PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Briefe aus Paris
1832 1833
Fünfter Theil.
Paris. BeiL. Brunet. 1834.
[III]
Geſammelte Schriften
Dreizehnter Theil.
Paris. BeiL. Brunet. 1834.
[IV][V]

Inhalt zum V. Bande.

  • Erſter BriefSeite 1
  • Zweiter Brief8
  • Dritter Brief20
  • Vierter Brief30
  • Fünfter Brief36
  • Sechster Brief44
  • Siebenter Brief57
  • Achter Brief65
  • Neunter Brief72
  • Zehnter Brief83
  • Eilfter Brief104
  • Zwölfter Brief131
  • Dreizehnter Brief148
  • Vierzehnter Brief152
  • VI
  • Fünfzehnter Brief 164
  • Sechszehnter Brief 175
  • Siebenzehnter Brief 197
  • Achtzehnter Brief 201
  • Neunzehnter Brief 217
  • Zwanzigſter Brief 224
[1]

Erſter Brief.

Dieſen Brief, vom Samſtag datirt, fange ich heute Sonntag erſt an. Ich habe mich einer Treu¬ loſigkeit gegen Sie ſchuldig gemacht; nicht wegen Mademoiſelle **** denn dieſe beſuchte ich erſt um zwei Uhr, ich hätte alſo den ganzen Vormittag Zeit gehabt Ihnen zu ſchreiben ſondern wegen eines Buches, das mich ſo angezogen. Ich empfehle Ihnen scènes de la vie privée par Mr. Balzac. Ich glaube es ſind vier Bände. Ein moraliſcher Erzähler von ſeltener Vortrefflichkeit und der dieV. 12Tugend ſo liebenswürdig darzuſtellen weiß, daß man ſie, zu ſeinem eignen größten Erſtaunen, noch vierzig Jahre nach der Kindheit lieb gewinnt. Sie hatten alſo einen ganzen Tag lang keine andere Nebenbuh¬ lerin als die Tugend ſelbſt.

3

Sie wundern ſich gewiß, daß ich noch kein Wort Politik geſprochen in dieſen ſechs Briefen; ich wundere mich ſelbſt darüber und ich weiß nicht wie es kömmt .... O! es iſt ſo langweilig, ſo lang¬ weilig! ich knurre wie ein alter Hund der unter dem Ofen liegt und kann es vor lauter Bosheit nicht zum Bellen bringen. Bosheit gegen wen? Nicht gegen den bürgerfreundlichen Großherzog von Baden, der die Profeſſoren Rotteck und Welcker abgeſetzt: ſon¬ dern gegen die Letzteren, die aus Schaafs-Gutmü¬ thigkeit, ein aktives Verbum haben zum paſſiven werden laſſen. Nicht gegen den Miniſter Winter in Carlsruh, der ſich für einen freiſinnigen Mann aus¬ gegeben und den ich immer für einen Paſcha von drei Fuchsſchweifen gehalten; ſondern gegen die Nar¬ ren, die ihm das geglaubt. Nicht gegen die Scham¬ loſigkeit der baieriſchen Regierung, die Landeskinder nach Griechenland ſchickt, um deutſches zahmes Kuh¬ pockengift in das edle griechiſche Blut zu bringen, damit ein Heldenvolk bewahrt werde vor dem Fieber1*4und den Blatternarben der Freiheit und ein hübſches, weibliches, polizeiglattes Geſicht behalte; ſondern ge¬ gen die Baiern, die ruhig und breit daſtehen, wie die Bocksbierfäßer, und ohne ſich zu rühren, ſich anzapfen laſſen von dem unerſättlichen Gewalts-Durſte ihres Königs. Nicht gegen die heſſiſche Maitreſſen-Re¬ gierung, welche alle freiſinnigen Deputirten mit Fä¬ cherſchlägen aus der Kammer jagt; ſondern gegen dieſe ſelbſt, die ſich wie Spatzen durch ein Huſch! Huſch! vertreiben laſſen. Die in Caſſel begreife ich nicht. Die Cholera iſt dort und wie ich geleſen ha¬ ben ſie große Furcht davor. Wenn man aber die Cholera fürchtet, wie kann man zugleich Gefängniß und Geldſtrafen fürchten? Aber der Deutſche hat ein großes Herz! Als einſt Napoleon einen Offi¬ zier ausſchmähete, antwortete dieſer: Ihr Zorn iſt nicht gefährlicher als eine Kanonenkugel und dar¬ auf ſchwieg der Kaiſer und lächelte. Es war freilich Napoleon; wäre es ein deutſcher Wachtparadenfürſt geweſen, er hätte den Offizier kaſſirt und ihn auf die Feſtung geſchickt. Es iſt doch etwas ſehr ge¬ heimnißvolles in der Furcht; den Heldenmuth begreift man viel leichter. Hunderte von freiſinnigen Bürgern in Frankfurt laſſen ſich dort von der Polizei ſchul¬ bübiſch examiniren und abſtrafen und denken gar nicht daran, daß wenn ſie hunderte wie ihrer ſind, ſich5 Alle in einer Reihe ſtellten, Alle für Einen für Je¬ den ſprächen und handelten, man ihnen ja gar nicht beikommen könnte; da Frankfurt nicht genug Gefäng¬ niſſe hat ſie einzuſperren.

So knurre ich; ich wollte aber ich wäre im Ernſte ein Hund. Wann ein Hund von ſeinem Herrn geprügelt wird, ſo iſt es doch ein höheres Weſen, das ihn beherrſcht; der Menſch iſt der Gott des Hundes, es iſt ſeine Religion ihm treu und ge¬ horſam zu ſein. Läßt ſich aber je ein Hund von einem andern Hunde beißen ohne ſich zu wehren? Oder hat man gar je geſehen, daß tauſend Hunde einem Einzigen gehorchen? Der Menſch aber läßt ſich von einem andern Menſchen prügeln; ja tauſend Menſchen erdulden es von einem Einzigen und we¬ deln dabei mit den Schwänzen! Und Jarke in Berlin, iſt an die Stelle von Genz nach Wien ge¬ kommen. Erinnern Sie mich an dieſen Jarke, wenn ich ihn vergeſſen ſollte. Ich habe etwas über ihn zu ſagen. Zwar hat mich Heine gebeten, ich möchte ihm den Jarke überlaſſen; aber ich denke es iſt genug an ihm für uns Beide.

Die andere europäiſche Tyrannei gefällt mir weit beſſer als die Deutſche. Ich weiß nicht es iſt etwas Genialiſches, Großes darin. Es iſt we¬ nigſtens eine hohe Mauer, die jeder ſieht, der jeder6 ausweichen kann, und es müßte einer ſehr zerſtreut ſein, mit dem Kopfe dagegen zu rennen. Unſere aber das iſt ein Scheitholz mitten auf dem Wege, in der Nacht und keine Laterne dabei; man fällt dar¬ über und bricht das Bein. So fiel neulich der[Ge¬ burtstag] des Kaiſers von Rußland ein, oder ſolch 'ein anderer heilloſer Tag und da befahl die Polizei in Warſchau: es müßte Jeder illuminiren und für jedes Fenſter das dunkel bliebe, müßte man dreißig Gulden Strafe bezahlen. Das iſt deutlich! Eine Dame in Neapel ſchrieb an ihren Sohn nach Mar¬ ſeille, ſein alter Vater ſäße ſchon einige Monate im Kerker, weil er, der Sohn, liberale Artikel in eine Marſeiller Zeitung ſchriebe! So weit bringt es der Bundestag in ſeinem Leben nicht. Doch wer weiß!

Schreiben Sie mir ja recht oft und viel und freundlich, daß mir gar nichts von meinem Herzen übrig bleibe; denn ich wüßte nicht, wie ich dieſen Winter auch nur den kleinſten Reſt verwenden ſollte. Die Malibran iſt nicht hier und ſie kömmt auch nicht. Ich wollte ich wäre zwanzig Jahre jünger, daß ich darüber weinen dürfte. Während der Schneetage von Paris log ſie mir den Sommer vor; wenn ſie ſang, ſah ich blitzen, hörte ich donnern und wo in meiner Bruſt noch ein altes Körnchen Pulver lag, da7 kam ihr Feuer hin und verzehrte es! Ihr ar¬ mer Freund! Jetzt bleibt meine einzige Luſt, die Seifenblaſen der Bundesknaben ſteigen ſehen und nach den Schuldoktrinairs mit Schneeballen werfen.

[8]

Zweiter Brief.

....... Fragen Sie doch allerlei und ver¬ ſchiedenartige Leute es müſſen aber natürlich Solche ſein, welchen hierin ein Urtheil zuzutrauen: ob ſie mich für fähig halten eine Geſchichte der fran¬ zöſiſchen Revolution zu ſchreiben? Ich ſelbſt habe es oft überlegt, konnte es aber noch zu keiner ent¬ ſchiedenen Meinung bringen. Ich weiß nur, daß ich Luſt dazu habe; welches aber gar nicht beweißt, daß ich auch das Talent dazu habe. Zu den Speiſen die man am wenigſten vertragen kann, hat man oft den größten Appetit. Ich möchte eher urtheilen, daß ich die Fähigkeit nicht habe, als daß ja. Zu einer Geſchichtsſchreibung gehört ein künſtleriſches Talent und die Leute ſagen, daß mir das durchaus fehle. 9In einer Geſchichte müſſen die Dinge dargeſtellt werden wie ſie ſind, wie ſie ſich im natürlichen Tageslichte zeigen; nicht aber, wie ſie ſich durch das Prisma des Geiſtes betrachtet, als Farben erſcheinen, noch weniger wie ſie in der Camera obscura des Herzens ſich abſchatten. Glauben Sie nicht auch, daß ich zu¬ viel denke und empfinde! Die gefährlichſte Klippe in einer Geſchichte der franzöſiſchen Revolution iſt: daß dieſe noch nicht geendigt iſt, ihr Ziel noch nicht erreicht hat; daß man alſo, je noch der Geſinnung ohne Furcht und Hoffnung von der Sache gar nicht ſprechen kann; und Furcht und Hoffnung drücken ſich oft als Haß und Liebe aus, und das darf nicht ſeyn. Ein Geſchichtsſchreiber muß ſeyn wie Gott; er muß Alles, Alle lieben, ſogar den Teufel. Ja, er darf gar nicht wiſſen, daß es einen Teufel giebt. Alſo fragen Sie Den und Jenen, und theilen Sie mir genau mit, was Jeder von ihnen ſagt. Es iſt ein Werk langer und ſchwerer Arbeit und ich möchte es, ohne Hoffnung, daß es gelinge, nicht unternehmen. Ich bin jetzt ſchon gerührt, wenn ich daran denke, wie ehrwürdig ich mich ausnehmen werde, wenn ich als großer Gelehrter und Narr unter tauſend Bü¬ chern ſitze, und ſie Eines nach dem Andern durchleſe und ausziehe, und wie mir dabei heiß wird und ich ſeufze: ach! wie glücklich war ich in frühern Zeiten, da ich noch leicht wie ein Schneidergeſell, dem man10 in der Herberge das Felleiſen geſtohlen, durch Feld und Wald zog, und überall ohne Geographie und Führer den Weg und jeden Abend ein Wirthshaus fand. Aber es iſt Zeit, daß ich das Schwärmen einſtelle und mich in eine Arche zurückziehe; denn ich ſehe die Sündfluth kommen. Vierzig Monate wird ſie dauern, und dann, wenn die Gewäſſer abgelaufen ſind und der Regenbogen am Himmel ſteht, werde ich mit einer verſöhnlichen Geſchichte der franzöſiſchen Revolution hervortreten, voller Liebe und Feuchtig¬ keit und da alsdann alle Rezenſenten erſoffen ſeyn werden, das einzige Rezenſentenpaar ausgenommen, daß ich aus Liebe zur Naturgeſchichte in meine Arche gerettet, ſo wird auch mein Werk allgemeinen Beifall finden, wenn es ihn verdient. Auch denke ich daran, wie ich meine baldigen grauen Haare ver¬ berge, ſey es unter einem Lorbeerkranze, ſei es un¬ ter einen Schellenkappe gleichviel. Nun gefragt.

Von den bedeutenden Männern, welche in der franzöſiſchen Revolution eine wichtige Rolle geſpielt, lebt noch Mancher, wie Lafayette, Talleyrand, die Lameths. Aus dieſen lebendigen Quellen ſchöpfen zu können iſt ein großer Vortheil. Aber man muß die noch kurze Zeit benutzen ehe ſie der Tod entführt, oder ſie altersſchwach werden. So lebt Sieyes noch, aber wie ich höre in großer Geiſtesſchwäche. Auch von den Volksmaſſen, welche die Revolution unter11 freiem Himmel getrieben, leben in Paris noch ganze Schaaren. Man ſollte es nicht denken kürzlich hat die Regierung Allen, welche an der Beſtürmung der Baſtille Theil genommen, eine Penſion bewilligt und es fanden ſich noch fünf bis ſechshundert von jenen Sappeurs der Monarchie, die noch am Leben ſind und deren Namen der Moniteur mittheilte. Auch dieſe zu berathen iſt nützlich, um von den ent¬ ſcheidenden Gaſſengeſchichten, und den ſeitdem ſo ſehr umgeſtaltenen Schauplätzen der franzöſichen Revolution eine lebhafte Anſchauung zu gewinnen.

12

Ein herrliches deutſches Buch habe ich hier ge¬ leſen; ſchicken Sie gleich hin es holen zu laſſen. Briefe eines Narren an eine Närrin. Auch in Hamburg bei Campe erſchienen, der ſeine Freude daran hat, die Briefe aller Narren an alle Närrin¬ nen drucken zu laſſen. Es iſt ſo ſchnell abwechſelnd erhaben und tief, daß Sie vielleicht müde werden es zu leſen, ich bin es ſelbſt geworden und bin doch ein beſſerer Kopfhänger als Sie. Aber es iſt der An¬ ſtrengung werth. Der Narr iſt ein ſchöner und edler Geiſt und ſo unbekümmert um die ſchöne Form, wel¬ cher oft die beſten Schriftſteller ihr Beſtes aufopfern, daß dieſe, wie jede Kokette, weil verſchmäht, ſich ihm ſo eifriger zudringt. Der Verfaſſer ſchreibt ſchön ohne es zu wollen. Er iſt ein Republikaner wie alle Narren; denn wenn die Republikaner klug wären, dann bliebe ihnen nicht lange mehr etwas zu wünſchen übrig und ſie gewönnen Zeit ſich zu verlieben und Novellen zu ſchreiben. Nichts kommt ihm lächerlicher vor als das monarchiſche Weſen, nichts ſündlicher gegen Gott und die Natur. Er theilt meinen Abſcheu gegen die vergötterten großen Männer der Geſchichte und meint, die ſchöne Zeit werde kommen, wo es wie keine Hofräthe, ſo auch keine Helden mehr geben13 wird. Die Klügſten unter den Gegnern des Libera¬ lismus haben dieſen immer vorgeworfen, es ſei ihm gar nicht um dieſe oder jene Regierungsform zu thun, ſondern er wolle gar keine Regierung. Ich trage dieſe Sünde ſchon zwanzig Jahre in meinem Herzen und ſie hat mich noch in keinem Schlafe, in keiner gefährlichen Krankheit beunruhigt. Die Tyrannei der Willkühr war mir nie ſo verhaßt, wie die der Geſetze. Der Staat, die Regierung, das Geſetz, ſie müſſen alle ſuchen ſich überflüſſig zu ma¬ chen, und ein tugendhafter Juſtizrath ſeufzt gewiß, ſo oft er ſein Quartal einkaſſirt und ruft: O Gott! wie lange wird dieſer elende Zuſtand der Dinge noch dauern? Und bei dieſer Betrachtung hat der Ver¬ faſſer eine ſchöne Stelle, die ich wörtlich ausſchreiben will. Freilich iſt das Firmament ein Staat, und Gott ein Monarch, der ſich die Geſetze und die Bahnen unterordnet; aber die Sterne des Himmels werden einſt auf die Erde fallen, und Gott wird ſein ſtrahlendes Scepter und die Sonnenkrone von ſich werfen, und den Menſchen weinend in die Arme fallen, und die zitternden Seelen um Vergebung bitten, daß er ſie ſo lange in ſeinen allmächtigen Banden gefangen gehalten. Küſſen Sie den Un¬ bekannten in der Seele, der über die Wehen, die Geburten und Misgeburten dieſer Zeit ſo ſchöne Dinge geſagt. Auch eine betrübte räthſelhafte Er¬14 ſcheinung unſerer Tage, erklärt der Verfaſſer gut. Woher kömmt es, das ſo Viele in Deutſchland, die früher freiſinnig geweſen, es ſpäter nicht geblieben? Spötter werden ſagen: ſie haben ſich der Regierung verkauft; ich aber möchte nie ſo ſchlecht von den Menſchen denken. Ich war immer überzeugt, daß ein Wechſel der Hoffnung, gewöhnlich dem Lohne voraus¬ ginge, mit dem Regierungen, zur Aufmunterung der Tugend, dieſen Wechſel bezahlten. Sie könnten den Nachwuchs eines neuen Geſchlechtes nicht er¬ tragen; ſie wollten nicht, daß man munterer, drei¬ ſter dem gemeinſchaftlichen Feinde die Spitze bieten könne. Es iſt in Frankreich ebenſo gegangen. Die in der alten franzöſiſchen Kammer einſt die äußerſte Linke bildeten, die ausgezeichnetſten Glieder der ehe¬ maligen Oppoſition ſind nur darum in die rechte Mitte des Centrums hinaufgerückt, weil ſie nicht ertragen mochten, daß eine Weisheit, die ihnen ge¬ borgt war, ſich in jugendlichern Gemüthern lebendi¬ ger bethätigte. So ſind in Deutſchland die ehema¬ ligen Heerführer des Liberalismus die loyalſten Or¬ gane der Regierung geworden. Früher ſprachen ſie allein über gewiſſe Wahrheiten, jetzt thun es ihnen hundert Andere nach.

An dem Buche habe ich nichts zu tadeln, als ſeinen Titel. Man ſoll ſich nicht toll, oder betrunken ſtellen wenn man die Wahrheit ſagt. Auch nicht ein¬15 mal im Scherze ſoll man eine ſolche Maske vor¬ halten, denn es gibt unwiſſende Menſchen genug, welche die Vermummung als einen Beweis anſehen, daß man nicht jeden Tag das Recht habe die Wahr¬ heit zu ſagen, ſondern nur während der Faſtnachts¬ zeit und in der Hanswurſtjacke. Ueberhaupt ſollten wir jetzt keinen Spaß machen, damit die großen Her¬ ren erkennen, daß uns gar nicht darum zu thun ſei, witzig zu ſeyn, ſondern ſie ſelbſt zu witzigen.

16

Ich muß noch einmal auf die Briefe eines Narren zurückkommen; das Wichtigſte hätte ich faſt vergeſſen. Stellen Sie ſich vor es wird in dem Buche erzählt: der goldene Hahn auf der frankfurter Brücke ſei abgenommen worden, und unſere Regie¬ rung habe es auf Befehl der Götter des taxiſchen Olymps thun müſſen, weil der Hahn ein Symbol der Freiheit ſei, der, ob er zwar nicht krähen könnte, ſintemal er von Meſſing iſt, doch als Kräh-Inſtru¬ ment in dem Munde eines ſachſenhäuſer Revolutio¬ nairs Staats - und diner-gefährlich werden könnte. Es wäre merkwürdig! aber ich glaube es nicht. Vielleicht war es ein Scherz von dem Verfaſſer, oder er hat es ſich aufbinden laſſen. Aber was iſt in Frankfurt unmöglich? Ich bitte, laſſen Sie doch **** auf die Sachſenhäuſer Brücke gehen und nach dem uralten Hahne ſehen. Iſt er noch da, dann werde ich den närriſchen Briefſteller öffentlich als einen Ver¬ läumder erklären.

17

Heute marſchieren die Franzoſen in Belgien ein, angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht aber auch um den König Leopold gegen ſein eigenes Land zu ſchützen, das ſeiner in den nächſten Tagen überdrüßig werden dürfte. Den Franzoſen gegenüber ziehen ſich die Preußen zuſammen, darauf zu wachen, daß das Volk in ſeiner Luſt nicht übermüthig werde, und ſich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm zugemeſſen. Was iſt dieſes Frankreich geſunken! Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons Aſche übrig iſt, es müßte ſich jetzt entzünden. Gleich ſchwach und verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬ rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu entſchul¬ digen, ſie war Erſchöpfung nach einem ungeheuern Tagewerke. Die jetzige Regierung aber iſt ſchwach und ſchlaff von vielem Schlafen. Und der Ernſt ge¬ gen Holland ſoll nur Komödie ſeyn, geſpielt der dok¬ trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft zu paradiren, daß ſie ſich befeſtige; denn von den Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin Frankreichs. Es iſt die wohlfeilſte Art Krieg zu füh¬ ren. Schon um acht Uhr dieſen Morgen erhielt ich ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier, der mich auf heute zu Tiſche bittet, um ihm denV. 218Triumph des Juſte-Milieus feyern zu helfen. Ich werde eſſen und lachen. Ich fange an einzuſehen, daß die Menſchheit kein Genie hat für die Wiſſen¬ ſchaft. Seit einigen tauſend Jahren geht ſie in die Schule und ſie hat noch nichts gelernt. Gott hätte ſie nicht ſollen zum Studieren beſtimmen, ſondern ein ehrliches Handwerk lernen laſſen.

Die arme Berry! Ihr verzeihe ich Alles, denn ſie iſt Mutter, und ſie glaubt an ihrem Rechte. Das iſt ihr von der früheſten Kindheit an gelehrt worden wie der Katechismus. Die heilloſen Königs-Pfaffen aber, die Bürgerblut für Waſſer anſehen, womit ſie ihren verkümmerten Thron-Sprößling begießen Dieſe möchte ich Alle in dem Stübchen hinter dem Kamine einſperren, in welchem die Berry ſich ver¬ ſteckt hatte, und dann wollte ich das Feuer recht ſchüren. Was aber die neue Geſchichte ſchöne Ro¬ mane ſchreibt! wer es ihr nachthun könnte! Es that mir noch niemals ſo leid als jetzt, daß ich keine Ge¬ ſchicklichkeit zu ſo etwas habe. Das Ereigniß mit der Berry, welch ein herrlicher Stoff zu einem Ro¬ mane. Ihr Verräther der getaufte Jude, welch ein ſchönes Nacht - und Rabenſtück! Man begreift nicht warum dieſer Judas katholiſch geworden iſt. Als hätte er als Jude nicht auch ein Schurke werden können. Ich glaube es iſt kein gewöhnlicher Böſe¬ wicht; ſein Gewiſſen hat ein halbe Million gekoſtet,19 und er iſt blaß geworden, als er den Verrath voll¬ endete.

Ein Münchner Bierbrauer und der Dr. Lindner, werden mit dem Könige Otto nach Griechenland zie¬ hen, um dort baieriſch Bier und ruſſiſche Treue ein¬ zuführen. Griechenland ſoll ein Theil des deutſchen Bundes werden, und die griechiſchen Zeitungen müſ¬ ſen Alle in deutſcher Sprache geſchrieben werden, da¬ mit ſie der Hofrath Rouſſeau verſtehe, der zum Cen¬ ſor in Nauplia ernannt worden iſt. Carove tritt zur griechiſchen Religion über und wird Conſiſtorial-Rath in Athen. Der Profeſſor Bömel wird Cenſor aller griechiſchen Claſſiker, die ohne Cenſur nicht neu ge¬ druckt werden dürfen. Dieſe Neuigkeiten ſtanden geſtern Abend im Meſſager.

Adieu für heute.

2 *
[20]

Dritter Brief.

Schon geſtern wollte ich zu ſchreiben anfangen; aber da lag mir der Schrecken von Vorgeſtern zehn Pfund ſchwer in den Fingern, und ich konnte nicht. Sie wiſſen jetzt, daß man unſern guten König hat umbringen wollen, und daß die beſte aller Republi¬ ken in großer Gefahr war. Nie hat ſich die Vor¬ ſehung ſo glänzend gezeigt als dieſes Mal. Sie hat nicht allein verhindert, daß der König getroffen werde, welches ihr als Leibwache der Fürſten Pflicht war; ſondern ſie hat auch verhindert, daß keiner von den Hunderten von Nicht-Königen, die den König eng umſchloſſen und um die ſie ſich nicht zu bekümmern21 hat, verletzt werde. Sie hat noch mehr gethan. Sie hat, was ihr ein Leichtes geweſen wäre, den Mör¬ der (oder den Elenden, wie die Miniſter in allen Blättern ſagen) nicht den Händen der Gerechtigkeit überliefert, ſondern ihn entwiſchen laſſen, damit er ohne Buße ſterbe und jenſeits in ewiger Verdammniß leide. Der Mörder gab ſich alle mögliche Mühe entdeckt zu werden, aber es half ihm nicht. Statt einen andern Tag zu wählen, wo dem Könige, da er weniger be¬ wacht iſt, ſo leicht beizukommen wäre, wählte er ge¬ rade einen Tag, wo viele tauſend Soldaten alle Straßen beſetzt hielten, wo unzählige Polizei-Agen¬ ten unter dem Volke gemiſcht waren, und der König ſelbſt von einem dichten undurchdringlichen Gefolge umpanzert war. Statt ſich auf die freie Straße hinzuſtellen, wo nach der That Hoffnung zur Flucht blieb, ſtellte ſich der Mörder auf die Brücke, wo auf zwei Seiten nicht auszuweichen war, und die zwei engen Zugänge augenblicklich geſperrt werden konnten, wie es auch wirklich geſchehen. Die Kugel war nir¬ gends zu finden, und der König war naiv genug Abends bei Hofe zu erklären, er habe die Kugel nicht ziſchen hören. Sehen Sie, das nennt man regie¬ ren, und wenn Sie das jetzt nicht begreifen, bleiben Sie dumm ihr Leben lang. Bei dieſer Gelegenheit aber konnte ich mich ſchämen, daß ich, ein Liberaler, erſt mit anderthalb Jahren begreife, was die Abſo¬22 lutiſten ſchon längſt verſtanden und erklärt haben: daß nämlich nichts lächerlicher ſei als eine conſtitu¬ tionelle Monarchie. Wenn in Petersburg, Wien und Berlin ſolche Polizei-Komödien aufgeführt wer¬ den, dort, wo nur Kinder und unerfahrne Menſchen auf der Galerie ſitzen, die alles für Ernſt nehmen, und gleich Kotzebue's Landedelmann in der Reſidenz, im Stande ſind einen Schauſpieler durchzuprügeln, der als Graf Leiceſter die ſchöne Maria Stuart ver¬ rathen dort hat doch der Spaß einen Zweck, und findet ſich ja einmal ein naſeweiſer Theater-Kritiker, der das Spiel beurtheilt, dreht man ihm den Hals um. Hier aber, wo Oeffentlichkeit, wo Preßfreiheit herrſcht, wo tauſend Menſchen es laut ausſprechen, es ſei ein Polizeiſchuß geweſen wozu? Darum iſt eine conſtitutionelle Monarchie ein lächerliches Ding, darum bin ich Republikaner geworden, und verzeihe es den andern, wenn ſie Abſolutiſten ſind. Einer von uns wird den Sieg davon tragen; das Juſte - Milieu aber, dieſe Misgeburt mit zwei Rücken, be¬ ſtimmt auf beiden Seiten Prügel zu bekommen wird ſie bekommen und wird, nachdem ihm aller Saft ausgedrückt worden, wie eine Citronenſchale, auf die Gaſſe geworfen werden.

Aber in dieſen Augenblicke erhalte ich Ihren Brief und ich will mich eilen ihn zu beantworten,23 ehe das Gemetzel in Antwerpen angeht, das vielleicht die Sperrung des Poſtenlaufs nach Deutſchland zur Folge haben kann. Die Holländer in der Citadelle haben zwei hundert Mörſer, die Franzoſen in der Stadt vierhundert. Dieſe ſechshundert Mörſer kön¬ nen in Zeit von einer Stunde zwölftauſend Men¬ ſchen zerſtoßen. Dann gäbe es zwar zwölftauſend Narren weniger in der Stadt; aber ſie dauern mich doch die armen zerquetſchten Menſchen! Es bleiben ſo viele Narren noch übrig, daß man den kleinen Abgang nicht ſpüren wird. Sich todt ſchießen zu laſſen um einen Taufnamen, daß ein König Wilhelm oder Leopold heiße! Die Erde iſt das Tollhaus der Welt und alle Narren des Firmaments ſind da ver¬ ſammelt.

Es darf Sie nicht wundern, daß die vier Bände Tugend von Balzac mir keine Langeweile ge¬ macht. Denn erſtens iſt es weibliche Tugend, die mich nicht hindert, ich meine nicht mehr. Dann ſind es gerade nicht immer tugendhafte Perſonen die auftreten, ſondern im Gegentheile. Nachdem man aber mit den andern den Blumenweg der Un¬ tugend gewandert, ſtellt der Verfaſſer tugendhafte Betrachtungen an, die man ſich gefallen läßt, weil ſie nichts koſten, denn man hat den Profit voraus. Aber ich kann Ihnen den Balzac nicht genug loben. 24Noch ein anderes Werk liegt auf meinem Tiſche von dem nämlichen Schriftſteller; ich habe es aber noch nicht geleſen: Physilogie du mariage ou méditations de philosophie éclectique sur le bonheur et le malheur conjugal. Publiée par un jeune célibataire. Zwei Theile. Es wird aber noch lange dauern, bis ich mit Ihnen von dem Buche ſprechen kann; denn ich will es nicht blos leſen, ſondern ſtudiren. Und[warum] ſtudiren? Darüber hängt noch der Schleier des Geheimniſſes; aber man wird erſtaunen zur gehörigen Zeit. Wichtige Dinge ſind im Werke.

Schicken Sie mir doch künftig zur Erleichterung des Briefporto's ein Verzeichniß derjenigen Perſonen in Frankfurt, die noch nicht arretirt ſind. Sie trei¬ ben es dort in's Große und es fehlt ihnen wenig mehr zu einer Macht des erſtens Ranges. Wenn ſie in Frankfurt einen Jarke gebrauchen, ſollten ſie ſich an mich wenden; ich habe hier einen guten Freund, der gar zu gern ein Spitzbube werden möchte; er hat aber bis jetzt noch keine Gelegenheit dazu gefunden. Er beſucht mich um keinen Preis und weicht mir aus ſoviel er kann, aus Furcht für einen ehrlichen Mann gehalten zu werden und dadurch ſeinem Fortkommen zu ſchaden. Nach dem Eſchen¬ heimer Thurm wäſſert mir der Mund, ich möchte gar25 zu gern darin ſitzen. Welch 'ein romantiſches Ge¬ fängniß! Auf der einen Seite die Ausſicht nach der Promenade, auf der andern in die Zimmer des Herrn von Nagler. Sein erſter Legationsſekretair ſtünde den ganzen Tag am Fenſter, meine Seufzer zu de¬ chifriren. Welch' einen ſchönen Roman könnte unſer Frankfurter Walter Scott daraus machen! Iſt es wahr, daß der Senat den Mehlberg will befeſtigen laſſen, angeblich gegen die Franzoſen, eigentlich aber um die rebelliſchen Frankfurter im Zaume zu halten, und daß man alle Staatsverbrecher nach der Brücken¬ inſel deportiren will? Geſtern in der Kammer hat man davon geſprochen.

Hören Sie. Ein Deutſcher hier, der ſich für die Auswanderung nach Amerika intereſſirt und dafür ſchreibt, forderte mich neulich auf, auch dahin zu zie¬ hen. Ich antwortete ihm: das thäte ich wohl gern, wenn ich nicht fürchtete, daß, ſobald unſerer Vierzig¬ tauſend am Ohio wären, und nun der neue Staat organiſirt werden ſollte, von dieſen vierzigtauſend gu¬ ten deutſchen Senaten, neun und dreißig tauſend neun hundert neun und neunzig, den Beſchluß faſſen möchten, ſich aus Deutſchland ein geliebtes Fürſtenkind zum Oberhaupte kommen zu laſſen. Es war ein Scherz des Augenblicks; aber nachdem er verſchallt, fiel mir bei wie viel Ernſt in der Sache ſey. O! wäre ich26 nur ſicher in meiner Vermuthung auf der Stelle ging ich nach Amerika, blos um unſterblich zu wer¬ den; denn es wäre ein gewürzhafter Spaß, der mich einbalſamirte, meine Gebeine ein Jahrtauſend gegen Verweſung ſchützte es wäre ein unſterblicher Spaß.

27

Die Rede, mit welcher der König die Kammer eröffnet, iſt wieder die alte Vorrede der Tyrannei. Die Regierung erklärt ſich für ſchwach und verlangt Kraftbrühen. Man weiß aus welchen Beſtandtheilen dieſe zuſammengeſetzt werden: förmliches Recht zu je¬ dem beliebigen Unrechte, Unterbrechung der Conſtitu¬ tion und Belagerungszuſtand, ſo oft man Furcht hat, beſonders Beſchränkung der Preßfreiheit, um der hei¬ ligen Allianz eine Bürgſchaft für Frankreichs Ohn¬ macht zu geben. Vielleicht fällt aber noch heute eine Bombe aus Antwerpen in den Topf. Die Kammer hat geſtern ihre Majorität ausgeſprochen. Sie hat ſich nicht für die linke Seite erklärt, aber auch nicht für die Doktrinairs. Düpin iſt zum Präſident er¬ nannt worden, er wird alſo Miniſter werden. Sein Blatt iſt der Conſtitutionell, daraus können Sie alſo ſein Syſtem kennen lernen. Es iſt aber beſſer, Sie leſen den Balzac. Ich bin ſo kleinlaut und genüg¬ ſam geworden, daß ich mit Düpin zufrieden genug bin. Da mir eigentlich nur an Deutſchland liegt, ſo hoffe ich, daß Düpin Caſimir Perriers Krämer - Politik gegen das Ausland nicht fortſetzen wird.

Daß ſich Dr. Bunſen ſteif gemacht, das hat mich ſehr amuſirt. Wenn ſich alle ſteiften, ginge28 alles beſſer. Aber wenn man einen Deutſchen in's Gefängniß führt iſt er im Stande und zieht Schuhe an, um recht flink zu gehorchen.

Adieu. Ich gehe auf die Börſe um Neuigkei¬ ten zu erfahren. Das thue ich jetzt oft. Man hat geſtern einen jungen Mann arretirt, der den Schuß nach dem König gethan haben ſoll. Er hat dadurch ſich verdächtig gemacht, daß er ſeine großen Backen¬ bärte abſchneiden ließ. Was man vorſichtig ſein muß! Gerade heute wollte mir der Barbier auch meine Backenbärte ſtutzen; aber aus Furcht die Po¬ lizei könnte denken, ich wollte mich unkenntlich machen, ließ ich es nicht geſchehen. Ich warte damit bis der Mörder eingeſtanden, dann bin ich ſicher.

Ich danke es den unbekannten Freunden ſehr, daß ſie mir die Polizeihunde angeben, die nach Paris geſchickt werden. Zwar bringt mir ſelbſt die Warnung keinen Nutzen, da ich nichts zu vertrauen habe und auch keinem trauen würde als dem Teufel ſelbſt, der eigentlich ein ehrlicher Mann, weil er ſich für nichts anders ausgiebt als was er iſt. Aber es giebt Andere hier, die etwas zu verſchweigen haben und welche von der ſchwarzen Magie der heiligen Allianz nicht viel wiſſen. Dieſe werde ich warnen. Uebrigens ſo oft ein Liberaler als ein Judas aus¬ gegeben wird, muß man das ohne Unterſuchung nicht annehmen. Es iſt eine von den Künſten der Polizei,29 um unter den Patrioten Mistrauen zu erregen und Verbindungen zu verhindern. Ich werde ſehen. Es iſt etwas in den Augen eines Menſchen was der geübteſte Schurke nicht in ſeiner Gewalt hat. Dieſes Etwas verräth ihn. Adieu!

Vierter Brief.

Abends. Heute Mittag ging das Ungeheuer von Briefträger an meinem Hauſe vorbei und brachte mir nichts. Darüber war ich ſehr verdrießlich, ging früher als gewöhnlich aus und beſuchte die ****. Aber es gelang mir nicht, Sie dort zu vergeſſen. Auch war es thöricht, daß ich es verſucht. Iſt ein Frauenzimmer langweilig, kommen Sie mir zurück;31 iſt ſie liebenswürdig, noch mehr, es iſt keine Rettung als ich bleibe bei Ihnen. Gegen ſieben kam ich nach Hauſe. Da lag der Brief auf meinem Pulte ...

Den Gedanken des ****, ſtatt einer förmlichen franzöſiſchen Revolutionsgeſchichte, franzöſiſche Revo¬ lutions-Charaktere zu beſchreiben, hatte ich früher ſelbſt ſchon gehabt. Er hat aber auch darin Recht, daß dieſes eben ſo viel Arbeit als eine vollkommene Geſchichte nöthig machen würde. Robespierre war die höchſte Spitze der Revolution und da hinauf zu kommen, müßte ich auch den ganzen Weg zurücklegen; nur brauchte ich freilich mich nirgends ſo lange auf¬ zuhalten, als wenn ich die ganze Geſchichte beſchriebe. Aber **** hat Unrecht, wenn er meint ich wäre zu viel Patriot, nicht unbefangen genug. Ich bin es nur zu ſehr, zu ſehr Fataliſt. Ich würde den Adel entſchuldigen, wie es noch keiner gethan; aber frei¬ lich auch Robespierre. Ich übernähme es, alle rein zu waſchen von ihren Sünden, die Ariſtokraten von ihren Roſtflecken, die Demokraten von ihren Blut¬ flecken nur nicht die welche Geld genommen wie Mirabeau. Dieſen Schmutz nimmt keine Liebe weg.

