeh ich denn auch die Künſtler vergnügt mit der Geſchicklichkeit während der Genius entfliehet, ſie meſſen einander, und finden das Maaß ihrer eignen Größe immer am höchſten, und ahnden nicht, daß eine ungemeßne Begeiſtrung zum kleinſten Maaßſtab des Genies gehöre. Dies alles hab ich bei Gelegenheit, da Deine Statue von Marmor ſoll verfertigt werden, recht ſehr empfunden, die bedäch - tige vorſichtige Logik eines Bildhauers läßt keiner Be - geiſtrung die Vorhand, er bildet einen todten Körper, der nicht einmal durch die rechtskräftige Macht des er - finderiſchen Geiſtes ſanctionirt wird. Der erfundne Goethe konnte nur ſo dargeſtellt werden, daß er zugleich einen Adam, einen Abraham, einen Moſes, einen Rechts - gelehrten oder auch einen Dichter bezeichnet; keine In - dividualität.

Indeſſen wuchs mir die Sehnſucht auch einmal nach dem heiligen Ideal meiner Begeiſtrung Dich auszuſpre - chen; beifolgende Zeichnung gebe Dir einen Beweis von dem was Inſpiration vermag ohne Übung der321 Kunſt, denn ich habe nie gezeichnet oder gemalt, ſon - dern nur immer den Künſtlern zugeſehen und mich ge - wundert über ihre beharrliche Ausdauer in der Beſchrän - kung, indem ſie nur das achten was einmal Sprachge - brauch in der Kunſt geworden, und wohl das bekannte gedankenloſe Wort achten, nie aber den Gedanken, der erſt das Wort heiligen ſoll. Kein herkömmlicher Prozeß kann den Geiſt und den Propheten und den Gott in einem ewigen Frieden in dem Kunſtwerk vereinen. Der Goethe wie ich ihn hier mit zitternder Hand, aber mit feuriger muthiger Anſchauung gezeichnet habe, weicht ſchon vom graden Weg der Bildhauer ab, denn er ſenkt ſich unmerklich nach jener Seite wo die im[Augen - blick] der Begeiſtrung vernachläßigte Lorbeerkrone in der loſen Hand ruht. Die Seele von höherer Macht be - herrſcht, die Muſe in Liebesergüſſen beſchwörend, wäh - rend die kindliche Pſyche das Geheimniß ſeiner Seele durch die Leier ausſpricht, ihr Füßchen findet keinen an - dern Platz, ſie muß ſich auf dem Deinen den höhe - ren Standpunkt erklettern; die Bruſt bietet ſich den Strahlen der Sonne, den Arm dem der Kranz anver - traut iſt haben wir mit der Unterlage des Mantels weich gebettet. Der Geiſt ſteigt im Flammenhaar über dem Haupt empor, umringt von einer Inſchrift die Du322 verſtehen wirſt, wenn Du mich nicht mißverſtehſt; ſie iſt auf die verſchiedenſte Art ausgelegt worden und im - mer ſo, daß es Deinem Verhältniß zum Publikum ent - ſprach, ich habe eines Theils damit ausdrücken wollen: alles was ihr mit euern leiblichen Augen nicht mehr erkennt, iſt über das Irdiſche hinaus dem Himmliſchen zu Theil geworden, ich habe noch was anders ſagen wollen was Du auch empfinden wirſt, was ſich nicht ausſprechen läßt; kurz dieſe Inſchrift liegt mir wie Ho - nig im Munde, ſo ſüß finde ich ſie, ſo meiner Liebe ganz entſprechend. Die kleinen Genien in den Niſchen am Rande des Seſſels die aber mehr wie kleine ungeſchickte Bengel gerathen ſind, haben ein jeder ein Geſchäft für Dich, ſie keltern Dir den Wein, ſie zünden Dir Feuer an und bereiten das Opfer, ſie gießen[Öl] auf die Lampe bei Deinen Nachtwachen, und der hinter Deinem Haupt, lehrt auf der Schalmey die jungen Nachtigallen im Neſte beſſer ſingen. Mignon an Deiner rechten Seite im Augenblick wo ſie entſagt (ach und ich mit ihr für dieſe Welt, mit ſo tauſend Thränen ſo tauſendmal dies Lied ausſprechend und