Dieſen Brief, vom Samſtag datirt, fange ich heute Sonntag erſt an. Ich habe mich einer Treu¬ loſigkeit gegen Sie ſchuldig gemacht; nicht wegen Mademoiſelle **** — denn dieſe beſuchte ich erſt um zwei Uhr, ich hätte alſo den ganzen Vormittag Zeit gehabt Ihnen zu ſchreiben — ſondern wegen eines Buches, das mich ſo angezogen. Ich empfehle Ihnen scènes de la vie privée par Mr. Balzac. Ich glaube es ſind vier Bände. Ein moraliſcher Erzähler von ſeltener Vortrefflichkeit und der dieV. 12Tugend ſo liebenswürdig darzuſtellen weiß, daß man ſie, zu ſeinem eignen größten Erſtaunen, noch vierzig Jahre nach der Kindheit lieb gewinnt. Sie hatten alſo einen ganzen Tag lang keine andere Nebenbuh¬ lerin als die Tugend ſelbſt.
Sie wundern ſich gewiß, daß ich noch kein Wort Politik geſprochen in dieſen ſechs Briefen; ich wundere mich ſelbſt darüber und ich weiß nicht wie es kömmt .... O! es iſt ſo langweilig, ſo lang¬ weilig! ich knurre wie ein alter Hund der unter dem Ofen liegt und kann es vor lauter Bosheit nicht zum Bellen bringen. Bosheit gegen wen? Nicht gegen den bürgerfreundlichen Großherzog von Baden, der die Profeſſoren Rotteck und Welcker abgeſetzt: ſon¬ dern gegen die Letzteren, die aus Schaafs-Gutmü¬ thigkeit, ein aktives Verbum haben zum paſſiven werden laſſen. Nicht gegen den Miniſter Winter in Carlsruh, der ſich für einen freiſinnigen Mann aus¬ gegeben und den ich immer für einen Paſcha von drei Fuchsſchweifen gehalten; ſondern gegen die Nar¬ ren, die ihm das geglaubt. Nicht gegen die Scham¬ loſigkeit der baieriſchen Regierung, die Landeskinder nach Griechenland ſchickt, um deutſches zahmes Kuh¬ pockengift in das edle griechiſche Blut zu bringen, damit ein Heldenvolk bewahrt werde vor dem Fieber1*4und den Blatternarben der Freiheit und ein hübſches, weibliches, polizeiglattes Geſicht behalte; ſondern ge¬ gen die Baiern, die ruhig und breit daſtehen, wie die Bocksbierfäßer, und ohne ſich zu rühren, ſich anzapfen laſſen von dem unerſättlichen Gewalts-Durſte ihres Königs. Nicht gegen die heſſiſche Maitreſſen-Re¬ gierung, welche alle freiſinnigen Deputirten mit Fä¬ cherſchlägen aus der Kammer jagt; ſondern gegen dieſe ſelbſt, die ſich wie Spatzen durch ein Huſch! Huſch! vertreiben laſſen. Die in Caſſel begreife ich nicht. Die Cholera iſt dort und wie ich geleſen ha¬ ben ſie große Furcht davor. Wenn man aber die Cholera fürchtet, wie kann man zugleich Gefängniß und Geldſtrafen fürchten? Aber der Deutſche hat ein großes Herz! Als einſt Napoleon einen Offi¬ zier ausſchmähete, antwortete dieſer: Ihr Zorn iſt nicht gefährlicher als eine Kanonenkugel — und dar¬ auf ſchwieg der Kaiſer und lächelte. Es war freilich Napoleon; wäre es ein deutſcher Wachtparadenfürſt geweſen, er hätte den Offizier kaſſirt und ihn auf die Feſtung geſchickt. Es iſt doch etwas ſehr ge¬ heimnißvolles in der Furcht; den Heldenmuth begreift man viel leichter. Hunderte von freiſinnigen Bürgern in Frankfurt laſſen ſich dort von der Polizei ſchul¬ bübiſch examiniren und abſtrafen und denken gar nicht daran, daß wenn ſie hunderte wie ihrer ſind, ſich5 Alle in einer Reihe ſtellten, Alle für Einen für Je¬ den ſprächen und handelten, man ihnen ja gar nicht beikommen könnte; da Frankfurt nicht genug Gefäng¬ niſſe hat ſie einzuſperren.
So knurre ich; ich wollte aber ich wäre im Ernſte ein Hund. Wann ein Hund von ſeinem Herrn geprügelt wird, ſo iſt es doch ein höheres Weſen, das ihn beherrſcht; der Menſch iſt der Gott des Hundes, es iſt ſeine Religion ihm treu und ge¬ horſam zu ſein. Läßt ſich aber je ein Hund von einem andern Hunde beißen ohne ſich zu wehren? Oder hat man gar je geſehen, daß tauſend Hunde einem Einzigen gehorchen? Der Menſch aber läßt ſich von einem andern Menſchen prügeln; ja tauſend Menſchen erdulden es von einem Einzigen und we¬ deln dabei mit den Schwänzen! Und Jarke in Berlin, iſt an die Stelle von Genz nach Wien ge¬ kommen. Erinnern Sie mich an dieſen Jarke, wenn ich ihn vergeſſen ſollte. Ich habe etwas über ihn zu ſagen. Zwar hat mich Heine gebeten, ich möchte ihm den Jarke überlaſſen; aber ich denke es iſt genug an ihm für uns Beide.
Die andere europäiſche Tyrannei gefällt mir weit beſſer als die Deutſche. Ich weiß nicht — es iſt etwas Genialiſches, Großes darin. Es iſt we¬ nigſtens eine hohe Mauer, die jeder ſieht, der jeder6 ausweichen kann, und es müßte einer ſehr zerſtreut ſein, mit dem Kopfe dagegen zu rennen. Unſere aber — das iſt ein Scheitholz mitten auf dem Wege, in der Nacht und keine Laterne dabei; man fällt dar¬ über und bricht das Bein. So fiel neulich der[Ge¬ burtstag] des Kaiſers von Rußland ein, oder ſolch 'ein anderer heilloſer Tag und da befahl die Polizei in Warſchau: es müßte Jeder illuminiren und für jedes Fenſter das dunkel bliebe, müßte man dreißig Gulden Strafe bezahlen. Das iſt deutlich! Eine Dame in Neapel ſchrieb an ihren Sohn nach Mar¬ ſeille, ſein alter Vater ſäße ſchon einige Monate im Kerker, weil er, der Sohn, liberale Artikel in eine Marſeiller Zeitung ſchriebe! So weit bringt es der Bundestag in ſeinem Leben nicht. Doch wer weiß!
Schreiben Sie mir ja recht oft und viel und freundlich, daß mir gar nichts von meinem Herzen übrig bleibe; denn ich wüßte nicht, wie ich dieſen Winter auch nur den kleinſten Reſt verwenden ſollte. Die Malibran iſt nicht hier und ſie kömmt auch nicht. Ich wollte ich wäre zwanzig Jahre jünger, daß ich darüber weinen dürfte. Während der Schneetage von Paris log ſie mir den Sommer vor; wenn ſie ſang, ſah ich blitzen, hörte ich donnern und wo in meiner Bruſt noch ein altes Körnchen Pulver lag, da7 kam ihr Feuer hin und verzehrte es! Ihr ar¬ mer Freund! Jetzt bleibt meine einzige Luſt, die Seifenblaſen der Bundesknaben ſteigen ſehen und nach den Schuldoktrinairs mit Schneeballen werfen.
....... Fragen Sie doch allerlei und ver¬ ſchiedenartige Leute — es müſſen aber natürlich Solche ſein, welchen hierin ein Urtheil zuzutrauen: ob ſie mich für fähig halten eine Geſchichte der fran¬ zöſiſchen Revolution zu ſchreiben? Ich ſelbſt habe es oft überlegt, konnte es aber noch zu keiner ent¬ ſchiedenen Meinung bringen. Ich weiß nur, daß ich Luſt dazu habe; welches aber gar nicht beweißt, daß ich auch das Talent dazu habe. Zu den Speiſen die man am wenigſten vertragen kann, hat man oft den größten Appetit. Ich möchte eher urtheilen, daß ich die Fähigkeit nicht habe, als daß ja. Zu einer Geſchichtsſchreibung gehört ein künſtleriſches Talent und die Leute ſagen, daß mir das durchaus fehle. 9In einer Geſchichte müſſen die Dinge dargeſtellt werden wie ſie ſind, wie ſie ſich im natürlichen Tageslichte zeigen; nicht aber, wie ſie ſich durch das Prisma des Geiſtes betrachtet, als Farben erſcheinen, noch weniger wie ſie in der Camera obscura des Herzens ſich abſchatten. Glauben Sie nicht auch, daß ich zu¬ viel denke und empfinde! Die gefährlichſte Klippe in einer Geſchichte der franzöſiſchen Revolution iſt: daß dieſe noch nicht geendigt iſt, ihr Ziel noch nicht erreicht hat; daß man alſo, je noch der Geſinnung ohne Furcht und Hoffnung von der Sache gar nicht ſprechen kann; und Furcht und Hoffnung drücken ſich oft als Haß und Liebe aus, und das darf nicht ſeyn. Ein Geſchichtsſchreiber muß ſeyn wie Gott; er muß Alles, Alle lieben, ſogar den Teufel. Ja, er darf gar nicht wiſſen, daß es einen Teufel giebt. Alſo fragen Sie Den und Jenen, und theilen Sie mir genau mit, was Jeder von ihnen ſagt. Es iſt ein Werk langer und ſchwerer Arbeit und ich möchte es, ohne Hoffnung, daß es gelinge, nicht unternehmen. Ich bin jetzt ſchon gerührt, wenn ich daran denke, wie ehrwürdig ich mich ausnehmen werde, wenn ich als großer Gelehrter und Narr unter tauſend Bü¬ chern ſitze, und ſie Eines nach dem Andern durchleſe und ausziehe, und wie mir dabei heiß wird und ich ſeufze: ach! wie glücklich war ich in frühern Zeiten, da ich noch leicht wie ein Schneidergeſell, dem man10 in der Herberge das Felleiſen geſtohlen, durch Feld und Wald zog, und überall ohne Geographie und Führer den Weg und jeden Abend ein Wirthshaus fand. Aber es iſt Zeit, daß ich das Schwärmen einſtelle und mich in eine Arche zurückziehe; denn ich ſehe die Sündfluth kommen. Vierzig Monate wird ſie dauern, und dann, wenn die Gewäſſer abgelaufen ſind und der Regenbogen am Himmel ſteht, werde ich mit einer verſöhnlichen Geſchichte der franzöſiſchen Revolution hervortreten, voller Liebe und Feuchtig¬ keit — und da alsdann alle Rezenſenten erſoffen ſeyn werden, das einzige Rezenſentenpaar ausgenommen, daß ich aus Liebe zur Naturgeſchichte in meine Arche gerettet, ſo wird auch mein Werk allgemeinen Beifall finden, wenn es ihn verdient. Auch denke ich daran, wie ich meine baldigen grauen Haare ver¬ berge, ſey es unter einem Lorbeerkranze, ſei es un¬ ter einen Schellenkappe — gleichviel. Nun gefragt.
Von den bedeutenden Männern, welche in der franzöſiſchen Revolution eine wichtige Rolle geſpielt, lebt noch Mancher, wie Lafayette, Talleyrand, die Lameths. Aus dieſen lebendigen Quellen ſchöpfen zu können iſt ein großer Vortheil. Aber man muß die noch kurze Zeit benutzen ehe ſie der Tod entführt, oder ſie altersſchwach werden. So lebt Sieyes noch, aber wie ich höre in großer Geiſtesſchwäche. Auch von den Volksmaſſen, welche die Revolution unter11 freiem Himmel getrieben, leben in Paris noch ganze Schaaren. Man ſollte es nicht denken — kürzlich hat die Regierung Allen, welche an der Beſtürmung der Baſtille Theil genommen, eine Penſion bewilligt und es fanden ſich noch fünf bis ſechshundert von jenen Sappeurs der Monarchie, die noch am Leben ſind und deren Namen der Moniteur mittheilte. Auch dieſe zu berathen iſt nützlich, um von den ent¬ ſcheidenden Gaſſengeſchichten, und den ſeitdem ſo ſehr umgeſtaltenen Schauplätzen der franzöſichen Revolution eine lebhafte Anſchauung zu gewinnen.
Ein herrliches deutſches Buch habe ich hier ge¬ leſen; ſchicken Sie gleich hin es holen zu laſſen. Briefe eines Narren an eine Närrin. Auch in Hamburg bei Campe erſchienen, der ſeine Freude daran hat, die Briefe aller Narren an alle Närrin¬ nen drucken zu laſſen. Es iſt ſo ſchnell abwechſelnd erhaben und tief, daß Sie vielleicht müde werden es zu leſen, ich bin es ſelbſt geworden und bin doch ein beſſerer Kopfhänger als Sie. Aber es iſt der An¬ ſtrengung werth. Der Narr iſt ein ſchöner und edler Geiſt und ſo unbekümmert um die ſchöne Form, wel¬ cher oft die beſten Schriftſteller ihr Beſtes aufopfern, daß dieſe, wie jede Kokette, weil verſchmäht, ſich ihm ſo eifriger zudringt. Der Verfaſſer ſchreibt ſchön ohne es zu wollen. Er iſt ein Republikaner wie alle Narren; denn wenn die Republikaner klug wären, dann bliebe ihnen nicht lange mehr etwas zu wünſchen übrig und ſie gewönnen Zeit ſich zu verlieben und Novellen zu ſchreiben. Nichts kommt ihm lächerlicher vor als das monarchiſche Weſen, nichts ſündlicher gegen Gott und die Natur. Er theilt meinen Abſcheu gegen die vergötterten großen Männer der Geſchichte und meint, die ſchöne Zeit werde kommen, wo es wie keine Hofräthe, ſo auch keine Helden mehr geben13 wird. Die Klügſten unter den Gegnern des Libera¬ lismus haben dieſen immer vorgeworfen, es ſei ihm gar nicht um dieſe oder jene Regierungsform zu thun, ſondern er wolle gar keine Regierung. Ich trage dieſe Sünde ſchon zwanzig Jahre in meinem Herzen und ſie hat mich noch in keinem Schlafe, in keiner gefährlichen Krankheit beunruhigt. Die Tyrannei der Willkühr war mir nie ſo verhaßt, wie die der Geſetze. Der Staat, die Regierung, das Geſetz, ſie müſſen alle ſuchen ſich überflüſſig zu ma¬ chen, und ein tugendhafter Juſtizrath ſeufzt gewiß, ſo oft er ſein Quartal einkaſſirt und ruft: O Gott! wie lange wird dieſer elende Zuſtand der Dinge noch dauern? Und bei dieſer Betrachtung hat der Ver¬ faſſer eine ſchöne Stelle, die ich wörtlich ausſchreiben will. „ Freilich iſt das Firmament ein Staat, und „ Gott ein Monarch, der ſich die Geſetze und die „ Bahnen unterordnet; aber die Sterne des Himmels „ werden einſt auf die Erde fallen, und Gott wird „ ſein ſtrahlendes Scepter und die Sonnenkrone von „ ſich werfen, und den Menſchen weinend in die Arme „ fallen, und die zitternden Seelen um Vergebung „ bitten, daß er ſie ſo lange in ſeinen allmächtigen „ Banden gefangen gehalten. “ Küſſen Sie den Un¬ bekannten in der Seele, der über die Wehen, die Geburten und Misgeburten dieſer Zeit ſo ſchöne Dinge geſagt. Auch eine betrübte räthſelhafte Er¬14 ſcheinung unſerer Tage, erklärt der Verfaſſer gut. Woher kömmt es, das ſo Viele in Deutſchland, die früher freiſinnig geweſen, es ſpäter nicht geblieben? Spötter werden ſagen: ſie haben ſich der Regierung verkauft; ich aber möchte nie ſo ſchlecht von den Menſchen denken. Ich war immer überzeugt, daß ein Wechſel der Hoffnung, gewöhnlich dem Lohne voraus¬ ginge, mit dem Regierungen, zur Aufmunterung der Tugend, dieſen Wechſel bezahlten. „ Sie könnten „ den Nachwuchs eines neuen Geſchlechtes nicht er¬ „ tragen; ſie wollten nicht, daß man munterer, drei¬ „ ſter dem gemeinſchaftlichen Feinde die Spitze bieten „ könne. Es iſt in Frankreich ebenſo gegangen. Die „ in der alten franzöſiſchen Kammer einſt die äußerſte „ Linke bildeten, die ausgezeichnetſten Glieder der ehe¬ „ maligen Oppoſition ſind nur darum in die rechte „ Mitte des Centrums hinaufgerückt, weil ſie nicht „ ertragen mochten, daß eine Weisheit, die ihnen ge¬ „ borgt war, ſich in jugendlichern Gemüthern lebendi¬ „ ger bethätigte. So ſind in Deutſchland die ehema¬ „ ligen Heerführer des Liberalismus die loyalſten Or¬ „ gane der Regierung geworden. Früher ſprachen ſie „ allein über gewiſſe Wahrheiten, jetzt thun es ihnen „ hundert Andere nach. “
An dem Buche habe ich nichts zu tadeln, als ſeinen Titel. Man ſoll ſich nicht toll, oder betrunken ſtellen wenn man die Wahrheit ſagt. Auch nicht ein¬15 mal im Scherze ſoll man eine ſolche Maske vor¬ halten, denn es gibt unwiſſende Menſchen genug, welche die Vermummung als einen Beweis anſehen, daß man nicht jeden Tag das Recht habe die Wahr¬ heit zu ſagen, ſondern nur während der Faſtnachts¬ zeit und in der Hanswurſtjacke. Ueberhaupt ſollten wir jetzt keinen Spaß machen, damit die großen Her¬ ren erkennen, daß uns gar nicht darum zu thun ſei, witzig zu ſeyn, ſondern ſie ſelbſt zu witzigen.
Ich muß noch einmal auf die Briefe eines Narren zurückkommen; das Wichtigſte hätte ich faſt vergeſſen. Stellen Sie ſich vor es wird in dem Buche erzählt: der goldene Hahn auf der frankfurter Brücke ſei abgenommen worden, und unſere Regie¬ rung habe es auf Befehl der Götter des taxiſchen Olymps thun müſſen, weil der Hahn ein Symbol der Freiheit ſei, der, ob er zwar nicht krähen könnte, ſintemal er von Meſſing iſt, doch als Kräh-Inſtru¬ ment in dem Munde eines ſachſenhäuſer Revolutio¬ nairs Staats - und diner-gefährlich werden könnte. Es wäre merkwürdig! aber ich glaube es nicht. Vielleicht war es ein Scherz von dem Verfaſſer, oder er hat es ſich aufbinden laſſen. Aber was iſt in Frankfurt unmöglich? Ich bitte, laſſen Sie doch **** auf die Sachſenhäuſer Brücke gehen und nach dem uralten Hahne ſehen. Iſt er noch da, dann werde ich den närriſchen Briefſteller öffentlich als einen Ver¬ läumder erklären.
Heute marſchieren die Franzoſen in Belgien ein, angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht aber auch um den König Leopold gegen ſein eigenes Land zu ſchützen, das ſeiner in den nächſten Tagen überdrüßig werden dürfte. Den Franzoſen gegenüber ziehen ſich die Preußen zuſammen, darauf zu wachen, daß das Volk in ſeiner Luſt nicht übermüthig werde, und ſich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm zugemeſſen. Was iſt dieſes Frankreich geſunken! Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons Aſche übrig iſt, es müßte ſich jetzt entzünden. Gleich ſchwach und verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬ rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu entſchul¬ digen, ſie war Erſchöpfung nach einem ungeheuern Tagewerke. Die jetzige Regierung aber iſt ſchwach und ſchlaff von vielem Schlafen. Und der Ernſt ge¬ gen Holland ſoll nur Komödie ſeyn, geſpielt der dok¬ trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft zu paradiren, daß ſie ſich befeſtige; denn von den Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin Frankreichs. Es iſt die wohlfeilſte Art Krieg zu füh¬ ren. Schon um acht Uhr dieſen Morgen erhielt ich ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier, der mich auf heute zu Tiſche bittet, um ihm denV. 218Triumph des Juſte-Milieus feyern zu helfen. Ich werde eſſen und lachen. Ich fange an einzuſehen, daß die Menſchheit kein Genie hat für die Wiſſen¬ ſchaft. Seit einigen tauſend Jahren geht ſie in die Schule und ſie hat noch nichts gelernt. Gott hätte ſie nicht ſollen zum Studieren beſtimmen, ſondern ein ehrliches Handwerk lernen laſſen.
Die arme Berry! Ihr verzeihe ich Alles, denn ſie iſt Mutter, und ſie glaubt an ihrem Rechte. Das iſt ihr von der früheſten Kindheit an gelehrt worden wie der Katechismus. Die heilloſen Königs-Pfaffen aber, die Bürgerblut für Waſſer anſehen, womit ſie ihren verkümmerten Thron-Sprößling begießen — Dieſe möchte ich Alle in dem Stübchen hinter dem Kamine einſperren, in welchem die Berry ſich ver¬ ſteckt hatte, und dann wollte ich das Feuer recht ſchüren. Was aber die neue Geſchichte ſchöne Ro¬ mane ſchreibt! wer es ihr nachthun könnte! Es that mir noch niemals ſo leid als jetzt, daß ich keine Ge¬ ſchicklichkeit zu ſo etwas habe. Das Ereigniß mit der Berry, welch ein herrlicher Stoff zu einem Ro¬ mane. Ihr Verräther der getaufte Jude, welch ein ſchönes Nacht - und Rabenſtück! Man begreift nicht warum dieſer Judas katholiſch geworden iſt. Als hätte er als Jude nicht auch ein Schurke werden können. Ich glaube es iſt kein gewöhnlicher Böſe¬ wicht; ſein Gewiſſen hat ein halbe Million gekoſtet,19 und er iſt blaß geworden, als er den Verrath voll¬ endete.
Ein Münchner Bierbrauer und der Dr. Lindner, werden mit dem Könige Otto nach Griechenland zie¬ hen, um dort baieriſch Bier und ruſſiſche Treue ein¬ zuführen. Griechenland ſoll ein Theil des deutſchen Bundes werden, und die griechiſchen Zeitungen müſ¬ ſen Alle in deutſcher Sprache geſchrieben werden, da¬ mit ſie der Hofrath Rouſſeau verſtehe, der zum Cen¬ ſor in Nauplia ernannt worden iſt. Carove tritt zur griechiſchen Religion über und wird Conſiſtorial-Rath in Athen. Der Profeſſor Bömel wird Cenſor aller griechiſchen Claſſiker, die ohne Cenſur nicht neu ge¬ druckt werden dürfen. Dieſe Neuigkeiten ſtanden geſtern Abend im Meſſager.
Adieu für heute.
2 *Schon geſtern wollte ich zu ſchreiben anfangen; aber da lag mir der Schrecken von Vorgeſtern zehn Pfund ſchwer in den Fingern, und ich konnte nicht. Sie wiſſen jetzt, daß man unſern guten König hat umbringen wollen, und daß die beſte aller Republi¬ ken in großer Gefahr war. Nie hat ſich die Vor¬ ſehung ſo glänzend gezeigt als dieſes Mal. Sie hat nicht allein verhindert, daß der König getroffen werde, welches ihr als Leibwache der Fürſten Pflicht war; ſondern ſie hat auch verhindert, daß keiner von den Hunderten von Nicht-Königen, die den König eng umſchloſſen und um die ſie ſich nicht zu bekümmern21 hat, verletzt werde. Sie hat noch mehr gethan. Sie hat, was ihr ein Leichtes geweſen wäre, den Mör¬ der (oder den Elenden, wie die Miniſter in allen Blättern ſagen) nicht den Händen der Gerechtigkeit überliefert, ſondern ihn entwiſchen laſſen, damit er ohne Buße ſterbe und jenſeits in ewiger Verdammniß leide. Der Mörder gab ſich alle mögliche Mühe entdeckt zu werden, aber es half ihm nicht. Statt einen andern Tag zu wählen, wo dem Könige, da er weniger be¬ wacht iſt, ſo leicht beizukommen wäre, wählte er ge¬ rade einen Tag, wo viele tauſend Soldaten alle Straßen beſetzt hielten, wo unzählige Polizei-Agen¬ ten unter dem Volke gemiſcht waren, und der König ſelbſt von einem dichten undurchdringlichen Gefolge umpanzert war. Statt ſich auf die freie Straße hinzuſtellen, wo nach der That Hoffnung zur Flucht blieb, ſtellte ſich der Mörder auf die Brücke, wo auf zwei Seiten nicht auszuweichen war, und die zwei engen Zugänge augenblicklich geſperrt werden konnten, wie es auch wirklich geſchehen. Die Kugel war nir¬ gends zu finden, und der König war naiv genug Abends bei Hofe zu erklären, er habe die Kugel nicht ziſchen hören. Sehen Sie, das nennt man regie¬ ren, und wenn Sie das jetzt nicht begreifen, bleiben Sie dumm ihr Leben lang. Bei dieſer Gelegenheit aber konnte ich mich ſchämen, daß ich, ein Liberaler, erſt mit anderthalb Jahren begreife, was die Abſo¬22 lutiſten ſchon längſt verſtanden und erklärt haben: daß nämlich nichts lächerlicher ſei als eine conſtitu¬ tionelle Monarchie. Wenn in Petersburg, Wien und Berlin ſolche Polizei-Komödien aufgeführt wer¬ den, dort, wo nur Kinder und unerfahrne Menſchen auf der Galerie ſitzen, die alles für Ernſt nehmen, und gleich Kotzebue's Landedelmann in der Reſidenz, im Stande ſind einen Schauſpieler durchzuprügeln, der als Graf Leiceſter die ſchöne Maria Stuart ver¬ rathen — dort hat doch der Spaß einen Zweck, und findet ſich ja einmal ein naſeweiſer Theater-Kritiker, der das Spiel beurtheilt, dreht man ihm den Hals um. Hier aber, wo Oeffentlichkeit, wo Preßfreiheit herrſcht, wo tauſend Menſchen es laut ausſprechen, es ſei ein Polizeiſchuß geweſen — wozu? Darum iſt eine conſtitutionelle Monarchie ein lächerliches Ding, darum bin ich Republikaner geworden, und verzeihe es den andern, wenn ſie Abſolutiſten ſind. Einer von uns wird den Sieg davon tragen; das Juſte - Milieu aber, dieſe Misgeburt mit zwei Rücken, be¬ ſtimmt auf beiden Seiten Prügel zu bekommen — wird ſie bekommen und wird, nachdem ihm aller Saft ausgedrückt worden, wie eine Citronenſchale, auf die Gaſſe geworfen werden.
Aber in dieſen Augenblicke erhalte ich Ihren Brief und ich will mich eilen ihn zu beantworten,23 ehe das Gemetzel in Antwerpen angeht, das vielleicht die Sperrung des Poſtenlaufs nach Deutſchland zur Folge haben kann. Die Holländer in der Citadelle haben zwei hundert Mörſer, die Franzoſen in der Stadt vierhundert. Dieſe ſechshundert Mörſer kön¬ nen in Zeit von einer Stunde zwölftauſend Men¬ ſchen zerſtoßen. Dann gäbe es zwar zwölftauſend Narren weniger in der Stadt; aber ſie dauern mich doch die armen zerquetſchten Menſchen! Es bleiben ſo viele Narren noch übrig, daß man den kleinen Abgang nicht ſpüren wird. Sich todt ſchießen zu laſſen um einen Taufnamen, daß ein König Wilhelm oder Leopold heiße! Die Erde iſt das Tollhaus der Welt und alle Narren des Firmaments ſind da ver¬ ſammelt.
Es darf Sie nicht wundern, daß die vier Bände Tugend von Balzac mir keine Langeweile ge¬ macht. Denn erſtens iſt es weibliche Tugend, die mich nicht hindert, ich meine nicht mehr. Dann ſind es gerade nicht immer tugendhafte Perſonen die auftreten, ſondern im Gegentheile. Nachdem man aber mit den andern den Blumenweg der Un¬ tugend gewandert, ſtellt der Verfaſſer tugendhafte Betrachtungen an, die man ſich gefallen läßt, weil ſie nichts koſten, denn man hat den Profit voraus. Aber ich kann Ihnen den Balzac nicht genug loben. 24Noch ein anderes Werk liegt auf meinem Tiſche von dem nämlichen Schriftſteller; ich habe es aber noch nicht geleſen: Physilogie du mariage ou méditations de philosophie éclectique sur le bonheur et le malheur conjugal. Publiée par un jeune célibataire. Zwei Theile. Es wird aber noch lange dauern, bis ich mit Ihnen von dem Buche ſprechen kann; denn ich will es nicht blos leſen, ſondern ſtudiren. Und[warum] ſtudiren? Darüber hängt noch der Schleier des Geheimniſſes; aber man wird erſtaunen zur gehörigen Zeit. Wichtige Dinge ſind im Werke.
Schicken Sie mir doch künftig zur Erleichterung des Briefporto's ein Verzeichniß derjenigen Perſonen in Frankfurt, die noch nicht arretirt ſind. Sie trei¬ ben es dort in's Große und es fehlt ihnen wenig mehr zu einer Macht des erſtens Ranges. Wenn ſie in Frankfurt einen Jarke gebrauchen, ſollten ſie ſich an mich wenden; ich habe hier einen guten Freund, der gar zu gern ein Spitzbube werden möchte; er hat aber bis jetzt noch keine Gelegenheit dazu gefunden. Er beſucht mich um keinen Preis und weicht mir aus ſoviel er kann, aus Furcht für einen ehrlichen Mann gehalten zu werden und dadurch ſeinem Fortkommen zu ſchaden. Nach dem Eſchen¬ heimer Thurm wäſſert mir der Mund, ich möchte gar25 zu gern darin ſitzen. Welch 'ein romantiſches Ge¬ fängniß! Auf der einen Seite die Ausſicht nach der Promenade, auf der andern in die Zimmer des Herrn von Nagler. Sein erſter Legationsſekretair ſtünde den ganzen Tag am Fenſter, meine Seufzer zu de¬ chifriren. Welch' einen ſchönen Roman könnte unſer Frankfurter Walter Scott daraus machen! Iſt es wahr, daß der Senat den Mehlberg will befeſtigen laſſen, angeblich gegen die Franzoſen, eigentlich aber um die rebelliſchen Frankfurter im Zaume zu halten, und daß man alle Staatsverbrecher nach der Brücken¬ inſel deportiren will? Geſtern in der Kammer hat man davon geſprochen.
Hören Sie. Ein Deutſcher hier, der ſich für die Auswanderung nach Amerika intereſſirt und dafür ſchreibt, forderte mich neulich auf, auch dahin zu zie¬ hen. Ich antwortete ihm: das thäte ich wohl gern, wenn ich nicht fürchtete, daß, ſobald unſerer Vierzig¬ tauſend am Ohio wären, und nun der neue Staat organiſirt werden ſollte, von dieſen vierzigtauſend gu¬ ten deutſchen Senaten, neun und dreißig tauſend neun hundert neun und neunzig, den Beſchluß faſſen möchten, ſich aus Deutſchland ein geliebtes Fürſtenkind zum Oberhaupte kommen zu laſſen. Es war ein Scherz des Augenblicks; aber nachdem er verſchallt, fiel mir bei wie viel Ernſt in der Sache ſey. O! wäre ich26 nur ſicher in meiner Vermuthung — auf der Stelle ging ich nach Amerika, blos um unſterblich zu wer¬ den; denn es wäre ein gewürzhafter Spaß, der mich einbalſamirte, meine Gebeine ein Jahrtauſend gegen Verweſung ſchützte — es wäre ein unſterblicher Spaß.