32

Alſo mit dem Brückenhahn war es gelogen? Da ſehen Sie, da ſehen Sie, ſo ſind die Liberalen! Mit Feuer und Schwert ſollte man das Geſindel ausrotten. Nichts als Lug und Trug und Brand und Mord und Plünderung! So iſt es auch viel¬ leicht nicht wahr, was in einigen franzöſiſchen Zei¬ tungen ſteht: Daß die Sachſenhäuſer die Staats¬ gefangenen zu befreien geſucht, und daß darüber ein Aufruhr ſtatt gefunden: warum ſchreiben Sie mir denn gar nichts davon? Sie glauben es nicht, welche lächerliche Lügen über Deutſchland täglich in den hie¬ ſigen Blättern ſtehen. So las ich heute in der Tri¬ büne: der bekannte Vidocq ſei als Profeſſor der Spitzbüberei nach Heidelberg berufen worden, mit drei tauſend Gulden Gehalt und dem Titel als ge¬ heimer Hofrath. Soviel iſt gewiß, daß Vidocq von der Pariſer Polizei ſeinen ehrenvollen Abſchied be¬ kommen, und daß er weggereiſt, man weiß nicht wo¬ hin? Nur geſchwind von etwas anderem, ſonſt komme ich in die Fronterie hinein und in die Effroniterie.

Von Diderots Briefen an ſeine Freundin (Mademoiſelle Volland hieß ſie) habe ich Ihnen im vorletzen Winter geſchrieben. In dieſen Tagen las ich die Fortſetzung. Da wir Diderot und ich33 ſeitdem zwei Jahre älter geworden, bewunderte ich noch mehr die Jugendlichkeit dieſes Mannes. So viel Punkte, ſo viel Küſſe ſind in ſeinen Briefen. Und die unnachahmliche Kunſt, daß man durch die zehen Jahre, die der Briefwechſel dauert, nie merkt, wie alt ſie denn eigentlich iſt. Anfänglich war ich ein dummer tugendhafter Deutſcher und urtheilte: weil er mit ihr von gewiſſen Dinge auf eine gewiſſe Art ſpricht, muß ſie wohl ihre Jugendzeit hinter ſich haben. Als ich aber den dritten Band las, ſah 'ich ein wie ich mich geirrt. Da ſpricht Diderot einmal von und mit ſeiner eigenen Tochter, die ſechszehen Jahre alt iſt. Nein, das Blut kann einem dabei gefrieren! Ueber Dinge in welchen ein Frauenzim¬ mer nicht eher Schülerin werden darf, als bis ſie Meiſterin geworden, und worin ſie nur die Erfah¬ rung belehren ſoll, wird Diderots Tochter von ihrem Vater wiſſenſchaftlich unterrichtet. Und er erzählt ſeiner Freundin umſtändlich und mit väterlichem Ent¬ zücken, wie verſtändig ſich ſeine Tochter dabei benom¬ men. Gut ſagt ſie zuletzt wir wollen keine Vorurtheile haben; aber der Anſtand, die Ueberein¬ kunft, der Schein iſt zu achten. Dann ſpricht ſie von Geiſt und Materie wie Holbach und die Andern. Der Satan von ſechszehen Jahren erkennt keineV. 334Seele an. Sie trägt an dem Tage eine Art Haube, die man damals Caleche nannte. Sie lächelt, ſagt ihrem Vater, wie auf der Straße ſie alle jungen Leute ſchön fänden, und wie ihr das Freude mache. Ich will lieber Vielen ein wenig gefallen, als Ei¬ nem viel. Der Vater weint vor Freude. Gott! wann ich eine ſolche Tochter hätte es käme auf die Jahreszeit an Sommers würde ich ſie in das Waſſer, Winters in den Kamin werfen. Doch ge¬ nug moraliſirt. Ich bin des trocknen Tones ſatt, muß wieder einmal den Teufel zeigen. Hören Sie.

Damals kam ein König von Dänemark, blut¬ jung, erſt neunzehen Jahre alt nach Paris. Les deux rois se sont vus. Ils se sont dit tout plein des choses douces: vous êtes monté bien jeune sur le Trône! Sire, vos sujets ont encore été plus heureux que les miens. Je n'ai point encore en l'honneur de voir votre famille. Cela ne se peut pas: vous ne nous restez pas assez de[temps], ma famille est si nombreuse; ce sont mes sujets. Et puis tous les Crocodiles qui étaient présent se sont mis à pleurer. Ueber den Brutus! der König von Dänemark beſuchte Diderot in ſeiner Wohnung35 im vierten Stocke und blieb zwei Stunden bei ihm. An dem nämlichen Tage traf er ihn Abends bei Hol¬ bach. Dieſer wußte nicht, daß Diderot den König ſchon geſehen, und hatte ſeine heimliche Freude daran, daß Diderot glaube er ſpräche mit einem ge¬ wöhnlichen Menſchen. Und Diderot lachte heimlich über Holbachs Täuſchung. Und wie liebenswürdig dieſer König ſei (er war den größten Theil ſeines Lebens und ſtarb 1808 wahnſinnig). Und was er ſchönes während ſeines Aufenthalts in Paris ge¬ ſprochen über alle dieſe Erbärmlichkeiten zu ſprechen, wird der Philoſoph Diderot nicht müde. So ſind die Liberalen!

Etwas was ich nicht früher bemerkt, iſt mir beim Leſen von Diderots Briefen plötzlich klar ge¬ worden. Es iſt zum Erſtaunen! Voltaire ſtarb eilf Jahre, Diderot fünf vor dem Ausbruche der franzöſi¬ ſchen Revolution. Andere berühmte Staatsphilo¬ ſophen des achtzehenten Jahrhunderts haben noch länger herabgelebt. Und keiner dieſer Schriftſteller (wenigſtens ſo viel ich mich erinnere) hatte auch nur eine Ahndung von dem Herannahen einer ſocialen Umwälzung Frankreichs. Ja man kann nicht einmal ſagen, daß ſie einen deutlichen ſyſtematiſchen Wunſch darnach ausgeſprochen. Sie tadelten zwar viel und3 *36ſtark die beſtehende Ordnung der Dinge; aber ihr Eifer war doch mehr gegen die Staatsverwaltung als gegen die Verfaſſung gerichtet. Rouſſeau's Sy¬ ſtem machte auf praktiſche Wirkung keinen Anſpruch Voltaire ſchrieb nie auch nur ein einziges Wort ge¬ gen den Adel. Nur von Chamfort iſt mir bekannt, daß er aufrühreriſche Wünſche und Hoffnungen aus¬ geſprochen; aber das geſchah ſehr ſpät, nur in ver¬ trauter mündlicher Unterhaltung, und ſeine Gleichge¬ ſinnten ſelbſt haben ihn wie einen tollen Menſchen angehört. Der Haß und der Kampf aller jener[re¬ volutionären][Schriftſteller] waren nur gegen die Geiſt¬ lichkeit gerichtet. Es ſcheint alſo daß die geiſtliche Macht, wenn auch nicht die ſtärkſte, doch die vorderſte und höchſte Mauer bildete, welche als Befeſtigung die Tyrannei umzog, und daß man erſt, nachdem dieſe Mauer durchbrochen war, dahinter Adel und Fürſtenthum als Graben und Wall, gewahrte, aus¬ füllte und ſtürmte. Waren ſelbſt damals die Philo¬ ſophen ſo blind, darf man ſich über die Verblendung des Adels und der Fürſten gewiß nicht wundern. Wie wurden die franzöſiſchen Schriftſteller des acht¬ zehnten Jahrhunderts von allen Großen geliebkoſt! Freilich ſtellten ſie ſie nicht höher als gute Schau¬ ſpieler und ſchöne Opertänzerinnen; aber ſie wären gewiß nicht ſo freundlich gegen ſie geweſen, hätten37 ſie deren Gefährlichkeit eingeſehen. Quand la raison vient aux hommes? wollte Diderots Freundin wiſſen. Le lendemain des femmes, et ils attendent toujours ce Lendemain ant¬ wortete er.

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Fünfter Brief.

Iſt es wahr, was heute die hieſigen Blätter erzählen, daß die Polizei in Frankfurt ſo unver¬ ſchämt geweſen, dort den Frauenverein vor ihr bru¬ tales Gericht zu laden, weil er für die vertriebenen und eingekerkerten Patrioten, Geldbeiträge geſammelt und daß der Frauenverein ſich die große Freiheit ge¬ nommen, die Polizei auszulachen und nicht zu er¬ ſcheinen? Es wäre gar zu ſchön, und daß die Männer erſt von ihren Frauen lernen müſſen, wie man den Muth habe ſich dem Uebermuthe entgegen zu ſetzen. Ich ſage nicht die Deutſchen wären feige,39 denn ich bin ein warmer Anhänger von Lichtenbergs menſchendfreundlicher Moral. Lichtenberg aber be¬ hauptet, es ſei boshaft und lächerlich, eine Tugend die irgend ein Menſch nur im kleinen Grade beſitzt, Laſter zu nennen. Statt zu ſagen ein Menſch habe einen kleinen Grad von Thätigkeit, einen kleinen Grad von Verſtand, ſage man er ſei faul, dumm. Ich thue das nicht. Ich lobe die Deutſchen daß ſie einen kleinen Grad von Muth haben. Nur das tadle ich, daß ſie nicht alle ihren Pfennigsmuth in eine gemeinſchaftliche Kaſſe werfen, wodurch ſich die Na¬ tion zu ihrem eignen Erſtaunen eine Million von Heldenthum ſammeln könnte. Es iſt unglaublich was man durch eine beharrliche und allgemeine Aſſo¬ ciation, ſelbſt der kleinſten Kräfte für eine große Macht bilden kann. Kürzlich wurden den engliſchen Miniſtern, welche für die Reformbill geſtimmt, von einem Theile der Stadt London große goldene Becher als Zeichen des Dankes überreicht. Jeder der Beitragenden hatte nur einen Pfennig gege¬ ben. Aber es waren dreimalhundert tauſend Pfennige. Wenn unter den dreißig Millionen Deutſchen, nur ſechs Millionen, jeder nur eine Minute lang Muth hätte und ſo lange hat ihn ſelbſt ein Haſe, der von Hunden verfolgt, ſich zuweilen auf die Hinter¬ füße ſetzt ſo hätten die ſechs Millionen Helden40 zuſammengerechnet Muth auf zwölf Jahre, und reichte der auch nicht hin den Senator Miltenberg und den Herrn von Guerike einzuſchüchtern, ſo würde doch der Bundestag dieſer impoſanten Macht nicht widerſtehen können. Aſſociation das iſt das ganze Geheimniß. Die tapfern Würtemberger Li¬ beralen haben alle eine Minute Muth, ſie verſtehen aber nicht Stunden und Tage daraus zu machen, wodurch ſie den falſchen aber traurigen Schein ge¬ winnen als wären ſie feige. Neulich hat der König von Würtemberg einigen hochgeachteten Deputirten in Stuttgard auf ihr Allerunterthänigſtes Anſuchen, die allergnädigſte Erlaubniß ertheilt, ſich jede Woche einmal, an einem beſtimmten Tage, in einem Hauſe außerhalb der Stadt zu ver¬ ſammeln, um die Paragraphe der Verfaſſung juri¬ ſtiſch zu erläutern juriſtiſch nur, bei Leibe nicht politiſch ſetzte das menſchenfreundliche könig¬ liche Reſcript, mit aufgehobnem Finger lächlend dro¬ hend, hinzu. So verfährt eine gute Polizei auch mit dem Schießpulver und allen ſtinkenden Gewer¬ ben. Zur Stadt hinaus! Nun, ich nehme die allergnädigſte königliche Erlaubniß nicht übel, im Gegentheile, ich finde ſie ſehr erhaben. Aber, daß die Deputirten um ſolche Bewillung allerunterthä¬ nigſt nachgeſucht, das empört mich. Ich mag mich41 gegen den guten Staberl, der mir ſo viele frohe Stunden gemacht nicht undankbar bezeigen; ſonſt würde ich das deutſche Volk mit ihm vergleichen. Ich ſah einmal Staberl als Ehemann. An einem rauhen Wintermorgen ſaß ſeine Frau vor dem Ofen und trank Chocolade. Da kam Staberl mit einem großen Korbe, der mit Gemüſen, Eiern, Hühnern angefüllt war, vom Markte zurück. Die Frau lobte oder ſchmähte den Gimpel, je nachdem ſie mit ſeinen Einkäufen zufrieden oder unzufrieden war. Wo ſind denn die Krebſe? fragte die Frau. Ach erwiederte Staberl ſie ſind aus dem Korbe ge¬ ſprungen, ich ihnen nach; da ſie aber rückwärts gingen, konnte ich ſie nicht einholen. Darauf gibt ihm die Frau eine Ohrfeige. Aber Staberl ärgert ſich nicht, ſondern bittet ſeine Frau unterthänigſt freundlich um einen Kreutzer, ſich damit einen Bretzel zu kaufen .... Iſt das deutſche Volk nicht ein ächter Staberl. Seine Regierung, wie jede, iſt ſeine Frau, beſtimmt ſeine Wirthſchaft und Haushal¬ tung zu führen. Statt deſſen aber geht das Volk, der Mann, auf den Markt, während die Frau Re¬ gierung ſich gütlich thut, und das Gimpelvolk bettelt bei ſeiner Regierung um einen Kreutzer, und iſt glücklich wenn es ihn erhält! ... Und die Krebſe? [Nun], das ſind die conſtitutionellen Fürſten, und die42 Staberl von Liberalen, entſchuldigen ſich, daß ſie ſie nicht hätten einholen können weil ſie rückwärts ge¬ laufen. Ohrfeigen den Gimpeln!

Victor Hugo hat vor einigen Tagen ein neues Drama Le roi s'amuse auf das Theatre Français gebracht. Hinein zu kommen war mir nicht möglich an dieſem Tage; denn alle brauchbare Plätze waren lange vorher beſtellt. Das Stück wurde faſt ausgepfiffen und nur mit der größten Anſtrengung vermochten die Freunde des Dichters es von gänzlichem Sturze zu retten. Ich habe ge¬ ſtern einen flüchtigen Blick in die Zeitungskritiken geworfen. Alle Blätter und von den verſchiedenſten Farben verdammen das Drama. Doch ich traue nicht recht. Sie ſagen Hugo habe Scherz und Ernſt, Poſſen und erhabene Reden unter einander gemiſcht. Nicht Ariſtoteles, nicht Racines Lehren habe er gekränkt über ſolche Pedanterie ſei man längſt hinaus. Nein, die Natur ſelbſt habe er be¬ leidigt. Es muß etwas Ungeheures ſeyn, was Hugo begangen; er muß eine entſetzliche Schuld auf ſich geladen haben ſeit Müllner iſt Hugo ein Name ſchlimmer Vorbedeutung. Wir werden ſehen; in einigen Tagen wird das Stück gedruckt erſcheinen. Dazu kömmt noch, daß auf allerhöchſte Ver¬43 anlaſſung, wie wir in Deutſchland ſagen würden, die fernere Aufführung des Drama's von dem Mi¬ niſter verboten worden iſt. Um Ariſtoteles und die Natur bekümmert ſich kein Miniſter, das Verbot muß alſo einen andern Grund haben. Adieu.

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Sechſter Brief.

.... Dabei fiel mir ein, wie nöthig und nützlich es wäre, einmal mit Ernſt und Würde, doch in einer faßlichen, Kindern und Weibern, und kindiſch weibiſchen Männern verſtändlichen Sprache, die Gräuel und Verrücktheiten der monarchiſchen Regie¬ rungen zu beſprechen. Es iſt unglaublich mit wel¬ cher Unverſchämtheit die Fürſten und deren Götzen¬ diener die Fieberphantaſien und Krämpfe der franzö¬ ſiſchen Revolution zu vorbedachten Verbrechen ſtem¬ peln, und dieſe Verbrechen als Nothwendigkeit, als angebohrne Natur jeder Republik darſtellen! Es iſt unglaublich, mit welcher blöden Geiſtesträgheit ſo45 viele Menſchen dieſe dummen Lügen annehmen; denn ſie brauchten nur die Hand nach ihrem Bücher¬ ſchranke auszuſtrecken, ſie brauchten nur eine Stunde lang die Weltgeſchichte zu durchblättern, um mit Schaamröthe zu erfahren, wie grob man ſie getäuſcht. Drei Jahre haben die Gräuel der franzöſiſchen Re¬ volution gedauert, dieſe rechnet man; aber daß die ſchweizeriſche Republik jetzt ſchon fünf hundert Jahre ſchuldlos lebt, daß die amerikaniſche Republik keinen Tropfen Bürgerblut gekoſtet, daß Rom ein halbes Jahrtauſend, daß Athen, Sparta, die italieniſchen Republiken des Mittelalters, die vielen freien Städte Deutſchlands ein vielhundertjähriges Leben glücklich und ruhmvoll vollendet, das rechnet man nicht! Seitdem der letzte Römer fiel, von Auguſtus bis Don Miguel, durch neunzehen Jahrhunderte, haben tauſend Königsgeſchlechter die Welt gemartert, durch¬ mordet, vergiftet das rechnet man nicht! und die Gewaltthätigkeiten der franzöſiſchen Revolution haben nur das ſinnliche Glück derer zerſtört, welche jene betroffen; aber die Gewaltthätigkeiten der Monar¬ chien haben die Sittlichkeit der Bürger verdorben, haben Treue, Recht, Wahrheit, Glaube und Liebe rund umher[ausgerottet] und haben uns nicht bloß unglücklich gemacht, ſondern uns auch ſo umgeſchaf¬ fen daß wir unſer Unglück verdienten. Am Grabe der Schlachtopfer der Revolution darf man doch wei¬46 nen; die Schlachtopfer der Fürſten verdienen keine Thränen. Darum habe ich mir vorgenommen: es ſoll mein[nächſtes] Werk ſein, die Unſchuld der Re¬ publiken zu vertheidigen und die Verbrechen der Mo¬ narchieen anzuklagen. Zwanzig Jahrhunderte werde ich als Zeugen um mich herumſtellen, vier Welttheile werde ich als Beweisſtätte auf den Tiſch legen, funf¬ zig Millionen Leichen denke ich, werden den Thatbe¬ ſtand des Verbrechens hinlänglich feſtſtellen, und dann wollen wir doch ſehen, was die Advokaten der Für¬ ſten, die wortreichen Jarkes darauf zu antworten finden.

Dieſer Jarke iſt ein merkwürdiger Menſch. Man hat ihn von Berlin nach Wien berufen, wo er die halbe Beſoldung von Genz bekömmt. Aber er verdiente nicht deren hunderſten Theil, oder er ver¬ diente eine hundertmal größere es kömmt nur darauf an, was man dem Genz bezahlen wollte, das Gute oder Schlechte an ihm. Dieſen katholiſch und toll gewordenen Jarke liebe ich ungemein, denn er dient mir, wie gewiß auch vielen andern zum nützli¬ chen Spiele und zum angenehmen Zeitvertreibe. Er giebt ſeit einem Jahre ein politiſches Wochenblatt heraus. Das iſt eine unterhaltende Camera obſcura; darin gehen alle Neigungen und Abneigungen, Wün¬ ſche und Verwünſchungen, Hoffnungen und Befürch¬ tungen, Freuden und Leiden, Aengſte und Tollkühn¬47 heiten und alle Zwecke und Mittelchen der Monar¬ chiſten und Ariſtokraten mit ihren Schatten hinter einander vorüber. Der gefällige Jarke! Er ver¬ räth alles, er warnt Alle. Die verborgenſten Ge¬ heimniſſe der großen Welt, ſchreibt er auf die Wand meines kleinen Zimmers. Ich erfahre von ihm, und erzähle jetzt Ihnen, was ſie mit uns vorhaben. Sie wollen nicht allein die Früchte und Blüthen und Blätter und Zweige und Stämme der Revolution zerſtören, ſondern auch ihre Wurzeln, ihre tiefſten ausgebreiteſten feſteſten Wurzeln und bliebe die halbe Erde daran hängen. Der Hofgärtner Jarke geht mit Meſſer und Schaufel und Beil umher, von einem Felde, von einem Lande iſt das andere, von einem Volke zum Andern. Nachdem er alle Revo¬ lutionswurzeln ausgerottet und verbrannt, nachdem er die Gegenwart zerſtört hat, geht er zur Vergangen¬ heit zurück. Nachdem er der Revolution den Kopf abgeſchlagen und die unglückliche Delinquentin ausge¬ litten hat, verbietet er ihrer längſtverſtorbenen, längſt¬ verweſten Großmutter das Heirathen; er macht die Vergangenheit zur Tochter der Gegenwart. Iſt das nicht toll? Dieſen Sommer eiferte er gegen das Feſt von Hambach. Das unſchuldige Feſt! Der gute Hammel! Der Wolf von Bundestag der oben am Fluſſe ſoff, warf dem Schaafe von deutſchem Volke, das weiter unten trank vor: es trübe ihm48 das Waſſer, und er müſſe es auffreſſen. Herr Jarke iſt Zunge des Wolfes. Dann rottet er die Revo¬ lution in Baden, Rheinbaiern, Heſſen, Sachſen aus; dann die engliſche Reformbill; dann die polniſche, die belgiſche, die franzöſiſche Juli-Revolution. Dann vertheidigt er die göttlichen Rechte des Don Miguel. So geht er immer weiter zurück. Vor vier Wochen zerſtörte er Lafayette, nicht den Lafayette der Juli - Revolution, ſondern den Lafayette vor fünfzig Jah¬ ren, der für die amerikaniſche und die erſte franzöſi¬ ſche Revolution gekämpft. Jarke auf den Stiefeln Lafayette's herumkriechen! Es war mir, als ſähe ich einen Hund an dem Fuße der größten Pyramide ſcharren, mit dem Gedanken ſie umzuwerfen! Im¬ mer zurück! Vor vierzehn Tagen ſetzte er ſeine Schaufel an die hundert und fünfzigjährige engliſche Revolution, die von 1688. Bald kömmt die Reihe an den älteren Brutus, der die Tarquinier verjagt, und ſo wird Herr Jarke endlich zum lieben Gott ſelbſt kommen, der die Unvorſichtigkeit begangen, Adam und Eva zu erſchaffen, ehe er noch für einen König geſorgt hatte, wodurch ſich die Menſchheit in den Kopf geſetzt, ſie können auch ohne Fürſten be¬ ſtehen. Herr Jarke ſolle aber nicht vergeſſen, daß ſobald er mit Gott fertig geworden, man ihn in Wien nicht mehr braucht. Und dann Adieu Hof¬ raht, Adieu Beſoldung. Er wird wohl den Verſtand49 haben, dieſe eine Wurzel des Hambacher Feſtes ſte¬ hen zu laſſen.

Das iſt der nämliche Jarke, von dem ich in einem früheren Briefe Ihnen etwas mitzutheilen ver¬ ſprochen, was er über mich geäußert. Nicht über mich allein, es betraf auch wohl andere; aber an mich gedachte er gewiß am meiſten dabei. Im letz¬ ten Sommer ſchrieb er im politiſchen Wochenblatte einen Aufſatz: Deutſchland und die Revolution. Darin kommt folgende Stelle vor. Ob die artige Bosheit oder die großartige Dummheit mehr zu be¬ wundern ſey, iſt ſchwer zu entſcheiden.

Uebrigens iſt es vollkommen richtig, daß jene Grundſätze, wie wir ſie oben geſchildert, niemals ſchaffend ins wirkliche Leben treten, daß Deutſch¬ land niemals in eine[Republik] nach dem Zuſchnitte der heutigen Volksverführer umgewandelt, daß jene Freiheit und Gleichheit ſelbſt durch die Gewalt des Schreckens niemals durchgeſetzt werden könne; ja es iſt zweifelhaft, ob die frechſten Führer der ſchlechten Richtung nicht ſelbſt blos ein grauſenhaftes Spiel mit Deutſchlands höchſten Gütern ſpielen, ob ſie nicht ſelbſt am beſten wiſſen, daß dieſer Weg ohne Rettung zum Verderben führt und blos deshalb mit kluger Berechnung das Werk der Verführung treiben, um in einemV. 450 großen welthiſtoriſchen Akte Rache zu neh¬ men für den Druck und die Schmach, den das Volk, dem ſie ihren Urſprung nach an¬ gehören, Jahrhunderte lang von dem unſ¬ rigen erduldet.

O Herr Jarke, das iſt zu arg! Und als Sie dieſes ſchrieben, waren Sie noch nicht öſterreichiſcher Rath, ſondern nichts weiter als das preußiſche Ge¬ gentheil wie werden Sie nicht erſt raſen, wenn Sie in der wiener Staatskanzlei ſitzen? Daß Sie uns die Ruchloſigkeit vorwerfen, wir wollen das deut¬ ſche Volk unglücklich machen, weil es uns ſelbſt un¬ glücklich gemacht das verzeihen wir dem Crimi¬ naliſten und ſeiner ſchönen Imputations-Theorie. Daß Sie uns die Klugheit zutrauen, unter dem Scheine der Liebe unſere Feinde zu verderben da¬ für müſſen wir uns bei dem Jeſuiten bedanken, der uns dadurch zu loben glaubte. Aber daß Sie uns für ſo dumm halten, wir würden eine Taube in der Hand für eine Lerche auf dem Dache fliegen laſſen dafür müſſen Sie uns Rede ſtehen, Herr Jarke. Wie! Wenn wir das deutſche Volk haßten, würden wir mit aller unſerer Kraft dafür ſtreiten, es von der ſchmachvollſten Erniedrigung in der es verſunken, es von der bleiernen Tyrannei die auf ihm laſtet, es von dem Uebermuthe ſeiner Ariſtokraten, dem Hochmuthe ſeiner Fürſten, von dem Spotte aller51 Hofnarren, den Verläumdungen aller gedungenen Schriftſteller befreien zu helfen, um es den kleinen, bald vorübergehenden und ſo ehrenvollen Gefahren der Freiheit Preis zu geben? Haßten wir die Deut¬ ſchen, dann ſchrieben wir wie Sie, Herr Jarke. Aber bezahlen ließen wir uns nicht dafür; denn auch noch die ſündevolle Rache hat etwas das entheiligt werden kann.

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Meiner Wohnung gegenüber iſt eine gute und große Leihbibliothek, und weil ich es ſo bequem habe, leſe ich viel und verſchlinge alles durcheinander wie ein heißhungriger Gymnaſiaſt. Zu zwei Taſſen Thee verzehrte ich geſtern den erſten Band eines neuen Romans: Indiana, par G. Sand. Er iſt aber nicht von dem dummen Sand der nur den Kotzebue umgebracht; der Verfaſſer iſt weder ein Deutſcher noch ein Franzoſe, ſondern eine Franzöſin, die die¬ ſen Namen angenommen. Ich habe mich nach der Verfaſſerin erkundigt und erfuhr, ſie ſei eine junge ſchöne, geiſtreiche und liebenswürdige verheirathete Dame, die aber von ihrem Manne ſich getrennt habe, um ungeſtört mit ihrem Liebhaber Apollo zu leben. Nun äußerte ich irgendwo, ich möchte die Verfaſſerin des Romans kennen lernen. Darauf bemerkte mir eine Dame: das würde für mich ſchwer zu erreichen ſein. Denn um von jenem Frauenzimmer empfan¬ gen zu werden, müſſe man jung, ſchön und liebens¬ würdig ſein. Mais comme vous n'êtes qu'aima¬53 ble ..... Es iſt doch ein jämmerlicher Cours, mit dem Leben 66 Prozent unter Pari zu ſtehen! Es wäre tauſendmal klüger gar Bankerott zu machen, und ſich eine Kugel durch den Kopf zu jagen.

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In Frankfurt haben ſie ja den Wilhelm Tell verboten! Sie verbieten auch noch die Baſeler Leb¬ kuchen wegen der Unruhen im Lande. Es iſt merk¬ würdig was die deutſchen Regierungen für ein Ta¬ lent beſitzen, in die ſchrecklichſten Geſchichten Lächer¬ liches zu bringen. Wenn ich höre was ſie thun und ſprechen, weine ich mit dem rechten Auge und lache mit dem linken. Der König von Baiern läßt ſich von allen Städten, Dörfern und Flecken ſeines Rei¬ ches Deputationen ſchicken, die ihm, ſeinem Sohn, den Baiern, am meiſten aber Griechenland ſelbſt Glück wünſchen, daß ein baieriſches Kind den griechi¬ ſchen Thron beſteigt. Was mich am meiſten kränkt, iſt, daß auch die Bürger von Feuchtwangen ſtolz auf Griechenland ſind; daß ich aber als Kind eine Zeit lang unter ihnen gelebt darauf ſind ſie nicht ſtolz die dummen Philiſter. O welche Zeiten! Jetzt muß man die bürgerlichen Reden und die königlichen Ant¬ worten hören. Hellas, Dinkelsbühl und deutſche Gauen! Denn um keinen Preis der Welt würde König Otto Griechenland anders nennen als Hellas, und die deutſchen Schmachfelder anders als deutſche Gauen. Und wie König Otto den Bürgermeiſter von Nürnberg ſagte: er möge nicht daran vergeſſen,55 daß einſt Nürnberg für die deutſchen Gauen war, was Hellas für die Welt geweſen, und weil einſt Hellas die Welt mit Künſten und Wiſſenſchaften ver¬ ſorgt, müſſe auch Nürnberg die deutſchen Gauen mit Künſten und Wiſſenſchaften verſorgen und Hellas und Nürnberg die wären wie zwei Brüder!

Mit den Briefen eines Narren haben Sie Recht was die Form betrifft. Sie iſt affectirt und man merkt gleich, daß die Briefe nicht wirklich ge¬ ſchrieben. Uebrigens ſind ſie gut und ſchön und man muß ſolche Geſinnungen aufmuntern. Die Xe¬ nien und das Göthe-Büchlein und die Didaskalia ſchicken Sie mir doch, wenn ſich eine Gelegenheit findet.

Das neue Drama von Viktor Hugo, deſſen fernere Aufführung unterſagt worden iſt, wurde aus keinem politiſchen Grunde verboten, ſondern wegen ſeiner Unmoralität. Alle Miniſter, welche die Cho¬ lera nicht gehabt haben, werden jetzt moraliſch. Das iſt eine merkwürdige Influenz! In einem der Zei¬ tungsartikel, die aus dem berliner Kabinette einge¬ ſchickt worden, beklagte man ſich neulich über Talley¬ rand, daß er die Preußen bei der londoner Conferenz betrogen habe und er wäre ſo zu ſagen, ein Spitz¬ bube. Talleyrand ein Spitzbube! Was die Un¬ ſchuld leiden muß! Und die ehrlichen Preußen jam¬ mern, daß ſie der Spitzbube überliſtet habe. Die56 verächtliche Schwäche der franzöſiſchen Regierung hat es dahin kommen laſſen, daß die noch verächtlichere Preußiſche wieder eine Rolle ſpielt. Schon iſt ſie ganz von Sinnen aus Hochmuth, ſie ſteht wieder im Mai 1806 und hat nur noch ein halbes Jahr bis zu Oktober. Damals wurde an Preußen der Ver¬ rath Deutſchlands, diesmal wird der Verrath Polens beſtraft.

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Siebenter Brief.

O theure Freundin! was iſt der Menſch? ich weiß es nicht. Wenn Sie es wiſſen, ſagen Sie es mir. Vielleicht ein Hund der ſeinen Herrn verloren. Das Leben iſt ein Abc Buch. Ein Bischen Gold¬ ſchaum auf dem Einbande iſt all unſer Glück, un¬ ſere Weisheit nichts als ba, be, bi, und ſo bald wir buchſtabiren gelernt, müſſen wir ſterben und die Unwiſſenheit fängt von Neuem an. Wer ahndet meinen Schmerz? Wer ſieht den Wurm der an meinem Herzen nagt? O! man kann eſſen und lachen und Zahnſchmerzen haben und doch unglücklich ſeyn! Wenn ich auf die Straße hinunterſehe, und58 ſehe die Tauſende von Menſchen vorüber gehen, und keiner weicht meinem Fenſter aus, und keiner fürchtet zerſchmettert zu werden ſollte nicht jeder Menſch, wie ein Dachdecker, ein Warnungs¬ zeichen vor ſeine Wohnung hängen? Iſt man denn nur eine einzige Stunde ſeines Glückes ſicher? Iſt einer ſicher, daß er ſich nicht in der nächſten Stunde zum Fenſter hinausſtürzt, und dabei einen Vorüber¬ gehenden todt ſchlägt? Aber Morgen, Uebermorgen entſcheidet ſich mein Schickſal und ich bin jetz ruhi¬ ger. Hören Sie meine jammervolle Geſchichte.

Ich habe Sonntag im Theater Français Hamlet geſehen einen Hamlet. So etwas kann mich recht traurig machen. Was iſt Schönheit, was Hoheit, ja was jede Tugend? Sie ſind nicht mehr als was ſie erſcheinen, nichts Anders als wofür ſie jedes hält. Wenn aber dieſer Jeder ein Volk iſt, ein ganzes Land, ein Jahrhundert? Dann iſt der Schein alles und die Wirklichkeit nichts für Alle. Können nicht große Menſchen, ja Völker und Jahr¬ hunderte gelebt haben, die wir gar nicht erkannt, oder falſch, oder nicht genug? Vielleicht wird der wahre Chriſt erſt einem kommenden Geſchlechte ge¬ bohren. Das iſt die Traurigkeit. Was iſt Shake¬ ſpare den Deutſchen und was den Franzoſen? Dü¬ cis hat dieſen Hamlet vor ſiebenzig Jahren zurecht59 gemacht. Aber Dücis iſt kein einzelner Menſch, er iſt ein Volk, er iſt Frankreich und das Frankreich des achtzehenten Jahrhunderts, wo die Philoſophie der Kunſt und jede Wiſſenſchaft in der ſchönſten Blüthe ſtand. Es reicht nicht aus zu ſagen, Dücis habe den Shakespeare franzöſirt nein. Er hat brittiſche Formen, welche mit franzöſiſchen Sitten im Widerſpruche ſtanden, geändert; ſonſt aber hat er den Shakespeare ganz wiedergegeben, wie er ihn gefunden. Aber ſeine Augen? Hat er denn nicht mehr geleſen? Nein was ſind Augen? die Diener des Geiſtes; ſie ſehen nicht mehr und nicht anders, als was ihnen ihr Herr zu ſehen befiehlt.

Dücis Hamlet ſieht auch den Geiſt ſeines Va¬ ters; aber nur er allein, der Zuſchauer nicht. Daß man mit rothen Backen und einem guten Magen Geiſter ſehen könne, davon hat ein Franzoſe keine Vorſtellung. Alſo iſt Hamlet verrückt und weil der Wahnſinn eine körperliche Krankheit immer zur Ur¬ ſache oder Folge hat, iſt Hamlet auch krank. Das iſt nun ſchauderhaft zu ſehen. Hamlet trägt einen ſchwarzen Ueberrock, iſt leichenblaß, hat ein wahres Cholerageſicht, ſchreit wie beſeſſen und fällt alle fünf Minuten in Ohnmacht. Wie nur der Lehnſtuhl nicht brach unter den vielen Ohnmachten, denn Hamlet fiel immer mit ſeinem ganzen Gewichte hinein? Sein Freund und Vertrauter ſucht ihm ſeine Einbildung60 auszureden. Er erklärt ihm ſehr vernünftig und pſychologiſch, woher es komme, daß er glaube den Geiſt ſeines Vaters zu ſehen. Kürzlich wäre ein König von England geſtorben und, dem Gerüchte nach, am Gifte das ihm ſeine Gemahlin gereicht. Ihn, Hamlet, habe dieſe Erzählung ſehr erſchüttert, er denke von Morgens bis Abends daran, und wo¬ mit ſich der Menſch bei Tage beſchäftige, das komme ihm im Traume vor. Der Schauſpieler Ligier, Talma's Nachfolger im Amte, aber nicht im Gehalte hat den Hamlet auf franzöſiſche Art gut genug geſpielt. Aber mir ward ganz übel dabei; es war eine Lazareth - und Tollhausſcene die zwei Stunden gedauert. Als ich nach dem Schauſpiel im Foyer Voltaires Büſte betrachtete, da ward mir Dücis Hamlet erſt recht klar. Ein Geſicht wie Scheidewaſſer, der wahre Anti-Hamlet. Man ſollte einen Tempel für unglücklich Liebende bauen, und Voltaires Bild als den Gott hineinſtellen. Auch ein Werther käme geheilt heraus. Darum liebe ich ihn ſo ſehr, weil ich ihn haſſen müßte wenn ich ihn nicht liebte, und er hat mir doch ſo wohl gethan. An einigen der wenigen unglücklichen Tage meines Lebens warf er einen Strahl ſeines Geiſtes in mein dunkles Herz, ich fand den Weg wieder und war gerettet. Unglück iſt Dunkelheit; Wem man die Geſtalt ſeiner Schmerzen zeigt dem zeigt man deren Grenzen. 61Daher begreife ich auch wie es ſo Viele giebt, die Voltaire tödtlich haſſen. Wie den Schmerz zerſtört er auch die Freude; denn Glück iſt auch Dunkelheit.

Die Börſe iſt heute ſelig wie eine Braut. Die Renten ſind um einen Franken geſtiegen, weil der König der Deputation der Kammer geſagt hat, der Friede gedeihe herrlich und unſre Kinder wür¬ den bald von Antwerpen zurückkommen. Unſere Kin¬ der! wie man nur ſo etwas ſagen und anhören kann ohne zu lachen, begreife ich nicht. Was die Regierung Furcht hat vor ihrem eignen Muthe, was ſie zittert ſie möchte Ruhm erwerben, das glaubt keiner. Gott weiß auf welche Jüſte milieu-Art ſie Antwerpen belagern mögen! wahrſcheinlich ſind die Bomben mit welchen ſie ſchießen nur halb gefüllt. Aber wie undankbar zeigt ſich die Regierung und die Börſe gegen mich! ſie denken gar nicht daran, daß wenn ſie den Frieden behalten, ſie es mir zu ver¬ danken haben ganz im Ernſte, mir. Wir, wir, Hambacher verhindern den Krieg. Die heilige Allianz fürchtet uns, ſie zittert vor uns. Zwar ſind viele Hambacher eingeſteckt, aber viele ſind noch frei. So lange ich frei umhergehe, wird es Preußen ge¬ wiß nicht wagen, Frankreich den Krieg zu erklären. Eigentlich ſollten die Renten ſteigen, ſo oft ich auf der Börſe erſcheine. Aber die franzöſiſche Regierung62 verſteht nichts von der deutſchen Politik, ſie iſt noch zu vernünftig dazu; es kann noch kommen. Nun gute Nacht. Viktor Hugo's Drama le roi s'amuse habe ich heute bekommen. Vor dem Schlafengehen leſe ich noch eine Stunde darin.

