PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Briefe aus Paris
1831 1832.
Dritter Theil.
[II][III]
Briefe aus Paris
1831 1832
Dritter Theil.
Paris. BeiL. Brunet. 1833.
[IV][V]
Geſammelte Schriften
Elfter Theil.
Paris. BeiL. Brunet. 1833.
[VI][VII]

Inhalt.

  • Erſter BriefSeite 1
  • Zweiter Brief 6
  • Dritter Brief 11
  • Vierter Brief 58
  • Fuͤnfter Brief 70
  • Sechſter Brief 82
  • Siebenter Brief 102
  • Achter Brief 111
  • Neunter Brief 140
  • Zehnter Brief 156
  • Elfter Brief 191
  • VIIIZwoͤlfter BriefSeite 207
  • Dreizehnter Brief249
  • Vierzehnter Brief257
  • Fuͤnfzehnter Brief281
[1]

Erſter Brief.

Als ich mich Strasburg naͤherte, ward mir ſehr bange vor Quarantaine und Douane. Es iſt etwas Gruͤnes und Gelbes, Afrikaniſch - Schlangenartiges in dieſen Worten. Ich zitter¬ te vor dem gelben Hauſe auf der Rheinin¬ ſel, das, wie ich hoͤrte, zum Contumazgefaͤng¬ niſſe beſtimmt iſt, und, wie uranfaͤnglich zum Tempel der Langeweile beſtimmt, verdruͤslich und ſchlaͤfrig zwiſchen den Baͤumen hervorſah. Es ging aber alles ſehr gut und ſchnell vonIII. 12Statten. Ich und meine Koffer wurden fuͤr geſund und loyal erklaͤrt. Nicht einer wurde aufgemacht, ſondern blos etwas oberflaͤchlich im Wagen nachgeſehen. Das vorige Mal, da ich mit einer Miethkutſche nach Strasburg kam, wurde mir Alles durchſtoͤbert. Der Douanier fragte mich, ob es mein eigener Wagen waͤre und als ich es bejahte, traute er mir. Als wenn nur reiche Leute ehrlich waͤren! O, ihr armen Seelen habt es doch gar zu ſchlimm! Wir Diebe, oder Enkel euerer Diebe, fuͤrchten jede Stunde, ihr, von uns Beſtohlenen oder Enkel der von uns Beſtohlenen, moͤchtet einmal ſo klug werden, euer Eigenthum zuruͤckzufor¬ dern welche diebiſche Geſinnung wir an euch ſehr unmoraliſch finden; und darum trauen wir euch nicht und paſſen ſehr auf.

Ich verliere immer den Kopf, ſo oft ich mit einer Polizei oder Douane zu thun habe; denn mir iſt ſehr gut bekannt, daß mit einem Spitz¬3 buben niemand groͤßere Aehnlichkeit hat als ein ehrlicher Mann. Als mich der Zoͤllner fragte, ob ich nichts zu deklariren haͤtte, antworte ich: rien que quelques paquets de tabac pour ma consomation. Darauf fragte er: votre qualité? Ich verſtand, er wollte die Qualitaͤt des Ta¬ backs wiſſen und erwiederte: qualité ordinaire. Er hatte aber nach meinem Stande gefragt. Am Wachthauſe erkundigte ſich der Thorſchreiber nach Neuigkeiten bei mir, und als ich von Po¬ len zu erzaͤhlen anfing, lief er ſchnell zuruͤck und holte einen Gensd'armen und noch einen Her¬ ren aus der Wachtſtube. Letzterer, wahrſchein¬ lich ein Polizeibeamter, forſchte mich ſehr gruͤnd¬ lich nach Neuigkeiten uͤber Polen aus. Ich berich¬ tete Troͤſtliches, wofuͤr er mir ſehr artig dankte. Dieſer Herr ſchien eigens an den Eingang der Stadt beordert worden zu ſeyn, um die Rei¬ ſenden, die von Deutſchland kommen, auszu¬ fragen. Die Regierung mag große Unruhe ha¬1*4ben. Auf meine Bemerkung uͤber die Volksbe¬ wegung, welche die Geſchichte von Warſchau wahrſcheinlich in Paris hervorbringen werde, gab mir der Polizeimann recht; doch laͤchelte er dabei.

In Strasburg ſprach ich viele Deutſche und einige franzoͤſiſche Patrioten. Sie haben bei zwoͤlf Flaſchen Wein ſechs Fuͤrſten weggejagt. Den Koͤnig von Preußen wollte ich beibehalten, ward aber uͤberſtimmt. Hoͤflich, wie Sie mich kennen, disputirte ich nicht lange. Mein Plan, den Prinzen von Coburg zum Koͤnige von Deutſchland zu machen, fand großen Beifall. Sie werden bald mehr davon hoͤren.

Ich habe Gluͤck mit dem Wetter. Geſtern in Strasburg regnete es, ich brauchte es nicht beſſer. Heute aber iſt einer der ſchoͤnſten Tage, die ich dieſen Sommer noch geſehen. Geſtern Abend fuͤhrte mich *** in Caſino, und dann in ſein Haus zum Abendeſſen. Mein5 Kritiker, Profeſſor ***, war auch unter den Gaͤſten. In einem zweiten Artikel aus meinen Schriften ſind Pariſer Sachen uͤberſetzt, unter andern die Erzaͤhlung vom Greve-Platz. Ganz vortrefflich. *** las daraus vor. Er fragte mich, was er ferner uͤberſetzen ſollte? Ich ant¬ wortete: die Wahl ſey ſchwer, es ſey alles ſchoͤn.

Die Vorfaͤlle in Paris werden Sie erfahren haben. Man zweifelt jetzt nicht mehr an der Abdankung des Miniſteriums .. Ob Frankreich in dieſer Stunde ein Koͤnigreich iſt oder eine Republik, das mag der Himmel wiſſen. Ich habe heute noch keine Zeitung geleſen.

Iſt Maria noch muthig und beharr¬ lich? (In der Waſſerkur.) Auf jeder Poſt begleite ich die Pferde an die Traͤnke, und ſau¬ fe mit ihnen gemeinſchaftlich.

6

Zweiter Brief.

Schon No. 4! Ach hielten wir nur ſchon an No. 74, womit unſere vorjaͤhrige Correſpon¬ denz geendigt! Ihren Brief habe ich geſtern er¬ halten, alſo erſt am ſechsten Tage! Hu! Der war ſchauerlich und roch nach Peſt. Sie haͤtten ihn gewiß nur mit Handſchuhen beruͤhrt. Er hatte zwoͤlf mit einem Meſſer gemachte Ein¬ ſchnitte, war ſo ſtark in Eſſig getraͤnkt, daß man ihn auf eine Kopfbeule mit dem ſchoͤnſten Erfolge haͤtte legen koͤnnen, und die Dinte war7 von der Schaͤrfe des Eſſigs ganz aufgeloͤßt. Es war ein ſchwarzes Meer. Doch konnte ich ihn deutlich leſen.

In Wien ſoll die Cholera ſchrecklich wuͤthen, auch unter den hoͤhern Staͤnden. Sie iſt dort ganz jakobiniſch und ruft: à bas les aristocra¬ tes! Das hat man von keinem andern Orte gehoͤrt und an dieſer Boͤsartigkeit mag wohl die bekannte Schlemmerei der Wiener Schuld ſeyn. Zwar wird ſie die Furcht maͤßig gemacht haben; aber die Maͤßigkeit eines Wiener Magenmen¬ ſchen iſt immer noch eine halbe Indigeſtion. Auch geſtehen ſie dort ſelbſt, daß ihre Kranken¬ anſtalten noch nicht vollendet geweſen, als ſie von der Cholera uͤberraſcht worden. Ich aber bin uͤberzeugt, daß die verdammte Scheu der Oeſtreichiſchen Regierung vor jeder Oeffentlich¬ keit, die Cholera in Wien verheerender gemacht hat als ſonſt uͤberall. Der Oeſtreichiſche Beob¬ achter, den ich erſt geſtern geleſen, erzaͤhlt kein8 Wort von der Cholera. Der Tod, wie das Leben iſt dort ein Staatsgeheimniß.

*** iſt auch noch hier, in Baden war er ſo kraͤnklich, hier iſt er ganz geſund. Er fragte mich nach meinen Damen. Es iſt ſein leidenſchaftlicher Wunſch mit ſeiner Fami¬ lie hier wohnen zu koͤnnen. Paris gefaͤllt ihm ungemein, aber, wie mir, mehr das oͤffent¬ liche Leben; Geſellſchaften beſucht er wenig. Von den Franzoſen in politiſcher Beziehung hat er die ſchlechteſte Meinung bekommen, auch von der Oppoſitions-Parthei. Sie waͤren ganz wie vernagelt, und von dem Auslande, beſon¬ ders von deutſchen Verhaͤltniſſen, haͤtten ſie nicht die gemeinſten Schuͤlerkenntniſſe.

Ein Italieniſcher Saͤnger Rubini iſt jetzt hier; der ſoll ein Wunder ſein, Alle, die ſtreng¬ ſten Kenner, ſind entzuͤckt von ihm. Meine Malibran iſt noch abweſend. Inzwiſchen hat die Paſta, die viel verlohren haben ſoll, deren9 Rollen uͤbernommen. Die Devrient iſt dieſen Winter am italieniſchen Theater engagirt. Meier - Beer's Oper koͤmmt bald zur Auffuͤhrung ... O Pfui! was krieche ich da auf dem Papiere herum, wie eine Abendblatt-Laus!

Ich denke immer noch daran ein Jour¬ nal herauszugeben und von Neujahr damit an¬ zufangen; bis dahin aber den Stoff vorzube¬ reiten. Ich will auch ſuchen in die Kunſt ein¬ zudringen, die mir bis jetzt fremd war. Ich muß auf ein ruhiges Aſyl fuͤr meinen Geiſt bedacht ſeyn; denn aus dem Gebiete der Po¬ litik, wie ich vorherſehe, werden wir Deutſche bald vertrieben werden.

Das Wetter wird alle Tage ſchoͤner. Ge¬ ſtern habe ich bei *** in Paſſy gegeſſen. Er wohnt am Bois de Boulogne, in einem ſchoͤn gelegenen Hauſe, das eine herrliche Aus¬ ſicht auf Stadt und Land hat. Ueber der Thuͤre iſt ein Italieniſcher Namen eingehauen,10 der eines Arztes, dem vor dreihundert Jahren Franz I. dies Haus geſchenkt. In dem nehm¬ lichen Hauſe wohnte vor ſechszig Jahren Frank¬ lin, und der erſte (bekanntlich von ihm er¬ fundene) Blitzableiter, den Paris bekam, wur¬ de auf dies Haus geſetzt.

11

Dritter Brief.

Nun, ſchmeckt Ihnen Frankfurt? Ich denke wie Kamillenthee. Nicht gerade erſt jetzt wegen dieſer Choleriſchen Zeit; mir hat es immer ſo geſchmeckt. Eine Apotheke alles getrocknet, alles zerſtoßen, alles in Buͤch¬ ſen und Schachteln. Nichts friſch, nichts ganz, nichts frei. Und der vornehme Moſchus-Ge¬ ruch, den der Bundestag zu uns gebracht, der macht einem gar uͤbel. Iſt noch nichts ver¬ ordnet wie viele Juden an der Cholera ſterben12 ſollen? Wie viele Einheimiſche, wie viele Fremde? Geht es nach der Anciennitaͤt der Leibſchmerzen oder wird nach Gunſt verfahren?

Was es mir in dieſer Peſt - und Krieges¬ zeit fuͤr Verdruß macht, daß ich ſo wenige Naturkenntniſſe habe, kann ich Ihnen nicht ge¬ nug klagen, und nie verzeihe ich es Ihnen, daß Sie mich ſo ſchlecht erzogen haben. Ei¬ gentlich bin ich ganz auf die Natur angewie¬ ſen, ich habe einen unbeſchraͤnkten Kredit bei ihr und ſie hat noch alle meine Forderungen bewilligt. Ich bin ein gebohrener Naturphi¬ loſoph. Ich habe von meiner fruͤheſten Jugend an Gott und Menſchheit vom Standpunkte der Natur betrachtet; die Religion war mir das All-Element, die Geſchichte eine Art hoͤherer Magnetismus; Geiſt und Materie unterſchied ich nie; der Geiſt war mir eine unſichtbare Materie, die Materie ein unſichtbarer Geiſt. Dieſer Naturglaube gab mir eine gemeinſchaft¬13 liche Regel, gemeinſchaftliches Maas und Ge¬ wicht fuͤr Alles. Darum ſetzte mich nie etwas in Verwirrung; darum verwunderte ich mich nie uͤber etwas. Komete, Peſte, Kriege, Re¬ volutionen und Erdbeben, wußte ich immer in die natuͤrlichſten Verbindungen zu bringen, und wenn mir die Anmaßung der unwiſſenden Menſchen, die das Alles fuͤr Aberglauben er¬ klaͤren, nicht laͤcherlich erſcheint, ſo habe ich dieſe Nachſicht eben auch meiner Natur-Phi¬ loſophie zu danken, die mich lehrt, daß Dumm¬ heit und Menſchenduͤnkel Elemente ſind, wie andere. Nun habe ich zwar ein gluͤckliches Ahndungsvermoͤgen, das mich Blinden auf den rechten Weg fuͤhrt; aber den Weg kenne ich nicht, und ich weiß weder Andern noch mir ſelbſt zu beweiſen, wovon ich doch ſo feſt uͤber¬ zeugt bin. Und daran ſind Sie ſchuld.

Ein Aufſatz uͤber die Cholera, den die all¬ gemeine Zeitung in den letzten Tagen enthielt,14 hat mich von meiner Unwiſſenheit in den Na¬ turwiſſenſchaften recht betruͤbt uͤberzeugt. Der Verfaſſer hat ganz meine Anſicht, daß die epi¬ demiſchen Krankheiten der Menſchen mit den Krankheiten der Erde zuſammenhingen. Nur ſpricht er von feuerſpeienden Bergen, von Erd¬ beben, Elektrizitaͤt, ungewoͤhnlicher Abweichung der Magnetnadel und andern Dingen, die ich wenig verſtehe und was Sie mir in Ihrem naͤchſten Briefe, wie ich hoffe, all erklaͤren wer¬ den. Der Verfaſſer kommt zu dem Reſulta¬ te: daß die Cholera hoͤchſtens in ſehr gelinder Art, vielleicht aber gar nicht weiter nach dem weſtlichen Europa vordringen wuͤrde. Er meint, die unterdeſſen ſtattgehabten Erdbeben und Aus¬ bruͤche der Vulkane, ſo wie die Entſtehung neuer vulkaniſcher Inſeln bei Sicilien haͤtten dieſen Theil der kranken Erde geheilt. Wir werden ſehen. Ich moͤchte den Vorſchlag ma¬ chen, Kamillen - und Pfeffermuͤnzthee, ſtatt ihn15 den Menſchen einzugeben, lieber der Erde ſelbſt einzugießen, indem man große Loͤcher hinein¬ graͤbt; und um die ganze Erde in der Ge¬ gend des Aequators eine Flanellbinde zu le¬ gen, ſie vor Erkaͤltung zu ſchuͤtzen. Dann wuͤrde die Cholera aufhoͤren. Was ſagen Sie dazu?

Die Juden ſind duͤmmer wie Vieh, wenn ſie ſich einreden, bei entſtehender Revo¬ lution wuͤrden ſie von den Regierungen ge¬ ſchuͤtzt werden. Nein, man wuͤrde ſie dem Volkshaſſe aufopfern; die Regierungen wuͤr¬ den ſuchen ſich um dieſen Preis von der Re¬ volution loszukaufen. Wenn man in Indien die graͤuliche Boaſchlange erlegen will, jagt man ihr einen Ochſen entgegen; den frißt ſie ganz auf und dann, wenn ſie ſich nicht mehr bewegen kann, toͤdtet man ſie. Die Juden werden die Ochſen ſeyn, die man der Revo¬ lution in den Rachen fuͤhrt, und wenn ſie ſich16 nicht auf mein Journal abbonniren mag ihnen Gott gnaͤdig ſeyn.

Geſtern Abend war *** bei mir, um Abſchied zu nehmen. Er reiſt heute zuruͤck. Es giebt nichts komiſcheres als die Verzweif¬ lung dieſes Mannes, wieder in den deutſchen Kerker eingeſperrt zu werden, und nicht in Pa¬ ris bleiben zu koͤnnen. Mich beneidet er wie einen Gott. Mit *** iſt es das Nehmli¬ che. Vor einigen Tagen ſprach ich von ſeiner baldigen Abreiſe mit ihm; daruͤber ward er ganz wild und faſt boshaft, und bat mich um Gotteswillen, doch von dieſer Sache nicht zu ſprechen.

Liſt hat ein ſehr gutes Buͤchelchen in franzoͤſiſcher Sprache, uͤber Eiſenbahnen hier drucken laſſen. Es ſoll ſich eine Aktiengeſell¬ ſchaft bilden, welche Eiſenbahnen von Paris nach Havre und Strasburg fuͤhren, ſo daß man in zwoͤlf Stunden von hier nach Stras¬17 burg wird reiſen koͤnnen, und weiter nach Frankfurt gezogen in achtzehn Stunden dort¬ hin. Wenn ich Morgens von hier abreiſte, koͤnnte ich Abends Thee bei Ihnen trinken und den andern Abend wieder hier ſeyn. Welch ein reizender Gedanke! Heine ſagt zwar, es ſei eine ſchreckliche Vorſtellung, in zwoͤlf Stun¬ den ſchon in Deutſchland ſeyn zu koͤnnen. Dieſe Eiſenbahnen ſind nun meine und Liſt's Schwaͤrmereien, wegen ihrer ungeheuern politi¬ ſchen Folgen. Allem Despotismus waͤre da¬ durch der Hals gebrochen, Kriege ganz unmoͤg¬ lich. Frankreich, wie jedes andere Land, koͤnnte dann die groͤßten Armeen innerhalb vier und zwanzig Stunden von einem Ende des Reichs zum andern fuͤhren. Dadurch wuͤrde der Krieg nur eine Art Ueberrumpelung im Schachſpiel, und gar nicht mehr auszufuͤhren.

Ich freue mich, daß Sie jetzt wegen der Cholera beruhigter ſind. Aber ich mußte lautIII. 218auflachen, als Sie mir Vorwuͤrfe machten, ich haͤtte Ihnen die Angſt eingeredet. Das waͤre Waſſer in den Main tragen. Merkur, der Gott der Beredtſamkeit, wenn er ein paar Bouteillen Champagner getrunken hat und be¬ ſonders begeiſtert iſt, koͤnnte Ihnen vielleicht eine Furcht ausreden; aber einreden das vermag kein Gott; da iſt alles ſo vollge¬ pfropft, daß nicht fuͤr die kleinſte Furcht mehr Platz iſt. Ich kann mir wirklich nicht anders erklaͤren wie Sie die Cholerafurcht in Ihrem Angſtmagazin haben unterbringen koͤnnen, als daß ich annehme, Sie haben vorher andere Aengſte herausgeworfen. Sehen Sie, das nennt man in der Aeſthetik ſatyriſche Schreibart! Verlaſſen Sie ſich darauf, daß unſer Profeſſor Oertel mit ſeiner Waſſerkur gegen Cholera Recht hat. Ich habe keinen Augenblick daran gezwei¬ felt. Ich habe geſtern wieder zwei neue Hefte von Oertels Waſſer-Bibel bekommen, worin19 ſchoͤne Beiſpiele vorkommen. Unter andern: Vor kurzem ſtarb in Anſpach eine alte Jungfer von 97 Jahren. Die Todtenweiber, die mit dieſem armen alten Hunde keine Umſtaͤnde ma¬ chen wollten, wuſchen ſie, ſtatt wie uͤblich mit warmen, mit kaltem Waſſer. Davon wachte die Jungfer aus dem Scheintode wieder auf und lebte noch drei Tage.

Ein Baron von Maltitz, ſeit kurzem hier, hat mich vorgeſtern beſucht. Es iſt der Schrift¬ ſteller, deſſen Buch Gelaſius der graue Wanderer ich kritiſirt, und der mir in ir¬ gend einer Zeitung dafuͤr gemuͤthlich gedankt, und mich dabei: Alter Boͤrne! angeredet hat. Seine Schriften machen Gluͤck und werden viel gekauft. Vor mehreren Jahren ließ er in Berlin ein Schauſpiel der alte Student (es iſt gedruckt) auffuͤhren. Das Stuͤck ent¬ hielt Anſpielungen auf die fruͤhere Unabhaͤngig¬ keit Polens. Dieſe wurden bei der Auffuͤhrung2*20von jungen polniſchen Studenten gehoͤrig ge¬ deutet und mit Enthuſiasmus beklatſcht. Zur Strafe wurde Maltitz, obzwar ſein Stuͤck die Cenſur paſſirt hatte, und er ein gebohrener Preuße iſt, aus dem Lande verbannt. In der letzten Zeit ſchrieb er ein epiſches Gedicht Polo¬ nia, was ſehr viel geleſen wird. Selbſt in Paris wurden 200 Exemplare verkauft.

Goethes Tagebuch, von dem ich Ihnen neulich geſchrieben, habe ich nun geendigt. So eine duͤrre lebloſe Seele giebt es auf der Welt nicht mehr, und nichts iſt bewundernswuͤrdiger als die Naivitaͤt, mit welcher er ſeine Gefuͤhl¬ loſigkeit an den hellen Tag bringt. Das Buch iſt eine wahre Bibel des Unglaubens. Ich ha¬ be beim Leſen einige Stellen ausgezogen, und ich lege das Blatt hier bei. Viele Bemerkun¬ gen hieruͤber waren gar nicht noͤthig; Goethes klarer Text macht die Noten uͤberfluͤſſig. Und ſolche Conſuln hat ſich das deutſche Volk ge¬21 waͤhlt! Goethe der angſtvoller als eine Maus, beim leiſeſten Geraͤuſche ſich in die Erde hin¬ einwuͤhlt, und Luft, Licht, Freiheit, ja des Le¬ bens Breite, wonach ſich ſelbſt die todtgeſchaffe¬ nen Steine ſehnen alles, alles hingiebt, um nur in ſeinem Loche ungeſtoͤrt am geſtohlenen Speckfaden knuppern zu koͤnnen und Schil¬ ler, der edler aber gleich muthlos, ſich vor Tyrannei hinter Wolkendunſt verſteckt, und oben bei den Goͤttern vergebens um Huͤlfe fleht, und von der Sonne geblendet die Erde nicht mehr ſieht, und die Menſchen vergißt, denen er Ret¬ tung bringen wollte. Und ſo ohne Fuͤhrer, ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Be¬ ſchuͤtzer wird das ungluͤckliche Land eine Beute der Koͤnige und das Volk der Spott der Voͤlker.

Fragen Sie mich ſo oft Sie wollen nach dem Straßenkothe; aber fragen Sie mich nie nach der franzoͤſiſchen Politik. Es iſt ein gar22 zu ſchmutziges Ding. Voriges Jahr ſagte ich: Der Koͤnig iſt verlohren; jetzt ſage ich: Frank¬ reich iſt verlohren. Wenn nicht der Senator *** oder ſonſt ſo ein frankfurter Philiſter, beſſer Frankreich regierte als das Miniſte¬ rium, will ich ein Schurke ſeyn. Gelobt wird auch die Regierung von allen fremden Kabinetten wie ein Kind, das ſich artig aufge¬ fuͤhrt. Es iſt eine Schmach! und ſtolz ſind ſie auf dieſes Lob es iſt Wahnſinn. Der Koͤnig wohnt jetzt in den Tuillerien. Er woll¬ te es ſich bequem machen, er iſt jetzt dem Place Louis XV. etwas naͤher, als im Palais Royal.

In Berlin iſt ein junger Referendarius zu einjaͤhriger Feſtungsſtrafe verurtheilt worden, weil er mehrere Artikel, die im Meſſager uͤber die preußiſche Regierung geſtanden, ins Deutſche uͤberſetzt und einigen Freunden zu leſen gegeben hatte. Das Urtheil lautet: weil er verſucht23 Mißvergnuͤgen gegen die Regierung zu erregen. Jetzt iſt es ſogar ein Verbrechen, wenn Einem die Regierung kein Vergnuͤgen macht! Da muͤßte man die Regierungen zuerſt einſperren, denn dieſe verbreiten am meiſten Mißvergnuͤgen gegen ſich ſelbſt. Alles gehet zuruͤck, theure Freundin. Der Jammer iſt nur, daß wir nicht mit zuruͤckgehen, und wieder jung und dumm werden. Adieu, ich gehe in's Louvre. Ich ſtu¬ diere jetzt Gemaͤlde und Thiere. Vorgeſtern im Jardin des Plantes war ich ganz verlohren in dem Anblicken der herrlichen Loͤwen. Der Eine hat ein junges Huͤndchen zum Zeitvertreibe in ſeinem Kaͤfig. Der Loͤwe ſchlief, das arme Huͤndchen ſaß in dem entfernteſten Winkel, be¬ trachtete den Loͤwen mit unverwandten Blicken, ruͤhrte ſich nicht und ſah betruͤbt aber unterwuͤr¬ fig aus. Es war ein ruͤhrendes Bild der Wil¬ lenloſigkeit, wie der Loͤwe ein ſchreckliches der Willkuͤhr. Ich wuͤnſchte Loͤwe oder Huͤndchen24 zu ſeyn; aber ſo in der Mitte ſtehen, den Stolz des Loͤwens und die Schwaͤche des Huͤndchens das iſt die Langeweile.

25

Tag - und Jahrs-Hefte als Ergaͤnzung meiner ſonſtigen Bekenntniſſe, von 1789 bis 1806. (Goethes Werke 31ſter Band.)

Der Geiſt naͤhert ſich der wirklichen, wahrhaften Natur, durch Gelegenheits-Ge¬ dichte. Wie Einen Gelegenheits-Gedichte zur wahrhaften Natur fuͤhren koͤnnen, begrei¬ fe ich nicht, Goethe muͤßte denn auch die Liebe zu den Gelegenheiten rechnen was ihm leicht zuzutrauen iſt. Aber wer ein ſo wetterwendiſches Herz hat, daß ihn die Ge¬ legenheit leicht in ihre Kreiſe fortzieht, wenn die Gelegenheit das Herz nicht bricht, der2*26hat die Dichtkunſt gefunden, geſtohlen, erwor¬ ben vielleicht mit ſeiner Haͤndearbeit, geſchenkt wurde ſie ihm nie.

1789.

Kaum hatte ſich Goethe nach ſeiner Ruͤck¬ kehr aus Italien in die Weimariſchen Ver¬ haͤltniſſe wieder eingeſponnen, als die Revo¬ lution losbrach. Schon im Jahre 1785 hatte die Halsbandgeſchichte einen unausſprech¬ lichen Eindruck auf mich gemacht. In dem unſittlichen Stadt -, Hof - und Staatsab¬ grunde, der ſich hier eroͤffnete, erſchienen mir die graͤulichſten Folgen geſpenſterhaft, de¬ ren Erſcheinung ich geraumere Zeit nicht los¬ werden konnte; wobei ich mich ſo ſeltſam be¬ nahm, daß Freunde, unter denen ich mich eben auf dem Lande aufhielt, als die erſte Nachricht hievon zu uns gelangte, mir nur ſpaͤt, als die Revolution laͤngſt ausgebrochen27 war, geſtanden, daß ich ihnen damals wie wahnſinnig vorgekommen ſei. Ich verfolgte den Prozeß mit großer Aufmerkſamkeit, be¬ muͤhete mich in Sicilien um Nachrichten von Caglioſtro und ſeiner Familie, und verwan¬ delte zuletzt, nach gewohnter Weiſe, um alte Betrachtungen los zu werden, das ganze Ereigniß unter dem Titel: der Groß - Cophta, in eine Oper, wozu der Gegen¬ ſtand vielleicht beſſer als zu einem Schau¬ ſpiele getaugt haͤtte. Die Ausbruͤche der Revolution zu einer Oper begeiſtert! Wer je¬ des Gefuͤhl, ſobald es ihm Schmerzen verur¬ ſacht, gleich ausziehen laͤßt wie einen hohlen Zahn, den wird freilich nichts in ſeinem Schlafe ſtoͤren; aber mit Gefuͤhlloſigkeit, mit einer hohlen Seele, iſt der Schlaf doch et¬ was zu theuer bezahlt!

O welch 'ein Klein-Cophta! Statt in der Hofgeſchichte eine Weltgeſchichte zu ſehen,28 ſieht er in der Weltgeſchichte eine Hofge¬ ſchichte. Und wie ihn ſeine Philiſter-Ehr¬ furcht vor den Großen wie blind und taub, ſo auch ſtumm gemacht. Den Cardinal Ro¬ han verwandelt er in einen Domherrn. Die Koͤnigin in eine unvermaͤhlte Dame! Es iſt gar kein Sinn in dieſer Geſchichte, ſo darge¬ ſtellt. Aber Caglioſtro! Es iſt nicht zu leugnen, daß ihn Goethe mit Freundſchaft be¬ handelt. Es war Dankbarkeit. Einem mo¬ raliſchen Gourmand wie Goethe mußte Cag¬ lioſtro's Lehre, die er im hoͤchſten Grade ſei¬ ner Myſterien, nach langer, langer Pruͤfung, endlich dem Eingeweiheten offenbarte die Lehre: Was du willſt, das die Menſchen fuͤr dich thun ſollen, das thue fuͤr ſie nicht, dieſe Lehre des Anti-Chriſts mußte wohl einem Goethe munden.

29

1790.

Kehrte mit der Fuͤrſtin Amalie von ſei¬ ner zweiten Reiſe in Italien zuruͤck. Kaum nach Hauſe gelangt, ward ich nach Schleſien beordert, wo eine bewaffnete Stellung zweyer großen Maͤchte den Congreß von Reichen¬ bach beguͤnſtigte. Erſt gaben Cantonierungs¬ quartiere Gelegenheit zu einigen Epigram¬ men ... In Breslau hingegen, wo ein ſoldatiſcher Hof und zugleich der Adel einer der erſten Provinzen des Koͤnigreichs glaͤnzte, wo man die ſchoͤnſten Regimenter ununter¬ brochen marſchiren und manoͤvriren ſah, be¬ ſchaͤftigte mich unaufhoͤrlich, ſo widerlich es auch klingen mag, die vergleichende Ana¬ tomie, weßhalb mitten in der bewegteſten Welt ich als Einſiedler in mir ſelbſt abge¬ ſchloſſen lebte. Dieſer Theil des Naturſtu¬ diums war ſonderbarlich angeregt worden. 30 Als ich nehmlich auf den Duͤnen des Liedo, welche die venezianiſchen Lagunen von dem adriatiſchen Meere ſondern, mich oftmals er¬ ging, fand ich einen ſo gluͤcklich geborſtenen Schafſchaͤdel, der mir ... jene große fruͤher von mir erkannte Wahrheit: die ſaͤmmtlichen Schaͤdelknochen ſeyen aus verwandelten Wir¬ belknochen entſtanden, abermals bethaͤtigte ....

Was? Goͤthe ein reich begabter Menſch, ein Dichter; damals in den ſchoͤnſten Jahren des Lebens, wo der Juͤngling neben dem Manne ſteht, wo der Baum der Erkenntniß zugleich mit Bluͤthen und mit Fruͤchten pran¬ get er war im Kriegsrathe, er war im Lager der Titanen, da, wo vor vierzig Jah¬ ren der zwar freche, doch erhabene Kampf der Koͤnige gegen die Voͤlker begann und zu nichts begeiſterte ihn dieſes Schauſpiel, zu keiner Liebe, zu keinem Haſſe, zu keinem Ge¬ bete, zu keiner Verwuͤnſchung, zu gar nichts31 trieb es ihn an, als zu einigen Stachelgedich¬ ten, ſo werthlos, nach ſeiner eigenen Schaͤ¬ tzung, daß er ſie nicht einmal aufbewahrte, ſie dem Leſer mitzutheilen? Und als die praͤchtigſten Regimenter, die ſchoͤnſten Officiere an ihm voruͤberzogen, da gleich der jun¬ gen blaſſen Frau eines alten Mannes bot ſich ſeinem Beobachtungsgeiſte kein ande¬ rer, kein beſſerer Stoff der Betrachtung dar, als die vergleichende Anatomie? Und als er in Venedig am Ufer des Meeres luſtwandelte Venedig, ein gebautes Maͤhrchen aus Tauſend und einer Nacht; wo alles toͤnt und funkelt: Natur und Kunſt, Menſch und Staat, Vergangenheit und Gegenwart, Freiheit und Herrſchaft; wo ſelbſt Tyrannei und Mord nur wie Ketten in einer ſchauerlichen Ballade klir¬ ren; die Seufzer-Bruͤcke, die Zehen-Maͤnner; es ſind Scenen aus dem fabelhaften Tartarus Venedig, wohin ich ſehnſuchtsvolle Blicke32 wende, doch nicht wage ihm nahe zu kommen, denn die Schlange oͤſterreichiſche Poli¬ zei liegt davor gelagert, und ſchreckt mich mit giftigen Augen zuruͤck dort, die Son¬ ne war untergegangen, das Abendroth uͤber¬ flutete Meer und Land, und die Purpurwel¬ len des Lichtes ſchlugen uͤber den felſigen Mann und verklaͤrten den ewig Grauen und vielleicht kam Werthers Geiſt uͤber ihn, und dann fuͤhlte er, daß er noch ein Herz habe, daß es eine Menſchheit gebe um ihn, einen Gott uͤber ihm, und dann erſchrak er wohl uͤber den Schlag ſeines Herzens, ent¬ ſetzte ſich uͤber den Geiſt ſeiner geſtorbenen Jugend; die Haare ſtanden ihm zu Berge, und da, in ſeiner Todesangſt, nach gewohn¬ ter Weiſe, um alle Betrachtungen loszuwer¬ den verkroch er ſich in einen ge¬ borſtenen Schafs-Schaͤdel und hielt ſich da verſteckt, bis wieder Nacht und Kuͤhle33 uͤber ſein Herz gekommen! Und den Mann ſoll ich verehren? Den ſoll ich lieben? Eher werfe ich mich vor Fitzli-Putzli in den Staub; eher will ich Dalai-Lama's Speichel koſten. Haͤtte Deutſchland, ja haͤtte die ganze Welt nur zwei Dichter, nur zwei Brunnen, ohne die das Herz verſchmachten muͤßte in der Sandwuͤſte des Lebens nur Kotzebue und Goethe Tauſendmal lieber labte ich mei¬ nen Durſt mit Kotzebue's warmer Thraͤnen - Suppe, die mich doch wenigſtens ſchwitzen macht, als mit Goethe's gefrorenem Weine, der nur in den Kopf ſteigt, und dort hinauf alles Leben pumpt.

1792.

In der Mitte des Sommers ward ich abermals ins Feld berufen, dießmal zu ern¬ ſteren Scenen. Ich eilte uͤber Frankfurt,III. 334 Mainz, Trier und Luxemburg nach Longwi, welches ich den 28. Auguſt (Goethe's Ge¬ burtstag das vergißt er nie) ſchon ein¬ genommen fand; von da zog ich mit bis Valmy, ſo wie auch zuruͤck bis Trier; ſo¬ dann, um die unendliche Verwirrung der Heerſtraße zu vermeiden, die Moſel hinab nach Koblenz, Mannheim. Naturerfahrun¬ gen ſchlangen ſich, fuͤr den Aufmerkſamen, durch die bewegten Kriegsereigniſſe. Einige Theile von Fiſchers phiſikaliſchen Woͤrter¬ buche begleiteten mich; manche Langeweile, ſtockende Tage betrog ich durch fortgeſetzte chromatiſche Arbeiten ... Kein Wort uͤber die Kriegsereigniſſe! Intereſſirt ihn auch die Politik nicht, konnte ihn doch als Dichter und Beobachter das Kriegsleben, dem es an beliebter plaſtiſcher Dickleibigkeit gewiß nicht fehlt, Stoff zu Wahrnehmungen und kuͤnſt¬ leriſchen Darſtellungen geben. Aber die ehr¬35 furchtsvolle Scheu, von hoͤchſten und allerhoͤch¬ ſten Perſonen und ihren hoͤchſten und aller¬ hoͤchſten Dummheiten zu reden, laͤßt ihn noch nach vierzig Jahren verſtummen.

1793.

Waͤhrend der Blockade von Mainz, der er bis zum Ende der Belagerung beiwohnte, beſchaͤftigte er ſich mit Reinecke Fuchs und uͤbte ſich im Hexameter. Warum ſagt er nicht, was er zu jener Zeit ſo oft im Haupt¬ quartier gemacht? Hat er vielleicht an der Abfaſſung des beruͤhmten Manifeſts des Her¬ zogs von Braunſchweig Theil gehabt? Auch fuhr er fort am Rhein unter freiem Himmel die Farbenlehre zu treiben.

Und ſo hielt ich, fuͤr meine Perſon we¬ nigſtens, mich immer feſt an dieſe Studien, wie an einem Balken im Schiffbruch; denn3*36 ich hatte nun zwei Jahre unmittelbar und perſoͤnlich das fuͤrchterliche Zuſammenbrechen aller Verhaͤltniſſe erlebet.

Einem thaͤtigen, productiven Geiſte, ei¬ nem wahrhaft vaterlaͤndiſch geſinnten, und einheimiſche Literatur befoͤrdernden Manne wird man es zu Gute halten, wenn ihn der Umſturz alles Vorhandenen ſchreckt, ohne daß die mindeſte Ahndung zu ihm ſprach, was denn beſſeres, ja nur anderes daraus erfol¬ gen ſolle. Man wird ihm beiſtimmen, wenn es ihn verdrießt, daß dergleichen Influenzen ſich nach Deutſchland erſtrecken, (die franzoͤ¬ ſiſche Revolution eine verdriesliche Ge¬ ſchichte!) und verruͤckte, ja unwuͤrdige Per¬ ſonen das Heft ergreifen. In dieſem Sin¬ ne war der Buͤrgergeneral geſchrieben, ingleichen die Aufgeregten entworfen, ſo¬ dann die Unterhaltungen der Ausge¬ wanderten.

37

Der Buͤrgergeneral ward gegen Ende von 1793 in Weimar aufgefuͤhrt, aber die Ur¬ bilder dieſer luſtigen Geſpenſter waren zu furchtbar, als daß nicht ſelbſt die Scheinbil¬ der haͤtten beaͤngſtigen ſollen.

Nun wahrhaftig, die in Weimar muͤſſen unerhoͤrt ſchwache Nerven gehabt haben, wenn ſie dies Scheinbild der franzoͤſiſchen Revolu¬ tion, das Goethe im erwaͤhnten Luſtſpiele dar¬ ſtellt, in Angſt verſetzt hat. Ich glaube es aber nimmermehr. Sie werden ſich wohl bei der Auffuͤhrung jener Poſſen eben ſo gelang¬ weilt haben, als ich es beim Leſen gethan, mit dem ich ſo eben fertig geworden; und Goethe ſchrieb das Gaͤhnen ſtatt der Lange¬ weile den Vapeurs zu. Des Buͤrgergene¬ rals großer Inhalt iſt folgender: Gevatter Schnaps, ein Dorfbarbier, ließ ſich wei߬ machen: Zu den Jacobinern in Paris, welche alle geſcheide Leute in allen Laͤndern aufſuch¬38 ten, an ſich zoͤgen und benutzten, waͤre ſein Ruf erſchollen, und ſeit einem halben Jahre gaͤben ſie ſich alle erdenkliche Muͤhe, ihn fuͤr die Sache der Freiheit und Gleichheit zu ge¬ winnen. Man kenne in Paris ſeinen Ver¬ ſtand und ſeine Geſchicklichkeit. Ein Spaßvo¬ gel, der ſich fuͤr einen Abgeſandten der Jaco¬ biner ausgiebt, ernennt den Barbier zum Buͤr¬ gergeneral und beauftragt ihn, in ſeinem Dor¬ fe die Revolution anzufangen. Man giebt ihm eine Freiheitsmuͤtze, Saͤbel, Uniform und ei¬ nen falſchen Schnurrbart. Die ganze Frei¬ heits-Komoͤdie geht aber darauf hinaus, den Bauer Martin um einen Topf Milch zu prellen. Und in dieſe alberne Milchſuppen¬ geſchichte wollte Goethe den Weimaranern ei¬ nen Abſcheu vor der franzoͤſiſchen Revolution einbrocken! Und die Weimarer ſollen wirklich Kraͤmpfe davon bekommen haben! Es iſt nicht moͤglich.

39

Noch laͤcherlicher iſt das Luſtſpiel die Aufgeregten. Auch in dieſem dramati¬ ſchen Bilde wollte Goethe die Graͤuel der franzoͤſiſchen Revolution darſtellen, um die Deutſchen vor Freiheitsſchwindel zu bewahren. Nun leſe man die Folgen, welche das un¬ gluͤckſelige Revolutionsfieber in einem Doͤrf¬ chen gehabt. Erſte Folge. Louiſe ſagt: ſie habe vergangenen Winter ein Paar Struͤm¬ pfe mehr geſtrickt, weil ihr Vater, der Bar¬ bier, ihr Muße dazu gegeben, da er wegen der Zeitungen ſpaͤter nach Hauſe gekommen. Zweite Folge. Das Kind der Graͤfin faͤllt ſich ein Loch in den Kopf, weil ſein Hofmei¬ ſter, der die Zeitungen las, nicht auf das¬ ſelbe Acht gegeben. Und das iſt Alles! Die Berliner freilich werden manches in dieſem Drama ſehen, was einem kurzſichtigen Suͤd¬ deutſchen entgeht. Sie haben einen Herſchel¬ ſchen Goͤthoſkop wir nur unſere Augen.

40

1794.

Man ſendete mir aus dem ſuͤdlichen und weſtlichen Deutſchland Schatzkaͤſtchen, Spar¬ thaler, Koſtbarkeiten mancher Art, zum treuen Aufbewahren, die mich als Zeugniß großen Zutrauens erfreuten, waͤhrend ſie mir als Beweiſe einer beaͤngſtigten Nation traurig vor Augen ſtanden.

Guter Gott, welche Gewichte ſind es, die den zentnerſchweren Haß Goethes gegen die franzoͤſiſche Revolution bildeten! Seine liebe Mutter in Frankfurt hatte ein bequemes Haus mit ſchoͤnen Moͤbeln, mit wohlverſorgtem Kel¬ ler, mit Buͤchern, Kupferſtichen und Landkar¬ ten. Durch die Feindſeligkeiten der Franzoſen geaͤngſtigt, wollte die Mutter ihren Beſitz ver¬ aͤußern, ſich eine Wohnung miethen; aber eben wegen der unruhigen Zeiten wurden unvor¬ theilhafte Kaufantraͤge gemacht; das Berathen41 mit Freunden und Maͤklern war von unendli¬ cher Verdrießlichkeit. Und das der Schmerz eines Dichters! Iſt der ein Mann des Jahr¬ hunderts, der mit ſolchem Herzen einer Ein¬ tagsfliege die Welt umfaßt?

Er erzaͤhlt, wie er ſich uͤber Fichte's Lehr¬ weiſe in Jena entſetzte, daran verbrannte; wie Fichte ſich in ſeinen Schriften nicht ganz ge¬ hoͤrig uͤber die wichtigſten Sitten - und Staats¬ gegenſtaͤnde erklaͤrt habe. Wie uns deſſen Aeußerungen uͤber Gott und goͤttliche Dinge, uͤber die man freilich beſſer ein tie¬ fes Stillſchweigen beobachtet, von au¬ ßen beſchwerende Anregungen zugezogen.

1795.

Mit Kapellmeiſter Reichardt zerfiel er, mit dem er, ungeachtet ſeiner vor - und zudring¬ lichen Natur, in Ruͤckſicht ſeines bedeutenden Talents in gutem Vernehmen geſtanden; er42 war der Erſte, der mit Ernſt und Staͤtig¬ keit meine lyriſchen Arbeiten durch Muſik ins Allgemeine foͤrderte .... ohnehin lag es in meiner Art, aus herkoͤmmlicher Dankbarkeit unbequeme Menſchen fortzudulden, wenn ſie mir es nur nicht gar zu arg machen, als¬ dann aber meiſt mit Ungeſtuͤm ein ſolches Verhaͤltniß abzubrechen. Nun hatte ſich Rei¬ chardt mit Wuth und Ingrimm in die Revo¬ lution geworfen; ich aber, die graͤulichen un¬ aufhaltſamen Folgen ſolcher gewaltthaͤtig auf¬ geloͤſten Zuſtaͤnde mit Augen ſchauend und zugleich ein aͤhnliches Geheimtreiben im Va¬ terlande durch und durch blickend, hielt ein¬ fuͤr allemal am Beſtehenden feſt, an deſſen Verbeſſerung, Belebung und Richtung zum Sinnigen, Verſtaͤndigen, ich mein Lebenlang bewußt und unbewußt gewirkt hatte, und konnte und wollte dieſe Geſinnung nicht ver¬ hehlen.

