PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Vorleſungen uͤber die Naturlehre zur Belehrung derer, denen es an mathematiſchen Vorkenntniſſen fehlt.
Erſter Theil.
Mit 5 Kupfern.
Leipzig,1830.beiGeorg Joachim Goͤſchen.
[II][III]

Vorrede.

Der Beifall, welchen einige meiner Freunde, vielleicht mit zu viel freundſchaftlichem Wohlwollen, mir uͤber meine Vorleſungen uͤber die Aſtronomie be - zeugt haben, macht mich ſo kuͤhn, einen Verſuch, auch die Phyſik auf aͤhnliche Weiſe darzuſtellen, zu wagen, und den Freunden dieſer Wiſſenſchaft hier eine moͤg - lichſt klare, und dennoch jeden Gegenſtand gruͤndlich erklaͤrende Entwickelung der Hauptlehren der Phyſik vorzulegen. Obgleich ich nicht vorausſehen kann, wie - fern dieſes Unternehmen den Beifall der Leſer finden werde, ſo glaube ich wenigſtens das als Empfehlung deſſelben anfuͤhren zu duͤrfen, daß ein oͤfter wiederholter Vortrag der Phyſik vor Zuhoͤrern, die ohne irgend die Vorausſetzung mathematiſcher Kenntniſſe zu geſtatten, dennoch von dem ganzen Umfange des jetzigen Zuſtan - des der Naturlehre gruͤndlich unterrichtet zu werden verlangten, es mir zur Pflicht gemacht hat, alles, was zur Befoͤrderung der Klarheit in der Darſtellung die -IV nen konnte, mit moͤglichſter Sorgfalt aufzuſuchen, und daß ich bei dieſem Bemuͤhen in manchen Lehren ein - fachere, und dennoch gruͤndliche Beweiſe der vorkom - menden Theoreme, eine zu ſchnellerem und mehr uͤber - zeugendem Ueberblicke fuͤhrende Anordnung der Schluͤſſe gefunden zu haben meine, als diejenigen ſind, die ich in andern Buͤchern gefunden habe. Zu eben jenem Zwecke, meine Vortraͤge denen recht nuͤtzlich zu machen, die dieſer Wiſſenſchaft nur wenig Zeit ſchenken koͤnnen, habe ich es immer zu meinem Beſtreben gemacht, die mannigfaltigſten Anwendungen aller einzelnen Lehren der Phyſik, theils auf Gegenſtaͤnde des taͤglichen Le - bens, theils auf Kuͤnſte und Gewerbe, theils auf die Erſcheinungen, die ſich uns in den Wirkungen der Natur im Großen darſtellen, mit der Entwickelung jener Lehrſaͤtze ſelbſt zu verbinden, und dadurch die Aufmerkſamkeit, welche bei bloß theoretiſchen Entwicke - lungen ſo leicht ermuͤdet, ſelbſt da, wo keine Experi - mente zu Belebung des Vortrages anzubringen ſind, zu feſſeln. Und eben dieſes Beſtreben, welches, wie ich hoffe, oft ſeinen Zweck dort erreicht hat, wird man auch in den hier mitgetheilten Vorleſungen erkennen. Ich weiß ſehr wohl, daß dieſes Aneinanderreihen mannigfaltiger, aber in naher Beziehung auf einander ſtehender Betrachtungen, zuweilen den Vortrag von einer ſtrengen ſyſtematiſchen Anordnung abzulenken ſcheint, und in dieſer Hinſicht vielleicht einen VorwurfV verdient*)Einen Vorwurf, den der Recenſent der Vorleſungen uͤber Aſtronomie in d. Hall. Lit. Zeitg. mit einer meinen aufrichtigen Dank verdienenden Milde leiſe andeutet., aber mir hat es oft geſchienen, als ob man grade durch dieſen kleinen Kunſtgriff, die Leſer von zu ſtrenge theoretiſchen Betrachtungen zuweilen abzulenken und auf einen ſeitwaͤrts liegenden Spazier - gang zu fuͤhren, den Zweck, ſie ſicher und ohne Er - muͤdung zum Ziele zu bringen, am aller ſicherſten er - reichte. Was in einem ſtrenge ſyſtematiſchen Lehrbuche nicht erlaubt waͤre, die vollendete Entwickelung einer Folge von Lehrſaͤtzen abzubrechen, um bei Einzelnem zu verweilen, und jene erſt ſpaͤter weiter fortzufuͤhren, das ſcheint mir in dem lebendigen Vortrage einer muͤndlichen Unterhaltung, wo der Reichthum des Ge - genſtandes uns fortreißt, und wo wir den Zuhoͤrer mit fortgeriſſen zu ſehen wuͤnſchen, nicht ſo unſtatthaft zu ſein. Daß es freilich da, wo man den graden Weg verlaͤßt, auch leicht iſt, ſich zu verirren, laͤßt ſich allerdings nicht leugnen, und ich muß es dem Ur - theile der Leſer uͤberlaſſen, ob ſie bei der Anordnung meines Vortrages ſich auf einem anmuthigen Wege zum Ziele gefuͤhrt finden, oder ob ſie auf Irrwegen das Ziel aus dem Auge zu verlieren glauben.

In Ruͤckſicht der Ausfuͤhrlichkeit der Darſtellung habe ich mich zwar ſehr beſchraͤnkt, aber ich hoffe doch,VI daß in den drei Baͤndchen, in welchen alle Lehren der Phyſik abgehandelt werden ſollen, kein weſentlich wichtiger Gegenſtand unerklaͤrt bleiben wird, und ſelbſt die ſchwierigſten neuen Entdeckungen vollkommen ge - nuͤgend entwickelt dargeſtellt werden ſollen. Eine groͤ - ßere Ausfuͤhrlichkeit, fuͤrchtete ich, wuͤrde mehr ermuͤ - den, als nuͤtzen, da wir doch nur das leicht und voll - ſtaͤndig uͤberſehen, was uns gleich Anfangs von der rechten Seite dargeſtellt wird, und ein breit ausge - dehntes Hinzufuͤgen immer neuer Erlaͤuterungen wenig hilft, wenn der Leſer nicht ſogleich auf den rechten Standpunct geſtellt worden iſt. In Ruͤckſicht des Reich - thumes und der Mannigfaltigkeit der erklaͤrten Erſchei - nungen wird man, hoffe ich, zufrieden ſein, obgleich freilich die unendlich zahlreichen Gegenſtaͤnde, die ſich uns faſt in jeder einzelnen Lehre der Phyſik darbieten, noch einen reichen Stoff zu einer viel ausgedehnteren Arbeit geben koͤnnten.

Doch, was der Autor ſelbſt zum Lobe ſeines Werkes ſagt, pflegt nur ſchwachen Eindruck auf den Leſer zu machen, welcher nur dann zufrieden iſt, wenn nicht der Meiſter das Werk, ſondern das Werk den Meiſter lobt.

Das Buch wird aus drei Theilen beſtehen. Der erſte enthaͤlt die ganze Mechanik, die Lehre von demVII Gleichgewichte feſter und fluͤſſiger Koͤrper, nebſt der Acuſtik, der zweite wird zuerſt die Erſcheinungen der Anziehung, die wir bei den Haarroͤhrchen und in aͤhn - lichen Faͤllen beobachten, und dann die Grundlehren der Chemie abhandeln, zugleich aber die Lehren von Waͤrme und Licht mit moͤglichſter Vollſtaͤndigkeit um - faſſen, der dritte iſt der Electricitaͤt, dem Galvanis - mus, den magnetiſchen und electromagnetiſchen Er - ſcheinungen gewidmet, und wird auf alles, was die neueſten Entdeckungen hier Wichtiges gelehrt haben, Ruͤckſicht nehmen.

Was den Grad der Vorkenntniſſe betrifft, welche ich vorausſetze, ſo glaube ich mit Recht ſagen zu koͤnnen, daß ich von mathematiſchen Kenntniſſen gar nichts vorausſetze. Daß der Leſer dieſes Buches ge - woͤhnliche Zahlenrechnungen, die nicht uͤber die Regel de tri hinausgehen, leicht uͤberſehe und nachzurechnen wiſſe, darf ich wohl annehmen; jede Anwendung der Algebra aber iſt voͤllig vermieden. Nur in dem ein - zigen Umſtande gehe ich uͤber die gewoͤhnlichen Rechen - buͤcher hinaus, daß ich die Decimalbruͤche auf die be - kannte Weiſe ohne Nenner ſchreibe, und hieran zu denken, muß ich den minder geuͤbten Leſer bitten. Koͤmmt naͤmlich in einer Zahl eine Abtheilung durch ein Comma vor, ſo bedeutet die naͤchſte hinter dem Comma ſtehende Zahl Zehntel, die zweite Hunderttel, die dritteVIII Tauſendtel, die vierte Zehntauſendtel u. ſ. w.; man muß daher 15,625 niemals in dieſem Buche ſo leſen, als ob das Comma die Tauſende oder die Millionen ſchloͤſſe, ſondern 15,625 heißt: 15 Ganze, 6 Zehntel, 2 Hunderttel, 5 Tauſendtel und ſo in allen aͤhnlichen Faͤllen. Wo arithmetiſche Begriffe, die uͤber das allgemein Bekannte hinausgehen, vorkommen, iſt die Erlaͤuterung ſo beygefuͤgt, daß ſie gewiß vollkommen leicht verſtanden werde. Ebenſo verhaͤlt es ſich mit den Beziehungen auf Geometrie. Jeder weiß, was ein Kreis iſt, was ein rechter Winkel iſt u. ſ. w. mehr aber als dieſe Grundbegriffe bedarf es nicht, um die Folgerungen zu verſtehen, die hier vorkommen, denn obgleich mancher in der Phyſik vorkommende Satz einer geometriſchen Begruͤndung beduͤrfte, wenn er ſtrenge demonſtrirt werden ſollte, ſo erlaubt uns doch die na - tuͤrliche Geometrie, die beim Anblicke der Figur zur Thaͤtigkeit hervorgerufen wird, ſehr oft dieſe Demon - ſtration zu uͤbergehen, und ich glaube daher, daß man nicht von einer Forderung geometriſcher Kenntniſſe reden wird, wenn zum Beiſpiel die Behauptung vor - koͤmmt, daß im rechtwinklichen Drei-Ecke die dem rechten Winkel gegenuͤberſtehende Seite die groͤßeſte iſt; der Geometer demonſtrirt dieſes, aber bekannt iſt es einem jeden. Das aber muß ich freilich for - dern, daß der Leſer ſich gewoͤhne, jeden Theil einer Figur ſorgfaͤltig mit dem, was davon geſagt wird, zuIX vergleichen, und im Fortgange des Leſens auch immer das Auge auf die Figur zu werfen; ich weiß wohl, daß ſelbſt dies dem daran nicht gewoͤhnten Leſer, ei - nige Schwierigkeit macht, aber dieſe Schwierigkeit iſt doch wohl eben ſo geringe, als ſie unerlaͤßlich iſt.

Doch dieſe Erklaͤrungen uͤber die verlangten Vor - kenntniſſe ſind vielleicht ganz unnoͤthig, da die Vorle - ſungen uͤber die Aſtronomie genau eben dieſes fordern, und die Leſer derſelben darin eben keine Schwierigkeit zu finden ſcheinen.

Ich ſchließe dieſe Vorrede mit der Bitte, um eine nachſichtige Beurtheilung von Seiten der Kenner der Wiſſenſchaft. Die hier behandelten Gegenſtaͤnde ſind ſo mannigfaltig, daß es ſchon deshalb ſchwieriger iſt, als in der Aſtronomie, ſie alle gleich vollkommen vorzutragen, uͤber manche dieſer Gegenſtaͤnde ſind die Meinungen der Gelehrten noch nicht ſo einſtimmig, wie es in der Aſtronomie faſt uͤberall der Fall iſt, und da ein populaͤres Buch nicht dazu geeignet iſt, die verſchiedenen Anſichten alle darzulegen und zu verglei - chen, ſo habe ich mich oft begnuͤgen muͤſſen, diejenige Anſicht, welche mir die richtige ſcheint, deutlich zu ent - wickeln und zu begruͤnden, und andre Meinungen nur obenhin anzufuͤhren, doch habe ich da, wo unſre Ein - ſicht mir noch mangelhaft ſcheint, dieſes offen bekannt, (wovon beſonders im zweiten und dritten Bande Bei -X ſpiele vorkommen werden,) und mich von dem ſtolzen Duͤnkel, der da glaubt alles erklaͤren zu muͤſſen, frei zu erhalten geſucht.

H. W. Brandes.
XI

Inhalt.

Erſte Vorleſung. Einleitung. Ueber den Umfang und ganzen Inhalt der Phyſik. Anordnung des Studiums der Phyſik. Nutzen.

Zweite Vorleſung. Eigenſchaften der Materie. Geſtalt der Koͤr - per. Undurchdringlichkeit. Beſtehen der Materie durch anziehende und abſtoßende Kraͤfte. Theilbarkeit. Poroſitaͤt. Cohaͤrenz. Feſtigkeit des Eiſens, des Holzes, des Papieres. Haͤrte und Weiche. Sproͤde und zaͤhe Koͤrper. Elaſticitaͤt, der Seile, der Kugeln, der Staͤbe.

Dritte Vorleſung. Bewegung und Ruhe. Scheinbare und wahre Bewegung. Bewegung der Erde. Bahn des bewegten Koͤrpers. Ge - ſchwindigkeit. Gleichfoͤrmige Bewegung. Accelerirte oder retardirte Bewegung. Kraft. Geſetz der Traͤgheit. Beſchleunigende Kraͤfte. Bewegende Kraft; Abhaͤngigkeit der durch ſie bewirkten Geſchwindig - keit von der Groͤße der bewegten Maſſe. Wirkungen des Stoßes. Jeſſop's Methode Felſen zu ſprengen. Weiches Eiſen ſchneidet in Stahl.

Vierte Vorleſung. Schwerkraft. Ihre Richtung. Gleichgewicht. Statik. Federwaage. Rumford's Verſuche mit Fuhrwerk. Dyna - mometer. Zuſammenſetzung und Zerlegung der Kraͤfte. Parallelo - gramm der Kraͤfte. Bewegung der Schiffe bei unguͤnſtigem Winde, des Papierdrachen, des Tretrades. Anwendung der geneigten Ebne, der Schraube, des Keils. Friction; Vortheile und Nachtheile derſel - ben; warum entgleiten keilfoͤrmige Koͤrper unſrer Hand?

Fuͤnfte Vorleſung. Hebel. Kraft der Muskeln. Relative Feſtig - keit der Koͤrper. Der ſtaͤrkſte Balken. Rad an der Welle. Mo -XII ment. Moment der Reibung. Schwerpunct. Sicherheit des Gleich - gewichtes. Die gewoͤhnliche Waage. Schnellwaage. Bruͤckenwaage. Kettenlinie. Gewoͤlbe.

Sechste Vorleſung. Geſetze des freien Falles. Atwood's Fall - maſchine. Bahn geworfener Koͤrper. Parabel. Bewegung des Mon - des um die Erde, der Planeten um die Sonne. Allgemeine Attrac - tion aller Weltkoͤrper. Meteorſteine. Maſſe der Sonne. Anziehungs - kraft der Berge. Dichtigkeit der ganzen Erde. Drehwaage. Anzie - hung kleiner Maſſen. Wie im Innern der Erde die Schwerkraft ab - nimmt. Ebbe und Fluth.

Siebente Vorleſung. Schwungkraft. Geſetze fuͤr die Beſtimmung ihrer Staͤrke. Schwungmaſchine. Verſuche mit derſelben. Verſuch uͤber die Geſtalt der Erde. Stellung der Kunſtreiter. Der Brumm - kreiſel. Das Schwungrad. Moment der Traͤgheit. Wie man aus aſtronomiſchen Beobachtungen ſich von der gleichbleibenden Waͤrme der ganzen Erde uͤberzeugt.

Achte Vorleſung. Vom Pendel. Hauptgeſetze der Pendelſchwin - gungen. Convertibles Pendel. Mittelpunct des Schwunges. Die ge - naue Groͤße des Fallraums in 1 Secunde. Beſtimmung der Figur der Erde. Beſſel's Beſtimmung der Pendellaͤnge. Mittel zu ſehr feinen Laͤngemeſſungen. Comparateur. Fuͤhlhebel. Andre Oſcillations - bewegungen. Cycloide. Tautochrone. Brachyſtochrone. Metronom. Glocken zum Gelaͤute. Federn an Kutſchen.

Neunte Vorleſung. Vom Stoße feſter Koͤrper. Quantitaͤt der Bewegung. Geſetze des Stoßes unelaſtiſcher Kugeln. Geſchwindigkeit der abgeſchoſſenen Kugeln. Tragekraft eingerammter Pfaͤle. Ein - dringen der Kugeln in Erdwaͤlle. Geſetze des Stoßes elaſtiſcher Ku - geln. Schiefer Stoß. Billiardſpiel.

Zehnte Vorleſung. Fluͤſſige Koͤrper. Gleichmaͤßige Verbreitung des Druckes. Elaſtiſche fluͤſſige und tropfbar fluͤſſige Koͤrper. Groͤße des Druckes auf jeden Theil der Wand. Zerſprengen von Flaſchen durch einen geringen Druck. Bramah's Waſſerpreſſe. Der Druck des Waſſers wegen ſeiner Schwere. Horizontale Oberflaͤche. Waſſer - waͤgen, Rivelliren. Schichten verſchiedener Fluͤſſigkeiten. Die Kunſt, Waſſer in Wein zu verwandeln. Stroͤmungen des Waſſers beim Kochen, der Luft zwiſchen warmen und kalten Zimmern. Rauchen der Schornſteine. Meeresſtroͤme. Land - und Seewinde. Fruͤhlings - Oſtwind.

