PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Vorleſungen uͤber die Naturlehre zur Belehrung derer, denen es an mathematiſchen Vorkenntniſſen fehlt.
Zweiter Theil.
Mit 4 Kupfern.
Leipzig,1831. beiGeorg Joachim Goͤſchen.
[II][III]

Vorrede.

Nur wenige Worte habe ich dieſem zweiten Theile voranzuſchicken, da ich den Zweck und Plan der Vor - leſungen ſchon im erſten Theile angegeben habe, und dieſer, nach den mir bekannt gewordenen Beurtheilun - gen, mit Billigung aufgenommen iſt. Aber ganz ohne Vorrede kann ich dieſen zweiten Theil nicht laſſen, da es wohl einer Entſchuldigung bedarf, daß derſelbe die Lehre von der Waͤrme noch nicht mit enthaͤlt. Aller - dings war es meine Abſicht, ſie hier mit zu liefern; aber da die Verlagshandlung das baldige Erſcheinen dieſes zweiten Theiles wuͤnſchte, und ich mich der Ge - fahr zu uͤbereilt zu arbeiten ausſetzte, wenn ich auch dieſen Gegenſtand noch haͤtte abhandeln wollen, ſo hielt ich es fuͤr angemeſſener, die Waͤrmelehre fuͤr den drit - ten Theil zuruͤckzulaſſen, welcher dann freilich die bei - den erſten an Umfang uͤbertreffen und die hier nicht ganz erreichte Bogenzahl reichlich ausgleichen wird. Daß ich die Lehre vom Lichte etwas ausfuͤhrlich dar -IV geſtellt habe, bedarf bei der Wichtigkeit dieſer Lehre wohl keiner Entſchuldigung; ich hoffe auch die uͤbrigen Lehren, ohne den Umfang des Buches zu ſehr zu ver - groͤßern, mit gleicher Vollſtaͤndigkeit vortragen zu koͤnnen.

Leipzig, am 1. Maͤrz 1831.

H. W. Brandes.

V

Inhalt.

Erſte Vorleſung. Wirkungen der Anziehungskraft in die Ferne und bei der Beruͤhrung. Haarroͤhrchen. Laplace 's Theorie, ange - wandt auf einzelne Erſcheinungen. Vera's Waſſerhebungsmaſchine. Rotation eines Uhrglaſes.

Zweite Vorleſung. Adhaͤſion fluͤſſiger Koͤrper an feſte; Bewe - gungen, die daraus entſtehen. Brown's Beobachtungen. Ab - ſorption der Luft durch feſte und fluͤſſige Koͤrper. Chemiſche Anzie - hung. Wahlverwandtſchaft. Cryſtalliſation.

Dritte Vorleſung. Eigenſchaften einiger einfacher Stoffe. Zuſam - menſetzung der Koͤrper nach feſten Proportionen.

Vierte Vorleſung. Das Licht. Gradlinige Fortpflanzung des Lichtes. Schatten. Perſpective. Sehewinkel. Bilder der Gegen - ſtaͤnde im dunkeln Zimmer. Geſchwindigkeit des Lichtes. Photo - metrie.

Fuͤnfte Vorleſung. Zuruͤckwerfung zerſtreuten Lichtes. Spiegel. Der Cryſtallwinkelmeſſer. Spiegelſextant. Heliotrop. Hohlſpiegel. Kugelſpiegel. Cylinderſpiegel. Kegelſpiegel.

Sechſte Vorleſung. Refraction. Prisma. Beſtimmung des Bre - chungsverhaͤltniſſes. Vollkommene Zuruͤckwerfung, die ſtatt der Bre - chung eintritt.

VI

Siebente Vorleſung. Linſenglaͤſer. Grad der Weiße. Das Auge. Ueber das Einfachſehen mit zwei Augen, uͤber das Schielen, uͤber das umgekehrte Bild im Auge. Brillen. Microſcope. Spiegelmicroſcop. Sonnenmicroſcop.