43

Goethe, wie alle Grenz-Menſchen das Stadtthor ſeiner Welt, ſie ſchließend, vertheidi¬ gend. Die Gemeinde erweitert ſich, das Thor wird niedergeriſſen oder uͤberbauet und dient zum Durchgange wie fruͤher zur Abwehr.

Reichardt war von der muſikaliſchen Seite unſer Freund, von der politiſchen unſer Wider¬ ſacher, daher ſich im Stillen ein Bruch vor¬ bereitete, der zuletzt unaufhaltſam an den Tag kam.

Ich kannte Reichardt etwas. Er war ein Preuße, das heißt ein Windbeutel. Wo er ſich befand, entſtand gleich ein Luftzug, ſelbſt im verſchloſſenſten Zimmer. Er hatte bewegliche Gefuͤhle, doch er fuͤhlte; man konnte ihn her¬ beiziehen und wegſchieben. Er ſtand nicht, gleich Goethe, wie eine Mauer im Leben da, die, wenn auch mit Obſtſpalieren bedeckt und ver¬ ziert, doch unbeweglich, undurchſichtig bleibt, uns die Ausſicht verſteckt, und uns zu einem44 Umwege noͤthigt, ſo oft wir in Gottes freie Welt gehen oder ſehen wollen. Und naiv iſt Goethe! Er geſteht, er habe Reichardt lieb ge¬ habt, ſo lang er ihm nuͤtzlich geweſen, indem er durch Compoſitionen ſeiner Lieder dieſe ver¬ breiten half; den Reichardt außer Dienſten aber habe er gehaßt. Das iſt ſachdenklich!

1799.

Entwurf der natuͤrlichen Tochter. In dem Plane bereitete ich mir ein Gefaͤß, worin ich alles, was ich ſo manches Jahr uͤber fran¬ zoͤſiſche Revolution und deren Folgen geſchrieben und gedacht, mit geziemendem Ernſte niederzu¬ legen hoffte. Ich will dieſe natuͤrliche Tochter, dieſes vieljaͤhrige Werk geziemenden Ernſtes wieder einmal leſen; aber jetzt nicht, nicht in dieſen rauhen Herbſttagen. Im naͤchſten Som¬ mer, im Juli, in den Tagen, wo man Ge¬ frornes liebt.

45

1800.

Der Propylaͤen drittes und letztes Stuͤck ward bei erſchwerter Fortſetzung gegeben. Wie ſich boͤsartige Menſchen dieſem Unternehmen ent¬ gegengeſtellt, ſollte wohl zum Troſte unſerer Enkel, denen es auch nicht beſſer gehen wird, gelegentlich naͤher bezeichnet werden.

Nun, warum bezeichnet er es nicht naͤher? Warum? Darauf iſt leicht die Antwort gege¬ ben. Goethe beſann ſich, daß etwas zum Troſte der Enkel zu ſagen, wie jede Menſchenfreund¬ lichkeit, nebuliſtiſcher Natur und eines ſo realen Mannes, wie er, ganz unwuͤrdig ſey.

1802.

Goethes Geſinnung uͤber Preßfreiheit ſpricht ſich hier gelegentlich aus. Schlegels Jon kam zur Auffuͤhrung und ſchon am Abende der Vor¬46 ſtellung trat ein Oppoſitions-Verſuch unbe¬ ſcheiden hervor; in den Zwiſchenacten fluͤſterte man von allerlei Tadelnswuͤrdigem, wozu denn die freilich etwas bedenkliche Stellung der Mutter erwuͤnſchten Anlaß gab. Ein ſowohl den Autor als die Intendanz angreifender Auf¬ ſatz war in das Mode-Journal projectirt, aber ernſt und kraͤftig zuruͤckgewieſen; denn es war noch nicht Grundſatz, daß in demſelbigen Staat, in derſelbigen Stadt es irgend einem Glied erlaubt ſey, das zu zerſtoͤren, was an¬ dere kurz vorher aufgebauet hatten.

1803.

Nichts laͤcherlicheres, als bald der ernſte duͤrre Ton, bald die breite kunſtſchmauſende Behaglichkeit, mit welchen Goethe in dieſem ſei¬ nen Buͤchelchen uͤber das kleinſtaͤdtiſche Hof - und buͤrgerliche Stadtbauweſen in Weimar ſich47 ſo oft auslaͤßt. Was der Kunſtfreund an ſol¬ cher Puppen-Architektur ſo Erquickliches finden mochte, daß er noch nach vielen Jahren ſich damit beſchaͤftigt, waͤre ganz unerklaͤrlich, wenn man Goethes Charakter nicht kennte. Des Le¬ bens Behaglichkeit war ihm das Leben ſelbſt. Darum iſt ihm nichts klein, was dieſen Kreis beruͤhrte, darum iſt ihm alles klein, was von dieſem Kreiſe ablag.

1805.

Und in dieſem Buͤchelchen auch, wie in den groͤßten und bedeutendſten Werken Goethes, trat mir was mich immer beleidigt, halb laͤcherlich, halb aͤrgerlich entgegen. Zuvoͤrderſt die hollaͤndi¬ ſche Reinlichkeit des Styls, die jeden Zim¬ merboden mit gekraͤuſelten Sande bedeckt, und oft die Baͤume vor den Haͤuſern mit Oelfarbe anſtreicht. Dann die aufgenoͤthigte Ruhe, das Bleigewicht, das Goethe an jede Empfindung,48 jeden Gedanken ſeiner Leſer haͤngt. Endlich die tyranniſche Ordnung, die Geiſt und Herz nach dem Takte eines Melzel'ſchen Metronomen ſich bewegen heißt.

1806.

Man dachte daran, Oehlenſchlaͤgers Tragoͤdie Hakon Jarl auf die Weimariſche Buͤhne zu bringen, und ſchon war alles dazu vorbereitet. Allein ſpaͤterhin ſchien es bedenklich, zu einer Zeit, da mit Kronen im Ernſt geſpielt wurde, mit dieſer heiligen Zierde ſich ſcherzhaft zu ge¬ baͤrden.

Denkwuͤrdigkeiten, die Goethe von dieſem wichtigen Tage bemerkt. Am 30. Januar der Geburtstag unſerer Großher¬ zogin, und wie das Trompeter-Chor eines Preu¬ ßiſchen Regiments in dem Theater Proben ſei¬ ner außerordentlichen Geſchicklichkeit gegeben. Theater-Repertoir geſchenkte Zeichnungen49 und andere Kunſtnachrichten. Vollſtaͤndiges Verzeichniß der von Goethe durch Gefaͤlligkeit erworbenen Kunſtgegenſtaͤnde. Reiſe nach Carlsbad und dort genoſſene Kupferſammlungen. Farbenlehre. Bei jeder Gefahr haͤlt Goethe ein Prisma vor die Augen, um jene nicht zu ſehen, und ſonderbar genug verſteckt er ſich vor dem Lichte hinter Farben. In Carlsbad: Fuͤrſt Reuß XIII., der mir immer ein gnaͤdiger Herr geweſen, befand ſich daſelbſt, und war geneigt, mir mit diplomatiſcher Gewandtheit das Unheil zu entfalten, das unſern Zuſtand bedrohte. Mineralien.

Ueber eine paͤdagogiſch-militairiſche An¬ ſtalt bei der franzoͤſiſchen Armee gab uns ein trefflicher aus Baiern kommender Geiſtli¬ cher genaue Nachricht. Es werde nehmlich von Offizieren und Unteroffizieren am Sonn¬ tage eine Art von Katechiſation gehalten, wor¬ in der Soldat uͤber ſeine Pflichten ſowohlIII. 450 als auch uͤber ein gewiſſes Erkennen, ſo weit es ihn in ſeinem Kreiſe foͤrderte, belehrt wer¬ de. Man ſah wohl, daß die Abſicht war, durchaus kluge und gewandte, ſich ſelbſt ver¬ trauende Menſchen zu bilden; dieß aber ſetzte freilich voraus, daß der ſie anfuͤhrende große Geiſt demungeachtet uͤber jeden und alle her¬ vorragend blieb und von Raiſonneurs nichts zu fuͤrchten hatte. Daß man ja nicht denke, indem er ſolche Schulen lobend erwaͤhnt, er ſey der Meinung, daß man aus einem Sol¬ daten einen denkenden Menſchen machen ſollte. Der Unterricht iſt nur das Oel, womit man das Rad einer Maſchine ſchmieret, daß dieſe beſſer gehe. Raiſonniren ſoll das Rad nicht, ſondern nur geſchmeidiger werden, um der len¬ kenden Hand zu folgen.

Die praͤgnante Unterhaltung mit meinem Fuͤrſten im Hauptquartier zu Niederrosla moͤchte ſchwer auszuſprechen ſeyn.

51

Und als beim Herankommen des Ungewit¬ ters Jedermann aͤngſtlich einen Schlupfwinkel ſuchte, rief Goethe, als man eben die erſten Lerchen ſpeiſte, aus: Nun, wenn der Himmel einfaͤllt, ſo werden ihrer viele gefangen werden.

1807.

Schrieb in Carlsbad eine kleine mineralo¬ giſche Abhandlung. Ehe der kleine Aufſatz nun abgedruckt werden konnte, mußte die Billigung der obern Prager Behoͤrde eingeholt werden, und ſo hatte ich das Vergnuͤgen, auf einem meiner Manuſcripte das visa der Pra¬ ger Cenſur zu erblicken.

In Carlsbad erwieß ihm die Fuͤrſtin Solms ein gnaͤdiges Wohlwollen.

1808.

Bekennt, daß er ſeit einigen Jah¬ ren keine Zeitungen geleſen. Nach4 *52Carlsbad aber nahm er die Jahrgaͤnge 1805 bis 1807 der allgemeinen Zeitung mit, ein Blatt, das er wegen ſeiner klugen Redar¬ tation noch leiden mag.

Schrieb ein Gedicht zu Ehren und Freu¬ den der Frau Erbprinzeſſin von Heſſen-Caſſel.

1810.

Die Gegenwart der Kaiſerin von Oeſter¬ reich Majeſtaͤt in Carlsbad, rief gleich ange¬ nehme Pflichten hervor, und manches andere kleine Gedicht entwickelte ſich im Stillen.

1811.

Er und andere gingen nach Wehnditz, ei¬ nem Dorfe bei Carlsbad, und tranken Ungar¬ wein. Man trug ſich uͤber eine ſolche Wall¬ fahrt mit folgender Anekdote: Drey bejahr¬ te Maͤnner gingen nach Wehnditz zum Weine!

53
Obrist Otto, alt ...87 Jahr
Reimſchneider Muͤller.84
Ein Erfurter ...82
253 Jahre.

Sie zechten wacker, und nur der letzte zeigte beim Nachhauſegehen einige Spuren von Beſpitzung; die beiden andern griffen dem Juͤn¬ gern unter die Arme, und brachten ihn gluͤck¬ lich zuruͤck in ſeine Wohnung.

1813.

Durch die Kriegsereigniſſe geaͤngſtigt ſuchte er Ruhe, indem er ſich mit ernſtlichſtem Stu¬ dium dem chineſiſchen Reiche widmete.

Hier muß ich noch einer Eigenthuͤmlichkeit meiner Handlungsweiſe gedenken. Wie ſich in der politiſchen Welt irgend ein ungeheures Bedrohliches hervorthat, ſo warf ich mich ei¬ genſinnig auf das entfernteſte.

54

Unter den kleinen Bemerkungen uͤber die Ereigniſſe des Tages findet ſich: Die Frei¬ willigen betragen ſich unartig und nehmen nicht fuͤr ſich ein.

1816.

Man verzeiht Goethe faſt die kindiſche Auf¬ regung, in welche ihn jeder Widerſpruch ſeiner Farbenlehre verſetzt, weil er doch da einmal aus ſeinem engen Egoismus, wenn auch auf verbotenem Wege, heraustritt, weil ihn doch da einmal das Urtheil der Menſchen kuͤmmert. Profeſſor Pfaff ſandte mir ſein Werk gegen die Farbenlehre, nach einer den Deutſchen an¬ gebohrenen unartigen Zudringlichkeit. Das kann doch den Deutſchen wahrlich ihr aͤrgſter Feind nicht nachſagen, daß ſie unartig zudring¬ lich waͤren. Nur zu ſchuͤchtern und artig ſind ſie! Goethe legte das Buch ungeleſen bei Seite!

55

Goethe war vergnuͤgt und wie in Baum¬ wolle gehuͤllt, als ihn ein Donner aufſchreckte. Ein ſolcher innerer Friede ward durch den aͤußern Frieden der Welt beguͤnſtigt, als nach ausgeſprochener Preßfreiheit die Ankuͤndigung der Iſis erſchien, und jeder wohldenkende Weltkenner die leicht zu berechnenden weitern Folgen mit Schrecken und Bedauern voraus¬ ſah.

1817.

Ein Symbol der Souverainitaͤt ward uns Weimaranern durch die Feierlichkeit, als der Großherzog von Thorn dem Fuͤrſten von Thurn und Taxis, in ſeinem Abgeordneten, mit dem Poſtregal belieh, wobei wir ſaͤmmtlichen Diener in geziemendem Schmuck, nach Rangsgebuͤhr erſchienen.

Zu jener Zeit ſtudirten in Jena und Leip¬ zig viele junge Griechen. Der Wunſch, ſich56 beſonders deutſche Bildung anzueignen, war bei ihnen hoͤchſt lebhaft, ſo wie das Verlan¬ gen, allen ſolchen Gewinn dereinſt zur Auf¬ klaͤrung, zum Heil ihres Vaterlandes zu ver¬ wenden. Ihr Fleiß glich ihrem Beſtreben; nur war zu bemerken, daß ſie, was den Hauptſinn des Lebens betraf, mehr von Wor¬ ten als von klaren Begriffen regiert werden!

Papadopulos, der mich in Jena oͤfters beſuchte, ruͤhmte mir einſt im jugendlichen Enthuſiasmus den Lehrvortrag ſeines philoſo¬ phiſchen Meiſters. Es klingt, rief er aus, ſo herrlich, wenn der vortreffliche Mann von Tugend, Freiheit und Vaterland ſpricht. Als ich mich aber erkundigte, was denn dieſer vortreffliche Lehrer eigentlich von Tugend, Freiheit und Vaterland vermelde, erhielt ich zur Antwort: Das koͤnne er ſo eigentlich nicht ſagen, aber Wort und Ton klaͤngen ihm ſtets vor der Seele nach: Tu¬57 gend, Freiheit und Vaterland. Gott welch 'ein Spott! Die Griechen haben es wohl ge¬ zeigt, was ſie darunter verſtehen, wenn auch der edle Juͤngling Tugend, Freiheit und Vater¬ land nach Goethes duͤrrer Weiſe nicht zu ſchematiſiren verſtand.

Hierauf ward mir das unerwartete Gluͤck, Ihro des Großfuͤrſten Nicolaus und Gemah¬ lin Alexanders Kaiſerliche Hoheit, im Gebiet unſerer gnaͤdigſten Herrſchaften bei mir im Haus und Garten zu verehren. Der Frau Großfuͤrſtin Kaiſerliche Hoheit vergoͤnnten eini¬ ge poetiſche Zeilen in das zierlich praͤchtige Album verehrend einzuzeichnen. Das ſchrieb er in ſeinem 71ſten Jahre. Welche Jugend¬ kraft!

58

Vierter Brief.

Dieſe Woche war wieder ſehr reich an Begebenheiten: die Verwerfung der Reform - Bill in England, und die abgeſchaffte Erblich¬ keit der Pairs in Frankreich. Dort hat die Ariſtokratie geſiegt, hier hat ſie eine Niederlage erlitten. Es iſt eine Compenſation und es wird dabei fuͤr die gute Sache nichts gewonnen, und nichts verlohren. Der Sieg des Adels in Eng¬ land kann dort eine Revolution und die Volks¬ herrſchaft zur Folge haben; dagegen kann die59 Abſchaffung der Erblichkeit der Pairs in Frank¬ reich wieder zum Abſolutismus fuͤhren. Wenn es noch eines Anlaſſes beduͤrfte, den Haß der großen Maͤchte gegen Frankreich zu entflammen, ſo iſt er jetzt durch Herabwuͤrdigung der fran¬ zoͤſiſchen Ariſtokratie gefunden. Die Familie Von in Oeſterreich und Preußen wird ihre Ver¬ wandtſchaft raͤchen. In Deutſchland nimmt alles ſo eine ſchlechte Wendung, wie ich es vorher geſehen. Die Badiſche Kammer iſt dem Preu¬ ßiſchen Mauthſyſteme beigetreten, das heißt, es hat ſich der preußiſchen Politik unterworfen. Und alle Deputirten, die ich dieſen Sommer in Carlsruhe geſprochen, haben doch gegen dieſe verderbliche Allianz mit Preußen wie gegen Gift geeifert. Welche Menſchen! Mit ihrer Pre߬ freiheit iſt es auch nichts. Ein in Carlsruhe erſcheinendes franzoͤſiſches Blatt, ob es zwar unter Cenſur ſtand, iſt auf Antrag des Bundes¬ tags unterdruͤckt worden. Ich habe mit der60 Hoffnung auch alle Maͤßigung aufgegeben. Ich werde kuͤnftig uͤber Politik nicht mehr ſchreiben, wie ich es bis jetzt gethan. Maͤßigung wird ja doch nur fuͤr Schwaͤche angeſehen, die zum Ueber¬ muthe, und Rechtlichkeit fuͤr Dummheit, die zum Betruge auffordert. In dem erſten Ar¬ tikel meines projektirten Journals trete ich mit einer trotzigen Kriegserklaͤrung hervor. Ich ſage unter andern: In fruͤhern Zeiten hatten wir die friedliche Wage in unſrem Schilde gefuͤhrt. Gluͤhendes Gefuͤhl, unſere Liebe und unſern Zorn, unſere Hoffnung und unſere Furcht, den wilden Sturm des Herzens alles brachten wir unter Maaß, und brachten Ordnung in jede Leidenſchaft. Zwar wurden die Machtha¬ ber immer von uns verwuͤnſcht, weil ſie trotzig behaupten, das Gluͤck und die Freiheit der Welt ſey ihr Eigenthum und von ihrem guten Willen, von ihrer eigenen Schaͤtzung hinge es ab, wie viel ſie den Voͤlkern davon zuruͤckhal¬61 ten, davon uͤberlaſſen, und welchen Preis ſie dafuͤr verlangen moͤgen. Aber wir dachten: es ſey! mit Kraͤmern muß man feilſchen; da iſt Gold, da iſt die Wage. Aber ſie ſtrichen das Geld ein, und warfen hoͤhniſch das Schwert in die Schaale. Wollt Ihr's ſo? Nun es ſey auch. Schwert gegen Schwert .... Denn ſeit wir geſehen, daß der juͤngſte Koͤnig um die Gunſt der aͤlteſten Tyrannen buhlt, und die aͤlteſten Tyrannen ſelbſt den Raub einer Krone laͤchelnd verzeihen, wird nur zu¬ gleich mit der Krone die Freiheit auch geraubt ſeitdem hoffen wir nichts mehr von fried¬ licher Ausgleichung. Die Gewalt muß ent¬ ſcheiden. Beſiegen koͤnnt Ihr uns, aber taͤu¬ ſchen nicht mehr. Ich werde das Journal die Glocke nennen.

Das Wetter hier macht einem ganz ver¬ wirrt. Im October zwanzig Grad Waͤrme! Vielleicht hat der Himmel beſchloſſen, daß ſich62 die Fuͤrſten noch dieſen Herbſt die Haͤlſe bre¬ chen. Man fuͤrchtet Unruhen in England. Nach geſtern angekommenen Nachrichten hat das Volk in der Provinz das Landhaus eines Pairs abgebrannt, der gegen die Reform ge¬ ſtimmt. Wellington ſoll ſein Haus verrammelt haben. Wenn es in England Revolution giebt, werden die Alliirten uͤber Frankreich herfallen, wovon ſie bis jetzt nur die Furcht vor England abgehalten.

Ich war vor einigen Tagen zum Erſtenmale im neuen Theater des Palais-Royal, wo ei¬ nige ganz allerliebſte Stuͤcke mich ſehr unter¬ halten, und mir das ſaure Blut etwas verſuͤßt haben; beſonders that das ein Vaudeville: Le Tailleuret la Feé, ou Les chansons de Bèrenger. Berangers Großvater, ein armer Schneider, ſitzt und naͤht. Neben ihm in der Wiege flennt der kuͤnftige Dichter, der eben auf die Welt gekommen. Die herbeigeru¬63 fene Amme erſcheint, verwandelt ſich in eine Fee, und zwar in die Geſtalt der Goͤttin der Freiheit, den Spieß in der Hand, die rothe Muͤtze auf dem Kopfe. Sie gelobt dem alten Schneider, ſeinen Enkel das ſchoͤnſte Lebensloos zu ſchenken, ihn zum Freiheitsdichter zu ma¬ chen. Jetzt erſcheinen, von dem Zauberſtabe der Fee herbeigerufen, die Hauptlieder Beranger's, unter allegoriſchen Perſonen. Zuletzt wird ſeine Buͤſte bekraͤnzt. Es iſt eine vollkommene Apo¬ theoſe.

Beranger's Herkunft und Geburt ſind im Vaudeville hiſtoriſch dargeſtellt. In ſeinem Lie¬ de Le Tailleur et la Fée, erzaͤhlt der Dichter:

Dans ce Paris plein d'or et de misère,
En l'an de christ mil sept cent quatre vingt,
Chez un tailleur, mon pauvre et vieux grand père,
Moi nouveau , sachez ce qu'il m'advint.
64
Rien ne prédit la gloire d'un Orphée
A mon berceau, qui n’était pas de fleurs;
Mais mon grand pére, accourant é mes pleurs,
Me vit soudain dans les bras d'une Fée.
Et cette Fée avec de gais refrains,
Calmait le cri de mes premiers chagrins.

Es iſt etwas, das die heutige franzoͤſiſche Regierung lauter verdammt, als die Millionen der Getaͤuſchten; ſchwarze faͤrbt, als alle Ta¬ gesblaͤtter der Unzufriedenen: Beranger hat ſeit der letzten Revolution nicht ein einziges Lied geſungen. Gleich in den erſten Tagen machte ihm die boͤſe Ahndung deſſen, was kommen werde, das Herz, und bald darauf die Erfuͤllung der ſchlimmſten Be¬ ſorgniß die Zunge ſchwer. Selbſt die Hoffnung mochte ihm nicht geblieben ſeyn, die ihm doch unter dem Drucke der Zeiten, da die aͤltern Bourbons herrſchten, zu Wein - Liebes - Frei¬ heits - und Spottliedern begeiſtern konnten. 65Die neuen Machthaber warfen auch nach Be¬ ranger ihre goldene Angel aus; doch er ließ ſich nicht koͤdern und ſchwieg, und dieſes ſtumme Lied ſchalt lauter gegen die Tyrannei, als es irgend eines ſeiner fruͤhern Lieder gethan.

Ich habe Ihnen ſchon geſagt, daß ich an¬ fange mich mit der bildenden Kunſt zu beſchaͤf¬ tigen, und wie ernſt es mir damit iſt, habe ich neulich an meinem erſten Beſuche im Muſeum ſelbſt erprobt. Ich habe zum erſtenmale in mei¬ nem Leben alles ſo bedaͤchtig, ſo genau betrach¬ tet, daß ich nach zwei Stunden nicht uͤber das erſte Zimmer hinausgekommen, obzwar wenig Bedeutendes und Erfreuliches an Kunſtwerken darin aufbewahrt wird. Es iſt etwas, meinen alten Geiſt aufzufriſchen, ihm einen neuen Standpunkt fuͤr alte Betrachtungen zu verſchaf¬ fen. Das Licht wird mir mit der Zeit wohl aufgehen, und ich mache mich jetzt ſchon uͤber mich ſelbſt luſtig, wie ich mich einmal ſpaͤterIII. 566oͤffentlich uͤber Kunſt werde vernehmen laſſen. Freilich fehlt mir etwas, was zum vollkomme¬ nen Verſtaͤndniß der Kunſtwerke ganz unent¬ behrlich iſt, nehmlich die Technik. Aber ich werde dieſe Unwiſſenheit, wie manche andere, ſchon durch rothe, gruͤne und gelbe Worte zu bedecken wiſſen.

Die Gnade des Kaiſers von Rußland gegen die ungluͤcklichen Polen ſteht in voller Bluͤthe. In Warſchau ſind ſchon funfzehnhun¬ dert Perſonen eingekerkert worden, und alle Fluͤchtlinge werden mit Steckbriefen verfolgt, wozu der gute Schwiegervater behuͤlflich iſt. Wird denn die Zeit niemals kommen, daß ſich die Voͤlker auch verſchwaͤgern und einander in der Noth beiſtehen?

Der Baron *** aus Wien, deſſen ich ſchon erwaͤhnt, ſagte mir, in Wien waͤre kein gebildet Haus, in dem man nicht meine Schrif¬ ten haͤtte. Voriges Jahr war er in der Schweiz67 und blieb vier ganze Wochen oben auf dem Rigi. Ich fragte ihn: ob er Geſellſchaft bei ſich gehabt? Er erwiederte: Ich war in Ihrer Ge¬ ſellſchaft dort. Er hatte nehmlich meine Werke bei ſich. Eigentlich habe ich die Wiener gern. Sie leſen weniger, beſonders Journale, und haben darum keinen verſchlemmten, abgenutzten Geiſt. Wenn ſie Verſtand haben iſt er ſelbſt¬ ſtaͤndiger, origineller als der der Nordlaͤnder. Dabei ſind ſie gutmuͤthig und ſind ganz gluͤck¬ lich, wenn man ihren Kaiſer lobt.

5*68

Auf den Boulevards und was noch wunder¬ licher iſt, auf dem Platze vor der Boͤrſe, findet man jetzt ſehr haͤufig Bibeln zum Verkaufe aus¬ geſtellt. Die heilige Waare liegt auf der Erde unter andern profanen Buͤchern oder ſonſtigem ſchlechten Troͤdel. Sie ſind ſehr wohlfeil und gehen gut ab. Sie ſtammen von der hieſigen Bibelgeſellſchaft, die ſie unentgeldlich austheilt, worauf ſie denn, wie billig, von den Geſchenk¬ nehmern verkauft werden. Geſtern ſah ich einen wohlgebildeten Mann, von etwa funfzig Jahren, der ſich eben auf der Straße eine ungerupfte wilde Ente gekauft, die er mit Muͤhe in die linke Rocktaſche zwaͤngte, gleich darauf auch eine Bibel kaufen, die er unter dem rechten Arme forttrug. Es gefiel mir ungemein, daß er ſich weniger[ſ]chaͤmte di[e]Bibel als die Ente oͤffent¬69 lich zu tragen, und daß er um die letztere laͤnger gefeilſcht als um die erſtere. Ah je respire! Da iſt Ihr Brief. Was kann ich dafuͤr? Ich bin Ihr gelehriger Schuͤler immer geweſen, ich kann die Angſt nicht laſſen.

Aber was faͤllt Ihnen ein? Warum zwei¬ feln Sie, daß ich in Paris vergnuͤgt ſey? Pa¬ ris gefaͤllt mir wie immer. Da ich mich aber wie zu Haus fuͤhle, hat es natuͤrlich zwar immer noch den Reitz, aber nicht mehr den Ueberreitz der Neuheit. Ich genieße ruhiger, und Deutſchland liegt ſo ferne von meinem Sin¬ ne, daß ich es, wie fruͤher geſchehen, mit Frank¬ reich gar nicht mehr vergleiche.

70

Fuͤnfter Brief.

Es iſt wieder von Stiftung einer deutſchen Zeitung in Paris die Rede, und wenn ſie zu Stande koͤmmt, werde ich wahrſcheinlich beſon¬ ders thaͤtig dabei ſeyn. Einflußreiche Franzoſen fangen an einzuſehen, wie wichtig fuͤr Frank¬ reich ſelbſt deutſche liberale Zeitungen werden koͤnnen, und man zeigt ſich geneigt mit Geld und auf andere Weiſe zu unterſtuͤtzen. Ich werde da freilich ſehr vorſichtig ſeyn muͤſſen, daß ich meine Unabhaͤngigkeit nicht verliere. Doch brauche ich nicht zu aͤngſtlich zu ſeyn;71 denn ich hoͤre Ketten ſchon im ſiebenten Him¬ mel raſſeln, und habe immer Zeit meine Frei¬ heit ſicher zu ſtellen. Wer von den hohen Per¬ ſonen die Sache angeregt, das weiß ich eigent¬ lich noch gar nicht; denn was man mir zu verſtehen gegeben, glaube ich nicht. Ich werde mich aber gewiß in nichts einlaſſen, bis ich die Hand gedruͤckt, die den erſten Ring faßt; ſonſt koͤnnte geſchehen, daß ich glaubte mit dem Teu¬ fel zu thun zu haben, und haͤtte doch mit Beel¬ zebub zu thun gehabt. Das wird der ganze Unterſchied ſeyn zwiſchen meinen verſchiedenen Vermuthungen. Doch das ſchreckt mich nicht ab, man muß leben und leben laſſen, und wenn ich der guten Sache nuͤtzlich ſeyn kann, moͤgen An¬ dere auch ihren perſoͤnlichen Vortheil dabei finden.

Intriguen, die ich in Baden ſchon geahn¬ det, wurden mir hier beſtaͤtigt. Die Wohl¬ feilheit, bei einer an deutſchen Zeitungen un¬72 gewoͤhnlichen Schoͤnheit des Drucks und Pa¬ piers, der in Muͤnchen erſcheinenden Tri¬ buͤne, der myſterioͤſe Umſtand, daß ein Pforzheimer Kaufmann (Wuͤrtembergiſcher Un¬ terthan) aus Patriotismus die Fonds dazu hergiebt der Geiſt der Widerſetzlichkeit ge¬ gen die Baieriſche Regierung, der das Blatt beſeelt gab mir allerlei Vermuthungen. In Paris, wo man alles erfaͤhrt, habe ich denn endlich erfahren, daß der Koͤnig von Wuͤrtemberg die Tribuͤne geſtiftet und be¬ zahlt, um ſie als Waffe gegen Baiern zu ge¬ brauchen. Baiern hat ſich nehmlich im kuͤnf¬ tigen Kriege gegen Frankreich an die heilige Allianz angeſchloſſen. Baden, Wuͤrtemberg und andere kleine Staaten ſollen ganz auf¬ geloͤßt und zwiſchen Oeſterreich, Preußen und Baiern getheilt werden. Und ſo weiter.

In Stuttgart laͤßt jetzt die Regierung auch eine Zeitung errichten, um der Oppoſi¬73 tion widerſtehen zu koͤnnen (ſo wird geſagt); wohl eigentlich aber mehr, ſich der Despotie des deutſchen Bundes entgegen zu ſetzen. Sie hat zum Redacteur einen guten Schrift¬ ſteller, Profeſſor Muͤnch, berufen, und giebt ihm drei tauſend Gulden Gehalt. Lindner iſt Mit-Redacteur. Auch an der Tribuͤne ſchreibt er viel. Wo auch immer im Gehei¬ men etwas Moraliſches vorgeht, er muß dabei ſeyn.

Der Koͤnig von Baiern, den man neu¬ lich fragte, welche Anſtalten man fuͤr ihn und ſein Haus gegen die Cholera treffen ſolle? hat darauf zur Antwort gegeben: Gar keine. Bin ich nicht an den Staͤnden geſtorben, wird mich auch die Cholera verſchonen. Alſo Frei¬ heit und Peſt ſind einem Koͤnige ganz ei¬ nerlei! Auch der Freiheit Peſt und Koͤnig.

5*74

Ich war ſeit einer Woche zweimal im italieniſchen Theater, und habe die Paſta und den vergoͤtterten Rubini gehoͤrt, beide im Othello und Tankred. Die Paſta ſoll an dem einen Ende ihrer Stimme einige Toͤne verloren, dafuͤr aber an dem andern einige Toͤne gewonnen haben. Ob oben oder unten, weiß ich nicht. Die Paſta ſingt immer noch herrlich, aber ihre Stimme drang mir nicht in das Herz. Ihr Vortrag iſt hoͤchſt edel, aber kalt, plaſtiſch, antik; ſie ſingt nicht chriſtlich. In Glucks Opern waͤre ſie an ih¬ rer Stelle. Das iſt mein Urtheil. Die an¬ dern finden nichts an ihr zu wuͤnſchen uͤbrig. Als Desdemona verglich ich ſie mit meiner immer noch angebeteten Malibran, und dieſe Vergleichung konnte ſie nicht ertragen. Ru¬75 bini's verherrlichter Geſang ließ mich auch kalt; ich liebe dieſe ſtaͤhlernen Stimmen nicht, und dann hat ſeine Stimme etwas reſonni¬ rendes, eine Art Echo hinter ſich. Aber meine Ignoranz bleibt unter vier Augen. Als Tankred gefiel mir die Paſta beſſer, das fra tanti palpiti haͤtten Sie hoͤren ſollen. Es war naͤrriſch daruͤber zu werden. O ihr ar¬ men deutſchen Kleinſtaͤdter mit euern Acht¬ zehn-Batzen-Prima-Donnas! Eine dicke deutſche Dame, und wahrſcheinliche Berlinerin, die hinter mir ſaß und die ich, noch ehe ſie Deutſch ſprach, daran als Landsmaͤnnin er¬ kannte, daß ſie bravo ſtatt brava ſchrie, ſchwitzte Entzuͤcken. Ich mußte ihr ge¬ radezu ins Geſicht lachen. Dieſen Winter iſt die italieniſche Oper auf allen Vorplaͤtzen, Treppen, Corridors, von unten bis oben, mit ſcharlachrothem Tuche bedeckt. Man glaubt in einem Pallaſte zu ſeyn. Das hat noch76 gefehlt, dieſem adeligen Vergnuͤgen voͤllig ein ariſtokratiſches Anſehn zu geben. Zwiſchen den Akten habe ich, wie es die jungen Leute pflegen, in alle Logen hineingeſehen. (Sie erinnern ſich, daß die Logenthuͤren Fenſter ha¬ ben.) Die Pracht und der Geſchmack der weiblichen Anzuͤge gewaͤhrte wirklich einen herr¬ lichen Anblick, ſelbſt maͤnnlichen, alten und ſchon beſchaͤftigten Augen, wie die meinen. Aber beim Ausgange aus dem Theater ließ ich alle die geputzten Damen die Muſterung paſſiren, und es fanden ſich nicht zwei ſchoͤne Geſichter darunter, wahrhaftig nicht zwei!

Sagen Sie mir, was hat das fuͤr einen Grund, daß in der letzten Zeit der Frankfur¬ ter Senat einige außergewoͤhnliche Heiraths¬ erlaubniſſe ertheilt? Iſt das contagioͤs oder miasmatiſch? Auf jeden Fall iſt es eine Ko¬ meten-artige Erſcheinung und Vorlaͤufer der Cholera. Der Senat und der geſetzgebende77 Koͤrper ſollten ſich Flanellbinden um den Kopf wickeln, vielleicht ſchwitzen ſie die roſtrothe Phi¬ liſterei aus, und werden geſund.

*** iſt geſtern nach Amerika zuruͤckge¬ reiſt. Das iſt ein unordentlicher Menſch! So arg habe ich es doch nie getrieben. Um fuͤnf Uhr wollte er abreiſen, und um drei Uhr traf ich ihn ganz athemlos auf der Straße laufen, erſt bei ſeinem Bankier das noͤthige Geld zu holen. Dann begleitete ich ihn nach Hauſe. Seine zwei großen Koffer wuͤrden erſt gepackt und wie! Noch naſſe Federn, mit denen er eben erſt geſchrieben, wurden im Koffer auf die Waͤſche gelegt. Waͤhrend gepackt wurde ſchrieb er eine Vorſtellung an den Koͤnig. Kein Accent im ganzen Briefe. Dann legte er ihn zuſammen, wie einen Waͤſchzettel, und ließ die Beſorgung an den Koͤnig dem Por¬ tier zuruͤck. Dazwiſchen kamen Rechnungen, Beſuche es war den Schwindel zu bekom¬78 men. Wenn er den Poſtwagen nicht verſaͤumt, hat er Gluͤck gehabt. Denn er wollte auf dem Wege noch Seidenwaaren fuͤr ſeine Fa¬ milie einkaufen. Eine gluͤckliche Natur! Bei Tiſche haͤtten Sie ihn ſehen ſollen, wenn ich und *** Witze machten. Da er nie weni¬ ger als ein halbes Pfund Fleiſch auf einmal in den Mund nimmt, brachte ihn ſein Lachen oft dem Erſticken nahe.

Warum iſt denn der dumme *** nach *** zuruͤck? Warum hat er ſich fangen laſſen? Hoffte er, ſeine Dummheit wuͤrde ihn vor Verfolgung bewahren? Dann kannte er wenig unſere Zeit. Dumm zu ſeyn, auch oh¬ ne weiteres Vergehen, wird heute als ein Ein¬ griff in die Majeſtaͤtsrechte angeſehen, und als ſolches beſtraft.

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Seit der Revolution ſind die Theater voͤl¬ lig frei, und alle Cenſur der aufzufuͤhrenden Stuͤcke iſt aufgehoben. Nun hatte vorgeſtern das Theater des Nouveaut é s ein neues Drama Procès d'un maréchal de France angekuͤndigt. Der Prozeß des Marſchalls Ney ſollte darin vorgeſtellt werden, die Pairs¬ kammer erſcheinen, vollſtaͤndiges Gericht gehal¬ ten, und alle Pairs beim Namen aufgerufen werden, die fuͤr oder gegen Neys Tod ge¬ ſtimmt. Die Regierung fuͤrchtete die uͤblen Folgen, und daß hierdurch der Haß, den man hier gegen die Pairs hat, noch mehr angefacht werden moͤchte. Sie ließ alſo durch die Poli¬ zei die Auffuͤhrung des Stuͤckes verbieten. Der Theater-Director erklaͤrte, er werde ſich an das Verbot nicht kehren, da es geſetzwidrig80 waͤre, und ließ Abends ſein Haus oͤffnen. Da wurde aber das Theater von der Polizei um¬ ſtellt, Jedem der Eingang ins Haus verwehrt, und ſo die Auffuͤhrung mit Gewalt verhindert. Geſtern war das Stuͤck abermals angekuͤndigt, und das Haus abermals geſperrt. Ich war beide Abende zugegen. Der ganze Boͤrſenplatz war von der bewaffneten Macht und dem Vol¬ ke beſetzt; letzteres verhielt ſich aber ruhig. Der Theater-Director hat gegen dieſe Gewalt proteſtirt und erklaͤrt, er wuͤrde jeden Abend das Stuͤck ankuͤndigen laſſen, die Polizei bei den Gerichten belangen, und um Schadener¬ ſatz anhalten. Nun will ich zwar gerne glau¬ ben, daß das Drama ſkandaloͤs ſeyn, daß es Unruhe erregt haben mag, und daß die belei¬ digten Pairs Grund genug bekommen haͤtten, den Theater-Director und den Verfaſſer vor Gericht zu ziehen. Aber die Auffuͤhrung durf¬ te nicht verhindert werden, denn durch die81 neue Charte iſt alle vorhergehende Cenſur auf¬ gehoben, und die Regierung hat ſich hierbei einer wahren Verletzung der Conſtitution ſchul¬ dig gemacht. Es iſt eine Ordonanz-Geſchich¬ te in kleinem Fuße.

III. 682

Sechster Brief.

Von einem merkwuͤrdigen Werke, das zehn Baͤnde haben wird, iſt geſtern der erſte Theil erſchienen. Er liegt vor mir auf mei¬ nem Tiſche, ich habe ihn aber noch nicht ge¬ leſen. Sie ſollen ſpaͤter daruͤber genaue Re¬ chenſchaft bekommen. Das Buch heißt: Pa¬ ris, ou le Livre des cent-et-un. Wie auch das Buch beſchaffen ſeyn mag, auf jeden Fall iſt es eine von den Erſcheinungen, wie ſie nur Paris hervorbringt, und die Allen, die im Geiſte leben, den hieſigen Aufenthalt ſo ange¬83 nehm machen. Das Buch iſt auf folgende Art entſtanden. Ladvocat, einer der bedeu¬ tendſten hieſigen Buchhaͤndler, iſt durch den Druck dieſer Zeit in Noth und Verlegenheit gekommen. Ihm aufzuhelfen haben alle die Schriftſteller, die ihre Werke fruͤher von ihm herausgeben ließen, ſich vereinigt, gemeinſchaft¬ lich ein Buch zu ſchreiben, und es dem Lad¬ vocat unentgeldlich zu uͤberlaſſen. Sie haben zu dieſem guten Werke noch andere Schrift¬ ſteller eingeladen, ſo daß der Verein bis zu hundert und ſechszig angewachſen iſt. Das er¬ laſſene Circular lautet wie folgt: Les sous¬ signés, voulant donner a Mr. Ladvocat, libraire, un témoignage de l'intérêt qu'il cheuses il se trouve, par toutes les pertes qu'il a éprouvées depuis un an,[ont] résolu de venir à son secours en s'engageant à lui donner chacun au moins deux chapitre6 *84 qui devront composer un ouvrage intitulé: le Diable boiteux à Paris, ou Paris et les moeurs comme elles sont. Ils invitent tous les hommes de lettres qui n'étaient pas présentes à leur réunion, à venir se joindre à eux pour secourir un libraire qui a si[puissaimmest] contribué à donner de la valeur aux productions de l'esprit, et à consacrer l'indépendance de la profession des hommes de lettres. Darauf folgt das alphabetiſche Verzeichniß von hundert und ſechszig Schriftſtellern, worunter alle Bedeutende, die Frankreich hat: Béranger, Chateaubriand, Cuvier, Delamartine, Dela¬ vigne, Salvandy, Etienne, Guizot, Victor - Hugo, Jouy, Kératry, Mignet, Royer-Col¬ lard, Scribe, Thiers, Villemain u. ſ. w. Ladvocat ſagt: dans l'impossibilité se trouve l'Editeur de témoigner sa reconnais¬ sance à la littérature contemporaine pour85 la bienveillance toute paternelle qu'elle lui a prodiguée, il se borne à imprimer l'en¬ gagement et la liste des hommes de let¬ tres, qui sont venus à son aide avec tant de zèle et de chaleur; il conserve cette liste chargée de leurs noms comme on con¬ serverait des lettres de noblesse acquises sur le champ d'honneur. Das Buch kann nur hoͤchſt intereſſant ſeyn. Denn ſind auch unter deſſen Verfaſſern Schriftſteller von min¬ derer Bedeutung, wie unſer Paul de Kock und ſolche andere, ſo muß doch das dem Wer¬ ke, wegen ſeiner beſondern Art und Beſchaf¬ fenheit, einen Werth mehr geben. Es wird nehmlich ein neues Tableau de Paris gleich dem von Mercier, Jouy und andern. Aber dieſe ſind alt, und da die Sitten ſich veraͤn¬ dert, nicht mehr treu. Uebrigens wurden jene Tableaux immer nur von einem Verfaſſer geſchrieben; die Anſichten der Pariſer Dinge86 und Verhaͤltniſſe muͤßten daher individuelle bleiben. Jetzt aber beobachten hundert und ſechszig Menſchen, jeder von ſeinem Stand¬ punkte aus; das Gemaͤhlde muß daher treuer werden. Und es ſind Schriftſteller von den verſchiedenſten Geiſtesrichtungen und buͤrgerli¬ chen Verhaͤltniſſen und Geſinnungen. Proſai¬ ker und Dichter, Philoſophen und Dramatiker, Staatsmaͤnner, Deputirte, alte und junge, Maͤnner und Weiber, Claſſiker und Roman¬ tiker, Liberale, Miniſterielle, Ultras, Royali¬ ſten, Karliſten, Buonapartiſten. Dieſe werden ſich ſelbſt zeichnen, und das iſt der Gewinn. Selbſt gemeine Schriftſteller, wie Pigault-Le¬ bruͤn, Paul de Kock muͤſſen dem Buche zum Vortheile gereichen, denn ſolche Naturen be¬ merken vieles in der Welt, was beſſern und geiſtreichern Menſchen entgeht.