XIII

Elfte Vorleſung. Druck des Waſſers auf Boden und Waͤnde des Gefaͤßes. Anſcheinende Paradoxen. Druck auf Schleuſenboͤden. Waſ - ſerſaͤulenmaſchine. Druck des Waſſers auf eingetauchte Koͤrper. Wie - viel der eingetauchte Koͤrper an Gewicht verliert. Eisberge. Die Kunſt, wodurch Menſchen ſich ſchwimmend erhalten. Wahrnehmun - gen, wozu das ungleiche ſpecifiſche Gewicht des Meerwaſſers und Fluß - waſſers, des kalten und warmen Waſſers Veranlaſſung giebt.

Zwoͤlfte Vorleſung. Beſtimmung des ſpecifiſchen Gewichtes der Koͤrper. Gewicht eines Cubiczolles Waſſer. Araometer. Welche Lage nimmt der ſchwimmende Koͤrper an? Sichres und unſichres Gleich - gewicht. Bemerkungen aus der Schifffahrtskunde.

Dreizehnte Vorleſung. Geſchwindigkeit des ausfließenden Waſ - ſers. Feuerſpruͤtzen. Zuſammengezogner Strahl. Auffallende Formen des Waſſerſtrahles. Arteſiſche Brunnen. Oſcillationen des Waſſers in Roͤhren. Montgolfier's hydrauliſcher Widder. Mascaret. Merkwuͤrdige Sturmfluthen. Wellen. Kreislauf der Waſſertheilchen. Neue Welle, die hinter einer ſchon erregten entſteht. Wie tief die Wellen gehen, wie hoch ſie gehen; ihr verderbliches Ueberſtuͤrzen. Zu - ruͤckwerfung der Wellen; ihr Zuſammentreffen im Brennpuncte der Ellipſe.

Vierzehnte Vorleſung. Groͤße der Kraft des Stoßes fluͤſſiger Koͤrper. Waſſermuͤhlen. Windmuͤhlen. Anemometer. Schnelligkeit des Windes. Strommeſſer. Waſſermaſſen, die von den Stroͤmen ins Meer gefuͤhrt werden. Nuͤtzlicher Effect, den ſie zu leiſten ver - moͤgen. Widerſtand, den feſte Koͤrper leiden. Gewalt des Windes bei Stuͤrmen. Berechnung des Widerſtandes bei abgeſchoſſenen Ca - nonenkugeln. Exponent des Widerſtandes. Rudern. Fliegen der Voͤgel. Strudel in Stroͤmen. Wirbelwinde. Ruͤckwirkung der Fluͤſ - ſigkeiten. Segnerſches Rad. Zuruͤckprallen der Canone. Meteore.

Funfzehnte Vorleſung. Auch das Waſſer iſt einiger Zuſammen - druͤckung faͤhig. Piezometer. Elaſticitaͤt der Luft. Die Luft iſt ſchwer. Druck der Luft. Barometer. Gefaͤßbarometer. Heberba - rometer. Luftleerer Raum. Nonius oder Vernier. Hoͤhenmeſſung mit dem Barometer. Mariotte'ſches Geſetz. Tafel der Barometerhoͤhen, in verſchiedenen Hoͤhen. Noͤthigſte Regeln fuͤr das Hoͤhenmeſſen.

Sechzehnte Vorleſung. Ungleiche Waͤrme in verſchiedenen Hoͤhen und daraus entſpringende Fehler beim Hoͤhenmeſſen. Dalton'sXIV Theorie. Taͤgliche Oſcillationen der Barometerhoͤhe. Veraͤnderungen des Barometers in den gemaͤßigten und kalten Zonen. Verſchieden - heit des Barometerſtandes bei ungleichen Winden. Sehr tiefe Baro - meterſtaͤnde bei Stuͤrmen. Einfluß des Windes auf das Hoͤhenmeſſen.

Siebzehnte Vorleſung. Druck der Luft auf 1 Quadratzoll, Stechheber. Waſſer im Siebe. Uebertragen einer Fluͤſſigkeit bei ge - nauen Abwaͤgungen. Leslie's Inſtrument zu Beſtimmung der ſpe - cifiſchen Schwere. Saugepumpe. Das Athmen und Saugen. Der Heber. Intermittirende Quelle. Windkeſſel an Pumpen. Herons - brunnen. Carlsbader Sprudel. Springbrunnen in Island. Hervor - dringen der Luft aus Fluͤſſigkeiten. Kuͤnſtliche Mineralwaſſer. Fa - raday's Verſuch, Luft-Arten in tropfbaren Zuſtand zu verſetzen.

Achtzehnte Vorleſung. Luftpumpe. Der doppelt durchbohrte Hahn. Schaͤdlicher Raum. Ventilpumpe. Barometerprobe. Birn - probe. Abmeſſung der Verdichtung. Guerik'ſche Halbkugeln. Groͤße des Luftdrucks auf den menſchlichen Koͤrper. Schroͤpfen. Entwicke - lung von Luft aus den Koͤrpern. Abwaͤgung der Luft. Gewichtver - luſt in der Luft. Manometer. Fall der Koͤrper im Vacuo.

Neunzehnte Vorleſung. Starker Druck der verdichteten Luft. Windbuͤchſe. Abmeſſung der Gewalt des Schießpulvers. Geblaͤſe. Orgel. Windwaagen. Luftballons. Anwendung der erwaͤrmten Luft, der brennbaren Luft. Berechnung ihrer Steigekraft und der Hoͤhe, die ſie erreichen. Fallſchirm.

Zwanzigſte Vorleſung. Acuſtik. Verſchiedene Worte zur Be - zeichnung verſchiedener Arten des Schalles. Ton. Entſtehung des Schalles. Schwingungen der Saiten. Beſtimmung ihrer Schwin - gungszahlen. Vergleichung mit den Toͤnen. Monochord. Schwin - gungsknoten. Schwingungen der Staͤbe. Die Eiſenvioline. Die Stroh - fiedel. Die Stimmgabel.

Ein und zwanzigſte Vorleſung. Zuſammentreffen der harmo - niſchen Toͤne mit den in kleinen Zahlen ausgedruͤckten Verhaͤltniſſen der Schwingungszeiten. Darſtellung der Dur-Tonleiter nach arith - metiſchen Betrachtungen. Gruͤnde, warum ganze und halbe Ton - Intervalle in der beſtimmten Folge wechſeln. Vorzeichen bei verſchie - denen Ton-Arten. Unterſchied zwiſchen Gis und Aes. Moll-Ton - leiter. Verwandte Dur-Ton-Arten und Moll-Ton-Arten. Tem - peratur; ihre Nothwendigkeit.

XV

Zwei und zwanzigſte Vorleſung. Welche Toͤne eine Saite, ein Stab und die Stimmgabel zu geben faͤhig ſind. Beſtimmung der Anzahl der Schwingungen, welche beſtimmten Toͤnen entſprechen. Schwingungen der Glocken, der Glaͤſer, der duͤnnen Scheiben. Klang - figuren. Regeln um die Klangfiguren gut darzuſtellen und Beſtim - mung derſelben in einfachern Faͤllen. Klangfiguren im Waſſer.

Drei und zwanzigſte Vorleſung. Fortpflanzung des Schalles in der Luft. Geſetze derſelben in Beziehung auf die ungleiche ſpecifi - ſche Elaſticitaͤt. Einfluß der bei der Compreſſion frei werdenden Waͤrme. Schwaͤchung des Schalles in der Ferne. Sprachrohr. Fort - pflanzung des Schalles bei verſchiedener Richtung des Windes, bei Stuͤrmen. Echo. Floͤten und Orgelpfeifen. Beſtimmung des Tones einer gedackten Orgelpfeife. Verſchiedene Toͤne, welche dieſelbe ge - dackte Pfeife geben kann. Uebereinſtimmung der Theorie mit der Er - fahrung. Verſuche uͤber die Geſchwindigkeit des Schalles in andern Luft-Arten. Die Zungenpfeifen. Gegenſeitige Abhaͤngigkeit der Vi - brationen der Zunge und der Vibrationen der Luftſaͤule. Compenſa - tionspfeifen.

Vier und zwanzigſte Vorleſung. Laͤngentoͤne der Saiten und Staͤbe. Schnelle Fortpflanzung des Schalles in feſten Koͤrpern und im Waſſer. Klangfiguren in Roͤhren. Mittoͤnen; Reſonanz; Klang - figuren durch Reſonanz. Hinderung der nachtheiligen Reſonanz in Gebaͤuden. Interferenz bei der Fortpflanzung des Schalles. Ton durch verbrennendes Hydrogengas. Das Gehoͤr-Organ; uͤber Fehler des Gehoͤrs. Das Stimm-Organ.

[XVI]
[1]

Erſte Vorleſung.

Einleitung.

Wenn wir, meine hochgeehrten Herren, die uns umgebende Natur anblicken, wenn wir die mannigfaltigen Erſcheinungen, welche in unaufhoͤrlichem Wechſel vor uns voruͤbergehen, wahr - nehmen, wenn wir darauf achten, wie faſt kein Augenblick unſers Lebens vorbeigeht, der uns nicht zu der Frage auffordert, woher alle dieſe Erſcheinungen entſtehen, welcher Zuſammenhang zwiſchen ihnen ſtatt findet, aus welchen Urſachen ſie hervorgehen: ſo draͤngt ſich uns gewiß die Ueberzeugung auf, daß die Natur - kunde, das iſt diejenige Wiſſenſchaft, welche uns uͤber alle Er - ſcheinungen der Natur naͤher unterrichten ſoll, nicht bloß eine unendlich reichhaltige Wiſſenſchaft, ſondern auch eine der wichtig - ſten und anziehendſten Wiſſenſchaften ſein muß. Reichhaltig, weil ſie ja das unermeßliche Gebiet alles deſſen, was die Sinnen - welt uns wahrzunehmen darbietet, umfaßt, weil ſie in dieſem anſcheinend regelloſen Gewirre unendlich mannigfaltiger Veraͤn - derungen, Ordnung und Geſetze auffinden ſoll; wichtig, weil ſie uns die Mittel lehren muß, um die Gefahren abzuwenden, mit denen die feindlich uns umgebenden Kraͤfte der Natur uns be - drohen, weil ſie uns die Regeln angeben muß, wie wir dieſe Naturkraͤfte zu unſerm Nutzen anwenden koͤnnen; anziehend, den Geiſt erheiternd und erhebend, weil wir gewiß alle die Beſtim - mung in uns fuͤhlen, den Schauplatz, auf welchen eine hoͤhere Weisheit uns gefuͤhrt hat, kennen zu lernen, an dieſer Kenntniß die uns verliehenen Geiſteskraͤfte zu uͤben und zu ſtaͤrken, und durch eine weiſe Herrſchaft uͤber die Natur, ſo weit ſie uns zu erlangen geſtattet iſt, einen wichtigen Theil unſrer irdiſchen Be - ſtimmung zu erfuͤllen.

I. A02[2]

Aber werden wir denn die große Anforderung, die Natur zu durchſchauen, ihre tief verborgenen Geſetze mit unſerm ſchwa - chen Verſtande zu ergruͤnden, erfuͤllen koͤnnen? Wird es uns je gelingen, die unzaͤhlbaren Raͤthſel zu loͤſen, welche das in ſeiner Groͤße unermeßliche, in der Verwickelung ſeiner Erſcheinungen immer neue Tiefen darbietende Weltgebaͤude uns vorlegt? Dieſe Frage wird zwar niemand mit der kuͤhnen Hoffnung, je die Natur ganz zu ergruͤnden, beantworten; aber wir fuͤhlen die Kraft in uns, immer tiefer eindringend in die Geſetze der Natur, ein Geheimniß nach dem andern zu durchforſchen, und in der Loͤ - ſung einer Aufgabe, die allerdings unendlich iſt, immer weiter fortzuſchreiten. Und ſo wollen auch wir den Verſuch wagen, wie weit uns dieſes gelingen mag.

Gegenſtand der Naturlehre.

Ich breche dieſe Vorrede ab, um ſogleich den Gegenſtand, der uns beſchaͤftigen ſoll, ſelbſt ins Auge zu faſſen. Bei der Be - trachtung der uns umgebenden Welt bemerken wir, daß wir auf eine zweifache Weiſe uns mit den Gegenſtaͤnden und Erſcheinun - gen, welche wir beobachten, bekannt machen koͤnnen, daß wir naͤm - lich theils die Merkmale, wodurch ein Gegenſtand ſich von dem andern unterſcheidet, auffaſſen muͤſſen, theils die Veraͤnderungen, die ſich uns zeigen, bemerken, und wie ſie auf einander folgen, beobachten muͤſſen, um die Urſachen, warum ſie ſo erfolgen, ken - nen zu lernen. Jenes Beſtreben, die gleichartigen und ungleich - artigen Merkmale, welche den Gegenſtaͤnden dauernd eigen ſind, kennen zu lernen, fuͤhrt zu derjenigen Wiſſenſchaft, welche wir Naturgeſchichte oder Naturbeſchreibung nennen. Sie hat den Zweck, die gleichartigen oder die einander verwandten Koͤrper im Thierreiche, im Pflanzenreiche und im Mineralreiche kennen zu lehren, ſie in ein Syſtem zu ordnen und dadurch den Beob - achter aͤhnlicher Gegenſtaͤnde in Stand zu ſetzen, dieſen ihren richtigen Ort im Syſteme, das nach gewiſſen Merkmalen claſſi - ficirt, anzuweiſen. Die Zoologie, die Botanik, die Mineralogie, beſchaͤftigen ſich bloß hiemit, und ſofern ſie bloß in dem Bezirke der Naturbeſchreibung bleiben, fragen ſie nicht nach den Urſachen der Veraͤnderungen, welche an den in ihr Gebiet gehoͤrigen Koͤr -03[3] pern beobachtet werden. Die Naturlehre im engern Sinne dagegen hat den Zweck, die Veraͤnderungen in der Koͤrperwelt aufzufaſſen, und die Naturgeſetze, nach welchen ſie erfolgen, auf - zuſuchen. Sie umfaßt daher eigentlich ebenſowohl die Erſchei - nungen der belebten, als der lebloſen Schoͤpfung; aber um das immer noch ſehr große Gebiet der Naturlehre etwas enger zu begrenzen, ſondern wir die Phyſiologie, die von den Geſetzen handelt, nach welchen die Erſcheinungen der lebendigen Koͤrper ſich richten, von ihr ab. Dieſe Geſetze des Lebens und der Le - bensthaͤtigkeit bieten ſo viel Schwieriges und ſo viel Eigenthuͤm - liches dar, daß ſie mit großem Rechte als eine eigne Wiſſenſchaft bildend angeſehen werden; indeß ſtuͤtzt ſich auch wieder die Phy - ſiologie ſehr oft auf die allgemeinen Geſetze, die in der lebloſen Koͤrperwelt gelten, und manche Erſcheinung koͤmmt genau ſo oder allenfalls nur wenig modificirt, bei den belebten, wie bei den lebloſen Koͤrpern vor, ſo daß manche Phaͤnomene der belebten Welt, als groͤßtentheils in das Gebiet der Phyſik fallend, anzu - ſehen ſind. Ich ſollte hier nun freilich die Frage beantworten, wo denn das Reich der Lebensthaͤtigkeit anfange, und wo dem - nach die Forſchungen der Phyſik in dieſer Hinſicht ihre Grenze finden; aber dieſe Unterſuchung, deren Schwierigkeit ſelbſt da, wo ſie ſich bei den einzelnen Erſcheinungen darbietet, ſchon ſehr groß iſt, wuͤrde unuͤberwindliche Schwierigkeiten darbieten, wenn man ſie im Allgemeinen durchzufuͤhren unternehmen wollte, und ich will daher lieber hier eine offen eingeſtandene Luͤcke laſſen, als bei dem verfehlten Unternehmen, ſie auszufuͤllen, ver - weilen.

Alle Veraͤnderungen alſo, die wir in der lebloſen Natur wahrnehmen, gehoͤren der Betrachtung der Naturkunde oder der im engern Sinne ſo genannten Phyſik an. Wie ſie ſich an - einander reihen, ſoll uns eine wohlgeordnete Beobachtung lehren, und unſer bei jeder Erſcheinung nach der Urſache derſelben fragen - der Verſtand, ſoll aus der Verbindung der Erſcheinungen auf ihre Urſachen, auf ihre naͤchſten und auf ihre hoͤher hinauf liegenden Grund-Urſachen ſchließen; auf dieſem Wege ſoll, wenn es moͤglich iſt, ein Syſtem der Phyſik dargeſtellt werden, welches uns die An - ordnung der ganzen Natur uͤberſchauen laͤßt, welches alle Erſchei -A 204[4]nungen auf ihre wahren Urſachen zuruͤckfuͤhrt, und alle Raͤthſel loͤ - ſet, welche ſich uns in der uns umgebenden Wunder vollen Welt darbieten. Ich habe wohl nicht noͤthig hinzuzuſetzen, daß dies zwar das Ziel, aber auch das unerreichbare Ziel unſrer Beſtrebun - gen iſt; daß wir zwar Gelegenheit genug finden, uns des gluͤckli - chen Erfolges der Unterſuchungen zu erfreuen, die wir beendiget vor uns ſehen, ja daß wir Grund genug finden, zu erſtaunen uͤber den ſchon erlangten Reichthum tief eindringender Aufſchluͤſſe uͤber die Geſetze der Natur-Erſcheinungen, aber daß dennoch die unermeß - lich reiche Natur uns immer noch zu dem Bekenntniſſe zwingt, und gewiß unſre ſpaͤteſten Nachkommen zu dem Bekenntniſſe zwin - gen wird, daß wir nur das Wenigſte erkennen, und viel Groͤßeres uns noch verborgen bleibt.

