PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Briefe aus Paris
1831 1832.
Dritter Theil.
[II][III]
Briefe aus Paris
1831 1832
Dritter Theil.
Paris. BeiL. Brunet. 1833.
[IV][V]
Geſammelte Schriften
Elfter Theil.
Paris. BeiL. Brunet. 1833.
[VI][VII]

Inhalt.

  • Erſter BriefSeite 1
  • Zweiter Brief 6
  • Dritter Brief 11
  • Vierter Brief 58
  • Fuͤnfter Brief 70
  • Sechſter Brief 82
  • Siebenter Brief 102
  • Achter Brief 111
  • Neunter Brief 140
  • Zehnter Brief 156
  • Elfter Brief 191
  • VIIIZwoͤlfter BriefSeite 207
  • Dreizehnter Brief249
  • Vierzehnter Brief257
  • Fuͤnfzehnter Brief281
[1]

Erſter Brief.

Als ich mich Strasburg naͤherte, ward mir ſehr bange vor Quarantaine und Douane. Es iſt etwas Gruͤnes und Gelbes, Afrikaniſch - Schlangenartiges in dieſen Worten. Ich zitter¬ te vor dem gelben Hauſe auf der Rheinin¬ ſel, das, wie ich hoͤrte, zum Contumazgefaͤng¬ niſſe beſtimmt iſt, und, wie uranfaͤnglich zum Tempel der Langeweile beſtimmt, verdruͤslich und ſchlaͤfrig zwiſchen den Baͤumen hervorſah. Es ging aber alles ſehr gut und ſchnell vonIII. 12Statten. Ich und meine Koffer wurden fuͤr geſund und loyal erklaͤrt. Nicht einer wurde aufgemacht, ſondern blos etwas oberflaͤchlich im Wagen nachgeſehen. Das vorige Mal, da ich mit einer Miethkutſche nach Strasburg kam, wurde mir Alles durchſtoͤbert. Der Douanier fragte mich, ob es mein eigener Wagen waͤre und als ich es bejahte, traute er mir. Als wenn nur reiche Leute ehrlich waͤren! O, ihr armen Seelen habt es doch gar zu ſchlimm! Wir Diebe, oder Enkel euerer Diebe, fuͤrchten jede Stunde, ihr, von uns Beſtohlenen oder Enkel der von uns Beſtohlenen, moͤchtet einmal ſo klug werden, euer Eigenthum zuruͤckzufor¬ dern welche diebiſche Geſinnung wir an euch ſehr unmoraliſch finden; und darum trauen wir euch nicht und paſſen ſehr auf.

Ich verliere immer den Kopf, ſo oft ich mit einer Polizei oder Douane zu thun habe; denn mir iſt ſehr gut bekannt, daß mit einem Spitz¬3 buben niemand groͤßere Aehnlichkeit hat als ein ehrlicher Mann. Als mich der Zoͤllner fragte, ob ich nichts zu deklariren haͤtte, antworte ich: rien que quelques paquets de tabac pour ma consomation. Darauf fragte er: votre qualité? Ich verſtand, er wollte die Qualitaͤt des Ta¬ backs wiſſen und erwiederte: qualité ordinaire. Er hatte aber nach meinem Stande gefragt. Am Wachthauſe erkundigte ſich der Thorſchreiber nach Neuigkeiten bei mir, und als ich von Po¬ len zu erzaͤhlen anfing, lief er ſchnell zuruͤck und holte einen Gensd'armen und noch einen Her¬ ren aus der Wachtſtube. Letzterer, wahrſchein¬ lich ein Polizeibeamter, forſchte mich ſehr gruͤnd¬ lich nach Neuigkeiten uͤber Polen aus. Ich berich¬ tete Troͤſtliches, wofuͤr er mir ſehr artig dankte. Dieſer Herr ſchien eigens an den Eingang der Stadt beordert worden zu ſeyn, um die Rei¬ ſenden, die von Deutſchland kommen, auszu¬ fragen. Die Regierung mag große Unruhe ha¬1*4ben. Auf meine Bemerkung uͤber die Volksbe¬ wegung, welche die Geſchichte von Warſchau wahrſcheinlich in Paris hervorbringen werde, gab mir der Polizeimann recht; doch laͤchelte er dabei.

In Strasburg ſprach ich viele Deutſche und einige franzoͤſiſche Patrioten. Sie haben bei zwoͤlf Flaſchen Wein ſechs Fuͤrſten weggejagt. Den Koͤnig von Preußen wollte ich beibehalten, ward aber uͤberſtimmt. Hoͤflich, wie Sie mich kennen, disputirte ich nicht lange. Mein Plan, den Prinzen von Coburg zum Koͤnige von Deutſchland zu machen, fand großen Beifall. Sie werden bald mehr davon hoͤren.

Ich habe Gluͤck mit dem Wetter. Geſtern in Strasburg regnete es, ich brauchte es nicht beſſer. Heute aber iſt einer der ſchoͤnſten Tage, die ich dieſen Sommer noch geſehen. Geſtern Abend fuͤhrte mich *** in Caſino, und dann in ſein Haus zum Abendeſſen. Mein5 Kritiker, Profeſſor ***, war auch unter den Gaͤſten. In einem zweiten Artikel aus meinen Schriften ſind Pariſer Sachen uͤberſetzt, unter andern die Erzaͤhlung vom Greve-Platz. Ganz vortrefflich. *** las daraus vor. Er fragte mich, was er ferner uͤberſetzen ſollte? Ich ant¬ wortete: die Wahl ſey ſchwer, es ſey alles ſchoͤn.

Die Vorfaͤlle in Paris werden Sie erfahren haben. Man zweifelt jetzt nicht mehr an der Abdankung des Miniſteriums .. Ob Frankreich in dieſer Stunde ein Koͤnigreich iſt oder eine Republik, das mag der Himmel wiſſen. Ich habe heute noch keine Zeitung geleſen.

Iſt Maria noch muthig und beharr¬ lich? (In der Waſſerkur.) Auf jeder Poſt begleite ich die Pferde an die Traͤnke, und ſau¬ fe mit ihnen gemeinſchaftlich.

6

Zweiter Brief.

Schon No. 4! Ach hielten wir nur ſchon an No. 74, womit unſere vorjaͤhrige Correſpon¬ denz geendigt! Ihren Brief habe ich geſtern er¬ halten, alſo erſt am ſechsten Tage! Hu! Der war ſchauerlich und roch nach Peſt. Sie haͤtten ihn gewiß nur mit Handſchuhen beruͤhrt. Er hatte zwoͤlf mit einem Meſſer gemachte Ein¬ ſchnitte, war ſo ſtark in Eſſig getraͤnkt, daß man ihn auf eine Kopfbeule mit dem ſchoͤnſten Erfolge haͤtte legen koͤnnen, und die Dinte war7 von der Schaͤrfe des Eſſigs ganz aufgeloͤßt. Es war ein ſchwarzes Meer. Doch konnte ich ihn deutlich leſen.

In Wien ſoll die Cholera ſchrecklich wuͤthen, auch unter den hoͤhern Staͤnden. Sie iſt dort ganz jakobiniſch und ruft: à bas les aristocra¬ tes! Das hat man von keinem andern Orte gehoͤrt und an dieſer Boͤsartigkeit mag wohl die bekannte Schlemmerei der Wiener Schuld ſeyn. Zwar wird ſie die Furcht maͤßig gemacht haben; aber die Maͤßigkeit eines Wiener Magenmen¬ ſchen iſt immer noch eine halbe Indigeſtion. Auch geſtehen ſie dort ſelbſt, daß ihre Kranken¬ anſtalten noch nicht vollendet geweſen, als ſie von der Cholera uͤberraſcht worden. Ich aber bin uͤberzeugt, daß die verdammte Scheu der Oeſtreichiſchen Regierung vor jeder Oeffentlich¬ keit, die Cholera in Wien verheerender gemacht hat als ſonſt uͤberall. Der Oeſtreichiſche Beob¬ achter, den ich erſt geſtern geleſen, erzaͤhlt kein8 Wort von der Cholera. Der Tod, wie das Leben iſt dort ein Staatsgeheimniß.

*** iſt auch noch hier, in Baden war er ſo kraͤnklich, hier iſt er ganz geſund. Er fragte mich nach meinen Damen. Es iſt ſein leidenſchaftlicher Wunſch mit ſeiner Fami¬ lie hier wohnen zu koͤnnen. Paris gefaͤllt ihm ungemein, aber, wie mir, mehr das oͤffent¬ liche Leben; Geſellſchaften beſucht er wenig. Von den Franzoſen in politiſcher Beziehung hat er die ſchlechteſte Meinung bekommen, auch von der Oppoſitions-Parthei. Sie waͤren ganz wie vernagelt, und von dem Auslande, beſon¬ ders von deutſchen Verhaͤltniſſen, haͤtten ſie nicht die gemeinſten Schuͤlerkenntniſſe.

Ein Italieniſcher Saͤnger Rubini iſt jetzt hier; der ſoll ein Wunder ſein, Alle, die ſtreng¬ ſten Kenner, ſind entzuͤckt von ihm. Meine Malibran iſt noch abweſend. Inzwiſchen hat die Paſta, die viel verlohren haben ſoll, deren9 Rollen uͤbernommen. Die Devrient iſt dieſen Winter am italieniſchen Theater engagirt. Meier - Beer's Oper koͤmmt bald zur Auffuͤhrung ... O Pfui! was krieche ich da auf dem Papiere herum, wie eine Abendblatt-Laus!

Ich denke immer noch daran ein Jour¬ nal herauszugeben und von Neujahr damit an¬ zufangen; bis dahin aber den Stoff vorzube¬ reiten. Ich will auch ſuchen in die Kunſt ein¬ zudringen, die mir bis jetzt fremd war. Ich muß auf ein ruhiges Aſyl fuͤr meinen Geiſt bedacht ſeyn; denn aus dem Gebiete der Po¬ litik, wie ich vorherſehe, werden wir Deutſche bald vertrieben werden.

Das Wetter wird alle Tage ſchoͤner. Ge¬ ſtern habe ich bei *** in Paſſy gegeſſen. Er wohnt am Bois de Boulogne, in einem ſchoͤn gelegenen Hauſe, das eine herrliche Aus¬ ſicht auf Stadt und Land hat. Ueber der Thuͤre iſt ein Italieniſcher Namen eingehauen,10 der eines Arztes, dem vor dreihundert Jahren Franz I. dies Haus geſchenkt. In dem nehm¬ lichen Hauſe wohnte vor ſechszig Jahren Frank¬ lin, und der erſte (bekanntlich von ihm er¬ fundene) Blitzableiter, den Paris bekam, wur¬ de auf dies Haus geſetzt.

11

Dritter Brief.

Nun, ſchmeckt Ihnen Frankfurt? Ich denke wie Kamillenthee. Nicht gerade erſt jetzt wegen dieſer Choleriſchen Zeit; mir hat es immer ſo geſchmeckt. Eine Apotheke alles getrocknet, alles zerſtoßen, alles in Buͤch¬ ſen und Schachteln. Nichts friſch, nichts ganz, nichts frei. Und der vornehme Moſchus-Ge¬ ruch, den der Bundestag zu uns gebracht, der macht einem gar uͤbel. Iſt noch nichts ver¬ ordnet wie viele Juden an der Cholera ſterben12 ſollen? Wie viele Einheimiſche, wie viele Fremde? Geht es nach der Anciennitaͤt der Leibſchmerzen oder wird nach Gunſt verfahren?

Was es mir in dieſer Peſt - und Krieges¬ zeit fuͤr Verdruß macht, daß ich ſo wenige Naturkenntniſſe habe, kann ich Ihnen nicht ge¬ nug klagen, und nie verzeihe ich es Ihnen, daß Sie mich ſo ſchlecht erzogen haben. Ei¬ gentlich bin ich ganz auf die Natur angewie¬ ſen, ich habe einen unbeſchraͤnkten Kredit bei ihr und ſie hat noch alle meine Forderungen bewilligt. Ich bin ein gebohrener Naturphi¬ loſoph. Ich habe von meiner fruͤheſten Jugend an Gott und Menſchheit vom Standpunkte der Natur betrachtet; die Religion war mir das All-Element, die Geſchichte eine Art hoͤherer Magnetismus; Geiſt und Materie unterſchied ich nie; der Geiſt war mir eine unſichtbare Materie, die Materie ein unſichtbarer Geiſt. Dieſer Naturglaube gab mir eine gemeinſchaft¬13 liche Regel, gemeinſchaftliches Maas und Ge¬ wicht fuͤr Alles. Darum ſetzte mich nie etwas in Verwirrung; darum verwunderte ich mich nie uͤber etwas. Komete, Peſte, Kriege, Re¬ volutionen und Erdbeben, wußte ich immer in die natuͤrlichſten Verbindungen zu bringen, und wenn mir die Anmaßung der unwiſſenden Menſchen, die das Alles fuͤr Aberglauben er¬ klaͤren, nicht laͤcherlich erſcheint, ſo habe ich dieſe Nachſicht eben auch meiner Natur-Phi¬ loſophie zu danken, die mich lehrt, daß Dumm¬ heit und Menſchenduͤnkel Elemente ſind, wie andere. Nun habe ich zwar ein gluͤckliches Ahndungsvermoͤgen, das mich Blinden auf den rechten Weg fuͤhrt; aber den Weg kenne ich nicht, und ich weiß weder Andern noch mir ſelbſt zu beweiſen, wovon ich doch ſo feſt uͤber¬ zeugt bin. Und daran ſind Sie ſchuld.

Ein Aufſatz uͤber die Cholera, den die all¬ gemeine Zeitung in den letzten Tagen enthielt,14 hat mich von meiner Unwiſſenheit in den Na¬ turwiſſenſchaften recht betruͤbt uͤberzeugt. Der Verfaſſer hat ganz meine Anſicht, daß die epi¬ demiſchen Krankheiten der Menſchen mit den Krankheiten der Erde zuſammenhingen. Nur ſpricht er von feuerſpeienden Bergen, von Erd¬ beben, Elektrizitaͤt, ungewoͤhnlicher Abweichung der Magnetnadel und andern Dingen, die ich wenig verſtehe und was Sie mir in Ihrem naͤchſten Briefe, wie ich hoffe, all erklaͤren wer¬ den. Der Verfaſſer kommt zu dem Reſulta¬ te: daß die Cholera hoͤchſtens in ſehr gelinder Art, vielleicht aber gar nicht weiter nach dem weſtlichen Europa vordringen wuͤrde. Er meint, die unterdeſſen ſtattgehabten Erdbeben und Aus¬ bruͤche der Vulkane, ſo wie die Entſtehung neuer vulkaniſcher Inſeln bei Sicilien haͤtten dieſen Theil der kranken Erde geheilt. Wir werden ſehen. Ich moͤchte den Vorſchlag ma¬ chen, Kamillen - und Pfeffermuͤnzthee, ſtatt ihn15 den Menſchen einzugeben, lieber der Erde ſelbſt einzugießen, indem man große Loͤcher hinein¬ graͤbt; und um die ganze Erde in der Ge¬ gend des Aequators eine Flanellbinde zu le¬ gen, ſie vor Erkaͤltung zu ſchuͤtzen. Dann wuͤrde die Cholera aufhoͤren. Was ſagen Sie dazu?

Die Juden ſind duͤmmer wie Vieh, wenn ſie ſich einreden, bei entſtehender Revo¬ lution wuͤrden ſie von den Regierungen ge¬ ſchuͤtzt werden. Nein, man wuͤrde ſie dem Volkshaſſe aufopfern; die Regierungen wuͤr¬ den ſuchen ſich um dieſen Preis von der Re¬ volution loszukaufen. Wenn man in Indien die graͤuliche Boaſchlange erlegen will, jagt man ihr einen Ochſen entgegen; den frißt ſie ganz auf und dann, wenn ſie ſich nicht mehr bewegen kann, toͤdtet man ſie. Die Juden werden die Ochſen ſeyn, die man der Revo¬ lution in den Rachen fuͤhrt, und wenn ſie ſich16 nicht auf mein Journal abbonniren mag ihnen Gott gnaͤdig ſeyn.

Geſtern Abend war *** bei mir, um Abſchied zu nehmen. Er reiſt heute zuruͤck. Es giebt nichts komiſcheres als die Verzweif¬ lung dieſes Mannes, wieder in den deutſchen Kerker eingeſperrt zu werden, und nicht in Pa¬ ris bleiben zu koͤnnen. Mich beneidet er wie einen Gott. Mit *** iſt es das Nehmli¬ che. Vor einigen Tagen ſprach ich von ſeiner baldigen Abreiſe mit ihm; daruͤber ward er ganz wild und faſt boshaft, und bat mich um Gotteswillen, doch von dieſer Sache nicht zu ſprechen.