Achte Vorleſung. Fernroͤhre. Lichtſtaͤrke. Raum durchdringende Kraft. Micrometer. Strahlenbrechung in der Luft; wunderbare Erſcheinungen durch dieſelbe. Funkeln der Sterne.

Neunte Vorleſung. Ungleiche Brechbarkeit der Farbenſtrahlen. Newton's Theorie der Farben. Weiß. Ergaͤnzungsfarben. Pris - matiſches Sonnenbild. Dunkle Linien in demſelben. Genaue Beſtim - mungen fuͤr die Brechung. Erſcheinungen im Prisma. Camera lu - cida. Achromatiſche Linſenglaͤſer.

Zehnte Vorleſung. Theorie des Regenbogens und der Neben - ſonnen.

Elfte Vorleſung. Farben undurchſichtiger Koͤrper. Farben durch - ſichtiger Koͤrper. Das Blau des Himmels und die Abendroͤthe. Daͤmmerung. Subjective Farben-Erſcheinungen. Farbige Schatten.

Zwoͤlfte Vorleſung. Die Emiſſionstheorie.

Dreizehnte Vorleſung. Die Undulationstheorie. Schwierig - keit, die ſchon hier beide Theorien darbieten.

Vierzehnte Vorleſung. Ueber die Farben duͤnner Blaͤttchen. Newton's Farbenringe. Ausrechnung der entſtehenden Farbenmi - ſchungen. Seifenblaſen. Anwandelungen des leichtern Durchgangs und der leichtern Zuruͤckwerfung. Beſtimmung der Wellenlaͤnge fuͤr jeden Farbenſtrahl. Ueber die natuͤrlichen Farben der Koͤrper.

Funfzehnte Vorleſung. Fortpflanzung der Aetherwellen uͤber die Schattengrenze hinaus. Beugung des Lichts. Verſuche im freien Lichte, und im dunkeln Zimmer. Erklaͤrung der Beugungs-Erſchei - nungen durch die Undulationstheorie. Mittel, um dieſe Erſcheinun - gen leicht zu beobachten. Interferenz-Erſcheinungen beim Durchgange der Strahlen durch Gitter. Hoͤfe um Sonne, Mond und den eigenen Schatten. Erſcheinung am Regenbogen. Farben durch Zuruͤckwer - fung. Fresnel's Verſuch uͤber die Interferenzen.

VII

Sechzehnte Vorleſung. Doppelte Brechung. Betrachtung der verſchiedenen Faͤlle bei Cryſtallen mit einer Axe. Brechung durch zwei Cryſtalle und Reflexion von der Hinterſeite. Cryſtalle mit zwei Axen. Geometriſche Verſchiedenheit der einfach und doppelt brechen - den Cryſtalle. Ungleiche Ausdehnung durch die Waͤrme. Theoretiſche Erklaͤrungen nach der Emiſſions - und nach der Undulationstheorie.

Siebenzehnte Vorleſung. Polariſation des Lichtes bei der Zu - ruͤckwerfung von Spiegeln. Faͤlle, wo der Spiegel kein Licht zuruͤck - wirft. Beſtimmung des Polariſationswinkels. Brechungsverhaͤltniß fuͤr undurchſichtige Koͤrper. Faͤlle, wo alles Licht durchgelaſſen wird. Vergleichung mit der Polariſirung durch doppelte Brechung. Biot's Erklaͤrung. Polariſirung im Turmalin. Fresnel's und Cau - chy's Theorie.

Achtzehnte Vorleſung. Farben-Erſcheinungen in duͤnnen Gyps - Blaͤttchen, ſowohl bei der Zuruͤckwerfung des polariſirten Strahles als beim Durchgange durch den Doppelſpath. Verſchiedenheit der Farben nach Maaßgabe der Dicke. Bewegliche Polariſation. Oſcil - lation der Lichttheilchen. Farben zweier Blaͤtter mit gekreuzten Axen. Fresnel's Erklaͤrung aus den Interferenzen. Farbenringe in Cry - ſtallen und in ſchnell gekuͤhlten Glasplatten. Polariſirte Strahlen im Blau des Himmels. Farbenvergleichung.

