PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Briefe aus Paris
1832 1833
Sechſter Theil.
Paris. BeiL. Brunet. 1834.
[III]
Geſammelte Schriften
Vierzehnter Theil.
Paris. BeiL. Brunet. 1834.
[IV][V]

Inhalt zum VI. Bande.

  • Ein und zwanzigſter BriefSeite 1
  • Zwei und zwanzigſter Brief15
  • Drei und zwanzigſter Brief28
  • Vier und zwanzigſter Brief43
  • Fünf und zwanzigſter Brief54
  • Sechs und zwanzigſter Brief74
  • Sieben und zwanzigſter Brief87
  • Acht und zwanzigſter Brief106
  • Neun und zwanzigſter Brief118
  • Dreißigſter Brief135
  • VI
  • Ein und dreißigſter BriefSeite 160
  • Zwei und dreißigſter Brief 179
  • Drei und dreißigſter Brief 197
  • Vier und dreißigſter Brief 201
  • Fünf und dreißigſter Brief 222
  • Sechs und dreißigſter Brief 225
[1]

Ein und zwanzigſter Brief.

Heute iſt der Jahrestag der Hinrichtung Lud¬ wig XVI. Es ſind gerade vierzig Jahre. Um dieſen jour funeste et à jamâis déplo¬ rable, wie vorgeſtern die Pairskammer beſchloſſen, religiös würdig zu feiern, mit Gebet, Reue, Buße und Thränen, um zu zeigen wie jede Republik eine Tiger-Eſſenz iſt, und jede Monarchie eine See von Mandelmilch und Roſenwaſſer will ich Ihnen folgende luſtige und herzbrechende Geſchichte mittheilen. Ich habe ſie aus einer franzöſiſchen Schweizer - Zeitung überſetzt. Vorher aber will ich Sie daran erinnern, was ich Ihnen kürzlich einmal von den Waſſerſäcken der Welt geſchrieben, und wie dasVI. 12Fürſtenthum Neuſchatel, von dem Könige von Preußen beherrſcht, der Waſſerſack der Schweitz ſei. Jetzt leſen Sie.

Die Patrioten in den Gefängniſſen von Neufchatel.

Am 8. December des vorigen Jahrs, begab ſich Herr von Perrot, Maire von Neufchatel und Präſident des Criminalgerichts in die Gefängniſſe, um den wegen politiſchen Vergehen Eingekerkerten, die ſogenannte Amneſtie zu verkündigen, mit welcher der König von Preußen, in ſeiner unerſchöpflichen Güte, ſie zu begnadigen geruhte. Dieſe Magiſtrats¬ perſon legte den Unglücklichen einen Eid auf, nach welchem ſie auf den königlichen Scepter zu ſchwören hatten: daß ſie an der Perſon ihrer Richter ſich nicht zu rächen ſuchen; daß ſie keinen Groll, gegen wen es auch ſei, bewahren; daß ſie ihrem Gefäng¬ niſſe Treue hüten, und während der ganzen Zeit ihrer Gefangenſchaft kein Mittel zur Flucht ver¬ ſuchen wollen. Alle Gefangenen ſprachen die Eidesformel aus: nur Dubois der zum Tode ver¬3 urtheilt, deſſen Strafe aber in lebenslängliche Ge¬ fangenſchaft mit beſtändiger Zwangsarbeit verwandelt worden war, weigerte ſich zu ſchwören; dieſer un¬ glückliche Patriot, als man ihm den Scepter vorhielt, erklärte, daß er ſich ein ſolches Gelöbniß nicht auflegen könnte. Auf eine zweite Aufforderung wiederholte Weigerung, worauf der Maire befahl Dubois in das Gefängniß zurückzuführen.

Fünf Minuten ſpäter, fielen auf einen Befehl des Maires, zwei Gensd'armes über Dubois her, knebelten ihn, legten ihm Handſchellen an, ſchleppten ihn die Treppe herunter, zerrten ihn über den Gefängnißhof, und warfen ihn in ein Loch, das man den Käfig nennt, um vierzehen Tage, bei Waſſer und Brod darin zu ſchmachten. Dieſes Folter-Inſtrument, ganz genau nach dem Modelle desjenigen verfertigt, das der Cardinal de la Belue, auf Befehl Ludwig XI. erſonnen, iſt ein Käfig von ohngefähr fünf und einem halben Fuß ins Gevierte, in dem man weder ſitzen noch ſtehen kann, und in einem alten Thurme des Gefängniſſes angebracht. Der Unglückliche, den man hineinſperrt, muß ſich auf dem Stroh, das man ihm unterlegt nieder¬ krümmen. Der Käfig iſt aus ſtarken Eichenbohlen gezimmert, empfängt nur ein wenig Licht durch die Fenſteröffnung einer innern Thüre, und das blos wenn eine äußere Thüre von Eiſen, die den Eingang1*4 des Thurms ſchließet, geöffnet wird. Im Sommer kann der Unglückliche, den man in dieſes Loch ſperrt, es noch aushalten! aber im ſtrengen Winter wird es unerträglich, da die Luft von allen Seiten ein¬ dringt. Auch wurde der unglückliche Dubois, nachdem er die Folter des Winterfroſtes acht und vierzig Stunden ausgehalten, von dem Gefängniß - Wärter in dem erſchrecklichen Zuſtande eines er¬ frornen Menſchen gefunden. Er hatte keinen Puls mehr und war ſteif wie eine Leiche. Der Kerker¬ meiſter entſetzte ſich über die Folgen dieſer kanni¬ baliſchen Grauſamkeit, eilte fort, Decken und warme Speiſen zu holen, und bemühte ſich mit Hülfe ſeines Sohnes, das unglückliche Schlacht¬ opfer in das Leben zurückzurufen. Gleich darauf ſetzte er den Maire von den Folgen ſeines barbari¬ ſchen Befehls in Kenntniß. Dieſer ließ Dubois in ſein altes Gefängniß zurückbringen und forderte ihn von neuem auf den verlangten Eid zu leiſten. Der Gefangene mußte ſich in ſein ſchmachvolles Schickſal finden, doch bei ſich wohl begreifend, daß ein ſolcher abgefolteter Eid nur Wort und Wind ſei.

Dieſes iſt die genaue Darſtellung von der Lage des unglücklichen Dubois, die uns einer ſeiner Leidensgenoſſen, der glücklicher als er, nach Verlauf ſeiner Strafzeit, das Gefängniß verlaſſen5 durfte, mitgetheilt hat. Eidgenoſſen! Nach ſolchen Schandthaten dürfen wir nicht mehr allein die Henker von Modena und Liſſabon verwünſchen. Die Preußiſch-Neufchateller Zwerg-Tyrannen, haben ſich zur Höhe jener zu erheben gewußt. Das ſind die Qualen, welche unſere Brüder in den Gefängniſſen von Neufchatel, und alle die, welche die würdige Regierung dort noch hineinführen kann, täglich zu erdulden haben! Berner! das iſt das Schickſal, welches jeden Augenblick Meuren bedroht. Und im Herzen der Schweiz mit ſeinen milden und patriarchaliſchen Sitten, und im Herzen der republikaniſchen Schweiz werden ſolche monarchiſch - ariſtokratiſche Schandthaten geduldet!

Und warum ſie nicht dulden, wenn ſie aus ſo guten lieben Händen kommen? Der preußiſche Staat iſt der glücklichſte der Welt, er hat die aller¬ beſten Schulen. Dort wird das Volk gründlich zum conſtitutionellen Leben erzogen; in den Schulen muß die Freiheit von der Pike auf, vom a b c an dienen. Sie halten jetzt ſchon am a, b ab; im zwanzigſten Jahrhunderte kommen ſie an das b, a ba und nach eben ſo viel Jahrhunderten als das Alphabet Buch¬ ſtaben hat, werden die Reichsſtände zuſammen¬ gerufen. Was mich aber an dieſer ſchönen Ge¬ ſchichte von dem Menſchenkäfig am meiſten ergötzte, war der Scepter, dieſes heilige Kreuz worauf man6 ſchwören ließ. Das iſt ein Seitenſtück zur Buße vor dem Bilde des Königs von Baiern. Die Des¬ potie in Deutſchland wird täglich orientaliſcher, romantiſcher, ſie funkelt wie Smaragden und Rubinen. Man glaubt den Calderon, oder ein Mährchen aus tauſend und einer Nacht zu leſen. Es kömmt noch dahin, daß man die Angeſchuldigten kleiner Ketzereien in ein Kryſtall-Gefängniß ſperren wird, oder ſie zur Buße mit nackten Füßen auf Perlen wird gehen laſſen und daß man die Angeſchuldigten großer Ketzereien, an einen Galgen von Sandelholz hängen wird.

Schwamm herbei! Die erſte Seite der deutſchen Eſelshaut iſt ſauber; jetzt zur zweiten. Ein Eßwaarenhändler in München a l'honneur de prévenir la haute noblesse et le respectable public. daß er friſche Trüffeln bekomme. Es iſt das Erſtemal, daß ich ſo etwas in franzöſiſcher Sprache leſe und es nimmt ſich ganz gut aus. Aber nicht gut nimmt es ſich aus, daß das ver¬ ehrungswürdige Publikum ſo entſetzlich einfältig iſt, ſo etwas zu dulden. Das verehrungswürdige Publi¬ kum ſollte ſich vereinigen, bei keinem Handelsmanne etwas zu kaufen, der die Frechheit hat in ſeinen Ankündigungen beſonders von dem hohen Adel zu ſprechen. Möchten ſie doch endlich einmal zur Be¬ ſinnung, endlich einmal zum Bewußtſein ihrer Macht7 kommen! Möchten ſie doch endlich begreifen lernen, daß die Sitten mächtiger ſind als die Geſetze, und daß nur die Geſetze in den Ständen des Adels ſind, die Sitten aber in den Ständen des Volks! Wären die Sitten nicht mächtiger als die Geſetze, es ſtünde heute ſchlimm in Frankreich mit Freiheit und Gleich¬ heit. Es giebt keinen entſcheidenden Tag, es giebt kein Schlachtfeld, keinen großen Sieg der Freiheit. Iſt eine Seite der Geſchichte herabgeſchrieben, werden die Zahlen addirt, und dieſe Summe nennt man eine Revolution. Fällt das Buch wieder in die Hand des Feindes, glaubt er die Revolution vernichtet zu haben, wenn er jene Summe nicht als Transport auf die neue Seite ſetzt. Er meint die Rechnung von vorn anzufangen, er merkt nicht, daß die alte Rechnung fortgeht er iſt ein Eſel. Aber ſeid Ihr keine Eſel! Ihr werdet nie etwas zu addiren bekommen, wenn ihr nicht täglich auf¬ ſchreibt, Brüche zu Brüchen, Zahlen zu Zahlen geſtellt. Es giebt nur Minuten, nur kleine Händel, kleine Zänkereien der Freiheit. Spottreden, Epigramme, Prügel, Ohrfeigen, Thüre hinaus, Treppe hinunter werfen. Aber jeder Tag hat vier und zwanzig Stunden, jede Familie hat fünf Seelen, und Ihr glaubt es nicht was fünf Seelen in vier und zwanzig Stunden verrichten können, wenn ſie ernſtlich und immer wollen ..... Du verehrungswürdiges8 Frankfurter Publikum warum biſt du denn ſo gar einfältig, dich in deinem Concertſaale auf die Hinterſtühle zu ſetzen, und dem hohen Adel die Vordern zu überlaſſen? Thut das nicht, ſetzt euch ſelbſt mit euren Weibern und Töchtern vorn hin. Zwar weiß ich wie viel es einem beſcheidenen Manne koſtet, ſich in einen öffentlichen Kampf mit der Eitel¬ keit einzulaſſen; aber es ſoll auch nicht Einer allein, alle Bürger ſollen ſich zugleich hervorſtellen. Und werdet ihr auch verbannt, bringt der guten Sache das Opfer. Seid nicht demüthig, ſeid nicht blöde, ſeid nicht ſchwach. Eure Demuth iſt ihr Hochmuth, eure Blödigkeit iſt ihre Frechheit, eure Schwäche iſt ihre Stärke. Geht jede Stunde einen Schritt, aber geht dieſen Schritt jede Stunde und ihr werdet bald an das Ziel gelangen.

Göttliche Gerechtigkeit wie lange noch wirſt du deine Blitze ſchlafen laſſen? Sie glauben vielleicht ich hätte das geſagt? O nein, es ſteht im frankfurter franzöſiſchen Journale und wird bei einer, ich weiß nicht mehr welcher, Gelegenheit ausgerufen, wo die Fürſten¬ ſchaft oder der Adel irgend eine Schleppe bekommen. Das Wort iſt ſchön, aber die ganze hohe deutſche Bundesverſammlung, mit allen ihren Excellenzen, Grafen und Baronen, mit allen ihren Legationsräthen und Geſandtſchafts-Sekretairen, mit dem großen9 Heere ihrer beſoldeten Zeitungsſchreiber, hatte ſo etwas Schönes nicht ſagen können, ſie mußte ſich erſt einen Franzoſen dazu kommen laſſen. Der verſtehts! Er ſpricht wie wir, er macht unſere Stimme nach, er meint Gott wäre blind und harthörig wie der Patriarch Iſaac, werde ſeinem ſpitzbübiſchen Sohn Jakob für ſeinen Erſtgebohrnen halten und ihm ſeinen Segen geben. Wahrhaftig es gefällt mir, daß ſie ſelbſt die ſchlafenden Blitze der Gerechtigkeit aufwecken!

Dritte Seite. Noch einmal Preußen. Prussia for ever. Die Preußiſche Regierung, wie jede germaniſchen Urſprungs es iſt des Tacitus wegen beſoldet Spione in Paris, um dort auf ihre geliebten treuen Unterthanen etwas Acht zu geben. Dagegen läßt ſich nichts ſagen, keine Mon¬ archie kann der Spione entbehren, man lebt ſo lange man kann. Warum haben Republiken, warum haben Nordamerika, die Schweiz, die freien deutſchen Städte keine Spione? Weil dort die Regierungen nicht zu befürchten brauchen, daß ihre Bürger ein¬ mal den Verſtand verlieren und ihre freie Verfaſſung gegen einen Fürſten vertauſchen möchten. Die Be¬ wohner einer Monarchie aber wünſchen ſich einen Freiſtaat ſobald ſie zu Verſtande kommen; je ver¬ nünftiger ſie alſo werden je mehr Spione braucht ein Fürſt. Das iſt alſo ganz in der Ordnung. 10Außerordentlich iſt es aber, eine ſehr außerordentliche Naivität, daß eine Regierung es eingeſteht und drucken läßt, ſie treibe Spionerie, wie es die Preu¬ ßiſche gethan.

