Bettina v. Arnim inv. C. Funke ſc. Nach der Originalzeichnung.
Da ich Dir zum letztenmal ſchrieb, war's Sommer, ich war am Rhein und reiſte ſpäter mit einer heiteren Geſellſchaft von Freunden und Verwandten zu Waſſer bis Köln; als ich zurückgekommen war verbrachte ich noch die letzten Tage mit deiner Mutter, wo ſie freund - licher, leidſeeliger war wie je. Am Tag vor ihrem Tod war ich bei ihr, küßte ihre Hand und empfing ihr Lebe - wohl in deinem Namen. Denn ich hab 'Dich in keinem Augenblick vergeſſen; ich wußte wohl, ſie hätte mir gern deine beſte Liebe zum Erbtheil hinterlaſſen.
Sie iſt nun todt, vor welcher ich die Schätze mei - nes Lebens ausbreitete; ſie wußte wie und warum ich Dich liebe, ſie wunderte ſich nicht drüber. Wenn andre Menſchen klug über mich ſein wollten, ſo ließ ſie mich gewähren und gab dem Weſen keinen Namen. Noch enger hätte ich damals deine Kniee umſchließen mögen,II. 12noch feſter, tiefer Dich in's Auge faſſen, und alle andre Welt vergeſſen mögen, und doch hielt dies mich ab vom Schreiben. Später warſt Du ſo umringt, daß ich wohl ſchwerlich hätte durchdringen können.
Jetzt iſt ein Jahr vorbei, daß ich Dich geſehen habe, Du ſollſt ſchöner geworden ſein, Karlsbad ſoll Dich er - friſcht haben. Mir geht's recht hinderlich, ich muß die Zeit ſo kalt hinſtreichen laſſen ohne einen Funken zu erhaſchen an dem ich mir eine Flamme anblaſen könnte. Doch ſoll es nicht lange mehr währen bis ich Dich wie - der ſeh; dann will ich nur einmal Dich immer und ewig in meinen Armen feſthalten.
Dieſe ganze Zeit hab 'ich mit Jacobi, beinah alle Abende zugebracht, ich ſchätze es immer als ein Glück, daß ich ihn ſehen und ſprechen konnte; aber dazu bin ich nicht gekommen, — aufrichtig gegen ihn zu ſein, und die Liebe die man ſeinem Wohlwollen ſchuldig iſt ihm zu bezeigen. Seine beiden Schweſtern verpaliſadi - ren ihn, es iſt empfindlich, durch leere Einwendungen von ihm abgehalten zu werden. Er iſt duldend bis zur Schwäche und hat gar keinen Willen gegen ein paar Weſen die Eigenſinn und Herrſchſucht haben, wie die Semiramis. Die Herrſchaft der Frauen verfolgt ihn bis zur Präſidentenſtelle an der Akademie, ſie wecken ihn,3 ſie bekleiden ihn, knöpfen ihm die Unterweſte zu, ſie reichen ihm Medizin, will er ausgehn ſo iſt's zu rauh, will er zu Hauſe bleiben ſo muß er ſich Bewegung ma - chen. Geht er auf die Akademie ſo wird der Nymbus geſchneutzt damit er recht hell leuchte: Da ziehen ſie ihm ein Hemd von Batiſt an mit friſchem Jabot und Manſchetten und einem Pelzrock mit prächtigem Zobel gefüttert, der Wärmkorb wird vorangetragen, kommt er aus der Sitzung zurück, ſo muß er ein bischen ſchlafen nicht ob er will; ſo gehts' bis zum Abend in fortwäh - rendem Wiederſpruch, wo ſie ihm die Nachtmütze über die Ohren ziehen und ihn zu Bette führen.
Der Geiſt: auch unwillkührlich bahnt ſich eine Frei - ſtätte in der ihn nichts hindert zu walten nach ſeinem Recht; was dieſem nicht Eintrag thut wird er gern der Willkühr andrer überlaſſen. Das hat die Mutter oft an Dir geprieſen, daß deine Würde aus deinem Geiſt fließe, und daß Du einer andern nie nachgeſtrebt ha - beſt; die Mutter ſagte: Du ſei'ſt dem Genius treu, der Dich in's Paradies der Weisheit führt, Du genießeſt alle Früchte die er Dir anbietet, daher blühen Dir immer wieder neue ſchon während Du die erſten verzehrſt. Lotte und Lehne aber, verbieten dem Jacobi das Den - ken als ſchädlich, und er hat mehr Zutrauen zu ihnen1*4als zu ſeinem Genius, wenn der ihm einen Apfel ſchenkt ſo fragt er jene erſt ob der Wurm nicht drinn iſt.
Es braucht keinen großen Witz und ich fühle es in mir ſelber gegründet, im Geiſt liegt der unauslöſchliche Trieb das überirdiſche zu denken, ſo wie das Ziel einer Reiſe hat er den höchſten Gedanken als Ziel; er ſchrei - tet forſchend durch die irdiſche Welt der himmliſchen zu, alles was dieſer entſpricht das reißt der Geiſt an ſich und genießt es mit Entzücken, drum glaub ich auch daß die Liebe der Flug zum Himmel iſt.
Ich wünſch 'es Dir Goethe, und ich glaub' es auch feſt, daß all' dein Forſchen, deine Erkenntniß, und das was die Muſe Dir lehrt und endlich auch deine Liebe vereint deinem Geiſt einen verklärten Leib bilden, und daß der dem irdiſchen Leib nicht mehr unterworfen ſein werde wenn er ihn ablegt, ſondern ſchon ihn jenen gei - ſtigen Leib übergeſtrömt. Sterben muß Du nicht, ſter - ben muß nur der deſſen Geiſt den Ausweg nicht findet. Denken beflügelt den Geiſt, der beflügelte Geiſt ſtirbt nicht, er findet nicht zurück in den Tod. —
Mit der Mutter konnte ich über alles ſprechen, ſie begriff meine Denkweiſe, ſie ſagte: erkenne erſt alle Sterne und das letzte, dann erſt kannſt Du zweifeln, bis dahin iſt alles möglich.
5Ich habe von der Mutter viel gehört was ich nicht vergeſſen werde, die Art wie ſie mir ihren Tod anzeigte hab 'ich aufgeſchrieben für Dich. Die Leute ſagen Du wendeſt Dich von dem traurigen was nicht mehr abzu - ändern iſt gerne ab, wende Dich in dieſem Sinne nicht von der Mutter ihrem Hinſcheiden ab, lerne ſie kennen wie weiſe und liebend ſie grade im letzten Augenblick war und wie gewaltig das Poetiſche in ihr.
Heute ſag 'ich Dir nichts mehr denn ich ſehne mich daß dieſer Brief bald an Dich gelange; ſchreib mir ein Wort, meine Zufriedenheit beruht darauf. In dieſem Augenblick iſt mein Aufenthalt in Landshut; in wenig Tagen gehe ich nach München um mit dem Capellmei - ſter Winter Muſik zu ſtudieren.
Manches möchte man lieber mit Gebärden und Mie - nen ſagen, ach beſonders Dir hab 'ich nichts höheres zu verkünden als blos Dich anzulächeln.
Leb wohl, bleib mir geneigt, ſchreib mir wieder daß Du mich lieb haſt, was ich mit Dir erlebt habe iſt mir ein Thron ſeeliger Erinnerung. Die Menſchen trachten auf verſchiedenen Wegen alle nach einem Ziel, nämlich glücklich zu ſein, wie ſchnell bin ich befriedigt wenn Du mir gut, und meiner Liebe ein treuer Bewahrer ſein willſt.
6Ich bitte die Frau zu grüßen, ſo bald ich nach München komme werde ich ihrer gedenken.
Dir innigſt angelobt Bettine Brentano, bei Baron von Savigny.
Gerne hätte ich nach dem Beiſpiel der guten Mut - ter mein kleines Andenken zum Weihnachten zu rechter Zeit geſendet; allein ich muß geſtehen daß Mißlaune und tauſend andre Fehler meines Herzens mich eine ganze Weile von allem freundlichen Verkehr abhielten. Die kleine Kette war Ihnen gleich nach dem Tode der Mutter beſtimmt. Ich dachte Sie ſollten dieſe während der Trauer tragen und immer verſchob ich die Sendung, zum Theil weil es mir wirklich unerträglich war auch nur mit der Feder den Verluſt zu berühren, der für mich ganz Frankfurt zu einer Wüſte gemacht hat. — Das kleine Halstuch hab 'ich noch bei der Mutter ge - ſtickt, und hier in den müſſigen Stunden vollendet.
7Bleiben Sie mir freundlich, erinnern Goethe in den guten Stunden an mich, ein Gedanke von ihm an mich, iſt mir eine ſtrahlende Zierde die mich mehr ſchmückt und ergötzt als die köſtlichſten Edelſteine. Sie ſehen alſo welchen Reichthum Sie mir ſpenden können indem Sie ihn beſcheidentlich meiner Liebe und Verehrung ver - ſichern. Auch für ihn hab 'ich etwas, es iſt mir aber ſo lieb, daß ich es ungern einer gefahrvollen Reiſe aus - ſetze. Ich mache mir Hoffnung ihn in der erſten Hälfte dieſes Jahrs noch zu ſehen, wo ich es ihm ſelbſt brin - gen kann. Erhalten Sie ſich geſund und recht heiter in dieſem kalten Winter. Meine Schwachheit Ihnen Freude machen zu wollen behandeln Sie wie immer mit gütiger Nachſicht.
Bettine.
Andre Menſchen waren glücklicher als ich, die das Jahr nicht beſchließen durften ohne Dich geſehen zu ha - ben. Man hat mir geſchrieben wie liebreich Du die Freunde bewillkommteſt. —
8Seit mehreren Wochen bin ich in München, treib Muſik und ſinge viel bei dem Kapellmeiſter Winter, der ein wunderlicher Kauz iſt aber grade für mich paßt; denn er ſagt: Sängerinnen müſſen Launen haben, und ſo darf ich alle an ihm auslaſſen; viel Zeit bringe ich am Krankenlager von Ludwig Tiek zu, er leidet an Gicht, eine Krankheit die allen böſen Launen und Me - lancholie Audienz giebt; ich harre eben ſo wohl aus Ge - ſchmack wie aus Menſchlichkeit bei ihm aus; ein Kran - kenzimmer iſt an und für ſich, ſchon durch die große Ruhe ein anziehender Aufenthalt, ein Kranker der mit gelaſſnem Muth ſeine Schmerzen bekämpft macht es zum Heiligthum. Du biſt ein großer Dichter, der Tiek iſt ein großer Dulder, und für mich ein Phänomen, da ich vorher nicht gewußt habe, daß es ſolche Leiden giebt; keine Bewegung kann er machen ohne aufzuſeufzen, ſein Geſicht trieft von Angſtſchweiß, und ſein Blick irrt über der Schmerzensfluth oft umher, wie eine müde geäng - ſtigte Schwalbe die vergeblich einen Ort ſucht wo ſie ausruhen kann, und ich ſteh 'vor ihm verwundert und beſchämt, daß ich ſo geſund bin; dabei dichtet er noch Frühlingslieder, und freut ſich über einen Strauß Schnee - glöckchen die ich ihm bringe, ſo oft ich komme fordert er zuerſt daß ich dem Strauß friſch Waſſer gebe, dann9 wiſche ich ihm den Schweiß vom Geſicht ganz gelinde, man kann es kaum ohne ihm weh zu thun, und ſo leiſte ich ihm allerlei kleine Dienſte, die ihm die Zeit vertreiben, Engliſch will er mir auch lehren, allen Zorn und Krankheitsunmuth läßt er denn an mir aus, daß ich ſo dumm bin, ſo abſurd frage und nie die Antwort verſtehe, ich auch bin verwundert; denn ich hab' mit den Leuten geglaubt ich ſei ſehr klug wo nicht gar ein Genie, und nun ſtoße ich auf ſolche Untiefen wo gar kein Grund zu erfaſſen iſt, nämlich der Lerngrund, und ich muß erſtaunt bekennen daß ich in meinem Leben nichts gelernt habe.
Eh ich von Dir wußte, wußt ich auch nichts von mir, nachher waren Sinne und Gefühl auf Dich gerich - tet, und nun die Roſe blüht, glüht und duftet, ſo kann ſie's doch nicht von ſich geben, was ſie in Geheim er - fahren hat. Du biſt der mir's angethan hat, daß ich mit Schimpf und Schand beſtehe vor den Philiſtern, die eine Reihe von Talenten an einem Frauenzimmer ſchäz - zenswerth finden. Das Frauenzimmer ſelbſt aber ohne dieſe nicht.
Klavier ſpielen, Arien ſingen, fremde Sprachen ſpre - chen, Geſchichte und Naturwiſſenſchaft das macht den liebenswerthen Charakter, ach und ich hab 'immer hin -1**10ter allem dieſem erſt nach dem geſucht was ich lieben möchte; geſtern kam Geſellſchaft zu Tiek, ich ſchlich mich unbemerkt hinter einen Schirm, ich wär 'auch gewiß da eingeſchlafen wenn nicht mein Name wär' ausgeſprochen worden, da hat man mich gemalt, ſo daß ich mich vor mir ſelber fürchten müßte; ich kam auch plötzlich hervor und ſagte: Nein ich bin zu abſcheulich ich mag nicht mehr allein bei mir ſein. Dies erregte eine kleine Kon - ſternation, und mir machte es viel Spaß. — So ging mir's auch bei Jacobi, wo Lotte und Lehne nicht be - merkt hatten, daß ich hinter dem großen runden Tiſch ſaß, ich rief hervor mitten in ihre Epiſtel hinein: Ich will mich beſſern. Ich weiß gar nicht warum mein Herz immer jauchzt vor Luſt wenn ich mich verunglimpfen höre, und warum ich ſchon im Voraus lachen muß wenn einer mich tadelt; ſie mögen mir aufbürden die aller ver - kehrteſten Dinge, ich muß alles mit Vergnügen anhören und gelten laſſen. Es iſt mein Glück; wollt ich mich dagegen vertheidigen ich käm in des Teufels Küche; wollte ich mit ihnen ſtreiten ich würde dummer wie ſie. Doch dieſe letzte Geſchichte hat mir Glück gebracht, Sai - ler war da, dem gefiel's, daß ich Lehnen dafür beim Kopf kriegte und ihr auf ihr böſes Maul einen herzli - chen Schmaz gab um es zu ſtopfen. Nachdem Sailer11 weg war ſagte Jacobi, nun die Bettine hat dem Sai - ler das Herz gewonnen; wer iſt der Mann? fragte ich. Wie! ſie kennen Sailer nicht, haben ihn nie nennen hören, den allgemein gefeierten, geliebten, den Philoſo - phen Gottes, ſo gut wie Plato der göttliche Philoſoph iſt? — Dieſe Worte haben mir von Jacobi gefallen, ich freue mich unendlich auf den Sailer, er iſt Profeſſor in Landshut. Während dem Carneval iſt hier ein Strom von Feſten die einen wahren Strudel bilden, ſo greifen ſie in einander; es werden wöchentlich neue Opern ge - geben die meinen alten Winter ſehr im Athem erhalten, ich hör 'manches mit großem Antheil, wollt ich ihm ſa - gen was ich dadurch lerne er würde es nicht begreifen. Am Rhein haben wir über Muſik geſchrieben, ich weiß nicht mehr was; ich hab Dir noch mehr zu ſagen, neues, für mich erſtaunungswürdiges, kaum zu faſſen für mei - nen ſchwachen Geiſt, und doch erfahre ich's nur durch mich ſelbſt. Soll ich da nicht glauben, daß ich einen Dämon habe der mich belehrt, ja es kommt alles auf die Frage an, je tiefer Du fragſt je gewaltiger iſt die Antwort, der Genius bleibt keine ſchuldig; aber wir ſcheuen uns zu fragen und noch mehr, die Antwort zu vernehmen und zu begreifen denn das koſtet Mühe und Schmerzen, anders können wir nichts lernen, wo ſollten12 wir's herhaben, wer Gott fragt dem antwortet er das göttliche.