Richtige Anordnung der Naturforſchung.

Auf welchem Wege gelangen wir denn zur Kenntniß der Na - turgeſetze? das iſt wohl die Frage, welche ſich uns nun zuerſt darbietet. Man hat oft die Hoffnung ausgeſprochen, daß eine Naturphiloſophie, gegruͤndet auf eine Reihe wohl geordneter Schluͤſſe, uns tief in das innere Weſen der Dinge hinein fuͤhren koͤnne; aber, obgleich es wahr iſt, wie ich bald zeigen werde, daß wir einige Eigenſchaften der Materie als nothwendig anerkennen, und, daß ſich ſo einige Grundzuͤge naturwiſſenſchaftlicher Kenntniſſe a priori entwickeln laſſen, ſo iſt es doch ohne allen Zweifel auch wahr, daß der Umfang dieſer nuͤtzlichen Naturphiloſophie in ſehr enge Grenzen eingeſchloſſen iſt, und daß ſie uns gaͤnzlich verlaͤßt, wo es auf einzelne Erſcheinungen und ihre Erklaͤrung an - koͤmmt. Die Erfahrung kann allein hier unſre Leiterin ſein, und die Kunſt, Erfahrungen zu ſammeln und an einander zu rei - hen, iſt die eigentliche Kunſt des Phyſikers. Auf dieſe Kunſt deu - ten wir ſchon hin, wenn wir vom Beobachten reden. Das Heer der Erſcheinungen bietet ſich jedem Auge dar, und wer nicht allzu ſtumpfſinnig die wechſelnden Erſcheinungen an ſich voruͤber - gehen laͤſſet, der nimmt auch dieſe Phaͤnomene wahr; aber wir ſagen erſt dann, daß er ſie beobachte, wenn er auf jedes Einzelne in der Erſcheinung merkt, wenn er mit Ueberlegung auf den Gang der Erſcheinungen achtet, und aus dem Gewirre mannig -5 faltiger Ereigniſſe das, was mit einander in Verbindung ſteht oder zu ſtehen ſcheint, geordnet auffaßt. Unſre Geiſtes-Anlagen noͤthigen uns, uͤberall eine Verbindung von Urſache und Wirkung aufzuſuchen, und der Beobachter der Naturphaͤnomene fuͤhlt ſich daher ſogleich zu der Frage veranlaßt, ob unter zwei auf einander folgenden Erſcheinungen die eine als Urſache der andern anzuſehen ſei. Um dieſe Frage zu entſcheiden, muß er ſich in den meiſten Faͤllen an die Erfahrung wenden, und jener vermuthete Zuſam - menhang dient daher ſeiner Aufmerkſamkeit zur Leitung; er achtet darauf, ob jene zwei Erſcheinungen immer ſo verbunden vorkom - men, und erſt, wenn er das durch wiederholte Beobachtung be - ſtaͤtigt findet, haͤlt er ſich berechtiget, in der einen die naͤchſte Ur - ſache der andern anzuerkennen. Da faſt keine Erſcheinung ſich oft wiederholt ganz auf dieſelbe Weiſe zutraͤgt, ſondern oft Nebenum - ſtaͤnde Verſchiedenheiten hervorbringen, ſo fuͤhrt gewoͤhnlich eine wiederholte Beobachtung zur Kenntniß dieſer Nebenumſtaͤnde, und lehrt uns eben dadurch die weſentliche Urſache um ſo ſicherer und genauer kennen, wenn wir ſie bei allen den, in andrer Hinſicht ab - geaͤnderten Umſtaͤnden wieder finden. So kann ſelbſt bloße Beob - achtung uns zu der Kenntniß der naͤchſten Urſache einer Erſchei - nung fuͤhren; aber dieſe Kenntniß wird noch ſicherer beſtaͤtigt, wenn es uns gelingt, eben die Erſcheinung durch einen Verſuch, durch ein Experiment, hervorzubringen. Bei dem Verſuche bringen wir die Umſtaͤnde ſelbſt hervor, durch welche, unſrer Mei - nung nach, jene Erſcheinung bewirkt werden ſoll, und der Verſuch beſtaͤtigt unſre Meinung, wenn er immer, bei richtiger Anordnung eben den Erfolg giebt. Der Verſuch lehrt gewoͤhnlich dann noch mehr; denn entweder tritt durch Zufall einmal eine kleine Abaͤn - derung der Umſtaͤnde ein, welche zum Gelingen des Verſuches er - fordert werden, und wir erlangen dadurch Belehrung uͤber die Urſache ſeines Mislingens, oder wir aͤndern abſichtlich die Umſtaͤnde ab, um uns uͤber die Verſchiedenheiten des Erfolges zu belehren. In dieſer mit beſtimmter Abſicht angeordneten Abaͤnderung zeigt ſich oft der Scharfſinn des Phyſikers in ſeinem ſchoͤnſten Lichte, wenn er die Ungleichheit der Erfolge voraus ſieht, welche aus jenen Abaͤnderungen wahrſcheinlich hervorgehen muͤſſen, und die Ent - wickelung der einzelnen Lehren wird uns Beiſpiele genug liefern,6 welche zeigen, wie eine Reihe von Erſcheinungen neu entdeckt wurde, indem man die erſten Verſuche, welche die Anleitung dazu gaben, geſchickt veraͤndert fortfuͤhrte.

Wenn ein Stuͤckchen Kreide in ein Gefaͤß mit hinreichend ſtarker Saͤure faͤllt, ſo verſchwindet in Kurzem die Kreide, wir ſagen, ſie wird aufgeloͤſt, dies iſt eine Beobachtung; wenn wir aber nun abſichtlich ein Stuͤck Kreide in eben ſolche Saͤure legen, um zu ſehen, ob es immer ſo erfolgt, wenn wir eben die Kreide etwa in ſehr verduͤnnte Saͤure legen, um die Grenzen dieſer Aufloͤſungskraft zu beſtimmen, wenn wir andre Koͤrper ſtatt der Kreide in eben die Saͤure legen oder andre Arten von Saͤuren nehmen, ſo ſtellen wir ſchon eine ganze Reihe von Verſuchen an. Bemuͤhen wir uns nun ſogar die Natur der Luftblaſen, die ſich uns bei dem Aufſchaͤumen der Aufloͤſung zeigen, zu be - ſtimmen, finden wir Mittel die ſo entwickelte Luft aufzufangen, gelangen wir zu der Kenntniß, daß dieſe Luftart ganz andre Ei - genſchaften als die uns umgebende atmoſphaͤriſche Luft beſitzt, ſo haben wir an jene unbedeutende Erfahrung eine Reihe wichtiger Erſcheinungen angeknuͤpft, und die Grundlagen eines hoͤchſt be - deutenden Zweiges der Phyſik ſind in dieſen wenigen Experimen - ten enthalten.

Eine ſolche Anordnung von Beobachtungen und Verſuchen kann in vielen Faͤllen ſchon dienen, um zu einer ſehr genuͤgen - den Einſicht in die Geſetze der Erſcheinungen zu gelangen; aber ſehr oft iſt es uns auch geſtattet, noch tiefer einzudringen. Viele Wirkungen, welche wir wahrnehmen, ſind einer Abmeſſung faͤ - hig, und in den Faͤllen, wo dies ſtatt findet, kann man mit Huͤlfe der Mathematik dahin gelangen, aus dem Maaße der wir - kenden Kraͤfte den Erfolg in genauen Zahlen zu berechnen, es ſei nun, daß man jenes Maaß der wirkenden Kraͤfte ſchon als ſicher bekannt annehmen oder nur als hypothetiſch gegeben anſe - hen kann; und wir halten unſre Erklaͤrung der Natur-Erſcheinun - gen erſt da fuͤr recht vollendet, wo ſie uns dahin fuͤhrt, nach Zahl und Maaß genau den Erfolg jedes Mal beſtimmen zu koͤnnen. Gewoͤhnlich gehen wir, grade bei dieſer Art von Be - ſtimmung, von Hypotheſen aus, und es iſt daher hier der Ort, die Wichtigkeit, ja die Nothwendigkeit der Einfuͤhrung von7 Hypotheſen in die Phyſik zu erklaͤren. So bedenklich man es gewoͤhnlich zu finden pflegt, wenn man Hypotheſen zur Er - klaͤrung einer Natur-Erſcheinung anwendet, und ſo oft allerdings durch den Misbrauch der Hypotheſen dem Fortſchreiten richtiger Kenntniſſe geſchadet worden iſt, ſo laͤßt es ſich doch auch von der andern Seite nicht leugnen, daß wir faſt zu keiner Kenntniß gelan - gen, ohne eine Hypotheſe aufzuwerfen. Wenn wir bei Nacht eine Gegend des Horizontes ſich erhellen ſehen, ſo fragen wir: kann denn der Mond dort aufgehen? Dieſe Frage iſt eine Hypo - theſe, deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit ſich freilich ſehr bald entſcheiden laͤßt. Aber ebenſo fragen wir, wenn der Blitz ein Haus getroffen hat und ohne zu zuͤnden zur Erde herabgelaufen iſt, ob dies an der Natur grade dieſes Blitzes lag, ob es ein kal - ter Schlag war, oder ob er durch Umſtaͤnde, die in der Beſchaf - fenheit des Hauſes lagen, ohne großen Schaden herabfuhr; und wenn wir aus Vergleichung mehrerer Erfahrungen finden, daß der Blitz da, wo er eine Metallleitung findet, ohne das Gebaͤude zu beſchaͤdigen, zur Erde gelangt, ſo geben wir die Hypotheſe von dem Unterſchiede warmer und kalter Schlaͤge auf, und finden dagegen die andre Hypotheſe, daß es in der Beſchaffenheit der getroffenen Koͤrper liege, wenn der Blitz ohne zu zuͤnden fort - geht, deutlich beſtaͤtiget. Auf aͤhnliche Weiſe ſind wir bei jedem uns neuen Phaͤnomene, auch in dem regelmaͤßigen Gange der Naturforſchung, veranlaßt, zu fragen, ob dies nicht von dem oder jenem beſtimmten Umſtande abhaͤnge, und eben damit haben wir ſchon eine Hypotheſe aufgeworfen. Die Pflicht des Natur - forſchers iſt es nun, zunaͤchſt zu ſehen, ob die Erſcheinung ſich immer an die hypothetiſch angenommene Urſache anſchließe, zu unterſuchen, nach welchen Geſetzen dieſe Urſache wirkt, und die hypothetiſch angenommenen oder nach Wahrſcheinlichkeit vermu - theten Geſetze mit dem zu vergleichen, was die Erfahrung ergiebt. Sind die Geſetze dieſer Wirkungen einfach, und findet man die Erfolge der Erfahrung entſprechend, ſo kann man die aufgeſtellte Hypotheſe als richtig anſehen; muß man dagegen kuͤnſtlich ver - wickelte Geſetze ausdenken, um hier der einen, dort der andern Erfahrung Genuͤge zu thun, die ſich den einfachern Geſetzen nicht ganz gemaͤß zeigt, ſo hat man Grund die Hypotheſe mit Mis -8 trauen anzuſehen. Ein Beiſpiel hiezu giebt des Copernicus Hypotheſe, daß die Erde um die Sonne laufe. Aus ihr ließen ſich alle rechtlaͤufige und ruͤcklaͤufige Bewegungen der Planeten, als aus bloßem Scheine entſpringend, als ganz entſprechend der rela - tiven Bewegung gegen die bewegte Erde, erklaͤren, ſtatt daß die aͤltere Hypotheſe, daß die Erde ruhe, zu der Vorausſetzung, daß die Planeten in ſehr verſchlungenen Bahnen laufen muͤßten, fuͤhrte. Dieſe Hypotheſen ſind nicht ſelten von der Art, daß ſich an ſie ſtrenge rechnende Beſtimmungen knuͤpfen laſſen, und in dem Falle laͤßt ſich zu einer vollkommenen Entſcheidung uͤber ihre Richtigkeit gelangen; denn wenn die Erfolge nicht bloß obenhin ſo ſind, wie die Hypotheſe ſie erwarten laͤßt, ſondern die Erſchei - nungen genau in dem Maaße, zu der richtigen Zeit, eintreffen, wie ſie eintreffen ſollten, ſo kann man, je ſchaͤrfer dies der Fall iſt, deſto ſicherer, die Wahrheit der Hypotheſe als entſchieden an - ſehen. Das glaͤnzendſte Beiſpiel einer ſolchen durch die mathema - tiſche Berechnung bewaͤhrten Hypotheſe ſtellt uns Newtons Attractionslehre dar, indem die nach ihr berechneten Bewegungen der Planeten jeder Beobachtung derſelben ſo genau entſprechen, daß die Vorherbeſtimmung aller Erſcheinungen mit der groͤßten Genauigkeit zutrifft, und dieſes Zutreffen ſtatt findet, ohne daß es einer Huͤlfshypotheſe oder irgend einer fuͤr einen Planeten ſo, fuͤr den andern Planeten anders beſtimmten Correction bedarf. Und ſo wie hier ſich eine Hypotheſe, als ein großes Ganzes von Erſcheinungen umfaſſend, bewaͤhrt hat, ſo haben auch manche andre Hypotheſen ſich, mehr oder minder fruchtbar in dem Um - fange ihrer Anwendungen, als wahr und als zu Erklaͤrung ganzer Reihen von Erſcheinungen zureichend, gezeigt. Die Gefahr, durch falſche Hypotheſen irre gefuͤhrt zu werden, laͤßt ſich durch aufrich - tige Wahrheitsliebe und durch aufmerkſames Beachten aller Um - ſtaͤnde zwar nicht unbedingt vermeiden, aber doch in hohem Grade vermindern. Wenn man mit moͤglichſter Strenge die Folgerungen entwickelt, zu denen die Hypotheſe fuͤhrt, und mit unbefangener Achtſamkeit die Erſcheinungen, die ſich wirklich zeigen, damit ver - gleicht, ſo darf man hoffen, daß der Irrthum, zu dem eine falſche Hypotheſe verleiten koͤnnte, nicht lange unentdeckt bleiben kann, und es verſteht ſich, daß man ſich nicht durch Vorliebe fuͤr eine9 einmal gefaßte Meinung darf blenden laſſen, und daß man ſich huͤten muß, der Hypotheſe noch Vertrauen zu ſchenken, die ſich nicht als wahr bewaͤhrt.

Einzelne Hauptgegenſtaͤnde der Naturlehre.

Dieſe Bemerkungen uͤber die Art, wie die Naturforſchung getrieben werden muß, wie wir Naturgeſetze entdecken und ihre Richtigkeit beſtaͤtigen koͤnnen, werden bald durch die Anwendung noch deutlicher werden. Ueber die verſchiedenen Gegenſtaͤnde, die ſich in der Naturlehre unſrer Unterſuchung darbieten, und die daraus hervorgehenden einzelnen Zweige der Phyſik, iſt es ſchwe - rer hier ſchon etwas ganz Genuͤgendes anzugeben. Die Frage, was denn die Materie ſei, oder was den Stoff zu allen unſern ſinnlichen Wahrnehmungen liefere, und welche nothwendige oder zufaͤllige Eigenſchaften die Materie beſitze, iſt die erſte, wozu wir uns hingezogen finden. Die Bewegung, deren Geſetze wir, als nothwendig, aus mathematiſchen Betrachtungen herleiten koͤnnen, bietet uns durch die mannigfaltigſten Anwendungen auf einzelne Erſcheinungen einen reichhaltigen Stoff zu Unterſuchungen dar. Die Erfahrungen ferner uͤber diejenige Einwirkung der Koͤrper auf einander, wodurch ihr ganzes Weſen veraͤndert zu werden ſcheint, die Aufloͤſungen, wo der feſte Koͤrper in einen fluͤſſigen uͤbergeht, die Niederſchlaͤge, wo ſich aus dem Fluͤſſigen ein ganz andrer feſter Koͤrper darſtellt, bieten eine eigne Wiſſenſchaft, die Chemie dar, die in ihren beſondern Anwendungen ſo reich iſt, daß man ſie, als einen eignen Zweig der Naturwiſſenſchaft, von der Phyſik trennt, und nur ihre Grundzuͤge in der Phyſik vorzutra - gen pflegt. Die uͤbrigen Lehren der Phyſik laſſen ſich endlich in vier Haupt-Abtheilungen bringen, da die Erfahrungen darauf geleitet haben, die Erſcheinungen, welche das Licht, die Waͤrme, die Electricitaͤt und der Magnetismus darſtellen, zu unterſuchen, und ihre Geſetze zu erforſchen.

Anordnung des Vortrags. Nutzen des Studiums der Phyſik.