Neunzehnte Vorleſung. Licht-Erzeugung beim Verbrennen. Phosphoreſcenz durch Erwaͤrmung, durch Beſtrahlung. Phospho - reſcenz lebender Thiere, der Theile todter Thiere und der Pflanzen. Phosphoreſcenz durch Reiben, Zuſammendruͤckung u. ſ. w. Chemiſche Wirkungen des Lichtes.

[1]

Erſte Vorleſung.

Indem ich, m. h. H. heute zu einem neuen Abſchnitte der Unter - ſuchungen uͤber die Erſcheinungen in der Natur uͤbergehe, finde ich mich veranlaßt, Sie zuerſt an Betrachtungen zu erinnern, die uns ſchon zu andrer Zeit beſchaͤftigt haben.

Schon bei den erſten Unterſuchungen, die wir uͤber die we - ſentlichen Eigenſchaften der Koͤrper anſtellten, wurden wir auf die Betrachtung einer anziehenden Kraft geleitet, welche in jedem Theil - chen der Materie wirkſam iſt, durch welche dieſe Theilchen zuſam - mengehalten werden, und oft mit ſolcher Gewalt zuſammengehal - ten werden, daß ſie den zu ihrer Trennung wirkſamen Kraͤften mit großer Staͤrke widerſtehen, und uns gewiſſe Koͤrper als ſehr feſt, als ſchwer zerbrechlich, als hart, kennen lehren. Dieſe anziehende Kraft der Materie fanden wir nachher auch da wieder, wo große Maſſen auf entfernte Koͤrper einwirken, und das Fallen der Koͤrper gegen die Erde zu, der Kreislauf der Planeten um die Sonne und mehrere aͤhnliche Erſcheinungen zeigten uns die Geſetze, nach welchen dieſe Anziehungskraft auch in groͤßere Fernen hinaus wirkt. Eben dieſe anziehende Kraft, dieſe Attractionskraft, zeigt ſich uns aber auch in einer Reihe anderer Erſcheinungen, und ſie iſt es, die freilich auf eine ſchwer zu ergruͤndende Weiſe die Verbindungen und Trennungen der Koͤrper bewirkt, mit welchen die Chemie ſich beſchaͤftiget.

Um die Wirkungs-Art der anziehenden Kraͤfte da, wo ſie bei inniger Beruͤhrung der Theilchen auf einander wirkſam ſind, etwas deutlicher zu uͤberſehen, wird es zweckmaͤßig ſein, von den Erſchei -II. A2nungen, die dem Gebiete der Mechanik am naͤchſten liegen, anzu - fangen, und nach und nach zu denen uͤberzugehen, wo ſich uns endlich nicht mehr eine Bewegung der Koͤrper oder ihrer Theilchen, ſondern eine Veraͤnderung der Natur der Koͤrper ſelbſt zeigt.

Wirkungen der Anziehungskraft feſter Koͤrper.

So lange die Koͤrpertheilchen nicht in unmittelbarer Beruͤh - rung ſind, ſcheint, bei geringen wie bei großen Entfernungen, die Kraft der Anziehung ſo abzunehmen, wie die Quadrate der Ent - fernung zunehmen, und obgleich die geringe Einwirkung kleiner Maſſen keine bis auf das Aeußerſte genaue Verſuche geſtattet, ſo ſcheinen doch Cavendiſhs Verſuche dieſes Geſetz zu beſtaͤtigen. Dieſe Verſuche wurden ſo angeſtellt, daß man an einem langen und zarten Faden einen leichten, an beiden Enden mit Kugeln be - ſchwerten Waagebalken aufhaͤngte, und dieſen durch nahe gebrachte, ziemlich große Bleimaſſen aus ſeiner Ruhelage zu entfernen ſuchte. Ein ſolcher Faden ſetzt der Drehung ſo wenig Kraft entgegen, daß bei Cavendiſhs Verſuchen ſchon eine Kraft, die nur ein Funf - zigſtel vom Milliontel der Schwerkraft betraͤgt, eine Ablenkung her - vorbringen konnte, und daher die durch die Attraction der Blei - maſſen auf die Kugeln am Waagebalken hervorgebrachte Einwir - kung eine Aenderung der Stellung und eine Oſcillation des Waa - gebalkens zur Folge hatte. Die Verſuche, die bei der ungemeinen Empfindlichkeit der Drehwaage (denn ſo nennt man das In - ſtrument), durch die geringſten fremden Einwirkungen geſtoͤrt und unſicher gemacht werden koͤnnen, verdienten wohl mit der von Ca - vendiſh angewandten großen Vorſicht wiederholt, und bei un - gleichen Abſtaͤnden der Bleimaſſen mehrmals angeſtellt zu werden, damit die Frage, ob auch bei ſehr geringen Abſtaͤnden noch jenes Hauptgeſetz der Attractionen gelte, moͤglichſt ſtrenge entſchieden werde. Cavendiſhs Verſuche haben wenigſtens gezeigt, daß dieſe Anziehung merklich genug iſt, um bei einer ſo feinen Abmeſ - ſung noch mit ziemlich viel Genauigkeit beſtimmt zu werden*)Gehlers phyſ. Woͤrterb. 3 Th. S. 950..