Die Rede, mit welcher der König die Kammer eröffnet, iſt wieder die alte Vorrede der Tyrannei. Die Regierung erklärt ſich für ſchwach und verlangt Kraftbrühen. Man weiß aus welchen Beſtandtheilen dieſe zuſammengeſetzt werden: förmliches Recht zu je¬ dem beliebigen Unrechte, Unterbrechung der Conſtitu¬ tion und Belagerungszuſtand, ſo oft man Furcht hat, beſonders Beſchränkung der Preßfreiheit, um der hei¬ ligen Allianz eine Bürgſchaft für Frankreichs Ohn¬ macht zu geben. Vielleicht fällt aber noch heute eine Bombe aus Antwerpen in den Topf. Die Kammer hat geſtern ihre Majorität ausgeſprochen. Sie hat ſich nicht für die linke Seite erklärt, aber auch nicht für die Doktrinairs. Düpin iſt zum Präſident er¬ nannt worden, er wird alſo Miniſter werden. Sein Blatt iſt der Conſtitutionell, daraus können Sie alſo ſein Syſtem kennen lernen. Es iſt aber beſſer, Sie leſen den Balzac. Ich bin ſo kleinlaut und genüg¬ ſam geworden, daß ich mit Düpin zufrieden genug bin. Da mir eigentlich nur an Deutſchland liegt, ſo hoffe ich, daß Düpin Caſimir Perriers Krämer - Politik gegen das Ausland nicht fortſetzen wird.
Daß ſich Dr. Bunſen ſteif gemacht, das hat mich ſehr amuſirt. Wenn ſich alle ſteiften, ginge28 alles beſſer. Aber wenn man einen Deutſchen in's Gefängniß führt iſt er im Stande und zieht Schuhe an, um recht flink zu gehorchen.
Adieu. Ich gehe auf die Börſe um Neuigkei¬ ten zu erfahren. Das thue ich jetzt oft. Man hat geſtern einen jungen Mann arretirt, der den Schuß nach dem König gethan haben ſoll. Er hat dadurch ſich verdächtig gemacht, daß er ſeine großen Backen¬ bärte abſchneiden ließ. Was man vorſichtig ſein muß! Gerade heute wollte mir der Barbier auch meine Backenbärte ſtutzen; aber aus Furcht die Po¬ lizei könnte denken, ich wollte mich unkenntlich machen, ließ ich es nicht geſchehen. Ich warte damit bis der Mörder eingeſtanden, dann bin ich ſicher.
— Ich danke es den unbekannten Freunden ſehr, daß ſie mir die Polizeihunde angeben, die nach Paris geſchickt werden. Zwar bringt mir ſelbſt die Warnung keinen Nutzen, da ich nichts zu vertrauen habe und auch keinem trauen würde als dem Teufel ſelbſt, der eigentlich ein ehrlicher Mann, weil er ſich für nichts anders ausgiebt als was er iſt. Aber es giebt Andere hier, die etwas zu verſchweigen haben und welche von der ſchwarzen Magie der heiligen Allianz nicht viel wiſſen. Dieſe werde ich warnen. Uebrigens ſo oft ein Liberaler als ein Judas aus¬ gegeben wird, muß man das ohne Unterſuchung nicht annehmen. Es iſt eine von den Künſten der Polizei,29 um unter den Patrioten Mistrauen zu erregen und Verbindungen zu verhindern. Ich werde ſehen. Es iſt etwas in den Augen eines Menſchen was der geübteſte Schurke nicht in ſeiner Gewalt hat. Dieſes Etwas verräth ihn. Adieu!
Abends. Heute Mittag ging das Ungeheuer von Briefträger an meinem Hauſe vorbei und brachte mir nichts. Darüber war ich ſehr verdrießlich, ging früher als gewöhnlich aus und beſuchte die ****. Aber es gelang mir nicht, Sie dort zu vergeſſen. Auch war es thöricht, daß ich es verſucht. Iſt ein Frauenzimmer langweilig, kommen Sie mir zurück;31 iſt ſie liebenswürdig, noch mehr, es iſt keine Rettung als ich bleibe bei Ihnen. Gegen ſieben kam ich nach Hauſe. Da lag der Brief auf meinem Pulte ...
Den Gedanken des ****, ſtatt einer förmlichen franzöſiſchen Revolutionsgeſchichte, franzöſiſche Revo¬ lutions-Charaktere zu beſchreiben, hatte ich früher ſelbſt ſchon gehabt. Er hat aber auch darin Recht, daß dieſes eben ſo viel Arbeit als eine vollkommene Geſchichte nöthig machen würde. Robespierre war die höchſte Spitze der Revolution und da hinauf zu kommen, müßte ich auch den ganzen Weg zurücklegen; nur brauchte ich freilich mich nirgends ſo lange auf¬ zuhalten, als wenn ich die ganze Geſchichte beſchriebe. Aber **** hat Unrecht, wenn er meint ich wäre zu viel Patriot, nicht unbefangen genug. Ich bin es nur zu ſehr, zu ſehr Fataliſt. Ich würde den Adel entſchuldigen, wie es noch keiner gethan; aber frei¬ lich auch Robespierre. Ich übernähme es, alle rein zu waſchen von ihren Sünden, die Ariſtokraten von ihren Roſtflecken, die Demokraten von ihren Blut¬ flecken — nur nicht die welche Geld genommen wie Mirabeau. Dieſen Schmutz nimmt keine Liebe weg.
32Alſo mit dem Brückenhahn war es gelogen? Da ſehen Sie, da ſehen Sie, ſo ſind die Liberalen! Mit Feuer und Schwert ſollte man das Geſindel ausrotten. Nichts als Lug und Trug und Brand und Mord und Plünderung! So iſt es auch viel¬ leicht nicht wahr, was in einigen franzöſiſchen Zei¬ tungen ſteht: Daß die Sachſenhäuſer die Staats¬ gefangenen zu befreien geſucht, und daß darüber ein Aufruhr ſtatt gefunden: warum ſchreiben Sie mir denn gar nichts davon? Sie glauben es nicht, welche lächerliche Lügen über Deutſchland täglich in den hie¬ ſigen Blättern ſtehen. So las ich heute in der Tri¬ büne: der bekannte Vidocq ſei als Profeſſor der Spitzbüberei nach Heidelberg berufen worden, mit drei tauſend Gulden Gehalt und dem Titel als ge¬ heimer Hofrath. Soviel iſt gewiß, daß Vidocq von der Pariſer Polizei ſeinen ehrenvollen Abſchied be¬ kommen, und daß er weggereiſt, man weiß nicht wo¬ hin? Nur geſchwind von etwas anderem, ſonſt komme ich in die Fronterie hinein — und in die Effroniterie.
Von Diderots Briefen an ſeine Freundin (Mademoiſelle Volland hieß ſie) habe ich Ihnen im vorletzen Winter geſchrieben. In dieſen Tagen las ich die Fortſetzung. Da wir — Diderot und ich33 — ſeitdem zwei Jahre älter geworden, bewunderte ich noch mehr die Jugendlichkeit dieſes Mannes. So viel Punkte, ſo viel Küſſe ſind in ſeinen Briefen. Und die unnachahmliche Kunſt, daß man durch die zehen Jahre, die der Briefwechſel dauert, nie merkt, wie alt ſie denn eigentlich iſt. Anfänglich war ich ein dummer tugendhafter Deutſcher und urtheilte: weil er mit ihr von gewiſſen Dinge auf eine gewiſſe Art ſpricht, muß ſie wohl ihre Jugendzeit hinter ſich haben. Als ich aber den dritten Band las, ſah 'ich ein wie ich mich geirrt. Da ſpricht Diderot einmal von und mit ſeiner eigenen Tochter, die ſechszehen Jahre alt iſt. Nein, das Blut kann einem dabei gefrieren! Ueber Dinge in welchen ein Frauenzim¬ mer nicht eher Schülerin werden darf, als bis ſie Meiſterin geworden, und worin ſie nur die Erfah¬ rung belehren ſoll, wird Diderots Tochter von ihrem Vater wiſſenſchaftlich unterrichtet. Und er erzählt ſeiner Freundin umſtändlich und mit väterlichem Ent¬ zücken, wie verſtändig ſich ſeine Tochter dabei benom¬ men. Gut — ſagt ſie zuletzt — wir wollen keine Vorurtheile haben; aber der Anſtand, die Ueberein¬ kunft, der Schein iſt zu achten. Dann ſpricht ſie von Geiſt und Materie wie Holbach und die Andern. Der Satan von ſechszehen Jahren erkennt keineV. 334Seele an. Sie trägt an dem Tage eine Art Haube, die man damals Caleche nannte. Sie lächelt, ſagt ihrem Vater, wie auf der Straße ſie alle jungen Leute ſchön fänden, und wie ihr das Freude mache. „ Ich will lieber Vielen ein wenig gefallen, als Ei¬ „ nem viel. “ Der Vater weint vor Freude. Gott! wann ich eine ſolche Tochter hätte — es käme auf die Jahreszeit an — Sommers würde ich ſie in das Waſſer, Winters in den Kamin werfen. Doch ge¬ nug moraliſirt. „ Ich bin des trocknen Tones ſatt, muß wieder einmal den Teufel zeigen. “ Hören Sie. —
Damals kam ein König von Dänemark, blut¬ jung, erſt neunzehen Jahre alt nach Paris. Les deux rois se sont vus. Ils se sont dit tout plein des choses douces: — vous êtes monté bien jeune sur le Trône! — Sire, vos sujets ont encore été plus heureux que les miens. — Je n'ai point encore en l'honneur de voir votre famille. — Cela ne se peut pas: vous ne nous restez pas assez de[temps], ma famille est si nombreuse; ce sont mes sujets. — Et puis tous les Crocodiles qui étaient là présent se sont mis à pleurer. — Ueber den Brutus! der König von Dänemark beſuchte Diderot in ſeiner Wohnung35 im vierten Stocke und blieb zwei Stunden bei ihm. An dem nämlichen Tage traf er ihn Abends bei Hol¬ bach. Dieſer wußte nicht, daß Diderot den König ſchon geſehen, und hatte ſeine heimliche Freude daran, daß Diderot glaube er ſpräche mit einem ge¬ wöhnlichen Menſchen. Und Diderot lachte heimlich über Holbachs Täuſchung. Und wie liebenswürdig dieſer König ſei (er war den größten Theil ſeines Lebens und ſtarb 1808 wahnſinnig). Und was er ſchönes während ſeines Aufenthalts in Paris ge¬ ſprochen — über alle dieſe Erbärmlichkeiten zu ſprechen, wird der Philoſoph Diderot nicht müde. So ſind die Liberalen!
Etwas was ich nicht früher bemerkt, iſt mir beim Leſen von Diderots Briefen plötzlich klar ge¬ worden. Es iſt zum Erſtaunen! Voltaire ſtarb eilf Jahre, Diderot fünf vor dem Ausbruche der franzöſi¬ ſchen Revolution. Andere berühmte Staatsphilo¬ ſophen des achtzehenten Jahrhunderts haben noch länger herabgelebt. Und keiner dieſer Schriftſteller (wenigſtens ſo viel ich mich erinnere) hatte auch nur eine Ahndung von dem Herannahen einer ſocialen Umwälzung Frankreichs. Ja man kann nicht einmal ſagen, daß ſie einen deutlichen ſyſtematiſchen Wunſch darnach ausgeſprochen. Sie tadelten zwar viel und3 *36ſtark die beſtehende Ordnung der Dinge; aber ihr Eifer war doch mehr gegen die Staatsverwaltung als gegen die Verfaſſung gerichtet. Rouſſeau's Sy¬ ſtem machte auf praktiſche Wirkung keinen Anſpruch Voltaire ſchrieb nie auch nur ein einziges Wort ge¬ gen den Adel. Nur von Chamfort iſt mir bekannt, daß er aufrühreriſche Wünſche und Hoffnungen aus¬ geſprochen; aber das geſchah ſehr ſpät, nur in ver¬ trauter mündlicher Unterhaltung, und ſeine Gleichge¬ ſinnten ſelbſt haben ihn wie einen tollen Menſchen angehört. Der Haß und der Kampf aller jener[re¬ volutionären][Schriftſteller] waren nur gegen die Geiſt¬ lichkeit gerichtet. Es ſcheint alſo daß die geiſtliche Macht, wenn auch nicht die ſtärkſte, doch die vorderſte und höchſte Mauer bildete, welche als Befeſtigung die Tyrannei umzog, und daß man erſt, nachdem dieſe Mauer durchbrochen war, dahinter Adel und Fürſtenthum als Graben und Wall, gewahrte, aus¬ füllte und ſtürmte. Waren ſelbſt damals die Philo¬ ſophen ſo blind, darf man ſich über die Verblendung des Adels und der Fürſten gewiß nicht wundern. Wie wurden die franzöſiſchen Schriftſteller des acht¬ zehnten Jahrhunderts von allen Großen geliebkoſt! Freilich ſtellten ſie ſie nicht höher als gute Schau¬ ſpieler und ſchöne Opertänzerinnen; aber ſie wären gewiß nicht ſo freundlich gegen ſie geweſen, hätten37 ſie deren Gefährlichkeit eingeſehen. — Quand la raison vient aux hommes? — wollte Diderots Freundin wiſſen. Le lendemain des femmes, et ils attendent toujours ce Lendemain — ant¬ wortete er.