Um dieſe verſchiedenen Lehren vollſtaͤndig und gruͤndlich dar - zuſtellen, wuͤrde es nun freilich der Mathematik beduͤrfen; aber da es Ihr Zweck nicht iſt, den ganzen Reichthum ſchoͤner, aber10 zum Theil tiefſinniger und ſchwieriger Betrachtungen vollſtaͤndig kennen zu lernen, den eine ſo tief eindringende Darſtellung der Phyſik liefert, ſo werde ich mich hier begnuͤgen, nur die Reſultate jener Unterſuchungen darzulegen, und ich hoffe Ihnen zu zeigen, daß dieſe ſich mit Ueberzeugung uͤberſehen laſſen, daß man die Gruͤnde, warum es ſo iſt, deutlich machen kann, wenn man theils die Verſuche, welche die wichtigſten Erſcheinungen darſtellen, vor Augen hat, theils die daran geknuͤpften Schluͤſſe auf eine Weiſe, die auch dem Nichtmathematiker vollkommen verſtaͤndlich iſt, ent - wickelt. Da die Experimentalphyſik den Hauptgegenſtand dieſer Vorleſungen ausmachen ſoll, ſo wird es mein Beſtreben ſein, Ihnen die Erfahrungen und Verſuche vollſtaͤndig und deutlich zu erklaͤren, die entweder den weitern Schluͤſſen zur Grundlage dienen, oder ſich an dieſe als Beſtaͤtigung anſchließen; ich werde ſuchen, das ganze Syſtem der Phyſik gleichſam aus Verſuchen aufzubauen. Daneben aber werde ich, theils aus den Anwendungen der Phyſik auf die Gegenſtaͤnde des gemeinen Lebens und auf die Kuͤnſte und Gewerbe, theils aus der Meteorologie, phyſiſchen Geographie und Aſtronomie, Ihnen das Wichtigſte mittheilen, um, ſo weit es unſre, vorzuͤglich in der Meteorologie noch ſehr beſchraͤnkten, Kennt - niſſe erlauben, Ihnen zu zeigen, wie die wichtigſten und groͤßeſten Natur-Ereigniſſe mit den Geſetzen zuſammenhaͤngen, die wir aus unſern Verſuchen ableiten.

Es iſt wohl nicht noͤthig, uͤber den Nutzen, den wir uns von dieſer Erforſchung der Natur verſprechen duͤrfen, umſtaͤndlich zu reden. Waͤre es auch bloß die Befriedigung des Beduͤrfniſſes, ſich uͤber alles, was uns umgiebt, zu belehren, eines Beduͤrfniſſes, das jeder denkende Menſch um ſo mehr empfindet, je mehr er ſeine Geiſteskraͤfte ausbildet, ſo wuͤrde ſchon darin Aufforderung genug liegen, uns mit der Naturkunde zu beſchaͤftigen. Wohin wir unſer Auge wenden, da bieten ſich uns Erſcheinungen dar, die wir in ihrem Zuſammenhange zu uͤberſehen wuͤnſchen, die unſern Scharf - ſinn, um ſie zu erklaͤren, die unſre Aufmerkſamkeit, um ſie zu benutzen oder den Nachtheilen, welche ſie drohen, zu entgehen, auffordern; und die Naturkunde iſt es, die uns Belehrung uͤber ſie gewaͤhrt. Aber auch die unzaͤhligen Vortheile, welche Kuͤnſte und Gewerbe aus der Phyſik gezogen haben, und noch mehr zie -11 hen koͤnnen, verdienen unſre Aufmerkſamkeit, und verdienen dieſe oft eben ſo ſehr um des Scharfſinnes willen, der ſich bei dieſen An - wendungen gezeigt hat, als um des Nutzens willen, den ſie ge - waͤhren. Und endlich fuͤhrt uns auch das Studium der Phyſik zu einer eigenthuͤmlichen Ausbildung unſerer Geiſteskraͤfte; denn ſo wie die Mathematik uns an Gruͤndlichkeit und Strenge in den Schluͤſſen gewoͤhnt, und uns zeigt, was denn eigentlich mit Sicher - heit wahr und gewiß heißen kann, wie die Botanik uns gewoͤhnt, mit Schaͤrfe die aͤußern Merkmale der Gegenſtaͤnde wahrzuneh - men und diejenigen Kennzeichen aufzuſuchen, wodurch ſich die ein - zelnen Pflanzen von einander unterſcheiden und wornach ſie im Syſteme koͤnnen aufgefunden werden, ſo fuͤhrt uns die Phyſik zur Kunſt des Beobachtens, indem ſie uns Beiſpiele zeigt, wie man durch richtiges Auffaſſen der Erſcheinungen die wahrhaft wirkſamen Urſachen von dem bloß Zufaͤlligen unterſcheidet, wie man durch Abaͤnderung der Umſtaͤnde die Geſetze der Wirkungen erforſcht, wie man oft mit Wahrſcheinlichkeit vorausſehen kann, welche Anordnung von Verſuchen zu ganz neuen Aufſchluͤſſen fuͤhren kann, und ſo weiter. Und dieſer Kunſt des Beobachtens beduͤrfen wir auch bei den gewoͤhnlichſten Ereigniſſen.

Doch es iſt Zeit, daß ich dieſe Einleitung ſchließe, um zu dem Gegenſtande unſrer Unterhaltungen uͤberzugehen.

Zweite Vorleſung.

Allgemeine Eigenſchaften der Materie. Geſtalt. Un - durchdringlichkeit.

Da die Erſcheinungen in der Sinnenwelt im Allgemeinen der Gegenſtand der Phyſik ſind, ſo fragen wir, m. h. H., wohl zu - erſt nach dem Weſen des Stoffes, der bei allem Wechſel der Er - ſcheinungen, als das Beharrliche, zum Grunde liegt, nach den Eigenſchaften der Materie oder der Koͤrper im Allgemeinen. Da alles, was wir erkennen koͤnnen, im Raume iſt, einen Ort einnehmen, eine Geſtalt haben muß, ſo ſehen wir es mit Recht als eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper an, daß ſie irgend12 eine Form beſitzen. Selbſt da, wo unſre Sinne uns nicht mehr geſtatten, die materiellen Theile wahrzunehmen, koͤnnen wir uns nicht enthalten, ihnen Vermuthungsweiſe eine Form, eine gewiſſe Lage im Raume beizulegen, und reden daher von den Lichttheilchen als von kleinen Koͤrpern, oder von den wellenartigen Oſcillationen des Aethers, die wir nach Abmeſſungen im Raume zu beſtimmen ſuchen. Aber ſtatt daß die mathematiſche Betrachtung des Koͤr - pers allein bei ſeiner Geſtalt und Groͤße ſtehen bleibt, ſtatt daß der Raum keine andre Eigenſchaften, als die der Groͤße und Ge - ſtalt beſitzt, legen wir ſogleich der Materie noch die zweite Ei - genſchaft bei, den Raum auszufuͤllen. In dem Puncte des Raumes, in welchem ſich ſchon Materie befindet, kann kein andrer phyſiſcher Koͤrper zugleich auch vorhanden ſein, der eine verdraͤngt entweder den andern aus ſeiner Stelle, oder jener hin - dert dieſen, den Platz einzunehmen, den er einzunehmen im Be - griff war. Wir nennen dieſes die Undurchdringlichkeit der Materie oder des phyſiſchen Koͤrpers, und ſehen auch dieſe als eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper an. Obgleich es hier nicht meine Abſicht iſt, in Unterſuchungen einzugehen, die eigent - lich der Philoſophie angehoͤren, ſo kann ich doch nicht ganz die Betrachtungen uͤbergehen, die ſich an dieſe Eigenſchaft der Koͤrper angeknuͤpft und zu der Behauptung gefuͤhrt haben, die Materie habe ihr Beſtehen durch die vereinigte Wirkung anziehender und abſtoßender Kraͤfte. Wir ſind gewohnt, alles das, was eine Aen - derung in der Koͤrperwelt hervorbringt, Kraft zu nennen, und ebenſo es einer Kraft zuzuſchreiben, wenn eine Aenderung des Zu - ſtandes, die durch eine Kraft bewirkt werden ſollte, gehindert wird. Da nun der eine Koͤrper das Eindringen des andern in den von jenem eingenommenen Raum nicht geſtattet, ſo ſchreiben wir beiden eine Kraft, das Eindringen zu hindern, eine abſtoßende Kraft, Repulſivkraft zu. Beſitzen aber die einzelnen Theile der Materie eine ſolche Repulſivkraft, ſo muͤßten ſie ſich von einander trennen, wenn nicht zugleich eine anziehende oder Attractivkraft wirkſam waͤre. In dieſem Zugleichwirken beider Kraͤfte ſuchen wir daher den Grund des Beſtehens der Materie in beſtimmter Aus - dehnung und Dichtigkeit; aber wenn wir weiter gehen und ſagen wollen, die Materie ſei nichts anders, als der Conflict dieſer Kraͤfte,13 ſo verlieren wir uns in eine unaufloͤsliche Dunkelheit, indem wir uns Kraͤfte nicht, als etwas fuͤr ſich allein Vorhandenes, denken koͤnnen, ſondern ſie als dem unbekannten Etwas, das wir Materie nennen, anhaftend anſehen. Ich weiß wohl, daß der Naturphi - loſoph mit dieſer Beſchraͤnkung jener Betrachtung nicht zufrieden iſt; aber der bloß bei den Erſcheinungen ſtehen bleibende Phyſiker kann ſich in das Gebiet jener Forſchungen um ſo weniger hinein wagen, da der aus ihnen hervorgegangene Gewinn, weder von Seiten vollendeter Zuverlaͤſſigkeit, noch von Seiten practiſcher Fruchtbarkeit, ſich recht werthvoll gezeigt hat. Die Betrachtung, daß das Beſtehen eines gegebnen Koͤrpers in der Beſchaffenheit, die er einmal beſitzt, auf ſolchen gegen einander wirkenden Kraͤften beruhe, daß daher eine aͤußere Kraft, indem ſie die Attractivkraft durch ein Zuſammendraͤngen unterſtuͤtzt, oder mit der Repulſivkraft durch ein Auseinanderziehen zuſammen wirkt, die Geſtalt des Koͤrpers aͤn - dern koͤnne, iſt wenigſtens nicht ganz unfruchtbar. Uebrigens zeigt ſich uns die Undurchdringlichkeit bei allen den Koͤrpern, die ſich unſerer ſinnlichen Wahrnehmung darbieten, augenſcheinlich. Dringt gleich das Waſſer in die Zwiſchenraͤume des Holzes, des Papieres ein, ſo thut es das doch nur ſo fern, als dieſe Zwiſchenraͤume nicht ausgefuͤllt ſind, oder als die in ihnen enthaltene Luft den von ihr eingenommenen Platz verlaͤßt, und wir ſehen dieſe in Form von Blaſen entweichen, wenn ſie aus ihrem Platze fortgetrieben wird. Selbſt die Luft iſt alſo undurchdringlich, ſie geſtattet da, wo ihr kein Ausgang gelaſſen iſt, nicht den Zutritt eines andern Koͤrpers, welches man dadurch zu zeigen pflegt, daß man ein mit Luft ge - fuͤlltes Glas mit der ins Waſſer getauchten Muͤndung in die Waſſermaſſe hinab druͤckt, und wahrnehmen laͤßt, daß das Waſſer nicht den Raum ausfuͤllt, den es einnehmen wuͤrde, wenn man die Luft entweichen ließe.

Theilbarkeit.

Eine dritte Eigenſchaft legen wir als nothwendige Eigenſchaft der Materie bei, die Theilbarkeit. Nicht bloß in der Vorſtellung koͤnnen wir uns den Koͤrper als in Theile zerlegt denken, ſondern er geſtattet auch phyſiſch eine Zertheilung. Wollen wir dieſe Ei - genſchaft an die Kraͤfte anknuͤpfen, welche das Beſtehen der14 Materie bedingen, ſo wuͤrden wir ſagen, da die Kraft des Zuſam - menhanges nicht unendlich ſein kann, ſo muß es moͤglich ſein, dieſe Kraft des Zuſammenhanges zu uͤberwinden, eine Trennung der Theile von einander zu bewirken. Die Mittel, die uns in der Erfahrung hiezu dargeboten werden, ſind mannigfaltig und groͤßtentheils bekannt. Sie beſtehen zum Beiſpiel darin, daß wir einen Koͤrper zwiſchen die Theilchen des andern hinein draͤngen und dann ſchneidend, brechend und ſo ferner, die Zertrennung be - wirken. Am merkwuͤrdigſten iſt die ſehr feine Zertheilung, die bei Miſchung fluͤſſiger Koͤrper ſtatt findet, und die ſich durch chemiſche Veraͤnderungen ſehr deutlich darthut. Die chemiſchen Reagentien, das iſt diejenigen Stoffe, welche das Vorhandenſein eines be - ſtimmten Koͤrpers in einer Aufloͤſung zeigen, geben Beiſpiele hiezu. So iſt zum Beiſpiel die Gallapfeltinctur ein vorzuͤgliches Mittel, die Gegenwart des Eiſens zu erkennen, indem ein Tropfen jener Tinctur, ſelbſt in einer ſehr verduͤnnten Eiſen-Aufloͤſung, eine Schwaͤrzung hervorbringt. Eine eben ſolche auf Eiſen reagirende Subſtanz iſt die Blutlauge*)Cyankali in kaltem Waſſer aufgeloͤſt.. Ein Gran derſelben faͤrbt 20 Pfund oder ¼ Cubicfuß**)Ein Cubicfuß iſt der koͤrperliche Raum von 1 Fuß lang, 1 Fuß breit, 1 Fuß hoch. Da 1 Fuß 12 Zolle enthaͤlt, ſo hat der Quadrat - fuß eine Flaͤche von 1 Fuß lang und 1 Fuß breit, 144 Quadratzoll, und der Cubicfuß 12 144 = 1728 Cubiczoll. Ebenſo hat der Laͤngen - zoll 12 Linien, der Quadratzoll 144 Quadratlinien, der Cubiczoll 1728 Cubiclinien, alſo der Cubicfuß 1728 1728 = 2985984, (bei - nahe 3 Millionen) Cubiclinien. Eiſen-Aufloͤſung merklich blau; wenn man nun bedenkt, daß eine Maſſe von mehr als 700000 Cubic - linien hier eine Faͤrbung erhaͤlt, daß das Auge noch Zehntel der Linie, alſo Tauſendtel der Cubiclinie, deutlich erkennt, ſo kann man den Gran als in jedem der 700 Millionen ſichtbarer Theil - chen ſeine Wirkung zeigend, anſehen. Aehnliche Beiſpiele geben die practiſch anwendbaren Faͤrbemittel. Venturi bemerkt, daß man mit 1 Unze Cochenille 10 Unzen Seide ſtark genug gefaͤrbt erhaͤlt. Aber die ſo gefaͤrbten 10 Unzen Seidenfaͤden waren 145000 Fuß lang und die microſcopiſche Unterſuchung zeigte in jedem Faden15 50 Coconfaͤden, deren geſammte Laͤnge alſo 7250000 Fuß betrug. Jeder dieſer Faͤden zeigte ſich unter dem Microſcop roth gefaͤrbt, und wenn man alſo annimmt, daß in jedem Fuße auch nur 2000 Theile ſichtbar wurden, ſo konnte man 14500 Millionen ſichtbare Theile als wirklich gefaͤrbt wahrnehmen*)Himly ophthalmolog. Bibliothek. 2 Th. 2 St. S. 400.. Welche zarte Bildun - gen die Natur uns, beſonders in den organiſchen Koͤrpern zeigt, wie in den Thierchen, die nur dem Milliontel eines Sandkoͤrnchens an Groͤße gleich kommen, noch Theile zu Unterhaltung der Lebens - functionen wahrgenommen werden, iſt aus Leuwenhoeks und andern Beobachtungen bekannt; und ebenſo feine Theile, immer noch in regelmaͤßiger Anordnung, ein Entſtehen aus noch zarteren Faſern und Gefaͤßen verrathend, zeigen uns die Vergroͤßerungs - glaͤſer in den einzelnen Haͤuten und andern Theilen auch der groͤ - ßeren Thiere.

Aber ſelbſt die Kunſt iſt im Stande, uns Beiſpiele von un - gemein feiner Theilung zu liefern. Die Kunſt, feine Linien auf Glas oder Metall einzuſchneiden und dieſe mit Huͤlfe einer ganz genau gleich fortruͤckenden Schraube ſo regelmaͤßig an einander zu zeichnen, daß die Eintheilung vollkommen gleichmaͤßig iſt, hat be - ſonders Fraunhofer ſo weit getrieben, daß er die Theilung eines Zolles in Zehntauſendtel als ganz genau, und die Theilung des Zolles in 32000 Theile als nur ſehr wenig von der voͤlligen Gleich - heit abweichend anſieht. Eine aͤhnliche Feinheit liefert die Kunſt des Drathziehens, wenn man ſie nach Wollaſtons Anleitung auf Gold und Platina von Silber umgeben anwendet. Die Drathzieher dehnen einen Silbercylinder von 22 Zoll Laͤnge, nach Reaumur's Bemerkung, in einen Drath von 110 franzoͤſiſchen Meilen, das iſt beinahe 16 Millionen Zoll aus, alſo zur 720000 maligen Laͤnge, indem ſie ihn nach und nach durch immer engere Loͤcher ziehen. Bohrt man nun in der Axe eines ſolchen Silbercylinders ein Loch, das genau den zehnten Theil des Durchmeſſers haͤlt, und fuͤllt dieſes mit Gold oder Platina aus, ſo dehnt ſich beim Drathziehen der den innern Kern des Cylinders ausmachende Koͤrper mit dem Silber aus, und man kann auf dieſe Weiſe Golddrath erhalten, von welchem 500 Fuß nur 1 Gran wiegen. Berechnet man hier -16 aus den Durchmeſſer des Drathes, ſo findet man ihn ungefaͤhr = $$\frac{1}{5400}$$ Zoll*)Nimmt man 1 Cubiczoll Waſſer = 373 franzoͤſ. Grains oder ungefaͤhr = 330 engliſchen Grains, ſo kann man 1 Cubiczoll Gold = 6350 engl. Grains rechnen. Sollen alſo 500 Fuß oder 6000 Zoll Laͤnge 1 Gr. wiegen, ſo muͤſſen ſie $$\frac{1}{6350}$$ Cubiczoll betragen, und der Querſchnitt des Drathes muß = $$\frac{1}{38100000}$$ Quadratzoll ſein, oder ſein Durchmeſſer $$\frac{1}{5470}$$ Zoll = $$\frac{1}{450}$$ Linie betragen. Gilb. Ann. LII. 284., und dies ſtimmt mit Wollaſton's Angabe uͤber - ein, der den Silberdrath als bis zu $$\frac{1}{500}$$ Zoll Dicke ausgezogen angiebt, wo dann der nur den zehnten Theil ſo dicke Gold - oder Platinadrath nur $$\frac{1}{5000}$$ Zoll dick ſein wuͤrde. Da der ſo gezogene Drath ſeinen Silber-Ueberzug behaͤlt, ſo muß man ihn davon durch Salpeterſaͤure, welche das Silber aufloͤſt, befreien, und erhaͤlt dann einen ſo feinen Drath, daß man ihn mit bloßem Auge nicht mehr wahrnehmen kann, weshalb man gern an den Enden ihm den Silber-Ueberzug laͤßt, um ihn bequemer halten und behandeln zu koͤnnen.

