PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Briefe aus Paris
1832 1833
Sechſter Theil.
Paris. BeiL. Brunet. 1834.
[III]
Geſammelte Schriften
Vierzehnter Theil.
Paris. BeiL. Brunet. 1834.
[IV][V]

Inhalt zum VI. Bande.

  • Ein und zwanzigſter BriefSeite 1
  • Zwei und zwanzigſter Brief15
  • Drei und zwanzigſter Brief28
  • Vier und zwanzigſter Brief43
  • Fünf und zwanzigſter Brief54
  • Sechs und zwanzigſter Brief74
  • Sieben und zwanzigſter Brief87
  • Acht und zwanzigſter Brief106
  • Neun und zwanzigſter Brief118
  • Dreißigſter Brief135
  • VI
  • Ein und dreißigſter BriefSeite 160
  • Zwei und dreißigſter Brief 179
  • Drei und dreißigſter Brief 197
  • Vier und dreißigſter Brief 201
  • Fünf und dreißigſter Brief 222
  • Sechs und dreißigſter Brief 225
[1]

Ein und zwanzigſter Brief.

Heute iſt der Jahrestag der Hinrichtung Lud¬ wig XVI. Es ſind gerade vierzig Jahre. Um dieſen jour funeste et à jamâis déplo¬ rable, wie vorgeſtern die Pairskammer beſchloſſen, religiös würdig zu feiern, mit Gebet, Reue, Buße und Thränen, um zu zeigen wie jede Republik eine Tiger-Eſſenz iſt, und jede Monarchie eine See von Mandelmilch und Roſenwaſſer will ich Ihnen folgende luſtige und herzbrechende Geſchichte mittheilen. Ich habe ſie aus einer franzöſiſchen Schweizer - Zeitung überſetzt. Vorher aber will ich Sie daran erinnern, was ich Ihnen kürzlich einmal von den Waſſerſäcken der Welt geſchrieben, und wie dasVI. 12Fürſtenthum Neuſchatel, von dem Könige von Preußen beherrſcht, der Waſſerſack der Schweitz ſei. Jetzt leſen Sie.

Die Patrioten in den Gefängniſſen von Neufchatel.

Am 8. December des vorigen Jahrs, begab ſich Herr von Perrot, Maire von Neufchatel und Präſident des Criminalgerichts in die Gefängniſſe, um den wegen politiſchen Vergehen Eingekerkerten, die ſogenannte Amneſtie zu verkündigen, mit welcher der König von Preußen, in ſeiner unerſchöpflichen Güte, ſie zu begnadigen geruhte. Dieſe Magiſtrats¬ perſon legte den Unglücklichen einen Eid auf, nach welchem ſie auf den königlichen Scepter zu ſchwören hatten: daß ſie an der Perſon ihrer Richter ſich nicht zu rächen ſuchen; daß ſie keinen Groll, gegen wen es auch ſei, bewahren; daß ſie ihrem Gefäng¬ niſſe Treue hüten, und während der ganzen Zeit ihrer Gefangenſchaft kein Mittel zur Flucht ver¬ ſuchen wollen. Alle Gefangenen ſprachen die Eidesformel aus: nur Dubois der zum Tode ver¬3 urtheilt, deſſen Strafe aber in lebenslängliche Ge¬ fangenſchaft mit beſtändiger Zwangsarbeit verwandelt worden war, weigerte ſich zu ſchwören; dieſer un¬ glückliche Patriot, als man ihm den Scepter vorhielt, erklärte, daß er ſich ein ſolches Gelöbniß nicht auflegen könnte. Auf eine zweite Aufforderung wiederholte Weigerung, worauf der Maire befahl Dubois in das Gefängniß zurückzuführen.

Fünf Minuten ſpäter, fielen auf einen Befehl des Maires, zwei Gensd'armes über Dubois her, knebelten ihn, legten ihm Handſchellen an, ſchleppten ihn die Treppe herunter, zerrten ihn über den Gefängnißhof, und warfen ihn in ein Loch, das man den Käfig nennt, um vierzehen Tage, bei Waſſer und Brod darin zu ſchmachten. Dieſes Folter-Inſtrument, ganz genau nach dem Modelle desjenigen verfertigt, das der Cardinal de la Belue, auf Befehl Ludwig XI. erſonnen, iſt ein Käfig von ohngefähr fünf und einem halben Fuß ins Gevierte, in dem man weder ſitzen noch ſtehen kann, und in einem alten Thurme des Gefängniſſes angebracht. Der Unglückliche, den man hineinſperrt, muß ſich auf dem Stroh, das man ihm unterlegt nieder¬ krümmen. Der Käfig iſt aus ſtarken Eichenbohlen gezimmert, empfängt nur ein wenig Licht durch die Fenſteröffnung einer innern Thüre, und das blos wenn eine äußere Thüre von Eiſen, die den Eingang1*4 des Thurms ſchließet, geöffnet wird. Im Sommer kann der Unglückliche, den man in dieſes Loch ſperrt, es noch aushalten! aber im ſtrengen Winter wird es unerträglich, da die Luft von allen Seiten ein¬ dringt. Auch wurde der unglückliche Dubois, nachdem er die Folter des Winterfroſtes acht und vierzig Stunden ausgehalten, von dem Gefängniß - Wärter in dem erſchrecklichen Zuſtande eines er¬ frornen Menſchen gefunden. Er hatte keinen Puls mehr und war ſteif wie eine Leiche. Der Kerker¬ meiſter entſetzte ſich über die Folgen dieſer kanni¬ baliſchen Grauſamkeit, eilte fort, Decken und warme Speiſen zu holen, und bemühte ſich mit Hülfe ſeines Sohnes, das unglückliche Schlacht¬ opfer in das Leben zurückzurufen. Gleich darauf ſetzte er den Maire von den Folgen ſeines barbari¬ ſchen Befehls in Kenntniß. Dieſer ließ Dubois in ſein altes Gefängniß zurückbringen und forderte ihn von neuem auf den verlangten Eid zu leiſten. Der Gefangene mußte ſich in ſein ſchmachvolles Schickſal finden, doch bei ſich wohl begreifend, daß ein ſolcher abgefolteter Eid nur Wort und Wind ſei.

Dieſes iſt die genaue Darſtellung von der Lage des unglücklichen Dubois, die uns einer ſeiner Leidensgenoſſen, der glücklicher als er, nach Verlauf ſeiner Strafzeit, das Gefängniß verlaſſen5 durfte, mitgetheilt hat. Eidgenoſſen! Nach ſolchen Schandthaten dürfen wir nicht mehr allein die Henker von Modena und Liſſabon verwünſchen. Die Preußiſch-Neufchateller Zwerg-Tyrannen, haben ſich zur Höhe jener zu erheben gewußt. Das ſind die Qualen, welche unſere Brüder in den Gefängniſſen von Neufchatel, und alle die, welche die würdige Regierung dort noch hineinführen kann, täglich zu erdulden haben! Berner! das iſt das Schickſal, welches jeden Augenblick Meuren bedroht. Und im Herzen der Schweiz mit ſeinen milden und patriarchaliſchen Sitten, und im Herzen der republikaniſchen Schweiz werden ſolche monarchiſch - ariſtokratiſche Schandthaten geduldet!

Und warum ſie nicht dulden, wenn ſie aus ſo guten lieben Händen kommen? Der preußiſche Staat iſt der glücklichſte der Welt, er hat die aller¬ beſten Schulen. Dort wird das Volk gründlich zum conſtitutionellen Leben erzogen; in den Schulen muß die Freiheit von der Pike auf, vom a b c an dienen. Sie halten jetzt ſchon am a, b ab; im zwanzigſten Jahrhunderte kommen ſie an das b, a ba und nach eben ſo viel Jahrhunderten als das Alphabet Buch¬ ſtaben hat, werden die Reichsſtände zuſammen¬ gerufen. Was mich aber an dieſer ſchönen Ge¬ ſchichte von dem Menſchenkäfig am meiſten ergötzte, war der Scepter, dieſes heilige Kreuz worauf man6 ſchwören ließ. Das iſt ein Seitenſtück zur Buße vor dem Bilde des Königs von Baiern. Die Des¬ potie in Deutſchland wird täglich orientaliſcher, romantiſcher, ſie funkelt wie Smaragden und Rubinen. Man glaubt den Calderon, oder ein Mährchen aus tauſend und einer Nacht zu leſen. Es kömmt noch dahin, daß man die Angeſchuldigten kleiner Ketzereien in ein Kryſtall-Gefängniß ſperren wird, oder ſie zur Buße mit nackten Füßen auf Perlen wird gehen laſſen und daß man die Angeſchuldigten großer Ketzereien, an einen Galgen von Sandelholz hängen wird.

Schwamm herbei! Die erſte Seite der deutſchen Eſelshaut iſt ſauber; jetzt zur zweiten. Ein Eßwaarenhändler in München a l'honneur de prévenir la haute noblesse et le respectable public. daß er friſche Trüffeln bekomme. Es iſt das Erſtemal, daß ich ſo etwas in franzöſiſcher Sprache leſe und es nimmt ſich ganz gut aus. Aber nicht gut nimmt es ſich aus, daß das ver¬ ehrungswürdige Publikum ſo entſetzlich einfältig iſt, ſo etwas zu dulden. Das verehrungswürdige Publi¬ kum ſollte ſich vereinigen, bei keinem Handelsmanne etwas zu kaufen, der die Frechheit hat in ſeinen Ankündigungen beſonders von dem hohen Adel zu ſprechen. Möchten ſie doch endlich einmal zur Be¬ ſinnung, endlich einmal zum Bewußtſein ihrer Macht7 kommen! Möchten ſie doch endlich begreifen lernen, daß die Sitten mächtiger ſind als die Geſetze, und daß nur die Geſetze in den Ständen des Adels ſind, die Sitten aber in den Ständen des Volks! Wären die Sitten nicht mächtiger als die Geſetze, es ſtünde heute ſchlimm in Frankreich mit Freiheit und Gleich¬ heit. Es giebt keinen entſcheidenden Tag, es giebt kein Schlachtfeld, keinen großen Sieg der Freiheit. Iſt eine Seite der Geſchichte herabgeſchrieben, werden die Zahlen addirt, und dieſe Summe nennt man eine Revolution. Fällt das Buch wieder in die Hand des Feindes, glaubt er die Revolution vernichtet zu haben, wenn er jene Summe nicht als Transport auf die neue Seite ſetzt. Er meint die Rechnung von vorn anzufangen, er merkt nicht, daß die alte Rechnung fortgeht er iſt ein Eſel. Aber ſeid Ihr keine Eſel! Ihr werdet nie etwas zu addiren bekommen, wenn ihr nicht täglich auf¬ ſchreibt, Brüche zu Brüchen, Zahlen zu Zahlen geſtellt. Es giebt nur Minuten, nur kleine Händel, kleine Zänkereien der Freiheit. Spottreden, Epigramme, Prügel, Ohrfeigen, Thüre hinaus, Treppe hinunter werfen. Aber jeder Tag hat vier und zwanzig Stunden, jede Familie hat fünf Seelen, und Ihr glaubt es nicht was fünf Seelen in vier und zwanzig Stunden verrichten können, wenn ſie ernſtlich und immer wollen ..... Du verehrungswürdiges8 Frankfurter Publikum warum biſt du denn ſo gar einfältig, dich in deinem Concertſaale auf die Hinterſtühle zu ſetzen, und dem hohen Adel die Vordern zu überlaſſen? Thut das nicht, ſetzt euch ſelbſt mit euren Weibern und Töchtern vorn hin. Zwar weiß ich wie viel es einem beſcheidenen Manne koſtet, ſich in einen öffentlichen Kampf mit der Eitel¬ keit einzulaſſen; aber es ſoll auch nicht Einer allein, alle Bürger ſollen ſich zugleich hervorſtellen. Und werdet ihr auch verbannt, bringt der guten Sache das Opfer. Seid nicht demüthig, ſeid nicht blöde, ſeid nicht ſchwach. Eure Demuth iſt ihr Hochmuth, eure Blödigkeit iſt ihre Frechheit, eure Schwäche iſt ihre Stärke. Geht jede Stunde einen Schritt, aber geht dieſen Schritt jede Stunde und ihr werdet bald an das Ziel gelangen.

Göttliche Gerechtigkeit wie lange noch wirſt du deine Blitze ſchlafen laſſen? Sie glauben vielleicht ich hätte das geſagt? O nein, es ſteht im frankfurter franzöſiſchen Journale und wird bei einer, ich weiß nicht mehr welcher, Gelegenheit ausgerufen, wo die Fürſten¬ ſchaft oder der Adel irgend eine Schleppe bekommen. Das Wort iſt ſchön, aber die ganze hohe deutſche Bundesverſammlung, mit allen ihren Excellenzen, Grafen und Baronen, mit allen ihren Legationsräthen und Geſandtſchafts-Sekretairen, mit dem großen9 Heere ihrer beſoldeten Zeitungsſchreiber, hatte ſo etwas Schönes nicht ſagen können, ſie mußte ſich erſt einen Franzoſen dazu kommen laſſen. Der verſtehts! Er ſpricht wie wir, er macht unſere Stimme nach, er meint Gott wäre blind und harthörig wie der Patriarch Iſaac, werde ſeinem ſpitzbübiſchen Sohn Jakob für ſeinen Erſtgebohrnen halten und ihm ſeinen Segen geben. Wahrhaftig es gefällt mir, daß ſie ſelbſt die ſchlafenden Blitze der Gerechtigkeit aufwecken!

Dritte Seite. Noch einmal Preußen. Prussia for ever. Die Preußiſche Regierung, wie jede germaniſchen Urſprungs es iſt des Tacitus wegen beſoldet Spione in Paris, um dort auf ihre geliebten treuen Unterthanen etwas Acht zu geben. Dagegen läßt ſich nichts ſagen, keine Mon¬ archie kann der Spione entbehren, man lebt ſo lange man kann. Warum haben Republiken, warum haben Nordamerika, die Schweiz, die freien deutſchen Städte keine Spione? Weil dort die Regierungen nicht zu befürchten brauchen, daß ihre Bürger ein¬ mal den Verſtand verlieren und ihre freie Verfaſſung gegen einen Fürſten vertauſchen möchten. Die Be¬ wohner einer Monarchie aber wünſchen ſich einen Freiſtaat ſobald ſie zu Verſtande kommen; je ver¬ nünftiger ſie alſo werden je mehr Spione braucht ein Fürſt. Das iſt alſo ganz in der Ordnung. 10Außerordentlich iſt es aber, eine ſehr außerordentliche Naivität, daß eine Regierung es eingeſteht und drucken läßt, ſie treibe Spionerie, wie es die Preu¬ ßiſche gethan.

Da iſt ein gewiſſer Traxler in Cöln, ein königlich Preußiſcher Paradiesvogel, ich meine: einer der Seeligen im Preußiſchen Paradieſe, das ſo herrliche Rüben und Schulen hat der ließ etwas in einem Pariſer Blatte von der Seeligkeit aller Rhein¬ preußen drucken und von ihrer Anbetung gegen die Mark Brandenburg. Die preußiſchen Behörden entdecken den Namen des Spaßvogels und ſperrten den Traxler in einen Käfig. Ein Gefängniß iſt die beſte Widerlegung aller Sophismen, es iſt die wahre Schule der Logik. Der Temps (darin ſtanden die Artikel) fragte: wie denn die Preußiſche Regierung ohne Verletzung des Briefgeheimniſſes ihren Correſpondenten habe entdecken können? Der Preußiſche Advokat antwortete: Briefe öffnen! Pfui! ſo etwas erlaubt ſich ſeine Herrſchaft nicht; aber den klugen Maasregeln unſeres Gouvernements iſt es zuzuſchreiben, daß man endlich durch Ver¬ mittlung eines Agenten der Pariſer Poli¬ zei, die Originalbriefe des Traxlers und mehrere von andern ähnlichen unnützen Geſellen, für Pariſer ultraliberale Blätter beſtimmt, erhielt .... Der deutlichſte Beweis, mit welchem Ver¬11 trauen dieſe Radicalreformers und Lügenver¬ breiter unſere Regierung verehren, daß ſie nicht Scheu trugen ihre Correſpondenzen frank und frei durch die Poſt an die vollſtändigen Adreſſen der Zeitungs-Büreaus abgehen zu laſſen ..... Nur von Traxlers Briefen wurde bis jetzt erſt Gebrauch gemacht, die andern ſind wohl noch aufgeſpart zur gelegenen Zeit ..... Die Landesgeſetze dürften dies wahrhaft verbrecheriſche Treiben leicht als lands¬ verrätheriſch betrachten und eine Strafe be¬ ſtimmen, welche als Warnung für ähnliche Brief¬ ſteller, der Strenge und des Ernſtes nicht entbehren wird.

Unnütze Geſellen, Lügenverbreiter das iſt der Oden-Styl monarchiſcher Begeiſterung; mit dem wollen wir nicht rechten; der Preußiſche Correſpon¬ dent als er ſo ſchrieb, kam vielleicht eben vom Tiſche. Wir wollen uns an die Proſa halten. Die klugen Maasregeln der Preußiſchen Regierung ſind bewunderungswürdig! Der große Friedrich mit ſeinen herrlich blauen Augen ſtand vor mir, aber ob er lachte oder weinte, konnte ich nicht unter¬ ſcheiden; denn ſchnell verhüllte er ſich das Geſicht, als ich von ſeinen Enkeln erzählte ... Als einen Beweis der Verehrung, als ein Zeichen des Vertrauens ſieht es die Preußiſche Regierung an,12 wenn ihre Unterthanen ſie nicht für ſo niederträchtig halten, daß ſie die Briefe öffne! So ſind alle Monarchien. Jede monarchiſche Rgierung will für jedes Unrecht, mit welchem ſie ihre Unterthanen verſchont, gelobt ſein; dann ſoll man ihre Gerechtigkeit preiſen. Jedes Gut, das ſie ihren Unterthanen nicht raubt, will ſie als Geſchenk betrachtet wiſſen, wofür man Dank ſchuldig ſei. Wenn ſie den Bürgern erlaubt, jedem ſo gut er es verſteht, den Weg ſeines Glückes zu verfolgen, ſeinem Wohlſtande nachzugehen, wenn ſie ja einmal nicht hindert, rühmt ſie ſich, Wohlſtand über das Land zu verbreiten und die Selbſthuldigung nimmt kein Ende. Das iſt wörtlich wahr. War doch neulich in einem Ruſſiſchen Zeitungsartikel zu leſen: Die Polen hatten alle ihre moraliſchen und phyſiſchen Kräfte der Regierung zu verdanken, die ſie ſchmählich verriethen, ob ſie ihnen gleich die Mittel verſchafft hat, mit denen ein achtmonatlicher blutiger Krieg geführt ward. Wenn ein unglückliches Volk, nachdem es die Ty¬ rannei ausgeſogen, noch ſo viel Kraft behielt, ſich der Tyrannei zu widerſetzen, wird ihm das als Ver¬ brechen, als Undank angerechnet! Nichts haben ſie den Polen übrig gelaſſen; aber um für die Freiheit zu kämpfen braucht es keiner andern Waffe, als der Liebe zu ihr.

13

Iſt das nicht artig, wenn der Preußiſche Advokat ſagt: nur den Traxler habe man einſtweilen vor¬ genommen, die andern gleichſchuldigen Pariſer Correſpondenten werden zur gelegenen Zeit aufgeſpart? Das iſt Gerechtigkeit! Sie ſind wohl noch nicht fett genug die Andern? Ihr ver¬ wahrt ſie wohl für eueren nächſten Freiheits-Schmaus? Und: die Geſetze dürften leicht eine Strafe beſtimmen die des Ernſtes nicht ent¬ behren wird! Alſo das Geſetz iſt Richter, das Geſetz wird beſtimmen! O mein Friedrich!

14

..... Schicken Sie mir Ihre Sachen, ich werde nicht grob ſein, wenigſtens dieſe Woche nicht mehr, ich bin ganz erſchöpft.

Ich freue mich, daß dem *** meine Briefe ſo gut gefallen. Ich will auch auf die Jugend wir¬ ken; wir Alten ſind keines Punkts auf dem i der Freiheit würdig. Grüßen Sie ihn herzlich von mir und ſeine Frau, und ſie ſollen der *** mehr Zucker in den Thee werfen, damit ſie nicht ſo ſauer ſpreche. Glauben Sie ja keinem, der ſagt ich wäre kein Gelehrter; das iſt boshafte Verläumdung.

[15]

Zwei und zwanzigſter Brief.

Wenn ich nur den böſen Zauber begreifen könnte, der die Italiener hier verhindert, den Don Juan ge¬ hörig zu Stande zu bringen. Man ſpielte ihn vor einigen Tagen wieder und ich habe mich gelangweilt wie immer. Es iſt Mozarts Muſik; aber ohne ih¬ ren Geiſt. Es iſt die nämliche Geſtalt, Haltung, Farbe; aber ohne Leben. Es iſt eine Wachsfigur, es iſt gemaltes Feuer. Ich wollte unſer Guhr käme einmal hierher und ſuchte dem ungläubigen Orcheſter etwas Religion beizubringen.

Als ich geſtern über den Boulevard St. An¬ toine, der jetzt Boulevard Beaumarchais heißt, ſpazieren ging, ſah ich mir genau drei Häuſer an, die nicht weit von einander liegen. Ich ſah hinein, hinauf und da es alle drei Eckhäuſer ſind, machte ich die Runde um ſie, ganz wie ein Dieb, der kund¬16 ſchaften will, auf welche beſte Art er in der Nacht einſteigen könnte. In dieſen Häuſern wohnten einſt berühmte Menſchen. Solche verödete Wohnſtätten rühren mich mehr als die Gräber auf dem Kirch¬ hofe. Dort war früher nichts und jetzt lebt da der Tod, es iſt eine Art Geburt. Hier aber war frü¬ her alles, und jetzt iſt das Leben todt, da iſt die wahre Vernichtung. Und welches Leben war in die¬ ſen Häuſern! Alle Luſt und aller Schmerz des Da¬ ſeins; alle Weisheit und alle Thorheit des Lebens; Reichthum, Armuth, die Freuden der Jugend, die Leiden des Alters, Witz, Geiſt, Aberglaube, Philo¬ ſophie, Edelmuth, Gaunerei, Freundſchaft, Treue und Verrath, ariſtokratiſche Verderbniß und demo¬ kratiſche Wuth, zwei Jahrhunderte und beide ver¬ raucht, und das ganze Paradies und die ganze Hölle, die zwiſchen der glücklichen und unglücklichen Liebe[liegen]. Jetzt wird in allen drei gemeine Krämerei getrieben!

In dem erſten Hauſe hat Caglioſtro ge¬ wohnt. Es ſieht etwas labyrinthiſch und theatraliſch aus und iſt ganz geeignet zu einem Schauplatze für Geiſterbeſchwörungen, Goldmacherei, Somnambuliſti¬ ſchen Spuk und andere Täuſchungen. Göthes ariſto¬ kratiſche Verſtocktheit und beiſpiellos enge Hofbe¬ ſchränkung wurden mir durch nichts klarer als durch die falſche Anſicht, unter welcher er das Leben des17 Caglioſtro und die Halsbandgeſchichte betrachtete. Er ſah ſie als revolutionaire Erſcheinungen, als die erſten Blitze an, mit welchen das Weltgewitter be¬ gann. Und ſie waren gerade das Gegentheil: das helle Aufflackern einer verlöſchenden Zeit. Caglio¬ ſtro's Treiben war eine Parodie der monarchiſchen Taſchenſchauſpielerkunſt. Ganz wie er, zu gleichen Zwecken und mit gleichen Mitteln, haben die Für¬ ſten aller Zeiten, die Völker aller Länder betrogen, ſo oft wegen unzureichender Macht die Liſt nöthig geworden. Die Halsbandgeſchichte war die Sitten¬ verderbniß aller Höfe, nur daß ſie hier zum erſten¬ male öffentlich geworden. Freilich wenn wahr iſt, was neulich die Monteskikelchen an der Ilm und der Saale, die edlen Ritter des Thüringer Waldes, die Großherzoglich-Sachſen-Weimar-Eisnach-Mos¬ kowitſche Adelskammer behauptet: Daß Oef¬ fentlichkeit der Anfang aller Revolutionen geweſen dann war die Halsbandgeſchichte wohl eine revolutionaire Erſcheinung. Aber an wem die Schuld, wenn keine Monarchie die Oeffentlichket er¬ tragen kann?

Das andere Haus gehörte einſt der Ninon de l'Enclos, der ſchönen Magdalene ohne Reue die alle die unendliche Barmherzigkeit Gottes erſchö¬ pfen muß, wenn er ihr ſo viel vergeben will als ſie ge¬ liebt hat. Ihre Zeitgenoſſen wunderten ſich, daß ſieVI. 218noch im höchſten Alter Bewunderer gefunden. Wie würden dieſe erſt erſtaunen, wenn ſie heute lebten, und ſähen, daß noch jetzt, nachdem Ninon länger als hundert Jahre todt iſt, noch jeder Mann von Gefühl ſie liebt? Es iſt ein großer Streit unter den Gelehrten, in welchem Alter Ninon zum letzten male glücklich geweſen, ob in ihrem ſiebenzigſten oder in ihrem achtzigſten Jahre. Ich glaube aber weder das eine noch das andere; denn ſie war neunzig Jahre alt als ſie ſtarb. Cheſterfield fragte einmal eine Dame von vierundſiebenzig Jahren, in welchem Alter die Frauen zu lieben aufhörten? dieſe erwie¬ derte: Mylord, das weiß ich nicht, Sie müſſen eine ältere fragen. Ninon's Haus hat drei Seiten, die nach drei verſchiedenen Straßen gehen. Vorn nach dem Boulevard iſt eine Hofmauer, vielleicht früher eine Gartenmauer, die zwei Pavillons verbindet. Den einen garſtig roth angeſtrichen, verunziert eine Weinſchenke der gemeinſten Art. Zu dem andern, höher auf einer Terraſſe gelegen, der einen Balkon hat, davon herunter zu ſpringen, führt von der Straße aus eine kleine, holde, anliebelnde Treppe, ſo eng, daß in dunkler Nacht ein gehender und ein kommender Liebhaber ſich unmöglich hätten ausweichen können. Doch für ſolche Fälle war geſorgt. Auf der entgegengeſetzten Seite nach einer andern Straße, hat das Haus noch eine Thüre. Da iſt der Haupt¬19 Eingang, das Thor. Jetzt hängt eine Tafel davor: Apartement à louer. Wie würde Ninon dar¬ über lachen, wenn ſie das läſe. Ein nicht-mö¬ blirtes Apartement, alſo nur jahrweiſe zu vermiethen. Sie hat ihr Haus oft genug vermiethet; aber die längſte Miethzeit war nicht länger als ein Tag un¬ ſerer Antipoden. Das Haus hat ungewöhnlich viele Fenſter, welche die ganze Höhe der Zimmer einneh¬ men, und von denen jetzt mehr als die Hälfte ver¬ mauert ſind. Dieſe vielen Fenſter gehören zu dem Nachruhme der Ninon. Sie heuchelte nicht; in welchem Zimmer, in welchem Winkel ſie auch war, es konnte ihr jeder Nachbar in das Herz ſehen. Sie war ſo edel, daß, ſobald ein Mann ihre Gunſt erhielt, er das Recht ihr ein Geſchenk zu machen aus immer verlor. Edel und doch geſtorben wie traurig! Aber es ſterben auch gewöhnliche Men¬ ſchen, die nichts haben als das Leben, und das iſt noch trauriger.

Das dritte Haus war das von Beaumar¬ chais. Dieſes ſuchte ich eigentlich auf, die andern ſah ich nur im Vorübergehen. Ich hatte eine Wall¬ fahrt dahin gelobt, als ich einige Tage vorher im Theater Français, Figaro's Hochzeit aufführen geſehen. Das Haus liegt oder lag vielmehr am Ende des Boulevards und am Eingang der Vorſtadt2*20St. Antoine, ſehr bezeichnend als Grenze zwiſchen Monarchie und Republik, wie Beaumarchais ſelbſt eine war. Das Haus, der Garten, einſt zu den Merkwürdigkeiten von Paris gehörend, die jeder Fremde zu ſehen eilte, ſind verſchwunden. Nur die Gartenmauern ſtehen noch, hoch, mit Frazenmäulern zum Abfluſſe des Waſſers verſehen; es ſcheint der Garten lag auf einer Terraſſe. Auch noch ein Luſt¬ häuschen hat ſich erhalten, von launiſcher Bauart, einen reichen Beſitzer verrathend. Ich trat in den geräumigen Hof. Dieſer umſchließt jetzt ein neues Gebäude zur Salzniederlage beſtimmt. Salz Beaumarchais es iſt ein Erbe der ſeiner nicht ganz unwürdig iſt. Beaumarchais gehörte zum Salze ſeiner Zeit Unſer heutiges Leben hat kein Gewürz mehr, es iſt wie ein Kinderbrei. Auch iſt jetzt die Menſchheit ein Kind, das in die Schule geht. Nichts trauriger als eine ſolche Zeit der Ent¬ wickelung und der Lehre, wie die unſere und die ſchon ein halbes Jahrhundert dauert. Man iſt da immer entweder zu jung oder zu alt. Iſt man zu jung, iſt man gedankenlos und die Zeit geht einem verlo¬ ren; iſt man zu alt, iſt man ſorgenvoll und man geht ſelbſt verloren In der ganzen franzöſiſchen Geſchichte, war das achtzehnte Jahrhundert gewiß das glücklichſte für alle genußliebenden Menſchen, Philoſophen und Müſſiggänger. Wer aber von je¬21 nen Menſchen, beim Ausbruche der Revolution, ſich und die Freiheit verſtanden, hätte ſich unter den Trümmern der Baſtille müſſen begraben laſſen. Auch unter den Ehen, welche die Liebe geſchloſſen, giebt es Glückliche, wenn auch ſelten; aber wer die Freiheit geheirathet, nachdem er ſie als Jungfrau ge¬ liebt, iſt immer unglücklich. Natürlich. Die Wehen der Zeiten kommen nach den Geburten und man er¬ kauft die Vater - und Mutterfreuden nicht mit Angſt und Schmerzen, ſondern man bezahlt ſie damit, nachdem man ſie ſchon genoſſen. Beaumarchais war nicht ſo glücklich einen Tag nach der Monarchie zu ſterben. Er lebte lange in die Revolution hin¬ ein, hörte ihre Verſprechungen, erfuhr ihre Täu¬ ſchungen, dann ſtarb er und ſah ihre Erfüllungen nicht mehr.

Es iſt merkwürdig, wie aller Geiſt der Men¬ ſchen nichts hilft, wenn der Geiſt der Zeiten ſich ändert. In einer Nacht war Beaumarchais ein Dummkopf geworden; in einer Nacht hatte er allen ſeinen ſchönen Muth, ſeine Klugheit, ſeine Ge¬ wandtheit, ſeine ſonſt ſo unerſchütterliche Feſtig¬ keit verloren.

Mit dem Kriege des Lebens hatten ſich die Rüſtungen des Lebens geändert, und die Revolution22 fand Beaumarchais wie im Schlafrocke. Wie wäre es erſt Voltaire ergangen, der ſo viel waffenreicher als Beaumarchais, ſich ſo viel wehrloſer gefühlt hätte! Sie kennen Beaumarchais als Schriftſteller, aber wiſſen vielleicht nicht, daß er einer der größten und thätigſten Geſchäftsmänner, einer der unternehmend¬ ſten Köpfe, einer der feinſten Hofleute und gewandt¬ ſten Weltleute geweſen, und daß er in allen Verle¬ genheiten, in allen Gefahren des geſelligen und bür¬ gerlichen Lebens, immer den größten Muth und eine bewunderungswürdige Geiſtesgegenwart gezeigt. Sein Abentheuer mit Clavigo in Spanien iſt durch Göthe bekannt geworden; aber erſt geſtern habe ich aus ſeinen hinterlaſſenen Briefen erfahren, wie er einſt ganz allein in einem Walde bei Nürnberg von Räu¬ bern angefallen worden, und, ob zwar ſchwer ver¬ wundet, ſich durch ſeine Unerſchrockenheit und Tapfer¬ keit gerettet hatte, nachdem er einen der Räuber nieder¬ geſtoßen, die andern verjagt. Er war zugleich ein Ouvrard und ein Voltaire. Durch ſeine kühnen und glücklichen Handelsunternehmungen ward er einer der reichſten Männer von Frankreich. Im Amerika¬ niſchen Freiheitskriege, machte er den Inſurgenten, im Einverſtändniſſe mit der franzöſiſchen Regierung, große Waffenlieferungen. Da gab es nun, wie im¬ mer bei ſolchen Unternehmungen, Kapereien, Schiff¬ brüche, verzögerte oder verweigerte Bezahlungen. 23Beaumarchais, durch ſeine Gewandtheit, wußte aus allen dieſen Verwicklungen ſich zu ſeinem Vortheile zu ziehen. Nun, dieſer nämliche Beaumarchais zeigte ſich in der Revolution unerfahren wie ein Kind, feige wie ein deutſcher Stubengelehrter. Er unternahm auch für die revoultionaire Regierung, Gewehrlieferungen; verlor aber nicht allein ſein Geld, ſondern faſt auch ſeinen Kopf darüber. Früher hatte er es mit Mi niſtern einer abſoluten Monarchie zu thun. Die Cabinetsthüren ſolcher Großen ſchließen und öffnen ſich jedem leicht und ſanft, der Schlöſſer und An¬ geln zu ölen verſteht. Später hatte es Beaumar¬ chais mit ehrlichen, das heißt mit gefährlichen Leuten zu thun; das wußte er nicht zu unterſcheiden und ging zu Grunde darüber.

Man hörte, daß er im Auslande Waffen auf¬ kaufte, und er kam in Verdacht, dieſes für Rechnung der Feinde zu thun; das Gerücht verbreitet ſich im Volke. In einer Nacht ſtürmten die Vorſtädter, Racheglühend, ſein Haus. Sie ſchrien, es wären Waffen darin verſteckt. Beaumarchais flüchtete ſich in Todesfurcht. Das ganze Haus wurde umgekehrt, die Erde des Gartens wurde tief aufgewühlt; man fand nichts. Beſonders die Weiber des heiligen An¬ tonius waren wie raſend. Man hat ſie oft die Fu¬ rien der Revolution genannt; aber nein, ſie24 waren die Rachefurien der Monarchie, ſie ka¬ men hinter der Sünde. Die Feinde der Freiheit möchten gern die Strafe für das Verbrechen erſchei¬ nen laſſen. Die angſtzitternden Diener Beaumar¬ chais, waren im Hauſe zurückgeblieben und konnten ſpäter ihrem Herrn von dem Hergange erzählen. In dem reichen und vollen Hauſe wurde nichts entwendet, auch nicht von dem Werthe eines Pfennigs. Kein Glas Wein wurde angenommen, die Wuthentbrann¬ ten löſchten ihren Durſt mit Waſſer. Der zer¬ lumpte Kerl, der die Rotte anführte, erklärte es würde jeder niedergeſtochen, der nur etwas anrühre.

Eine Frau hatte im Garten eine Nelke abge¬ brochen; ſie bekam dreißig Ohrfeigen, und wäre bei¬ nahe im Springbrunnen erſäuft worden. Als Beau¬ marchais den andern Morgen in ſein Haus zurück¬ kehrte, war er erſtaunt, alle ſeine Schätze wiederzu¬ finden. Er war erſtaunt ſo wenig verſtand er die Revolution, er der doch ſelbſt dreißig Jahre daran gearbeitet! Er ſtarb 1799 in ſeinem ſieben¬ zigſten Jahre, bei ungeſchwächter Kraft des Körpers und des Geiſtes; nur ſeine Heiterkeit hatte er ver¬ loren. Ein Freund, der ihn noch wenige Stunden vor ſeinem Tode, ohne das geringſte Zeichen von Uebelbefinden geſehen, äußerte die Vermuthung, er möchte ſich freiwillig das Leben geraubt haben. Beaumarchais ſagte ihm beim Scheiden: Ich bin25 nicht neugierig mehr ... Und wo ſich die¬ ſes alles begab, wo ſolch eine Welt von Leben lebte, wird jetzt Kochſalz verkauft! Ich bin geſtört worden ſonſt hätte ich Ihnen noch von der Auffüh¬ rung des Figaro geſprochen. Aber ich thue es in meinem Nächſten.

26

..... Nun, das iſt ſchön, daß Sie mir nachkommen und von meiner Weisheit zu erfahren wünſchen, was von den türkiſchen Angelegenheiten zu halten ſei. Seit acht Tagen ſuche ich das mit aller Macht zurückzuſtoßen. Ich habe ſchon an Eu¬ ropa ſchwer zu tragen und jetzt ſoll ich gar noch den Orient auf mich laden! Das halte ich nicht aus. Und daß Sie es nur wiſſen: mir hat der Zorn der Götter, das böſe Geſchick, oder wie man es nennen will, jetzt eine Herkules-Arbeit zugeworfen, die alle meine Kraft verzehrt. Ich ſchreibe Ihnen ein andermal davon; die Geſchichte iſt merkwürdig, aber weitläufig. Nur ſo viel in der Kürze: Die eilfte Plage Aegyptens iſt über mich gekommen; ich habe ſeit einiger Zeit die Pflicht, eine junge ſchöne Frau, faſt noch ein Kind, die vor einigen Monaten geheirathet hat, in ihrer ſchrecklichen Eiferſucht über eine erträumte Geliebte ihres Mannes zu beruhigen, und ſie nennt mich alle fünf Minuten ihren respec¬ table ami. Augen, roth und naß vor Liebe, und ich bin ihr ein respectable ami, ein Schnee¬27 mann, an dem ſie ihren heißen Schmerz abkühlen will! Braucht es da noch des halben Mondes um mich raſend zu machen? Ich verwünſche Sonne, Mond und Sterne und die ganze dumme Aſtronomie, die mich zum respectable ami gemacht. Doch genug für heute.

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Drei und zwanzigſter Brief.

In der Hochzeit des Figaro ſpielte die alte Mars die Suſanna. So etwas kann mich zugleich betrübt und zornig machen. Wenn ausgezeichnete Menſchen, von ächten und anerkannten Verdienſten, ſich ſolche kleine Eitelkeiten erlauben, was bleibt dann der Gemeinheit übrig? Sechszig Jahre iſt ſie alt und übernimmt eine Rolle, für die man ſchon im dreißigſten nicht jung genug mehr iſt. Eine Frau, welche die ſeltene glückliche Natur einer Ninon hätte, könnte vielleicht in ihrem ſechszigſten Jahr noch eine Suſanne ſeyn; aber eine ſpielen niemals. Und was mir am ſchlimmſten ſchien, war: daß die29 Mars beſonnen genug blieb, ihr Vermögen zu be¬ rechnen, und aus Furcht es zu überſteigen, es nicht einmal zu erreichen wagte. Sie ſtand nun da in ihrer edlen Art, wie eine betagte Königin und wagte, beſorgt die Majeſtät ihrer Würde oder ihres Alters zu verletzen, nicht die kleinſte jugendlich heitere Be¬ wegung, die ſich doch ſelbſt eine betagte Königin zu¬ weilen erlauben dürfte. Sie hatte ſo eine vornehme Haltung, daß die Gräfin als Kammermädchen neben ihr erſchien, und es war ganz wunderlich zu ſehen, wenn die Dienerin ſaß und die Gebieterin neben ihr ſtand. Wenn Figaro oder der Page ihr einen Kuß raubte, ließ ſie es geſchehen, wie ein Spalier von dem Knaben eine Birn abreißen. Dieſe Nachſicht, die freilich ein gebildetes Publikum überall mit einer beliebten Schauſpielerin hat, finde ich kaum löblich. Gewiß iſt es für Menſchen von Gefühl eine rüh¬ rende Vorſtellung, ſich zu ihrem Vergnügen eine Künſtlerin bemühen zu ſehen, die einſt ihre Väter entzückt hat. Aber wir müſſen auch an unſere Kin¬ der denken, und aus Dankbarkeit für den Genuß den unſere Eltern gehabt, nicht den Enkeln den Ge¬ nuß entziehen. Wenn, wie es an vielen Orten ge¬ ſchieht, eine Schauſpielerin eine jugendliche Rolle zwan¬ zig Jahr zu lange behauptet, ſo werden dadurch die jungen Künſtlerinnen in ihrer Ausbildung zurückge¬ halten, und oft ſtirbt darüber ein ganzes Theaterge¬30 ſchlecht aus, das die bedeutendſten Rollen nie auf neue würdige Art darſtellen ſah.

Aber wie viel ſtrenger noch als es geſchehen hätte ich die Mars beurtheilt, hätte nicht eine ge¬ wiſſe Ehrfurcht meinen Tadel beſcheidener gemacht. An dem nämlichen Tage, da man Figaro aufführte, war es aus den Zeitungen bekannt geworden, daß die Mars von einem ihrer ehemaligen Liebhaber un¬ vermuthet eine Erbſchaft von vierzigtauſend Franken Renten gemacht habe. Das Geld iſt der wahre Cothurn, die Mars kam mir zuweilen erhaben vor. Dieſe Erbſchaftsgeſchichte iſt ſehr merkwürdig und voller Moral und Philoſophie; ſogar etwas Religion kömmt darin vor. Sollten Sie vielleicht in der Zeitung dieſe Geſchichte nicht geleſen haben, ſchreiben Sie mir es, ich erzähle ſie Ihnen dann. Damit Sie aber während der vierzehn Tage die darüber hinge¬ hen werden, keine üble Meinung von der Mars he¬ gen, will ich Ihnen gleich erklären, was hier unter Liebhaber zu verſtehen ſei. Der alte Herr der un¬ ſere Suſanna zur Erbin eingeſetzt, war ihr Liebha¬ ber, wie man keinem Bettler wehren kann, der Lieb¬ haber jeder Königin zu ſein. Er hatte ſie, aber ſie hatte ihn nicht lieb. Sie gab ihm kein Gehör und nie Zutritt in ihr Haus. Aber ein edler Mann rächt ſich für weibliche Grauſamkeit nie anders, als durch ein Geſchenk von vierzig tauſend Franken Renten.

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Die Rolle des Figaro wurde von Mon¬ roſe ganz unleidlich dargeſtellt. Dieſer Monroſe iſt ſonſt einer der beſten Schauſpieler des Theater Français, beſonders ausgezeichnet in den ſpitzbübi¬ ſchen Bedienten der Stücke Molieres. Aber eben die metallene Gefühlloſigkeit und Unverſchämtheit jener ſpitzbübiſchen Bedienten wußte er nicht los zu werden, und Figaro's Geiſt, Grazie und Sentimen¬ talität verſtand er nicht aufzufaſſen, oder verſtand ſie nicht darzuſtellen. Die Melodie ſeines Spiels und Beaumarchais Worte, paßten gar nicht zuſammen. So war dieſe Aufführung eine der langweiligſten die man ſich denken kann, und was die Unluſt noch ver¬ mehrte, war die Schläfrigkeit des Publikums, deſſen rege Theilnahme durch Lob und Tadel eigentlich die Pariſer Komödie ſo anziehend macht. Doch eben dieſe Apathie der Zuſchauer intereſſirte mich auf eine andere Art und beſchäftigte mich den ganzen Abend. Man beſucht einen Freund in ſeiner Krankheit oder in den Tagen ſeiner Wiedergeneſung, da hört er nicht auf von ſeinen Schmerzen oder von ſeiner Er¬ leichterung zu ſprechen, zu jammern oder zu lächeln; man beſuche ihn vier Wochen ſpäter und frage ihn wie er ſich befindet er verſteht die Frage nicht mehr. Ganz ſo erſchien mir das heutige Frankreich, wenn ich es mit dem des achtzehnten Jahrhunderts, mit dem Frankreich Beaumarchais verglich. Es hat32 ſeine Schmerzen, ſeine Geneſung, ſeinen Arzt und ſeine Geſundheit vergeſſen. Jener Figaro, jenes große Zeughaus voll Spott, Tadel, Witz, Humor und Satyre, daß einſt eine Welt gegen eine Welt bewaffnete, was iſt aus ihm geworden? verſchmäh¬ tes Kinderſpielwerk; das erwachſene Volk hat keine Freude mehr daran. Wo ſonſt der Sturm des Bei¬ falls tobte, da war es ſtill; man klatſchte nicht, man lächelte kaum. 1785 kam das Stück auf die Bühne, 1789 wurde es unter freiem Himmel aufge¬ führt. Beaumarchais hatte die Möbels der Monar¬ chie mit zarter Pfauenfeder leicht abgeſtäupt; fünf Jahre ſpäter zerſchlug die Nationalverſammlung die Möbels, und bald ſtürzte das leere Haus zuſammen. Staub iſt die Schminke jeder alten Monarchie; den fort, und man ſieht ihre Runzeln, ihr garſtiges Per¬ gament, und ſie wird ein Spott der Jugend.

Figaro's Hochzeit war eine Welt-Komödie, bil¬ dete Epoche in der großen und majeſtätiſchen Geſchichte Frankreichs. Und kömmt mir einer und kauderwelſcht von Demagogen, von Volksverführern, von Zeitungs¬ ſchreibern, von Lügenverbreitern, von Revolutios-Fa¬ brikanten: ſo will ich ihm beweiſen, bis er roth wird, daß Ludwig XIV. indem er die Aufführung des Tartüffe, und Ludwig XVI. indem er die Auf¬ führung des Figaro geſtattete jener der Geiſtlich¬ keit, dieſer dem Adel die erſte Wunde beigebracht,33 und daß es alſo zwei franzöſiſche Könige geweſen, welche die franzöſiſche Revolution herbeigeführt. Denn Adel und Geiſtlichkeit ſind die beiden Enden des Ba¬ lancier-Baumes der Fürſten, da jede Regierung die nicht auf dem Boden des Volkes ruht, jede monar¬ chiſche Regierung nur Seiltänzerei iſt; fort die Stange, Plautz der König!

Und hierin iſt wieder etwas, das meine deutſche Hoffnung bis zur Unſichtbarkeit entfernt, und meine Ungeduld und Verzweiflung vermehrt. Wir haben keinen Figaro auf der deutſchen Bühne, wir werden nie einen bekommen, denn man wird nie ſeine Auf¬ führung erlauben. Und kömmt einmal die Zeit, daß man zu einem ſolchen Stücke keine Erlaubniß mehr gebraucht, braucht man auch das Stück nicht mehr. Um gerecht zu ſein, muß man ſagen: die Könige aus dem Hauſe Bourbon hatten Alle etwas könig¬ liches; in einer verdorbenen Zeit gingen ihnen Ge¬ rechtigkeit und Menſchlichkeit nie ganz verloren; der Hof hatte ſie, ſie hatten nicht den Hof verdorben, und ſie blieben immer die beſten unter den Hofleu¬ ten. Um gerechter zu ſein muß man ſagen; der franzöſiſche Adel des achtzehnten Jahrhunderts war gebildet, geiſtreich, von milden Sitten und weit ent¬ fernt von dem düſtern Hochmuthe des deutſchen Adels. Darum aber weil ſie ſo geweſen, ſahen ſie die Revolution nicht kommen und gingen ihrem Ver¬Vl. 834derben entgegen. Unſere Fürſten und unſere Edel¬ leute ſpotten jetzt über ſolche Verblendung und über¬ heben ſich ihrer eigenen Weisheit. Sie mögen ſpot¬ ten. Wenn ſich ein Erdbeben naht, das wittert der tiefſinnigſte Naturforſcher nicht; aber die Hunde wer¬ den gleich unruhig und heulen.

Es iſt noch etwas Anders was die deutſchen Verhältniſſe ſo mißlich macht, weil es der Freiheit ihre beſten Waffen raubt: die Kunſt und die Wiſſen¬ ſchaft. Unſere Gelehrten, Schriftſteller und Dichter haben keinen Zutritt in die höhern Stände; weil unſer hochmüthiger und geiſtloſer Adel ſie zugleich verachtet und fürchtet. Und geſchieht es ſelten ein¬ mal; daß man ſie nicht zurückſtößt, ſind ſie blöde und unbeholfen, weil ſie arm ſind, und ſie den Muth und den Stolz nicht gewinnen können, den nur die Unabhängigkeit giebt. Beaumarchais, der Sohn eines bürgerlichen Uhrmachers, ſeinen Geiſt zum Paſſe, den damals kein Miniſter, keine Exzellenz, kein Edel¬ mann das Viſa zu verweigern die Unverſchämtheit hatte, drang durch ſeine Gewandheit bis zu den Stufen des Thrones vor, und erhob ſich zu einem der reichſten Männer Frankreichs. Als Figaro er¬ ſchien, ſagte man: es habe dem Dichter weniger Geiſt gekoſtet das Stück zu ſchreiben, als es auf die Bühne zu bringen. Was hat Beaumarchais nicht Alles gethan und geduldet, um ſeinen Zweck zu er¬35 reichen! Unſer Raupach hielte ſolch ein ſchleichend Nervenfieber keine vier Wochen aus. Zuerſt las Beaumarchais ſeine Komödie in allen Salons, Bou¬ doirs und Kabinetten vor und bettelte ſich einen Reichthum von den ſchönſten, mächtigſten und galan¬ teſten Stimmen zuſammen. Die Kabale war um¬ garnt, ehe ſie ſich deſſen verſah. Dann legte er das Stück der Prüfung von neun verſchiedenen Cen¬ ſoren vor, die es Alle einer nach dem andern prüften, und nach den vollzogenen Aenderungen, die ſie zur Bedingung machten, genehmigten. Aber noch ſtan¬ den hohe Berge von Hinderniſſen im Wege. Beau¬ marchais wandte ſich an die Miniſter und bat, ſie möchten ein Tribunal von Akademikern, Cenſoren, Schriftſtellern, Welt - und Hofleuten errichten, die das Luſtſpiel leſen und prüfen möchten. Das ge¬ ſchah. Es wurde geleſen, geprüft, berathſchlagt, wieder verbeſſert und endlich genehmigt. Er war noch weit vom Ziel. Da wandte er ſich an den König. Dieſer beſchloß, zu beſſerer Prüfung das Stück auf einem Hoftheater vor einem Ausſchuſſe von Zuſchauern, an welchen nichts mehr zu verder¬ ben iſt, ſpielen zu laſſen. Der Tag der Aufführung war ſchon beſtimmt, die Zuſchauer waren eingeladen, die Schauſpieler angekleidet, die Lichter brannten, die Straßen waren mit Equipagen bedeckt da kommen neue königliche Skrupel, und es wurde Alles3 *36wieder abbeſtellt. Endlich kam der Krönungstag[ſeiner] Beharrlichkeit und Figaro betrat die Bühne.

Der Grund ihrer Widerſetzlichkeit den damals die Gegner Beaumarchais anführten, oder der Vor¬ wand den ſie gebrauchten, war weniger die politiſche Bedeutung der Komödie, als ihre ſittliche Ausgelaſſen¬ heit. So urtheilten leichtſinnige Franzoſen. Aber ein nordiſcher Fürſt der damals in Paris war, eine deutſch-ſolide, edelmänniſche Natur, die zu abgehärtet in jeder Tugend iſt, um das verbuhlte Lüftchen eines unſittlichen Wortes nur zu fühlen, fand gleich den wahren gefährlichen Punct auf. Der König von Schweden der damals in Paris war, ſagte zu Ma¬ ria Antoinette: cette. comédie n'est pas indé¬ cente, mais insolente, Er meinte die Keckheit, mit welcher darin die Schwächen der Regierungen und des Adels verſpottet wurden. Der weiſe Fürſt hatte es genau errathen. Sechs Jahre ſpäter lernte er in ſeinem eignen Lande die Beſcheidenheit des Adels, der Unverſchämtheit des Bürgerſtandes gegen¬ über, kennen und ſchätzen. Auf einem Hof-Masken¬ balle, unter fröhlich rauſchender Muſik, unter Tanz, Scherz und Lachen, umwölkt von dem Dampfe des Punſchnapfs, fiel Guſtav III. meuchelmörderiſch von den Händen ſeines treuen und inſolenzwidrigen Adels. Gift, Dolch, Kugel und Schnur, ſind freilich be¬ ſcheidenere Wege als Figaro's Monologen, eine Re¬37 gierung zurecht zu weiſen. Heinrich IV., Guſtav III., Paul I. fielen von edlen Mörderhänden; kaum ein Land das nicht einen Fürſten gehabt, der das Rache¬ opfer des Adels oder der Geiſtlichkeit geworden. Aber ſolche Tage ſind keine jours funestes et à jamais déplorables, die man bei jedem Wie¬ derkehr mit Trauer und Buße begeht. Wenn Adel und Pfaffheit einen König meuchelmorden, ſo iſt das ehrwürdiger Richter Spur; wenn aber, wie es nur zweimal geſchehen nach tauſendjähriger Ge¬ duld, ein Volk ſeinen König richtet, iſt das ſchnö¬ der Meuchelmord, ein jour funeste et à jamais déplorable! Das ſagen Adel und Geiſtlichkeit, die ihre Privelegien klug zu wahren wiſſen.

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Ein Abbe Chatel in Paris hat ſeit der letzten Revolution eine neue Kirche unter den Namen Eglise catholique française primaticale gegründet. Sie erklärt ſich unabhängig von dem Papſte und führt nach und nach wichtige Verbeſſerungen in die Glaubenslehre und den Gottesdienſt ein. Die An¬ hänger dieſer Kirche vermehren ſich täglich. Kürzlich wurde darin eine muſikaliſche Meſſe zum Andenken Mo¬ liere's, Talma's, Philipp's der Raucourt und aller an¬ dern Schauſpieler und Schauſpielerinnen gefeiert, wel¬ chen zur Zeit ihres Todes, die katholiſche Kirche ein chriſtliches Begräbniß verweigert hatte. Der Teufel mag ſich freuen über eine ſolche ſpäte[Genugthuung], mich macht das immer toll. Die Freunde und Anver¬ wandte Moliere's und der Andern, jetzt ſelbſt todt erfahren ſie denn von der heutigen Wiederher¬ ſtellung giebt ſie ihnen Troſt, lindert ſie den alten Schmerz den ſie gefühlt, als die ewig tückiſche und Liebe heuchelnde katholiſche Kirche, die Leiche eines guten Menſchen beſchimpfte und hinaus in den Koth der Gaſſe warf? Jetzt kommen ſie und das iſt mein ewiger Jammer! Seit drei Jahrhunderten39 peinigen ſich die Völker ab, ihre unwiſſenden und entarteten Fürſten und Regierungen zur Weisheit, Menſchlichkeit und Gerechtigkeit zu erziehen, und jetzt ſitzen wir ſchon da Jahrhunderte lang in Schmerzen und Ungeduld, ſehen den Schneckengang der Ausbil¬ dung mit an und ſchmachten und dulden, bis es der lieben Jugend, die uns beherrſcht endlich einmal ge¬ fallen wird, leſen zu lernen im Buche der Weisheit und Gerechtigkeit und ſich die erſten Grundſätze der Sittenlehre einzuprägen. Man ſage nicht das Volk wäre einverſtanden geweſen mit der Excommunikation der Schauſpieler; das war es nicht, wenigſtens nicht im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Ob es zu Molieres Zeit noch ſo tief ſtand, weiß ich nicht, doch ich zweifle; doch wäre es auch geweſen wann hat ſich denn je Ludwig XIV. um die Stimme und Meinung des Volks bekümmert? Es hätte ihm nur ein Wort gekoſtet und keiner hätte zu murren gewagt, wenn Moliere auch mit dem Ge¬ pränge eines Papſtes wäre beerdigt worden. Jede Thorheit, jeder Aberglaube des Volkes, wenn ſie dazu dienen, die Tyrannei der Fürſten und die Macht der Regierungen zu verſtärken, wird geachtet und ge¬ liebkoſet; da iſt des Volkes Stimme, Gottes Stimme. Wenn aber die öffentliche Meinung das Gute, das Gerechte will, verſpottet man ſie, und verlangt ſie mit Beharrlichkeit, antwortet man ihr mit Flinten¬40 ſchüſſen! Die Unverſchämten! Man höre doch wie ſie jetzt über neue Ereigniſſe, wo dumme verführte Völker Tyrannei begehren, ſprechen, wie ſie ihrem Bruder Sultan Mahmud und ihrer Schweſter der Königin von Spanien, den Text leſen. Was! Ihr trotzt dem Volke? Ihr wollt ihm liberale Inſtitu¬ tionen aufdringen, die es verabſcheut? Iſt das menſchlich, iſt das gerecht, iſt das königlich? Könnt Ihr das vor Gott und ſeinen Propheten verantwor¬ ten? Das Volk iſt gut, das Volk iſt weiſe, das Volk iſt gerecht, das liebe Volk weiß immer was es will, was ihm gut iſt; das Volk iſt das Land; das Volk iſt Alles. Wer es mit dem Volke verdirbt geht zu Grunde ....

So reden ſie. Hat doch neulich Euer monsieur Durand in Frankfurt, der franzöſiſche Advokat des deutſchen Bundes, als er von der mißlichen Lage des Sultans ſprach, ausgerufen: ces réformes ¬ pugnaient à son peuple, et c'est de son peuple qu'il aurait besoin aujourd'hui. O mein ſehr weiſer, mein ſehr bundestäglicher Herr Durand wenn ſie wieder einmal den Berg Sinai hinaufſteigen, wenn ſie wieder eine Zuſammenkunft mit Egeria haben, wenn ihnen Mahomeds Taube wieder einmal in das Ohr flüſtert, dann fragen Sie doch Ihr Orakel: wie es denn mit den Reformen wäre, welche die Bundestagbeſchlüſſe dem Widerwil¬41 len des deutſchen Volkes aufgedrungen, und ob nicht eine Zeit kommen könnte, wo dieſes üble Folgen hätte? Laſſen Sie an dem Thore des taxiſchen Hauſes, an den Palläſten des Königs von Baiern, des Großherzogs von Baden, des Großherzogs von Darmſtadt, des Kurfürſten von Heſſen, und aller übrigen weintrinkenden Sultane Ihre goldenen Worte mit goldenen Buchſtaben in Marmor graben: ces réformes répugnaient à son peuple, et c'est de son peuple qu'il aurait besoin aujourd'hui. Unten drunter laſſen Sie einſt¬ weilen 183 ... ſetzen; die vierte Jahreszahl und der Monatstag, ſind dann ſchnell hinzugethan.

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Ein Profeſſor Wolf in Jena, ſagt in ſeinem Buche über die ſchöne Litteratur: Börne hat es in ſeiner letzten Zeit mit dem Publikum verdorben durch ſeine Briefe aus Paris, weil er den Spaß zuweit trieb und die Menge zu beſchränkt war um ein¬ zuſehn, daß jene Uebertreibungen wirklich nichts ſind, als etwas grober und zu Zeiten unziemlicher Spaß. Dieſer unbeſchränkte Wolf iſt auch einer von un¬ ſern Leuten, die es in der chriſtlich deutſchen Bildung bis zur blonden Philiſterei gebracht. Einer der einmal eine Ohrfeige bekam, fragte: mein Herr iſt das Spaß oder Ernſt? völliger Ernſt. Nun das iſt Ihr Glück, denn ſolchen dummen Spaß kann ich nicht ertragen. Der ſchrankenloſe Profeſſor, wenn er jetzt meine neuen Briefe lieſt, wird auch ſagen: Nun das iſt ſein Glück, daß er Alles für Ernſt erklärt, denn ſolchen dummen Spaß können wir nicht vertragen. Adieu!

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Vier und zwanzigſter Brief.

Berenger, die Nachtigall mit der Adlerklaue, hat wieder geſungen. Geſtern wurde ein neuer Band Lieder von ihm ausgegeben. Ich hatte noch nicht Zeit ſie zu leſen; aber in meinem nächſten Briefe ſchreibe ich Ihnen darüber und dann ſchicke ich Ihnen das Buch durch die erſte Gelegenheit.

Ein Reiſender der aus Deutſchland kam, hat mir meine Briefe geliehen, die hier immer noch nicht angekommen ſind. Der erſte Band kam mir unbe¬ deutend vor, im zweiten habe ich einige gute Sachen gefunden! Es ſcheint, daß ich im Januar und Fe¬ bruar am meiſten Verſtand habe. Das kann aber44 nicht immer ſo geweſen ſein; denn in einem dieſer Monate habe ich Sie einſt kennen gelernt. Als Conrad das Buch liegen ſah, rief er aus: Sind das Ihre neuen Briefe! Das wird wieder große Freude im Lande ſein. Schöne Freude! In der Münchner Hofzeitung ſoll ſtehen: wenn Deutſch¬ land noch einen Galgen übrig hat, verdiente ich wegen meiner radikalen Niederträchtigkeit daran gehangen zu werden. Ich werde mich aber um das Hofpöbel - Geſchwätz und um das ganze monarchiſche Geſindel nicht mehr bekümmern. Nicht die geringſte Luſt habe ich ein Wunder zu wiederholen und meine Rezenſen¬ ten zum zweitenmal aus dem Tode zu erwecken. Friede ſei mit ihren Gebeinen. Einmal war nöthig, aber einmal iſt auch genug.

Uebermorgen wird im Theater der Porte-St. - Martin, ein neues Drama von Victor Hugo aufge¬ führt. Ich war eben dort mir einen Platz zu neh¬ men; es war aber keiner mehr zu haben. Schon auf acht Tage hinaus ſind alle Plätze beſtellt. So ungeſchickt bin ich immer, ich komme jedesmal zu ſpät, und ſeit ich Paris beſuche, iſt es mir noch nie¬ mals gelungen einer erſten Vorſtellung beizuwohnen, welche immer die intereſſanteſte iſt. Das wird be¬ ſonders diesmal der Fall ſein; denn wegen der Ver¬45 folgung die Victor Hugo neulich von den Miniſtern zu erdulden hatte, werden ſeine Freunde und die Feinde der Regierung gewiß Rache zu nehmen ſuchen. Ohne dies ſpielt das neue Drama in dem Hauſe Borgia, dieſem bekannten Italieniſchen Fürſtenge¬ ſchlechte, deſſen Blut von der Sünde ſchwarz ge¬ worden war. Da werden Dichter und Zuhörer dem monarchiſchen Prinzip wohl wieder etwas auf den Fuß treten. Das unglückliche monarchiſche Prinzip! Aus Angſt und Verzweiflung, daß man ihm einen Theil ſeiner Schätze geraubt hat, packt er ſich gleich Molieres Geizigen, an der eignen Bruſt und ſchreit: halt den Spitzbuben! Mein Geld heraus! So weh thut ihm keiner ſeiner Feinde, als er ſich ſelbſt thut. Sie werden aus den Pariſer Zeitungen halb errathen haben, welche neue Thorheiten und Schändlichkeiten die Regierung wegen der Her¬ zogin von Berry begangen hat. Sie ſchickte zwei hieſige Aerzte nach Blaye. Daran wäre nun weiter nichts auffallendes geweſen, da die Legitimiſten ſelbſt laut gejammert hatten, die Berry ſei krank und würde dem dortigen Klima unterliegen. Aber die Miniſter des Königs es kam darauf an, die Ge¬ burt des Herzogs von Bordeaux verdächtig zu ma¬ chen ließen drucken: die Aerzte hätten eine ganz beſondere wichtige Sendung, ſie hätten den Auftrag46 einen Punkt der gerichtlichen Medizin in das Reine zu bringen. Darauf ſchreiben die legetimiſti¬ ſchen Blätter von Gift, ſprachen von Vergiftung. Natürlich war das Verläumdung. Die Aerzte kamen von Blaye zurück und die Legitimiſten, dieſe dummen Pfaffen des monarchiſchen Prinzips, erzählten den wahren Hergang der Sache, wie ſie ihn zu wiſſen glaubten. Die Aerzte wären verlegen, ſchamroth, ſtotternd vor der Herzogin erſchienen und hätten kein Wort hervorzubringen gewußt. Sie aber, wie es der Wittwe eines Märtyrers, der Mutter des Wunderkindes gezieme, wäre ſtolz vor die armen Doktoren hingetreten und hätte erhaben, erhaben, ſehr erhaben über alle weiblichen Schwächen, ihnen ſelbſt den Mund geöffnet und geſagt: Ich weiß, warum Ihr gekommen; jetzt ſeid Ihr hier, jetzt un¬ terſucht Ihr alles gehörig, und nicht eher ſollt Ihr das Zimmer verlaſſen, bis Ihr alles gehörig unter¬ ſucht habt. Man ſoll wiſſen, woran man iſt: Die mediziniſchen Richter unterſuchten alles gehörig und fanden alles gehörig, und gingen darauf mit rother Stirne fort. Mich ärgert die Geſchichte. Jetzt wird nun Jarke mit dem ganzen monarchiſchen Troſſe frohlockend ausrufen: Seht Ihr, ſeht Ihr, was von einer repräſentativen Verfaſſung heraus¬ kömmt, welche ſchöne Folgen Oeffentlichkeit und47 Preßfreiheit haben? Hat man in einem Lande das nicht mit der Preßfreiheit verflucht iſt, je von der Mütterlichkeit einer Prinzeſſin Wittwe reden ge¬ hört? Ganz Recht hat Herr Jarke. In ſolch einem glücklichen Lande erfährt man dergleichen nie. Nichts iſt[abſcheulicher] und furchtbarer als die Pre߬ freiheit; ſogar einer fürſtlichen verwittweten Unſchuld kann ſie einen böſen Leumund machen.

Was das elend kranke monarchiſche Prinzip im¬ merfort an ſich kurirt! wahrhaftig man muß Mitleid mit ihm haben. Da es ſieht, daß ihm Aerzte und Apotheker nicht helfen können, nimmt es zu alten Weibern ſeine Zuflucht, und gebraucht ſympathetiſche Mittel. Vorgeſtern war ein Ball bei Hofe und da erſchienen mehrere Damen die presque jolies et à peu près jeunes waren, zum allgemeinen Er¬ ſtaunen mit Puder in den Haaren, und gekleidet nach der Mode aus der tugendhaften Zeit der Regentſchaft. Die königliche Familie überhäufte dieſe tugendhaften ge¬ puderten, loyalen, monarchiſchen, faſt ſchönen und ungefähr jungen weiblichen Köpfe, mit Gunſt¬ bezeugungen aller Art. Der Herzog Decazes machte ihnen den Hof im Namen der Camarilla. Thiers ſagte ihnen im Namen der Doktrinairs die ſchönſten Schmeicheleien. Im Namen des diplomatiſchen Corps überreichte ihnen der päpſtliche Nuncius Confect und48 Eis. Herr Pasquier im Namen der Pairs, erklärte dieſen Tag für einem jour heureux et à jamais mémorable. Aber im Namen des Volks wurden ſie von allen übrigen ausgelacht. Von Thiers wun¬ dert es mich, da er doch eine Geſchichte der franzö¬ ſiſchen Revolution geſchrieben und wiſſen mußte, daß Mirabeau und Robespierre ſehr gepudert waren und daß Madame Rolland eine ſteife Schnürbruſt getra¬ gen. Den andern Tag ſchickten drei Geſandte Cou¬ riere an ihre Höfe und man glaubt, dieſer Puder werde ſehr viel zur Schlichtung der Belgiſchen Angele¬ genheit beitragen, weil die heilige Allianz an dem ernſten Willen Louis Philipps, das reine monarchi¬ ſche Princip herzuſtellen und die ungepuderte und un¬ geſchminkte Preßfreiheit zu vertilgen, nun nicht län¬ ger mehr zweifeln könnte.

Aus Spanien blüht uns wieder eine neue Hoff¬ nung entgegen. Es iſt dort in mehreren Provinzen eine bedeutende Revolution ausgebrochen; zwar eine Carliſtiſche, aber die hilft auch. Sie unterſcheidet ſich von einer liberalen nicht mehr als Kreuz-Aß von Herz-Aß; der Werth iſt der nämliche[und] die Farbe des Trumpfes kann allſtündlich ändern. Auf keine Weiſe iſt zu fürchten daß ſich die Spanier in den Schlaf protokolliren laſſen. Eine diplomatiſche Con¬49 ferenz verdaut nimmermehr ſolch ein hartes Volk. Wenn das dort Beſtand hat, werden wir es in Deutſchland bald an den friſchen Ohrfeigen ſpüren, die man uns geben wird, wir ſind die Menins aller ungezogenen Völker ſie die Unarten, wir die Schläge.

VI. 450

Die Hefte von Rießer mögen Sie mir ſchicken. Was ich früher von ihm geleſen, deutet auf ein vorzügliches Talent; aber mit ſeinem Journale iſt es ein großer Mißverſtand. Wer für die Juden wirken will, der darf ſie nicht iſoliren; das thun ja eben deren Feinde zu ihrem Verderben. Was nützt ein eignes Journal für die Juden? Ihre Freunde brauchen es nicht, denn ſie bedürfen keiner Zuſprache; ihre Gegner nehmen es gar nicht in die Hand. Um ihnen zu helfen, muß man ihre Sache mit dem Rechte und den Anſprüchen der allgemeinen Freiheit in Verbindung bringen. Man muß nur immer gelegentlich, unerwartet von ihnen ſprechen, damit der ungeneigte Leſer gezwungen werde ſich damit zu beſchäftigen, weil es auf ſeinem Wege liegt. Ich meine auch, es wäre auf dieſe Weiſe leichter die Juden zu vertheidigen, jedem der keine blinde Liebe für ſie hat. Ich habe oft und warm für ſie ge¬ ſprochen! hätte ich ſie aber iſolirt, wäre mir die Gerechtigkeit gar zu ſauer geworden. Es ſcheint, Rießer möchte die Nationalität der Juden gewahrt ſehen. Aber die Nationalität der Juden iſt auf51 eine ſchöne und beneidenswerthe Art zu Grunde gegangen; ſie iſt zur Univerſalität geworden. Die Juden beherrſchen die Welt, wie es ihnen Gott verheißen; denn das Chriſtenthum beherrſcht die Welt, dieſer ſchöne Schmetterling, der aus der garſtigen Raupe des Judenthums hervorgegangen. Die ſcheinbeherrſchte Menge, hier und dort, mag das verkennen, aber der denkende Mann begreift es. Die Juden ſind die Lehrer des Cosmopolitismus, und die ganze Welt iſt ihre Schule. Und weil ſie die Lehrer des Cosmopolitismus ſind, ſind ſie auch die Apoſtel der Freiheit. Keine Freiheit iſt möglich, ſo lang es Nationen giebt. Was die Völker trennt, vereinigt die Fürſten; der wechſelſeitige Haß, der die Einen trennt und ſchwach läßt, verbindet die Andern zu wechſelſeitiger Liebe und macht ſie ſtark. Die Könige werden Brüder bleiben und verbündet gegen die Völker, ſo lange ein thörichter Haß dieſe auseinander hält. Auch die Edelleute ſind ſtark, weil ſie kein Vaterland kennen. Deutſche! Fran¬ zoſen! Ihr zumal, Schiedsrichter der Welt, laßt euch nicht länger thöricht von euren Herrſchern zum wahnſinnigen Patriotismus entflammen. Weil man euere Vereinigung fürchtet, ſoll wechſelſeitiges Mi߬ trauen euch ewig getrennt halten. Was ſie als Vaterlandsliebe preiſen iſt die Quelle eures Ver¬ derbens. Verſtopft ſie, werfet Kronen und Scepter4*52und zerſchlagene Throne hinein, und ebnet den Boden mit dem Pergament-Schutte eures Adels. Dann bringt die Freiheit, Ihr Deutſche dem Norden, Ihr Franzoſen dem Süden, und dann iſt überall wo ein Menſch athmet euer Vaterland, und Liebe eure Religion.

Sie ſind neugierig? Das iſt merkwürdig. So etwas habe ich von einem Frauenzimmer nie gehört. In Diderots Encyclopädie, in der von Krünitz im Converſationslexicon, in der Biographie universelle, im Bayle, in der großen engliſchen Weltgeſchichte, im Büffon, in der Bibel, im Koran, in meinen geſammelten Schriften, in keinem dieſer Werke iſt auch nur ein Wort zu finden das auf die Exiſtenz weiblicher Neugierde hindeutet. Es iſt die merkwürdigſte Entdeckung ſeit der Sündfluth. Aber es thut mir leid, ich muß Sie ſchmachten laſſen. Aufrichtig zu ſprechen, es iſt etwas in dieſer Ge¬ ſchichte, daß ich nicht mittheilen darf. So habe ich reiflich zu überlegen, wie ich ſie Ihnen erzählen ſoll, ohne etwas hinzuzulügen, und doch zugleich zu ver¬ ſchweigen, was geheim bleiben muß. Die halbe Wahrheit zu ſagen, das iſt eine künſtliche Drechsler¬ arbeit; ganz zu lügen iſt viel leichter. Uebrigens kann ich Sie verſichern, daß die Geſchichte gar nicht ſo romantiſch iſt, als Sie ſich vielleicht vorſtellen. Ich habe mehr wiſſentſchaftliches als Kunſtintereſſe53 daran, und wäre ich nicht ſo wißbegierig, hätte ich mich ſchon längſt dabei gelangweilt, doch das kann ich Ihnen mittheilen, daß jetzt die Tochter nicht mehr allein eiferſüchtig iſt, ſondern auch die Mutter, und daß erſtere mich ſeit vierzehn Tagen nicht mehr re¬ spectable nennt, ſondern aimable; einmal ſagte ſie ſogar adorable. Ich weiß nicht was ſie mit mir vor hat, aber ſie abelt mich in einem fort. Bald wird ihr nichts mehr übrig bleiben, als mich exé¬ crable zu nennen. Jetzt ſchmachten Sie ruhig fort und laſſen Sie ſich durch nichts ſtören. Es wird nicht lange dauern vier Wochen, ſechs Wochen, vielleicht zehn, höchſtens ein Jahr oder anderthalb.

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Fuͤnf und zwanzigſter Brief.

Berangers neue Lieder haben nicht das jugend¬ liche Herz der frühern, in welchem reines Quellblut ſprudelte. Wir aber die den Dichter lieben, leſen ſie wieder friſch. So blühen verwelkte Blumen neu auf, wenn man ſie in warmes Waſſer ſtellt. Be¬ ranger fühlt es ſelbſt, daß er ſchwächer geworden; aber er ſagt: nicht ſein Alter allein, ſondern auch der Ernſt der Zeit, hätte ſeine Sangesweiſe ſchwer und nachdenklich gemacht. Mir aber ſcheint, daß ſeine Verachtung nicht mehr ausgereicht für die Ver¬ ächtlichkeit, ſein Spott nicht mehr für die Lächerlich¬ keit der jetzigen Machthaber und ihres Treibens und55 daß darum ſein ſonſt ſo ſiegsfroher Kampf alle Freu¬ digkeit verloren. Er hat die Gedichte Lucian Bonaparten zugeeignet, der ihn einſt in ſeiner Jugend von der Armuth rettete und ihm wieder forthalf. Die Worte der Zueignung ſind würdig und rührend. Da ſagt er[unter] andern: J'ai toujours penché à croire qu'a certaines les lettres et les arts ne doivent pas être des simples objets de luxe. Das mögen ſich unſere deutſchen gelehrten Zeug-Fabrikanten und unſere poetiſchen Goldarbeiter merken, die, in der Schule Göthes gebildet, ihre Wiſſenſchaft und Kunſt und ihr edles Gewerbe her¬ abzuwürdigen glauben, wenn ſie je auf etwas anders als auf neue Erfindungen für die Luſt der Reichen und Vornehmen ſinnen, wenn ſie je an etwas anderm, als an Kronen und Ordensſternen arbeiten. In der Vorrede ſagt Beranger: das wären ſeine letzten Lie¬ der und er wolle den Reſt ſeines Lebens verwenden, die Denkwürdigkeiten ſeiner Zeit aufzuſchreiben. Dieſe Drohung braucht uns keine Sorge zu machen; Dichter und Liebende ſchwören oft falſch.

Das Glück der Menſchheit war der Traum meines Lebens. Hätte Beranger nur das nicht geſagt! Das ſagen ja eben die Andern auch, die das Glück der Menſchheit nicht wollen. Sie ſpotten: Ihr träumt, Ihr ſchwärmt! Nein, es iſt kein Traum; aber freilich wenn man ſchläft iſt alles56 Traum. Schlummert nicht, wachet auf! Es giebt jetzt zehntauſendmal mehr glückliche Menſchen, als es vor vierhundert Jahren gab. Aber gewiß lebten da¬ mals auch Dichter und Philoſophen, welche von dem Glücke der Menſchheit träumten, und gewiß wurden ſie von den Weltleuten auch verhöhnt wegen ihrer Schwärmereien. Und doch iſt alles beſſer geworden, und ohne Zweifel überſteigt die Wohlfahrt der heuti¬ gen Welt, weit die Hoffnung jener Gutgeſinnten, weit die Furcht jener Schlechtgeſinnten. Was hat ſich geändert? Hat das Glück der Menſchheit ſich vermehrt? Nein. Die Summe des Glücks iſt im¬ mer die nämliche, nur kömmt es darauf an wie ſie vertheilt iſt. In jenen frühen Jahrhunderten war alles Land und Gut, aller Reichthum und alle Luſt des Lebens, waren alle Waffen zur Vertheidigung der Güter des Lebens in alleinigem Beſitze der Edel¬ leute und alle Kunſt und Wiſſenſchaft und göttliche Erkenntniß waren Eigenthum der Geiſtlichkeit. Sie hatten alles, wußten alles, konnten alles; das Volk war arm, dumm und wehrlos. Der Frühling kam, der Adel und Geiſtlichkeit aufgelöſt und da floſſen Reichthum und Wiſſen von ſelbſt auf das Land herab. Vollendet jetzt das Werk, mit eures Geiſtes, mit eurer Hände Kraft, und wartet nicht auf die Zeit die lang¬ ſam zerſtört und noch langſamer bildet. Die Zeit iſt eine Seidenraupe; wollt ihr Seide ſpinnen, dürft57 Ihr nicht warten, bis ſich der Schmetterling entfal¬ tet. Gott gab dem Menſchen die Zukunft, daß er ſie zur Gegenwart mache; aber wir ſind zu faul und niederträchtig feige, daß wir die Gegenwart zur Zukunft werden laſſen. Die Vergangenheit iſt unſere Gegenwart, und wir Narren ſind zufrieden wenn wir altbacken Brod eſſen. Jeder Fürſt eines großen Landes verzehrt das Glück von hunderttauſend ſeiner Unterthanen, jeder kleine Fürſt nach Verhältniß noch mehr. Jede Univerſität macht das Land zehn Mei¬ len in der Runde dumm. Wenige ſollen Alles wiſſen, damit Alle nichts wiſſen. Unſere Gelehrten ſind die Schatzmeiſter der Aufklärung. Dieſe Nar¬ ren bilden ſich ein, ſie würden von den Regierungen gut bezahlt, damit ſie den Schatz in Ruhe und Frie¬ den genießen. O nein; man ſtellt ſie an daß ſie den Schatz wohl verſchloſſen halten, damit nichts davon unter das Volk komme. Mit dem allein was die Göttinger Bibliothek gekoſtet, könnte man in ganz Deutſchland Dorfbibliotheken errichten. Wenn man dreißig Fürſten in zwanzig Millionen Bürger und Bauern, wenn man dreißig Profeſſoren in dreißig tauſend Schulmeiſter zerſchlüge in jedem gehei¬ men Hofrath ſtecken ihrer tauſend wäre ein gan¬ zes Volk wohlhabend, gebildet, ſittlich und glücklich. Dann würde das Unglück der Menſchheit, der Traum der Schlechten ſein.

58

Wonach ich in dieſen Liedern am begierigſten ſah, können Sie ſich leicht denken. Nach den Ge¬ ſinnungen und Aeußerungen Berangers über den Zu¬ ſtand Frankreichs. Mit wahrer Angſt ſuchte ich das auf; denn ich habe ſeit zwei Jahren oft flüſtern hö¬ ren: nicht aus Mangel an Stoff ließ Beranger ſei¬ nen Zorn ſchweigen, ſondern aus einem andern Man¬ gel. Ich glaubte das halb und es machte mir Kum¬ mer. Ich glaubte es denn die ſchöne Zeit iſt nicht mehr, wo nur die Verläumdung edle Menſchen beſchädigen konnte; das thut auch jetzt der Argwohn der Guten, der wie ein Roſt das reinſte Gold der Tugend verzehrt. Der Wein, welchen die Macht in großen Strömen fließen läßt, die Vernunft und das Herz der Welt zu überſchwemmen, daß ſie ihr Mit¬ ſchuldige werde, hat auch viele der Edelſten berauſcht und die Regierungen haben es in ihrer geheimen Scheidekunſt ſo weit gebracht, daß ſie ſelbſt aus Ro¬ ſenwaſſer das ſtärkſte Gift deſtilliren können Dank dem Himmel, das fand ich nicht in den Liedern; ich fand aber auch nicht Alles was ich ſuchte. Den Stoff den ihm die Regierung Louis Philipp's angeboten, der viel ſchöner und reicher iſt, als der der frühern Zeit, hat Beranger träge bear¬ beitet. Aber es giebt außer der Beſtechung durch Geld, noch eine andere; die durch Worte und Schmeicheleien. Viele von den alten Freunden Be¬59 rangers theilen jetzt den Gewinnſt und die Sünden der Macht. Es kann ihm wohl einer derſelben vor¬ geſtellt haben: er möge bedenken, welchen großen Einfluß ſeine Lieder auf das Volk hätten und daß ſie am meiſten die Revolution vorbereitet. Er möge bedenken, in welcher gefährlichen Lage der König den Partheien und dem Lande gegenüber ſtehe das bedenken und darum ſchonen. Vielleicht zeigte man ihm auch in einiger Entfernung ein Endchen von ir¬ gend einem Geheimniſſe der heiligen Allianz. Da ließ ſich der gute Beranger überliſten und verſprach zu ſchweigen. Später ſah er wohl ein, daß er ge¬ täuſcht worden, aber er hatte einmal ſein Wort ge¬ geben.

So zielen Berangers politiſchen Lieder, zwar auf die Scheibe, aber nicht mehr wie früher auf das Schwarze. Das was ich in meinen vorjährigen Briefen mittheilte, la paix, und das deutlich den Stempel des Dichters trägt, iſt nicht gedruckt worden. Die Miniſter und die Kammer und die unhandgreifliche Regierung beſpöttelt er etwas in dem Liede la restauration de la chan¬ son. In den erſten Tagen nach der Revolution hatte Beranger geſagt, on vient de détrôner Charles X et la chanson. Darauf bezieht ſich das Lied, von welchem hier die zwei erſten Stro¬ phen folgen.

60
Oui, chanson, Muse ma fille
J'ai déclaré net
Qu'avec Charles et sa famille
On te détrônait.
Mais chaque loi qu'on nous donne
Te rappelle ici.
Chanson, reprends ta Couronne
Messieurs, grand merci!
Je croyais qu'on allait faire
Du grand et du neuf;
Même étendre un peu la sphère
De quatre vingt neuf.
Mais point! On rébadigeonne
Un trône noirci.
Chanson, reprends ta Couronne
Messieurs, grand merci!

Dieſem Liede unmittelbar vorher geht ein an¬ deres, dem es gleichſam als Beweis folgt. Der Miniſter Sebaſtiani wollte, ſo zart wie möglich, den Dichter reich machen. Er antwortete ihm in dem ſchönen Liede: Le refus, darin ſagt er:

Qu'un peu d'argent pleuve en mon trou.
Vite il s'en va, Dieu sait par !
D'en conserver je désespère.
Pour recoudre à fond mes goussets,
J'aurais prendre, à son décès,
Les aiguilles de mon grand-père.
61
Ami, pourtant gardez votre or.
Las! j'épousai, bien jeune encor,
La Liberté, dame un peu rude.
Moi, qui dans mes vers ai chanté
Plus d'une facile beauté,
Je meurs l'esclave d'une prude.
La Liberté! c'est, Monseigneur,
Une femme folle d'honneur;
C'est une bégueule enivrée
Qui, dans la rue ou le salon,
Pour le moindre bout de galon,
Va criant: A bas la livrée!

Aus einem philoſophiſchen Gedichte Les Fous ſind folgende ſchöne Verſe:

Combien de temps une pensée,
Vierge obscure, attend son époux!
Les sots la traitent d'insensée;
Le sage lui dit: Cachez-vous.
Mais la rencontrant loin du monde,
Un fou qui croit au lendemain,
L'épouse; elle devient féconde
Pour le bonheur du genre humain.
62
Qui découvrit un nouveau monde?
Un fou qu'on raillait en tout lieu.
Sur la croix que son sang inonde,
Un fou qui meurt nous légue un Dieu.
Si demain, oubliant d'éclore,
Le jour manquait, eh bien! Demain
Quelque fou trouverait encore
Un flambeau pour le genre humain.

Ob Sie zwar die Gedichte bald erhalten wer¬ den, habe ich mir doch die große Mühe gegeben, zwei derſelben worin Beranger ſeine Liebe zu den Königen herrlich tönen ließ, ganz für Sie abzuſchrei¬ ben. Ich weiß welche Freude es Ihnen macht in meinem armen ausgetrockneten Mühlbache wieder etwas Waſſer zu ſehen.

Conseil aux Belges.

Finissez-en nos fréres en Belgique
Faites un roi, morbleu, finissez-en.
Depuis huit mois, vos airs de république
Donnent la fièvre à tout bon courtisan.
D'un roi toujours la matière se trouve:
C'est Jean, c'est Paul, c'est mon voisin, c'est moi.
Tout oeuf royal éclôt sans qu'on le couve.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.
63
Quels biens sur vous un prince va répandre!
D'abord viendra l'étiquette aux grands airs;
Puis des cordons et des croix à revendre;
Puis ducs, marquis, comtes, barons et pairs.
Puis un beau trône, en or, en soie, en nacre,
Dont le cousin prête à plus d'un émoi.
S'il plait au ciel, vous aurez même un sacre.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.
Puis vous aurez baisemains et parades,
Discours et vers, feux d'artifice et fleurs;
Puis force gens qui se disent malades
Dès qu'un bobo cause au roi des douleurs
Bonnet de pauvre et royal diadème
Ont leur vermine: un dieu fit cette loi.
Les courtisans[rongent] l'orgueil suprême.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.
Chez vous pleuvront laquais de toute sorte;
Juges, préfets, gensdarmes, espions;
Nombreux soldats pour leur prêter main-forte;
Joie à brûler un cent de lampions.
Vient le budget! nourrir Athène et Sparte
Eut, en vingt ans, moins couté. sur ma foi.
L'ogre a diné; peuples, payez la carte.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.
64
Mais, quoi! je raille; on le sait bien en France;
J'y suis du trône un des chauds partisans
D'ailleurs l'histoire a répondu d'avance:
Nous n'y voyons que princes bienfaisans.
Pères du peuple ils le[font] pâmer d'aise;
Plus il s'instruit moins ils en ont d'effroi;
Au bon Henri succède Louis treize.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.

Prédiction de Nostradamus pour l'an deux mil.

Nostradamus, qui vit naître Henri quatre
Grand astrologue, a prédit dans ses vers,
Qu'en l'an deux mil, date qu'on peut débattre,
De la médaille on verrait le revers.
Alors, dit-il, Paris dans l'allégresse,
Au pied du louvre oura cette voix:
Heureux Français, soulagez ma détresse;
Faites l'aumône aux dernier de vos rois.
Or, cette voix sera celle d'un homme
Pauvre, à scrofule, en haillons, sans souliers
Qui, proscrit, vieux, arrivant de Rome,
Fera spectacle aux petits écoliers.
65
Un senateur criera: L'homme à besace!
Les mendians sont bannis par nos lois.
Hélas! monsieur, je suis seul de ma race.
Faites l'aumône au dernier de vos rois.
Es-tu vraiment de la race royale?
Oui, repondra cet homme, fier encor.
J'ai vu dans Rome, alors ville papale,
A mon aïeul, couronne et sceptre d'or.
Il les vendit pour nourrir le courage
De faux agens, d'écrivains maladroits.
Moi, j'ai pour sceptre un bâton de voyage.
Faites l'aumône au dernier de vos rois.
Mon père âgé, mort en prison pour dettes
D'un bon métier n'osa point me pourvoir.
Je tends la main; riches, partout vous êtes
Bien durs au pauvre, et Dieu me l'a fait voir.
Je foule enfin cette plage féconde
Qui repoussa mes aïeux tant de fois.
Ah! par pitié pour les grandeurs du monde
Faites l'aumône au dernier de vos rois.
Le senateur dira: Viens, je t'emméne
Dans mon palais; vis heureux parmi nous.
Contre les rois nous n'avons plus de haine:
Ce qu'il en reste embrasse nos genoux.
En attendant que le sénat décide
A ses bienfaits si ton sort a des droits,
Moi, qui suis d'un vieux sang régicide,
Je fais l'aumône au dernier de nos rois.
VI. 566
Nostradamus ajoute en son vieux style:
La république au prince accordera
Cent louis de rente, et, citoyen utile,
Pour maire, un jour, Saint-Cloud le choisira
Sur l'an deux mil on dira dans l'histoire
Qu'assise au trône et des arts et des lois,
La France en paix reposant sous sa gloire,
A fait l'aumône au dernier de ses rois.
67

Weiber heraus! Herbei mit Stecknadeln, mit Nähnadeln, mit Haarnadeln, mit Stricknadeln, mit ſcharfen Zungen, mit Fiſchbeinen, mit Zwirnknäulen, mit Haarflechten! Es gilt eure Ehre; ich führe euch an. Die Darmſtädter wollen euch den Zutritt in ihre Kammer verweigern. Sie haben euch gelä¬ ſtert deutſch und franzöſiſch. Sie haben geſprochen von Arioviſt von Cäſar, von den Römern, von den Germanen, von Montesquieu, vom Orient, vom Occident, von den Spartaniſchen Frauen, von Göthe, Schiller, von den ſchätzbaren Winken, welche die phi¬ loſophiſchen Schriften des Königlich-Preußiſchen Staatsminiſters Ancillon über dieſen Punkt enthalten. Von Himmel und Erden, von Gott und Teufel. Sie haben geſprochen von dem dröhnenden Ge¬ heule der germaniſchen Weiber und wie Cä¬ ſar vier Wochen gebraucht, ſeine Soldaten an den Graus zu gewöhnen und wie er früher die Schlacht nicht gewagt. Zwar hat eure Sache durch eine kleine Stimmenmehrheit geſiegt; aber das hilft euch5 *68nichts. Die Regierung dort wird euch nie in die Kammer laſſen, denn ſie zittert vor euch. Sie fürch¬ tet, manchem würde euer Lächeln mehr ſein als das gnädige Lächeln des Fürſten, euer Händedruck ſchmei¬ chelnder als das Achſelzucken eines Miniſters und euer Spott gefährlicher als die Unzufriedenheit des Preußiſchen Geſandten. Darum ſammelt euch! In Ordnung! Die Häßlichſten im erſten Gliede! Vor¬ wärts! .... Was iſt? Ihr zaudert? Habt ihr Furcht? .. Ja ſo! ... Die Schönſten voraus! Marſch! ... Halt! Kehrt wieder um und gehet nach Hauſe. Es fällt mir eben ein, daß ſie Recht haben; es ſind ſchon Weiber genug in allen deutſchen Kammern.

Von den Duellen welche in dieſen Tagen zwi¬ ſchen carliſtiſchen und liberalen Journaliſten Statt gefunden, werden Sie in den Zeitungen geleſen ha¬ ben. Aber bei euch mag man wohl die Bedeutung dieſes Ereigniſſes nicht ganz fühlen. Es war ſehr wichtig, es hat die Regierung aus ihrem ſüßen Traum geweckt. Man dachte, das Volk wäre todt, weil es nicht mehr brüllte, und da kam mancher Eſel, wenn auch zitternd, herangeſtolpert, um durch einen Fu߬ tritt ſeine Tapferkeit und ſeine treue Anhänglichkeit für die doktrinäre Eſelei zu beweiſen. Da brüllte der Löwe wieder einmal und ſie bekamen Angſt. Die unverſchämte Herausforderung der Legitimiſten, die69 doch ſo ſchwach ſind wegen ihrer geringen Zahl, wurde ſo gedeutet: daß dieſe Parthei durch den ge¬ heimen Schutz der Regierung ſich ſtark fühle. Hat doch der Miniſter Broglie in der Kammer erklärt, die Vertreibung Carls X., die ganze Revolution, ſei keine Handlung des Rechts geweſen, ſondern nichts als eine That der Gewalt, die man achten müſſe, weil man müſſe. So erkannte die öffent¬ liche Meinung in dem Trotze der Carliſten nichts als die Argliſt der Regierung, und ſie ſprach ſich ſo ſtark aus, daß die Doktrine ihre Fühlhörner er¬ ſchrocken in ihr Schneckenhaus zurückzog. Carrel, der Redakteur der National, der ſich für die liberale Parthei hervorgeſtellt, iſt lebensgefährlich verwundet worden. Jetzt iſt er außer Gefahr. Wäre er ge¬ blieben, hätte er vielleicht ein rieſengroßes Grab be¬ kommen. Auch haben der Hof, das Miniſterium und die Geſandtſchaften ſich öffentlich oder im Stillen, ſo ängſtlich um das Befinden dieſes Republikaners erkundigen laſſen, als wäre es ein legitimer Prinz. Von den amis des droits de l'homme allein haben ſich achttauſend gemeldet, um, je zwan¬ zig, es mit den Carliſten auszufechten. Ein Freund der geſtern auf dem Büreau der Tribüne war, erzählte mir, die Zimmer wären alle von gemei¬ nen Arbeitsleuten voll geweſen, die gekommen wa¬ ren ſich unter die Duellanten einſchreiben zu laſſen.

70

Ich billige ſonſt Duelle bei gewöhnlichen Belei¬ digungen nicht. Die ſogenannte Ehre iſt nichts, als die falſche Münze der Tugend, ein kindiſches und nichtswürdiges Ordensbändchen, das ſich der Hoch¬ muth der Ariſtokratie erfunden, damit ihre Verdienſt¬ loſigkeit zu ſchmücken. Aber Duelle aus politiſchen Gründen preiſe ich. Man ſtirbt für die Freiheit ſo ehrenvoll in einem Zweikampfe und auf dem Schaf¬ fotte, als auf dem Schlachtfelde.

So will ich Ihnen denn die Erbſchaftsge¬ ſchichte der Mars erzählen. Bei dieſer Gelegenheit aber muß ich die Künſtlerin um Verzeihung bitten; ich habe ihr großes Unrecht gethan. Wie ich geſtern in einer Biographie geleſen, iſt ſie 1778 geboren, alſo gegenwärtig erſt 55 Jahre alt und nicht 60, wie ich neulich gewiß nicht aus Bosheit, aber aus jugendlichem Leichtſinne behauptet hatte. Es geſchah vor vielen Jahren, daß ein alter reicher Marquis ſich in die Mars verliebte. Aber ſie erbarmte ſich ſeiner nicht. Er ſchrieb ihr ſeidne Liebesbriefe, hoch und weich ausgepolſtert mit Bankzetteln; die Edle ſchickte ihm den Flaum ſammt dem Ueberzuge zu¬ rück. Kürzlich befreite der Tod den armen Marquis von ſeinen Liebesleiden. Einmal fuhr er über den Platz Vendome der Wagen wurde umgeworfen, und der Marquis brach ein Bein. Man eilte herbei ihm zu helfen und ihn nach Hauſe zu tragen. Aber71 er erklärte mit feſter Stimme den Umſtehenden: hier liege ich und hier bleibe ich liegen und laſſe mich nicht anrühren, bis der Wundarzt der Demoiſelle Mars kömmt und mich in ſeine Behandlung nimmt. Man ſchickte zur Mars. Dieſe, zwar aufgebracht aber doch betrübt über den alten Narren, fuhr gleich zu ihrem Freunde und Arzt Düpuytrin und bat ihn, die Heilung des Marquis zu übernehmen. Nahe Ver¬ wandte hinterließ er nicht. Als ſeine vermuthlichen Erben das Inventarium machen ließen, und über die vielen ſchönen Sachen ſich freueten, fanden ſie unter der reichen Verlaſſenſchaft ein Bild der Mars von Gerard gemalt. Die Erben dachten, die Mars werde dieſes Bild wohl gern an ſich bringen, und ließen ſie das wiſſen. Sie eilte auch gleich in das Sterbehaus, ihr Bild in Augenſchein zu nehmen. Während ſie mit den Erben um den Preis des Bild¬ niſſes unterhandelte, kamen aus dem Nebenzimmer die Notare mit einem Teſtamente heraus, das ſie eben erſt unvermuthet gefunden und gleich geöffnet hatten und ſagten der Mars: ſie möge nur das Bild und alles behalten, es gehöre alles ihr, ſie wäre Univerſal-Legatarin. Die Mars ſtand mit einem Suſanne-Lächeln, die Erben ſtanden mit Ba¬ zile-Mäulern da. So belohnt der Himmel weibliche Tugenden.

72

Noch eine andere Denkwürdigkeit ereignete ſich bei dieſem Anlaſſe. Als die Bücher des Marquis verſteigert wurden, kam eine alte Bibel an die Reihe, vielleicht dreißig Sous im Kaufwerthe. Der Auc¬ tionator durchblätterte das Buch, ehe er es losſchlug, um zu ſehen, ob es nicht defekt ſei, und der Käu¬ fer damit betrogen werde. Da fielen Bankzettel, nach und nach funfzig Stück, heraus, die als Papier¬ ſtreifen zur Bezeichnung kräftiger und erbaulicher Stellen in der Bibel lagen. Denken Sie nur, wäre dieſe heilige Schrift nicht zufällig unterſucht worden und ein armer frommer Teufel hätte ſie gekauft für dreißig Sous, und zu Hauſe fünf und zwanzig viel¬ leicht funfzig Tauſend Franken darin gefunden das hätte vielleicht das Chriſtenthum über ganz Pa¬ ris verbreiten können! Nutzanwendung: 1) Man weiſe alte Marquis zurück; ihr Tod iſt einträglicher als ihr Leben. 2) Man kaufe alte Bibeln.

Es ſchrieb mir heute einer aus Stuttgart: der König habe darum die Kammer nicht ſelbſt eröffnet, weil Pfitzer (Verfaſſer der Briefe zweier Deutſchen) unter den Abgeordneten wäre, und den Schwur eines ſolchen Mannes könne er nicht annehmen. Ach! was habe ich wieder eine volle und ſchmutzige Eſels¬ haut! Das iſt meine wahre Peau de chagrin; aber eine ganz andere als Balzac's ſeine. Dieſe wurde kleiner nach jeder Thorheit und Sünde: meine73 wächſt nach jeder. Doch heute ſtill davon. Lud¬ wig XIV. ſchrieb ein ſtaatsrechtliches Buch zur Be¬ lehrung ſeines Nachfolgers. Darin iſt der Grund¬ ſatz aufgeſtellt: Die Nation iſt nichts für ſich, ſie iſt ganz in der Perſon des Königs auf¬ gelöſt. (La nation ne fait pas corps, elle ré¬ side toute entière dans la personne du roi.) Ludwig der letzte wird einſt ſprechen wie Ludwig XIV. geſprochen. Der letzte Wilhelm, der letzte Friedrich, der letzte Franz, der letzte Carl werden ge¬ ſinnt ſein, wie der erſte Wilhelm, der erſte Friedrich, der erſte Franz, der erſte Carl geſinnt waren. Es giebt keine andere Hülfe, als daß uns der letzte von allen befreie.

[74]

Fuͤnf und zwanzigſter Brief.

Der Journaliſt Traxler aus Cöln, von dem ich Ihnen neulich geſchrieben, hat ſich gerettet und iſt glücklich in Paris angekommen. Geſtern beſuchte er mich. Als er Abends, da es ſchon dunkel war, von dem Gerichte zurückkam, wo er ſein Urtheil em¬ pfangen, bat er den Gerichtsdiener, der ihn in das Gefängniß führen ſollte, ihn vorher in ſeine Woh¬ nung zu begleiten, wo er einiges Nöthige zu beſtellen habe. Dem Verlangen wurde nachgegeben. Als der Huiſſier in das Zimmer eingetreten war, ſprang Traxler hinaus, verſchloß die Thüre hinter ſich,75 ſtürzte auf die Straße hinunter, lief ohne Hut und Mantel zum Thore hinaus und kam ſo glücklich über die Grenze. Auch iſt in dieſen Tagen ein Bier¬ brauer aus Leipzig hier angekommen, der zu fünf¬ zehnjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt war. Er ſaß ſchon lange in Pirna feſt, als es ihm gelang ſeinen Kerker zu durchbrechen um den weiten Weg durch Deutſchland nicht unerkannt, aber unverrathen zurückzulegen. So haben ſich ſchon ſehr viele Patrio¬ ten gerettet, von welchen ich ſechs in Frankreich be¬ gegnet und geſprochen habe. Wenn man die Er¬ zählung von ihrer oft wunderbaren Rettung anhört, gewahrt man leicht und mit großer Freude, daß die¬ jenigen welche ſie zu bewachen hatten, mit ihrer Flucht einverſtanden waren, ſo, daß wenn ſie auch nicht behülflich dabei geweſen, ſie doch die Augen zu¬ gedrückt. Die Flüchtlinge dürfen zwar aus Klugheit und Dankbarkeit von einem ſolchen Einverſtändniſſe nicht ſprechen, doch aus den angegebenen Umſtänden erräth man es bald. Einer dieſer Patrioten aber, der das Vertrauen zu mir unbedenklich fand, geſtand es, daß ein Polizei-Beamter, und zwar ein ſolcher, der ſich ſeit mehreren Jahren durch ſeine blinde Folg¬ ſamkeit gegen die Tyrannei ausgezeichnet hat, und darum in der ganzen Stadt verhaßt iſt, ihm, ob er ihn früher zwar gar nicht gekannt, zu ſeiner Flucht behülflich ge¬ weſen. Wie erfreulich iſt es nicht warzunehmen,76 daß die Karyaditen der Throne mit Menſchengeſich¬ tern und ſteinerner Bruſt, endlich auch warm werden und ſich beklagen.

Der gute Geiſt in Deutſchland breitet ſich im¬ mer mehr aus, auch unter den Offizieren und Un¬ ter-Offizieren. Und was dann? Die deutſchen Fürſten werden bald keine andere Macht haben, als der Gerechtigkeit nachzugeben oder unterzugehen, und ſelbſt dieſe Wahl bleibt ihnen nicht lange mehr.

Sie brüten jetzt über die Wiederherſtellung der alten deutſchen Reichsgerichte, aber in den alten Keſſel ſoll neues Gebräu kommen. Man ſpricht von deut¬ ſchen National-Gefängniſſen, von hohen deutſchen Bundesthürmen die gebaut werden ſollen. Ich weiß das Nähere noch nicht, werde es aber bald erfahren.

In den Blättern die Sie mir geſchickt, habe ich von Weitzels Politiſche Anſichten der Ge¬ genwart nur noch einige Bruchſtücke gefunden; ich hätte aber wahrſcheinlich aus dem ganzen nicht klug werden können. Wer hieß aber auch den Mann ſchreiben in dieſer Zeit und in ſeinen Verhältniſſen? Wenn er ſagt: Der Gedanke aber, jetzt in Europa der Monarchie, die ſich mit der Ariſtokratie verbun¬ den, ein Gegengewicht zu geben, kömmt um manche Jahrzehente zu früh ſo will ich mich auf¬77 knüpfen laſſen, wenn das ſein Ernſt war. Weitzel iſt einer der beſten und klarſten politiſchen Köpfe Deutſch¬ lands und ſein Rath mit der Ausbeſſerung des Hau¬ ſes zu warten, weil es noch manche Jahrzehente dau¬ ern könnte, bis uns das Dach über den Kopf zu¬ ſammenſtürzt, war gewiß nicht aufrichtig. Wenn einmal Ariſtokratie und Monarchie zuſammenfallen, dann bleibt uns nichts mehr zu thun übrig. Man verliert alle Geduld. Da bitten ſie uns täglich, wir möchten doch ſo gut ſein, die Wirkung der Zeit ab¬ zuwarten. Als wenn Zeit und Natur zu etwas aus nichts ſchaffen! Als wenn ſie nicht ſelbſt vorher zer¬ ſtören müßten, um Neues zu bilden! Für ſolche Dummköpfe halten ſie uns, daß ſie uns unaufhörlich vorpredigen, wir möchten, ehe wir das verhaßte Alte zerſtören, das beliebte Neue vorher aufführen. Wo wir aber Bauplätze herbekommen ſollen, wenn wir nicht vorher den alten Schutt wegräumen; wo wir Zimmerholz hernehmen ſollen, wenn wir keine Bäume umhauen das Geheimniß predigen ſie uns nicht. Und wenn ſie zanken: Der Liberalismus könne nur zerſtören, finden ſich in Deutſchland gutmü¬ thige, aber einfältige Menſchen genug, die vor dem Schrecken dieſes Vorwurfs zuſammenfahren, und, aus Furcht für Mordbrenner gehalten zu werden, nach Hause ſchleichen, die Nachtmütze aufſetzen und in den Andachtsſtunden leſen.

78

Es iſt etwas in den Deutſchen, auch in den Freiſinnigen, was ich nicht verſtehe, wozu, mir es begreiflich zu machen, meine Pſychologie nicht aus¬ reicht. Ich erſtaune täglich über die Gefühlloſigkeit, mit welcher die liberalen Deputirten der Kammer die unverſchämten Reden der Miniſter anhören. Ich ſage nicht ſie ſollen der Gewalt, Gewalt entgegen ſetzen; denn ſie haben keine. Ich ſage nicht: ſie ſollen der Frechheit wie es ſich gebührt antworten und der Pflicht und Ehre ihren perſönlichen Vortheil aufopfern; aber ich ſage: ſie ſollen ihr antworten müſſen. Ich bin auch kein Held, weder der Tapfer¬ keit noch der Tugend; ich würde vielleicht auch zahm ſeyn der Macht gegenüber; ich wäre wohl auch nicht aufopfernd genug für das Wohl des Volkes, das bei uns ſolche Aufopferung ſelten vergütet, mit Weib und Kindern zu verhungern; ſtünde ich der Anma¬ ßung eines Mächtigen gegenüber, würde ich vielleicht auch überlegen und ſchweigen. Es gäbe aber Ver¬ hältniſſe in denen ich unfähig bliebe zu überlegen, in denen mein Herz den Verſtand verdunkelte, und in ſolchen Verhältniſſen ſtünde ich auch der Anmaßung eines Königs gegenüber, würde ich ſeine Krone, ſeine Kerker, ſeine Henker vergeſſen, und ihm begeg¬ nen wie es ſich gebührt. Ich könnte mich wie ein Knecht, wie ein Verbrecher, wie ein Dummkopf ge¬79 duldig behandeln laſſen; aber wie einen Schulbuben nie.

Und warum ſind ſie Schulbuben, wo ſie ſich die Schwächeren fühlen? Weil ſie Schulmeiſter ſind wo die Stärkeren; der ganze Unterſchied beſteht nur in den Jahren. Ihre Frömmigkeit, ihre Sentimen¬ talität richtet ſie zu Grunde. Vor lauter Begeiſte¬ rung für das Gute, verlieren ſie den Geiſt es zu Stande zu bringen. Thränen der Menſchenliebe und Rührung verdunkeln ihnen den Blick, und der dümmſte Jäger kann ſie dann mit Händen fangen. So ein edler Deputirter ſitzt, ohne es zu merken, wie ein Falk auf der Fauſt ſeines gnädigen Herrn und zeigt ſich etwas hoch oben in der Luft, was der gnädige Herr mit ſeinem Geſchoſſe nicht erreichen kann, nimmt er ihm die Kappe ab und läßt ihn ſteigen. Das edle Thier ſteigt, ſteigt, ſteigt, holt aus den Wolken ein Täubchen herab, und den Blick von der Sonne geblendet, gewahrt er gar nicht, daß er wieder zur alten Fauſt zurückkehrt und man ihm die Kappe von neuem über die Augen gezogen. Dann lachen die Junker verſtohlen.

In Caſſel feierten ſie den Jahrestag der Ver¬ faſſung und ſchrieben am folgenden Tage: Tau¬ ſend ſtille Gebete und Wünſche für ſie ſtei¬ gen zu dem Ewigen. Aber der Ewige ſelbſt,80 iſt nicht ewig genug, mit eurer ewigen Geduld ewige Geduld zu haben, und laute Flüche wären ihm wohl¬ gefälliger, als ſtille Gebete. Der Eröffnung der Würtemberger Stände ging ein feierlicher Gottesdienſt voraus, und ein Prälat verſteht ſich ein Haas predigte über den Pſalmen-Vers daß die Furcht des Herrn Ehre und Heil in das Land bringe und ging dann geſchickt von dem Könige David auf den König Wilhelm über und nä¬ ſelte von der Treue gegen unſern verehr¬ ten König. Und die Deputirten fürchten die Furcht und laufen nicht zur Kirche hinaus! Und dann wird die Sitzung eröffnet, nachdem der Präſident in einer kurzen Anrede den Segen des Him¬ mels erfleht für den bevorſtehenden Land¬ tag! Und dann erhebt ſich ein hochherziger Depu¬ tirter, den ganz gewiß irgend ein loſer Schelm von Staatsrath heimlich an ſeiner Großmuth gewitzelt, und macht den Vorſchlag: man ſolle die Diäten der Deputirten von 5 auf 4 Gulden herabſetzen. Taumelnd ſtand gleich alles auf, was Edles auf den Bänken ſaß, und alle, einer nach den Andern, ſchrien wie die Kinder: ich auch, ich auch! Es war eine Rührung zum Erſaufen, und die Junker im Trocknen lachten wieder. Darauf nahm ein anderer Deputirter das Wort und ſprach: Ich verzichte nicht81 auf meine fünf Gulden dreißig Kreuzer; ich werde aber einen Gulden täglich den Armen zukommen laſſen. Auch dieſe ſchönen Worte hatten vielſtimmi¬ gen Widerhall. Endlich ſtand einer auf und rief: Wenn man mich zum Präſidenten der Kammer er¬ wählen ſollte, werde ich mich, ſtatt der feſtgeſetzten fünftauſend Gulden, mit dreitauſend begnügen. Und jetzt hielt die Tugend eine herzallerliebſte Ver¬ ſteigerung und Einer forderte immer weniger als der Andere. Dieſesmal aber als die Junker ſahen, wie ſich die Moral in Tauſende verſtieg, lachten ſie nicht mehr, ſondern ſie murrten ....... Und ſolchen unverſtändigen Menſchen iſt das Wohl des Landes anvertraut! So laſſen ſie ſich von ihrem Her¬ zen zum Beſten haben! Sie ſehen nicht ein, daß ſie für einige tauſend Gulden die ſie durch Verminderung der Taggelder dem Volke erſparen, ihm vielleicht Millionen an andern Laſten auflegen. Denn wenn die Diäten ſo gering ſind, daß ſie den Deputirtenden Verluſt ihrer Zeit nicht mehr vergüten, müſſen ſie zurücktreten und ihre Stellen den Reichen und den Staatsbeamten überlaſſen. Dieſe aber werden wie immer die Auflage ſo viel als möglich auf die untern Volksklaſſen wälzen. Es iſt ſchön wenn einer edel iſt; aber das ſei er im Geheim. Edelleuten und Miniſtern gegenüber, ſoll ein BürgerVl. 682ſeine Tugend verſtecken. So bald dieſe merken, daß ſie es mit einem edlen Deputirten zu thun haben, übervortheilen ſie ihn um ſo mehr, und betrügen in ihm das ganze Volk. Im Gegentheile, wir müſſen ſtets Eigennutz heucheln, damit ſie Achtung vor uns bekommen.

83

Der Spott, den jetzt die deutſchen Fürſten mit ihren Ständen treiben, empört mich nicht; ich bin deſſen ſchadenfroh. Ein edler Mann kann oft der Gewalt unterliegen und immer unverdient; aber der Liſt unverdient, nur das Erſtemal. Wen ſie zum zweitenmale täuſcht, der hat ſein Geſchick verſchuldet, und es iſt das zweite Mal, daß ſich die deutſche Freiheit bethören läßt. Wieder einmal haben die konſtitutionellen Fürſten die Schranken der Verfaſſung durchbrochen, die uns gegen ihren Uebermuth ge¬ ſchützt; wieder einmal jubeln ſie wie die entſprunge¬ nen Sklaven. Die Gitterſtangen die ſie einge¬ ſchränkt, dienen ihnen jetzt zu Waffen dieſe[Einſchrän¬ kung] zu rächen, und mit den Geſetzen die ſie aus den Boden geriſſen, zerſtören ſie die Geſetze, die noch aufrecht ſtehen. Und nicht mehr wie früher, begnügen ſie ſich ihre Widerſacher die ihnen in die Hände fallen, einzeln zu beſtrafen; nein: ſie beſtra¬ fen die Städte, die Gemeinden, in welchen ſich Wi¬ derſacher gegen ſie hervorgeſtellt. Der König von6 *84Baiern hat die Stadt Würzburg, durch Verpflanzung mehrerer Aemter, durch Entfernung der berühmte¬ ſten Univerſitätslehrer zu Grunde gerichtet. Die Garniſon, der heilige Biſchof, die allerheiligſten Edelleute verlaſſen die kleine gewerbloſe Stadt Frei¬ burg, um die Bürger zu züchtigen, daß ſie Rotteck zum Bürgermeiſter gewählt. Der König von Wür¬ temberg, aus Unzufriedenheit, daß die Bevölkerung der Hauptſtadt ſich ſo freiſinnig zeigt, will mit ſei¬ nem Hofe und mit ſeiner Leibgarde nach[Ludwigsburg] ziehen. Der Magiſtrat von Stuttgart um das große Unheil von dem Wohlſtande der Gemeinde abzuwen¬ den, haben dem Könige einige von der Bürgerſchaft unterzeichnete Adreſſe überreicht, worin dieſe den Kö¬ nig bittet nicht von Stuttgart wegzuziehen.

So liegen jetzt alle Deutſchen an einer gemein¬ ſchaftlichen Kette, und ſie haben doch wenigſtens eine Galeere zum Vaterlande. In Baiern ſoll es nicht mehr zu ertragen ſein. Ich habe heute drei ange¬ ſehene und reiche Gutsbeſitzer aus Rheinbaiern ge¬ ſprochen, die nach Amerika reiſen, um für eine große Menge ihrer Landsleute eine Niederlaſſung auszu¬ mitteln. In Rheinbaiern, erzählen ſie, ſteige die Tyrannei täglich, und ſie wollten ſich retten, wäh¬ rend ihnen noch Kraft zur Rettung bliebe. Das ſind85 keine Advokaten, keine Demagogen, keine Schrift¬ ſteller, keine Journaliſten, keine Freiheits-Theoretiker, keine ſchwärmenden Jünglinge; es ſind Gutsbeſitzer, ſchlichte Landbauern und doch können ſie es nicht ertragen!

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Die Erklärung von Alexis in der Nürnberger Zeitung hat mich ſehr ergötzt. Ich hatte es noch nicht geleſen. Sie haben das nicht verſtanden wenn Sie jene Erklärung als einen Verſuch anſehen, den Spott abzuwenden der den armen Häring in Berlin wahrſcheinlich getroffen hat. Das nicht. Gegen die Beſchuldigungen der Demagogie, die ich aus Scherz und Satyre gegen ihn vorgebracht, ſucht er ſich zu vertheidigen, und die Regierung dort hat vielleicht darauf Rückſicht genommen. In ſolchen Sachen verſtehen ſie keinen Spaß, wie man zu ſa¬ gen pflegt. Ich habe kaum gehofft, daß ſie ſo dumm ſein werden. Uebrigens können Sie ſich leicht den¬ ken, daß ich nichts darauf antworten werde, über¬ haupt keinem.

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Sieben und zwanzigſter Brief.

Den König von Griechenland, den Sohn des Baieriſchen Großbüttels, vor dem, wie die Zeitungen erzählen, von München an bis Brindiſi, eine Rauch¬ wolke von den köſtlichſten deutſchen und italieniſchen Schmeichelgewürzes herzog nennt ein hieſiges Blatt: einen roitelet idiot, sourd et bossu. Ich habe kein franzöſiſches Wörterbuch bei der Hand, und weiß nicht was idiot heißt. Ich ver¬ muthe es heißt dumm oder gar einfältig. Das wäre ein Unglück. Die Buckligkeit hätte nichts zu ſagen: auch Sokrates war bucklig. Die Taubheit aller Könige wäre eine Wonne des Menſchengeſchlechts;88 denn bei ihnen fielen dann alle akuſtiſchen Täuſchun¬ gen weg, es blieben nur noch die optiſchen übrig; ihre Höfe könnten ſie um die Hälfte weniger betrügen, und ihre Völker wären um die Hälfte weniger un¬ glücklich. Aber dumm, wäre dumm. Man braucht mehr Verſtand die Griechen zu regieren, als das ganze übrige Europa zuſammengenommen. Dieſe Entdeckung von den ſchönen Eigenſchaften des Kö¬ nigs Otto, hat viel dazu beigetragen die franzöſiſche Kammer bedenklich zu machen, ob ſie die Garantie bewilligen ſolle, welche die Regierung für den drit¬ ten Theil des griechiſchen Anleihens zu übernehmen verſprochen. Der Zeitungsredakteur ging mit dem Briefe, den er von einem baieriſchen geflüchteten Pa¬ trioten aus Straßburg erhielt, zu Düpin, wo an dem Tage die Deputirten verſammelt waren; dort theilte er ſeine Nachrichten mit, von welchen er den wichtigſten Theil, ich weiß nicht warum, nicht drucken ließ, und ſie machten einen großen Eindruck, der auf die Kommiſſion der Kammer über ging. Aber was liegt daran? Sowohl die alt - als die neubaieriſchen Herzen, die von München wie die aus dem Speſſart, ſind, ſeit ihnen der Profeſſor Thierſch erzählt, das Sophokles und Aechylus mit dichteriſcher Begeiſte¬ rung vom Bier geſprochen, ſo entzückt über die He¬ leneſirung ihres Ottos, daß ſie die noch fehlenden zwanzig Millionen gern hergeben werden und ſollten89 ſie darüber verarmen und mit einer Hopfenſtange in der Hand die Welt durchbetteln müſſen.

Die Baiern begreifen recht gut die unermeßlich heilſamen Folgen, die der Staatsvertrag, den der Baieriſche Vater mit dem Griechiſchen Sohne ge¬ ſchloſſen für Bier und Vaterland haben muß. Beide Majeſtäten verbürgen ſich darin wechſelſeitig ihre Länder und Unterthanen. Sollte einmal der König von Baiern, von Oeſterreich oder ſeinem eigenen treuen Volke ange¬ griffen werden, muß ihm der König von Griechen¬ land Hülfe ſchicken. Sollte dieſer einmal von Oe¬ ſterreich, Rußland, Frankreich, England, den Türken, dem Paſcha von Aegypten oder von ſeinen eignen geliebten Unterthanen, die ihn anbeten, bedroht wer¬ den: dann muß ihm der König von Baiern Hülfe leiſten. Wenn ein Baieriſches Regiment in Franken, mit den Leiden des Volks zu ſympathiſiren anfängt, ſchickt man es ſchnell nach Griechenland. Mögen immerhin die Soldaten ſich verzweiflungsvoll auf die Erde werfen, und ſich die Stirne auf dem Pflaſter zerſchmettern; mögen ſie immerhin bei der Einſchif¬ fung ſich empören man weiß ſie zu zwingen. Wenn ein griechiſches Regiment in Nauplia ſich mer¬ ken läßt, daß es ſeinen König doch gar zu bucklig finde ſchickt man es nach München. Die Grie¬ chen in Baiern und die Baiern in Griechenland ver¬ ſtehen das Volk nicht unter dem ſie leben, und haſſen90 und mishandeln es zum Heile und Segen des mo¬ narchiſchen Prinzips. Der Kaiſer von Oeſterreich übt auch dieſe ſchöne Regierungskunſt. Die Ungari¬ ſchen Soldaten werden nach Italien, die Italieniſchen nach Ungarn geſchickt. Der Ungar verſteht kein italieniſch außer dem Wenigen was ihm Abends in der Kaſerne beigebracht wird. Es wird ihm aber nichts gelehrt als caro amico, und man ſagt ihm caro amico hieße Hundsfott. Wenn nun der gutmüthige Ungar in einer Weinſchenke ſitzt, und ein gutmüthiger Italiener reicht ihm die Hand und ſagt fratello mio, caro amico! ſtößt ihm der Ungar ſeinen Degen in den Leib. Wenn ein junger italieniſcher Offizier an den Ufern der Donau gedan¬ kenvoll hinſchleicht, und weint Sehnſuchtsthränen nach ſeinem unglücklichen Vaterlande, tritt ein edler Un¬ gar zu ihm und ſagt in ſeiner Sprache: Nicht wei¬ nen Bruder, du wirſt dein ſchönes Vaterland bald wiederſehen! Der ſchmerzbetäubte Italiener glaubt der Ungar ſpotte ſeiner und ſchlägt ihm ins Geſicht. Sie duelliren ſich, der Ungar bleibt tod, und das monarchiſche Prinzip giebt am nämlichen Abende dem italieniſchen Offizier-Corps einen Champagnerpunſch.

Wollen Sie nächſten Sommer mit mir eine Wallfahrt zur Madonna di bacio machen. Der Baieriſche Volksfreund hat neulich den Vorſchlag gemacht: an der Stelle wo die betrübte königliche91 Mutter, ihrem vielleicht auf immer ſcheidenden in¬ nigſt geliebten Sohne, dem Könige von Griechen¬ land den letzten Abſchiedskuß gegeben, vermittelſt Beiträge patriotiſcher Baiern eine Kapelle zu bauen. Die Patrioten werden beitragen, die Kapelle wird gebaut werden, Cornelius wird eine küſſende Mut¬ tergottes, den griechiſchen Jeſus auf den Armen, malen und wir nun wir bewundern Cornelius. Aber ſo ein Teufel von Volksfreund hat kein Herz in der Bruſt. Was hat er nöthig eine betrübte Mutter noch mehr zu betrüben? Wäre nicht ſchö¬ ner geweſen er hätte der königlichen Mutter geſagt: Betrübe dich nicht, königliche Mutter! Du haſt deinen Sohn nicht zum letztenmale geküßt, du wirſt ihn bald wiederſehen ?

Sollte die Ottoläſterliche Correspondenz jenes Königs -, Biers - und Vaterlandsvergeſſenen baieriſchen Journaliſten in Straßburg, die Folge haben, daß die franzöſiſche Regierung ihren Theil des griechiſchen Anleihens übernimmt: ſo hätte ich wohl ein Mittel, die Garantie für die noch fehlenden zwanzig Millio¬ nen, ja eine größere herbeizuſchaffen. Aber ich theile es nicht mit. Nicht als fehlte es mir an ſchuldiger Liebe und Verehrung für den König von Baiern; aber mein Herz treibt keinen Detailhandel Ich kann nicht jeden deutſchen Fürſten beſonders lieben, ſondern ich liebe den deutſchen Bund für alle. In Frank¬92 furt habe ich ein großes Kommiſſionslager von Liebe und Anbetung und jede Geſandtſchaft kann ſich dort für ihren Herrn ſoviel davon holen, als ihm nach Verhältniß ſeiner Civilliſte zukömmt. Steht aber wieder einmal ein baieriſcher Patriot unter dem Bilde ſeines Königs, das er anzubeten verurtheilt worden, werde ich ihn mit meinem Geheimniſſe von ſeiner Schande loskaufen. Mein Finanzplan geht in's Rie¬ ſenhafte, und iſt ſo groß als das was ich damit zu bezahlen gedenke. Ihnen will ich ihn gleich anver¬ trauen.

Im menſchlichen Blute iſt wie bekannt, Eiſen enthalten. Jetzt hat ſich neulich ein hieſiger Chemi¬ ker zu dem Verſuche angeboten, aus dem Blute ei¬ nes verſtorbenen Menſchen ſo viel Eiſen zu ziehen, daß man daraus eine Denkmünze von der Größe eines Vierzigfrankenſtücks prägen könne ... Ich ſehe vorher, ein Spitzbube von königlichem geheimen Finanzrathe fällt mir hier in das Wort und ſagt: der Vertrag gilt nichts, wir wiſſen Ihr Geheimniß ſchon .... Das iſt Betrug, Herr Geheimer Fi¬ nanzrath! Freilich wiſſen Sie jetzt mein Geheim¬ niß, aber haben Sie es früher gewußt? Es iſt das Ei des Columbus. Nein, der Vertrag gilt; Ihr ſollt jenem armen blaſſen Jüngling dort, nicht das Herz brechen; er ſoll nicht das Götzenbild eines93 wahnſinnigen Tyrannen anbeten. Ihr laßt ihn frei und nehmt meinen Plan.

Iſt es nicht eine Schande von lüderlicher Eu¬ ropäiſcher Staatshaushaltung, daß in allen Ländern ſo vieles koſtbare Blut der Unterthanen, ganz ohne perſönlichen Vortheil ihrer Fürſten vergoſſen wird? Man antworte mir nicht: Das Blut welches die Sol¬ daten für die Fürſten vergießen, ſei doch nicht ohne Nutzen. Nein. Nützt denn ein Soldat in der Schlacht durch ſein eigenes Blut das er vergießt? Er nützt blos durch das Blut des Feindes das er vergießt. Sein eignes bringt dem Fürſten keinen Vortheil; denn ſobald er todt hingeſtreckt oder verwundet wird, iſt er kampfunfähig. Nun, warum ſammelt man dieſes Blut nicht in Spitälern und auf dem Schlacht¬ felde und bereitet Eiſen daraus? Man bedenke nur welches Meer von Blut allein in Europa, nur allein im achtzehnten Jahrhunderte, nur allein in den Krie¬ gen vergoſſen wurde, die der franzöſiſchen Revolution vorhergingen! Da iſt der nordiſche Krieg, der öſter¬ reichiſche Erbfolgekrieg, der polniſche Krieg, der ſchle¬ ſiſche Krieg, der ſiebenjährige Krieg, der baieriſche Erbfolgekrieg, der Krieg den in Europa der ameri¬ kaniſche Freiheitskampf zur Folge hatte, der Türken¬ krieg. Rußland und Schweden haben nicht ſoviel Eiſen, als man aus all dieſem Blute hätte ziehen94 können. Daraus hätte man Geld, Flinten, Säbel, Bomben, Kanonen bereitet. Und lacht nicht verächt¬ lich und ſagt: das ſei doch nur Eiſen! Iſt denn eine Kanone von Eiſen? Sie iſt vom reinſten Golde, denn damit holt man's. Ein Potoſi habt ihr ver¬ ſchleudert! und das iſt noch gar nichts .... O! Herr geheimer Finanzrath, ich war ein Dummkopf. Mit meinem Plane hätte ich den ganzen Rheinkreis, Siebenpfeifer, Wirth, Behr, Kurz, Wiedemann und die hundert von andern Schlachtopfern Eurer monar¬ chiſch-ariſtokratiſch-jeſuitiſchen Tyrannei loskaufen können. Ich habe mich übereilt, doch es iſt zu ſpät; ein ehrlicher Mann muß auch dem Teufel Wort halten.

Nicht blos das Blut der Soldaten im Kriege, ſondern auch das Blut aller Bürger in Friedenszei¬ ten, kann zur Metallbereitung benutzt und können dadurch die Fürſtlichen Kaſſen unerſchöpflich gemacht werden. Wie viele Millionen Bauern giebt es nicht in Europa, die ihre Steuern nicht mehr bezahlen[k]önnen. Man lege ihnen eine Blutſteuer auf, man laſſe ſie zur Ader. Wenn ein Bürger ſeine Geld¬ buße nicht entrichten kann, laſſe man ihm zur Ader. Wie herrlich könnte man das Aderlaſſen benutzen, Preßvergehen zu verhindern oder zu beſtrafen. Ein deutſcher Journaliſt hat gewöhnlich weder Gut noch Geld um Caution zu leiſten. Man ſetze tauſend95 Unzen Blut als Caution für jeden Journaliſten feſt. Kann ein Preßverbrecher ſeine Geldbuße nicht abtra¬ gen, verurtheile man ihn zu einem täglichen Ader¬ laſſe, auf drei, fünf, ſieben, neun, vierzehn Jahre, oder nach der Baieriſchen Criminalpraxis auf unbe¬ ſtimmte Jahre. Man laſſe den Journaliſten Blut, bis die Europäiſchen Verhältniſſe ſich gebeſſert haben, bis die belgiſche, irländiſche, franzöſiſche, deutſche, portugieſiſche, ſpaniſche, amerikaniſche, griechiſche, türkiſche, ägyptiſche Frage entſchieden iſt. Dann braucht auch ein deutſcher Fürſt nicht mehr den Kai¬ ſer von Rußland um ſein herrliches Sibirien zu be¬ neiden. Er kann dann auch ſeine Unterthanen zu den Bergwerken verurtheilen; denn ein reiches Berg¬ werk iſt das menſchliche Blut.

Jetzt habt Ihr meinen Finanzplan, jetzt habt Ihr Euer griechiſch Anleihen vollſtändig. Komm nun mit mir du elender armer Jüngling! Du weinſt? Sehe dieſe Thräne da, die aus deinem Auge auf deine Hand geſtürzt! Brennt ſie dich nicht wie Scheide¬ waſſer? Nicht einmal die Kraft, nicht einmal den Muth hatteſt du, deine Hand bis an die Augen zu erheben, um ſie zu trocknen! Du weinſt? Du fleheſt Gott an? Gott ſpottet deiner. Gott iſt voll un¬ endlicher Lieb 'und Barmherzigkeit. Er hilft jedem Unglücklichen in ſeinen Schmerzen, er tröſtet ſelbſt den Schuldigen in ſeiner Herzenspein; aber er hilft96 und tröſtet nur, wenn der Unglückliche ſich zu retten alle ſeine Kraft verbraucht und ihm keine mehr übrig geblieben. Dem Trägen und Feigen aber, leiht Gott nicht ſeine Kraft, ſondern er verläßt ihn. Hilf dir ſelbſt, dann wird dir der Himmel helfen!

97

Hilf dir ſelbſt, dann wird dir der Him¬ mel helfen! Das iſt mein Triolet. Aber das Triolet der achtzeiligen deutſchen Liberalen heißt: Mußt kräftig proteſtiren, ſchlägt man dir in's Geſicht. Und ſchlägt man ſo einen Pour¬ ceaugnac in's Geſicht, thut er noch groß damit und frohlockt überall herum: il ma donné un soufflet, ma is je lui dis bien son fait. Wie wehe macht mir dieſer deutſche Proteſtantismus: Damals zu Lu¬ thers Zeiten, fingen ſie auch mit proteſtiren an; aber endlich mußten ſie zuſchlagen, und da ſiegten ſie. Es liegt in ihrer Natur, daß bei ihnen Jahre lang das kalte Fieber dem hitzigen vorſchleicht, und daß, was bei andern Völkern Geneſung iſt, bei den Deutſchen zu neuer Krankheit wird. Was wird bei uns nicht alles noch geſchehen, welche Leiden werden erduldet werden müſſen, bis ſie es zu einer Revolu¬ tion bringen. Die Franzoſen ſtanden mit einem Sprunge darin. Hundertmal im Tage wünſche ich: hole ſie der Nicolas! Wahrlich ſie werden nicht eher ſpüren daß es Winter geworden, daß die ErdeVI. 798kahl iſt, daß die Bäume abgeſtorben, die Lüfte ver¬ ſtummt ſind und die Leiche des Vaterlandes in ih¬ rem Schneehemde unbegraben unter freiem Himmel liegt nicht eher, bis man ſie nach Sibirien ſchickt, und ſie dort für den kaiſerlichen Leib Fuchspelze er¬ jagen müſſen und jeder Wunſch der warm aus dem Herzen kam, zwiſchen den Lippen gefriert, und als Eiszapfen aus dem Munde hängt. Es wird nicht beſſer, ehe es ärger wird.

Da war wieder einmal ein freiſinniger deutſcher Mann edel geweſen, und hat durch ſeinen Edelmuth der guten Sache mehr geſchadet, als ihr hundert Schurkenſtreiche hätten ſchaden können. Ich meine Rotteck. Die Bürger von Freiburg haben Rotteck, nachdem die Regierung die erſte Wahl verworfen, zum zweitenmal, und wenn wieder gehindert zum drittenmal zu ihrem Bürgermeiſter wählen wollen. Aber da ſtellte ſich der edle Mann auf einen Sche¬ mel der Tugend und rief ſeinen Mitbürgern zu: ſie möchten doch wegen ſeiner, die väterliche Rache des Landesvater nicht ihrer Stadt zuziehen, und lie¬ ber nachgeben und die Bürgermeiſterwahl einem an¬ dern zuwenden. Das liberale deutſche Philiſterthum wurde von ſolcher Hochherzigkeit bis zu Thränen ge¬ rührt, und iſt heimlich ſchadenfroh, daß die hohe deutſche Bundesverſammlung erröthen müſſe, von99 ſolcher Großmuth beſchämt worden zu ſein. Solch 'einen Mann zu verfolgen! Und daß ja nichts fehle an der vollſtändigen deutſchen Reichsgeſchichte, hat Rotteck proteſtirt. Die Regierung möge ſich alles nehmen was ihr beliebt, nur Recht ſoll man ihr nicht geben! So laſſen ſich dieſe edlen Menſchen zum Beſten haben, und Rotteck ein Meiſter der Weltgeſchichte, der alle Gewaltthätigkeiten kennt, welche von Nimrod bis zu Nicolas die Herrn der Erde geübt, der alle ihre Schelmereien, alle ihre liſtigen Wege kennt: glaubt einem ſchönen Triebe ſeines Herzens zu folgen, während er nur ei¬ nem Stoße nachgab den man an einer elektriſchen Kette von Carlsruhe bis nach Freiburg zu lei¬ ten wußte. War denn hier an Rotteck, an Frei¬ burg gelegen? Darauf kam es an, daß das Volk ſein Recht behaupte, ſeinen Willen und ſeine Kraft geltend mache, und zeige, daß es der Naſe¬ weisheit der Badiſchen Junker zu begegnen wiſſe.

Ja ſie werden nicht eher warm werden als bis ſie nach Sibirien kommen. Der Kaiſer Nikolaus allein verſtände es, das träge deutſche Blut in ra¬ ſchere Bewegung zu ſetzen. Unſere inländiſche Ty¬ rannei bringt uns nicht weiter. Wir werden auch gefoltert, aber der Arzt ſteht uns zur Seite und fühlt uns von Minute zu Minute den Puls, und7 *100ſo oft das Leben zu entweichen droht, ſpannt man uns ab, und bringt uns nicht eher wieder auf die Folter, bis wir neue Kräfte geſammelt. Aber in Rußland iſt man ſo weichherzig nicht. Befahl doch neulich ein kaiſerlicher Ukas: Alle Zöglinge aller Schulen im Reiche, die ſich ſchlecht aufführ¬ ten, ſollten unter die Soldaten geſteckt, oder, wenn wegen körperlicher Mängel dienſtunfähig, nach Sibirien verpflanzt werden! Was man in einem despotiſchen Lande wie dort, unter ſchlechter Aufführung der Jugend verſteht, kann man ſich leicht denken. Das heißt nicht: Schulden machen, ſpielen, trinken, die Lehr¬ ſtunden verſäumen, Liebſchaften haben ſondern das heißt: freiſinnige Meinungen offenba¬ ren. Und darum Knaben nach Sibirien verbannen! Und darum die heiligen Bande der Mutterliebe zer¬ reißen! Und darum das Fundament der Welt un¬ tergraben! Das würde bei uns wirken. Aber was geſchieht in Deutſchland? Höchſtens wird ein frei¬ ſinniger Mann zur Abbitte vor einem goldenen Rah¬ men und zur Zuchthausſtrafe auf unbeſtimmte Zeit verurtheilt. Die deutſchen Höfe ſollten ihre Junker nach Petersburg ſchicken, daß ſie dort regieren lernten.

Es iſt wirklich eine Schande, wie ſehr die deut¬ ſchen Junker noch zurück ſind. Die in Sachſen ha¬101 ben es unter allen am weiteſten gebracht; doch was iſt's? In der erſten Kammer dort, in der Pago¬ den-Kammer ſo oft in einer miniſteriellen Mit¬ theilung, des Namen des Königs oder des Prinzen Mitregenten Erwähnung geſchieht, oder ſo oft ein Miniſter in den Saal tritt, ſtehen die Edelleute auf und verneigen ſich. Das iſt alles. Ich bin nicht unbillig, ich ſage nicht: das iſt nichts. Es iſt freilich eine Adelsperle, gegen welche die Perle, welche Kleopatra in ihrem Weine auflöſte, nur eine Linſe war. Aber ich ſage: es iſt wenig. Eine Perle! Schickt die edlen Pagoden nach Peters¬ burg. Iſt es nicht abſcheulich, wie man im kö¬ niglich mitregentlichen Sachſen den Bürgerſtand verzärtelt? Die Biene enthielt eine Petition worin man um die Abſchaffung des Lehnweſens bat ein im neunzehnten Jahrhundert unerhörtes Verbrechen. Nun freilich hat man dieſer Biene nicht blos den Stachel, ſondern auch den Honig genommen; man hat ſie zertreten, das Blatt unterdrückt, und den Redakteur, der mit der Zeitung ſeine zahlreiche Fa¬ milie ernährte, an den Bettelſtab gebracht. Das iſt etwas, aber lange nicht genug. In Rußland hätte man dem Bienen-Vater Naſe und Ohren abgeſchnit¬ ten und ihn nach Sibirien verbannt. Schickt die Junker nach Petersburg!

102

Von deutſchen politiſchen Monatsſchriften kenne ich nur ein einziges, das zu loben wäre: das welches der Profeſſor Pölitz in Leipzig herausgiebt. Es war früher ſchon ſehr gut, da der Mann nur erſt Cenſor und Hofrath war; jetzt aber hat ihn der Großherzog von Darmſtadt auch zum geheimen Rathe ernannt, und da wird das Journal noch viel beſſer werden. Dieſe Auskunft geben Sie einſtwei¬ len *** in meinem Namen Ueber das Andere werde ich ihm bald ſelbſt ſchreiben.

Heine's Franzöſiſche Zuſtände habe ich erſt vor wenigen Tagen bekommen, auch ſchon darin zu leſen angefangen, ich will aber meine Bemerkun¬ gen zuſammen kommen laſſen Das Buch kömmt mir ſehr gelegen. Es ſoll mir dienen mich, vielleicht auch Heine zu ergänzen. Das iſt bequem und an¬ genehm; es iſt wie ein Treppengeländer. Man legt die Hand darauf und gleitet mit geſchloſſenen Augen ſicher hinab. Heine, mir gegenüber kommt mir vor wie Melanchthon gegenüber Luther. (Ach was wäre das für eine ſchöne Tonne für unſere lieben dummen Wallfiſche!) Ich kann wie Luther ſagen: Ich bin dazu geboren, daß ich mit Rotten und Teufeln muß kriegen, und zu Felde liegen, darum meiner Bücher viele ſtürmiſch und kriegeriſch ſind. Ich muß die Klötze und Steine ausrotten, Dornen und103 Hecken weghauen, Pfützchen ausfüllen, Bahn machen und zurichten; aber Melanchthon fährt ſäuberlich und ſtill daher, bauet und pflanzet, ſäet und begeußt mit Luſt, nachdem ihm Gott ſeine Gaben reichlich gegeben hat. Soll ich aber einen Fehl haben, ſo iſt es mir lieber, daß ich zu hart rede und die Wahrheit zu heftig herausſtoße, denn daß ich irgend einmal heuchelte und die Wahrheit inne behielte.

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Geſtern waren laue Frühlingslüfte in den Tui¬ lerien und man ging und ſaß viel ſpazieren. An ſolchen Tagen ſproſſen plötzlich die Stühle aus der Erde und prangen mit den ſchönſten Blumen. Blu¬ men Weiber. Schon werde ich dichteriſch und habe das ganze Herz voll Veilchen. Wie freue ich mich auf den Frühling! Wie will ich lieben! Auch will ich ſobald ich meinen letzten Brief aus Paris geſchrieben, eine Frühlingskur gebrauchen; Brunnen¬ kreſſe, den Werther oder was ſonſt das Blut rei¬ nigt. Das war ein harter Winterfeldzug! Ach! und das weiße Blut der Augen, was die Menſchen Thränen nennen, wird für keine Wunde, weinen nicht für kämpfen angerechnet! Doch es ſei; glücklich wer das nicht kennt. Wie freue ich mich auf die Seen, die Berge und auf das Schellengeläute der Heerden, das mich einlullt wie ein Wiegenlied.

..... Ich fange an Mitleiden mit Ihnen zu haben und kann Ihren Schmerz nicht länger ohne Rührung wahrnehmen. Sie ſollen Alles erfahren aber heute iſt es zu ſpät. In meinem nächſten oder nachnächſten Briefe werde ich die Geſchichte zu er¬105 zählen anfangen. Ich führe Sie von Fortſetzung zu Fortſetzung bis ich Paris verlaſſe und Sie wieder¬ ſehe. Dann iſt das Geheimniß gerettet. Mündlich kann ich lügen wie gedruckt, gedruckt aber oder ſchrift¬ lich lüge ich nie. Das iſt mein Amt und mir hei¬ lig. Ich unterſcheide mich hierin ſehr von allen Mi¬ niſtern, von welchen man mehrere Beiſpiele hat, daß ſie in geſelligen Verhältniſſen nicht gelogen, in amt¬ lichen aber kein einziges Beiſpiel ausgenommen in dem ſeltenen Falle wo ſie die Wahrheit ſagten, daß man ſie nicht glaube. Alſo noch acht Tage warten.

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Acht und zwanzigſter Brief.

Menzels Artikel über Saphir iſt wunderſchön, gemüthlich und geiſtreich. Ich hatte ähnliche Gefühle als ich erfuhr, Saphir wäre ein Hofmann geworden, und gar unentgeltlich. Sich den Höfen zu verſchen¬ ken, das heißt ſie verächtlich machen, das heißt ſie ganz zu Grunde richten. Es giebt keine gefährlichere Feindin des monarchiſchen Prinzips als die Uneigen¬ nützigkeit. Schöne Augen hat es nicht, wie bekannt, und ſeine Gehalte ſind ſein ganzer Gehalt. Aus einem Theater-Kritiker ein Theater-Intendant zu werden! Adam war ſo dumm, ſich aus dem Para¬ dieſe verjagen zu laſſen; aber ſo dumm war er nicht,107 daß er ſich ſelbſt mit dem flammenden Schwerdte vor das Paradies ſtellte, um die verbotenen Früchte darin gegen ſich ſelbſt zu bewachen. Vor einigen Jahren, als ich in Berlin war, ließ man mich dort ausforſchen, ob ich nicht geneigt wäre, eine miniſte¬ rielle Theater-Zeitung zu ſchreiben. Zu wie viele Thaler courant man mein äſthetiſches Gewiſſen ab¬ geſchätzt, erfuhr ich nicht; man wollte wahrſcheinlich meiner Phantaſie keine Schranken ſetzen. Ich kann Sie verſichern, daß ich in meinem Herzen die größte Luſt hatte, mich in ſolchen Künſten etwas zu ver¬ ſuchen. Es hätte mir Freude gemacht, eine Weile lang das monarchiſche Prinzip der Oper zu verthei¬ digen und den Jarke des Ballets zu ſpielen. Aber ich lehnte das Anerbieten ab, denn mit dem Teufel iſt nicht gut zu ſpaßen.

Ich hätte Saphir für klüger gehalten. Von rechtlicher Geſinnung mag ich nicht ſprechen, man macht ſich damit nur lächerlich; ich rede nur von der Klugheit. Saphir hätte bedenken ſollen, daß man jede Achtung der Menſchen, wie jede Herrſchaft, nur durch die nehmlichen Mittel behauptet, durch die man ſie erworben. Dieſen Weg zu verlaſſen und abtrünnig zu werden, kann durch alle Schätze der Welt nicht vergütet werden. Um zehen Kronen ver¬ rieth Napoleon die Freiheit die ihn emporgehoben; er verlor alles und die Freiheit ſelbſt erbte den Lohn108 den er empfangen ſie zu verrathen. Ich höre, Sa¬ phir wundert ſich daß man ihn nicht bezahlt, und daß man ihn nicht einmal gebraucht. Wenn man ihn alſo bezahlte und doch nicht gebrauchte, würde er ſich um ſo mehr wundern. Begreift er denn nicht, daß wenn die Höfe einen unabhängigen Geiſt kaufen, dieſes gar nicht geſchieht um ihn zu verwenden? Was haben ſie ſolchen nöthig? Es fehlt ihnen an Knechten nicht. Sie kaufen ihn nur, um ihn zu zerſtören, um die menſchliche Würde zu entheiligen, und frohlocken zu können: Seht, ſo ſind euere Op¬ poſitionshelden, euere Liberalen, euere Republikaner! Für Gold ſind ſie alle zu haben. Die Royaliſten möchten die Anſicht geltend machen, ein wahrhaft Liberaler müſſe uneigennützig, ein Republikaner tu¬ gendhaft ſein. Es iſt Schelmerei; ſie möchten dem Liberalismus und dem Republikanismus den Handel verderben; denn mit ſo großen Aufopferungen, wird ſich ihnen ſelten einer ergeben wollen. Ich kann aber meinen Glaubensgenoſſen, den Liberalen, zu ihrer Beruhigung die Verſicherung geben, daß unſere politiſche Religion uns gar nicht verbietet, nach Her¬ zensluſt Egoiſten zu ſein. Es giebt ſehr viele edle Menſchen unter den Royaliſten und ſehr viele Schufte unter den Republikanern. Aber das beweiſt weder für die Monarchie noch gegen die Republik. Viel¬ leicht fragen Sie mich: wenn das aber ſo iſt, wenn109 der Liberalismus und die Republikaniſche Verhaftung die Menſchen nicht beſſer macht, was wird dabei ge¬ wonnen? Darauf erwidere ich Ihnen; der Repu¬ blikanismus macht die Menſchen nicht beſſer aber den Menſchen. Der Egoismus in einer republika¬ niſchen Sphäre, iſt weder ſo breit im Raume, noch ſo lang in der Zeit, als der[Egoismus] in einer mo¬ narchiſchen Sphäre. Nicht ſo breit durch Kor¬ porations-Geiſt; nicht ſo lang durch Erb¬ lichkeit. Er beginnt und endet mit dem Leben, und tritt nicht über den Kreis der Familie hinaus. In¬ dividuel wie er iſt, hat er nicht Raum genug unge¬ heuer, nicht Zeit genug troſtlos zu werden für die bürgerliche Geſellſchaft. Die Perſon hat die Verantwortlichkeit aller ihrer Handlungen auf ſich allein zu nehmen, und dieſes Gefühl wird auch der laſterhafteſten Natur Schranken ſetzen. Aber der Adel hat kein Gewiſſen; denn er theilt die Schuld mit den Tauſenden ſeines Standes. Aber der ſchlechteſte Fürſt kann ſich gerecht dünken; denn er betrachtet ſich als einen treuen Verwalter, der ein Gut, das ihm von ſeinen Vorfahren anvertraut worden, ungeſchmälert ſeinen Nachkommen überliefern will. Ich werde Ihnen das ein andersmal, deutlicher und umſtändlicher auseinander ſetzen. Wenn Sie wißbegierig ſind erinnern Sie mich daran; meine110 liberale Spitzbubenſchule ſteht Ihnen zu jeder Zeit offen.

Es wird jetzt von ſämmtlichen Regierungen ein allgemeines Europäiſches Treibjagen auf die ehrlichen Leute gehalten, und ein edles Thier weiß gar nicht mehr, wo es ſich vor all den Hunden und Jägern verſtecken ſoll. Sehen Sie, wenn ein Thor einmal von einem Weiſen etwas lernt, ein unwiſſender Menſch aus einem guten Buche eine Lehre zieht: können Sie ſich darauf verlaſſen, daß es gerade eine Thor¬ heit und etwas Falſches ſein wird, was ſie ſich an¬ eignen. Vor vielen Jahren hat Montesqieu in ſei¬ nem berühmten Werke: von dem Geiſte der Ge¬ ſetze, den Grundſatz aufgeſtellt: Die Tugend ſei das Prinzip der Republiken, wie die Ehre das der Monarchie. Die ganze Weltgeſchichte ſpricht dagegen. Doch glaubte man es wie ein Evangelium. Nun war in früherer Zeit von repu¬ blikaniſchen Geſinnungen in Europa nichts zu ſpüren; die Tugend, wo ſie ſich zeigte, flößte alſo keine Be¬ ſorgniſſe ein und die Fürſten trugen kein Bedenken einem ehrlichen Manne ein wichtiges Staatsamt an¬ zuvertrauen. Jetzt aber, da ſich die republikaniſchen Neigungen täglich ſtärker ausſprechen, erinnert man ſich, daß die Tugend ihre einzige Nahrung ſei, und man ſucht die ehrlichen Leute wie die Wölfe auszu¬ rotten. Auch werden die Staatswälder täglich ſiche¬111 rer und man wird bald mit der größten Ruhe bei Tage und bei Nacht darin reiſen können. Ein frei¬ ſinniger Mann nach dem andern fällt ab, durch Be¬ ſtechung oder andere Verführung. Das traurigſte hierbei iſt nun, nicht daß die Feinde der Freiheit dar¬ über frohlocken, ſondern daß deren Freunde ſich dar¬ über betrüben und in ihrem Glauben wankend ge¬ macht werden. Das iſt nun auch eine Thorheit und zugleich eine Ungerechtigkeit. Wer die Tugend zer¬ ſtören will, braucht nur an ihr zu verzweifeln. Als der ſterbende Cato ſprach; es giebt keine Tu¬ gend! von dem Augenblicke an gab es keine mehr. Die Schande und das Verbrechen fallen auf die, welche verführen, nicht auf die welche ſich ver¬ führen laſſen. Der geſündeſte, der ſtärkſte, der blü¬ hendſte Mann iſt er, darum, weil er ſo iſt, der Wirkung des Giftes weniger ausgeſetzt? Er un¬ terliegt ihm wie der ſchwächſte. Wie mit der Ge¬ ſundheit des Körpers iſt es auch mit der Geſund¬ heit der Seele. Auch der edelſte Menſch hat Au¬ genblicke in ſeinem Leben, in welchen er ſich dem Teufel verſchreiben möchte. Es ſind Augenblicke der Noth, des Mangels, des Zorns, der Scham, der Liebe, des Haſſes oder was es ſonſt iſt, was einen guten Menſchen aus ſeiner Bahn werfen kann. In ſolchen Augenblicken ruft er den Teufel an; aber112 zum Glücke kömmt der Teufel nicht. Die mitter¬ nächtliche Stunde geht vorüber, der Morgen däm¬ mert und die Seele iſt gerettet. Doch die Polizei kömmt, ſobald man ſie ruft, bei Tage und bei Nacht, zu jeder Stunde durch den Schornſtein und durch das Schlüſſelloch. Ja ſie kömmt auch ungerufen, denn ſie kennt die Noth jedes Menſchen, und wo keine iſt, weiß ſie ſolche herbeizuführen. Keiner ent¬ geht ihr, auf deſſen Verderben ſie es beharrlich an¬ gelegt. So fängt die Polizei die armen verlornen Seelen, welche die gebildete Welt in Frankreich: Freunde der Regierung, in Oeſterreich gute Patrioten, in Preußen: Preußen, in Spanien: Freunde des Thrones und des Altars, in Rußland: Alt-Ruſſen, in Baiern: Jeſuiten nennt; welche aber der grobe Pöbel überall Spione heißt. Gegen das Gift der geheimen Regierung giebt es nur ein Gegengift; das wirkſam iſt: der Stolz. Zwar iſt der Stolz auch ein Laſter und vielleicht das größte unter allen. Aber eben weil es das größte und mächtigſte iſt, beherrſcht es die andern Schwächen als Despot und unterdrückt ſie alle. Den einzigen Rath den man ehrlichen Leuten geben kann, ſich zu wahren, iſt: ſeid ſtolz! Bedenkt, daß ihr es mit Menſchen zu thun habt, die ihr verachtet, und die euch verächtlich machen wollen, damit ihr113 das Recht verliert ſie zu verachten. Bleibt fern von ihnen. Und weil man euch nur für ſtark hält; ſo lange ihr brüllt wie die Löwen ſo brüllt! Knurrt, beißt, krazt den ganzen Tag, daß euch keiner nahe komme; ihr ſeid verloren ſobald ihr liebenswür¬ dig ſeid.

VI. 8114

Guten Morgen, Kammerherr. Ihr Hoheit geruhen wohl geruht zu haben. Waren geſtern bei Hofe? Unterthänigſt. Was Neues? Die Gräfin Amalie war en extase über das ſchöne Wort, das Ihre Hoheit in der Kammer ausgeſpro¬ chen Erinnere mich nicht. Ihr Hoheit ge¬ ruhten, als die Rede von der Oeffentlichkeit der Sitzungen und dem Drucke der Verhandlungen war, zu ſagen: Thaten ſind beſſer als Worte. Weiter? der Graf bemerkte: vraiment le prince Jean est un mirabeau. Die kleine gelbe Baro¬ nin Julie trat hinzu und ſagte: oui monsieur le Comte, le prince est une mire à beau. Darauf erwiederte die Gräfin: Et vous, madame, vous êtes une mirabelle. c'est divin: Meine Chocolade. Um eilf Uhr der graue Wagen vor. Sie melden mich bei der Gräfin. Der Hofrath Böttiger, Aufſeher im Japaniſchen Palais, bittet115 Ihre Hoheit unterthänigſt einen Blick auf dieſe la¬ teiniſche poetiſche Zeilen zu werfen. Der Ja¬ paniſche Narr ſoll mich in Frieden laſſen mit ſei¬ nem Latein. Was will er? Es iſt eine Ode Horace vorace, Kammerherr! an Ihre Ho¬ heit, über deren männlich-fürſtlich-edel-hoch parle¬ mentariſches Betragen. Was iſt's? Wie Ihre Hoheit zu ſagen geruhten. Thaten ſind beſſer als Worte. Schicken Sie dem Hof¬ rath zwei Dukaten und ich ließe danken. In der allgemeinen Zeitung ſtehen Berichte über die Stände - Verſammlungen. Worte, nichts als Worte; Thaten ſind beſſer als Worte. Ich werde mit dem Miniſter ſprechen. Es darf keinem Un¬ terthanen erlaubt ſein, Berichte in eine auswärtige Zeitung zu ſchicken, ohne ſie vorher der inländiſchen Cenſur vorgelegt zu haben. Wozu all das Ge¬ ſchwätz? Thaten ſind beſſer als Worte. Meine Reitgerte! Hoheit, dieſesmal ſind ſie in guten Händen. Der Hofrath Böttiger läßt mer¬ ken: er ſei Correspondent der allgemeinen Zeitung. Was ſchreibt er? Bonbonnière! Er ſpricht von der neulichen Sitzung, wo Ihr Hoheit zu ſagen geruhten: Thaten ſind beſſer als Worte. Drei Dukaten bringen ſie ihm. Ein junger Künſtler wagt es Ihrer Hoheit dieſe116 Skizze zu einem Gemälde vorzulegen. Es iſt die Kammerſitzung, in welcher Ihre Hoheit zu ſagen geruhte: Thaten ſind beſſer als Worte. Sämmtliche hohen Stände-Glieder ſind porträtirt. Mais Diable! man ſieht ja ihre Geſichter nicht. Nichts als Rücken; man meint ja es wäre der Grundriß zu einem Brückenbau. Delicieux! Altesse. Der Maler wählte den Augenblick wo der Miniſter in die Kammer tritt und ſämmtliche Mitglieder aufſtehen und ſich verneigen. Hut! Kammerherr, Sie erwarten mich bei der katholi¬ ſchen Kirche, und wenn Sie mich bei der Gräfin wieder einſteigen ſehen, kommen Sie mir entgegen, Prenez cette Tabatière. A dio. Thaten ſind beſſer als Worte. Mit Ausnahme Ihrer Worte die beſſer ſind als alle Thaten. Dieſer Brief iſt kurz und bleibt kurz. Am mehr ſchreiben verhindert mich Viktor Hugos neues Drama, das vor einigen Tagen im Drucke erſchienen und wor¬ über ich zwei Tage, mit Leſen und Notiren zuge¬ bracht.

Den *** habe ich immer als liberalen Mann gekannt. Ueberhaupt iſt er brav und hat einen tüchtigen Charakter. Schade, daß ſeine Ver¬ hältniße ihn von politiſcher Thätigkeit, entfernt hal¬117 ten. In unſerm verkrüppelten deutſchen Philiſter¬ walde, würde er als hohe Eiche hervorragen und man würde ihn aus den Fenſtern der fürſtlichen Palläſte erkennen.

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Neun und zwanzigſter Brief.

Lucrecia Borgia habe ich geſtern aufführen ſehen, nachdem ich das Drama geleſen, und ich kann jetzt gründlich davon ſprechen, ob die Dame ſchön oder häßlich ſei, denn ich habe ſie am Tage und beim Kerzenlichte betrachtet. Ich muß wieder den Brutus machen. So oft ich Victor Hugo richte, iſt es mir als ſollte ich meinen Sohn verurtheilen. Ich liebe den Rebellen: denn nur mit ſolcher Kraft und ſolcher Kühnheit kann man ſich ſo weit und ſo hoch verirren und ich hoffe, daß wenn er erſt ganz die Beſinnung verloren, er zur Beſonnenheit zurück¬ kehren wird.

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Zu beſſerm Verſtändniß ſollte ich Ihnen vorher einiges aus der wahren Geſchichte der fürſtlichen Familie Borgia mittheilen, wenn auch nur mit un¬ leſerlicher Hand, daß Sie ſo von der Hälfte der Wahrheit, die ich Ihnen erzählte, nur die Hälfte verſtünden. Doch ich fürchte, noch ſo unleſerlich, möchte das dem monarchiſchen Prinzip ſchaden, das jetzt kränklich und reizbar iſt und das man ſchonen muß. Auch könnte dann geſchehen, daß Sie vor Marat wie vor einem Heiligen niederfielen, und ſie ſollten keinen andern Mann anbeten, als den Einen.

Nach reiflicher diätetiſcher Ueberlegung, habe ich beſchloſſen, Sie mit der[letzten] Scene der Tragödie zuerſt bekannt zu machen. Wenn Sie es dort oben, auf dem Gipfel der Greuel ausgehalten, iſt weiter unten ein wahres Vergnügen. Einige Schritte den Berg hinab und Sie werden glauben in einer tugend¬ haften Region zu ſein, und auf der Mitte des Ber¬ ges wo man nur wenig mordet, könnte Ihnen die moraliſche Hitze vielleicht läſtig fallen. Wenn in dem Drama Perſonen vorkommen die nur den Dolch gebrauchen, wird man gerührt, und man möchte ihnen um den Hals fallen. Mir erging es ganz im Ernſte ſo. Ein Bandit, Vertrauter der Lucrecia, der alle ihre Miſſethaten ausführt oder einleitet, aber nur des Geldes willen, ohne Bosheit, erſchien mir wie ein120 edler Ifländiſcher Juſtizrath und bei ſeinem Anblick ward mir ganz weinerlich zu Muthe.

Alſo in der letzten Scene befinden wir uns in Ferrara, wo damals Herzog Alphons von Eſte herrſchte. Seine Gemahlin war Lucrecia Borgia. Eine junge ſchöne Prinzeſſin, eine der Nympfen der Circe Borgia, hatte in ihrem Palaſte eine Anzahl venetianiſcher Edelleute zu einem Abendmahle einge¬ laden. Die Ritter tragen Roſenkränze in den Haa¬ ren, die ſchönſten jungen Mädchen verherrlichen das Feſt, und eine Schaar aufwartender Mohren, erhöhen durch ihr Nachtgeſicht den Glanz der Blu¬ men, der Edelſteine und der goldenen Gefäße, die auf dem Tiſche prangen. Man lacht, man ſcherzt, man trinkt, man küßt, es ging gar nicht ſteif da zu und ich möchte wohl dabei geweſen ſein. Beim De¬ ſert tritt ein artiger Page mit goldenen Flaſchen her¬ ein und fragt: Meine gnädigen Herren, Syrakuſer oder Cyperwein? Die Ritter wählen Syrakuſer. Unter den Gäſten waren auch ein Ritter im ſchwar¬ zen Mantel der ſich mitten im Taumel durch ſeine Ruhe und Beſonnenheit auszeichnet, ob er ſich zwar auch Weintrunken anſtellt. Das iſt aber mein wackerer Ifländiſcher Menſch, den ich ſo ſehr liebe, weil er mit Juſtizräthlichem Pflichtgefühle ſeinen be¬ ſten Freunden die Hälſe abſchneidet, da es ſein Amt121 iſt, und er dafür bezahlt wird. Wenn ihn ſeine Gebieterin Lucrecia Borgia etwas Gutes thun heißt, thut er es auch. Kurz er iſt ein Muſter von treuem Staatsdiener, und er hat zu ſeinem fünfzigjährigen Amts-Jubiläum ganz gewiß einen Orden vierter Klaſſe mit einem allerhöchſten Belobungsſchreiben erhalten.

Dieſer ſchwarze Edelmann fängt plötzlich Streit an. Es war Schelmerei, es war verabredet. Die jungen Damen ſtellen ſich erſchrocken und verlaſſen den Saal. Die Händel werden beigelegt und man trinkt und lacht wie vor. Ein Weinlied wird an¬ geſtimmt. Da miſchen ſich unſichtbare Geiſterſtimmen in den Chor, erſt fern dann näher, erſt leiſe dann ſtärker. Die luſtigen Edelleute horchen auf, kehren aber bald zum Taumel der Vergeſſenheit zurück. Aber der wunderliche Geſang wird immer vernehm¬ barer. Es war ein Kirchenlied, ein Mönchsgemurmel, ein Grabgeläute. Die Ritter werden nüchterner. Da ſchlagen plötzlich große Flügelthüren auf, und man ſieht im Hintergrunde, durch eine Eſtrade von dem Saale geſchieden, ein ſchwarz behangenes von Kirchenlichtern erhelltes Zimmer, das Mönche in ſchwarzen und weißen Kutten, Fackeln in den Händen tragend, ausfüllen. Sie trugen Larven. Die weißen Geſtalten ſteigen in den Saal hinab, und die Edel¬ leute in der Mitte nehmend, ſtellen ſie ſich in zwei Reihen, und ſingen ihr ſchauerlich Latein. Die122 Ritter lachen noch immer, ſie meinen, die jungen Damen hätten ſich einen Scherz machen wollen und ſich als Mönche verkleidet. Darum hätten ſie auch ſo ſchnell den Saal verlaſſen. Es tritt einer der Ritter zu den weißen Geſtalten hin und reißt ihr die Maske ab. Da ſieht er das wahrhaftige feuchte und bleierne Geſicht eines Mönchs. Den armen jungen Edelleuten gerinnt das Blut in den Adern.

Jetzt kömmt aus dem Hintergrunde des Trauer¬ zimmers eine erhabene weibliche Geſtalt hervor. Ihr weites ſchwarzes Sammtkleid, die goldene Schärpe um den Leib, das goldene Diadem in den Haaren, deſſen Spitzen wie Irrlichter hin und her funkeln, gaben ihr das Anſehen einer Zauberin. Sie tritt an die Stufen der Eſtrade, und ruft mit Grimm und Spott in den Saal hinab: Du da! Ich habe Deinen Vater vergiftet. Nicht wahr, Du weißt das noch? Du da! Ich habe Deinen Bruder erwürgt. Du haſt das gewiß nicht vergeſſen. Du dort! Ich habe Deinen Vetter erſäufen laſſen, wie Dir wohl bekannt iſt. So nennt ſie fünf beim Namen. Jetzt müßt Ihr auch ſterben, Ihr ſeid vergiftet. Aber beruhigt Euch, Ihr werdet chriſtlich bedient werden. Mein Vater, der Papſt, hat dieſe guten Mönche, für alle ſolche meine Angelegenheiten, gehörig ordinirt und dispenſirt. Sie empfangen Euere Beichte und geben Euch die Abſolution und123 ein chriſtliches Begräbniß wird Euch zu Theil. Seht dort! Auf ihren Wink treten die ſchwarzen Kutten zurück, die im Hintergrund des Trauerzimmers bis jetzt verborgen und man ſieht fünf Särge neben einander, mit ſchwarzen Tüchern und weißen Kreuzen behängt und von Wachskerzen umſtellt. Ueber jedem Sarge iſt der Name ſeines künftigen Bewohners geſchrieben. Die vergifteten jungen Leute, von den ſingenden Mönchen umgeben, wankten zu ihren Särgen hinab. Das Trauerzimmer ſchließt ſich.

Lucrecia Borgia bleibt allein im Saale zurück; da gewahrt ſie einen Jüngling und ruft entſetzt: Gennaro! Daß der auch beim Mahle geweſen, daß er auch vergiftet worden, das wußte ich nicht. Sie liebt ihn leidenſchaftlich, er iſt alles in der Welt was ſie liebt. Sie fleht ihn an, er möchte ſein Leben erhalten, er beſitze ja noch das Gegengift. Gennaro zieht ein Fläſchchen aus der Taſche und fragt, ob das hinreiche alle ſeine Freunde zu retten? Lucrecia jammert: nein. Da wirft er das Fläſchchen weg und ſagt: ſo wolle er ſterben, aber ſie ſterbe vorher. Er greift nach einem Meſſer und zückt es nach ihr. Lucrecia wehklagt zu ſeinen Füßen: tödte mich nicht! Du nicht. Gennaro bleibt entſchloſſen. Da geſteht Lucrecia, ſie wäre ſeine Tante; deſto ſchlimmer! ſchreit Gennaro und ſtößt ihr das Meſſer in die Bruſt. Lucrecia röchelt: ich bin124 deine Mutter! und ſtirbt. Sie war ſeine wirk¬ liche Mutter; ſie war aber auch ſeine Tante; ſie war aber auch ſeine Großmutter. Die Genealogie der päpſtlichen und fürſtlichen Familie Borgia, war ein wunderliches, verwirrtes und künſtliches Räthſel¬ ſpiel. Aber der Teufel konnte daraus klug werden.

Was der letzten Scene alles vorhergeht, iſt jetzt für Sie von keiner großen Bedeutung mehr, doch will ich es kurz erzählen. Der erſte Act ſpielt in Venedig, auf der Gartenteraſſe hinter dem Palaſte eines Nobile, der ein[Nachtfeſt] gab. Einige der Ballgäſte, junge Ritter, ſind im Freien und erzählen ſich ihre Abentheuer. Es ſind die nämlichen Edelleute, die ſpäter in Ferrara von Lucrecia ver¬ giftet worden. Unter ihnen zeichnet ſich durch ſein ſtilles und ſchwärmeriſches Weſen der junge Gennaro aus, den wir als Sohn der Borgia auch ſchon kennen. Er iſt in venetianiſchen Kriegsdienſten, kennt ſeine Herkunft nicht, und ſchwärmt liebevoll mit dem Gedankenbilde ſeiner Mutter, die er nie geſehen. Er ſetzt ſich auf eine Bank und ſchläft ein. Da naht ſich eine maskirte Dame. Man hat vor uns keine Geheimniſſe mehr: es iſt Lucrecia Borgia. Dieſe hat ihren geliebten Sohn ſeit ſeiner Geburt nicht aus ihren mütterlichen Augen verloren. Sie ſorgte im Stillen für ihn, ließ ihn bewachen, ihre Späher folgten ihm auf allen ſeinen Lebenswegen. 125Von dieſen erfuhr ſie, Gennaro ſei jetzt in Venedig. Sie eilte ihm nach, ſich an ſeinem Angeſichte zu er¬ freuen. Sie findet ihn ſchlafend, betrachtet ihn lange mit Entzücken und weckt ihn endlich durch einen Kuß. Gennaro ſchlägt die Augen auf und ſieht angenehm überraſcht eine ſchöne Frau zu ſeiner Seite. Zwar hat er ſchon eine Liebe, aber das im Schlafe zu¬ gefallene Glück mag er darum doch nicht verſchmähen. Er iſt artig gegen die Schöne und das Heilige ihrer zärtlichen Erwiederung ahndet der Jüngling nicht. Er geſteht ihr, er fühle ſich durch eine wunderbare Gewalt zu ihr hingezogen, ihr könne er alle ſeine Geheimniſſe vertrauen. Er erzählt ihr von ſeiner unbekannten Mutter, liest ihr die Briefe vor, die er durch fremde Hand von ihr erhalten. Lucrecia Borgia vergißt alle ihre Verbrechen und iſt einmal glücklich, weil ſie ſich ſchuldlos fühlt. Aber von dem Balkon des Pallaſtes herab, hat einer der Edelleute Lucrecia Borgia erkannt. Er theilt das Geheimniß ſeinen Freunden mit. Sie alle hatten eine Blutſchuld an ihr zu rächen. Sie ſtürzen mit Fackeln in den Garten hinab und wie die Rachegötter umringen ſie Lucrecia. Einer tritt nach dem Andern hervor, einer ſchreit nach dem Andern: du haſt meinen Vater, du haſt meinen Oheim ermordet. Lucrecia, ſonſt abgehärtet gegen ſolchen Vorwurf, fühlt ſich jetzt zerſchmettert von ihm. Sie kann126 den Schimpf nicht in Gegenwart ihres Sohnes er¬ tragen, vor dem allein ſie rein erſcheinen möchte, an deſſen Achtung unter allen Menſchen ihr allein gelegen iſt. Die Unglückliche ringt die Hände, bittet um Schonung und Erbarmen. Aber die Zornent¬ brannten ſetzten ihr Strafgericht fort, und donnern der Sünderin alle ihre Schandthaten ins Geſicht. Da tritt Gennaro als Ritter der Dame hervor und gebietet bei ſeinem Schwerdte Ruhe und Stille. Seine Freunde fragen ihn: kennſt du ſie denn? Sie reißen ihr die Maske vom Geſichte. Es iſt Lu¬ crecia Borgia! ſchreien ſie. Gennaro, unter den wilden leichtſinnigen Geſellen der einzige tugendhafte und ſittliche Menſch, haßt um ſo ſtärker als ſie den weiblichen Teufel Lucrecia Borgia, deren Schreckensnamen durch ganz Italien zitterte. Er verhüllt ſich das Geſicht, und wendet ſich entſetzt von ihr ab.

In dem folgenden Akte kommen die Ritter nach Ferrara. Lucrecia ſich zu rächen, lockt ſie zu einem Gaſtmahle und läßt ſie vergiften, wie wir erfahren. Auch Gennaro kömmt nach Ferrara und wird von den Sbirren des Herzogs von Eſte gefangen genommen. Dieſer nämlich, der das Leben ſeiner Gemahlin Lu¬ crecia nur zu gut kennt, läßt ſie auf allen ihren Wegen beobachten, und ſo hatte er von ſeinen Spionen erfahren, daß Lucrecia in Venedig mit127 Gennaro, einem ihrer Liebhaber, eine heimliche Zuſammenkunft gehabt. Der Jüngling wird von dem beleidigten Fürſten und dem eiferſüchtigen Gatten, dem Tode geweiht. Vorher, als er noch frei war, ging er mit ſeinen Kriegsgeſellen vor dem herzoglichen Pallaſte auf und ab. Der weiche tugendhafte Jüngling in ſeinem glühenden Haſſe gegen die verruchte Lucrecia, verflucht die Mauern, verflucht die Steine des Pallaſtes, flucht ſeiner hölliſchen Bewohnerin. Unter dem Thore war der Name Borgia eingehauen. Gennaro in ſeiner Leidenſchaft ſpringt hinauf und ſticht mit ſeinem Dolche den Buchſtaben B ab, ſo daß nur Orgia bleibt. Dieſen Schimpf erfahren Lucrecia und der Herzog. Lucrecia kennt den Thäter nicht; aber der Herzog kennt ihn. Er hat ihn in ſeiner Gewalt.

Der Herzog ſitzt allein in ſeinem Zimmer. Da ſtürzt Lucrecia wuthentbrannt herein, da iſt ſie eine Furie wie in der Geſchichte, keine liebende Mutter wie in der Fabel des Dichters. Und es blitzt aus ihren Augen, und donnert aus ihrem Munde. Und ſie ſagt ihrem Gemahl, welch ein Schimpf ihr geſchehen, und ſein Bettelvolk von Ferrara nähme ſich gar zu viel heraus, und es ſei doch ſonderbar, daß er für ihre Ehre ſo wenig Sorge trage, daß er den Miſſethäter nicht aufſuchen laſſen. Der Herzog hört ſie kalt, ruhig und höhniſch an, und als ſie ausgewüthet, ſagt er: der128 Miſſethäter iſt gefunden. Wie! gellt Lucrecia er iſt gefunden und noch frei? Er iſt gefangen, erwiedert der Herzog. Er iſt gefangen und lebt noch? frägt Lucrecia in ihrem Grimme. Er wird ſterben, erwiedert der Herzog eiskalt. Lucrecia läßt ihren Gemahl bei ſeiner fürſtlichen Würde ſchwören, den Verbrecher hinzurichten, wer er auch ſei. Der Herzog giebt ſein Fürſtenwort höhniſch lächelnd. Er winkt, der Verbrecher wird hereingeführt, und Lucrecia erkennt mit Entſetzen ihren Gennaro. Das iſt der Thäter nicht, ſpricht Lucrecia. Gennaro tritt hervor und ſagt: ich bin der Thäter. Lucrecia bittet ihren Gemahl um ein heimliches Geſpräch. Gennaro wird abgeführt. Jetzt bittet ſie ihren Gemahl um das Leben des jungen Mannes. Sie wolle großmüthig ſein, es ſei nur eine Laune geweſen als ſie ſeinen Tod gefordert. Der Herzog erinnert ſie, daß er ihr ſein Fürſtenwort gegeben, den Ver¬ brecher zu beſtrafen. Lucrecia erwiedert lächelnd: Eide ſind für das Volk, nicht für uns Für¬ ſten. Das ganze Haus beklatſcht dieſes Wort. Aber der Herzog läßt ſich nicht erbitten. Alle Künſte des Himmels und der Hölle ruft ſie auf; Liebe und Haß, Wehmuth und Zorn, Lächeln und Thränen, Schmeicheleien und Drohungen. Alles umſonſt. Sie droht ihrem Gemahle mit der Rache ihres Vaters des Papſtes, mit ihrer eignen; ſie erinnert129 ihn daran, daß er ihr vierter Mann ſei. Der Herzog ſpottet ihrer. Sie iſt erſchöpft, ihr Köcher iſt ausgeleert. Ganz matt frägt ſie ihren Gemahl, warum er ihr das Leben des Jünglings nicht ſchenken, ihr nicht den kleinen Gefallen thun wolle? Jetzt fängt der beſchneite Herzog zu rauchen an, und ein Feuerſtrom des Zorns ſtürzt aus ſeinem Munde. Er donnert: weil er dein Liebhaber iſt und jetzt hält er ihr alle Schandthaten ihres Lebens vor und endet: Deine geliebten Männer können auch künftig durch jede Thüre zu dir kommen; aber die Thüre, durch welche ſie wieder herausgehen, werde ich be¬ wachen laſſen von dem Henker. Gennaro müßte ſterben, ſie ſolle ſelbſt wählen zwiſchen Gift und Schwerdt. Lucrecia wählet Gift. Der Herzog läßt zwei Flaſchen holen, eine ſilberne und eine goldene. In der goldenen ſei der zubereitete Wein, den ſie recht gut kenne. Daraus ſolle ſie dem Gennaro einſchenken, ſich aber ja hüten, die Flaſchen zu ver¬ wechſeln, denn geſchehe es, ſtünde draußen ein Mann mit einem nackten Schwerdte bereit, der auf einen Wink hereinſtürzen und den geliebten Jüngling unter ihren Augen niederhauen werde.

Gennaro wird zurückgeführt. Der Herzog ſtellt ſich gnädig, verzeiht ihm, trinkt ihm zu. Er trinkt aus der ſilbernen Flaſche, Lucrecia füllt mit angſtzitternder Hand einen Becher aus der goldenenVI. 9130Flaſche, und überreicht ihn ihrem Sohne. Der Herzog verläßt höhniſch das Zimmer. Lucrecia ſchreit ihrem Sohne zu: Ihr ſeid vergiftet; um Gotteswillen trinkt ſchnell aus dieſem Fläſchchen; es iſt Gegengift, ein Tropfen und ihr ſeid gerettet. Aber Gennaro weigert ſich zu trinken. Er ſagt ihr: es ſei ihm wohl bekannt, wie ſie einſt einen Fürſten vergiftet, indem ſie ihm glauben gemacht, er ſei es ſchon, und ihm im Gegengift ein Gift gegeben. Lucrecia verzweifelt über dieſes verſchuldete Mistrauen; aber die Mutterliebe giebt ihr Beredſamkeit, Gennaro glaubt und trinkt. Jetzt ſolle er ſchnell aus Ferrara eilen. Aber der unglückliche Jüngling läßt ſich von ſeinen Freunden aufhalten und ſich Abends zu dem Giftmahle verlocken. Dort, wie wir erfahren, ſtirbt er, nachdem er ſeine Mutter getödtet.

Und wozu, wozu alle dieſe Greuel? Außer den Schandthaten, die auf der Bühne unter unſern Augen geſchehen, werden auch alle die erzählt, welche die Borgias ſeit jeher begangen. Warum die Kunſt zur Schinderin, die Bühne zu einem Schindanger machen? Victor Hugo ſagt in der Vorrede zum Drama: La paternité sanctifiant la difformité physique, violà le roi s'amuse: la maternité purifiant la difformité morale, voilà Lucrece Borgia ... à la chose la plus hideuse mêlez une idée réligieuse, elle deviendra131 sainte et pure. Attachez Dieu au gibet, vous avez la croix. Unvergleichlicher Unſinn! Freilich bleibt Gott auch noch am Kreuze Gott, aber das Kreuz macht ihn nicht zum Gotte, und die Anbetung findet ihn dort nur mit Schmerz. Freilich behält der Edelſtein auch noch im Kothe ſeinen Werth, und wer ihn da findet mag ihn aufheben; aber den Edel¬ ſtein in ſolcher Faſſung ſuchen und ihn darum vor¬ ziehen käme das je Einem in den Sinn? Konnte uns der Dichter den Adel und die Macht der Mutter¬ liebe nur in einer Lucrecia Borgia zeigen? Und ihre Mutterliebe iſt keine Perle im Schmutze, ſie iſt Schmutz in Schmutz. Ihr Sohn iſt eine Frucht der Blutſchande, es iſt der Sohn ihres Bruders.

Ich hätte noch gar manches zu ſagen; aber mit einem guten Bruder Liberalen muß ich einige Nachſicht haben. Victor Hugo bemerkt in der Vor¬ rede: die Miniſter möchten ſich ja nicht ſchmeicheln, er habe ſie vergeſſen. Keineswegs. Er werde zwar ſeine Kunſt mit allem Eifer forttreiben, aber darum die Politik nicht vernachläſſigen. L'homme a deux mains. Schön geſagt! In Baiern bekäme er dafür ein doppeltes Urtheil. Fünf Jahr in's Zucht¬ haus für die rechte Hand und fünf Jahr in's Zucht¬ haus für die linke Hand. Doch hat unſer gelehrter Frankfurter Feuerbach, in ſeinem unvergleichlich baieriſchen Criminal-Geſetzbuche für das Königreich9 *132Baiern, dieſes, wie noch manches andere vergeſſen. Wenn die rechte Hand beſtraft wird, daß ſie geſchrieben, verdient die linke Hand dafür beſtraft zu werden, daß ſie das Papier feſtgehalten. Ueberhaupt könnte ich das baieriſche Criminalgeſetzbuch mit vielen aſtronomiſchen Neuigkeiten bereichern. Erſt kürzlich entdeckte ich einen ſehr fernen entfernten Verſuch zum Verſuche eines Hochverraths-Verſuchs. Es iſt ein kleiner Nebelſtern, aber zwei Jahr Zuchthaus wären immer dabei zu verdienen.

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Geſtern Abend im Bette fing ich die Leidens¬ geſchichte eines Italiäniſchen Staatsgefangenen zu leſen an. Nach dem Kapitel worin er von den ſchrecklichen Gefühlen ſpricht, mit welchen man am erſten Morgen in einem Gefängniſſe erwacht, ſchlief ich ein. Und als ich dieſen Morgen erwachte, war mein erſter froher Gedanke: Du biſt frei! Und mein zweiter froher Gedanke war: Du biſt nicht frei! Denn wäreſt du frei, würdeſt du nicht ſo froh ſein, daß heute Samſtag iſt, der dir einen Brief bringt. Aber ich Glücklicher! Das iſt kein carcero duro, und ich will es gern ertragen mein Leben lang. Ich erzähle Ihnen noch aus dem Buche. Es heißt: Le mie prigioni, memorie di Silvio Tellico da Saluzzo. Es iſt ein Dichter aus Pie¬ mont, der zehen Jahre ſeines Lebens, von 1820 bis 1830, von ſeinem dreißigſten bis zu ſeinem vierzigſten Jahre, in verſchiedenen Oeſtreichiſchen Staatsgefängniſſen geſchmachtet. Ich bringe das Buch mit. Künftigen Sommer, an ſolchen Abenden, wo die Lüfte trunken von den Bergen kommen, leſe ich Ihnen daraus vor, Ihre Pulſe zu ſtillen. Ich lernte Wilhelm Tell verſtehen, und wie ihm vor dem134 Kerker eines Oeſtreichiſchen Landtags ſchaudern mußte. Wer an ſolche Luft gewöhnt, hat keine Tyrannei zu fürchten er erträgt ſie nicht.

Ich hätte Ihnen noch einige Worte von der Demoiſelle Georges ſagen ſollen, welche die Lucrecia Borgia ganz herrlich geſpielt. Sie war ein Vulkan und alles was in dem dunklen Buſen eines ſolchen Weibes kocht, kam donnernd und in Feuergüſſen an den Tag. Das war freilich das Verdienſt des Dichters, zugleich aber ſeine Schuld. Statt uns an den reinlichen gedeckten Tiſch der Leidenſchaft zu ſetzen, bringt er uns in ihre Küche, und dieſes Mal war es des Teufels Küche. In mehreren Ecken des Saals wurde einigemal geziſcht, bei ſolchen Stellen, wo alles zu nackt, zu roh, zu blutig erſchien, wo einen das rothe Fleiſch anekelte. Victor Hugo kömmt mir wie ein unmündiger reicher Erbe vor, der Wucherern in die Hände gefallen, und Schulden auf Schulden häuft. Wenn er es ſo forttreibt, kann er, bis er volljährig und ver¬ ſtändig wird, ſich arm gelebt haben. Man ſoll von den Zinſen ſeines Geiſtes leben ... Und wie gefalle ich Ihnen als ſolider Menſch?

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Dreißigſter Brief.

Soll ich über Heines franzöſiſche Zuſtände ein vernünftig Wort verſuchen? Ich wage es nicht. Das Fliegenartige Misbehagen, das mir beim Leſen des Buches um den Kopf ſummte, und ſich bald auf dieſe bald auf jene Empfindung ſetzte, hat mich ſo ärgerlich geſtimmt, daß ich mich nicht verbürgen kann ich ſage nicht für die Richtigkeit meines Urtheils, denn ſolche anmaßliche Bürgſchaft übernehme ich nie ſondern nicht einmal für die Aufrichtigkeit meines Urtheils. Dabei bin ich aber beſonnen genug geblieben, um zu vermuthen, daß dieſe Ver¬ ſtimmung nicht Heines Schuld iſt. Wer ſo große136 Geheimniſſe wie er beſitzt, als wie: in der dreihundert¬ jährigen Unmenſchlichkeit der Oeſterreichiſchen Politik eine erhabene Ausdauer zu finden, und in dem Könige von Baiern einen der edelſten und geiſt¬ reichſten Fürſten, die je einen Thron geziert; den König der Franzoſen, als hätte er das kalte Fieber, an dem einen Tage für gut, an dem andern für ſchlecht, am dritten wieder für gut, am vierten wieder für ſchlecht zu erklären; wer es kühn und großartig findet, daß die Herren von Rothſchild, während der Cholera ruhig in Paris geblieben, aber die unbezahlten Mühen der deutſchen Patrioten lächerlich findet; und wer bei aller dieſer Weich¬ müthigkeit ſich ſelbſt noch für einen gefeſteten Mann hält Wer ſo große Geheimniſſe beſitzt, der mag noch größere haben, die das Räthſelhafte ſeines Buches erklären; ich aber kenne ſie nicht. Ich kann mich, nicht blos in das Denken und Fühlen jedes Andern, ſondern auch in ſein Blut und ſeine Nerven verſetzen, mich an die Quellen aller ſeiner Geſinnungen und Gefühle ſtellen, und ihrem Laufe nachgehen mit unermüdlicher Geduld. Doch muß ich dabei mein eigenes Weſen nicht aufzuopfern haben, ſondern nur zu beſeitigen auf eine Weile. Ich kann Nachſicht haben mit Kinderſpielen, Nachſicht mit den Leidenſchaften eines Jünglings. Wenn aber an137 einem Tage des blutigſten Kampfes ein Knabe, der auf dem Schlachtfelde nach Schmetterlingen jagt, mir zwiſchen die Beine kömmt; wenn an einem Tage der höchſten Noth, wo wir heiß zu Gott beten, ein junger Geck uns zur Seite, in der Kirche nichts ſieht als die ſchönen Mädchen, und mit ihnen lieb¬ äugelt und flüſtert ſo darf uns das, unbeſchadet unſerer Philoſophie und Menſchlichkeit, wohl ärgerlich machen.

Heine iſt ein Künſtler, ein Dichter, und zur allgemeinſten Anerkennung fehlt ihm nur noch ſeine eigne. Weil er oft noch etwas anders ſein will als ein Dichter, verliert er ſich oft. Wem wie ihm, die Form das höchſte iſt, dem muß ſie auch das einzige bleiben; denn ſobald er den Rand überſteigt fließt er in's Schrankenloſe hinab, und es trinkt ihn der Sand. Wer die Kunſt als ſeine Gottheit verehrt, und je nach Laune auch manches Gebet an die Natur richtet, der frevelt gegen Kunſt und Natur zugleich. Heine bettelt der Natur ihren Nektar und Blüthenſtaub ab, und bauet mit bildendem Wachſe der Kunſt ihre Zellen. Aber er bildet die Zelle nicht, daß ſie den Honig bewahre, ſondern ſammelt den Honig, damit die Zelle auszufüllen. Darum rührt er auch nicht wenn er weint; denn man weiß,138 daß er mit den Thränen nur ſeine Nelkenbeete begießt. Darum überzeugt er nicht, wenn er auch die Wahr¬ heit ſpricht, denn man weiß, daß er an der Wahr¬ heit nur das Schöne liebt. Aber die Wahrheit iſt nicht immer ſchön, ſie bleibt es nicht immer. Es dauert lange bis ſie in Blüthe kömmt, und ſie muß verblühen ehe ſie Früchte trägt. Heine würde die deutſche Freiheit anbeten, wenn ſie in voller Blüthe ſtände; da ſie aber wegen des rauhen Winters, mit Miſt bedeckt iſt, erkennt er ſie nicht und verachtet ſie. Mit welcher ſchönen Begeiſterung hat er nicht von dem Kampfe der Republikaner in der St. Mery Kirche und von ihrem Heldentode geſprochen! Es war ein glücklicher Kampf, es war ihnen vergönnt den ſchönen Trotz gegen die Tyrannei zu zeigen und den ſchönen Tod für die Freiheit zu ſterben. Wäre der Kampf nicht ſchön geweſen, und dazu hätte es nur einer andern Oertlichkeit bedurft, wo man die Republikaner hätte zerſtreuen und fangen können hätte ſich Heine über ſie luſtig gemacht. Was Brutus gethan würde Heine verherrlichen ſo ſchön er nur vermag; würde aber ein Schneider den blutigen Dolch aus dem Herzen einer entehrten jungen Rähterin ziehen, die gar Bärbelchen hieße und damit die dummträgen Bürger zu ihrer Selbſt¬ befreiung ſtacheln er lachte darüber. Man ver¬139 ſetze Heine in das Ballhaus, zu jener denkwürdigen Stunde, wo Frankreich aus ſeinem tauſendjährigen Schlafe erwachte und ſchwur, es wolle nicht mehr träumen es wäre der tollheißeſte Jakobiner, der wüthendſte Feind der Ariſtokraten und ließe alle Edelleute und Fürſten mit Wonne an einem Tage niedermetzeln. Aber ſähe er aus der Rocktaſche der feuerſpeienden Mirabeau, auf deutſche Studenten - Art eine Tabackspfeife mit roth-ſchwarz-goldener Quaſte hervorragen dann Pfui Freiheit! und er ginge hin und machte ſchöne Verſe auf Marie-An¬ toinettens ſchöne Augen. Wenn er in ſeinem Buche die heilige Würde des Abſolutismus preißt, ſo ge¬ ſchah es, außer daß es eine Rede-Uebung war, die ſich an dem Tollſten verſuchte, nicht darum, weil er politiſch reinen Herzens iſt, wie er ſagt; ſondern er that es, weil er Athemreines Mundes bleiben möchte, und er wohl an jenem Tage als er das ſchrieb einem deutſchen Liberalen Sauerkraut mit Bratwurſt eſſen geſehen.

Wie kann man je dem glauben, der ſelbſt nichts glaubt? Heine ſchämt ſich ſo ſehr etwas zu glauben, daß er Gott den Herrn, mit lauter Initialbuchſtaben drucken läßt, um anzuzeigen, daß es ein Kunſtausdruck ſei, den er nicht zu verantworten140 habe. Den verzärtelten Heine bei ſeiner Sybariti¬ ſchen Natur kann das Fallen eines Roſenblattes im Schlafe ſtören; wie ſollte er behaglich auf der Frei¬ heit ruhen, die ſo knorrig iſt? Er bleibe fern von ihr. Wen jede Unebenheit ermüdet, wen jeder Widerſpruch verwirrt macht, der gehe nicht, denke nicht, lege ſich in ſein Bett und ſchließe die Augen. Wo giebt es denn eine Wahrheit, in der nicht etwas Lüge wäre? Wo eine Schönheit, die nicht ihre Flecken hätte? Wo ein Erhabenes, dem nicht eine Lächerlichkeit zur Seite ſtünde? Die Natur dichtet ſelten, und reimet niemals; wem ihre Proſa und ihre Ungereimtheiten nicht behagen, der wende ſich zur Poeſie. Die Natur regiert republikaniſch, ſie läßt jedem Dinge ſeinen Willen, bis zur Reife der Miſſethat, und ſtraft dann erſt. Wer ſchwache Nerven hat und Gefahren ſcheut, der diene der Kunſt, der abſoluten, die jeden rauhen Gedanken ausſtreicht, ehe er zur That wird, und an jeder That feilt, bis ſie zu ſchmächtig wird zur Miſſethat.

Heine hat in meinen Augen ſo großen Werth, daß es ihm nicht immer gelingen wird ſich zu über¬ ſchätzen. Alſo nicht dieſe Selbſtüberſchätzung mache ich ihn zum Vorwurfe, ſondern daß er überhaupt die Wirkſamkeit einzelner Menſchen überſchätzt, ob141 er es zwar in ſeinem eigenen Buche ſo klar und ſchön dargethan, daß heute die Individuen nichts mehr gelten, daß ſelbſt Voltaire und Rouſſeau von keiner Bedeutung wären, weil jetzt die Chöre handelten und die Perſonen ſprächen. Was ſind wir denn, wenn wir viel ſind? Nichts als die Herolde des Volks. Wenn wir verkündigen und mit lauter ver¬ nehmlicher Stimme, was uns, jedem von ſeiner Parthei aufgetragen, werden wir gelobt und belohnt; wenn wir unvernehmlich ſprechen, oder gar verräthe¬ riſch eine falſche Botſchaft bringen, werden wir getadelt und gezüchtigt. Das vergißt eben Heine, und weil er glaubt, er wie mancher Andere auch, könnte eine Parthei zu Grunde richten, oder ihr aufhelfen, hält er ſich für wichtig; ſieht umher wem er gefalle, wem nicht; träumt von Freunden und Feinden, und weil er nicht weiß wo er geht und wohin er will, weiß er weder wo ſeine Freunde noch wo ſeine Feinde ſtehen, ſucht ſie bald hier, bald dort, und weiß ſie weder hier noch dort zu finden. Uns an¬ dern miſerabeln Menſchen, hat die Natur zum Glücke nur einen Rücken gegeben, ſo daß wir die Schläge des Schickſals nur von einer Seite fürchten; der arme Heine aber hat zwei Rücken, er fürchtet die Schläge der Ariſtokraten und die Schläge der Demo¬142 kraten, und um beiden auszuweichen, muß er zugleich vorwärts und rückwärts gehen.

Um den Demokraten zu gefallen ſagt Heine: Die Jeſuitiſch-Ariſtokratiſche-Parthei in Deutſchland verläumde und verfolge ihn, weil er dem Abſolutismus kühn, die Stirne biete. Dann um den Ariſtokraten zu gefallen ſagt er: er habe dem Jakobinismus kühn die Stirne geboten; er ſei ein guter Royaliſt und werde ewig monarchiſch geſinnt bleiben; in einem Pariſer Putzladen, wo er vorigen Sommer bekannt war, ſei er unter den acht Putzmachermädchen mit ihren acht Liebhabern alle ſechszehen von höchſt gefährlicher republikaniſcher Geſinnung der einzige Royaliſt geweſen, und darum ſtünden ihm die Demo¬ kraten nach dem Leben. Ganz wörtlich ſagt er: Ich bin bei Gott! kein Republikaner, ich weiß wenn die Republikaner ſiegen, ſo ſchneiden ſie mir die Kehle ab. Ferner. Wenn die Inſurrektion vom 5. Juni nicht ſcheiterte, wäre es ihnen leicht gelungen, mir den Tod zu be¬ reiten, den ſie mir zugedacht: Ich verzeihe ihnen gerne dieſe Narrheit. Ich nicht. Republi¬ kaner die ſolche Narren wären, daß ſie Heine glaubten aus dem Wege räumen zu müſſen um ihr Ziel zu erreichen, die gehörten in das Tollhaus.

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Auf dieſe Weiſe glaubt Heine bald dem Abſo¬ lutismus, bald dem Jakobinismus kühn die Stirne zu bieten. Wie man aber einem Feinde die Stirne bieten kann, indem man ſich von ihm abwendet, das begreife ich nicht. Jetzt wird zur Wiedervergeltung, der Jakobinismus durch eine gleiche Wendung auch Heine kühn die Stirne bieten. Dann ſind ſie quitt und ſo hart ſie auch auf einander ſtoßen mögen, können ſie ſich nie ſehr wehe thun. Dieſe weiche Art Krieg zu führen iſt ſehr löblich und an einem bla¬ ſenden Herolde, die Heldenthaten zu verkündigen, kann es keiner der Kämpfenden Stirne in dieſem Falle fehlen.

Gab es je einen Menſchen, den die Natur be¬ ſtimmt hat, ein ehrlicher Mann zu ſein, ſo iſt es Heine und auf dieſem Wege könnte er ſein Glück machen. Er kann keine fünf Minuten, keine zwan¬ zig Zeilen heucheln, keinen Tag, keinen halben Bo¬ gen lügen. Wenn es eine Krone gälte, er kann kein Lächeln, keinen Spott, keinen Witz unterdrücken, und wenn er ſein eignes Weſen verkennend, doch lügt, doch heuchelt, ernſthaft ſcheint wo er lachen, demü¬ thig wo er ſpotten möchte; ſo merkt es jeder gleich, und er hat von ſolcher Verſtellung nur den Vor¬ wurf, nicht den Gewinn. Er gefällt ſich den Je¬ ſuiten des Liberalismus zu ſpielen. Ich habe144 es ſchon einmal geſagt, daß dieſes Spiel der guten Sache nützen kann; aber weil es eine einträgliche Rolle iſt, darf ſie kein ehrlicher Mann ſelbſt übernehmen, ſondern muß ſie Andern überlaſſen. So, ſeiner beſſern Natur zum Spotte, findet Heine ſeine Freude daran zu diplomatiſiren, und ſeine Zähne zum Ge¬ fängnißgitter ſeiner Gedanken zu machen, hinter wel¬ chem ſie jeder ganz deutlich ſieht und dabei lacht. Denn zu verbergen, daß er etwas zu verbergen habe, ſo weit bringt er es in der Verſtellung nie. Wenn ihn der Graf Moltke in einen Federkrieg über den Adel zu verwickeln ſucht, bittet er ihn es zu unter¬ laſſen; denn es ſchien mir gerade damals bedenklich, in meiner gewöhnlichen Weiſe, ein Thema öffentlich zu erörtern, das die Tagesleidenſchaften ſo furchtbar anſprechen müßte. Dieſe Tagesleidenſchaft gegen den Adel, die ſchon funfzig mal dreihundert fünf und ſechszig Tage dauert, könnte weder Herr von Moltke noch Heine, noch ſonſt einer noch furchtbarer machen, als ſie ſchon iſt. Um von etwas warm zu ſprechen, ſoll man alſo warten, bis die Leidenſchaft, der er Nahrung geben kann, gedämpft iſt, um ſie dann von neuen zu entzünden? Das iſt freilich die Weisheit der Diplomaten. Heine glaubt etwas zu wiſſen, daß Lafayette gegen die Beſchuldigung der Theilnahme an der Juni-Inſurrektion vertheidigen kann; aber145 eine leicht begreifliche Diskretion hält ihn ab ſich deutlich auszuſprechen. Wenn Heine auf die¬ ſem Wege Miniſter wird, dann will ich verdammt ſein, ſein geheimer Sekretair zu werden, und ihn von Morgen bis Abend anzuſehen, ohne zu lachen.

VI. 10146

Sie fragten mich neulich, was das für eine dumme Geſchichte mit den Würtemberger Ständen wäre? Dumme Geſchichte iſt ein Pleonasmus. Die Geſchichte der Menſchheit iſt nichts als eine Geſchichte der Dummheit. Was aber dieſe beſondere dumme Geſchichte bedeute, will ich Ihnen erklären. Ich will Ihnen die Sache ſo klein und weich wie durchgeſchlagene Erbſen machen, und wenn Sie meine durchgeſchlagenen Stände noch nicht genießen können, ſo iſt das nicht meine Schuld.

Als man auf dem Wiener Kongreſſe den deut¬ ſchen Bund bildete, gaben ſich Oeſterreich und Preu¬ ßen die größte Mühe, die kleinen Fürſten dahin zu bringen, ihren Staaten repräſentative Verfaſſungen zu geben. Die großen Mächte hatten gut berechnet, daß dieſes die kleinen Mächte von ihnen abhängig machen würde. Auch kam es wirklich ſo. Baiern, Würtemberg, Baden und die Uebrigen wären nicht zu Vaſallen von Oeſterreich und Preußen herabge¬ ſunken, wenn ſie unbeſchränkte Regierungen gehabt147 hätten. Um die kleinen Fürſten leichter in das Garn zu locken, ſtellte ſich Preußen damals an, als wolle es auch eine repräſentative Verfaſſung einführen. Die kleinen Fürſten merkten die Liſt nicht und alle die Angſt, die ſie bei der Sache hatten, kam von ihren eigenen Völkern; die andern größern Gefahren ſahen ſie nicht. Aber dieſe Angſt vor Conſtitutionen war fürchterlich. Schon ſahen ſie eine demokratiſche Sündfluth über ihre Throne zuſammenſtürzen und ſie dachten gleich an Noah's Arche, in welcher ſie ſich im Falle der höchſten Noth mit all ihrem Viehe retten könnten. Wie es ſich mit dieſen Archen ver¬ halte, an welchen die kleinen deutſchen Fürſten zim¬ mern, will ich Ihnen ein andersmal erklären. Ehe ſie es nun wagten, ein kleines ſeichtes Wäſſerchen von Volksfreiheit durch ihre Ländchen ſchleichen zu laſſen, zogen ſie aus Furcht vor Ueberſchwemmungen, Kanäle ſo breit und ſo tief, daß der Rhein, die Donau, und die Elbe zugleich darin Platz hätten. Und ſie baueten Rieſenwerke von Dämmen aus mäch¬ tigen Quaderſteinen und gewaltigen Schleußen. Un¬ ſere Conſtitutionen ſind nichts anders als Gefäng¬ niſſe der Freiheit: daß die Freiheit nicht frei im Lande herumlaufe, wird ſie in eine Kammer geſperrt. In dieſe Conſtitutionen, beſonders aber in das Wahlſyſtem der Volks-Deputirten und in der Ge¬ ſchäfts-Ordnung der Kammern, wurden hundert Be¬10 *148ſtimmungen eingeführt, die alle den Zweck hatten, die kräftige Entwicklung eines wahren repräſentativen Syſtems zu verhindern. Bald darf man nicht ſpre¬ chen, bald darf man nicht hören, die Einen werden ſtumm, die Andern werden taub gemacht. Iſt ein Bischen friſcher Wind in der Kammer, werden gleich alle Segel eingezogen. Wird etwas verhandelt was das Volk nahe angeht, wird es aus der Kammer gejagt, es darf den Sitzungen nur beiwohnen, ſo oft ſie langweilig ſind. Man meint freilich das wäre oft genug. In Baiern müſſen die Deputirten, die auf ſechs Jahre gewählt werden, in der erſten Sitzung um die Plätze in der Kammer looſen. Dieſen nume¬ rirten Platz muß jeder Deputirte wie ein Schulbube behalten, er darf ihn nicht wechſeln. Dadurch wollte man verhindern, daß die Gleichgeſinnten ſich nicht neben einander ſetzen, ſich verabredeten und Parthei machten. Die liebe deutſche Schuljugend läßt ſich auch das alles gefallen.

Eine andere Beſtimmung iſt faſt in alle Con¬ ſtitutionen übergegangen. Paſſen Sie auf! Jetzt kömmt Ihre dumme Geſchichte. Keiner darf als Deputirter gewählt werden, der irgend einmal eine Criminalſtrafe ausgeſtanden hat. Hier dachte man aber keineswegs daran, ge¬ wöhnliche Spitzbuben aus der Kammer entfernt zu halten, Räuber, Mörder, Diebe, ſolche Fälle kommen149 bei den höhern Ständen ſelten vor, und Menſchen die nur etwas weniges geſtohlen, würde man gern als miniſterielle Deputirte ſehen, damit ſie lernen ſich vernünftiger zu betragen. Sondern es kam dar¬ auf an, ausgezeichnete Patrioten, Männer welche den Regierungen beſonders gefährlich, beſonders unlenk¬ ſam ſchienen, von der Deputirten-Wahl auszuſchlie¬ ßen. Mit einem ſolchen Geſetze war das eine Klei¬ nigkeit. Nichts iſt in Deutſchland leichter, als jeden ehrlichen Mann eine Criminal-Unterſuchung, das heißt eine[Criminalſtrafe] an den Hals zu werfen Und glauben Sie ja nicht daß hierbei die Regierungen willkürlich verführen; ſo glücklich ſind wir nicht ein¬ mal; ſo glücklich ſind wir nicht, daß unſere Fürſten, um Tyrannen zu ſein, nöthig hätten, geſetzwidrig zu handeln. Die Tyrannei liegt ſchon in den Geſetzen. Alle deutſche Criminalgeſetze wurden vor Einführung der repräſentativen Verfaſſungen, alſo ohne Mitwir¬ kung der Stände, von den Fürſten allein, alſo im Geiſte der unbeſchränkten Herrſchaft und nicht im Geiſte der Freiheit gemacht. Mit dieſen Geſetzen können die unſchuldigſten Handlungen als Verbrechen erklärt und als ſolche beſtraft werden. Unſere guten deutſchen Hofräthe und Profeſſoren, die Gott ſegnen möge ich meine mit Verſtand kennen keinen andern Liberalismus als auf Legalität zu halten. Wenn einer von ihnen legal ins Zuchthaus kömmt,150 weil er etwas drucken laſſen, was die Geſetze als Majeſtäts-Verbrechen erklärt, ſind ſie es zufrieden und wenn ſie als Deputirte um den Despotismus herumſchleichen, und irgendwo einen Eingang ſuchen, und an allen Wegen ſteht ein Plakat mit den Wor¬ ten: Legaler Weg, nämlich verbotener keh¬ ren ſie wieder um und glauben das ihrige gethan zu haben.

Jeder eifrige Volksfreund und Vertheidiger der Freiheit muß irgend einmal etwas thun, wodurch er ſeine Geſinnung öffentlich beurkundet. Er wird et¬ was freiſinniger ſchreiben, etwas drucken laſſen, an einer politiſchen Verſammlung Theil zu nehmen, eine Proteſtation gegen eine Maßregel der Tyrannei un¬ terzeichnen, oder etwas anders ſolcher Art. Alle dieſe Handlungen werden von den deutſchen peinlichen Geſetzen als Majeſtäts-Verbrechen, Staatsverbrechen, Hochverrath angeſehen und beſtraft. Alſo alle Bür¬ ger, die ſich ſolcher Verbrechen ſchuldig gemacht, fallen einer Criminal-Unterſuchung und einer peinli¬ chen Strafe zu, und ſind daher auf ihr ganzes Leben von der Volksrepräſentation ausgeſchloſſen. Nun ge¬ ſchah es, daß für die jetzige Sitzung der Würtem¬ berger Kammer, vier Männer zu Deputirten gewählt wurden, die viele Jahre vorher beim Demagogiſchen Umtriebe in Criminal-Unterſuchung waren. Die Re¬ gierung erklärte, dieſe Wahl ſei nach den Geſetzen151 ungültig! die Oppoſition erwiderte; ſie wäre gültig, denn obzwar jene Deputirten wirklich in einer Cri¬ minal-Unterſuchung geweſen, ſo hätten ſie doch keine Criminalſtrafe ausgeſtanden, weil ſie damals von dem Könige begnadigt wurden. Darauf entgegneten die Miniſter: das Recht der königlichen Gnade ſei beſchränkt und ihre Folgen erſtrecken ſich nicht ſo weit, einem Bürger ſeine bürgerliche Ehre wiederzugeben. Miniſter, Diener des Königs, die ſonſt Himmel und Erde in Bewegung ſetzen, wenn einer nur mit dem kleinen Finger die Rechte der Krone anrührt, beſchränken ſelbſt dieſe Rechte! Das einzige Recht, welches die Freiheit ſelbſt den Fürſten laſſen würde, das Recht der Begnadigung, läßt ſich der König gern be¬ ſchränken, nur um in der Kammer vier freiſinnige Männer weniger zu haben! Aber die Würtember¬ giſchen Miniſter könnten es einmal bitter bereuen, das Recht der Begnadigung, das doch von den Für¬ ſten auch auf jede andere höchſte Regierungsgewalt überginge, beſchränkt zu haben.

In Darmſtadt iſt etwas Aehnliches vorgefallen. Ein Advokat Hofmann, der vor vierzehn Jahren in Demagogiſchen Umtrieben verwickelt war, wurde zum Deputirten gewählt. Hofmann wurde damals aber nicht verurtheilt, ſondern der Prozeß wurde niederge¬ ſchlagen, und der Angeſchuldigte, wie die Juriſten152 ſagen: ab instantia abſolvirt. Hören Sie was ab instantia abſolviren heißt, es iſt etwas ſehr ſchönes. Wenn nach dem ſehr chriſtlichen und ſehr menſchlichen deutſchen Criminalrechte, man einem An¬ geſchuldigten ſein Verbrechen nicht beweiſen und ihn alſo auch nicht verurtheilen kann, die Richter aber haben Luſt das Schwerdt der Geſetze ihm ſein gan¬ zes Leben lang über dem Haupte hängen zu laſſen, ſprechen ſie ihn nicht frei, ſondern ſie abſolviren ihn ab instantia, ſo daß ſie nach zwanzig Jahren den Prozeß wieder anknüpfen können. Hofmann wurde zum Deputirten gewählt. Die Regierung erklärte dieſe Wahl für ungültig, weil er in einer Criminal - Unterſuchung verwickelt geweſen. Die Oppoſition erwiederte, aber Hofmann wäre doch nicht verurtheilt worden. Darauf entgegneten die Miniſter: aber Hofmann ſei nicht freigeſprochen worden, und wenn er es übrigens wünſche, würde man die unterbro¬ chene Unterſuchung fortſetzen. Hofmann wurde ver¬ worfen. Da habe ich nun vor einigen Tagen aus einem Briefe aus Darmſtadt erfahren, mit welchem Eifer und mit welcher Schelmerei, die Ausſtoßung Hofmann's von der Regierung betrieben wurde. Hofmann war in Preußiſche, das heißt in Original - Patent-Demagogiſche Umtriebe verwickelt. Preußen verfolgte ihn am meiſten. Nun müſſen Sie wiſſen, daß ſeit den Bundestagsbeſchlüſſen, Deutſchland in153 zwei Polizei-Diſtrikte eingetheilt iſt. Das nördliche Deutſchland hat den König von Preußen, das ſüd¬ liche den Kaiſer von Oeſterreich zum Polizei-Com¬ miſſair. Ueber Beiden ſteht der Kaiſer von Ru߬ land als Polizei-Direktor. Darmſtadt gehört zum Preußiſchen Diſtrikte. Daher war es die Obliegen¬ heit der Preußiſchen Regierung, Hofmann's Eintritt in die Kammer zu verhindern. Was geſchieht alſo? Einem Edelmanne, Mitglied der Kammer, gab man ein Schreiben in die Hand, welches der Preußiſche Geſandte in Darmſtadt von ſeiner Regierung erhal¬ ten haben ſollte. Darin hieß es: Hofmann habe ſich im Jahr 1819 noch ganz anderer, noch ſchwe¬ rerer Verbrechen ſchuldig gemacht, als die wegen welcher er damals in Unterſuchung war. Und wenn er nach Preußen käme, würde er von neuem einge¬ ſteckt, und Preußen würde es durchaus nicht dulden, daß Hofmann in die Darmſtädter Kammer trete. Dieſen Brief zeigte jener Edelmann einigen bürger¬ lichen Deputirten im Vertrauen, und ſagte ihnen wir wiſſen ja wie Edelleute mit Bürgern ſpre¬ chen: Lieber Heyer und wie ſonſt die An¬ dern heißen Sie kennen mich ja, Sie wiſſen, daß ich liberal bin. Glauben Sie mir auf mein Wort, unſer Großherzog hat den beſten Willen. Aber was wollen wir thun? Haben wir eine Ar¬ mee von zweimalhunderttauſend Mann? Können154 wir uns Preußen widerſetzen? Der Großherzog hat mir geſtern geſagt: vor dem Heyer iſt mir am meiſten bange der wird Lärm machen. Dabei rieb ſich der Baron die Hände, dabei zuckte er die Ach¬ ſeln, dabei klopfte er mit freiherrlichen Fingern auf die bürgerliche Schulter, und ſagte in einer Viertel¬ ſtunde dreißig Mal: Lieber Heyer! Der liebe Heyer, ſonſt ein braver, liberaler, verſtändiger Mann, ließ ſich bereden, einſchüchtern, und ſtimmte mit ſeinen Freunden gegen Hofmann.

Jetzt nach Caſſel, wo die Wahlfreiheit auf eine andere Art verletzt worden. Wenn Sie dieſen Brief gehörig ſtudiren, werden Sie eine der vor¬ züglichſten Publiziſtin von Deutſchland, und können Profeſſorin des Staatsrechts auf einer deutſchen Univerſität werden, und wenn Sie loyale College leſen gar geheime Hofräthin. Was ich Ihnen aber folgend mittheile, geſchieht nicht zu Ihrer Belehrung, ſondern zu meiner eignen. Vielleicht können Sie mir über etwas Aufklärung geben, worin ich ganz im Dunkeln bin. In Frankreich und England ſind die Regierungen froh, wenn Staatsbeamte zu Depu¬ tirten gewählt werden! natürlich, weil dieſe von ih¬ nen abhängen und ihnen alſo am meiſten anhängen: In Deutſchland findet das Gegentheil ſtatt. Wenn ein Staatsbeamter zum Deputirten gewählt wird: muß er, das Recht auszuüben, dazu die Erlaubniß155 ſeiner Vorgeſetzten haben und dieſe Erlaubniß wird oft verweigert. Welche Feinheit dahinter ſteckt begreife ich nicht. Nun wurde Jordan, Profeſſor in Mar¬ burg, einer der edelſten und muthigſten freiſinnigen Männer Deutſchlands, zum Deputirten in die Heſſi¬ ſchen Stände gewählt. Die Miniſter erklärten, ſie erlaubten Jordan nicht ſeine Stelle anzutreten, und ſie verboten ihm nach Caſſel zu kommen. Jordan ſagte: nach der Verfaſſung brauche ein gewählter Staatsbeamter nur die Erlaubniß ſeines unmittel¬ baren Vorgeſetzten. Dieſer ſein Vorgeſetzter ſei die Univerſität die ihn gewählt habe; die Erlaubniß des Miniſters brauche er nicht. Jordan reiſte nach Caſſel, und die Mehrheit der Kammer entſchied ſich für ihn. Der Miniſter ließ Jordan den Befehl zu¬ kommen, binnen 24 Stunden bei 20 Thaler Strafe Caſſel zu verlaſſen ... Stellen Sie ſich vor: wenn hier ein Miniſter die Frechheit hätte, einem Deputirten bei 50 Franken Strafe den Be¬ fehl zukommen zu laſſen, binnen 24 Stunden Paris zu verlaſſen! In Anklage-Zuſtand verſetzte man den Narren nicht; aber man ſchickte ihn augenblicklich in einer Zwangsweſte gekleidet nach Charenton. Aber unſere deutſchen Philiſter hören ſo etwas erzählen, ohne daß ſie ſich darüber echauffiren, ja nicht einmal die Pfeife geht ihnen darüber aus. Gott erhalte mir meinen König Louis Philipp!

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Wahrhaftig ich mache mir Vorwürfe, daß ich je ein Wort gegen ihn geſchrieben; ich thue es aber auch nicht mehr ... Jordan ging nicht aus Caſſel und klagte bei den Gerichten. Dieſe verboten den Miniſtern bei fünfzig Thaler Strafe, Jordan nicht zu beunruhigen. Dieſes war auch wieder ein Deutſches Temperier-Pulver! Die Gerichte hätten erklären ſollen! Jordan als Deputirter wäre unver¬ letzlich, und die Miniſter die ihn antaſteten, machten ſich des Hochverraths ſchuldig. Wegen dieſes Streits haben die Sitzungen ihre Kammern noch nicht er¬ öffnen können, und man iſt begierig, was die preußiſche Regierung, zu deren Inſpection auch Heſſen gehört, in dieſer Sache verfügen wird.

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Heiland der Welt! Das monarchiſche Prinzip iſt guter Hoffnung. Welch 'ein Donnerſchlag für mich! Die Herzogin von Berry, unſere liebe Frau von Blaye, die Enkelin Maria Thereſiens, die gebenedeite Mutter des Wunderkindes, iſt in ge¬ ſegneten Umſtänden, durch den heiligen Geiſt in Ge¬ ſtalt eines Italieniſchen Prinzen, und wird in zwei Monaten ein neues Wunderkind gebähren. Die Her¬ zogin hat es dem Gouverneur von Blaye zu wiſſen gethan: ſie könne nicht länger ſchweigen, es ſei ihr zu eng im Schloſſe; ſeit ſieben Monaten ſei ſie heim¬ lich an einen Italiäniſchen Prinzen verheurathet, den ſie aus Schamhaftigkeit nicht nennen wolle, und ge¬ ſtern ſtand dieſes Evangelium groß im Moniteur ge¬ druckt, und es wurde im Reichs-Archive niedergelegt zum ewigen Angedenken. Alſo war es doch wahr, was man neulich gemurmelt, als die Regierung zwei Aerzte ſo geheimnißvoll nach Blaye geſendet. Doch Verläumdung war es, was viele damals erzählten:158 der Jude Dautz ſei der heilige Geiſt der Berry ge¬ weſen, und er habe nicht des Geldes wegen, ſondern in einem Anfalle von eiferſüchtiger Wuth, ſeine Freundin verrathen. Schade das es Verläumdung war! Wahrlich es wäre ein Glück für die Welt, wenn einmal jüdiſches Blut in chriſtlich-monarchiſche Adern käme. Vielleicht ſtiege dann wieder ein wei¬ ſer König Salomo auf den Thron, der die Sprache der Thiere verſtände, und ſeinen Hofleuten in das Herz ſehen könnte ...

Du gute Karoline! ich wäre Dir zugethan, wenn Du keine Fürſtin wäreſt. Du haſt viel geliebt und es wird Dir viel vergeben werden. Aber Du biſt ein thörichtes Weib! Dein Sohn iſt noch ein Knabe, noch ſiebenzig Male kann er den Kreislauf der Sonne erleben ein Tag für das Glück, eine Ewigkeit für den Schmerz und Du ſuchſt eine Krone für ihn? Laß ihn eine Lazarone werden! Laß ihn ſich ſonnen unter dem ſchönen Himmel Dei¬ nes Vaterlandes! Laß ihn Muſcheln ſuchen am Strande des blauen Meeres. Und ein Tag kann kommen, ein Tag des Schreckens und der Trauer, wo das wildtobende Volk durch die Straßen von Neapel braußt und man einen jammervollen König richtet. Dann ſchwankt Dein Sohn zu Deinem Grabe, kniet nieder und dankt es Deiner Aſche mit heißen Thränen, daß Du ihn ein Bettler werden159 ließeſt! Du erfährſt es jetzt: Deine nächſten Bluts¬ verwandten häufen Schmach auf Dein Haupt, und machen Dich zum Geſpötte der Welt. Das iſt das Loos der Könige! Opferprieſter oder Schlachtopfer, ſind ſie ſchuldig oder unglücklich.

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Ein und dreißigſter Brief.

Die Frankfurter Ober-Poſt-Amts-Zeitung hatte neulich, da ſie etwas dumm monarchiſches erzählte, hinter der Dummheit ein Fragezeicheu aufzuſtellen gewagt. Was iſt das? Schon bei jeder anderen deutſchen Zeitung ſind[Fragezeichen] Generalbeichten, Roußeauſche und Auguſtiniſche Bekenntniſſe, und ver¬ rathen eine tugendhafte Reue und eine große innere Zerknirſchung. Aber gar bei der Poſtzeitung, einem der Feigenblätter der deutſchen Bundesverſammlung! Das muß etwas bedeuten. Sollte ſie vielleicht den Reſt ihrer Abonnenten verlohren haben und durch die161 Heldenthat des Fragezeichens ſie zurückzuführen ſuchen? Erkundigen Sie ſich darnach.

Was mir mein Michel für Verdruß macht, der deutſche Michel, der Dickkopf, ach! liebe Frau Ge¬ vatterin, das kann ich Ihnen gar nicht genug klagen. Der Junge bringt mich noch unter die Erde. Alle meine Vorſtellungen, all' mein Bitten, mein Züchti¬ gen es hilft alles nichts. Hören Sie, was er wieder gethan hat. In Freiburg wurde Michel zum Bürgermeiſter gewählt, denn Michel iſt liberal. Aber die Regierung verwehrte die Wahl, denn un¬ ſere Regierungen und darüber muß ich lachen trotz meiner großen Betrübniß haben Furcht vor Michel. Die Freiburger Bürger die Courage haben, nicht blos einen Tag, ſondern zwei Tage lang, neh¬ men ſich vor, Michel zum zweitenmale zu wählen. Was thut Michel? Auf ſeine gewohnte Art wird er gerührt, ſentimental, großmüthig, tugendhaft, er¬ haben romantiſch, und bittet ſeine guten Mitbürger ſich wegen ſeiner in keine Ungelegenheiten zu ſetzen, und einen andern Bürgermeiſter zu wählen. Die Bürger deren zweitägiges Heldenfieber ohne dies vorüber war, ließen ſich das nicht zweimal ſagen, und aus Dankbarkeit gegen Michel, daß er ſie von dem Drucke ihrer eignen Größe befreiet hat, wähl¬ ten ſie ſeinen Neffen, den jungen Michel zum Bür¬ germeiſter. Die Regierung war das herzlich gernVI. 11162[zufrieden] und froh, daß ſie ſo wohlfeil wegkam. Sie dachte, wie jede Regierung: das Volk iſt ein Kind. Das eigenſinnige[Kind] will Wein haben; Mama gießt zwei Tropfen Wein in's Waſſerglas, es ſieht gelb aus da haſt du Wein, jetzt ſei ruhig. Das Volk will Michel haben; die Regierung giebt ihm et¬ was, das eine Farbe wie Michel hat, und ſagt: da haſt du Michel, jetzt weine nicht mehr. Das alles verſteht ſich von ſelbſt.

Nun hören Sie aber was mein Michel weiter that. Nach geſchehener Bürgermeiſterwahl zogen die Freiburger Bürger mit Fackeln und Freudengeſchrei vor das Michelſche Haus und riefen: es leben beide Michels hoch! Der junge Michel konnte vor Rüh¬ rung nicht ſprechen, aber der alte Michel war leider nicht in ſolchem Grade gerührt; ſondern er ſchrie zum Fenſter hinaus: Hoch lebe unſer vielgeliebter Großherzog Leopold, der Wiederher¬ ſteller der Verfaſſung und des freien Wahlrechts! Und die Bürger auf der Gaſſe ſchrien: Hoch lebe unſer vielgeliebter Großherzog Leopold, der Wiederherſteller der Verfaſ¬ ſung und des freien Wahlrechts! Und hoch und abermals hoch! Und der alte ernſte Münſter, den man noch niemals lächeln geſehen, lachte daß er wackelte, ſo daß ihm eine ſteinerne Trottel von ſei¬ ner Mütze herabfiel.

163

Was that mein Michel in Stuttgard? Aber ich bin des Spaßes müde. In Stuttgart wurde Herr von Wangenheim, ein geiſtreicher und freiſinni¬ ger Mann zum Deputirten gewählt. Die Regierung erkannte die Wahl nicht an wegen einer verletzten Förmlichkeit, die ſie zum Vorwande eines Vorwan¬ des nahm Um Deputirter ſeyn zu können muß man im Lande wohnen; nun wohne zwar Herr von Wangenheim im Lande, aber er habe nicht erklärt daß er im Lande wohne. So ohngefähr habe ich die Sache verſtanden. Der eigentliche Grund der Wider¬ ſetzlichkeit war aber: Oeſterreich und Preußen hätten den Herrn von Wangenheim mit Zorn in der Kam¬ mer geſehen, denn er ſtand früher ſelbſt hinter den Couliſſen der deutſchen Bundes-Komödie, und war der erſte jener Geſandten, von welchen, weil ſie Liebelei mit der öffentlichen Meinung trieben, und die deutſchen Völklein in ihrem Traume, daß ſie ein Volk werden könnten, nicht ſtören hal¬ fen, die Bundesverſammlung epurirt wurde. Uebri¬ gens hatte Herr von Wangenheim eine Schrift gegen die Bundestags-Beſchlüſſe herausgegeben. Dieſer von der Regierung vorgeſchützte Mangel der Form wurde aber von Herrn von Wangenheim gehoben, und die Bürger nahmen ſich vor, ihn zum zweitenmale zu wählen. Was thut nun Herr von Wangenheim? ganz das nehmliche was Herr von Rotteck in Frei¬11*164burg gethan. Er war großmüthig, gerührt, roman¬ tiſch, empfindlich. Er ſchmollte mit der Regierung wie mit einem Liebchen. Er ſchrieb ſeinen Commit¬ tenten einen gerührten Brief: er entſage ihrer Wahl; denn durch deren Annahme würde er einen falſchen Grundſatz, den die Miniſter geltend machen wollen, anerkennen und das wolle er nicht. Er verlaſſe Stuttgart, wünſche ihnen wohl zu leben, danke ihnen noch einmal herzlich und vertraue übrigens auf Gott. Wäre Herr von Wangenheim in die Kammer getre¬ ten, hätte er der Oppoſition die wenigen Stimmen die ihr zur Majorität noch fehlen, durch ſeinen Ein¬ fluß zuführen können. Aber um eines Paragraphs ſeines moraliſch-politiſchen Kompendiums willen, ver¬ läßt er das Schlachtfeld, mögen Volk und Freiheit darüber ganz zu Grunde gehen. Möchte man ſich da nicht die Haare aus dem Kopfe reißen? Ein Edelmann und doch edel! Ein Miniſter und doch großmüthig! Ein Diplomat und doch romantiſch! So oft ich mit Schmerz und Unwillen wahrnahm, daß unſere deutſchen bürgerlichen Deputirten, der Macht der Regierungen, die ein ungeheures Zeug¬ haus von Liſten und Schelmereien beſitzen, worin alle Waffen aufgehäuft liegen, welche geiſtliche und weltliche Tyrannei ſeit dreitauſend Jahren geſchmie¬ det haben, von den Leviten bis zu den Jeſuiten, von dem Römiſchen Senate bis zu dem Venetianiſchen,165 von Kaiſer Auguſtus bis Louis Philipp, von Mäcen bis Metternich nichts entgegenſetzen als ihren Gradſinn, ihre Aufrichtigkeit, ihre Treue, ihre Be¬ ſcheidenheit ſo oft ich dieſes wahrnahm, tröſtete es mich in meinem Kummer, daß wenigſtens der deutſche Adel noch Spitzbüberei beſitze, und daß er einmal zu uns herüber kommen würde und dann wäre uns geholfen. Da kam nun wirklich einmal ein Edelman zu uns herüber und er war ein ehrli¬ cher Mann!

Ich weiß gar nicht mehr was ich thun ſoll. Der einzige Troſt, der mich noch aufrecht hält und mich vor gänzlicher Verzweiflung ſchützt, iſt, daß der Hofrath Böttiger in Weimar den Großherzoglichen Weimariſchen Falkenorden bekommen hat, und daher meine Unſterblichkeit geſichert iſt, die mich für alle Leiden die ich in dieſem irdiſchen Jammerthale er¬ trage, entſchädigen wird. Wenn ich es Ihnen nicht erkläre, begreifen Sie in Ihrem Leben nicht, wie meine Unſterblichkeit mit dem Weimariſchen Falken¬ orden und einem Sächſiſchen Hofrathe, den ſterblich¬ ſten Dingen von der Welt zuſammenhänge. Dieſe Dinge hatten früher nicht den geringſten Zuſammen¬ hang; aber indem ich ſie neben einander ſtelle, be¬ kommen ſie einen. Schon in einem frühern Briefe166 hatte ich etwas gegen den Hofrath Böttiger geſchrie¬ ben; aber ſo wenig als heute geſchah es aus Bos¬ heit; ja was ich dort von ſeinen lateiniſchen Verſen an eine höchſte Erhabenheit erzählte, war wenigſtens dieſesmal gelogen. Die Sache iſt: ich will ihn ärgern, damit ich unſterblich werde. Sie werden erſtaunen über die Schelmereien die ich im Kopfe habe und welch 'ein großer Staatsmann ich bin.

Herr von Cotta erzählte mir einmal, daß der Hofrath Böttiger Verfaſſer der Nekrologien ſei, die ſeit vielen Jahren die allgemeine Zeitung enthalte. Nekrologie heißt die Lebensbeſchreibung einer ge¬ ſtorbenen Perſon und kömmt aus dem Griechiſchen, von nekros, der Todte und logos, die Erzählung. Merken Sie ſich das et embrassez-moi pour l'a¬ mour du grec. So oft ein berühmter Mann ſein vierzigſtes Jahr erreicht habe, erfuhr ich fange Böttiger deſſen Nekrologie zu ſchreiben an und ſetze ſie, von Jahr zu Jahre und Tag zu Tage gelaſſen fort; ſo daß ſobald der berühmte Mann den Geiſt aufgiebt und noch vor ſeiner Beerdigung die Nekro¬ logie fertig iſt und in die Zeitung geſchickt wird, ſo daß kein anderer Nekrolog dem Hofrathe zuvor kom¬ men kann. Er, Cotta, ſei einmal gefährlich krank ge¬167 weſen und man habe ihn in Deutſchland todt geſagt. Gleich mit der nächſten Poſt, nachdem ſich das falſche Gerücht verbreitet, wäre ſein Nekrolog, von Böttiger verfaßt, für die allgemeine Zeitung eingegangen. Sie kam aber zu früh und brauchte glücklicher Weiſe nicht honorirt zu werden.

Da überlegte ich nun bei mir, daß, weil ich auch ein berühmter Mann bin und mein vierzigſtes Jahr zurückgelegt habe, ich ganz ohne Zweifel in des Hofraths nekrologiſchem Schranke in der B - Schublade eingeſargt liege. Zwar iſt Böttiger viel älter als ich; da er aber einen Orden, nicht blos erhalten, ſondern auch verdient hat und er überhaupt ein Mann iſt, der nicht blos fünf grade ſein läßt, ſondern auch vier, wenn es ein großer Herr haben will: ſo gehört er zu denjenigen Menſchen, die ein hohes Alter erreichen. Er kann mich daher leicht überleben und meine Nekrologie ſchreiben. Nun muß von zwei Dingen nothwendig eins geſchehen: entwe¬ der er lobt mich oder er tadelt mich. Lobt er mich, ſo wird das auf Europa einen ungeheuern Einfluß haben; denn da es bekannt iſt, daß ich ſein Feind bin, wird jedermann begreifen, daß nur das große Gewicht meiner Verdienſte ihn zur Gerechtigkeit zwin¬ gen konnte. Tadelt er mich aber, glaubt ihm keiner168 und er[wird] ausgelacht, weil man weiß daß ich ihn geärgert habe. Auf dieſe Weiſe hängt meine Un¬ ſterblichkeit, und die Gemüthsruhe mit welcher ich meine Leiden ertrage, mit dem Weimariſchen Falken¬ orden und dem Hofrathe Böttiger zuſammen.

169

Ueber die neue Preußiſche Judenordnung habe ich nicht geſprochen, weil ich gleich anfänglich ver¬ muthete, was ſich auch jetzt zu beſtätigen ſcheint, daß es damit kein Ernſt geweſen. Aber ganz gewiß, war es nicht der Zufall oder die Tücke eines deutſch¬ chriſtlichen Narren, die dieſen wahnſinnigen Geſetz¬ entwurf bekannt gemacht. Er ſtand zuerſt in der Leipziger Zeitung in einem Blatte, das ganz unter abſolutiſtiſcher Eingebung ſteht. Auch hätte weder die Leipziger noch eine andere Zenſur verſtattet, daß eine Zeitung das Geheimniß einer deutſchen Regie¬ rung bekannt mache, wäre die Mittheilung nicht von einer Hand geſchehen, die aller Verantwortlich¬ keit überhebe. Ich zweifle nicht, daß der Artikel von einem der Helfershelfer der Preußiſchen oder einer andern Regierung eingeſendet worden iſt. Auch war der Geſetzentwurf in der allgemeinen Zeitung mit Bemerkungen begleitet, die den bekannten föditen Lobgeruch haben, mit welchen alle Handlungen der deutſchen Fürſten beweihraucht zu werden pflegen. 170Es hieß dort nach Anführung der unerhörteſten Gräuel: Durch das ganze Geſetz blinkt ein Geiſt der Milde und der Verſöhnung durch, vorzüglich aber das Beſtreben des Staats, die Juden wieder zu dem alten Satze zurück¬ zuführen: im Schweiße deines Angeſichts ſollſt du dein Brod eſſen. Dieſe Schwei߬ treibende Eigenſchaft der Judenordnung iſt das wahre Kennzeichen jeder ächt deutſchen Geſetzgebung. Was man aber mit dieſem Carnewals-Spaße bezweckte: ob es ein kleiner Luftballon war, den man, um den Wind zu erforſchen dem großen vor¬ ausſteigen ließ? Ob man in Preußen oder einem andern Staate wirklich daran denkt, die Juden in den Status quo des fünfzehnten Jahrhunderts zurück¬ zuſchnellen, und man vorher verſuchen wollte, ob ſie noch Elaſtizität genug haben ſich das gefallen zu laſſen? Ob man die Juden, und aus welchem Grunde nur ängſtigen wollte? Ob es eine Wacht¬ parade war, das deutſche Volk überhaupt in Schrecken zu ſetzen? Ob der Entwurf, wie ich mich früher einmal ausgedrückt, ein Ochſe war, den man der Boa-Schlange der deutſchen Revolution in den Rachen jagen wollte, um ſie wehrlos zu machen und dann zu tödten? Oder was es ſonſt ſein möchte das kann ich nicht errathen. Doch es wird kund werden früher oder ſpäter.

171

Uebrigens könnte Preußen eine ſolche Juden¬ ordnung einführen und es würde gar nichts dabei ver¬ lieren, außer daß dann auch die Kurzſichtigſten vorher¬ ſehen würden, welche Zukunft dem ganzen Volke droht. Der alleinige Unterſchied bliebe dann, daß man dem jüdiſchen Hunde mit einem Schnitte die Ohren kurz machte, während man ſie dem chriſtlichen nur nach und nach abſchneiden würde um dem armen Viehe nicht auf einmal zu wehe zu thun, wie jener Bediente ſagte. Wenn man die Preußiſche Regierung beurtheilen will, muß man nicht blos auf das achten, was ſie thut denn das zeigt nur an was ſie kann, ſondern auch auf das, was ſie ſpricht welches anzeigt was ſie will. Wenn ich das Berliner politiſche Wochenblatt leſe, weiß ich gar nicht was ich denken ſoll. Ich ſage denken denn glauben Sie mir: ich drücke nie eine Empfindung aus, ehe ich von der heißen Dach¬ kammer des Gefühls, in den Eiskeller der ruhigſten Beſonnenheit hinabgeſtiegen bin, und dort die Probe gehalten habe, ob der Kopf mit dem Herzen über¬ einſtimmt. Und ſo oft dieſe Uebereinſtimmung fehlt, löſche ich meine Empfindung aus. In dem Berliner Wochenblatte werden despotiſche Grundſätze gelehrt, die mit dem Prinzipe des Proteſtantismus gar nicht zu vereinigen ſind. Und wenn Preußen dieſes Prinzip, ſeine Hauptſtütze, erſchüttert, ſinkt es zum172 Vaſallen Oeſterreichs hinab, um ſpäter von ihm wie ein Wurm zertreten zu werden. Wenn Preußen ſeine Zwecke erreicht, wird es die letzte unter den despotiſchen Mächten, ſtatt daß es die erſte unter den Freiſinnigen könnte ſein. Herr von Ancillon, der einzige dirigirende Miniſter in ganz Deutſchland, der gut und ſchön ſchreiben kann warum ver¬ theidigt er nicht einmal die Vernunftmäßigkeit des Preußiſchen Regierungsſyſtems gegen die Unvernunft der revolutionären Schriftſteller? Wir verlangen nicht, daß er, ein deutſcher Miniſter, ſelbſt, unter ſeinem eignen Namen mit uns Erdenwürmern ſpreche. Wir wiſſen recht gut, daß Gott nur wenig Auser¬ wählten erſcheint, und Angeſicht in Angeſicht mit ihnen redet. Aber Herr von Ancillon kann uns ja ſeine eigenhändigen Geſetztafeln durch einen ſeiner Moſes ſchicken und verſuchen ob wir dem goldenen Kalbe nicht abwendig zu machen wären. Aber er rede kalt, ruhig, vernünftig mit uns, und ohne alle Grobheit. Er nehme einmal auf eine Stunde an, daß wir es gut meinten, und nur in unwillkührlichen Irrthümern befangen wären. Wenn wir mit Worten wüthen, ſo iſt das ſo natürlich als verzeihlich. Was ſollten wir denn anders thun, da wir keine Macht, ſondern nur Recht haben, und doch der Geiſt einen Körper haben muß, daß ihn auch die erkennen, die keine Sonntagskinder ſind? Wenn aber die Organe173 der Regierung zornig reden, ſo iſt das der lächer¬ lichſte und zugleich der grauſamſte Pleonasmus. Ihre Gewehre, ihre Kanonen, ihre Kerker was ſind ſie denn anders als plaſtiſche Grobheiten von Stein, Eiſen und Stahl, während die unſern ganz unſchädlich nur von Luft ſind?

In Preußen geht man damit um, die Juſtiz¬ beamte für abſetzbar zu erklären. Vielleicht wiſſen Sie nicht was das bedeutet. In den Staaten, wo der Despotismus nicht alle Schaam von ſich geworfen, wo ihm noch ein kleiner Reſt, ich ſage nicht von Tugend, aber von Ehre geblieben, ſind die Gerichts¬ perſonen unabſetzbar, das heißt: wenn ſie einmal ihre Stelle erhalten, darf ſie die Regierung ihnen nicht wieder nehmen. Dieſes iſt der letzte Anker der Ruhe für jeden Bürger, der nun nicht zu be¬ fürchten braucht, daß ſein Richter in die traurige Lage kommen könnte, entweder ſeine Stelle zu ver¬ lieren und mit Weib und Kinder zu verhungern, oder einen Angeklagten zum Tode, zum Kerker, zu Geldbußen zu verurtheilen, ſobald es einem Wahn¬ ſinnigen, oder ruchloſen Miniſter beliebt. Dieſer Schutz ſoll jetzt dem Preußiſchen Volke geraubt werden. Ich will es noch nicht glauben. Was bliebe denn jenen guten Preußen, die ich im Aus¬ lande ſo oft habe in die Enge treiben ſehen, indem174 man ihnen die Verderblichkeit ihres vaterländiſchen Regierungsſyſtems unwiderleglich klar machte, und die dann immer auf das Wort zurückkamen: aber wir haben doch eine unabhängige Juſtiz was bliebe ihnen noch für ein Vorwand übrig, ihre Loyalität, der ſie ſich ſchon halb ſchämen, nothdürftig zu vertheidigen? Freilich blieben ihnen dann noch ihre gerühmten Abc-Schulen übrig. Ich möchte ſie aber fragen: Ob man denn ihren gelehrten Abc - Bauren etwas anders zu leſen verſtattet als die Befehle der Regierung?

Nun freilich, wenn man anfängt, ſogar in der Stadt Berlin ſelbſt Verſchwörungen zu entdecken, und ſelbſt ein Cavallerie-Offizier und ein Regierungs¬ rath ſich des Hochverraths verdächtig gemacht haben, dann ſcheint es Zeit, die Richter unter der Zucht¬ ruthe der Polizei zu bringen. Aber was wird es ſie helfen? Sie werden höchſtens einige junge Leute und dunkle Perſonen ſchuldig finden, aber nie einen Menſchen von Bedeutung bis zur Straffälligkeit überführen können. Denn in Berlin reichen ſich die freiſinnigen Männer bis zu den erſten Stufen des Thrones die Hände und ſie laſſen ſich nicht fallen. Ich freilich traute jenen Menſchen nie, die ſeit fünf¬ zehen Jahren ihren guten Willen zu verheimlichen und dem Despotismus, ihn zu verderben, Vertrauen175 einzuflößen wußten; doch giebt es andere ehrliche Leute, die ihnen trauen. Mögen ſie ſich nicht täuſchen! Ich war immer der Meinung, daß wer faul wartet, bis die Früchte reif herabfallen, nur faule Früchte leſen wird. Man muß die Freiheit von den Bäumen brechen.

Herr von Rotteck hat aus dem Sächſiſchen wieder einen liberalen Becher bekommen; es iſt der zehente. Durch das neuliche Betragen des Herrn von Rotteck iſt mir erſt recht klar geworden, warum ſo viele deutſche Patrioten von 65 Pulsſchlägen an dieſem Manne hängen. Er treibt ſein Becher¬ ſpiel mit einer Vollkommenheit, wie ich es auf den Boulevards noch nie geſehen. Er hat eine Art, Einem den Liberalismus ſo bequem zu machen, daß es eine Luſt iſt. An ſchönen Mai-Tagen, wo es weder zu kalt noch zu warm iſt, geht er mit ſeinen politiſchen Freunden ſpazieren, und macht ſich über die faulen Bäuche luſtig, die bei ſo herrlichem Wetter im Zimmer eingeſchloſſen bleiben. Kömmt aber der Sommer der Freiheit und das Volk fängt zu donnern und zu blitzen an, wird, ſobald der erſte Tropfen fällt, der Regenſchirm der Legalität auf¬ geſpannt, man eilt in die Stadt zurück und wimmert: bleibt nur immer auf dem geſetzlichen Wege! Nahen die Weihnachten der Tyrannei und Bundes¬176 tagsbeſchlüſſe ſchneien vom Himmel herab, zieht Herr von Rotteck den Fuchspelz der Loyalität an, und er ſchreit zum Fenſter hinaus: Hoch lebe unſer vielgeliebter Großherzog, der Wieder¬ herſteller der freien Verfaſſung und des freien Wahlrechts? Dabei iſt man ſicher, ſich weder zu erhitzen, noch zu erkälten, und ein Jubel¬ ſenior zu werden und ein Belobungsſchreiben zu erhalten. Wenn ich nur was davon hätt ſagt Staberl.

177

..... Die öffentliche Meinung iſt zu ihrer frühern Anſicht von dem Vater des Wunderkindes von Blaye zurückgekehrt. Die drei Könige welche die gebenedeite Prinzeſſin begrüßten, kamen wirklich aus dem Morgenlande, und der heilige Geiſt war ihr Landsmann. Als der ſchändliche Deutz die Herzogin verrieth, rief ſie, ſich ſelbſt noch ſchlimmer verrathend aus: Le misérable! Je lui ai donné plus que ma vie! Seine Wohlthäterin, ſeine Freundin, die Mutter ſeines Kindes, ein unglückliches, wehrloſes Weib zu verrathen! Aber nur den kleinſten Theil meines Grolls wende ich einem ſolchen Niederträchtigen zu. Den größten Theil ſpare ich für die Niederträchtigkeit der Regierungen auf, die Verbrechen, welche[tauſendfachen] irdiſchen Tod, und ſelbſt den Fluch des allbarmherzigen Gottes verdienen, wie die ſchönſte Tugend belohnen. Das iſt aber das Verderben jeder fürſtlichen Herr¬ ſchaft: ſie kann ſich nicht erhalten ohne Verrätherei; ſie kann nicht ruhig leben, wenn nicht wechſelſeitigesVl. 12178Mistrauen die Bürger aus einander hält. Man trete zu jeder Stunde in das geheime Kabinett jedes Königs, und findet man einen ſeiner Unterthanen bei ihm, mit dem er ſich liebreich und freundlich, wie ein Bruder unterhält iſt es ein Weib, wird es eine Sängerin, iſt es ein Mann, wird es ein Spion ſein. Und ſelbſt die Operſängerin hat nur den zweiten Platz in dem Herzen des Königs.

[179]

Zwei und dreißigſter Brief.

Von dem aus dem Engliſchen überſetzten Werke: Mémoires d'un Cadet de famille par Trelawney, von dem ich Ihnen ſchon geſprochen, iſt jetzt der dritte Theil erſchienen. Ich kann Ihnen nichts ſchöneres zum Leſen empfehlen. Es wird Einem dabei, als wäre man früher blind, taub und von tauſend Banden feſtgehalten, regungslos geweſen; und jetzt plötzlich frei geworden mit allen Sinnen und Gliedern, erfahre man erſt, was die Welt ſei, was leben heiße. Was der keckſte Romanenſchreiber in ſeinem Uebermuthe nur je erdichtet, iſt Blödigkeit gegen das, was dieſer Corſar wirklich gethan und12*180gelitten. Und doch iſt nichts außerordentliches in ihm, als daß er ſich außerordentlich viel Freiheit genommen. Nichts Ungewöhnliches iſt ihm begegnet; aber er iſt den gemeinen Dingen auf eine ungewöhn¬ liche Art begegnet und das hat ihn groß gemacht. Man ſieht: es iſt in jedem Menſchen eine Kraft gleich der des Dampfes, und wer dieſe zu finden und zu gebrauchen verſteht, kann mehr vollbringen als tauſend andere vereinte Menſchen.

Aber nicht bloß ein Held iſt Trelawney, er iſt auch ein Meiſter im Malen und im Dichten. Nichts herrlicher als ſeine Beſchreibungen von jener zauberhaften indiſchen Welt; nichts epiſcher und dramatiſcher als ſeine Schilderungen der Ereigniſſe und der Menſchen und Völkerſchaften die daran Theil genommen. Es begleiten ihn zwei komiſche Charaktere auf ſeinem abentheuerlichen Leben, der Koch und der Wundarzt des Schiffes, die Shakespear nicht ſchöner hätte darſtellen können. Sie leben beide mit Geiſt und Herz nur in ihrer Kunſt. Auf dem Meere und in der Sandwüſte, bei Sturm und Sonnenſchein, in der Schlacht und im luſtigen Uebermuthe des Hafens, denken ſie nur an kochen und heilen. Und auch hier ſieht man was die Frei¬ heit vermag. Der Koch wagt Gerichte, vor denen Vatel gezittert, der Wundarzt Heilungen, vor181 welchen ſich Dupüytrin verſteckt hätte und es gelingt beiden. Die unerhörteſten Speiſen werden ſchmackhaft, die verzweiflungsvollſten Krankheiten und Wunden werden geheilt.

Wie herrlich iſt die Beſchreibung einer Tiger¬ jagd! Die Schlachten von Marengo, Auſterlitz und Eylau, ſind, was der gezeigte Muth betrifft, Poſſenſpiele[dagegen]. Der Corſar ſchließt dieſe Schilderung mit den Worten: Wie ſchön und glorreich wäre dieſe Jagd, wenn man in den Tigern, die Seelen aller Tyrannen der Erde ver¬ tilgen könnte!

Denken Sie ſich einen Helden in der Schlacht mit einer Roſe vor der Bruſt; denken Sie ſich eine Harfe, die durch den heulenden Sturm ſpielt, und einen Löwen, an ſeidner Schnur von einem ſchönen Kinde geführt das war Zela dem Corſaren. Sie theilte alle ſeine Gefahren, und verſchönte und belohnte ſie. Da verlohr er ſie durch den Tod. Am Strande des Meeres verbrannte er ihre Leiche, und wollte ſich auf den Scheiterhaufen ſtürzen, den ihn aber ſeine Schwäche nicht erreichen ließ. Man entfernte den Bewußtloſen von der Jammerſtätte. Mit Zela endeten die Träume ſeines Lebens, er erwachte und ſein Glück war dahin. Er kehrte nach182 England zurück, begrub ſich lebendig in dem Schooße monarchiſcher Erde und wehrte mit grimmiger Hand den Würmern, die an den Sarg ſeiner Freiheit herankrochen. Trelawney haßte die ganze Welt, und ſein Herz, groß genug die ganze Welt zu lieben, theilte er zwiſchen Zela und van Ruyter, ſeinem Freunde und Seegenoſſen. Van Ruyter war der edlere von beiden. Auch er kehrte nach Europa zurück, gerieth in die Sonnenbahn des Kaiſers Napoleon, der ihn hoch hielt und ihn verwenden wollte. Aber Ruyter ließ ſich nur von Napoleon gebrauchen, ſo lange er ihn gebrauchen wollte, und wußte im Helden den Kaiſer zu verachten. In einem Treffen gegen ein engliſches Schiff verlohr er das Leben. Sie werden gern erfahren, wie van Ruyter von Napoleon dachte.

Er hat einige Dummköpfe von alten legitimen Königen, von ihren wurmſtichigen Thronen herab¬ geworfen; er hat ihnen den Purpur vom Leibe geriſſen und ſie dann wieder aufgerichtet, um mit der Menſchheit ſeinen Spott zu treiben. Indem er dieſes that, dachte er freilich die Tyrannei ver¬ ewigen zu können, wenn er an die Stelle der zernichteten Mächte Militair-Despoten ſetzte, Aber er hoffte vergebens hierdurch ſeine Macht zu befeſtigen, und die Ehrgeizigen durch die Bande183 der Erkenntlichkeit an ſich zu feſſeln. Als wenn ſich ein Ehrgeiziger je um ein anderes Glück als nur ſein eignes bekümmern könnte! Napoleon kann freilich für die Welt gute Folgen haben; doch ſind wir ihm keinen Dank dafür ſchuldig, denn er hat bei allem ſein Thun nicht das Gute beabſichtigt, ſondern das Böſe. Ein verroſteter Riegel iſt ſchwer zurückgeſchoben; iſt es aber einmal geſchehen und es gelingt einem ihn wieder vorzuſchieben, wird er nie mehr ſo gut als früher ſchließen. Was ein Meiſter zu ſeinem Vortheile ſeine Arbeiter lehrt, das wenden dieſe ſpäter zu ihrem eignen an. Napoleon hat unſern Kindern die Taſchenſpieler - Künſte mit Päpſten, Fürſten, Königen und andern ſolchen Gliedermännern gezeigt. Wir Alten hängen noch zu ſehr an unſerem Schaukelpferde und Blei¬ ſoldaten; aber unſere Söhne werden die Puppen unſerer Zeit verachten, ſie auf immer wegwerfen und ein Männerſpiel ſpielen.

Der Kaiſer wollte mir, als ein Zeichen ſeiner großmüthigen Geſinnung etwas ſchenken, das keinen Schilling werth war das Band der Ehren¬ legion. Er hätte mich entehrt durch meine Ernennung zum Ritter; ich wäre lieber Glücksritter und Gauner geworden.

184

Trelawney verſpricht in der Folge auch ſein ſpäteres Leben zu beſchreiben. Um ſich aus der verpeſteten monarchiſchen Luft der europäiſchen Staaten zu retten, nahm er an allen jenen Kämpfen Theil, die, ſeit dem Sturze Napoleons, in allen Ländern für die Freiheit verſucht worden ſind. Von der Geſinnung und der Schreibart unſeres Helden, mögen folgende Stellen zeugen.

Die Gicht, der Schlagfluß, die Waſſerſucht und der Stein ſind meine lieben Freunde und Freundinnen. Ich verehre ſie, ich grüße ſie mit dem Hute in der Hand, als die mächtigſten unter den unverſöhnlichen Feinden der Könige und Prieſter. Das ſind unbeſtechliche Jakobiner. Wenn der Pfaff das Saatkorn eines armen Pächters geſtohlen, und ſeine Zehenten-Schweine verſchlungen hat, fühlt er freilich keine Biſſe des Gewiſſens; aber oft fühlt er ihre Qualen in den großen Zehen ſeines Fußes, und das Schwein hört nicht auf in ſeinem Bauche zu grunzen, als bis es ſich an ſeine Rippen und an ſeinem Halſe feſt gefreſſen hat; dann erſtickt es ihn, mit allen Anzeichen eines gerechten Schlagfluſſes.

Ich beſchäftige mich, die Geſchichte meines Lebens zu vollenden. Die Folge wird zeigen, daß185 ich kein geduldiges Werkzeug in den Händen der despotiſchen Willkühr war und mich nie zu jenen niederträchtigen Sklaven geſellt habe, die in Haufen zu den Füßen der Reichen und Mächtigen krochen. Nach meiner Rückkehr in Europa hatten alle Ty¬ rannen ihre Gladiatoren verſammelt, um die ver¬ maledeite Dynaſtie der Bourbons wieder auf den Thron zu ſetzen. Das Kriegsgeſchrei in Europa war die Unverletzlichkeit und Machtvollkommenheit der legitimen Tyrannen, und alle Dummköpfe, Schwärmer und Narren, wurden gleich Jagdhunden hinter die Freiheit gehetzt. Ueberall wurden Preiſe auf die Köpfe der Patrioten geſetzt; man beraubte, man verfolgte, man ermordete ſie mit gerichtlichen Floſkeln. Dann wurden ſie gleich Indiſchen Parias aus der Gemeinde gejagt, und wer ſie berührte, war, wie ſie, der Schmach verfallen. Ich, der ich ſo viel von der Tyrannei gelitten, haßte aus der tiefſten Seele jede Unterdrückung. Ich ſtand dem Schwachen gegen den Starken bei; ich ſchwur mich mit Leib und Seele dem Kriege zu weihen, und in dem heiligen Kampfe gegen die gekrönten Betrüger, ihre Miniſter und Pfaffen, auch den Dolch nicht zu verſchmähen. Als die Tyrannei ſiegte, theilte ich das Geſchick jener unüberwindlichen Geiſter, die durch die ganze Erde in der Verbannung umherſchweiften, und ich186 lieh 'ihnen meine ſchwache Hülfe, die Betrügereien jener von Motten zerfreſſenen Legenden, welche das Menſchengeſchlecht ſo lange betrogen haben, an den hellen Tag zu bringen. (O! hätten wir ſtatt Rotteck und Welcker, den einzigen Trelawney auf unſerer Seite.)

Ach! dieſe edlen und hochherzigen Menſchen ſind nicht mehr! Sie fielen als Schlachtopfer jener erhabenen Sache, die ſie mit einer bewunde¬ rungswürdigen Kraft vertheidigt; doch dauernde Denkmäler haben ſie zurückgelaſſen, und ihre Namen werden ewig leben. Ach! lebten ſie jetzt, hätten ſie den Baum, den ſie pflanzen halfen blühen geſehen! hätten ſie das Jahr 1830 und dann das ihm ſo glorreich folgende Jahr 1831 erlebt, wie würden ſie gejauchzt haben, die Reihe der Tyrannen durchbrochen, ihre Dumm¬ gläubigen gemaulkorbt, und die Verſchwörung, welche die Freiheit der Völker erſticken ſollte, ver¬ eitelt zu ſehen.

Ja! die Sonne der Freiheit, erhebt ſich über den feilen Sklaven Europens, ſie wird ſie aus ihrem langen Todesſchlafe erwecken. Der Geiſt der Freiheit ſchwebt wie ein Adler über der Erde, und die Seelen der Menſchen ſtrahlen den Glanz187 ſeiner goldenen Flügel zurück. Möge Frankreich, dem Adler gleich, den es früher wie zum Spotte zu ſeinem Sinnbilde genommen, jetzt aber im Ernſte annehmen muß möge es ſeinen Kindern ſeinen erhabenen Flug lehren; möge es ſie lehren, das Geſtirn der Welt, in den Mittagsſtrahlen ſeines Ruhms, ohne geblendet zu werden anzu¬ ſchauen. Die Hoffnungen und die Blicke aller edlen Menſchen ſind jetzt auf Frankreich gerichtet, und jedes Herz, das nur ein Hauch großherziger Geſinnungen belebt, wird bei dem Klange dieſes ſchönen Namens, das reinſte Mitgefühl wieder¬ klingen ... Auch wir! Auch uns! Wir wollen mächtig rufen, und der Ruf ſteige von Ort zu Ort bis er zum Donner anwachſe, bis der Taxiſche Pallaſt davon erbebe es lebe die Freiheit! es lebe Frankreich!

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Wie ich heute in der Zeitung geleſen, haben die Preußiſchen Miniſter das neue Judengeſetz verworfen. Mit welcher Schadenfreude habe ich das ſo kommen ſehen! Wie ſchlau iſt der hohe deutſche Adel! das monarchiſche Prinzip iſt in den Talmud gefahren und hat ihn geheiligt, und heilig ſind alle die an ihn glauben. Bald wird der Meſſias der Juden geboren werden, bald wird das Wunderkind von Blaye das Licht der Welt erblicken. Der Jude Deutz, eines frommen Rabbiners glorreicher Sohn, iſt jetzt Stiefvater des Herzogs von Bordeaux, Schwager des Königs von Neapel, noch verwandt mit dem Franzöſiſchen, Spaniſchen, Portugieſiſchen Hauſe; verwandt mit Oeſterreich, Preußen, Baiern, Ru߬ land, Hohenzollern-Sigmaringen und hundert andern ehrlichen und natürlichen Vettern. Und er wird ſein Volk erheben und es großmachen, und die Juden werden zwar fortan, wie früher außer dem Geſetze leben; aber nicht wie früher unter dem Geſetze, ſondern, Fürſten gleich, über dem Geſetze. Die189 ſchönen Tage Zions kehren zurück und das hohe Lied Salamonis wird ein allerhöchſtes Lied werden. Dem armen Magiſtrate zu Freiberg in Sachſen, der erſt kürzlich verordnete, es ſoll kein Jude ohne Begleitung eines Polizeidieners durch die Stadt reiſen, wird es am Halſe jucken, denn er wird ſehr fürchten den Galgen verdient zu haben. Wehe nun allen, die je einen Juden gehaßt, verfolgt und ge¬ läſtert, ſie finden keinen Stein in Europa, auf dem ſie ihr müdes Haupt niederlegen können. Zwiſchen Sibirien und der Haus-Vogtei, zwiſchen Köpenik und Spielberg, lauert auf ſie alle zehen Schritte ein Hochverrath, alle zehen Schritte ein Majeſtätsver¬ brechen. Schon hat ſich Deutz bei Gerard ſein Porträt beſtellt, vor dem jeder, der ihn einmal mit nicht gehöriger Ehrfurcht angeſehen, knieend Abbitte thun muß. Der Bundestag wird eine Bundeslade, das Taxiſche Haus eine[Stiftshütte] werden, und der rothe Adler-Orden wird erbleichen vor dem Juwelen - Glanze der Urim und Thumim. Ihr Töchter Israels, lernt die Naſe rümpfen, Knixe machen und Franzöſiſch ſprechen! denn Ihr werdet hoffähig werden. Und Ihr, meine guten Deutſchen, aller Fürſten treues Volk ruft: es lebe unſer viel¬ geliebter Deutz I., der Wiederherſteller der weiblichen Verfaſſung in ihrer urſprüng¬190 lichen Geſtalt und des freien Herzens - Wahlrechts hoch! Halleluja! Halleluja!

Nichts iſt ſchwerer im menſchlichen Leben ausgenommen einen Zitronenkern herausfiſchen, wenn er am Boden eines vollen Glaſes Limonade liegt als es mit den Deutſchen acht Tage hinter einander gut zu meinen, ſo ſehr ſie es auch verdie¬ nen und ſo unglücklich ſie auch ſind. So oft ich über ſie weine, haben meine Thränen nicht Zeit zu trocknen, und ich muß ſchon wieder lachen. So oft ich über ſie lache nun freilich das kann niemals lange dauern. Es iſt nicht meine Schuld. Auch der beſte Menſch, der doch jedes Kind, ſo oft es hinfällt mitleidig aufhebt, obzwar keine Gefahr dabei iſt, muß doch lachen, wenn er einen erwachſenen Menſchen fallen ſieht, der ſich doch ſo leicht beſchä¬ digen kann. Das deutſche Volk iſt ein ſolch erwach¬ ſener Menſch mit Kindesbeinen, und man muß la¬ chen ſo oft es auf den Kopf fällt. Es iſt gar zu ungeſchickt, zu zerſtreut, zu gelehrt. Da ſind Rotteck und Welcker, Männer die es gewiß gut meinen, und auf welche ſonſt ſo viele als auf ihre Erretter ſagen. Sie haben der guten Sache mehr geſchadet als deren ſchlimmſte Feinde. Sie haben ſich und ihre Leidensgenoſſen aus der Sklaverei befreiet, ließen aber191 ihrem Tyrannen die Pferde im Stalle zurück, waren ehrlich und flüchteten ſich zu Fuße und wurden bald von den verfolgenden Reitern wieder eingeholt und mit Schimpf zurückgeführt. Sie haben das Volk mitten auf ſeiner Siegesbahn aufgehalten, ja es oft zurückgehen heißen und jetzt ſteht es da, weiter vom Ziele als je, denn es kennt den Weg nicht mehr und hat die Richtung verlohren. Wo ſie handeln ſollten, ſprechen ſie, und wo ſie reden ſollten, die ſchlafenden Herzen aufzuwecken, ſprachen ſie ſo lange und viel, bis die wachen Herzen vor Müdigkeit wieder ein¬ ſchliefen. Da wurde Welcker wegen eines Preßver¬ gehens zu zweimonatlichem Gefängniſſe verurtheilt. Der ſchuldige Artikel ſtand vor der Sündfluth, nehm¬ lich vor den Bundestagsbeſchlüſſen, im Freiſinnigen. Ich erinnere mich nicht mehr was er ſtrafwürdiges enthalten; ich glaube man fand darin ein Majeſtäts¬ verbrechen, daß Welcker ausgerufen hat: O du un¬ glücklicher Fürſt! Welcker appellirte an das Ge¬ richt zu Mannheim, und neulich kam die Sache dort vor. Zwei Tage dauerten die Verhandlungen, täglich ſieben Stunden. Welkers Vertheidigungrede dauerte fünf Stunden. Wäre die Sitzung öffentlich geweſen, dann könnte ich wohl begreifen, wie er ſeine Vertheidigung benutzen wollte, dem Volke Dinge mitzutheilen, die ihm zu wiſſen gut ſind. Wären Geſchworne da, die man zu bewegen hat,192 könnte ich das auch begreifen. Aber in einem heimlichen Gerichte, vor Richtern, vor gelehrten und gebildeten Männern, die das alle eben ſo gut wiſſen als Welcker, aber es entweder nicht beachten wollen oder nicht beachten dürfen, fünf Stunden zu ſprechen, das zeigt große Schwäche an. Fünf Stunden! Erinnern Sie ſich noch, was ich Ihnen vorigen Winter geſchrieben: wie hier einer der Geſchwornen, auch bei einem unbedeutenden Preßprozeße, nach dem der Advokat des Angeſchuldigten ſchon anderthalb Stunden geſprochen, plötzlich aufſtand und rief: haltet ein, ſonſt rührt mich der Schlag, und wie er nach Hauſe ging und ihn wirklich der Schlag gerührt? Nun wahrlich, wäre ich einer von Welckers Richtern geweſen und der Schlag hätte mich verſchont, hätte ich fromm die Hände gefaltet, die Augen zur Erde gerichtet und gebetet: o du heiliger Rhadamantus da unten ſtärke mich, daß ich gerecht bleibe, denn es gelüſtet mich ſehr, den armen unſchuldigen Mann der da vor mir ſteht, für jede Stunde die er geſprochen, auf ein Jahr zum Ge¬ fängniß zu verurtheilen!

So heimlich wurde das Gericht gehalten, daß man Wachen außen vor die Fenſter ſtellte, aus Furcht es möchte jemand horchen. Welcker wurde freigeſprochen und Abends brachten die Bürger193 Muſik im Fackelzuge, um die Unpartheilichkeit der Gerichte zu feiern. Die Freude galt Welcker, aber ſo mußte gedruckt werden. Ließen ſich hier in Paris Menſchen einfallen, einem Richter, zu Danke für ſeine Unpartheilichkeit eine Nachtmuſik zu bringen, würde er dieſen Unverſchämten ſeinen Code Napoleon mit allen Kommentaren auf die Köpfe werfen, oder er klagte den andern Tag wegen Amtsbeleidigung. Aber bei uns iſt keine Ehre, weder im Volke noch in der Regierung.

VI. 13194

Ich denke heute wie ich geſtern dachte: es giebt keine Ehre mehr, weder im Volke noch in den Regierungen. Dieſe Münze der Tugend iſt ganz verſchwunden und dahin iſt es gekommen, daß wer noch einen Theil von ihr beſitzt, ſie verſtecken muß, daß er nicht beraubt und mishandelt werde. Das Verderben iſt alt, nur ſeine Offenbarung iſt neu; früher ſchlich es im Dunkeln, jetzt wandelt es frech am hellen Tage umher. So lange das monarchiſche Prinzip ſeine tägliche Sättigung fand, war es zahm und mild; jetzt da ihm oft die Nahrung mangelt, zeigt es ſeine angeborne wilde Natur, und geht wie ein reißendes Thier auf Beute aus. Die Fürſten ſind eine Art hölliſche Berggeiſter, die in den Schacht des menſchlichen Herzens hinabſteigen, dort das Erz vom Golde reinigen, das Gold mit Füßen treten und die Schlacke zu Tage fördern. Wo ſie einen Gang der Tugend finden, wird er verſchüttet, wo eine Ader der Leidenſchaft, wird ſie bearbeitet und195 zum Laſter ausgebrannt. Nicht blos einzelne Menſchen, ganze Provinzen, Städte, Gemeinden, werden verführt, beſtochen, beſoldet, zum ſchnödeſten Knechtdienſte angeworben. Weil der einzelne Menſch, ſo ſchwach und lüſtern er auch iſt, doch nicht immer das Herz hat, um ſeines eignen Vortheils willen ein Verbrechen auf ſich allein zu nehmen, giebt man ihm den willkommenen Vorwand, ſeine Tugend für das beſte ſeiner Gemeinde zu verkaufen; ſo beſchwich¬ tigt er ſein Gewiſſen, ſo vergißt er, daß ein Theil des Sünderlohns ihm ſelbſt zukömmt. Der König von Baiern, von Oeſterreich und den Jeſuiten belehrt und gegängelt, übt dieſe Regierungskunſt mit einer ſchauderhaften Unbedenklichkeit. Die Aqua Toffana der Machiavelliſten-Politik wird in das reine deutſche Blut getröpfelt, daß es ſchwarz werde wie die Seele des Giftmiſchers. Die Aemter, die Behörden, die Gerichtshöfe, die der Stadt in welcher ſie wohnen, Geldvortheile bringen, werden verſteigert und den¬ jenigen Gemeinden zugeſchlagen, die am meiſten Niederträchtigkeit dafür bieten. So wurde Aſchaffen¬ burg und Würzburg, Zweibrücken und Kaiſerslautern hinter einander gehetzt. Die Bürgerſchaft, die Magiſtrate ſchickten Deputationen nach München. Dieſe verſprachen alles, verleugneten alles, verriethen alles was man wollte, und bettelten13 *196um einen Panisbrief. Der König empfing ſie gnädig. Und das ſind die Fürſten, die ſich Stellvertreter Gottes nennen! Ein Glück für die Welt, daß es die Welt nicht glaubt wer glaubte ſonſt noch an Gott?

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Drei und dreißigſter Brief.

Liebe Getreue! ... Wenn Sie jetzt erwarten, ich würde Ihnen hierauf etwas Schönes ſagen, haben Sie ſich jammervoll verrechnet. Liebe Getreue bedeutet nichts anders als lieber Hund. Sie ſind mein Stand und als ſolcher den deutſchen Ständen gleich, mit welchen die Fürſten und Miniſter, ſo ſehr ſie Stände ſind, nicht mehr Umſtände machen als mit Hunden. Alſo: liebe Getreue! Lieber Hund! Du .... Du iſt die einfache Zahl von Ihr, wie Ihr die Mehrzahl iſt von Du. Die deutſchen Fürſten und Miniſter reden ihre Stände mit Ihr an. Wäre nur ein Deputirter in der Kammer, der198 im Namen des Volks da ſäße, würden ſie, weil er das Volk vorſtellt, Du zu ihm ſagen. Du iſt der Kraftausdruck der Väterlichkeit und Schulmeiſterlich¬ keit, das Band, welches Vater mit Kind, Schul¬ meiſter mit Schulbuben vereinigt .... Alſo: Liebe Getreue! Lieber Hund! Du haſt in Deinem heutigen Briefe uns einen Antrag Deines Mannes mitgetheilt, des Inhalts: wir ſollten erſt im Mai zuſammenkommen, ſtatt wie es früher verabredet war, ſchon im März. Und hoffe er, daß, ob dies zwar unſern neueſten Bundesbeſchlüſſen entgegen ſei, wir doch geneigt ſein könnten, von unſerer legislativen Machtvollkommenheit ein klein wenig nachzulaſſen. Dar¬ auf thun wir Dir zu wiſſen: Dieſer Antrag iſt eine Vermeſſenheit, welche Staunen erregen muß. Das monarchiſche Prinzip iſt unſer Glaubens¬ artikel, wir werden uns niemals ändern, ſondern fort und fort mit unſern getreuen Hunden verfahren wie uns beliebt. Wir erwarten demnach, daß Du, ſollte ſie wiederkehren, dieſe Motion mit ver¬ dientem Unwillen aufnehmen werdeſt. Uebri¬ gens liebe Getreue, lieber Hund, bleiben wir Dir in Gnaden gewogen.

Fragt mich Einer: aber was ſollten ſie thun? Sie ſind Beamte, von der Regierung ab¬ hängig; ſollten ſie, die Ehre des deutſchen Volks199 zu retten, mit ihren Weibern und Kindern Hunger ſterben? Ich ſage nein, das fordere ich nicht, ich erwarte das nicht immer. Aber wie vergißt man ſich nie, wie iſt man auf ſeinen Vortheil, bei Tage und bei Nacht immer ſo wachſam, daß Einem nie¬ mals die Tugend überraſcht, und man mit Aufopferung eine ſchmachvolle Beleidigung abwehrt? Erſt vor einigen Tagen wurden hier zwei Staats-Beamte, weil ſie den Tag vorher als Deputirte gegen die Miniſter geſtimmt, ihrer Stellen entſetzt. Gleich in der folgenden Sitzung erhoben ſich darauf eine Menge miniſterieller Deputirten, die auch Beamte waren, und eiferten auf das heftigſte gegen jene Abſetzungen, gegen jenen ſchändlichen Seelenverkauf, den die Re¬ gierung von den Staatsbeamten fordert. Vielleicht bereuten alle dieſe Männer ihre edle Aufwallung ſchon eine Stunde ſpäter; vielleicht als ſie nach Hauſe kamen, mit ihrer Familie um den vollen Tiſch ſaßen, riefen ſie ſchmerzlich aus: morgen müſſen wir hungern! und verwünſchten dann ihre Uebereilung. Vielleicht war es kein ruhiges Pflichtgefühl, das ſie ſo handeln ließ, ſondern nur eine Phantaſie des Tugendrauſches. Doch genug, ſie vergaßen ſich. Wehe aber denen die nie vergeſſen, daß ſie ſchwache Menſchen ſind Gott wird ſie vergeſſen!

Und die beſſern unter den deutſchen Volksver¬ tretern, die Unglückſeligen! ſie verſtehen den200 böſen Zauber mancher Worte nicht; ſie vergeſſen, daß es ein Spott iſt, mit ihrer Freiheit, ſo lange ſie dulden, daß ſie ihre Fürſten mit liebe Getreue und mit Ihr anreden! Wie aufmerkſam iſt man hier auf ſolche Wort-Despotie! Die mauvais ſujets unter den franzöſiſchen Miniſtern, ſteifen ſich, ihre Berichte an den König mit fidel sujet zu unter¬ zeichnen. Niemals laſſen die Oppoſitionsblätter dieſes ungerügt hingehen. Und bekümmert ſich auch ein Miniſter nicht um den Tadel, und kehrt zu ſeiner Kriecherei zurück, ſo wird doch durch die beharrliche Oppoſition, der tägliche Straßenkoth knechtiſcher Geſinnung weggekehrt, und er kann ſich nicht Berges hoch anhäufen wie in Deutſchland.

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Vier und dreißigſter Brief.

Die gerichtliche Unterſuchung wegen des Tumults, der im Oktober 1831 in Frankfurt am Allerheiligen¬ thore ſtattgefunden, iſt im Februar dieſes Jahres beendigt worden. Alſo ſchmachten die der ver¬ brecheriſchen Theilnahme angeſchuldigten Bürger ſchon ſechszehen Monate lang im Kerker und wiſſen ihr Schickſal noch nicht. Jetzt hat man erſt die Akten zum Richterſpruche auf die Univerſität geſchickt und es iſt bekannt, welche lange Zeit der Verſtand deutſcher Gelehrten braucht, bis er zur Reife kömmt. Iſt es nicht unerhört, iſt es nicht ſchauderhaft, zwiſchen der Schuld und der Buße, oder zwiſchen der Un¬202 ſchuld und der Freiſprechung, eine Ewigkeit der Qual zu ſetzen, die entweder die verdiente Strafe grauſam erhöht oder die Freiſprechung ganz trügeriſch macht? Das iſt aber der Fluch unſeres Vaterlandes, daß ſelbſt die ſchlechteſten Regierungen keinen Platz mehr zur Willkühr finden, weil ſchon die böſe Laune der Geſetze allen Raum einnimmt. Selbſt der boshafteſte Richter, wenn er einen Angeſchuldigten, der in ſeine Hände gefallen, aus Rache peinigen wollte, vermöchte dies nicht, ſobald die Anſchuldigung ein Staatsverbrechen betrifft. Da hören alle Schranken zum Schutze des Unſchuldigen, zum Troſte des Schuldigen auf; der Richter hat keine zu übertreten. Jeder eines Staatsverbrechens An¬ geklagter, iſt vogelfrei in ſeinem Kerker. Glücklich wenn er einem gewiſſenloſen Richter in die Hände fällt: Dann hat er doch Hoffnung ihn mit Gold zu beſtechen. Iſt aber der Richter ein ehrlicher Mann, ein ſogenannter treuer Staatsdiener, iſt der Unglück¬ liche verloren. Ein ſolcher treuer Staatsdiener ſieht die Bäume vor dem Walde nicht; der Menſch iſt ihm nichts, der Staat iſt ihm alles, und was noch unheilbringender: er ſieht den ganzen Staat in der Regierung, und ſieht die ganze Regierung in dem Fürſten. Auf dieſe Weiſe ſind dreißig Millionen Deutſche nichts, und ihre dreißig Fürſten ſind alles. Fragen Sie einen ſolchen wahnſinnigen deutſchen203 Staatsgelehrten: was bezweckt denn der Staat? Er antwortet Ihnen: die Sicherheit des Eigenthums, der Freiheit und des Lebens der Bürger. Lachen Sie wenn Sie nicht weinen müſſen. Das Eigen¬ thum wird ſo ſehr geſichert, daß die Abgaben um die Koſten des Staatsſchutzes zu decken, den größten Theil der Nation zu Bettlern machen. Die Freiheit wird ſo ſehr geſichert, daß die Bürger darüber zu Sklaven werden. Das Leben wird ſo ſehr geſichert, daß man es hinter den Riegeln eines Kerkers bewahrt und man ſein Bischen Leben, was ſie Einem in der Freiheit laſſen, zehen Male im Tage verwünſcht. Was bleibt nun übrig, das verdiente geſichert zu werden? Jede Monarchie ohne Theilnahme des Volkes an der Regierung in der Geſetzgebung durch Deputirte, in den Gerichten durch Geſchworne, in der bewaffneten Macht durch Nationalgarden iſt nichts als eine organiſirte Räuberei; ich ziehe die im Walde vor, wo man mit Muth ſich oft retten kann, wo einem wenigſtens die Wahl bleibt, ſich in die Räuberbande aufnehmen zu laſſen. Sicherheit! Denken Sie ſich einen Geizigen, der immer beſorgt wäre, man möchte ihm ſeine Schätze ſtehlen. Er baut ſich ein großes mächtiges Haus, ſie darin zu verwahren, und bringt tauſend künſtliche Befeſtigungen darin an. Die Baukoſten verſchlingen ſein ganzes Vermögen, jetzt hat er ein Schatzgebäude,204 aber keinen Schatz mehr. So haben wir einen Staat aber keine Menſchen darin.

Die deutſchen Strafgeſetze gegen Staatsver¬ brechen, und beſonders die Art und Weiſe auf welche mit einem Angeklagten die gerichtliche Unterſuchung geführt, und die Geſetze auf einzelne Fälle angewen¬ det werden das alles iſt fürchterlich! Sie ſind ein Frauenzimmer und brauchten dieſe Schändlichkei¬ ten nur zu fühlen, nicht zu verſtehen; aber die Sache iſt ſo klar, daß ſie ſelbſt ein Kind begreift und ſich davor entſetzt. In einem monarchiſchen Staate wer¬ den Staat und Fürſt für Eines angeſehen, und ſo wird jedes Staatsverbrechen zur Beleidigung des Fürſten, und jede Beleidigung des Fürſten zum Staats¬ verbrechen. Und dieſer Fürſt der beleidigt worden, beſtimmt ſelbſt die Strafe der Beleidigung, beſtraft ſelbſt den Beleidiger; denn die Richter, die Geſetz¬ geber ſind des Fürſten Beamte, werden von ihm ein¬ geſetzt und abgeſetzt, und ihr Schickſal und das ihrer Familie hängt von ihrer Folgſamkeit gegen die Wünſche und Launen des Fürſten ab. So nimmt jede fürſtliche Rache den Schein des Rechts und, was noch gefährlicher iſt, ſelbſt die verdienteſte Strafe nimmt den Schein der Rache an. Bei aller Rechtspflege kömmt es nicht blos darauf an, daß Recht geſprochen werde, ſondern auch daß jeder Bürger im Staate205 die Zuverſicht habe, daß Recht geſprochen werde. Was hilft alle Sicherheit, wenn man nicht das Ge¬ fühl dieſer Sicherheit hat? Der Traum einer Ge¬ fahr kann Einen im warmen, weichen Bette ſo ſehr ängſtigen, als dieſe Gefahr ſelbſt. Aber dieſes Ge¬ fühl der Sicherheit, dieſe Zuverſicht auf ſtrenge Rechtlichkeit kann ein deutſcher Bürger nicht haben, in allen Fällen wo es ein Staatsverbrechen betrifft. Tiefe Nacht umgiebt den Kerker, die Unterſuchung wird geheim geführt, der Richterſpruch wird geheim gefällt, die Vertheidigung bleibt verborgen, der erſte Strahl des Tages fällt auf das Blutgerüſt, ein blei¬ ches, gramgefurchtes Haupt fällt ob ſchuldlos oder ſchuldig, das wird Gott einſt richten. Wie wird ein armer deutſcher Staatsgefangener im Kerker behan¬ delt? Mit Menſchlichkeit? Oder wird er gefoltert? Wer kann es wiſſen? Kömmt er endlich frei, haben oft lange Leiden die Kraft ſeiner Seele gebrochen, oder er hat wohl in ſeinem heißen Gebete um Ret¬ tung, den Himmel gelobt, wenn er ihn befreie, wolle er allen ſeinen Feinden vergeben, jede Kränkung ver¬ geſſen er ſchweigt und klagt nicht. Vielleicht hat man ihm auch einen Schwur der Verſchwiegen¬ heit als Preis ſeiner Befreiung aufgelegt

In freien Staaten, wie in Frankreich und Eng¬ land, werden die gerichtliche Unterſuchung und die206 Vertheidigung öffentlich geführt, und das Urtheil wird öffentlich gefällt. Nicht die Beamten des Königs richten einen Angeſchuldigten, ſondern das Volk ſelbſt richtet ihn, durch ſeine Geſchwornen. Der Einge¬ kerkerte iſt keiner Willkühr Preis gegeben, denn die freie Preſſe bringt jede ſeiner Klage zur öffentlichen Kunde. Minder gefahrlos iſt es unter reißenden Thieren wohnen, als in einem Lande ohne Oeffent¬ lichkeit der Gerichte, ohne Geſchworne und ohne Preßfreiheit. Ein Tiger verurtheilt ſein Schlacht¬ opfer zum augenblicklichen Tode, niemals zu lebens¬ länglicher Pein. Sie werden die Leidensgeſchichte zweier unglücklichen Jünglinge in den Oeſtreichiſchen Staats¬ gefängniſſen leſen, und dann werden Sie begreifen, wie die Zunge eines Tigers zur Liebkoſung werden kann.

Die Tugend und Gerechtigkeit eines deutſchen Fürſten, wo ſie noch gefunden wird, hilft hier gar nicht. Iſt nicht der Kaiſer von Oeſterreich ein tugendhafter und ein gerechter Fürſt? Wem hat das noch gefrommt? Die Bosheit, Leidenſchaft und Grauſamkeit liegen ſchon in den Geſetzen; aber dieſe ſtammen nicht von der Bosheit, Leidenſchaft und Grauſamkeit der Geſetzgeber, ſondern von ihrer Ver¬ rücktheit. Sie vergeſſen, daß eine Regierung der Menſchen willen da iſt, und glauben der Menſch207 wäre geboren um regiert zu werden. Darin iſt der Wahnſinn. Sie können täglich in der Zeitung leſen was in Baiern geſchieht. Baiern in der Schule Oeſterreichiſcher, Preußen in der Schule Ruſſiſcher Tyrannei unterrichtet, jagen uns von Süd und Nord ihre unglücksſchwangern Wolken zu, und bald wird das Verderben auf das Herz des Vaterlandes nieder¬ fahren und der Haſelſtock wird die Knute küſſen und jeden treffen der ſich ſeiner Zärtlichkeit in den Weg ſtellt. Ein Baieriſcher Handelsmann, der außer Lan¬ des iſt, wird vorgeladen, ſich gegen die Anſchul¬ digung der Hülfsleiſtung zum entfernten Verſuche des Hochverraths zu verantworten! Wäre das nicht ſo ſchrecklich, ſollte man nicht glau¬ ben, eine Scene aus den femmes savantes oder den Précieuses ridicules zu leſen? Ein Anderer, ein Zeitungsredakteur, der ſich geflüchtet, wurde wegen eines Preßvergehens, außer der knienden Abbitte vor dem Bilde des Königs und einer dreijährigen Zwangs¬ arbeitshaus-Strafe, noch verurtheilt: während ſeiner dreijährigen Strafzeit jedes Jahr den Tag vom drit¬ ten Juli in einem einſamen Gefängniſſe zuzubringen, und während vierzehen Tage im Monat Juli, ab¬ wechſelnd 3 Tage bei Waſſer und Brod zu faſten. Als ich das deutſch las, hatte ich es ganz mißver¬ ſtanden und ſo gedeutet: Der Gefangene bekomme drei Tage blos Waſſer ohne Brod und drei Tage208 blos Brod ohne Waſſer. Ich wunderte mich gar nicht darüber, denn ich dachte, es ſei eine ſinnreiche deutſche Rache gegen die franzöſiſche Juli-Revolution. Aber aus dem Conſtitutionnel, der das Urtheil in ſeiner ganzer Ausdehnung mit den Unterſchriften der Richter enthielt, erfuhr ich erſt ſeinen wahren Sinn. Es heißt dort: verurtheilt ... à observer un jeûne de quinze jours chaque mois de Juillet de chaque année de son enprisonnement, de manière qu'il ne doit recevoir pendant trois jours que du pain et de l'eau, pendant les trois jours suivant la nourriture dûe aux pri¬ sonniers, et ainsi da suite et alternativement pendant la quinzaine. Was wird es dem Herrn Oeſtreicher (ſo heißt der verurtheilte Zeitungs - Redakteur) in der Freiheit gut ſchmecken! Er komme jedesmal im Juli zu uns, und wir wollen ihn vier¬ zehen Tage lang abwechſelnd drei Tage mit Cham¬ pagner und Auſtern, und drei Tage mit Burgunder und Trüffelpaſteten bewirthen und dabei auf die Ge¬ ſundheit des Herrn Staatsrathes Feuerbach trinken nämlich auf die Geſundheit ſeines Kopfes. Ich habe Ihnen ſchon früher geſagt, daß dieſe ſchönen Baieriſchen Kriminalgeſetze keineswegs aus einer alten barbariſchen Zeit herſtammen, ſondern daß ſie im neunzehnten Jahrhundert, zwanzig Jahr nach der franzöſiſchen Erklärung der Menſchenrechte ver¬209 faßt worden ſind, und daß ſie größtentheils der Staatsrath Feuerbach ſo herrlich erſonnen. Glauben Sie aber ja nicht, daß dieſer unſer berühmte Lands¬ mann darum ein boshafter oder einfältiger Menſch ſein müſſe. Ich kenne ihn zwar nicht, doch mag er der beſte Menſch, der zärtlichſte Gatte, der liebe¬ vollſte Vater, der großmüthigſte Freund ſein. Das hilft aber hier alles nichts. Sobald einem deutſchen Rechtsgelehrten Staatsverbrechen auf den Kopf fallen, wird er wie vom Schlage gerührt, alle ſeine Geiſtes¬ kräfte werden gelähmt, und er ſinkt ganz zu dem irren Zuſtande eines kindiſch und unmündig gewor¬ denen Geiſtes herab. Er iſt dann kein Menſch mehr, er iſt nur noch ein Thier das ißt und trinkt und ein Staatsdiener.

Das Wenigſte von den bisher geſagten findet zwar auf Frankfurt eine Anwendung. Da dort keine monarchiſche, ſondern eine republikaniſche Verfaſſung herrſcht, konnte die Regierung nie zu dem Wahne kommen, daß ſie den Staat ausmache. Aber doch ſind unſere Geſetzgeber, Richter und Regenten noch in den Irrthümern einer alten Zeit gebildet. Sie haben immer noch von der Heiligkeit des Staats und der beſtehenden Einrichtungen eine abergläubiſche Vorſtellung. Wenn das nicht wäre, hätte nie ge¬ ſchehen können, daß man angeſchuldigte BürgerVI. 14210ſechszehen Monate lang proviſoriſch im Gefängniſſe ſchmachten ließ. Wäre nicht die unſelige Verehrung alles Beſtehenden, hätte man längſt bei Criminal - Verbrechen das mündliche Verfahren eingeführt und der Schneckengang ſchriftlicher Vertheidigung hätte nicht länger die Qual eines Eingekerkerten zur Un¬ erträglichkeit ausgedehnt. In Frankfurt iſt nur ein einziger Criminalrichter, und dieſer konnte bei den vielen andern Geſchäften, die ihm oblagen, auch mit dem beſten Willen und dem angeſtrengteſten Fleiße, jene Unterſuchung nicht ſchneller fördern. Hätte man aber nur die geringſte Vorſtellung, daß nicht blos der Staat an den Bürger, ſondern daß auch der Menſch an den Staat Anſprüche zu machen habe: Dann hätte man ſich keinen Tag beſonnen und hätte die Zahl der Unterſuchungsrichter vermehrt und die Bedenklichkeit eine alte Gerichtsordnung umzuändern, und die Staatsausgaben um einige tauſend Gulden zu vermehren, wäre hier, wo es auf die Freiheit mehrerer Bürger und die Ruhe ihrer Familien ankam, gar nicht in Betracht gekommen. Wie ich aber er¬ fahren, hat man ſich erſt kürzlich beſonnen, und dem Criminalrichter, erſt auf ſein eignes Verlangen, einen Gehülfen gegeben.

Die gerichtliche Unterſuchung jenes Frankfurter Tumults, an dem nur wenige hundert Menſchen211 Theil genommen, und wobei nur ein einziger das Leben verloren, hat ſich durch ſechszehen Monate hingeſchleppt, und die Pariſer Inſurrektion im Juni, die den Umſturz der Monarchie bezweckte, woran viele tauſend Menſchen Theil genommen, wobei mehrere hundert das Leben verloren, war ſchon nach vier Monaten gerichtet! Und gewiß könnte ſich weder der Staat beſchweren, daß dem Geſetze nicht völlige Genugthuung widerfahren, noch einer der Angeſchuldigten, daß er mit Unrecht verurtheilt worden ſei. Viele wurden zum Tode verurtheilt und verdanken die Erhaltung ihres Lebens nur der königlichen Begnadigung. Viele Schuldige, die dem unerbittlichen Buchſtaben des Geſetzes verfallen waren, wurden von der Barmherzigkeit der Geſchwornen, die den Geiſt der Verhältniſſe berückſichtigen, frei geſprochen. So fanden Strenge und Milde den ihnen gebührenden Platz, und vier Monate waren genug, alle dieſe Verwirrungen zu ſchlichten.

Siebenpfeifer und Wirth, des Hochverraths durch Preßvergehen beſchuldigt, ſchmachten ſchon zehen Monate im Gefängniſſe, und ihr Urtheil iſt noch nicht geſprochen, und die Unterſuchung wegen des Piſtolenſchuſſes auf den König von Frankreich war ſchon nach zwei Monaten und einigen Tagen14 *212geendigt. Wenn dieſe Sache ſich bis jetzt verzögert hat, ſo daß erſt in dieſer Woche die Angeklagten vor den Aſſiſen erſcheinen, ſo lag das an den An¬ geklagten ſelbſt, die um Aufſchub baten. Und die Beſchuldigung eines Königsmordes iſt doch ganz etwas Anderes, als die Anklage wegen Hülfsleiſtung zu dem entfernten Verſuche eines Hoch¬ verraths durch die Preſſe! Ich mußte lachen, als ich vor einigen Wochen in einem Oppo¬ ſitionsblatte las: Enfin, après deux mois et plus d'instruction, a paru l'acte d'accusation dressé à l'occasion du coup de pistolet tiré sur le roi le 19 Novembre dernier. Endlich nach zwei Monaten und länger welche eine närriſche Ungeduld! Wenn in Deutſchland Einer um jeden Preis ein hohes Alter erreichen wollte, könnte er nichts zweckmäßigeres thun, als eine blind¬ geladene Piſtole auf einen Fürſten abzudrücken. In ſeinem Leben würde er nicht gerichtet werden. Nicht etwa als zweifle man einen Augenblick an ſeiner Schuld und ſeinem böſen Vorſatz! dieſer Zweifel könnte dem Thäter keinen Tag ſeinen Kopf ſichern. Aber man würde ſo lang und ſo weit den Fäden der Verſchwörung nachgehen, man würde ſo tief nach der letzten Wurzelfaſer des Geiſtes der Zeit graben, daß, ehe man von dem213 Ende der Welt und den Antipoden, wohin man zur Entdeckung der Mitſchuldigen gereiſt, zurückkäme, ein ganzes Menſchengeſchlecht ausſterben müſſe. Millionen Deutſche würde man konfrontiren, das ganze Volk würde man zu Protokoll nehmen. Hat man doch den unglücklichen Sand, der ſein Ver¬ brechen faſt öffentlich beging, der mit blutigem Dolche auf die Straße ſtürzte, und die That augenblicklich eingeſtand, trotz ſeiner ſchmerzlichen Wunde, ein ganzes Jahr lang im Gefängniſſe ſchmachten laſſen! Man wollte damals alle Patrioten hinein verflechten, und die edelſten des Volkes zu Meuchelmördern brandmarken.

Woher kömmt nun dieſer Unterſchied zwiſchen Frankreich und Deutſchland? In Frankreich herrſcht die öffentliche Meinung, die man wohl irre zu führen ſucht, der man aber nicht zu trotzen wagt. Sie iſt mächtiger als die Regierung und weit mächtiger als der König. In Frankreich iſt das Volk der Staat. In Deutſchland hat die öffentliche Meinung ſich noch nich geltend zu machen verſtanden, darum iſt das Volk nichts; der Fürſt iſt der Staat, der Fürſt iſt alles. Wenn unſere Fürſten noch nicht, wie einſt Ludwig XIV. mit der Reitpeitſche in der Hand, ihre Stände auseinander gejagt, ſo geſchah214 es nur darum nicht, weil ſie noch niemals bei ihren Ständen ſolchen Widerſpruch gefunden, als ihn Ludwig XIV. in ſeinen erſten Regierungsjahren bei ſeinem Parlamente fand. Aber das wird noch kommen.

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Zwar Sie werden nicht begreifen, wie hier das zwar herkömmt, ich ſelbſt verſtehe es nicht, aber es wird ſich ſchon ein Zuſammenhang finden und wo nicht, iſt es auch kein Unglück. Zwar

1. Hat der Commerzienrath Hofmann in Darm¬ ſtadt, der einſt den Griechen zu ſeinem Schaden ſechszigtauſend Flinten geliefert und ſpäter auch zu ſeinem Schaden den Preußen ſich ſelbſt, neulich in der Kammer darauf angetragen: man möchte das häufige Tanzen auf dem Lande unterſagen, denn wenn die armen Bauern noch von dem Tanzen erhitzt, am Morgen nach der Kirchweihe nach Amerika aus¬ wanderten, ſo möchte das ihrer koſtbaren ſteuer¬ pflichtigen Geſundheit ſchaden worauf ein Bauer, Mitglied der heſſiſchen Kammer und obzwar ſehr vernünftig über dieſe Sache geſprochen, nämlich dagegen, worüber ſich die andern Mitglieder ſehr gewundert, da doch der Mann nicht ſtudirt habe. Zwar216 2. Weigert ſich der Zeitungsredakteur Wiede¬ mann, vor dem Bilde des Königs von Baiern kniend Abbitte zu thun, wozu er verurtheilt worden; denn er meint, es ſei ihm ganz gleichgültig, daß man ſeine fünf Jahre Zuchthausſtrafe, wozu er auch ver¬ urtheilt worden, erſt von dem Tage an zählen werde, wo er gekniet, da er von den fünf Jahren, während welcher er ſeiner Freiheit beraubt bleiben ſoll, nur die zwei erſten bedauere, die übrigen rechne er nicht. Zwar

3. Frägt der jämmerliche Hofrath Krug, was man denn ſo viel Weſens aus den Bundestags-Be¬ ſchlüſſen mache, da ſie doch vor der Hand nur auf ſechs Jahre im Leben eines Volkes weniger als ſechs Tage im Leben eines Menſchen beſtehen und dann über deren Fortdauer von neuem berathſchlagt werden ſoll? Zwar

4. Ließ die Wiener Cenſur ein Gedicht Grill¬ parzers auf die Geneſung des Kronprinzen von Oeſterreich, darum nicht paſſiren, weil der Dichter zu viel von der Herzensgüte des Prinzen geſprochen, zu wenig aber von ſeinem Verſtande, und dieſe Nachricht durfte nicht allein in allen zenſirten Blättern gedruckt werden, ſondern ſie ſtand in den217 abſolutiſtiſchen Blättern zuerſt wie man über¬ haupt ſeit achtzehen Jahren, ſowohl in Wien ſelbſt, als in ganz Deutſchland, von nichts ungenirter und weniger ſpricht als von dem Verſtande des Kron¬ prinzen von Oeſtreich worüber ſehr nachzudenken iſt. Ich habe ſehr darüber nachgedacht und halte den Kronprinz von Oeſtreich für einen zweiten Joſeph den Zweiten. Zwar

5. Werden in Deutſchland die Fürſten als Oberſtallmeiſter, ihre Beamten als Reitknechte, ihre Staaten als Ställe, und ihre Unterthanen als Pferde betrachtet weswegen auch, ſo oft ein Kronprinz den Thron beſteigt, man zu ſagen pflegt: er habe die Zügel der Regierung ergriffen. Zwar.

6. Eifert das Berliner politiſche Wochenblatt dagegen, daß die Penſion der Baſtillhelden ſo ſtark ſei wie die der Ritter der Ehrenlegion, obzwar die Baſtillhelden eine wahre Schandlegion wäre. Zwar

7. Hat der König Otto von Griechenland auf dem Schiffe mit engliſchen Offizieren eine Quadrille getanzt und ſowohl in Neapel als in Corfu: nicht geringe Senſation bei dem ſchönen Ge¬ ſchlechte erregt und hat der König von218 Baiern auf unterthänigſte Bitte der Grenzpatrioten erlaubt, daß an der Stelle, wo König Otto die baieriſch-tyroliſche Grenze überſchritten, und wohin er den folgenden Tag zurückgekehrt war, um Abſchied von ſeinem lieben Vaterlande zu nehmen, welches er den vorigen Tag zu thun vergeſſen, weil er vor Rührung eingeſchlafen war hat erlaubt, daß zum ewigen Andenken dieſer Rührung, dieſes Schlafes und dieſes Abſchieds, an der dreimal geſegneten Stelle durch freiwillige Beiträge dem jungen Wittels¬ bacher eine Kapelle erbaut werde jetzt ſchon die zweite ſo daß ſehr zu vermuthen iſt, das neue Baierthum werde bald das alte Chriſtenthum ver¬ drängen. Zwar

8. Pflegen die deutſchen Volksdeputirten, wenn ſie von dem Kammer-Präſidenten ſprechen, nicht zu ſagen: der Präſident, ſondern das Präſidium weil ſie denken, Präſident wäre ein leichtes Ding, das der Wind fortwehen könne, Präſidium aber etwas gründlich-ſchweres, das feſt hafte welches ſehr deutſche Art iſt. Zwar

9. Wurde der Buchhändler Franckh in Stutt¬ gard, im Theater, alſo nach Sonnenunter¬ gang, citirt, gleich vor dem Criminalgerichte zu erſcheinen, und als er ſich deſſen weigerte, beim219 Austritte aus dem Theater arretirt die Nacht trägt die Livree der Könige. Zwar

10. Betragen die Staatsausgaben des Kur¬ fürſtenthums Heſſen 2,700,000 Thaler, und der Kurfürſt mit ſeiner Familie koſtet dem Lande nur 467,420 Thaler, alſo nicht mehr als den fünften bis ſechsten Theil aller Staatsausgaben welches ganz erſtaunlich iſt. Zwar

11. Wurde ein Berliner Polizei-Rath, den man nach Poſen geſchickt, dort nach Verſchwörungen zu jagen, im Walde vor Poſen von maskirten Reitern aus der Diligence geriſſen, gezwungen, ſeine Papiere herauszugeben und dann fürchterlich durchgeprügelt welche ſchöne Geſchichte man aus dem Polniſchen in das Deutſche überſetzen wollte. Zwar

12. Hat Herr von Gagern in der Darmſtädter Kammer bewieſen, die unruhige Stimmung in Rhein¬ baiern käme von drei Urſachen her. Erſtens, weil keine Reſidenzen im Lande wären. Zweitens, weil kein hoher Adel im Lande wäre. Drittens, weil keine Oper im Lande wäre; denn würde in Zweibrücken die Stumme von Portici aufgeführt, werde keiner aus Langerweile, Kunſtliebe und Chanſo¬220 manie den Maſaniello machen und die Kammer hat nicht gelacht ſo traurig iſt ſie! Aber .... da ſitze ich nun mit meinem Aber und weiß nicht was ich damit machen ſoll. Sie ſehen was dabei herauskömmt, wenn man leichtſinnig in den Tag hineinſchreibt und nicht das Ende bedenkt. Laſſen Sie ſich das zur Warnung dienen. Aber ....

Ich will es Ihnen offen geſtehen, es war mir nur darum zu thun, ſo ſchnell als möglich Kehraus zu machen. Mein Taſchenbuch iſt voll und ich habe mir heute ein neues gekauft in dieſem Winter das dritte.

Und nachdem ich das letzte Wort heraus¬ geſchrieben, warf ich das Buch und den verfluchten Bleiſtift mit er ſollte mir zu keinem ſchuldloſen Worte dienen in den Kamin, und ſtieß es mit der Zange in die Gluth. Garſtig roch der Saffian und das Pergament und da lachte ich. Es ſei ein Fett-Opfer den unterirdiſchen Göttern gebracht! .. Als mir aber durch die Seele ging, was ich ſeit zwei Monaten hineingeſchrieben; die unerhörte Schmach, den unerträglichen Schmerz des Vater¬ landes, und dachte: und das Alle dem treueſten, dem edelſten, dem geiſtreichſten unter den Völkern der Erde dem Volke, das unter allen Kindern221 Gottes, dem Vater am ähnlichſten geworden; all¬ liebend wie er, allgegenwärtig wie er, allwiſſend wie er; und darum, weil es ihm ſo gleicht, wie Gott ſelbſt von den Teufeln der Welt am meiſten ge¬ ſchändet da mußte ich weinen. Dann dachte ich wieder: ſie frohlocken über unſern Jammer, ſie hören ihn für den Schrei der Verzweiflung, für das Röcheln ſterbender Hoffnung und es ergrimmte in mir und als könnte ich Geiſter beſchwören, rief ich: Trelawney!

[222]

Fünf und Dreißigſter Brief.

Schon zweitauſend Süd-Deutſche ſind dieſen Winter nach Amerika ausgezogen, und das waren nicht verarmte heimathloſe Leute, nein wohlhabende, tüchtige und rüſtige Männer. Dieſer Stimme darf man glauben, ſie iſt keine liberalen Unwillens, denn ſie kömmt aus dem Hanöveriſchen, wo die Freiheit taubſtumm iſt. Und zur Bekräftigung ihrer Hanöverlichkeit kann es dienen, daß jene Auswanderungen eine Modekrankheit genannt werden. Eine Modekrankheit! Noch ein Glück, daß unſere Fürſten ſich nicht, wie einſt die Prieſter, gelüſten laſſen, auch die Aerzte ihrer Unter¬223 thanen zu ſein; ſonſt dürfte man ohne ihre aller¬ gnädigſte Erlaubniß nicht krank werden und ſterben, und ſie hätten vielleicht, wie jetzt die Auswanderungen, auch die Cholera eine Modekrankheit genannt. Aber es iſt darüber zu verzweifeln! Und doch kenne ich Kinder von freiſinnigen Männern, die über dieſe Auswanderungen frohlockten, weil ſie meinen, die Fürſten müſſen ſich darum ſchämen. Die ſich ſchämen! Eher würde die Nacht roth als ein König. Unſere Fürſten, die ſich jetzt Alles erlauben, weil die Furcht vor ihrem Adel ſie gegen das Volk beherzt macht würden ſie denn die Auswanderung der deutſchen Patrioten dulden, wenn ſie ihrer Tyrannei keinen Vortheil brächte? Wer wandert aus? Der, dem die Knechtſchaft am unerträglichſten iſt, der die Freiheit am herzlichſten liebt und darum am tüchtigſten wäre für ſie zu kämpfen. Dieſe Thorheit kann uns um zehen Jahre zurückwerfen. Wenn man alle die Auswanderungen überdenkt, die ſeit Jahrhunderten, wegen religiöſen oder politiſchen Druckes, in vielen Staaten unternommen wurden, ſo findet man, daß ſie immer zu ſpät geſchehen und alſo ohne Noth. Man wartete bis das Uebel den höchſten Grad erreicht, das heißt, bis es der Heilung nahe kam. So geſchah es immer, daß bald darauf der böſe Geiſt der Regierungen ſich beſſerte, entweder durch freiwillige oder durch gezwungene Bekehrung. Iſt224 es nicht eine bejammerswerthe Thorheit, daß Deutſche mit Mühen und Gefahren Amerika hinter dem Meere ſuchen, ſtatt, bequemer und ſicherer ſich Amerika in das Haus zu ſchaffen? Mit der Hälfte des Geldes, das ihnen ihre Ueberſiedlung koſtet, mit der Hälfte der Beſchwerden und Gefahren, die ſie daran ſetzen, könnten ſie in ihrem eignen Vaterlande die Freiheit erwerben. Warum ſich nicht noch wenige Jahre gedulden wenige Jahre, welche die Begeiſterung des Kampfes und die Freude mannigfaltiger Siege zu einer Stunde verkürzen werden? Denn wahrlich, nicht Jahre, nur Frühlinge werden wir zu zählen haben, bis das Jahr der Freiheit kömmt. Amerika überlaſſe man den Fürſten, ihnen bleibe es eine Frei¬ ſtätte, und dort werden ſie einſt die Freiheit lieben lernen, wenn ſie erfahren, daß ſie ſelbſt Tyrannen noch in ihrem verdienten Unglücke ſchützt.

[225]

Sechs und dreißigſter Brief.

Swift wollte eine Geſchichte von England ſchreiben, gab aber ſein Vorhaben wieder auf. Als ihn ein Freund um die Urſache ſeiner Sinnesänderung fragte, antwortete er ihm: alle meine Könige und Helden ſind ſolche Schufte, daß ich nichts mehr mit ihnen zu thun haben will. Obiges ſchrieb ich geſtern, als mich ein Beſuch unterbrach, und heute habe ich vergeſſen, was ich damit in Ver¬ bindung ſetzen wollte .... Was ich in Ver¬ bindung damit ſetzen wollte? Ach, wie dumm! Ich hörte einmal meinen Freund ſeine Frau bitten: ſie möchte ſeinen abgefallenen Rock wieder an den Knopf nähen.

VI. 15226

Die kurzen Tage der langen Briefe ſind jetzt vorüber. Ich danke Euch, Ihr Götter! Wie ich es ſatt bin! Uebermorgen iſt der 20. März, an welchem, Morgens 8 Uhr 16 Minuten der Frühling beginnt. Von da an will ich lieben, ſelbſt den Teufel, und lieben bis der Senne heimkehrt und die Blätter fallen. Nach der Traubenleſe beginne ich meinen Kampf von neuen. Ach! Ich trinke ja keinen Wein mehr und wenn es nicht die Freiheit wäre, was ſollte mein altes Herz erwärmen in den kalten Wintertagen? Die Freiheit liebte ich immer; aber als ich noch jung war und den Becher liebte, da träumte ich von ihr, und da vermißte ich ſie ſelten, denn ich trank oft. Jetzt wache ich und bin nüchtern wie ein Bach, und wenn ich dampfe, iſt es nur weil die Luft noch kälter iſt als ich.

Den Tag meiner Abreiſe kann ich noch nicht beſtimmen, das hängt von meinem Holze ab. Ja wahrhaftig von meinem Brennholze; das iſt mein Kerbholz, mein Kalender. Ich habe geſchworen, kein friſches mehr kommen zu laſſen, ſondern in den Wagen zu ſteigen, ſobald der letzte Scheit im Kamin liegt. Nein was ich dieſen Winter Holz verbrannt habe, wage ich Ihnen nicht zu ſagen; es möchte Ihrer Geſundheit ſchaden. Es iſt gräulich! Zehen brave deutſche Hausfrauen hätte das unter227 die Erde gebracht. Zum Glücke bin ich weder eine Frau, noch häuslich, noch brav, und ich habe es ausgehalten Aber länger könnte ich es auch nicht ertragen. Was zu arg iſt, iſt zu arg!

Holz,[Philoſophie], Geld, Freiheit malé¬ diction! O das ſchöne malédiction! Wie ich mich gefreut habe, als Heine gleich in ſeinem erſten Artikel über die deutſche Literatur, gleich in dem erſten Blatte der Europe littéraire in dem frommen heiligen Blatte welches das Gelübde der Keuſchheit, der Armuth und des Gehorſams abgelegt, und in ſeiner Vignette, die Raubthiere aller fürſtlichen Wappen Europens, als ſeine Herren zur Anbetung aufgeſtellt daß Heine gleich in den erſten Zeilen, einen gefährlichen politiſchen Anfall bekommen und malédiction geſchrien hat über die ewige Armuth der deutſchen Schriftſteller! malé¬ diction und doch .... Darum eben iſt ja der hohe deutſche Adel uns Liberalen ſo entgegen, weil er fürchtet, bei einer liberalen Staatsverfaſſung, ſein Monopol der Verkäuflichkeit zu verlieren. Er wäre alſo thörigt, wenn er uns kaufte, um uns zu gewinnen, denn dieſes Mittel eine Revolution zu verhüten, wäre ja die Revolution ſelbſt, die verhütet werden ſoll. Keiner von uns wird es, auch nicht mit der allerlegationsräthlichſten Geſinnung, je dahin15 *228bringen, daß man ihm für ſeine Ehre auch nur das nöthige Brennholz liefere. Der Ehren-Handel iſt kein freies bürgerliches Gewerbe; er iſt ein Regal wie das Salz und wird nur wenigen General - Pächtern überlaſſen. Unſere vornehmen Freunde, und hätten ſie auch Gedanken groß wie die Welt theilen doch nur ihre überirdiſchen Ge¬ danken mit uns; ihre unterirdiſchen, die mit Metallen vermiſcht ſind behalten ſie für ſich allein. Ich ſagte einmal gegen Heine: wenn ich nicht ehrlich wäre aus Dummheit, wäre ich ehrlich aus Klugheit. Er hat das nicht verſtanden. Später wird er es verſtehen lernen und meine Erfahrung theuer[bezahlen] müſſen, die ihm von mir unentgeldlich angeboten wurde .... Ich hätte die größte Luſt wieder einmal zu ſagen: ich bin der einzige geſcheidte Menſch in Deutſchland aber ich fürchte mich vor den Rezenſenten.

Es giebt noch mehrere ſolcher geiſtreichen Ochſen in Deutſchland, die gar nicht begreifen, wie die Vollblütigkeit des monarchiſchen Prinzips mit ihr eigner Bleichſucht, und wie die häufigen Indigeſti¬ onen der Diplomaten mit dem ſchriftſtelleriſchen Hunger zuſammenhängen. Ich wollte wetten, es iſt dem dramatiſchen Dichter Raupach in Berlin noch nie durch den Sinn gegangen, daß wenn in229 Preußen eine Staatsverfaſſung gleich der franzöſiſchen wäre, er eine jährliche Rente von zehntauſend Thaler hätte, ſtatt daß jetzt vielleicht, ſein ganzes Vermögen, die Erſparniß dreißigjähriger Arbeit, nicht mehr beträgt! Und dabei könnte er dichten wie es ihm ſein Herz eingiebt und nicht wie es der Hof ver¬ langt .... malédiction!

230

Die zwei jungen Leute, welche eines Mordver¬ ſuches gegen den König angeklagt waren, ſind geſtern Abend frei geſprochen worden. Ich müßte noch Holz auf vier Wochen haben, um mich gehörig über alle die Schändlichkeiten der geheimen Polizei aus¬ zuſprechen, die bei dieſer Gelegenheit wieder an den Tag gekommen. Sie werden die Verhandlungen in den Zeitungen leſen. Wie wohl muß ſich ein Deutſcher in einem Lande fühlen, wo er unter dem Schutze des Volkes ſteht, und wo ihn weder die giftigen Blicke noch die Fußtritte eines erboßten Königs erreichen können! Wahrlich in Frankreich fühlt ſich ſelbſt ein Verbrecher im Kerker freier, als in Baiern ein Unſchuldiger ſelbſt in der Freiheit. Der franzöſiſchen Regierung war es natürlich nicht darum zu thun, zwei unſchuldige junge Leute auf das Schaffot zu bringen von dieſer Grauſamkeit iſt ſie weit entfernt, und noch entfernter iſt ſie von jener Pedanterie, die in Deutſchland den Despo¬ tismus ſo furchtbar macht. Die Angeklagten wären,231 ſelbſt ſchuldig befunden, ganz gewiß mit dem Leben begnadigt worden. Es lag der Regierung nur daran, der öffentlichen Meinung die Anſicht aufzudringen, daß man wirklich den König ermorden wollte, und daß der Piſtolenſchuß keine Polizeikomödie war, aufgeführt, um bei Eröffnung der Kammern dem Miniſterium eine ſchwankende Majorität feſt zu machen. Aber ſelbſt nur dieſe Ehrenrettung zu erlangen, verlohr die Regierung alle Hoffnung, und ſie gab den Kampf freiwillig auf. Gewöhnlich werden den Geſchwornen zwei Fragen vorgelegt. Erſtens: Iſt das Verbrechen begangen worden? Zweitens: Sind die Angeklagten des begangenen Verbrechens ſchuldig? Dieſe erſtere Frage wurde geſtern gar nicht vorgelegt, ſondern blos die Andere: Sind die Angeklagten des Mordverſuchs gegen den König ſchuldig?

Es iſt bewunderungswürdig, mit welcher Kühn¬ heit, Geiſtesgegenwart und mit welcher Zuverſicht des Rechts, die Angeklagten vor dem Gerichte geſprochen haben. Der königliche Prokurator, um die Ange¬ ſchuldigten den Geſchwornen verdächtig zu machen, wies auf deren bekannte republikaniſche Geſinnung hin. Sie aber ſuchten dieſe Geſinnung gar nicht zu verbergen, ſondern bekannten ſich laut und froh¬ lockend zu ihr. Der eine ſagte: Wir Republi¬232 kaner achten den König viel zu wenig, um ihn zu tödten. Haben wir ihn einmal vom Throne geſtürzt, dann ſchicken wir ihn zum Lande hinaus und das iſt alles. Solche Aeußerungen ſind nach den franzöſiſchen Geſetzen nicht ſtrafbar, denn es darf jeder ſeine Meinung haben und ausſprechen. Wenn ſich einmal in Deutſchland ein Republikaner gelüſten ließe, ſich auf ſolche Weiſe vor einem Criminal-Gerichte zu ver¬ theidigen ich glaube, er würde auf der Stelle mit dem Federmeſſer des Aktuars geköpft werden.

About this transcription

TextBriefe aus Paris
Author Ludwig Börne
Extent247 images; 38564 tokens; 8629 types; 265755 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBriefe aus Paris Sechster Theil Ludwig Börne. . VI, 319 S. BrunetParis1834.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 50 MA 26863-13/14http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=613326237

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Briefe; core; ready; ocr

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