Iſt es wahr, was heute die hieſigen Blätter erzählen, daß die Polizei in Frankfurt ſo unver¬ ſchämt geweſen, dort den Frauenverein vor ihr bru¬ tales Gericht zu laden, weil er für die vertriebenen und eingekerkerten Patrioten, Geldbeiträge geſammelt und daß der Frauenverein ſich die große Freiheit ge¬ nommen, die Polizei auszulachen und nicht zu er¬ ſcheinen? Es wäre gar zu ſchön, und daß die Männer erſt von ihren Frauen lernen müſſen, wie man den Muth habe ſich dem Uebermuthe entgegen zu ſetzen. Ich ſage nicht die Deutſchen wären feige,39 denn ich bin ein warmer Anhänger von Lichtenbergs menſchendfreundlicher Moral. Lichtenberg aber be¬ hauptet, es ſei boshaft und lächerlich, eine Tugend die irgend ein Menſch nur im kleinen Grade beſitzt, Laſter zu nennen. Statt zu ſagen ein Menſch habe einen kleinen Grad von Thätigkeit, einen kleinen Grad von Verſtand, ſage man er ſei faul, dumm. Ich thue das nicht. Ich lobe die Deutſchen daß ſie einen kleinen Grad von Muth haben. Nur das tadle ich, daß ſie nicht alle ihren Pfennigsmuth in eine gemeinſchaftliche Kaſſe werfen, wodurch ſich die Na¬ tion zu ihrem eignen Erſtaunen eine Million von Heldenthum ſammeln könnte. Es iſt unglaublich was man durch eine beharrliche und allgemeine Aſſo¬ ciation, ſelbſt der kleinſten Kräfte für eine große Macht bilden kann. Kürzlich wurden den engliſchen Miniſtern, welche für die Reformbill geſtimmt, von einem Theile der Stadt London große goldene Becher als Zeichen des Dankes überreicht. Jeder der Beitragenden hatte nur einen Pfennig gege¬ ben. Aber es waren dreimalhundert tauſend Pfennige. Wenn unter den dreißig Millionen Deutſchen, nur ſechs Millionen, jeder nur eine Minute lang Muth hätte — und ſo lange hat ihn ſelbſt ein Haſe, der von Hunden verfolgt, ſich zuweilen auf die Hinter¬ füße ſetzt — ſo hätten die ſechs Millionen Helden40 zuſammengerechnet Muth auf zwölf Jahre, und reichte der auch nicht hin den Senator Miltenberg und den Herrn von Guerike einzuſchüchtern, ſo würde doch der Bundestag dieſer impoſanten Macht nicht widerſtehen können. Aſſociation — das iſt das ganze Geheimniß. Die tapfern Würtemberger Li¬ beralen haben alle eine Minute Muth, ſie verſtehen aber nicht Stunden und Tage daraus zu machen, wodurch ſie den falſchen aber traurigen Schein ge¬ winnen als wären ſie feige. Neulich hat der König von Würtemberg einigen hochgeachteten Deputirten in Stuttgard auf ihr Allerunterthänigſtes Anſuchen, die allergnädigſte Erlaubniß ertheilt, ſich jede Woche einmal, an einem beſtimmten Tage, in einem Hauſe außerhalb der Stadt zu ver¬ ſammeln, um die Paragraphe der Verfaſſung juri¬ ſtiſch zu erläutern — juriſtiſch nur, bei Leibe nicht politiſch — ſetzte das menſchenfreundliche könig¬ liche Reſcript, mit aufgehobnem Finger lächlend dro¬ hend, hinzu. So verfährt eine gute Polizei auch mit dem Schießpulver und allen ſtinkenden Gewer¬ ben. Zur Stadt hinaus! Nun, ich nehme die allergnädigſte königliche Erlaubniß nicht übel, im Gegentheile, ich finde ſie ſehr erhaben. Aber, daß die Deputirten um ſolche Bewillung allerunterthä¬ nigſt nachgeſucht, das empört mich. Ich mag mich41 gegen den guten Staberl, der mir ſo viele frohe Stunden gemacht nicht undankbar bezeigen; ſonſt würde ich das deutſche Volk mit ihm vergleichen. Ich ſah einmal Staberl als Ehemann. An einem rauhen Wintermorgen ſaß ſeine Frau vor dem Ofen und trank Chocolade. Da kam Staberl mit einem großen Korbe, der mit Gemüſen, Eiern, Hühnern angefüllt war, vom Markte zurück. Die Frau lobte oder ſchmähte den Gimpel, je nachdem ſie mit ſeinen Einkäufen zufrieden oder unzufrieden war. „ Wo „ ſind denn die Krebſe? “fragte die Frau. „ Ach — „ erwiederte Staberl — ſie ſind aus dem Korbe ge¬ „ ſprungen, ich ihnen nach; da ſie aber rückwärts „ gingen, konnte ich ſie nicht einholen. “ Darauf gibt ihm die Frau eine Ohrfeige. Aber Staberl ärgert ſich nicht, ſondern bittet ſeine Frau unterthänigſt freundlich um einen Kreutzer, ſich damit einen Bretzel zu kaufen .... Iſt das deutſche Volk nicht ein ächter Staberl. Seine Regierung, wie jede, iſt ſeine Frau, beſtimmt ſeine Wirthſchaft und Haushal¬ tung zu führen. Statt deſſen aber geht das Volk, der Mann, auf den Markt, während die Frau Re¬ gierung ſich gütlich thut, und das Gimpelvolk bettelt bei ſeiner Regierung um einen Kreutzer, und iſt glücklich wenn es ihn erhält! ... Und die Krebſe? [Nun], das ſind die conſtitutionellen Fürſten, und die42 Staberl von Liberalen, entſchuldigen ſich, daß ſie ſie nicht hätten einholen können weil ſie rückwärts ge¬ laufen. Ohrfeigen den Gimpeln!
— Victor Hugo hat vor einigen Tagen ein neues Drama Le roi s'amuse auf das Theatre Français gebracht. Hinein zu kommen war mir nicht möglich an dieſem Tage; denn alle brauchbare Plätze waren lange vorher beſtellt. Das Stück wurde faſt ausgepfiffen und nur mit der größten Anſtrengung vermochten die Freunde des Dichters es von gänzlichem Sturze zu retten. Ich habe ge¬ ſtern einen flüchtigen Blick in die Zeitungskritiken geworfen. Alle Blätter und von den verſchiedenſten Farben verdammen das Drama. Doch ich traue nicht recht. Sie ſagen Hugo habe Scherz und Ernſt, Poſſen und erhabene Reden unter einander gemiſcht. Nicht Ariſtoteles, nicht Racines Lehren habe er gekränkt — über ſolche Pedanterie ſei man längſt hinaus. Nein, die Natur ſelbſt habe er be¬ leidigt. Es muß etwas Ungeheures ſeyn, was Hugo begangen; er muß eine entſetzliche Schuld auf ſich geladen haben — ſeit Müllner iſt Hugo ein Name ſchlimmer Vorbedeutung. Wir werden ſehen; in einigen Tagen wird das Stück gedruckt erſcheinen. Dazu kömmt noch, daß — auf allerhöchſte Ver¬43 anlaſſung, wie wir in Deutſchland ſagen würden, die fernere Aufführung des Drama's von dem Mi¬ niſter verboten worden iſt. Um Ariſtoteles und die Natur bekümmert ſich kein Miniſter, das Verbot muß alſo einen andern Grund haben. Adieu.
.... Dabei fiel mir ein, wie nöthig und nützlich es wäre, einmal mit Ernſt und Würde, doch in einer faßlichen, Kindern und Weibern, und kindiſch weibiſchen Männern verſtändlichen Sprache, die Gräuel und Verrücktheiten der monarchiſchen Regie¬ rungen zu beſprechen. Es iſt unglaublich mit wel¬ cher Unverſchämtheit die Fürſten und deren Götzen¬ diener die Fieberphantaſien und Krämpfe der franzö¬ ſiſchen Revolution zu vorbedachten Verbrechen ſtem¬ peln, und dieſe Verbrechen als Nothwendigkeit, als angebohrne Natur jeder Republik darſtellen! Es iſt unglaublich, mit welcher blöden Geiſtesträgheit ſo45 viele Menſchen dieſe dummen Lügen annehmen; denn ſie brauchten nur die Hand nach ihrem Bücher¬ ſchranke auszuſtrecken, ſie brauchten nur eine Stunde lang die Weltgeſchichte zu durchblättern, um mit Schaamröthe zu erfahren, wie grob man ſie getäuſcht. Drei Jahre haben die Gräuel der franzöſiſchen Re¬ volution gedauert, dieſe rechnet man; aber daß die ſchweizeriſche Republik jetzt ſchon fünf hundert Jahre ſchuldlos lebt, daß die amerikaniſche Republik keinen Tropfen Bürgerblut gekoſtet, daß Rom ein halbes Jahrtauſend, daß Athen, Sparta, die italieniſchen Republiken des Mittelalters, die vielen freien Städte Deutſchlands ein vielhundertjähriges Leben glücklich und ruhmvoll vollendet, das rechnet man nicht! Seitdem der letzte Römer fiel, von Auguſtus bis Don Miguel, durch neunzehen Jahrhunderte, haben tauſend Königsgeſchlechter die Welt gemartert, durch¬ mordet, vergiftet — das rechnet man nicht! und die Gewaltthätigkeiten der franzöſiſchen Revolution haben nur das ſinnliche Glück derer zerſtört, welche jene betroffen; aber die Gewaltthätigkeiten der Monar¬ chien haben die Sittlichkeit der Bürger verdorben, haben Treue, Recht, Wahrheit, Glaube und Liebe rund umher[ausgerottet] und haben uns nicht bloß unglücklich gemacht, ſondern uns auch ſo umgeſchaf¬ fen daß wir unſer Unglück verdienten. Am Grabe der Schlachtopfer der Revolution darf man doch wei¬46 nen; die Schlachtopfer der Fürſten verdienen keine Thränen. Darum habe ich mir vorgenommen: es ſoll mein[nächſtes] Werk ſein, die Unſchuld der Re¬ publiken zu vertheidigen und die Verbrechen der Mo¬ narchieen anzuklagen. Zwanzig Jahrhunderte werde ich als Zeugen um mich herumſtellen, vier Welttheile werde ich als Beweisſtätte auf den Tiſch legen, funf¬ zig Millionen Leichen denke ich, werden den Thatbe¬ ſtand des Verbrechens hinlänglich feſtſtellen, und dann wollen wir doch ſehen, was die Advokaten der Für¬ ſten, die wortreichen Jarkes darauf zu antworten finden.
Dieſer Jarke iſt ein merkwürdiger Menſch. Man hat ihn von Berlin nach Wien berufen, wo er die halbe Beſoldung von Genz bekömmt. Aber er verdiente nicht deren hunderſten Theil, oder er ver¬ diente eine hundertmal größere — es kömmt nur darauf an, was man dem Genz bezahlen wollte, das Gute oder Schlechte an ihm. Dieſen katholiſch und toll gewordenen Jarke liebe ich ungemein, denn er dient mir, wie gewiß auch vielen andern zum nützli¬ chen Spiele und zum angenehmen Zeitvertreibe. Er giebt ſeit einem Jahre ein politiſches Wochenblatt heraus. Das iſt eine unterhaltende Camera obſcura; darin gehen alle Neigungen und Abneigungen, Wün¬ ſche und Verwünſchungen, Hoffnungen und Befürch¬ tungen, Freuden und Leiden, Aengſte und Tollkühn¬47 heiten und alle Zwecke und Mittelchen der Monar¬ chiſten und Ariſtokraten mit ihren Schatten hinter einander vorüber. Der gefällige Jarke! Er ver¬ räth alles, er warnt Alle. Die verborgenſten Ge¬ heimniſſe der großen Welt, ſchreibt er auf die Wand meines kleinen Zimmers. Ich erfahre von ihm, und erzähle jetzt Ihnen, was ſie mit uns vorhaben. Sie wollen nicht allein die Früchte und Blüthen und Blätter und Zweige und Stämme der Revolution zerſtören, ſondern auch ihre Wurzeln, ihre tiefſten ausgebreiteſten feſteſten Wurzeln und bliebe die halbe Erde daran hängen. Der Hofgärtner Jarke geht mit Meſſer und Schaufel und Beil umher, von einem Felde, von einem Lande iſt das andere, von einem Volke zum Andern. Nachdem er alle Revo¬ lutionswurzeln ausgerottet und verbrannt, nachdem er die Gegenwart zerſtört hat, geht er zur Vergangen¬ heit zurück. Nachdem er der Revolution den Kopf abgeſchlagen und die unglückliche Delinquentin ausge¬ litten hat, verbietet er ihrer längſtverſtorbenen, längſt¬ verweſten Großmutter das Heirathen; er macht die Vergangenheit zur Tochter der Gegenwart. Iſt das nicht toll? Dieſen Sommer eiferte er gegen das Feſt von Hambach. Das unſchuldige Feſt! Der gute Hammel! Der Wolf von Bundestag der oben am Fluſſe ſoff, warf dem Schaafe von deutſchem Volke, das weiter unten trank vor: es trübe ihm48 das Waſſer, und er müſſe es auffreſſen. Herr Jarke iſt Zunge des Wolfes. Dann rottet er die Revo¬ lution in Baden, Rheinbaiern, Heſſen, Sachſen aus; dann die engliſche Reformbill; dann die polniſche, die belgiſche, die franzöſiſche Juli-Revolution. Dann vertheidigt er die göttlichen Rechte des Don Miguel. So geht er immer weiter zurück. Vor vier Wochen zerſtörte er Lafayette, nicht den Lafayette der Juli - Revolution, ſondern den Lafayette vor fünfzig Jah¬ ren, der für die amerikaniſche und die erſte franzöſi¬ ſche Revolution gekämpft. Jarke auf den Stiefeln Lafayette's herumkriechen! Es war mir, als ſähe ich einen Hund an dem Fuße der größten Pyramide ſcharren, mit dem Gedanken ſie umzuwerfen! Im¬ mer zurück! Vor vierzehn Tagen ſetzte er ſeine Schaufel an die hundert und fünfzigjährige engliſche Revolution, die von 1688. Bald kömmt die Reihe an den älteren Brutus, der die Tarquinier verjagt, und ſo wird Herr Jarke endlich zum lieben Gott ſelbſt kommen, der die Unvorſichtigkeit begangen, Adam und Eva zu erſchaffen, ehe er noch für einen König geſorgt hatte, wodurch ſich die Menſchheit in den Kopf geſetzt, ſie können auch ohne Fürſten be¬ ſtehen. Herr Jarke ſolle aber nicht vergeſſen, daß ſobald er mit Gott fertig geworden, man ihn in Wien nicht mehr braucht. Und dann Adieu Hof¬ raht, Adieu Beſoldung. Er wird wohl den Verſtand49 haben, dieſe eine Wurzel des Hambacher Feſtes ſte¬ hen zu laſſen.
Das iſt der nämliche Jarke, von dem ich in einem früheren Briefe Ihnen etwas mitzutheilen ver¬ ſprochen, was er über mich geäußert. Nicht über mich allein, es betraf auch wohl andere; aber an mich gedachte er gewiß am meiſten dabei. Im letz¬ ten Sommer ſchrieb er im politiſchen Wochenblatte einen Aufſatz: Deutſchland und die Revolution. Darin kommt folgende Stelle vor. Ob die artige Bosheit oder die großartige Dummheit mehr zu be¬ wundern ſey, iſt ſchwer zu entſcheiden.
„ Uebrigens iſt es vollkommen richtig, daß jene „ Grundſätze, wie wir ſie oben geſchildert, niemals „ ſchaffend ins wirkliche Leben treten, daß Deutſch¬ „ land niemals in eine[Republik] nach dem Zuſchnitte „ der heutigen Volksverführer umgewandelt, daß jene „ Freiheit und Gleichheit ſelbſt durch die Gewalt des „ Schreckens niemals durchgeſetzt werden könne; ja „ es iſt zweifelhaft, ob die frechſten Führer „ der ſchlechten Richtung nicht ſelbſt blos ein „ grauſenhaftes Spiel mit Deutſchlands „ höchſten Gütern ſpielen, ob ſie nicht ſelbſt „ am beſten wiſſen, daß dieſer Weg ohne „ Rettung zum Verderben führt und blos „ deshalb mit kluger Berechnung das Werk „ der Verführung treiben, um in einemV. 450„ großen welthiſtoriſchen Akte Rache zu neh¬ „ men für den Druck und die Schmach, den „ das Volk, dem ſie ihren Urſprung nach an¬ „ gehören, Jahrhunderte lang von dem unſ¬ „ rigen erduldet. “
O Herr Jarke, das iſt zu arg! Und als Sie dieſes ſchrieben, waren Sie noch nicht öſterreichiſcher Rath, ſondern nichts weiter als das preußiſche Ge¬ gentheil — wie werden Sie nicht erſt raſen, wenn Sie in der wiener Staatskanzlei ſitzen? Daß Sie uns die Ruchloſigkeit vorwerfen, wir wollen das deut¬ ſche Volk unglücklich machen, weil es uns ſelbſt un¬ glücklich gemacht — das verzeihen wir dem Crimi¬ naliſten und ſeiner ſchönen Imputations-Theorie. Daß Sie uns die Klugheit zutrauen, unter dem Scheine der Liebe unſere Feinde zu verderben — da¬ für müſſen wir uns bei dem Jeſuiten bedanken, der uns dadurch zu loben glaubte. Aber daß Sie uns für ſo dumm halten, wir würden eine Taube in der Hand für eine Lerche auf dem Dache fliegen laſſen — dafür müſſen Sie uns Rede ſtehen, Herr Jarke. Wie! Wenn wir das deutſche Volk haßten, würden wir mit aller unſerer Kraft dafür ſtreiten, es von der ſchmachvollſten Erniedrigung in der es verſunken, es von der bleiernen Tyrannei die auf ihm laſtet, es von dem Uebermuthe ſeiner Ariſtokraten, dem Hochmuthe ſeiner Fürſten, von dem Spotte aller51 Hofnarren, den Verläumdungen aller gedungenen Schriftſteller befreien zu helfen, um es den kleinen, bald vorübergehenden und ſo ehrenvollen Gefahren der Freiheit Preis zu geben? Haßten wir die Deut¬ ſchen, dann ſchrieben wir wie Sie, Herr Jarke. Aber bezahlen ließen wir uns nicht dafür; denn auch noch die ſündevolle Rache hat etwas das entheiligt werden kann.
Meiner Wohnung gegenüber iſt eine gute und große Leihbibliothek, und weil ich es ſo bequem habe, leſe ich viel und verſchlinge alles durcheinander wie ein heißhungriger Gymnaſiaſt. Zu zwei Taſſen Thee verzehrte ich geſtern den erſten Band eines neuen Romans: Indiana, par G. Sand. Er iſt aber nicht von dem dummen Sand der nur den Kotzebue umgebracht; der Verfaſſer iſt weder ein Deutſcher noch ein Franzoſe, ſondern eine Franzöſin, die die¬ ſen Namen angenommen. Ich habe mich nach der Verfaſſerin erkundigt und erfuhr, ſie ſei eine junge ſchöne, geiſtreiche und liebenswürdige verheirathete Dame, die aber von ihrem Manne ſich getrennt habe, um ungeſtört mit ihrem Liebhaber Apollo zu leben. Nun äußerte ich irgendwo, ich möchte die Verfaſſerin des Romans kennen lernen. Darauf bemerkte mir eine Dame: das würde für mich ſchwer zu erreichen ſein. Denn um von jenem Frauenzimmer empfan¬ gen zu werden, müſſe man jung, ſchön und liebens¬ würdig ſein. „ Mais comme vous n'êtes qu'aima¬53 ble “..... Es iſt doch ein jämmerlicher Cours, mit dem Leben 66 Prozent unter Pari zu ſtehen! Es wäre tauſendmal klüger gar Bankerott zu machen, und ſich eine Kugel durch den Kopf zu jagen.
In Frankfurt haben ſie ja den Wilhelm Tell verboten! Sie verbieten auch noch die Baſeler Leb¬ kuchen wegen der Unruhen im Lande. Es iſt merk¬ würdig was die deutſchen Regierungen für ein Ta¬ lent beſitzen, in die ſchrecklichſten Geſchichten Lächer¬ liches zu bringen. Wenn ich höre was ſie thun und ſprechen, weine ich mit dem rechten Auge und lache mit dem linken. Der König von Baiern läßt ſich von allen Städten, Dörfern und Flecken ſeines Rei¬ ches Deputationen ſchicken, die ihm, ſeinem Sohn, den Baiern, am meiſten aber Griechenland ſelbſt Glück wünſchen, daß ein baieriſches Kind den griechi¬ ſchen Thron beſteigt. Was mich am meiſten kränkt, iſt, daß auch die Bürger von Feuchtwangen ſtolz auf Griechenland ſind; daß ich aber als Kind eine Zeit lang unter ihnen gelebt — darauf ſind ſie nicht ſtolz die dummen Philiſter. O welche Zeiten! Jetzt muß man die bürgerlichen Reden und die königlichen Ant¬ worten hören. Hellas, Dinkelsbühl und deutſche Gauen! Denn um keinen Preis der Welt würde König Otto Griechenland anders nennen als Hellas, und die deutſchen Schmachfelder anders als deutſche Gauen. Und wie König Otto den Bürgermeiſter von Nürnberg ſagte: er möge nicht daran vergeſſen,55 daß einſt Nürnberg für die deutſchen Gauen war, was Hellas für die Welt geweſen, und weil einſt Hellas die Welt mit Künſten und Wiſſenſchaften ver¬ ſorgt, müſſe auch Nürnberg die deutſchen Gauen mit Künſten und Wiſſenſchaften verſorgen und Hellas und Nürnberg die wären wie zwei Brüder!
— Mit den Briefen eines Narren haben Sie Recht was die Form betrifft. Sie iſt affectirt und man merkt gleich, daß die Briefe nicht wirklich ge¬ ſchrieben. Uebrigens ſind ſie gut und ſchön und man muß ſolche Geſinnungen aufmuntern. Die Xe¬ nien und das Göthe-Büchlein und die Didaskalia ſchicken Sie mir doch, wenn ſich eine Gelegenheit findet.
— Das neue Drama von Viktor Hugo, deſſen fernere Aufführung unterſagt worden iſt, wurde aus keinem politiſchen Grunde verboten, ſondern wegen ſeiner Unmoralität. Alle Miniſter, welche die Cho¬ lera nicht gehabt haben, werden jetzt moraliſch. Das iſt eine merkwürdige Influenz! In einem der Zei¬ tungsartikel, die aus dem berliner Kabinette einge¬ ſchickt worden, beklagte man ſich neulich über Talley¬ rand, daß er die Preußen bei der londoner Conferenz betrogen habe und er wäre ſo zu ſagen, ein Spitz¬ bube. Talleyrand ein Spitzbube! Was die Un¬ ſchuld leiden muß! Und die ehrlichen Preußen jam¬ mern, daß ſie der Spitzbube überliſtet habe. Die56 verächtliche Schwäche der franzöſiſchen Regierung hat es dahin kommen laſſen, daß die noch verächtlichere Preußiſche wieder eine Rolle ſpielt. Schon iſt ſie ganz von Sinnen aus Hochmuth, ſie ſteht wieder im Mai 1806 und hat nur noch ein halbes Jahr bis zu Oktober. Damals wurde an Preußen der Ver¬ rath Deutſchlands, diesmal wird der Verrath Polens beſtraft.
O theure Freundin! was iſt der Menſch? ich weiß es nicht. Wenn Sie es wiſſen, ſagen Sie es mir. Vielleicht ein Hund der ſeinen Herrn verloren. Das Leben iſt ein Abc Buch. Ein Bischen Gold¬ ſchaum auf dem Einbande iſt all unſer Glück, un¬ ſere Weisheit nichts als ba, be, bi, und ſo bald wir buchſtabiren gelernt, müſſen wir ſterben und die Unwiſſenheit fängt von Neuem an. Wer ahndet meinen Schmerz? Wer ſieht den Wurm der an meinem Herzen nagt? O! man kann eſſen und lachen und Zahnſchmerzen haben und doch unglücklich ſeyn! Wenn ich auf die Straße hinunterſehe, und58 ſehe die Tauſende von Menſchen vorüber gehen, und keiner weicht meinem Fenſter aus, und keiner fürchtet zerſchmettert zu werden — — — ſollte nicht jeder Menſch, wie ein Dachdecker, ein Warnungs¬ zeichen vor ſeine Wohnung hängen? Iſt man denn nur eine einzige Stunde ſeines Glückes ſicher? Iſt einer ſicher, daß er ſich nicht in der nächſten Stunde zum Fenſter hinausſtürzt, und dabei einen Vorüber¬ gehenden todt ſchlägt? Aber Morgen, Uebermorgen entſcheidet ſich mein Schickſal und ich bin jetz ruhi¬ ger. Hören Sie meine jammervolle Geſchichte. — — — — —
— Ich habe Sonntag im Theater Français Hamlet geſehen — einen Hamlet. So etwas kann mich recht traurig machen. Was iſt Schönheit, was Hoheit, ja was jede Tugend? Sie ſind nicht mehr als was ſie erſcheinen, nichts Anders als wofür ſie jedes hält. Wenn aber dieſer Jeder ein Volk iſt, ein ganzes Land, ein Jahrhundert? Dann iſt der Schein alles und die Wirklichkeit nichts für Alle. Können nicht große Menſchen, ja Völker und Jahr¬ hunderte gelebt haben, die wir gar nicht erkannt, oder falſch, oder nicht genug? Vielleicht wird der wahre Chriſt erſt einem kommenden Geſchlechte ge¬ bohren. Das iſt die Traurigkeit. Was iſt Shake¬ ſpare den Deutſchen und was den Franzoſen? Dü¬ cis hat dieſen Hamlet vor ſiebenzig Jahren zurecht59 gemacht. Aber Dücis iſt kein einzelner Menſch, er iſt ein Volk, er iſt Frankreich und das Frankreich des achtzehenten Jahrhunderts, wo die Philoſophie der Kunſt und jede Wiſſenſchaft in der ſchönſten Blüthe ſtand. Es reicht nicht aus zu ſagen, Dücis habe den Shakespeare franzöſirt — nein. Er hat brittiſche Formen, welche mit franzöſiſchen Sitten im Widerſpruche ſtanden, geändert; ſonſt aber hat er den Shakespeare ganz wiedergegeben, wie er ihn gefunden. Aber ſeine Augen? Hat er denn nicht mehr geleſen? Nein was ſind Augen? die Diener des Geiſtes; ſie ſehen nicht mehr und nicht anders, als was ihnen ihr Herr zu ſehen befiehlt.
Dücis Hamlet ſieht auch den Geiſt ſeines Va¬ ters; aber nur er allein, der Zuſchauer nicht. Daß man mit rothen Backen und einem guten Magen Geiſter ſehen könne, davon hat ein Franzoſe keine Vorſtellung. Alſo iſt Hamlet verrückt und weil der Wahnſinn eine körperliche Krankheit immer zur Ur¬ ſache oder Folge hat, iſt Hamlet auch krank. Das iſt nun ſchauderhaft zu ſehen. Hamlet trägt einen ſchwarzen Ueberrock, iſt leichenblaß, hat ein wahres Cholerageſicht, ſchreit wie beſeſſen und fällt alle fünf Minuten in Ohnmacht. Wie nur der Lehnſtuhl nicht brach unter den vielen Ohnmachten, denn Hamlet fiel immer mit ſeinem ganzen Gewichte hinein? Sein Freund und Vertrauter ſucht ihm ſeine Einbildung60 auszureden. Er erklärt ihm ſehr vernünftig und pſychologiſch, woher es komme, daß er glaube den Geiſt ſeines Vaters zu ſehen. Kürzlich wäre ein König von England geſtorben und, dem Gerüchte nach, am Gifte das ihm ſeine Gemahlin gereicht. Ihn, Hamlet, habe dieſe Erzählung ſehr erſchüttert, er denke von Morgens bis Abends daran, und wo¬ mit ſich der Menſch bei Tage beſchäftige, das komme ihm im Traume vor. Der Schauſpieler Ligier, Talma's Nachfolger — im Amte, aber nicht im Gehalte — hat den Hamlet auf franzöſiſche Art gut genug geſpielt. Aber mir ward ganz übel dabei; es war eine Lazareth - und Tollhausſcene die zwei Stunden gedauert. Als ich nach dem Schauſpiel im Foyer Voltaires Büſte betrachtete, da ward mir Dücis Hamlet erſt recht klar. Ein Geſicht wie Scheidewaſſer, der wahre Anti-Hamlet. Man ſollte einen Tempel für unglücklich Liebende bauen, und Voltaires Bild als den Gott hineinſtellen. Auch ein Werther käme geheilt heraus. Darum liebe ich ihn ſo ſehr, weil ich ihn haſſen müßte wenn ich ihn nicht liebte, und er hat mir doch ſo wohl gethan. An einigen der wenigen unglücklichen Tage meines Lebens warf er einen Strahl ſeines Geiſtes in mein dunkles Herz, ich fand den Weg wieder und war gerettet. Unglück iſt Dunkelheit; Wem man die Geſtalt ſeiner Schmerzen zeigt dem zeigt man deren Grenzen. 61Daher begreife ich auch wie es ſo Viele giebt, die Voltaire tödtlich haſſen. Wie den Schmerz zerſtört er auch die Freude; denn Glück iſt auch Dunkelheit.
— Die Börſe iſt heute ſelig wie eine Braut. Die Renten ſind um einen Franken geſtiegen, weil der König der Deputation der Kammer geſagt hat, der Friede gedeihe herrlich und unſre Kinder wür¬ den bald von Antwerpen zurückkommen. Unſere Kin¬ der! wie man nur ſo etwas ſagen und anhören kann ohne zu lachen, begreife ich nicht. Was die Regierung Furcht hat vor ihrem eignen Muthe, was ſie zittert ſie möchte Ruhm erwerben, das glaubt keiner. Gott weiß auf welche Jüſte milieu-Art ſie Antwerpen belagern mögen! wahrſcheinlich ſind die Bomben mit welchen ſie ſchießen nur halb gefüllt. Aber wie undankbar zeigt ſich die Regierung und die Börſe gegen mich! ſie denken gar nicht daran, daß wenn ſie den Frieden behalten, ſie es mir zu ver¬ danken haben — ganz im Ernſte, mir. Wir, wir, Hambacher verhindern den Krieg. Die heilige Allianz fürchtet uns, ſie zittert vor uns. Zwar ſind viele Hambacher eingeſteckt, aber viele ſind noch frei. So lange ich frei umhergehe, wird es Preußen ge¬ wiß nicht wagen, Frankreich den Krieg zu erklären. Eigentlich ſollten die Renten ſteigen, ſo oft ich auf der Börſe erſcheine. Aber die franzöſiſche Regierung62 verſteht nichts von der deutſchen Politik, ſie iſt noch zu vernünftig dazu; es kann noch kommen. Nun gute Nacht. Viktor Hugo's Drama le roi s'amuse habe ich heute bekommen. Vor dem Schlafengehen leſe ich noch eine Stunde darin.
Was ich dieſe ganze Zeit über, unter Freunden, im Scherze vorher geſagt: die Polizei würde endlich für den fünften Akt der Königsmord-Komödie Einen herbeiſchaffen der freiwillig bekennt: er habe den Piſtolenſchuß gethan, das iſt jetzt wirklich eingetrof¬ fen. Ein junger Mann aus Verſailles iſt geſtern zum Polizei-Präfecten gekommen und hat erklärt, er ſei der Mörder, und Alle die als verdächtig einge¬ kerkerten wären unſchuldig. In einem zweiten Ver¬ hör nahm er ſein Bekenntniß zurück und erklärte wei¬ nend, er ſei unglücklich, des Lebens überdrüßig und habe dieſe ſchöne Gelegenheit, guillotinirt zu werden, benutzen wollen. So wird die Geſchichte geſtern Abend in den miniſteriellen Blättern erzählt. Nun bin ich begierig, ob der König von Baiern, um eine Macht des erſten Ranges zu werden, nicht auch eine ſolche Mord-Komödie aufführen, und bei irgend einer feierlichen Gelegenheit auf ſich ſchießen laſſen wird. Es geht fürchterlich in dieſem Lande her! dem Kö¬ nige iſt Hellas in den Kopf geſtiegen, und er ſieht alle Liberalen für antike Statuen, und die Gefäng¬ niſſe ſeines Landes für Muſeen an, in welchen er ſie aufſtellt. Ja es iſt wirklich wahr: dieſem Geiſt - und Körperſchwachen Könige iſt Hellas in den Kopf64 geſtiegen. Um den Preis dieſer Krone hat er die Ehre, das Glück, die Freiheit ſeines Volkes und ſeine eigne Unabhängigkeit verkauft. Um dieſem ſchnöden Tagelohn (denn nach Tagen, nicht nach Jahren wird man die Regierung Ottos zählen) iſt er ein Helfers-Helfer der heiligen Allianz, ein Knu¬ tenmeiſter Rußlands, ein Polizei-Scherge Oeſterreichs geworden.
In der heutigen Zeitung ſteht, in Heidelberg wäre ein Aufruhr geweſen mit Blut und Fenſter¬ ſcheiben; aber die deutſchen Blätter dürften nicht da¬ von ſprechen. Was iſt Wahres an der Sache?
Alle hieſigen Blätter ſprechen von der Verſtei¬ gerung der Frankfurter Mittwochsgeſellſchaft, von den fünfzehen Gulden, von den ledernen Hoſen und dem Senate. Es iſt Schade, daß die Zeitungen, wegen Antwerpen und den Kammerſitzungen ſo wenig Platz haben, ſonſt wären die Hoſen länger geworden. Es iſt ein herrlicher Spaß, aber der Ernſt in der Sache iſt noch ſchöner. Nur iſt es betrübt, daßV. 566man über den Spaß den Ernſt vergeſſen wird. Ich habe es immer geſagt: wenn zweihundert Bürger zuſammenhalten in gerechten Dingen, ſind ſie unbe¬ ſiegbar. Aber zuſammenhalten auf die rechte Art. Nicht wie ein langer Faden — er ſey noch ſo lang, das macht ihn nicht ſtärker, ein Kind zerreißt ihn — ſondern wie ein Knäul. Und nicht zuſammenge¬ halten in ſeltenen und großen Dingen — zu ſeltenen und großen Dingen finden ſich ſeltene und große Menſchen, die das allein vollbringen — ſondern in kleinen Dingen, die alltäglich wiederkehren. Um zu lernen wie man die Freiheit erwerbe und behaupte, beobachte man, wie die Tyrannei ihre Macht erlangt und erhält. Wodurch? Man glaubt gewöhnlich durch die bewaffnete Macht, durch phyſiſche Gewalt; es iſt aber Täuſchung. Wo noch ſo despotiſch, wird durch eine ſittliche Gewalt regiert. Wodurch wird eine bewaffnete Macht zuſammengebracht, zuſammen¬ gehalten? Durch[moraliſche] Einflüſſe, Furcht, Eigen¬ nutz, Ehre, Gemeingeiſt. Alle dieſe Hülfsmittel der Tyrannei ſtehen der Freiheit auch zu Gebote. Und wie ſelten wird die bewaffnete Macht gebraucht, und wo es geſchieht, da iſt es ſchon ein Kampf auf Le¬ ben und Tod zwiſchen der Tyrannei und der Freiheit. Eine Patrouille, womit man eine große Verſammlung Bürger aus einander treibt, iſt keine phyſiſche, ſon¬ dern eine moraliſche Gewalt, denn ſie iſt nur ein67 Symbol der Macht. Die Polizei, in ihr iſt die Macht der Tyrannei. Sie iſt die Krämerei des Despotismus, die ihn ſtündlich aber den ganzen Tag und alle Tage Lothweiſe ausgiebt und die Freiheit Pfennigweiſe[einnimmt]. Dieſer Krämerei des Des¬ potismus muß man eine Krämerei der Freiheit ent¬ gegen ſetzen. Man kann in Frankfurt alle Tage Hambacher Feſte feiern, ohne daß es die Polizei ver¬ hindern oder beſtrafen kann. Wie dort zwanzig Tau¬ ſende auf einem Berge ſich verſammeln, mögen ſich hier fünfhundert freiſinnige Bürger täglich in den verſchiedenen Gaſthöfen zerſtreuen. Statt wie dort lange Reden, mögen hier kurze Sätze für die Frei¬ heit geſprochen werden. Sie ſollen nur unbekümmert ſeyn, das Wort im Schwanen findet ſich mit dem Worte im engliſchen Hofe zuſammen — es giebt einen Gott der das redigirt. Man muß die Polizei müde machen, man muß blinde Kuh mit ihr ſpielen; es iſt nichts leichteres als das. Beſonders bei der Frankfurter; der fehlt zur blinden Kuh nichts als ein Schnupftuch. Freilich pflügt ſie jetzt mit dem Kalbe des Herrn von Münch-Bellingshauſen, und kann manches Räthſel errathen, ſo verſtockt ſie ſonſt auch iſt. Aber wenn auch!
Nicht zu vergeſſen Le roi s'amuse ... Les rois s'amusent — aber Geduld! ... Sehen Sie, es giebt Schriftſteller, die man liebt, deren6*68Werke nämlich; liebt mit freier Liebe, nicht blos weil ſie Achtung verdienen. Mir iſt Victor Hugo ein ſolcher. Seine Vorzüge ſehe ich mit großen Augen, ſeine Fehler wie zwiſchen Schlafen und Wa¬ chen an. Ich entſchuldige ſie und wenn ich das Buch zu Ende geleſen, habe ich ſie vergeſſen. Aber dieſes Mal kann ich nicht. Ich habe das vor fünfzehen Jahren kommen ſehen, ich habe ſeitdem oft davon geſprochen. Es herrſcht jetzt ein Terrorismus, ein Sanscülotismus, ein Jacobinismus (drei Worte wie Kampher, die Cenſurmotten abzuhalten) in der franzöſiſchen Litteratur. Es iſt der Uebergang vom Despotismus zur conſtitutionellen Freiheit. Sie haben noch nicht gelernt Freiheit mit Ordnung paaren. Jede Regel iſt ihnen Tyrannei, jeder Anſtand Ari¬ ſtokratismus, Tugend, Schönheit und Würde — in der Kunſt — ſind ihnen Vorrechte. Sie nivelliren alles, ſie dutzen alles. Sie ſagen: Bürger Gott, Bürger Teufel, Bürger Pfarrer, Bürger Henker. Sie dulden keine Kleidung an nichts, und hätte ſie die Natur ſelbſt angemeſſen. So führt Despotie auch in der Kunſt zur Anarchie. Die alte franzöſi¬ ſche Kunſt ging im Reifrocke; das war lächerlich, ab¬ geſchmackt, ungeſund, naturwidrig. Aber zwiſchen Reifrock und Haut liegt noch manches Kleidungs¬ ſtück, man ſoll die Kunſt nicht bis auf das Hemd ausziehen. Sie wollen es nackt — gut es ſei; man69 kan ſich daran gewöhnen. Aber geſchunden! Die neuen franzöſiſchen Dramatiker ſchinden alles: Die Liebe, den Haß, das Verbrechen, das Unglück, Schmerz und Luſt. Das iſt abſcheulich! Die Na¬ tur ſelbſt gibt jedem Dinge eine Haut, jedem Dinge wenigſtens eine Farbe zur Hülle. Das farbenloſe Licht, das iſt der Tod, die Fäulniß, das iſt gräßlich.
Ich habe aufhören müſſen. Seit einigen Tagen werde ich von grauſamen Zahnſchmerzen geplagt. Am Tage ſind ſie leidlicher; da bin ich aber müde von der ſchlafloſen Nacht. Es iſt ein Fluß und ich werde ſehen wie ich hinüber komme. Der unſchul¬ dige Hugo kann wohl darunter leiden; ein Rezenſent iſt ein Wolf, einer der Zahnſchmerzen hat, gar ein toller Wolf. Ich habe oben die äußerſte Grenze des Verderbens bezeichnet, der man freilich noch viel nä¬ her kommen kann als Victor Hugo. Er hat eine Grazie die ihn am Aermel zupft, ſo oft er es gar zu toll macht.
Die Handlung ſpielt in der Zeit und am Hofe Franz des Erſten. Das iſt der franzöſiſche König der in ſeinem vier und fünfzigſten Jahre an einer unglücklichen Liebe ſtarb. Damals war eine un¬ glückliche Liebe noch nicht heilbar. König Franz liebt ſein ganzes Leben und das ganze Drama durch. Das Koſen, das Küſſen, das Umarmen nimmt kein Ende. Und alles in Gegenwart der Hofleute und der Tauſende von Zuſehern unter welchen Leute ſind wie ich. Es iſt abſcheulich. Racines Fürſten und Helden ſchmachten und weinen wenn ſie lieben; ihre Krone ſchmilzt ihnen auf dem Kopfe und tröpfelt in71 goldenen Thränen herab. Das iſt Unnatur; denn ein König iſt früher König als Menſch. Victor Hugo's Franz der Erſte überläßt das Weinen ſeinen Geliebten, er ſchmachtet nicht, ſondern er lacht, er liebt wie ein König — le roi s'amuse. Das iſt Natur, aber es iſt die häßliche Natur und was hä߬ lich, iſt unſittlich. Bis jetzt die komiſche Unmorali¬ tät; jetzt kömmt die tragiſche, die tragiſche Häßlich¬ keit .... Jetzt kömmt aber auch der Zahnarzt nach dem ich geſchickt habe. Fortſetzung im nächſten Briefe.
Le roi s'amuse; Fortſetzung. Vielleicht mache ich den Beſchluß erſt in einem dritten Briefe. Sie hätten es dann immer noch beſſer, als die Le¬ ſer des Abendblattes und Morgenblattes, die mit himmliſch deutſcher Geduld vier Monate lang an einer Novelle buchſtabiren und längere Zeit brauchen die Geſchichte zu leſen, als die Geſchichte ſelbſt brauchte um zu geſchehen. Ich bin heute noch etwas ſatyriſch, ich habe noch Zahnſchmerzen. Triboulet iſt der Hofnarr des Königs. Er iſt klug und bos¬ haft wie alle Hofnarren, und hat einen Buckel. Viktor Hugo ſagt (in der Vorrede) er ſei auch73 kränklich; woher er das weiß, weiß ich nicht. Er ſagt ferner: Triboulet haſſe den König, weil er Kö¬ nig ſei; die Hofleute, weil ſie Vornehme wären; alle Menſchen weil ſie keine Buckel hätten. Ich habe aber von dem Allem nichts gemerkt und ich halte es für Verläumdung. Es iſt überhaupt merk¬ würdig, wie wenig der Dichter ſein eignes Werk ver¬ ſtand, oder vielmehr wie er es zu verkennen ſich an¬ ſtellt, um ſich gegen die Beſchuldigung der Unſittlich¬ keit zu vertheidigen. So oft Triboulet aufſpürt, daß einer der Hofleute eine ſchöne Frau, Tochter oder Schweſter hat, verräth er es dem Könige. Der Kuppelei bedurfte es übrigens nicht viel; denn König Franz, wie die Könige aller Zeiten und die Vorneh¬ men der damaligen, machte wenig Umſtände. Franz geht verkleidet auf nächtliche Abentheuer aus, beſucht die Weinſchenken und garſtigen Häuſer und taumelt ſingend und betrunken in ſein Louvre zurück. Aber der Dichter ließ dem Könige von ſeiner ganzen fürſt¬ lichen Natur nichts als die Schonungsloſigkeit, und man begreift nicht, warum er ſeinen liederlichen jun¬ gen Menſchen gerade unter den Königen wählte. Wie ganz anders hat Shakespeare es verſtanden, als er einen liebenswürdigen Kronprinzen, den kurzen Car¬ neval vor der langen und traurigen königlichen Fa¬ ſtenzeit luſtig und toll durchleben ließ. Bei Heinrich74 iſt die Gemeinheit eine Maske, bei Franz iſt die Krone eine.
Die Hofleute haſſen dieſen Triboulet, weil er ſie Alle ungeſtraft necken und ihnen boshafte Streiche ſpielen darf. Da machen ſie die Entdeckung, daß ſich der Narr oft des Nachts verkleidet in ein ab¬ gelegenes Haus ſchleiche. Es kann nichts anders ſein, meinen ſie, Triboulet hat eine Geliebte, und ſie nehmen ſich vor, daß luſtige Geheimniß aufzudecken. Beim Lever des Königs war von nichts Anderm die Rede: Triboulet hat ein Schätzchen. Der König und der ganze Hof wollen ſich todt darüber lachen.
Eines Abends im Dunkeln, macht Triboulet ſeinen gewohnten geheimnißvollen Gang und ſchleicht ſich mit ängſtlicher Vorſicht in ein Haus, zu dem er den Schlüſſel hat. Wir wollen uns mit hineinſchlei¬ chen; es muß ſchön ſein zu ſehen, wie der bucklichte und tückiſche alte Narr liebt. Schön war es auch, nur ganz Anders als die ſchurkiſchen Hofleute es ſich vorgeſtellt. (Die Erde liege ſchwer auf ihnen, weil ſie meinen Triboulet, den ich liebe ſo unglücklich ge¬ macht.) Nachdem Triboulet die Thüre hinter ſich verſchloſſen, ſetzt er ſich im Hofe, der das Haus um¬ giebt, auf eine Bank nieder und weint. Doch weint er nicht vor Schmerz, er weint vor Luſt; das Wei¬75 nen iſt ſein Feierabend und er weint alle Thränen, die er zurückhalten muß ſo lange die Sonne ſcheint. Er klagt im Selbſtgeſpräche: jeder Menſch, der Sol¬ dat, der Bettler, der Galeerenſclave, der Schuldige auf der Folter des Gewiſſens, der Verbrecher im Kerker, dieſe Unglücklichen Alle hätten das Recht, nicht zu lachen wenn ſie nicht wollten, das Recht zu weinen ſo oft ſie wollten, nur er hätte dieſe Rechte nicht. Er tritt in das Haus, ein junges holdes Mädchen kömmt ihm entgegen und wirft ſich in ſeine Arme. Unter Weinen und Lachen drückt er ſie an ſeine Bruſt. Es iſt ſeine Tochter. Jeder weiß wie ein Vater ſein Kind liebt; wenn es aber in der gan¬ zen großen Welt das einzige Geſchöpf iſt das ihn, das er liebt; wenn er ſonſt überall nur Haß, Spott und Verachtung findet und austheilt — wie dann ein Vater ſeine Tochter liebe, das kann nur ein Dichter errathen. Dieſe Scene, gleich noch einigen andern des Dramas iſt herrlich, und man muß ſie vergeſſen, um den Muth zu behalten, das Ganze zu verdammen. Triboulet ließ ſeine Tochter in ſtiller Verborgenheit aufblühen, um ſie vor der böſen Luft in Paris zu ſchützen. Sie kennt die Welt nicht, kennt die Stellung nicht die ihr Vater darin hat, weiß nicht einmal ſeinen Namen. Sie ahndet nur er müſſe unglücklich ſein. Sie ſpricht:76 Que vous devez[souffrir]! vous voir pleurer ainsi. Non, je ne le veux pas, non cela me déchire. worauf der Vater antwortet: Et que dirois-tu, si tu me voyois rire? Darauf verläßt er das Haus, nachdem er ſeine Toch¬ ter gewarnt ſich nie in das Freie zu wagen. Auf der Straße hört er Geflüſter mehrerer Menſchen, er horcht, er kennt die Stimmen bekannter Hofleute, er¬ ſchrickt, tritt endlich zu einem von ihnen und fragt, was ſie vorhätten? Dieſer nimmt Triboulet bei Seite und vertraut ihm lachend an, ſie wären gekom¬ men die Frau eines Hofmannes die der König liebt, und deren Haus auf dem Platze ſtand, zu entführen und in's Schloß zu bringen. Triboulet fällt gleich in ſeine alte Bosheit zurück und erbietet ſich ſchaden¬ froh bei der Entführung behülflich zu ſein. Alle waren vermummt, man legt Triboulet auch eine Maske auf und iſt dabei ſo geſchickt ihm zugleich mit einem Tuche Auge und Ohren zu verbinden, Es iſt dun¬ kele Nacht und Triboulet merkt nicht, daß er nichts ſieht. Man giebt ihm die Leiter zu halten, auf der man in das Haus ſteigen wollte. Die Leiter wird an die Mauer gelegt, hinter welcher Triboulets Toch¬ ter wohnt, und dieſe geraubt. Triboulet wird end¬ lich ungeduldig, reißt ſich Maske und Binde vom77 Geſicht weg, findet die Leiter an ſeinem eignen Hauſe gelehnt und zu ſeinen Füßen liegt der Schleier ſeiner Tochter. Die Räuber waren ſchon weg; ſie brach¬ ten die arme Taube in ihres Königs Küche, aus der ſie der unglückliche Vater gerupft wieder be¬ kam. —
Triboulet iſt ſeiner Sache noch nicht ganz ge¬ wiß, er vermuthet nur erſt, wohin man ſeine Toch¬ ter geführt. Am andern Morgen erſcheint er im Louvre, zeigt ſich wie immer, aber er lauert. Das Flüſtern und Lachen der Höflinge wird ihm immer deutlicher, und bald weiß er, daß ſeine Tochter beim Könige iſt. Er weint und fleht und droht, man ſolle ihm ſein Kind zurückgeben. Es muß in den Thränen, den Bitten und dem Zorne eines Vaters etwas ſein, was ſelbſt den Spott und Uebermuth der Höflinge entwaffnet. Alle ſchweigen und ſind beſtürzt. Triboulets Muth ſteigt, und er kehrt mit ſeinen Blicken die ganze Rotte zum Saale hinaus. So drückt ſich der Dichter aus. Bald ſtürzt Triboulets Tochter aus des Königs Zimmer und ſinkt unter Todesbläſſe erröthend, in die Arme ihres Vaters. Sie will ihm Alles erzählen, er erläßt ihr den Schmerz, er weiß ſchon Alles. Er führt ſeine Toch¬ ter fort, kehrt zum Hofe zurück und macht den luſti¬78 gen Rath wie vor. Er ſinnt im Stillen auf Rache.
Triboulet hatte früher ſchon einen Banditen kennen gelernt, der um einen beſtimmten Preis jeden Luſttragenden von ſeinen Feinden befreit. An dieſen wendet er ſich. Der Bandit hat zwei Manieren zu morden: entweder im Freien der Straße oder in ſeinem Hauſe, wie man es wünſcht. Für das Haus hat er eine junge ſchöne Schweſter, eine liebliche Zi¬ geunerin, welche die Schlachtopfer anlockt und ſie unter Lächeln und Koſen dem Meſſer ihres Bruders ausliefert. Triboulet erfährt, daß der König verklei¬ det und ungekannt die ſchöne Zigeunerin beſuche. Er kauft ſeinen Tod, bezahlt die eine Hälfte des Prei¬ ſes voraus, und wird auf Mitternacht beſtellt, wo ihm die Leiche des Königs in einem Sacke geſteckt ausgeliefert werden ſolle, daß er ſie dann ſelbſt in die nahe Seine werfe. Gegen Abend führt Tribou¬ let ſeine Tochter (ſie heißt Blanche) auf den Platz wo das Haus des Banditen ſteht. Er ſagt ihr, doch nicht ganz deutlich, die Stunde der Rache an ihrem Verführer nahe heran. Blanche liebt den Kö¬ nig, der ſchon früher als unbekannter Jüngling in der Kirche ihr Herz gewonnen. Sie bittet ihren Vater um Schonung, ſchildert die Liebe des Königs79 zu ihr, wie heiß ſie ſey, und wie oft er das in ſchö¬ nen blühenden Worten zu erkennen gegeben. Tri¬ boulet, ſeine Tochter zu enttäuſchen, führt ſie an das Haus des Banditen, durch deſſen zerriſſene Mauern und unverwahrte Fenſter man von Auſſen Alles hören und ſehen kann, was ſich innen begiebt. Da ſieht die unglückliche Blanche den König Franz mit der leichtfertigen Zigeunerin koſen, hört, wie er dem Mädchen die nehmlichen ſüßen und ſchönen Worte ſchenkt, die er ihr ſelbſt gegeben. Das be¬ trübt ſie, ſie jammert und willigt ſchweigend in die Rache ihres Vaters. Triboulet heißt ſie nach Hauſe eilen, ſich in Männerkleider werfen, ſich zu Pferde ſetzen, und in das Land flüchten, wo er ſie an einem beſtimmten Orte einholen wolle. Vater und Tochter gehen fort.
König Franz ſitzt im Hauſe und ſcherzt und tändelt mit der Zigeunerin. Müde und trunken ver¬ langt er ein Bett ſich auszuruhen. Man führt ihn in eine Dachkammer wo er einſchläft. Unten trifft der Bandit die Vorbereitungen zum Morde. Die Zigeunerin, gewöhnlich kalte Mitſchuldige ihres Bru¬ ders, bittet dieſesmal um Schonung, denn der junge Offizier, von ſo ſeltenem edlem Anſtande, hatte Ein¬ druck auf ſie gemacht. Der Bandit weißt ſie kalt80 zurück, ſagt, er ſei ein ehrlicher Mann, habe ſeinen Lohn erhalten und müſſe den verſprochenen Dienſt lei¬ ſten. Doch ließ er ſich ſo weit bewegen, daß er verſprach, den Offizier zu ſchonen, wenn unterdeſſen ein Anderer käme, den er ſtatt jenes ermorden und im Sacke geſteckt ausliefern könnte. Der Brodherr werde es ja nicht merken, da es Nacht ſei und der Sack in den Fluß geworfen werde. Wo ſei aber Hoffnung, daß noch um Mitternacht ſich jemand hie¬ her verirre?
Unterdeſſen hatte Triboulets Tochter über die dunkeln drohenden Worte ihres Vaters nachgedacht. Da wird ihr erſt klar, der König ſolle in dieſer Nacht[e]rmordet werden. Schon zur Flucht gerüſtet und als Offizier gekleidet, jagt ſie die Angſt vor das Haus des Banditen zurück. Sie will beobachten, was ſich da begebe. Sie horcht, vernimmt das Geſpräch zwiſchen dem Banditen und der Zigeunerin, und ent¬ ſchließt ſich für den König zu ſterben. Sie klopft an die Thüre, ſie wird geöffnet, und ſobald ſie ein¬ tritt fällt ſie unter dem Meſſer des Banditen.
König Franz taumelt ſingend zu ſeinem Louvre hin.
Unterdeſſen kömmt Triboulet, zahlt dem Ban¬ diten die andere Hälfte des bedungenen Lohnes aus81 empfängt den Sack mit der Leiche. Der Monolog der jetzt folgt iſt herrlich. Es iſt grauſe dunkle Nacht, ein Gewitter tobt am Himmel. Der Sturm heult durch die Luft. Der Sack liegt auf der Erde, Tri¬ boulet, Racheglut und Freude im Herzen, ſetzt ſei¬ nen Fuß auf den Sack, verſchränkt ſtolz die Arme und triumphirt in die Nacht hinaus: wie er endlich, er der ſchwache, verachtete, verſpottete Triboulet, ſeinen Feind unter ſich gebracht. Und welch 'einen Feind! einen König. Und welch' einen König! einen König der Könige, den Herrlichſten unter Allen. Und wie jetzt die Welt aus allen ihren Fugen geriſſen werde, und morgen werde die zitternde Erde fragen: wer denn das gethan? und da werde er rufen, das habe Triboulet gethan; ein kleiner ſchlechter Zapfen im Gebäude der Welt habe ſich losgemacht von der Harmonie, und der Bau ſtürze krachend zuſammen.
So zecht Triboulet fort und immer trunkener durch ſeinen Sieg, will er noch das Geſicht ſeines verhaßten Feindes ſehen, ehe er ihn in den Wellen begräbt. Aber es iſt finſtere Nacht; er wartet auf einen Blitz, der ihm leuchten ſoll. Er öffnet den Sack, der Blitz kömmt, der ihn zerſchmettern ſoll, er erkennt ſeine Tochter. Im Anfange hofft er, es ſei ein Gaukelſpiel der Hölle, aber ein zweiter BlitzV. 682raubt ihm dieſe Hoffnung. Er zieht ſeine Tochter zur Hälfte aus dem Sacke, mit den Füßen bleibt ſie darin. Sie iſt entkleidet, nur ein blutiges Hemd bedeckt ſie. Sie röchelt noch, ſpricht noch einige Worte und verſcheidet. Der Vater ſinkt zu Bo¬ den, der Vorhang fällt. Beſchluß morgen.
Le roi s'amuse; Beſchluß. Dieſes Schick¬ ſal im Sacke; dieſe ſchauderhaften Fußtritte des Va¬ ters auf das Herz ſeiner geliebten Tochter; dieſe Tochter im blutigen Hemde todt, nein ſchlimmer als todt, im Röcheln des Todes; und dieſes Alles, bald vom falben Scheine der Blitze beleuchtet, bald von finſterer Nacht umhüllt, daß ſich zum Schrecken der Wirklichkeit auch noch die Angſt des Traumes geſelle — hat das nicht in ſeiner gräßlichen Verzerrung auch einen Zug von Lächerlichkeit? Wenigſtens als ich dieſe Scene las, ſo ſehr ſie mich auch erſchütterte, fiel mir ein: der Narr Triboulet, wie hat er ſich6 *84prellen laſſen; man ſoll doch nie eine Katz im Sacke kaufen! Ich weiß nicht woran es liegt. Shakes¬ peare hat ähnliche, er hat noch viel ſchrecklichere Schrecken; aber bei ihm iſt der Schmerz geſund, das Ungeheure hat ſeine Art Wohlgeſtalt; denn ſelbſt die Krankheit hat eine Geſundheit die ihr eigen iſt, ſelbſt das Verbrechen hat ſeine moraliſche Regel. Bei[Viktor] Hugo aber iſt das Mißgeſtaltete misgeſtaltet. Ich weiß nicht; es iſt darüber nachzudenken. Das iſt die tragiſche Häßlichkeit von der ich ſprach, die tragiſche Unſittlichkeit. Die Komiſche war in den Libeleien des Königs, die im Sonnenlichte und beim noch hellern Scheine der Kerzen auf das Unverſchäm¬ teſte dargeſtellt werden. Viktor Hugo hätte aus dem Allem einen Roman machen ſollen. Erzählen kann man Alles, auch das Häßlichſte; die Vergangenheit, die Entfernung mildert das Misfällige und ein Buch kann man ja zu jederzeit wegwerfen. Erzählen kann man das Unglaublichſte; wer es nicht glauben will, braucht es ja nicht zu glauben, er denkt: es iſt ein Dichter, und er hat gelogen. Aber dieſes in ein Drama bringen, dieſes Alles unter unſern Augen ge¬ ſchehen laſſen, daß wir Ohr und Blick davon abwen¬ den, daß wir nicht daran zweifeln können — nein, das dürfen wir nicht dulden.
Aber die Miniſter! was geht die Miniſter Louis Philipps die Aeſthetik, die Dramarturgie, die85 Moral an? Warum haben ſie die Ausführung des Stückes verboten? Bin ich nicht da? Hören wir jetzt was Viktor Hugo darüber ſagt. Am Morgen nach der erſten Aufführung erhielt der Dichter ein Billet vom Theater-Direktor; er habe ſo eben vom Miniſter den Befehl erhalten, das Stück nicht ferner geben zu laſſen. „ L'auteur, ne pouvant croire à „ tant d'insolence et de folie, courrût au théa¬ „ tre “... Insolence — folie — von einem Mi¬ niſter! das wäre nach dem baieriſchen Strafrechte ein Verbrechen, das von einem Majeſtätsverbrechen nur durch eine Brandmauer geſchieden iſt, der Hausnach¬ bar eines Königsmordes. Viktor Hugo eilt in das Theater; es iſt wirklich ſo; er lieſt den Befehl des Miniſters. Das Drama wäre unmoraliſch befunden worden. „ Cette pièce a revolté la pudeur des „ gensd'armes, la brigade Leotaut y étoit et l'a „ trouvé obscêne; le bureau des moeurs s'est „ voilé la face; monsieur Vidocq a rougi. “ Aber war es von Seiten des Miniſters mit der Einwendung der Unmoralität ernſt gemeint? Hugo ſagt: das ſei nur ein Vorwand geweſen, der eigent¬ liche Grund aber des Verbotes ſei ein Vers im dritten Akte „ où la sagacité maladroite de quel¬ „ sion familiers du palais a découvert une allu¬ „ sion à laquelle ni le public ni l'auteur n'avait „ songé jusque là, mais qui une fois denoncée86 „ de cette façon, devient la pluscruelle et la „ plus sanglante des injures. “ Er wolle für jetzt den Vers nicht bezeichnen, treibe ihn aber die Noth der Vertheidigung dazu, werde er ſich deutlicher er¬ klären.
Ich ſuchte mit dem größten Eifer, den im drit¬ ten Akte enthaltenen für den König beleidigenden Vers auf und glaubte ihn im Folgenden gefunden zu haben.
Un roi qui fait pleurer une femme! O mon[dieu] Lacheté!
Ich dachte, das könnte auf die Gefangenſchaft der Herzogin von Berry bezogen werden, und das denkend kam mir die Aengſtlichkeit der Miniſter um ſo toller vor. Wer bekümmert ſich um die Berry? Wer denkt an ſie? Und die wenigen Legitimiſten die im Theater français ſitzen, würden in Gegenwart des demokratiſchen Parterres[und] der Philippiſten - Logen, nie wagen eine ſolche Anſpielung laut werden zu laſſen. Aber ich bin fehl gegangen. Ich hörte ſpäter erzählen, es ſei eine andere Stelle im dritten Akte, die den Miniſter ſtutzig gemacht. In der Scene nemlich wo Triboulet im Vorzimmer des Kö¬ nigs um ſeine geraubte Tochter jammert, und die Hofleute ihn verlachen, wendet er ſich an dieſe der Reihe nach und ſagt ihnen mit Grimm und Hohn: was wollt ihr? Du da haſt eine Frau, du eine87 Tochter, du eine Schweſter, du Page dort eine Mut¬ ter — Frau, Tochter, Schweſter, Mutter, der Kö¬ nig hat ſie Alle. Und die Großen, welchen er das vorwirft, ſind die vornehmſten hiſtoriſchen Familien des Landes, Triboulet nennt ſie Alle bei Namen, und unter dieſen Baſtard-Ahnen wird auch die Familie genannt, von welcher die Bourbons herſtam¬ men. Ich habe das Buch ſchon weggegeben und ich kann die betreffende Stelle nicht ſelbſt beurtheilen.
Der Dichter in ſeinem Zorne gegen die Mini¬ ſter triumphirt, daß ſo viele Kunſtfeinde er auch habe, dieſe doch, nachdem er eine ſo ſchnöde Behandlung er¬ fahren, Alle gleich auf ſeine Seite getreten wären. „ En France, quiconque est persécuté n'a plus „ d'ennemis que le persécuteur. “ Alles wie bei uns! Viktor Hugo hat das Theater français beim Handels-Gerichte verklagt, es zur ferneren Aufführung des Dramas zu zwingen, oder zu einer Entſchädi¬ gung von vierhundert Franken für jeden Theater - Abend zu verurtheilen. Odillon Barrot wird für den Kläger das Wort führen. Was wird er gewinnen? nichts; auch weiß er das und es iſt ihm nur um den Scandal zu thun; Aber was gewinnen die Mini¬ ſter dabei? Der Dichter ſagt es offen heraus: er habe ſich bis jetzt nur mit den ſtillen friedlichen Mu¬ ſen beſchäftigt; er habe ſich von der Politik immer entfernt gehalten; von nun aber, weil gereitzt, werde88 er gegen die Regierung feindlich auftreten. Iſt nun Viktor Hugo ein ehrlicher Mann, wie er wirklich einer iſt, werden durch ihn die Feinde der Regierung um einen der Gefährlichſten, der Talentvollſten ver¬ mehrt. Wäre er kein ehrlicher Mann, dann würde ſeine Feindſchaft der Nation hundert tauſend Franken koſten, welche die Miniſter aus ihrem Beutel zögen, einen neuen Feind auf die alte Art zu verſöhnen. Was gewinnen alſo die Miniſter? Ich glaube aber ſie ſind nicht ſo dumm wie ſie ausſehen. Sie ge¬ winnen was der Dichter auch gewinnt: den Scan¬ dal des Prozeſſes. Das beſchäftigt Paris drei Tage, und für die folgende Tage wird der liebe Gott auch ſorgen. Sie ſind immer noch klüger als[unſere] deut¬ ſchen Miniſter; ſie laſſen zuweilen Rauch aus dem Schornſteine, daß der Keſſel nicht platze.
Sehen Sie aber was ein deutſcher Gelehrter iſt. Vorgeſtern morgen beim Frühſtücke, hatte ich den Kopf dicht voll, von Politik und Zahnſchmerzen, von den ariſtoteliſchen Einheiten, der Abweſenheit der Madame Malibran und der Anweſenheit der ****, von dem König Otto, von baieriſcher Treue, Ant¬ werpen, dem alten Thurme am Metzgerthore und der Unmoralität des Herrn d'Argout. Da kam ich in der Vorrede Viktor Hugos an die Stelle: „ Il fut „ même enjoint au théâtre de rayer de son af¬ „ fiche les quatre mots rédoutables: le roi89 s'amuse. “ Gleich alle Gedanken hinaus, den Kopf auf beide Arme geſtützt und eine halbe Stunde dar¬ über nachgedacht. Ces quatre mots le roi s'a¬ muse. Wie? le roi s'amuse ſind das vier Worte, ſind es nicht blos drei? kann man s mit einem Apoſtroph ein Wort nennen? iſt s'a .. - ein Wort? Freilich kann man auch nicht behaupten, le roi s'amuse wären nur drei Worte. Aber wo iſt die Warheit? wo iſt das Recht? .. Darüber ward mir mein Thee kalt und Conrad nahm mir unbemerkt die Zeitung von dem Tiſche, ehe ich ſie ausgeleſen. So iſt der deutſche Gelehrte? dem Vik¬ tor Hugo auf das Wort zu glauben, der die Sache mit den vier Worten doch beſſer verſtehen muß als ich, das kam mir nicht in den Sinn; auch hätte mein proteſtantiſch deutſches Gewiſſen dieſes nie zugegeben.
Aber zum Schluße: der Handelsminiſter hatte Recht, das Stück iſt unmoraliſch. Wie kam es mit Viktor Hugo dahin? Ich habe es ſchon geſagt; es iſt der Jakobinismus der romantiſchen Literatur. Viktor Hugo iſt einer den Edelſten unter den Skla¬ ven, die ihrem Herrn Boileau entlaufen; aber er iſt doch ein Sklave. Im Uebermuthe ſeiner jungen Freiheit, weiß er dieſe nicht weiſe und männlich zu gebrauchen, und ſündigt links, weil ſein alter Tyrann rechts geſündigt hat.
90Das Gericht iſt aus, ich habe Recht ge¬ ſprochen; jetzt Perrücke herunter. Ich habe das Drama vom Anfange bis zum Ende mit dem größten Vergnügen geleſen, und Alles hat mir ge¬ fallen.
Heute gehe ich zum erſtenmale wieder aus, nach¬ dem ich, wegen meiner Zahnſchmerzen, drei Tage das Zimmer nicht verlaſſen. Ich habe dabei gewon¬ nen, daß ich drei Tage lang den ſtinkenden Nebel auf der Straße nicht zu trinken, und ſo lange die ſtinkenden deutſchen Zeitungen nicht zu leſen brauchte. Der Geſchmack der Letzten, die ich vor einigen Ta¬ gen las, liegt mir heute noch auf der Zunge. Nein es iſt nicht zu ertragen. Die Deutſchen müſſen Ner¬ ven haben wie von Eiſendrath, eine Haut von Sohl¬ leder und ein gepöckeltes Herz. Dieſe Unverſchämt¬ heit der Fürſtenknechte, dieſes freche Ausſtreichen eines ganzen Jahrhunderts, dieſer weintolle Uebermuth, dieſes Einwerfen aller Fenſterſcheiben, weil das Licht dadurch fällt, als wenn ſie mit dem Glaſe auch die Sonne zerſtörten — es überſteigt meine Erwartung. Aber das ſteigert auch meine Hoffnung. Man muß mit den dummen Ariſtokraten Mitleiden haben, man muß ihnen nicht eher ſagen, daß das Caſſations-Ge¬ richt dort oben ihre Appellation verworfen hat, bis an dem Tage wo ſie hingerichtet werden. Das deut¬92 ſche Volk wird einſt gerächt werden, ſeine Freiheit wird gewonnen werden; aber ſeine Ehre nie. Denn nicht von ihnen ſelbſt, von andern Völkern wird die Hülfe kommen. Ich ſehe es ſchon im Geiſte: wenn einſt die finſtern Gewitterwolken ſich werden über den deutſchen Palläſten zuſammenziehen, wenn der Don¬ ner zu grollen anfängt, wird das geſchmeidige deut¬ ſche Volk wie ein Eiſendrath hinauf kriechen zu allen Dächern ſeiner Tyrannen, um die geliebten Herrſcher vor dem Blitze zu bewahren, und ihn auf ſich ſelbſt herabzuziehen. Wem daran gelegen iſt verhöhnt und betrogen zu werden, der braucht nur großmüthig ge¬ gen ſeine Feinde zu ſeyn, zumal gegen die Fürſten, welche die Feinde aller Menſchen ſind. Wenn in Frankreich ein Don Miguel und ein Robespierre zu¬ gleich regierten; wenn an jeder Straßenecke rechts ein Galgen, links eine Guillotine ſtünde — die Fran¬ zoſen ertrügen vielleicht lange das Morden von ihren Tyrannen geduldig; aber ihren Spott, ihre Verach¬ tung, ihr unverſchämtes Hofmeiſtern, ihre Ohrfeigen und ihre Ruthe, das was der Deutſche das ganze Jahr erduldet — ſie ertrügen es keine Stunde lang. Die Franzoſen waren Jahrhunderte lang Sklaven unter ihren Königen; aber ſie durften doch ſingen in ihren Ketten, ſie durften ihre Kerkermeiſter verſpotten. Zur Schreckenszeit wurden edle und ſchuldloſe Men¬ ſchen auf das Blutgerüſt gebracht, aber nie fand93 Robespierre ein Gericht, das ſo feige und unmenſch¬ lich geweſen, einen Ariſtokraten zu verurtheilen, daß er vor dem Oelbilde der Freiheit knieend Abbitte thue. Unter der Despotie der Könige wie unter der der Republikaner erkannte man etwas im Menſchen an, das, weil von Gott geſandt, heilig und unverletzlich iſt, und nie zur Verantwortung gezogen werden darf. Aber dieſes Göttliche, Heilige und Unverletz¬ liche im Menſchen: ſeine Ehre, ſeinen Glauben, ſeine Tugend, das wird in Deutſchland am meiſt, zuerſt beſtraft, am Boshafteſten gezüchtigt. Ein Dr. Schulz in München, wurde wegen ſeines politiſchen Glau¬ bens auf unbeſtimmten Zeit zum Zuchthauſe verurtheilt, und zu der ſchlimmern Züchtigung, vor dem Bilde des Königs knieend Abbitte zu thun. Sie werfen die Freiheit in den Koth, daß ſie aus¬ ſehe wie die Knechtſchaft, damit man keinen Mann von Ehre ferner von einem Hofmanne unterſcheiden könne und gemeinſchaftlicher Schmuz, Volk und Land und Regierung bedecke.
Würde in Paris die Todesſtrafe darauf geſetzt, wenn einer es wagte im Theater einen Laut des Misfallens zu äußern, und es verſuchte einmal ein ſchamlos ſchmeichelnder und bettelnder Hofdichter, die Leidenſchaften, Thorheiten und Verbrechen ſeiner Für¬ ſten, durch Poeſie, Muſik, Tanz und Malerei auf der Bühne zu verherrlichen und ſo ein ganzes Volk94 zu Mitſchuldigen ſeiner niederträchtigen Geſinnungen zu machen — und ſtünde die Todesſtrafe auf ein Lächeln — es fänden ſich hier Hunderte von Zu¬ ſchauern die lachen, ziſchen und pfeifen, und ihr Le¬ ben an ihre Ehre ſetzen würden. Man jauchzte kei¬ nem ſchamloſen, tollen Schauſpiele zu, wie das was neulich ein Herr von Poißl in München zur Feier der Thronbeſteigung des Königs Otto dichtete, und auf der Bühne vorſtellen ließ. Vergangenheit und Zukunft hieß das Schauſpiel, welches alle das dicke Bocksbier, das ſeit dem vorigen Sommer in den baieriſchen Adern ſtockte, in die freudigſte Wallung brachte. Hellas, Bavaria, Glaube, Liebe und Hoffnung treten auf. So oft ein deutſcher Hofdichter etwas politiſches ſingt, umgiebt er ſich mit Glaube, Liebe und Hofnung. Es ſind ſeine Grazien und ſeine Parzen zugleich. Mit ihnen verſüßt er die Tyrannei, mit ihnen ſpinnt er die Freiheit zu Tode. Uebrigens iſt es eine nützliche Bedeckung; denn ohne Glaube, Liebe und Hoffnung ertrüge man keinen Tag ein deutſcher Unterthan zu ſeyn. Jetzt werden die alten olympiſchen Spiele dargeſtellt, in dem Augenblicke wo die Vertheilung der Preiſe ſtatt findet. Hundert Dichter athmen ſchwer, die welche den Gott in ſich fühlen, jauchzen dem Siegeskranze entgegen. Mich dauern die armen Teufel! Bava¬95 ria kömmt und deklamirt Gedichte des Königs von Baiern und Sappho-Bavaria erhielt den Kranz.
Das zweite Bild ſtellt die Gegend von Athen vor. „ Mit erſt düſterem Himmel, verbrannten Oli¬ „ ven-Wäldern und verdorrten Fluren. Nach und „ nach kleidete ſich der Himmel in Baierns Na¬ „ tionalfarbe. Die Olivenwälder begannen zu grü¬ „ nen. Die Fluren bedeckten ſich mit Blumen und „ Blüthen, aus Ruinen entſtanden Paläſte. Und in „ dieſem Augenblicke erſchien von der Liebe getragen „ und den Glauben und die Hoffnung zur Seite, das „ als Seegensgeſtirn über Hellas aufgehende Bildniß „ des Königs Otto, vor dem ſich Griechenlands Volk „ in freudiger Huldigung neigte. “ Bavaria-Sappho iſt verrückt, ſie iſt verliebt, weiß nicht mehr was ſie ſpricht und ich ſehe ſie ſchon vom Leucadiſche Felſen hinab in die Iſar ſpringen. Aber Herr von Poißl hat nicht die geringſte Lebensart, daß er den König Otto, der ein Mann iſt, von der Liebe, die ein Frauenzimmer iſt, tragen ließ. Ich begreife nicht wie das zarte Weſen dieſe Laſt von München bis zum Himmel, einen ſo weiten Weg hat aushalten können; König Otto muß ſehr leicht ſein! Warum hat er den König nicht dem Glauben auf die breiten Schul¬ tern geſetzt? Der hat ſchon in ſeiner Dummheit viel ſchwerere Laſten getragen. Dann wäre die Liebe an der Seite der Hoffnung, hinter dem Glau¬96 ben und dem König Otto leicht hergeflogen, und dann wäre doch Symmetrie dabei geweſen und das Ganze wäre ein Meiſterſtück geworden. O, Herr von Poißl! ich weiß nicht ob Sie Verſtand haben, aber Ge¬ ſchmack haben Sie nicht den Geringſten. Wie freue ich mich, daß die verbrannten Olivenfelder wieder grün werden; jetzt können doch die armen Griechen wieder Salat eſſen. Aber die baieriſche Natio¬ nalfarbe in welche ſich der Himmel kleidete, als er Audienz beim König Otto hatte — iſt das nicht himmliſch? ja, ja ſo iſt es. Den Himmel ſelbſt möch¬ ten Sie gern zu Lakaien machen, und ſein heiliges Blau ſoll die Livree-Farbe eines deutſchen Fürſten ſeyn! Verdammniß! es kömmt mir manchmal vor, als wäre die Erde ein großer Pfeifenkopf, aus dem Gott raucht und Deutſchland wäre der Waſſerſack der Pfeife, beſtimmt um dieſe rein zu erhalten, allen Schmutz, alle ſtinkende Säfte aufzunehmen. Die Zeit wird kommen, daß jeder europäiſche Fürſt mit einem Stücke ſeines Landes in den deutſchen Bund treten wird, um ſich mit einem ſolchen heilſamen Waſſerſacke zu verſehen. Hanover iſt der Waſſer¬ ſack Englands, Luxenburg der Waſſerſack der Nieder¬ lande, Holſtein der Waſſerſack Dänemarks, Neufcha¬ tel der Waſſerſack der Schweiz. Wie heute die eng¬ liſchen Blätter erzählen, ſoll ein anderer Sohn des Königs von Baiern Donna Maria heirathen. So97 verſpricht Portugal der Waſſerſack der Spaniſchen Halbinſel zu werden, und Griechenland iſt voraus zum Waſſerſack des Orients beſtimmt, wenn dieſer wie ſie fürchten der Civiliſation und Freiheit ent¬ gegen reiſt.
Der ſchönſte Spaß in dieſer baieriſch-grichiſchen Comödie iſt: daß König Otto, oder vielmehr ſein Vater in deſſen Namen, die griechiſche Conſtitution nicht hat beſchwören wollen; daß Miaulis, der Chef der griechiſchen Deputation, erklärt hat, nur unter der Bedingung eines ſolchen Eides ſei er beauftragt dem Prinzen die Krone anzubieten, daß er alſo, da man ſich weigere ihn zu leiſten, den Otto nicht als König anerkennen dürfe. Die Deputation kehrt allein nach Griechenland zurück, und König Otto zieht an der Spitze ſeiner Baiern hin und nimmt von ſeinem Lande mit Gewalt Beſitz. Ich fürchte ſehr, daß wenn der griechiſche Himmel das wahre Verhältniß der Sache erfährt, er ſein Baieriſch-blau wieder ausziehen und ſeinen grauen Schlafrock anziehen wird.
Ich ſage Ihnen, ich ſage Ihnen, es iſt mit dem lieben Gott nichts mehr anzufangen. Da ſitzt der alte Herr den ganzen Tag auf ſeinem Lehnſtuhle, lieſt die Erdzeitungen und brummt über ſeine entar¬V. 798teten Kinder. Es iſt ihm kein Lächeln abzugewinnen. Da er noch ein Jüngling war, da er als Jupiter, noch mit dem Honige ſeiner Kindheit auf den Lippen, durch alle Welten ſchwärmte, welche himmliſche Pagenſtreiche machte er, wie liebenswürdig war er damals! wie er ſeinem Vater dem Freſſer Kronos ein Brechmittel eingab; wie er ſich als Gans, als Ochs, als Menſch, als Regen verkleidet, zu den Schönen ſchlich, wie er neun ganze halbe Tage ſich mit der gelehrten Mnemoſyne einſchloß, und mit ihr alle die Millionen Bücher ſchrieb, die ſeitdem in die verſchiedenen Sprachen der Menſchen überſetzt er¬ ſchienen ſind — es iſt Alles vorbei, es iſt nichts mehr mit ihm anzufangen! Ach! wenn ich Gott wäre, welche