Man hat gefragt, ob die Materie ins Unendliche theilbar ſei. Dieſe Frage laͤßt ſich nicht beantworten; aber die ange - fuͤhrten Beiſpiele zeigen, daß dieſe Theilbarkeit ſich wenigſtens ungemein weit nachweiſen laͤßt**)Am weiteſten ſcheint die feine Vertheilung bei den ſtark rie - chenden Koͤrpern ſich nachweiſen zu laſſen, von welchen ein einziger Gran hinreicht, um ſehr große Raͤume mit dem Geruche zu erfuͤllen; aber immer bleiben dieſe Theilungen doch weit hinter dem zuruͤck, wovon man in der neueſten Zeit bei den Doſen von Arzneimitteln ge - redet hat. Um von 1 Quintilliontel Gran einen Begriff zu erhalten, (denn ſo wenig betraͤgt zuweilen eine ſolche Doſis) muß man erwaͤ - gen, daß die 6000jaͤhrige Dauer der Menſchengeſchichte 2191500 Tage, oder 52596000 Stunden, wofuͤr ich 53 Millionen Stunden ſetzen will, betraͤgt. Die Weltgeſchichte umfaßt alſo nur etwa 190000 Millionen Secunden. Waͤre nun die Erde dieſe ganze Zeit durch mit 1000 Millionen Menſchen in jedem Zeitpuncte bevoͤlkert geweſen, und haͤtte jeder derſelben alle Secunden eine Doſis eben des Arzneimittels genommen, ſo waͤren 190 Trillionen ſolcher Doſen oder ungefaͤhr 200 Trillionen ſolcher Doſen verbraucht. Wenn demnach ein Arzt ſeit Adams Zeiten allen lebenden Menſchen jede Secunde ein Quintilliontel Gran irgend eines Arznei - mittels gegeben haͤtte, ſo waͤre dennoch der ganze Verbrauch noch nicht ein Tauſendel vom Milliontel eines Granes. .

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Poroſitaͤt.

An dieſe Eigenſchaften der Koͤrper ſchließt ſich eine andere an, die wir freilich nicht als nothwendig mit dem Begriffe der Materie verbunden anſehen koͤnnen; die Poroſitaͤt. Ein Koͤrper nimmt einen gewiſſen Raum ein, und da wir Gruͤnde haben, bei dem einen Koͤrper mehr materielle Theilchen in demſelben Raume anzunehmen, als bei dem andern, ſo legen wir den Koͤrpern eine ungleiche Dichtigkeit bei; aber der Koͤrper er - fuͤllt ſeinen Raum nicht auf eine ſtetige, uͤberall gleiche Weiſe, ſondern ſelbſt unſer bloßes Auge zeigt uns Zwiſchenraͤume, die nicht mit der Materie des Koͤrpers erfuͤllt ſind; das Microſcop laͤßt uns dieſe Poren noch deutlicher wahrnehmen. Da die Koͤrper, die wir zu beobachten Gelegenheit haben, faſt immer lange in der Luft geweſen ſind, ſo koͤnnen wir meiſtens annehmen, daß die zwiſchen den Theilchen der Koͤrper leer bleibenden Stellen, oder die Poren, mit Luft gefuͤllt ſind; dieſe Luft ſehen wir daher gewoͤhnlich beim Ein - tauchen in Waſſer, indem das Waſſer in die Poren eindringt, in Blaſen hervorkommen, und wo das Waſſer unter den gewoͤhn - lichen Verhaͤltniſſen auch nicht in die Poren eindringt, da ge - ſchieht es doch, wenn man unter der Luftpumpe das Hervortreten der Luft aus dieſen Poren bewirkt. Selbſt im Waſſer, obgleich von einem Wahrnehmen der Poren des Waſſers nicht die Rede ſein kann, befindet ſich Luft, die wir beim Kochen und unter der Luftpumpe, bei aufgehobenem Drucke der Luft, hervorgehen ſehen.

Daß von dieſer Poroſitaͤt es zum Theil abhaͤngt, daß einige Koͤrper leichter, weniger dicht, als andere ſind, iſt ziemlich in die Augen fallend, oder laͤßt ſich wenigſtens aus den Veraͤnde - rungen ſchließen, die man bei ſtarker Zuſammenpreſſung derſelben wahrnimmt. Wir ſind gewohnt, Holz als weniger dicht in Ver - gleichung gegen Waſſer anzuſehen; aber Scoresby erzaͤhlt einen Fall, wo ein Boot, durch einen weit in die Tiefe gehenden Wall - fiſch hinabgezogen, als der Wallfiſch getoͤdtet und nun das an ihm feſthaͤngende Boot heraufgezogen war, eine ſolche Dichtigkeit erlangt hatte, daß es nicht mehr uͤber Waſſer zu erhalten und ſelbſt nach dem Austrocknen unbrauchbar geworden war. WirI. B18werden in der Folge ſehen, daß ein ſo tief unter die Oberflaͤche des Waſſers hinabgezogener Koͤrper mit ſehr maͤchtigem Drucke com - primirt wird, alſo viel weniger poroͤs als vorher ſein muß, daß alſo das Holz eine groͤßere Dichtigkeit erlangt hatte, und deshalb zum Schwimmen untauglich geworden war.

Man pflegt in der Experimentalphyſik mehrere Verſuche zu zeigen, die einen Beweis fuͤr die Poroſitaͤt der Koͤrper geben, z. B. daß ſich Queckſilber durch die Poren dichten Leders druͤcken laͤßt, ja daß ein ſtarker Druck es ſelbſt durch die Poren des Holzes hindurch treibt; daß fluͤſſige Materien, namentlich Waſſer und Weingeiſt zu einander gemiſcht, einen kleinern Raum einnehmen, als ſie un - gemiſcht einnahmen; daß die Ausduͤnſtung gewiſſer Materien ihre Wirkungen da zeigen, wohin ſie bloß durch die Poren feſter Koͤrper gelangen koͤnnen. Zum Beweiſe des letztern dient folgender Ver - ſuch. Man loͤſet Bleizucker in Waſſer auf, und ſchreibt mit dieſer ganz farbeloſen Aufloͤſung auf ein weißes Papier; man legt das ſo beſchriebene, trocken gewordene Papier in ein Buch, ſo daß es zwiſchen den dicht an einander liegenden Blaͤttern des Buches gegen allen freien Zutritt der Luft geſichert iſt; man legt nun an eine andre Stelle des Buches, ſo daß mehr als 200 Blaͤtter dazwiſchen ſind, ein mit friſch bereiteter Aufloͤſung von Schwefelkalk in Waſ - ſer befeuchtetes Papier, und legt das Buch ſo zuſammen, daß die Duͤnſte der Schwefelleber nur durch die Poren des Papiers dorthin gelangen koͤnnen, ſo findet man dennoch nach ſehr kurzer Zeit jene Schrift braun geworden, vermoͤge der Einwirkung eben jener Daͤmpfe.

Die Beobachtung der Poren mit dem Microſcope giebt uns zugleich Gelegenheit, die Structur der Koͤrper in ihren einzelnen Theilen wahrzunehmen; die regelmaͤßigen Blaͤttchen der Cryſtalle, die Faſern bei den organiſchen Koͤrpern, die zarten Gefaͤße in ihnen zu erkennen, in welchen die Saͤfte der Pflanzen aufſteigen, die Fluͤſſigkeiten im thieriſchen Koͤrper ſich bewegen, u. ſ. w.

Cohaͤrenz. Feſtigkeit. Fluͤſſigkeit.

Eine ebenſo wichtige Eigenſchaft der Koͤrper lernen wir durch den Widerſtand kennen, welchen ſie der Zertheilung entgegenſetzen. Alle Koͤrper zeigen eine mehr oder mindere Kraft des Zuſammen19 hanges, der Cohaͤrenz, und durch dieſe thut ſich auch in den gewoͤhnlichen Erfahrungen jene Anziehungskraft dar, die wir vor - hin ſchon, durch andre Gruͤnde geleitet, als den Koͤrpern eigen, annahmen. Dieſe Kraft der Cohaͤrenz aͤußert ſich am ſtaͤrkſten bei den feſten Koͤrpern, das iſt bei denen, deren Geſtalt ſich nur durch Einwirkung groͤßerer Kraͤfte aͤndern laͤßt; aber ſelbſt die fluͤſ - ſigen, obgleich ſie der ſchwaͤchſten Kraft nachgeben, und jeder Aenderung der Geſtalt empfaͤnglich ſind, zeigen doch ebenfalls einen Zuſammenhang, der wenigſtens beim Waſſer und aͤhnlichen Koͤr - pern ſich in der Bildung der Tropfen wahrnehmen laͤßt. Die feſten Koͤrper zeigen ſich ſelbſt unſerm Auge ſchon verſchieden von den fluͤſſigen; in jenen bemerken wir eine faſerige, koͤrnige oder ge - ſchichtete Lage ihrer Theilchen, wir erkennen mehr oder weniger deutlich die Zwiſchenraͤume, die ſich zwiſchen den Theilen des Koͤr - pers befinden, ſtatt daß der fluͤſſige Koͤrper den Raum mit mehr Stetigkeit erfuͤllt. Und obgleich ſelbſt bei dieſen eine ſtrenge gleich - foͤrmige Raum-Erfuͤllung nicht ſtatt finden mag, ſo laͤßt ſich doch ein Grund einſehen, warum in denjenigen Koͤrpern, welche den Raum mit beinahe vollkommener Gleichfoͤrmigkeit erfuͤllen, die Beweglichkeit der einzelnen Theilchen groͤßer iſt. Wird naͤmlich, vermoͤge der jedem Theilchen eigenen Anziehungskraft, irgend eines derſelben von ſeinen Nachbarn nach beiden oder vielmehr nach allen Seiten gleich gezogen, ſo reicht ſchon eine kleine Kraft hin, um die Lage dieſes Theilchens zu aͤndern, und die große Beweglichkeit der Theile findet weit mehr ſtatt, als es da der Fall iſt, wo die Beſtandtheile ungleichfoͤrmig ausgetheilt ſind.

Die Feſtigkeit der Koͤrper, denn ſo nennen wir den Grad des Widerſtandes, welchen ſie dem Zerreißen entgegenſetzen, iſt nicht im Verhaͤltniſſe der Dichtigkeit. Wir werden in der Folge Mittel finden zu zeigen, daß Gold viel mehr Dichtigkeit beſitzt, als Eiſen, und dennoch beſitzt Eiſen eine viel groͤßere Feſtigkeit. Man beſtimmt dieſe abſolute Feſtigkeit aus dem Gewichte, welches ein Koͤrper, ohne zu zerreißen, tragen kann, und obgleich die daruͤber angeſtellten Verſuche, wegen der Ungleichheit einzelner Koͤrpermaſſen derſelben Art, nicht ganz uͤbereinſtimmen, ſo hat man doch dadurch ſich eine zureichend genaue Kenntniß dieſer un - gleichen Feſtigkeit erworben. Die Feſtigkeit des Eiſens, naͤmlichB 220des guten engliſchen Stab-Eiſens, iſt ſo groß, daß, nach Tred - gold's und nach Duleau's Verſuchen, ein Stab von 1 rhein - laͤnd. Quadratzoll Querſchnitt mit 18200 Pfund belaſtet, ſich nur um $$\frac{1}{1400}$$ ſeiner Laͤnge ausdehnt, und erſt bei 50000, ja zuweilen erſt bei 70000 Pfund Belaſtung reißt. Dabei iſt es merkwuͤrdig, daß ſich die Quantitaͤt des Gewichtes, welche der Koͤrper zu tragen vermag, nicht genau dem Querſchnitte proportional zeigt, ſon - dern zum Beiſpiel duͤnner Eiſendrath ſo ſtark iſt, daß neben ein - ander gelegte Draͤthe, deren Querſchnitte zuſammen auch nur 1 rheinl. Quadratzoll betruͤgen, 130000 Pfunde tragen koͤnnen*)Karſten Handb. der Eiſenhuͤttenkunde. I. 98..

Selbſt die Holz-Arten beſitzen einen hohen Grad von Feſtig - keit, indem nach Eytelwein ein gut ausgetrocknetes Kiefernholz mit parallelen Faſern 16000 bis 21000 Pfund bei einem Quer - ſchnitte von 1 Quadratzoll traͤgt, und unter dem Eichenholze Stuͤcke vorkommen, deren Tragekraft 26500 Pfund iſt**)Eytelwein Handb. d. Statik feſter Koͤrper. II. 253.. Unter den zartern Koͤrpern ſind manche, die dennoch ein erhebliches Ge - wicht tragen, z. B. nach Muſſchenbroek's Angabe ein Faden der Seidenraupe 80 Gran, ein Menſchenhaar 2000 Gran, und ſelbſt ſehr weiches feines Haar doch 1200 bis 1300 Gran.

Da es hier nicht meine Abſicht iſt, alles aufzuzaͤhlen, was man uͤber dieſen Gegenſtand beobachtet hat, ſo verweile ich nur noch bei einigen auffallenden Merkwuͤrdigkeiten, auf welche Rum - ford vorzuͤglich aufmerkſam gemacht hat. Eine ſolche Bemerkung iſt die, auch ſonſt ſchon bekannte, daß in einander geflochtene Faͤden mehr Staͤrke beſitzen, als eben die Faͤden, parallel neben einander geſpannt, haben wuͤrden, ferner daß Drehung der Seile weniger vortheilhaft, als Flechten der einzelnen Faͤden, zur Staͤrke des Seiles beitraͤgt, und daß zu ſtarkes Drehen die Staͤrke des Seiles vermindert, manche kuͤnſtlichere Arten der Flechtung aber dadurch, daß ſie eine gleichmaͤßige Dehnung der gewundenen ein - zelnen Faͤden bewirken, weſentliche Vortheile fuͤr die Haltbarkeit gewaͤhren. Zu den auffallenden Beiſpielen von Feſtigkeit, welche Koͤrper beſitzen, denen man keine große Feſtigkeit zuzutrauen pflegt, gehoͤren folgende gleichfalls von Rumford bekannt gemachte Er -21 fahrungen. Er fand daß Kupferbleche von $$\frac{1}{20}$$ Zoll, alſo reichlich ½ Linie dick zu hohlen Roͤhren geformt, eine doppelt ſo große Feſtig - keit erhielten, wenn man ſie mit einer doppelt ſo dicken Lage ſtar - ken Papiers, wohl geleimt, uͤberklebte; ferner daß ein aus Pa - pierlagen mit gutem Leim zuſammengeklebter Cylinder bei einem Querſchnitte von 1 Quadratzoll 30000 Pfund zu tragen im Stan - de war; ein ebenſo aus guten Hanffaͤden zuſammengeleimter Cy - linder trug ſogar 92000 Pfund*)Gilb. Ann. XII. 389..