Auf den Feſten die man hier Akademien nennt — Masken-Bälle in der Mitte ein kleines Theater wor - auf[pantomimiſche] Vorſtellungen gegeben werden von Harlequin Pierrot und Pantalon — hab ich den Kron - prinzen kennen gelernt; ich habe eine Weile mit ihm ge - ſprochen ohne zu wiſſen wer er ſei, er hat etwas zu - ſprechendes freundliches und wohl auch originell geiſt - reiches; ſein ganzes Weſen ſcheint zwar mehr nach Frei - heit zu ringen als mit ihr geboren zu ſein; ſeine Stimme, ſeine Sprache und Gebärden haben etwas angeſtrengtes, wie ein Menſch der ſich mit großem Aufwand von Kräften an glatten Felswänden hinauf half, eine zit - ternde Bewegung in den noch nicht geruhten Gliedern hat. Und wer weiß wie ſeine Kinderjahre, ſeine Nei - gungen bedrängt oder durch Widerſpruch gereitzt wur - den, ich ſeh ihm an daß er ſchon manches überwinden mußte, und auch daß ſich großes aus ihm entwickeln kann; ich bin ihm gut, ein ſo junger Herrſcher in der Vorhölle, wo er leiden muß, daß ſich jede Zunge über ihn erbarmt; ſeine gute Münchner wie er ſie nennt ſind ihm nicht grün; ja wartet nur bis er mündig iſt, ent -13 weder er beſchämt Euch alle, oder er wird's Euch gar - ſtig eintränken.
Dem wunderbaren Frühlingswetter konnte ich nicht wiederſtehen, der warme mailiche Sonnenſtrahl der das harte, eiſige Neujahr ganz zuſammenſchmolz, war über - raſchend, es hat mich hinaus getrieben in den kahlen, engliſchen Garten, ich bin auf alle Freundſchaftstempel, chineſiſche Thürme, und Vaterlands-Monumente ge - klettert um die Tyroler Bergkette zu erblicken, die tau - ſendfach ihre geſpaltnen Häupter gen Himmel ragt; auch in meiner Seele kannſt Du ſolche große Bergmaſ - ſen finden, die tief bis in die Wurzel geſpalten ſind, und kalt und kahl ihre hartneckige Zacken in die Wol - ken ſtrecken. Bei der Hand möcht ich Dich nehmen und weit wegführen, daß Du Dich beſinnen ſollteſt über mich, daß ich Dir in deinen Gedanken aufginge als et - was merkwürdiges dem Du nachſpürteſt, wie zum Bei - ſpiel einem Intermaxilarknochen über den Du dein Recht in ſo eifriger Correſpondence gegen Soemering behaup - teſt, ſag mir aufrichtig werde ich Dir nie ſo wichtig ſein als ein ſolcher todter Knochen? — Daß Gott alles wohl -14 gefügt habe, wer kann das bezweiflen. Ob Du aber dein Herz wohl mit meinem verſchränkt habeſt, dagegen erheben ſich bei mir zu manchen trüben Stunden Zwei - fel von ſchweren Seufzern begleitet. Am Rhein hab 'ich Dir viel und liebend geſchrieben, ja ich war ganz in deiner Gewalt, und was ich dachte und fühlte war weil ich im Geiſte Dich anſah, nun haben wir eine Pauſe gemacht beinah vier Monate, Du haſt mir noch nicht geantwortet auf zwei Briefe.
Es liegt mir an allem Nichts, aber daran liegt mir, daß ich um Dich nicht betrogen werde; daß mir kein Wort; kein Blick von Dir geſtohlen werde, ich hab Dich ſo lieb das iſt alles, mehr wird nicht in mich gehen, und anders wird man nichts an mir er - kennen, und ich denke auch das iſt genug, um mein ganzes Leben den Muſen als ein wichtiges Docu - ment zu hinterlaſſen; darum vergeht mir manche Zeit ſo hart und kalt wie dieſer[harte] Winter, darum blüth's wieder, und drängt von allen Seiten wieder in's Leben. — Darum hüt 'ich oft meine Gedanken vor Dir. Dieſe ganze Zeit konnte ich kein Buch von Dir anrühren. Nein, ich konnt' keine Zeile leſen, es war mir zu trau - rig, daß ich nicht bei Dir ſein kann. Ach die Mutter fehlt mir die mich beſchwichtigte, die mich hart machte15 gegen mich ſelber, ihr klares feuriges Aug 'ſah mich durch und durch, ich brauchte ihr nichts zu geſtehen, ſie wußte alles, ihr feines Ohr hörte bei dem leiſeſten Klang meiner Stimme wie es um mich ſtehe; o ſie hat mir manche Gegengeſchichte zu meiner Empfindung erzählt, ohne daß ich ſie ihr wörtlich mittheilte, wie oft hat ein freudiges Zurufen von ihr alle Wolken in mir zertheilt, welche freundliche Briefe hat ſie mir in's Rheingau ge - ſchrieben; Tapfer! — rief ſie mir zu; ſei Tapfer, da ſie Dich doch nicht für ein echtes Mädchen wollen gelten laſſen, und ſagen man könne ſich nicht in Dich verlie - ben, ſo biſt Du die eine Plage loß, ſie höflich abzuwei - ſen, ſo ſei denn ein tapferer Soldat, wehr Dich dage - gen, daß Du meinſt Du müßteſt immer bei ihm ſein und ihn bei der Hand halten, wehr Dich gegen deine eigne Melancholie, ſo iſt er immer ganz und innigſt Dein und kein Menſch kann Dir ihn rauben.
Solche Zeilen machten mich unendlich glücklich, wahr - haftig ich fand Dich in ihr wieder, wenn ich nach Frank - furt kam ſo flog ich zu ihr hin; wenn ich die Thür auf - machte, wir grüßten uns nicht, es war als ob wir ſchon mitten im Geſpräch ſeien. Wir zwei waren wohl die zwei einzig lebendige Menſchen, in ganz Frankfurt, und überall, manchmal küßte ſie mich und ſprach davon, daß16 ich in meinem Weſen ſie an Dich erinnere, ſie habe auch dein Sorgenbrecher ſein müſſen. Sie baute auf mein Herz. Man konnte ihr nicht weis machen, daß ich falſch gegen ſie ſei, ſie ſagte: der iſt falſch der mir meine Luſt an ihr verderben will, ich war ſtolz auf ihre Liebe.
Wenn Du nun nicht mehr auf der Welt wärſt! ach ich würde keine Hand mehr regen. Ach es regen ſich ſo viel tauſend Hoffnungen und wird nichts draus. Wenn ich nur manchmal bei Dir ſitzen könnte eine halbe Stunde lang; — da wird vielleicht auch nichts draus, mein Freund!! —
In den wenig Wochen die ich in Landshut zubrachte hab 'ich trotz Schnee und Eis nah und ferne Berge be - ſtiegen, da lag mir das ganze Land im blendendſten Ge - wand vor Augen; alle Farben vom Winter getödtet und vom Schnee begraben, nur mir röthete die Kälte die Wangen; — wie ein einſames Feuer in der Wüſte ſo brennt der einzige Blick, der beleuchtet und erkennt, während die ganze Welt ſchläft. Ich hatte ſo kurz vor - her den Sommer verlaſſen, ſo reich beladen mit Frucht. — Wo war's doch wo ich den letzten Berg am Rhein17 beſtieg? — in Godesberg; warſt Du da auch oft? — Es war bald Abend da wir oben waren; Du wirſt Dich noch erinnern es ſteht oben ein einziger hoher Thurm, und rund auf der Fläche ſtehen nach die alten Mauern. Die Sonne in großer Pracht ſenkte einen glühenden Purpur über die Stadt der Heiligen; der Kölner Dom, an deſſen dornigen Zierrathen die Nebel wie eine vor - überſtreifende Schaafheerde ihre Flocken hängen ließen, in denen Schein und Wiederſchein ſo fein ſpielten, da ſah ich ihn zum letztenmal; alles war zerfloſſen in dem ungeheuren Brand, und der kühle ruhige Rhein, den man viele Stunden weit ſieht, und die Siebenberge hoch über den Ufergegenden.
Im Sommer, in dem leidenſchaftlichen Leben und Weben aller Farben, wo die Natur, die Sinne als den rührendſten Zauber ihrer Schönheit feſthält; wo der Menſch durch das Mitempfinden ſelbſt ſchön wird: da iſt er ſich ſelbſt auch oft wie ein Traum, der vor dem Begriff wie Duft verfliegt, — Das Lebensfeuer in ihm verzehrt alles; den Gedanken im Gedanken, und bildet ſich wieder in allem. Was das Aug 'erreichen kann ge - winnt er nur um ſich wieder ganz dafür hinzugeben: und ſo fühlt man ſich frei und keck in den höchſten Fels - ſpitzen, in dem kühnſten Waſſerſturz, ja mit dem Vogel18 in der Luft mit dem man in die Ferne zieht, und höher mit ihm ſteigt um früher den Ort der Sehnſucht zu er - blicken. Im Winter iſt's anders, da ruhen die Sinne mit der Natur, nur die Gedanken graben heimlich in der Seele fort wie die Arbeiter im Bergwerk nach. — Darauf hoffe und baue auch ich, lieber Goethe, jetzt wo ich empfinde wie öde und mangelhaft es in mir iſt: daß die Zeit kommen werde wo ich Dir mehr ſagen und Dich mehr fragen kann. Einmal wird mir doch einleuchten was ich zu wiſſen fordere. Das deucht mir der einzige Umgang mit Gott, nämlich die Frage um das Überir - diſche; und das ſcheint mir die einzige Größe des Men - ſchen: dieſe Antwort zu empfinden, zu genießen. Ge - wiß iſt die Liebe auch eine Frage an Gott, und der Ge - nuß in ihr iſt eine Antwort von dem liebenden Gott ſelbſt.
Hier im Schloß welches man die Reſidenz heißt, und ſiebzehn Höfe hat, iſt in einem der Nebengebäude ein kleiner, einſamer Hof, in der Mitte deſſelben ſteht ein Springbrunnen: Perſeus der die Meduſa enthaup - tet, in Erz, von einem Raſenplatz umgeben; ein Gang19 von Granitſäulen führt dahin; Meerweibchen von Thon und Muſchlen gemacht, halten große Becken, in die ſie ehmals Waſſer ſpieen, Mohrenköpfe ſchauen aus der Mauer, die Decke und Seiten ſind mit Gemälden ge - ziert, die freilich ſchon zum Theil herunter gefallen ſind, unter andern Apoll der auf ſeinem Sonnenwagen ſich über die Wolken bäumt, und ſeine Schweſter Luna im herunterfahren begrüßt; der Ort iſt ſehr einſamlich, ſel - ten daß ein Hofbediente queer durchläuft, die Spatzen hört man ſchreien, und den kleinen Eidexen und Waſ - ſermäuschen ſeh ich da oft zu, die im verfallnen Spring - brunnen kampieren, es iſt dicht hinter der Hofkapelle; manchmal höre ich am Sonntag da auch das hohe Amt oder die Veſper mit großem Orcheſter; Du mußt doch auch wiſſen wo dein Kind iſt, wenn's recht treu und fleiſſig an Dich denkt. Adieu, leb recht wohl, ich glaub gewiß daß ich dieſes Jahr zu Dir komme und vielleicht bald, denk an mich, wenn Du Zeit haſt ſo ſchreib mir, nur daß ich Dich ſo fort lieben darf, mehrere von meinen Briefen müſſen verloren gegangen ſein, denn ich hab vom Rhein aus noch mehrmals an Dich ge - ſchrieben.
Die Frau bitte ich herzlich zu grüßen, ich weiß nicht20 ob eine kleine Schachtel die ich ihr unter deiner Addreſſe ſchickte verloren gegangen iſt.
Bettine.
Meine Addreſſe iſt[Landshut] bei Savigny.
Empfangen Sie meinen Dank für die ſchönen Ge - ſchenke, welche ich von Ihnen erhalten habe, es hat mich außerordentlich gefreut, weil ich daraus erſah, daß Sie mir Ihr Wohlwollen fortdauer[n]d erhalten, um das ich noch nicht Gelegenheit hatte mich verdient zu machen.
Ich war nun acht Wochen in Frankfurt, die Ihri - gen alle haben mir viel Gutes erzeugt, ich weiß wohl, daß ich dies alles der großen Liebe und Achtung, die man hier für die verſtorbene Mutter hegte, zu danken habe; doch hab ich Ihre Gegenwart ſehr vermißt, Sie haben die Mutter ſehr geliebt und ich hatte auch ver - ſchiedene Aufträge vom Geheimenrath an Sie, von de - nen er glaubte, daß Sie dieſelben gerne übernehmen würden; ich habe nun alles ſo gut wie möglich ſelbſt beſorgt in dieſen traurigen Tagen. Alles was ich von21 Ihrer Hand unter den Papieren der Mutter fand, hab ich gewiſſenhaft an die Ihrigen abgegeben; ich fand es ſehr wohlgeordnet mit gelben Band zugebunden, und von der Mutter an Sie überſchrieben.
Sie machen uns Hoffnung auf einen baldigen Be - ſuch, der Geheimerath und ich ſehen dieſen ſchönen Ta - gen mit Freuden entgegen, nur wünſchen wir, daß es bald geſchehe, da der Geheimerath wahrſcheinlich in der Mitte des Monat Mai wieder nach Carlsbad gehen wird.
Er befindet ſich dieſen Winter außerordentlich wohl, welches er doch den heilſamen Quellen zu danken hat. Bei meiner Zurückkunft kam er mir ordentlich jünger vor und geſtern, weil große Cour an unſerm Hof war, ſah ich ihm zum erſtenmal mit ſeinen Orden und Bän - dern geſchmückt, er ſah ganz herrlich und ſtattlich aus, ich konnte ihn gar nicht genug bewundern, mein erſter Wunſch war wenn ihn doch die gute Mutter noch ſo geſehen hätte; er lachte über meine große Freude, wir ſprachen viel von Ihnen, er trug mir auf auch in ſei - nem Namen zu danken, für alles gütige und freund - liche was Sie mir erzeugen, er hat ſich vorgenommen ſelbſt zu ſchreiben und meine ſchlechte Feder zu entſchul - digen, mit der ich nicht nach Wunſch ausdrücken kann,22 wie werth mir Ihr Andenken iſt dem ich mich herzlich empfehle.