Da iſt ein gewiſſer Traxler in Cöln, ein königlich Preußiſcher Paradiesvogel, ich meine: einer der Seeligen im Preußiſchen Paradieſe, das ſo herrliche Rüben und Schulen hat der ließ etwas in einem Pariſer Blatte von der Seeligkeit aller Rhein¬ preußen drucken und von ihrer Anbetung gegen die Mark Brandenburg. Die preußiſchen Behörden entdecken den Namen des Spaßvogels und ſperrten den Traxler in einen Käfig. Ein Gefängniß iſt die beſte Widerlegung aller Sophismen, es iſt die wahre Schule der Logik. Der Temps (darin ſtanden die Artikel) fragte: wie denn die Preußiſche Regierung ohne Verletzung des Briefgeheimniſſes ihren Correſpondenten habe entdecken können? Der Preußiſche Advokat antwortete: Briefe öffnen! Pfui! ſo etwas erlaubt ſich ſeine Herrſchaft nicht; aber den klugen Maasregeln unſeres Gouvernements iſt es zuzuſchreiben, daß man endlich durch Ver¬ mittlung eines Agenten der Pariſer Poli¬ zei, die Originalbriefe des Traxlers und mehrere von andern ähnlichen unnützen Geſellen, für Pariſer ultraliberale Blätter beſtimmt, erhielt .... Der deutlichſte Beweis, mit welchem Ver¬11 trauen dieſe Radicalreformers und Lügenver¬ breiter unſere Regierung verehren, daß ſie nicht Scheu trugen ihre Correſpondenzen frank und frei durch die Poſt an die vollſtändigen Adreſſen der Zeitungs-Büreaus abgehen zu laſſen ..... Nur von Traxlers Briefen wurde bis jetzt erſt Gebrauch gemacht, die andern ſind wohl noch aufgeſpart zur gelegenen Zeit ..... Die Landesgeſetze dürften dies wahrhaft verbrecheriſche Treiben leicht als lands¬ verrätheriſch betrachten und eine Strafe be¬ ſtimmen, welche als Warnung für ähnliche Brief¬ ſteller, der Strenge und des Ernſtes nicht entbehren wird.

Unnütze Geſellen, Lügenverbreiter das iſt der Oden-Styl monarchiſcher Begeiſterung; mit dem wollen wir nicht rechten; der Preußiſche Correſpon¬ dent als er ſo ſchrieb, kam vielleicht eben vom Tiſche. Wir wollen uns an die Proſa halten. Die klugen Maasregeln der Preußiſchen Regierung ſind bewunderungswürdig! Der große Friedrich mit ſeinen herrlich blauen Augen ſtand vor mir, aber ob er lachte oder weinte, konnte ich nicht unter¬ ſcheiden; denn ſchnell verhüllte er ſich das Geſicht, als ich von ſeinen Enkeln erzählte ... Als einen Beweis der Verehrung, als ein Zeichen des Vertrauens ſieht es die Preußiſche Regierung an,12 wenn ihre Unterthanen ſie nicht für ſo niederträchtig halten, daß ſie die Briefe öffne! So ſind alle Monarchien. Jede monarchiſche Rgierung will für jedes Unrecht, mit welchem ſie ihre Unterthanen verſchont, gelobt ſein; dann ſoll man ihre Gerechtigkeit preiſen. Jedes Gut, das ſie ihren Unterthanen nicht raubt, will ſie als Geſchenk betrachtet wiſſen, wofür man Dank ſchuldig ſei. Wenn ſie den Bürgern erlaubt, jedem ſo gut er es verſteht, den Weg ſeines Glückes zu verfolgen, ſeinem Wohlſtande nachzugehen, wenn ſie ja einmal nicht hindert, rühmt ſie ſich, Wohlſtand über das Land zu verbreiten und die Selbſthuldigung nimmt kein Ende. Das iſt wörtlich wahr. War doch neulich in einem Ruſſiſchen Zeitungsartikel zu leſen: Die Polen hatten alle ihre moraliſchen und phyſiſchen Kräfte der Regierung zu verdanken, die ſie ſchmählich verriethen, ob ſie ihnen gleich die Mittel verſchafft hat, mit denen ein achtmonatlicher blutiger Krieg geführt ward. Wenn ein unglückliches Volk, nachdem es die Ty¬ rannei ausgeſogen, noch ſo viel Kraft behielt, ſich der Tyrannei zu widerſetzen, wird ihm das als Ver¬ brechen, als Undank angerechnet! Nichts haben ſie den Polen übrig gelaſſen; aber um für die Freiheit zu kämpfen braucht es keiner andern Waffe, als der Liebe zu ihr.

13

Iſt das nicht artig, wenn der Preußiſche Advokat ſagt: nur den Traxler habe man einſtweilen vor¬ genommen, die andern gleichſchuldigen Pariſer Correſpondenten werden zur gelegenen Zeit aufgeſpart? Das iſt Gerechtigkeit! Sie ſind wohl noch nicht fett genug die Andern? Ihr ver¬ wahrt ſie wohl für eueren nächſten Freiheits-Schmaus? Und: die Geſetze dürften leicht eine Strafe beſtimmen die des Ernſtes nicht ent¬ behren wird! Alſo das Geſetz iſt Richter, das Geſetz wird beſtimmen! O mein Friedrich!

14

..... Schicken Sie mir Ihre Sachen, ich werde nicht grob ſein, wenigſtens dieſe Woche nicht mehr, ich bin ganz erſchöpft.

Ich freue mich, daß dem *** meine Briefe ſo gut gefallen. Ich will auch auf die Jugend wir¬ ken; wir Alten ſind keines Punkts auf dem i der Freiheit würdig. Grüßen Sie ihn herzlich von mir und ſeine Frau, und ſie ſollen der *** mehr Zucker in den Thee werfen, damit ſie nicht ſo ſauer ſpreche. Glauben Sie ja keinem, der ſagt ich wäre kein Gelehrter; das iſt boshafte Verläumdung.

[15]

Zwei und zwanzigſter Brief.

Wenn ich nur den böſen Zauber begreifen könnte, der die Italiener hier verhindert, den Don Juan ge¬ hörig zu Stande zu bringen. Man ſpielte ihn vor einigen Tagen wieder und ich habe mich gelangweilt wie immer. Es iſt Mozarts Muſik; aber ohne ih¬ ren Geiſt. Es iſt die nämliche Geſtalt, Haltung, Farbe; aber ohne Leben. Es iſt eine Wachsfigur, es iſt gemaltes Feuer. Ich wollte unſer Guhr käme einmal hierher und ſuchte dem ungläubigen Orcheſter etwas Religion beizubringen.

Als ich geſtern über den Boulevard St. An¬ toine, der jetzt Boulevard Beaumarchais heißt, ſpazieren ging, ſah ich mir genau drei Häuſer an, die nicht weit von einander liegen. Ich ſah hinein, hinauf und da es alle drei Eckhäuſer ſind, machte ich die Runde um ſie, ganz wie ein Dieb, der kund¬16 ſchaften will, auf welche beſte Art er in der Nacht einſteigen könnte. In dieſen Häuſern wohnten einſt berühmte Menſchen. Solche verödete Wohnſtätten rühren mich mehr als die Gräber auf dem Kirch¬ hofe. Dort war früher nichts und jetzt lebt da der Tod, es iſt eine Art Geburt. Hier aber war frü¬ her alles, und jetzt iſt das Leben todt, da iſt die wahre Vernichtung. Und welches Leben war in die¬ ſen Häuſern! Alle Luſt und aller Schmerz des Da¬ ſeins; alle Weisheit und alle Thorheit des Lebens; Reichthum, Armuth, die Freuden der Jugend, die Leiden des Alters, Witz, Geiſt, Aberglaube, Philo¬ ſophie, Edelmuth, Gaunerei, Freundſchaft, Treue und Verrath, ariſtokratiſche Verderbniß und demo¬ kratiſche Wuth, zwei Jahrhunderte und beide ver¬ raucht, und das ganze Paradies und die ganze Hölle, die zwiſchen der glücklichen und unglücklichen Liebe[liegen]. Jetzt wird in allen drei gemeine Krämerei getrieben!

In dem erſten Hauſe hat Caglioſtro ge¬ wohnt. Es ſieht etwas labyrinthiſch und theatraliſch aus und iſt ganz geeignet zu einem Schauplatze für Geiſterbeſchwörungen, Goldmacherei, Somnambuliſti¬ ſchen Spuk und andere Täuſchungen. Göthes ariſto¬ kratiſche Verſtocktheit und beiſpiellos enge Hofbe¬ ſchränkung wurden mir durch nichts klarer als durch die falſche Anſicht, unter welcher er das Leben des17 Caglioſtro und die Halsbandgeſchichte betrachtete. Er ſah ſie als revolutionaire Erſcheinungen, als die erſten Blitze an, mit welchen das Weltgewitter be¬ gann. Und ſie waren gerade das Gegentheil: das helle Aufflackern einer verlöſchenden Zeit. Caglio¬ ſtro's Treiben war eine Parodie der monarchiſchen Taſchenſchauſpielerkunſt. Ganz wie er, zu gleichen Zwecken und mit gleichen Mitteln, haben die Für¬ ſten aller Zeiten, die Völker aller Länder betrogen, ſo oft wegen unzureichender Macht die Liſt nöthig geworden. Die Halsbandgeſchichte war die Sitten¬ verderbniß aller Höfe, nur daß ſie hier zum erſten¬ male öffentlich geworden. Freilich wenn wahr iſt, was neulich die Monteskikelchen an der Ilm und der Saale, die edlen Ritter des Thüringer Waldes, die Großherzoglich-Sachſen-Weimar-Eisnach-Mos¬ kowitſche Adelskammer behauptet: Daß Oef¬ fentlichkeit der Anfang aller Revolutionen geweſen dann war die Halsbandgeſchichte wohl eine revolutionaire Erſcheinung. Aber an wem die Schuld, wenn keine Monarchie die Oeffentlichket er¬ tragen kann?

Das andere Haus gehörte einſt der Ninon de l'Enclos, der ſchönen Magdalene ohne Reue die alle die unendliche Barmherzigkeit Gottes erſchö¬ pfen muß, wenn er ihr ſo viel vergeben will als ſie ge¬ liebt hat. Ihre Zeitgenoſſen wunderten ſich, daß ſieVI. 218noch im höchſten Alter Bewunderer gefunden. Wie würden dieſe erſt erſtaunen, wenn ſie heute lebten, und ſähen, daß noch jetzt, nachdem Ninon länger als hundert Jahre todt iſt, noch jeder Mann von Gefühl ſie liebt? Es iſt ein großer Streit unter den Gelehrten, in welchem Alter Ninon zum letzten male glücklich geweſen, ob in ihrem ſiebenzigſten oder in ihrem achtzigſten Jahre. Ich glaube aber weder das eine noch das andere; denn ſie war neunzig Jahre alt als ſie ſtarb. Cheſterfield fragte einmal eine Dame von vierundſiebenzig Jahren, in welchem Alter die Frauen zu lieben aufhörten? dieſe erwie¬ derte: Mylord, das weiß ich nicht, Sie müſſen eine ältere fragen. Ninon's Haus hat drei Seiten, die nach drei verſchiedenen Straßen gehen. Vorn nach dem Boulevard iſt eine Hofmauer, vielleicht früher eine Gartenmauer, die zwei Pavillons verbindet. Den einen garſtig roth angeſtrichen, verunziert eine Weinſchenke der gemeinſten Art. Zu dem andern, höher auf einer Terraſſe gelegen, der einen Balkon hat, davon herunter zu ſpringen, führt von der Straße aus eine kleine, holde, anliebelnde Treppe, ſo eng, daß in dunkler Nacht ein gehender und ein kommender Liebhaber ſich unmöglich hätten ausweichen können. Doch für ſolche Fälle war geſorgt. Auf der entgegengeſetzten Seite nach einer andern Straße, hat das Haus noch eine Thüre. Da iſt der Haupt¬19 Eingang, das Thor. Jetzt hängt eine Tafel davor: Apartement à louer. Wie würde Ninon dar¬ über lachen, wenn ſie das läſe. Ein nicht-mö¬ blirtes Apartement, alſo nur jahrweiſe zu vermiethen. Sie hat ihr Haus oft genug vermiethet; aber die längſte Miethzeit war nicht länger als ein Tag un¬ ſerer Antipoden. Das Haus hat ungewöhnlich viele Fenſter, welche die ganze Höhe der Zimmer einneh¬ men, und von denen jetzt mehr als die Hälfte ver¬ mauert ſind. Dieſe vielen Fenſter gehören zu dem Nachruhme der Ninon. Sie heuchelte nicht; in welchem Zimmer, in welchem Winkel ſie auch war, es konnte ihr jeder Nachbar in das Herz ſehen. Sie war ſo edel, daß, ſobald ein Mann ihre Gunſt erhielt, er das Recht ihr ein Geſchenk zu machen aus immer verlor. Edel und doch geſtorben wie traurig! Aber es ſterben auch gewöhnliche Men¬ ſchen, die nichts haben als das Leben, und das iſt noch trauriger.

Das dritte Haus war das von Beaumar¬ chais. Dieſes ſuchte ich eigentlich auf, die andern ſah ich nur im Vorübergehen. Ich hatte eine Wall¬ fahrt dahin gelobt, als ich einige Tage vorher im Theater Français, Figaro's Hochzeit aufführen geſehen. Das Haus liegt oder lag vielmehr am Ende des Boulevards und am Eingang der Vorſtadt2*20St. Antoine, ſehr bezeichnend als Grenze zwiſchen Monarchie und Republik, wie Beaumarchais ſelbſt eine war. Das Haus, der Garten, einſt zu den Merkwürdigkeiten von Paris gehörend, die jeder Fremde zu ſehen eilte, ſind verſchwunden. Nur die Gartenmauern ſtehen noch, hoch, mit Frazenmäulern zum Abfluſſe des Waſſers verſehen; es ſcheint der Garten lag auf einer Terraſſe. Auch noch ein Luſt¬ häuschen hat ſich erhalten, von launiſcher Bauart, einen reichen Beſitzer verrathend. Ich trat in den geräumigen Hof. Dieſer umſchließt jetzt ein neues Gebäude zur Salzniederlage beſtimmt. Salz Beaumarchais es iſt ein Erbe der ſeiner nicht ganz unwürdig iſt. Beaumarchais gehörte zum Salze ſeiner Zeit Unſer heutiges Leben hat kein Gewürz mehr, es iſt wie ein Kinderbrei. Auch iſt jetzt die Menſchheit ein Kind, das in die Schule geht. Nichts trauriger als eine ſolche Zeit der Ent¬ wickelung und der Lehre, wie die unſere und die ſchon ein halbes Jahrhundert dauert. Man iſt da immer entweder zu jung oder zu alt. Iſt man zu jung, iſt man gedankenlos und die Zeit geht einem verlo¬ ren; iſt man zu alt, iſt man ſorgenvoll und man geht ſelbſt verloren In der ganzen franzöſiſchen Geſchichte, war das achtzehnte Jahrhundert gewiß das glücklichſte für alle genußliebenden Menſchen, Philoſophen und Müſſiggänger. Wer aber von je¬21 nen Menſchen, beim Ausbruche der Revolution, ſich und die Freiheit verſtanden, hätte ſich unter den Trümmern der Baſtille müſſen begraben laſſen. Auch unter den Ehen, welche die Liebe geſchloſſen, giebt es Glückliche, wenn auch ſelten; aber wer die Freiheit geheirathet, nachdem er ſie als Jungfrau ge¬ liebt, iſt immer unglücklich. Natürlich. Die Wehen der Zeiten kommen nach den Geburten und man er¬ kauft die Vater - und Mutterfreuden nicht mit Angſt und Schmerzen, ſondern man bezahlt ſie damit, nachdem man ſie ſchon genoſſen. Beaumarchais war nicht ſo glücklich einen Tag nach der Monarchie zu ſterben. Er lebte lange in die Revolution hin¬ ein, hörte ihre Verſprechungen, erfuhr ihre Täu¬ ſchungen, dann ſtarb er und ſah ihre Erfüllungen nicht mehr.

Es iſt merkwürdig, wie aller Geiſt der Men¬ ſchen nichts hilft, wenn der Geiſt der Zeiten ſich ändert. In einer Nacht war Beaumarchais ein Dummkopf geworden; in einer Nacht hatte er allen ſeinen ſchönen Muth, ſeine Klugheit, ſeine Ge¬ wandtheit, ſeine ſonſt ſo unerſchütterliche Feſtig¬ keit verloren.