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Was ich dieſe ganze Zeit über, unter Freunden, im Scherze vorher geſagt: die Polizei würde endlich für den fünften Akt der Königsmord-Komödie Einen herbeiſchaffen der freiwillig bekennt: er habe den Piſtolenſchuß gethan, das iſt jetzt wirklich eingetrof¬ fen. Ein junger Mann aus Verſailles iſt geſtern zum Polizei-Präfecten gekommen und hat erklärt, er ſei der Mörder, und Alle die als verdächtig einge¬ kerkerten wären unſchuldig. In einem zweiten Ver¬ hör nahm er ſein Bekenntniß zurück und erklärte wei¬ nend, er ſei unglücklich, des Lebens überdrüßig und habe dieſe ſchöne Gelegenheit, guillotinirt zu werden, benutzen wollen. So wird die Geſchichte geſtern Abend in den miniſteriellen Blättern erzählt. Nun bin ich begierig, ob der König von Baiern, um eine Macht des erſten Ranges zu werden, nicht auch eine ſolche Mord-Komödie aufführen, und bei irgend einer feierlichen Gelegenheit auf ſich ſchießen laſſen wird. Es geht fürchterlich in dieſem Lande her! dem Kö¬ nige iſt Hellas in den Kopf geſtiegen, und er ſieht alle Liberalen für antike Statuen, und die Gefäng¬ niſſe ſeines Landes für Muſeen an, in welchen er ſie aufſtellt. Ja es iſt wirklich wahr: dieſem Geiſt - und Körperſchwachen Könige iſt Hellas in den Kopf64 geſtiegen. Um den Preis dieſer Krone hat er die Ehre, das Glück, die Freiheit ſeines Volkes und ſeine eigne Unabhängigkeit verkauft. Um dieſem ſchnöden Tagelohn (denn nach Tagen, nicht nach Jahren wird man die Regierung Ottos zählen) iſt er ein Helfers-Helfer der heiligen Allianz, ein Knu¬ tenmeiſter Rußlands, ein Polizei-Scherge Oeſterreichs geworden.

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Achter Brief.

In der heutigen Zeitung ſteht, in Heidelberg wäre ein Aufruhr geweſen mit Blut und Fenſter¬ ſcheiben; aber die deutſchen Blätter dürften nicht da¬ von ſprechen. Was iſt Wahres an der Sache?

Alle hieſigen Blätter ſprechen von der Verſtei¬ gerung der Frankfurter Mittwochsgeſellſchaft, von den fünfzehen Gulden, von den ledernen Hoſen und dem Senate. Es iſt Schade, daß die Zeitungen, wegen Antwerpen und den Kammerſitzungen ſo wenig Platz haben, ſonſt wären die Hoſen länger geworden. Es iſt ein herrlicher Spaß, aber der Ernſt in der Sache iſt noch ſchöner. Nur iſt es betrübt, daßV. 566man über den Spaß den Ernſt vergeſſen wird. Ich habe es immer geſagt: wenn zweihundert Bürger zuſammenhalten in gerechten Dingen, ſind ſie unbe¬ ſiegbar. Aber zuſammenhalten auf die rechte Art. Nicht wie ein langer Faden er ſey noch ſo lang, das macht ihn nicht ſtärker, ein Kind zerreißt ihn ſondern wie ein Knäul. Und nicht zuſammenge¬ halten in ſeltenen und großen Dingen zu ſeltenen und großen Dingen finden ſich ſeltene und große Menſchen, die das allein vollbringen ſondern in kleinen Dingen, die alltäglich wiederkehren. Um zu lernen wie man die Freiheit erwerbe und behaupte, beobachte man, wie die Tyrannei ihre Macht erlangt und erhält. Wodurch? Man glaubt gewöhnlich durch die bewaffnete Macht, durch phyſiſche Gewalt; es iſt aber Täuſchung. Wo noch ſo despotiſch, wird durch eine ſittliche Gewalt regiert. Wodurch wird eine bewaffnete Macht zuſammengebracht, zuſammen¬ gehalten? Durch[moraliſche] Einflüſſe, Furcht, Eigen¬ nutz, Ehre, Gemeingeiſt. Alle dieſe Hülfsmittel der Tyrannei ſtehen der Freiheit auch zu Gebote. Und wie ſelten wird die bewaffnete Macht gebraucht, und wo es geſchieht, da iſt es ſchon ein Kampf auf Le¬ ben und Tod zwiſchen der Tyrannei und der Freiheit. Eine Patrouille, womit man eine große Verſammlung Bürger aus einander treibt, iſt keine phyſiſche, ſon¬ dern eine moraliſche Gewalt, denn ſie iſt nur ein67 Symbol der Macht. Die Polizei, in ihr iſt die Macht der Tyrannei. Sie iſt die Krämerei des Despotismus, die ihn ſtündlich aber den ganzen Tag und alle Tage Lothweiſe ausgiebt und die Freiheit Pfennigweiſe[einnimmt]. Dieſer Krämerei des Des¬ potismus muß man eine Krämerei der Freiheit ent¬ gegen ſetzen. Man kann in Frankfurt alle Tage Hambacher Feſte feiern, ohne daß es die Polizei ver¬ hindern oder beſtrafen kann. Wie dort zwanzig Tau¬ ſende auf einem Berge ſich verſammeln, mögen ſich hier fünfhundert freiſinnige Bürger täglich in den verſchiedenen Gaſthöfen zerſtreuen. Statt wie dort lange Reden, mögen hier kurze Sätze für die Frei¬ heit geſprochen werden. Sie ſollen nur unbekümmert ſeyn, das Wort im Schwanen findet ſich mit dem Worte im engliſchen Hofe zuſammen es giebt einen Gott der das redigirt. Man muß die Polizei müde machen, man muß blinde Kuh mit ihr ſpielen; es iſt nichts leichteres als das. Beſonders bei der Frankfurter; der fehlt zur blinden Kuh nichts als ein Schnupftuch. Freilich pflügt ſie jetzt mit dem Kalbe des Herrn von Münch-Bellingshauſen, und kann manches Räthſel errathen, ſo verſtockt ſie ſonſt auch iſt. Aber wenn auch!

Nicht zu vergeſſen Le roi s'amuse ... Les rois s'amusent aber Geduld! ... Sehen Sie, es giebt Schriftſteller, die man liebt, deren6*68Werke nämlich; liebt mit freier Liebe, nicht blos weil ſie Achtung verdienen. Mir iſt Victor Hugo ein ſolcher. Seine Vorzüge ſehe ich mit großen Augen, ſeine Fehler wie zwiſchen Schlafen und Wa¬ chen an. Ich entſchuldige ſie und wenn ich das Buch zu Ende geleſen, habe ich ſie vergeſſen. Aber dieſes Mal kann ich nicht. Ich habe das vor fünfzehen Jahren kommen ſehen, ich habe ſeitdem oft davon geſprochen. Es herrſcht jetzt ein Terrorismus, ein Sanscülotismus, ein Jacobinismus (drei Worte wie Kampher, die Cenſurmotten abzuhalten) in der franzöſiſchen Litteratur. Es iſt der Uebergang vom Despotismus zur conſtitutionellen Freiheit. Sie haben noch nicht gelernt Freiheit mit Ordnung paaren. Jede Regel iſt ihnen Tyrannei, jeder Anſtand Ari¬ ſtokratismus, Tugend, Schönheit und Würde in der Kunſt ſind ihnen Vorrechte. Sie nivelliren alles, ſie dutzen alles. Sie ſagen: Bürger Gott, Bürger Teufel, Bürger Pfarrer, Bürger Henker. Sie dulden keine Kleidung an nichts, und hätte ſie die Natur ſelbſt angemeſſen. So führt Despotie auch in der Kunſt zur Anarchie. Die alte franzöſi¬ ſche Kunſt ging im Reifrocke; das war lächerlich, ab¬ geſchmackt, ungeſund, naturwidrig. Aber zwiſchen Reifrock und Haut liegt noch manches Kleidungs¬ ſtück, man ſoll die Kunſt nicht bis auf das Hemd ausziehen. Sie wollen es nackt gut es ſei; man69 kan ſich daran gewöhnen. Aber geſchunden! Die neuen franzöſiſchen Dramatiker ſchinden alles: Die Liebe, den Haß, das Verbrechen, das Unglück, Schmerz und Luſt. Das iſt abſcheulich! Die Na¬ tur ſelbſt gibt jedem Dinge eine Haut, jedem Dinge wenigſtens eine Farbe zur Hülle. Das farbenloſe Licht, das iſt der Tod, die Fäulniß, das iſt gräßlich.

70

Ich habe aufhören müſſen. Seit einigen Tagen werde ich von grauſamen Zahnſchmerzen geplagt. Am Tage ſind ſie leidlicher; da bin ich aber müde von der ſchlafloſen Nacht. Es iſt ein Fluß und ich werde ſehen wie ich hinüber komme. Der unſchul¬ dige Hugo kann wohl darunter leiden; ein Rezenſent iſt ein Wolf, einer der Zahnſchmerzen hat, gar ein toller Wolf. Ich habe oben die äußerſte Grenze des Verderbens bezeichnet, der man freilich noch viel nä¬ her kommen kann als Victor Hugo. Er hat eine Grazie die ihn am Aermel zupft, ſo oft er es gar zu toll macht.

Die Handlung ſpielt in der Zeit und am Hofe Franz des Erſten. Das iſt der franzöſiſche König der in ſeinem vier und fünfzigſten Jahre an einer unglücklichen Liebe ſtarb. Damals war eine un¬ glückliche Liebe noch nicht heilbar. König Franz liebt ſein ganzes Leben und das ganze Drama durch. Das Koſen, das Küſſen, das Umarmen nimmt kein Ende. Und alles in Gegenwart der Hofleute und der Tauſende von Zuſehern unter welchen Leute ſind wie ich. Es iſt abſcheulich. Racines Fürſten und Helden ſchmachten und weinen wenn ſie lieben; ihre Krone ſchmilzt ihnen auf dem Kopfe und tröpfelt in71 goldenen Thränen herab. Das iſt Unnatur; denn ein König iſt früher König als Menſch. Victor Hugo's Franz der Erſte überläßt das Weinen ſeinen Geliebten, er ſchmachtet nicht, ſondern er lacht, er liebt wie ein König le roi s'amuse. Das iſt Natur, aber es iſt die häßliche Natur und was hä߬ lich, iſt unſittlich. Bis jetzt die komiſche Unmorali¬ tät; jetzt kömmt die tragiſche, die tragiſche Häßlich¬ keit .... Jetzt kömmt aber auch der Zahnarzt nach dem ich geſchickt habe. Fortſetzung im nächſten Briefe.

[72]

Neunter Brief.

Le roi s'amuse; Fortſetzung. Vielleicht mache ich den Beſchluß erſt in einem dritten Briefe. Sie hätten es dann immer noch beſſer, als die Le¬ ſer des Abendblattes und Morgenblattes, die mit himmliſch deutſcher Geduld vier Monate lang an einer Novelle buchſtabiren und längere Zeit brauchen die Geſchichte zu leſen, als die Geſchichte ſelbſt brauchte um zu geſchehen. Ich bin heute noch etwas ſatyriſch, ich habe noch Zahnſchmerzen. Triboulet iſt der Hofnarr des Königs. Er iſt klug und bos¬ haft wie alle Hofnarren, und hat einen Buckel. Viktor Hugo ſagt (in der Vorrede) er ſei auch73 kränklich; woher er das weiß, weiß ich nicht. Er ſagt ferner: Triboulet haſſe den König, weil er Kö¬ nig ſei; die Hofleute, weil ſie Vornehme wären; alle Menſchen weil ſie keine Buckel hätten. Ich habe aber von dem Allem nichts gemerkt und ich halte es für Verläumdung. Es iſt überhaupt merk¬ würdig, wie wenig der Dichter ſein eignes Werk ver¬ ſtand, oder vielmehr wie er es zu verkennen ſich an¬ ſtellt, um ſich gegen die Beſchuldigung der Unſittlich¬ keit zu vertheidigen. So oft Triboulet aufſpürt, daß einer der Hofleute eine ſchöne Frau, Tochter oder Schweſter hat, verräth er es dem Könige. Der Kuppelei bedurfte es übrigens nicht viel; denn König Franz, wie die Könige aller Zeiten und die Vorneh¬ men der damaligen, machte wenig Umſtände. Franz geht verkleidet auf nächtliche Abentheuer aus, beſucht die Weinſchenken und garſtigen Häuſer und taumelt ſingend und betrunken in ſein Louvre zurück. Aber der Dichter ließ dem Könige von ſeiner ganzen fürſt¬ lichen Natur nichts als die Schonungsloſigkeit, und man begreift nicht, warum er ſeinen liederlichen jun¬ gen Menſchen gerade unter den Königen wählte. Wie ganz anders hat Shakespeare es verſtanden, als er einen liebenswürdigen Kronprinzen, den kurzen Car¬ neval vor der langen und traurigen königlichen Fa¬ ſtenzeit luſtig und toll durchleben ließ. Bei Heinrich74 iſt die Gemeinheit eine Maske, bei Franz iſt die Krone eine.

Die Hofleute haſſen dieſen Triboulet, weil er ſie Alle ungeſtraft necken und ihnen boshafte Streiche ſpielen darf. Da machen ſie die Entdeckung, daß ſich der Narr oft des Nachts verkleidet in ein ab¬ gelegenes Haus ſchleiche. Es kann nichts anders ſein, meinen ſie, Triboulet hat eine Geliebte, und ſie nehmen ſich vor, daß luſtige Geheimniß aufzudecken. Beim Lever des Königs war von nichts Anderm die Rede: Triboulet hat ein Schätzchen. Der König und der ganze Hof wollen ſich todt darüber lachen.

Eines Abends im Dunkeln, macht Triboulet ſeinen gewohnten geheimnißvollen Gang und ſchleicht ſich mit ängſtlicher Vorſicht in ein Haus, zu dem er den Schlüſſel hat. Wir wollen uns mit hineinſchlei¬ chen; es muß ſchön ſein zu ſehen, wie der bucklichte und tückiſche alte Narr liebt. Schön war es auch, nur ganz Anders als die ſchurkiſchen Hofleute es ſich vorgeſtellt. (Die Erde liege ſchwer auf ihnen, weil ſie meinen Triboulet, den ich liebe ſo unglücklich ge¬ macht.) Nachdem Triboulet die Thüre hinter ſich verſchloſſen, ſetzt er ſich im Hofe, der das Haus um¬ giebt, auf eine Bank nieder und weint. Doch weint er nicht vor Schmerz, er weint vor Luſt; das Wei¬75 nen iſt ſein Feierabend und er weint alle Thränen, die er zurückhalten muß ſo lange die Sonne ſcheint. Er klagt im Selbſtgeſpräche: jeder Menſch, der Sol¬ dat, der Bettler, der Galeerenſclave, der Schuldige auf der Folter des Gewiſſens, der Verbrecher im Kerker, dieſe Unglücklichen Alle hätten das Recht, nicht zu lachen wenn ſie nicht wollten, das Recht zu weinen ſo oft ſie wollten, nur er hätte dieſe Rechte nicht. Er tritt in das Haus, ein junges holdes Mädchen kömmt ihm entgegen und wirft ſich in ſeine Arme. Unter Weinen und Lachen drückt er ſie an ſeine Bruſt. Es iſt ſeine Tochter. Jeder weiß wie ein Vater ſein Kind liebt; wenn es aber in der gan¬ zen großen Welt das einzige Geſchöpf iſt das ihn, das er liebt; wenn er ſonſt überall nur Haß, Spott und Verachtung findet und austheilt wie dann ein Vater ſeine Tochter liebe, das kann nur ein Dichter errathen. Dieſe Scene, gleich noch einigen andern des Dramas iſt herrlich, und man muß ſie vergeſſen, um den Muth zu behalten, das Ganze zu verdammen. Triboulet ließ ſeine Tochter in ſtiller Verborgenheit aufblühen, um ſie vor der böſen Luft in Paris zu ſchützen. Sie kennt die Welt nicht, kennt die Stellung nicht die ihr Vater darin hat, weiß nicht einmal ſeinen Namen. Sie ahndet nur er müſſe unglücklich ſein. Sie ſpricht:76 Que vous devez[souffrir]! vous voir pleurer ainsi. Non, je ne le veux pas, non cela me déchire. worauf der Vater antwortet: Et que dirois-tu, si tu me voyois rire? Darauf verläßt er das Haus, nachdem er ſeine Toch¬ ter gewarnt ſich nie in das Freie zu wagen. Auf der Straße hört er Geflüſter mehrerer Menſchen, er horcht, er kennt die Stimmen bekannter Hofleute, er¬ ſchrickt, tritt endlich zu einem von ihnen und fragt, was ſie vorhätten? Dieſer nimmt Triboulet bei Seite und vertraut ihm lachend an, ſie wären gekom¬ men die Frau eines Hofmannes die der König liebt, und deren Haus auf dem Platze ſtand, zu entführen und in's Schloß zu bringen. Triboulet fällt gleich in ſeine alte Bosheit zurück und erbietet ſich ſchaden¬ froh bei der Entführung behülflich zu ſein. Alle waren vermummt, man legt Triboulet auch eine Maske auf und iſt dabei ſo geſchickt ihm zugleich mit einem Tuche Auge und Ohren zu verbinden, Es iſt dun¬ kele Nacht und Triboulet merkt nicht, daß er nichts ſieht. Man giebt ihm die Leiter zu halten, auf der man in das Haus ſteigen wollte. Die Leiter wird an die Mauer gelegt, hinter welcher Triboulets Toch¬ ter wohnt, und dieſe geraubt. Triboulet wird end¬ lich ungeduldig, reißt ſich Maske und Binde vom77 Geſicht weg, findet die Leiter an ſeinem eignen Hauſe gelehnt und zu ſeinen Füßen liegt der Schleier ſeiner Tochter. Die Räuber waren ſchon weg; ſie brach¬ ten die arme Taube in ihres Königs Küche, aus der ſie der unglückliche Vater gerupft wieder be¬ kam.

Triboulet iſt ſeiner Sache noch nicht ganz ge¬ wiß, er vermuthet nur erſt, wohin man ſeine Toch¬ ter geführt. Am andern Morgen erſcheint er im Louvre, zeigt ſich wie immer, aber er lauert. Das Flüſtern und Lachen der Höflinge wird ihm immer deutlicher, und bald weiß er, daß ſeine Tochter beim Könige iſt. Er weint und fleht und droht, man ſolle ihm ſein Kind zurückgeben. Es muß in den Thränen, den Bitten und dem Zorne eines Vaters etwas ſein, was ſelbſt den Spott und Uebermuth der Höflinge entwaffnet. Alle ſchweigen und ſind beſtürzt. Triboulets Muth ſteigt, und er kehrt mit ſeinen Blicken die ganze Rotte zum Saale hinaus. So drückt ſich der Dichter aus. Bald ſtürzt Triboulets Tochter aus des Königs Zimmer und ſinkt unter Todesbläſſe erröthend, in die Arme ihres Vaters. Sie will ihm Alles erzählen, er erläßt ihr den Schmerz, er weiß ſchon Alles. Er führt ſeine Toch¬ ter fort, kehrt zum Hofe zurück und macht den luſti¬78 gen Rath wie vor. Er ſinnt im Stillen auf Rache.

Triboulet hatte früher ſchon einen Banditen kennen gelernt, der um einen beſtimmten Preis jeden Luſttragenden von ſeinen Feinden befreit. An dieſen wendet er ſich. Der Bandit hat zwei Manieren zu morden: entweder im Freien der Straße oder in ſeinem Hauſe, wie man es wünſcht. Für das Haus hat er eine junge ſchöne Schweſter, eine liebliche Zi¬ geunerin, welche die Schlachtopfer anlockt und ſie unter Lächeln und Koſen dem Meſſer ihres Bruders ausliefert. Triboulet erfährt, daß der König verklei¬ det und ungekannt die ſchöne Zigeunerin beſuche. Er kauft ſeinen Tod, bezahlt die eine Hälfte des Prei¬ ſes voraus, und wird auf Mitternacht beſtellt, wo ihm die Leiche des Königs in einem Sacke geſteckt ausgeliefert werden ſolle, daß er ſie dann ſelbſt in die nahe Seine werfe. Gegen Abend führt Tribou¬ let ſeine Tochter (ſie heißt Blanche) auf den Platz wo das Haus des Banditen ſteht. Er ſagt ihr, doch nicht ganz deutlich, die Stunde der Rache an ihrem Verführer nahe heran. Blanche liebt den Kö¬ nig, der ſchon früher als unbekannter Jüngling in der Kirche ihr Herz gewonnen. Sie bittet ihren Vater um Schonung, ſchildert die Liebe des Königs79 zu ihr, wie heiß ſie ſey, und wie oft er das in ſchö¬ nen blühenden Worten zu erkennen gegeben. Tri¬ boulet, ſeine Tochter zu enttäuſchen, führt ſie an das Haus des Banditen, durch deſſen zerriſſene Mauern und unverwahrte Fenſter man von Auſſen Alles hören und ſehen kann, was ſich innen begiebt. Da ſieht die unglückliche Blanche den König Franz mit der leichtfertigen Zigeunerin koſen, hört, wie er dem Mädchen die nehmlichen ſüßen und ſchönen Worte ſchenkt, die er ihr ſelbſt gegeben. Das be¬ trübt ſie, ſie jammert und willigt ſchweigend in die Rache ihres Vaters. Triboulet heißt ſie nach Hauſe eilen, ſich in Männerkleider werfen, ſich zu Pferde ſetzen, und in das Land flüchten, wo er ſie an einem beſtimmten Orte einholen wolle. Vater und Tochter gehen fort.

König Franz ſitzt im Hauſe und ſcherzt und tändelt mit der Zigeunerin. Müde und trunken ver¬ langt er ein Bett ſich auszuruhen. Man führt ihn in eine Dachkammer wo er einſchläft. Unten trifft der Bandit die Vorbereitungen zum Morde. Die Zigeunerin, gewöhnlich kalte Mitſchuldige ihres Bru¬ ders, bittet dieſesmal um Schonung, denn der junge Offizier, von ſo ſeltenem edlem Anſtande, hatte Ein¬ druck auf ſie gemacht. Der Bandit weißt ſie kalt80 zurück, ſagt, er ſei ein ehrlicher Mann, habe ſeinen Lohn erhalten und müſſe den verſprochenen Dienſt lei¬ ſten. Doch ließ er ſich ſo weit bewegen, daß er verſprach, den Offizier zu ſchonen, wenn unterdeſſen ein Anderer käme, den er ſtatt jenes ermorden und im Sacke geſteckt ausliefern könnte. Der Brodherr werde es ja nicht merken, da es Nacht ſei und der Sack in den Fluß geworfen werde. Wo ſei aber Hoffnung, daß noch um Mitternacht ſich jemand hie¬ her verirre?

Unterdeſſen hatte Triboulets Tochter über die dunkeln drohenden Worte ihres Vaters nachgedacht. Da wird ihr erſt klar, der König ſolle in dieſer Nacht[e]rmordet werden. Schon zur Flucht gerüſtet und als Offizier gekleidet, jagt ſie die Angſt vor das Haus des Banditen zurück. Sie will beobachten, was ſich da begebe. Sie horcht, vernimmt das Geſpräch zwiſchen dem Banditen und der Zigeunerin, und ent¬ ſchließt ſich für den König zu ſterben. Sie klopft an die Thüre, ſie wird geöffnet, und ſobald ſie ein¬ tritt fällt ſie unter dem Meſſer des Banditen.

König Franz taumelt ſingend zu ſeinem Louvre hin.

Unterdeſſen kömmt Triboulet, zahlt dem Ban¬ diten die andere Hälfte des bedungenen Lohnes aus81 empfängt den Sack mit der Leiche. Der Monolog der jetzt folgt iſt herrlich. Es iſt grauſe dunkle Nacht, ein Gewitter tobt am Himmel. Der Sturm heult durch die Luft. Der Sack liegt auf der Erde, Tri¬ boulet, Racheglut und Freude im Herzen, ſetzt ſei¬ nen Fuß auf den Sack, verſchränkt ſtolz die Arme und triumphirt in die Nacht hinaus: wie er endlich, er der ſchwache, verachtete, verſpottete Triboulet, ſeinen Feind unter ſich gebracht. Und welch 'einen Feind! einen König. Und welch' einen König! einen König der Könige, den Herrlichſten unter Allen. Und wie jetzt die Welt aus allen ihren Fugen geriſſen werde, und morgen werde die zitternde Erde fragen: wer denn das gethan? und da werde er rufen, das habe Triboulet gethan; ein kleiner ſchlechter Zapfen im Gebäude der Welt habe ſich losgemacht von der Harmonie, und der Bau ſtürze krachend zuſammen.

So zecht Triboulet fort und immer trunkener durch ſeinen Sieg, will er noch das Geſicht ſeines verhaßten Feindes ſehen, ehe er ihn in den Wellen begräbt. Aber es iſt finſtere Nacht; er wartet auf einen Blitz, der ihm leuchten ſoll. Er öffnet den Sack, der Blitz kömmt, der ihn zerſchmettern ſoll, er erkennt ſeine Tochter. Im Anfange hofft er, es ſei ein Gaukelſpiel der Hölle, aber ein zweiter BlitzV. 682raubt ihm dieſe Hoffnung. Er zieht ſeine Tochter zur Hälfte aus dem Sacke, mit den Füßen bleibt ſie darin. Sie iſt entkleidet, nur ein blutiges Hemd bedeckt ſie. Sie röchelt noch, ſpricht noch einige Worte und verſcheidet. Der Vater ſinkt zu Bo¬ den, der Vorhang fällt. Beſchluß morgen.

[83]

Zehnter Brief.

Le roi s'amuse; Beſchluß. Dieſes Schick¬ ſal im Sacke; dieſe ſchauderhaften Fußtritte des Va¬ ters auf das Herz ſeiner geliebten Tochter; dieſe Tochter im blutigen Hemde todt, nein ſchlimmer als todt, im Röcheln des Todes; und dieſes Alles, bald vom falben Scheine der Blitze beleuchtet, bald von finſterer Nacht umhüllt, daß ſich zum Schrecken der Wirklichkeit auch noch die Angſt des Traumes geſelle hat das nicht in ſeiner gräßlichen Verzerrung auch einen Zug von Lächerlichkeit? Wenigſtens als ich dieſe Scene las, ſo ſehr ſie mich auch erſchütterte, fiel mir ein: der Narr Triboulet, wie hat er ſich6 *84prellen laſſen; man ſoll doch nie eine Katz im Sacke kaufen! Ich weiß nicht woran es liegt. Shakes¬ peare hat ähnliche, er hat noch viel ſchrecklichere Schrecken; aber bei ihm iſt der Schmerz geſund, das Ungeheure hat ſeine Art Wohlgeſtalt; denn ſelbſt die Krankheit hat eine Geſundheit die ihr eigen iſt, ſelbſt das Verbrechen hat ſeine moraliſche Regel. Bei[Viktor] Hugo aber iſt das Mißgeſtaltete misgeſtaltet. Ich weiß nicht; es iſt darüber nachzudenken. Das iſt die tragiſche Häßlichkeit von der ich ſprach, die tragiſche Unſittlichkeit. Die Komiſche war in den Libeleien des Königs, die im Sonnenlichte und beim noch hellern Scheine der Kerzen auf das Unverſchäm¬ teſte dargeſtellt werden. Viktor Hugo hätte aus dem Allem einen Roman machen ſollen. Erzählen kann man Alles, auch das Häßlichſte; die Vergangenheit, die Entfernung mildert das Misfällige und ein Buch kann man ja zu jederzeit wegwerfen. Erzählen kann man das Unglaublichſte; wer es nicht glauben will, braucht es ja nicht zu glauben, er denkt: es iſt ein Dichter, und er hat gelogen. Aber dieſes in ein Drama bringen, dieſes Alles unter unſern Augen ge¬ ſchehen laſſen, daß wir Ohr und Blick davon abwen¬ den, daß wir nicht daran zweifeln können nein, das dürfen wir nicht dulden.

Aber die Miniſter! was geht die Miniſter Louis Philipps die Aeſthetik, die Dramarturgie, die85 Moral an? Warum haben ſie die Ausführung des Stückes verboten? Bin ich nicht da? Hören wir jetzt was Viktor Hugo darüber ſagt. Am Morgen nach der erſten Aufführung erhielt der Dichter ein Billet vom Theater-Direktor; er habe ſo eben vom Miniſter den Befehl erhalten, das Stück nicht ferner geben zu laſſen. L'auteur, ne pouvant croire à tant d'insolence et de folie, courrût au théa¬ tre ... Insolence folie von einem Mi¬ niſter! das wäre nach dem baieriſchen Strafrechte ein Verbrechen, das von einem Majeſtätsverbrechen nur durch eine Brandmauer geſchieden iſt, der Hausnach¬ bar eines Königsmordes. Viktor Hugo eilt in das Theater; es iſt wirklich ſo; er lieſt den Befehl des Miniſters. Das Drama wäre unmoraliſch befunden worden. Cette pièce a revolté la pudeur des gensd'armes, la brigade Leotaut y étoit et l'a trouvé obscêne; le bureau des moeurs s'est voilé la face; monsieur Vidocq a rougi. Aber war es von Seiten des Miniſters mit der Einwendung der Unmoralität ernſt gemeint? Hugo ſagt: das ſei nur ein Vorwand geweſen, der eigent¬ liche Grund aber des Verbotes ſei ein Vers im dritten Akte la sagacité maladroite de quel¬ sion familiers du palais a découvert une allu¬ sion à laquelle ni le public ni l'auteur n'avait songé jusque , mais qui une fois denoncée86 de cette façon, devient la pluscruelle et la plus sanglante des injures. Er wolle für jetzt den Vers nicht bezeichnen, treibe ihn aber die Noth der Vertheidigung dazu, werde er ſich deutlicher er¬ klären.

Ich ſuchte mit dem größten Eifer, den im drit¬ ten Akte enthaltenen für den König beleidigenden Vers auf und glaubte ihn im Folgenden gefunden zu haben.

Un roi qui fait pleurer une femme! O mon[dieu] Lacheté!

Ich dachte, das könnte auf die Gefangenſchaft der Herzogin von Berry bezogen werden, und das denkend kam mir die Aengſtlichkeit der Miniſter um ſo toller vor. Wer bekümmert ſich um die Berry? Wer denkt an ſie? Und die wenigen Legitimiſten die im Theater français ſitzen, würden in Gegenwart des demokratiſchen Parterres[und] der Philippiſten - Logen, nie wagen eine ſolche Anſpielung laut werden zu laſſen. Aber ich bin fehl gegangen. Ich hörte ſpäter erzählen, es ſei eine andere Stelle im dritten Akte, die den Miniſter ſtutzig gemacht. In der Scene nemlich wo Triboulet im Vorzimmer des Kö¬ nigs um ſeine geraubte Tochter jammert, und die Hofleute ihn verlachen, wendet er ſich an dieſe der Reihe nach und ſagt ihnen mit Grimm und Hohn: was wollt ihr? Du da haſt eine Frau, du eine87 Tochter, du eine Schweſter, du Page dort eine Mut¬ ter Frau, Tochter, Schweſter, Mutter, der Kö¬ nig hat ſie Alle. Und die Großen, welchen er das vorwirft, ſind die vornehmſten hiſtoriſchen Familien des Landes, Triboulet nennt ſie Alle bei Namen, und unter dieſen Baſtard-Ahnen wird auch die Familie genannt, von welcher die Bourbons herſtam¬ men. Ich habe das Buch ſchon weggegeben und ich kann die betreffende Stelle nicht ſelbſt beurtheilen.

Der Dichter in ſeinem Zorne gegen die Mini¬ ſter triumphirt, daß ſo viele Kunſtfeinde er auch habe, dieſe doch, nachdem er eine ſo ſchnöde Behandlung er¬ fahren, Alle gleich auf ſeine Seite getreten wären. En France, quiconque est persécuté n'a plus d'ennemis que le persécuteur. Alles wie bei uns! Viktor Hugo hat das Theater français beim Handels-Gerichte verklagt, es zur ferneren Aufführung des Dramas zu zwingen, oder zu einer Entſchädi¬ gung von vierhundert Franken für jeden Theater - Abend zu verurtheilen. Odillon Barrot wird für den Kläger das Wort führen. Was wird er gewinnen? nichts; auch weiß er das und es iſt ihm nur um den Scandal zu thun; Aber was gewinnen die Mini¬ ſter dabei? Der Dichter ſagt es offen heraus: er habe ſich bis jetzt nur mit den ſtillen friedlichen Mu¬ ſen beſchäftigt; er habe ſich von der Politik immer entfernt gehalten; von nun aber, weil gereitzt, werde88 er gegen die Regierung feindlich auftreten. Iſt nun Viktor Hugo ein ehrlicher Mann, wie er wirklich einer iſt, werden durch ihn die Feinde der Regierung um einen der Gefährlichſten, der Talentvollſten ver¬ mehrt. Wäre er kein ehrlicher Mann, dann würde ſeine Feindſchaft der Nation hundert tauſend Franken koſten, welche die Miniſter aus ihrem Beutel zögen, einen neuen Feind auf die alte Art zu verſöhnen. Was gewinnen alſo die Miniſter? Ich glaube aber ſie ſind nicht ſo dumm wie ſie ausſehen. Sie ge¬ winnen was der Dichter auch gewinnt: den Scan¬ dal des Prozeſſes. Das beſchäftigt Paris drei Tage, und für die folgende Tage wird der liebe Gott auch ſorgen. Sie ſind immer noch klüger als[unſere] deut¬ ſchen Miniſter; ſie laſſen zuweilen Rauch aus dem Schornſteine, daß der Keſſel nicht platze.

Sehen Sie aber was ein deutſcher Gelehrter iſt. Vorgeſtern morgen beim Frühſtücke, hatte ich den Kopf dicht voll, von Politik und Zahnſchmerzen, von den ariſtoteliſchen Einheiten, der Abweſenheit der Madame Malibran und der Anweſenheit der ****, von dem König Otto, von baieriſcher Treue, Ant¬ werpen, dem alten Thurme am Metzgerthore und der Unmoralität des Herrn d'Argout. Da kam ich in der Vorrede Viktor Hugos an die Stelle: Il fut même enjoint au théâtre de rayer de son af¬ fiche les quatre mots rédoutables: le roi89 s'amuse. Gleich alle Gedanken hinaus, den Kopf auf beide Arme geſtützt und eine halbe Stunde dar¬ über nachgedacht. Ces quatre mots le roi s'a¬ muse. Wie? le roi s'amuse ſind das vier Worte, ſind es nicht blos drei? kann man s mit einem Apoſtroph ein Wort nennen? iſt s'a .. - ein Wort? Freilich kann man auch nicht behaupten, le roi s'amuse wären nur drei Worte. Aber wo iſt die Warheit? wo iſt das Recht? .. Darüber ward mir mein Thee kalt und Conrad nahm mir unbemerkt die Zeitung von dem Tiſche, ehe ich ſie ausgeleſen. So iſt der deutſche Gelehrte? dem Vik¬ tor Hugo auf das Wort zu glauben, der die Sache mit den vier Worten doch beſſer verſtehen muß als ich, das kam mir nicht in den Sinn; auch hätte mein proteſtantiſch deutſches Gewiſſen dieſes nie zugegeben.

Aber zum Schluße: der Handelsminiſter hatte Recht, das Stück iſt unmoraliſch. Wie kam es mit Viktor Hugo dahin? Ich habe es ſchon geſagt; es iſt der Jakobinismus der romantiſchen Literatur. Viktor Hugo iſt einer den Edelſten unter den Skla¬ ven, die ihrem Herrn Boileau entlaufen; aber er iſt doch ein Sklave. Im Uebermuthe ſeiner jungen Freiheit, weiß er dieſe nicht weiſe und männlich zu gebrauchen, und ſündigt links, weil ſein alter Tyrann rechts geſündigt hat.

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Das Gericht iſt aus, ich habe Recht ge¬ ſprochen; jetzt Perrücke herunter. Ich habe das Drama vom Anfange bis zum Ende mit dem größten Vergnügen geleſen, und Alles hat mir ge¬ fallen.