C. v. Goethe.
Du biſt ſehr liebenswürdig, gute Bettine, daß Du dem ſchweigenden Freunde immer einmal wieder ein le - bendiges Wort zuſprichſt, ihm von deinen Zuſtänden und von den Localitäten in denen Du umherwandelſt einige Nachricht giebſt; ich vernehme ſehr gern wie Dir zu Muthe iſt, und meine Einbildungskraft folgt Dir mit Vergnügen ſowohl auf die Bergeshöhen als in die engen Schloß - und Kloſterhöfe. Gedenke meiner auch bei den Eidexen und Salamandern.
Eine Dankſagung meiner Frau wird bei Dir ſchon eingelaufen ſein, deine unerwartete Sendung hat un - glaubliche Freude gemacht, alles iſt einzeln bewundert und hochgeſchätzt worden. Nun muß ich Dir auch ſchnell für die mehreren Briefe danken die Du mir geſchrieben haſt, und die mich in meiner Carlsbader Einſamkeit an - genehm überraſchten, unterhielten und theilweiſe wieder - holt beſchäftigten, ſo waren mir beſonders deine Explo -23 ſionen über Muſik intereſſant, ſo nenne ich dieſe geſtei - gerten Anſchauungen deines Köpfchens die zugleich den Vorzug haben auch den Reiz dafür zu ſteigern.
Damals ſchickte ich ein Blättchen an Dich meiner Mutter, ich weiß nicht ob Du es erhalten haſt. Dieſe Gute iſt nun von uns gegangen, und ich begreife wohl wie Frankfurt Dir dadurch verödet iſt. — Alles was Du mittheilen willſt über Herz und Sinn der Mutter, und über die Liebe mit der Du es aufzunehmen ver - ſtehſt, iſt mir erfreulich. Es iſt das ſeltenſte und da - her wohl auch das köſtlichſte zu nennen, wenn eine ſo gegenſeitige Auffaſſung und Hingebung immer die rechte Wirkung thut; immer etwas bildet was dem nächſten Schritt im Leben zu gut kommt, wie denn durch eine glückliche Übereinſtimmung des Augenblicks gewiß am lebendigſten auf die Zukunft gewirkt iſt, und ſo glaub ich Dir gern wenn Du mir ſagſt, welche reiche Lebens - quelle Dir in dieſem deinen Eigenheiten ſich ſo willig hingebenden Leben verſiegt iſt; auch mir war ſie dies, in ihrem Überleben aller anderen Zeugen meiner Jugend - jahre bewieß ſie, daß ihre Natur keiner andern Rich - tung bedurfte als zu pflegen und zu lieben was Ge - ſchick und Neigung ihr anvertraut hatten; ich habe in der Zeit nach ihrem Tode viele ihrer Briefe durchleſen,24 und bewundert wie ihr Geiſt bis zur ſpäteſten Epoche ſein Gepräge nicht verloren. Ihr letzter Brief war ganz erfüllt von dem Guten was ſich zwiſchen Euch gefun - den, und daß ihre ſpäten Jahre wie ſie ſelbſt ſchreibt von deiner Jugend ſo grün umwachſen ſeien; auch in dieſem Sinn alſo, wie in allem andern was dein le - bendiges Herz mir ſchon gewährt hat, bin ich Dir Dank ſchuldig.
Wilhelm Humboldt hat uns viel von Dir erzählt. Viel das heißt oft. Er fing immer wieder von deiner kleinen Perſon zu reden an, ohne das er ſo was recht eigentliches hätte zu ſagen gehabt, woraus wir denn auf ein eignes Intereſſe ſchließen konnten. Neulich war ein ſchlanker Architekt von Kaſſel hier, auf den Du auch magſt Eindruck gemacht haben.
Dergleichen Sünden magſt Du denn mancherlei auf Dir haben, deswegen Du verurtheilt biſt Gichtbrüchige und Lahme zu warten und zu pflegen.
Ich hoffe jedoch das ſoll nur eine vorübergehende Büßung werden, damit Du Dich des Lebens deſto beſſer und lebhafter mit den Geſunden freuen mögeſt.
Bring nun mit deiner reichen Liebe alles wieder in's Geleis einer mir ſo lieb gewordenen Gewohnheit, laſſe die Zeit nicht wieder in ſolchen Lücken verſtreichen laſſevon25von Dir vernehmen, es thut immer ſeine gute und freund - liche Wirkung, wenn auch der Gegenhall nicht bis zu Dir hinüberdringt; ſo verzichte ich doch nicht darauf Dir Beweiſe ihres Eindruckes zu liefern, an denen Du ſelbſt ermeſſen magſt ob die Wirkung auf meine Einbildungs - kraft, den Zaubermitteln der deinigen entſpricht. Meine Frau hör ich hat Dich eingeladen, das thue ich nicht und wir haben wohl beide recht. Lebe wohl, grüße freundlich die freundlichen und bleib mir Bettine.
G.
Wenn deine Einbildungskraft geſchmeidig genug iſt mich in alle Schlupfwinkel von verfallenem Gemäuer, über Berg und Klüfte zu begleiten, ſo will ich's auch noch wagen Dich bei mir einzuführen; ich bitte alſo: komm, — nur immer höher, — drei Stiegen hoch — hier in mein Zimmer, ſetz Dich auf den blauen Seſſel am grü - nen Tiſch, mir gegen über; — ich will Dich nur anſehen, und — Goethe! — folgt mir deine Einbildungskraft im - mer noch? — dann mußt Du die unwandelbarſte LiebeII. 226in meinen Augen erkennen, mußt jetzt liebreich mich in deine Arme ziehen; ſagen: ſo ein treues Kind iſt mir beſcheert, zum Lohn, zum Erſatz für manches. Es iſt mir werth dies Kind, ein Schatz iſt mir's, ein Kleinod das ich nicht verlieren will. — Siehſt Du? — und mußt mich küſſen; denn das iſt was meine Einbildungskraft der deinigen beſcheert.
Ich führ Dich noch weiter; — tritt ſachte auf in meines Herzenskammer; — hier ſind wir in der Vor - halle; — große Stille! — kein Humbold, — kein Ar - chitekt, — kein Hund der bellt. — Du biſt nicht fremd; — geh hin poch an — es wird allein ſein und, herein — Dir rufen. Du wirſt's auf kühlem, ſtillem Lager finden, ein freundlich Licht wird Dir entgegen leuchten, alles wird in Ruh und Ordnung ſein, und Du Will - kommen. — Was iſt das? — Himmel! — die Flam - men über ihm zuſammenſchlagend! — Woher die Feu - ersbrunſt? — Wer rettet hier? — armes Herz! — ar - mes nothgedrungenes Herz. — Was kann der Verſtand hier? — der weiß alles beſſer und kann doch nichts helfen, der läßt die Arme ſinken.
Kalt und unbedeutend geht das Leben entweder ſo fort, das nennt man einen geſunden Zuſtand; oder wenn es wagt auch nur den einzigen Schritt tiefer in's Ge -27 fühl, dann greifen Leidenſchaften brennend mit Gewalt es an, ſo verzehrt ſich's in ſich ſelber. — Die Augen muß ich zumachen und darf nichts anſehen was mir lieb iſt. Ach! die kleinſte Erinnerung macht mich er - grimmen in ſehnendem Zorn, und drum darf ich auch nicht immer in Gedanken Dir nachgehen, weil ich zor - nig werde und wild. — Wenn ich die Hände ausſtrecke ſo iſt's doch nur nach den leeren Wänden, wenn ich ſpreche, ſo iſt's doch nur in den Wind, und wenn ich endlich Dir ſchreibe, ſo empört ſich mein eigen Herz, daß ich nicht die leichte Brücke von dreimal Tag und Nacht überfliege und mich in ſüßeſter, der Liebe ewig erſehnter Ruhe zu deinen Füßen lege.
Sag wie biſt Du ſo mild, ſo reichlich gütig in Dei - nem lieben Brief; mitten in dem hartgefrornen Winter, ſonnige Tage die mir das Blut warm machen; — was will ich mehr? — Ach ſo lang ich nicht bei Dir bin kein Seegen.
Ach ich möchte, ſo oft ich Dir wieder ſchreibe auch wieder Dir ſagen: wie und warum und alles; ich möchte Dich hier auf den einzigen Weg leiten den ich einzig will, damit es einzig ſei, und ich nur einzig ſei die ſo Dich liebt und ſo von Dir erkannt wird.
Ob Liebe die größte Leidenſchaft ſei, und ob zu2*28überwinden, verſteh ich nicht, bei mir iſt ſie Willen, mächtiger, unüberwindlicher.
Der Unterſchied zwiſchen göttlichem und menſchli - chem Willen iſt nur, daß jener nicht nachgiebt und ewig daſſelbe will; unſer Wille aber jeden Augenblick fragt: darf oder ſoll ich? — Der Unterſchied iſt, daß der gött - liche Wille alles verewigt, und der menſchliche am irdi - ſchen ſcheitert; das iſt aber das große Geheimniß, daß die Liebe himmliſcher Wille iſt, Allmacht der nichts ver - ſagt iſt.
Ach Menſchenwitz hat keinen Klang, aber himmli - ſcher Witz der iſt Muſik, luſtige Energie, dem iſt das ir - diſche zum Spott; er iſt das glänzende Gefieder mit dem die Seele ſich aufſchwingt, hoch über die Anſiede - lungen irdiſcher Vorurtheile, von da oben herab iſt ihr alles Geſchick gleich. Wir ſagen, das Schickſal walte über uns? — Wir ſind unſer eigen Schickſal, wir zer - reißen die Fäden die uns dem Glück verbinden, und knüpfen jene an die uns unſeelige Laſt auf's Herz le - gen; eine innere geiſtige Geſtalt will ſich durch die äu - ßere weltliche bilden, dieſer innere Geiſt regiert ſelbſt ſein eigen Schickſal wie es zu ſeiner höheren Organiſa - tion erforderlich iſt.
Du mußt mir's nicht verargen wenn ich's nicht29 deutlicher machen kann, Du weißt alles und verſtehſt mich, und weißt daß ich recht habe und freuſt Dich drüber.
Gute Nacht! — bis Morgen gute Nacht. — Alles iſt ſtill, ſchläft ein jeder im Haus, hängt träumend dem nach, was er wachend begehrt, ich aber bin allein wach mit Dir. Draußen auf der Straße kein Laut mehr — ich möchte wohl verſichert ſein daß in dieſem Augenblick keine Seele mehr an Dich denkt, kein Herz einen Schlag mehr für Dich thut, und ich allein auf der weiten Welt ſitze zu deinen Füßen, das Herz in vollen Schlägen geht auf und ab; und während alles ſchläft bin ich wach dein Knie an meine Bruſt zu drücken, — und Du? — die Welt braucht's nicht zu wiſſen daß Du mir gut biſt.
Bettine.
Heut bricht der volle Tag mit ſeinen Neuigkeiten in meine Einſamkeit herein, wie ein ſchwer beladener Frachtwagen auf einer leichten Brücke einbricht, die nur für harmloſe Spaziergänger gebaut war. Da hilft nichts, man muß Hand anlegen und helfen alles in30 Gang bringen; auf allen Gaſſen ſchreit man Krieg, die Bibliothekardiener rennen umher um ausgeliehene Ma - nuſcripte und Bücher wieder einzufordern, denn alles wird eingepackt. Hamberger, ein zweiter Hercules, — denn wie jener die Stallungen der zwanzigtauſend Rin - der, ſo miſtet er die Bibliothek von achtzigtauſend Bän - den aus, und jammert daß alle geſchehene Arbeit um - ſonſt iſt. Auch die Gallerie ſoll eingepackt werden; kurz, die ſchönen Künſte ſind in der ärgſten Conſterna - tion. Opern und Muſik iſt Valet geſagt, der erlauchte Liebhaber der Prima Donna zieht zu Felde; die Aca - demie ſteckt Trauerampeln aus, und bedeckt ihr Antlitz bis der Sturm vorbei, und ſo wär alles in ſtiller mü - der Erwartung des Feindes, der vielleicht gar nicht kommt. Ich auch bin in Gährung, und zwar in revo - lutionairer. — Die Tyroler, mit denen halt ich's, das kannſt Du denken. Ach ich bin's müde, des Nachbars Flöte oben in der Dachkammer bis in die ſpäte Nacht ihr Stückchen blaſen zu hören, die Trommel und die Trompete die machen das Herz friſch.
Ach hätt 'ich ein Wämslein und Hoſen und Hut, ich lief hinüber zu den gradnaſigen, gradherzigen Tyrolern und ließ ihre ſchöne grüne Standarte im Winde klatſchen.
31Zur Liſt hab 'ich große Anlage, wenn ich nur erſt drüben wär, ich könnte ihnen gewiß Dienſte leiſten. Mein Geld iſt all fort, ein guter Kerl, ein Mediziner, hat eine Liſt erfunden, es den gefangnen Tyrolern, die ſehr hart gehalten ſind, zuzuſtecken. Das Gitter vom Gefängniß geht auf einen öden Platz am Waſſer, den ganzen Tag waren böſe Buben da verſammelt, die mit Koth nach ihnen warfen, am Abend gingen wir hin, unterdeſſen einer neben der Schildwache ausrief: Ach was iſt das für ein Rauch in der Ferne, und indem dieſe ſich nach dem Rauch umſah, zeigte der andere den Gefangenen das blinkende Goldſtück, wie er es in Pa - pier einwickelte und dann mit Koth eine Kugel draus machte; jetzt paß Achtung, rief er, und warf's dem Ty - roler zu, ſo gelang es mehrmals; die Schildwache freute ſich daß die böſen Jungen ſo gut treffen konnten.
Du kennſt vielleicht oder erinnerſt Dich doch geſehen zu haben einen Grafen Stadion, Domherr und kaiſer - licher Geſandter, von ſeinen Freunden der ſchwarze Fritz genannt, er iſt mein einziger Freund hier, die Abende, die er frei hat, bringt er gern bei mir zu, da lieſt er die Zeitung, ſchreibt Depeſchen, hört mir zu wenn ich was erzähle, wir ſprechen auch oft von Dir; ein Mann von kluger, freier Einſicht, von edlem Weſen. 32Er theilt mir aus ſeiner Herzens - und Lebensgeſchichte merkwürdige Dinge mit, er hat viel aufgeopfert, aber nichts dabei verloren, im Gegentheil iſt ſein Charakter hierdurch frei geworden von der Steifheit, die doch im - mer mehr oder weniger den Platz freiwilliger Grazie ein - nimmt, ſobald man mit der Welt in einer nicht unwich - tigen Verbindung iſt, wo man ſich zum Theil auch künſtlich verwenden muß; er iſt ſo ganz einfach wie ein Kind, und giebt meinen Launen in meiner Einſamkeit manche Wendung. Sonntags holt er mich ab in ſei - nem Wagen und lieſt mir in der königlichen Kapelle die Meſſe; die Kirche iſt meiſtens ganz leer, außer ein paar alten Leuten. Die ſtille einſame Kirche iſt mir ſehr erfreulich, und daß der liebe Freund, von dem ich ſo manches weiß was in ſeinem Herzen bewahrt iſt, mir die Hoſtie erhebt und den Kelch — das freut mich. Ach ich wollt 'ich wüßte ihm auf irgend eine Art erſetzt was ihm genommen iſt.