In Ruͤckſicht auf dieſen Zuſammenhang oder auf die Cohaͤ - ſion bieten die Koͤrper eine hoͤchſt mannigfaltige Verſchiedenheit dar, indem einige dem Zerreißen, andre dem Zerbrechen, andre dem Eindringen in ihre Oberflaͤche groͤßern Widerſtand leiſten. Wir unterſcheiden daher harte und weiche Koͤrper, und ſelbſt der weiche Koͤrper, das iſt derjenige, deſſen Oberflaͤche ziemlich leicht Eindruͤcke annimmt, kann dennoch dem Zerreißen (wie z. B. das Holz) einen großen Widerſtand leiſten. Hart nennen wir naͤm - lich die Koͤrper, die jedem Hineindringen in ihre Oberflaͤche ſtarken Widerſtand darbieten. Der Stahl iſt haͤrter als Eiſen, der Dia - mant ſo hart, daß kein andrer Koͤrper ſeine Oberflaͤche durch Ein - ritzen angreift, und dennoch kann der geſchickte Kuͤnſtler, wenn er die Lage der Blaͤttchen, aus denen der als Cryſtall gebildete Diamant beſteht, richtig wahrnimmt, dieſe Blaͤtter abſpalten, ſo daß die Haͤrte hauptſaͤchlich nur auf dem feſten Zuſammenhange der Theilchen jedes ſolchen Blaͤttchens beruht. Der weiche Koͤr - per nimmt dagegen leicht Eindruͤcke in ſeine Oberflaͤche an, und laͤßt ſich leicht andre Formen geben. Dieſe große Haͤrte der Koͤrper iſt oft mit Sproͤdigkeit verbunden, welche ſich dadurch aͤußert, daß eine geringe Beugung ſogleich ein Zerbrechen bewirkt. Die Sproͤdigkeit bei bedeutender Haͤrte beruht alſo darauf, daß die ge - genſeitige Attraction der Theilchen zwar bei der Lage, welche wir die natuͤrliche Lage nennen koͤnnen, ſehr groß iſt, aber in ſtarkem Grade vermindert wird, ſobald es nur gelungen iſt, die Theilchen ſehr wenig aus dieſer natuͤrlichen Lage herauszuruͤcken. Biegſam, von einer zaͤhen Beſchaffenheit ſind dagegen die Koͤrper dann, wenn ſie eine Aenderung der Geſtalt, ohne zu zerbrechen oder zu zerrei -22 ßen, geſtatten. Wenn man ſich das Beſtehen irgend eines be - ſtimmten Koͤrpers in ſeiner einmal ſtattfindenden Beſchaffenheit, als in dem Gleichgewichte zwiſchen anziehender und abſtoßender Kraft ſeiner Theilchen begruͤndet, denkt, ſo muͤßte man hier ſagen, indem man die Theilchen aus der natuͤrlichen Lage bringt, ſo tritt gleichwohl in der neuen Lage wieder ein Zuſtand des Gleichgewichts ein; beide Kraͤfte muͤſſen alſo wohl in ziemlich gleichem Maaße, bei vergroͤßertem Abſtande der Theilchen ihre Wirkung aͤndern, ſtatt daß ſproͤde Koͤrper die Eigenſchaft beſitzen, daß die Attraction, die zuſammenhaltende Kraft der Theilchen, bei der geringſten Vergroͤ - ßerung der Entfernung ſchnell abnimmt, und daher, wenn die Repulſivkraft nicht in eben dem Grade vermindert wird, ein Auf - hoͤren des Zuſammenhanges eintreten muß. Doch ich breche dieſe minder nuͤtzlichen Speculationen ab, um bei dem zu verweilen, was ſich in der Erfahrung als merkwuͤrdig, in Beziehung auf dieſe Eigenſchaften, zeigt. Die dehnbaren Koͤrper, die ſich in die Laͤnge ausdehnen laſſen, ohne zu zerreißen, bieten darin etwas Auffallen - des dar, daß ſie bei vermindertem Querſchnitte eine groͤßere Laſt tragen. Die Metallſaite zum Beiſpiel verlaͤngert ſich erheblich, und folglich nimmt ihr Querſchnitt erheblich ab, wenn man ein Ge - wicht an ſie anhaͤngt; man ſollte nun glauben, die Laſt, welche zu ſchwer war, um von der Saite vor der Dehnung getragen zu werden, muͤſſe jetzt um ſo mehr zu ſchwer ſein, die Dehnung muͤſſe ſich ſogleich bis zum Zerreißen vermehren; aber das iſt be - kanntlich nicht der Fall.

Als Beiſpiel großer Haͤrte und großer Sproͤdigkeit pflegt man immer die ſchnell gekuͤhlten Glastropfen (Fig. 1.) und Glasflaͤſch - chen anzufuͤhren. Beide Arten von Glasmaſſe ſind feſt genug, um recht bedeutenden Stoͤßen zu widerſtehen, und bleiben auch beim Reiben an harten Koͤrpern in ihrem feſten Zuſammenhange; aber bricht man an den Glastropfen den feinen Faden ab, ſo zer - ſpringt der ganze dicke Glaskoͤrper in Pulver, und laͤßt man auf den Boden des Glasflaͤſchchens (dieſe Flaͤſchchen ſind unter dem Namen Bologneſer-Flaͤſchchen bekannt) auch nur ein kleines Stuͤck - chen Feuerſtein fallen, ſo zerſpringt das Gefaͤßchen. Die ſchnelle Kuͤhlung muß hier den Theilchen nicht erlaubt haben, die regelmaͤ - ßige und feſte Stellung anzunehmen, die ſonſt beim Glaſe ſtatt23 findet, und eine Aenderung der Lage einiger Theilchen reicht daher hin, um die ganze Structur des Koͤrpers zu zerſtoͤren. Koͤrper, die ſich durch Zerſtampfen ſollen zertheilen laſſen, muͤſſen in eini - gem Grade ſproͤde ſein.

Elaſticitaͤt.

Die biegſamen und dehnbaren Koͤrper zeigen ſich uns wieder verſchiedenartig, indem einige die Geſtalt, welche man ihnen durch gewaltſame Einwirkung gegeben hat, behalten, andre ihre vorige Geſtalt wieder annehmen. Jene heißen unelaſtiſch, dieſe ela - ſtiſch. Bei den elaſtiſchen muͤſſen wir, wie es mir ſcheint, an - nehmen, daß bei der Compreſſion der Theilchen das Uebermaaß der abſtoßenden Kraft ſo groß wird, daß ſie die vorige Entfernung der Theilchen von einander herzuſtellen ſtrebt und herſtellt, und daß hingegen bei dem Auseinanderdehnen die anziehende Kraft nicht in dem Maaße, wie die abſtoßende Kraft, abgenommen hat, und jene alſo mit uͤberwiegender Gewalt die Theilchen zu ihrer vorigen Lage zuruͤckfuͤhrt. Die Elaſticitaͤt aͤußert ſich auf mannigfaltige Weiſe. Einige Koͤrper, zum Beiſpiel Kugeln aus Elfenbein oder aus Federharz, koͤnnen durch ſtarken und ploͤtzlichen Druck ein wenig zuſammengepreßt werden, nehmen aber bei nachlaſſendem Drucke ſogleich ihre Geſtalt wieder an. Andre Koͤrper, zum Beiſpiel laͤngere Staͤbe, erlauben eine Biegung, ſpringen aber mit großer Gewalt zuruͤck, wenn man ſie frei laͤßt. Die elaſtiſche Saite wird durch das angehaͤngte Gewicht zuerſt mehr ausgedehnt, zieht ſich dann ein wenig wieder zuſammen, und gelangt nach abwechſelnder Oſcil - lation zu dem Zuſtande der Dehnung, welcher eigentlich dem an - gehaͤngten Gewichte angemeſſen iſt. Ein gedrehter Faden kehrt durch Zuruͤckdrehung in ſeine vorige Lage zuruͤck u. ſ. w. Die un - elaſtiſchen Koͤrper leiden dagegen die Veraͤnderungen ihrer Geſtalt, ohne ein Beſtreben, zu ihrem vorigen Zuſtande zuruͤckzukehren, zu zeigen.

Mit welcher Gewalt die elaſtiſchen Koͤrper ſtreben, ihre na - tuͤrliche Geſtalt wieder anzunehmen, davon ſind zahlreiche Beiſpiele ſo bekannt, daß ich Sie nur daran zu erinnern brauche. Der Ball aus Federharz, den man frei fallen ließ, wird durch die Elaſticitaͤt wieder hoch hinaufgeworfen; der geſpannte Bogen, ein elaſtiſcher24 Stab, treibt indem er in ſeine urſpruͤngliche Lage zuruͤckkehrt, den Pfeil mit großer Geſchwindigkeit fort; die Balliſten und Catapulten der Alten, mit welchen Laſten von mehr als 100 Pfund geworfen wurden, erhielten die große Gewalt, mit welcher ſie dieſe auf 3000 Fuß weit ſollen fortgeſchleudert haben, durch die Elaſticitaͤt ſtark gedrehter Seile, die man ploͤtzlich frei ließ, und deren maͤch - tige Kraft beim Zuruͤckkehren in ihre ungedrehte Lage jene Laſten in Bewegung ſetzte. Daß ſelbſt die ſproͤden Koͤrper, zum Beiſpiel Glas, elaſtiſch ſind, zeigt ſich in dem Klange, den ſie hervorzu - bringen im Stande ſind; aber ſproͤde Koͤrper verſtatten nur geringe Aenderungen der Geſtalt, und nehmen die vorige Geſtalt in ſchnell auf einander folgenden Oſcillationen, die uns im Klange hoͤrbar werden, wieder an.

Sehr merkwuͤrdig iſt es, daß wir bei manchen Koͤrpern die Mittel beſitzen, um ihnen die eine oder die andre dieſer Eigen - ſchaften zu ertheilen. Daß man die Sproͤdigkeit des Glaſes in hohem Grade verſtaͤrken kann, wenn man es ſchnell abkuͤhlt, habe ich ſchon erwaͤhnt. Etwas Aehnliches, aber viel groͤßere Unterſchiede bewirkend, findet bei der Bereitung des Stahles ſtatt, welcher ſeine große Haͤrte und Sproͤdigkeit durch ſchnelles Abkuͤhlen nach dem Gluͤhen erlangt, und den man wieder dieſer Eigenſchaften be - raubt, indem man ihn nach abermaligem Gluͤhen nicht ſo ploͤtzlich abkuͤhlt. Die verſchiedene Behandlung des Eiſens, wobei theils ſeine Beſtandtheile, indem es Kohle aufnimmt, in einem doch nur geringen Grade, geaͤndert werden, theils bloß eine Einwirkung auf die innere Anordnung ſeiner Theile ſtatt findet, giebt ihm viele Verſchiedenheiten ſeiner Eigenſchaften, indem es in einem Zuſtande ſproͤde und daher nicht haͤmmerbar, im andern geſchmeidig, in einem andern hart und elaſtiſch und ſo weiter iſt. Fortin hat durch Verſuche gezeigt, daß der ſchnell abgekuͤhlte oder gehaͤrtete Stahl ein groͤßeres Volumen behaͤlt, als ohne Haͤrtung. Man nimmt genau abgedrehte cylindriſche Stuͤcke ungehaͤrteten Stahls, die genau in einen hohlen Cylinder von Stahl paſſen; wenn man nun jene allein, getrennt von dem hohlen Cylinder haͤrtet, ſo gehen ſie nach dem Abkuͤhlen nicht mehr in jene Hoͤhlung, ſondern haben ein zu großes Volumen behalten. Iſt der hohle Cylinder aus einer andern Materie, die nicht der Veraͤnderung faͤhig iſt, wie der25 Stahl beim Haͤrten, ſo kann man den Stahlcylinder in dem hoh - len Cylinder laſſen, ſie zuſammen erhitzen und ſchnell abkuͤhlen; dann wird der Stahl ſo feſt eingetrieben ſein, als ob er mit Ge - walt in einen zu engen Cylinder getrieben waͤre. Daß aber auch geringe Aenderung der Beſtandtheile den Grad der Feſtigkeit und Haͤrte ſehr aͤndern kann, haben Faraday und Stodart durch viele Verſuche gezeigt, wo zum Beiſpiel eine Beimiſchung von $$\frac{1}{500}$$ Silber zum Stahl dieſem eine ungemeine Haͤrte und Vorzuͤglichkeit gab*)Karſtens Eiſenhuͤttenkunde. I. 320. Biots Lehrbuch der Experim. Phyſ. I. 390. Ueber die Verfertigung elaſtiſcher, luftdichter Roͤhren aus Federharz. ſ. Faraday chemical manipulation. §. 416..

Dritte Vorleſung.

Bewegung und Ruhe. Abſolute und relative Bewegung.

Schon in den Betrachtungen, m. h. H., womit ich Sie neu - lich unterhielt, konnte ich es mehrmals nicht vermeiden, von einer Aenderung in der Lage der Koͤrpertheilchen und von Urſachen, welche dieſe Aenderung bewirken, zu reden; aber was dort nur obenhin angedeutet zu werden brauchte, verdient eine gruͤndlichere Ueberle - gung, und die Fragen, wiefern Beweglichkeit eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper ſei, was Ruhe und Bewegung heißt, und wie ſie entſteht, oder, einmal entſtanden, fortdauert, dieſe Fragen ſollen uns jetzt beſchaͤftigen.

Jeder Koͤrper nimmt einen Raum ein, aber er bleibt nicht immerfort in demſelben Orte, ſondern kann ſeine Stelle aͤndern, er iſt alſo beweglich. Er ruhet ſo lange er an demſelben Orte ver - harret, er bewegt ſich, wenn er, in nach einander folgenden Augen - blicken, in einen andern Ort hinuͤbertritt, einen gewiſſen Weg durchlaͤuft, ſeine Lage im Raume aͤndert. Wir ſind gewoͤhnlich ge - neigt, die Entſcheidung, ob ein Koͤrper ſich bewege oder ruhe, fuͤr ziemlich leicht zu halten; aber ſelbſt alltaͤgliche Erfahrungen koͤnnen26 uns belehren, daß dieſe Entſcheidung nicht immer ſo leicht iſt, und daß wir ſehr oft eine ſcheinbare Bewegung wahrnehmen, wo doch Ruhe ſtatt findet, und daß Koͤrper uns zu ruhen ſcheinen, die ſich doch wirklich bewegen. Wenn wir in dem untern Raume eines ſehr gleichfoͤrmig fortgehenden Schiffes ſitzen, ſo bemerken wir es oft gar nicht, daß wir mit allen uns zunaͤchſt umgebenden Koͤrpern fortbe - wegt werden, und wir halten den Tiſch, an welchem wir ſitzen, die Waͤnde, die uns umgeben, fuͤr ruhend, weil alle dieſe Gegenſtaͤnde unter ſich und gegen uns ſelbſt eine ungeaͤnderte Lage behalten. Alle dieſe einzelnen Koͤrper ſind relativ gegen einander ruhend, indem ſie ihre gegenſeitige Lage nicht aͤndern, und dies verleitet uns, ſie fuͤr abſolut ruhend zu halten, ſo lange wir ſie nicht mit der Lage andrer Koͤrper vergleichen, die an der Bewegung jener im Schiffe befindlichen Koͤrper nicht Theil nehmen. Befinden wir uns ſo in der Kajuͤte des Schiffes in voͤlliger vermeinter Ruhe, und blicken nun zum Fenſter hinaus auf die hinter uns zuruͤckbleibenden im Waſſer ſchwimmenden Koͤrper, ſo ſind wir geneigt zu glauben, dieſe gingen in raſchem Strome zuruͤckeilend, an uns vorbei, ja dieſe Taͤuſchung findet ſelbſt noch ſtatt, wenn wir auf das Ufer blicken, und obgleich wir wiſſen, daß die Baͤume und Haͤuſer am Ufer nicht auf dieſe Weiſe zuruͤcklaufen, ſo koͤnnen wir doch dem ſinnlichen Eindrucke, als ob es ſo ſei, kaum widerſtehen. Eben dieſe Taͤuſchung empfinden wir beim ſchnellen Fahren im Wagen und in vielen andern Faͤllen, und wir lernen dadurch, daß unſer Urtheil uͤber die Bewegung oder Ruhe durch unſre eigne Bewegung ſehr unſicher wird. Iſt es alſo wahr, was die Aſtronomen behaupten, daß die Erde mit großer Schnelligkeit eine Bahn um die Sonne durchlaͤuft, und zugleich taͤg - lich eine Umdrehung um ihre eigne Axe vollendet, ſo iſt es einleuch - tend, daß uns dieſe Bewegung durch keinen auf der Erde befindlichen Gegenſtand merklich werden kann, indem Land und Waſſer, Berge und Staͤdte, in eben der gegenſeitigen Lage verharrend, und eben die Lage gegen uns, wenn wir auf der Erde ſtill ſtehen, behaltend, mit fortgefuͤhrt werden, daß alſo dieſe relative Ruhe der auf der Erde befindlichen Koͤrper gegen einander gar wohl ſtatt finden kann, wenn auch die ganze Erde mit allen dieſen Koͤrpern ſich fortbewegt. Wollen wir wiſſen, ob die ganze Erde ſich bewegt, ſo muͤſſen wir (wenn ich den von dem vorhin betrachteten Falle entlehnten Ausdruck hier ge -27 brauchen darf), aus dem Fenſter unſers Schiffes hinaus auf Ge - genſtaͤnde hinblicken, die nicht in Verbindung mit der Erde ſtehen, und da ſehen wir ſogleich, daß Sonne und Geſtirne eine ſcheinbare Bewegung darbieten, eine Bewegung, die uns zu der Frage auf - fordert, ob dies etwa ebenſolche feſtſtehende Gegenſtaͤnde ſind, wie es vorhin die Haͤuſer und Baͤume am Ufer waren, deren ſcheinbare Bewegung durch unſre eigne wahre Bewegung hervorgebracht wird. Und da wir wahrnehmen, daß alle Geſtirne, alle nicht mit un - ſerm Schiffe, mit der Erde naͤmlich, verbundenen Gegenſtaͤnde jene Bewegung zeigen, ſo werden wir zu der Ueberzeugung geleitet, daß es nur die Erde iſt, welche ſich bewegt, welche, vermoͤge ihrer taͤg - lichen Umwaͤlzung oder Rotation, bald ihre eine, bald ihre andre Seite der Sonne darbietend, uns die Sonne aufgehend und unter - gehend zeigt, und welche, vermoͤge ihres Umlaufs um die Sonne in einem ganzen Jahre, uns einen ſcheinbaren Lauf der Sonne durch die Geſtirne des Thierkreiſes wahrnehmen laͤßt.

Ich verweile bei dieſen Gegenſtaͤnden, deren ausfuͤhrliche Be - trachtung in die Aſtronomie gehoͤrt, nicht laͤnger, da es hier hin - reicht, eine kurze Andeutung der Schluͤſſe zu geben, die auf eine genaue Darſtellung der einzelnen Erſcheinungen geſtuͤtzt, jene Ueber - zeugung von der wahren Bewegung der Erde ſicher gewaͤhren. Wiſſen wir aber, daß die Erde ſich bewegt, ſo erhellt die große Schwierigkeit der Beſtimmung, ob ein Koͤrper wahrhaft ruhe, da ſeine ſcheinbare Ruhe in Vergleichung gegen die Erde gar keine Ent - ſcheidung hieruͤber gewaͤhrt. Indeß, wenn auch dieſe Entſcheidung im einzelnen Falle ſchwer, ja faſt unmoͤglich ſein mag, ſo bleibt doch der Begriff einer abſoluten Ruhe, als eines wahrhaften Verharrens in demſelben Orte des Raumes, nicht minder klar, und die abſolute Bewegung beſteht alſo in einer wahren Aenderung der Lage.

Richtung und Geſchwindigkeit der Bewegung.

Um die Betrachtung zu vereinfachen, wollen wir uns die Be - wegung eines einzigen Punctes denken. Der Weg, den dieſer durchlaͤuft, iſt eine grade oder krumme Linie, und wir ſagen, der Punct gehe in immer gleicher Richtung fort, wenn er eine grade Linie beſchreibt, und daß er hingegen ſeine Richtung aͤndre, wenn er entweder ploͤtzlich auf einer andern graden Linie fortzugehen an -28 faͤngt, oder nach und nach von ſeiner vorigen Richtung abweichend, eine krumme Linie durchlaͤuft. Er durchlaͤuft dieſen Weg mit irgend einer Geſchwindigkeit, und bekanntlich nennen wir diejenige Geſchwindigkeit doppelt ſo groß, bei welcher der Punct in derſelben Zeit den doppelten Raum durchlaͤuft, und eben jene gleichmaͤßige Zunahme des Weges in gleichen Zeiten dient uns als Maaß der Ge - ſchwindigkeit. Auch der Ausdruck: daß die Geſchwindigkeit dem in gleichen Zeiten durchlaufenen Wege proportional ſei, iſt hieraus deutlich, und ebenſo daß die zum Durchlaufen eines beſtimmten Weges erforderliche Zeit, der Geſchwindigkeit umgekehrt proportional iſt; denn der doppelt ſo ſchnell bewegte Koͤrper gebraucht fuͤr eben den Raum nur halb ſo viel Zeit, der dreimal ſo ſchnell bewegte braucht nur ein Drittel der Zeit u. ſ. w. und dieſes will eben der Ausdruck: umgekehrt proportional, ſagen.

Etwas ſchwieriger iſt die Beantwortung der Frage, wie man denn die Groͤße derjenigen Geſchwindigkeiten beſtimmt, die nicht, laͤngere Zeit durch, ungeaͤndert bleiben. Bei der gleichfoͤrmi - gen Bewegung iſt die Geſchwindigkeit immer unveraͤndert, und an dieſe denken wir, wenn wir etwa von der Geſchwindigkeit des Windes, die bei Stuͤrmen 100 Fuß in der Secunde und noch mehr betragen kann, von der Geſchwindigkeit des engliſchen Rennpferdes Stirling, das zu Anfang ſeines Laufes 82½ Fuß in einer Secunde zuruͤcklegte*)Blumenbach's Handbuch der Naturgeſchichte, bei der Beſchr. des Pferdes., von der Geſchwindigkeit der Erde in ihrer Bahn, die = 93700 pariſer Fuß in einer Secunde iſt, reden; aber der frei fallende Stein zeigt uns, je tiefer er gefallen iſt, deſto maͤchtigere Wirkungen, und giebt uns ſo eine mit dem tiefern Falle immer groͤßer werdende Geſchwindigkeit zu erkennen; wir fragen daher mit Recht, wie wir hier den Begriff der in irgend einem Augenblicke ſtatt findenden Geſchwindigkeit klar auffaſſen ſollen. Da es erſt in der Folge mir moͤglich ſein wird, durch Experimente Ihnen zu zeigen, daß wir gar wohl in gewiſſen Faͤllen im Stande ſind, die Beſchleu - nigung der Bewegung zu unterbrechen, das heißt, zu bewirken, daß die bis dahin fortwaͤhrend ſchneller werdende Bewegung nun nur diejenige Geſchwindigkeit ohne weitere Vermehrung behaͤlt, welche29 ſie einmal erlangt hat: ſo muß ich mich hier begnuͤgen, nur zu ſagen, daß wir uns wenigſtens vorſtellen koͤnnen, die Beſchleuni - gung, die Zunahme der Geſchwindigkeit, hoͤre ploͤtzlich auf, und der Koͤrper gehe mit dieſer erlangten Geſchwindigkeit fort; dann wuͤrden wir dieſe grade in dem Augenblicke erlangte Geſchwindigkeit unmittelbar kennen lernen. Wo dies nicht der Fall iſt, da koͤnnten wir allenfalls auf andre Mittel denken, um dieſe, in einem be - ſtimmten Augenblicke ſtatt findende Geſchwindigkeit kennen zu ler - nen, die ſich jedoch erſt in der Folge auf eine recht angemeſſene Weiſe darbieten. Dieſe Ungleichfoͤrmigkeit der Geſchwindigkeit kann eben ſo gut in einer allmaͤhligen Abnahme der Geſchwindigkeit be - ſtehen, wie wir es an Kugeln, die uͤber einer rauhen Flaͤche hin - rollen, ſehen, und eine ſolche Bewegung heißt eine retardirte, langſamer werdende, ſtatt daß die vorhin betrachtete, accelerirt, oder beſchleunigt, heißt.

Kraft. Traͤgheit.

Bei der Betrachtung jeder Bewegung bietet ſich ferner als eine der wichtigſten Fragen die Frage dar, welche Urſache denn dieſe Be - wegung bewirke, welche Urſache die Geſchwindigkeit vermehre oder vermindre, oder die entſtandene Bewegung wieder aufhebe? Wir nennen dieſe Urſache der Bewegung eine Kraft, und die Mecha - nik oder Bewegungslehre ſoll uns daher auch uͤber die Kraͤfte Belehrung gewaͤhren. Wenn ein bis dahin ruhender Koͤrper anfaͤngt, ſich zu bewegen, ſo ſetzen wir eine Kraft, welche dieſe Veraͤnderung in dem Zuſtande des Koͤrpers bewirkte, als nothwendig, voraus, und obgleich wir dieſe Kraft ſelbſt nur aus ihrer Wirkung kennen lernen, ſo legen wir doch der einen Kraft eine andre Groͤße, als der andern, bei, und beſtimmen die Groͤße der Kraft, welche Bewe - gung hervorbringt, aus der Geſchwindigkeit, welche ſie, eine be - ſtimmte Zeit durch wirkend, zur Folge hat. Aber ſo wie keine Be - wegung entſtehen kann, ohne eine Kraft, wodurch ſie hervorgebracht wird, ſo kann auch keine Aenderung der Bewegung ohne Einwir - kung einer Kraft eintreten, oder mit andern Worten, die einmal entſtandene Bewegung dauert in gleicher Richtung und mit gleicher Geſchwindigkeit fort, wenn nicht eine neue Kraft einwirkt. Auch dieſe Behauptung ſcheint keines Beweiſes zu beduͤrfen; denn wenn30 der Koͤrper von der Richtung, von der graden Linie, in welcher er ſich fortbewegt, abweicht, ſo iſt es gewiß eine beſtimmte Urſache, eine Kraft, welche ihn grade nach der Seite abzuweichen beſtimmt, und wenn er mehr Geſchwindigkeit erlangt, aber eben ſo gut auch, wenn er an Geſchwindigkeit verliert, ſo muß eine Kraft vorhanden ſein, die dies bewirkt.

Man hat dieſes das Geſetz der Traͤgheit genannt, nach welchem ein Koͤrper in dem Zuſtande der Ruhe oder der Bewegung beharret, zu welchem er einmal gelangt iſt, und wuͤrde wohl gar nicht noͤthig finden, bei Beweiſen fuͤr die Richtigkeit dieſes Geſetzes zu verweilen, wenn nicht die Erfahrung uns ſo oft Bewegungen zeigte, die anſcheinend von ſelbſt ſich aͤndern, wo der Koͤrper, mit abnehmender Geſchwindigkeit fortgehend, endlich zur Ruhe gelangt. Aber man braucht nur dieſe Erfahrungen aufmerkſam zu betrachten, ſo zeigt ſich ſogleich, daß die uͤber einer rauhen Flaͤche hin rollende Kugel eher, die uͤber einer glatten Flaͤche hin rollende Kugel ſpaͤter einen merklichen Verluſt an Geſchwindigkeit leidet, daß es alſo nur der Widerſtand, eine der Bewegung entgegen wirkende Kraft, iſt, welche die erlangte Geſchwindigkeit vermindert, und daß wir, da in allen Faͤllen auf aͤhnliche Weiſe die Urſache der verminderten Bewe - gung ſich nachweiſen laͤßt, Unrecht haben wuͤrden, wenn wir der Materie an ſich ein Beſtreben nach Ruhe beilegen wollten. Alle Erſcheinungen, wenn wir ſie richtig und ſorgfaͤltig betrachten, deuten vielmehr darauf hin, daß allemal erſt eine neue Kraft noͤthig iſt, um irgend eine Veraͤnderung im Zuſtande des Koͤrpers, in Hinſicht auf Bewegung und Ruhe hervorzubringen. Unzaͤhlige Erſcheinungen zeigen uns dieſe Wirkung der Traͤgheit. Wenn wir im Wagen ſitzen und der Wagen ploͤtzlich fortgezogen wird, ſo ſchwankt der obere frei gehaltene Theil unſers Koͤrpers ruͤckwaͤrts, weil er noch in Ruhe bleibt, waͤhrend der untere ſchon fortgezogen wird, aber umgekehrt auch, wenn der ſchnell fortgezogene Wagen ploͤtzlich angehalten wird, ſo ſchwankt der obere Theil unſers Koͤrpers vorwaͤrts, weil er, ver - moͤge der Traͤgheit, ſeine Bewegung noch behaͤlt, waͤhrend ſie dem untern, feſt an den Theilen des Wagens anliegenden Theile des Koͤrpers ploͤtzlich geraubt iſt. Wer in einem ſchnell fahrenden Schiffe aufrecht ſteht, muß, wenn das Schiff ploͤtzlich ans Ufer ſtoͤßt, ſeine Stellung ſehr vorſichtig nehmen, wenn er nicht nach der Richtung,31 nach welcher das Schiff ſich bewegte, hinſtuͤrzen will; denn auch hier behaͤlt der nur wenig mit dem Schiffe verbundene Koͤrper ſeine Geſchwindigkeit noch, wenn dieſes ſchon feſtgehalten wird. Vermoͤge der Traͤgheit befeſtiget ſich die Axt am Stiele, wenn man den Stiel auf einen harten Koͤrper aufſtoͤßt; das Eiſen naͤmlich behaͤlt die niederwaͤrts gerichtete Bewegung, die man ihm mit dem Stiele zuſammen ertheilt hatte, noch dann wenn der Stiel ſchon feſtgehalten wird, und es ruͤckt daher auf dem Stiele zu enger an - ſchließenden Puncten fort. Durch die Traͤgheit wird das Pendel, nach ſeinem Fallen, in dem hinaufgehenden Bogen fortgefuͤhrt, und alle oſcillirende Bewegungen verdanken ihren Urſprung dem durch Traͤgheit bewirkten Fortgange der Bewegung uͤber den Zuſtand hinaus, den die wirkende Kraft herzuſtellen ſtrebte. Doch noch viel gewoͤhnlichere Erfahrungen zeigen uns dieſe Traͤgheit. Meine Feder iſt zu ſehr mit Dinte gefuͤllt, doch nicht ſo ſehr, daß der in ihr haͤngende Tropfen herabfiele, ſo lange ich ſie ruhig halte; aber hebe ich mit ploͤtzlicher Bewegung die Feder aufwaͤrts, ſo faͤllt der Tropfen herunter, weil er nicht feſt genug mit der Feder verbunden, vermoͤge der Traͤgheit in dem Orte bleibt, wo er ſich befand, und dann freilich, nicht mehr von der Feder gehalten, als ſchwerer Koͤrper herabfaͤllt. Ich ſchreibe auf einem ungleichen, faſerigen Papiere, meine Feder wird ploͤtzlich angehalten, und ſpruͤtzt die Dinte vorwaͤrts; indem die Feder naͤmlich, gekruͤmmt durch den widerſtehenden Theil des Papiers, wenn ſie ſich von dieſem frei macht, vermoͤge ihrer Elaſticitaͤt ihre Geſtalt wieder annimmt, ertheilt ſie auch der in ihr enthaltenen Dinte eine bedeutende Ge - ſchwindigkeit, und dieſe behaͤlt, vermoͤge der Traͤgheit noch die Ge - ſchwindigkeit, wenn die zur Ruhe kommende Federſpitze ſie verliert, die Dinte eilt alſo der Feder voraus und beſchmutzt das Papier.

In eben dieſem Geſetze der Traͤgheit, in dem Beharren im Zuſtande der ſchon erlangten Bewegung, liegt auch der Grund, warum eine fortwaͤhrend wirkende, dem Koͤrper Geſchwindigkeit ertheilende Kraft eine beſchleunigte Bewegung hervorbringt; denn der Koͤrper wuͤrde auch ohne erneuerte Einwirkung jener Kraft mit der ſchon erlangten Geſchwindigkeit fortgehen; er muß alſo groͤßere Geſchwindigkeit erlangen, mit beſchleunigter Bewegung fortgehen bei fortdauernder Einwirkung dieſer Kraft; und ſo erhellt32 zugleich der Grund, warum eine ſolche Kraft, wie die Schwere, eine beſchleunigende Kraft heißt, naͤmlich eine ſolche, die durch ſtetige, ununterbrochene Wirkung nach einer beſtimmten Richtung, die dieſer Richtung gemaͤße Geſchwindigkeit unaufhoͤrlich vermehrt.

Wir koͤnnen die Kraͤfte, durch welche Bewegung hervorge - bracht wird, in zwei Claſſen theilen. Einige wirken, zum Beiſpiel durch einen Stoß, nur augenblicklich, andre wirken, wie die Schwere, dauernd, und heißen deswegen, im Gegenſatze gegen jene, beſchleunigende Kraͤfte, weil ſie die von ihnen ſelbſt hervorgebrachte Geſchwindigkeit fortdauernd vermehren, die Bewegung beſchleuni - gen. Die Einwirkung des Stoßes auf einen noch ruhenden Koͤr - per ſetzt dieſen in Bewegung; aber offenbar ertheilt ſie ihm eine deſto kleinere Geſchwindigkeit, je groͤßer die Maſſe iſt, welcher Bewegung ertheilt werden ſoll. Sowohl die Erfahrung, als eine theoretiſche Ueberlegung zeigt, daß wenn ein Stoß von beſtimmter Staͤrke einer gewiſſen Maſſe, einer gewiſſen Menge von Materie, die Geſchwindigkeit von 10 Fuß in der Secunde ertheilt, ſo wird eben der Stoß der doppelt ſo großen Maſſe nur eine Geſchwindig - keit von 5 Fuß in der Secunde ertheilen, und ſo wird immer bei gleicher bewegender Kraft die Geſchwindigkeit umgekehrt der Maſſe proportional ſein; daß aber auch die Geſchwindigkeit nach dem Maaße der bewegenden Kraft wachſen oder dieſer proportional ſein wird, das heißt, daß eine gleich große Maſſe durch eine dop - pelte, oder eine dreifache bewegende Kraft auch eine doppelte oder eine dreifache Geſchwindigkeit erlangen wird, das verſteht ſich wohl von ſelbſt.

Mittheilung der Bewegung.

Wenn eine ſolche Einwirkung auf einen feſten Koͤrper ſtatt findet, ſo ſind wir gewohnt, dieſen Koͤrper durch den Stoß ganz fortgefuͤhrt, ihn als unzertheilten Koͤrper die ſeiner Maſſe an - gemeſſene Bewegung annehmen zu ſehen. Die Mittheilung der Bewegung erſtreckt ſich dann nicht bloß auf einige unmittel - bar durch den Stoß getroffene Theilchen, ſondern auf alle feſt verbundene Theile des Koͤrpers. Daher faͤllt es uns als eine ſon - derbare Erſcheinung auf, wenn, bei ſehr heftigem Stoße, diejeni - gen Theile, welche unmittelbar getroffen werden, losgeriſſen von33 den uͤbrigen, allein die dem Stoße angemeſſene Bewegung anneh - men, wenn zum Beiſpiel die durch das Schießpulver in ſo unge - mein ſchnelle Bewegung geſetzte Flintenkugel durch eine leicht be - wegliche duͤnne Holzplatte dringt, ohne die ganze Maſſe aus der Stelle zu bewegen. Man kann aͤhnliche Erſcheinungen leicht er - halten. Legt man zum Beiſpiel eine Menge von Platten mit pa - rallelen Oberflaͤchen, die Steine des Damenſpieles oder ebenge - ſchliffene Metallplatten, auf einander, bis ſie eine ziemlich hohe Saͤule bilden, ſo wird bei einem langſamen Drucke, der von der Seite her einen dieſer Koͤrper, etwa mit Huͤlfe eines Meſſers, das nur einen derſelben mit ſeiner Schaͤrfe beruͤhrt, fortzuſchieben ſtrebt, der ganze obere Theil der Saͤule mit fortgeſchoben und eben deshalb auch umgeworfen werden; ſchlaͤgt man dagegen mit recht ſicherm, raſchem Stoße mit der Schaͤrfe des Meſſers an einen der mittlern Koͤrper, ſo ſchlaͤgt man dieſen heraus, und die hoͤher liegenden Stuͤcke werden ſo wenig mit fortgeriſſen, daß die Saͤule ruhig ſtehen bleibt, und hoͤchſtens nur, (wenn man nicht zu unge - ſchickt getroffen hat,) die naͤchſten Platten ſich um etwas Weniges auf die Seite geruͤckt finden. Ein aͤhnlicher, ſehr bekannter Ver - ſuch iſt der, wo ein Pfeifenſtiel horizontal an zwei Haaren aufge - haͤngt wird; bei einem langſamen, allmaͤhlig verſtaͤrkten Drucke auf die Mitte des Pfeifenſtieles reißen die Haare, aber ein hefti - ger, auf die Mitte des Pfeifenſtieles gefuͤhrter Schlag zerbricht die - ſen, ohne die Haare zu zerreißen. Wenn man ein Kartenblatt auf ein Glas und auf jenes ein Stuͤck Geld legt, ſo wird, bei langſa - mem Drucke von der Seite, die Karte mit dem Gelde auf die Seite geſchoben, aber ein raſcher Schlag an die Karte, eine an die Karte treffende losgeſchnellte Feder, oder ſelbſt der auf dieſe Weiſe antref - fende Finger, fuͤhrt die Karte unter dem Geldſtuͤcke fort, ſo daß dies in das Glas herabfaͤllt. Um das, worauf es ankoͤmmt, damit dieſe Erſcheinung das Auffallende verliere, deutlicher hervorzuheben, haben wir nur noͤthig, an aͤhnliche Verſuche mit weichen Koͤrpern zu denken. Wenn ich eine weiche Thonkugel mit dem Finger vor - ſichtig beruͤhre, ſo kann ich ſie fortſchieben, ohne eben einen tiefen Eindruck in ihre Maſſe zu machen; aber ein heftiger Stoß mit der Spitze des Fingers gegen dieſe weiche Maſſe macht den Finger tief eindringen, ohne die ganze Maſſe erheblich fortzufuͤhren. WirI. C34ſehen daher, daß der Zuſammenhang der Theile einer allmaͤhlig wirkenden Kraft beſſer widerſteht, daß die Seitenmittheilung einer nur auf wenige Theile beſchraͤnkt wirkenden Kraft ſich wirkſamer zum Fortreißen der nicht unmittelbar getroffenen Theile zeigt, wenn die Kraft langſam und ſtetig wirkt; es iſt, als ob dieſe Seitenmit - theilung eine gewiſſe Zeit forderte, ſo daß bei ſehr raſchem Stoße das Losreißen der Theile ſchon erfolgt iſt, ehe dieſe Seitenmitthei - lung eintreten konnte. Unzaͤhlige taͤgliche Erfahrungen beruhen hierauf. Ein ſcharf gefaltetes Papier kann nach der Richtung dieſer Falte zerriſſen werden; aber nur dann, wenn man mit einem ſchnellen Riſſe die Theile trennt, geht der Riß grade fort, und langſam, Punct fuͤr Punct trennend, iſt man der Gefahr ſeitwaͤrts einzureißen, weit mehr ausgeſetzt.

Und ſo wie hier der Zweck durch eine ſchnelle Bewegung, nach ſicher beſtimmter Richtung ausgefuͤhrt, erreicht wird, ſo dient zu andern Zwecken eine recht langſame, vorſichtige Bewegung. Ein eingeroſtetes Schloß ſoll geoͤffnet werden, und der Schluͤſſel, obgleich er richtig eingeſteckt iſt, laͤßt ſich nicht drehen; ein Ungeſchickter ſieht ſich ſogleich nach einem Verſtaͤrkungsmittel ſeiner Kraft, eine durch den obern Ring zu ſteckende Stange und dergleichen um; wendet raſch alle Gewalt an, und bricht den Bart des Schluͤſſels ab; der Schloſſer dagegen, oder wer auch nur mit Schloͤſſern umzu - gehen weiß, faßt den Schluͤſſel leiſe, draͤngt langſam vorwaͤrts, verſtaͤrkt recht langſam ſeine Kraft, und erreicht dadurch ſeinen Zweck. Man will eine verhaͤltnißmaͤßig ſchwere Laſt an einem ziemlich ſchwachen Faden oder Seile fortziehen; es gelingt viel - leicht bei recht langſam und ſtetig vermehrter Kraft, aber der Faden reißt, wenn man die Laſt mit einem Stoße auf einmal in Bewe - gung ſetzen will.

Dieſe ungleiche Einwirkung einer ploͤtzlich wirkenden und einer langſam andraͤngenden Kraft zeigt ſich auch in einigen Erſcheinun - gen, die ſich beim Steineſprengen und beim ſchnellen Reiben weichen Eiſens an Glas oder Stahl darbieten. Es iſt bekannt, daß man beim Abſprengen der Steinmaſſen vom natuͤrlichen Fels oder beim Zerſprengen einzelner Steine ſich des Schießpulvers ſo bedient, daß man cylindriſche Loͤcher ſo tief, als man es nach Maaßgabe der abzuſprengenden Stuͤcke noͤthig findet, einbohrt, ſie35 mit Schießpulver zum Theil fuͤllt, dann oben ſie durch kleines feſt - geſtampftes Geſtein verſchließt und durch ein mit Schießpulver ge - fuͤlltes, durch dieſe eingeſtampfte Bedeckung reichendes Rohr, das unten enthaltene Pulver entzuͤndet. Die Gewalt der Exploſion des Pulvers zerſprengt den Stein, und, obgleich man ſchon hier zu der Frage geleitet werden ſollte, warum denn das, in Verglei - chung gegen die ungemeine Feſtigkeit des Steines immer nur locker eingeſtampfte Geſtein nicht herausgeworfen werde, ehe der Stein ſich in Stuͤcke theilt, ſo hat man doch dieſen Erfolg als den ganz natuͤrlichen angeſehen; aber als eine wunderbare Erſcheinung trat dagegen die von Jeſſop gemachte Erfahrung hervor, daß es des Feſtſtampfens gar nicht beduͤrfe, ſondern daß bei Fuͤllung des Bohr - loches mit voͤllig loſem Sande das Zerſpringen des Steines eben ſo gut ſtatt finde. Hier bietet ſich die Frage, warum denn nicht die kleine Quantitaͤt locker aufgeſchuͤtteten Sandes herausgeworfen werde, ehe der Stein eine Zertrennung erleidet, ſo natuͤrlich dar, daß man genoͤthiget war, nach ihrer Beantwortung ſich umzuſehen, und dieſe ſcheint mir auf folgende Art gegeben werden zu muͤſſen. Es iſt bekannt, daß ſelbſt wenn die Kugel aus dem Schießgewehr hervorgetrieben wird, auch die Waͤnde des Rohres einen Stoß lei - den; da aber hier die Kugel, als ein einziger feſter Koͤrper ſogleich fortgefuͤhrt wird, ſo hat der Druck auf die Waͤnde nicht Kraft und Dauer genug, um das Rohr oder den Stein zu ſprengen; ſind es dagegen einzelne Sandkoͤrnchen, locker aufgeſchuͤttet, oder ſind es Steinſtuͤckchen, die man zuſammengeſtampft hat, ſo draͤngt ſich die erſte Schichte an die zweite, dieſe an die dritte, und ſo klein der Zeitverluſt uns ſcheint, der dadurch bewirkt wird, ſo reicht doch dieſe Verlaͤngerung der Einwirkung hin, um die Zerſprengung des Stei - nes zu Stande zu bringen, ehe der Sand herausgeworfen wird. So wie der Pfeifenſtiel ſchon zerbrochen iſt, ehe die Mittheilung der Bewegung bis zu den Aufhaͤngepuncten an den Haaren gelangt, ſo iſt hier der Stein in Stuͤcke geſprengt, ehe der Sand Zeit hatte, die verſchiedenen Stufen der Zuſammenpreſſung durchzugehen. Ob - gleich iſt faſt beſorge, zu lange bei dieſem Gegenſtande zu verweilen, ſo ſcheint mir folgendes Beiſpiel von dieſer Sprengungsmethode doch zu merkwuͤrdig, um es zu uͤbergehen. Peluger erzaͤhlt, daß man in den Steinbruͤchen bei Solothurn ſehr große Stuͤcke abzuſpren -C 236gen pflege, daß aber da oft der unangenehme Umſtand eintrete, daß der abgeſprengte Block zu nahe an der Felsmaſſe liegen bleibe, um bequem fortgeſchafft zu werden. In dieſem Falle thut das Auf - ſchuͤtten von Sand beſonders gute Dienſte, wie er an folgendem Beiſpiele zeigt. Am 24. Sept. 1825 wurde ein Bohrloch von Zoll weit und 14½ Fuß tief mit 18 Pfund Pulver, die 8 Fuß des Loches fuͤllten, geladen, die uͤbrigen Fuß aber mit grobkoͤrni - gem Sande gefuͤllt. Die Exploſion hatte einen ſehr großen Fels - block abgetrennt, aber der Spalt war nur 2 Linien weit, und man wuͤnſchte daher, das Felsſtuͤck weiter zu entfernen. Zu dieſem Zwecke fuͤllte man das Bohrloch noch einmal mit 15 Pfund Pulver, die jetzt nur bis 2 Fuß hoch reichten, der ganze Spalt aber wurde mit lockerm Sande gefuͤllt, und nach abermaliger Entzuͤndung war der ungeheure Felsblock von 14½ Fuß hoch, 16 Fuß breit, 21 Fuß lang, etwa 720000 Pfunde ſchwer, 4 Fuß vom Felſen abgeruͤckt*)Biblioth. univers. XXX. 232. Gilb. Ann. XXII. 113..

Auch die neuerlich erſt von Barnes bemerkte Erſcheinung, daß eine Scheibe aus weichem Eiſen, ſehr ſchnell gedreht, in Glas und Stahl einſchneidet, gehoͤrt hieher. Colladons Verſuche zeigen deutlich, wie dieſe Einwirkung des weichen Koͤrpers auf den harten von der Geſchwindigkeit abhaͤngt. Ein harter Grabſtichel macht bekanntlich tiefe Einriſſe in eine Metallſcheibe, wenn man ihn auf dieſer fortbewegt, und eben ſo fuhr er fort zu aͤtzen, wenn die Metallſcheibe ſich mit geringerer Geſchwindigkeit, als 34 Fuß in 1 Secunde drehte; wurde die Geſchwindigkeit groͤßer, ſo fing die Spitze des Grabſtichels an ſehr zu leiden und die Scheibe wenig zu verletzen, und bei 70 Fuß Geſchwindigkeit in 1 Secunde ward der Grabſtichel ſtark abgeſchliffen, waͤhrend die weiche Eiſenſcheibe nur wenig mehr geritzt wurde. Auch hier iſt es die Schnelligkeit, womit die Theile der Scheibe an die Spitze des Grabſtichels oder uͤberhaupt an die Theile des harten Koͤrpers antreffen, wodurch dieſe fortgeriſſen werden; ihr feſter Zuſammenhang ſcheint hier ungefaͤhr eben ſo wenig, wie bei dem raſch aus der Saͤule herausgeſchlagenen Damenſteine in Betrachtung zu kommen**)Baumgartners Journal 1. 86. Biblioth. univers. 1824. Avril. .

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Ich kehre von dieſen einzelnen Bemerkungen zuruͤck zu der Be - trachtung, woran ſich dieſe anknuͤpften, daß es naͤmlich momentan wirkende und daß es unausgeſetzt wirkende Kraͤfte gebe. Von den Kraͤften der zweiten Art giebt uns die Kraft der Schwere, welche jedes einzelne Theilchen eines Koͤrpers zur Bewegung antreibt, und ununterbrochen die einmal bewirkte Bewegung zu vermehren ſtrebt, ein Beiſpiel, das umſtaͤndlicher betrachtet zu werden verdient.

Vierte Vorleſung.

Schwerkraft.

Die Wirkungen der Schwerkraft, m. h. H., bieten uns einen reichen Schatz merkwuͤrdiger Erſcheinungen dar, ſie ſetzen uns bei richtigem Fortſchreiten unſrer Betrachtung derſelben, in Stand, ſelbſt ſehr verwickelt ſcheinende Phaͤnomene zu erklaͤren, und ver - dienen daher, daß wir ihnen eine genauere Aufmerkſamkeit widmen. Wir werden die Wirkſamkeit der Schwerkraft durch zweierlei Arten von Erſcheinungen gewahr, durch den Druck, welchen die Koͤrper waͤhrend der Ruhe ausuͤben, und durch beſchleunigte Bewegung, da, wo ſich kein die Bewegung hemmendes Hinderniß dieſer entgegen ſtellt.

Die Richtung der Schwerkraft iſt uͤberall grade gegen die Erde zu. Der an einem Faden aufgehaͤngte Koͤrper zeigt uns dieſe Rich - tung, indem er den Faden nach derjenigen Richtung, welche mit der Richtung der Schwere uͤbereinſtimmt, ausdehnt; der frei fal - lende Koͤrper folgt eben dieſer Richtung; und da dieſe uͤberall gegen die Oberflaͤche der Erde ſenkrecht iſt, ſo ſagen wir, weil die Kugel - geſtalt der Erde durch Abmeſſungen bekannt iſt, die Schwere treibe alle Koͤrper gegen den Mittelpunct der Erde hin, die ganze Erde beſitze eine anziehende Kraft, durch welche ſie alles zu ſich hin zu bewegen ſtrebe. Da die Erde ſo groß iſt, daß wir, ſelbſt auf groͤßere Entfernungen als bei unſern Verſuchen vorkommen, die Oberflaͤche des Meeres als eine Ebne anſehen koͤnnen, ſo ſtimmen die Richtungslinien der Schwere in unſern Verſuchen mit Parallel -38 linien uͤberein, und in unzaͤhligen Faͤllen haben wir nicht noͤthig, darauf Ruͤckſicht zu nehmen, daß dieſe Richtungslinien ſich um etwas Weniges von der gleichlaufenden Richtung oder von der Parallelitaͤt entfernen, um im Mittelpuncte der Erde zuſammen zu treffen.

Gleichgewicht.

Da wo das Gewicht eines Koͤrpers bloß einen Druck ausuͤbt, wo die Bewegung gehindert wird, da iſt eine entgegen wirkende Kraft vorhanden, welche der Kraft der Schwere das Gleichge - wicht haͤlt. Meine Hand haͤlt den Faden, an welchem der Koͤrper befeſtigt iſt, und ſie muß einen Druck hinaufwaͤrts ausuͤben, damit der Koͤrper nicht ſinke; offenbar iſt dieſer hinaufwaͤrts ausgeuͤbte Druck oder Zug eine Kraft, dem Gewichte des Koͤrpers gleich, und ſo bietet ſich uns das erſte und einfachſte Mittel zu Beſtimmung gleicher Kraͤfte dar. Aber nicht bloß zu Beſtimmung genau gleicher, ſondern auch auf Abmeſſung anderer in ſtrenge angegebenem Ver - haͤltniſſe ſtehender Kraͤfte werden wir hier geleitet; denn wenn ich zu der Bleimaſſe, die ich ein Pfund nenne, eine zweite ganz gleiche fuͤge, ſo wird niemand zweifeln, daß die Kraft, welche beide erhaͤlt, doppelt ſo groß iſt, als die, welche eine derſelben zu erhalten hin - reichte. So erhellt die Moͤglichkeit, Kraͤfte, welche einander im Gleichgewichte erhalten, gegen einander abzumeſſen. Eine Anwen - dung dieſer Beſtimmungen zeigt die Federwaage. Eine elaſtiſche Feder, die durch ein Gewicht ausgedehnt wird, nimmt, ſelbſt bei oft wiederholtem Gebrauche, immer dieſelbe Ausdehnung bei gleichen ziehenden Kraͤften an, und wenn ich alſo Merkmale anbringe, wie groß dieſe Ausdehnung war, als die mir unter dem Namen eines Pfundes, zweier Pfunde u. ſ. w. gegebnen Gewichte angehaͤngt wurden, ſo dient mir die Federwaage zu Beſtimmung des Gewich - tes andrer Koͤrper. Sie dient aber auch zu Abmeſſung andrer Kraͤfte. Halte ich die Federwaage am Aufhaͤngepuncte mit der einen Hand, waͤhrend die andre da angreift, wo das Gewicht hing, ſo ſehe ich an der Dehnung bis zu einem der bezeichneten Merk - male, wie viele Pfunde Kraft ich ſo auszuuͤben im Stande bin. Graf Rumford befeſtigte beim Anſpannen der Pferde die Feder - waagen ſo zwiſchen den Zugriemen und dem Wagen, daß er die von39 jedem Pferde angewandte Kraft beim Fortziehen des Wagens daran beobachten konnte. Ein beim Nachlaſſen des Zuges in derjenigen Stellung, die er beim Zuge angenommen hatte, ſtehendbleibender Zeiger erlaubte, dieſe Beſtimmung auch nach vollendetem Experi - mente nachzuſehen, und ſo erhielt er die von ihm bekannt gemach - ten Reſultate, daß auf gepflaſterten Straßen die breitfelgigen Raͤ - der eine bedeutend geringere Ziehkraft, als die gewoͤhnlichen Raͤder, fordern, daß auf Steinpflaſter die Pferde beim ſtarken Trott faſt dreimal ſoviel Kraft, als beim langſamen Schritte, anwenden muͤſſen, daß hingegen auf einem recht ebnen, harten, ungepflaſter - ten Wege