die immer wieder auf's neu er - regte Seele wehmüthig beſchwichtigend) dies erlaube, daß ich dieſer meiner Liebe zur Apotheoſe den Platz ge - geben; jenſeits die meinen Namen trägt im Augenblick323 wo ſie ſich überwerfen will, nicht gut gerathen, ich hab ſie noch einmal gezeichnet wo ſie auf dem Köpfchen ſteht, da iſt ſie gut gelungen. Konnteſt Du dieſſeits ſo fromm ſein ſo durfteſt Du jenſeits wohl ſo naif ſein, es gehört zuſammen. Unten am Sockel hab ich, ein frankfurter Kind wie Du, meiner guten Stadt Frankfurt Ehre erzeugt: an beiden Seiten des Sockels, die Du nicht ſieheſt, ſollen Deine Werke eingegraben werden von leichtem erhabnem Lorbeergeſträuch über - wachſen, der ſich hinter den Pilaſtern hervordrängt und den frankfurter Adler an der Vorderſeite reichlich umgiebt und krönt; hinten können die Namen und Wappen derjenigen eingegraben werden, die dieſes Mo - nument verfertigen laſſen. Dies Monument ſo wie ich's mir in einer ſchlafloſen Nacht erdacht habe, hat den Vortheil, daß es Dich darſtellt und keinen andern, daß es in ſich fertig iſt, ohne Nebenwerke Deine Weihe ausſprechend, daß es die Liebe der frankfurter Bürger ausſpricht und auch das was Ihnen durch Dich zu Theil geworden; und dann liegt noch das Geheimniß der Verklärung, die Deine ſinnliche wie Deine geiſtige Natur, Dein ganzes Leben lang vor aller Gemeinheit bewahrt hat, darin. Gezeichnet mag es ſchlecht ſein und wie könnte es auch anders, da ich Dir nochmals ver -324 ſichern kann, daß ich nie gezeichnet habe, um ſo über - zeugter wirſt Du von der Wahrhaftigkeit meiner In - ſpiration ſein, die es gewaltſam im Zornesfeuer gegen den Mangel an Beſchaulichkeit in dem Künſtler, der dies der Welt heilige Werk vollenden ſoll, hervorge - bracht hat. Wenn überlegt würde, wie bedeutend die Vergangenheit die Zukunft durchſtrahlen ſoll in einem ſolchen Monument wie die Jugend einſt, die Dich nicht ſelbſt geſehen mit feurigem Aug 'an dieſem nachgebil - deten Antlitz hängen wird, ſo würden die Künſtler wohl den heiligen Geiſt auffordern ihnen beizuſtehen, ſtatt auf ihrem academiſchen Eigenſinn mit eitler Aroganz loszuhämmern. Ich zum wenigſten rufe den heiligen Geiſt an, daß er Zeugniß gebe, daß er mir hier beige - ſtanden, und daß er Dir eingebe es mit vorurtheilslo - ſem Blick wo nicht von Güte gegen mich übervortheilt, zu beſchauen. Ich habe eine Durchzeichnung an Beth - mann geſchickt, auf deſſen Bitte ich es gewagt habe, die Erfindung die ich bei ſeinem Hierſein gemacht zu zeich - nen. Iſt es nicht zu viel gefordert wenn ich Dich bitte mir den Empfang des Bildes mit wenigen Worten anzuzeigen.

Bettine.

About this transcription

TextGoethe's Briefwechsel mit einem Kinde
Author Bettina von Arnim
Extent337 images; 61824 tokens; 10658 types; 399154 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGoethe's Briefwechsel mit einem Kinde Seinem Denkmal Zweiter Theil Bettina von Arnim. . 324 S. DümmlerBerlin1835.

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Zentral- und Landesbibliothek Berlin Berlin ZLB, o CL 913

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Briefe; core; ready; china; women

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Editorial principles

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  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:28:33Z
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