Mit dem Kriege des Lebens hatten ſich die Rüſtungen des Lebens geändert, und die Revolution22 fand Beaumarchais wie im Schlafrocke. Wie wäre es erſt Voltaire ergangen, der ſo viel waffenreicher als Beaumarchais, ſich ſo viel wehrloſer gefühlt hätte! Sie kennen Beaumarchais als Schriftſteller, aber wiſſen vielleicht nicht, daß er einer der größten und thätigſten Geſchäftsmänner, einer der unternehmend¬ ſten Köpfe, einer der feinſten Hofleute und gewandt¬ ſten Weltleute geweſen, und daß er in allen Verle¬ genheiten, in allen Gefahren des geſelligen und bür¬ gerlichen Lebens, immer den größten Muth und eine bewunderungswürdige Geiſtesgegenwart gezeigt. Sein Abentheuer mit Clavigo in Spanien iſt durch Göthe bekannt geworden; aber erſt geſtern habe ich aus ſeinen hinterlaſſenen Briefen erfahren, wie er einſt ganz allein in einem Walde bei Nürnberg von Räu¬ bern angefallen worden, und, ob zwar ſchwer ver¬ wundet, ſich durch ſeine Unerſchrockenheit und Tapfer¬ keit gerettet hatte, nachdem er einen der Räuber nieder¬ geſtoßen, die andern verjagt. Er war zugleich ein Ouvrard und ein Voltaire. Durch ſeine kühnen und glücklichen Handelsunternehmungen ward er einer der reichſten Männer von Frankreich. Im Amerika¬ niſchen Freiheitskriege, machte er den Inſurgenten, im Einverſtändniſſe mit der franzöſiſchen Regierung, große Waffenlieferungen. Da gab es nun, wie im¬ mer bei ſolchen Unternehmungen, Kapereien, Schiff¬ brüche, verzögerte oder verweigerte Bezahlungen. 23Beaumarchais, durch ſeine Gewandtheit, wußte aus allen dieſen Verwicklungen ſich zu ſeinem Vortheile zu ziehen. Nun, dieſer nämliche Beaumarchais zeigte ſich in der Revolution unerfahren wie ein Kind, feige wie ein deutſcher Stubengelehrter. Er unternahm auch für die revoultionaire Regierung, Gewehrlieferungen; verlor aber nicht allein ſein Geld, ſondern faſt auch ſeinen Kopf darüber. Früher hatte er es mit Mi niſtern einer abſoluten Monarchie zu thun. Die Cabinetsthüren ſolcher Großen ſchließen und öffnen ſich jedem leicht und ſanft, der Schlöſſer und An¬ geln zu ölen verſteht. Später hatte es Beaumar¬ chais mit ehrlichen, das heißt mit gefährlichen Leuten zu thun; das wußte er nicht zu unterſcheiden und ging zu Grunde darüber.

Man hörte, daß er im Auslande Waffen auf¬ kaufte, und er kam in Verdacht, dieſes für Rechnung der Feinde zu thun; das Gerücht verbreitet ſich im Volke. In einer Nacht ſtürmten die Vorſtädter, Racheglühend, ſein Haus. Sie ſchrien, es wären Waffen darin verſteckt. Beaumarchais flüchtete ſich in Todesfurcht. Das ganze Haus wurde umgekehrt, die Erde des Gartens wurde tief aufgewühlt; man fand nichts. Beſonders die Weiber des heiligen An¬ tonius waren wie raſend. Man hat ſie oft die Fu¬ rien der Revolution genannt; aber nein, ſie24 waren die Rachefurien der Monarchie, ſie ka¬ men hinter der Sünde. Die Feinde der Freiheit möchten gern die Strafe für das Verbrechen erſchei¬ nen laſſen. Die angſtzitternden Diener Beaumar¬ chais, waren im Hauſe zurückgeblieben und konnten ſpäter ihrem Herrn von dem Hergange erzählen. In dem reichen und vollen Hauſe wurde nichts entwendet, auch nicht von dem Werthe eines Pfennigs. Kein Glas Wein wurde angenommen, die Wuthentbrann¬ ten löſchten ihren Durſt mit Waſſer. Der zer¬ lumpte Kerl, der die Rotte anführte, erklärte es würde jeder niedergeſtochen, der nur etwas anrühre.

Eine Frau hatte im Garten eine Nelke abge¬ brochen; ſie bekam dreißig Ohrfeigen, und wäre bei¬ nahe im Springbrunnen erſäuft worden. Als Beau¬ marchais den andern Morgen in ſein Haus zurück¬ kehrte, war er erſtaunt, alle ſeine Schätze wiederzu¬ finden. Er war erſtaunt ſo wenig verſtand er die Revolution, er der doch ſelbſt dreißig Jahre daran gearbeitet! Er ſtarb 1799 in ſeinem ſieben¬ zigſten Jahre, bei ungeſchwächter Kraft des Körpers und des Geiſtes; nur ſeine Heiterkeit hatte er ver¬ loren. Ein Freund, der ihn noch wenige Stunden vor ſeinem Tode, ohne das geringſte Zeichen von Uebelbefinden geſehen, äußerte die Vermuthung, er möchte ſich freiwillig das Leben geraubt haben. Beaumarchais ſagte ihm beim Scheiden: Ich bin25 nicht neugierig mehr ... Und wo ſich die¬ ſes alles begab, wo ſolch eine Welt von Leben lebte, wird jetzt Kochſalz verkauft! Ich bin geſtört worden ſonſt hätte ich Ihnen noch von der Auffüh¬ rung des Figaro geſprochen. Aber ich thue es in meinem Nächſten.

26

..... Nun, das iſt ſchön, daß Sie mir nachkommen und von meiner Weisheit zu erfahren wünſchen, was von den türkiſchen Angelegenheiten zu halten ſei. Seit acht Tagen ſuche ich das mit aller Macht zurückzuſtoßen. Ich habe ſchon an Eu¬ ropa ſchwer zu tragen und jetzt ſoll ich gar noch den Orient auf mich laden! Das halte ich nicht aus. Und daß Sie es nur wiſſen: mir hat der Zorn der Götter, das böſe Geſchick, oder wie man es nennen will, jetzt eine Herkules-Arbeit zugeworfen, die alle meine Kraft verzehrt. Ich ſchreibe Ihnen ein andermal davon; die Geſchichte iſt merkwürdig, aber weitläufig. Nur ſo viel in der Kürze: Die eilfte Plage Aegyptens iſt über mich gekommen; ich habe ſeit einiger Zeit die Pflicht, eine junge ſchöne Frau, faſt noch ein Kind, die vor einigen Monaten geheirathet hat, in ihrer ſchrecklichen Eiferſucht über eine erträumte Geliebte ihres Mannes zu beruhigen, und ſie nennt mich alle fünf Minuten ihren respec¬ table ami. Augen, roth und naß vor Liebe, und ich bin ihr ein respectable ami, ein Schnee¬27 mann, an dem ſie ihren heißen Schmerz abkühlen will! Braucht es da noch des halben Mondes um mich raſend zu machen? Ich verwünſche Sonne, Mond und Sterne und die ganze dumme Aſtronomie, die mich zum respectable ami gemacht. Doch genug für heute.

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Drei und zwanzigſter Brief.

In der Hochzeit des Figaro ſpielte die alte Mars die Suſanna. So etwas kann mich zugleich betrübt und zornig machen. Wenn ausgezeichnete Menſchen, von ächten und anerkannten Verdienſten, ſich ſolche kleine Eitelkeiten erlauben, was bleibt dann der Gemeinheit übrig? Sechszig Jahre iſt ſie alt und übernimmt eine Rolle, für die man ſchon im dreißigſten nicht jung genug mehr iſt. Eine Frau, welche die ſeltene glückliche Natur einer Ninon hätte, könnte vielleicht in ihrem ſechszigſten Jahr noch eine Suſanne ſeyn; aber eine ſpielen niemals. Und was mir am ſchlimmſten ſchien, war: daß die29 Mars beſonnen genug blieb, ihr Vermögen zu be¬ rechnen, und aus Furcht es zu überſteigen, es nicht einmal zu erreichen wagte. Sie ſtand nun da in ihrer edlen Art, wie eine betagte Königin und wagte, beſorgt die Majeſtät ihrer Würde oder ihres Alters zu verletzen, nicht die kleinſte jugendlich heitere Be¬ wegung, die ſich doch ſelbſt eine betagte Königin zu¬ weilen erlauben dürfte. Sie hatte ſo eine vornehme Haltung, daß die Gräfin als Kammermädchen neben ihr erſchien, und es war ganz wunderlich zu ſehen, wenn die Dienerin ſaß und die Gebieterin neben ihr ſtand. Wenn Figaro oder der Page ihr einen Kuß raubte, ließ ſie es geſchehen, wie ein Spalier von dem Knaben eine Birn abreißen. Dieſe Nachſicht, die freilich ein gebildetes Publikum überall mit einer beliebten Schauſpielerin hat, finde ich kaum löblich. Gewiß iſt es für Menſchen von Gefühl eine rüh¬ rende Vorſtellung, ſich zu ihrem Vergnügen eine Künſtlerin bemühen zu ſehen, die einſt ihre Väter entzückt hat. Aber wir müſſen auch an unſere Kin¬ der denken, und aus Dankbarkeit für den Genuß den unſere Eltern gehabt, nicht den Enkeln den Ge¬ nuß entziehen. Wenn, wie es an vielen Orten ge¬ ſchieht, eine Schauſpielerin eine jugendliche Rolle zwan¬ zig Jahr zu lange behauptet, ſo werden dadurch die jungen Künſtlerinnen in ihrer Ausbildung zurückge¬ halten, und oft ſtirbt darüber ein ganzes Theaterge¬30 ſchlecht aus, das die bedeutendſten Rollen nie auf neue würdige Art darſtellen ſah.

Aber wie viel ſtrenger noch als es geſchehen hätte ich die Mars beurtheilt, hätte nicht eine ge¬ wiſſe Ehrfurcht meinen Tadel beſcheidener gemacht. An dem nämlichen Tage, da man Figaro aufführte, war es aus den Zeitungen bekannt geworden, daß die Mars von einem ihrer ehemaligen Liebhaber un¬ vermuthet eine Erbſchaft von vierzigtauſend Franken Renten gemacht habe. Das Geld iſt der wahre Cothurn, die Mars kam mir zuweilen erhaben vor. Dieſe Erbſchaftsgeſchichte iſt ſehr merkwürdig und voller Moral und Philoſophie; ſogar etwas Religion kömmt darin vor. Sollten Sie vielleicht in der Zeitung dieſe Geſchichte nicht geleſen haben, ſchreiben Sie mir es, ich erzähle ſie Ihnen dann. Damit Sie aber während der vierzehn Tage die darüber hinge¬ hen werden, keine üble Meinung von der Mars he¬ gen, will ich Ihnen gleich erklären, was hier unter Liebhaber zu verſtehen ſei. Der alte Herr der un¬ ſere Suſanna zur Erbin eingeſetzt, war ihr Liebha¬ ber, wie man keinem Bettler wehren kann, der Lieb¬ haber jeder Königin zu ſein. Er hatte ſie, aber ſie hatte ihn nicht lieb. Sie gab ihm kein Gehör und nie Zutritt in ihr Haus. Aber ein edler Mann rächt ſich für weibliche Grauſamkeit nie anders, als durch ein Geſchenk von vierzig tauſend Franken Renten.

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Die Rolle des Figaro wurde von Mon¬ roſe ganz unleidlich dargeſtellt. Dieſer Monroſe iſt ſonſt einer der beſten Schauſpieler des Theater Français, beſonders ausgezeichnet in den ſpitzbübi¬ ſchen Bedienten der Stücke Molieres. Aber eben die metallene Gefühlloſigkeit und Unverſchämtheit jener ſpitzbübiſchen Bedienten wußte er nicht los zu werden, und Figaro's Geiſt, Grazie und Sentimen¬ talität verſtand er nicht aufzufaſſen, oder verſtand ſie nicht darzuſtellen. Die Melodie ſeines Spiels und Beaumarchais Worte, paßten gar nicht zuſammen. So war dieſe Aufführung eine der langweiligſten die man ſich denken kann, und was die Unluſt noch ver¬ mehrte, war die Schläfrigkeit des Publikums, deſſen rege Theilnahme durch Lob und Tadel eigentlich die Pariſer Komödie ſo anziehend macht. Doch eben dieſe Apathie der Zuſchauer intereſſirte mich auf eine andere Art und beſchäftigte mich den ganzen Abend. Man beſucht einen Freund in ſeiner Krankheit oder in den Tagen ſeiner Wiedergeneſung, da hört er nicht auf von ſeinen Schmerzen oder von ſeiner Er¬ leichterung zu ſprechen, zu jammern oder zu lächeln; man beſuche ihn vier Wochen ſpäter und frage ihn wie er ſich befindet er verſteht die Frage nicht mehr. Ganz ſo erſchien mir das heutige Frankreich, wenn ich es mit dem des achtzehnten Jahrhunderts, mit dem Frankreich Beaumarchais verglich. Es hat32 ſeine Schmerzen, ſeine Geneſung, ſeinen Arzt und ſeine Geſundheit vergeſſen. Jener Figaro, jenes große Zeughaus voll Spott, Tadel, Witz, Humor und Satyre, daß einſt eine Welt gegen eine Welt bewaffnete, was iſt aus ihm geworden? verſchmäh¬ tes Kinderſpielwerk; das erwachſene Volk hat keine Freude mehr daran. Wo ſonſt der Sturm des Bei¬ falls tobte, da war es ſtill; man klatſchte nicht, man lächelte kaum. 1785 kam das Stück auf die Bühne, 1789 wurde es unter freiem Himmel aufge¬ führt. Beaumarchais hatte die Möbels der Monar¬ chie mit zarter Pfauenfeder leicht abgeſtäupt; fünf Jahre ſpäter zerſchlug die Nationalverſammlung die Möbels, und bald ſtürzte das leere Haus zuſammen. Staub iſt die Schminke jeder alten Monarchie; den fort, und man ſieht ihre Runzeln, ihr garſtiges Per¬ gament, und ſie wird ein Spott der Jugend.

Figaro's Hochzeit war eine Welt-Komödie, bil¬ dete Epoche in der großen und majeſtätiſchen Geſchichte Frankreichs. Und kömmt mir einer und kauderwelſcht von Demagogen, von Volksverführern, von Zeitungs¬ ſchreibern, von Lügenverbreitern, von Revolutios-Fa¬ brikanten: ſo will ich ihm beweiſen, bis er roth wird, daß Ludwig XIV. indem er die Aufführung des Tartüffe, und Ludwig XVI. indem er die Auf¬ führung des Figaro geſtattete jener der Geiſtlich¬ keit, dieſer dem Adel die erſte Wunde beigebracht,33 und daß es alſo zwei franzöſiſche Könige geweſen, welche die franzöſiſche Revolution herbeigeführt. Denn Adel und Geiſtlichkeit ſind die beiden Enden des Ba¬ lancier-Baumes der Fürſten, da jede Regierung die nicht auf dem Boden des Volkes ruht, jede monar¬ chiſche Regierung nur Seiltänzerei iſt; fort die Stange, Plautz der König!