Warum die Tribuͤne nicht im Frankfur¬ ter Caſino gehalten wird, will ich Ihnen er¬87 klaͤren. Erſtens: durfte ſie die Frankfurter Poſt wahrſcheinlich nicht kommen laſſen, und zweitens: war das auch nicht der Fall, ſo haben die Herren Geſandten ihre Anhaͤnger im Caſino, die es anzuſtellen wiſſen, daß je¬ nes Blatt nicht angeſchafft wird. Uebrigens hat die Tribuͤne aufgehoͤrt. Wie ich geſtern erfahren, hat der Redakteur Wirth ſich ge¬ fluͤchtet, weil er erfahren, daß er gleich nach der Aufloͤſung der Kammern arretirt werden ſolle, und daß es ihm dann ſchlecht ergehen wuͤrde. O wie habe ich alles vorhergeſehen, vorhergeſagt, und wenn meine Briefe nicht ſchoͤn ſind, werden ſie doch wahr ſeyn! Ha¬ ben Sie in den Zeitungen die Note des ruſ¬ ſiſchen Kaiſers an die kleinen deutſchen Hoͤfe geleſen? Gleich nach dem Falle Warſchau's ſtieg ſeine Sprache vom kalten Null bis zu 20 Grad Unverſchaͤmtheit. Er ſagt ihnen: es waͤre endlich einmal Zeit, daß ſie dem re¬88 volutionairen Unfug in ihren Staaten ein En¬ de machten; er droht ihnen mit ſeinem Bei¬ ſtande, wenn ſie ſich allein nicht zu helfen vermoͤchten. Und gleich haben die kleinen Voͤgel gepipſt wie der alte Vogel geſungen. Die kleinen Miniſterchen in Karlsruhe, die dieſe ganze Zeit uͤber gelispelt, wie eine Kind¬ betterin nach ſchwerer Geburt, fangen jetzt an und bruͤllen wie die Loͤwen. Lachen muß man immer uͤber eine deutſche Beſtie, ſie mag noch ſo wild und gefaͤhrlich ſeyn. Der Badiſche Finanz-Miniſter, den neulich ein Deputirter in der Kammer an die Vorlage einer Finanz - Rechnung erinnert, die man ſchon laͤngſt er¬ wartet habe, erwiederte, man ſolle ihn mit ſolchen Fragen ungeſchoren laſſen. Ja, ſie wollen ſcheeren, aber ſich ſcheeren laſſen, das wollen ſie nicht. Aber der Deputirte (Buchhaͤndler Winter aus Heidelberg) hat ihm tuͤchtig darauf geantwortet. Er ſagte: das86[89] Volk habe ihn nicht gewaͤhlt, damit er die Miniſter ungeſchoren laſſe. Noch eine merk¬ wuͤrdige Sitzung fand neulich in Karlsruhe ſtatt. Der Deputirte Welker, der fuͤr ſeinen Geiſt, ſeinen Muth und ſeine Beharrlichkeit die Bewunderung und den Dank von ganz Europa verdient (denn die Freiheit ſelber des kleinſten Staats iſt eine Angelegenheit der ganzen Welt), hat die Motion gemacht: die badiſche Regierung ſolle bei der deutſchen Bun¬ desverſammlung den Antrag machen, daß ne¬ ben den Diplomaten, die doch eigentlich nur die Fuͤrſten repraͤſentiren, auch eine deutſche Volkskammer gebildet werde. Die Carlsruher Miniſter, als dieſe Motion von Welker ange¬ kuͤndigt wurde, hatten nicht einmal den Muth, ſie mit anzuhoͤren und ſind vor Angſt aus der Kammer gelaufen. Iſt das nicht koͤſtlich, deutſch, eine in Spiritus zu verwahrende Geſchichte? Auch Rotteck und Fecht haben ſich bei dieſer Ge¬90 legenheit herrlich benommen. Aber alle dieſe kuͤhnen Redner, wie Mauguin neulich in der Kammer ſagte ſtehen ſchon auf der Pro¬ ſkriptionsliſte, und, wie ich im vorigen Winter prophezeit wenn Prophetengeiſt dazu gehoͤrt, eine tauſendjaͤhrige Vergangenheit zu beurtheilen es wird in Deutſchland mit einer großen Haͤngerei endigen. Auch habe ich aller Maͤßigung, ja aller Gerechtigkeit entſagt. Vor¬ geſtern fing ich einen Aufſatz an, mit dem mein projektirtes Journal beginnen ſollte. Darin heißt es: Auf dem Wege nach Paris fing ich an, ein eitler Narr zu werden, und bin es geblie¬ ben dieſe vier Wochen lang, die ich hier ſchon zugebracht. Erſt geſtern ſchuͤttelte ich mich und kam wieder zur Beſinnung. Ich wollte es dem großen Goethe nachthun, ich wollte das Unnachahmliche nachahmen. Ich wollte werden, ſeyn wie er unnahbar, kalt, wurzelfeſt, theilnehmend aber theilgebend und91 gefuͤhlloſer als ſelbſt eine Steinwand, die doch Empfindung ſchwitzt, wenn ſich der Fruͤhling nahet. Schlachten und Stuͤrme und jammer¬ voller Schiffbruch, Tyrannenwuth, athemlos gehetzte Freiheit, gemordete Unſchuld, Himmel und Erde, Feuer und Froſt, die Natur und die Geſchichte alles wollte ich mir in be¬ hagliche Ordnung in meinem Zimmer aufſtellen, und mir dann aus Wahrheit und Luͤge, aus Recht und Betrug, aus Treue und Verrath, aus Liebe und Haß, aus Gott und Teufel ein koͤſtliches Ragout bereiten, und kunſtſchmau¬ ſend alle Stunden aller meiner Tage verleben, und nur waͤhrend der Verdauung milde und leiſe beklagen, daß der Arm des Teufels viel zu kurz, und daß Gott der Vater etwas nach¬ gedunkelt ..... Titanen-Uebermuth! Kin¬ diſche Vermeſſenheit! Nicht bis an die erſten Wolken kam ich. Ich fiel hinunter; aber mit blutigem Munde kuͤßte ich meine gute Erde92 und vergaß meine Schmerzen. Ich will lieben und ſtreiten wie vor. Und keine Milde, ja keine Gerechtigkeit mehr! Sie haben Milch in Blut, Blut in Eſſig verwandelt, und ha¬ ben den Eſſig vergiftet. Ein Thor, wer noch in unſern Tagen die Schaamloſen durch Gro߬ muth zu beſchaͤmen, die Hartherzigen durch Bitten zu erweichen gedenkt! Teufel gegen Teufel! ... Weil ſie die Voͤlker ſo lange wie Kinder behandelt, ſind ſie bis zu Kindermaͤd¬ chen herabgeſunken. Sie dahlen und taͤndeln, und luͤgen und drohen, und patſchen und ſchmeicheln, und kitzeln und windeln, und waſchen mit dem Schwamme. Aber das Spru¬ deln und Weinen der Kinder macht ſie leicht ungeduldig. Sie ziehen dann ihr weiſes Haͤub¬ chen ab, und zeigen die duͤſtre Krone darunter; ſie legen die Ruthe weg und holen den Scep¬ ter. Nun wohlan! An der Grenze eurer und unſerer Geduld erwarten wir euch! ... Zwar93 ſollten die Menſchen verſtummen, wenn Gott ſelbſt ſpricht, wenn der Himmel mit der taub¬ ſtummen Welt in Zeichen redet. Aber die Un¬ gluͤckſeligen haben nur franzoͤſiſch gelernt; die Sprache des Himmels verſtehen ſie nicht, ſeine Zeichen verſpotten ſie. Wir wollen Dollmetſcher des Himmels ſeyn, wir wollen deutſch mit den Herrn ſprechen. Ihres Dankes ſind wir nicht gewaͤrtig, um ihr Verzeihung, daß wir ſie zu retten geſucht, werden wir nicht betteln. Der Loͤwe bezahlte den Storch, der ihm den Tod aus dem Halſe gezogen, zwar mit Loͤwentrotz doch er bezahlte ihn. Aber das war ein Koͤnig der Thiere; die Koͤnige der Menſchen ſind ſo großmuͤthig nicht.

Kann ich aber in einer ſolchen Stimmung ein Journal ſchreiben? Es iſt nicht moͤglich. Mit dieſer Wuth iſt man ein guter Soldat, aber ein ſchlechter Feldherr. Nun wohl, ich entſage lieber der Ehre und will lieber ein ge¬94 meiner Soldat ſeyn, denn ich will ſtreiten wie ein Baͤr. Ich habe es mit dem Journal ernſt¬ lich verſucht, aber es ging nicht. Ich konnte den Stoff nicht bemeiſtern. Ich hatte mir ver¬ ſchiedene Kapitel beſtimmt, uͤber dieſen und je¬ nen Gegenſtand. Wenn ich nun Materialien zu meinem Aufſatze genug hatte, brachte mir der Tag wieder neuen Stoff, den ich zum alten geſellte, und ſo kam ich nie zum Anfange. Auch bin ich zu bewegt, ich muß mir taͤglich Luft machen, ich muß Einen haben, mit dem ich alle Tage, zu jeder Stunde ſpreche; kurz ich kann nur auf Briefpapier ſchreiben. Und jetzt werden Sie mich wieder auslachen und trium¬ phiren. Thun Sie das, Sie haben doch den Schaden davon. Ich werde Ihnen alſo wieder Briefe ſchreiben wie vorigen Winter, und weiter nichts arbeiten.

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In London hat man jetzt angefangen, Zeitungen auf baumwollene Schnupftuͤcher zu drucken. Dadurch erſpart man die druͤckende Stempeltaxe, die auf den Papierzeitungen liegt. Wenn dieſe Erfindung ſich auch au¬ ßer England verbreitet, wird die deutſche Bundesverſammlung, weil es ſchwer zu ver¬ hindern iſt, daß unter die unſchuldigen Schnupftuͤcher ſich nicht auch jene ſtaatsge¬ faͤhrlichen miſchen, den Beſchluß faſſen, daß einſtweilen auf fuͤnf Jahre alles Naſenputzen verboten ſey. O Gott! weit davon entfernt iſt man nicht. In Preußen ſind ſie toll zum Binden. Sie wollen es Oeſterreich nachma¬ chen! Die Dummkoͤpfe. Sie ſehen es nicht ein, daß mehr als zu irgend einer Kunſt, zur Dummheit angebornes Genie gehoͤrt. In96 Berlin wird bald eine Verordnung erſcheinen, die jede Anzeige eines Buches im ganzen Lande verbietet, wenn ſie nicht vorher in ei¬ ner Berliner Zeitung ſtand. Wenn ich ſage, daß unſere deutſche Regierungen ſaͤmmtlich verruͤckt ſind, ſo meyne ich das im wirklichen mediciniſchen Sinne. Sie haben eine unheil¬ bare fixe Idee, die franzoͤſiſche Revolution iſt ihnen in den Kopf geſtiegen, und ich fuͤrchte, ſie koͤnnen ſelbſt durch viele Schlaͤge nicht mehr kurirt werden. O wie traurig! Denn wenn die Regierungen verruͤckt ſind, werden alle vernuͤnftige Leute eingeſperrt.

Die Griechen haben ſich von ihrem Ty¬ rannen Capo d'Iſtrias auf aͤcht antike Weiſe befreit. Nicht durch Zeitungen und feiges Li¬ beral-Geſchwaͤtz, ſondern durch das Schwert. Das iſt plaſtiſche, das iſt nicht unſere roman¬ tiſche gemalte Freiheit! Es war kein Meuchel¬ mord, wie die Hof - und Miniſter-Zeitungen97 verlaͤumden; es war ein ehrlicher offener Kampf. Capo d'Iſtrias war von ſeinen Tra¬ banten umgeben, und mitten unter ihnen ha¬ ben ihn zwei kuͤhne Spartaner erſchlagen. Sie raͤchten das Land, ſie raͤchten ihr eigenes Blut. Der eine war der Sohn, der andere der Bruder, eines der edelſten Griechen, den Capo d'Iſtrias, weil er ſich ſeiner Tyrannei widerſetzte, ſchon ſeit lange in einem Kerker gefangen hielt. Es war mir immer in der tiefſten Seele zuwider, dieſen liſtigen, abge¬ feimten, in der Schule des Despotismus er¬ grauten Staatsmann an der Spitze eines ed¬ len Volkes zu ſehen, das nur fuͤr Freiheit und Glauben lebte und ſtarb. So regierte er auch. Es war ein unaufhoͤrlicher Kinder¬ mord, es war ein taͤglicher Vergiftungs-Ver¬ ſuch der Freiheit. Mit allen Schlechten un¬ ter den Griechen verband er ſich, die Guten zu unterdruͤcken, mit allen kleinen Tyrannen,III. 798die Helden der Freiheit in Feſſeln zu ſchla¬ gen. Jeden Aufſchwung des Geiſtes ſuchte er durch alle Hoͤllenkuͤnſte der ruſſiſchen und oͤſterreichiſchen Polizei niederzuhalten. Hohe Schulen, die uͤber das Rechnen und Schrei¬ ben hinausgingen, unterdruͤckte er; die Pre߬ freiheit wurde mit der Wurzel ausgeriſſen und einem Kindervolke wurde ſchon ſein Stam¬ meln zenſirt. Aber wie wird es den ungluͤck¬ lichen Griechen jetzt ergehen! Sich auf Ca¬ po d'Iſtrias Zuchtruthe verlaſſend, ließen die despotiſchen Maͤchte die Griechen einige Jahre unbeobachtet. Jetzt werden ſie ſie wieder un¬ ter eigne Aufſicht nehmen. Alle, alle Voͤlker, und das franzoͤſiſche zuerſt, werden wieder ſchaͤndlich betrogen. Der Laͤndertauſch, der Laͤnderſchacher wird wieder im Stillen getrie¬ ben. Und gewiß gruͤndet ſich darauf die fre¬ che Sprache Caſimir Perriers, und ſeine kecke Friedens-Verſicherung. Bald wird er mit ei¬99 ner Provinz in Papier vor die Kammer tre¬ ten und triumphirend ausrufen: Seht, das haben wir im Frieden gewonnen; wer hat nun Recht? Das Volk wird wieder in Zent¬ nern, das Vaterland Morgenweiſe verkauft. Was ſie im Geheimen bruͤten, wer kann das wiſſen? Die oͤffentliche Meinung hat ſich ſchon fuͤrchterliche Dinge erdacht; aber die Furcht der oͤffentlichen Meinung iſt die einzige, die nicht truͤgt, und die immer lange vorher weiß, zwar nicht auf welchem Wege die Ge¬ fahr koͤmmt, aber daß ſie koͤmmt. So ſpricht man: Polen ſolle an Preußen kommen das waͤre die Sklaverei ſtatt in Eſſig, in Zucker eingemacht, die weit verderblichere, hoff¬ nungsloſere, weil ſie mundet. Und dafuͤr Griechenland an Rußland, und ſo weiter den Voͤlker-Troͤdel. Moͤchte einem nicht die Bruſt zerſpringen vor Wehmuth, moͤchte einem nicht das Herz ausbluten, wenn man bedenkt, daß7*100die edlen, hochherzigen, geiſtreichen Griechen verkannt nur von jenem zahmen Viehe, das ein polizeiſtoͤrriges Herz fuͤr ein ruchloſes Herz haͤlt verkannt nur von allen thoͤrig¬ ten Flitter-Goͤtzendienern, die den ungeſchlif¬ fenen Diamanten als ſchlechtes Geſtein ver¬ werfen verkannt nur von den ſchuldbe¬ wußten, aberglaͤubiſchen Machthabern, welchen ein Geiſt das Ende ihrer Tage verkuͤndet daß dieſes edle Volk darum ſieben Jahre lang ſoll mit ſeinem Blute das Land getraͤnkt, das Meer gefaͤrbt, ſoll alles aufgeopfert haben, Le¬ ben und Gut, Weib und Kind und oft die Hoffnung ſelbſt, um endlich nach Allem, die Herrſchaft der Baſtonade gegen die Herrſchaft der Knute zu vertauſchen?

Ueber die Anzeige eines deutſchen Buch¬ haͤndlers habe ich geſtern herzlich lachen muͤſſen. Er ſpricht auf die klaͤglichſte, weinerlichſte, herz¬ zerreißenſte Art von den ſchrecklichen Folgen der101 Cholera. Doch ſetzt er unbegrenztes Vertrauen auf Gott, daß naͤchſtes Jahr gluͤcklicher ſeyn werde. Und warum jammert der Mann, warum wen¬ det er ſich in ſeiner großen Noth zum Himmel? Seine zwei Taſchenbuͤcher: die Roſen, und das Vergißmeinnicht von Clauren, ſind fertig, aber er fuͤrchtet, in dieſer betruͤbten Zeit zu geringen Abſatz zu haben, und will daher die Taſchenbuͤcher erſt im naͤchſten Jahre verſenden. Er endigt ſeine Klage und ſein heißes Gebet mit den Worten: Ich halte mich in der Hoff¬ nung uͤberzeugt, daß dann die wiedergewonnene Ermuthigung und Erheiterung uͤber das Be¬ ginnen einer beſſern Zukunft, dieſen beiden Werken der freudige Zuruf Willkommen! ſo wie eine freundliche Aufnahme bereitet ſeyn wird. Schoͤne Reconvaleszenz! Sich an Claurens Vergißmeinnicht nach langen Leiden zu erholen!

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Siebenter Brief.

Ich bin ein rechter Ungluͤcksvogel, daß ich die Frankfurter Revolution nicht mit angeſehen. Vor einigen Tagen ſchrieb mir Dr. D ... ein kurzes Billet: In Frankfurt haben die Buͤrger mit der Linie einen Kampf gehabt. Was! rief ich voll Erſtaunen aus, die Frankfurter ha¬ ben die Linie paſſirt, ſie, die ſeit Jahrhunderten nicht uͤber die Wartthuͤrme hinausgekommen? Komet!

Verfloſſenen Sonntag war ein Konzert im italieniſchen Theater, dem ich aber ſelbſt nicht103 beigewohnt. Es begann mit einer ouverture à grand orchestre und errathen Sie von welchem Komponiſten? Von Don Pedro, dem Kaiſer von Braſilien. Es iſt uͤberfluͤſſig noch zu bemerken, daß die Muſik erbaͤrmlich war. Der Herr Kaiſer thaͤte auch beſſer, ſeinen Mord - Bruder aus Portugal zu verjagen, als die fried¬ lichen Leute aus dem Theater. Ich habe we¬ nigſtens Einen geſprochen, dem auf die kaiſer¬ liche Muſik-Sudelei ganz uͤbel geworden, und der darum aus dem Konzerte lief. Was aber Paris ein naͤrriſcher Ort iſt! Es iſt das wun¬ derlichſte Ragout von Scherz und Ernſt. Der Dey von Algier gab auch Stoff zu mehreren Theaterſtuͤcken. Einmal, wie er eine Maͤdchen - Penſion beſucht; das muß luſtig ſeyn. Im neueſten Hefte der Revuͤe de Paris ſteht ei¬ ne Novelle von dem ehemaligen Miniſter von Martignac. Eine neue Oper: la marquise de Brinvilliers (die beruͤchtigte Giftmiſcherin un¬104 ter Ludwig XIV. ) haben neun hieſige Kompo¬ niſten gemeinſchaftlich verfertigt: Cherubini, Boieldieu, Herold, Paer, Auber, und andere. Iſt das nicht toll! Und eine tragiſche Oper! Melpomene in der Harlekinsjacke. Die Sinn¬ lichkeit, hoͤhere wie niedere, iſt aber bei den Pariſern ſo abgeſtumpft, daß ihnen Teufelsdreck noch zu fade vorkoͤmmt; man muß ihnen taͤg¬ lich neuen Geſtank erfinden. Neulich wurde im Theater des Nouveautés an einem und dem¬ ſelben Tage, ein neues Stuͤck zu ſchreiben beſchloſſen, entworfen, ausgefuͤhrt, die Muſik dazu gemacht, einſtudirt, aufgefuͤhrt, und ausgepfiffen! Es war eine Wette. Kotzebue's beruͤchtigter Rehbock, wird unter dem Namen le chevreuil in den Variétésaufgefuͤhrt und hat großen Beifall. In Deutſchland ſorgt man auf eine edlere Weiſe fuͤr das Vergnuͤgen des Publikums. In Berlin iſt erſchienen (durch die Cholera veranlaßt): Begraͤbniß-Buͤch¬105 lein zum Gebrauche bei Beerdigungen in den Staͤdten und auf dem Lande. Nebſt einem Anhange von Grabſchrif¬ ten. Schoͤnes Stammbuch! Eines der hieſi¬ gen kleinen Blaͤtter enthaͤlt heute einen Aufſatz uͤber die in Berlin erſcheinende Cholera-Zei¬ tung, worin es unter andern heißt: c'est une invention prussienne; on n'eût pas dit que le domaine de la presse s'aggrandit ainsi dans les domaines de Fréderic-Guillaume. Peut-être aussi le titre n'est-il qu'une épi¬ gramme pour montrer et désigner le venin de la presse et la contagion du Journalisme.

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In Deutſchland haben ſie das Geheimniß gefunden, die Dummheit in ewig bluͤhender Ju¬ gend zu erhalten. Es giebt keine Goͤtter mehr, ſonſt muͤßte man ſie auf der Erde lachen hoͤren, denn der alte Olymp war ein luſtiger Himmel. So eben las ich in der preußiſchen Staatszei¬ tung, daß im koͤniglichen Theater am 26. Okto¬ ber, zum Erſtenmale, der dumme Peter, Original-Luſtſpiel in zwei Akten aufgefuͤhrt wird. Ein Stuͤck, das ſeit ſechzehn Jahren in allen deutſchen Reſidenzen gegeben wird, nennen ſie ein Original-Luſtſpiel! Ungluͤckliches Land! Die Sonne ſinkt, die Fledermaͤuſe ſteigen auf. Polens Revolution war die Abendroͤthe der Frei¬ heit. Von Hannover ſchreiben ſie: das ſchoͤne Oktober-Wetter habe den beſten Einfluß auf den Geſundheitszuſtand gehabt, und die poli¬107 tiſche Entzuͤndung habe ſich gleichfalls merklich gelegt. Man fange an einzuſehen, daß man im hannoͤveriſchen Lande ſo viel Frei¬ heit und Sicherheit als in England genieße, und darum habe es mit einer Con¬ ſtitution gar keine Eile. Wenn nur der Adel eine feſtere Einrichtung bekomme, dann ſey allen Uebeln abgeholfen ... Und die allgemeine Zei¬ tung nimmt ſolche Unverſchaͤmtheiten auf, und jedes Wort verdienter Zurechtweiſung weiſ't ſie zuruͤck. Die badiſchen Staͤnde bekommen keine Preßfreiheit. Die Deputirten haben ſich bis jetzt kraͤftig benommen, ob zwar die guten deut¬ ſchen Seelen immerfort von den Hallen der Volkskammer reden. Jetzt wollen wir ſehen, ob ſie beharrlich ſind, eingedenk der heiligen Schrift: aber wer beharret bis am Ende wird ſelig werden. Nichts gleicht der Frechheit, mit welcher das Preßgeſetz abgefaßt iſt, welches die Miniſter in Karlsruhe der Kammer vorgelegt. 108Die Preſſe ſey frei mit Ausnahme aller Buͤ¬ cher unter zwanzig Bogen, mit Ausnahme aller Werke, die von der Bundesverſammlung reden. O Schmach uͤber das Volk, das ſich dieſen Hohn gefallen laͤßt! Einen dummen Karpfen faͤngt man mit mehr Witz. O Beaumarchais, haͤtteſt du deutſchen Stoff gehabt, das waͤre ein ganz anderer Figaro geworden! In Caſſel liegen die Beamten und Offiziere der neuen Maitreſſe zu Fuͤſſen, und bald wird auch die Conſtitution da liegen. Um dieſen Preis wird die Dame von dem Durchlauchtigen deutſchen Bunde ge¬ gen die Kurfuͤrſtin und gegen die Heſſen be¬ ſchuͤtzt und geſchuͤtzt. Bei euch iſt ja un¬ begrenzte Trauer, wegen des Todes des Fuͤrſten von Hohenzollern-Sigmaringen. Steht Ihnen die ſchwarze Kleidung gut?

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Sie reden immer noch von der Bocken¬ heimer Zeitung, als wenn die lange dauern wuͤrde! Laſſen Sie nur erſt die belgiſche An¬ gelegenheit in Ordnung gebracht ſeyn, und die Graͤfin Schaumburg Wurzel gefaßt haben, und man wird die Bockenheimer Zeitung nur noch im Kuchengarten finden. Fuͤr jetzt iſt alles verlohren. Nur der Koͤnig von Hol¬ land kann noch retten, wann er ſo klug iſt, ein Narr zu ſeyn. Die Revolution, die ſich jetzt mit großen Schritten in England naht, gereicht uns Deutſchen gar zum Verderben. Deutſchland iſt das ewig offene Fontanell, wodurch alle aus dem uͤbrigen Europa ver¬ jagte Despotie abfließt; und je reiner die uͤbrigen Laͤnder werden, je ſchmutziger werden wir. Sie glauben mir das noch nicht, aber110 Sie werden es erfahren. Meine Pariſer Briefe vom vorigen Winter werden erſt Ende kuͤnfti¬ gen Sommers ihre Bedeutung bekommen, und was ich unter Vespertinchen verſtanden, wird dann erſt der Welt klar werden. Von Frankreich mag ich gar nicht reden. Es mag ſein Teſtament machen. Koͤnig Philipp traͤgt eine Schlafmuͤtze unter ſeiner Krone, und der Kaiſer von Oeſterreich eine Schlafmuͤtze uͤber der ſeinigen. Es iſt eine neue Freund¬ ſchaft zwiſchen beiden, welche die alten Fruͤch¬ te tragen wird. Koͤnig Philipp kann ſeine Nachtmuͤtze nicht mehr abziehen, ohne daß ihm die Krone vom Kopfe faͤllt, Oeſterreich aber kann jeden Augenblick ſeine Mummerei weg¬ werfen, und ſteht dann geruͤſtet da. Die Papiere ſtehen hoch, die Boͤrſe jauchzet. Ich rufe wie Fiesko aus: Wohl bekomm euch die Verdammniß!

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Achter Brief.

Das Buch der hundert und ein Schriftſteller hat meinen Erwartungen nicht ent¬ ſprochen. Es wird hier freilich von allen Par¬ theien gelobt, weil Schriftſteller aus jeder Par¬ thei daran gearbeitet haben. Aber fuͤr mich, fuͤrchte ich, wird es ein Buch der hundert und ein Taͤuſchungen werden. Gleich anfaͤnglich aͤr¬ gerte ich mich daruͤber, daß dieſe Sittenmaler ſo veraͤchtlich von ihrem alten Meiſter Mercier ſprechen, aus deſſen Schule ſie alle hervorge¬ gangen. Sie ſagen: Il faut faire pour le112 Paris d'aujourd'hui ce que Mercier a fait pour le Paris de son temps, avec cette différence que cette fois les tableaux de moeurs seront rarement ècrits sur la borne. Mercier nennen ſie einen Gaſſen¬ jungen! Wahrhaftig, er ſagt mehr in einer einzigen Zeile, als die neuen auf einem ganzen Bogen. Er malte in Oehl; Jouy und ſeine Nachahmer malten mit Paſtellfarben. Das ſieht freilich ganz artig aus, aber man kann es weg¬ blaſen. Auch war Merciers Zeit guͤnſtiger zur Sittenmalerei als die jetzige. Damals fingen gerade die Staͤnde an ſich zu vereinigen, und da konnte man eben am beſten ihre Trennungen kennen lernen; jetzt aber, da ſie vereinigt ſind, kann man nur noch ihre Nacht zeichnen. Doch lieſ't ſich das Buch immer angenehm weiter; man lernt daraus, man reiſt darin, und koͤmmt weiter.

Eines einzigen Artikels im ganzen Bande muß ich als Ausnahme mit großem Lobe ge¬113 denken. Es iſt das Kapitel: Le Bour¬ geois de Paris von A. Bazin, einem Schriftſteller der mir ganz unbekannt iſt. Das iſt eine vortreffliche Zeichnung, mit Geiſt und Gemuͤth entworfen. Von den uͤbrigen Kapiteln ſind zwei zu erwaͤhnen, bei welchen der Reichthum des Stoffes die Armuth der Kunſt verguͤtet; nehmlich: L'abbaye-aux - bois von der Herzogin von Abrantes, und une fête au Palais-Royal von Salvandy. L'abbaye-aux-bois, heißt das Haus, ein ehemaliges Kloſter, worin Madame Recamier wohnt, ſeit ſie die große Welt verlaſſen. Aber die große Welt iſt ihr dorthin nachgezogen, oder eigentlich nachge¬ ſtiegen, ich glaube bis in den dritten Stock hinauf. In dem Hauſe wohnen noch mehrere Frauen, die ſich aus dem Glanze und dem Ge¬ raͤuſche der großen Welt zuruͤckgezogen, um nicht uͤberſehen und uͤberhoͤrt zu werden. AlleIII. 8114dieſe frommen Weiber bilden ihren eigenen Mittelpunkt, haben ihren eigenen Zirkel. Die Herzogin erzaͤhlt nun, wie es in dieſen ver¬ ſchiedenen Geſellſchaften, beſonders bei Madame Recamier hergeht, welche Staatsmaͤnner, Schrift¬ ſteller, Kuͤnſtler ſich da verſammeln, welche Werke da vorgeleſen, welche Kunſtwerke vorge¬ zeigt werden, und was ſonſt da getrieben wird. Madame Recamier wird wegen ihrer Liebens¬ wuͤrdigkeit, Beſcheidenheit, Entſagung, Mild¬ thaͤtigkeit geprieſen. Ich habe das von dieſer beruͤhmten Frau ſeit zwanzig Jahren ſchon oft geleſen, und will es auch alles glauben; nur fuͤrchte ich immer, daß die Tugend, der es nicht gelingt unbemerkt zu bleiben, es gar nie mit Ernſt verſucht hat. Die Herzogin Abrantes (ſie hat auch verfloſſenen Sommer Memoiren aus den Zeiten des Kaiſerreichs herausgegeben) iſt uͤbrigens eine rechte Klatſchlies, und erzaͤhlt alles im Tone einer buͤrgerlichen Frau Baſe. 115Sie mag eine muntere Franzoͤſin ſeyn, denn die Sentimentalitaͤt, die ſie manchmal verſucht, gelingt ihr gar nicht; ſie bringt keine Thraͤne zu Stande, und wenn ſie darauf hinarbeitet, ſieht es ſo komiſch aus, wie ein Menſch, der nieſen moͤchte und nicht kann. Une fête au Palais-Royal von Salvandy, dem Schuͤler Chateaubriands in Styl und Politik, beſchreibt das glaͤnzende Feſt, welches der Herzog von Orleans vier Wochen vor der Revolution dem Koͤnige von Neapel gegeben, wobei Charles X. zugegen war. Da war leicht ſchoͤn beſchreiben; ſchon dieſes mein kurzes Inhalts-Verzeichniß iſt ein Gemaͤlde, ein Gedicht, ein Drama. Sal¬ vandy iſt einer von den bequemen Carliſten, die in Pantoffeln und im Schlafrock die Ruͤck¬ kehr Heinrichs V. abwarten, und unterdeſſen manche Thraͤne in ihren Wein fallen laſſen. Er erinnert ſich mit Wehmuth jenes herrlichen Feſtes, das auf der Grenze zweier Mon¬8 *116archien gegeben worden. Weil ihm das Herz ſo ſchwach, traut er ſeinem Kopfe nicht. Er fraͤgt: De quel style décririez-vous les danses dont rétentissait peut-être Herculanum la veille du jour qui se leva le dernier sur la cité condamnée? So ſind die Legitimi¬ ſten. Wenn ſich Peter ſtatt Paul auf einen Thron ſetzt, ſehen ſie darin den Untergang ei¬ nes verfluchten Landes. Vier tauſend Gaͤſte waren verſammelt. Charles X. trat zwiſchen dem Herzoge von Orleans und dem Koͤnige von Neapel in den Saal. Nach wenigen Wochen war der eine vom Throne geſtuͤrzt, der zweite todt, der dritte Koͤnig! Charles X. ſagte, den Himmel betrachtend zu Salvandy: il fait beau temps pour ma flotte d'Algier. ... Au mo¬ ment que j'écris, le pirate que Charles X. décrêta de punir, se promène au milieu de nous, parâit dans la même Palais-Royal d'où Charles X. suivait son foudre vengeur117 lancé sur l'aile des vents, le dey d'Algier enfin peut vivre dans nos murs. Charles X. ne pourroit pas y mourir. Salvandy ſprach mit einem der Miniſter Karls uͤber die Gefah¬ ren des Kampfes, worin die koͤnigliche Gewalt ſich eingelaſſen. Nous ne reculerons pas d'une semelle, m'avait-il dit. Eh bien, lui répondis-je, le roi et vous reculerez d'une frontière. Das iſt ſchoͤn, wenn es wahr iſt ... Auch unſer Béranger hat ein Gedicht in das Buch geliefert und ein recht ſchlechtes. Es iſt eine Ode an Chateaubriand in Genf, die ihn freundlich bittet, nach Frank¬ reich zuruͤckzukehren:

Chateaubriand, pourquoi fuir ta patrie,
Fuir son amour, notre encens et nos soins?
N'entends-tu pas la France qui s'écrie:
Mon beau ciel pleure une étoile de moins?

Pleure une étoile de moins! Was iſt nur dem ſchlichten Béranger eingefallen, ſich mit118 ſolchem abſcheulichen eau de mille fleurs zu parfuͤmiren! Wer hieß aber auch den ehrlichen Mann Lobgedichte ſchreiben? Wer nicht zu ſchmeicheln gewohnt iſt, dem gelingt es ſchwer ſelbſt das Verdienſt zu loben. Chateaubriand antwortete ihm in einem Briefe, der, ob zwar in Proſa geſchrieben, weit dichteriſcher iſt, als Bérangers Gedicht. Chateaubriand weiß die Lobpreiſung eines unbeſtechlichen Man¬ nes zu ſchaͤtzen. Comment ſerais-je[invul¬ nérable] à la flatterie d'une Muse qui à dé¬ daigné de flatter les rois? Aber nein, ſagte er, ich werde nicht zuruͤckkommen. Jamais je ne me rapprocherai de ces hommes qui ont dérobé à leur profit la révolution de juillet, de ses écornifleurs de gloire, de courage et de génie. Schmarotzer des Ruhms man kann das nicht beſſer ſa¬ gen: Malgré les génuflexions de notre di¬ plomatie et à cause même de ses mains119 mendiantes, il ne me parait pas très-cer¬ tain qu'on nous aumone la paix. Perrier und ſeine Leute nennt er: la coterie coléri¬ que, sans dignité, élevation. Uebri¬ gens verſpricht er, uͤber die Lage Frankreichs bald eine neue Brochure herauszugeben. Die¬ ſe iſt auch bereits erſchienen, und ich werde darauf zuruͤckkommen. Es wird einem doch immer warm, ſo oft man Chateaubriand, lieſ't, zuweilen auch ſchwuͤl; aber was liegt daran? Beſſer als kalt; das Fenſter iſt leicht geoͤffnet.

Ich haͤtte ſo gerne nachholen moͤgen, was waͤhrend meiner Abweſenheit von Paris an bedeutenden Komoͤdien auf die Theater ge¬ kommen, was an guten Buͤchern erſchienen iſt; aber nicht moͤglich nachzukommen. Nicht ein¬ mal das Neueſte jedes Tages iſt zu verbrauchen. Es iſt zu verzweifeln. Das iſt gar nicht Le¬ ben zu nennen, wenn die Vergangenheit ſtuͤnd¬ lich waͤchſt, und die Gegenwart gar nicht auf¬120 kommen kann und gleich nach der Geburt ſtirbt. Da iſt es doch in unſerm guten Va¬ terlande beſſer; da ſteht die Gegenwart mit ihrem dicken Bauche und breiten Ruͤcken feſt auf den Beinen, und nimmt ſo viel Platz ein, daß nicht die ſchmalſte Zukunft vorbei kann. Geſtern las ich das Verzeichniß der in dieſem Herbſte erſchienenen neuen deutſchen Buͤcher. Hundert und mehr Schriften uͤber die Cholera! Ich bekam Leibſchmerzen nur vom Leſen des Catalogs. Sonſt habe ich nichts von Bedeu¬ tung angezeigt gefunden, auſſer dem folgen¬ den Werke, wornach ich ſehr ſchmachte. Es iſt wahrſcheinlich eine Satyre gegen den deut¬ ſchen Bundestag; denn unſere malizioͤſen Lands¬ leute, man kann es nicht leugnen, misbrau¬ chen die Preßfreiheit gar zu arg. Das Buch hat den Titel: Das Schabbes-gaͤrtle von unnere Leut; eppes mit e Roritaͤt Geblumes fuͤre Brautschmuck. E Chetisch meloche,121 von Itzig Feitel Stern. Mit eppes neun Stuͤck ganz feine gillmelirte Kupferstichlich etc. Es iſt in Meiſſen erſchienen, wo man gutes Porzellain macht und das beſte Deutſch ſpricht. Unter Schabbes-Gaͤrtle, wird gewiß die[Bundesverſammlung] gemeint, und un¬ nere Leut, das ſind, Baden, Baiern, und die andern kleinen Fuͤrſten, welche ſechs Mo¬ nate lang bei ihren ſauren Staͤnde-Arbeiten ſehr geſeufzt und geſchwitzt, jetzt aber im ſie¬ benten ſich ausruhen und im Schabbes-Gaͤrtle ſpazieren gehen. Chetisch Meloche iſt der Untergang der Polen und Roritaͤt Geblumes ſind die ſchoͤnen Reden der patriotiſchen De¬ putirten in Karlsruhe und Muͤnchen. Ein Pferd, ein Pferd nein einen Eſel, einen Eſel, ein Koͤnigreich fuͤr einen Eſel! Was ich damit machen will? Die Haut will ich ihm abziehen und Jemanden hinein naͤhen. Wen? Das iſt ein Geheimniß. Es iſt nur8*122gut, daß ich uͤber dreißig Jahre alt bin; jetzt brauchte ich nur badiſcher Staatsbuͤrger zu werden, dann kann ich in Karlsruhe eine Zei¬ tung herausgeben, ſobald ich Kaution geleiſtet. Einen Eſel, einen Eſel, meine ſaͤmmtlichen Schriften fuͤr einen Eſel! Man kann aber uͤber Deutſchland gar keinen dummen Spaß mehr machen. Man ſoll den Teufel nicht ru¬ fen, auch nicht im Scherze. Als ich Ihnen voriges Jahr geſchrieben: Geben Sie acht, man wird bei uns Cenſur und Kaution zu¬ gleich feſtſetzen, ſchaͤmte ich mich Narr ſpaͤter und dachte bei mir: du biſt aber auch gar zu argwoͤhniſch; ſo dumm, ſo ſchlecht ſind ſie nicht. Ueber das Schabbes-Gaͤrtle darf man gar nicht ſprechen, und ſo oft jetzt unſere Fuͤrſten die Klagen ihrer Voͤlker nicht werden hoͤren wollen, werden ſie ſich in das Schabbes - Gaͤrtle zuruͤckziehen. Der Deputirte Seufert in Muͤnchen hat mit deutſcher Bangigkeit die123 Kammer aufgefordert, ſich zuruͤckzuziehen und den Kampf um Freiheit aufzugeben. Sie wiſ¬ ſen ihre Haͤnde nur zum Schreiben zu gebrau¬ chen, dieſe ungluͤckſeligen Gelehrten! Er ſagte: Warſchau iſt gefallen, die Reformbill iſt ge¬ fallen, die Feinde der fortſchreitenden Ent¬ wicklung freiſinniger Staatseinrichtungen erhe¬ ben mit friſchem Muthe das Haupt, die Vorſtellungen und Reklamationen der Diplo¬ maten, welche den Abſolutismus repraͤſentiren, werden dem Vernehmen nach zudringlicher und hochfahrender. So ſpricht ein Mann, der ſich einen Vertheidiger des Volkes nennt! Alſo weil wir Widerſtand gefunden, ſollen wir gleich die Waffen ſtrecken? Haben ſie denn erwartet daß man ihnen die Freiheit auf goldenen Schuͤſſeln mit einem artigen Complimente in das Haus bringen werde? Wie feige macht doch die Gelehrſamkeit! Tauſende von edlen Polen haben Armuth und Verbannung einer124 ſchmachvollen Unterwerfung vorgezogen. Die Ungluͤcklichen! Das Korps des Generals Ry¬ binski, das ſich nach der preußiſchen Grenze zuruͤckgezogen, iſt dort im jammervollſten Zu¬ ſtande angekommen. Alle, die Mitglieder der National-Verſammlung, Miniſter, Generale, Magiſtratsperſonen, Offiziere, Soldaten, ſogar die Weiber und Kinder, wanderten barfus durch den Koth, und ſehr wenige hatten eine Kopf¬ bedeckung. Selbſt der Generaliſſimus Rybinski hat weder Hut noch Mantel. Und als ſie in ſolcher Erſchoͤpfung das preußiſche Gebiet er¬ reicht, war die erſte Sorge der preußiſchen Behoͤrden, alle Miniſter und Senatoren in ein Kloſter zu ſperren, und dort mußten ſie fuͤnf¬ zehn Stunden ohne Nahrung zubringen! Und ſo ein Wuͤrzburger Profeſſor, der im Schlaf¬ rocke am Kamin ſitzt und Bier trinkend ſeine Reden ausarbeitet, ſagt ſeinen Federgenoſſen, ſie haͤtten lang genug gekaͤmpft, Heldenmuth125 genug gezeigt, und ſie ſollten ſich der Noth¬ wendigkeit unterwerfen! Welche Welt iſt das! Sie zu ertragen haben wir einen Gott zu viel oder einen zu wenig. Chriſtus muß den Himmel verlaſſen, daß wir alle Hoffnung und allen Glauben verlieren, Liebe und Freiheit als thoͤrigte Traͤume vergeſſen, und in der Menſchheit nicht mehr erblicken, als mechani¬ ſche und chemiſche Kraͤfte, die ſich wechſelſei¬ tig verdraͤngen und zerſtoͤren, ſich aus Eigen¬ nutz verbinden und aus Habſucht verſchlingen. Oder ein anderer Chriſt muß kommen, der uns fuͤr neue Leiden neuen Glauben, neue Hoffnung bringt.

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Ein miniſterielles Blatt aͤrgert ſich ſehr uͤber das Fallen der Renten, das Montag ſtatt ge¬ habt, und ſcheltet die reichen Leute Poltrons. Der Kraͤmer-Miniſter Perrier hat ſeinen Puls auf der Boͤrſe und zwiſchen zwei und vier Uhr Nachmittags iſt er immer krank. O Schande uͤber die Nation! Schmach uͤber Iſrael! Herr von Rothſchild iſt von den hieſigen Gerichten zu zweitaͤgiger Gefaͤngnißſtrafe verurtheilt worden, weil er trotz wiederholter Ermahnung, ſein Ka¬ briolet nicht wollte numeriren laſſen. Wahr¬ ſcheinlich trotzt er auf den diplomatiſchen Cha¬ rakter, den ihm ſein General-Conſulat giebt. Ein Rothſchild ſoll ſich gegen das Numeriren wehren! Haͤtte er niemals numerirt, waͤre er nicht geadelt und diplomatiſirt worden. Um127 ſeiner ſchoͤnen Augen willen iſt es nicht geſchehen.