Ach, daß das Entſagen dem Begehren die Waage hält! — Endlich wird doch der Geiſt, der durch Schmer - zen geläutert iſt, über das Alltagsleben hinaus zum Himmel tanzen.
Und was wär 'Weisheit, wenn ſie nicht Gewalt brauchte um ſich allein geltend zu machen? — jedes33 Entſagen will ſie ja lindernd erſetzen, und ſie ſchmeichelt Dir alle Vortheile ihres Beſitzes auf, während Du weinſt um das was ſie Dir verſagt.
Und wie kann uns das Ewige gelingen, als nur wenn wir das Zeitliche dran ſetzen?
Alles ſeh ich ein und möchte alle Weisheit dem er - ſten beſten Ablaßkrämer verhandeln, um Abſolution für alle Liebesintriguen, die ich mit Dir noch zu haben ge - denke.
Ach, wenn mich die Liebe nicht hellſehend machte, ſo wär ich elend, ich ſeh die gefrornen Blumen an den Fenſterſcheiben, und den Sonnenſtrahl, der ſie allmählig ſchmilzt, und denke mir alles in deiner Stube, wie Du auf - und niederwandelſt und dieſe gefrornen Landſchaf - ten mit Tannenwäldchen und dieſe Blumenſtücke ſinnend betrachteſt. — Da erkenne ich ſo deutlich deine Züge, und es wird ſo wahr daß ich Dich ſehen kann; unter - deſſen geht die Trommel hier unter dem Fenſter von allen Straßen her und ruft die Truppen zuſammen.
Staatsangelegenheiten vertraut man mir nicht, aber Herzensangelegenheiten, — geſtern Abend noch kam der liebe katholiſche Prieſter, das Geſpräch war ein träume - riſch Geliſpel früherer Zeiten; ein feines Geweb, das ein ſanfter Hauch wiegt in ſtiller Luft. Das Herz erlebt auch einen Sommer, ſagte er, wir können es dieſer hei - ßen Jahreszeit nicht vorenthalten, und Gott weiß daß der Geiſt reifen muß wie der goldne Waizen, ehe die Sichel ihn ſchneidet.
Ich bin begierig über Liebe ſprechen zu hören, die ganze Welt ſpricht zwar drüber, und in Romanen iſt genug ausgebrütet, aber nichts was ich gern hören will. Als Beweis meiner Aufrichtigkeit bekenne ich Dir: auch im Wilhelm Meiſter geht mir's ſo, die meiſten Men - ſchen ängſtigen mich drinn, wie wenn ich ein bös Ge - wiſſen hätte, da iſt es einem nicht geheuer innerlich und äußerlich, — ich möchte zum Wilhelm Meiſter ſagen: komm, flüchte dich mit mir jenſeits der Alpen zu den Tyrolern, dort wollen wir unſer Schwert wetzen, und das Lumpenpack von Comödianten vergeſſen, und alle deine Liebſten müſſen denn mit ihren Prätenſionen und höheren Gefühlen eine Weile darben; wenn wir wieder -35 kommen, ſo wird die Schminke auf ihren Wangen er - bleicht ſein, und die flornen Gewande und die feinen Empfindungen werden vor deinem ſonneverbrannten Marsantlitz erſchaudern. Ja, wenn etwas noch aus Dir werden ſoll, ſo mußt Du deinen Enthuſiasmus an den Krieg ſetzen, glaub mir, die Mignon wär nicht aus die - ſer ſchönen Welt geflüchtet, in der ſie ja doch ihr Liebſtes zurücklaſſen mußte, ſie hätte gewiß alle Mühſeeligkeiten des Kriegs mit ausgehalten, und auf den rauhen Alpen in den Winterhöhlen übernachtet bei karger Koſt, das Freiheitsfeuer hätte auch in ihrem Buſen gezündet, und friſches, geſünderes Blut durch ihre Adern geleitet. — Ach, willſt Du dieſem Kind zu Lieb nicht alle dieſe Men - ſchen zu Hauf verlaſſen? — die Melancholie erfaßt Dich, weil keine Welt da iſt in der Du handeln kannſt. — Wenn Du Dich nicht fürchteſt vor Menſchenblut: — hier unter den Tyrolern kannſt Du handeln für ein Recht, das eben ſo gut aus reiner Natur entſprungen iſt, wie die Liebe im Herzen der Mignon. — Du biſt's, Meiſter, der den Keim dieſes zarten Lebens erſtickt un - ter all dem Unkraut was Dich überwächſt. Sag, was ſind ſie alle gegen den Ernſt der Zeit, wo die Wahrheit in ihrer reinen Urgeſtalt emporſteigt, und dem Verder - ben, was die Lüge angerichtet hat, Trotz bietet? —
36O, es iſt eine himmliſche Wohlthat Gottes, an der wir alle geſunden könnten, eine ſolche Revolution: er läßt abermals und abermals die Seele der Freiheit wie - der neugeboren werden.
Siehſt Du, Meiſter, wenn Du heute in der ſtern - hellen kalten Nacht deine Mignon aus ihrem Bettchen holſt, in dem ſie geſtern mit Thränen um Dich einge - ſchlafen war; Du ſagſt ihr: ſei hurtig und gehe mit, ich will allein mit Dir in die Fremde ziehen; O, ſie wird's verſtehen, es wird ihr nicht unglaublich vorkom - men, Du thuft was ſie längſt von Dir verlangte und was Du unbegreiflich unterlaſſen haſt. Du wirſt ihr ein Glück ſchenken, daß ſie deine harten Mühen theilen darf, bei Nacht auf gefahrvollen Wegen, wo jeder Schritt täuſcht, da wird ihr Scharfblick, ihre kühne Zu - verſicht Dich ſicher leiten hinüber zum kriegbedrängten Volk; und wenn ſie ſieht, daß Du deine Bruſt den Pfeilen bieteſt, wird ſie nicht zagen, es wird ſie nicht kränken wie die Pfeile des ſchmeichelnden Syrenenvolks, ſie wird raſch heranreifen zu dem kühnen Vertrauen, mit einzuklingen in die Harmonie der Freiheitsbegeiſte - rung. Und wenn Du auch im Vordertreffen ſtürzen mußt, was hat ſie verloren? — was könnte ihr dieſen ſchönen Tod erſetzen, an deiner Seite vielleicht? — beide37 Arm in Arm verſchränkt lägt Ihr unter der kühlen ge - ſunden Erde, und mächtige Eichen beſchatteten Euer Grab; ſag, wär's nicht beſſer als daß Du bald ihr fei - nes Gebild den anatomiſchen Händen des Abée über - laſſen mußt daß er ein künſtliches Wachs hineinſpritze.
Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen früherer Zeit, die Du mir angethan, ich fühl mich jetzt ſo hülflos, ſo unverſtanden wie damals die Mignon. — Da draußen iſt heute ein Lärm und doch geſchieht nichts, ſie haben arme Tyroler gefangen eingebracht, armes Taglöhnervolk, was ſich in den Wäldern ver - ſteckt hatte; ich hör hier oben das wahnſinnige Toben, ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's nicht mit anſehen, der Tag iſt auch ſchon im Scheiden, ich bin allein, kein Menſch, der wie ich menſchlich fühlte. Dieſe feſten, ſicheren, in ſich einheimiſchen Naturen, die den Geiſt der Treue und Freiheit mit der reineren Luft ihrer Berge einathmen, die müſſen ſich durch die kothi - gen Straßen ſchleifen laſſen, von einem biertrunkenen Volk, und keiner thut dieſem Einhalt, keiner wehrt ſei - nen Mißhandlungen; man läßt ſie ſich verſündigen an den höheren Gefühlen der Menſchheit. — Teufel! — wenn ich Herrſcher wär, hier wollt ich ihnen zeigen daß38 ſie Sclaven ſind, es ſollte mir keiner wagen ſich am Ebenbild Gottes zu vergreifen.
Ich meine immer der Kronprinz müſſe anders em - pfinden, menſchlicher, die Leute wollen ihn nicht loben, ſie ſagen: er ſei eigenſinnig und launig, ich habe Zu - trauen zu ihm, er pflegt den Garten, den er als Kind hatte, noch jetzt mit Sorgfalt, begießt die Blumen, die in ſeinen Zimmern blühen, ſelbſt, macht Gedichte, hol - perig, aber voll Begeiſterung, das alles ſagt mir gut für ihn.
Was wohl ein ſolcher für Gedanken hat, der jeden Gedanken realiſiren könnte? — ein Fürſt, deſſen Geiſt das ganze Land erhellen ſoll? — er müßte verharren im Gebet ſein Lebenlang, der angewieſen iſt in tauſend andern zu leben, zu handeln.
Ja, ob ein Königsſohn wohl den heiligen Geiſt in ſich erweckt, daß der regiere ſtatt ſeiner? — der Sta - dion ſeufzt und ſagt: das beſte iſt, daß, wie die Wür - fel auch fallen, der Weg zum Himmel immer unver - ſperrt bleibt für König und Unterthan.
Ich habe keinen Muth und keinen Witz, ach, hätt ich doch einen Freund, der nächtlich mit mir über die Berge ging.
Die Tyroler liegen in dieſer Kälte mit Weib und Kind zwiſchen den Felſen, und ihr begeiſterter Athem durchwärmt die ganze Atmoſphäre. Wenn ich den Sta - dion frage, ob der Herzog Karl ſie auch gewiß nicht verlaſſen werde, dann faltet er die Hände und ſagt: ich will's nicht erleben.
Das Papier muß herhalten, einziger Vertrauter! — was doch Amor für tückiſche Launen hat, daß ich in dieſer Reihe von Liebesbriefen auf einmal mich für Mars entzünde, mein Theil Liebesſchmerzen hab ich ſchon, ich müßte mich ſchämen in dieſem Augenblick ſie geltend machen zu wollen; und könnt ich nur etwas thun, und wollten die Schickſalsmächte mich nicht verſchmähen! das iſt das bitterſte, wenn man ihnen nichts gilt, wenn ſie einem zu nichts verwenden.
Denk nur, daß ich in dem verdammten München40 allein bin. Kein Geſicht, dem zu trauen wär; Savigny iſt in Landshut, dem Stadion ſchlagen die Wellen in dieſem politiſchen Meeresſturm über'm Kopf zuſammen, ich ſeh ihn nur auf Augenblicke, man iſt ganz miß - trauiſch gegen mich wegen ihm, das iſt mir grad lieb, wenn man auch hochmüthig iſt auf den eignen Wahn - ſinn, ſo ſoll man doch ahnden daß nicht jeder von ihm ergriffen iſt.
Heute Morgen war ich draußen im beſchneiten Park und erſtieg den Schneckenthurm, um mit dem Fernrohr nach den Tyrolerbergen zu ſehen, wüßte ich dein Dach dort, ich könnte nicht ſehnſüchtiger danach ſpähen.
Heute ließ Winter Probe halten von einem Marſch, den er für den Feldzug gegen Tyrol componirte, ich ſagte, der Marſch ſei ſchlecht, die Baiern würden alle ausreißen und der Schimpf auf ihn fallen. Winter zerriß die Compoſition und war ſo zornig, daß ſein langes Silberhaar wie ein vom Hagel getroffenes Ährenfeld hin - und herwogte. Ach, könnte ich doch an - dere Anſtalten auch ſo hintertreiben wie den Marſch.
Jacobi habe ich in 3 Wochen nicht geſehen, ob - ſchon ich ihm über ſeinen Woldemar, den er mir hier zu leſen gab, einen langen Brief geſchrieben habe; ich41 wollte mich üben die Wahrheit ſagen zu können, ohne daß ſie beleidigt, er war mit dem Brief zufrieden und hat mir mancherlei darauf erwiedert, wär ich nicht in das heftige Herzklopfen gerathen wegen den Tyrolern, ſo wär ich vielleicht in eine philoſophiſche Correſpondenz gerathen und gewiß drinn ſtecken geblieben; dort auf den Bergen aber nicht, da hätt ich meine Sache durch - gefochten.
Schelling ſeh ich auch ſelten, er hat etwas an ſich, das will mir nicht behagen, und dies Etwas iſt ſeine Frau, die mich eiferſüchtig machen will auf Dich, ſie iſt in Briefwechſel mit einer Pauline G. aus Jena, von dieſer erzählt ſie mir immer, wie lieb Du ſie haſt, wie liebenswürdige Briefe Du ihr ſchreibſt ꝛc., ich höre zu und werde krank davon, und dann ärgert mich die Frau. — Ach, es iſt auch einerlei, ich kann nicht wollen daß Du mich am liebſten haſt, aber es ſoll ſich nie - mand unterſtehen ſeine Rechte mit mir zu meſſen in der Liebe zu Dir.
Bettine.
Die Sonne geht mir launig auf, beleuchtet mir manches verborgne, blendet mich wieder. Mit ſchweren Wolken abwechſelnd zieht ſie über mir hin, bald ſtür - miſch Wetter dann wieder Ruh.
Es ebnet ſich nach und nach, und auf dem glatten Spiegel, hell und glühend, ſteht immer wieder des lieb - ſten Mannes Bildniß, wankt nicht, warum vor andern nur Du? — warum nach allen immer wieder Du? und doch: bin ich Dir werther mit all der Lieb in der Bruſt? — — frag ich Dich? — Nein, ich weiß recht gut, daß Du doch nichts antworteſt, — und wenn ich auch ſagte lieber, geliebter einziger Mann.
Was hab ich alles erlebt in dieſen Tagen was mir das Herz gebrochen, ich möchte meinen Kopf an deinen Hals verſtecken, ich möchte meine Arme um Dich ſchlin - gen und die böſe Zeit verſchlafen.
Was hat mich alles gekränkt, — nichts hab ich ge - habt in Kopf und Herzen als nur immer das mächtige Schickſal, das dort in den Gebirgen raſt.
Warum ſoll ich aber weinen, um die, die ihr Leben mit ſo freudiger Begeiſterung ausgehaucht haben? — was erbarmt mich denn ſo? — hier iſt kein Mitleid zu43 haben als nur mit mir, daß ich mich ſo anſtrengen muß es auszuhalten.
Will ich Dir alles ſchreiben, ſo verträume ich die Zeit — die Zeit, die auf glühenden Sohlen durch's Tyrol wandert; ſo bittere Betrübniß hat mich durchdrungen, daß ich's nicht wage die Papiere, die in jenen Stunden geſchrieben ſind, an Dich abzuſchicken.
Ich bin hellſehend, Goethe, — ich ſeh das vergoßne Blut der Tyroler triumphirend in den Buſen der Gott - heit zurückſtrömen. Die hohen gewaltigen Eichen, die Wohnungen der Menſchen, die grünen Matten, die glücklichen Heerden, der geliebte gepflegte Reichthum des Heldenvolks, die den Opfertod in den Flammen fanden, das alles ſeh ich verklärt mit ihnen gen Him - mel fahren, bis auf den treuen Hund, der ſeinen Herrn beſchützend, den Tod verachtet wie er.
Der Hund, der keinen Witz hat, nur Inſtinkt, und heiter in jedem Geſchick das rechte thut. — Ach, hätte der Menſch nur ſo viel Witz den eignen Inſtinkt nicht zu verläugnen.
In all dieſen Tagen der Unruh, glaub's Goethe, vergeht keiner, den ich nicht mit dem Gedanken an Dich44 beſchließe, ich bin ſo gewohnt deinen Namen zu nennen, Nachts, eh ich einſchlafe, Dir alle Hoffnung an's Herz zu legen, und alle Bitten und Fragen in die Zukunft.
Da liegen ſie um mich her die Papiere mit der Ge - ſchichte des Tags und den Träumen der Nacht, lauter Verwirrung, Unmuth, Sehnſucht und Seufzer der Ohn - macht; ich mag Dir in dieſer Zeit, die ſich ſo geltend macht, nichts von meinem bedürftigen Herzen mittheilen, nur ein paar kleine Zufälle, die mich beſchäftigten, ſchrieb ich Dir auf, damit ich nicht verläugne vor Die daß ein höheres Geſchick auch mir Winke gab, obſchon ich zu unmündig mich fühle ihm zu folgen.
Im März war's, da leitete mir der Graf M.., bei deſſen Familie ich hier wohne, eine wunderliche Ge - ſchichte ein, die artig ausging. Der Hofmeiſter ſeines Sohnes giebt ihn bei der Polizei an, er ſei öſtreichiſch geſinnt und man habe an ſeinem Tiſch die Geſundheit des Kaiſers getrunken, er ſchiebt alles auf mich, und nun bittet er mich daß ich auf dieſe Lüge eingehe, da es ihm ſehr nachtheilig ſein könne, mir aber höchſtens einen kleinen Verweis zuziehen werde, ſehr willkommen war mir's, ihm einen Dienſt leiſten zu können, ich wil - lige mit Vergnügen ein; in einer Geſellſchaft wird mir der Polizeipräſident vorgeſtellt, unter dem Vorwand,45 meine Bekanntſchaft machen zu wollen, ich komme ihm zuvor und ſchütte ihm mein ganzes Herz aus, meine Begeiſterung für die Tyroler, und daß ich aus Sehn - ſucht alle Tage auf den Schneckenthurm ſteige mit dem Fernrohr, daß man heute aber eine Schildwache hinge - pflanzt habe, die mich nicht hinaufgelaſſen; gerührt über mein Zutrauen, küßt er mir die Hand und ver - ſpricht mir, die Schildwache wegzubeordern, — es war keine Liſt von mir, denn ich hätte wirklich nicht gewußt mich anders zu benehmen, indeſſen iſt durch dieſes Ver - fahren der Freund weiß gebrennt und ich nicht ſchwarz.
Ein paar Tage ſpäter, in der Charwoche, indem ich Abends in der Dämmerung in meinem Zimmer al - lein war, treten zwei Tyroler bei mir ein, ich bin ver - wundert, aber nicht erſchrocken. — Der eine nimmt mich bei der Hand und ſagt: wir wiſſen daß Du den Tyro - lern gut biſt und wollen Dich um eine Gefälligkeit bit - ten; es waren Papiere an Stadion und mündliche Auf - träge, ſie ſagten mir noch, es würde gewiß ein Augen - blick kommen, da ich ihnen Dienſte leiſten könne, es war mir ſo wunderlich, ich glaubte es könne eine Liſt ſein mich auszuforſchen, doch war ich kurz gefaßt und ſagte: Ihr mögt mich nun betrügen oder nicht, ſo werd ich thun was ihr von mir verlangt; der Tyroler ſieht46 mich an und ſagt: ich bin Leibhuſar des Königs, kein Menſch hat arges gegen mich, und doch hab ich nichts im Sinn als nur wie ich meinen Leuten helfen will, und nun haſt Du mich in Händen und wirſt nicht fürch - ten daß ein Tyroler auch ein Verräther ſein könne.
Wie die Tyroler weg waren, war ich wie betäubt, mein Herz ſchlug hoch vor Entzücken, daß ſie mir dies Zutrauen geſchenkt haben; am andern Tag war Char - freitag, da holte mich der Stadion ab, um mir eine ſtille Meſſe zu leſen. Ich gab ihm meine Depeſchen und erzählte ihm alles, und äußerte ihm voll Beſchä - mung die große Sehnſucht, daß ich fort möchte zu den Tyrolern; Stadion ſagt, ich ſoll mich auf ihn verlaſſen, er wolle einen Stutzen auf den Rücken nehmen und in's Tyrol gehen, und alles was ich möchte, das wolle er für mich ausrichten, und es ſei die letzte Meſſe, die er mir leſen werde, denn in wenig Tagen ſei ſeine Abreiſe beſtimmt. Ach, Gott, es fiel mir ſchwer auf's Herz daß ich ſo bald den lieben Freund verlieren ſollte.
Nach der Meſſe ging ich auf's Chor, Winter ließ die Lamentation ſingen, ich warf ein Chorhemd über und ſang mit, unterdeſſen kam der Kronprinz mit ſei - nem Bruder, das Kruzifix lag an der Erde, das beide Brüder küßten, nachher umarmten ſie ſich; ſie waren47 bis an den Tag entzweit geweſen über einen Hofmei - ſter, den der Kronprinz, weil er ihn für untauglich hielt, von ſeinem Bruder entfernt hatte; ſie verſöhnten ſich alſo hier in der Kirche mit einander, und mir machte es große Freude zuzuſehen. Bob, ein alter Clavier - meiſter des Kronprinzen, der auch mir Unterricht giebt, begleitete mich nach Hauſe, er zeigte mir ein Sonnet was der Kronprinz an dieſem Morgen gedichtet hatte; ſchon daß er dieſen Herzensdrang empfindet bei Ereig - niſſen die ihn näher angehen, zu dichten, ſpricht für eine tiefere Seele; in ihm waltet gewiß das Naturrecht vor, dann wird er auch die Tyroler nicht mißhandeln laſſen; ja, ich hab eine gute Zuverſicht zu ihm; der alte Bob erzählt mir alles was meinen Enthuſiasmus noch ſteigern kann. Am dritten Feyertag holt er mich ab in den engliſchen Garten, um die Anrede des Kronprinzen an ſeine verſammelte Truppen, mit denen er ſeinen er - ſten Feldzug machen wird, anzuhören; ich konnte nichts zuſammenhängendes verſtehen, aber was ich hörte war mir nicht recht, er ſpricht von ihrer Tapferkeit, ihrer Ausdauer und Treue, von den abtrünnigen, verrätheri - ſchen Tyrolern, daß er ſie, vereint mit ihnen, zum Ge - horſam zurückführen werde, und daß er ſeine eigne Ehre mit der ihrigen verflechte und verpfände ꝛc. Wie ich48 nach Haus komme wühlt das alles in mir, ich ſehe ſchon im Geiſt wie der Kronprinz, ſeinen Generalen überlaſſen, alles thut wogegen ſein Herz ſpricht, und dann iſt's um ihn geſchehen. So ein bairiſcher General iſt ein wahrer Rumpelbaß, aus ihm hervor brummt nichts als Baierns Ehrgeiz; das iſt die grobe, rauhe Stimme, mit denen er alle beſſeren Gefühle übertönt.
Das alles wogte in meinem Herzen da ich von dieſer öffentlichen Rede zurückkam, und daß kein Menſch in der Welt einem Herrſcher die Wahrheit ſagt, im Ge - gentheil nur Schmeichler ihnen immerdar Recht geben, und je tiefer ſich ein ſolcher irrt, je gewaltiger iſt in jenen die Furcht, er möge an ihrer Übereinſtimmung zweifeln; ſie haben nie das Wohl der Menſchheit, ſie haben nur immer die Gunſt des Herrn im Auge. Ich mußte alſo einen verzweifelten Schritt thun, um[den] Tumult der eignen Lebensgeiſter zu beſchwichtigen, und ich bitte Dich im Voraus um Verzeihung, wenn Du es nicht gut heißen ſollteſt.
Erſt nachdem ich dem Kronprinzen meine Liebe zu ihm, meine Begeiſterung für ſeinen Genius, Gott weiß in welchen Schwingungen an's Herz getrieben habe, vertraue ich ihm meine Anſchauung von dem Tyroler - volk, das ſich die Heldenkrone erwirbt, meine Zuverſicht,er49er werde Milde und Schonung da verbreiten, wo ſeine Leute jetzt nur rohe Wuth und Rachgierde walten laſ - ſen, ich frage ihn ob der Name Herzog von Tyrol nicht herrlicher klinge als die Namen der vier Könige, die ihre Mächte vereint haben um dieſe Helden zu wür - gen? und es möge nun ausgehen wie es wolle, ſo hoffe ich daß er ſich von jenen den Beinamen „ der Menſch - liche “erwerben werde; dies ungefähr iſt der Inhalt eines vier Seiten langen Briefs, den ich, nachdem ich ihn in heftigſter Wallung geſchrieben (da ich denn auch nicht davor ſtehen kann was alles noch mit unterge - laufen), mit der größten Kaltblütigkeit ſiegelte, und ganz getroſt ihn in des Klaviermeiſters Hände gab, mit der Bedeutung: es ſeien wichtige Sachen über die Ty - roler, die dem Kronprinz von großem Nutzen ſein würden. —
Wie gern macht man ſich wichtig, mein Bob pur - zelte faſt die Stiegen herab vor übergroßer Eile, dem Kronprinzen den intereſſanten Brief zu überbringen, und wie leichtſinnig bin ich, ich vergaß alles. Ich ging zu Winter, Pſalmen ſingen, zu Tieck, zu Jacobi, nir - gends ſtimmt man mit mir ein, ja alles fürchtet ſich, und wenn ſie wüßten was ich angerichtet habe, ſie wür -II. 350den mir aus Furcht das Haus verbieten, da ſeh ich denn ganz ironiſch drein und denke: ſeid ihr nur bai - riſch und franzöſiſch, ich und der Kronprinz wir ſind deutſch und tyroliſch, oder er läßt mich in's Gefängniß ſetzen, dann bin ich mit einem Male frei und ſelbſt - ſtändig, dann wird mein Muth ſchon wachſen, und wenn man mich wieder los läßt, dann geh ich über zu den Tyrolern und begegne dem Kronprinzen im Feld, und trotze ihm ab was er ſo mir nicht zugeſteht.
O, Goethe, wenn ich ſollte in's Tyrol wandern, und zu rechter Zeit kommen, daß ich den Heldentod ſterbe! es muß doch ein ander Weſen ſein, es muß doch eine Belohnung ſein für ſolche lorbeergekrönte Häupter; der glänzende Triumph im Augenblick des Übergangs iſt ja Zeugniß genug, daß die Begeiſterung, die der Heldentod uns einflößt, nur Widerſchein himm - liſcher Glorie iſt. — Wenn ich ſterbe, ich freue mich ſchon drauf, ſo gaukle ich als Schmetterling aus dem Sarg meines Leibes hervor, und dann treffe ich Dich in dieſer herrlichen Sommerzeit unter Blumen, wenn ein Schmetterling Dich unter Blumen vorzieht, und lieber auf deiner Stirn ſich niederläßt und auf deinen Lippen als auf den blühenden Roſen umher, dann glaube ſicher es iſt mein Geiſt, der auf dem Tyroler -51 ſchlachtfeld, frei gemacht iſt von irdiſchen Banden, daß er hin kann wo die Liebe ihn ruft.
Ja wenn alles wahr würde was ich ſchon in der Phantaſie erlebt habe, wenn alle glanzvollen Ereigniſſe meines innern Lebens auch im äußern ſich ſpiegelten, dann hätteſt Du ſchon große und gewaltige Dinge von deinem Kind erfahren, ich kann Dir nicht ſagen was ich träumend ſchon gethan habe, wie das Blut in mir tobt, daß ich wohl ſagen kann ich hab eine Sehnſucht es zu verſpritzen.
Mein alter Claviermeiſter kam zurück zitternd und bleich: was hat in den Papieren geſtanden die Sie mir für den Kronprinzen anvertrauten ſagte er, wenn es mich nur nicht auf ewig unglücklich macht, der Kron - prinz ſchien aufgeregt, ja erzürnt während dem Leſen, und wie er mich gewahr wurde hieß er mich gehen ohne wie ſonſt mir auch nur ein gnädiges Wort zu ſagen. — Ich mußte lachen, der Claviermeiſter wurde immer ängſt - licher ich immer luſtiger, ich freute mich ſchon auf meine Gefangenſchaft, und wie ich da in der Einſamkeit mei - nen philoſophiſchen Gedanken nachhängen würde, ich dachte: dann fängt mein Geſchick doch einmal an, Le - ben zu gewinnen, es muß doch einmal was draus ent - ſtehen; aber ſo kam es wieder nicht, ein einzigmal ſah3*52ich den Kronprinz im Theater, er winkte mir freundlich; nun gut: acht Tage hatte ich meinen Stadion nicht ge - ſehen, am 10. April wo ich die gewiſſe Nachricht erhielt er ſei in der Nacht abgereiſt, da war ich doch ſehr be - trübt, daß ich ihn ſollte zum letztenmal geſehen haben, es war mir eine wunderliche Bedeutung, daß er am Charfreitag ſeine letzte Meſſe geleſen hatte; — die vie - len zurückgehaltenen und verläugneten Gefühle brachen endlich in Thränen aus. In der Einſamkeit da lernt man kennen was man will und was einem verſagt wird. Ich fand keine Lage für mein ringendes Herz, müde geworden vom weinen ſchlief ich ein, biſt Du ſchon eingeſchlafen, müde vom Weinen? — Männer weinen wohl ſo nicht? — Du haſt wohl nie geweint, daß die Seufzer noch ſelbſt im Schlaf die Bruſt beſchweren. So ſchluchzend im Traum hör ich meinen Namen ru - fen; es war dunkel, bei dem ſchwachen Dämmerſchein der Laternen von der Straße, erkenne ich einen Mann neben mir in fremder Soldatenkleidung, Säbel, Patron - taſche, ſchwarzes Haar, ſonſt würde ich glauben den ſchwarzen Fritz zu erkennen. — Nein Du irrſt nicht, es iſt der ſchwarze Fritz der Abſchied von Dir nimmt, mein Wagen ſteht an der Thür, ich gehe eben als Soldat zur Oeſterreichiſchen Armee, und was deine Freunde die53 Tyroler anbelangt, ſo ſollſt Du mir keine Vorwürfe ma - chen oder Du ſiehſt mich nie wieder, denn ich gebe Dir mein Ehrenwort ich werde nicht erleben daß man ſie verrathe, es geht gewiß alles gut, eben war ich beim Kronprinzen, der hat mit mir die Geſundheit der Tyro - ler getrunken und dem Napoleon ein Pereat gebracht, er hat mich bei der Hand gefaßt und geſagt: erin - nern Sie ſich dran daß im Jahr Neune im April wäh - rend der Tyroler Revolution, der Kronprinz von Bai - ern dem Napoleon wiederſagt hat, und ſo hat er ſein Glas mit mir angeſtoßen, daß der Fuß zerſchellte; ich ſagte zu Stadion: nun bin ich allein und hab keinen Freund mehr, er lächelte und ſagte: Du ſchreibſt an Goethe, ſchreib ihm auch von mir, daß der Katholiſche Prieſter auf dem Tyroler Schlachtfeld ſich Lorbeern ho - len will, ich ſagte: Nun werde ich keine Meſſe ſo bald mehr hören; — und ich werde ſobald auch keine mehr leſen, ſagte er. Da ſtieß er ſein Gewehr auf, und reichte mir die Hand zum Abſchied. Den werd ich ge - wiß nicht wiederſehen. Kaum war er fort, klopfte es ſchon wieder, der alte Bob kommt herein, es war finſter im Zimmer, an ſeiner Stimme erkenne ich daß er freu - dig iſt, er reicht mir feierlich ein zerbrochnes Glas und ſagt: das ſchickt Ihnen der Kronprinz und läßt Ihnen54 ſagen, daß er die Geſundheit derjenigen daraus getrun - ken hat die Sie protegieren, und hier ſchickt er Ihnen ſeine Kokarde als Ehrenpfand daß er Ihnen ſein Wort löſen werde, jeder Ungerechtigkeit, jeder Grauſamkeit zu ſteuern. — Ich war froh, herzlich froh daß ich nicht kleinlich und zaghaft geweſen war dem Zutrauen zu folgen was der Kronprinz, und alles ja ſelbſt auch das wiederſprechendſte was ich von ihm erfahren habe mir einflößte; es war ſehr freundlich von ihm, daß er mich ſo grüßen ließ und daß er nicht meine Voreiligkeit von ſich wieß; ich werd es ihm nicht vergeſſen mag ich auch noch manches verkehrte von ihm hören; denn unter al - len die ihn beurtheilen hat gewiß keiner ein ſo gutes Herz als er, der es ſich ganz ruhig gefallen läßt. Ich weiß auch, daß er eine feierliche Hochachtung vor Dir hat, und nicht wie andre Prinzen die nur im Vorüber - ſtreifen einen ſolchen Geiſt berühren wie Du, nein es geht ihm vom Herzen wenn er Dich einmal ſieht und Dir ſagt, daß er ſich's zum größten Glück ſchätze.