Liſt hat ein ſehr gutes Buͤchelchen in franzoͤſiſcher Sprache, uͤber Eiſenbahnen hier drucken laſſen. Es ſoll ſich eine Aktiengeſell¬ ſchaft bilden, welche Eiſenbahnen von Paris nach Havre und Strasburg fuͤhren, ſo daß man in zwoͤlf Stunden von hier nach Stras¬17 burg wird reiſen koͤnnen, und weiter nach Frankfurt gezogen in achtzehn Stunden dort¬ hin. Wenn ich Morgens von hier abreiſte, koͤnnte ich Abends Thee bei Ihnen trinken und den andern Abend wieder hier ſeyn. Welch ein reizender Gedanke! Heine ſagt zwar, es ſei eine ſchreckliche Vorſtellung, in zwoͤlf Stun¬ den ſchon in Deutſchland ſeyn zu koͤnnen. Dieſe Eiſenbahnen ſind nun meine und Liſt's Schwaͤrmereien, wegen ihrer ungeheuern politi¬ ſchen Folgen. Allem Despotismus waͤre da¬ durch der Hals gebrochen, Kriege ganz unmoͤg¬ lich. Frankreich, wie jedes andere Land, koͤnnte dann die groͤßten Armeen innerhalb vier und zwanzig Stunden von einem Ende des Reichs zum andern fuͤhren. Dadurch wuͤrde der Krieg nur eine Art Ueberrumpelung im Schachſpiel, und gar nicht mehr auszufuͤhren.

Ich freue mich, daß Sie jetzt wegen der Cholera beruhigter ſind. Aber ich mußte lautIII. 218auflachen, als Sie mir Vorwuͤrfe machten, ich haͤtte Ihnen die Angſt eingeredet. Das waͤre Waſſer in den Main tragen. Merkur, der Gott der Beredtſamkeit, wenn er ein paar Bouteillen Champagner getrunken hat und be¬ ſonders begeiſtert iſt, koͤnnte Ihnen vielleicht eine Furcht ausreden; aber einreden das vermag kein Gott; da iſt alles ſo vollge¬ pfropft, daß nicht fuͤr die kleinſte Furcht mehr Platz iſt. Ich kann mir wirklich nicht anders erklaͤren wie Sie die Cholerafurcht in Ihrem Angſtmagazin haben unterbringen koͤnnen, als daß ich annehme, Sie haben vorher andere Aengſte herausgeworfen. Sehen Sie, das nennt man in der Aeſthetik ſatyriſche Schreibart! Verlaſſen Sie ſich darauf, daß unſer Profeſſor Oertel mit ſeiner Waſſerkur gegen Cholera Recht hat. Ich habe keinen Augenblick daran gezwei¬ felt. Ich habe geſtern wieder zwei neue Hefte von Oertels Waſſer-Bibel bekommen, worin19 ſchoͤne Beiſpiele vorkommen. Unter andern: Vor kurzem ſtarb in Anſpach eine alte Jungfer von 97 Jahren. Die Todtenweiber, die mit dieſem armen alten Hunde keine Umſtaͤnde ma¬ chen wollten, wuſchen ſie, ſtatt wie uͤblich mit warmen, mit kaltem Waſſer. Davon wachte die Jungfer aus dem Scheintode wieder auf und lebte noch drei Tage.

Ein Baron von Maltitz, ſeit kurzem hier, hat mich vorgeſtern beſucht. Es iſt der Schrift¬ ſteller, deſſen Buch Gelaſius der graue Wanderer ich kritiſirt, und der mir in ir¬ gend einer Zeitung dafuͤr gemuͤthlich gedankt, und mich dabei: Alter Boͤrne! angeredet hat. Seine Schriften machen Gluͤck und werden viel gekauft. Vor mehreren Jahren ließ er in Berlin ein Schauſpiel der alte Student (es iſt gedruckt) auffuͤhren. Das Stuͤck ent¬ hielt Anſpielungen auf die fruͤhere Unabhaͤngig¬ keit Polens. Dieſe wurden bei der Auffuͤhrung2*20von jungen polniſchen Studenten gehoͤrig ge¬ deutet und mit Enthuſiasmus beklatſcht. Zur Strafe wurde Maltitz, obzwar ſein Stuͤck die Cenſur paſſirt hatte, und er ein gebohrener Preuße iſt, aus dem Lande verbannt. In der letzten Zeit ſchrieb er ein epiſches Gedicht Polo¬ nia, was ſehr viel geleſen wird. Selbſt in Paris wurden 200 Exemplare verkauft.

Goethes Tagebuch, von dem ich Ihnen neulich geſchrieben, habe ich nun geendigt. So eine duͤrre lebloſe Seele giebt es auf der Welt nicht mehr, und nichts iſt bewundernswuͤrdiger als die Naivitaͤt, mit welcher er ſeine Gefuͤhl¬ loſigkeit an den hellen Tag bringt. Das Buch iſt eine wahre Bibel des Unglaubens. Ich ha¬ be beim Leſen einige Stellen ausgezogen, und ich lege das Blatt hier bei. Viele Bemerkun¬ gen hieruͤber waren gar nicht noͤthig; Goethes klarer Text macht die Noten uͤberfluͤſſig. Und ſolche Conſuln hat ſich das deutſche Volk ge¬21 waͤhlt! Goethe der angſtvoller als eine Maus, beim leiſeſten Geraͤuſche ſich in die Erde hin¬ einwuͤhlt, und Luft, Licht, Freiheit, ja des Le¬ bens Breite, wonach ſich ſelbſt die todtgeſchaffe¬ nen Steine ſehnen alles, alles hingiebt, um nur in ſeinem Loche ungeſtoͤrt am geſtohlenen Speckfaden knuppern zu koͤnnen und Schil¬ ler, der edler aber gleich muthlos, ſich vor Tyrannei hinter Wolkendunſt verſteckt, und oben bei den Goͤttern vergebens um Huͤlfe fleht, und von der Sonne geblendet die Erde nicht mehr ſieht, und die Menſchen vergißt, denen er Ret¬ tung bringen wollte. Und ſo ohne Fuͤhrer, ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Be¬ ſchuͤtzer wird das ungluͤckliche Land eine Beute der Koͤnige und das Volk der Spott der Voͤlker.

Fragen Sie mich ſo oft Sie wollen nach dem Straßenkothe; aber fragen Sie mich nie nach der franzoͤſiſchen Politik. Es iſt ein gar22 zu ſchmutziges Ding. Voriges Jahr ſagte ich: Der Koͤnig iſt verlohren; jetzt ſage ich: Frank¬ reich iſt verlohren. Wenn nicht der Senator *** oder ſonſt ſo ein frankfurter Philiſter, beſſer Frankreich regierte als das Miniſte¬ rium, will ich ein Schurke ſeyn. Gelobt wird auch die Regierung von allen fremden Kabinetten wie ein Kind, das ſich artig aufge¬ fuͤhrt. Es iſt eine Schmach! und ſtolz ſind ſie auf dieſes Lob es iſt Wahnſinn. Der Koͤnig wohnt jetzt in den Tuillerien. Er woll¬ te es ſich bequem machen, er iſt jetzt dem Place Louis XV. etwas naͤher, als im Palais Royal.

In Berlin iſt ein junger Referendarius zu einjaͤhriger Feſtungsſtrafe verurtheilt worden, weil er mehrere Artikel, die im Meſſager uͤber die preußiſche Regierung geſtanden, ins Deutſche uͤberſetzt und einigen Freunden zu leſen gegeben hatte. Das Urtheil lautet: weil er verſucht23 Mißvergnuͤgen gegen die Regierung zu erregen. Jetzt iſt es ſogar ein Verbrechen, wenn Einem die Regierung kein Vergnuͤgen macht! Da muͤßte man die Regierungen zuerſt einſperren, denn dieſe verbreiten am meiſten Mißvergnuͤgen gegen ſich ſelbſt. Alles gehet zuruͤck, theure Freundin. Der Jammer iſt nur, daß wir nicht mit zuruͤckgehen, und wieder jung und dumm werden. Adieu, ich gehe in's Louvre. Ich ſtu¬ diere jetzt Gemaͤlde und Thiere. Vorgeſtern im Jardin des Plantes war ich ganz verlohren in dem Anblicken der herrlichen Loͤwen. Der Eine hat ein junges Huͤndchen zum Zeitvertreibe in ſeinem Kaͤfig. Der Loͤwe ſchlief, das arme Huͤndchen ſaß in dem entfernteſten Winkel, be¬ trachtete den Loͤwen mit unverwandten Blicken, ruͤhrte ſich nicht und ſah betruͤbt aber unterwuͤr¬ fig aus. Es war ein ruͤhrendes Bild der Wil¬ lenloſigkeit, wie der Loͤwe ein ſchreckliches der Willkuͤhr. Ich wuͤnſchte Loͤwe oder Huͤndchen24 zu ſeyn; aber ſo in der Mitte ſtehen, den Stolz des Loͤwens und die Schwaͤche des Huͤndchens das iſt die Langeweile.

25

Tag - und Jahrs-Hefte als Ergaͤnzung meiner ſonſtigen Bekenntniſſe, von 1789 bis 1806. (Goethes Werke 31ſter Band.)

Der Geiſt naͤhert ſich der wirklichen, wahrhaften Natur, durch Gelegenheits-Ge¬ dichte. Wie Einen Gelegenheits-Gedichte zur wahrhaften Natur fuͤhren koͤnnen, begrei¬ fe ich nicht, Goethe muͤßte denn auch die Liebe zu den Gelegenheiten rechnen was ihm leicht zuzutrauen iſt. Aber wer ein ſo wetterwendiſches Herz hat, daß ihn die Ge¬ legenheit leicht in ihre Kreiſe fortzieht, wenn die Gelegenheit das Herz nicht bricht, der2*26hat die Dichtkunſt gefunden, geſtohlen, erwor¬ ben vielleicht mit ſeiner Haͤndearbeit, geſchenkt wurde ſie ihm nie.

1789.

Kaum hatte ſich Goethe nach ſeiner Ruͤck¬ kehr aus Italien in die Weimariſchen Ver¬ haͤltniſſe wieder eingeſponnen, als die Revo¬ lution losbrach. Schon im Jahre 1785 hatte die Halsbandgeſchichte einen unausſprech¬ lichen Eindruck auf mich gemacht. In dem unſittlichen Stadt -, Hof - und Staatsab¬ grunde, der ſich hier eroͤffnete, erſchienen mir die graͤulichſten Folgen geſpenſterhaft, de¬ ren Erſcheinung ich geraumere Zeit nicht los¬ werden konnte; wobei ich mich ſo ſeltſam be¬ nahm, daß Freunde, unter denen ich mich eben auf dem Lande aufhielt, als die erſte Nachricht hievon zu uns gelangte, mir nur ſpaͤt, als die Revolution laͤngſt ausgebrochen27 war, geſtanden, daß ich ihnen damals wie wahnſinnig vorgekommen ſei. Ich verfolgte den Prozeß mit großer Aufmerkſamkeit, be¬ muͤhete mich in Sicilien um Nachrichten von Caglioſtro und ſeiner Familie, und verwan¬ delte zuletzt, nach gewohnter Weiſe, um alte Betrachtungen los zu werden, das ganze Ereigniß unter dem Titel: der Groß - Cophta, in eine Oper, wozu der Gegen¬ ſtand vielleicht beſſer als zu einem Schau¬ ſpiele getaugt haͤtte. Die Ausbruͤche der Revolution zu einer Oper begeiſtert! Wer je¬ des Gefuͤhl, ſobald es ihm Schmerzen verur¬ ſacht, gleich ausziehen laͤßt wie einen hohlen Zahn, den wird freilich nichts in ſeinem Schlafe ſtoͤren; aber mit Gefuͤhlloſigkeit, mit einer hohlen Seele, iſt der Schlaf doch et¬ was zu theuer bezahlt!

O welch 'ein Klein-Cophta! Statt in der Hofgeſchichte eine Weltgeſchichte zu ſehen,28 ſieht er in der Weltgeſchichte eine Hofge¬ ſchichte. Und wie ihn ſeine Philiſter-Ehr¬ furcht vor den Großen wie blind und taub, ſo auch ſtumm gemacht. Den Cardinal Ro¬ han verwandelt er in einen Domherrn. Die Koͤnigin in eine unvermaͤhlte Dame! Es iſt gar kein Sinn in dieſer Geſchichte, ſo darge¬ ſtellt. Aber Caglioſtro! Es iſt nicht zu leugnen, daß ihn Goethe mit Freundſchaft be¬ handelt. Es war Dankbarkeit. Einem mo¬ raliſchen Gourmand wie Goethe mußte Cag¬ lioſtro's Lehre, die er im hoͤchſten Grade ſei¬ ner Myſterien, nach langer, langer Pruͤfung, endlich dem Eingeweiheten offenbarte die Lehre: Was du willſt, das die Menſchen fuͤr dich thun ſollen, das thue fuͤr ſie nicht, dieſe Lehre des Anti-Chriſts mußte wohl einem Goethe munden.

29

1790.

Kehrte mit der Fuͤrſtin Amalie von ſei¬ ner zweiten Reiſe in Italien zuruͤck. Kaum nach Hauſe gelangt, ward ich nach Schleſien beordert, wo eine bewaffnete Stellung zweyer großen Maͤchte den Congreß von Reichen¬ bach beguͤnſtigte. Erſt gaben Cantonierungs¬ quartiere Gelegenheit zu einigen Epigram¬ men ... In Breslau hingegen, wo ein ſoldatiſcher Hof und zugleich der Adel einer der erſten Provinzen des Koͤnigreichs glaͤnzte, wo man die ſchoͤnſten Regimenter ununter¬ brochen marſchiren und manoͤvriren ſah, be¬ ſchaͤftigte mich unaufhoͤrlich, ſo widerlich es auch klingen mag, die vergleichende Ana¬ tomie, weßhalb mitten in der bewegteſten Welt ich als Einſiedler in mir ſelbſt abge¬ ſchloſſen lebte. Dieſer Theil des Naturſtu¬ diums war ſonderbarlich angeregt worden. 30 Als ich nehmlich auf den Duͤnen des Liedo, welche die venezianiſchen Lagunen von dem adriatiſchen Meere ſondern, mich oftmals er¬ ging, fand ich einen ſo gluͤcklich geborſtenen Schafſchaͤdel, der mir ... jene große fruͤher von mir erkannte Wahrheit: die ſaͤmmtlichen Schaͤdelknochen ſeyen aus verwandelten Wir¬ belknochen entſtanden, abermals bethaͤtigte ....

Was? Goͤthe ein reich begabter Menſch, ein Dichter; damals in den ſchoͤnſten Jahren des Lebens, wo der Juͤngling neben dem Manne ſteht, wo der Baum der Erkenntniß zugleich mit Bluͤthen und mit Fruͤchten pran¬ get er war im Kriegsrathe, er war im Lager der Titanen, da, wo vor vierzig Jah¬ ren der zwar freche, doch erhabene Kampf der Koͤnige gegen die Voͤlker begann und zu nichts begeiſterte ihn dieſes Schauſpiel, zu keiner Liebe, zu keinem Haſſe, zu keinem Ge¬ bete, zu keiner Verwuͤnſchung, zu gar nichts31 trieb es ihn an, als zu einigen Stachelgedich¬ ten, ſo werthlos, nach ſeiner eigenen Schaͤ¬ tzung, daß er ſie nicht einmal aufbewahrte, ſie dem Leſer mitzutheilen? Und als die praͤchtigſten Regimenter, die ſchoͤnſten Officiere an ihm voruͤberzogen, da gleich der jun¬ gen blaſſen Frau eines alten Mannes bot ſich ſeinem Beobachtungsgeiſte kein ande¬ rer, kein beſſerer Stoff der Betrachtung dar, als die vergleichende Anatomie? Und als er in Venedig am Ufer des Meeres luſtwandelte Venedig, ein gebautes Maͤhrchen aus Tauſend und einer Nacht; wo alles toͤnt und funkelt: Natur und Kunſt, Menſch und Staat, Vergangenheit und Gegenwart, Freiheit und Herrſchaft; wo ſelbſt Tyrannei und Mord nur wie Ketten in einer ſchauerlichen Ballade klir¬ ren; die Seufzer-Bruͤcke, die Zehen-Maͤnner; es ſind Scenen aus dem fabelhaften Tartarus Venedig, wohin ich ſehnſuchtsvolle Blicke32 wende, doch nicht wage ihm nahe zu kommen, denn die Schlange oͤſterreichiſche Poli¬ zei liegt davor gelagert, und ſchreckt mich mit giftigen Augen zuruͤck dort, die Son¬ ne war untergegangen, das Abendroth uͤber¬ flutete Meer und Land, und die Purpurwel¬ len des Lichtes ſchlugen uͤber den felſigen Mann und verklaͤrten den ewig Grauen und vielleicht kam Werthers Geiſt uͤber ihn, und dann fuͤhlte er, daß er noch ein Herz habe, daß es eine Menſchheit gebe um ihn, einen Gott uͤber ihm, und dann erſchrak er wohl uͤber den Schlag ſeines Herzens, ent¬ ſetzte ſich uͤber den Geiſt ſeiner geſtorbenen Jugend; die Haare ſtanden ihm zu Berge, und da, in ſeiner Todesangſt, nach gewohn¬ ter Weiſe, um alle Betrachtungen loszuwer¬ den verkroch er ſich in einen ge¬ borſtenen Schafs-Schaͤdel und hielt ſich da verſteckt, bis wieder Nacht und Kuͤhle33 uͤber ſein Herz gekommen! Und den Mann ſoll ich verehren? Den ſoll ich lieben? Eher werfe ich mich vor Fitzli-Putzli in den Staub; eher will ich Dalai-Lama's Speichel koſten. Haͤtte Deutſchland, ja haͤtte die ganze Welt nur zwei Dichter, nur zwei Brunnen, ohne die das Herz verſchmachten muͤßte in der Sandwuͤſte des Lebens nur Kotzebue und Goethe Tauſendmal lieber labte ich mei¬ nen Durſt mit Kotzebue's warmer Thraͤnen - Suppe, die mich doch wenigſtens ſchwitzen macht, als mit Goethe's gefrorenem Weine, der nur in den Kopf ſteigt, und dort hinauf alles Leben pumpt.