Geſtern Abend habe ich doch einmal wieder eingeſehen, wozu Gott den Menſchen Ohren ge¬ ſchaffen hat; man vergißt das leicht und oft. Ich habe die Malibran in der diebiſchen Elſter gehoͤrt. Nun, jetzt bin ich doch wieder verliebt, und Kaſimir Perrier kann froh daruͤber ſeyn; das wird ihm etwas Ruhe vor mir verſchaffen. Sie trat nach langer Abweſenheit zum Erſtenmal wieder auf und wurde vom Publikum mit noch mehr Liebe als Geraͤuſch empfangen. Das war deutlich zu merken. Auch mußte ſie die ange¬ fangene Arie wieder unterbrechen, denn die Ruͤh¬ rung unterdruͤckte ihre Stimme. Nun moͤchte ich wiſſen, ob das Natur oder Kunſt war: dem Teufel kann man trauen, aber keiner Komoͤdian¬ tin. Ich kann ganz mit Ernſt verſichern, daß ich verliebt in ſie bin, nicht in ihre Perſon, aber in ihrem Geſang und noch mehr in ihr Spiel. 128Und Spiel in einer Oper! wer denkt nur an ſo etwas, wer erwartet es? Nie habe ich eine Schauſpielerin geſehen, die ſo aufmerkſam iſt, auf ſich und auf die andern. Sie vergißt nichts, weder bei der leidenſchaftlichen Bewegung, noch in der gleichguͤltigſten Ruhe. Sie vergaß nicht einmal die Servietten auszuſchuͤtteln, als ſie den Tiſch abdeckte. Es ſteht keiner auf der Buͤhne und es moͤgen der Mitſpielenden noch ſo viele, deren Rollen noch ſo unbedeutend ſeyn, fuͤr den ſie nicht einen eigenen Blick, eine eigene Bewe¬ gung haͤtte. Sie ſpielt fuͤr alle. Die Darſtel¬ lung der thaͤtigen Leidenſchaften, des Haſ¬ ſes, des Zorns, der Verachtung, der handeln¬ den Verzweiflung gelingt ihr meiſterhaft, und ganz durchſichtig wie ſie iſt, ſieht man die Lei¬ denſchaften nicht blos in ihrer Reife, ſondern man kann ſie vom erſten Keime an bis zu den Fruͤchten verfolgen. Sie muß viel ſtudiren, viel nachdenken, viel leſen, ſogar mediziniſches. Wo¬129 her wuͤßte ſie ſonſt alle pathologiſchen Bewe¬ gungen des Koͤrpers ſo Naturtreu darzuſtellen? Ich mußte manchmal die Augen von der Buͤhne abwenden, um nur wieder Athem zu ſchoͤpfen; denn wenn man die Pulsſchlaͤge zaͤhlt, die zu ſolchen Gemuͤthsbewegungen gehoͤren, wird ei¬ nem ganz angſt bei der Rechnung. Mein kuͤhles Urtheil: daß die Malibran oft zu natuͤrlich ſpiele, hieß ich mit Unwillen ſchweigen, ſo recht es auch hat. In der Tragoͤdie, ſowohl im Gedichte als in der mimiſchen Darſtellung, darf zwar die Perſon handeln; aber leiden darf nur der Menſch. Die Perſon leiden zu ſehen was hat man davon? (Es iſt doch ſchoͤn, daß ein Kritiker nichts zu fuͤrchten hat; haͤtte das: was hat man davon? ein Anderer geſagt, ich wollte mich ſchoͤn uͤber ihn luſtig machen.) Der Koͤrper ſoll die Lei¬ den der Seele durchblicken laſſen; wird er aber ſelbſt truͤbe, wie kann da die Seele durch¬III. 9130ſcheinen? Das vergißt die Malibran zuweilen und ihre leidenſchaftlichen Bewegungen werden dann zu Nervenkraͤmpfen. Aber ach! wenn man mit der Geliebten ſchmollt, es dauert nicht lange. Sie ſpielt doch himmliſch. Und Rubini, Lablache! Was ſoll ich noch viel ſagen? Ich koͤnnte doch nicht mehr heraus¬ bringen als unſere deutſche Morgen - und Abendblaͤtter: der geſtrige Abend war ein genußreicher Abend.

Jetzt Adieu Malibran II., Malibran I. koͤmmt. So ſchrieb ich, als ich Konrad mit Ihrem Briefe hereintreten ſah. Aber ich bitte, gebrauchen Sie kuͤnftig ſtatt vier nur drei Ob¬ laten. Dann koͤnnte ich doch wenigſtens ſaty¬ riſch ſeyn und Ihr fuͤrchterliches Geſiegel mit dem dreikoͤpfigen Cerberus vergleichen, der grim¬ mig alle Neugierigen abwehrt. Lieber Satan, ſagen Sie mir doch, wer, der nicht muß, wird denn in Ihren ſauren Brief hineinſehen? O131 wie verwuͤnſche ich die Cholera, daß ſie mir durch ihre Raͤucherungen mein Gluͤck ſo ver¬ ſaͤuert! Sie fragen mich: wie es denn meine Bekannten hier machen, wenn die Cholera koͤmmt? Mein Gott, wenn Sie darunter fremde Deutſche verſtehen, ſo ſind ja das meiſtens ſorgenloſe junge Leute, die erſtens ſolche Gefahren gar nicht beunruhigen, und die, da es ihnen oft an Geld fehlt, an wei¬ te Flucht nicht denken koͤnnen. Heine ſagt mir, er wuͤrde nicht hier bleiben, ſondern nach der Schweiz gehen. Sie koͤnnen ſich denken, daß die reichen lebensluſtigen Pariſer, die keine Nothwendigkeit an Paris feſſelt, fortlaufen werden. Was mich betrifft, ſo will ich mir voraus gar nicht daruͤber den Kopf zerbrechen. Da die Nachricht von der Cholera in England heute widerrufen wird, ſehe ich nicht ein, wie ſie ſo ſchnell nach Paris kommen ſoll, und das wird ſich wohl noch bis zum Fruͤhlinge9*132hinziehen. Vor einiger Zeit habe ich recht an¬ genehm geſchwaͤrmt mit meiner Flucht. Ich wollte nach Marſeille reiſen und von da nach Genua, damit ich doch einmal das Meer und italieniſchen Himmel zu ſehen bekaͤme. Es iſt doch eine rechte Suͤnde, daß ich hier ſitze und das viele Geld verzehre und fuͤr das nehmliche Geld, ja fuͤr weniger, koͤnnte ich den Winter im ſuͤdlichen Frankreich oder im noͤrdlichen Italien vertraͤumen. Ich habe die groͤßte Sehnſucht einmal aus dieſem nordiſchen Kli¬ ma der Politik und des Verſtandes zu wandern, und unter einem Himmel der Natur und Kunſt zu athmen. Was halten Sie davon?

Die Schroͤder-Devrient hat vor einigen Tagen beim italieniſchen Theater als Donna Anna debuͤtirt und hat in hohem Grade mis¬ fallen. Sie wird in den oͤffentlichen Blaͤttern ſtreng beurtheilt, und man ſcheint Recht zu133 haben. Im deutſchen Theater gefiel ſie den Pariſern ſehr, und da kam die Eitelkeit uͤber ſie und ſtach ihr die Augen aus. Jetzt be¬ geht ſie gar noch den tollen Uebermuth und tritt naͤchſten Sonntag zugleich mit der Mali¬ bran und zwar in einem Stuͤcke auf, worin ſie deren Rolle uͤbernimmt. Sie wird im Othello die Desdemona ſingen und die Mali¬ bran den Mohr. *** ſagte mir heute: die Malibran (es iſt ihr Benefiz) habe das ſo angezettelt, um die Devrient auf einmal und fuͤr immer zu ſtuͤrzen. Mein vaterlaͤndi¬ ſches Herz blutet mir bei dieſer traurigen Aus¬ ſicht. Ich bin in einer ſchrecklichen Lage. Ich wuͤnſche den Triumph der Malibran, und wuͤrde doch den Fall der Devrient beweinen. So zwiſchen Liebe und Patriotismus geklemmt was ſoll ich thun, wie ſoll ich mich er¬ leichtern? Theure Freundin, helfen, rathen Sie. Welche Zeit! wohin ſoll man ſich wenden?134 wo findet das zerriſſene Herz einen geſchickten Schneider? Wo? Im Weimariſchen, in dem gluͤcklichen Lande, wo die Liebe befiehlt und die Liebe gehorcht.

Das Verbot der Bockenheimer Zeitung das iſt die graue Narrheit, die vor Alter kindiſch geworden. Sie wollten keine Blitzab¬ leiter; nun um ſo beſſer. Dann wird das Donnerwetter ſtatt in die Erde auf die Dummkoͤpfe ſelbſt herabfahren, und wir wer¬ den ſie los. Selbſt der tuͤrkiſche Kaiſer laͤßt jetzt eine Zeitung ſchreiben! Wenn die tuͤr¬ kiſche Regierung im Liberalismus ſo weit vorſchreitet, als Deutſchland zuruͤckgeht, dann werden Frankfurt und Konſtantinopel bald auf135 einander treffen. Wahrhaftig ich bewundere den Sultan, ob ich zwar das gar nicht noͤ¬ thig haͤtte, um unſere chriſtliche Fuͤrſten zu verachten. Bei dieſen, wo ihr boͤſer Wille aufhoͤrt, beginnt erſt ihre Schwaͤche. Keiner von ihnen hat den Muth, dem Widerſtreben ihres Hofes, ihres Adels gegen die Entwick¬ lung der Volksfreiheit ſich entgegen zu ſetzen. Der Kaiſer von Rußland iſt ſo feige und ſchwach, daß er nicht wagt die Polen frei zu geben, weil es ſeine ruſſiſchen Hofbaͤren nicht wollen. Und der Sultan ſteht ganz allein, hat kein Volk auf ſeiner Seite, gegen ſich aber den Poͤbel, die Geiſtlichkeit und die Ariſtokratie, und doch laͤßt er ſich nicht ein¬ ſchuͤchtern und geht auf dem Wege der Ver¬ beſſerungen muthig vorwaͤrts! Und der Adel, der dem Sultan feindlich entgegenſteht, iſt kein entnervter, haſenfuͤſſiger, an ſeidenen Baͤndern wie Huͤndchen gefuͤhrter europaͤiſcher136 Adel; es ſind keine parfuͤmirten Diplomaten in ſeidenen Struͤmpfen und glaſirten Hand¬ ſchuhen es iſt eine Militair-Ariſtokratie, es ſind die reichen wilden Janitſcharen. Aber freilich iſt Mahomet nicht am Kreuze geſtor¬ ben, und Dulden und Warten wird ſeinen Glaͤubigen nicht als Heldenmuth gelehrt. Ich begreife nur nicht, wie ſich der Sultan jetzt ſchon ſo viele Jahre, unter ſeinen zahlloſen Feinden, gegen die, im Dunkeln ſchleichend, kein Muth ſchuͤtzt, hat erhalten koͤnnen. Ganz gewiß ließ er ſich von Wien einen Kunſtverſtaͤndigen kommen, der ihm eine ge¬ heime Polizei auf chriſtlichen Fuße eingerich¬ tet hat.

Der Koͤnig von Wuͤrtemberg hat einen oͤffentlichen Befehl erlaſſen, wodurch den Of¬ fizieren ſtreng unterſagt wird, von Politik zu ſprechen und Geſellſchaften zu beſuchen, worin dieſes geſchieht. Ich habe doch in dieſer un¬137 gluͤcklichen Zeit wenigſtens die Schadenfreude, wahrzunehmen, wie ſehr ſich die deutſchen Fuͤrſten ſeit einem Jahre geaͤrgert haben. Jetzt ſteigt ihnen die Saͤure auf, ſo ſtark, in ſolcher Menge, daß man die ganze nordiſche Briefpoſt an der franzoͤſiſchen Grenze damit desinfiziren koͤnnte. Es giebt doch nichts ko¬ miſchers, als ſolch eine altvaͤteriſche Regie¬ rung. Von der Cholera, die doch gewiß kon¬ tagioͤs iſt, haben ſie aus politiſchen Gruͤnden behauptet, ſie ſey miasmatiſch, und von der Politik, die miasmatiſch iſt, behaupten ſie aus choleriſchen Gruͤnden, ſie ſey kontagioͤs. O! Doch will ich mit dieſem O! keineswegs ge¬ ſagt haben, daß mir der Koͤnig Philipp nicht auch ſoll geſtohlen werden. Hat mir dieſer Volks-Koͤnig, der ſich ein halbes Jahr lang den Pariſern nie anders zeigt, als wie ein deutſcher Opern-Koͤnig mit der Hand auf dem Herzen, ein großes Stuͤck von meinen138 Tuillerien weggenommen, und ich betrete nie den Garten, ohne zu erſtaunen uͤber dieſe Kuͤhnheit und uͤber dieſe Nachſicht auf beiden Seiten. Das hat keiner der legitimen Koͤ¬ nige vor Orleans zu thun gewagt, zu thun je Luſt gezeigt. Er laͤßt ſich einen Privat - Garten fuͤr ſich und ſeine Kinder aus dem uſurpirten Theile machen. Er hat gar nicht das Recht dazu, denn die Tuillerien gehoͤren ihm nur als Koͤnig, und was ihm als Koͤ¬ nig gehoͤrt, daran hat das Volk auch Theil. Und was noch bedenklicher iſt, nicht die Hab¬ ſucht, die Furcht hat Louis-Philipp zu die¬ ſer Uſurpation verleitet. Er laͤßt hohe Ter¬ raſſen aufwerfen, Mauern und Graben zie¬ hen, um das Schloß von der Gartenſeite ge¬ gen einen Andrang zu ſchuͤtzen. Er fuͤrch¬ tet ſich Frankreich mag ſich vorſehen. Die Verkleinerung des Tuillerien-Gartens, das waͤre alſo die einzige Folge der franzoͤſi¬139 ſchen Revolution, die ſich mathematiſch be¬ zeichnen laͤßt; alles uͤbrige iſt Metaphyſik. Die Folgen, welche die Juli-Revolution fuͤr Deutſchland gehabt, ſind viel deutlicher. 1. Die Cholera. 2. In Braunſchweig hatten ſie ſonſt einen Fuͤrſten, der es wenigſtens nicht mit dem Adel hielt; jetzt haben ſie Einen der ſich vom Adel gaͤngeln laͤßt. 3. Die Sach¬ ſen haben ſtatt einen Fuͤrſten jetzt zwei. 4. Die Heſſen haben ſtatt der alten fuͤrſtlichen Maitreſſe eine junge bekommen. 5. In Baden konnte man fruͤher eine Zeitung ſchrei¬ ben ohne Kaution, jetzt muß man eine lei¬ ſten. 6. Wer in Baiern den Koͤnig belei¬ digte, mußte fruͤher vor deſſen Oelbilde Ab¬ bitte thun; jetzt kommt der Beleidiger auf fuͤnf Jahre in das Zuchthaus. Da weiß man doch wenigſtens, woran man iſt!

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Neunter Brief.

Die Geſchichte mit Belgien iſt noch nicht zu Ende, auch nicht einmal in dem Sinne der guten kurzſichtigen Menſchen, die in der Aus¬ gleichung dieſes Streites das Ende aller Ver¬ wirrung ſehen. Was mich betrifft, werde ich die Annahme des aufgezwungen Friedens von beiden Partheien doch nur als einen Waffen¬ ſtillſtand fuͤr dieſen Winter anſehen. Und auf dieſes miſerable Fundament von Backſteinen glaubt Caſimir Perrier, das ſchwache Gebaͤude141 des europaͤiſchen Friedens ſtuͤtzen zu koͤnnen, und ehe es noch aus der Erde herausgearbeitet, ſteckt er ſchon ein Baͤumchen auf und haͤlt eine betrunkene Kranzrede, als waͤre das Dach fertig! Die Wage des Schickſals in der bemehlten Hand eines Kraͤmers zu ſehen, nein, man koͤnnte daruͤber von Sinnen kommen! Giebt es denn etwas laͤcherlicheres, als das Schmunzeln dieſes Miniſters, ſo oft er eine Nachricht erhal¬ ten, Preußen oder Oeſterreich vermindere ſeine Truppen, beurlaube ſie! Es iſt wie die Freude eines Kindes, wenn es wahrnimmt, daß Mam¬ ma die Ruthe wieder hinter den Spiegel ſteckt, die ſie drohend hervorgeholt. Es iſt wie die Heiterkeit, wie das aufbluͤhende Geſicht eines Bauchfluͤſſigen, wenn er erleichtert vom Nacht¬ ſtuhle aufſteht, wohin ihn Leibſchmerzen getrie¬ ben, und ach! ruft. Dieſes Frankreich, vor dem, es iſt noch kein Jahr, zwanzig Fuͤrſten hinter den zwei Millionen ihrer Wachen zitter¬142 ten; dieſes Frankreich der drei Tage, das ein erſchrecktes Jahrtauſend vor ſich hertrieb es iſt folgſam wie ein Schulbube, und lernt alle Tage ſeine Lektion, und laͤßt ſich alle Tage examiniren, um zu zeigen, daß es ſeine Lektion gelernt hat! Und was zum Lohne fuͤr alle dieſe ſchmachvollen Opfer? Daß der junge Koͤnig Philipp mit den alten Koͤnigen wird ſpazieren gehen duͤrfen, wenn dieſe nach einer ſauern Woche wieder einen Feiertag bekommen! Aber Sie muͤſſen die neue Schrift von Chateaubriand leſen. Sie hat mich erquickt durch alle Adern. Mein ganzes Herz hat er ins Franzoͤſiſche uͤber¬ ſetzt, und wie viel ſchoͤner iſt die Ueberſetzung als das Original! Ich weiß nicht, was die ſchoͤnſte Freude des Lebens iſt; aber die groͤßte iſt gewiß die Schadenfreude, die wir uͤber die Niederlage und Beſchaͤmung unſerer Feinde em¬ pfinden. Chateaubriand ſchlaͤgt mit eiſernen Keulen, die er in ſeinem Zorn gluͤhend gemacht,143 auf die franzoͤſiſche Zwergregierung, die ich haſſe, ob ich ſie zwar verachte. Frankreich hat ſie nur der Gegenwart beraubt, und wie groß der Raub auch iſt, man kann ihn zaͤhlen, berechnen, man weiß was man verlohren, was man wieder zu bekommen ſuchen muß. Uns, uns Deutſchen aber, hat Koͤnig Philipp eine ganz unberechen¬ bare Zukunft geſtohlen. Geſtern hoͤrte ich, der Kaiſer von Oeſterreich habe den Caſimir Perrier den Stephans-Orden ſchenken wollen, aber der oͤſterreichiſche Geſandte hier, daruͤber vorlaͤufig um Rath gefragt, habe erwiedert: es ſey noch nicht die Zeit. Wie tief wird Frankreich noch ſinken, wie hoffnungslos wird noch Deutſch¬ land werden muͤſſen, bis Perrier den Stephans - Orden verdient! Wie verhoͤhnt ihn aber auch Chateaubriand. Redet nicht von Ehre, die Renten wuͤrden um zehn Centimen fallen. Wegen ſeines Muthes, ſeiner Treue und ſeines gluͤhenden Eifers fuͤr Recht und144 Wahrheit, darf man dieſem Schriftſteller die Kinderei nachſehen, daß er fuͤr das Kind Bor¬ deaux ſich bemuͤht, und man ſoll nur laͤcheln daruͤber, als uͤber eine Schwachheit. Die Men¬ ſchen haben immer wunderliche Gottheiten ge¬ habt; der eine betet Fizli-Puzli, der andere die Legitimitaͤt an. Aber alles was er gegen das franzoͤſiſche Miniſterium ſagt, gegen deſſen Ver¬ waltung im Innern und nach Außen, iſt klar wie die Sonne und rein wie Gold. Die Wahl-Monarchie hat der Fahne, der ſie ſich bemaͤchtigt, bis jetzt noch wenig Ruhm ver¬ ſchafft. Sie weht nur uͤber der Thuͤre der Miniſter und unter den Mauern von Liſſa¬ bon; ſie wurde nur von den Winden zerriſſen; der Regen faͤrbt ſeinen Purpur und ſein Him¬ melblau ab, und uͤbrig bleibt ein ſchmuzig weißer Lappen, die natuͤrliche Farbe der Ba¬ ſtard-Legitimitaͤt ... Der Scepter des jungen Heinrichs, geſtuͤtzt von den Haͤnden des jungen145 Frankreichs, waͤre fuͤr die Ruhe Frankreichs, ja fuͤr das Gluͤck ſeines jetzigen Beherrſchers ſelbſt, weit erſprießlicher geweſen, als eine um einen Pflaſterſtein gewundene und aus dem Fenſter geſchleuderte Krone; eine Krone, die zu leicht, wenn ſie ſich von ihrem Gewichte trennt, zu ſchwer, wenn ſie daran befeſtigt bleibt .... Ehrwuͤrdige Perſonen, die Praͤla¬ ten der Quaſi-Legitimitaͤt, betrachten uns als tolle Hunde, immer bereit auf Europa loszu¬ fahren, wenn nicht tuͤchtige Knechte uns an der Kette hielten. Das haben Franzoſen oͤf¬ fentlich geaͤußert! Sie haben ihr Vaterland aufgedeckt, ſie haben mit dem Finger auf deſſen geheime Schaͤden gezeigt; ſie haben es dem Hohne der Maͤchte blosgeſtellt; ſie haben uns dieſen als eine leichte Beute gezeigt, oder als Menſchen, denen nur der Schrecken Energie geben wuͤrde. Als unſer Muth von einſt, be¬ zeugt durch ſo viele Eroberungen, waͤre nurIII. 10146 das Ergebniß der Furcht geweſen, die hinter uns ſtand; unſer Ruhm nur die Folge unſerer Verbrechen! Seyd artig, hat man uns zu ſagen ſich erfrecht, und man wird nicht uͤber euch herfallen. Und ein ſolches Wort konnte aus dem Munde eines Franzoſen kommen! Und das Herz derer, die es gehoͤrt das Wort, hat nicht gezuckt! Und das Blut hat nicht gekocht in ihren Adern! Wenn das Gebaͤude vom July nur auf der Hingebung der Nationalwuͤrde ruht, wird es zuſammen ſtuͤrzen; man baut kein dauerhaftes Denkmahl auf Unehre. Triumphbogen, die man mit Koth zuſammen knetete, wuͤrden nicht auf die Nachwelt kommen.

Ueber die thoͤrigten Friedenshoffnungen des Miniſteriums und wie ſie, von Furcht geblendet, der Gefahr zueilen, die ſie fliehen moͤchten, druͤckt ſich Chateaubriand wie folgt aus: Zweifelt nicht daran, die fremden Maͤchte, welche die Frei¬147 heit unſrer Preſſe und Rednerbuͤhne, ſchon mit der Legitimitaͤt, mit Muͤhe aushielten, werden ſie mit dem eingeſtandenen Prinzipe der Volks¬ ſouveraͤnitaͤt und einer auf der Straße zuge¬ ſchlagenen Krone noch ſchwerer ertragen. Sie moͤgen ſich verſtellen, abwarten, vielleicht auf einige Zeit bis auf einen gewiſſen Grad ent¬ waffnen; ſie moͤgen euch ſagen, daß ihr durch euer friedliches Syſtem die Retter Europas ſeyd, und euer Stolz iſt vielleicht naiv genug, an dieſe grobe Schmeichelei zu glauben. Wenn ihr aber den verſchiedenen Maͤchten Zeit laßt, die Revolutionen, Toͤchter der eurigen, zu er¬ ſticken; wenn ihr ihnen ganz laut erklaͤrt, ihnen darthut, daß ihr keinen Krieg fuͤhren koͤnnt, ohne in einen Bankerott, oder in eine Schrek¬ kensregierung zu ſtuͤrzen dann habt ihr ge¬ gen die einfachſten Regeln eurer Selbſterhaltung gefehlt. Nicht die, welche die Ehre Frankreichs vertheidigen, fuͤhren den Krieg herbei; ihr ſeyd10 *148 es, die durch euer albernes Betragen Frank¬ reich einem neuen Einfalle blos ſtellt. Ihr wer¬ det fuͤr jetzt den Frieden haben, ich will es wohl glauben; man kann keinem den Degen in den Leib ſtoßen, der uns den Ruͤcken zukehrt. Aber fordert man in Frankreich, in dem Vater¬ lande der Ehre, auf ſolche Weiſe den Frieden?

Die Cholera iſt jetzt wirklich in England, und wird dort, wenn ſie ſich einmal verbreitet, verheerender werden, als in jedem andern Lan¬ de, weil England, Gott ſey Dank, eine ſchlech¬ te Polizei hat. Hat die Nachricht auf der frankfurter Boͤrſe keinen Eindruck gemacht? Der Dr. *** hier will ein ſicheres Mittel gegen die Cholera gefunden haben: man ſoll jeden Mor¬ gen Tiſane von Sauerampfer trinken. Das iſt ein ſaueres Fruͤhſtuͤck. *** hat ſich gegen die Cholera tauſend Stuͤck Blutigel ins Haus ge¬ nommen ou peut-on être mieux qu'au sein de sa famille?

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Ihr heutiger Brief hat mir ſehr großes Ver¬ gnuͤgen gemacht, und beſonders freue ich mich uͤber Ihre Freude an dem guten Erfolge mei¬ nes Buches. Ich haͤtte das nicht erwartet. Ich ſehe daraus wieder, wie wenig Kunſt das Herz bedarf, um zu gefallen; daß die Aufrichtigkeit immer bewegt, und daß man der Wahrhaftig¬ keit ſelbſt den Mangel der Wahrheit verzeiht. Denn weiß ich es nicht, wie oft ich mich geirrt haben kann? Weiß ich es nicht, daß tauſend Leſer anderer Meinung ſind als ich? Aber ſie ſehen, ſie fuͤhlen, daß ich meine Geſinnung treu ausgeſprochen, und darum ſind ſie zufrieden mit mir und glauben mir, wenn ſie auch nicht mei¬ nen Reden glauben. Es waͤre doch erſchrecklich, wenn ich wirklich nicht mehr wagen duͤrfte nach150 Deutſchland zu kommen! Dann koͤnnte ich ja auch Deutſchland nicht mehr verlaſſen, und ich waͤre um die ſchoͤnſten Stunden meines Le¬ bens geprellt. Es wird aber ſo ſchlimm nicht ſeyn, Ihr ſeyd zu aͤngſtlich. Man hat jetzt groͤßere Dummheiten, groͤßere Miſſethaten zu be¬ gehen; zu ſolchen kleinen Betiſen und Spitzbuͤ¬ bereien hat man keine Zeit. Was das diplo¬ matiſche Geſchwaͤtz heißen ſoll, ich haͤtte hier vielen nichtsnutzigen Deutſchen Stellen verſchafft, weiß ich wahrhaftig nicht. Vielleicht meint man Anſtellungen bei Zeitungsredactionen. Und auch dieſes hat keinen Sinn. Es wird wohl nichts anders ſeyn, als daß ich mehreren Deutſchen Nachrichten und Stoff zu misfaͤlligen Zeitungs¬ artikeln geliefert habe.

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Eines der kleinen hieſigen Blaͤtter enthielt geſtern folgendes: au cimetière Montmar¬ tre on lit cette inscription sur une tombe nouvelle: Ci gît M. le Baron Jean de Bruckmann, conseiller actuel de sa majesté le roi de Prusse. La place qu'occupe actuellement M. Bruckmann, ne lui sera enviée par personne. Es iſt ſchon traurig genug, daß deutſche Hofraͤthe nicht unſterblich ſind; aber daß ſie gar in Pa¬ ris ſterben, das iſt herzzerreißend. Man ſieht die ſchrecklichen Folgen. Erfrecht ſich ein un¬ verſchaͤmter Franzoſe, ſich uͤber einen koͤniglich¬ preußiſchen wirklichen Rath luſtig zu machen; was wuͤrde er ſich nicht erſt gegen einen un¬ reellen erlauben! Es muß doch ein unerklaͤr¬152 licher wunderbarer Zauber in einem Titel ſeyn! Es iſt das dritte edle Metall. Mancher, der dem Silber widerſteht, widerſteht doch dem Golde nicht, und wer dem Golde widerſteht, unterliegt oft einem Titel. Da iſt ein gewiſ¬ ſer Muͤnch, ein politiſcher Schriftſteller von einigen Talenten; der war fruͤher ein heißer Demagog, ſein Liberalismus ſtand auf 30 Grad Reaumuͤre im Schatten. Der Koͤnig der Niederlande machte ihn vor einigen Jahren zum Profeſſor, und augenblicklich ſank ſein Liberalismus auf 15 Grad. Kuͤrzlich wurde er vom Koͤnige von Wuͤrtemberg zum geheimen Hofrath ernannt, darauf kam Herr Muͤnch dem Gefrierpunkte ſehr nahe. Wird er einmal ge¬ heimer Regierungsrath, ſinkt er gar unter Null herab. Zwar erwarb er ſich durch ſein Sinken nicht blos einen Titel, ſondern auch einen jaͤhrlichen Gehalt von dreitauſend Gulden; aber das Geld iſt doch hier nur das Gebacke¬153 ne zur Chocolade, dazu gegeben um ſie be¬ quemer auszutunken; die Hauptfluͤſſigkeit bleibt der geheime Hofrath. Fuͤr den Gehalt beſorgt Herr Muͤnch die Stuttgarter Bibliothek, aber fuͤr den geheimen Hofrath arbeitet er an der Hofzeitung, und ſucht alle Tage zu beweiſen, daß die Regierung immer Recht hat dem Vol¬ ke gegenuͤber, und daß es ſehr loͤblich iſt, wenn ſie alles Schlimme ohne langes Zaudern auf einmal thue, damit das Volk den bittern Trank ſchnell hinunter ſchlucke; das Gute aber nur allmaͤhlig, daß man es mit langſamen Zuͤgen hinunter ſchluͤrfe und der Genuß um ſo dauernder ſey. Mit welcher raſtloſen Feind¬ ſeligkeit in Deutſchland die oͤffentliche Meinung verfolgt wird, mit welcher Unverſchaͤmtheit die Cenſur jede Wahrheit unterdruͤckt, und ſich zur unverlangten Beſchuͤtzerin ſelbſt jeder auslaͤn¬ diſchen Luͤge hervordraͤngt, ſobald dieſe Luͤge zum Vortheile einer Regierung gereicht da¬154 von liegt eben ein neuer Beweis mir unter den Augen. Dr. *** der ein Korreſpon¬ dent der allgemeinen Zeitung iſt, berichtete kuͤrzlich von dem Prozeſſe des Journaliſten Marraſt, der in ſeiner Zeitung, die Tribuͤne, den Miniſtern Soult und Perrier oͤffentlich vorgeworfen: ſie haͤtten bei dem Waffen-An¬ kauf in England ihren großen Vortheil gehabt. Der Bericht ſagt: Von Soult glauben vie¬ le Leute, es ſey nicht unmoͤglich, daß er neben ſeinen militairiſchen Beſchaͤftigungen auch auf Profit ausgehe; man erinnert an ſein Benehmen in Spanien, an ſeine unbe¬ zahlte Bildergallerie. Perrier ſteht ebenfalls im Rufe, als laſſe er ſich nicht gern einen Profit entgehen; auf ihn bezieht man allge¬ mein das Wort des Figaro: d'autres ont prêté à la petite semaine. Doch wir halten beide Miniſter in Betracht ihres allgemein rechtlichen Charak¬155 ters fuͤr unſchuldig. Zu dieſen unter¬ ſtrichenen Worten, bemerkte ***, von dem ich die allgemeine Zeitung leihe, mit der Feder: dies habe ich nicht geſchrieben. Das hat alſo die Augsburger Cenſur hinzugeſetzt. Oder vielleicht hat es der Redakteur der allge¬ meinen Zeitung ſelbſt gethan, ein talent¬ voller aber wunderlicher Mann, der ſeit zwan¬ zig Jahren mit wahnſinniger Beharrlichkeit den Stein der Weiſen ſucht, und ſich abmuͤht, die Diplomatik mit der Wahrheit zu amalga¬ miren, um eine goldene Zeitung hervorzu¬ bringen.

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Zehnter Brief.

In dem Buche des cent-et-un iſt auch ein Kapitel: la première représentation. Der Verfaſſer Merville, ſelbſt ein dramatiſcher Dich¬ ter, beſchreibt die Noͤthen und Aengſte, die der Dichter waͤhrend einer erſten Auffuͤhrung erlei¬ det: die unberechenbare Laune des Publikums, der Eigenſinn, die Willkuͤhr und der Unverſtand der Schauſpieler, die geheimen Schliche der Feinde, die Falſchheit der Freunde es iſt wirklich ſchauderhaft. Ein Thor, wer nach157 Ruhm ſtrebt, und ſein Gluͤck den Winden, ſeine Ruhe dem Waſſer anvertraut!

Nun, euere Allerheiligen-Revolution iſt ja ſchon wieder gedaͤmpft! Du brauchſt dich nicht zu ſchaͤmen. Frankfurt; auch Warſchau iſt gefallen, und war doch mehr als du. Die raͤthſelhafte Geſchichte war mir ganz klar, noch ehe ich in einem oͤffentlichen Berichte aus Mainz geleſen, daß man einen Theil der Bundesgarniſon, um Platz zu gewinnen, nach Frankfurt verlegen wolle. Das iſt's. Vier¬ zig Jahre der Kriege und Revolutionen ſind durch Frankfurt gezogen, und nicht einmal waͤhrend ſolcher ſtuͤrmiſchen Zeit hat dort das Militair eine Gewaltthaͤtigkeit, die Buͤrger¬ ſchaft ſich eine Empoͤrung gegen die Geſetze zu Schulden kommen laſſen. Ganz gewiß wurde hier oder dort der ſchwache Funke der Unzufriedenheit angeblaſen und Brennmate¬ rialien darauf geworfen. Das war leicht zu158 machen. Frankfurt iſt ja ſeit 1814 das Hauptquartier der vaterlaͤndiſchen geheimen Polizei, und der General-Stab iſt aus den vortrefflichſten Schurken zuſammengeſetzt. Un¬ ſere weiſe Regierung wird nun von den zehn¬ tauſend Buͤcklingen, die ſie ſeit fuͤnfzehn Jah¬ ren der Bundesverſammlung verehrt hat, nichts als die Ruͤckenſchmerzen uͤbrig behalten. Jetzt iſt wieder die verdammte Bockenheimer Zei¬ tung ſchuld an Allem! Sie werden in Deutſch¬ land noch verruͤckt uͤber die Zeitungen; es ſind die Furien, die das Gewiſſen unſerer Regie¬ rungen verfolgen. Ich las mit geſpenſtiſchem Grauſen, daß der Senat den Schatten einer Verordnung von 1660 aus dem Grabe her¬ vorgerufen, um die Bockenheimer Zeitung da¬ mit zu vertilgen; die Hexe von Endor haͤtte es nicht ſchauerlicher machen koͤnnen. Aber die Naivitaͤt, die unbeſchreiblich heitere Naivi¬ taͤt: daß jene alte Verordnung von 1660159 mit der jungen Geſetzgebung der deutſchen Bundesverſammlung in der liebevollſten Ein¬ tracht lebe wie unſer Senat erklaͤrte, verſcheuchte alle Schrecken der Nacht von mir, und ich mußte laut auflachen. Haͤtte ich ſo etwas geſagt, haͤtte man es fuͤr fre¬ velhaften Spott und Preßfrechheit erklaͤrt. Alle Arretirungen in Frankfurt waͤhrend der Unruhen wuͤrden bei Nacht vorgenommen. Was mich betrifft, ſo erklaͤre und entſchuldige ich einen ſolchen ſchaͤndlichen Friedensbruch leicht damit, daß dort die Regierung wie uͤberall der Antipode des Volks iſt, und ſie daher Tag hat, waͤhrend jenes Nacht. Wie aber unſere Buͤrger, unſere Advokaten, die ſich mit mathematiſcher Geographie und Moralphiloſophie nicht viel be¬ ſchaͤftigen, eine ſolche ſchauderhafte Gewaltthaͤtig¬ keit, einen ſolchen finſtern Uebermuth aus dem Mittel-Alter ertragen das begreife ich, das verzeihe ich nicht. In Frankreich iſt man ja160 freier im Gefaͤngniß, als bei uns in der Frei¬ heit. Der Polizei, die nur von Willkuͤhr lebt, die fuͤrchterliche Gewalt zu geben, jeden, den ſie anſchuldigt, jeden, den ſie beargwohnt, aus ſeinem, ſelbſt bei jedem Moͤrder heiligen unverletzlichen Aſyl, aus ſeiner Ruheſtaͤtte zu reißen, den Un¬ ſchuldigen oft von dem einzigen Zeugen ſeiner Unſchuld, vom Tageslicht zu trennen iſt eine Tyrannei ſo ſchaͤndlicher Art, daß wir ſie ſchwei¬ gend duldet, noch ſtrafbarer iſt, als wer ſie uͤbt. Und das in einem Staate, wo die Ge¬ richte im Dunkeln Recht ſprechen, und wo die Preſſe unter der ſchmaͤhlichſten Sklaverei ſteht! Wenn eine ſolche naͤchtliche Arretirung einen Fremden trifft, dann iſt er wie verſchwunden von der Erde, denn kein Tagesblatt darf Nach¬ richt geben von dem Werke der Finſterniß, und der Tod gewaͤhrte dann einem Solchen groͤßere Sicherheit als die Gefangenſchaft; denn einem Verſtorbenen wird doch wenigſtens ein oͤffent¬161 licher Todesſchein ausgeſtellt. Was machen denn in Frankfurt unſere jungen Geſetzgeber, unſere jungen Senatoren? Wie dulden ſie ſolche Schaͤnd¬ lichkeiten? Wozu denn haben ſie die Univerſitaͤ¬ ten des neunzehnten Jahrhunderts beſucht? Wenn ſie ſich in Frankfurt mit einem Staatsrechte und einer Geſetzgebung aus dem ſechszehnten Jahrhundert begnuͤgen, haͤtten ſie ihren Eltern die Studienkoſten erſparen koͤnnen. Das eben iſt der Jammer wir haben keine Jugend. Sobald ſie in den geſetzgebenden Koͤrper kom¬ men, werden ſie dickbaͤuchig; ſobald in den Se¬ nat, werden ſie grau; ſie beginnen mit geheu¬ chelter Sympathie und endigen mit aufrichtiger.

Sind Sie heute bei Verſtand? Dieſe Frage darf Sie nicht beleidigen; ich wuͤrde Sie nie fragen: ſind Sie heute bei Herz? Nun, wenn Sie bei Verſtand ſind, will ich Ihnen ein Raͤth¬ ſel aufgeben, das mich geſtern Abend eine halbe Stunde lang beſchaͤftigt hat, und das der erſteIII. 11162Philoſoph in der rue de Provence nicht zu loͤ¬ ſen vermochte. Beſchaͤmen Sie mich. In den hieſigen Blaͤttern ſtand vor einigen Tagen fol¬ gende oͤffentliche Ankuͤndigung, die aus der Ga¬ zette de la vallée cherry entnommen war. Ob dieſes Thal in Frankreich oder in der fran¬ zoͤſiſchen Schweitz liegt, weiß ich nicht. Il est dès à présent interdit à toute per¬ sonne quelconque d épouser mafille Betzy. Unterzeichnet: I. G. Miller. Wel¬ che Urſache kann ein Vater haben, jedem ohne Ausnahme zu verbieten, ſeine Tochter zu hei¬ rathen? Eines der erwaͤhnten Blaͤtter zerbricht ſich auch den Kopf daruͤber und ſtellt allerlei Vermuthungen auf, von welchen aber eine im¬ mer duͤmmer iſt als die andere. Selbſt die letzte, die der Zeitungs-Schreiber feſt hielt, befriedigte mich nicht, ob ſie zwar etwas fuͤr ſich hat. Der Zeitungs-Schreiber ſagt: nachdem er viele ge¬ lehrte Perſonen, unter andern, Apotheker, Laſt¬163 traͤger, Schriftſteller und Zahnaͤrzte zu Rathe gezogen, ſey er endlich bei der Idee ſtehen ge¬ blieben: daß die Tochter des I. G. Mil¬ ler ein Sohn ſey. Dieſe Sache iſt fuͤr ei¬ nen Franzoſen zu tief, in Deutſchland wird man es leichter herausbringen. Machen Sie ſich al¬ ſo an das Werk. Ich haͤtte große Luſt die Sa¬ che in eine Frankfurter Zeitung zu ſetzen, um die dortigen Gelehrten aufzufordern ſich mit die¬ ſer wichtigen Angelegenheit zu beſchaͤftigen: aber die Cenſur wuͤrde den Artikel ſtreichen. Denn das Maͤdchen aus dem Thale heißt ungluͤcklicher Weiſe Betzy, und dieſen Namen fuͤhrt auch in Frankfurt ein Paſtetenbaͤcker. Es waͤre Preßfrech¬ heit, ſo etwas drucken zu laſſen.

Nichts pikanteres giebt es zum Fruͤhſtuͤcke, als die taͤglich hier erſcheinenden kleinen Blaͤtter nicht¬ politiſchen Inhalts. Es iſt wie Auſtern und Ca¬ viar. Mich wundert nur, daß bei dem großen Beifalle, den ſie nothwendig finden muͤſſen, de¬11 *164ren nicht mehrere herauskommen. Ich kenne nur drei: Der Figaro iſt mit unendlich viel Geiſt geſchrieben, und hat das ganze Jahr durch aber auch nicht einen truͤben Tag. Die beiden andern, ob ſie zwar keinen ſolchen Luxus von Witz ausbreiten, leſen ſich doch auf das ange¬ nehmſte, und ich erinnere mich nicht, daß ich je eine einzige Zeile darin haͤtte uͤbergehen moͤ¬ gen. Dabei kann ich mich nun nie enthalten, dieſe Blaͤtter mit unſern deutſchen aͤhnlicher Art zu vergleichen, und ich komme dann immer auf ein Reſultat, das mir nicht ganz klar iſt. Alles was die hieſigen Blaͤtter, den deutſchen gegen¬ uͤber, an aͤußern guͤnſtigen Verhaͤltniſſen voraus haben: die Freiheit der Preſſe, die ungeſtoͤrte Benutzung der Politik, beſonders der reich zu¬ ſammengehaͤufte taͤglich wechſelnde Stoff, den ihnen die große Hauptſtadt, in Kunſt, Wiſſen¬ ſchaft, Theater, Literatur, geſelligem Leben und Tagsgeſchichten, darbietet das alles ſtelle ich165 den deutſchen Blaͤttern zur Rechnung, und brin¬ ge es in Abzug ihrer Schuld. Aber ſelbſt nach dem Allen haben ſie mir wegen ihrer ewigen Einfoͤrmigkeit und unendlichen Langweiligkeit noch Rede zu ſtehen. Es liegt eben eine Monats - Sammlung von einem der erwaͤhnten Blaͤtter vor mir auf dem Tiſche; es heißt L'Entr'acte und iſt das unbedeutendſte von allen. Ich neh¬ me die erſten acht Blaͤtter zur Hand, um de¬ ren Inhalt zu zaͤhlen, zu meſſen und zu wiegen. Das Blatt iſt gleich dem Morgenblatte, in Quart gedruckt, aber etwas weitlaͤufiger, ſo daß es we¬ niger enthaͤlt als jenes. Von den vier Seiten des Blates fallen erſtens zwei Seiten weg, die ganz mit den Anzeigen der Theaterſtuͤcke des Tages und den Namen der darin auftretenden Perſonen ausgefuͤllt ſind. Von den zwei uͤbri¬ gen Seiten bringe ich taͤglich eine Spalte in Ab¬ zug, welche ſogenannte Miszellen, hier cause¬ ries genannt, enthalten. Gegen dieſe koͤnnte166 man freilich einwenden, daß die unbeſchraͤnkte ſatyriſche Freiheit ihnen zu ſtatten komme. Hier darf man die Uebermuͤthigen und die Narren mit Nadeln ſtechen, in Deutſchland nur zuweilen mit dem Kopfe eines Nagels tuͤpfen. Bleiben alſo fuͤr jedes nur noch drei Spalten uͤbrig. Und in dem engen Raume dieſer drei Spalten ent¬ halten die acht ohne Wahl herausgeriſſenen Blaͤt¬ ter: 5 Buͤcherkritiken, 3 Theaterkritiken, 2 Ro¬ mane und 12 Aufſaͤtze, deren Titel ich Ihnen mittheile, damit Sie daraus ſehen, daß es frei gewaͤhlte Formen ſind, allgemeine Stoffe, die den deutſchen Schriftſtellern der kleinſten Stadt auch zu Gebote ſtaͤnden. Die Muſik wie ich ſie liebe. Der Tag nach der Hochzeit. Eroͤrterungen unter Freunden. Der finſtere Mann. Der froͤhliche Mann. Die Cholera-Zeitung. Die Kunſt von dem Daumen zu leſen. Warum der Fu߬ gaͤnger mehr Ideen hat, als der im Wa¬167 gen ſitzt. Das Ende der Welt. Der Eck am Kamin. Der ehrliche Mann wi¬ der Willen. Ueber die verſchiedenen Arten, wie die Menſchen mit ihren Klei¬ dern verfahren. Und was ſolche Artikel be¬ ſonders auszeichnet, iſt deren Kuͤrze. Das Kur¬ ze mißfaͤllt nie; man kann in zwei Minuten nicht langweilig ſeyn, es gehoͤrt Zeit dazu. Iſt ein ſolcher Artikel unangenehm, ſo war es doch eine Pille, keine Mixtur, man ſchluckt es hinun¬ ter; denn der Kopf hat wie der Magen ſeine Ge¬ ſchmacksnerven, was einmal daruͤber hinaus iſt, ſchmeckt der Geiſt nicht mehr. Warum koͤnnen oder wollen nun unſere deutſchen Schriftſteller in ihren Journalen keine ſolchen kurzen Aufſaͤtze machen? Ich kann nicht klug daraus werden, und bitte Sie daher, wenn Sie nach Aufloͤſung des großen Raͤthſels von der Betzy Miller noch etwas Verſtand uͤbrig behalten, auch uͤber dieſes dunkle Geheimniß nachzudenken.

168

In einer Anzeige von Heine's Adelsbriefen heißt es unter andern: Auch ſetzt man ei¬ nigen Zweifel in die Aufrichtigkeit der Geſin¬ nungen Heine's, indem es einiges Aufſehen macht, den burlesken Satyriker oder den nie¬ dern Komiker auf einmal als Freiheits-Apoſtel wiederzufinden. Das ſteht in den Leipziger Blaͤttern fuͤr litterariſche Unterhal¬ tung, der groͤßte Viehſtall, den ich je geſehen.