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Heute gehe ich zum erſtenmale wieder aus, nach¬ dem ich, wegen meiner Zahnſchmerzen, drei Tage das Zimmer nicht verlaſſen. Ich habe dabei gewon¬ nen, daß ich drei Tage lang den ſtinkenden Nebel auf der Straße nicht zu trinken, und ſo lange die ſtinkenden deutſchen Zeitungen nicht zu leſen brauchte. Der Geſchmack der Letzten, die ich vor einigen Ta¬ gen las, liegt mir heute noch auf der Zunge. Nein es iſt nicht zu ertragen. Die Deutſchen müſſen Ner¬ ven haben wie von Eiſendrath, eine Haut von Sohl¬ leder und ein gepöckeltes Herz. Dieſe Unverſchämt¬ heit der Fürſtenknechte, dieſes freche Ausſtreichen eines ganzen Jahrhunderts, dieſer weintolle Uebermuth, dieſes Einwerfen aller Fenſterſcheiben, weil das Licht dadurch fällt, als wenn ſie mit dem Glaſe auch die Sonne zerſtörten es überſteigt meine Erwartung. Aber das ſteigert auch meine Hoffnung. Man muß mit den dummen Ariſtokraten Mitleiden haben, man muß ihnen nicht eher ſagen, daß das Caſſations-Ge¬ richt dort oben ihre Appellation verworfen hat, bis an dem Tage wo ſie hingerichtet werden. Das deut¬92 ſche Volk wird einſt gerächt werden, ſeine Freiheit wird gewonnen werden; aber ſeine Ehre nie. Denn nicht von ihnen ſelbſt, von andern Völkern wird die Hülfe kommen. Ich ſehe es ſchon im Geiſte: wenn einſt die finſtern Gewitterwolken ſich werden über den deutſchen Palläſten zuſammenziehen, wenn der Don¬ ner zu grollen anfängt, wird das geſchmeidige deut¬ ſche Volk wie ein Eiſendrath hinauf kriechen zu allen Dächern ſeiner Tyrannen, um die geliebten Herrſcher vor dem Blitze zu bewahren, und ihn auf ſich ſelbſt herabzuziehen. Wem daran gelegen iſt verhöhnt und betrogen zu werden, der braucht nur großmüthig ge¬ gen ſeine Feinde zu ſeyn, zumal gegen die Fürſten, welche die Feinde aller Menſchen ſind. Wenn in Frankreich ein Don Miguel und ein Robespierre zu¬ gleich regierten; wenn an jeder Straßenecke rechts ein Galgen, links eine Guillotine ſtünde die Fran¬ zoſen ertrügen vielleicht lange das Morden von ihren Tyrannen geduldig; aber ihren Spott, ihre Verach¬ tung, ihr unverſchämtes Hofmeiſtern, ihre Ohrfeigen und ihre Ruthe, das was der Deutſche das ganze Jahr erduldet ſie ertrügen es keine Stunde lang. Die Franzoſen waren Jahrhunderte lang Sklaven unter ihren Königen; aber ſie durften doch ſingen in ihren Ketten, ſie durften ihre Kerkermeiſter verſpotten. Zur Schreckenszeit wurden edle und ſchuldloſe Men¬ ſchen auf das Blutgerüſt gebracht, aber nie fand93 Robespierre ein Gericht, das ſo feige und unmenſch¬ lich geweſen, einen Ariſtokraten zu verurtheilen, daß er vor dem Oelbilde der Freiheit knieend Abbitte thue. Unter der Despotie der Könige wie unter der der Republikaner erkannte man etwas im Menſchen an, das, weil von Gott geſandt, heilig und unverletzlich iſt, und nie zur Verantwortung gezogen werden darf. Aber dieſes Göttliche, Heilige und Unverletz¬ liche im Menſchen: ſeine Ehre, ſeinen Glauben, ſeine Tugend, das wird in Deutſchland am meiſt, zuerſt beſtraft, am Boshafteſten gezüchtigt. Ein Dr. Schulz in München, wurde wegen ſeines politiſchen Glau¬ bens auf unbeſtimmten Zeit zum Zuchthauſe verurtheilt, und zu der ſchlimmern Züchtigung, vor dem Bilde des Königs knieend Abbitte zu thun. Sie werfen die Freiheit in den Koth, daß ſie aus¬ ſehe wie die Knechtſchaft, damit man keinen Mann von Ehre ferner von einem Hofmanne unterſcheiden könne und gemeinſchaftlicher Schmuz, Volk und Land und Regierung bedecke.

Würde in Paris die Todesſtrafe darauf geſetzt, wenn einer es wagte im Theater einen Laut des Misfallens zu äußern, und es verſuchte einmal ein ſchamlos ſchmeichelnder und bettelnder Hofdichter, die Leidenſchaften, Thorheiten und Verbrechen ſeiner Für¬ ſten, durch Poeſie, Muſik, Tanz und Malerei auf der Bühne zu verherrlichen und ſo ein ganzes Volk94 zu Mitſchuldigen ſeiner niederträchtigen Geſinnungen zu machen und ſtünde die Todesſtrafe auf ein Lächeln es fänden ſich hier Hunderte von Zu¬ ſchauern die lachen, ziſchen und pfeifen, und ihr Le¬ ben an ihre Ehre ſetzen würden. Man jauchzte kei¬ nem ſchamloſen, tollen Schauſpiele zu, wie das was neulich ein Herr von Poißl in München zur Feier der Thronbeſteigung des Königs Otto dichtete, und auf der Bühne vorſtellen ließ. Vergangenheit und Zukunft hieß das Schauſpiel, welches alle das dicke Bocksbier, das ſeit dem vorigen Sommer in den baieriſchen Adern ſtockte, in die freudigſte Wallung brachte. Hellas, Bavaria, Glaube, Liebe und Hoffnung treten auf. So oft ein deutſcher Hofdichter etwas politiſches ſingt, umgiebt er ſich mit Glaube, Liebe und Hofnung. Es ſind ſeine Grazien und ſeine Parzen zugleich. Mit ihnen verſüßt er die Tyrannei, mit ihnen ſpinnt er die Freiheit zu Tode. Uebrigens iſt es eine nützliche Bedeckung; denn ohne Glaube, Liebe und Hoffnung ertrüge man keinen Tag ein deutſcher Unterthan zu ſeyn. Jetzt werden die alten olympiſchen Spiele dargeſtellt, in dem Augenblicke wo die Vertheilung der Preiſe ſtatt findet. Hundert Dichter athmen ſchwer, die welche den Gott in ſich fühlen, jauchzen dem Siegeskranze entgegen. Mich dauern die armen Teufel! Bava¬95 ria kömmt und deklamirt Gedichte des Königs von Baiern und Sappho-Bavaria erhielt den Kranz.

Das zweite Bild ſtellt die Gegend von Athen vor. Mit erſt düſterem Himmel, verbrannten Oli¬ ven-Wäldern und verdorrten Fluren. Nach und nach kleidete ſich der Himmel in Baierns Na¬ tionalfarbe. Die Olivenwälder begannen zu grü¬ nen. Die Fluren bedeckten ſich mit Blumen und Blüthen, aus Ruinen entſtanden Paläſte. Und in dieſem Augenblicke erſchien von der Liebe getragen und den Glauben und die Hoffnung zur Seite, das als Seegensgeſtirn über Hellas aufgehende Bildniß des Königs Otto, vor dem ſich Griechenlands Volk in freudiger Huldigung neigte. Bavaria-Sappho iſt verrückt, ſie iſt verliebt, weiß nicht mehr was ſie ſpricht und ich ſehe ſie ſchon vom Leucadiſche Felſen hinab in die Iſar ſpringen. Aber Herr von Poißl hat nicht die geringſte Lebensart, daß er den König Otto, der ein Mann iſt, von der Liebe, die ein Frauenzimmer iſt, tragen ließ. Ich begreife nicht wie das zarte Weſen dieſe Laſt von München bis zum Himmel, einen ſo weiten Weg hat aushalten können; König Otto muß ſehr leicht ſein! Warum hat er den König nicht dem Glauben auf die breiten Schul¬ tern geſetzt? Der hat ſchon in ſeiner Dummheit viel ſchwerere Laſten getragen. Dann wäre die Liebe an der Seite der Hoffnung, hinter dem Glau¬96 ben und dem König Otto leicht hergeflogen, und dann wäre doch Symmetrie dabei geweſen und das Ganze wäre ein Meiſterſtück geworden. O, Herr von Poißl! ich weiß nicht ob Sie Verſtand haben, aber Ge¬ ſchmack haben Sie nicht den Geringſten. Wie freue ich mich, daß die verbrannten Olivenfelder wieder grün werden; jetzt können doch die armen Griechen wieder Salat eſſen. Aber die baieriſche Natio¬ nalfarbe in welche ſich der Himmel kleidete, als er Audienz beim König Otto hatte iſt das nicht himmliſch? ja, ja ſo iſt es. Den Himmel ſelbſt möch¬ ten Sie gern zu Lakaien machen, und ſein heiliges Blau ſoll die Livree-Farbe eines deutſchen Fürſten ſeyn! Verdammniß! es kömmt mir manchmal vor, als wäre die Erde ein großer Pfeifenkopf, aus dem Gott raucht und Deutſchland wäre der Waſſerſack der Pfeife, beſtimmt um dieſe rein zu erhalten, allen Schmutz, alle ſtinkende Säfte aufzunehmen. Die Zeit wird kommen, daß jeder europäiſche Fürſt mit einem Stücke ſeines Landes in den deutſchen Bund treten wird, um ſich mit einem ſolchen heilſamen Waſſerſacke zu verſehen. Hanover iſt der Waſſer¬ ſack Englands, Luxenburg der Waſſerſack der Nieder¬ lande, Holſtein der Waſſerſack Dänemarks, Neufcha¬ tel der Waſſerſack der Schweiz. Wie heute die eng¬ liſchen Blätter erzählen, ſoll ein anderer Sohn des Königs von Baiern Donna Maria heirathen. So97 verſpricht Portugal der Waſſerſack der Spaniſchen Halbinſel zu werden, und Griechenland iſt voraus zum Waſſerſack des Orients beſtimmt, wenn dieſer wie ſie fürchten der Civiliſation und Freiheit ent¬ gegen reiſt.

Der ſchönſte Spaß in dieſer baieriſch-grichiſchen Comödie iſt: daß König Otto, oder vielmehr ſein Vater in deſſen Namen, die griechiſche Conſtitution nicht hat beſchwören wollen; daß Miaulis, der Chef der griechiſchen Deputation, erklärt hat, nur unter der Bedingung eines ſolchen Eides ſei er beauftragt dem Prinzen die Krone anzubieten, daß er alſo, da man ſich weigere ihn zu leiſten, den Otto nicht als König anerkennen dürfe. Die Deputation kehrt allein nach Griechenland zurück, und König Otto zieht an der Spitze ſeiner Baiern hin und nimmt von ſeinem Lande mit Gewalt Beſitz. Ich fürchte ſehr, daß wenn der griechiſche Himmel das wahre Verhältniß der Sache erfährt, er ſein Baieriſch-blau wieder ausziehen und ſeinen grauen Schlafrock anziehen wird.

Ich ſage Ihnen, ich ſage Ihnen, es iſt mit dem lieben Gott nichts mehr anzufangen. Da ſitzt der alte Herr den ganzen Tag auf ſeinem Lehnſtuhle, lieſt die Erdzeitungen und brummt über ſeine entar¬V. 798teten Kinder. Es iſt ihm kein Lächeln abzugewinnen. Da er noch ein Jüngling war, da er als Jupiter, noch mit dem Honige ſeiner Kindheit auf den Lippen, durch alle Welten ſchwärmte, welche himmliſche Pagenſtreiche machte er, wie liebenswürdig war er damals! wie er ſeinem Vater dem Freſſer Kronos ein Brechmittel eingab; wie er ſich als Gans, als Ochs, als Menſch, als Regen verkleidet, zu den Schönen ſchlich, wie er neun ganze halbe Tage ſich mit der gelehrten Mnemoſyne einſchloß, und mit ihr alle die Millionen Bücher ſchrieb, die ſeitdem in die verſchiedenen Sprachen der Menſchen überſetzt er¬ ſchienen ſind es iſt Alles vorbei, es iſt nichts mehr mit ihm anzufangen! Ach! wenn ich Gott wäre, welche Späße wollte ich mir machen mit Ba¬ varia-Hellas! Ich ließ in einer Nacht alle die herr¬ lichen Griechen aller Zeiten und aller Städte aus dem Grabe hervorſteigen, und alle Tempel auch und die alten Götter rief ich herbei. Und an einem ſchönen Frühlingstage, da der Spatziergang am Ilyſ¬ ſus gedrängt von Menſchen war, kömmt ein Sclave athemlos herbeigeſtürzt und ſchreit: König Otto iſt angekommen! Alles geräth in Bewegung. Die Kinder ſpringen von der Erde auf und vergeſſen ihre Knöchel mitzunehmen. Die ſchöne Lais macht die Roſen in ihren Haaren zurecht, Diogenes putzt das Licht in ſeiner Laterne, Epaminondas ballt die Fauſt,99 Plato bekömmt Angſt und verſteckt ſeine Republik, Perikles reicht ſeiner Freundin Aspaſia den Arm, Ariſtoteles zieht ſeine Schreibtafel heraus Alles zu notiren, die Blumenmädchen ſuchen Eine der Ande¬ ren vorzukommen und jetzt alle eilig zum pyräiſchen Thor hinaus. Nur Sophokles geht ſeinen ernſt lang¬ ſamen Schritt; er dichtet ſeine Antigone. Als die Athenienſer am Hafen ankamen, war König Otto mit ſeinen blauen Baiern ſchon gelandet. Das Erſte was er that war, daß er dem Perikles den großen Hubertus-Orden umhing. Ariſtoteles erhielt das Di¬ plom als geheimer Hofrath, und die Berufung als Profeſſor der Natur-Geſchichte nach München an Okens Stelle. Phidias bekam den ehrenvollen Auf¬ trag die Büſte des Herrn Jarke für das Regens¬ burger Walhalla zu verfertigen. Herr Ober-Bau¬ rath von Klenz zeigte dem Kalikrates die Riſſe ſeiner ſchönſten Gebäude in München und dieſer fragte: hat Euer Baſileus ſo viele Pferde? Alcibiades be¬ kam den Kammerherrn-Schlüſſel und ein baierſcher Obriſt fragte Epaminondas wie viel Fourage-Gelder ein helleniſcher Obriſt bekäme? Profeſſor Thierſch unterhielt ſich mit Plato und wurde von den Blumen¬ mädchen wegen ſeiner ſchlechten Ausſprache verſpottet. Herr von Poißl wollte Sophokles gerade ſein Feſt¬ ſpiel Vergangenheit und Zukunft überreichen,7 *100als Trommelwirbel Stille gebot. König Otto tritt majeſtätiſch hervor und hält folgende Rede.

Hellenen! Schaut über euch. Der Himmel trägt die baierſche National-Farbe, denn Griechen¬ land gehörte in den älteſten Zeiten zu Baiern. Die Pelasker wohnten im Odenwalde und Imachus war aus Landshut gebürtig. Ich bin gekommen euch glücklich zu machen. Eure Demagogen, Unruheſtif¬ ter und Zeitungsſchreiber haben euer ſchönes Land in's Verderben geſtürzt. Die heilloſe Preßfrechheit hat Alles in Verwirrung gebracht. Seht wie die Oehlbäume ausſehen. Ich wäre ſchon längſt zu euch herüber gekommen, ich konnte aber nicht viel früher, denn ich bin noch nicht lange auf der Welt. Jetzt ſeid ihr ein Glied des deutſchen Bundes. Meine Miniſter werden euch die neueſten Bundes¬ beſchlüſſe mittheilen. Ich werde die Rechte meiner Krone zu wahren wiſſen, und euch nach und nach glücklich machen. Für meine Civilliſte gebt ihr mir jährlich ſechs Millionen Piaſter, und ich erlaube euch meine Schulden zu bezahlen. Die Griechen, als ſie dieſe Rede hörten, erſtarrten Alle zu Bildſäulen. Diogenes hielt dem König Otto ſeine Laterne in's Geſicht, die ſchöne Lais kicherte, und Ariſtoteles war in Verzweiflung, daß ſein Griffel brach, und er die merkwürdigen Naturbeobachtungen die er machte,101 nicht mehr notiren konnte. Hippokrates ſah die Sache gleich vom rechten Standpunkte an, ſchickte eilig einen Diener in die Stadt zurück, und ließ ſechs Karren voll Nieswurz holen. Die Baiern ſetz¬ ten ſich in Marſch. Vor dem Thore wurden ſie von hundert Apothekern aufgehalten, die jedem Baier ein Pulver überreichten. Ein Major ſchrie: Ver¬ rätherei! Gift! und ließ unter das griechiſche Ge¬ ſindel ſchießen. Dann zog König Otto über Leichen in die Stadt. Gleich den andern Tag wurde eine Central-Unterſuchungs-Kommiſſion gebildet, Hippo¬ krates wurde wegen ſeines dummen Spaßes als Medicinalrath nach Augsburg verſetzt; die geiſtreiche Aſpaſia, die griechiſche Frau von Stael, nach Egyp¬ ten verbannt und Diogenes wurde auf unbeſtimmte Zeit zum Zuchthauſe verurtheilt und mußte vor dem Bilde des Königs Otto knieend Abbitte thun. Die Schuldigſten waren ſchon vor der Unterſuchung er¬ ſchoſſen wurden.

Jetzt ging das Regieren an. Eine Zeit lang ertrugen es die Griechen. Aber eines Morgens braußte das Volk wie ein wogendes Gewäſſer durch die Stadt. Herr Oberbaurath von Klenz hatte in der Nacht anfangen laſſen, durch mehrere hundert baierſche Maurer, den Tempel der Minerva abtra¬ gen zu laſſen. Das Bild der Göttin von Phidias102 und andere Kunſtwerke die der Tempel enthielt, lagen ſchon auf der Straße von Stroh umwickelt um ein¬ gepackt zu werden. Man fragte Herrn von Klenz was dieſe Tollheit bedeuten ſolle? Er erwiederte: ſeine Majeſtät der König haben zu beſchließen geruht, den Tempel der Minerva, das Parthenon, das Pom¬ pejon, die Phöcide, noch zwanzig andere Tempel und mehrere hundert Statuen, allerhöchſt ihrem königlichen Vater nach Baiern zu ſchicken, zufolge eines mit allerhöchſt Demſelben abgeſchloſſenen geheimen Ver¬ trags, und Hellas, übervölkert mit Tempeln, Sta¬ tuen und Gemälden, ſolle nach Baiern Kunſtkolonien ſchicken, und dafür von dort Naturkolonien erhalten unter Anführung des Herrn von Halberg, des baieri¬ ſchen Cecrops, und das Alles gereiche zur Wolfahrt beider Länder, und ſey überhaupt ſehr charmant. Aber die Athenienſer fanden dieſes gar nicht char¬ mant, ſondern ergriffen einige der ſchönſten antiken Steine mit Bas-Reliefs verziert und warfen ſie dem armen Herrn von Klenz an den Kopf, bis er todt blieb. Dann ſtürzten ſie die Akropolis hinauf, er¬ griffen den König Otto, der gerade mit ſeinem Früh¬ ſtücke beſchäftigt war, und dabei Saphirs deutſchen Horizont las, bei dem Arme, ſetzte ihn in eine Sänfte, und ließen ihn an den Hafen tragen, und übergaben ihn dort dem Admiral Nicias, daß er ihn zu Schiffe nach Corcyra bringe. Die baieriſchen103 Soldaten blieben zurück und nahmen Dienſte im Seythiſchen Corps. Ihr baieriſch Bier braute ihnen ein von München gekommener Bierbrauer, und ihre baieriſche Treue hatten ſie vergeſſen. So endigte das baieriſch-ruſſiſch-engliſch-franzöſiſche-helleniſche Reich.

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Eilfter Brief.

Die Berry iſt krank; aber wie man ſagt, wäre es nicht ihr hoffnungsloſer Zuſtand der ſie niederge¬ worfen, ſondern gerade das Gegentheil. Wahrſchein¬ lich iſt das Verläumdung. Wenn man in Frankfurt etwas davon weiß, warum die Herzogin gefangen ſitzt und warum Carl X. nicht mehr in Paris lebt, ſchreiben Sie mir es doch, ich will es in die Zeitung ſetzen laſſen. Hier kann man ſich die Sache gar nicht erklären. Dieſe Abneigung der Völker gegen gewiſſe Namen und dieſe Vorliebe für andere iſt ganz unbegreiflich. Wenn nicht die Cholera daran Schuld105 iſt, muß die Welt ſchwanger ſeyn; ſie hat wunder¬ bare Gelüſte. Sehen Sie, man hat es mir zum Vorwurfe gemacht, daß ich geſagt: ein Volk dürfe ſeinen Fürſten verjagen, wenn ihm ſeine Naſe nicht gefiele. Nun, vielleicht war das zuviel behauptet. Aber man muß mir doch zugeben, das eine Naſe eine ſehr wichtige Sache iſt. Eine Naſe iſt ein be¬ deutender Theil des menſchlichen Körpers; eine Naſe kann einen Menſchen entſtellen und zieren; man kann ſeiner Naſe willen einen Menſchen lieben oder haſſen; kurz eine Naſe iſt eine Naſe; aber ein Name? Gu¬ ter Gott! Was liegt an einem Namen? Die Braunſchweiger wollten keinen Carl und gaben ſich einen Wilhelm; die Belgier wollten keinen Wilhelm und gaben ſich einen Leopold; die Franzoſen wollten auch keinen Carl und gaben ſich einen Philipp. Der Name Carl ſcheint beſonders unbeliebt zu ſein. In Spanien handelt ſich's auch um Carl oder nicht Carl; in Portugal iſt der Streit zwiſchen Peter und Mi¬ chel. Meine Naſe iſt mir tauſendmal lieber. Nun haben ſie zwar vor zwei Jahren behauptet, man habe den König Carl vom Throne geſtürzt weil er die Charte verletzt habe. Hat das der jetzige König nicht auch gethan? Alſo weil er Philipp heißt und nicht Carl, wäre ihm alles erlaubt? Ja er hat tauſend¬ mal ſchlimmer gehandelt als Carl X. Dieſer that106 es in der Leidenſchaft, er konnte ſich wenigſtens da¬ mit entſchuldigen, er konnte alles auf ſeine Miniſter wälzen, die Kränkung wieder gut machen, er wollte das wirklich thun. Aber Louis Philipp begnügt ſich nicht blos mit dem Rechte der Leidenſchaft, er will auch die Leidenſchaft zu einem Rechte erheben, er ver¬ langt das Recht, zu jeder Zeit, ſo oft es ihm be¬ liebt, ungerecht ſein zu dürfen. Und er begnügt ſich nicht das Verbrechen allein zu begehen, er ſucht auch die ganze Nation, in deren Stellvertretern zu ſeinen Mitſchuldigern zu machen. Nun giebt es zwar hier Leute genug, die nicht ſchlecht ſind, ſondern nur dumm, welche behaupten, der jetzige Fall wäre doch ganz ein Anderer. Carl X. habe die Conſtitution aus eigner Machtvollkommenheit verletzt. Louis Philipp thue es in Gemeinſchaft mit den Kammern. Bei jenem ſei die Aufhebung der Charte Willkühr geweſen, dieſer wolle ſie geſetzlich machen. Aber was ändert das die Sache? O ja, es ändert die Sache, es macht ſie weit weit ſchlimmer. Iſt ein Verbrechen weniger ein Verbrechen weil es zweihundert Menſchen theilen? Iſt die Tyrannei der Geſetze weniger Tyrannei als die der Willkühr. Und wenn alle die dreißig Millio¬ nen Franzoſen in der Kammer ſäßen, und ſie alle ſtimmten Mann für Mann für ein Geſetz, daß der Regierung verſtatte die perſönliche Freiheit, die Frei¬107 heit der Preſſe aufzuheben, das heilige Aſyl des Hau¬ ſes zu verletzen ſie hätten das Recht nicht dazu. Keine Nation hat das Recht der Täuſchung, der Furcht, dem Schrecken, der Selbſtſucht, der Ermü¬ dung des Tages, die beſſere Einſicht, die Wahrheit, die Beſonnenheit, die Liebe und Kraft der folgenden Tage, die unveräußerlichen Rechte eines kommenden Geſchlechts aufzuopfern. Hier iſt der Jammer, hier iſt die Troſtloſigkeit, das iſt's was die wahre Frei¬ heit Europens noch um ein Jahrhundert hinausſchickt. Erſt fehlt die Kraft, dann fehlt der Muth, dann fehlt die Einſicht. Wenn einmal die Völker Europens ſich der Tyrannei ihrer Fürſten werden entledigt haben, wer¬ den ſie in die Tyrannei ihrer Geſetzgeber fallen, und ſind ſie dieſe los geworden, gerathen ſie in die Ty¬ rannei der Geſetze. Dieſe Tyrannei der Geſetze iſt aber gerade die feſte Burg, welche von der Frei¬ heit ſeit fünfzig Jahren belagert wird. Was ſie ſeitdem erobert, das ſind blos einige Außenwerke, wobei noch nichts weiter gewonnen, als daß die Hoff¬ nung der Einnahme der Feſtung etwas näher gerückt iſt. Es muß Menſchenrechte geben, die von keiner Staatsgewalt, und hätte jedes Bettlerkind im Lande Theil an deren Ausübung, zu keiner Zeit, in keinem Verhältniſſe, um keines Vortheils, um keiner Beſei¬ tigung einer Gefahr willen, vernichtet, geſchmälert108 oder eingeſtellt werden dürfen. Auf der See, wenn Gefahr des Schiffbruchs eintritt, wirft man die Waaren über Bord, die Menſchen zu retten; man wirft aber nie die Menſchen über Bord die Waaren zu retten. In politiſchen Stürmen aber, opfert man das was der Menſchen iſt, dem auf was er hat, man wirft den Menſch über Bord, den Bürger zu erhalten das iſt Wahnſinn. Und wenn es auch alle Staatsbürger zufrieden wären, wenn ſie alle ſo verdorben wären, das was ſie haben, dem vorzuziehen was ſie ſind es bliebe doch Wahn¬ ſinn.

Mit beſſerer Einſicht als Europa ließen die Amerikaner als ſie ihre Freiheit gründeten, der Ver¬ faſſungsurkunde eine Erklärung der Menſchenrechte, nämlich derjenigen Rechte vorangehen, die weder der Heiligung der Geſetze bedürfen um Gültigkeit zu haben, noch je durch ein Geſetz eingeſchränkt oder aufgehoben werden dürfen. Die franzöſiſche Natio¬ nalverſammlung hat es auch damit verſucht. Aber jetzt denkt keiner mehr daran, und wenn man mit einem Staatsgelehrten von Menſchenrechten ſpricht, lacht er Einen aus, und wenn man in Paris zwiſchen zwei und vier Uhr Nachmittags das Wort Menſchen¬ rechte ausſpricht, werden vor Schrecken alle Wangen109 bleich und die Renten fallen. Menſchenrechte das iſt die Guillotine!

Geſtern Abend ſah ich zum erſtenmale De¬ moiſelle Georges ſpielen; nicht zum erſtenmale die¬ ſen Winter, ſondern zum erſtenmale im neunzehnten Jahrhunderte. Dieſes Schickſal habe ich ſchon oft in meinem Leben gehabt: daß ich den Sonnenauf¬ gang und den Mittag verſchlafen, und erſt beim Sonnenuntergange munter geworden bin. Demoi¬ ſelle Mars habe ich voriges Jahr zum erſtenmale geſehen, Talma kurz vor ſeinem Tode, mich ſelbſt lernte ich erſt nach dem dreißigſten Jahre kennen und ohne Sie hätte ich wahrſcheinlich erſt zehen Jahre ſpäter meine angenehme Bekanntſchaft gemacht. Als ich vor zwei Jahre nach Paris kam, war die Frei¬ heit ſchon im Untergehen, und ich mußte ſogar auf einen hohen Berg der Begeiſterung ſteigen, um noch ihre letzten Strahlen zu erwiſchen; denn im Thale war es ſchon dunkel. So immer zu ſpät. Ein po¬ litiſcher Ketzer bin ich geworden, ſeitdem man nicht mehr verbrennt und viertheilt, ſondern blos mit dem Zuchthauſe auf unbeſtimmte Zeit und mit einer Ab¬ bitte vor dem Conterfei eines Königs beſtraft. Die¬ ſes Abbitten vor dem Bilde des Königs von Baiern will mir gar nicht aus dem Kopf. Es iſt zu fürch¬110 terlich, es iſt zu lächerlich! Das iſt ja ein chriſt¬ lich-türkiſcher Despotismus, ein Despotismus in ſei¬ denen Strümpfen und den Turban auf dem Kopfe. Nun möchte ich doch wiſſen, wie ſie Einen, den ſie zum Zuchthauſe verurtheilt, zwingen können Abbitte vor dem Bilde des Königs von Baiern zu thun, wenn dieſer nicht will. Ich thäte es nicht; ich ſpräche wie der Geiger Müller in Cabale und Liebe: da ich doch in's Zuchthaus muß, will ich Euch ſagen, daß Ihr Schurken ſeid. Der Präſident antwortet, glaube ich, darauf: Vergeß er nicht, daß es auch Staupbeſen und Pranger giebt! O! es kömmt auch noch zu Staupbeſen und Pranger; es kömmt auch noch dazu, daß Einer baarfuß und eine brennende Kerze in der Hand es vor der Kirchthüre büßen muß, wenn er geſagt, der Leib und das Blut des Herrn ſei nicht in dem Fürſten. Die wahnſinnige Tyran¬ nei hat keine Grenzen, es kömmt nur darauf an, welche Grenze die wahnſinnige Geduld des deutſchen Volkes hat ... Aber wo bin ich? Ich bin weit von Demoiſelle Georges abgekommen. Zurück.

Sie ſieht bei ihren Jahren noch gut genug aus, oder mein Glas müßte trübe geweſen ſein. Auch iſt in den Rollen die ihr anzugehören ſcheinen, ein Alter das an Ehrwürdigkeit grenzt gar nicht ſtörend. Sie111 hat eine ſchöne, volltönende Stimme, ihre Geberden ſind anſtändig und ihr Mienenſpiel iſt ſehr reich; freilich glaubte ich bemerkt zu haben daß ſie beim Miſchen ihrer Züge die Volte ſchlägt, und jede Farbe der Leidenſchaft, die ſie will, oben auf bringt. Das iſt nun nicht die rechte Art. Die Leidenſchaft auch in ihrer entſchiedenſten Richtung, hat keine beſtimmte Farbenleiter und ſie iſt ſehr zufällig gemiſcht. Ich kann aber die Georges durchaus noch nicht beurthei¬ len, ich muß ſie öfter ſehen. Auch iſt das Stück, in welchem ſie auftrat, halb unbedeutend, halb dumm, das heißt: ſeit einigen Wochen daß es gegeben wird, iſt das Haus gedrückt voll, jeder will es ſehen. Perinet Le clerc, ou Paris en 1443, drame historique. Was die Leute ſchönes daran finden, begreife ich nicht. Außer den Decorationen und den weiblichen Kleidungen der damaligen Zeit gefiel mir doch gar nichts. Dieſen Winter iſt das Mittelalter Mode, oder vielmehr das dramatiſche Vieh wurde durch Noth die Alpe hinaufgetrieben dort zu weiden, weil ſie in den letzten zwei Jahren die untere Re¬ gion, das Kaiſerreich, die Republik und das Zeitalter Ludwigs XV. ganz abgegraſt haben. Jedes Theater bringt der Reihe nach ein pariſer Mittelalter zur Vorſtellung. Geſtern kam die komiſche Oper, auch ein ſolches Mittelalterſtück zum erſtenmal Le Pré112 aux clercs, Muſik von Herold. Die heutigen Zeitungen rühmen dieſe neue Oper ſehr. Ich laſſe mir das alles ſehr gern gefallen, denn ich profitire davon. Seit zwei Jahren leiten die Boulevards - Theater meine hiſtoriſche Studien. So oft ich ein hiſtoriſches Schauſpiel geſehen, ließ ich mir den fol¬ genden Tag alle die Geſchichtsbücher, Memoiren und Chroniken holen, die von der Zeit und der Ge¬ ſchichte handeln, die auf der Bühne vorgeſtellt wer¬ den, und ich las ſie. Jungen Leuten möchte ich dieſe Art Geſchichte zu ſtudiren freilich nicht empfehlen; aber für Kinder und bequeme Leute iſt das die rechte Art und ob ich zwar ſchlecht beſtehen würde wenn mich Schloſſer examinirte, ſo bin ich doch im Am¬ bigü Comique der gründlichſte Hiſtoriker.

Das Stück von welchem die Rede iſt ſpielt zur Zeit Carls VI. und die Georges ſpielte die Iſabeau von Baiern. Darüber brauchte ich aber nichts nach¬ zuleſen, denn die Geſchichte war mir aus Schillers Jungfrau von Orleans ſchon längſt bekannt. Leider! Der Menſch weiß immer zu viel; denn daher kam es, daß mir das Drama lächerlich vorkam. Dieſe Iſabeau iſt verliebt, aber nicht wie ein weiblicher Satan, nicht wie eine alte Frau, nicht wie eine Ehr¬ geizige, nicht wie eine Königin, nicht wie eine Ra¬113 benmutter, nicht wie eine ausſchweifende Frau; ſon¬ dern wie ein junges unſchuldiges Bürgermädchen. Und als ihr[politiſcher] Feind, der Connetable von Armag¬ nac, ihren jungen Geliebten foltern und dann in einen Sack ſtecken und Nachts in die Seine werfen ließ, weinte ſie als ginge ſie das was an und als gäbe es keine Männer mehr in der Welt. Aber die Ge¬ orges wußte ſich mit guter Manier aus der Dummheit des Dichters heraus zu ziehen. Alſo der Sack mit dem Schatze wird in's Waſſer geworfen, aber wieder her¬ ausgefiſcht. Der Sack wird geöffnet und der ſter¬ bende junge Menſch im Hemde halb herausgezogen. Das iſt ſeit einigen Tagen das zweitemal, daß ich einen ſterbenden Menſchen im Hemde aus einem Sacke habe kommen ſehen. Das iſt die hiſtoriſche Treue! Aber die Henkersknechte kehren zurück, werfen den Sack mit Inhalt zum zweitenmal in's Waſſer und drohen mit einer Geiſterſtimme in die Nacht hinaus: laissez passer la justice du Roi! Das war die damalige Formel. Es iſt recht ſchauerlich.

Um das Alter der Georges genau zu erfahren, ließ ich mir den Band der Biographie des contem¬ porains holen, worin ihr Artikel ſteht. Da las ich etwas was mich ſtutzig machte. Sie wird dort nicht allein getadelt, ſondern auch mit einer gewiſſen Bit¬ terkeit getadelt, die ich mir nicht erklären konnte. V. 8114Darauf las ich den Artikel im Converſations-Lexikon, der ſie betrifft, und der mich etwas auf die Spur brachte. Der deutſche Berichterſtatter bemerkt, die Georges habe ſich eine romantiſche Darſtellungs¬ art angeeignet. Das mag es ſeyn. Die Verfaſſer der Biographie des contemporains, waren Ar¬ nault, Jouy, Jay, und andere ſolche gedörrte Claſ¬ ſiker, welche der Georges ihr friſches romantiſches Weſen nicht verzeihen konnten. Daß ihr dieſes ei¬ gen ſei, nehme ich übrigens bis jetzt nur auf Glau¬ ben an. Nicht ſo ihr Alter. Sie war geſtern Abend 47 Jahre, 7 Monate und 13 Tage alt. Wie viel Stunden weiß ich nicht, da die Stunde nicht angegeben in der ſie auf die Welt gekommen.

Aber mein Gott, was iſt die Georges hinabgerückt. Früher im Theater Français, bis voriges Jahr im Odeon, ſpielt ſie jetzt im Porte-St. -Martin, in einem Boulevardtheater. O hätte ich ſie in meiner Kammer! Ich würde mit ihr verfahren wie einſt ein Buchhändler mit Rouſſeau und Voltaire zu verfahren wünſchte. Ich gäbe ihr gut zu eſſen und zu trinken, aber ſie müßte mir arbeiten. Sie müßte mir dikti¬ ren, von Paris, von Erfurt, von Wien, von Peters¬ burg, vom Kaiſer Napoleon, vom Kaiſer Alexander und von hundert andern Dingen und Menſchen. 115Doch es iſt merkwürdig! Wenigſtens nach mehreren Erfahrungen die ich gemacht, haben die ſchönen Schau¬ ſpielerinnen gar keine Beobachtungsgabe und Menſchen¬ kenntniß, und ſie verſtehen gewöhnlich ihr eignes, oft ſo intereſſantes Leben, nicht kunſtreich aufzufaſſen. Haben Sie als Sie in Paris waren, die Georges nicht ſpielen ſehen?

Außer dem erwähnten Drama gab man den Abend noch ein Melodrama l'Auberge des Adrets; eine ganz gemeine ſentimentale Mörder - und Räubergeſchichte. Aber ein Schauſpieler Na¬ mens Frederic führte eine komiſche Rolle vortreff¬ lich durch. Ich habe lange nicht ſo ſehr gelacht. Das Merkwürdige bei der Sache iſt, daß das Ko¬ miſche gar nicht in der Rolle liegt, ſondern in dem ſelbſterfundenen Spiele des Schauſpielers und das zu ſeinem Charakter und den Reden die er führt gar nicht paßt. Es iſt ein zerlumpter, niederträchtiger, boshafter, ganz gemeiner Dieb, Räuber und Mörder. Er bringt einen Mann im Stücke ſelbſt um, ihm ſein Geld zu nehmen. Und Frederic machte einen gutmüthigen Schelm daraus der höchſt ergötzlich iſt. Zuletzt freilich werden die Poſſen, doch wahrſcheinlich dem Pöbel und der Kaſſe zu gefallen, etwas gar zu weit getrieben. Stellen Sie ſich vor: Am Ende8*116werden beide Räuber von Gensd'armen gepackt, ſie entſpringen aus dem Zimmer, die Gensd'armen ihnen[nach]. Der Vorhang fällt. Das Stück iſt aus. Auf einmal gewahre ich, daß die Leute nach der Gallerie hinaufſehen und lachen. Ich hebe den Kopf in die Höhe und ſehe in einer Loge des zweiten Ranges die beiden Räuber mit den ſie verfolgenden Gensd'armen ſich herumbalgen. Endlich wird ein Gensd'arme (ein ausgeſtopfter) von einem der Räu¬ ber hinab in's Orcheſter geſtürzt. Und auf dieſem Theater ſpielt die Georges, einſt die Königin ſo vieler Königinnen!

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Als ich geſtern Abend nach Hauſe kam fand ich eine ſchwarze Viſitenkarte vor, mit dem Namen weiß darauf. Es war ein Schauer wie ſie da lag auf dem ſchwarzen Marmortiſche im röthlichen Scheine der Lampe; es war wie der Beſuch eines Geiſtes. Es war der Name eines Polen. Ich habe ſolche ſchwarze Karte hier nie geſehen. Sollten ſie viel¬ leicht die Polen als ein Zeichen der Trauer ange¬ nommen haben? Ich werde es erfahren. Da haben Sie ſie, ich ſchicke ſie Ihnen, bewahren Sie ſie gut. Und haben Sie je eine Thräne für einen König ver¬ goſſen, und ſollte das Glück es wollen, daß Sie noch ferner eine weinten; dann ſehen Sie dieſe Karte an, daß Ihr Herz zur Wüſte werde und der Sand alle Brunnen der Empfindung verſchütte. Denn wahrlich es iſt edler die ganze Menſchheit haſſen, als nur eine einzige Thräne für einen König weinen.