1792.

In der Mitte des Sommers ward ich abermals ins Feld berufen, dießmal zu ern¬ ſteren Scenen. Ich eilte uͤber Frankfurt,III. 334 Mainz, Trier und Luxemburg nach Longwi, welches ich den 28. Auguſt (Goethe's Ge¬ burtstag das vergißt er nie) ſchon ein¬ genommen fand; von da zog ich mit bis Valmy, ſo wie auch zuruͤck bis Trier; ſo¬ dann, um die unendliche Verwirrung der Heerſtraße zu vermeiden, die Moſel hinab nach Koblenz, Mannheim. Naturerfahrun¬ gen ſchlangen ſich, fuͤr den Aufmerkſamen, durch die bewegten Kriegsereigniſſe. Einige Theile von Fiſchers phiſikaliſchen Woͤrter¬ buche begleiteten mich; manche Langeweile, ſtockende Tage betrog ich durch fortgeſetzte chromatiſche Arbeiten ... Kein Wort uͤber die Kriegsereigniſſe! Intereſſirt ihn auch die Politik nicht, konnte ihn doch als Dichter und Beobachter das Kriegsleben, dem es an beliebter plaſtiſcher Dickleibigkeit gewiß nicht fehlt, Stoff zu Wahrnehmungen und kuͤnſt¬ leriſchen Darſtellungen geben. Aber die ehr¬35 furchtsvolle Scheu, von hoͤchſten und allerhoͤch¬ ſten Perſonen und ihren hoͤchſten und aller¬ hoͤchſten Dummheiten zu reden, laͤßt ihn noch nach vierzig Jahren verſtummen.

1793.

Waͤhrend der Blockade von Mainz, der er bis zum Ende der Belagerung beiwohnte, beſchaͤftigte er ſich mit Reinecke Fuchs und uͤbte ſich im Hexameter. Warum ſagt er nicht, was er zu jener Zeit ſo oft im Haupt¬ quartier gemacht? Hat er vielleicht an der Abfaſſung des beruͤhmten Manifeſts des Her¬ zogs von Braunſchweig Theil gehabt? Auch fuhr er fort am Rhein unter freiem Himmel die Farbenlehre zu treiben.

Und ſo hielt ich, fuͤr meine Perſon we¬ nigſtens, mich immer feſt an dieſe Studien, wie an einem Balken im Schiffbruch; denn3*36 ich hatte nun zwei Jahre unmittelbar und perſoͤnlich das fuͤrchterliche Zuſammenbrechen aller Verhaͤltniſſe erlebet.

Einem thaͤtigen, productiven Geiſte, ei¬ nem wahrhaft vaterlaͤndiſch geſinnten, und einheimiſche Literatur befoͤrdernden Manne wird man es zu Gute halten, wenn ihn der Umſturz alles Vorhandenen ſchreckt, ohne daß die mindeſte Ahndung zu ihm ſprach, was denn beſſeres, ja nur anderes daraus erfol¬ gen ſolle. Man wird ihm beiſtimmen, wenn es ihn verdrießt, daß dergleichen Influenzen ſich nach Deutſchland erſtrecken, (die franzoͤ¬ ſiſche Revolution eine verdriesliche Ge¬ ſchichte!) und verruͤckte, ja unwuͤrdige Per¬ ſonen das Heft ergreifen. In dieſem Sin¬ ne war der Buͤrgergeneral geſchrieben, ingleichen die Aufgeregten entworfen, ſo¬ dann die Unterhaltungen der Ausge¬ wanderten.

37

Der Buͤrgergeneral ward gegen Ende von 1793 in Weimar aufgefuͤhrt, aber die Ur¬ bilder dieſer luſtigen Geſpenſter waren zu furchtbar, als daß nicht ſelbſt die Scheinbil¬ der haͤtten beaͤngſtigen ſollen.

Nun wahrhaftig, die in Weimar muͤſſen unerhoͤrt ſchwache Nerven gehabt haben, wenn ſie dies Scheinbild der franzoͤſiſchen Revolu¬ tion, das Goethe im erwaͤhnten Luſtſpiele dar¬ ſtellt, in Angſt verſetzt hat. Ich glaube es aber nimmermehr. Sie werden ſich wohl bei der Auffuͤhrung jener Poſſen eben ſo gelang¬ weilt haben, als ich es beim Leſen gethan, mit dem ich ſo eben fertig geworden; und Goethe ſchrieb das Gaͤhnen ſtatt der Lange¬ weile den Vapeurs zu. Des Buͤrgergene¬ rals großer Inhalt iſt folgender: Gevatter Schnaps, ein Dorfbarbier, ließ ſich wei߬ machen: Zu den Jacobinern in Paris, welche alle geſcheide Leute in allen Laͤndern aufſuch¬38 ten, an ſich zoͤgen und benutzten, waͤre ſein Ruf erſchollen, und ſeit einem halben Jahre gaͤben ſie ſich alle erdenkliche Muͤhe, ihn fuͤr die Sache der Freiheit und Gleichheit zu ge¬ winnen. Man kenne in Paris ſeinen Ver¬ ſtand und ſeine Geſchicklichkeit. Ein Spaßvo¬ gel, der ſich fuͤr einen Abgeſandten der Jaco¬ biner ausgiebt, ernennt den Barbier zum Buͤr¬ gergeneral und beauftragt ihn, in ſeinem Dor¬ fe die Revolution anzufangen. Man giebt ihm eine Freiheitsmuͤtze, Saͤbel, Uniform und ei¬ nen falſchen Schnurrbart. Die ganze Frei¬ heits-Komoͤdie geht aber darauf hinaus, den Bauer Martin um einen Topf Milch zu prellen. Und in dieſe alberne Milchſuppen¬ geſchichte wollte Goethe den Weimaranern ei¬ nen Abſcheu vor der franzoͤſiſchen Revolution einbrocken! Und die Weimarer ſollen wirklich Kraͤmpfe davon bekommen haben! Es iſt nicht moͤglich.

39

Noch laͤcherlicher iſt das Luſtſpiel die Aufgeregten. Auch in dieſem dramati¬ ſchen Bilde wollte Goethe die Graͤuel der franzoͤſiſchen Revolution darſtellen, um die Deutſchen vor Freiheitsſchwindel zu bewahren. Nun leſe man die Folgen, welche das un¬ gluͤckſelige Revolutionsfieber in einem Doͤrf¬ chen gehabt. Erſte Folge. Louiſe ſagt: ſie habe vergangenen Winter ein Paar Struͤm¬ pfe mehr geſtrickt, weil ihr Vater, der Bar¬ bier, ihr Muße dazu gegeben, da er wegen der Zeitungen ſpaͤter nach Hauſe gekommen. Zweite Folge. Das Kind der Graͤfin faͤllt ſich ein Loch in den Kopf, weil ſein Hofmei¬ ſter, der die Zeitungen las, nicht auf das¬ ſelbe Acht gegeben. Und das iſt Alles! Die Berliner freilich werden manches in dieſem Drama ſehen, was einem kurzſichtigen Suͤd¬ deutſchen entgeht. Sie haben einen Herſchel¬ ſchen Goͤthoſkop wir nur unſere Augen.

40

1794.

Man ſendete mir aus dem ſuͤdlichen und weſtlichen Deutſchland Schatzkaͤſtchen, Spar¬ thaler, Koſtbarkeiten mancher Art, zum treuen Aufbewahren, die mich als Zeugniß großen Zutrauens erfreuten, waͤhrend ſie mir als Beweiſe einer beaͤngſtigten Nation traurig vor Augen ſtanden.

Guter Gott, welche Gewichte ſind es, die den zentnerſchweren Haß Goethes gegen die franzoͤſiſche Revolution bildeten! Seine liebe Mutter in Frankfurt hatte ein bequemes Haus mit ſchoͤnen Moͤbeln, mit wohlverſorgtem Kel¬ ler, mit Buͤchern, Kupferſtichen und Landkar¬ ten. Durch die Feindſeligkeiten der Franzoſen geaͤngſtigt, wollte die Mutter ihren Beſitz ver¬ aͤußern, ſich eine Wohnung miethen; aber eben wegen der unruhigen Zeiten wurden unvor¬ theilhafte Kaufantraͤge gemacht; das Berathen41 mit Freunden und Maͤklern war von unendli¬ cher Verdrießlichkeit. Und das der Schmerz eines Dichters! Iſt der ein Mann des Jahr¬ hunderts, der mit ſolchem Herzen einer Ein¬ tagsfliege die Welt umfaßt?

Er erzaͤhlt, wie er ſich uͤber Fichte's Lehr¬ weiſe in Jena entſetzte, daran verbrannte; wie Fichte ſich in ſeinen Schriften nicht ganz ge¬ hoͤrig uͤber die wichtigſten Sitten - und Staats¬ gegenſtaͤnde erklaͤrt habe. Wie uns deſſen Aeußerungen uͤber Gott und goͤttliche Dinge, uͤber die man freilich beſſer ein tie¬ fes Stillſchweigen beobachtet, von au¬ ßen beſchwerende Anregungen zugezogen.

1795.

Mit Kapellmeiſter Reichardt zerfiel er, mit dem er, ungeachtet ſeiner vor - und zudring¬ lichen Natur, in Ruͤckſicht ſeines bedeutenden Talents in gutem Vernehmen geſtanden; er42 war der Erſte, der mit Ernſt und Staͤtig¬ keit meine lyriſchen Arbeiten durch Muſik ins Allgemeine foͤrderte .... ohnehin lag es in meiner Art, aus herkoͤmmlicher Dankbarkeit unbequeme Menſchen fortzudulden, wenn ſie mir es nur nicht gar zu arg machen, als¬ dann aber meiſt mit Ungeſtuͤm ein ſolches Verhaͤltniß abzubrechen. Nun hatte ſich Rei¬ chardt mit Wuth und Ingrimm in die Revo¬ lution geworfen; ich aber, die graͤulichen un¬ aufhaltſamen Folgen ſolcher gewaltthaͤtig auf¬ geloͤſten Zuſtaͤnde mit Augen ſchauend und zugleich ein aͤhnliches Geheimtreiben im Va¬ terlande durch und durch blickend, hielt ein¬ fuͤr allemal am Beſtehenden feſt, an deſſen Verbeſſerung, Belebung und Richtung zum Sinnigen, Verſtaͤndigen, ich mein Lebenlang bewußt und unbewußt gewirkt hatte, und konnte und wollte dieſe Geſinnung nicht ver¬ hehlen.

43

Goethe, wie alle Grenz-Menſchen das Stadtthor ſeiner Welt, ſie ſchließend, vertheidi¬ gend. Die Gemeinde erweitert ſich, das Thor wird niedergeriſſen oder uͤberbauet und dient zum Durchgange wie fruͤher zur Abwehr.

Reichardt war von der muſikaliſchen Seite unſer Freund, von der politiſchen unſer Wider¬ ſacher, daher ſich im Stillen ein Bruch vor¬ bereitete, der zuletzt unaufhaltſam an den Tag kam.

Ich kannte Reichardt etwas. Er war ein Preuße, das heißt ein Windbeutel. Wo er ſich befand, entſtand gleich ein Luftzug, ſelbſt im verſchloſſenſten Zimmer. Er hatte bewegliche Gefuͤhle, doch er fuͤhlte; man konnte ihn her¬ beiziehen und wegſchieben. Er ſtand nicht, gleich Goethe, wie eine Mauer im Leben da, die, wenn auch mit Obſtſpalieren bedeckt und ver¬ ziert, doch unbeweglich, undurchſichtig bleibt, uns die Ausſicht verſteckt, und uns zu einem44 Umwege noͤthigt, ſo oft wir in Gottes freie Welt gehen oder ſehen wollen. Und naiv iſt Goethe! Er geſteht, er habe Reichardt lieb ge¬ habt, ſo lang er ihm nuͤtzlich geweſen, indem er durch Compoſitionen ſeiner Lieder dieſe ver¬ breiten half; den Reichardt außer Dienſten aber habe er gehaßt. Das iſt ſachdenklich!

1799.

Entwurf der natuͤrlichen Tochter. In dem Plane bereitete ich mir ein Gefaͤß, worin ich alles, was ich ſo manches Jahr uͤber fran¬ zoͤſiſche Revolution und deren Folgen geſchrieben und gedacht, mit geziemendem Ernſte niederzu¬ legen hoffte. Ich will dieſe natuͤrliche Tochter, dieſes vieljaͤhrige Werk geziemenden Ernſtes wieder einmal leſen; aber jetzt nicht, nicht in dieſen rauhen Herbſttagen. Im naͤchſten Som¬ mer, im Juli, in den Tagen, wo man Ge¬ frornes liebt.

45

1800.

Der Propylaͤen drittes und letztes Stuͤck ward bei erſchwerter Fortſetzung gegeben. Wie ſich boͤsartige Menſchen dieſem Unternehmen ent¬ gegengeſtellt, ſollte wohl zum Troſte unſerer Enkel, denen es auch nicht beſſer gehen wird, gelegentlich naͤher bezeichnet werden.

Nun, warum bezeichnet er es nicht naͤher? Warum? Darauf iſt leicht die Antwort gege¬ ben. Goethe beſann ſich, daß etwas zum Troſte der Enkel zu ſagen, wie jede Menſchenfreund¬ lichkeit, nebuliſtiſcher Natur und eines ſo realen Mannes, wie er, ganz unwuͤrdig ſey.

1802.

Goethes Geſinnung uͤber Preßfreiheit ſpricht ſich hier gelegentlich aus. Schlegels Jon kam zur Auffuͤhrung und ſchon am Abende der Vor¬46 ſtellung trat ein Oppoſitions-Verſuch unbe¬ ſcheiden hervor; in den Zwiſchenacten fluͤſterte man von allerlei Tadelnswuͤrdigem, wozu denn die freilich etwas bedenkliche Stellung der Mutter erwuͤnſchten Anlaß gab. Ein ſowohl den Autor als die Intendanz angreifender Auf¬ ſatz war in das Mode-Journal projectirt, aber ernſt und kraͤftig zuruͤckgewieſen; denn es war noch nicht Grundſatz, daß in demſelbigen Staat, in derſelbigen Stadt es irgend einem Glied erlaubt ſey, das zu zerſtoͤren, was an¬ dere kurz vorher aufgebauet hatten.

1803.

Nichts laͤcherlicheres, als bald der ernſte duͤrre Ton, bald die breite kunſtſchmauſende Behaglichkeit, mit welchen Goethe in dieſem ſei¬ nen Buͤchelchen uͤber das kleinſtaͤdtiſche Hof - und buͤrgerliche Stadtbauweſen in Weimar ſich47 ſo oft auslaͤßt. Was der Kunſtfreund an ſol¬ cher Puppen-Architektur ſo Erquickliches finden mochte, daß er noch nach vielen Jahren ſich damit beſchaͤftigt, waͤre ganz unerklaͤrlich, wenn man Goethes Charakter nicht kennte. Des Le¬ bens Behaglichkeit war ihm das Leben ſelbſt. Darum iſt ihm nichts klein, was dieſen Kreis beruͤhrte, darum iſt ihm alles klein, was von dieſem Kreiſe ablag.