Haben Sie denn wirklich gemeint, das Loben meiner Briefe wuͤrde immer ſo fortge¬ hen? O, laſſen Sie nur erſt die preußiſchen Rezenſenten kommen und den Leipziger Vieh¬ ſtall aufthun; da werden Sie noch ganz an¬ dere Dinge hoͤren. Wenn ich Wunden ſcheute haͤtte ich den Kampf vermieden. Die Leute thun mir gar nicht Unrecht, die in den Brie¬169 fen meine fruͤhere Maͤßigung nicht finden; aber ſie thun ſich ſelbſt unrecht, daß ſie ſie ſuchten. Die Zeiten der Theorien ſind voruͤber, die Zeit der Praxis iſt gekommen. Ich will nicht ſchrei¬ ben mehr, ich will kaͤmpfen. Haͤtte ich Gele¬ genheit und Jugendkraft, wuͤrde ich den Feind im Felde ſuchen; da mir aber beide fehlen, ſchaͤrfe ich meine Feder, ſie ſo viel als moͤg¬ lich einem Schwerte gleich zu machen. Und ich werde ſie fuͤhren, bis man ſie mir aus der Hand ſchlaͤgt, bis man mir die Fauſt abhaut, die mit der Feder unzertrennlich ver¬ bunden iſt. Die Maͤßigung iſt jetzt noch in meiner Geſinnung, wie ſie es fruͤher war; aber ſie ſoll nicht mehr in meinen Worten er¬ ſcheinen. Damals, als ich ſo ruhig ſchrieb, ſtuͤrmte es gerade am heftigſten in mir; weil ich[n]och nicht wußte was ich wollte, ging ich langſam und ſprach bedaͤchtig. Jetzt aber, da mir klar geworden, was ſie wollen, weiß11*170ich auch, was ich will, ich darf mich dem Strome meines Herzens uͤberlaſſen, habe nichts mehr zu waͤhlen und nichts mehr zu bedenken.

Was faͤllt nur den Leuten ein, daß ich ein Feind von Rothſchild ſey? Ein Gluͤck fuͤr mich, daß ich es nicht bin; denn waͤre ich es, haͤtte ich nicht von ihm geſprochen, und haͤtte die Wahrheit meiner Ehre aufgeopfert. Gegen den Menſchen Rothſchild habe ich gar nichts, aber weil er Rothſchild iſt, ſetze ich ihn den Koͤnigen gleich, und das kann ihn doch gewiß nicht verdrießen, wenn er auch nicht zu ihnen gehoͤren moͤchte, da er am beſten weiß, wie tief jetzt ein Koͤnig unter Pari ſteht. Aber er iſt der große Maͤkler aller Staats-Anlei¬ hen, welcher den Fuͤrſten die Macht giebt, der Freiheit zu trotzen, und den Voͤlkern den Muth nimmt, ſich der Gewalt zu widerſetzen. Rothſchild iſt der hohe Prieſter der Furcht, die Goͤttin, auf deren Altar Freiheit, Vater¬171 landsliebe, Ehre und jede Buͤrgertugend ge¬ opfert werden. Rothſchild ſoll in einer Boͤr¬ ſenſtunde alle ſeine Papiere losſchlagen, daß ſie in den tiefſten Abgrund ſtuͤrzen, dann eile er in meine Arme und er ſoll es ſpuͤren, wie feſt ich ihn an mein Herz druͤcke. Wahrhaf¬ tig es ſcheint, daß dieſe Menſchen die Freiheit der andern noch mehr fuͤrchten als ihre eigene Armuth, ſonſt wuͤrden ſie nicht mit ſo aͤngſt¬ licher Eile ihr Geld zu den Fuͤſſen der Koͤni¬ ge werfen, ſo bald ſie es verlangen. Ob wir einmal frei werden, weiß ich nicht, aber fuͤr die kuͤnftige Armuth der Papier-Reichen will ich mich verbuͤrgen.

Der hohe Senat erzeigt mir zu viel Ehre, wenn er ungehalten gegen mich iſt. Habe ich denn wirklich geſagt, die Franzoſen waͤren bei ihrem Ruͤckzuge in Frankfurt ſchlecht behandelt worden? So viel ich mich erinnere, habe ich nur erzaͤhlt, daß es ſo von den Franzoſen hier172 behauptet worden. Meine Penſion koͤnnen ſie mir nicht entziehen, denn ſie haben mir ſie nicht gutwillig zuerkannt, ſondern waren durch einen Beſchluß der deutſchen Bundesverſamm¬ lung dazu verpflichtet worden. Freilich wuͤrde ich in ſolcher Gefahr auf den Schutz der ho¬ hen deutſchen Bundesverſammlung nicht rech¬ nen duͤrfen, denn dieſe greift nie in die Un¬ gerechtigkeit eines einzelnen deutſchen Staates ein, ſondern nur in die Gerechtigkeit. Aber fuͤrchten Sie doch nicht, daß ſie mir in Frank¬ furt etwas zu Leide thun. Geſchieht es, ge¬ ſchieht es ja nur aus Rache, und Menſchen ſolcher Geſinnung wuͤrden mich nach ſich ſelbſt beurtheilen, und ſich fragen, was gewinnen wir dabei, wenn wir ihm ſeine Penſion ent¬ ziehen? Er wuͤrde uns dann erſt recht feind¬ lich entgegen treten. Hat doch, wie ſie be¬ haupten, die einzige Bockenheimer Zeitung Mord und Todſchlag in Frankfurt erregt, was koͤnn¬173 te ich nicht erſt anſtiften, dem alle Blaͤtter offen ſtehen! Und um jaͤhrlich vierhundert Gulden herauszumorden, wuͤrde Frankfurt nicht genug ſeyn, der Untergang von ganz Deutſch¬ land muͤßte dazu beitragen. Das wuͤrde man bedenken.

Geſtern fand ich in einem deutſchen Blatte, als ganz kuͤrzlich erſchienen, angezeigt: Iam Kippur der Versoͤhnungstag. Novelle von David Russa. Es iſt das erſte Werk eines jungen Schriftſtellers, und wird (freilich vom Verleger ſelbſt) ſehr gelobt. Empfehlen Sie das Buch unſern Juden. Es ſoll ihr Herz auf¬ lockern, damit man nach ausgejaͤteten Metal¬ liques etwas Liebe und Menſchlichkeit hinein¬ ſaͤen koͤnne. Es iſt in Leipzig erſchienen.

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Die Theilnahme der Pariſer fuͤr die ungluͤck¬ lichen Polen zeigt ſich eben ſo warm, als fruͤher fuͤr die Kaͤmpfenden. Es macht ihnen Ehre, ich haͤtte es kaum erwartet. Die kaͤmpfenden Polen gewaͤhrten ein ſchoͤnes Schauſpiel, die beſiegten, vor der Tyrannei fluͤchtigen Polen zeigen mir den nackten, haͤßlichen Ernſt. Alle Theater wollen nach der Reihe Vorſtellungen zum Beſten der Polen geben, und ſie bereiten dazu eigene aus der neueſten polniſchen Ge¬ ſchichte bearbeiteten Stuͤcke vor. Geſtern machte das Theater de la Porte St. Martin den Anfang. Sie gaben la vieillesse de de Stanislas. Das Stuͤck wird ſeit ohn¬ gefaͤhr vierzehn Tagen gegeben, und bei jeder Vorſtellung wird den Polen eine eigene Loge unentgeldlich uͤberlaſſen. Die Miniſter in ih¬175 ren Blaͤttern aͤrgern ſich gar ſehr daruͤber, und laſſen ſagen: ob denn das Mitleid waͤre, wenn man den ungluͤcklichen Polen jeden Abend das Bild ihrer Leiden vor die Augen bringe? Bis zur Gemeinheit zeigen ſie ihren Aerger. Die Hauptrolle im Stanislas hat der zwar alte aber noch immer friſche Pottier, und da ſagen die miniſteriellen Theater-Artikel, das Stuͤck ſollte nicht heißen la vieillesse de Stanislas, ſondern la vieillesse de Pottier. Sie moͤchten gern ihre zugleich niedertraͤchtige und wahnſinnige Politik, die ſie gegen Polen und Rußland be¬ folgt haben, vergeſſen machen, und es muß ſie darum aufbringen, jeden Abend im Theater die Begeiſterung, den Spott und den Groll der Pariſer neu angefacht zu ſehen. Die vielen Polen, die jetzt hier zuſammentreffen, machen den Miniſtern grauſame Kopfſchmerzen, und ſie gehen mit dem Gedanken um, ſie alle nach dem ſuͤdlichen Frankreich zu verweiſen. Es iſt176 ihr warmes Sibirien. Der Kaiſer Nikolas preßt ſeinen Sieg aus bis auf den letzten Tropfen, und wirft dann dem Koͤnig Philipp die Schaa¬ len vor die Fuͤſſe. Es wundert mich nicht und ich nehme es ihm gar nicht uͤbel. Die deut¬ ſchen Diplomaten und ihre Federknappen haben ſeit einem Jahre die Milde, Großmuth und Gerechtigkeit, welche kuͤnftig Kaiſer Nikolas ge¬ gen die Polen zeigen wuͤrde, ſo hoch in den Himmel erhoben, daß Nikolas, in der Ver¬ zweiflung, das erhaltene Lob zu erreichen, lie¬ ber gar nicht darnach ſtrebt, ſondern bleibt, wo, was und wie er iſt der Beſchuͤtzer und Verbuͤndete jedes Tyrannen und der Feind und Unterdruͤcker jeder Freiheit in Europa. Die ganze polniſche Armee, die ſich nach Oeſterreich und Preußen zuruͤckgezogen, iſt verbannt und darf nie in ihr Vaterland zuruͤck. Schon dreitau¬ ſend Polen wurden nach Sibirien geſchickt. Viele wurden hingerichtet, Unzaͤhlige ihrer Guͤter be¬177 raubt und mit ihren Kindern dem Hungertode preis gegeben. Sie machen gar kein Geheim¬ niß aus ihrer Rache. Die Namen der Hin¬ gerichteten, Verbannten, Beraubten, werden in den Zeitungen amtlich mitgetheilt. Es iſt fuͤrchterlich zu leſen. Die naive preußiſche Staatszeitung theilt dieſes alles mit, wahr¬ ſcheinlich damit die deutſchen unartigen Kinder Furcht vor der großen ruſſiſchen Ruthe bekom¬ men. Es liegt grade ſo ein Rache-Verzeich¬ niß vor mir. Man ſchaudert, wenn man lieſt, daß in Rußland die Landguͤter nach Seelen gemeſſen werden, wie bei uns nach Mor¬ gen. So heißt es in einem Confiscations-Re¬ giſter von Guͤtern polniſcher Rebellen: ein Gut von hundert ein und ſiebenzig maͤnnlichen See¬ len, ein jaͤhrliches Einkommen 1318 Rubel, 80 Kopeken Silber bringend, dem N. N. ge¬ hoͤrig ein Gut von hundert acht und neun¬ zig Seelen, ein Gut von zwei hundert maͤnn¬III. 12178lichen Seelen. Das ſind ſchoͤne maͤnnliche See¬ len, die ſich eine ſolche Behandlung gefallen laſſen, und ſich dabei nicht ſoviel ruͤhren, als die Scholle hinter dem Pfluge! Nichts macht einen komiſcheren Eindruck, als wenn man nach den praͤchtigen kaiſerlichen Strafen der polni¬ ſchen Rebellen die armſeligen Belohnungen lieſt, mit welchen man die treugebliebenen Polen er¬ freut. So wurde ein litthauiſcher Edelmann, der beim Ausbruch des Aufſtandes ſeinen Bau¬ ern die Waffen abnahm, und ſelbſt als einfa¬ cher (ſollte heißen einfaͤltiger) Freiwilliger in der ruſſiſchen Armee gegen die Inſurgenten kaͤmpfte, worin er ſich augenſcheinlichen Gefah¬ ren ausſetzte, in Betracht ſeiner ſo ausgezeich¬ neten treuen Dienſtleiſtungen zum Titu¬ lar-Rath ernannt. Da ſind doch unſere deutſchen Hofraͤthe kluͤger; ſie ſetzen ſich fuͤr ihre Titel keiner groͤßern Gefahr aus, als hoͤch¬ ſtens zum Narren gehalten zu werden. Was179 mich nun, nach ſolchen ſchaͤndlichen Handlun¬ gen der Despotie, wie immer, am meiſten be¬ wegt, das ſind ihre ſchaͤndlichen Reden, ihr Spott, der, ohne ihre Macht zu vermehren, nur den Schmerz der Unterdruͤckten vergroͤßert. Wenn man jetzt die Artikel lieſt, welche alle Tage die ruſſiſche Warſchauer Zeitung enthaͤlt, muß man ſich den Kopf zuſammen halten, daß er nicht auseinander faͤllt. Es iſt eine genia¬ liſche Unverſchaͤmtheit. Ein ſolcher Artikel ſprach in dieſen Tagen uͤber die Urſachen der polni¬ ſchen Revolution, und unterſucht, welche ge¬ gruͤndete Beſchwerden denn die Polen gegen die ruſſiſche Regierung gehabt haͤtten? Der Kaiſer haͤtte ſie mit Wohlthaten uͤber¬ ſchuͤttet, und haͤtten ſie auch kleine Beſchwer¬ den gehabt, wo es denn ein reines Gluͤck in der Welt gaͤbe? Man wolle nun die ver¬ meintlichen Beſchwerden der Polen uͤber die Verletzungen der Conſtitution beſprechen, und12*180ſonnenklar zeigen, wie ungegruͤndet ſie waren. ... Die Unterdruͤckung der Preßfreiheit? Aber ſeit wann koͤnnen wir uns ohne dieſelbe nicht mehr behelfen? ... Der Mangel ei¬ nes conſtitutionellen Budgets! Aber die Miniſter haben den Kammern das Budget nicht vorgelegt, weil ſie vorher ſahen, es wuͤr¬ de verworfen werden. ... Die geheime Po¬ lizei! Aber wie gelind muß dieſe geweſen ſeyn, da ſie den Ausbruch der Revolution nicht verhindern konnte. ... Die Aufhebung der Oeffentlichkeit in den Reichstag-Ver¬ handlungen! Nun, was iſt's denn weiter? Dadurch hat das Publikum nur eines ſeiner unentgeldlichen Schauſpiele verlohren. Und dar¬ um eine Revolution anfangen? Selbſt Eng¬ land (hoͤren Sie, hoͤren Sie) wuͤrde gern einwilligen, daß die Thuͤren ſeines Parlaments dem Publikum verſchloſ¬ ſen werden, und daß man ſeine Pre߬181 freiheit beſchraͤnkt, wenn es ſich ge¬ gen ein ſo geringes Opfer eines Thei¬ les ſeiner National-Schuld entledi¬ gen, und ſeinen Fabrikanten den Markt des ganzen Nordens eroͤffnen koͤnnte! O! das iſt zu himmliſch! Wenn der oͤſterreichiſche Beobachter das lieſt, wird er ausrufen: Pends-toi, figaro, tu n'as pas de¬ viné celui-là! Aber die preußiſche Staats¬ zeitung, die die Streiche mittheilt, ſcheint ſich uͤber die Schelmerei ihrer ruſſiſchen Suzane nicht zu wundern; denn ſie denkt wohl, bei Gelegenheit koͤnne ſie es noch ſchoͤner machen.

Jetzt heißt es, der Kaiſer Nikolas ſei darum nach Moſkau gereiſt, um mit ſeinen getreuen Edelleuten dort zu uͤberlegen, ob er ſeinen Voͤl¬ kern etliche Freiheiten und welche er geben ſolle. Und das thut er, um die Eiferſucht der Ruſſen zu beſchwichtigen, daß ſie nicht murren, wenn den Polen nicht alles geraubt wird. Wir wol¬182 len ſehen. Iſt es aber nicht wunderlich, daß die Fuͤrſten, ſo oft ſie die Freiheit unterdruͤcken wollen, keines Menſchen Rath brauchen, ſondern auf der Stelle mit ſich einig und entſchloſſen ſind; ſobald ſie aber ihren Voͤlkern Freiheit ge¬ ben wollen, bei allen Leuten herumfragen, was ſie davon halten, und ſehr herablaſſend dem ge¬ ringſten ihrer Unterthanen erlauben, nur ohne Scheu ſeine Meinung zu ſagen? Die kuͤnftige polniſche Freiheit wird man in Wien auf der Straße predigen duͤrfen; ſo unſchuldig wird ſie ſeyn. Darin aber irren ſich ſo viele Menſchen, daß ſie glauben, Rußland, Oeſterreich und Preu¬ ßen verſagten ihren Voͤlkern conſtitutionelle Frei¬ heit, und verhinderten deren Entwicklung in den kleinen Staaten, blos aus Haß gegen die Frei¬ heit allein und aus Liebe zur unbeſchraͤnkten Herrſchaft. Das iſt freilich ein Hauptbeweg¬ grund, aber es iſt nicht der einzige. Der an¬ dere liegt darin: daß wenn die großen Maͤchte183 ihren Staaten Konſtitutionen gaͤben, ſie unfehl¬ bar ihren politiſchen Einfluß auf die kleineren Maͤchte verlieren wuͤrden einen Einfluß, den ſie nur dadurch erwerben und erhalten, daß die Ariſtokratie in dieſen kleinen Staaten, in ihrer Angſt vor dem Andrang der Demokratie, ſich um Schutz flehend nach Petersburg, Wien und Berlin wenden ein Schutz, der ihnen auch verkauft wird, und den ſie mit Verrath ihres Vaterlandes und ihres Fuͤrſten theuer bezahlen. Darin iſt die Hoffnungsloſigkeit der gegenwaͤr¬ tigen Lage Europas, und darin iſt die Thorheit der hieſigen Miniſter, welche traͤumen, alle Ver¬ wirrung koͤnnte friedlich geloͤſet werden.

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Geſtern Abend trat die Devrient in Roſſinis Othello auf. Sie ſpielte die Desdemona, Ma¬ dame Malibran den Mohren. Allen Dilettanti und den vielen Amanti der ſchwarzen Schoͤnen war ſehr bange vor dem kuͤhnen Unternehmen, und ich fand, daß ihre Furcht noch lange nicht groß genug geweſen. Waͤre nicht eine der Gra¬ zien, aus gewohnter Liebe, der Malibran treu geblieben, ſie haͤtte ſich ſehr laͤcherlich gemacht. Was doch die Eitelkeit ſchlecht rechnet! Sie woll¬ te donnern und blitzen, wie ein afrikaniſches Ge¬ witter, aber die Stecknadelnatur des weiblichen Zornes ſtach uͤberall hervor, und das duͤnne ſpitze Grimmchen war gar zu komiſch. Die Malibran hat eine zarte feine Geſtalt, und ſo blieb ihr nichts anders uͤbrig, um einen Mann vorzuſtel¬185 len, als alles was ihr von maͤnnlicher Kraft bekannt war, um Mund und Augen anzuhaͤu¬ fen. Sie warf in einem fort die Lippen hoͤh¬ niſch aus, rollte die Augen, zog die Augenbrauen finſter zuſammen. Das ſollte Eiferſucht, Wuth, Rachedurſt vorſtellen; aber es glaubte ihr Nie¬ mand ein Wort. Ihrer ſchoͤnen Stimme that ſie Gewalt an, daß man ſich erbarmen mußte. Ich ſah doch, daß die Leute hier unpartheyiſch ſind und ſich von keiner vertrauten Vorliebe be¬ ſtechen laſſen. Der Beifall war kalt, noch mehr, er war kuͤhl, und man konnte merken, daß die alte Gewohnheit verfuͤhren wollte, man ihr aber kein Gehoͤr gegeben. Die Devrient, noch eine ſchoͤne Frau, hat eine volle, klangreiche Stim¬ me, die mir nur manchmal zu heldenmaͤßig vor¬ kam. Ich glaube, ſie hat einigemal geſchrien. Haben ſie nichts gehoͤrt? Ihr Spiel iſt zu lo¬ ben; ſie hat gelernt und gebraucht ſchoͤne aka¬ demiſche Stellungen. Den Schmerz der Des¬186 demona ſpielt ſie oft edler als die Malibran; die glaͤubige Deutſche hat einen Zug von der ſchmerzensreichen Mutter um ihre Lippen, den die unglaͤubige Franzoͤſin nicht auszudruͤcken vermag .... Selbſt der Zufall machte ſich uͤber dieſe laͤcherliche Vorſtellung luſtig. Als am Schluſſe Desdemona und Othello todt auf dem Boden liegen und der Vorhang fallen ſoll¬ te, blieb er haͤngen. Die Devrient, die als Fremde wohl nicht recht wußte, wie ſie ſich zu betragen habe, erhob ihren Kopf und ſah nach der Malibran hin, um ihrem Beiſpiele zu fol¬ gen. Dieſe aber ließ ſich gar nicht irre machen und blieb todt. Da gab es denn ein unbaͤndi¬ ges Gelaͤchter, und auf dieſe Weiſe konnte jeder Unzufriedene mit Anſtand ſeinem Spott Luft machen ... Nach Othello kam noch eine kleine komiſche Oper: la prova d'un opera seria, ſo eine Art von Kapellmeiſter von Venedig, den man in Deutſchland ſpielt. Lablache und187 die Malibran waren unvergleichlich. Aber das iſt ein altes Wort fuͤr eine ganz neue Empfin¬ dung und das ich bloß aus Noth gebrauche. Die Malibran und das Haus verguͤteten ſich reich¬ lich an Verdienſt und Lohn, was ſie in der vor¬ hergegangenen Vorſtellung einander ſchuldig ge¬ blieben. Ich will aber weiter kein Wort dar¬ uͤber ſprechen. Ich waͤre ja ein Narr, wenn ich Ihnen immer aufrichtig berichtete, was ich fuͤr ein Narr geweſen!

Unſer Koͤnig hat geſtern ſechs und dreißig Stuͤck Pairs gemacht, neue Saͤulen den Thron zu ſtuͤtzen, neue Faſchinen in den Strom der Zeit zu legen, daß der demokratiſche Schlamm ſich daran feſtſetze. Geſtern war Sonntag, aber die Gewalt hat keinen Feiertag. Mir war die¬ ſe Sache immer gleichguͤltig geweſen. Sie moͤ¬ gen Pairs haben oder keine, erbliche oder nur lebenslaͤngliche: das aͤndert nichts. Neue Rui¬ nen, wie in den engliſchen Gaͤrten, das ſind188 unſchaͤdliche Spielereien. Man mag einem Kin¬ de eine graue Peruͤcke aufſetzen, es wird nicht alt davon. Was ich in dieſer Sache nur wich¬ tig finde, iſt daß der Koͤnig, indem er Pairs ernannte, wozu ihn die Konſtitution von 1830 nicht berechtigte, einen Staatsſtreich begangen. Und hat er einmal dem Teufel einen Finger ge¬ geben, wird er ihm auch ſpaͤter die Hand rei¬ chen, und ſich ihm endlich ganz uͤberlaſſen.

So eben leſe ich in der neueſten Ham¬ burger Zeitung folgende Brochure angezeigt: Gegen L. Boͤrne, den Wahrheit -, Recht - und Ehrvergeſſenen Briefſteller aus Paris, von E. Meyer Dr. Ich kann es mir nicht erklaͤren; aber ſobald ich den Titel geleſen, bekam ich gleich einen heftigen Appetit, und ich ſchickte den Konrad weg, mir vom Re¬ ſtaurateur ein tête de veau au Naturél zu ho¬ len. Ich pflege ſonſt nie à la fourchette zu fruͤh¬ ſtuͤcken. Ach! koͤnnten nur viele Menſchen, wie189 ich, Wahrheit, Recht und Ehre noch vergeſ¬ ſen es ſtuͤnde beſſer mit der Welt! Wenn ich nur dieſe Schrift bald in Paris haben koͤnn¬ te; ich wuͤrde wahrſcheinlich darauf antworten. Zwar liegt das ſonſt nicht in meiner Art, aber ich muß dießmal zum Schutz der guten Sache das ſchwere Opfer bringen, mich gegen perſoͤn¬ lichen Angriff zu vertheidigen. Vielleicht koͤnnen Sie in Frankfurt erfahren, wer dieſer Dr. Meyer iſt. Es iſt immer gut, das zu wiſſen. Sie ſe¬ hen aber daraus wieder, was ein Gelehrter aus¬ ſteht, und ſeyn Sie froh, daß Sie dumm ſind.

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Eben erhalte ich zwei dicke Briefe von Ham¬ burg. Genannte Schrift von Dr. Meyer und noch andere Kriegsmanifeſte liegen darin. Hur¬ rah! Ich habe bis jetzt weder Briefe noch Bro¬ churen geleſen; aber ich brenne vor Begierde, und ſchließe darum. Acht Franken koſten mich die Hamburger Grobheiten!

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Eilfter Brief.

Lange hat mir nichts ſo viele Freude gemacht, als die Schrift des Dr. Eduard Meyer in Hamburg. Man ſchrieb mir von dort, er waͤre ein langer Menſch mit ganz unerreichbarem Kopfe: aber ich will ihn ſchon erreichen und wenn ich einmal mit ihm zu¬ ſammentreffe, ſteige ich auf einen Stuhl und kuͤſſe ihn herzlich. Er hat ſeinen Nachfolgern alle großen und ſchweren Steine weggenom¬ men, und wenn noch Einer nach mir werfen192 will, muß er leichten Kies dazu gebrauchen. Geſteinigt zu werden es iſt wenigſtens ein heiliger bibliſcher Tod. Nie haͤtte ich gedacht, daß die deutſche Sprache eine ſolche Kraft be¬ ſitzt; man koͤnnte damit den Mont blanc in Staub verwandeln. Hoͤren ſie nur, was ich in der Schrift des Dr. Meyer alles bin, wie ich genannt werde. Elend ſeicht graͤulich ruchlos laͤcherlicher Thor ſuperkluger Schreier dit¬ to eingebildeter heilloſer Geſell Hauptraͤdelsfuͤhrer einer jaͤmmer¬ lichen Scriblerbande Menſch ditto gottloſer Kerl jaͤmmer¬ licher Wicht entarteter Burſch Mordbrenner ſchamloſer Bube Jude. Eduard, Eduard! warum iſt dein Schwert ſo roth? Verglichen mit dem, was ich bin, habe ich ſehr wenig, wie es allen edlen Naturen zu gehen pflegt. 193Ich habe nichts, als: Anmaßung Frechheit Unverſchaͤmtheit ditto unerhoͤrte grundſchlechte Geſin¬ nung ſchaudernerregende Naivi¬ taͤt. Daß mich Herr Dr. Meyer wenigſtens Herr nennte, daß er Herr Mordbrenner, Herr jaͤmmerlicher Wicht zu mir ſagte! Aber nicht ein einziges Mal thut er das. Dieſe Herrnloſigkeit giebt ſeiner Schrift ein ehrwuͤrdiges deutſchamtliches Anſehen. Auch ſchrieb mir Einer von Hamburg, ſie waͤre auf Befehl des Mufti verfaßt worden.

Nach allen ſeinen unvergleichlichen Kraft¬ aͤußerungen hat Eduard Meyer noch die Be¬ ſcheidenheit zu fuͤrchten, man moͤchte ſeine Art ſich auszudruͤcken mit gemeinen Schmaͤ¬ hungen verwechſeln und er bittet ſeine Le¬ ſer dieſes nicht zu thun. Er meint: man wundere ſich vielleicht, daß er, als zahmer Deutſcher, mit einemmale ſo wild geworden;lII. 13194aber man kenne die Deutſchen noch gar nicht. Der Deutſche iſt geduldig, aber doch nur bis zu einem gewiſſen Grade. Wenn die Geduld ihm reißt, wenn er das Schweigen bricht und einen Entſchluß gefaßt hat, ſo wird ſich mancher wundern uͤber die ſchein¬ bare Verwandlung ſeiner Natur. Und ich fuͤhle es, daß auch ich ein Deutſcher bin. Anch'io sono pittore! Er habe nie Freude an literariſchen Streitigkeiten gefunden, aber was zu arg iſt, iſt zu arg. Man muͤſſe, dem Geſindel einmal auf die Finger klopfen, daß etwas Furcht hineinfaͤhrt. Aber guter Gott! was hilft da etwas, was hilft ſelbſt viel? Es mag noch ſo viel Furcht in die Finger hineinfahren, ein tapferes Herz jagt ſie wieder in die Schlacht zuruͤck. Vor die Bruſt haͤtte er mich ſtoßen, auf den Kopf haͤtte er mir klopfen ſollen, daß da Furcht hineinfaͤhrt. Der Mann iſt zu gutmuͤthig.

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Er ſagt: In meinem Buche waͤre keine neue Idee. Nichts als leeres, langweiliges Kaffeehaus - und Zeitungsgeſchwaͤtz, von der Oberflaͤche geſchoͤpfte Bemerkungen, wie tau¬ ſend vorlaute Reſonnaͤrs ſie taͤglich machen. Da haben ſie den alten Deutſchen wieder! Neue Ideen wollen ſie haben! Eine Idee, wenn ſie ſie achten ſollen, muß eine Hand¬ ſchrift ſeyn, auf Pergament geſchrieben, in Schweinsleder gebunden, und als einziges Exemplar in einer einzigen Bibliothek verwahrt werden. Was in tauſend Jahrbuͤchern der Geſchichte gedruckt zu leſen, was der Himmel ſelbſt herabgedonnert, was drei Welttheile wiederhallten, was der Laſttraͤger auf der Gaſſe, wie der Denker in ſeinem Zimmer, was der Buͤrger in ſeiner Werkſtaͤtte, der Bauer hinter dem Pfluge, der Soldat unter ſeinem Joche, der Bettler in ſeinen Lumpen ſpricht, denkt, fuͤhlt, klagt, wuͤnſcht und hofft das ver¬13*196ſchmaͤhen ſie, das iſt ihnen Kaffeehaus - und Zeitungsgeſchwaͤtz! Was alle wiſſen, verdiente keiner zu lernen! Gut, Ihr ſollt neue Ideen haben; zeigt nur erſt, daß Ihr deren wuͤrdig ſeyd; gebt Rechenſchaft, wie Ihr die alten verwendet.

Mein Eduard iſt zwar ein beſcheidener junger Menſch, aber an Welterfahrung ſcheint ihm noch viel zu fehlen. Er ſagt: er muͤſſe ſich gegen den Vorwurf verwahren, als haſſe er die Sache einer geſetzmaͤßigen Freiheit, doch deren Vertheidigung muͤſſe man dem Himmel uͤberlaſſen. Wenn Fuͤrſten ihre Zeit und ihre Voͤlker verkennen, oder gar der Schlechtigkeit huldigen, wird gerechte Vergeltung ihrer Misgriffe ſie ſelbſt am ſchwerſten treffen. Dies wuͤnſche, hoffe und weiß ich. Dieſes wuͤnſche, hoffe und weiß ich auch. Aber mein lieber Eduard, wer ſoll denn jene gerechte Vergeltung an den Fuͤrſten vollziehen? Selten197 ſchickt Gott ein himmliſches Strafgericht herab, die Verwaltung ſeiner Stellvertreter zu unter¬ ſuchen, und ſo oft es noch geſchah, wurde nichts dadurch gebeſſert. Die himmliſchen Com¬ miſſaire waren auf der Erde fremd, gingen irre, oder ließen ſich wohl gar beſtechen. Das haben wir ja kuͤrzlich erſt an der Cholera - Morbus geſehen, die, ſtatt die Unterdruͤcker, die Unterdruͤckten zuͤchtigte. Nur dem hilft Gott, der ſich ſelbſt hilft, Aide-toi, et le ciel t'aidera.

Noch ein anderer Herr hat gegen mich ge¬ ſchrieben, Wurm genannt, in den kritiſchen Blaͤttern der Boͤrſenhalle. Der iſt aber ſehr ſanft in Vergleich mit Dr. Meyer und ge¬ braucht nur milde Adjektive und Nominative, und dieſe nur in geringer Zahl. Fadaiſen, Niaiſerien, politiſches Geſchwaͤtz, Ef¬ fronterie, Sanskulottiſcher Witz, Ge¬ ſelle, Auswuͤrfling und das iſt alles! 198Einmal neckt er mich mit einem ſchoͤnen Milch¬ maͤdchen, das ich in England hatte heyrathen wollen, das mir aber einen niedlichen Korb ge¬ geben. Auf Ehre, ich weiß nicht worauf ſich das bezieht; ich will aber in der Chronik mei¬ nes Lebens nachſchlagen. Herr Wurm ſchließt ſeinen Artikel doch gewiß nur in der Ab¬ ſicht, daß man trotz ſeiner Freiheit merke, es habe ihn ein Deutſcher geſchrieben mit fol¬ genden Worten. Wenn dieſer Loͤwe, oder wie er ſonſt heißen moͤchte, auf guten Rath hoͤren will, ſo wird er bleiben wo er iſt, wo man ihn nicht kennt. Ob eine deutſche Regierung von ſeinen politiſchen Laͤſterungen Notiz nehmen wuͤrde, wiſſen wir nicht. Aber laßt ihn keinen Verſuch machen, ſich in gute Geſellſchaft einzudringen. Er wird aus jeder Geſellſchaft, in der man auf Ehre haͤlt, auf beſchimpfende, und wenn es Noth thut, denn dieſes Geſchlecht iſt zudringlich, auf199 phyſiſch empfindliche Weiſe entfernt werden. Das iſt die Sprache, die man mit dieſen Ge¬ ſellen reden muß: eine andere verſtehen ſie nicht. ... Daß dieſe Thoren mich noch daran erinnern, daß ſie mir unter die Augen brin¬ gen, was mich vergeſſen zu laſſen, ihnen noch wichtiger ſeyn muͤßte, als es mir gleichguͤltig iſt, ob ſie ſelbſt es vergeſſen oder nicht! Wenn ich nicht kaͤmpfte fuͤr das geſchaͤndete Recht und die mishandelte Freiheit aller Menſchen; duͤrfte ich ein Herz haben fuͤr die Leiden eines Volks, eines Geſchlechts, fuͤr meine eignen allein; duͤrfte ich mir nach den Tagesmuͤhen ſaurer Gerech¬ tigkeit einen Feierabend ſuͤßer Ruhe verſtat¬ ten; duͤrfte ich das, wollte ich das; wollte ich meine Kraft gebrauchen dieſem Zwerggeſchlechte gegenuͤber wahrlich, es bliebe nichts von ihm uͤbrig, es als kleines Siegeszeichen an den Hut zu ſtecken. Manchmal uͤberſchleicht es mich; aber dann, die menſchliche Schwachheit an mir200 ſelbſt erfahrend, lerne ich ſie an andern verzei¬ hen, und ich ermanne mich wieder. Dieſen Sommer in Baden, als ich unter meinen Pa¬ pieren ſuchte, fiel mir ein altes Blatt in die Hand, das mich auf das heftigſte bewegte. Das Herz befahl meiner Hand, die Hand ergriff die Feder nach fuͤnf Minuten legte ich weg; ich konnte nie zu meinem Vortheile ſchreiben. Es war ein Paß. Im Jahre 1807, da ich Student war, ließ ich mir in Frankfurt einen Paß aus¬ ſtellen, um uͤber Mainz nach Heidelberg zu rei¬ ſen. Ich kam aus dem Leben der Freiheit, kehrte in daſſelbe zuruͤck, und beruͤhrte das Land der Gleichheit. Der Schreiber auf dem Roͤ¬ mer, der den Paß ausfertigte, war eine Mis¬ geſtalt, mit einem giftigen Kroͤtengeſichte. Als ich den Paß in die Hand nahm, las ich darin: Juif de Francfort. Mein Blut ſtand ſtille: doch durfte ich nichts ſagen, noch thun, denn mein Vater war gegenwaͤrtig. Damals ſchwur201 ich es in meinem Herzen: wartet nur! ich ſchreibe euch auch einmal einen Paß, euch und allen! ... Und nicht wahr, nicht wahr, ich habe meinen Schwur gehalten?

Lyon hat mich guͤnſtiger rezenſirt als Ham¬ burg doch davon ſpaͤter. Ich will zuerſt auf Ihren geſtrigen Brief antworten. Das Buch iſt noch nicht hier angekommen, doch ſchrieb mir Campe, es waͤre abgeſchickt worden. Aber auf die hieſigen Urtheile brauchen Sie nicht begierig zu ſeyn. Die wenigen Deutſchen meiner Be¬ kanntſchaft werden mir wohl ihre Meynung nicht immer aufrichtig ſagen: Franzoſen leſen es nicht; da kann ſich alſo keine oͤffentliche Meynung bil¬ den, und hoͤchſtens eine individuelle laut wer¬ den. Campe ſchreibt mir: Sonderbar ſind die202 Elemente in dieſem Augenblicke angeregt, an¬ geregt durch dieſe Briefe. Die Ariſtokraten werden keck und ruͤcken heraus und kaͤmpfen ... Ich kann Ihnen die Bemerkung, die ich uͤber den Eindruck, den Ihre Briefe bey vielen der Beſſern gemacht haben, nicht verheh¬ len, die aufrichtig bedauern, daß Sie ſich ſo ganz ruͤckſichtslos haben gehen laſſen, ſo daß Sie den Platz als Zuſchauer verließen und ſelbſt Akteur wurden! Dadurch haben ſie ei¬ nen betraͤchtlichen Theil Ihres wohlerworbenen Ruhms eingebuͤßt, der Ihnen ſchwer wieder zu erringen ſeyn moͤchte. Dieſes Urtheil iſt die allgemeine Stimme, und Sie werden von vielen Seiten ſo zurecht gewieſen werden, daß dieſes der Refrain durchweg bleiben wird. Das Volk iſt glaubig und ſagt Amen! Wie mich dieſer Mann kennt! Ich habe nie fuͤr meinen Ruhm, ich habe fuͤr meinen Glauben geſchrie¬ ben. Ob ich den Leſern gefalle oder nicht 203 will ich denn gefallen? Ich bin kein Zucker¬ baͤcker, ich bin ein Apotheker. Es iſt wahr, daß ich den Platz als Zuſchauer verlaſſen und unter die Handelnden getreten, aber war es nicht Zeit, dem faulen Leben eines Theaterkritikers endlich zu entſagen? Sie ſehen, wie ich wirke, an meinen Gegnern am meiſten. Ich habe den zaͤhen deutſchen Boden aufgewuͤhlt; es ziehe je¬ der ſeine Furche wie ich; fuͤr die Saat wird Gott ſorgen. Wenn nun eine aufgebrachte Scholle an meinen Fuͤßen, an meinem Pfluge haͤngen blieb, und ſie beſchmuzte was ſcha¬ det mir das?

Campe war wegen des Buches in einer Wo¬ che viermal vor Gericht. Man legte ihm ein Exemplar vor, worin mehr als funfzig ver¬ dammliche Stellen mit Bleiſtift angeſtrichen wa¬ ren. Eine Stelle, worin es vom Bundestage heißt: der ſey toll geworden, war doppelt und noch einmal ſo dick als die uͤbrigen ange¬204 ſtrichen. Die Stelle war im Buche mit einem Papierſtreifen bezeichnet. Dieſen ließ Campe, als er das Buch in die Hand nahm, wie zu¬ faͤllig herausfallen, ſo daß der Unterſuchungs¬ richter die toll gewordene Stelle nicht mehr fin¬ den konnte. Das muß recht komiſch geweſen ſeyn.

Ein Kaufmann Namens ***, den ich in Hamburg vor einigen Jahren kennen gelernt, hat mir die zwei gegen mich gerichteten Artikel zugeſchickt. Er ſchreibt unter andern: ... Die Hamburger Kaufleute erklaͤrten darauf, ohne gerade die Skribler zu loben, daß in den Boͤr¬ neſchen Briefen zerſtoͤrende Ideen enthalten ſind, die nur ein Aufwiegler oder Sanscuͤlotte ans Tageslicht befoͤrdern kann. Dies hat das Verbot der Briefe herbeigefuͤhrt.

Sehen Sie doch, von dem Brillantring, den ich vor einigen Jahren vom Herzog von Weimar erhalten haben ſoll, etwas naͤheres zu205 erfahren. Das Ding kann ſchoͤn werden. Ringe ſind es, die eine Kette bilden ſagt Koͤnigin Eliſabeth. Aber ein Ring! Was kann der nuͤtzen? Zum Halseiſen iſt das doch zu eng und meine Feder zu erwuͤrgen viel zu weit.

Den *** bedaure ich; es giebt wenige Menſchen, die den Muth haben, anders als der Poͤbel-Ausſchuß zu denken, der an jedem Orte die oͤffentliche Meinung verwaltet. Ei¬ gentlich ſind es weniger uͤbelwollende als un¬ wiſſende Menſchen, die nicht zu rechnen ver¬ ſtehen. Fuͤr die Haͤlfte von Muͤhen und Sor¬ gen, die es ſie koſtet, ihrem Geiſte einen Eh¬ rendienſt bei der vornehmen Dummheit zu ver¬ ſchaffen, koͤnnten ſie deſſen Freiheit behaupten und gewoͤnnen dabei, ſelbſt an ſinnlichem Gluͤcke. Die Frankfurter moͤgen nur ſchweigen und dem Himmel danken, daß einer unter ihnen lebt, der beſſer iſt als ſie. Die Zeit kann, die Zeit wird kommen, und bald vielleicht, wo man206 ihre Freiheit, ſo anſpruchlos und demuͤthig ſie auch iſt, in den Edelmannsklubbe des deutſchen Bundes nicht laͤnger wird dulden wollen, und dann werden wir ſehen, wer von jenen Roͤ¬ merpatrioten, wer von jenen Zunfthelden, wer von jenen Stadtgerichts-Schreiern den Muth haben wird, ſich den ſtolzen und maͤchtigen Raͤubern entgegen zu ſtellen! Dann kommen ſie vielleicht und ſtreicheln meine Katzenpfote. Ich erwarte ſie.

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Zwoͤlfter Brief.

Vorgeſtern beſuchte mich ***. Er blieb aber nur eine Viertelſtunde, er war auf dem Wege nach der Kammer. Der Mann iſt klar, wie ein Waldbach, der uͤber Kieſeln fließt; doch iſt es nicht erfreulich, einer menſchlichen Seele bis auf den Grund zu ſehen. Eine Tiefe iſt nicht klar. ***, weil er ſo klare Augen hat, glaubt, alles waͤre ihm klar, was er nur fluͤchtig anſieht und er urtheilt zu ſchnell, um immer richtig zu urtheilen. Ich habe in ..... manchmal daruͤber lachen muͤſſen: man mag208 ihm noch ſo kurz antworten auf ſeine Fragen, ſo war ihm die Antwort noch immer um die Haͤlfte zu lang; er verſtand ſie ſchon um die Mitte. Das iſt Franzoſen-Art, die fuͤr alle Verhaͤltniſſe fertige mathematiſche Formeln ha¬ ben. Sage ich zwei mal zwei faͤllt mir *** in die Rede und faͤhrt fort: iſt vier. Als waͤre nicht moͤglich, daß ich etwas anders haͤtte ſagen wollen. Er misverſteht einen zwar nie, aber er verſteht einen nur halb, weil er nicht zu Ende hoͤrt. Die Verhaͤltniſſe von Frankreich, eben weil es Franzoſen-artige Ver¬ haͤltniſſe ſind, die kennt er freilich gut. Er verſicherte mich auf das Beſtimmteſte, daß die hieſige Regierung auf nichts anders ſinne, und nach nichts anderem trachte, als die Dynaſtie Karls X. zuruͤckzufuͤhren und Koͤnig Philipp ſelbſt ſey damit einverſtanden. So wird frei¬ lich alles verſtaͤndlich. Mir waͤre es ſelbſt recht, ſie verſuchten es. Ich liebe die großen Maſ¬209 ſen auch[in] der Dummheit; ein Narrenhaus iſt mir lange nicht ſo erſchrecklich, als ein ein¬ zelner verruͤckter Menſch. Glauben Sie mir auf mein ehrliches Wort: ich kenne alle Toll¬ heiten, die ſeit dreitauſend Jahren von den Koͤnigen begangen worden ſind, von Saul bis auf Karl X., aber unſere gegenwaͤrtige Zeit iſt reicher an Wahnſinn, als es jene dreitau¬ ſend Jahre waren. Wenn man alle fuͤrſtli¬ chen Palaͤſte Europa's nebeneinander ſtellte, es gaͤbe eine ganze Narren-Stadt. Taͤglich ver¬ mehren ſich meine Nachrichten aus Deutſchland, daß man den Plan gefaßt, Frankreich zu ver¬ theilen, wie eine Paſtete; ja Koͤnig Philipp ſelbſt ſoll ein Stuͤck davon bekommen. Die al¬ ten Bourbons ſollen die Schuͤſſel mit der Kru¬ ſte behalten. Die koͤſtliche Naivitaͤt finde ich nicht darin, daß ſie glauben, es ausfuͤhren zu koͤnnen, ſondern, daß ſie glauben, wenn ſie das ausgefuͤhrt, waͤre ihnen geholfen. KindernIII. 14210macht man weis, die Kinder, und den Fuͤrſten, die Revolutionen kaͤmen aus den Brunnen. Jetzt denken ſie, ſie brauchten den Brunnen nur zu¬ zuſchuͤtten und dann waͤre alles aus. Wer giebt mir Geduld genug, mit Narren zu raiſoniren? Ich muß wohl ſelbſt ein Narr ſeyn. Frankreich war ſeit vierzig Jahren der Krater Europa's. Wenn der einmal aufhoͤrt Feuer zu werfen, wenn der einmal aufhoͤrt zu rauchen, dann wehe den Naturpfuſchern, dann iſt kein Thron der Welt auf eine Nacht ſicher. Sie zittern, wenn einige Franzoſen mit liberalen Reden in ihrer Maul¬ taſche durch Deutſchland reiſen und ſchreien ent¬ ſetzt: Propaganda, Propaganda! Und ſie wollen ganze Voͤlker-Theile von Frankreich mit ihren alten Laͤndern vereinigen! Sie denken: mit ih¬ ren alten abgeſchmackten Regierungskuͤnſten, mit ihren Taſchenſpieler-Streichen, womit man kein Kind mehr betruͤgt, wuͤrde es gelingen, ihre neuen wilden Unterthanen zahm zu machen! 211 ſie, die nicht einmal die Polizei verſtehen, die doch die einzige Kunſt iſt, die ſie mit Fleiß und Liebe gelernt. Als ſie 1814 in Paris waren, wohin Petersburg, Wien und Berlin ihre ſchlaueſten Koͤpfe geſchickt hatten, wurden alle dieſe ſchlauen Koͤpfe der heiligen Allianz von jedem niedrigen franzoͤſiſchen Mouchard zum Beſten gehabt, und haͤtte es die Uebermacht nicht gethan, mit Liſt haͤtten ſie Paris nicht unterjocht. Nichts war verderblicher fuͤr die Koͤnige, als der Untergang Warſchau's. Weil ſie ein Wunder zerſtoͤrt, glau¬ ben ſie, ſie koͤnnten auch Wunder machen.