Und hierin iſt wieder etwas, das meine deutſche Hoffnung bis zur Unſichtbarkeit entfernt, und meine Ungeduld und Verzweiflung vermehrt. Wir haben keinen Figaro auf der deutſchen Bühne, wir werden nie einen bekommen, denn man wird nie ſeine Auf¬ führung erlauben. Und kömmt einmal die Zeit, daß man zu einem ſolchen Stücke keine Erlaubniß mehr gebraucht, braucht man auch das Stück nicht mehr. Um gerecht zu ſein, muß man ſagen: die Könige aus dem Hauſe Bourbon hatten Alle etwas könig¬ liches; in einer verdorbenen Zeit gingen ihnen Ge¬ rechtigkeit und Menſchlichkeit nie ganz verloren; der Hof hatte ſie, ſie hatten nicht den Hof verdorben, und ſie blieben immer die beſten unter den Hofleu¬ ten. Um gerechter zu ſein muß man ſagen; der franzöſiſche Adel des achtzehnten Jahrhunderts war gebildet, geiſtreich, von milden Sitten und weit ent¬ fernt von dem düſtern Hochmuthe des deutſchen Adels. Darum aber weil ſie ſo geweſen, ſahen ſie die Revolution nicht kommen und gingen ihrem Ver¬Vl. 834derben entgegen. Unſere Fürſten und unſere Edel¬ leute ſpotten jetzt über ſolche Verblendung und über¬ heben ſich ihrer eigenen Weisheit. Sie mögen ſpot¬ ten. Wenn ſich ein Erdbeben naht, das wittert der tiefſinnigſte Naturforſcher nicht; aber die Hunde wer¬ den gleich unruhig und heulen.

Es iſt noch etwas Anders was die deutſchen Verhältniſſe ſo mißlich macht, weil es der Freiheit ihre beſten Waffen raubt: die Kunſt und die Wiſſen¬ ſchaft. Unſere Gelehrten, Schriftſteller und Dichter haben keinen Zutritt in die höhern Stände; weil unſer hochmüthiger und geiſtloſer Adel ſie zugleich verachtet und fürchtet. Und geſchieht es ſelten ein¬ mal; daß man ſie nicht zurückſtößt, ſind ſie blöde und unbeholfen, weil ſie arm ſind, und ſie den Muth und den Stolz nicht gewinnen können, den nur die Unabhängigkeit giebt. Beaumarchais, der Sohn eines bürgerlichen Uhrmachers, ſeinen Geiſt zum Paſſe, den damals kein Miniſter, keine Exzellenz, kein Edel¬ mann das Viſa zu verweigern die Unverſchämtheit hatte, drang durch ſeine Gewandheit bis zu den Stufen des Thrones vor, und erhob ſich zu einem der reichſten Männer Frankreichs. Als Figaro er¬ ſchien, ſagte man: es habe dem Dichter weniger Geiſt gekoſtet das Stück zu ſchreiben, als es auf die Bühne zu bringen. Was hat Beaumarchais nicht Alles gethan und geduldet, um ſeinen Zweck zu er¬35 reichen! Unſer Raupach hielte ſolch ein ſchleichend Nervenfieber keine vier Wochen aus. Zuerſt las Beaumarchais ſeine Komödie in allen Salons, Bou¬ doirs und Kabinetten vor und bettelte ſich einen Reichthum von den ſchönſten, mächtigſten und galan¬ teſten Stimmen zuſammen. Die Kabale war um¬ garnt, ehe ſie ſich deſſen verſah. Dann legte er das Stück der Prüfung von neun verſchiedenen Cen¬ ſoren vor, die es Alle einer nach dem andern prüften, und nach den vollzogenen Aenderungen, die ſie zur Bedingung machten, genehmigten. Aber noch ſtan¬ den hohe Berge von Hinderniſſen im Wege. Beau¬ marchais wandte ſich an die Miniſter und bat, ſie möchten ein Tribunal von Akademikern, Cenſoren, Schriftſtellern, Welt - und Hofleuten errichten, die das Luſtſpiel leſen und prüfen möchten. Das ge¬ ſchah. Es wurde geleſen, geprüft, berathſchlagt, wieder verbeſſert und endlich genehmigt. Er war noch weit vom Ziel. Da wandte er ſich an den König. Dieſer beſchloß, zu beſſerer Prüfung das Stück auf einem Hoftheater vor einem Ausſchuſſe von Zuſchauern, an welchen nichts mehr zu verder¬ ben iſt, ſpielen zu laſſen. Der Tag der Aufführung war ſchon beſtimmt, die Zuſchauer waren eingeladen, die Schauſpieler angekleidet, die Lichter brannten, die Straßen waren mit Equipagen bedeckt da kommen neue königliche Skrupel, und es wurde Alles3 *36wieder abbeſtellt. Endlich kam der Krönungstag[ſeiner] Beharrlichkeit und Figaro betrat die Bühne.

Der Grund ihrer Widerſetzlichkeit den damals die Gegner Beaumarchais anführten, oder der Vor¬ wand den ſie gebrauchten, war weniger die politiſche Bedeutung der Komödie, als ihre ſittliche Ausgelaſſen¬ heit. So urtheilten leichtſinnige Franzoſen. Aber ein nordiſcher Fürſt der damals in Paris war, eine deutſch-ſolide, edelmänniſche Natur, die zu abgehärtet in jeder Tugend iſt, um das verbuhlte Lüftchen eines unſittlichen Wortes nur zu fühlen, fand gleich den wahren gefährlichen Punct auf. Der König von Schweden der damals in Paris war, ſagte zu Ma¬ ria Antoinette: cette. comédie n'est pas indé¬ cente, mais insolente, Er meinte die Keckheit, mit welcher darin die Schwächen der Regierungen und des Adels verſpottet wurden. Der weiſe Fürſt hatte es genau errathen. Sechs Jahre ſpäter lernte er in ſeinem eignen Lande die Beſcheidenheit des Adels, der Unverſchämtheit des Bürgerſtandes gegen¬ über, kennen und ſchätzen. Auf einem Hof-Masken¬ balle, unter fröhlich rauſchender Muſik, unter Tanz, Scherz und Lachen, umwölkt von dem Dampfe des Punſchnapfs, fiel Guſtav III. meuchelmörderiſch von den Händen ſeines treuen und inſolenzwidrigen Adels. Gift, Dolch, Kugel und Schnur, ſind freilich be¬ ſcheidenere Wege als Figaro's Monologen, eine Re¬37 gierung zurecht zu weiſen. Heinrich IV., Guſtav III., Paul I. fielen von edlen Mörderhänden; kaum ein Land das nicht einen Fürſten gehabt, der das Rache¬ opfer des Adels oder der Geiſtlichkeit geworden. Aber ſolche Tage ſind keine jours funestes et à jamais déplorables, die man bei jedem Wie¬ derkehr mit Trauer und Buße begeht. Wenn Adel und Pfaffheit einen König meuchelmorden, ſo iſt das ehrwürdiger Richter Spur; wenn aber, wie es nur zweimal geſchehen nach tauſendjähriger Ge¬ duld, ein Volk ſeinen König richtet, iſt das ſchnö¬ der Meuchelmord, ein jour funeste et à jamais déplorable! Das ſagen Adel und Geiſtlichkeit, die ihre Privelegien klug zu wahren wiſſen.

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Ein Abbe Chatel in Paris hat ſeit der letzten Revolution eine neue Kirche unter den Namen Eglise catholique française primaticale gegründet. Sie erklärt ſich unabhängig von dem Papſte und führt nach und nach wichtige Verbeſſerungen in die Glaubenslehre und den Gottesdienſt ein. Die An¬ hänger dieſer Kirche vermehren ſich täglich. Kürzlich wurde darin eine muſikaliſche Meſſe zum Andenken Mo¬ liere's, Talma's, Philipp's der Raucourt und aller an¬ dern Schauſpieler und Schauſpielerinnen gefeiert, wel¬ chen zur Zeit ihres Todes, die katholiſche Kirche ein chriſtliches Begräbniß verweigert hatte. Der Teufel mag ſich freuen über eine ſolche ſpäte[Genugthuung], mich macht das immer toll. Die Freunde und Anver¬ wandte Moliere's und der Andern, jetzt ſelbſt todt erfahren ſie denn von der heutigen Wiederher¬ ſtellung giebt ſie ihnen Troſt, lindert ſie den alten Schmerz den ſie gefühlt, als die ewig tückiſche und Liebe heuchelnde katholiſche Kirche, die Leiche eines guten Menſchen beſchimpfte und hinaus in den Koth der Gaſſe warf? Jetzt kommen ſie und das iſt mein ewiger Jammer! Seit drei Jahrhunderten39 peinigen ſich die Völker ab, ihre unwiſſenden und entarteten Fürſten und Regierungen zur Weisheit, Menſchlichkeit und Gerechtigkeit zu erziehen, und jetzt ſitzen wir ſchon da Jahrhunderte lang in Schmerzen und Ungeduld, ſehen den Schneckengang der Ausbil¬ dung mit an und ſchmachten und dulden, bis es der lieben Jugend, die uns beherrſcht endlich einmal ge¬ fallen wird, leſen zu lernen im Buche der Weisheit und Gerechtigkeit und ſich die erſten Grundſätze der Sittenlehre einzuprägen. Man ſage nicht das Volk wäre einverſtanden geweſen mit der Excommunikation der Schauſpieler; das war es nicht, wenigſtens nicht im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Ob es zu Molieres Zeit noch ſo tief ſtand, weiß ich nicht, doch ich zweifle; doch wäre es auch geweſen wann hat ſich denn je Ludwig XIV. um die Stimme und Meinung des Volks bekümmert? Es hätte ihm nur ein Wort gekoſtet und keiner hätte zu murren gewagt, wenn Moliere auch mit dem Ge¬ pränge eines Papſtes wäre beerdigt worden. Jede Thorheit, jeder Aberglaube des Volkes, wenn ſie dazu dienen, die Tyrannei der Fürſten und die Macht der Regierungen zu verſtärken, wird geachtet und ge¬ liebkoſet; da iſt des Volkes Stimme, Gottes Stimme. Wenn aber die öffentliche Meinung das Gute, das Gerechte will, verſpottet man ſie, und verlangt ſie mit Beharrlichkeit, antwortet man ihr mit Flinten¬40 ſchüſſen! Die Unverſchämten! Man höre doch wie ſie jetzt über neue Ereigniſſe, wo dumme verführte Völker Tyrannei begehren, ſprechen, wie ſie ihrem Bruder Sultan Mahmud und ihrer Schweſter der Königin von Spanien, den Text leſen. Was! Ihr trotzt dem Volke? Ihr wollt ihm liberale Inſtitu¬ tionen aufdringen, die es verabſcheut? Iſt das menſchlich, iſt das gerecht, iſt das königlich? Könnt Ihr das vor Gott und ſeinen Propheten verantwor¬ ten? Das Volk iſt gut, das Volk iſt weiſe, das Volk iſt gerecht, das liebe Volk weiß immer was es will, was ihm gut iſt; das Volk iſt das Land; das Volk iſt Alles. Wer es mit dem Volke verdirbt geht zu Grunde ....

So reden ſie. Hat doch neulich Euer monsieur Durand in Frankfurt, der franzöſiſche Advokat des deutſchen Bundes, als er von der mißlichen Lage des Sultans ſprach, ausgerufen: ces réformes ¬ pugnaient à son peuple, et c'est de son peuple qu'il aurait besoin aujourd'hui. O mein ſehr weiſer, mein ſehr bundestäglicher Herr Durand wenn ſie wieder einmal den Berg Sinai hinaufſteigen, wenn ſie wieder eine Zuſammenkunft mit Egeria haben, wenn ihnen Mahomeds Taube wieder einmal in das Ohr flüſtert, dann fragen Sie doch Ihr Orakel: wie es denn mit den Reformen wäre, welche die Bundestagbeſchlüſſe dem Widerwil¬41 len des deutſchen Volkes aufgedrungen, und ob nicht eine Zeit kommen könnte, wo dieſes üble Folgen hätte? Laſſen Sie an dem Thore des taxiſchen Hauſes, an den Palläſten des Königs von Baiern, des Großherzogs von Baden, des Großherzogs von Darmſtadt, des Kurfürſten von Heſſen, und aller übrigen weintrinkenden Sultane Ihre goldenen Worte mit goldenen Buchſtaben in Marmor graben: ces réformes répugnaient à son peuple, et c'est de son peuple qu'il aurait besoin aujourd'hui. Unten drunter laſſen Sie einſt¬ weilen 183 ... ſetzen; die vierte Jahreszahl und der Monatstag, ſind dann ſchnell hinzugethan.

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Ein Profeſſor Wolf in Jena, ſagt in ſeinem Buche über die ſchöne Litteratur: Börne hat es in ſeiner letzten Zeit mit dem Publikum verdorben durch ſeine Briefe aus Paris, weil er den Spaß zuweit trieb und die Menge zu beſchränkt war um ein¬ zuſehn, daß jene Uebertreibungen wirklich nichts ſind, als etwas grober und zu Zeiten unziemlicher Spaß. Dieſer unbeſchränkte Wolf iſt auch einer von un¬ ſern Leuten, die es in der chriſtlich deutſchen Bildung bis zur blonden Philiſterei gebracht. Einer der einmal eine Ohrfeige bekam, fragte: mein Herr iſt das Spaß oder Ernſt? völliger Ernſt. Nun das iſt Ihr Glück, denn ſolchen dummen Spaß kann ich nicht ertragen. Der ſchrankenloſe Profeſſor, wenn er jetzt meine neuen Briefe lieſt, wird auch ſagen: Nun das iſt ſein Glück, daß er Alles für Ernſt erklärt, denn ſolchen dummen Spaß können wir nicht vertragen. Adieu!

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Vier und zwanzigſter Brief.

Berenger, die Nachtigall mit der Adlerklaue, hat wieder geſungen. Geſtern wurde ein neuer Band Lieder von ihm ausgegeben. Ich hatte noch nicht Zeit ſie zu leſen; aber in meinem nächſten Briefe ſchreibe ich Ihnen darüber und dann ſchicke ich Ihnen das Buch durch die erſte Gelegenheit.

Ein Reiſender der aus Deutſchland kam, hat mir meine Briefe geliehen, die hier immer noch nicht angekommen ſind. Der erſte Band kam mir unbe¬ deutend vor, im zweiten habe ich einige gute Sachen gefunden! Es ſcheint, daß ich im Januar und Fe¬ bruar am meiſten Verſtand habe. Das kann aber44 nicht immer ſo geweſen ſein; denn in einem dieſer Monate habe ich Sie einſt kennen gelernt. Als Conrad das Buch liegen ſah, rief er aus: Sind das Ihre neuen Briefe! Das wird wieder große Freude im Lande ſein. Schöne Freude! In der Münchner Hofzeitung ſoll ſtehen: wenn Deutſch¬ land noch einen Galgen übrig hat, verdiente ich wegen meiner radikalen Niederträchtigkeit daran gehangen zu werden. Ich werde mich aber um das Hofpöbel - Geſchwätz und um das ganze monarchiſche Geſindel nicht mehr bekümmern. Nicht die geringſte Luſt habe ich ein Wunder zu wiederholen und meine Rezenſen¬ ten zum zweitenmal aus dem Tode zu erwecken. Friede ſei mit ihren Gebeinen. Einmal war nöthig, aber einmal iſt auch genug.