1805.

Und in dieſem Buͤchelchen auch, wie in den groͤßten und bedeutendſten Werken Goethes, trat mir was mich immer beleidigt, halb laͤcherlich, halb aͤrgerlich entgegen. Zuvoͤrderſt die hollaͤndi¬ ſche Reinlichkeit des Styls, die jeden Zim¬ merboden mit gekraͤuſelten Sande bedeckt, und oft die Baͤume vor den Haͤuſern mit Oelfarbe anſtreicht. Dann die aufgenoͤthigte Ruhe, das Bleigewicht, das Goethe an jede Empfindung,48 jeden Gedanken ſeiner Leſer haͤngt. Endlich die tyranniſche Ordnung, die Geiſt und Herz nach dem Takte eines Melzel'ſchen Metronomen ſich bewegen heißt.

1806.

Man dachte daran, Oehlenſchlaͤgers Tragoͤdie Hakon Jarl auf die Weimariſche Buͤhne zu bringen, und ſchon war alles dazu vorbereitet. Allein ſpaͤterhin ſchien es bedenklich, zu einer Zeit, da mit Kronen im Ernſt geſpielt wurde, mit dieſer heiligen Zierde ſich ſcherzhaft zu ge¬ baͤrden.

Denkwuͤrdigkeiten, die Goethe von dieſem wichtigen Tage bemerkt. Am 30. Januar der Geburtstag unſerer Großher¬ zogin, und wie das Trompeter-Chor eines Preu¬ ßiſchen Regiments in dem Theater Proben ſei¬ ner außerordentlichen Geſchicklichkeit gegeben. Theater-Repertoir geſchenkte Zeichnungen49 und andere Kunſtnachrichten. Vollſtaͤndiges Verzeichniß der von Goethe durch Gefaͤlligkeit erworbenen Kunſtgegenſtaͤnde. Reiſe nach Carlsbad und dort genoſſene Kupferſammlungen. Farbenlehre. Bei jeder Gefahr haͤlt Goethe ein Prisma vor die Augen, um jene nicht zu ſehen, und ſonderbar genug verſteckt er ſich vor dem Lichte hinter Farben. In Carlsbad: Fuͤrſt Reuß XIII., der mir immer ein gnaͤdiger Herr geweſen, befand ſich daſelbſt, und war geneigt, mir mit diplomatiſcher Gewandtheit das Unheil zu entfalten, das unſern Zuſtand bedrohte. Mineralien.

Ueber eine paͤdagogiſch-militairiſche An¬ ſtalt bei der franzoͤſiſchen Armee gab uns ein trefflicher aus Baiern kommender Geiſtli¬ cher genaue Nachricht. Es werde nehmlich von Offizieren und Unteroffizieren am Sonn¬ tage eine Art von Katechiſation gehalten, wor¬ in der Soldat uͤber ſeine Pflichten ſowohlIII. 450 als auch uͤber ein gewiſſes Erkennen, ſo weit es ihn in ſeinem Kreiſe foͤrderte, belehrt wer¬ de. Man ſah wohl, daß die Abſicht war, durchaus kluge und gewandte, ſich ſelbſt ver¬ trauende Menſchen zu bilden; dieß aber ſetzte freilich voraus, daß der ſie anfuͤhrende große Geiſt demungeachtet uͤber jeden und alle her¬ vorragend blieb und von Raiſonneurs nichts zu fuͤrchten hatte. Daß man ja nicht denke, indem er ſolche Schulen lobend erwaͤhnt, er ſey der Meinung, daß man aus einem Sol¬ daten einen denkenden Menſchen machen ſollte. Der Unterricht iſt nur das Oel, womit man das Rad einer Maſchine ſchmieret, daß dieſe beſſer gehe. Raiſonniren ſoll das Rad nicht, ſondern nur geſchmeidiger werden, um der len¬ kenden Hand zu folgen.

Die praͤgnante Unterhaltung mit meinem Fuͤrſten im Hauptquartier zu Niederrosla moͤchte ſchwer auszuſprechen ſeyn.

51

Und als beim Herankommen des Ungewit¬ ters Jedermann aͤngſtlich einen Schlupfwinkel ſuchte, rief Goethe, als man eben die erſten Lerchen ſpeiſte, aus: Nun, wenn der Himmel einfaͤllt, ſo werden ihrer viele gefangen werden.

1807.

Schrieb in Carlsbad eine kleine mineralo¬ giſche Abhandlung. Ehe der kleine Aufſatz nun abgedruckt werden konnte, mußte die Billigung der obern Prager Behoͤrde eingeholt werden, und ſo hatte ich das Vergnuͤgen, auf einem meiner Manuſcripte das visa der Pra¬ ger Cenſur zu erblicken.

In Carlsbad erwieß ihm die Fuͤrſtin Solms ein gnaͤdiges Wohlwollen.

1808.

Bekennt, daß er ſeit einigen Jah¬ ren keine Zeitungen geleſen. Nach4 *52Carlsbad aber nahm er die Jahrgaͤnge 1805 bis 1807 der allgemeinen Zeitung mit, ein Blatt, das er wegen ſeiner klugen Redar¬ tation noch leiden mag.

Schrieb ein Gedicht zu Ehren und Freu¬ den der Frau Erbprinzeſſin von Heſſen-Caſſel.

1810.

Die Gegenwart der Kaiſerin von Oeſter¬ reich Majeſtaͤt in Carlsbad, rief gleich ange¬ nehme Pflichten hervor, und manches andere kleine Gedicht entwickelte ſich im Stillen.

1811.

Er und andere gingen nach Wehnditz, ei¬ nem Dorfe bei Carlsbad, und tranken Ungar¬ wein. Man trug ſich uͤber eine ſolche Wall¬ fahrt mit folgender Anekdote: Drey bejahr¬ te Maͤnner gingen nach Wehnditz zum Weine!

53
Obrist Otto, alt ...87 Jahr
Reimſchneider Muͤller.84
Ein Erfurter ...82
253 Jahre.

Sie zechten wacker, und nur der letzte zeigte beim Nachhauſegehen einige Spuren von Beſpitzung; die beiden andern griffen dem Juͤn¬ gern unter die Arme, und brachten ihn gluͤck¬ lich zuruͤck in ſeine Wohnung.

1813.

Durch die Kriegsereigniſſe geaͤngſtigt ſuchte er Ruhe, indem er ſich mit ernſtlichſtem Stu¬ dium dem chineſiſchen Reiche widmete.

Hier muß ich noch einer Eigenthuͤmlichkeit meiner Handlungsweiſe gedenken. Wie ſich in der politiſchen Welt irgend ein ungeheures Bedrohliches hervorthat, ſo warf ich mich ei¬ genſinnig auf das entfernteſte.

54

Unter den kleinen Bemerkungen uͤber die Ereigniſſe des Tages findet ſich: Die Frei¬ willigen betragen ſich unartig und nehmen nicht fuͤr ſich ein.

1816.

Man verzeiht Goethe faſt die kindiſche Auf¬ regung, in welche ihn jeder Widerſpruch ſeiner Farbenlehre verſetzt, weil er doch da einmal aus ſeinem engen Egoismus, wenn auch auf verbotenem Wege, heraustritt, weil ihn doch da einmal das Urtheil der Menſchen kuͤmmert. Profeſſor Pfaff ſandte mir ſein Werk gegen die Farbenlehre, nach einer den Deutſchen an¬ gebohrenen unartigen Zudringlichkeit. Das kann doch den Deutſchen wahrlich ihr aͤrgſter Feind nicht nachſagen, daß ſie unartig zudring¬ lich waͤren. Nur zu ſchuͤchtern und artig ſind ſie! Goethe legte das Buch ungeleſen bei Seite!

55

Goethe war vergnuͤgt und wie in Baum¬ wolle gehuͤllt, als ihn ein Donner aufſchreckte. Ein ſolcher innerer Friede ward durch den aͤußern Frieden der Welt beguͤnſtigt, als nach ausgeſprochener Preßfreiheit die Ankuͤndigung der Iſis erſchien, und jeder wohldenkende Weltkenner die leicht zu berechnenden weitern Folgen mit Schrecken und Bedauern voraus¬ ſah.

1817.

Ein Symbol der Souverainitaͤt ward uns Weimaranern durch die Feierlichkeit, als der Großherzog von Thorn dem Fuͤrſten von Thurn und Taxis, in ſeinem Abgeordneten, mit dem Poſtregal belieh, wobei wir ſaͤmmtlichen Diener in geziemendem Schmuck, nach Rangsgebuͤhr erſchienen.

Zu jener Zeit ſtudirten in Jena und Leip¬ zig viele junge Griechen. Der Wunſch, ſich56 beſonders deutſche Bildung anzueignen, war bei ihnen hoͤchſt lebhaft, ſo wie das Verlan¬ gen, allen ſolchen Gewinn dereinſt zur Auf¬ klaͤrung, zum Heil ihres Vaterlandes zu ver¬ wenden. Ihr Fleiß glich ihrem Beſtreben; nur war zu bemerken, daß ſie, was den Hauptſinn des Lebens betraf, mehr von Wor¬ ten als von klaren Begriffen regiert werden!

Papadopulos, der mich in Jena oͤfters beſuchte, ruͤhmte mir einſt im jugendlichen Enthuſiasmus den Lehrvortrag ſeines philoſo¬ phiſchen Meiſters. Es klingt, rief er aus, ſo herrlich, wenn der vortreffliche Mann von Tugend, Freiheit und Vaterland ſpricht. Als ich mich aber erkundigte, was denn dieſer vortreffliche Lehrer eigentlich von Tugend, Freiheit und Vaterland vermelde, erhielt ich zur Antwort: Das koͤnne er ſo eigentlich nicht ſagen, aber Wort und Ton klaͤngen ihm ſtets vor der Seele nach: Tu¬57 gend, Freiheit und Vaterland. Gott welch 'ein Spott! Die Griechen haben es wohl ge¬ zeigt, was ſie darunter verſtehen, wenn auch der edle Juͤngling Tugend, Freiheit und Vater¬ land nach Goethes duͤrrer Weiſe nicht zu ſchematiſiren verſtand.

Hierauf ward mir das unerwartete Gluͤck, Ihro des Großfuͤrſten Nicolaus und Gemah¬ lin Alexanders Kaiſerliche Hoheit, im Gebiet unſerer gnaͤdigſten Herrſchaften bei mir im Haus und Garten zu verehren. Der Frau Großfuͤrſtin Kaiſerliche Hoheit vergoͤnnten eini¬ ge poetiſche Zeilen in das zierlich praͤchtige Album verehrend einzuzeichnen. Das ſchrieb er in ſeinem 71ſten Jahre. Welche Jugend¬ kraft!

58

Vierter Brief.

Dieſe Woche war wieder ſehr reich an Begebenheiten: die Verwerfung der Reform - Bill in England, und die abgeſchaffte Erblich¬ keit der Pairs in Frankreich. Dort hat die Ariſtokratie geſiegt, hier hat ſie eine Niederlage erlitten. Es iſt eine Compenſation und es wird dabei fuͤr die gute Sache nichts gewonnen, und nichts verlohren. Der Sieg des Adels in Eng¬ land kann dort eine Revolution und die Volks¬ herrſchaft zur Folge haben; dagegen kann die59 Abſchaffung der Erblichkeit der Pairs in Frank¬ reich wieder zum Abſolutismus fuͤhren. Wenn es noch eines Anlaſſes beduͤrfte, den Haß der großen Maͤchte gegen Frankreich zu entflammen, ſo iſt er jetzt durch Herabwuͤrdigung der fran¬ zoͤſiſchen Ariſtokratie gefunden. Die Familie Von in Oeſterreich und Preußen wird ihre Ver¬ wandtſchaft raͤchen. In Deutſchland nimmt alles ſo eine ſchlechte Wendung, wie ich es vorher geſehen. Die Badiſche Kammer iſt dem Preu¬ ßiſchen Mauthſyſteme beigetreten, das heißt, es hat ſich der preußiſchen Politik unterworfen. Und alle Deputirten, die ich dieſen Sommer in Carlsruhe geſprochen, haben doch gegen dieſe verderbliche Allianz mit Preußen wie gegen Gift geeifert. Welche Menſchen! Mit ihrer Pre߬ freiheit iſt es auch nichts. Ein in Carlsruhe erſcheinendes franzoͤſiſches Blatt, ob es zwar unter Cenſur ſtand, iſt auf Antrag des Bundes¬ tags unterdruͤckt worden. Ich habe mit der60 Hoffnung auch alle Maͤßigung aufgegeben. Ich werde kuͤnftig uͤber Politik nicht mehr ſchreiben, wie ich es bis jetzt gethan. Maͤßigung wird ja doch nur fuͤr Schwaͤche angeſehen, die zum Ueber¬ muthe, und Rechtlichkeit fuͤr Dummheit, die zum Betruge auffordert. In dem erſten Ar¬ tikel meines projektirten Journals trete ich mit einer trotzigen Kriegserklaͤrung hervor. Ich ſage unter andern: In fruͤhern Zeiten hatten wir die friedliche Wage in unſrem Schilde gefuͤhrt. Gluͤhendes Gefuͤhl, unſere Liebe und unſern Zorn, unſere Hoffnung und unſere Furcht, den wilden Sturm des Herzens alles brachten wir unter Maaß, und brachten Ordnung in jede Leidenſchaft. Zwar wurden die Machtha¬ ber immer von uns verwuͤnſcht, weil ſie trotzig behaupten, das Gluͤck und die Freiheit der Welt ſey ihr Eigenthum und von ihrem guten Willen, von ihrer eigenen Schaͤtzung hinge es ab, wie viel ſie den Voͤlkern davon zuruͤckhal¬61 ten, davon uͤberlaſſen, und welchen Preis ſie dafuͤr verlangen moͤgen. Aber wir dachten: es ſey! mit Kraͤmern muß man feilſchen; da iſt Gold, da iſt die Wage. Aber ſie ſtrichen das Geld ein, und warfen hoͤhniſch das Schwert in die Schaale. Wollt Ihr's ſo? Nun es ſey auch. Schwert gegen Schwert .... Denn ſeit wir geſehen, daß der juͤngſte Koͤnig um die Gunſt der aͤlteſten Tyrannen buhlt, und die aͤlteſten Tyrannen ſelbſt den Raub einer Krone laͤchelnd verzeihen, wird nur zu¬ gleich mit der Krone die Freiheit auch geraubt ſeitdem hoffen wir nichts mehr von fried¬ licher Ausgleichung. Die Gewalt muß ent¬ ſcheiden. Beſiegen koͤnnt Ihr uns, aber taͤu¬ ſchen nicht mehr. Ich werde das Journal die Glocke nennen.

Das Wetter hier macht einem ganz ver¬ wirrt. Im October zwanzig Grad Waͤrme! Vielleicht hat der Himmel beſchloſſen, daß ſich62 die Fuͤrſten noch dieſen Herbſt die Haͤlſe bre¬ chen. Man fuͤrchtet Unruhen in England. Nach geſtern angekommenen Nachrichten hat das Volk in der Provinz das Landhaus eines Pairs abgebrannt, der gegen die Reform ge¬ ſtimmt. Wellington ſoll ſein Haus verrammelt haben. Wenn es in England Revolution giebt, werden die Alliirten uͤber Frankreich herfallen, wovon ſie bis jetzt nur die Furcht vor England abgehalten.

Ich war vor einigen Tagen zum Erſtenmale im neuen Theater des Palais-Royal, wo ei¬ nige ganz allerliebſte Stuͤcke mich ſehr unter¬ halten, und mir das ſaure Blut etwas verſuͤßt haben; beſonders that das ein Vaudeville: Le Tailleuret la Feé, ou Les chansons de Bèrenger. Berangers Großvater, ein armer Schneider, ſitzt und naͤht. Neben ihm in der Wiege flennt der kuͤnftige Dichter, der eben auf die Welt gekommen. Die herbeigeru¬63 fene Amme erſcheint, verwandelt ſich in eine Fee, und zwar in die Geſtalt der Goͤttin der Freiheit, den Spieß in der Hand, die rothe Muͤtze auf dem Kopfe. Sie gelobt dem alten Schneider, ſeinen Enkel das ſchoͤnſte Lebensloos zu ſchenken, ihn zum Freiheitsdichter zu ma¬ chen. Jetzt erſcheinen, von dem Zauberſtabe der Fee herbeigerufen, die Hauptlieder Beranger's, unter allegoriſchen Perſonen. Zuletzt wird ſeine Buͤſte bekraͤnzt. Es iſt eine vollkommene Apo¬ theoſe.