Eine andre Reihe von Verſuchen, welche die Anziehung feſter Koͤrper gegen einander und auf fluͤſſige Koͤrper zu zeigen ſcheinen,3 hat kuͤrzlich Girard bekannt gemacht*)Poggend. Ann. d. Phyſ. V. 41.. Es iſt bekannt genug, daß fein zertheilter Thon ſehr lange im Waſſer ſchwebend bleibt und ſich ſehr langſam zu Boden ſetzt; wenn man nun in dieſes ge - truͤbte Waſſer ein Araͤvmeter, um das ſpecifiſche Gewicht des fluͤſſi - gen Koͤrpers abzumeſſen, bringt, ſo ſollte dieſes ſpecifiſche Gewicht des Gemenges nur ſo groß ſein, als es den Beſtandtheilen des Ge - menges gemaͤß iſt; aber Girard behauptet, daß man das ſpe - cifiſche Gewicht groͤßer faͤnde, und erklaͤrt dies aus der groͤßern Dichtigkeit, welche die von den Thontheilchen angezogenen, dieſe zunaͤchſt umgebenden Waſſertheilchen annehmen. Das Waſſer wird nach ſeiner Anſicht dichter in der Naͤhe jedes Thonſtaͤubchens, und wenn dieſe Staͤubchen nahe genug an einander, zahlreich genug, da ſind, ſo zeigt ſich uns nun das Waſſer im Ganzen dichter, als es ohne dies ſein wuͤrde. Schmidt hat indeß aus eigenen Ver - ſuchen gezeigt, daß dieſe angebliche Verdichtung ſich in ſeinen Ver - ſuchen nicht wahrnehmen ließ**)G. G. Schmidts Lehrbuch. (Gieſſen 1826.) S. 278., und es iſt alſo nur Girards zweite Reihe von Verſuchen noch als einen Beweis fuͤr die Anzie - hung gebend anzuſehen. Dieſe zweiten Verſuche wurden mit Glas - flaͤchen, die an Faͤden von 80 Linien lang pendelartig aufgehaͤngt waren, angeſtellt, und es wurde die Zeit ihrer Schwingungen be - obachtet, wenn die eine Glasflaͤche der andern ſehr nahe gebracht war. Um dieſe Verſuche ganz zu uͤberſehen, ſtellen Sie ſich (Fig. 1.) zwei ebne Glasplatten AB, CD vor, die man im Waſſer einander ſehr nahe bringen kann. Sie ſind an den Faͤden AE, CF ſo aufgehaͤngt, daß ſie Pendelſchwingungen machen koͤnnen, ſobald man die 80 Linien entfernten Enden E, F, nach e oder f ver - ſchiebt, und dann die Platten, welche man bis dahin in ihrer Lage feſtgehalten hat, frei laͤßt. Damit die Wirkung der Schwere hier geringe ſei und die Pendelbewegung langſam genug, um gut be - obachtet zu werden, ſtatt finde, werden die Glasplatten mit Kork - ſtuͤcken verbunden, wodurch ſie ein nur ſehr wenig groͤßeres ſpecifi - ſches Gewicht als das Waſſer behalten; und bei dieſer geringen Einwirkung der Schwere werden nun, behauptet Girard, die Einwirkungen der einen Glasplatte auf die andre merklich. ManA 24bringt naͤmlich die beiden Glasplatten einander ſo nahe, daß nur noch ein duͤnner Silberfaden zwiſchen ihnen Platz hat, ſchraubt, waͤhrend die Glasplatten noch in ihrer Entfernung erhalten werden, (Fig. 