Ein ſterbendes Volk zu ſehen, das iſt zu ſchreck¬ lich; Gott hat dem Menſchen keine Nerven gegeben ſolches Mitleid zu ertragen. Jahre, ein Jahrhundert lang in den Zuckungen des Todes liegen und doch nicht ſterben! Glied nach Glied unter dem Beile des Henkers verlieren und all das Blut, alle die Nerven der verſtorbenen Glieder erben, und dem ar¬118 men und elenden Rumpfe den Schmerz des ganzen aufbürden o Gott! das iſt zu viel! Denn einem Volke, wenn es leidet, werden nicht wie einem kran¬ ken Menſchen Geiſt und Sinne geſchwächt, es ver¬ liert das Gedächtniß nicht, ſei es noch ſo bejahrt, wird es im Unglücke wieder zum Jüngling, zum Kinde, und die Jugend mit all ihrer Kraft und Hoff¬ nung, die Kindheit mit ihrer Luſt und allen ihren Spielen kehren ihm zurück. Als Gott die Tyrannen erſchuf, dieſe Folterknechte der Welt, hätte er wenig¬ ſtens die Völker ſollen ſterblich machen.

Man hat jetzt den Deutſchen eiſerne Reife um die Bruſt geſchmiedet, Sie dürfen nicht mehr ſeufzen um die Polen; aber die Franzoſen brauchen noch nicht zu ſchweigen. Es kommt dahin auch noch, aber bis dahin kömmt auch die Hülfe. Haben Sie in den franzöſiſchen Blättern von dem neuen Jammer gele¬ ſen, den man auf die Polen gehäuft? Aus jeder polniſchen Provinz werden fünftauſend Edelleute ein¬ gefangen und nach dem Caucaſus getrieben, um dort unter die Coſaken eingeſteckt zu werden. Sie dürfen auf ihre Verbannung nicht vorbereitet werden, ſie müſſen unvermuthet Nachts aus ihrem Bette geſchleppt werden. So befiehlt es ausdrücklich der kaiſerliche Befehl. Und dem Belieben des[Gouverneurs] bleibt es frei geſtellt, welche ſie zur Verbannung wählen wollen; nur iſt ihnen auf das ſtrengſte unterſagt die119 Begnadigung mit dem Caucaſus, auf die ſchuldigſten der Polen fallen zu laſſen; dieſe kommen nach Si¬ birien oder werden hingerichtet oder werden im Ge¬ fängniſſe erdroſſelt und vergiftet. Was ich geſtern geleſen das iſt noch ungeheurer. Fünfzig Polen wur¬ den in Kronſtadt, im Hafen, wie im Angeſichte ganz Europas, auf Tod und Leben gegeiſelt, weil ſie ihr Vaterland nicht abſchwören, weil ſie dem Nicolaus nicht Treue ſchwören wollten. Und während ſie die Reihen der Soldaten durchſchlichen, durch Bajonette auf der Bruſt, am ſchnellen Gehen gehindert, ging ein Geiſtlicher zuſprechend neben den Verurtheilten, und ermahnte ſie zu ſchwören. Ein Geiſtlicher, das Cruzifix in der Hand, ermahnte im Namen des Er¬ löſers zum Meineide! Aber wo gab es je einen Kaiſer oder König, der nicht einen Pfaffen gefunden hätte, der noch ſchlechter war als er? Dreitauſend andere Polen, ſtanden in einen Haufen zuſammen¬ getrieben, auf dem Richtplatze, den Jammer ihrer Brüder mit anzuſehen, und hinter ihnen ſechstauſend Ruſſen, Kanonen vor ſich, den Haufen Polen nieder¬ zuſchmettern, wenn einer von ihnen murren ſollte. Die anweſenden ruſſiſchen Offiziere lachten o nein, ich erzähle das nicht ihnen zum Vorwurfe, ſon¬ dern daß man dieſe Schlachtopfer der Tyrannei auch beweine. Sie mußten lachen; nicht zu lachen wäre ihnen als Kaiſermord angerechnet worden. Und das120 duldet der Himmel? Das heißt nicht die Menſch¬ heit, daß heißt Gott ſelbſt in den Koth treten. Aber nicht an Nicolaus allein denke ich; ſo ſchuldig er iſt, er hat es nicht verdient unſern ganzen Fluch zu tra¬ gen. Er iſt nur der gefällige Wirth, er gab ſeinen königlichen Brüdern ein königliches Schauſpiel. Denn es iſt kein Fürſt in Europa, der nicht aus ſeiner Lage dieſes blutige Schauſpiel mit Wolluſt anſähe, und nicht dabei auf ſein eignes Volk hinabſchielte und ihm den ſtummen Wunſch zugrinſte: nun wohl be¬ komme euch dieſe Lehre!

Der Haß und der Ekel ſteigen mir manchmal bis an den Hals hinauf und da werde ich meiner Wün¬ ſche und ſelbſt meiner Verwünſchungen überdrüßig. Es ſind jetzt fünfzig Jahre daß die europäiſche Menſchheit aus ihrem Fieberſchlummer erwachte, und als ſie aufſtehen wollte, ſich an Händen und Füßen gekettet fand. Feſſeln trug ſie immer, aber ſie hatte es nicht gefühlt in ihrer Krankheit. Seitdem kämpf¬ ten die Völker mit ihren Unterdrückern. Und rechnet man jetzt zuſammen all das edle Blut das vergoſſen worden, all den ſchönen Heldenmuth, all den Geiſt, alle die Menſchenkraft die verbraucht worden, alle die Schätze, die Reichthümer, drei kommenden Ge¬ ſchlechtern abgeborgt, die verſchlungen worden und wofür? für das Recht frei zu ſein, für das Glück, auf den Punkt zu kommen wo man aufhört Schulden121 zu haben und wo erſt die Armuth beginnt. Und be¬ denkt man wie dieſes Blut, dieſer Heldenmuth, dieſer Geiſt, dieſe Kraft, dieſe Reichthümer, wären ſie nicht verbraucht worden zur Vertheidigung des Daſeyns, zur Veredlung, zur Verſchönerung, auf die Freuden des Daſeyns hätten verwendet werden[können] möchte man da nicht verzweifeln? Alles hinzugeben für die Freiheit, alles aufzuopfern nicht für das Glück, ſondern für das Recht glücklich ſein zu dür¬ fen, für die Möglichkeit glücklich ſein zu können! Denn mit der Freiheit iſt nichts gewonnen als das nackte Leben, dem Schiffbruche abgekämpft. Und gewönnen nur die Feinde der Menſchlich¬ keit etwas durch ihren Sieg, ja theilten ſie nur ſelbſt die Hoffnung des Sieges, es wäre noch ein Troſt dabei. Aber nein, der Sieg iſt unmöglich. Eine neue Macht die Widerſtand findet, kann im Kampfe den Sieg finden, und im Siege ihre Befeſti¬ gung; aber eine alte befeſtigte Macht war ſchon be¬ ſiegt an dem Tage, wo der Kampf gegen ſie begann. Wäre es nicht toll, wenn Männer die Zahnſchmerzen haben, ſich einredeten ſie zahnten? Aber ſo toll ſind unſere Tyrannen nicht. Dort die Pfaffen ſie wiſſen recht gut, daß der Zauber ihrer Gaukelkünſte nicht mehr wirkt. Dort die Edelleute ſie wiſſen recht gut, daß die Zeit ihrer Anmaßung vorüber iſt. Dort die Fürſten ſie wiſſen recht gut, daß ihre122 Herrſchaft zu Ende geht. Ja alle dieſe unſere Feinde wiſſen das beſſer als wir ſelbſt; denn ihren Untergang ſehen ſie durch das Glas ihrer Furcht weit näher, als wir es ſehen durch das Glas unſe¬ rer Hoffnung. Aber weil ſie es wiſſen, darum wü¬ then ſie; ſie wollen ſich nicht retten, ſie wollen ſich rächen. Es giebt in Europa keinen Fürſten mehr, der ſo verblendet wäre, daß er noch hoffte, es werde einer ſeiner Enkel den Thron beſteigen. Aber weil ohne Hoffnung, iſt er auch ohne Erbarmen und nimmt ſich die Tyranney ſeines Enkels voraus, ſie zu der ſeinigen geſellend.

Heute kaufte ich einen ſchönen Geldbeu¬ tel für Sie, von der Farbe des griechiſchen Him¬ mels und der Königlich baieriſchen Nation: nämlich hellblau, mit einem goldenen Saume und mit weißer Seide gefüttert. So wonniglich weich anzufühlen, daß es einer zarten Seele ſchwer fiele, hartes uner¬ bittliches Geld hineinzulegen. Aber Sie werden ihn zu Almoſen beſtimmen. Hören Sie wie Sie dazu gekommen. Noch fünf Minuten vorher dachte ich nicht daran ihn zu kaufen, ob ich zwar an Sie dachte, denn ich ſchrieb Ihnen gerade. Ich las die allge¬ meine Zeitung und darin von den hannöveriſchen Ständen und von der Oeffentlichkeit die man ihnen bewilligt, von der Größe eines Nadelſtichs; und wie123 man doch noch Angſt gehabt, es möchten Spitzbuben von außen durch dieſen Nadelſtich in die Kammer ſteigen, und wie man darum den Nadelſtich mit einem eiſernen Gitter verwahrte und von außen Läden an¬ brachte, und innen eine Gardine davor hing. Dar¬ über mußte ich ſo lachen, daß ich das Pult erſchüt¬ terte; von der Erſchütterung floß mein Stacheldinten¬ faß über, das eben gefüllt worden war und zu hoch. Jetzt kam ein Dintenbach von der Höhe herab, und ſtrömte über die allgemeine[Zeitung] gerade durch das hanöveriſche. Schnell rettete ich meinen Brief, faßte die allgemeine Zeitung am trocknen Zipfel und warf ſie ins Feuer. Dann holte ich Waſſer und wuſch das Pult ab. Während dem Trocknen machte ich einige Gänge durch das Zimmer, und kam bei dieſer Gelegenheit an das Fenſter, und ſah die Straße hinab. Da gewahrte ich, daß in das große Haus mir gegenüber viele Menſchen gingen und daß viele glänzenden Equipagen davorſtanden. Dann ſah ich wieder viele Menſchen und Wagen herauskommen und ſo ging das abwechſelnd immer fort. Ich ward neugierig, ſchickte hinunter, und ließ Erkundigungen einziehen; erhielt aber keine Aufklärung. Da zog ich mich ſchnell an und ging ſelbſt hinüber. Ich fragte den Portier des Hotels: est ..... weiter wußte ich nicht was ich fragen ſollte. Er antwor¬124 tete mir: im Hofe, links, im zweiten Stocke über den Entre-Sol. Da ſtieg ich hinauf und kam durch eine Reihe Zimmer, voll der ſchönſten Frauen und Waaren; es war ein Bazar und Serail zugleich. Man ſah alle möglichen Handarbeiten in Nähereien, Strickereien, Stickereien, Malereien und wie ſie ſonſt heißen. Auch männliche Handarbeiten, Bücher waren zum Verkaufe ausgeſtellt. An jedem Tiſche oder Laden ſtand eine Dame die verkaufte; an jedem Artikel war der Preis geſchrieben. Eine Bekannte die ich dort fand erklärte mir: das wäre der Bazar eines Frauenvereins, der jeden Winter zum Beſten der Armen dieſe Waare verfertigte und verkaufte. Stifterin dieſes Vereins iſt eine Madame Lutteroth, Schwiegertochter des reichen Kaufmanns, der früher in Frankfurt wohnte. Die wohlthätige Neigung die¬ ſer Dame wurde durch die Religionsſekte zu welcher ſich ihr Mann bekennt (ich glaube zu den Mennoni¬ ten) noch verſtärkt und angetrieben. Auch iſt es ihre Wohnung in welcher die Waaren ausgeſtellt ſind. Es war recht artig zu ſehen wie die Damen alle ihre Sachen prieſen und anboten, mit einem Eifer, einer Zuthulichkeit, als verkauften ſie zu ihrem eig¬ nen Gewinnſte. Auf dieſe Art ſind Sie zu dem blauen Geldbeutel gekommen. Jetzt aber bleiben Sie nicht länger eine verſtockte Ariſtokratin, und125 lernen Sie endlich begreifen, wozu die Oeffent¬ lichkeit gut iſt. Ich bringe ihn mit wenn die Lerchen und die Veilchen kommen und unter Otto's Strahlen die verdorrten Oelbäume wieder blühen.

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Bei den hieſigen Civilgerichten kam neulich ein Prozeß zwiſchen dem Kaiſer Don Pedro und einem Pariſer Bürger vor. Als der Huiſſier die Tages¬ ordnung ausrief: Dumoulin contre Don Pedro! ſchrie einer der Zuhörer à Oporto, und Gelächter im ganzen Saale. Nemlich dieſer Dümoulin ver¬ langt von dem Kaiſer einige und dreißigtauſend Fran¬ ken, für die Mühen, Reiſen und Koſten die es ihm verurſacht, als er ihm ſeine jetzige Frau die Beauhar¬ nois verſchaffen half. Don Pedro will nicht bezah¬ len. Den Kuppel-Pelz nach den Flitterwochen ein¬ fordern eine ſolche Dummheit hätte ich keinem Pariſer zugetraut, die eigentlichen Prozeß-Verhand¬ lungen haben noch nicht angefangen; die Sache muß hübſch werden. Dem guten Don Pedro geht es ſehr ſchlecht in Oporto, er rückt nicht vor und iſt wie feſt genagelt. Das iſt der böſe Zauber des Juſte-Milieu, den ſein Freund und Beſchützer Louis Philipp über ihn ausgeſprochen. Dieſer hat ihm geſagt: laſſen Sie ſich mich zur Warnung dienen; beſſer keine Krone als eine aus den Händen des Volkes; lieber gar nicht regieren, als mit einer Conſtitution; bleiben Sie nur ruhig ſtehen, gehen Sie weder rechts noch links, halten Sie ſich gerade und die Krone wird Ih¬127 nen ſchon einmal auf den Kopf fallen. Das hat ſich Don Pedro gemerkt und er war ſo ehrlich den con¬ ſtitutionellen Portugieſen nicht einmal etwas zu ver¬ ſprechen, außer, daß er ſie wahrſcheinlich nicht werde hängen laſſen, wenn er wieder zur Regierung käme. Dieſen aber genügt die Galgenfreiheit nicht, und ſie leiſten ihm darum in ſeinem Kampfe keinen Beiſtand. Louis Philipp wird ihm auch geſagt haben, er ſolle die heilige Allianz nicht ärgern, und ſich darum nicht anſtellen als wäre ihm an dem Glücke ſeines Volkes gelegen, ſondern aufrichtig geſtehen, es liege ihm blos an ſeiner Herrſchaft, und dann würde ſie nichts ge¬ gen ihn haben. So iſt er auf ſeine Lohnſoldaten be¬ ſchränkt, und wie will er mit dieſen gegen ein von Glaubenswuth fanatiſirtes Volk, gegen ſeinen von den mächtigſten Fürſten der Welt gut berathenen, gut unterſtüzten Nebenbuhler kämpfen?

Die Komödie die jetzt in Spanien geſpielt wird iſt auch merkwürdig. Ich nenne es Komödie, weil ich mich heute nicht ärgern will, denn es iſt Mitt¬ woch, ich erwarte Ihren Brief und nichts ſoll meine Freude ſtören. Aber an jeden der fünf andern Tage der Woche hätte ich der Sache einen andern Namen gegeben. Es empört mich viel ſtärker wenn Fürſten ihre Unterthanen wie Kinder behandeln, und ſie mit Mährchen amuſiren und ſie mit groben Lügen täu¬ ſchen, als wenn ſie ſie wie Männer und Sklaven züch¬128 tigen. Die ſpaniſche Königin hat ein Töchterchen, dem ſie eine Krone verſchaffen möchte. Aber ihrem Wunſche ſteht eine mächtige Parthei entgegen, und um dieſe Parthei zu bekämpfen, wirft ſie ſich in die Arme der Liberalen, und verſpricht ihnen Freiheit, daß es eine Luſt iſt. Hat ſie einmal ihren Zweck erreicht, oder ein anderes Mittel gefunden, ihren Zweck zu erreichen, wird ſie die conſtitutionellen Spanier, die ſo thöricht waren ihr zu trauen und in ihre Falle zu gehen, eben ſo behandeln wie es Fer¬ dinand gethan. Aber trotz der Maske, trotz der fei¬ nen Liſt, in welcher alle Fürſten ſo geübt ſind, bricht in den Reden und Handlungen der Königin Katharine, die angeborne Natur oft komiſch genug vor. Ein Fürſt der von Freiheit ſpricht, macht dann ein Ge¬ ſicht wie Robespierre von dem einſt Mirabeau ſagte: er ſieht aus wie eine Katze die Eſſig getrunken hat. Neulich machte die Königin eine Proklamation an die Spanier bekannt, voll Honig¬ worte, voll Freiheit, voll Glück, voll Ruhm, voll Verſöhnlichkeit, kurz, voll Glaube, Liebe und Hoff¬ nung wie der Hofrath Roußeau in der Poſtzei¬ tung am erſten Januar, wahrſcheinlich ſingen wird. Plötzlich wendete ſie ſich an die verſtockten Gegner ihrer himmliſchen Abſichten, krazt ſie und ſpricht wie folgt: Wer meinen mütterlichen Ermahnungen nicht Gehör giebt, auf den wird das Beil niederfallen,129 das ſchon über ſeinem Kopfe hängt. Schöne, gute, liebe Mama! Die in Frankreich ſich aufhaltenden Spanier, die nach erhaltener Bewillung jetzt zurück¬ kehren, müſſen an der Grenze, angeblich wegen der Cholera, dreißig Tage Quarantaine halten. Nun kann das Lazareth nur ſechzig Perſonen faſſen, und man hat berechnet, daß es drei Jahre dauern werde, bis alle Spanier in ihr Vaterland kommen. Drei Jahre! Das iſt ein Glück für wenigſtens zwei Dritt - Theile dieſer Unglücklichen, die noch nach zwei Jahren Zeit haben umzukehren, und ſich ſo vom Henkertode zu retten. Euer Journal de Francfort neulich, eiferte mit edlem Unmuthe gegen die Refor¬ men, welche die Königin von Spanien und der tür¬ kiſche Kaiſer in ihren Staaten vornehmen wollten, obzwar ihre Völker ſolchen Reformen entgegen ſind. Welche ſchöne Theilnahme, welche Zärtlichkeit für das Glück und die Wünſche der Völker! Was hat denn die hohe Bundesverſammlung auf einmal ſo weich gemacht? Iſt etwa Rothſchild's Koch krank gewor¬ den? Wie konnte aber ..... daß ich ein Narr wäre da iſt Ihr Brief.

Fragen Sie mich doch einmal was die Dok¬ trinairs eigentlich bedeuten. Ich weiß es ſelbſt nicht recht, möchte mich darnach erkundigen und Ihnen davon ſchreiben.

V. 9130

Der **** iſt nicht ohne Geiſt und Witz, aber er ſchreibt etwas rauh. Er iſt ein arger Hypo¬ chondriſt und ſeine Satyre hat etwas Menſchenfeind¬ liches, das ſie ſauer macht.

Ja wohl, ich habe es damals ſchon von mehreren Vornehmen gehört, daß ihnen meine Poſt¬ ſchnecke ſehr gefallen. Die erſchien ihnen als eine Oaſe in meinen wüſten Schriften. Es war, weil ich mich darin über einen Demagogen und ſeinen langen Bart und über die Turnkunſt luſtig gemacht. Welche Menſchen!

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Zwoͤlfter Brief.

Geſtern kam Victor Hugo's Klage gegen den Miniſter bei dem Gerichte vor. Das Handelsgericht dem dieſe Sache zufiel, hat im Börſengebäude ſeinen Sitz, und da es gerade die Stunde war in der ich dort täglich vorbeigehe, bekam ich Luſt die Verhandlungen mit anzuhören. Als ich die Treppe hinaufging mir pochte, wie immer, das Herz vor Zorn und Scham. Es iſt eines der herrlichſten Gebäude der Welt; das Alterthum kannte kaum ein ſchöneres; unter dieſem Säulendache ſollte Phidias Jupiter thro¬ nen und ſtrahlen und ſeine Menſchenkinder mit hohem Stolz erfüllen auf ſolch einen Vater! Aber drinnen9 *132ſitzt Merkur in einem gepolſterten Lehnſtuhle, mit gekrümmtem Rücken, den Geldbeutel in der Hand und klingelt. Merkur der alte Wucherer, der Phönizier, der Jude, der Mäkler, der Betrüger, der mit falſchen Renten würfelt. Merkur der Schelm, der Meineidige, der Gott der Kaufleute und der Diebe, der am Tage ſeiner Geburt ſich aus der Wiege ſchlich, hinauskroch auf das Landgut ſeines Stiefbruders Apollo, ihm die ſchönſten Ochſen ſtahl und dann, entdeckt, bei dem Haupte ſeines Vaters ſchwur, er wiſſe von gar nichts. Merkur Feind des Schönen, der Liebesläugner, der ſchon als Kind den holden Amor durchgeprügelt und ſeiner Mutter die ihn auf den Schoos genommen, ihren Gürtel ſtahl .... Alſo da ich die Treppe hinaufging, kam eine junge, ſchöne, blaſſe Frau, an dem Arme eines Herrn, die Treppe herunter, und ich hörte, wie ſie einem ihr begegnenden Bekannten ſagte: on étouffe! Ich kehrte wieder um. Mein Leben daran zu ſetzen, um einen halben Tag früher zu erfahren, ob Victor Hu¬ go's König ſich ferner amüſiren werde, oder nicht, ſchien mir Verſchwendung. Abends bei Tiſche ſprach ich einen der dabei war und es ausgehalten. Es war ein junger Menſch von achtzehn Jahren mit überflüſſigem rothem Blute, dem etwas zu erſticken eher geſund als ſchädlich war. Es ſoll fürchterlich geweſen ſein. Ueber dem Lärm, dem Gedränge,133 dem Angſtgeſchrei hinaus, Fenſter auf, wir er¬ ſticken, konnte man kein Wort von den Verhandlun¬ gen hören. Einer hat ſeine Hand verloren, die ihm zwiſchen Thüre und Angel[zerquetſcht] wurde. Der Angſtruf: Fenſter auf, wir erſticken, wurde immer ſtärker und allgemeiner. Der Präſident er¬ klärte, er könne die Fenſter nicht öffnen laſſen; man höre ſchon jetzt wenig, bei offnen Fenſtern würde man gar nichts hören. Da rief Einer: Herr Präſident, ich rufe Sie zum Zeugen auf, daß ich er¬ ſticke! Endlich wurden die Fenſter geöffnet, man trieb den überflüſſigen Theil des Publikums zum Saale hinaus, und die Verhandlungen wurden ruhi¬ ger fortgeſetzt. Aus dem, was ich davon in der Gazette des Tribunaux geleſen, will ich Ihnen einiges mittheilen. Dieſes Blatt wird von Advoka¬ ten des Juſte-Milieu redigirt. Nun kann man ihnen zwar nicht vorwerfen, daß ſie die gerichtlichen Ver¬ handlungen mit Partheilichkeit darſtellten; keineswegs. Ihre Nemeſis legt in beiden Wagſchalen gleiches Ge¬ wicht. Sie hält aber die Wage nicht mit der Hand, ſondern ſie hängt ihr von der Naſenſpitze herab, als der rechten Mitte zwiſchen rechter und linker Hand, welches zur Folge hat, daß ſo oft Nemeſis die Naſe rümpft, die Wage etwas ſchwankt. Doch werde ich das ſchon in Abzug bringen.

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Es war ein Rechtsſtreit zwiſchen der romanti¬ ſchen und der klaſſiſchen Schule, es war wörtlich nichts anders als das, wie wir ſpäter aus Victor Hugo's Rede ſehen werden und dieſen Streit ſollte ein Handelsgericht entſcheiden! Iſt das nicht merkwürdig? Die Anhänger der romantiſchen Schule hatten ſich in großer Menge frühzeitig im Saale ein¬ gefunden und ſollen ſich ſehr unanſtändig und unge¬ bührlich betragen haben. Als ihr König und Feld¬ herr Victor Hugo eintrat, wurde er von ſeinem treuen Heere mit rauſchendem Beifallklatſchen empfan¬ gen; aber es ſchien, daß ihn dieſe kleine Huldigung mehr in Verlegenheit geſetzt als geſchmeichelt habe. Odillon-Barrot, der Advokat des Klägers, nahm das Wort. Die Berühmtheit meines Clienten überhebt mich der Pflicht Sie mit ihm bekannt zu machen. Seine Sendung, die ihm von ſeinem Talente, ſei¬ nem Genie angewieſen, war, unſere Literatur zur Wahrheit zurückzuführen; nicht zu jener Wahrheit die nur ein Werk zur Uebereinkunft iſt, zu einer gemachten Wahrheit; ſondern zu der Wahrheit, die aus der Tiefe unſerer Natur, unſerer Sitten und Gewohnheiten geſchöpft wird. Dieſe Sendung, er hat ſie mit Muth übernommen, mit Ausdauer und Talent durchgeführt. Nun bitte ich Sie, was das für Menſchen ſind! Da iſt Viktor Hugo, der Fürſt der Romantiker, der ſein Land und Volk vertheidigt;135 da iſt Odillon-Barrot, der erſte Advokat Frankreichs, der ihm beiſteht, und beide wiſſen nicht einmal, worin das Weſen der Romantik, worin ihr gutes Recht beſteht. Es beſteht nicht in der Wahrheit, wie ſie ſagen, ſondern in der Freiheit. Freiheit und Wahrheit ſind aber zwei ganz verſchiedene Dinge ... Dieſe goldenen Worte, die ich da ausſprach werden dem Herrn v. *** ſehr gut gefallen, und er wird ſie rühmen wie meine Poſtſchnecke, und meinen Freun¬ den ſagen, da hätte ich wieder einmal ſehr ſchön ge¬ ſchrieben und Sie ſollten mich aufmuntern auf dieſem guten Wege zu bleiben.

Odillon-Barrot forderte für ſeinen Clienten, daß die Comödie-Françaiſe entweder Le roi s'amuse aufführe, oder dem Dichter eine Entſchädigung von 25,000 Franken zahle. Dann geht er zur Rechts¬ frage über. Wir wollen uns aber damit nicht auf¬ halten, uns kümmert blos der kleine, liebe, gute Skandal. Nachdem er gezeigt, daß kein Geſetz vor¬ handen wäre, das einem Miniſter das Recht gäbe, die Aufführung eines Stückes zu verhindern, ſetzt er hinzu: und gebe es auch ein ſolches Recht, ſo gehört es nicht zu den Amtsbefugniſſen des Miniſters der öffentlichen Arbeiten, und Herr von Argout indem er es in Anwendung brachte, hat ſich alſo eine Gewalt angemaßt die ihm nicht gebührt. Aber in der That, der Herr Miniſter des Handels greift ſehr136 um ſich; er hat ſich die Verwaltung der National¬ garde genommen; die Präfekturen ſind ihm unter¬ geordnet, und jetzt maßt er ſich noch die Direktion der Theater an, die durch ein Geſetz der hohen Staatspolizei vorbehalten wurde. Wenn das ſo iſt, was wird denn dem armen Miniſter des Innern noch übrig bleiben. Großer Beifall und allge¬ meines Gelächter. Es iſt nämlich zu wiſſen, daß unſer guter Monarch Louis Philipp, von den repu¬ blikaniſchen Inſtitutionen, die ihm umgaben, ſich ſo geängſtigt fühlte, daß er beſchloß ſich gleich Napoleon einen Polizei-Miniſter zu geben, der auf dieſe repu¬ blikaniſche Inſtitutionen Acht haben ſollte. Aber es war noch um einige Monate zu frühe. Die Berry war noch nicht gefangen, Antwerpen noch nicht ein¬ genommen und die Adreſſe der Kammer noch nicht erlangt. Darum begnügte er ſich einſtweilen, Thiers in's Geheim zum Polizei-Miniſter zu ernennen, und ihm öffentlich den Titel eines Miniſters des Innern beizulegen. Alle Geſchäfte aber, die ſonſt dem Mi¬ niſter des Innern oblagen, wurden ihm entzogen und dem Miniſter des Handels zuertheilt, und Thiers behielt nur die Polizei und einige Aemter die mit ihr verwandt ſind.

Jetzt nahm Victor Hugo das Wort und ſprach wie ein Poet und zwar wie ein romantiſcher Poet. Ein Dutzend ſolcher Reden vor einem deutſchen Han¬137 delsgerichte gehalten, würden es verlernen machen, welch ein Unterſchied zwiſchen einer Schuldverſchrei¬ bung und einem Wechſel ſei. Es war ein Corpus Juris oder eine Frankfurter Stadtreformation in Almanachsformat gedruckt und in Seide eingebunden. Er ſagte, er hielt es für ſeine Pflicht, die kecke und ſtrafbare Handlung, welche in ſeiner Perſon die Rechte aller gekränkt, ohne ſtreng und feierlichen Widerſpruch nicht vorübergehen zu laſſen. Dieſe Sache ſei keine gewöhnliche, nicht eine bloße Handelsangelegenheit, eine perſönliche. Nein, meine Herren, es iſt mehr als das, es iſt der Prozeß eines Bürgers gegen die Regierung. .... Ich hoffe, Sie werden was ich Ihnen zu ſagen habe mit Theilnahme anhören, Sie werden durch Ihren Richterſpruch die Regierung belehren, daß ſie auf böſem Wege iſt, und daß ſie Unrecht hat, die Kunſt und die Wiſſenſchaft mit ſolcher Ungeſchliffenheit zu behandeln; Sie werden mir mein Recht und mein Eigenthum wieder geben; Sie werden die Polizei und die[Cenſur], die nächt¬ licher Weiſe zu mir gekommen ſind und, nach Er¬ brechung der Charte, mir meine Freiheit und mein Geld geſtohlen, auf der Stirne brandmarken. Eine Polizei und eine Cenſur brandmarken es iſt doch gar zu ſchauderhaft! Die Bewegungs¬ gründe welche die Geſellen der Polizei einige Tage lang gemurmelt haben um das Verbot dieſes Stückes138 zu erklären, ſind dreierlei Art: es iſt der moraliſche Grund, der politiſche Grund und, es muß geſagt werden, ſo lächerlich es auch iſt, der literäriſche Grund. Virgil erzählt, daß zu den Blitzen, welche Vulkan für Jupiter verfertigt, drei verſchiedene Stoffe genommen wurden. Der kleine miniſterielle Blitz, welcher mein Drama getroffen, und den die Cenſur für die Polizei geſchmiedet hatte, iſt aus, drei ſchlechten Gründen zuſammengedreht, gemengt und gemiſcht. Der Dichter unterſucht nun dieſe drei Gründe. Ueber den Vorwurf der Unmoralität bemerkt er: Alle vorgefaßte Meinungen, welche gegen die Moralität meines Werkes zu verbreiten der Po¬ lizei auf einen Augenblick gelungen war, ſind in dieſer Stunde wo ich da ſpreche verſchwunden. Drei tauſend Exemplare des Buches in der Stadt verbreitet, als ſo viele Advokaten, haben meinen Prozeß geführt und gewonnen. Betreffend den politiſchen Grund des Verbots beruft ſich Victor Hugo auf die Vorrede ſeines Dramas, und führt die dort befindliche Stelle an, die ich Ihnen früher mitgetheilt. Nach dieſer Anführung bemerkt er: Dieſe Schonung zu welcher ich mich verbindlich ge¬ macht, ich werde ſie halten. Die hohen Perſonen, welchen daran liegt, daß dieſer Streit würdig und anſtändig bleibe, haben nichts von mir zu fürchten;139 ich bin ohne Groll und ohne Haß. Nur daß die Polizei einem meiner Verſe einen Sinn gegeben, den er nicht hatte, das, erkläre ich, iſt unverſchämt und gleich unverſchämt gegen den König wie gegen den Dichter. Die Polizei wiſſe es ein für alle Male, daß ich keine Stücke mit Anſpielungen mache. Sie laſſe ſich das geſagt ſein.

Nach dem moraliſchen und dem politiſchen Grunde kömmt der literäriſche. Daß eine Regie¬ rung aus literäriſchen Bewegungsgründen ein Stück verbietet, das iſt ſeltſam, aber es iſt wirklich ſo. Erinnern Sie ſich, wenn es ſich ja der Mühe lohnte, ſich einer ſolchen Sache zu erinnern, daß im Jahr 1829, als die erſten ſogenannten romantiſchen Werke auf dem Theater erſchienen, zur Zeit wo die franzöſiſche Comödie Marion de Lorme annahm, eine von ſieben Perſonen unterzeichnete Bittſchrift dem Könige Karl X. überreicht wurde, worin man verlangte daß das Theater Français ohne weiteres, und von wegen des Königs, allen Werken die man die neue Schule nannte verſchloſſen werden möge. Karl X. lachte und antwortete mit Geiſt, daß in literariſchen Angelegenheiten, er, wie wir alle, nur ſeinen Platz im Parterre habe. Die Bitt¬ ſchrift ſtarb an ihrer Lächerlichkeit. Nun wohl,140 meine Herren, heute ſind mehrere von den Unter¬ zeichnern jener Bittſchrift, Deputirte, einflußreiche Deputirte der Majorität, die Theil an der Macht haben und über das Budget ſtimmen. Um was ſie 1829 ängſtlich baten, das haben ſie, mächtig wie ſie ſind, 1832 thun können. Das öffentliche Ge¬ rücht erzählt wirklich, daß ſie es waren die den Tag nach der erſten Aufführung, in der Deputirten¬ kammer den Miniſter angegangen und von ihm er¬ langt haben, daß, unter allen möglichen und mora¬ liſchen und politiſchen Vorwänden Le roi s amuse unterdrückt werden ſolle. Der Miniſter, ein ſchlich¬ ter, unſchuldiger, gutmüthiger Menſch, ging in die Falle .... Es iſt merkwürdig! Die Regierung leihet 1832 der Akademie ihre bewaffnete Macht! Ariſtoteles ein Staats-Grundgeſetz geworden! De¬ putirte welche Karl X. abgeſetzt haben, arbeiten in einem Winkel an der Reſtauration Boileaus! Wie armſelig!

Jetzt erinnert ſich Victor Hugo, daß er der Regierung gedroht ihr Feind zu werden, und fängt gleich an zu zeigen, daß es ihm mit der Drohung Ernſt geweſen. Doch verhehle ich mir es nicht, daß die Zeit in der wir ſind, nicht mehr jenen letz¬ ten Jahren der Reſtauration gleicht, wo der Wider¬141 ſtand gegen die Anmaßungen der Regierung ſo ge¬ prieſen, ſo aufgemuntert, ſo volksthümlich war. Die Ideen von Ruhe und Macht, genießen in die¬ ſem Augenblick größere Gunſt als die von Fort¬ ſchreiten und Freiheit. Es iſt das eine natürliche Rückwirkung der Revolution von 1830, wo wir alle unſere Freiheiten im Sturmſchritte zum zweitenmal genommen haben. Aber dieſe Rückwirkung wird nicht lange dauern. Unſere Miniſter werden ſich eines Tags über das unverſöhnliche Gedächtniß er¬ ſtaunen, mit welchen ſelbſt diejenigen Menſchen, die jetzt ihre Majorität bilden, ihnen alle die Ungerech¬ tigkeiten zurückrufen werden, die man heute ſo ſchnell zu vergeſſen ſich den Anſchein giebt ... Ich muß es hier ſagen, ich habe ſtarke Gründe zu glauben, daß die Regierung dieſen Schlaf des öffentlichen Geiſtes benutzen wird, um die Cenſur in aller Form einzuführen, und daß meine Sache nur ein Vorſpiel, eine Vorbereitung, eine Bahn zur allgemeinen Achts¬ erklärung aller Theater-Freiheiten iſt. Indem ſie kein Repreſſiv-Geſetz gab, indem ſie gefliſſentlich ſeit zwei Jahren die Ausſchweifungen der Bühne alle Dämme überſchreiten ließ, glaubte die Regie¬ rung in der Meinung aller geſitteten Menſchen, welche jene Ausſchweifungen empören mußten, ein günſtiges Vorurtheil für die dramatiſche Cenſur ge¬142 ſchaffen zu haben. Meine Meinung iſt, daß ſie ſich betrügt, und daß in Frankreich die Cenſur nur eine verhaßte Geſetzwidrigkeit bleiben wird.

Und bemerken Sie, daß in dieſer Reihe will¬ kührlicher Handlungen, die ſeit einiger Zeit auf ein¬ ander folgen, die Regierung aller Größe, aller Offen¬ heit, alles Muthes ermangelt. Dieſes ſchöne, ob¬ zwar noch unvollendete Gebäude, welches die Juli - Revolution entworfen hat die Regierung untergräbt es langſam, unter der Erde leiſe, auf krummen Schleichwegen. Sie faßt uns verrätheriſch von hin¬ ten, in einem Augenblicke wo wir uns deſſen nicht verſehen. Sie wagt mein Stück vor der Auffüh¬ rung nicht zu cenſiren, ſie legt den andern Tag die Hand darauf. Sie macht uns unſere weſentlichen Freiheiten ſtreitig; ſie chikanirt uns in unſern beſt¬ erworbenen Gerechtſamen; ſie ſetzt das Gerüſte ihre Willkühr auf einen Haufen alter, wurmſtichiger, abgekommener Geſetze; ſie ſtellt ſich, uns unſere Freiheiten zu rauben, in einem Hinterhalte, in dem Speſſart kaiſerlicher Dekrete, durch welchen die Freiheit nie kömmt ohne ausgeplündert zu werden. (Victor Hugo ſagte, Foret de Bondi; aber ich habe Speſſart daraus gemacht, denn ich binn ein guter Patriot. Ich ſchreibe vaterländiſche Briefe wie143 Herr von Gagern in der allgemeinen Zeitung, und bei mir hat alles eine deutſche Tendenz.)