Beranger's Herkunft und Geburt ſind im Vaudeville hiſtoriſch dargeſtellt. In ſeinem Lie¬ de Le Tailleur et la Fée, erzaͤhlt der Dichter:

Dans ce Paris plein d'or et de misère,
En l'an de christ mil sept cent quatre vingt,
Chez un tailleur, mon pauvre et vieux grand père,
Moi nouveau , sachez ce qu'il m'advint.
64
Rien ne prédit la gloire d'un Orphée
A mon berceau, qui n’était pas de fleurs;
Mais mon grand pére, accourant é mes pleurs,
Me vit soudain dans les bras d'une Fée.
Et cette Fée avec de gais refrains,
Calmait le cri de mes premiers chagrins.

Es iſt etwas, das die heutige franzoͤſiſche Regierung lauter verdammt, als die Millionen der Getaͤuſchten; ſchwarze faͤrbt, als alle Ta¬ gesblaͤtter der Unzufriedenen: Beranger hat ſeit der letzten Revolution nicht ein einziges Lied geſungen. Gleich in den erſten Tagen machte ihm die boͤſe Ahndung deſſen, was kommen werde, das Herz, und bald darauf die Erfuͤllung der ſchlimmſten Be¬ ſorgniß die Zunge ſchwer. Selbſt die Hoffnung mochte ihm nicht geblieben ſeyn, die ihm doch unter dem Drucke der Zeiten, da die aͤltern Bourbons herrſchten, zu Wein - Liebes - Frei¬ heits - und Spottliedern begeiſtern konnten. 65Die neuen Machthaber warfen auch nach Be¬ ranger ihre goldene Angel aus; doch er ließ ſich nicht koͤdern und ſchwieg, und dieſes ſtumme Lied ſchalt lauter gegen die Tyrannei, als es irgend eines ſeiner fruͤhern Lieder gethan.

Ich habe Ihnen ſchon geſagt, daß ich an¬ fange mich mit der bildenden Kunſt zu beſchaͤf¬ tigen, und wie ernſt es mir damit iſt, habe ich neulich an meinem erſten Beſuche im Muſeum ſelbſt erprobt. Ich habe zum erſtenmale in mei¬ nem Leben alles ſo bedaͤchtig, ſo genau betrach¬ tet, daß ich nach zwei Stunden nicht uͤber das erſte Zimmer hinausgekommen, obzwar wenig Bedeutendes und Erfreuliches an Kunſtwerken darin aufbewahrt wird. Es iſt etwas, meinen alten Geiſt aufzufriſchen, ihm einen neuen Standpunkt fuͤr alte Betrachtungen zu verſchaf¬ fen. Das Licht wird mir mit der Zeit wohl aufgehen, und ich mache mich jetzt ſchon uͤber mich ſelbſt luſtig, wie ich mich einmal ſpaͤterIII. 566oͤffentlich uͤber Kunſt werde vernehmen laſſen. Freilich fehlt mir etwas, was zum vollkomme¬ nen Verſtaͤndniß der Kunſtwerke ganz unent¬ behrlich iſt, nehmlich die Technik. Aber ich werde dieſe Unwiſſenheit, wie manche andere, ſchon durch rothe, gruͤne und gelbe Worte zu bedecken wiſſen.

Die Gnade des Kaiſers von Rußland gegen die ungluͤcklichen Polen ſteht in voller Bluͤthe. In Warſchau ſind ſchon funfzehnhun¬ dert Perſonen eingekerkert worden, und alle Fluͤchtlinge werden mit Steckbriefen verfolgt, wozu der gute Schwiegervater behuͤlflich iſt. Wird denn die Zeit niemals kommen, daß ſich die Voͤlker auch verſchwaͤgern und einander in der Noth beiſtehen?

Der Baron *** aus Wien, deſſen ich ſchon erwaͤhnt, ſagte mir, in Wien waͤre kein gebildet Haus, in dem man nicht meine Schrif¬ ten haͤtte. Voriges Jahr war er in der Schweiz67 und blieb vier ganze Wochen oben auf dem Rigi. Ich fragte ihn: ob er Geſellſchaft bei ſich gehabt? Er erwiederte: Ich war in Ihrer Ge¬ ſellſchaft dort. Er hatte nehmlich meine Werke bei ſich. Eigentlich habe ich die Wiener gern. Sie leſen weniger, beſonders Journale, und haben darum keinen verſchlemmten, abgenutzten Geiſt. Wenn ſie Verſtand haben iſt er ſelbſt¬ ſtaͤndiger, origineller als der der Nordlaͤnder. Dabei ſind ſie gutmuͤthig und ſind ganz gluͤck¬ lich, wenn man ihren Kaiſer lobt.

5*68

Auf den Boulevards und was noch wunder¬ licher iſt, auf dem Platze vor der Boͤrſe, findet man jetzt ſehr haͤufig Bibeln zum Verkaufe aus¬ geſtellt. Die heilige Waare liegt auf der Erde unter andern profanen Buͤchern oder ſonſtigem ſchlechten Troͤdel. Sie ſind ſehr wohlfeil und gehen gut ab. Sie ſtammen von der hieſigen Bibelgeſellſchaft, die ſie unentgeldlich austheilt, worauf ſie denn, wie billig, von den Geſchenk¬ nehmern verkauft werden. Geſtern ſah ich einen wohlgebildeten Mann, von etwa funfzig Jahren, der ſich eben auf der Straße eine ungerupfte wilde Ente gekauft, die er mit Muͤhe in die linke Rocktaſche zwaͤngte, gleich darauf auch eine Bibel kaufen, die er unter dem rechten Arme forttrug. Es gefiel mir ungemein, daß er ſich weniger[ſ]chaͤmte di[e]Bibel als die Ente oͤffent¬69 lich zu tragen, und daß er um die letztere laͤnger gefeilſcht als um die erſtere. Ah je respire! Da iſt Ihr Brief. Was kann ich dafuͤr? Ich bin Ihr gelehriger Schuͤler immer geweſen, ich kann die Angſt nicht laſſen.

Aber was faͤllt Ihnen ein? Warum zwei¬ feln Sie, daß ich in Paris vergnuͤgt ſey? Pa¬ ris gefaͤllt mir wie immer. Da ich mich aber wie zu Haus fuͤhle, hat es natuͤrlich zwar immer noch den Reitz, aber nicht mehr den Ueberreitz der Neuheit. Ich genieße ruhiger, und Deutſchland liegt ſo ferne von meinem Sin¬ ne, daß ich es, wie fruͤher geſchehen, mit Frank¬ reich gar nicht mehr vergleiche.

70

Fuͤnfter Brief.

Es iſt wieder von Stiftung einer deutſchen Zeitung in Paris die Rede, und wenn ſie zu Stande koͤmmt, werde ich wahrſcheinlich beſon¬ ders thaͤtig dabei ſeyn. Einflußreiche Franzoſen fangen an einzuſehen, wie wichtig fuͤr Frank¬ reich ſelbſt deutſche liberale Zeitungen werden koͤnnen, und man zeigt ſich geneigt mit Geld und auf andere Weiſe zu unterſtuͤtzen. Ich werde da freilich ſehr vorſichtig ſeyn muͤſſen, daß ich meine Unabhaͤngigkeit nicht verliere. Doch brauche ich nicht zu aͤngſtlich zu ſeyn;71 denn ich hoͤre Ketten ſchon im ſiebenten Him¬ mel raſſeln, und habe immer Zeit meine Frei¬ heit ſicher zu ſtellen. Wer von den hohen Per¬ ſonen die Sache angeregt, das weiß ich eigent¬ lich noch gar nicht; denn was man mir zu verſtehen gegeben, glaube ich nicht. Ich werde mich aber gewiß in nichts einlaſſen, bis ich die Hand gedruͤckt, die den erſten Ring faßt; ſonſt koͤnnte geſchehen, daß ich glaubte mit dem Teu¬ fel zu thun zu haben, und haͤtte doch mit Beel¬ zebub zu thun gehabt. Das wird der ganze Unterſchied ſeyn zwiſchen meinen verſchiedenen Vermuthungen. Doch das ſchreckt mich nicht ab, man muß leben und leben laſſen, und wenn ich der guten Sache nuͤtzlich ſeyn kann, moͤgen An¬ dere auch ihren perſoͤnlichen Vortheil dabei finden.

Intriguen, die ich in Baden ſchon geahn¬ det, wurden mir hier beſtaͤtigt. Die Wohl¬ feilheit, bei einer an deutſchen Zeitungen un¬72 gewoͤhnlichen Schoͤnheit des Drucks und Pa¬ piers, der in Muͤnchen erſcheinenden Tri¬ buͤne, der myſterioͤſe Umſtand, daß ein Pforzheimer Kaufmann (Wuͤrtembergiſcher Un¬ terthan) aus Patriotismus die Fonds dazu hergiebt der Geiſt der Widerſetzlichkeit ge¬ gen die Baieriſche Regierung, der das Blatt beſeelt gab mir allerlei Vermuthungen. In Paris, wo man alles erfaͤhrt, habe ich denn endlich erfahren, daß der Koͤnig von Wuͤrtemberg die Tribuͤne geſtiftet und be¬ zahlt, um ſie als Waffe gegen Baiern zu ge¬ brauchen. Baiern hat ſich nehmlich im kuͤnf¬ tigen Kriege gegen Frankreich an die heilige Allianz angeſchloſſen. Baden, Wuͤrtemberg und andere kleine Staaten ſollen ganz auf¬ geloͤßt und zwiſchen Oeſterreich, Preußen und Baiern getheilt werden. Und ſo weiter.

In Stuttgart laͤßt jetzt die Regierung auch eine Zeitung errichten, um der Oppoſi¬73 tion widerſtehen zu koͤnnen (ſo wird geſagt); wohl eigentlich aber mehr, ſich der Despotie des deutſchen Bundes entgegen zu ſetzen. Sie hat zum Redacteur einen guten Schrift¬ ſteller, Profeſſor Muͤnch, berufen, und giebt ihm drei tauſend Gulden Gehalt. Lindner iſt Mit-Redacteur. Auch an der Tribuͤne ſchreibt er viel. Wo auch immer im Gehei¬ men etwas Moraliſches vorgeht, er muß dabei ſeyn.

Der Koͤnig von Baiern, den man neu¬ lich fragte, welche Anſtalten man fuͤr ihn und ſein Haus gegen die Cholera treffen ſolle? hat darauf zur Antwort gegeben: Gar keine. Bin ich nicht an den Staͤnden geſtorben, wird mich auch die Cholera verſchonen. Alſo Frei¬ heit und Peſt ſind einem Koͤnige ganz ei¬ nerlei! Auch der Freiheit Peſt und Koͤnig.

5*74

Ich war ſeit einer Woche zweimal im italieniſchen Theater, und habe die Paſta und den vergoͤtterten Rubini gehoͤrt, beide im Othello und Tankred. Die Paſta ſoll an dem einen Ende ihrer Stimme einige Toͤne verloren, dafuͤr aber an dem andern einige Toͤne gewonnen haben. Ob oben oder unten, weiß ich nicht. Die Paſta ſingt immer noch herrlich, aber ihre Stimme drang mir nicht in das Herz. Ihr Vortrag iſt hoͤchſt edel, aber kalt, plaſtiſch, antik; ſie ſingt nicht chriſtlich. In Glucks Opern waͤre ſie an ih¬ rer Stelle. Das iſt mein Urtheil. Die an¬ dern finden nichts an ihr zu wuͤnſchen uͤbrig. Als Desdemona verglich ich ſie mit meiner immer noch angebeteten Malibran, und dieſe Vergleichung konnte ſie nicht ertragen. Ru¬75 bini's verherrlichter Geſang ließ mich auch kalt; ich liebe dieſe ſtaͤhlernen Stimmen nicht, und dann hat ſeine Stimme etwas reſonni¬ rendes, eine Art Echo hinter ſich. Aber meine Ignoranz bleibt unter vier Augen. Als Tankred gefiel mir die Paſta beſſer, das fra tanti palpiti haͤtten Sie hoͤren ſollen. Es war naͤrriſch daruͤber zu werden. O ihr ar¬ men deutſchen Kleinſtaͤdter mit euern Acht¬ zehn-Batzen-Prima-Donnas! Eine dicke deutſche Dame, und wahrſcheinliche Berlinerin, die hinter mir ſaß und die ich, noch ehe ſie Deutſch ſprach, daran als Landsmaͤnnin er¬ kannte, daß ſie bravo ſtatt brava ſchrie, ſchwitzte Entzuͤcken. Ich mußte ihr ge¬ radezu ins Geſicht lachen. Dieſen Winter iſt die italieniſche Oper auf allen Vorplaͤtzen, Treppen, Corridors, von unten bis oben, mit ſcharlachrothem Tuche bedeckt. Man glaubt in einem Pallaſte zu ſeyn. Das hat noch76 gefehlt, dieſem adeligen Vergnuͤgen voͤllig ein ariſtokratiſches Anſehn zu geben. Zwiſchen den Akten habe ich, wie es die jungen Leute pflegen, in alle Logen hineingeſehen. (Sie erinnern ſich, daß die Logenthuͤren Fenſter ha¬ ben.) Die Pracht und der Geſchmack der weiblichen Anzuͤge gewaͤhrte wirklich einen herr¬ lichen Anblick, ſelbſt maͤnnlichen, alten und ſchon beſchaͤftigten Augen, wie die meinen. Aber beim Ausgange aus dem Theater ließ ich alle die geputzten Damen die Muſterung paſſiren, und es fanden ſich nicht zwei ſchoͤne Geſichter darunter, wahrhaftig nicht zwei!

Sagen Sie mir, was hat das fuͤr einen Grund, daß in der letzten Zeit der Frankfur¬ ter Senat einige außergewoͤhnliche Heiraths¬ erlaubniſſe ertheilt? Iſt das contagioͤs oder miasmatiſch? Auf jeden Fall iſt es eine Ko¬ meten-artige Erſcheinung und Vorlaͤufer der Cholera. Der Senat und der geſetzgebende77 Koͤrper ſollten ſich Flanellbinden um den Kopf wickeln, vielleicht ſchwitzen ſie die roſtrothe Phi¬ liſterei aus, und werden geſund.

*** iſt geſtern nach Amerika zuruͤckge¬ reiſt. Das iſt ein unordentlicher Menſch! So arg habe ich es doch nie getrieben. Um fuͤnf Uhr wollte er abreiſen, und um drei Uhr traf ich ihn ganz athemlos auf der Straße laufen, erſt bei ſeinem Bankier das noͤthige Geld zu holen. Dann begleitete ich ihn nach Hauſe. Seine zwei großen Koffer wuͤrden erſt gepackt und wie! Noch naſſe Federn, mit denen er eben erſt geſchrieben, wurden im Koffer auf die Waͤſche gelegt. Waͤhrend gepackt wurde ſchrieb er eine Vorſtellung an den Koͤnig. Kein Accent im ganzen Briefe. Dann legte er ihn zuſammen, wie einen Waͤſchzettel, und ließ die Beſorgung an den Koͤnig dem Por¬ tier zuruͤck. Dazwiſchen kamen Rechnungen, Beſuche es war den Schwindel zu bekom¬78 men. Wenn er den Poſtwagen nicht verſaͤumt, hat er Gluͤck gehabt. Denn er wollte auf dem Wege noch Seidenwaaren fuͤr ſeine Fa¬ milie einkaufen. Eine gluͤckliche Natur! Bei Tiſche haͤtten Sie ihn ſehen ſollen, wenn ich und *** Witze machten. Da er nie weni¬ ger als ein halbes Pfund Fleiſch auf einmal in den Mund nimmt, brachte ihn ſein Lachen oft dem Erſticken nahe.

Warum iſt denn der dumme *** nach *** zuruͤck? Warum hat er ſich fangen laſſen? Hoffte er, ſeine Dummheit wuͤrde ihn vor Verfolgung bewahren? Dann kannte er wenig unſere Zeit. Dumm zu ſeyn, auch oh¬ ne weiteres Vergehen, wird heute als ein Ein¬ griff in die Majeſtaͤtsrechte angeſehen, und als ſolches beſtraft.

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Seit der Revolution ſind die Theater voͤl¬ lig frei, und alle Cenſur der aufzufuͤhrenden Stuͤcke iſt aufgehoben. Nun hatte vorgeſtern das Theater des Nouveaut é s ein neues Drama Procès d'un maréchal de France angekuͤndigt. Der Prozeß des Marſchalls Ney ſollte darin vorgeſtellt werden, die Pairs¬ kammer erſcheinen, vollſtaͤndiges Gericht gehal¬ ten, und alle Pairs beim Namen aufgerufen werden, die fuͤr oder gegen Neys Tod ge¬ ſtimmt. Die Regierung fuͤrchtete die uͤblen Folgen, und daß hierdurch der Haß, den man hier gegen die Pairs hat, noch mehr angefacht werden moͤchte. Sie ließ alſo durch die Poli¬ zei die Auffuͤhrung des Stuͤckes verbieten. Der Theater-Director erklaͤrte, er werde ſich an das Verbot nicht kehren, da es geſetzwidrig80 waͤre, und ließ Abends ſein Haus oͤffnen. Da wurde aber das Theater von der Polizei um¬ ſtellt, Jedem der Eingang ins Haus verwehrt, und ſo die Auffuͤhrung mit Gewalt verhindert. Geſtern war das Stuͤck abermals angekuͤndigt, und das Haus abermals geſperrt. Ich war beide Abende zugegen. Der ganze Boͤrſenplatz war von der bewaffneten Macht und dem Vol¬ ke beſetzt; letzteres verhielt ſich aber ruhig. Der Theater-Director hat gegen dieſe Gewalt proteſtirt und erklaͤrt, er wuͤrde jeden Abend das Stuͤck ankuͤndigen laſſen, die Polizei bei den Gerichten belangen, und um Schadener¬ ſatz anhalten. Nun will ich zwar gerne glau¬ ben, daß das Drama ſkandaloͤs ſeyn, daß es Unruhe erregt haben mag, und daß die belei¬ digten Pairs Grund genug bekommen haͤtten, den Theater-Director und den Verfaſſer vor Gericht zu ziehen. Aber die Auffuͤhrung durf¬ te nicht verhindert werden, denn durch die81 neue Charte iſt alle vorhergehende Cenſur auf¬ gehoben, und die Regierung hat ſich hierbei einer wahren Verletzung der Conſtitution ſchul¬ dig gemacht. Es iſt eine Ordonanz-Geſchich¬ te in kleinem Fuße.

III. 682

Sechster Brief.

Von einem merkwuͤrdigen Werke, das zehn Baͤnde haben wird, iſt geſtern der erſte Theil erſchienen. Er liegt vor mir auf mei¬ nem Tiſche, ich habe ihn aber noch nicht ge¬ leſen. Sie ſollen ſpaͤter daruͤber genaue Re¬ chenſchaft bekommen. Das Buch heißt: Pa¬ ris, ou le Livre des cent-et-un. Wie auch das Buch beſchaffen ſeyn mag, auf jeden Fall iſt es eine von den Erſcheinungen, wie ſie nur Paris hervorbringt, und die Allen, die im Geiſte leben, den hieſigen Aufenthalt ſo ange¬83 nehm machen. Das Buch iſt auf folgende Art entſtanden. Ladvocat, einer der bedeu¬ tendſten hieſigen Buchhaͤndler, iſt durch den Druck dieſer Zeit in Noth und Verlegenheit gekommen. Ihm aufzuhelfen haben alle die Schriftſteller, die ihre Werke fruͤher von ihm herausgeben ließen, ſich vereinigt, gemeinſchaft¬ lich ein Buch zu ſchreiben, und es dem Lad¬ vocat unentgeldlich zu uͤberlaſſen. Sie haben zu dieſem guten Werke noch andere Schrift¬ ſteller eingeladen, ſo daß der Verein bis zu hundert und ſechszig angewachſen iſt. Das er¬ laſſene Circular lautet wie folgt: Les sous¬ signés, voulant donner a Mr. Ladvocat, libraire, un témoignage de l'intérêt qu'il cheuses il se trouve, par toutes les pertes qu'il a éprouvées depuis un an,[ont] résolu de venir à son secours en s'engageant à lui donner chacun au moins deux chapitre6 *84 qui devront composer un ouvrage intitulé: le Diable boiteux à Paris, ou Paris et les moeurs comme elles sont. Ils invitent tous les hommes de lettres qui n'étaient pas présentes à leur réunion, à venir se joindre à eux pour secourir un libraire qui a si[puissaimmest] contribué à donner de la valeur aux productions de l'esprit, et à consacrer l'indépendance de la profession des hommes de lettres. Darauf folgt das alphabetiſche Verzeichniß von hundert und ſechszig Schriftſtellern, worunter alle Bedeutende, die Frankreich hat: Béranger, Chateaubriand, Cuvier, Delamartine, Dela¬ vigne, Salvandy, Etienne, Guizot, Victor - Hugo, Jouy, Kératry, Mignet, Royer-Col¬ lard, Scribe, Thiers, Villemain u. ſ. w. Ladvocat ſagt: dans l'impossibilité se trouve l'Editeur de témoigner sa reconnais¬ sance à la littérature contemporaine pour85 la bienveillance toute paternelle qu'elle lui a prodiguée, il se borne à imprimer l'en¬ gagement et la liste des hommes de let¬ tres, qui sont venus à son aide avec tant de zèle et de chaleur; il conserve cette liste chargée de leurs noms comme on con¬ serverait des lettres de noblesse acquises sur le champ d'honneur. Das Buch kann nur hoͤchſt intereſſant ſeyn. Denn ſind auch unter deſſen Verfaſſern Schriftſteller von min¬ derer Bedeutung, wie unſer Paul de Kock und ſolche andere, ſo muß doch das dem Wer¬ ke, wegen ſeiner beſondern Art und Beſchaf¬ fenheit, einen Werth mehr geben. Es wird nehmlich ein neues Tableau de Paris gleich dem von Mercier, Jouy und andern. Aber dieſe ſind alt, und da die Sitten ſich veraͤn¬ dert, nicht mehr treu. Uebrigens wurden jene Tableaux immer nur von einem Verfaſſer geſchrieben; die Anſichten der Pariſer Dinge86 und Verhaͤltniſſe muͤßten daher individuelle bleiben. Jetzt aber beobachten hundert und ſechszig Menſchen, jeder von ſeinem Stand¬ punkte aus; das Gemaͤhlde muß daher treuer werden. Und es ſind Schriftſteller von den verſchiedenſten Geiſtesrichtungen und buͤrgerli¬ chen Verhaͤltniſſen und Geſinnungen. Proſai¬ ker und Dichter, Philoſophen und Dramatiker, Staatsmaͤnner, Deputirte, alte und junge, Maͤnner und Weiber, Claſſiker und Roman¬ tiker, Liberale, Miniſterielle, Ultras, Royali¬ ſten, Karliſten, Buonapartiſten. Dieſe werden ſich ſelbſt zeichnen, und das iſt der Gewinn. Selbſt gemeine Schriftſteller, wie Pigault-Le¬ bruͤn, Paul de Kock muͤſſen dem Buche zum Vortheile gereichen, denn ſolche Naturen be¬ merken vieles in der Welt, was beſſern und geiſtreichern Menſchen entgeht.

Warum die Tribuͤne nicht im Frankfur¬ ter Caſino gehalten wird, will ich Ihnen er¬87 klaͤren. Erſtens: durfte ſie die Frankfurter Poſt wahrſcheinlich nicht kommen laſſen, und zweitens: war das auch nicht der Fall, ſo haben die Herren Geſandten ihre Anhaͤnger im Caſino, die es anzuſtellen wiſſen, daß je¬ nes Blatt nicht angeſchafft wird. Uebrigens hat die Tribuͤne aufgehoͤrt. Wie ich geſtern erfahren, hat der Redakteur Wirth ſich ge¬ fluͤchtet, weil er erfahren, daß er gleich nach der Aufloͤſung der Kammern arretirt werden ſolle, und daß es ihm dann ſchlecht ergehen wuͤrde. O wie habe ich alles vorhergeſehen, vorhergeſagt, und wenn meine Briefe nicht ſchoͤn ſind, werden ſie doch wahr ſeyn! Ha¬ ben Sie in den Zeitungen die Note des ruſ¬ ſiſchen Kaiſers an die kleinen deutſchen Hoͤfe geleſen? Gleich nach dem Falle Warſchau's ſtieg ſeine Sprache vom kalten Null bis zu 20 Grad Unverſchaͤmtheit. Er ſagt ihnen: es waͤre endlich einmal Zeit, daß ſie dem re¬88 volutionairen Unfug in ihren Staaten ein En¬ de machten; er droht ihnen mit ſeinem Bei¬ ſtande, wenn ſie ſich allein nicht zu helfen vermoͤchten. Und gleich haben die kleinen Voͤgel gepipſt wie der alte Vogel geſungen. Die kleinen Miniſterchen in Karlsruhe, die dieſe ganze Zeit uͤber gelispelt, wie eine Kind¬ betterin nach ſchwerer Geburt, fangen jetzt an und bruͤllen wie die Loͤwen. Lachen muß man immer uͤber eine deutſche Beſtie, ſie mag noch ſo wild und gefaͤhrlich ſeyn. Der Badiſche Finanz-Miniſter, den neulich ein Deputirter in der Kammer an die Vorlage einer Finanz - Rechnung erinnert, die man ſchon laͤngſt er¬ wartet habe, erwiederte, man ſolle ihn mit ſolchen Fragen ungeſchoren laſſen. Ja, ſie wollen ſcheeren, aber ſich ſcheeren laſſen, das wollen ſie nicht. Aber der Deputirte (Buchhaͤndler Winter aus Heidelberg) hat ihm tuͤchtig darauf geantwortet. Er ſagte: das86[89] Volk habe ihn nicht gewaͤhlt, damit er die Miniſter ungeſchoren laſſe. Noch eine merk¬ wuͤrdige Sitzung fand neulich in Karlsruhe ſtatt. Der Deputirte Welker, der fuͤr ſeinen Geiſt, ſeinen Muth und ſeine Beharrlichkeit die Bewunderung und den Dank von ganz Europa verdient (denn die Freiheit ſelber des kleinſten Staats iſt eine Angelegenheit der ganzen Welt), hat die Motion gemacht: die badiſche Regierung ſolle bei der deutſchen Bun¬ desverſammlung den Antrag machen, daß ne¬ ben den Diplomaten, die doch eigentlich nur die Fuͤrſten repraͤſentiren, auch eine deutſche Volkskammer gebildet werde. Die Carlsruher Miniſter, als dieſe Motion von Welker ange¬ kuͤndigt wurde, hatten nicht einmal den Muth, ſie mit anzuhoͤren und ſind vor Angſt aus der Kammer gelaufen. Iſt das nicht koͤſtlich, deutſch, eine in Spiritus zu verwahrende Geſchichte? Auch Rotteck und Fecht haben ſich bei dieſer Ge¬90 legenheit herrlich benommen. Aber alle dieſe kuͤhnen Redner, wie Mauguin neulich in der Kammer ſagte ſtehen ſchon auf der Pro¬ ſkriptionsliſte, und, wie ich im vorigen Winter prophezeit wenn Prophetengeiſt dazu gehoͤrt, eine tauſendjaͤhrige Vergangenheit zu beurtheilen es wird in Deutſchland mit einer großen Haͤngerei endigen. Auch habe ich aller Maͤßigung, ja aller Gerechtigkeit entſagt. Vor¬ geſtern fing ich einen Aufſatz an, mit dem mein projektirtes Journal beginnen ſollte. Darin heißt es: Auf dem Wege nach Paris fing ich an, ein eitler Narr zu werden, und bin es geblie¬ ben dieſe vier Wochen lang, die ich hier ſchon zugebracht. Erſt geſtern ſchuͤttelte ich mich und kam wieder zur Beſinnung. Ich wollte es dem großen Goethe nachthun, ich wollte das Unnachahmliche nachahmen. Ich wollte werden, ſeyn wie er unnahbar, kalt, wurzelfeſt, theilnehmend aber theilgebend und91 gefuͤhlloſer als ſelbſt eine Steinwand, die doch Empfindung ſchwitzt, wenn ſich der Fruͤhling nahet. Schlachten und Stuͤrme und jammer¬ voller Schiffbruch, Tyrannenwuth, athemlos gehetzte Freiheit, gemordete Unſchuld, Himmel und Erde, Feuer und Froſt, die Natur und die Geſchichte alles wollte ich mir in be¬ hagliche Ordnung in meinem Zimmer aufſtellen, und mir dann aus Wahrheit und Luͤge, aus Recht und Betrug, aus Treue und Verrath, aus Liebe und Haß, aus Gott und Teufel ein koͤſtliches Ragout bereiten, und kunſtſchmau¬ ſend alle Stunden aller meiner Tage verleben, und nur waͤhrend der Verdauung milde und leiſe beklagen, daß der Arm des Teufels viel zu kurz, und daß Gott der Vater etwas nach¬ gedunkelt ..... Titanen-Uebermuth! Kin¬ diſche Vermeſſenheit! Nicht bis an die erſten Wolken kam ich. Ich fiel hinunter; aber mit blutigem Munde kuͤßte ich meine gute Erde92 und vergaß meine Schmerzen. Ich will lieben und ſtreiten wie vor. Und keine Milde, ja keine Gerechtigkeit mehr! Sie haben Milch in Blut, Blut in Eſſig verwandelt, und ha¬ ben den Eſſig vergiftet. Ein Thor, wer noch in unſern Tagen die Schaamloſen durch Gro߬ muth zu beſchaͤmen, die Hartherzigen durch Bitten zu erweichen gedenkt! Teufel gegen Teufel! ... Weil ſie die Voͤlker ſo lange wie Kinder behandelt, ſind ſie bis zu Kindermaͤd¬ chen herabgeſunken. Sie dahlen und taͤndeln, und luͤgen und drohen, und patſchen und ſchmeicheln, und kitzeln und windeln, und waſchen mit dem Schwamme. Aber das Spru¬ deln und Weinen der Kinder macht ſie leicht ungeduldig. Sie ziehen dann ihr weiſes Haͤub¬ chen ab, und zeigen die duͤſtre Krone darunter; ſie legen die Ruthe weg und holen den Scep¬ ter. Nun wohlan! An der Grenze eurer und unſerer Geduld erwarten wir euch! ... Zwar93 ſollten die Menſchen verſtummen, wenn Gott ſelbſt ſpricht, wenn der Himmel mit der taub¬ ſtummen Welt in Zeichen redet. Aber die Un¬ gluͤckſeligen haben nur franzoͤſiſch gelernt; die Sprache des Himmels verſtehen ſie nicht, ſeine Zeichen verſpotten ſie. Wir wollen Dollmetſcher des Himmels ſeyn, wir wollen deutſch mit den Herrn ſprechen. Ihres Dankes ſind wir nicht gewaͤrtig, um ihr Verzeihung, daß wir ſie zu retten geſucht, werden wir nicht betteln. Der Loͤwe bezahlte den Storch, der ihm den Tod aus dem Halſe gezogen, zwar mit Loͤwentrotz doch er bezahlte ihn. Aber das war ein Koͤnig der Thiere; die Koͤnige der Menſchen ſind ſo großmuͤthig nicht.

Kann ich aber in einer ſolchen Stimmung ein Journal ſchreiben? Es iſt nicht moͤglich. Mit dieſer Wuth iſt man ein guter Soldat, aber ein ſchlechter Feldherr. Nun wohl, ich entſage lieber der Ehre und will lieber ein ge¬94 meiner Soldat ſeyn, denn ich will ſtreiten wie ein Baͤr. Ich habe es mit dem Journal ernſt¬ lich verſucht, aber es ging nicht. Ich konnte den Stoff nicht bemeiſtern. Ich hatte mir ver¬ ſchiedene Kapitel beſtimmt, uͤber dieſen und je¬ nen Gegenſtand. Wenn ich nun Materialien zu meinem Aufſatze genug hatte, brachte mir der Tag wieder neuen Stoff, den ich zum alten geſellte, und ſo kam ich nie zum Anfange. Auch bin ich zu bewegt, ich muß mir taͤglich Luft machen, ich muß Einen haben, mit dem ich alle Tage, zu jeder Stunde ſpreche; kurz ich kann nur auf Briefpapier ſchreiben. Und jetzt werden Sie mich wieder auslachen und trium¬ phiren. Thun Sie das, Sie haben doch den Schaden davon. Ich werde Ihnen alſo wieder Briefe ſchreiben wie vorigen Winter, und weiter nichts arbeiten.

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In London hat man jetzt angefangen, Zeitungen auf baumwollene Schnupftuͤcher zu drucken. Dadurch erſpart man die druͤckende Stempeltaxe, die auf den Papierzeitungen liegt. Wenn dieſe Erfindung ſich auch au¬ ßer England verbreitet, wird die deutſche Bundesverſammlung, weil es ſchwer zu ver¬ hindern iſt, daß unter die unſchuldigen Schnupftuͤcher ſich nicht auch jene ſtaatsge¬ faͤhrlichen miſchen, den Beſchluß faſſen, daß einſtweilen auf fuͤnf Jahre alles Naſenputzen verboten ſey. O Gott! weit davon entfernt iſt man nicht. In Preußen ſind ſie toll zum Binden. Sie wollen es Oeſterreich nachma¬ chen! Die Dummkoͤpfe. Sie ſehen es nicht ein, daß mehr als zu irgend einer Kunſt, zur Dummheit angebornes Genie gehoͤrt. In96 Berlin wird bald eine Verordnung erſcheinen, die jede Anzeige eines Buches im ganzen Lande verbietet, wenn ſie nicht vorher in ei¬ ner Berliner Zeitung ſtand. Wenn ich ſage, daß unſere deutſche Regierungen ſaͤmmtlich verruͤckt ſind, ſo meyne ich das im wirklichen mediciniſchen Sinne. Sie haben eine unheil¬ bare fixe Idee, die franzoͤſiſche Revolution iſt ihnen in den Kopf geſtiegen, und ich fuͤrchte, ſie koͤnnen ſelbſt durch viele Schlaͤge nicht mehr kurirt werden. O wie traurig! Denn wenn die Regierungen verruͤckt ſind, werden alle vernuͤnftige Leute eingeſperrt.

Die Griechen haben ſich von ihrem Ty¬ rannen Capo d'Iſtrias auf aͤcht antike Weiſe befreit. Nicht durch Zeitungen und feiges Li¬ beral-Geſchwaͤtz, ſondern durch das Schwert. Das iſt plaſtiſche, das iſt nicht unſere roman¬ tiſche gemalte Freiheit! Es war kein Meuchel¬ mord, wie die Hof - und Miniſter-Zeitungen97 verlaͤumden; es war ein ehrlicher offener Kampf. Capo d'Iſtrias war von ſeinen Tra¬ banten umgeben, und mitten unter ihnen ha¬ ben ihn zwei kuͤhne Spartaner erſchlagen. Sie raͤchten das Land, ſie raͤchten ihr eigenes Blut. Der eine war der Sohn, der andere der Bruder, eines der edelſten Griechen, den Capo d'Iſtrias, weil er ſich ſeiner Tyrannei widerſetzte, ſchon ſeit lange in einem Kerker gefangen hielt. Es war mir immer in der tiefſten Seele zuwider, dieſen liſtigen, abge¬ feimten, in der Schule des Despotismus er¬ grauten Staatsmann an der Spitze eines ed¬ len Volkes zu ſehen, das nur fuͤr Freiheit und Glauben lebte und ſtarb. So regierte er auch. Es war ein unaufhoͤrlicher Kinder¬ mord, es war ein taͤglicher Vergiftungs-Ver¬ ſuch der Freiheit. Mit allen Schlechten un¬ ter den Griechen verband er ſich, die Guten zu unterdruͤcken, mit allen kleinen Tyrannen,III. 798die Helden der Freiheit in Feſſeln zu ſchla¬ gen. Jeden Aufſchwung des Geiſtes ſuchte er durch alle Hoͤllenkuͤnſte der ruſſiſchen und oͤſterreichiſchen Polizei niederzuhalten. Hohe Schulen, die uͤber das Rechnen und Schrei¬ ben hinausgingen, unterdruͤckte er; die Pre߬ freiheit wurde mit der Wurzel ausgeriſſen und einem Kindervolke wurde ſchon ſein Stam¬ meln zenſirt. Aber wie wird es den ungluͤck¬ lichen Griechen jetzt ergehen! Sich auf Ca¬ po d'Iſtrias Zuchtruthe verlaſſend, ließen die despotiſchen Maͤchte die Griechen einige Jahre unbeobachtet. Jetzt werden ſie ſie wieder un¬ ter eigne Aufſicht nehmen. Alle, alle Voͤlker, und das franzoͤſiſche zuerſt, werden wieder ſchaͤndlich betrogen. Der Laͤndertauſch, der Laͤnderſchacher wird wieder im Stillen getrie¬ ben. Und gewiß gruͤndet ſich darauf die fre¬ che Sprache Caſimir Perriers, und ſeine kecke Friedens-Verſicherung. Bald wird er mit ei¬99 ner Provinz in Papier vor die Kammer tre¬ ten und triumphirend ausrufen: Seht, das haben wir im Frieden gewonnen; wer hat nun Recht? Das Volk wird wieder in Zent¬ nern, das Vaterland Morgenweiſe verkauft. Was ſie im Geheimen bruͤten, wer kann das wiſſen? Die oͤffentliche Meinung hat ſich ſchon fuͤrchterliche Dinge erdacht; aber die Furcht der oͤffentlichen Meinung iſt die einzige, die nicht truͤgt, und die immer lange vorher weiß, zwar nicht auf welchem Wege die Ge¬ fahr koͤmmt, aber daß ſie koͤmmt. So ſpricht man: Polen ſolle an Preußen kommen das waͤre die Sklaverei ſtatt in Eſſig, in Zucker eingemacht, die weit verderblichere, hoff¬ nungsloſere, weil ſie mundet. Und dafuͤr Griechenland an Rußland, und ſo weiter den Voͤlker-Troͤdel. Moͤchte einem nicht die Bruſt zerſpringen vor Wehmuth, moͤchte einem nicht das Herz ausbluten, wenn man bedenkt, daß7*100die edlen, hochherzigen, geiſtreichen Griechen verkannt nur von jenem zahmen Viehe, das ein polizeiſtoͤrriges Herz fuͤr ein ruchloſes Herz haͤlt verkannt nur von allen thoͤrig¬ ten Flitter-Goͤtzendienern, die den ungeſchlif¬ fenen Diamanten als ſchlechtes Geſtein ver¬ werfen verkannt nur von den ſchuldbe¬ wußten, aberglaͤubiſchen Machthabern, welchen ein Geiſt das Ende ihrer Tage verkuͤndet daß dieſes edle Volk darum ſieben Jahre lang ſoll mit ſeinem Blute das Land getraͤnkt, das Meer gefaͤrbt, ſoll alles aufgeopfert haben, Le¬ ben und Gut, Weib und Kind und oft die Hoffnung ſelbſt, um endlich nach Allem, die Herrſchaft der Baſtonade gegen die Herrſchaft der Knute zu vertauſchen?

Ueber die Anzeige eines deutſchen Buch¬ haͤndlers habe ich geſtern herzlich lachen muͤſſen. Er ſpricht auf die klaͤglichſte, weinerlichſte, herz¬ zerreißenſte Art von den ſchrecklichen Folgen der101 Cholera. Doch ſetzt er unbegrenztes Vertrauen auf Gott, daß naͤchſtes Jahr gluͤcklicher ſeyn werde. Und warum jammert der Mann, warum wen¬ det er ſich in ſeiner großen Noth zum Himmel? Seine zwei Taſchenbuͤcher: die Roſen, und das Vergißmeinnicht von Clauren, ſind fertig, aber er fuͤrchtet, in dieſer betruͤbten Zeit zu geringen Abſatz zu haben, und will daher die Taſchenbuͤcher erſt im naͤchſten Jahre verſenden. Er endigt ſeine Klage und ſein heißes Gebet mit den Worten: Ich halte mich in der Hoff¬ nung uͤberzeugt, daß dann die wiedergewonnene Ermuthigung und Erheiterung uͤber das Be¬ ginnen einer beſſern Zukunft, dieſen beiden Werken der freudige Zuruf Willkommen! ſo wie eine freundliche Aufnahme bereitet ſeyn wird. Schoͤne Reconvaleszenz! Sich an Claurens Vergißmeinnicht nach langen Leiden zu erholen!

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Siebenter Brief.

Ich bin ein rechter Ungluͤcksvogel, daß ich die Frankfurter Revolution nicht mit angeſehen. Vor einigen Tagen ſchrieb mir Dr. D ... ein kurzes Billet: In Frankfurt haben die Buͤrger mit der Linie einen Kampf gehabt. Was! rief ich voll Erſtaunen aus, die Frankfurter ha¬ ben die Linie paſſirt, ſie, die ſeit Jahrhunderten nicht uͤber die Wartthuͤrme hinausgekommen? Komet!

Verfloſſenen Sonntag war ein Konzert im italieniſchen Theater, dem ich aber ſelbſt nicht103 beigewohnt. Es begann mit einer ouverture à grand orchestre und errathen Sie von welchem Komponiſten? Von Don Pedro, dem Kaiſer von Braſilien. Es iſt uͤberfluͤſſig noch zu bemerken, daß die Muſik erbaͤrmlich war. Der Herr Kaiſer thaͤte auch beſſer, ſeinen Mord - Bruder aus Portugal zu verjagen, als die fried¬ lichen Leute aus dem Theater. Ich habe we¬ nigſtens Einen geſprochen, dem auf die kaiſer¬ liche Muſik-Sudelei ganz uͤbel geworden, und der darum aus dem Konzerte lief. Was aber Paris ein naͤrriſcher Ort iſt! Es iſt das wun¬ derlichſte Ragout von Scherz und Ernſt. Der Dey von Algier gab auch Stoff zu mehreren Theaterſtuͤcken. Einmal, wie er eine Maͤdchen - Penſion beſucht; das muß luſtig ſeyn. Im neueſten Hefte der Revuͤe de Paris ſteht ei¬ ne Novelle von dem ehemaligen Miniſter von Martignac. Eine neue Oper: la marquise de Brinvilliers (die beruͤchtigte Giftmiſcherin un¬104 ter Ludwig XIV. ) haben neun hieſige Kompo¬ niſten gemeinſchaftlich verfertigt: Cherubini, Boieldieu, Herold, Paer, Auber, und andere. Iſt das nicht toll! Und eine tragiſche Oper! Melpomene in der Harlekinsjacke. Die Sinn¬ lichkeit, hoͤhere wie niedere, iſt aber bei den Pariſern ſo abgeſtumpft, daß ihnen Teufelsdreck noch zu fade vorkoͤmmt; man muß ihnen taͤg¬ lich neuen Geſtank erfinden. Neulich wurde im Theater des Nouveautés an einem und dem¬ ſelben Tage, ein neues Stuͤck zu ſchreiben beſchloſſen, entworfen, ausgefuͤhrt, die Muſik dazu gemacht, einſtudirt, aufgefuͤhrt, und ausgepfiffen! Es war eine Wette. Kotzebue's beruͤchtigter Rehbock, wird unter dem Namen le chevreuil in den Variétésaufgefuͤhrt und hat großen Beifall. In Deutſchland ſorgt man auf eine edlere Weiſe fuͤr das Vergnuͤgen des Publikums. In Berlin iſt erſchienen (durch die Cholera veranlaßt): Begraͤbniß-Buͤch¬105 lein zum Gebrauche bei Beerdigungen in den Staͤdten und auf dem Lande. Nebſt einem Anhange von Grabſchrif¬ ten. Schoͤnes Stammbuch! Eines der hieſi¬ gen kleinen Blaͤtter enthaͤlt heute einen Aufſatz uͤber die in Berlin erſcheinende Cholera-Zei¬ tung, worin es unter andern heißt: c'est une invention prussienne; on n'eût pas dit que le domaine de la presse s'aggrandit ainsi dans les domaines de Fréderic-Guillaume. Peut-être aussi le titre n'est-il qu'une épi¬ gramme pour montrer et désigner le venin de la presse et la contagion du Journalisme.

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In Deutſchland haben ſie das Geheimniß gefunden, die Dummheit in ewig bluͤhender Ju¬ gend zu erhalten. Es giebt keine Goͤtter mehr, ſonſt muͤßte man ſie auf der Erde lachen hoͤren, denn der alte Olymp war ein luſtiger Himmel. So eben las ich in der preußiſchen Staatszei¬ tung, daß im koͤniglichen Theater am 26. Okto¬ ber, zum Erſtenmale, der dumme Peter, Original-Luſtſpiel in zwei Akten aufgefuͤhrt wird. Ein Stuͤck, das ſeit ſechzehn Jahren in allen deutſchen Reſidenzen gegeben wird, nennen ſie ein Original-Luſtſpiel! Ungluͤckliches Land! Die Sonne ſinkt, die Fledermaͤuſe ſteigen auf. Polens Revolution war die Abendroͤthe der Frei¬ heit. Von Hannover ſchreiben ſie: das ſchoͤne Oktober-Wetter habe den beſten Einfluß auf den Geſundheitszuſtand gehabt, und die poli¬107 tiſche Entzuͤndung habe ſich gleichfalls merklich gelegt. Man fange an einzuſehen, daß man im hannoͤveriſchen Lande ſo viel Frei¬ heit und Sicherheit als in England genieße, und darum habe es mit einer Con¬ ſtitution gar keine Eile. Wenn nur der Adel eine feſtere Einrichtung bekomme, dann ſey allen Uebeln abgeholfen ... Und die allgemeine Zei¬ tung nimmt ſolche Unverſchaͤmtheiten auf, und jedes Wort verdienter Zurechtweiſung weiſ't ſie zuruͤck. Die badiſchen Staͤnde bekommen keine Preßfreiheit. Die Deputirten haben ſich bis jetzt kraͤftig benommen, ob zwar die guten deut¬ ſchen Seelen immerfort von den Hallen der Volkskammer reden. Jetzt wollen wir ſehen, ob ſie beharrlich ſind, eingedenk der heiligen Schrift: aber wer beharret bis am Ende wird ſelig werden. Nichts gleicht der Frechheit, mit welcher das Preßgeſetz abgefaßt iſt, welches die Miniſter in Karlsruhe der Kammer vorgelegt. 108Die Preſſe ſey frei mit Ausnahme aller Buͤ¬ cher unter zwanzig Bogen, mit Ausnahme aller Werke, die von der Bundesverſammlung reden. O Schmach uͤber das Volk, das ſich dieſen Hohn gefallen laͤßt! Einen dummen Karpfen faͤngt man mit mehr Witz. O Beaumarchais, haͤtteſt du deutſchen Stoff gehabt, das waͤre ein ganz anderer Figaro geworden! In Caſſel liegen die Beamten und Offiziere der neuen Maitreſſe zu Fuͤſſen, und bald wird auch die Conſtitution da liegen. Um dieſen Preis wird die Dame von dem Durchlauchtigen deutſchen Bunde ge¬ gen die Kurfuͤrſtin und gegen die Heſſen be¬ ſchuͤtzt und geſchuͤtzt. Bei euch iſt ja un¬ begrenzte Trauer, wegen des Todes des Fuͤrſten von Hohenzollern-Sigmaringen. Steht Ihnen die ſchwarze Kleidung gut?

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Sie reden immer noch von der Bocken¬ heimer Zeitung, als wenn die lange dauern wuͤrde! Laſſen Sie nur erſt die belgiſche An¬ gelegenheit in Ordnung gebracht ſeyn, und die Graͤfin Schaumburg Wurzel gefaßt haben, und man wird die Bockenheimer Zeitung nur noch im Kuchengarten finden. Fuͤr jetzt iſt alles verlohren. Nur der Koͤnig von Hol¬ land kann noch retten, wann er ſo klug iſt, ein Narr zu ſeyn. Die Revolution, die ſich jetzt mit großen Schritten in England naht, gereicht uns Deutſchen gar zum Verderben. Deutſchland iſt das ewig offene Fontanell, wodurch alle aus dem uͤbrigen Europa ver¬ jagte Despotie abfließt; und je reiner die uͤbrigen Laͤnder werden, je ſchmutziger werden wir. Sie glauben mir das noch nicht, aber110 Sie werden es erfahren. Meine Pariſer Briefe vom vorigen Winter werden erſt Ende kuͤnfti¬ gen Sommers ihre Bedeutung bekommen, und was ich unter Vespertinchen verſtanden, wird dann erſt der Welt klar werden. Von Frankreich mag ich gar nicht reden. Es mag ſein Teſtament machen. Koͤnig Philipp traͤgt eine Schlafmuͤtze unter ſeiner Krone, und der Kaiſer von Oeſterreich eine Schlafmuͤtze uͤber der ſeinigen. Es iſt eine neue Freund¬ ſchaft zwiſchen beiden, welche die alten Fruͤch¬ te tragen wird. Koͤnig Philipp kann ſeine Nachtmuͤtze nicht mehr abziehen, ohne daß ihm die Krone vom Kopfe faͤllt, Oeſterreich aber kann jeden Augenblick ſeine Mummerei weg¬ werfen, und ſteht dann geruͤſtet da. Die Papiere ſtehen hoch, die Boͤrſe jauchzet. Ich rufe wie Fiesko aus: Wohl bekomm euch die Verdammniß!

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Achter Brief.

Das Buch der hundert und ein Schriftſteller hat meinen Erwartungen nicht ent¬ ſprochen. Es wird hier freilich von allen Par¬ theien gelobt, weil Schriftſteller aus jeder Par¬ thei daran gearbeitet haben. Aber fuͤr mich, fuͤrchte ich, wird es ein Buch der hundert und ein Taͤuſchungen werden. Gleich anfaͤnglich aͤr¬ gerte ich mich daruͤber, daß dieſe Sittenmaler ſo veraͤchtlich von ihrem alten Meiſter Mercier ſprechen, aus deſſen Schule ſie alle hervorge¬ gangen. Sie ſagen: Il faut faire pour le112 Paris d'aujourd'hui ce que Mercier a fait pour le Paris de son temps, avec cette différence que cette fois les tableaux de moeurs seront rarement ècrits sur la borne. Mercier nennen ſie einen Gaſſen¬ jungen! Wahrhaftig, er ſagt mehr in einer einzigen Zeile, als die neuen auf einem ganzen Bogen. Er malte in Oehl; Jouy und ſeine Nachahmer malten mit Paſtellfarben. Das ſieht freilich ganz artig aus, aber man kann es weg¬ blaſen. Auch war Merciers Zeit guͤnſtiger zur Sittenmalerei als die jetzige. Damals fingen gerade die Staͤnde an ſich zu vereinigen, und da konnte man eben am beſten ihre Trennungen kennen lernen; jetzt aber, da ſie vereinigt ſind, kann man nur noch ihre Nacht zeichnen. Doch lieſ't ſich das Buch immer angenehm weiter; man lernt daraus, man reiſt darin, und koͤmmt weiter.

Eines einzigen Artikels im ganzen Bande muß ich als Ausnahme mit großem Lobe ge¬113 denken. Es iſt das Kapitel: Le Bour¬ geois de Paris von A. Bazin, einem Schriftſteller der mir ganz unbekannt iſt. Das iſt eine vortreffliche Zeichnung, mit Geiſt und Gemuͤth entworfen. Von den uͤbrigen Kapiteln ſind zwei zu erwaͤhnen, bei welchen der Reichthum des Stoffes die Armuth der Kunſt verguͤtet; nehmlich: L'abbaye-aux - bois von der Herzogin von Abrantes, und une fête au Palais-Royal von Salvandy. L'abbaye-aux-bois, heißt das Haus, ein ehemaliges Kloſter, worin Madame Recamier wohnt, ſeit ſie die große Welt verlaſſen. Aber die große Welt iſt ihr dorthin nachgezogen, oder eigentlich nachge¬ ſtiegen, ich glaube bis in den dritten Stock hinauf. In dem Hauſe wohnen noch mehrere Frauen, die ſich aus dem Glanze und dem Ge¬ raͤuſche der großen Welt zuruͤckgezogen, um nicht uͤberſehen und uͤberhoͤrt zu werden. AlleIII. 8114dieſe frommen Weiber bilden ihren eigenen Mittelpunkt, haben ihren eigenen Zirkel. Die Herzogin erzaͤhlt nun, wie es in dieſen ver¬ ſchiedenen Geſellſchaften, beſonders bei Madame Recamier hergeht, welche Staatsmaͤnner, Schrift¬ ſteller, Kuͤnſtler ſich da verſammeln, welche Werke da vorgeleſen, welche Kunſtwerke vorge¬ zeigt werden, und was ſonſt da getrieben wird. Madame Recamier wird wegen ihrer Liebens¬ wuͤrdigkeit, Beſcheidenheit, Entſagung, Mild¬ thaͤtigkeit geprieſen. Ich habe das von dieſer beruͤhmten Frau ſeit zwanzig Jahren ſchon oft geleſen, und will es auch alles glauben; nur fuͤrchte ich immer, daß die Tugend, der es nicht gelingt unbemerkt zu bleiben, es gar nie mit Ernſt verſucht hat. Die Herzogin Abrantes (ſie hat auch verfloſſenen Sommer Memoiren aus den Zeiten des Kaiſerreichs herausgegeben) iſt uͤbrigens eine rechte Klatſchlies, und erzaͤhlt alles im Tone einer buͤrgerlichen Frau Baſe. 115Sie mag eine muntere Franzoͤſin ſeyn, denn die Sentimentalitaͤt, die ſie manchmal verſucht, gelingt ihr gar nicht; ſie bringt keine Thraͤne zu Stande, und wenn ſie darauf hinarbeitet, ſieht es ſo komiſch aus, wie ein Menſch, der nieſen moͤchte und nicht kann. Une fête au Palais-Royal von Salvandy, dem Schuͤler Chateaubriands in Styl und Politik, beſchreibt das glaͤnzende Feſt, welches der Herzog von Orleans vier Wochen vor der Revolution dem Koͤnige von Neapel gegeben, wobei Charles X. zugegen war. Da war leicht ſchoͤn beſchreiben; ſchon dieſes mein kurzes Inhalts-Verzeichniß iſt ein Gemaͤlde, ein Gedicht, ein Drama. Sal¬ vandy iſt einer von den bequemen Carliſten, die in Pantoffeln und im Schlafrock die Ruͤck¬ kehr Heinrichs V. abwarten, und unterdeſſen manche Thraͤne in ihren Wein fallen laſſen. Er erinnert ſich mit Wehmuth jenes herrlichen Feſtes, das auf der Grenze zweier Mon¬8 *116archien gegeben worden. Weil ihm das Herz ſo ſchwach, traut er ſeinem Kopfe nicht. Er fraͤgt: De quel style décririez-vous les danses dont rétentissait peut-être Herculanum la veille du jour qui se leva le dernier sur la cité condamnée? So ſind die Legitimi¬ ſten. Wenn ſich Peter ſtatt Paul auf einen Thron ſetzt, ſehen ſie darin den Untergang ei¬ nes verfluchten Landes. Vier tauſend Gaͤſte waren verſammelt. Charles X. trat zwiſchen dem Herzoge von Orleans und dem Koͤnige von Neapel in den Saal. Nach wenigen Wochen war der eine vom Throne geſtuͤrzt, der zweite todt, der dritte Koͤnig! Charles X. ſagte, den Himmel betrachtend zu Salvandy: il fait beau temps pour ma flotte d'Algier. ... Au mo¬ ment que j'écris, le pirate que Charles X. décrêta de punir, se promène au milieu de nous, parâit dans la même Palais-Royal d'où Charles X. suivait son foudre vengeur117 lancé sur l'aile des vents, le dey d'Algier enfin peut vivre dans nos murs. Charles X. ne pourroit pas y mourir. Salvandy ſprach mit einem der Miniſter Karls uͤber die Gefah¬ ren des Kampfes, worin die koͤnigliche Gewalt ſich eingelaſſen. Nous ne reculerons pas d'une semelle, m'avait-il dit. Eh bien, lui répondis-je, le roi et vous reculerez d'une frontière. Das iſt ſchoͤn, wenn es wahr iſt ... Auch unſer Béranger hat ein Gedicht in das Buch geliefert und ein recht ſchlechtes. Es iſt eine Ode an Chateaubriand in Genf, die ihn freundlich bittet, nach Frank¬ reich zuruͤckzukehren:

Chateaubriand, pourquoi fuir ta patrie,
Fuir son amour, notre encens et nos soins?
N'entends-tu pas la France qui s'écrie:
Mon beau ciel pleure une étoile de moins?

Pleure une étoile de moins! Was iſt nur dem ſchlichten Béranger eingefallen, ſich mit118 ſolchem abſcheulichen eau de mille fleurs zu parfuͤmiren! Wer hieß aber auch den ehrlichen Mann Lobgedichte ſchreiben? Wer nicht zu ſchmeicheln gewohnt iſt, dem gelingt es ſchwer ſelbſt das Verdienſt zu loben. Chateaubriand antwortete ihm in einem Briefe, der, ob zwar in Proſa geſchrieben, weit dichteriſcher iſt, als Bérangers Gedicht. Chateaubriand weiß die Lobpreiſung eines unbeſtechlichen Man¬ nes zu ſchaͤtzen. Comment ſerais-je[invul¬ nérable] à la flatterie d'une Muse qui à dé¬ daigné de flatter les rois? Aber nein, ſagte er, ich werde nicht zuruͤckkommen. Jamais je ne me rapprocherai de ces hommes qui ont dérobé à leur profit la révolution de juillet, de ses écornifleurs de gloire, de courage et de génie. Schmarotzer des Ruhms man kann das nicht beſſer ſa¬ gen: Malgré les génuflexions de notre di¬ plomatie et à cause même de ses mains119 mendiantes, il ne me parait pas très-cer¬ tain qu'on nous aumone la paix. Perrier und ſeine Leute nennt er: la coterie coléri¬ que, sans dignité, élevation. Uebri¬ gens verſpricht er, uͤber die Lage Frankreichs bald eine neue Brochure herauszugeben. Die¬ ſe iſt auch bereits erſchienen, und ich werde darauf zuruͤckkommen. Es wird einem doch immer warm, ſo oft man Chateaubriand, lieſ't, zuweilen auch ſchwuͤl; aber was liegt daran? Beſſer als kalt; das Fenſter iſt leicht geoͤffnet.

Ich haͤtte ſo gerne nachholen moͤgen, was waͤhrend meiner Abweſenheit von Paris an bedeutenden Komoͤdien auf die Theater ge¬ kommen, was an guten Buͤchern erſchienen iſt; aber nicht moͤglich nachzukommen. Nicht ein¬ mal das Neueſte jedes Tages iſt zu verbrauchen. Es iſt zu verzweifeln. Das iſt gar nicht Le¬ ben zu nennen, wenn die Vergangenheit ſtuͤnd¬ lich waͤchſt, und die Gegenwart gar nicht auf¬120 kommen kann und gleich nach der Geburt ſtirbt. Da iſt es doch in unſerm guten Va¬ terlande beſſer; da ſteht die Gegenwart mit ihrem dicken Bauche und breiten Ruͤcken feſt auf den Beinen, und nimmt ſo viel Platz ein, daß nicht die ſchmalſte Zukunft vorbei kann. Geſtern las ich das Verzeichniß der in dieſem Herbſte erſchienenen neuen deutſchen Buͤcher. Hundert und mehr Schriften uͤber die Cholera! Ich bekam Leibſchmerzen nur vom Leſen des Catalogs. Sonſt habe ich nichts von Bedeu¬ tung angezeigt gefunden, auſſer dem folgen¬ den Werke, wornach ich ſehr ſchmachte. Es iſt wahrſcheinlich eine Satyre gegen den deut¬ ſchen Bundestag; denn unſere malizioͤſen Lands¬ leute, man kann es nicht leugnen, misbrau¬ chen die Preßfreiheit gar zu arg. Das Buch hat den Titel: Das Schabbes-gaͤrtle von unnere Leut; eppes mit e Roritaͤt Geblumes fuͤre Brautschmuck. E Chetisch meloche,121 von Itzig Feitel Stern. Mit eppes neun Stuͤck ganz feine gillmelirte Kupferstichlich etc. Es iſt in Meiſſen erſchienen, wo man gutes Porzellain macht und das beſte Deutſch ſpricht. Unter Schabbes-Gaͤrtle, wird gewiß die[Bundesverſammlung] gemeint, und un¬ nere Leut, das ſind, Baden, Baiern, und die andern kleinen Fuͤrſten, welche ſechs Mo¬ nate lang bei ihren ſauren Staͤnde-Arbeiten ſehr geſeufzt und geſchwitzt, jetzt aber im ſie¬ benten ſich ausruhen und im Schabbes-Gaͤrtle ſpazieren gehen. Chetisch Meloche iſt der Untergang der Polen und Roritaͤt Geblumes ſind die ſchoͤnen Reden der patriotiſchen De¬ putirten in Karlsruhe und Muͤnchen. Ein Pferd, ein Pferd nein einen Eſel, einen Eſel, ein Koͤnigreich fuͤr einen Eſel! Was ich damit machen will? Die Haut will ich ihm abziehen und Jemanden hinein naͤhen. Wen? Das iſt ein Geheimniß. Es iſt nur8*122gut, daß ich uͤber dreißig Jahre alt bin; jetzt brauchte ich nur badiſcher Staatsbuͤrger zu werden, dann kann ich in Karlsruhe eine Zei¬ tung herausgeben, ſobald ich Kaution geleiſtet. Einen Eſel, einen Eſel, meine ſaͤmmtlichen Schriften fuͤr einen Eſel! Man kann aber uͤber Deutſchland gar keinen dummen Spaß mehr machen. Man ſoll den Teufel nicht ru¬ fen, auch nicht im Scherze. Als ich Ihnen voriges Jahr geſchrieben: Geben Sie acht, man wird bei uns Cenſur und Kaution zu¬ gleich feſtſetzen, ſchaͤmte ich mich Narr ſpaͤter und dachte bei mir: du biſt aber auch gar zu argwoͤhniſch; ſo dumm, ſo ſchlecht ſind ſie nicht. Ueber das Schabbes-Gaͤrtle darf man gar nicht ſprechen, und ſo oft jetzt unſere Fuͤrſten die Klagen ihrer Voͤlker nicht werden hoͤren wollen, werden ſie ſich in das Schabbes - Gaͤrtle zuruͤckziehen. Der Deputirte Seufert in Muͤnchen hat mit deutſcher Bangigkeit die123 Kammer aufgefordert, ſich zuruͤckzuziehen und den Kampf um Freiheit aufzugeben. Sie wiſ¬ ſen ihre Haͤnde nur zum Schreiben zu gebrau¬ chen, dieſe ungluͤckſeligen Gelehrten! Er ſagte: Warſchau iſt gefallen, die Reformbill iſt ge¬ fallen, die Feinde der fortſchreitenden Ent¬ wicklung freiſinniger Staatseinrichtungen erhe¬ ben mit friſchem Muthe das Haupt, die Vorſtellungen und Reklamationen der Diplo¬ maten, welche den Abſolutismus repraͤſentiren, werden dem Vernehmen nach zudringlicher und hochfahrender. So ſpricht ein Mann, der ſich einen Vertheidiger des Volkes nennt! Alſo weil wir Widerſtand gefunden, ſollen wir gleich die Waffen ſtrecken? Haben ſie denn erwartet daß man ihnen die Freiheit auf goldenen Schuͤſſeln mit einem artigen Complimente in das Haus bringen werde? Wie feige macht doch die Gelehrſamkeit! Tauſende von edlen Polen haben Armuth und Verbannung einer124 ſchmachvollen Unterwerfung vorgezogen. Die Ungluͤcklichen! Das Korps des Generals Ry¬ binski, das ſich nach der preußiſchen Grenze zuruͤckgezogen, iſt dort im jammervollſten Zu¬ ſtande angekommen. Alle, die Mitglieder der National-Verſammlung, Miniſter, Generale, Magiſtratsperſonen, Offiziere, Soldaten, ſogar die Weiber und Kinder, wanderten barfus durch den Koth, und ſehr wenige hatten eine Kopf¬ bedeckung. Selbſt der Generaliſſimus Rybinski hat weder Hut noch Mantel. Und als ſie in ſolcher Erſchoͤpfung das preußiſche Gebiet er¬ reicht, war die erſte Sorge der preußiſchen Behoͤrden, alle Miniſter und Senatoren in ein Kloſter zu ſperren, und dort mußten ſie fuͤnf¬ zehn Stunden ohne Nahrung zubringen! Und ſo ein Wuͤrzburger Profeſſor, der im Schlaf¬ rocke am Kamin ſitzt und Bier trinkend ſeine Reden ausarbeitet, ſagt ſeinen Federgenoſſen, ſie haͤtten lang genug gekaͤmpft, Heldenmuth125 genug gezeigt, und ſie ſollten ſich der Noth¬ wendigkeit unterwerfen! Welche Welt iſt das! Sie zu ertragen haben wir einen Gott zu viel oder einen zu wenig. Chriſtus muß den Himmel verlaſſen, daß wir alle Hoffnung und allen Glauben verlieren, Liebe und Freiheit als thoͤrigte Traͤume vergeſſen, und in der Menſchheit nicht mehr erblicken, als mechani¬ ſche und chemiſche Kraͤfte, die ſich wechſelſei¬ tig verdraͤngen und zerſtoͤren, ſich aus Eigen¬ nutz verbinden und aus Habſucht verſchlingen. Oder ein anderer Chriſt