2. ) F nach f, zum Beiſpiel in einem der Verſuche Lin. (ein Centimeter) weit, laͤßt dann die Platte CD frei und beobach - tet die Zeit ihres erſten Pendelſchwunges. Statt nun daß dieſe erſte Schwingung 91 Secunden gebrauchte, wenn der Silberfaden die Platten in Linie Entfernung erhalten hatte, ſo betrug die Zeit 217 Secunden, wenn dieſe Entfernung nur $$\frac{7}{100}$$ Linie gewe - ſen war, und 440 Secunden, wenn die Entfernung nur $$\frac{1}{40}$$ Linie betragen hatte. Stellen Sie ſich naͤmlich in Fig. 2. dieſe kleinen Bewegungen ſtark vergroͤßert vor, ſo iſt in dem Augenblicke, wo die Platte CD ihre Bewegung anfaͤngt, der Faden Cf ſeitwaͤrts abgelenkt; die Platte CD ſollte alſo, weil ſie doch um etwas we - niges ſpecifiſch ſchwerer als Waſſer iſt, eine langſame Pendelbewe - gung anfangen; aber die anziehende Kraft der Platte AB und des zwiſchen beiden durch die ausgeuͤbte Anziehung verdichteten Waſſers haͤlt CD zuruͤck, bewirkt alſo, daß die Zeit der erſten Oſcillation laͤnger wird. Nach Girards Beſchreibung bemerkt man dieſe zuruͤckgehaltene Bewegung auch an der Art, wie die Bewegung erſt nach ſehr langer Zeit merklich wird. War ein ſo ſehr duͤnner Sil - berdrath von $$\frac{1}{20}$$ oder $$\frac{1}{40}$$ Linie dick zwiſchen die Platten gelegt, ſo ſchien die frei gelaſſene Platte ſich anfangs gar nicht zu bewegen, aber nach einer erheblichen Zeit ſah man doch, daß waͤhrend dieſer hoͤchſt langſamen Fortruͤckung der Abſtand zugenommen hatte, und daß die noch immer durch die andre Platte zuruͤckgezogene Platte allmaͤhlig ſchneller fortruͤckte. Erſt wenn der Abſtand ungefehr 1 Linie wird, ſcheint die Platte ſich der anziehenden Kraft der andern zu entreißen und nimmt eine ſchnellere Bewegung an.

Dieſe Beobachtungen gehoͤren wohl unſtreitig zu den feinſten, die man anſtellen kann, offenbar ſind ſie, eben dieſer Feinheit wegen, auch manchen Irrthuͤmern unterworfen; aber da Girard als ein genauer und zuverlaͤſſiger Beobachter angeſehen wird, ſo darf man doch wohl einiges Vertrauen auf dieſe Behauptungen ſetzen, und daher annehmen, daß die Anziehungskraft theils der Platten auf einander, theils noch mehr der Platten auf das Waſſer, welches dadurch in einen etwas verdichteten Zuſtand verſetzt zu5 werden ſcheint, erheblich genug iſt, um der hier aͤußerſt geringen Einwirkung der Schwere zu widerſtehen.

Cohaͤſion, vermehrt durch zwiſchenliegende fluͤſſige Koͤrper.

Es ſcheint aus dieſem veraͤnderten Zuſtande der Koͤrper durch die Anziehung auch das feſte Anhaͤngen erklaͤrt zu werden, welches bei feſten Koͤrpern durch eine duͤnne Schichte Fett oder ſelbſt durch eine duