PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Vorleſungen uͤber die Naturlehre zur Belehrung derer, denen es an mathematiſchen Vorkenntniſſen fehlt.
Erſter Theil.
Mit 5 Kupfern.
Leipzig,1830.beiGeorg Joachim Goͤſchen.
[II][III]

Vorrede.

Der Beifall, welchen einige meiner Freunde, vielleicht mit zu viel freundſchaftlichem Wohlwollen, mir uͤber meine Vorleſungen uͤber die Aſtronomie be - zeugt haben, macht mich ſo kuͤhn, einen Verſuch, auch die Phyſik auf aͤhnliche Weiſe darzuſtellen, zu wagen, und den Freunden dieſer Wiſſenſchaft hier eine moͤg - lichſt klare, und dennoch jeden Gegenſtand gruͤndlich erklaͤrende Entwickelung der Hauptlehren der Phyſik vorzulegen. Obgleich ich nicht vorausſehen kann, wie - fern dieſes Unternehmen den Beifall der Leſer finden werde, ſo glaube ich wenigſtens das als Empfehlung deſſelben anfuͤhren zu duͤrfen, daß ein oͤfter wiederholter Vortrag der Phyſik vor Zuhoͤrern, die ohne irgend die Vorausſetzung mathematiſcher Kenntniſſe zu geſtatten, dennoch von dem ganzen Umfange des jetzigen Zuſtan - des der Naturlehre gruͤndlich unterrichtet zu werden verlangten, es mir zur Pflicht gemacht hat, alles, was zur Befoͤrderung der Klarheit in der Darſtellung die -IV nen konnte, mit moͤglichſter Sorgfalt aufzuſuchen, und daß ich bei dieſem Bemuͤhen in manchen Lehren ein - fachere, und dennoch gruͤndliche Beweiſe der vorkom - menden Theoreme, eine zu ſchnellerem und mehr uͤber - zeugendem Ueberblicke fuͤhrende Anordnung der Schluͤſſe gefunden zu haben meine, als diejenigen ſind, die ich in andern Buͤchern gefunden habe. Zu eben jenem Zwecke, meine Vortraͤge denen recht nuͤtzlich zu machen, die dieſer Wiſſenſchaft nur wenig Zeit ſchenken koͤnnen, habe ich es immer zu meinem Beſtreben gemacht, die mannigfaltigſten Anwendungen aller einzelnen Lehren der Phyſik, theils auf Gegenſtaͤnde des taͤglichen Le - bens, theils auf Kuͤnſte und Gewerbe, theils auf die Erſcheinungen, die ſich uns in den Wirkungen der Natur im Großen darſtellen, mit der Entwickelung jener Lehrſaͤtze ſelbſt zu verbinden, und dadurch die Aufmerkſamkeit, welche bei bloß theoretiſchen Entwicke - lungen ſo leicht ermuͤdet, ſelbſt da, wo keine Experi - mente zu Belebung des Vortrages anzubringen ſind, zu feſſeln. Und eben dieſes Beſtreben, welches, wie ich hoffe, oft ſeinen Zweck dort erreicht hat, wird man auch in den hier mitgetheilten Vorleſungen erkennen. Ich weiß ſehr wohl, daß dieſes Aneinanderreihen mannigfaltiger, aber in naher Beziehung auf einander ſtehender Betrachtungen, zuweilen den Vortrag von einer ſtrengen ſyſtematiſchen Anordnung abzulenken ſcheint, und in dieſer Hinſicht vielleicht einen VorwurfV verdient*)Einen Vorwurf, den der Recenſent der Vorleſungen uͤber Aſtronomie in d. Hall. Lit. Zeitg. mit einer meinen aufrichtigen Dank verdienenden Milde leiſe andeutet., aber mir hat es oft geſchienen, als ob man grade durch dieſen kleinen Kunſtgriff, die Leſer von zu ſtrenge theoretiſchen Betrachtungen zuweilen abzulenken und auf einen ſeitwaͤrts liegenden Spazier - gang zu fuͤhren, den Zweck, ſie ſicher und ohne Er - muͤdung zum Ziele zu bringen, am aller ſicherſten er - reichte. Was in einem ſtrenge ſyſtematiſchen Lehrbuche nicht erlaubt waͤre, die vollendete Entwickelung einer Folge von Lehrſaͤtzen abzubrechen, um bei Einzelnem zu verweilen, und jene erſt ſpaͤter weiter fortzufuͤhren, das ſcheint mir in dem lebendigen Vortrage einer muͤndlichen Unterhaltung, wo der Reichthum des Ge - genſtandes uns fortreißt, und wo wir den Zuhoͤrer mit fortgeriſſen zu ſehen wuͤnſchen, nicht ſo unſtatthaft zu ſein. Daß es freilich da, wo man den graden Weg verlaͤßt, auch leicht iſt, ſich zu verirren, laͤßt ſich allerdings nicht leugnen, und ich muß es dem Ur - theile der Leſer uͤberlaſſen, ob ſie bei der Anordnung meines Vortrages ſich auf einem anmuthigen Wege zum Ziele gefuͤhrt finden, oder ob ſie auf Irrwegen das Ziel aus dem Auge zu verlieren glauben.

In Ruͤckſicht der Ausfuͤhrlichkeit der Darſtellung habe ich mich zwar ſehr beſchraͤnkt, aber ich hoffe doch,VI daß in den drei Baͤndchen, in welchen alle Lehren der Phyſik abgehandelt werden ſollen, kein weſentlich wichtiger Gegenſtand unerklaͤrt bleiben wird, und ſelbſt die ſchwierigſten neuen Entdeckungen vollkommen ge - nuͤgend entwickelt dargeſtellt werden ſollen. Eine groͤ - ßere Ausfuͤhrlichkeit, fuͤrchtete ich, wuͤrde mehr ermuͤ - den, als nuͤtzen, da wir doch nur das leicht und voll - ſtaͤndig uͤberſehen, was uns gleich Anfangs von der rechten Seite dargeſtellt wird, und ein breit ausge - dehntes Hinzufuͤgen immer neuer Erlaͤuterungen wenig hilft, wenn der Leſer nicht ſogleich auf den rechten Standpunct geſtellt worden iſt. In Ruͤckſicht des Reich - thumes und der Mannigfaltigkeit der erklaͤrten Erſchei - nungen wird man, hoffe ich, zufrieden ſein, obgleich freilich die unendlich zahlreichen Gegenſtaͤnde, die ſich uns faſt in jeder einzelnen Lehre der Phyſik darbieten, noch einen reichen Stoff zu einer viel ausgedehnteren Arbeit geben koͤnnten.

Doch, was der Autor ſelbſt zum Lobe ſeines Werkes ſagt, pflegt nur ſchwachen Eindruck auf den Leſer zu machen, welcher nur dann zufrieden iſt, wenn nicht der Meiſter das Werk, ſondern das Werk den Meiſter lobt.

Das Buch wird aus drei Theilen beſtehen. Der erſte enthaͤlt die ganze Mechanik, die Lehre von demVII Gleichgewichte feſter und fluͤſſiger Koͤrper, nebſt der Acuſtik, der zweite wird zuerſt die Erſcheinungen der Anziehung, die wir bei den Haarroͤhrchen und in aͤhn - lichen Faͤllen beobachten, und dann die Grundlehren der Chemie abhandeln, zugleich aber die Lehren von Waͤrme und Licht mit moͤglichſter Vollſtaͤndigkeit um - faſſen, der dritte iſt der Electricitaͤt, dem Galvanis - mus, den magnetiſchen und electromagnetiſchen Er - ſcheinungen gewidmet, und wird auf alles, was die neueſten Entdeckungen hier Wichtiges gelehrt haben, Ruͤckſicht nehmen.

Was den Grad der Vorkenntniſſe betrifft, welche ich vorausſetze, ſo glaube ich mit Recht ſagen zu koͤnnen, daß ich von mathematiſchen Kenntniſſen gar nichts vorausſetze. Daß der Leſer dieſes Buches ge - woͤhnliche Zahlenrechnungen, die nicht uͤber die Regel de tri hinausgehen, leicht uͤberſehe und nachzurechnen wiſſe, darf ich wohl annehmen; jede Anwendung der Algebra aber iſt voͤllig vermieden. Nur in dem ein - zigen Umſtande gehe ich uͤber die gewoͤhnlichen Rechen - buͤcher hinaus, daß ich die Decimalbruͤche auf die be - kannte Weiſe ohne Nenner ſchreibe, und hieran zu denken, muß ich den minder geuͤbten Leſer bitten. Koͤmmt naͤmlich in einer Zahl eine Abtheilung durch ein Comma vor, ſo bedeutet die naͤchſte hinter dem Comma ſtehende Zahl Zehntel, die zweite Hunderttel, die dritteVIII Tauſendtel, die vierte Zehntauſendtel u. ſ. w.; man muß daher 15,625 niemals in dieſem Buche ſo leſen, als ob das Comma die Tauſende oder die Millionen ſchloͤſſe, ſondern 15,625 heißt: 15 Ganze, 6 Zehntel, 2 Hunderttel, 5 Tauſendtel und ſo in allen aͤhnlichen Faͤllen. Wo arithmetiſche Begriffe, die uͤber das allgemein Bekannte hinausgehen, vorkommen, iſt die Erlaͤuterung ſo beygefuͤgt, daß ſie gewiß vollkommen leicht verſtanden werde. Ebenſo verhaͤlt es ſich mit den Beziehungen auf Geometrie. Jeder weiß, was ein Kreis iſt, was ein rechter Winkel iſt u. ſ. w. mehr aber als dieſe Grundbegriffe bedarf es nicht, um die Folgerungen zu verſtehen, die hier vorkommen, denn obgleich mancher in der Phyſik vorkommende Satz einer geometriſchen Begruͤndung beduͤrfte, wenn er ſtrenge demonſtrirt werden ſollte, ſo erlaubt uns doch die na - tuͤrliche Geometrie, die beim Anblicke der Figur zur Thaͤtigkeit hervorgerufen wird, ſehr oft dieſe Demon - ſtration zu uͤbergehen, und ich glaube daher, daß man nicht von einer Forderung geometriſcher Kenntniſſe reden wird, wenn zum Beiſpiel die Behauptung vor - koͤmmt, daß im rechtwinklichen Drei-Ecke die dem rechten Winkel gegenuͤberſtehende Seite die groͤßeſte iſt; der Geometer demonſtrirt dieſes, aber bekannt iſt es einem jeden. Das aber muß ich freilich for - dern, daß der Leſer ſich gewoͤhne, jeden Theil einer Figur ſorgfaͤltig mit dem, was davon geſagt wird, zuIX vergleichen, und im Fortgange des Leſens auch immer das Auge auf die Figur zu werfen; ich weiß wohl, daß ſelbſt dies dem daran nicht gewoͤhnten Leſer, ei - nige Schwierigkeit macht, aber dieſe Schwierigkeit iſt doch wohl eben ſo geringe, als ſie unerlaͤßlich iſt.

Doch dieſe Erklaͤrungen uͤber die verlangten Vor - kenntniſſe ſind vielleicht ganz unnoͤthig, da die Vorle - ſungen uͤber die Aſtronomie genau eben dieſes fordern, und die Leſer derſelben darin eben keine Schwierigkeit zu finden ſcheinen.

Ich ſchließe dieſe Vorrede mit der Bitte, um eine nachſichtige Beurtheilung von Seiten der Kenner der Wiſſenſchaft. Die hier behandelten Gegenſtaͤnde ſind ſo mannigfaltig, daß es ſchon deshalb ſchwieriger iſt, als in der Aſtronomie, ſie alle gleich vollkommen vorzutragen, uͤber manche dieſer Gegenſtaͤnde ſind die Meinungen der Gelehrten noch nicht ſo einſtimmig, wie es in der Aſtronomie faſt uͤberall der Fall iſt, und da ein populaͤres Buch nicht dazu geeignet iſt, die verſchiedenen Anſichten alle darzulegen und zu verglei - chen, ſo habe ich mich oft begnuͤgen muͤſſen, diejenige Anſicht, welche mir die richtige ſcheint, deutlich zu ent - wickeln und zu begruͤnden, und andre Meinungen nur obenhin anzufuͤhren, doch habe ich da, wo unſre Ein - ſicht mir noch mangelhaft ſcheint, dieſes offen bekannt, (wovon beſonders im zweiten und dritten Bande Bei -X ſpiele vorkommen werden,) und mich von dem ſtolzen Duͤnkel, der da glaubt alles erklaͤren zu muͤſſen, frei zu erhalten geſucht.

H. W. Brandes.
XI

Inhalt.

Erſte Vorleſung. Einleitung. Ueber den Umfang und ganzen Inhalt der Phyſik. Anordnung des Studiums der Phyſik. Nutzen.

Zweite Vorleſung. Eigenſchaften der Materie. Geſtalt der Koͤr - per. Undurchdringlichkeit. Beſtehen der Materie durch anziehende und abſtoßende Kraͤfte. Theilbarkeit. Poroſitaͤt. Cohaͤrenz. Feſtigkeit des Eiſens, des Holzes, des Papieres. Haͤrte und Weiche. Sproͤde und zaͤhe Koͤrper. Elaſticitaͤt, der Seile, der Kugeln, der Staͤbe.

Dritte Vorleſung. Bewegung und Ruhe. Scheinbare und wahre Bewegung. Bewegung der Erde. Bahn des bewegten Koͤrpers. Ge - ſchwindigkeit. Gleichfoͤrmige Bewegung. Accelerirte oder retardirte Bewegung. Kraft. Geſetz der Traͤgheit. Beſchleunigende Kraͤfte. Bewegende Kraft; Abhaͤngigkeit der durch ſie bewirkten Geſchwindig - keit von der Groͤße der bewegten Maſſe. Wirkungen des Stoßes. Jeſſop's Methode Felſen zu ſprengen. Weiches Eiſen ſchneidet in Stahl.

Vierte Vorleſung. Schwerkraft. Ihre Richtung. Gleichgewicht. Statik. Federwaage. Rumford's Verſuche mit Fuhrwerk. Dyna - mometer. Zuſammenſetzung und Zerlegung der Kraͤfte. Parallelo - gramm der Kraͤfte. Bewegung der Schiffe bei unguͤnſtigem Winde, des Papierdrachen, des Tretrades. Anwendung der geneigten Ebne, der Schraube, des Keils. Friction; Vortheile und Nachtheile derſel - ben; warum entgleiten keilfoͤrmige Koͤrper unſrer Hand?

Fuͤnfte Vorleſung. Hebel. Kraft der Muskeln. Relative Feſtig - keit der Koͤrper. Der ſtaͤrkſte Balken. Rad an der Welle. Mo -XII ment. Moment der Reibung. Schwerpunct. Sicherheit des Gleich - gewichtes. Die gewoͤhnliche Waage. Schnellwaage. Bruͤckenwaage. Kettenlinie. Gewoͤlbe.

Sechste Vorleſung. Geſetze des freien Falles. Atwood's Fall - maſchine. Bahn geworfener Koͤrper. Parabel. Bewegung des Mon - des um die Erde, der Planeten um die Sonne. Allgemeine Attrac - tion aller Weltkoͤrper. Meteorſteine. Maſſe der Sonne. Anziehungs - kraft der Berge. Dichtigkeit der ganzen Erde. Drehwaage. Anzie - hung kleiner Maſſen. Wie im Innern der Erde die Schwerkraft ab - nimmt. Ebbe und Fluth.

Siebente Vorleſung. Schwungkraft. Geſetze fuͤr die Beſtimmung ihrer Staͤrke. Schwungmaſchine. Verſuche mit derſelben. Verſuch uͤber die Geſtalt der Erde. Stellung der Kunſtreiter. Der Brumm - kreiſel. Das Schwungrad. Moment der Traͤgheit. Wie man aus aſtronomiſchen Beobachtungen ſich von der gleichbleibenden Waͤrme der ganzen Erde uͤberzeugt.

Achte Vorleſung. Vom Pendel. Hauptgeſetze der Pendelſchwin - gungen. Convertibles Pendel. Mittelpunct des Schwunges. Die ge - naue Groͤße des Fallraums in 1 Secunde. Beſtimmung der Figur der Erde. Beſſel's Beſtimmung der Pendellaͤnge. Mittel zu ſehr feinen Laͤngemeſſungen. Comparateur. Fuͤhlhebel. Andre Oſcillations - bewegungen. Cycloide. Tautochrone. Brachyſtochrone. Metronom. Glocken zum Gelaͤute. Federn an Kutſchen.

Neunte Vorleſung. Vom Stoße feſter Koͤrper. Quantitaͤt der Bewegung. Geſetze des Stoßes unelaſtiſcher Kugeln. Geſchwindigkeit der abgeſchoſſenen Kugeln. Tragekraft eingerammter Pfaͤle. Ein - dringen der Kugeln in Erdwaͤlle. Geſetze des Stoßes elaſtiſcher Ku - geln. Schiefer Stoß. Billiardſpiel.

Zehnte Vorleſung. Fluͤſſige Koͤrper. Gleichmaͤßige Verbreitung des Druckes. Elaſtiſche fluͤſſige und tropfbar fluͤſſige Koͤrper. Groͤße des Druckes auf jeden Theil der Wand. Zerſprengen von Flaſchen durch einen geringen Druck. Bramah's Waſſerpreſſe. Der Druck des Waſſers wegen ſeiner Schwere. Horizontale Oberflaͤche. Waſſer - waͤgen, Rivelliren. Schichten verſchiedener Fluͤſſigkeiten. Die Kunſt, Waſſer in Wein zu verwandeln. Stroͤmungen des Waſſers beim Kochen, der Luft zwiſchen warmen und kalten Zimmern. Rauchen der Schornſteine. Meeresſtroͤme. Land - und Seewinde. Fruͤhlings - Oſtwind.

XIII

Elfte Vorleſung. Druck des Waſſers auf Boden und Waͤnde des Gefaͤßes. Anſcheinende Paradoxen. Druck auf Schleuſenboͤden. Waſ - ſerſaͤulenmaſchine. Druck des Waſſers auf eingetauchte Koͤrper. Wie - viel der eingetauchte Koͤrper an Gewicht verliert. Eisberge. Die Kunſt, wodurch Menſchen ſich ſchwimmend erhalten. Wahrnehmun - gen, wozu das ungleiche ſpecifiſche Gewicht des Meerwaſſers und Fluß - waſſers, des kalten und warmen Waſſers Veranlaſſung giebt.

Zwoͤlfte Vorleſung. Beſtimmung des ſpecifiſchen Gewichtes der Koͤrper. Gewicht eines Cubiczolles Waſſer. Araometer. Welche Lage nimmt der ſchwimmende Koͤrper an? Sichres und unſichres Gleich - gewicht. Bemerkungen aus der Schifffahrtskunde.

Dreizehnte Vorleſung. Geſchwindigkeit des ausfließenden Waſ - ſers. Feuerſpruͤtzen. Zuſammengezogner Strahl. Auffallende Formen des Waſſerſtrahles. Arteſiſche Brunnen. Oſcillationen des Waſſers in Roͤhren. Montgolfier's hydrauliſcher Widder. Mascaret. Merkwuͤrdige Sturmfluthen. Wellen. Kreislauf der Waſſertheilchen. Neue Welle, die hinter einer ſchon erregten entſteht. Wie tief die Wellen gehen, wie hoch ſie gehen; ihr verderbliches Ueberſtuͤrzen. Zu - ruͤckwerfung der Wellen; ihr Zuſammentreffen im Brennpuncte der Ellipſe.

Vierzehnte Vorleſung. Groͤße der Kraft des Stoßes fluͤſſiger Koͤrper. Waſſermuͤhlen. Windmuͤhlen. Anemometer. Schnelligkeit des Windes. Strommeſſer. Waſſermaſſen, die von den Stroͤmen ins Meer gefuͤhrt werden. Nuͤtzlicher Effect, den ſie zu leiſten ver - moͤgen. Widerſtand, den feſte Koͤrper leiden. Gewalt des Windes bei Stuͤrmen. Berechnung des Widerſtandes bei abgeſchoſſenen Ca - nonenkugeln. Exponent des Widerſtandes. Rudern. Fliegen der Voͤgel. Strudel in Stroͤmen. Wirbelwinde. Ruͤckwirkung der Fluͤſ - ſigkeiten. Segnerſches Rad. Zuruͤckprallen der Canone. Meteore.

Funfzehnte Vorleſung. Auch das Waſſer iſt einiger Zuſammen - druͤckung faͤhig. Piezometer. Elaſticitaͤt der Luft. Die Luft iſt ſchwer. Druck der Luft. Barometer. Gefaͤßbarometer. Heberba - rometer. Luftleerer Raum. Nonius oder Vernier. Hoͤhenmeſſung mit dem Barometer. Mariotte'ſches Geſetz. Tafel der Barometerhoͤhen, in verſchiedenen Hoͤhen. Noͤthigſte Regeln fuͤr das Hoͤhenmeſſen.

Sechzehnte Vorleſung. Ungleiche Waͤrme in verſchiedenen Hoͤhen und daraus entſpringende Fehler beim Hoͤhenmeſſen. Dalton'sXIV Theorie. Taͤgliche Oſcillationen der Barometerhoͤhe. Veraͤnderungen des Barometers in den gemaͤßigten und kalten Zonen. Verſchieden - heit des Barometerſtandes bei ungleichen Winden. Sehr tiefe Baro - meterſtaͤnde bei Stuͤrmen. Einfluß des Windes auf das Hoͤhenmeſſen.

Siebzehnte Vorleſung. Druck der Luft auf 1 Quadratzoll, Stechheber. Waſſer im Siebe. Uebertragen einer Fluͤſſigkeit bei ge - nauen Abwaͤgungen. Leslie's Inſtrument zu Beſtimmung der ſpe - cifiſchen Schwere. Saugepumpe. Das Athmen und Saugen. Der Heber. Intermittirende Quelle. Windkeſſel an Pumpen. Herons - brunnen. Carlsbader Sprudel. Springbrunnen in Island. Hervor - dringen der Luft aus Fluͤſſigkeiten. Kuͤnſtliche Mineralwaſſer. Fa - raday's Verſuch, Luft-Arten in tropfbaren Zuſtand zu verſetzen.

Achtzehnte Vorleſung. Luftpumpe. Der doppelt durchbohrte Hahn. Schaͤdlicher Raum. Ventilpumpe. Barometerprobe. Birn - probe. Abmeſſung der Verdichtung. Guerik'ſche Halbkugeln. Groͤße des Luftdrucks auf den menſchlichen Koͤrper. Schroͤpfen. Entwicke - lung von Luft aus den Koͤrpern. Abwaͤgung der Luft. Gewichtver - luſt in der Luft. Manometer. Fall der Koͤrper im Vacuo.

Neunzehnte Vorleſung. Starker Druck der verdichteten Luft. Windbuͤchſe. Abmeſſung der Gewalt des Schießpulvers. Geblaͤſe. Orgel. Windwaagen. Luftballons. Anwendung der erwaͤrmten Luft, der brennbaren Luft. Berechnung ihrer Steigekraft und der Hoͤhe, die ſie erreichen. Fallſchirm.

Zwanzigſte Vorleſung. Acuſtik. Verſchiedene Worte zur Be - zeichnung verſchiedener Arten des Schalles. Ton. Entſtehung des Schalles. Schwingungen der Saiten. Beſtimmung ihrer Schwin - gungszahlen. Vergleichung mit den Toͤnen. Monochord. Schwin - gungsknoten. Schwingungen der Staͤbe. Die Eiſenvioline. Die Stroh - fiedel. Die Stimmgabel.

Ein und zwanzigſte Vorleſung. Zuſammentreffen der harmo - niſchen Toͤne mit den in kleinen Zahlen ausgedruͤckten Verhaͤltniſſen der Schwingungszeiten. Darſtellung der Dur-Tonleiter nach arith - metiſchen Betrachtungen. Gruͤnde, warum ganze und halbe Ton - Intervalle in der beſtimmten Folge wechſeln. Vorzeichen bei verſchie - denen Ton-Arten. Unterſchied zwiſchen Gis und Aes. Moll-Ton - leiter. Verwandte Dur-Ton-Arten und Moll-Ton-Arten. Tem - peratur; ihre Nothwendigkeit.

XV

Zwei und zwanzigſte Vorleſung. Welche Toͤne eine Saite, ein Stab und die Stimmgabel zu geben faͤhig ſind. Beſtimmung der Anzahl der Schwingungen, welche beſtimmten Toͤnen entſprechen. Schwingungen der Glocken, der Glaͤſer, der duͤnnen Scheiben. Klang - figuren. Regeln um die Klangfiguren gut darzuſtellen und Beſtim - mung derſelben in einfachern Faͤllen. Klangfiguren im Waſſer.

Drei und zwanzigſte Vorleſung. Fortpflanzung des Schalles in der Luft. Geſetze derſelben in Beziehung auf die ungleiche ſpecifi - ſche Elaſticitaͤt. Einfluß der bei der Compreſſion frei werdenden Waͤrme. Schwaͤchung des Schalles in der Ferne. Sprachrohr. Fort - pflanzung des Schalles bei verſchiedener Richtung des Windes, bei Stuͤrmen. Echo. Floͤten und Orgelpfeifen. Beſtimmung des Tones einer gedackten Orgelpfeife. Verſchiedene Toͤne, welche dieſelbe ge - dackte Pfeife geben kann. Uebereinſtimmung der Theorie mit der Er - fahrung. Verſuche uͤber die Geſchwindigkeit des Schalles in andern Luft-Arten. Die Zungenpfeifen. Gegenſeitige Abhaͤngigkeit der Vi - brationen der Zunge und der Vibrationen der Luftſaͤule. Compenſa - tionspfeifen.

Vier und zwanzigſte Vorleſung. Laͤngentoͤne der Saiten und Staͤbe. Schnelle Fortpflanzung des Schalles in feſten Koͤrpern und im Waſſer. Klangfiguren in Roͤhren. Mittoͤnen; Reſonanz; Klang - figuren durch Reſonanz. Hinderung der nachtheiligen Reſonanz in Gebaͤuden. Interferenz bei der Fortpflanzung des Schalles. Ton durch verbrennendes Hydrogengas. Das Gehoͤr-Organ; uͤber Fehler des Gehoͤrs. Das Stimm-Organ.

[XVI]
[1]

Erſte Vorleſung.

Einleitung.

Wenn wir, meine hochgeehrten Herren, die uns umgebende Natur anblicken, wenn wir die mannigfaltigen Erſcheinungen, welche in unaufhoͤrlichem Wechſel vor uns voruͤbergehen, wahr - nehmen, wenn wir darauf achten, wie faſt kein Augenblick unſers Lebens vorbeigeht, der uns nicht zu der Frage auffordert, woher alle dieſe Erſcheinungen entſtehen, welcher Zuſammenhang zwiſchen ihnen ſtatt findet, aus welchen Urſachen ſie hervorgehen: ſo draͤngt ſich uns gewiß die Ueberzeugung auf, daß die Natur - kunde, das iſt diejenige Wiſſenſchaft, welche uns uͤber alle Er - ſcheinungen der Natur naͤher unterrichten ſoll, nicht bloß eine unendlich reichhaltige Wiſſenſchaft, ſondern auch eine der wichtig - ſten und anziehendſten Wiſſenſchaften ſein muß. Reichhaltig, weil ſie ja das unermeßliche Gebiet alles deſſen, was die Sinnen - welt uns wahrzunehmen darbietet, umfaßt, weil ſie in dieſem anſcheinend regelloſen Gewirre unendlich mannigfaltiger Veraͤn - derungen, Ordnung und Geſetze auffinden ſoll; wichtig, weil ſie uns die Mittel lehren muß, um die Gefahren abzuwenden, mit denen die feindlich uns umgebenden Kraͤfte der Natur uns be - drohen, weil ſie uns die Regeln angeben muß, wie wir dieſe Naturkraͤfte zu unſerm Nutzen anwenden koͤnnen; anziehend, den Geiſt erheiternd und erhebend, weil wir gewiß alle die Beſtim - mung in uns fuͤhlen, den Schauplatz, auf welchen eine hoͤhere Weisheit uns gefuͤhrt hat, kennen zu lernen, an dieſer Kenntniß die uns verliehenen Geiſteskraͤfte zu uͤben und zu ſtaͤrken, und durch eine weiſe Herrſchaft uͤber die Natur, ſo weit ſie uns zu erlangen geſtattet iſt, einen wichtigen Theil unſrer irdiſchen Be - ſtimmung zu erfuͤllen.

I. A02[2]

Aber werden wir denn die große Anforderung, die Natur zu durchſchauen, ihre tief verborgenen Geſetze mit unſerm ſchwa - chen Verſtande zu ergruͤnden, erfuͤllen koͤnnen? Wird es uns je gelingen, die unzaͤhlbaren Raͤthſel zu loͤſen, welche das in ſeiner Groͤße unermeßliche, in der Verwickelung ſeiner Erſcheinungen immer neue Tiefen darbietende Weltgebaͤude uns vorlegt? Dieſe Frage wird zwar niemand mit der kuͤhnen Hoffnung, je die Natur ganz zu ergruͤnden, beantworten; aber wir fuͤhlen die Kraft in uns, immer tiefer eindringend in die Geſetze der Natur, ein Geheimniß nach dem andern zu durchforſchen, und in der Loͤ - ſung einer Aufgabe, die allerdings unendlich iſt, immer weiter fortzuſchreiten. Und ſo wollen auch wir den Verſuch wagen, wie weit uns dieſes gelingen mag.

Gegenſtand der Naturlehre.

Ich breche dieſe Vorrede ab, um ſogleich den Gegenſtand, der uns beſchaͤftigen ſoll, ſelbſt ins Auge zu faſſen. Bei der Be - trachtung der uns umgebenden Welt bemerken wir, daß wir auf eine zweifache Weiſe uns mit den Gegenſtaͤnden und Erſcheinun - gen, welche wir beobachten, bekannt machen koͤnnen, daß wir naͤm - lich theils die Merkmale, wodurch ein Gegenſtand ſich von dem andern unterſcheidet, auffaſſen muͤſſen, theils die Veraͤnderungen, die ſich uns zeigen, bemerken, und wie ſie auf einander folgen, beobachten muͤſſen, um die Urſachen, warum ſie ſo erfolgen, ken - nen zu lernen. Jenes Beſtreben, die gleichartigen und ungleich - artigen Merkmale, welche den Gegenſtaͤnden dauernd eigen ſind, kennen zu lernen, fuͤhrt zu derjenigen Wiſſenſchaft, welche wir Naturgeſchichte oder Naturbeſchreibung nennen. Sie hat den Zweck, die gleichartigen oder die einander verwandten Koͤrper im Thierreiche, im Pflanzenreiche und im Mineralreiche kennen zu lehren, ſie in ein Syſtem zu ordnen und dadurch den Beob - achter aͤhnlicher Gegenſtaͤnde in Stand zu ſetzen, dieſen ihren richtigen Ort im Syſteme, das nach gewiſſen Merkmalen claſſi - ficirt, anzuweiſen. Die Zoologie, die Botanik, die Mineralogie, beſchaͤftigen ſich bloß hiemit, und ſofern ſie bloß in dem Bezirke der Naturbeſchreibung bleiben, fragen ſie nicht nach den Urſachen der Veraͤnderungen, welche an den in ihr Gebiet gehoͤrigen Koͤr -03[3] pern beobachtet werden. Die Naturlehre im engern Sinne dagegen hat den Zweck, die Veraͤnderungen in der Koͤrperwelt aufzufaſſen, und die Naturgeſetze, nach welchen ſie erfolgen, auf - zuſuchen. Sie umfaßt daher eigentlich ebenſowohl die Erſchei - nungen der belebten, als der lebloſen Schoͤpfung; aber um das immer noch ſehr große Gebiet der Naturlehre etwas enger zu begrenzen, ſondern wir die Phyſiologie, die von den Geſetzen handelt, nach welchen die Erſcheinungen der lebendigen Koͤrper ſich richten, von ihr ab. Dieſe Geſetze des Lebens und der Le - bensthaͤtigkeit bieten ſo viel Schwieriges und ſo viel Eigenthuͤm - liches dar, daß ſie mit großem Rechte als eine eigne Wiſſenſchaft bildend angeſehen werden; indeß ſtuͤtzt ſich auch wieder die Phy - ſiologie ſehr oft auf die allgemeinen Geſetze, die in der lebloſen Koͤrperwelt gelten, und manche Erſcheinung koͤmmt genau ſo oder allenfalls nur wenig modificirt, bei den belebten, wie bei den lebloſen Koͤrpern vor, ſo daß manche Phaͤnomene der belebten Welt, als groͤßtentheils in das Gebiet der Phyſik fallend, anzu - ſehen ſind. Ich ſollte hier nun freilich die Frage beantworten, wo denn das Reich der Lebensthaͤtigkeit anfange, und wo dem - nach die Forſchungen der Phyſik in dieſer Hinſicht ihre Grenze finden; aber dieſe Unterſuchung, deren Schwierigkeit ſelbſt da, wo ſie ſich bei den einzelnen Erſcheinungen darbietet, ſchon ſehr groß iſt, wuͤrde unuͤberwindliche Schwierigkeiten darbieten, wenn man ſie im Allgemeinen durchzufuͤhren unternehmen wollte, und ich will daher lieber hier eine offen eingeſtandene Luͤcke laſſen, als bei dem verfehlten Unternehmen, ſie auszufuͤllen, ver - weilen.

Alle Veraͤnderungen alſo, die wir in der lebloſen Natur wahrnehmen, gehoͤren der Betrachtung der Naturkunde oder der im engern Sinne ſo genannten Phyſik an. Wie ſie ſich an - einander reihen, ſoll uns eine wohlgeordnete Beobachtung lehren, und unſer bei jeder Erſcheinung nach der Urſache derſelben fragen - der Verſtand, ſoll aus der Verbindung der Erſcheinungen auf ihre Urſachen, auf ihre naͤchſten und auf ihre hoͤher hinauf liegenden Grund-Urſachen ſchließen; auf dieſem Wege ſoll, wenn es moͤglich iſt, ein Syſtem der Phyſik dargeſtellt werden, welches uns die An - ordnung der ganzen Natur uͤberſchauen laͤßt, welches alle Erſchei -A 204[4]nungen auf ihre wahren Urſachen zuruͤckfuͤhrt, und alle Raͤthſel loͤ - ſet, welche ſich uns in der uns umgebenden Wunder vollen Welt darbieten. Ich habe wohl nicht noͤthig hinzuzuſetzen, daß dies zwar das Ziel, aber auch das unerreichbare Ziel unſrer Beſtrebun - gen iſt; daß wir zwar Gelegenheit genug finden, uns des gluͤckli - chen Erfolges der Unterſuchungen zu erfreuen, die wir beendiget vor uns ſehen, ja daß wir Grund genug finden, zu erſtaunen uͤber den ſchon erlangten Reichthum tief eindringender Aufſchluͤſſe uͤber die Geſetze der Natur-Erſcheinungen, aber daß dennoch die unermeß - lich reiche Natur uns immer noch zu dem Bekenntniſſe zwingt, und gewiß unſre ſpaͤteſten Nachkommen zu dem Bekenntniſſe zwin - gen wird, daß wir nur das Wenigſte erkennen, und viel Groͤßeres uns noch verborgen bleibt.

Richtige Anordnung der Naturforſchung.

Auf welchem Wege gelangen wir denn zur Kenntniß der Na - turgeſetze? das iſt wohl die Frage, welche ſich uns nun zuerſt darbietet. Man hat oft die Hoffnung ausgeſprochen, daß eine Naturphiloſophie, gegruͤndet auf eine Reihe wohl geordneter Schluͤſſe, uns tief in das innere Weſen der Dinge hinein fuͤhren koͤnne; aber, obgleich es wahr iſt, wie ich bald zeigen werde, daß wir einige Eigenſchaften der Materie als nothwendig anerkennen, und, daß ſich ſo einige Grundzuͤge naturwiſſenſchaftlicher Kenntniſſe a priori entwickeln laſſen, ſo iſt es doch ohne allen Zweifel auch wahr, daß der Umfang dieſer nuͤtzlichen Naturphiloſophie in ſehr enge Grenzen eingeſchloſſen iſt, und daß ſie uns gaͤnzlich verlaͤßt, wo es auf einzelne Erſcheinungen und ihre Erklaͤrung an - koͤmmt. Die Erfahrung kann allein hier unſre Leiterin ſein, und die Kunſt, Erfahrungen zu ſammeln und an einander zu rei - hen, iſt die eigentliche Kunſt des Phyſikers. Auf dieſe Kunſt deu - ten wir ſchon hin, wenn wir vom Beobachten reden. Das Heer der Erſcheinungen bietet ſich jedem Auge dar, und wer nicht allzu ſtumpfſinnig die wechſelnden Erſcheinungen an ſich voruͤber - gehen laͤſſet, der nimmt auch dieſe Phaͤnomene wahr; aber wir ſagen erſt dann, daß er ſie beobachte, wenn er auf jedes Einzelne in der Erſcheinung merkt, wenn er mit Ueberlegung auf den Gang der Erſcheinungen achtet, und aus dem Gewirre mannig -5 faltiger Ereigniſſe das, was mit einander in Verbindung ſteht oder zu ſtehen ſcheint, geordnet auffaßt. Unſre Geiſtes-Anlagen noͤthigen uns, uͤberall eine Verbindung von Urſache und Wirkung aufzuſuchen, und der Beobachter der Naturphaͤnomene fuͤhlt ſich daher ſogleich zu der Frage veranlaßt, ob unter zwei auf einander folgenden Erſcheinungen die eine als Urſache der andern anzuſehen ſei. Um dieſe Frage zu entſcheiden, muß er ſich in den meiſten Faͤllen an die Erfahrung wenden, und jener vermuthete Zuſam - menhang dient daher ſeiner Aufmerkſamkeit zur Leitung; er achtet darauf, ob jene zwei Erſcheinungen immer ſo verbunden vorkom - men, und erſt, wenn er das durch wiederholte Beobachtung be - ſtaͤtigt findet, haͤlt er ſich berechtiget, in der einen die naͤchſte Ur - ſache der andern anzuerkennen. Da faſt keine Erſcheinung ſich oft wiederholt ganz auf dieſelbe Weiſe zutraͤgt, ſondern oft Nebenum - ſtaͤnde Verſchiedenheiten hervorbringen, ſo fuͤhrt gewoͤhnlich eine wiederholte Beobachtung zur Kenntniß dieſer Nebenumſtaͤnde, und lehrt uns eben dadurch die weſentliche Urſache um ſo ſicherer und genauer kennen, wenn wir ſie bei allen den, in andrer Hinſicht ab - geaͤnderten Umſtaͤnden wieder finden. So kann ſelbſt bloße Beob - achtung uns zu der Kenntniß der naͤchſten Urſache einer Erſchei - nung fuͤhren; aber dieſe Kenntniß wird noch ſicherer beſtaͤtigt, wenn es uns gelingt, eben die Erſcheinung durch einen Verſuch, durch ein Experiment, hervorzubringen. Bei dem Verſuche bringen wir die Umſtaͤnde ſelbſt hervor, durch welche, unſrer Mei - nung nach, jene Erſcheinung bewirkt werden ſoll, und der Verſuch beſtaͤtigt unſre Meinung, wenn er immer, bei richtiger Anordnung eben den Erfolg giebt. Der Verſuch lehrt gewoͤhnlich dann noch mehr; denn entweder tritt durch Zufall einmal eine kleine Abaͤn - derung der Umſtaͤnde ein, welche zum Gelingen des Verſuches er - fordert werden, und wir erlangen dadurch Belehrung uͤber die Urſache ſeines Mislingens, oder wir aͤndern abſichtlich die Umſtaͤnde ab, um uns uͤber die Verſchiedenheiten des Erfolges zu belehren. In dieſer mit beſtimmter Abſicht angeordneten Abaͤnderung zeigt ſich oft der Scharfſinn des Phyſikers in ſeinem ſchoͤnſten Lichte, wenn er die Ungleichheit der Erfolge voraus ſieht, welche aus jenen Abaͤnderungen wahrſcheinlich hervorgehen muͤſſen, und die Ent - wickelung der einzelnen Lehren wird uns Beiſpiele genug liefern,6 welche zeigen, wie eine Reihe von Erſcheinungen neu entdeckt wurde, indem man die erſten Verſuche, welche die Anleitung dazu gaben, geſchickt veraͤndert fortfuͤhrte.

Wenn ein Stuͤckchen Kreide in ein Gefaͤß mit hinreichend ſtarker Saͤure faͤllt, ſo verſchwindet in Kurzem die Kreide, wir ſagen, ſie wird aufgeloͤſt, dies iſt eine Beobachtung; wenn wir aber nun abſichtlich ein Stuͤck Kreide in eben ſolche Saͤure legen, um zu ſehen, ob es immer ſo erfolgt, wenn wir eben die Kreide etwa in ſehr verduͤnnte Saͤure legen, um die Grenzen dieſer Aufloͤſungskraft zu beſtimmen, wenn wir andre Koͤrper ſtatt der Kreide in eben die Saͤure legen oder andre Arten von Saͤuren nehmen, ſo ſtellen wir ſchon eine ganze Reihe von Verſuchen an. Bemuͤhen wir uns nun ſogar die Natur der Luftblaſen, die ſich uns bei dem Aufſchaͤumen der Aufloͤſung zeigen, zu be - ſtimmen, finden wir Mittel die ſo entwickelte Luft aufzufangen, gelangen wir zu der Kenntniß, daß dieſe Luftart ganz andre Ei - genſchaften als die uns umgebende atmoſphaͤriſche Luft beſitzt, ſo haben wir an jene unbedeutende Erfahrung eine Reihe wichtiger Erſcheinungen angeknuͤpft, und die Grundlagen eines hoͤchſt be - deutenden Zweiges der Phyſik ſind in dieſen wenigen Experimen - ten enthalten.

Eine ſolche Anordnung von Beobachtungen und Verſuchen kann in vielen Faͤllen ſchon dienen, um zu einer ſehr genuͤgen - den Einſicht in die Geſetze der Erſcheinungen zu gelangen; aber ſehr oft iſt es uns auch geſtattet, noch tiefer einzudringen. Viele Wirkungen, welche wir wahrnehmen, ſind einer Abmeſſung faͤ - hig, und in den Faͤllen, wo dies ſtatt findet, kann man mit Huͤlfe der Mathematik dahin gelangen, aus dem Maaße der wir - kenden Kraͤfte den Erfolg in genauen Zahlen zu berechnen, es ſei nun, daß man jenes Maaß der wirkenden Kraͤfte ſchon als ſicher bekannt annehmen oder nur als hypothetiſch gegeben anſe - hen kann; und wir halten unſre Erklaͤrung der Natur-Erſcheinun - gen erſt da fuͤr recht vollendet, wo ſie uns dahin fuͤhrt, nach Zahl und Maaß genau den Erfolg jedes Mal beſtimmen zu koͤnnen. Gewoͤhnlich gehen wir, grade bei dieſer Art von Be - ſtimmung, von Hypotheſen aus, und es iſt daher hier der Ort, die Wichtigkeit, ja die Nothwendigkeit der Einfuͤhrung von7 Hypotheſen in die Phyſik zu erklaͤren. So bedenklich man es gewoͤhnlich zu finden pflegt, wenn man Hypotheſen zur Er - klaͤrung einer Natur-Erſcheinung anwendet, und ſo oft allerdings durch den Misbrauch der Hypotheſen dem Fortſchreiten richtiger Kenntniſſe geſchadet worden iſt, ſo laͤßt es ſich doch auch von der andern Seite nicht leugnen, daß wir faſt zu keiner Kenntniß gelan - gen, ohne eine Hypotheſe aufzuwerfen. Wenn wir bei Nacht eine Gegend des Horizontes ſich erhellen ſehen, ſo fragen wir: kann denn der Mond dort aufgehen? Dieſe Frage iſt eine Hypo - theſe, deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit ſich freilich ſehr bald entſcheiden laͤßt. Aber ebenſo fragen wir, wenn der Blitz ein Haus getroffen hat und ohne zu zuͤnden zur Erde herabgelaufen iſt, ob dies an der Natur grade dieſes Blitzes lag, ob es ein kal - ter Schlag war, oder ob er durch Umſtaͤnde, die in der Beſchaf - fenheit des Hauſes lagen, ohne großen Schaden herabfuhr; und wenn wir aus Vergleichung mehrerer Erfahrungen finden, daß der Blitz da, wo er eine Metallleitung findet, ohne das Gebaͤude zu beſchaͤdigen, zur Erde gelangt, ſo geben wir die Hypotheſe von dem Unterſchiede warmer und kalter Schlaͤge auf, und finden dagegen die andre Hypotheſe, daß es in der Beſchaffenheit der getroffenen Koͤrper liege, wenn der Blitz ohne zu zuͤnden fort - geht, deutlich beſtaͤtiget. Auf aͤhnliche Weiſe ſind wir bei jedem uns neuen Phaͤnomene, auch in dem regelmaͤßigen Gange der Naturforſchung, veranlaßt, zu fragen, ob dies nicht von dem oder jenem beſtimmten Umſtande abhaͤnge, und eben damit haben wir ſchon eine Hypotheſe aufgeworfen. Die Pflicht des Natur - forſchers iſt es nun, zunaͤchſt zu ſehen, ob die Erſcheinung ſich immer an die hypothetiſch angenommene Urſache anſchließe, zu unterſuchen, nach welchen Geſetzen dieſe Urſache wirkt, und die hypothetiſch angenommenen oder nach Wahrſcheinlichkeit vermu - theten Geſetze mit dem zu vergleichen, was die Erfahrung ergiebt. Sind die Geſetze dieſer Wirkungen einfach, und findet man die Erfolge der Erfahrung entſprechend, ſo kann man die aufgeſtellte Hypotheſe als richtig anſehen; muß man dagegen kuͤnſtlich ver - wickelte Geſetze ausdenken, um hier der einen, dort der andern Erfahrung Genuͤge zu thun, die ſich den einfachern Geſetzen nicht ganz gemaͤß zeigt, ſo hat man Grund die Hypotheſe mit Mis -8 trauen anzuſehen. Ein Beiſpiel hiezu giebt des Copernicus Hypotheſe, daß die Erde um die Sonne laufe. Aus ihr ließen ſich alle rechtlaͤufige und ruͤcklaͤufige Bewegungen der Planeten, als aus bloßem Scheine entſpringend, als ganz entſprechend der rela - tiven Bewegung gegen die bewegte Erde, erklaͤren, ſtatt daß die aͤltere Hypotheſe, daß die Erde ruhe, zu der Vorausſetzung, daß die Planeten in ſehr verſchlungenen Bahnen laufen muͤßten, fuͤhrte. Dieſe Hypotheſen ſind nicht ſelten von der Art, daß ſich an ſie ſtrenge rechnende Beſtimmungen knuͤpfen laſſen, und in dem Falle laͤßt ſich zu einer vollkommenen Entſcheidung uͤber ihre Richtigkeit gelangen; denn wenn die Erfolge nicht bloß obenhin ſo ſind, wie die Hypotheſe ſie erwarten laͤßt, ſondern die Erſchei - nungen genau in dem Maaße, zu der richtigen Zeit, eintreffen, wie ſie eintreffen ſollten, ſo kann man, je ſchaͤrfer dies der Fall iſt, deſto ſicherer, die Wahrheit der Hypotheſe als entſchieden an - ſehen. Das glaͤnzendſte Beiſpiel einer ſolchen durch die mathema - tiſche Berechnung bewaͤhrten Hypotheſe ſtellt uns Newtons Attractionslehre dar, indem die nach ihr berechneten Bewegungen der Planeten jeder Beobachtung derſelben ſo genau entſprechen, daß die Vorherbeſtimmung aller Erſcheinungen mit der groͤßten Genauigkeit zutrifft, und dieſes Zutreffen ſtatt findet, ohne daß es einer Huͤlfshypotheſe oder irgend einer fuͤr einen Planeten ſo, fuͤr den andern Planeten anders beſtimmten Correction bedarf. Und ſo wie hier ſich eine Hypotheſe, als ein großes Ganzes von Erſcheinungen umfaſſend, bewaͤhrt hat, ſo haben auch manche andre Hypotheſen ſich, mehr oder minder fruchtbar in dem Um - fange ihrer Anwendungen, als wahr und als zu Erklaͤrung ganzer Reihen von Erſcheinungen zureichend, gezeigt. Die Gefahr, durch falſche Hypotheſen irre gefuͤhrt zu werden, laͤßt ſich durch aufrich - tige Wahrheitsliebe und durch aufmerkſames Beachten aller Um - ſtaͤnde zwar nicht unbedingt vermeiden, aber doch in hohem Grade vermindern. Wenn man mit moͤglichſter Strenge die Folgerungen entwickelt, zu denen die Hypotheſe fuͤhrt, und mit unbefangener Achtſamkeit die Erſcheinungen, die ſich wirklich zeigen, damit ver - gleicht, ſo darf man hoffen, daß der Irrthum, zu dem eine falſche Hypotheſe verleiten koͤnnte, nicht lange unentdeckt bleiben kann, und es verſteht ſich, daß man ſich nicht durch Vorliebe fuͤr eine9 einmal gefaßte Meinung darf blenden laſſen, und daß man ſich huͤten muß, der Hypotheſe noch Vertrauen zu ſchenken, die ſich nicht als wahr bewaͤhrt.

Einzelne Hauptgegenſtaͤnde der Naturlehre.

Dieſe Bemerkungen uͤber die Art, wie die Naturforſchung getrieben werden muß, wie wir Naturgeſetze entdecken und ihre Richtigkeit beſtaͤtigen koͤnnen, werden bald durch die Anwendung noch deutlicher werden. Ueber die verſchiedenen Gegenſtaͤnde, die ſich in der Naturlehre unſrer Unterſuchung darbieten, und die daraus hervorgehenden einzelnen Zweige der Phyſik, iſt es ſchwe - rer hier ſchon etwas ganz Genuͤgendes anzugeben. Die Frage, was denn die Materie ſei, oder was den Stoff zu allen unſern ſinnlichen Wahrnehmungen liefere, und welche nothwendige oder zufaͤllige Eigenſchaften die Materie beſitze, iſt die erſte, wozu wir uns hingezogen finden. Die Bewegung, deren Geſetze wir, als nothwendig, aus mathematiſchen Betrachtungen herleiten koͤnnen, bietet uns durch die mannigfaltigſten Anwendungen auf einzelne Erſcheinungen einen reichhaltigen Stoff zu Unterſuchungen dar. Die Erfahrungen ferner uͤber diejenige Einwirkung der Koͤrper auf einander, wodurch ihr ganzes Weſen veraͤndert zu werden ſcheint, die Aufloͤſungen, wo der feſte Koͤrper in einen fluͤſſigen uͤbergeht, die Niederſchlaͤge, wo ſich aus dem Fluͤſſigen ein ganz andrer feſter Koͤrper darſtellt, bieten eine eigne Wiſſenſchaft, die Chemie dar, die in ihren beſondern Anwendungen ſo reich iſt, daß man ſie, als einen eignen Zweig der Naturwiſſenſchaft, von der Phyſik trennt, und nur ihre Grundzuͤge in der Phyſik vorzutra - gen pflegt. Die uͤbrigen Lehren der Phyſik laſſen ſich endlich in vier Haupt-Abtheilungen bringen, da die Erfahrungen darauf geleitet haben, die Erſcheinungen, welche das Licht, die Waͤrme, die Electricitaͤt und der Magnetismus darſtellen, zu unterſuchen, und ihre Geſetze zu erforſchen.

Anordnung des Vortrags. Nutzen des Studiums der Phyſik.

Um dieſe verſchiedenen Lehren vollſtaͤndig und gruͤndlich dar - zuſtellen, wuͤrde es nun freilich der Mathematik beduͤrfen; aber da es Ihr Zweck nicht iſt, den ganzen Reichthum ſchoͤner, aber10 zum Theil tiefſinniger und ſchwieriger Betrachtungen vollſtaͤndig kennen zu lernen, den eine ſo tief eindringende Darſtellung der Phyſik liefert, ſo werde ich mich hier begnuͤgen, nur die Reſultate jener Unterſuchungen darzulegen, und ich hoffe Ihnen zu zeigen, daß dieſe ſich mit Ueberzeugung uͤberſehen laſſen, daß man die Gruͤnde, warum es ſo iſt, deutlich machen kann, wenn man theils die Verſuche, welche die wichtigſten Erſcheinungen darſtellen, vor Augen hat, theils die daran geknuͤpften Schluͤſſe auf eine Weiſe, die auch dem Nichtmathematiker vollkommen verſtaͤndlich iſt, ent - wickelt. Da die Experimentalphyſik den Hauptgegenſtand dieſer Vorleſungen ausmachen ſoll, ſo wird es mein Beſtreben ſein, Ihnen die Erfahrungen und Verſuche vollſtaͤndig und deutlich zu erklaͤren, die entweder den weitern Schluͤſſen zur Grundlage dienen, oder ſich an dieſe als Beſtaͤtigung anſchließen; ich werde ſuchen, das ganze Syſtem der Phyſik gleichſam aus Verſuchen aufzubauen. Daneben aber werde ich, theils aus den Anwendungen der Phyſik auf die Gegenſtaͤnde des gemeinen Lebens und auf die Kuͤnſte und Gewerbe, theils aus der Meteorologie, phyſiſchen Geographie und Aſtronomie, Ihnen das Wichtigſte mittheilen, um, ſo weit es unſre, vorzuͤglich in der Meteorologie noch ſehr beſchraͤnkten, Kennt - niſſe erlauben, Ihnen zu zeigen, wie die wichtigſten und groͤßeſten Natur-Ereigniſſe mit den Geſetzen zuſammenhaͤngen, die wir aus unſern Verſuchen ableiten.

Es iſt wohl nicht noͤthig, uͤber den Nutzen, den wir uns von dieſer Erforſchung der Natur verſprechen duͤrfen, umſtaͤndlich zu reden. Waͤre es auch bloß die Befriedigung des Beduͤrfniſſes, ſich uͤber alles, was uns umgiebt, zu belehren, eines Beduͤrfniſſes, das jeder denkende Menſch um ſo mehr empfindet, je mehr er ſeine Geiſteskraͤfte ausbildet, ſo wuͤrde ſchon darin Aufforderung genug liegen, uns mit der Naturkunde zu beſchaͤftigen. Wohin wir unſer Auge wenden, da bieten ſich uns Erſcheinungen dar, die wir in ihrem Zuſammenhange zu uͤberſehen wuͤnſchen, die unſern Scharf - ſinn, um ſie zu erklaͤren, die unſre Aufmerkſamkeit, um ſie zu benutzen oder den Nachtheilen, welche ſie drohen, zu entgehen, auffordern; und die Naturkunde iſt es, die uns Belehrung uͤber ſie gewaͤhrt. Aber auch die unzaͤhligen Vortheile, welche Kuͤnſte und Gewerbe aus der Phyſik gezogen haben, und noch mehr zie -11 hen koͤnnen, verdienen unſre Aufmerkſamkeit, und verdienen dieſe oft eben ſo ſehr um des Scharfſinnes willen, der ſich bei dieſen An - wendungen gezeigt hat, als um des Nutzens willen, den ſie ge - waͤhren. Und endlich fuͤhrt uns auch das Studium der Phyſik zu einer eigenthuͤmlichen Ausbildung unſerer Geiſteskraͤfte; denn ſo wie die Mathematik uns an Gruͤndlichkeit und Strenge in den Schluͤſſen gewoͤhnt, und uns zeigt, was denn eigentlich mit Sicher - heit wahr und gewiß heißen kann, wie die Botanik uns gewoͤhnt, mit Schaͤrfe die aͤußern Merkmale der Gegenſtaͤnde wahrzuneh - men und diejenigen Kennzeichen aufzuſuchen, wodurch ſich die ein - zelnen Pflanzen von einander unterſcheiden und wornach ſie im Syſteme koͤnnen aufgefunden werden, ſo fuͤhrt uns die Phyſik zur Kunſt des Beobachtens, indem ſie uns Beiſpiele zeigt, wie man durch richtiges Auffaſſen der Erſcheinungen die wahrhaft wirkſamen Urſachen von dem bloß Zufaͤlligen unterſcheidet, wie man durch Abaͤnderung der Umſtaͤnde die Geſetze der Wirkungen erforſcht, wie man oft mit Wahrſcheinlichkeit vorausſehen kann, welche Anordnung von Verſuchen zu ganz neuen Aufſchluͤſſen fuͤhren kann, und ſo weiter. Und dieſer Kunſt des Beobachtens beduͤrfen wir auch bei den gewoͤhnlichſten Ereigniſſen.

Doch es iſt Zeit, daß ich dieſe Einleitung ſchließe, um zu dem Gegenſtande unſrer Unterhaltungen uͤberzugehen.

Zweite Vorleſung.

Allgemeine Eigenſchaften der Materie. Geſtalt. Un - durchdringlichkeit.

Da die Erſcheinungen in der Sinnenwelt im Allgemeinen der Gegenſtand der Phyſik ſind, ſo fragen wir, m. h. H., wohl zu - erſt nach dem Weſen des Stoffes, der bei allem Wechſel der Er - ſcheinungen, als das Beharrliche, zum Grunde liegt, nach den Eigenſchaften der Materie oder der Koͤrper im Allgemeinen. Da alles, was wir erkennen koͤnnen, im Raume iſt, einen Ort einnehmen, eine Geſtalt haben muß, ſo ſehen wir es mit Recht als eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper an, daß ſie irgend12 eine Form beſitzen. Selbſt da, wo unſre Sinne uns nicht mehr geſtatten, die materiellen Theile wahrzunehmen, koͤnnen wir uns nicht enthalten, ihnen Vermuthungsweiſe eine Form, eine gewiſſe Lage im Raume beizulegen, und reden daher von den Lichttheilchen als von kleinen Koͤrpern, oder von den wellenartigen Oſcillationen des Aethers, die wir nach Abmeſſungen im Raume zu beſtimmen ſuchen. Aber ſtatt daß die mathematiſche Betrachtung des Koͤr - pers allein bei ſeiner Geſtalt und Groͤße ſtehen bleibt, ſtatt daß der Raum keine andre Eigenſchaften, als die der Groͤße und Ge - ſtalt beſitzt, legen wir ſogleich der Materie noch die zweite Ei - genſchaft bei, den Raum auszufuͤllen. In dem Puncte des Raumes, in welchem ſich ſchon Materie befindet, kann kein andrer phyſiſcher Koͤrper zugleich auch vorhanden ſein, der eine verdraͤngt entweder den andern aus ſeiner Stelle, oder jener hin - dert dieſen, den Platz einzunehmen, den er einzunehmen im Be - griff war. Wir nennen dieſes die Undurchdringlichkeit der Materie oder des phyſiſchen Koͤrpers, und ſehen auch dieſe als eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper an. Obgleich es hier nicht meine Abſicht iſt, in Unterſuchungen einzugehen, die eigent - lich der Philoſophie angehoͤren, ſo kann ich doch nicht ganz die Betrachtungen uͤbergehen, die ſich an dieſe Eigenſchaft der Koͤrper angeknuͤpft und zu der Behauptung gefuͤhrt haben, die Materie habe ihr Beſtehen durch die vereinigte Wirkung anziehender und abſtoßender Kraͤfte. Wir ſind gewohnt, alles das, was eine Aen - derung in der Koͤrperwelt hervorbringt, Kraft zu nennen, und ebenſo es einer Kraft zuzuſchreiben, wenn eine Aenderung des Zu - ſtandes, die durch eine Kraft bewirkt werden ſollte, gehindert wird. Da nun der eine Koͤrper das Eindringen des andern in den von jenem eingenommenen Raum nicht geſtattet, ſo ſchreiben wir beiden eine Kraft, das Eindringen zu hindern, eine abſtoßende Kraft, Repulſivkraft zu. Beſitzen aber die einzelnen Theile der Materie eine ſolche Repulſivkraft, ſo muͤßten ſie ſich von einander trennen, wenn nicht zugleich eine anziehende oder Attractivkraft wirkſam waͤre. In dieſem Zugleichwirken beider Kraͤfte ſuchen wir daher den Grund des Beſtehens der Materie in beſtimmter Aus - dehnung und Dichtigkeit; aber wenn wir weiter gehen und ſagen wollen, die Materie ſei nichts anders, als der Conflict dieſer Kraͤfte,13 ſo verlieren wir uns in eine unaufloͤsliche Dunkelheit, indem wir uns Kraͤfte nicht, als etwas fuͤr ſich allein Vorhandenes, denken koͤnnen, ſondern ſie als dem unbekannten Etwas, das wir Materie nennen, anhaftend anſehen. Ich weiß wohl, daß der Naturphi - loſoph mit dieſer Beſchraͤnkung jener Betrachtung nicht zufrieden iſt; aber der bloß bei den Erſcheinungen ſtehen bleibende Phyſiker kann ſich in das Gebiet jener Forſchungen um ſo weniger hinein wagen, da der aus ihnen hervorgegangene Gewinn, weder von Seiten vollendeter Zuverlaͤſſigkeit, noch von Seiten practiſcher Fruchtbarkeit, ſich recht werthvoll gezeigt hat. Die Betrachtung, daß das Beſtehen eines gegebnen Koͤrpers in der Beſchaffenheit, die er einmal beſitzt, auf ſolchen gegen einander wirkenden Kraͤften beruhe, daß daher eine aͤußere Kraft, indem ſie die Attractivkraft durch ein Zuſammendraͤngen unterſtuͤtzt, oder mit der Repulſivkraft durch ein Auseinanderziehen zuſammen wirkt, die Geſtalt des Koͤrpers aͤn - dern koͤnne, iſt wenigſtens nicht ganz unfruchtbar. Uebrigens zeigt ſich uns die Undurchdringlichkeit bei allen den Koͤrpern, die ſich unſerer ſinnlichen Wahrnehmung darbieten, augenſcheinlich. Dringt gleich das Waſſer in die Zwiſchenraͤume des Holzes, des Papieres ein, ſo thut es das doch nur ſo fern, als dieſe Zwiſchenraͤume nicht ausgefuͤllt ſind, oder als die in ihnen enthaltene Luft den von ihr eingenommenen Platz verlaͤßt, und wir ſehen dieſe in Form von Blaſen entweichen, wenn ſie aus ihrem Platze fortgetrieben wird. Selbſt die Luft iſt alſo undurchdringlich, ſie geſtattet da, wo ihr kein Ausgang gelaſſen iſt, nicht den Zutritt eines andern Koͤrpers, welches man dadurch zu zeigen pflegt, daß man ein mit Luft ge - fuͤlltes Glas mit der ins Waſſer getauchten Muͤndung in die Waſſermaſſe hinab druͤckt, und wahrnehmen laͤßt, daß das Waſſer nicht den Raum ausfuͤllt, den es einnehmen wuͤrde, wenn man die Luft entweichen ließe.

Theilbarkeit.

Eine dritte Eigenſchaft legen wir als nothwendige Eigenſchaft der Materie bei, die Theilbarkeit. Nicht bloß in der Vorſtellung koͤnnen wir uns den Koͤrper als in Theile zerlegt denken, ſondern er geſtattet auch phyſiſch eine Zertheilung. Wollen wir dieſe Ei - genſchaft an die Kraͤfte anknuͤpfen, welche das Beſtehen der14 Materie bedingen, ſo wuͤrden wir ſagen, da die Kraft des Zuſam - menhanges nicht unendlich ſein kann, ſo muß es moͤglich ſein, dieſe Kraft des Zuſammenhanges zu uͤberwinden, eine Trennung der Theile von einander zu bewirken. Die Mittel, die uns in der Erfahrung hiezu dargeboten werden, ſind mannigfaltig und groͤßtentheils bekannt. Sie beſtehen zum Beiſpiel darin, daß wir einen Koͤrper zwiſchen die Theilchen des andern hinein draͤngen und dann ſchneidend, brechend und ſo ferner, die Zertrennung be - wirken. Am merkwuͤrdigſten iſt die ſehr feine Zertheilung, die bei Miſchung fluͤſſiger Koͤrper ſtatt findet, und die ſich durch chemiſche Veraͤnderungen ſehr deutlich darthut. Die chemiſchen Reagentien, das iſt diejenigen Stoffe, welche das Vorhandenſein eines be - ſtimmten Koͤrpers in einer Aufloͤſung zeigen, geben Beiſpiele hiezu. So iſt zum Beiſpiel die Gallapfeltinctur ein vorzuͤgliches Mittel, die Gegenwart des Eiſens zu erkennen, indem ein Tropfen jener Tinctur, ſelbſt in einer ſehr verduͤnnten Eiſen-Aufloͤſung, eine Schwaͤrzung hervorbringt. Eine eben ſolche auf Eiſen reagirende Subſtanz iſt die Blutlauge*)Cyankali in kaltem Waſſer aufgeloͤſt.. Ein Gran derſelben faͤrbt 20 Pfund oder ¼ Cubicfuß**)Ein Cubicfuß iſt der koͤrperliche Raum von 1 Fuß lang, 1 Fuß breit, 1 Fuß hoch. Da 1 Fuß 12 Zolle enthaͤlt, ſo hat der Quadrat - fuß eine Flaͤche von 1 Fuß lang und 1 Fuß breit, 144 Quadratzoll, und der Cubicfuß 12 144 = 1728 Cubiczoll. Ebenſo hat der Laͤngen - zoll 12 Linien, der Quadratzoll 144 Quadratlinien, der Cubiczoll 1728 Cubiclinien, alſo der Cubicfuß 1728 1728 = 2985984, (bei - nahe 3 Millionen) Cubiclinien. Eiſen-Aufloͤſung merklich blau; wenn man nun bedenkt, daß eine Maſſe von mehr als 700000 Cubic - linien hier eine Faͤrbung erhaͤlt, daß das Auge noch Zehntel der Linie, alſo Tauſendtel der Cubiclinie, deutlich erkennt, ſo kann man den Gran als in jedem der 700 Millionen ſichtbarer Theil - chen ſeine Wirkung zeigend, anſehen. Aehnliche Beiſpiele geben die practiſch anwendbaren Faͤrbemittel. Venturi bemerkt, daß man mit 1 Unze Cochenille 10 Unzen Seide ſtark genug gefaͤrbt erhaͤlt. Aber die ſo gefaͤrbten 10 Unzen Seidenfaͤden waren 145000 Fuß lang und die microſcopiſche Unterſuchung zeigte in jedem Faden15 50 Coconfaͤden, deren geſammte Laͤnge alſo 7250000 Fuß betrug. Jeder dieſer Faͤden zeigte ſich unter dem Microſcop roth gefaͤrbt, und wenn man alſo annimmt, daß in jedem Fuße auch nur 2000 Theile ſichtbar wurden, ſo konnte man 14500 Millionen ſichtbare Theile als wirklich gefaͤrbt wahrnehmen*)Himly ophthalmolog. Bibliothek. 2 Th. 2 St. S. 400.. Welche zarte Bildun - gen die Natur uns, beſonders in den organiſchen Koͤrpern zeigt, wie in den Thierchen, die nur dem Milliontel eines Sandkoͤrnchens an Groͤße gleich kommen, noch Theile zu Unterhaltung der Lebens - functionen wahrgenommen werden, iſt aus Leuwenhoeks und andern Beobachtungen bekannt; und ebenſo feine Theile, immer noch in regelmaͤßiger Anordnung, ein Entſtehen aus noch zarteren Faſern und Gefaͤßen verrathend, zeigen uns die Vergroͤßerungs - glaͤſer in den einzelnen Haͤuten und andern Theilen auch der groͤ - ßeren Thiere.

Aber ſelbſt die Kunſt iſt im Stande, uns Beiſpiele von un - gemein feiner Theilung zu liefern. Die Kunſt, feine Linien auf Glas oder Metall einzuſchneiden und dieſe mit Huͤlfe einer ganz genau gleich fortruͤckenden Schraube ſo regelmaͤßig an einander zu zeichnen, daß die Eintheilung vollkommen gleichmaͤßig iſt, hat be - ſonders Fraunhofer ſo weit getrieben, daß er die Theilung eines Zolles in Zehntauſendtel als ganz genau, und die Theilung des Zolles in 32000 Theile als nur ſehr wenig von der voͤlligen Gleich - heit abweichend anſieht. Eine aͤhnliche Feinheit liefert die Kunſt des Drathziehens, wenn man ſie nach Wollaſtons Anleitung auf Gold und Platina von Silber umgeben anwendet. Die Drathzieher dehnen einen Silbercylinder von 22 Zoll Laͤnge, nach Reaumur's Bemerkung, in einen Drath von 110 franzoͤſiſchen Meilen, das iſt beinahe 16 Millionen Zoll aus, alſo zur 720000 maligen Laͤnge, indem ſie ihn nach und nach durch immer engere Loͤcher ziehen. Bohrt man nun in der Axe eines ſolchen Silbercylinders ein Loch, das genau den zehnten Theil des Durchmeſſers haͤlt, und fuͤllt dieſes mit Gold oder Platina aus, ſo dehnt ſich beim Drathziehen der den innern Kern des Cylinders ausmachende Koͤrper mit dem Silber aus, und man kann auf dieſe Weiſe Golddrath erhalten, von welchem 500 Fuß nur 1 Gran wiegen. Berechnet man hier -16 aus den Durchmeſſer des Drathes, ſo findet man ihn ungefaͤhr = $$\frac{1}{5400}$$ Zoll*)Nimmt man 1 Cubiczoll Waſſer = 373 franzoͤſ. Grains oder ungefaͤhr = 330 engliſchen Grains, ſo kann man 1 Cubiczoll Gold = 6350 engl. Grains rechnen. Sollen alſo 500 Fuß oder 6000 Zoll Laͤnge 1 Gr. wiegen, ſo muͤſſen ſie $$\frac{1}{6350}$$ Cubiczoll betragen, und der Querſchnitt des Drathes muß = $$\frac{1}{38100000}$$ Quadratzoll ſein, oder ſein Durchmeſſer $$\frac{1}{5470}$$ Zoll = $$\frac{1}{450}$$ Linie betragen. Gilb. Ann. LII. 284., und dies ſtimmt mit Wollaſton's Angabe uͤber - ein, der den Silberdrath als bis zu $$\frac{1}{500}$$ Zoll Dicke ausgezogen angiebt, wo dann der nur den zehnten Theil ſo dicke Gold - oder Platinadrath nur $$\frac{1}{5000}$$ Zoll dick ſein wuͤrde. Da der ſo gezogene Drath ſeinen Silber-Ueberzug behaͤlt, ſo muß man ihn davon durch Salpeterſaͤure, welche das Silber aufloͤſt, befreien, und erhaͤlt dann einen ſo feinen Drath, daß man ihn mit bloßem Auge nicht mehr wahrnehmen kann, weshalb man gern an den Enden ihm den Silber-Ueberzug laͤßt, um ihn bequemer halten und behandeln zu koͤnnen.

Man hat gefragt, ob die Materie ins Unendliche theilbar ſei. Dieſe Frage laͤßt ſich nicht beantworten; aber die ange - fuͤhrten Beiſpiele zeigen, daß dieſe Theilbarkeit ſich wenigſtens ungemein weit nachweiſen laͤßt**)Am weiteſten ſcheint die feine Vertheilung bei den ſtark rie - chenden Koͤrpern ſich nachweiſen zu laſſen, von welchen ein einziger Gran hinreicht, um ſehr große Raͤume mit dem Geruche zu erfuͤllen; aber immer bleiben dieſe Theilungen doch weit hinter dem zuruͤck, wovon man in der neueſten Zeit bei den Doſen von Arzneimitteln ge - redet hat. Um von 1 Quintilliontel Gran einen Begriff zu erhalten, (denn ſo wenig betraͤgt zuweilen eine ſolche Doſis) muß man erwaͤ - gen, daß die 6000jaͤhrige Dauer der Menſchengeſchichte 2191500 Tage, oder 52596000 Stunden, wofuͤr ich 53 Millionen Stunden ſetzen will, betraͤgt. Die Weltgeſchichte umfaßt alſo nur etwa 190000 Millionen Secunden. Waͤre nun die Erde dieſe ganze Zeit durch mit 1000 Millionen Menſchen in jedem Zeitpuncte bevoͤlkert geweſen, und haͤtte jeder derſelben alle Secunden eine Doſis eben des Arzneimittels genommen, ſo waͤren 190 Trillionen ſolcher Doſen oder ungefaͤhr 200 Trillionen ſolcher Doſen verbraucht. Wenn demnach ein Arzt ſeit Adams Zeiten allen lebenden Menſchen jede Secunde ein Quintilliontel Gran irgend eines Arznei - mittels gegeben haͤtte, ſo waͤre dennoch der ganze Verbrauch noch nicht ein Tauſendel vom Milliontel eines Granes. .

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Poroſitaͤt.

An dieſe Eigenſchaften der Koͤrper ſchließt ſich eine andere an, die wir freilich nicht als nothwendig mit dem Begriffe der Materie verbunden anſehen koͤnnen; die Poroſitaͤt. Ein Koͤrper nimmt einen gewiſſen Raum ein, und da wir Gruͤnde haben, bei dem einen Koͤrper mehr materielle Theilchen in demſelben Raume anzunehmen, als bei dem andern, ſo legen wir den Koͤrpern eine ungleiche Dichtigkeit bei; aber der Koͤrper er - fuͤllt ſeinen Raum nicht auf eine ſtetige, uͤberall gleiche Weiſe, ſondern ſelbſt unſer bloßes Auge zeigt uns Zwiſchenraͤume, die nicht mit der Materie des Koͤrpers erfuͤllt ſind; das Microſcop laͤßt uns dieſe Poren noch deutlicher wahrnehmen. Da die Koͤrper, die wir zu beobachten Gelegenheit haben, faſt immer lange in der Luft geweſen ſind, ſo koͤnnen wir meiſtens annehmen, daß die zwiſchen den Theilchen der Koͤrper leer bleibenden Stellen, oder die Poren, mit Luft gefuͤllt ſind; dieſe Luft ſehen wir daher gewoͤhnlich beim Ein - tauchen in Waſſer, indem das Waſſer in die Poren eindringt, in Blaſen hervorkommen, und wo das Waſſer unter den gewoͤhn - lichen Verhaͤltniſſen auch nicht in die Poren eindringt, da ge - ſchieht es doch, wenn man unter der Luftpumpe das Hervortreten der Luft aus dieſen Poren bewirkt. Selbſt im Waſſer, obgleich von einem Wahrnehmen der Poren des Waſſers nicht die Rede ſein kann, befindet ſich Luft, die wir beim Kochen und unter der Luftpumpe, bei aufgehobenem Drucke der Luft, hervorgehen ſehen.

Daß von dieſer Poroſitaͤt es zum Theil abhaͤngt, daß einige Koͤrper leichter, weniger dicht, als andere ſind, iſt ziemlich in die Augen fallend, oder laͤßt ſich wenigſtens aus den Veraͤnde - rungen ſchließen, die man bei ſtarker Zuſammenpreſſung derſelben wahrnimmt. Wir ſind gewohnt, Holz als weniger dicht in Ver - gleichung gegen Waſſer anzuſehen; aber Scoresby erzaͤhlt einen Fall, wo ein Boot, durch einen weit in die Tiefe gehenden Wall - fiſch hinabgezogen, als der Wallfiſch getoͤdtet und nun das an ihm feſthaͤngende Boot heraufgezogen war, eine ſolche Dichtigkeit erlangt hatte, daß es nicht mehr uͤber Waſſer zu erhalten und ſelbſt nach dem Austrocknen unbrauchbar geworden war. WirI. B18werden in der Folge ſehen, daß ein ſo tief unter die Oberflaͤche des Waſſers hinabgezogener Koͤrper mit ſehr maͤchtigem Drucke com - primirt wird, alſo viel weniger poroͤs als vorher ſein muß, daß alſo das Holz eine groͤßere Dichtigkeit erlangt hatte, und deshalb zum Schwimmen untauglich geworden war.

Man pflegt in der Experimentalphyſik mehrere Verſuche zu zeigen, die einen Beweis fuͤr die Poroſitaͤt der Koͤrper geben, z. B. daß ſich Queckſilber durch die Poren dichten Leders druͤcken laͤßt, ja daß ein ſtarker Druck es ſelbſt durch die Poren des Holzes hindurch treibt; daß fluͤſſige Materien, namentlich Waſſer und Weingeiſt zu einander gemiſcht, einen kleinern Raum einnehmen, als ſie un - gemiſcht einnahmen; daß die Ausduͤnſtung gewiſſer Materien ihre Wirkungen da zeigen, wohin ſie bloß durch die Poren feſter Koͤrper gelangen koͤnnen. Zum Beweiſe des letztern dient folgender Ver - ſuch. Man loͤſet Bleizucker in Waſſer auf, und ſchreibt mit dieſer ganz farbeloſen Aufloͤſung auf ein weißes Papier; man legt das ſo beſchriebene, trocken gewordene Papier in ein Buch, ſo daß es zwiſchen den dicht an einander liegenden Blaͤttern des Buches gegen allen freien Zutritt der Luft geſichert iſt; man legt nun an eine andre Stelle des Buches, ſo daß mehr als 200 Blaͤtter dazwiſchen ſind, ein mit friſch bereiteter Aufloͤſung von Schwefelkalk in Waſ - ſer befeuchtetes Papier, und legt das Buch ſo zuſammen, daß die Duͤnſte der Schwefelleber nur durch die Poren des Papiers dorthin gelangen koͤnnen, ſo findet man dennoch nach ſehr kurzer Zeit jene Schrift braun geworden, vermoͤge der Einwirkung eben jener Daͤmpfe.

Die Beobachtung der Poren mit dem Microſcope giebt uns zugleich Gelegenheit, die Structur der Koͤrper in ihren einzelnen Theilen wahrzunehmen; die regelmaͤßigen Blaͤttchen der Cryſtalle, die Faſern bei den organiſchen Koͤrpern, die zarten Gefaͤße in ihnen zu erkennen, in welchen die Saͤfte der Pflanzen aufſteigen, die Fluͤſſigkeiten im thieriſchen Koͤrper ſich bewegen, u. ſ. w.

Cohaͤrenz. Feſtigkeit. Fluͤſſigkeit.

Eine ebenſo wichtige Eigenſchaft der Koͤrper lernen wir durch den Widerſtand kennen, welchen ſie der Zertheilung entgegenſetzen. Alle Koͤrper zeigen eine mehr oder mindere Kraft des Zuſammen19 hanges, der Cohaͤrenz, und durch dieſe thut ſich auch in den gewoͤhnlichen Erfahrungen jene Anziehungskraft dar, die wir vor - hin ſchon, durch andre Gruͤnde geleitet, als den Koͤrpern eigen, annahmen. Dieſe Kraft der Cohaͤrenz aͤußert ſich am ſtaͤrkſten bei den feſten Koͤrpern, das iſt bei denen, deren Geſtalt ſich nur durch Einwirkung groͤßerer Kraͤfte aͤndern laͤßt; aber ſelbſt die fluͤſ - ſigen, obgleich ſie der ſchwaͤchſten Kraft nachgeben, und jeder Aenderung der Geſtalt empfaͤnglich ſind, zeigen doch ebenfalls einen Zuſammenhang, der wenigſtens beim Waſſer und aͤhnlichen Koͤr - pern ſich in der Bildung der Tropfen wahrnehmen laͤßt. Die feſten Koͤrper zeigen ſich ſelbſt unſerm Auge ſchon verſchieden von den fluͤſſigen; in jenen bemerken wir eine faſerige, koͤrnige oder ge - ſchichtete Lage ihrer Theilchen, wir erkennen mehr oder weniger deutlich die Zwiſchenraͤume, die ſich zwiſchen den Theilen des Koͤr - pers befinden, ſtatt daß der fluͤſſige Koͤrper den Raum mit mehr Stetigkeit erfuͤllt. Und obgleich ſelbſt bei dieſen eine ſtrenge gleich - foͤrmige Raum-Erfuͤllung nicht ſtatt finden mag, ſo laͤßt ſich doch ein Grund einſehen, warum in denjenigen Koͤrpern, welche den Raum mit beinahe vollkommener Gleichfoͤrmigkeit erfuͤllen, die Beweglichkeit der einzelnen Theilchen groͤßer iſt. Wird naͤmlich, vermoͤge der jedem Theilchen eigenen Anziehungskraft, irgend eines derſelben von ſeinen Nachbarn nach beiden oder vielmehr nach allen Seiten gleich gezogen, ſo reicht ſchon eine kleine Kraft hin, um die Lage dieſes Theilchens zu aͤndern, und die große Beweglichkeit der Theile findet weit mehr ſtatt, als es da der Fall iſt, wo die Beſtandtheile ungleichfoͤrmig ausgetheilt ſind.

Die Feſtigkeit der Koͤrper, denn ſo nennen wir den Grad des Widerſtandes, welchen ſie dem Zerreißen entgegenſetzen, iſt nicht im Verhaͤltniſſe der Dichtigkeit. Wir werden in der Folge Mittel finden zu zeigen, daß Gold viel mehr Dichtigkeit beſitzt, als Eiſen, und dennoch beſitzt Eiſen eine viel groͤßere Feſtigkeit. Man beſtimmt dieſe abſolute Feſtigkeit aus dem Gewichte, welches ein Koͤrper, ohne zu zerreißen, tragen kann, und obgleich die daruͤber angeſtellten Verſuche, wegen der Ungleichheit einzelner Koͤrpermaſſen derſelben Art, nicht ganz uͤbereinſtimmen, ſo hat man doch dadurch ſich eine zureichend genaue Kenntniß dieſer un - gleichen Feſtigkeit erworben. Die Feſtigkeit des Eiſens, naͤmlichB 220des guten engliſchen Stab-Eiſens, iſt ſo groß, daß, nach Tred - gold's und nach Duleau's Verſuchen, ein Stab von 1 rhein - laͤnd. Quadratzoll Querſchnitt mit 18200 Pfund belaſtet, ſich nur um $$\frac{1}{1400}$$ ſeiner Laͤnge ausdehnt, und erſt bei 50000, ja zuweilen erſt bei 70000 Pfund Belaſtung reißt. Dabei iſt es merkwuͤrdig, daß ſich die Quantitaͤt des Gewichtes, welche der Koͤrper zu tragen vermag, nicht genau dem Querſchnitte proportional zeigt, ſon - dern zum Beiſpiel duͤnner Eiſendrath ſo ſtark iſt, daß neben ein - ander gelegte Draͤthe, deren Querſchnitte zuſammen auch nur 1 rheinl. Quadratzoll betruͤgen, 130000 Pfunde tragen koͤnnen*)Karſten Handb. der Eiſenhuͤttenkunde. I. 98..

Selbſt die Holz-Arten beſitzen einen hohen Grad von Feſtig - keit, indem nach Eytelwein ein gut ausgetrocknetes Kiefernholz mit parallelen Faſern 16000 bis 21000 Pfund bei einem Quer - ſchnitte von 1 Quadratzoll traͤgt, und unter dem Eichenholze Stuͤcke vorkommen, deren Tragekraft 26500 Pfund iſt**)Eytelwein Handb. d. Statik feſter Koͤrper. II. 253.. Unter den zartern Koͤrpern ſind manche, die dennoch ein erhebliches Ge - wicht tragen, z. B. nach Muſſchenbroek's Angabe ein Faden der Seidenraupe 80 Gran, ein Menſchenhaar 2000 Gran, und ſelbſt ſehr weiches feines Haar doch 1200 bis 1300 Gran.

Da es hier nicht meine Abſicht iſt, alles aufzuzaͤhlen, was man uͤber dieſen Gegenſtand beobachtet hat, ſo verweile ich nur noch bei einigen auffallenden Merkwuͤrdigkeiten, auf welche Rum - ford vorzuͤglich aufmerkſam gemacht hat. Eine ſolche Bemerkung iſt die, auch ſonſt ſchon bekannte, daß in einander geflochtene Faͤden mehr Staͤrke beſitzen, als eben die Faͤden, parallel neben einander geſpannt, haben wuͤrden, ferner daß Drehung der Seile weniger vortheilhaft, als Flechten der einzelnen Faͤden, zur Staͤrke des Seiles beitraͤgt, und daß zu ſtarkes Drehen die Staͤrke des Seiles vermindert, manche kuͤnſtlichere Arten der Flechtung aber dadurch, daß ſie eine gleichmaͤßige Dehnung der gewundenen ein - zelnen Faͤden bewirken, weſentliche Vortheile fuͤr die Haltbarkeit gewaͤhren. Zu den auffallenden Beiſpielen von Feſtigkeit, welche Koͤrper beſitzen, denen man keine große Feſtigkeit zuzutrauen pflegt, gehoͤren folgende gleichfalls von Rumford bekannt gemachte Er -21 fahrungen. Er fand daß Kupferbleche von $$\frac{1}{20}$$ Zoll, alſo reichlich ½ Linie dick zu hohlen Roͤhren geformt, eine doppelt ſo große Feſtig - keit erhielten, wenn man ſie mit einer doppelt ſo dicken Lage ſtar - ken Papiers, wohl geleimt, uͤberklebte; ferner daß ein aus Pa - pierlagen mit gutem Leim zuſammengeklebter Cylinder bei einem Querſchnitte von 1 Quadratzoll 30000 Pfund zu tragen im Stan - de war; ein ebenſo aus guten Hanffaͤden zuſammengeleimter Cy - linder trug ſogar 92000 Pfund*)Gilb. Ann. XII. 389..

In Ruͤckſicht auf dieſen Zuſammenhang oder auf die Cohaͤ - ſion bieten die Koͤrper eine hoͤchſt mannigfaltige Verſchiedenheit dar, indem einige dem Zerreißen, andre dem Zerbrechen, andre dem Eindringen in ihre Oberflaͤche groͤßern Widerſtand leiſten. Wir unterſcheiden daher harte und weiche Koͤrper, und ſelbſt der weiche Koͤrper, das iſt derjenige, deſſen Oberflaͤche ziemlich leicht Eindruͤcke annimmt, kann dennoch dem Zerreißen (wie z. B. das Holz) einen großen Widerſtand leiſten. Hart nennen wir naͤm - lich die Koͤrper, die jedem Hineindringen in ihre Oberflaͤche ſtarken Widerſtand darbieten. Der Stahl iſt haͤrter als Eiſen, der Dia - mant ſo hart, daß kein andrer Koͤrper ſeine Oberflaͤche durch Ein - ritzen angreift, und dennoch kann der geſchickte Kuͤnſtler, wenn er die Lage der Blaͤttchen, aus denen der als Cryſtall gebildete Diamant beſteht, richtig wahrnimmt, dieſe Blaͤtter abſpalten, ſo daß die Haͤrte hauptſaͤchlich nur auf dem feſten Zuſammenhange der Theilchen jedes ſolchen Blaͤttchens beruht. Der weiche Koͤr - per nimmt dagegen leicht Eindruͤcke in ſeine Oberflaͤche an, und laͤßt ſich leicht andre Formen geben. Dieſe große Haͤrte der Koͤrper iſt oft mit Sproͤdigkeit verbunden, welche ſich dadurch aͤußert, daß eine geringe Beugung ſogleich ein Zerbrechen bewirkt. Die Sproͤdigkeit bei bedeutender Haͤrte beruht alſo darauf, daß die ge - genſeitige Attraction der Theilchen zwar bei der Lage, welche wir die natuͤrliche Lage nennen koͤnnen, ſehr groß iſt, aber in ſtarkem Grade vermindert wird, ſobald es nur gelungen iſt, die Theilchen ſehr wenig aus dieſer natuͤrlichen Lage herauszuruͤcken. Biegſam, von einer zaͤhen Beſchaffenheit ſind dagegen die Koͤrper dann, wenn ſie eine Aenderung der Geſtalt, ohne zu zerbrechen oder zu zerrei -22 ßen, geſtatten. Wenn man ſich das Beſtehen irgend eines be - ſtimmten Koͤrpers in ſeiner einmal ſtattfindenden Beſchaffenheit, als in dem Gleichgewichte zwiſchen anziehender und abſtoßender Kraft ſeiner Theilchen begruͤndet, denkt, ſo muͤßte man hier ſagen, indem man die Theilchen aus der natuͤrlichen Lage bringt, ſo tritt gleichwohl in der neuen Lage wieder ein Zuſtand des Gleichgewichts ein; beide Kraͤfte muͤſſen alſo wohl in ziemlich gleichem Maaße, bei vergroͤßertem Abſtande der Theilchen ihre Wirkung aͤndern, ſtatt daß ſproͤde Koͤrper die Eigenſchaft beſitzen, daß die Attraction, die zuſammenhaltende Kraft der Theilchen, bei der geringſten Vergroͤ - ßerung der Entfernung ſchnell abnimmt, und daher, wenn die Repulſivkraft nicht in eben dem Grade vermindert wird, ein Auf - hoͤren des Zuſammenhanges eintreten muß. Doch ich breche dieſe minder nuͤtzlichen Speculationen ab, um bei dem zu verweilen, was ſich in der Erfahrung als merkwuͤrdig, in Beziehung auf dieſe Eigenſchaften, zeigt. Die dehnbaren Koͤrper, die ſich in die Laͤnge ausdehnen laſſen, ohne zu zerreißen, bieten darin etwas Auffallen - des dar, daß ſie bei vermindertem Querſchnitte eine groͤßere Laſt tragen. Die Metallſaite zum Beiſpiel verlaͤngert ſich erheblich, und folglich nimmt ihr Querſchnitt erheblich ab, wenn man ein Ge - wicht an ſie anhaͤngt; man ſollte nun glauben, die Laſt, welche zu ſchwer war, um von der Saite vor der Dehnung getragen zu werden, muͤſſe jetzt um ſo mehr zu ſchwer ſein, die Dehnung muͤſſe ſich ſogleich bis zum Zerreißen vermehren; aber das iſt be - kanntlich nicht der Fall.

Als Beiſpiel großer Haͤrte und großer Sproͤdigkeit pflegt man immer die ſchnell gekuͤhlten Glastropfen (Fig. 1.) und Glasflaͤſch - chen anzufuͤhren. Beide Arten von Glasmaſſe ſind feſt genug, um recht bedeutenden Stoͤßen zu widerſtehen, und bleiben auch beim Reiben an harten Koͤrpern in ihrem feſten Zuſammenhange; aber bricht man an den Glastropfen den feinen Faden ab, ſo zer - ſpringt der ganze dicke Glaskoͤrper in Pulver, und laͤßt man auf den Boden des Glasflaͤſchchens (dieſe Flaͤſchchen ſind unter dem Namen Bologneſer-Flaͤſchchen bekannt) auch nur ein kleines Stuͤck - chen Feuerſtein fallen, ſo zerſpringt das Gefaͤßchen. Die ſchnelle Kuͤhlung muß hier den Theilchen nicht erlaubt haben, die regelmaͤ - ßige und feſte Stellung anzunehmen, die ſonſt beim Glaſe ſtatt23 findet, und eine Aenderung der Lage einiger Theilchen reicht daher hin, um die ganze Structur des Koͤrpers zu zerſtoͤren. Koͤrper, die ſich durch Zerſtampfen ſollen zertheilen laſſen, muͤſſen in eini - gem Grade ſproͤde ſein.

Elaſticitaͤt.

Die biegſamen und dehnbaren Koͤrper zeigen ſich uns wieder verſchiedenartig, indem einige die Geſtalt, welche man ihnen durch gewaltſame Einwirkung gegeben hat, behalten, andre ihre vorige Geſtalt wieder annehmen. Jene heißen unelaſtiſch, dieſe ela - ſtiſch. Bei den elaſtiſchen muͤſſen wir, wie es mir ſcheint, an - nehmen, daß bei der Compreſſion der Theilchen das Uebermaaß der abſtoßenden Kraft ſo groß wird, daß ſie die vorige Entfernung der Theilchen von einander herzuſtellen ſtrebt und herſtellt, und daß hingegen bei dem Auseinanderdehnen die anziehende Kraft nicht in dem Maaße, wie die abſtoßende Kraft, abgenommen hat, und jene alſo mit uͤberwiegender Gewalt die Theilchen zu ihrer vorigen Lage zuruͤckfuͤhrt. Die Elaſticitaͤt aͤußert ſich auf mannigfaltige Weiſe. Einige Koͤrper, zum Beiſpiel Kugeln aus Elfenbein oder aus Federharz, koͤnnen durch ſtarken und ploͤtzlichen Druck ein wenig zuſammengepreßt werden, nehmen aber bei nachlaſſendem Drucke ſogleich ihre Geſtalt wieder an. Andre Koͤrper, zum Beiſpiel laͤngere Staͤbe, erlauben eine Biegung, ſpringen aber mit großer Gewalt zuruͤck, wenn man ſie frei laͤßt. Die elaſtiſche Saite wird durch das angehaͤngte Gewicht zuerſt mehr ausgedehnt, zieht ſich dann ein wenig wieder zuſammen, und gelangt nach abwechſelnder Oſcil - lation zu dem Zuſtande der Dehnung, welcher eigentlich dem an - gehaͤngten Gewichte angemeſſen iſt. Ein gedrehter Faden kehrt durch Zuruͤckdrehung in ſeine vorige Lage zuruͤck u. ſ. w. Die un - elaſtiſchen Koͤrper leiden dagegen die Veraͤnderungen ihrer Geſtalt, ohne ein Beſtreben, zu ihrem vorigen Zuſtande zuruͤckzukehren, zu zeigen.

Mit welcher Gewalt die elaſtiſchen Koͤrper ſtreben, ihre na - tuͤrliche Geſtalt wieder anzunehmen, davon ſind zahlreiche Beiſpiele ſo bekannt, daß ich Sie nur daran zu erinnern brauche. Der Ball aus Federharz, den man frei fallen ließ, wird durch die Elaſticitaͤt wieder hoch hinaufgeworfen; der geſpannte Bogen, ein elaſtiſcher24 Stab, treibt indem er in ſeine urſpruͤngliche Lage zuruͤckkehrt, den Pfeil mit großer Geſchwindigkeit fort; die Balliſten und Catapulten der Alten, mit welchen Laſten von mehr als 100 Pfund geworfen wurden, erhielten die große Gewalt, mit welcher ſie dieſe auf 3000 Fuß weit ſollen fortgeſchleudert haben, durch die Elaſticitaͤt ſtark gedrehter Seile, die man ploͤtzlich frei ließ, und deren maͤch - tige Kraft beim Zuruͤckkehren in ihre ungedrehte Lage jene Laſten in Bewegung ſetzte. Daß ſelbſt die ſproͤden Koͤrper, zum Beiſpiel Glas, elaſtiſch ſind, zeigt ſich in dem Klange, den ſie hervorzu - bringen im Stande ſind; aber ſproͤde Koͤrper verſtatten nur geringe Aenderungen der Geſtalt, und nehmen die vorige Geſtalt in ſchnell auf einander folgenden Oſcillationen, die uns im Klange hoͤrbar werden, wieder an.

Sehr merkwuͤrdig iſt es, daß wir bei manchen Koͤrpern die Mittel beſitzen, um ihnen die eine oder die andre dieſer Eigen - ſchaften zu ertheilen. Daß man die Sproͤdigkeit des Glaſes in hohem Grade verſtaͤrken kann, wenn man es ſchnell abkuͤhlt, habe ich ſchon erwaͤhnt. Etwas Aehnliches, aber viel groͤßere Unterſchiede bewirkend, findet bei der Bereitung des Stahles ſtatt, welcher ſeine große Haͤrte und Sproͤdigkeit durch ſchnelles Abkuͤhlen nach dem Gluͤhen erlangt, und den man wieder dieſer Eigenſchaften be - raubt, indem man ihn nach abermaligem Gluͤhen nicht ſo ploͤtzlich abkuͤhlt. Die verſchiedene Behandlung des Eiſens, wobei theils ſeine Beſtandtheile, indem es Kohle aufnimmt, in einem doch nur geringen Grade, geaͤndert werden, theils bloß eine Einwirkung auf die innere Anordnung ſeiner Theile ſtatt findet, giebt ihm viele Verſchiedenheiten ſeiner Eigenſchaften, indem es in einem Zuſtande ſproͤde und daher nicht haͤmmerbar, im andern geſchmeidig, in einem andern hart und elaſtiſch und ſo weiter iſt. Fortin hat durch Verſuche gezeigt, daß der ſchnell abgekuͤhlte oder gehaͤrtete Stahl ein groͤßeres Volumen behaͤlt, als ohne Haͤrtung. Man nimmt genau abgedrehte cylindriſche Stuͤcke ungehaͤrteten Stahls, die genau in einen hohlen Cylinder von Stahl paſſen; wenn man nun jene allein, getrennt von dem hohlen Cylinder haͤrtet, ſo gehen ſie nach dem Abkuͤhlen nicht mehr in jene Hoͤhlung, ſondern haben ein zu großes Volumen behalten. Iſt der hohle Cylinder aus einer andern Materie, die nicht der Veraͤnderung faͤhig iſt, wie der25 Stahl beim Haͤrten, ſo kann man den Stahlcylinder in dem hoh - len Cylinder laſſen, ſie zuſammen erhitzen und ſchnell abkuͤhlen; dann wird der Stahl ſo feſt eingetrieben ſein, als ob er mit Ge - walt in einen zu engen Cylinder getrieben waͤre. Daß aber auch geringe Aenderung der Beſtandtheile den Grad der Feſtigkeit und Haͤrte ſehr aͤndern kann, haben Faraday und Stodart durch viele Verſuche gezeigt, wo zum Beiſpiel eine Beimiſchung von $$\frac{1}{500}$$ Silber zum Stahl dieſem eine ungemeine Haͤrte und Vorzuͤglichkeit gab*)Karſtens Eiſenhuͤttenkunde. I. 320. Biots Lehrbuch der Experim. Phyſ. I. 390. Ueber die Verfertigung elaſtiſcher, luftdichter Roͤhren aus Federharz. ſ. Faraday chemical manipulation. §. 416..

Dritte Vorleſung.

Bewegung und Ruhe. Abſolute und relative Bewegung.

Schon in den Betrachtungen, m. h. H., womit ich Sie neu - lich unterhielt, konnte ich es mehrmals nicht vermeiden, von einer Aenderung in der Lage der Koͤrpertheilchen und von Urſachen, welche dieſe Aenderung bewirken, zu reden; aber was dort nur obenhin angedeutet zu werden brauchte, verdient eine gruͤndlichere Ueberle - gung, und die Fragen, wiefern Beweglichkeit eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper ſei, was Ruhe und Bewegung heißt, und wie ſie entſteht, oder, einmal entſtanden, fortdauert, dieſe Fragen ſollen uns jetzt beſchaͤftigen.

Jeder Koͤrper nimmt einen Raum ein, aber er bleibt nicht immerfort in demſelben Orte, ſondern kann ſeine Stelle aͤndern, er iſt alſo beweglich. Er ruhet ſo lange er an demſelben Orte ver - harret, er bewegt ſich, wenn er, in nach einander folgenden Augen - blicken, in einen andern Ort hinuͤbertritt, einen gewiſſen Weg durchlaͤuft, ſeine Lage im Raume aͤndert. Wir ſind gewoͤhnlich ge - neigt, die Entſcheidung, ob ein Koͤrper ſich bewege oder ruhe, fuͤr ziemlich leicht zu halten; aber ſelbſt alltaͤgliche Erfahrungen koͤnnen26 uns belehren, daß dieſe Entſcheidung nicht immer ſo leicht iſt, und daß wir ſehr oft eine ſcheinbare Bewegung wahrnehmen, wo doch Ruhe ſtatt findet, und daß Koͤrper uns zu ruhen ſcheinen, die ſich doch wirklich bewegen. Wenn wir in dem untern Raume eines ſehr gleichfoͤrmig fortgehenden Schiffes ſitzen, ſo bemerken wir es oft gar nicht, daß wir mit allen uns zunaͤchſt umgebenden Koͤrpern fortbe - wegt werden, und wir halten den Tiſch, an welchem wir ſitzen, die Waͤnde, die uns umgeben, fuͤr ruhend, weil alle dieſe Gegenſtaͤnde unter ſich und gegen uns ſelbſt eine ungeaͤnderte Lage behalten. Alle dieſe einzelnen Koͤrper ſind relativ gegen einander ruhend, indem ſie ihre gegenſeitige Lage nicht aͤndern, und dies verleitet uns, ſie fuͤr abſolut ruhend zu halten, ſo lange wir ſie nicht mit der Lage andrer Koͤrper vergleichen, die an der Bewegung jener im Schiffe befindlichen Koͤrper nicht Theil nehmen. Befinden wir uns ſo in der Kajuͤte des Schiffes in voͤlliger vermeinter Ruhe, und blicken nun zum Fenſter hinaus auf die hinter uns zuruͤckbleibenden im Waſſer ſchwimmenden Koͤrper, ſo ſind wir geneigt zu glauben, dieſe gingen in raſchem Strome zuruͤckeilend, an uns vorbei, ja dieſe Taͤuſchung findet ſelbſt noch ſtatt, wenn wir auf das Ufer blicken, und obgleich wir wiſſen, daß die Baͤume und Haͤuſer am Ufer nicht auf dieſe Weiſe zuruͤcklaufen, ſo koͤnnen wir doch dem ſinnlichen Eindrucke, als ob es ſo ſei, kaum widerſtehen. Eben dieſe Taͤuſchung empfinden wir beim ſchnellen Fahren im Wagen und in vielen andern Faͤllen, und wir lernen dadurch, daß unſer Urtheil uͤber die Bewegung oder Ruhe durch unſre eigne Bewegung ſehr unſicher wird. Iſt es alſo wahr, was die Aſtronomen behaupten, daß die Erde mit großer Schnelligkeit eine Bahn um die Sonne durchlaͤuft, und zugleich taͤg - lich eine Umdrehung um ihre eigne Axe vollendet, ſo iſt es einleuch - tend, daß uns dieſe Bewegung durch keinen auf der Erde befindlichen Gegenſtand merklich werden kann, indem Land und Waſſer, Berge und Staͤdte, in eben der gegenſeitigen Lage verharrend, und eben die Lage gegen uns, wenn wir auf der Erde ſtill ſtehen, behaltend, mit fortgefuͤhrt werden, daß alſo dieſe relative Ruhe der auf der Erde befindlichen Koͤrper gegen einander gar wohl ſtatt finden kann, wenn auch die ganze Erde mit allen dieſen Koͤrpern ſich fortbewegt. Wollen wir wiſſen, ob die ganze Erde ſich bewegt, ſo muͤſſen wir (wenn ich den von dem vorhin betrachteten Falle entlehnten Ausdruck hier ge -27 brauchen darf), aus dem Fenſter unſers Schiffes hinaus auf Ge - genſtaͤnde hinblicken, die nicht in Verbindung mit der Erde ſtehen, und da ſehen wir ſogleich, daß Sonne und Geſtirne eine ſcheinbare Bewegung darbieten, eine Bewegung, die uns zu der Frage auf - fordert, ob dies etwa ebenſolche feſtſtehende Gegenſtaͤnde ſind, wie es vorhin die Haͤuſer und Baͤume am Ufer waren, deren ſcheinbare Bewegung durch unſre eigne wahre Bewegung hervorgebracht wird. Und da wir wahrnehmen, daß alle Geſtirne, alle nicht mit un - ſerm Schiffe, mit der Erde naͤmlich, verbundenen Gegenſtaͤnde jene Bewegung zeigen, ſo werden wir zu der Ueberzeugung geleitet, daß es nur die Erde iſt, welche ſich bewegt, welche, vermoͤge ihrer taͤg - lichen Umwaͤlzung oder Rotation, bald ihre eine, bald ihre andre Seite der Sonne darbietend, uns die Sonne aufgehend und unter - gehend zeigt, und welche, vermoͤge ihres Umlaufs um die Sonne in einem ganzen Jahre, uns einen ſcheinbaren Lauf der Sonne durch die Geſtirne des Thierkreiſes wahrnehmen laͤßt.

Ich verweile bei dieſen Gegenſtaͤnden, deren ausfuͤhrliche Be - trachtung in die Aſtronomie gehoͤrt, nicht laͤnger, da es hier hin - reicht, eine kurze Andeutung der Schluͤſſe zu geben, die auf eine genaue Darſtellung der einzelnen Erſcheinungen geſtuͤtzt, jene Ueber - zeugung von der wahren Bewegung der Erde ſicher gewaͤhren. Wiſſen wir aber, daß die Erde ſich bewegt, ſo erhellt die große Schwierigkeit der Beſtimmung, ob ein Koͤrper wahrhaft ruhe, da ſeine ſcheinbare Ruhe in Vergleichung gegen die Erde gar keine Ent - ſcheidung hieruͤber gewaͤhrt. Indeß, wenn auch dieſe Entſcheidung im einzelnen Falle ſchwer, ja faſt unmoͤglich ſein mag, ſo bleibt doch der Begriff einer abſoluten Ruhe, als eines wahrhaften Verharrens in demſelben Orte des Raumes, nicht minder klar, und die abſolute Bewegung beſteht alſo in einer wahren Aenderung der Lage.

Richtung und Geſchwindigkeit der Bewegung.

Um die Betrachtung zu vereinfachen, wollen wir uns die Be - wegung eines einzigen Punctes denken. Der Weg, den dieſer durchlaͤuft, iſt eine grade oder krumme Linie, und wir ſagen, der Punct gehe in immer gleicher Richtung fort, wenn er eine grade Linie beſchreibt, und daß er hingegen ſeine Richtung aͤndre, wenn er entweder ploͤtzlich auf einer andern graden Linie fortzugehen an -28 faͤngt, oder nach und nach von ſeiner vorigen Richtung abweichend, eine krumme Linie durchlaͤuft. Er durchlaͤuft dieſen Weg mit irgend einer Geſchwindigkeit, und bekanntlich nennen wir diejenige Geſchwindigkeit doppelt ſo groß, bei welcher der Punct in derſelben Zeit den doppelten Raum durchlaͤuft, und eben jene gleichmaͤßige Zunahme des Weges in gleichen Zeiten dient uns als Maaß der Ge - ſchwindigkeit. Auch der Ausdruck: daß die Geſchwindigkeit dem in gleichen Zeiten durchlaufenen Wege proportional ſei, iſt hieraus deutlich, und ebenſo daß die zum Durchlaufen eines beſtimmten Weges erforderliche Zeit, der Geſchwindigkeit umgekehrt proportional iſt; denn der doppelt ſo ſchnell bewegte Koͤrper gebraucht fuͤr eben den Raum nur halb ſo viel Zeit, der dreimal ſo ſchnell bewegte braucht nur ein Drittel der Zeit u. ſ. w. und dieſes will eben der Ausdruck: umgekehrt proportional, ſagen.

Etwas ſchwieriger iſt die Beantwortung der Frage, wie man denn die Groͤße derjenigen Geſchwindigkeiten beſtimmt, die nicht, laͤngere Zeit durch, ungeaͤndert bleiben. Bei der gleichfoͤrmi - gen Bewegung iſt die Geſchwindigkeit immer unveraͤndert, und an dieſe denken wir, wenn wir etwa von der Geſchwindigkeit des Windes, die bei Stuͤrmen 100 Fuß in der Secunde und noch mehr betragen kann, von der Geſchwindigkeit des engliſchen Rennpferdes Stirling, das zu Anfang ſeines Laufes 82½ Fuß in einer Secunde zuruͤcklegte*)Blumenbach's Handbuch der Naturgeſchichte, bei der Beſchr. des Pferdes., von der Geſchwindigkeit der Erde in ihrer Bahn, die = 93700 pariſer Fuß in einer Secunde iſt, reden; aber der frei fallende Stein zeigt uns, je tiefer er gefallen iſt, deſto maͤchtigere Wirkungen, und giebt uns ſo eine mit dem tiefern Falle immer groͤßer werdende Geſchwindigkeit zu erkennen; wir fragen daher mit Recht, wie wir hier den Begriff der in irgend einem Augenblicke ſtatt findenden Geſchwindigkeit klar auffaſſen ſollen. Da es erſt in der Folge mir moͤglich ſein wird, durch Experimente Ihnen zu zeigen, daß wir gar wohl in gewiſſen Faͤllen im Stande ſind, die Beſchleu - nigung der Bewegung zu unterbrechen, das heißt, zu bewirken, daß die bis dahin fortwaͤhrend ſchneller werdende Bewegung nun nur diejenige Geſchwindigkeit ohne weitere Vermehrung behaͤlt, welche29 ſie einmal erlangt hat: ſo muß ich mich hier begnuͤgen, nur zu ſagen, daß wir uns wenigſtens vorſtellen koͤnnen, die Beſchleuni - gung, die Zunahme der Geſchwindigkeit, hoͤre ploͤtzlich auf, und der Koͤrper gehe mit dieſer erlangten Geſchwindigkeit fort; dann wuͤrden wir dieſe grade in dem Augenblicke erlangte Geſchwindigkeit unmittelbar kennen lernen. Wo dies nicht der Fall iſt, da koͤnnten wir allenfalls auf andre Mittel denken, um dieſe, in einem be - ſtimmten Augenblicke ſtatt findende Geſchwindigkeit kennen zu ler - nen, die ſich jedoch erſt in der Folge auf eine recht angemeſſene Weiſe darbieten. Dieſe Ungleichfoͤrmigkeit der Geſchwindigkeit kann eben ſo gut in einer allmaͤhligen Abnahme der Geſchwindigkeit be - ſtehen, wie wir es an Kugeln, die uͤber einer rauhen Flaͤche hin - rollen, ſehen, und eine ſolche Bewegung heißt eine retardirte, langſamer werdende, ſtatt daß die vorhin betrachtete, accelerirt, oder beſchleunigt, heißt.

Kraft. Traͤgheit.

Bei der Betrachtung jeder Bewegung bietet ſich ferner als eine der wichtigſten Fragen die Frage dar, welche Urſache denn dieſe Be - wegung bewirke, welche Urſache die Geſchwindigkeit vermehre oder vermindre, oder die entſtandene Bewegung wieder aufhebe? Wir nennen dieſe Urſache der Bewegung eine Kraft, und die Mecha - nik oder Bewegungslehre ſoll uns daher auch uͤber die Kraͤfte Belehrung gewaͤhren. Wenn ein bis dahin ruhender Koͤrper anfaͤngt, ſich zu bewegen, ſo ſetzen wir eine Kraft, welche dieſe Veraͤnderung in dem Zuſtande des Koͤrpers bewirkte, als nothwendig, voraus, und obgleich wir dieſe Kraft ſelbſt nur aus ihrer Wirkung kennen lernen, ſo legen wir doch der einen Kraft eine andre Groͤße, als der andern, bei, und beſtimmen die Groͤße der Kraft, welche Bewe - gung hervorbringt, aus der Geſchwindigkeit, welche ſie, eine be - ſtimmte Zeit durch wirkend, zur Folge hat. Aber ſo wie keine Be - wegung entſtehen kann, ohne eine Kraft, wodurch ſie hervorgebracht wird, ſo kann auch keine Aenderung der Bewegung ohne Einwir - kung einer Kraft eintreten, oder mit andern Worten, die einmal entſtandene Bewegung dauert in gleicher Richtung und mit gleicher Geſchwindigkeit fort, wenn nicht eine neue Kraft einwirkt. Auch dieſe Behauptung ſcheint keines Beweiſes zu beduͤrfen; denn wenn30 der Koͤrper von der Richtung, von der graden Linie, in welcher er ſich fortbewegt, abweicht, ſo iſt es gewiß eine beſtimmte Urſache, eine Kraft, welche ihn grade nach der Seite abzuweichen beſtimmt, und wenn er mehr Geſchwindigkeit erlangt, aber eben ſo gut auch, wenn er an Geſchwindigkeit verliert, ſo muß eine Kraft vorhanden ſein, die dies bewirkt.

Man hat dieſes das Geſetz der Traͤgheit genannt, nach welchem ein Koͤrper in dem Zuſtande der Ruhe oder der Bewegung beharret, zu welchem er einmal gelangt iſt, und wuͤrde wohl gar nicht noͤthig finden, bei Beweiſen fuͤr die Richtigkeit dieſes Geſetzes zu verweilen, wenn nicht die Erfahrung uns ſo oft Bewegungen zeigte, die anſcheinend von ſelbſt ſich aͤndern, wo der Koͤrper, mit abnehmender Geſchwindigkeit fortgehend, endlich zur Ruhe gelangt. Aber man braucht nur dieſe Erfahrungen aufmerkſam zu betrachten, ſo zeigt ſich ſogleich, daß die uͤber einer rauhen Flaͤche hin rollende Kugel eher, die uͤber einer glatten Flaͤche hin rollende Kugel ſpaͤter einen merklichen Verluſt an Geſchwindigkeit leidet, daß es alſo nur der Widerſtand, eine der Bewegung entgegen wirkende Kraft, iſt, welche die erlangte Geſchwindigkeit vermindert, und daß wir, da in allen Faͤllen auf aͤhnliche Weiſe die Urſache der verminderten Bewe - gung ſich nachweiſen laͤßt, Unrecht haben wuͤrden, wenn wir der Materie an ſich ein Beſtreben nach Ruhe beilegen wollten. Alle Erſcheinungen, wenn wir ſie richtig und ſorgfaͤltig betrachten, deuten vielmehr darauf hin, daß allemal erſt eine neue Kraft noͤthig iſt, um irgend eine Veraͤnderung im Zuſtande des Koͤrpers, in Hinſicht auf Bewegung und Ruhe hervorzubringen. Unzaͤhlige Erſcheinungen zeigen uns dieſe Wirkung der Traͤgheit. Wenn wir im Wagen ſitzen und der Wagen ploͤtzlich fortgezogen wird, ſo ſchwankt der obere frei gehaltene Theil unſers Koͤrpers ruͤckwaͤrts, weil er noch in Ruhe bleibt, waͤhrend der untere ſchon fortgezogen wird, aber umgekehrt auch, wenn der ſchnell fortgezogene Wagen ploͤtzlich angehalten wird, ſo ſchwankt der obere Theil unſers Koͤrpers vorwaͤrts, weil er, ver - moͤge der Traͤgheit, ſeine Bewegung noch behaͤlt, waͤhrend ſie dem untern, feſt an den Theilen des Wagens anliegenden Theile des Koͤrpers ploͤtzlich geraubt iſt. Wer in einem ſchnell fahrenden Schiffe aufrecht ſteht, muß, wenn das Schiff ploͤtzlich ans Ufer ſtoͤßt, ſeine Stellung ſehr vorſichtig nehmen, wenn er nicht nach der Richtung,31 nach welcher das Schiff ſich bewegte, hinſtuͤrzen will; denn auch hier behaͤlt der nur wenig mit dem Schiffe verbundene Koͤrper ſeine Geſchwindigkeit noch, wenn dieſes ſchon feſtgehalten wird. Vermoͤge der Traͤgheit befeſtiget ſich die Axt am Stiele, wenn man den Stiel auf einen harten Koͤrper aufſtoͤßt; das Eiſen naͤmlich behaͤlt die niederwaͤrts gerichtete Bewegung, die man ihm mit dem Stiele zuſammen ertheilt hatte, noch dann wenn der Stiel ſchon feſtgehalten wird, und es ruͤckt daher auf dem Stiele zu enger an - ſchließenden Puncten fort. Durch die Traͤgheit wird das Pendel, nach ſeinem Fallen, in dem hinaufgehenden Bogen fortgefuͤhrt, und alle oſcillirende Bewegungen verdanken ihren Urſprung dem durch Traͤgheit bewirkten Fortgange der Bewegung uͤber den Zuſtand hinaus, den die wirkende Kraft herzuſtellen ſtrebte. Doch noch viel gewoͤhnlichere Erfahrungen zeigen uns dieſe Traͤgheit. Meine Feder iſt zu ſehr mit Dinte gefuͤllt, doch nicht ſo ſehr, daß der in ihr haͤngende Tropfen herabfiele, ſo lange ich ſie ruhig halte; aber hebe ich mit ploͤtzlicher Bewegung die Feder aufwaͤrts, ſo faͤllt der Tropfen herunter, weil er nicht feſt genug mit der Feder verbunden, vermoͤge der Traͤgheit in dem Orte bleibt, wo er ſich befand, und dann freilich, nicht mehr von der Feder gehalten, als ſchwerer Koͤrper herabfaͤllt. Ich ſchreibe auf einem ungleichen, faſerigen Papiere, meine Feder wird ploͤtzlich angehalten, und ſpruͤtzt die Dinte vorwaͤrts; indem die Feder naͤmlich, gekruͤmmt durch den widerſtehenden Theil des Papiers, wenn ſie ſich von dieſem frei macht, vermoͤge ihrer Elaſticitaͤt ihre Geſtalt wieder annimmt, ertheilt ſie auch der in ihr enthaltenen Dinte eine bedeutende Ge - ſchwindigkeit, und dieſe behaͤlt, vermoͤge der Traͤgheit noch die Ge - ſchwindigkeit, wenn die zur Ruhe kommende Federſpitze ſie verliert, die Dinte eilt alſo der Feder voraus und beſchmutzt das Papier.

In eben dieſem Geſetze der Traͤgheit, in dem Beharren im Zuſtande der ſchon erlangten Bewegung, liegt auch der Grund, warum eine fortwaͤhrend wirkende, dem Koͤrper Geſchwindigkeit ertheilende Kraft eine beſchleunigte Bewegung hervorbringt; denn der Koͤrper wuͤrde auch ohne erneuerte Einwirkung jener Kraft mit der ſchon erlangten Geſchwindigkeit fortgehen; er muß alſo groͤßere Geſchwindigkeit erlangen, mit beſchleunigter Bewegung fortgehen bei fortdauernder Einwirkung dieſer Kraft; und ſo erhellt32 zugleich der Grund, warum eine ſolche Kraft, wie die Schwere, eine beſchleunigende Kraft heißt, naͤmlich eine ſolche, die durch ſtetige, ununterbrochene Wirkung nach einer beſtimmten Richtung, die dieſer Richtung gemaͤße Geſchwindigkeit unaufhoͤrlich vermehrt.

Wir koͤnnen die Kraͤfte, durch welche Bewegung hervorge - bracht wird, in zwei Claſſen theilen. Einige wirken, zum Beiſpiel durch einen Stoß, nur augenblicklich, andre wirken, wie die Schwere, dauernd, und heißen deswegen, im Gegenſatze gegen jene, beſchleunigende Kraͤfte, weil ſie die von ihnen ſelbſt hervorgebrachte Geſchwindigkeit fortdauernd vermehren, die Bewegung beſchleuni - gen. Die Einwirkung des Stoßes auf einen noch ruhenden Koͤr - per ſetzt dieſen in Bewegung; aber offenbar ertheilt ſie ihm eine deſto kleinere Geſchwindigkeit, je groͤßer die Maſſe iſt, welcher Bewegung ertheilt werden ſoll. Sowohl die Erfahrung, als eine theoretiſche Ueberlegung zeigt, daß wenn ein Stoß von beſtimmter Staͤrke einer gewiſſen Maſſe, einer gewiſſen Menge von Materie, die Geſchwindigkeit von 10 Fuß in der Secunde ertheilt, ſo wird eben der Stoß der doppelt ſo großen Maſſe nur eine Geſchwindig - keit von 5 Fuß in der Secunde ertheilen, und ſo wird immer bei gleicher bewegender Kraft die Geſchwindigkeit umgekehrt der Maſſe proportional ſein; daß aber auch die Geſchwindigkeit nach dem Maaße der bewegenden Kraft wachſen oder dieſer proportional ſein wird, das heißt, daß eine gleich große Maſſe durch eine dop - pelte, oder eine dreifache bewegende Kraft auch eine doppelte oder eine dreifache Geſchwindigkeit erlangen wird, das verſteht ſich wohl von ſelbſt.

Mittheilung der Bewegung.

Wenn eine ſolche Einwirkung auf einen feſten Koͤrper ſtatt findet, ſo ſind wir gewohnt, dieſen Koͤrper durch den Stoß ganz fortgefuͤhrt, ihn als unzertheilten Koͤrper die ſeiner Maſſe an - gemeſſene Bewegung annehmen zu ſehen. Die Mittheilung der Bewegung erſtreckt ſich dann nicht bloß auf einige unmittel - bar durch den Stoß getroffene Theilchen, ſondern auf alle feſt verbundene Theile des Koͤrpers. Daher faͤllt es uns als eine ſon - derbare Erſcheinung auf, wenn, bei ſehr heftigem Stoße, diejeni - gen Theile, welche unmittelbar getroffen werden, losgeriſſen von33 den uͤbrigen, allein die dem Stoße angemeſſene Bewegung anneh - men, wenn zum Beiſpiel die durch das Schießpulver in ſo unge - mein ſchnelle Bewegung geſetzte Flintenkugel durch eine leicht be - wegliche duͤnne Holzplatte dringt, ohne die ganze Maſſe aus der Stelle zu bewegen. Man kann aͤhnliche Erſcheinungen leicht er - halten. Legt man zum Beiſpiel eine Menge von Platten mit pa - rallelen Oberflaͤchen, die Steine des Damenſpieles oder ebenge - ſchliffene Metallplatten, auf einander, bis ſie eine ziemlich hohe Saͤule bilden, ſo wird bei einem langſamen Drucke, der von der Seite her einen dieſer Koͤrper, etwa mit Huͤlfe eines Meſſers, das nur einen derſelben mit ſeiner Schaͤrfe beruͤhrt, fortzuſchieben ſtrebt, der ganze obere Theil der Saͤule mit fortgeſchoben und eben deshalb auch umgeworfen werden; ſchlaͤgt man dagegen mit recht ſicherm, raſchem Stoße mit der Schaͤrfe des Meſſers an einen der mittlern Koͤrper, ſo ſchlaͤgt man dieſen heraus, und die hoͤher liegenden Stuͤcke werden ſo wenig mit fortgeriſſen, daß die Saͤule ruhig ſtehen bleibt, und hoͤchſtens nur, (wenn man nicht zu unge - ſchickt getroffen hat,) die naͤchſten Platten ſich um etwas Weniges auf die Seite geruͤckt finden. Ein aͤhnlicher, ſehr bekannter Ver - ſuch iſt der, wo ein Pfeifenſtiel horizontal an zwei Haaren aufge - haͤngt wird; bei einem langſamen, allmaͤhlig verſtaͤrkten Drucke auf die Mitte des Pfeifenſtieles reißen die Haare, aber ein hefti - ger, auf die Mitte des Pfeifenſtieles gefuͤhrter Schlag zerbricht die - ſen, ohne die Haare zu zerreißen. Wenn man ein Kartenblatt auf ein Glas und auf jenes ein Stuͤck Geld legt, ſo wird, bei langſa - mem Drucke von der Seite, die Karte mit dem Gelde auf die Seite geſchoben, aber ein raſcher Schlag an die Karte, eine an die Karte treffende losgeſchnellte Feder, oder ſelbſt der auf dieſe Weiſe antref - fende Finger, fuͤhrt die Karte unter dem Geldſtuͤcke fort, ſo daß dies in das Glas herabfaͤllt. Um das, worauf es ankoͤmmt, damit dieſe Erſcheinung das Auffallende verliere, deutlicher hervorzuheben, haben wir nur noͤthig, an aͤhnliche Verſuche mit weichen Koͤrpern zu denken. Wenn ich eine weiche Thonkugel mit dem Finger vor - ſichtig beruͤhre, ſo kann ich ſie fortſchieben, ohne eben einen tiefen Eindruck in ihre Maſſe zu machen; aber ein heftiger Stoß mit der Spitze des Fingers gegen dieſe weiche Maſſe macht den Finger tief eindringen, ohne die ganze Maſſe erheblich fortzufuͤhren. WirI. C34ſehen daher, daß der Zuſammenhang der Theile einer allmaͤhlig wirkenden Kraft beſſer widerſteht, daß die Seitenmittheilung einer nur auf wenige Theile beſchraͤnkt wirkenden Kraft ſich wirkſamer zum Fortreißen der nicht unmittelbar getroffenen Theile zeigt, wenn die Kraft langſam und ſtetig wirkt; es iſt, als ob dieſe Seitenmit - theilung eine gewiſſe Zeit forderte, ſo daß bei ſehr raſchem Stoße das Losreißen der Theile ſchon erfolgt iſt, ehe dieſe Seitenmitthei - lung eintreten konnte. Unzaͤhlige taͤgliche Erfahrungen beruhen hierauf. Ein ſcharf gefaltetes Papier kann nach der Richtung dieſer Falte zerriſſen werden; aber nur dann, wenn man mit einem ſchnellen Riſſe die Theile trennt, geht der Riß grade fort, und langſam, Punct fuͤr Punct trennend, iſt man der Gefahr ſeitwaͤrts einzureißen, weit mehr ausgeſetzt.

Und ſo wie hier der Zweck durch eine ſchnelle Bewegung, nach ſicher beſtimmter Richtung ausgefuͤhrt, erreicht wird, ſo dient zu andern Zwecken eine recht langſame, vorſichtige Bewegung. Ein eingeroſtetes Schloß ſoll geoͤffnet werden, und der Schluͤſſel, obgleich er richtig eingeſteckt iſt, laͤßt ſich nicht drehen; ein Ungeſchickter ſieht ſich ſogleich nach einem Verſtaͤrkungsmittel ſeiner Kraft, eine durch den obern Ring zu ſteckende Stange und dergleichen um; wendet raſch alle Gewalt an, und bricht den Bart des Schluͤſſels ab; der Schloſſer dagegen, oder wer auch nur mit Schloͤſſern umzu - gehen weiß, faßt den Schluͤſſel leiſe, draͤngt langſam vorwaͤrts, verſtaͤrkt recht langſam ſeine Kraft, und erreicht dadurch ſeinen Zweck. Man will eine verhaͤltnißmaͤßig ſchwere Laſt an einem ziemlich ſchwachen Faden oder Seile fortziehen; es gelingt viel - leicht bei recht langſam und ſtetig vermehrter Kraft, aber der Faden reißt, wenn man die Laſt mit einem Stoße auf einmal in Bewe - gung ſetzen will.

Dieſe ungleiche Einwirkung einer ploͤtzlich wirkenden und einer langſam andraͤngenden Kraft zeigt ſich auch in einigen Erſcheinun - gen, die ſich beim Steineſprengen und beim ſchnellen Reiben weichen Eiſens an Glas oder Stahl darbieten. Es iſt bekannt, daß man beim Abſprengen der Steinmaſſen vom natuͤrlichen Fels oder beim Zerſprengen einzelner Steine ſich des Schießpulvers ſo bedient, daß man cylindriſche Loͤcher ſo tief, als man es nach Maaßgabe der abzuſprengenden Stuͤcke noͤthig findet, einbohrt, ſie35 mit Schießpulver zum Theil fuͤllt, dann oben ſie durch kleines feſt - geſtampftes Geſtein verſchließt und durch ein mit Schießpulver ge - fuͤlltes, durch dieſe eingeſtampfte Bedeckung reichendes Rohr, das unten enthaltene Pulver entzuͤndet. Die Gewalt der Exploſion des Pulvers zerſprengt den Stein, und, obgleich man ſchon hier zu der Frage geleitet werden ſollte, warum denn das, in Verglei - chung gegen die ungemeine Feſtigkeit des Steines immer nur locker eingeſtampfte Geſtein nicht herausgeworfen werde, ehe der Stein ſich in Stuͤcke theilt, ſo hat man doch dieſen Erfolg als den ganz natuͤrlichen angeſehen; aber als eine wunderbare Erſcheinung trat dagegen die von Jeſſop gemachte Erfahrung hervor, daß es des Feſtſtampfens gar nicht beduͤrfe, ſondern daß bei Fuͤllung des Bohr - loches mit voͤllig loſem Sande das Zerſpringen des Steines eben ſo gut ſtatt finde. Hier bietet ſich die Frage, warum denn nicht die kleine Quantitaͤt locker aufgeſchuͤtteten Sandes herausgeworfen werde, ehe der Stein eine Zertrennung erleidet, ſo natuͤrlich dar, daß man genoͤthiget war, nach ihrer Beantwortung ſich umzuſehen, und dieſe ſcheint mir auf folgende Art gegeben werden zu muͤſſen. Es iſt bekannt, daß ſelbſt wenn die Kugel aus dem Schießgewehr hervorgetrieben wird, auch die Waͤnde des Rohres einen Stoß lei - den; da aber hier die Kugel, als ein einziger feſter Koͤrper ſogleich fortgefuͤhrt wird, ſo hat der Druck auf die Waͤnde nicht Kraft und Dauer genug, um das Rohr oder den Stein zu ſprengen; ſind es dagegen einzelne Sandkoͤrnchen, locker aufgeſchuͤttet, oder ſind es Steinſtuͤckchen, die man zuſammengeſtampft hat, ſo draͤngt ſich die erſte Schichte an die zweite, dieſe an die dritte, und ſo klein der Zeitverluſt uns ſcheint, der dadurch bewirkt wird, ſo reicht doch dieſe Verlaͤngerung der Einwirkung hin, um die Zerſprengung des Stei - nes zu Stande zu bringen, ehe der Sand herausgeworfen wird. So wie der Pfeifenſtiel ſchon zerbrochen iſt, ehe die Mittheilung der Bewegung bis zu den Aufhaͤngepuncten an den Haaren gelangt, ſo iſt hier der Stein in Stuͤcke geſprengt, ehe der Sand Zeit hatte, die verſchiedenen Stufen der Zuſammenpreſſung durchzugehen. Ob - gleich iſt faſt beſorge, zu lange bei dieſem Gegenſtande zu verweilen, ſo ſcheint mir folgendes Beiſpiel von dieſer Sprengungsmethode doch zu merkwuͤrdig, um es zu uͤbergehen. Peluger erzaͤhlt, daß man in den Steinbruͤchen bei Solothurn ſehr große Stuͤcke abzuſpren -C 236gen pflege, daß aber da oft der unangenehme Umſtand eintrete, daß der abgeſprengte Block zu nahe an der Felsmaſſe liegen bleibe, um bequem fortgeſchafft zu werden. In dieſem Falle thut das Auf - ſchuͤtten von Sand beſonders gute Dienſte, wie er an folgendem Beiſpiele zeigt. Am 24. Sept. 1825 wurde ein Bohrloch von Zoll weit und 14½ Fuß tief mit 18 Pfund Pulver, die 8 Fuß des Loches fuͤllten, geladen, die uͤbrigen Fuß aber mit grobkoͤrni - gem Sande gefuͤllt. Die Exploſion hatte einen ſehr großen Fels - block abgetrennt, aber der Spalt war nur 2 Linien weit, und man wuͤnſchte daher, das Felsſtuͤck weiter zu entfernen. Zu dieſem Zwecke fuͤllte man das Bohrloch noch einmal mit 15 Pfund Pulver, die jetzt nur bis 2 Fuß hoch reichten, der ganze Spalt aber wurde mit lockerm Sande gefuͤllt, und nach abermaliger Entzuͤndung war der ungeheure Felsblock von 14½ Fuß hoch, 16 Fuß breit, 21 Fuß lang, etwa 720000 Pfunde ſchwer, 4 Fuß vom Felſen abgeruͤckt*)Biblioth. univers. XXX. 232. Gilb. Ann. XXII. 113..

Auch die neuerlich erſt von Barnes bemerkte Erſcheinung, daß eine Scheibe aus weichem Eiſen, ſehr ſchnell gedreht, in Glas und Stahl einſchneidet, gehoͤrt hieher. Colladons Verſuche zeigen deutlich, wie dieſe Einwirkung des weichen Koͤrpers auf den harten von der Geſchwindigkeit abhaͤngt. Ein harter Grabſtichel macht bekanntlich tiefe Einriſſe in eine Metallſcheibe, wenn man ihn auf dieſer fortbewegt, und eben ſo fuhr er fort zu aͤtzen, wenn die Metallſcheibe ſich mit geringerer Geſchwindigkeit, als 34 Fuß in 1 Secunde drehte; wurde die Geſchwindigkeit groͤßer, ſo fing die Spitze des Grabſtichels an ſehr zu leiden und die Scheibe wenig zu verletzen, und bei 70 Fuß Geſchwindigkeit in 1 Secunde ward der Grabſtichel ſtark abgeſchliffen, waͤhrend die weiche Eiſenſcheibe nur wenig mehr geritzt wurde. Auch hier iſt es die Schnelligkeit, womit die Theile der Scheibe an die Spitze des Grabſtichels oder uͤberhaupt an die Theile des harten Koͤrpers antreffen, wodurch dieſe fortgeriſſen werden; ihr feſter Zuſammenhang ſcheint hier ungefaͤhr eben ſo wenig, wie bei dem raſch aus der Saͤule herausgeſchlagenen Damenſteine in Betrachtung zu kommen**)Baumgartners Journal 1. 86. Biblioth. univers. 1824. Avril. .

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Ich kehre von dieſen einzelnen Bemerkungen zuruͤck zu der Be - trachtung, woran ſich dieſe anknuͤpften, daß es naͤmlich momentan wirkende und daß es unausgeſetzt wirkende Kraͤfte gebe. Von den Kraͤften der zweiten Art giebt uns die Kraft der Schwere, welche jedes einzelne Theilchen eines Koͤrpers zur Bewegung antreibt, und ununterbrochen die einmal bewirkte Bewegung zu vermehren ſtrebt, ein Beiſpiel, das umſtaͤndlicher betrachtet zu werden verdient.

Vierte Vorleſung.

Schwerkraft.

Die Wirkungen der Schwerkraft, m. h. H., bieten uns einen reichen Schatz merkwuͤrdiger Erſcheinungen dar, ſie ſetzen uns bei richtigem Fortſchreiten unſrer Betrachtung derſelben, in Stand, ſelbſt ſehr verwickelt ſcheinende Phaͤnomene zu erklaͤren, und ver - dienen daher, daß wir ihnen eine genauere Aufmerkſamkeit widmen. Wir werden die Wirkſamkeit der Schwerkraft durch zweierlei Arten von Erſcheinungen gewahr, durch den Druck, welchen die Koͤrper waͤhrend der Ruhe ausuͤben, und durch beſchleunigte Bewegung, da, wo ſich kein die Bewegung hemmendes Hinderniß dieſer entgegen ſtellt.

Die Richtung der Schwerkraft iſt uͤberall grade gegen die Erde zu. Der an einem Faden aufgehaͤngte Koͤrper zeigt uns dieſe Rich - tung, indem er den Faden nach derjenigen Richtung, welche mit der Richtung der Schwere uͤbereinſtimmt, ausdehnt; der frei fal - lende Koͤrper folgt eben dieſer Richtung; und da dieſe uͤberall gegen die Oberflaͤche der Erde ſenkrecht iſt, ſo ſagen wir, weil die Kugel - geſtalt der Erde durch Abmeſſungen bekannt iſt, die Schwere treibe alle Koͤrper gegen den Mittelpunct der Erde hin, die ganze Erde beſitze eine anziehende Kraft, durch welche ſie alles zu ſich hin zu bewegen ſtrebe. Da die Erde ſo groß iſt, daß wir, ſelbſt auf groͤßere Entfernungen als bei unſern Verſuchen vorkommen, die Oberflaͤche des Meeres als eine Ebne anſehen koͤnnen, ſo ſtimmen die Richtungslinien der Schwere in unſern Verſuchen mit Parallel -38 linien uͤberein, und in unzaͤhligen Faͤllen haben wir nicht noͤthig, darauf Ruͤckſicht zu nehmen, daß dieſe Richtungslinien ſich um etwas Weniges von der gleichlaufenden Richtung oder von der Parallelitaͤt entfernen, um im Mittelpuncte der Erde zuſammen zu treffen.

Gleichgewicht.

Da wo das Gewicht eines Koͤrpers bloß einen Druck ausuͤbt, wo die Bewegung gehindert wird, da iſt eine entgegen wirkende Kraft vorhanden, welche der Kraft der Schwere das Gleichge - wicht haͤlt. Meine Hand haͤlt den Faden, an welchem der Koͤrper befeſtigt iſt, und ſie muß einen Druck hinaufwaͤrts ausuͤben, damit der Koͤrper nicht ſinke; offenbar iſt dieſer hinaufwaͤrts ausgeuͤbte Druck oder Zug eine Kraft, dem Gewichte des Koͤrpers gleich, und ſo bietet ſich uns das erſte und einfachſte Mittel zu Beſtimmung gleicher Kraͤfte dar. Aber nicht bloß zu Beſtimmung genau gleicher, ſondern auch auf Abmeſſung anderer in ſtrenge angegebenem Ver - haͤltniſſe ſtehender Kraͤfte werden wir hier geleitet; denn wenn ich zu der Bleimaſſe, die ich ein Pfund nenne, eine zweite ganz gleiche fuͤge, ſo wird niemand zweifeln, daß die Kraft, welche beide erhaͤlt, doppelt ſo groß iſt, als die, welche eine derſelben zu erhalten hin - reichte. So erhellt die Moͤglichkeit, Kraͤfte, welche einander im Gleichgewichte erhalten, gegen einander abzumeſſen. Eine Anwen - dung dieſer Beſtimmungen zeigt die Federwaage. Eine elaſtiſche Feder, die durch ein Gewicht ausgedehnt wird, nimmt, ſelbſt bei oft wiederholtem Gebrauche, immer dieſelbe Ausdehnung bei gleichen ziehenden Kraͤften an, und wenn ich alſo Merkmale anbringe, wie groß dieſe Ausdehnung war, als die mir unter dem Namen eines Pfundes, zweier Pfunde u. ſ. w. gegebnen Gewichte angehaͤngt wurden, ſo dient mir die Federwaage zu Beſtimmung des Gewich - tes andrer Koͤrper. Sie dient aber auch zu Abmeſſung andrer Kraͤfte. Halte ich die Federwaage am Aufhaͤngepuncte mit der einen Hand, waͤhrend die andre da angreift, wo das Gewicht hing, ſo ſehe ich an der Dehnung bis zu einem der bezeichneten Merk - male, wie viele Pfunde Kraft ich ſo auszuuͤben im Stande bin. Graf Rumford befeſtigte beim Anſpannen der Pferde die Feder - waagen ſo zwiſchen den Zugriemen und dem Wagen, daß er die von39 jedem Pferde angewandte Kraft beim Fortziehen des Wagens daran beobachten konnte. Ein beim Nachlaſſen des Zuges in derjenigen Stellung, die er beim Zuge angenommen hatte, ſtehendbleibender Zeiger erlaubte, dieſe Beſtimmung auch nach vollendetem Experi - mente nachzuſehen, und ſo erhielt er die von ihm bekannt gemach - ten Reſultate, daß auf gepflaſterten Straßen die breitfelgigen Raͤ - der eine bedeutend geringere Ziehkraft, als die gewoͤhnlichen Raͤder, fordern, daß auf Steinpflaſter die Pferde beim ſtarken Trott faſt dreimal ſoviel Kraft, als beim langſamen Schritte, anwenden muͤſſen, daß hingegen auf einem recht ebnen, harten, ungepflaſter - ten Wege im Schritt und im Trott beinahe nur gleiche Kraft an - gewandt wird*)Gilb. Ann. XXXVIII. 331..

Eine aͤhnliche Abmeſſung der Kraft giebt Regniers Dyna - mometer, ein elaſtiſcher metallener Reifen, deſſen eine Seite man unten anhaͤngt, waͤhrend man die andre Seite mit einem bequem angebrachten Handgriffe mit den Haͤnden aufwaͤrts zieht, um die Kraft zu unterſuchen; die man in dieſer Stellung anwenden kann**)Gehlers Woͤrterbuch. Art. Dynamometer. Duͤpin Mechanik d. Kuͤnſte u. Handwerke. 3r Theil. 1s u. 2s Cap..

Dieſer einfachſte Fall von Vergleichung derjenigen Kraͤfte, die ſich im Gleichgewichte halten, leitet uns zu einer naͤhern Ent - wickelung aller Faͤlle des Gleichgewichtes, zur Statik feſter Koͤrper.

Zuſammenſetzung der Kraͤfte.

Ein Gewicht C braucht nicht nothwendig durch eine einzige, der Richtung der Schwere grade entgegen wirkende Kraft erhalten zu werden, ſondern wenn zwei Kraͤfte, nach den ſchiefen Rich - tungen LM LN (Fig. 3.) ziehend, das Gewicht C tragen, ſo kann eber ſowohl ein Gleichgewicht ſtatt finden. Ohne jetzt ſchon be - ſtimmen zu wollen, wie groß die beiden in ſolchen ſchiefen Rich - tungen ziehenden Kraͤfte ſein muͤſſen, duͤrfen wir wenigſtens erſtlich behaupten, daß ſie zuſammen mehr betragen muͤſſen, als das Ge - wicht C, grade aufwaͤrts gezogen, fordern wuͤrde, indem ſie zum40 Theil einander entgegen wirken und ſich ſofern theilweiſe aufheben, und wir koͤnnen zweitens behaupten, daß das Gleichgewicht beſteht, wenn die ſeitwaͤrts oder horizontal gerichteten Wirkungen beider Kraͤfte ſich genau aufheben, die aufwaͤrts oder vertical gerichteten Kraͤfte dagegen dem zu tragenden Gewichte gleich ſind. Um naͤher zu beſtimmen, was unter dieſen ſeitwaͤrts und aufwaͤrts gerichteten Wirkungen zu verſtehen iſt, will ich mir Gewichte, die uͤber Rollen ziehend angebracht ſind, denken, weil man da genau abgemeſſene Kraͤfte in beſtimmten Richtungen durch angehaͤngte Gewichte er - halten kann, und es iſt offenbar, daß zwei an der Rolle Fig. 2. einander gegenuͤberhaͤngende Gewichte A, B, gleich ſein muͤſſen, um ſich im Gleichgewichte zu erhalten, und daß auch Fig. 3. der durch das Gewicht B nach der Richtung LN bewirkte Zug eben ſo vielen Pfunden als B ſelbſt gleich iſt. Hier iſt es offenbar, daß ein Gewicht A, nach der Richtung LM wirkend, beinahe mit ſeiner ganzen Kraft aufwaͤrts und nur in geringem Maaße horizontal wirkt, ſtatt daß ein Gewicht B, nach der Richtung LN ziehend, einen groͤßern Theil ſeiner Wirkung horizontal ausuͤbt. Sollen dieſe beiden Kraͤfte ſo gegen einander abgemeſſen ſein, daß der an - gegriffene Punkt L zu keiner horizontalen Bewegung angetrieben werde, ſo darf B nicht ſo ſtark als A ziehen, weil aus 10 Pfun - den nach LN ziehend, mehr horizontaler Zug als aus 10 Pfun - den nach LM ziehend, hervorgeht. Wie groß die horizontale und wie groß die verticale Kraft iſt, die bei gegebener Richtung aus einer beſtimmten Kraft entſpringt, das laͤßt ſich nach folgender einfachen Regel finden. Wenn nach der Richtung LM (Fig. 4.) eine Kraft zum Beiſpiel von 13 Pfund wirkt, ſo zeichnet man auf der Richtungslinie LM 13 gleiche, uͤbrigens willkuͤrliche Theile von L bis P auf, zieht durch L eine verticale, durch P eine horizontale Linie, und mißt beide mit dem Cirkel in eben ſolchen Theilen ab; unſre Figur zeigt, daß die horizontale Linie Pr 4 Theile, die verticale Lr ungefehr 12⅓ enthaͤlt, und das belehrt uns, daß L mit 4 Pfund Kraft horizontal fortgezogen, zugleich aber mit 12⅓ Pfund Kraft hinauf getrieben wird. Damit L in horizontaler Richtung nicht ſeine Stelle aͤndere, muß nach LN eine Kraft ziehen, die mit 4 Pfund Gewalt horizontal wirkt, und bei der in der Figur gewaͤhlten Richtung reichen 5 Pfund Kraft41 nach LN wirkend hiezu hin, indem 5 eben ſolche Theile von L bis Q aufgetragen, einen Abſtand Qs = 4, eine horizontal wirkende Kraft von 4 Pfunden geben. Die beiden Kraͤfte A = 13, B = 5, uͤben, wie die Abmeſſung der Figur zeigt, hinaufwaͤrts eine Kraft = 12 und = 3, alſo zuſammen = 15 Pfund aus, und wenn das nach C herabwaͤrts ziehende Gewicht ſo groß iſt, ſo fin - det das Gleichgewicht ſtatt.

Der Grund, warum jene Linien zum Maaße des hinauf - waͤrts und des ſeitwaͤrts wirkenden Antheils dienen, laͤßt ſich ziemlich vollſtaͤndig ſo uͤberſehen. Braͤchten die Kraͤfte von 13 Pfund und 5 Pfund eine Bewegung hervor, ſo waͤre dieſe gewiß in genauem Verhaͤltniß der Kraͤfte ſelbſt, oder die eine wuͤrde fuͤr ſich allein den Punct L nach P, die andere wuͤrde ihn in gleicher Zeit fuͤr ſich allein nach Q bringen; dadurch wuͤrde eine gleich große Entfernung von der Verticallinie LT bewirkt, und folg - lich hebt ſich, beim Zugleichwirken beider, dieſe horizontale Wir - kung gaͤnzlich auf; daß aber die verticale Wirkung beider, die durch 12 und 3 angegeben wurde, grade hinreicht, um 15⅓ Pfund zu tragen, iſt nun leicht zu uͤberſehen.

Fig. 5. zeigt noch ein Beiſpiel, wo die ziehenden Kraͤfte 10 und 7 ½ ſind. Die Richtungen ſind ſo gewaͤhlt, daß die Horizon - talkraft nach beiden Seiten 7 betraͤgt, die Verticalkraͤfte ſind 7 aus der erſten und 2 ¾ aus der andern, ſo daß hier die Kraͤfte 10 und 7 ½ nur eine Laſt von 9 ¾ Pfunden tragen, weil ſie ſo be - deutend von der Verticallinie abweichen*)Dieſe Zahlen ſind nur ſo angegeben, wie eine Zeichnung ſie ab - zumeſſen geſtattet; berechnen laſſen ſie ſich genauer..

Dieſe Betrachtungen uͤber Zerlegung und Zuſammen - ſetzung der Kraͤfte, die auf einen Punct wirken, finden die allerhaͤufigſte Anwendung, und laſſen ſich, wenn auch nicht grade immer von horizontaler und verticaler Wirkung die Rede iſt, noch allgemeiner und dennoch ſehr einfach, darſtellen. Wenn nach der Richtung LA eine Kraft von 5 Pfund, nach der Rich - tung LB (Fig. 6.) eine Kraft von 3 Pfund wirkt: ſo laͤßt ſich die Richtung LC, nach welcher eine zu Erhaltung des Gleichge -42 wichts paſſende Kraft wirken muß, und die Groͤße derſelben ſo an - geben. Man traͤgt auf LA 5, auf LB 3 Theile von gleicher Groͤße auf, zieht BD und AD mit beiden parallel, und zeichnet LD, dann iſt LD ſeiner Groͤße nach das Maaß der hervorge - henden Mittelkraft, die aus jenen beiden entſteht, oder zugleich das Maaß der das Gleichgewicht erhaltenden Kraft, (alſo un - ſerer Figur zu Folge 6) und die Richtung LD ruͤckwaͤrts verlaͤngert giebt die Richtung LC der zum Gleichgewichte erforderlichen Kraft von 6 Pfunden an. Der Grund, warum dieſes Parallelo - gramm der Kraͤfte LADB uns richtig leitet, iſt leicht ein - zuſehen. Auch hier naͤmlich kann man ſagen, wenn LA die ganze Kraft = 5 andeutet, ſo ſtellt Aq = den von LD abwaͤrts ziehenden Theil, Lq den mit LD uͤbereinſtimmend gerichteten Antheil vor; Bp, als der von LD abwaͤrts ziehende Antheil der zweiten Kraft iſt ſo groß als Aq, alſo findet kein Ablenken von LD ſtatt, die Summe der nach LD ziehenden Kraͤfte iſt aber Lq = 4 , und Lp = 1 , zuſammen = 6, wie es die Linie LD beſtimmte.

Eben dieſe Regel fuͤr die Zuſammenſetzung der Kraͤfte findet auch ſtatt, wenn mehr als zwei Kraͤfte nach verſchiedenen Richtungen wirken. Wenn (Fig. 15.) der Punct A von drei Kraͤften nach den Richtungen AB, AC, AD, gezogen wird, und es iſt die erſte = 10, die zweite = 5, die dritte = 7 Pfund, ſo nehmen wir zuerſt Ab = 10, Ac = 5 gleichen Theilen und vollenden das Parallelo - gramm Abec; die Abmeſſung von Ae zeigt uns, daß die beiden Kraͤfte von 10 und von 5 Pfund eine Wirkung von 14 Pfund hervorbringen, indem Ae ſich = 14 findet. Statt jener beiden Kraͤfte koͤnnte alſo eine von 14 Pfund nach der Richtung Ae wir - kend angebracht ſein, und indem wir dieſe mit der dritten nach AD wirkenden Kraft verbinden, erhalten wir die Wirkung aller drei Kraͤfte. Das Parallelogramm Aefd naͤmlich, worin Ad = 7, Ae = 14 iſt, fuͤhrt abermals durch Abmeſſung der Ecklinie Af zur Kenntniß der Groͤße und Richtung der Mittelkraft; die Figur zeigt, daß Af 11 Theile enthaͤlt, und daß alſo die drei Kraͤfte von 10,5 und 7 Pfund doch nur eine Wirkung von 11 Pfund nach der Richtung Af hervorbringen, weil ſie ſich zum Theil, als einander entgegen wirkend, zerſtoͤren. Ebenſo verfaͤhrt man, wenn noch43 mehr Kraͤfte, nach verſchiedenen Richtungen auf einen einzigen Punct wirken.

Beiſpiele von Zuſammenſetzung und Zerlegung der Kraͤfte.

Die Anwendungen, wo eine ſolche Zuſammenſetzung von Kraͤften, welche nach verſchiedenen Richtungen wirken, vorkoͤmmt, ſind unzaͤhlig. Wenn mehrere Menſchen an ſchief gezogenen Seilen den ſchweren Block, mit welchem man Pfaͤle einſchlaͤgt, heben, ſo wird ein Theil der Kraft allemal unnuͤtz angewandt, indem der ſeitwaͤrts gerichtete Theil der angewandten Kraͤfte ſich gegenſeitig zerſtoͤrt, und dies iſt deſto mehr der Fall, je weiter die Menſchen aus einander ſtehen, je mehr von der Verticallinie abweichend die Seile ſind.

Wenn eine in C haͤngende Laſt durch eine Kraft, die uͤber eine Rolle B zieht (Fig. 7.) gehoben wird, waͤhrend das Ende des Seiles in A befeſtiget iſt, ſo wird es der in D ziehenden Hand immer ſchwerer und ſchwerer die Laſt zu heben, weil die Anfangs nach FG noch ziemlich vortheilhaft ziehende Kraft eine hoͤchſt unvor - theilhafte Richtung erhaͤlt, wenn die Laſt ſchon bis E hinaufgezogen iſt. Hier naͤmlich traͤgt der Haken bei A Anfangs einen bedeuten - den Theil der Laſt, ſo daß wenn die Laſt ſich in F befindet, die in D ziehende Hand nur wenig mehr als die Haͤlfte der Laſt zu heben hat; bei der Stellung in E aber werden von 100 Pfund Kraft, die man in D aufwendet, kaum noch 10 zur Hebung der Laſt ver - wandt, der groͤßte Theil der Kraft hingegen wird angewandt, um die horizontale Spannung des Seiles hervorzubringen, und den Haken bei A aus der Wand herauszuziehen. Ein Schiff, welches der Wind nach einer auf die Richtung des Stromes ſenkrechten Richtung forttreibt, folgt zugleich beiden Kraͤften, dem Winde und dem Strome, und die Richtung ſeines Fortruͤckens, oder wenn es vor Anker liegt, die Richtung die das Ankertau annimmt, zeigen die Richtung dieſer Mittelkraft. Sind beide Kraͤfte nicht ſenkrecht auf einander, ſondern nach AC und AB (Fig. 8.) wirkend, ſo un - terſtuͤtzen ſie einander, und wenn man das Parallelogramm ABDC zeichnet, deſſen Seiten den Kraͤften proportional ſind, ſo giebt AD verhaͤltnißmaͤßig die Gewalt an, mit welcher die Mittelkraft den44 Koͤrper nach AD forttreibt. Wenn bei unguͤnſtigem Winde der Schiffer ſeine Segel ſo befeſtigt, daß ſie eine ſchiefe Richtung, wie AB gegen die Axe CD (Fig. 9.) des Schiffes haben, ſo wirkt der Wind durch Zerlegung der von ihm angewandten Kraft vortheilhaft auf das Forttreiben des Schiffes. Waͤre die Richtung des Win - des genau ſenkrecht auf die Richtung der Axe des Schiffes, ſo wuͤrde von der nach EF wirkenden Kraft, die auf das ſchief geſtellte Segel AB ausgeuͤbt wird, ein Theil am Segel vorbei, mit dem Segel parallel, verlohren gehen, ein andrer Theil, den die Linie IE verhaͤltnißmaͤßig darſtellt, zum Forttreiben des Segels und des Schiffes verwandt werden. Dieſe Richtung EI der Kraft, welche das Schiff von F nach G braͤchte, waͤre immer ſchon vortheilhafter als die Richtung FH, die der Wind zu ertheilen ſtrebte; aber die Einwirkung des Windes wird dadurch noch vortheilhafter, daß das Schiff viel leichter nach der Richtung ſeiner Axe als nach der Seite beweglich iſt. Wuͤrde durch einen ſehr ſtarken Widerſtand die Sei - tenbewegung ganz gehemmt, ſo wuͤrde die nach FG zu, auf das Segel ſtoßende Kraft das Schiff ganz grade, obgleich nur mit ge - ringer Gewalt, vorwaͤrts treiben, und etwas Aehnliches erfolgt, da die Breite der Flaͤche, welche ſich dem Fortfuͤhren nach der Seite entgegen ſtellt, einen viel erheblichern Widerſtand nach dieſer Rich - tung, als nach der Richtung der Axe, hervorbringt.

Eine ganz aͤhnliche Zerlegung der Kraft des Windes iſt es, welche den Papierdrachen der Kinder hebt. Bekanntlich iſt die breite Flaͤche, welche ſeinen Koͤrper ausmacht, am einen Ende beſchwert, und das Seil, woran er gehalten wird, befindet ſich am andern Ende; der Drache nimmt dadurch eine Stellung (Fig. 10.) unge - fehr wie AB an, waͤhrend das Seil ihn nach der Richtung AC feſthaͤlt. Der nach horizontaler Richtung DE aufſtoßende Wind ſtrebt die ganze Flaͤche fortzufuͤhren, aber da das Seil in C bei - nahe voͤllig feſtgehalten wird, ſo ſtreicht der Wind unter ihm weg und hebt ihn etwa in die Stellung ab hinauf; daß es dabei auf ein geſchicktes Anhalten oder Verlaͤngern des Seiles ankoͤmmt, wenn man ihn gut zum Steigen bringen will, iſt bekannt.

Auf eben den Regeln der Zuſammenſetzung und Zerlegung der Kraͤfte beruht der ſtaͤrkere Widerſtand, den eine Glaskugel von klei - nem Halbmeſſer oder den ein engerer Glascylinder dem Zerdruͤcken45 entgegen ſetzt. Zwei Glasplatten naͤmlich, die wie DE, FG (Fig. 27.) aufgeſtellt ſind, tragen gewiß ein groͤßeres Gewicht H, als ſie thun wuͤrden, wenn der Winkel bei EF groͤßer waͤre, und ebenſo traͤgt auch die Woͤlbung ABC ein groͤßeres Gewicht, als es bei flacherer Woͤlbung, wo die einzelnen Theile ab unter weniger vortheilhaften Richtungen Widerſtand leiſten, der Fall ſein wuͤrde.

Bei der Fortſchaffung oder Hebung von Laſten, bei der Be - wegung der Maſchinen und in andern Faͤllen, koͤmmt dieſe Zerlegung der Kraft bald vortheilhaft bald nachtheilig vor. Wenn die Laſt M (Fig. 11.) auf dem horizontalen Boden fortgezogen werden ſoll, und die Groͤße des Menſchen oder Pferdes nicht wohl eine andre Rich - tung des Zuges als BC geſtattet, ſo wird nicht die ganze Kraft des Zuges zum Fortfuͤhren der Laſt verwandt, ſondern in dem Verhaͤlt - niſſe, wie BD kleiner, als BC, iſt, wird die nuͤtzlich wirkende Kraft kleiner, als die aufgewandte Kraft, ſein. Wenn man (Fig. 12.) das Rad BD durch ein bei E angebrachtes Gewicht zur Umdrehung bringen wollte, ſo wuͤrde lange nicht das ganze Gewicht die Dre - hung bewirken. Das Gewicht naͤmlich bringt theils einen Druck auf den unterſtuͤtzten Mittelpunkt A hervor und traͤgt theils zur Dre - hung bei. Betruͤge das ganze Gewicht, nach der Richtung EF wir - kend, 10 Pfund, ſo muͤßte man, um die Groͤße jener beiden Wir - kungen zu beurtheilen, 10 Theile Ef auf die Richtung der Schwer - kraft auftragen, fe ſenkrecht auf den Halbmeſſer des Rades ziehen und nun Ee, ef meſſen; nach der Angabe der Figur ſind dieſe Li - nien etwa und 3, und alſo ſind es nur 3 Pfund Kraft, mit welcher die Drehung befoͤrdert wird, denn 3 Pfund nach Eg und Pfund nach Ee wirkend wuͤrden nach Ef einen Druck von 10 Pfunden hervorbringen; es kommen alſo nur 3 Pfund als nuͤtzlich wirkend in Betrachtung. So verhaͤlt es ſich bei den Tretraͤdern, wo der Menſch in dem inneren Rande des Rades bis nach H hinauf - geht und durch ſein Gewicht das Rad umtreibt. Ebenſo wirkt bei den oberſchlaͤchtigen Waſſerraͤdern das Gewicht des in den Kaͤſten befindlichen Waſſers. Die Schwierigkeit, eine ſehr große Laſt, ein ganzes Schiff zum Beiſpiel, zu heben, uͤberwinden wir dadurch, daß wir die Laſt auf einer geneigten Ebne herauf ziehen. Hier iſt eine geringere Kraft zum Hinaufziehen noͤthig, weil die Laſt PQ als aus zwei Kraͤften PS, PR zuſammengeſetzt anzuſehen iſt (Fig. 13.)46 und nur PS diejenige Kraft iſt, welcher man beim Hinaufwaͤrts - ziehen entgegen zu wirken hat. Die Gewalt, deren es bedarf, um die Laſt hinauf zu ziehen, iſt deſto kleiner, je geringer die Neigung der Ebne gegen den Horizont iſt, und zwar ſo, daß man, abgeſehen von der Reibung, nur ein Viertel ſo viel als die Laſt wiegt, an Kraft zum Hinaufziehen anzuwenden braucht, wenn BC ein Vier - tel der AB iſt, und ſo in allen Faͤllen. Hiebei zeigt ſich uns noch eine andre in der Statik oder in der Lehre vom Gleichgewichte merk - wuͤrdige Regel. Soll die Laſt auf die Hoͤhe BC gehoben werden, (Fig. 13.) ſo kann dies unmittelbar geſchehen, ſo daß auch die he - bende Kraft keinen laͤngeren Weg als BC durchlaͤuft, aber dann muß auch die Kraft voͤllig der ganzen Laſt gleich ſein; dagegen kann man auf der ſchiefen Ebne AB mit ein Viertel der Kraft ausrei - chen, muß ſich aber dann gefallen laſſen, die Laſt durch den vier - fachen Weg fortzuziehen, ehe ſie bis zu derſelben Hoͤhe BC hinauf gelangt. Und ſo finden wir immer, daß eine geringere Kraft nur dadurch, daß ſie einen laͤngeren Weg durchlaͤuft, eben das ausrich - ten kann, was eine groͤßere Kraft bei geringerem Wege bewirken wuͤrde. Was man an Kraft gewinnt, verliert man an Geſchwindigkeit, ſo daß es gar wohl Faͤlle geben kann, wo man lieber die vierfache Kraft anwendet, um die Laſt vertical hinaufwaͤrts zu heben, damit dieſes ſchneller bewirkt werde.

Wenn die Schraube eine Laſt hebt, ſo ruͤckt bei einer Umdre - hung der Schraube die Laſt nur ſo viel hinauf, als der Abſtand der Schraubengaͤnge von einander betraͤgt, und die Hand, welche die Schraube faßt, durchlaͤuft den Umfang der Schraube, die Laſt nur die Hoͤhe des Schraubenganges; in eben dem Verhaͤltniſſe aber, wie die Laſt ſich langſamer bewegt, in eben dem Verhaͤltniſſe iſt die Kraft kleiner als die Laſt, wenn die Schraube wenig Reibung hat. Wenn wir mit dem Meſſer, deſſen Ruͤcken nur ein Zwanzigſtel ſo breit als die Seite des Meſſers iſt, den Zuſammenhang des Holzes uͤberwinden wollen, ſo brauchen wir nur ein Zwanzigſtel derjenigen Kraft, womit die Theile des Holzes zuſammenhaͤngen, anzuwenden, um in das Holz einzudringen; aber unſre Hand muß auch das Meſſer um ſeine ganze Breite vorwaͤrts draͤngen, waͤhrend die wi - derſtehenden Holztheile nur um die Breite des Ruͤckens von einan - der entfernt werden. Das Meſſer alſo und jeder Keil erlaubt47 uns mit deſto geringerer Kraft zu wirken, je ſchaͤrfer er iſt, aber um deſto weiter muͤſſen wir auch hineindringen, um eine gewiſſe Trennung der Holztheile von einander zu erhalten.

Reibung.

Dieſe Regeln fuͤr das Gleichgewicht der Kraͤfte und fuͤr die zum Heben von Laſten erforderlichen Kraͤfte wuͤrden genau guͤltig ſein, wenn es keine Reibung (Friction) gaͤbe. Dann wuͤrde wirklich auf einer Ebne, deren Hoͤhe ein Zwanzigſtel der Laͤnge iſt, nicht bloß ein Pfund eine Laſt von 20 Pfunden im Gleichgewichte halten, ſondern eine Kraft, wenig groͤßer als 1 Pfund wuͤrde auch die 20 Pfunde wirklich heben. Aber die Reibung, die ja ſelbſt auf ganz horizontalem Boden uns das Fortziehen einer Laſt ſo ſehr erſchwert, bringt hier ſehr erhebliche Unterſchiede hervor. Daß dieſe Reibung nach Verſchiedenheit der Koͤrper ſehr ungleich iſt, zum Beiſpiel ſtaͤr - ker, wenn Holz ſich auf Holz reibt, ſchwaͤcher wenn Metall ſich auf Metall reibt, daß ſehr harte Koͤrper, die eine ſchoͤne Politur an - nehmen, am wenigſten Reibung geben, und daß man daher in recht vollkommenen Uhren die Stahl-Axen der Raͤder in diamantenen Pfannen gehen laͤßt, iſt bekannt. Ein Mittel, um die Groͤße der Reibung zu beſtimmen, findet ſich bei dem Gebrauche der ſchiefen Ebne. Man richte naͤmlich die geneigte Ebne AB ſo ein, daß ſie ſich mit Huͤlfe einer langſam fortruͤckenden Schraube in B allmaͤhlig hoͤher ſtellen laͤßt, und ſetze, waͤhrend die Laſt P, die dann keine Kugel ſein darf, auf der Ebne liegt, dieſes Erhoͤhen des Punctes B ſo lange fort, bis die Laſt herabzugleiten anfaͤngt; findet man dann BC ein Viertel ſo groß als AB, ſo betraͤgt die Reibung ein Viertel der ganzen Laſt, denn da hier keine andre Kraft das Herab - ſinken hindert, ſo iſt die Reibung als zuruͤckhaltende Kraft bei jeder niedrigeren Stellung noch mehr als hinreichend geweſen, die Laſt zu halten. Bei der Reibung von Holz auf Holz kann die Reibung ein Drittel des Druckes und ſelbſt noch mehr betragen; bei Kupfer auf Eiſen betraͤgt ſie etwa ein Sechstel, jedoch bei recht ſorgfaͤltiger Politur weniger. Will man auf dieſe Reibung beim Gebrauche der ſchiefen Ebne Ruͤckſicht nehmen, ſo muͤßte man bei dem in Fig. 14. gezeichneten Falle, ſo rechnen. Da BC etwa 220 ſolche Theile enthaͤlt, deren 1000 auf AB gehen, ſo iſt die zu Erhaltung von48 1000 Pfunden noͤthige Kraft nach der vorigen Regel freilich nur 220 Pfund. Soll aber dieſe Laſt hinauf gezogen werden, ſo wider - ſteht zugleich die Reibung, die wenn ſie ein Drittel des Druckes betruͤge, hier uͤber 300 Pfund waͤre, und es beduͤrfte daher freilich gar keiner Kraft, um die Laſt auf der Ebne ruhend zu erhalten, indem die Reibung hiezu voͤllig ausreicht, aber um ſie hinaufzuzie - hen, waͤren uͤber 500 Pfund Kraft erforderlich. Auf dieſe Weiſe tritt uns ſehr oft die Reibung hindernd entgegen, und noͤthiget uns weit groͤßere Kraͤfte aufzuwenden als ſonſt erforderlich waͤren; und wir ſuchen daher ſie in vielen Faͤllen zu vermindern. Auf dieſer Vermin - derung der Reibung beruht zum Beiſpiel ein großer Theil des Vor - theils, den die Eiſenbahnen gewaͤhren, auf welchen 1 Pferd leiſtet, was ſonſt 8 bis 10 Pferde leiſteten, ja wo bei recht glatten Eiſen - bahnen ein Pferd 400 Centner ſoll ziehen koͤnnen*)Poppe, die Fuhrwerke. S. 140.. Aber ſo ſehr die Reibung uns oft hindert, ſo iſt ſie doch keinesweges immer eine nachtheilig wirkende Kraft. Wie es uns beim Hinaufgehen auf den ſanfteſten Abhang ergehen wuͤrde, wenn es keine Reibung gaͤbe, davon uͤberzeugen wir uns, wenn wir beim Glatt-Eiſe eine nur etwas geneigte Straße gehen wollen; wir finden dann noͤthig, durch wollene Ueberſchuhe oder dergleichen, die beinahe ganz fehlende Rei - bung zu vermehren. Ebenſo finden wir im Fahren, da die Reibung des Rades beim Waͤlzen nur geringe iſt, zuweilen die Nothwendig - keit, durch Feſtbinden des Rades die waͤlzende Reibung in eine ſchleifende zu verwandeln oder durch den angelegten Hemmſchuh die Reibung noch zu vermehren, damit nicht der Wagen in zu ſchnelle Bewegung gerathe. Der Reibung verdanken wir es, daß nicht alle an einem Abhange liegenden Steine in das Thal hinabgleiten, daß nicht beim geringſten Winde alle auf der Straße oder auf dem Felde unbefeſtigt ſtehenden Dinge fortgefuͤhrt werden; ja wir ſelbſt wuͤrden auf dem genau horizontalen Boden der Gewalt des Windes nicht widerſtehen koͤnnen, wenn keine Reibung waͤre, ſo wie es uns ja ſchon auf glattem Eiſe, wo doch immer noch Friction vorhanden iſt, ſchwer wird, bei ſtaͤrkerem Winde grade fortzugehen. Waͤre keine Reibung ſo wuͤrde kein Feſthalten zwiſchen den Fingern oder zwiſchen den flachen Endplatten einer Zange moͤglich ſein, ſondern alles49 wuͤrde uns entgleitend aus den Haͤnden fallen; wir bemerken dies an ſehr glatten Koͤrpern, die wir nur durch heftiges Zuſammendruͤcken der Finger erhalten, weil, wenn die Reibung vielleicht nur ein Zwoͤlf - tel der druͤckenden Kraft betraͤgt, meine Finger mit 12 Pfund Kraft druͤcken muͤſſen, um 1 Pfund zu erhalten, ſtatt daß ich da, wo die Reibung ein Drittel der druͤckenden Kraft betruͤge, mit drei Pfund Kraft ausreichte. Dieſe Schwierigkeit, einen hinreichend großen Druck auszuuͤben, und ſo die Reibung hinreichend zu vermehren, iſt es, wodurch das Hinaufklettern an dem Stamme eines Baums, den man mit Armen und Beinen feſt umklammert, ſo ſchwer und nur dem moͤglich wird, der viele Kraft beſitzt; er muß naͤmlich einen ſo großen Druck ausuͤben, daß die daraus hervorgehende, bei einem glatten Baume einen geringen Theil der Kraft betragende, Reibung, ſo viel als das ganze Gewicht ſeines Koͤrpers ausmacht.

Auch von Zerlegung der Kraͤfte finden wir hier Beiſpiele. Das aufs beſte polirte Glas laͤßt ſich mit einem Drucke der Finger gegen einander noch wohl feſthalten, wenn es bei maͤßiger Dicke zwei pa - rallele Seitenflaͤchen hat, gegen welche unſre Finger ſenkrecht preſ - ſend wirken koͤnnen; aber ein keilfoͤrmiges Glas, ein gleichſeitiges Glasprisma LMN (Fig. 14. b.) werden wir, ſelbſt bei dem ange - ſtrengteſten Andruͤcken der Finger gegen die beiden ſchiefen Flaͤchen, nicht halten koͤnnen, wenn die Finger dieſe gegen einander geneigten Flaͤchen von oben ergreifen. Hier naͤmlich druͤcken wir unſre Finger in horizontaler Richtung (Fig. 14. b.) gegen einander; von dieſer nach AB gerichteten Kraft wird nur ein Theil, nach Verhaͤltniß durch AC ausgedruͤckt und ungefehr der Kraft AB betragend, ſenkrecht auf die Flaͤche druͤckend angewandt, und mit einer Kraft halb ſo groß als AB ſchiebt unſer Finger ſich auf der Ebne BC fort; die Reibung muͤßte daher ſchon uͤber die Haͤlfte des Druckes betragen, wenn die Reibung dieſer fortſchiebenden Kraft widerſtehen ſollte, und da das Gewicht des Prisma's uͤberdies noch getragen werden muß, ſo iſt es nicht moͤglich, das Prisma ſo aufzuheben.

Es gaͤbe noch unzaͤhlige Beiſpiele von der nuͤtzlichen und von der nachtheiligen Wirkung der Reibung; aber ich breche dieſe Be - trachtung ab, um Ihre Geduld nicht zu ermuͤden.

I. D50

Fuͤnfte Vorleſung.

Gleichgewicht am Hebel.

Die Faͤlle des Gleichgewichtes, mit welchen ich Sie, meine h. H., neulich unterhielt, kamen alle darauf hinaus, daß zwei oder mehr Kraͤfte in verſchiedenen Richtungen wirkend einer ihrer mitt - leren Richtung gegenuͤberſtehenden Kraft entgegen wirkten. Bei der ſchiefen Ebne zum Beiſpiel iſt es, wenn ich von der Reibung, die bei einer herabrollenden Kugel auch wirklich ganz unbedeutend iſt, abſehe, die nach PT ziehende Kraft (Fig. 13.) und die nach RP Widerſtand gegen den Druck leiſtende Kraft der feſten Ebne ſelbſt, welche ſo wie zwei nach PU, PT ziehende Kraͤfte dem Gewichte der Laſt P, welches nach PQ herabdruͤckt, das Gleich - gewicht halten.

Aber noch eine zweite Claſſe von Faͤllen, wo Gleichgewicht ſtatt findet, bietet ſich unſerer Betrachtung dar, naͤmlich das Gleichgewicht der Kraͤfte am Hebel. Unſre gewoͤhnliche Waage giebt uns von dem Entgegenwirken der beiden Kraͤfte am Hebel das einfachſte Beiſpiel, indem die eine Waageſchaale ſteigen muß, wenn die andere ſinkt, und das Gegengewicht in jener das Sinken dieſer hindert. Im Allgemeinen verſtehen wir unter einem Hebel eine unbiegſame Stange, die in einem Puncte unterſtuͤtzt, durch zwei Kraͤfte nach entgegengeſetzten Richtungen zur Drehung um jenen Punct angetrieben wird. Unſre gewoͤhnliche Waage iſt ein gleicharmiger Hebel und wegen der gleichen Entfer - nung vom Unterſtuͤtzungspuncte muͤſſen es hier gleiche Ge - wichte ſein, die einander das Gleichgewicht halten. Iſt der He - bel ungleicharmig, ſo laͤßt die Regel zur Beſtimmung der nun zum Gleichgewichte erforderlichen Kraͤfte ſich am beſten ſo uͤber - ſehen. Wenn der Hebel AB (Fig. 16.) in C unterſtuͤtzt iſt, und CA iſt dreimal ſo lang als CB, ſo durchlaͤuft A bei einer geringen Drehung um C einen dreimal ſo großen Weg als B; nach der Regel alſo, daß man an Kraft ſo viel gewinnt, als man ſich an groͤßerem Aufwande von Geſchwindigkeit einen Nachtheil muß ge -51 fallen laſſen, wuͤrden wir ſchließen, daß 1 Pfund in A drei Pfunden in B das Gleichgewicht hielte; jenes eine Pfund traͤgt eine drei - mal ſo große Laſt, aber bei, entſtehender Bewegung muß es ſich dreimal ſo ſchnell, als dieſe groͤßere Laſt, bewegen, und das iſt es ja, was wir meinen, wenn wir die Regel feſtſetzen, daß der Gewinn an Kraft durch den Aufwand an Geſchwindigkeit ausgeglichen werde.

Dieſes Geſetz, daß am Hebel die Kraͤfte ſich umgekehrt wie die Entfernungen verhalten muͤſſen, daß ich in der zehnfachen Entfernung nur ein Zehntel der Kraft anzuwenden brauche, die ich in der einfachen Entfernung anwenden muͤßte, iſt es, welches uͤberall, wo eine Drehung um einen Ruhepunct ſtatt findet, guͤltig iſt. Es gilt nicht bloß in dem Falle, wo die Kraͤfte an den ent - gegen geſetzten Enden des Hebels angebracht ſind, ſondern eben ſo gut, wenn der Drehungspunct C, (Fig. 14. c.) ſo liegt, daß an einerlei Seite desſelben eine Kraft A in E hinaufwaͤrts, eine Kraft B in D hinabwaͤrts zieht; auch hier muß B doppelt ſo groß als A ſein, wenn CD halb ſo groß als CE iſt. Ja der Hebel braucht nicht einmal grade zu ſein, und dennoch findet ein ganz aͤhnliches Geſetz ſtatt. Es ſei ACB (Fig. 17.) ein in C unterſtuͤtzter Win - kelhebel, ſo wuͤrde eine auf den Arm BC ſenkrecht wirkende, in B angebrachte Kraft in eben dem Verhaͤltniſſe groͤßer als eine in A auf AC ſenkrecht wirkende Kraft ſein muͤſſen, als BC kleiner m Verhaͤltniß gegen AC iſt. Wirken dagegen in B und in A Kraͤfte nach den ſchiefen Richtungen BD und AH, ſo findet man die zum Gleichgewichte erforderliche Groͤße dieſer Kraͤfte durch folgende Ue - berlegung. Wenn die ganze Ebne IABG eine feſte Ebne waͤre, die ſich um C drehen ließe, ſo waͤre es einerlei, ob ich den an ihrer Oberflaͤche hin laufenden Faden BD in B oder in G an der Ebne befeſtigt haͤtte, immer wuͤrde die Wirkung der Kraft D zur Dre - hung der Ebne um C dieſelbe ſein; und ebenſo koͤnnte ich den an der Ebne anliegenden Faden AH in A oder in I befeſtigt haben, immer wuͤrde die Kraft H gleich viel zur Drehung um C wirken. Dieſer Betrachtung gemaͤß waͤre es am angemeſſenſten, von C aus die Linie CG auf BD ſenkrecht, CI auf AH ſenkrecht zu zie - hen, dann wirket gewiß die Kraft D ſo, als ob ſie auf CG ſenk - recht angebracht waͤre, und die Kraft H ſo, als ob ſie auf CI ſenk -D 252recht angebracht waͤre, und D muß folglich zehnmal ſo groß, als H ſein, wenn CI zehnmal ſo groß als CG iſt. Es gilt alſo hier die allgemeine Regel, daß man vom Unterſtuͤtzungspunkte C die Linien CG, CI, ſenkrecht gegen die Richtungen der Kraͤfte ziehen und die Kraͤfte dieſen Abſtaͤnden umgekehrt proportional nehmen muß.

Anwendungen des Hebels.

Von den unzaͤhligen Anwendungen des Hebels will ich nur einige Beiſpiele anfuͤhren. Wenn wir mit geringer Gewalt eine erhebliche Laſt heben wollen, ſo geben wir der Stange AB (Fig. 18.) ihren Unterſtuͤtzungspunct in C ſo, daß die Laſt D in moͤg - lichſt geringer Entfernung wirke, der Punct A hingegen, wo die Kraft angreifen ſoll, erheblich entfernt vom Unterſtuͤtzungspuncte liege. Daß BCA hier ein Hebel iſt, erhellt wohl ſelbſt, und daß, wenn AC zehnmal ſo groß als DC iſt, die Kraft in A nur ein Zehntel der Laſt zu betragen brauche, erhellt ebenfalls. Aber nicht da allein, wo eine auf einer Unterlage ruhende Stange in der ein - fachſten Form des Hebels wirkſam iſt, bedienen wir uns des Hebels, ſondern manche andere Werkzeuge ſind ebenfalls Hebel. Die Zange, mit welcher man recht feſt faſſen will, hat lange Handgriffe, ſtatt daß der zu faſſende Gegenſtand mit kuͤrzern Armen gefaßt wird; hier iſt der Drehungspunct als Unterlage des Hebels anzuſehen, und zwei einander entgegen druͤckende Hebel uͤben nahe bei dieſem Drehungspuncte eine große Gewalt aus, waͤhrend die in einem ent - ferntern Puncte wirkende Kraft nur geringe zu ſein braucht. Die Scheeren wirken eben ſo. Jeder Schluͤſſel, bei dem der Bart das Schloß faßt, waͤhrend die Hand den obern Ring dreht, iſt ein Hebel. Es iſt naͤmlich einerlei, ob (Fig. 19.) die wegzuſchiebende Laſt bei A oder bei a, ebenſo entfernt von der zu drehenden Axe CD liegt, und da die Hand vorzuͤglich auf die entfernteſten Theile des Hand - griffes BB wirkt, ſo braucht man nur eine in dem Maaße kleinere Kraft, als die Entfernung CB groͤßer als Ca iſt. Dieſes wiſſen wir alle ſo wohl, daß wir, um den Schluͤſſel mit mehr Gewalt zu drehen, uns gern, obgleich oft zum Nachtheil des Schloſſes und Schluͤſſels, eines laͤngern, bei BB durchgeſteckten Stabes bedienen. Die breitern Handgriffe an unſeren Bohrern haben eben den Zweck,53 und da beim Bohren der Widerſtand ſehr nahe an der Drehungs - Axe liegt, ſo leiſtet eine geringe Gewalt an einem ziemlich breiten Handgriffe ungemein viel.

Wenn die um die Angeln A, B, (Fig. 20.) bewegliche Fallthuͤr oder horizontale Platte gehoben werden ſoll, ſo ergreifen wir ſie am liebſten bei C, moͤglichſt weit von der Drehungs-Axe, damit unſre Kraft deſto wirkſamer ſei. Wir bemerken uͤbrigens hier auch die ungleiche Gewalt, mit welcher die Fallthuͤr unſrer Kraft entgegen wirkt, daß ſie uns naͤmlich am ſchwerſten zu heben iſt, wenn ſie noch horizontal liegt, und ſich immer leichter heben laͤßt, je hoͤher ſie ſchon gehoben iſt. In der Lage AC naͤmlich (Fig. 21.) muͤſſen wir die ganze Laſt der Thuͤr uͤberwinden und nur der Umſtand koͤmmt uns vortheilhaft zu ſtatten, daß unſre Kraft in groͤßerer Entfernung wirkt, als der Haupttheil der Laſt. Wenn dagegen die Fallthuͤr ſchon in die Lage AD gehoben iſt, ſo wirkt die nach EF herabdraͤngende Laſt zum Theil auf die Axe A druͤckend, und nur der bei der Zerlegung der Kraft als auf AD ſenkrecht hervorgehende Theil braucht noch von uns uͤberwunden zu werden.

Dieſe Geſetze der Wirkung von Kraͤften am Hebel geben uns Mittel, die große Gewalt zu berechnen, mit welcher die Muskeln zur Bewegung der Glieder wirken. Bei der Anordnung der Mus - keln war der Zweck nicht, mit kleiner Kraft große Laſten zu heben, ſondern er beſteht offenbar darin, die Kraft ſo anzuwenden, daß durch ſehr geringe Verkuͤrzung oder Verlaͤngerung des dieſe Kraft ausuͤbenden Muskels die Glieder einen bedeutenden Weg durchlaufen, ſo wie es zu dem Zwecke ihrer Thaͤtigkeit noͤthig iſt. Aus dieſem Grunde ſind die Muskeln ſehr nahe am Drehungspuncte des He - bels angebracht, und zugleich ſo, daß ſie den Gelenken kein dickes und unfoͤrmliches Anſehen geben; aber eben deshalb mußten ſie eine große Spannung ertragen koͤnnen, und die geheimnißvolle Kraft der Seele, die Muskeln zu verlaͤngern oder zu verkuͤrzen, mußte ſich in ihnen ſo maͤchtig zeigen, wie ich es ſogleich angeben will. Borelli giebt uͤber die Muskeln des Armes, welche am Ellenbogen die Biegung des Gelenkes bewirken, Folgendes an. Wenn man den Arm ſo ausſtreckt (Fig. 22.), daß eine Beugung des Ellenbogens den vordern Theil des Armes hinaufwaͤrts be - wegen wuͤrde, ſo kann ein ruͤſtiger Mann an den Fingerſpitzen54 eine Laſt von 26 Pfunden tragen, zu denen man noch wegen des Gewichtes des Vorder-Armes 2 Pfund hinzurechnen muß. Bei dieſer Lage des Armes ſind es zwei Muskeln, der musculus bi - ceps und der musculus brachieus, welche das Gewicht erhalten; dieſe Muskeln ziehen in einer ſehr ſchiefen Richtung, und wirken daher ſo wie (Fig. 23.) eine nach fe an der Rolle df ziehende Kraft, welche den Punct f nur um einen Zoll fortzubewegen braucht, waͤhrend der 20 mal ſo entfernte Punct D zwanzig Zoll durchlaͤuft. Soll alſo in D eine Kraft von 28 Pfund erhalten wer - den, ſo muß in f, da nach Borelli das Gewicht zwanzigmal ſo entfernt als der Muskel wirkte, eine zwanzigmal ſo große Kraft von 560 Pfunden wirken, und ſo groß rechnet Borelli die von beiden Muskeln gemeinſchaftlich ausgeuͤbte Kraft. Haͤlt man dage - gen den Ober-Arm vertical herabwaͤrts, den Vorder-Arm hori - zontal, ſo daß die innere Seite der Hand aufwaͤrts gekehrt iſt, ſo kann man an den Fingerſpitzen 33 Pfund tragen, alſo etwa 35 Pfund, wenn man das Gewicht des Vorder-Arms mit rechnet, dies ruͤhrt daher weil die Entfernung AC (Fig. 24.) ungefaͤhr 16 mal ſo groß als AB iſt, und die Muskeln jetzt in etwas vortheilhafte - rer Lage, als vorhin, ziehen (Fig. 24.). Borelli rechnet aus, wie viel jeder der beiden Muskeln einzeln zu tragen vermag, indem er bemerkt, daß bei ſtark zuruͤckgebeugtem Ober-Arme, wenn der (alsdann einen ſpitzen Winkel mit dem Ober-Arme bildende) Vor - der-Arm horizontal gehalten wird, der musculus brachieus faſt gar nicht zu Erhaltung der Laſt, die man dann an den Fingern traͤgt, mitwirke; in dieſer Lage koͤnne man 25 Pfund tragen und die Wirkung des Muskels ſei nun ſo vortheilhaft, daß ſie nur 12 mal ſo groß, als die zu haltende Laſt, zu ſein brauche; dieſer Muskel allein beſitze alſo 300 Pfund Kraft. Auf ebenſolchen Gruͤn - den beruhet folgende Berechnung Borelli's. Wenn ein Mann, der ſelbſt 180 Pfund wiegt, noch 200 Pfund auf dem Nacken traͤgt, und waͤhrend der eine Fuß gehoben wird, mit etwas gebogenem Knie ganz auf dem andern Fuße ruht, uͤben die an der convexen Rundung des Kniees aufliegenden Muskeln eine Kraft von 2280 Pfunden aus.

Die Berechnung, welche Kraft die Muskeln beim Zerbeißen einer harten Nuß anwenden, beruht ebenſo auf den Geſetzen des55 Hebels, und man ſetzt dabei voraus, daß man das Gewicht, unter deſſen Laſt die Nuß zerdruͤckt wird, kenne*)Borelli de motu animalium p. 30. 31. 49.. Daß man das Tra - gen eines Gewichtes noch ſchwieriger mache, wenn man es an einem in der Hand gehaltenen Stabe mit ausgeſtrecktem Arme haͤlt, laͤßt ſich auch leicht uͤberſehen. Hier wird naͤmlich erſtlich der Hebel-Arm, an welchem das Gewicht wirkt, durch die Laͤnge des Stabes ver - groͤßert, und die in gleicher Entfernung vom Drehungspuncte wirkende Muskelkraft muß daher groͤßer ſein; aber zweitens muß ich noch eine ganz neue Kraft anwenden, indem ich den auf dem Zeigefinger liegenden Stab mit dem Daumen niederdruͤcke und ſo meinen Zeigefinger oder einen andern Theil der Hand zum Unterſtuͤtzungspuncte des Hebels, den der Stab darſtellt, mache; hier muß der Daumen, wenn 1 Pfund am Stabe haͤn - gend zehnmal ſo entfernt als der Daumen vom Zeigefinger an - gebracht iſt, 10 Pfund Kraft ausuͤben und der Zeigefinger den Druck von 11 Pfunden tragen.

Staͤrke der Balken.

Eine andre Anwendung der Lehre vom Hebel bietet die Beſtimmung des Widerſtandes dar, den wir bei dem Zerbrechen feſter Koͤrper finden. Die abſolute Feſtigkeit lernten wir durch die Kraft, welche zum Zerreißen des Koͤrpers noͤthig iſt, kennen, dagegen nennen wir relative Feſtigkeit denjenigen Widerſtand des Zuſammenhanges, der ſich dem Zerbrechen ent - gegenſetzt. Wenn ein Stab oder Balken in C unterſtuͤtzt, in A und B aber mit Gewichten beſchwert wird, ſo zerbricht er, und es erhellt nun erſtlich, daß das Gewicht B oder A mit deſto groͤßerer Gewalt wirkt, je entfernter von der Unterlage C (Fig. 25.) es angebracht iſt, ſo daß in der doppelt ſo großen Entfer - nung ein halb ſo großes Gewicht eben die Wirkung leiſten wuͤrde. Die relative Feſtigkeit iſt daher der Laͤnge umgekehrt proportional, und dies wiſſen wir ſehr gut, und unternehmen es eher einen laͤngern Stab als einen kurzen eben ſo dicken zu zerbrechen. Daß die relative Feſtigkeit zweitens der Menge der zu zerreißenden Theilchen gemaͤß waͤchſt, iſt offenbar, aber wenn in E ein Theil -56 chen ebenſoviel Gewalt des abſoluten Zuſammenhanges beſitzt als ein zweites in D, ſo leiſtet das in D viel groͤßern Widerſtand, weil eine ſo entfernt von C wirkende Kraft wirkſamer iſt. Ent - ſtaͤnde alſo der Widerſtand auch nur aus dem Zuſammenhange der drei Theilchen D, E, F im einen, d, e, f im andern Bal - ken, ſo waͤre doch fuͤr den erſtern eine doppelt ſo große Kraft zum Zerbrechen noͤthig, wenn D doppelt ſo weit als d, E dop - pelt ſo weit als e, F doppelt ſo weit als f von dem Drehungs - puncte entfernt waͤre; da nun im doppelt ſo hohen Balken zu - gleich doppelt ſo viele Theilchen uͤber einander liegen, und jedes mit doppelter Gewalt wirkt, ſo iſt die relative Feſtigkeit viermal ſo groß beim doppelt ſo hohen, neunmal ſo groß beim dreimal ſo hohen, hundertmal ſo groß beim zehnmal ſo hohen Balken. Hierauf beruht die große Feſtigkeit eines ſchmalen, in die hohe Kante geſtellten Brettes; waͤre es zum Beiſpiel 2 Zoll dick und 12 Zoll breit, ſo kaͤme bei flacher Lage nur 2 als Hoͤhe vor und 2 mal 2 mal 12 = 48 gaͤbe die Feſtigkeit in Vergleichung gegen einen 1 Zoll breiten und 1 Zoll dicken Stab an, das heißt jenes fordert 48 mal ſo viel Kraft zum Zerbrechen bei gleicher Laͤnge, als dieſer; aber wenn 12 die Hoͤhe iſt und 2 die Breite, ſo hat man dagegen 12 mal 12 mal 2 = 288 als Ausdruck der Feſtigkeit. Ein Brett von ½ Zoll dick und 12 Zoll breit wuͤrden wir ziemlich leicht zerbrechen, wenn es auf der breiten Seite aufliegt, aber es iſt eine 24 mal ſo große Kraft dazu noͤthig, wenn es auf der hohen Kante liegt.

Die Frage, wie man aus dem cylindriſchen Baume den ſtaͤrk - ſten Balken ſchneidet, gehoͤrt auch hieher. Der Querſchnitt des Balkens muß etwas hoͤher als breit ſein, das iſt offenbar; die ge - naue Beſtimmung koͤnnte ein guter Rechner durch einiges Probiren, welche zuſammengehoͤrigen Breiten und Hoͤhen am meiſten Staͤrke geben, finden; die Breite $$\frac{58}{100}$$ des Durchmeſſers und die Hoͤhe $$\frac{82}{100}$$ des Durchmeſſers wuͤrden ſich als die vortheilhafteſten zeigen*)Die Conſtruction, welche den ſtaͤrkſten Balken angiebt, iſt fol - gende: Um die Seiten des Balkens, der am ſtaͤrkſten iſt, zu zeichnen, theilt man den Durchmeſſer des Cylinders AB (Fig. 28.) in drei gleiche Theile, errichtet in dem einen Drittelpuncte D die Senkrechte DE, zieht.

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Auch der Grund, warum ein elaſtiſcher Stab, am einen Ende in A (Fig. 26.) befeſtiget, am andern Ende D mit einem Gewichte beſchwert, ſich nicht uͤberall gleich ſtark kruͤmmt, erhellt hieraus; denn das in P ziehende Gewicht uͤbt weniger Gewalt zu Befoͤrderung der Kruͤmmung in B als in C aus, und die Kruͤm - mung muß alſo gegen A hin ſtaͤrker werden. Die wahre Geſtalt, die der gleichfoͤrmig elaſtiſche Stab annimmt, oder die elaſtiſche Curve, laͤßt ſich hieraus beſtimmen.

Die Holzverbindungen, wo ſchief ſtuͤtzende Stuͤcke die horizon - talen Balken tragen, die Verbindung von Balken, die man Haͤnge - werke nennt, und aͤhnliche, beruhen gleichfalls theils auf einer Zer - legung der Kraͤfte, theils auf dem Geſetze der am Hebel wirkenden Kraͤfte.

Rad an der Welle und Raͤderwerk.

Eine andre, viele Faͤlle umfaſſende Anwendung der Geſetze des Hebels bietet das Rad an der Welle und das Raͤderwerk dar. Man verſteht unter dem Rade an der Welle diejenige Verbindung, wo die Laſt am Umfange eines Cylinders AB (Fig. 29.) von kleinerem Durchmeſſer zieht, die Kraft dagegen an einem Rade ED von groͤßerm Durchmeſſer; hier ſteigt die aufgezogne Laſt um einen Umfang der Welle AB, waͤhrend die Kraft ſoviel, als der Um - fang des Rades betraͤgt, fortziehen muß, und die Kraft iſt wieder in eben dem Maaße geringer, als der durchlaufene oder zu durch - laufende Weg groͤßer iſt. Daß dieſes Werkzeug ganz mit dem Hebel zu vergleichen iſt, laͤßt ſich ſo uͤberſehen. Wenn (Fig. 29. ) EDF die Flaͤche des Rades, AB den Querſchnitt der Welle vor - ſtellt, ſo iſt der Mittelpunct C der eigentliche Drehungspunct und es mag nun, wenn die Laſt in B hinabwaͤrts zieht, die Kraft in D hinaufwaͤrts oder in E herabwaͤrts ziehen, immer wird ECB oder*)AE, BE und die dazu parallelen Seiten AF, BF, dann iſt AEBF derjenige Balken, welcher, wenn BE vertical liegt, dem Brechen am meiſten widerſteht. Dies iſt eine leicht zu findende Conſtruction, die ſich auf die aus andern Gruͤnden bekannte Ueberzeugung ſtuͤtzt, daß ſich die zwei Seiten des ſtaͤrkſten Balkens und der Durchmeſſer wie 1 zu 2, zu 3 verhalten.58 CBD als ein Hebel anzuſehen ſein, an welchem Kraͤfte Drehungen nach entgegengeſetzten Richtungen zu bewirken ſtreben; daß aber dann die Kraft bei E in eben dem Verhaͤltniſſe gegen B gerechnet geringer ſein darf, als der Abſtand CE groͤßer in Verhaͤltniß gegen CB iſt, habe ich ja ſchon gezeigt. Das Raͤderwerk in Uhren und Maſchinen iſt ganz aͤhnlich eingerichtet. Hier zieht zum Beiſpiel (Fig. 30.) die Laſt P an der Axe C und ein Rad von 10mal ſo großem Durch - meſſer, welches an ſeinem Umfange Zaͤhne hat, wuͤrde an ſeinem Umfange nur eine Kraft ein Zehntel ſo groß als P fordern; die an - zubringende Kraft wirkt aber hier nicht unmittelbar, ſondern mit Huͤlfe eines zweiten Rades, und wenn hier wieder DF zehnmal ſo groß als DE iſt, ſo uͤbt eine Kraft von einem Pfunde in F wir - kend, auf E einen Druck von 10 Pfunden aus, und dieſer Druck von 10 Pfunden auf die Zaͤhne des erſten Rades haͤlt 100 Pfunden am Umfange der Welle C das Gleichgewicht. Hier iſt alſo 1 Pfund in F hinreichend, um 100 Pfunden in C das Gleichgewicht zu hal - ten; aber indem das Gewicht P ſich um ſoviel hebt, als der Um - fang der Welle C betraͤgt, muß die Kraft F das Seil, woran ſie zieht, hundertmal ſo weit fortziehen; es dreht ſich naͤmlich unter - deß das Rad CG, deſſen Umfang 10mal ſo groß als der Umfang ſeiner Welle iſt, auch ein ganzes Mal, und da jeder Zahn an EG einen Zahn an ED mitnimmt, ſo dreht ſich das kleine gezaͤhnte Rad ED ebenſo ſchnell fort, und die Geſchwindigkeit am Umfange F iſt wieder 10mal ſo groß als in E, das iſt 100mal ſo groß, als die Geſchwindigkeit der Laſt. Man wendet das gezaͤhnte Rad oft mit einer aus wenigen Schraubengaͤngen beſtehenden Schraube verbunden an. Der zwiſchen die Zaͤhne eingreifende Schraubengang ſchiebt den ei - nen Zahn um ſo viel vorwaͤrts, als der Abſtand der Schraubengaͤnge von einander betraͤgt, und indem dieſer vorbei geruͤckt iſt, wird ein zweiter Zahn fortgetrieben. Weil hier dieſelben Schraubengaͤnge immer aufs Neue wirken, ſo nennt man die Schraube eine Schraube ohne Ende.

Auch den Flaſchenzug kann ich hier doch nicht ganz uͤbergehen, da er ein ſo wichtiges Mittel zu Vermehrung der Hebekraft da darbietet, wo kein ſchnelles Heben der Laſt erfor - derlich iſt. Wenn (Fig. 35.) das Gewicht P mit der Rolle C verbunden iſt, und das um die Rolle C gehende Seil iſt in A59 feſtgeknuͤpft, indem an B die erhaltende Kraft aufwaͤrts zieht, ſo braucht dieſe offenbar nur ſo groß, als die Haͤlfte von P zu ſein, da der Haken die eine Haͤlfte der Laſt traͤgt. Sind zwei verbundene Rollen F, G, die um ihre Axen frei beweglich ſind, in I aufgehaͤngt (Fig. 36.), und iſt an den beiden andern ver - bundenen Rollen K, L, die Laſt P befeſtigt, ſo haͤngt dieſe, wenn das in M feſtgeknuͤpfte Seil, ſo wie MKNOQRSTV zeigt, um die Rollen geht, an vier Seilen MK, ON, QR, TS, und jedes Seil traͤgt nur ein Viertel der Laſt; die nach V ziehende Kraft von 10 Pfunden erhaͤlt ein Gewicht T = 40 Pfund. Soll aber die Laſt um 1 Fuß gehoben werden, ſo muͤſſen alle vier Seile um 1 Fuß verkuͤrzt werden, die in V angreifende Kraft muß alſo das Seil um 4 Fuß fortziehen, und der Gewinn an Kraft fordert einen in eben dem Verhaͤltniſſe groͤßern Aufwand an Geſchwindigkeit.

Moment.

Die ungleiche Wirkſamkeit einer in groͤßerer oder kleinerer Entfernung vom Drehungspuncte angebrachten Kraft nennt man ihr Moment, und man ſagt daher, daß die Momente zweier Kraͤfte am Hebel oder am Rade mit der Welle gleich ſind, wenn das Gleichgewicht beſteht. Hieraus iſt es denn auch verſtaͤndlich warum man in gewiſſen Faͤllen die Reibung, wenn ſie gleich an ſich ebenſo ſtark wirkt, fuͤr weniger nachtheilig als in andern Faͤllen zu halten hat, naͤmlich dann, wenn ſie ein geringes Mo - ment hat. Wenn man die Welle AB des Rades CD (Fig. 29.) auf einer Unterlage ruhen laͤßt, ſo findet die Reibung an dieſem Umfange ſtatt; die Reibung ſelbſt wird nicht geringer, wenn man die Welle auf dem duͤnnen Zapfen C ruhen laͤßt, aber jetzt wirkt der Widerſtand der Reibung ſehr nahe am Mittelpuncte und hat daher ein geringes Moment; waͤre der Zapfen nur ein Zehntel ſo dick als die Welle, ſo wuͤrde die Reibung jetzt mit einer nur ein Zehntel ſo großen Kraft, als vorhin, uͤberwunden werden. Aus dieſem Grunde drehen ſich die auf einem duͤnnen Fuße laufenden Kreiſel ſo ungemein lange. Sie leiden allerdings an dem Fußpuncte eine Reibung, aber dieſe wirkt ſo nahe an der Drehungs-Axe, daß ſie nur in geringem Grade zu Ver -60 minderung der Bewegung beitragen kann, und daher koͤmmt es, daß die wenig gehinderte Bewegung, ſo wie die Traͤgheit es for - dert, ſehr lange faſt ungeaͤndert fortdauert. Daß man deshalb die Reibung allemal gern an duͤnnen Zapfen wirken laͤßt, und dieſe am liebſten von hartem Stahle macht, verſteht ſich nun von ſelbſt. Aber auch der Nutzen der Reibungsrollen oder Fric - tionsrollen laͤßt ſich uͤberſehen. Wenn (Fig. 31.) die Welle CD auf einer feſten Ebne A aufliegt, ſo uͤbt die Reibung einen ge - wiſſen Widerſtand aus; liegt die Welle aber auf zwei um duͤnne Zapfen ſich drehenden Rollen E, F, ſo vermindert ſich dieſer Widerſtand beinahe in dem Verhaͤltniſſe, wie der Durchmeſſer der Zapfen geringer als der Durchmeſſer der Rollen iſt: bei - nahe genau, weil die Reibung, die am Umfange der Rollen ent - ſteht, nur ſehr geringe iſt, ſo wie uͤberhaupt die Reibung beim Fortwaͤlzen ziemlich unbedeutend iſt. Hierauf beruht der Vor - theil hoher Wagenraͤder, deren Durchmeſſer naͤmlich in Verglei - chung gegen die eben ſo dick bleibende Axe groͤßer iſt. Der Vor - theil der breiten Felgen beſteht in etwas Anderm, naͤmlich darin, daß das Hineinſinken zwiſchen zwei hoͤher liegende Steine ſelt - ner vorkoͤmmt, und daher nicht ſo oft ein neues Heben auf die Hoͤhe des vorliegenden Steines noͤthig iſt.

Schwerpunct.

An dieſe reichhaltige Lehre vom Hebel ſchließt ſich die Lehre vom Schwerpuncte an. Wenn an einer Stange ein Gewicht haͤngt, und man will dieſes, indem man die Stange in A und B ergreift, forttragen, ſo muͤſſen freilich (Fig. 32.) die in A und B wirkenden Kraͤfte zuſammen der Laſt gleich ſein, aber unter einander gleich duͤrfen ſie nicht ſein, wenn die Abſtaͤnde AC, BC ungleich ſind. Man kann ihre Groͤße ſo beſtimmen. Wuͤrde A ganz feſt gehalten, ſo brauchte B nur ein ſolcher Theil von P zu ſein, wie AC von AB iſt, zum Beiſpiel, wenn, wie in der Figur, AC = AB iſt, hat B nur des Gewichtes P zu tragen, die uͤbrigen traͤgt A, und man hat alſo die Regel: Man theile die Laſt in ſo viel Theile als die ganze Entfernung AB enthaͤlt, ſo hat A ſo viele ſolcher Theile zu tragen, als die Entfernung BC angiebt, und B hat ſo viele ſolche Theile zu tra -61 gen, als die Entfernung AC angiebt. Wenn zwei Menſchen von ungleicher Staͤrke eine Laſt tragen, ſo muß der ſchwaͤchere in B, weiter entfernt von dem belaſteten Puncte angreifen, als der ſtaͤrkere. Hier iſt die geſammte Wirkung der beiden in A, B wirkenden Kraͤfte in C ſo vereinigt, daß ſie dort eine ihrer Summe gleiche Laſt tragen, ohne eine Drehung zu bewirken, und C heißt daher der Mittelpunct dieſer Kraͤfte. Ebenſo wenn (Fig. 33.) zwei Gewichte P = 18, Q = 14 Pfunde herabwaͤrts ziehen, ſo traͤgt die Unterlage in C die Summe beider Gewichte, und wenn AC zu CB wie 14 zu 18 iſt, ſo bleibt alles im Gleichgewichte; die geſammte Wirkung der beiden Gewichte iſt ein auf C aus - geuͤbter Druck, und C heißt nun der Mittelpunct dieſer Kraͤfte oder ihr Schwerpunct. Der Schwerpunct iſt alſo derjenige, in welchem die ganze Wirkung zweier oder mehrerer parallel wirkender Gewichte ſich vereinigt. Wenn ich den ganzen Hebel AB mit den daran haͤngenden Gewichten an dem Seile DC trage, ſo iſt es ganz ſo, als ob die Summe der Gewichte in C hinge, indem der Hebel kein Beſtreben, nach einer Seite ſich zu heben, nach der andern ſich zu ſenken, zeigt.

Haͤngen mehrere Gewichte an der Linie AE, zum Beiſpiel (Fig. 34.) in A, B, D, E, ſo beſtimmt man den Schwerpunct ebenfalls leicht. Wenn in A 5 Pfund, in B 7 Pfund, in D 12 Pfund, in E 1 Pfund haͤngen, ſo theilt man AB in 5+7 Theile, und es iſt ſo gut, als ob 12 Pfund in F hingen; eben - ſo theilt man DE in 13 = 12+1 Theile, und es iſt ſo gut als ob 13 Pfund in G hingen; endlich theilt man FG in 25 Theile, und auf dem zwoͤlften Theilungspuncte von G her liegt der Schwerpunct H aller vier Gewichte, eine Kraft in H auf - waͤrts ziehend, muͤßte 25 Pfund betragen und erhielte dann alles im Gleichgewichte. Eben ſo, wie es hier einen Schwerpunct fuͤr vier Gewichte giebt, ſo laͤßt ſich nun auch der Schwerpunct eines ganzen Koͤrpers als derjenige Punct bezeichnen, den man unter - ſtuͤtzen muß, um den ganzen Koͤrper im Gleichgewichte zu erhal - ten. Wenn man (Fig. 37.) in einem, aus gleichfoͤrmigem Blech geſchnittenen Drei-Ecke ABC die Linie AD von der Spitze nach der Mitte der Grundlinie zieht und dieſe mit einer Meſſer - ſchneide unterſtuͤtzt, ſo iſt das Drei-Eck im Gleichgewichte, weil62 BD mit CD, bd im Gleichgewichte iſt. Zieht man ebenſo BE nach der Mitte der AC, ſo wuͤrde auch BE unter - ſtuͤtzt werden duͤrfen, um das Drei-Eck im Gleichgewichte zu er - halten. Aber es braucht nicht eine dieſer Linien ganz unterſtuͤtzt zu werden, ſondern eine Nadelſpitze unter dem Durchſchnitts - puncte F beider, als Unterſtuͤtzung, angebracht, erhaͤlt das ganze Drei-Eck im Gleichgewichte, und F iſt des Drei-Ecks Schwer - punct. Eben ſo erhalten wir eine Kreisflaͤche ohne daß ſie ſich nach einer Seite ſenkt, wenn wir ihren Mittelpunct unterſtuͤtzen; wuͤrde dagegen ein andrer Punct neben dem Mittelpuncte unter - ſtuͤtzt, ſo wuͤrde der Kreis nach der Richtung hinabſinken, wie es geſchaͤhe, wenn der Mittelpunct allein mit dem ganzen Gewichte des Kreiſes belaſtet waͤre. Der Schwerpunct liegt uͤbrigens nicht immer in der Maſſe des Koͤrpers ſelbſt, ſondern ein kreisfoͤrmi - ger Reifen zum Beiſpiel hat den Schwerpunct im Mittelpuncte, obgleich dieſer Mittelpunct keinen Theil der Maſſe des Reifens enthaͤlt. Zoͤge man einen feinen Faden als Durchmeſſer des Kreisringes und hielte dieſen Faden in ſeiner Mitte an einem angeknuͤpften Faden feſt, ſo wuͤrde der Ring horizontal ſchwebend erhalten.

Hiernach laſſen ſich nun die Umſtaͤnde beſtimmen, wann ein Koͤrper auf einer beſtimmten Unterſtuͤtzung ruhen kann, oder nicht. Iſt er nur in einem Puncte unterſtuͤtzt, ſo muß dieſe Unterſtuͤtzung entweder im Schwerpuncte ſelbſt, oder ſenkrecht uͤber, oder ſenkrecht unter demſelben angebracht ſein; und wenn ſie unterhalb des Schwerpunctes liegt, ſo ruht der Koͤrper zwar ſo lange, als der Schwerpunct ſich genau grade uͤber ihr befindet, er faͤllt aber herab, wenn er durch einen Zufall oder durch eine ſeitwaͤrts wirkende Kraft um etwas Geringes aus dieſer Lage ge - ruͤckt iſt. Bei der Lage AB, (Fig. 38.) koͤnnte ſelbſt die Kugel auf einer Nadelſpitze D ruhen, aber ſobald ſie in die Lage ab ruͤckt, ſo iſt ihr Schwerpunct e nicht unterſtuͤtzt und faͤllt un - fehlbar, wenn man nicht durch ſchnelle Unterſtuͤtzung des richti - gen Punctes dieſes hindert. Waͤre dagegen die Kugel oberhalb des Schwerpunctes in D (Fig. 39.) unterſtuͤtzt, ſo wuͤrde bei einer geringen Verruͤckung der Schwerpunct c gehoben werden, weil die Drehung um D ſtatt faͤnde, und nun wuͤrde er nach C63 zuruͤckſinken, das Gleichgewicht alſo ſich herſtellen; in dieſem Falle heißt das Gleichgewicht ein ſicheres Gleichgewicht, ſtatt daß es im andern Falle ein unſicheres oder wanken - des, leicht zerſtoͤrbares, heißen wuͤrde. Nach der Lage des Schwer - punctes beurtheilen wir, ob ein Koͤrper feſtſtehe, Stabilitaͤt beſitze, oder nicht. Dem Koͤrper ABCD (Fig. 40.) wuͤrden wir keine Feſtigkeit in der Stellung zutrauen; denn da wir den Schwerpunct am natuͤrlichſten in der Mitte der Figur ſuchen, in E, ſo glauben wir dieſen ununterſtuͤtzt zu ſehen, indem die Linie EF uͤber die Grundflaͤche AB hinausfaͤllt, und E unge - hindert ſinken kann. Indeß koͤnnte ein ungleichfoͤrmiger Koͤrper, der unten aus Blei, oben aus Holz beſtaͤnde, dennoch feſtſtehen; denn bei dieſem wuͤrde der Schwerpunct tiefer, etwa in G liegen, und wenn die durch G gezogene Verticallinie noch in die Grund - flaͤche AB trifft, ſo hat der Koͤrper keine Neigung umzuſtuͤrzen. Hierauf beruht das Feſtſtehen und das Zuruͤckkehren zur auf - rechten Stellung bei den unten mit Blei beſchwerten menſchlichen Figuren, mit welchen die Kinder ſich zu beluſtigen pflegen; der Schwerpunct liegt hier, da der obere Theil der Figur ſehr leicht iſt, in der Bleihalbkugel, und er hat daher beim aufrechten Ste - hen eine niedrigere Lage, als wenn man die Figur auf die Seite legt. Der ſehr ſichere Stand einer Figur, die in der Hand einen tief hinabreichenden, unten ſehr beſchwerten Stab traͤgt, laͤßt ſich ebenſo erklaͤren. Wenn die Kugel (Fig. 41. ) D viel mehr als die Figur BC wiegt, ſo wuͤrde der Schwerpunct nahe bei D, etwa in E zu ſuchen ſein, und dieſer befindet ſich bei der eintre - tenden ruhigen Stellung vertical unter dem Puncte C, auf wel - chem die Figur ruht; bringt man die Figur in die Stellung Cb, ſo hebt man die Kugel nach d, und der Schwerpunct E wird gehoben, er ſtrebt alſo zu ſinken und kehrt, da C immer in demſelben Puncte bleibt, in ſeine alte Stellung zuruͤck. Nach der Lage des Schwerpunctes beurtheilen wir, ob ein Menſch eine gewiſſe Stellung annehmen kann. Wenn jemand zuruͤckgelehnt auf dem Stuhle ſitzt, ſo kann er nicht aufſtehen, ohne ſich vor - waͤrts zu buͤcken, denn der Schwerpunct muß erſt bis uͤber die Fuͤße hin vorruͤcken, ehe man ſich vom Stuhle erheben kann. Wenn ein Mann eine ſchwere Laſt auf dem Ruͤcken traͤgt, ſo64 muß er ſich voruͤberbeugen, damit der Schwerpunct der geſammten Maſſe, ſeines eignen Koͤrpers naͤmlich und der auf dem Ruͤcken befeſtigten Laſt, grade uͤber den Fußſohlen liege; will er fortſchrei - ten, ſo muß er ſich noch etwas mehr vorwaͤrts beugen, damit der Schwerpunct beim Heben des einen Fußes ein wenig vor dem an - dern Fuße liege, und nun erſt durch Auftreten mit jenem Fuße wieder ſeinen Ruhepunct finde. Wir alle lehnen uns mehr vor - waͤrts bei ſchnellem Gehen, damit ſogleich nach dem Auftreten des gehobnen Fußes der Schwerpunct wieder uͤber den unterſtuͤtzten Punct hinausgeruͤckt ſei. Menſchen, welche Laſten auf dem Kopfe tragen, gehen ſehr grade aufrecht, damit theils die auf dem Kopfe nur in wenigen Puncten unterſtuͤtzte Laſt nicht herabfalle, theils auch der hoch hinauf geruͤckte Schwerpunct des oben belaſteten Koͤr - pers nicht zu weit vorwaͤrts liege; ſie ſchreiten in kleinen Schritten vorwaͤrts, damit die Bewegung moͤglichſt gleichfoͤrmig ſei, und die am Kopfe nicht befeſtigte, ſondern frei aufliegende Laſt nicht bei ploͤtzlich ſchneller und ploͤtzlich abgeſetzter Bewegung durch die Traͤg - heit beim ploͤtzlichen Anhalten der Bewegung vorruͤcke; iſt es ſogar ein Gefaͤß mit Waſſer oder ein Milch-Eimer, den ſie ſo tragen, ſo muͤſſen ſie um ſo mehr dieſe Vorſicht beobachten, da die fluͤſſige Maſſe ſogleich beim ploͤtzlichen Anhalten der Bewegung durch die Traͤgheit weiter nach vorne gefuͤhrt wuͤrde und die Gefahr des Her - unterfallens vermehrte.

Die Regel, daß man auf einem Wagen ſitzend, wenn dieſer umzuſtuͤrzen droht, nicht aufſtehen, am wenigſten an der hinab - waͤrts geneigten Seite aufſtehen ſoll, erklaͤrt ſich ebenfalls hieraus; denn beim Aufſtehen ruͤckt der Schwerpunct hoͤher, und wenn er vielleicht ſchon um etwas Geringes uͤber die Grenze der Unter - ſtuͤtzung hinaus liegt, ſo wird das Moment der Kraft, die das Umſtuͤrzen bewirkt, noch vermehrt, und die Gefahr, daß bei et - was ſtaͤrkerer Neigung des Wagens der hoͤher liegende Schwer - punct uͤber die Unterſtuͤtzungspuncte hinausgefuͤhrt werde, iſt ebenfalls groͤßer. Wenn wir im Gehen ausgleiten und nach der rechten Seite zu fallen im Begriff ſind, ſo ſtrecken wir den linken Arm aus, damit der Schwerpunct ein wenig mehr auf die linke Seite, das iſt dahin ruͤcke, wo er noch uͤber den Unterſtuͤtzungs - puncten liegt, welche die Fuͤße darbieten, und dieſes Ausſtrecken65 des Armes iſt noch wirkſamer, wenn wir etwas Schweres in dieſer Hand halten. Dabei iſt das ſehr weite Ausſtrecken des Armes darum vortheilhaft, weil die, wenn gleich nicht bedeutend ſchweren, aber ſehr entfernten Theile ein großes Moment erhalten und da - durch auf die Fortruͤckung des Schwerpuncts wirken. Sind in A 20 Pfund, in B (Fig. 42. ) 1 Pfund, ſo liegt der Schwerpunct nur um $$\frac{1}{21}$$ AB von A entfernt, ruͤckt aber das eine Pfund ziem - lich weit bis C fort, ſo ruͤckt der Schwerpunct um $$\frac{1}{21}$$ BC von D nach d fort. Die Kuͤnſte der Seiltaͤnzer beruhen vorzuͤglich auf einer genauen Achtſamkeit auf die Lage des Schwerpunctes. So lange der Schwerpunct genau uͤber dem Seile liegt, ruht der Koͤrper ſelbſt auf dem ſchmalen Seile noch ſicher, aber da ein Hin - ausruͤcken des Schwerpunctes uͤber dieſe engen Grenzen unver - meidlich iſt, ſo erfordert es große Kunſt, durch Ausſtrecken des Armes oder auf aͤhnliche Weiſe, den Schwerpunct wieder ſenkrecht uͤber die Unterſtuͤtzung zu bringen; mit Huͤlfe einer ſchweren Ba - lancierſtange geht es, zumal wenn dieſe tief herabgehalten wird, etwas leichter. Auch diejenigen Kuͤnſte des Aequilibrirens, wo ſchwere Koͤrper in aufrechter Stellung, auf dem Finger oder auf einer Degenſpitze getragen, erhalten werden, beruhen auf einem ſorgfaͤltigen Wahrnehmen der Lage des Schwerpunctes. Ein ho - her, an ſeinem obern Ende ſchwerer Koͤrper laͤßt ſich, in ſeinem untern Puncte unterſtuͤtzt, leichter balanciren, als wenn der Schwerpunct niedriger laͤge. Wenn naͤmlich (Fig. 43. *) der Schwerpunct A nach a ausgewichen iſt, ſo iſt, wenn C den Un - terſtuͤtzungspunct vorſtellt, das Beſtreben zu fallen, noch ſehr geringe, und der unterſtuͤtzende Finger braucht nur langſam nach e fortzugehen, um das Gleichgewicht zu erhalten; iſt aber der niedriger in B liegende Schwerpunct, eben ſo weit, nach b aus - gewichen, ſo iſt das Beſtreben zu fallen, wegen der erlangten ſchiefern Richtung, groͤßer, und das weitere Umſtuͤrzen erfolgt zu ſchnell, um es durch ein Fortruͤcken nach c zu hindern.

Die Betrachtung der Lage des Schwerpunctes erklaͤrt zwei Phaͤnomene, die man gewoͤhnlich als auffallende anzufuͤhren pflegt, naͤmlich das Aufwaͤrtsrollen eines an einer Seite ſchwereren Cylin - ders auf einer geneigten Ebne, und das Aufwaͤrtsrollen eines Dop - pelkegels, der zwiſchen zwei, geneigten Ebnen aufliegt. Wenn einI. E66Cylinder (Fig. 43. ) AB an ſeiner einen Seite A mit Blei be - ſchwert iſt und beim Auflegen auf eine ſchiefe Ebne dieſe Seite den obern Platz einnimmt, ſo ſinkt der Schwerpunct, der etwa in C liegt, herab, dabei aber waͤlzt der ganze Cylinder ſich an der Ebne hin - aufwaͤrts, und hierin beſteht das Auffallende der Erſcheinung. Der Doppelkegel (Fig. 44. ) ABCD beſteht aus zwei gleichen, mit ihren Grundflaͤchen in CD zuſammen gefuͤgten Kegeln. Legt man ihn auf zwei geneigte, gegen EF zu naͤher an einanderſtehende Un - terlagen, die in E und F ihre tiefſten Puncte haben, ſo waͤlzt er ſich nach GH zu, obgleich dieſe Puncte die hoͤhern der geneigten Ebnen ſind; da naͤmlich dort der Zwiſchenraum weiter iſt, ſo ſenkt ſich ſein dickerer Theil zwiſchen die Unterlagen hinab und der Schwerpunct ſinkt, obgleich die Axe des Koͤrpers ſich hinauf waͤlzt, und es daher ſo ausſieht, als ſteige der ganze Koͤrper.

Die Waage.

Als eine Anwendung dieſer Lehre muß ich noch die Einrichtung unſrer gewoͤhnlichen Waage erklaͤren, deren Eigenſchaft, einen groͤ - ßern oder kleinern Ausſchlag zu geben, auf der Lage des Schwer - punctes beruht. Wir ſind gewohnt beim Hebel die eigne Schwere des Hebels nicht zu beruͤckſichtigen, und duͤrfen dies in den meiſten Faͤllen um ſo eher, da gewoͤhnlich die am Hebel wirkenden Kraͤfte ſehr viel groͤßer ſind, als das Gewicht des Hebels ſelbſt; aber bei der Waage koͤmmt dieſes dennoch ſehr in Betrachtung. Unſre ge - woͤhnliche Waage iſt ein gleicharmiger Hebel und ihre Richtigkeit wird daran erkannt, daß man die zum Gleichgewichte erforderlichen Gewichte vertauſcht, indem bei einiger Ungleichheit der Arme das zum Gleichgewicht am laͤngeren Arme erforderliche Gewicht etwas kleiner, als das am kuͤrzern iſt, bei der Verwechſelung alſo das Gleich - gewicht nicht mehr beſtehen koͤnnte. Waͤre nun die Waage in dem Schwerpuncte des Wagebalkens unterſtuͤtzt, ſo wuͤrde das geringſte Uebergewicht an einer Seite ein voͤlliges Herunterſinken dieſer Seite zur Folge haben, und das, was wir den Ausſchlag der Waage nen - nen, naͤmlich ein, nach Maaßgabe des Uebergewichtes geringeres oder ſtaͤrkeres Abweichen von der Gleichgewichtslage, faͤnde gar nicht ſtatt. Da es nun hoͤchſt unbequem waͤre, wenn nur bei ge - nauem Gleichgewichte die Waage ihren regelmaͤßigen Stand be -67 hielte, und beim geringſten Uebergewichte der Waagebalken ſogleich die verticale Stellung annaͤhme, ſo iſt der Drehungspunct des Waagebalkens nicht einerlei mit dem Schwerpuncte, ſondern jener liegt hoͤher als dieſer. Der dadurch erreichte Vortheil laͤßt ſich leicht uͤberſehen. (Fig. 45. ) Es ſei C der Punct, um welchen ſich die feſtverbundenen Theile CG, AB, der Waage drehen und der Schwerpunct des Waagebalkens befinde ſich in G; dann wird beim Gleichgewichte der Theil AB ſich horizontal ſtellen, und da CG ſenkrecht gegen die Mitte des Waagebalkens ſein muß, ſo hindert es waͤhrend des Gleichgewichtes nichts, daß G vom Drehungspuncte C entfernt liegt. Iſt aber in B ein Uebergewicht, ſo ſenkt ſich der Arm GB und dadurch ruͤckt der Schwerpunct G, ein wenig gehoben, auf die entgegengeſetzte Seite; indem nun erſtlich das leichtere Gewicht an A ein wenig weiter vom Unterſtuͤtzungspuncte fort ruͤckt, oder de groͤßer als AG, fh kleiner als GB iſt, und zweitens auch das Gewicht des Waagebalkens, welches wir als im Schwerpuncte G vereinigt anſehen koͤnnen, auf der Seite des leichtern Gewichtes her - abwaͤrts zieht, ſo tritt (vorausgeſetzt, daß das Uebergewicht bei B nicht zu groß iſt), ein Gleichgewicht bei maͤßiger Neigung des Waa - gebalkens ein. Iſt die Entfernung des Schwerpunctes G vom Drehungspuncte C ſehr geringe, ſo muß bei gleichem Uebergewichte die Neigung groͤßer werden, und die Waage heißt dann eine ſehr empfindliche, weil ſie einen großen Ausſchlag giebt; im entgegen - geſetzten Falle heißt ſie eine traͤge Waage. Goldwaagen und vollends diejenigen Waagen, die zu ſehr genauen, bis auf feine Theile des Grans gehenden Abwiegungen bei phyſicaliſchen oder chemiſchen Experimenten gebraucht werden ſollen, muͤſſen von der erſtern Art ſein. Die Sorgfalt, mit welcher man bei ſo feinen Waagen die Reibung zu vermindern ſucht, die dazu dienenden Anordnungen, um die Waage nur dann auf der feinen Meſſerſchneide, die den Dre - hungspunct darbietet, ruhen zu laſſen, wenn die Waage gebraucht wird, ſonſt aber ſie abzuheben und an andern Puncten zu unter - ſtuͤtzen, und aͤhnliche Vorſichts-Maaßregeln kann ich hier nicht um - ſtaͤndlich anfuͤhren.

Die Schnellwaage hat die Beſtimmung, mit einem ein - zigen Gewichte verſchiedene Laſten abzuwaͤgen. Iſt dieſes Gewicht als Beſchwerung des Hebel-Armes ſelbſt angebracht, ſo iſt derE 268Schwerpunct G des ganzen Werkzeuges ein fuͤr allemal als mit dem beſtimmten Gegengewichte belaſtet anzuſehen. Wird dann in A eine unbekannte Laſt angehaͤngt, indem C der Unterſtuͤtzungspunct iſt (Fig. 46.), ſo giebt die Entfernung AC die Groͤße dieſer Laſt an. Geſetzt die ganze Schnellwaage ſei 10 Pfund ſchwer, und man finde, daß AC halb ſo groß als CG ſein muß, damit das Gleichgewicht beſtehe, ſo iſt die angehaͤngte, abzuwaͤgende Laſt 20 Pfund, und es pflegt auf dem Arme ACG dieſe Zahl der Pfunde fuͤr jede Lage der Unterſtuͤtzung bemerkt zu ſein.

Man kann den Vortheil, mit kleinen Gewichten große Laſten abzuwaͤgen, durch eine angemeſſene Verbindung mehrerer Waage - balken noch mehr erhoͤhen, zum Beiſpiel durch eine ſolche Einrich - tung, wie (Fig. 10. *) zeigt. Hier iſt AB ein in E aufliegender Waagebalken, der mit der Stange BC und dem zweiten Waage - balken CD ſo verbunden iſt, daß eine Drehung um die Verbin - dungspuncte B und C ſtatt finden kann; das Ende D aber iſt um eine an den Unterlagen befeſtigte Axe D drehbar. Laͤßt man nun auf die Bruͤcke FG, die vermittelſt der Stuͤtze H auf den zweiten Hebel-Arm in H druͤckt, einen beladenen Wagen fahren, und be - laſtet zugleich die Waageſchale A, ſo wird, wenn AE fuͤnfmal ſo groß als EB iſt, ein Gewicht in A gleich 10 Pfunden, in B eine hinaufziehende Kraft von 50 Pfund hervorbringen, und wenn fer - ner CD fuͤnfmal ſo groß iſt, als HD, ſo widerſteht dieſe in C hinaufziehende Kraft von 50 Pfunden einer in H druͤckenden Kraft von 250 Pfunden; man hat alſo nur den 25ſten Theil des in H druͤckenden Gewichtes noͤthig, um auf der Waageſchale A der Laſt H das Gleichgewicht zu halten. Dies gewaͤhrt nicht bloß eine Be - quemlichkeit wegen des ſehr erleichterten Abhebens und Aufſetzens der Gewichte, ſondern der Druck auf die Unterlagen wird auch ge - ringer. Wollte man 2500 Pfund mit der gewoͤhnlichen Waage abwaͤgen, ſo muͤßte man die zweite Schale mit 2500 Pfund, alſo die Unterlage mit 5000 Pfund belaſten; hier hingegen muͤſſen, wenn in H 2500 Pfund druͤcken, in C 500 Pfund hinauf ziehen und D leidet doch nur einen Druck von 2000 Pfunden, E einen Druck von 600 Pfunden, weil in A nur 100 Pfund noͤthig ſind, um in D den Druck von 500 Pfunden hervorzubringen.

69

Kettenlinie.

Noch einen Gegenſtand muß ich hier erwaͤhnen, naͤmlich die Beſtimmung der Form, welche eine in zwei Puncten aufgehaͤngte uͤberall gleich ſchwere Kette annimmt. Wenn mehrere Koͤrper ſo verbunden ſind, daß ſie um ihre Verbindungspuncte ſich drehen, und gegen einander eine verſchiedene Lage annehmen koͤnnen, ſo nehmen ſie, frei aufgehaͤngt, diejenige Lage an, bei welcher der Schwerpunct jedes einzelnen Theiles die niedrigſte Lage erhaͤlt. Auf dieſes Geſetz gruͤndet ſich die Beſtimmung der Kettenlinie. Um dieſe Linie zuerſt practiſch anzugeben, um zu wiſſen, wie lang eine Kette ſein muß, die, in zwei beſtimmten Endpuncten A, E, be - feſtigt, bis zu einer gewiſſen Tiefe herabhaͤngen ſoll (Fig. 47.), zeichnet man in verkleinertem Maaßſtabe die Lage der drei Puncte, durch welche die Kettenlinie gehen ſoll, auf einer vertical ſtehenden Tafel auf, befeſtigt eine uͤberall gleich ſchwere Kette mit ihrem ei - nen Endpuncte, in einem der Aufhaͤngepuncte, und bringt, indem man die Kette allmaͤhlig weiter durch den andern Aufhaͤngepunct fortruͤcken laͤßt, ihren herabhaͤngenden Theil dahin, daß er den drit - ten Punct beruͤhrt; dann hat man das Modell der verlangten Ket - tenlinie, und kann daher theils die noͤthige Laͤnge der Kette, aus jenem verkleinerten Maaße auf wahres Maaß zuruͤckgefuͤhrt, ſchlie - ßen, theils auch alle einzelne Puncte, durch welche die Kette gehen, welche Hoͤhe ſie in jedem Puncte haben wird, beſtimmen. Dieſe Beſtimmung iſt bei der Errichtung von Kettenbruͤcken und in an - dern Faͤllen oft von Wichtigkeit. Auch die in jedem Theile der Kette wirkſame Kraft der Spannung, welche die Kette zu zerreißen ſtrebt, kann man durch einen Verſuch angeben, wenn man an der Stelle, wo man ſie zu wiſſen verlangt, eine Federwaage einſpannt, die durch die Laͤnge, zu welcher ſie ausgezogen wird, Pfunde und Lothe angiebt; man uͤbertraͤgt naͤmlich dann die im Modell gefun - dene Spannung auf das verhaͤltnißmaͤßige Gewicht der groͤßern Kette, ſo daß zum Beiſpiel die Pfunde der Federwaage Centner der Spannung angeben, wenn die Modellkette ſo viele Pfunde wiegt, als die wirklich zu gebrauchende Kette Centner.

Auch die Theorie der Kettenlinie iſt nicht ſchwer zu uͤberſehen. Da die aus der Spannung hervorgehenden, in horizontaler Richtung70 wirkenden Kraͤfte ſich einander im Gleichgewichte halten muͤſſen, der hinaufwaͤrts gerichtete Theil der Spannung aber das Gewicht der Kette traͤgt, ſo ergiebt ſich folgende Regel fuͤr die richtig gezeichnete Kettenlinie ABCDE (Fig. 47.). Wenn C ihr tiefſter Punct iſt, und man zieht in verſchiedenen Puncten D, d, Beruͤhrungslinien DG, dg ſo lang, daß die horizontalen Laͤngen DF, df gleich ſind, ſo muͤſſen die zugehoͤrigen verticalen Laͤngen FG, fg den vom un - terſten Puncte an gerechneten Bogen proportional ſein, alſo FG = 2fg, wenn CD = 2Cd iſt. Hier ſtellt naͤmlich DF oder df den aus der Spannung entſtehenden horizontalen Zug vor, FG, fg aber den verticalen Zug, der offenbar das ganze unterhalb liegende Gewicht der Kette traͤgt.

Dieſe Kettenlinie koͤmmt auch bei der Form der Gewoͤlbe vor. Wenn man zwei Staͤbe ſo auf einander ſetzt, daß (Fig. 48.) der eine ſich an die feſte Wand AB anlehnt, der andre auf dem Boden BC ruhet, ſo giebt es eine gewiſſe Stellung, bei welcher die in D ſich an einander ſtuͤtzenden Staͤbe AD, DC, ohne fremde Kraft ſich ſelbſt erhalten. Naͤhme man drei oder mehr Staͤbe, ſo koͤnnten auch dieſe bei gehoͤrig gewaͤhlter Neigung, ſo wie AD, DE, EF, ſich im Gleich - gewichte erhalten, und die Form, die man dieſer ganzen Verbindung von Staͤben geben muͤßte, ſtimmt, wenn alle Staͤbe gleich ſchwer ſind, deſto naͤher mit der Kettenlinie uͤberein, je mehrere der Staͤbe ſind; denn auch hier muß die nach horizontaler Richtung ſchie - bende Kraft bei allen gleich, die nach verticaler Richtung ſtuͤtzende und tragende Kraft der ganzen aufliegenden Laſt gleich ſein.

So reichhaltig in nuͤtzlichen Anwendungen iſt die Lehre vom Gleichgewichte der Koͤrper, und wenn ich hier vielleicht bei Gegen - ſtaͤnden, die vorzuͤglich ein practiſches Intereſſe gewaͤhren, zu lange mich aufgehalten habe, ſo muͤſſen Sie dieſes damit entſchuldigen, daß ich doch gern auf die zahlreichen Faͤlle hindeuten wollte, die als von dieſer Lehre abhaͤngig, ſich uns als Grundlage des ganzen Maſchinenbaues darbieten. Die Mechanik, zu welcher ich jetzt uͤbergehe, bietet uns noch mannigfaltigere, und zugleich hoͤchſt an - ziehende Anwendungen dar.

71

Sechste Vorleſung.

Geſetze des Falles der Koͤrper.

Wir haben, m. h. H., in dem Vorigen die Kraͤfte in ihrem Gleichgewichte betrachtet, wo naͤmlich die eine diejenige Wirkung zerſtoͤrte, welche die andre hervorzubringen im Begriffe war; da wo dieſe entgegengeſetzte Wirkſamkeit nicht ſtatt findet, iſt eine hervorgebrachte Bewegung die Wirkung der Kraft. Dauert die Einwirkung der Kraft nur eine Zeit lang, ſo iſt der Erfolg eine be - ſtimmte Geſchwindigkeit, die alsdann, vermoͤge der Traͤgheit, gleich - foͤrmig fortdauert; aber ſo lange die Kraft ihre Wirkung fortſetzt, wird die Geſchwindigkeit vermehrt, wenn naͤmlich die Kraft immer nach der gleichen Richtung hin treibt.

Eine Kraft wuͤrde gleichfoͤrmig beſchleunigend heißen, wenn ſie die Geſchwindigkeit des von ihr fortgetriebenen Koͤrpers in jeder gleichen Zeit um gleich viel vergroͤßerte, und wir wollen nun Mittel ſuchen, zu entdecken, ob die merkwuͤrdigſte Kraft, die wir in der Natur wirkſam ſehen, die Kraft der Schwere gleichfoͤrmig beſchleunigend ſei. Daß der herabfallende Stein, je laͤnger er ſchon gefallen iſt, deſto ſchneller faͤllt, wiſſen wir; aber ob er am Ende der zweiten Secunde ſich genau doppelt ſo ſchnell, am Ende der drit - ten Secunde ſich dreimal ſo ſchnell bewege, als am Ende der erſten Secunde, laͤßt ſich nicht ſo leicht beſtimmen; dagegen bieten ſich unſrer Beobachtung andre Beſtimmungen dar, und wir muͤſſen aus dieſen die Frage, ob die Schwere eine gleichfoͤrmig beſchleunigende Kraft ſei, zu beantworten ſuchen. Die Vergleichung der in der erſten Secunde, in den 2 erſten Secunden, in den 3 erſten Secunden, durchlaufenen Wege bietet uns ein Mittel hiezu dar. Waͤre wirk - lich die Schwere eine gleichfoͤrmig beſchleunigende Kraft von der Staͤrke, daß ſie in 1 Secunde dem freifallenden Koͤrper eine Ge - ſchwindigkeit von 30 Fuß ertheilte, ſo muͤßte die Geſchwindigkeit am Ende der 2ten Secunde 60 Fuß, am Ende der 3ten Secunde 90 Fuß ſein. Da nun der freifallende Koͤrper am Anfange der72 erſten Secunde gar keine, dagegen nach unſrer Vorausſetzung am Ende der erſten Secunde 30 Fuß Geſchwindigkeit hat, ſo iſt 15 Fuß ſeine mittlere Geſchwindigkeit und er muß 15 Fuß in der erſten Se - cunde durchlaufen; in der zweiten Secunde iſt ſeine mittlere Ge - ſchwindigkeit die mittlere zwiſchen 30 und 60, alſo 45 Fuß der Weg in der zweiten Secunde, 60 Fuß der Weg in den zwei erſten Se - cunden; in der dritten Secunde iſt der Weg 75 Fuß, naͤmlich das Mittlere zwiſchen 60 und 90, und ſo ferner. Bei jeder gleichfoͤr - migen Beſchleunigung iſt daher der Weg in der zweiten Secunde 3mal ſo groß als in der erſten, in der dritten Secunde 5mal ſo groß, in der vierten Secunde 7mal ſo groß als in der erſten, und da 1+3 = 4, 1+3+5 = 9, 1+3+5+7 = 16, die Reihe der Quadratzahlen 2 mal 2, 3 mal 3, 4 mal 4, giebt, ſo erhal - ten wir die Regel, daß die durchlaufenen Raͤume den Quadraten der Zeiten proportional ſind, das heißt, diejenige gleichfoͤrmig be - ſchleunigende Kraft, welche den Koͤrper in 1 Secunde durch 15 Fuß treibt, fuͤhrt ihn in 2 Secunden durch 4.15 Fuß, in 3 Secunden durch 9.15 Fuß, in 4 Secunden durch 16.15 Fuß und ſo weiter. Und hier haben wir alſo das Mittel zu entſcheiden, ob die Schwere eine gleichfoͤrmig beſchleunigende Kraft iſt, da wir die in beſtimm - ten Zeiten durchlaufenen Fallraͤume zu beobachten und zu vergleichen im Stande ſind. Die Erfahrung zeigt, daß die Schwere ſich wirklich dem angegebenen Geſetze gemaͤß verhaͤlt.

Um den Schwierigkeiten auszuweichen, die mit Fallverſuchen bei freier Einwirkung der Schwere verbunden ſind, dient die von Atwood angegebne Fallmaſchine*)Vergl. Gehlers Woͤrterbuch. Art. Fallmaſchine., an welcher man den Fall der Koͤrper ſo langſam, als man will, hervorbringen kann. Dieſe Vorrichtung dient erſtlich zu zeigen, wie die Geſchwindigkeit der fallenden Koͤrper bei verminderter beſchleunigender Kraft abnimmt, zweitens kann man an ihr die Groͤße der Fallraͤume in ungleichen Zeiten und drittens die in jedem beſtimmten Augenblicke erlangte Geſchwindigkeit wahrnehmen. Was das erſte betrifft, ſo iſt es offenbar, daß zwei an der Rolle (Fig. 49. ) AB einander gegen uͤber haͤngende Gewichte P, Q, voͤllig im Gleichgewichte ſein werden, wenn ſie gleich ſind, und daß dagegen, wenn ein Uebergewicht an73 einer Seite iſt, die uͤberwiegende Laſt deſto ſchneller herabſinken wird, je groͤßer das Uebergewicht iſt. Um aber die hier ſtatt fin - dende Beſchleunigung genau zu beſtimmen, muͤſſen wir folgende Ueberlegung anſtellen. Ließe man das Gewicht Q ganz frei fallen, ſo zeigt die Erfahrung, daß es 15 pariſer Fuß in der erſten Secunde durchlaͤuft; aber nun betrage die Summe beider Gewichte P und Q tauſend Gran, und Q habe nur ein Uebergewicht von 10 Gran (P = 495 Gr. Q = 505 Gr.), ſo muß dieſes geringe Uebergewicht eine hundertfach ſo große Maſſe fortziehen, und kann dieſer nur ein Hunderttel jener durch den freien Fall bewirkten Geſchwindigkeit er - theilen. In dieſem Falle wird alſo Q nicht 15 Fuß oder 180 Zoll, ſondern nur den hundertſten Theil, naͤmlich 1,8 Zoll in der erſten Secunde durchlaufen. Macht man das Uebergewicht immer gleich, waͤhrend beide Gewichte eine andre Groͤße erhalten, ſo findet man, daß wirklich die in gleichen Zeiten durchlaufenen Raͤume dem eben angegebenen Geſetze gemaͤß ſind.

Da das Gewicht, welchem man an der Rolle AB das Ueber - gewicht ertheilt hat, vor der eingetheilten Scale an CD herablaͤuft und hier eine langſame Bewegung, ſo daß man es mit dem Auge verfolgen kann, behaͤlt, ſo laͤßt ſich nun auch das Geſetz der Fall - raͤume beobachten. Man nehme das eine Gewicht 900 Gran, das andre 910 Gran ſchwer, ſo iſt die bewegende Kraft des Ueberge - wichts 10 Gran, aber da dieſe Kraft 1810 Gran fortziehen muß, ſo durchlaͤuft das ſchwerere Gewicht nur $$\frac{1}{181}$$ des Raumes, welchen es bei freiem Falle durchlaufen wuͤrde, das iſt beinahe genau 1 Zoll in 1 Secunde; giebt man alſo der Tafel CD genau die Hoͤhe, daß man die untere Flaͤche des Gewichtes Q 64 Zoll uͤber dem Boden aufhaͤngen kann, ſo wird es am Ende der achten Secunde nach dem Anfange des Falles auftreffen, und wenn man eine zum Anſchrau - ben eingerichtete Platte auf 49 Zoll, auf 36 Zoll Tiefe, auf 25 Zoll Tiefe unter dem Anfangspuncte befeſtigt, ſo wird ſie in 7 Secun - den oder in 6 Secunden oder in 5 Secunden erreicht werden. Da - mit man hiebei einen genauen Zeitmoment fuͤr den Anfang des Fallens wahrnehmen koͤnne, wird das Staͤbchen EF, welches die Figur nur im Querſchnitte zeigt, an den Faden gedraͤngt, um dieſen feſt zu halten, und man ſtoͤßt dieſes ploͤtzlich in dem Augen - blicke fort, da das in der Naͤhe aufgehaͤngte Secundenpendel grade74 eine Schwingung vollendet, um das Zaͤhlen der Pendelſchlaͤge ganz genau mit dem Anfange des Fallens zu beginnen.

Der dritte Zweck, die in einem gewiſſen Puncte des Weges erlangte Geſchwindigkeit abzumeſſen, wird durch ploͤtzliches Abheben des Uebergewichts erreicht. So lange jenes Uebergewicht, von $$\frac{1}{181}$$ des Ganzen, wirkſam bleibt, beſchleuniget ſich die Bewegung immer mehr, und nach den vorigen Betrachtungen muß die am Ende der erſten Secunde erlangte Geſchwindigkeit ſo groß ſein, daß der bewegte Koͤrper vermoͤge derſelben, durch die Traͤgheit allein, 2 Zoll in der Secunde zuruͤck legen wuͤrde; hat man ihn 2 Secun - den alſo durch 4 Zoll herablaufen laſſen, ſo muß die Geſchwindigkeit 4 Zoll, am Ende der dritten Secunde oder in der Tiefe = 9 Zoll, muß ſie 6 Zoll ſein, u. ſ. w. Dieſe Beſchleunigung dauert aber nur fort, ſo lange Q ſein Uebergewicht behaͤlt, und wenn dieſes Ueber - gewicht von 1 Gewichttheilchen in Form eines Staͤbchens aufgelegt iſt, und abgehoben wird, indem Q durch eine bei R angeſchraubte kreisfoͤrmige Oeffnung geht, die nur das Gewicht Q, nicht aber das in Form eines Staͤbchens aufgelegte Uebergewicht durchlaͤßt, ſo hoͤrt nun die Beſchleunigung auf, und das Gewicht Q behaͤlt von R an eine gleichfoͤrmige Geſchwindigkeit. Bringt man alſo dieſe zum Abheben eingerichtete Oeffnung auf 16 Zoll Tiefe an, wo der Koͤrper nach unſrer Rechnung eine Geſchwindigkeit von 8 Zoll haben ſoll, ſo durchlaͤuft er die folgenden 48 Zoll in 6 Secunden, und wenn man mit dem Pendelſchlage, wo man das Staͤbchen EF fortſtoͤßt, anfaͤngt, Null, Eins etc. zu zaͤhlen, ſo ſieht man das Gewicht mit Vier bei 16 Zoll, mit Zehn bei 64 Zoll eintreffen; haͤtte man ſchon bei 4 Zoll Tiefe das Abheben ſtatt finden laſſen, ſo wuͤrden die uͤbrigen 60 Zoll erſt in 15 Secunden, naͤmlich mit 4 Zoll Geſchwindigkeit durchlaufen. Und ſo haben wir alſo, wie ich fruͤher einmal erwaͤhnte, ein Mittel, um die in jedem Augen - blicke wirklich erlangte Geſchwindigkeit auch in Verſuchen darzu - ſtellen*)Bei der wirklichen Ausfuͤhrung der Verſuche muß man auf die nie ganz zu vermeidende Reibung Ruͤckſicht nehmen..

75

Bewegung geworfener ſchwerer Koͤrper.

Die Ueberzeugung, daß die Schwerkraft eine gleichfoͤrmig be - ſchleunigende Kraft ſei, fuͤhrt nun zu einer Menge von Anwen - dungen, die freilich durch den Widerſtand der Luft ſehr betraͤchtliche Beſchraͤnkungen erleiden, aber darum doch nicht weniger merkwuͤr - dig ſind. Wenn ein Koͤrper vertical aufwaͤrts geworfen wird, ſo raubt die Schwerkraft ihm in jeder Secunde ebenſoviel Geſchwin - digkeit, als er bei freiem Falle erlangen wuͤrde. Hatte er alſo beim Wurfe aufwaͤrts, in genau verticaler Richtung, eine Geſchwindig - keit von 30 Fuß, ſo ſteigt er nur 1 Sec. lang und alſo nur 15 Fuß hoch; hatte er 60 Fuß Geſchwindigkeit, ſo nimmt dieſe in 1 Sec. auf 30 Fuß ab, und ſein Weg in der erſten Secunde iſt der mittlern Geſchwindigkeit zwiſchen 60 und 30 gleich, = 45 Fuß, in der zweiten Sec. verliert er alle Geſchwindigkeit und ſteigt nur noch 15 Fuß, uͤberhaupt alſo 60 Fuß, ebenſo hoch, als er fallen muß, um 60 Fuß Geſchwindigkeit zu erlangen. Werfe ich alſo einen Koͤrper bis zu 100 Fuß Hoͤhe, ſo muß ich ihm ungefehr eine Geſchwindigkeit von 77 Fuß ertheilt haben, denn in Sec. verliert er 75 Fuß Geſchwindigkeit und ſteigt 94 Fuß. Wegen des Widerſtandes der Luft fordert ein ſo hohes Steigen ſogar noch etwas mehr anfaͤngliche Geſchwindigkeit. Wen - det man dieſe Regeln auf unſer Schießgewehr an, ſo ergiebt ſich, daß dieſes die Kugeln bei verticaler Richtung bis zu ſehr großen Hoͤhen fuͤhren muͤßte, aber ich werde kuͤnftig zeigen, wie ſehr der Widerſtand der Luft dieſe Hoͤhen vermindert. Waͤre dieſer Widerſtand nicht vorhanden, ſo wuͤrde eine mit 1500 Fuß an - faͤnglicher Geſchwindigkeit aufwaͤrts geſchoſſene Kugel 50 Sec. lang ſteigen, weil die Schwere in jeder Secunde nur 30 Fuß Geſchwindigkeit raubt; ſie haͤtte dann am Anfang der 1. Sec. 1500 Fuß, am Ende der 1. Sec. 1470 Fuß Geſchwindigkeit und durchliefe in der erſten Secunde 1485 Fuß; ſie haͤtte am Anfang der zweiten Sec. 1470 Fuß am Ende der zweiten Sec. 1440 Fuß Geſchwindigkeit und durchliefe in dieſer Secunde 1455 Fuß; in der dritten Sec. Anfangsgeſchwindigkeit = 1440; End - geſchwindigkeit = 1410, durchlaufener Weg 1425 Fuß, alſo in 3 Sec. 4365 Fuß, und wenn man ſo durch 50 Sec. fortrech -76 net, ſo iſt bei einer Hoͤhe = 50 50 15 = 37500 Fuß alle Geſchwindigkeit verlohren, und ſo hoch wuͤrde ein Canonenſchuß von 1500 Fuß Geſchwindigkeit reichen.

Die richtige Kenntniß des Weges, welchen der fallende Koͤr - per in jeder Secunde durchlaͤuft, fuͤhrt uns aber noch weiter auch zu der Beſtimmung der gekruͤmmten Bahn, die ein in ſchiefer Richtung oder in horizontaler Richtung geworfner Koͤrper durchlaͤuft. Es verſteht ſich, daß wir auch dabei fuͤr jetzt an den Widerſtand der Luft nicht denken, obgleich er allerdings in der An - wendung ſehr wichtig iſt. Eine Zeichnung fuͤhrt uns am leich - teſten zur Kenntniß jener gekruͤmmten Bahn, wenn wir die Zeichnung der Ueberlegung gemaͤß einrichten, daß der Koͤrper, ohne Einwirkung der Schwere, auf ſeiner anfaͤnglichen Richtungs - linie mit immer gleicher Geſchwindigkeit fortgehen wuͤrde, durch die Schwere aber um 15 Fuß in 1 Sec., um 60 Fuß in 2 Sec., um 135 Fuß in 3 Sec. herunter gezogen wird, u. ſ. w. Stellt naͤmlich (Fig. 50. ) AB die Richtung des anfaͤnglichen Wurfes vor, ſo tragen wir darauf die Puncte C, D, E, F auf, bis zu welchen der geworfne Koͤrper in jeder Secunde ge - langen wuͤrde, wenn er, bloß der Traͤgheit unterworfen, ſeine Geſchwindigkeit ungeaͤndert behielte; von jedem dieſer Puncte ziehen wir Verticallinien herunter und nehmen auf der erſten Cc = 15 Fuß, auf der zweiten Dd = 60 Fuß, auf der dritten Ee = 135 Fuß, auf der vierten Ff = 240 Fuß, dann bezeich - nen c, d, e, f, die Puncte, wohin der geworfne Koͤrper am Ende jeder der vier erſten Secunden gelangt. Die Gruͤnde hie - fuͤr ſind ſo einleuchtend, daß ich kaum noͤthig habe, ſie zu er - waͤhnen. Sie werden noch einleuchtender, wenn man eben das Verfahren auf die Bewegung des vertical aufwaͤrts geworfenen Koͤrpers anwendet. Dieſer ſollte, mit 1500 Fuß anfaͤnglicher Geſchwindigkeit geworfen, am Ende der erſten, zweiten, dritten u. ſ. w. Secunde, auf 1500, 3000, 4500, 6000, 7500, 9000 Fuß Hoͤhe angekommen ſein, die Schwere aber zieht ihn in 1 Sec. 15 Fuß, in 2 Sec. 60 Fuß, in 3 Sec. 135 Fuß, in 4 Sec. 240 Fuß, in 5 Sec. 375 Fuß, in 6 Sec. 540 Fuß herunter, alſo erreicht er am Ende der einzelnen Secunden nur 1485, 2940, 4365, 5760, 7125, 8460 Fuß Hoͤhe.

77

Dieſe Art, die Betrachtung anzuſtellen, ſo als ob die eine der beiden Urſachen fuͤr ſich allein wirkend zu der Wirkung der an - dern hinzutraͤte, iſt hier beſonders darum ſo leicht, weil die Rich - tungen der Schwere in allen Puncten, die ein von uns geworfe - ner Koͤrper erreicht, unter ſich parallel ſind. Sie fuͤhrt aber zu - gleich noch zu einigen einfachen Folgerungen. Erſtlich, wenn ich auf der horizontalen Ebne (Fig. 50. ) AH ſo fortgehe, daß der ge - worfne Koͤrper immer genau uͤber mir ſchweben wuͤrde, wenn keine Schwere wirkte, ſo thut er das auch, obgleich die Schwere ein - wirkt, nur mit dem Unterſchiede, daß er mir in der Verticallinie naͤher koͤmmt und mich endlich irgendwo in l erreicht. Zweitens, wenn man vom hoͤchſten Puncte der Bahn eines geworfnen Koͤr - pers eine horizontale Linie LM zieht, und auf ihr gleiche Theile auftraͤgt, LN, NO, OP, ſo iſt der Koͤrper in f viermal ſo tief unter O, als er in e unter N war, und in p 9 mal ſo tief unter P, als er in e unter N war; es ſind naͤmlich eN, fO, pP die Fallraͤume in 1, in 2, in 3 gleichen Zeittheilen. Drittens der Gipfel oder der hoͤchſte Punct der Wurflinie liegt genau halb ſo hoch, als der Punct Z, den der Koͤrper ohne Einwirkung der Schwere in eben der Zeit, in welcher er wirklich nach L koͤmmt, erreicht haͤtte. Dies haͤngt mit der bei verticalem Wurfe erreichten groͤßten Hoͤhe zuſammen, die in 50 Sec. 75000 Fuß geweſen waͤre, wenn die anfaͤngliche Geſchwindigkeit = 1500 Fuß unge - aͤndert fortgedauert haͤtte, aber nur halb ſo groß = 37500 Fuß iſt wegen der Einwirkung der Schwere, welche die Geſchwindigkeit gleichfoͤrmig von 1500 Fuß auf Null herabſetzt, und daher den Koͤrper nur eine Hoͤhe erreichen laͤßt, die der zwiſchen 0 und 1500 in der Mitte liegenden Geſchwindigkeit entſpricht.

Die beiden zuletzt angefuͤhrten Eigenſchaften der Wurflinie zeigen dem Geometer, daß dieſe Linie eine Parabel iſt, die naͤm - lich die beiden Eigenſchaften hat, daß in jedem Puncte die Tiefe Pp dem Quadrate von LP proportional iſt, und daß jede Tan - gente AZ ebenſohoch uͤber dem Scheitel in die Axe einſchneidet, als der Beruͤhrungspunct A unterhalb des Scheitels L liegt.

Wenn man den Wurf ſehr nahe vertical richtet, ſo iſt offen - bar die horizontale Wurfweite AB geringe (Fig. 51.) wegen der zu großen Hoͤhe der Parabel AZB; aber auch wenn man den Wurf78 beinahe in horizontaler Richtung ſtattfinden laͤßt, iſt die Wurfweite AD geringe, weil die geworfne Kugel zu bald unter die Horizontal - linie AM herabſinkt; der weiteſte Wurf fordert daher eine mittlere Richtung. Daß die Neigung von 45 Graden den weiteſten Wurf AE giebt, bei gleicher Geſchwindigkeit, laͤßt ſich freilich nur mit Huͤlfe einer ſtrengern Theorie uͤberſehen, aber wer nach den vorigen Regeln zeichnet, kann ſich auch durch Zeichnung uͤber - zeugen, daß es ſo iſt. Ein Wurf mit 283 Fuß Geſchwindigkeit unter 45 Gr. geneigt, iſt ſo anzuſehen, als ob er dem Koͤrper 200 Fuß horizontale und 200 Fuß verticale Geſchwindigkeit er - theilte*)Weil ein Dreieck deſſen horizontale und deſſen verticale Seite jede 200 ſind, zur dritten Seite 283 hat., der Koͤrper ſteigt daher 6⅔ Sec. und erreicht in dieſer Zeit die halbe Hoͤhe = 666 Fuß, die er mit ſeiner anfaͤnglichen verticalen Geſchwindigkeit erlangen ſollte, in dieſer Zeit koͤmmt der Koͤrper in horizontaler Richtung 1333 Fuß vorwaͤrts, und eben - ſoviel waͤhrend der Koͤrper faͤllt, alſo iſt 2667 Fuß die Wurfweite.

Waͤre keine Luft in der Naͤhe der Erde, ſo wuͤrden wir mit den Geſchwindigkeiten von 1800 oder 2000 Fuß, die wir den Ca - nonenkugeln zu ertheilen im Stande ſind, ſehr große Entfernungen erreichen koͤnnen, mit 2000 Fuß Anfangsgeſchwindigkeit bei 45 Grad Neigung eine Weite von 132450 Fuß, und bei groͤßern Geſchwindigkeiten immer noch groͤßere Weiten. Dies fuͤhrt zu der Frage, ob eine ſo große Wurfgeſchwindigkeit denkbar ſei, daß dabei der geworfne Koͤrper rund um die Erde herum gefuͤhrt werde?

Bewegung um einen anziehenden Mittelpunct.

Daß die Erde eine Kugel iſt, darf ich hier wohl als aus andern Beobachtungen bekannt, annehmen, und daß die Schwere uͤberall, wo man auf der Erde hin koͤmmt, gegen ihren Mittel - punct gerichtet iſt, lehrt, wie ich ſchon ſonſt erwaͤhnt habe, die Erfahrung. Wird ein Koͤrper horizontal, nach der Richtung AB (Fig. 52.), ſenkrecht gegen die Richtung der Schwere, geworfen, ſo wuͤrde er ſich vom Mittelpuncte der Erde entfernen, wenn er bloß der Traͤgheit gemaͤß fortginge. Die Kraft der Schwere noͤ - thigt ihn, ſich der Erde zu naͤhern und wir koͤnnen dem Koͤrper79 eine ſo große anfaͤngliche Geſchwindigkeit in Vergleichung gegen die Schwere beilegen, daß der Fall ihn am Ende der erſten Mi - nute genau durch BC gefuͤhrt und wieder ebenſo nahe zum Mittel - puncte der Erde gebracht hat, als er beim Anfange ſeiner Bewe - gung von demſelben entfernt war. Iſt aber das der Fall, ſo durchlaͤuft er in der Zwiſchenzeit den ganzen Kreisbogen AC, weil dieſer in D, wo AD = DC = ½ AC iſt, um ED = ¼ BC, und da wo die Entfernung = AC iſt, um $$\frac{1}{9}$$ BC von der graden Linie entfernt iſt. So laͤßt ſich die Moͤglichkeit, daß ein geworfner Koͤrper einen Umlauf um die Erde mache, uͤber - ſehen. Aber damit ein horizontal geworfner Koͤrper genau immer gleich weit von der Erde bleibe, muß er ſo ſchnell geworfen werden, daß er in 1 Sec. den Punct B erreiche, wo BC = 15 Fuß iſt, und dieſes fordert bei einem Kreiſe von 19600000 Fuß Halbmeſſer oder bei der Groͤße der Erde eine Entfernung AB = 24400 Fuß. So weit muͤßte alſo der geworfene Koͤrper in 1 Sec. fortgehen, damit an der Oberflaͤche der Erde der Fall in 1 Sec. ihn genau wieder auf den Kreis AC zuruͤckfuͤhre.

Nach dieſen Geſetzen bewegt der Mond ſich um die Erde; aber die Berechnung der Groͤße ſeiner Bahn und der Zeit ſeines Umlaufs um die Erde zeigt, daß er auf der Beruͤhrungslinie fortgehend, erſt in 1 Minute ſich um 15 Fuß von der Erde entfernen wuͤrde, und da die Erfahrung zeigt, daß er in immer gleicher Entfernung von ihr erhalten wird, und dies ohne Zwei - fel durch die anziehende Kraft der Erde, ſo ſchließen wir, daß dieſe Anziehungskraft nur ein Fallen von 15 Fuß in 1 Minute bewirkt, ſtatt daß nahe an der Erde ein Koͤrper in 1 Secunde 15 Fuß faͤllt, und in 1 Minute 54000 Fuß durchfallen wuͤrde. So ergiebt alſo eine richtige Erwaͤgung der Erfahrungen, daß die anziehende Kraft der Erde in der Ferne abnimmt, und ſo abnimmt, daß ſie in der Gegend des Mondes, das iſt 60 mal ſo weit vom Mittelpuncte der Erde, als wir auf der Oberflaͤche der Erde uns von ihrem Mittelpuncte entfernt befinden, nur $$\frac{1}{60}$$ $$\frac{1}{60}$$ oder $$\frac{1}{3600}$$ ſo groß, als bei uns, iſt. Dieſes aus einer Erfahrung abgeleitete Geſetz, daß die Anziehungskraft ſich umgekehrt wie die Quadrate der Entfernungen verhaͤlt, beſtaͤtiget ſich auch bei der Sonne. Die Erde durchlaͤuft auf ihrer Bahn um die80 Sonne in jeder Minute 248 Meilen, und wuͤrde ſich, wenn ſie dieſen Raum auf der Beruͤhrungslinie der Erdbahn, nicht angezo - gen von der Sonne, durchliefe, in 1 Minute um 35 Fuß von der Sonne entfernen; die anziehende Kraft der Sonne erhaͤlt ſie in ihrer Bahn und noͤthigt ſie alſo, in 1 Minute 35 Fuß gegen die Sonne zu von der Tangente abzugehen. Der Mercur, welcher mal ſo weit als die Erde von der Sonne entfernt iſt, durchlaͤuft in jeder Minute beinahe 400 Meilen und wuͤrde ſich dabei auf der Tangente ſeines kleinern Kreiſes 230 Fuß von der Sonne entfernen, wenn er ohne Anziehungskraft der Sonne, nach dem Geſetze der Traͤgheit, fortginge; die Attraction der Sonne bringt ihn auf ſei - nen Kreis zuruͤck und zieht ihn alſo 230 Fuß von der Tangente abwaͤrts. Dieſe 230 Fuß ſind, ſo nahe als das nur oberflaͤchlich angegebene Verhaͤltniß 1: geſtattet*)Statt ſollte es genauer $$\frac{16}{41}$$ heißen, und es iſt $$\frac{41}{16}$$ $$\frac{41}{16}$$ 35 = 229 $$\frac{13}{16}$$ , faſt genau 230., $$\frac{5}{2}$$ $$\frac{5}{2}$$ 35, alſo auch hier die anziehende Kraft dem Quadrate der Entfernung umgekehrt pro - portional. Genau ebenſo ergiebt es ſich fuͤr alle Planeten.

Waͤre die Anziehungskraft der Sonne nicht genau ſo groß, daß der Planet zu der voͤllig gleichen Entfernung herangezogen wuͤrde, ſo erhielte ſeine Bahn eine etwas von der Kreisform ab - weichende Geſtalt, und eine genauere Betrachtung zeigt, daß die Bahn dann eine ovale, oder genauer ausgedruͤckt eine elliptiſche Form erhaͤlt. In der Sonnennaͤhe geht naͤmlich der Planet ſo ſchnell fort, daß die Anziehungskraft der Sonne ihn nicht ganz bis an den Kreis zuruͤckfuͤhren kann; er faͤngt daher an, ſich etwas von der Sonne zu entfernen, indem er aber dies thut, erhaͤlt die Kraft der Sonne immer mehr eine Richtung, die dem Fortgange des Planeten entgegengeſetzt iſt, ſie vermindert daher nun ſeine Geſchwindigkeit auf aͤhnliche Weiſe, wie es die Schwerkraft bei einem ſchief aufwaͤrts geworfenen Koͤrper thut, und dadurch verliert er nach und nach ſeine Geſchwindigkeit ſo, daß er endlich, ſtatt ſich weiter zu entfernen, der Sonne wieder naͤher ruͤckt, und indem er nach ſeiner Sonnenferne genau ebenſo ſich der Sonne wieder naͤ - hert, wie er vor der Sonnenferne ſich von ihr entfernte, ſo gelangt er nach einem vollen Umlaufe in eben den Punct zuruͤck,81 von welchem er ausgegangen war. Daß ſeine Bahn dadurch, daß in G (Fig. 53.) eine zu große Geſchwindigkeit ihn uͤber den um die Sonne C gezogenen Kreis hinaustreibt, eine Ellipſe wird, die genau beſtimmte Linie naͤmlich, die man mit einem in C und c feſt - geknuͤpften Faden beſchreibt, wenn man dieſen mit dem Bleiſtifte, der die krumme Linie zeichnen ſoll, nach CFc, CEc geſpannt er - haͤlt, das zu beweiſen, waͤre hier zu ſchwierig, und ich verweile hier um ſo mehr nicht allzu lange hiebei, da dieſe Betrachtungen zum Theil der Aſtronomie angehoͤren,*)Vgl. meine Vorleſ. uͤber d. Aſtronomie. 1 Th. S. 189., und ſo zahlreiche andre Gegenſtaͤnde hier unſre Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen. Die Hauptgeſetze, welche der Planet bei ſeiner Bewegung um die Sonne befolgt, ſind die, daß er eine Ellipſe durchlaͤuft, und ſich in dieſer ſo fortbewegt, daß die Sectoren in gleichen Zeiten gleich ſind, das heißt, wenn der Planet in 10 Tagen von A nach B, und in an - dern 10 Tagen von E nach F gelangt, ſo ſind die Flaͤchenraͤume ACB, ECF gleich, wo naͤmlich C die Sonne bedeutet; ſeine Bewegung iſt alſo in der Sonnenferne bei A viel langſamer, als in der Sonnennaͤhe bei G; weil die Sonne ſeine Geſchwindig - keit vermehrt, waͤhrend er von A nach H und vonH nach G laͤuft.

Ob Meteorſteine vom Monde zu uns fallen.

Die in der Aſtronomie, bei der Berechnung des Laufes der Planeten ſo wichtige Bemerkung, daß alle Himmelskoͤrper eine anziehende Kraft beſitzen, und daß wir dieſe anziehende Kraft als eine allgemeine Eigenſchaft aller Materie anſehen koͤnnen, fuͤhrt zur Beantwortung mehrerer Fragen, die auch hier nicht unerwaͤhnt bleiben duͤrfen. Die in unſern Tagen ſo oft gemachte Beobachtung, daß zuweilen Steine vom Himmel fallen, hat zu der Unterſuchung Veranlaſſung gegeben, ob dieſe Meteorſteine vielleicht vom Monde zu uns heruͤbergeworfen werden koͤnnten. Gruͤnde, von welchen ich bald noch etwas mehr ſagen will, zeigen, daß der Mond nur etwa $$\frac{1}{75}$$ ſo viel Anziehungskraft als die Erde hat, und wenn man alſo den Abſtand der Erde vom Monde in zehn gleiche Theile ein - theilt, ſo iſt im neunten Theilungspuncte die Anziehungskraft der Erde etwas ſchwaͤcher, als die des Mondes, weil ſie nur $$\frac{1}{81}$$ vonI. F82dem iſt, was ſie bei neunmal ſo großer Naͤhe ſein wuͤrde. Befaͤnde ſich alſo ein Koͤrper etwa in der Mitte zwiſchen dem achten und neunten Theilungspuncte, ſo wuͤrde er vom Mond und der Erde gleich ſtark angezogen, ſchwebend bleiben, und wenn ein Koͤrper vom Monde aus mit ſolcher Gewalt geworfen wuͤrde, daß er ſich 5200 bis 5300 Meilen von ihm entfernte, ſo wuͤrde er jenen Punct erreichen, und wenn er etwas weniges daruͤber hinaus ge - langte, zur Erde herab fallen. Hieraus laͤßt ſich beſtimmen, daß eine Geſchwindigkeit von 8000 Fuß in der Secunde fuͤr einen auf dem Monde aufwaͤrts geworfenen Koͤrper ausreicht, um ihn ſo weit fortzutreiben, daß er nicht auf den Mond zuruͤckfallen koͤnnte, ſondern zur Erde heruͤbergehen muͤßte, wenn naͤmlich die Richtung des Wurfes gegen die Erde zu ginge. Dies gilt zwar alles nur, wenn Mond und Erde einander ruhend gegenuͤberſtaͤnden, aber es zeigt doch, worauf es bei der Frage, ob dieſe Steine vom Monde kommen, ankoͤmmt. Obgleich die Beſchreibung ſolcher Steinregen nicht hieher gehoͤrt, wo wir bloß nach der Moͤglichkeit eines ſolchen Fallens fragen, ſo darf ich doch wohl bei einer der merkwuͤrdigſten dieſer Erſcheinungen einen Augenblick verweilen. Im Jahre 1803, als man zwar angefangen hatte, den Nachrichten von Steinregen einige Aufmerkſamkeit zu widmen, aber doch den Zweifeln an der Wahrheit derjenigen Nachrichten, die von Steinregen in Gegen - den, weit von Vulcanen entfernt, redeten, noch ſehr viel Raum gab, erregte ein Steinregen, der im Departement der Orne (in der ehemaligen Normandie) am 26. April gefallen war, allgemeine Aufmerkſamkeit. Auf einem Raume von ungefehr Lieues Laͤnge und 1 Lieue Breite waren wenigſtens 2000 Steine herabgefallen, die an Gewicht von 17 Pfunden bis zu ½ Loth verſchieden waren. Eine Feuerkugel hatte ſich in der Luft ſehen laſſen, die ſich ſchnell fortbewegte, und ſehr bald nachher hoͤrte man eine heftige Exploſion, die 5 bis 6 Minuten fortdauerte und auf 30 Lieues umher hoͤrbar war. Sie glich anfangs einigen Canonenſchuͤſſen, und dann einem lange dauernden Getoͤſe, das mit einer Menge von Schuͤſſen aus kleinem Gewehr und mit ſehr heftigem Trommeln verglichen wurde. Dieſes Getoͤſe ſchien von einer kleinen viereckigen Wolke auszugehen, die ſehr hoch in der Atmoſphaͤre ſtehen mußte, da man ſie an ziem - lich entfernten Orten im Zenith ſah. Bei Nacht haͤtte dieſe83 Wolke ſich vermuthlich, ſo wie die Schweife der Feuerkugeln, als matt leuchtend gezeigt; es war aber kurz nach Mittag, und ſo konnte ihr matter Glanz wohl im Tageslichte unſichtbar werden. Die Menſchen, die ſich im Freien befanden, ſahen groͤßere und kleinere Steine, zum Theil mit einem ſie in Schrecken ſetzenden Getoͤſe herabfallen, und bei der genauen Unterſuchung fand ſich, daß auf einem laͤnglich ovalen Raume die groͤßten Steine am ſuͤdoͤſtlichen Ende, die kleinſten am nordweſtlichen Ende herabgefallen waren.

Ungefehr eben ſo ſind die Berichte uͤber alle Steinregen, nur mit dem Unterſchiede, daß ſelten die Zahl der Steine ſo groß iſt, indem zuweilen nur von einem Steine oder von einigen wenigen Stuͤcken die Rede iſt .*)Viele Nachrichten ſtehen in Gilberts Annalen, wo das Re - giſter uͤber alle Baͤnde im Art. Meteormaſſen ſie angiebt..

Die Rechnung, die man fuͤhren muͤßte, um zu beſtimmen, mit welcher Geſchwindigkeit ein vom Monde aus geworfener Koͤrper zur Erde gelangen wuͤrde, iſt etwas ſchwierig, da der allmaͤhlig immer weiter ſich vom Monde entfernende Koͤrper immer weniger von ihm und immer ſtaͤrker von der Erde angezogen wird, und daher, nachdem er eine erhebliche Entfernung erlangt hat, ſeine Geſchwindigkeit langſamer verliert, als zu Anfang; man kann indeß dieſe Schwierigkeit uͤberwinden, wenn man in der Entfer - nung = 860 Meilen (welches der Halbmeſſer der Erde iſt), die Kraft = $$\frac{1}{75}$$ , alſo den Verluſt an Geſchwindigkeit = $$\frac{30}{75}$$ = Fuß in 1 Secunde, in 1720 Meilen Entfernung den Verluſt an Geſchwindigkeit = ¼ Fuß in 1 Secunde und ſo ferner ſetzt, und ſo ſtationenweiſe fortrechnet. Der ſo vom Monde auf die Erde fallende Koͤrper wuͤrde auf der Erde mit etwa 34000 Fuß Ge - ſchwindigkeit in der Secunde ankommen.

Maſſe der Sonne.

Daß der Mond eine nur $$\frac{1}{75}$$ ſo ſtarke Anziehungskraft als die Erde beſitzt, hat man theils aus ſeiner Wirkung auf das Meer, welche ſich in der Ebbe und Fluth zeigt, theils aus den Stoͤrungen, die er im Laufe der Erde hervorbringt, geſchloſſen; bei der Sonne laͤßt ſich das Maaß der Anziehungskraft leichter finden. Nach demF 284Geſetze naͤmlich, daß die Anziehungskraft in der zehnfachen Entfer - nung nur ein Hunderttel deſſen betraͤgt, was ſie in der einfachen Entfernung war, muͤßte die Anziehungskraft der Erde in der Ent - fernung, wo die Sonne ſich befindet, 400 mal ſo weit als der Mond von uns iſt, nur $$\frac{1}{160000}$$ deſſen betragen, was ſie da be - traͤgt, wo ſich der Mond befindet. Da ſie nun den Mond um 15 Fuß in 1 Minute zu ſich heranzieht, ſo wuͤrde ſie einen ſo weit als die Sonne entfernten Koͤrper nur $$\frac{15}{160000}$$ Fuß in 1 Minute fort - treiben; die Sonne dagegen zieht die Erde in 1 Minute 35 Fuß, das iſt weit uͤber 300000 mal ſo viel von der Tangente ihrer Bahn ab; die Wirkung der Sonne iſt alſo in gleicher Entfernung weit uͤber 300000 mal ſo groß, als die Wirkung der Erde, und da wir dieſe Anziehungskraft als eine Eigenſchaft, die jedem Theilchen Materie eigen iſt, anſehen, ſo legen wir der Sonne eine mehr als 300000 mal ſo große Maſſe als der Erde bei, und berechnen auf aͤhnliche Weiſe die Maſſen der Planeten.

Anziehungskraft der Berge.

Ich ſchließe hier noch einige Phaͤnomene an, die auf dieſe ge - genſeitige Anziehungskraft der materiellen Theilchen, und auf die Anziehungskraft der Weltkoͤrper auf einander Beziehung haben. Das eine dieſer Phaͤnomene beantwortet die Frage, ob denn jeder Theil der Erde eine ſolche Attractionskraft beſitzt, das andre zeigt, daß der Mond auf alle Theilchen der Erde anziehend wirkt. Wenn jeder Theil der Erde eine Anziehungskraft beſitzt, ſo iſt es offenbar, daß eine kugelfoͤrmige Erde alle Koͤrper genau gegen ihren Mittel - punct anzieht, denn da (Fig. 54.) nach allen Seiten der Linie AC die anziehenden Theilchen gleichfoͤrmig liegen, ſo heben die ſeitwaͤrts ziehenden Kraͤfte ſich einander auf, und ſelbſt die in B, D, gleich entfernt von A liegenden Theilchen bringen zuſammen einen verti - calen Zug nach AC hervor. Aber wenn ſich auf der Oberflaͤche dieſer kugelfoͤrmigen Erde ein Berg E befindet, ſo uͤbt dieſer eine an der andern Seite nicht ausgeglichene Seitenkraft aus, und die Richtung der Schwere muß in A ein wenig nach der einen Seite, in G ein wenig nach der andern Seite von der Verticallinie abwei - chen. Eine ſolche Ablenkung findet man wirklich in der Naͤhe von Bergen, und obgleich der Winkel, um welchen die Richtung der85 Schwere dadurch geaͤndert wird, ſehr geringe iſt, ſo hat man ihn doch, namentlich bei den ausdruͤcklich zu dieſem Zwecke an dem Berge Shehallien angeſtellten Beobachtungen, wahrnehmen koͤnnen. Dieſe Wahrnehmung findet naͤmlich dadurch ſtatt, daß wir am Himmel ſehr genau beſtimmen koͤnnen, wie weit die nach dem Mittelpuncte der Erde gehenden Richtungen AC, GC, bei bekannter Entfernung der Beobachtungs-Orte A, G, von einan - der abweichen muͤſſen, und nun an den in A und in G durch das Zenith gehenden Sternen ſehen, ob die beiden Verticallinien dieſe Richtungen haben. Die bei dieſer Beobachtung ſich ergebende Abweichung bietet ein Mittel dar, die Dichtigkeit der ganzen Erde zu beſtimmen, wenn man die Dichtigkeit des die Ablenkung bewir - kenden Berges kennt. Waͤre die Mitte dieſes Berges, wo man ſich ſeine Maſſe vereinigt denken kann, ein Tauſendtel ſo weit, als der Mittelpunct der Erde, von G entfernt, ſo wuͤrde eine Maſſe in E eine Million mal ſo ſtark als eine gleiche in C wirken, betruͤge alſo der Berg ein Tauſend-Milliontel der ganzen Erde, ſo zoͤge eine tauſendfache Kraft nach C und eine einfache nach E, woraus die Richtung der Mittelkraft, als die Richtung des Lothes, hervorginge. Kennt man umgekehrt dieſe aus Beobachtungen und weiß zum Beiſpiel, daß die Erde 2000 Millionen mal ſo ſtark wirkt, obgleich ihr Volumen nur 1000 Millionen mal ſo groß als der Berg waͤre, ſo wuͤrde man ihr eine doppelt ſo große Dichtigkeit, als dem Berge zuſchreiben. Die Berechnungen jener Verſuche am Shehallien geben die Dichtigkeit der Erde ungefehr 5 mal ſo groß als die Dich - tigkeit des Waſſers, und die auf dem Mont Cenis angeſtellten Verſuche, welche die Schnelligkeit der Pendelſchwingungen zum Gegenſtande hatten, haben Carlini die Dichtigkeit beinahe mal ſo groß, als die des Waſſers, angegeben*)Gehlers Woͤrterb. Art. Erde. S. 944. 949..

Man hat die Kraft der Schwere noch auf eine andre Weiſe mit der Anziehungskraft kleiner Koͤrper zu vergleichen geſucht. Ca - vendiſh bediente ſich hiezu der Drehwaage. Ein leichter Waage - balken, an beiden Enden mit Bleimaſſen beſchwert, haͤngt an einem ſehr feinen Faden, und koͤmmt in der Stellung zur Ruhe, wo der Faden ganz ungedreht iſt. Naͤhert man nun mit aller Vor -86 ſicht von der Seite her eine andre Bleimaſſe, ſo bringt ihre Anzie - hung auf die Bleimaſſe des Waagebalkens, eine kleine Drehung hervor, und da man durch andre Mittel beſtimmen kann, welche Gewalt noͤthig iſt, um dem Faden eine Drehung, die einen Um - fang, zwei Umlaͤufe u. ſ. w. betraͤgt, zu ertheilen, ſo kennt man auch jene aus der Anziehung hervorgehende, eine nur ſehr kleine Abweichung bewirkende Kraft, und kann ihr Verhaͤltniß zu dem Gewichte der Bleimaſſen, und daher ihr Verhaͤltniß zur anziehenden Kraft der Erde herleiten. Bei der großen Schwierigkeit, dieſe Ver - ſuche, die zu den feinſten in der Phyſik gehoͤren, genau auszufuͤh - ren, hat noch niemand nach Cavendiſh ſie wiederholt, und ſein Reſultat, daß die Erde mal ſo dicht als Waſſer ſei, bedarf daher noch einer naͤhern Pruͤfung*)Gilberts Annalen II. 1..

Anziehung im Innern der Kugel, und in der Ferne.

An die Kenntniß, daß jeder Theil der Erde eine anziehende Kraft ausuͤbe, ſchließen ſich noch einige merkwuͤrdige Lehrſaͤtze an, naͤmlich die zwei, daß die Anziehungskraft einer uͤberall gleich dich - ten Kugel auf Gegenſtaͤnde außerhalb der Kugel genau ſo iſt, als wenn die Maſſe der Kugel im Mittelpuncte vereinigt waͤre, und daß im Innern der Kugel die oberhalb des angezogenen Punctes liegende Kugelſchichte gar keine Wirkung, kein Hinſtreben gegen den Mittelpunct zu, noch auch das Entgegengeſetzte, hervorbringt. Beide Lehrſaͤtze gelten nur in dem Falle, da die Kraft der Anziehung ſich umgekehrt wie das Quadrat der Entfernungen verhaͤlt, und der Beweis fuͤr den letzten iſt ſehr leicht zu fuͤhren. Es ſei ABCD (Fig. 55.) eine duͤnne anziehende Kugelſchichte, M der innerhalb liegende angezogne Punct. Zieht man durch M Linien wie NMn, OMo, und ſchneidet durch ſolche durch M gehende Linien kleine Kreisflaͤchen NO, no auf der Kugelflaͤche ab, ſo iſt die Kreisflaͤche NO viermal ſo groß als no, wenn MN zweimal ſo groß als Mn iſt, ebenſo NO = 9. no, wenn MN = 3. Mn iſt, und ſo wei - ter; da nun die 9fache Maſſe in der dreifachen Entfernung, die 16fache Maſſe in der vierfachen Entfernung u. ſ. w. nur ebenſo ſtark als die einfache Maſſe in der einfachen Entfernung wirkt, ſo87 heben die einander entgegengeſetzten von NO, no auf M ausgeuͤb - ten Anziehungen einander auf, und da dies fuͤr alle durch M gezogene Richtungslinien gilt, ſo leidet M nach keiner Richtung eine Anzie - hung von der gleichfoͤrmigen Kugelſchichte ABCD, und eben dies gilt, wenn auch die Kugelſchichte irgend eine groͤßere Dicke haͤtte. Waͤre die Erde alſo hohl und ihre innere Oberflaͤche haͤtte eine ge - naue Kugelform, ſo wie die aͤußere, ſo daß die Mittelpuncte beider zuſammenfielen, ſo wuͤrde ein Punct M im Innern kein Beſtreben, nach irgend einer Seite hin zu fallen, zeigen. Aus eben dem Grun - de iſt die Kraft der Schwere, wenn wir uns in die uͤberall als gleich dicht vorausgeſetzte Erde hinabſteigend denken, immer geringer, je tiefer wir hinab kommen, immer naͤmlich nur durch die kleinere, noch unter uns liegende Kugel hervorgebracht. Koͤnnten wir ſo tief in die Erde eindringen, daß wir den halben Erdhalbmeſſer uͤber uns haͤtten, ſo waͤre, wofern die Erde uͤberall gleich dicht iſt, die Kraft der Schwere nur noch halb ſo groß, als an der Oberflaͤche; denn die unter uns bleibende Kugel iſt freilich bei halb ſo großem Durch - meſſer nur ein Achtel der ganzen Erde; aber der Mittelpunct dieſer Kugel iſt nur halb ſo entfernt, alſo jedes Theilchen viermal ſo wirk - ſam, und jenes Achtel hat daher gleichwohl eine halb ſo große Wirk - ſamkeit, als die ganze Erde.

Fluth und Ebbe.

Ein zweites Phaͤnomen wollte ich noch erwaͤhnen, das in der phyſiſchen Geographie hoͤchſt wichtig iſt, und einen Beweis fuͤr die Anziehungskraft der Sonne und des Mondes giebt, naͤmlich die Ebbe und Fluth. Die Erde, die wir hier als ganz aus Waſſer beſtehend anſehen koͤnnen, wuͤrde, wenn ſie ſich nicht um ihre Axe drehete, wegen der Anziehung aller ihrer Theile gegen ein - ander, eine genaue Kugel ſein; aber die anziehende Kraft des Mon - des aͤndert dieſe Kugelgeſtalt. Die Bewegung der Erde um die Sonne wird durch die anziehende Kraft der Sonne ſo beſtimmt, daß der Mittelpunct der Erde immer genau auf dieſer Bahn bliebe, wenn kein Mond da waͤre. Denken wir uns aber den Mond ploͤtz - lich zwiſchen die Sonne und Erde in C hin geſtellt (Fig. 56.), wo er ſich im Neumonde befindet, ſo zoͤge er den Mittelpunct C der Erde ein wenig aus der Bahn gegen die Sonne zu; aber der Punct88 A wird ſeiner Naͤhe wegen ſtaͤrker, der Punct B wird ſeiner Ferne wegen ſchwaͤcher von der Bahn abgezogen, und die Erde nimmt daher eine ovale, ſowohl bei A als bei B uͤber den Kreis hinausge - hende und bei D, E, abgeflaͤchte Form an. Dieſe Verlaͤngerung iſt ſo unbedeutend, daß ſie nur 10 Fuß ungefehr betraͤgt, ſtatt daß der Halbmeſſer der Erde 19 Millionen Fuß iſt; aber eben dieſe 10 Fuß werden uns als ein Steigen des Waſſers in A und B, als ein Fallen des Waſſers in D und E, dort als Fluth, hier als Ebbe, merklich. Waͤre der Mond im Viertel in M, ſo wuͤrde er die Be - wegung der ganzen Erde gegen M zu ein wenig beſchleunigen, und dieſe Beſchleunigung wuͤrde den vorangehenden Punct E am meiſten treffen, dieſer wuͤrde daher dem Mittelpuncte ein wenig voraus laufen, und der entferntere, etwas weniger angezogene Punct D wuͤrde etwas zuruͤckbleiben, alſo auch hier eine Fluth, ſo wohl an der Seite, wo der Mond ſteht, als an der andern Seite, ſtatt finden.

Die Erſcheinungen der Fluth und Ebbe ſtehen ſo genau mit dem Monde in Verbindung, ſie wiederholen ſich zweimal des Tages, und grade dann, wann der Mond oberhalb des Horizontes und un - terhalb des Horizontes in die gleiche Stellung gegen den Meridian koͤmmt, ſo beſtimmt, daß niemand daran, daß der Mond dieſe Erſcheinungen bewirkt, zweifeln kann. Die Fluthen ſind groͤßer, wenn der Mond in der Erdnaͤhe iſt, ganz ſo wie es dem alsdann vergroͤßerten Unterſchiede der Anziehungskraft auf den naͤchſten Punct der Erde und auf den Mittelpunct angemeſſen iſt, und ebenſo ſind ſie am kleinſten, wenn der Mond in der Erdferne iſt. Auch der wichtige Umſtand, daß die Fluthen bei Neumond und Vollmond, die Springfluthen, hoͤher, als bei den Vierteln, ſind, erklaͤrt ſich aus eben den Gruͤnden. Denn ſelbſt die Sonne allein wuͤrde ſchon eine geringe Fluth ſo wohl an der der Sonne zugekehr - ten Seite, als an der von ihr abgekehrten Seite der Erde hervor - bringen; dieſe Sonnenfluthen vereinigen ſich mit den Mondfluthen, wenn der Mond als Neumond in L oder als Vollmond in l ſteht, hingegen treffen die durch die Sonne bewirkten Ebben in E, D, mit den dort durch den Mond erregten Fluthen zuſammen, wenn ſich der Mond in M oder m befindet, und deshalb ſind bei den Vierteln die Fluthen weniger hoch und die Ebben weniger tief. Die Ungleichheit der bei den Springfluthen und bei den Viertelmonds -89 fluthen eintretenden Waſſerhoͤhe lehrt uns die comparative Staͤrke der Anziehung des Mondes, alſo ſeine Maſſe, kennen.

Die Menge der Gegenſtaͤnde, die ſich uns hier darbieten, er - laubt mir nicht, laͤnger bei dieſem einzelnen Phaͤnomene zu verwei - len, und ich darf hier um ſo eher eine umſtaͤndliche Erzaͤhlung aller einzelnen Umſtaͤnde weglaſſen, da man auch dieſen Gegenſtand in der Aſtronomie abzuhandeln pflegt*)Vorleſungen uͤber die Aſtronomie. 1 Th. S. 223. und eine noch ausgefuͤhrtere Erklaͤrung der Erſcheinungen der Ebbe und Fluth in Gehlers phyſ. Woͤrterb. Art. Ebbe..

Siebente Vorleſung.

Schwungkraft.

Bei der Bewegung eines Koͤrpers im Kreiſe nehmen wir allemal ein Beſtreben fortzufliegen, eine Schwungkraft, wahr, die den Faden, woran der Koͤrper feſtgehalten wird, ausdehnt, ja ihn wohl gar zerreißt. Es wird Ihnen, m. h. H., wohl nicht uner - wartet ſein, wenn ich Ihnen dieſe Schwungkraft als eine bloße Folge der Traͤgheit darſtelle. Indem ich den an dem Faden AG in G feſtgehaltenen Koͤrper A nach der Richtung AB fortſtoße und ihm (Fig. 52.) eine Geſchwindigkeit nach dieſer Richtung er - theile, erlangt der Koͤrper das Beſtreben auf der Linie AB fort - zugehen und ſich alſo vom Mittelpuncte G zu entfernen. Der Faden AG hindert ihn, dieſem Antriebe Folge zu leiſten und er - haͤlt ihn auf dem Kreiſe ADE, aber wenn der Faden ſehr ſchwach waͤre, ſo wuͤrde er zerreißen, und der bewegte Koͤrper ginge auf AB fort. In dieſer Betrachtung bietet ſich uns ſogleich ein Mittel dar, die Staͤrke der Schwungkraft abzumeſſen. Wir wollen einen Fa - den waͤhlen, der ſo ſtark iſt, daß er grade ein Pfund tragen kann, und nun durch Verſuche beſtimmen, bei welcher Geſchwindigkeit der Faden reißt, und hier wuͤrde ſich finden, daß ein ſchwerer her - umgeſchwungener Koͤrper den Faden bei geringerer Geſchwindig - keit zerreißt, ſtatt daß ein leichterer eine groͤßere Schnelligkeit for -90 dert. Doch dieſe Betrachtung verdient etwas ſorgfaͤltiger angeſtellt zu werden.

Es ſei ADC (Fig. 52.) der Kreis, auf welchem der Koͤrper A herumgefuͤhrt wird, und es ſei die Geſchwindigkeit ſo groß, daß A in Sec. bis B gelangen und dabei um BC = $$\frac{15}{64}$$ Fuß vom Kreiſe entfernt werden wuͤrde, wenn der Faden dieſes nicht ver - hinderte. Da die frei wirkende Schwerkraft einen Koͤrper in 1 Sec. durch 15 Fuß, in Sec. durch $$\frac{15}{64}$$ Fuß forttreibt, ſo iſt die Wirkung, welche die Schwungkraft hier auszuuͤben ſtrebt, genau ſo groß, als die Wirkung, welche die Schwere auszuuͤben ſtrebt, wenn das Gewicht am Faden haͤngend in Ruhe erhalten wird. Der Faden alſo, welcher ſtark genug iſt, das frei herab - haͤngende Gewicht A zu tragen, wird auch ſtark genug ſein, um bei horizontalem Schwunge, unter den vorausgeſetzten Umſtaͤnden der Schwungkraft zu widerſtehen. Koͤnnten wir uns an einen Ort hin begeben, wo die Schwerkraft nur ein Viertel ſo ſtark, als bei uns, wirkte, ſo wuͤrden wir dieſes daran erkennen, daß dort die Koͤrper nur durch $$\frac{15}{4}$$ Fuß in der erſten Secunde fielen, und ebenſo wird die Schwungkraft nur ¼ ſo maͤchtig als die Schwerkraft wirken, wenn die Entfernung BC, die ein im Kreiſe bewegter Koͤrper in Sec. erlangen wuͤrde, wenn kein Faden ihn hielte, nur ein Viertel der vorhin angegebenen Groͤße waͤre. Aber damit ED nur ein Viertel der BC ſei, muß AE = ½ AB ſein, und folglich wenn zwei Koͤrper ſich auf demſelben Kreiſe von Faͤden AC feſtgehalten bewegen, der eine aber iſt halb ſo ſchnell als der andere, ſo iſt bei jenem die Schwungkraft nur ein Viertel ſo groß, als bei dieſem, und allgemein wenn eben der Koͤrper auf demſelben Kreiſe, oder immer an demſelben Faden gehalten, ſich herumbewegt, verhaͤlt ſich die Schwungkraft, wie das Quadrat der Geſchwindigkeit. Ein Gewicht von einem Pfunde ſo ge - ſchwungen, daß der in $$\frac{1}{10}$$ Sec. erreichte Abſtand zwiſchen Kreis und Tangente $$\frac{15}{100}$$ Fuß betraͤgt, fordert einen Faden, der ein Pfund tragen kann, aber doppelt ſo ſchnell bewegt fordert es einen Faden der 4 Pfunde tragen kann, weil dieſe doppelt ſo ſchnelle Bewegung es ſchon in $$\frac{1}{20}$$ Sec. um $$\frac{15}{100}$$ Fuß von der Tangente entfernt, ſtatt daß die Schwerkraft den Koͤrper in eben der Zeit91 nur durch $$\frac{15}{400}$$ Fuß, durch ein Viertel jenes Raumes, fortzufuͤhren vermag.

Wuͤrde eben der Koͤrper von 1 Pfund ſchwer das eine Mal auf dem Kreiſe AG (Fig. 57.), das andre Mal auf dem Kreiſe ag von doppelt ſo großem Halbmeſſer fortgefuͤhrt, ſo entfernt er ſich bei gleicher Geſchwindigkeit nur halb ſo viel von dem großen Kreiſe als vom kleinen. Es iſt naͤmlich offenbar bf doppelt ſo groß, als BF, weil auf dem Kreiſe von doppelt ſo großem Halbmeſſer alle aͤhnlichen Laͤngen doppelt ſo groß ausfallen; da nun, bei glei - cher Geſchwindigkeit, der Koͤrper das eine Mal AB, das andere Mal ad = ½ ab durchlaͤuft, und hier der Abſtand de = ¼ bf = ½ BF iſt, ſo hat der Koͤrper auf dem Kreiſe von doppelt ſo großem Halbmeſſer bei gleicher Geſchwindigkeit nur eine halb ſo große Schwungkraft, das iſt der Faden, welcher von einem Pfunde grade zerriſſen wuͤrde, wenn dieſe Maſſe den Kreis AG durchliefe, koͤnnte einer Maſſe von 2 Pfunden bei eben ſo ſchneller Bewegung auf ag Widerſtand leiſten. Und ſo verhaͤlt ſich immer die Schwung - kraft umgekehrt wie der Halbmeſſer des Kreiſes. Daß aber endlich die Kraft, welche der geſchwungene Koͤrper anwendet, um den Faden zu zerreißen, auch dem Gewichte dieſes Koͤrpers proportional ſein muß, iſt offenbar; denn zwei Pfunde an zwei Faͤden gehalten, werden jeden derſelben unter ſonſt gleichen Umſtaͤnden gewiß ſo ſpannen, wie 1 Pfund einen Faden.

Um die Verſuche mit der Schwungmaſchine gut zu uͤber - ſehen, muͤſſen wir noch den Fall betrachten, wo zwei Koͤrper in ungleicher Entfernung vom Mittelpuncte ihre Umlaͤufe in gleichen Zeiten vollenden. Es ſei der Abſtand CA des einen halb ſo groß, als der Abſtand Ca des andern. Gehen nun beide in $$\frac{1}{10}$$ Sec. durch den Winkel ACB fort, ſo iſt die erlangte Entfernung bf von der Tangente ab bei dem ſchnellern doppelt ſo groß, als BF bei dem andern, und die Schwungkraft nimmt offenbar in eben dem Ver - haͤltniſſe zu. Wird dagegen dasſelbe Experiment ſo angeſtellt, daß die Drehungsgeſchwindigkeit nur halb ſo groß iſt, daß die Koͤrper nur nach e und E in $$\frac{1}{10}$$ Sec. kommen, ſo iſt der erreichte Abſtand von der Tangente, naͤmlich de, nur ein Viertel des vo - rigen, und bei doppelter Geſchwindigkeit ſteigt daher die Schwung -92 kraft auf das Vierfache, bei dreifacher Geſchwindigkeit auf das Neunfache und ſo ferner.

Verſuche mit der Schwungmaſchine.

Die Schwungmaſchine zeigt dies fuͤr eine Menge von Faͤllen. Sie iſt am beſten ſo eingerichtet, daß eine mit maͤßiger Geſchwin - digkeit gedrehte Scheibe QR eine zweite Scheibe DE, entweder durch eingreifende Zaͤhne oder auch nur durch eine um AB (Fig. 58.) gehende Schnur in ſehr ſchnelle Bewegung ſetzt; zaͤhlt man dann die Umdrehungen der einen Scheibe, ſo kennt man die Ge - ſchwindigkeit der andern, und kann dieſe bis zu einem hohen Grade vermehren. Legt man nun zuerſt auf die ſchnellere Scheibe kleine Kugeln in ungleichen Entfernungen vom Mittelpuncte in flachen Vertiefungen auf, ſo werden bei maͤßiger Schnelligkeit zuerſt die entfernteren Kugeln, endlich bei groͤßerer Schnelligkeit auch die dem Mittelpuncte naͤheren herausgeworfen und nur die im Mittel - puncte ſelbſt aufliegende bleibt immer in Ruhe. Wenn man uͤber dieſer Scheibe ein Metallſtaͤbchen ſo befeſtigt, daß es, wie LM, mit der Scheibe parallel durch die Axe der Drehung geht, und durch - bohrte Kugeln auf dasſelbe aufſchiebt, ſo gehen dieſe bei jeder Dre - hung ſogleich dem Umfange zu; denn obgleich die Bewegung nach der Tangente durch das Metallſtaͤbchen gehindert wird, ſo bleibt doch das Beſtreben, ſich vom Mittelpuncte zu entfernen, und ſo wie dadurch in andern Faͤllen bloß der Faden geſpannt wird, ſo zeigt ſich hier ein Zuruͤckweichen vom Mittelpuncte. Verbindet man zwei Kugeln N, O, mit einem Faden, und ſtellt ſie an die entgegenge - ſetzten Seiten des Mittelpunctes, ſo ſtreben ſie bei der Drehung ein - ander entgegen, und es erhellt erſtlich leicht, daß keine zuruͤckwei - chen kann, wenn beide gleich und beide in gleichen Abſtaͤnden vom Mittelpuncte ſind, aber auch wenn N zwei Loth, O ein Loth wiegt, jene aber halb ſo weit als dieſe vom Mittelpuncte entfernt iſt, ſo halten ſich die Schwungkraͤfte im Gleichgewichte, weil bei gleichen Kugeln die halb ſo entfernt vom Centro befindliche nur halb ſo viel Kraft ausuͤben wuͤrde, bei ungleichen Kugeln alſo unter den ange - gebenen Umſtaͤnden eine Gleichheit der Kraft eintritt.

Die Schwungmaſchine kann zu genauer Abmeſſung der Schwungkraft angewandt werden. Zu dieſem Zwecke iſt in der93 Axe der Scheibe ſelbſt eine Saͤule errichtet, an welcher ein durch - bohrtes Gewicht P ſich ohne erheblichen Widerſtand hinauf und hinab ſchieben laͤßt. Dieſes Gewicht, dem man durch zugelegte ſcheibenfoͤrmige Gewichte eine beſtimmte Groͤße geben kann, wird an einem Faden, der bei d und e uͤber Rollen geht, und an ſei - nem andern Ende an die Kugel O befeſtigt iſt, gehalten, und muß alſo an dem Saͤulchen aufſteigen, wenn die Kugel O ſich vom Mittelpuncte entfernt. Man ſtellt nun die Kugel in eine beſtimmte Entfernung vom Mittelpuncte und ſetzt die Scheibe nach und nach in ſchnellere Drehung, wobei man die Geſchwin - digkeit auf eine abgemeſſene Weiſe immer eine Zeit lang gleich - maͤßig fortwaͤhren, dann erſt ſie zunehmen laͤßt. Hat man eine hinreichende Geſchwindigkeit erreicht, ſo hebt die Kugel das Ge - wicht und die bewegende Kraft der Schwungkraft iſt alſo nun dem Gewichte gleich. Man ſtellt dann die Kugel O auf die dop - pelte Entfernung und ertheilt eben die Geſchwindigkeit, ſo hebt ſie ein doppelt ſo großes Gewicht, oder man bringt eine halb ſo große Kugel in doppelter Entfernung an, ſo hebt ſie bei der vo - rigen Geſchwindigkeit ein gleiches Gewicht, oder man verdoppelt die Anzahl der Umlaͤufe in derſelben Zeit, behaͤlt aber dieſelbe Kugel in derſelben Entfernung bei, ſo hebt ſie ein viermal ſo großes Gewicht als vorhin.

Von den uͤbrigen Erſcheinungen, welche die Schwungma - ſchine zeigt, ſind beſonders folgende merkwuͤrdig. Wenn man ein geſchloſſenes Gefaͤß, worin ſich eine gefaͤrbte Fluͤſſigkeit be - findet, auf die Axe der Scheibe befeſtigt, ſo daß das Gefaͤß ſelbſt um ſeine verticale Axe gedreht wird, ſo weicht, je ſchneller die Dre - hung iſt, deſto mehr, die Fluͤſſigkeit nach den Waͤnden des Gefaͤßes zuruͤck, und es iſt daher bei geringer Drehungsgeſchwindigkeit die Oberflaͤche nur wenig ausgehoͤlt, bei groͤßerer Geſchwindigkeit aber die ganze Maſſe der Fluͤſſigkeit an der Wand des Gefaͤßes hinaufgedraͤngt und in der Mitte ein leerer Raum gelaſſen. Legt man die Roͤhre, AB, worin etwas Queckſilber und Waſſer be - findlich iſt, ſo wie die Figur 59 zeigt, auf die Scheibe DE, ſo nimmt bei der Ruhe das Queckſilber den untern, alſo hier den der Axe G am naͤchſten liegenden Platz B ein; bei hinreichend ſchneller Bewegung aber entfernt ſich das Queckſilber am meiſten94 von der Mitte und bewirkt, daß die um C bewegliche Roͤhre mit ihrem Ende A niederſinkt. Dies laͤßt ſich ſo erklaͤren. Wenn beim ſchnellen Schwunge ein Queckſilbertheilchen und ein Waſſer - theilchen einander beruͤhren, ſo druͤckt jedes derſelben mit einer ſeiner Maſſe proportionalen Kraft vom Centro abwaͤrts und das ſchwerere Queckſilbertheilchen verdraͤngt alſo das Waſſertheilchen, bis das Queckſilber den entfernteſten Theil der Roͤhre erreicht hat.

Man pflegt an der Schwungmaſchine auch ein Experiment zu zeigen, welches die Urſache der abgeplatteten Figur der Erde er - klaͤrt. Die Erde, welche vermoͤge der Attraction ihrer Theilchen eine genaue Kugelform annehmen wuͤrde, wenn ſie ganz aus Waſ - ſer beſtaͤnde und keine Bewegung haͤtte, beſitzt, wie Ihnen bekannt iſt, eine Rotations-Bewegung um ihre Axe, und dadurch wird allen Theilchen eine Schwungkraft ertheilt. Diejenigen Theilchen, die um den Aequator der Erde liegen, haben, als am ſchnellſten be - wegt, die meiſte Schwungkraft oder das meiſte Beſtreben, ſich von der Axe zu entfernen, und obgleich die Anziehungskraft der Erde hindert, daß die Theilchen ſich nicht von der Erde trennen und fortfliegen koͤnnen, ſo wird doch ihre Schwere vermindert, und es draͤngen ſich mehr Waſſertheilchen gegen den Aequator hin, ſo daß die Erde einen groͤßern Aequatorealdurchmeſſer erhaͤlt, als ſie ohne Dre - hung haben wuͤrde. Aus der Schnelligkeit der Umdrehung wuͤrde ſich die ſphaͤroidiſche Geſtalt der Erde berechnen laſſen, wenn die Erde ganz aus Waſſer beſtaͤnde und uͤberall gleich dicht waͤre; da dies nicht der Fall iſt, ſo muͤſſen wir durch Abmeſſungen der Erde und durch die Experimente uͤber die in verſchiedenen Gegenden un - gleiche Kraft der Schwere, wovon ich ſpaͤter noch reden werde, ihre Geſtalt kennen lernen. Um das nachzuahmen, was hier die Veraͤnderung der Kugelgeſtalt in eine ſphaͤroidiſche bewirkt, ſchraubt man auf die Scheibe der Schwungmaſchine zwei ſenkrecht ſtehende kreisfoͤrmige Meſſingreifen, die auf ein verticales Staͤb - chen ſo aufgeſchoben ſind, daß ſie ſich daran leicht verſchieben laſſen. Die Meſſingreifen ſind Kreiſe und werden durch ihre Elaſticitaͤt in dieſer Form erhalten; wenn man ſie aber um die durch ihren Mit - telpunct gehende Axe dreht, ſo ertheilt man den am meiſten von der Axe entfernten Theilen am meiſten Schwungkraft, und daher platten ſich die Reifen, die leicht biegſam ſein muͤſſen, ſo ab,95 daß die Axe kuͤrzer als der auf ſie ſenkrechte Durchmeſſer wird. Bei der ſchnellen Drehung, wo unſer Auge keine einzelne Stel - lung der Reifen mehr deutlich wahrnimmt, ſcheint es dann, als ob eine ſphaͤroidiſche Maſſe den ganzen bei der Drehung durch - laufenen Raum ausfuͤllte. Die Abplattung iſt deſto ſtaͤrker, je ſchneller die Drehung wird.

Noch ein Experiment, welches zugleich eine Zuſammenſetzung von Kraͤften, naͤmlich der zugleich wirkenden Schwerkraft und Schwungkraft, zeigt, gehoͤrt hierher. Wenn man (Fig. 60) an verticalen Staͤbchen KI, GH ſchwere Kugeln aufhaͤngt, ſo treibt die Schwungkraft dieſe Kugeln bei der Drehung der Scheibe DE vom Mittelpuncte C abwaͤrts, die Schwerkraft dagegen treibt ſie niederwaͤrts, und beiden Kraͤften folgend ſtellen ſich die Kugeln in eine ſchiefe Stellung, wie HL, IM, und deſto mehr der horizon - talen Richtung genaͤhert, je ſchneller die Bewegung oder je groͤßer uͤberhaupt die Schwungkraft iſt, und bei einer die Schwerkraft ſehr weit uͤbertreffenden Schwungkraft erreichen ſie eine nur wenig von der Horizontallinie abweichende Richtung.

Andre Erſcheinungen, die von der Schwungkraft abhaͤngen.

Eine aͤhnliche Zuſammenſetzung der Kraͤfte iſt es, welche den auf ſeinem Pferde ſtehenden Kunſtreiter noͤthigt, ſich ſtark nach dem Innern des Kreiſes, durch welchen er forteilt, zu lehnen. Hier naͤmlich wuͤrde die Schwungkraft ihn vom Sattel hinabſchleudern, wenn er grade auf demſelben zu ſtehen verſuchen wollte; er muß daher ſeinem Fuße eine Stuͤtze in derjenigen Richtung geben, welche als Richtung der Mittelkraft aus Schwungkraft und Schwere her - vorgeht, und die ganze Stellung ſeines Koͤrpers lehnt ſich in dieſe Richtung, ja das Pferd ſelbſt lehnt ſich, vorzuͤglich bei ſehr ſchnel - lem Laufe im Kreiſe, eben ſo nach dem Innern des Kreiſes, und die Erfahrung lehrt, ſelbſt in gewoͤhnlicheren Faͤllen, den unge - ſchickten Reiter, daß er, bei ſchneller Aenderung der Richtung ſeines Weges, ſich nach der innern Seite des von ihm beſchriebenen Bo - gens hin lehnen muß, damit er nicht zu ſtark nach der andern Seite getrieben werde, und wohl gar das Gleichgewicht verliere.

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Die Schwungkraft zeigt ſich uns noch bei manchen andern theils mehr ſpielenden, theils ernſthaften Anwendungen. Man kann ein in einen Reifen geſtelltes Glas mit Waſſer bei geſchicktem Schwingen ſo herum ſchwingen, daß die Muͤndung des Glaſes zu unterſt gekehrt iſt, ohne daß das Waſſer auslaͤuft; denn wenn in demſelben Augenblicke, wo die Schwere das Waſſer aus der unten ſtehenden Muͤndung treiben ſollte, die Schwungkraft vertical auf - waͤrts gerichtet, und groͤßer als die Schwerkraft iſt, ſo draͤngt ſie das Waſſer gegen den oben ſtehenden Boden des Gefaͤßes. Das Brummen der Brummkraͤuſel, womit die Kinder zu ſpielen pflegen, iſt eine Folge der Schwungkraft. Die in der hohlen Kugel enthal - tene Luft draͤngt ſich naͤmlich, bei der ſchnellen Rotation, durch die Schwungkraft getrieben, aus der Seiten-Oeffnung heraus, und wenn die Luft groͤßtentheils ausgetrieben iſt, hoͤrt das brum - mende Getoͤſe auf, bis gegen das Ende der Bewegung bei abneh - mender Schnelligkeit die wieder eindringende Luft ein aͤhnliches Ge - raͤuſch macht. Doch dies ſind Spielereien!

Aber wichtig ſind dagegen die Anwendungen, welche die Ma - ſchinenlehre von der Schwungkraft macht, und die Ruͤckſichten, die ihretwegen bei der Berechnung der Maſchinen vorkommen. Es ſcheint zuweilen dem Unkundigen raͤthſelhaft, warum man die Maſchine, außer den ſonſt nothwendigen Raͤdern oft noch mit einem Schwung - rade beſchwert; aber der Nutzen hievon iſt, vorzuͤglich in gewiſſen Faͤllen, leicht einleuchtend zu machen. Manche zum Betriebe von Maſchinen brauchbare Kraͤfte laſſen ſich nicht ſo anordnen, daß ſie mit immer gleicher Gewalt wirken, und bei andern Maſchinen iſt die entgegen wirkende Laſt nicht immer gleich wirkſam; in dieſen Faͤllen wuͤrde eine ungleichfoͤrmige Bewegung entſtehen, und die im einen Augenblicke etwas nachlaſſende Kraft muͤßte im naͤchſten Augenblicke erſt die in jener Zwiſchenzeit verminderte Geſchwindigkeit wieder herſtellen. Iſt aber ein Rad, das eine große Maſſe beſitzt und deſſen Maſſe ziemlich weit von der Axe liegt, mit in Drehungsbe - wegung geſetzt, ſo behaͤlt ja dieſes Schwungrad ſeine Drehungs - bewegung lange faſt ungeaͤndert, ſelbſt wenn auch die wirkende Kraft dieſe Drehung zu befoͤrdern aufhoͤrte, um ſo mehr alſo wird es in den kurzen Zeitraͤumen einer verminderten Wirkſamkeit der Kraft, ſeine Bewegung gleichfoͤrmig behalten, und die mit ihm97 verbundenen Raͤder gleichfalls regelmaͤßig umtreiben, und ſo der Maſchine weſentlichen Nutzen bringen.

Moment der Traͤgheit.

Hieran ſchließt ſich eine in der Maſchinenlehre wichtige Frage an, wie man die Drehungsgeſchwindigkeit der durch bewegende Kraͤfte angetriebenen Raͤder beſtimmt, und obgleich ich dieſe Lehre hier nur kurz beruͤhren kann, ſo glaube ich doch den wichtigen Be - griff des Momentes der Traͤgheit nicht uͤbergehen zu duͤr - fen, um ſo weniger, da ſich dadurch die uͤberraſchend ſcheinende Be - hauptung Laplace's erklaͤrt, daß wir aus aſtronomiſchen Beob - achtungen, aus der Vergleichung alter und neuer Beobachtungen, ſchließen koͤnnen, daß die Temperatur der Erde ſeit Hipparchs Zeiten nicht merklich abgenommen habe.

Wenn eine bewegende Kraft unmittelbar auf eine Maſſe wirkt, ſo ertheilt ſie derſelben eine beſtimmte Geſchwindigkeit, die, bei gleich lange dauernder Einwirkung, der Maſſe umgekehrt propor - tional iſt. Wir ſehen dies zum Beiſpiel, wenn wir ein aufgehaͤngtes ſchweres Gewicht in Bewegung zu ſetzen ſtreben, indem die Ge - ſchwindigkeit, die wir ihm ertheilen koͤnnen, deſto kleiner iſt, je groͤßer die in Bewegung zu ſetzende Maſſe iſt. Aber nun ſei die zu bewegende Maſſe an einem Hebel-Arme AB angebracht, nach welchen Geſetzen richtet ſich dann die Geſchwindigkeit? Es ſei zuerſt (Fig. 61.) die Maſſe in C und die Kraft wirke unmittelbar auf C, dann wird dieſe der Maſſe eben die Geſchwindigkeit ertheilen, wie bei gradlinigem Fortſchieben der Maſſe, und der Drehungswinkel wird ſich daher, bei gleich bleibender und einerlei Zeit lang gleich - foͤrmig wirkender Kraft, umgekehrt, wie die Maſſe verhalten. Iſt dagegen die Maſſe in D angebracht, ſo daß AD = ½ AC iſt, ſo ertheilt dieſelbe in C wirkende Kraft ihr eine groͤßere Winkelgeſchwin - digkeit; denn aus der Lehre vom Gleichgewichte wiſſen wir, daß eine Kraft von einem Pfunde in C ebenſo viel bewirkt, als eine Kraft von 2 Pfunden in D; konnte alſo die in C wirkende Kraft der Maſſe, als ſie in C war, eine Geſchwindigkeit von 1 Fuß in der Secunde ertheilen, ſo wird ſie jetzt der in D befindlichen Maſſe eine Geſchwindigkeit von 2 Fuß in der Secunde ertheilen. Dieſe 2 Fuß in D betragen aber dort 4 Grade des Umfanges, wenn ſie inI. G98C zwei Grade betruͤgen, weil der Umfang des von D beſchriebenen Kreiſes nur halb ſo groß iſt, und wir erhalten daher, daß eben die in C wirkende Kraft, welche eine in C befindliche Maſſe durch 1 Grad des Umfangs in 1 Secunde trieb, eben dieſe in D befindliche Maſſe durch 4 Grade treibt. Daß ebenſo die in der Entfernung vom Mittelpuncte verſetzte Maſſe durch 9 Grade fortgefuͤhrt wird, weil die wirklich in C wirkende Kraft, in der Entfernung AE = AC, dreimal ſo viel leiſtet, dreimal ſo große Geſchwindigkeit er - theilt, und dieſer dreimal ſo große Weg hier 9 mal ſoviele Grade, als der einfache Weg auf dem durch C gehenden Kreiſe, betraͤgt, iſt einleuchtend. Und ſo erhellt allgemein, daß bei einer immer gleich an einerlei Puncte des Hebels wirkenden Kraft, die Umdrehungs - geſchwindigkeit nicht allein der Maſſe umgekehrt proportional iſt, ſondern auch dem Quadrate des Abſtandes vom Mittelpuncte um - gekehrt proportional. Aus dieſem Grunde hat man den Ausdruck, Moment der Traͤgheit eingefuͤhrt, worunter man das Product aus der Maſſe in das Quadrat der Entfernung vom Dre - hungspuncte verſteht, und die Winkelgeſchwindigkeit iſt ebenſo die - ſem Momente der Traͤgheit umgekehrt proportional, wie, bei grad - linigter Bewegung, die Geſchwindigkeit der Maſſe umgekehrt pro - portional iſt. Ein Beiſpiel wird dies noch mehr erlaͤutern. Es ſei (Fig. 62. ) AB ein Rad, deſſen ganze Maſſe in dem ſchweren Reifen ADBE gleichmaͤßig ausgetheilt iſt, ſo daß dieſer ſchwere Ring nur mit Staͤben von unbedeutender Maſſe mit dem Mittel - puncte verbunden iſt. Auf die Axe FG ſei ein Seil aufgewickelt, an welchem ein Gewicht P von einem Pfunde herabhaͤngt, und jenes Rad in Bewegung zu ſetzen ſtrebt. Da das Rad fuͤr ſich allein im Gleichgewichte iſt, ſo wirkt jenes 1 Pfund als Ueberge - wicht, und wir wuͤrden, wenn der ſchwere Ring ebenſo weit, als der Angriffspunct dieſer Kraft, von dem Mittelpuncte entfernt waͤre, fuͤr ein 99 Pfund ſchweres in dem Reifen ausgetheiltes Gewicht, den Raum, durch welchen das Gewicht ſinkt, oder um welchen dann jeder Punct des Reifens fortruͤckte = $$\frac{15}{100}$$ Fuß fuͤr die erſte Secunde ſetzen, genau ſo wie bei Atwood's Fallmaſchine. Hat aber der Reifen den fuͤnffachen Durchmeſſer, ſo kann eben die Kraft dieſer fuͤnfmal ſo entfernt vom Mittelpuncte wirkenden Maſſe nur ein Fuͤnftel der Geſchwindigkeit mittheilen, und wenn $$\frac{15}{100}$$ Fuß99 dem Umfange der Axe gleich war, ſo ſind $$\frac{15}{500}$$ Fuß nur ein Fuͤnf und Zwanzigſtel vom Umfange fuͤr den Reifen, welcher den fuͤnf - fachen Halbmeſſer hat. Statt alſo, daß eben die Maſſe, in einen dicht um die Axe gelegten Reifen vereinigt, in jeder Secunde einen Umlauf vollenden wuͤrde; macht ſie jetzt, fuͤnfmal ſo entfernt vom Mittelpuncte, nur $$\frac{1}{25}$$ des Umlaufs in 1 Secunde.

Hieraus erhellt nun auch, welche Aenderung in der Schnellig - keit der Umdrehung eintreten muß, wenn eine mit dem Rade in Bewegung geſetzte Maſſe ſich ploͤtzlich dem Mittelpuncte naͤhert, oder ſich von ihm entfernt. So lange alle einzelne Theile der Maſſe ihre Lage gegen den Mittelpunct behalten, dauert, ohne Einwirken neuer Kraͤfte, die Rotation nach dem Geſetze der Traͤg - heit ungeaͤndert fort; aber wenn ploͤtzlich ein Theil der Maſſe wei - ter von der Axe weggeruͤckt wird, ſo behaͤlt er nur die Geſchwindig - keit, die er vorhin hatte, die ihn jetzt durch einen kleinern Winkel fortfuͤhrt, und obgleich dieſer Theil der Maſſe, verbunden mit der uͤbrigen Maſſe, die Winkelgeſchwindigkeit nicht ſo ſehr vermindert, als es hiernach der Fall ſein ſollte, ſo wird ſie dennoch in einigem Grade herabgeſetzt, und deſto mehr, je groͤßer der in die Ferne ge - ruͤckte Theil der Maſſe in Vergleichung gegen die ganze bewegte Maſſe iſt. Und nun werde ich Ihnen mit wenigen Worten den Zuſammenhang zwiſchen der Waͤrme oder Temperatur der ganzen Erde und den aſtronomiſchen Beobachtungen erklaͤren, und La - place's ſeltſam klingende Behauptung rechtfertigen koͤnnen. Es iſt eine, in einem andern Abſchnitte der Phyſik genauer zu erklaͤ - rende Erfahrung, daß die Koͤrper ſich ausdehnen, wenn ihre Tem - peratur groͤßer wird, und daß ſie ſich in einen engern Raum zuſam - men ziehen, bei abnehmender Waͤrme; alſo muß auch die Erde, wenn ihre Temperatur ſeit uralten Zeiten abgenommen haͤtte, jetzt einen etwas geringern Durchmeſſer, als in jenen fruͤhern Zeiten, haben. Aber bei einem ſo verkleinerten Halbmeſſer ſind alle Theile der Erdmaſſe der Erd-Axe naͤher geruͤckt, und die Umdrehungs - bewegung muß daher ſchneller geworden ſein, wenn im Laufe der Zeit irgend eine ſolche Aenderung ſtatt gefunden hat. Da nun die Zeit, in welcher die Erde eine taͤgliche Rotation vollendet, aus den alten Beobachtungen fuͤr jene Zeiten, aus den neuen Beobachtun - gen fuͤr unſre Zeit, bekannt iſt, und dieſe Laͤnge des Sternentages,G 2100dieſe Laͤnge der einmaligen Umdrehungsperiode ſich voͤllig genau jetzt ſo findet, wie Hipparch ſie vor 2000 Jahren gefunden hat, ſo hat ſich das Volumen der Erde nicht geaͤndert, die Maſſentheile ſind nicht der Axe naͤher geruͤckt, die Waͤrme der ganzen Erde hat ſich nicht oder hat ſich hoͤchſtens ganz unbedeutend geaͤndert, da ſelbſt ein Grad Waͤrme-Aenderung, bei einer Erſcheinung, die immer gleichmaͤßig wiederkehrend die ſtatt findenden Differenzen in einem Jahre 365fach zeigt, ſchon mehr Einfluß haben wuͤrde, als die vorhandenen Beobachtungen anzunehmen erlauben.

Dieſe Betrachtung, welche zugleich zeigt, wie die am weite - ſten von einander ſtehenden Erſcheinungen dennoch durch ein enges Band verbunden ſind, wie die eine zur Erklaͤrung der andern dient, wie die eine unſre Kenntniß der andern berichtiget, ſcheint mir ſo wichtig, ſcheint mir ſo ſehr die Wuͤrde der Naturforſchung in einem ſchoͤnen Glanze zu zeigen, und den Scharfſinn des Urhebers dieſer Betrachtung zu bezeugen, daß ich Bedenken trage, von ihr noch zu andern Gegenſtaͤnden heute uͤberzugehen, obgleich auch der Gegen - ſtand, von welchem ich das naͤchſte Mal zu reden gedenke, den Scharfſinn und die Genauigkeit der Beobachter und Kuͤnſtler auf eine andre Weiſe in einem ſehr vortheilhaften Lichte zeigt.

Achte Vorleſung.

Bewegung des Pendels.

Die neulich betrachteten Phaͤnomene ſchloſſen ſich ſo natuͤrlich an einander, daß ich ſie nicht von einander trennen konnte und da - her jetzt erſt zu einem weniger ſchwierigen und in ſeinen Anwendun - gen gleichwohl hoͤchſt wichtigen Gegenſtande, zur Betrachtung des Pendels, uͤbergehe.

Das Pendel beſteht aus einem ſchweren Koͤrper, der, an ei - nem Faden oder an einer duͤnnen Stange aufgehaͤngt, durch die Schwerkraft zu einer lange dauernden oſcillirenden Bewegung ange - trieben wird, ſobald man das Pendel einmal von der Lage, welche das Gleichgewicht fordert, entfernt hatte. Bringt man naͤmlich das101 Pendel AB in die Lage AC, (Fig. 63.) ſo treibt die Schwere den Koͤrper C, den wir, als die Hauptmaſſe enthaltend, vorzuͤglich ins Auge faſſen, herab, und noͤthiget ihn, den Kreisbogen CB zu durch - laufen; dabei erlangt er eine, bei tieferem Falle immer ſchnellere Bewegung und koͤmmt mit einer gewiſſen Geſchwindigkeit im un - terſten Puncte B an. Hier hoͤrt die Schwere auf, beſchleunigend auf ihn zu wirken, aber ſeine erlangte Geſchwindigkeit fuͤhrt ihn, nach dem Geſetze der Traͤgheit, weiter fort, ſo daß er ſteigend den Bogen BD durchlaͤuft. Es iſt leicht zu uͤberſehen, daß die Schwer - kraft hier den aufſteigenden Koͤrper genau ebenſo ſeiner Geſchwindig - keit beraubt, wie ſie dem ſinkenden Koͤrper, da er auf einem genau aͤhnlichen und gleichen Bogen herabſank, ſeine Geſchwindigkeit er - theilte. Der ſchwere Koͤrper wird daher in d eben die Geſchwindig - keit, wie in dem gleich hoch liegenden Puncte c haben, und in D ſeine Geſchwindigkeit ganz verlohren haben, wenn er in C ohne alle anfaͤngliche Geſchwindigkeit ſeine Bewegung anfing. Daß der ſo bis D geſtiegene Koͤrper nun wieder zu ſinken anfaͤngt, daß er eine gleiche Schwingung bis nach C zuruͤck vollenden, und ſo eine Reihe von Schwingungen machen wird, laͤßt ſich leicht uͤberſehen. Ließe ſich die Aufhaͤngung des Pendels ſo einrichten, daß es gar keine Reibung litte, waͤre nicht der Widerſtand der Luft und uͤberhaupt kein Hinderniß der Bewegung vorhanden, ſo muͤßte dieſe Bewegung des Pendels ohne Ende fortdauern, und wirklich dauert die Be - wegung eines Pendels, an deſſen Aufhaͤngepuncte alle Reibung und andre Hinderniſſe ſorgfaͤltig vermieden worden, durch mehrere tau - ſend Schwingungen, wenn ſie gleich endlich, wegen des nie ganz fehlenden Widerſtandes, aufhoͤrt.

Die Geſetze dieſer Bewegung ſind ſo einfach, daß es Ihnen nicht ſchwer werden wird, ſie genau zu uͤberſehen. Was zuerſt die Frage betrifft, welche Geſchwindigkeit das Pendel erlangt, ſo iſt dieſes wenigſtens in dem Falle leicht zu beantworten, wenn die ſchwere Materie des Pendels faſt ganz in der Gegend B. beinahe in einem Puncte vereiniget iſt. Dieſer Punct durchlaͤuft den Bogen CB. und indem er ſo vom Anfange ſeines Falles die Tiefe EB erreicht, erlangt er auch die dieſer Falltiefe entſprechende Geſchwindigkeit. Der Grund dieſer Uebereinſtimmung laͤßt ſich an dem einfacheren Falle, wo eine Kugel auf einer ſchiefen Ebne herablaͤuft, noch beſſer102 nachweiſen. Hier ſei zum Beiſpiel (Fig. 64.) die Hoͤhe AB der Ebne ein Drittel ihrer Laͤnge BC, ſo hat uns die Zerlegung der Kraͤfte in der Statik gezeigt, daß die herabwaͤrts, nach der Richtung der Ebne wirkende Kraft nur ein Drittel des ganzen Gewichtes iſt, und daraus erhellt, daß die auf BC fortrollende Kugel nur 5 Fuß in der erſten Secunde durchlaufen und die Geſchwindigkeit von 10 Fuß (ein Drittel deſſen, was der frei wirkenden Schwere ent - ſpricht,) erlangen kann. Indem ſie von B an um 5 Fuß bis D fortgeruͤckt iſt, hat ſie die Tiefe BE = $$\frac{5}{3}$$ Fuß erreicht, und da dies ein Neuntel der Tiefe iſt, welche ſie bei freiem Falle erreichen wuͤrde, ſo waͤre der frei fallende Koͤrper in Secunde von B nach E gekommen, und haͤtte in E die Geſchwindigkeit = 10 Fuß, ge - nau eben die, welche der auf der ſchiefen Ebne herabrollende Koͤrper in einer ganzen Secunde in D erlangt hat. Ginge der Koͤrper mit dieſer Geſchwindigkeit von 10 Fuß auf eine neue ſchiefe Ebne uͤber, bei welcher die Hoͤhe DF nur ein Fuͤnftel der Laͤnge DG waͤre, ſo wuͤrde er, weil die ihn beſchleunigende Kraft nur ein Fuͤnftel der Schwerkraft iſt, am Ende der naͤchſten Secunde nur 6 Fuß neue Geſchwindigkeit erlangt, und mit 10 Fuß Anfangsgeſchwindigkeit und 16 Fuß Endgeſchwindigkeit 13 Fuß in dieſer Secunde durch - laufen haben; dieſen 13 Fuß = DH entſpricht die Tiefe $$\frac{13}{5}$$ Fuß = EI, oder die ganze Tiefe BI = $$\frac{5}{3}$$ + $$\frac{13}{5}$$ Fuß = $$\frac{64}{15}$$ Fuß, und dies iſt die Tiefe, welche ein freifallender Koͤrper in $$\frac{8}{15}$$ Secunden erreicht und an deren Ende er 16 Fuß Geſchwindigkeit das iſt $$\frac{8}{15}$$ derjenigen Geſchwindigkeit erlangt hat, die er in 1 Secunde erlangt haͤtte, alſo eben die Geſchwindigkeit, mit welcher die Kugel in H ankoͤmmt .*)In $$\frac{1}{15}$$ Secunde faͤllt der Koͤrper durch $$\frac{1}{225}$$ des Fallraums, der einer ganzen Secunde zugehoͤrt, in $$\frac{2}{15}$$ Secunde durch $$\frac{4}{225}$$ , in $$\frac{8}{15}$$ Se - cunde durch $$\frac{64}{225}$$ eben des Raumes, aber $$\frac{64}{225}$$ 15 = $$\frac{64}{15}$$ Fuß iſt eben jener Tiefe gleich..

Dieſes Geſetz iſt bei der durch beſchleunigende Kraͤfte bewirkten Fortbewegung auf krummen Linien ganz allgemein; beim Ueber - gange von einer Ebne auf eine andre wuͤrde einiger Verluſt an Geſchwindigkeit beim Antreffen an die, ploͤtzlich eine andre Richtung der Bewegung fordernde Ebne ſtatt finden, der aber bei dem ſanf -103 ten Uebergange zu neuen Richtungen auf einer krummen Linie wegfaͤllt.

Bei der Bewegung der Pendel findet ferner das merkwuͤrdige Geſetz ſtatt, daß faſt ganz genau die Schwingungszeiten gleich ſind, man mag das Pendel große oder kleine Bogen durchlaufen laſſen. Dies haͤngt davon ab, daß das nur wenig aus ſeiner Gleichgewichts - ſtellung gebrachte Pendel Ad (Fig. 63.) mit einer hoͤchſt geringen Kraft zu ſeiner tiefſten Stellung zuruͤckſtrebt, und daher den frei - lich kleinen Bogen dB ſehr langſam durchlaͤuft; iſt es dagegen weit, wie AD, von ſeiner Ruhetage entfernt, ſo erlangt es, ver - moͤge der ſtarken Neigung ſeiner Bahn ſchon ſogleich eine bedeu - tende Geſchwindigkeit und wird durch den großen Bogen DB in eben der Zeit, wie vorhin durch den kleinen Bogen dB fortgefuͤhrt. Auf dem Kreiſe iſt dieſe Gleichheit der Schwingungszeiten nicht ganz genau richtig; aber obgleich die Schwingungszeit bei groͤßern Bogen ein wenig laͤnger iſt, ſo betraͤgt dies doch ſelbſt bei Bogen von 20 Graden noch kaum ein Hundertel der Schwingungszeit. Indeß verſteht es ſich, daß man bei der Genauigkeit, die wir von unſern Uhren fordern, und wegen der unaufhoͤrlich ſich ſummiren - den Zeit-Unterſchiede bei vielen Pendelſchlaͤgen, ſelbſt ſo kleine Ab - weichungen nicht unbeachtet laſſen darf.

Kuͤrzere Pendel vollenden ihre Schwingungen ſchneller als laͤngere. Wir wollen uns (Fig. 65.) zwei Pendel AB, ab, jenes viermal ſo lang als dieſes denken, beide moͤgen um den Winkel BAD = bad, gehoben ſein, ſo iſt die Einwirkung der Schwere auf beide in Ruͤckſicht auf die Richtung der Bewegung, die beide, gleich geneigt gegen die Verticallinie, annehmen koͤnnen, gleich, und bei den nach und nach erlangten Stellungen in der Mitte oder auf dem Viertel der Wege DB, db ſind die Einwirkungen der Schwere immer wieder gleich; aber es iſt der Weg BD viermal ſo groß als bd, und bei gleicher Einwirkung der Schwere wird der vierfache Weg in der zweifachen Zeit durchlaufen, alſo iſt, da dieſe Vervier - fachung des Raumes und daher die Verdoppelung der Zeit waͤhrend der ganzen Bewegung ſtatt findet, ab ein Pendel fuͤr halbe Se - cunden, wenn AB ein Pendel fuͤr ganze Secunden iſt. Die Schwingungszeiten ſind allgemein den Quadratwurzeln aus den Laͤngen proportional, das heißt, man muß des Secundenpendels104 Laͤnge viermal, neunmal, ſechzehnmal nehmen, um Pendel zu er - halten, deren Schwingungszeit 2, 3, 4 Secunden betraͤgt. Ga - lilaͤi wurde durch die langſamen Schwingungen der Kronleuchter in den hohen Kirchengewoͤlben zu Betrachtungen hieruͤber geleitet, und beſtimmte die Hoͤhe dieſer Gewoͤlbe, die Laͤnge dieſer Pendel, aus ihren Schwingungszeiten. Da ein 3 Fuß langes Pendel un - gefehr in 1 Secunde eine Schwingung vollendet, ſo braucht ein 48 Fuß langes Pendel 4 Secunden.

Eine andre Frage, deren Beantwortung von großer Wichtig - keit iſt, betrifft die ungleiche Schwingungszeit zweier gleich langer, aber einer ungleichen Schwerkraft unterworfener Pendel. Wenn wir uns in eine Gegend verſetzen koͤnnten, wo die Schwere viermal ſo maͤchtig wirkte, ſo wuͤrde der frei fallende Koͤrper 60 Fuß in der erſten Secunde durchlaufen, ſtatt daß wir ihn nur 15 Fuß durch - laufen ſehen, das heißt, die vierfach ſo ſtarke Schwerkraft triebe den fallenden Koͤrper durch den Raum in 1 Secunde, durch welche er in 2 Secunden vermoͤge der einfachen Schwerkraft faͤllt. Und da auf einer geneigten Ebne dieſelbe Ueberlegung guͤltig bliebe, ſo bleibt ſie auch bei den gleichen Kreisbogen guͤltig, die von gleichen Pendeln beſchrieben werden, und unſer Secundenpendel wuͤrde in einer hal - ben Secunde eine Schwingung vollenden, wenn es einer vierfachen Schwerkraft ausgeſetzt waͤre, in Secunde bei neunfacher Schwer - kraft und ſo ferner.

Genaue Beſtimmung des Fallraums in 1 Secunde und der Figur der Erde.

Die Kenntniß der genauen Laͤnge des Secundenpendels iſt ein Gegenſtand von ſo großer Wichtigkeit fuͤr den Phyſiker und Aſtro - nomen, daß man auf die Beſtimmung derſelben den ſorgfaͤltigſten Fleiß gewandt hat. Wir lernen den genauen Fallraum eines frei fallenden Koͤrpers erſt durch die Laͤnge des Secundenpendels kennen, indem ſich durch Schluͤſſe, die hier zu ſchwierig ſein wuͤrden, zeigen laͤßt, daß man die Laͤnge des Secundenpendels mit 4,9348 multi - pliciren muß, um den Fallraum in einer Secunde zu haben. *)4,9348 iſt = $$\tfrac{1}{2}\ldot\Pi^2 = \frac{ (3,14159) ^2}{2}$$ Wenn alſo nach Beſſels Beſtimmung die Laͤnge des Secunden -105 pendels in Koͤnigsberg an der Oberflaͤche der Oſtſee = 440,8179 pariſer Linien iſt, ſo erhaͤlt man den Fallraum in 1 Secunde eben dort = 2175,349 Linien = 181,279 Zoll = 15,1066 Fuß. Dieſe Werthe bleiben nicht auf der ganzen Erde gleich, indem an der Meeresflaͤche unter dem Aequator die Pendellaͤnge = 439,248 Li - nien, der Fallraum in 1 Secunde = 15,053 pariſer Fuß iſt. Und in dieſer Ungleichheit liegt der Grund, weswegen die Pendellaͤnge fuͤr den Geographen und Aſtronomen wichtig iſt, indem ſie uns dient, die Figur der Erde kennen zu lernen.

Die Schwerkraft wuͤrde an allen Puncten der Erd-Ober - flaͤche gleich ſein, wenn die Erde eine genaue Kugel, von uͤberall gleicher Materie, und ohne Bewegung waͤre. Schon wegen der hoͤhern oder tiefern Lage der einzelnen Puncte findet eine Ungleich - heit ſtatt, die freilich klein iſt, aber doch in ſo genauen Verſuchen, wie die nachher zu erwaͤhnenden, ſelbſt bei kleinen Hoͤhen merklich werden wuͤrde. Beſſel beſtimmt die Laͤnge des Secundenpendels auf der Koͤnigsberger Sternwarte als 0,0032 pariſer Linien kuͤrzer als es an der 67 Fuß niedrigern Oberflaͤche der Oſtſee ſein wuͤrde, und bei hoͤhern Bergen, wo freilich nicht bloß die Abnahme der Schwerkraft wegen weiterer Entfernung vom Mittelpuncte der Erde, ſondern auch ihre Zunahme durch die Anziehungskraft des Berges, auf welchem man ſich befindet, in Betrachtung koͤmmt, wird dieſer Unterſchied viel erheblicher. Es laͤßt ſich zugleich uͤberſehen, wie er dienen kann, die Anziehungskraft des Berges zu finden, und worauf die Behauptung beruhet, daß man, um aus beobachteten Pendellaͤngen genaue Schluͤſſe zu ziehen, billig auf die geologiſche Beſchaffenheit der Gegenden, wo ſie angeſtellt worden ſind, Ruͤckſicht nehmen ſollte.

Der wichtigſte Unterſchied, den wir in der Pendellaͤnge finden, iſt indeß der aus der Umdrehung der Erde um ihre Axe entſtehende. Ich habe ſchon bei einer andern Gelegenheit bemerkt, daß, durch die bei der Umdrehung entſtehende Schwungkraft, das Waſſer der Meere gegen den Aequator hin gedraͤngt wird, und deswegen die Erde eine von der Kugelgeſtalt abweichende Form erhaͤlt; und hierin liegt ein doppelter Grund, um die Schwerkraft am Aequator zu vermindern. Nehmen wir naͤmlich an, unſer Standpunct bei allen anzuſtellenden Verſuchen ſei an der Oberflaͤche des Meeres,106 ſo ſind wir doch (Fig. 60.) in A, am Aequator der Erde weiter, als in B, vom Mittelpuncte C der Erde entfernt, und ſchon deshalb wuͤrde die Wirkung der Schwere in A ſchwaͤcher, als in B, ſein. Aber hiezu koͤmmt noch die am Aequator groͤßere Schwungkraft, die naͤmlich mit dem Abſtande von der Axe DE zunimmt, und am Aequator der Richtung der Schwere grade entgegen wirkt. Beide Urſachen vereinigt bringen die Wirkung hervor, daß der Fallraum in unſern mittlern geographiſchen Breiten ungefehr um $$\frac{1}{300}$$ groͤßer als am Aequator iſt. Dieſer Unterſchied ließe ſich genau berechnen, wenn wir die Figur der Erde, das iſt, der Oberflaͤche aller Meere, ganz genau kennten; ergiebt die Beobachtung ſie alſo anders als wir bei Vorausſetzung einer gewiſſen Geſtalt der Erde erwarteten, ſo dient uns dies zur Berichtigung unſrer uͤber die Figur der Erde gemachten Vorausſetzungen. Dieſe Methode, die Figur der Erde zu beſtimmen, geſtattet eine große Genauigkeit, da wir wohl dahin kommen koͤnnen, die Laͤnge des Secundenpendels an vielen Orten bis auf kleinere Theile als ein Hunderttel Linie, alſo die Kraft der Schwere ſo genau zu beſtimmen, daß unſre Angaben um weniger als $$\frac{1}{44000}$$ von der Wahrheit abweichen.

Verſuche uͤber die Laͤnge des Secundenpendels.

Aber wie gelangen wir zu dieſer Genauigkeit? Das iſt eine Frage, deren Beantwortung um ſo mehr hieher gehoͤrt, da die Be - ſtimmung der Pendellaͤnge eines der ſchoͤnſten Beiſpiele von der großen Genauigkeit giebt, welche die Kuͤnſtler unſrer Zeit in ihren Inſtrumenten und die Beobachter in ihren Beſtimmungen zu er - reichen wiſſen. Die Beantwortung der Frage fordert zweierlei, erſt - lich daß wir die Mittel angeben, die ſehr ſtrenge beſtimmte Schwin - gungszeit eines Pendels zu beobachten, zweitens, daß wir die Laͤnge dieſes Pendels mit großer Schaͤrfe abmeſſen. Das Letztere iſt am ſchwie - rigſten und ich will daher damit anfangen. Eigentlich ſollten wir ein Pendel haben, welches nur einen einzigen ſchweren Punct in B (Fig. 65.) haͤtte; dann wuͤrde die Abmeſſung vom Aufhaͤngepuncte A bis zu dieſem Puncte B uns die Laͤnge des Pendels geben; aber ſolche Pendel beſitzen wir nicht, und wenn zum Beiſpiel das Pendel aus einer duͤnnen Stange und einer unten daran befeſtigten Kugel beſteht, ſo iſt nicht der Mittelpunkt der Kugel, ſondern ein andrer107 Punct derjenige, bis zu welchem hin gemeſſen werden muß. Dieſen Punct, welchen man den Mittelpunct des Schwunges nennt, in welchem naͤmlich jener einzige ſchwere Punct ſich befinden muͤßte, um ein in ebenſo langen Zeiten ſchwingendes Pendel darzubieten, laͤßt ſich nun freilich berechnen; aber dieſe Berechnung beruht auf einer vollkommen genauen Kenntniß aller einzelnen Theile des Pen - dels, und es wuͤrde immer ſchwer ſein, die Lage deſſelben bis auf $$\frac{1}{100}$$ Linie zu verbuͤrgen.

Wegen dieſer nicht ſtrengen Beſtimmung verdiente Bohnen - berger's Pendel, welches Beſſel das Pendel mit reciproken Axen nennt, und das von andern das convertible, umwendbare Pendel genannt iſt, einen Vorzug, indem es den Schwingungsmit - telpunct an einer genau beſtimmten Stelle, zur Abmeſſung bequem, darbietet. Es iſt naͤmlich ein leicht aufzufaſſender Satz, daß, wenn ein Pendel am obern Ende aufgehaͤngt Secunden ſchlaͤgt, es auch irgendwo gegen das untere Ende hin einen Punct geben wird, in welchem umgekehrt aufgehaͤngt, es wieder Secunden ſchlaͤgt, und daß der Abſtand dieſer Puncte von einander der Abſtand des Schwingungsmittelpunctes von der Axe, oder der ſo beſtimmte Punct der Schwingungsmittelpunct iſt, der zu jener Axe gehoͤrt. Bringt man alſo an einem Stabe AB (Fig. 67.) eine als Schneide zugeſchaͤrfte, zum Auflegen auf eine wohlpolirte Unterlage geeignete Axe CD an, und befeſtigt eine zweite Axe EF, deren Schaͤrfe nach oben gekehrt iſt, vermittelſt einer Schraube, ſo wird man nach ei - nigen Verſuchen den Abſtand der beiden Schneiden CD, EF ſo einrichten koͤnnen, daß die Schwingungszeiten des Pendels gleich ſind, man mag es in der Stellung, welche die Figur zeigt, oder in umgekehrter Stellung, mit EF aufliegend, ſchwingen laſſen. Die Schwierigkeit, die es haben mag, dies genau auszufuͤhren, will ich hier nicht weiter beruͤckſichtigen, ſondern nur kurz ſagen, wenn dieſe Anordnung vollkommen ausgefuͤhrt iſt, ſo iſt die Schneide der einen Axe genau in dem der andern Axe zugehoͤrigen Schwingungs - puncte, und der Abſtand beider Axen von einander iſt das, was wir Laͤnge des Pendels nennen. Die Abmeſſung dieſer Laͤnge ließe ſich ſehr genau erhalten; aber bei einer Beſtimmung, die bis auf ein Tauſendtel einer Linie genau ſein ſoll, muß man ſehr feine Umſtaͤnde mit beruͤckſichtigen, und hier ſind es beſonders zwei Um -108 ſtaͤnde, die zu Fehlern, und zu ſolchen Fehlern, denen ſelbſt die Sorgfalt des Beobachters nicht ganz abhelfen kann, fuͤhren koͤnnen. Der erſte Fehler beruht auf der Unvollkommenheit der Schneide, auf welcher das Pendel aufliegt. Haͤtten wir es mit einer dicken, cylin - driſchen Axe auf die Unterlage gelegt, ſo wuͤrde offenbar die Laͤnge des Pendels nicht ſo gradezu von dem Puncte, mit welchem die Axe die Unterlage beruͤhrt, an zu rechnen ſein, ſondern man muͤßte auf das Waͤlzen dieſes Cylinders Ruͤckſicht nehmen, und etwas Aehnli - ches, wenn gleich in viel geringerm Maaße, findet ſelbſt bei der feinſten Schneide ſtatt, die doch immer noch mit andern Beruͤh - rungspuncten aufliegt, wenn das Pendel rechts ausweicht, mit an - dern, wenn es links ausweicht. So wenig dies auch bei einer Schneide, deren Breite nur einige Tauſendtel einer Linie betraͤgt, ausmacht, ſo iſt es doch gegen die Feinheit der Verſuche, die ſich hier erreichen laͤßt, nicht ganz unbedeutend. Noch wichtiger iſt der Widerſtand der Luft. Jene Regel, daß der Abſtand der beiden Axen die wahre Laͤnge des Pendels angiebt, wenn beide eine genau gleiche Schwingungszeit geben, gilt nur im leeren Raume mit voͤlli - ger Schaͤrfe, und fordert wegen des Widerſtandes der Luft eine ſchwer zu beſtimmende Correction. Ein Pendel, das im leeren Raume in beiden Lagen gleiche Schwingungszeiten hat, behaͤlt nicht nothwendig dieſe Eigenſchaft in der Luft.

Dieſe, auch hier uͤbrig bleibende Unvollkommenheit hat in der allerneueſten Zeit Beſſel zu einer anders eingerichteten Reihe von Verſuchen veranlaßt, die ſich auf die Betrachtung ſtuͤtzt, daß es nicht nothwendig iſt, die genaue Laͤnge eines Pendels zu kennen, ſondern daß die genaue Kenntniß des Unterſchiedes der Laͤngen zweier Pen - del, deren Schwingungszeiten man beobachtet, eben ſo gut zur Be - ſtimmung der Laͤnge des einfachen Secundenpendels fuͤhrt. Beſſel bediente ſich deshalb zweier Pendel, deren Laͤnge genau um eine Toiſe verſchieden war, und beſtimmte ihre Schwingungszeit mit moͤglichſter Sorgfalt.

Ich wuͤrde beſorgen, daß ich Ihnen zu lange bei dieſem Gegen - ſtande zu verweilen ſchiene, wenn ich nicht ſicher hoffen duͤrfte, daß ein Beiſpiel von der großen Genauigkeit, welche Verſuche dieſer Art geſtatten, jedem von Ihnen merkwuͤrdig genug ſcheinen werde, um gern dabei etwas laͤnger zu verweilen. Da ich das Mittel, die ſehr109 genaue Schwingungszeit zu finden, noch nicht erwaͤhnt habe, ſo mag davon jetzt zuerſt die Rede ſein. Und hier klingt es freilich im erſten Augenblicke unglaublich, wenn man ſagt, daß bei Beſſel's Verſuchen jede einzelne Beobachtungsreihe die Schwingungszeit ſei - nes Pendels ſelten um ein ganzes Hunderttauſendtel einer Secunde unſicher ließ. Aber dieſes Unglaubliche wird ſchon etwas naͤher in die Grenze des uns Begreiflichen gebracht, wenn wir uͤberlegen, daß ſein Pendel 4000 bis 6000 einzelne Schwingungen ungeſtoͤrt hinter einander vollendete, daß alſo der Zeitraum zwiſchen der erſten und letzten Schwingung bis auf 1 Sec. genau beobachtet, ſchon die Zeit jeder einzelnen Schwingung bis auf $$\frac{1}{4000}$$ oder $$\frac{1}{5000}$$ Secunde genau geben wuͤrde, und daß dieſe Genauigkeit noch in hohem Grade zu - nahm, weil ſich in dieſer langen Reihe von Schwingungen eine Menge einzelner Beſtimmungen, fuͤr die erſten 500, fuͤr die zweiten 500 und ſo ferner darboten. Aber auch in der Art, wie die Beobachtung angeſtellt ward, lag das Mittel zu Erreichung einer ſo großen Ge - nauigkeit. Die Methode der Beobachtung der Coincidenzen beſteht bei den Pendeln darin, daß man zwei Pendel, die keinen genau gleichen Zeitraum zu ihren Schwingungen brauchen, beim Zuſam - mentreffen ihrer Schlaͤge beobachtet, und hiezu machte Beſſel folgende Einrichtung. Es ward eine genau gehende Uhr vor dem zu beobachtenden Hauptpendel aufgeſtellt, jedoch entfernt genug, da - mit nicht etwa die Schlaͤge der Uhr auf jenes Pendel ſtoͤrend ein - wirken koͤnnten. An dem Pendel der Uhr befand ſich ein kleines Loch, durch welches man, bei der tiefſten Lage des Pendels, auf die weiß gelaſſene Mitte der Scale ſah, die ſich hinter dem zu beobach - tenden Hauptpendel befand; aber dieſes Weiß wurde, wenn das zu beobachtende Pendel entweder ruhete oder auch bei der Bewegung ſeinen tiefſten Punct erreichte, von einem an demſelben befeſtigten ſchwarzen Cylinder bedeckt, und wenn beide Pendel in Schwingung waren, ſo ſah das durch ein Fernrohr auf jenes Weiß gerichtete Auge, beim Eintreffen des Uhrpendels im tiefſten Puncte, durch das Loch deſſelben, in den meiſten Faͤllen jenes Weiß, und nur dann, wenn beide Pendel zugleich ihre tiefſte Stellung erreichten, war das Weiß durch den ſchwarzen Cylinder des Hauptpendels verdeckt, und dadurch waren die Coincidenzen merklich gemacht. Dieſe Coinci - denzen erfolgen nicht ganz genau in immer gleichen Zwiſchenraͤumen,110 ſondern da das frei haͤngende Pendel anfangs etwas groͤßere, all - maͤhlig immer kleinere Bogen durchlaͤuft, ſo werden die Schwin - gungszeiten nach und nach etwas, freilich ſehr wenig, kuͤrzer. Doch ich habe wohl genug geſagt, um zu zeigen, daß die Zeit der Schwingungen des Pendels auf dieſe Weiſe ſehr vollkommen be - ſtimmt war, und doch habe ich mehrere ſorgfaͤltige Vorrichtungen, um dieſen Zweck vollkommen zu erreichen, noch mit Stillſchweigen uͤbergangen. Bei der Abmeſſung der Laͤnge kam es nun vorzuͤglich auf die groͤßeſte Genauigkeit in Beſtimmung des Laͤngen-Unterſchiedes beider Pendel an. Es ward dazu eine von Fortin in Paris ver - fertigte Toiſe angewandt, die mit dem Normalmaaße der Toise de Perou genau verglichen, und nur um $$\frac{8}{10000}$$ einer Linie zu kurz be - funden war. Da ich nachher Gelegenheit haben werde zu ſagen, wie man ſich von einer ſo genauen Uebereinſtimmung uͤberzeugen kann, ſo will ich jetzt bei der Einrichtung des Comparateurs, mit welchem dieſe Maaßvergleichungen angeſtellt werden, nicht verweilen. Dieſe Toiſe wurde, in ihrer Mitte von einer Huͤlfe getragen, vertical aufgehaͤngt, und ſtuͤtzte ſich auf einen genau horizontal abgeſchliffe - nen Cylinder, den ich die Unterlage nennen will. Indem nun die zum Aufhaͤngen des Pendels dienende Vorrichtung ſich ganz genau ebenſo bei den Schwingungen des laͤngern Pendels an die obere Flaͤche der Toiſe, wie bei den Schwingungen des kuͤrzern Pendels an die obere Flaͤche der Unterlage andruͤckte, ſo waren die Hoͤhen der Aufhaͤngepuncte ganz genau um eine Toiſe verſchieden, jedoch muß - ten die geringen Unterſchiede, welche die Ausdehnung der Toiſe durch die Waͤrme hervorbringt, in Rechnung gezogen werden. Die Lage des untern Endpunctes ward durch ein Micrometer, das ich ſogleich beſchreiben werde, berichtigt. Da das Pendel aus einem Stahlfa - den beſteht, an welchem eine Meſſingkugel haͤngt, ſo iſt es der un - terſte Punct der Kugel, deſſen Lage eine genau ſo große Hoͤhe im einen und im andern Falle haben muß, wenn das laͤngere Pendel um eine genaue Toiſe laͤnger als das kuͤrzere ſein ſoll. Die Hoͤhe dieſes Endpunctes wird mit einer Micrometerſchraube abgemeſſen, deren ganze Schraubengaͤnge eine Weite von 0,0902 Linien haben, und an der noch die Hunderttel einer Drehung, die alſo 0,0009 Linien be - tragen, abgeleſen werden. Um aber noch eine groͤßere Genauigkeit zu erreichen, beruͤhrt der durch die Drehung der Micrometerſchraube111 gehobne oder geſenkte Cylinder nicht ſelbſt unmittelbar die Kugel, ſondern ein 60mal vergroͤßernder Fuͤhlhebel druͤckt ſich an ſie an, und macht ſelbſt die feinſten Aenderungen wahrnehmbar. Dieſer Fuͤhl - hebel, den Sie ſich am leichteſten ſo vorſtellen, daß am kurzen Arme eine polirte Stahlplatte ſich an die Kugel andruͤckt, waͤhrend der 60mal laͤngere Arm als Zeiger an einer Scale beobachtet wird, kann offenbar dienen, um $$\frac{1}{60000}$$ Linie noch wahrnehmbar zu machen, wenn ein Microſcop, wodurch $$\frac{1}{1000}$$ Linie kenntlich wird, auf das der Scale gegen uͤberſtehende Zeichen des Zeigers gerichtet wird, und wenn auch niemand fuͤr ein einziges Sechzigtauſendtel wird buͤr - gen wollen, ſo erhellt doch nun deutlich, wie von den Zehntauſend - teln einer Linie gar wohl die Rede ſein darf, wenn ſolche Inſtru - mente, wie dieſer von dem ausgezeichneten Repſold verfertigte Apparat, dem Beobachter zu Gebote ſtehen.

Da es hier nicht meine Abſicht iſt, Sie mit den großen Vor - zuͤgen der Beſſel'ſchen Beobachtungen und Berechnungen voll - kommen bekannt zu machen, ſondern nur Ihnen den moͤglichen Grad von Genauigkeit anzugeben, der ſich erreichen laͤßt, ſo uͤbergehe ich alle die Vorſichten, die ſonſt noch bei jedem einzelnen Umſtande der Beobachtungen angewandt wurden, und die feinen Berichtigun - gen, welche die Rechnung darbot, und begnuͤge mich das Hauptre - ſultat, daß man die Pendellaͤnge als gewiß auf ein Tauſendtel Linie fuͤr Koͤnigsberg ſicher beſtimmt anſehen kann, anzufuͤhren*)Beſſel's Unterſuchungen uͤber die Laͤnge des einfachen Secun - denpendels. Berlin 1828..

Wenn mit gleicher Sorgfalt die Pendellaͤnge an vielen Orten an der Meeres-Oberflaͤche, wenn ſie mit gleicher Sorgfalt auf Ber - gen und in nahe gelegnen Thaͤlern und endlich in tiefen Schachten und oberhalb derſelben auf der Oberflaͤche der Erde beſtimmt wuͤrde, ſo wuͤrde noch manche Frage uͤber die Geſtalt der Erde, uͤber ihre Dichtigkeit und uͤber die comparative Dichtigkeit der oberſten Schich - ten gegen die Dichtigkeit des Erdkernes beantwortet werden koͤnnen, und theils manche nuͤtzliche Beſtimmung hervorgehen, theils unſer Streben, uͤber alle dieſe Gegenſtaͤnde ganz genau belehrt zu werden, Befriedigung finden.

112

Andre oſcillirende Bewegungen.

Ich gehe jetzt zu einigen andern, mit der Lehre vom Pendel in Verbindung ſtehenden Betrachtungen uͤber. Zuerſt mag eine kurze Erwaͤhnung anderer Faͤlle, wo eine Bewegung, der Pendel - bewegung aͤhnlich, eintritt, hier Platz finden. Bei der Bewe - gung des Pendels iſt zuerſt die Schwere thaͤtig, um den vom Zu - ſtande des Gleichgewichts entfernten Koͤrper zu dieſem Zuſtande zu - ruͤck zu fuͤhren, aber wenn ſie das Pendel in die dem Gleichge - wichte angemeſſene Lage gebracht hat, ſo fuͤhrt die erlangte Ge - ſchwindigkeit es uͤber den Zuſtand des Gleichgewichts hinaus, und ſo entſteht die wechſelnde Bewegung. Ein aͤhnliches Hinausgehen uͤber der Zuſtand des Gleichgewichtes, und eben deswegen eine oftmals wiederholte hin und her gehende Bewegung beobachten wir auch in vielen andern Faͤllen. Die elaſtiſche Feder, die wir in eine gezwungene Lage druͤcken und dann frei laſſen, kehrt nicht bloß in den Zuſtand des Gleichgewichtes zuruͤck, ſondern geht ebenſo weit uͤber denſelben hinaus nach der andern Seite, als wir ſie zu Anfang von demſelben entfernt hatten, und wuͤrde ihre Vibra - tionen ohne Aufhoͤren fortſetzen, wenn nicht die Steifheit des Koͤrpers dieſe Vibrationen bald verminderte. Wenn wir ein her - abhaͤngendes Seil drehen, ſo gelangt es frei gelaſſen, nicht bloß in ſeinen natuͤrlichen Zuſtand, ſondern macht eine Drehung dar - uͤber hinaus, die ein neues Ruͤckwaͤrtsdrehen zur Folge hat. Eben ſo verhaͤlt es ſich beim Vibriren der Saiten, bei der Fortpflanzung des Schalles, beim Schwanken des Waſſers in Roͤhren, bei der Bewegung der Wellen u. ſ. w.

Eigenſchaften der Cycloide.

Eine zweite Bemerkung betrifft die Linie, auf welcher ein Koͤrper fortgehen muͤßte, um große und kleine Bogen in gleichen Zeiten zu durchlaufen. Wenn wir ein Pendel beobachten, ſo finden wir keinen merklichen Unterſchied in der Zeit der Pendel - ſchlaͤge, die durchlaufenen Bogen moͤgen groß oder klein ſein; indeß zeigt die Rechnung und ſelbſt eine mit hinreichender Sorgfalt an - geſtellte Beobachtung laͤßt es wahrnehmen, daß groͤßere Bogen etwas laͤngere Zeit fordern. Die Cycloide dagegen hat die Eigen -113 ſchaft, daß Koͤrper, die (Fig. 68.) in A, in B, in C aufgelegt werden, alle zugleich im unterſten Puncte D ankommen; ſie er - langen naͤmlich bei der ſtarken Neigung in A ſogleich eine große Geſchwindigkeit und ereilen daher die mit geringerer Geſchwindig - keit einen kurzen Weg durchlaufenden Koͤrper. Dieſe Cycloide iſt eine merkwuͤrdige, auch ſonſt in der Phyſik oͤfter vorkommende Linie. Sie zeigt ſich uns am deutlichſten, wenn wir den Weg verfolgen, den ein Nagel an einem auf gradem Wege ſich fortwaͤl - zenden Rade durchlaͤuft. Ich zeichne hier dieſes Fortwaͤlzen ſo, als ob das Rad AH ſich an der untern Seite der graden Linie AE fortwaͤlzte, um die Cycloide ſogleich in der fuͤr unſre Betrachtung noͤthigen Stellung zu erhalten, ſtatt daß wir ſie gewoͤhnlich mit der Woͤlbung nach oben bei der Waͤlzung des Rades entſtehen ſehen. Indem das Rad AH, deſſen Mittelpunct zuerſt in G iſt, ſich von A nach I fortwaͤlzt, gelangt der Nagel A, oder der die Cycloide beſchreibende Punct, nach B, und der Bogen IB iſt ſo groß, als AI; iſt das Rad nach KM gekommen, ſo iſt der be - ſchreibende Punct in M, wenn man KM = AK nimmt, und ſo kann man die ganze Cycloide ABCDE zeichnen, die ſich in immer gleichen Wiederholungen jenſeits E bei weiterem Fortgange der Waͤlzung wieder darſtellt.

Die Cycloide iſt nicht bloß durch dieſe Gleichzeitigkeit des Falls, durch die Eigenſchaft eine tautochroniſche Curve zu ſein, merkwuͤrdig, ſondern ſie iſt auch die Linie des ſchnellſten Falls, die Brachyſtochrone. Sind die beiden Puncte A, M gegeben, und man verlangt, daß der von A ausgehende fallende Koͤrper in der kuͤrzeſten Zeit nach M gelange, ſo muß man ihn nicht auf einer durch AM gehenden geneigten Ebne laufen laſſen, ſondern auf dem laͤngern, nach der Cycloide ABM gekruͤmmten Wege gelangt er ſchneller, und auf keiner andern Linie gleich ſchnell, von A nach M.

Anwendung der Pendel.

Ich komme endlich zu den Anwendungen des Pendels und der Federn, welche pendelartige Bewegungen bewirken. Bekannt - lich dienen ſie zur Regulirung unſrer Uhren, deren BewegungI. H114durch eine ſtetig wirkende Kraft hervorgebracht, aber durch den Pendelſchlag regelmaͤßig wird. Das Gewicht an den groͤßern Uhren und die beim Aufziehen zuſammengezogne Feder an den Taſchen - uhren wuͤrde das Raͤderwerk bald in ſchnelle Bewegung ſetzen, und zugleich ein baldiges Ablaufen der ganzen Kette bewirken, wenn nicht die Wirkung dieſer Kraft unterbrochen wuͤrde. Dieſe Unter - brechung, ſo weit ſie hier erwaͤhnt zu werden braucht, wird durch die am obern Ende des Pendels angebrachten, in das Steigerad eingreifenden Hemmungen zu Stande gebracht, die, waͤhrend das Pendel ſchwingt, nur einen Zahn vorbeigehen laſſen, und dann das fernere Fortruͤcken des Rades und damit das Herabſinken des Gewichts auf einen Augenblick aufhalten, alſo nie eine be - ſchleunigte Bewegung geſtatten. Die Spiralfeder an den Taſchen - Uhren bewirkt eben dieſe Hemmung.

Das Pendel iſt in neuern Zeiten oft als Tactzaͤhler em - pfohlen worden, und man hat ihm dazu die in Fig. 69. gezeich - nete Einrichtung gegeben. Der Stab BC iſt unten mit dem Gewichte A beſchwert, und ein kleines Gewicht D iſt an ihm ver - ſchiebbar. Die Schwingungen, die dieſes Pendel um die Axe E vollendet, werden von laͤngerer Dauer, wenn das Gewicht D nach C fortgeruͤckt wird. Die auf dem Staͤbchen aufgetragenen Abtheilungen zeigen durch die beigeſetzten Zahlen die Verhaͤltniſſe der Schwingungszeiten, die den verſchiedenen Lagen des Gewichtes D entſprechen, an, und es ſtehen daher naͤher bei E die groͤßern Zahlen, weil mehrere dieſer ſchnellen Schwingungen auf eine Minute gehen. Der Grund, warum die Schwingungen langſamer ſind, wenn das Gewicht nach C zu ruͤckt, iſt, daß der immer un - terhalb E bleibende Schwerpunct der Axe naͤher koͤmmt, wenn das Gewicht gegen C zu geht, dadurch wird das Moment der bewegenden Kraft geringer, und die Gegenwirkung der Maſſe D wird dagegen ſtaͤrker, je weiter vom Drehungspuncte ſie ihre Stelle erhaͤlt. Man hat dieſes Inſtrument Metronom genannt.

Auch manche Gegenſtaͤnde, bei denen wir nicht ſo gradezu an das Pendel erinnert werden, haͤngen doch von den Geſetzen der Pendelbewegung mehr oder weniger ab. Wenn eine Glocke durch ihren Kloͤppel zum Toͤnen gebracht werden ſoll, indem man beide115 in pendelartige Bewegung ſetzt, ſo muͤſſen nicht beide ihre Schwin - gungen gleichzeitig vollenden, ſondern der Mittelpunct des Schwun - ges im Kloͤppel muß eine andre Entfernung von der Axe haben, als der Mittelpunct des Schwunges in der Glocke. Selbſt eine andere, anſcheinend gar nicht hierher gehoͤrige Frage, uͤber den Nutzen der Federn an Wagen oder Kutſchen, ſteht dennoch mit dieſen Unterſuchungen in Verbindung. Bekanntlich ſollen die Federn, auf denen der Kutſchkaſten ruht, hindern, daß wir die durch Ungleichheiten des Weges entſtehenden Stoͤße nicht ſo heftig fuͤhlen. Indem naͤmlich das Rad ploͤtzlich von einem Steine her - unterfaͤllt, folgt der an der dehnbaren Feder haͤngende Kutſch - kaſten zwar faſt ebenſo ſchnell, aber ſeine Bewegung wird beim Auf - treffen des Rades auf den tiefern Stein nicht ploͤtzlich angehalten, ſondern wegen der Traͤgheit druͤckt der heruntergehende Kaſten die Feder ein wenig zuſammen, und der ploͤtzliche Stoß, den wir ſonſt empfunden haͤtten, geht in ein etwas laͤnger dauerndes Schwanken uͤber. Dabei wird zugleich den Pferden ihr Ziehen etwas erleichtert, und dies laͤßt ſich durch folgende Ueberlegung erklaͤren. Auf unſern Straßen iſt es unvermeidlich, daß nicht ein ſtets wiederholtes Herab - ſinken zu einem tiefern Steine mit dem Heben zum naͤchſt hoͤhern wechſele, und hier muͤſſen die Pferde ihre groͤßte Kraft beim Heben anwenden. Dieſes Heben bewirkt aber zum Theil die beim Stoße auf den tiefern Stein ein wenig zuſammengedruͤckte Feder, die ja durch ihre Ausdehnung und ihr Hinausgehen uͤber den Ruheſtand den Kutſchkaſten offenbar in die Hoͤhe bringt, und alſo wenigſtens in den Faͤllen, wo der Weg mit einiger Regelmaͤßigkeit unterbrochen iſt, den Pferden ihre Arbeit erleichtert. Edgeworth's Verſuche mit Wagenmodellen ohne Federn und mit Federn zeigen, daß man faſt eben die Geſchwindigkeit bei gleicher Ziehekraft erreicht, es moͤgen Hinderniſſe, den tiefern und hoͤhern Steinen aͤhnlich, da ſein oder nicht, wenn der Wagen in Federn haͤngt, ſtatt daß bei Wagen ohne Federn der Unterſchied ſehr erheblich iſt. Man koͤnnte dies auch durch Verſuche mit wirklichen Wagen zeigen, wenn man, wie Rumford es bei ſeinen Verſuchen uͤber die Vortheile der breit - felgigen Raͤder machte, Federwaagen ſo zwiſchen das Pferd und den Wagen einſpannte, daß ſie die beim Zuge angewandten KraͤfteH 2116angaͤben, und nach vollendetem Verſuche durch einen feſt bleibenden Zeiger noch die groͤßte Gewalt des Zuges abzuleſen erlaubten*)Gilb. Ann. LI. 322..

Doch es iſt Zeit dieſen Gegenſtand endlich zu verlaſſen.

Neunte Vorleſung.

Grader Stoß unelaſtiſcher Koͤrper.

Die Lehre vom Stoße der Koͤrper bietet mir, als die letzte aus der Mechanik feſter Koͤrper, noch eine Reihe von Betrachtun - gen dar, womit ich Sie, m. h. H., heute zu unterhalten gedenke.

Wenn zwei gleiche unelaſtiſche Kugeln mit gleichen Geſchwin - digkeiten einander ſo begegnen, daß die Richtungen ihrer Bewegun - gen einander genau entgegengeſetzt ſind, ſo werden dieſe Bewegun - gen im Zuſammentreffen ſich gewiß voͤllig aufheben. Waͤre die Maſſe des einen Koͤrpers doppelt ſo groß, als die des andern, die Geſchwindigkeit des kleinern aber doppelt ſo groß, als die des groͤ - ßern, ſo wuͤrden wieder beide im Zuſammentreffen alle Bewegung verlieren; denn man koͤnnte ſich jene doppelte Maſſe, als in zwei gleich hinter einander eintreffende Theile zerlegt denken, deren erſter, als der begegnenden Maſſe gleich, ihr ebenſo viel Geſchwin - digkeit raubt, als er ſelbſt beſitzt, wo dann der zweite ebenſo große Theil die noch uͤbrig bleibende ebenſo große Geſchwindigkeit der klei - nern Maſſe voͤllig zerſtoͤrt. Dieſelbe Ueberlegung zeigt allgemein, daß zwei Koͤrper, wenn ſie in grade entgegengeſetzten Richtungen auf einander treffen, ihre Bewegung gegenſeitig ganz zerſtoͤren, wenn ihre Geſchwindigkeiten den Maſſen umgekehrt proportional ſind, das heißt, wenn die Geſchwindigkeit des kleinern ein ebenſo Viel - faches der Geſchwindigkeit des groͤßern iſt, als die Maſſe des klei - nern in der Maſſe des groͤßern enthalten iſt. Hierauf gruͤndet ſich der Begriff von Quantitaͤt der Bewegung. Wir ſchreiben der Maſſe von 10 Pfunden, wenn ſie mit 3 Fuß Geſchwindigkeit in 1 Secunde bewegt wird, eben die Groͤße der Bewegung oder eben117 die Quantitaͤt der Bewegung zu, wie einer Maſſe von 5 Pfunden, die mit 6 Fuß Geſchwindigkeit bewegt wird, oder wie einer Maſſe von 1 Pfund, die mit 30 Fuß Geſchwindigkeit in 1 Secunde fort - geht, und die Producte 10.3 = 5.6 = 1.30. druͤcken die Quan - titaͤt der Bewegung aus.

Dieſe Ueberzeugung, daß beim Stoße an einander gleiche Quantitaͤten der Bewegung ſich voͤllig aufheben, wenn die Richtun - gen der Bewegungen entgegengeſetzt ſind, fuͤhrt zu dem zweiten Satze, daß bei unelaſtiſchen Koͤrpern, wo gar keine neuen Kraͤfte thaͤtig ſind, nach dem Stoße die Summe der Bewegungen ebenſo groß iſt als vor dem Stoße, wenn die Koͤrper einander folgten, und daß der Unterſchied der beiden Bewegungsquantitaͤten vor dem Stoße die Quantitaͤt der Bewegung nach dem Stoße giebt, wenn ſie einan - der begegnen. Beiſpiele werden dies voͤllig erlaͤutern. Wenn zwei Kugeln einander in genau entgegengeſetzten Richtungen begegnen, die eine von 4 Pfund, die andre von 1 Pfund, jene mit der Ge - ſchwindigkeit = 9, dieſe mit der Geſchwindigkeit = 6 Fuß in der Secunde, ſo druͤckt 4. 9 = 36 bei jener 1. 6 = 6 bei dieſer die Quantitaͤt der Bewegung vor dem Stoße aus, und im Stoße behaͤlt die erſtere einen Ueberreſt von 30; aber ſie kann in ihrer Richtung nicht fortgehen, ohne auch noch das eine Pfund mit fortzureißen, und die Quantitaͤt der Bewegung = 30, auf die 5 vereinigten Pfunde ausgetheilt, giebt dieſen 6 Fuß Geſchwindigkeit. Die Einwirkung der mit groͤßerer Bewegung begabten Maſſe iſt alſo eine doppelte, erſtlich raubt ſie der begegnenden Maſſe alle Geſchwindigkeit, dazu waͤre ſie bei Fuß Geſchwindigkeit ſchon im Stande geweſen, und ihr bleiben daher Fuß Geſchwindigkeit uͤbrig; aber zweitens er - theilt ſie der aufgehaltenen Maſſe eine neue entgegengeſetzte Ge - ſchwindigkeit, und dieſe muß derjenigen gleich ſein, die ſie ſelbſt am Ende behaͤlt; die den 4 Pfunden noch uͤbrige Geſchwindigkeit = Fuß wird daher unter die 5 Pfunde ſo vertheilt, daß beide Maſ - ſen 6 Fuß Geſchwindigkeit erhalten. Man kann, obgleich der Stoß bei ziemlich harten Koͤrpern in einem einzigen Augenblicke ſeine Wir - kung zu vollenden ſcheint, dennoch dieſe Wirkung als in auf einander folgenden, ſehr kleinen Zeitmomenten vorgehend anſehen, naͤmlich ſo: die Maſſe 4 mit der Geſchwindigkeit 9 trifft gegen die Maſſe 1 mit Geſchwindigkeit 6, im erſten Momente verliere die letztere118 2 Fuß Geſchwindigkeit, womit ein Verluſt von ½ Fuß bei der erſtern nothwendig verbunden iſt, die groͤßere Maſſe behaͤlt alſo noch Fuß, die kleinere 4 Fuß Geſchwindigkeit; im zweiten Zeitmo - mente tritt eben der Verluſt noch einmal ein, und 8 Fuß, 2 Fuß ſind die Geſchwindigkeiten der noch immer gegen einander andrin - genden Maſſen; im dritten Zeitmomente wiederholt ſich derſelbe Verluſt an Geſchwindigkeit und Fuß, 0 Fuß ſind nun die Ge - ſchwindigkeiten; im vierten Zeitmomente ertheilt die ſtaͤrker bewegte Maſſe der andern eine Geſchwindigkeit, und indem jene auf 7 Fuß Geſchwindigkeit gelangt, hat dieſe 2 Fuß Geſchwindigkeit erhalten, im fuͤnften Zeitmomente werden die Geſchwindigkeiten Fuß und 4 Fuß, im ſechſten Zeitmomente 6 Fuß und 6 Fuß, und nun gehen beide, ohne weiter in einander einzudringen, mit dieſer gleichen Geſchwindigkeit zuſammen fort. Wenn beide Maſſen gleich von Anfang einander folgen, ſo iſt die Rechnung ganz aͤhnlich. Die vorangehende ſei die groͤßere = 7 Pfund, die nachfolgende die klei - nere = 3 Pfund, aber jene habe nur 2, dieſe 12 Fuß Geſchwindig - keit. Sobald die ſchnellere jene erreicht, fangen ſie an gegen einan - der zu druͤcken, und die ſchnellere verliert, die langſamere gewinnt an Geſchwindigkeit; wegen der Ungleichheit der Maſſen verliert die kleine 7 Fuß an Geſchwindigkeit waͤhrend die große nur 3 Fuß ge - winnt, und wenn dies geſchehen iſt, ſo hat jene noch 5 Fuß Ge - ſchwindigkeit uͤbrig, und dieſe hat 5 Fuß Geſchwindigkeit erlangt; ſie gehen alſo mit dieſer Geſchwindigkeit zuſammen fort. Auch bei unbequemer zu rechnenden Faͤllen bleibt doch die Anordnung der Rechnung dieſelbe.

Anwendungen.

Dieſes Geſetz der Mittheilung der Geſchwindigkeit beim Stoße hat man angewandt, um die Geſchwindigkeit der aus Flinten und Canonen abgeſchoſſenen Kugeln zu beſtimmen. Wenn man eine Kugel von 1 Pfund gegen eine ruhende Maſſe von 1000 Pfund, auch mit 1000 Fuß Geſchwindigkeit abſchießt, ſo erlangt jene große Maſſe nur die Geſchwindigkeit = 1 Fuß (eigentlich = $$\frac{1000}{1001}$$ Fuß,) es koͤmmt alſo nur darauf an, dieſe Geſchwindigkeit ſehr genau zu beſtimmen. Um dies zu thun, haben Robins, Hutton und Andre die Kugeln gegen ein ſehr ſchweres Pendel abgeſchoſſen, und119 indem ſie die Groͤße des vom Pendel durchlaufenen Bogens mit großer Genauigkeit abmaaßen, daraus die Hoͤhe, um welche der Mittelpunct des Schwunges gehoben war, berechneten, und ſo mittelbar die Geſchwindigkeit dieſes Punctes beſtimmten, erhielten ſie die Geſchwindigkeit der abgeſchoſſenen Kugel. Die Berechnung hat freilich viel mehr Schwierigkeiten, als ich hier angeben kann, indem der genaue Punct des Pendels, wo die Kugel auftraf, ſelbſt der Widerſtand der Luft und andre Umſtaͤnde beruͤckſichtigt werden muͤſſen; aber Sie uͤberſehen aus dem, was ich als die Hauptſache angefuͤhrt habe, daß es auf zuverlaͤſſigen Beſtimmungen beruht, wenn man die Geſchwindigkeit der Canonenkugeln als bis auf 1800 bis 2000 Fuß in der Secunde gehend angiebt.

Eine andre, dem Architecten wichtige, Frage gehoͤrt hieher, welche Feſtigkeit ein zum Grundbau eines Gebaͤudes eingeſchlagener Pfal gewaͤhre? Wenn wir ein Gebaͤude auffuͤhren auf einem Boden, der nicht feſt genug iſt, die Luft deſſelben zu tragen, ſo rammen wir Pfaͤle ein, und koͤnnen aus der geſammten Laſt des Gebaͤudes berechnen, wieviel jeder Pfal zu tragen hat; die zu be - antwortende Frage iſt alſo die, wie feſt muß der Pfal ſtehen, wie wenig muß er bei jedem Schlage des Rammklotzes nur noch wei - chen, um eine jener Laſt angemeſſene Feſtigkeit zu haben? Um dieſe Frage zu beantworten, muͤſſen wir den Widerſtand richtig be - urtheilen, den der weiche Boden dem Einſinken entgegen ſetzt, und das wollen wir zuerſt an einem Falle verſuchen, wo der Stoß des Rammklotzes ſich noch nicht in die Betrachtung einmiſcht. Es liege eine 2000 Pfund ſchwere Laſt auf einem Boden, der weich genug iſt, um ein Einſinken von 3 Fuß in 1 Minute zu geſtatten, ſo bewirkt der Widerſtand, daß das Herabſinken, welches vermoͤge der frei wirkenden Schwere 54000 Fuß in 1 Minute betragen ſollte, nur 3 Fuß, nur $$\frac{1}{18000}$$ jener Groͤße betraͤgt, und jener Widerſtand muß alſo $$\frac{17999}{18000}$$ der Schwere betragen, da er nur $$\frac{1}{18000}$$ der Schwere zur Wirkſamkeit kommen laͤßt.

In den Faͤllen dagegen, wo nur heftige Schlaͤge den Koͤrper zum Sinken bringen, iſt der Widerſtand viel groͤßer als die Schwer - kraft. Wenn ein Rammklotz von 2000 Pfund einen Pfal von 1000 Pfund ſchwer in 25 Schlaͤgen nur noch ¼ Zoll hineintreibt, ſo treibt jeder Schlag ihn nur um $$\frac{1}{100}$$ Zoll hinein, und man wuͤrde120 nun ſo rechnen: Der Rammklotz falle Fuß tief, welches ein Viertel des Fallraumes in der erſten Secunde iſt, ſo hat er dazu ½ Secunde Zeit gebraucht, und alſo 15 Fuß Geſchwindigkeit erlangt; im Augenblicke des Stoßes ertheilt er dem Pfale der halb ſo ſchwer iſt als der Rammklotz, eine Geſchwindigkeit von 10 Fuß in der Se - cunde, und mit dieſer Geſchwindigkeit wuͤrden Klotz und Pfal fort - gehen, wenn weder Schwere noch Widerſtand einwirkte. Um zu beurtheilen, welcher Widerſtand es iſt, der ſchon beim Vorruͤcken um $$\frac{1}{100}$$ Zoll = $$\frac{1}{1200}$$ Fuß dieſe Geſchwindigkeit zerſtoͤrt, wollen wir uͤberlegen, daß ein mit 10 Fuß Geſchwindigkeit aufwaͤrts ge - worfener Koͤrper Secunde lang ſteigen und $$\frac{1}{9}$$ 15 Fuß = $$\frac{5}{3}$$ Fuß Hoͤhe erreichen wuͤrde. Dieſe Hoͤhe von $$\frac{5}{3}$$ oder $$\frac{2000}{1200}$$ Fuß iſt noͤthig, damit der Widerſtand der Schwere jene Geſchwindigkeit zerſtoͤre, aber ein 2000 mal ſo großer Widerſtand zerſtoͤrt ſie ſchon waͤhrend eines Fortruͤckens von $$\frac{1}{1200}$$ Fuß, und der Widerſtand, den die Erde dem weiteren Einrammen leiſtet, iſt alſo 2000 mal ſo groß als die Schwere. Dieſer Widerſtand bleibt derſelbe, es mag eine große oder kleine Laſt auf dem Pfale ruhen, und wenn er mit dem 2000 fachen des Gewichtes belaſtet wuͤrde, welches er jetzt trug, alſo mit 6 Millionen Pfunden, ſo wuͤrde die Laſt das Uebergewicht uͤber den Widerſtand erhalten. Daß man uͤbrigens die Belaſtung lange nicht ſo weit zu treiben pflegt und lange nicht ſo weit treiben darf, iſt bekannt; denn bei einer ſo ſtarken Belaſtung traͤte die Ge - fahr ein, daß jede zufaͤllige Verminderung des Widerſtandes, Er - weichung des Bodens, ſtarke Erſchuͤtterung und dergleichen zu - reiche, um ein Sinken zu veranlaſſen.

Voͤllig dieſen Betrachtungen aͤhnlich iſt die Beantwortung der Frage, wie tief eine Canonenkugel in einen Erdwall eindringt. Iſt der Widerſtand, den dieſer Erdwall leiſtet, 5000 mal ſo groß, als die Kraft der Schwere und trifft die Kugel mit 900 Fuß Geſchwin - digkeit an, ſo bringt ſie ungefehr 33 Zoll tief ein; denn die Schwere zerſtoͤrt eine Geſchwindigkeit von 900 Fuß bei einem 13500 Fuß hohen Steigen; eine 5000 fache Schwere wuͤrde dieſelbe Geſchwin - digkeit bei einem Steigen von 33 Zoll zerſtoͤren.

121

Grader Stoß elaſtiſcher Koͤrper.

Bei dieſen Beſtimmungen wurden die an einander ſtoßenden Koͤrper als unelaſtiſch vorausgeſetzt; bei elaſtiſchen Koͤrpern ſind die Erfolge des Stoßes ſehr hievon verſchieden. Die Elaſticitaͤt der Koͤrper beſteht darin, daß dieſe Koͤrper zwar eine Aenderung der Geſtalt erlauben, aber die vorige Geſtalt mit eben der Kraft wieder anzunehmen ſtreben, mit welcher die Veraͤnderung hervorgebracht war. Wenn zwei unelaſtiſche Kugeln, einander folgend, ſich er - reichen, ſo draͤngt ſich die nachfolgende ſchnellere gegen die andre, und beide druͤcken ſich einander zuſammen; waͤhrend der kurzen Zeit der Dauer des Stoßes ruͤcken die Mittelpuncte einander immer naͤher, und erſt wenn beide Kugeln gleiche Geſchwindigkeit erlangt haben, hoͤrt die Einwirkung des Stoßes auf, und die Kugeln be - halten die etwas eingedruͤckte Form, die der Stoß ihnen gegeben hat. Bei elaſtiſchen Kugeln dagegen faͤngt nun ein zweiter Theil der ganzen Erſcheinung an, indem die von ihrer natuͤrlichen Geſtalt abweichenden Kugeln dieſe wieder anzunehmen ſtreben. In die - ſem letzten Theile der Wirkung wiederholt ſich alles das noch einmal, was in dem erſten Theile der Wirkung vorgekommen iſt, und darnach laͤßt ſich die am Ende ſtatt findende Geſchwin - digkeit beſtimmen. Wenn zwei gleiche Kugeln ſich mit gleichen Geſchwindigkeiten begegnen, ſo beſteht die erſte Einwirkung darin, daß die Mittelpuncte ſo lange gegen einander draͤngen, bis beide Kugeln ihre Geſchwindigkeiten verlohren haben; ſind die Kugeln unelaſtiſch, ſo bleiben ſie dann in Ruhe an der Stelle, wo ſie ſich trafen, und ſind ſie weich, ſo finden wir ihre Geſtalt ſo ver - aͤndert, wie das Gegeneinanderdraͤngen es forderte. Zwei elaſti - ſche Kugeln von gleicher Maſſe und gleicher Geſchwindigkeit zer - ſtoͤren ebenſo ihre Geſchwindigkeiten gegenſeitig, indem ſie ſich begegnen; aber nachdem die Geſchwindigkeiten gaͤnzlich zerſtoͤrt, dabei aber die Kugeln in einen gewiſſen Grad der Zuſammen - druͤckung gebracht ſind, ſtrebt die Kraft der Elaſticitaͤt, die Kugeln wieder aus einander zu treiben, und da dieſe Kraft, womit die vorige Geſtalt ſich herſtellt, bei vollkommen elaſtiſchen Koͤrpern, ſo groß iſt, als die, welche das Zuſammenpreſſen bewirkte, ſo er - theilt ſie beiden Kugeln nach den Richtungen, die ihren erſten122 Bewegungen entgegen geſetzt ſind, eben die Geſchwindigkeiten wie - der, die ſie hatten; begegneten ſich die Kugeln mit 3 Fuß Ge - ſchwindigkeit, ſo gehen ſie nun mit drei Fuß Geſchwindigkeit aus einander.

Wenn eine ruhende Kugel von einer ebenſo großen Kugel mit der Geſchwindigkeit = 4 Fuß getroffen wird, ſo beſteht die erſte Wirkung des Stoßes darin, daß beide Kugeln die Ge - ſchwindigkeit = 2 Fuß annehmen. Sind ſie unelaſtiſch, ſo be - halten ſie dieſe Geſchwindigkeit; ſind ſie aber elaſtiſch, ſo bringt die aus einander draͤngende elaſtiſche Kraft bei der einen Kugel einen abermaligen Gewinn von 2 Fuß Geſchwindigkeit hervor, ſo daß ſie mit 4 Fuß Geſchwindigkeit fortgeht, und bei der an - dern Kugel bringt ſie einen abermaligen Verluſt von 2 Fuß Ge - ſchwindigkeit hervor, ſo daß dieſe ganz zur Ruhe koͤmmt. Die Kugeln haben alſo ihre Geſchwindigkeiten vertauſcht, A ruhete und B kam mit 4 Fuß Geſchwindigkeit vor dem Stoße an, jetzt ruht B und A hat 4 Fuß Geſchwindigkeit, und da die ganze Wirkung in einem unmerklichen Augenblicke vollendet wird, ſo bleibt B an dem Orte ruhend, wo ſie A antraf. Eben dieſes Vertauſchen der Geſchwindigkeiten findet immer ſtatt, wenn die Kugeln gleich ſind. A habe 5 Fuß Geſchwindigkeit, B folge ihr mit 7 Fuß Geſchwindigkeit; im erſten Zeitraume des Stoßes er - langt jene und verliert dieſe 1 Fuß Geſchwindigkeit und ſie wuͤr - den ohne Elaſticitaͤt mit 6 Fuß Geſchwindigkeit fortgehen; aber wegen der Elaſticitaͤt gewinnt die vorangehende noch 1 Fuß und die nachfolgende verliert noch einen Fuß, ſo daß jene mit 7 Fuß, dieſe mit 5 Fuß Geſchwindigkeit fortgeht.

Bei ungleichen Kugeln iſt die Rechnung nicht viel ſchwieriger. A = 2 Pfund gehe mit 4 Fuß Geſchwindigkeit voran, B = 1 Pfund folge mit 7 Fuß Geſchwindigkeit. Da A 1 Fuß gewinnt, wenn B 2 Fuß an Geſchwindigkeit verliert, ſo wuͤrden beide mit 5 Fuß Geſchwindigkeit fortgehen, wenn ſie unelaſtiſch waͤren; die Elaſticitaͤt verdoppelt jenen Gewinn und verdoppelt dieſen Verluſt, und A geht am Ende des Stoßes mit 6 Fuß, B nur mit 3 Fuß Geſchwindigkeit fort.

Dieſe Geſetze des Stoßes elaſtiſcher Koͤrper laſſen ſich in Verſuchen beſſer darſtellen, als die Erſcheinungen des Stoßes123 unelaſtiſcher Koͤrper, weil nur die weichen und deshalb zu Ver - ſuchen nicht gut anwendbaren Koͤrper ganz ohne Elaſticitaͤt ſind. Haͤngt man zwei elfenbeinerne Kugeln an gleich langen Faͤden nahe neben einander vor einem Gradbogen auf, in deſſen Centro die Faͤden befeſtigt ſind, und hebt, vom unterſten Puncte an, beide zu einer gleichen Anzahl von Graden, ſo erlangen ſie gewiß beim Fallen gleiche Geſchwindigkeit; ſie prallen beim Zuſammen - treffen ſo von einander ab, daß ſie wieder dieſelben Hoͤhen er - reichen, von welchen man ſie fallen ließ. Wenn dagegen eine dieſer Kugeln auf 10 Grade, die andre auf 30 Grade gehoben war, ſo geht beim Zuruͤckprallen jene auf 30 Grade, dieſe auf 10 Grade. Hatte man die eine ganz in Ruhe gelaſſen, und die andre von 30 Graden her fallen laſſen, ſo geht nach dem Stoße jene auf 30 Grade hinauf, und dieſe bleibt unten in Ruhe. Sind die Kugeln ungleich und man laͤßt die kleinere, ich will annehmen, nur den halben Durchmeſſer, nur ein Achtel der Maſſe der groͤßern enthaltende, ruhen, ſo wird dieſe viel weiter fortge - ſtoßen, als die groͤßere beim Antreffen und bei der Erlangung ihrer Geſchwindigkeit fortgegangen war. Haͤtte naͤmlich dieſe 9 Fuß Geſchwindigkeit gehabt, ſo erlangt die kleinere, weil ſie nur jener Maſſe hat, 16 Fuß Geſchwindigkeit, und wenn dieſe eine dritte noch kleinere ruhende traͤfe, ſo wuͤrde die Geſchwindig - keit dieſer dritten noch viel groͤßer werden.

Haͤngt man fuͤnf oder ſechs gleiche Kugeln hinter einander auf, und laͤßt die erſte an die ruhenden uͤbrigen treffen, ſo bleiben nach dem Stoße alle, die letzte ausgenommen, in Ruhe, und dieſe letzte erlangt die Geſchwindigkeit, welche die erſte vor dem Stoße hatte. Im Augenblicke des Stoßes verliert naͤmlich die erſte ihre Geſchwindigkeit ganz und uͤbertraͤgt ſie auf die zweite; aber dieſe trifft ſogleich die dritte an und giebt ihr die erlangte Geſchwindig - keit, waͤhrend ſie ſelbſt zur Ruhe koͤmmt; und ſo geht es fort, bis zur letzten, welche abprallt. Laͤßt man zwei, hinter einander liegende Kugeln, gehoben an die dritte ſtoßen, ſo prallen die zwei letzten ab, und ſo ferner. Dieſe letzte Erſcheinung erklaͤrt ſich dadurch, daß die zwei gehobenen Kugeln doch nicht im aller - ſtrengſten Sinne gleichzeitig ſtoßen; indem eine ſehr kleine, uns unmerkliche Zwiſchenzeit zwiſchen dem Stoße der erſten Kugel und dem124 der zweiten ſtatt findet, treibt die zuerſt antreffende Kugel die letzte fort, die unmittelbar darauf antreffende ſtoͤßt die vorletzte nun auch fort.

Der ſchiefe Stoß.

Alle dieſe Faͤlle gehoͤren zu den einfacheren, wo die Rich - tung der Bewegung oder der Bewegungen durch beider Kugeln Mittelpuncte geht; aber grade die ſchwierigeren Faͤlle kommen uns haͤufig, zum Beiſpiel beim Billardſpiele, vor. Daß hier die elaſtiſche Kugel von einer feſten Wand mit eben der Geſchwin - digkeit und unter eben dem Winkel, unter welchem ſie antraf, zuruͤckgeworfen wird, iſt leicht zu erklaͤren. Trifft die Kugel in ſenkrechter Richtung auf LM (Fig. 70.), ſo ertheilt die Kraft der Elaſticitaͤt ihr genau eben die Geſchwindigkeit wieder, die ſie vor - hin hatte; denn die Gewalt, mit welcher ſie zuſammengedruͤckt wurde, raubte die Geſchwindigkeit, die ebenſo große Gewalt, mit welcher die Geſtalt ſich herſtellt, bringt eine ebenſo große neue Geſchwindigkeit hervor. Iſt die Richtung ſchief geneigt gegen die Ebne LM, ſo koͤnnen wir die Bewegung des Koͤrpers als zu - ſammengeſetzt aus einer Bewegung ſenkrecht gegen die Ebne und aus einer damit parallel, anſehen, und wenn AB ſein Weg in einer Secunde iſt, ſo behaͤlt er die mit der Ebne LM parallele Geſchwindigkeit, die ihn durch den Raum ab in 1 Secunde fuͤhrt, auch nach dem Stoße, ſo daß er in den einzelnen Se - cunden ſich neben a, b, c, d, e, f, befindet; aber beim Anſto - ßen in d geht die ſenkrechte Geſchwindigkeit in die entgegengeſetzte uͤber, und der Koͤrper entfernt ſich eben ſo von LM, wie er ſich dieſer Ebne vorher naͤherte; er geht daher in der Linie dH zuruͤck, die unter eben dem Winkel HdM = AdL gegen jene Ebne geneigt iſt, wie die Linie, in welcher er ſich vorher be - wegte. Dieſe Zuruͤckwerfung unter einem, dem Einfallswinkel gleichen Winkel, findet bei feſten elaſtiſchen Koͤrpern ſtatt, aber auch bei der Welle fluͤſſiger Koͤrper, bei der Zuruͤckwerfung der Lichtſtrahlen und der Waͤrmeſtrahlen finden wir eben das wieder.

Eben dieſe Betrachtungen beſtimmen die Richtung, wohin die vorher ruhende Kugel im Billardſpiele nach dem Stoße gelangt. Es ſei (Fig. 71. ) A dieſe ruhende Kugel, die von der nach der125 Richtung DB herankommenden Kugel getroffen wird. Indem die Kugeln ſich in M beruͤhren, wo LN die gemeinſchaftliche Be - ruͤhrungslinie beider Kugeln iſt, wird nur die auf LN ſenkrechte Bewegung aufgehalten, die mit LN parallele Bewegung der Kugel B bleibt dagegen ungeſtoͤrt. Wir wiſſen, daß bei gleichen elaſtiſchen Kugeln ein Vertauſchen der Geſchwindigkeiten eintritt, und dieſes Vertauſchen bezieht ſich hier bloß auf die gegen LN ſenkrechte Geſchwindigkeit, ſo daß, wenn DB den Weg in 1 Se - cunde, alſo DE das Annaͤhern gegen LN in 1 Secunde angiebt, dieſe Geſchwindigkeit ſich ganz auf A uͤbertraͤgt und fuͤr B ver - lohren geht. Die Kugel B behaͤlt daher allein die mit LN pa - rallele Geſchwindigkeit und kommt in der naͤchſten Secunde nach G, ſo daß BG = EB iſt, die Kugel A dagegen erlangt keine andre, als die auf LN ſenkrechte Geſchwindigkeit und geht nach AF ſo fort, daß ſie in 1 Secunde bis f, wo Af = DE, ge - langt. Hierin liegt der Grund, warum man die Kugel A, die nach der Richtung AF gehen ſoll, an der Seite bei M und zwar da treffen muß, wo die Beruͤhrungslinie LN ſenkrecht auf die verlangte Richtung iſt.

Die Beſtimmung, daß B nach BG und A nach AF fort - geht, wuͤrde ganz genau ſein, wenn beide Kugeln ohne Rotation fortgingen; aber dies iſt beim Billardſpiele nicht der Fall und ſehr geſchickte Spieler wiſſen die Abweichungen, die dadurch ent - ſtehen, ſehr wohl zu benutzen. Um von dieſen Abweichungen nur etwas anzufuͤhren, bleibe ich bei den einfachſten Faͤllen ſtehen. Wenn eine Kugel grade gegen den Mittelpunct einer gleich großen Kugel geſtoßen wird, ſo ſollte ſie dieſer ihre ganze Geſchwindigkeit ertheilen, und ſelbſt ruhend bleiben; hat ſie aber eine drehende Be - wegung, durch welche die obern Theile vorwaͤrts gefuͤhrt werden, ſo wird ſie noch auf der Tafel fort, vorwaͤrts rollen, obgleich die Bewegung des Mittelpuncts ganz gehemmt ſein ſollte, und koͤnnte man ihr eine entgegengeſetzte Bewegung ertheilen, ſo daß die obern Theile beim Rotiren zuruͤckgingen, ſo muͤßte ſie auf der Tafel ruͤckwaͤrts rollen. Aus einem aͤhnlichen Grunde wird der Winkel beim Zuruͤckprallen nicht immer genau dem Einfallswinkel gleich ſein, ſondern wenn die Rotation ein Hinwaͤrtsgehen nach der Zuruͤckwerfungs-Ebne zu hervorbraͤchte, ſo wird der Winkel zu126 klein, im entgegengeſetzten Falle zu groß werden. Horizontale Rotationen, das iſt Drehungen um Axen, die ſenkrecht gegen die Tafel ſind, koͤnnen aͤhnliche Erfolge haben.

Wenn man die Lehre vom Stoße auf Koͤrper von andern Geſtalten, oder auch nur auf Kugeln, die ihren Schwerpunct nicht im Mittelpuncte haben, anwenden will, ſo werden die Un - terſuchungen faſt immer ſehr ſchwierig. Wenn man gegen eine ruhende Kugel, deren Schwerpunct in A laͤge, nach der Richtung BD ſtieße (Fig. 72.), ſo naͤhme ſie eine rotirende Bewegung an, und die Frage, um welche Axe ſie zu rotiren anfinge, und ob ſie ihre Rotation um dieſe Axe immerwaͤhrend fortſetzen wuͤrde, oder ob die anfaͤnglich als Axe ruhende Linie nachher der Rota - tion um eine andre Axe weichen wuͤrde, ſcheint mir zu ſchwierig, um ſie hier zu eroͤrtern. Die Geſetze der Bewegung der gewoͤhn - lichen Kreiſel, die Beantwortung der Frage, warum ihre gegen die Verticallinie geneigte Axe eine Kegelflaͤche um die Vertical - linie durchlaͤuft u. ſ. w., hat man mehrmals einer ſorgfaͤltigen Betrachtung gewuͤrdiget, und dieſe Betrachtung iſt wichtig, weil die Rotationsbewegungen der Himmelskoͤrper um ihre Axen, und diejenigen wechſelnden Richtungen der Axe, die ſich uns in Be - ziehung auf die Erde an dem Ruͤckgehen der Nachtgleichen zeigen, mit dieſen Bewegungen in einer nahen Beziehung ſtehen.

Ich endige hiermit die Unterſuchungen uͤber die Bewegung feſter Koͤrper, die freilich noch zu vielfaͤltigen Betrachtungen Anlaß geben koͤnnte, wenn ich mir irgend vorſetzen duͤrfte, dieſe Ge - genſtaͤnde zu erſchoͤpfen, von denen ich hier nur das Wichtigſte habe darſtellen koͤnnen.

Zehnte Vorleſung.

Wenn wir, m. h. H., einen Blick zuruͤckwerfen auf die Kenntniſſe, die ſich in den bisherigen Betrachtungen vor uns entwickelt haben, ſo duͤrfen wir, glaube ich, wohl behaupten, daß eine reiche Erndte wichtiger Belehrungen aus den zuerſt gering - fuͤgig ſcheinenden uns zu Anfang gegebenen Beſtimmungen hervor127 gegangen iſt. Die einfache Betrachtung, daß eine Bewegung, ohne neue Einwirkung einer Kraft, ungeaͤndert in Ruͤckſicht auf Richtung und Geſchwindigkeit fortdauern muͤſſe, fuͤhrte uns zu der Frage, wie denn Kraͤfte, welche die Bewegung zu aͤndern ſtreben, ihre Wirkung zeigen, wie ſie ſich im Gleichgewichte erhaltend, ein - ander zerſtoͤren, und im entgegengeſetzten Falle Bewegung hervor - bringen. Die leichte Unterſuchung, welche Geſetze diejenige Bewegung befolgen werde, die durch eine gleichfoͤrmig wirkende Kraft hervorge - bracht wird, lehrte uns die Schwere als eine ſolche gleichfoͤrmig wirkende Kraft kennen, und da es uns gelang, die Geſetze der Bewegung vertical aufwaͤrts geworfener Koͤrper aus dem, was die Traͤgheit und die gleichfoͤrmig wirkende Kraft hervorbringen mußten, vollſtaͤndig herzuleiten, ſo ſuchten wir eben die Princi - pien auf die krummlinigte Bewegung ſchief geworfener Koͤrper anzuwenden. Es gelang uns, auch hier die Bahn des gewor - fenen Koͤrpers zu beſtimmen, und wir fanden uns aufgemuntert, nach den Geſetzen zu fragen, die ein die Erde umkreiſender Koͤrper befolgen muͤſſe; wir uͤberzeugten uns, daß eine Kreisbewegung um einen anziehenden Mittelpunct ſtatt finden koͤnne, wir fanden Mittel die Frage zu beantworten, wie ſtark die anziehende Kraft der Erde auf den Mond, wie ſtark die anziehende Kraft der Sonne auf die Erde wirke, und indem wir die Beobachtungen mit den Reſultaten unſrer theoretiſchen Rechnungen verglichen, ent - deckte ſich uns das Geſetz der in groͤßern Abſtaͤnden abnehmenden allgemeinen Attraction der Weltkoͤrper. Ein ganzes Heer von Erſcheinungen war jetzt auf einmal erklaͤrt; wir erkannten deutlich, daß es nur einer ſorgfaͤltig durchgefuͤhrten Berechnung be - duͤrfe, um die genaue Bewegung der Planeten und Cometen in ihren Bahnen kennen zu lernen, um die Figur der Erde zu be - ſtimmen, und ſo weiter. Und ſo wie dieſe eine Reihe von Un - terſuchungen ſich gleichſam von ſelbſt entwickelte, wie hier eine beantwortete Frage uns ſogleich zu einer neuen leitete, deren Be - antwortung wir ſchon vorauszuſehen im Stande waren, ſo ging es auch in den uͤbrigen Gegenſtaͤnden, bei denen ich jetzt nicht ver - weilen will.

Aufgemuntert durch dieſen gluͤcklichen Erfolg betreten wir heute ein neues Feld lehrreicher Unterſuchungen. Bisher richteten128 wir nur auf die feſten Koͤrper unſre Aufmerkſamkeit, aber auch bei fluͤſſigen Koͤrpern findet ein Zuſtand des Gleichgewichts und der Bewegung ſtatt, und es ſcheint hier ſchwerer die Geſetze des Gleich - gewichts und der Bewegung zu beſtimmen, da jedes Theilchen des Fluͤſſigen ganz unabhaͤngig von dem andern ſcheint, ſtatt daß bei feſten Koͤrpern nur die Bewegung einiger weniger Puncte be - ſtimmt zu werden brauchte, und damit die Bewegung aller uͤb - rigen zugleich gegeben war. Indeß auch hier bieten ſich uns einfache Geſetze, wenigſtens fuͤr eine zahlreiche Menge von Erſchei - nungen, dar.

Gleichfoͤrmige Verbreitung des Druckes in fluͤſſigen Koͤrpern.

Die fluͤſſigen Koͤrper haben alle die Eigenſchaft, daß ihre Theilchen jeder Einwirkung leicht folgend, ihre Lage gegen einander bei der geringſten Veranlaſſung aͤndern, und deshalb, wenn irgend eine Kraft auf ſie wirkt, zerfließen, wenn ſie nicht in ein Gefaͤß eingeſchloſſen ſind. Da wo ein Gefaͤß dieſes Zerfließen hindert, zeigen ſie uns eine andre Eigenſchaft, wodurch ſie ſich auffallend von den feſten Koͤrpern unterſcheiden, naͤmlich die Eigenſchaft der nach allen Seiten gleichfoͤrmigen Verbreitung des Druckes. Wenn ein feſter Koͤrper von einer Kraft nach der Richtung BA ge - druͤckt wird (Fig. 73.), ſo bedarf es nur eines feſten Bodens CD, gegen welchen ſenkrecht der Druck gerichtet iſt, um ihn ganz in Ruhe zu erhalten; waͤre der Koͤrper ganz in ein Gefaͤß EFGH eingeſchloſſen, das ihn dicht anſchließend umgaͤbe, ſo wuͤrde dieſes an den Waͤnden EF, GH gar keinen Druck leiden, ſondern bloß der Boden FG wuͤrde eine hinreichende Feſtigkeit haben muͤſſen, um nicht auszuweichen. Iſt dagegen das rund um ge - ſchloſſene Gefaͤß EFGH mit Waſſer gefuͤllt, und wird auf dieſes Waſſer vermittelſt eines in der Roͤhre Aaa beweglichen Kolbens ein Druck ausgeuͤbt, der nach BA, gegen den Boden FG, ge - richtet iſt, ſo hat das Waſſer dadurch nicht allein ein Beſtreben gegen den Boden zu, ſondern wenn bei f oder ſelbſt bei g eine Oeffnung waͤre, ſo wuͤrde auch da das Waſſer hervordringen, alſo ſelbſt an den Stellen, wo ein feſter Koͤrper gar keinen Druck auf die Waͤnde, vermoͤge des auf ihn ausgeuͤbten Druckes, zeigen129 wuͤrde. Dieſe Mittheilung des Druckes findet aber nicht bloß in einigem Grade nach allen Seiten ſtatt, ſondern ſie iſt auch gleichmaͤßig ſtark nach allen Seiten. Waͤre jenes Gefaͤß mit Sand gefuͤllt, ſo wuͤrden wir auch bemerken, daß ein Druck bei A auf den Sand, vermittelſt eines Kolbens ausgeuͤbt, den Sand aus Oeffnungen bei f hervortreiben wuͤrde, aber gewiß waͤre die Menge des bei f herausgedraͤngten Sandes nur geringe, und bei e weit erheblicher*)Wie ſehr doch auch der Sand ſich hier von dem, was fluͤſſige Koͤrper ergeben, abweichend zeigt, erhellt aus Huber-Burnaud's Verſuchen Biblioth. univ. XL. 22.. Waſſer dagegen, wenn wir von dem, was die Schwere bewirkt, abſehen, dringt mit gleicher Gewalt hervor, der Strahl mag in g oder in f einen Ausgang finden, und das iſt es, was wir gleichmaͤßige Fortpflanzung des Druckes nach allen Seiten nennen.

Dieſe Eigenſchaft der gleichen Fortpflanzung des Druckes nach allen Seiten iſt allen vollkommen fluͤſſigen Koͤrpern ge - mein, und nur die unvollkommen fluͤſſigen, die, wie Honig und andere zaͤhe Fluͤſſigkeiten, auch eine mindere Beweglichkeit der Theile zeigen, koͤnnen, zumal wenn ſie dem voͤlligen Erſtarren ziemlich nahe ſind, eine merkliche Abweichung zeigen. Unter den fluͤſſigen Koͤrpern aber, wenn ſie auch vollkommen fluͤſſig ſind, findet eine große Verſchiedenheit darin ſtatt, daß das Waſſer und aͤhnliche Koͤrper tropfbar und unelaſtiſch, alle Luft-Arten und Daͤmpfe dagegen elaſtiſch ſind. Wenn in dem Gefaͤße EFGH Waſſer, Weingeiſt, oder eine aͤhnliche Fluͤſſigkeit enthalten iſt, die das Gefaͤß ganz fuͤllet, ſo laͤßt ſich der Kolben bei a faſt gar nicht hineindraͤngen und gleichwohl leidet jeder Theil der Wand des Gefaͤßes einen, der auf A wirkenden Kraft gemaͤßen, Druck; zieht man dagegen den Kolben in der Roͤhre aA zuruͤck, ſo ent - fernt der Kolben ſich ſogleich von der Oberflaͤche des Waſſers, und aller durch ſeine Wirkung entſtehende Druck auf die Waͤnde hoͤrt ſogleich auf. Druͤckt dagegen der Kolben bei aa auf Luft, die im Gefaͤße enthalten iſt, ſo wird dieſe in einen engern Raum getrieben und nach Maaßgabe des geringern oder ſtaͤrkern auf aa wirkenden Druckes erreicht dieſe Zuſammenpreſſung einen geringernI. I130oder hoͤhern Grad; dabei iſt der Druck, den die Waͤnde leiden, erſt dann dem vollen Werthe der auf aa druͤckenden Kraft angemeſſen, wenn die Zuſammendruͤckung den Grad erreicht hat, welchen die angebrachte Kraft hervorzubringen vermag. Wird der Kolben zuruͤckgezogen, ſo dehnt die Luft ſich aus, und der Druck auf die Waͤnde hoͤrt keinesweges ganz auf, obgleich er immer geringer wird, je mehr die Dichtigkeit der Luft abnimmt. Wegen dieſer Faͤhigkeit der Luft, ſich in einen groͤßern Raum auszudehnen, heißt ſie elaſtiſch, und das Waſſer iſt dagegen unelaſtiſch, eben deshalb aber auch tropfbar. Wollten wir naͤmlich eine kleine Luftmaſſe, ſo wie wir einen Tropfen Waſſer hervorheben, in einen luftleeren Raum uͤbertragen, ſo wuͤrde dieſes Theilchen ſich ſogleich ausdehnen, und alſo aufhoͤren, einen Tropfen zu bil - den. Daß das Waſſer ſich als Tropfen in den leeren Raum hinuͤbertragen laͤßt, beruht offenbar darauf, daß die Anziehungs - kraft ſeiner einzelnen Theilchen den Tropfen zuſammenhaͤlt, und eine viel zu unerhebliche Kraft abſtoßend entgegen wirkt; bei der Luft hingegen hat die abſtoßende Kraft, welche durch die Waͤrme vermehrt wird, und vielleicht einzig eine Folge der Waͤrme iſt, das Uebergewicht. Jene anziehende Kraft der Waſſertheilchen er - klaͤrt auch die der Kugelform aͤhnliche Geſtalt der Waſſertropfen, die ſich, an einem feſten Koͤrper haͤngend, der Schwere wegen, verlaͤngern, und auf einer horizontalen Flaͤche ruhend, durch die Schwere und durch die Anziehungskraft der Ebne eine breitere Form annehmen; Queckſilbertropfen bleiben, wenn ſie klein ſind, faſt ganz kugelrund, weil die Attractionskraft ihrer Theilchen gegen einander ſehr groß iſt. Waſſertropfen rollen uͤber einer mit Staub, am beſten mit Hexenmehl (semen lycopodii), beſtreuten Flaͤche ku - gelfoͤrmig fort, weil ſie gegen die mit dieſem Pulver bedeckte Flaͤche faſt gar keine Anziehung zeigen.

Ich kehre von dieſer Abſchweifung zu der Betrachtung des durch den fluͤſſigen Koͤrper fortgepflanzten Druckes zuruͤck. Um hier das genau anzugeben, was ich vorhin, ohne mich genauer zu er - klaͤren, den der wirkenden Kraft angemeſſenen Druck nannte, will ich annehmen, die untere Flaͤche des Kolbens A enthalte einen Quadratzoll (Fig. 73.), und bei f ſowohl als bei g ſei eine ebenſo große durch einen Deckel verſchloſſene Oeffnung; dann wird jeder131 dieſer Deckel mit eben der Kraft hinauswaͤrts gedruͤckt, welche in B auf den Kolben wirkt, und wenn nicht entweder eine eigne Kraft dieſe Deckel feſthaͤlt, oder die Reibung, welche ſie an dem Rande der Oeffnung leiden, groß genug iſt, ſo werden ſie wirklich fortge - ſtoßen werden, und dem Waſſer den Ausfluß geſtatten. So wie hier die Deckel einen Druck leiden, ſo findet eben dies auch fuͤr alle andere Theile der Waͤnde des Gefaͤßes ſtatt, und es iſt wohl zu uͤberſehen, daß jeder einzelne Quadratzoll der innern Oberflaͤche einen gleichen Druck leidet. Daraus entſteht die anſcheinend auf - fallende Folgerung, daß eine Kraft von einem Pfunde, auf den einen Quadratzoll A druͤckend, eine Kraft von 100 Pfunden auf die ſaͤmmt - lichen Waͤnde ausuͤbt, wenn dieſe 100 Quadratzolle betragen; aber dieſe Folgerung iſt gleichwohl eine nothwendige, und verliert ihr pa - radoxes Anſehen, wenn man ſie mit andern verwandten Betrach - tungen in Vergleichung ſetzt. Es ſcheint im erſten Augenblicke ebenſo auffallend, daß ein am Hebel gehaltenes Gewicht von einem einzigen Pfunde mich noͤthigen kann, 200 Pfund Kraft aufzuwen - den, wenn ich es mit dem Daumen erhalten will, waͤhrend es an einem Hebel wirkt, der auf dem Zeigefinger ruht; und doch iſt es wahr, daß mein Daumen 100 Pfund Kraft noͤthig hat, um das Gewicht von 1 Pfunde zu erhalten, wenn das letztere hundertmal ſo entfernt, als der druͤckende Daumen, von der Unterlage ange - bracht iſt, und daß mein Zeigefinger dann 101 Pfund zu tragen hat, obgleich die Laſt nur ein Pfund betraͤgt. Dieſes Beiſpiel hat auch in ſo fern Aehnlichkeit mit unſerm hier zu betrachtenden Falle, weil die Kraft = 100 Pfund am Hebel nur um $$\frac{1}{100}$$ Zoll fortge - ruͤckt wird, wenn die Laſt von einem Pfunde einen ganzen Zoll fortruͤckt; denn ebenſo wuͤrden hier die Waͤnde nur ein Hunderttel Zoll auszuweichen noͤthig haben, um der auf dem Kolben wirkenden Kraft ein Fortruͤcken von einem ganzen Zoll zu geſtatten, wenn die Oberflaͤche des Gefaͤßes hundertmal ſo groß, als die Grundflaͤche des druͤckenden Kolbens waͤre. Da, wo die Waͤnde kein ſolches Aus - weichen oder Nachgeben geſtatten, ſehen wir oft dieſe unerwartete Wirkung eines geringen Druckes. Ein Beiſpiel davon giebt die Erfahrung, daß man mit einem ſehr unbedeutenden Schlage auf den Stoͤpſel einer ganz mit Waſſer gefuͤllten Flaſche, dieſe zerſpren - gen kann; dieſer geringe Druck, den der Stoͤpſel, indem er denJ 2132Stoß empfaͤngt, auf das Waſſer ausuͤbt, bringt auf alle Theile der Seitenwaͤnde einen ebenſo großen Druck hervor und zerſprengt die Flaſche, ſo gut als wenn eben der Schlag unmittelbar auf jede einzelne Stelle des Glaſes ausgeuͤbt worden waͤre. Die Gefahr, in welcher die Flaſche ſich befindet, iſt nur dann ſo ſehr groß, wenn ſich gar keine Luft unter dem Stoͤpſel befindet; dies muß darin ſei - nen Grund haben, daß das ſehr ſproͤde Glas doch einer nicht ganz ploͤtzlich einwirkenden Kraft etwas nachgiebt, und daß, wenn unter dem Stoͤpſel ſich etwas Luft befindet, dieſe durch die erlittene Zu - ſammendruͤckung die Wirkung um etwas Weniges verzoͤgert, eben dadurch aber auch den Stoß weniger zerſtoͤrend macht.

Die Waſſerpreſſe.

Eine nuͤtzliche Anwendung dieſes Satzes, daß der durch Waſ - ſer fortgepflanzte Druck der gedruͤckten Oberflaͤche proportional wirkt, giebt die Bramah'ſche Waſſerpreſſe (Fig. 74.), die vermittelſt eines geringen angebrachten Druckes die heftigſte Gewalt ausuͤbt. Da ſie nicht ſo angewandt werden kann, daß ſie dieſe Gewalt auf einen vollkommen ruhenden Koͤrper ausuͤbt, ſo muß ſie abwechſelnd einen Zutritt neuen Waſſers geſtatten, und iſt deswegen mit zwei Ventilen verſehen, die das Waſſer einlaſſen, aber ihm kein Zu - ruͤckfließen geſtatten. Dieſe Ventile, die ich hier am beſten als kegelfoͤrmige Zapfen anſehen kann, verſchließen die Oeffnungen bei a und b ſo, daß der Kegel a, mit ſeinem dickern Theile oben, den Zutritt des Waſſers von unten geſtattet, bei einem Drucke von oben aber die Oeffnung ſchließt, und daß der Kegel b, mit ſeinem dickern Ende gegen E gekehrt, das Waſſer nicht aus der weitern Roͤhre zuruͤcklaͤßt. Die eigentlich wirkſamen Theile der Waſſerpreſſe ſind die beiden Kolben A und D, die von ſehr ungleichem Durch - meſſer ſind, und ſich in Roͤhren, deren Weiten dieſen Durchmeſ - ſern angepaßt ſind, auf und ab bewegen koͤnnen. Wird ein Druck auf A ausgeuͤbt, ſo treibt dieſer Kolben, wenn der ganze Raum AabED mit Waſſer gefuͤllt iſt, ein wenig Waſſer in die weite Roͤhre hinuͤber, und der Druck auf A theilt ſich dem Kolben D ſo mit, daß dieſer mit hundertfacher Kraft gedruͤckt wird, wenn er hundertmal ſo viel Oberflaͤche als A hat. Da ſich gewoͤhnlich uͤber D ein Widerſtand befindet, der ein kleines Zuruͤckweichen des Kol -133 bens D geſtattet, zum Beiſpiel ein feſt zu packender Waarenballen, Buͤcher in der Buchbinderpreſſe und dergleichen, ſo dringt der Kol - ben A leicht zu tief herab, und man iſt genoͤthiget ihn zuruͤckzuzie - hen; dabei laͤßt das Ventil a neues Waſſer aus dem mit Waſſer gefuͤllten Gefaͤße UV ein, und die Roͤhre A fuͤllt ſich wieder ganz mit Waſſer, waͤhrend das Ventil b das ſchon im Cylinder E ent - haltene Waſſer zuruͤckhaͤlt. Ein neuer Stoß, der den Kolben A herabwaͤrts treibt, draͤngt die Laſt bei D wieder hoͤher hinauf und ſo ferner. Der hier ausgeuͤbte Druck laͤßt ſich leicht berechnen. Wenn der Durchmeſſer des Kolbens A = 3 Linien, der des Kol - bens D = 3 Zoll iſt, ſo hat der letztere 144 mal ſo viel Ober - flaͤche als der erſtere. Der Druck, den man mit der Hand an - wendet, laͤßt ſich durch einen angebrachten Hebel, der den Kolben herab druͤckt, leicht ſo verſtaͤrken, daß der Druck auf A 250 Pfund betruͤge, wenn die Hand auch nur 50 Pfund Kraft ausuͤbt; dann iſt der auf D ausgeuͤbte Druck = 144 250 = 36000 Pfund, und wenn man davon auch ein Drittel auf den Widerſtand der Reibung rechnet, ſo uͤbt dennoch der Kolben D eine Gewalt von 24000 Pfunden aus. Da nun nach Eytelwein's Verſuchen ein Stuͤck Eichenholz von 1 Zoll breit und 1 Zoll hoch mit 8000 Pfund Kraft in 1 Zoll Entfernung vom Ruhepuncte gebrochen wird, ſo wuͤrde mit jener Kraft ein Stuͤck Eichenholz von 3 Zoll Breite und 2 Zoll Hoͤhe, 4 Zoll vom Unterſtuͤtzungspuncte angegriffen, abgebrochen werden koͤnnen. Man hat wegen dieſer ſo leicht und ſchnell anzuwendenden großen Gewalt die Waſſerpreſſe angewandt, um die einzelnen Kettenglieder, die zu einer Kettenbruͤcke gebraucht werden ſollen, zu pruͤfen, und um Preſſungen von vielen Centnern zu bewirken u. ſ. w. Daß aber dieſe Waſſerpreſſe mit der groͤßten Sorgfalt gemacht ſein muß, damit kein Waſſer zwiſchen dem Kol - ben und der Roͤhrenwand durchbringe, verſteht ſich von ſelbſt.

Es verdient wohl bei dieſer Gelegenheit auch die Ueberlegung, wie dick die Waͤnde des Cylinders und der Roͤhre ſein muͤſſen, um nicht ſelbſt von dieſem maͤchtigen Drucke zerriſſen zu werden, eine naͤhere Betrachtung. Wir wollen uns vorſtellen, man habe ab - ſichtlich dem Cylinder, deſſen Querſchnitt ABCD vorſtellt (Fig. 75.) in B und D eine etwas ſchwaͤchere Stelle gegeben, damit er, wenn er zerriſſe, grade hier zerreiße, ſo laͤßt ſich leicht zeigen,134 daß der hiezu wirkſame Druck des in der Roͤhre ABCD enthal - tenen Waſſers eben ſo groß iſt, als der Druck auf eine ebne Wand FE ſein wuͤrde. In unſerm vorigen Beiſpiele war fuͤr den weitern Cylinder EF = 3 Zoll, alſo auf jeden Zoll Hoͤhe der Druck ſo groß als auf 3 Quadratzoll des Kolbens, oder wenn der ganze Cylinder 6 Zoll hoch iſt, der ganze Druck ſo groß wie auf 18 Quadratzoll des Kolbens. Der Kolben von 3 Zoll Durch - meſſer enthaͤlt etwas uͤber 7 Quadratzoll, und von den 36000 Pfund Druck, die er leidet, kommen alſo etwa 5000 Pfund auf jeden Quadratzoll, 90000 Pfund auf jene 18 Quadratzolle; 90000 Pfund Kraft wirken alſo, um den Cylinder aus einander zu reißen. Da man die Feſtigkeit des Metalles, das ſich freilich nicht im geringſten dehnen darf, doch gewiß auf 23000 Pfund fuͤr 1 Quadratzoll rechnen kann, ſo iſt der Cylinder bei Zoll Dicke der Waͤnde ſtark genug, indem zwei Waͤnde von 6 Zoll lang, die bei Zoll Dicke alſo 4 Quadratzoll Bruchflaͤche halten, aus ein - ander geriſſen werden muͤßten, wenn der Cylinder zerſprengt wer - den ſollte; dieſe aber 23000 4 oder 92000 Pfund Widerſtand darbieten. Der nur $$\frac{1}{12}$$ ſo weite Cylinder A braucht bei weitem nicht dieſe Dicke der Waͤnde zu haben, da die zerreißende Kraft dem Durchmeſſer der Roͤhre proportional iſt.

Man hat bei dieſen Preſſen die Kraft bis auf 300000 Pfund getrieben, und kann bei gehoͤriger Erweiterung des groͤßern Cylinders ſie noch weiter treiben; daß ſie dann zum Heben großer Laſten auf geringe Hoͤhen, und ſelbſt bei geringerer Groͤße zum Auspreſſen von Extracten, zum Tuchpreſſen u. ſ. w. dienen koͤn - nen, erhellt leicht, und ſelbſt in Deutſchland iſt die Waſſerpreſſe vielfaͤltig zu ſolchen Zwecken angewandt*)Gilberts Annalen LX. 1..

Gleichgewicht des Waſſers in Gefaͤßen und Roͤhren.

Dieſe Betrachtungen ließen ſich ohne Ruͤckſicht auf die Schwere des Waſſers anſtellen; denn in der That iſt in der Waſſerpreſſe und in manchen aͤhnlichen Faͤllen die gebrauchte Waſſermenge ſo geringe, daß das Gewicht derſelben dabei ganz unbeachtet bleiben darf; aber auch die Wirkung, welche die135 Schwere ausuͤbt, laͤßt ſich jetzt leicht angeben. Jedes hoͤher lie - gende Waſſertheilchen druͤckt offenbar auf das zunaͤchſt unter ihm liegende, aber dieſes uͤbt nun nicht bloß einen Druck nach unten, ſondern auch nach der Seite aus. In dieſen wenigen Wor - ten liegt der Aufſchluß uͤber eine Menge einzelner Erſcheinungen, die wir jetzt nach und nach betrachten wollen. Das Waſſer kann nicht anders, als mit horizontaler Oberflaͤche ruhen. Denn waͤre ein Waſſertheilchen a uͤber die Horizontallinie AB der uͤbrigen Oberflaͤche erhaben (Fig. 76.), ſo druͤckte dieſes auf das unter ihm liegende Theilchen b, dieſes aber wuͤrde vermoͤge des daraus hervorgehenden Seitendruckes gegen das Theilchen c druͤcken, welches, als unbelaſtet, keinen gleichen Druck entgegenſetzen kann, alſo ausweichen muß, die Ruhe der Oberflaͤche tritt alſo erſt ein, wenn kein Theilchen mehr hoͤher, als die uͤbrigen, liegt.

Der Druck, den jedes Waſſertheilchen leidet, iſt ſeiner Tiefe unter der Oberflaͤche proportional, und es koͤmmt dabei nicht dar - auf an, ob es, wie F (Fig. 76.) eine Waſſerſaͤule Fc grade uͤber ſich hat, oder ob es wie G nur von der Seite her dieſen Druck empfaͤngt. Denn indem das Waſſer bei F, unter der gradezu darauf ruhenden Waſſermaſſe cF, einen Druck, dem Ge - wichte dieſer Waſſerſaͤule gleich, leidet, pflanzt ſich dieſer Druck nach allen Seiten gleich fort, und jedes Theilchen in der hori - zontalen Schichte FG leidet einen ebenſo großen Druck. Die Groͤße dieſes Druckes auf eine Flaͤche von beſtimmter Ausdehnung laͤßt ſich leicht berechnen, wenn man weiß, daß der Cubicfuß Waſ - ſer ungefehr 70 Pfund wiegt; in 1 Fuß Tiefe unter dem Waſſer betraͤgt der Druck des Waſſers 70 Pfund auf den Quadratfuß oder etwa ½ Pfund auf den Quadratzoll, in 1000 Fuß Tiefe 500 Pfund auf den Quadratzoll. Dieſer maͤchtige Druck iſt es, der ſo oft zu der Erfahrung Anlaß gegeben hat, daß ſehr tief ins Meer verſenkte leere Flaſchen zerdruͤckt wurden; dieſer Druck war es, der, nach Scoresby's Erzaͤhlung, ein Boot, welches ein Wallfiſch mit in die große Tiefe von vielleicht 1000 Fuß hinabge - zogen hatte, ſo veraͤndert hatte, daß es nie wieder recht tauglich wurde, indem nicht allein alle Poren mit Waſſer gefuͤllt waren, ſondern auch das Holz ſelbſt (unter einem Drucke von vielleicht 70000 Pfunden von beiden Seiten auf jeden Quadratfuß) ſo ſchwer136 an ſich ſelbſt, ſo verdichtet geworden war, daß es auch ausge - trocknet nicht mehr die noͤthige Leichtigkeit wieder erlangte.

Eben den Druck, welchen die Waſſertheilchen ſelbſt in be - ſtimmter Tiefe leiden, haben auch die Waͤnde zu ertragen. Liegt der Punct G zehn Fuß tief unter der Oberflaͤche des Waſſers, ſo hat jeder Quadratzoll in dieſer Gegend der Wand einen Druck von ungefehr 5 Pfund auszuhalten. Selbſt die als horizontaler Boden oberhalb des Waſſers liegende Wand HI hat einen aͤhnli - chen Druck hinaufwaͤrts zu leiden, naͤmlich auf jeden Quadratzoll einen Druck ſo groß, als das Gewicht einer Waſſerſaͤule von 1 Quadratzoll Querſchnitt, deren Hoͤhe ſo groß waͤre, als die Tiefe der Flaͤche HI unter der freien Oberflaͤche AB des Waſſers.

Daran ſchließt ſich ferner die Ueberzeugung an, daß das Waſ - ſer in zwei Roͤhren, die mit einander in Verbindung ſtehen, bis zu einerlei Horizontallinie hinaufreichen muß, oder das in der Roͤhre ABCD (Fig. 77.) befindliche Waſſer beim Zuſtande der Ruhe in Aa, Dd eine Horizontallinie darſtellt. Waͤre bei C oder irgendwo ſonſt ein feſter horizontaler Boden, ſo wuͤrde dieſer durch das in AB befindliche Waſſer hinaufwaͤrts gedraͤngt mit einer Gewalt, welche der Hoͤhe der Flaͤche Aa uͤber dieſem Boden an - gemeſſen iſt; eben dieſer feſte Boden wird durch das Waſſer in Cd herabwaͤrts gedruͤckt, und dieſe Preſſungen ſind nur dann gleich oder erhalten ſich nur dann im Gleichgewichte, wenn das Waſſer in Dd ſo hoch, als in Aa ſteht.

Waſſerwaagen.

Man hat dieſe verbundenen Roͤhren oft zum Nivelliren, zum Beſtimmen der Lage gleich hoher Puncte, angewandt, und wo es, wie beim Anlegen einer Straße, auf einige Zolle nicht ankoͤmmt, da kann man ſich allerdings dieſer Waſſerwaage bedie - nen. Ihr Gebrauch beſteht darin, daß man uͤber die beiden Ober - flaͤchen AB, CD, (Fig. 78.), die um etwa 4 oder 5 Fuß von ein - ander entfernt ſind, wegſehend, an einem in 100 Fuß Entfernung oder noch weiter entfernt aufgerichteten Maaßſtabe den Punct beſtimmt, den die Linie AD trifft; findet man dieſes Punctes Hoͤhe uͤber dem Boden 10 Zoll hoͤher als die Hoͤhe der Oberflaͤche AD, da wo ich137 ſtehe, uͤber dem Boden iſt, ſo hat ſich der Boden bis dorthin um 10 Zoll geſenkt.

Statt dieſer unvollkommenen Waſſerwaage iſt es freilich beſſer, ſich der feinere Angaben erlaubenden Niveaus mit einer Luftblaſe zu bedienen, wo naͤmlich die Roͤhre LM (Fig. 79.) nicht ganz mit Fluͤſſigkeit gefuͤllt iſt, und wo bei genau horizontaler Stellung der Roͤhre LM, der leere Raum genau die Mitte ein - nehmen muß. Dieſe iſt zu dieſem Zwecke durch Theilſtriche, die von der genauen Mitte an nach beiden Seiten mit gleichen Zahlen bezeichnet ſind, kenntlich gemacht. Wenn mit dieſem Niveau ein Fernrohr PQ ſo verbunden iſt, daß die Axe des Fernrohrs genau horizontal ſteht, wenn ſich die Luftblaſe in der Mitte befindet, ſo dient dieſes, um Puncte, mit der Axe des Fernrohrs gleich hoch, zu beſtimmen. Dabei bietet ſich zugleich ein Mittel dar, um zu entdecken, ob wirklich die Axe des Fernrohres horizontal iſt, wenn das Niveau die richtige Stellung erreicht hat. Waͤre dies nicht der Fall, ſondern waͤre (Fig. 80.) das Fernrohr AB nicht mit dem Niveau cd parallel, ſo wuͤrde man nach einem unrichtigen Puncte E des entfernten Gegenſtandes viſiren; aber wenn man das Ni - veau ſo umwendet, daß c nach der Seite koͤmmt, wo vorhin d war, und nun das Fernrohr AB in ſeinen ungleich hohen Unter - lagen ſo legt, daß man abermals nach jenem Gegenſtande viſiren kann, ſo wird die neue Lage des Fernrohres ab auf einen zu tiefen Punct F gerichtet ſein, wenn es vorhin auf einen zu hohen Punct E gerichtet war, und man erkennt ſogleich den Fehler des Inſtru - ments. Bei dem gewoͤhnlichen Gebrauche des Nivellir-Inſtru - ments bedarf man meiſtens keiner ſo uͤberaus großen Genauigkeit des Niveaus; denn wenn auch, bei dem Berichtigen der Stellung, das Fernrohr um eine ganze Minute von der Horizontallinie ab - wiche, ſo wuͤrde, bei einer Entfernung von 250 Fuß, der Fehler in der Hoͤhe doch noch keinen Zoll betragen. Und es iſt freilich ein Gluͤck, daß man bei der unſichern Aufſtellung im Freien keiner groͤßern Genauigkeit zu beduͤrfen pflegt, indem es ſchwer ſein wuͤrde, bei den hier unvermeidlichen Schwankungen des Inſtruments, die aͤußerſte Genauigkeit zu erreichen. Diejenigen Niveaus, deren der Aſtronom ſich bedient, um der Axe ſeines Mittagsfernrohrs eine horizontale Lage zu geben, oder uͤberhaupt die Stellung der Inſtru -138 mente zu berichtigen, muͤſſen ſo fein gearbeitet ſein, daß ſie noch eine Abweichung des Niveaus von der horizontalen Lage zeigen, wenn dieſe Abweichung auch nur eine Secunde betraͤgt.

Gleichgewicht verſchiedenartiger Fluͤſſigkeiten.

Wenn in zwei ſo verbundenen Roͤhren fluͤſſige Koͤrper von ungleicher Dichtigkeit ſich befinden, ſo ſtehen die Oberflaͤchen nicht gleich hoch. Man fuͤlle die Roͤhren (Fig. 89.) bis an AB mit Queckſilber, gieße nun aber bei E Waſſer ein, ſo druͤckt dieſes freilich das Queckſilber herab und bringt es in der andern Roͤhre zum Steigen; aber wenn die Queckſilberflaͤche D im andern Schenkel um 1 Zoll uͤber der Oberflaͤche des Queckſilbers in C ſteht, ſo muß das Waſſer in E bis ungefehr 14 Zoll uͤber C hinauf reichen. Die hohe Waſſerſaͤule von 14 Zollen haͤlt alſo der 1 Zoll hohen Queckſilberſaͤule das Gleichgewicht. Wenn wir uns vorſtellen, wir begaͤben uns mit einer zweiſchenklichen Roͤhre, deren einer Schenkel dem freien Zutritte des umgebenden Waſſers ausgeſetzt waͤre, unter Waſſer, und richteten es ſo ein, daß das Queckſilber im andern Schenkel gegen den Druck des Waſſers ge - ſichert waͤre, ſo koͤnnten wir, wenn das Queckſilber bis an D, einen Fuß hoch uͤber C hinaufgetrieben waͤre, ſchließen, daß wir uns 14 Fuß tief unter der Oberflaͤche E des Waſſers befaͤnden. Auf aͤhnliche Weiſe zeigt unſer Barometer, wie hoch das Luftmeer, auf deſſen Boden wir uns befinden, uͤber uns hinauf reicht.

Befinden ſich verſchiedene Fluͤſſigkeiten, die ſich nicht miſchen, in einem Gefaͤße, ſo ordnen ſie ſich in horizontale Schichten und die ſchweren nehmen den untern Platz ein. Auf dieſem Beſtreben der ſchwerern Fluͤſſigkeiten, den untern Platz einzunehmen, beruht das Experiment, welches man ſcherzhaft, die Kunſt Waſſer in Wein zu verwandeln, zu nennen pflegt. Man bedient ſich dabei eines Ge - faͤßes (Fig. 81.), deſſen oberer Theil B mit dem gleich großen un - tern A durch eine ſehr enge Roͤhre C verbunden iſt; der untere Theil wird mit rothem Weine, der obere mit Waſſer gefuͤllt. Wenn man nun das Gefaͤß ganz ruhig ſtehen laͤßt, ſo ſteigt der leichtere Wein durch die Roͤhre C hinauf, und dringt wie ein feiner Strom bis an die Oberflaͤche des Waſſers in B, wo ſich eine nach und nach immer139 ſtaͤrker werdende Schichte von Wein ſammelt, ſtatt daß Waſſer aus dieſem obern Gefaͤße in das untere Gefaͤß bringt.

Stroͤmungen in der Luft und im Meere.

Da, wo durch andre Umſtaͤnde eine ungleiche Dichtigkeit der Fluͤſſigkeit in derſelben horizontalen Schichte hervorgebracht wird, da kann das Gleichgewicht nicht beſtehen, und hierdurch werden in un - zaͤhligen Faͤllen Stroͤmungen hervorgebracht. Es iſt eine ziemlich bekannte Erfahrung, daß alle Fluͤſſigkeiten durch die Waͤrme eine geringere Dichtigkeit erhalten, und daher entſtehen manche Stroͤ - mungen, die wir bei Experimenten, die wir in unſern Zimmern, die wir im Meere und in der Atmoſphaͤre wahrnehmen, dadurch daß in einerlei horizontalen Schichte die Waͤrme in verſchiedenen Stellen ungleich iſt.

Wenn wir ein Toͤpfchen mit Waſſer ſo ans Feuer ſetzen, daß nur die eine Seite ſtark erwaͤrmt wird, ſo ſehen wir ſchon vor dem Kochen und oft ſelbſt noch waͤhrend des Kochens einen Strom an der erhitzten Wand hinauf und oben von ihr abwaͤrts nach der Mitte des Gefaͤßes gehen, und dieſer Strom erneuert ſich in ſtetem Kreis - laufe. Oeffnen wir die Thuͤr eines geheizten Zimmers waͤhrend es außen kalt iſt, ſo fuͤhlen wir den Luftzug im warmen Zimmer kalt an unſere Fuͤße dringen, und wenn wir unſer Geſicht bald hoͤher bald tiefer herab gebuͤckt in die Thuͤr bringen, ſo fuͤhlen wir oben gar nichts von der kalten Luft, die in dem untern Theile der Thuͤr dagegen deſto empfindlicher auf uns eindringt, je tiefer herab wir uns buͤcken, um das Geſicht, als den am meiſten empfindlichen Theil des Koͤrpers, dem Luftſtrome auszuſetzen. Dieſer kalte in das Zimmer eindringende Luftſtrom zeigt ſich uns noch deutlicher, wenn wir ein brennendes Licht unten, mitten und oben in die geoͤffnete Thuͤr bringen, indem die Flamme unten, wie von einem lebhaften Winde hereinwaͤrts, oben dagegen hinauswaͤrts getrieben wird, und in der Mitte ganz ruhig in ihrer gewoͤhnlichen Stellung bleibt. Eben den Luftzug bemerken wir am geheitzten Ofen; die kaͤltere Luft des Zimmers dringt nahe am Fußboden gegen den Ofen zu, am Ofen ſelbſt iſt ein Strom hinaufwaͤrts, den uns die am Ofen aufwaͤrts getriebnen Federn, oder andere leichte Koͤrper, und einige Spiel - werke der Kinder, welche durch dieſen Luftzug in drehende Bewegung140 gerathen, kenntlich machen. Alle dieſe Stroͤmungen entſtehen da - durch, daß die waͤrmern und deshalb leichtern Theilchen des fluͤſſi - gen Koͤrpers nicht mit den in eben der Hoͤhe liegenden kaͤltern Theilchen im Gleichgewichte bleiben koͤnnen. Waͤre die erwaͤrmte Gegend A von der mit kalter Luft erfuͤllten Gegend B durch eine Wand getrennt, in welcher ſich bei C, D, Oeffnungen in ungleichen Hoͤhen befaͤnden, ſo koͤnnte nicht in beiden Oeffnungen der Druck von beiden Seiten gleich ſein. Iſt naͤmlich unten (Fig. 82.) bei D der Druck der kalten Luft ſo groß, als der der warmen, welches da - durch bewirkt werden koͤnnte, daß die waͤrmere Luftſaͤule eine groͤßere Hoͤhe haͤtte, ſo iſt in C der Druck der kalten Luft um das Gewicht der ſchwerern Luftſaͤule CD vermindert, dagegen der Druck der warmen Luft nur um das Gewicht der leichtern Luftſaͤule cd; die waͤrmere Luft uͤbt alſo in der obern Oeffnung einen groͤßern Druck aus als die kaͤltere, und ſtroͤmt hier in den kaͤltern Raum ein; da aber dadurch die Luftmaſſe in dem kaͤltern Raume vermehrt wird, ſo faͤngt die kalte Luft an, in D nach dem waͤrmern Raume zu fließen und es entſteht ſo ein beſtaͤndiger Kreislauf. Auf aͤhnliche Weiſe verhaͤlt es ſich, wenn eine groͤßere Oeffnung CD beide un - gleich erwaͤrmten Raͤume verbindet, und da wird in der Mitte Ruhe ſtatt finden, oben ein warmer unten ein kalter Strom entſte - hen, ſo wie wir es beobachten.

Das Rauchen unſrer Oefen, wenn ſie naͤmlich Rauch in die Zimmer gelangen laſſen, haͤngt in manchen Faͤllen hievon ab, wenn es gleich in andern Faͤllen durch Winde, die auf die Muͤndung des Schornſteins ſtoßen, und andre Umſtaͤnde veranlaßt wird. Der hieher gehoͤrige Fall iſt folgender. Wenn nach anhaltend kaltem Wetter die Luft in den Haͤuſern noch kalt iſt, waͤhrend die freie Luft ſich ſchon erwaͤrmt, ſo iſt auch die in den Schornſteinroͤhren befindliche Luft, wofern ſie nicht etwa durch ſehr bedeutendes Heitzen erwaͤrmt wird, kaͤlter, als die freie Luft. Es entſteht daher in den Schornſteinroͤhren ein herabwaͤrts gehender Zug, der ſeinen Ausweg durch die unten befindlichen, gegen die Zimmer offenen Oefen in die Zimmer nimmt. Dieſer Luftzug, den wir ſonſt nicht ſehr be - merken, wird ſogleich merklich, wenn eine geringe Menge Rauch, zu geringe um die ganze Luftſaͤule zu erwaͤrmen, in jene Roͤhre ge - langt, und der Rauch wird nun entweder in das Zimmer, wo ge -141 heißt wird, zuruͤckgetrieben, oder (weil in der Naͤhe dieſes Ofens der noch warme Rauch den Luftſtrom uͤberwindet,) in andre Zimmer, die mit eben dem Schornſteine in Verbindung ſtehen. Aus dem entgegengeſetzten Grunde ziehen die Oefen ſo ſehr gut bei kaltem Wetter, weil die erwaͤrmte Luft in den Schornſteinroͤhren nun ſchon wegen des ſich ſogleich einfindenden hinaufwaͤrts gehenden Luftſtro - mes oben ausſtroͤmt und alſo den Rauch mit hinaufnimmt. Des - wegen iſt auch bei ſchlecht ziehenden Oefen die erſte Zeit nach dem Einheitzen die ſchlimmſte, indem, ſobald nur einige Erwaͤrmung der Luft im Schornſteine eingetreten iſt, der Luftzug hinaufwaͤrts leich - ter hervorgeht; ja ſelbſt wenn heftiger Wind den Rauch herunter - treibt, ſo iſt dies weniger der Fall, ſobald eine ſchon ſehr erwaͤrmte Luft im Schornſteine einen aufſteigenden Strom veranlaßt, der endlich ſo ſtark werden kann, daß er den von oben einwirkenden Druck gaͤnzlich uͤberwindet. Jenes Uebel, daß die Oefen bei milde werdendem Wetter ſo leicht rauchen, laͤßt ſich daher durch eine hohe und enge Roͤhre oft gaͤnzlich heben. Setzt man auf die Oeffnung, wo das gewoͤhnliche Ofenrohr in den Schornſtein geht, noch eine Roͤhre von der Weite der gewoͤhnlichen Ofenroͤhren, aber 6 bis 10 Fuß hoch, ſo wird beim Heitzen die darin enthaltene geringe Menge Luft ſchnell durchwaͤrmt, weit ſchneller als es mit der die weite Feuer-Eſſe fuͤllenden Luftmaſſe geſchehen koͤnnte; es entſteht daher in dieſer engen Roͤhre ſogleich, wenigſtens wenn man ein nicht allzu unbedeutendes Feuer angemacht hat, ein ſtarker Luftſtrom auf - waͤrts, der nicht nur das Herausdringen des Rauches in das eben geheitzte Zimmer hindert, ſondern ſelbſt lebhaft genug werden kann, um den entgegengeſetzten Luftſtrom auch in den hoͤhern Theilen des Schornſteines zu uͤberwinden, und in dieſem Falle auch in die uͤbri - gen Zimmer keinen Rauch gelangen laͤßt.

Auch in den Meeren und in der Atmoſphaͤre ſcheint es vor - zuͤglich dieſe Ungleichheit des Druckes zu ſein, die ſo mannigfaltige Stroͤmungen hervorbringt. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß in den großen Meeren ein Strom in der Tiefe von den Polen gegen den Aequator geht, der dorthin kaltes Waſſer fuͤhrt, waͤhrend wir in manchen Gegenden ſehr auffallend eine warme Stroͤmung an der Oberflaͤche gegen die Pole zu bemerken. Aber hiebei finden ſo viele andre Urſachen mit ſtatt, daß die Erſcheinungen ein mehr verwickel -142 tes Anſehen erhalten. Der Hauptſtrom der Meere naͤmlich, welcher unter dem Aequator und in den tropiſchen Gegenden von Oſten nach Weſten geht, ſcheint theils von der beſtaͤndig nach dieſer Richtung fortgehenden Fluth, theils von der in oͤſtlichern Gegenden immer etwas groͤßern Erwaͤrmung des Waſſers, theils von dem oͤſtlichen Paſſatwinde herzukommen. Was die Erwaͤrmung betrifft, ſo ſcheint es zwar, daß von jedem mehr erwaͤrmten Puncte aus ein Strom an der Oberflaͤche, nach Oſten ſo wohl, als nach Weſten, entſtehen ſollte; aber indem die Sonne und mit ihr die am meiſten erwaͤrmte Gegend unaufhoͤrlich nach Weſten fortruͤckt, wird der nach Oſten gehende Strom in jedem Augenblicke zerſtoͤrt, der nach We - ſten gehende dagegen verſtaͤrkt. Dieſer, im Atlantiſchen Meere ſo ſehr merkliche Strom, der vielleicht ſehr weſentlich zur Ausbildung der Form beigetragen hat, welche die Kuͤſten America's erhalten haben, draͤngt ſich da, wo dieſe Kuͤſten ſeinen Fortgang hindern, noͤrdlich und iſt als warmer Strom, unter dem Namen Golph - ſtrom noch in ſehr noͤrdlichen Gegenden kenntlich. Was in dieſen Gegenden ſeinen genau beſtimmten Lauf ſo feſt auf eine gewiſſe Breite, auf eine gewiſſe Richtung beſchraͤnkt, wie von Humboldt es ſo ſchoͤn und belehrend nachweiſt*)v. Humboldt Reiſe. 1 Th. S. 84., ob davon die große Tiefe der Meere in den Gegenden dieſes Stromes die Urſache iſt, oder ob dieſe Tiefe durch den Strom erſt gebildet iſt, das iſt wohl nicht ganz zu entſcheiden moͤglich. Aber merkwuͤrdig iſt, daß neben ihm dicht an der Kuͤſte des noͤrdlichſten America bei Neu-Fundland, Neu - Schottland, Cap Breton ein kalter Strom ſtatt zu finden ſcheint**)Gilb. Ann. LXII. 143..

Die Winde entſtehen gewiß zum Theil aus dieſer ungleichen Waͤrme. Die Atmoſphaͤre iſt immer am Aequator mehr, als gegen die Pole hin, erwaͤrmt, und es beſteht daher im Allgemeinen ein Beſtreben der kalten Luft, nahe an der Erde gegen den Aequator zuzuſtroͤmen. Dieſer auf der noͤrdlichen Halbkugel noͤrdliche Wind geht in einen nordoͤſtlichen oder oͤſtlichen uͤber, weil die mit der Um - drehung der Erde nach Oſten fortruͤckenden Lufttheilchen in der Naͤhe der Pole nicht die Schnelligkeit beſitzen, wie die Oberflaͤche der Erde am Aequator; die nach Oſten zu fortgefuͤhrten Gegenſtaͤnde143 auf der Erde finden daher in jener minder ſchnellen aus Norden in ſuͤdlichere Gegenden kommenden Luft einen Widerſtand an ihrer Oſt - ſeite, es ſcheint, als wuͤrden ſie von einem aus Oſten herandringen - den Strome getroffen, und da auf dieſe Weiſe ein wirklich von Nor - den kommender Luftſtrom ſich mit dieſer relativen Bewegung der Lufttheilchen gegen die Oſtſeite der Gegenſtaͤnde auf der Erde ver - bindet, ſo entſteht ein nordoͤſtlicher oder oſtnordoͤſtlicher Wind, wie wir ihn in den verſchiedenen Gegenden der noͤrdlichen Halbkugel fin - den. Auch in unſern Gegenden iſt dieſer nordoͤſtliche Wind, der ſich bei heiterm Wetter immer einfindet, eine Folge dieſer ungleichen Erwaͤrmung, und daß er dieſes iſt, zeigt ſich beſonders darin, daß er in den Jahreszeiten am meiſten herrſcht, wo der Unterſchied der Temperatur in den noͤrdlichen Gegenden und in der Mitte der ge - maͤßigten Zone am groͤßeſten iſt. Wenn man die mittlere Waͤrme, die zu beſtimmter Jahreszeit in Mannheim und in Petersburg ſtatt findet, vergleicht, ſo findet man, daß ſie nie mehr, als im Anfange des Maͤrz, verſchieden iſt, und daß dann der mittlere Unterſchied, nach den Beobachtungen mehrerer Jahre, auf 12 Grade des Reau - mur'ſchen Thermometers geht; im Januar und im Anfange des Februar betraͤgt dieſer Unterſchied nur etwa 9 Grade, im April etwa 6 Grade, in den Herbſtmonaten nur 4 bis 5 Grade, im Juli und im Anfange des Auguſt kaum 2 Grade; und ganz dieſen Unter - ſchieden angemeſſen, ſind die drei letzten Wintermonate weit mehr, als die erſtern, durch kalte Nordoſtwinde ausgezeichnet; der Maͤrz beſonders bringt in ſeinem erſten Drittel faſt immer noch groͤßere Kaͤlte, als der Hoͤhe der Sonne gemaͤß ſcheint, und ſein kalter aus - trocknender Nordoſtwind iſt uns empfindlicher, als er ſelbſt im Win - ter zu ſein pflegt. Im Sommer dagegen zeigt ſich wenig Neigung zum vorherrſchenden Nordoſtwinde, ſondern der Weſtwind herrſcht, weil die Erwaͤrmung groͤßer iſt uͤber dem feſten Lande, als uͤber dem Atlantiſchen Meere. Warum jener Nordoſtwind zugleich aus - trocknend iſt, und heitern Himmel macht, das gehoͤrt mehr in die Lehre von der Waͤrme und von den Daͤmpfen, und ich will hier nur obenhin bemerken, daß in den Phaͤnomenen der Wolken zuweilen ein oberer warmer Luftſtrom kenntlich zu werden ſcheint, waͤhrend unten dieſer kalte Luftſtrom ſtatt findet, wenigſtens hat die Behaup - tung viel fuͤr ſich, daß die Schaͤfchenwolken im Fruͤhling, bei anhal -144 tendem kalten Nordoſtwinde und heiterm Himmel, darum Vorbo - ten warmer Witterung ſind, weil ſie anzeigen, daß der in großer Hoͤhe vermuthlich immer im Winter ſtatt findende warme ſuͤdliche Strom anfange, das Uebergewicht zu erlangen und zu niedrigeren Gegenden herabzukommen*)Ich habe dies vollſtaͤndiger zu zeigen geſucht in den Unterhal - tungen fuͤr Freunde der Phyſik und Aſtronomie. I. S. 148. Ueber die Urſachen des im Sommer vorherrſchenden Weſtwindes haben Schuͤ - bler, Schouw und Kaͤmtz ſehr richtige Bemerkungen gemacht. Schweigger's Journal 1828. 3. Heft..

Die wechſelnden Seewinde und Landwinde in den heißern Ge - genden der Erde erklaͤren ſich auch hieraus, indem am Tage in der heißeſten Zeit die uͤber dem Meere weniger erwaͤrmte Luft in den un - tern Gegenden dem feſten Lande zu ſtroͤmt, ſtatt daß waͤhrend der Nacht die uͤber dem Lande zu einer tiefern Temperatur abgekuͤhlte Luft ſich nach dem Meere zu ergießt, wo die Luft waͤhrend der Nacht waͤrmer bleibt.

Wiefern die bei Gewittern oft ploͤtzlich entſtehenden ſehr kalten Winde, die von der Gegend des Gewitters ausgehen, hieher gehoͤ - ren, iſt wohl noch nicht vollkommen aufgeklaͤrt; es ſcheint aber, als ob eine durch uns nicht genau bekannte Urſachen erzeugte Kaͤlte, die ja ſogar große Hagelmaſſen zum Gefrieren bringt, die Luft in der Gegend der Wolke ſo ſehr abkuͤhlt, daß ſie als ſchwerer ſich durch die umgebende waͤrmere Luft herabſtuͤrzt, und nach den eben angegebnen Geſetzen ſeitwaͤrts fließt. Einige andre meteorologiſche Phaͤnomene, die auf aͤhnlichen Urſachen beruhen, muß ich uͤbergehen, um nicht zu weit von dem Hauptgegenſtande abzuſchweifen.

Elfte Vorleſung.

Auffallende Erſcheinungen des Waſſerdruckes.

Die Beſtimmung des von fluͤſſigen Koͤrpern ausgeuͤbten Druckes, m. h. H., bietet uns uͤber manche ſchwierig ſcheinende Fragen und uͤber manche unerwartete Erſcheinungen Aufſchluͤſſe dar,145 und ich zweifle nicht, daß Sie die Gegenſtaͤnde, die ich noch, als mit jener Beſtimmung in Verbindung ſtehend, vorzutragen habe, Ihrer Aufmerkſamkeit werth finden werden.

Zu den auffallenden Erſcheinungen, die man als hydroſtatiſche Paradoxen anzufuͤhren pflegt, gehoͤrt zuerſt die, daß der Druck, welchen der Boden eines mit Waſſer gefuͤllten Gefaͤßes leidet, viel groͤßer, als das Gewicht der ganzen Waſſermaſſe ſein kann, und daß dennoch, auf einer Waageſchale abgewogen, nur das Gewicht der Waſſermaſſe in Betrachtung koͤmmt. Wenn das Gefaͤß die Form ABCD (Fig. 83.) hat, ſo wird der Boden bei U durch die ganze Laſt der daruͤberſtehenden Waſſerſaͤule gedruͤckt, und es iſt wegen der Verbreitung des Druckes nach allen Seiten offenbar, daß der ganze Boden BC in jedem Puncte ebenſo ſtark gedruͤckt wird, alſo einen Druck leidet, der dem Gewichte des Waſſercylinders EBCF gleich iſt. Koͤnnte man den Boden beweglich machen, und es ſo einrichten, daß man durch ein Gegengewicht ihn, ohne erheb - liche Reibung, erhielte, ſo wuͤrde ſich wirklich der Druck ſo groß finden, obgleich das ganze mit Waſſer gefuͤllte feſte Gefaͤß ABCD gewiß doch nur ſo viel wiegt, als der darin enthaltenen Maſſe ange - meſſen iſt. Der Grund hiervon iſt leicht zu uͤberſehen. Der Theil BG, CH des Gefaͤßes naͤmlich leidet einen Druck hinaufwaͤrts, und dieſer hebt grade ſo viel von dem hinabwaͤrts gerichteten Drucke auf, daß nur das wahre Gewicht der Maſſe uͤbrig bleibt. Da wo der obere Boden eine ſolche Form, wie HI (Fig. 76.) hat, daß er naͤmlich horizontal und mit dem horizontalen untern Boden parallel iſt, wird HI von dem bis an AB reichenden Waſſer mit einer Ge - walt hinaufwaͤrts gedruͤckt, die dem Gewichte der Waſſerſaͤule, welche in BHIL Platz finden koͤnnte, gleich iſt, und der Theil des Bodens KM wird hinabwaͤrts gedruͤckt durch eine Kraft, die dem Gewichte der Waſſerſaͤule BKML gleich iſt; der Ueberſchuß dieſes Druckes hinabwaͤrts iſt der Druck, den ich beim Tragen des Ge - faͤßes nur empfinde, und dieſer iſt der Waſſermaſſe HIKM gleich. Ganz aͤhnlich verhaͤlt es ſich auch bei jedem andern Gefaͤße (Fig. 83. ) ABCD. Hier leidet die ſchief geneigte Flaͤche ab einen groͤßern Druck, als die horizontale Flaͤche ac, wenn ſie das Gefaͤß be - grenzte, leiden wuͤrde, naͤmlich darum einen groͤßern Druck, weil ab groͤßer als ac iſt, aber von dieſem ſchief gegen die VerticallinieI. K146geneigten Drucke findet ſich, bei der Zerlegung in einen verticalen und in einen horizontalen Druck, der vertical aufwaͤrts gerichtete genau dem Gewichte der Waſſerſaͤule deba gleich, die uͤber ab ſtehen wuͤrde, wenn der ganze Cylinder EFCB mit Waſſer gefuͤllt waͤre, und der Druck auf fg dem Gewichte der ganzen Waſſerſaͤule degf gleich; beide ſtreben einander entgegen und wuͤrden das Ge - faͤß, wenn es ſchwach genug waͤre, zerſprengen; aber wer das ganze, hinreichend feſte Gefaͤß haͤlt, empfindet nur den aus der Differenz beider hervorgehenden Druck, oder in Beziehung auf alle aͤhnliche Waſſerſaͤulen geſprochen, hat er das Gewicht aller dieſer Waſſerſaͤu - len zu tragen.

Und eben hierin liegt denn auch der Aufſchluß uͤber eine aͤhnliche Ungleichheit im Seitendrucke. Wenn die Wand AB (Fig. 84.) viel groͤßer als die gegenuͤberſtehende CD iſt, ſo leidet freilich AB einen groͤßern Druck, aber der bei der Zerlegung hervor - gehende horizontale Druck iſt ſo groß fuͤr AB als fuͤr CD, und das Gefaͤß zeigt daher kein Beſtreben nach horizontaler Richtung fortzu - ruͤcken, ſo lange alle Waͤnde des Gefaͤßes feſt vereinigt bleiben, oder das Gefaͤß nicht zerſprengt wird.

Eben dieſes bisher betrachtete Paradoxon, wie man es ſo oft genannt hat, findet ſich in vielen einzelnen Phaͤnomenen wieder. Wenn man den weiten Schenkel AB (Fig. 85.) der Roͤhre ABCD, deren enger Schenkel CD ſehr hoch iſt, mit Blaſe feſt zubindet und dieſe Blaſe mit großen Gewichten beſchwert, ſo wird dennoch, nach - dem CD bis oben gefuͤllt iſt, die Blaſe ſtark nach außen gedraͤngt und das aufgelegte Gewicht gehoben werden, obgleich die in CD druͤckende Waſſermenge ſehr geringe iſt. Waͤre CD ſo eng, daß ihr Querſchnitt nur 1 Quadratzoll betruͤge, ſo faßt ſie, ſelbſt bei 10 Fuß Hoͤhe nur etwa 5 Pfund Waſſer; iſt dagegen AB einen Quadrat - fuß groß und das Waſſer ſteht in C 10 Fuß hoͤher als in AB, ſo leidet die Oberflaͤche AB einen Druck von 700 Pfunden, den jene 5 Pfunde ausuͤben. Ein andrer Verſuch iſt faſt noch auffallender. Man ſtelle das cylindriſche Gefaͤß AB (Fig. 86.) auf eine Waage - ſchale oder verbinde es mit dem Ende des Waagebalkens AD, gieße nur wenig Waſſer hinein und bringe alles ins Gleichgewicht. Nun ſtelle man die Waage ſo auf, daß ſie ſich vertical unter dem ſoliden Cylinder CD befinde, der an einem feſten Fuße E ſo befeſtigt iſt,147 daß man ihn herabſchrauben kann. Man ſchraube ihn ſo herab, daß er ohne das Gefaͤß AB irgend zu beruͤhren ſich in das Waſſer eintaucht, und dieſes alſo zu einer groͤßern Hoͤhe uͤber dem Boden des Gefaͤßes anſteigen macht, ſo reicht nun das in der andern Schale liegende Gewicht nicht mehr zum Gleichgewichte aus, ſondern man muß jetzt ſo viel Gewicht auflegen, als der ganze Waſſercylinder bis zu der Hoͤhe, wo ſich die Oberflaͤche des Waſſers befindet, wiegen wuͤrde. Iſt alſo der ſolide Cylinder von nicht viel geringerm Durch - meſſer, als die innere Hoͤhlung des Gefaͤßes, ſo kann man eine ge - ringe Quantitaͤt Waſſer bis zu einer großen Hoͤhe in dieſem ſchma - len ringfoͤrmigen Raume hinauftreiben, und den Druck auf die Waageſchalen ſehr vermehren. Daß es hier nicht das Gewicht des Cylinders CD iſt, welches auf die Waageſchale druͤckt, davon kann man ſich wohl leicht uͤberzeugen, da dieſes durch den Fuß E voll - kommen unterſtuͤtzt wird; es iſt alſo bloß der Druck auf den Boden des Gefaͤßes, dem zwar ein Gegendruck auf den untern Boden des ſoliden Cylinders entgegenſteht, welcher letztere aber auf die Waage - ſchale keine Wirkung aͤußert.

Anwendungen bei Waſſerbauen und bei Maſchinen.

Der maͤchtige Druck, welchen eine hohe Waſſerſaͤule ſelbſt da ausuͤbt, wo ſie nur ſeitwaͤrts her einen Zugang findet, iſt den Waſ - ſerbaumeiſtern ſehr wohl bekannt, und noͤthiget ſie, die aͤußerſte Sorgfalt anzuwenden, daß kein ſolcher Druck ſtatt finden koͤnne. Wenn eine Schleuſe entweder das hoͤher ſtehende Waſſer eines Stromes oder des Meeres zuruͤckhalten ſoll, oder wenn ſie zum Durchlaſſen von Schiffen in einem Canale beſtimmt iſt, ſo muß ſie ſehr oft an der einen Seite den Druck eines hoch ſtehenden Waſſers ertragen, waͤhrend an der andern nur eine niedrige Waſſerſaͤule druͤckt; haͤtte ſich nun hier unter dem Schleuſenboden AB (Fig. 87.) ein Zugang fuͤr das Waſſer von C her gefunden, ſo wuͤrde ein 20 Fuß langer Balken AB, wenn das Waſſer in C 10 Fuß hoͤher als in DE ſteht, mit dem Gewichte von 200 Cubicfuß Waſſer, das iſt mit 14000 Pfunden gedruͤckt, und eine 20 Fuß breite Schleuſe wuͤrde auf den ſaͤmmtlichen zwanzig Balken ihres Bodens einen Druck von 280000 Pfunden auszuhalten haben, der gewiß ſehr wohl den Schleuſenboden hinaufwaͤrts draͤngen koͤnnte. Man ver -K 2148wahrt aus dieſem Grunde den Boden unter den Schleuſenthuͤren mit ſehr ſorgfaͤltig in einander genutheten Pfaͤlen AG, damit kein Waſſer unter AB eindringe. Die Schiffsdocken, in welche die großen Schiffe, auf hinreichend tiefem Waſſer einfahrend, einge - laſſen werden, und die dann, nachdem die Thuͤren feſt verſchloſſen und waſſerdicht gemacht worden, vom Waſſer befreiet werden, da - mit an den trocken gelegten Schiffen die Reparatur leichter vollendet werden koͤnne, muͤſſen eben ſo gegen den Zudrang des Waſſers unter ihren Boden geſichert ſein, da ſonſt der Boden, waͤre er auch von den ſchwerſten Steinen, gehoben werden wuͤrde.

Dieſen maͤchtigen Druck, der ſo nachtheilig werden kann, hat man bei der Waſſerſaͤulenmaſchine nuͤtzlich angewandt, indem man ihn da zum Heben der Pumpenkolben in tiefen Schachten und auf aͤhnliche Weiſe brauchte. Die weſentlichen Theile der Waſſer - ſaͤulenmaſchine, zeigt Fig. 88. Die ſehr hohe Zuleitungsroͤhre AB wird von oben durch zufließendes Waſſer gefuͤllt, und hat Waſſerzufluß genug, um gefuͤllt zu bleiben, wenn auch der Hahn C eine Zeit lang geoͤffnet wird und das Waſſer in das weite Rohr ED einlaͤßt. Hier iſt ein in der cylindriſchen Roͤhre beweglicher Kolben, ED, der mit dem Pumpenkolben H an einem Hebel - arme GF, der ſich um G dreht, haͤngend, den Pumpenkolben hebt, wenn ED ſelbſt gehoben wird. Das durch den Hahn C eingelaſſene Waſſer hebt ED mit großer Gewalt, naͤmlich mit einer der Oberflaͤche des Kolbens proportionalen Kraft aufwaͤrts; aber ſobald dieſer Kolben die gehoͤrige Hoͤhe erreicht hat, dreht man den Hahn C ſo, daß er gegen B geſchloſſen iſt, das Waſſer aus der Roͤhre ED aber unten ausfließen laͤßt. Iſt dies geſchehen, ſo druͤckt das Uebergewicht des Kolbens dieſen wieder herab, und eine neue Drehung des Hahnes oͤffnet aufs neue dem Waſſer den Zugang nach ED, um einen neuen Kolbenzug zu bewirken. Der Hahn C hat zu dieſem Zwecke zwei gar nicht mit einander zu - ſammen treffende Bohrungen, deren eine grade durch geht, um die Roͤhre B mit CD zu verbinden, die andere geht von der Seite nach unten, um, wenn ihre Oeffnung nach a gewandt iſt, das Waſſer dort von der Seite a her auszulaſſen, waͤhrend es in der Roͤhre AB geſperrt bleibt.

Doch nicht bloß die Faͤlle, wo eine geringe Waſſermaſſe149 eine ſehr große Kraft ausuͤbt, ſind merkwuͤrdig, ſondern auch der einfache Seitendruck einer Waſſermaſſe oder Queckſilber - maſſe giebt uns zu nuͤtzlichen Bemerkungen Anlaß. Wenn ein hohes Gefaͤß mit einer Fluͤſſigkeit gefuͤllt iſt, ſo verdient ſchon die Ueberlegung, ob der untere Theil der Waͤnde auch den ſtarken Druck aushalten kann, einige Aufmerkſamkeit. Vor - zuͤglich iſt das bei dem ſchweren Queckſilber der Fall, das bei 2 Fuß Hoͤhe auf den untern Theil der Waͤnde einen Druck von 14 Pfund auf den Quadratzoll ausuͤbt, das daher eine Glaswand von mehreren Zollen Breite wohl zerſprengen kann, und ſich durch jede nur irgend dem Drucke nachgebende Verbindung eine Oeff - nung ſucht. Auch der Druck der Erde, wenn ſie gleich kein fluͤſſiger Koͤrper iſt, gehoͤrt hierher. Waͤre naͤmlich der Raum (Fig. 87. ) CA mit Sand gefuͤllt, der durch die Wand CA zu - ruͤckgehalten werden ſollte, ſo muß dieſe Wand den Druck des Sandes, der abzuſchießen, ſich in einer ſchiefen Abdachung ab - zuflaͤchen ſtrebt, zuruͤckhalten, und die Frage, wie ſtark eine ſolche Mauer an Ufern, an Feſtungswaͤllen, u. ſ. w. ſein muß, mit welchen Befeſtigungsmitteln man ſie gegen das Umſtuͤrzen ſichern muß, beruht auf Ueberlegungen, die denen ganz aͤhnlich ſind, welche man uͤber den Druck des Waſſers anſtellt.

Gleichgewicht feſter Koͤrper im Waſſer.

Aehnliche practiſche Anwendungen ließen ſich noch manche angeben; aber es iſt Zeit, zu einem andern Gegenſtande uͤberzu - gehen, zu den Erſcheinungen naͤmlich, welche die in Waſſer ein - getauchten feſten Koͤrper uns darbieten. Offenbar leidet der ein - getauchte Koͤrper, wenn er in ſeiner Stellung feſt gehalten wird, eben den Druck, welchen er leiden wuͤrde, wenn er ein Theil des Gefaͤßes waͤre, und dieſer Druck iſt ein hinaufwaͤrts gerichteter und in allen Faͤllen ſo groß, als das Gewicht der Waſſermaſſe, welche er aus der Stelle treibt. Iſt der Koͤrper ganz eingetaucht, ſo druͤckt (Fig. 90.) das uͤber ihm befindliche Waſſer auf ſeine obere Seite niederwaͤrts, am untern Theile hingegen wird er hin - aufwaͤrts gedruͤckt, und da zwei einander vertical gegenuͤberſte - hende Stuͤcke ab, cd, der Oberflaͤche, von Kraͤften gedruͤckt werden, die den Gewichten der Waſſerſaͤulen cfab, efcd, gleich150 ſind, ſo iſt der Druck auf cd in Ruͤckſicht auf ſeine verticale Wirkung genau um ſo viel uͤberwiegend uͤber den verticalen Druck auf ab, als das Gewicht einer den Raum abcd fuͤllenden Waſſerſaͤule angiebt. Wenn der Koͤrper nicht ganz eingetaucht iſt, ſo iſt, ſo wie Fig. 91. allein der hebende Druck auf die untere Flaͤche vorhanden, der in jedem kleinen Theile gh dem Gewichte einer den Raum klgh fuͤllenden Waſſerſaͤule gleich iſt, im Ganzen alſo ſo viel betraͤgt, als das Gewicht des Waſſers, welches aus ſeiner Stelle gedraͤngt iſt, oder welches den Raum LMKH ausfuͤllen wuͤrde, wenn der feſte Koͤrper dies nicht hinderte.

Hiemit ſind alle Umſtaͤnde beſtimmt, von welchen es ab - haͤngt, ob ein feſter Koͤrper ſich im Waſſer ſchwimmend erhalten oder unterſinken ſoll, und wie tief er ſich im erſten Falle ein - taucht. Das Gewicht des feſten Koͤrpers wirkt jener hebenden Kraft des Waſſers entgegen, und der Koͤrper ſinkt, wenn jenes Gewicht mehr betraͤgt, als dieſer hebende Waſſerdruck, ſtatt daß er im entgegengeſetzten Falle aufſteigt. Betraͤgt das Gewicht des ganzen Koͤrpers weniger, als das Gewicht desjenigen Waſſers, welches er, ganz untergetaucht, aus der Stelle treibt, ſo muͤſſen wir ihn mit einiger Gewalt unter Waſſer erhalten, ſo lange er ganz untergetaucht iſt; hat er ſich aber zum Theil uͤber die Ober - flaͤche des Waſſers erhoben, ſo ruhet er und dies genau dann, wenn die jetzt noch aus der Stelle getriebene Waſſermaſſe genau ſo viel wiegt, als der ganze Koͤrper. Die Kraft, mit welcher der leichtere Koͤrper aufwaͤrts ſtrebt, iſt immer gleich groß, er mag ſich in großer oder in geringer Tiefe befinden, und es iſt ein unrichtiges Vorurtheil, daß er durch den groͤßern Druck einer hoͤher uͤber ihm ſtehenden Waſſermaſſe mehr hinabgedruͤckt werde das iſt freilich der Fall, aber der heraufdraͤngende Druck iſt auch in eben dem Maaße groͤßer.

Ehe ich zu den merkwuͤrdigen Anwendungen uͤbergehe, die man von dieſem Verluſte an Gewicht, welchen die feſten Koͤrper im Waſſer leiden, machen kann, muß ich einen Verſuch angeben, welcher vollkommen deutlich die Groͤße dieſes Verluſtes an Gewicht zeigt. Man haͤngt an dem einen Arme einer Waageſchale den ſoliden metallenen Wuͤrfel AB, (Fig. 92.) an einem Faden haͤn - gend, auf, und uͤber ihm iſt das cubiſche Gefaͤß CD, deſſen in -151 nere Hoͤhlung ganz genau durch jenen Wuͤrfel ausgefuͤllt wird, an eben den Waagebalken befeſtigt; am andern Arme der Waage bringt man das noͤthige Gegengewicht an, damit die Waage im Gleichgewichte bleibe. Nun ſchraubt man das auf einem beweglichen Fuße unter AB ſtehende Gefaͤß mit Waſſer EF hinauf, ſo daß der Koͤrper AB anfaͤngt ſich einzutauchen, und ſogleich ſinkt die Waageſchale G, oder es zeigt ſich, daß der Koͤrper AB beim Ein - tauchen etwas an Gewicht verliert. Um dies auszugleichen gießt man etwas Waſſer in das Gefaͤß CD, und faͤhrt damit, indem das Gefaͤß EF weiter gehoben wird, ſo fort wie es das Gleichgewicht fordert. Hat man an dem ſoliden Wuͤrfel Theilungslinien ange - bracht, um zu ſehen, wann ein Viertel, zwei Viertel, drei Viertel eingetaucht ſind, und zeigen eben ſolche Theilungslinien im Ge - faͤße CD an, wie viel Waſſer man hat eingießen muͤſſen, um das Gleichgewicht zu erhalten, ſo findet man, daß immer das Gefaͤß grade ſo weit gefuͤllt iſt, als der Wuͤrfel ſich eingetaucht hat, und daß der hohle Wuͤrfel ganz angefuͤllt iſt, wenn der ſolide Wuͤrfel ganz eingetaucht iſt; er hat alſo ſo viel an Gewicht verlohren, als die fluͤſſige Maſſe wiegt, deren Platz er einnimmt.

Da bei Koͤrpern, welche ſich in einer Fluͤſſigkeit ſchwimmend erhalten, der ganze Koͤrper ſo viel wiegt, als die aus der Stelle getriebene Fluͤſſigkeit, ſo ſinkt derſelbe Koͤrper tiefer ein in einer nicht ſo ſchweren Fluͤſſigkeit. Holz kann im Weingeiſt unterſinken, wenn es gleich im Waſſer ſchwimmt, und auf Queckſilber dagegen haͤlt ſich ein ſo großer Theil des Holzes uͤber der Oberflaͤche des Queckſilbers, daß jenes faſt wie auf einem feſten Boden darauf zu ſtehen ſcheint. Wiſſen wir daß 10 Cubicfuß Waſſer ungefehr ſo viel wiegen als 11 Cubicfuß Eis, ſo ſchließen wir, daß ein 11 Fuß hohes Eisprisma ſich 10 Fuß tief einſenken und nur 1 Fuß hoch uͤber dem Waſſer bleiben wird, und darauf gruͤnden ſich die Berech - nungen der ungeheuern Eismaſſen, die man oft in den Polarmee - ren treibend antrifft. Parry ſah in dem merkwuͤrdigen Jahre 1817, wo die im Norden losgeriſſenen ungeheuern Eismaſſen bis nach Cuba, in die heiße Zone, gelangt ſein ſollen, einen 150 Fuß hohen Eisberg auf dem Meere ſchwimmen, und dieſe Eismaſſe mußte alſo unter dem Waſſer zehnmal ſo viel Raum ausfuͤllen, als uͤber dem Waſſer. In den Polarmeeren kommen aͤhnliche Maſſen oft vor.

152

Der menſchliche Koͤrper iſt in der Regel, ſo lange er von der einge - athmeten Luft nichts von ſich laͤßt, etwas leichter als Waſſer und nach Robertſon's Beſtimmung*)Thomson's annais of Philos. Jan. 1816. p. 82. giebt es Menſchen, die wenig uͤber vier Fuͤnftel des Waſſers welches ſie aus der Stelle treiben, wiegen. Die meiſten Menſchen ſinken alſo nicht ganz unter, wenn ſie ſich ohne alle Anſtrengung den Einwirkungen der Schwere uͤber - laſſen, aber ſorgfaͤltig ſich huͤten, ja kein Waſſer zu verſchlucken; im Seewaſſer, welches etwas ſchwerer als ſuͤßes Waſſer iſt, bleibt ein noch groͤßerer Theil des Koͤrpers uͤber dem Waſſer. Daß den - noch der Menſch ſich nur mit Muͤhe gegen das Ertrinken ſichert, ruͤhrt theils davon her, daß er nicht ganz im Stande iſt, das Ein - dringen des Waſſers durch Mund und Naſe, wenn dieſe einmal untergetaucht ſind, zu hindern, und daß Mangel an Geiſtesgegen - wart ihn oft unfaͤhig macht, das Einſchlucken von Waſſer, dem er widerſtehen koͤnnte, zu wehren, theils iſt es Folge nachtheiliger Be - muͤhungen, wozu Mangel an Ueberlegung und Mangel an richtiger Einſicht ihn antreibt. Wir ſtrecken gern unſre Arme nach Huͤlfe aus, und ſo glaubt auch der ins Waſſer Gefallene die Arme hervor - ſtrecken zu muͤſſen; aber da immer nur ein geringer Theil (bei den meiſten Menſchen lange kein Zehntel) des Koͤrpers außer dem Waſ - ſer bleiben kann, ſo ſinkt unfehlbar der Kopf ins Waſſer, wenn man die Arme herausſtreckt, und jedes Hervorheben eines andern Theiles vergroͤßert die Gefahr des Ertrinkens. Hierin liegt ein Grund, warum bei ploͤtzlichen Ueberſchwemmungen zuweilen Kinder lebend ans Land geſchwemmt werden, waͤhrend Erwachſene, die ſich zu helfen ſuchen, umkommen; jene naͤmlich ſchaden ſich wenigſtens nicht durch unrichtige, in der Angſt angewandte Rettungsmittel. Nicholſon erzaͤhlt, daß man einen ins Meer gefallenen Matroſen, der nicht ſchwimmen konnte, und dem man erſt nach einiger Zeit, nach Vorbereitung des Bootes, zu Huͤlfe kommen konnte, einzig dadurch gerettet habe, daß man ihm von Zeit zu Zeit mit dem Sprachrohre zurief, die Haͤnde unter Waſſer zu halten. Hierin alſo beſteht der Theil der Schwimmkunſt, der bloß das Schwim - mend-Erhalten, das Vermeiden, daß der Koͤrper nicht durch einge - ſchlucktes Waſſer ſchwerer als Waſſer werde, betrifft. Der zweite153 Theil der Schwimmkunſt, ſich durch angemeſſene Bewegungen theils im Waſſer fortzurudern, theils, indem man hinabwaͤrts ſtoͤßt, einen groͤßern Theil des Koͤrpers hervorzuheben, als ohne dieſe An - ſtrengung ſtatt faͤnde, gehoͤrt nicht eigentlich hieher, indeß laͤßt ſich doch uͤberſehen, daß Bewegungen des Koͤrpers, bei welchen man das Waſſer ſo trifft, wie das Ruder beim Fortrudern des Schiffes, den menſchlichen Koͤrper nach der entgegengeſetzten Richtung, alſo ſelbſt auch aufwaͤrts zu bewegen, dienen.

Wie die leichten Koͤrper, die man als Schwimmguͤrtel oder auf andre Weiſe am Koͤrper befeſtigt, dienen, um den Koͤrper hoͤher uͤber dem Waſſer zu erhalten, habe ich nicht noͤthig zu erwaͤhnen; auf die richtige Weiſe angebracht, geben ſie zugleich ein Mittel, den obern Theil des Koͤrpers ſicher uͤber dem Waſſer zu erhalten, ſtatt daß es ſonſt mehr dem Zufalle uͤberlaſſen bleibt, ob Arme, Bruſt oder Kopf aus dem Waſſer hervorragen.

Da ich den wichtigſten Theil der hieher gehoͤrigen Anwendun - gen fuͤr die naͤchſte Vorleſung aufſparen muß, ſo will ich heute nur noch einige Erfahrungen kurz anfuͤhren, die mit dem bisher Ange - gebnen in Verbindung ſtehen. Die eine betrifft das Heben ſchwerer Maſſen unter dem Waſſer und das Hervorheben derſelben aus dem Waſſer. Wenn ein Mann, der nur 150 Pfunde zu heben im Stande iſt, eine Granitmaſſe von 250 Pfunden, die im Waſſer liegt, heraufzuziehen verſucht, ſo wird er ſich dazu im Stande fuͤh - len, weil dieſe Granitmaſſe ungefehr im Waſſer 100 Pfund an Gewicht verliert; aber ſobald ſie uͤber die Oberflaͤche hervorgehoben wird, ſcheint ſie ſchwerer zu werden, und jeder Verſuch, ſie bedeu - tend aus dem Waſſer hervorzuheben, wuͤrde ihm mislingen. Eine andre Erfahrung betrifft die ungleiche Tiefe, zu welcher Schiffe ſich im Meerwaſſer und im ſuͤßen Waſſer einſenken. Es giebt Hand - lungsgegenſtaͤnde, die man beim Ankommen nicht wohl abwaͤgen kann, zum Beiſpiel Steinkohlen; bei einer Ladung dieſer Art, wenn naͤmlich das ganze Schiff keine andre Befrachtung enthaͤlt, iſt es uͤblich, daß das Schiff bis auf ſeine Marke geladen wird, das heißt, ſo daß es bis an gewiſſe eingebrannte Merkmale im Waſſer eingeſenkt iſt, und nach dem ein fuͤr alle Mal ausgewognen Inhalte des Schiffes kennt man die Anzahl von Tonnen oder Laſten, die dazu erforderlich ſind. Iſt nun die Beladung auf ſuͤßem Waſſer154 geſchehen, und hat der Schiffer ſeine Ladung in einem Seehafen, auf ſalzigem Waſſer, abzuliefern, ſo findet das Schiff ſich nicht mehr auf ſeine Marke geladen, weil das ſchwerere Seewaſſer nicht in ſo großer Menge, als das leichtere Flußwaſſer aus der Stelle getrieben zu werden braucht, um eben ſo viel als das Schiff mit ſeiner Ladung zu wiegen; der Empfaͤnger der Ladung muß alſo zu beurtheilen wiſſen, wie viel dieſer Unterſchied betragen darf.

Zu einem belehrenden, gleichfalls hieher gehoͤrenden Experi - mente giebt die geringe Aenderung Anlaß, welche die Dichtigkeit oder das ſpecifiſche Gewicht des Waſſers bei veraͤnderter Waͤrme lei - det. Wenn man hohle, ringsum verſchloſſene Glaskoͤrper ſo aus - waͤhlt, daß ſie beinahe genau eben ſo ſchwer als Waſſer ſind, doch aber auf kaltem Waſſer ſich alle ſchwimmend erhalten, ſo ſieht man bei einiger Erwaͤrmung des Waſſers zuerſt die, welche am wenigſten leicht ſind, hinabſinken, und nach und nach bei ſteigender Erwaͤr - mung einen dieſer Koͤrper nach dem andern untergehen. Da ſie naͤmlich alle ſo gewaͤhlt ſind, daß ſie nur mit geringem Uebergewichte des Druckes aus dem Waſſer hervorgehoben werden, ſo braucht das durch die Erwaͤrmung ſich ausdehnende, leichter werdende Waſſer, nur wenig waͤrmer zu werden, um ſchon nicht mehr den zum Tragen der Koͤrperchen erforderlichen Gegendruck auszuuͤben. Wenn man keine Koͤrperchen beſitzt, die nahe genug das ſpecifiſche Gewicht des Waſſers beſitzen, um ſchon bei der Erwaͤrmung unterzuſinken, ſo kann man durch Beimiſchung von Weingeiſt zum Waſſer ihr Unter - ſinken bewirken, doch dann gehoͤrt das Experiment mehr in die Lehre vom Araͤometer.

Zwoͤlfte Vorleſung.

Beſtimmung des ſpecifiſchen Gewichtes.

Schon neulich habe ich, m. h. H., oͤfters das ungleiche ſpecifi - ſche Gewicht der Koͤrper erwaͤhnt, ohne mich vollſtaͤndig uͤber die Art, wie man es beſtimmt, zu erklaͤren. Wir ſagen von einem Koͤrper, er habe ein doppelt ſo großes ſpecifiſches Gewicht, als ein155 andrer Koͤrper, wenn er bei gleichem Volumen, bei gleicher koͤrper - licher Groͤße, ein doppelt ſo großes abſolutes Gewicht, als jener zweite, hat. Ein Pariſer Cubicfuß Waſſer, das nahe an der zum Gefrieren noͤthigen Kaͤlte iſt, wiegt 70,014 franz. Pfunde, ein Pa - riſer Cubicfuß Queckſilber wiegt bei eben der Waͤrme 953,522 franz. Pfunde; das letztere iſt alſo 13,619mal, etwas mehr als 13½mal ſo ſchwer an ſich als Waſſer, und auf aͤhnliche Weiſe faͤnde die Ver - gleichung in allen Faͤllen ſtatt. Man pflegt zur Vergleichung der ſpecifiſchen Gewichte immer das reine deſtillirte Waſſer zum Grunde zu legen, und dabei beſonders zu bemerken, fuͤr welche Waͤrme die Angaben eingerichtet ſind; wir wollen hier immer die Gefrierkaͤlte des Waſſers als diejenige anſehen, worauf ſich die Angaben beziehen, und alſo nur kurz ſagen, das ſpecifiſche Gewicht des gehaͤmmerten Platins ſei = 21,314, anſtatt umſtaͤndlich anzugeben, daß es 21 $$\frac{314}{1000}$$ mal ſo ſchwer als Waſſer iſt.

Um dieſes ſpecifiſche Gewicht, deſſen genaue Kenntniß wir oft beduͤrfen, zu beſtimmen, ſind die Mittel verſchieden, je nachdem man es fuͤr feſte Koͤrper, fuͤr fluͤſſige Koͤrper, fuͤr Koͤrper, die ge - pulvert ſind u. ſ. w. finden will. Feſte Koͤrper kann man am beſten an einer feinen Waage abwaͤgen, und beſtimmt den Gewichtverluſt, den ſie in reinem Waſſer leiden. Das Verfahren iſt ſehr einfach, fordert aber doch, um genau zu ſein, ſehr viele Vorſichtsregeln. Bei dem gewoͤhnlichen Abwaͤgen in der Luft iſt außer der Sorgfalt, mit welcher ſelbſt kleine Gewichtstheile, Theile von Granen, ange - geben werden muͤſſen, wenig zu bemerken; aber wenn man nun den Koͤrper in das Waſſer eintaucht, ſo muß man die Temperatur des Waſſers und des Koͤrpers genau kennen, man muß vollkommen reines Waſſer nehmen, man muß aufs ſorgfaͤltigſte jedes Anhaͤngen von Luftblaͤschen vermeiden, und von dem moͤglichſt feinen Faden oder Haare, woran der Koͤrper haͤngt, nur ſo viel als grade noͤthig iſt, mit in das Waſſer eintauchen und den Gewichtverluſt dieſes Theiles in Rechnung bringen. Das Gewicht, um welches jetzt das vorhin erforderliche Gegengewicht vermindert werden muß, giebt an, wie viel ein dem Koͤrper gleiches Volumen desjenigen Waſſers, deſſen man ſich bedient, wiegt, und da man durch genaue Verſuche die Ausdehnung des Waſſers bei ungleichen Waͤrmegraden kennt, ſo laͤßt ſich aus dem Gewichte des angewandten Waſſers leicht das156 Gewicht des auf abgekuͤhlten Waſſers, das eben den Raum ein - naͤhme, finden. Das Anhaͤngen von Luftblaͤschen muß man ver - huͤten, denn da auch ſie Waſſer aus der Stelle treiben wuͤrden, ſo erhielte man eine groͤßere Verminderung des Gewichtes, als man eigentlich erhalten ſollte.

Wenn der feſte Koͤrper, den man abwaͤgen will, leichter als Waſſer iſt, ſo verbindet man ihn mit einem ſchwerern, damit er ſich ganz eintauche. Man koͤnnte ſtatt des vorhin betrachteten Koͤrpers an der Waage ein Eimerchen von Glas oder Metall aufhaͤngen, und nun nicht bloß das Gewicht dieſes Gefaͤßes, ſondern auch ſeinen Gewichtsverluſt im Waſſer beſtimmen; wird dann ein Stuͤck Kork oder ein andrer leichter Koͤrper in das Eimerchen gelegt und darin, etwa durch einen durchloͤcherten Deckel des Eimers, feſtgehalten, ſo findet man das Gewicht des in der Luft und des im Waſſer abge - wognen Korkes. Um ein Beiſpiel zu geben, wiege das Gefaͤßchen von Glas, deſſen Drathdeckel den hineingelegten Koͤrper feſthaͤlt, in der Luft 350 Gran, im Waſſer 250 Gran; man lege ein Stuͤck Kork hinein, das 50 Gran wiegt, ſo daß das Eimerchen mit dem Korke trocken in der Luft ein Gewicht von 400 Gran hat, ſo wird man das mit dem Kork in Waſſer eingetauchte Gefaͤß nur etwa 100 Gran wiegend finden, und ſagen, von den 300 Granen Gewichtsverluſt kommen 100 auf das Gefaͤß, alſo 200 auf das Stuͤck Kork, oder das vom Kork aus der Stelle getriebene Waſſer iſt 200 Gran ſchwer, 4mal ſo ſchwer als das Korkſtuͤck, deſſen ſpecifiſches Gewicht man alſo auf 0,25 oder auf ¼ ſetzen wuͤrde.

Eben dieſes Verfahren dient nun auch, das abſolute Gewicht eines Cubiczolles eines fluͤſſigen Koͤrpers zu finden. Es iſt zwar offenbar, daß man dieſes auch dadurch, daß man ein ſeinem innern Raume nach genau ausgemeſſenes Gefaͤß mit dem Fluͤſſigen fuͤllte, finden kann, indem die Abwaͤgung dann unmittelbar das ergaͤbe, was man zu finden verlangt; aber es iſt bei Waſſer und bei allen fluͤſſigen Materien gar nicht leicht, ein Gefaͤß ſo damit zu fuͤllen, daß dieſe Materie genau, im ſtrengſten Sinne bis an den Rand reiche, indem ſie leicht geneigt iſt, eine gewoͤlbte oder eine hohle Oberflaͤche zu bilden. Man bedient ſich daher lieber eines mit großer Sorgfalt aus Metall gearbeiteten ſoliden Cubiczolles, den man in der Luft und dann im Waſſer abwiegt; das Gewicht, welches er157 im Waſſer verliert, zeigt genau an, wie viel Grane und Theile von Granen ein Cubiczoll Waſſer mehr wiegt, als ein Cubiczoll Luft. Ich brauche wohl nicht umſtaͤndlich zu zeigen, daß der in Luft einge - tauchte, von Luft umgebene Koͤrper etwas weniger wiegt, als er im luftleeren Raume wiegen wuͤrde, der Druck der Luft bringt ebenſo, wie der Druck des Waſſers einen, wenn gleich wegen der geringen Dichtigkeit der Luft nur kleinen Gewichtsverluſt hervor, und auf dieſen ſollten wir immer Ruͤckſicht nehmen, wenn wir das Gewicht eines Koͤrpers genau angeben wollen. Wenn wir auf dieſe Weiſe das Gewicht eines Cubiczolles Waſſer ganz genau beſtimmen wollen, ſo muͤſſen wir aber nicht vergeſſen, daß jener Cubiczoll nicht bei jeder Waͤrme ein genauer Cubiczoll bleibt, ſondern bei ſteigender Erwaͤrmung etwas groͤßer wird, wir duͤrfen nicht vergeſſen, daß das Gewicht eines Cubiczolles Waſſer nicht immer gleich iſt, ſondern daß die Dichtigkeit des Waſſers ſich vom Gefrierpuncte bis in die Naͤhe des Siedepunctes um mehr als $$\frac{1}{25}$$ aͤndert, und daher ein Pariſer Cubiczoll Waſſer bei Waͤrme 373,4 franzoͤſiſche Grains, bei 80° Reaum. kaum noch 358 Grains wiegt.

Da es hier nicht meine Abſicht ſein kann, Ihnen Anleitung zu genauen Verſuchen zu geben, ſo wird die eben gegebne Andeutung deſſen, was zu ſo genauen Verſuchen erforderlich waͤre, wohl mehr als zureichend ſein, und ich fuͤge uͤber das durch Abwaͤgung zu be - ſtimmende Gewicht andrer fluͤſſiger Koͤrper nur noch das hinzu, daß man aus dem Gewichtsverluſte in Weingeiſt, in Oel, in Schwefel - ſaͤure, die ſpecifiſchen Gewichte dieſer Koͤrper in Vergleichung gegen die des Waſſers kennen lernen kann. Der in ſo verſchiedenen Fluͤſ - ſigkeiten abzuwaͤgende Koͤrper muß freilich von allen dieſen Fluͤſſig - keiten nicht angegriffen werden. Um das ſpecifiſche Gewicht des Queckſilbers zu finden, iſt es am beſten, es in das oben erwaͤhnte Eimerchen zu thun, und im Waſſer abgewogen, ſo wie einen feſten Koͤrper zu behandeln.

Araͤometer.

Eine zweite Art, das ſpecifiſche Gewicht feſter ſowohl als fluͤſſi - ger Koͤrper zu beſtimmen, geben uns die Araͤometer oder Senk - waagen. Schwimmende Koͤrper tauchen ſich, wie ich ſchon erwaͤhnt habe, in einer leichtern Fluͤſſigkeit tiefer ein, und wenn man dem158 ſchwimmenden Koͤrper eine ſolche Geſtalt, wie ABC (Fig. 93.) giebt, ſo iſt dieſe Verſchiedenheit des eingetauchten Volumens an dem duͤn - nen Halſe des Koͤrpers, der nun ein Araͤometer heißt, ſehr merklich. Wenn man zum Beiſpiel den Theil A 400 Cubiclinien groß machte, und der cylindriſche Theil BC haͤtte eine Quadratlinie Querſchnitt, ſo wuͤrde der Koͤrper ſich um 4 Linien tiefer eintauchen, wenn man ihn in eine um nur ein Hunderttel weniger dichte Fluͤſſigkeit braͤchte. So ſind dieſe Araͤometer ſelbſt dem oberflaͤchlichen Beobachter brauch - bar, der mit einem ſchnellen Blicke ſehen will, ob der Weingeiſt, welchen er eben vor ſich hat, mehr oder weniger Waſſer enthalte, ob die Salzſohle mehr oder weniger mit Salz geſaͤttigt ſei u. ſ. w. Aber auch zu den aller genaueſten Verſuchen ſind die Araͤometer tauglich.

Obgleich die Araͤometer auf ſehr mannigfaltige Art eingerichtet ſind, ſo beſteht doch ihre Hauptverſchiedenheit nur darin, daß ſie entweder ganz unveraͤndert in jede gegebne Fluͤſſigkeit eingetaucht werden, wo ſie ſich dann bis zu ungleichen Tiefen einſenken, oder daß ſie bald mit mehr bald mit weniger aufgelegten Gewichten be - ſchwert, und dadurch in jeder Fluͤſſigkeit bis zu gleicher Tiefe einge - ſenkt werden. Die erſte Art von Araͤometern gewaͤhrt die Annehm - lichkeit, an der an BC angebrachten Scale ſogleich das zu leſen, was man zu wiſſen verlangt. Sie ſind entweder allgemein auf alle Arten von Fluͤſſigkeiten eingerichtet, und dann giebt die Scale an, wie groß das ſpecifiſche Gewicht des Fluͤſſigen, wo die Eintauchung bis zu einem gewiſſen Puncte geht, in Vergleichung gegen die des Waſſers ſei, oder ſie ſind fuͤr Salzſohlen ins beſondere oder fuͤr Miſchungen von Weingeiſt und Waſſer ſo eingerichtet, daß ſie ſo - gleich zeigen, wie viel Theile Salz, oder wie viel Theile Weingeiſt ſich in dem Waſſer befinden. Die mit Scalen verſehenen Araͤome - ter wuͤrden unbequem werden, wenn ein einziges Araͤometer fuͤr alle fluͤſſige Koͤrper brauchbar ſein ſollte; man pflegt daher mehrere, die eine regelmaͤßige Folge bilden, zu verfertigen, ſo daß bei dem erſten derſelben die Kugel A mit etwas mehr Gewicht, mit Queck - ſilber oder mit Bleikuͤgelchen, belaſtet iſt, damit es in den ſchwer - ſten Fluͤſſigkeiten, zum Beiſpiel in Schwefelſaͤure, die beinahe dop - pelt ſo ſchwer, als Waſſer iſt, nur etwa bis B einſinke; das letzte dagegen muͤßte mit ſo wenig Gewicht belaſtet ſein, daß es ſelbſt im159 ſtaͤrkſten Schwefelaͤther, der kaum drei Viertel von der ſpecifiſchen Schwere des Waſſers hat, nicht ganz unterſinke. Wird das erſte in ſehr concentrirte Schwefelſaͤure getaucht, ſo ſchwimmt es hoch, nur bis D eingetaucht; in einer Fluͤſſigkeit, die anderthalbmal ſo ſchwer als Waſſer iſt, ſinkt es faſt ganz unter, und weiter erſtreckt ſich ſeine Brauchbarkeit nicht. Das zweite dagegen iſt ſo belaſtet, daß es in eben dieſer Fluͤſſigkeit etwa bis B ſinkt, und alſo da brauchbar zu werden anfaͤngt, wo jenes aufhoͤrte. Man muß bei dem Gebrauche dieſer Araͤometer nicht vergeſſen, darauf zu achten, fuͤr welchen Waͤrmegrad der Kuͤnſtler ſie eingerichtet hat, und da das gewoͤhnlich ein mittlerer Waͤrmegrad, etwa 10 Gr. Reaum., zu ſein pflegt, ſo iſt es am beſten die fluͤſſigen Koͤrper, die man pruͤ - fen will, ſo wie das Araͤometer ſelbſt, ungefehr bis zu dieſem Waͤr - megrade zu bringen, damit man nicht erſt einer Correction be - duͤrfe; bei recht genauen Verſuchen wird man jedoch dieſe Cor - rection dennoch nicht ganz vermeiden koͤnnen.

Wenn es auf ſehr genaue Verſuche ankoͤmmt, ſo ſind dieſe Araͤometer deswegen nicht zu empfehlen, weil theils nicht mit abſo - luter Sicherheit auf die ſtrenge Richtigkeit ihrer Scale zu bauen iſt, theils immer eine kleine Unſicherheit uͤber die Tiefe der Einſenkung bleibt, indem Waſſer und andre Fluͤſſigkeiten ſich am Glaſe hinauf - ziehen und uns nicht geſtatten, den eigentlichen Punct, bis zu wel - chem der Koͤrper eingeſunken iſt, als ganz ſtrenge beſtimmt anzu - ſehen. Die mit Gewichten beſchwerten Senkwaagen dagegen ſind eines ſehr hohen Grades von Genauigkeit empfaͤnglich.

Das Nicholſon'ſche Araͤometer hat folgende Einrichtung, die ich, ſtatt aller andern, naͤher beſchreiben will, AB (Fig. 94.) iſt ein hohler Koͤrper von Meſſing, mit welchem das hinreichend ſchwere Gefaͤß C ſo verbunden iſt, daß der cylindriſche Theil des Koͤrpers AB ſich im Schwimmen genau vertical haͤlt. Auf jenem Koͤrper befindet ſich, mit der verlaͤngerten Axe des Cylinders zuſammenfal - lend, ein ſehr duͤnner grader Stift bc, ſtark genug, um die, immer nur maͤßigen Belaſtungen, die man auf die Schale E auflegt, zu tragen. Man kann dieſes Araͤometer erſtlich brauchen, um das abſolute Gewicht irgend eines nicht zu ſchweren Koͤrpers zu finden, wenn man keine hinreichend genaue Waage beſitzt, man kann zwei -160 tens das ſpecifiſche Gewicht feſter Koͤrper, und endlich auch drittens das ſpecifiſche Gewicht fluͤſſiger Koͤrper durch ſeine Huͤlfe beſtimmen.

Das Gewicht aller eben beſchriebenen Theile des Araͤometers iſt ſo gewaͤhlt, daß der Koͤrper AB in Waſſer ſchwimmend noch ziemlich weit uͤber dem Waſſer hervorragt, damit man ein erhebli - ches Gewicht zulegen muͤſſe, um das Araͤometer bis an das auf dem feinen Stifte aufgezeichnete Merkmal a einzuſenken. Ich will an - nehmen, dies waͤren 1600 Gran, ſo wird man, um einen Koͤrper genau abzuwaͤgen, dieſen auf die Schale E auflegen und ſo viele Gewichte zulegen, als noch noͤthig ſind, um das Einſenken bis an a zu bewirken. Faͤnde man dieſe noch noͤthige Zulage = 629,27 Gran, ſo woͤge der aufgelegte Koͤrper 970,73 Gran. Man darf aber in der That hoffen, dieſes Gewicht bis auf kleine Theile eines Granes richtig zu beſtimmen; denn da der Stift nur etwa ¼ Linie dick, ſein Querſchnitt nur ungefehr $$\frac{1}{20}$$ Quadratlinie iſt, ſo ſenkt er ſich um ¼ Linie ein, wenn das Gewicht von $$\frac{1}{80}$$ Cubiclinie Waſſer zugelegt wird, und dieſes Gewicht betraͤgt nur drittehalb Tauſendtel eines Granes.

Mit gleicher Genauigkeit findet man das ſpecifiſche Ge - wicht des feſten Koͤrpers, wenn er nur im Waſſer nicht aufgeloͤſt wird oder ſonſt eine Aenderung leidet. Nachdem man ihn naͤmlich auf der Schale E liegend abgewogen hat, bringt man ihn in das untere Gefaͤß C, und ſieht nun, wie viele Gewichtstheile man oben noch zulegen muß. Bleibe ich bei meinem vorigen Beiſpiele, wo oben 629,27 Gran zugelegt waren, ſo wird, wenn man den Koͤrper unten hinlegt, dieſes Gewicht nicht mehr zureichen, weil er im Waſſer ſoviel weniger wiegt, als er Waſſer aus der Stelle treibt; man legt alſo Gewichte nach, und wenn zum Beiſpiel 80,89 Gran noͤthig ſind, ſo ſagt man der Koͤrper wog 970,73, ebenſo viel Waſſer dem Volumen nach wiegt 80,89, da dies genau der zwoͤlfte Theil von jenem iſt, ſo hat der Koͤrper ein zwoͤlfmal ſo großes ſpecifiſches Gewicht als das Waſſer, deſſen wir uns eben bedienen. Iſt dieſes Waſſer waͤrmer, als dasjenige, auf deſſen Dichtigkeit unſre Tafeln alle ſpecifiſchen Gewichte zu beziehen pflegen, ſo bedarf dieſe Angabe einer kleinen Verbeſſerung, ſo wie es denn uͤberhaupt erhellt, daß man auch hier auf die Waͤrme des Waſſers und des eingetauchten Koͤrpers aufs ſorgfaͤltigſte Ruͤck -161 ſicht nehmen muß, wenn die Angaben auf die hier erforderliche und hier zu erreichende Genauigkeit ſollen Anſpruch machen koͤnnen.

Um endlich das ſpecifiſche Gewicht andrer fluͤſſiger Koͤrper mit dem des Waſſers zu vergleichen, kann man folgendes Ver - fahren anwenden. Man waͤget den ganz a Koͤrper des Aerome - ters mit dem Gefaͤße C und dem Schaͤlchen E ſehr ſorgfaͤltig ab, und weiß damit, wieviel das Waſſer wiegt, welches bei der Ein - ſenkung bis an a aus der Stelle getrieben wird; dieſes wiegt naͤmlich ſo viel, als dieſer ganze Koͤrper und in unſerm Exempel noch 1600 Grane mehr, die zugelegt werden muͤſſen, um die ganze Einſenkung hervorzubringen. Bringen wir hierauf das In - ſtrument in Weingeiſt, ſo bedarf es eines geringern Gewichtes, um bis zu dem Puncte a hinabgedruͤckt zu werden, ja wenn das ganze Inſtrument allein 6400 Gran woͤge, ſo wuͤrde es in einem Alkohol, der nur des Waſſers wiegt, ſich ohne alles zugelegtes Gewicht voͤllig bis zu dem Merkmale einſenken, und eben deshalb fuͤr Aether und andre Fluͤſſigkeiten, die leichter als Alkohol ſind, nicht mehr brauchbar ſein.

So vollkommen aber die Beſtimmungen auch ſind, die man auf dieſem Wege erhalten kann, ſo bleiben doch einige Faͤlle uͤbrig, die große Schwierigkeiten darbieten. Dahin gehoͤren die, wo pul - verartige Koͤrper, die in Fluͤſſigkeiten entweder aufgeloͤſt werden, oder ſich zum Theil zerſtreuen, oder ſonſt auf irgend eine Weiſe ſich mit ihnen miſchen, zu unterſuchen ſind. Fuͤr dieſe hat Les - lie ein Inſtrument zu Beſtimmung des ſpecifiſchen Gewichtes angegeben, deſſen Einrichtung ich aber erſt da werde erklaͤren koͤn - nen, wo vom Barometer und der Elaſticitaͤt der Luft die Rede ſein wird. Ich gehe daher jetzt zu dem letzten Gegenſtande der Hydroſtatik, zu der Frage, in welcher Stellung ein Koͤrper ſich ſchwimmend erhaͤlt, und was man beachten muß, um ihm ein ſicheres Gleichgewicht zu geben, uͤber.

Gleichgewichtsſtellung ſchwimmender Koͤrper.

Obgleich jeder Koͤrper, der ſpecifiſch leichter iſt, als Waſſer, ſich gewiß, ohne unterzuſinken, auf der Oberflaͤche des Waſſers erhaͤlt, ſo kann er doch offenbar nur dann die ihm gegebne Stel - lung behalten, wenn erſtlich ein ſolcher Theil eingetaucht iſt, derI. L162ebenſoviel Waſſer, als der Koͤrper wiegt, aus der Stelle treibt, und wenn zweitens ſein Schwerpunct nicht tiefer ſinken kann. Waͤre ABCD (Fig. 95.) ein Prisma von Kork, das etwa zu ein Viertel ſeines Inhaltes ſich im Waſſer einſenken wird, ſo kann es doch offenbar nicht in der Stellung ABCD ruhen, weil der auf AB wirkende Druck des Waſſers nicht das Herunterſin - ken des Schwerpunctes G der ganzen Korkmaſſe aufhalten kann. Jener Druck muß in ſeiner mittlern Richtung durch den Schwer - punct des Koͤrpers gehen, wenn der Koͤrper die ihm gegebene Lage behalten ſoll, und da ſich leicht zeigen laͤßt, daß der mittlere Druck, welchen der eingetauchte Theil AB aufwaͤrts leidet, eine durch den Schwerpunct H der Waſſermaſſe AB gehende Richtung hat, ſo folgt, daß der Schwerpunct der aus der Stelle getriebenen Waſſer - maſſe ſenkrecht uͤber, oder allenfalls auch ſenkrecht unter dem Schwerpuncte des ganzen Koͤrpers liegen muß, wenn dieſer in der ihm gegebenen Stellung ruhend bleiben ſoll. Es iſt naͤmlich ſo anzuſehen, als ob in G eine Kraft, dem Gewichte des Koͤrpers gleich, nach der Richtung GK, und in H eine Kraft, dem Ge - wichte des aus der Stelle getriebenen Waſſers gleich, nach HL wirkte, und beide Kraͤfte bewirken ein Umſtuͤrzen des Prisma's ABCD. Das Prisma koͤnnte in der genau aufrechten Stellung offenbar ſich erhalten, wenn der Schwerpunct G in der Mitte des Koͤrpers liegt; aber ſobald es nur wenig auf die Seite geneigt wird, ſo ſtuͤrzt es um, und jenes Gleichgewicht bei aufrechter Stellung iſt alſo ein unſichres, bei der geringſten Schwankung geſtoͤrtes Gleichgewicht. Die Stoͤrung des Gleichgewichts kann in manchen Faͤllen auch durch andre Veraͤnderungen, die keine ſchwankende Bewegung vorausſetzen, ſtatt finden. So kann das oft ſo ploͤtzliche und den Schiffen gefaͤhrliche Umſtuͤrzen eines hohen Eisberges, den wir uns unter der Form des Prisma's ABCD, in ſeiner auf - rechten Lage, denken wollen, dadurch entſtehen, daß durch Zufall oder Abthauen die Ecke D herabſtuͤrzt; dann ruͤckt der Schwerpunct G ploͤtzlich etwas weiter nach der Seite CB hin, und da der un - tere Theil ungeaͤndert geblieben iſt, ſo wird der Eisberg gewiß ſich nach der Seite C hin neigen. Dabei kann er noch in einer bei - nahe aufrechten Stellung bleiben, wenn der nun etwas veraͤn - derte eingetauchte Theil eine angemeſſene Aenderung in der Lage163 ſeines Schwerpunctes erleidet; er wird aber umſtuͤrzen, und das in B befindliche Schiff bedecken oder zertruͤmmern, wenn er die Geſtalt eines verhaͤltnißmaͤßig hohen und ſchmalen Prisma's hat, oder der Schwerpunct allzu weit auf dieſe Seite geruͤcket iſt.

Im Allgemeinen ſieht man das Gleichgewicht meiſtens als ein unſicheres an, wenn der Schwerpunct des ſchwimmenden Koͤr - pers hoͤher als der Schwerpunct des aus der Stelle getriebenen Waſſers liegt; indeß iſt dies eine Regel, die viele Ausnahmen lei - det. Es ſei ABCD (Fig. 96.) eine Korktafel, auf welcher ſich ein hoher Koͤrper EF von ſchwerer Materie befindet. Der Schwer - punct des Korkes liegt in H, der Schwerpunct des mit der Tafel verbundenen Koͤrpers in G, und wenn der letztere eben ſo viel wiegt, als jene, ſo wird der Kork, der fuͤr ſich allein nur bis zu ein Viertel ſeiner Dicke in das Waſſer einſinken wuͤrde, ſich bis zur Haͤlfte ſeiner Dicke einſenken. In der Stellung ABCD wuͤrde der aus beiden Maſſen zuſammengeſetzte Koͤrper auf der Waſſerflaͤche PQ ruhen, und der Schwerpunct des Ganzen laͤge in I, mitten zwiſchen G und H. Geben wir nun dem ganzen Koͤrper die geneigte Stellung, welche abdcEf darſtellt, ſo taucht ſich wieder die Haͤlfte der Korktafel bed in das Waſſer ein; aber der Schwerpunct dieſer dreieckigen, aus der Stelle getriebenen Waſſermaſſe liegt nicht mehr in der Mitte der Tafel, ſondern in K, naͤmlich ſo daß KD = BD iſt, und der Schwerpunct der Maſſe Ef iſt nach g geruͤckt, ſo daß der gemeinſchaftliche Schwer - punct der ganzen Maſſe in L liegt, mitten zwiſchen g und H. Hier ſtrebt allerdings der Schwerpunct L zu ſinken, und die in K entgegen wirkende Kraft, die nach KM hinaufwaͤrts gerichtet iſt, kann dieſes nicht hindern; aber beide Kraͤfte wirken vereint dahin, den Koͤrper zu ſeiner anfaͤnglichen Lage zuruͤckzufuͤhren, und hier war alſo die anfaͤngliche Gleichgewichtsſtellung eine Stellung ſiche - ren Gleichgewichtes, die ſich nach einigen Oſcillationen wieder her - ſtellt.

Die Geſtalt des Koͤrpers und die ungleiche Vertheilung der Maſſe koͤnnte ſo ſein, daß auch in der zweiten Lage der Schwer - punct L der ganzen Maſſe grade ſenkrecht uͤber K, als Schwerpunct der Waſſermaſſe, laͤge; dann wuͤrde der Koͤrper in der neuen Lage in Ruhe bleiben. Aber endlich koͤnnte auch, etwa dadurch, daßL 2164man den Koͤrper EF auf einer hohen und wenig ſchweren Unter - lage hinauf geruͤckt haͤtte, der Schwerpunct L jenſeits K liegen, dann wuͤrde der Koͤrper ſich in der neuen Lage nicht erhalten, ſondern voͤllig umſtuͤrzen. Die Sicherheit des Gleichgewichts findet alſo bei nicht zu großen Schwankungen dann ſtatt, wenn der Schwer - punct des ganzen Koͤrpers weniger als der Schwerpunct des einge - tauchten Theiles nach der Seite hin ruͤckt, wo die tiefere Eintau - chung erfolgt.

Dieſe Betrachtung zeigt genauer, als eine bloß oberflaͤchliche Ueberlegung, warum man einen gewiſſen Theil der Belaſtung der Schiffe tief gegen den unterſten Theil des Bodens hin bringen muß, und warum dies um ſo mehr noͤthig wird, je groͤßer die durch Maſten und Tauwerk hoch hinauf geruͤckte Maſſe wird. Indeß wuͤrden wir bei den Schiffen ſehr irren, wenn wir uns be - gnuͤgen wollten, ihnen ein fuͤr ruhiges Wetter ſicheres Gleichgewicht zu geben; der ſelbſt auf Maſten und Tauwerk, noch mehr aber auf die Segel heftig ſtoßende Wind, der bei der Hoͤhe der Maſten ein großes ſtatiſches Moment hat, draͤngt das ſich ſeitwaͤrts nei - gende Schiff noch tiefer, und koͤmmt als eine horizontal wirkende, das Umwerfen des Schiffes befoͤrdernde Kraft in Betrachtung. Damit dieſe Kraft bei Stuͤrmen minder groß ſei, verkleinern die Schiffer beim Sturme ihre Segel durch das eintreffen oder Ein - binden, und ziehen ſie nur am untern Theile des Maſtes hinauf; dagegen kann ein unvermutheter Windſtoß theils deswegen, weil er die Segel am Maſte zu hoch hinauf gezogen trifft, theils weil man in der Richtung des Schiffes nicht die noͤthige Ruͤckſicht auf ihn genommen hat, zu hindern, daß er es nicht zu ſehr von der Seite treffe, doppelt gefaͤhrlich werden. Dagegen aber zeigt auch die Betrachtung der vorhin als Beiſpiel gebrauchten Korkplatte, daß eine bedeutend ſchiefe Stellung des Schiffes ohne Gefahr ſtatt fin - den kann, indem die Seite C ſich ſchon ſehr tief ins Waſſer ein - tauchen kann, ohne daß noch die mindeſte Gefahr des Umſchlagens vorhanden ſei.

Die Frage, in welchen verſchiedenen Lagen ein Koͤrper auf dem Waſſer ruhen kann, wie groß die Oſcillationen, in welche man ihn ſetzt, ſein duͤrfen, um ihn noch immer zu ſeiner vorigen Lage zuruͤckkehren zu laſſen, u. ſ. w. gehoͤren zu den ziemlich ſchwierigen165 Fragen, machen aber einen Hauptgegenſtand der theoretiſchen Schiffbaukunſt aus. Die Form des Schiffes, die Lage und Hoͤhe der Maſten und andre Umſtaͤnde werden zum Theil hiernach be - ſtimmt, und obgleich die Erfahrung uͤber manche Einzelnheiten zu Rathe gezogen werden muß, ſo verdankt doch die Schiffbaukunſt auch den tiefſinnigen theoretiſchen Unterſuchungen uͤber dieſen Ge - genſtand einen bedeutenden Theil ihrer Vervollkommnung.

Dreizehnte Vorleſung.

Ausfluß des Waſſers aus kleinen Oeffnungen.

Indem ich im Begriff bin, zu den Erſcheinungen uͤberzugehen, welche die Bewegungen der tropfbar fluͤſſigen Koͤrper uns darbieten, fuͤhle ich mich zwar genoͤthiget, mit der Klage, daß unſre theoreti - ſchen Forſchungen hier noch lange nicht den Grad der Vollkom - menheit, wie bei den bisher erlaͤuterten Unterſuchungen, erlangt haben, anzufangen; indeß, wenn es uns gleich an ſo ſtrengen Be - rechnungsmethoden, wie die Mechanik feſter Koͤrper ſie liefert, fehlt, wenn wir gleich in der Theorie der Wellen und bei aͤhnlichen Erſcheinungen uͤber viele einzelne Umſtaͤnde noch tiefere Belehrung fordern, als unſre jetzigen Huͤlfsmittel ſie uns darbieten*)Fourier's neue Erweiterungen der hoͤhern Analyſis und Ra - vier's und Corancez's Anwendungen derſelben laſſen auch hier bal - dige weitere Fortſchritte hoffen., ſo iſt doch auch hier ſchon ſo vieles mit Gluͤck erforſcht, daß Sie ſelbſt hier Gelegenheit finden werden, mit dem Reichthume an merk - wuͤrdigen Belehrungen zufrieden zu ſein.

Das Hervordringen des Waſſers aus Oeffnungen, die klein genug ſind, um kein ſchnelles Ausleeren des Gefaͤßes zu geſtatten, zieht als eines der einfachſten Phaͤnomene zuerſt unſre Aufmerk - ſamkeit auf ſich. Wenn die Oeffnung ſich, wie Fig. 97. in einer horizontalen Platte AB aufwaͤrts gerichtet befindet, ſo zeigt die Erfahrung, daß der ſpringende Waſſerſtrahl bis zu der Hoͤhe ſteigt,166 die der druͤckenden Waſſerſaͤule gleich iſt. Dieſe Hoͤhe wird zwar nie ganz erreicht, aber offenbar nur deswegen nicht, weil der Wi - derſtand der Luft, der bei dem geringen ſpecifiſchen Gewichte des Waſſers und bei der Zertrennung des Strahles in Tropfen ſehr erheblich iſt, den Erfolg nicht ganz ſo ſtatt finden laͤßt, wie er ohne Einwirkung dieſes Hinderniſſes ſein ſollte. Dieſe Erfahrung giebt uns die Geſchwindigkeit an, mit welcher das Waſſer aus der Oeffnung hervordringt; denn wir wiſſen, daß ein Koͤrper, um, aufwaͤrts geworfen, eine gewiſſe Hoͤhe zu erreichen, mit eben der Geſchwindigkeit geworfen werden muß, die er bei ebenſo tiefem freiem Falle erreicht haͤtte. Das Waſſer dringt alſo aus einer Oeff - nung mit derjenigen Geſchwindigkeit, die ein Koͤrper frei fallend erlangt, wenn er von einer Hoͤhe, der Hoͤhe der druͤckenden Waſ - ſermaſſe gleich, herabfaͤllt. Dieſe Regel laͤßt ſich leicht auch da an - wenden, wo es nicht eine Waſſermaſſe allein, ſondern wo es ein fremder Druck iſt, der das Waſſer zum Springen bringt. Wenn wir fordern, daß unſre Feuerſpritzen das Waſſer 80 Fuß hoch trei - ben ſollen, ſo muͤſſen wir einen Druck, der 80 Fuß Waſſerhoͤhe gleich gilt, anwenden, um dies zu bewirken, und noch etwas mehr, wegen der Verminderung der Sprunghoͤhe, die ich ſchon bemerkt habe; dieſen Druck laſſen wir auf die Waſſer-Oberflaͤche in dem weiteren Cylinder der Feuerſpritze wirken, und wenn dieſer alſo einen halben Quadratfuß Querſchnitt haͤtte, ſo muß der Druck der an der Spritze arbeitenden Menſchen den Druck von 40 Cubic - fuß Waſſer erſetzen oder, durch einen laͤngern Hebel-Arm gehoͤrig verſtaͤrkt, 2800 Pfund betragen. Damit der Strahl jene Hoͤhe erreiche, muß er mit einer Geſchwindigkeit von beinahe 70 Fuß in 1 Secunde aus der Muͤndung der Roͤhre hervordringen, und man kann daher der Roͤhre nur einen Querſchnitt von einem halben Quadratzoll geben, wenn der fortgedruͤckte Kolben in der weiten Roͤhre einen halben Fuß in der Secunde durchlaͤuft, denn die her - vorgetriebne Waſſermaſſe muß derjenigen gleich ſein, die der fort - geſchobne Kolben aus der Stelle treibt. So uͤberſehen Sie, wie man uͤber die Anordnung der Feuerſpritze rechnen muß, um theils die Hoͤhe des Strahles, theils den Waſſer-Aufwand ſo zu erhalten, wie es die gegebenen Umſtaͤnde fordern.

167

Arteſiſche Brunnen.

Die natuͤrlichen Springbrunnen haͤngen oft gewiß von andern Umſtaͤnden, vom Drucke einer eingeſchloſſenen Luft oder entwickel - ter Daͤmpfe ab; bei den gewoͤhnlichen Brunnen und den meiſten aus der Erde hervorſprudelnden Quellen ſind wir dagegen gewohnt, anzunehmen, daß ſie bloß dem Drucke eines hoͤher ſtehenden Waſ - ſers ihren Urſprung verdanken. Daß dies bei den am Fuße oder Abhange eines Berges entſpringenden Quellen der Fall iſt, daß zu ihnen hin die durch Regen und durch die auf den Gipfeln der Berge liegenden Wolken dem Boden mitgetheilten Waſſer ſich fortziehen, leidet keinen Zweifel, und man hat daher mit Recht die ehemals zu - weilen vertheidigte Theorie, daß das Waſſer im Innern der Erde heraufgetrieben werde, aufgegeben, oder vielmehr anerkannt, daß ſie nur als ſeltene Ausnahme, vorzuͤglich bei heißen Quellen, ſtatt findet. Aber dennoch ſcheinen einige neuerlich bekannt gewordene Phaͤnomene faſt die Sicherheit, daß jene Urſache das Entſtehen der Quellen erklaͤre, zu erſchuͤttern. Man hat naͤmlich in der neueſten Zeit viel von den auffallenden Erſcheinungen erzaͤhlt, welche die gebohrten Brunnen darbieten, die man arteſiſche Brun - nen nennt, weil ſie in der Provinz Artois in fruͤherer Zeit mehr als anderswo ausgefuͤhrt ſein ſollen. Wenn man naͤmlich mit dem Erd - und Steinbohrer die Steinſchichten bis zu erheblicher Tiefe durchbricht, dabei aber zugleich das gebohrte Loch mit einer immer tiefer geſenkten Roͤhre umgiebt, um den Zudrang der hoͤ - hern, unreinen Gewaͤſſer abzuhalten, ſo koͤmmt man ſehr oft in Tiefen von hundert Fuß oder 200, 300 Fuß, auf eine ſo maͤch - tige Quelle, daß ſich nicht allein das ganze gebohrte Loch bis oben mit Waſſer fuͤllt, ſondern zuweilen ſogar das Waſſer mit großer Gewalt uͤber dem Boden hervorſpringt. Man erzaͤhlt die auffal - lendſten Beiſpiele von der Reichhaltigkeit dieſer Quellen und von der Gewalt, mit welcher das Waſſer zuweilen hervordringt, ſo daß man ſeinen, den Umgebungen nachtheiligen Ueberfluß kaum mit Gewalt zuruͤckzuhalten im Stande war. Da es ſehr ausgedehnte Gegenden, namentlich in Frankreich, England, Ober - Italien, giebt, wo man bei gehoͤrig tiefem Bohren faſt ſicher endlich auf ſolche Quellen koͤmmt, ſo waren einige Schriftſteller168 ſchon nahe daran zu behaupten, daß jeder Waſſer armen Gegend durch dieſes Mittel Brunnen verſchafft werden koͤnnten, und daß dieſes Hervorheben des Waſſers auf andern Geſetzen, als denen des bloß durch Druck bewirkten Ausfließens beruhen muͤſſe.

Sorgfaͤltigere Vergleichung der Umſtaͤnde ſcheint indeß jene Hoffnungen, daß man endlich die Africaniſchen Wuͤſten bewaͤſſern und ſo dieſe unbewohnbaren Gegenden fruchtbar machen, ja das Clima ganzer Laͤnder aͤndern koͤnne, ſehr herabgeſetzt und die wah - ren Urſachen jener immer auffallend bleibenden Erſcheinungen ent - huͤllt zu haben. Garnier beſonders*)De Part du fontainier sondeur et des puits artesiens. Paris 1826. und Poggendorf's Annalen XVI. 592., wo hoͤchſt merkwuͤrdige einzelne Faͤlle erzaͤhlt werden. hat aus zahlreichen Bei - ſpielen nachgewieſen, daß doch auch hier die Brunnen nur in der Nachbarſchaft eines hoͤhern Terrains die Eigenſchaft, ſich bis oben und bis uͤber die Hoͤhe des Bodens zu fuͤllen, beſitzen, ferner daß nur da das Brunnenbohren den gewuͤnſchten Erfolg zeigt, wo eine von Kluͤften und offenen Hoͤhlungen unterbrochene Gebirgs - Art zu weit verbreiteten unterirdiſchen Waſſerverbindungen Veran - laſſung giebt, und wo das aus der Atmoſphaͤre herabfallende Waſ - ſer Spalten findet, um ſich dort hinab zu ſenken, zugleich aber durch ſehr dichte hoͤher liegende Schichten gehindert wird, an den niedrigeren Stellen des Bodens aus dieſem hervorzubrechen. In ſolchen Gegenden braucht man alſo nur an Orten, die etwas nie - driger als die hoͤchſten Stellen jener unterirdiſchen Waſſerbehaͤlter liegen, die dem Waſſer undurchdringliche Steinſchichte zu durch - brechen und fortzubohren, bis man in groͤßerer oder geringerer Tiefe jene Waſſerbehaͤlter erreicht, und wird dann, wenn dieſe bis zu hoͤhern Gegenden hinauf mit Waſſer gefuͤllt ſind, ein ſchnell und mit Gewalt herauf dringendes Waſſer hervorbrechen ſehen. Da man die Lage jener Waſſerbehaͤlter, die ganz unter der Erde verborgen ſind, nicht kennt, ſo bleibt es immer einem gluͤcklichen Zufalle unterworfen, ob und in welchem Grade man ſeinen Zweck erreicht; aber aus dem in ſolchen Gegenden ſo haͤufigen Gelingen dieſes Unternehmens muß man ſchließen, daß in Kalkſteinlagerun - gen ſich ſehr weit verbreitete unterirdiſche Waſſervorraͤthe finden169 muͤſſen, die mit hoͤheren ebenfalls mit Waſſer gefuͤllten Hoͤhlungen in Verbindung ſtehend, einen unerſchoͤpflichen Waſſervorrath her - vordringen laſſen, ſobald man die Steinſchichte durchbricht, welche das Waſſer in der Tiefe hinderte, ſich bis zu dem Niveau der hoͤ - heren Behaͤlter zu erheben.

Ausfließende Waſſermenge.

Ich kehre zu dem Ausfließen des Waſſers aus Gefaͤßen zuruͤck, und muß, ehe ich zu einer hierbei vorkommenden Schwierigkeit uͤbergehe, doch noch ein zweites Mittel anfuͤhren, wodurch wir uns von der Richtigkeit der vorhin angegebenen Geſchwindigkeit uͤber - zeugen koͤnnen. Statt den Strahl nach verticaler Richtung her - vorſpringen zu laſſen, wollen wir ihm durch eine Oeffnung in der verticalen Wand AB (Fig. 98.) die horizontale Richtung CD geben, und nun die Sprungweite EF bis dahin, wo er den Boden FE erreicht, abmeſſen. Da hier die anfaͤngliche Geſchwindigkeit voͤllig horizontal iſt, ſo gelangt das Waſſer, wie ein andrer ge - worfener Koͤrper, bloß wegen der Kraft der Schwere von C bis zur Tiefe CE, es wird alſo zu ſeinem Fallen eine Secunde brauchen, wenn CE 15 Fuß betraͤgt, und da die Entfernung EF den in eben der Zeit durchlaufenen Weg nach horizontaler Richtung zeigt, ſo iſt, wenn man CE = 15 Fuß genommen hat, EF das Maaß der Ausflußgeſchwindigkeit. Man findet dieſe mit einem geringen Verluſte, welchen der Widerſtand der Luft bewirkt, gleich derjenigen Geſchwindigkeit, die ein von der Hoͤhe GC frei fallender Koͤrper erreichen wuͤrde, wenn naͤmlich in G die Oberflaͤche des Waſſers iſt.

Aber obgleich wir ſo die Geſchwindigkeit des hervorſtroͤmenden Waſſers kennen, ſo iſt damit doch die ausfließende Waſſermenge noch nicht beſtimmt, ja dieſe findet ſich verſchieden, je nachdem die Oeffnung C in einer ſehr duͤnnen Platte angebracht iſt, oder ein kurzes Roͤhrchen bildet, obgleich in beiden Faͤllen die Geſchwin - digkeit einerlei bleibt. Eine genaue Aufmerkſamkeit auf den her - vordringenden Strahl zeigt naͤmlich, daß, indem die Waſſer - theilchen gegen die Oeffnung A (Fig. 99.) zu gehen, die ſeit - waͤrts herandraͤngenden Theilchen die Form des Strahls ungefehr ſo beſtimmen, wie die Figur zeigt, ſo daß er in a einen kleinern170 Querſchnitt als die Groͤße der Oeffnung hat, und daß daher nur ſo viel Waſſer ausfließt, als mit der vorhin gefundenen Geſchwin - digkeit durch den verengerten Querſchnitt a gehen kann. Wenn man ein Roͤhrchen an die Oeffnung anſetzt, ſo bewirkt die anzie - hende Kraft der Roͤhre, daß jene Zuſammenziehung des Strahles groͤßtentheils aufgehoben wird, und wenn man im Innern durch eine etwas erweiterte Einmuͤndung nur diejenigen Waſſertheilchen eintreten laͤßt, die bei der freien Bildung des Strahles ſeinen aͤußern Umfang bilden wuͤrden, ſo erhaͤlt man faſt ſo viel Waſſer, als nach Angabe der oben beſtimmten Geſchwindigkeit aus der ganzen Oeffnung fließen koͤnnte. Im letzten Falle giebt dieſelbe Oeffnung ungefehr anderthalb mal ſo viel Waſſer, als bei der ein - fachen Oeffnung in einer ſehr duͤnnen Platte. Durch ein ſich nach außen erweiterndes Roͤhrchen wird die Menge des aus - fließenden Waſſers noch mehr vergroͤßert, zumal wenn ſie mit der eben erwaͤhnten im Innern angebrachten Roͤhre verbunden iſt.

Der hervordringende Waſſerſtrahl giebt uns in den uns taͤglich vorkommenden Faͤllen manche Veranlaſſung zu Fragen, warum er ſich grade ſo darſtellt. Wenn wir Waſſer uͤber den Rand eines Gefaͤßes ausgießen, ſo nimmt der etwas in die Breite ausgedehnte Strahl eine Geſtalt an, die uns ungefehr wie ſchrau - benfoͤrmig gewunden vorkoͤmmt; beobachten wir dieſe Geſtalt aber genauer, ſo zeigt ſich, daß der anfangs in der Richtung des Ge - faͤßrandes breite Strahl durch die von den Seiten gegen die Mitte draͤngenden Theilchen ſich in einiger Entfernung vom Ausguß geſchmaͤlert und in einer gegen die vorige Richtung ſenkrechten Richtung breiter zeigt, daß er weiter herabwaͤrts ſeine breite Seite wieder dem Rande des Gefaͤßes parallel hat, und ſo ferner. Man ſieht dies am beſten, wenn man an einem Brunnen, wo die Ausflußmuͤndung einen zwei oder dreimal ſo breiten als hohen Strahl giebt, das Auge auf einen vom obern Rande mehrere Zolle entfernten Theil des Strahles richtet. Stehen wir vor dem Brunnen, ſo daß oben der breite Strahl uns in ſeiner vollen Breite erſcheint, ſo ſehen wir ihn in 6 bis 8 Zoll Entfernung von oben als ſchmal, noch 6 bis 8 Zoll tiefer wieder als breit; und wenn wir uns dagegen auf die Seite ſtellen, ſo daß wir auf die ſchmale Seite des uͤber den Rand des Ausguſſes ſtuͤrzenden171 Strahles ſehen, ſo bietet ſich 6 oder 8 Zoll tiefer ſeine breite Seite, abermals 6 bis 8 Zoll tiefer wieder ſeine ſchmale Seite dar. Man kann eben das beim Ausgießen aus kleinern Gefaͤßen beobachten, aber da erhaͤlt ſich der Strahl nicht ſo gut lange Zeit in immer gleicher Form.

Wie wichtig die Beſtimmung der aus Gefaͤßen ausfließenden Waſſermenge iſt, erhellt leicht, da zum Beiſpiel da, wo eine ganze Stadt mit Waſſer aus dem Vorrathe einer Waſſerkunſt verſorgt werden ſoll, die Groͤße der Oeffnungen, durch welche dem einen Theile der Stadt viel, dem andern Theile weniger zugefuͤhrt werden ſoll, von dieſen Ueberlegungen abhaͤngt. Dabei koͤmmt noch eine andere Betrachtung vor, naͤmlich wie in langen Roͤhrenleitungen die Geſchwindigkeit des Waſſers beſtimmt, wie ſie da durch den Widerſtand an den Roͤhrenwaͤnden und durch den Widerſtand, den die Kruͤmmungen der Roͤhren hervorbringen, vermindert wird, u. ſ. w.; aber dieſe ganze auf Erfahrung beruhende Be - ſtimmung bietet wenig wiſſenſchaftlich Merkwuͤrdiges dar.

Auf der Kenntniß der Geſetze, denen der Ausfluß des Waſſers aus kleinen Oeffnungen unterworfen iſt, beruhete die Einrichtung der Waſſer-Uhren bei den Alten. Ein Schwimmer auf der allmaͤhlig ſinkenden Oberflaͤche des im Gefaͤße noch uͤbrigen Waſſers zeigte auf einer an der Wand des Gefaͤßes angebrachten Scale die Stunden an, und die Geſchicklichkeit des Cteſibius, Hero und anderer wußte ſchon damals kuͤnſtlichere Einrichtungen hiemit in Verbindung zu ſetzen.

Oſcillationen des Waſſers in Roͤhren.

Die oſcillirende Bewegung des Waſſers in einer zweiſchenk - lichen Roͤhre ABCD (Fig. 100.) ſcheint zwar beim erſten An - blicke nur zu einer angenehmen Unterhaltung oder allenfalls zu einer nutzloſen theoretiſchen Speculation Anlaß zu geben; aber Sie werden bald ſehen, daß nuͤtzliche Anwendungen fuͤr die Be - duͤrfniſſe der Geſellſchaft und Erklaͤrungen merkwuͤrdiger Natur - Erſcheinungen ſich auch an dieſe anſcheinend unbedeutende Be - trachtung anknuͤpfen.

Wenn das Waſſer, in den verbundenen verticalen Roͤhren (Fig. 100. ) AB, CD ruhend, ſich bis an E und F erſtreckt,172 ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß bei der Stoͤrung des Gleichge - wichts die eine Oberflaͤche ſinken muß, wenn die andre ſteigt, und daß dieſe Abweichung vom Gleichgewichtszuſtande bei gleicher Weite beider Roͤhren gleich viel betragen, die Oberflaͤche H ſo tief unter F, als die Oberflaͤche G uͤber E liegen wird. Ebenſo einleuchtend iſt es, daß die hoͤhere Oberflaͤche im Sinken, die tiefere im Steigen grade dann, wenn beide in E, F ankommen, die groͤßte Ge - ſchwindigkeit erreichen, daß ſie uͤber den Gleichgewichtszuſtand hinausgehen und daß eine lange Reihe von Oſcillationen, die wegen des Widerſtandes an den Waͤnden allmaͤhlig abnehmen, die Folge dieſer Stoͤrung des Gleichgewichts ſein wird.

Dieſe Oſcillationen werden deſto langſamer vollendet, je laͤnger die in der uͤberall gleich weiten Roͤhre enthaltene Waſſer - maſſe iſt, und zwar iſt genau die Zeit einer Oſcillation doppelt ſo groß bei einer viermal ſo langen Waſſermaſſe, wenn ſonſt alles gleich iſt. Eſ ſei EB CF (Fig. 100.) die eine, ebcf die andre Waſſermaſſe, jene viermal ſo lang als dieſe; man bringe beide gleich weit aus der Stellung des Gleichgewichts, ſo daß FH = fh, EG = eg iſt; dann iſt offenbar die bewegende Kraft, der Druck, welcher das Gleichgewicht herzuſtellen ſtrebt, in beiden Faͤllen gleich, aber die in Bewegung zu ſetzende Maſſe iſt viermal ſo groß im einen, als im andern Falle, und deshalb iſt es ganz ſo, als ob im einen Falle eine ein Viertel ſo große Schwerkraft als im andern Falle wirkte. Wir wiſſen aber daß die einfache Schwerkraft in 1 Sec. den fallenden Koͤrper ſo weit treibt, als die ein Viertel ſo große Kraft in 2 Sec. und da hier in Beziehung auf die be - ſchleunigenden Kraͤfte, welche eben das Verhaͤltniß haben, die - ſelben Folgerungen gelten, ſo erhellt die Richtigkeit der Behauptung, daß die viermal ſo lange Maſſe ihre Oſcillationen halb ſo ſchnell vollendet, und daß ebenſo die neunmal ſo lange Maſſe dreimal ſo viel Zeit, die 16 mal ſo lange Maſſe 4 mal ſo viel Zeit gebraucht, u. ſ. w. Fuͤr ein zweites merkwuͤrdiges Geſetz glaube ich hier um ſo eher den Beweis mittheilen zu duͤrfen, da dieſer zugleich mehr Licht uͤber die Gleichzeitigkeit der groͤßern und kleinern Oſcillationen eines Pendels verbreitet. Es ſei (Fig. 101.) in LMNO eine genau eben ſolche Waſſermaſſe wie in PQRS, jene aber werde ſo ins Schwanken geſetzt, daß die groͤßte Hebung der einen Ober -173 flaͤche = LI doppelt ſo viel als Pp in der andern Roͤhre betrage. Ziehen wir hier durch die Oberflaͤchen o und s, in den beiden andern Schenkeln die Horizontallinien ou, sv, ſo iſt offenbar bei dem geſtoͤrten Gleichgewichte, die Druckhoͤhe lu in der einen, pv in der andern Roͤhre das Maaß der bewegenden Kraft. Jene doppelt ſo große Kraft treibt die Oberflaͤche l in gleicher Zeit, durch einen doppelt ſo großen Weg lt, ſtatt daß dieſe nur den kleinern Weg pw zu durchlaufen angetrieben wird, und da dies Ver - haͤltniß immer ſtatt findet, ſo koͤmmt l ebenſo ſchnell in L an, als p in P, der Ungleichheit der Wege ungeachtet. Hier erhellt alſo der ſtrenge Grund der Gleichzeitigkeit ungleich großer Oſcillationen, wenn die Form beider Roͤhren und die Laͤnge der in ihnen ent - haltenen Waſſermaſſen gleich iſt, oder auch eine und dieſelbe Waſ - ſermaſſe in eben der Roͤhre ungleiche Oſcillationen vollendet.

Die Oſcillationen ſind langſamer, wenn die Schenkel, in welchen die Waſſerflaͤchen ſich auf und ab bewegen, nicht ver - tical, ſondern gegen den Horizont geneigt ſind, offenbar deswegen, weil dann, wie auf der ſchiefen Ebne, nur ein Theil der Schwer - kraft beſchleunigend einwirkt.

Iſt die Weite der beiden Roͤhren ungleich, ſo muß das Waſſer in der engern Roͤhre AB (Fig. 102.) ſehr hoch ſteigen, wenn es auch in der weitern CD nur wenig ſinkt, und kleine Oſcillationen in dieſer werden ſehr große Oſcillationen in jener zur Folge haben. Dieſe Ueberlegung koͤnnte Anlaß geben, wenn das Waſſer von A nach B gehoben und dort in dem Gefaͤße E aufgefangen werden ſoll, dieſes durch geringe Schwankungen der Oberflaͤche D zu be - wirken, und es iſt wenigſtens einleuchtend, daß es moͤglich ſei, das Waſſer in AB 100 Fuß hoch zu heben, wenn man in der hun - dertmal weitern Roͤhre Schwankungen von 1 Fuß hoch bewirkte; ob dies mit Vortheil anzuwenden ſei, waͤre ſchwerer zu beſtimmen, aber es hebt wenigſtens das Unbegreifliche auf, was der Stoßheber, oder, nach Montgolfier's Benennung, der hydrauliſche Wid - der, in ſeiner Wirkung zu zeigen ſcheint.

Montgolfier's Stoßheber.

Die etwas kuͤnſtlichere Zuſammenſetzung dieſes hydrauliſchen Widders zeigt Fig. 103., wo freilich die einzelnen Theile nicht in174 ihren wahren Verhaͤltniſſen dargeſtellt werden konnten. Der ganze Stoßheber beſteht aus dem weiten Gefaͤße AB, der Leitroͤhre BC, die bedeutend lang ſein muß, und der Steigeroͤhre DE. Bei der letztern will ich ſogleich noch erwaͤhnen, daß man ſie in dem feſt verſchloſſenen Gefaͤße DC bis nahe an den Boden gehen laͤßt, damit die uͤber der Waſſerflaͤche FG vorhandene Luft das Aufſtei - gen des Waſſers waͤhrend der Zeit unterhalte, wo die Hauptkraft ihre Wirkung unterbricht.

Die weſentlichſten Stuͤcke des Stoßhebers ſind aber die zwei Ventile H, I, auf welche ich vorzuͤglich Ihre Aufmerkſamkeit len - ken muß. Das letztere I iſt ein ganz gewoͤhnliches Ventil, das bloß die Beſtimmung hat, das Waſſer in das Gefaͤß FDG ein - zulaſſen, und ihm dagegen den Ruͤckweg zu verſperren. Das Ventil H ſchließt die an der obern Seite der Leitroͤhre, nahe an ihrem Ende befindliche Oeffnung von unten; eine gut eingeſchliffene ke - gelfoͤrmige Platte hat in der unten etwas weiteren Roͤhre bei H nur einen kleinen Spielraum und ſchließt die Oeffnung, wenn ſie von unten hinaufwaͤrts gedruͤckt wird; hoͤrt dieſer Druck auf, ſo ſenkt ſie ſich vermoͤge ihres eignen Gewichtes hinab, wobei aber, durch ein ſich auf den Rand der Oeffnung ſtuͤtzendes Querſtuͤckchen, geſorgt iſt, daß das Sinken nur wenig betragen koͤnne. Den von unten hinaufwaͤrts ſtrebenden Druck bewirkt das Waſſer, wenn Gefaͤß und Roͤhre bis an A und bis an FG gefuͤllt ſind, indem das Gewicht der Ventilplatte ſo geringe ſein muß, daß der Druck des Waſſers auf die Ventilplatte H groͤßer als das Gewicht der letztern iſt; in dieſem Zuſtande iſt alles geſchloſſen, und das Waſſer nimmt die Stellung des Gleichgewichtes ein.

Um das Inſtrument in Thaͤtigkeit zu ſetzen, druͤckt man fuͤr einen Augenblick von außen das Ventil H nieder, laͤßt es aber ſogleich wieder frei. Dadurch wird bewirkt, daß das Waſſer bei H auszufließen anfaͤngt, und alſo ein Zuſtroͤmen des Waſſers von AB her eintritt; aber ſobald das Ventil wieder losgelaſſen iſt, wird es durch den Druck des andraͤngenden Waſſers ſogleich ge - ſchloſſen, das gegen C draͤngende Waſſer ſucht ſich bei I einen Aus - weg und ſteigt in der Steigeroͤhre hinauf. Offenbar kann dieſe von B nach C gerichtete Oſcillation nur einen Augenblick dauern, und nun faͤngt die ruͤckwaͤrts gehende Schwankung an. Da ſich,175 ſobald dieſe in der Steigeroͤhre anfaͤngt, das Ventil I ſchließt, ſo kann nur unterhalb I das Beſtreben zuruͤckzugehen eintreten, und dabei wird der Waſſerdruck auf H ſo vermindert, daß das Ventil H herabſinkt, und die Oeffnung H frei laͤßt, alſo einen neuen Ausfluß geſtattet, der nun ſogleich einen neuen Zufluß von B her, alſo eine neue Oſcillation, zur Folge hat, die ſich genau wie die vo - rige verhaͤlt. Damit das Spiel des Stoßhebers fortwaͤhrend ſtatt finde, muß das Gewicht des Ventils H und der Spielraum, um welchen es ſich ſenken kann, ſorgfaͤltig regulirt ſein; wenn das ge - ſchehen iſt, ſo bewegt das Ventil H ſich nach einem immer gleichen Tacte auf und ab, und waͤhrend bei H eine ziemliche Menge Waſ - ſers in unterbrochenen Zeitraͤumen verlohren geht, wird das Waſſer in der Steigeroͤhre immer hoͤher getrieben, bis es eine ſo große Hoͤhe erreicht, daß der auf dem Ventile I laſtende Druck dem Waſſerſtoße nicht mehr nachgiebt. Soll die Abſicht, das in E ausfließende Waſſer zu ſammeln, erreicht werden, ſo muß die Hoͤhe CE alſo nicht zu groß ſein, und dann wird das ausfließende Waſſer bei jedem neuen Stoße auf das Ventil I erſetzt, und die Wirkung wird unaufhoͤrlich fortgehen, wenn bei A die Waſſerflaͤche in immer gleicher Hoͤhe erhalten wird.

Damit der Zweck des Stoßhebers erreicht werde, muß die an - draͤngende Waſſermaſſe in der Leitroͤhre groß genug ſein, um mit gehoͤriger Gewalt auf das Ventil I zu wirken; die Lage des Ven - tils H muß angemeſſen gewaͤhlt ſein, und uͤberhaupt das Ver - haͤltniß aller einzelnen Theile auf eine paſſende Weiſe abgemeſſen ſein, damit eine ziemliche Menge Waſſer gehoben werde. Ein un - vermeidlicher Nachtheil aber, der mit dieſer Vorrichtung zum Heben des Waſſers verbunden iſt, beſteht darin, daß eine groͤßere Waſſer - menge bei H verlohren geht, als durch die Steigeroͤhre gehoben wird, und daß die gehobene Waſſermenge in ſtarkem Maaße ab - nimmt, wenn die Hoͤhe etwas erheblicher ſein ſoll, bis zu welcher man es hebt. An dieſem Umſtande ſcheint es vorzuͤglich zu liegen, daß die viel verſprechenden Ankuͤndigungen, mit denen die Erfin - dung zuerſt bekannt gemacht wurde, nicht durch den weitern Erfolg gerechtfertigt worden ſind. Indeß hat doch wirklich Montgol - fier mit ſeiner Maſchine das Waſſer 108 Fuß hoch gehoben, und ſie wuͤrde eine Anwendung in Faͤllen, wo reicher Waſſervorrath vor -176 handen iſt, wo man vielleicht aus einem Fluſſe Waſſer zur Be - waͤſſerung oder zu andern Zwecken heben wollte, ihren Nutzen haben koͤnnen*)Gilb. Ann. XIX. 55. 88..

Ungewoͤhnliche Erſcheinungen bei ploͤtzlichen Fluthen.

Ob ich Recht habe, wenn ich eine Reihe merkwuͤrdiger Er - ſcheinungen, welche die Fluthen in gewiſſen Gegenden und die durch Sturm erregten Anſchwellungen des Waſſers in andern Gegenden, uns darbieten, mit dieſen Oſcillationen des Waſſers in Verbindung ſetze, will ich Ihrer eignen Entſcheidung uͤberlaſſen, und Ihnen dieſe Erſcheinungen nebſt der Erklaͤrung, wie ſie mir am wahrſcheinlichſten vorkoͤmmt, angeben.

Obgleich die Fluth in ihrem allmaͤhligen Wachſen an den meiſten Orten einen ziemlich regelmaͤßigen Fortgang zeigt, ſo daß ſie zwar ſchneller um die Mitte der Fluth, langſamer kurz nach dem niedrigſten und kurz vor dem hoͤchſten Waſſer, aber doch immer nur allmaͤhlig anwaͤchſt, ſo giebt es doch in den Muͤndun - gen der Stroͤme an einigen Orten ein ſo ploͤtzliches Einſtuͤrzen der Fluth, daß es den Schiffen gefaͤhrlich wird. Dies iſt zum Beiſpiel in der Dordogne beſonders dann der Fall, wenn eine Spring - fluth, bei niedrigem Stande des Waſſers im Strome, eintritt, und der Mascaret, wie man dieſes heftige Einſtuͤrzen des Waſ - ſers dort nennt, wie eine ungeheure Welle ſich den Strom hinauf waͤlzt. Die Gewalt des Mascarets iſt ſo groß, daß ſie zuweilen die ſteinernen Einbaue zerſtoͤrt, Schiffe verſenkt, u. ſ. w. Dieſes unregelmaͤßig ſchnelle Anſchwellen der Fluth in einem ploͤtzlich ver - engerten Strome laͤßt ſich mit dem ſchnellen Aufſteigen in einer engern Roͤhre vergleichen. Die Dordogne iſt ein verhaͤltniß - maͤßig enger Strom, der in ziemlich grade fortgehender Richtung von der breitern Garonne aufgenommen wird, welche ſelbſt ſich in den weiten, einem langen Meerbuſen aͤhnlichen Raum der Gi - ronde ergießt. Tritt nun die Fluth in dieſen weiten Meeres - Arm ein, ſo iſt die Waſſermenge, die ihn bis 1 oder 2 Fuß fuͤllt, zureichend, um in der engern Dordogne eine viel hoͤher gehende Oſcillation hervorzubringen, und je ſchneller bei Springfluthen das177 Waſſer waͤchſt, und je mehr ſein gleichmaͤßiger Eintritt durch Un - tiefen gehindert wird, deſto auffallender und heftiger muß das Steigen des Waſſers, wenn es nun auf einmal erfolgt, in dem engern Strome ſein, in welchen eine große Waſſermaſſe ſich ſo ploͤtzlich hineindraͤngt.

Andre Stroͤme zeigen aͤhnliche Erſcheinungen, und wenn ich Noyer's Beſchreibung der im Amazonenfluſſe unter dem Namen Barre bekannten ungeſtuͤmen Bewegungen richtig verſtehe, ſo muß ſich dort dieſes Schwanken noch auffallender zeigen, indem er es als ein heftiges Zuſammentreffen des Flußwaſſers mit dem Seewaſſer, als einen Kampf entgegengeſetzter Kraͤfte ſchildert, was ſich wenigſtens ſo auslegen laͤßt, als ob die aus dem weiten Theile der Muͤndung in den engen Strom gedraͤngte Waſſermaſſe hier ein Anſchwellen uͤber den Gleichgewichtszuſtand, dann eine zuruͤck - gehende Oſcillation, einen abermaligen Zuſturz, kurz ein heftiges Schwanken in einer engen Roͤhre durch eine maͤßige Aenderung des Waſſerſtandes in der weiteren Roͤhre, hervorbringt.

Etwas Aehnliches ſcheint die Urſache der zwar ſeltenen, aber zerſtoͤrenden Fluthen zu ſein, die zuweilen Petersburg betroffen haben. Die enge Newa iſt eine Fortſetzung des Kronſtaͤdter Meerbuſens, der ſelbſt eine Verlaͤngerung des noch weiteren finni - ſchen Meerbuſens bildet. Wird nun vom Sturme eine große Waſ - ſermaſſe, die im Finniſchen Meerbuſen nur eine maͤßige Erhoͤhung der Oberflaͤche bildet, in den Kronſtaͤdter Meerbuſen und in die engere Newa gedraͤngt, ſo kann, bei ſehr ſchnellem Eindringen, das Waſſer uͤber das Niveau des Meerbuſens ſteigen und die ſehr ploͤtz - lichen Ueberſchwemmungen bewirken, wovon die Fluth am 19. Nov. 1824. ein Beiſpiel gab. Auch die nicht ſo ſeltnen Sturmfluthen an den hollaͤndiſchen und deutſchen Kuͤſten der Nordſee laſſen ſich, wenigſtens da, wo ein Eindringen in einen engern Raum ſtatt findet, hiemit vergleichen, und die oft gemachte Bemerkung, daß bei den Sturmfluthen das Waſſer ploͤtzlich waͤchſt, dann geraume Zeit gleiche Hoͤhe behaͤlt oder wohl gar ein wenig abzunehmen ſcheint, und nach einiger Zeit wieder ſtaͤrker andringt, ſcheint auf ſolche Oſcillationen hinzudeuten*)Gilb. Ann. XXXIII. 407. Meine Unterhaltungen uͤber Phyſik. 1. Zſ Heft..

I. M178

Bewegung der Wellen.

Die Wellenbewegung gehoͤrt endlich auch noch hieher, und wenn ſie ſich gleich nicht ſo unmittelbar, wie man es wohl zuwei - len angenommen hat, mit den Oſcillationen in Roͤhren vergleichen laͤßt, ſo erhaͤlt ſie doch von dieſer manche Aufklaͤrung. Daß bei ihr nicht, wie das ſcheinbare Fortruͤcken der Wellenkoͤpfe es anzuzeigen ſcheint, ein lebhaftes Fortſtroͤmen ſtatt findet, davon uͤberzeugt uns der Augenſchein, wenn wir darauf achten, wie ein auf den Wellen ſchwimmendes Stuͤckchen Holz zwar ſchwankend gehoben wird, und ſich wieder ſenkt, aber nicht erheblich mit den Wellen fortgefuͤhrt wird; und hieran zeigt ſich alſo, daß jedes Waſſertheilchen nur eine oſcillirende Bewegung hat. Daß dieſe indeß nicht in einem Hinauf - und Hinabgehen beſteht, wie in den verbundenen Roͤhren, das haben theils Beobachtungen, theils theoretiſche Betrachtungen gezeigt. Die Beobachtung laͤßt ſich ſchon an den Wellen, wie wir ſie, vom Winde erregt und unterhalten, ſo oft wahrnehmen, an - ſtellen; aber noch genauer haben die ſchoͤnen Verſuche von E. und W. Weber die Bewegung der einzelnen Waſſertheilchen an der Oberflaͤche des Waſſers und in der Tiefe kennen gelehrt. Sie bedienten ſich zu ihren Verſuchen einer ziemlich langen Rinne, in welcher Wellen erregt wurden, und da die Rinne ſchmal genug war, um auf das, was nach der Querrichtung ſtatt fand, nicht Ruͤckſicht zu nehmen; ſo liefen die Wellen in ihr bloß der Laͤnge nach fort. Damit man aber uͤberall, wo man wollte, die Be - wegung der Waſſertheilchen ſehen koͤnne, beſtanden die verticalen Seitenwaͤnde der Rinne aus Glas, und man richtete, quer durch die Rinne durchſehend, das mit einem Microſcope bewaffnete Auge auf irgend ein kleines im Waſſer ſchwimmendes Koͤrperchen. So wie nun die Welle vorbei lief, ſah man dieſes Koͤrperchen einen kleinen Kreis beſchreiben, wenn es ſich an der Oberflaͤche befand, man ſah, wie es eine nach verticaler Richtung weniger als in die Breite ausgedehnte Ellipſe durchlief, wenn es in einiger Tiefe unter der Oberflaͤche lag, und daß endlich nahe am Boden dieſe Bewegung in ein bloßes Vorwaͤrts - und Ruͤckwaͤrtsgehen uͤberging. Dieſe kreisfoͤrmige Bewegung jedes einzelnen Theilchens erklaͤrt das Fortlaufen der Wellen auf der Oberflaͤche. Da naͤmlich die179 Beobachtung zeigt, daß die einem Theilchen gegebene Bewegung ſich im naͤchſten Augenblicke zu dem anliegenden Theilchen und ſo ferner fortpflanzt, und daß ſo nach und nach alle Theilchen ihre Bahnen durchlaufen, ſo brauchen wir nur zu uͤberlegen, in welchen Puncten ihrer Bahnen die verſchiedenen Theilchen ſich gleichzeitig befinden, um die Figur der Oberflaͤche in dem Augen - blicke kennen zu lernen. Es ſei b (Fig. 104.) das zuerſt in Be - wegung geſetzte Theilchen; die Beobachtung zeigt, daß die Wir - kung der erregten Erſchuͤtterung theils darin beſteht, dieſem Theil - chen eine Bewegung, vermoͤge welcher es den Kreis bcde durch - laͤuft, zu ertheilen, theils die vor ihm liegenden Theilchen in eben ſolche Bewegung zu ſetzen. Iſt nun die Fortpflanzung der Be - wegung ſo ſchnell, daß ſie das Theilchen f grade dann erreicht, wenn b ſeinen Kreislauf einmal vollendet hat, ſo laͤßt ſich fuͤr die zwiſchen liegenden Theilchen Folgendes uͤberſehen. Man theile den Zwiſchenraum bf in mehrere gleiche, zum Beiſpiel in vier gleiche Stuͤcke, in g, h, i, ſo bezeichnen g, h, i, die Theilchen, welche ihre Bewegung anfingen, als das Theilchen b in den Puncten e, d, e, ankam; dann ergiebt ſich leicht, daß b den ganzen Umfang, g drei Viertel ſeines Kreiſes, h die Haͤlfte, i ein Viertel der ihm angehoͤrenden Bahn durchlaufen hat, eben in dem Augenblicke, da f anfaͤngt von f an vorzuruͤcken. In dieſem Augenblicke ſind alſo die fuͤnf Theilchen b, g, h, i, f in den Puncten b, k, l, m, f, ſo daß bklmf die Wellenlinie der Oberflaͤche iſt, wenn b ſeine Seitenbewegung bei einer bis b unter den Gleichgewichtszuſtand hinabgedruͤckten Lage anfing. Es ſei n ein ebenſo weit von f entferntes Theilchen, ſo faͤngt dies ſeine Bewegung an, wenn b in c, wenn g in g, wenn h in o, wenn i in p, wenn f in q ankoͤmmt, und jetzt iſt egopqn die Wel - lenlinie der Oberflaͤche; kurz nachher iſt der hoͤchſte Wellenkopf nach r, das tiefſte Wellenthal nach h gekommen, und dshtrn iſt die Wellenlinie, ſo daß der Wellenberg von l nach r, das Wellenthal von b nach h fortgeruͤckt iſt, in dem Zeitraume, in welchem jedes Theilchen ſeine halbe Bahn durchlaͤuft.

Aus dieſem Kreislaufe erklaͤrt ſich auch die Erfahrung, daß jede Welle, wenn wir ſie auch mit der groͤßten Sorgfalt als eine einzige zu erregen ſuchen, dennoch hinter ſich eine neue erregt;M 2180denn offenbar muß, wenn das Theilchen h einmal in Kreisbe - wegung geſetzt iſt, und alle vor ihm liegenden Theilchen in eine gleiche Bewegung ſetzt, das Theilchen b nach Vollendung eines Umlaufs einen zweiten anfangen, und es entſteht daher hinter der urſpruͤnglich erregten Welle eine neue, wenn jene um eine ganze Wellenbreite fortgegangen iſt. Die Erregung einer Welle, die man als in ihrer Entſtehung einzig nennen koͤnnte, iſt nicht ſo ganz leicht. Laſſen wir nur einen einzigen Tropfen in das Waſſer fallen, ſo ſollte dieſer freilich auch nur eine Welle erregen; aber wir bemerken, daß ein zuruͤckſpringender Tropfen entſteht, der eine zweite Erſchuͤtterung hervorbringt und daß ſo mehrere auf einander folgende Wellen entſtehen. Jenes Zuruͤckſpringen eines neuen Tropfens entſteht daher, daß der von dem fallenden Tropfen hervorgebrachte Stoß auf die Waſſerflaͤche, die naͤchſten Theilchen zuruͤcktreibt und ſie uͤber die Oberflaͤche erhebt, dadurch erlangen ſie theils eine Fortſchiebung nach außen und bringen die jenen Punct kreisfoͤrmig umgebenden Wellenringe hervor, theils erhalten ſie das Beſtreben, in die in der Mitte gemachte Vertiefung zu - ruͤckzugehen, wo ſie, von allen Seiten zuſammentreffend, durch die Heftigkeit ihres Stoßes einen neuen Tropfen hinaufwerfen. Dieſer Tropfen beſteht, wenn auch der ins Waſſer hineinfallende Tropfen aus einer andern Fluͤſſigkeit beſtand, dennoch großen Theils aus Waſſer, wovon aus dem Angefuͤhrten der Grund er - hellt. Bei den von E. und W. Weber angeſtellten Verſuchen ward ein andres Verfahren, um dieſe mehrfachen Wellen-Erre - gungen zu vermeiden, angewandt; ſie zogen naͤmlich in einer eingetauchten Roͤhre ein wenig Waſſer ſo herauf, daß die ganze Saͤule ſich uͤber die Oberflaͤche erhob, und indem ſie dieſe ploͤtz - lich ſinken ließen, brachten ſie eine einfache Wellen-Erregung hervor.

Da es dem Plane dieſer Vorleſungen nicht angemeſſen waͤre, wenn ich dieſem einzelnen Gegenſtande ſo viel Zeit ſchenken wollte, als noͤthig waͤre, um die vielfach abgeaͤnderten, lehrreichen Ver - ſuche mit einiger Vollſtaͤndigkeit zu erwaͤhnen, welche von dieſen beiden Naturforſchern angeſtellt ſind, ſo muß ich mich begnuͤgen, nur einige derjenigen Verſuche und Betrachtungen auszuheben, die zu einer Erklaͤrung der Phaͤnomene fuͤhren, welche ſich uns am181 haͤufigſten darbieten. Dahin gehoͤren die Verſuche uͤber die Tiefe, bis zu welcher noch die Bewegung der Theilchen merklich bleibt, wenn man Wellen von geringer Hoͤhe erregt; ſelbſt in einer Tiefe, die 350 mal ſo groß als die Hoͤhe der Wellen war, fand noch eine merkliche Bewegung ſtatt. Daß auch auf dem Meere, wo die Wellen bekanntlich eine große Hoͤhe erreichen, die Wellen ſich bis in ſehr große Tiefen erſtrecken, dafuͤr ſpricht nicht bloß die nach Stuͤrmen ſo merkliche Truͤbung des Waſſers, ſelbſt bei ſehr tiefer Lage des Bodens, ſondern auch der unmittelbare Augenſchein, wenn man die Wellen beobachtet. Bremontier beobachtete den Fortgang der gegen das Ufer heranruͤckenden Wellen im Biscaiſchen Meerbuſen, und ſah, wie ſie bei einer Hoͤhe von 5 bis 6 Fuß alle - mal eine Brechung erlitten von Felſen, deren Spitzen gegen 30 Fuß tief lagen; hier naͤmlich hoben ſie ſich mehr, als da wo ſie uͤber tieferem Boden ruhig fortgingen. Bei etwas ſtuͤrmiſchem Wetter ſieht man ein Brechen und Schaͤumen der Wellen an Orten, wo kein ſichtbares Hinderniß vorhanden iſt; dieſes findet da ſtatt, wo Sandbaͤnke in der Tiefe ſind, und de la Coudraye behauptet, daß an der Bank von Terre-neuve (Neufundland) die Wellen ſich nicht mehr frei bilden koͤnnen, da wo der Boden noch 250 Fuß tief unter der Oberflaͤche iſt. Bei geringern Tiefen wird jeder Stein am Boden durch die Unregelmaͤßigkeit kenntlich, die er im Fortgange der Wellen hervorbringt. Dieſer gehinderte Fort - gang der Welle iſt am Ufer eine der Haupturſachen ihres ſchaͤu - menden Ueberſtuͤrzens, welches den Daͤmmen, mit welchen die nie - drigen Gegenden am Meere gegen das Waſſer geſchuͤtzt werden, ſo verderblich iſt. Wenn die Welle an einem gleichmaͤßigen Abhange herauflaͤuft, ſo haͤlt der Boden den Fortgang der untern Theile auf, waͤhrend die obern Theile ſich noch mit ihrer vorigen Schnel - ligkeit fortbewegen; die Welle wird daher an ihrem vorangehenden Theile einen ſteilern Abhang erhalten, und endlich wird ihr Gipfel uͤber den vorangehenden Fußpunct der Welle fortgefuͤhrt, und ſtuͤrzt ſchaͤumend auf den vom Waſſer wenig oder gar nicht be - deckten Boden herab. Dieſer Waſſerſturz iſt unbedeutend bei einem ſehr flachen Ufer, nachtheilig wird er da wo die Hemmung der Welle ſchneller eintritt und wo das Ueberſtuͤrzen durch den auf den Gipfel der Welle wirkenden Sturm noch beſchleuniget182 wird; hat hier die mit Gewalt gegen das Ufer gepreßte, und von dem ſtets andringenden Waſſer doppelt hoch aufgethuͤrmte Welle eine Hoͤhe von 8 oder 10 Fuß erreicht, und ſtuͤrzt nun auf die vorliegende Flaͤche des Dammes herab, ſo laͤßt ſich begreifen, wie ſie Centner ſchwere Steine wegfuͤhren, die ſtaͤrkſten Daͤmme durch ihre immer auf denſelben Punct wiederholte Einwirkung zer - ſtoͤren, und die großen Verheerungen anrichten kann, von welchen die Bewohner der See-Ufer, wenn auch ihre Daͤmme den Ueber - ſchwemmungen wohl Widerſtand zu leiſten pflegen, dennoch ſo oft verderbliche Proben zu ſehen Gelegenheit haben.

Wie hoch die Wellen im Meere ſteigen koͤnnen, daruͤber ſind die Nachrichten ſehr verſchieden. Wenn mehrere Wellen einander durchkreutzend fortgehen, ſo thuͤrmen ſie ſich im Durchſchnittspuncte ſo auf einander auf, daß der Wellenkopf ungefehr die Hoͤhe erreicht, welche der Summe beider Wellen gleich iſt. Sie bilden dann die nach allen Seiten abhaͤngigen, ſchaͤumenden Wellenkoͤpfe, welche man in großen Stroͤmen oder am Ufer des Meeres ſo oft wahrzu - nehmen Gelegenheit hat. Ein ſolches Aufeinanderthuͤrmen der Wellen kann aber im Meere gewiß noch vielfacher ſtatt finden und groͤßere Wellen hervorbringen, als wir vom Ufer aus je zu ſehen ge - wohnt ſind; nach Bremontier's Behauptung, womit auch andre Angaben uͤberein ſtimmen, kann dieſe Wellenhoͤhe bis auf 60 Fuß gehen. Wenn die Welle ſich an einem ſteilen, tief in das Waſſer hinabgehenden Gegenſtande bricht, ſo kann ſie, hoch aufbrauſend und in Tropfen zerſchlagen bis zu einer, die Hoͤhe der Welle vielfach uͤbertreffenden Hoͤhe hinaufſpruͤtzen und Smeaton erzaͤhlt von dem Edyſtone-Felſen an der engliſchen Kuͤſte, daß man die Hoͤhe, bis zu welcher das tobende Waſſer hier zuweilen hinaufge - trieben wird, auf 200 Fuß, 100 Fuß hoͤher als der Leuchtthurm iſt, rechne; die an dieſen Felſen mit ungewoͤhnlicher Wuth tobenden Wellen zertruͤmmerten im Jahre 1703 am 26. November den da - maligen, ſehr feſt gebauten Leuchtthurm in einer Nacht ſo, daß keine Spur davon uͤbrig blieb.

Die ſchon alte Behauptung, daß Oel in das ſtuͤrmende Meer gegoſſen, dieſes beruhige, iſt durch neuere Beobachtungen beſtaͤtiget worden. Das Oel, welches ſich in einer ſehr duͤnnen Schichte auf der Oberflaͤche verbreitet, ſcheint die Einwirkung des Windes zu hin -183 dern, und dieſer ſcheint dann nur ein Fortſchieben des Oeles auf der Waſſerflaͤche hervorzubringen. Gewiß iſt wenigſtens, daß durch das Oel die unzaͤhligen kleinen Wellen, die die Oberflaͤche der groͤßern Wellen zu bedecken pflegen, verſchwinden, und die Wellen eine glaͤttere Oberflaͤche zeigen, wodurch allerdings dem Stoße des Win - des wenigere Angriffspuncte dargeboten werden.

Unter den uͤbrigen Beobachtungen, wozu die Wellen Veran - laſſung geben, und deren viele in der Weberſchen Wellenlehre mitgetheilt ſind, will ich nur diejenigen noch hervorheben, welche die Zuruͤckwerfung der Wellen von feſten Gegenſtaͤnden betreffen. Wenn die Welle, der noch keine andre vorangegangen iſt, mit ih - rem Wellenberge, den ich hier als den vorangehenden Theil anſehe, an eine verticale Wand antrifft, ſo muß der Wellenberg hoͤher an - ſchwellen. So lange bis der vorangehende Fuß des Wellenberges die Wand erreicht, bleibt die Welle in ihrer natuͤrlichen Form; ſo - bald aber dieſer an die Wand ſtoͤßt, faͤngt eine neue zuruͤckgehende Wellenbewegung an, und in dem Augenblicke, da der Gipfel des Wellenberges die Wand erreicht hat, iſt der vordere Fußpunct ſo weit zuruͤckgelaufen, daß er mit dem hinteren oder nachfolgenden Fußpuncte des Wellenberges zuſammentrifft. Nehme ich alſo die vordere und hintere Haͤlfte des Wellenberges als genau gleich und jede als ein Viertel der ganzen Wellenbreite ausmachend an, ſo wird nun in dem einen Viertel der Wellenbreite doppelt ſoviel Waſſer vereinigt ſein, als beim ruhigen Fortgange, und der nachfolgende Fuß der Welle wird ſich in der natuͤrlichen Oberflaͤche des ruhenden Waſſers befinden, der Wellenkopf aber doppelt ſo hoch angeſchwollen ſein. Die Figur 105. I. ſtellt den noch ungeaͤnderten Fortgang der Wellen dar, in dem Augenblicke, wo der vorangehende Fuß - punct A der Welle die Wand A erreicht; in Fig. 105. IL. iſt abcdef die Oberflaͤche in dem Augenblicke, da des zuruͤckgehenden Wellenberges vordere Haͤlfte ſich mit der hintern Haͤlfte des heran - ruͤckenden Wellenberges vereiniget hat, eg ſtellt die Welle vor, wie ſie ohne Zuruͤckwerfung geweſen waͤre. Da die heranruͤckende Welle immer gleichfoͤrmig vorwaͤrts und die zuruͤckgeworfene immer gleich - foͤrmig zuruͤckgeht, wobei die an die Wand gelangten Theile ſich an die zuruͤckgehende Welle anſchließen; ſo iſt der hoͤchſte Gipfel g (Fig. 105. III. ) zuruͤckgehend nach g gelangt, in dem Augenblicke,184 wo die groͤßte Tiefe des Wellenthales d ſich eben ſo weit von der Wand entfernt befindet; in dieſem Augenblicke fuͤllt daher der Wel - lenberg das Wellenthal genau aus und zabce iſt die Oberflaͤche. Dagegen trifft etwas ſpaͤter, (Fig. 105. IV. ) die zuruͤckgehende eine Haͤlfte des Wellenthales mit der vorruͤckenden andern Haͤlfte zuſam - men, der zuruͤckgeworfene Wellenberg ge trifft mit dem heran - ruͤckenden abc zuſammen, und die Oberflaͤche iſt daher yzaich. Dabei iſt noch immer e in der dem Gleichgewichte entſprechenden Oberflaͤche oder in der mittlern Hoͤhe zwiſchen den Gipfeln der Wel - lenberge und den Tiefen der Wellenthaͤler, und dieſer Punct, der um ein Viertel der Wellenlaͤnge von der Wand entfernt iſt, bleibt immer in dieſer Hoͤhe, waͤhrend der zwiſchen ihm und der Wand liegende Theil der Oberflaͤche bald wie ef (Fig. 105. II. ) hoch geho - ben, bald wie ke (Fig. 105. III. ) horizontal, bald wie ch tief ge - ſenkt (Fig. 105. IV. ) große Schwankungen macht. Wenn immer neue ganz gleiche Wellen heranruͤcken, ſo erſtrecken dieſe groͤßern Schwankungen ſich auch auf die weiter entfernten Wellen und die Oberflaͤche zeigt ſich ſo wie (Fig. 105. V.) lmnop mit ebenſo breiten, aber doppelt ſo hohen Wellen.

Man kann dieſe Erſcheinungen der ſich begegnenden Wellen oft da beobachten, wo eine Folge von Wellen gegen einen ſteilen Gegenſtand trifft, nur muß der Wind, der die gewoͤhnliche Urſache einer Wellenreihe iſt, nicht in bedeutendem Maaße auf die naͤchſten Wellen an der Wand wirken, indem ſonſt zu viel Stoͤrung fuͤr die zuruͤckgehenden Wellen eintritt. Da wo dies nicht der Fall iſt, be - merkt man deutlich (Fig. 105. V.), daß der Punct o, deſſen Abſtand ein Viertel der Wellenbreite iſt, immer gleich hoch bleibt, die Ober - flaͤche von da an aber ſich abwechſelnd ſtark hebt und ſtark ſenkt. Selbſt die zweite und ſo auch die etwas weiter entfernte Welle zei - gen dieſe ſtarken Schwankungen, ſo daß, wenn (Fig. 106.) abcde die Wellen im ruhigen Fortgang vorſtellt, jetzt, wenn lm die Wand iſt, afeg und ahei die entgegengeſetzten Zuſtaͤnde der Wellenberge und Wellenthaͤler darſtellen. In groͤßerer Entfernung von der wi - derſtehenden Wand treten meiſtens Unregelmaͤßigkeiten ein, ſo daß man nur ſehr in der Naͤhe der Wand das eben Geſagte beſtaͤtiget findet, aber die kurzen und hohen Wellen, die man unter ſolchen Umſtaͤnden immer wahrnimmt, erhalten hiedurch ihre Erklaͤrung. 185Die ſtaͤrkſten Brandungen, welche theils aus einem Ueberſtuͤrzen der Wellen, theils durch das Zuſammentreffen der zuruͤckgehenden Wel - len mit den anruͤckenden hervorgehen, ſcheinen da ſtatt zu finden, wo auf großen Meeren die herangewaͤlzte Waſſermaſſe einer ſehr breiten Welle ſehr groß iſt, und wo ploͤtzlich ein minder tiefer Boden den gleichmaͤßigen Fortgang dieſer bis dahin ruhig vorruͤckenden Waſſermaſſe hemmt; denn ein 10 Fuß hoher Waſſerberg, der eine ſehr breite Welle bildet, kann gewiß auf dem freien Meere, ohne ſehr unangenehm bemerkt zu werden, fortgehen, ſteigt er aber am Ufer, ploͤtzlich aufgehalten auf 20 Fuß, und ſtuͤrzt wohl gar, durch ein Felſenriff aufgehalten, ſchaͤumend von dieſer Hoͤhe herab, ſo muß ſeine Wirkung ſehr zerſtoͤrend ſein.

Dieſe Zuruͤckwerfung der Wellen bietet auch im Kleinen Gele - genheit zu merkwuͤrdigen Experimenten dar. Die in ſchiefer Rich - tung an einen feſten Gegenſtand treffenden Wellen werden unter eben dem Winkel zuruͤckgeworfen, unter welchem ſie antrafen und daraus entſteht ein von Weber ſchoͤn dargeſtelltes Phaͤnomen, wel - ches man leicht mit reinem Queckſilber zeigen kann. Man nimmt ein cylindriſches Gefaͤß, deſſen Querſchnitt eine Ellipſe iſt, und laͤßt einen unaufhoͤrlich fließenden feinen Strahl Queckſilbers ſo hinein - fallen, daß er ſo nahe, als moͤglich, den Brennpunct der Ellipſe trifft; dann durchſchneiden ſich die Wellen, die aus der Zuruͤckwer - fung der von dieſem Brennpuncte ausgehenden Wellen entſtehen, im zweiten Brennpuncte und ſtellen die Erſcheinung, ſo wie die Figur ſie zeigt, (Fig. 107.) dar. Hat man den Brennpunct nicht genau getroffen, ſo ſieht man dies an der mindern Regelmaͤßigkeit der Erſcheinung und kann durch einiges Verruͤcken des einfallenden Strahles leicht den richtigen Punct finden. Fig. 107. zeigt die Erſcheinungen der ſich durchkreutzenden Wellen*)Dieſe Figur iſt aus Weber's Wellenlehre (Leipz. 1825.) ent - lehnt; einem Buche, das den reichſten Stoff zu mannigfaltigen Beleh - rungen enthaͤlt..

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Vierzehnte Vorleſung.

Stoß fluͤſſiger Koͤrper.

Unter den Lehren, m. h. H., welche an practiſchen Anwendun - gen reich ſind, nimmt die Lehre von dem Stoße, den bewegte fluͤſſige Koͤrper auf feſte Koͤrper ausuͤben, und von dem Widerſtande, den feſte Koͤrper in ruhenden fluͤſſigen fortbewegt leiden, einen vorzuͤg - lichen Platz ein. Um die Kraft des Stoßes fluͤſſiger Koͤrper abzu - meſſen, kann man eine Platte AB (Fig. 108.) ſo dem ausſtroͤmen - den Waſſerſtrahle entgegen ſtellen, daß ſie, an dem Hebel-Arme AC angebracht, durch ein Gegengewicht in D gehindert wird, aus - zuweichen. Bei dieſer Einrichtung erhaͤlt man die Kraft des Stoßes in Pfunden ausgedruͤckt, wenn fuͤr die Mitte des auffallenden Strahles E der Abſtand vom Ruhepuncte C ebenſo groß, als der Hebel-Arm CD iſt, welcher das Gewicht traͤgt. Dieſe Kraft iſt bei Strahlen von ungleichem Querſchnitte aber gleicher Geſchwin - digkeit des ausfließenden Waſſers, doppelt ſo groß, wenn der Quer - ſchnitt verdoppelt wird, und uͤberhaupt dem Querſchnitte proportio - nal; dagegen wird ſie, wenn aus einerlei Oeffnung das Waſſer fließt, vierfach bei verdoppelter Geſchwindigkeit, neunfach bei dreimal ſo großer Geſchwindigkeit. Es iſt naͤmlich leicht einzuſehen, daß die Kraft des Stoßes ſich verdoppeln muß, wenn zweimal ſo viele Theil - chen einwirken; aber wenn bei vermehrter Geſchwindigkeit nicht bloß mehrere Theilchen wirken, ſondern dieſe auch mit verſtaͤrkter Gewalt wirken, ſo wird die Kraft in groͤßerm Verhaͤltniſſe wachſen, als dem, welches der Zahl der anſtoßenden Theilchen gemaͤß iſt, da die Quantitaͤt der Bewegung zugleich mit der Menge der Theilchen und zugleich mit der Geſchwindigkeit waͤchſt. Man kann die Groͤße der Kraft des Stoßes durch folgende leichte Ueberlegung finden. Es ſtroͤme das Waſſer (Fig. 108.) aus der Oeffnung F aus, und werde nahe vor dieſer Oeffnung von der Ebne AB aufgefangen, ſo wuͤrde ſchon der ruhige Druck in E ſo groß als in F ſein, wenn eine Roͤhre FE die Ebne BA mit dem Gefaͤße verbaͤnde; aber da das mit einem Stoße anprallende Waſſer beinahe ſo wie ein elaſti -187 ſcher Koͤrper zuruͤckgeworfen wird, ſo kann man dieſen Druck bei - nahe als verdoppelt anſehen. Der Druck auf die Oeffnung F wuͤrde, wenn ſie geſchloſſen waͤre, ſo viel betragen, als das Gewicht einer Waſſerſaͤule, die uͤber ihr ſtehend bis an die Oberflaͤche des Waſſees GH reichte, und ſo groß wuͤrde die Kraft des Stoßes auch ſein, wenn das Waſſer nicht zuruͤckgeworfen wuͤrde; da hingegen, wo der frei antreffende Strahl eine ruͤckwaͤrts gehende Bewegung ſeiner einzelnen Theile annimmt, wird dieſe Kraft beinahe, jedoch nie voll - kommen, verdoppelt. Hierauf beruht es, daß man fuͤr eine in den offenen Strom eines groͤßeren fließenden Waſſers eingetauchte Platte nur eine ſo große Kraft findet, als der einfachen zu dieſer Geſchwin - digkeit gehoͤrenden Druckhoͤhe angemeſſen iſt, dagegen fuͤr einen freien Waſſerſtrahl von eben dem Querſchnitte, vorausgeſetzt, daß er von einer groͤßern Ebne aufgefangen wird, um ſich ausbreiten und ſeine ganze Wirkung ausuͤben zu koͤnnen, eine beinahe doppelt ſo große Kraft, die nach Brunacci's Verſuchen ſich deſto mehr die - ſem Doppelten naͤhert, je mehr man, etwa durch einen erhoͤheten Rand, das Waſſer zwingt, die zuruͤckgehende Bewegung anzu - nehmen.

Die Berechnung dieſes Stoßes giebt die Kraft an, mit welcher das unterſchlaͤchtige Rad unſrer Waſſermuͤhlen gedreht wird. Bei dieſem naͤmlich iſt es ein mit großer Geſchwindigkeit gegen die untern Schaufeln A, B, des Rades DA ſtoßender Waſſerſtrom, der das Rad umtreibt. (Fig. 109. ) Bei den oberſchlaͤchtigen Raͤdern iſt es dagegen das Gewicht des in die Kaͤſten ſtuͤrzenden Waſſers, welches als bewegende Kraft wirkt.

Windmuͤhlen. Meſſung der Geſchwindigkeit des Windes.

Daß dieſer Stoß, wenn er ſchief auf eine Ebne wirkt, nicht ſeine ganze Gewalt ausuͤbt, ſondern dann eine Zerlegung der Kraft eintritt, und der parallel mit der Ebne wirkende Theil derſelben keine Wirkung auf die Ebne hervorbringt, iſt Ihnen bekannt. Auf einer ſolchen Zerlegung der Kraft des Stoßes beruht die Bewegung der gewoͤhnlichen Windmuͤhlen. Ihre Fluͤgelflaͤchen haben eine Neigung gegen die Ebne des Kreiſes, welchen der Fluͤgel durchlaufen ſoll, un - gefehr ſo wie Sie es ſich in Fig. 110. vorſtellen koͤnnen, wenn der188 um C in der Ebne des Papieres bewegliche Fluͤgel eine Ebne BADE traͤgt, die mit der Seite AB vor der Ebne des Papieres liegt, waͤh - rend die Seite DE hinter derſelben iſt. Wenn dieſe Flaͤche von einem Winde, der ſenkrecht gegen die Ebne des Papiers gerichtet iſt, getroffen wird, ſo weicht ſie dem unter ihr vorbei gehenden Winde oberwaͤrts aus und gelangt nach abed, wo eben die Einwirkung fortwaͤhrt und die drehende Bewegung immerfort unterſtuͤtzt. Wenn die Flaͤche, welche den Stoß empfaͤngt, groß iſt, ſo darf man ihr nicht mehr die Form einer Ebne geben, weil eine ganz gleiche Wir - kung in der Naͤhe von C eine ſchnellere Drehungsbewegung bewirken wuͤrde, und deshalb der Stoß auf die von C entferntern Theile des Fluͤgels keinen hinreichenden Nutzen braͤchte; aus dieſem Grunde iſt die Fluͤgelflaͤche windſchief, in der Naͤhe von C weniger, entfern - ter von C mehr gegen die Ebne, in welcher der Fluͤgel fortgeht, geneigt.

Mehr, als dieſe techniſche Anwendung, der Phyſik angehoͤrend, iſt die Anwendung, die man von einem Inſtrumente mit Wind - muͤhlenfluͤgeln gemacht hat, um die Geſchwindigkeit des Windes und des ſtroͤmenden Waſſers zu finden. Hat die in Fig. 110. dargeſtellte kleine Fluͤgelflaͤche eine ſehr geringe Neigung gegen die Ebne des Fluͤgel-Umlaufs, ſo wird ſie, faſt ſenkrecht vom Winde getroffen, nur langſam nach der Seite ausweichen; ſtaͤnde ſie bei - nahe ſenkrecht gegen jene Ebne, ſo wuͤrde ſie ebenfalls langſam aus - weichen, weil der Wind, mit deſſen Richtung ihre Lage beinahe uͤberein ſtimmte, ſie nur wenig traͤfe; in der genau mittleren Stellung dagegen weicht ſie genau ſo ſchnell ſeitwaͤrts aus, als der Wind ſelbſt fortgeht. Hat man alſo das Inſtrument, welches unter dem Namen des Woltman'ſchen Anemometers bekannt iſt, ſo eingerichtet, daß die Mitte der Flaͤche AE einen Kreis von 10 Fuß Laͤnge (deſſen Durchmeſſer 3 $$\frac{2}{11}$$ Fuß) durchlaͤuft, ſo ſtimmt die Zeit eines Umlaufes der Fluͤgel, deren man vier anzubringen pflegt, mit 10 Fuß Fortgang des Windes uͤberein. Man richtet das Inſtru - ment ſo ein, daß die Axe der Fluͤgel vermittelſt einer Schraube ohne Ende ein Rad einmal umtreibt, waͤhrend die Fluͤgel 30mal um - laufen, und indem dieſes Rad die Umlaͤufe waͤhrend einer halben Minute zaͤhlt, erhaͤlt man leicht die Geſchwindigkeit des Win - des. Auf dieſe Weiſe findet man, daß bei heftigen Stuͤrmen die189 Geſchwindigkeit des Windes gegen 80 Fuß in der Secunde betragen kann, und man muß, da die heftigſten Stoͤße nicht grade beobachtet werden, und auch nicht einmal eine halbe Minute in ihrer ganzen Gewalt dauern, wohl annehmen, daß die ſtaͤrkſten Stoͤße noch mehr Schnelligkeit haben.

Ein Vorwurf, den man dieſem Inſtrumente mit Recht macht, iſt, daß es nur die mittlere Geſchwindigkeit in einem ſchon etwas laͤngern Zeitraume giebt; Schmidt hat daher neuerlich Verſuche mit einem andern Inſtrumente, wo eine pendelartig herabhaͤn - gende, mit der breiten Seite dem Winde entgegengeſtellte Ebne vom Winde gehoben wird, angeſtellt. Der Winkel, bis zu welchem dieſes Pendel durch den Wind hinauf gehoben wird, beſtimmt die Gewalt und eben dadurch die Geſchwindigkeit des Windes, und man hat den Vortheil, die ungleiche Hebung, alſo auch die ungleiche Staͤrke des Windes in jedem Augenblicke beſonders beſtimmen zu koͤnnen. Schmidt bemerkt, daß die ungleiche Art der Windſtoͤße, welche zuweilen langſam anſchwellend an Staͤrke zunehmen, zuweilen beinahe ploͤtzlich ihre groͤßte Gewalt erreichen, ſich bei dieſen Beob - achtungen ſehr gut wahrnehmen laſſe. Eine aͤhnliche Beobach - tungsmethode hat Balz in Nismes laͤngere Zeit, jedoch nur zu Beſtimmung der bei den ſtaͤrkſten Windſtoͤßen wirkſamen Kraft, an - gewandt, und dieſer nimmt an, daß man einen Wind ziemlich ſtark nenne, wenn er 15 bis 30 Fuß in 1 Secunde durchlaͤuft, ſehr ſtark heiße er bei 60 Fuß Geſchwindigkeit, Sturm bei 75 bis 90 Fuß Ge - ſchwindigkeit, Orcan bei 100 bis 120 oder 130 Fuß Geſchwindig - keit, eine Geſchwindigkeit, wobei er Haͤuſer umſtuͤrze. Ob dieſe Beſtimmungen ſchon voͤllig beglaubigt ſind, erhellt indeß aus ſeinen Angaben nicht*)Poggendorf's Annalen. XIV. 59, de Zach corresp. astron. X. 339.

Menge des von den Stroͤmen ins Meer gefuͤhrten Waſſers.

Zu ebenſo nuͤtzlichen Zwecken, wie der Windmeſſer, dient der Strommeſſer, den Woltman ebenſo wie den Windmeſſer einge - richtet, nur die Fluͤgel kuͤrzer angeordnet hat. Er iſt ſo eingerichtet,190 daß man auch in ſehr erheblichen Tiefen das Eingreifen der durch die Fluͤgel umgetriebenen Axe in das abzaͤhlende Rad kann anfangen und aufhoͤren laſſen, wie man will, alſo auch hier die Anzahl der Umlaͤufe zum Beiſpiel in ½ Minute erhaͤlt. Da man ihn in alle Tiefen, die nicht allzu erheblich ſind, bringen kann, ſo giebt der Strommeſſer Aufſchluß uͤber die ungleiche Geſchwindigkeit in ver - ſchiedenen Tiefen, uͤber die Ungleichheit derſelben bei Anſchwellungen des Stromes, bei ungleichem Gefaͤlle der Oberflaͤche, bei Veren - gungen im Strome u. ſ. w. Mit Huͤlfe ſolcher Beſtimmungen der Geſchwindigkeit kann man zur Beantwortung der in der phyſiſchen Geographie hoͤchſt wichtigen Frage, wie viel Waſſer die Stroͤme ins Meer bringen, gelangen. Beobachtet man naͤmlich bei großen Stroͤmen in demſelben Querſchnitte in der Mitte und an den Sei - ten des Stromes, an der Oberflaͤche und in der Tiefe, die Geſchwin - digkeit, ſo erhaͤlt man die mittlere Geſchwindigkeit des Waſſers und kann aus der ausgemeſſenen Groͤße des Querſchnitts die Anzahl von Cubicfußen ausrechnen, die in 1 Secunde oder in laͤngerer Zeit durch dieſen Querſchnitt gehen. Obgleich nun dieſe Geſchwindigkeit im Laufe des Jahres ſehr wechſelnd, bei hohem Waſſer gewoͤhnlich am groͤßeſten iſt, ſo laͤßt ſich doch aus dem, was bei mittlerm Waſ - ſerſtande gefunden wird, ein ziemlich allgemeiner Schluß ziehen, und auf ſolchen Beobachtungen, die freilich immer noch nicht zahlreich genug angeſtellt ſind, beruhen folgende Angaben. Die mittlere Ge - ſchwindigkeit des Rheins bei Duͤſſeldorf rechnet man zu Fuß in 1 Secunde in einem Querſchnitte von 12000 Quadratfußen; er fuͤhrt alſo in 1 Secunde 39000 Cubicfuß, in 1 Tage beinahe 3370 Millionen Cubicfuß Waſſer in die Nordſee; das betraͤgt im Jahre 1⅕ Billionen Cubicfuß, wozu aber auch 2000 Quadratmeilen, das iſt ungefehr 1 Billion Quadratfuß das Waſſer liefern. Von der Donau wird angegeben, daß ſie 10 Billionen Cubicfuß jaͤhrlich ins Meer fuͤhre, was auch bei dem ſehr ausgedehnten Flußgebiete der Donau nicht zu verwundern iſt. Hiebei wuͤrden ſich noch eine Menge von Unterſuchungen uͤber die mit groͤßerm Gefaͤlle der Ober - flaͤche des Stromes zunehmende Geſchwindigkeit, uͤber die Ungleich - heit dieſes Gefaͤlles in verſchiedenen Stromſtrecken und dergl. an - ſchließen; ich will indeß nur bei einer ſehr anziehenden Betrachtung191 verweilen, die Dupin mittheilt*)Dupin's Geometrie und Mechanik der Kuͤnſte und Handwerke. III. 187.. Er nimmt an, daß auf dem Raume des ganzen Koͤnigreichs Frankreich zwiſchen 10 und 11 Bil - lionen Cubicfuß Regenwaſſer fallen, wovon ungefehr ein Drittel durch die Stroͤme ins Meer gefuͤhrt werde; er bemerkt ferner, da der Theilungspunct des Canales von Burgund, welcher unter den Theilungspuncten aller franzoͤſiſchen Canaͤle am hoͤchſten liegt**)Theilungspunct iſt derjenige hoͤchſte Punct eines Canales, wo der den Canal mit Waſſer verſorgende Waſſerhaͤlter ſich befindet., nur eine Hoͤhe von 1313 Fuß uͤber dem Meere hat, ſo koͤnne man das mittlere Gefaͤlle aller dieſer Gewaͤſſer nicht uͤber 300 Fuß an - ſetzen; und nun gruͤndet er hierauf folgende Berechnung, welche nuͤtzliche Wirkung dieſes Waſſer leiſten koͤnnte, wenn man es ganz zu mechaniſchen Zwecken anzuwenden im Stande waͤre. Drei und eine halbe Billion Cubicfuß Waſſer leiſten bei 300 Fuß Gefaͤlle, was 1050 Billionen bei 1 Fuß Gefaͤlle leiſten wuͤrden, und die nuͤtzliche Wirkung dieſer Maſſe kann man mit dem, was die Arbeit von Menſchen ausrichtet, vergleichen, wenn man weiß, daß ein ſtarker Mann 1400 bis 1500 Cubicfuß Waſſer 3 Fuß hoch in einem Tage hinaufzuſchaffen im Stande iſt, alſo gegen 4500 Cubicfuß 1 Fuß hoch. Da naͤmlich dieſes Tagewerk eines ſtarken Mannes, das Jahr zu 300 Arbeitstagen gerechnet, die dem ganzen Jahre entſprechende Quantitaͤt 1350000 Cubicfuß ergiebt, ſo wuͤrden 800 Millionen Menſchen das ganze Jahr arbeiten muͤſſen, um das aus Frankreich ins Meer fließende Waſſer bis zu der Hoͤhe ſei - ner Quellen hinauf zu tragen, und ebenſo viele nuͤtzliche Kraft bietet alſo dieſes Waſſer, zum Betreiben von Maſchinen, in ſeinem Her - abſtroͤmen dar. Dupin berechnet ferner, nach einem freilich nur hoͤchſt oberflaͤchlichen Ueberſchlage, daß die Waſſermuͤhlen, welche in Frankreich Getreide mahlen, die Arbeit von 1 Million Menſchen verrichten, und ſchließt daher, daß nur etwa $$\frac{1}{800}$$ der ganzen Kraft der Gewaͤſſer zu mechaniſchen Zwecken diene.

Furchtbare Gewalt des Waſſerſtoßes.

Als ein Beiſpiel der großen Gewalt, mit welcher der Stoß des Waſſers ſelbſt die ſchwerſten Maſſen uͤberwaͤltigen kann, ver -192 dient hier wohl die Erfahrung erzaͤhlt zu werden, die man bei dem Durchbruche einer Waſſermaſſe am Banienthale in Unter - wallis in der Schweitz machte. In dieſem Thale hatte ſich in den kalten Sommern 1816 und 1817 das vorruͤckende Eis der Gletſcher ſo angeſammelt, daß es durch Abſtuͤrzen im Anfange des Jahres 1818 den durch dieſes Thal fließenden Strom, die Dranſe, voͤllig daͤmmte. Das hiedurch geſperrte Waſſer wuchs daher oberhalb des Eisdammes hoch auf, und obgleich dieſer Eisdamm an ſeinem Fuße 3000 Fuß dick geſchaͤtzt wurde, ſo mußte man doch endlich ein Ueberſtuͤrzen des ſchon bis zu 180 Fuß Tiefe angeſchwollenen Seees und dann ein Durchbrechen des Dammes fuͤrchten. Um dieſem zuvorzukommen, entſchloß man ſich oberhalb des ſchon geſammelten Waſſers einen Stollen durch den, ſelbſt in dieſer Hoͤhe, uͤber 700 Fuß dicken Eisdamm zu ar - beiten, damit, wenn das Waſſer im Steigen dieſen Stollen er - reichte, es allmaͤhlig abfließen koͤnne. Dieſer Stollen wurde mit großer Anſtrengung gluͤcklich vollendet, und das allmaͤhlig ange - wachſene Waſſer floß einige Tage lang nach Wunſch langſam ab. Aber eine um die Mitte des Juni 1818 eingetretene große Hitze wirkte auf den Eisdamm ſo ſtark, daß theils dadurch, theils durch den Sturz des Waſſers der geoͤffnete Waſſerlauf ſich an der von dem See abgewandten Seite immer mehr und immer weiter gegen den See fortruͤckend, vertiefte. Endlich am 16. Juni bahnte das Waſſer des Seees ſich einen ungefehr 80 Fuß tiefen Durchbruch, aus welchem das Waſſer mit der groͤßten Gewalt hinabwaͤrts ſtuͤrzte. Und hier zeigte ſich nun die Gewalt des Waſſerſtoßes ſo groß, daß die groͤßeſten Felsſtuͤcke auf dem Waſſer ſchwimmend mit fortgeriſſen wurden, daß Bruͤcken und feſte Mauern in einem Augenblicke zerſtoͤrt, die Felſenwaͤnde zertruͤmmert und ganze Waͤlder vernichtet wurden. Die Truͤmmer von Felſen, Waͤldern und Haͤuſern wurden gleich einem Berge von 300 Fuß Hoͤhe von der wild heranwogenden Waſſermaſſe fortgeſchoben, deren Geſchwindigkeit ſo groß war, daß ſie gegen 2000 Fuß in 1 Min. zuruͤcklegte*)Die hoͤchſt intereſſante Schilderung dieſes Ereigniſſes verdient es ſehr, daß man ſie in Gilb. Ann. 60. Band nachleſe..

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Aber ſo ſehr auch dieſes Ereigniß uns groß und furchtbar erhaben von der einen Seite, grauenvoll und ſchrecklich von der andern Seite erſcheint, ſo duͤrfen wir doch wohl glauben, daß es nur ein ſehr ſchwaches Nachbild derjenigen Ereigniſſe war, die bei der großen Umbildung unſrer Erde ſtatt gefunden haben muͤſſen; Ereigniſſe, von denen keine Geſchichte Kunde giebt, von denen aber die Felſentruͤmmer zeugen, die wir durch weit aus - gedehnte Gegenden zerſtreut finden. Nach Sauſſure und von Buch liegen die aus einem dem Jura fremden Geſtein beſte - henden Geſchiebe des Jura, die bis zu 30000 Centnern an Ge - wicht vorkommen, alle den großen Alpenthaͤlern gegenuͤber und ſcheinen durch Stroͤme von ungeheurer Kraft ſo weit fortge - ſtoßen zu ſein. Auf aͤhnliche Weiſe, aber mit noch groͤßerer Gewalt, moͤgen die zahlloſen Granitmaſſen, die in den Ebenen des ganzen noͤrdlichen Deutſchlands zerſtreut vorkommen, aus Schweden her - beigefuͤhrt ſein; freilich durch Stroͤmungen, deren Gewalt den Durchbruch im Banienthale noch ebenſo weit uͤbertroffen haben muß, als dieſer ſelbſt die Gewalt der gewoͤhnlichen Bergſtroͤme*)Gilb. Ann. LXV. 128..

Doch dieſe merkwuͤrdigen Erſcheinungen liegen zu weit von meinem jetzigen Zwecke ab, um laͤnger bei ihnen zu verweilen.

Widerſtand bei der Bewegung feſter Koͤrper in fluͤſſigen.

Auf denſelben Gruͤnden, die ich bei der Beſtimmung des Stoßes fluͤſſiger Koͤrper angefuͤhrt habe, beruhet auch die Be - rechnung des Widerſtandes, den feſte Koͤrper leiden, wenn ſie in fluͤſſigen fortbewegt werden. Es iſt bekannt, daß eine ſchwere Kugel im Waſſer ſehr langſam zu Boden faͤllt; dieſes iſt zwar theils Folge ihres im Waſſer verminderten Gewichtes, aber theils beruht es auch auf dem Widerſtande, den ſie dadurch, daß ſie die Waſſertheilchen aus der Stelle treiben muß, leidet. Die Frage, welche Geſtalt man einem Koͤrper geben muß, damit er im Waſſer fortgefuͤhrt, den kleinſten Widerſtand bei beſtimmter Breite leide, iſt eine von denen, die man zum Beſten der Schiff - baukunſt zu beantworten geſucht hat, und auf welche allerdings,I. R194ſo weit es andere Forderungen geſtatten, beim Bau der Schiffe Ruͤckſicht genommen wird. Es iſt naͤmlich einleuchtend, daß eine ganz ebene, dem Waſſer ſenkrecht entgegen gefuͤhrte Flaͤche mehr Widerſtand leidet, als eine eben den Waſſerquerſchnitt aus der Stelle treibende gewoͤlbte oder kegelfoͤrmig zugeſchaͤrfte, das Waſſer durchſchneidende Flaͤche, und hieran knuͤpft ſich die Beſtimmung der Flaͤche, die den geringſten Widerſtand darbietet.

Einen mannigfaltigern Schatz von Anwendungen gewaͤhrt uns die Betrachtung des Widerſtandes der Luft. Wir ſind zwar gewohnt, die Luft als ſo duͤnne anzuſehen, daß ſie wohl nicht ſehr als widerſtehendes Mittel in Betracht kommen koͤnne; aber wenn wir einem auch nur mittelmaͤßigen Winde entgegengehen, ſo fuͤhlen wir ſchon dieſen Widerſtand, und wenn wir den Sturm die ſtaͤrkſten Baͤume umreißen ſehen, obgleich dieſer Sturm doch nur eine Ge - ſchwindigkeit von etwa 100 Fuß in 1 Secunde hat, ſo uͤberzeugen wir uns wohl, daß eine mit 2000 Fuß Geſchwindigkeit fortbewegte Ca - nonenkugel einen ſehr großen Widerſtand muß zu uͤberwinden haben.

Um den Stoß, welchen die Gewalt des Sturmes bei einer Geſchwindigkeit von 120 Fuß in der Secunde ausuͤben wuͤrde, zu berechnen, iſt es hier am beſten, an die Elaſticitaͤt der Luft nicht zu denken, ſondern, ganz wie beim Waſſer, zu ſagen, zu einer Ge - ſchwindigkeit von 120 Fuß gehoͤrt eine Fallhoͤhe von 240 Fuß, alſo hier ein 240 Fuß hohes Gefaͤß, um die zu einem ſo ſchnellen Aus - fluſſe gehoͤrende Druckhoͤhe zu erhalten. Nehmen wir alſo die ge - ſtoßene Flaͤche 1 Quadratfuß groß an, ſo iſt die Kraft des Stoßes wenigſtens dem Gewichte einer Luftſaͤule von 240 Cubicfuß, das iſt 21 Pfunden gleich, (weil ungefehr 11 Cubicfuß Luft 1 Pfund wie - gen). Boͤte man alſo dem Winde eine Kreisflaͤche von 20 Fuß Durchmeſſer oder 300 Quadratfuß Inhalt dar, ſo litte dieſe einen Druck von 6000 Pfunden. Hiernach laͤßt ſich die auf einen dicht belaubten Baum von großer Krone ausgeuͤbte Gewalt berechnen, obgleich die Wirkung nicht ganz ſo groß, wie bei einer feſten Ebne iſt, und da nach Eytelwein's Verſuchen ein Stuͤck Eichenholz von 2 Zoll Seite im Querſchnitte und 66 Zoll vom Unterſtuͤtzungs - puncte belaſtet, von 700 Pfund zerbrochen wurde, ſo muͤßte ein Eichbaum von 1 Fuß Durchmeſſer in einer Hoͤhe von 20 Fuß mit etwas mehr als 30000 Pfund Kraft ſeitwaͤrts gezogen werden, um195 zu brechen; aber dieſe Baͤume brechen auch gewoͤhnlich nicht von der Kraft des Windes, ſondern werden umgeſtuͤrzt, indem die Wurzel nachgiebt.

Die Gewalt, mit welcher der in die Segel des Schiffes ſtoßende Wind das Schiff forttreibt, die Gewalt, mit welcher er bei ſchief oder ſeitwaͤrts geſtellten Segeln das Schiff umzuſtuͤrzen ſtrebt, laͤßt ſich eben ſo beſtimmen. Daran knuͤpft ſich die fernere Frage, wie tief der Schwerpunct des Schiffes liegen muß, damit das Schiff nicht umſchlage, und ſo ferner.

Bei Koͤrpern, die in der Luft fortbewegt werden, wird der Widerſtand zwar auf ganz aͤhnliche Art beſtimmt, wie in den vori - gen Beiſpielen die Kraft des Stoßes; aber ſeine Wirkung beſteht hier nur in der Verminderung der Geſchwindigkeit. Eine 3pfuͤndige eiſerne Kugel hat ungefehr einen Durchmeſſer von 2⅔ Zoll, und ihr groͤßeſter Querſchnitt enthaͤlt Quadratzoll. Wenn auf dieſen Querſchnitt eine 1320 Fuß hohe Luftſaͤule druͤckte, oder wenn Luft mit der Geſchwindigkeit, welche der Druckhoͤhe = 1320 Fuß zu - koͤmmt, das iſt mit 280 Fuß Geſchwindigkeit ſtieße, ſo betruͤge die Kraft des Stoßes Pfund; dieſe Kraft iſt wegen der Woͤlbung der Kugelflaͤche etwas geringer, nur 3 Pfund, und ſo groß iſt alſo der Widerſtand, welchen die 3 pfundige eiſerne Kugel bei 280 Fuß Geſchwindigkeit leidet. Bei dieſer Geſchwindigkeit iſt genau der Widerſtand dem Gewichte gleich, und es laͤßt ſich daraus ſchließen, daß eine freifallende eiſerne Kugel von 3 Pfund nur hoͤchſtens eine Geſchwindigkeit von 280 Fuß in 1 Secunde erlangen kann, indem, wenn dieſe Geſchwindigkeit erreicht iſt, die Gewalt, welche die Luft zu Zerſtoͤrung der Geſchwindigkeit anwendet, genau ſo groß iſt, als die Kraft der Schwere, welche die Bewegung zu beſchleunigen ſtrebt. Man nennt deshalb dieſe Geſchwindigkeit den Exponenten des Wi - derſtandes, weil ſie uns das Maaß, die wahre Groͤße des Wider - ſtandes ſo genau kennen lehrt.

Bei einer genau ebenſo großen Kugel von Holz wuͤrde der Wider - ſtand ſchon bei viel geringerer Geſchwindigkeit dem Gewichte gleich ſein. Eine ſolche Kugel wuͤrde etwa Pfund wiegen, oder deſſen, was die eiſerne Kugel wog; alſo duͤrfte die Druckhoͤhe, aus der wir vor - hin die Groͤße der Geſchwindigkeit herleiteten, nur etwa 160 Fuß, die Geſchwindigkeit nur ungefehr 100 Fuß in 1 Secunde ſein, undN 2196ſchneller bewegt ſich eine frei fallende hoͤlzerne Kugel von 2⅔ Zoll Durchmeſſer nie.

Wenn man Kugeln aus einerlei Materie, aber von ungleichem Halbmeſſer nimmt, ſo iſt der Exponent des Widerſtandes groͤßer bei den groͤßern, das heißt, bei freiem Falle kann die groͤßere eine ſchnel - lere Bewegung erlangen, ehe Widerſtand und Schwerkraft gleich ſtark wirken. Allerdings naͤmlich iſt bei einer Kugel von doppelt ſo großem Durchmeſſer der geſammte Widerſtand, ſo wie der groͤßte Querſchnitt der Kugel, viermal ſo groß; aber das Gewicht der Ku - gel iſt achtmal ſo groß, als bei einfachem Durchmeſſer. Reichte alſo vorhin eine Druckhoͤhe von 1320 Fuß Luft aus, um den Druck gleich dem Gewichte der Kugel hervorzubringen, ſo muß dieſe Druck - hoͤhe jetzt 2640 Fuß ſein, damit der Druck auf die viermal ſo große Flaͤche bis zum achtfachen ſteige; aber zu 2640 Fuß Hoͤhe gehoͤrt eine Geſchwindigkeit von beinahe 400 Fuß in der Secunde, und ſtatt daß die 3 pfuͤndige eiſerne Kugel hoͤchſtens 280 Fuß Geſchwin - digkeit erlangt, kann dieſe Geſchwindigkeit bei der 24 pfuͤndigen, deren Durchmeſſer das Doppelte jener iſt, beinahe 400 Fuß werden. Bei einer eiſernen Kugel von 4 mal ſo großem Durchmeſſer wuͤrde die Geſchwindigkeit 2.280 Fuß; bei einer Kugel von 9 mal ſo großem Durchmeſſer 3.280 Fuß ſein.

Dieſe Berechnungen zeigen, warum die in der Luft abgeſchoſ - ſenen Kugeln ſo ſehr geringe Weiten und Hoͤhen in Vergleichung gegen diejenigen Weiten und Hoͤhen erreichen, die ſie ohne Wider - ſtand erreichen ſollten. Ich habe fruͤher angefuͤhrt, daß eine mit 2000 Fuß Geſchwindigkeit unter 45 Grad Neigung geworfene Ku - gel bis 132000 Fuß oder geographiſche Meilen weit gehen wuͤrde, welches bekanntlich in hohem Grade von der Erfahrung ab - weicht; aber wenn wir eine Kugel nehmen, fuͤr welche der Expo - nent des Widerſtandes 400 Fuß iſt, und dieſe mit 2000 Fuß Ge - ſchwindigkeit fortſchleudern, ſo leidet ſie im erſten Augenblicke bei dieſer in Vergleichung gegen den Exponenten des Widerſtandes fuͤnf - fach ſo großen Geſchwindigkeit einen 25 mal ſo großen Widerſtand als derjenige war, den wir der Schwerkraft gleich fanden. Da nun die Schwere dem aufwaͤrts ſteigenden Koͤrper ſchon in $$\frac{1}{30}$$ Secunde 1 Fuß Geſchwindigkeit raubt, ſo raubt dieſer Widerſtand in $$\frac{1}{30}$$ Se - cunde 25 Fuß Geſchwindigkeit, und wuͤrde alſo in 1 Secunde197 750 Fuß Geſchwindigkeit rauben, wenn nicht mit abnehmender Ge - ſchwindigkeit auch der Widerſtand abnaͤhme. Wenn man dieſe Rech - nungen fortſetzt, ſo findet man fuͤr eine anfaͤngliche Geſchwindigkeit von 3000 Fuß in 1 Secunde, bei einem Neigungswinkel von 20 Graden, erſtlich daß die ſo geworfene Kugel im luftleeren Raume einen Bogen von 17600 Fuß hoch, und 193000 Fuß weit, uͤber einer horizontalen Ebne durchlaufen wuͤrde, zweitens daß eine Kugel, deren Exponent des Widerſtandes 400 Fuß iſt, das heißt eine eiſerne Kugel von 5,2 Zoll Durchmeſſer oder 23 bis 24 Pfund, oder eine bleierne Kugel von 3,6 Zoll Durchmeſſer oder 11 Pfund, oder eine Platinakugel von 2 Zoll Durchmeſſer oder 3⅓ Pfund, einen Bogen von 2450 Fuß hoch und 13400 Fuß weit durchliefe, drittens daß eine Kugel, deren Exponent des Widerſtandes 250 Fuß iſt, das heißt eine eiſerne Kugel von 2 Zoll Durchmeſſer oder $$\frac{4}{3}$$ Pfund, eine bleierne von 1,4 Zoll Durchmeſſer oder $$\frac{2}{8}$$ Pfund, nur bis zu 1290 Fuß ſteigen und nur 6350 Fuß weit gehen wuͤrde.

Ich habe dieſes Beiſpiel grade ſo gewaͤhlt, um zu zeigen, daß man mit einer Platinakugel von 2 Zoll Durchmeſſer doppelt ſo weit als mit einer eiſernen Kugel von eben dem Durchmeſſer ſchießen kann. Kaͤme es alſo darauf an, ſehr weite Schuͤſſe zu thun, ſo muͤßte man nicht ſo ſehr darauf denken, die anfaͤngliche Geſchwin - digkeit zu vermehren, weil dieſe doch durch den Widerſtand ſehr ſchnell herabgeſetzt wird, ſondern man muͤßte große Kugeln von ſehr ſchwerer Materie nehmen, wie es die Franzoſen vor Cadir thaten*)Die Linie, welche die Kugel vermoͤge des Widerſtandes der Luft, ſtatt der Parabel, durchlaͤuft, ſ. in m. Lehrb. der Geſetze des Gleich - gewichts u. d. Bewegung. II. Fig. 58. .

Auf dieſem Widerſtande beruht es, daß wir mit Rudern das Schiff forttreiben, indem wir die breite Flaͤche des Ruders gegen das Waſſer druͤcken und ſo dem Schiffe eine Bewegung nach der entgegengeſetzten Richtung ertheilen. Die Schaufeln des Rades am Dampfſchiffe treiben auf gleiche Weiſe das Schiff fort, indem ſie naͤmlich durch die Kraft der Dampfmaſchine getrieben im Waſſer fortgezogen werden, weicht das Schiff nach der entgegengeſetzten Richtung aus und erhaͤlt bei dieſer immer dauernden Einwirkung eine ſehr bedeutende Geſchwindigkeit. Die Kunſt des Schwimmens,198 daß man die Haͤnde oder Fuͤße kraͤftig ſtoßend gegen das Waſſer bewegt, und ſich entweder horizontal fortrudert, oder indem man vertical hinabwaͤrts wirkt, den Koͤrper hoͤher, als es ſonſt geſchehen wuͤrde, uͤber dem Waſſer hervorhebt, beruht auch auf dieſem Wider - ſtande. Beim Fliegen der Voͤgel, deren Fluͤgelſchlaͤge eben das leiſten, koͤmmt noch die ihren Fluͤgeln ertheilte Einrichtung in Be - trachtung, daß dieſe beim hinaufgehenden Fluͤgelſchlage eine gewoͤlbte und ſich etwas zuſammenbeugende Flaͤche, beim herabwaͤrts gehen - den Fluͤgelſchlaͤge eine hohle und ſich etwas mehr in die Breite aus - dehnende Flaͤche, der Luft darbieten, alſo beim herabwaͤrts oder im horizontalen Fluge hinterwaͤrts gehenden Fluͤgelſchlage den meiſten Widerſtand leiſten. Der Vogel erhaͤlt ſich durch ſehr ſchnell auf einander folgende kleine Fluͤgelſchlaͤge ſchwebend, beim Fortflie - gen aber beduͤrfen manche groͤßere Voͤgel nur langſam wiederholter Fluͤgelſchlaͤge, indem die Groͤße ihrer Fluͤgelflaͤchen, ſelbſt ganz ru - hend ausgeſpannt, nur ein ſehr langſames Fallen geſtatten wuͤrden.

Da wo einzelne Theile des Stromwaſſers einen Widerſtand leiden, an Bruͤckenpfeilern oder aͤhnlichen Gegenſtaͤnden aufgehalten werden, entſtehen Wirbel und Strudel. Die in ihrem Laufe auf - gehaltenen Theilchen b, (Fig. III. ) bleiben hinter den in a vorbei - gehenden zuruͤck, und dieſe nehmen daher einen gekruͤmmten Lauf, ſo wie es die Figur zeigt, an. Da wo der Unterſchied der Bewe - gung groß genug iſt, entſteht an ſolchen Stellen eine voͤllig kreisfoͤr - mige Bewegung, wobei das Waſſer, durch die Schwungkraft nach außen gedraͤngt, eine trichterfoͤrmig vertiefte Oberflaͤche bildet. Die ſchwimmenden feſten Koͤrper, die in dieſen Wirbel gerathen, gleiten auf dieſer vertieften Oberflaͤche hinab und werden von dem Strudel verſchlungen. Da wo im Meere dieſe Strudel groß und dauernd ſind, werden ſie durch zufaͤllige Beengungen der Meeresſtroͤme oder des Fluthſtromes hervorgebracht, indeß ſind die Nachrichten von ſolchen Strudeln aus aͤlteren Zeiten wohl meiſtens uͤbertrieben.

Auch in der Luft ſehen wir zuweilen ſolche Strudel, welche die abgefallenen Blaͤtter an beſtimmten Stellen zuſammenhaͤufen und im Kreiſe herumfuͤhren. Die eigentlichen Wirbelwinde, die in ihren Wirkungen ſo zerſtoͤrend ſind und die Gegenſtaͤnde, welche ſie fortgeriſſen haben, weit umher zerſtreuen, muͤſſen von eigenthuͤmli - chen Urſachen herruͤhren, aber die Wirkung, daß ſie die Truͤmmer199 eines zerſtoͤrten Gebaͤudes und aͤhnliche Gegenſtaͤnde weit umher werfen, iſt die Ihnen bekannte Wirkung der Schwungkraft.

Ruͤckwirkung.

Der letzte Gegenſtand, den ich als die Bewegung tropfbar fluͤſſiger Koͤrper betreffend, Ihnen vorzutragen habe, iſt diejenige Wirkung beim Ausfließen des Waſſers, welche man die Ruͤck - wirkung nennt. Sie wiſſen, daß ein mit ruhendem Waſſer gefuͤll - tes Gefaͤß deswegen keine Neigung, nach einer oder der andern Seite hin auszuweichen, zeigt, weil der nach zwei entgegengeſetzten Seiten wirkende Druck genau nach beiden Seiten gleich iſt. Bringt man aber nun in einer Wand eine Oeffnung an, ſo faͤllt hier der Seitendruck weg und das Gefaͤß wird durch Ruͤckwirkung nach der entgegengeſetzten Seite getrieben. Um dieſe Wirkung durch ein Experiment zu zeigen, muß man ſich begnuͤgen, eine kleine Oeffnung anzubringen, damit der Waſſerverluſt nicht zu ſchnell die Wirkung ſchwaͤche; da aber bei einer kleinen Oeffnung auch die Groͤße dieſer Ruͤckwirkung geringe iſt, ſo muß man ſorgen, ſie auf andre Weiſe merklicher zu machen. Hiezu dient eine Vorrichtung, die dem Gefaͤße ſelbſt eine drehende Bewegung erlaubt. Es ſei das Gefaͤß (Fig. 112. ) AB, deſſen hohler Raum ſich durch E bis zu den Seiten-Armen F, G, erſtreckt, ſo mit der verticalen Axe CD verbunden, daß es ſich um dieſe Axe ſehr leicht dreht. Dieſes Gefaͤß habe an der Vor - derſeite des Armes G und an der Hinterſeite des Armes F eine kleine Oeffnung, ſo daß beim Fuͤllen des Gefaͤßes ſogleich aus beiden Oeffnungen ein horizontaler Waſſerſtrahl hervorgehe; ſo wird eine Drehung des Armes G von uns abwaͤrts, eine Drehung des Armes F gegen uns zuwaͤrts entſtehen, weil die Hinterſeite des Armes G einen ſtaͤrkern Druck, als die mit einem Loche zum Ausfließen ver - ſehene Vorderſeite leidet, und eben das an dem andern Arme auf aͤhnliche Art ſtatt findet. Man hat dieſe Einrichtung im Großen ausgefuͤhrt, zum Betreiben von Maſchinen, unter dem Namen des Segner'ſchen Waſſerrades angewandt; aber dieſe Einrichtung nicht vortheilhaft genug gefunden.

Die Ruͤckwirkung zeigt ſich uns bei einigen andern Erſchei - nungen, vorzuͤglich bei dem Zuruͤckprallen der Canone im Augen - blicke des Abfeuerns. Hier entwickelt ſich naͤmlich ein elaſtiſch fluͤſ -200 ſiger Koͤrper, der, wenn die Canone uͤberall verſchloſſen waͤre, einen heftigen Druck nach allen Seiten ausuͤben wuͤrde, deſſen große Wirkung ſich uns aber, bei dem freien Hervorſtroͤmen aus der Muͤndung dadurch zeigt, daß der Druck auf den der Oeffnung ent - gegenſtehenden Boden maͤchtig genug iſt, die ganze mit ſo bedeuten - der Reibung auf dem Boden widerſtehende Canone fortzutreiben. Wird eine Kugel abgeſchoſſen, ſo kann der, alsdann noch ſtaͤrkere Ruͤckſtoß dienen, um die Geſchwindigkeit der Kugel zu berechnen, da ſich, wenn die Kugel zum Beiſpiel $$\frac{1}{100}$$ der ganzen Canone wiegt, die Geſchwindigkeit der Kugel als 100 mal ſo groß, in Ver - gleichung gegen die Geſchwindigkeit des Ruͤckſtoßes ergeben wuͤrde.

Es iſt wahrſcheinlich, daß die meteoriſchen Feuerkugeln eben - falls durch Ruͤckwirkung fortgetrieben werden. Entwickelt ſich naͤm - lich in der ſich aufblaͤhenden Maſſe der Feuerkugel eine elaſtiſche Fluͤſſigkeit und bricht dieſe mit großer Gewalt an einer Seite her - vor, ſo treibt ſie die Maſſe nach der entgegengeſetzten Seite zuruͤck und der Schweif der Feuerkugeln koͤnnte wohl durch jene brennende oder gluͤhende Materie hervorgebracht werden.

Funfzehnte Vorleſung.

Compreſſion des Waſſers.

Bei allen bis jetzt mitgetheilten Unterſuchungen durfte ich, m. h. H, das Waſſer ſo betrachten, als ob es gar keiner Zuſam - menpreſſung faͤhig waͤre; da aber dieſes nicht ganz der Fall iſt, ſo muß ich Ihnen doch die in neuern Zeiten oͤfter und ſorgfaͤltiger wie - derholten Verſuche erzaͤhlen, welche einige Compreſſibilitaͤt des Waſſers zeigen. Da die Zuſammendruͤckung hier immer geringe iſt, ſo hat man ſich meiſtens ſtarker Kraͤfte bedient, um einige be - deutende Wirkung zu erhalten; aber Pfaff hat ein ſinnreiches Verfahren angegeben, das ſelbſt bei kleinem Drucke die ungleiche Ausdehnung des Waſſers zeigt. Er bedient ſich dazu eines, oben in ein ſehr enges Roͤhrchen EF ausgehenden Gefaͤßes AB, (Fig. 113.) das mit der hohen Roͤhre CD in Verbindung geſetzt, aber auch201 durch vollkommen dichte Haͤhne a, b, an beiden Enden geſchloſſen werden kann. Laͤßt man beide Haͤhne offen und fuͤllt die Roͤhre CD bis an den Nullpunct, ſo ergiebt ſich auch an der engen Roͤhre EF der richtige Nullpunct. Jetzt ſchließt man den Hahn a, fuͤllt die andre Roͤhre bis zur Hoͤhe von einigen Zollen uͤber den Null - punct, und ſchließt den Hahn b. Es iſt gewiß, daß jetzt das Waſſer im Gefaͤße diejenige Dichtigkeit angenommen hat, die dem Drucke der Waſſerſaͤule in CD entſpricht, und daß es dieſe Dichtigkeit, durch die Haͤhne von allen Seiten eingeſchloſſen, auch behaͤlt; oͤffnet man aber den Hahn a, ſo leidet das Waſſer an der Muͤndung der engen Roͤhre E nicht den ebenſo großen Druck, wie vom Innern des Gefaͤßes her, und wird daher, obgleich aller Zufluß durch den Hahn b gehindert wird, ein wenig in dem engen Roͤhrchen hinauf - ſteigen, wenn irgend die Compreſſion dazu erheblich genug war. Dieſe Verſuche erlauben eine große Genauigkeit, weil eine Linie der engen Roͤhre nur wenig uͤber ein Milliontel der im Gefaͤße AB ent - haltenen Waſſermaſſe enthaͤlt, und daher ein Steigen von 4 Linien, wie Pfaff es bei einer durch 20 Zoll Waſſerhoͤhe bewirkten Com - preſſion beobachtete, einer Zuſammendruͤckung, die nur ungefehr $$\frac{1}{200000}$$ iſt, entſpricht. Staͤrkere Preſſungen haben Derſtaͤdt, Perkins, Sturm und Colladon angewandt, und ſich dabei des Piezometers bedient, eines Inſtrumentes, das aus einer ſehr feinen, uͤberall gleich weiten Roͤhre AB (Fig. 114.) und einem daran angeſchmelzten Gefaͤße BC beſteht. Dieſes Inſtrument wird bis zu ſeinem Nullpuncte mit der zu pruͤfenden Fluͤſſigkeit gefuͤllt, und dann in einer Roͤhre DFE von ſtarkem Glaſe, in welcher die Luft durch eine Compreſſionspumpe bei E verdichtet werden kann, eingeſchloſſen. Indem man nun durch den bei E angebrachten Kolben die das Inſtrument ABC umgebende Luft zuſammenpreßt, ſo leidet auch die in dieſem offenen Gefaͤße ABC enthaltene Fluͤſſigkeit eben den Druck und geht in eineu engern Raum, den man an der Scale wahrnimmt*)Sind die Waͤnde der Roͤhre EFD nicht durchſichtig, ſo muß man in dem Roͤhrchen AB ein Mittel anbringen, den Ort zu bezeich - nen, den die Fluͤſſigkeit bei der Compreſſion erreicht hatte., zuſammen; das Gefaͤß ABC aber, welches von innen und außen gleichen Druck leidet, kann weder zerſprengt wer -202 den, noch auch ſeinen innern Raum erheblich veraͤndern, (wenigſtens nur um ſo viel, als das von beiden Seiten der Waͤnde ſtark ge - druͤckte Glas ſein Volumen aͤndert,) und wenn alſo zum Beiſpiel 1 Linie der Roͤhre AB ein Milliontel des Gefaͤßes C betraͤgt, ſo laſſen ſich die Milliontel der Raum-Aenderung noch wahrnehmen. Die Verſuche jener Phyſiker geben bei 32 Fuß hohem Waſſerdrucke eine Zuſammendruͤckung des Waſſers = 48 Millionteln, welches etwas weniger iſt, als man nach Pfaff's Verſuchen erhalten ſollte. Die Verſuche wurden bis zu Preſſungen, die 24 mal ſo ſtark als der Druck der Atmoſphaͤre waren, fortgeſetzt, und ſo eine Zuſam - mendruͤckung, die uͤber ein Tauſendtel des ganzen Volumens be - trug, bewirkt. Auch das Queckſilber zeigt bei dieſen Verſuchen eine geringe Verminderung der Ausdehnung bei großem Drucke.

Die großen Vorſichten, die bei dieſen Verſuchen noͤthig ſind, die Entfernung aller Luft aus dem Innern des mit der Fluͤſſigkeit gefuͤllten Gefaͤßes, die Vermeidung der geringſten Aenderung in der Temperatur u. ſ. w. kann ich hier nur obenhin erwaͤhnen; aber die Verſuche ſind genau genug angeſtellt und ſtimmen unter ſich ſo gut uͤberein, daß man ihnen vollkommenes Vertrauen ſchenken darf. Daß aber dieſe Zuſammendruͤckung geringe genug iſt, um bei alle den Phaͤnomenen, die wir bis dahin betrachtet haben, als ganz un - bedeutend bei Seite geſetzt zu werden, das erhellt wohl von ſelbſt, und wir koͤnnen alſo immer noch vom Waſſer als einer der Zuſam - mendruͤckung nicht empfaͤnglichen Materie reden, und es der elaſti - ſchen Luft entgegenſetzen, wenn gleich in den Tiefen von 1000 Fuß, wohin die Wallfiſche ſich zuweilen im Meere begeben, die Verdich - tung des Waſſers doch wohl uͤber ein Tauſendtel (immer wenig genug!) betragen kann*)Gilb. Ann. LXXII. 161. Poggend. Ann. XII. 39..

Beweiſe fuͤr die Elaſticitaͤt der Luft.

Die Luft dagegen iſt in auffallendem Grade elaſtiſch. Wenn wir eine am einen Ende verſchloſſene cylindriſche Roͤhre nehmen und am offenen Ende einen dicht ſchließenden Kolben hineintreiben, ſo203 laͤßt dieſer ſich mit gehoͤrig angewandter Gewalt ziemlich tief hinein - draͤngen; aber ſobald der Druck nachlaͤßt, treibt die zuſammenge - preßte Luft ihn zuruͤck. Wenn eine mit Luft ganz gefuͤllte und feſt zugebundene Blaſe durch ein aufgelegtes Gewicht zuſammengedruͤckt wird, ſo leidet gewiß die darin enthaltene Luft eine Zuſammenpreſ - ſung, eine Verdichtung; aber bei nachlaſſendem Drucke zeigt ſich auch die Blaſe wieder ganz gefuͤllt, indem die Luft ihren vorhin ein - genommenen Raum wieder ausfuͤllt. Wenn man ein hohes oben geſchloſſenes Glas mit ſeiner Muͤndung ins Waſſer hinabdruͤckt, ſo zeigt ſich uns zwar die darin enthaltene Luft dadurch, daß ſie den Eintritt des Waſſers in das Glas hindert, als undurchdringlich; aber ſie zeigt ſich uns zugleich als merklicher Zuſammendruͤckung faͤhig, indem das Glas, tief hinabgedruͤckt, einiges Waſſer einlaͤßt, aber wieder ganz leer iſt, wenn man es hoͤher heraufzieht, alſo den Druck des Waſſers auf die im Glaſe enthaltene Luft vermindert.

Hier ſehen wir vorzuͤglich nur eine Verdichtung der Luft und ihre Ruͤckkehr zum natuͤrlichen Zuſtande; aber auch eine Verduͤn - nung koͤnnen wir wahrnehmen. Braͤchten wir, um dies nur ganz einfach zu zeigen, in der bei A geſchloſſenen Roͤhre (Fig. 115.), die bis BC mit Waſſer gefuͤllt iſt, bei D einen eng ſchließenden Kolben an, ſo zieht ſich das Waſſer dem Kolben nach, indem man ihn nach E fortruͤckt, und die Luft hat offenbar ſtatt des Raumes AB den ganzen Raum AF eingenommen, wenn man ihr, durch Zuruͤckzie - hung des Kolbens und Wegſchaffung des aͤußern Druckes, dazu die Veranlaſſung giebt. Und dies geſchieht nicht etwa, weil die Schwere der in AC enthaltenen Luft das Waſſer herabdruͤckt, ſondern wuͤrde auch nach jeder Richtung ſtatt finden. Die Eigenſchaft der Luft, daß ſie ſich durch Druck verdichten laͤßt, iſt eines der Hinderniſſe, weswegen man die Taucherglocken nicht bis zu ſehr großen Tiefen anwenden kann. Die Taucherglocke naͤmlich, eine oben dicht ge - ſchloſſene Glocke, die man ſo, daß ihr unterer Rand uͤberall zugleich das Waſſer beruͤhrt, ins Waſſer ſenkt, gewaͤhrt beim Verſenken in das Waſſer denen, welche ſich in ihr befinden, einen trockenen Auf - enthalt; man kann ſich mit ihr, ſo daß wenigſtens der obere Theil des Koͤrpers mit Luft umgeben bleibt, bis auf den Boden des Mee - res begeben; aber da der Menſch nicht gut in ſtark verdichteter Luft leben kann, ſo wuͤrde man 64 Fuß unter dem Waſſer, wo die Luft204 ungefehr zu einer dreifach ſo großen Dichtigkeit, als die natuͤrliche Dichtigkeit iſt, comprimirt waͤre, nicht wohl mehr ausdauern koͤnnen, wenn auch nicht die andre Unbequemlichkeit, daß man die durch das Ausathmen verdorbene Luft immer durch friſche Luft er - ſetzen muß, in ſo großen Tiefen unuͤberwindliche Schwierigkeiten in den Weg ſtellte. Wie nuͤtzlich uͤbrigens der Gebrauch der Tau - cherglocke da, wo man den Boden tiefer Gewaͤſſer unterſuchen will, werden kann, brauche ich kaum zu erwaͤhnen, da Ihnen gewiß aus oͤffentlichen Nachrichten bekannt iſt, wie man bei dem großen Bau eines Weges unter der Themſe ſich der Taucher - glocke bedient hat, um die Oeffnungen genau kennen zu lernen und zu verſtopfen, durch welche vom Boden der Themſe her ſich dieſer Weg einigemal mit Waſſer angefuͤllt hatte.

Die Elaſticitaͤt der Luft zeigt ſich uns nicht allein da, wo eine Aenderung des Druckes ſtatt findet, oder wo man durch eine Zuruͤckziehung des Kolbens ihr Gelegenheit giebt, einen groͤßern Raum einzunehmen, ſondern auch da, wo die Luft eine groͤßere Waͤrme erlangt. Die Waͤrme naͤmlich giebt der Luft eine ſtaͤr - kere Elaſticitaͤt, ſo daß ſie bei ſtaͤrkerer Erwaͤrmung den Druck uͤberwindet, der ſie bei geringerer Waͤrme in einem gewiſſen Zu - ſtande von Verdichtung erhielt. Um nur einen Fall, wo ſich dies zeigen laͤßt, anzufuͤhren, will ich die Erſcheinungen erzaͤhlen, die ſich an dem Gefaͤße B (Fig. 81.) beobachten laſſen, wenn dieſes bei C eine ſehr enge Roͤhre hat. Fuͤlle ich hier das Gefaͤß B mit Waſſer, ſo zeigt die Erfahrung, daß eine ſehr enge Roͤhre C das Hervordringen der Luft aus dem untern Gefaͤße nicht ge - ſtattet, weil der doppelte Strom der heraufgehenden Luft und des hinabfließenden Waſſers hier nicht Raum genug findet. Die in dem untern Theile A des Gefaͤßes enthaltene Luft bleibt daher dort eingeſchloſſen. Erwaͤrmt man nun dieſen unteren Theil des Gefaͤßes mit der Hand, ſo dringt eine Luftblaſe nach der andern durch das Waſſer hervor, und dennoch bleibt das untere Gefaͤß mit Luft, die nun offenbar verduͤnnt iſt, erfuͤllt, bis man die erwaͤrmende Hand wegnimmt, wo bei der Abkuͤhlung die Ver - minderung der Luft ſich dadurch zeigt, daß Waſſer durch die enge Roͤhre in den untern Raum eindringt.

205

Druck der Luft. Barometer.

Die Luft hat alſo diejenige Dichtigkeit, welche ſie irgendwo beſitzt, vermoͤge eines gewiſſen Druckes, und wenn wir auch fuͤr jetzt von den Veraͤnderungen im Zuſtande der Erwaͤrmung abſehen, ſo kann doch von einer beſtimmten Dichtigkeit der Luft nur ſo fern, als ſie einen gewiſſen Druck leidet, die Rede ſein. Auch die uns im Freien uͤberall umgebende Luft hat alſo die Dichtigkeit, welche ſie beſitzt, durch irgend einen Druck, und das kann offenbar kein andrer ſein, als derjenige, den die uͤber uns befindliche Luft auf die untern Schichten ausuͤbt. Dies uͤberzeugt uns, daß die Luft ſchwer iſt, welches ſich auch durch andre Verſuche und Erfahrungen noch mehr beſtaͤtiget.

Um dieſen Druck der Luft naͤher kennen zu lernen und end - lich zur Abmeſſung deſſelben zu gelangen, wollen wir einen Verſuch naͤher ins Auge faſſen, der ſich uns leicht darbietet und den jeder von Ihnen gewiß ſchon oft zu wiederholen Gelegenheit gefunden hat. Wir nehmen ein hohes Gefaͤß, ein Glas oder eine am einen Ende verſchloſſene Roͤhre AB, laſſen dieſes Gefaͤß, ganz unter Waſſer getaucht, ſich mit Waſſer fuͤllen, und bringen nun die offene Muͤndung zu unterſt, um ſo das mit Waſſer gefuͤllte Gefaͤß mit dem geſchloſſenen Ende aus der umgebenden Waſſerflaͤche her - vorzuheben, waͤhrend die Muͤndung unter Waſſer bleibt; dann finden wir, daß wir ſo eine Waſſerſaͤule von bedeutender Hoͤhe uͤber die Oberflaͤche des Waſſers hervorheben koͤnnen. Dieſe Waſ - ſerſaͤule AB (Fig. 116.) druͤckt doch gewiß in B auf die mit der umgebenden Oberflaͤche CD gleich hoch liegenden Waſſertheilchen, und das Gleichgewicht koͤnnte nicht beſtehen, wenn nicht ein an - drer Druck auf CD dem Drucke jener Waſſerſaͤule das Gleichge - wicht hielte; aber dieſer Druck kann kein andrer als der ſein, welchen die Luft ausuͤbt. Wenn das Gefaͤß AB keine ſehr große Hoͤhe hat, ſo erhaͤlt es ſich ganz gefuͤllt, weil dann der Druck der Waſſerſaͤule AB noch lange nicht dem ganzen Drucke der At - moſphaͤre gleich iſt; aber dies muß offenbar ſeine Grenze haben. Um dieſe zu finden, wollen wir einige andre Verſuche unterneh - men. Es ſei (Fig. 117.) eine ſehr lange Roͤhre AB mit ihrem einen Ende in Waſſer getaucht; ein dicht ſchließender Kolben C206 ſei bis auf die Oberflaͤche des Waſſers DE hinabgedruͤckt und werde nun in der Roͤhre hinauf gezogen. Da dieſer Kolben hin - dert, daß die Luft nicht auf die Oberflaͤche des Waſſers in der Roͤhre druͤckt, ſo treibt der auf die Oberflaͤche DE wirkende Druck der Luft das Waſſer in der Roͤhre hinauf, ſo daß das Waſſer dem hinaufgezogenen Kolben folgt, ohne einen Zwiſchen - raum frei zu laſſen; aber wenn man die Roͤhre uͤber 32 Fuß hoch, in verticaler Richtung, nimmt, ſo hoͤrt dieſes Steigen auf, wenn der Kolben eine Hoͤhe von ungefehr 32 Fußen erreicht hat, und bei noch weiterem Hinaufziehen bleibt ein von Luft und Waſſer leerer Raum unter dem Kolben. Der Verſuch mit einer 32 Fuß hohen Roͤhre iſt zu ſchwierig, um ihn oft zu wiederholen; aber da er zeigt, daß der Druck der Luft auf die Oberflaͤche DE ſo groß iſt, als der Druck einer 32 Fuß hohen Waſſerſaͤule, ſo duͤrfen wir ſchließen, daß eine Saͤule des 14 mal ſo ſchweren Queckſilbers bei weit geringerer Hoͤhe, bei etwa 28 Zoll Hoͤhe, ſchon dem Drucke der Luft das Gleichgewicht halten wird. Wie - derholen wir den vorigen Verſuch mit Queckſilber und bedienen uns einer etwa 30 Zoll hohen Glasroͤhre AB, ſo ſehen wir das Queckſilber ſteigen, aber bei einer Hoͤhe von ungefehr 28 Zoll (pariſer Maaß) bleibt es ſtehen, und der Kolben laͤßt, hoͤher hinauf gezogen, einen luftleeren Raum unter ſich. Der Verſuch laͤßt ſich mit einer am Ende geſchloſſenen Roͤhre auch ſo wiederholen, daß man ſie ganz mit Queckſilber fuͤllt, ihr offenes Ende mit dem Daumen verſchließt, und ſie dann umgekehrt mit der Muͤndung in ein Gefaͤß mit Queckſilber taucht; nimmt man, nachdem die ganze Oeffnung ſich unter Queckſilber befindet, den verſchließen - den Daumen weg, ſo ſenkt ſich zwar die Oberflaͤche des Queckſil - bers in der Roͤhre, aber bleibt auf ungefehr 28 Zoll hoch ſtehen, und wir haben nun unſer gewoͤhnliches Barometer.

Ich habe fruͤher einmal gelegentlich darauf hingedeutet, daß das Barometer ſich mit derjenigen zweiſchenklichen Roͤhre, in wel - cher zwei ungleiche Fluͤſſigkeiten einander gegenuͤberſtehen, ver - gleichen laſſe, und dieſe Vergleichung laͤßt ſich hier vollſtaͤndiger uͤberſehen. Koͤnnten wir uͤber dem Gefaͤße DE eine Luftſaͤule bis zum Ende der Atmoſphaͤre hinauf in eine Roͤhre einſchließen, ſo waͤre die Vergleichung ganz vollſtaͤndig, und der Druck der207 ſehr hohen Luftſaͤule in der langen Roͤhre, erhielte die Queckſilber - ſaͤule in der kurzen Roͤhre im Gleichgewichte; aber auch ohne dieſe Roͤhre iſt die Vergleichung hinreichend zutreffend, da es auf die Geſtalt der Roͤhre bei jenem Gegendrucke der beiden Fluͤſſigkeiten nicht ankommt.

Das Barometer dient uns alſo, um den Druck oder das Gewicht der ganzen uͤber uns ſtehenden Luftſaͤule abzumeſſen. Steht das Queckſilber im Barometer 28 Zoll hoch, ſo iſt der Druck der Luft auf jede beſtimmte Flaͤche ſo groß, als wenn eine Queckſilberſaͤule von 28 Zoll hoch uͤber dieſer Flaͤche errichtet waͤre; faͤllt das Queckſilber im Barometer, ſo zeigt uns dies einen ver - minderten Druck der Luft an, indem ſie jetzt nicht mehr im Stande iſt, einer ſo hohen Queckſilberſaͤule das Gleichgewicht zu halten.

Verſchiedene Arten des Barometers. Regeln bei der Beobachtung.

Ehe ich noch mehr Beweiſe fuͤr dieſe Behauptung, vorzuͤglich aus der Beobachtung des auf Bergen niedriger ſtehenden Queckſil - bers im Barometer, anfuͤhre, wird es nothwendig ſein, etwas von der Einrichtung unſrer Barometer und der Kunſt, ſie zu be - obachten, zu erwaͤhnen, wobei ich indeß nicht alle die mannigfalti - gen Formen anfuͤhren will, die man dem Barometer gegeben hat, ſondern nur die beiden Haupt-Arten beſchreiben werde, die man als vorzuͤglich brauchbar kennen muß.

Das empfindlichſte Barometer, dasjenige naͤmlich, welches jede Aenderung im Drucke der Luft ſogleich anzeigt, iſt das Gefaͤß - barometer. Es beſteht aus einer ziemlich weiten, oben geſchloſſe - nen Glasroͤhre, die mit Queckſilber gefuͤllt und mit ihrer Oeff - nung unten in ein Gefaͤß mit Queckſilber getaucht iſt, wie Fig. 119. es zeigt. Iſt hier die Roͤhre weit genug und der Raum oberhalb des in der Roͤhre enthaltenen Queckſilbers voͤllig luftleer, ſo findet ſich kein Hinderniß, wodurch die Einwirkung des Druckes der aͤußern Luft aufgehalten wuͤrde, und die Hoͤhe der Queckſilber - ſaͤule giebt genau den von der freien Luft ausgeuͤbten Druck an. Nicht ganz ſo vollkommen findet dieſes ſtatt, wenn die Roͤhre eng iſt, indem der Widerſtand an der Roͤhrenwand in ſolchen Roͤhren nur dann eine merkliche Aenderung der Queckſilberhoͤhe zulaͤßt,208 wenn der Druck der Luft ſich ſchon um etwas mehr geaͤndert hat. Die zweite Art von Barometern, das Heberbarometer (Fig. 118.), iſt in manchen Hinſichten bequemer, aber nicht ganz ſo empfindlich. Es beſteht aus einer gekruͤmmten, oben bei c luftleeren Roͤhre, wo der Druck der Luft auf die Oberflaͤche des Queckſilbers im kuͤr - zern, offenen Schenkel, bei B wirkt, und das Queckſilber im laͤn - gern Schenkel ſo hoch erhaͤlt, als es dem jedesmaligen Luftdrucke angemeſſen iſt. Es iſt nicht ganz ſo empfindlich, als das aus einer graden Roͤhre beſtehende Gefaͤßbarometer, weil der Wider - ſtand, den das Queckſilber in der Kruͤmmung der Roͤhre findet, immer etwas erheblicher iſt.

In beiden Arten von Barometern muß der Raum oberhalb der hoͤchſten Queckſilberflaͤche voͤllig luftleer ſein, damit dieſe Ober - flaͤche im vollkommenſten Sinne frei von allem Drucke der Luft ſei, und die Hoͤhe der Queckſilberſaͤule, welche von der untern Oberflaͤche B an, vertical hinauf gemeſſen wird, den voͤlligen Druck der aͤußern Luft angebe. Um dieſe vollkommene Luftleere zu er - halten, muß man das Queckſilber in der Roͤhre auskochen, indem die Erfahrung zeigt, daß ſich immer Luft aus dem nicht ausge - kochten Queckſilber entwickelt, ſelbſt wenn man ſo gluͤcklich gewe - ſen iſt, die Roͤhre ſo zu fuͤllen, daß kein ſichtbares Blaͤschen uͤbrig blieb; dieſe im Queckſilber enthaltene Luft wird, ſo wie die noch etwa anhaͤngenden feinen Blaͤschen, nur dann voͤllig entfernt, wenn man die ganze Queckſilbermaſſe in der Roͤhre ſelbſt, ehe man dieſe in ihre umgekehrte Stellung gebracht hat, auskocht, indem dann die durch die Hitze ausgedehnte Luft voͤllig ausgetrieben wird. Daß der Zweck, eine voͤllige Luftleere zu erhalten, wirklich er - reicht ſei, davon kann man ſich ziemlich ſicher uͤberzeugen, wenn man das Barometer ſo weit auf die Seite lehnt, daß das Queck - ſilber ſich oben anlegt, und dann mit dem Microſcope unterſucht, ob gar nichts von einem Blaͤschen oben uͤbrig bleibt, ſondern das Queckſilber ſich ohne den geringſten Zwiſchenraum an das Glas anlegt.

Ein zweites Erforderniß iſt, daß die neben der Roͤhre ange - brachte Scale nach einem genauen Maaße getheilt ſei. Wir wollen in den meiſten Faͤllen nicht das Steigen oder Fallen unſeres Baro - meters allein beobachten, ſondern wir wollen unſre Beobachtungen209 mit den Beobachtungen an andern Orten vergleichen, und muͤſſen uns daher eines genauen Maaßes bedienen. Um gewoͤhnlichſten iſt es bei uns die Pariſer Zolle in 12 Linien getheilt, anzuwenden, und auf dieſe Eintheilung will ich mich hier immer beziehen; jedes andre Maaß, wenn es nur in Vergleichung gegen das pari - ſer Maaß ein bekanntes iſt, laͤßt ſich auf dieſes zuruͤckfuͤhren*)Da man auch wohl Barometerſcalen hat, die engliſche Zolle, rheinlaͤndiſche Zolle und Millimeter angeben, ſo bemerke ich, daß 135 pariſer Linien 12 engliſche Zolle betragen, 139 pariſer Linien 12 rhein - laͤndiſche Zolle, 324,84 Millimeter 12 pariſer Zolle. Es ſind daher 28 Zoll pariſer Maaß, = 29 Zoll 10,4 Linien engliſch. = 29 Zoll 0,1 Linien rheinlaͤndiſch. = 758 Millimeter. .

Die Abmeſſung der Barometerhoͤhe muß von der niedrigern Oberflaͤche, ſie ſei nun die Queckſilber-Oberflaͤche in dem weite - ren Gefaͤße AB (Fig. 119) oder im andern Schenkel B (Fig. 118.), an gerechnet werden, und es wird daher hier am beſten ſein, die ganze Scale, auf welcher die Zolle aufgetragen ſind, als beweglich anzuſehen, ſo daß ihr Nullpunct jedesmal genau an die untere Oberflaͤche gebracht werden kann. Iſt das Barometer ein Gefaͤßbarometer (Fig. 119.), ſo kann dies dadurch geſchehen, daß eine Spitze a, die genau mit dem Nullpuncte uͤberein ſtimmt, bis zur Beruͤhrung der Oberflaͤche AB herabgebracht wird; iſt es ein Heberbarometer, ſo muß ſich an der Scale vor und hinter der Roͤhre ein horizontal geſpanntes Haar befinden, und dieſe Haare, deren Lage mit dem Null der Scale zuſammentrifft, werden mit der ganzen Scale ſo herabgeſchraubt, daß ſie dem richtig gehaltenen Auge beide zugleich die Queckſilber-Oberflaͤche B zu beruͤhren ſchei - nen. Hiemit iſt der Anfang der Scale richtig geſtellt, und es iſt nur noch uͤbrig, oben die richtige Anzahl der Zolle, Linien und Theile von Linien abzuleſen. Damit dies bequem geſchehe, iſt (Fig. 118.) das bewegliche Taͤfelchen ed ebenſo mit zwei hori - zontalen Haaren oder einer die Roͤhre genau in horizontaler Rich - tung umgebenden Faſſung verſehen, und man ſtellt dieſe durch eine Schraube ſo, daß die beiden Haare die obere Woͤlbung des Queck - ſilbers zu beruͤhren ſcheinen; dann iſt der erſte Theilſtrich das NullI. O210des in (Fig. 120.) groͤßer dargeſtellten beweglichen Stuͤckes genau an der Scale ſo hoch, als die Queckſilber-Oberflaͤche. Damit man ſie genau richtig ſtellen koͤnne, bedient man ſich des Micro - ſcopes. Der erſte Theilſtrich zeigt uns nun zwar die ganzen Linien der Barometerhoͤhe an der Scale ſogleich an, aber wir verlangen wenigſtens auch noch die Zehntel der Linie nicht bloß zu ſchaͤtzen, ſondern genau abzuleſen; hiezu dient der Ronius oder Vernier, deſſen Einrichtung folgende iſt. Statt daß auf der Scale ſelbſt die einzelnen Linien aufgetragen ſind, hat man in der Theilung auf dem beweglichen Stuͤcke, welche den Vernier oder Ronius darſtellt, den Raum von 9 Linien in 10 gleiche Theile getheilt. Treffen alſo (Fig. 120.) bei c zwei Theilſtriche, der Scale naͤm - lich und des Vernier, genau zuſammen, ſo ſind die naͤchſten d, e um $$\frac{1}{10}$$ Linie, die zweiten folgenden f und g um zwei zehntel aus einander, und wenn der Inder, naͤmlich die mit dem am Ver - nier befindlichen Haare zuſammentreffende Linie, um fuͤnf Zehntel von der vollen Linientheilung der Scale abſteht, ſo erkennen wir dies an dem genauen Zuſammentreffen des fuͤnften Theilſtriches. (Fig. 121.) ſtellt in a den Theilſtrich des Vernier vor, der mit dem Haare zuſammentrifft, in b den fuͤnften, der auf eine volle Linie der Scale I m zeigt.

Ich wuͤrde mich bei dieſen genauen Anweiſungen nicht ſo lange aufhalten, wenn es nicht ein Inſtrument betraͤfe, das in aller Menſchen Haͤnden iſt, und von welchem Sie ſelbſt gewiß oft eine moͤglichſt genaue Anwendung zu machen wuͤnſchen. Daß das Barometer genau vertical haͤngen muß, damit das, was wir ableſen, auch der wahre Hoͤhen-Unterſchied der beiden Queckſilber - Oberflaͤchen ſei, verſteht ſich von ſelbſt. Daß man durch einige ganz leiſe Stoͤße muß zu bewirken ſuchen, daß das Queckſilber den Widerſtand an den Roͤhrenwaͤnden uͤberwinde, und genau die dem Luftdrucke angemeſſene Hoͤhe erreiche, iſt eine Regel, die vorzuͤglich bei engen Roͤhren nicht zu uͤberſehen iſt. Um aber bei Gefaͤßba - rometern, weil da bald eine weitere, bald eine engere Roͤhre ge - waͤhlt iſt, die Hoͤhen richtig zu erhalten, muß man noch bemerken, daß bei engen Roͤhren das Queckſilber, ſelbſt mit ſeiner hoͤchſten Woͤlbung, (auf welche man immer die Beobachtung zu richten hat,) ein wenig zu niedrig ſteht, und daß deshalb eine kleine Cor -211 rection, die man in den Anleitungen zur Hoͤhenmeſſung mit dem Barometer, als der Capillar-Attraction wegen noͤthig, angegeben findet, anzubringen iſt.

Von der Ruͤckſicht auf die Waͤrme muß ich noch etwas er - waͤhnen. Wir haben gleich zu Anfang dieſer Betrachtungen uͤber den Druck der Luft die Bemerkung gemacht, daß eine leichtere Fluͤſſigkeit in der luftleeren Roͤhre bis zu groͤßern Hoͤhen durch den Druck der Luft hinaufgedraͤngt wird, und es iſt daher leicht zu uͤberſehen, daß ein etwas leichteres Queckſilber im Barometer hoͤher ſtehen wird, als ein etwas ſchwereres. Da nun die Erfah - rung uns zeigt, daß die Waͤrme alle Koͤrper und ſo auch das Queckſilber ausdehnt, ſo muß das waͤrmere Queckſilber etwas hoͤher ſtehen, als kaltes. Daß dieſer Unterſchied nicht unerheblich iſt, davon kann man ſich im Winter am beſten uͤberzeugen, wenn man zwei ganz gleiche Barometer beobachtet, deren eines in einem kalten Raume, das andre nahe am Ofen aufgehaͤngt iſt. Hier iſt es leicht zu erreichen, daß der Waͤrme-Unterſchied 25 Grade der achtzigtheiligen Thermometerſcale betraͤgt*)Unſre gewoͤhnlichen Queckſilberthermometer ſind faſt alle ſo ge - theilt, daß ſie Null zeigen, wenn man das Thermometer in gefrieren - des Waſſer taucht, und daß ſie entweder 80 Grade oder 100 Grade zeigen, wenn man ſie in kochendes Waſſer bringt. Die Eintheilung von 80 Graden heißt die Reaumuͤr'ſche, die Eintheilung von 100 Gra - den die Centeſimal-Theilung. Die uͤbrigen Beſtimmungen kommen in der Lehre von der Waͤrme vor., und in dieſem Falle wird das in der Waͤrme haͤngende Barometer beinahe 2 Linien hoͤher ſtehen, als das andre, wenn das letztere ungefehr auf 28 Zoll ſteht. Will man alſo Barometerbeobachtungen mit Genauigkeit anſtellen, ſo muß man zugleich vermittelſt des Ther - mometers die Waͤrme beobachten, und die beobachtete Barometer - hoͤhe fuͤr jeden Reaumuͤr'ſchen Grad um $$\frac{1}{4440}$$ , oder fuͤr jeden Centeſimalgrad um $$\frac{1}{5550}$$ corrigieren. Man reducirt am liebſten auf den Nullgrad der Temperatur, das heißt, da warmes Queck - ſilber und kaltes Queckſilber nicht als ein und derſelbe Koͤrper in Hinſicht auf die ſpecifiſche Schwere anzuſehen ſind, ſo mißt man den Druck der Luft mit demjenigen Queckſilber ab, deſſen WaͤrmeO 2212der des gefrierenden Waſſers oder des ſchmelzenden Eiſes gleich iſt. Daß dieſe Genauigkeit nothwendig iſt, wird ſogleich noch vollſtaͤndiger erhellen.

Hoͤhenmeſſung mit dem Barometer.

Ich verſprach vorhin einen noch vollſtaͤndigern Beweis fuͤr die Behauptung, daß das Queckſilber im Barometer durch den Druck der Luft in ſeiner beſtimmten Hoͤhe erhalten werde. Dieſer Be - weis ergiebt ſich daraus, daß das Queckſilber im Barometer ſinkt, wenn wir das Barometer an einen hoͤhern Ort bringen. Dieſes muß offenbar ſtatt finden, wenn es der Druck der Luft iſt, wel - cher das Queckſilber in dieſer Hoͤhe erhaͤlt; denn, indem ich in der Luft hinaufſteige, laſſe ich einen Theil der Luftſaͤule unter mir zuruͤck, die nun nicht mehr zu dem Drucke auf das Barometer beitraͤgt, und der Barometerſtand in einem hoͤhern Standpuncte giebt nur das Gewicht des noch uͤber uns liegenden Theiles der Luftſaͤule an. Auf dieſe Weiſe ſieht man das Barometer auf dem Brocken 24½ Zoll hoch bei einer Hoͤhe von 3650 Fuß, auf dem St. Bernhard 21 Zoll hoch bei 7650 Fuß Hoͤhe, auf dem Aerna 19 Zoll hoch bei 10300 Fuß Hoͤhe, auf dem Mont Blanc 16 Zoll hoch bei 14650 Fuß Hoͤhe, auf dem Chimborazo 12⅚ Zoll hoch bei 20100 Fuß Hoͤhe.

Dieſe Beobachtungen bieten uns ein weites Feld zu weiteren Unterſuchungen dar, denn es erhellt, daß wir nur das Geſetz, nach welchem ſich dieſes Fallen des Barometers in hoͤhern Stand - puncten richtet, naͤher kennen zu lernen brauchen, um das Baro - meter, als ein Inſtrument zum Hoͤhenmeſſen anzuwenden.

Wenn man von zwei Barometern, die neben einander haͤn - gend beide genau gleich, 28 Zoll hoch, ſtanden, das eine zu einem 73 Fuß hoͤhern Standpuncte bringt, ſo faͤllt es um eine Linie, und wir ſchließen daher, daß eine Luftſaͤule von 73 Fuß hoch, oder 876 Zoll oder 10512 Linien hoch, ebenſoviel wiegt, als eine Queckſilberſaͤule von 1 Linie hoch bei gleichem Querſchnitte, das heißt, wir finden, daß die uns umgebende, von der ganzen obern Luft zuſammengedruͤckte Luft nur $$\frac{1}{10512}$$ ſo dicht als Queckſilber, alſo nur ungefehr $$\frac{1}{720}$$ ſo dicht als Waſſer iſt. Hiemit kennen wir einen Umſtand, auf welchen es bei der barometriſchen Hoͤhen -213 meſſung ankommt; aber gewiß iſt nicht das ſpecifiſche Gewicht der Luft uͤberall ſo groß, ſondern, da die Luft bei geringerm Drucke ſich ausdehnt, ſo muß ſie in hoͤheren Standpuncten weniger dicht ſein, und ſelbſt nachdem wir nur um 73 Fuß hoͤher geſtiegen ſind, und ein Sinken des Queckſilbers von einer Linie beobachtet haben, befinden wir uns in einer minder dichten Luft, und muͤſſen etwas mehr als 73 Fuß hoch ſteigen, damit das Queckſilber wieder um eine Linie falle, und jedes folgende Sinken des Queckſilbers bei hoͤherem Steigen gehoͤrt, wenn es 1 Linie betraͤgt, mit hoͤhern Luftſaͤulen zuſammen. Daß dies ſich ſo verhaͤlt, iſt wohl ganz gewiß, da die Luft an der Erde nur darum ihre beſtimmte Dich - tigkeit hat, weil ein ſo großes Gewicht von Luft auf ihr ruht, und die hoͤhere, von einem geringeren Gewichte belaſtete Luft alſo gewiß nicht ſo dicht iſt; aber das Geſetz, nach welchem ſich die Abnahme der Dichtigkeit richtet, muß durch Erfahrung beſtimmt werden. Dies koͤnnte ſo geſchehen, daß wir da, wo das Baro - meter genau 28 Zoll hoch ſteht, zu der Hoͤhe hinaufſtiegen, wo das Barometer 1 Linie gefallen iſt, und eben die Beobachtung in großen Hoͤhen, wo das Barometer auf 21 Zoll und endlich auf 14 Zoll ſteht, wiederholten; wir wuͤrden dieſe Hoͤhen im erſten Standpuncte nahe an 73 Fuß, im zweiten nahe an 109½ Fuß, im dritten nahe an 146 Fuß finden, und ſchließen, daß ſich die Dichtigkeit wie der Druck verhalte, daß man alſo da, wo der Druck und halb ſo groß (= 14 Zoll) iſt, doppelt ſo hoch ſteigen muͤſſe, als da, wo er 28 Zoll war, um den Druck um 1 Linie vermin - dert zu ſehen. Da aber dieſe Beobachtung manche Schwierigkeit darbietet, ſo hat man jenes Geſetz, welches das Mariottiſche Geſetz heißt, durch folgende Verſuche beſtaͤtiget. Man nimmt eine zweiſchenkliche Roͤhre, deren kurzer Schenkel uͤberall von genau gleicher Weite iſt, und deren langer Schenkel wenigſtens das drei - oder vierfache der Barometerhoͤhe, das iſt, 3 bis 4 mal 28 Zoll lang iſt. Man fuͤllt zuerſt die Roͤhre bis AB, (Fig. 122.) ſo daß die Luft in dem Schenkel AC eingeſchloſſen iſt, ohne noch verdichtet zu ſein; dann gießt man in B mehr Queckſilber auf, und dieſes bewirkt auch in A ein Steigen, aber die nun verdichtete Luft widerſteht dem Steigen des Queckſilbers, ſo daß es im andern Schenkel viel hoͤher ſteigt. Gießt man ſo lange Queckſilber ein,214 bis die Luft auf den halben anfaͤnglichen Raum CD zuſammenge - draͤngt iſt, ſo findet man das Queckſilber in E ſo hoch uͤber der Oberflaͤche D, als die Barometerhoͤhe, alſo 28 Zoll = EF, wenn das Barometer 28 Zoll hoch ſtand; eine doppelt ſo dichte Luft wi - derſteht alſo außer dem Drucke der Luft noch dem Drucke einer 28 Zoll hohen Queckſilberſaͤule, oder im ganzen einem Drucke, der doppelt ſo groß iſt, als der, welchen die Luft bei einfacher Dichtig - keit litt. Gießt man ſo viel Queckſilber ein, daß die Luft in den Raum CG zuſammengedraͤngt iſt, der = CA iſt, ſo ſteht die Oberflaͤche H doppelt ſo hoch uͤber G, als E uͤber F war, oder die zur dreifachen Dichtigkeit comprimirte Luft traͤgt einen Druck dreimal ſo groß, als den, welchen die Luft in ihrer anfaͤnglichen Dichtigkeit ertrug. Und ſo geht es fort bei fernern Compreſſionen.

Um eben dieſe Pruͤfung des Mariottiſchen Geſetzes bei Ver - duͤnnung der Luft anzuſtellen, wollen wir annehmen, die Roͤhre ABC (Fig. 123.) ſei zuerſt an beiden Enden offen und werde ſo gefuͤllt, daß DE die Oberflaͤche des Queckſilbers ſei; nun aber werde bei C die Oeffnung luftdicht verſchloſſen, und hierauf bei A ſo viel Queckſilber weggenommen, bis die Luft CE ſich in den doppelten Raum CF ausgedehnt habe; dann wird die andre Oberflaͤche in G um 14 Zoll niedriger, als F ſtehen, und daraus ſich ergeben, daß der auf G ausgeuͤbte Druck der Atmoſphaͤre einem Drucke von 14 Zoll Queckſilber, nebſt dem Druck der halb ſo dichten Luft das Gleichgewicht haͤlt; dieſer letztere erſetzt alſo den Druck von 14 Zoll Queckſilber, weil wir die Barometerhoͤhe = 28 Zoll annehmen. Nehmen wir abermals bei A Queckſilber weg, ſo lange bis die Luft in CH einen dreimal ſo großen Raum einnimmt, als ſie bei natuͤrlicher Dichtigkeit einnahm, ſo finden wir die Oberflaͤche 1 um 18⅔ Zoll tiefer, als die Oberflaͤche H; die auf ein Drittel ihrer natuͤrlichen Dichtigkeit gebrachte Luft haͤlt naͤmlich nur noch eine Queckſilberſaͤule = 28 = 9⅓ Zoll hoch, und dem geſammten Drucke der aͤußern Luft wird daher durch dieſen Druck und 18⅔ Zoll Queckſilber das Gleichgewicht gehalten.

Hiedurch haben wir Beweis genug, daß der Druck in eben dem Maaße, wie die Dichtigkeit der Luft, zunimmt und abnimmt, und koͤnnen alſo nun den Verſuch wagen, zu beſtimmen, wie groß der Druck der Luft in irgend einer Hoͤhe ſein wird. Die Verglei -215 chung mit der Erfahrung wird dann zeigen, ob wir recht gerechnet haben.

Um dieſe Vergleichung anzuſtellen, wollen wir uns eine Tafel berechnen, und dabei bemerken, daß wir bei 28 Zoll oder 336 Li - nien Barometerhoͤhe 73 Fuß ſteigen muͤſſen, damit das Baro - meter auf 335 Linien hoch ſtehe, daß wir aber nun $$\frac{336}{335}$$ 73 Fuß ſteigen muͤſſen, damit es bis zu 334 Linien falle, daß wir dann aufs Neue $$\frac{336}{334}$$ 73 Fuß ſteigen muͤſſen, damit es auf 333 Linien falle und ſo ferner. So finden wir

die Barometerhoͤhe = 336‴ auf der Hoͤhe = 0 Fuß, 335‴ auf der Hoͤhe = 73,000 Fuß, 334‴ auf der Hoͤhe = 146,218 Fuß, 333‴ auf der Hoͤhe = 219,655 Fuß, 332‴ auf der Hoͤhe = 293,313 Fuß, 331‴ auf der Hoͤhe = 367,193 Fuß, 330‴ auf der Hoͤhe = 441,296 Fuß, 329‴ auf der Hoͤhe = 515,623 Fuß, 328‴ auf der Hoͤhe = 590,176 Fuß, 327 auf der Hoͤhe = 664,956 Fuß, 326 auf der Hoͤhe = 739,965 Fuß, 325 auf der Hoͤhe = 815,204 Fuß, 324 auf der Hoͤhe = 890,674 Fuß, 323 auf der Hoͤhe = 966,378 Fuß, 322 auf der Hoͤhe = 1042,316 Fuß, 321 auf der Hoͤhe = 1118,490 Fuß, 320 auf der Hoͤhe = 1194,900 Fuß, 319 auf der Hoͤhe = 1271,551 Fuß, 318 auf der Hoͤhe = 1348,441 Fuß, 317 auf der Hoͤhe = 1425,573 Fuß, 316 auf der Hoͤhe = 1502,948 Fuß,

Schon dieſe kleine Tafel zeigt, daß man, um das Barometer 20 Linien fallen zu ſehen, nicht 20 mal 73 oder 1460 Fuß ſteigen muß, ſondern 1503 Fuß, und je hoͤher man ſteigt, deſto mehr betraͤgt dieſer Unterſchied; aber mit Huͤlfe dieſes Taͤfelchens, welches ſich ohne große Muͤhe weiter fortfuͤhren laͤßt, waͤre es nun leicht, ſogleich aus dem beobachteten Stande des Barometers zu wiſſen,216 auf welcher Hoͤhe man ſich uͤber dem Standpuncte befindet, wo das Barometer 28 Zoll hoch ſteht; wenn nicht die Waͤrme, deren ungleiche Grade die Luft in einen mehr oder minder dichten Zuſtand verſetzen, hier noch beruͤckſichtigt werden muͤßte.

Wenn die Waͤrme beinahe einen halben Grad uͤber Null iſt, ſo iſt es bei trockner Luft genau wahr, daß man 73 Fuß ſteigen muß, um das Barometer von 28 Zoll auf 27 Zoll 11 Linien fallen zu ſehen; dagegen muß man, wenn die ganze Luftſaͤule 10 Grade der 80theiligen Scale warm iſt, 76 Fuß 5 Zoll ſteigen, um das Barometer ebenſo fallen zu ſehen. Die Luft dehnt ſich naͤmlich bei zunehmender Waͤrme ſo ſehr aus, daß ſie bei 10 Grad Waͤrme faſt um $$\frac{1}{21}$$ leichter iſt, als bei Waͤrme, und man alſo 73 $$\frac{22}{21}$$ = beinahe 76½ Fuß, als diejenige Hoͤhe erhaͤlt, die jetzt an Gewicht den vorigen 73 Fuß gleich iſt; und in eben dem Verhaͤltniſſe neh - men alle Hoͤhen der Tafel zu.

Um alſo die ganze Theorie des Hoͤhenmeſſens mit dem Ba - rometer zu uͤberſehen, reichen folgende wenige Regeln zu. Man muß erſtlich die Barometerhoͤhe an den zwei Orten, deren Hoͤhen - Unterſchied man wiſſen will, ſehr genau meſſen, und dieſes ſo viel moͤglich zu gleicher Zeit, damit eine Aenderung im Stande des Barometers, ſo wie ſie mit wechſelnder Witterung verbunden zu ſein pflegt, nicht eine Unrichtigkeit hervorbringe. Man muß zweitens die beobachtete Queckſilberhoͤhe auf die Waͤrme des ge - frierenden Waſſers zuruͤckfuͤhren, weil das Queckſilber bei groͤßerer Waͤrme nicht die Dichtigkeit hat, die bei der Berechnung der vor - handenen Tafeln vorausgeſetzt iſt. Dieſe Correction betraͤgt fuͤr 10 Grade $$\frac{1}{444}$$ , alſo fuͤr 13⅕ Grade faſt genau $$\frac{1}{336}$$ oder 1 Linie auf 28 Zoll, das heißt, wenn das Barometer bei 13⅕ Gr. Waͤrme auf 28 Zoll ſteht, ſo ſinkt es auf 27 Zoll 11 Linien, wenn man es in die Eiskaͤlte bringt; und wenn es bei - 13⅕ Gr. oder bei einer ſo viel Grade unter Null betragenden Kaͤlte auf 28 Zoll ſteht, ſo ſteigt es auf 28 Zoll 1 Lin., wenn man es in die Null - temperatur bringt. Man ſucht drittens mit Huͤlfe einer ſolchen Tafel, wie ſie oben angegeben iſt, wie hoch der eine und wie hoch der andre Standpunct ſich uͤber demjenigen befindet, wo das Barometer 28 Zoll hoch ſteht, und wuͤrde daraus, weil dieſe Tafeln auf die Nulltemperatur eingerichtet zu ſein pflegen, den Hoͤhen -217 Unterſchied genau haben, wenn die Waͤrme der Luft = Null Grad geweſen waͤre. Endlich viertens nimmt man aus den in beiden Standpuncten in freier Luft beobachteten Waͤrmegraden das Mittel und legt dem vorigen Hoͤhen-Unterſchiede ſo viele 213tel zu, als dieſe Mittelwaͤrme in Reaumuͤr'ſchen Graden uͤber Null iſt; waͤre die Mittelwaͤrme unter Null, ſo muͤßte man ſub - trahiren.

Dies ſind die wichtigſten Regeln; einige andre Correctionen, die darauf beruhen, daß die Luft bei ungleicher Feuchtigkeit nicht genau gleich ſchwer iſt, und daß die Schwerkraft in der Hoͤhe, in groͤßern Entfernungen von der Erde, abnimmt, kann ich hier wohl uͤbergehen, da eine vollkommene Anleitung zum Hoͤhen - meſſen mit dem Barometer hier nicht mein Zweck iſt.

Sechzehnte Vorleſung.

Schwierigkeiten, die einer genauen Hoͤhenmeſſung im Wege ſtehen.

Ehe ich zu den Veraͤnderungen im Stande des Barometers uͤbergehe, welche an einem und demſelben Orte ſtatt finden, muß ich Ihnen, m.h. H., doch noch einige Umſtaͤnde bemerklich machen, welche der vollkommenen Genauigkeit der durch das Barometer erhaltenen Hoͤhenbeſtimmungen im Wege ſtehen. Jene Wechſel im Barometerſtande, die wir alle als mit der Witterung in Be - ziehung ſtehend kennen, und auf welche ich ſogleich zuruͤckkommen werde, gehoͤren mit zu dieſen Hinderniſſen; denn da die Aende - rungen des Barometerſtandes nicht ganz gleichzeitig erfolgen, ſelbſt an Orten nicht, die nur wenige Meilen aus einander liegen, ſo kann bei einer Entfernung, die mehrere Meilen betraͤgt, einige Unſicherheit entſtehen, und dieſe kann ſich bei Orten, deren Hoͤhe beinahe gleich iſt, ſo gar ſo erheblich zeigen, daß derſelbe Ort bald einen etwas hoͤhern, bald einen etwas niedrigern Barome - terſtand, als der andere hat. Aber ſelbſt bei gleichzeitigen Beob - achtungen an Orten, die nur wenig in horizontaler Richtung218 von einander entfernt, aber in ungleicher Hoͤhe liegen, bleibt eine Unſicherheit in der Beſtimmung uͤbrig, weil wir nicht immer die Waͤrme der ganzen Luftſaͤule genau kennen. Wenn wir die Waͤrme am Fuße des Berges 12 Grad und an ſeinem Gipfel 8 Grad finden, ſo nehmen wir 10 Grad als die Waͤrme der ganzen Luftſaͤule an; aber etwas genauer angeſtellte Beobach - tungen zeigen, daß dieſe Beſtimmung des Mittels oft ſehr be - deutend fehlerhaft iſt. In den Mittagsſtunden erwaͤrmt bei hei - terem Wetter der Boden ſich ſo ſehr, daß nahe an der Erde eine große Erhitzung bemerkt wird, die in Hoͤhen von einigen hundert Fuß von der Erde ganz aufhoͤrt; denken wir daran nicht, daß dieſe Waͤrme nur auf den unterſten Theil der Luftſaͤule einge - ſchraͤnkt iſt, und laſſen uns dadurch verleiten, die ganze Luft - ſaͤule als um 1 Grad zu warm anzuſehen, ſo berechnen wir einen Berg von 2130 Fuß um 10 Fuß zu hoch. Einen noch auffallendern Irrthum begeht man leicht um die Zeit des Sonnen-Untergangs nach heißen Tagen oder um die Zeit des Sonnen-Aufgangs nach heitern, ſtillen Sommernaͤchten. Wenn am Tage die Erwaͤrmung des Bodens ſehr groß war, und dadurch auch die Luft bis zu 100 oder 200 Fuß Hoͤhe bedeutend durchwaͤrmt iſt, ſo findet man Abends bei Sonnen-Untergang die Luft in 100 Fuß Hoͤhe lange nicht ſo abgekuͤhlt, wie am Boden oder in 3 bis 4 Fuß Hoͤhe. Beobachtet man nun das Thermometer in 3 oder 4 Fuß Hoͤhe und in 4000 Fuß Hoͤhe, ſo wird man das erſtere vielleicht auf 10 Grad, die Waͤrme in der Hoͤhe dagegen, wo es immer kalt iſt, nur 4 Grad finden; aber zwiſchen beiden Standpuncten kann es eine Gegend geben, wo es 12 oder 13 Grad warm waͤre, ſo daß wir ſtatt 7 Grad Mittelwaͤrme, wenigſtens 8, vielleicht 9 Gr. haͤtten annehmen muͤſſen; in ſolchen Faͤllen iſt die waͤrmere Luftſaͤule laͤnger, als wir ſie berechnen, wir finden die Hoͤhe des Berges zu niedrig, und dieſer Unterſchied wird oft ſo erheblich, daß man die am ſpaͤten Abend, oder Morgens vor Sonnen - Aufgang gemachten Beobachtungen, als viel zu geringe Hoͤhen gebend, ganz unbrauchbar gefunden hat. Dieſem Fehler weicht man am beſten aus, wenn man die Beobachtungen in den mitt - leren Vormittagsſtunden, von 8 bis 10 Uhr, oder in den mittlern Nachmittagsſtunden, im Sommer um 4 oder 5 Uhr anſtellt,219 weil dann die Waͤrme in der Luft am gleichfoͤrmigſten ausge - theilt iſt.

Wegen dieſer ſo ſchwer ganz zu vermeidenden Ungewißheit uͤber die genaue mittlere Waͤrme der Luftſaͤule, deren Hoͤhe wir abmeſſen, ſcheint es mir nicht moͤglich, einer Meſſung durch das Barometer eine Sicherheit, die bis auf 8 oder 10 Fuß, bei 4000 Fuß Hoͤhen-Unterſchied ginge, beizulegen. So lange dieſe Un - gewißheit nicht gehoben iſt, und ſo lange wir, wie es bisher meiſtens geſchehen iſt, auf die Feuchtigkeit der Luft nur ſehr oberflaͤchlich Ruͤckſicht nehmen, halte ich es daher auch fuͤr unmoͤglich zu entſcheiden, ob die von Dalton angenommene Beſchaffenheit der Atmoſphaͤre, die Benzenberg vorzuͤglich vertheidiget hat, wirklich ſtatt findet. Sie werden ſich von dieſer Dalton'ſchen Theorie am beſten nach folgenden Angaben einen Begriff machen. Unſre Atmoſphaͤre beſteht aus zwei Luft-Arten, der Sauerſtoff - luft und der Stickſtoffluft, und aus Waſſerdaͤmpfen. Die Menge der erſten Luft-Art iſt nur ſo groß, daß wenn die beiden andern Fluͤſſigkeiten ploͤtzlich weggenommen wuͤrden, unſer Barometer ſich nur auf Zoll erhalten wuͤrde; waͤre die Stickſtoffluft allein da, ſo erhielte ſie das Barometer auf 21 Zoll; die Daͤmpfe in der Luft wuͤrden fuͤr ſich allein eine Barometerhoͤhe von nur ½ Zoll geben; und alle zuſammen geben die 28 Zoll, welche wir beobachten. Da die Sauerſtoffluft ſchwerer als die Stickſtoffluft iſt, ſo brauchten wir in jener nur etwas uͤber 15000 Fuß hoch zu ſteigen, um das Barometer bis zur halben Hoͤhe = Zoll herabſinken zu ſehen; in der Stickſtoff-Atmoſphaͤre muͤßten wir dagegen ungefehr bis 17500 Fuß ſteigen, damit in ihr das Baro - meter ſeine halbe Hoͤhe erreichte. Nehmen wir alſo bloß auf dieſe beiden Ruͤckſicht, ſo wuͤrde, wenn wir Luft aus der einen und aus der andern Atmoſphaͤre in 17000 Fuß Hoͤhe ſchoͤpften, die Stickſtoffluft halb ſo dicht als unten, die Sauerſtoffluft ſchon erheblich verduͤnnter ſein. Iſt alſo, wie Dalton annimmt, unſre Atmoſphaͤre in jeder Hoͤhe aus den beiden Luft-Arten ſo gemiſcht, wie ſie es auf dieſe Weiſe, angemeſſen der Dich - tigkeit jeder einzeln genommenen Atmoſphaͤre, ſein ſollte, ſo enthielten die hoͤhern Schichten etwas weniger von der ſchwerern Sauerſtoffluft, und das haͤtte, bis zu ſehr großen Hoͤhen hinauf,220 die Wirkung, daß das Barometer in einer ſo gemiſchten At - moſphaͤre etwas niedriger ſtehen wuͤrde, als es der Fall iſt, wenn das Miſchungsverhaͤltn[i]ß in allen Hoͤhen ſo bleibt, wie es unten iſt*)Vollſtaͤndigere Tabellen giebt Benzenberg in ſeinen Briefen uͤber die Schweitz. 2. Th. S. 452. Den Umſtand, daß dieſe Diffe - renz in groͤßern Hoͤhen verſchwindet, finde ich hier zu erklaͤren nicht noͤthig. Der Unterſchied der Barometerſtaͤnde in dieſen nach verſchiedenen Beſtimmungen gemiſchten Atmoſphaͤren wuͤrde hoͤchſtens $$\frac{2}{100}$$ Zoll betragen, und in die Beſtimmung der Hoͤhen bei 12000 Fuß eine Differenz von 30 Fuß bringen; ebenſo viel als wir fehlen, wenn wir die mittlere Waͤrme der Luft um ½ Grad fehlerhaft anſetzen.

Taͤgliche regelmaͤßige Oſcillationen des Barometers,

Das Barometer ſoll uns aber nicht bloß zum Hoͤhen - meſſen dienen, ſondern eine ſeiner Hauptbeſtimmungen iſt be - kanntlich, daß es als Wetterglas uns die bevorſtehenden Aen - derungen der Witterung anzeigen ſoll; und, ſo viel ſich auch gegen ſeine Verdienſte in dieſer Hinſicht ſagen laͤßt, ſo bieten uns doch die Variationen im Stande des Barometers Gelegenheit zu den merkwuͤrdigſten Betrachtungen dar, die, ſo viel Raͤthſelhaftes ſie auch noch uͤbrig laſſen, dennoch hoͤchſt be - lehrend ſind.

Die großen und jeden Tag verſchiedenen Aenderungen im Stande des Barometers, welche wir in unſern Gegenden wahrnehmen, ſind beinahe ganz unbekannt in der Naͤhe des Aequators, und es finden dagegen dort Aenderungen in der Barometerhoͤhe ſtatt, die taͤglich regelmaͤßig wiederkehren, und nur ſelten in einigen Gegenden durch Orcane und aͤhnliche Er - eigniſſe unterbrochen werden. Dieſe taͤglichen Oſcillationen des Barometers, auf deren Beobachtung man zwar ſchon fruͤher aufmerkſam geworden war, die aber erſt durch von Hum - boldt's, Horner's u. a. wiederholte und mit Ausdauer fort - geſetzte Beobachtungen genau bekannt geworden ſind, beſtehen darin, daß zwiſchen den Wendekreiſen ungefehr um Uhr221 Nachmittags das Barometer ſeinen tiefſten Stand erreicht, dann bis Abends um 10 Uhr ſteigt, bis Morgens um Uhr faͤllt, zwiſchen 9 und 10 Uhr Vormittags ſeinen hoͤchſten Stand er - reicht, und endlich wieder um Uhr zu ſeinem tiefſten Stande zuruͤckgekehrt iſt. Es ſteigt von Uhr Nachmittags bis 10 Uhr Abends 0,6 Linien; faͤllt von 10 Uhr Abends bis Uhr Morgens 0,3 Linien, ſteigt wieder bis Uhr Vor - mittags, 0,7 Linien, ſo daß es faſt eine ganze Linie hoͤher als Nachmittags ſteht, und ſinkt in den folgenden 7 Stunden um dieſe ganze Differenz. Dieſe Wechſel ſind zwar weder an allen Orten der heißen Zone gleich groß, noch kehren ſie an allen Orten ganz genau zu derſelben Stunde wieder; aber ihre Re - gelmaͤßigkeit iſt in den Gegenden America's, wo von Hum - boldt beobachtete, und auf dem Meere, wo beſonders Horner und Simonoff beobachtet haben, ſo beſtimmt, daß man ſie jeden Tag wahrnehmen kann. In der großen Hoͤhe, wo Quito und Mexico liegen, ſind dieſe Unterſchiede ebenſo merklich, wie am Meere, dagegen ſollen nach Horsburgh's Beobachtungen in Oſt-Indien bedeutende Verſchiedenheiten, theils nach der Lage der Orte gegen die Gebirge, theils nach der Witterung, ſtatt finden, ſo daß, wenigſtens an einigen Orten des feſten Landes von Indien, dieſe regelmaͤßigen Wechſel waͤhrend der Regenzeit aufhoͤren, obgleich ſie auf dem Meere fortdauern. In der gemaͤßigten Zone laſſen zwar die von der Witterung abhaͤngigen unregelmaͤßigen Aenderungen des Barometerſtandes nicht zu, daß man dieſe taͤglichen Oſcillationen ſo leicht und beſtimmt wahrnehme; aber wenn man eine laͤngere Reihe von Tagen ſtuͤndlich das Barometer beobachtet, ſo ergeben die aus den Beobachtungen jeder einzelnen Tagesſtunde gezogenen Mit - telzahlen, daß auch hier eben dieſe Schwankungen merklich ſind. Die von Chiminello in Padua, von Ramond in Spanien, von Arago in Frankreich, von von Yelin in Muͤnchen an - geſtellten und andre Beobachtungen zeigen, daß auch hier die Perioden ziemlich ebenſo auf 4 Uhr Morgens, 10 Uhr Vor - mittags, 4 Uhr Nachmittags und 10 Uhr Abends fallen, daß aber der Unterſchied zwiſchen der groͤßten Hoͤhe Vormittags und der kleinſten Nachmittags kaum ½ Linien betraͤgt. Nach Ra -222 mond's Beobachtungen faͤllt die Zeit des hoͤchſten und tiefſten Standes am Tage im Winter etwas naͤher gegen Mittag, als im Sommer. Endlich hat auch Haͤllſtroͤm in Åbo dieſen Unterſchied als Linie betragend gefunden, aber ſo daß am Tage der hoͤchſte Stand erſt nahe vor Mittag, der tiefſte um 4 Uhr eintritt, die Ungleichheit zwiſchen den um 10 Uhr Abends und Uhr Morgens eintretenden hoͤchſten und tiefſten Staͤnden aber hier mehr, als die Ungleichheit zwiſchen den am Tage beobachteten Grenzen, betraͤgt*)Schweigger's Jahrb. der Chemie. XVII. 137. Poggen - dorf's Annalen. VIII. 131. XI. 268..

Dieſe Schwankungen, die hoͤchſt wahrſcheinlich in dem Wech - ſel der Temperatur und der Feuchtigkeit der Luft ihren Grund haben muͤſſen, ſind noch nicht ganz erklaͤrt. Es laſſen ſich zwar zwei Gruͤnde fuͤr zwei Minima des Barometerſtandes zu verſchiede - nen Tageszeiten angeben; aber es laͤßt ſich nicht darthun, daß ſie auf die Zeiten fallen muͤſſen, welche die Beobachtung ihnen an - weiſet; indeß werden Sie mir dennoch erlauben, Ihnen folgende Ueberlegungen mitzutheilen. Wenn die Sonne in den heißeſten Tagesſtunden die uns umgebende Atmoſphaͤre bis zu großen Hoͤhen hinauf erwaͤrmt hat, ſo muß die uͤber uns ſtehende Luftſaͤule ſich ausgedehnt haben, und oben nach den Gegenden abfließen, wo mindere Waͤrme herrſcht; dadurch kann gar wohl der Druck der Luft etwas abnehmen, indem der unten zu uns her dringende Strom kalter Luft doch erſt eintreten kann, wenn der Unterſchied des Druckes ſchon in einigem Grade merklich geworden iſt. Hieraus ließe ſich das Minimum des Barometerſtandes in den heißeſten Tagesſtunden vielleicht erklaͤren. Aber noch ein zweites Minimum ſcheint, wenigſtens in heitern Naͤchten, wo Thau faͤllt, eintreten zu muͤſſen. Wenn wir uns diejenige Luft, die zur Zeit des Son - nen-Unterganges uͤber uns ſteht, als in eine, bis an das Ende der Atmoſphaͤre gehende Roͤhre eingeſchloſſen denken, ſo muß das Gewicht dieſer Luft ganz gewiß um etwas abnehmen, wenn ſich die bedeutende Menge Waſſers, die ſich uns als Thau zeigt, daraus niederſchlaͤgt; indeß muͤßten ſchon alle Gegenſtaͤnde mit 3 Linien Thau bedeckt ſein, ehe das Fallen des Barometers ¼ Linie betragen223 koͤnnte. Dieſe Urſache iſt alſo zwar vorhanden, aber ſie iſt nicht ſo bedeutend, als die beobachteten Wechſel es fordern, und fuͤr das naͤchtliche Minimum, welches uͤberdies ſo ſpaͤt nach Mitternacht eintritt, findet ſich hierin keine genuͤgende Erklaͤrung, zumal da das Barometer Abends um 10 Uhr, ungeachtet des dann ſchon ſo ſehr bedeutenden Thaues, einen hoͤhern Stand, als vorher und nachher hat, der alſo wohl eher durch diejenigen Luftſtroͤmungen bewirkt werden muß, welche von der Erwaͤrmung der Luft abhaͤn - gen. Dieſes iſt um ſo mehr glaublich, da die beiden niedrigſten Staͤnde des Barometers mit der waͤrmſten und mit der kaͤlteſten Tageszeit zuſammentreffen.

Ungleiche Barometerſtaͤnde bei verſchiedenen Winden.

Dieſe Oſcillationen ſind durch ihre Regelmaͤßigkeit und weil ſie eine uͤber die ganze Erde gehende Erſcheinung betreffen, merk - wuͤrdig; die groͤßern Veraͤnderungen des Barometerſtandes ſind uns wichtig wegen der oft auffallenden und weit ausgedehnten Witterungs-Ereigniſſe, die mit ihnen in Verbindung ſtehen. So ungeregelt aber auch dieſe faſt ſtuͤndlich wechſelnden Aenderungen im Stande des Barometers ſcheinen, ſo laͤßt ſich doch zuerſt eine Uebereinſtimmung mit den Winden wahrnehmen. Nicht allein treffen die vorzuͤglich hohen Barometerſtaͤnde mit Oſtwinden und Nordwinden zuſammen, ſondern allgemein ſteht das Barometer hoͤher bei oͤſtlichen und nordoͤſtlichen Winden, als bei den aus an - dern Richtungen kommenden Winden. Dabei zeigen ſich indeß manche merkwuͤrdige Eigenheiten an verſchiedenen Orten, die von Buch aufmerkſamer betrachtet hat. In Berlin ſteht das Baro - meter, wenn man alle bei Nordoſtwind angeſtellten Beobachtungen zuſammen nimmt, im Mittel auf 336, ‴6, bei Suͤdwinde auf 333, ‴1, und die Mittelhoͤhe aus allen Beobachtungen, die 335, ‴1 iſt, findet faſt genau bei Weſt und faſt genau bei Oſtſuͤdoſtwinde ſtatt. In Mittelburg in Seeland ſteht das Barometer bei Nordwinde 338‴, bei Suͤdwinde 334‴ hoch, und die Mittelhoͤhe trifft mit dem Winde zuſammen, den man Nordweſt gen Weſt und den von Suͤdoſt gen Oſt nennen wuͤrde*)Wenn man den Horizont in 8 Theile theilt, ſo liegt bekanntlich. Dieſe Richtungen224 ſtehen hier einander beinahe genau gegenuͤber. In Ofen in Un - garn dagegen ergeben ſich drei Richtungen der Winde, bei denen das Barometer ſeine Mittelhoͤhe erreicht. Hier ſteht bei Suͤdoſt - winde das Barometer am hoͤchſten, bei Suͤdweſtwinde am tiefſten, und zwiſchen dieſen beiden Windſtrichen hat der Suͤd gen Oſt den mittleren Barometerſtand; geht man von Suͤdweſt bis Weſtnord - weſt, ſo findet man die dieſem letztern Winde entſprechende Baro - meterhoͤhe der mittlern gleich; bei Nordweſt - und Nordwinde ſteht es hoͤher, bei oͤſtlichern Winden wieder niedriger, bei Oſtwinde hat es die Mittelhoͤhe und bei etwas ſuͤdlichern Winden iſt es viel hoͤher, ſo daß es bei Suͤdoſtwind am hoͤchſten ſteht. Dieſe Beſonderheiten beruhen ohne Zweifel auf einzelnen Umſtaͤnden in der oͤrtlichen Lage, und werden mehr Wichtigkeit, als wir ihnen jetzt noch beilegen koͤn - nen, bei der Vergleichung der an mehreren Orten angeſtellten Beobachtungen erlangen. Dove hat an die Unterſuchung der in Paris angeſtellten Beobachtungen noch mehr genauere Beſtimmun - gen geknuͤpft. Die alte, dem gemeinen Manne, wenigſtens an den Seekuͤſten, ſehr bekannte Erfahrung, daß der Wind, wenn er Weſt iſt, allemal durch Nordweſt und Nord nach Oſten geht, wenn das heitre Wetter ſich herſtellen will, und daß der anhaltende Oſtwind durch Suͤden nach Weſten geht, vor eintretendem Regen, giebt ihm Gelegenheit zu der Bemerkung, die ſich aus genau be - rechneten Beobachtungen beſtaͤtigt, daß bei Nord - und Oſtwinden das Barometer von fruͤh bis Abends im Mittel ein Fallen zeigen muß, bei Winden in dem entgegengeſetzten Quadranten ein Stei - gen, weil naͤmlich, wenn auch nur die mittlere Richtung des Windes fuͤr den ganzen Tag angegeben iſt, ein Fortgehen des Weſtwindes nach Norden im Laufe des Tages, und ein Umlaufen des Oſtwindes nach Suͤden im Fortgange des Tages als am oͤfter - ſten ſtatt findend vorauszuſetzen iſt. Dieſe Regel, ſo oft ſie auch bei veraͤnderlichem Wetter und dem damit verbundenen unſtaͤten*)Nordweſt mitten zwiſchen Norden und Weſten〈…〉〈…〉 nimmt man eine Thei - lung in 16 Theile, ſo liegt Nordnordweſt mitten zwiſchen Nordweſt und Nord, Weſtnordweſt mitten zwiſchen Weſt und Nordweſt. Bei der Eintheilung in 32 Windſtriche endlich liegt Weſt gen Nord zwiſchen Weſt und Weſtnordweſt, Nordweſt gen Weſt zwiſchen Nordweſt und Weſt - nordweſt etc.225 Wanken des Windes Ausnahmen leidet, zeigt ſich doch in einem Mittel aus ſehr zahlreichen Beobachtungen ganz deutlich als uͤber - wiegend. Eine andre ſich hieran ebenfalls knuͤpfende Regel iſt die, daß das Barometer bei Weſtwinden ſteigt, bei Oſtwinden faͤllt; bei Weſtwinden naͤmlich iſt die nach und nach eintretende mehr nord - liche Richtung des Windes mit einem Steigen des Barometers verbunden; iſt dagegen bei heiterm Wetter der Wind Oſt, ſo faͤngt er bald an, ſich nach Suͤden zu wenden, und damit gehoͤrt ein Abnehmen der Barometerhoͤhe zuſammen. Dieſe Regel ſtimmt ſehr mit der alten bekannten Regel zuſammen, daß das Steigen des Barometers eine Voranzeige guten Wetters iſt; denn bei Weſt - winde pflegt das Wetter noch nicht heiter zu ſein, und das vom Barometer angezeigte Eintreten noͤrdlichen Windes laͤßt, wenn dieſer dauernd wird, heitre Luft erwarten; der Grund dieſer Hei - terkeit des Himmels bei den aus kalten Gegenden kommenden Winden, gehoͤrt nicht hierher, ſondern beſſer in die Lehre von der Waͤrme.

Ungleicher Stand des Barometers zu gleicher Zeit an verſchiedenen Orten.

Dieſe Kenntniß von dem Zuſammenhange des hoͤheren und niedrigeren Barometerſtandes mit den Richtungen des Windes iſt allerdings ein Beitrag zur Theorie der Aenderungen des Barome - terſtandes; aber zum Ziele fuͤhrt ſie uns dennoch nicht. Wir ſehen hier nur die drei Umſtaͤnde vereinigt, wenn der Wind aus Nordoſten koͤmmt, ſo ſteigt das Barometer, und wegen des aus kaͤltern Gegenden kommenden Windes faͤllt das Thermometer, wenn er aus Suͤden und Suͤdweſten koͤmmt, ſo faͤllt das Baro - meter und das Thermometer ſteigt; ſo fern iſt Dove's Regel, (die auch ſonſt wohl ſchon angegeben iſt,) wahr, daß das Barome - ter ein Thermometer iſt. Fuͤgt man hiezu auch noch die zweite Bemerkung, daß die kaͤltere Luft darum, weil ſie dichter und ſchwe - rer iſt, den Druck der Luft vermehrt und das Barometer zum Steigen bringt, ſo erhellen doch die Gruͤnde noch nicht, warum der Wechſel eintritt. Wir kommen der Beantwortung dieſer Frage um etwas naͤher durch die aus den Beobachtungen gezogene Folgerung, daß wir Nordwind haben oder bekommen, wenn daßI. P226Barometer in nordlichen Gegenden hoͤher ſteht und umgekehrt. Hiernach ſcheint der ſtaͤrkere Druck der Atmoſphaͤre die Veranlaſ - ſung zu dem von einer Gegend ausgehenden Winde zu geben. Die Luft ſtroͤmt, und das iſt ganz natuͤrlich, den Gegenden zu, wo der geringere Druck iſt; aber woher dieſer geringere Druck in der einen, der ſtaͤrkere Druck in der andern Gegend entſtanden iſt, das bleibt immer gleich dunkel*)Die Abhandlungen von von Buch, Dove und Schouw ſtehen in den Annalen der Phyſik. 67. 89. 90. 91. Band. Die letztere Bemerkung habe ich aus Beobachtungen bewieſen in meinen Beitraͤgen zur Witterungskunde.. Man hat, wie es ſcheint, mit Recht, angenommen, daß aus den Stroͤmungen der warmen Luft vom Aequator gegen den Nordpol und der kalten Luft gegen den Aequator zu ſich nicht bloß zwei uͤber einander liegende Stroͤme bilden, wie ich es neulich angab, ſondern daß ſie ſehr oft neben einander fortgehen, indem der waͤrmere ſich (um nur von unſern Gegenden zu reden,) uͤber dem Atlantiſchen Meere bis zur Erde herab erſtrecke, und daneben uͤber dem feſten Lande von Europa und Aſien ein kalter Strom, ſelbſt bis zur Erde herab, vorherrſchend ſei; da wo einer dieſer Stroͤme das Uebergewicht erhaͤlt, da ent - ſtehen die Aenderungen von Wind, Witterung, Barometerſtand und Waͤrme. Aber welche erſte Urſache dieſem Wechſel zum Grunde liegt, warum auf eine ſo ungleiche Weiſe bald der eine bald der andre dieſer Luftſtroͤme herrſchend wird, wie dieſes mit den auf - fallenden Erſcheinungen der Gewitter, der heftigen Regen u. ſ.w. zuſammenhaͤngt, daruͤber ergiebt ſich hieraus kein genuͤgender Auf - ſchluß. Wie wenig dieſes der Fall ſei, zeigt ſich am deutlichſten bei einer naͤhern Betrachtung der tiefen Barometerſtaͤnde, die zuweilen ploͤtzlich im auffallendſten Maaße eintreten.

Tiefe Barometerſtaͤnde.

Es ereignet ſich naͤmlich in unſern Gegenden zuweilen, daß das Barometer in 18 oder 20 Stunden um einen ganzen Zoll faͤllt, und bei dieſem ſchnellen Fallen zugleich eine ſehr große Tiefe unter ſeinem mittlern Stande erreicht, eine Tiefe, die an einigen Orten bis nahe an 2 Zoll unter der Mittelhoͤhe gehen kann, ja Krufen - ſtern beobachtete im Japaniſchen Meere ein Sinken des Barometers227 von 30 Linien in 5 Stunden, worauf ein unerhoͤrt heftiger Sturm folgte. Wenn ein ſo tiefer Barometerſtand ſtatt findet, ſo glaubt man gewoͤhnlich, es muͤſſe ein Sturm eintreten; aber es iſt gar nicht ſelten, daß an dem Orte, wo das Barometer ſo ſehr tief ſteht, die Luft ganz ruhig bleibt, und meiſtens eine fuͤr die Jahreszeit zu hohe Waͤrme zeigt, waͤhrend zu eben der Zeit andre Gegenden von den heftigſten Stuͤr - men betroffen werden. Wenn man die an verſchiedenen Orten an - geſtellten Beobachtungen vergleicht, ſo findet man immer eine Ge - gend von nur geringer Ausdehnung, wo das Barometer am tiefſten unter dem Mittel ſtand, und von dieſem Puncte des tiefſten Stan - des ausgehend findet man, (ſo weit die Beobachtungen geſtatten, dieſen Schluß allgemein auszuſprechen,) nach allen Seiten hin den Barometerſtand nach und nach hoͤher; gegen dieſen Ort des kleinſten Druckes zu aber den Wind der entlegenen Gegenden gerichtet, ſo als ob die Luft von allen Seiten her dieſem Puncte des kleinſten Luftdruckes zuſtroͤmte. Als ein Beiſpiel, wo ſich dieſe Abnahme des tiefen Barometerſtandes faſt nach allen Seiten hin nachweiſen laͤßt, will ich hier den 12. Maͤrz 1783 erwaͤhnen, wo das Centrum der tiefen Barometerſtaͤnde in der Schweitz lag, wo in Deutſchland oͤſtlicher Wind herrſchte, waͤhrend ein wuͤthender Orcan aus Suͤd - weſt ſich vom Sicilianiſchen Meere uͤber Neapel nach dem Adria - tiſchen Meere ausbreitete. Wenn man die am Morgen des 12. Maͤrz beobachteten Barometerſtaͤnde vergleicht, ſo findet man das Barome - ter auf dem St. Gotthard 11½ Linien unter der Mittelhoͤhe, in Padua, Muͤnchen und Genf 10 Linien, in Regensburg, Wuͤrzburg, Mannheim und Bologna 9 Linien, in Marſeille, Dijon und Prag bis 8 Linien, am Fuße der Pyrenaͤen, in Wien und Rom 7 Li - nien, in Rochelle, Duͤſſeldorf, Goͤttingen und Berlin 6 bis Li - nien, in Ofen und Middelburg 4 Linien, in Portugal 3 Linien, in Copenhagen 1 Linie unter der Mittelhoͤhe, in Stockholm und Pe - tersburg ſtand es ungefehr auf der Mittelhoͤhe, in Spydberga (in Norwegen) u. Torneâ 3 Linien, in Moscau 8 Linien uͤber der Mit - telhoͤhe. Die Beobachtungen ſind hier zu mangelhaft, um das Ent - ſtehen und weitere Fortruͤcken dieſes Ortes des ſchwaͤchſten Luft - druckes genau anzugeben; ich fuͤhre daher noch ein neueres, genau von mir unterſuchtes Beiſpiel an. Am 24. und 25. Dec. 1821 fiel das Barometer zu einer ſo ungewoͤhnlichen Tiefe in ganz Deutſch -P 2228land und Frankreich, daß dieſe Erſcheinung die Aufmerkſamkeit ſelbſt der Unkundigen erregte. In Boulogne am Canal, wo ſchon am 24. Dec. in den Morgenſtunden das Barometer 10 Linien unter der Mittelhoͤhe ſtand, fiel es in 20 Stunden noch um 12⅓ Linie, ſo daß es eine Tiefe von 22½ Linien unter der Mittelhoͤhe, am 25. Dec. vor Tage, erreichte. In Nantes war der tiefſte Stand ſchon in den Nachmittagsſtunden des 24. Dec. eingetreten; in Holland und Deutſchland wurde erſt um Mittag des 25. Dec. der tiefſte Baro - meterſtand beobachtet, in Norwegen, Preußen und Pohlen am 25. Dec. Abends, in Petersburg und Åbo erſt am 26. Dec. Und waͤhrend ſo ein ungewoͤhnlich geringer Luftdruck gegen Oſten hin fortruͤckend ſtatt fand, wurden die ſuͤdlichen Kuͤſten Frankreichs und Ober-Italiens von einem faſt unerhoͤrten Orcane betroffen, der in Genua und Venedig große Verheerungen auf dem Meere und auf dem Lande anrichtete; in Boulogne aber und an den franzoͤſiſchen Kuͤſten des Canals, wo das Barometer am tiefſten ſtand, blieb die Luft ruhig, und auch in Holland iſt wenigſtens kein auffallender Sturm beobachtet worden. Aber auch hier war das Barometer hoͤher rund um jene Orte des tiefſten Standes herum, ſo daß es gleichzeitig folgende Hoͤhen unter dem Mittel erreichte. In Dieppe, Boulogne, London 21 bis 22 Linien, in Schottland, in Harlem und Paris 17½ bis 18½, in Altona, Coͤln, Heidelberg 14 bis 15, in Bergen (in Norwegen), Berlin, Gotha, Augsburg, Zuͤrch, Genf, 12 bis 13 Linien, in Chriſtiania, Danzig, Cracau, Mailand 8 Linien, in Petersburg und Unter-Italien (Molſetta) bis 3 Linien unter dem Mittel.

Woher entſtand denn hier jene ſo ſeltſame Verminderung des Luftdruckes, die mir ganz ſo erſcheint, als ob ſie die Urſache des furchtbaren Sturmes geweſen waͤre, der nach dieſer Gegend eines in hohem Grade verminderten Gegendruckes hin ſtuͤrzend, im ſuͤd - lichen Frankreich und an den Kuͤſten des Mittellaͤndiſchen Meeres in Ober-Italien wuͤthete, und der im mittlern Frankreich ſtarke Gewitter und Regenguͤſſe hervorbrachte.

Dove hat auch dieſe ſehr tiefen Barometerſtaͤnde als durch jene Luftſtroͤme hervorgebracht, zu erklaͤren geſucht, indem naͤmlich jener noͤrdliche und ſuͤdliche Strom neben einander hin ihren Lauf naͤhmen, ſo entſtaͤnden an den Grenzen beider Stroͤme Wirbel, die229 ſich darin, daß die Stuͤrme in der Nordſee meiſtens aus Suͤdweſt anfangen, und dann nach Weſt und Nordweſt umlaufen, kenntlich machten. Ich muß geſtehen, daß dieſe Erklaͤrung mir nicht genuͤgt, vorzuͤglich, weil ein Fallen des Barometers, das bis zu ein Vier - zehntel der ganzen Hoͤhe geht, wohl gewiß nicht durch eine Wir - belbewegung erklaͤrt werden kann, und es auch gar nicht nachge - wieſen werden kann, daß die einzelnen Lufttheilchen einen Kreis - lauf um jenen Mittelpunct vollenden. Wenn man ſich den Sturm aus einem Zuſtuͤrzen gegen die Stelle hin, wo der Druck am kleinſten iſt, erklaͤrt, ſo laͤßt ſich aus dem Fortruͤcken dieſer Stelle nach Oſten (deſſen Grund freilich nicht erhellt,) einſehen, warum der Zuſturz von Suͤdweſten her eine weſtlichere und endlich ſelbſt eine nordliche Richtung erhalten kann, wenn das Centrum des ſchwaͤchſten Druckes uͤber den Beobachtungs-Ort hinaus nach Nor - den oder Nordoſten fortgeruͤckt iſt. Ich verhehle es nicht, daß das Phaͤnomen hoͤchſt raͤthſelhaft bleibt, daß wir jene Urſache, welche die Luft gleichſam verzehrt, und welche oſtwaͤrts fortruͤckt, gar nicht kennen, und alſo auch nicht genau anzugeben vermoͤgen, warum ſie nur den Sturm aus Suͤden und Suͤdweſten ſeine ganze Gewalt erreichen laͤßt, waͤhrend ſie dem Zuſtroͤmen der Luft von Oſten und Norden her nur eine maͤßige Gewalt geſtattet; aber ich glaube, es iſt hier beſſer, fuͤr jetzt nur Beobachtungen zuſammenzuſtellen und die Erklaͤrung einem kuͤnftigen, wahrſcheinlich nicht mehr entfernten Zeitpuncte vorzubehalten*)Beiſpiele ſind angegeben in meinen Beitraͤgen zur Witte - rungskunde, in meinen Unterhaltungen fuͤr Freunde der Phyſik, und in der Abh. de variationibus repentinis in pressione atmosph. observatis. .

Unter den Urſachen, die man als ſolche tiefe Barometerſtaͤnde bewirkend angeſehen hat, muß ich auch die Erdbeben noch nennen. Und auffallend genug trifft der vulkaniſche Ausbruch des Oefields - Joͤkul auf Island mit dem tiefen Barometerſtaͤnde am 25. Dec. 1821 zuſammen, und im Jahre 1783 fand das furchtbare Erdbe - ben in Calabrien am 5. Februar und den folgenden Tagen ſtatt, womit tiefe Barometerſtaͤnde vom 6. bis 9. Febr. beinahe gleichzeitig ſind; aber dennoch ſcheint es ſehr ungewiß, ob man eine ſolche Ver - bindung annehmen darf, da dieſes Zuſammentreffen doch nicht re -230 gelmaͤßig genug ſcheint, und wenigſtens der tiefe Barometerſtand nicht in den Gegenden am auffallendſten iſt, wo die Erdbeben und die vulcaniſchen Ausbruͤche ſtatt finden*)Merkwuͤrdig bleibt es jedoch, daß ziemlich oft beide Ereigniſſe nahe zuſammen eingetroffen ſind..

Ungleichheit der Variationen in verſchiedenen Gegenden.

Im Allgemeinen nehmen die Ungleichheiten im Barometer - ſtande deſto mehr zu, je mehr man ſich vom Aequator entfernt, in - deß wuͤrde man ſich irren, wenn man gradezu nach der geographi - ſchen Breite beurtheilen wollte, ob an einem Orte die Variationen des Barometers groͤßer, als an einem andern Orte, ſind. So viel ich aus den von mir verglichenen Beobachtungen ſchließen kann, ſind ſie mitten im Lande im Allgemeinen geringer, als an den Ufern des Meeres, und einige Orte ſcheinen ſich durch ungewoͤhnlich tiefe Barometerſtaͤnde vor andern auszuzeichnen. So zum Beiſpiel faͤllt das Barometer mitten in Deutſchland ſelten uͤber 14 oder hoͤchſtens 16 Linien unter dem Mittel, in 50 bis 51 Gr. geogr. Breite, ſtatt daß es an den Ufern der Normandie in eben der geographiſchen Breite bis 22½ Linie unter der Mittelhoͤhe ſinken kann; eine Tiefe, die es ſelbſt in Preußen unter 55 Gr. Breite nie zu erreichen ſcheint. Kaͤmß hat diejenigen Orte, welche gleiche Variationen des Barometers haben, durch Linien mit einander zu verbinden und die Geſetze, nach welchen die Lage dieſer Orte von den Parallelkreiſen abweicht, zu beſtimmen geſucht; aber die Beobachtungen ſind noch nicht ausgedehnt genug an vielen Orten der Erde angeſtellt, um ſichre Schluͤſſe darauf zu gruͤnden.

Merkwuͤrdig iſt ferner noch der Umſtand, daß die hoͤchſten Ba - rometerſtaͤnde ſich lange nicht ſo hoch uͤber die Mittelhoͤhe erheben, als die tiefen Barometerſtaͤnde unter derſelben zuruͤckbleiben, indem z. B. die in Åbo am 25. Febr. 1825 beobachtete Barometerhoͤhe, groͤßer als man ſie ſeit 50 Jahren beobachtet hatte, doch kaum 10½ Linie uͤber dem Mittel betrug, ſtatt daß es am 3. Febr. eben des Jahres 21 Linien unter dem Mittel ſtand. Dieſe ungleiche Entfernung der wahren mittlern Barometerhoͤhe von dem hoͤchſten231 und tiefſten Stande koͤmmt daher, weil die ſehr hohen Barometer - ſtaͤnde nicht ſo ſchnell voruͤbergehend ſind, als die ſehr tiefen Baro - meterſtaͤnde. Auch das iſt ſehr merkwuͤrdig, daß der mittlere Luft - druck an der Oberflaͤche des Meeres nicht uͤberall gleich iſt. Kru - ſenſtern fuͤhrt eine Gegend an der Kuͤſte des ſuͤdlichen America an, wo er immer niedrigen Barometerſtand fand; aber noch ſicherer begruͤndet iſt Thorſtenſen's Behauptung, daß in Island die mittlere Barometerhoͤhe wenigſtens 3 Linien niedriger iſt, als an den Kuͤſten Deutſchlands, Frankreichs u. ſ. w. Ein Umſtand, den man aus den uͤber das Atlantiſche Meer von Suͤden nach Norden gehenden Luftſtroͤmungen vielleicht erklaͤren kann, uͤber deſſen wahre Urſache aber doch immer noch viele Unſicherheit uͤbrig bleibt.

Zu dieſen meteorologiſchen Beobachtungen, bei denen ich fuͤrch - ten muͤßte zu lange zu verweilen, wenn ich nicht darauf rechnen duͤrfte, daß ſie zu den anziehendſten Anwendungen der Lehren, wo - mit wir uns hier eigentlich beſchaͤftigen, gehoͤren, fuͤge ich nur noch eine kurze Bemerkung uͤber den Einfluß der Winde auf das Hoͤhen - meſſen mit dem Barometer. Wenn die beiden Orte, wo man be - obachtet, mehrere Meilen von einander entfernt liegen, ſo kann man annehmen, daß das Barometer an dem Orte, wo der Wind her - koͤmmt, etwas zu hoch ſteht, in Vergleichung gegen den andern. Iſt daher der hoͤher liegende Ort zugleich der, von welchem der Wind herkoͤmmt, ſo findet man ſeine Hoͤhe aus der Berechnung des Barometers etwas zu geringe; liegt der hoͤhere Ort da, wo der Wind hin geht, ſo findet man den berechneten Hoͤhen-Unterſchied groͤßer, als er wirklich iſt. Eine Berechnung von beinahe 400 auf dem Gotthard, in Genf und in Padua angeſtellten Beobachtungen hat mir gezeigt, daß die Hoͤhe des Gotthard bei Nordweſtwind 88 Fuß zu groß uͤber Genf, und 48 Fuß zu klein uͤber Padua ge - funden ward, und daß bei ſtuͤrmiſchen Nordweſtwinden der mittlere Unterſchied ſogar dort 98, hier 74 Fuß betrug; bei Suͤdoſt-Suͤd - und Suͤdweſtwinden ward dagegen jene Hoͤhe etwa 10 Fuß zu klein, dieſe 17 Fuß zu groß gefunden*)Beitraͤge zur Witterungskunde. S. 229..

232

Ich muß endlich dieſen Gegenſtand abbrechen, obgleich die großen Stoͤrungen des Gleichgewichtes, wobei es ſich ereignen kann, daß am Meeres-Ufer in der einen Gegend das Barometer ſo hoch ſteht, als in eben dem Augenblicke 2000 Fuß uͤber dem Meere in einer andern Gegend, noch zu vielen Betrachtungen Anlaß geben koͤnnten.

Siebzehnte Vorleſung.

Erſcheinungen, die der Druck der Luft hervorbringt.

Die merkwuͤrdigen Anwendungen, m. h. H., die das Baro - meter uns darbietet, haben mich ſo weit von denjenigen Betrach - tungen, die uns zur Kenntniß des Druckes der Luft fuͤhrten, abge - lenkt, daß ich faſt von neuem wieder anfangen muß, um das Fol - gende an das Fruͤhere anzuknuͤpfen. Den Druck der Luft lehrte das Barometer uns kennen und abmeſſen; es zeigte uns, daß in den niedrigern Gegenden, wo wir leben, die Luft auf jede Flaͤche ſo - viel Druck ausuͤbt, als ob eben dieſe Flaͤche mit 28 Zoll hoch Queck - ſilber bedeckt waͤre. Dieſer Druck iſt 15½ Pfund auf einen Pariſer Quadratzoll und man kann daher rechnen, daß der menſchliche Koͤr - per, deſſen Oberflaͤche wenigſtens 12 Quadratfuß betraͤgt, ungefehr 27000 Pfund Druck ertragen muß. Wir empfinden dieſen Druck nicht, weil die Luft zugleich in unſerem ganzen Koͤrper alle ſonſt leeren Zwiſchenraͤume ausfuͤllt, und dort mit eben der Elaſticitaͤt wie die aͤußere Luft der Zuſammendruͤckung widerſteht.

Auf dieſem Drucke der Luft beruhen unzaͤhlige Phaͤnomene in der Natur, und unzaͤhlige theils zu nuͤtzlichen Zwecken theils zum Scherze ausgedachte Einrichtungen. Wenn man die an beiden Enden offene Roͤhre AB (Fig. 124.), deren Oeffnung A am obern Ende zum Verſchließen mit dem Daumen grade klein genug, die andre B aber ſehr enge iſt, den ſogenannten Stechheber, ins Waſſer eintaucht, waͤhrend beide Enden offen gelaſſen ſind, ſo fuͤllt er ſich mit Waſſer; verſchließt man nun die obere Oeffnung mit233 dem Daumen und zieht die Roͤhre heraus, ſo bleibt das Waſſer in ihr haͤngen und fließt weil die untere Oeffnung enge iſt, auch dann nicht aus, wenn man das ganze Inſtrument aus dem Waſſer her - vorhebt; erſt wenn man die obere Oeffnung frei macht, alſo dem Drucke der Luft den freien Zutritt auf die obere Flaͤche geſtattet, faͤngt das Waſſer an, auszufließen. Ganz ebenſo iſt es mit der Kunſt, das Waſſer im Siebe zu tragen, wo naͤmlich (Fig. 125.) der untere Boden AB mit vielen feinen Loͤchern durchbohrt iſt, durch welche das Waſſer nicht ausfließt, ſo lange man die obere Oeffnung C mit dem Finger verſchloſſen haͤlt. Selbſt in einem etwas wei - tern Glaſe kann man das Waſſer durch den Druck der Luft erhal - ten, wenn man die Oeffnung vor dem Umkehren des Glaſes mit einem Blatte Papier bedeckt; dieſes hindert naͤmlich, daß nicht, wie es ſonſt ſo leicht geſchieht, Wellen auf der untern Waſſerflaͤche ent - ſtehen; denn wo dieſe entſtehen, wo auch nur in geringem Maaße die etwas tiefer herabdringende, dadurch alſo in dieſem Puncte einen groͤßern Druck ausuͤbende Waſſermaſſe mehr niederwaͤrts druͤckt, als in den benachbarten Puncten, da faͤngt gewiß das Waſſer an auszufließen, waͤhrend dicht daneben, in den weniger Druck leidenden Puncten, die Luft hinauf ſteigt. Bei ſehr engen Oeffnungen findet ein ſolches Ausweichen der Luft und des Waſſers neben einander nicht ſtatt, und deshalb koͤnnen wir oft aus einem Glaſe mit engen Halſe keinen Tropfen Waſſer herausbringen, wenn wir es auch ſo halten, daß die Oeffnung zu unterſt iſt.

Dieſes Zuruͤckhalten der Fluͤſſigkeit in einer unten offenen engen Roͤhre, kann zu einem bequemen Mittel dienen, um ohne Verluſt bei ſehr genauen Abwaͤgungen grade die Quantitaͤt in ein Gefaͤß zu bringen, welche man verlangt. Steht zum Beiſpiel das zu fuͤllende Gefaͤß auf der Waageſchale und der geringe Ausſchlag der Waage zeigt, daß nur noch eine ſehr geringe Quantitaͤt hinzuzu - thun iſt, ſo taucht man eine enge Roͤhre in den noch uͤbrigen Vor - rath der Fluͤſſigkeit, fuͤllt ſie, wie den Stechheber, und laͤßt durch ein ſehr kurzes Oeffnen des obern Endes nur grade ſoviel von der Fluͤſſigkeit, als man bedarf, in das auf der Waage ſtehende Gefaͤß troͤpfeln; oder iſt ein wenig zu viel eingefuͤllt, ſo hebt man auf eben die Weiſe wenige Tropfen daraus weg.

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Leslie's Inſtrument, zu Beſtimmung der ſpecifiſchen Gewichte.

Ein merkwuͤrdiges neues Inſtrument hat Leslie auf eben dieſe Principien gegruͤndet. Bei der Beſtimmung des ſpecifiſchen Gewichtes der Koͤrper blieb bisher in ſo fern eine bedeutende Luͤcke uͤbrig, als man fuͤr Koͤrper, die nur in Pulver vorhanden ſind, oder die bei dem Eintauchen in Fluͤſſigkeiten Veraͤnderungen erlei - den, nicht gut im Stande war, das ſpecifiſche Gewicht zu fin - den. Dieſe Luͤcke auszufuͤllen, dient Leslie's Inſtrument, das (Fig. 134.) aus einer weiteren und einer engern Glasroͤhre beſteht. Die enge Glasroͤhre AE iſt an beiden Enden offen, und oben bei A ſo genau abgeſchliffen, daß eine aufgelegte Glasplatte ſie vollkommen luftdicht ſchließt. Sie muß etwa 3 Fuß lang und im obern Theile etwa 5 Linien weit von A bis B, im untern Theile Linien weit von B bis E ſein. In B befindet ſich eine Scheidewand Bb, die eine enge Oeffnung und von dieſer hinaufgehend das enge ganz offene Roͤhrchen fg hat. Wenn man zuerſt dieſe Roͤhre AE, an beiden Enden offen gelaſſen, mit dem untern Theile bis an B in das im Gefaͤße M enthaltene Queckſilber taucht, ſo fuͤllt ſich die Roͤhre bis B, und der Raum AB bleibt mit Luft von natuͤrlicher Dichtig - keit gefuͤllt. Man legt nun bei A die Glasplatte auf, und zieht die ſo oben luftdicht geſchloſſene Roͤhre langſam aus dem Queckſilber in die Hoͤhe; dabei ſinkt nun freilich das Queckſilber in der engen Roͤhre, aber da die aus AB durch das Roͤhrchen fg gegen C hin vordringende Luft ſich verduͤnnt, ſo uͤbt ſie weniger Druck, als die freie Luft, aus und je mehr man die Roͤhre AE hervorzieht, deſto hoͤher wird die Queckſilberſaͤule, die man uͤber die umgebende Ober - flaͤche hervorhebt. Man ſetze dieſes Heraufziehen ſo lange fort bis man an der Scale, welche auf die enge Roͤhre aufgetragen iſt, das Queckſilber im Innern der Roͤhre genau halb ſo viele Zolle und Linien uͤber dem aͤußern Queckſilber findet, als die Barometerhoͤhe zu der Zeit betraͤgt, und bemerke den Punct D, wo dieſes ſtatt fin - det. Die Roͤhre wird nun wieder hinabgelaſſen, die Glasplatte abge - nommen und der zu unterſuchende Koͤrper, Kohlenpulver zum Bei - ſpiel, in den obern Theil AB gethan, wobei man achtſam ſein muß, daß die enge Roͤhre nicht durch hineinkommenden Staub verunrei -235 nigt werde. Jetzt wird die Glasplatte wieder aufgelegt, und das vorige Verfahren ganz genau ebenſo wiederholt, dabei findet man, daß ſchon, indem die Luft in A, B ſich bis C ausgedehnt hat, die Hoͤhe des Queckſilbers uͤber der Oberflaͤche des Queckſilbers in M halb ſo hoch als die Barometerhoͤhe iſt. Da naͤmlich jetzt ein Theil des Raumes AB mit den feſten Theilen des Kohlenſtaubes gefuͤllt iſt, ſo hat weniger Luft, als vorhin, in demſelben ſein koͤnnen; dieſe Luft zur halben Dichtigkeit verduͤnnt, dehnt ſich daher nur bis C aus, und CD giebt das Volumen der ganzen Maſſe des Kohlen - ſtaubes an, weil BD dem Volumen derjenigen Luft gleich iſt, die den ganzen Raum AB fuͤllte, BC dagegen demjenigen Volumen gleich iſt, welches die noch uͤbrige, durch den Kohlenſtaub nicht ver - draͤngte Luft einnimmt. So iſt alſo der genaue Raum, den alle feſte Theile des Kohlenpulvers einnehmen, beſtimmt, und wenn man bei der Verfertigung des Inſtruments ausgemeſſen hat, wie viele Gran Waſſer jeden Theil der Roͤhre fuͤllen, alſo die Anzahl von Granen kennt, welche das den Raum CD fuͤllende Waſſer wiegt, ſo hat man nun nur noͤthig, den angewandten Kohlenſtaub auch abzuwaͤgen, um zu wiſſen, in welchem Verhaͤltniß ſein Gewicht gegen das Gewicht des Waſſers ſteht, oder das ſpecifiſche Gewicht zu beſtimmen.

Leslie's Verſuche geben das merkwuͤrdige Reſultat, daß Kohle, ſo leicht ſie uns, wegen der vielen mit Luft gefuͤllten Poren ſcheint, doch uͤber dreimal ſo ſchwer als Waſſer iſt, wenn man auf dieſe Weiſe ſie von der in ihr enthaltenen Luft befreiet; und dieſes Reſultat iſt beſonders deshalb merkwuͤrdig, weil daraus erhellt, daß die ſpecifiſche Schwere des Diamants und andrer faſt ganz aus Kohlenſtoff beſtehenden Koͤrper nicht ſo ſehr viel groͤßer als das der Kohle iſt. Schreibpapier zeigte ſich bei dieſem Verfahren mal ſo ſchwer als Waſſer, Weitzenmehl mal ſo ſchwer als Waſſer u. ſ.w.

Die Saugepumpe.

Daß unſre gewoͤhnlichen Saugepumpen durch den Druck der Luft wirkſam werden, habe ich ſchon in dem Experimente, das zur Abmeſſung des Druckes der Luft fuͤhrte, angedeutet. Sie ſind, wenn der Kolben CD (Fig. 126.) nicht bis auf die Oberflaͤche des Waſſers herabgedruͤckt wird, mit zwei Ventilen verſehen, deren236 eines bei AB das Waſſer hereinlaͤßt, aber den Zuruͤckgang aus der Roͤhre hindert, das zweite dagegen, im Kolben ſelbſt angebracht, ſich nach oben oͤffnet, damit die unter dem Kolben enthaltene Luft oder das den Kolben ſchon erreichende Waſſer von unten hinauf - waͤrts durchgehen, aber keine Luft von oben zudringen koͤnne. Be - fand ſich nun der Kolben CD 12 Fuß hoch uͤber dem Waſſer und wird er bis EF 4 Fuß hoͤher gehoben, ſo kann die verduͤnnte Luft nicht mehr ganz dem Drucke der aͤußern Luft das Gleichgewicht hal - ten, und eine probirend fortgefuͤhrte Rechnung zeigt, wie hoch das Waſſer bei dieſem erſten Kolbenzuge ſteigt. Stiege es 2 Fuß bis GH, ſo waͤre EG = 14 Fuß, und die in 14 Fuß ſtatt 12 Fuß ausgedehnte Luft, leiſtete nur noch $$\frac{6}{7}$$ des ganzen Druckes der At - moſphaͤre, den ich = 32 Fuß Waſſer annehme; dann alſo druͤckten in A 2 Fuß Waſſer und dazu die Luft mit 32 $$\frac{6}{7}$$ = 27 $$\frac{3}{7}$$ Fuß Druck. Dies betraͤgt nur 29 $$\frac{3}{7}$$ , und das Waſſer ſteigt alſo noch hoͤher. Stiege es bis Fuß, ſo waͤre EG = 16 - = 13½ Fuß, und die vorhin auf 12 Fuß ausgedehnte Luft naͤhme jetzt 13½ Fuß ein, ihr Druck waͤre = $$\frac{12}{13}$$ ½ 32 = $$\frac{24}{27}$$ 32 = 28 $$\frac{4}{9}$$ ; aber + 28 $$\frac{4}{9}$$ ſind noch nicht 32 Fuß. Stiege es Fuß, ſo er - hielten wir + $$\frac{12}{13}$$ ¼ 32 = beinahe 32. Alſo iſt AG = Fuß ſehr nahe die Hoͤhe, die es erreicht. Nun wird der Kolben herabgeſtoßen, und der Raum GC = 12 - = Fuß bleibt mit Luft gefuͤllt. Rechnet man hier ebenſo, wie vorhin, ſo findet man, daß das Waſſer bei dem zweiten Zuge bis auf 5 Fuß ſteigt. Beim dritten Kolbenzuge nimmt die Luft den Raum ID = 7 Fuß zu Anfang ein, und das Waſſer ſteigt um 2 Fuß; beim Anfange des vierten Kolbenzugs nimmt die Luft nur noch 5 Fuß = LD ein, beim Anfange des fuͤnften Kolbenzuges nur noch kaum 3 Fuß, und am Ende des fuͤnften Zuges hat das Waſſer beinahe den Kolben erreicht. Sobald es den Kolben voͤllig erreicht hat, tritt es uͤber ihn hinauf und wird dann weiter gehoben.

Das Einathmen der Luft und das Saugen mit dem Munde wird ebenfalls durch den Druck der Luft moͤglich. Wir erweitern naͤmlich die Bruſthoͤhle, wenn wir Luft einathmen wollen, und dieſe dringt dann durch Mund und Naſe in den ſo erweiterten Raum; bringen wir aber unſern Mund an eine Saugeroͤhre, ſo237 ſteigt bei der Erweiterung der Bruſthoͤhle die Fluͤſſigkeit, in welche die Saugeroͤhre eingetaucht iſt, durch den Druck der Luft herauf.

Der Heber.

Auch der Heber gehoͤrt ganz hierher. Der Heber, der aus einer gebognen Roͤhre beſteht, ſoll gewoͤhnlich nur dazu dienen, die Fluͤſſigkeit uͤber eine geringe Hoͤhe hinuͤber zu heben, zum Beiſpiel den Wein eines ruhig liegenden Faſſes durch das oben liegende Spundloch abzuzapfen. Wenn man (Fig. 127) am Ende A des Hebers ſaugt, oder, wo das nicht hinreichte, durch andre Mittel die Luft verduͤnnt, ſo treibt der Druck der Luft die Fluͤſſigkeit, welche das Ende B bedeckt, in der Roͤhre hinauf, und die ganze Roͤhre fuͤllt ſich bis an A mit jener Fluͤſſigkeit; laͤßt man nun die Oeffnung A frei, ſo wird allemal, wenn ſie tiefer als die Oberflaͤche CD liegt, die Fluͤſſigkeit aus - laufen. Es wuͤrde naͤmlich Ruhe ſtatt finden, wenn die Roͤhre auch bei A in eben jener Fluͤſſigkeit eingetaucht waͤre, und dieſe bis an EF reichte; bei geringerm Gegendrucke von außen findet das Ausſtroͤmen ſtatt, und dauert fort, bis in CD die Oberflaͤche ſo tief als die Oeffnung A geſunken iſt, oder wenn die Fluͤſſigkeit in der Gegend EF ſteigt, bis beide Oberflaͤchen gleich hoch ſind.

Daß der Heber nicht uͤber 32 Fuß hoch das Waſſer heben kann, verſteht ſich von ſelbſt, da der Druck der Luft kein hoͤheres Heben geſtattet, und ebenſo erhellet, daß man das Waſſer vermittelſt des Hebers nie an einem hoͤhern Puncte, als die Oberflaͤche des Waſſers CD iſt, zum Ausfließen bringen kann, ſondern daß der Zweck nur der ſein darf, das Waſſer uͤber ein zwiſchenliegendes Hinderniß weg, zu einem tiefern Puncte zu leiten.

Der Heber hat zu manchen kleinen Scherz-Experimenten Anlaß gegeben. Bringt man naͤmlich den Heber ſo an, daß er (Fig. 128.) in der Saͤule AB verborgen liegt, ſo kann, ſo lange das Gefaͤß noch nicht bis an CD gefuͤllt iſt, gar kein Ausfließen ſtatt finden; fuͤllt man aber das Gefaͤß bis uͤber CD und hindert durch den an die Oeffnung A gehaltenen Finger den Ausfluß, ſo bleibt das Gefaͤß gefuͤllt, leert ſich aber238 ſogleich voͤllig aus, wenn man den bei A gehaltenen Finger wegnimmt, indem dann ab die hinaufgehende, und bc, die herab - gehende Heberroͤhre iſt. Daß der Scherz darin beſteht, den, der das Gefaͤß gefuͤllt empfaͤngt, durch die unvermuthete Aus - leerung, waͤhrend er es ruhig haͤlt, zu uͤberraſchen, erhellt leicht.

Die Natur ſcheint ſich zuweilen der Heberroͤhre zu be - dienen, um ein ungleiches Abfließen der Gewaͤſſer hervorzu - bringen. Es giebt Quellen, die periodiſch Waſſer geben und dann eine Zeit lang zu fließen aufhoͤren, nach einem gewiſſen Zeitverlaufe aber aufs Neue fortfließen. Dieſe Erſcheinung kann man ſich durch eine heberfoͤrmig an einander gereihte Folge von Roͤhren oder Hoͤhlen erklaͤren. Es ſei naͤmlich AB (Fig. 129.) ein Behaͤlter, der ſeinen immer gleichen Zufluß anders woher bei C empfaͤngt, und DEF ſei eine Heberroͤhre, ſo wird das Waſſer bei F auszufließen anfangen, wenn der Behaͤlter ſich bis an GH gefuͤllt hat; dann aber wird durch den Druck der Luft bei GH das Ausfließen in F auch dann noch unterhalten, wenn die Oberflaͤche wegen zu geringen Zu - fluſſes unter G hinabſinkt, und der Behaͤlter leert ſich, waͤhrend immer etwas Waſſer bei C zufließt, dennoch ganz bis an D aus. Nachdem dies geſchehen iſt, hoͤrt das Abfließen auf, und die bei F Waſſer gebende Quelle ſcheint verſiegt zu ſein, bis das zuſtroͤmende Waſſer ein neues Anfuͤllen bis an G bewirkt hat. Auf aͤhnliche Weiſe erklaͤrt man die Erſcheinungen des Czirknitzer Sees, der zu gewiſſen Jahreszeiten ganz frei von Waſſer wird, und in deſſen Boden man Oeffnungen bemerkt, die zu ſolchen Zeiten dem Waſſer einen ſchnellen Abfluß geſtatten.

Noch einen ſehr merkwuͤrdigen Vortheil kann uns der Heber gewaͤhren. Wir wuͤnſchen manchmal eine Fluͤſſigkeit, die ſich unter einer leichtern befindet, abzuzapfen, ohne dieſe mit ab - fließen zu laſſen, und dies laͤßt ſich vermittelſt des Hebers aus - fuͤhren. Man bringt naͤmlich eine enge Heberroͤhre (Fig. 127.) mit dem Ende B, waͤhrend man A mit dem Finger geſchloſſen haͤlt, durch die obere Schichte hindurch, die man nicht ſtoͤren will, ſaugt nun bei A, damit der Heber ſich mit der untern Fluͤſſigkeit fuͤlle, und laͤßt die bei B eintretende Fluͤſſigkeit aus -239 fließen, ſo kann man dieſe bei A ſammeln, ohne einen Tropfen der oben ſtehenden Fluͤſſigkeit mit zu bekommen.

Windkeſſel. Heronsbrunnen.

So zeigt ſich uns der Druck der Luft da, wo nur die freie unverdichtete Luft ihn ausuͤbt; aber in manchen Faͤllen wenden wir auch verdichtete Luft an, um das Waſſer fortzu - treiben oder aͤhnliche Wirkungen hervorzubringen. Ein Beiſpiel davon habe ich beim Stoßheber obenhin angegeben, obgleich ich es da nicht vollſtaͤndig erklaͤren konnte; die Windkeſſel an unſern Feuerſpritzen ſind genau eben daſſelbe. Die Wirkung des Stoßhebers beſtand, wie Sie ſich erinnern werden, darin, daß in unterbrochenen Stoͤßen das Waſſer durch das Ventil I (Fig. 103.) eindrang, und alſo auch nur in unterbrochenen Zeitraͤumen in E zum Ausfließen kam; und auf aͤhnliche Weiſe wuͤrde auch die Feuerſpritze nur ſo lange Waſſer geben, als der herandraͤngende Kolben das Waſſer gegen die Sprung - Oeffnung treibt, wenn nicht der Windkeſſel FDG (Fig. 103.) das Ausfließen des Waſſers auch in den Zwiſchenzeiten unterhielte. Beim Stoßheber wurde naͤmlich das Waſſer bei I in dieſes weitere Gefaͤß FDG hineingedraͤngt, und in dieſem ſo wohl als in der Roͤhre IE zum Steigen gebracht; indem es aber im Gefaͤße FDG ſteigt, draͤngt es die Luft, welche, ſobald die untere Oeffnung der Roͤhre bedeckt iſt, keinen Ausfluß findet, zuſammen, und der Gegendruck der verdichteten Luft treibt daher das Waſſer in der Roͤhre hoͤher hinauf, als die Ober - flaͤche FG des Waſſers im Gefaͤße iſt. Dieſer Druck der Luft wirkt noch fort, wenn auch das Ventil in I geſchloſſen iſt, und nachdem das Waſſer einmal angefangen hat, bei E auszufließen, un - terhaͤlt dieſer Druck der eingeſperrten Luft den Ausfluß unab - geſetzt, denn bei jedem Stoße des herandraͤngenden und durch I eintretenden Waſſers ſteigt das Waſſer im Windkeſſel wieder hoͤher und ſetzt die Luft aufs neue in Stand dieſelbe Wirkung auszuuͤben.

Die Verdichtung der Luft iſt die Urſache, welche beim He - ronsbrunnen das Waſſer mit ſo großer Gewalt zum Springen antreibt, und wahrſcheinlich iſt ſie auch die wirkende Kraft240 bei manchen natuͤrlichen Springbrunnen. Der Heronsbrunnen (Fig. 130.) beſteht aus einem obern Gefaͤße CDFE und einem untern Gefaͤße GHKI. Beim Anfange des anzuſtellenden Experiments fuͤllt man das obere Gefaͤß durch eine Oeffnung bei L ungefehr bis an AB mit Waſſer, und verſchließt dann dieſe Oeffnung L. Die Sprungroͤhre MN, die unterdeß mit einem Hahne feſt verſchloſſen gehalten wird, iſt dann mit ihrer untern Muͤndung in das Waſſer eingetaucht, und die uͤber AB ſtehende Luft hat nirgends einen Ausweg, außer durch die Roͤhre PO. Jetzt faͤngt man an, durch die Roͤhre QR, die von der[Muͤndung] Q ſich bis beinahe an den Boden des untern Gefaͤßes erſtreckt, Waſſer in dieſes untere Gefaͤß einfließen zu laſſen. Sobald nur eine maͤßige Menge Waſſer hinabgefloſſen iſt, und die Oeffnung R der Einflußroͤhre bedeckt hat, findet die in dieſem Gefaͤße enthaltene Luft keinen Ausgang mehr, und indem man immerfort Waſſer bei Q eingießt, hebt ſich die Waſſer-Ober - flaͤche ST, draͤngt die Luft aus dem untern Gefaͤße zum Theil in das obere durch die Roͤhre OP hinauf, und verdichtet ſie in beiden Gefaͤßen. Dieſe zweite Roͤhre geht von dem oberen Boden des Gefaͤßes GHK bis nahe an den obern Boden des obern Gefaͤßes, damit unten die Luft immer ungehindert eindringen koͤnne, und da - gegen aus dem obern Gefaͤße kein Waſſer durch ſie ausfließe. Gießt man bei Q nur nach und nach kleine Quantitaͤten Waſſer ein, ſo ſteigt zwar allmaͤhlig das Waſſer in der Roͤhre RQ immer etwas hoͤher und hoͤher uͤber die Oberflaͤche ST im untern Gefaͤße, aber erſt wenn die Luft hinreichend comprimirt iſt, um eine Waſſerſaͤule von der ganzen Hoͤhe UQ zu tragen, finden wir die Roͤhre ganz bis oben gefuͤllt, und koͤnnen nun kein Waſſer mehr einfuͤllen, obgleich das untere Gefaͤß noch nicht ganz gefuͤllt iſt. Erſt nachdem alles ſo weit vorbereitet iſt, oͤffnet man den Hahn der Sprungroͤhre bei N, und das Waſſer dringt nun mit deſto groͤßerer Gewalt hervor, je hoͤher die Saͤule QU iſt, deren Gewicht die Luft zuſammenpreßt. Waͤren keine Hinderniſſe der Bewegung, ſo muͤßte das Waſſer ebenſo hoch uͤber AB hinaufſpritzen, als die Hoͤhe QU angiebt; denn die Luft druͤckt auf AB mit eben dieſer Gewalt, wie es eine ſo hohe Waſſerſaͤule thun wuͤrde. Das Hervorſpringen des Waſſers241 dauert ſo lange fort, als es der Vorrath von Waſſer in dem obern Gefaͤße erlaubt.

Natuͤrliche Springbrunnen.

Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß die natuͤrlichen Springbrunnen oft auf aͤhnliche Weiſe einem Zuſammenpreſſen der Luft oder der Daͤmpfe ihr Entſtehen verdanken. Die Erſcheinungen, die man am Carlsbader Sprudel beobachtet hat, legen am beſten vor Augen, wie es ſich dabei auch in Faͤllen, wo die Wirkungen viel groͤßer ſind, verhalten mag. Das Carlsbader Waſſer entwickelt ſo viele kohlen - ſaure Luft und Daͤmpfe, daß dadurch, zumal weil die Oeffnungen ſich gern mit Kalkniederſchlag verſtopfen, von dieſen elaſtiſchen Fluͤſ - ſigkeiten und vom nachdringenden Waſſer, die Decke, unter welchem der natuͤrliche Behaͤlter des Waſſers ſich befindet, im Anfange des vorigen Jahrhunderts zerſprengt wurde. Man ſah bei dieſer Gele - genheit, indem man die bedeckenden Kalkſchichten noch weiter durch - brach, daß in dem unterirdiſchen großen Behaͤlter das Waſſer, mit heftigem Brauſen unaufhoͤrlich aufkochend, Daͤmpfe und zugleich auch Luft entwickelte. Indem man nun dieſe weite Oeffnung wie - der durch ein feſtes Gewoͤlbe ſchloß, zwang man das Waſſer, durch die ihm beſtimmten Oeffnungen hervorzufließen. Eine derſelben iſt der Sprudel, aus welcher das Waſſer in Abſaͤtzen hervordringt, weil die mit zu großer Heftigkeit entwickelte Luft ſich zugleich mit dem Waſſer einen Ausweg ſucht. Waͤre hier der mit Dampf und Luft gefuͤllte Raum uͤber dem großen Sprudelkeſſel ſo geſchloſſen, daß die Sprudel-Oeffnung ihren Ausfluß ziemlich tief unter der Ober - flaͤche, etwa in A haͤtte (Fig. 131.) ſo koͤnnte es, bei ploͤtzlich ver - mehrtem Andrange der elaſtiſchen Fluͤſſigkeiten oder bei ploͤtzlich ver - mehrtem Drucke auf die Oberflaͤche BC, zu einem hoͤher hinauf ge - triebenen Sprungſtrahle kommen, der am Sprudel, zumal da die Luft mit entweicht, nicht vorkommen kann.

Das abwechſelnd ſo heftige Hervorbringen des Waſſers aus den großen Springbrunnen Geyſer und Strok auf Island, deutet auf einen aͤhnlichen Urſprung. Nach den Beſchreibungen von Ohlſen und Hooker, womit auch andre Reiſende uͤberein ſtim -I. Q242men, findet man das Becken des Geyſer laͤngere Zeit mit ruhigem Waſſer gefuͤllt; dann aber hoͤrt man ein wiederholtes unterirdiſches Getoͤſe, wie Canonenſchuͤſſe, wobei das Waſſer zuerſt in einige auf - wallende Bewegung geraͤth, und dann mehr oder minder hoch, zu - weilen bis zu 200 Fuß hoch, hinaufgetrieben wird, und eine mit Dampfwolken umgebene Waſſerſaͤule darſtellt. Beim Hervorbre - chen hat es die Kochhitze. Wenn nach mehreren Minuten oder einer Viertelſtunde der Ausbruch vorbei iſt, ſo ſinkt das Waſſer ſo tief in dem Behaͤlter, woraus es hervordrang, daß Ohlſen das Bleiloth bis 80 Fuß ohne Widerſtand hinabſenken konnte, und es dauerte lange, ehe der Keſſel ſich wieder fuͤllte; und obgleich ſich auch unterdeß zuweilen unterirdiſches Getoͤſe hoͤren ließ, ſo war es doch dann erſt am ſtaͤrkſten, wenn der Keſſel wieder hoͤher angefuͤllt war. Welchen Eindruck dieſes Schauſpiel eines zuweilen gegen 50 Fuß dicken, und 100 Fuß, ja 200 Fuß hinauf geſchleuderten Waſſerſtrahles, deſſen Erſcheinen mit unterirdiſchem Donner beglei - tet iſt, auf den Beobachter, der die Erde unter ſich beben fuͤhlt, machen muß, laͤßt ſich denken. Die eigentlichen Urſachen der Er - ſcheinung kennen wir zwar nicht, aber daß hier, wo in der Tiefe ein unausloͤſchliches Feuer beſtaͤndig wirkſam iſt, dieſes die Erſcheinun - gen hervorbringt, laͤßt ſich wohl nicht bezweifeln. Stellen wir uns vor, die Waſſerquelle koͤnne den offenen Keſſel AB allmaͤhlig fuͤllen (Fig. 132.), und das Waſſer erhebe ſich zugleich in den Hoͤhlen BC, ſo kann dieſes Anſchwellen ſehr ruhig fortgehen, ſo lange die uͤber dem unterirdiſchen Feuer D befindliche Luft durch ihren Gegendruck das Ueberfließen des Waſſers bei C hindert; und da der Druck der ſehr erhitzten, immer mit Daͤmpfen erfuͤllten Luft uͤber dem Feuer D ſehr viel groͤßer, als der Druck der aͤußern Luft iſt, ſo kann der hoͤchſte Punct der das Feuer und Waſſer trennenden Hoͤhe C, viel niedriger, als A, liegen. Faͤngt nun aber bei fortwaͤhrendem Zu - dringen des Waſſers dieſes an, ſich bei C hinuͤber in das Feuer zu ſtuͤrzen, ſo entſteht auf einmal eine große Menge Dampf, die den Druck auf die Oberflaͤche des Waſſers bei CE in ſtarkem Maaße vermehrt, und es laͤßt ſich wenigſtens als moͤglich denken, daß dieſe Dampf-Entwicklung, ſelbſt waͤhrend des Hervorbrechens aus der Oeffnung A, noch fortdauert, und daß die Elaſticitaͤt des Dampfes243 groß genug iſt, um ſelbſt bis zu den Erſtaunen erregenden Hoͤhen, die man dort beobachtet, das Waſſer hinaufzutreiben*)Eine Abbildung dieſer Springquellen iſt in Gilb. Annalen. XLIII. und Beſchreibung daſelbſt XLIII. XLIX. .

Entwickelung von Luft aus Fluͤſſigkeiten.

Ich kann nicht unterlaſſen, Sie bei dieſer Gelegenheit auf noch einen andern Gegenſtand aufmerkſam zu machen, auf welchen vor - zuͤglich die Carlsbader Quelle mich leitet, der mit einer der aller - merkwuͤrdigſten Entdeckungen neuer Zeit in Verbindung ſteht, und daher gewiß wichtig genug iſt, um hier eingeſchaltet zu werden.

Ohne hier auf die Umſtaͤnde einzugehen, von welchen es ab - haͤngt, daß in ſo unzaͤhligen Faͤllen andre Luft-Arten, verſchieden von der atmoſphaͤriſchen Luft, ſich entwickeln, begnuͤge ich mich, Sie nur an die Erſcheinungen zu erinnern, welche die Geſundbrunnen, wenn wir eine damit gefuͤllte Flaſche oͤffnen, welche die Biere, und andre in Gaͤhrung gekommene Fluͤſſigkeiten darbieten. Die aus ihnen hervorſteigende Luft entwickelt ſich, ſobald der Gegendruck von außen aufgehoben oder vermindert iſt, und bleibt dagegen in ihnen gebunden, ſo lange die im obern Raume der Flaſche geſam - melte Luft verdichtet genug iſt, um das fernere Hervordringen der Luft aus der Fluͤſſigkeit zu hindern. Dieſe verdichtete Luft iſt es, die von ſtarken Bieren den Stoͤpſel abwirft, die durch ihre große Elaſticitaͤt die Flaſchen der Weine, die in der Flaſche in Gaͤhrung gerathen, zerſprengt, oder wenigſtens doch durch ein Geraͤuſch beim Oeffnen des Propfes ſich merklich macht. Sie verwandelt, bei ih - rem Hervorſteigen aus dem Innern der Fluͤſſigkeit, dieſe in Schaum, wenn die Fluͤſſigkeit Zuſammenhang, Zaͤhheit genug hat, um in ſo duͤnnen Blaͤttchen, wie es die Waͤnde der Schaumblaͤschen ſind, zu beſtehen. Da ein ſtarker Gegendruck verdichteter Luft noͤthig iſt, um jene Luft in ihrem gebundenen Zuſtande zu erhalten, ſo ſehen wir, wenn die geoͤffnete Flaſche aufs neue geſchloſſen wird, das Her - vordringen der Luftblaſen aus dem Innern der Fluͤſſigkeit noch eine Zeitlang fortdauern; aber nur ſo lange, bis der obere luftvolle Raum ſich hinreichend mit Luft gefuͤllt hat, um dem Andrange der hervorſteigenden Luft zu widerſtehen; die Blaͤschen kommen ſogleichQ 2244wieder, wenn wir der oben eingeſchloſſenen Luft auch nur durch einiges Zuruͤckziehen des Stoͤpfels mehr Raum geben. Bei den im Freien hervorſprudelnden Quellen iſt es eben ſo; die in ihren Waſſern enthaltene Luft dringt hervor, da wo kein Gegendruck ſie zuruͤckhaͤlt, und eine unter dem Gewoͤlbe des Sprudelkeſſels in Carlsbad verdichtete Luft wuͤrde dem Waſſer ſeine kohlenſaure Luft in noch ſtaͤrkerer Quantitaͤt erhalten, als es ohne eine ſolche gegen - wirkende Kraft der Fall iſt. Die von Dalton aufgeſtelte Be - hauptung, daß nur der Druck gleichartiger Luft dieſe; Luft - Entwickelung hindre, muß ich hier uneroͤrtert laſſen, da ſie mich zu weit fuͤhren wuͤrde, wenn ich die Erſcheinungen anfuͤhren wollte, welche entſtehen; wenn eine andre Luft-Art in der Fluͤſſigkeit ab - ſorbirt iſt, und eine andre den Druck auf die Oberflaͤche ausuͤbt; dann tritt ein Theil von jener aus der Verbindung mit der Fluͤſſig - keit heraus, und ein Theil von dieſer wird dagegen aufgenommen.

Die Verfertigung der kuͤnſtlichen Mineralwaſſer beruht auf eben dieſem Drucke verdichteter Luft. Man bringt naͤmlich uͤber die Oberflaͤche des Waſſers, welches mit kohlenſaurer Luft, impraͤ - gnirt werden ſoll, eine hinreichend verdichtete kohlenſaure Luft, und kann nach der Groͤße der elaſtiſchen Kraft, welche dieſe ausuͤbt, die Staͤrke des hervorzubringenden Mineralwaſſers beſtimmen, weshalb man durch Queckſilber in Roͤhren, die dem Barometer aͤhnlich ſind, die Elaſticitaͤt der Luft uͤber dem damit zu impraͤgnirenden Waſſer abmißt, und dieſe bis auf den angemeſſenen Grad verſtaͤrkt. Starkes Umſchuͤtteln oder Quirlen erleichtert die Abſorption der Luft im Waſſer, und man bedient ſich daher dieſes Mittels, um den Zweck ſchneller zu erreichen.

Verwandelung der Luft-Arten in tropfbare Fluͤſſigkeit.

In den meiſten Faͤllen iſt die Gewalt, mit welcher die Luft, die in Fluͤſſigkeiten enthalten iſt, aus dieſen ſich zu entwickeln ſtrebt, nicht ſo ſehr groß, und eine nur maͤßige Verdichtung der auf die Oberflaͤche druͤckenden Luft hindert die fernere Entwickelung der Luft; aber es giebt Faͤlle, wo die Gewalt der Entwickelung ſo groß iſt, daß ſie nur bei einem ungemein ſtarken Gegendrucke gehindert wird. Dieſe Faͤlle benutzte Faraday, um einige Luft-Arten auf245 ſo gewaltige Weiſe zu comprimiren, daß ſie dadurch in tropfbaren Zuſtand verſetzt wurden, und dieſe Erſcheinung iſt es, auf die ich vorhin, als auf eine ſo hoͤchſt merkwuͤrdige, hindeutete. Das Ver - fahren iſt ſo eigenthuͤmlich, daß ich es hier mittheilen will, ohne den Einwurf zu fuͤrchten, daß ich chemiſche Kenntniſſe dabei in An - ſpruch nehme, die erſt an einer andern Stelle naͤher begruͤndet wer - den. In der That koͤmmt es auch hier gar nicht darauf an, zu wiſſen, was chemiſche Verwandtſchaft ſei, wenn gleich die Entwicke - lung von Luft, die ich jetzt anfuͤhren will, auf dieſer Verwandtſchaft beruht; ſondern es iſt genug, die Erfahrung gemacht zu haben, daß in unzaͤhligen Faͤllen ſich eine Menge von Luftblaſen zeigt, ſich eine Menge von Luft entwickelt, wenn man eine Saͤure auf einen Koͤr - per gießt, und daß man offenbar eine verdichtete Luft erhaͤlt, wenn dieſer Proceß im verſchloſſenen Raume ſtatt findet. Die ſo ent - wickelten Luft-Arten zeigen ſich in ihren Eigenſchaften als mannig - faltig verſchieden, und bei dem Beiſpiele, welches ich, nach Fara - day's Erzaͤhlung, Ihnen mittheilen will, war es ſalzſaure Luft, die ſich aus dem Salmiak (ſalzſauren Ammoniak) entwickelte, indem Schwefelſaͤure auf denſelben gegoſſen wurde. Die Entwickelung findet ſehr kraftvoll und ſehr ſchnell ſtatt, man muß daher den Pro - ceß nicht eher anfangen laſſen, bis die Roͤhre feſt verſchloſſen iſt, und deshalb nimmt man eine gebogne Roͤhre mit ſehr ſtarken Waͤn - den, fuͤllt ſie in der Stellung AC (Fig. 133.) ſo weit als es noͤthig iſt, etwa bis an B, mit Schwefelſaͤure, ohne den obern Theil AD im geringſten mit dieſer Saͤure zu benetzen; man bringt dann ein Platinblaͤttchen etwa in E hinab, um darauf den Salmiak bis zu gehoͤriger Zeit ruhen zu laſſen, und ſchmelzt nun das Ende A vor dem Loͤthrohre zu, mit Anwendung aller moͤglichen Vorſicht, um zu hindern, daß Saͤure und Salmiak nicht eher in Beruͤhrung kom - men, bis das Zuſchmelzen vollendet iſt und das allmaͤhlige Abkuͤhlen gehoͤrig ſtatt gefunden hat. Wenn dies gehoͤrig beſorgt iſt und man ſich verſichert haͤlt, daß die Roͤhre ſtark genug iſt, um einen ſehr ſtarken Druck von innen auszuhalten, ſo bringt man ſie durch Um - kehren in die Stellung, wobei die Schwefelſaͤure den Salmiak be - ruͤhrt, und nun entwickelt ſich das ſalzſaure Gas mit großer Heftig - keit. Da dieſe Luft nirgends hin entweichen kann, ſo verdichtet ſie ſich, und ungeachtet des großen Druckes, den ſie deshalb ausuͤbt,246 geht die Entwickelung neuer Luft noch immer, obgleich mit vermin - derter Gewalt, fort, und nach einigen Tagen ſieht man eine neue Fluͤſſigkeit entſtehen, die man durch Abkuͤhlung noch deutlicher und mehr geſammelt hervorbringt, wenn man die Roͤhre in die Stel - lung ade, und de in eine Eismiſchung bringt, damit ſich dieſes neue Fluidum in ed verdichte. Auf dieſe Weiſe hat Faraday die ſalzſaure Luft, und durch aͤhnliche Verſuche mehrere andre Luft - Arten in den tropfbar fluͤſſigen Zuſtand gebracht, und ſich uͤberzeugt, daß dieſe Fluͤſſigkeiten wirklich nur aus Verdichtung der Luft ent - ſtanden, indem ſie bei geoͤffneter Roͤhre ſogleich in der elaſtiſch fluͤſſi - gen Form, wie man ſonſt dieſe Luft-Arten zu ſehen gewohnt iſt, entwichen.

Durch welche Mittel man den Druck, den die ſo eingeſchloſ - ſene Luft ausuͤbte, beſtimmt, will ich bei den Verdichtungen durch die Luftpumpe erwaͤhnen, und hier nur bemerken, daß Faraday die Groͤße des in dem erzaͤhlten Falle ſtatt findenden Druckes auf 40 Atmoſphaͤren angiebt, das heißt, dieſer Druck koͤnnte ein gewoͤhn - liches Barometer auf 40.28 Zoll oder 1120 Zoll hoch erhalten. Damit ein ſo gewaltiger Druck die Roͤhre nicht zerſprenge, muͤſſen die Waͤnde der Roͤhre nicht allein dick, ſondern auch frei von allen Blaͤschen und Ungleichheiten, gut gekuͤhlt und beim Zuſchmelzen mit großer Sorgfalt behandelt ſein. Nach Brunel's Verſuchen konnten Roͤhren von 18 Linien innerem Durchmeſſer, deren Waͤnde 10 Linien dick waren, den Druck von 135 Atmoſphaͤren ertragen, wenn ſie aus ganz reinem Flintglaſe beſtanden*)Faraday on chemical manipulation §. 814. 899. .

Durch dieſe Entdeckung, die auch Perkins durch bloßen aͤußern Druck beſtaͤtiget hat, iſt der characteriſtiſche Unterſchied, welchen man ſonſt zwiſchen Luft und Dampf darin zu finden glaub - te, daß die dampffoͤrmigen Fluͤſſigkeiten durch Druck in den tropf - baren Zuſtand uͤbergehen, die luftfoͤrmigen Fluͤſſigkeiten aber per - manent elaſtiſch bleiben, aufgehoben; aber dennoch bleibt es bei den meiſten, und grade bei den am gewoͤhnlichſten vorkommenden Luft - Arten wahr, daß ſie bei einem nicht im hoͤchſten Grade ſtarken Drucke ſich als permanent elaſtiſch zeigen, und ſo laͤßt ſich jener Unterſchied, mit gehoͤriger Beſchraͤnkung, immer noch fuͤr die meiſten247 Faͤlle gebrauchen. Als ſtrenge trennend findet er indeß nicht ſtatt, ſondern es giebt luftfoͤrmige Fluͤſſigkeiten, die ſchon bei ſehr maͤßi - gem Drucke in den tropfbaren Zuſtand uͤbergehen, und alſo einen Uebergang zu den dampffoͤrmigen, elaſtiſchen Fluͤſſigkeiten bilden.

Achtzehnte Vorleſung.

Die Luftpumpe.

Eines der merkwuͤrdigſten Inſtrumente, durch welches wir die Eigenſchaften der Luft naͤher kennen gelernt haben, iſt, wie Ihnen bekannt genug iſt, die Luftpumpe. So verſchieden auch die Einrichtungen ſind, die man ihr gegeben hat, ſo iſt doch der Zweck aller dieſer Einrichtungen ganz derſelbe, indem er darin beſteht, einen groͤßern Raum ſo gut als moͤglich luftleer zu machen; der zweite Zweck, Luft in ſehr verdichteten Zuſtand zu verſetzen, kann, weil das Zerſprengen der Gefaͤße dabei ſo ſehr zu fuͤrchten iſt, mei - ſtens nur unvollkommen erreicht werden.

Die Einrichtung aller Luftpumpen ſtimmt darin uͤberein, daß ein mit dem auszuleerenden Gefaͤße verbundener Cylinder ange - bracht iſt, in welchem der zuruͤckgehende Kolben der Luft des Ge - faͤßes einen groͤßern Raum, um ſich auszudehnen, darbietet, und in welchem der vordringende Kolben da, wo eine Verdichtung beab - ſichtiget wird, mehr Luft in das Gefaͤß hineintreibt. Die Ver - ſchiedenheit der Einrichtung beſteht in den ungleichen Mitteln, die man anwendet, um bei wiederholten Kolbenzuͤgen die Verbindung der ſchon verduͤnnten oder verdichteten Luft mit der aͤußern Luft zu unterbrechen; man bewirkt dieſes entweder durch einen doppelt durchbohrten Hahn, oder durch Ventile, oder durch einen einfach durchbohrten Hahn. Fig. 135. ſtellt eine Einrichtung dar, wie ſie bei doppelt durchbohrtem Hahne bequem ſtatt finden kann. AB iſt hier das Gefaͤß, gewoͤhnlich eine Glasglocke, in welchem man die Erfolge, die ſich in verduͤnnter Luft ereignen, beobachten will; eine engere Roͤhre C, die durch einen Hahn geſchloſſen werden kann, ſetzt dieſes Gefaͤß in Verbindung mit dem Cylinder DE, in welchem248 der Kolben ſich hin und her bewegt. Dieſen Kolben ſetzt man am bequemſten durch ein gezaͤhntes Rad in Bewegung, das in die Zaͤhne der Kolbenſtange G eingreift, und dieſe ſo gut hineinzuſchie - ben, als herauszuziehen dient. Der Hahn iſt doppelt durchbohrt, ſo naͤmlich (Fig. 136.), daß eine Bohrung c quer durch geht, um einen graden Durchgang vom Gefaͤße zum Cylinder zu geſtatten, und daß eine zweite Bohrung gekruͤmmt von der Seite a nach b zu geht; der Eingang dieſer Bohrung iſt gegen den Cylinder gekehrt, wenn der Hahn um ein Viertel einer Drehung von der Stellung entfernt iſt, welche den graden Durchgang darbietet, und eben dieſer Eingang iſt nach der Glocke gekehrt, wenn man nach der andern Seite ein Viertel einer Drehung vollendet. Daß beide Bohrungen ſo neben einander vorbei gehen muͤſſen, daß der eine Durchgang mit dem andern nirgends zuſammen koͤmmt, werden Sie bei dem gleich anzugebenden Gebrauche von ſelbſt uͤberſehen.

Wenn man die Luftpumpe zu gebrauchen anfaͤngt, ſo iſt im Gefaͤße und im Cylinder Luft von natuͤrlicher Dichtigkeit; ſoll nun die Luft in AB verduͤnnt werden, ſo faͤngt man damit an, den Hahn C ſo zu ſtellen, daß der gekruͤmmte Durchgang ab dem Cy - linder zugewandt iſt, und dann ſchiebt man den Kolben bis nach D hinauf, wo alſo alle im Cylinder befindliche Luft fortgetrieben und der Kolben moͤglichſt nahe an den Hahn C gedraͤngt wird. Man dreht nun den Hahn um ein Viertel ſeines Umfangs, damit der Durchgang zwiſchen dem Cylinder und dem Recipienten AB offen ſei; indem dann der Kolben zuruͤckgezogen wird, ergießt ſich ein Theil der in AB enthaltenen Luft in den Cylinder, und wenn der Raum im Cylinder ebenſo groß als unter der Glocke AB iſt, ſo er - haͤlt dort die Luft eine nur halb ſo große Dichtigkeit, als vorher. Der Hahn wird hierauf in die erſte Stellung zuruͤckgedreht, damit beim Zuruͤckſchieben des Kolbens die Luft aus dem Cylinder durch die Oeffnung ab bei b ins Freie getrieben werde. Bei abermals hergeſtellter Verbindung zwiſchen dem Recipienten und dem Cylin - der giebt man der ſchon verduͤnnten Luft aufs neue Raum, ſich aus - zudehnen, und wenn ſie wieder den doppelten Raum findet, ſo koͤmmt ihre Dichtigkeit auf ein Viertel der natuͤrlichen Dichtigkeit. So faͤhrt man mit abwechſelnder Drehung des Hahnes und abwech - ſelndem Hin - und Herziehen des Kolbens fort, und erhaͤlt, wenn249 der Cylinder immer ebenſo viel Raum als der Recipient darbietet, die Luft bis zu , bis zu $$\frac{1}{16}$$ , bis zu $$\frac{1}{32}$$ , bis zu $$\frac{1}{64}$$ der natuͤrlichen Dichtigkeit bei den einzelnen Kolbenzuͤgen verduͤnnt. Iſt das Gefaͤß AB klein, ſo daß der Cylinder zum Beiſpiel einen dreimal ſo großen Raum darbietet, als die Glocke, daß alſo die Luft ſich in den vier - fach ſo großen Raum ausbreiten kann, ſo erhaͤlt man die Dichtig - keiten ¼, $$\frac{1}{16}$$ , $$\frac{1}{64}$$ , $$\frac{1}{256}$$ bei den auf einander folgenden Kolbenzuͤ - gen; iſt das Gefaͤß dagegen groß, zum Beiſpiel doppelt ſo groß, als der Raum im Cylinder, ſo iſt die Dichtigkeit , $$\frac{4}{9}$$ , $$\frac{8}{27}$$ , $$\frac{16}{81}$$ , $$\frac{32}{243}$$ , $$\frac{64}{729}$$ , und erſt nach ſechs Kolbenzuͤgen iſt die Dichtigkeit ungefehr $$\frac{1}{11}$$ der natuͤrlichen Dichtigkeit.

Man koͤnnte bei dieſer Einrichtung die Luft bei jedem Kolben - zuge immer noch mehr verduͤnnen, wenn es moͤglich waͤre, den ſo - genannten ſchaͤdlichen Raum ganz zu vermeiden. Dieſer ſchaͤdliche Raum entſteht, wenn der Kolben ſich nicht ganz genau an den Hahn bei C anlegt; denn wenn bei D ein kleiner luftvoller Raum bleibt, ſo iſt dieſer, indem der Kolben hinauf geſchoben iſt, mit ge - woͤhnlicher Luft gefuͤllt, die man bei der Drehung des Hahnes in das Gefaͤß hineinlaͤßt; und durch dieſen, in geringem Maaße immer ſtatt findenden Zutritt neuer Luft, erlangt die Verduͤnnung der Luft eine Grenze, die man leicht beſtimmen kann. Geſetzt dieſer, mit Luft von natuͤrlicher Dichtigkeit gefuͤllte Raum ſei ein Hunderttel des ganzen Cylinders, ſo koͤnnte, wenn auch keine Luft aus dem Gefaͤße hinzutraͤte; die Verduͤnnung doch nie weiter, als bis auf $$\frac{1}{100}$$ der natuͤrlichen Dichtigkeit gehen, und wenn die Luft im Ge - faͤße dieſe Verduͤnnung erreicht haͤtte, ſo wuͤrde ein ferneres Kolben - ſpiel nichts mehr helfen. Die Kunſt des Verfertigers einer Luft - pumpe beſteht daher theils darin, daß Hahn und Kolben im voll - kommenſten Sinne luftdicht ſind, daß die Glocke AB gut abgeſchlif - fen vollkommen luftdicht auf den Teller IB paſſe, theils aber auch darin, daß der Kolben ſich ſo eng als moͤglich an den Hahn anlege oder kein ſchaͤdlicher Raum da ſei.

Soll dieſe Luftpumpe zum Verdichten der Luft im Gefaͤße AB angewandt werden, ſo muß fuͤrs erſte das Gefaͤß AB nicht eine auf - geſetzte Glocke ſein, die, bei verſtaͤrktem Drucke von innen, gewiß abgeworfen wuͤrde, ſondern es muß ein feſtes Gefaͤß, an den Teller angeſchraubt und von hinreichend ſtarken Waͤnden ſein, und zwei -250 tens muß die ganze Arbeit des Hineindraͤngens der Luft durch eine umgekehrte Anordnung des Oeffnens und Schließens zu Stande gebracht werden. Man faͤngt die Arbeit damit an, den Zugang der freien Luft zuzulaſſen, waͤhrend man den Kolben gegen E herab zieht; die nun im Cylinder enthaltene Luft wird in das Gefaͤß hinein gedraͤngt, und indem man bei jedem Kolbenſtoße einen neuen Cy - linder voll Luft hineindraͤngt, wird die Quantitaͤt der Luft immer um gleich viel vermehrt, ſo daß, wenn der Raum im Cylinder ſo groß als der im Recipienten iſt, die Verdichtung auf das Doppelte, Dreifache, Vierfache bei den drei erſten Kolbenſtoͤßen ſteigt.

Eine zweite Einrichtung der Luftpumpe iſt die, wo man ſich der Ventile bedient. Dieſe Ventile duͤrfen hier nicht, wie es bei groͤbern Werkzeugen wohl ſtatt findet, Klappen, etwa von Leder oder dergleichen, ſein, ſondern man pflegt einen Streifen Blaſe ſo mit beiden Enden zu befeſtigen, daß er, durch den Druck der Luft von der einen Seite an die Raͤnder der Oeffnung angedruͤckt, der Luft keinen Ausgang geſtattet, dagegen durch den von der an - dern Seite kommenden Luftdruck geoͤffnet, ſie entweichen laͤßt. Die Ventilluftpumpe hat die Bequemlichkeit, daß ſie des Drehens der Haͤhne nicht bedarf, ſondern beim Hin - und Herziehen des Kol - bens der Erfolg ſchon ganz von ſelbſt ſtatt findet. Sie bedarf zweier Ventile, deren eins im Kolben ſelbſt zu ſein pflegt. Wird naͤmlich Fig. 137. der Kolben AB nach der Muͤndung der Roͤhre, die zum Recipienten CD fuͤhrt, zu gedraͤngt, ſo ſchließt ſich das bei E angebrachte Ventil und die im Cylinder befindliche Luft findet einen Ausweg durch das im Kolben angebrachte Ventil, welches die Durchbohrung des Kolbens von oben her verſchließt, und ſich beim Andrange der Luft von unten her oͤffnet. Hat man ſo den Kolben bis unten hinabgedruͤckt, ſo wuͤrde beim Zuruͤckziehen des Kolbens unter ihm ein luftleerer Raum entſtehen; aber die im Recipienten CD enthaltene Luft oͤffnet durch ihren Druck das Ventil bei E, und ſtroͤmt in den Cylinder ein, ſo daß die Luft im Recipienten verduͤnnt wird. Geht der Kolben herab, ſo findet die im Cylinder enthaltene verduͤnnte Luft ihren Ausweg durch den Kolben und die Luft im Gefaͤße bleibt geſperrt; beim zweiten Zuge hinauf tritt von der verduͤnnten Luft wieder ein Antheil hervor, und ſo geht es bei jedem Zuge hinauf, bis endlich die Verduͤnnung ſo weit getrieben251 iſt, daß die ſehr verduͤnnte, allzuſchwach auf das Ventil E druͤk - kende Luft dieſes nicht mehr zu heben im Stande iſt. Man ver - bindet bei dieſer Einrichtung gern zwei Cylinder, damit, waͤhrend im einen die Luft durch das Ventil des Kolbens fortgeſchafft wird, im andern der Kolben zu neuer Verduͤnnung thaͤtig ſei. Im All - gemeinen ſind die Luftpumpen mit Haͤhnen dieſen eben beſchriebe - nen vorzuziehen, da der ſchaͤdliche Raum auch hier nicht ganz ver - mieden wird, und außerdem die zum Heben des Ventiles endlich zu ſchwach werdende Kraft dem Effecte Grenzen ſetzt.

Eine dritte Art von Luftpumpe gleicht in ihrem aͤußern An - ſehen der zuerſt beſchriebenen Fig. 135.; der Hahn C hat aber jetzt nur eine, grade durchgehende Bohrung, und eine Oeffnung im Cylinder ſelbſt, unmittelbar unter dieſem Hahne bei D, die man abwechſelnd mit einem genau ſchließenden Stifte verſtopft, dient um die Luft auszulaſſen. Um das Auspumpen oder Verduͤnnen der Luft anzufangen, oͤffnet man die ins Freie gehende Oeffnung bei D, ſchiebt den Kolben bis dicht an den Hahn und verſchließt die eben erwaͤhnte Seiten-Oeffnung. Der Hahn C wird nun ſo gedreht, daß er den Durchgang der Luft vom Recipienten AB zum Cylinder DE geſtattet; der Kolben wird herabgezogen und die Luft im Recipienten AB verduͤnnt. Wenn der Kolben in ſeinem tief - ſten Puncte angekommen iſt, dreht man den Hahn, ſo daß er nun der Luft allen Ausgang ſperrt, die noch im Cylinder enthaltene Luft wird zu der Seiten-Oeffnung bei D hinausgetrieben, und der Kolben legt ſich ganz dicht an den Hahn an, indem alle Luft durch die Seiten-Oeffnung ihren Ausweg findet. Dieſe Seiten - Oeffnung wird nun mit dem luftdicht ſchließenden Stifte verſtopft, der Hahn geoͤffnet, der Kolben herabgezogen, und die Luft aufs Neue verduͤnnt. So geht die Arbeit fort, und wenn der obere Hahn in ſeiner Faſſung ganz genau ſchließt, der Stift in der Seiten-Oeffnung keine Luft durchlaͤßt, und der ſchaͤdliche Raum zwiſchen dem Kolben und dem Hahne durch ein genaues Anſchließen beider an einander ſo vollkommen als moͤglich vermieden iſt, ſo kann man die Luft bis zu einer Dichtigkeit, die kaum noch $$\frac{1}{300}$$ der na - tuͤrlichen Dichtigkeit iſt, herunter bringen. Will man ſich die Dre - hungen des Hahnes erſparen, ſo kann man auch die Maſchine ſo252 einrichten, daß ſie ſelbſt das Oeffnen und Schließen der Haͤhne bewirkt.

Mittel den Grad der Verduͤnnung oder Verdichtung zu beſtimmen.

Das beſte Mittel, um den Grad der erlangten Verduͤnnung der Luft zu meſſen, iſt die Barometerprobe. Wir ſind ge - wohnt, in unſerm Barometer, wo der ganze Druck der Atmoſphaͤre das Queckſilber in die Hoͤhe treibt, dieſes gegen 28 Zoll hoch zu ſehen; aber wenn der Druck der Luft abnimmt, ſo ſinkt das Ba - rometer. Stellt man daher unter einer hohen Glocke ein wirk - liches Barometer, eine unten in Queckſilber getauchte und damit gefuͤllte, oben geſchloſſene Roͤhre auf, ſo ſinkt das Queckſilber im Barometer bei jedem Kolbenzuge. Bei den meiſten Verſuchen will man nicht das allmaͤhlige Abnehmen des Druckes, ſondern nur den zuletzt erreichten Grad der Verduͤnnung der Luft wahrnehmen, und dazu reicht ein nur einen Zoll hohes Barometer hin. Es ſei Fig. 138. die kurze Roͤhre ABC ſo, wie ein Barometer, mit ausgekochtem Queckſilber gefuͤllt, ſo wird das Queckſilber ſich an die obere Woͤlbung A der zugeſchmelzten Roͤhre dicht anlegen, weil der bei C wirkende Druck der Atmoſphaͤre das Queckſilber ja viel hoͤher erhalten koͤnnte. Ich will annehmen, die Hoͤhe des oberſten Punctes A uͤber C ſei = 1 Zoll. Wenn dieſes kleine Barometer ſich unter der Glocke der Luftpumpe befindet, ſo bleibt die Roͤhre bei A, auch bei anfangender Verduͤnnung der Luft, noch immer gefuͤllt, bis die Luft nur noch $$\frac{1}{28}$$ ihrer natuͤrlichen Dichtigkeit hat, oder ſtatt 28 Zoll Queckſilber nur noch 1 Zoll Queckſilber zu tragen im Stande iſt; wird die Verduͤnnung weiter fortgeſetzt, ſo ſieht man das Queckſilber bei A fallen, bei C ſteigen, und der Unter - ſchied der Hoͤhen beider Queckſilberſaͤulen giebt den Druck der noch uͤbrigen Luft an. Es giebt viele Verſuche, bei denen man ſich begnuͤgen kann, dieſes Barometer bis auf ½ Zoll herabgebracht zu haben; aber es giebt einige Verſuche (namentlich das Gefrieren des Waſſers im luftleeren Raume bei einer in der Umgebung der Luftpumpe auf 15, 18 und mehr Grade ſteigenden Temperatur), die nur gelingen, wenn das Barometer bis zu 1 Linie oder wenig -253 ſtens Linie herabgeſunken iſt*)Der eben erwaͤhnte Verſuch gehoͤrt in die Lehre von der Waͤrme.. Eine recht gute Luftpumpe muß nicht nur geſtatten, daß die Verduͤnnung bis zu dieſem Puncte gelange, ſondern dieſe Verduͤnnung muß auch ſich geraume Zeit durch ungeaͤndert erhalten. Bei Luftpumpen, wo die Haͤhne nicht ganz dicht ſchließen, geht bei jedem Kolbenzuge zwar das Barometer bedeutend herunter, aber es ſteigt wieder, wenn man, bei geſchloſ - ſenen Haͤhnen, der Luft allen Zutritt verwehrt zu haben glaubt; bleibt das Queckſilber auf der einmal erreichten geringen Hoͤhe, ſo iſt es offenbar, daß kein Zutritt der Luft ſtatt findet, und dies iſt daher ein Mittel, die Guͤte einer Luftpumpe zu probiren.

Statt dieſer kleinen, unter die Glocke zu ſtellenden Barome - terprobe, wendet man oft ein langes Glasrohr ST an, das ſich (Fig. 135.) mit ſeinem oberen offenen Ende unter der Glocke AB befindet, unten bei S aber in ein Gefaͤß mit Queckſilber getaucht iſt. So lange noch keine Luft ausgepumpt iſt, ſteht das Queck - ſilber im Gefaͤße ebenſo hoch, als in der an beiden Enden offenen Roͤhre; aber ſo wie die Luft im Recipienten AB verduͤnnt wird, ſteigt das Queckſilber in der Roͤhre, und je duͤnner die Luft dort wird, deſto mehr naͤhert ſich die Hoͤhe des Queckſilbers in dieſer Roͤhre der vollſtaͤndigen Hoͤhe des Queckſilbers im Barometer; denn dieſe wuͤrde ja genau erreicht werden, wenn oberhalb des in die Roͤhre hinaufgeſtiegenen Queckſilbers ſtatt verduͤnnter Luft ein wahrhaft luftleerer Raum waͤre.

Zur Abmeſſung der verdichteten Luft ließe ſich eine aͤhnliche Barometerprobe einrichten. Es ſei (Fig. 139. ) GH das mit ver - dichteter Luft gefuͤllte Gefaͤß, und daran eine hinreichend ſtarke, bei A geſchloſſene, bei C mit dem Innern des Gefaͤßes in Verbin - dung ſtehende Glasroͤhre angebracht. Wenn ſich bei AD in der geſchloſſenen Roͤhre Luft von natuͤrlicher Dichtigkeit befindet, ſo ſteht beim Anfange des Verſuches das Queckſilber in D, E, gleich hoch; ſobald aber bei E verdichtete Luft auf die Oberflaͤche des Queckſilbers druͤckt, wird die Luft AD in einen engern Raum zuſammengepreßt, und ihre Verdichtung wird, bei gehoͤriger Ruͤck - ſicht auf die von der Luft im Recipienten zugleich noch getragene Queckſilberſaͤule, den Grad der Verdichtung der im Recipienten254 enthaltenen Luft angeben*)Ein aͤhnliches Mittel koͤnnte man auch bei den am Ende der 17ten Vorleſung angegebenen Verſuchen anwenden.. Wenn man nach vollendetem Ver - ſuche die Luft aus dem Recipienten auslaͤßt, ſo muß man Sorge tragen, daß dieſes nicht zu ploͤtzlich geſchehe, damit das Queckſilber aus der Roͤhre ſich nicht zu heftig gegen C hin hervordraͤnge.

Um die Verduͤnnung der Luft zu meſſen, hat man noch ein andres Inſtrument angegeben. Man bediene ſich ſtatt der oben ganz geſchloſſenen Glocken eines Recipienten, in deſſen oberem Boden ein luftdicht durchgehendes Staͤbchen AB angebracht iſt (Fig. 140.), und ſtelle unter dieſen Recipienten ein Gefaͤß mit Queckſilber DE grade ſo, daß die Muͤndung FG des an jenem Staͤbchen befeſtigten glaͤſernen Gefaͤßes FGH ſich uͤber dem Queck - ſilber befindet. Das letztere Gefaͤß beſteht unten aus einem weite - ren Theile FG, und endigt ſich oben in eine enge bei H zugeſchmelzte Roͤhre. Wird nun die Luft aus dem Recipienten IK ausge - pumpt, ſo wird auch das Gefaͤß FGH in eben dem Grade luftleer; aber wenn man nach vollendetem Auspumpen das Gefaͤß mit ſeinem Rande FG in das Queckſilber DE eintaucht, ſo kann, waͤhrend der Recipient ſich mit Luft fuͤllt, keine Luft in dieſes Gefaͤß gelan - gen, und der Druck der Luft treibt das Queckſilber in dem Gefaͤße hinauf, wobei die im Gefaͤße noch uͤbrige, im verduͤnnten Zuſtande das ganze Gefaͤß fuͤllende Luft ſich bei H in einen ſehr engen Raum zuſammengedraͤngt findet. Dieſe Luft bringt man durch Einſenken des Gefaͤßes in das Queckſilber zur Dichtigkeit der umgebenden freien Luft, mit welcher ſie dann gleiche Dichtigkeit hat, wenn das Queck - ſilber innen und außen gleich hoch ſteht, und bemerkt jetzt den Raum, den ſie einnimmt; die auf der Roͤhre bezeichneten Tauſendtel des ganzen inneren Raumes des Gefaͤßes geben dann an, wie ſich das jetzige Volumen zu dem vorhin eingenommen Raume verhaͤlt, und geben eben dadurch den Grad der Verduͤnnung an.

Dieſe von Smeaton unter dem Namen der Birnprobe an - gegebne Beſtimmung der Verduͤnnung, giebt die Menge der noch uͤbrig gebliebenen Luft richtig an, ſtatt daß die Barometerprobe den Druck angiebt, den die in verduͤnnter Luft leicht hervorgehenden Daͤmpfe in Verbindung mit der noch uͤbrigen Luft ausuͤben. Wenn255 die Barometerprobe die Elaſticitaͤt = $$\frac{1}{300}$$ der zu Anfang ſtatt fin - denden angiebt, ſo iſt die Luft nicht mehr voͤllig ſo dicht, als man hiernach annehmen wuͤrde, ſondern ein Theil dieſes Druckes gehoͤrt den entwickelten Daͤmpfen. Smeaton nannte ſein Inſtrument die Birnprobe, weil es ungefehr die Geſtalt einer Birne hatte.

Mancherlei Verſuche mit der Luftpumpe.

Die Verſuche, zu welchen man die Luftpumpe anwendet, ſind hoͤchſt mannigfaltig. Um die große Gewalt des Druckes der Atmo - ſphaͤre zu zeigen, ſchraubt man als auszuleerenden Recipienten ein Gefaͤß auf, das an einer Seite durch ein ebnes Glas geſchloſſen iſt; wenn die Luft aus demſelben ausgepumpt wird, ſo wird dem Drucke der Luft von außen nicht mehr durch den Druck der Luft von innen das Gleichgewicht gehalten, und das Glas wird zerdruͤckt. Oder man ſpannt uͤber das auszuleerende Gefaͤß eine Blaſe; ſobald die Luft ausgepumpt wird, ſieht man dieſe durch den Druck der aͤußern Luft hineingedraͤngt, und nachdem ſie, ihrer Dehnbarkeit wegen, zuerſt ſehr geſpannt hineingedraͤngt iſt, zerplatzt ſie. Man darf daher keine Glasgefaͤße mit ebenen Seiten anwenden, welche gewiß zerbrochen wuͤrden; die Woͤlbungen widerſtehen dem Drucke von außen beſſer.

Eben dieſen ſtarken Druck der Atmoſphaͤre zu zeigen, waren vorzuͤglich Guerike's Verſuche beſtimmt, der als Erfinder der Luftpumpe ſich bemuͤhte, auffallende Wirkungen, welche durch dieſelbe hervorgebracht wurden, zu zeigen. Am beruͤhmteſten unter ſeinen Verſuchen iſt der mit den guerikſchen Halbkugeln geworden. Er ließ zwei metallene Halbkugeln von einer Elle Durchmeſſer ver - fertigen, die mit abgeſchliffenen Raͤndern dicht an einander an - ſchloſſen und durch zwiſchengelegtes Leder luftdicht gemacht wurden. An beiden waren Ringe zum Anſpannen von Pferden angebracht, und eine mit einem Hahne verſehene Oeffnung erlaubte, ſie, nach - dem ſie an die Luftpumpe geſchraubt waren, luftleer zu machen. Nachdem dies geſchehen und der Hahn geſchloſſen war, wurden an beiden Halbkugeln nach entgegengeſetzten Richtungen Pferde ange - ſpannt, und bei einem ſolchen Verſuche konnten 24 Pferde ſie nicht aus einander reißen. Der Druck der Luft wirkte hier ſo ſtark zum Zuſammenhalten der Kugeln, wie er auf einen Kreis von einer Elle256 Durchmeſſer wirken wuͤrde, da aber dieſer Kreis 450 Quadratzoll enthaͤlt, worauf die Luft mit mehr als 6700 Pfund Kraft druͤckt, ſo konnten allerdings 12 Pferde an jeder Seite dieſen Druck nicht uͤberwinden, ſelbſt wenn die Luft nicht einmal in ſo hohem Grade verduͤnnt war. Andre Verſuche Guerike's, wo die Luft ein großes Gewicht trug, kommen auf eben das hinaus.

Wenn man eine gute Luftpumpe beſitzt, deren Kolben nicht mit allzu großer Reibung geht, ſo findet man, daß er, wenn die Luft ſtark verduͤnnt iſt, ohne alle angewandte Kraft zuruͤckgetrieben wird, wenn man ihn nach dem Hervorziehen aus dem Cylinder frei laͤßt. Dieſes iſt die Wirkung der auf ihn druͤckenden Luft, die von innen, wo faſt gar keine Luft iſt, keinen Widerſtand leidet. Hat der Cylinder einen Durchmeſſer von 3 Zoll, ſo iſt der Druck auf den Kolben ungefehr 110 Pfund, und ſo viel Laſt muͤßte der Kol - ben mit ſich hinaufziehen koͤnnen, wenn nicht die doch immer ſehr erhebliche Reibung ein ſo großes Hinderniß hervorbraͤchte.

Man hat bei den Dampfmaſchinen von dieſem Drucke der Luft Gebrauch gemacht, um den Kolben zuruͤckzutreiben. Iſt naͤm - lich durch die Elaſticitaͤt des unter dem Kolben zugelaſſenen Dampfes der Kolben gehoben worden, ſo hat man unter demſelben einen faſt ganz luftleeren Raum, und wenn man durch Abkuͤhlung dem Dampfe ſeine Elaſticitaͤt raubt, ſo wird der Kolben herabgedruͤckt, weil faſt gar keine elaſtiſche Fluͤſſigkeit im Raume unter dem Kolben dem Drucke der Luft auf denſelben Widerſtand leiſtet.

Der große Druck, den unſer ganzer Koͤrper von der uͤber uns befindlichen Luft leidet, wird uns nicht fuͤhlbar, weil im Innern unſeres Koͤrpers in allen Gefaͤßen und Fluͤſſigkeiten des Koͤrpers ſich Luft von eben der Elaſticitaͤt wie die aͤußere Luft befindet; legt man aber die Hand auf eine oben offene Glocke, und pumpt unterhalb der Hand die Luft weg, ſo bemerkt man den Druck der Luft auf doppelte Weiſe, erſtlich dadurch daß die Hand feſt gegen das luft - leere Gefaͤß angedruͤckt wird, ſo daß man nicht vermoͤgend iſt, ſie wegzuheben, zweitens dadurch, daß man, bei bedeutender Verduͤn - nung der Luft und etwas laͤngerer Dauer des Verſuches, die Haut roͤther, das Blut mehr in die Gefaͤße der Haut hereingetrieben findet. Daß man die Hand nicht von der Oeffnung losreißen kann, laͤßt ſich leicht erklaͤren; denn wenn die Luft auch nur bis zu ein257 Zehntel der natuͤrlichen Dichtigkeit gebracht iſt, ſo uͤbt doch die aͤu - ßere Luft auf jeden Quadratzoll 13½ Pfund Druck mehr als die innere aus, und wenn die Oeffnung 4 Quadratzolle betraͤgt, ſo muͤßte unſre Hand 54 Pfunde heben, wozu ſie nicht im Stande iſt. Das Hervordraͤngen des Blutes in die Gefaͤße der Haut, welches beim Schroͤpfen aus aͤhnlichen Gruͤnden noch auffallender ſtatt fin - det, iſt eine Folge der Elaſticitaͤt der im Innern des Koͤrpers ent - haltenen Luft, welche ſich gegen die Oberflaͤche, die jetzt weniger Druck leidet, hervordraͤngt. Man hat dieſes Hervordraͤngen des Blutes an den Stellen, wo der Druck der Luft auf die Haut weg - gehoben iſt, als ein Mittel, das Gift aus Wunden (z. B. beim Biſſe giftiger Thiere) fortzuſchaffen, angewandt, und es laͤßt ſich wohl uͤberſehen, daß dieſes wirkſamer als ein gewoͤhnliches Aus - ſaugen ſein muß, wenn es fruͤh genug geſchieht. Einen aͤhnlichen Erfolg des verminderten Luftdruckes leiden diejenigen, welche ſehr hohe Berge erſteigen, indem ſie theils ein Herandraͤngen des Blutes zu den feinen Aederchen des Auges und dadurch einige Entzuͤndung des Auges empfinden, theils einen Druck im Ohre fuͤhlen, welcher von der im Innern des Ohres enthaltenen Luft herruͤhrt, die nicht ſo ſchnell ſich mit der aͤußern Luft ins Gleichgewicht ſetzen kann.

Dieſes Hervordringen der Luft aus dem Innern der Koͤrper zeigt ſich unter der Luftpumpe noch bei zahlreichen andern Experi - menten. Wenn man Holz, das an der Luft ausgetrocknet iſt, durch ein daran befeſtigtes Gewicht unter Waſſer erhaͤlt, und es ſo im Waſſer unter die Glocke der Luftpumpe bringt, ſo gehen zahl - reiche Luftblaſen daraus hervor, ſobald man die Luft unter der Glocke verduͤnnt. Laͤßt man, nachdem dies einige Zeit fortgeſetzt iſt, die Luft wieder zu, ſo fuͤllen ſich die vorhin luftvollen Poren des Holzes mit Waſſer. Man hat ein dieſem Experimente aͤhnliches Verfahren angewandt, um Tuche beim Faͤrben recht vollkommen durchzufaͤrben. Legt man naͤmlich das Tuch in die faͤrbende Fluͤſ - ſigkeit und bringt es ſo untergetaucht in den luftleeren Raum, ſo entwickelt ſich alle im Tuche enthaltene Luft, und nach Hinzulaſ - ſung der Luft draͤngt ſich die Fluͤſſigkeit in alle Zwiſchenraͤume, wohin ſie ſonſt nicht ſo leicht gedrungen waͤre.

Selbſt reines Waſſer, wenn es nicht etwa kurz vor dem Ver - ſuche ausgekocht iſt, enthaͤlt viel Luft, die man in immer groͤßernI. R258Blaſen, je mehr die Verduͤnnung der Luft zunimmt, hervordringen ſieht. Wird die Luft in hohem Grade verduͤnnt, ſo geht dieſes Heraufſteigen der Blaſen in ein wahres Kochen, jedoch ohne ver - mehrte Waͤrme, uͤber. Das Kochen naͤmlich entſteht aus einem Entwickeln von Daͤmpfen im Innern der Fluͤſſigkeit; dieſe Dampf - Entwickelung kann erſt ſtatt finden, die Dampfblaſen koͤnnen erſt aufſteigen, wenn ihre Elaſticitaͤt den Druck der aͤußern Luft uͤber - trifft, und daher tritt, bei dem gewoͤhnlichen Luftdrucke, das Kochen erſt dann ein, wenn durch große Waͤrme die Elaſticitaͤt der Daͤmpfe einen hohen Grad erreicht hat; iſt aber der aͤußere Druck geringe, ſo reicht ſchon die gewoͤhnliche Waͤrme der Atmoſphaͤre hin, um jene Dampfbildung, das wahre Aufkochen, zu bewirken. Der luft - leere Raum iſt daher ein Befoͤrderungsmittel des Abdampfens, und wenn man Fluͤſſigkeiten hat, die durch die gewoͤhnliche Kochwaͤrme leiden wuͤrden, ſo iſt es doppelt wichtig, ſie in einem luftleeren Raume bei maͤßiger Waͤrme verdampfen zu laſſen. Man hat dabei nicht einmal immer die Luftpumpe noͤthig; ſondern wenn man (Fig. 142.) die abzudampfende Fluͤſſigkeit in das Gefaͤß AB gethan hat, welches mit einem zweiten Gefaͤße C in Verbindung ſteht, ſo bringt man nur an die Roͤhre D eine Zeit lang ein Gefaͤß mit ko - chendem Waſſer an, damit der ganze Raum DEFG ſich mit hei - ßen Daͤmpfen fuͤlle; dieſe treiben durch einen bei I geoͤffneten Hahn die Luft aus, deren Stelle ſie einnehmen. Verſchließt man nun, nachdem die Daͤmpfe recht heiß einige Zeit durchgeſtrichen ſind, die Haͤhne H und I, ſo ſchlaͤgt der erkaltende Dampf ſich bald nieder und laͤßt einen luftleeren Raum zuruͤck, und damit nun die in die - ſem luftleeren Raume erzeugten Daͤmpfe ſich in dem Gefaͤße C condenſiren, ſtellt man dieſes in Eis, indem dadurch in G der Dampf zu tropfbarer Fluͤſſigkeit wird, und immer neue Dampf - Erzeugung in E erfolgt. Bei der Zuckerſiederei von Howard und Hogſon iſt eine ſolche erleichterte Dampf-Erzeugung ange - bracht, indem dort durch eine Luftpumpe der Raum uͤber dem Zucker ſo ausgepumpt wird, daß der Zucker bei 30° R. kocht, alſo nie einer zu großen Hitze ausgeſetzt iſt.

Jene Entwickelung von Luftblaſen zeigt ſich bei Bieren und Mineralwaſſern noch lebhafter, aber das auf dieſe Weiſe ſeiner Luft beraubte Bier iſt nun in wenigen Augenblicken ſchaal geworden.

259

Man kann die bei vermindertem aͤußern Drucke hervorgehende Ausdehnung eingeſchloſſener Luft auch dadurch ſichtbar machen, daß man eine zugebundene Blaſe, die faſt gar keine Luft zu enthalten ſcheint, unter die Glocke der Luftpumpe bringt. Wird naͤmlich dieſe Blaſe nicht mehr von dem Drucke der aͤußern Luft zuſammen - gepreßt, ſo ſchwellt ſie durch die wenige, in den Falten uͤbrig ge - bliebene Luft an, und zeigt ſogar Elaſticitaͤt genug, um ein bedeu - tendes Gewicht zu heben. Bei lebenden Thieren ſieht man im luft - leeren Raume eben dieſe Ausdehnung der im Innern enthaltenen Luft an ihrem Aufſchwellen, an dem Hervortreiben der Augen u. ſ. w.

Beſtimmung des Gewichtes einer Luftmaſſe.

Dieſe Verſuche laſſen ſich auf mannigfaltige Weiſe abaͤndern, da ſie aber alle nur eins und daſſelbe zeigen, ſo gehe ich zu einem weſentlich verſchiedenen Verſuche uͤber, wodurch man das wahre Gewicht einer beſtimmten Quantitaͤt Luft zeigt. Man ſchraubt eine mit einem Hahne verſehene hohle Kugel von erheblicher Groͤße an die Luftpumpe und verduͤnnt die Luft in derſelben, haͤngt ſie dann an die Waageſchaale und waͤget ſie genau ab, alsdann oͤffnet man den Hahn, um die Luft einzulaſſen, und indem man das vorige Ge - gengewicht nun nicht mehr zureichend findet, ſondern einige Drach - men oder ſelbſt Unzen nachlegen muß, erhaͤlt man das Gewicht der in die Kugel neu eingetretenen Luft. Dieſer Verſuch, den man gewoͤhnlich nur oberflaͤchlich anſtellt, um zu zeigen, daß bei einer Kugel von 1 Cubicfuß Inhalt das Gewicht der ausgepumpten Luft eine Unze uͤbertrifft, iſt einer viel groͤßern Genauigkeit faͤhig. Um dieſe zu erreichen, muß man zuerſt den innern Raum der Kugel ſehr genau ausmeſſen, und dies geſchieht am beſten, indem man ſie mit Waſſer fuͤllt; hat man ihr Gewicht beſtimmt als ſie leer war, und beſtimmt man eben dies Gewicht, nachdem ſie mit Waſſer ge - fuͤllt iſt, ſo erhaͤlt man, weil das Gewicht von 1 Cubiczoll Waſſer bekannt iſt, den Cubic-Inhalt der Kugel; es verſteht ſich, daß man dabei die Waͤrme des Waſſers beobachten muß, weil waͤrmeres Waſſer leichter iſt. Wenn man ſo den genauen Inhalt der Kugel und das Gewicht der leeren Kugel kennt, ſo ſcheint es hinreichend, wenn man ſie nur auspumpte und wieder woͤge; aber da man nieR 2260die Luft ganz auspumpen kann, ſo reicht dieſes nicht zu, ſondern man muß auch den Grad der Verduͤnnung der Luft kennen. Man oͤffnet daher, nachdem man die mit ſehr verduͤnnter Luft gefuͤllte Kugel gewogen hat, ihren Hahn unter Waſſer, laͤßt das Waſſer durch den Druck der Luft hinein draͤngen, und beſtimmt, indem man ſie ſo eintaucht, daß die innere Waſſer-Oberflaͤche mit der aͤußern gleich hoch iſt, wie viel Luft im Innern noch uͤbrig geblieben iſt. Faͤnde man das Gewicht des ſo eingedrungenen Waſſers nur deſſen, was zur voͤlligen Fuͤllung der Kugel erforderlich iſt, ſo ſchloͤſſe man, daß die Luft noch der natuͤrlichen Dichtigkeit uͤbrig hatte, und daß man das gefundene Gewicht der luftvollen Kugel hiernach nur als das Gewicht derjenigen Luft, die des Raumes fuͤllte, anſehen muß. Auf dieſe Weiſe lernt man das Gewicht eines Cubicfußes Luft genau kennen, und wenn man ſich erinnert, daß die Luft bei hoͤherem Barometerſtande, nach Verhaͤltniß des Druckes ſchwerer iſt, und daß ſie bei jedem geringeren Waͤrmegrade ſchwerer, (bei jedem Reaumuͤr'ſchen Grade um $$\frac{1}{213}$$ ſchwerer,) iſt, ſo hat man alle Mittel, um die Dichtigkeit der Luft zu jeder Zeit zu beſtimmen. Biot hat vorzuͤglich dieſe Verſuche mit großer Genauigkeit ausge - fuͤhrt, und man weiß daher, daß bei 28 Zoll Barometerhoͤhe und Waͤrme 1 pariſer Cubicfuß 0,0907 franzoͤſiſche Pfunde wiegt, oder 11 Cubicfuß nur etwas weniges unter 1 Pfund an Gewicht ſind. Die ſpecifiſche Schwere des Waſſers iſt bei eben dieſer Waͤrme beinahe 772 mal ſo groß, als die der Luft, die ſpecifiſche Schwere des Queckſilbers 10495 mal ſo groß, als die der Luft.

Manometer.

Dieſe Kenntniß von dem wahren Gewichte der Luft dient noch zu Beantwortung einer Frage, naͤmlich wie viel Ungleichheit im Gewichte der Koͤrper wir bei Abwaͤgungen in der Luft und im luft - leeren Raume finden muͤßten. Wenn wir in der Luft an einer gleicharmigen Waage Gold an dem einen Arme und einen ſehr leichten Koͤrper am andern Arme ins Gleichgewicht bringen, dann aber beide Koͤrper ins Waſſer tauchen, ſo zeigt, wie Sie wiſſen, das Gold ein großes Uebergewicht; und ebenſo, wenn gleich in ge - ringerm Maaße, wuͤrde Gold und Kork im luftleeren Raume ins Gleichgewicht gebracht, nicht mehr im Gleichgewichte bleiben, wenn261 man die Waage mit dieſen Koͤrpern in einen luftvollen Raum braͤchte. Auch in der Luft verliert jeder Koͤrper ſo viel an Gewicht, als die Luft wiegt, die er aus der Stelle treibt; ein Cubiczoll Blei treibt nur ungefehr ein Gewicht von $$\frac{3}{10}$$ Gran Luft aus der Stelle, aber da an Kork uͤber 40 Cubiczolle erforderlich ſind, um einem Cu - biczoll Blei das Gleichgewicht zu halten, dieſe 40 Cubiczolle Kork aber 12 Gran Luft aus der Stelle treiben, ſo wuͤrde man beim Ab - waͤgen von 1 Cubiczoll Blei gegen 40 Cubiczoll Kork, ungefehr ein Gewicht von 12 Gran zu viel Kork haben, wenn man die Abwaͤ - gung in der Luft vorgenommen haͤtte. Man uͤberzeugt ſich hievon mit Huͤlfe der Luftpumpe, wenn man eine Waage, an welcher eine große aber ſehr leichte hohle Kugel einem ſchweren Koͤrper, Blei zum Beiſpiel, gegenuͤberhaͤngt, unter den Recipienten der Luft - pumpe bringt; fand in der Luft das Gleichgewicht ſtatt, ſo ſieht man im luftleeren Raume den groͤßern Koͤrper ſinken, weil vorhin die Luft auf ihn mehr tragende Kraft ausuͤbte. Iſt der groͤßere Koͤrper eine Kugel von 3 Zoll Durchmeſſer, alſo ungefehr von 14 Cubiczoll Inhalt, ſo ſind 4 Gran erforderlich, um im ganz luft - leeren Raume das Gleichgewicht herzuſtellen, wenn das Gegenge - wicht ſehr wenig Raum einnimmt. Man hat hierauf ein Mano - meter, ein Inſtrument, um zu jeder Zeit die Dichtigkeit der Luft zu beſtimmen, gruͤnden wollen, das jedoch den Nutzen nicht ge - waͤhrt hat, welchen man ſich davon verſprach. Haͤtte man eine hohle Kugel von 1 Cubicfuß groß, die nur ſo viel woͤge, als ein ſehr kleines gegenuͤber haͤngendes Gewicht, ſo verloͤhre jene unge - fehr 520 Gran, das iſt 8⅔ Drachmen an Gewicht in einer Luft, die 0 Gr. warm iſt und einen Druck von 28 Zoll Queckſilber leidet. Sinkt das Barometer auf 27 Zoll, ſo wiegt die aus der Stelle getriebene Luft $$\frac{1}{28}$$ weniger, das iſt 18 Gran weniger und ſo koͤnnte man allerdings ſowohl diejenigen Aenderungen, die einem verſchie - denen Barometerſtande, als diejenigen, welche einer ungleichen Waͤrme entſprechen, gar wohl beobachten. Aber da Barometer und Thermometer uns uͤber dieſe Aenderungen vollſtaͤndig unterrichten, diejenigen Unterſchiede aber, die in der Schwere der Luft durch Feuchtigkeit und aͤhnliche Umſtaͤnde hervorgehen, unbedeutend ſind, ſo hat man dieſes Manometer nur ſelten beobachtet.

262

Widerſtand der Luft.

Endlich muß ich noch eine Art von Verſuchen, die man mit der Luftpumpe anzuſtellen pflegt, erwaͤhnen, naͤmlich die, welche den Widerſtand der Luft betreffen. Obgleich es aus dem fruͤher Geſagten wohl klar genug geworden iſt, daß ein Stuͤck Blei nur darum ſchneller herabfaͤllt, als eine Feder, weil der Widerſtand der Luft jene ſchwere Maſſe weniger zuruͤckhaͤlt, ſo iſt es doch der Muͤhe werth, unter einer hohen Glocke den Verſuch zu zeigen, daß ein Stuͤck Geld und eine Feder im luftleeren Raume gleich ſchnell den Boden erreichen. Der Recipient, deſſen man ſich zu dieſem Verſuche bedient, muß oben eine Faſſung mit einem luftdicht durchgehenden Staͤbchen haben, und Geldſtuͤck und Feder muͤſſen auf einer Me - tallplatte liegen, die man durch Drehung jenes Staͤbchens ploͤtzlich aus der horizontalen Lage in die verticale Lage bringt. Sobald ſo den beiden Koͤrpern ihre Unterlage entzogen iſt, ſtuͤrzen ſie herab und erreichen zu gleicher Zeit den Boden.

Noch ein intereſſanter Verſuch uͤber den Widerſtand der Luft laͤßt ſich unter der Glocke der Luftpumpe anſtellen. Man bringe an zwei verſchiedenen Axen Fluͤgel, ſo wie Windmuͤhlenfluͤgel, an, die ſo geſtellt werden koͤnnen, daß die Fluͤgel an der einen Axe ihre breite Seite, die Fluͤgel an der andern Axe ihre ſcharfe Seite dem Widerſtande der Luft darbieten. Setzt man ſie nun in gleich ſchnelle Bewegung, ſo kommen diejenigen, welche ihre breite Seite dem Wi - derſtande der Luft darbieten, viel fruͤher als die andern zur Ruhe; im luftleeren Raume dagegen findet ein ſolcher Unterſchied nicht ſtatt. Um die gleich ſchnelle Bewegung hervorzubringen, kann man an jede der beiden Axen ein kleines gezaͤhntes Rad anbringen, in deſſen Zaͤhne die Zaͤhne einer vertical herabgehenden Stange, die ſich zwiſchen beiden befindet und an beiden Seiten gleiche Zaͤhne hat, eingreift. Wird dieſe durch ein Gewicht herabgedruͤckt, deſſen Ein - wirkung man unter der Glocke der Luftpumpe bis zu einem beſtimm - ten Augenblicke hemmen, und dann zur freien Wirkung bringen kann, ſo erhaͤlt man genau gleiche Drehungsbewegungen.

263

Neunzehnte Vorleſung.

Verſuche mit verdichteter Luft. Compreſſionsluft - pumpe. Windbuͤchſe.

Nicht bloß die Verduͤnnung der Luft, m. h. H., von welcher ich bisher nur geredet habe, ſondern auch die Verdichtung der Luft vermittelſt der Luftpumpe bietet uns manches Belehrende dar; indeß laͤßt ſich die Verdichtung nur in Faͤllen, wo man ſich ſehr feſter Gefaͤße bedienen kann, bis zu einem hohen Grade treiben. Warum die Gefahr des Zerſprengens der Gefaͤße hier in ſo hohem Grade waͤchſt, laͤßt ſich ſehr leicht uͤberſehen, indem erſtlich ſchon die Woͤlbung eines Gefaͤßes von der erhabenen oder convexen Seite einen viel groͤßern Druck, als von der hohlen Seite, auszuhalten im Stande iſt, und zweitens bei der Verduͤnnung der Luft, wenn dieſe auch den hoͤchſten Grad erreicht, der Druck doch nur eine At - moſphaͤre, ungefehr 15½ Pfund auf den Quadratzoll, betragen kann, ſtatt daß eine 10fach verdichtete Luft die innere Oberflaͤche des Ge - faͤßes mit 10 Atmoſphaͤren, mit 155 Pfund Druck auf jeden Qua - dratzoll, nach außen draͤngt, waͤhrend der Gegendruck von außen nur 15½ Pfund iſt. Wie ſtark, ſelbſt bei engen Roͤhren die Glas - waͤnde ſein muͤſſen, damit das Gefaͤß nicht zerriſſen werde, habe ich bei einer andern Gelegenheit erwaͤhnt; wollte man mit gleicher Sicherheit in einem Cylinder von 6 Zoll Durchmeſſer Verſuche an - ſtellen, ſo muͤßten die Waͤnde uͤber 3 Zoll dick ſein, und da nach Faraday's Bemerkung das mit verdichteter Luft gefuͤllte Gefaͤß oft bei den leichteſten Stoͤßen ſpringt, wenn es auch waͤhrend voͤlli - ger Ruhe Widerſtand genug leiſtete, ſo wuͤrde man kaum, ſelbſt bei ſo großer Dicke der Waͤnde, es wagen, ein Glasgefaͤß von einiger Groͤße zu 100fachen und mehrfachen Verdichtungen zu gebrauchen. In kleineren Glasgefaͤßen und in metallenen Gefaͤßen hat man dennoch die Verdichtungen bis auf einen hohen Grad getrieben, in - dem zum Beiſpiel Perkins angiebt, daß er bei 2000 Atmoſphaͤ - ren Druck das Waſſer bis auf $$\frac{11}{12}$$ ſeiner natuͤrlichen Dichtigkeit com - primirt habe, und daß bei einem aͤußern Drucke von 500 Atmoſphaͤ -264 ren auch die atmoſphaͤriſche Luft anfange, in den tropfbaren Zu - ſtand uͤberzugehen. Bei ſo ſtarken Compreſſionen wird es wichtig, einen Kolben von nur kleiner Oberflaͤche bei der Compreſſionspumpe anzuwenden. Haͤtte naͤmlich der Kolben einen Querſchnitt von 1 Quadratzoll, ſo muͤßte man bei 2000maliger Verdichtung einem Drucke von 31000 Pfunden Widerſtand leiſten, und dieſen bei weiterm Hineindraͤngen des Kolbens uͤberwinden; hat hingegen, wie Perkins angiebt, der Kolben nur $$\frac{5}{16}$$ Zoll Durchmeſſer, alſo un - gefehr $$\frac{1}{13}$$ Quadratzoll Flaͤche, ſo iſt der Druck auf den Kolben doch nur ungefehr 2400 Pfund, alſo wenn man einen die Kraft zwanzigfach verſtaͤrkenden Hebel anbringt, ſind 120 Pfund Kraft hinreichend, um die Compreſſion zu bewirken und zu erhalten.

Wenn man die Verdichtung auf einen hohen Grad zu treiben gedenkt, ſo bedient man ſich, um der Drehung des Hahnes uͤber - hoben zu ſein, lieber einer Pumpe mit ſtarken Ventilen, wo naͤm - lich (Fig. 143.) von innen her eine Metallkugel A vermittelſt einer Feder B gegen eine kugelfoͤrmige Hoͤhlung CD feſt angedruͤckt wird. Der Cylinder, in welchem der Kolben hinabgeht, hat dann da, wo der Kolben ſeine hoͤchſte Stellung erreicht, bei E, eine Oeffnung, damit, indem der Kolben bei dieſer vorbei geht, der Cylinder ſich mit Luft fuͤlle, welche beim Hinabgehen des Kolbens immer mehr zuſammengepreßt wird, und endlich Druck genug ausuͤbt, um die Feder, welche die Kugel herandruͤckt, zuruͤck zu draͤngen und die Luft in das zu Verdichtung der Luft beſtimmte Gefaͤß FG hinein zu treiben. Auf dieſe Weiſe verdichtet man die Luft in der Wind - buͤchſe, und dieſe hat die Einrichtung, daß beim Andruͤcken von außen das Ventil auf einen Augenblick geoͤffnet wird, um die in dem Rohre der Windbuͤchſe enthaltene Kugel fortzutreiben. Das Ventil laͤßt beim Drucke nur die erforderliche Menge Luft, um die Kugel in dem Laufe fortzuſtoßen, aus, und man kann daher mehr - mals Kugeln abſchießen, wobei indeß die Kraft der Luft immer mehr abnimmt.

Die Rechnung uͤber die der Kugel ertheilte Geſchwindigkeit wird auf folgende Weiſe gefuͤhrt. Es ein Rohr von Zoll weit, aus welchem eine Bleikugel von eben dieſem Durchmeſſer ge - ſchoſſen werden ſoll, und die Luft ſei bis zur hundertfachen Dichtig - keit verdichtet. Eine Bleikugel von dieſer Groͤße wiegt ungefehr265 Loth, der Druck der Atmoſphaͤre auf ihren Querſchnitt, der $$\frac{1}{9}$$ Quadratzoll betraͤgt, iſt ungefehr 54 Loth, alſo 130 mal ſo groß als das Gewicht der Kugel, und hundertfach verdichtete Luft uͤbt folglich eine 13000 mal ſo große bewegende Kraft aus, als das Gewicht der Kugel. Da nun die Schwerkraft in $$\frac{1}{600}$$ Secunde eine Geſchwindigkeit von $$\frac{30}{600}$$ = $$\frac{1}{20}$$ Fuß hervorbringt, ſo wuͤrde jene 13000 fache Kraft eine Geſchwindigkeit von 650 Fuß in 1 Secunde bewirken, wenn die Kraft auch nur $$\frac{1}{600}$$ Secunde lang wirkſam waͤre; und laͤnger kann man ihre geſammte Wirkſamkeit nicht rech - nen, da die Kraft ſogleich abnimmt, wenn die Kugel im Rohre fortgeht. Eine Geſchwindigkeit von 600 bis 700 Fuß in 1 Sec. koͤnnte man alſo wohl von einer ſolchen Windbuͤchſe erwarten, wenn nicht der Widerſtand, den die Kugel in der Roͤhre leidet, ſchon einen erheblichen Theil der Kraft aufhoͤbe.

Kraft des Schießpulvers.

Auf ganz aͤhnliche Weiſe berechnet man die Wirkung des Schießpulvers, indem auch bei der Entzuͤndung des Schießpul - vers eine Quantitaͤt elaſtiſcher Fluͤſſigkeiten ploͤtzlich frei wird, welche eine Wirkung, ganz den Wirkungen der verdichteten Luft gemaͤß, zeigt. Die Berechnung, wie groß die anfaͤngliche Verdich - tung der aus dem Schießpulver entwickelten Luft-Arten ſein mußte, damit die Kugel diejenige Geſchwindigkeit erlange, welche die Erfahrung uns zeigt, iſt darum truͤglich, weil der große Ver - luſt an Luft, indem ſie durch das Zuͤndloch hervordringt, gar nicht in Rechnung gebracht werden kann. Waͤre dieſes Hinder - niß nicht, ſo wuͤrde man die Rechnung ſo fortfuͤhren koͤnnen, daß man die bei groͤßerer Ausdehnung allmaͤhlig abnehmende Kraft gehoͤrig in Rechnung braͤchte. Zur Beſtimmung der ſehr großen Gewalt des Schießpulvers hat Rumford eine anders angeordnete Reihe von Verſuchen angeſtellt. Um den Verluſt an Kraft, der beim Hervordringen der Luft aus dem Zuͤndloche ſtatt findet, zu vermeiden, ließ er einen kleinen Lauf von Eiſen ſo verfertigen, daß er nach der Ladung, ganz dicht verſchloſſen, und dann das Pulver durch ein von außen angebrachtes gluͤhendes Eiſen entzuͤndet werden konnte. Da die Pulvermenge, welche der kleine Flintenlauf faßte, ſo ſehr geringe war, (ſie betrug nur266 $$\frac{1}{10}$$ Cubiczoll oder etwa Loth,) ſo glaubten die bei den erſten Verſuchen anweſenden Zuſchauer nicht, daß man viel von dieſem unbedeutenden Verſuche zu erwarten habe; aber ſchon der zweite Verſuch uͤberzeugte ſie vom Gegentheil, indem der kleine Cylin - der, deſſen Waͤnde Zoll dick waren, und deſſen innere Boh - rung nur ¼ Zoll Weite hatte, auseinander geſprengt wurde. Der Cylinder war in zwei Stuͤcke zerriſſen, und ſeine Bruchflaͤche be - trug Quadratzoll; da nun ein ſolider Cylinder von 1 Qua - dratzoll aͤhnlichen Eiſens erſt von 63000 Pfunden zerriſſen wird, ſo mußte die Gewalt des Pulvers 410000 Pfund betragen ha - ben. Die fernern Verſuche wurden, um die genaue Druckkraft der entwickelten elaſtiſchen Fluͤſſigkeiten zu meſſen, ſo angeſtellt, daß der Lauf, in welchem ſich das Pulver befand, oben durch ein aufliegendes ſehr ſchweres Gewicht geſchloſſen, und bei wieder - holten Verſuchen dieſes Gewicht ſo vermindert wurde, daß die Entzuͤndung des Pulvers es grade zu heben vermochte. Die Muͤn - dung des kleinen Laufes betrug bei dieſen Verſuchen $$\frac{1}{20}$$ Qua - dratzoll und der Druck der Luft in ihrer natuͤrlichen Dichtigkeit konnte alſo nur ¾ Pfund auf dieſe Flaͤche betragen; und dennoch wurde mit einer Ladung von 18 Gran eine auf der Muͤndung ruhende Laſt von mehr als 8000 Pfunden gehoben, ſo daß die im Innern entwickelten elaſtiſchen Fluͤſſigkeiten ungefehr die 11000 fache Kraft der Atmoſphaͤre ausuͤbten, ja einige Verſuche gaben dieſe Kraft ſogar groͤßer als den 50000 fachen Druck der Atmoſphaͤre an*)Gilb. Ann. IV. 257.. Hieraus erklaͤren ſich denn auch hinreichend die ungeheuern Zerſtoͤrungen, welche eine groͤßere Pulvermaſſe beim Entzuͤnden hervorbringt. Das Entzuͤnden von ungefehr 60 Centner Pulver in einem Pulverthurme in Danzig hatte bis auf ¾ Stunden weit eine merkliche Wirkung, ein Erſchuͤttern der Gegenſtaͤnde gezeigt, auf weiter als eine halbe Stunde wurden die im Thurme befindlich geweſenen Kugeln, Kartaͤtſchen und Steinſtuͤcke herumgeworfen, und vom Thurme ſelbſt fand man ſogar die Fundamente aus der Erde gewuͤhlt**)Gilb. Ann. I. III. 314..

267

Geblaͤſe.

Weit maͤßigere Verdichtungen der Luft ſind es, deren wir uns bedienen, um den Luftſtrom bei Geblaͤſen hervorzubringen. Ihr Zweck iſt ein Ausſtroͤmen von Luft zu bewirken, und es muß daher Luft an einem Orte geſchoͤpft und dann durch einige Verdichtung genoͤthiget werden, durch die dazu beſtimmte Roͤhre auszuſtroͤmen. Bei dem gewoͤhnlichen Blaſebalge geſchieht dies dadurch, daß eine Seiten-Oeffnung die Luft aufnimmt, ſich dann durch eine Klappe ſchließt, und beim Zuſammendruͤcken der Luft den Ausgang nur durch die dem Feuer zugewandte Roͤhre geſtat - tet. Der doppelte Blaſebalg hat eine Mittelwand mit einem Ventile, und indem ſein einer Behaͤlter die Luft, wie der ein - fache Blaſebalg, aufnimmt, dieſe aber beim Zuſammenpreſſen durch das Ventil der Mittelwand in den zweiten Behaͤlter uͤber - geht und ſich aus dieſem durch die Roͤhre in das anzublaſende Feuer ergießt, wirkt er beinahe gleichmaͤßig, auch waͤhrend neue Luft eingeſchoͤpft wird, fort, indem das Ventil der Mittelwand die im zweiten Behaͤlter verdichtete Luft außer Verbindung mit dem Raume ſetzt, in welchen Luft von natuͤrlicher Dichtigkeit ein - dringt. Die Blaſebaͤlge der Orgel fuͤhren die Luft in die Wind - lade, wo ſie comprimirt erhalten wird, und durch ein Ventil außer Verbindung mit dem Blaſebalge, waͤhrend dieſer Luft ſchoͤpft, geſetzt, der Orgel einen beſtaͤndigen Luftſtrom zufuͤhrt, dem das Orgelſpiel den Zugang bald zu der einen, bald zu der andern Pfeife oͤffnet.

Um große Feuer zu Schmelz-Oefen zu unterhalten, bedient man ſich der Cylindergeblaͤſe, wo ein fortruͤckender Kolben die zwiſchen ihm und dem Boden enthaltene Luft comprimirt und durch eine im Boden befindliche Roͤhre dieſe Luft dem Feuer zu - treibt; beim Hinaufgehen des Kolbens fuͤllt ſich der Cylinder durch eine Seiten-Oeffnung mit Luft und dieſe ſowohl als die Roͤhre ſchließen ſich abwechſelnd durch Ventile.

Bei allen dieſen Geblaͤſen muͤßte man den Grad der Ver - dichtung der Luft kennen, um zu berechnen, wie ſchnell und in welcher Menge die Luft ausſtroͤmt. Zu dieſer Abmeſſung dienen268 die Windwaagen, Elaſticitaͤtsmeſſer, die den Barometerproben aͤhn - lich ſind. Sie beſtehen aus einer zweiſchenklichen an beiden En - den offenen und unten mit Queckſilber gefuͤllten Roͤhre, deren einer Schenkel im Innern des Windkaſtens, der andre in der freien Luft iſt; je dichter die Luft in dem Geblaͤſe iſt, deſto hoͤ - her wird das Queckſilber in dem Schenkel, welcher außer dem - ſelben iſt, heraufgetrieben, und man kann daher angeben, durch wieviel Zoll Queckſilber die Zuſammendruͤckung der Luft bewirkt wird. Um aus dieſer Beſtimmung der Verdichtung die Geſchwin - digkeit der hervorſtroͤmenden Luft zu berechnen, muß man folgen - des uͤberlegen. Wenn die Luft in den leeren Raum ſtroͤmte, ſo wuͤrde man ſich erinnern muͤſſen, daß die an der Oeffnung lie - genden Lufttheilchen bei der natuͤrlichen Dichtigkeit der Atmoſphaͤre einen Druck, wie von einer 32 Fuß hohen Waſſerſaͤule oder einer 24640 Fuß hohen Luftſaͤule leiden, daß alſo die Geſchwindigkeit, als die dieſer Fallhoͤhe zugehoͤrende, uͤber 1200 Fuß in der Se - cunde betragen muͤßte. Dieſe Geſchwindigkeit wuͤrde indeß durch die allmaͤhlige Fuͤllung des Raumes, wohinein die Luft dringt, ſehr ſchnell abnehmen, wenn auch die Widerſtaͤnde an den Waͤn - den ihr uͤberhaupt geſtatteten einen ſo hohen Grad zu erreichen. In den Faͤllen, wo Luft aus den Geblaͤſen ausfließt, betraͤgt der Druck, wegen des Gegendruckes der Atmoſphaͤre viel weniger, und wenn zum Beiſpiel die Dichtigkeit $$\frac{9}{8}$$ der Dichtigkeit der aͤußern Luft betraͤgt, waͤre der Ueberſchuß des Druckes nur der eben angegebnen Hoͤhe = 3080 Fuß, oder gleich einer Saͤule von 2740 Fuß der verdichteten Luft, und dieſer Fallhoͤhe gehoͤrt eine Geſchwindigkeit von 380 Fuß zu, indeß bemerkt Schmidt, daß die Widerſtaͤnde dieſe Geſchwindigkeit um ein Drittel vermindern. Bei den Blaſebaͤlgen der Orgel iſt die Verdichtung ſehr geringe, nur etwa bis $$\frac{81}{80}$$ der natuͤrlichen Dichtigkeit, und die Geſchwin - digkeit wuͤrde dort 130 Fuß hoͤchſtens betragen*)Nach Stuͤnkel's Verſuchen (Gilb. Ann. XXVIII. 392.) ſcheint die Luft wirklich aus den Geblaͤſen mit 180 bis 260 Fuß Ge - ſchwindigkeit auszuſtroͤmen..

Eines der groͤßeſten Windgewoͤlbe iſt dasjenige, welches in Devon bei den dortigen Eiſenwerken wirkſam iſt. Das Wind -269 gewoͤlbe iſt 72 Fuß lang, 14 Fuß breit und 13 Fuß hoch, ſo daß es 13000 Cubicfuß enthaͤlt; die Luft wird in demſelben vermit - telſt einer Luftpumpe comprimirt, deren Kolben Fuß Durch - meſſer hat und bei jedem Zuge 155 Cubicfuß Luft in das Wind - gewoͤlbe treibt. Die Luftpumpe wird von einer Dampfmaſchine getrieben und dadurch die Luft im Windgewoͤlbe ſo verdichtet, daß ihre Elaſticitaͤt ungefehr 4 bis 6 Zoll groͤßer als die der na - tuͤrlichen Luft iſt. Selbſt dieſe maͤßige Verdichtung aber reicht ſchon hin, um, wie Roebuck erzaͤhlt, den Perſonen, die ſich ei - nes Verſuches wegen in das Windgewoͤlbe begaben, die unange - nehme Empfindung, als ob man die Ohren mit dem Finger zu - druͤcke, zu verurſachen.

Wenn man Geblaͤſe zu beſchraͤnkteren Zwecken gebraucht, ſo kann man einen mit dem Rande in Waſſer getauchten Gasbe - haͤlter AB (Fig. 141.) anwenden, in welchem ſich das eine Ende der Roͤhre CD endigt, welche am andern Ende den Luftſtrom hergeben ſoll. Indem dann der Gasbehaͤlter durch ein maͤßiges Gewicht hinabgedruͤckt wird, noͤthiget dieſer Druck die Luft durch jene Roͤhre zu entweichen. Will man bei Schmelzungen oder zu andern Zwecken eine kuͤnſtlich bereitete Luft-Art anwenden, ſo muß der Gasbehaͤlter dieſe Luft-Art durch irgend eine Gas-Ent - wickelung zugefuͤhrt erhalten.

Auffallende Phaͤnomene beim Ausſtroͤmen verdichteter Luft.

Der Ausfluß zuſammengepreßter Luft aus kleinen Oeffnungen giebt unter gewiſſen Umſtaͤnden die ſeltſame Erſcheinung einer An - ziehung der vor der Oeffnung liegenden Koͤrper, ſtatt daß man dieſe durch den Luftſtrom fortgeſtoßen zu ſehen erwarten konnte. Laͤßt man die Luft durch eine freiſtehende Roͤhre ausfließen, und bringt dieſer gegenuͤber eine bewegliche duͤnne Platte an, ſo wird dieſe Platte fortgeſtoßen, wie wir es von der Gewalt des Luftſtroms er - warten; iſt aber die Oeffnung, wie A (Fig. 144.) in einer breitern Wand des Gefaͤßes und liegt auf ihr eine Platte FG von betraͤcht - lich groͤßerem Durchmeſſer, leicht genug, um von dem Luftſtrome fortgeſtoßen zu werden, ſo hebt dieſe ſich zwar, um die Luft auszu - laſſen, ſie entfernt ſich aber nicht von der Oeffnung, ſondern ſcheint270 durch den zwiſchen DE und FG nach allen Seiten, wie durch eine enge Spalte, hervordringenden Luftſtrom angezogen zu werden. Legt man zwiſchen DE und FG hie und da kleine feſte Koͤrper, ſo daß ſogleich von Anfang die Platte ſich in einer beſtimmten Entfernung von der Oeffnung befindet, ſo dauert die ſcheinbare Anziehung fort; ſind aber dieſe kleinen zwiſchen gelegten Saͤulchen ſo hoch, daß der Abſtand ½ Zoll oder mehr betraͤgt, ſo wird die Platte FG fortgetrie - ben, ſo wie es dem Stoße des Luftſtroms angemeſſen zu ſein ſcheint.

Dieſer ſeltſam ſcheinende Verſuch, den man leicht anſtellen kann, wenn man durch eine Roͤhre CBA (Fig. 144.) blaͤſet, deren Ende in einem Brette DE ſo befeſtigt iſt, daß die Oeffnung A nicht uͤber daſſelbe hervorragt, giebt, wenn man ein ſehr biegſames Blaͤtt - chen auf DE auflegt, noch zu der Erſcheinung Anlaß, daß dieſes Papierblaͤttchen in eine zitternde Bewegung geraͤth, die von dem Ausſtroͤmen der Luft und dem Andraͤngen gegen die Oeffnung, je nachdem dieſe auf den einen oder andern Theil der Platte wirkſam ſind, abhaͤngt. Die ganze Erſcheinung wird etwas verſtaͤndlicher, wenn man ſie mit einer andern in Verbindung ſetzt, die man ſchon laͤngſt bei dem Ausfluſſe des Waſſers aus Oeffnungen mit Anſatz - roͤhren bemerkt hat, die ſich nach außen erweitern. Sie erinnern ſich, daß bei dem Ausfluſſe des Waſſers aus Oeffnungen in einer duͤnnen Wand die Waſſermenge wegen der Zuſammenziehung des Waſſerſtrahles weniger betrug, als ſie nach Maaßgabe der Geſchwin - digkeit betragen ſollte, daß aber dieſe Waſſermenge ſehr geſteigert werden konnte, wenn man ein ſich nach außen erweiterndes Roͤhr - chen, wie AB, an die Oeffnung anſetzte (Fig. 145.). Hier naͤmlich dringt aus der weiten Oeffnung BC im erſten Augenblicke ſo viel Waſſer hervor, als dem Drucke des Waſſers auf dieſe groͤßere Flaͤche gemaͤß iſt; das Waſſer in der Oeffnung AD hat durch jenen Druck nur einen Antrieb zu ebenſo großer Geſchwindigkeit und wuͤrde daher den Waſſer-Abgang nicht erſetzen koͤnnen; aber wenn das nicht ge - ſchaͤhe, ſo entſtaͤnde ja zwiſchen AD und BC ein Raum leer von Luft und Waſſer, und in dieſen wuͤrde das Waſſer bei AD ſich mit aller der Gewalt ſtuͤrzen, welche dem vereinigten Drucke der Luft auf die Oberflaͤche des Waſſers GH und dem Drucke des Waſſers im Gefaͤße gemaͤß iſt. Wegen dieſes ſich in demſelben Momente aͤußernden Druckes entſteht daher der luftleere Raum gar nicht, ſon -271 dern der Waſſerzufluß durch AD verſtaͤrkt ſich ſo, daß die aus - fließende Waſſermenge ſo erheblich wird, wie es die Erfahrung zeigt. Daß dieſes hier die wirkliche Urſache der Erſcheinung iſt, laͤßt ſich dadurch zeigen, daß ein nahe bei D angebrachtes, unten in ein Ge - faͤß mit Waſſer endigendes Roͤhrchen EF ſich hoͤher als das umge - bende Waſſer es fordert, mit Waſſer fuͤllt, zum Zeichen, daß in E ein Anziehen nach innen, ein Aufnehmen einiger Luft aus der Roͤhre EF und ſo ein Anſaugen des Waſſers ſtatt findet.

Auf aͤhnliche Weiſe wie in dieſem zuletzt erzaͤhlten Verſuche die weitere Muͤndung den Ausfluß einer groͤßern Waſſermaſſe ge - ſtattet, als durch die kleinere Oeffnung ausfließen wuͤrde, und wie dadurch ein Anſaugen, ein Beſtreben der Luft, von der Seite ein - zudringen, entſteht, ſo bringt auch der auf die ganze ringfoͤrmige Oeffnung ABCD, wo naͤmlich die Luft zwiſchen dem Boden FG und der aufliegenden Platte hervordringen kann (Fig. 146.), wirkende Druck der verdichteten Luft, einen groͤßern Luft-Ausfluß hervor, als die kleinere Oeffnung erſetzen kann, und daher folgt jedem Her - vordraͤngen der Luft ein Heranziehen der beweglichen Platte, die entweder immer abwechſelnd dem Luftzuge wieder Raum laͤßt und dann wieder herangezogen wird, oder durch ein Hinderniß, durch zwiſchen liegende Saͤulchen entfernt gehalten, ebenſo immer herange - zogen wird, wie das Waſſer in der Roͤhre EF Fig. 145.

Daß dieſe Vorſtellung die richtige ſei, zeigen vorzuͤglich Ewart's Verſuche, unter welchen folgender am belehrendſten iſt. Aa iſt die Roͤhre (Fig. 147.), durch welche die Luft herandringt, um durch die Oeffnung in der Platte BC auszuſtroͤmen; uͤber dieſer Oeffnung aber iſt, durch kleine Stuͤtzen in einer geringen Entfer - nung erhalten, die Platte DE, zwiſchen welcher und der Boden - platte die Luft, nach allen Seiten hin ſich ausbreitend, ihren Ausweg ſuchen muß. Damit man nun den Druck der Luft ſowohl in der Roͤhre A, als in der Mitte der obern Oeffnung kennen lerne, ſind bei F und M gebogne Roͤhren, zum Theil mit Queckſilber gefuͤllt, angebracht, und damit man die Staͤrke des Anſaugens zwiſchen bei - den Ebnen gegen den Rand der Platte hin kennen lerne, ſind Roͤh - ren H, I, K, angebracht, die unten in Waſſer getaucht ſind. Waͤh - rend nun die verdichtete Luft gegen die Oeffnung herandraͤngte, hob ſich bei Ewart's Verſuchen das Queckſilber in e um Zoll engt.272 hoͤher als in b, und in c um Zoll hoͤher, als in d alſo war in - nerhalb der Roͤhre der Druck der Luft etwa um $$\frac{1}{24}$$ ſtaͤrker als außen; in der Roͤhre H ſtieg das Waſſer 9 Zoll, in 12 Zoll, in K ½ Zoll, Queckſilber waͤre alſo etwa in H Zoll, in 1 $$\frac{1}{7}$$ Zoll, in K nur $$\frac{1}{28}$$ Zoll hoch geſtiegen, aber deutlich zeigte ſich doch der die obere Platte bei H ſtark, bei I ſchwaͤcher gegen die Oeffnung anſau - gende Druck.

Man hat an dieſe Beobachtung die nuͤtzliche Bemerkung ge - knuͤpft, daß man das Sicherheitsventil bei Dampfmaſchinen nicht als eine breite, die Oeffnung verdeckende Klappe anbringen muͤſſe, weil auch beim Hervordringen des Dampfes eben dieſes Anſaugen, eben dadurch aber eine Hinderung fuͤr das freie Ausſtroͤmen des Dampfes, wenn es noͤthig iſt dieſen auszulaſſen, eintritt.

Luftſchifffahrt.

Ich gehe jetzt zu einem der merkwuͤrdigſten Gegenſtaͤnde, der auf der Lehre von der Ausdehnbarkeit der Luft und von dem ſpecifi - ſchen Gewichte kuͤnſtlicher Gas-Arten beruht, uͤber, zu dem Luft - ballon. Schon in aͤlterer Zeit hat man ſich mit dem Gedanken beſchaͤftigt, ſich in die Luft zu erheben, und jene hoͤheren Gegenden des Luftkreiſes naͤher zu unterſuchen; aber ſelbſt nachdem man die Mittel, einen luftleeren Raum hervorzubringen, kennen gelernt hatte, ſchien es doch immer noch unmoͤglich, durch die Auspumpung der Luft einen Koͤrper ſo leicht zu machen, daß er ſich in der At - moſphaͤre erheben und ſogar noch ein Schiffchen mit Menſchen mit hinauf ziehen koͤnne. Obgleich naͤmlich die Luftmaſſe, die dem Ge - wichte eines Menſchen gleich iſt, kein ſo gar großes Volumen hat, indem ſie fuͤr einen 150 Pfund ſchweren Mann nur etwa 1650 Cu - bicfuß betragen oder eine Kugel von 15 Fuß Durchmeſſer fuͤllen wuͤrde, ſo fehlt es uns doch gaͤnzlich an einer Art von Koͤrpern, die bei ſehr geringem Gewichte dem Drucke der aͤußern Luft Widerſtand leiſten koͤnnten; ein biegſamer Koͤrper aber wuͤrde zu einem Gefaͤße, das man luftleer machen will, nicht taugen, weil er, wie wir an einer Blaſe ſehen, ſogleich zuſammen faͤllt, wenn man die innere Luft fortſchafft. Ich brauche nicht bei der Berechnung, wie ſchwer ſelbſt die duͤnneſte Metallſchale ausfallen wuͤrde, zu verweilen, und es erhellt leicht, daß nur eine unausfuͤhrbar große Kugel aus ſehr273 duͤnnem Bleche, voͤllig luftleer gemacht, allenfalls dem Zwecke ent - ſprechen koͤnnte. Erſt Montgolfier faßte vor nun bald 50 Jah - ren den Gedanken auf, daß ja Rauch in der Luft aufſteige, oder wie ich es lieber, den Anſichten der Erfinder vorgreifend, ausdruͤcken will, daß warme Luft bei ſehr vermindertem ſpecifiſchen Gewichte ebenſo viel Elaſticitaͤt, als kaͤltere, betraͤchtlich ſchwerere Luft beſitze, und daß daher warme Luft in leichte Haͤute oder andre Huͤllen ein - geſchloſſen, dem Zuſammendruͤcken durch die aͤußere Luft widerſte - hen, und doch zum Aufſteigen wohl leicht genug ſein koͤnne. So entſtanden die erſten Aëroſtaten oder Luftbaͤlle, indem die Bruͤder Montgolfier einen mit erhitzter Luft gefuͤllten Ballon von 35 Fuß Durchmeſſer nicht bloß zum Steigen brachten, ſondern auch ein erhebliches Gewicht mit demſelben in die Luft hinaufheben ließen.

Aber dieſer unvollkommene Anfang der Aëronautik gab bald Ver - anlaſſung zu einer beſſern Einrichtung. Die Phyſiker hatten kuͤrzlich erſt die kuͤnſtlichen Luft-Arten und die Mittel, ſie bequem aufzufan - gen und naͤher zu unterſuchen, kennen gelernt, und unter dieſen Luft - Arten zeichnete das brennbare Gas, das Hydrogengas, ſich als eine ſehr leichte Luft-Art, die bei gleicher Elaſticitaͤt wie die natuͤrliche Luft ein ſehr geringes Gewicht hat, aus. Charles in Paris machte daher den Verſuch, dieſe Luft-Art in Ballons von duͤnner Materie einzuſchließen, und brachte ſo diejenigen Luftballons zu Stande, die ſich nachher als die brauchbarſten bewaͤhrt haben. Dieſe Luft-Art iſt, ſelbſt wenn man ſie nicht vollkommen frei von atmoſphaͤriſcher Luft erhalten kann, doch immer nur ¼ oder ſo ſchwer als atmo - ſphaͤriſche Luft, und man erhaͤlt daher, weil ſie in duͤnne Umhuͤllun - gen eingeſchloſſen werden kann, ſelbſt bei einer ziemlich maͤßigen Groͤße, Steigekraft genug, um ſehr bedeutende Laſten zu heben. In der erſten Zeit der Luftſchiffkunſt, nachdem man die Moͤglichkeit, ohne Gefahr ſich in die Luft zu erheben, kennen gelernt hatte, ſuchte man durch ſehr große Luftballons den Zweck, recht große Laſten zu heben, zu erreichen. So verfertigten Pilatre de Rozier und Montgolfier eine Maſchine von 126 Fuß hoch und 102 Fuß im Durchmeſſer, mit welcher 6 Perſonen ſich in die Luft erhoben.

Ich habe nicht noͤthig, Ihnen das Erſtaunen zu ſchildern, mit welchem alle Menſchen den neuen Anblick eines die Luft Durch - ſchiffens betrachteten; denn wer ſollte nicht das hoͤchſt uͤberraſchendeI. S274Schauſpiel, ein Schiffchen mit Menſchen in den anſcheinend leeren Raum hinaufſteigen zu ſehen, mit Erſtaunen anſehen; wen ſollte nicht die unerhoͤrte Kuͤhnheit, ſich uͤber Berge und Wolken in die Luft zu erheben, die Vorſtellung von den Gefahren, denen ſich der Luftſchiffer ausſetzt, zur Bewunderung auffordern, und wie mußte der Gedanke an die erhabenen Empfindungen, die einen tiefer fuͤh - lenden Menſchen ergreifen muͤßten, wenn er ſo, alles Irdiſche unter ſich zuruͤcklaſſend, gleichſam den Sternen zueilt, die Gemuͤther der Zuſchauer beſchaͤftigen; wie mußte da jeder, nach der ihm eigen - thuͤmlichen Art zu denken und zu empfinden, zur Bewunderung, zur theilnehmenden Beſorgniß, zum freudigen Erſtaunen uͤber die Kraft der Wiſſenſchaft und des menſchlichen Geiſtes, dem nichts unmoͤglich iſt, hingezogen werden! Damals benutzte Blanchard, ſpaͤter Garnerin und Andre dieſe Stimmung oͤfter und zeigten ſich in zahlreichen Luftreiſen; jetzt iſt die Wiederholung dieſes ſchoͤnen Schauſpiels ſeltener geworden.

Um aber unſre wiſſenſchaftliche Betrachtung des Gegenſtandes zu verfolgen, wollen wir jetzt fragen, welche Laſt kann denn ein Ballon von gegebner Groͤße heben, welche Hoͤhen kann er erreichen und was fuͤr Mittel giebt es, um ſein Steigen und Sinken zu re - gieren? Die erſte Frage will ich zuerſt kurz in Beziehung auf die bloß durch Erwaͤrmung der Luft aufſteigenden Aëroſtaten beantwor - ten. Wenn hier eine Kugel von ungefehr 50 Fuß Durchmeſſer, alſo etwa 66000 Cubicfuß Inhalt eine Steigekraft von 600 Pfund erhalten ſollte, ſo mußte die im Innern enthaltene Luft 600 Pfund weniger wiegen, als die aus der Stelle getriebene atmoſphaͤriſche Luft; die letztere aber wiegt, 11 Cubicfuß auf 1 Pfund gerechnet, 6000 Pfund, jene muß daher nur 5400 Pfund wiegen oder $$\frac{9}{10}$$ der Dichtigkeit der natuͤrlichen Luft haben, und dazu muͤßte ſie 21 Reaum. Grade waͤrmer ſein, als die umgebende Luft. Bei dieſer Groͤße waͤre es alſo nicht ſchwierig, eine noch viel erheblichere Steigekraft zu erhalten, und obgleich in groͤßern Hoͤhen die wenigere Dichtigkeit der aͤußern Luft die Steigekraft vermindert, ſo liegt doch nicht darin, ſondern in der Gefahr, die ein Feuer zum Erhitzen der Luft allemal mit ſich bringt, der Hauptgrund, warum man in ſpaͤtern Zeiten nicht gern mehr Gebrauch von dieſer Art, den Luftball zum Steigen zu bringen, gemacht hat.

275

Bei der zweiten Art von Luftballons macht die Entwickelung einer ſo großen Menge brennbarer Luft zwar eine ſehr bedeutende und viele Zeit koſtende Arbeit, aber man hat dann auch eine ſehr anſehnliche Steigekraft ohne andre Gefahren, als diejenigen ſind, denen man bei jeder Luftſchifffahrt allemal ausgeſetzt iſt. Man be - dient ſich zu dieſen Ballons ſehr leichter Seidenzeuge, die durch Fir - niß gegen den Verluſt der Luft beinahe voͤllig geſichert ſind. Dieſe brennbare Luft, die man hier nie als ganz ungemiſcht in den Ballon gelangend anſehen kann, laͤßt ſich doch immer als nur des Ge - wichtes der atmoſphaͤriſchen Luft habend anſehen. Ein Ballon, deſſen großer Durchmeſſer 30 Fuß, der kleinere 25 Fuß waͤre, wie es bei Garnerin's Ballon der Fall war, haͤtte 10400 Cubicfuß Inhalt und triebe alſo in der untern Luft ungefehr 950 Pfund Luft aus der Stelle; die brennbare Luft, die ihn fuͤllt, wuͤrde etwa 160 Pfund wiegen, die Umhuͤllung des Ballons 70 Pfund, die Seile mit dem Schiffchen 200 Pfund; alſo hat der 950 Pfund be - tragende, hinaufwaͤrts gerichtete Luftdruck ungefehr 430 Pfund zu tragen, und es kann noch eine bedeutende Belaſtung ſtatt finden. Betruͤge dieſe, etwa indem 2 Menſchen das Schiffchen beſtiegen, 300 Pfund, ſo behielte der Ballon noch 220 Pfund Steigekraft, und koͤnnte mit einer Geſchwindigkeit von 7 oder 8 Fuß in der Se - cunde zu ſteigen anfangen. Nach Beobachtungen, die man in an - dern Faͤllen uͤber das Steigen der Luftbaͤlle angeſtellt hat, betrug die Geſchwindigkeit 10 Fuß in der Secunde, ſo daß der Ballon in 7 Minuten 4000 Fuß Hoͤhe erreichte.

Indem der Ballon hoͤher ſteigt, erreicht er eine duͤnnere, weni - ger druͤckende Luft; war er alſo ſchon unten vollkommen gefuͤllt, ſo wird die Elaſticitaͤt der innern Luft ihn in groͤßerer Hoͤhe ſtark aus - ſpannen und zu zerſprengen drohen; der Luftſchiffer muß daher mit Huͤlfe eines am Ballon angebrachten Ventils, das er mit einem Seile regiert, etwas Luft ausſtroͤmen laſſen, und auf dieſe Weiſe erhaͤlt ſich das Verhaͤltniß des Gewichts der innern Luft und der aus der Stelle getriebenen aͤußern ziemlich ungeaͤndert; aber da jene ſowohl als dieſe in groͤßern Hoͤhen duͤnner iſt, ſo nimmt die Steige - kraft des Ballons immer mehr ab. Hat zum Beiſpiel der Ballon die Hoͤhe 8000 Fuß erreicht; wo die Dichtigkeit der Luft noch etwa ¾ der unten ſtatt findenden Dichtigkeit iſt, ſo treibt der Ballon nochS 2276720 Pfund Luft aus der Stelle, die in ihm enthaltene Luft wiegt 120 Pfund, die Umhuͤllung, das Schiff mit ſeiner Belaſtung 570 Pfund, und der Ballon kann alſo nicht viel mehr ſteigen. Sollte er hoͤher ſteigen, ſo muͤßte die Belaſtung geringer ſein, und wir wollen daher zu einer neuen Fahrt nur eine Perſon mit neh - men, damit die 150 Pfund geringere Belaſtung ſelbſt in 8000 Fuß Hoͤhe noch eine Steigekraft von 180 Pfund uͤbrig laſſe. So er - leichtert wuͤrde er faſt 18000 Fuß Hoͤhe erreichen; denn da in dieſer Hoͤhe das Barometer auf 14 Zoll ſteht, ſo iſt die Dichtigkeit der Luft nur halb ſo groß als unten; die aus der Stelle getriebne Luft wiegt 480 Pfund, die im Ballon 80 Pfund, die ganze Belaſtung 420 Pfund, alſo iſt das Gewicht ſchon etwas zu groß und eine ſo große Hoͤhe wuͤrde nicht voͤllig erreicht.

Die Luftſchiffer bedienen ſich, um bald mehr zu ſteigen, bald ſich zu ſenken, meiſtens des doppelten Huͤlfsmittels, bald durch Aus - werfen einiges mitgenommenen Ballaſtes ſich zu erleichtern, bald durch Oeffnen des Ventiles einige Luft auszulaſſen; aber beide Mit - tel duͤrfen nur vorſichtig angewandt werden, um nicht zuletzt Ver - legenheit herbeizufuͤhren. Hat man naͤmlich Luft ausgelaſſen, ſo hat man nun auch die Steigekraft des Ballons ſelbſt fuͤr die untern Gegenden geſchwaͤcht, und wenn der Ballon einmal im Sinken iſt, ſo ſinkt er nun unaufhaltſam, weil unter dem ſtaͤrkern Drucke der untern Luft der Ballon ſich nicht mehr ganz aufgeblaſen, ſondern nur zum Theil gefuͤllt zeigen wird, eben darum aber die Steigekraft ſo geringe bleibt, oder ſo gaͤnzlich aufgehoben iſt, wie in den hoͤhern Gegenden.

Ein andres Mittel, um das Steigen und Sinken des Luft - balles zu regieren, bietet eine Lampe dar, die zu maͤßiger Erwaͤr - mung der Luft, wenn man ſteigen will, angewandt wird, und die man entfernt, oder ausloͤſcht, wenn man ſinken will. Denn da die erwaͤrmte Luft mehr Elaſticitaͤt beſitzt, ſo blaͤhet ſich der unter dem Drucke der aͤußern Luft etwas zuſammengefallene Luftball mehr auf, wenn die Luft erwaͤrmt wird, er treibt alſo nun mehr Luft aus der Stelle und erhaͤlt mehr Steigekraft, ſo daß er im Herabſinken auf - gehalten, ja wohl gar, ohne daß ein Auswerfen von Ballaſt noͤthig iſt, wieder zum Steigen gebracht wird. Wenn dieſe Lampe ſo an - gebracht wird, daß ſie nirgends zuͤnden kann, ſo ſcheint dies Mittel,277 gewiſſer Maßen eine Verbindung beider Arten von Luftballons, viele Vortheile zu gewaͤhren. Aber alle dieſe Mittel beſchraͤnken ſich nur auf die verticale Bewegung, und eigentliche Mittel, die hori - zontale Bewegung zu regieren, giebt es gar nicht. An einen Ge - brauch von Rudern iſt in der Luft nicht wohl zu denken, da man ſehr große Ruder haben muͤßte, um eine von der Richtung des Windes abweichende Bewegung hervorzubringen, und die Fuͤhrung dieſer Ruder hier weit ſchwieriger als im Waſſer waͤre, da man ſie ruͤck - waͤrts nie mit der breiten Flaͤche gegen die Luft bewegen duͤrfte. Der Gebrauch eines Steuers iſt noch weit weniger anwendbar, weil das Steuer auch im Waſſerſtrome nur dann wirkſam iſt, wenn das Schiff nicht bloß mit dem Strome fortgeriſſen wird, ſondern durch fremde Kraft des Windes, der Ruder u. ſ. w. ſeine Stellung gegen die Waſſertheilchen des Stromes aͤndert. Das einzige Mittel, das man bis jetzt kennt, um die Richtung des Ballons einigermaßen zweckmaͤßig zu waͤhlen, iſt, daß man unter den, in verſchiedenen Hoͤhen oft ganz verſchiedenen Richtungen des Windes diejenige auf - ſucht, die man am angemeſſenſten findet, daß man alſo durch ein Steigen oder Sinken, ſich in derjenigen Hoͤhe zu erhalten ſucht, wo man grade einen guͤnſtigen Wind fand. Da es aber allemal unge - wiß iſt, ob man in irgend einer Hoͤhe einen Luftſtrom von der er - wuͤnſchten Richtung findet, ſo reicht dieſes Mittel nicht aus, um nach beſtimmten Richtungen die Luft zu durchſchiffen. Der Vor - ſchlag ein Geſpann gezaͤhmter Adler vorzuſpannen, liegt fuͤr jetzt wohl noch zu weit außer den Grenzen unſrer Kunſt, um ihn fuͤr etwas mehr als einen ſcherzhaften Einfall auszugeben.

Der Fallſchirm.

An die Kunſt, ſich hoch in die Luft zu erheben, und ſie zu durchſchiffen, hat der nie befriedigte Erfindungsgeiſt, der an das Be - wundernswuͤrdige immer noch etwas, um das Erſtaunen zu ſtei - gern, anzuknuͤpfen geneigt iſt, auch noch die Mittel, unbeſchaͤdigt aus jenen Hoͤhen herabzufallen, angeknuͤpft. Garnerin und an - dre Luftſchiffer haben dieſes Schauſpiel, ſich zuerſt hoch zu erheben, und ſich dann mit einem Fallſchirme herabzulaſſen, oͤfter dargeſtellt, und obgleich ſie bei dieſen Experimenten nur die Darſtellung einer neuen und Verwunderung erregenden Erſcheinung beabſichtigten, ſo278 iſt doch auch dieſe Kunſt einer wiſſenſchaftlichen Betrachtung werth, und kann zu nuͤtzlichen Anwendungen fuͤhren. Der Fallſchirm, deſſen ſich die Luftſchiffer bedienen, iſt ſo eingerichtet, daß er zwar zuerſt zuſammengefaltet wenig Raum einnimmt, aber beim Fallen ſich ausbreitet, und dann, gleich einem ausgeſpannten Regenſchirme, uͤber dem herabfallenden Luftſchiffer ſchwebt, wobei er durch den Widerſtand, welchen er in der Luft findet, das zu ſchnelle Herab - ſtuͤrzen hindert. Wenn Sie ſich an die Berechnungen erinnern, die wir fruͤher ſchon uͤber den Widerſtand der Luft angeſtellt haben, ſo werden Sie leicht die Mittel uͤberſehen, die ſich uns hier darbieten, um, bei gegebner Groͤße des Fallſchirms und gegebner Schwere der Belaſtung, die Geſchwindigkeit zu finden, welche hoͤchſtens der in der Luft fallende Koͤrper erlangen kann. Wenn ein Fallſchirm von 15 pariſer Fuß Durchmeſſer, deſſen Flaͤche alſo etwas uͤber 170 Qua - dratfuß betraͤgt, mit einer Geſchwindigkeit von 20 Fuß in der Se - cunde herabfaͤllt, ſo iſt der Widerſtand, den er leidet, gleich dem Gewichte einer Luftſaͤule von 170 Quadratfuß Querſchnitt und 13 Fuß Hoͤhe, weil naͤmlich zu 20 Fuß Geſchwindigkeit eine Fall - hoͤhe von Fuß gehoͤrt; eine ſolche Luftſaͤule aber wiegt gegen 200 Pfund, und wenn das ganze Gewicht des Fallſchirms und des herabfallenden Menſchen nahe an 200 Pfund betruͤge, ſo wuͤrde die groͤßte erlangte Geſchwindigkeit nur 20 Fuß betragen. Um zu ſchaͤtzen, wie ſtark der Stoß ſein moͤchte, mit welchem wir, bei ſo ſchneller Bewegung, auf die Erde auftraͤfen, haben wir nur noͤthig, zu bedenken, daß ein Sprung von Fuß Hoͤhe uns im luftleeren Raume eine Geſchwindigkeit von 20 Fuß erlangen laͤßt, und daß wir einen ſolchen Sprung ohne großes Bedenken wagen wuͤrden.

Dieſe Betrachtung kann in einer ſehr wichtigen Beziehung nuͤtzlich werden. Der Fall iſt nicht ſo ſehr ſelten, wo bei Feuers - bruͤnſten Menſchen genoͤthigt ſind, ſich von erheblicher Hoͤhe herab - zuſtuͤrzen, und man hat daher mit Recht gefragt, wie viel Siche - rung beim Herabſtuͤrzen es gewaͤhre, wenn man einen großen und leichten Koͤrper als Fallſchirm benutzt. Und hier zeigt es ſich, daß ſelbſt Fallſchirme von maͤßiger Groͤße ſchon einigen Nutzen gewaͤh - ren, indem ein gewoͤhnlicher Regenſchirm von etwa Fuß Durch - meſſer oder 15 Quadratfuß Inhalt bei 20 Fuß Geſchwindigkeit einen Widerſtand von etwa 18 Pfunden hervorbringt, dadurch aber279 die Geſchwindigkeit des Falles eines 36 Pfund ſchweren Koͤrpers ſchon ſo vermindert, daß bei Hoͤhen, die nicht ſehr groß ſind, der Fall ziemlich unſchaͤdlich werden kann. Ein ſolcher Fallſchirm thaͤte fuͤr ein Kind ſchon erhebliche Dienſte; fuͤr erwachſene Menſchen nimmt die erforderliche Groͤße immer mehr zu. Die Gefahr, der man ſehr oft unterworfen bleibt, daß der Fallſchirm eine andre, we - nigern Widerſtand leiſtende Seite der widerſtehenden Luft darbiete, muß man dadurch, daß der ſchwere Koͤrper in einiger Tiefe unter dem Fallſchirme angebracht iſt, zu heben ſuchen; aber dennoch bleibt das Herabſinken mit dem Fallſchirme nicht ohne Gefahr, indem ſelbſt das ſtarke Schwanken des an einem Seile herabhaͤngenden Schiff - chens ſo ſtark werden kann, daß der Luftſchiffer Gefahr laͤuft, heraus geſchleudert zu werden.

Auch das Herabſinken mit dem Luftball ſelbſt iſt nicht ohne Gefahren. Theils erreicht der ſeiner brennbaren Luft nach und nach ſchon in ziemlichem Grade beraubte Luftball eine nicht ganz unerhebliche Fallgeſchwindigkeit, theils iſt die Schnelligkeit, mit welcher der Wind ihn fortfuͤhrt, und ihn in ſchwankender Bewegung bald hinauf, bald hinab, fortreißt, oft ſehr bedeutend, und der Luft - ſchiffer muß daher, wenn ſein Schiffchen im Begriffe iſt, auf dem Boden aufzuſtoßen, ſich ſo hoch als moͤglich an den Stricken des Ballons feſthalten, damit der Stoß, den ſein Schiffchen leidet, ihn ſo wenig als moͤglich treffe. Er ſucht dann gewoͤhnlich durch einen ausgeworfenen Anker ſich an irgend einem paſſenden Gegenſtande feſtzuhalten, und muß, fuͤr den Fall, daß die Gegend ihm zum Lan - den unpaſſend ſchiene, immer noch einen kleinen Reſt von Ballaſt uͤbrig haben, um ſich noch etwas hoͤher wieder heben, wenigſtens ſein Sinken verzoͤgern zu koͤnnen.

Die Beſchreibungen wirklicher Luftfahrten, ſo viel Unnuͤtzes und theils wohl Unrichtiges ſie auch enthalten, geben viele merkwuͤr - dige Umſtaͤnde an, die ſich der Beobachtung des Luftſchiffers darbie - ten. Dahin gehoͤrt, beſonders bei den Luftfahrten, wo man ein be - ſtimmtes Ziel erreichen mußte, z. B. bei Sadler's Fahrt von Ir - land nach England, die Erfahrung, daß in einer Hoͤhe der Wind guͤnſtig war, waͤhrend er in andern Hoͤhen die Reiſe nicht beguͤn - ſtigte, und die daraus hervorgehende aͤngſtliche Sorge, ſich in dieſem Luftſtrome zu erhalten, und das Land, welches erreicht werden mußte,280 nicht aus dem Geſichte zu verlieren; ferner das Ueberraſchende, wel - ches oberhalb einer Wolkendecke die Ausſicht durch Oeffnungen der Wolken auf die Erde gewaͤhrte; die unangenehme Empfindung bei dem ſchnellen Hindurchfliegen durch dicke Wolken, die durch ſtuͤrmi - ſchen Wind oft noch vermehrt wurde; die Kaͤlte in jenen hohen Ge - genden, die unangenehmen Empfindungen, welche der Aufenthalt in verduͤnnter Luft allemal hervorbringt u. ſ. w. Man hat auch zu wiſſenſchaftlichen Belehrungen die Luftfahrten benutzt, die Waͤrme, den Barometerſtand, die Electricitaͤt der Luft u. ſ. w. beobachtet; aber der hieraus bis jetzt geſchoͤpfte Nutzen iſt nur geringe, theils weil nur ſelten wohl unterrichtete Phyſiker Luftreiſen angeſtellt ha - ben, theils weil doch nur wenige Unterſuchungen ſich in dem ſchwan - kenden, ſich oft drehenden und nie einen ſichern Standpunct darbie - tenden Schiffchen anſtellen laſſen.

Ich ſchließe heute die Unterſuchungen, welche die groͤßern, und dem Auge ſo wie dem Gefuͤhle merkbaren Bewegungen der Luft und der Koͤrper uͤberhaupt betreffen, und werde in der naͤchſten Vor - leſung zu einer andern Claſſe von Bewegungen uͤbergehen, die un - ſerm Auge und unſerm Gefuͤhle faſt entgehen, wenigſtens der Wahrnehmung dieſer Sinne wenig merkwuͤrdig ſcheinen wuͤrden, wenn nicht das Ohr uns hier zum Fuͤhrer in einer neuen Reihe der allermerkwuͤrdigſten Erſcheinungen verliehen waͤre.

Zwanzigſte Vorleſung.

Acuſtik.

An die Betrachtungen uͤber das Gleichgewicht und die Bewe - gung feſter und fluͤſſiger Koͤrper ſchließen ſich die Unterſuchungen uͤber diejenigen Vibrationen der Theilchen der Koͤrper an, die zu ſchwach, um von unſern uͤbrigen Sinnen mit Genauigkeit wahrge - nommen zu werden, bloß auf das Gehoͤr den Eindruck des Schalles hervorbringen. Dieſe Unterſuchungen gehoͤren zu den merkwuͤrdig - ſten und anziehendſten in der ganzen Phyſik; denn obgleich ſie uns keinen Aufſchluß uͤber den wundervollen Eindruck, welchen die Muſik281 nicht auf unſer Ohr allein, ſondern auf unſer Gemuͤth macht, uͤber den ihr eignen Ausdruck von heiterer oder froͤhlicher, von ernſter oder trauriger Empfindung, uͤber die Mittheilung von Begriffen und Empfindungen durch die Sprache, kurz uͤber die ganze Einwir - kung dieſer hoͤrbaren Toͤne auf unſre geiſtige Thaͤtigkeit geben koͤn - nen, ſo enthalten ſie doch, ſelbſt in ihren bloß mechaniſchen Bezie - hungen, ſo viel Unerwartetes, zeigen uns zwiſchen den mechaniſchen Beſtimmungen der Toͤne und dem Wohlgefallen oder Misfallen, das unſer Ohr daran findet, eine ſo ſicher begruͤndete Uebereinſtimmung, daß man kein Bedenken tragen darf, die Acuſtik, die Lehre vom Schalle, als einen der ſchoͤnſten Theile der Naturlehre zu empfehlen.

Daß wir unter Schall jede Einwirkung auf unſer Gehoͤr ver - ſtehen, iſt bekannt, und ebenſo bekannt ſind die vielen Worte, durch welche wir verſchiedene Arten des Schalles, oder die Ungleichheit des Eindruckes, den er auf unſer Ohr macht, bezeichnen. Das allge - meinſte darunter iſt das Wort Schall, welches alle andere in ſich ſchließt; von den andern will ich nur einige zu erklaͤren ſuchen. Ge - raͤuſch iſt ein zwar laͤngere Zeit fortwaͤhrender, aber nicht die Empfindung einer Gleichartigkeit in ſeiner ganzen Dauer gebender Schall; der Ton hingegen hat dieſe Gleichartigkeit. Wir geben aber der Abwechſelung mehrerer Toͤne nicht den Namen eines Ge - raͤuſches, weil unſer Ohr fein genug hoͤrt, um ſelbſt in dem ſchnellen Wechſel der Toͤne die Reinheit des Tones, das iſt den gleichartigen Eindruck waͤhrend der ſehr kurzen Zeit der Dauer eines Tones, zu bemerken. Im Klange iſt allemal die Empfindung von Ton, und ſelbſt die Miſchung mehrerer Toͤne kann darin merkbar ſein. Vom Klange zum bloßen Geraͤuſch findet ein Uebergang ſtatt, und in dem Geraͤuſche kann ein dumpfer Klang erkennbar werden, ohne Zweifel dann, wenn unter den einzelnen Schall-Erregungen einige gleichfoͤrmig dauernd mit andern, ſelbſt in den kleinſten Zeitmomen - ten ungleichartigen gemiſcht ſind. Daß wir unter Knall einen ſehr kurz abgebrochenen und dabei ſehr lauten Schall verſtehen, daß im Geklapper eine gewiſſe gleichfoͤrmige Wiederkehr gleichartigen Ge - raͤuſches merklich iſt, daß der Donner in einem durch verſchiedene Grade der Staͤrke abnehmenden und wieder zunehmenden dumpfen oder tiefen Schalle beſteht, daß das Sauſen und Ziſchen ein gleich - foͤrmiger Schall iſt, der aber ſo wie das ſchwirrende Getoͤn, welches282 einige Inſecten mit ihren Fluͤgeln machen, uͤber die Scale der unſerm Ohre als Ton hoͤrbaren Schall-Erregungen hinaus liegt, mag hier als Verſuch, einige dieſer Worte auf beſtimmte Begriffe zuruͤckzufuͤhren, obenhin erwaͤhnt werden.

Entſtehung des Schalles.

Der Schall entſteht, wenn irgend ein Koͤrper in zitternde oder vibrirende Bewegung geſetzt wird. Wir ſehen die Zitterungen der Glocke, wenn ſie toͤnt, wir ſehen die Schwingungen der ange - ſchlagnen Saite, und ſelbſt wo ein unregelmaͤßiges Geraͤuſch her - vorgebracht wird, bemerken wir, daß es durch den Stoß an einen feſten Koͤrper oder durch eine Bewegung eines Koͤrpers in der Luft, wodurch ihr Zitterungen mitgetheilt ſein konnten, oder durch aͤhn - liche Umſtaͤnde, bewirkt iſt. Die Luft iſt das Mittel, um den Schall zu unſern Ohren fortzupflanzen, und der Verſuch, wo man eine Glocke im luftleeren Raume der Luftpumpe in Schwingung ſetzt, dennoch aber keinen Schall hoͤrt, zeigt, daß die Luft oder ein andrer die Schwingungen bis zu unſerm Ohre fortpflanzender Koͤr - per noͤthig iſt, um jene Schwingungen dem Ohre hoͤrbar zu machen. Man ſieht hier die Zitterungen der Glocke, aber, wenn man vor - ſichtig alle Mittheilung durch feſte Koͤrper gehindert hat, hoͤrt man gar keinen Schall.

Indem wir nun hier zwei, anſcheinend ſehr ungleichartige Er - ſcheinungen, Zitterungen naͤmlich, welche mechaniſchen Geſetzen unterworfen ſind, und Toͤne, in denen das Ohr eine angenehme Uebereinſtimmung oder im Gegentheil eine Disharmonie wahr - nimmt, beobachten, finden wir uns wohl zuerſt zu der Frage hin - gezogen, ob Regeln, nach welchen beide Wahrnehmungen ſich in eine beſtimmtere Verbindung bringen laſſen, koͤnnen aufgefunden werden; und da die mechaniſchen Geſetze der Vibrationen ſich in manchen Faͤllen leicht auffinden laſſen, ſo iſt es am natuͤrlichſten mit der Betrachtung derſelben den Anfang zu machen.

Schwingungen der Saiten.

Die Saiten, als Koͤrper, welche bloß der Laͤnge nach ausge - dehnt ſind, zeigen ſich fuͤr die theoretiſche Betrachtung am meiſten geeignet. Die Schwingungen, in welche wir ſie, durch Anſchlagen283 mit Haͤmmern oder durch das Streichen mit einem Violinbogen quer gegen die Richtung der Saiten, verſetzen, entſtehen dadurch, daß die elaſtiſche grade ausgeſpannte Saite ein wenig verlaͤngert, in eine gekruͤmmte Lage gebracht und dann frei gelaſſen wird. Vermoͤge ihrer Elaſticitaͤt ſtrebt ſie zu dem natuͤrlichen Zuſtande zuruͤck, ſie verkuͤrzt ſich naͤmlich wieder, waͤhrend jedes Theilchen in einer auf die Richtung der ganzen Saite ſenkrechten Richtung gegen den Punct zuruͤckgeht, welchen es vor der Dehnung, vor der Entfernung vom Zuſtande des Gleichgewichts, einnahm; aber indem die Kraft der Elaſticitaͤt jedes Theilchen auf dieſe Weiſe noͤ - thiget, eine gewiſſe Geſchwindigkeit anzunehmen, gelangt dieſes in die Stelle, welche es vorhin bei dem natuͤrlichen Zuſtande ruhend einnahm, mit einer Geſchwindigkeit, die es uͤber dieſen Punct hinausfuͤhrt; jedes Theilchen geht daher an der andern Seite in eine neue Entfernung von der graden Linie hinuͤber, und kehrt, nachdem die Wirkung der Elaſticitaͤt jene erlangte Geſchwindigkeit zerſtoͤrt hat, ebenſo wieder zuruͤck. Dieſe Wechſel des Zuruͤckkeh - rens zum Gleichgewichtsſtande, des durch die Traͤgheit bewirkten Hinausgehens uͤber dieſen Zuſtand, und des abermaligen Zuruͤck - kehrens, wuͤrden ununterbrochen dauern, wenn nicht die Steifheit der Saite, als Widerſtand gegen dieſe Bewegung, ſehr bald die Ausweichungen verkleinerte und endlich ganz zerſtoͤrte.

Da dieſe Vibrationen der Saite, oft wiederholt, ganz gleich - artig wiederkehren, und jede derſelben einen Schall hervorbringt, ſo laͤßt ſich erwarten, was auch die Erfahrung zeigt, daß unſer Ohr dieſe Gleichartigkeit des Schalles erkennen, und einen Ton, durch die Zitterungen der Saite hervorgebracht, hoͤren wird, und wir nennen denjenigen Ton einen hoͤheren, der durch ſchneller auf einander folgende Schwingungen hervorgebracht wird, den durch langſamere, ſeltner wiederholte Schwingungen hervorgehen - den Ton einen tieferen. Wenn man die Schwingungen ſo bewirkt, daß ſie immer langſamer erfolgen, ſo wird der Ton tiefer, und endlich dumpf; das Ohr erkennt in dem dumpfen Getoͤne kaum noch einigen Klang, und wenn die Zitterungen noch langſamer auf einander folgen, ſo glaubt man in dem Klirren oder Schwirren faſt ſchon die einzelnen Vibrationen abzaͤhlen zu koͤnnen; endlich erkennt man die Schwingungen als wirklich zaͤhlbar, aber hoͤrt dann durch -284 aus keinen Ton mehr, weil jede einzelne Schwingung das Ohr zu ſchwach ruͤhrt, oder man hoͤrt die Schwingungen nur als ein wie - derholtes gleiches Geraͤuſch, weil jetzt das, was in jeder einzelnen Schwingung Ungleichartiges iſt, hervortritt, ſtatt daß es vorhin beim gleichmaͤßigen ſchnellen Wechſel unter dem lebhaftern Eindrucke dieſes Gleichartigen im Wechſel verborgen blieb.

Die allgemeinen Bewegungsgeſetze laſſen uns leicht einige Beſtimmungen uͤber die Schwingungszeiten der Saiten finden, und das eben Angefuͤhrte laͤßt ſchon im Voraus uͤberſehen, daß daran eine Beſtimmung des Tones, den die Saite giebt, ſich anknuͤpfen wird. Die Kraft, welche als bewegende Kraft jedes Theilchen der Saite zu der graden Linie, in welcher es ſich beim Gleichgewichte befand, zuruͤckzieht, iſt die Kraft der Elaſticitaͤt, und ſie iſt daher der Spannung, die wir als durch ein beſtimmtes Gewicht hervor - gebracht anſehen wollen, proportional; die bewegte Maſſe iſt offen - bar durch das Gewicht jedes einzelnen Theiles der Saite beſtimmt. Sind zwei Saiten von einerlei Materie gleich lang zwiſchen den Befeſtigungspuncten und gleich dick, aber von ungleichen Gewichten geſpannt, ſo iſt die beſchleunigende Kraft, welche die Fortbewegung jedes einzelnen Punctes beſtimmt, doppelt ſo groß bei doppelt ſo großer Spannung, dreimal ſo groß bei dreimal ſo großer Span - nung; und da eine viermal ſo große beſchleunigende Kraft den Koͤr - per viermal ſo weit in der erſten Secunde fuͤhrt, als die einfache beſchleunigende Kraft, dagegen die einfache beſchleunigende Kraft in 2 Secunden den Koͤrper viermal ſo weit als 1 in Secunde fuͤhrt, ſo iſt hier bei der vierfachen ſpannenden Kraft der durchlaufene Weg in einem Zeittheilchen ſo groß, als bei der einfachen ſpannenden Kraft in 2 Zeittheilchen, oder die Vibrationen ſind doppelt ſo zahl - reich in gleicher Zeit bei vierfacher Spannung als bei einfacher, dreimal ſo zahlreich in gleicher Zeit bei neunfacher Spannung und allgemein der Quadratwurzel aus der Spannung proportional. Ebenſo laͤßt ſich fuͤr gleiche Laͤnge und gleiche Spannung die Schwingungszeit vergleichen, wenn die Dicke der Saite ungleich iſt. Eine doppelt ſo dicke, allemal als cylindriſch vorausgeſetzte Saite enthaͤlt in jedem Querſchnitte viermal ſo viel Maſſe, als die von der einfachen Dicke; iſt daher die Spannung gleich groß, ſo wirkt eben die bewegende Kraft auf viermal ſo viel Maſſe bei285 jener, als bei dieſer, und die Beſchleunigung iſt bei der doppelt ſo dicken Saite nur ein Viertel deſſen, was ſie bei der einfachen Dicke iſt; die doppelt ſo dicke Saite braucht alſo bei gleicher Laͤnge und gleicher Spannung doppelt ſo viel Zeit zu einer aͤhnlichen Vibration, das iſt, die doppelt ſo dicke Saite macht halb ſo viele Vibrationen in beſtimmter Zeit, als die von einfacher Dicke. Und obgleich dies ſich am deutlichſten nur auf aͤhnliche Vibrationen bezieht, auf ſolche naͤmlich, bei denen gleiche Ausweichungen vom Zuſtande der Ruhe ſtatt finden, ſo laͤßt ſich doch auf eben die Weiſe, wie bei der Pen - delbewegung, zeigen, daß es hierbei auf die Groͤße der Vibrationen nicht ankoͤmmt, ſondern die Vibrationen gleichzeitig ſtatt finden, ſie moͤgen groͤßer oder kleiner ſein, zumal da ſie gewiſſe Grenzen nicht zu uͤberſchreiten pflegen.

Hiemit ſind zwei Hauptgeſetze fuͤr die Dauer einer Vibration gegeben; das dritte Hauptgeſetz betrifft die ungleiche Dauer der Vi - brationen bei verſchiedener Laͤnge der Saiten. Wenn wir bei glei - cher Einwirkung der Schwere zwei Pendel, das eine viermal ſo lang als das andre aufhingen, ſo mußte der ſchwere Punct des langen Pendels unter der ganz aͤhnlichen Einwirkung derſelben Schwerkraft allemal einen viermal ſo langen Bogen, als der des kurzen, durch - laufen, wenn ſie um gleiche Winkel gehoben waren; das 4 mal ſo lange Pendel gebrauchte daher zweimal ſo lange Zeit zu ſeinen Oſcil - lationen, und ſo war allemal die Schwingungszeit zweimal ſo groß bei vierfacher, dreimal ſo groß bei neunfacher Laͤnge, oder den Qua - dratwurzeln aus den Laͤngen proportional. Bei den Saiten, obgleich die Vibrationen den Schwingungen des Pendels ziemlich aͤhnlich ſind, iſt die Betrachtung doch darum verſchieden, weil die Maſſe der Saite mit ihrer Laͤnge in gleichem Verhaͤltniſſe zunimmt, ſtatt daß wir dem laͤngern Pendel doch nur eben die Maſſe beizulegen brauchten wie dem kurzen. Denken wir uns hier Saiten, deren Laͤngen 1 und 4 ſind, beide auf aͤhnliche Weiſe vom Gleichgewichts - zuſtande entfernt, ſo hat jedes Tauſendtel der letztern viermal ſo viel Maſſe, als jedes Tauſendtel der erſtern, und ſchon deshalb wuͤrde die Schwingungszeit doppelt ſo lang ſein; aber aus eben dem Grunde, wie bei dem viermal ſo langen Pendel, verdoppelt die Schwingungszeit ſich abermals, und die viermal ſo lange Saite hat daher eine viermal ſo lange Schwingungszeit, als die von einfacher286 Laͤnge, und uͤberhaupt nimmt die Dauer jeder Schwingung in eben dem Maaße, wie die Laͤnge der Saite, zu. Wenn alſo eine Saite von beſtimmter Laͤnge hundert Schwingungen in einer gewiſſen Zeit macht, ſo vollendet, dieſer theoretiſchen Betrachtung zu Folge, die halb ſo lange Saite 200 Schwingungen in eben der Zeit, die ein Drittel ſo lange Saite 300 Schwingungen in eben der Zeit, wenn die uͤbrige Beſchaffenheit der Saiten einerlei, und die ſpannende Kraft bei allen gleich iſt.

Es iſt wohl natuͤrlich, daß wir uns, ſobald wir uns von dieſen Saͤtzen uͤberzeugt haben, an die Erfahrung wenden, um von ihr eine Beſtaͤtigung dieſer theoretiſchen Schluͤſſe zu erhalten. Aber obgleich das Abzaͤhlen der Vibrationen bei langſamen Schwingun - gen dieſe Geſetze genau beſtaͤtiget, ſo findet doch dieſe Vergleichung in der zu großen Schnelligkeit, mit welcher ſie auf einander folgen, bald ihre Grenze, und es bleibt uns nur die Vergleichung uͤbrig, welche das Gehoͤr uns darbietet. Indem wir dieſe verſuchen, zeigt ſich uns die uͤberraſchendſte Uebereinſtimmung, die uns nur je vor - kommen kann. Der Muſiker kennt, wenn ein Ton angegeben iſt, den beſtimmten andern Ton, welchen man die Octave jenes Grund - tones nennt, er kennt die Quinte, die Quarte, die doppelte Octave, die Terze dieſes Grundtones, und dieſe Toͤne ſind ihm in ihrem Verhaͤltniſſe zu jenem Grundtone merkwuͤrdig, weil ſie mit dem - ſelben zuſammen dem Ohre angenehm ſind, Conſonanzen darbieten, ſtatt daß das Zuſammentoͤnen des Grundtones mit manchen andern Toͤnen diſſonirend iſt. Und grade auf jene conſonirenden Toͤne fuͤhrt uns der Verſuch, wenn die Anzahl der Schwingungen ſich verdop - pelt, verdreifacht, oder viermal und fuͤnfmal ſo groß wird.

Man bedient ſich unter dem Namen Monochord eines In - ſtruments, wo eine Saite in Schwingung geſetzt wird, und wo man durch verſchiedene Laͤnge, Dicke und Spannung der Saite alle die verſchiedenen Schwingungen hervorbringen kann, die wir ſo eben theoretiſch beſtimmt haben. Dieſes Inſtrument dient dem muſicaliſchen Ohre zur Vergleichung der unter beſtimmten Umſtaͤn - den hervorgehenden Toͤne, und kann daher Tonmeſſer, Ton - vergleicher, genannt werden. Um den Saiten, wenn ſie zum Toͤnen gebracht werden, eine beſtimmte Laͤnge zu geben, werden ſie in zwei Puncten durch den Steg feſtgehalten, und nur der zwiſchen287 dieſen feſten Puncten liegende Theil der Saite wird in ſchwingende Bewegung geſetzt. Will man der Saite eine andre Laͤnge geben, ſo veraͤndert man die Stelle, wo das Feſthalten ſtatt findet. Um aber die Spannung abzumeſſen, hat das ganze Inſtrument eine verticale Stellung, die Saite wird durch angehaͤngte Gewichte in den angemeſſenen Zuſtand der Spannung gebracht und dann in jenem Puncte feſt eingeklemmt; ſoll die Spannung eine andre wer - den, ſo loͤſet man die Klemmung, haͤngt vermehrte oder vermin - derte Gewichte an, und ſtellt die Klemmung wieder her, wenn die Saite ſich der neuen Spannung gemaͤß ausgedehnt hat.

Bedient man ſich dieſes Inſtruments und behaͤlt einerlei Saite und einerlei Spannung bei, giebt aber dem toͤnenden Theile der Saite zuerſt eine willkuͤrliche Laͤnge, dann die Haͤlfte, dann das Drittel, dann das Viertel der Laͤnge, ſo findet man, daß der Ton, den die halb ſo lange Saite angiebt, die naͤchſt hoͤhere Octave iſt, zu dem Grundtone, den die ganze Laͤnge angab, daß die ein Drittel ſo lange Saite die hoͤhere Octave der obern Quinte des Grundtons, daß die ein Viertel ſo lange Saite die zweite hoͤhere Octave des Grundtons angiebt. Bedient man ſich zweier Saiten, gleich ge - ſpannt, aber die erſte doppelt ſo dick und halb ſo lang, als die zweite, ſo geben ſie einerlei Ton, ſo wie auch nach der eben ausgefuͤhrten Theorie die Zahl ihrer Schwingungen gleich iſt; ſind ſie beide gleich lang und gleich geſpannt, ſo giebt die doppelt ſo dicke die tiefere Octave zu der andern. Und eben dieſe Uebereinſtimmung, daß die nach der Theorie doppelt ſo ſchnell ſchwingende Saite die hoͤhere Octave giebt, die dreimal ſo ſchnell ſchwingende Saite die Octave der Quinte u. ſ. w., findet ſtatt, wenn ungleiche Spannung die un - gleiche Zahl der Schwingungen bewirkt.

Auf dieſer merkwuͤrdigen Uebereinſtimmung beruhen nun alle Vergleichungen, zu welchen das Monochord dienen kann. Wir haben eine zufaͤllig gewaͤhlte Saite aufgeſpannt, und wollen wiſſen, wie viele Schwingungen ſie macht, waͤhrend die Saite unſers Mo - nochords eine Schwingung macht; geſetzt wir faͤnden, daß der ſiebente Theil der Monochordsſaite eben den Ton gaͤbe, wie jene, ſo wuͤßten wir, daß jene Saite ſieben Schwingungen macht, waͤhrend die ganze Saite des Monochords nur eine Vibration vollendet.

288

Die bisher mitgetheilten Geſetze wuͤrden nicht allein zu Be - ſtimmung des Verhaͤltniſſes der Schwingungszeiten bei verſchiedenen Saiten dienen, ſondern ſelbſt die wahre Anzahl der Schwingungen ergeben, wenn nicht bei dem Fortrechnen von einer geringen Zahl von Schwingungen auf die viel zahlreicheren, ſo leicht ein Fehler ſtatt finden koͤnnte. Naͤhme man naͤmlich eine ſo dicke und lange Saite, daß ſie bei maͤßiger Spannung nur eine oder wenige Vibra - tionen in einer Secunde machte, ſo koͤnnte man dieſe, nicht mehr als Ton hoͤrbaren, aber mit dem Auge abzaͤhlbaren Schwingungen zum Grunde legen, und nun bei einer halb ſo langen Saite auf dop - pelt ſo ſchnelle Schwingungen, bei einer ein Zehntel ſo langen und auch nur ein Zehntel ſo dicken Saite auf hundertmal ſo ſchnelle Schwingungen rechnen. Die Rechnung wuͤrde richtig ſein, aber der unbedeutendſte Fehler in der Abzaͤhlung der erſten Schwingun - gen wuͤrde ſich bei der eben erwaͤhnten Anwendung auf das Hun - dertfache und ſo immer weiter vermehren, ſo daß, wenn man die erſten Schwingungen als ½ Secunde dauernd angeſehen haͤtte, ſtatt daß ſie vielleicht $$\frac{3}{7}$$ Secunden dauerten, man der 40 mal ſo ſchnell ſchwingenden Saite 80 Schwingungen in der Secunde beilegen wuͤrde, ſtatt daß ihr 93 wirklich zukaͤmen. Die aus Verſuchen her - geleitete Beſtimmung wuͤrde alſo auf dieſem Wege nicht ſehr genau werden. Die Theorie ſelbſt giebt zwar noch eine andre Regel, um aus dem bloßen Gewichte der Saite, aus ihrer Laͤnge und Span - nung die Anzahl der Schwingungen zu berechnen, aber es bedarf doch der Vergleichung mit der Erfahrung, um uns zu uͤberzeugen, daß hiebei Nebenumſtaͤnde, zum Beiſpiel die Steifheit der Saite, keine zu große Unſicherheit hervorbringen.

Schwingungsknoten

Ein neuer Gegenſtand aber bietet ſich uns in den verſchiedenen Schwingungen dar, welche anzunehmen eine und dieſelbe Saite faͤhig iſt. Wir haben bisher vorausgeſetzt, daß die ganze Saite ihre Schwingungen ſo vollende, daß alle ihre Theile in einem Zeitmo - mente rechts, im naͤchſten Zeitmomente links von der graden Linie ſind, zu welcher die Saite immer wieder zuruͤckkehrt; aber dieſes iſt nicht nothwendig der Fall, ſondern die Saite kann ſich in mehrere gleiche Theile ſo theilen, daß jeder Theil ſeine Schwingungen macht,289 waͤhrend die Endpuncte jedes Theiles ruhen. Wenn man eine nicht allzu lange Saite in ihrer Mitte mit einem Bogen ſtreicht, ſo koͤmmt ſie gewoͤhnlich in ſolche Schwingungen, wie wir ſie bisher angenommen haben; ſtreicht man ſie mehrmals und giebt ſie dann nicht immer einen gleich tiefen Ton, ſo iſt das ein Zeichen, daß ſie ſich dennoch in Theile zerlegt, und der tiefſte Ton iſt der Grundton, derjenige, wobei ſie ungetheilt in Schwingungen geraͤth. Wenn ſie dieſe Schwingung annimmt, ſo werden leichte Papierſtuͤckchen, welche man uͤber ſie haͤngt, abgeworfen, ſie moͤgen ſich befinden, wo ſie wollen; dagegen wenn man die Saite auf der Mitte leiſe mit dem Finger beruͤhrt und in der Mitte der einen Haͤlfte ſtreicht, ſo gerathen beide Haͤlften in entgegengeſetzte Schwingungen, die Saite nimmt naͤmlich die Geſtalt adbec (Fig. 148.) an, Papierſtuͤck - chen in der Naͤhe von b bleiben faſt ganz ruhig liegen, ſtatt daß die bei d oder e aufliegenden abgeworfen werden. Ein ſolcher Schwin - gungsknoten bei b, wie man ihn in dieſem Falle durch ein ſanftes Beruͤhren mit dem Finger in der Mitte hervorbringt, ent - ſteht zuweilen auch von ſelbſt, wenn man in d oder e ſtreicht, und aͤhnliche Knoten kann man auf ein Drittel der Laͤnge, auf ein Vier - tel der Laͤnge durch ein leichtes Daͤmpfen mit dem angehaltenen Finger hervorbringen. Der merkwuͤrdige Verſuch, welcher zeigt, daß dann die ganze Saite ſich in gleiche Theile eintheilt, laͤßt ſich an jeder zwiſchen zwei feſten Stegen aufgezogenen Saite anſtellen. Mißt man naͤmlich ihre ganze Laͤnge ab, beſtimmt ihre gleichen Ab - theilungen, zum Beiſpiel alle Fuͤnftel und legt auf die Endpuncte dieſer Abtheilungen weiße, dagegen in die Mitte jeder Abtheilung farbige Papierchen auf die Saite, daͤmpft mit leiſe angehaltnen Finger auf dem Ende des erſten Fuͤnftels und ſtreicht in der Mitte deſſelben, ſo fallen alle farbigen Papiere ſogleich herab, waͤhrend die weißen ganz ruhig liegen bleiben. Es zeigt ſich alſo, daß obgleich nur der Endpunct des erſten Fuͤnftels durch die leiſe Beruͤhrung ruhend erhalten wurde, nun auch die Endpuncte aller Fuͤnftel ruhend bleiben.

Wenn die Saite ſich ſo in mehrere Abtheilungen zerlegt, zwi - ſchen denen unbewegte Puncte oder Schwingungsknoten liegen, ſo ſind die Abtheilungen immer gleich, und nie begegnet es, daß z. B. nur ein einziger Schwingungsknoten am Ende des einen DrittelsI. T290vorhanden waͤre, alſo das Stuͤck ab ſeine Schwingungen machen ſollte, waͤhrend das doppelt ſo lange Stuͤck bc gleichfalls ſeine Schwingungen fortſetzte (Fig. 149.). Daß dies unmoͤglich iſt, laͤßt ſich leicht uͤberſehen; denn wenn in einem Zeitmomente die Saite wirklich ſo wie abc (Fig. 149.) gekruͤmmt waͤre, ſo haͤtte nach einer gewiſſen Zeit ab einen ganzen Uebergang auf die andre Seite voll - endet, bc aber waͤre wegen ſeiner doppelt ſo großen Laͤnge nur bis zur Mitte zuruͤckgekehrt, oder die Saite muͤßte nach Verlauf eines ſolchen Zeittheiles die Form a′d′b′c′, nach Verlauf zweier Zeittheile ſogar die Form a″d″b″e″c″ haben, was gewiß nicht ſtatt findet. Wird die Saite alſo in b gedaͤmpft und in d geſtrichen, ſo nimmt ſie abwechſelnd die Formen adbcef, a′d′b′c′e′f′ an (Fig. 150.). Indem aber die Saite ſo getheilt ſchwingt, kann ſie zu gleicher Zeit auch ganz ſchwingen. Dann ſind, z. B. bei einem einzigen Schwin - gungsknoten in der Mitte, die Formen in verſchiedenen Zeitmomen - ten, ſo wie ghikl, g′h′i′k′l′, g″h″i″k″l″ (Fig. 151.). In dieſem Falle hoͤrt das geuͤbte Ohr einen doppelten Ton, einen der wegen des ſchnelleren Vibrirens der halben Saite hoͤher iſt, verbun - den mit dem Grundtone der ganzen Saite, der eine Octave tiefer iſt, wenn die ganze Saite ſich nur in zwei gleiche Stuͤcke theilt.

Schwingungen der Staͤbe.

Die Saiten, von welchen wir ſo unzaͤhligen Gebrauch machen, verdienten wohl, daß wir ihnen eine etwas ſorgfaͤltige Aufmerkſam - keit widmeten; aber auch die ſchwingenden Staͤbe geben uns zu aͤhn - lichen Betrachtungen Veranlaſſung. Wenn ein elaſtiſcher Stab am einen Ende befeſtigt iſt, und durch das Streichen mit einem Vio - linbogen oder auf aͤhnliche Weiſe in Zitterung geſetzt wird, ſo giebt auch er, wenn er gleichfoͤrmig genug gearbeitet iſt, um zu gleich - maͤßigen und nicht allzu langſamen Schwingungen geſchickt zu ſein, einen Ton, und die mathematiſche Berechnung hat Mittel gefunden, auch hier die Geſetze der Schwingung bei ungleicher Laͤnge, Dicke und Elaſticitaͤt anzugeben. Die einfachſte Schwingungs-Art iſt hier diejenige, wo der ganze Stab Vibrationen macht und von einer Lage, wie ab (Fig. 152.), in die ab′, und ſo wechſelsweiſe uͤber - geht. Hier haͤngt die Kraft der Elaſticitaͤt, welche den gebognen Stab zu ſeiner natuͤrlichen Lage zuruͤckfuͤhrt, von der natuͤrlichen291 Beſchaffenheit des Koͤrpers ab, indem bekanntlich bei gleich langen und gleich dicken Staͤben doch nach Verſchiedenheit der Materie eine ſehr ungleiche Kraft erfordert wird, um ſie bis zu einem beſtimmten Grade zu kruͤmmen; mit eben der Kraft aber, welche hierzu erfor - derlich iſt, ſtrebt auch der Stab zu ſeiner natuͤrlichen Lage zuruͤck. Dieſe Kraft der Elaſticitaͤt koͤmmt hier genau ſo wie bei den Saiten in Betrachtung, ſo daß ein Stab, der, bei gleicher Laͤnge, gleicher Dicke und gleicher Maſſe oder gleichem Gewichte, viermal ſo viel Elaſticitaͤt als ein zweiter beſitzt, ſeine Schwingungen doppelt ſo ſchnell vollendet.

In Ruͤckſicht auf die Laͤnge und Dicke der Staͤbe gelten hier ganz andre Regeln, als fuͤr Saiten. Zuerſt naͤmlich erhellt leicht, daß ein breiterer Stab faſt ganz ſo, wie ein ſonſt gleicher, aber ſchmaͤlerer ſchwingen muß; denn wenn man zum Beiſpiel einen Stab von 1 Zoll breit nach der auf dieſe Breite ſenkrechten Richtung von ſeiner natuͤrlichen Lage entfernt, und eben das bei einem 2 Zoll breiten Stabe thut, ſo iſt zwar bei dem doppelt ſo breiten Stabe die Maſſe verdoppelt, aber auch die elaſtiſche Kraft, und beide werden gleichzeitig ſchwingen. Dagegen koͤmmt hier auf die Dicke, naͤmlich auf die Abmeſſung, in deren Richtung die Biegung erfolgt, viel an. Iſt der eine Stab doppelt ſo dick als der andre, ſo iſt zwar die Maſſe verdoppelt, die Kraft der Elaſticitaͤt iſt aber in ſtaͤrkerem Verhaͤlt - niſſe vermehrt, und deshalb werden hier die Schwingungen ſchneller bei dicken Staͤben, als bei duͤnneren*)Man nimmt an, daß die elaſtiſche Kraft, wie der Cubus der Dicke waͤchſt, alſo der doppelt ſo dicke Stab 8mal ſo viel Elaſticitaͤt, dabei nur 2mal ſo viel Maſſe, alſo 4fache beſchleunigende Kraft beſitzt, daher kommt die Regel, daß die Schwingungen doppelt ſo ſchnell ſind, bei doppelter Dicke, und uͤberhaupt die Anzahl der Schwingungen den Dicken proportional. Eptelwein's Stat. II .. 279., doppelt ſo ſchnell bei dop - pelter Dicke u. ſ.w.

Iſt bei zwei Staͤben ſonſt alles gleich, aber die Laͤnge ungleich, ſo ſind die Schwingungen langſamer bei laͤngeren Staͤben, und zwar ſo, daß die Zeit einer Schwingung bei dem doppelt ſo langen Stabe viermal ſo lang, bei dem dreimal ſo langen Stabe neunmal ſo lang iſt, u. ſ. w. Die theoretiſche Ableitung dieſer Regeln kann ich hier nicht unternehmen.

F2292

Auch der ſo feſtgeſtellte Stab iſt verſchiedner Schwingungsar - ten faͤhig. Entweder naͤmlich kann er ohne Schwingungsknoten, der bisherigen Betrachtung gemaͤß, ſchwingen, oder es kann ein Schwingungsknoten da ſein, und der Stab, waͤhrend b ruhend bleibt, die entgegengeſetzten Lagen abc, a'b'e ', abwechſelnd an - nehmen (Fig. 153.); die Zahl der Schwingungen, welche er dann annimmt, ſteht aber hier in keinem ſo leichten Verhaͤltniſſe zu den Schwingungen des Grundtons wie bei Saiten, ſondern die Schwin - gungen ſind etwas mehr als 6mal ſo ſchnell, als bei dem Grund - tone. Die Beſtimmungen hierfuͤr, ſo wie die Ableitung der Schwin - gungszahl bei ungleicher Laͤnge, iſt hier ſchwieriger, als bei Saiten, weil ſie von der Natur und Geſtalt der elaſtiſchen Curve, der Geſtalt naͤmlich, die ein gebogner elaſtiſcher Stab annimmt, abhaͤngen.

Ein elaſtiſcher Stab kann auf mehrerlei Weiſe zum Toͤnen ge - bracht werden, indeß hat, außer dem eben betrachteten Falle, nur der Fall, wo er auf zwei Unterlagen ruht, waͤhrend die Enden ganz frei ſind, noch einiges Intereſſe. Bei dieſer Anordnung giebt der Stab viel hoͤhere Toͤne, die mit denen uͤbereinſtimmen, welche der am einen Ende feſtgehaltene Stab dann giebt, wenn er einen Schwingungsknoten in der Mitte erhaͤlt. Auch hier koͤnnen meh - rere Schwingungsknoten ſtatt finden, bei denen ich nicht verweile, ſondern nur bemerken will, daß man von dem Schwingen der elaſti - ſchen Staͤbe bei zwei nicht ſehr vollkommenen Inſtrumenten, der Eiſenvioline, und der Strohfiedel Gebrauch macht. Bei der Eiſen - violine ſind es Stahlſtaͤbe, die auf einem Reſonanzboden mit einem Ende befeſtigt und am andern Ende frei ſind, welche mit einem Violinbogen ungefehr in der Mitte geſtrichen, die Toͤne geben. Die Laͤnge der Staͤbchen wird ſo abgeglichen, daß ſie der gewoͤhnlichen Tonleiter entſprechende Toͤne geben; ſoll dieſe durch zwei Octaven fotgehen, ſo muß, bei gleich dicken Staͤben, der tiefſte Ton an einem doppelt ſo langen Staͤbchen als der hoͤchſte hervorgebracht wer - den. Man ſtellt die Staͤbchen in einen Halbkreis und ſtreicht, um eine einfache Melodie zu ſpielen, jedesmal den gehoͤrigen Stab.

Die Strohfiedel, die ihren verdaͤchtlich klingenden Namen wohl von den allerroheſten Verſuchen, toͤnende Staͤbe zu erhalten, haben muß, beſteht aus ungleich langen Staͤbchen, die frei auf einer wei - chen Unterlage liegen. Der roheſte Verſuch, der indeß etwas Ue -293 berraſchendes hat, weil man von dem unbedeutenden Material nicht einmal ſo viel Ton erwartet, beſteht darin, daß man aus recht gleichfaſerigem Tannenholze recht gleichfoͤrmig bearbeitete Staͤbchen von etwa 1 Zoll breit, ¼ bis dick, nimmt, und ſie auf Stroh-Unterlagen, die etwa ein Viertel der ganzen Laͤnge von bei - den Enden entfernt ſind, legt, und auf die Mitte mit kleinen Haͤm - mern ſchlaͤgt. Hat man eine ihrer Laͤnge nach gut abgeglichene Reihe ſolcher ſo aufgelegter Staͤbchen, ſo daß die Toͤne der gewoͤhnlichen Tonleiter alle vorkommen, ſo kann man einfache Stuͤcke darauf ſpielen und die Toͤne ſind deſto klangreicher, je reiner die Holzfaſern ſind und je ſauberer ihre Bearbeitung iſt. Schoͤnere, recht wohl - klingende Toͤne erhaͤlt man durch Glasſtreifen oder Stahlſtaͤbchen, die eben ſo in zwei Puncten, die mit den Schwingungsknoten zu - ſammentreffen muͤſſen, unterſtuͤtzt, und mit kleinen Haͤmmern zum Toͤnen gebracht werden.

Da es nicht meine Abſicht iſt, die Faͤlle alle durchzugehen, wo Staͤbe zum Toͤnen gebracht werden, ſo verweile ich nicht bei den minder anwendbaren Betrachtungen und will zum Schluſſe dieſer Materie nur noch etwas von der Stimmgabel ſagen.

Die Stimmgabeln.

Die beiden Zinken einer Stimmgabel ſind als vibrirende ela - ſtiſche Staͤbe anzuſehen. Nach Chladni's auf Verſuche gegruͤn - deter Meinung muß man ſie als einen gebognen Stab anſehen, deſſen zwei Schwingungsknoten gegen die untere Kruͤmmung hin einander ſehr nahe liegen. Beim einfachſten Vibriren der Gabel nimmt ſie ſolche Schwingungen an, daß die beiden Zinken zugleich gegen einander (nach einwaͤrts) und zugleich von einander ab (nach auswaͤrts) von der natuͤrlichen Stellung ausweichen; man muß daher annehmen, wenn gleich die Beobachtung uns nicht gut dar - uͤber belehren kann, daß der untere gekruͤmmte Theil in unmerklichem Grade uͤber den natuͤrlichen Ruheſtand hinauswaͤrts ſchwingt, wenn die Zinken ihre Schwingung hereinwaͤrts machen.

Man bedient ſich der Stimmgabeln, um immer einen genau gleichen Ton zu erhalten, weil ſie, unabhaͤngig von Veraͤnderun - gen, welche bei der Spannung einer Saite faſt unvermeidlich ſind, immer denſelben Ton geben. Aber auch die Stimmgabel kann mehr294 als zwei Schwingungsknoten annehmen, und daher außer dem Grundtone noch hoͤhere Toͤne geben, die ich in der Folge noch naͤher beſtimmen werde, wo ihre Hoͤhe ſich mit der Tonleiter in Verbin - dung ſetzen laͤßt.

Ein und zwanzigſte Vorleſung.

Obgleich es, m. h. H., wohl am angemeſſenſten ſcheinen koͤnnte, an die neulich durchgefuͤhrten Betrachtungen uͤber Entſte - hung des Schalles, uͤber Schwingungsnoten u. ſ. w. ſogleich wei - tere Unterſuchungen, wie die Schwingungen von Flaͤchen beſchaffen ſind, wie auch bei ihnen die verſchiedenen Toͤne von der Lage der Schwingungsknoten abhaͤngen u. ſ. w. anzuknuͤpfen, ſo haben Sie doch gewiß ſelbſt zu ſehr, ſchon bei den neulich mitgetheilten Bemerkungen und Verſuchen, das Beduͤrfniß empfunden, uͤber die Entſtehung unſrer muſicaliſchen Tonleiter etwas genauere Auf - ſchluͤſſe in acuſtiſcher Hinſicht zu erhalten. So wenig es den meiſten von Ihnen unbekannt iſt, was wir unter Octave und Quinte ver - ſtehen, ſo vollkommen Sie in der Muſik den Unterſchied zwiſchen Conſonanzen und Diſſonanzen moͤgen kennen gelernt haben, ſo zweifle ich doch nicht, daß Ihnen die Verhaͤltniſſe, welche die Theorie der Saitenſchwingungen uns in den Schwingungszahlen der als Octave oder Quinte, Quarte u. ſ. w. verwandten Toͤne angiebt, hoͤchſt merkwuͤrdig erſcheinen und Sie zu einer genaueren Betrach - tung auffordern werden. In der That gehoͤrt es zu dem Ueberra - ſchendſten, was die Naturbetrachtung darbietet, daß die vom Ab - zaͤhlen der Saitenſchwingungen ſo ganz unabhaͤngig ſcheinende Muſik, dennoch ſich ſo ſehr an Zahlenverhaͤltniſſe anſchließt, ſo daß man glauben moͤchte, die Harmonie der Toͤne ſei nichts anderes, als ein Zuſammentreffen leichter Zahlenverhaͤltniſſe; und wenn man auch dieſe Behauptung nicht ſtrenge durchfuͤhren kann, ſo finden wir doch wirklich in einer leichten arithmetiſchen Betrachtung die Mit - tel, um die gewoͤhnliche Tonleiter darzuſtellen und alle die Toͤne,295 deren die Muſik ſich bedient, als arithmetiſch begruͤndet, abzu - leiten*)Um fuͤr diejenigen, denen die aus der muſicaliſchen Bezeichnung der Toͤne hergenommenen Ausdruͤcke fremd ſein ſollten, dasjenige, was ich hier nothwendig vorausſetzen muß, einigermaßen zu ergaͤnzen, ſetze ich folgende Bemerkungen hieher.Ein jeder wird ſich leicht auf der Claviatur eines Clavieres oder Fortepiano's zeigen laſſen, wie die Toͤne C, D, E, F, G, A, H, auf einander folgen, wie ſich c wieder an H anſchließt, und ſo die neue Octave der vorigen gleich fortgeht. Da hier dieſelben Tonnamen, C zum Beiſpiel, in jeder Octave vorkommen, ſo unterſcheidet man ſie da - durch, daß man das tiefe Bas C, uͤber welches hinaus noch wohl ein Theil der tiefern Octave, ſelten die ganze Octave, auf dem Fortepiano vorkoͤmmt, durch das große C bezeichnet, das naͤchſte c, durch das kleine ungeſtrichene e; die folgende Octave erhaͤlt einen, die dann folgende Octave zwei Striche uͤber den Buchſtaben und die Toͤne heißen dann das ein geſtrichene, das zwei geſtrichene c, naͤmlich c̅c̿ und ſo fer - ner. In der Octave, die noch tiefer als C iſt, fuͤhren die Toͤne den Namen Contra C und ſo die uͤbrigen.Von C an iſt D der zweite Ton und D heißt daher die obere Se - cunde zu C, wir ſagen D iſt um einen ganzen Ton hoͤher als C; aus aͤhnlichen Gruͤnden giebt der dritte Ton E die hoͤhere große Terze zu C, F giebt die Quarte, G die Quinte an, und wenn wir durch die Toͤne C, E, G, fortſchreiten, ſo geſchieht dieſe Fortſchreitung durch die große Terze von C bis E, durch eine kleine Terze von E bis G, indem, wie nachher erhellt, das Intervall von E. bis F kein ganzer, ſondern nur ein halber Ton iſt, alſo von E bis G nur anderthalb ganze Toͤne. Ebenſo iſt A die große Terze zu F, ferner c iſt die Quinte zu F und ſo weiter. Die Entſtehung der mit Cis, Fis, u. ſ. w. bezeichneten Toͤne koͤmmt nachher vor.Die Anordnung des Notenſchreibens kann man ſich ſo leicht erklaͤ - ren laſſen, daß ich davon hier nichts bemerke..

Entſtehung einer Dur-Tonleiter.

Daß da, wo unſer Ohr einen und denſelben Ton hoͤrt, die Anzahl der Schwingungen einerlei iſt, davon koͤnnen wir uns, wie Sie aus unſern vorigen Betrachtungen wohl uͤberſehen haben, ſehr gruͤndlich uͤberzeugen. Die Theorie giebt an, wie Saiten von ver - ſchiedener Laͤnge in Dicke oder Spannung ungleich ſein muͤſſen, um gleiche Schwingungszahlen zu geben, wie Staͤbe beſchaffen ſein296 muͤſſen, um gleich oft wiederholte Schwingungen hervorzubringen, und Sie werden in der Folge ſehen, daß ſich eben dies von der in den Floͤten oder Orgelpfeifen in Schwingung geſetzten Luft behaupten laͤßt; und unſer Ohr uͤberzeugt uns nun, daß in allen dieſen Faͤllen, wo die Rechnung gleich ſchnelle Vibrationen angiebt, ein gleicher Ton hervorgeht, daß bei aller Verſchiedenheit des Klanges, der uns das Saiten-Inſtrument vom Blaſe-Inſtrumente und das eine Saiten-Inſtrument vom andern leicht unterſcheiden laͤßt, dennoch der Ton unifon, voͤllig uͤbereinſtimmend bei gleicher Schwingungszahl gefunden wird. Dieſe Ueberzeugung finden wir ſo durchaus in allen Faͤllen beſtaͤtigt, daß die kleinen Unſicher - heiten, welche in der theoretiſchen Beſtimmung der abſolut gleichen Schwingungszahlen allerdings uͤbrig bleiben, auf keine Weiſe den Satz, daß gleicher Ton ſtrenge an gleiche Anzahl der Schwingun - gen geknuͤpft ſei, zweifelhaft machen koͤnnen.

Einfache Erfahrungen lehrten uns, daß, wenn die Zahl der Schwingungen die doppelte wird, der Ton zur naͤchſt hoͤhern Oc - tave hinuͤbergegangen iſt, und unſer Ohr erkennt in dieſem Tone eine ſehr nahe Verwandtſchaft mit dem vorigen. Dies koͤnnte uns wohl bewegen, zu fragen, welche Schwingungszeiten wir denn den Toͤnen geben muͤßten, damit ſie ſich durch einfache Zahlen - verhaͤltniſſe empfoͤhlen; und wenn wir dieſe Frage zu beantworten ſuchen, und mit dem Monochord uns die ſo beſtimmten Toͤne wirklich verſchaffen, ſo zeigt ſich, daß die harmoniſchen Toͤne ſich alle auf dieſe Art in unſern arithmetiſchen Betrachtungen wieder finden.

Wir wollen von einem Tone ausgehen, den wir nach Art der Muſiker mit C bezeichnen wollen, ſo iſt ſeine Octave C der Ton, welcher zwei Schwingungen macht, waͤhrend C eine Schwin - gung machte. Kuͤrzen wir unſre Saite auf ein Drittel der Laͤnge ab, welche C gab, ſo erhalten wir einen neuen Ton, den wir als harmoniſch zu C oder c toͤnend erkennen, und den uns das muſicaliſche Ohr als g unſrer Scale, als die hoͤhere Quinte zu c kennen lehrt; der Theil unſrer Saite, der zwei Drittel der ganzen betraͤgt, ſchwingt dreimal, in eben der Zeit, da die ganze zwei Schwingungen vollendet; und dieſem einfachen Verhaͤltniſſe der Schwingungszeiten, wobei mit der zweiten, vierten, ſechſten Schwin -297 gung der laͤngern, die dritte, ſechſte, neunte der andern zuſammen - trifft, iſt die dem muſicaliſchen Ohre harmoniſch klingende Quinte G zum Grundtone C, und fuͤr die nur ein Drittel der Laͤnge habende Saite, die g angiebt, trifft das Ende jeder dritten Schwingung mit dem Ende einer Schwingung des C zuſammen.

Nehmen wir die Saite ein Viertel ſo lang, ſo daß vier Schwin - gungen dieſer kuͤrzern Saite einer Schwingung des Grundtons oder zwei Schwingungen der naͤchſten hoͤhern Octave entſprechen, ſo iſt dies ein Ton, der als zweite hoͤhere Octave zum Grundtone ge - hoͤrt, alſo nach der in der Muſik uͤblichen Bezeichnung, durch c, ̅ als ſich an C, c, anſchließend, angegeben wird.

Die naͤchſte Eintheilung der Saite, die ſich uns darbietet, wuͤrde in fuͤnf Theile ſein. Daß der Ton, den eine fuͤnfmal ſo ſchnell wiederkehrende Vibration, als die, welche C giebt, uns hoͤren laͤßt, hoͤher als ſein muß, erhellt von ſelbſt; aber die Merkwuͤr - digkeit des Harmonirenden im Tone erneuert ſich abermals, und , der zu als große Terze gehoͤrende Ton iſt es, den eine Saite, ein Fuͤnftel ſo lang als die C Saite, angiebt; die Saite, deren Laͤnge zwei Fuͤnftel iſt, giebt e, als große Terze zu c, die Saite von vier Fuͤnftel Laͤnge giebt E, als große Terze zu C. Indem die C Saite 4 Schwingungen macht, vollendet die E Saite 5 Schwingungen und die vierte, achte, zwoͤlfte jener trifft alſo mit der fuͤnften, zehn - ten, funfzehnten dieſer zuſammen.

Dieſe drei Toͤne C, E, G, die uns der Muſiker als den gro - ßen Dreiklang, den Dur-Accorb zum Grundtone C kennen lehrt, der als vollkommen harmoniſch dem Ohre ſo angenehm iſt, beſteht alſo aus Schwingungen, die ſehr oft zuſammentreffend durch ein - fache Zahlenverhaͤltniſſe ausgedruͤckt werden. In eben der Zeit, in welcher C 4 Schwingungen macht, vollendet E 5, und G 6 Schwin - gungen. Alſo auf eine Schwingung des C kommen $$\frac{5}{4}$$ des E, $$\frac{3}{2}$$ des G, oder auf eine Schwingung des E kommen des C und $$\frac{6}{5}$$ des G. Dieſe Intervalle oder Tonverhaͤltniſſe, die wir von C zu E als durch eine große Terze, von E zu G als durch eine kleine Terze fortſchreitend angeben, ſind alſo die, auf welche die arithme - tiſche Betrachtung ſo gut als das Angenehme der Harmonie uns zuerſt fuͤhren. Denn wenn wir gefragt haͤtten, welche Schwingun -298 gen treffen am oͤfterſten und ſo mit denen des C zuſammen, daß von dieſen keine ohne ein Zuſammentreffen mit jenen iſt, ſo wuͤrden wir die doppelt ſo oft wiederkehrenden Schwingungen angeben, deren zweite mit der erſten von C, deren vierte mit der zweiten von C, deren ſechſte mit der dritten von C gleichzeitig vollendet wird; und grade in dieſen doppelt ſo ſchnellen Schwingungen erkennt das muſicaliſche Ohr den dem Grundtone am naͤchſten verwandten Ton, die Octave c. Haͤtten wir weiter gefragt, welche zuſammen treffen - den Schwingungen nun als am naͤchſten verwandt folgen muͤßten, ſo wuͤrden wir auf diejenigen fallen, wo mit der zweiten des C die dritte des neuen Tones, mit der vierten des C die ſechſte des neuen Tones zuſammentraͤfe, und dieſen Ton erkennt das muſicaliſche Ohr wirklich als die naͤchſte nach der Octave folgende Verwandt - ſchaft, die zu C gehoͤrige Quinte G. Waͤhrend C eine Schwingung vollendet, vollendet der Ton, den wir die Octave der Quinte oder g nennen, drei Schwingungen oder die Schwingungszahlen ſind fuͤr C eine Schwingung, fuͤr G $$\frac{3}{2}$$ Schwingungen, fuͤr g 3 Schwingun - gen, welches ich hier und nachher durch die darunter geſetzten Zahlen andeute: C G c g 1 $$\frac{3}{2}$$ 2 3 Die Fortſchreitung von C zu E nennen die Muſiker eine große Terze, das Intervall von E zu G eine kleine Terze; es macht naͤm - lich E $$\frac{5}{4}$$ Schwingung waͤhrend C eine macht, dagegen G $$\frac{6}{5}$$ Schwin - gung waͤhrend E eine macht, und CE treffen daher ſchon bei der fuͤnften Schwingung der ſchneller vibrirenden Saite, EG dagegen erſt bei der ſechſten Schwingung der ſchneller vibrirenden Saite zu - ſammen; der Abſtand von 1 bis $$\frac{5}{4}$$ iſt groͤßer als von 1 bis $$\frac{6}{5}$$ .

So beſteht unſre Tonleiter nur erſt aus folgenden Toͤnen: C E G c e g 1 $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{3}{2}$$ 2 $$\frac{5}{2}$$ 3 4 5 6 indem die hoͤhere naͤchſte Octave fuͤr jeden Ton eine doppelt ſo große Schwingungszahl hat. Um dieſe Tonleiter weiter zu vervollkomm - nen, machen wir die Bemerkung, daß auch die Schwingungszahl $$\frac{4}{3}$$ als ſehr einfach in unſre Reihe gehoͤre; E macht 5 Schwingun - gen gleichzeitig mit 4 der C Saite, der neue Ton macht 4 Schwin - gungen gleichzeitig mit 3 der C Saite, G macht 3 Schwingungen299 gleichzeitig mit zweien der C Saite. Geben wir dieſen neuen Ton auf dem Monochord an, ſo hoͤrt der Muſiker, daß es F, die Quarte von C iſt, die er ebenfalls als harmoniſch zu C erkennt. Unſre Rechnung ſagt uns zugleich, daß dieſer Ton die obere Quinte zu c ſein muß; denn waͤhrend C dreimal ſchwingt, ſollte F viermal, zu - gleich aber c ſechsmal ſchwingen, alſo trifft die zweite Schwingung von F mit der dritten von c, die vierte von F mit der ſechſten von c zuſammen; und dieſes war ja das Geſetz des Zuſammentreffens bei der Quinte. Wir nehmen alſo F in unſre Tonleiter auf und haben ſoC E F G c 1 $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{4}{3}$$ $$\frac{3}{2}$$ 2 offenbar eine Tonleiter, die zu große Zwiſchenraͤume hat, um als vollſtaͤndige Folge von Toͤnen uns angenehm zu ſein. Wir vervoll - ſtaͤndigen ſie dadurch, daß wir der Quinte G ihren vollſtaͤndigen Dur-Accord geben, das heißt, zwei Toͤne einſchalten, die $$\frac{5}{4}$$ mal und $$\frac{3}{2}$$ mal ſchwingen, waͤhrend G einmal ſchwingt, die alſo $$\frac{15}{8}$$ mal und $$\frac{9}{4}$$ mal ſchwingen, waͤhrend C einmal oder G $$\frac{3}{2}$$ mal ſchwingt. Dieſe beiden Toͤne werden die große Terze und die Quinte zu G geben, und wenn wir ſie unter dem Namen H und d in unſre Ton - leiter aufnehmen, zugleich aber bemerken, daß dem d mit $$\frac{9}{4}$$ ein D mit $$\frac{9}{8}$$ eine Octave tiefer, entſpricht, (das heißt, wenn d 3 Schwin - gungen macht, waͤhrend G zweimal ſchwingt, alſo d 9 Schwin - gungen macht, waͤhrend C viermal ſchwingt, ſo hat D 9 Schwin - gungen waͤhrend C achtmal ſchwingt,), ſo erhalten wir folgende Tonſcale: C. D. E. F. G .. H. c d e f g h 1 $$\frac{9}{8}$$ $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{4}{3}$$ $$\frac{3}{2}$$ $$\frac{15}{8}$$ 2 $$\frac{9}{4}$$ $$\frac{5}{2}$$ $$\frac{8}{3}$$ 3 $$\frac{15}{4}$$ 4 $$\frac{9}{2}$$ u. ſ. w. in welcher die Fortſchreitungen ſchon weit regelmaͤßiger ſind, nur zwiſchen G und H iſt ein viel groͤßerer Abſtand $$\frac{3}{2}$$ : $$\frac{15}{8}$$ 3: $$\frac{15}{4}$$ 1: $$\frac{5}{4}$$ , als irgendwo ſonſt, indem H um eine große Terze von G entfernt iſt, und wir ſchalten deshalb noch die große Terze der Quarte, die große Terze von F ein, ſo daß dieſem Tone A 5 Schwingungen gleichzeitig mit 4 des Tones F zukommen, oder $$\frac{5}{3}$$ Schwingungen fuͤr $$\frac{4}{3}$$ des F, das iſt $$\frac{5}{2}$$ fuͤr eine Schwingung des C. Daß die ſo berechneten Toͤne, wenn wir ſie nach der Berechnung auf dem Mo -300 nochord angeben, nun auch wirklich die ſind, die das muſicaliſche Ohr unter jenen Namen fordert, habe ich wohl nicht noͤthig noch zu wiederholen.

Die ſo aneinander gereiheten Toͤne enthalten die ganze Dur - Tonleiter, die unſerm Ohre als ein angenehmer Fortgang von Toͤ - nen erſcheint, obgleich die Fortſchritte von einem Tone zum andern nicht gleich ſind. Eine leichte Zahlenrechnung zeigt, daß die Schwin - gungszeiten ſich in folgenden, unter einander geſetzten Zahlen aus - druͤcken laſſen, wenn man entweder an eine Schwingung des C, oder an eine Schwingung des D, des E und ſo ferner, die des naͤchſten Tons anſchließt

CDEFGAHc
1. $$\frac{9}{8}$$ $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{4}{3}$$ $$\frac{3}{2}$$ $$\frac{5}{3}$$ $$\frac{15}{8}$$ 2
1. $$\frac{10}{9}$$
1. $$\frac{16}{13}$$
1. $$\frac{9}{8}$$
1. $$\frac{10}{9}$$
1. $$\frac{9}{8}$$
1. $$\frac{16}{15}$$ .

Die Intervalle von einem Tone zum naͤchſten, ſind alſo von C zu D, 1: $$\frac{9}{8}$$ , von D zu E, 1: $$\frac{10}{9}$$ , beinahe gleich, dagegen von E zu F, 1: $$\frac{16}{15}$$ iſt die Fortſchreitung nur etwas uͤber die Haͤlfte des vorigen; von F zu G, 1: $$\frac{9}{8}$$ , von G zu A, 1: $$\frac{10}{9}$$ , von A zu H, 1: $$\frac{9}{8}$$ , von H zu c, 1: $$\frac{16}{15}$$ . Wir nennen daher die beinahe gleichen Fortſchrei - tungen von C zu D, D zu E, F zu G, G zu A, A zu H, Inter - valle eines ganzen Tones, dagegen die viel geringern Fortſchreitun - gen E zu F und H zu c Intervalle eines großen halben Tones, da $$\frac{16}{15}$$ nur um etwas mehr als halb ſo weit von 1 iſt, als $$\frac{9}{8}$$ von 1 ent - fernt iſt, (Jenes naͤmlich $$\frac{16}{15}$$ = $$\frac{128}{120}$$ , nur $$\frac{8}{120}$$ von 1 verſchieden, dieſes dagegen $$\frac{9}{8}$$ = $$\frac{135}{120}$$ , um $$\frac{15}{120}$$ von 1 verſchieden). Man unter - ſcheidet auch die Intervalle eines großen ganzen Tones, von C zu D, F zu G, A zu H und die Intervalle eines kleinen ganzen Tones, von D zu E, G zu A, welche von jenen um $$\frac{1}{81}$$ (naͤmlich $$\frac{9}{8}$$ = $$\frac{81}{72}$$ , $$\frac{10}{9}$$ = $$\frac{80}{72}$$ verſchieden ſind.

Die anſcheinende Sonderbarkeit, daß unſer Ohr in der Dur - Tonleiter ein Fortſchreiten durch zwei ganze Toͤne, dann durch einen halben Ton, ferner durch drei ganze Toͤne und wieder durch einen halben Ton, um die Octave zu vollenden, angenehm findet, loͤſet301 ſich durch dieſe Betrachtung dahin auf, daß eben in dieſen ungleichen Fortſchritten ſich die an den Grundton, die Quinte und Quarte angeknuͤpften einfachen Zahlenverhaͤltniſſe an einander anreihen, daß von der großen Terze bis zur Quinte nur das Intervall einer kleinen Terze enthalten iſt, und zwiſchen der großen Terze und Quarte, die wir nothwendig in unſre Tonleiter aufnehmen mußten, nur das Intervall eines halben Tones liegt.

Dur-Tonleiter fuͤr einen andern Grundton.

Dieſe Entwickelung der vollſtaͤndigen Tonleiter fuͤr C dur, reicht nun zwar fuͤr dieſen einen Grundton hin; aber unſre Tonleiter zeigt ſich nicht mehr als genuͤgend, wenn wir von einem andern Grundtone ausgehen. Da unſre Tonleiter wenigſtens den Haupt - Accord zur Quinte G enthaͤlt, ſo iſt es am natuͤrlichſten zu verſu - chen, G als Grundton anzunehmen. Da die Reihe:

  • C D E F G A H c d e f g
  • 1 $$\frac{1}{9}$$ $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{4}{3}$$ $$\frac{3}{2}$$ $$\frac{5}{3}$$ $$\frac{15}{8}$$ 2 $$\frac{9}{4}$$ $$\frac{5}{2}$$ $$\frac{8}{3}$$ 3

die Schwingungszahlen ausdruͤckt, ſo haben wir, als mit einer Schwingung von G zuſammen gehoͤrend, G A H c d e f g 1 $$\frac{10}{9}$$ $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{4}{3}$$ $$\frac{3}{2}$$ $$\frac{5}{3}$$ $$\frac{16}{9}$$ 2, und hier iſt allerdings, ſo wie wir es in der C Dur-Tonleiter ange - nehm fanden, die Fortſchreitung von G durch A, H eine Fortſchrei - tung durch zwei ganze Toͤne, dann folgt ein großer halber Ton bis e, dann folgen bis d, e, zwei ganze Toͤne, aber nun ſollte ein drit - ter ganzer Ton und dann erſt zuletzt ein großer halber Ton folgen. Wir ſind daher genoͤthigt, damit die Dur-Tonleiter ebenſo fuͤr G fortſchreite, wie fuͤr C, einen Ton zwiſchen f und g einzuſchalten, der um einen großen halben Ton tiefer als g liegt; wir nennen ihn fis, und da fis, g

$$\frac{15}{8}$$ , 2 ſein muͤßten, um ebenſo wie H, e, fortzuſchreiten, ſo ſetzen wir unſre vervollſtaͤndigte Tonleiter in Beziehung auf eine Schwingung von C ſo an: C D E F Fis G A H e d e f fis g 1 $$\frac{9}{8}$$ $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{4}{3}$$ $$\frac{45}{32}$$ $$\frac{3}{2}$$ $$\frac{5}{3}$$ $$\frac{15}{8}$$ 2 $$\frac{9}{4}$$ $$\frac{5}{2}$$ $$\frac{8}{3}$$ $$\frac{45}{16}$$ 3 oder in Beziehung auf eine Schwingung des G302 G A H c d e f fis g 1 $$\frac{10}{9}$$ $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{4}{3}$$ $$\frac{3}{2}$$ $$\frac{5}{3}$$ $$\frac{16}{9}$$ $$\frac{15}{8}$$ 2, wo ſich ſogleich zeigt, daß G H d der Dur-Accord fuͤr G iſt, daß c die obere Quarte zu G iſt, und daß die Tonleiter G, A, H, c, d, e, fis, g faſt genau ſo wie C, D, E, F, G, A, H, c fortſchreitet, mit dem geringen Unterſchiede, der in den großen und kleinen ganzen Ton-Intervallen liegt. In unſrer Anordnung des Notenſchrei - bens iſt bekanntlich auf den Linien und zwiſchen den Linien nur Raum fuͤr die Toͤne C, D, E, F, G, A, H, und ihre Wiederholun - gen in den andern Octaven; um daher das Fis auszudruͤcken, wird der Note F ein Kreutz vorgezeichnet, und g dur iſt daher diejenige Ton-Art, welche ein Kreutz als Vorzeichen hat; dieſes Kreutz zeigt an, daß ſtatt des Tones F ein um einen kleinen halben Ton hoͤherer eingeſchalteter Ton genommen wird, und F ſelbſt koͤmmt in der Tonleiter von g dur nicht vor.

Auch der zu C als Quarte gehoͤrige Ton F hat in der c dur Tonleiter ſeine reine große Terze und reine Quinte; aber wenn wir fuͤr ihn die ganze Tonleiter, naͤmlich die Tonleiter von f dur, ange - ben wollen, ſo ſind wir abermals genoͤthigt, einen neuen halben Ton einzuſchalten. Von F naͤmlich bis G und A ſchreiten wir durch zwei ganze Toͤne fort, bei denen unſer Ohr die geringe Ungleichheit in den Intervallen nicht bemerkt, aber nun ſoll eine Fortſchreitung durch einen großen halben Ton folgen, und dieſes iſt der Grund, warum wir zwiſchen A und H den halben Ton B einſchalten. Er ſoll um einen großen halben Ton hoͤher als A, alſo um einen klei - nen halben Ton tiefer als H ſein, und unſre Notenſchreibung zeigt dies durch ein der Note H vorgeſetztes b, das Zeichen, daß dieſer Ton um einen kleinen halben Ton erniedrigt werden ſoll, an. Mehr Einſchaltungen bedarf f dur nicht, da von B bis c, c bis d, d bis e drei Fortſchreitungen durch ganze Toͤne und endlich von e bis f das Intervall eines großen halben Tones folgt, wie es die Tonleiter fordert. F dur iſt alſo die Ton-Art, welche in unſern Noten mit einem h bezeichnet iſt; und dieſes Zeichen der Herabſetzung auf einen etwas tiefern Ton ſteht vor der Note h oder H, die dadurch in B uͤbergeht.

So wie wir von C dur, welches gar kein Vorzeichen hat, zur Quinte G, wo ein Kreutz erfordert war, fortſchritten, ſo giebt ein zweiter Fortſchritt durch eine Quinte bis d oder D uns303 eine Ton-Art, die zwei Kreutze fordert, d dur; denn ſo gut als ſich fuͤr G alle Toͤne der Tonleiter bis auf einen in der c dur Ton - leiter fanden, ſo werden ſich fuͤr d alle Toͤne bis auf den zunaͤchſt an d liegenden, alle in der Tonleiter g dur finden. Dieſe Kreutze ſtehen vor F und C oder erhoͤhen dieſe beiden Noten um einen klei - nen halben Ton; denn die Fortſchreitung der Tonleiter fordert, von D bis E einen ganzen Ton, E bis Fis einen ganzen Ton, Fis bis G einen großen halben Ton, G bis A, A bis H ganze Toͤne, aber nun von H bis zu dem zwiſchen c und d einzuſchaltenden cis einen ganzen Ton, wodurch dann cis bis d ein großer halber Ton wird, weil cis nur um einen kleinen halben Ton von c verſchieden iſt.

Von D noch eine Quinte hinaufwaͤrts fortſchreitend kommen wir an A, und a dur iſt die Ton-Art, welche drei Kreutze als Vor - zeichen hat. F naͤmlich und C erhalten wieder Kreutze oder die d dur Tonleiter bleibt, aber auch G erhaͤlt ein Kreutz, oder ſtatt der Note G muß das um einen kleinen halben Ton hoͤhere Gis angeſchlagen werden. Die Tonleiter iſt A bis H, H bis Cis, ganze Toͤne, Cis bis D ein großer halber Ton, D bis E, E bis Fis, Fis bis Gis ganze Toͤne, Gis bis A ein großer halber Ton. Wenn das In - tervall eines ganzen Tones durch das Verhaͤltniß 1 $$\frac{10}{9}$$ , eines großen halben Tones durch 1 $$\frac{16}{15}$$ , ausgedruͤckt wird, ſo iſt das Verhaͤltniß fuͤr den kleinen halben Ton = $$\frac{25}{24}$$ , weil $$\frac{10}{9}$$ = $$\frac{16}{15}$$ $$\frac{25}{24}$$ , das heißt, waͤhrend G neunmal ſchwingt, macht A zehn Schwingungen; waͤh - rend G 24 mal ſchwingt, macht Gis 25 Schwingungen, waͤhrend Gis 15 mal ſchwingt, macht A 16 Schwingungen.

Um die Ton-Art, die ein b als Vorzeichen forderte, zu er - halten ſchritten wir von C eine Quarte hinauf bis F, oder was daſſelbe iſt, durch eine Quinte hinab von c bis F. Ich will mich an den letzten Ausdruck halten, weil dann alle Fortgaͤnge von einer Ton-Art zur naͤchſten nach Quinten angeordnet ſind, und ſage daher, wenn man von f durch eine Quinte hinabwaͤrts geht, ſo koͤmmt man auf den Ton B, den wir zwiſchen A, H, eingeſchaltet haben. Von B naͤmlich hinaufwaͤrts iſt e um einen ganzen Ton, d um zwei ganze Toͤne verſchieden, und d iſt alſo die große Terze zu B, dagegen iſt d, e, f, ein Fortſchreiten um anderthalb ganze Toͤne und f iſt um eine kleine Terze von d, um eine Quinte von B entfernt. B dur iſt die Ton-Art, die zwei b als Vorzeichen for -304 dert, und zwar vor H, welches zu B erniedrigt wird, vor E, welches zu Es erniedrigt wird. Geht man von B um eine Quinte hinab, ſo trifft man auf Es, und Es dur hat drei b als Vorzeichen. Dieſe Ton-Art fordert ebenſo wie A dur einen Ton zwiſchen G und A einzuſchalten, und giebt uns daher Gelegenheit zu bemerken, warum die theoretiſche Muſik einen Unterſchied zwiſchen dem fuͤr A dur und dem fuͤr Es dur an derſelben Stelle eingeſchalteten Tone macht, indem ſie ihn bei a dur, als erhoͤhetes G, Gis nennt, bei es dur, als erniedrigtes A, Aes oder As nennt. Bei a dur war der letzte Schritt der hinaufgehenden Tonleiter von Gis bis A, und dieſer letzte, die Octave vollendende Schritt mußte ein großer halber Ton ſein; bei es dur dagegen haben wir als erſte Fortſchreitungen in der Tonleiter Es bis F, F bis G, als ganze Toͤne, nun ſoll ein großer halber Ton G bis As folgen, aber G bis Gis waͤre nur ein kleiner halber Ton, in aller Strenge genommen, iſt alſo As etwas hoͤher als Gis, As iſt das (durch ein vorgeſetztes b) um einen kleinen hal - ben Ton erniedrigte A, Gis iſt das (durch ein vorgeſetztes Kreutz) um einen kleinen halben Ton erhoͤhete G. Dieſer ſelbige Unterſchied findet bei andern Ton-Arten zwiſchen Cis und Des, oder Dis und Es, oder Fis und Ges ſtatt, indeß iſt dieſer Unterſchied ſo klein, daß unſer Ohr ihn nicht ſo ſtrenge wahrnimmt, und wir daher auf allen mit unveraͤnderlichen Saiten verſehenen Inſtrumenten Gis und As fuͤr einerlei gelten laſſen. Genau genommen ſollte, wenn die Schwingungen ſo ausgedruͤckt werden C D E F G A 1 $$\frac{9}{8}$$ $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{4}{3}$$ $$\frac{3}{2}$$ $$\frac{5}{3}$$ Gis durch $$\frac{15}{16}$$ $$\frac{5}{3}$$ , und As durch $$\frac{16}{15}$$ $$\frac{3}{2}$$ als Zahl der Schwingungen ausgedruͤckt werden, das gaͤbe 〈…〉 alſo auf 128 Schwingungen einen Unterſchied von 3 Schwingungen, ſo daß waͤhrend C 80 Schwingungen macht, Gis 125, As 128 Schwin - gungen machen ſollte. Mit 120 Schwingungen des G ſollen 125 des Gis und 128 Schwingungen des As und 133⅓ des A zuſam - mentreffen.

305

Die Moll-Tonleiter.

Da dieſe Betrachtungen aus der theoretiſchen Muſik fuͤr jeden, der ſich irgend mit Muſik beſchaͤftigt, Intereſſe haben, ſo muß ich doch auch noch ein Wort uͤber die Moll-Tonleitern und uͤber die mit jedem Dur-Ton verwandte Moll-Tonart ſagen. Wenn man von einem Grundtone ſo fortſchreitet, daß man um den Haupt-Accord zu bilden, die große Terze mit der Quinte und dem Grundtone zuſammen nimmt, ſo machen dieſe Toͤne gleichzeitig 4, 5 und 6 Schwingungen, der Grundton naͤmlich 4, waͤhrend der ihm als große Terze angehoͤrende 5, der ihm als Quinte angehoͤ - rende 6 macht. Hier geht man vom Grundtone zuerſt durch eine große Terze, und hierauf durch eine kleine Terze zur Quinte fort. Die kleine Terze vereinigt zwei Toͤne, deren Schwingungszeiten ſich wie 5 zu 6 verhalten, indem zum Beiſpiel C E G1 $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{3}{2}$$ , alſo 6 Schwin - gungen des G mit 5 Schwingungen des E gleichzeitig geſchehen, wie ſchon mehrmals bemerkt iſt. Wenn man eben dieſe Intervalle einer kleinen und großen Terze in umgekehrter Ordnung auf einander folgen laͤßt, ſo hat man den Moll-Accord, in welchem die Verhaͤlt - niſſe der drei Schwingungszeiten weniger einfach ausgedruͤckt ſind, und der dem Ohre nicht ganz ſo angenehm, als der Dur-Accord iſt. Fuͤr C wuͤrde der Moll-Accord aus C Es G 1 $$\frac{6}{5}$$ $$\frac{3}{2}$$ zuſammengeſetzt ſein; denn E = $$\frac{5}{4}$$ um einen kleinen halben Ton erniedrigt, giebt die Schwingungszahl = $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{24}{25}$$ = $$\frac{6}{5}$$ fuͤr Es, oder D um einen großen halben Ton erhoͤhet giebt Es = $$\frac{9}{8}$$ $$\frac{16}{15}$$ = $$\frac{6}{5}$$ .

Will man die Moll-Tonleiter vervollſtaͤndigen, ſo giebt man der Quinte ihren Moll-Accord und der Quarte ihren Moll-Accord. In der fuͤr c dur angegebnen Tonleiter finden ſich alle dazu noͤthi - gen Toͤne, wenn wir von dem Grundtone A anfangen; da naͤmlich iſt c die kleine Terze, e die Quinte, d die Quarte, zu A; aber egh bildet den Moll-Accord der Quinte, dfa den Moll-Accord der Quarte. Wir hatten naͤmlich die SchwingungszeitenI. U306C D E F G A H c d e f g a 1 $$\frac{9}{8}$$ $$\frac{5}{4}$$ $$\frac{4}{3}$$ $$\frac{3}{2}$$ $$\frac{5}{3}$$ $$\frac{15}{8}$$ 2 $$\frac{9}{4}$$ $$\frac{5}{2}$$ $$\frac{8}{3}$$ 3 $$\frac{10}{3}$$ alſo kommen auf eine Schwingung des A

AHcdefgah
1 $$\frac{9}{8}$$ $$\frac{6}{5}$$ $$\frac{27}{20}$$ beinahe = $$\frac{4}{3}$$ $$\frac{3}{2}$$ $$\frac{8}{5}$$ $$\frac{9}{5}$$ 2 $$\frac{9}{4}$$

wo e fuͤnfmal ſchwingt, waͤhrend g 6 mal ſchwingt, alſo g die kleine Terze zu e iſt, h aber die Quinte zu e, indem auf jede Schwingung des e anderthalb des h kommen. Der Ton d iſt die Quarte zu A, denn obgleich das Verhaͤltniß $$\frac{4}{3}$$ eigentlich forderte, daß 28 Schwin - gungen des d mit 21 Schwingungen des A zuſammen gehoͤrten, ſo iſt doch dies von 27 zu 20 gehoͤrigen, nicht allzu merklich verſchieden, und wenn bei d $$\frac{4}{3}$$ ſtatt $$\frac{27}{20}$$ geſetzt wird, ſo wuͤrde f genau 6 Schwin - gungen machen, waͤhrend d 5 macht.

Da auf dieſe Weiſe die Tonleiter a moll ganz in eben den Toͤ - nen liegt, wie c dur, ſo ſind dieſe Ton-Arten verwandt, und ha - ben beide kein Vorzeichen in unſern Noten. Und ebenſo hat immer die um eine kleine Terze tiefere Moll-Ton-Art eben die Vorzeichen wie die um ſoviel hoͤhere Dur-Ton-Art*)Daß bei der Molltonleiter einige andre zufaͤllige Ton-Erhoͤhun - gen vorkommen, iſt ein Umſtand, der hier wohl nicht weiter eroͤrtert werden kann.. In der Tonleiter D dur zum Beiſpiel iſt D Fis A, der Dur-Accord, A, cis, e der Dur-Accord der Quinte, G die Quarte und G H d ihr Dur-Accord, alſo D E Fis G A H cis d die Dur-Tonleiter fuͤr D. Gehe ich eine kleine Terze von d herab zu H, ſo iſt Hd fis der Moll-Accord, fis a cis, der Moll-Accord der Quinte fis, e die Quarte und egh ihr Moll-Accord; alſo auch hier H cis d e fis g a h die aus eben den Toͤnen hergenommene Moll-Tonleiter fuͤr H. Und ſo in allen aͤhnlichen Faͤllen.

Die Temperatur.

Dies ſind die wichtigſten Bemerkungen, die uͤber die Entſte - hung der Tonleiter hieher gehoͤren; aber es iſt noch ein Umſtand307 uͤbrig, der ganz in die rechnende Acuſtik gehoͤrt, und daher nicht uͤbergangen werden darf. Dieſes iſt die von den Muſikern ſoge - nannte Temperatur, oder die Anordnung kleiner Abweichungen von den genauen Werthen der im Vorigen beſtimmten Intervalle.

Wir haben bisher ſoviel als moͤglich immer uns an die Ver - haͤltniſſe gehalten, die von dem erſten Grundtone C abgeleitet wa - ren, und haben die kleinen Abweichungen, die dann bei den Conſo - nanzen andrer Toͤne ſtatt fanden, nur obenhin bemerkt; dieſe Ab - weichungen verdienen aber doch genauer erwogen zu werden. Wenn man von C durch zwei ganze Toͤne zur großen Terze E fortſchreitet, ſo ſchwingt E $$\frac{5}{4}$$ mal, waͤhrend C einmal ſchwingt; ebenſo ſollte bei abermaligem Fortſchreiten durch zwei ganze Toͤne von E bis Gis oder As, dies letztere $$\frac{5}{4}$$ Schwingungen mit einer Schwingung des E, alſo $$\frac{25}{16}$$ Schwingungen mit einer des C gleichzeitig vollenden, und wenn man von Gis oder As durch zwei ganze Toͤne bis c fort - ſchritte, ſo ſollte c $$\frac{5}{4}$$ mit Gis 1, oder c $$\frac{25}{16}$$ mit E 1, oder c $$\frac{125}{64}$$ Schwingungen mit C 1, mit einer Schwingung des C gleichzeitig ſein. Aber damit die Octave rein ſei, muß c 2 Schwingungen = $$\frac{128}{64}$$ vollenden, waͤhrend C eine vollendet, und es iſt daher un - moͤglich drei reine große Terzen zu erhalten, ohne am Ende derſelben die Octave um $$\frac{3}{64}$$ zu verfehlen. Ebenſo wuͤrden vier kleine Terzen, wenn ſie ganz rein ſein, naͤmlich immer im Verhaͤltniß $$\frac{6}{5}$$ der Schwingungszahl fortgehen ſollten, am Ende zu keiner reinen Oc - tave fuͤhren; naͤmlich nach der kleinen Terze muͤßte ſein C Es Fis oder Ges A c 1 $$\frac{6}{5}$$ $$\frac{36}{25}$$ $$\frac{216}{125}$$ $$\frac{1296}{625}$$ und das ſo beſtimmte c weicht um $$\frac{46}{625}$$ vom richtigen, der Octave gemaͤßen c ab, das heißt, das als reine Octave eingeſtimmte c wuͤrde 2 Schwingungen machen waͤhrend das nach dem Fortgange von 4 reinen kleinen Terzen eingeſtimmte c $$\frac{1296}{625}$$ Schwingung machte, oder jenes 1250 Schwingungen waͤhrend dieſes 1296, jenes 625 waͤhrend dieſes 648. Die aus vier kleinen Terzen zu - ſammengeſetzte Octave iſt alſo um ſo viel als $$\frac{648}{625}$$ angiebt zu hoch, ſo wie die aus drei großen Terzen zuſammengeſetzte Octave zu tief war. Jene Abweichung heißt die groͤßere Dieſis, dieſe die kleinere Dieſis.

U 2308

Eine aͤhnliche Abweichung ergiebt der Fortgang durch reine Quinten. Um ſie zu bezeichnen, muß ich Sie daran erinnern, daß man die Toͤne in den hoͤhern Octaven mit mehrern Strichen zu be - zeichnen pflegt; die tiefſte Discant-Octave iſt die, wo man die Toͤne eingeſtrichene, , u. ſ. w. nennt, die naͤchſthoͤhere die zwei geſtrichene c̿, d̿ und ſo ferner. Gehen wir alſo nach Quinten von C aus fort, und nehmen an, daß jeder folgende Ton (wobei ich Fis und Ges als einerlei anſehe,) nach reinen Quinten geſtimmt ſein ſollte, das heißt, jeder naͤchſt hoͤhere anderthalb Schwingungen machen ſollte, waͤhrend der naͤchſt tiefere eine macht, ſo erhielten wir C G d a fis̿ des̅̅̅ as̅̅̅ 1 $$\frac{3}{2}$$ $$\frac{9}{4}$$ $$\frac{27}{8}$$ $$\frac{81}{16}$$ $$\frac{243}{32}$$ $$\frac{72}{64}$$ $$\frac{2187}{128}$$ $$\frac{6561}{256}$$ es̅̅̅̅ b̅̅̅̅ f̅̅̅̅̅ c̅̅̅̅̅̅ $$\frac{19683}{512}$$ $$\frac{59049}{1024}$$ $$\frac{177147}{2048}$$ $$\frac{531441}{4096}$$ Nach den Octaven ſollten die Schwingungen ſein C c c̿ c̅̅̅ c̅̅̅̅ c̅̅̅̅̅ c̅̅̅̅̅̅ 1 2 4 8 16 32 64 128 = $$\frac{524288}{4096}$$ , die reinen Quinten geben alſo beinahe auf 524 Schwingungen 7 zu viel, oder geben genau eine um $$\frac{531441}{524288}$$ zu hohe Stimmung, und dieſe Abweichung heißt das Pythagoriſche Comma.

Dieſe Unterſchiede liegen nicht in etwas Zufaͤlligem unſrer Tonleiter oder in irgend etwas Willkuͤrlichem, ſondern ſie liegen darin, daß weder $$\frac{5}{4}$$ immer mit ſich ſelbſt multiplicirt, noch $$\frac{6}{5}$$ immer mit ſich ſelbſt multiplicirt, noch $$\frac{3}{2}$$ immer mit ſich ſelbſt multiplicirt, je eine ganze Zahl geben kann. Keine Tonleiter kann alſo, wenn man die Octave rein erhalten will, einen ganz reinen Fortgang in lauter Terzen oder Quinten geſtatten, und da die Reinheit der Octaven unſtreitig das Wichtigſte iſt, ſo muß man alle zwiſchenliegenden Toͤne ein wenig modificiren, damit die nicht ſtrenge rein zu erhaltenden Intervalle moͤglichſt wenig von der Reinheit abweichen. Die Muſiker nennen dies: der Ton muͤſſe ein wenig oberhalb oder ein wenig unterhalb ſchweben; und darin eben beſteht die Temperatur. Bei der gleichſchwebenden309 Temperatur iſt die Austheilung ſo, daß die Schwingungszahl von C zu der von Cis in eben dem Verhaͤltniß ſteht, wie von Cis zu D und ſo ferner; ich ſetze hier die gleichzeitigen Schwingungszahlen her, und ſetze bei der C dur Tonleiter daneben, was die oben angegebnen einfachen Verhaͤltniſſe fordern wuͤrden.

ToͤneGleichschwebende Temp.Urspruͤngl. Verh.
c100000100000
cis105946
d112246112500 = 9 / 8. 100000
dis118921
e125992125000 = 5 / 4. 100000
f133484133333 = 4 / 3. 100000
fis141421
g149831150000 = 3 / 2. 100000
gis158740
a168179166666 = 5 / 3. 100000
b178180
h188775187500 = 15 / 8. 100000
200000200000.

Es muß alſo die Quinte g ein wenig hinabwaͤrts, die große Terze e ein wenig hinaufwaͤrts ſchweben und ſo bei den uͤbrigen Toͤnen. Unſer Ohr, und ſelbſt, nach dem Urtheil der Kenner, das geuͤbteſte muſicaliſche Ohr findet in dieſen kleinen Abweichungen nichts Unan - genehmes; und es iſt allerdings ein Gluͤck, daß unſer, fuͤr jene Zahlenverhaͤltniſſe feines Ohr, dem das oft wiederkehrende Zuſam - mentreffen zweier Schwingungen eine angenehme Empfindung er - regt, nicht noch feiner iſt, um durch ſo kleine Abweichungen verletzt zu werden, denn ſonſt wuͤrde es unmoͤglich ſein, das ſo ſtrenge An - forderungen machende Ohr zu befriedigen.

Dies iſt, glaube ich, alles, was uͤber die theoretiſche Muſik hieher gehoͤrt. Ob ſich uͤber andre Umſtaͤnde, uͤber die Grundregeln des Generalbaſſes etwas Gruͤndliches aus den Schwingungsverhaͤlt - niſſen herleiten laͤßt, muß ich, zu wenig bekannt mit dieſem Gegen - ſtande, unentſchieden laſſen. Das bisher Eroͤrterte lag aber ſo310 nahe, daß ich wohl keiner Entſchuldigung bedarf, wenn ich hier mich in mehr Zahlenrechnung eingelaſſen habe, als es ſonſt der Plan ei - ner populaͤren Darſtellung geſtattet.

Zwei und zwanzigſte Vorleſung.

Verſchiedene Toͤne einer Saite oder eines Stabes.

Die Unterſuchungen, mit welchen ich Sie, m. h. H., neulich unterhalten habe, gewaͤhren uns den Vortheil, uns leichter und be - ſtimmter uͤber das auszudruͤcken, was wir uͤber Toͤne der Saiten und der Staͤbe ſchon fruͤher kennen gelernt hatten. Wenn eine Saite ſich in mehrere Theile zerlegt, ſo ſind die dieſen einzelnen Theilen entſprechenden Toͤne deſto mehr dem Grundtone harmoniſch entſprechend, je geringer die Anzahl der gleichen Theile iſt, in welche ſie ſich theilt, voͤllig disſonirende Toͤne aber wird ſie gar nicht geben, weil ſie ſich in ungleiche Theile gar nicht theilen kann, und ſich auch nie in eine ungemein große Zahl gleicher Theile theilt. Wenn der Grundton der Saite c waͤre, ſo kann ſie auch, indem ſie frei ſchwin - gend, ſich in zwei Haͤlften theilt, die Octave angeben, oder wenn ſie ſich in drei Drittel theilt die obere Octave der Quinte, das iſt , oder auch indem ſie ſich in vier Theile zerlegt, die doppelte hoͤhere Octave c̿ angeben. Die Quinte g ſelbſt kann ſie nicht geben, aus den ſchon fruͤher angefuͤhrten Gruͤnden. Ferner wenn die Saite ſich in fuͤnf gleiche Theile zerlegt, macht jeder Theil 5 Schwingungen, waͤhrend der Grundton c eine macht; da nun e $$\frac{5}{4}$$ , $$\frac{5}{2}$$ Schwingun - gen macht, ſo iſt der ſo hervorgebrachte Ton e̿ die doppelte Octave der großen Terz; die Theilung in 6 Stuͤcke gaͤbe die doppelte Octave g̿ der Quinte; die Theilung in 7 Theile giebt einen Ton, der auf unſern Inſtrumenten mit feſten Toͤnen nicht vorkoͤmmt; wenn wir aber a̿ $$\frac{20}{3}$$ Schwingungen, ais $$\frac{500}{72}$$ = 7 - $$\frac{4}{72}$$ beilegen, ſo iſt dieſer der Theilung in Siebtel entſprechende Ton dem Ais ziemlich nahe311 und liegt zwiſchen ihm und b; er iſt der erſte, der nicht in der Ton - leiter vorkommt. Die Theilung acht giebt c̅̅̅, neun giebt d̅̅̅, zehn giebt c̅̅̅,

Auf dieſen mannigfaltigen Eintheilungen der Saiten beruhen die Toͤne der Aeolsharfe. Bei ihr muͤſſen alle Saiten genau uniſon geſtimmt werden, und da der auf die Saiten treffende Windzug bald den Grundton, bald durch mancherlei Theilungen der Saiten die naͤchſten harmonirenden Toͤne hervorbringt, ſo entſteht das an - genehme harmoniſche Getoͤn, welches freilich ſeinen groͤßten Reitz durch das abwechſelnde Anſchwellen und Verklingen der Toͤne bei zunehmendem oder abnehmendem Luftzuge erhaͤlt; aber doch die Harmonie aller Toͤne dem Umſtande verdankt, daß die Saiten ſich nur in ſolche Theile theilen koͤnnen. Man muß die Aeolsharfe in einen begrenzten Luftzug, etwa an ein nur wenig geoͤffnetes Fenſter ſtellen, wenn ſie gut, und ſelbſt bei maͤßigem Luftzuge toͤnen ſoll, indem dann der Wind die Saiten am beſten trifft.

Aus dieſen Betrachtungen erklaͤren ſich viele einzelne Erfah - rungen. Es iſt bekannt, daß auf der Violine die verſchiedenen Toͤne durch gehoͤriges Verkuͤrzen der ſchwingenden Saite bewirkt werden, und daß die hoͤchſten Toͤne am ſchwerſten rein zu erhalten ſind. Dies ruͤhrt daher, weil bei tiefen Toͤnen es weniger ſtrenge auf den genauen Punct, wo man die Saite andruͤcken ſoll, an - kommt, indem ein volles Neuntel der Laͤnge als Aenderung fuͤr einen ganzen Ton noͤthig iſt, und dieſes bei tiefen Toͤnen einen ſehr erheb - lichen, bei hohen Toͤnen aber einen ſehr kleinen Raum ausmacht, ſo daß dort kleine Abweichungen noch nicht merklich werden, aber bei einer 3 Zoll langen Saite ſchon Zoll einen vollen ganzen Ton als Aenderung hervorbringt.

Die verſchiedenen Toͤne, die ein mit dem einen Ende befeſtig - ter Stab hervorbringen kann, ſind nicht harmoniſch. Wenn ein ſolcher Stab den Ton C als Grundton hervorbringt, ſo iſt ungefehr gis̅ der Ton, den er beim Entſtehen eines Schwingungsknotens giebt, und bei zwei Schwingungsknoten wuͤrde d̅̅̅ hervorgehen. Nach Chladni's Unterſuchungen verhaͤlt es ſich mit den Toͤnen der Stimmgabel ziemlich eben ſo. Die Stimmgabel giebt ihren Grund -312 ton, wenn die ganzen Zinken ſchwingen, und alſo nur zwei nahe an einander gegen die untere Kruͤmmung liegende Schwingungsknoten vorhanden ſind. Der naͤchſt hoͤhere, ſchon ſehr hoch hinauf liegende Ton entſteht, wenn in jeder Zinke zwei Schwingungsknoten ſind; der dritte entſteht indem ein Schwingungsknoten in der Mitte der Kruͤmmung und zwei in jeder Zinke ſich bilden. Iſt der Grund - ton, ſo iſt der zweite f̅̅̅̅, der dritte es̅̅̅̅̅. Auf einigen Stimmgabeln kann man ſelbſt den dritten Ton erhalten, wenn man ſehr nahe gegen die Kruͤmmung hin mit dem Violinbogen ſcharf ſtreicht; es geht dann ein ungemein hoher Ton hervor, der ſchon betraͤchtlich uͤber die muſicaliſch brauchbaren Toͤne hinausliegt, und deſſen Hoͤhe ſich durch andre Vergleichungen als ziemlich mit dem eben an - gegebnen Tone uͤbereinſtimmend ergiebt. Der zweite Ton geht ſehr oft von ſelbſt beim bloßen Anſchlagen hervor.

Schwingungszeiten fuͤr jeden Ton.

Ich habe bisher die Frage, wie viele Schwingungen denn ei - nem beſtimmten Tone entſprechen, noch nicht genuͤgend beantwortet. Außer dem von Chladni empfolnen Mittel, die Schwingungen eines laͤngern Stabes abzuzaͤhlen, und daraus die in einer Secunde ſtatt findende Schwingungszahl eines kuͤrzern Stabes, der ſchon einen durch das Ohr beſtimmbaren Ton giebt, zu berechnen, wird uns nachher die Orgelpfeife noch ein andres Mittel geben, die wahre Schwingungszahl eines gegebnen Tones zu beſtimmen. Noch ein andres Mittel hat Cagniard Latour angegeben. Da es bei Hervorbringung des Tones nur einer in genau gleich abgemeſſenen Zeitraͤumen immer wiederkehrenden gleichen Vibration bedarf, ſo er - haͤlt man einen Ton, wenn ein gleichmaͤßig herandringender Luft - ſtrom durch regelmaͤßige Unterbrechungen nur in wechſelnden Ab - ſaͤtzen hervordringen kann. Das von Cagniard Latour unter dem Namen Sirene bekannt gemachte Inſtrument beſteht daher aus einem Rohr, durch welches ein gleichfoͤrmiges Blaſen einen an - haltenden Luftſtrom hervorbringt; und aus einer mit Loͤchern ver - ſehenen Scheibe (Fig. 154.), die ſchnell und gleichfoͤrmig gedreht, bald eine Oeffnung bald einen undurchbohrten Theil bei der Roͤhre vorbeifuͤhrt. Wird nun die Scheibe, auf deren Umfang ich 64 Loͤcher313 annehmen will, ſo gedreht, daß ſie einen Umlauf in 1 Secunde macht, ſo entſteht, durch den in 1 Sec. 64 mal unterbrochenen und 64mal erneuerten Luftzug, ein Ton, der 64 Schwingungen in 1 Sec. macht; dreht man die Scheibe doppelt ſo ſchnell, ſo erhaͤlt man den Ton, der eine Octave hoͤher iſt und ſo weiter.

Nach dieſen und aͤhnlichen Beſtimmungen nimmt man an, daß der tiefſte noch in der Muſik brauchbare Ton, 32 Schwingun - gen in 1 Sec. macht, und dies iſt derjenige, der von einer 32fußigen offenen Orgelpfeife angegeben wird, und als dasjenige C, welches zwei Octaven tiefer als das ſogenannte große C auf dem Clavier iſt, erkannt wird. Das Contra C macht alſo 64 Schwingungen in 1 Sec., das große C 128 Schwingungen, e 256 Schwingungen, das tiefſte Discant 512 Schwingungen, c̿ 1024, c̅̅̅ 2048, c̅̅̅̅ 4096, c̅̅̅̅̅ 8192 Schwingungen in 1 Secunde. Der ungemein hohe Ton, der als dritter Ton der Stimmgabel hervorgeht, muß alſo ungefehr 9800 Schwingungen in 1 Sec. vollenden. Die Toͤne, die wir ge - woͤhnlich nur auf dem Pianoforte gebrauchen, haben vom Contra F bis f̅̅̅̅ die Schwingungszahlen 85⅓ bis 5461 Schwingungen in 1 Secunde.

Vibrationen der Flaͤchen, Klangfiguren.

Die Schwingungen von Flaͤchen, deren wir uns bei den Glocken auch zu wirklichem Gebrauche bedienen, wuͤrden einen hoͤchſt merkwuͤrdigen Gegenſtand fuͤr Unterſuchungen darbieten, wenn nur nicht dieſe Unterſuchungen ſo ſchwer waͤren, daß ſie die Kraͤfte unſrer bisherigen Theorien faſt gaͤnzlich uͤberſteigen. Wir ſind nicht im Stande theoretiſch anzugeben, welchen Ton eine Glocke von gegeb - ner Geſtalt hervorbringen wird, und ſelbſt die verſchiedenen Toͤne, deren eine und dieſelbe Glocke faͤhig iſt, und die ſehr oft vermiſcht unſer Ohr treffen, ſind wir nicht im Stande ganz genau zu beſtim - men. Wenn wir ein recht gut toͤnendes Glas nach und nach mit Waſſer oder Wein fuͤllen, ſo wird der Ton, welchen es beim An - ſchlagen giebt, immer tiefer; der Unterſchied iſt zuerſt wenig merk - lich, wenn der Boden noch nicht hoch bedeckt iſt, aber wenn die Fuͤllung ſich mehr und mehr dem Rande naͤhert, ſo macht eine314 geringe Vermehrung der Quantitaͤt den Ton ſchon merklich tiefer. Der Grund hievon iſt offenbar der, daß mehr Maſſentheile in Be - wegung geſetzt werden muͤſſen, und deshalb die Vibrationen nicht die ganze Schnelligkeit mehr erreichen. Fuͤllt man das Glas mit Queckſilber, ſo iſt es nicht zum Toͤnen zu bringen; aber auch eine minder ſchwere Fluͤſſigkeit, Bier zum Beiſpiel, hindert das Toͤnen, theils weil es nicht ſo vollkommen fluͤſſig, theils weil es wegen der aufſteigenden Blaͤschen nicht ganz gleichartig iſt*)Daß das Aufſteigen der Blaſen den Klang hindert, davon kann man ſich ſo uͤberzeugen. Man thue Waſſer in ein gut klingendes Glas und lege auf den Boden ein Stuͤckchen Kreide; gießt man nun Schwe - felſaͤure zu und ſchlaͤgt im erſten Augenblicke, wo recht viele Blaͤschen ſich entwickeln, an, ſo iſt der Klang ſchlecht, nachher iſt er wieder beſſer..

Das Toͤnen der Glocken, deſſen genauere Geſetze faſt ganz un - bekannt ſind, muß ſich nach aͤhnlichen Geſetzen richten, und eine Glocke von dickerer Maſſe muß alſo offenbar tiefere Toͤne geben. Uebrigens hoͤrt man bei der Glocke ein Zuſammenklingen mehrerer Toͤne, uͤber deren Entſtehen das Vibriren ebener Scheiben einigen Aufſchluß giebt.

So wenig es uns naͤmlich auch moͤglich iſt, ſelbſt fuͤr ebne Scheiben, und ſelbſt fuͤr Scheiben von der einfachſten Form, die Geſetze, wie ſie vibriren, vollſtaͤndig anzugeben, ſo bietet uns doch Chladni's Entdeckung, daß man die Verſchiedenheit der Schwin - gungen an Scheiben dem Auge ſichtbar machen kann, ein wichtiges Mittel zur Belehrung dar. Nach Chladni's Vorſchrift naͤmlich macht man die Schwingungsknoten einer ebenen Glasſcheibe oder Metallſcheibe dadurch kenntlich, daß man etwas Sand auf ſie ſtreuet, und ſie dann, zwiſchen den Fingern in einem Puncte feſt - gehalten, mit einem Violinbogen ſenkrecht ſtreicht, um Toͤne her - vorzubringen. Der Sand legt ſich, waͤhrend ſo die Scheibe toͤnt, in beſtimmte Linien, und bleibt in dieſer Lage, ſo oft man durch gleiches Streichen denſelben Ton hervorbringt, ſobald aber ein andrer Ton hervorgeht, legt er ſich in andere Linien, und zeigt, daß mit der Aenderung des Tones auch die Anordnung der Schwin - gungsknoten eine andre geworden ſei, ſo wie dies bei Saiten der Fall war, wo wir die Schwingungsknoten dadurch kenntlich mach -315 ten, daß wir die Stelle ſuchten, wo aufgelegte Papierſtuͤckchen in Ruhe blieben.

Wenn die Chladni'ſchen Klangfiguren gut hervorgehen ſollen, ſo muß man eine moͤglichſt gleichfoͤrmige Scheibe in einem ſo kleinen Raum als moͤglich, entweder zwiſchen den Fingerſpitzen feſthalten oder in einer Schraube einklemmen; man muß beim Streichen den Bogen genau an einerlei Stelle und mit immer glei - chem Drucke in einer gegen die Scheibe ſenkrechten Richtung herab - ziehen, und nur eine maͤßige Menge trocknen und feinen Sand auf - ſtreuen. Iſt die Stelle, in welcher die Scheibe feſtgehalten wird, zu groß, ſo hindert man die freien Schwingungen; denn eigentlich ſollte nur ein einziger Punct unterſtuͤtzt werden. Vollendet man die die Vibration bewirkenden Zuͤge des Bogens nicht ſo, daß immer dieſelbe Stelle der Scheibe in immer gleiche Schwingungen geſetzt wird, ſo geht ſtatt des einen Tones, nach welchem ſich die Lage des Sandes zu ordnen anfing, ein andrer Ton hervor, der andre Kno - tenlinien fordert. Hat man zu viel Sand aufgeſtreut, ſo iſt wieder die Bewegung nicht frei genug. Man bemerkt bei dieſen Verſuchen ſehr bald, daß das Hervorgehen verſchiedener Toͤne waͤhrend der erſten Zuͤge des Bogens am leichteſten ſtatt findet; hat aber der Sand nur erſt einmal eine beſtimmte Anordnung erhalten, ſo geht mit viel mehr Sicherheit immer derſelbe Ton wieder hervor, offen - bar deswegen, weil der Sand nun grade auf den Stellen aufliegt, die bei dieſem Tone ruhend bleiben, und dagegen erſt weggeſtoßen werden muß, wenn ein andrer Ton hervorgehen ſoll. Man erleich - tert daher das Hervorgehen einer beſtimmten Figur, wenn man an einigen der Stellen, wo Knotenlinien entſtehen ſollen, das heißt, wo der Sand ſich anlegen ſoll, leiſe mit den Fingern beruͤhrt, oder wenn man die im Entſtehen begriffene Figur irgendwo leiſe mit dem Finger beruͤhrt; denn indem ſo ein Punct oder einige Puncte der Scheibe am Schwingen gehindert werden, koͤnnen wenigſtens dieje - nigen Toͤne nicht hervorgehen, die ein Vibriren grade dieſer Theile der Scheibe forderten. Wenn die Scheiben nicht elaſtiſch genug ſind, um mit Leichtigkeit auf ihnen die Figuren recht gut begrenzt zu erhalten, oder wenn man das Streichen nicht mit der noͤthigen Gleichfoͤrmigkeit ausfuͤhrt, ſo kann eine vorſichtige Beruͤhrung in mehrern Stellen dienen, um die Figuren zarter darzuſtellen. Bei316 ungleichfoͤrmiger Beſchaffenheit der Platten kann man es nicht be - wirken, daß die Figuren die vollkommene Symmetrie erhalten, die ſie erhalten ſollten, und eine vollkommene Gleichheit in allen Thei - len der Platte ſcheint nach Savart's Verſuchen nie voͤllig ſtatt zu finden und deshalb die einfache Form der Klangfiguren an gewiſſen Stellen und in gewiſſen Richtungen reiner, in andern Richtungen minder ſchoͤn hervorzugehen. Savart ſucht den Grund hiefuͤr in einem cryſtalliniſchen Gefuͤge der Koͤrper, welches nach gewiſſen Richtungen, ſelbſt in der ſchoͤnſten Kreisſcheibe, eine andre Anord - nung der Vibrationen bewirkt, als in andern Richtungen.

Wie die einzelnen Theile der Scheibe ſich bei den Vibrationen bewegen, das laͤßt ſich wohl uͤberſehen. Offenbar muß, wenn ab (Fig. 155.) eine ziemlich lange rechtwinkliche Scheibe iſt, die bei e geſtrichen, die Knotenlinien ab, de, fg zeigt, der Theil dhif eine hinabgehende Vibration machen, indem ehig eine hinaufge - hende Vibration macht, und ebenſo muͤſſen die Theileakeh, gibn, gleichzeitige hinabgehende Vibrationen machen, waͤhrend der hinauf - gehenden Vibrationen des Theiles chig. Es erhellt hiernach, daß jeder hinaufwaͤrts vibrirende Theil grade neben ſich hinabwaͤrts vi - brirende Theile, nach den Eckrichtungen aber hinaufwaͤrts vibrirende Theile fordert, und daß zum Beiſpiel bei derjenigen Schwingung der Quadratſcheibe, bei welcher die Knotenlinien, welche Fig. 156. zeigt, entſtehen, die Theile ſo vibriren, daß die mit + bezeichneten Theile die eine, die mit - bezeichneten die andre Richtung gleichzeitig befolgen. Indem aber ſo die an einander liegenden vier Stuͤcke eine in jeder Secunde mehrere hundertmal wechſelnde Stellung annehmen muͤſſen, ſo laͤßt ſich auch wohl einſehen, daß dieſes nicht ſo geome - triſch ſtrenge begrenzt geſchehen kann, wie die Zeichnung es fordert, ſondern daß um jeden Durchſchnittspunct der Knotenlinien ein ge - wiſſer Raum unerſchuͤttert bleiben, dadurch aber die Form der Li - nien oft ins bogenfoͤrmige uͤbergehen, und an Einfachheit verlieren wird.

Daß den tiefern Toͤnen eine Eintheilung der Scheibe in weni - gere Theile entſprechen wird, und daß man bei hoͤhern Toͤnen eine mehr zuſammengeſetzte Klangfigur zu erwarten Grund hat, laͤßt ſich aus den hoͤhern Toͤnen der in mehr Abtheilungen zerlegten Saiten auch wohl vorausſehen; aber nach welchem Geſetze hier die Zahl317 der Schwingungen zunimmt, iſt noch ſehr wenig aufgeklaͤrt, obgleich Chladni eine merkwuͤrdige Reihe von Erfahrungen daruͤber be - kannt gemacht hat.

Bei Scheiben von geringer Breite findet man die Schwingun - gen denen gemaͤß, die ein elaſtiſcher Stab annehmen kann. So wie dieſer, wenn er in a, b, in Puncten naͤmlich, die Schwingungs - knoten ſind, aufliegt, Schwingungen, wie die Fig. 157 darſtellt, macht, ſo zeigt auch eine in g gehaltene und in f geſtrichene Scheibe bei g und c Querlinien. Der Stab kann drei Schwingungsknoten haben, wie Fig. 158. und ebenſo kann die Scheibe 1 m die drei ent - ſprechenden Knotenlinien zeigen; der Ton, welchen ſie im letzten Falle macht, giebt 25 Schwingungen waͤhrend der erſte 9 macht, und iſt alſo fis, wenn den zwei Knoten C entſprach.

Wenn man die ſchmale Platte an der langen Seite ſtreicht, ſo erhaͤlt ſie, mitten feſtgehalten, eine Mittellinie und kann mehrere Querlinien erhalten. Haͤlt man die Scheibe in der Mitte a feſt und ſtreicht bei b, ſo erhaͤlt man die beiden ſich durchkreutzenden Linien (Fig. 159.); haͤlt man an der richtigen Stelle um 2 Linien zu be - kommen, ſo iſt der Ton eine Octave hoͤher; erhaͤlt man drei Quer - linien, ſo iſt er eine Octave und eine Quinte hoͤher, als im erſten Falle; die Schwingungszahlen verhalten ſich alſo wie 1, 2, 3. Um dieſe Linien zu erhalten, muß man in einem der Durchſchnittspuncte feſthalten und in einem der Puncte, die mitten zwiſchen den Quer - linien liegen, ſtreichen. Iſt die Scheibe erheblich breit, ſo weichen die Schwingungszeiten von der eben gegebnen Beſtimmung ab, und ihre Schnelligkeit waͤchſt in ſtaͤrkerm Maaße.

Um bei den Scheiben die Regelmaͤßigkeit der entſtehenden Kno - tenlinien genauer wahrzunehmen, iſt es gut, die Scheiben durch feine aufgezeichnete Linien einzutheilen; iſt die Maſſe der Scheiben und ihre Dicke uͤberall gleich, ſo findet man die Anordnung der Li - nien ſehr vollkommen ſymmetriſch; aber bei Ungleichheiten in der Scheibe zeigen ſich erhebliche Abweichungen. Um hier nur einige der Klangfiguren zu erwaͤhnen, die man ohne große Schwierigkeit zu erhalten pflegt, und die man auf jeder reinen Glasſcheibe leicht ſelbſt darſtellen kann, verweile ich nur bei der Quadratſcheibe und bei der Kreisſcheibe. Ich nehme an, daß die Scheibe mit einer Schraube in dem gehoͤrigen Puncte feſtgehalten werde; bedient man ſich318 der Glasſcheiben, ſo muß man unter andern Vorſichten auch die beobachten, daß kein Sandkorn unter der Schraube zu ſcharf in die Glasſcheibe eindraͤnge, die dadurch leicht einen Riß bekommen wuͤrde.

Welche Toͤne mit einer beſtimmten Klangfigur zuſammenge - hoͤren, haͤngt von der Groͤße, Dicke und Schwere der klingenden Platten ab; Metallplatten geben leicht ſehr tiefe Toͤne, ſind dann aber bei nicht zu geringer Groͤße um ſo beſſer geeignet, diejenigen Knotenlinien hervorzubringen, die zuſammengeſetzter den hoͤhern Toͤnen entſprechen.

Bei der Quadratſcheibe entſteht der tiefſte Ton wenn man an einer Ecke ſtreicht und mitten feſthaͤlt; die Knotenlinien bilden ein grades Kreutz oder auch wohl bogenfoͤrmige Linien, die in der Mitte ein groͤßeres nicht in Vibration geſetztes Feld zuruͤcklaſſen. Wenn man, waͤhrend in a feſtgehalten wird, in einem oder mehrern der mit c bezeichneten Puncte den Finger anlegt, ſo erhaͤlt man um ſo leichter dieſen Grundton. Ob man an einer oder der andern Ecke ſtreicht, iſt einerlei. (Fig. 160)

Mitten gehalten und in der Mitte der Seite geſtrichen, kann man einen Ton erhalten, der nur um eine Quinte hoͤher als der vo - rige iſt, und welchem die diagonalen Knotenlinien Fig. 161 ent - ſprechen, ſtatt deren auch wohl die Bogen ab, cd erſcheinen.

Wenn man in a (Fig. 162) etwa um ein Viertel der Breite von der Mitte einer Seite entfernt feſthaͤlt, ſo bildet ſich eine Mit - tellinie und zwei ſymmetriſche Querlinien, wenn man in b oder b ſtreicht. Der Ton iſt um eine Octave und eine große Terze hoͤher, als der Grundton, und giebt alſo 5 Schwingungen waͤhrend der Grundton zwei giebt.

Um Fig. 163. zu erhalten, haͤlt man in einem der Puncte a und ſtreicht in einem der Puncte b. Der Ton iſt nicht voͤllig 2 Octaven und eine kleine Terze hoͤher, als der Grundton. Durch die Unvollkommenheit der Tafel oder einen unrichtig gewaͤhlten Punct zum Feſthalten, koͤnnen (nach Chladni) bei demſelben Tone Bogenlinien fgh, nop, und zwei durch iq und r m ge - ſchlaͤngelte Linien hervorgehen.

Fig. 164. laͤßt ſich erhalten, wenn man in der Mitte feſthaͤlt, und in einigen der Durchſchnittspuncte einen Finger beruͤhrend an -319 bringt; b, b, b ſind die Stellen, wo man ſtreichen kann. Der Ton, den ich auf Chladni's Autoritaͤt angebe, iſt einen halben Ton hoͤher, als die dritte Octave des Grundtones.

Wenn man in der Mitte haͤlt und in der Mitte der Seite ſtreicht, ſo geht gern Fig. 165 hervor; der Ton iſt um 3 Octaven und eine Quarte hoͤher, als der Grundton.

In den Faͤllen, wo irgendwo auf der Mittellinie AB feſtge - halten, und an einer Seite, etwa in b (Fig. 166.) geſtrichen wird, tritt zwar oft eben die regelmaͤßige Symmetrie ein, ſo daß man in b′ ſo gut als in b den Bogen anbringen kann; aber bei groͤßern Platten, zumal wenn ſie irgend ungleich in ihren einzelnen Theilen ſind, hoͤrt dieſe Symmetrie auf, und es koͤnnen reine Toͤne hervor - gehen, wenn gleich die beiden Seiten der Scheibe ſehr ungleiche Linien zeigen. Es waͤre wohl der Muͤhe werth, an groͤßern, recht ſorgfaͤltig gearbeiteten Metallſcheiben zu verſuchen, mit welcher Ge - nauigkeit die Schwingungsknoten der entferntern Theile in eben der Ordnung, wie die der naͤhern, urſpruͤnglich in Vibration geſetzten, liegen; denn daß die Steifheit der Scheibe je groͤßer dieſe iſt, deſto mehr Abweichungen hervorbringt, laͤßt ſich wohl vorausſehen, und auch der Verſuch zeigt es.

Bei einer quadratiſchen Meſſingſcheibe von beinahe 12 rhein. Zoll Seite, kann man 10 Querlinien hervorbringen, die nach Chladni's Beſtimmungen einem Tone entſprechen muͤſſen, der 5 Octaven und 1 Quinte hoͤher als der Grundton*)Chladni's Acuſtik. S. 139 iſt.

Wenn eine Kreisſcheibe in ihrem Mittelpuncte feſtgehalten wird, ſo ſollte ſie eigentlich gleiche Figuren geben, wenn man ſie an irgend einem Puncte des Umfangs ganz gleichfoͤrmig ſtreicht, Sa - vart bemerkt aber, daß dies, ſelbſt bei der genaueſten Bearbeitung der Platte nicht geſchieht, ſondern gewiſſe Stellen paſſender zum Hervorbringen der regelmaͤßigen Knotenlinien ſind, waͤhrend andre Stellen ſie auf beſtimmte Weiſe gekruͤmmt geben; Savart glaubt hierin zu erkennen, daß die innere Structur der Koͤrper, ſelbſt der Metalle und des Glaſes, nicht ſo gleichfoͤrmig iſt, als wir gewoͤhn - lich annehmen, und daß die nach einer Richtung anders geordnete Lage der Theilchen dieſen Einfluß auf die Knotenlinien hat.

320

Bei der in der Mitte feſtgehaltenen Kreisſcheibe zeigt ſich, wenn die Scheibe ihren tiefſten Ton giebt, ein Kreutz, zwei ſich rechtwinklich durchſchneidende Durchmeſſer, als Knotenlinien. Dieſe Durchmeſſer ſchneiden 45 Grad von dem Puncte, wo geſtrichen wird, ein.

Will man den zweiten Ton haben, der eine Octave und einen ganzen Ton hoͤher iſt, ſo muß man 30 Grade von dem in Vibration geſetzten Umfangspuncte mit dem Finger leiſe beruͤhren; dann ent - ſteht ein, aus drei Durchmeſſern gebildeter ſechsſtrahliger Stern. Der achtſtrahlige Stern entſpricht einem Tone 2 Octaven hoͤher als der Grundton; der zehnſtrahlige gehoͤrt zu einem noch um eine kleine Sexte hoͤhern Tone. Aber die beiden letzten, die ſo ausſehen ſollten, wie die punctirten Linien in Fig. 167 und 168. zeigen, er - geben ſich oft ſo wie die ausgezognen Linien, ſo daß hier ſchon eine nicht mehr regelmaͤßig fortgepflanzte Schwingung ſtatt findet.

Dieſe vielſtrahligen Sterne kann man auf großen Kreisplatten ſo erhalten, daß die Sterne bis gegen dreißig Spitzen bekommen, und dieſe ſtellt man dar, wenn man einen feinen Punct des Ran - des, wenige Grade von dem geſtrichenen Puncte, mit dem Finger beruͤhrt. Die Kreisſcheibe bietet eine zweite Reihe merkwuͤrdiger Figuren dar, naͤmlich Kreiſe mit und ohne durchkreutzende Durch - meſſer. Unterſtuͤtzt man die Platte in einem vom Mittelpuncte entfernten Puncte und ſtreicht am Ende eben des Halbmeſſers, in welchem jener Punct liegt, ſo kann ein Kreis entſtehen; indeß iſt nicht jeder Abſtand des feſtgehaltenen Punctes vom Rande geeignet um einen ſolchen Kreis zu geben. Nach Chladni entſteht der Kreis bei einem Tone, der nur um eine kleine Sexte hoͤher iſt, als der Grundton. Zwei concentriſche Kreiſe ſind ſchwer zu erhalten; man muß an dazu geeigneten Puncten eines und deſſelben Radius die Platte feſthalten, und am Ende des Radius ſtreichen; jene feſt - gehaltnen oder leiſe beruͤhrten Puncte muͤſſen in moͤglichſt geringer Ausdehnung angehalten werden. Der aͤußere Kreis erhaͤlt leichte Biegungen, ſo daß er, wenn die Platte recht regelmaͤßig iſt, aus einwaͤrts und auswaͤrts gebognen Stuͤcken, als eine im Kreiſe zu - ſammengekruͤmmte Wellenlinie erſcheint.

Den einfachen Kreis mit einem Durchmeſſer erhaͤlt man leicht, wenn man die Scheibe zwiſchen zwei Fingern an beiden Enden321 deſſelben Durchmeſſers faßt, und 90° davon entfernt ſtreicht; der Ton iſt ungefehr eine Octave und eine Septime hoͤher, als der Grundton.

Um einen Kreis mit zwei auf einander ſenkrechten Durchmeſ - ſern zu erhalten, befeſtigt man die Scheibe da, wo ein Durchmeſſer den Kreis ſchneiden ſoll, und ſtreicht 45 Grade von dieſer Stelle entfernt. Der Ton iſt beinahe um eine kleine Septime hoͤher als bei der vorigen Figur.

Dieſe Figuren moͤgen hier genuͤgen; ich bemerke nur noch, daß man nicht glauben darf, bei dem Feſtſtellen der Platte in einem beſtimmten Puncte und dem Streichen in einem andern beſtimmten Puncte gewiß eine beſtimmte Figur zu erhalten. Geſtattet die Scheibe unter jenen Umſtaͤnden mehr als einen Ton, ſo giebt ſie auch verſchiedene Figuren; hat man aber bei einem gewiſſen Tone eine beſtimmte Figur hervorgehen ſehen, ſo muß man auf dieſen Ton horchen, und wenn er beim leiſen Anfangen des Streichens hervorgeht, ihn ſo hell als moͤglich hervorzubringen ſuchen; hat man wirklich denſelben Ton, waͤhrend der feſtgehaltne Punct und der geſtrichene Punct auch dieſelben ſind, ſo geht auch die gleiche Figur hervor.

Wenn man ſtatt des feinen Sandes Waſſertropfen auf ver - ſchiedene Puncte der Platte anbringt, ſo ſieht man auf dieſen feine Wellen entſtehen, wenn ſie nicht auf Knotenlinien ſind, dort hinge - gen bleiben ſie ruhig. Bedeckt man groͤßere Theile der Platte mit einer Waſſerſchichte, ſo ſieht man die zarten Wellen ſich uͤber einige Theile der Platte ausbreiten, waͤhrend das Waſſer da, wo Knoten - linien ſind, ruhig bleibt. Je hoͤher der Ton iſt, deſto feiner iſt dieſe Wellenfolge, die, wie eine Schattirung, ganze Theile der Flaͤche bedeckt. Und ſo wie hier ſich in den vibrirenden Flaͤchentheilen die Art der Erſchuͤtterung an den ſchmaͤlern oder breitern Wellen zeigt, ſo laͤßt ſich auch an feinem Staube, der ſich in gewiſſen Puncten der vibrirenden Flaͤchen ſammelt, und an feinen Spaͤnchen, die oft ſeltſam auf den vibrirenden Flaͤchen herumtanzen, die ungleiche Art der Vibration in verſchiedenen Puncten wahrnehmen.

Dieſe Klangfiguren laſſen ſich auch an Glaͤſern mit Waſſer gefuͤllt zeigen. Wenn man ein gut klingendes Weinglas oder noch beſſer ein groͤßeres rundes Glasgefaͤß mit Waſſer fuͤllt, und dannI. X322den Rand mit dem Violinbogen ſtreicht, ſo ſieht man gewoͤhnlich an vier Stellen das Waſſer aufſpritzen, an den Stellen dagegen, die 45° und 135° von dem geſtrichnen Puncte ab liegen, iſt es ruhig; an den vier Stellen, wo das Waſſer ruhig bleibt, kann man den Finger an das Glas legen, ohne das Klingen zu hindern. Haͤlt man an andern ſchicklich gewaͤhlten Stellen des Randes den Finger, ſo kann man die Anzahl jener ruhenden Stellen oder Schwingungs - knoten auf 6 oder 8 bringen. Offenbar beſteht alſo das durch den Violinbogen hervorgebrachte Toͤnen darin, daß das kreisfoͤrmige Gefaͤß ſich in abwechſelnde Formen wie abcdef, ghiklm (Fig. 169.) biegt, und wenn dieſe Ausweichungen zu ſtark werden, ſo zerbricht das Gefaͤß, welches man wirklich durch zu ſtark hervor - gerufene Toͤne bewirken kann.

Alle hier erzaͤhlte Verſuche laſſen ſich auf die mannigfaltigſte Weiſe abaͤndern, und bieten reichen Stoff zu angenehmer Unterhal - tung dar. Auf eine andre Art, Klangfiguren hervorzubringen, komme ich in der Folge noch zuruͤck.

Drei und zwanzigſte Vorleſung.

Fortpflanzung des Schalles durch die Luft.

Zu ebenſo merkwuͤrdigen Unterſuchungen, als die ſind, welche die Erregung der Toͤne durch feſte Koͤrper uns darbot, fuͤhrt auch die Betrachtung der Fortpflanzung des Schalles in der Luft; und ſelbſt eine ohne Rechnung durchgefuͤhrte Unterſuchung lehrt uns nicht bloß uͤber die Beſtimmung der Geſchwindigkeit des Schalles, uͤber das Echo u. ſ. w. richtige Begriffe faſſen, ſondern giebt uns auch die Erklaͤrung fuͤr die Hoͤhe und Tiefe der Toͤne, die bloß durch Luftwellen in den Orgelpfeifen hervorgehen.

Daß der Schall eine Zeit gebraucht, um ſich in der Luft fort - zupflanzen, das wird uns zwar bei den Lauten oder Toͤnen, die in unſrer Naͤhe erregt werden, nicht deutlich, indem ein, wenige Fuße von unſerm Ohre entſtandener Schall in unmerklich kurzer Zeit zu uns gelangt; aber wenn wir in einer Entfernung auch nur von323 500 Fuß Pfaͤle einſchlagen ſehen, oder (am beſten durch das Fern - rohr) den Hammer einer Thurmglocke anſchlagen ſehen, ſo bemerken wir eine kleine Verzoͤgerung des Schalles, oder nehmen wahr, daß der Schall, der mit dem Anſchlagen zugleich entſtanden war, etwas ſpaͤter unſer Ohr ruͤhrt, als wir das Anſchlagen ſehen. Durch Be - obachtungen, die, dieſer aͤhnlich, mit groͤßerer Genauigkeit angeſtellt werden, hat man die Geſchwindigkeit des Schalles abgemeſſen, in - dem man bei Canonenſchuͤſſen, die weit entfernt abgefeuert wurden, die Zeit beſtimmte, die zwiſchen dem geſehenen Blitze und dem ge - hoͤrten Schalle verfloß. Bei den von Caſſini im Jahre 1738 angeſtellten Beobachtungen war die Entfernung der Canone vom Beobachter 87000 Fuß; bei den von andern Beobachtern angeſtell - ten Verſuchen iſt zwar keine ſo große Entfernung gewaͤhlt worden, aber durch ſehr genaue Beobachtung der Zeit haben ſie dennoch die - nen koͤnnen, die Entfernung, durch welche ſich der Schall in 1 Sec. fortpflanzt, noch genauer zu beſtimmen. Dieſe Entfernung iſt bei ungleicher Waͤrme der Luft etwas verſchieden, man kann ſie, wenn die Luft die Temperatur = R. hat, auf 1027 pariſ. Fuß, bei 10 Gr. Waͤrme auf 1051, bei 20 Gr. Waͤrme auf 1074 Fuß ſetzen*)So rechnet Benzenberg. Gilb. Annalen XLII. 9. Etwas kleiner ſcheinen die neuern Verſuche ſie anzugeben, indem die neuern Pariſer Verſuche 1019, die von Goldingham 1022 und 1013, die von Gregory 1011, die von Moll 1022, fuͤr die Waͤrme anzugeben ſchei - nen. Poggend. Ann. V. 476.

Die wichtigſten Geſetze fuͤr die Geſchwindigkeit der Fort - pflanzung des Schalles laſſen ſich auf folgende Weiſe uͤberſehen. Indem die Vibration eines feſten Koͤrpers die Lufttheilchen trifft, erleiden dieſe eine abwechſelnde Verdichtung und Verduͤnnung. Die in dem zunaͤchſt liegenden Lufttheilchen entſtandene Verdichtung bringt in dieſem ein Beſtreben zur Ausdehnung hervor, und das naͤchſte Theilchen wird daher im folgenden Augenblicke in einen Zu - ſtand der Verdichtung verſetzt, und ſo pflanzt ſich jene Vibration von Theilchen zu Theilchen fort, indem jedes aͤhnliche Wechſel von Verdichtung und Verduͤnnung erleidet, als das erſte. Die Schnel - ligkeit dieſer Fortpflanzung wird nicht durch die mehr oder mindereX 2324Staͤrke des Schalles beſtimmt, ſondern durch die Elaſticitaͤt der Luft-Art, in welcher der Schall ſich fortpflanzt. Wenn es Luft - Arten giebt, die bei gleicher Dichtigkeit mehr ausdehnende Kraft be - ſitzen, ſo muß in dieſen der Schall ſich ſchneller fortpflanzen; denn wegen der gleichen Dichtigkeit iſt in jedem einzelnen, in Bewegung zu ſetzenden Theilchen die Maſſe gleich, die bewegende Kraft aber, mit welcher das zuſammengedruͤckte Theilchen das benachbarte fort - treibt, groͤßer in der mehr elaſtiſchen Luft. Waͤre dieſe Ausdeh - nungskraft in einem Falle viermal ſo groß als im andern, ſo waͤre die auf jedes Theilchen wirkende beſchleunigende Kraft viermal ſo groß; wir wiſſen aber, daß einer vierfachen Kraft eben der Raum des fortbewegten Koͤrpers in 1 Sec. entſpricht, durch welchen die viermal geringere Kraft ihn in 2 Sec. forttreiben wuͤrde; die Ge - ſchwindigkeit des Schalles iſt alſo doppelt ſo groß in viermal ſo ela - ſtiſcher Luft, und uͤberhaupt den Quadratwurzeln aus den ſpecifiſchen Elaſticitaͤten, (aus den bei gleicher Dichtigkeit ſtatt findenden Ela - ſticitaͤten) proportional. Da die erwaͤrmte Luft einen hoͤhern Grad von Elaſticitaͤt beſitzt, als die kalte Luft, ſo erhellt hieraus der Grund, warum der Schall ſich in warmer Luft ſchneller als in kal - ter Luft fortpflanzt; und da die Elaſticitaͤt bei zu der bei 10° ſich ungefehr wie 215: 225, das iſt wie 14⅔ mal 14⅔ zu 15 mal 15 verhaͤlt, ſo muß die Geſchwindigkeit des Schalles ungefehr in dem Verhaͤltniſſe 14⅔ zu 15 oder 44 zu 45 wachſen, wenn die Waͤrme um 10 Grad Reaum zunimmt. Aber $$\frac{1027}{44}$$ iſt beinahe 24, es erhellt alſo, daß die Geſchwindigkeit des Schalles um $$\frac{1}{44}$$ , das iſt um 24 Fuß, von 1027 auf 1051 wachſen muß, wenn die Waͤrme um 10 Grade zunimmt, und bis 1003 abnimmt, wenn die Luft 10° unter Null abgekuͤhlt iſt.

Im Waſſerſtoffgas wuͤrde die Fortpflanzung des Schalles weit ſchneller ſein, weil es bei viel geringerer Dichtigkeit ebenſoviel Ela - ſticitaͤt als die atmoſphaͤriſche Luft beſitzt, und Sie werden in der Folge ſehen, daß ſich uns Erfahrungen darbieten, die dieſe Behaup - tung beſtaͤtigen.

Die Geſchwindigkeit des Schalles haͤngt dagegen nicht von dem Barometerſtande ab, ſondern wenn die Temperatur und die Miſchungsbeſchaffenheit der Luft gleich iſt, ſo bleibt die Schnellig - keit des Schalles in dichterer und in duͤnnerer Luft gleich. Der325 einleuchtende Grund hiefuͤr iſt, daß nach dem Mariotte'ſchen Ge - ſetze die Ausdehnungskraft in eben dem Maaße wie die Dichtigkeit waͤchſt, alſo bei doppelter Dichtigkeit zwar jedes Theilchen doppelt ſo viel Maſſe, aber auch doppelt ſo viel bewegende Kraft beſitzt. Dagegen kann die Fortpflanzung des Schalles wohl in einigem Grade von dem Feuchtigkeitszuſtande der Luft abhaͤngen, indem durch die Duͤnſte ein andres Verhaͤltniß zwiſchen Dichtigkeit und Ausdehnungskraft entſteht.

An dieſe relativen Beſtimmungen uͤber die Geſchwindigkeit des Schalles knuͤpft die Theorie weitere Folgerungen, welche die abſo - lute Geſchwindigkeit ergeben, und hiebei hat lange eine Abweichung der theoretiſch berechneten Geſchwindigkeit von der beobachteten, die Aufmerkſamkeit der Phyſiker auf ſich gezogen. Wenn man an - nimmt, daß auch bei den hoͤchſt geringen, auf die kleinſten Zeitmo - mente beſchraͤnkten Wechſeln der Verdichtung und Verduͤnnung der Luft, ſo wie ſie bei den Schallwellen ſtatt finden, das Mariotte'ſche Geſetz ſtrenge richtig bleibt, ſo findet man nur 880 Fuß, als den Raum, welchen der Schall in 1 Secunde durchlaufen ſollte; alſo viel zu wenig. Man glaubte um ſo ſicherer das Mariotte'ſche Geſetz als anwendbar in dieſem Falle anſehen zu duͤrfen, da es ſich bei viel groͤßern Aenderungen der Dichtigkeit als richtig gezeigt hat; aber dennoch hat eine genauere Ueberlegung gelehrt, daß es grade bei dieſen ſchnellen, wenn gleich ſehr kleinen Wechſeln der Dichtigkeit bedeutende Abweichungen von der Wahrheit ergeben muß.

Wenn wir in Roͤhren die Luft verdichten oder verduͤnnen, und die druͤckende Kraft beobachten, die ſie alsdann ausuͤbt, ſo laſſen wir ihr Zeit genug, um die Temperatur wieder anzunehmen, die ihr und den umgebenden Koͤrpern eigen war, und dann zeigt ſich jenes Geſetz als richtig. Haͤtten wir dagegen Mittel, um einen aͤhnlichen Verſuch uͤber den von doppelt ſo dichter Luft ausgeuͤbten Druck ſo ſchnell auszufuͤhren, daß wir ſehr ploͤtzlich die Verdichtung zum Doppelten hervorbraͤchten, und in demſelben Augenblicke den ausgeuͤbten Druck wahrnaͤhmen, ſo wuͤrden wir dieſen ſehr viel groͤßer als das Doppelte des vorigen Druckes finden; weil eine ploͤtz - liche Verdichtung allemal mit Erhitzung verbunden iſt*)Dieſe Erhitzung, welche durch ploͤtzliche Verdichtung der Luft. Ebenſo326 wuͤrden wir eine ploͤtzlich verduͤnnte Luft ihren Druck nicht bloß im Verhaͤltniß der Dichtigkeit aͤndern ſehen, ſondern ſie wuͤrde, wegen der bei der Verduͤnnung entſtehenden Kaͤlte, weit geringeren Druck zeigen. Um dies nur an einer ungefehren Rechnung zu zeigen, will ich annehmen, bei einer Compreſſion zur zehnfachen Dichtigkeit der Luft ſteige die Waͤrme um 100 R. Grade, ſo ſollte wegen der Ver - dichtung die Elaſticitaͤt, die Verſtaͤrkung des Druckes, auf das Zehn - fache ſteigen; aber eine auf 100 Grad erwaͤrmte Luft hat faſt dop - pelt ſo große Elaſticitaͤt, und dieſe iſt daher auf das Zwanzigfache gewachſen, waͤhrend die Dichtigkeit nur auf das Zehnfache waͤchſt. Auf aͤhnliche Weiſe ſind auch bei den Verduͤnnungen die Aenderun - gen der Elaſticitaͤt ſtaͤrker, als die Aenderungen der Dichtigkeit, und das Mariotte'ſche Geſetz iſt alſo da, wo die momentanen Wir - kungen der Verdichtung und Verduͤnnung zu beruͤckſichtigen ſind, nicht mehr guͤltig; ſo daß, obgleich die Veraͤnderungen der Dichtig - keit bei den Schallvibrationen hoͤchſt geringe ſind, dennoch, wegen der ſtaͤrker als die Dichtigkeit wachſenden Elaſticitaͤt der Luft, die Ge - ſchwindigkeit des Schalles viel groͤßer ſein muß, als bei ſtrenger Anwendbarkeit des Mariotteſchen Geſetzes ſtatt faͤnde. Laplace hat nach Verſuchen, die ſich hier nicht ganz erklaͤren laſſen, die Be - rechnung dieſes Unterſchiedes angegeben und die ſo gefundene Ge - ſchwindigkeit des Schalles ſtimmt wenigſtens ſehr nahe mit der Er - fahrung uͤberein. Die bis dahin mangelhafte Theorie hat alſo hie - durch eine ſehr wichtige Vervollſtaͤndigung erhalten.

Daß der Schall, indem er ſich durch die Luft fortpflanzt, allmaͤhlig ſchwaͤcher wird, laͤßt ſich, da die Schallſtrahlen immer weiter aus einander gehen, und die Schwingungen, die jedem Theil - chen mitgetheilt werden, folglich an Staͤrke verlieren, leicht begreifen. Um den Schall der menſchlichen Stimme in groͤßern Entfernungen hoͤrbar zu machen, wendet man die Sprachroͤhre an, deren weſent -*)hervorgebracht wird, iſt in dem pneumatiſchen Feuerzeuge ſo groß, daß Zuͤndſchwamm zum Brennen gebracht und ein Lichtblitz hervorgebracht wird. Es wird naͤmlich in einer Roͤhre von ſehr ſtarkem Glaſe, welche am einen Ende geſchloſſen iſt, vermittelſt eines dicht ſchließenden Kol - bens, durch einen ploͤtzlichen Stoß mit der Hand, die Luft ſchnell und ſtark verdichtet, und dieſe Verdichtung bewirkt die ſo große Waͤrme, deren der Zuͤndſchwamm zum Brennen bedarf.327 lichſter Nutzen der iſt, daß ſie die, ſonſt aus einander gehenden Schallſtrahlen der parallelen Richtung naͤher bringen. Kegelfoͤrmige Sprachroͤhre ſcheinen dieſen Zweck am einfachſten und beſten zu er - fuͤllen. Da naͤmlich die Schallſtrahlen, wie Wellen und wie Licht - ſtrahlen, unter eben dem Winkel zuruͤckgeworfen werden, unter welchem ſie antreffen, ſo werden die vom Munde A aus ſeitwaͤrts nach B gehenden Schallwellen nach C und hier wieder nach CD (Fig. 170.) zuruͤckgeworfen, wobei ſie eine immer mehr der Axe pa - rallele Richtung erhalten, alſo ſich weniger zerſtreuen. Indeß ſind die Sprachroͤhre doch nur auf maͤßige Entfernung brauchbar, zumal da ſie die Worte nie ganz deutlich in der Verſtaͤrkung hoͤren laſſen, und das um ſo weniger, je mehr die Materie, woraus ſie beſtehen, ſelbſt mit in Schallſchwingungen geraͤth.

Wenn der Schall ſich nach der Richtung des Windes fort - pflanzt, ſo iſt ſeine Schnelligkeit ungefehr um ſo viel, als die Ge - ſchwindigkeit des Windes betraͤgt, groͤßer, dem Winde entgegen um ebenſoviel langſamer. Die Ferne, bis zu welcher man einen beſtimm - ten Schall hoͤrt, iſt ſehr ungleich. Bei Nacht iſt der Schall, zwar theils der großen Stille wegen, theils aber auch wegen der gleichfoͤr - migern Dichtigkeit der Luft weiter hoͤrbar*)Es ſcheint, daß die bei Tage in der Atmoſphaͤre aufſteigenden waͤrmeren Luftſtroͤme eine Ungleichfoͤrmigkeit hervorbringen, die der Fortpflanzung des Schalles hinderlich iſt.. Beim Sturme geht ſelbſt ein kurzer Schall in ein laͤnger fortdauerndes Nachhallen uͤber. Es ſcheint, als ob dann die wellenfoͤrmig fortgefuͤhrten Luft - theilchen, indem ſie die empfangenen Schallvibrationen zu den be - nachbarten Theilchen fortpflanzen, denſelben Schall auf mehreren laͤngeren und kuͤrzeren Wegen zum Ohre bringen, und dadurch, zum Beiſpiel bei dem Klange einer Glocke, den bald wachſenden bald wieder verhallenden Nachhall hervorbringen. Daß dabei zugleich in der Richtung dem Winde entgegen der Schall ſich nicht ſo weit fort - pflanzen, nicht ſo weit hoͤrbar ſein kann, ſcheint mir begreiflich, indem wenigſtens diejenigen in Vibration geſetzten Theilchen, die grade, indem ſie vibriren, gegen die Erde oder gegen feſte Koͤrper getrieben werden, den Schall nicht weiter fortpflanzen werden. Unter guͤnſtigen Umſtaͤnden und bei voͤlliger Stille der Luft hoͤrt328 man den Schall ſehr weit. Parry erzaͤhlt, daß man in den Po - largegenden bei kalter Luft die menſchliche Stimme auf 7000 Fuß weit verſtand, wozu die große Stille und freilich auch die groͤßere Dichtigkeit der kaͤltern Luft beitraͤgt; Hundegebell hoͤrt man an ſtillen Sommerabenden uͤber Waſſer mehr als 10000 Fuß weit. Cano - nenſchuͤſſe ſoll man in einzelnen Faͤllen 30 Meilen weit gehoͤrt haben*)Man hat Angaben von noch groͤßern Entfernungen, die mir aber kaum glaublich vorkommen..

Echo.

In den gewoͤhnlichen Faͤllen iſt die Fortpflanzung des Schalles gradlinig; aber ſehr oft taͤuſcht uns die Zuruͤckwerfung des Schalles von feſten Koͤrpern, und veranlaßt uns, den toͤnenden Gegenſtand an einem andern Orte, als da, wo er wirklich iſt, zu ſuchen. Dieſe Zuruͤckwerfungen nennen wir Echo, und erklaͤren uns ihre Entſte - hung leicht. So wie naͤmlich die Welle im Waſſer fortſchreitend, ſo lange als ſie kein Hinderniß findet, ruhig ihren Weg fortſetzt, ſo gehen auch die der Luft durch eine Schall-Erregung mitgetheilten Schwingungen in grader Linie auf jedes naͤchſte Theilchen uͤber, ſo lange kein widerſtehender Koͤrper ein Hinderniß darbietet; aber ſo wie die Welle, zuruͤckgeworfen von einem feſten Gegenſtande, eine von dieſem ausgehende neue Welle erregt, ſo entſteht auch hier ein in neuer Richtung, von dem Gegenſtande zuruͤckgeworfener Schall. Iſt man dem Gegenſtande, der das Echo erregt, ſehr nahe, und zwiſchen der Gegend, von woher der Schall urſpruͤnglich kam und dem Urſprunge des Echo, ſo bemerkt man keine deutliche Wiederho - lung des Schalles, ſondern ein Nachtoͤnen, von jenem Gegenſtande ausgehend, haͤngt ſich nur dem urſpruͤnglichen Schalle an. Entfernt man ſich aber weiter vom Echo nach dem Orte zu, wo der Schall her kam, ſo unterſcheidet man deutlich den das Ohr in grader Rich - tung treffenden Schall und den nach einiger Zeit erſt, von dem das Echo gebenden Koͤrper zuruͤckkommenden Schall; iſt man 500 Fuß entfernt, ſo vergeht zwiſchen beiden Schall-Eindruͤcken etwa 1 Se - cunde, weil der Schall ½ Secunde brauchte, um von uns bis zu dem Gegenſtande zu gelangen und ½ Secunde, um wieder zuruͤck -329 zukommen. Hievon haͤngt zum Theil die Moͤglichkeit, daß ein Echo mehrere Sylben wiederhole, ab, indem dies bei zu geringer Entfer - nung nicht moͤglich iſt; aber damit das Echo rein ſei, muß auch der Gegenſtand den Schall ganz genau in ſeiner unveraͤnderten Be - ſchaffenheit zuruͤckwerfen. Dies iſt der Umſtand, durch welchen es ohne Zweifel geſchieht, daß zuweilen ſelbſt unter guͤnſtig ſcheinen - den Umſtaͤnden kein Echo gehoͤrt wird, weil es naͤmlich nicht allein auf die Lage der Gegenſtaͤnde ankommt. Es iſt wohl ganz gewiß, daß das Echo da am reinſten entſteht, wo der zuruͤckwerfende Ge - genſtand geeignet iſt, ganz aͤhnliche Vibrationen anzunehmen, wie die ſind, die er empfing, oder wenigſtens nicht, durch die antreffen - den Lufttheilchen in Vibration geſetzt, eine zu ungleichartige Vibra - tion erhalte. Die mehrmaligen Wiederholungen deſſelben Lautes beim Echo entſtehen ſehr oft ganz deutlich daher, daß ein Zuruͤckwer - fen zuerſt von naͤheren, dann von entfernteren Puncten zum Ohre gelangt, zuweilen aber koͤnnen ſie auch, im minder freien Raume, dadurch hervorgebracht werden, daß zuerſt die gradezu zu einem ge - wiſſen Puncte gelangenden Schallwellen, ſpaͤter aber die von andern Puncten zuruͤckgeworfenen und ſo nach mehreren Zuruͤckwerfungen zum Ohre gelangenden Laute gehoͤrt werden. Da wo mehrere nach einander angegebne Laute im Echo nach einander gehoͤrt werden, wo man zum Beiſpiel eine Reihe laut ausgeſprochener Sylben wie - derholt hoͤrt, muß die Entfernung des ruͤckwerfenden Gegenſtandes groß genug ſein, damit die Sylben vollendet werden, und dann erſt das Echo der erſten eintrifft. Rechnet man hoͤchſtens 5 Sylben, die man laut genug in 1 Secunde ausſprechen kann, ſo muͤßte ein fuͤnfſylbiges Echo eine Entfernung von 500 Fuß fordern; nach ein - zelnen Erfahrungen reichen ſelbſt geringere Entfernungen zu, daß aber Ebell ein 27 ſylbiges Echo bei 600 Fuß Entfernung gehoͤrt hat, laͤßt ſich wohl nur als moͤglich annehmen, wenn erſtlich der Sprechende dieſe Sylben ungemein ſchnell ausſprach und wenn zwei - tens doch das Echo nur durch mehrmalige Zuruͤckwerfung, alſo in - dem der Schall einen laͤngeren Weg durchlief, entſtand. Der merkwuͤrdige Umſtand, daß das Echo oft ſtaͤrker iſt, als ein in gra - der Linie ſo weit fortgegangener Schall ſein wuͤrde, muß wohl da - durch erklaͤrt werden, daß mehrere zuruͤckgeworfene Schallwellen ſich in einem Puncte vereinigen oder auch der Gegenſtand, wie bei der330 Reſonanz, durch ſeine Beſchaffenheit geeignet ſei, den Schall zu verſtaͤrken. Die Stimme eines Rufenden hoͤren wir in 2000 Fuß Entfernung gewoͤhnlich kaum noch vernehmbar, aber ein Echo, das von einem 1000 Fuß entfernten Gegenſtande kommt, iſt oft noch ſehr deutlich. Daß dieſes dann nothwendig eintritt, wenn in einem elliptiſchen Gewoͤlbe oder von einer elliptiſch geformten Mauer die Toͤne regelmaͤßig nach dem andern Brennpuncte zuruͤckgeworfen wer - den, wenn ſie im einen Brennpuncte hervorgebracht wurden, iſt wohl gewiß, und fuͤr manche Schallverſtaͤrkungen in den Sprach - gewoͤlben, wo man ein leiſe geſprochnes Wort an beſtimmtem Puncte ausgeſprochen, an einem andern beſtimmten Puncte hoͤrt, hat man hierin die Erklaͤrung gefunden. Aber es kann auch da ein - treten, wo keine ſo genaue Vereinigung der Schallſtrahlen nachge - wieſen werden kann. Denn wenn (Fig. 171.) a, b, c, d, ein - zelne Gegenſtaͤnde ſind, die im Stande ſind, die von A ausgegang - nen Vibrationen zuruͤckzuwerfen und dabei ſelbſt in aͤhnliche Schwin - gungen verſetzt zu werden, ſo gehen von a, von b, c, d, Schall - wellen, der dieſen Puncten mitgetheilten Staͤrke der Schall-Erre - gung gemaͤß, nicht bloß in einer beſtimmten Richtung, ſondern in betraͤchtlich verſchiedenen Richtungen aus, und ein Ohr in B ſo wohl als in C und in mehreren Puncten wird das von allen dieſen Puncten ausgehende Echo deutlich hoͤren, wenn die Wege des Schalles nahe genug gleich lang ſind, um keinen Zwiſchenraum zwiſchen dem vom einen und andern Puncte ausgehenden Schalle merklich werden zu laſſen. Da nun unſer Ohr zwei Eindruͤcke, die um $$\frac{1}{30}$$ Secunde hinter einander folgen, gewiß nicht mehr unter - ſcheidet, ſo kann man in B, C und mehreren Puncten ein verſtaͤrk - tes Echo des in A erregten Schalles hoͤren, wenn die Wege Aa und aB zuſammen, Ab und bB zuſammen, Ac und cB, Ad, dB, zuſammen nur nicht um mehr als $$\frac{1020}{30}$$ = 34 Fuß verſchieden ſind. Daß dies in B, C und mehr Puncten ſtatt finden kann, iſt ein - leuchtend.

Doch ich verweile zu lange bei dieſem Gegenſtande, der wenn man das Echo an ſolchen Orten, wie bei Adersbach in Boͤhmen hoͤrt, noch immer viel Raͤthſelhaftes und angenehm Ueberraſchendes darbietet, und gehe zu einem andern noch merkwuͤrdigeren, dem Toͤnen der Orgelpfeifen oder dem Entſtehen der Floͤtentoͤne, uͤber.

331

Toͤne der Orgelpfeifen und Floͤten.

Die Blaſe - Inſtrumente, deren wir uns zu muſicaliſchem Zwecke bedienen, ſind von doppelter Art, indem bei einigen die Ent - ſtehung des Tones von dem Schwingen eines duͤnnen Metallſtrei - fens, der Zunge, oder uͤberhaupt von den Schwingungen des Mundſtuͤckes abhaͤngt, bei andern aber die Luftſaͤule ſelbſt allein es iſt, deren Vibrationen den Ton beſtimmen. Die letztern ſollen uns zuerſt beſchaͤftigen. Um in dieſer Art von Orgelpfeifen die Luft in zitternde Bewegung zu ſetzen, haben ſie die Einrichtung, daß ein am einen Ende eindringender Luftſtrom an einer Seiten-Oeffnung vorbeigehen muß, an deren Rande er ſich bricht, und dadurch eine vibrirende Bewegung der Luft hervorbringt. Wenn die Pfeife von unten bei C angeblaſen wird (Fig. 172), ſo iſt an dem Seiten - Einſchnitte A die untere Seite, die untere Lippe, unter einem maͤ - ßigen Winkel hineintretend, und der Luftſtrom, der von dem un - tern Theile C nur durch eine ſchmale Oeffnung nahe unter A in die Pfeife AB eintritt, bricht ſich an dem gleichfalls hineintretenden obern Rande. Die bei A vorbeigehende Luft ſteht alſo hier immer mit der aͤußern Luft in unmittelbarer Verbindung, und die Laͤnge der in Zitterung geſetzten Luftſaͤule iſt nur von hier an bis an das Ende B zu rechnen.

Um die Urſache zu erklaͤren, warum die Pfeife einen beſtimm - ten Ton angiebt, und um die Hoͤhe dieſes Tones anzugeben, muß ich Sie an einige Erfahrungen erinnern, die ſich uns bei der Beobachtung der Wellen darboten, wenn dieſe von einem feſten Gegenſtande, an dem Ende des Canals, in welchem man die Wellen erregte, zuruͤckgeworfen werden. Hier gab es in einer Entfernung von dem zuruͤckwerfenden Endpuncte, welche dem Viertel einer Wellenlaͤnge gleich war, einen Punct, wo, dieſer Wellenbewegung ungeachtet, die Hoͤhe der Waſſerflaͤche immer gleich blieb, waͤhrend eben da ein wechſelndes Hingehen und Zu - ruͤckgehen der Waſſertheilchen ſtatt fand. Um uns davon zu uͤber - zeugen, hatten wir nur noͤthig, die vier Zeitmomente aufzufaſſen, da der Anfangspunct eines Wellenberges, da der hoͤchſte Punct eines Wellenberges, da der Anfangspunct eines Wellenthales, und da der tiefſte Punct eines Wellenthales dieſen Interferenzpunct,332 ein Viertel der ganzen Wellenlaͤnge vom Endpuncte, erreicht. In dem Augenblicke, da der Endpunct eines Wellenberges, welches zu - gleich der Anfangspunct eines Wellenthales iſt, in dieſem Puncte e (Fig. 105. II. ) ankommt, iſt die vordere Haͤlfte des Wellenberges zuruͤckkehrend mit der zweiten, erſt andraͤngenden Haͤlfte des Wel - lenberges vereinigt, und von e an befindet ſich gegen die Wand zu ein doppelt angeſchwellter Wellenberg ef, e aber hat die Hoͤhe der dem Gleichgewichte entſprechenden Waſſer-Oberflaͤche. Iſt ein Viertel einer Wellenlaͤnge vorbei geruͤckt, ſo waͤre die Tiefe des her - andringenden Wellenthales und zugleich die Hoͤhe des zuruͤckkehren - den Wellenberges in eben dem Puncte e angekommen; dieſe gleichen einander aus, und k (Fig. 105. III. ) hat noch immer die vorige Hoͤhe, waͤhrend nun zugleich auch von c bis an die Wand die Oberflaͤche horizontal iſt. Nach einer gleichen Zeit ſind in c e (Fig. 105. IV. ) der zuruͤckkommende Anfangspunct und der her - andringende Endpunct des Wellenthales vereinigt; ein tiefes Wel - lenthal liegt zwiſchen e und der Wand, aber in e iſt die Waſſer - hoͤhe noch immer dieſelbe. Waͤhrend ſo in dem Interferenzpuncte, wo das Anſchwellen des Wellenberges allemal durch ein zuruͤck - kehrendes Wellenthal aufgehoben wird, die Oberflaͤche immer gleich hoch bleibt, gehen entgegengeſetzte Oſcillationen unter dieſem Puncte vorbei, indem zwiſchen dem Augenblicke, da der hoͤchſte Wellen - berg und da das tiefſte Wellenthal ſich zwiſchen ihm und der Wand befindet, offenbar die doppelte in eft enthaltene Waſſer - maſſe unter e hinauswaͤrts fließt, und in dem folgenden, dem Voruͤbergange einer halben Wellenlaͤnge gleichem Zeitraume eben - ſoviel Waſſer wieder hereinfließt; und dieſe Oſcillationen, deren Dauer in der einen Richtung und in der andern Richtung dem doppelten Zeitraume des Vorruͤckens der Welle von e bis t (Fig. 105. II. ) gleich iſt, wiederholen ſich unaufhoͤrlich.

Um dieſe Betrachtung der Wellenbewegung dem noch etwas naͤher zu bringen, was ſich in den Orgelpfeifen uns zeigt, will ich noch eine Bemerkung beifuͤgen. Befaͤnde ſich die ganze in Wellenbewegung geſetze Maſſe in einem Canale, ſo duͤrfte man den Waͤnden dieſes Canales in jenem Interferenzpuncte einen Einſchnitt bis auf die Tiefe, welche der Waſſerhoͤhe im Ruhe - ſtande gleich iſt, geben, ohne ein Ausfließen des Waſſers zu be -333 fuͤrchten, ſtatt daß naͤher gegen die Wand und uͤberhaupt in den benachbarten Puncten der Canal mit hinreichend hohen Waͤnden, damit die hoͤher ſteigenden Wellen nicht uͤberfließen koͤnnen, ver - ſehen ſein muͤßte. Ja wir koͤnnen noch hinzufuͤgen, wenn ſich jener Ausſchnitt der Wand in e befindet, ſo werden die Wellen im Canale ſich ſo ordnen, daß et dem Viertel einer Wellenlaͤnge gleich wird; denn wenn dies Anfangs nicht der Fall waͤre, ſo wuͤrde das immer wieder eintretende Auslaufen einigen Waſſers aus die - ſem Einſchnitte, den regelmaͤßigen Fortgang der Welle ſo lange ſtoͤren, bis die Wellenlaͤnge ſich ſo geordnet hat, daß et einem Viertel der Wellenlaͤnge gleich iſt, und dann erſt wuͤrde eine Welle nach der andern ruhig ankommen und zuruͤckgeworfen werden.

Der Vorgang in den am Ende B geſchloſſenen oder gedeckten Orgelpfeifen iſt dieſem ganz genau entſprechend, nur daß wir, ſtatt eines Anſchwellens und eines Vertiefens der Oberflaͤche, hier eine Verdichtung und Verduͤnnung der Lufttheilchen haben. Indem der Luftſtrom (Fig. 172.), durch C eingelaſſen und durch einen engen Spalt dicht an A gegen B zu hinaufdringend, beim An - ſtoßen an die Lippe A eine Welle in der Pfeife erregt, ſcheint es zuerſt, als ob dieſe Welle zufaͤllig jede Laͤnge annehmen koͤnnte; aber es erhellt bald, daß die vom Ende B zuruͤckgeworfene Welle mit der eintretenden zuſammentreffend ſich bald ſo ordnen werde, daß in A die natuͤrliche Dichtigkeit ungeaͤndert bleibe. Da naͤmlich hier eine freie Verbindung mit der aͤußern Luft ſtatt findet, ſo iſt dies der Punct, wo wir vorhin einen Einſchnitt in der Canalwand annahmen, und ſo wie bei den Waſſerwellen bei dieſem Einſchnitte der Punct immer gleicher Hoͤhe lag, ſo liegt hier der Punct immer gleicher Dichtigkeit. Die Luftwellen ordnen ſich daher ſo an, daß die Entfernung von dem Einſchnitte A bis an das Ende B ein Vier - tel der Wellenlaͤnge iſt, und ſo wie die Oſcillationen des unter dem Interferenzpuncte herein und heraus ſtroͤmenden Waſſers in den Zeiten wechſelten, die dem Hingange und Zuruͤckgange durch dieſes Viertel der Wellenlaͤnge angemeſſen war, ſo dauert auch bei der geſchloſſenen Orgelpfeife die Oſcillation ſo lange, als die Welle Zeit gebraucht, um von A bis B und wieder zuruͤckzugehen, das iſt, ſo lange, als der Schall Zeit noͤthig hat die Laͤnge AB zweimal zu durchlaufen. Nach Zwiſchenraͤumen, die dieſer Zeit gleich ſind,334 treten, immer wiederholt, die entgegengeſetzten Zuſtaͤnde ein, und dieſe Vibrationen werden uns als Ton hoͤrbar. Und hiemit iſt alſo der Ton, den die Orgelpfeife giebt, beſtimmt; denn da die Fort - pflanzung der Schallwellen ziemlich nahe 1024 Fuß in 1 Sec. betraͤgt, ſo wird eine Pfeife, die von A bis B 1 Fuß lang iſt, in $$\frac{1}{512}$$ Secunde hin und her vom Schalle durchlaufen, und ihre Oſcillationszeit iſt $$\frac{1}{512}$$ Secunde. Findet man alſo daß ſie das eingeſtrichne c angiebt, ſo iſt damit beſtaͤtiget, daß der Ton 512 Schwingungen in 1 Secunde macht. Eine 16fußige am Ende B geſchloſſene oder gedeckte Pfeife giebt einen Ton, der 32 Schwingungen in 1 Secunde macht, und dieſes iſt derjenige Ton C, der noch eine Octave tiefer, als das Contra C liegt.

Aber die geſchloſſene Pfeife kann nicht bloß einen Ton geben, ſondern die beiden Bedingungen, daß die Lufttheilchen am Ende bei B alle ihre Geſchwindigkeit verlieren, und daß an der Oeffnung bei A die Dichtigkeit immer unveraͤnderlich bleibt, kann noch in mehrern Faͤllen erfuͤllt werden. Auch hier naͤmlich findet eine Zerlegung der Luftſaͤule in mehrere Theile, ein Entſtehen von Schwingungsknoten ebenſo gut, wie bei den Saiten ſtatt, jedoch wird dazu eine gehoͤrige Moderirung des Anblaſens erfordert. Neh - men wir an, B ſei (Fig. 173.) eben der vorhin betrachtete Inter - ferenzpunct, die Roͤhre erſtrecke ſich aber weiter, ſo wird in E, wenn BE = BD iſt, ein ebenſolcher Punct wie D, wo die Luft - theilchen aller fortruͤckenden Bewegung beraubt ſind, ſich finden.

Nach der Vergleichung mit der Waſſerwelle liegt E eine halbe Wellenbreite von D entfernt, und folglich iſt in E die groͤßte vor - ruͤckende Wellentiefe mit der groͤßten zuruͤckkehrenden Wellentiefe vereinigt, wenn in D der Gipfel des Wellenberges ankoͤmmt; aber die zuruͤckkehrenden Theilchen in dem tiefſten Wellenthale haben eben die Geſchwindigkeit nach der einen Richtung, wie die vor - ruͤckenden Theilchen des tiefſten Wellenthales nach der andern Rich - tung, dieſe Geſchwindigkeiten zerſtoͤren ſich daher, und es bildet ſich in E zwar ein tiefes Wellenthal, aber ohne Fortruͤcken nach der Richtung der Roͤhre. Ebenſo wenn der Anfang des Wellenberges in D ankoͤmmt, ſo iſt in E ein herandringender Anfang des Wellen - thales und ein zuruͤckkehrender Anfang des Wellenthales, wo aber - mals entgegengeſetzt gleiche Geſchwindigkeiten ſich zerſtoͤren; und ſo335 in allen Faͤllen. In F, wenn DB = BE = EF, iſt wieder ein Punct immer gleicher Dichtigkeit der Luft oder ein ebenſolcher Interferenzpunct, wie wir ihn in B fanden, wo die Geſchwindig - keit der Vibrationen in gleichen Zeitzwiſchenraͤumen ſtark wechſelt, die Dichtigkeit aber ungeaͤndert bleibt, und ſo wuͤrde, wenn die Roͤhre laͤnger iſt, in G ein Punct der Ruhe, ein Schwingungs - knoten, in A ein Punct ungeaͤnderter Dichtigkeit liegen. Dieſe Betrachtungen zeigen, daß eine bei A offene, bei D geſchloſſene Pfeife erſtlich den Ton angeben kann, der der Schallfortpflanzung durch ADDA gemaͤß iſt, dieſes iſt der Grundton der Roͤhre; aber es kann ſich auch die Roͤhre in drei gleiche Theile zerlegen, ſo daß D und 1 Puncte ſind (Fig. 174.), durch welche keine Bewegung der Lufttheilchen vorwaͤrts und ruͤckwaͤrts ſtatt findet, und zwiſchen welchen die Theilchen ſo vibriren, daß in D und in 1 die Dichtigkeit am ſtaͤrkſten, in H und A dagegen gar nicht wechſelt. Da hier die Vibrationen ſich ſo oft erneuern, als es der auf ein Drittel her - abgeſetzten Wellenlaͤnge gemaͤß iſt, ſo giebt eben die Roͤhre dreimal ſo viele Vibrationen in derſelben Zeit, als vorhin, ihr Ton iſt alſo, wenn dieſe Eintheilung ſtatt findet, die Octave der Quinte des bei der erſten Schwingungs-Art beobachteten Grundtones. Ebenſo kann ſich die Pfeife in fuͤnf gleiche Theile zerlegen, und da die Wie - derkehr der Vibrationen jetzt ſo ſchnell iſt, als die Fortpflanzung des Schalles hin und zuruͤck durch ein Fuͤnftel der Laͤnge, alſo 5 Vi - brationen dieſes Tones auf einen des Grundtones kommen, ſo giebt die Pfeife die doppelte Octave der großen Terze des Grundtones. Andre Toͤne als die durch 1, 3, 5, 7, 9, 11 gleichzeitige Vibra - tionen ausgedruͤckten, kann die am einen Ende geſchloſſene Pfeife nicht geben, und ſo wie die theoretiſche Betrachtung dies ergiebt, ſo zeigt es auch die Erfahrung.

In eben dieſen Betrachtungen iſt nun auch die Theorie der an beiden Enden offenen Orgelpfeifen ſchon vollendet. Wenn ſich in der gedeckten Pfeife, durch eine richtige Maͤßigung oder Verſtaͤrkung des Anblaſens mehrere abgeſondert ſchwingende Luftſaͤulen (Fig. 175.), von D bis E, E bis G, G bis 1 reichend, gebildet haben, ſo daß in C, F, H, Puncte unveraͤnderlicher Dichtigkeit ſind, ſo bringt es keine Aenderung in der Vibration der Luftſaͤule hervor, wenn auch in dieſen Puncten C, F, H, A ſich Oeffnungen befaͤn -336 den. Ein ſolcher Theil CA der Roͤhre iſt daher, als eine an bei - den Enden offenen Pfeife anzuſehen, und es erhellt leicht, daß ſich hier die Luftwelle entweder ſo bilden kann, daß in G ein einziger ruhender Punct iſt, oder daß zwei ruhende Puncte auf ein Viertel von jedem Ende liegen, waͤhrend in der Mitte ſich ein Punct un - veraͤnderlicher Dichtigkeit findet, oder ſo daß es drei ruhende Puncte giebt, die auf ein Sechstel, drei Sechstel, fuͤnf Sechstel der Laͤnge liegen; oder vier ruhende Puncte auf ein Achtel, drei Achtel, fuͤnf Achtel, ſieben Achtel vom einen Ende. Die verſchiedenen Toͤne, die ſich dann ergeben, ſind: erſtlich der Grundton, deſſen Schwin - gungszeit ſo groß iſt, als der Schall gebraucht, um ſich durch die eine Haͤlfte hin und zuruͤck zu bewegen, oder eine Entfernung, der Laͤnge der ganzen offenen Pfeife gleich, zu durchlaufen; zweitens die Octave des Grundtons, naͤmlich der Schwingungszeit ent - ſprechend, die der Schall noͤthig hat, um das eine Viertel hin und zuruͤck zu durchlaufen; drittens die Octave der Quinte, als dem Drittel der Laͤnge, oder dem hin und her durchlaufenen Sechstel entſprechend; viertens die doppelte Octave; fuͤnftens die doppelte Octave der großen Terze des Grundtons; ſechstens die doppelte Octave der Quinte und ſo weiter.

Die Erfahrung beſtaͤtiget dieſe Schluͤſſe der Hauptſache nach ganz vollkommen. Wenn man zwei gleich lange Pfeifen, die eine am Ende geſchloſſen, die andre offen, anblaͤſt, ſo iſt der Grund - ton jener um eine Octave tiefer, und jene kann nicht die naͤchſt hoͤhere Octave, wohl aber die Octave der Quinte und ſo ferner, angeben. Die offene 32fußige Orgelpfeife giebt das ſogenannte 32fußige C, welches zwei Octaven tiefer liegt, als der unter dem Namen des großen C auf dem Clavier bekannte Ton; eben denſelben, den die 16fußige geſchloſſene Pfeife giebt.

Die Uebereinſtimmung der Erfahrung mit der Theorie iſt deſto genauer, je weniger die Weite der Roͤhre erheblich in Ver - gleichung gegen die Laͤnge iſt; bei Roͤhren, die ziemlich kurz, einen nicht viel geringeren Durchmeſſer haben, als ihre Laͤnge, treten Abweichungen ein. Savart's hieruͤber angeſtellte Verſuche zeigen, daß fuͤr den Ton a̅̅̅, der bei Waͤrme hervorgeht, wenn die Luft - ſaͤule 172⅘ Linien lang iſt, eine Laͤnge von 170 Linien erforderlich337 war, wenn der Durchmeſſer 15 Linien betrug, 144 Linien bei 54 Linien Durchmeſſer, 127 Linien bei 96 Linien Durchmeſſer, und daß Pfeifen von 72 Linien Laͤnge das fuͤnf geſtrichne c angaben bei 10 Linien Weite, aber das vier geſtrichne fis bei 54 Linien Weite. Es erhellt leicht, daß dies kein Einwurf gegen die Theorie iſt, in - dem dieſe annimmt, daß in einer ſehr engen Roͤhre gar keine Sei - tenbewegung ſtatt finden koͤnne. Eine zweite kleine Abweichung von der Theorie zeigt die Erfahrung darin, daß der Ton nicht ganz und gar bei ungleicher Staͤrke des Anblaſens ungeaͤndert bleibt; er wird naͤmlich bei ſtaͤrkerem Anblaſen ein wenig hoͤher, und man ſieht daher daß jene Beſtimmung des mit der Oeffnung zuſammen - fallenden Interferenzpunctes kleinen Schwankungen unterworfen iſt, auf welche die angegebne einfache Theorie nicht Ruͤckſicht nimmt. Dieſe beruhen darauf, daß die im vollkommenſten Sinne unveraͤn - derliche Dichtigkeit an der Oeffnung A nicht ſo durchaus ſtrenge ſtatt findet, und daß ſelbſt die Vorausſetzung, daß der feſte Boden der am einen Ende geſchloſſenen Pfeife nicht im geringſten mit vi - brire, offenbar nicht als ganz ſtrenge wahr gelten kann.

Savart hat auch einen ſinnreichen Verſuch ausgedacht, um jene Ruhepuncte der Luftſaͤule dem Auge kenntlich zu machen. Haͤngt man naͤmlich ein duͤnnes Papierſtuͤckchen, etwas kleiner als der Durchmeſſer der Pfeife, die man dann am beſten von Glas nimmt, ſo an Faͤden auf, daß es horizontal ſchwebend in die vertical gehaltne Pfeife hinabgelaſſen werden kann, ſo ſieht man, daß die in andern Gegenden der Roͤhre ſehr bemerkbaren Schwingungen des Papierſtuͤckchens, am ſchwaͤchſten ſind, wenn es die Mitte der Roͤhre erreicht; wenn es ſich da befindet, ſo iſt der Ton der Pfeife verſtaͤrkt, vermuthlich deswegen, weil die durch den fremden Koͤrper hervorgebrachte Daͤmpfung, der Lage des Schwingungsknotens eine groͤßere Beſtimmtheit giebt, ebenſo, wie beim Beruͤhren der Saite mit dem Finger.

Fortpflanzung des Schalles in andern Luft-Arten.

Die bisher entwickelte Theorie der Orgeltoͤne giebt uns zu - gleich ein Mittel, die Schnelligkeit der Fortpflanzung des Schalles in andern Luft-Arten zu beſtimmen. Man bringt naͤmlich an einer Pfeife, deren genaue Laͤnge und deren Ton in der atmoſphaͤ -I. Y338riſchen Luft bekannt iſt, eine Blaſe ſo an, daß beim Zuſammen - druͤcken der Blaſe die Pfeife angeblaſen wird, und den ihrer Laͤnge angemeſſenen Ton giebt. Dieſe Pfeife bringt man in eine auf die Luftpumpe geſetzte Glocke, deren obere Oeffnung ſo geſchloſſen wird, daß die Pfeife luftdicht hervorragt und die Blaſe ſich außerhalb befindet; man fuͤllt nun die Glocke und die Blaſe mit derjenigen Luft-Art, die man pruͤfen will, damit die Pfeife mit dieſer Luft - Art gefuͤllt ſei, und von der Blaſe aus eben die Luft-Art zum Anblaſen verwandt werde. Indem dann durch einen Druck auf die Blaſe die Pfeife zum Toͤnen gebracht wird, muß man mit Huͤlſe des Monochords oder eines richtig geſtimmten Taſten-In - ſtruments den Ton beſtimmen, welchen die Pfeife angab, und leitet daraus her, in welcher Zeit der Schall die Laͤnge der Pfeife durchlaͤuft und folglich welchen Raum der Schall in 1 Secunde durchlaufen wuͤrde, wenn er ſich immer in dieſer Luft-Art fort - pflanzte. Faͤnde man zum Beiſpiel im Waſſerſtoffgas den Ton einer 12 Zoll langen Pfeife, als das drei geſtrichne c, ſo wuͤrde man, da das drei geſtrichne c 2048 Schwingungen in 1 Secunde, alſo das drei geſtrichne e 2560 Schwingungen in 1 Secunde macht, ſagen, durch die offene Pfeife geht der Schall in $$\frac{1}{2560}$$ Secunde, oder in 1 Secunde durch 2560 Fuß. Die Verſuche geben nach Verſchiedenheit der Reinheit des Waſſerſtoffgas etwas mehr oder weniger. Die Theorie wuͤrde hier bei einer Luft-Art, die ein Vier - tel ſo dicht iſt, bei gleicher Elaſticitaͤt, eine doppelt ſo große Schnel - ligkeit fordern; aber ſtrenge trifft dieſe Beſtimmung nicht zu, indem ohne Zweifel auch hier durch die Waͤrme-Entwickelung, welche mit der Verdichtung verbunden iſt, eine eben ſolche, aber bei jeder Luft - Art anders beſtimmte Abweichung vom Mariotteſchen Geſetze ſtatt findet, wie wir ſie bei atmoſphaͤriſcher Luft bemerkt haben.

So lernen wir die Schnelligkeit der Fortpflanzung des Schal - les in andern Luft-Arten kennen, aber freilich nicht mit einer ganz vollkommenen Genauigkeit, weil ſelbſt in derſelben Gas-Art der Ton nicht immer genau gleich bleibt. Dieſe kleinen Unterſchiede entſtehen daher, weil einige Verſchiedenheit im Anblaſen den Ton um etwas Weniges aͤndern kann, ſo wie denn auch der Einfluß der Weite der Roͤhre, von welchem ich vorhin geredet habe, nicht ganz339 ſtrenge den Schluß auf die Fortpflanzung in einer ganzen Secunde geſtattet.

Was die Staͤrke des Schalles in verſchiedenen Gas-Arten be - trifft, ſo bemerkt Leſlie, daß der Schall in Hydrogengas viel ſchwaͤcher, als in gleich dichter atmoſphaͤriſcher Luft iſt. Er ſucht den Grund hiefuͤr in der ſo ſehr ſchnellen Fortpflanzung der Schwin - gungen.

Von den hier entwickelten Geſetzen fuͤr die Toͤne der offenen Orgelpfeifen haͤngen auch die Toͤne der Floͤte ab, und uͤberhaupt die Toͤne der Inſtrumente, welche ohne Mundſtuͤck bloß durch die Vibration der in ihnen enthaltenen Luft Toͤne geben. Die bei der Floͤte bald geoͤffneten, bald geſchloſſenen Loͤcher beſtimmen die Laͤnge der toͤnenden Luftſaͤule.

Bei denjenigen Inſtrumenten, die nicht durch Seiten-Oeff - nungen eine Aenderung der toͤnenden Luftſaͤule erhalten koͤnnen, laſſen ſich keine andre Toͤne hervorbringen, als die, welche eine offene Roͤhre von unveraͤnderlicher Laͤnge geben kann, naͤmlich diejeni - gen, deren Schwingungszahl nach der Folge der natuͤrlichen Zahlen fortgeht; kleine Abaͤnderungen in den Toͤnen, die nicht in unſre Tonleiter paſſen wuͤrden, bringt man durch Abaͤnderung der Muͤn - dung und durch Abaͤnderung im Anblaſen hervor.

Zungenpfeifen.

Alle dieſe Unterſuchungen ſetzten voraus, daß die in der Pfeife enthaltene Luft durch nichts gehindert wird, diejenigen Vibrationen anzunehmen, die ſie durch Zerlegung in regelmaͤßige Luftwellen am natuͤrlichſten anzunehmen im Stande iſt; aber es giebt eine andre Art von Orgelpfeifen und Blaſe-Inſtrumenten, bei denen die ur - ſpruͤngliche Beſtimmung des Tones von andern Vibrationen aus - geht. Bei den Zungenpfeifen naͤmlich iſt die Roͤhre, durch welche das Einblaſen der Luft geſchieht, an der Seite durch eine bewegliche Platte, die Zunge, ſo geſchloſſen, daß die hervordringende Luft dieſe Zunge, welche am einen Ende befeſtigt iſt, wie eine geoͤffnete Klappe nach außen draͤngt. Die elaſtiſche Zunge nimmt hiedurch, indem ſie bald dem Luftſtoße folgend ſich, durch die Traͤgheit fort - gefuͤhrt, zu weit oͤffnet, bald zuruͤckgehend den Luftſtrom beengt, gleichzeitig wechſelnde Vibrationen an, und giebt auf dieſe WeiſeY 2340einen Ton, der zunaͤchſt durch die Laͤnge und Beſchaffenheit der Zunge beſtimmt wird. Indem aber dieſe Zunge am Anfange einer eingeſchloſſenen Luftſaͤule, am einen Ende der Orgelpfeife, ſich be - findet, ertheilt ſie der ganzen Luftſaͤule die Schwingungen, welche ſie ſelbſt annimmt, und der dadurch ungemein verſtaͤrkte Ton iſt es, den wir durch dieſe Pfeifen vernehmen.

Daß hier nicht eine jede Laͤnge der Orgelpfeife gleich gut geeig - net ſein werde, den Ton einer beſtimmten Zunge zu unterſtuͤtzen, ſondern daß diejenige Laͤnge ſich am beſten dazu ſchicke, die ſchon ſelbſt dem Tone angemeſſen iſt, welchen die Zunge hervorbringen ſoll, laͤßt ſich wohl uͤberſehen; genauere Verſuche zeigen aber auch, daß gegenſeitig die Laͤnge der in Zitterung zu ſetzenden Luftſaͤule eben - ſogut auf die Vibrationen der Zunge einwirkt, wie dieſe auf jene. Ein Verſuch von Biot, den er anſtellte, um die verſchiedenen Toͤne offener Roͤhren hervorzubringen, zeigt dieſes ſchon. Er brachte naͤmlich durch den Seiten-Einſchnitt der Orgelpfeife ein duͤnnes Blech, allmaͤhlig weiter und weiter vorgeſchoben, in die Roͤhre, und bewirkte dadurch, waͤhrend das Anblaſen ganz gleich fortgeſetzt wurde, daß der Grundton in die verſchiedenen hoͤhern Toͤne hinuͤber ſprang, wobei, wenn die kleine Blechplatte allmaͤhlig weiter hinein - geſchoben ward, nicht ein durch fortgehende Aenderung des Tones ſchreitender Uebergang zu dem neuen Tone ſtatt fand, ſondern ein gaͤnzliches Unterbrechen des Toͤnens eintrat, bis die Stellung des Bleches die richtige fuͤr den neuen Ton war. Offenbar wirkte hier das Blech, wie eine vibrirende Zunge, und nur dann, wenn ſie ſich mit einer der natuͤrlichen Vibrationen der Luftſaͤule in eine Ue - bereinſtimmung ſetzen konnte, ging ein Ton hervor. Genauer hat dieſen Zuſammenhang zwiſchen den Toͤnen des Zungenrohres und der Laͤnge der Luftſaͤule der juͤngere Weber unterſucht, der unter andern Verſuchen folgenden anſtellte. Ein Zungen-Inſtrument, wo naͤmlich die kleine durch die Zunge abwechſelnd geoͤffnete und ge - ſchloſſene Roͤhre noch nicht mit einer laͤngern Pfeife verſehen war, gab den Ton , welcher als durch die abwechſelnden Unterbrechun - gen des hervorbringenden Luftſtromes beſtimmt anzuſehen iſt. Wurde nun dieſes Inſtrument mit laͤngeren und laͤngeren Roͤhren, ſo wie es bei den Orgelpfeifen geſchieht, verbunden, ſo ging bei der immer groͤßern Verlaͤngerung der Ton durch alle Zwiſchentoͤne341 um eine ganze Octave herunter; aber als er dieſe Tiefe bei reichlich 16 Zoll Laͤnge der Roͤhre erreicht hatte, ſprang er bis zu zuruͤck und von dieſer Laͤnge an brachte eine neue Verlaͤngerung wieder eben die etwas tiefern Toͤne hervor, wie vorhin bei geringerer Laͤnge; bei ungefehr 30 Zoll Laͤnge war der Ton ungefehr um drei ganze Toͤne bis d herunter, und bei 33 Zoll Laͤnge fing der Ton wieder an, neben d und cis hervorzugehen; bei groͤßerer Verlaͤngerung fingen die Toͤne, zu zuruͤckſpringend, wieder von an tiefer zu werden, gingen aber nun nur bis d̅i̅s̅ herab; da wo der Ueberſprung zu zuruͤck eintrat, gab die Roͤhre zwei Toͤne nach Verſchiedenheit des Anblaſens, ſtatt daß ſie bei andrer Laͤnge durchaus nur einen Ton gab. In Hinſicht auf dieſes Zuruͤckſpringen iſt es nun merk - wuͤrdig, daß 16 Zoll 3 Linien die Laͤnge iſt, bei welcher die offene Roͤhre fuͤr ſich allein den Ton geben wuͤrde, und daß immer, wenn die Roͤhre um ſo viel verlaͤngert wurde, der Ton wieder zuruͤckkehrte. Man ſieht hieraus, daß die Zunge, indem ſie die Luft - ſaͤule mit in Bewegung ſetzen ſoll, im Allgemeinen zu langſamerer Bewegung gezwungen wird; hat aber die Luftſaͤule die Laͤnge, die dem urſpruͤnglichen Tone des Zungen-Inſtrumentes angemeſſen iſt, ſo kehrt die natuͤrliche Schwingungszahl der Zunge zuruͤck, und dieſes geſchieht auch dann, wenn die Orgelpfeife die mehrfache Laͤnge hat, und ſich daher die Luftſaͤule in Theile, jenen Vibrationen gemaͤß, theilen kann.

Dieſe Zungenpfeifen, die man ehmals Schnarrwerke nannte, die man aber durch eine verbeſſerte Einrichtung der Zunge, ſo daß dieſe ohne anzuſtoßen ihre Vibrationen frei vollendet, von dem Un - angenehmen eines rauhen Tones gaͤnzlich befreit hat, gewaͤhren den Vortheil, daß man ein Anſchwellen und Nachlaſſen in der Staͤrke des Tones bei ihnen bewirken kann, was hingegen bei den Floͤten - roͤhren, bei denen, wo die Luftſaͤule ohne Zunge ſchwingt, nicht ſtatt findet. Dieſe naͤmlich ſpringen bei einem veraͤnderten Anblaſen zu leicht in einen der hoͤheren Toͤne uͤber, die ſie zu geben im Stande ſind; die Zungenpfeifen ſind dagegen dieſem Ueberſpringen nicht unterworfen.

Aber obgleich dieſes Hinuͤbergehen zu Toͤnen, die um eine ganze Octave oder noch mehr vom Grundtone entfernt liegen, bei342 den Zungenpfeifen nicht ſtatt findet, ſo koͤnnen doch auch ſie auf eine doppelte Weiſe um etwas Weniges von ihrem richtigen Tone abweichen, und hieran hat der Scharfſinn des juͤngeren Weber ein Mittel geknuͤpft, um voͤllig unveraͤnderliche Pfeifen zu erhalten. Ich habe ſchon vorhin erwaͤhnt, daß die Floͤtenroͤhren ſich bei etwas verſtaͤrktem Anblaſen in einen etwas hoͤhern Ton hinuͤberziehen, und ebenſo kann es bei den Zungenpfeifen geſchehen, wenn bei ihnen die Vibration der Luftſaͤule das Vorherrſchende iſt; dagegen wuͤrde eine bloße Zunge, durch ſtaͤrkeres Anblaſen in groͤßere Vibrationen geſetzt, einen etwas tiefern Ton geben, als bei maͤßigem Anblaſen, und eine Zungenpfeife, bei der die Zunge vorherrſchend einwirkt, wird alſo dieſem Fehler unterworfen ſein. Es laͤßt ſich daher wohl uͤber - ſehen, daß hier eine Compenſation beider Fehler moͤglich iſt, wenn man die Luftſaͤule, welche man der ſchwingenden Zunge zuordnet, grade ſo beſtimmt, daß kein Vorherrſchen der Zunge und auch kein Vorherrſchen der Luftſaͤule bei der Einwirkung auf den Ton ſtatt findet. Weber hat die Verhaͤltniſſe, die bei ſolchen Compenſa - tionspfeifen ſtatt finden muͤſſen, beſtimmt angegeben, und dadurch das Mittel gefunden, um beim Anſchwellen des Tones dennoch denſelben Ton genau zu erhalten, ſo daß man hoffen darf, auf dieſe Weiſe eine große Vervollkommnung der Zungenpfeifen zu er - halten.

Von dem, was ſonſt zum Bau der Orgel gehoͤrt, das die von den Blaſebaͤlgen hergetriebene Luft in den Windladen verdichtet wird, und nun indem durch das Anziehen der Regiſter der Zugang zu ge - wiſſen Syſtemen von Pfeifen, und durch das Anſchlagen der Taſten der Zugang zu den Pfeifen der einzelnen Toͤne geoͤffnet wird, das Anblaſen der beſtimmten Pfeifen ſtatt finden kann, und ſo weiter, kann ich hier nicht wohl etwas Umſtaͤndlicheres erwaͤhnen.

343

Vier und Zwanzigſte Vorleſung.

Laͤngentoͤne feſter Koͤrper.

An die Unterſuchungen uͤber die Toͤne der Orgelpfeifen, die ich Ihnen, m. h. H., neulich zu erklaͤren ſuchte, ſchließt ſich die Lehre von den Laͤngentoͤnen feſter Koͤrper an.

Nicht bloß in transverſale Schwingungen laͤßt ſich eine Saite oder ein Stab verſetzen, ſondern er iſt noch mehrerer Schwingungs - Arten faͤhig, unter denen indeß nur die Laͤngenſchwingungen uns hier etwas naͤher beſchaͤftigen ſollen. Nur um den ganzen Umfang der Unterſuchungen anzudeuten, die ſich dem theoretiſchen Forſcher bei der Betrachtung der Vibrationen feſter Koͤrper darbieten, will ich bemerken, daß nach Chladni's und Savart's Verſuchen die Staͤbe auch noch eine drehende Schwingung anzunehmen und uͤber - dies ſich in der Breite ebenſo abwechſelnd auszudehnen faͤhig ſind, wie in der Laͤnge. Die Theorie ſollte eigentlich angeben, wie die vier Haupttoͤne, die dieſen Vibrations-Arten entſprechen, einer durch den andern beſtimmt werden, und Poiſſon und Navier haben ſich bemuͤht, die dieſen Gegenſtand betreffenden theoretiſchen Beſtimmungen weiter zu verfolgen. Da wir indeß jetzt noch nur die erſten Schritte zu einer ſolchen Beſtimmung vor uns ſehen, ſo muß ich dieſen ſchwierigen Gegenſtand verlaſſen, und zu dem uͤber - gehen, was die Erfahrung von den Laͤngentoͤnen angiebt.

Wenn man eine Saite mit dem Violinbogen in diejenigen Vi - brationen, welche man transverſale nennt, die wir fruͤher betrachtet haben, verſetzen will, ſo bemuͤht man ſich, mit den verſchiedenen Puncten des Bogens immer einerlei Punct der Saite zu ſtreichen; aber man kann umgekehrt verfahren, mit einerlei Puncte des unter einem ſpitzen Winkel gegen die Richtung der Saite geneigten Bo - gens auf der Saite hin und her ſtreichen, und dann erhaͤlt man, bei gehoͤriger Behandlung, den Laͤngenton der Saite. Noch leichter und recht wohltoͤnend erhaͤlt man Laͤngentoͤne aus Glasſtaͤben, in - dem man eine ziemlich lange Glasroͤhre oder einen duͤnnen Glasſtab mit einem feuchten Lappen der Laͤnge nach reibt, waͤhrend dieſer344 Koͤrper in der Mitte zwiſchen zwei Fingern feſtgehalten wird. In - dem man den Glasſtab ſo haͤlt, noͤthigt man ihn, ſo zu ſchwingen, daß in der Mitte ein Schwingungsknoten ruhend bleibt, und man erhaͤlt hier als tiefſten Ton denjenigen, der um eine Octave hoͤher iſt, als der tiefſte Ton, den eben der Stab geben wuͤrde, wenn man ihn am einen Ende feſt einſpannt und dann mit einem feuch - ten Lappen nahe am andern Ende reibt. Bei dieſen Laͤngenſchwin - gungen erleidet der Stab abwechſelnde Verlaͤngerungen und Verkuͤr - zungen und zwar in ſeiner ganzen Laͤnge, wenn er am einen Ende ganz feſt eingeſchraubt iſt, oder von der Mitte ausgehend in ſeiner halben Laͤnge, wenn er in der Mitte gehalten wird. Theilt ſich der Stab in mehrere Stuͤcke ab, ſo daß ſich mehrere Knoten bilden, ſo iſt der Ton ein hoͤherer.

Dieſe Laͤngentoͤne ſind bei Koͤrpern von verſchiedener Materie hoͤchſt verſchieden, wenn auch die Laͤnge der Staͤbe gleich iſt; auf die Dicke des Stabes, die jedoch nie ſehr groß werden darf, koͤmmt es nicht an; nimmt man aber ungleich lange, aus einerlei Materie beſtehende Staͤbe, ſo iſt die Schwingungszahl fuͤr den tiefſten Ton der Laͤnge umgekehrt proportional.

So wie eine offene Orgelpfeife den Ton giebt, welcher der Zeit gemaͤß iſt, in welcher ſich der Schall durch ihre ganze Laͤnge fort - pflanzt, ſo giebt auch der Stab, in der Mitte gehalten, denjenigen Laͤngenton, welcher der Zeit gemaͤß iſt, die der Schall gebraucht, um ſich durch die Maſſe des Stabes fortzupflanzen. Hier haben wir alſo ein Mittel um die Schnelligkeit der Fortpflanzung des Schalles in feſten Koͤrpern zu beſtimmen, denn da ein Silberſtab einen Laͤngenton giebt 3 Octaven und einen ganzen Ton hoͤher, als eine ebenſo lange offene Orgelpfeife, ſo ergiebt ſich daraus, daß der Schall ſich durch das Silber ungefehr 9 mal ſo ſchnell als durch die Luft fortpflanzt, weil der Ton, welchen der Silberſtab giebt, 9 Vi - brationen macht, waͤhrend die Luftſaͤule eine macht. Man kann daher nach Chladni's Beſtimmung ſagen, daß der Schall ſich im Silber in 1 Secunde durch 9240 Fuß, im Glaſe in 1 Secunde durch 17460 Fuß fortpflanzt. Hiernach muß ein Glasſtab von 6 Fuß Laͤnge 2910 Schwingungen in 1 Secunde machen und den Ton fis ungefehr angeben, und ein Glasſtab von 2⅛ Fuß Laͤnge wird345 ziemlich nahe das fuͤnf geſtrichne c angeben. Man kann daher durch Huͤlfe der Laͤngentoͤne diejenigen Toͤne vergleichen und ihre Schwin - gungszeiten beſtimmen, die fuͤr Vergleichung mit den muſicaliſch anwendbaren Toͤnen zu hoch ſind.

Dieſe große Schnelligkeit der Fortpflanzung des Schalles durch feſte Koͤrper hat man auch durch andre Verſuche dargethan. Biot beobachtete an einer 2800 Fuß langen Roͤhrenleitung, daß man den am einen Ende angegebenen Laut doppelt hoͤrte, und daß der durch die Maſſe der Roͤhre fortgepflanzte Schall dem durch die Luft fort - gepflanzten ſo voreilte, daß jener nur etwa ¼ Secunde konnte ge - braucht haben; darnach muͤßte die Geſchwindigkeit der Fortpflanzung durch die Maſſe der Roͤhre ungefehr 11000 Fuß in 1 Secunde be - tragen, was mit Chladni's Beſtimmungen ſo nahe uͤbereintrifft, als Biot's oberflaͤchlicher Verſuch geſtattet.

Mit dieſer ſchnelleren Fortpflanzung bei ſo großer Dichtigkeit haͤngt auch die minder geſchwaͤchte Fortpflanzung des Schalles in feſten Koͤrpern zuſammen. Wenn man an eine ziemlich entfernt liegende Taſchen-Uhr einen langen Stab von Holz oder Metall haͤlt und das andre Ende des Stabes an das Ohr bringt, ſo hoͤrt man den Schlag der Unruhe viel lauter mit Huͤlfe des Stabes; bildet man zwei einander beruͤhrende Staͤbe zu einem Winkel und laͤßt den einen die Uhr beruͤhren, ſo glaubt man den Schall, nachdem er beide Staͤbe durchlaufen hat, nach der Richtung des letzten Stabes zu hoͤren. Eben darauf beruht die Erfahrung, daß man das Getoͤſe herankommender Menſchen und Pferde beſſer hoͤrt, wenn man das Ohr an die Erde legt, wenigſtens bei Nacht, wo kein andres Geraͤuſch hindert.

Eben dieſe ſchnelle und weniger geſchwaͤchte Fortpflanzung des Schalles findet auch durch das Waſſer ſtatt. Nach Beudant's, freilich etwas unvollkommenen Verſuchen betraͤgt die Geſchwindigkeit des Schalles im Waſſer gegen 4500 Fuß; aber vollſtaͤndigere und in mehrern Hinſichten belehrende Verſuche haben Colladon und Sturm auf dem Genfer-See angeſtellt. Sie bedienten ſich einer im Waſſer haͤngenden Glocke, die durch einen unter Waſſer befindlichen, aber oberhalb des Waſſers bequem zu regieren - den Hebel angeſchlagen wurde, und eines Hoͤrrohrs, das in das Waſſer hinein reichte. Bei dieſen Verſuchen fand ſich naͤmlich der346 merkwuͤrdige Umſtand, daß man außerhalb des Waſſers den Schall der Glocke nur in geringer Entfernung gut hoͤrte, und daß ſchon in 700 bis 900 Fuß Entfernung der Schall der 2 Fuß hohen und weiten Glocke, die ſich nur in geringer Tiefe unter dem Waſſer befand, ganz unmerkbar wurde; tauchte man das Ohr in das Waſſer, ſo hoͤrte man den Schall, konnte aber dann wegen unbe - quemer Stellung keine genaue Beobachtung anſtellen. Es ward daher eine unten dicht verſchloſſene Roͤhre von duͤnnem Blech, die dem antreffenden Schalle eine Flaͤche von beinahe 2 Quadratfuß darbot, in das Waſſer eingetaucht, damit durch die an ſie ſenkrecht antreffenden Vibrationen im Waſſer, die Roͤhre und die Luft in ihr erſchuͤttert werde; und mit dieſem Horchrohre hoͤrte das vor dem Rohre, außerhalb des Waſſers, gehaltene Ohr den Schall der Glocke bis auf 43000 Fuß Entfernung. Da das Anſchlagen des Hammers an die Glocke zugleich mit dem Entzuͤnden einer Pulver - maſſe verbunden war, deren Blitz der mit dem Horchrohre verſehene Beobachter wahrnahm, ſo konnte mit Huͤlfe eines Chronometers die Zeit, welche der Schall gebrauchte, ſehr gut beobachtet werden, und die Beobachtungen gaben die Geſchwindigkeit des Schalles im Waſſer 4415 Fuß in 1 Secunde. Dieſe Zahl iſt der theoreti - ſchen Beſtimmung, die man aus dem Grade der Compreſſibilitaͤt des Waſſers hergenommen hat, ſehr nahe entſprechend; denn da das Waſſer der Verdichtung reichlich 20000 mal ſo viel Kraft ent - gegenſetzt, als die Luft, und doch nur 800 mal ſo dicht iſt, als Luft, ſo iſt die beſchleunigende Kraft, mit welcher jedes Waſſertheil - chen bei der Fortpflanzung des Schalles zur Bewegung angetrieben wird, ziemlich nahe 25 mal ſo groß, als in der Luft, welches eine fuͤnfmal ſo große Geſchwindigkeit giebt, als ſie ohne die Correction, die wegen der Waͤrme-Entwicklung nothwendig wird, in der Luft ſein wuͤrde, und dieſes ſtimmt nahe genug mit jener Zahl uͤberein.

Der merkwuͤrdige Umſtand, daß man den im Waſſer erregten Schall außer dem Waſſer nur dann hoͤrt, wenn das Ohr die unter einem ziemlich großen Winkel aus dem Waſſer hervorgehenden Schallſtrahlen empfaͤngt, verdient noch eine beſondre Erwaͤhnung. Offenbar hat dieſe Erſcheinung darin ihren Grund, daß die unter einem ſehr kleinen Winkel an die Oberflaͤche des Waſſers antreffen - den Vibrationen gar nicht mehr oder nur hoͤchſt geſchwaͤcht aus dem347 Waſſer hervorgehen, und dagegen reflectirt in das Innere des Waſſers zuruͤckkehren. Eine aͤhnliche Erſcheinung zeigen uns die Lichtſtrahlen, die unter aͤhnlichen Umſtaͤnden auch nicht aus dem dichteren Koͤrper in den duͤnneren uͤbergehen.

Ich kehre zu den in den feſten Koͤrpern fortgepflanzten Schall - vibrationen zuruͤck, deren Schnelligkeit man ebenfalls theoretiſch be - rechnen kann, wenn die Kraft, mit welcher dieſe Koͤrper der Deh - nung oder der Zuſammendruͤckung widerſtehen, bekannt iſt, und auf aͤhnliche Weiſe, wie ich beim Waſſer gezeigt habe, mit der Dichtigkeit in Vergleichung geſtellt wird. Wir lernen dieſe Vibra - tionen bei feſten Koͤrpern nur durch die Laͤngentoͤne kennen, weil die Fortpflanzung des Schalles durch ſehr große feſte Maſſen ſich ſo ſchwer genau beobachten laͤßt.

Auch bei dieſen Laͤngentoͤnen iſt die Erſchuͤtterung der einzel - nen Theile des Koͤrpers nicht gleichfoͤrmig, ſondern es giebt, wie Savart und Weber gezeigt haben, Schwingungsknoten. Haͤlt man eine ziemlich lange Glasroͤhre horizontal in der Mitte feſt, und haͤngt auf der einen Haͤlfte mehrere leichte Papierringe auf, waͤh - rend man durch Reiben mit einem naſſen wollenen Lappen auf der andern Haͤlfte die Laͤngentoͤne hervorbringt, ſo ruhen jene Papier - ringe nur an gewiſſen Stellen, ſtatt daß ſie von den uͤbrigen ſich wegbewegen, und erſt an den Stellen, wo Schwingungsknoten ſind, zur Ruhe kommen. Dabei iſt merkwuͤrdig, daß dieſe Puncte der Ruhe ganz anders liegen, wenn man eine andre Seite der Roͤhre nach oben oder mit den aufhaͤngenden Ringen in Beruͤhrung bringt. Sand, in nicht zu enge Roͤhren gebracht, zeigt, daß die Knotenlinien eine ſchraubenartig gewundene Geſtalt haben, daß aber das aͤußer - liche Anſehen der Glasroͤhre nichts darbietet, woraus man ſchließen koͤnnte, warum die Knoten in der anſcheinend gleichen Roͤhre hier an der einen, dort an der andern Seite liegen.

Savart und Weber haben nicht bloß dieſe Schwingungs - knoten ſorgfaͤltig unterſucht, ſondern Savart hat auch die ver - ſchiedenartigen Bewegungen des auf Scheiben aufgeſtreuten Sandes beobachtet, die dieſer annimmt, wenn man die Scheibe dadurch in Schwingung ſetzt, daß man eine die Scheibe beruͤhrende oder durch ein enges Loch in der Scheibe gezogene Saite bald in transverſale,348 bald in longitudinale Schwingungen verſetzt. Aber die Erzaͤhlung dieſer Verſuche muß ich hier uͤbergehen.

Dagegen will ich noch einen von W. Weber angegebenen Verſuch erzaͤhlen, welcher zeigt, mit welcher Gewalt bei den Laͤn - gentoͤnen die Theilchen der Koͤrper erſchuͤttert werden. Wenn man eine Glasroͤhre am untern Ende mit einem genau ſchließenden Stoͤpſel verſchließt, die Roͤhre zum Theil mit Waſſer fuͤllt und ſie vertical haͤlt, ſo ſteigt, indem man die Laͤngentoͤne hervorbringt, jener Stoͤpſel in der Roͤhre herauf und hebt die uͤber ihm ſtehende Waſſerſaͤule. Iſt die Roͤhre ganz mit Waſſer gefuͤllt und auch oben mit einem Stoͤpſel verſchloſſen, ſo draͤngt ſich das Waſſer in feinen Strahlen hervorſpringend heraus. Luftblaͤschen, die im Waſſer enthalten ſind, zeigen gleichfalls die Erſchuͤtterung, welche die Theil - chen des Koͤrpers bei den Laͤngenſchwingungen leiden.

Reſonanz. Klangfiguren durch Reſonanz.

Eine ſelbſt fuͤr die Anwendung wichtige Merkwuͤrdigkeit bietet das Mittoͤnen andrer Koͤrper bei dem durch irgend einen Koͤrper er - regten Tone dar. Wenn man mehrere enge, ziemlich hohe, aber ungleich hohe cylindriſche Glaͤſer neben einander ſtellt, und eine in Schwingung geſetzte Stimmgabel uͤber ihnen fortbewegt, ſo findet man unter jenen Glaͤſern oft eines, uͤber welchem der Ton der Stimmgabel in hohem Grade verſtaͤrkt hervorgeht, waͤhrend die uͤbrigen ihn eben ſo ſchwach, kaum hoͤrbar, dauern laſſen, wie er in der freien Luft, ohne Aufſetzen auf einen Reſonanzboden nur gehoͤrt wird. Unterſucht man die Hoͤhe des ſich als den Ton verſtaͤrkend zeigenden Glaſes, ſo findet man, daß ſie nahe mit derjenigen Laͤnge uͤberein ſtimmt, die einer eben den Ton gebenden, am einen Ende geſchloſſenen Orgelpfeife zukoͤmmt, und es erhellt alſo nun, daß nur in dieſem Glaſe die Luftſaͤule faͤhig iſt, Vibrationen anzunehmen, die denen der Stimmgabel gleichzeitig ſind. Wenn der Ton der Stimmgabel iſt, ſo wiſſen Sie aus dem Vorigen, daß dieſer Ton $$\frac{5}{3}$$ Schwingungen macht, waͤhrend eine macht, daß alſo, wenn man 512 Schwingungen in 1 Sec. beilegt, 853 Schwingungen in 1 Sec. vollendet. In $$\frac{1}{853}$$ Sec. durchlaͤuft der Schall in der Luft 1⅕ Fuß, und halb ſo lang muß eine am einen Ende geſchloſſene Floͤ -349 tenroͤhre ſein, um den Ton hervorzubringen; ein reichlich 7 Zoll hohes Glas iſt daher am paſſendſten, jene Verſtaͤrkung des Tones zu zeigen, indeß tritt ſie bei einer etwas hievon abweichenden Laͤnge auch ſchon ein, und man kann ein zu hohes Glas durch hinein ge - goſſenes Waſſer zu dieſer Verſtaͤrkung des Tones geeignet machen. Ein aͤhnliches Mittoͤnen findet bei gleich geſtimmten Saiten ſtatt. Man kennt ein chineſiſches Inſtrument, wo jedem hervorgebrachten Tone eine ſolche Roͤhre zur Verſtaͤrkung des Tons beigegeben iſt, und nach Wheatſtone's ſehr wahrſcheinlichen Schluͤſſen, iſt es das Mittoͤnen der Luft in der Mundhoͤhle, wodurch einige Virtuo - ſen mit der gewoͤhnlichen Maultrommel ſo mannigfaltige und ſchoͤne Toͤne hervorzubringen im Stande ſind, daß ſie mit Recht dieſes un - ſcheinbare Inſtrument mit dem Namen Mundharmonica belegen durften.

Auch das, was man im gewoͤhnlichen Sinne Reſonanz nennt, beruht, wenn es gleich minder regelmaͤßig iſt, auf einer mitgetheil - ten Vibration. Bekanntlich dient eine duͤnne elaſtiſche Holzplatte, die von recht gleichfoͤrmiger Art, frei von unregelmaͤßigem Laufe der Faſern und dergleichen iſt, als Reſonanzboden, das heißt, eine ſolche Holzplatte verſtaͤrkt den Klang, und giebt ihm, wie es z. B. bei den Violinen der Fall iſt, eine mehr oder minder angenehme Fuͤlle. Die Stimmgabel giebt angeſchlagen einen nur in großer Naͤhe hoͤr - baren Ton; aber auf einen Reſonanzboden mit dem Stiele aufge - ſetzt, hoͤrt man ihn bis zu ſehr erheblichen Entfernungen. Der Re - ſonanzboden muß, da er faͤhig iſt, einen jeden Ton oder wenigſtens eine durch mehrere Octaven gehende Reihe von Toͤnen zu verſtaͤrken, alle dieſe verſchiedenen Vibrationen anzunehmen faͤhig ſein.

Die oben ſchon erwaͤhnten Verſuche Savart's hatten zum Theil den Zweck, zu zeigen, daß der Reſonanzboden bei ſeinem Mit - klingen ebenſo gut eine, bei jedem einzelnen Tone andre Reihe von Schwingungsknoten darbiete, wie es die unmittelbar in Vibration geſetzten Scheiben thun. Er bewies naͤmlich, daß auf dem Reſo - nanzboden, waͤhrend des Vibrirens einer uͤber demſelben aufgeſpann - ten Saite, ebenſolche Klangfiguren entſtehen, wie Chladni ſie auf andre Weiſe dargeſtellt hatte. Man kann einige dieſer durch Reſonanz bewirkten Klangfiguren bequem mit der Stimmgabel dar - ſtellen. Schraubt man naͤmlich eine zu Hervorbringung der Chlad -350 ni'ſchen Klangfiguren geeignete Metallplatte, die ich kreisfoͤrmig oder quadratfoͤrmig annehmen will, in ihrer Mitte feſt, ſtellt die mit der Hand gehaltene Stimmgabel mit dem Stiele ſenkrecht auf die Scheibe, und bringt durch Streichen mit dem Violinbogen die Toͤne der Stimmgabel hervor, ſo ſieht man den Sand auf der Scheibe ſich in beſtimmte Figuren ordnen. Dabei tritt aber eine doppelte Sonderbarkeit ein. Wenn man die Stimmgabel zuerſt unaufgeſtuͤtzt frei haͤlt, und ihren tiefſten Ton hervorbringt, ſo hoͤrt man dieſen bekanntlich ſchwach und erſt dann ſehr verſtaͤrkt, wenn ſie auf der Scheibe als Reſonanzboden aufgeſetzt iſt; gleich - wohl zeigt der Sand nur hoͤchſt ſchwache Bewegungen und ordnet ſich bei anhaltendem Wiederholen dieſes Tones erſt ſehr langſam in unvollkommene Klangfiguren. Bringt man dagegen, indem man die Gabel etwas oberhalb der Mitte ſtreicht, den zweiten Ton her - vor, ſo wird dieſer, wie ſchon Weber bemerkt hat, durch den Re - ſonanzboden gar nicht verſtaͤrkt, ſondern hoͤrt, wenn man ihn nicht immer neu erregt, bald ganz auf; aber eben dieſer Ton bringt auf eine hoͤchſt ſchnelle Weiſe den Sand in rein ausgefuͤhrte elegante Klangfiguren. Hat ſich der Sand dieſem Tone gemaͤß geordnet, und beruͤhrt man die Scheiben in mehrern Stellen der nun bezeich - neten Schwingungsknoten, ſo kann man, indem man die Scheibe ſelbſt in paſſenden Puncten mit dem Bogen ſtreicht, eben den Ton erhalten, welchen vorhin die Stimmgabel angab. Streicht man die Stimmgabel ſo, daß ſie ihren dritten Ton angiebt, ſo erhaͤlt man eine andre feiner getheilte Klangfigur, die aber auch ſehr ſchnell hervorgeht, wenn nur der Ton recht rein aushallt. Wenn es alſo gleich ſcheint, als ob der Reſonanzboden nicht geeignet ſei, um durch ſein eignes Vibriren die ſehr hohen Toͤne zu verſtaͤrken, ſo ſieht man dennoch, daß er darum doch nicht ohne Theilnahme an den Vibra - tionen bleibt.

Auch auf dem gewoͤhnlichen hoͤlzernen Reſonanzboden gehen bei dem Aufſetzen der toͤnenden Stimmgabel Klangfiguren hervor, nur muß man den mit dem Violinbogen hervorgebrachten Ton lange wiederholt hervorbringen.

Oft wird die Reſonanz hindernd, insbeſondre wenn in einem Ge - baͤude, das zu oͤffentlichen Reden beſtimmt iſt, der unregelmaͤßige Wi - derhall an den Waͤnden, der ſich als eine Reſonanz ausnimmt, allzu351 ſchallend iſt. Wir fordern zwar, daß bei dem Bau hierauf Ruͤckſicht ge - nommen werde, aber dennoch tritt der Fall einer zu ſtarken Reſonanz der Waͤnde oft ein. Man mildert dieſe, wenn man die Waͤnde mit Tapeten, den Fußboden mit Decken belegt; daß aber zuweilen auch durch einen zweckmaͤßig angelegten Schalldeckel der Zweck erreicht wird, zeigt ein in einem engliſchen Journale erzaͤhlter Fall. In einer neu erbauten Kirche, wo hinter der Kanzel ein elliptiſcher, oben gewoͤlbter Anbau einen unertraͤglichen Widerhall gab, der die auf der Canzel geſprochenen Worte ganz unverſtaͤndlich machte, brachte man einen paraboliſchen Schalldeckel unmittelbar hinter dem Standpuncte des Redners an. Dieſer hielt die nach jenem Gewoͤlbe zu gehenden Schall - ſtrahlen auf, und hinderte daher die nachtheilige Wirkung derſelben, zugleich aber war die Stimme des Redners nun deutlich und ver - ſtaͤrkt in der ganzen Kirche zu hoͤren. Der Schalldeckel hatte naͤm - lich die paraboliſche Form bed (Fig. 176) und der Mund des Redners nahm ungefehr den Brennpunct a ein; da nun die Para - bel die Eigenſchaft hat, daß die von a ausgehenden und die Parabel bed treffenden Schallſtrahlen parallel zuruͤckgeworfen werden und die nahe bei e in g hervorgehenden Schallſtrahlen ſich ſogar in der Gegend von e vereinigen, ſo trugen die hinterwaͤrts gehenden Strahlen ac, ad, nun nach ef, dh, zuruͤckgeworfen, bei, die Worte in der Gegend e hoͤrbarer zu machen. Wenn umgekehrt in e leiſe geſprochen ward, ſo hoͤrte man dies verſtaͤrkt in a, weil die um e ausgehenden und in die Gegend b gelangenden Schallſtrahlen in g geſammelt werden.

Interferenz bei der Fortpflanzung des Schalles.

Ehe ich zu dem letzten Gegenſtande, den die Acuſtik uns ken - nen lehren ſoll, zu dem Gehoͤr-Organe und Stimm-Organe, uͤber - gehe, erlauben Sie mir noch, bei einigen einzelnen Erfahrungen zu verweilen, denen ich im Vorigen keine ſo beſtimmte Stelle anzuwei - ſen wußte. Unter dieſen mag ein merkwuͤrdiger Verſuch, der ſich leicht mit der Stimmgabel anſtellen laͤßt, zuerſt erwaͤhnt werden. Wenn man die Stimmgabel ihren tiefſten Ton hervorbringen laͤßt, und ſie dann frei in der Luft nahe vor dem Ohre haͤlt, ſo hoͤrt man dieſen Ton ſehr deutlich, wenn man entweder die Richtung durch beide Zinken ac grade gegen das Ohr zu, oder ſenkrecht gegen die352 nach dem Ohre gehende Linie haͤlt; aber der Ton wird faſt unhoͤrbar, wenn man (Fig. 177.) das Ohr ungefehr in die Linie ad, den Ecken gegenuͤber bringt. Am auffallendſten wird der Unterſchied, wenn man die am Stiele gehaltne Gabel vor dem Ohre um die Axe des Stieles dreht, indem dann der Ton verſchwindet und wieder hoͤr - bar wird, je nachdem man die eine oder andre Stellung hervor - bringt. Man kann dieſes Unterbrechen des hoͤrbaren Tones viele Perſonen zugleich beobachten laſſen, wenn man die toͤnende Stimm - gabel uͤber ein mittoͤnendes, nicht zu weites Glas haͤlt; denn auch da hoͤrt das Mittoͤnen auf, wenn man die Richtung ad dem Glaſe zu wendet. Dieſe von Weber bemerkte und erklaͤrte Erſcheinung laͤßt ſich aus einer Interferenz zweier Schallwellen erklaͤren.

Sie erinnern ſich, daß wir Interferenzpunct bei den Wellen denjenigen Punct nannten, wo eine vorruͤckende und eine zuruͤckkeh - rende Welle ſich immer gegenſeitig ausglichen, bei den Schallwellen alſo, wo Verdichtung von einer und Verduͤnnung von einer andern Welle her einen Zuſtand ungeaͤnderter Dichtigkeit hervorbringen. Gehen nun von den beiden Seiten der einen Zinke der Stimmgabel Schallwellen aus, und treffen dieſe irgendwo, in d, e, ſo zuſammen, daß dort fortwaͤhrend, die eine die andre ausgleicht, ſo hoͤrt ein Ohr in d oder e den Schall gar nicht, und dieſes iſt der Fall bei der richtigen Stellung des Ohres in jener Beobachtung. Weber's Verſuche geben genau an, wo das Ohr ſich befinden muß, um kei - nen Schall zu hoͤren, und zeigt auch die Urſachen, wie eine Inter - ferenz grade an dieſen Puncten entſteht; ich glaube aber dieſe ge - nauen Entwickelungen hier wohl uͤbergehen zu duͤrfen.

Toͤne durch brennendes Waſſerſtoffgas.

Eine zweite Bemerkung, die ich hier einſchalte, betrifft einen merkwuͤrdigen Fall einer Schall-Erregung. Man erhaͤlt naͤmlich ein Toͤnen, wenn man brennbare Luft (Hydrogengas), die aus einer engen Oeffnung hervordringt, anzuͤndet, und waͤhrend ſie ruhig, aus der Oeffnung ausſtroͤmend, fort brennt, eine Glasroͤhre ſo haͤlt, daß dieſe die Flamme innerhalb ihrer zu unterſt gehaltnen Muͤndung enthaͤlt. Das hier verbrennende Gas bringt einen Ton hervor, der ſich nach Maaßgabe der die Flamme umſchließenden Glasroͤhre hoͤher oder tiefer zeigt. Ohne Zweifel muß hier die Zerſtoͤrung der hervor -353 ſtroͤmenden Luft, die ſich, wie die Chemie lehrt, mit einem Theile der atmoſphaͤriſchen Luft zu Waſſer verbindet, in ſo gleichmaͤßig ab - geſetzten Zeitmomenten erfolgen, daß daraus ein Ton hervorgehen kann. Daß dieſe Vibrationen ſich ſo anordnen, wie es dem Tone, welchen die Roͤhre geben kann, gemaͤß iſt, laͤßt ſich leicht einſehen. Das Experiment gelingt am leichteſten, wenn man die aus einer Aufloͤſung ſich entbindende brennbare Luft durch ein enges Roͤhrchen ausſtroͤmen laͤßt, und ſie an der Muͤndung entzuͤndet, uͤber die man dann ein Glasgefaͤß oder Glasroͤhre mit der Hand feſthaͤlt. Die einzelnen Umſtaͤnde, die das Hervorgehen des Tones befoͤrdern, ein nicht zu weit und nicht zu wenig innerhalb der Muͤndung ge - waͤhlter Ort der Flamme u. ſ. w. darf ich hier wohl uͤbergehen.

Das Gehoͤr-Organ.

Das Gehoͤr-Organ, deſſen kuͤnſtliche Einrichtung ſchon jetzt unſre Aufmerkſamkeit erregt, wird gewiß einſt den Phyſikern Gele - genheit zu den intereſſanteſten Unterſuchungen und ohne Zweifel zur Bewunderung ſeiner zweckmaͤßigen Anordnung geben; aber der Zeitpunct ſcheint noch ziemlich entfernt zu ſein, wo eine vollendetere Einſicht in die Geſetze der Einwirkung des Schalles auf das Ohr uns berechtigen kann, uͤber die Art der Mitwirkung jedes einzelnen Theiles auf das Hoͤren ſichere Schluͤſſe zu ziehen. Bis jetzt ſind wie, obgleich die Anatomen uns mit der Einrichtung des Ohres ſehr genau bekannt gemacht haben, noch gar nicht im Stande, die ſichere Beſtimmung der einzelnen Theile des Gehoͤr-Organes anzu - geben, und wir wiſſen nicht, ob wir neue Aufſchluͤſſe uͤber dieſen Gegenſtand eher von noch unbekannten, erſt neu zu entdeckenden Geſetzen in der Fortpflanzung des Schalles oder in der Natur der durch denſelben bewirkten Vibrationen, erwarten ſollen, oder ob eine genauere Aufmerkſamkeit auf Fehler des Gehoͤrſinns und auf die dabei vielleicht erkennbaren Maͤngel an den Organen uns zur Kennt - niß ihrer Thaͤtigkeit fuͤhren werden.

Daß die aͤußere Erweiterung der an den Gehoͤrgang ſich an - ſchließenden Muſchel, des aͤußern Ohres, dazu beitragen ſoll, mehr Schallſtrahlen aufzunehmen und dem innern Ohre zuzufuͤhren, iſt wohl gewiß; aber ſelbſt hier ſchon moͤchte es ſchwer ſein, anzugeben, warum das menſchliche Ohr genau dieſe Bildung haben mußte.

I. Z354

Daß dieſes aͤußere Ohr nicht ein harter, zum Selbſttoͤnen geeigneter Koͤrper iſt, davon laͤßt ſich wohl der Grund darin finden, daß ein ſolcher Koͤrper ein Nachtoͤnen bewirken und dadurch das reine Auf - faſſen jedes einzelnen Lautes hindern wuͤrde, ſo wie ja auch das ſo oft angewandte metallene Hoͤrrohr, eine ſich nach außen erweiternde Roͤhre, manchem Schwerhoͤrigen wegen dieſes Nachtoͤnens laͤſtig iſt.

Der Gehoͤrgang ſchließt ſich an die Muſchel an und iſt hinten durch eine elaſtiſche Haut, das Trommelfell, geſchloſſen, und offen - bar iſt dieſe Haut dazu da, um durch die zum Ohr gelangenden Vi - brationen der Luft ſelbſt in Vibrationen verſetzt zu werden. Hinter dem Trommelfelle liegt die Trommelhoͤhle, in welcher ſich eine Verbindung von zarten Knoͤchelchen, dem Hammer, dem Ambos und dem Steigbuͤgel, befindet. Der Hammer iſt mit ſeinem einen Ende an das Trommelfell befeſtiget und geraͤth olglich mit in Vi - brationen, wenn jene elaſtiſche Haut erſchuͤttert wird; der Ambos ſteht durch eine Art von Gelenk mit dem Hammer in Verbindung, und iſt durch das linſenfoͤrmige Knoͤchelchen mit dem Steigbuͤgel verbunden, deſſen unterer Theil (gleichſam der Tritt, auf dem im Steigbuͤgel der Fuß ruhet,) das ovale Fenſter ſchließt. Dieſe feine Maſchine iſt ſo verbunden, daß bei den Vibrationen des Trommel - felles auch der Steigbuͤgel in Bewegung geraͤth, und in die Oeff - nung des ovalen Fenſters, worin er genau paßt, etwas herein und heraustreten kann, indem die Haut, die ihn mit den umgebenden Raͤndern des Fenſters verbindet, dieſes geſtattet. Dieſe Verbindung zeigt nun wohl, daß die jenſeits des ovalen Fenſters in den Hoͤh - lungen des Labyrinthes enthaltene Fluͤſſigkeit durch jene Vibratio - nen ſoll erſchuͤttert werden, und daß die Vibrationen ſo den in den Labyrinth eintretenden Nerven zugefuͤhrt werden ſollen; aber warum die Anordnung ſo kuͤnſtlich und zuſammengeſetzt ſei, wozu die halb - kreisfoͤrmigen Canaͤle dienen, welche Beſtimmung die Schnecke, ein ſpiralfoͤrmig gewundener, noch in zwei getrennte Gaͤnge abge - ſonderter Canal, habe, das iſt noch voͤllig unaufgehellt. Die Cuſtachiſche Roͤhre, die von der Trommelhoͤhle nach dem Munde zu geht, ſcheint nur beſtimmt, die in der Trommelhoͤhle enthaltene Luft mit der aͤußern Luft in Verbindung zu ſetzen.

Wenn man uͤberlegt, wie viel das Gehoͤr leiſten ſoll, ſo erhellt wohl, daß dazu mancherlei Theile noͤthig ſein moͤgen, und daß wir355 erſt die Mittel, die zu Erreichung jener einzelnen Zwecke dienen koͤnnen, noch naͤher muͤſſen kennen lernen, ehe die Einrichtung des Ohres verſtaͤndlich werden kann. Denn das Ohr ſoll nicht bloß die Schallwellen aufnehmen und fortpflanzen, ſondern es ſoll außer der Zahl der Vibrationen, die den Ton beſtimmt, auch noch die Eigenthuͤmlichkeiten des Klanges der Empfindung uͤberliefern; es ſoll mehrere Schallwellen zugleich empfangen und im gefunden Zu - ſtande ſie alle, vorausgeſetzt daß kein betaͤubend ſtarker Laut darunter ſei, unvermiſcht dem Gehoͤrnerven zufuͤhren u. ſ. w. Es iſt ein bei der Schwerhoͤrigkeit nicht ſelten auffallender Umſtand, daß ganz vorzuͤglich das Unterſcheiden der einzelnen Laute, wenn mehrere zu - gleich das Ohr treffen, erſchwert iſt, und daß der Schwerhoͤrige ſich daher mit einer einzelnen Perſon leicht unterhaͤlt, aber zwiſchen anderm Geraͤuſche oder wenn mehrere zugleich ſprechen, die Worte, die er zwiſchen den uͤbrigen heraus wahrnehmen will, nicht ſo wie bei geſundem Ohre heraushoͤren kann. Daß einige Menſchen, wie Wollaſton bemerkt, die ſehr hohen und ſcharfen Toͤne nicht wahrnehmen, ließe ſich vielleicht daraus, daß nicht jede Membran eine Reſonanz ſo hoher Toͤne giebt, erklaͤren, indem vielleicht auch das Trommelfell, von deſſen Reſonanz doch wohl das Empfinden der Toͤne abhaͤngt, hier Grenzen der Empfaͤnglichkeit darbietet. Woher bei einigen Perſonen die Unfaͤhigkeit ruͤhrt, die Hoͤhe und Tiefe der Toͤne zu unterſcheiden, da ſie doch ſonſt gut hoͤren, iſt ebenfalls unerklaͤrt.

Als eine bekannte Sache darf ich wohl noch erwaͤhnen, daß auch die Knochen des Kopfes zum Hoͤren mitwirken, daher manche Schwerhoͤrige durch einen an den Kopf gehaltenen Stab ſich in Verbindung mit dem Gegenſtande ſetzen, von welchem der Schall ausgeht. Nach E. Weber's ſchoͤner Bemerkung geht hier der Schall nicht durch den Gehoͤrgang, ſondern gelangt auf anderm Wege zu den Gehoͤrnerven; denn wenn man eine toͤnende Stimm - gabel mit dem Stiele auf den Kopf ſetzt, waͤhrend man ein Ohr mit dem Finger verſtopft, ſo hoͤrt man den Ton der Stimmgabel grade mit dieſem Ohre am lauteſten.

Ueber die Richtung, von woher ein Schall koͤmmt, bleiben wir ſehr oft in Ungewißheit. Dieſe Unſicherheit, die durch die viel - faͤltigen, faſt uͤberall vorkommenden Zuruͤckwerfungen des SchallesZ 2356vermehrt wird, macht es dem Bauchredner moͤglich, die Taͤuſchung hervorzubringen, als ob eine andre Perſon rede. Indem er naͤm - lich, ohne den Mund zu oͤffnen, und ohne die Lippen zu bewegen, Worte hervorbringt, fehlt uns das gewoͤhnliche Mittel, uns zu uͤberzeugen, daß dieſe Perſon ſelbſt die redende ſei; und wenn der Bauchredner nun aufmerkſam nach einem beſtimmten Orte hin - blickend, dorthin zu horchen ſcheint, ſo bringt er leicht die Taͤuſchung als ob dort ein andrer rede hervor. Spricht er nun ſogar abwech - ſelnd auf die gewoͤhnliche Weiſe und antwortet mit einem dumpfen, wie aus der Ferne ſchallenden Tone, ſo entſteht die nicht leicht zu beſiegende Taͤuſchung, als ob das Geſpraͤch ſo zwiſchen dem Bauch - redner und einem andern ſtatt finde, wie er es uns will glauben machen. Es ſcheint, daß der Umſtand, daß die hervorgebrachte Stimme nicht ſo beſtimmt von einem Puncte ausgeht, wie bei dem Gebrauch der gewoͤhnlichen Sprach-Organe, jene Wirkung befoͤr - dern hilft.

Das Stimm-Organ.

Die Wirkungs-Art des Stimm-Organes iſt zwar nicht ſo gaͤnzlich dunkel, wie die des Ohres, aber dennoch ſind wir auch daruͤber nicht ganz genau unterrichtet. Daß die Stimme im Kehl - kopfe entſtehe, und daß die Verengerung dieſes Organes, die durch die Vorragung der Stimmbaͤnder bewirkt wird, und die Stimmritze heißt, dabei vorzuͤglich als das eigentliche Inſtrument der Stimme zu betrachten ſei, leidet keinen Zweifel. Man hat dieſes Stimm - Organ mit der Zungenpfeife verglichen, und das Vibriren derjenigen Theile, welche die enge Stimmritze begrenzen, als den Ton beſtim - mend angeſehen. Dieſes Vibriren hat Magendie beobachtet, und dabei wahrgenommen, daß bei Thieren die Stimmritzenbaͤnder ſich an einander anlegten und nicht mehr in ihrer ganzen Laͤnge vi - brirten, wenn ein hoher Ton hervorgebracht wurde. Hiernach ſcheint es allerdings, daß die Einwirkung der Stimmritze als eines Zungen-Inſtrumentes einen weſentlichen Umſtand bei der Beſtim - mung des Tones ausmache.

Gegen dieſe Uebereinſtimmung hat indeß Savart einge - wandt, daß der Klang der menſchlichen Stimme ſich ſo weſentlich von dem der Zungen-Inſtrumente unterſcheide, und vorzuͤglich, daß357 bei den Zungen-Inſtrumenten ein voͤlliges Schließen mit einem Wiederoͤffnen abwechſele, und eine ſolche Abwechſelung hier nicht ſtatt finde. Savart ſucht daher die Behauptung zu beweiſen, daß das Stimm-Organ mehr einer kurzen offenen Pfeife zu ver - gleichen ſei, und zeigt durch Verſuche, daß der Einwurf, welchen man hiegegen aus der Kuͤrze der Roͤhre hergeleitet hat, ſich wider - legen laſſe. Allerdings naͤmlich waͤre es auffallend, wie eine ſo kurze Roͤhre ſo tiefe Toͤne hervorbringen koͤnnte, wenn dieſe Roͤhre von ganz feſten Waͤnden umſchloſſen waͤre; aber wenn man Roͤhren mit elaſtiſchen Waͤnden gebraucht, ſo haͤngt der Ton nicht mehr allein von der Laͤnge der Luftſaͤule ab, ſondern eben die Pfeife mit elaſtiſchen Waͤnden kann viel tiefere Toͤne angeben, als eine Pfeife mit feſten Waͤnden und als der geringen Laͤnge der Luftſaͤule gemaͤß iſt. Aus Savart's Verſuchen geht allerdings dieſer groͤßere Um - fang der Verſchiedenheit der Toͤne hervor, und er zeigt ſogar, daß man aus einem Inſtrumente, das aus elaſtiſchen Waͤnden, aus Pergament oder einer aͤhnlichen Materie, pyramidaliſch gebildet, un - gefehr die wahre Groͤße des Stimm-Organes hat, alle Toͤne erhal - ten koͤnne, deren die menſchliche Stimme faͤhig iſt. Daß dabei auch, wie bei dem Jaͤgerfloͤtchen, wo die Luft ſehr ſchnell durch enge Oeffnungen hervorgetrieben wird, und wie bei dem Floͤten mit den Lippen, die Schnelligkeit der hervorgetriebenen Luft Einfluß haben kann, iſt uͤberdies ſehr glaublich.

Man darf daher wohl annehmen, daß beide Umſtaͤnde einen Einfluß auf die Beſtimmung des Tones haben, und ebenſo gut der uͤbrige Theil des Stimm-Organs, als die Raͤnder der Stimmritze darauf einwirken.

Dieſe Beſtimmungen betreffen aber nur den Ton, nicht die Hervorbringung articulirter Laute, welche durch die Anordnung und Bewegung von Zunge, Lippen u. ſ. w. auf eine nicht ſo leicht zu eroͤrternde Weiſe hervorgehen.

Die Unterſuchungen, die man uͤber die Mitwirkung jedes ein - zelnen Theiles der Sprach-Organe zum Ausprechen einzelner Buch - ſtaben u. ſ. w. angeſtellt hat, gewaͤhren den Vortheil, bei fehlerhaf - ten Sprach-Organen, der Anlage zum Stottern, bei der Schwie - rigkeit, die jemand findet, um gewiſſe Buchſtaben auszuſprechen,358 Regeln zu geben, wie man dieſen Unvollkommenheiten abhelfen kann.

In dieſen hier zuletzt erwaͤhnten Gegenſtaͤnden ſehen Sie Be - weiſe, wie viel noch den Forſchungen kuͤnftiger Zeiten vorbehal - ten iſt, und wie ſehr wir, bei ſo vielſeitig erweiterter Kenntniß der Natur, dennoch zu dem Bekenntniſſe gezwungen werden, daß ſelbſt die wichtigſten und uns am naͤchſten liegenden Erſcheinungen noch lange nicht ganz erklaͤrt ſind, und daß die Natur Reichthum genug beſitzt, um dem Scharfſinne kuͤnftiger Zeiten vielſeitige Beſchaͤfti - gung darzubieten.

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About this transcription

TextVorlesungen über die Naturlehre
Author Heinrich Wilhelm Brandes
Extent393 images; 125486 tokens; 11665 types; 863622 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationVorlesungen über die Naturlehre zur Belehrung derer, denen es an mathematischen Vorkenntnissen fehlt Erster Theil Heinrich Wilhelm Brandes. . XV, 385 S. GöschenLeipzig1830.

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ClassificationFachtext; Physik; Gebrauchsliteratur; Populärwissenschaft; Wissenschaft; Physik; core; ready; mts

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