In Berlin iſt mein Buch von der Polizei in Beſchlag genommen worden. Als wenn der Regen davon aufhoͤrte, wenn einige unter den Schirmen gehen. Ginge es an, ſie confiszirten freilich am liebſten das ganze Weltall. Die Muͤnchner Tribuͤne giebt Auszuͤge der Pariſer Briefe. Der Dr. Wirth, der ſie ſchreibt, iſt ein Mann, dem man Hochachtung, ja Bewun¬14*212derung nicht verſagen kann. Hochachtung weil er fuͤr die Freiheit kaͤmpft, wie ein Held in der Schlacht, nicht bloß wie ein Maul-Rit¬ ter mit Worten. Bewunderung weil er mu¬ thig ertraͤgt, was ſonſt den tapferſten Mann niderwirft; die kleinen Bosheiten, die kleinen Quaͤlereien der kleinen Knechte. Gefaͤngniß, Geldſtrafe, die jaͤmmerlichen Tuͤcken der jaͤmmer¬ lichen Polizei, das Knurren und Bellen der Hof¬ hunde, nichts ſchreckt ihn ab. Jetzt aber, wo ihm in Muͤnchen alle Luft benommen, und die Frechheit der Gewalt jeden Widerſtand unmoͤg¬ lich macht, iſt er nach Rheinbaiern gezogen, wo noch die franzoͤſiſchen Geſetze regieren, welchen die deutſchen Miniſter nicht Hohn zu ſprechen wagen. Dort wird er ſein Journal fortſetzen. Auch hat er in vielen Orten in Deutſchland Un¬ terſtuͤtzung gefunden, um ſich eine eigene Preſſe anzuſchaffen. Iſt es aber nicht ſehr ehrenvoll fuͤr eine deutſche Regierung, daß ſich ein deut¬213 ſcher Buͤrger unter franzoͤſiſche Geſetze fluͤchten muß, um Schutz gegen deutſche Tyrannei zu finden?

Die Regierung hat bis heute noch keine Nach¬ richt mitgetheilt, ob ſie der Bewegungen in Lyon Herr geworden oder nicht. Sie ſagen, der Ne¬ bel hindere den Telegraphen. Es giebt nichts gefaͤlligeres, als ſo ein Nebel, der noch keinen Miniſter in der Noth verlaſſen. Die Ruhe, die jetzt in Lyon herrſcht, hat ſich von ſelbſt herge¬ ſtellt; aber das Volk iſt noch Meiſter der Stadt. Man hat den Herzog von Orleans als Friedens¬ engel, den Marſchall Soult als Wuͤrgengel da¬ hin geſchickt. Nun bin ich begierig, wie ſie Leyer und Schwert zuſammen dichten werden. Der Marſchall Soult kann ſich taͤuſchen; Napoleons Zeiten ſind voruͤber und der Buͤlletin-Donner214 ſchreckt keinen Haſen mehr. Der Herzog von Orleans kann ſich auch taͤuſchen. Eine[fuͤrſtli¬ che] gnaͤdige Herablaſſung thut keine Wunder mehr; das Volk giebt keine Bratwurſt fuͤr die allerhuldvollſten Redensarten, es will baares Geld ſehen. Die Neigung der Miniſter iſt fuͤr Gewalt; aber die Furchtſamkeit des Koͤnigs wird wohl verhindern, was ſeine Weisheit und Ge¬ rechtigkeit nie verhindert haͤtten. Caſimir Per¬ rier, der Koͤnig von Iſrael, der hohe Prieſter der Renten, der Held des Friedens, hat ſich in der Kammer geberdet wie Moſes, als er vom Berge Sinai herab kam, und das Volk um ein goldenes Kalb tanzen ſah. Er hat den Goͤtzen¬ dienern ſeine zehn Gebote an den Kopf ge¬ worfen und das goldene Kalb in Pulver ver¬ wandelt. Er iſt ein completter Narr! Auch haben die Leviten der Boͤrſe ein Jubelgeſchrei erhoben, als ſie ihren ſtrahlenden Moſes wie¬ der ſahen, daß man betaͤubt davon wurde. 215Dieſer Caſimir Perrier hat daruͤber gefrohlocket, daß in den blutigen Geſchichten von Lyon gar nichts von Politik zum Vorſchein gekommen, und daß es nichts als Mord, Raub und Brand ge¬ weſen! Es ſey nichts weiter, als ein Krieg der Armen gegen die Reichen, derjenigen, die nichts zu verlieren haͤtten, gegen diejenigen, die etwas beſitzen! Und dieſe fuͤrchterliche Wahrheit, die, weil ſie eine iſt, man in den tiefſten Brunnen verſenken muͤßte, hielt der wahnſinni¬ ge Menſch hoch empor, und zeigte ſie aller Welt! Die dunkeln Triebe des Volks hat er ihm klar gemacht; ſeiner wilden Laune des Augenblicks hat er durch Grundſaͤtze Dauer gegeben; ſeinen kurzſichtigen Sorgen des Ta¬ ges den Blick in ewige Noth eroͤffnet. Den hoͤchſten Grad des Wahnſinnes moͤgen jetzt die Aerzte Staatskunſt nennen. Um den rei¬ chen Leuten ſagen zu koͤnnen: Seht, ihr ſeyd bedroht, ihr muͤßt es um eurer Sicherheit mit216 mir halten um dieſe elenden Kraͤmer - Vortheile eines Tages opfert Caſimir Perrier das Gluͤck Frankreichs, Europa's, vielleicht um ein Jahrhundert auf. Es iſt wahr, der Krieg der Armen gegen die Reichen hat begonnen, und wehe jenen Staatsmaͤnnern, die zu dumm oder zu ſchlecht ſind zu begreifen, daß man nicht gegen die Armen, ſondern gegen die Armuth zu Felde ziehen muͤſſe. Nicht gegen den Beſitz, nur gegen die Vorrechte der Rei¬ chen ſtreitet das Volk; wenn aber dieſe Vor¬ rechte ſich hinter dem Beſitze verſchanzen, wie will das Volk die Gleichheit, die ihm gebuͤhrt, anders erobern, als indem es den Beſitz er¬ ſtuͤrmt? Schon die Staaten des Alterthums kraͤnkelten an dieſem Uebel der Menſchheit; drei tauſend Jahre haben das Unheil geſaͤet, und das Menſchengeſchlecht nach uns wird es aͤrndten. Frei nannten ſich die Voͤlker, wenn die Reichen ohne Vorrang unter einander die217 Geſetze gaben und vollzogen; die Armen waren niemals frei. Ueber die kurzſichtigen Politiker, welche glaubten, in den Staaten, wo Adel und Geiſtlichkeit ihre Vorrechte verlohren, ſey der ewige Friede geſichert! Eben dieſe, wie Frankreich und England, ſtehen der fuͤrchter¬ lichſten Revolution naͤher, als die andern Staaten, wo noch keine freien Verfaſſungen beſtehen. In den Letztern wird dem niedern Volke, durch ſeinen benachbarten Stand, die Buͤrgerſchaft, die Ausſicht nach den hoͤhern, bevorrechteten Staͤnden verſteckt. Es vermißt daher keine Gleichheit. Da aber, wo der Mittelſtand ſich die Gleichheit erworben, ſieht das untere Volk die Ungleichheit neben ſich, es lernt ſeinen elenden Zuſtand kennen, und da muß fruͤher oder ſpaͤter der Krieg der Ar¬ men gegen die Reichen ausbrechen. Die heil¬ loſe Verblendung des Buͤrgerſtandes zieht das Verderben ſchneller und fuͤrchterlicher herbei. 14 *218Seit er frei geworden, blickt er, halb aus Furcht, halb aus Hochmuth, beſtaͤndig hinter ſich, und vergißt daruͤber vor ſich zu ſehen, wo ein beſiegter, aber noch lebendiger Feind, nur darauf wartet, daß er den Blick wegwen¬ de. Dieſe Furcht und dieſen Hochmuth wiſſen die Ariſtokraten in Frankreich und England ſehr gut zu benutzen. Den Poͤbel hetzen ſie im Stillen gegen die Buͤrger auf und dieſen rufen ſie zu: Ihr ſeyd verlohren, wenn Ihr euch nicht an uns anſchließt. Der dumme Buͤrger glaubt das, und begreift nicht, daß ſeine eigene Freiheit, ſein eigener Wohlſtand ſchwankt, ſo lange das arme Volk nicht mit ihm in gleiche Freiheit und gleichen Wohlſtand eintrete; er begreift nicht, daß ſo lange es einen Poͤbel giebt, es auch einen Adel giebt, und daß ſo lange es einen Adel giebt, ſeine Ruhe und ſein Gluͤck gefaͤhrdet bleibt. Waͤre dieſe Verblendung nicht ſo unheilbringend, es219 gaͤbe nichts laͤcherlicheres als ſie. Dieſe reichen Ladenherrn von Paris, dieſe Bankiers und Fa¬ brikanten, die, es ſind noch keine fuͤnfzig Jah¬ re, ſich von jedem Lump von Ludwigsritter Kanaille mußten ſchelten laſſen, reden, wie ſie es gehoͤrt, den ganzen Tag von der Ka¬ naille, wozu ſie jeden rechnen, der keinen feinen Rock traͤgt, und keine andere Renten hat, als die ihm jeden Tag die Arbeit ſeiner Haͤnde einbringt! Die Regierung, welche uͤber die menſchliche Schwaͤche erhoben ſeyn ſollte, benutzt ſie nur, ihre Herrſchſucht zu befriedi¬ gen, und ſtatt die buͤrgerliche Ordnung auf Weisheit, Gerechtigkeit und Tugend zu gruͤn¬ den, bauen ſie ſie uͤber hinfaͤlliges Holzwerk, das ſie in den Schlamm der Leidenſchaften einrammeln. Die Nationalgarde, die Wache der franzoͤſiſchen Freiheit, ſuchen ſie zu ent¬ nerven, durch eiteln Flitter zu gewinnen. Erſt kuͤrzlich hat der Koͤnig an einem Tage drei¬220 hundert Ehrenkreuze unter ſie vertheilt. Die Ehre haben ſich die Fuͤrſten immer als eines Gegengiftes der Tugend bedient, vor der ſie zittern. Die ſo leicht bekreuzte Nationalgarde wird hinter die Arbeitsleute mit den ſchweren Kreuzen gejagt, ſo bald dieſe murren. Die Arbeitsleute, um ſie doch auch zu etwas zu gebrauchen, werden gegen die Juliushelden, die man Republikaner ſchilt, gehetzt, und dieſe, die ſich zu nichts gebrauchen laſſen, werden mit Haß und Spott verfolgt, bis ihnen der Kerker eine willkommene Zuflucht bietet. Ca¬ ſimir Perrier, der ſich wie ein Schulbube zu den Fuͤßen aller fremden Diplomaten ſetzt, und zu ihren Lehren hinaufhorcht, haͤlt ſich fuͤr einen großen Staatsmann, weil er Ehre und Schaam weit von ſich gewieſen. Nichts iſt bewunderungswuͤrdiger, als die Offenheit, mit der er alles gegen ſich ſelbſt bekannt macht, was er haͤtte verſchweigen ſollen und koͤnnen 221 ſo feſt iſt er uͤberzeugt, daß Unverſchaͤmtheit die erſte Tugend eines aͤchten Staatsmannes iſt! Erſt heute iſt wieder etwas an der Ta¬ gesordnung, was dieſe ſeine Tugend in das glaͤnzendſte Licht ſetzt. Am letzten vierzehnten Juli, am Jahrestage der Beſtuͤrmung der Baſtille, fuͤrchtete man eine Bewegung von den getaͤuſchten und erbitterten Juliushelden, die man, noch aus einem Ueberreſte von Schaam, Republikaner ſchilt. Nun ſah man an jenem Tage mit Erſtaunen, daß Arbeitsleute aus den Vorſtaͤdten der Polizei beigeſtanden und uͤber alle junge Leute herfielen und ſie mishandel¬ ten, die man an grauen Huͤten, an Julius¬ kreuzen oder andern Zeichen als Republikaner zu erkennen glaubte, und die ſich ganz ruhig verhielten. Darauf beſchuldigten einige oͤffent¬ liche Blaͤtter den Polizei-Praͤfekten und den Miniſter des Innern: ſie haͤtten jene Arbeits¬ leute angeworben und bezahlt, um die ihnen222 verhaßten Republikaner zu mishandeln. Caſi¬ mir Perrier haͤtte den Vorwurf ruhig hinneh¬ men ſollen; aber nein, die That, die er be¬ gangen, war ihm noch nicht unverſchaͤmt ge¬ nug, er wollte ſie noch durch Laͤugnen verherr¬ lichen. Er klagte jene Zeitungs-Redaktoren der Verlaͤumdung an. Der Polizei-Praͤfekt fuͤhrte die nehmliche Klage. Seit geſtern ha¬ ben die gerichtlichen Verhandlungen begonnen. Und was ſtellte ſich hervor? Es war klar wie die Sonne, fuͤnfzig Zeugen ſagten es aus, daß die Polizei wirklich das Geſindel der Vor¬ ſtaͤdte (nicht die Arbeiter, ſondern die Muͤſſig¬ gaͤnger) angeworben und taͤglich mit drei Fran¬ ken beſoldet habe, um uͤber die friedlichſten Menſchen herzufallen. Auf ſolche Weiſe buhlt dieſer Miniſter um das Lob des oͤſterreichiſchen Beobachters und der preußiſchen Staatszeitung. Die Bruſtwehr, welche in den Julitagen[errich¬ tet] wurde, Frankreich vor dem Abgrunde zu223 ſchuͤtzen, hat er leichtſinnig niedergeriſſen; er meint, das waͤre nur ein Loch, das er mit ſeinen Haͤnden allein ausfuͤllen wolle. Das niedere Volk, das aus den Juli-Kaͤmpfen ge¬ laͤutert hervorgegangen, ſucht er durch die ſchaͤnd¬ lichſten Verfuͤhrungen wieder in den Koth hin¬ einzuziehen, um ſich daraus brauchbare Werk¬ zeuge fuͤr alle die Gewaltthaͤtigkeiten zu bil¬ den, die er gegen Frankreich noch im Sinne hat.

Der fuͤrchterliche Krieg der Armen gegen die Reichen, der mir ſo klar vor den Augen ſteht, als lebten wir ſchon mitten darin, koͤnnte ver¬ mieden, die Ruhe der Welt koͤnnte geſichert werden; aber alle Regierungen ſind vereint be¬ muͤht, das Verderben herbeizufuͤhren. Wenn die Staatsmaͤnner zittern vor einem Uebel, mei¬ nen ſie, ſie haͤtten das ihrige gethan. Die ar¬ men Leute in Frankreich haben in der Kammer keine Stellvertreter. Die neueſte franzoͤſiſche224 Konſtitution hat die alte Thorheit, die alte Un¬ gerechtigkeit, die alte erbaͤrmliche Philiſter-Poli¬ tik beibehalten, das Wahlrecht an den Beſitz gebunden, und die Beſitzloſen auch ehrlos ge¬ macht. Die Reformbill in England hat auch nur den Zuſtand der Mittelklaſſen verbeſſert, und das Heloten-Verhaͤltniß des niedern Volks von neuem befeſtigt. Im Parlament wie in der Deputirtenkammer ſitzen nur die reichen Gutsbeſitzer, die Rentiers und Fabrikanten, die nur ihren eigenen Vortheil verſtehen, welcher dem der Arbeitsleute gerade entgegenſteht. Die graubaͤrtige Staatsweisheit, vor Alter kindiſch geworden, geifert gegen den Wunſch der Beſ¬ ſern und Einſichtsvolleren: daß man auch die niedern Staͤnde an der Volksrepraͤſentation moͤ¬ ge Theil nehmen laſſen. Sie ſagen: Menſchen, die nichts zu verlieren haben, koͤnnten an dem allgemeinen Wohle des Landes nie aufrichtigen Antheil nehmen; jeder Intriguant koͤnne ihre225 Stimme erſchleichen oder erkaufen. So ſpre¬ chen ſie, um das Gegentheil von dem zu ſa¬ gen, was ſie denken. Weil es unter den ar¬ men Leuten mehr ehrliche giebt als unter den Reichen, weil ſie ſeltener als die andern ſich beſtechen laſſen, wollen ſie die Miniſter nicht unter den Volksvertretern ſehen. Sie moͤgen uns ihre geheimen Regiſter oͤffnen, ſie moͤgen uns die Namen ihrer Anhaͤnger, ihrer Angeber, ihrer politiſchen Kuppler, ihrer Spione leſen laſſen und dann wird ſich's zeigen, ob mehr Reiche, um ihren Ehrgeitz und ihre ſchnoͤden Luͤ¬ ſte zu befriedigen, oder mehr Arme, um ihren Hunger zu ſtillen, das Gewiſſen verkauft ha¬ ben. Die reichen Leute machen allein die Ge¬ ſetze, ſie allein vertheilen die Auflagen, davon ſie den groͤßten und ſchwerſten Theil den Armen aufbuͤrden. Das Herz empoͤrt ſich, wenn man ſieht, mit welcher Ungerechtigkeit alle Staats¬ laſten vertheilt ſind. Hat man denn je einenIII. 15226reichen Staͤdter uͤber zu ſtarke Auflagen klagen hoͤren? Wer traͤgt denn nun alle die Laſten, unter welchen die europaͤiſchen Voͤlker halb zer¬ quetſcht jammern? Der arme Tagloͤhner, das Land. Aber was iſt dem Staͤdter das Land? Gott hat es nur zu Spazierfahrten und Kirch¬ weihfeſten geſchaffen! Der Bauer muß ſeinen einzigen Sohn hergeben, den frechen Ueberfluß der Reichen gegen ſeine eigene Noth zu ſchuͤtzen, und unterliegt er der Verzweiflung und murret, ſchickt man ihm den eigenen Sohn zuruͤck, der fuͤr fuͤnf Kreuzer taͤglich bereit ſeyn muß, ein Vatermoͤrder zu werden. Alle Abgaben ruhen auf den nothwendigſten Lebensbeduͤrfniſſen, und der Luxus der Reichen wird nur ſo viel be¬ ſteuert, als es ihre Eitelkeit gern ſieht; denn ein wohlfeiler Genuß wuͤrde ſie nicht auszeich¬ nen vor dem niedrigen Volke. Die fluchwuͤrdi¬ gen Staatsanleihen, von denen erfunden, wel¬ chen nicht genuͤgt, das lebende Menſchengeſchlecht227 ungluͤcklich zu wiſſen, ſondern die, um ruhig zu ſterben, die Zuverſicht mit in das Grab nehmen wollen, daß auch die kommenden Geſchlechter zu Grunde gehen werden entziehen dem Han¬ del und den Gewerben faſt alle Kapitalien, und nachdem ſie dieſes Verderben geſtiftet, bleiben ſie, zu noch groͤßerem Verderben, unbeſteuert, und was dadurch der Staat an Einkommen ver¬ liert, wird von dem armen Reſt der Gewerbe verlangt. Der reiche Fabrikant haͤlt ſich fuͤr zu Grunde gerichtet, wenn nicht jede ſeiner Toͤch¬ ter einen tuͤrkiſchen Shawl tragen kann, und um ſich und ſeiner Familie nichts zu entziehen, wirft er ſeinen Verluſt auf die Arbeiter und ſetzt ihren Tagelohn herab. Die Stadt Paris braucht jaͤhrlich vierzig Millionen, von welchen ein ſchoͤner Theil in den raͤuberiſchen Haͤnden der beguͤnſtigten Lieferanten und Unternehmer zuruͤckbleibt. Jetzt brauchen ſie noch mehr Geld, und ſie beſinnen ſich ſeit einiger Zeit, ob ſie die15 *228neuen Auflagen auf den Wein, die Butter oder die Kohlen legen ſollen. Der Reiche ſoll nicht darunter leiden, der Arme ſoll bezahlen wie im¬ mer. Eine Flaſche Wein zahlt der Stadt fuͤnf Sous; ob es aber der geringe Wein iſt, den der Arme trinkt, oder ein koſtbarer, den der Reiche genießt, das macht keinen Unterſchied. Die Flaſche Wein, die zwanzig Franken koſtet, zahlt nicht mehr Abgaben, als eine zu acht Sous. Eine Saͤngerin, die jaͤhrlich vierzig tauſend Fran¬ ken Einkommen hat, zahlt nichts, und ein ar¬ mer Leyermann muß von dem Ertrage ſeiner Straßen-Bettelei der Polizei einen großen Theil abgeben. Das fluchwuͤrdige Lotto iſt eine Ab¬ gabe, die ganz allein auf der aͤrmſten Volks¬ klaſſe liegt. Dreißig Millionen ſtiehlt jaͤhrlich der Staat aus den Beuteln der Tageloͤhner, und eine Regierung, die dies thut, hat noch das Herz, einen Dieb an den Pranger zu ſtel¬ len und einen Raͤuber am Leben zu beſtrafen! 229Und nach allen dieſen Abſcheulichkeiten kommen ſie und laͤſtern uͤber die Ungluͤcklichen, die nichts zu verlieren haben, und fordern die reichen Leute auf, gegen das wilde Thier, Volk, auf ſeiner Hut zu ſeyn! Geſchieht das alles ſogar in Frank¬ reich, wo die freie Preſſe manche Gewaltthaͤtigkeit verhindert, manche wieder gut macht was mag nicht erſt in jenen Laͤndern geſchehen, wo alles ſtumm iſt, wo keiner klagen darf, und wo jeder nur den Schmerz erfaͤhrt, den er ſelber fuͤhlt! Wie man dort das arme Volk betrachtet, wie man es dort behandelt, wie man es dort ver¬ achtet, das hat ja die Cholera, dieſe unerhoͤrte Preßfrechheit des Himmels, uns ſehr nahe vor die Augen geſtellt. Wie haben ſie in Ru߬ land, Oeſterreich und Preußen gelaͤchelt, geſpot¬ tet und geſchulmeiſtert und ihr Laͤcheln war ein blinkendes Schwert, ihre Belehrung kam aus dem Munde einer Kanone und ihr Spott war der Tod uͤber die wahnſinnige Verblen¬230 dung des Volks, welches glaubte, die Vorneh¬ men und Reichen wollten ſie vergiften, und die Cholera ſey ein Miſchmaſch des Haſſes! Aber die Wahrheit, die mitten in dieſem Wahne ver¬ borgen, der dunkle Trieb, der das Volk lehrt, es ſey nur ein ſchlechtes Handwerkszeug, zum Dienſte der Reichen geſchaffen, das man weg¬ wirft, wenn man es nicht braucht, und zerbricht, ſobald es unbrauchbar geworden dieſe Wahr¬ heit iſt den Spoͤttern und Schulmeiſtern ent¬ gangen. Geſchah es denn aus Zaͤrtlichkeit fuͤr das Volk, daß man ſie mit Kolbenſtoͤßen ge¬ zwungen, ſich in die Spitaͤler bringen zu laſ¬ ſen, ihre Wohnung und ihre Familie zu meiden? Es geſchah, um der Aengſtlichkeit der Reichen zu froͤhnen. Haben ſie ſich denn nicht in allen Zeitungen den Troſt zugerufen, haben ſie nicht gejubelt daruͤber: die Krankheit treffe nur die Armen und Niedrigen, die Reichen und Vor¬ nehmen haͤtten nichts von ihr zu fuͤrchten? Hoͤ¬231 ret, lieſ't denn das Volk ſolche Reden nicht, wird es nicht daruͤber nachdenken? Ja freilich, das beruhigt ſie, daß das Volk nicht denkt. Aber ihm iſt der Gedanke Frucht, die That Wurzel, und wenn das Volk einmal zu denken anfaͤngt, iſt fuͤr Euch die Zeit des Bedenkens voruͤber und Ihr ruft ſie nie zuruͤck. Genug mich geaͤrgert. In Rußland lebt ein Schaͤfer, der iſt hundert acht und ſechszig Jahr alt. Aber ein Ruſſe aͤrgert ſich nicht. Er giebt oder be¬ koͤmmt die Knute, uͤberzeugt oder wird uͤber¬ zeugt. So wohl iſt uns civiliſirten Deutſchen nicht. Doch kann es noch kommen.

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Ein engliſches Blatt theilte kuͤrzlich die Nach¬ richt mit, Lord Gray, der Verfechter der Re¬ formbill, habe Gift bekommen, und kraͤnkele dem Grabe zu. Das haͤtten die nehmlichen ge¬ than, die auch den freiſinnigen Canning aus dem Wege geraͤumt. Vor einigen Tagen wurde ein Mordverſuch gegen die Koͤnigin Donna Ma¬ ria gemacht, die mit ihren Eltern im Schloſſe Meudon wohnt. Aus einem gegenuͤberliegenden Hauſe wurde in das Zimmer der Prinzeſſin ge¬ ſchoſſen. Die europaͤiſche Ariſtokratie ſpielt ein va banque. Deſto beſſer; ſo werden wir ihrer in einem Satze los. Glauben Sie mir, das iſt es auch, wovor die Fuͤrſten ſich fuͤrchten. Man¬ che ſind gutwillig und wuͤrden dem Volke ſein Recht gewaͤhren; aber ſie kennen ihre Umgebun¬233 gen, ſie kennen zu gut die Freunde des Throns, und wiſſen recht gut, daß mancher ihrer Schmeich¬ ler ſich die eigenen Lippen vergiften koͤnnte, um durch einen unterthaͤnigen Handkuß ihren Herrn zu toͤdten. Sie verdienen ihre Angſt. Warum muß man ein Edelgebohrner oder Schurke ſeyn, um hoffaͤhig zu werden?

Der Verlaͤumdungs-Prozeß, von dem ich Ihnen geſtern geſchrieben, iſt noch in voriger Nacht entſchieden worden. Die beiden angeklag¬ ten Zeitungs-Redaktoren wurden frei geſprochen. Sie haben alſo Caſimir Perrier nicht verlaͤum¬ det, und die Anſchuldigung, daß er die Vor¬ ſtaͤdter angeworben und bezahlt, um ſie gegen die Verraͤther ſeines weiſen Regierungsſyſtems zu hetzen, wurde gegruͤndet gefunden. Alſo iſt Caſimir Perrier verurtheilt, und doch wird er ungeſtraft bleiben. Er lacht daruͤber und traͤgt dieſe Laſt noch zu ſeinen andern Laſten. Der wird nie vergiftet.

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Wie es in Frankreich mit der Volkserzie¬ hung iſt, zeigt folgende ſchoͤne Rechnung. Unter 294,975 jungen Leuten, die im vorigen Jahre zur Conſkription erzogen worden, fanden ſich 12804, die nur leſen konnten; 121,079 konn¬ ten leſen und ſchreiben und 153,636 konnten weder leſen noch ſchreiben. 7460 blieben unge¬ wiß. Alſo mehr als die Haͤlfte wuchs in der groͤßten Unwiſſenheit auf. Die jetzige Regierung hat verſprochen dem Uebel abzuhelfen, und kuͤnf¬ tig beſſer fuͤr den Volksunterricht zu ſorgen. Wir wollen aber abwarten, ob ſie Wort haͤlt. Caſi¬ mir Perrier kann Fortſchritte machen, er kann noch einmal die Jeſuiten einholen.

Seit einigen Tagen wird in der Kammer das neue Strafgeſetzbuch verhandelt. Die Menſchlichkeit hat auch hier endlich Eingang gefunden, wo ſie ſo lange und ſo unerbittlich ausgeſchloſſen war. Die Verletzungen des Ei¬ genthums werden nicht mehr ſo blutduͤrſtig ge¬235 raͤcht. In einigen Faͤllen wurde die Todes¬ ſtrafe abgeſchafft; auch die Strafen anderer Verbrechen wurden gemildert. Es iſt ein Fort¬ ſchritt, und daß das jetzt in Frankreich auf die¬ ſer großen Eiſenbahn der Freiheit und Sitt¬ lichkeit noch uͤberraſchen muß! Geſtern wurde uͤber die Prangerſtrafe geſtimmt. Man hat ſie beibehalten. Die Menſchen haben vor nichts mehr Furcht, als vor ihrer eigenen Vernunft, und ſehen ſich vor, daß ſie ihnen nicht uͤber den Kopf wachſe. Ein Deputirter trug darauf an: man moͤchte den Pranger wenigſtens fuͤr die Minderjaͤhrigen, Greiſe und Weiber ab¬ ſchaffen. Die beiden erſten Milderungen wur¬ den angenommen, die letzte aber verworfen. Und da fand ſich nicht Einer, der die Ver¬ theidigung des armen Weibes uͤbernommen haͤtte. Ja mehrere Stimmen riefen ſpoͤttiſch: Ah! les femmes! mir that dieſe Gleichguͤltig¬ keit wehe. Der Mann, der ſeine Ehre ver¬236 liert, kann ſie auf hundert Wegen wieder fin¬ den. Sein ganzes Leben iſt oͤffentlich, das Feld der Thaten ſteht ihm frei. Aber die Frau, deren Schande der Welt gezeigt worden, wie kann ſie je die Ehre wieder finden? Je auf¬ richtiger ihre ſpaͤtere Tugend, je inniger ihre ſpaͤtere Reue iſt, je verborgener wird ſie ſich halten, und die Welt, die ihre Schuld erfuhr, erfaͤhrt ihre Buße nie. Wenn man den Grei¬ ſen und Minderjaͤhrigen den Pranger erlaͤßt, ſollte man um ſo mehr die Frauen damit ver¬ ſchonen, welche die Schwaͤche des Alters und der Kindheit in ſich vereinigen. Habe ich nicht Recht, oder verdiente ich wegen meiner Meynung von den Frauen ſelbſt an den Pran¬ ger geſtellt zu werden?

Der Praͤfekt von Lyon hat eine Prokla¬ mation erlaſſen, die, wie folgt, beginnt: Lyonnais! Quittez votre deuil et revêtez vos habits de fête, S. A. R. le duc d'Or¬237 léans arrive dans nos murs. C'est l'arc-en¬ ciel qui annonce la fin de l'orage. Lautet das nicht wie deutſch? Koͤnnte man nicht glau¬ ben, es waͤre in Berlin geſchrieben? Von ei¬ nem Kronprinzen zu ſagen: es iſt der Re¬ genbogen, toͤnt freilich noch etwas familiaͤr und revolutionaͤr der Deutſche haͤtte dafuͤr geſagt: Hoͤchſtdieſelben geruhen ein Re¬ genbogen zu ſeyn doch uͤbrigens iſt gar nichts daran auszuſetzen.

Herr Rouſſeau muß ja ſeinen Hofrath ver¬ dienen, und da war es ſeine Amtspflicht, den Artikel aus der Boͤrſenhalle mitzutheilen. In der Muͤnchner Hofzeitung habe ich ihn auch abgedruckt gefunden. Ich habe nur immer meine Freude daran, wenn ich wahrnehme,238 daß die ariſtokratiſche Parthei nicht einen Schriftſteller von nur ertraͤglichem Talente fin¬ den kann, der oͤffentlich ihre Sache vertheidigt. Heimlich, namenlos mag es zuweilen fuͤr Geld geſchehen, aber frei hervortretend eine ſchlechte Sache zu vertheidigen, hat noch keiner gewagt, deſſen Namen guten Klang hat. Jeder fuͤrch¬ tet, ſich verhaßt und laͤcherlich zu machen. Und ſo ſind es immer einige arme Teufel von verlohrnem Geiſte, die nichts mehr zu verlie¬ ren haben, welche dem Adel ihre Faͤuſte leihen. Zwar giebt es einige Maͤnner von ausgezeich¬ netem Talente, wie Goͤrres iſt, und wie Schlegel und Adam Muͤller waren, die ſich gegen den Liberalismus ausgeſprochen; aber ſie kaͤmpften weder fuͤr die Ariſtokratie, noch fuͤr den Abſolutismus, ſondern fuͤr die geiſtliche Macht, die dem Liberalismus feindlich gegenuͤber ſteht.

Habe ich denn behauptet, die Franzoſen waͤren bei ihrem Ruͤckzuge in Frankfurt mis¬239 handelt worden? Da ich das Buch nicht habe, bitte ich Sie die Stelle genau nachzuleſen, und mir daruͤber zu ſchreiben. Ich kann das unmoͤglich geſagt haben, weil mir gar nichts davon bekannt iſt, und ich es auch nicht ein¬ mal glaube. Ich habe nur erzaͤhlt, wie ſich einige Franzoſen hier geaͤußert. Auch habe ich nie geglaubt, daß Marſchall Soult, der als Miniſter im Sinne ſeiner Regierung fried¬ liche Geſinnung und Friedenszuverſicht aͤußern mußte, an oͤffentlichem Tiſche von der Hoff¬ nung der Franzoſen, wieder nach Frankfurt zu kommen, geſprochen. Was ich gehoͤrt, habe ich Ihnen berichtet, und ich habe es in der guten Abſicht drucken laſſen, die Frankfurter Regierung aufmerkſam zu machen, daß eine Zeit kommen koͤnnte, wo es, mit den Franzo¬ ſen feindlich zu ſtehen, der Stadt Schaden bringen moͤchte, und ſie ſich daher nicht mehr als ſie muß, gegen das franzoͤſiſche Volk un¬240 freundlich zeigen ſolle. Misverſtanden kann man das in Frankfurt nicht haben, und wenn man mich doch getadelt, ſo war es gewiß aus jener alten engherzigen Philiſterei geſchehen, deren ganze Weisheit darin beſteht, nichts Unangenehmes aufzuruͤhren, ſondern den ungeſunden Schlamm ſich anhaͤufen zu laſſen, lieber als daß man ihn wegfuͤhre, und die Naſen der Nachbarn dadurch belaͤſtige.

Die Geſchichte mit der Graͤfin *** werde ich in keine Zeitung bringen laſſen. Das haͤtte Sie nicht noͤthig gehabt mir zu unterſagen. Ich werde nie gegen einzelne Menſchen als oͤffentlicher Anklaͤger auftreten, auch nicht wenn ich ſie fuͤr ſchuldig halte. Was nicht Volksmaſſen ſind, oder Menſchen, die ganze Maſſen und allgemeine In¬ treſſen repraͤſentiren, liegt ganz außer meinem Wir¬ kungskreiſe, denn es liegt außer meiner Pflicht.

Der *** iſt nur das Mundſtuͤck einer di¬ plomatiſchen Trompete, das gar nicht weiß, was241 er blaͤßt. Haͤtte ich aber den ſpielenden Mund ſelbſt vor mir, wuͤrde ich ihm ſagen: Sie glau¬ ben, es waͤre mir blos um Geld zu thun! à la bonne heure. Das beleidigt wenigſtens meinen Kopf nicht, und mein Herz nimmt ſo leicht nichts uͤbel. Sie meinen aber auch, mich aͤr¬ gert, daß ich noch keinen Orden bekommen! Vous n'y pensez pas, mon cher Baron. Ich gaͤbe den Heiligengeiſt-Orden, den Hoſenband - Orden, die rothen und die ſchwarzen Adler und wie dieſe Zeichen der Dienſtbarkeit ſonſt heißen, alle fuͤr einen Zahnſtocher hin, den ich gerade in dieſem Augenblicke noͤthig brauche. Außer ſie muͤßten mit Brillanten beſetzt ſeyn, fuͤr welche ich die Haͤlfte ihres Werthes bezahlte, weil ſie in ſolcher Faſſung die Haͤlfte ihres Werthes in meinen Augen verloͤhren.

Seyn Sie ruhig; Gott ſelbſt rezenſirt meine Schriften; der erſte Artikel iſt ſchon erſchienen, die Fortſetzung wird bald folgen. Der Bundes¬III. 16242tag, der ſich, ſo lange er den Weichſelzopf ge¬ habt, ganz ſtill, ganz ruhig, ganz warm gehal¬ ten; ſich die Schlafmuͤtze bis uͤber den Mund herabgezogen; nichts ſah, nichts hoͤrte, nichts ſprach, nicht an die freie Luft zu gehen wagte er iſt wieder munter geworden, ſeitdem die Polen beſiegt; ſeit dem Falle Warſchau's iſt ihm das Herz geſtiegen. Die kleinen deutſchen Fuͤr¬ ſten werden wie die Schulbuben zurecht gewie¬ ſen, ſie ſollten auf die Vollziehung der Karls¬ bader Beſchluͤſſe kuͤnftig beſſer achten; ein neues Preßgeſetz wird angekuͤndigt; die Cenſurkom¬ miſſion in Frankfurt hat ihre Mannſchaft er¬ gaͤnzt, und ſich auf den Kriegsfuß geſetzt; die Strasburger Zeitung wurde verboten. Kann man ſchmeichelhafter von meinen Briefen ſpre¬ chen? Gerechter Gott! Nicht einmal den Muth hatten ſie, eine kleine auslaͤndiſche Zeitung zu unterdruͤcken, die ihnen ſeit dem erſten Tage ihrer Erſcheinung wie der Tod verhaßt war, ehe243 ſie die ganze Macht Rußlands zu ihrem Schutze bereit ſahen. Jetzt wird man noch an groͤßere Sachen gehen. Und iſt man mit den Sachen fertig, ſobald man alle Hoffnungen des Vater¬ landes niedergeriſſen, wird man unter deren Schutt hervor auch die Menſchen zerren, die in den Gebaͤuden wohnen, und ſie dafuͤr zuͤchti¬ gen, daß ſie zu edel waren, ſo lange ſie die Macht gehabt, ſich gegen jede Rache zu ſchuͤtzen. An meinem Schmerze hat wenigſtens getaͤuſchte Hoffnung keinen Theil; ich wußte vorher, daß es ſo kommen wuͤrde. Aber die Andern! Der gute, feurige Welker hat zu fruͤh Triumph! ge¬ rufen. Dieſe edlen oder ſchwachen Maͤnner ha¬ ben mich ausgelacht, als ich ihnen ſchon vor neun Monaten ſagte: Seht euch vor, Ihr wer¬ det betrogen, benutzt die Zeit, ſeyd ſchnell. Sie haben ſich bedacht, als haͤtten ſie die Ewigkeit gepachtet; ſie ſind den Schneckenweg des Rechts, der zaudernden Ueberlegung bergauf geſchlichen,16*244und haben in ihrem Vertrauen den Verrath, in ihrer Gruͤndlichkeit den Abgrund gefunden, und haben uns mit hineingezogen. Geſchmauſt ha¬ ben ſie mit den Edelleuten, gezecht haben ſie mit den Miniſtern, und haben ihre geheimſten Ge¬ danken dem Weine anvertraut, der ſie den ewig Nuͤchternen verrathen.

Warum haben denn die Polen Frankfurt nicht beruͤhren duͤrfen? War es wegen der Cho¬ lera, oder wegen der Freiheit? Die Amneſtie des Kaiſers Nikolaus gleicht der bekannten Ra¬ ritaͤt Lichtenbergs. Sie iſt ein Meſſer ohne Klinge, woran der Stiel fehlt. Die Gnade! die Gerechtigkeit!

In Berlin haben ſie Rotteks Weltgeſchichte verboten. O! die Zeit wird kommen, wo ſie alle Weltgeſchichten verbieten und der Natur drei Jahreszeiten ſtreichen. Das iſt der Status quo. Was iſt der Status quo? So nennen ſie jeden Ort, wo ſie ſtehen geblieben, und ſtuͤnde245 auch die ganze Welt hundert Meilen weit davon entfernt.

Der Koͤnig von Baiern laͤßt ſich aus allen Staͤdten, Flecken und Doͤrfern des Landes von den Magiſtratsperſonen im Namen der Gemein¬ de unterthaͤnige Adreſſen ſchicken. Dieſes pa¬ pierne Heer ſoll gegen die rebelliſche oͤffentliche Meinung zu Felde ziehen. In einer ſolchen Adreſſe aus Waſſerburg heißt es ſehr naiv: den ausgeſprochenen Grundſatz einer weiſen Sparſamkeit empfangen wir jedoch ohne Beſchraͤnkung der Allerhoͤchſten Perſon im Wohl¬ thun und im Glanz des Hofes und des Staa¬ tes, mit ewigem Danke. Die Waſſerburger haben zwar einen ſchlechten Styl, aber ein gu¬ tes Herz. Das iſt die Hauptſache. Weiter. Ein Bairiſcher Staatsbeamte ſchloß ſeine Rede, die er bei einer oͤffentlichen Feierlichkeit gehalten, mit folgenden Worten: Haß und Verach¬ tung jenen Abgeordneten, die es wag¬246 ten, die Civilliſte des Koͤnigs zu ſchmaͤ¬ lern. Hu! das iſt wahrhaft melodramatiſch.

Die Sache der Emanzipation der Juden hat auch in der Bairiſchen Kammer wieder eine deut¬ ſche ungeſchickte Wendung genommen. Es iſt das alte harte Raͤthſel, an dem ich mir ſchon fuͤnf Jahre die Zaͤhne ſtumpf beiße. Die Kam¬ mer hatte beſchloſſen, die Juden ſollten den chriſtlichen Staatsbuͤrgern gleichgeſetzt werden. Was war nun nach einer ſolchen Erklaͤrung zu thun? Nichts. Man hatte nur alle Geſetze, welche eine Ungleichheit der Juden ausſprechen, aufzuheben. Das war der Stoff einer einzigen Formel, einer einzigen Zeile. Aber was geſchah? Nach Beendigung der Debatten beſchloß die Kam¬ mer: Sr. Majeſtaͤt den Koͤnig in verfaſſungs¬ maͤßigem Wege zu bitten, vor allen eine ge¬247 naue Reviſion der uͤber die Verhaͤltniſſe der juͤ¬ diſchen Glaubensgenoſſen beſtehenden Verord¬ nungen vornehmen und den Entwurf eines auf Beſeitigung der gegruͤndeten Beſchwerden der Judenſchaft und die Erleichterung ihrer bisheri¬ gen buͤrgerlichen Verhaͤltniſſe zielenden Geſetzes den Staͤnden des Reiches vorlegen zu laſſen. Da verliere Einer die Geduld nicht! Einer deut¬ ſchen Regierung Zeit zu Verbeſſerungen geben, das heißt mit dem juͤngſten Tage einen Vertrag abſchließen. Wozu ins Teufels Namen alle dieſe Umſtaͤndlichkeiten? Wenn die Juden emanzipirt werden ſollen, wozu denn noch vorher die lang¬ weilige Muſterung alter Ungerechtigkeit? Soll man denn die buͤrgerliche Geſellſchaft wie eine Uhr behandeln, die, wenn ſie vorwaͤrts ſoll, nach¬ dem ſie lange ſtehen geblieben, jede verſaͤumte Viertelſtunde nachſchlagen muß? Daruͤber ſterben ganze Menſchengeſchlechter in Elend und Kum¬ mer. Die Vertheidiger der Juden haben in248 Muͤnchen ſo wunderliche Reden gefuͤhrt als ihre Anklaͤger. Einer der erſten ſagte: die Juden ſeyen zur Zeit ihrer Selbſtſtaͤndigkeit ein tapfe¬ res Volk geweſen, und die hartnaͤckige Verthei¬ digung von Jeruſalem ſey mit der von Sara¬ goſſa zu vergleichen. Aber, gerechter Gott! dar¬ auf koͤmmt es ja hier gar nicht an. Die ſtaats¬ buͤrgerliche Gleichheit ſoll ja den Juden nicht als ein Verdienſt, als ein Lohn, ſie ſoll ihnen als ein unveraͤußerliches Recht zuerkannt werden. Schlimm iſt fuͤr die Juden, daß der Deutſche in dieſer Sache wie immer unter der ſtrengen Regierung ſeines Herzens ſteht. Selbſt um ge¬ recht zu ſeyn, muß der Deutſche lieben. Nun liebt man aber die Juden nicht. Aber der ſtarke Mann der Wahrheit und des Rechts muß auch ſein Herz zu meiſtern wiſſen. Sie wiſſen, wie meines fuͤr die Juden ſchlaͤgt! Und habe ich ſie darum nicht doch immer vertheidigt?

249

Dreizehnter Brief.

Von meinen Briefen iſt in allen Blaͤt¬ tern, ſogar in engliſchen die Rede. Im Conſti¬ tutionel heißt es unter andern: C'est le nec plus ultra de la presse allemande libérale. Personne n'a encore osé écrire ainsi. C'est la témérité personnifiée. Nos allemands peu éclairés, ressemblent à un homme longtems emprisonné et privé de lumières, qui dès qu'on lui ouvre les portes pour le délivrer, est offusqué par la lumière qu'il ne peut supporter. Der Temps nennt mich einen250 écrivain courageux und hebt es heraus, daß ich geſagt: beſſer einen Don Miguel zum Herrn haben, als einen mild vaͤterlichen deut¬ ſchen Fuͤrſten. Der Artikel aus der Boͤrſenhalle geht nach und nach in alle miniſterielle und ari¬ ſtokratiſche Blaͤtter uͤber. Geſtern las ich ihn in der Zeitung von Bern, ein Kirchhof, wo der Hochmuth von fuͤnf Jahrhunderten begra¬ ben liegt, und wo in dieſer unſerer Mitternacht alle Geiſter der alten Raubritter herumwandeln und heulen, daß einem die Haare zu Berge ſtehen. Ihr tapfern Ritter, Ihr Hofleute in eurer Narrenjacke, erhabene Saͤulen des Throns, treue Schildtraͤger der Fuͤrſten, brave Daͤmme gegen das wildbrauſende Volk wo ſeyd Ihr denn? Junker, Legationsraͤthe, Kammerherrn, tretet heraus, tretet hervor, erhebet euch. Hoͤ¬ ret, wie ein niedriger Knecht euch verhoͤhnt, euch trotzt! .. Sie ſind ſtumm, und faͤnde ſich nicht zuweilen ein Ochſe von Buͤrger, der ihnen251 aus Dummheit ſeine geſalzene Zunge liehe; ſie wuͤrden erſticken vor Wuth. Ich aber habe meine Freude daran, und ich moͤchte die gan¬ ze Junkerei mit muͤrben Brezeln bewirthen.

Ich kann Sie verſichern, daß die ſchoͤnſte Poſſe auf dem Theater mich nie ſo ſehr er¬ goͤtzt hat, als die Schrift des Eduard Meyer. Und was an der einen Luſt fehlte, erſetzte die Schadenfreude. Ich dachte bei mir: welch 'eine Sache muß es, welche Menſchen muͤſſen das ſeyn, die ſolche Beſchuͤtzer ſuchen und nur ſolche finden! Auch habe ich bei dieſer Ge¬ legenheit einem theilnehmenden, aber von dem gegen mich erregten Laͤrm etwas betaͤubten Manne geſchrieben: So ſind eure Vertheidi¬ ger, ſo iſt eure Sache, ſo ſeyd Ihr ſelbſt! Wenn Sie in meinen Worten etwas Wehmuͤ¬252 thiges gefunden, ſo iſt der gute Eduard ganz unſchuldig daran. Ich erinnere mich nicht mehr, in welcher Stimmung ich damals ge¬ ſchrieben; aber es kann wohl ſeyn, daß ich bei dieſem Anlaſſe einen truͤben Blick in unſer truͤbes Vaterland geworfen und daß mich das etwas bewegte. Den Alexis Haͤring, den ſchicken Sie mir ja ſobald als moͤglich; der erſpart mir funfzig Sous und fuͤnf Stunden Zeit fuͤr ein Boulevard-Theater. Ich kenne ihn von Berlin her, es iſt ein ungeſalzener Haͤring. Vor meiner Rache iſt er ſicher. Waͤre er ein Milchner, ſalzte ich ihn vielleicht; aber ſolch einen Rogner kann ich zu gar nichts brauchen. Auch wuͤrde ich mich wohl huͤten, dem Leipziger Viehſtalle zu nahe zu kommen. Ich bin kein Herkules, und deſſen Keule war es auch nicht, die das Wunder gethan. Die Pleiße aber iſt ſo dumm und flach, daß nur ein Paar Schnupftuͤcher damit zu reinigen ſind. 253Guter Guter! Wenn man dieſe Menſchen erſt perſoͤnlich kennt, dann iſt man gar entwaffnet und wehrlos. Dieſer Willibald Alexis pfui, es iſt mir, als ſollte ich mit Ruͤhreiern Krieg fuͤhren. Ein platter, abgeſchmackter Oſter¬ fladen, eingeſchrumpft und altbacken, wie er am zweiten Pfingſttag ausſehen und ſchmecken wuͤrde ... Nun, wie gefalle ich Ihnen? Ha¬ be ich nicht ſchon viel[profitirt] von meinem Eduard? Alſo den Haͤring ſchicken Sie mir.

Die ſchoͤnen Frankfurter Maͤdchen werden ſich wohl zu troͤſten wiſſen, wenn ſie in kei¬ ner Leihbibliothek meine Briefe werden bekom¬ men koͤnnen. Clauren erſetzt mich ihnen vom Samſtag Abend bis Montag Morgen. Die andern Leſer werden Mittel finden, ſich das Buch auf andere Art zu verſchaffen. Funfzig Thaler Strafe! das iſt ein ſtarkes Leſegeld! Mir faͤllt dabei nur immer ein, daß in Frank¬ furt, Hamburg und andern deutſchen Landen,254 wo man nie nach Thalern rechnet, doch im¬ mer nach Thalern beſtraft wird. Das beweiſ't, daß man Geſetze in Anwendung bringt, deren Form wie deren Geiſt veraltet iſt. So waͤre denn mein Buch in Deutſchland vogelfrei er¬ klaͤrt. Das war gar nicht noͤthig, ich habe es ja ſelbſt gethan. Frei wie ein Vogel, ſollte es in den Luͤften ſchweben, erhaben uͤber dem ſtinkenden Nebel der Polizei und dem feuch¬ ten Dunſtkreiſe angſtſchwitzender Buͤrger. Es wird ſchon herabpfeifen durch Nebel und Dunſt, und ſieht man es auch nicht, wird man es doch immer hoͤren.

Die Affen-Kultur hat hier ſeit der letzten Revolution große Fortſchritte gemacht. Sonſt beſchraͤnkte ſich die Kunſtfertigkeit der Affen auf den Schauplatz der ebenen Erde. Sie tanzten, zogen den Hut ab, zerrten die Maͤd¬ chen an den Roͤcken, putzten den Herrn die Stiefel, und forderten hoͤflich Geld ein. Das255 war alles gut und eintraͤglich. Doch entging den armen Savoyarden die Theilnahme und das Souſtuͤck der Hausbewohner, die in den obern Stocken wohnten, und nicht gerade am Fenſter lagen. Jetzt aber haben ſie die Affen abgerichtet, an langen Stricken feſtgehalten, die Haͤuſer hinaufzuklettern, auf den Gelaͤndern der Balkone herum zu ſpazieren, vor das Fen¬ ſter zu ſpringen, und an die Scheiben zu klo¬ pfen. Dieſe geniale Induſtrie iſt hoͤchſt ergoͤtz¬ lich. Doch muß ich ſagen, daß es oft eine unangenehme Ueberraſchung fuͤr die Leute im Zimmer ſeyn mag. Denken Sie ſich, eine junge ſchoͤne Dame ſaͤße auf dem Sopha ne¬ ben ihrem Vetter, durchblaͤtterte mit ihm les feuilles d'automne von Hugo, und waͤre ſehr zerſtreut und jetzt pochte ploͤtzlich ein garſtiger Affe an das Fenſter und guckte neu¬ gierig und ſpoͤttiſch in das Zimmer hinein das waͤre ja ein groͤßerer Schrecken, als wenn256 der Mann unerwartet aus dem Komptoir wie¬ der heraufkaͤme, weil er ſeine Brille vergeſſen. Ich begreife nicht, wie die Polizei ſolche Frie¬ densſtoͤrung dulden kann; es muͤßte denn ſeyn, daß ſie ſelbſt die Affen zu Hausſpionen ange¬ ſtellt. Es waͤre gar nicht unmoͤglich. So ein Affe hat Verſtand genug dazu.

257

Vierzehnter Brief.

Geſtern hat ſich Mauguin mit dem De¬ putirten Viennet geſchlagen. Mauguin vergaß ſich und nannte die Kammer eine miniſterielle; Viennet, ſelbſt ein Miniſterieller, vergaß ſich auch, und nannte den Mauguin einen ſchaam¬ loſen Menſchen. Das beleidigte ihn, und er forderte Viennet. Ich finde es aber laͤcherlich, daß er einen Vorwurf, den er Andern gemacht, nicht ſelbſt annehmen wollte. Darauf wurden zwei Piſtolen geladen, und mit nicht mehr und nicht weniger als zwei Schuß PulverIII. 17258wurden zwei Ehren wieder hergeſtellt. In England und Deutſchland wird ſo etwas ge¬ woͤhnlich mit mehr Ernſt betrieben, hier aber wird oft eine Komoͤdie daraus gemacht; denn ich vermuthe ſehr, daß man falſch ladet. Waͤre ich Sekundant, ich thaͤte eine gute Ku¬ gel hinein. Zwar waͤre der Welt mit einem Narren weniger nicht geholfen; aber ich thaͤte es aus Bosheit.

Meine Pariſer Briefe ſind jetzt bei den hieſigen Buchhaͤndlern angekommen, und ich habe ſie geleſen mit einer Ruhe und einer Gleichguͤltigkeit, mit der man die Rechnung eines Schneiders lieſt, wenn, um ſie zu be¬ zahlen, es weder an Geld noch guten Willen fehlt. Ich wuͤrde kein Wort zuruͤcknehmen, wenn ich ſie heute ſchriebe, und keine einzige Rede nur um einen Lichthauch blaͤſſer machen. Grob ſind ſie freilich, wie man ſie gefunden. Wer hieß aber auch die dummen Menſchen259 ihnen ſo nahe treten, und ſie durch die Brille betrachten? Sie ſind grob, wie Fresko-Ge¬ maͤlde ſind und ſeyn muͤſſen, die in einiger Entfernung angeſchaut werden ſollen. Auf der friſchen, noch feuchten Gegenwart gemalt, mußten die Zuͤge ſchnell der entſchloſſenen Hand nachſtuͤrzen, durften nicht hinter zau¬ dernder Bedenklichkeit nachſchleichen. Dem Vol¬ ke, das in weiten Kreiſen umher ſteht und kein Vergroͤßerungsglas gebraucht, faͤllt es gerade mit dem rechten Maaße in die Augen. Wie freue ich mich, daß mir das gelungen; wie froh bin ich, daß ich der paſtellfarbigen Artigkeit entſagt, die den verzaͤrtelten Diplo¬ maten ſo gut gefaͤllt, weil ſie es weglaͤcheln, ſobald es ihnen nicht mehr behagt. Nein, diesmal habe ich tiefe Furchen durch ihre Em¬ pfindung gezogen, und das wird Fruͤchte tra¬ gen; denn ſelbſt fuͤr ihre eigenen Felder iſt die Saat nicht in ihrer Hand Gott ſorgt17*260dafuͤr. Daß man mir nur das Herz oͤffne, feindlich oder freundlich, gleichviel; beides iſt mir willkommen, denn beides nuͤtzt der guten Sache.

Heine hat gegen die zwei Hamburger Kuͤnſtler Meyer und Wurm, die noch fresko¬ artiger gemalt als ich ſelbſt, einen Artikel ge¬ ſchrieben. Geleſen habe ich ihn nicht, er ſprach mir blos von ſeinem Vorſatze. Es war ihm aber gar nicht darum zu thun, mich zu vertheidigen, ſondern ſich ſelbſt, da er zugleich mit mir angegriffen worden. Heine hat dar¬ in eine wahrhaft kindiſche Eitelkeit; er kann nicht den feinſten, ja nicht einmal den groͤb¬ ſten Tadel vertragen. Er ſagte mir, er wolle jene Menſchen vernichten. Das duͤrfte mir gleichguͤltig ſeyn. Zwei Spatzen weniger in der Welt, das hilft zwar nichts, kann aber noch nichts ſchaden. Den Artikel ſchickte er an Cotta fuͤr die allgemeine Zeitung; nun261 ſchrieb ihm dieſer zuruͤck: Es moͤchte doch ſeine Bedenklichkeit haben, eine Schrift zu verthei¬ digen, worin mit ausdruͤcklichen Worten ſtuͤnde, jedes Volk duͤrfe ſeinen Koͤnig abſetzen, ſobald ihm ſeine Naſe nicht mehr gefiele. Geduld, himmli¬ ſche Geduld! Was fange ich nun mit ſolchen Menſchen an, die ganz ernſtlich glauben, ich haͤt¬ te den Voͤlkern gerathen, ihre Fuͤrſten zu verjagen, ſobald ſie mit deren Naſen unzufrieden wuͤrden? Wie wuͤrde es mir ergehen, wenn ich gegen ſol¬ che Anſchuldigungen mich vor deutſchen Rich¬ tern zu vertheidigen haͤtte? Wenn ich ſagte: Meine Herrn, Sie muͤſſen das nicht ſo woͤrtlich nehmen nun, ich glaube, das glaubten ſie mir vielleicht. Was wuͤrde mich das aber nuͤ¬ tzen? Sie wuͤrden erwiedern: Sie haͤtten aber bedenken ſollen, daß Sie nicht blos fuͤr gebil¬ dete Leſer ſchreiben, ſondern daß auch eine große Zahl Ungebildeter Ihre Werke lieſt, die keiner Ueberlegung faͤhig, ſich nur an den Wortver¬262 ſtand halten. Zu dieſer Bemerkung wuͤrde ich ſchweigen, und ſagen: laßt mich in das Ge¬ faͤngniß zuruͤckfuͤhren. Alles Reden waͤre doch vergebens. Stuͤnde ich aber vor einem deut¬ ſchen heimlichen Gerichte, waͤren Geſchworne da, und ſaͤße Volk auf den Gallerien, wuͤrde ich mich, wie folgt, vertheidigen. Meine Herrn! Der Deutſche iſt ein Krokodill! (Allgemeines Geſchrei des Unwillens. Krokodill! Krokodill! zur Ordnung, zur Ordnung!) ... Meine Herrn, der Deutſche iſt ein Krokodill. (Zur Ordnung, zur Ordnung! der Praͤſident: Sie mißbrauchen das Recht der Vertheidi¬ gung ....) Meine Herrn, der Deutſche iſt ein Krokodill aber ich bitte Sie, laſſen Sie mich doch zu Ende reden. Wenn ich ſage, der Deut¬ ſche iſt ein Krokodill, ſo meine ich gewiß nicht damit, der Deutſche ſey ein wildes, grauſa¬ mes, raͤuberiſches Thier wie das Krokodill, und weine heuchleriſche Kindesthraͤnen. Ich denke263 gerade das Gegentheil. Der Deutſche iſt zahm, gutmuͤthig, raͤuberlich aber gar nicht raͤube¬ riſch, und weint ſo aufrichtige Thraͤnen, als ein Kind, wenn es die Ruthe bekoͤmmt. Wenn ich das deutſche Volk ein Krokodill genannt, ſo geſchah es blos wegen ſeiner Koͤrperbedeckung, die ganz der eines Krokodills gleicht. Sie hat dicke harte Schuppen, und iſt wie ein Schie¬ ferdach. Was feſtes darauf faͤllt, prallt ab, was fluͤſſiges, fließt hinunter. Jetzt denken Sie ſich, meine Herrn, Sie wollten ein ſol¬ ches Krokodill thieriſch magnetiſiren; zweitens, um es ſpaͤter von ſeinen ſchwachen Nerven zu heilen; erſtens, um es fruͤher hellſehend zu machen, daß es in ſein Inneres hinein ſchaue, ſeine Krankheit erkenne, und die dienlichen Heilmittel errathe. Wie wuͤrden Sie das an¬ fangen? Wuͤrden Sie mit zarter gewaͤrmter Hand auf den Panzer des Krokodills herum¬ ſtreicheln? Gewiß nicht, Sie waͤren zu ver¬264 nuͤnftig dazu. Sie wuͤrden begreifen, daß ſol¬ ches Streicheln auf das Krokodill ſo wenig Eindruck machte, als auf den Mond. Nein, meine Herrn, Sie wuͤrden auf dem Krokodill mit Fuͤßen herum treten, Sie wuͤrden Naͤgel in ſeine Schuppen bohren, und wenn dies noch nicht hinreichte, ihm hundert Flintenkugeln auf den Leib jagen. Sie wuͤrden berechnen, daß von dieſer großen angewendeten Kraft neun und neunzig Hunderttheile ganz verlohren gin¬ gen, und daß der Hunderttheil, der uͤbrig blie¬ be, gerade die ſanfte und beſcheidne Wirkung hervorbraͤchte, die Sie bei Ihrem thieriſchen Magnetiſiren beabſichtigen. So habe ich es auch gemacht. Waͤre aber das deutſche Volk kein Krokodill, ſondern haͤtte es eine zarte Haut, wie die ſchoͤne Fuͤrſtin von ***, dann haͤtte ich ihm nicht geſagt, es duͤrfe einen Fuͤr¬ ſten vertreiben, der eine unangenehme Naſe hat, ſondern ich haͤtte wie folgt mit ihm ge¬265 ſprochen: Die Fuͤrſten mag ſie nun Gott oder der Teufel, oder moͤgen ſie ſich ſelbſt, mag die weiſe Vorſehung, oder mag der Narr Zufall ſie eingeſetzt haben ſind beſtimmt, die Voͤlker, welche ihnen anheim gefallen, nicht blos mit Gerechtigkeit, ſondern auch mit Weis¬ heit, nicht blos mit Weisheit, ſondern auch mit Staͤrke, nicht blos mit Staͤrke, ſondern auch mit Milde zu regieren. Wo ſie dieſes nicht thun, oder nicht vermoͤgen; wo ſie das Recht ſchmaͤhlich verletzen, ihren eignen Suͤn¬ den, oder denen ihrer Luſtgeſellen zu froͤhnen; wenn ſie ſtatt der ernſten Stimme der Klug¬ heit, den Poſſenliedern der Thorheit ihr Ohr hingeben; wenn ſie zu ſchwach oder zu feige ſind, den Verfuͤhrungen oder Drohungen frem¬ der Fuͤrſten zu widerſtehen; wenn ſie jedes Vergehen als eine Beleidigung ihrer Macht blutig und tuͤckiſch raͤchen ein ſo mishan¬ deltes, ſo mit Fuͤßen getretenes Volk darf17 *266 und muß ſeinen verbrecheriſchen Fuͤrſten vom Throne ſtoßen und aus dem Lande jagen. Haͤtte ich aber ſo mit dem deutſchen Krokodill geſprochen, wie viel von meinen Worten waͤre in ſein Inneres gedrungen? Wenig, Nichts, ja weniger als nichts. Ein Defizit des Wi¬ derſtandes waͤre dabei herausgekommen, und das Krokodill haͤtte meine Lehre ſo gedeutet: einen Fuͤrſten, der despotiſch regiere, muͤſſe man die Civilliſte verdoppeln. Darum ſagte ich ihnen: ihr duͤrft jeden Fuͤrſten ver¬ jagen, ſobald euch ſeine Naſe nicht mehr ge¬ faͤllt. Deutſche Gutmuͤthigkeit bringt von ſol¬ cher Lehre neun und neunzig Hunderttheile in Abzug, und dann bleibt gerade ſo viel uͤbrig, als ihnen zu wiſſen gut iſt, als ich ihnen bei¬ zubringen mir vorgeſetzt ... (allgemeines Bei¬ fallklatſchen). Der Praͤſident: Alle Zeichen des Beifalls oder der Unzufriedenheit ſind un¬ terſagt; wenn die Ruhe noch einmal geſtoͤrt267 wird, werde ich den Saal raͤumen laſſen ... Darauf ziehen ſich die deutſchen Geſchwornen in ihr Zimmer zuruͤck. Nach zehn Monaten, elf Tagen, zwoͤlf Stunden und dreizehn Minuten, treten ſie wieder in den Saal, und erklaͤren den Angeklagten fuͤr nicht ſchuldig. Todesſtille. Die Geſchwornen ſehen ſich um, und werden bleich. Waͤhrend ihrer Berathſchlagung waren Angeſchuldigte, Richter, der Prokurator des Koͤ¬ nigs, der Vertheidiger, ſaͤmmtliche Advokaten und Zuhoͤrer alle Hungers geſtorben, und ſchon in Faͤulniß uͤbergegangen. Dieſe traurige Ge¬ ſchichte hatte in Deutſchland großes Aufſehen gemacht, und Herr von Kamptz in Berlin be¬ nutzte ſie geſchickt, und ließ in Jarke's antire¬ volutionairem Tendenzblaͤttchen einen Aufſatz dru¬ cken, worin er aus der neueſten Erfahrung be¬ wies, daß ein Schwurgericht fuͤr Deutſchland gar nicht paſſe.

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Sie aber, Sie, was halten Sie davon? Finden Sie nicht, daß ich Recht habe? Aber mein Gott! Sie haben gar nicht Acht gegeben. Sie waren zerſtreut und ich weiß auch warum. Waͤhrend meiner langen Rede haben Sie an nichts gedacht, als wer die Fuͤrſtin ſey, deren ſchoͤnen Teint ich gelobt. Ich werde mich wohl huͤten, das zu geſtehen. Indem ich es verſchwei¬ ge, werden alle deutſche Prinzeſſinnen die Schmei¬ chelei auf ſich beziehen, und ich werde dadurch ſechs und dreißig regierende Herzen gewinnen, welches mir ſehr nuͤtzlich ſeyn kann, wenn ich einmal fruͤher oder ſpaͤter in die rauhen Faͤuſte irgend einer deutſchen Polizei plumpe.

Geſtern habe ich einem Welt-Eſſen bei¬ gewohnt. Nicht einem Eſſen, wo, wie in man¬ chen Laͤndern Europens, die Welt von wenigen Maͤulern geſpeißt wird; ſondern wo die Welt durch ihre Repraͤſentanten ſelbſt ſpeißt. Ich habe Nord - und Suͤdamerikaner, Egyptier und269 Oſtindier, Schweden, Polen, Franzoſen, Eng¬ laͤnder, Deutſche, Schweizer, Italiener um ei¬ nen Tiſche verſammelt geſehen. Nur Ruſſen waren keine da; denn dieſe, mit den Markkno¬ chen der Polen angenehm beſchaͤftigt, verſchmaͤ¬ hen jetzt die magern Beefſteaks von gewoͤhnli¬ chen Ochſen. Herr Juͤllien, Herausgeber der bekannten Revuͤe encyklopaͤdique, verſam¬ melte ſeit vielen Jahren ſeine Freunde und die es werden ſollen das will ſagen alle Welt monatlich einmal zu einem encyklopaͤdiſchen Diner. Die Geſellſchaft iſt gewoͤhnlich mehr als hundert Perſonen ſtark; geſtern aber waren es hoͤchſtens dreißig. Ihnen die kleinen Goͤtter, die beruͤhmten Polen, Italiener, Franzoſen zu nennen, waͤre zu weitlaͤufig; die beruͤhmten Frank¬ furter herzuzaͤhlen waͤre kuͤrzer, aber das ver¬ bietet mir die Beſcheidenheit. Von europaͤi¬ ſchem Rufe war nur ein einziger Mann gegen¬ waͤrtig, Sir Sidney Smith, deſſen Bio¬270 graphie ſie im Converſationslexikon finden. Er iſt ein ſchoͤner und fuͤr ſein Alter noch ruͤſtiger Mann, und, was an einem Seehelden auf¬ faͤllt, er hat ganz die Art und Haltung eines feinen Pariſers. Der wuͤrde nie, wie Jean Bart, Taback im Vorzimmer eines Koͤnigs rauchen. Ich habe mich ſehr unterhalten. Aber, mein Gott, ich erſtaune uͤber die Menſchen, welchen in Paris nicht aller Ehrgeiz zu Ekel wird. Dieſe Stadt iſt eine Kloake des Ruhms, die ihn auf dunkeln und ſchmutzigen Wegen in den naͤchſten Bach ſchwemmt, worin er immer wei¬ ter und weiter, bis in das Meer der Vergeſſen¬ heit fließt. Sidney Smith wohnt ſeit vielen Jahren in Paris. Seine Tochter wohnt auch hier und iſt an den Baron Delmar (Oſſiani¬ ſcher Name), einen getauften Juden und geadel¬ ten Lieferanten aus Berlin, verheyrathet. Man erzaͤhlte mir von ihm, daß er nur Perſonen vom hoͤchſten Stande empfange, und man, um in271 ſeinem Hauſe Zutritt zu erhalten, mehr Ahnen beduͤrfe, als man ehemals von einem deutſchen Domherrn forderte. So iſt es aber in allen Laͤndern; chriſtlicher Adel und juͤdiſches Geld haben eine unglaubliche Affinitaͤt gegen einan¬ der, und darum iſt die Faubourg St. Ger¬ main jeder Reſidenz eigentlich eine Vorſtadt Jeruſalems.

Ein junger Menſch aus Genf ließ, als er meinen Namen hoͤrte, ſich mir vorſtellen, und aͤußerte: er habe ſchon laͤngſt den Wunſch ge¬ habt, mich kennen zu lernen. Sie wiſſen ja, wie ich bei ſolchen Gelegenheiten mit meinem Pagodenkopf wackele; ich lache mich immer ſelbſt aus, und erſt ſpaͤter den Andern. Der junge Neugierige nahm bei Tiſche ſeinen Platz neben mir. Ich fragte ihn, wie es ihm in Paris ge¬ fiele? Er erwiederte: Die Politik verleide ihm ſeinen ganzen Aufenthalt. Ich ſtutzte; doch weiß ich mich leicht in ſolche Denkungsart zu finden. 272In meinem eignen Kopfe iſt eine große Land¬ ſtraße ganz mit dieſer Geſinnung gepflaſtert. Ich erwiederte: ja wohl waͤre es traurig, daß Politik, Regierung, Staat, Geſetz, Freiheit, al¬ les nur Werkzeuge, das Gluͤck der Menſchen zu bereiten; alles nur Wege, ſie zur Kunſt, Wiſ¬ ſenſchaft, zum Handel, zu haͤuslichem Gluͤcke, zu bruͤderlicher Geſellſchaft, zum Vollgenuſſe des Lebens zu fuͤhren daß dieſe Werkzeuge mit dem Kunſtwerke ſelbſt, daß die Wege mit dem Ziele verwechſelt werden; daß man vor lauter Arbeiten es zu keiner Arbeit bringt; daß die grauſamen Kriege der Regierungen gegen ihre Voͤlkchen und die thoͤrigten Voͤlker unter ſich ſelbſt alle Kraͤfte der Menſchheit verzehren; daß die letzte Verwuͤnſchung den letzten Athemzug ausgeben und der Frieden keinen mehr finden wird, der ihn genießt. Aber zu dieſem Stand¬ punkte der Betrachtung folgte mir der junge Mann nicht; die Politik war ihm zuwider, wie273 dem Dichter Robert in Baden-Baden. Dar¬ uͤber verwunderte ich mich. Ich fragte ihn, ob er in Paris ſtudire und was? Er erwiederte, daß er ſich der deutſchen Philoſophie er¬ geben, und jetzt beſchaͤftigt ſey, ein Werk von Schelling ins Franzoͤſiſche zu uͤberſetzen. Er kannte die ganze philoſophiſche Literatur der Deutſchen, ſogar die Werke Carove's, des Bio¬ graphen Gottes. Im naͤchſten Fruͤhling will er nach Muͤnchen gehen. Alſo das war's! Es iſt nicht noͤthig, daß ich mich daruͤber auslaſſe; ich habe das ſchon oft beſprochen. Als ich ihm einmal Salat praͤſentirt, der noch nicht ange¬ macht war, dachte ich: Als deutſcher Philoſoph haͤtte er es vielleicht gar nicht bemerkt.

Beim Deſert wurden wie uͤblich Toaſts aus¬ gebracht. Zuerſt: â l'union des peuples! Dann wurden alle[Voͤlker] durchgetrunken. Zuerſt die Polen. Herr Juͤllien kuͤndigte an, die Geſell¬ ſchaft wuͤrde den Generalen Romarino, Langer¬III. 18274man und Schneider und der Graͤfin Plater, der polniſchen Amazone, die in dieſen Tagen hier ankommen wuͤrde, im naͤchſten Monate ein Feſt geben. Darauf ſtand ein junger Pole auf, Herr von Plater, Vetter der Graͤfin, und dankte im Namen ſeiner Nation. Endlich kam auch die Reihe an die Deutſchen ganz zuletzt. Herr Juͤllien trank aber nicht auf die Geſundheit des ganzen deutſchen Koͤrpers, ſondern nur auf die ſeiner ſchwachen Fuͤße, auf das Wohl de cette partie de l'Allemagne, welche Freiheit habe, fordere, vertheidige. Ich, ***, und ein Ber¬ liner, den ich nicht kenne, waren die drei an¬ weſenden Deutſchen. Der Berliner war wohl ein Hegelianer, oder dachte an die Cholera oder an Koͤpenick und ſchwieg. Mir durfte zu re¬ den gar nicht einfallen, weil ich ſchlecht Fran¬ zoͤſiſch ſpreche. Aber *** der es gut ſpricht, forderte ich auf zu antworten. Doch er ſchwieg. Und er ſchwieg nicht allein, er ward noch roth,275 als haͤtte er geſprochen. Stumm und roth wie ein Krebs! Ich ſchaͤmte mich nein, das iſt das rechte Wort nicht es ſchmerzte mich. Und warum habe ich nicht geſprochen? Der Pole vor mir ſprach viel ſchlechter Franzoͤſiſch, als ich. Und mir war das Herz ſo voll, daß ich eine ganze Stunde haͤtte ſprechen koͤnnen, und ich haͤtte vermocht, alles ſo ſchnell nieder¬ zuſchreiben, als es haͤtte geſprochen werden muͤſ¬ ſen. Aber mir kam in den Sinn, was wohl meine Aengſtlichkeit entſchuldigt, aber das Ge¬ fuͤhl derſelben nur noch bitterer macht. Ich be¬ dachte: ein Pole, ein Spanier repraͤſentirt ein Vaterland, ſein Volk ſteht hinter ihm, was er ſpricht ſind nicht Worte, er beruͤhrt Taſten, die Thaten wiederklingen, er erinnert, man hoͤrt nicht ihn, man hoͤrt die Vergangenheit, man ſieht das weit entfernte Land. Aber was re¬ praͤſentire ich, an welche Thaten erinnere ich? Ich ſtehe allein, ich bin ein Lakai und trage,18 *276wie alle Deutſche, die Livree des Grafen von Muͤnch-Bellinghauſen. Man haͤtte mich als einen Schriftſteller, als einen Redner beur¬ theilt; man haͤtte mich, nachdem ich gut oder ſchlecht geſprochen, wie einen Schauſpieler be¬ klatſcht oder ausgepfiffen. Da ſtockt das Blut, da ſteht die Zunge ſtill. Mag ſich ſchaͤmen, wem es zukoͤmmt. Arndt waͤre freilich nicht in Verlegenheit gekommen. Er haͤtte geſpro¬ chen von den Sygambern und Cheruskern, von den Katten und Franken, von Allemanen, Frieſen, Chaucern, Vandalen, Burgundionen, Quaden, Markomanen, Bojoariern, Hermun¬ duren und Teutonen. Er haͤtte geſprochen von Gauen, von Hermann dem Cherusker, vom Teutoburger Wald, von Marobodaͤus und den Hohenſtaufen. Aber ich bin nicht Arndt. Ich kenne nur die Deutſchen des Regensburger Reichstags und des Wiener Friedens, und die ſind nicht weit her.

277

Bei Tiſche wurde auch angekuͤndigt, daß eine aus polniſchen und franzoͤſiſchen Gelehr¬ ten gebildete Geſellſchaft den Vorſatz gefaßt, alle claſſiſchen Schriften der Polen, etwa funf¬ zig bis ſechzig Baͤnde, in das Franzoͤſiſche zu uͤberſetzen, um mit dem Ertrage des Werkes die duͤrftigen Polen zu unterſtuͤtzen. Gewiß, die Franzoſen haben eine gute Art, wohl zu thun. Die Rauheit ihrer Regierung gut zu machen, thut das auch Noth. Schmach und Ungluͤck uͤber die heuchleriſchen Erbſchleicher der Julirevolution! Keiner der vertriebenen Polen darf nach Paris; ſie werden wie Va¬ gabunden auf vorgeſchriebenen Wegen nach dem ſuͤdlichen Frankreich gewieſen, und dort unter Aufſicht der Polizei geſtellt. Man will ſie an das Mittellaͤndiſche Meer fuͤhren, um ſie dann bei Strafe des Hungertodes zu zwingen, un¬ ter den Truppen von Algier Dienſte zu neh¬ men. Afrika oder Sibirien dieſe Wahl278 giebt ihnen Louis Philipp! Um dieſen Preis erkauft ſich der Kraͤmer Perrier den Bruder¬ kuß des Grafen von Neſſelrode!

Vor einigen Tagen hat man einen Men¬ ſchen feſtgenommen, der von dem Theater ſich an den Wagen des Koͤnigs ſich zu draͤngen ſuchte. Man fand Piſtolen und einen Dolch bei ihm. Mag nun ſeyn, daß die Polizei dieſen Menſchen abgerichtet, um den Koͤnig zu ſchrecken, und zur Tyrannei zu fuͤhren; oder mag ernſtlich ein Mordverſuch ſtattgefunden beides ſind ſchlimme Zeichen. Dieſer Koͤnig leidet an einem boͤſen innern Geſchwuͤre und er wird nie mehr geſunden.

279

Was iſt denn das fuͤr eine Geſchichte mit dem Oehler, wovon die heutigen Blaͤtter ſpre¬ chen? Laſſen Sie mir doch durch *** uͤber die Sache genau berichten und der Wahrheit gemaͤß. Es heißt, der Oehler habe ſchwoͤren muͤſſen, daß er nie daruͤber ſprechen wolle, aus welchem Grunde er arretirt worden ſey. Das iſt eines der teufliſchen Mittel, welche deut¬ ſche Regierungen ſeit fuͤnfzehn Jahren oft an¬ gewendet, ihre verborgenen Miſſethaten mit ewiger Nacht zu bedecken. Ein Thor und ein pflichtvergeſſener Menſch, wer einen ſolchen abgefolterten Eid haͤlt. Es iſt der Eid, zu dem ein Raͤuber mit gezuͤcktem Dolche uns zwingt, daß wir ſeine Miſſethat nicht verra¬280 then, damit er ferner ungeſtoͤrt rauben und morden koͤnne. Jeder gute Buͤrger iſt es ſei¬ nem Vaterlande, dem mishandelten Rechte, dem beleidigten Himmel ſchuldig, an den Tag zu bringen, was gottvergeſſen im Dunkeln waltet, und einen Eid zu brechen, der ihn zum Mitſchuldigen einer Schandthat macht und ihn an die Suͤnder kettet. Wie! Koͤnige ha¬ ben den Eid gebrochen, den ſie ungezwungen der Freiheit geſchworen, und ein Buͤrger ſollte verpflichtet ſeyn, zum Vortheile der Tyrannei einen Schwur zu halten, den ihm die grau¬ ſamſte Gewalt abgepeinigt? Nimmermehr. Das fordert der Himmel nicht, ja das weiſ't er zuruͤck.

281

Fuͤnfzehnter Brief.

Meine Briefe, wie ich geſtern hier vom Buchhaͤndler hoͤrte, werden beſonders viel von Englaͤndern gekauft. So waͤre ja die Zeit ſchon gekommen, die ich vorher geſagt, wo die neugierigen Reiſenden ihre Antiquités de l'Alle¬ magne in der Hand, unſer Vaterland be¬ ſuchen. Die Englaͤnder ſind hier wie immer voraus; ich, bin ihr Vaſari, ſie kaufen mich und ſtecken mich in die Taſche.

Ich glaube es immermehr, daß Herr von *** geſagt hat: dieſer Dr. Boͤrne ver¬282 diente, daß man ihm fuͤnf und zwan¬ zig aufzaͤhlte. Ich kenne Herrn von *** ſehr genau; ich habe vor einigen Jahren in Schlangenbad ihm taͤglich das Eſſen bringen ſehen; es iſt nicht moͤglich, daß ein Edelmann die Geſinnung eines Lakaien habe, daß ein Miniſter wie ein Stallknecht ſpreche. Indeſſen habe ich doch fuͤr den moͤglichen Fall, daß es wahr ſey, dem Herrn von *** die fuͤnf und zwanzig Stockpruͤgel in Rechnung geſetzt, und ich werde ſie ihm fruͤher oder ſpaͤter ver¬ guͤten.

Die Pariſer Briefe hat der Buchhaͤndler hier ſchon alle verkauft. Sie werden in das Engliſche uͤberſetzt. Dagegen habe ich nichts. Geiſt und Sprache der Englaͤnder weiß ſich mit allem Deutſchen innigſt zu verſchmelzen. Aber die franzoͤſiſche Ueberſetzung, an die man auch denkt, wuͤrde ich hintertreiben, wenn es in meiner Gewalt ſtuͤnde.

283

In der Nuͤrnberger Zeitung, ein Unter - Blaͤttchen, wo die Huͤhneraugen und Froſt¬ beulen der aͤrmſten Teufel von Schriftſtellern ſich verſammeln, heißt es in einem Schreiben aus Berlin: Boͤrne's Briefe aus Paris, die hier großes Aufſehen gemacht, wurden allge¬ mein mit Verachtung und Abſcheu auf¬ genommen, und es iſt erſtaunlich, wie dieſer Boͤrne, der ſonſt bei den Berlinern ſo hoch geſtanden, ploͤtzlich ſo tief ſinken konnte. So oft ich ſolchen Bettelvogt-Styl leſe, be¬ komme ich die groͤßte Luſt, einmal gegen mich ſelbſt zu ſchreiben, um den armen deutſchen Miniſterial-Kanzliſten zu zeigen, wie man luͤ¬ gen koͤnne, ohne ſich laͤcherlich zu machen. Ich weiß es beſſer, wie ich in Berlin gewirkt. Fuͤr gar viele war ich ein Pfropfenzieher, und mancher eingeſchloſſene Geiſt iſt hoch hinauf bis an die Decke geſprungen, nachdem ich ihn von der Angſt des Eiſendrahts befreit.

284

Neulich war ich im Theater de la Gaité, welches ich fruͤher noch nie beſucht. Seitdem haben Wind und Froſt meine Augen wieder getrocknet; denn wahrhaftig, gleich dar¬ auf haͤtte ich Ihnen gar nicht davon ſchreiben koͤnnen. Nie in meinem Leben habe ich ſo viel geweint, als in dieſem théâtre de la Gaité. Ich hatte mich nicht vorgeſehen, hatte meine Augen nicht verriegelt, und jetzt ſtuͤrzte die ſpitzbuͤbiſche Ruͤhrung herein, und raubte allen Verſtand in meinem Kopfe. Dieſes Theater iſt das vornehmſte unter den gemeinen, unter den Boulevard-Theatern. Das volle Haus gewaͤhrte einen wohlthuenden, ſanft er¬ waͤrmenden Anblick, und nie habe ich mich zwiſchen den Akten ſo behaglich gefuͤhlt als285 hier. Das Aufziehen des Vorhanges ſtoͤrte mich jedesmal. Die Zuſchauer gehoͤrten alle zu den niedern Buͤrgerklaſſen, die den Mittel¬ ſtand von dem Poͤbel trennen. Meiſtens Wei¬ ber und Maͤdchen, ſehr wenige Maͤnner. Sie trugen alle weiße Haͤubchen. Sie koͤnnen ſich nichts lieblicheres denken. Alle Gallerien rund umher, von oben bis unten und das ganze Parterre, waren weiß. Ich wußte vor lauter Wohlgefallen gar nicht, womit ich dieſen ſchoͤnen Anblick vergleichen ſollte. Bald er¬ ſchien es mir wie ein beſchneiter Wald; bald wie ein Bleichgarten, wo die Waͤſche zum Trocknen[aufgehaͤngt] iſt; bald wie eine Heerde (aber gutmeinender) Gaͤnſe; bald wie eine Lilienflur, auf welcher die wenigen vornehmen und farbigen Huͤte als Tulpen hervorſtanden. Jetzt war zu bewundern der Fleiß und die Aufmerkſamkeit dieſer Zuſchauerinnen den gan¬ zen Abend. Dieſe guten Muͤtter und Toͤchter286 ſind nicht abgeſtumpft, ſie gehen ſelten in das Theater, und ſehen wohl nur einmal das nehmliche Stuͤck. Sie kommen mit einem tuͤchtigen Hunger und wollen ſich ſatt hoͤren und ſehen. In der Mitte der erſten Gallerie, ganz genau in der Mitte, wo bei uns die Prinzeſſinnen ſitzen, ſaß, wie ein Solitair in einem Ringe, ein Marktweib, fleiſchig, roth¬ wangig, mit Armen, wie junge Tannen. Ich konnte kein Auge von ihr abwenden. Sie hatte ihre verſchraͤnkten Arme auf die rothge¬ polſterte Lehne gelegt, und ſtarrte regungslos fuͤnf Stunden lang mit durchbohrender Auf¬ merkſamkeit nach der Buͤhne hin. Es war, als haͤtte ſie die Worte ſchockweiſe gekauft und bezahlt, und zaͤhlte aͤngſtlich nach, ob ſie kei¬ nes zu wenig bekomme. Und jetzt das allge¬ meine Weinen! Nein, einen ſolchen Augen¬ bruch habe ich nie geſehen. Wer Augen hat¬ te, weinte; wer ein weißes Schnupftuch, trock¬287 nete ſeine Thraͤnen; wer ein farbiges (das iſt keine Erfindung) ließ ſie fließen. Ich ſelbſt, als ich mich umhergeſehen, und wahrnahm, wie wenige Menſchen im Hauſe waren, die das Recht hatten mich auszulachen, weinte auch. Der Polizei-Kommiſſair des Theaters, der neben mir ſaß, ſah mich recht freundlich und gutmuͤthig an und dachte wohl bei ſich: gaͤbe es doch keine ſchlimmere Volksbewegung als dieſe, dann waͤre es ein Vergnuͤgen Polizei - Kommiſſair im quartier du temple zu ſeyn! Warum haben wir ſo viel geweint? Sie ſol¬ len es erfahren. Vorher aber ziehen Sie auf eine Viertelſtunde einen Ueberrock an, ſetzen einen runden Hut auf kurz ich bitte Sie, machen Sie mir durch weibliche Bedenklichkei¬ ten die Arbeit nicht ſo ſauer. Ich habe we¬ nig Zeit; Europa wartet auf mich.

Das Drama heißt: Il y a seize ans, den Stoff moͤgen ſie wohl aus Deutſchland288 geholt haben; aber die Bearbeitung ſcheint eigenthuͤmlich. Sie iſt gut genug, und fuͤr Paris von einer ſeltenen Vollendung. Ich ha¬ be nie ein Schauſpiel geſehen, das, ohne den geringſten Kunſtwerth zu haben, doch eine theatraliſche Wirkung hervorbringt, der man ſich den andern Tag nicht zu ſchaͤmen braucht. Hoͤren Sie! Amalie, die Tochter des Grafen von Clairville, 32 Jahre alt vergeſſen Sie dieſes Alter nicht; ſind es doch nur Jahre einer Andern! wird gleich bei ihrem erſten Auftreten als ein hoͤchſt liebenswuͤrdiges, hoͤchſt achtungswerthes Frauenzimmer erkannt. Sanft, beſcheiden, von der zarteſten weiblichen Sitt¬ ſamkeit, hat ihr das reifere Alter nichts ge¬ nommen, als die Leidenſchaftlichkeit, mit der man in der Jugend jedes Leid ertraͤgt, und der unvermaͤhlte Stand ihr nichts gegeben als einen Reichthum von aufgeſparter Liebe An dem Tage, wo wir ſie kennen lernen, er289 wartet ſie den Baron von Saintval, den ihr beſtimmten Gatten, um ſich mit ihm zu ver¬ loben. Der Baron iſt vierzig Jahre alt, und iſt nicht blos ein untadelhafter Mann, ſondern auch ein Mann von den angenehmſten und ſchaͤtzenswerthſten Eigenſchaften. Die Graͤfin erkennt ſeinen Werth, aber ſie fuͤhlt keine Lie¬ be fuͤr ihn. Sie liebt nicht einen andern, ſie hat nie geliebt. Doch ſie hat eine tiefe Ab¬ neigung gegen die Ehe, und nur um ihren Vater vor Verarmung zu ſchuͤtzen, in die ihn ein erlittener Ungluͤcksfall zu ſtuͤrzen droht, reicht ſie dem reichen Baron die Hand. Es iſt aber hier keiner von den gemeinen Haͤndeln, wo ein pflichtvergeſſener Vater das Gluͤck und die Seligkeit ſeines Kindes ſeiner eigenen Be¬ haglichkeit aufopfert und wo ein unerfahrnes, pflichtmißdeutendes Kind ein ſolches Opfer bringt; ſondern es findet ein edleres Verhaͤlt¬ niß ſtatt. Graf Clairville hatte im Jahre 1814,III. 19290als der Feind nach Frankreich kam, von dem alten Baron Saintval eine halbe Million in Papieren anvertraut bekommen. Er verſchloß das Portefeuille in eine geheime Schublade ſeines Sekretairs, und von dort wurde es ihm auf eine unerklaͤrliche und unerklaͤrt gebliebene Weiſe entwendet. Der alte Baron ſtarb un¬ terdeſſen; keiner wußte von dem anvertrauten Vermoͤgen, nicht einmal der Sohn des Barons. Aber Graf Clairville verkannte keinen Augen¬ blick die Stimme der Ehre und der Pflicht, und beſchloß mit Aufopferung ſeines ganzen Vermoͤgens dem Erben ſeines verſtorbenen Freundes den Verluſt zu erſetzen. Doch durfte ihn ſeine Verarmung in alten Tagen und die Hilfloſigkeit ſeiner Tochter ſchmerzen, und als der Baron um deren Hand anhielt, ihm er¬ laubt ſeyn, ihre Abneigung gegen die Ehe zu uͤberwinden, um ſeine Pflicht mit ſeinem Vor¬ theile zu vereinigen.

291

In dem Hauſe des Baron Clairville und unter dem Schutze der Tochter, lebte ein 16jaͤhriger Knabe, Namens Felix. Die Graͤ¬ fin hatte ihn als Findelkind aufgenommen und ihn erzogen. Sie war dem Knaben mit muͤt¬ terlicher Liebe zugethan, und dieſer hing an ihr mit der zaͤrtlichſten Neigung eines Soh¬ nes. An dem Tage, der zu ihrer Verlobung beſtimmt war, ſehen wir die Graͤfin in der heftigſten Gemuͤthsbewegung. Sie hat den un¬ vermeidlichen Entſchluß gefaßt, den Knaben vor Ankunft ihres Verlobten aus dem Hauſe zu entfernen. Sie ruft Felix herein, druͤckt ihn mit Schmerz und Liebe an ihre Bruſt, und kuͤndigt ihm an, er muͤſſe ſie verlaſſen. Der Knabe jammert verzweiflungsvoll. Die Graͤfin kann nicht anders den Knaben zu beruhigen, ihm die Nothwendigkeit ſeines har¬ ten Geſchicks zu erklaͤren, ihr eigenes Herz zu rechtfertigen, muß ſie ihm geſtehen, daß ſie19*292ſeine Mutter ſey. Jetzt vermaͤhle ſie ſich; ihre Ehre, ihr Gluͤck, ihre Ruhe haͤnge von dem Geheimniſſe ab, das den achtſamen Blik¬ ken eines Gatten nicht lange verborgen bleiben koͤnne. Sie muͤßten ſich trennen. Felix iſt entzuͤckt in der geliebten Pflegemutter ſeine wahre Mutter zu finden. Er hat alles ver¬ ſtanden, er begreift alles, mit maͤnnlicher Faſ¬ ſung ertraͤgt er ſein trauriges Geſchick, und iſt zum Opfer entſchloſſen. Er verſpricht ſeiner Mutter, erwerbe das Geheimniß ewig bewah¬ ren, ihre Ehre ihm heilig ſeyn. Felix wird der Begleitung eines alten Paͤchters anvertraut, der von dem Geheimniſſe weiß. Er ſoll nach Paris gefuͤhrt werden, wo die Graͤfin fuͤr ihn ſorgen will. Bei der Trennung giebt ſie ihm Diamanten von großem Werthe und vieles Geld mit. Der Knabe geht, und der Ver¬ lobte koͤmmt an. Baron Saintval hat immer eine Art Kaͤlte in dem Betragen der Graͤfin293 gefunden, eine unerklaͤrliche Zuruͤckhaltung, und der verſteckte Kummer in ihren Zuͤgen war ihm nicht entgangen. War es Abneigung gegen ihn, war es etwas Anderes er wußte es nicht zu deuten. Jetzt im Begriffe, ein unaufloͤsliches Band zu knuͤpfen, ſuchte er die Graͤfin auf die liebevollſte und zarteſte Weiſe dahin zu bringen, daß ſie ihm ganz ihr Herz oͤffne. Aber ſelbſt die edelſte Frau kennt den engen Schmugglerpfad, der ſich zwiſchen, der Wahrheit und der Luͤge hinſchlaͤngelt, und weiß ſich durchzuſchleichen. Der Baron iſt be¬ ruhigt, iſt gluͤcklich und hofft, die Freundin werde ihn noch lieben lernen. Der Ehever¬ trag wird unterzeichnet.

Im zweiten Akte ſehen wir die Scene in einem Walde. Dort, zwiſchen Felſen, iſt eine Bande jener Brandſtifter verſammelt, die im letzten Jahre der Regierung Karls X. ei¬ nen Theil Frankreichs verwuͤſteten, und deren294 Treiben man damals einer hoͤlliſchen Politik der Regierung zuſchrieb. Die Brandſtifter waren benachrichtigt, daß ſie von Soldaten verfolgt wuͤrden, und da der Weg zu ihrem Schlupfwinkel uͤber eine ſchmale Bruͤcke fuͤhrte, die uͤber einen Abgrund hing, ſaͤgten ſie die Balken, welche die Bruͤcke trugen, ſo durch, daß man es aͤußerlich nicht wahrnahm, damit ſie unter den nacheilenden Soldaten einbraͤche. Jetzt kam Felix mit ſeinem Begleiter. Der alte Paͤchter betrat zuerſt die Bruͤcke, ſie brach und er ſtuͤrzte in die Tiefe, rettungslos. Felix ſpringt entſetzt zuruͤck, ſchreit nach Hilfe, und ſinkt mit herzzerreißendem Jammer be¬ ſinnungslos zu Boden. Ein alter Bettler von der Mordbrenner-Bande giebt dem Knaben liebreiche Worte, und bietet ſich an, ihn bei hereinbrechender Nacht in eine nahe Paͤchters¬ wohnung zu bringen. Der Bettler wollte dieſe gute Gelegenheit zu einer Schandthat benutzen. 295Ihm war von ſeinen Obern der Auftrag er¬ theilt worden, eben in jener Paͤchterswohnung Feuer anzulegen, und Felix mußte ihm dazu dienen, ſich mit guter Art dort einzufuͤhren. Er begleitet den Knaben dahin. Dort bei dem reichen Paͤchter war man gerade mit ei¬ nem froͤhlichen Erndtefeſte beſchaͤftigt. Der Knabe, deſſen Ungluͤck der Bettler erzaͤhlt, wird aufs liebreichſte aufgenommen; man ſucht ihn zu beruhigen, man troͤſtet ihn. Um ſeine Herkunft, um ſeine Eltern befragt, ſchweigt Felix und weiſ't ſanft doch entſchloſſen die Theilnahme zuruͤck. Das befremdet; doch die guten Leute ſchreiben es dem Schrecken, der Verwirrung des Knaben zu. Der Bettler wird von den Paͤchters-Leuten fuͤr ſeine gutmuͤthige Sorge um dem Knaben gelobt, beſchenkt und eingeladen, die Nacht im Hauſe zuzubringen. Er lehnt das Anerbieten unter einem Vor¬ wande ab und entfernt ſich. Dem krankmuͤ¬296 den Felix wird ein Lager bereitet. Als dieſe eingeſchlafen und alles im Hauſe ruhig war, ſchleicht ſich der Bettler ins Haus zuruͤck, wirft eine Brandbuͤchſe auf ein Strohdach und eilt davon. Der Vorhang faͤllt.

Im folgenden Akte ſehen wir die Paͤch¬ terswohnung, noch den vorigen Tage ein Sitz des Wohlſtandes, des Gluͤcks und der Froͤh¬ lichkeit, in eine wuͤſte Brandſtaͤtte verwandelt, und hoͤren das Jammergeſchrei der zu Grunde gerichteten Landleute; Felix, von Gensd'armen bewacht, bleich und zerſtoͤrt, ſteht vor dem Maire und wird von ihm vernommen. Der Verdacht der Brandſtiftung fiel auf ihn. Er war der einzige Fremde im Hofe, ſein ge¬ heimnißvolles Weſen hatte gleich bei ſeinem Eintritt Aufmerkſamkeit erregt, und uͤbrigens war bekannt, daß Knaben zu ſolchen Brand¬ ſtiftungen gebraucht wurden. Felix ſoll dem Unterſuchungsrichter ſeinen Namen, Wohnort297 und ſeine Herkunft angeben; er ſagt: das muͤſſe er verſchweigen. Man unterſucht ſeine Taſchen und findet Diamanten und Geld darin. Woher er ſie bekommen, erklaͤrt er nicht. Endlich wird er von einem der umherverſam¬ melten Landleute erkannt, der ihn fruͤher auf dem Gute des Grafen Clairville geſehen. Felix behauptet ſtandhaft, er kenne den Grafen Clairville nicht. Es wird ihm angekuͤndigt, er wuͤrde dahin gefuͤhrt werden. Der un¬ gluͤckliche Knabe, eingedenk ſeiner Mutter und ihres fuͤrchterlichen Geheimniſſes, geraͤth in Verzweiflung, fleht jammervoll, man moͤchte ihn nur nicht auf das Gut des Grafen Clair¬ ville bringen, er wolle alles eingeſtehen. Ja er habe die Diamanten und das Geld dort geſtohlen, er habe das Feuer angelegt. Nach dieſem Geſtaͤndniſſe war es um ſo noͤthiger, ihn auf das Gut zu bringen, und Felix wur¬ de unter Bewachung, von dem Maire begleitet,298 nach Clairville gefuͤhrt. Dort wurde am nehm¬ lichen Morgen die Trauung der Graͤfin Clair¬ ville mit dem Baron Saintval vollzogen. Die Neuvermaͤhlten kommen aus der Kirche, eine glaͤnzende Geſellſchaft war im Salon verſam¬ melt, die Zeit vor dem Hochzeitmahle mit Spiel, Muſik, Tanz zu verbringen. Die Graͤfin war heiter, ihr Mann gluͤcklich. Da wurde der Maire gemeldet, der in einer Sa¬ che, die das allgemeine Wohl betraͤfe, den Herrn und die Dame des Hauſes ſprechen muͤſſe. Man laͤßt ihn eintreten (Felix in ei¬ nem Wagen bewacht, bleibt unten im Hofe). Der Maire wendet ſich an die Graͤfin, und faͤngt ſeine Geſchichte zu erzaͤhlen an. Dieſe begreift anfaͤnglich nicht. Man haͤlt ihr die Diamanten und den Geldbeutel vor Augen, die man bei Felix gefunden. Da wird es bei der Graͤfin fuͤrchterlich Tag; doch noch faßt ſie ſich. Sie erklaͤrt, ſie habe wirklich das299 alles dem Knaben geſchenkt. Der Maire er¬ wiederte: der Knabe ſelbſt bekenne, es geſtoh¬ len zu haben. Die Graͤfin begreift Felix Edel¬ muth, der, ihr Geheimniß nicht zu verrathen, lieber freiwillig ein Verbrechen auf ſich nahm. Der Maire erwiedert: wie ſie aus zartem Mit¬ leide den Diebſtahl, den der Knabe begangen, verſchweige; aber die Gerechtigkeit duͤrfe ſich nicht abwenden laſſen; der Knabe habe ſich auch der Brandſtiftung ſchuldig gemacht, und er muͤſſe ihn den Gerichten uͤberliefern. Auf ſeinen Wink wird Felix in den Saal gefuͤhrt. Die Graͤfin druͤckt ihn leidenſchaftlich, angſt¬ voll an ihre Bruſt. Felix fluͤſtert ihr zu, ſie moͤge ſich nicht verrathen, er habe nichts aus¬ geſagt. Sie aber kann ihr Herz nicht mehr bemeiſtern, ihre Mutterliebe bricht in lichte Flammen aus, und ihr Gatte, ihr Vater, die fremden Gaͤſte alle, vernehmen mit Ent¬ ſetzen aus ihrem Munde den Schmerzensruf:300 Felix iſt mein Sohn! Es war eine fuͤrch¬ terliche Scene. Ich erleichterte mir ſehr das Herz, indem ich die alberne Figur betrachtete, die der friſche Ehemann machte, als ihm die lebendige Mitgift ſeiner Frau vorgezaͤhlt wurde. Der alte Vater geraͤth in Verzweiflung. Er zieht den Degen und will ſeine Tochter durch¬ bohren, die ihn entehrt hat. Er reicht den Degen dem Baron und bittet ihn, in ſeinem Blute die erlittene Beſchimpfung abzuwaſchen. Die Graͤfin ſinkt ohnmaͤchtig nieder und der Vorhang faͤllt.

Im letzten Akte erſcheint die Graͤfin gefaßt. Sie hatte den Schmerz ausgeleert, und es blieb ihr nur noch ihre Pflicht uͤbrig. Sie hat beſchloſſen in ein Kloſter zu gehen, und von allen Sorgen des Lebens nur noch die fuͤr ihren Felix zu behalten. Sie ſchreibt ihrem Vater einen Brief, ihm die dunkle traurige Geſchichte zu erklaͤren. Sie erwartet den Be¬301 ſuch ihres Mannes, der ſchon alle Anſtalten zu ſeiner Abreiſe hat treffen laſſen, und ſie zum Abſchied noch einmal ſehen wollte. Es iſt eine dumpfe Scene, wobei einem wehe wird. Der Baron liebt Amalie, aber hier war keine Rettung fuͤr ſein Herz; es mußte entſagen. Die Graͤfin erklaͤrt: es werde ihren eigenen, es werde den Schmerz, den, wie ſie hoffe, er ſelbſt empfinde, mildern, wenn ſie ihm die Ueberzeugung gebe und er ſie mitnehmen koͤn¬ ne, daß ſie ſeiner Achtung nie unwuͤrdig war. Sie wolle ihm darum ihre ungluͤckliche Ge¬ ſchichte erzaͤhlen. Achtung! Der Baron macht ein Geſicht wie ein Schaaf. Er bittet ſie, um Gottes willen zu ſchweigen; er wolle nichts hoͤren; er liebe ſie, und es waͤre ihm zu ſchmerzlich, erfahren zu muͤſſen, daß fruͤher als er, ſchon ein Anderer ihre Liebe beſaß. Die Graͤfin erwiedert mit leidenſchaftlicher Heftigkeit: Liebe? ich geliebt? Jamais! Der arme Baron302 wird ganz verwirrt im Kopfe. Die Graͤfin, von Schmerz und Schaam niedergeworfen, faͤllt zu ſeinen Fuͤßen und erzaͤhlt folgendes: Vor 16 Jahren, im Jahre 1814, als ſich der ſiegende Feind Paris nahte, habe ſie ihr Va¬ ter, ſie in Sicherheit zu bringen, auf ein Gut eines ſeiner Paͤchter gefuͤhrt. In einer Nacht wurde das Dorf uͤberfallen; alles ging in Rauch und Flammen auf, alles wurde ge¬ pluͤndert, niedergemetzelt. Der Paͤchter ver¬ barg ſie, das ſechzehnjaͤhrige Maͤdchen, ſchnell in eine dunkle Hoͤhle; kein Lichtſtrahl drang hinein ... Sie war noch nicht dunkel genug fuͤr die Erinnerung ... Die Graͤfin haͤlt ſich die Haͤnde vor die Augen wir wiſſen alles. Felix ihr Sohn, iſt 16 Jahre alt. Die Graͤ¬ fin erhebt ſich, und bricht in einen Strom von Thraͤnen aus. Der aufhorchende Baron wird immer ſtarrer und ſtarrer, bis er wie zerſchmettert zu den Fuͤßen der Graͤfin nieder¬303 ſinkt. Er wolle die Geſchichte zu Ende er¬ zaͤhlen. Er fraͤgt nach dem Namen der Dor¬ fes, ſie nennt es ihm. Da zieht er einen Ring vom Finger. Die Graͤfin, als ſie ihn erblickt, ſchreit: es iſt der Ring von meiner verſtorbenen Mutter, den ich damals getragen. Der Graf: ein Verbrechen hat dich vor ſechszehn Jahren zu meiner Gattin gemacht! .. Und nun dieſes Gemiſch von Wonne und Schmerz! Es war nicht zu dichten und nicht zu ſpielen, aber es war zum Wei¬ nen. Felix tritt herein: der Baron durchwuͤhlt ſeine Geſichtszuͤge, erkennt ſeine eigenen, und druͤckt entzuͤckt den Knaben an ſein Herz, dem er kurz vorher das Herz haͤtte durchbohren moͤgen ... Iſt das nicht die ſchoͤnſte garſtige Geſchichte von der Welt, und muß man nicht erſtaunen, daß der Menſch ſeine Phantaſie foltert, um Leiden von ihr zu erfahren, die das boshafteſte Geſchick dem Menſchen nie angethan?

304

Die Ungluͤckſeligen! Sie laſſen uns ja keine Ruhe, ſie verhoͤhnen unſere Friedlichkeit, und fordern uns zu einem Kampfe heraus, den ſie fliehen, ſobald wir ihn angenommen! War ich doch vorgeſtern auf dem Wege, ein ordentlicher Menſch zu werden und ein Schriftſteller von Gerſtenzucker. Ein Maͤhrchen hatte ich im Ko¬ pfe und eine Novelle, und beide ich ſchmeichle mir gewiß nicht zu viel haͤtten in der Wie¬ ner Theaterzeitung gedruckt werden duͤrfen. So war ich, und heute bin ich wieder ein[ſchreckli¬ cher] Nußknacker. Alle zerbrochene Schaalen moͤgen uͤber die kommen, die mich verhindert, mein Maͤhrchen und meine Novelle zu vollenden. Montag ging ich um zwei Uhr aus dem Hauſe, um mein taͤgliches Bewegungs-Penſum abzu¬305 laufen: die Boulevards entlang bis auf den Baſtillen-Platz, und von da am Waſſer zuruͤck. In der Paſſage de l'op é ra kaufte ich mir ein Zahnpulver, Poudre-naqueut dentifrice balsamique, pour donner aux dents la blan¬ cheur de l'ivoire. Ich las im Gehen den Zet¬ tel, in den das Schaͤchtelchen gewickelt war. Es war Wiegen-Eyapopeija fuͤr mein unruhiges Herz. Wie Herr Naquet ſagt: Als ich wegen herannahenden Greiſen-Alters, und meiner hin¬ faͤlligen Geſundheit, meinen Parfuͤmerie-Han¬ del aufgab, wollte ich ein Kunſtwerk zum Vor¬ ſchein bringen, auf das ich die Sorgen meines ganzen Lebens verwendet, ohne doch je das ge¬ wuͤnſchte Ziel erreichen zu koͤnnen. .... Auf dem Lande, wohin ich mich zuruͤckzog, im Schoo¬ ſe der Einſamkeit und des ſuͤßern Friedens, ge¬ lang es mir endlich, nach einer unzaͤhligen Menge von Verſuchen, ein balſamiſches Zahnpulver zu Stande zu bringen .... III. 20306 Weder die glaͤnzenden Anerbietungen meiner Nachfolger; weder die Sorgen, noch die uner¬ muͤdete Geduld, die ein ſo großes Werk erfor¬ dert, noch die große Zahl der angeblichen Pſi¬ lodantes, die man unter praͤchtigen Titeln der Welt darbietet nichts, nichts konnte meinen Entſchluß wankend machen. Und ich hatte recht .... Der Menſchheit nuͤtzlich zu ſeyn, den Frauen zumal, war immer mein einziger Wunſch und wird es immer bleiben .... Der Mund, die Wohnung der Grazien und der zauberiſchen Schoͤnheit, zog ſchon von der fruͤhſten Jugend an all mein Denken auf ſich, ich weihte ihm meine Sorgen und meinen Ei¬ fer, und ich war gluͤcklich genug, der Welt ei¬ nige Erzeugniſſe darzubieten, die mir ihren Bei¬ fall erwarben. Doch, ich darf es kuͤhn behaup¬ ten, nie gab ich ihr ein Zahnpulver, das die¬ ſem gleicht; ein Zahnpulver, das, indem es die Zaͤhne weiß macht, ihren Schmelz bewahrt,307 das Zahnfleiſch befeſtigt, und in dem Munde ein ſchimmerndes Hochroth, und einen Balſam - Duft verbreitet .... Soll ich von der All¬ macht jenes Zauberbuͤchleins ſprechen, wenn es dem entzuͤckten Blicke eine Doppelreihe von Perlen darbietet, die zwiſchen glaͤnzenden Co¬ rallen ſchimmern? Nein, hochberuͤhmte Dichter, anmuthige Federn haben dieſen Gegenſtand be¬ handelt, meine Farben werden bleich erſcheinen neben jenen. Ich habe mehr gethan. Ich ha¬ be mich mit etwas beſchaͤftigt, das nicht weni¬ ger ſchwer, doch weit nuͤtzlicher iſt, als die Be¬ ſchreibung eines ſchoͤnen Mundes; ich habe das Mittel geſucht, und nach langen muͤhevollen Arbeiten es gefunden, wie man den Mund immer ſchoͤn erhalte. Die Schachtel koſtet 3 Fr. 50 c., eine halbe 2 Fr ... Und ſo traͤum¬ te ich mich in das Maͤhrchen hinein: Von der ſchoͤnen holdſeligen Fee Conferenz, deren Mund laͤchelte wie Morgenroth, deren Zaͤhne20 *308glaͤnzten wie Sonnenſtrahlen, und wo ſie vor¬ uͤberſchwebte, verwandelte ſie Tag in Nacht. Die ſchlafenden Voͤgel erwachten und ſangen ihr Mor¬ genlied. Die Blumen neigten ihr Haupt vor ihr. Was lebte, zog ihr jubelnd entgegen. Und ſie feſſelte einen Koͤnigsſohn, der ſich in Liebe fuͤr ſie verzehrte. Er ermordete ſeinen Vater, und dann fuͤhrte ſein eignes Volk ihn auf das Blutgeruͤſte. Ehe ſein Haupt fiel, rief der Un¬ gluͤckliche die Rache des Himmels an. Die Fee war eine boͤſe giftige Zauberin. Da beruͤhrte ſie ein guter Geiſt, der maͤchtiger war als ſie, mit leichter Hand, und ſie zerſtiebte in ein blut¬ rothes Pulver ... An der Ecke der Richelieu - Straße war das Maͤhrchen fertig.

Einige Schritte weiter, bey den Varie¬ t é s, umgab ein großer dichter Menſchenkreis ein Frauenzimmer von etwa vier und dreißig Jah¬ ren, in deren blaſſen Zuͤgen Spuren einer gro¬ ßen Schoͤnheit zu erkennen waren. Sie war309 nicht vornehm, aber anſtaͤndig und reinlich ge¬ kleidet. Sie kniete auf dem regenfeuchten Bo¬ den und herzte einen alten garſtigen Pudel, der frohlockend an ſie heraufſprang. Was um ihr her geſprochen, gelacht wurde, kuͤmmerte ſie nicht, ſie hatte die Welt vergeſſen uͤber ihren Fund. Am Morgen hatte ſie ihn auf der Straße ver¬ lohren, und nach einigen Stunden, an dieſer Stelle ein Wunder in Paris ihn wieder gefunden. Ich machte eine Novelle daraus. Von dem Hunde des treuloſen Geliebten. Er kam nicht wieder. Am dritten Abend ver¬ geblichen, ſchmerzlichen Erwartens, ſcharrte es an Antoniens Thuͤre. Sie oͤffnete ſie, und blieb mit ſprachloſem Entzuͤcken ſtehen. Es war der Hund des Geliebten. Sie horchte nach ſeinem Tritte, ſie lehnte ſich uͤber das Treppengelaͤnder und ſchaute hinab. Er kam nicht. Da verfiel ſie in ſtillen Wahnſinn. Jeden Abend ſetzte ſie, wie ſie es gewohnt war, zwei Gedecke auf den310 Tiſch. Auf einem Stuhle neben ihr ſaß der Hund, dem ſie den Namen Heinrich gab. Sie legte ihm das Eſſen auf den Teller. Willſt du denn davon nicht, Heinrich? das haſt du ja immer gern gehabt; dann brach ſie in Thraͤ¬ nen aus und warf ſich jammernd auf die Erde. Der Hund ſprang vom Stuhle und wimmerte zu ihren Fuͤſſen ...

Jetzt kam ich an die Montmartre-Straße. Da ſah es aus, wie in einem Feldlager. Dra¬ goner, Huſaren, Gensd'armen, Fußvolk, zahl¬ loſe Schaaren von Polizei-Wachen, hielten die Straßen beſetzt, die von den Boulevards ſeit¬ waͤrts fuͤhren. Große Soldaten-Trupps zogen auf und ab. Ich fragte einige aus dem zahl¬ reich verſammelten Volke, was das bedeute? Die Studenten hatten ſich vereinigt, in feier¬ lichem Zuge dem General Romarino, der in der Straße Montmartre wohnte, eine Ehrenfahne zu uͤberreichen. Die bewaffnete Macht jagte ſie311 zuruͤck und zerſtreute ſie mit unerhoͤrter Mis¬ handlung. Da ergrimmte ich wieder, und fort Maͤhrchen, fort Novelle! Ich verſtand das gleich. Wort fuͤr Wort wußte ich vorher, was Caſimir Perrier an dieſem Tage (er ſollte uͤber die Lyo¬ ner Graͤuel Rechenſchaft geben) in der Kammer ſagen, was ſeine Papagayen auf der Boͤrſe und in den Zeitungen ihm nachplaudern wuͤrden. Schon den Tag vorher waren die Studenten in gleich großer Zahl zu den polniſchen Gene¬ ralen gezogen. Die Polizei ſetzte ſich nicht ent¬ gegen und alles lief ruhig ab. Kein Buͤrger zeigte Furcht, kein Laden wurde geſchloſſen, der Verkehr nicht im geringſten geſtoͤrt. Den fol¬ genden Tag hatten die Miniſter ſich gegen den vorausbekannten Angriff der Oppoſition zu ver¬ theidigen. Es that ihnen Noth, ihren Soͤldner¬ trupp und ihr Angſtgefolge enge zuſammenzu¬ ziehen und zum Kampf anzufeuern. Der Zug der Studenten kam ihnen erwuͤnſcht entgegen. 312Man ſtellte ſich, als habe man Furcht, um bei den Buͤrgern Furcht zu erregen. Man ließ die bewaffnete Macht auf den Straßen toben. Schrecken verbreitete ſich. Die Laͤden wurden geſchloſſen. Das wollte man. Die Kaufleute, die gerade um dieſe Weihnacht-Zeit mehr ver¬ kaufen in einer Woche, als ſonſt in ganzen Monaten, ſollten gegen die Maͤnner der Frei¬ heit, der Bewegung, gegen die Unruheſtifter murren, und ihren Schmerz und ihren Zorn der Rache ihres Kraͤmer-Gottes, Caſimir Perrier, uͤberlaſſen. Bei ſolchem ſchaͤndlichen, kleinlich tuͤckiſchen Treiben der Staats-Gewalt kann man da Novellen ſchreiben? Nein. Ich verfaßte eine donnernde Zornrede, breit und erhaben wie keine fruͤher; zehn Galgen hoch. Nicht dieſen Perrier allein, alle Perriers Europa's hatte ich niedergeſchmettert. Ich hatte mich abgekuͤhlt und war zufrieden mit mir. Aber wie wurde ich beſchaͤmt! Ich kam bis auf den Boulevard313 duͤ Temple. Wie wurde ich da beſchaͤmt von einem Manne, der ſprachlos da ſtand, aber mit einer einzigen Bewegung die Regierung beredt¬ ſamer ſtrafte, als ich mit tauſend Worten es gethan. Es war ein ſtattlicher kraͤftiger Mann aus dem Volke, mit ſonnenbraunem Geſichte, feurigem Blicke, buſchigen Augenbrauen. Er trug Beinkleider und Hausmuͤtze eines Natio¬ nalgardiſten; den Rock hatte er abgelegt, und die zuruͤckgeſtuͤlpten Hemdaͤrmel zeigten nervige Arme, zum Dreinſchlagen geuͤbt und ſtets be¬ reit. Dieſer Mann war eine Wachsfigur. Erfahren Sie vorher, daß man hier ſeit einem Jahre die abgenutzten, altherkoͤmmlichen Wachs¬ figuren vervollkommnet hat. Durch mechaniſche Vorrichtung hat man ihnen Bewegung gegeben; ob allen, oder nur denjenigen, die außer den Buden zum Anlocken ſtehen, weiß ich nicht, da ich nie in eine ſolche eingetreten. Der Mann, von dem ich ſpreche, der Muſter-Franzoſe, ſtand,20*314ſo wie ich ihn beſchrieben, mit verſchraͤnkten Ar¬ men unter einem kleinen Zelte, deſſen Inneres eine Landſchafts-Dekoration vorſtellte. Es war eine Felſengegend, im Hintergrunde das Thor einer Stadt oder eines Dorfes. Der Mann ſchien aus der Fremde in die Heimath zuruͤck¬ gekehrt zu ſeyn. Jetzt erhob er den Kopf und ſah ſich im Vaterlande umher. Trauer und Schmerz, Zorn und Verachtung malten ſich in ſeinen ſchwarzen Augen. Jetzt ſenkte er Kopf und Blick zur Erde, und eine Bewegung des Mitleids zuckte ihm durch Arme und Schultern, leiſe und truͤbe, wie der Schatten einer Wolke. Doch, hat vielleicht meine Phantaſie das alles in den Mann hineingedichtet, oder mein Spott hineingelogen? Nein, nein. Ueber ſeinem Kopfe hing eine Tafel, worauf mit großen Buchſta¬ ben: France geſchrieben war. Haͤtte Louis Philipp dieſes trauernde Frankreich von Wachs geſehen, es waͤre ihm durch Mark und Bein315 gedrungen oder er waͤre kein Menſch, und dann waͤre nichts Menſchliches von ihm zu for¬ dern. Ich aber ſchaͤmte mich meiner Rede aus Worten. Waͤre ſie geſchrieben geweſen, haͤtte ich ſie verbrannt; da ſie nur gedacht war, warf ich ſie in den Lethe.

Guten Morgen, ob Sie es zwar nicht ver¬ dienen. So heruntergebracht haben Sie mich, ſo demuͤthig haben Sie meine Hoffnung ge¬ ſtimmt, daß ich nicht einmal heute einen Brief erwarte, ob es zwar der ſechste Tag iſt, daß ich Ihren Letzten erhalten.

Alſo mein Eduard hat Ihnen ſo ſehr ge¬ fallen, daß Sie ihn umarmt haben? Der gluͤck¬ liche Eduard! Er iſt juͤnger als ich.

In der Muͤnchner Hofzeitung wurde geſtern wieder einmal geraſſelt. Ich glaube, man ſieht316 die deutſchen Leſer fuͤr Voͤgel an. Ach, daß es nicht wahr waͤre! Es iſt zum Erſtaunen, wie gemein und ſchlecht jenes Ariſtokraten-Manifeſt wieder geſchrieben iſt. Es ſcheint, die Miniſter dort laſſen ihre Kriegs-Artikel von ihren Koͤ¬ chen verfertigen. So ſehr hat die Macht allen Kredit verlohren, daß ſich nicht einmal ein Worttroͤdler findet, der, die Armuth ihrer Ge¬ ſinnung zu bedecken, ihnen auf einen Tag einen anſtaͤndigen Rock leiht. Wie habe ich es dies¬ mal getroffen, wie genau habe ich alles vorher berechnet! Es war mir klar, daß es jetzt dar¬ auf ankaͤme, jetzt wo der Kampf in Deutſch¬ land beginnt, kein Juſte-Milieu aufkommen zu laſſen, das die Streitenden trennend, ſich bald dort, bald hier hinneigend, um von beiden Sei¬ ten Vortheil zu ziehen, einen ſumpfigen Frieden bildet, der die Luft verpeſtet und nur den qua¬ kenden Froͤſchen wohl thut. Die Franzoſen ha¬ ben kein Temperament zum Juſte-Milieu. Was317 wir jetzt ſehen, iſt nur ein kuͤnſtliches Schau¬ kelſyſtem, das keine Dauer haben wird. Bald wird das Bret den Schwerpunkt verlieren, und auf der einen oder andern Seite uͤberſchnappen. Die Deutſchen aber bilden einen gebohrnen Mit¬ telſtand. Die ſchaukeln nicht, ſie nageln den Wagebalken feſt, ſchmieden eiſerne Klammern daruͤber, legen noch Felſenſtuͤcke darauf, und zu groͤßerer Beruhigung ſich ſelbſt mit ihrer gan¬ zen Breite, und ſolche gutverwahrte, nichts ent¬ ſcheidende Gleichguͤltigkeit koͤnnte noch manche zehn Jahre uͤberdauern. Darum ſchien mir gut, meine Geſinnung und deren Ausdruck auf das aͤußerſte zu treiben, um meine Gegner zu ver¬ leiten, daß ſie das nehmliche thun. O ganz praͤchtig iſt mir ſchon mancher in die Falle ge¬ kommen! Es giebt keinen beſſeren Jagdhund, das Lager der Tyrannei aufzufinden, als ich einer bin; ich wittere ſie auf hundert Stunden weit. Die Muͤnchner Sau habe ich auch her¬318 aus geſtoͤbert. In meinen Briefen ereiferte ich mich daruͤber, daß kein Deutſcher in Paris an den Kaͤmpfen der Julitage Theil genommen. Von den deutſchen Handwerksburſchen, bemerkte ich, wundre mich das nicht. Dieſe haͤtten bei Freiheit und Gleichheit nichts zu gewinnen; denn waͤhrend ihrer Jugend duͤrften ſie betteln, und im Alter die Zunfttyrannen machen. Das machte den bairiſchen Diplomaten-Lehrjungen den Kopf verlieren, und er ſchrie auf: Seht Ihr, ſeht Ihr, wie thoͤrigt Ihr ſeyd mit Eurer Staatsreform? Seht Ihr, wie die Zunftver¬ faſſung gedankenloſe, folgſame, leicht zu regie¬ rende Unterthanen bildet? Und Ihr wollt die Zuͤnfte aufheben? .. So haben ſie fruͤher nicht geſprochen. Das Zunftweſen war der Herrſch¬ ſucht immer lieb geweſen; aber ſie vertheidig¬ ten es mit ſchoͤnen Worten von Buͤrgerwohl¬ ſtand, Flor der Gewerbe; das Geheimniß ihrer ſchlauen Staatskunſt verriethen ſie nie dem319 Volke. Ich werde Ihnen in meinem naͤchſten Briefe noch andere Geſchichten erzaͤhlen, wie ich durch Feuer und Rauch die verborgene Schel¬ merei aus ihrer Hoͤhle hervorgelockt. Die mini¬ ſterielle Klatſch-Lieſe in Muͤnchen, um meine Ehre zu verdaͤchtigen, um meinen Muth herab¬ zuſetzen, erinnert mich an einen gewiſſen Vor¬ fall auf dem Frankfurter Komoͤdienplatz und meint, es kaͤme mir nicht zu, den Deutſchen ihre Feigheit in Paris vorzuwerfen. Wenn man etwas beſchaͤmendes von mir wußte, warum er¬ zaͤhlte man denn den Vorfall nicht? Sollte man etwa auf eine alte Geſchichte mit dem Schauſpieler Heigel anſpielen? Aber damals hat ſich das Chriſtenthum ſehr hundsvoͤttiſch be¬ nommen; ich aber habe mich als tapferer Mak¬ kabaͤer gezeigt. Jude, Jude! das iſt der letzte rothe Heller aus der armſeligen Sparbuͤchſe ih¬ res Witzes. Aber nach allem, ich wollte, es gaͤbe mir Einer die drei Louisd'or zuruͤck, die320 ich fuͤr mein Chriſtenthum dem Herrn Pfarrer verehrt. Seit achtzehn Jahren bin ich getauft und es hilft mich nichts. Drei Louisd'or fuͤr ein Plaͤtzchen im deutſchen Narrenhauſe! Es war eine thoͤrigte Verſchwendung.

Geſtern bin ich geſtoͤrt worden, den Brief zu endigen und abzuſchicken, wie ich es ge¬ dachte. Erſtens, durch Ihren praͤchtigen fuͤnf¬ ſeitigen Brief. Dann geſtoͤrt durch einen Brief, den ich gleichzeitig von Campe erhielt; dann durch uͤberſchickte Zeitungen; dann durch einen andern Zeitungs-Artikel aus Deutſchland, den man mir mitgetheilt; endlich durch die Bewegung, die das alles in mir hervorge¬ bracht. Es war eine freudige Bewegung, das ſchwoͤre ich Ihnen. Es geht ja alles321 herrlicher, als ich zu traͤumen gewagt. Wenn Sie hoffen, die Nachricht von der Entziehung meiner Penſion wuͤrde ich nicht als eine per¬ ſoͤnliche Sache anſehen, ſondern es zum gro¬ ßen Ganzen rechnen laſſen Sie meinem Herzen Gerechtigkeit wiederfahren. Nicht ge¬ nug Gerechtigkeit laſſen Sie aber meinem Ko¬ pfe wiederfahren, wenn Sie glauben, ich wuͤr¬ de das zu den Ungluͤcksfaͤllen dieſer truͤben Tage zaͤhlen. Es iſt ja keine Niederlage, es iſt ein Sieg der guten Sache. Kann mir denn etwas willkommener ſeyn, als daß ich ihre Leidenſchaft entflammt, ſie dahin gebracht, in ihre hoͤlzerne mechaniſche Tuͤcke Blut und Leben zu bringen, und aus gluͤhendem Haſſe zu thun, was ſie fruͤher nur mit eiskalter Politik begangen? Die Frankfurter Regierung hatte gar nicht das Recht, mir Penſion zu entziehen; denn nicht ſie, ſondern die deutſche Bundesverſammlung hatte mir, wie allenIIl. 21322Staatsdienern des Großherzogthums Frankfurt, die Penſion zuerkannt. Der Senat glaubte auch gewiß nicht, das Recht zu haben, dachte auch nimmermehr daran, es ſich anzumaßen; aber irgend ein Diplomat befahl, drohte viel¬ leicht und der feige Senat gehorchte angſtzit¬ ternd wie immer. Daß man mir ſagen ließ, ich ſolle nach Frankfurt kommen, um ein Amt zu uͤbernehmen, das ich glaube es gern, um meiner Verachtung eine Graͤnze zu ſetzen war ein Vorwand, um, wenn ich der Ein¬ ladung nicht folgte, mir die Penſion nehmen zu koͤnnen. Der Senat weiß recht gut, daß noch weniger, als ich mich dazu verſtuͤnde, in Frankfurt ein Amt zu bekleiden, er ſich dazu verſtehen wuͤrde, mir eins zu uͤbertragen. Das glaube ich. Aber nimmermehr kann ich glau¬ ben, daß man mich nach Frankfurt hat locken wollen, um mich der Rache Oeſterreichs oder Preußens auszuliefern. Es waͤre zu ſchaͤnd¬323 lich, zu niedertraͤchtig! Daß Herr von Quaita gleich nach Erſcheinen meiner Briefe geaͤußert, man werde mir meine Penſion entziehen, das war natuͤrlich. Er konnte es fruͤher wiſſen, als der Senat, denn er iſt das Sprachrohr der lispelnden Diplomatik, und was man in Wien fluͤſtert, ſchreit er den alten Buͤrgern im Roͤmer zu. Den Senator von Heiden, ich kenne ihn. Ja ich ſehe ihn roth werden; er iſt ein edler Menſch. Ich ſelbſt erroͤthete dar¬ uͤber, ich, den doch die Schandthat getroffen, der ſie nicht begangen. Ruhen laſſen will ich die Sache gerade nicht. Helfen wird mir keine Klage; der Bundestag, der hier entſchei¬ det, iſt ſelbſt Parthei. Zuerſt waͤre abzuwar¬ ten, daß mir der Senat ein Dekret ſeines Beſchluſſes zukommen laͤßt. Reden Sie mit *** daruͤber, ob ein ſolches zu erwarten, wenn nicht, wie ich eine ſolche Mittheilung erzwin¬ gen kann. Er moͤge mir auf jeden Fall eine21*324Vollmacht zum Unterzeichnen ſchicken, dann wollen wir uns daruͤber beſprechen. Die Sache ſoll oͤffentlich werden, das iſt meine gute Ab¬ ſicht. Zu gewinnen iſt unmoͤglich. Wenn die Frankfurter Advokaten etwas in Maſſe fuͤr mich thaͤten, ſo waͤre es ſchoͤn; aber ich hoffe es nicht. Wenn es R. gut findet, will ich einen offenen Brief an die Advokaten drucken laſſen, und ihn nach Frankfurt ſchicken. Ich muß aber darin ſprechen duͤrfen auf meine Weiſe. Das, fuͤrchte ich, ſchuͤchtert ihren guten Willen zuruͤck. R *** Rath werde ich auf keine Weiſe in dieſer Sache verſchmaͤhen, ſo¬ bald er mir nur frei laͤßt, meine Angelegen¬ heit an die allgemeine zu knuͤpfen. Fuͤr mei¬ nen perſoͤnlichen Vortheil allein habe ich eine ſchwache Zunge und eine ſtumpfe Feder. Die Angſt fuͤr mein Naſſauer Geld iſt laͤcher¬ lich. Wie koͤnnen Sie denken, daß ein Staat aus einer kleinlichen Rache ſeinen ganzen Kre¬325 dit umſtoßen ſolle? Aber Euere Furcht iſt be¬ zeichnend genug. Wie weit muß es in Deutſch¬ land gekommen ſeyn, daß man ſolche Gewalt¬ thaͤtigkeiten fuͤr moͤglich haͤlt?

Aus Campe's Brief theile ich Ihnen in meinem Naͤchſten einiges mit. Heute nur, ſo viel das Papier verſtattet. Menzel ſchrieb ihm: Sie werden meine in dieſen Tagen er¬ ſchienene Kritik der Boͤrneſchen Briefe erhal¬ ten. Kein Verbot, keine Winkelkritik, wird je im Stande ſeyn, Boͤrne den wohlverdien¬ ten Lorbeerkranz zu entreißen. Sein Genie ſichert ihm fuͤr alle Zukunft eine der ehren¬ vollſten Stellen unter den erſten unſerer Lite¬ ratur. Sein edles Zornfeuer macht ihn jedem wahren Patrioten im hoͤchſten Grade achtungs¬ werth. Selbſt das frivole Hundegebell, das ſich gegen ihn erhebt, ehrt ihn, und die Nachwelt wird es erkennen.

III. 22326

In einem neuen Zeitungs-Artikel gegen meine Briefe heißt es unter andern Merkwuͤr¬ digkeiten: ich waͤre erboßt gegen alle Leute von Rang und Stand, weil ich ſelbſt kein Hofrath waͤre; erboßt gegen die Reichen, weil ich arm ſey; erboßt gegen die Fuͤrſten, weil ich keine Hoffnung haͤtte, je ſelbſt ein Fuͤrſt zu werden. Iſt das nicht himmliſch? Reden Sie. Ich arm? Iſt mein Herz allein nicht eine Million werth? Ich lege die ganze Million zu Ihren Fuͤßen. Verſchmaͤhen Sie ſie nicht; ich kann doch noch einmal Fuͤrſt werden. In Verſteigerungen kauft man oft die koſtbarſten Sachen um weniges Geld.

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TextBriefe aus Paris
Author Ludwig Börne
Extent343 images; 40666 tokens; 9343 types; 285798 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationBriefe aus Paris Dritter Theil Ludwig Börne. . VIII, 326 S. BrunetParis1833.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 50 MA 26864-11/12http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=504696947

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Briefe; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

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Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:10Z
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Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 50 MA 26864-11/12
Bibliographic Record Catalogue link
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