Uebermorgen wird im Theater der Porte-St. - Martin, ein neues Drama von Victor Hugo aufge¬ führt. Ich war eben dort mir einen Platz zu neh¬ men; es war aber keiner mehr zu haben. Schon auf acht Tage hinaus ſind alle Plätze beſtellt. So ungeſchickt bin ich immer, ich komme jedesmal zu ſpät, und ſeit ich Paris beſuche, iſt es mir noch nie¬ mals gelungen einer erſten Vorſtellung beizuwohnen, welche immer die intereſſanteſte iſt. Das wird be¬ ſonders diesmal der Fall ſein; denn wegen der Ver¬45 folgung die Victor Hugo neulich von den Miniſtern zu erdulden hatte, werden ſeine Freunde und die Feinde der Regierung gewiß Rache zu nehmen ſuchen. Ohne dies ſpielt das neue Drama in dem Hauſe Borgia, dieſem bekannten Italieniſchen Fürſtenge¬ ſchlechte, deſſen Blut von der Sünde ſchwarz ge¬ worden war. Da werden Dichter und Zuhörer dem monarchiſchen Prinzip wohl wieder etwas auf den Fuß treten. Das unglückliche monarchiſche Prinzip! Aus Angſt und Verzweiflung, daß man ihm einen Theil ſeiner Schätze geraubt hat, packt er ſich gleich Molieres Geizigen, an der eignen Bruſt und ſchreit: halt den Spitzbuben! Mein Geld heraus! So weh thut ihm keiner ſeiner Feinde, als er ſich ſelbſt thut. Sie werden aus den Pariſer Zeitungen halb errathen haben, welche neue Thorheiten und Schändlichkeiten die Regierung wegen der Her¬ zogin von Berry begangen hat. Sie ſchickte zwei hieſige Aerzte nach Blaye. Daran wäre nun weiter nichts auffallendes geweſen, da die Legitimiſten ſelbſt laut gejammert hatten, die Berry ſei krank und würde dem dortigen Klima unterliegen. Aber die Miniſter des Königs es kam darauf an, die Ge¬ burt des Herzogs von Bordeaux verdächtig zu ma¬ chen ließen drucken: die Aerzte hätten eine ganz beſondere wichtige Sendung, ſie hätten den Auftrag46 einen Punkt der gerichtlichen Medizin in das Reine zu bringen. Darauf ſchreiben die legetimiſti¬ ſchen Blätter von Gift, ſprachen von Vergiftung. Natürlich war das Verläumdung. Die Aerzte kamen von Blaye zurück und die Legitimiſten, dieſe dummen Pfaffen des monarchiſchen Prinzips, erzählten den wahren Hergang der Sache, wie ſie ihn zu wiſſen glaubten. Die Aerzte wären verlegen, ſchamroth, ſtotternd vor der Herzogin erſchienen und hätten kein Wort hervorzubringen gewußt. Sie aber, wie es der Wittwe eines Märtyrers, der Mutter des Wunderkindes gezieme, wäre ſtolz vor die armen Doktoren hingetreten und hätte erhaben, erhaben, ſehr erhaben über alle weiblichen Schwächen, ihnen ſelbſt den Mund geöffnet und geſagt: Ich weiß, warum Ihr gekommen; jetzt ſeid Ihr hier, jetzt un¬ terſucht Ihr alles gehörig, und nicht eher ſollt Ihr das Zimmer verlaſſen, bis Ihr alles gehörig unter¬ ſucht habt. Man ſoll wiſſen, woran man iſt: Die mediziniſchen Richter unterſuchten alles gehörig und fanden alles gehörig, und gingen darauf mit rother Stirne fort. Mich ärgert die Geſchichte. Jetzt wird nun Jarke mit dem ganzen monarchiſchen Troſſe frohlockend ausrufen: Seht Ihr, ſeht Ihr, was von einer repräſentativen Verfaſſung heraus¬ kömmt, welche ſchöne Folgen Oeffentlichkeit und47 Preßfreiheit haben? Hat man in einem Lande das nicht mit der Preßfreiheit verflucht iſt, je von der Mütterlichkeit einer Prinzeſſin Wittwe reden ge¬ hört? Ganz Recht hat Herr Jarke. In ſolch einem glücklichen Lande erfährt man dergleichen nie. Nichts iſt[abſcheulicher] und furchtbarer als die Pre߬ freiheit; ſogar einer fürſtlichen verwittweten Unſchuld kann ſie einen böſen Leumund machen.

Was das elend kranke monarchiſche Prinzip im¬ merfort an ſich kurirt! wahrhaftig man muß Mitleid mit ihm haben. Da es ſieht, daß ihm Aerzte und Apotheker nicht helfen können, nimmt es zu alten Weibern ſeine Zuflucht, und gebraucht ſympathetiſche Mittel. Vorgeſtern war ein Ball bei Hofe und da erſchienen mehrere Damen die presque jolies et à peu près jeunes waren, zum allgemeinen Er¬ ſtaunen mit Puder in den Haaren, und gekleidet nach der Mode aus der tugendhaften Zeit der Regentſchaft. Die königliche Familie überhäufte dieſe tugendhaften ge¬ puderten, loyalen, monarchiſchen, faſt ſchönen und ungefähr jungen weiblichen Köpfe, mit Gunſt¬ bezeugungen aller Art. Der Herzog Decazes machte ihnen den Hof im Namen der Camarilla. Thiers ſagte ihnen im Namen der Doktrinairs die ſchönſten Schmeicheleien. Im Namen des diplomatiſchen Corps überreichte ihnen der päpſtliche Nuncius Confect und48 Eis. Herr Pasquier im Namen der Pairs, erklärte dieſen Tag für einem jour heureux et à jamais mémorable. Aber im Namen des Volks wurden ſie von allen übrigen ausgelacht. Von Thiers wun¬ dert es mich, da er doch eine Geſchichte der franzö¬ ſiſchen Revolution geſchrieben und wiſſen mußte, daß Mirabeau und Robespierre ſehr gepudert waren und daß Madame Rolland eine ſteife Schnürbruſt getra¬ gen. Den andern Tag ſchickten drei Geſandte Cou¬ riere an ihre Höfe und man glaubt, dieſer Puder werde ſehr viel zur Schlichtung der Belgiſchen Angele¬ genheit beitragen, weil die heilige Allianz an dem ernſten Willen Louis Philipps, das reine monarchi¬ ſche Princip herzuſtellen und die ungepuderte und un¬ geſchminkte Preßfreiheit zu vertilgen, nun nicht län¬ ger mehr zweifeln könnte.

Aus Spanien blüht uns wieder eine neue Hoff¬ nung entgegen. Es iſt dort in mehreren Provinzen eine bedeutende Revolution ausgebrochen; zwar eine Carliſtiſche, aber die hilft auch. Sie unterſcheidet ſich von einer liberalen nicht mehr als Kreuz-Aß von Herz-Aß; der Werth iſt der nämliche[und] die Farbe des Trumpfes kann allſtündlich ändern. Auf keine Weiſe iſt zu fürchten daß ſich die Spanier in den Schlaf protokolliren laſſen. Eine diplomatiſche Con¬49 ferenz verdaut nimmermehr ſolch ein hartes Volk. Wenn das dort Beſtand hat, werden wir es in Deutſchland bald an den friſchen Ohrfeigen ſpüren, die man uns geben wird, wir ſind die Menins aller ungezogenen Völker ſie die Unarten, wir die Schläge.

VI. 450

Die Hefte von Rießer mögen Sie mir ſchicken. Was ich früher von ihm geleſen, deutet auf ein vorzügliches Talent; aber mit ſeinem Journale iſt es ein großer Mißverſtand. Wer für die Juden wirken will, der darf ſie nicht iſoliren; das thun ja eben deren Feinde zu ihrem Verderben. Was nützt ein eignes Journal für die Juden? Ihre Freunde brauchen es nicht, denn ſie bedürfen keiner Zuſprache; ihre Gegner nehmen es gar nicht in die Hand. Um ihnen zu helfen, muß man ihre Sache mit dem Rechte und den Anſprüchen der allgemeinen Freiheit in Verbindung bringen. Man muß nur immer gelegentlich, unerwartet von ihnen ſprechen, damit der ungeneigte Leſer gezwungen werde ſich damit zu beſchäftigen, weil es auf ſeinem Wege liegt. Ich meine auch, es wäre auf dieſe Weiſe leichter die Juden zu vertheidigen, jedem der keine blinde Liebe für ſie hat. Ich habe oft und warm für ſie ge¬ ſprochen! hätte ich ſie aber iſolirt, wäre mir die Gerechtigkeit gar zu ſauer geworden. Es ſcheint, Rießer möchte die Nationalität der Juden gewahrt ſehen. Aber die Nationalität der Juden iſt auf51 eine ſchöne und beneidenswerthe Art zu Grunde gegangen; ſie iſt zur Univerſalität geworden. Die Juden beherrſchen die Welt, wie es ihnen Gott verheißen; denn das Chriſtenthum beherrſcht die Welt, dieſer ſchöne Schmetterling, der aus der garſtigen Raupe des Judenthums hervorgegangen. Die ſcheinbeherrſchte Menge, hier und dort, mag das verkennen, aber der denkende Mann begreift es. Die Juden ſind die Lehrer des Cosmopolitismus, und die ganze Welt iſt ihre Schule. Und weil ſie die Lehrer des Cosmopolitismus ſind, ſind ſie auch die Apoſtel der Freiheit. Keine Freiheit iſt möglich, ſo lang es Nationen giebt. Was die Völker trennt, vereinigt die Fürſten; der wechſelſeitige Haß, der die Einen trennt und ſchwach läßt, verbindet die Andern zu wechſelſeitiger Liebe und macht ſie ſtark. Die Könige werden Brüder bleiben und verbündet gegen die Völker, ſo lange ein thörichter Haß dieſe auseinander hält. Auch die Edelleute ſind ſtark, weil ſie kein Vaterland kennen. Deutſche! Fran¬ zoſen! Ihr zumal, Schiedsrichter der Welt, laßt euch nicht länger thöricht von euren Herrſchern zum wahnſinnigen Patriotismus entflammen. Weil man euere Vereinigung fürchtet, ſoll wechſelſeitiges Mi߬ trauen euch ewig getrennt halten. Was ſie als Vaterlandsliebe preiſen iſt die Quelle eures Ver¬ derbens. Verſtopft ſie, werfet Kronen und Scepter4*52und zerſchlagene Throne hinein, und ebnet den Boden mit dem Pergament-Schutte eures Adels. Dann bringt die Freiheit, Ihr Deutſche dem Norden, Ihr Franzoſen dem Süden, und dann iſt überall wo ein Menſch athmet euer Vaterland, und Liebe eure Religion.

Sie ſind neugierig? Das iſt merkwürdig. So etwas habe ich von einem Frauenzimmer nie gehört. In Diderots Encyclopädie, in der von Krünitz im Converſationslexicon, in der Biographie universelle, im Bayle, in der großen engliſchen Weltgeſchichte, im Büffon, in der Bibel, im Koran, in meinen geſammelten Schriften, in keinem dieſer Werke iſt auch nur ein Wort zu finden das auf die Exiſtenz weiblicher Neugierde hindeutet. Es iſt die merkwürdigſte Entdeckung ſeit der Sündfluth. Aber es thut mir leid, ich muß Sie ſchmachten laſſen. Aufrichtig zu ſprechen, es iſt etwas in dieſer Ge¬ ſchichte, daß ich nicht mittheilen darf. So habe ich reiflich zu überlegen, wie ich ſie Ihnen erzählen ſoll, ohne etwas hinzuzulügen, und doch zugleich zu ver¬ ſchweigen, was geheim bleiben muß. Die halbe Wahrheit zu ſagen, das iſt eine künſtliche Drechsler¬ arbeit; ganz zu lügen iſt viel leichter. Uebrigens kann ich Sie verſichern, daß die Geſchichte gar nicht ſo romantiſch iſt, als Sie ſich vielleicht vorſtellen. Ich habe mehr wiſſentſchaftliches als Kunſtintereſſe53 daran, und wäre ich nicht ſo wißbegierig, hätte ich mich ſchon längſt dabei gelangweilt, doch das kann ich Ihnen mittheilen, daß jetzt die Tochter nicht mehr allein eiferſüchtig iſt, ſondern auch die Mutter, und daß erſtere mich ſeit vierzehn Tagen nicht mehr re¬ spectable nennt, ſondern aimable; einmal ſagte ſie ſogar adorable. Ich weiß nicht was ſie mit mir vor hat, aber ſie abelt mich in einem fort. Bald wird ihr nichts mehr übrig bleiben, als mich exé¬ crable zu nennen. Jetzt ſchmachten Sie ruhig fort und laſſen Sie ſich durch nichts ſtören. Es wird nicht lange dauern vier Wochen, ſechs Wochen, vielleicht zehn, höchſtens ein Jahr oder anderthalb.

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Fuͤnf und zwanzigſter Brief.

Berangers neue Lieder haben nicht das jugend¬ liche Herz der frühern, in welchem reines Quellblut ſprudelte. Wir aber die den Dichter lieben, leſen ſie wieder friſch. So blühen verwelkte Blumen neu auf, wenn man ſie in warmes Waſſer ſtellt. Be¬ ranger fühlt es ſelbſt, daß er ſchwächer geworden; aber er ſagt: nicht ſein Alter allein, ſondern auch der Ernſt der Zeit, hätte ſeine Sangesweiſe ſchwer und nachdenklich gemacht. Mir aber ſcheint, daß ſeine Verachtung nicht mehr ausgereicht für die Ver¬ ächtlichkeit, ſein Spott nicht mehr für die Lächerlich¬ keit der jetzigen Machthaber und ihres Treibens und55 daß darum ſein ſonſt ſo ſiegsfroher Kampf alle Freu¬ digkeit verloren. Er hat die Gedichte Lucian Bonaparten zugeeignet, der ihn einſt in ſeiner Jugend von der Armuth rettete und ihm wieder forthalf. Die Worte der Zueignung ſind würdig und rührend. Da ſagt er[unter] andern: J'ai toujours penché à croire qu'a certaines les lettres et les arts ne doivent pas être des simples objets de luxe. Das mögen ſich unſere deutſchen gelehrten Zeug-Fabrikanten und unſere poetiſchen Goldarbeiter merken, die, in der Schule Göthes gebildet, ihre Wiſſenſchaft und Kunſt und ihr edles Gewerbe her¬ abzuwürdigen glauben, wenn ſie je auf etwas anders als auf neue Erfindungen für die Luſt der Reichen und Vornehmen ſinnen, wenn ſie je an etwas anderm, als an Kronen und Ordensſternen arbeiten. In der Vorrede ſagt Beranger: das wären ſeine letzten Lie¬ der und er wolle den Reſt ſeines Lebens verwenden, die Denkwürdigkeiten ſeiner Zeit aufzuſchreiben. Dieſe Drohung braucht uns keine Sorge zu machen; Dichter und Liebende ſchwören oft falſch.

Das Glück der Menſchheit war der Traum meines Lebens. Hätte Beranger nur das nicht geſagt! Das ſagen ja eben die Andern auch, die das Glück der Menſchheit nicht wollen. Sie ſpotten: Ihr träumt, Ihr ſchwärmt! Nein, es iſt kein Traum; aber freilich wenn man ſchläft iſt alles56 Traum. Schlummert nicht, wachet auf! Es giebt jetzt zehntauſendmal mehr glückliche Menſchen, als es vor vierhundert Jahren gab. Aber gewiß lebten da¬ mals auch Dichter und Philoſophen, welche von dem Glücke der Menſchheit träumten, und gewiß wurden ſie von den Weltleuten auch verhöhnt wegen ihrer Schwärmereien. Und doch iſt alles beſſer geworden, und ohne Zweifel überſteigt die Wohlfahrt der heuti¬ gen Welt, weit die Hoffnung jener Gutgeſinnten, weit die Furcht jener Schlechtgeſinnten. Was hat ſich geändert? Hat das Glück der Menſchheit ſich vermehrt? Nein. Die Summe des Glücks iſt im¬ mer die nämliche, nur kömmt es darauf an wie ſie vertheilt iſt. In jenen frühen Jahrhunderten war alles Land und Gut, aller Reichthum und alle Luſt des Lebens, waren alle Waffen zur Vertheidigung der Güter des Lebens in alleinigem Beſitze der Edel¬ leute und alle Kunſt und Wiſſenſchaft und göttliche Erkenntniß waren Eigenthum der Geiſtlichkeit. Sie hatten alles, wußten alles, konnten alles; das Volk war arm, dumm und wehrlos. Der Frühling kam, der Adel und Geiſtlichkeit aufgelöſt und da floſſen Reichthum und Wiſſen von ſelbſt auf das Land herab. Vollendet jetzt das Werk, mit eures Geiſtes, mit eurer Hände Kraft, und wartet nicht auf die Zeit die lang¬ ſam zerſtört und noch langſamer bildet. Die Zeit iſt eine Seidenraupe; wollt ihr Seide ſpinnen, dürft57 Ihr nicht warten, bis ſich der Schmetterling entfal¬ tet. Gott gab dem Menſchen die Zukunft, daß er ſie zur Gegenwart mache; aber wir ſind zu faul und niederträchtig feige, daß wir die Gegenwart zur Zukunft werden laſſen. Die Vergangenheit iſt unſere Gegenwart, und wir Narren ſind zufrieden wenn wir altbacken Brod eſſen. Jeder Fürſt eines großen Landes verzehrt das Glück von hunderttauſend ſeiner Unterthanen, jeder kleine Fürſt nach Verhältniß noch mehr. Jede Univerſität macht das Land zehn Mei¬ len in der Runde dumm. Wenige ſollen Alles wiſſen, damit Alle nichts wiſſen. Unſere Gelehrten ſind die Schatzmeiſter der Aufklärung. Dieſe Nar¬ ren bilden ſich ein, ſie würden von den Regierungen gut bezahlt, damit ſie den Schatz in Ruhe und Frie¬ den genießen. O nein; man ſtellt ſie an daß ſie den Schatz wohl verſchloſſen halten, damit nichts davon unter das Volk komme. Mit dem allein was die Göttinger Bibliothek gekoſtet, könnte man in ganz Deutſchland Dorfbibliotheken errichten. Wenn man dreißig Fürſten in zwanzig Millionen Bürger und Bauern, wenn man dreißig Profeſſoren in dreißig tauſend Schulmeiſter zerſchlüge in jedem gehei¬ men Hofrath ſtecken ihrer tauſend wäre ein gan¬ zes Volk wohlhabend, gebildet, ſittlich und glücklich. Dann würde das Unglück der Menſchheit, der Traum der Schlechten ſein.

58

Wonach ich in dieſen Liedern am begierigſten ſah, können Sie ſich leicht denken. Nach den Ge¬ ſinnungen und Aeußerungen Berangers über den Zu¬ ſtand Frankreichs. Mit wahrer Angſt ſuchte ich das auf; denn ich habe ſeit zwei Jahren oft flüſtern hö¬ ren: nicht aus Mangel an Stoff ließ Beranger ſei¬ nen Zorn ſchweigen, ſondern aus einem andern Man¬ gel. Ich glaubte das halb und es machte mir Kum¬ mer. Ich glaubte es denn die ſchöne Zeit iſt nicht mehr, wo nur die Verläumdung edle Menſchen beſchädigen konnte; das thut auch jetzt der Argwohn der Guten, der wie ein Roſt das reinſte Gold der Tugend verzehrt. Der Wein, welchen die Macht in großen Strömen fließen läßt, die Vernunft und das Herz der Welt zu überſchwemmen, daß ſie ihr Mit¬ ſchuldige werde, hat auch viele der Edelſten berauſcht und die Regierungen haben es in ihrer geheimen Scheidekunſt ſo weit gebracht, daß ſie ſelbſt aus Ro¬ ſenwaſſer das ſtärkſte Gift deſtilliren können Dank dem Himmel, das fand ich nicht in den Liedern; ich fand aber auch nicht Alles was ich ſuchte. Den Stoff den ihm die Regierung Louis Philipp's angeboten, der viel ſchöner und reicher iſt, als der der frühern Zeit, hat Beranger träge bear¬ beitet. Aber es giebt außer der Beſtechung durch Geld, noch eine andere; die durch Worte und Schmeicheleien. Viele von den alten Freunden Be¬59 rangers theilen jetzt den Gewinnſt und die Sünden der Macht. Es kann ihm wohl einer derſelben vor¬ geſtellt haben: er möge bedenken, welchen großen Einfluß ſeine Lieder auf das Volk hätten und daß ſie am meiſten die Revolution vorbereitet. Er möge bedenken, in welcher gefährlichen Lage der König den Partheien und dem Lande gegenüber ſtehe das bedenken und darum ſchonen. Vielleicht zeigte man ihm auch in einiger Entfernung ein Endchen von ir¬ gend einem Geheimniſſe der heiligen Allianz. Da ließ ſich der gute Beranger überliſten und verſprach zu ſchweigen. Später ſah er wohl ein, daß er ge¬ täuſcht worden, aber er hatte einmal ſein Wort ge¬ geben.

So zielen Berangers politiſchen Lieder, zwar auf die Scheibe, aber nicht mehr wie früher auf das Schwarze. Das was ich in meinen vorjährigen Briefen mittheilte, la paix, und das deutlich den Stempel des Dichters trägt, iſt nicht gedruckt worden. Die Miniſter und die Kammer und die unhandgreifliche Regierung beſpöttelt er etwas in dem Liede la restauration de la chan¬ son. In den erſten Tagen nach der Revolution hatte Beranger geſagt, on vient de détrôner Charles X et la chanson. Darauf bezieht ſich das Lied, von welchem hier die zwei erſten Stro¬ phen folgen.

60
Oui, chanson, Muse ma fille
J'ai déclaré net
Qu'avec Charles et sa famille
On te détrônait.
Mais chaque loi qu'on nous donne
Te rappelle ici.
Chanson, reprends ta Couronne
Messieurs, grand merci!
Je croyais qu'on allait faire
Du grand et du neuf;
Même étendre un peu la sphère
De quatre vingt neuf.
Mais point! On rébadigeonne
Un trône noirci.
Chanson, reprends ta Couronne
Messieurs, grand merci!

Dieſem Liede unmittelbar vorher geht ein an¬ deres, dem es gleichſam als Beweis folgt. Der Miniſter Sebaſtiani wollte, ſo zart wie möglich, den Dichter reich machen. Er antwortete ihm in dem ſchönen Liede: Le refus, darin ſagt er:

Qu'un peu d'argent pleuve en mon trou.
Vite il s'en va, Dieu sait par !
D'en conserver je désespère.
Pour recoudre à fond mes goussets,
J'aurais prendre, à son décès,
Les aiguilles de mon grand-père.
61
Ami, pourtant gardez votre or.
Las! j'épousai, bien jeune encor,
La Liberté, dame un peu rude.
Moi, qui dans mes vers ai chanté
Plus d'une facile beauté,
Je meurs l'esclave d'une prude.
La Liberté! c'est, Monseigneur,
Une femme folle d'honneur;
C'est une bégueule enivrée
Qui, dans la rue ou le salon,
Pour le moindre bout de galon,
Va criant: A bas la livrée!

Aus einem philoſophiſchen Gedichte Les Fous ſind folgende ſchöne Verſe:

Combien de temps une pensée,
Vierge obscure, attend son époux!
Les sots la traitent d'insensée;
Le sage lui dit: Cachez-vous.
Mais la rencontrant loin du monde,
Un fou qui croit au lendemain,
L'épouse; elle devient féconde
Pour le bonheur du genre humain.
62
Qui découvrit un nouveau monde?
Un fou qu'on raillait en tout lieu.
Sur la croix que son sang inonde,
Un fou qui meurt nous légue un Dieu.
Si demain, oubliant d'éclore,
Le jour manquait, eh bien! Demain
Quelque fou trouverait encore
Un flambeau pour le genre humain.

Ob Sie zwar die Gedichte bald erhalten wer¬ den, habe ich mir doch die große Mühe gegeben, zwei derſelben worin Beranger ſeine Liebe zu den Königen herrlich tönen ließ, ganz für Sie abzuſchrei¬ ben. Ich weiß welche Freude es Ihnen macht in meinem armen ausgetrockneten Mühlbache wieder etwas Waſſer zu ſehen.

Conseil aux Belges.

Finissez-en nos fréres en Belgique
Faites un roi, morbleu, finissez-en.
Depuis huit mois, vos airs de république
Donnent la fièvre à tout bon courtisan.
D'un roi toujours la matière se trouve:
C'est Jean, c'est Paul, c'est mon voisin, c'est moi.
Tout oeuf royal éclôt sans qu'on le couve.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.
63
Quels biens sur vous un prince va répandre!
D'abord viendra l'étiquette aux grands airs;
Puis des cordons et des croix à revendre;
Puis ducs, marquis, comtes, barons et pairs.
Puis un beau trône, en or, en soie, en nacre,
Dont le cousin prête à plus d'un émoi.
S'il plait au ciel, vous aurez même un sacre.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.
Puis vous aurez baisemains et parades,
Discours et vers, feux d'artifice et fleurs;
Puis force gens qui se disent malades
Dès qu'un bobo cause au roi des douleurs
Bonnet de pauvre et royal diadème
Ont leur vermine: un dieu fit cette loi.
Les courtisans[rongent] l'orgueil suprême.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.
Chez vous pleuvront laquais de toute sorte;
Juges, préfets, gensdarmes, espions;
Nombreux soldats pour leur prêter main-forte;
Joie à brûler un cent de lampions.
Vient le budget! nourrir Athène et Sparte
Eut, en vingt ans, moins couté. sur ma foi.
L'ogre a diné; peuples, payez la carte.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.
64
Mais, quoi! je raille; on le sait bien en France;
J'y suis du trône un des chauds partisans
D'ailleurs l'histoire a répondu d'avance:
Nous n'y voyons que princes bienfaisans.
Pères du peuple ils le[font] pâmer d'aise;
Plus il s'instruit moins ils en ont d'effroi;
Au bon Henri succède Louis treize.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.

Prédiction de Nostradamus pour l'an deux mil.

Nostradamus, qui vit naître Henri quatre
Grand astrologue, a prédit dans ses vers,
Qu'en l'an deux mil, date qu'on peut débattre,
De la médaille on verrait le revers.
Alors, dit-il, Paris dans l'allégresse,
Au pied du louvre oura cette voix:
Heureux Français, soulagez ma détresse;
Faites l'aumône aux dernier de vos rois.
Or, cette voix sera celle d'un homme
Pauvre, à scrofule, en haillons, sans souliers
Qui, proscrit, vieux, arrivant de Rome,
Fera spectacle aux petits écoliers.
65
Un senateur criera: L'homme à besace!
Les mendians sont bannis par nos lois.
Hélas! monsieur, je suis seul de ma race.
Faites l'aumône au dernier de vos rois.
Es-tu vraiment de la race royale?
Oui, repondra cet homme, fier encor.
J'ai vu dans Rome, alors ville papale,
A mon aïeul, couronne et sceptre d'or.
Il les vendit pour nourrir le courage
De faux agens, d'écrivains maladroits.
Moi, j'ai pour sceptre un bâton de voyage.
Faites l'aumône au dernier de vos rois.
Mon père âgé, mort en prison pour dettes
D'un bon métier n'osa point me pourvoir.
Je tends la main; riches, partout vous êtes
Bien durs au pauvre, et Dieu me l'a fait voir.
Je foule enfin cette plage féconde
Qui repoussa mes aïeux tant de fois.
Ah! par pitié pour les grandeurs du monde
Faites l'aumône au dernier de vos rois.
Le senateur dira: Viens, je t'emméne
Dans mon palais; vis heureux parmi nous.
Contre les rois nous n'avons plus de haine:
Ce qu'il en reste embrasse nos genoux.
En attendant que le sénat décide
A ses bienfaits si ton sort a des droits,
Moi, qui suis d'un vieux sang régicide,
Je fais l'aumône au dernier de nos rois.
VI. 566
Nostradamus ajoute en son vieux style:
La république au prince accordera
Cent louis de rente, et, citoyen utile,
Pour maire, un jour, Saint-Cloud le choisira
Sur l'an deux mil on dira dans l'histoire
Qu'assise au trône et des arts et des lois,
La France en paix reposant sous sa gloire,
A fait l'aumône au dernier de ses rois.
67

Weiber heraus! Herbei mit Stecknadeln, mit Nähnadeln, mit Haarnadeln, mit Stricknadeln, mit ſcharfen Zungen, mit Fiſchbeinen, mit Zwirnknäulen, mit Haarflechten! Es gilt eure Ehre; ich führe euch an. Die Darmſtädter wollen euch den Zutritt in ihre Kammer verweigern. Sie haben euch gelä¬ ſtert deutſch und franzöſiſch. Sie haben geſprochen von Arioviſt von Cäſar, von den Römern, von den Germanen, von Montesquieu, vom Orient, vom Occident, von den Spartaniſchen Frauen, von Göthe, Schiller, von den ſchätzbaren Winken, welche die phi¬ loſophiſchen Schriften des Königlich-Preußiſchen Staatsminiſters Ancillon über dieſen Punkt enthalten. Von Himmel und Erden, von Gott und Teufel. Sie haben geſprochen von dem dröhnenden Ge¬ heule der germaniſchen Weiber und wie Cä¬ ſar vier Wochen gebraucht, ſeine Soldaten an den Graus zu gewöhnen und wie er früher die Schlacht nicht gewagt. Zwar hat eure Sache durch eine kleine Stimmenmehrheit geſiegt; aber das hilft euch5 *68nichts. Die Regierung dort wird euch nie in die Kammer laſſen, denn ſie zittert vor euch. Sie fürch¬ tet, manchem würde euer Lächeln mehr ſein als das gnädige Lächeln des Fürſten, euer Händedruck ſchmei¬ chelnder als das Achſelzucken eines Miniſters und euer Spott gefährlicher als die Unzufriedenheit des Preußiſchen Geſandten. Darum ſammelt euch! In Ordnung! Die Häßlichſten im erſten Gliede! Vor¬ wärts! .... Was iſt? Ihr zaudert? Habt ihr Furcht? .. Ja ſo! ... Die Schönſten voraus! Marſch! ... Halt! Kehrt wieder um und gehet nach Hauſe. Es fällt mir eben ein, daß ſie Recht haben; es ſind ſchon Weiber genug in allen deutſchen Kammern.

Von den Duellen welche in dieſen Tagen zwi¬ ſchen carliſtiſchen und liberalen Journaliſten Statt gefunden, werden Sie in den Zeitungen geleſen ha¬ ben. Aber bei euch mag man wohl die Bedeutung dieſes Ereigniſſes nicht ganz fühlen. Es war ſehr wichtig, es hat die Regierung aus ihrem ſüßen Traum geweckt. Man dachte, das Volk wäre todt, weil es nicht mehr brüllte, und da kam mancher Eſel, wenn auch zitternd, herangeſtolpert, um durch einen Fu߬ tritt ſeine Tapferkeit und ſeine treue Anhänglichkeit für die doktrinäre Eſelei zu beweiſen. Da brüllte der Löwe wieder einmal und ſie bekamen Angſt. Die unverſchämte Herausforderung der Legitimiſten, die69 doch ſo ſchwach ſind wegen ihrer geringen Zahl, wurde ſo gedeutet: daß dieſe Parthei durch den ge¬ heimen Schutz der Regierung ſich ſtark fühle. Hat doch der Miniſter Broglie in der Kammer erklärt, die Vertreibung Carls X., die ganze Revolution, ſei keine Handlung des Rechts geweſen, ſondern nichts als eine That der Gewalt, die man achten müſſe, weil man müſſe. So erkannte die öffent¬ liche Meinung in dem Trotze der Carliſten nichts als die Argliſt der Regierung, und ſie ſprach ſich ſo ſtark aus, daß die Doktrine ihre Fühlhörner er¬ ſchrocken in ihr Schneckenhaus zurückzog. Carrel, der Redakteur der National, der ſich für die liberale Parthei hervorgeſtellt, iſt lebensgefährlich verwundet worden. Jetzt iſt er außer Gefahr. Wäre er ge¬ blieben, hätte er vielleicht ein rieſengroßes Grab be¬ kommen. Auch haben der Hof, das Miniſterium und die Geſandtſchaften ſich öffentlich oder im Stillen, ſo ängſtlich um das Befinden dieſes Republikaners erkundigen laſſen, als wäre es ein legitimer Prinz. Von den amis des droits de l'homme allein haben ſich achttauſend gemeldet, um, je zwan¬ zig, es mit den Carliſten auszufechten. Ein Freund der geſtern auf dem Büreau der Tribüne war, erzählte mir, die Zimmer wären alle von gemei¬ nen Arbeitsleuten voll geweſen, die gekommen wa¬ ren ſich unter die Duellanten einſchreiben zu laſſen.

70

Ich billige ſonſt Duelle bei gewöhnlichen Belei¬ digungen nicht. Die ſogenannte Ehre iſt nichts, als die falſche Münze der Tugend, ein kindiſches und nichtswürdiges Ordensbändchen, das ſich der Hoch¬ muth der Ariſtokratie erfunden, damit ihre Verdienſt¬ loſigkeit zu ſchmücken. Aber Duelle aus politiſchen Gründen preiſe ich. Man ſtirbt für die Freiheit ſo ehrenvoll in einem Zweikampfe und auf dem Schaf¬ fotte, als auf dem Schlachtfelde.

So will ich Ihnen denn die Erbſchaftsge¬ ſchichte der Mars erzählen. Bei dieſer Gelegenheit aber muß ich die Künſtlerin um Verzeihung bitten; ich habe ihr großes Unrecht gethan. Wie ich geſtern in einer Biographie geleſen, iſt ſie 1778 geboren, alſo gegenwärtig erſt 55 Jahre alt und nicht 60, wie ich neulich gewiß nicht aus Bosheit, aber aus jugendlichem Leichtſinne behauptet hatte. Es geſchah vor vielen Jahren, daß ein alter reicher Marquis ſich in die Mars verliebte. Aber ſie erbarmte ſich ſeiner nicht. Er ſchrieb ihr ſeidne Liebesbriefe, hoch und weich ausgepolſtert mit Bankzetteln; die Edle ſchickte ihm den Flaum ſammt dem Ueberzuge zu¬ rück. Kürzlich befreite der Tod den armen Marquis von ſeinen Liebesleiden. Einmal fuhr er über den Platz Vendome der Wagen wurde umgeworfen, und der Marquis brach ein Bein. Man eilte herbei ihm zu helfen und ihn nach Hauſe zu tragen. Aber71 er erklärte mit feſter Stimme den Umſtehenden: hier liege ich und hier bleibe ich liegen und laſſe mich nicht anrühren, bis der Wundarzt der Demoiſelle Mars kömmt und mich in ſeine Behandlung nimmt. Man ſchickte zur Mars. Dieſe, zwar aufgebracht aber doch betrübt über den alten Narren, fuhr gleich zu ihrem Freunde und Arzt Düpuytrin und bat ihn, die Heilung des Marquis zu übernehmen. Nahe Ver¬ wandte hinterließ er nicht. Als ſeine vermuthlichen Erben das Inventarium machen ließen, und über die vielen ſchönen Sachen ſich freueten, fanden ſie unter der reichen Verlaſſenſchaft ein Bild der Mars von Gerard gemalt. Die Erben dachten, die Mars werde dieſes Bild wohl gern an ſich bringen, und ließen ſie das wiſſen. Sie eilte auch gleich in das Sterbehaus, ihr Bild in Augenſchein zu nehmen. Während ſie mit den Erben um den Preis des Bild¬ niſſes unterhandelte, kamen aus dem Nebenzimmer die Notare mit einem Teſtamente heraus, das ſie eben erſt unvermuthet gefunden und gleich geöffnet hatten und ſagten der Mars: ſie möge nur das Bild und alles behalten, es gehöre alles ihr, ſie wäre Univerſal-Legatarin. Die Mars ſtand mit einem Suſanne-Lächeln, die Erben ſtanden mit Ba¬ zile-Mäulern da. So belohnt der Himmel weibliche Tugenden.

72

Noch eine andere Denkwürdigkeit ereignete ſich bei dieſem Anlaſſe. Als die Bücher des Marquis verſteigert wurden, kam eine alte Bibel an die Reihe, vielleicht dreißig Sous im Kaufwerthe. Der Auc¬ tionator durchblätterte das Buch, ehe er es losſchlug, um zu ſehen, ob es nicht defekt ſei, und der Käu¬ fer damit betrogen werde. Da fielen Bankzettel, nach und nach funfzig Stück, heraus, die als Papier¬ ſtreifen zur Bezeichnung kräftiger und erbaulicher Stellen in der Bibel lagen. Denken Sie nur, wäre dieſe heilige Schrift nicht zufällig unterſucht worden und ein armer frommer Teufel hätte ſie gekauft für dreißig Sous, und zu Hauſe fünf und zwanzig viel¬ leicht funfzig Tauſend Franken darin gefunden das hätte vielleicht das Chriſtenthum über ganz Pa¬ ris verbreiten können! Nutzanwendung: 1) Man weiſe alte Marquis zurück; ihr Tod iſt einträglicher als ihr Leben. 2) Man kaufe alte Bibeln.

Es ſchrieb mir heute einer aus Stuttgart: der König habe darum die Kammer nicht ſelbſt eröffnet, weil Pfitzer (Verfaſſer der Briefe zweier Deutſchen) unter den Abgeordneten wäre, und den Schwur eines ſolchen Mannes könne er nicht annehmen. Ach! was habe ich wieder eine volle und ſchmutzige Eſels¬ haut! Das iſt meine wahre Peau de chagrin; aber eine ganz andere als Balzac's ſeine. Dieſe wurde kleiner nach jeder Thorheit und Sünde: meine73 wächſt nach jeder. Doch heute ſtill davon. Lud¬ wig XIV. ſchrieb ein ſtaatsrechtliches Buch zur Be¬ lehrung ſeines Nachfolgers. Darin iſt der Grund¬ ſatz aufgeſtellt: Die Nation iſt nichts für ſich, ſie iſt ganz in der Perſon des Königs auf¬ gelöſt. (La nation ne fait pas corps, elle ré¬ side toute entière dans la personne du roi.) Ludwig der letzte wird einſt ſprechen wie Ludwig XIV. geſprochen. Der letzte Wilhelm, der letzte Friedrich, der letzte Franz, der letzte Carl werden ge¬ ſinnt ſein, wie der erſte Wilhelm, der erſte Friedrich, der erſte Franz, der erſte Carl geſinnt waren. Es giebt keine andere Hülfe, als daß uns der letzte von allen befreie.

[74]

Fuͤnf und zwanzigſter Brief.

Der Journaliſt Traxler aus Cöln, von dem ich Ihnen neulich geſchrieben, hat ſich gerettet und iſt glücklich in Paris angekommen. Geſtern beſuchte er mich. Als er Abends, da es ſchon dunkel war, von dem Gerichte zurückkam, wo er ſein Urtheil em¬ pfangen, bat er den Gerichtsdiener, der ihn in das Gefängniß führen ſollte, ihn vorher in ſeine Woh¬ nung zu begleiten, wo er einiges Nöthige zu beſtellen habe. Dem Verlangen wurde nachgegeben. Als der Huiſſier in das Zimmer eingetreten war, ſprang Traxler hinaus, verſchloß die Thüre hinter ſich,75 ſtürzte auf die Straße hinunter, lief ohne Hut und Mantel zum Thore hinaus und kam ſo glücklich über die Grenze. Auch iſt in dieſen Tagen ein Bier¬ brauer aus Leipzig hier angekommen, der zu fünf¬ zehnjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt war. Er ſaß ſchon lange in Pirna feſt, als es ihm gelang ſeinen Kerker zu durchbrechen um den weiten Weg durch Deutſchland nicht unerkannt, aber unverrathen zurückzulegen. So haben ſich ſchon ſehr viele Patrio¬ ten gerettet, von welchen ich ſechs in Frankreich be¬ gegnet und geſprochen habe. Wenn man die Er¬ zählung von ihrer oft wunderbaren Rettung anhört, gewahrt man leicht und mit großer Freude, daß die¬ jenigen welche ſie zu bewachen hatten, mit ihrer Flucht einverſtanden waren, ſo, daß wenn ſie auch nicht behülflich dabei geweſen, ſie doch die Augen zu¬ gedrückt. Die Flüchtlinge dürfen zwar aus Klugheit und Dankbarkeit von einem ſolchen Einverſtändniſſe nicht ſprechen, doch aus den angegebenen Umſtänden erräth man es bald. Einer dieſer Patrioten aber, der das Vertrauen zu mir unbedenklich fand, geſtand es, daß ein Polizei-Beamter, und zwar ein ſolcher, der ſich ſeit mehreren Jahren durch ſeine blinde Folg¬ ſamkeit gegen die Tyrannei ausgezeichnet hat, und darum in der ganzen Stadt verhaßt iſt, ihm, ob er ihn früher zwar gar nicht gekannt, zu ſeiner Flucht behülflich ge¬ weſen. Wie erfreulich iſt es nicht warzunehmen,76 daß die Karyaditen der Throne mit Menſchengeſich¬ tern und ſteinerner Bruſt, endlich auch warm werden und ſich beklagen.

Der gute Geiſt in Deutſchland breitet ſich im¬ mer mehr aus, auch unter den Offizieren und Un¬ ter-Offizieren. Und was dann? Die deutſchen Fürſten werden bald keine andere Macht haben, als der Gerechtigkeit nachzugeben oder unterzugehen, und ſelbſt dieſe Wahl bleibt ihnen nicht lange mehr.

Sie brüten jetzt über die Wiederherſtellung der alten deutſchen Reichsgerichte, aber in den alten Keſſel ſoll neues Gebräu kommen. Man ſpricht von deut¬ ſchen National-Gefängniſſen, von hohen deutſchen Bundesthürmen die gebaut werden ſollen. Ich weiß das Nähere noch nicht, werde es aber bald erfahren.

In den Blättern die Sie mir geſchickt, habe ich von Weitzels Politiſche Anſichten der Ge¬ genwart nur noch einige Bruchſtücke gefunden; ich hätte aber wahrſcheinlich aus dem ganzen nicht klug werden können. Wer hieß aber auch den Mann ſchreiben in dieſer Zeit und in ſeinen Verhältniſſen? Wenn er ſagt: Der Gedanke aber, jetzt in Europa der Monarchie, die ſich mit der Ariſtokratie verbun¬ den, ein Gegengewicht zu geben, kömmt um manche Jahrzehente zu früh ſo will ich mich auf¬77 knüpfen laſſen, wenn das ſein Ernſt war. Weitzel iſt einer der beſten und klarſten politiſchen Köpfe Deutſch¬ lands und ſein Rath mit der Ausbeſſerung des Hau¬ ſes zu warten, weil es noch manche Jahrzehente dau¬ ern könnte, bis uns das Dach über den Kopf zu¬ ſammenſtürzt, war gewiß nicht aufrichtig. Wenn einmal Ariſtokratie und Monarchie zuſammenfallen, dann bleibt uns nichts mehr zu thun übrig. Man verliert alle Geduld. Da bitten ſie uns täglich, wir möchten doch ſo gut ſein, die Wirkung der Zeit ab¬ zuwarten. Als wenn Zeit und Natur zu etwas aus nichts ſchaffen! Als wenn ſie nicht ſelbſt vorher zer¬ ſtören müßten, um Neues zu bilden! Für ſolche Dummköpfe halten ſie uns, daß ſie uns unaufhörlich vorpredigen, wir möchten, ehe wir das verhaßte Alte zerſtören, das beliebte Neue vorher aufführen. Wo wir aber Bauplätze herbekommen ſollen, wenn wir nicht vorher den alten Schutt wegräumen; wo wir Zimmerholz hernehmen ſollen, wenn wir keine Bäume umhauen das Geheimniß predigen ſie uns nicht. Und wenn ſie zanken: Der Liberalismus könne nur zerſtören, finden ſich in Deutſchland gutmü¬ thige, aber einfältige Menſchen genug, die vor dem Schrecken dieſes Vorwurfs zuſammenfahren, und, aus Furcht für Mordbrenner gehalten zu werden, nach Hause ſchleichen, die Nachtmütze aufſetzen und in den Andachtsſtunden leſen.

78

Es iſt etwas in den Deutſchen, auch in den Freiſinnigen, was ich nicht verſtehe, wozu, mir es begreiflich zu machen, meine Pſychologie nicht aus¬ reicht. Ich erſtaune täglich über die Gefühlloſigkeit, mit welcher die liberalen Deputirten der Kammer die unverſchämten Reden der Miniſter anhören. Ich ſage nicht ſie ſollen der Gewalt, Gewalt entgegen ſetzen; denn ſie haben keine. Ich ſage nicht: ſie ſollen der Frechheit wie es ſich gebührt antworten und der Pflicht und Ehre ihren perſönlichen Vortheil aufopfern; aber ich ſage: ſie ſollen ihr antworten müſſen. Ich bin auch kein Held, weder der Tapfer¬ keit noch der Tugend; ich würde vielleicht auch zahm ſeyn der Macht gegenüber; ich wäre wohl auch nicht aufopfernd genug für das Wohl des Volkes, das bei uns ſolche Aufopferung ſelten vergütet, mit Weib und Kindern zu verhungern; ſtünde ich der Anma¬ ßung eines Mächtigen gegenüber, würde ich vielleicht auch überlegen und ſchweigen. Es gäbe aber Ver¬ hältniſſe in denen ich unfähig bliebe zu überlegen, in denen mein Herz den Verſtand verdunkelte, und in ſolchen Verhältniſſen ſtünde ich auch der Anmaßung eines Königs gegenüber, würde ich ſeine Krone, ſeine Kerker, ſeine Henker vergeſſen, und ihm begeg¬ nen wie es ſich gebührt. Ich könnte mich wie ein Knecht, wie ein Verbrecher, wie ein Dummkopf ge¬79 duldig behandeln laſſen; aber wie einen Schulbuben nie.

Und warum ſind ſie Schulbuben, wo ſie ſich die Schwächeren fühlen? Weil ſie Schulmeiſter ſind wo die Stärkeren; der ganze Unterſchied beſteht nur in den Jahren. Ihre Frömmigkeit, ihre Sentimen¬ talität richtet ſie zu Grunde. Vor lauter Begeiſte¬ rung für das Gute, verlieren ſie den Geiſt es zu Stande zu bringen. Thränen der Menſchenliebe und Rührung verdunkeln ihnen den Blick, und der dümmſte Jäger kann ſie dann mit Händen fangen. So ein edler Deputirter ſitzt, ohne es zu merken, wie ein Falk auf der Fauſt ſeines gnädigen Herrn und zeigt ſich etwas hoch oben in der Luft, was der gnädige Herr mit ſeinem Geſchoſſe nicht erreichen kann, nimmt er ihm die Kappe ab und läßt ihn ſteigen. Das edle Thier ſteigt, ſteigt, ſteigt, holt aus den Wolken ein Täubchen herab, und den Blick von der Sonne geblendet, gewahrt er gar nicht, daß er wieder zur alten Fauſt zurückkehrt und man ihm die Kappe von neuem über die Augen gezogen. Dann lachen die Junker verſtohlen.

In Caſſel feierten ſie den Jahrestag der Ver¬ faſſung und ſchrieben am folgenden Tage: Tau¬ ſend ſtille Gebete und Wünſche für ſie ſtei¬ gen zu dem Ewigen. Aber der Ewige ſelbſt,80 iſt nicht ewig genug, mit eurer ewigen Geduld ewige Geduld zu haben, und laute Flüche wären ihm wohl¬ gefälliger, als ſtille Gebete. Der Eröffnung der Würtemberger Stände ging ein feierlicher Gottesdienſt voraus, und ein Prälat verſteht ſich ein Haas predigte über den Pſalmen-Vers daß die Furcht des Herrn Ehre und Heil in das Land bringe und ging dann geſchickt von dem Könige David auf den König Wilhelm über und nä¬ ſelte von der Treue gegen unſern verehr¬ ten König. Und die Deputirten fürchten die Furcht und laufen nicht zur Kirche hinaus! Und dann wird die Sitzung eröffnet, nachdem der Präſident in einer kurzen Anrede den Segen des Him¬ mels erfleht für den bevorſtehenden Land¬ tag! Und dann erhebt ſich ein hochherziger Depu¬ tirter, den ganz gewiß irgend ein loſer Schelm von Staatsrath heimlich an ſeiner Großmuth gewitzelt, und macht den Vorſchlag: man ſolle die Diäten der Deputirten von 5 auf 4 Gulden herabſetzen. Taumelnd ſtand gleich alles auf, was Edles auf den Bänken ſaß, und alle, einer nach den Andern, ſchrien wie die Kinder: ich auch, ich auch! Es war eine Rührung zum Erſaufen, und die Junker im Trocknen lachten wieder. Darauf nahm ein anderer Deputirter das Wort und ſprach: Ich verzichte nicht81 auf meine fünf Gulden dreißig Kreuzer; ich werde aber einen Gulden täglich den Armen zukommen laſſen. Auch dieſe ſchönen Worte hatten vielſtimmi¬ gen Widerhall. Endlich ſtand einer auf und rief: Wenn man mich zum Präſidenten der Kammer er¬ wählen ſollte, werde ich mich, ſtatt der feſtgeſetzten fünftauſend Gulden, mit dreitauſend begnügen. Und jetzt hielt die Tugend eine herzallerliebſte Ver¬ ſteigerung und Einer forderte immer weniger als der Andere. Dieſesmal aber als die Junker ſahen, wie ſich die Moral in Tauſende verſtieg, lachten ſie nicht mehr, ſondern ſie murrten ....... Und ſolchen unverſtändigen Menſchen iſt das Wohl des Landes anvertraut! So laſſen ſie ſich von ihrem Her¬ zen zum Beſten haben! Sie ſehen nicht ein, daß ſie für einige tauſend Gulden die ſie durch Verminderung der Taggelder dem Volke erſparen, ihm vielleicht Millionen an andern Laſten auflegen. Denn wenn die Diäten ſo gering ſind, daß ſie den Deputirtenden Verluſt ihrer Zeit nicht mehr vergüten, müſſen ſie zurücktreten und ihre Stellen den Reichen und den Staatsbeamten überlaſſen. Dieſe aber werden wie immer die Auflage ſo viel als möglich auf die untern Volksklaſſen wälzen. Es iſt ſchön wenn einer edel iſt; aber das ſei er im Geheim. Edelleuten und Miniſtern gegenüber, ſoll ein BürgerVl. 682ſeine Tugend verſtecken. So bald dieſe merken, daß ſie es mit einem edlen Deputirten zu thun haben, übervortheilen ſie ihn um ſo mehr, und betrügen in ihm das ganze Volk. Im Gegentheile, wir müſſen ſtets Eigennutz heucheln, damit ſie Achtung vor uns bekommen.

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Der Spott, den jetzt die deutſchen Fürſten mit ihren Ständen treiben, empört mich nicht; ich bin deſſen ſchadenfroh. Ein edler Mann kann oft der Gewalt unterliegen und immer unverdient; aber der Liſt unverdient, nur das Erſtemal. Wen ſie zum zweitenmale täuſcht, der hat ſein Geſchick verſchuldet, und es iſt das zweite Mal, daß ſich die deutſche Freiheit bethören läßt. Wieder einmal haben die konſtitutionellen Fürſten die Schranken der Verfaſſung durchbrochen, die uns gegen ihren Uebermuth ge¬ ſchützt; wieder einmal jubeln ſie wie die entſprunge¬ nen Sklaven. Die Gitterſtangen die ſie einge¬ ſchränkt, dienen ihnen jetzt zu Waffen dieſe[Einſchrän¬ kung] zu rächen, und mit den Geſetzen die ſie aus den Boden geriſſen, zerſtören ſie die Geſetze, die noch aufrecht ſtehen. Und nicht mehr wie früher, begnügen ſie ſich ihre Widerſacher die ihnen in die Hände fallen, einzeln zu beſtrafen; nein: ſie beſtra¬ fen die Städte, die Gemeinden, in welchen ſich Wi¬ derſacher gegen ſie hervorgeſtellt. Der König von6 *84Baiern hat die Stadt Würzburg, durch Verpflanzung mehrerer Aemter, durch Entfernung der berühmte¬ ſten Univerſitätslehrer zu Grunde gerichtet. Die Garniſon, der heilige Biſchof, die allerheiligſten Edelleute verlaſſen die kleine gewerbloſe Stadt Frei¬ burg, um die Bürger zu züchtigen, daß ſie Rotteck zum Bürgermeiſter gewählt. Der König von Wür¬ temberg, aus Unzufriedenheit, daß die Bevölkerung der Hauptſtadt ſich ſo freiſinnig zeigt, will mit ſei¬ nem Hofe und mit ſeiner Leibgarde nach[Ludwigsburg] ziehen. Der Magiſtrat von Stuttgart um das große Unheil von dem Wohlſtande der Gemeinde abzuwen¬ den, haben dem Könige einige von der Bürgerſchaft unterzeichnete Adreſſe überreicht, worin dieſe den Kö¬ nig bittet nicht von Stuttgart wegzuziehen.

So liegen jetzt alle Deutſchen an einer gemein¬ ſchaftlichen Kette, und ſie haben doch wenigſtens eine Galeere zum Vaterlande. In Baiern ſoll es nicht mehr zu ertragen ſein. Ich habe heute drei ange¬ ſehene und reiche Gutsbeſitzer aus Rheinbaiern ge¬ ſprochen, die nach Amerika reiſen, um für eine große Menge ihrer Landsleute eine Niederlaſſung auszu¬ mitteln. In Rheinbaiern, erzählen ſie, ſteige die Tyrannei täglich, und ſie wollten ſich retten, wäh¬ rend ihnen noch Kraft zur Rettung bliebe. Das ſind85 keine Advokaten, keine Demagogen, keine Schrift¬ ſteller, keine Journaliſten, keine Freiheits-Theoretiker, keine ſchwärmenden Jünglinge; es ſind Gutsbeſitzer, ſchlichte Landbauern und doch können ſie es nicht ertragen!

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Die Erklärung von Alexis in der Nürnberger Zeitung hat mich ſehr ergötzt. Ich hatte es noch nicht geleſen. Sie haben das nicht verſtanden wenn Sie jene Erklärung als einen Verſuch anſehen, den Spott abzuwenden der den armen Häring in Berlin wahrſcheinlich getroffen hat. Das nicht. Gegen die Beſchuldigungen der Demagogie, die ich aus Scherz und Satyre gegen ihn vorgebracht, ſucht er ſich zu vertheidigen, und die Regierung dort hat vielleicht darauf Rückſicht genommen. In ſolchen Sachen verſtehen ſie keinen Spaß, wie man zu ſa¬ gen pflegt. Ich habe kaum gehofft, daß ſie ſo dumm ſein werden. Uebrigens können Sie ſich leicht den¬ ken, daß ich nichts darauf antworten werde, über¬ haupt keinem.

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Sieben und zwanzigſter Brief.

Den König von Griechenland, den Sohn des Baieriſchen Großbüttels, vor dem, wie die Zeitungen erzählen, von München an bis Brindiſi, eine Rauch¬ wolke von den köſtlichſten deutſchen und italieniſchen Schmeichelgewürzes herzog nennt ein hieſiges Blatt: einen roitelet idiot, sourd et bossu. Ich habe kein franzöſiſches Wörterbuch bei der Hand, und weiß nicht was idiot heißt. Ich ver¬ muthe es heißt dumm oder gar einfältig. Das wäre ein Unglück. Die Buckligkeit hätte nichts zu ſagen: auch Sokrates war bucklig. Die Taubheit aller Könige wäre eine Wonne des Menſchengeſchlechts;88 denn bei ihnen fielen dann alle akuſtiſchen Täuſchun¬ gen weg, es blieben nur noch die optiſchen übrig; ihre Höfe könnten ſie um die Hälfte weniger betrügen, und ihre Völker wären um die Hälfte weniger un¬ glücklich. Aber dumm, wäre dumm. Man braucht mehr Verſtand die Griechen zu regieren, als das ganze übrige Europa zuſammengenommen. Dieſe Entdeckung von den ſchönen Eigenſchaften des Kö¬ nigs Otto, hat viel dazu beigetragen die franzöſiſche Kammer bedenklich zu machen, ob ſie die Garantie bewilligen ſolle, welche die Regierung für den drit¬ ten Theil des griechiſchen Anleihens zu übernehmen verſprochen. Der Zeitungsredakteur ging mit dem Briefe, den er von einem baieriſchen geflüchteten Pa¬ trioten aus Straßburg erhielt, zu Düpin, wo an dem Tage die Deputirten verſammelt waren; dort theilte er ſeine Nachrichten mit, von welchen er den wichtigſten Theil, ich weiß nicht warum, nicht drucken ließ, und ſie machten einen großen Eindruck, der auf die Kommiſſion der Kammer über ging. Aber was liegt daran? Sowohl die alt - als die neubaieriſchen Herzen, die von München wie die aus dem Speſſart, ſind, ſeit ihnen der Profeſſor Thierſch erzählt, das Sophokles und Aechylus mit dichteriſcher Begeiſte¬ rung vom Bier geſprochen, ſo entzückt über die He¬ leneſirung ihres Ottos, daß ſie die noch fehlenden zwanzig Millionen gern hergeben werden und ſollten89 ſie darüber verarmen und mit einer Hopfenſtange in der Hand die Welt durchbetteln müſſen.

Die Baiern begreifen recht gut die unermeßlich heilſamen Folgen, die der Staatsvertrag, den der Baieriſche Vater mit dem Griechiſchen Sohne ge¬ ſchloſſen für Bier und Vaterland haben muß. Beide Majeſtäten verbürgen ſich darin wechſelſeitig ihre Länder und Unterthanen. Sollte einmal der König von Baiern, von Oeſterreich oder ſeinem eigenen treuen Volke ange¬ griffen werden, muß ihm der König von Griechen¬ land Hülfe ſchicken. Sollte dieſer einmal von Oe¬ ſterreich, Rußland, Frankreich, England, den Türken, dem Paſcha von Aegypten oder von ſeinen eignen geliebten Unterthanen, die ihn anbeten, bedroht wer¬ den: dann muß ihm der König von Baiern Hülfe leiſten. Wenn ein Baieriſches Regiment in Franken, mit den Leiden des Volks zu ſympathiſiren anfängt, ſchickt man es ſchnell nach Griechenland. Mögen immerhin die Soldaten ſich verzweiflungsvoll auf die Erde werfen, und ſich die Stirne auf dem Pflaſter zerſchmettern; mögen ſie immerhin bei der Einſchif¬ fung ſich empören man weiß ſie zu zwingen. Wenn ein griechiſches Regiment in Nauplia ſich mer¬ ken läßt, daß es ſeinen König doch gar zu bucklig finde ſchickt man es nach München. Die Grie¬ chen in Baiern und die Baiern in Griechenland ver¬ ſtehen das Volk nicht unter dem ſie leben, und haſſen90 und mishandeln es zum Heile und Segen des mo¬ narchiſchen Prinzips. Der Kaiſer von Oeſterreich übt auch dieſe ſchöne Regierungskunſt. Die Ungari¬ ſchen Soldaten werden nach Italien, die Italieniſchen nach Ungarn geſchickt. Der Ungar verſteht kein italieniſch außer dem Wenigen was ihm Abends in der Kaſerne beigebracht wird. Es wird ihm aber nichts gelehrt als caro amico, und man ſagt ihm caro amico hieße Hundsfott. Wenn nun der gutmüthige Ungar in einer Weinſchenke ſitzt, und ein gutmüthiger Italiener reicht ihm die Hand und ſagt fratello mio, caro amico! ſtößt ihm der Ungar ſeinen Degen in den Leib. Wenn ein junger italieniſcher Offizier an den Ufern der Donau gedan¬ kenvoll hinſchleicht, und weint Sehnſuchtsthränen nach ſeinem unglücklichen Vaterlande, tritt ein edler Un¬ gar zu ihm und ſagt in ſeiner Sprache: Nicht wei¬ nen Bruder, du wirſt dein ſchönes Vaterland bald wiederſehen! Der ſchmerzbetäubte Italiener glaubt der Ungar ſpotte ſeiner und ſchlägt ihm ins Geſicht. Sie duelliren ſich, der Ungar bleibt tod, und das monarchiſche Prinzip giebt am nämlichen Abende dem italieniſchen Offizier-Corps einen Champagnerpunſch.

Wollen Sie nächſten Sommer mit mir eine Wallfahrt zur Madonna di bacio machen. Der Baieriſche Volksfreund hat neulich den Vorſchlag gemacht: an der Stelle wo die betrübte königliche91 Mutter, ihrem vielleicht auf immer ſcheidenden in¬ nigſt geliebten Sohne, dem Könige von Griechen¬ land den letzten Abſchiedskuß gegeben, vermittelſt Beiträge patriotiſcher Baiern eine Kapelle zu bauen. Die Patrioten werden beitragen, die Kapelle wird gebaut werden, Cornelius wird eine küſſende Mut¬ tergottes, den griechiſchen Jeſus auf den Armen, malen und wir nun wir bewundern Cornelius. Aber ſo ein Teufel von Volksfreund hat kein Herz in der Bruſt. Was hat er nöthig eine betrübte Mutter noch mehr zu betrüben? Wäre nicht ſchö¬ ner geweſen er hätte der königlichen Mutter geſagt: Betrübe dich nicht, königliche Mutter! Du haſt deinen Sohn nicht zum letztenmale geküßt, du wirſt ihn bald wiederſehen ?

Sollte die Ottoläſterliche Correspondenz jenes Königs -, Biers - und Vaterlandsvergeſſenen baieriſchen Journaliſten in Straßburg, die Folge haben, daß die franzöſiſche Regierung ihren Theil des griechiſchen Anleihens übernimmt: ſo hätte ich wohl ein Mittel, die Garantie für die noch fehlenden zwanzig Millio¬ nen, ja eine größere herbeizuſchaffen. Aber ich theile es nicht mit. Nicht als fehlte es mir an ſchuldiger Liebe und Verehrung für den König von Baiern; aber mein Herz treibt keinen Detailhandel Ich kann nicht jeden deutſchen Fürſten beſonders lieben, ſondern ich liebe den deutſchen Bund für alle. In Frank¬92 furt habe ich ein großes Kommiſſionslager von Liebe und Anbetung und jede Geſandtſchaft kann ſich dort für ihren Herrn ſoviel davon holen, als