Ich hab noch viel auf dem Herzen, denn ich habe Dich allein dem ich's mittheilen kann. Jeder Augenblick erregt mich auf's Neue, es iſt als ob das Schickſal dicht vor meiner Thüre ſeinen Markt aufgeſchlagen hätte; ſo wie ich den Kopf hinaus ſtecke bietet es Plunder, Ver -55 rath und Falſchheit feil, außer die Tyroler deren Sie - gesjubel durch alle Verläumdung und Erbitterung der Feinde durchklingt, aus deren friſch vergoſſnem Blut ſchon neue Frühlingsblumen ſprießen, und die Jünglinge friſch jeden Morgen von den Nebelverhüllten Felszacken dem gewiſſen Sieg entgegen tanzen.
Adieu, Adieu, auf meine Liebe weiſe ich Dich an, die hier in dieſen Blättern nur im Vorüberſtreifen den Staub ihrer üppigen Blüthe aus den vollen Kelchen ſchüttelt.
Bettine.
Friedrich Tiek macht jetzt Schellings Büſte, ſie wird nicht ſchöner als er, mithin ganz garſtig, und doch iſt es ein ſchönes Werk. —
Da ich in Tiek's Werkſtätte kam, und ſah wie der große, breite, prächtige, viereckige Schellingskopf unter ſeinen fixen Fingern zum Vorſchein kam, dachte ich er habe unſerm Herrgott abgelernt wie er die Menſchen machte, und er werde ihm gleich den Athem einblaſen, und der Kopf werde lernen A — B — ſagen, womit ein Philoſoph ſo vieles ſagen kann.
Man möchte mit Worten ſo gerne wie mit Gedan - ken Dir entgegen kommen liebſte Bettine; aber die Kriegs - zeiten die ſo großen Einfluß auf das Leſen haben, erſtrecken ihn nicht minder ſtreng auf das Schreiben, und ſo muß man ſich's verſagen deinen romantiſch cha - rakteriſtiſchen Erzählungen gleichlautende Geſinnungen deutlich auszuſprechen. Ich muß daher erwarten was Du durch eine Reihe von Briefen mich hoffen läßt, näm - lich Dich ſelbſt, um Dir alles mit Dank für deine nie verſiegende Liebe zu beantworten.
Erſt in voriger Woche erhielt ich dein Packet was der Courier in meiner Abweſenheit dem Herzog übergab, der es mir ſelbſt brachte. Seine[Neugierde] war nicht wenig geſpannt, ich mußte um nur durch zu kommen, deine wohlgelungenen politiſchen Verhandlungen ihm mittheilen, die denn auch ſo allerliebſt ſind, daß es ei - nem ſchwer wird ſie für ſich allein zu bewahren. Der Herzog bedauert ſehr, daß Du im Intereſſe anderer Mächte biſt. —
Ich habe mich nun hier in Jena in einen Roman eingeſponnen, um weniger von allem Übel der Zeit er -57 griffen zu werden, ich hoffe der Schmetterling der da herausfliegt wird Dich noch als Bewohner dieſes Erden - runds begrüßen und Dir beweiſen wie die Pſychen auch auf ſcheinbar verſchiednen Bahnen einander begegnen.
Auch deine lyriſchen Aufforderungen an eine frü - here Epoche des Autors haben mir in manchem Sinne zugeſagt, und wüchſe der Menſch nicht aus der Zeit mehr noch wie aus Seelenepochen heraus, ſo würd ich nicht noch einmal erleben wie ſchmerzlich es iſt, ſolchen Bitten kein Gehör zu geben.
Deine intereſſanten Ereigniſſe mit dem hohen Pro - tektor eigner feindlicher Widerſacher, macht mich begie - rig noch mehr und auch von andrer Seite von ihm zu wiſſen, zum Beiſpiel könnteſt Du mir die Verſuche und Bruchſtücke ſeiner Gedichte in deren Beſitz Du biſt mit - theilen, mit Vergnügen würde ich ihn in dem unbefang - nen Spiel mit ſeiner jungen Muſe beobachten.
Die Gelegenheiten, mir ſicher deine Briefe zu ſchicken verſäume ja nicht, ſie ſind mir in dieſer armen Zeit äu - ßerſt willkommen. Auch was der Tag ſonſt noch mit ſich bringt berichte, von Freunden und merkwürdigen Leuten, Künſten und philoſophiſchen Erſcheinungen; da Du in einem Kreis vielfach aufgeregter Geiſter biſt, ſo kann Dir der Stoff hier nicht ausgehen.
3**58Möchten doch auch die verſprochnen Mittheilungen über die letzten Tage meiner Mutter in dieſen verſchlin - genden Ereigniſſen nicht untergehen, mir iſt zwar man - cherlei von Freunden über ſie berichtet, wie ſie mit gro - ßer Beſonnenheit alle irdiſchen Anordnungen getroffen; von Dir aber erwarte ich noch etwas anders, daß dein liebender Sinn ihr ein Denkmal ſetze in der Erinnerung ihrer letzten Augenblicke.
Ich bin ſehr in deiner Schuld liebes Kind mit die - ſen wenigen Zeilen, ich kann Dir nur mit Dank bezah - len für alles was Du mir giebſt, geben möchte ich Dir das beſte wenn Du es nicht ſchon unwiederſtehlich an Dich geriſſen hätteſt.
Der ſchwarze Fritz iſt mir auch unter dieſem Na - men ein guter Bekannter, und die ſchönen Züge die Du von ihm berichteſt bilden ein vollkommnes Ganze mit dem was eine befreundete Erinnerung hinzubringt. Du haſt wohl recht zu ſagen, daß wo der Boden mit Hel - denblut getränkt wird, es in jeder Blume neu hervor - ſprieße, deinen Helden gönne ich, daß Mars und Mi - nerva ihm alles Glück zuwenden mögen, da er ſo ſchö - nem an deiner Seite entriſſen zu ſein ſcheint.
G.
Der Kronprinz von Baiern iſt die angenehmſte un - befangenſte Jugend, iſt ſo edler natur, daß ihn Betrug nie verletzt, ſo wie den gehörnten Siegfried nie die Lan - zenſtiche verletzten. Er iſt eine Blüthe auf welcher der Morgenthau noch ruht, er ſchwimmt noch in ſeiner eig - nen Atmoſphäre, das heißt: ſeine beſten Kräfte ſind noch in ihm. Wenn es ſo fort ginge und daß keine bö - ſen Mächte ſeiner Meiſter würden? — Wie gut hatten's doch jene Ritter, die von geneigten Feen mit kräftigen Talismanen verſehen wurden, wenn ſie zwiſchen feuri - gen Drachen und ungeſchlachten Rieſen nach dem tan - zenden Waſſer des Lebens oder nach goldnen Liebes - äpfel ausgeſandt waren, und eine in Marmor ver - wünſchte Prinzeſſin, ſo roth wie Blut, ſo weiß wie Schnee, ſchön wie das ausgeſpannte Himmelszelt über dem Frühlingsgarten, als ihrer Erlöſung Lohn ihnen zu Theil wurde. — Jetzt iſt die Aufgabe anders: die un - bewachten Äpfelbäume hängen ihre fruchtbeladenen Zweige über den Weg, und Liebchen lauſcht hinter der Hecke um den Ritter ſelbſt zu fangen, und dieſem allem ſoll60 er entgehen und ſein Herz der Tugend weihen, die keine Jugend hat, ſondern eine gräuliche Larve, ſo daß man vor ihr Reißaus nehmen möchte; la belle et la bête, la bête iſt die Tugend und la belle iſt die Jugend, die ſich von ihr ſoll freſſen laſſen; da iſt's denn kein Wun - der, wenn die Jugend vor der Tugend Reißaus nimmt, und man kann ohne geheime partheiliche Wünſche nicht Zeuge von dieſem Wettrennen ſein. — Armer Kronprinz! Ich bin ihm gut, weil er mit ſo ſchönem Willen hin - übergeht zu meinen Tyrolern, und wenn er auch nichts thut als der Grauſamkeit wehrt, ich verlaſſe mich auf ihn.
Geſtern bin ich zum erſtenmal wieder eine Strecke weit in's Freie gelaufen, mit einem kapriziöſen Liebha - ber der Wiſſenſchaften und Künſte, mit einem ſehr gu - ten, gehorſamen Kinde ſeiner eignen Launen, eine warme lebendige Natur, breit und ſchmal, wie Du ihn willſt, dreht ſich ſchwindellos über einem Abgrund herum, ſteigt mit Vergnügen auf die kahlen Spitzen der Alpen, um nach Belieben in den Ocean oder in's mittelländiſche Meer zu ſpeien, macht übrigens wenig Lärm. Wenn Du ihn je ſiehſt und nach dieſer Beſchreibung erkennſt. ſo ruf ihm nur Rumohr, ich vermuthe, er wird ſich nach Dir umſehen. — Mit dieſem alſo hat meine unbefangne61 Jugend gewagt ſich das Ziel einer anderthalb Stund - weiten Reiſe zu ſetzen, der Ort unſerer Wallfarth heißt Harlachingen, auf franzöſiſch Arlequin. Ein heißer Nachmittag, recht um melancholiſche Blicke in Brand zu ſtecken.
Wir verlaſſen den grünen Teppig, ſchreiten über einen ſchmalen Balken auf die andre Seite des Ufers, wandern zwiſchen Weiden, Mühlen, Bächen, weiter; — wie nimmt ſich da ein Bauer in rother Jacke gut aus, gelehnt an den hohen Stamm des edlen populus alba, deſſen feine Aeſte mit kaum entſproßnen Blättern einen ſanften grünen Schleier, gleichſam ein Frühlingsnetz niederſpinnen, in welchem ſich die tauſend Käfer und ſonſtige Beſtien fangen, ſcherzen und ganz lieblich haus - halten. Jetzt! warum nicht? — da unter dem Baum iſt genugſam Platz ſeinen Gedanken Audienz zu geben, der launige Naturliebhaber läßt ſich da nieder, das Dolce farniente ſummt ihm ein Wiegenliedchen in die Ohren, die Augenlieder ſinken, Rumohr ſchläft. Natur hält Wache, liſpelt, flüſtert, lallt, zwitſchert. — Das thut ihm ſo gut; träumend ſenkt er ſein Haupt auf die Bruſt; jetzt möcht ich Dich fragen, Rumohr was ich nie fragen mag wenn Du wach biſt. Wie kommt's, daß Du ſo ein großes Erbarmen haſt und freundlich biſt mit62 allen Thieren, und nicht Dich kümmerſt um das gewal - tige Geſchick jenes Bergvolks? Vor wenig Wochen, wie das Eis brach und der Fluß überſchwoll, da ſetzteſt Du alles dran eine Katze aus der Waſſersnoth zu retten. Vorgeſtern haſt Du[einem] todgeſchlagnen Hund, der am Wege lag, mit eignen Händen eine Grube gemacht und mit Erde bedeckt, obſchon Du in ſeidnen Strümpfen warſt, und einen Klaque in Händen[hatteſt]. Heute Morgen haſt Du mit Thränen geklagt, daß die Nach - barn ein Schwalbenneſt zerſtörten trotz deinen Bitten und Einreden. Warum gefällt Dir's nicht, deine Lange - weile, deine melancholiſche Laune zu verkaufen um ei - nen Stutzen, Du biſt ſo leicht und ſchlank wie eine Birke, Du könnteſt Sätze thun über die Abgründe, von einem Fels zum andern, aber faul biſt Du und furcht - bar krank an Neutralität. — Da ſteh ich allein auf der Wieſe, Rumohr ſchnarcht, daß die Blumen erzittern, und ich denk an die Sturmglocke, deren Geläut ſo fürchter - lich in den Ohren der Feinde erklingt, und auf deren Ruf alle mit Trommel und Pfeifen ausziehen, ob auch die Stürme brauſen, ob Nacht oder Tag, — und Ru - mohr, im Schatten eines jungbelaubten Baumes, einge - wiegt von ſcherzenden Lüftchen und ſingenden Mückchen, ſchläft feſt; was geht den Edelmann das Schickſal derer63 an, denen keine Strapaze zu hart, kein Marſch zu weit iſt, die nur fragen: wo iſt der Feind? — dran, dran, für Gott, unſern lieben Kaiſer und Vaterland!! — Das muß ich Dir ſagen, wenn ich je einen Kaiſer, einen Landesherrn lieben könnte, ſo wär's im Augenblick wo ein ſolches Volk im Enthuſiasmus ſein Blut für ihn verſpritzt; ja, dann wollt ich auch rufen: wer mir mei - nen Kaiſer nehmen will, der muß mich erſt todſchlagen, aber ſo ſag ich mit dem Apoſtel: ein jeder iſt geboren König zu ſein und Prieſter der eignen göttlichen Natur, wie Rumohr.
Die Iſar iſt ein wunderlicher Fluß. Pfeilſchnell ſtürzen die jungen Quellen von den Bergklippen herab, ſammlen ſich unten im felſigen Bett in einen reißenden Strom. Wie ein ſchäumender Drache mit aufgeſperr - tem Rachen brauſt er hüben und drüben, über hervor - ragende Felsſtücke verſchlingend her, ſeine grünen, dunk - len Wellen brechen ſich tauſendfach am Geſtein und ſchäumend jagen ſie hinab, ſie ſeufzen, ſie lallen, ſie ſtöhnen, ſie brauſen gewaltig. Die Möven fliegen zu Tauſenden über dem Waſſerſturz und netzen die Spitzen ihrer ſcharfen Flügel; — und in ſo karger Gegend, ſchauderhaft anzuſehen, ein ſchmaler Steg von zwei Brettern, eine Viertel Stunde lang, ſchräg in die Länge64 des Fluſſes. — Nun, wir gingen keine Gefahr ahndend drüber hin, die Wellen brachen ſich in ſchwindelnder Eile auf dem Weehr unter dem zitternden Steg. Außer daß die Bretter mit meiner Leichtigkeit hin - und her - ſchwankten, und Rumohr's Fuß zweimal durchbrach, waren wir ſchon ziemlich weit gekommen, ein dicker Bürger, mit der Verdienſtmedaille auf der Bruſt, kam von der andern Seite, keiner hatte den andern bemerkt, an einander vorbeizukommen war nicht, einer mußte umdrehen. Rumohr ſagte: wir müſſen erſt erfahren für was er die Medaille hat, darauf ſoll's ankommen wer umkehrt. Wahrhaftig ich fürchtete mich, mir war ſchon ſchwindlich, hätten wir umkehren müſſen, ſo war ich voran, während die loſen Bretter unter meinen Füßen ſchwankten. Wir erkundigten uns ehrerbietigſt nach der Urſache ſeines Verdienſtes: — er hatte einen Dieb ge - fangen. Rumohr ſagte: dies Verdienſt weiß ich nicht zu ſchätzen, denn ich bin kein Dieb, alſo bitt ich umzu - kehren, der verwunderte dicke Mann ließ ſich mit Ru - mohr's Beihülfe umkehren und machte den Weg zurück.
Unter einem Kaſtanienbaum ließ ich mich nieder, träumend grub ich mit einem Reis in die Erde. Ru - mohr jagt mit Stock und Hut die Maikäfer auseinan - der, die wie viele Flintenkugeln uns umſchwirrten, beim65 nach Hauſe gehen in der Dämmerung. — Nah an der Stadt auf einem grünen Platz am Ufer ſteht die Sta - tue des heiligen Johann von Nepomuk, der Waſſergott; vier[Laternen] werfen einen frommen Glanz auf ihn, die Leute knieen da nach einander hin, verrichten ihr Gebet, ſtört keiner den andern, gehen ab und zu, die Mond - ſichel ſtand oben; — in der Ferne hörten wir Pauken und Trompeten, Signal der Freude über die Rückkunft des Königs; er war geflohen vor einer Handvoll wag - halſiger Tyroler, die wollten ihn gefangen haben, war - um ließ er ſich nicht fangen, da war er mitten unter Helden, keine beſſere Geſellſchaft für einen König; um - ſonſt wär's nicht geweſen, der Jubel würde nicht gering geweſen ſein, von Angeſicht zu Angeſicht hätte er viel - leicht beſſere Geſchäfte gemacht, er iſt gut, der König, der muß ſich auch fügen in's eiſerne Geſchick der fal - ſchen Politik. — Die Stadt war illuminirt als wir hin - einkamen, und mein Herz war bei dem allen ſchwer, ſehr ſchwer, wollte gern mit jenen Felsſteinen in die Tiefe hinabrollen, denn weil ich alles geſchehen laſſen muß. Heut haben wir den 18. Mai, die Bäume blü - hen, was wird noch alles vorgehen bis die Früchte rei - fen. Vorgeſtern glühte der Himmel über jenen Alpen, nicht vom Feuer der untertauchenden Sonne, nein, vom66 Mordbrand; da kamen ſie in den Flammen um, die Mütter mit den Säuglingen, hier lag alles im ſchwei - genden Frieden der Nacht, und der Thau tränkte die Kräuter, und dort verkohlte die Flamme den mit Helden - blut getränkten Boden.
Ich ſtand die halbe Nacht auf dem Thurm im Hofgarten und betrachtete den rothen Schein, und wußte nicht was ich davon denken ſolle, und konnte nicht be - ten, weil es doch nichts hilft, und weil ein göttlich Ge - ſchick größer iſt als alle Noth, und allen Jammer auf - wiegt. —
Ach, wenn ſehnſüchtiger Jammer beten iſt, warum hat dann Gott mein heißes Gebet nicht erhört? — warum hat er mir nicht einen Führer geſchickt, der mich die Wege hinüber geleitet hätte? — Ich zittere zwar vor Furcht und Schrecken über allen Gräuel, den man nimmer ahnden könnte, wenn er nicht geſchehen wär, aber die Stimme aus meinem Herzen hinüber zu ihnen übertäubt alles. Das Schloß der blinden Tannenberge haben ſie verrätheriſch abgebrennt; Schwatz, Greiſe, Kinder, Heiligthümer; ach, was ſoll ich Dir ſchreiben, was ich nimmermehr ſelbſt wiſſen möchte, und doch ha - ben die Baiern ſelbſt jubelnd ſich deſſen gerühmt, ſo was muß man tragen lernen mit kaltem Blut, und67 muß denken daß Unſterblichkeit ein ewiger Lohn iſt, der alles Geſchick überbietet. —
Der König fuhr, da wir eben in die Stadt kamen, durch die erleuchteten Straßen, das Volk jauchzte und Freudenthränen rollten über die Wangen der harten Nation; ich warf ihm auch Kußhände zu, und ich gönn ihm daß er geliebt iſt. — Adieu, hab dein treues Kind lieb, ſag ihm bald ein paar Worte.
Bettine.
Heute Morgen zu meiner Überraſchung erhielt ich deinen Brief. Ich war gar nicht mehr gefaßt darauf, ſchon die ganze Zeit ſchreibe ich meine Blätter als ein verzweifelter Liebhaber, der ſie dem Sturmwind preis giebt, ob der ſie etwa hintrage zu dem Freund in den mein krankes Herz Vertrauen hat. So hat mich denn mein guter Genius nicht verlaſſen! er durchſauſet die Lüfte auf einem ſchlechten Poſtklepper, und am Morgen, einer Nacht voll weinender Träume, erblick ich erwachend das blaue Couvert auf meiner grünen Decke.
68So tretet denn ihr ſteilen Berge, ihr ſchroffen Fels - wände, ihr kecken, racheglühenden Schützen, ihr verwü - ſteten Thale und rauchenden Wohnungen beſcheiden zu - rück in den Hintergrund und überlaßt mich einer unge - meſſenen Freude die elektriſche Kette die den Funken von Ihm bis zu mir leitet zu berühren, und unzählige Mal nehm ich ihn in mich auf, Schlag auf Schlag, dieſen Funken der Luſt. — Ein großes Herz, hoch über den Schrecken der Zeit, neigt ſich herab zu meinem Her - zen. Wie der ſilberne Faden ſich niederſchlängelt in's Thal zwiſchen hinabgrünenden Matten und blühenden Büſchen (denn wir haben ja Mai), und ſich unten ſammlet und im Spiegel mir mein Bild zeigt, ſo leiten deine freundlichen Worte hinab zu mir das ſchöne Be - wußtſein, aufbewahrt zu ſein im Heiligthum deiner Er - innerungen, deiner Gefühle; ſo wag ich's zu glauben, da dieſer Glaube mir den Frieden giebt. —
O, lieber Freund, während Du Dich abwendeſt vor dem Unheil trüber Zeit, in einſamer Höhe Geſchicke bildeſt, und mit ſcharfen Sinnen ſie lenkeſt, daß ſie ih - rem Glück nicht entgehen, denn ſicher iſt dies ſchöne Buch, welches Du Dir zum Troſt über alles traurige erfindeſt, ein Schatz köſtlicher Genüſſe, wo Du in feinen Organiſationen und großen Anlagen der Charaktere69 Stimmungen einleiteſt und Gefühle die beſeeligen, wo Du mit freundlichem Hauch die Blume des Glücks er - weckeſt und in geheimnißvoll glühenden Farben erblühen machſt, was unſer Geiſt entbehrt. — Ja, Goethe, wäh - rend dieſem hat es ſich ganz anders in mir geſtaltet. — Du erinnerſt Dich wohl noch, daß die Gegend, das Klima meiner Gedanken und Empfindungen, heiter wa - ren, ein freundlicher Spielplatz, wo ſich bunte Schmet - terlinge zu Heerden über Blumen ſchaukelten, und wie dein Kind ſpielte unter ihnen, ſo leichtſinnig wie ſie ſelber, und Dich, den einzigen Prieſter dieſer ſchönen Na - tur, muthwillig umjauchzte, manchmal auch tiefbewegt allen Reiz beglückter Liebe in ſich ſammelnd zu deinen Füßen in Begeiſterung überſtrömte. Jetzt iſt es anders in mir, düſtere Hallen, die prophetiſche Monumente gewaltiger Todeshelden umſchließen, ſind der Mittel - punkt meiner ſchweren Ahnungen; der weiche Mondes - ſtrahl, der goldnen Birke Duft, dringen da nicht ein, aber wohl Träume, die mir das Herz zerreißen, die mir im Kopf glühen, daß alle Adern pochen. Ich liege an der Erde am verödeten Ort, und muß die Namen aus - rufen dieſer Helden, deren ſchauerliches Geſchick mich verwundet; ich ſeh ihre Häupter mit Siegeslorbeern ge - ſchmückt, ſtolz und mächtig unter dem Beil niederrollen70 auf das Schaffot. Ach Gott ach Gott! welch lauter Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei dieſen ein - bilderiſchen Träumen. Warum muß ich verzagen da noch nichts verloren iſt? — ich hab ein Fieber ſo glüht mir der Kopf. Auf dem tonnenförmigen Gipfel des Kofels, Speckbachers Horſt der ſchlaflos, keiner Speiſe bedürfend, mit beſſerer Hoffnung beflügelt, leicht wie ein Vogel ſchwebt über dem Augenblick da es Zeit iſt. Auf dem Brenner wo Hofers unwandelbarer Gleichmuth die Geſchicke lenkt die Todtenopfer der Treue anordnet. Am Berge Iſchel wo der Kapuziner den weiſen Stecken in der Hand, alles errathend und vorbeugend ſich allen voranwagend, an der Spitze des Landvolks, Siegbewußt über die Saaten niederjagt in's Thal. Da ſeh ich auch mich unter dieſen, die kurze grün und weiße Standarte ſchwingend weit voran auf ſteilſtem Gipfel, und der Sieg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der böſe Traum und haut mit geſchwungener Axt mir die feſte Hand ab, die niederſtürzt mit ſammt der Fahne in den Abgrund, und dann iſt alles ſo öde und ſtumm, und die Finſterniß bricht ein und alles verſchwunden, nur ich allein auf der Felswand ohne Fahne, ohne Hand, verzeih's daß ich ſo raſe aber ſo iſt's.
Heute Morgen noch mein letzter Traum, da trat71 einer zu mir auf dem Schlachtfeld, ſanft von Geſicht, von gemeſſenem Weſen, (als wär es Hofer) der ſagte mitten unter Leichen ſtehend zu mir: Die ſtarben alle mit großer Freudigkeit. In demſelben Augenblick erwachte ich unter Thränen, da lag dein Brief auf dem Bett.
Ach vereine Dich doch mit mir, Ihrer zu gedenken die da hinſtürzen ohne Namen, kindliche Herzen ohne Fehl, luſtig geſchmückt wie zur Hochzeit mit goldnen Sträußern, die Mützen geziert mit Schwungfedern der Auerhähne und mit Gemsbärten, das Zeichen tollkühner Schützen. Ja! gedenke ihrer; es iſt des Dichters Ruhm daß er den Helden die Unſterblichkeit ſichere.
Geſtern da ich Dir geſchrieben hatte, da war die Sonne ſchon im Untergehen, da ging ich noch hinaus wo man die Alpen ſieht, was ſoll ich anders thun? es iſt mein täglicher Weg, da begegne ich oft einen der auch nach den Tyroler Alpen ſpäht. An jenem ſpäten Abend, ich glaub es war in der Mitte Mai wo Schwatz abbrennte, da war er mit auf dem Thurm, da konnte er ſich gar nicht faſſen, er rang die Hände und jam -72 merte leiſe o Schwatz! O liebes Vaterland! — Geſtern war er wieder da und ergoß mit Freudebrauſen den ganzen Schatz ſeiner Neuigkeiten vor mir. Wenn's dem - nach wahr iſt, ſo haben die Tyroler am Herz-Jeſu-Feſt, (den Datum wußte er nicht) den Feind überwältigt und ganz Tyrol zum zweitenmal befreit. Ich kann nicht er - zählen was er alles vorbrachte, Du würdeſt es ſo we - nig verſtehen wie ich; Speckbachers Witz hat durch eine Batterie von Baumſtämmen als ob es Kanonen wären und durch zuſammen gebundne Flintenläufe den Knall nachahmend, den Feind betrogen, gleich drauf die Brücke bei Hall dreimal geſtürmt und den Feind mit ſammt den Kanonen zurückgetrieben, die Kinder dicht hinter drein; wo der Staub aufwirbelte, ſchnitten ſie mit ihren Meſſern die Kugeln aus und brachten ſie den Schützen. Der Hauptſieg war am Berg Iſel, dem Kapuziner iſt der Bart weggebrennt. Die namhaften Helden ſind alle noch vollzählig. Handbillet haben ſie vom Kaiſer mit gro - ßen Verheißungen aus der Fülle ſeines Herzens. Wenn's auch nicht alles wahr wird meinte mein Tyroler ſo war's doch wieder ein Freudentag für's Vaterland der aller Aufopferung werth iſt.
Vom Kronprinz hab ich kein Gedicht, ein einziges was er am Tag vor ſeinem Auszug in den Krieg machtean73an Heimath und die Geliebte zeigte mir der alte getreue Pantalon, er will's unter keiner Bedingung abſchrei - ben. Eine junge Muſe der Schauſpielkunſt beſitzt deren mehrere, der alte Bob hat ihr auf meine Bitte drum angelegen, ſie ſuchte danach unter den Theaterlumpen und fand ſie nicht, ſonſt hätten ſie zu Dienſten geſtan - den meinte ſie, der Kronprinz würde ihr andere machen.
Gold und Perlen hab ich nicht, der einzige Schatz nach dem ich gewiß allein greifen würde bei einer Feu - ersbrunſt ſind deine Briefe, deine ſchönen Lieder die Du mit eigner Hand geſchrieben, ſie ſind verwahrt in der rothen Sammettaſche, die liegt Nachts unter meinem Kopfkiſſen, darin iſt auch noch der Veilchenſtrauß, den Du mir in der Geſellſchaft bei Wieland ſo verborgen zuſteckteſt, wo dein Blick wie ein Sperber über allen Blicken kreiſte, daß keiner wagte aufzuſehen. — Die junge Muſe giebt es auf, die Opfer, die der Kronprinz ihr in Dichterperlen geweiht zu Füßen legte, unter dem Wuſt von falſchem Schmuck und Flitterſtaat wieder zu finden, und doch waren ſie im Zauberhauch der Mond - nächte bei dem Lied der Nachtigall erfunden, Sylb um Sylbe; Klang um Klang aufgereiht. Wer Sylb um Sylbe die nicht liebt, nicht dieſen Schlingen ſich ge -II. 474fangen giebt, der mag von Himmelskräften auch nicht wiſſen, wie zärtlich die von Reim zu Reim ſich küſſen.
Deine Mutter werde ich nicht vergeſſen, und ſollt ich auch mitten im Kriegsgetümmel untergehen, ſo würde ich gewiß noch im letzten Moment die Erde küſſen zu ihrem Andenken. Was ich Dir noch merkwürdiges zu be - richten habe iſt ſchon aufgeſchrieben, im nächſten Brief wirſt Du es finden, dieſer wird ſchon zu dick, und ich ſchäme mich, daß ich Dir nichts wichtiges zu ſchreiben habe und doch nicht abbrechen kann. Geſchwätz! — ich weiß ja wie's ging in Weimar, da ſagt ich auch nichts geſcheutes und doch hörteſt Du gern zu.
Vom Stadion weiß ich gar nichts, da muß ich kur - zen Prozeß machen und ihn verſchmerzen, wer weiß ob ich ihn je wieder ſeh.
Jacobi iſt zart wie eine Pſyche, zu früh geweckt, rührend; wär es möglich, ſo könnte man von ihm ler - nen, aber die Unmöglichkeit iſt ein eigner Dämon, der liſtig alles zu vereitlen weis zu was man ſich berech - tigt fühlt; ſo mein ich immer, wenn ich Jacobi von Ge - lehrten und Philoſophen umgeben ſeh, ihm wär beſſer er ſei allein mit mir. Ich bin überzeugt meine unbefang - nen Fragen, um von ihm zu lernen, würden ihm mehr75 Lebenswärme erregen, als jene alle die vor ihm etwas zu ſein als nothwendig erachten. Mittheilung iſt ſein höchſter Genuß; er appelirt in allem an ſeine Früh - lingszeit, jede friſch aufgeblühte Roſe erinnert ihn leb - haft an jene die ihm zum Genuß einſt blühten, und in - dem er ſanft durch die Haine wandelt, erzählt er, wie einſt Freunde Arm in Arm ſich mit ihm umſchlungen in köſtlichen Geſprächen, die ſpät in die laue Som - mernacht währten, und da weiß er noch von jedem Baum in Pempelfort, von der Laube am Waſſer auf dem die Schwäne kreiſten, von welcher Seite der Mond herein ſtrahlte auf reinlichem Kies, wo die Bachſtelzchen ſtolzierten; das alles ſpricht ſich aus ihm hervor wie der Ton einer einſamen Flöte, ſie deutet an: der Geiſt weilt noch hier; in ihren friedlichen Melodieen aber ſpricht ſich die Sehnſucht zum unendlichen aus. Seine höchſt edle Geſtalt iſt gebrechlich, es iſt als ob die Hülle leicht zuſammen ſinken könne um den Geiſt in die Frei - heit zu entlaſſen. Neulich fuhr ich mit ihm, den beiden Schweſtern, und dem Grafen Weſtenhold, nach dem Staremberger See. Wir aßen zu Mittag in einem an - genehmen Garten, alles war mit Blumen und blühenden Sträuchern überſäet, und da ich zur Unterhaltung der4*76gelehrten[Geſellſchaft] nichts beitragen konnte, ſo ſam - melte ich deren ſo viel als mein Strohhut faßte. Im Schiff, auf dem wir bei herannahendem Abend wohl an - derthalb Stunden fahren mußten, um das jenſeitige Ufer wieder zu erreichen, machte ich einen Kranz. Die untergehende Sonne röthete die weißen Spitzen der Al - penkette und Jacobi hatte ſeine Freude dran, er de - ployrte alle Grazie ſeiner Jugend, Du ſelbſt haſt mir einmal erzählt, daß er als Student nicht wenig eitel auf ſein ſchönes Bein geweſen, und daß er in Leipzig mit Dir in einen Tuchladen gegangen, das Bein auf den Ladentiſch gelegt, und dort die neuen Beinkleidermuſter drauf probiert, blos um das Bein der ſehr artigen Frau im Laden zu zeigen; — in dieſer Laune ſchien er mir zu ſein; nachläſſig hatte er ſein Bein ausgeſtreckt, be - trachtete es wohlgefällig, ſtrich mit der Hand drüber, dann wenige Worte über den herrlichen Abend, flüſternd beugte er ſich zu mir herab da ich am Boden ſaß und den Schoos voll Blumen hatte wo ich die beſten aus - las zum Kranz, und ſo beſprachen wir uns einſylbig aber zierlich und mit Genuß in Geberden und Worten, und ich wußte es ihm begreiflich zu machen, daß ich ihn liebenswürdig finde, als auf einmal Tante Lehnens vorſorgende Bosheitspflege der feinen Gefühlsconquet -77 terie einen böſen Streich ſpielte; ich ſchäme mich noch wenn ich dran denke; ſie holte eine weiße langge - ſtrickte wollne Zipfelmütze aus ihrer Schürzentaſche, ſchob ſie in einander und zog ſie dem Jacobi weit über die Ohren, weil die Abendluft beginne rauh zu werden; grade in dem Augenblick als ich ihm ſagte: heute ver - ſteh ich's recht daß Sie ſchön ſind, und er mir zum Dank die Roſe in die Bruſt ſteckte die ich ihm gegeben hatte. Jacobi wehrte ſich gegen die Nachtmütze, Tante Lehne behauptete den Sieg, ich mochte nicht wieder auf - wärts ſehen ſo beſchämt war ich. — Sie ſind recht Con - quett, ſagte der Graf Weſterhold, ich flocht ſtill an meinem Kranz, da aber Tante Lehne und Lotte einſtim - mend mir gute Lehren gaben, ſprang ich plötzlich auf, und trappelte ſo, daß der Kahn heftig ſchwankte, um Gotteswillen wir fallen! ſchrie alles, ja, ja! rief ich, wenn Sie noch ein Wort weiter ſagen über Dinge die Sie nicht verſtehen. Ich ſchwankte weiter, „ haben Sie Ruh es wird mir ſchwindlich. “— Weſterhold wollte mich an - rühren, aber da ſchwankte ich ſo, daß er ſich nicht vom Platz getraute, der Schiffer lachte und half ſchwanken, ich hatte mich vor Jacobi geſtellt um ihn nicht in der fatalen Mütze zu ſehen, jetzt wo ich ſie alle in der Ge - walt hatte, wendete ich mich nach ihm, nahm die Mütze78 beim Zipfel und ſchwenkte ſie weit hinaus in die Wel - len; da hat der Wind die Mütze weggeweht ſagte ich, ich drückte ihm meinen Kranz auf den Kopf der ihm wirklich ſchön ſtand, Lehne wollt es nicht leiden, die friſchen Blätter könnten ihm ſchaden. Laſſe ihn mir doch, ſagte Jacobi ſanft, ich legte die Hand über den Kranz. Jacobi ſagte ich: Ihre feinen Züge leuchten im gebrochnen Licht dieſer ſchönen Blätter wie die des ver - klärten Plato. Sie ſind ſchön, und es bedarf nur eines Kranzes den Sie ſo wohl verdienen, um Sie würdig der Unſterblichkeit darzuſtellen; ich war vor Zorn be - geiſtert und Jacobi freute ſich; ich ſetzte mich neben ihn an die Erde und hielt ſeine Hand die er mir auch ließ, keiner ſagte etwas, ſie wendeten ſich alle ab, um die Ausſicht zu betrachten, und ſprachen unter ſich, da lachte ich ihn heimlich an. Da wir an's Ufer kamen nahm ich ihm den Kranz ab und reichte ihn den Hut. — Das war meine kleine Liebesgeſchichte jenes ſchönen Ta - ges, ohne welche der Tag nicht ſchön geweſen ſein würde; nun hängt der Kranz verwelkt an meinen Spie - gel, ich bin ſeit dem nicht wieder hingegangen, denn ich fürchte mich vor Helenen, die aus beleidigter Würde ganz ſtumm war und mir nicht Adieu ſagte; ſo mag denn Jacobi freundlich meiner gedenken wenn ich ihn79 nicht wieder ſehen ſollte, dieſer Abſchied kann ihm keinen unangenehmen Eindruck in der Erinnerung laſſen, und mir iſt es grade recht, denn ich möchte doch nicht Kunſt genug beſitzen, den vielen Fallſtricken und böſen Ausle - gungen zu entgehen, die jetzt wahrſcheinlich im Gang ſein mögen. Adieu, nun hab ich Dir auf alle Artikel deines lieben Briefes geantwortet und Dir mein ganzes Herz ausgeſchüttet. Verſicherungen meiner Liebe gebe ich Dir nicht mehr, die ſind in jedem Gedanken, im Be - dürfniß Dir alles an's Herz zu legen hinlänglich beur - kundet.
Bettine.
Gott laſſe mir den einzigen Wunſch gedeihen Dich wieder zu ſehen und zögere nicht allzulang. So eben vernehme ich, daß jemand von meiner Bekanntſchaft nach Weimar geht. Das bläſt die Aſche von der Gluth, mich hält's, daß ich von hier aus die Tyrolerberge ſehen kann, ſonſt nichts. Es martert mich alle Tage, nicht80 zu wiſſen was dort vorgeht; ich käme mir vor wie ein feiger Freund, wenn ich mich dem Einfluß, den die Nähe des bedrängten Landes auf mich hat, entziehen wollte; wahrhaftig wenn ich Abends von meinem Schnecken - thurm die Sonne dort untergehen ſehe, da muß ich im - mer mit ihr.
Wir haben ſchon ſeit Wochen ſchlecht Wetter. Ne - bel und Gewölk, Wind und Regen und ſchmerzliche Botſchaft wird indeſſen durch dein Andenken wie durch einen Sonnenſtrahl erhellt. — Beinah vier Wochen hab ich nicht geſchrieben, aber ich hab Dich dieſe ganze Zeit über bedacht mit Gedanken, Wort und Werken, und nun will ich's gleich auseinander ſetzen: Es iſt auf der hieſigen Gallerie ein Bild von Albrecht Dürrer, in ſei - nem achtundzwanzigſten Jahre von ihm ſelbſt gemalt; es hat die graziöſeſten Züge eines weisheitvollen, ern - ſten, tüchtigen Antlitzes; aus der Miene ſpricht ein Geiſt, der die jetzigen elenden Weltgeſichter niederkracht. Als ich Dich zum erſtenmal ſah war es mir auffallend, und bewegte zugleich zu inniger Verehrung, zu entſchiedener Liebe, daß ſich in deiner ganzen Geſtalt ausſprach, was David von den Menſchen ſagt: ein jeder mag König ſein über ſich ſelber. So meine ich nämlich, daß die Natur des inneren Menſchen die Oberhand erringe über81 die Unzuverläſſigkeit, über die Zufälle des äußeren, dar - aus entſtehe die edle Harmonie, das Weſen, was ſo wohl über Schönheit hinaus iſt, als der Häßlichkeit trotzt. So biſt Du mir erſchienen, die geiſtige Erſchei - nung der Unſterblichkeit, die der irdiſchen vergänglichen Meiſter wird. Obſchon nun Dürrer's Antlitz ein ganz anders iſt, ſo hat mich doch die Sprache ſeines Charak - ters mächtig an die Deinige erinnert, ich habe mir's ko - pieren laſſen. — Ich hab das Bild den ganzen Win - ter über auf mein Zimmer gehabt und war nicht al - lein. Ich hab mich viel in Gedanken an dieſen Mann gewendet, hab Troſt und Leid von ihm empfunden, bald war's mir traurig zu fühlen, wie manches, worauf man doch in ſich ſtolz iſt, zu Grunde geht vor einem ſolchen, der recht wollte was er wollte; bald flüchtete ich mich zu dieſem Bild als zu einem Hausgott. Wenn mich die Lebenden langweilten, und daß ich Dir's recht ſage: mein Herz war in manchen Stunden ſo tief von dem reinen Scharfblick gerührt, der aus ſeinem edlen Augen dringt, daß er mir mehr im Umgang war als ein Le - bender. Dieſes Bild nun hatte ich eigentlich für Dich kopieren laſſen, ich wollte Dir's als einen Sachwalter meiner Herzensangelegenheiten ſenden, und ſo verging Woche um Woche, immer mit dem feſten Entſchluß es4**82die nächſtfolgende abzuſenden, ohne daß ich es je dazu bringen konnte mich davon zu trennen. Mein lieber Goethe, ich hab noch weniges geſehen in der Welt, ſo wohl von Kunſtwerken als ſonſt was mich herzlich in - tereſſierte. Daher wär wohl meiner kindiſchen Art zu verzeihen. Das Bild kann ich nun nicht mehr von mir losſagen, ſo wie man ſich von einem Freund nicht mehr losſagen kann, Dir aber will ich's ſchicken, meinem ge - liebteſten vor allen. Doch, wie es das Schickſal führt, ſoll es nicht in andre Hände kommen, und ſollte der Zu - fall es von Dir trennen, ſo müſſe es wieder in meine Hände kommen. Ich hoffte die ganze Zeit es ſelbſt bringen zu können, indeſſen iſt gar keine Wahrſcheinlich - keit in dieſem Augenblick, wenn ich nicht ſtets auf die kommende Zeit hoffte ſo würde ich verzweifeln Dich bald wieder zu ſehen; allein daß nach der Zukunft immer wieder eine iſt, das hat ſchon manchen Menſchen alt ge - macht. — Du biſt mir lieb über alles, in der Erinne - rung wie in der Zukunft; der Frühling den deine Ge - genwart in mir erſchaffen hat, dauert; denn ſchon ſind zwei Jahre um, und noch hat kein Sturm ein Blätt - chen vom Aſt gelöſt, noch hat der Regen keine Blüthe zerſtört, alle Abend hauchen ſie noch den ſüßen Duft der Erinnerung aus; ja wahrhaftig kein Abend iſt bis83 jetzt zum ſchlafen gekommen, daß ich Dich nicht bei Namen gerufen und der Zeit gedacht, da Du mich auf meinen Mund geküßt, mich in deinen Arm genommen, und ich will ſtets hoffen, daß die Zeit wiederkehre. Da ich Dir nichts in der Welt vorziehe, ſo glaub ich's auch von Dir.