Ich ſage unſere Regierung nimmt uns Stück¬ weiſe alle die Rechte und Freiheiten, die wir in den vierzig Jahren unſerer Revolution erworben haben. Ich ſage, es kömmt der Rechtlichkeit der Gerichtshöfe zu, ſie auf dieſem Wege, der ſo ver¬ derblich für ſie ſelbſt als für uns iſt, einzuhalten .... Bonaparte, als er Conſul und Kaiſer wurde, wollte auch den Despotismus; aber er machte es anders. Gerade zu und mit einem Schritte trat er hinein. Er gebrauchte keine jener erbärmlichen, kleinlichen Pfiffe, mit welcher man uns heute, eine nach der andern, alle unſere Freiheiten aus der Taſche ſpielt die alten wie die neuen, die von 1830, wie die von 1789. Napoleon war kein Duckmäuſer und kein Heuchler. Napoleon ſtahl uns nicht im Schlafe unſere Rechte eines nach dem[andern], wie man es jetzt thut. Napoleon nahm alles auf einmal, mit einem einzigen Griffe, und mit einer einzigen Hand. Der Löwe hat nicht die Art des Fuchſes.

Damals, meine Herren, war es groß! Reich, Regierung, Verwaltung Ganz gewiß war es eine Zeit unerträglicher Tyrannei; aber erinnern144 wir uns, daß wir unſere Freiheit in Ruhm reichlich bezahlt erhielten. Das Frankreich von damals, hatte wie Rom unter Cäſar, eine zugleich unterwür¬ fige und ſtolze Stellung. Es war nicht das Frank¬ reich wie wir es wollen, das freie ſich ſelbſt be¬ herrſchende Frankreich; es war Frankreich. Sklave eines Mannes und Gebieter der Welt.

Damals, das iſt wahr, nahm man uns die Freiheit; aber man gab uns ein erhabenes Schau¬ ſpiel dafür. Man ſagte: an dieſem Tage, zu die¬ ſer Stunde, werden wir in dieſe Hauptſtadt hinein¬ gehen, und am beſtimmten Tage zur beſtimmten Stunde, zog man dort ein. Man entthronte eine Königsfamilie mit einem Dekrete des Moniteurs. Man ließ ſich alle Arten Könige, in ſeinem Vor¬ zimmer herumtreiben. Hatte man den Einfall eine Säule aufzurichten, ließ man vom Kaiſer von Oeſt¬ reich das Metall dazu liefern. Man regelte, ich geſtehe es, etwas eigenmächtig die Verhältniſſe der franzöſiſchen Schauſpieler; aber die Verordnung war von Moskow datirt. Man nahm uns alle un¬ ſere Freiheiten, ſage ich; man hatte ein Cenſur - Büreau, man zerſtampfte unſere Bücher, man ſtrich unſere Stücke von dem Anſchlagezettel; aber auf alle unſere Klagen konnte man uns mit einem ein¬145 zigen Worte prächtige Antworten geben, man konnte uns antworten: Marengo! Jena! Auſterlitz!

Damals, ich wiederhole es, war es groß; heute iſt es klein. Wie damals gehen wir der Willkühr entgegen, aber wir ſind keine Koloſſen mehr. Un¬ ſere Regierung iſt keine ſolche, die uns über den Verluſt unſerer Freiheit zu tröſten verſteht. Be¬ trifft es die Kunſt wir entſtellen die Tuilerien; betrifft es den Ruhm wir laſſen Polen unter¬ gehen. Doch hindert das unſere kleinen Staats¬ männer nicht, die Freiheit zu behandeln, als wenn ſie wie Despoten gewachſen wären; Frankreich un¬ ter ihre Füße zu ſtellen, als hätten ſie Schultern die Welt zu tragen. Wenn das noch wenige Zeit ſo fortgeht, wenn die vorgeſchlagenen Geſetze ange¬ nommen werden, wird der Raub aller unſerer Frei¬ heiten vollendet werden. Heute läßt man mir von einem Cenſor die Freiheit des Dichters nehmen, morgen wird man mir durch Gensdarmen die Frei¬ heit des Bürgers nehmen laſſen. Heute verbannt man mich vom Theater, morgen wird man mich aus dem Lande verbannen. Heute knebelt man mich, morgen wird man mich deportiren; heute der Belagerungs-Zuſtand in der Literatur, morgen in der Stadt. Von Freiheit, Garantien, Chárte,V. 10146 öffentlichem Rechte, kein Wort mehr; nichts da. Wenn nicht die Regierung, von ihrem eignen In¬ tereſſe beſſer berathen, auf dieſem Abhange einhält, während es noch Zeit iſt, werden wir ſehr bald allen Despotismus von 1807 haben, und ohne den Ruhm. Wir werden das Kaiſerreich haben ohne Kaiſer.

Noch zwei Worte, meine Herren, und möchten ſie Ihnen, wenn ſie berathſchlagen, gegenwärtig ſeyn. In dieſem Jahrhunderte gab es nur einen großen Menſchen, Napoleon, und eine große Sache, die Freiheit. Wir haben den großen Menſchen nicht mehr, ſuchen wir wenigſtens die große Sache zu behalten.

Sprach's! wie Voß im Homer zu ſagen pflegt. Das Urtheil wird erſt in vierzehen Tagen geſprochen ... Da fällt mir ein, das ich etwas vergeſſen, das ſchön iſt. Das Geſetz aus welchem der Miniſter ſein Recht ein Stück zu verbieten herleitet, ſtammt aus der Schreckenszeit der Republik und wurde im Jahr 1793 gegeben. Darin heißt es wörtlich: Die Thea¬ ter ſollten wöchentlich dreimal, Brutus, Wilhelm Tell, Timoleon und[überhaupt] nur republika¬ niſche Stücke aufführen, aber jedes Drama von147 der Bühne entfernt halten, das geeignet iſt den öffent¬ lichen Geiſt zu verderben, und den ſchmählichen Aberglauben des Königthums wieder auf¬ zuwecken. Wozu ſich doch der Teufel nicht alle brauchen läßt ſogar zum Engel! Merkwürdig!

10 *
[148]

Dreizehnter Brief.

Heute Nachmittag verkündete der Donner der Kanonen die Uebergabe von Antwerpen Ich ſage: der Donner, weil das ſo üblich iſt; ge¬ hört habe ich nichts davon. Auf der Straße wurde der Sieg für zwei Sous ausgerufen; aber ich kaufte ihn nicht, ſondern ging nach Hauſe um mit Ihnen zu überlegen, ob die Einnahme von Antwerpen zwei Sous werth ſei. Wer weiß! Was mag der König Philipp froh ſeyn, daß der Theater-Vorhang endlich gefallen iſt, was mag er Furcht vor ſeinem eignen Muthe gehabt haben! Welche artigen höflichen Briefe mag er heute an alle Tyrannen Europens geſchrieben und ſie um Verzeihung gebeten haben für die ſehr große Freiheit die er ſich genommen, eine Citadelle zu erobern! Das war wieder ein ächt monarchiſcher Krieg, eine Schachparthie, wo ſich149 Bauern für den König ſchlugen. Zu vertheidigen war Antwerpen gar nicht, nicht mit aller Tapferkeit; der König von Holland wollte ſeine Ehre retten Die Ehre eines Königs erhält ſich nur, im Blute das iſt bekannt. Es iſt mir als wenn ich dabei wäre: der Marſchall Gerard wird den General Chaſſé zu Tiſche bitten und da werden ſie ſich wechſelſeitig die artigſten, ſchönſten Dinge von der Welt ſagen; dem Einen für ſeine heldenmüthige Vertheidigung, dem Andern für ſeinen heldenmüthigen Angriff. Es wird viel gelacht und Champagner getrunken und vor der Thüre ſpielt die Regimentsmuſik. Unterdeſſen jam¬ mern die holländiſchen und franzöſiſchen Verwundeten in den Spitälern, unterdeſſen jammern ihre Mütter, Weiber und Bräute. Der Herzog von Orleans zieht triumphirend in Paris ein, Marſchall Gerard wird belohnt, und die Gebliebenen bekommen den Orden des heiligen Grabes. Warum? Leſen Sie in den Spaziergängen eines Wiener Poeten, das herrliche Gedicht. Warum? Von dem poßierlich kleinen Männlein, das ſich auf der Sprache garbenreichem, unermeßnem Erntefeld ein einziges goldnes Körnlein liebend auser¬ wählt; das Männerwort: Warum? Ich bin ſelbſt ſolch ein poßierlich kleines Männlein: wenn man mir den Kopf herunterſchlüge, er murmelte im¬ mer fort: warum? Doch wer weiß! die heilige150 Allianz hat den franzöſiſchen Löwen wieder einmal brüllen hören, und iſt er auch noch in ihrem Käfig, ſo erinnert ſie das doch, daß es ein Löwe ſei und keine Katze. Vielleicht erſchrickt ſie darüber, vielleicht bekömmt ſie größere Furcht vor Frankreich als vor Hambach und fängt Krieg an und dann iſt uns ge¬ holfen. Ich bin ſo hoffnungslos, daß alles mir Hoff¬ nung giebt. Ich habe manchmal Mitleid mit mir ſelber und komme mir vor wie jener ſchwediſche Sol¬ dat, der das Rauchen ſo leidenſchaftlich liebte, daß, als ihm einſt im Kriege der Taback mangelte, er an einem angezündeten Strohhalm dampfte. Ein Bis¬ chen Strohrauch wird mir zur Wolke, jede Wolke zum Himmel, und von jedem Himmel hole ich die Frei¬ heit herab. Und welche Freiheit! Es iſt ſo wenig was ich fordere. Ich verlange nichts als Hoſen, für mich und meine deutſchen Kameraden, und daß uns nicht jedes alte Weib von Regierung ſoll immer¬ fort dutzen dürfen. Mein einziger Ehrgeitz iſt Deutſch¬ lands Oedip zu werden, der es von der Augsburger Sphinx befreit, die mich noch zu Tode ärgert. Sie iſt ſchuld an meinen Zahnſchmerzen. Täglich bringt der Berliner Correſpondent eine diplomatiſche Nuß zum aufknacken; ich nehme ſie in den Mund, beiße zu mit allen Kräften der Zähne und die Nuß iſt hohl, zerbricht wie Eierſchaalen, meine Zähne knir¬ ſchen unvermuthet auf einander und meine erſchrocke¬151 nen Nerven zittern von den Zehen bis zu den Haa¬ ren. Und das muß man ſich gefallen laſſen, muß ſchweigend zuſehen, wie dieſer Berliner Affe die Zunge gegen die franzöſiſche Regierung und das deut¬ ſche Volk herausſtreckt, und darf ihm nicht auf das Maul ſchlagen!

[152]

Vierzehnter Brief.

Louis Philipp, der gute Friedensrichter, hat ſeine Gerichtsdiener, nachdem ſie jetzt den König von Holland ausgepfändet, gleich wieder aus Belgien zu¬ rückgerufen. Ich fange an zu glauben, der Mann iſt ein Philiſter. Es wäre merkwürdig! Iſt er kein Böſewicht, oder iſt er nicht wahnſinnig, iſt er ein Philiſter. Seine königlichen Vorfahren, durch viele Jahrhunderte, waren der Reihe nach, einige groß, die meiſten klein; manchmal gut, öfter ſchlecht; viele leer, die meiſten unmäßig. Aber ſo glatt ge¬ ſtrichen, wie ein Scheffel Hafer, gleich dieſem Louis Philipp, war noch kein franzöſiſcher König. Die Andern hatten ihre Leidenſchaften, ſie hatten ihre Krankheiten; aber dieſe Leidenſchaft der Ruhe, dieſes Ordnungsfieber hatte keiner von ihnen. O Gott! mußte ich das noch erleben, daß die Könige Hofräthe153 werden! Und ſeine Dintenlecker, ſeine beſoldeten Red¬ ner und Zeitungsſchreiber, was ſie ihm Hymnen ſin¬ gen! So wurde nicht Achilles und Hektor, nicht Alexander, nicht Cäſar, nicht Napoleon beſungen. Sie ſagen: vor Antwerpen ſei ein Krieg geführt worden, wie noch keiner. Die Franzoſen hätten nicht für die Freiheit gekämpft, wie unter der Repu¬ blik, nicht für den Ruhm, wie unter Napoleon, ſon¬ dern für die Geſetze hätten ſie gekämpft, es ſei ein legaler Heroismus geweſen. Für die Geſetze wären Frankreichs Heldenſöhne drei Wochen lang zwei Fuß tief im Waſſer geſtanden, und hätten ſich be¬ regnen und niederſchmettern laſſen, und hätten dabei ihren fröhlichen Muth behalten; nicht aber die Mar¬ ſellaiſe geſungen, wie die revolutionairen Blätter ge¬ logen, ſondern die guten Kinder hätten gerufen: vive le roi, vive le roi! ... Und darum jene drei heißen Juli-Tage, und darum kam uns die Sonne um drei Erdfernen näher, um zwei armſelige Könige, einen Regenten und einen Herzog auszubrüten! Ei¬ nen Braunſchweiger Herzog, der kürzlich auf jeden falſchen Zahn ſeiner Unterthanen ſeine Abgabe von zwei Thaler gelegt hat, vierundſechszig Thaler für einen ganz falſchen Mund! (Wenn dieſer gute Her¬ zog viele Beamten und Höflinge hat, muß er ein reicher Fürſt werden.) Und darum dieſes[dreitägige] Feſt, welches die Götter ſelbſt mit ihrer Gegenwart154 beehrten, um den Namenswechſel einiger Tyrannen zu feiern! Und darum verſchleuderte Jupiter in drei Tagen alle ſeine Blitze um ein frommer Juriſt zu werden, und Götter und Menſchen ferner durch Con¬ ferenzen und Protokolle zu beherrſchen! Was iſt da zu machen? Ich will mir einen Haarbeutel anhän¬ gen und mich von dem Fürſten von Sigmaringen zum Legationsrath ernennen laſſen.

Ein deutſcher Eſel in London hat in einem engliſchen Journale von meinen Briefen geſprochen; ein deutſcher Eſel in Leipzig hat das im literariſchen Converſationsblatt überſetzt und ein deutſcher Eſel in Paris hat mir den Artikel zu leſen gegeben und dar¬ auf geſchworen, ein Engländer habe das gemacht. Ein Engländer ſoll geſagt haben: Wir lieben eine vernünftige Preßfreiheit! Ein Engländer ſoll durch vier Seiten von Jude geſprochen und geſagt haben: ich ſei eingeſtandenermaßen ein Jude! Einge¬ ſtandenermaßen wie gefällt Ihnen das? Ein Engländer habe geſagt: das Ganze habe eine Sa¬ tyre ſein ſollen auf das Reden und Treiben der Li¬ beralen! Ein Engländer: ich ſei ein kalter Menſch, ohne allen Enthuſiasmus, und man höre es mir an, daß mir alles gleich wäre, ſo oder ſo! Dieſes Lum¬ pengeſindel iſt nur zu Löſchpapier zu gebrauchen; aber ſie drucken ihr beſtes darauf und nennen es gutes weißes Druckpapier. Sie verſtehen das nicht,155 Sie haben nicht den Witz davon; aber wüßten Sie was das heißt gutes weißes Druckpapier, das gäbe Ihnen ein lebhafteres Bild von unſerm öffent¬ lichen Leben. O das Vieh eingeſtandener¬ maßen!

Vorigen Sommer unternahmen einige Deutſche in London, ein freiſinniges Blatt in deutſcher Sprache. Als dort der Oeſterreichiſche und der Preußiſche Ge¬ ſandte das erfuhren, ließen ſie von einem ihrer ver¬ trauten Geſellen ein ähnliches Blatt ankündigen, das ſie verſchenkten oder wohlfeil weggaben, um das an¬ dere zu unterdrücken. Ihre Abſicht gelang ihnen auch. Wenn man Patriotismus, Muth und Beharrlichkeit genug hätte, mich hier in Paris bei ſolch einem wohlthätigen Unternehmen zu unterſtützen, nicht dem ganzen diplomatiſchen Korps den Nunzius an der Spitze ſollte es gelingen, mich niederzudrücken, zu ſchrecken oder zu beſtechen. Aber .... aber ... gutes weißes Druckpapier!

156

Ein neues Journal auf das kommende Jahr, das heißt auf Morgen angekündigt. L'Europe littéraire,[Journal] de la Littérature na¬ tionale et étrangère. Das einzige Intereſſante bei der Sache iſt, daß Heine die Redaction der deutſchen Litteratur übernommen, alles Uebrige, fürchte ich, iſt Wind und wird zu Waſſer werden wie jeder Wind. Die Natur mag es mir verzeihen wenn ich ihr Unrecht thue, ich weiß wahrhaftig nicht gewiß, ob jeder Wind zu Waſſer wird; aber es ſteht ein¬ mal da. Die Ankündigung des Journals liegt vor mir: Prospectus confidentiel[imprimé] pour MM. les fondateurs et les redacteurs de l'Europe lit¬ téraire. Ich habe keine Geheimniſſe vor Ihnen, und Sie ſollen alles erfahren.

Pour nous faire l'écho fidèle des littératu¬ res et des Arts de tous les peuples, et arriver ainsi à cette universalité qui sera le but constant de nos efforts, nous avons nouer d'immen¬ sesrelations, non seulement avec les acadé¬ mies et les corps savants de nos provinces et des diverses capitales de l'Europe, qui représen¬ tent les centres d' antant de cercles partiels, mais encore nous mettre en rapport direct avéc tous157 les comités littéraires et artistes du monde ci¬ vilisé. Nous devons dire qu'en France, comme à l'étranger, tous les noms célèbres dans la littérature, la philosophie et les diverses bran¬ ches de l'art, ont accueilli notre projet avec le même enthousiasme, et qu'ils ont promis de contribuer de leurs travaux et de leurs noms au succès de cette grande et utile entreprise. Das iſt alles Wind! Was wenigſtens die berühm¬ ten deutſchen Litteratoren betrifft, ſo iſt nicht möglich, daß ſie verſprochen haben, an dem neuen Journale mitzuarbeiten, oder der Hofrath Rouſſeau in Frank¬ furt müßte ein Lügner ſeyn, was auch nicht möglich iſt. Dieſer hat ja kürzlich erſt bekannt gemacht daß die vorzüglichſten Schriftſteller Deutſchlands ſich ver¬ pflichtet hätten in ſein Frankfurter Converſa¬ tions-Blatt zu ſchreiben; und um ein Journal das der Hofrath Rouſſeau redigirt intereſſant zu machen, das allein könnte ſchon alle Kraft und Zeit einiger Dutzend Voltaires beſchäftigen. Was bliebe ihnen für Paris übrig? Alſo gelogen. Weil ich gerade von ihm ſpreche neulich erzählte mir jemand: in einem neuen Bande liri-liri-lirili-lyriſcher Gedichte von Rouſſeau ſtehe auch eine Ode an den berühmten Pfeilſchifter, worin dieſem geſungen wird, er habe wie ein mächtiger Sturmwind, alle Demagogen, gleich welken Blättern vor ſich hergetrieben. Wenn Sie158 mich lieb haben, wenn Sie mich erquicken wollen, ſchicken Sie mir das Gedicht.

Jetzt das Waſſer. La politique sera complètement exclue de l'Europe litté¬ raire. Notre feuille, ainsi concentrée dans le domaine de l'art, restera toujours placée en de¬ hors des passions du moment: elle formera, pour ainsi dire, un territoire neutre, pour¬ roit demeurer et vivre en paix tous les partis et toutes les opinions. Le premier avantage, qui résultera pour notre recueil de cette exclu¬ sion totale de la politique, c'est qu'il pourra franchir toutes les frontières, et trouver auprès de tous les gouvernemens la protection et l'ap¬ pui nécessaires au succès universel qu'il l'am¬ bition d'obtenir. Déjà des hauts patronages sont assurés à l'Europe littéraire. Nous avons l'espoir de[rencontrer] partout cette même bien¬ veillance qui ne manqua jamais aux publica¬ tions dont l'art et le progrès furent le but uni¬ que et special .... Ich muß in der Mitte aufhören um zu horchen; es iſt zehen Minuten vor Mitternacht.

Hoch! Hoch! Hoch!

159

Ich kehre zum franzöſiſch-europäiſch-litterariſchen Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Jour¬ nals ſchrieb früher den Figaro mit viel Geiſt und Witz. Unter der Regierung Caſimir Periers zog er ſich mit ſeinem Witze, ſeinem Gelde und ſeiner Tu¬ gend zurück, und hing, wie man zu ſagen pflegt, die Politik an den Nagel, das haben ſchon viele ge¬ than; es iſt eine gefahrloſe Inokulation des Gal¬ gens. Seitdem lebt er von ſeinen Renten. Die Moral eines Schriftſtellers hat in Frankreich große Fortſchritte gemacht. Der ärgſte Schelm wenn er ſein Gewerbe verſteht, kann mit dem Code moral in der Hand ſich vor die himmliſchen Aſſiſen ſtellen, und Gott und ſeine Engel keck herausfordern, ihm den Paragraphen zu nennen, den er übertreten. Ein deutſcher Journaliſt verkauft ſein Gewiſſen, ein franzöſiſcher verkauft ſeine Aktien. So kömmt das Journal in andere Hände und man braucht die eig¬ nen nicht zu beſchmutzen. Ein deutſcher Journaliſt ſtellt ſich an den Pranger, ein franzöſiſcher begnügt ſich ihn zu verdienen. Der Unternehmer der Eu¬ rope litéraire, der die Gefahren der Tugend einmal kennen gelernt, meidet ſie ängſtlich und, um nicht zum zweitenmale in Verſuchung zu kommen,160 ſeine Aktien zu verkaufen, nahm er ſich lieber vor, das neue Journal von aller Politik rein zu halten. Daher hat er auch hauts patronages gefunden, näm¬ lich eine große Menge Ariſtokraten und Juſte-Milia¬ ner, die das Unternehmen mit Geld unterſtützen. Sie ſind hier wie bei uns, es iſt gar kein Unterſchied. Sie glauben auch, es ſei möglich dem Geiſte der Zeit eine andere Richtung zu geben, und wenn man die Aeſthetik gut bezahlt, werde die ungereimte Po¬ litik zu Grunde gehen. Sie ſehen nicht ein, daß es ihnen an Verſtand mangelt, ſie glauben nur es mangle ihnen an Geld. Sie begreifen nicht, daß es ihnen an Kopf fehlt, ſie meinen es fehlen ihnen nur die Köpfe Anderer zum Abſchlagen. Käme ich morgen zu dem erſten Miniſter jedes Staates auf dem europäiſchen Feſtlande und brächte ihm tauſend Million Dukaten und einen ausführbaren Plan, hun¬ dert Tauſend unruhige Köpfe nach beliebiger Auswahl herunter zu ſchlagen er beſtellte mich auf über¬ morgen wieder, und verſpräche mir bis dahin die gute alte Zeit wieder herzuſtellen. Ich glaube ihr Irren kömmt daher, daß ſie die Geſchichte nicht kennen oder nicht verſtanden haben, die Welt wurde immer von einer Idee beherrſcht, und Völker wie ihre Regie¬ rungen mußten ſich ihr unterwerfen. Zwiſchen einer und der andern Idee, kam aber immer ein Jahr¬ hundert des Stillſtandes; da ſchlief die Menſchheit. 161Dieſe Zeit des Schlafes benutzten die Machthaber um die Völker zu unterjochen. Dieſe erwachten und da gab es Revolutionen da war erſt das Chri¬ ſtenthum, dann die Völkerwanderung, dann kamen die Kreuzzüge, darauf die Rückkehr der Künſte und Wiſſen¬ ſchaften nach Europa, dann folgte die Reformation, endlich die Idee der Freiheit. Zwiſchen dem Frieden der die Religionsſtreitigkeiten endigte und der franzö¬ ſiſchen Revolution war ein Jahrhundert des Schlafes, und während dieſer Zeit bildete ſich das miniſterielle Regieren aus, das früher gar nicht ſtatt fand. Die Menſchheit erwachte endlich und ihr neues Tage¬ werk war die Idee der Freiheit, für die Machthaber die gefährlichſte unter allen; denn die Freiheit iſt eigentlich keine Idee, ſondern nur die Möglichkeit, jede beliebige Idee zu faſſen, zu verfolgen und feſt¬ zuhalten. Man kann eine Idee durch eine andere verdrängen, nur die der Freiheit nicht. Wenn die Fürſten ihren Völkern ſagen: wir geben euch Friede, Ordnung, Religion, Kunſt, Wiſſenſchaft, Handel, Gewerbe, Reichthum für die Freiheit antworteten die Völker: Freiheit iſt das alle zugleich; wozu ſie wechſeln laſſen, wozu uns mit der Scheidemünze un¬ ſeres Glücks beſchleppen? Es iſt alſo da gar nichts zu machen und die Europe littéraire wird die Welt nicht ändern. Uebrigens erſcheint ſie viermal wöchentlich in groß Folio sur papier grand-raisinV. 11162vélin, satiné. Das würde man bei uns ein Prachtwerk nennen, ein deutſches Nationalwerk. Da¬ von würden nur 36 Exemplare abgezogen für unſere 36 Fürſten, die andern aber bekämen das Journal auf gutem weißem Druckpapier.

Heute Vormittag habe ich im magnetiſchen Schlafe die Poſtzeitung von dieſem Morgen geleſen. Auf der erſten Seite ſteht ein Neujahrsgedicht, von Glaube, Liebe und Hoffnung. Glaube iſt Friedrich Wilhelm, Liebe iſt Franz und Hoff¬ nung iſt Nicolas. Habe ich recht geleſen? Spä¬ ter ward es mir etwas dunkel und ich konnte nicht unterſcheiden ob Jakob hatte ſieben Söhne darin ſteht.

163

Sie ſind klug. Sie geben mir auf Neujahr ein Trinkgeld und ziehen mir es dann an meinem Lohne wieder ab. Warum habe ich heute keinen Brief von Ihnen? Iſt das Recht? Iſt das ſchön?

11*
[164]

Fuͤnfzehnter Brief.

Ihr Päckchen wurde mir geſtern gebracht: Die Didaskalia, die Xenien, der Taback, das Büchlein von Goethe und der falſche Liberalismus. Den letz¬ tern habe ich jetzt zweimal. Es entgeht keiner[ſei¬ nem] Schickſale: ich und der Krug, wir waren be¬ ſtimmt: er, von mir geleſen zu werden, ich, ihn zu leſen. Erſt vor wenigen Tagen kaufte ich ihn für dreißig Sous, weil man mir geſagt, daß ich darin ſtünde. Ich las die Stelle, die mich betrifft, welche mich meine Neugierde leicht finden ließ, und dann wollte ich die Schrift von vorn leſen. Aber bei'm Aufſchneiden der Blätter fand ich: Die Servilen wollen ſehr viel, aber die Liberalen wollen lieber alles und das ſei das witzigſte was je aus165 einem deutſchen Munde gekommen und könne ſich mit dem beſten franzöſiſchen Calembourg meſſen. Dann kam unter meinem Meſſer hervor: ebendeshalb . Da verlor ich die Geduld. Was ſoll ich mit ſo einer alten Köchin machen? Was kann ich mit ei¬ nem Hofrathe anfangen, der Ebendeshalb ſchreibt? Eben deshalb warf ich das Buch in meinen Papier¬ korb. Da Sie mir es aber auch geſchickt, erkenne ich darin den Finger Gottes. Ich werde es leſen und Ihnen dann meine Meinung darüber ſagen. Dieſer Krug iſt Profeſſor in Leipzig und hat nach der polniſchen Revolution, weil er gegen die Polen geſchrieben ich weiß nicht, ob Prügel bekommen, oder Prügel verdient, oder Prügel gefürchtet. Aber eins von dieſen drei Dingen hat ſich ereignet. Er iſt einer der breiteſten Köpfe Deutſchlands. Die ſchöne Welt hält ihn für einen großen Philoſophen, weil er ſo langweilig iſt, und die Philoſophen halten ihn für einen ſchönen Geiſt, weil er ſo ſeicht iſt. Ich aber halte ihn weder für das eine, noch für das andere, ſondern für einen Lump. Er ſchreibt über alles was geſchieht ganz jämmerlich, und wenn ich die Geſchichte wäre, wollte ich lieber gar keine Geſchäfte machen, als ſolch einen Buchhalter haben. Er iſt ein litera¬ riſcher armer Teufel, der ſich jeden Tag vor der Thüre des Welttheaters hinſtellt und ſo oft ein166 Stück aus iſt, die Hand aufhält und bettelt. Kurz, er iſt ein Ebendeshalb und ein Hofrath.

Wozu Sie mir die fünf Blätter Disdaskalia geſchickt, begreife ich auch nicht recht. Ich glaube Sie wollen mich ärgern. Da iſt zuerſt: Lionell und Arabella, (Fortſetzung) Arabelle ſchauderte bei dieſen Worten in ſich zuſammen und drängte ſich näher an den Mann ihrer Liebe, als ſuche ſie Schutz bei ihm vor unſichtbarer Gefahr. Er ſchloß ſie feſt an ſich, legte ihr niedergeſunkenes Haupt an ſeine Bruſt und ſprach feierlich: Weib meines Herzens! Weib meines Herzens! um auch feierlich zu ſprechen was kommen Sie mir mit ſolchen Sachen? ... Ferner: Predigt über ei¬ nen Roſenſtock. (Schluß) Wie viele Küße würde man z. B. um ſo[manche] meiner ſchönen Zuhörer¬ innen finden? Davon verſtehe ich nicht einmal die Grammatik ... Weiter: Sitzung des Aſſi¬ ſenhofs in Mainz. (Schluß). Am 29. März ſteckt er ein Meſſer in ſeine Hoſentaſche ... Unterhaltungen auf dem Marktſchiffe zwi¬ ſchen Frankfurt und Mainz. (Fortſetzung.) Hinter mir ſaß ein Mägdlein .... Dresden den 25. Novbr. Die erfreuliche Nachricht von der Vermählung unſeres Mitregenten mit einer Prinzeſſin aus dem Hauſe Wittelsbach iſt nun hier für niemanden ein Geheimniß mehr. Es iſt zu167 hoffen, daß dieſe neue Verbindung zwiſchen zwei bereits verſchwägerten Familien auch ſegensreich für die beiden Länder wirken werde. Ich gratulire und hoffe auch.

Bitte ſehr um Verzeihung. Da finde ich end¬ lich den Artikel, den Sie mit einem Kreuzchen bezeich¬ net, den Aufruf an die Germanier des Herrn von Hallberg. Sie hätten aber ein großes Kreuz davor ſetzen ſollen. Danke für den guten Willen; doch ich habe den Artikel ſchon vor drei Wochen ge¬ leſen, ihn gerupft und gebraten wie eine Gans und ihn ganz allein verzehrt, ohne Sie zu Gaſte zu bit¬ ten. Es thut mir leid, aber es iſt nichts mehr da¬ von übrig als ein Stückchen Erinnerung. Dieſer Freiherr von Hallberg auf der Birkeneck bei Freiſing, auch unter dem Namen Eremit von Gauding bekannt, mag ein ehrlicher Mann ſeyn, der es gut meint; aber irgend ein Hof-Federfuchſer, der vielleicht an dem Tage gerade bei ihm ſchmarozt, hat ihm wohl den Aufruf in die Feder diktirt. Griechenland ſolle das Baieriſche Algier werden! Dahin kann es freilich noch kommen. Die Geſchichte der Deut¬ ſchen blieb leer ſeit ſiebzehen Jahren, bis ein gro¬ ßer, hochherziger König das alte unterdrückte Volk der Griechen in Schutz nahm, und ihm ſei¬ nen Sohn als König gab. Schön geſagt! (Ich bin ſchläfrig. 11 Uhr) die Deutſchen ſollen nicht nach168 Amerika gehen, dort Knechte zu werden; ſondern nach Griechenland, um dort unter Baieriſch-Ruſſiſcher Regentſchaft freie Männer zu ſeyn. Da wären die beſten Früchte, Wein, ſchöne Mädchen, Da könnt Ihr Euren Muth zeigen. Gute Nacht.

169

Ich habe die Xenien geleſen und habe mich ſehr daran ergötzt. Die Hauptſache iſt jetzt, die ſchläfri¬ gen Deutſchen wach zu erhalten, ſei es durch Kaffe oder Schnupftaback, ſei es durch ſingen oder ſchreien gleichviel; nur daß ſie nicht einſchlafen. Schla¬ fend durch die Pontiniſchen Sümpfe zu reiſen, ſoll lebensgefährlich ſein. Viele Xenien haben mir unge¬ mein gut gefallen, beſonders die über mich ver¬ ſteht ſich. Grob ſind ſie freilich alle, grobianißimo. Aber was liegt daran, wie eine Katze die Mäuſe abthut, wenn wir ſie dadurch los werden? Auch hat ja der Dichter ſehr gut erklärt warum die Gra¬ zien ausgeblieben. Aber ſeine hebräiſchen Späße ſind entſetzlich einfältig. Das war wohl die Vermögens¬ ſteuer des Frankfurter Bürgers, und der Mann hat ſich aus Eitelkeit für dümmer angegeben als er iſt. Er mag ſich hüten, daß Heine nicht über ihn kömmt, er mag ſeine Nachtmütze nur recht tief über die Au¬ gen herunterziehen. Erinnern Sie ſich:

170

Gefährlicher Bund?

Schmul und Heyum ſie ſchreiben als deutſche Männer für Freiheit,
Kommt noch der Itzig dazu, ſtürzen die Fürſten vom Thron.

Nun, warum nicht? Wenn ein Jude ſtark genug iſt, die wankenden Fürſten auf ihren wanken¬ den Thronen zu halten, warum ſollten drei Juden nicht Macht genug haben ſie herunter zu ſtürzen? Auch Chriſtus war ein Jude, und er hat die Göt¬ ter aus dem Olymp geſtürzt, und das war doch eine ganz andere Fürſtenſchaft als die der heiligen Allianz und des hohen deutſchen Bundes! Wo iſt jetzt Ju¬ piter mit ſeinen Blitzen? Vor unſerm Spotte ſchützt ihn nur unſer Vergeſſen und das hat ein Jude gethan! Ich glaube, der Schmul bin ich, und der Heyum wird wohl Heine ſeyn; aber wo bleibt der Itzig? Itzig! Itzig! Itzig! Itzig! ... Es giebt aber doch nichts dümmeres als ſo ein deut¬ ſcher Philiſter, beſonders wenn er ein Gelehrter iſt. Sie kennen mich, ich kenne die Andern nicht Ei¬ ner unter uns dachte je an den Juden; nie, ſo oft wir die Dummköpfe und Philiſter züchtigten kam es171 uns in den Sinn, daß es die nehmliche Peitſche ſei, mit der ſie ſelbſt uns einſt geſchlagen! Und jetzt kommen ſie und erinnern daran, und bringen uns täglich die ſchönſten Schadenfreuden in das Haus! So dumm zu ſeyn ich verliere mich darin.

172

Am Neujahrstage o! Man könnte den Verſtand darüber verlieren. Die Juli-Revolution, ein Zorn-Vulkan von dem Himmel ſelbſt geladen, da¬ mit die Könige zu ſchrecken und zu ſtrafen, iſt ein waſſerſpeiender Berg geworden, den Völkern zum Verdruße und den Fürſten zum Geſpötte! Ich fürchte, daß ich aus Verzweiflung noch ein Dichter werde und mich blamire. Am Neujahrstage, dieſem monarchiſchen Erndtefeſte überall wo Land und Gut des Volks, das Landgut des Fürſten bilden, haben Philipps Knechte, die ſchweren Garben Frankreichs, ſein Glück und ſeinen Ruhm, ſeine Tugend und ſeine Ehre, ſeine Roſen und ſeine Lorbeeren ha¬ ben das duftende Heu der dürren Rednerblumen ihm auf Wagen jauchzend in den Hof gefahren. Feld und Wieſe, alles dem König; wer nicht ſein Kind iſt, iſt ſein Knecht. Man ſchämt ſich ein Menſch zu ſein. Wer weiß, ob nicht das Pferd in edlem Zorne ſeinem Reuter flucht; nur verſtehen wir ſein Wiehern nicht. Aber das gezäumte Menſchenvolk küßt die Sporen ſeines Reiters. Sie haben den König Vater des Vaterlands genannt: dies Findelkind vom Greve-Platze! Das franzöſiſche173 Heer in Belgien wurde glücklich geprieſen, von zwei königlichen Prinzen Beiſpiele der Tapferkeit zur Nach¬ ahmung zu erhalten. Die grauen Helden von Ma¬ rengo wurden in die Kriegsſchule zweier Milchſuppen - Geſichter gegeben! Sie haben den König geſagt: er hätte die Cholera beſiegt, vor ſeiner Barmherzig¬ keit hätte ſich die unbarmherzige Vorſehung geflüchtet Sie haben ihn vergöttert, daß er im Juni ſeine Feinde niedergeſchlagen, und mehr als jede andere Schmeichelei, hat König Louis Philipp dieſe mit Wol¬ luſt eingeſchlürft. Er hat geprahlt und geſpottet: Die Republik wäre erbleicht vor ſeinem Sterne. Es war ein Bürgerkrieg, Bürgerblut war gefloſſen; ein König ſollte das vergeſſen, oder kann er es nicht vor Schmerz, einen Trauerflor über ſeine Erinnerung hängen. Aber dieſer König rühmt ſich ſeines Sieges und jubelt darüber wie ein Schneider der einmal Muth gehabt aus Furcht. Der Schmerz und die Verachtung der edelſten Franzoſen kümmert ihn nicht, ihm lächelt der Beifall ſeiner Brüder in Wien, Berlin und Petersburg. Und in der Mitte, nicht, wie ſeine Schmeichler ſagten, an der Spitze von vierzig tauſend Soldaten, iſt er gegen drei hun¬ dert Republikaner gezogen, die ſich wie Helden ver¬ theidigt.

Frankreich hat das Scharlachfieber; Blutigel rund am Halſe, Purpur über den ganzen Leib und174 zum Königsmantel muß es ſich die Haut abziehen. Der alte Rieſe mit einer Kinderkrankheit! Scham¬ rother Purpur! Herr Hofrath Frankreich! Herr, deine Hand liegt ſchwer auf deinem Knechte; aber ich will es für meine Sünden in Demuth tragen.

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Sechszehnter Brief.

Ueber Frankfurt habe ich merkwürdige Dinge erfahren, theils aus guten gedruckten Quellen, theils aus den mündlichen Berichten eines ſehr glaubwür¬ digen Reiſenden. Von meiner theuren Geſandtſchaft dort erfahre ich nie das Geringſte; wenn dieſe dinirt hat, denkt ſie, ſie habe auch genug repräſentirt und eine geheime Schublade iſt ihr heilig. Das ſoll aber anders werden. Erſtens, habe ich aus dem Theater¬ Repertoire für den Monat December, das in der Didaskalia ſteht, erſehen, wie in Zeit von wenigen Tagen, vier verſchiedene Stücke von Shakespeare auf¬ geführt worden ſind; und nicht etwa der alte Hamlet176 mit ſeinem ewigen Sein und Nichtſein, ſondern die zwei Heinriche, Richard, Lear. Das iſt ja zum erſtaunen, das hat ſich ja ſehr zum Guten geändert. Waren ſie denn nie bei einer ſolchen Aufführung? wie wird geſpielt? wie der junge Heinrich, wie Fal¬ ſtaff? In der That, ich freue mich darüber um Frank¬ furts Willen. Ich bin der Meinung, daß man durch das Schauſpiel auf den öffentlichen Geiſt einwirken könnne ſo abgeſtumpft man auch gegen ſolche Reiz¬ mittel ſein mag. Ein guter Bürger der aus einem Stücke von Shakespeare kömmt, kann noch den nehm¬ lichen Abend ſeinen beſten Freund todtſtechen, aber ihn todt langweilen, das kann er nicht.

Ferner wurde mir erzählt, man habe mehrere aus¬ gezeichnete Juden zu Mitgliedern des Muſeums auf¬ genommen und allen ohne Unterſchied erlaubt, Aecker zu kaufen und Landwirthſchaft zu treiben. Sehen Sie, mein eignes Feld, das ich ſeit fünfzehen Jah¬ ren im Schweiße meines Angeſichts bebaue, fängt an grün zu werden. Man muß nur die Geduld nicht verlieren; die geiſtige Erdkugel dreht ſich alle Jahr¬ hundert nur einmal um die Sonne. Aber Geduld! Ich habe ſchon oft daran gedacht, ob nicht möglich wäre, wie Geldanleihen, Geduldanleihen zu machen, und ſo wie die Fürſten durch Rothſchild ſich die Ab¬ gaben der Urenkel ihrer Unterthanen ein Jahrhun¬ dert voraus bezahlen laſſen, uns auch die Geduld177 die unſern Urenkeln zufallen wird voraus zu nehmen. Das letzere wäre unſchädlicher als das erſtere iſt; denn unſere Urenkel werden keine Geduld brauchen. Im Gegentheile, alsdann werden die ſie brauchen, gegen die wir ſie jetzt brauchen. Uebrigens bleibt es immer ſchön was die Direktoren des Muſeums und der Geſetzgebende Körper gethan haben. Zugleich hoffe ich aber daß ſie bei ihren Reformen mit weiſer Vorſicht zu Werke gehen werden. Sie haben wegen der Juden ſchöne Beſchlüſſe gefaßt; das möge aber hinreichen für gegenwärtiges Jahrhundert, die Aus¬ führung bleibe dem kommenden vorbehalten. Sie mögen beherzigen was der Kaiſer von Oeſterreich kürzlich in der Rede geſagt, mit welcher er den Un¬ gariſchen Landtag eröffnete. Er ſagte nehmlich: Schwierig ſind die Geſchäfte zu deren Verhandlun¬ gen wir euch diesmal berufen haben; ſie übertreffen weit alle die Gegenſtände, worüber während der vierzigjährigen Dauer meiner Regierung auf Reichs¬ tagen zu berathen war ... Unſere Väter haben durch das, was ſie im 91 ſten Jahre des vo¬ rigen Jahrhunderts beſchloſſen ihre Sorg¬ falt bereits auf dieſen Gegenſtand gewendet, die Art und Weiſe der Ausführung aber, welche reichlichen Stoff ſich um das Vaterland verdient zu machen darbietet, uns ganz überlaſſen. Und jetzt fordert der Kaiſer ſeine getreuen Stände auf,V. 12178bei dieſen Verhandlungen langſam und vorſichtig zu Werke zu gehen, und den gefährlichen Reizen der Neuerungen zu widerſtehen. Wenn nun der Kaiſer von Oeſterreich ſogar einen reichlichen Stoff ſich um das Vaterland verdient zu machen, vierzig Jahre geſchont hat, wie viel nöthi¬ ger iſt es, daß die Regierung des kleinen Frankfurts einen ſo ärmlichen Stoff als die[Verbeſſerung] des Zuſtandes der Juden iſt, nicht zu früh angreife, ſon¬ dern durch Aufhäufung der Zinſen das Kapital wach¬ ſen laſſe, damit der Stoff ſich um das Vaterland verdient zu machen nach verzig Jahren auch reich werde.

Ihnen aber gebe ich jetzt drei Aufträge und einen zwar freundſchaftlichen aber ernſt gemeinten Rath. Erſtens, gehen Sie in das Theater und ſehen Sie wie Richard hinkt. Zweitens gehen Sie in das Muſeum und geben Acht, ob nicht die g moll-Sym¬ phonie von Mozart, aus Verdruß das ſie Juden mit anhören, in das Dur überſpringt. Drittens, laſſen Sie auf dem Römer Erkundigungen einziehen ob man die Aecker der Juden in dem Grund Lager¬ buche unter der Rubrik Aecker jüdiſcher Nation einſchreibe. Mein Rath iſt: berichten Sie mir künftig beſſer, ſonſt werden Sie zurückberufen; dann giebt es Kriegsfurcht, die Papiere fallen und die179 Handels-Kammerdiener erheben ein Jammergeſchrei daß alle Milch davon gerinnt.

Haben Sie die Thronrede des Gro߬ herzogs von Darmſtadt geleſen? Schlafen Sie recht wohl.

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Von Chateaubriand iſt eine neue Schrift erſchie¬ nen: Mémoire sur la captivité de la de Madame la Duchesse de Berry. Sie ſollen ſich aus Freundſchaft für mich etwas darüber freuen; denn dieſer gute Mann nimmt mir jeden Winter die Hälfte meines Zornes ab. So oft er erſcheint, gehe ich in mein Zelt und laſſe ihn kämpfen. Freilich muß ich dieſe Hülfe mit melancholiſchen Gedanken bezahlen. Wenn ich ſehe, wie ein ſo geiſtreicher und edler Menſch von der Legitimität faſelt, greife ich nach meinem Kopfe und rufe betrübt aus: Auch Chateaubriand hat den Verſtand verloren und war doch mehr als du! Die Legitimität, dieſe Hoff¬ nungsloſigkeit des Unglücks, dieſe Erblichkeit der tief¬ ſten menſchlichen Erniedrigung das vertheidigen, das preiſen! O Wahnſinn!

Als Chateaubriand von der Gefangenſchaft der Herzogin erfuhr, eilte er aus der Schweiz nach Pa¬ ris, und bot ſich ihr in einem Schreiben zu ihrem Sachwalter an. Aber die Miniſter erlaubten weder ihm noch ſeinen Briefen den Einlaß in Blaye. Schon dreimal ſeit der Revolution hat Chateaubriand von der Welt Abſchied genommen und ſich in die Ein¬ ſamkeit begeben, und dreimal ſchon kehrte er zurück. 181Er ſagt: Ich habe Hunger und Durſt nach Ruhe; es kann mir keiner läſtiger ſein als ich es mir ſelbſt bin; aber ich ſuche mich mit meiner eignen Achtung von der Welt zurückzuziehen: man ſehe ſich vor welche Geſellſchaft man in der Einſamkeit wähle. Nun, warum hat er nicht gleich das erſtemal als er Paris verließ ſeine Selbſtachtung mitgenommen? Wie vergißt man dreimal ſein Paket zu machen? Ja, die Berry iſt unterdeſſen gefangen worden! Nun was geht ihn die Herzogin an? Man höre, meine Denkſchrift über das Leben und den Tod des Herzogs von Berry, in die Haare der Wittwe gewickelt, die jetzt im Kerker ſchmachtet, liegt bei dem Herzen, das Louvel dem Herzen Hein¬ richs IV. noch ähnlicher machte. Ich habe dieſe ausgezeichnete Ehre (insigne honneur) nicht vergeſſen, die im gegenwärtigen Augenblicke die Be¬ zahlung fordert; ich fühle lebhaft meine Schuld. Das iſt artig. Ich ließe es mir ſelbſt gut gefallen, wenn eine ſchöne Witte ihr langes ſeidnes Haar um meine Schriften flechtete; aber ſie hineinlegen in die Todesurne, zu dem Herzen ihres Mannes nichts da! Man kann nicht wiſſen, ob ſie nicht eine Wittwe von Epheſus iſt, die nach vier Wochen die Haare wieder herausnimmt, ſie ihrem neuen Liebhaber zu ſchenken, und dann meine Schriften allein verfaulen läßt bei dem Herzen des geliebten Todten. Nichts182 da, und habe ich nicht recht, daß ich nach meinem Kopfe fühle? Notre-Dame de Blaye, nennt Chateaubriand die Herzogin und erzählt von den Wallfahrten, die fromme Gläubige in großen Schaa¬ ren dahin machten. Er ſagt: man wirft mir vor, daß ich eine Familie dem Vaterlande vorziehe. Nein; ich ziehe die Treue des Eides, dem Mein¬ eide, die moraliſche Welt der materiellen Geſellſchaft vor. Das iſts. Freilich iſt es das, nach der Lehre der Monarchiſten. Der Räuber nachdem er ſein Handgeld empfangen und dem Hauptmanne Treue geſchworen, darf plündern und morden; denn Treue iſt heiliger denn das körperliche Wohlbehagen der Wanderer!

Chateaubriand meint: nur die Legitimität gäbe einer Regierung und der bürgerlichen Ordnung Dauer¬ haftigkeit. Aber wäre dies auch, wie es nicht iſt, was würde das beweiſen? Nicht die Dauerhaftig¬ keit, der Vollgenuß iſt die Beſtimmung jedes Daſeins. Es kömmt nicht darauf an lange, ſondern viel zu leben. Nichts iſt dauerhafter als ein Stein, aber die Pflanze, das Thier vergehen ſchnell. Wenn die Oe¬ ſterreichiſche Monarchie noch zehen Tauſend Jahre lebte und der Nordamerikaniſche Freiſtaat endigte morgen, in ſeinem fünfzigſten Jahre, wäre darum Oeſterreich ein beſſerer, ein glücklicherer Staat als Nordamerika geweſen? Napoleon ſagte auf St. He¬183 lena: Daß meine Dynaſtie nicht älter war, das hat mich zu Grunde gerichtet. Noch vom Fuße der Pyrenäen hätte ich mich wieder emporgehoben, wäre ich mein Enkel geweſen. Und daraus will Chateau¬ briand die Herrlichkeit der Legitimität beweiſen! Gu¬ ter Gott! Das beweißt ja eben ihr Fluchwürdiges, ihre Verderblichkeit. Das große Glück, wenn Na¬ poleon noch zwanzig Jahre länger die Völker Euro¬ pens auf dem Altare ſeines Ehrgeizes hätte ſchlach¬ ten dürfen! Das ſchöne Loos der Franzoſen, wenn Napoleon, als legitimer Fürſt mit ſeinen gekrönten Vettern befreundet, der Freiheit und Gleichheit, die er im Kriege als Waffen gegen ſie gebrauchte dann gar nicht mehr bedürftig, Frankreich völlig zur Ga¬ leere hätte machen können!

Was iſt es aber, was einer legitimen Monar¬ chie größere Dauerhaftigkeit gewährt, als einer uſur¬ pirten oder einer Republik? Etwa weil erſtere in den Herzen der Völker Wurzeln ſchlägt? O nein. Es iſt nichts, als daß alle Fürſten die Sache eines legitimen Monarchen als eine Familienangelegenheit, als ihre eigne betrachten, und ihm darum in Gefah¬ ren Beiſtand leiſten. Es iſt nichts, als weil die le¬ gitimen Fürſten alle Uſurpatoren und Republiken als Broddiebe haſſen und ſie offen oder heimlich, mit Gewalt oder mit Liſt zu Grunde zu richten ſuchen. Redet von der Macht der legitimen Fürſten, redet184 aber nicht von ihrem Rechte. Sagt, daß die Völker einen ligitimen Fürſten fürchten, ſagt aber nicht, daß ſie ihn lieben. Die Franzoſen haben dreimal die Bourbons verjagt, ſo legitim ſie waren, und haben für den Uſurpator Napoleon mehr gethan als je für einen ihrer Könige; denn ſie liebten ihn. Die Schweizeriſche Republik lebt ſchon ein halbes Jahr¬ tauſend im Glücke und Frieden, weil ſie ihre Berge gegen die Fürſten ſchützte oder dieſe über die Thei¬ lung des Raubes nicht einig werden konnten. Nord¬ amerika genießt ſeit ſechszig Jahren Freiheit und Ordnung, weil es die Könige nicht erreichen können. Don Pedro iſt ein legitimer Fürſt, warum gelingt es ihm nicht? Weil er ſeinem Volke die Freiheit zu geben gedenkt und ihn darum ſeine gekrönten Brüder als ein unwürdiges Glied aus der Familie geſtoßen, und ihm ſchaden ſoviel ſie können. Don Miguel iſt ein Uſurpator, warum erhält er ſich? Weil er die Tyrannei meiſterhaft handhabt, und die entzückten Fürſten ihm darum heimlich Beiſtand leiſten. Das iſt der Segen der Legitimität, daß iſt die Ruhe und Ordnung in Monarchien: man findet ſich mit den Räubern ab, und gegen den Beutel laſſen ſie uns das Leben. Und will einer ſein Leben und ſeinen Beutel behalten, ſchlägt man ihn todt und dann heißt es: Seht! das ſind die blutigen Folgen der Revolu¬ tionen. Vor einigen Jahren machte Vidocq der185 Regierung den Vorſchlag: er wolle jede geſtohlene Sache gegen dreißig Prozente ihres Werthes zurück¬ ſchaffen. Nun, wer ſich mit zwei Dritt-Theile ſei¬ nes Glückes begnügen will, wer nicht den Verſtand und den Muth hat, Diebe und Räuber von ſeinem Eigenthume abzuhalten, der hat Recht die Monar¬ chien zu lieben.

Chateaubriand, als Sachwalter der Berry, ſpricht von ihrem Rechte nach Frankreich zu kommen um die Krone ihres Sohnes zu fordern. Sie iſt Mutter; er berufe ſich auf das Herz jeder Mutter. Das iſt ſtark! Ich ſehe[ganz] deutlich, was alles in einem mütterlichen Herzen liegt, aber eine Krone ſehe ich nicht darin. Eine Mutter mag für ihr Kind ein Schaukelpferd, eine Puppe kaufen; aber dreißig Mil¬ lionen Franzoſen zum Spielwaaren Lager! Aber ein Land wie Frankreich zur Schachtel! O Herr Vi¬ comte! Es iſt Ihr Ernſt nicht. Nein, was wir armen Menſchen jetzt geplagt ſind, die Steine könn¬ ten ſich darüber erbarmen! Früher hatte man es doch nur mit erwachſenen, mit regierenden Fürſten zu thun, jetzt quälen uns die fürſtlichen Kinder, ſchon während dem Leben ihrer Eltern! Da iſt der Her¬ zog von Bordeaux, da iſt die Donna Maria, da iſt die Tochter der Königin von Spanien, die erſt ei¬ nige Monate alt iſt. Als gebe es kein anderes Mit¬186 tel die Schmerzen eines zahnenden Kindes zu ſtillen, als ihm einen Scepter in den Mund zu ſtecken!

Was Chateaubriand noch ferner von den Rech¬ ten der Berry ſagt, das kümmert mich nicht; nicht darum habe ich ſeine Schrift geleſen, nicht darum ſchreibe ich Ihnen davon. Ich will mich nur an das halten, was er gegen unſern gemeinſchaftlichen Feind hervorgebracht, daran will ich mich erquicken. Sie erkennen an Chateaubriand und mir, das wirklich ein Bündniß zwiſchen den Carliſten und Republikanern beſteht. Es iſt die Sympathie des Haſſes gegen die beſtehende Ordnung der Dinge. Ob aber die Repu¬ blikaner und die Carliſten ſich auf der Gaſſe und in geheimen Clubbs zu Thaten vereinigt, bezweifle ich. Es wäre dumm von den Republikanern und toll von den Carliſten. Erſtere könnten leicht überliſtet werden, denn die Carliſten haben das Geld, alſo auch den Verſtand; dieſe aber, würden, ſobald die jetzige Regierung geſtürzt wäre, ehe ihnen Hülfe von außen käme, und würden ihnen die Armeen auf[Dampfwagen] zugeführt, alle todt geſchlagen werden, ſo daß keiner von ihnen übrig bliebe, ſich des Sie¬ ges der Legitimität zu erfreuen.

Sehen wir jetzt wie der neue Jeremias ſieden¬ des Oel auf die Köpfe der Sünder herabgießt. Wenn in dieſer Wüſte ohne Spur von Geiſt und Herz ſich am Horizont ein großes einſames Denk¬187 mal zeigt, wenden ſich plötzlich alle Blicke dahin. Die Frau Herzogin von Berry erſcheint um ſo er¬ habener, als alles rund um ſie her flach iſt. Ja, ſie hätte zu fürchten verkannt zu werden, denn ſie iſt dieſſeits oder jenſeits eines Jahrhunderts das ihres Gleichen hervorzubringen vermochte. Um zu bewundern muß man faſſen; der Muth bleibt der Furcht ſtets ein Geheimniß; die Mittelmäßigkeit knurrt den Genius an. Die Gefangene von Blaye iſt nicht von ihrer Zeit, ihr Ruhm iſt ein Anachro¬ nismus. Larifari! Doch ſind es reſpektabele gol¬ dene Lügen und ich ziehe meinen Hut vor ihnen ab. Es ſind noch keine vierzehen Tage, daß Chateaubri¬ ands Schrift erſchienen und ſchon ſind dreißig Tau¬ ſend Exemplare davon gekauft, die dem edlen[Ver¬ faſſer] fünfzig Tauſend Franken eingebracht haben. Die Legitimiſten nehmlich haben auf dieſe delikate Weiſe ſeine Treue belohnen wollen. Jetzt kann doch Chateaubriand mit ſeiner eigenen Achtung nach Genf zurückkehren und in ſeiner Einſamkeit die ſehr ange¬ nehme Geſellſchaft von hundert Bankzetteln genießen. Fünfzig Tauſend Franken für ſieben Bogen, die Ar¬ beit einiger Tage! So viel hat mir mein dicker Li¬ beralismus in meinem ganzen Leben nicht eingebracht. Der Mund wäſſert einem darnach ein Royaliſt zu werden. Zum Glücke bezahlen ſie einem in Deutſch¬ land ſchlecht. Um fünfzig tauſend Franken zu ver¬188 dienen, müßte ich die Schweiz, ganz Nordamerika, Columbien, Buenos-Ayres, Mexiko todtſchlagen und fünf oder ſechs Preßfreiheiten, eben ſo viele Conſtitu¬ tionen, die Reformbill, den Dr. Wirth, den ganzen Hambacher Berg, Rotteck, Welcker, und zum Deſert mich ſelbſt verſchlingen. Das wäre ein ſaurer Ver¬ dienſt.

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Ich will Ihnen wieder einen Beweis geben, daß die Tugend beloht wird, was Sie mir ſo oft nicht glauben wollten. Verfloſſenen Samſtag wollte ich auf den Opernball gehen. Einige Tage vorher, hörte ich, daß auf dem Theater (im le mari et l'a¬ mant) eine Couſine in der Provinz, ihren Vetter der zum erſtenmale nach Paris reiſte, die Lehre gab: surtout Charles, n'allez pas au bal de l'opéra; on s'y perd. Trotz dieſer Warnung aber gedachte ich doch hinzugehen, ſo mächtig wirkt das Laſter auf junges Blut. Auf dem Wege aber fing mir an das Gewiſſen zu zittern, oder was es ſonſt war; es war ſehr kalt. An der Ecke des Boulevard ſtand ich am Scheidewege des Herkules. Da ging ich nach Hauſe zurück und ſchlief, wie man nach einer edlen Hand¬ lung zu ſchlafen pflegt. Am andern Morgen erfuhr ich, daß auf dem Balle ein gräulicher Lärm geweſen. Die neue moraliſche Polizei des Jüſte-Milieu, wollte, ich weiß nicht welchen Bachantiſchen Tanz, verbieten. Darüber gab es Streit, die Gendsarmerie drang ein, mishandelte viele, und nahm mehrere gefangen. Das Luſtigſte bei der Sache aber war, daß die Polizei diesmal die Witterung verloren, und gerade die edelſte Jugend des Jüſte-Milieu, königliche Beamte, Ban¬190 quierſöhne und andere ſolche Heilige angetaſtet hatte. Sie mußten den andern Tag ſehr um Verzeihung bitten. Wäre ich nun dabei geweſen, ich hätte ſehr leicht in die Bachanalien, die Schläge und das Ge¬ fängniß mit hinein gezogen werden können. Meine Tugend bewahrte mich davor.

Ich kehre zu Chateaubriand zurück. Ich ge¬ ſtehe es Ihnen aufrichtig, die fünfzigtauſend Franken wollen mir gar nicht aus dem Kopfe. Was meinen Sie, würde es wohl meiner Seligkeit viel ſchaden, wenn ich einmal ſieben Bogen gegen meine Geſin¬ nung ſchriebe? Ach! wär 'ich doch ein Katholik und könnte an die Wirkſamkeit der Abſolution glauben! Chateaubriand fährt fort: man entgegnet mir: Die Herzogin von Berry ſei in keiner ſo großen Gefahr, man werde ſie zur gelegenen Zeit wieder frei geben. Aber die Miniſter des Königs ſind nicht unabſetz¬ bar. Ihr ſeid gutmüthige Seelen, ich will es glauben; allein kennt Ihr Eure Nachfolger! Fand nicht Eliſabeth, daß Maria Stuart, nach neunzehen Jahren Gefangenſchaft, in der Verborgenheit ihres Kerkers, nach außen Unruhen[erregt] und Einver¬ ſtändniße mit dem Auslande und den Feinden des Staates hatte? Dann hat man bei Volks-Unruhen, nie in den Gefängniſſen gemordet? Endlich, wenn ich Kerkermeiſter wäre, würde ein Gedanken mich ſchaudern machen. Ich würde bei mir ſagen: es191 wäre möglich, daß Gott in ſeiner Barmherzigkeit Die welche auf Erden nur Trübſale gefunden, zu den Freuden des Himmels abriefe; ich würde mir ſagen: man hat das Loos der Waiſe im Tempel noch nicht vergeſſen. Wenn ein ſo großes perſön¬ liches Intereſſe an dem Leben einer Fürſtin hängt (!), wenn aus einer Gefangenſchaft, die einen undank¬ baren Ehrgeitz (!!) laut anklagt, eine Schaam und ein tiefer Groll, ſo natürlich fließen müſſen: Da kann aus dem Zuſammenfluß von Umſtänden die Ver¬ läumdung ſchrecklich hervorgehen. Die Verläumdung aber kann in der Geſchichte, den Charakter der Wahrheit (!!!) annehmen. Seht euch vor .... Die Wohltaten der Willkühr, die man der Herzogin angedeihen läßt rühren mich wenig; ich könnte fürch¬ ten, daß dieſe Wohlthaten zu einer Quelle neuen Jammers würden. Schwer würde mir fallen in Erinnerung zu bringen, was ich neulich von gewiſſen Geſpenſtern (!!!!) ſagte, die in einem gewiſſen Schloße (!!!!!) haußen. Ich hoffe, um der Ruhe der Nächte der Macht ſelbſt willen die ich be¬ kämpfe (!!!!!!) ich hoffe nie gezwungen zu ſein, jenen nächtlichen Erſcheinungen, die einer halb¬ verbrannten Frau, ihr nacktes Kind in den Armen und Ketten nach ſich ſchleppend (!!!!!!!) zuzuge¬ ſellen; eine Deputation von Schatten, die käme ei¬192 nem Schatten-Könige (!!!!!!!!) ihr Kompliment zu machen.

††† Gelobt ſei Gott und ſeine guten Gei¬ ſter; ich bin glücklich durch den Hexen-Wald. Ich habe, gleich einem guten Zeitungsſchreiber fromme Ausrufungszeichen geſchlagen und, wie ſie bemerkt haben werden, in ſteigender Angſt und arithmethiſcher Progreſſion. Früher habe ich mich oft über ſolche abergläubiſche Furcht luſtig gemacht; aber Noth kennt kein Gebot, ich konnte mir nicht anders helfen. Ich bin ein Patriot; ich zitterte in deutſcher Sprache zu denken, was Chateaubriand wagte in franzöſiſcher drucken zu laſſen. Mündlich das Weitere. Ver¬ brennen Sie dieſen Brief oder noch ſicherer: legen Sie ihn in einen Band von Carove's Werken.

Pas mal pour un Allemand. Wie gefällt Ihnen das? Wüthend war ich darüber. Wartet nur! Wenn wir einmal das Elſas wieder haben, Lothringen, Burgund und Euren König zum Grafen von Paris gemacht da werden wir Euch zeigen, daß wir witziger ſind als Ihr. Da hatte einmal ein Deutſcher in Paris bei Tiſche etwas ge¬ ſagt, was ſeiner Meinung nach ſicher nicht witzig ſein ſollte, und da rief ein Franzoſe, der dabei ge¬ weſen und dieſes erzählt, gnädigſt aus: Pas mal pour un Allemand! Brazier heißt die Canaille. Ich las ſo eben im livre des cent-et-un, im Arti¬193 kel La chanson et les sociétés chantantes. Da iſt von den Vaudevillediners die Rede, welche man in Deutſchland frömmer und romantiſcher Lieder¬ tafeln nennt. Zu einem ſolchen Sing-Eſſen war einmal le fameux Docteur Gall eingeladen. Le jour nous reçumes la visite de ce der¬ nier, on Iui servit un plat de friture composé seulement de têtes de gibiers, de pois¬ sons et de volailles. On lui demanda s'il voulait tâter les crânes de ces messieurs ou de ces dames? Le savant se dérida, et répondit en riant: qu'il fallait qu'il tâtât les corps au¬ paravant, vu qu'à table son systême ne s'iso¬ lait point. Pas mal pour un Allemand. Aber nur Geduld bis zum Frühlinge!

V. 13194

...... Es iſt recht unartig von Ihnen daß Sie mir ſo lange nicht geſchrieben. Ich habe Ihnen ſchon oft geſagt, daß Sie mir außerordentlich ſchreiben mögen, ſo oft Sie wollen; aber die gewöhn¬ lichen Brieftage müſſen Sie darum nicht verſäumen. Ich bin gewöhnt daran und wenn ich an ſolchen Ta¬ gen nichts erhalte verdaue ich ſchlecht. Seit vorigen Freitag habe ich keinen Brief bekommen und es ſcheint mir ein Jahr zu ſeyn. Sie hätten ſich doch vor¬ ſtellen können, daß ich vor Begierde brenne etwas näheres von meinem Buche zu erfahren. Die Eigen¬ liebe hat ewige Flitterwochen und ich liebe meine verblühten Schriften wie in den Tagen ihrer Jugend. Ich gehe voller Angſt umher, gleich einem Ehemanne, deſſen Frau zum Erſtenmale in Kindesnöthen liegt. Wird es ein Sohn? Wird es eine Tochter? Es iſt weder ein Sohn, noch eine Tochter geworden, ſondern eine Misgeburt. Dieſe kleine ſchöne Sa¬ tyre ſchenke ich dem erſten Rezenſenten meiner Briefe aus Freundſchaft und Hochachtung. Er kann damit machen was er will. Der Leithammel meiner Re¬ zenſenten hat ſich auch ſchon hören laſſen. In der Leipziger Zeitung iſt in einem Berichte aus Wien von den Pariſer Briefen die Rede; deren dritten195 Band Börne eben jetzt druckt. Zum Unglücke kann man ſich gar nicht auf den Styl dieſer guten Leute verlaſſen. Was heißt das: Eben jetzt druckt? Auf jeden Fall ſoll das bedeuten: drucken läßt; aber ſind ſie ſchon gedruckt? oder werden ſie erſt gedruckt? Und wenn das letztere woher will denn ein Wiener wiſſen was darin ſteht? Werden die Briefe etwa in Wien gedruckt? Das wäre ein Meiſterſtreich von dem Verleger. Als der ſchlaue Caſanova aus dem Gefängniſſe der Staats-Inquiſi¬ tion von Venedig entſprang, flüchtete er ſich in das Haus des Sbirrenhauptmanns; dort hielt er ſich am ſicherſten. In dem Berichte heißt es: ich hätte mich gerühmt, daß meine Schreibereien am meiſten von den Wienern geleſen würden; das möchte aber wohl eine Aufſchneiderei ſein. Der Himmel wolle meine Demuth vor größeren Gefahren befahren!

Jetzt bitte ich Sie aber auch, fleißiger als es vorigen Winter geſchehen, auf die erſcheinenden Rezen¬ ſionen Acht zu haben, ſie für mich zu ſammeln und mir mit Gelegenheit zu ſchicken. Nicht die Hälfte von dem was über mich geſchrieben worden, habe ich damals zu leſen bekommen. Einige der intereſſante¬ ſten Rezenſionen kamen mir erſt nach meiner Rück¬ kehr in Deutſchland unter die Augen: wie die von Görres und Carové und eine in der Abendzeitung, worin es heißt: Börne ſteht jetzt[auf] dem Punkte,13*196 wo der Menſch in den Tiger übergeht. Es wäre zwar damals noch Zeit geweſen darüber zu ſchreiben und es in meine Briefe einzuſchieben; aber es wäre ein Anachronismus meiner Gefühle geworden und ich lüge nicht gern. Alſo thun Sie was ich verlange und vergeſſen Sie nicht, daß ich auf dem Punkte ſtehe, wo der Menſch in den Tiger übergeht und daß es gefährlich iſt mich zu reizen.

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Siebzehnter Brief.

..... Ich wollte ich wäre be[i]Ihnen, ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu überlegen, et¬ was Gelehrtes, einen Punkt aus dem Staats - und Hausrechte. Ich kann aber ohne Sie nicht fertig werden. Hören Sie was es betrifft. Im Jahre 1817 machte die franzöſiſche Regierung den Entwurf zu einem Wahlgeſetze für die Deputirtenkammer. Solche Wahlordnungen wurden natürlich im Inter¬ eſſe der Macht eingerichtet. Da nun die Freiheit,198 ſtatt, der Geſundtheit gleich, etwas angebohrnes, Unbemerktes, Ungefühltes zu ſein, ſtets etwas Er¬ worbenes, Beſtrittenes, kurz, ein ewiger Kampf iſt, und man dieſes wie jedes Kampfes in den reifern Jahren, theils müder, theils unkräftiger wird ſieht die Regierung überall darauf, daß die Bürger erſt im höhern Alter zu Volksvertretern gewählt werden können. In jenem franzöſiſchen Wahlgeſetze war alſo beſtimmt, daß ein unverheiratheter Menſch erſt mit dem vierzigſten Jahre, ein verheiratheter mit dem fünf und dreißigſten, und ein Wittwer ſchon mit dem dreißigſten wählbar ſein. Daß ein Ehemann früher erſchöpft wird als ein lediger Menſch, begreift ſich leicht: Der Kampf für ſeine perſönliche Freiheit läßt ihm wenige Tapferkeit zum Kriege für die öffentliche übrig. Warum aber ein Wittwer ſchon im dreißig¬ ſten Jahre matt iſt, und fünf Jahre früher als ein Verheiratheter, verſtehe ich nicht, und darüber möchte ich Ihre Weisheit vernehmen. Wenn ich ein Wahl¬ geſetz zu machen hätte ich verfaßte es im Inter¬ eſſe der Freiheit würde ich feſtſetzen: daß ein lediger Menſch nicht mehr nach dem dreißigſten, und ein Verheiratheter nicht mehr nach dem fünf und zwanzigſten Jahre Deputirter werden könnte. Doch was die Wittwer beträfe, ließe ich ſie lebenslänglich wählbar ſein; denn ich würde annehmen: ein Witt¬199 wer müſſe das Herrliche und Köſtliche der Freiheit ſo lebhaft fühlen, daß er noch im ſiebenzigſten Jahre ein Spartakus werden könnte. Was denken Sie davon.

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.... Spricht man denn in[Frankfurt] auch von einem Congreſſe, der nächſten Frühling dort ge¬ halten werden ſoll, und wozu beide Kaiſer kommen? Es wäre ſchön. Das würde ja der deutſchen Re¬ volution eine Eiſenbahn eröffnen.

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Achtzehnter Brief.

Ich komme auf Chateaubriand zurück, den edlen Narren, der mir aber lieber als die ſieben Weiſen jeder Schule; auch der Liberalen, das dürfen Sie mir glauben. Die Treue iſt ſeine geliebte und verehrte Dulcinea. Nicht den Bourbons, nicht der Legitimi¬ tät, ſich iſt er treu. Wäre das nur Jeder in ſei¬ nem Glauben, in ſeiner Geſinnung, wie weit beſſer wäre dann Alles! Wollte nur Jeder was er will, ganz und immer, wie viel milder wäre der Wider¬ ſpruch, wie viel menſchlicher der Streit! Denn wahr¬ lich, nicht das eigenſinnige Feſthalten auf jeder Mei¬ nung, wie die guten Leute glauben, ſondern das furcht¬202 ſame oder heuchleriſche Nachgeben macht die Partheien ſo unverſöhnlich. Gäbe es keine Royaliſten die Liebe zur Freiheit heuchelten, freilich, zur wahren, wie ſie ſagen gäbe es keine Freiſinnigen die Anhäng¬ lichkeit für den Fürſten heuchelten beide aus Liſt, Trug oder Schwäche man könnte ſich beſſer ver¬ ſtändigen, denn man verſtünde ſich beſſer.

Es iſt gut daß Sie wiſſen, was Chateaubriand von der gegenwärtige Lage Frankreichs, von ſeinen äußern Verhältniſſen, was er von der Erbärmlichkeit der Regierung, und der Ermüdung der Nation ſpricht, auf welche die Tyrannei die Hoffnung ihres Gelin¬ gens gründet. Chateaubriand iſt kein Zimmerſpeku¬ lant, wie ich, der die Welt durch das Fenſter an¬ ſieht, er hat nichts zu errathen und zu vermuthen, er braucht keinen Argwohn und keine Hoffnung; er iſt ein vornehmer Mann, ſteht an der Spitze einer reichen und mächtigen Parthei, die Alles weiß, Alles erfährt, und Vieles ſelbſt thut oder ſtört. Er iſt ſelbſt ein Staatsmann, der die Mittel und Wege, die Stärke und Schwäche aller Regierungen kennt. Ihn konnte nicht, wie mich, die Liebe zur Freiheit verblenden; denn er iſt ein guter Royaliſt der rein¬ ſten Art, ein Legitimiſt. Es könnte ſich freilich fin¬ den, daß das was er Louis Philipp vorwirft, nur das Verderbniß jedes Fürſten ſei; aber dann, deſto203 ſchlimmer für Chateaubriand und deſto beſſer für uns. Darum noch einiges aus ſeiner Schrift.

Die Revolution der Juli-Tage, aus dem Volke hervorgegangen, hat, abtrünnig von ihrem Urſprunge ſich von dem Ruhme geſchieden und um die Schande gebuhlt, als gäbe das Eine ihr den Tod, als wäre die Andere ihre Lebensquelle. Das Jüſte-Milieu hat ſich einer ausſchweifenden Macht ergeben, an welche die Regierung Carls X. nie gedacht, und die man nie von ihr geduldet hätte. Verächter der Geſetze, zum Spotte der Charte vor 1830, hat er den Belagerungs-Zuſtand eingeführt; zehen wichtige Artikel des neuen Vertrags ſind von ihm gebrochen worden. Er trieb ſeinen Spott mit der perſön¬ lichen Freiheit; er hat die Gefängniſſe angefüllt, die Hausſuchungen, die Militär-Kommiſſionen, die Pre߬ proceſſe vermehrt und einen Schriftſteller wegen ei¬ nes Wortſpiels zum Tode verurtheilt ... Der Fetfa, welchen die Miniſter der Pairskammer vor¬ gelegt haben, verwandelt dem Geiſte nach, die con¬ ſtitutionelle Monarchie in einen orientaliſchen Des¬ potismus. Es iſt Conſtantinopel mit den Enuquen der Doktrine als Janitſcharen; nur tragen ſie, wie Mahmud, Chalwaris auf engliſche Art, als Zei¬ chen der Fortſchritte der Civiliſation. Aber wenn die Franzoſen nicht bis zur letzten Staffel der Völ¬204 kerleiter herabgekommen ſind, wenn man noch ohne zu erröthen oder zu lachen von Freiheit reden darf; werde ich mit meinen Betrachtungen fortfahren.

Es iſt augenſcheinlich, daß das Prinzip der Juli-Revolution, und das Prinzip der continental¬ Monarchien ſich feindlich entgegen ſtehen, daß dieſe beiden unvereinbaren Prinzipien nicht lange neben einander fort dauern können; daß das Eine noth¬ wendig das Andere zerſtören muß. Wenn die über¬ raſchten Fürſten im erſten Augenblick das König¬ thum der Barrikaden anerkannt haben, werden ſie früher oder ſpäter, ohnfehlbar davon zurückkommen; denn keinem von ihnen wird ſonderlich viel daran liegen, von einem Pflaſterſteine umgeworfen oder von einem Vetter verdrängt zu werden. Ja, jemehr ſich in Frankreich ein Anſchein von Ordnung und Wohlſtand zeigte, jemehr würden ſich die abſoluten Regierungen entſetzen, denn die Verſuchung für ihre Völker wäre dann um ſo größer. Wie wäre auch möglich eine freie Tribüne, freie Journale, die Gleichheit der Stände, die Theilung aller Aemter und jedes Glückes zu haben, ohne daß die Revolu¬ tion, minder bedächtig als ihre ſchwachen Führer, über den Rhein ginge? .. Daß Souveraine, von einem dreißigjährigen Kriege ermüdet, ſchlafen wol¬ len; daß Geſandte lieber in Paris bedeutende Per¬205 ſonagen ſind, als bei ſich zu Hauſe hinten an ge¬ ſetzt und vergeſſen; daß ſie darum in Angelegen¬ heiten von welchen ſie ſich ſelbſt Rechenſchaft geben oder nicht, ſie ihrem Hofe die Wahrheit verbergen das begreift ſich. Laſſet aber einen gewiſſen Tag kommen um einen gewiſſen Menſchen ge¬ hen und ihr werdet es erfahren. Die letzte Aeußerung bezieht ſich auf den ruſſiſchen Ge¬ ſandten, den Grafen Pozzo di Borgo, von welchem geſagt wird, er liebe ſo ſehr den Aufenthalt in Pa¬ ris, daß er darum ſeit der Revolution ſich die größte Mühe gäbe, ſeinen Kaiſer in friedlicher Stimmung gegen Frankreich zu erhalten. Dieſes erregte in der letzten Zeit endlich den Argwohn des ruſſiſchen Hofes und Pozzo di Borgo wurde nach Petersburg berufen um Rechenſchaft abzulegen. Aber durch Auf¬ opferung einer bedeutenden Geldſumme an eine ein¬ flußreiche Perſon, ſoll ihm gelungen ſein ſeine Un¬ ſchuld darzuthun, und er durfte nach Paris zurückkehren.

Die geſellige Ordnung lößt ſich auf; die Anar¬ chie die in die Köpfe eingedrungen, bedroht die ma¬ terielle Geſellſchaft. Man verſteht ſich über nichts mehr, die Verwirrung der Ideen iſt unglaublich. Wenn der Nachbar nicht ſeinen Nachbaren erwürgt, ſo unterbleibt es, nicht weil ihn die Staatsgewalt hindert, ſondern weil die Fortſchritte der ſittlichen206 Bildung ihm den Gedanken der Gewaltthätigkeit ge¬ nommen haben. Keine Parthei, kein Menſch glaubt innerlich an den Beſtand der gegenwärtigen Ord¬ nung der Dinge für eine Regierung die aller¬ gefährlichſte Stimmung. Die Quaſi-Legitimität, ſich für ſtark, entſchloſſen, unerſchrocken ausgebend; Willkühr für Kraft, den unverſchämteſten Geſetzes¬ bruch für Geſetzlichkeit haltend, gibt über die Prin¬ zipien nach und verträgt ſich mit Allem was ihr Furcht macht. Sie erhält ſich nur, durch das vor¬ gehaltene Schreckbild einer noch ſchlimmern Zukunft als ſie ſelbſt iſt; ſie ſtellt ſich als eine traurige Nothwendigkeit dar und ſagt: (ſonderbarer Anſpruch auf das öffentliche Vertrauen!) ich bin immer noch beſſer, als das was kommen wird. Das iſt ſo ausgemacht nicht.

Vierzigjährige Stürme haben die ſtärkſten Seelen niedergeworfen; die Gefühlloſigkeit iſt groß, der Egoismus faſt allgemein; man duckt ſich um un¬ bemerkt zu bleiben und ſich in Frieden durchzubrin¬ gen. Wie nach einer Schlacht die Leichen die Luft verderben, ſo bleiben nach jeder Revolution ange¬ freſſene Menſchen übrig, die Alles mit ihrem Eiter beſchmutzen.

Die Freiheit iſt nirgends mehr als in den Herzen einiger Wenigen, die würdig ſind ihr eine207 Zuflucht zu eröffnen. Ein Gegenſtand der Spötter aller jener Elenden, die einſt ihr Feldgeſchrei dar¬ aus gemacht, wird dieſe verkaufte, geſchändete, an allen Straßenecken ausgebotene und verſchacherte Freiheit; dieſe Freiheit, welche die Poſſenreißer des Jüſte-Milieu ſich mit Fußſtößen einander zuwerfen; dieſe gebrandmarkte und mit der Haſpel der Aus¬ nahmsgeſetze erwürgte Freiheit, wieder durch ihre Vernichtung die Revolution von 1830, in eine große Schmach und eine hündiſche Schurkerei ver¬ wandelt.

Die Gleichheit, dieſe Leidenſchaft der Franzo¬ ſen, ſcheint allen Bedürfniſſen genug zu thun. Der Bürger der glaubt einen König gewählt zu haben, der an dem Tiſche dieſes Königs zu Mittag ißt, und mit ſeinen Töchtern tanzt, weiß ſich in ſeiner Pfauen-Eitelkeit, mit Freiheit und Ruhm wohlfeil abzufinden. Wenn man ihn feſthält und ihm Handſchellen anlegt, denkt er, er habe ſie ſich ſelbſt angeſchnallt; denn er iſt die Quelle der Macht, er klirrt aus Prahlerei mit ſeinen eignen Ketten, als Zeichen ſeiner ſtarken Unabhängigkeit. In ſei¬ nen Augen iſt die Monarchie eine Haushaltung und das Diadem das Band einer Nachtmütze

Die Frau Herzogin von Berry ſah einen Theil dieſer Dinge vom fremden Strande aus ... 208 Man ſagte der edlen Tochter Heinrichs IV., daß es in Frankreich eine Parthei gäbe, die mit Hunde¬ Geduld Alles ertrage (!); Freiheit heuchelnd, ſcham¬ los ihre Reden durch ihre Handlungen Lügen ſtra¬ fend (!!); die Verachtung der Nation und die Fu߬ tritte des Auslandes (!!!) unterwürfig hinnähme; ſich gegen künftige Mißfälle in ihrer Filzigkeit (!!!!) Rettung ſichere und in der Hoffnung zu leben krieche, krieche, krieche, weil es ſchwer iſt zu zertreten was ſich ſo platt macht unter den Füßen (!!!!!). Die wohlwollende Prinzeſſin ... Doch genug von der Prinzeſſin; gute Nacht[Prinzeſſin]!

209

Jetzt nur noch was Chateaubriand über den belgiſchen Krieg geſagt. Mir ſeinem Sancho Panſa, ziemt es, wie jedem treuen Diener, die edlen Reden ſeines Herrn zu verkündigen. Aus dem was heute unſere mit der Klugheit der Quaſi-Legitimität um¬ windelten Soldaten gethan, kann man ſich überzeu¬ gen was die ächten Juli-Männer hätten thun kön¬ nen. Man hat vor Antwerpen das Heldengeſchlecht von Marengo, Friedland, Navarin und Algier er¬ kannt; nur ſah man mit Schmerz, daß das Jüſte - Milieu ſo viel Tapferkeit verſchwendete, ſo viele Menſchen aufopferte, um das Feuer der Linken zum Schweigen zu bringen, um ſich eine Kammermajo¬ rität zu ſchaffen, und, mit einer dummen Naivität eine Feſtung zum Vortheil unſerer Nachbarn zu er¬ obern. Wir, uns eilend über die Grenzen zurück zu gehen, und nachdem jeder unſerer Soldaten auf den Apell des engliſchen Controleurs geantwortet haben wird, wir werden die Koſten eines glänzen¬ den Kriegszugs übernehmen, der aber nichts endet, weder für Frankreich, noch für Holland, noch für Belgien ein mörderiſches Tournier, deſſen mit¬ telbare Folge, früher oder ſpäter ein Krieg, deſſen unmittelbare Folge ſein wird, die Schelde dem Han¬V. 14210 del Großbrittanniens zu eröffnen. Dieſes, das in dem blutigen Spiele keinen Schiffsjungen gewagt, hat nur einige Guineen auf hohe Zinſen angelegt. Fünf bis ſechs tauſend von dem Geſchütze oder der Krankheit hingerafften Soldaten, mehrere tapfere und geſchickte Offiziere getödtet oder verwundet, einige und vierzig Millionen aus der Taſche der Steuer¬ pflichtigen genommen, bilden die Mitgift, welche wir das Glück und die Ehre haben werden, die Ehe¬ liebſten des engliſchen Präfekten von Belgien anzu¬ bieten.

211

Ein preußiſcher Naturforſcher wollte eine wiſſen¬ ſchaftliche Reiſe nach Nordamerika machen und bat ſeinen König um Unterſtützung. Dieſer antwortete: Amerika ſey ſchon genug ausgeforſcht, aber in Si¬ birien wären noch die ſchönſten Entdeckungen zu ma¬ chen. Als ſich nun ein anderer Naturforſcher fand der ſich bereitwillig zu Sibirien erklärte, bekam er achthundert Thaler Reiſegeld. Iſt das nicht artig? ja, dieſes Amerika thut ihnen wehe wie ein hohler Zahn und ſtört ſie im Schlafe. Wenn es nur zu plombiren wäre! Eine Republik ohne Guillotine und ſie ſagen uns doch ſeit vierzig Jahren: Repu¬ blik und Guillotine, das wäre Alle eins! Freiheit ohne Blut und ſie lehren doch der Hofraths-Ju¬ gend in allen Schulen: die Freiheit ſey eine Art Fiſch der nur im rothen Meere lebe! Aber ſie hof¬ fen ſehr auf eine beſſere Zukunft, auf Blut und Königthum auch in der neuen Welt. Sie haben es längſt vorher geſagt, das Band welches die verſchie¬ denen Länder Amerikas aneinander knüpfe würde bald zerriſſen und dann würden die vereinigten Staaten aus der gottloſen Liſte der Republiken geſtrichen und in die heilige Civilliſte geſetzt werden. Und in dieſen Tagen hat ſich wirklich ereignet, daß eine Provinz14 *212der vereinigten Staaten, aus Unzufriedenheit mit ei¬ nem Douanengeſetze, das ihrem Handel ſchadet, ſich von der Union gewaltſam loszutrennen droht. Schon fangen die Ariſtokraten zu jubeln an. Das Werk Waſhingtons und Frankreichs ſtürzt zu¬ ſammen; ſchon halten die Europäiſchen Fürſten im Stillen eine Familien-Muſterung und vertheilen Ame¬ rika zwiſchen ihre Ottos, Carls, Wilhelms und Fried¬ richs; ſchon erkundigt ſich Herr von Gagern ver¬ traulich bei Herrn Rothſchild, welcher Fürſt am mei¬ ſten Credit habe, und arbeitet an einer ſchönen Rede für die heſſendarmſtädtiſche Kammer, worin er von der Brüderſchaft des Miſſiſippi und des Rheins ſpricht. Unvergleichlich iſt die dumme Naivität mit welcher die Royaliſten die Naturnothwendigkeit der monarchiſchen Regierungen darthun und ihre feſte Hoffnung aus¬ drücken, daß Gott in ſeiner Barmherzigkeit auch bald den amerikaniſchen Völkern Könige verleihen werde. Sie ſagen: ein Staat in ſeiner Kindheit und in ſeinem Greiſenalter könne der Monarchie nicht ent¬ behren. O! zugegeben mit tauſend Freuden. Aber was folgt daraus? daß eine Monarchie nichts als eine Laufbank oder eine Krücke iſt, und daß wenn man der Laufbank nicht mehr und der Krücke noch nicht bedarf, man keine Könige braucht. Ich gebe ihnen mehr zu als ſie verlangen, und bekenne daß die Staaten nicht blos in ihren Kinderjahren und im213 hohen Alter, ſondern auch zu jeder Zeit ihres Lebens einer fürſtlichen Regierung bedürfen ſobald ſie krank werden. Dann iſt die Monarchie das Heil¬ mittel und der Fürſt der Arzt. Aber ſobald die Ge¬ ſundheit zurückkehrt, wirft man das Arznei-Glas zum Fenſter hinaus und verabſchiedet die Aerzte. In die¬ ſem Zuſtande der Wiedergeneſung iſt jetzt der größte Theil der europäiſchen Welt. Wozu alſo noch län¬ ger Doktor und Apotheker? wozu ſo vieles Geld für Arznei-Mittel ausgeben, das wir für unſere Nah¬ rung nützlicher und angenehmer verwenden könnten? Aber da giebt es Völker die von Geſundheit ſtrotzen und in der Einbildung krank ſind, nur da ſehen wir die ganze lächerliche und traurige Geſchichte von Mo¬ lieres malade imaginaire. Leſen Sie gleich vorn die Apotheker-Rechnungen: es iſt eine Satyre auf die monarchiſchen Budgets. Da ſind die Volks-Doktoren Dnifarius Vater und Sohn; da iſt der Volks-Apo¬ theker Pargo, die den unglücklichen Argan anführen und abführen, daß es ein Erbarmen iſt. Wohlmei¬ nende Freunde belehren ihn, daß er geſund ſey, und er möge doch Doktor und Apotheker zur Thüre hin¬ aus werfen; aber da tritt jedesmal madame Belise, der nach dem Gelde des armen Tropfes gelüſtet, zur rechten Zeit hinzu und ſpricht zärtlich mon petit fils, mon ami, mon pauvre mouton! und erſtickt ihn unter Federbetten. Endlich aber, ich hoffe es, wird214 wie Argan auch das Volk klug werden, ſich ſelbſt zum Doktor kreiren und das erhabene und geheim¬ nißvolle clysterium donare, postea segnare, en¬ suita purgare was man regieren nennt ſelbſt lernen und ausüben.

Haben Sie aber, wenn Sie Thee getrunken, je daran gedacht, daß er der Thee iſt dem wir die Ame¬ rikaniſche Freiheit zu verdanken und alle die herrlichen Folgen, die ſie für Europa gehabt? Ein Zoll den das engliſche Parlament auf den Thee gelegt, veran¬ laßte den Abfall der amerikaniſchen Colonien. Ich rede da freilich im Geiſte der Monarchiſten, die jede Revolution einem unglücklichen Zufalle zuſchreiben; wäre es nicht der Thee geweſen, wäre eine andere Veranlaſſung dazu gekommen; nicht die Freiheit, die Tyrannei bedarf einer Erklärung. Doch iſt es im¬ mer ſchön, daß es der Thee war, und daß er ſo wieder gut machte was er verdarb. Nehmlich der Thee, der Kaffe und andere indiſchen Gewürze, haben erſtaunlich viel dazu beigetragen, die Despotie in Europa zu begründen einerſeits, indem ſie die Völker durch den Genuß körperlich, durch Gewöhnung an Ueppigkeit geiſtig entnervt haben, und andererſeits, indem das Emporblühen des Handels die Fürſten be¬ reichert hat, ſo daß ſie ſich ſtehende Heere bilden konnten, mit welchen ſie die Freiheit niederſchlugen. Trinken Sie die nächſte Taſſe Thee auf die Geſund¬215 heit Carolinens, nehmlich jener amerikaniſchen Provinz, die durch ihren Widerſpruch das Land zu entzweien droht; trinken Sie auf das Wohl der Frei¬ heit überhaupt; es geht dem armen Mädchen gar zu ſchlecht.

Weil wir gerade vom Thee ſprechen, muß ich Sie doch über etwas fragen, das mich ſeit einigen Tagen ſehr beunruhigt. Ich kaufte mir Thee, grü¬ nen und ſchwarzen, von beiden gleich viel an Gewicht. Ich habe für jede Sorte eine beſondere Büchſe. Als ich nun zu Hauſe die Büchſe füllte, machte der ſchwarze Thee die Büchſe ganz voll, der grüne aber nur zur Hälfte. Es iſt nun die Frage: bin ich betrogen oder nimmt der grüne Thee weniger Raum ein, als der ſchwarze? Es wäre merkwürdig wenn ein Betrug ſtattgefunden, es war doch ein maison de confiance in dem ich den Thee kaufte. Ein maison de confiance nennt man hier einen Kauf¬ laden, worin man geprellt wird wie in jedem; aber man darf kein Wort dagegen ſagen. Beklagt man ſich im mindeſten, antworten ſie ſtolz c'est une maison de conficiance.

216

Da iſt Ihr Brief, ich kann aber heute nicht mehr auf Alles antworten, ich bin geſtört worden, es iſt zu ſpät. Ein Spanier hat mich beſucht, einſt beim Corps des Marquis Romana. Ich erzähle Ih¬ nen noch von ihm.

Eine gemiſchte Schulkommiſſion, heißt eine Schulkommiſſion, die aus Dummheit und Pedanterie gemiſcht iſt. Adieu.

[217]

Neunzehnter Brief.

Ich glaube es war mein vorletzter Brief, deſſen Kürze ich durch ſtörende Beſuche erklärte. Kein wahres Wort daran. Es war wieder ein ſchönes Buch, in dem ich herumkroch wie eine Fliege in der Zuckerdoſe, und ich konnte nicht heraus. Wenn Sie mir auf das Heiligſte verſprechen wollen, es gar nicht in die Hand zu nehmen an den Tagen an wel¬ chen Sie mir zu ſchreiben haben, will ich es Ihnen verrathen. Es heißt: Mémoires d'un cadet de famille, aus dem Engliſchen überſetzt, bis jetzt zwei Bände. Der Name des Verfaſſers ſteht auf dem Titel, aber ich habe ihn vergeſſen und das218 Buch ſchon weggegeben. Er nennt ſich Freund des Lord Byron. Der Held dieſer Denkwürdig¬ keiten war ein Seeräuber und hat dem Lord Byron den Stoff zu ſeinem Corſar und den Giour ge¬ geben. Freilich können dieſe Denkwürdigkeiten für eine Frau nicht ſo anziehend ſein als für einen Mann .... Für einen Mann? O! Es iſt mein Spott. Ich meine: für Männer wie wir ſind; ich meine: für einen Mann wie ich bin, der glaubt et¬ was zu ſein, weil er ſich ſchämt nichts zu ſein. Ich ſchwöre es Ihnen, als ich in dem Buche las, hob ich meinen Arm hoch empor und redete ihn an: Schlingel, alter Schlingel! ſage mir doch, was haſt du denn gethan in deinem halben Jahrhunderte? Ich ſaß am Kamine und ſtarrte in die lodernde Glut. Brennen leben! Von dieſem Holze bleibt ein wenig Aſche übrig, das Andere Alles geht als Rauch in die Luft. Aber dieſer Rauch ſammelt ſich zu Wolken, dieſe Wolken ſtürzen als Regen herab der die Erde befruchtet, und ſo ernährt der Tod das Leben. Auch von den Menſchen bleibt nur ein we¬ nig Aſche übrig, auch ſein ganzes Daſein geht in Rauch auf; aber dieſer Rauch wird nicht zur Wolke, er kehrt nicht zurück, er befruchtet nichts. Wo kom¬ men nun die zahlloſen,[unbenutzten], ungenoſſenen Kräfte aller der Millionen Menſchen hin, die nichts waren, die nichts werden durften? Die Erziehung219 ſchlägt ſie todt. Gut, ich weiß das; aber was wird aus ihnen nach dem Tode? Wehe, die Erziehung! Sobald ein Menſch geboren wird gleich umſtellen und umlauern ihn die Mutter, die Amme, der Va¬ ter, die Wärterin; ſpäter kömmt der Lehrer, ſpäter der Polizeimann dazu. Die Mutter bringt ein Stückchen Zucker, die Amme ein Mährchen, die Wär¬ terin eine Ruthe, der Vater den Vorwurf, der Leh¬ rer den Stock, der Staat ſeine Ketten, ſein Henker¬ beil. Und zeigt ſich eine Kraft, rührt ſich, ſtammelt nur eine Kraft gleich wird ſie fortgeſchmeichelt, fortgepredigt oder fortgezüchtigt. So werden wir wohlerzogene Menſchen, ſo bekommen wir ſchöne Ta¬ lente. Wiſſen Sie was ein großes Talent heißt? Ein Talent iſt eine große fette Gansleber. Es iſt eine Krankheit; der Leber wird das ganze arme Thier aufgeopfert. Wir werden in einen engen Stall ge¬ ſperrt, dürfen uns nicht bewegen, daß wir fett wer¬ den; werden geſtopft mit moraliſchem Welſchkorn und gelehrten Nudeln, und dann ſchnaufen wir und erſticken faſt vor Moral, Gelehrſamkeit und Polizei¬ furcht, und dann kömmt eine alte Köchin von Re¬ gierung, betaſtet uns, lobt uns, ſchlachtet uns, rupft uns und benutzt unſere ſchönen Talente. Was nur an uns ſtirbt möchte ich wiſſen; ich möchte wiſſen, was nur der Tod an uns zu holen findet! Aber der Tod iſt ein armer Hund; nichts als Knochen ſein220 ganzes Leben lang, ſelten daß ihm ein voller Menſch herabfällt.

Dieſer Corſar man kann es aus den Epo¬ chen ſeines Lebens berechnen, er war ein Knabe als die Seeſchlacht von Trafalgar vorfiel iſt jetzt erſt vierzig Jahre alt und lebt wahrſcheinlich ſchon längſt wieder in ſeinem Vaterlande und baut ſein Feld. Ein Jahrtauſend am Leben hat er ſchon zurückgelegt und die dreißig Jahre die er noch leben mag, ſind ihm ein Deſert, eine Sieſte. Thaten, von welchen, eine einzige nur, das ganze arme Leben eines Men¬ ſchen bereichern könnte, hat er vergeſſen, und jetzt in ſeiner Einſamkeit, da er ſeine Denkwürdigkeiten ſchrieb, war es oft eine ſeltene Waffe, die er erbeutet und noch beſitzt, oder ein anderes Zeichen, was ihn an eine blutige Schlacht, an eine furchtbare Gefahr er¬ innert. Der indiſche Ocean, mit ſeinen liebeswar¬ men, ſeligen Inſeln, war ſein Spielplatz. Dort iſt die kriegeriſche Sonne, deren Pfeile Niobes Töchter getödtet; dort iſt das ächte Urbild der Sonne, die wir nur aus Kupferſtichen kennen. Da wachſen An¬ nanas wie bei uns die Rüben. Der Tiger beheult die Nacht, wie bei uns die Nachtigall ſie beſingt. Der Pfeil eines Wilden iſt Morgengruß, der ver¬ giftete Dolch eines Malaien iſt Abendgruß.

Er hatte eine Liebe, ein arabiſches Mädchen, Zela, die Tochter eines Scheiks. Einmal in der221 Nacht überfiel er einen malaiiſchen Ort und metzelte die Einwohner nieder, ſie für verübte Gewaltthätig¬ keiten zu züchtigen. Die Gefangenen der Malaien befreite er. Unter dieſen war ein Araber, zum Tode verwundet, der ehe er verſchied, die Hand ſeiner vierzehenjährigen Tochter in die ihres Erretters legte. Der Corſar trug ſie auf ſeinen Schultern in ſein Schiff. Sie ward ſein Weib, die Mutter ſeiner Kinder, ſie begleitete ihn auf allen ſeinen Seezügen, theilte alle ſeine Gefahren, ward ſein Schutzgeiſt. Könnte ich Ihnen die arabiſche Zela ſchildern! Sie iſt der holde Genius des Kaffes, der heiße dunkle Blick des Morgenlandes, ein Brennſpiegel der Seeligkeit. Zela iſt für den Geiſt des Corſaren, was der Kaffe für ſein Fleiſch. Denn ich muß Ihnen ſagen, er trinkt Kaffe, wie ich auch, nur unter an¬ dern Umſtänden, und das hat mich am meiſten ge¬ ärgert und darüber bin ich roth geworden. Ich trinke Kaffe nicht einmal des Morgens, da kann ich ihn nicht vertragen; ſondern Mittags nach dem Eſſen, nachdem ich etwas geſchlummert, um neue Kraft zu neuer Schwäche zu ſammeln; ehe ich mich wieder an den Schreibtiſch ſetze und federfuchſe und ſchimpfe wie ein altes Weib gegen Buben, die mit Steinen nach mir werfen. Er wenn ihn eine tolle Meereswoge in die See ſchleudert und die Wel¬ len mit ihm ſpielen und ihn ſich einander zurollen;222 ſein Muth und ſeine Stärke helfen ihm wieder em¬ por, er wird halbtodt an Bord gebracht er trinkt Kaffe und alles iſt wieder gut. Wenn er aus ſechs Wunden blutend ohnmächtig niederſinkt; der dumme Schiffs-Chirurg kömmt mit Kübeln von Arzneitränken, mit ſeinen Meſſern ihm Arme und Beine abzuſchnei¬ den der Held ſchlägt die Augen auf, fordert eine Taſſe Kaffe, trinkt ſie und iſt geheilt. Wenn doch genug. O Schlingel! ich. O Schlingels! Ihr.

223

..... Auf das was **** ſagt, laſſen Sie Acht geben. Er ſteht zwar ganz unten in der vor¬ nehmen Welt, aber unter der ariſtokratiſchen Sipp¬ ſchaft herrſcht eine merkwürdige Sympathie, und wenn man aufmerkſam iſt, kann man oft unten hö¬ ren was oben geſprochen wird und ſo erfahren was ſie vorhaben. Es kann recht leicht ſein, daß ſie die߬ mal meine Briefe nicht verbieten, planmäßig nicht; denn aus der Polizeilumperei kommen ſie nie heraus. Sie halten immer für leicht und möglich die öffent¬ liche Meinung zu unterdrücken oder zu beherrſchen, und wenn es ihnen mislingt, denken ſie, ſie hätten nur das rechte Mittel nicht gewählt. Das Verbot der Briefe hat nichts geholfen, jetzt denken ſie die Duldung werde wirkſamer ſein, aber ihre Verachtung wird mir ſo wenig ſchaden, als ihr Haß.

Ich habe den Artikel in der Nürnberger Zeitung geleſen. Er iſt gut gemeint; aber ich finde mich noch ſchwerer in dieſe Menſchen, als ſie ſich in mich finden. Da heißt es wieder: es ſei doch jammer¬ ſchade, daß ein ſo geiſtreicher Mann, wie ich ſei, und der ſo unendlich viel Gutes wirken könnte, ſo unmäßig wäre! Guter Gott! Auf wen ſoll ich denn wirken? Auf die Regierungen etwa? Auf224 den Fürſten von Wallerſtein, den Herrn von Blit¬ tersdorf, den Herrn von Nagler? Oder wohl gar auf die regierenden Fürſten, auf den Großherzog von Baden etwa, den ein Fluß über welchen eine be¬ queme Brücke führt von der Weltſchule trennt und der nichts gelernt. Auf einen Fürſten der ſein Wort gebrochen, und für die Klagen und Schmähungen ſeines Volkes reichlichen Erſatz in einem preußiſchen Generals-Titel findet und in einem artigen Briefe, den ihm ſein König geſchrieben? Ich ſoll Gehör bei Menſchen ſuchen, die vierzig Jahre lang den Don¬ ner des Himmels überhört? Und das noch mit freund¬ lichen Worten, mit Höflichkeit und Beſcheidenheit! Meine Hofmeiſter ſehen eine deutſche Regierung für eine alte gute Großmutter an. Sie meinen: die Großmutter hat ihre Launen, denn ſie iſt alt und kränklich; aber ſie iſt doch unſere Großmutter, wir müſſen Nachſicht mit ihr haben. Nein, nein, nein, zum Teufel! nein. Nicht Großmütter, Furien ſind unſere Regierungen. Iſt es großmütterlich was Baiern thut, das jeden Mann von Gefühl auf die Folter einer peinlichen Unterſuchung ſpannt, bis er bekenne, wer ſeine Mitfühlenden geweſen? Iſt es großmütterlich, wenn die Naſſauer Regierung einen Greis von ſiebenzig Jahren in einer Winternacht aus ſeiner einſamen Landwohnung reißt und ihn auf drei Jahre zu Dieben und Räubern ins Zuchthaus ſperrt,225 weil er in einer ausländiſchen Zeitung freimüthig über die Finanzen des Landes geſprochen? Iſt es gro߬ mütterlich, wenn die preußiſche Regierung, wie ſie ſelbſt bekannt macht, Spione in Paris hält, die ihr jedes Wort der Klagen eines ihrer Unterthanen be¬ richten? Mit des Teufels Großmutter will ich höf¬ lich ſein, aber mit keiner Rabenmutter von deutſcher Regierung.

Ich habe mir das oben beſprochene Buch aus der Leihbibliothek noch einmal holen laſſen. Der Verfaſſer heißt Trelawney und nennt ſich Com¬ pagnon et ami de Lord Byron.

Ich habe nicht Zeit mehr das Blatt herunterzu¬ ſchreiben; ich bin wieder durch Beſuche geſtört wor¬ den. Adieu.

V. 15
[226]

Zwanzigſter Brief.

Meine deutſche Eſelshaut iſt ſchon wieder voll und ich muß ſie aufräumen, um für die neue Woche Platz zu bekommen. Deutſche Eſelshaut nenne ich die Pergamentblätter in meiner Schreibtafel, die dazu beſtimmt ſind, beim Zeitungsleſen die deutſchen Angelegenheiten zu merken. Wollte ich ſie, wie ich es mit dem übrigen Europa mache, auf Papier zeich¬ nen, müßte ich mir jeden Monat ein neues Taſchen¬ buch kaufen. Sie ſollten nur einmal das kleine gelbe Ding ſehen, man glaubt es nicht wie viel Aerger hineingeht. Wenn ich das nachher in Briefen aus¬ breite, iſt es nichts mehr; es iſt dann Schaam, Zorn, Wuth, Schrecken in vieler Dinte aufgelößt. Aber auf dem Pergamente iſt es die reine natürliche Leidenſchaft, wie ſie aus dem Herzen kömmt. Oft nur ein Wort, ein Zeichen, ein Schrei; aber beredt¬227 ſamer als die ſchönſte lange Rede. Wenn Worte, wenn ein Ach, ein O, ein Weh zünden könnten, ſchleuderte ich einmal mein Taſchenbuch in das ver¬ fluchte taxiſche Haus, daß das ganze Sünden-Regi¬ ſter mit allen Sünden-Regiſtratoren in Rauch und Feuer aufginge. Dort iſt die Büchſe der Pandora, nur ohne die Hoffnung. Doch nein, nicht ohne Hoff¬ nung! die Hoffnung iſt da, aber nicht in der Büchſe; ich hoffe mehr als je. Es kann nicht lange mehr ſo bleiben, ſie machen es zu arg. Ein Volk erträgt lange den Haß, den Zorn, den Druck, wohl auch den Spott ſeiner Tyrannen: aber die Verachtung nein. Was! die Milch, das ſanfte, harmloſe Ding, wird ſauer und gerinnt, ſteift ſich und widerſteht, wenn man ſie etwas tückiſch anhaucht wenn ſie einer ſchlägt und das ſtolze Blut, der edle Sohn des Körpers und der Seele, ſollte ſich nicht rühren, wenn freche Edelbuben in ihm herum plätſchern? Es kann nicht ſein, das iſt nicht möglich, das ertragen ſie nicht lange mehr es iſt Eiſen im Blute.

Die Volkskammer in Weimar hatte die Oeffent¬ lichkeit ihrer Sitzungen beſchloſſen; denn was wäre ſelbſt die Wahrheit im Verborgenen? Nur eine ge¬ fährliche Waffe mehr in den Händen der Lüge. Aber die Edelleute in der andern Kammer haben die Oef¬ fentlichkeit verworfen, denn ſie meinten in ihrer Weis¬ heit, damit hätten noch alle Revolutionen und Repu¬15 *228bliken angefangen und alle Monarchien geendet worin ſie auch ganz Recht haben. Der Hauptmann der Edelleute, der Landesfürſt, hat den Antrag der Kammer auch verworfen, mit all dem lächerlichen Hochmuthe, deſſen ein kleiner deutſcher Fürſt nur fä¬ hig iſt, mit dem ganzen Trotze, den der Schwager eines Koſaken-Kaiſers ſich glaubt erlauben zu dürfen. Man muß die Epiſtel leſen, die der Großherzog ſei¬ nen getreuen Ständen vor die Füße geworfen hat! Er ſagt ihnen: ſie möchten ihm ja mit ſolchem Zeuge nicht mehr kommen, und das Volk ſolle ja nie in Menge etwas fordern, mit zahlreichen Bittſchriften nahen; denn wenn er noch ſo geeignet wäre etwas zu bewilligen, und wenn es das Bil¬ ligſte wäre nie würde er thun was viele, was Alle von ihm verlangten! Die Epiſtel ſchließt mit den Worten: Wir beſtätigen übrigens ſämmtlichen Abgeordneten und durch ſolche ſämmt¬ lichen geliebten Unterthanen noch wörtlich die Fort¬ dauer unſerer feſtbegründeten Huld und Gnade. Bedenke dich glückliches Volk! Sehen Sie, ſo ſpricht Göthes würdiger Zögling. Aber ich hoffe die Zeit wird bald kommen, daß wir dieſen deutſchen Fürſtchen unſere Huld und Gnade bezeigen und bei Gott! ich hoffe, das nicht blos wörtlich.

In Hannover iſt ganz das nämliche geſchehen; auch dort hat die Adelskammer den Antrag der Volks¬229 Deputirten auf Oeffentlichkeit verworfen. Die ar¬ men Hanoveraner ſind am ſchlimmſten daran, unter allen deutſchen Völkerſchaften. Sie müſſen ihrem Könige vergüten was er an zwölf Millionen freier brittiſcher Bürger verliert; auf jeden Hanoveraner kömmt die Tyrannei von dreizehen Seelen. So iſt der deutſche Adel! Nach der Juli-Revolution mußte er gezwungen ein ganzes Jahr faſten, und jetzt holt er heißhungrig die 365 verſäumten Mahlzeiten nach. Wohl bekomme es ihnen! Nur daß ſie ſich hüten, ſich nicht den Magen zu verderben, daß ſie ſich wohl hüten; denn wahrlich, laſſen ſie es zum Brechen kommen, möchte es ihnen ſchlimm ergehen. So iſt der Adel aller Länder und Zeiten, ſo wird er bleiben, ſo lange man ihn duldet. Er iſt immer ſo geweſen, er iſt im Livius was in der Mannhei¬ mer Zeitung. Sie erkennen keinen Gott der Men¬ ſchen, ſie erkennen nur einen Gott der Edelleute; ſie erkennen keinen Volks-Fürſten, ſie erkennen im Für¬ ſten nur ihren Hauptmann; ſie erkennen kein Vater¬ land, der Hof iſt ihr Wald, das Land eine Stätte ihrer Räuberei, das Volk ihre[Beute]. Im Jahr 1816 hielt der Vicomte von Caſtelbajac, ein reſtau¬ rirter Emigrant, in der franzöſiſchen Deputirtenkam¬ mer eine feurige Rede über die Wiederherſtellung der Religion, durch Vermehrung der Macht und des Reichthums der Geiſtlichkeit. Da, im heiligen Eifer,230 entwiſchte ihm der Ausdruck: das Wohl des Vaterlandes ... Vaterland! Er erſchrack ſeines unwillkührlichen Verbrechens und ſich entſchul¬ digend ſagte er der Kammer: Du reste, en em¬ ployant le mot patrie, je n'entends point le mot dont on a tant abusé, qui a servi de pré¬ texte à tous les interêts, à toutes les passions, et d'excuse à tous les crimes; j'entends par patrie, non le sol je suis atta¬ ché sous les honteuses lois de l'usur ¬ pation, mais le pays de mes pères avec le gouvernement légitime.

Die Freiburger Bürger hatten den Herrn von Rotteck zu ihrem Bürgermeiſter gewählt, aber die Badiſche Regierung hat dieſe Wahl verworfen. Nun darüber läßt ſich nichts ſagen, das iſt etwas Bundestägliches. Die Miniſter hatten ihre ganze Macht gebraucht, all ihren Einfluß geübt, alle ihre Ränke ſpielen laſſen, dieſe Wahl zu verhindern; ſie hatten dem Herrn von Rotteck ihren eignen Candi¬ daten entgegengeſetzt, und er bekam achthundert Stim¬ men, und der Regierungs-Candidat nur zweihundert. Sehen ſie, was die höchſt - und allerhöchſt weiſen Bundestagsbeſchlüſſe für ganz unterthänigſte Folgen haben. Freiburg, in dem größten Theile ſeiner Be¬ völkerung, war gar nicht liberal. Viele waren aus alten Zeiten noch öſtreichiſch geſtimmt, die meiſten231 waren Gegner von Rotteck und Welcker, denn die guten Bürger hatten ſich von ihren Regierungs - Pfaffen weiß machen laſſen, Welcker und Rotteck wären Schuld an der Sündfluth. Als ich verfloſſe¬ nen Sommer dort war, wohnte ich einem Abendeſſen von dreißig bis vierzig Perſonen bei. Darunter wa¬ ren etwa zehen Bürger, alle übrigen waren aus dem gelehrten Stande. Man verſicherte mich, ich ſähe da alles beiſammen was in Freiburg an Liberalismus aufzutreiben geweſen. Und wie hat ſich das jetzt geändert! Das haben die Bundestags-Geſandten bewirkt, das ſind die wahren Revolutionärs, die gu¬ ten ächten Hambacher. Der Großherzog von Baden hätte tauſendmal eher den Herrn von Blittersdorf penſioniren ſollen als Rotteck und Welcker. Aber ſie ſind mit Blindheit geſchlagen, mit einer Blind¬ heit gegen welche die Aegyptiſche Finſterniß blendendes Tageslicht iſt. Ich bitte Sie, thun Sie mir doch den Gefallen und fragen Sie mich in Ihrem näch¬ ſten Briefe: ob ich denn gar nichts über die Bun¬ destagsbeſchlüſſe ſchreiben werde? Ich möchte Sie gern auslachen, das wird mich erheitern. Den vie¬ len Narren, die ſeit vorigem Sommer dieſe Frage an mich gethan, wollte ich aus Höflichkeit nicht in das Geſicht lachen: aber mit Ihnen als meiner lie¬ ben Freundin brauche ich keine Umſtände zu machen. Ich ſoll von den Bundestags-Beſchlüſſen ſprechen! 232Als hätte ich mich darüber gewundert, als wäre ich einer jener Thoren die das überraſcht. Ich hatte die Bundestags-Beſchlüſſe ſchon ein Jahr früher geleſen, ehe ſie gedruckt, ja ehe ſie geſchrieben waren. Habe ich denn in den Pariſer Briefen von vorigem Win¬ ter nicht davon geſprochen? Doch vielleicht das nicht einmal; es ſchien mir ſo etwas natürliches, ſo et¬ was zu ſeyn, was ſich ganz von ſelbſt verſteht.

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TextBriefe aus Paris
Author Ludwig Börne
Extent247 images; 38083 tokens; 8298 types; 259500 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationBriefe aus Paris Fünfter Theil Ludwig Börne. . VI, 312 S. BrunetParis1834.

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Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Briefe; core; ready; ocr

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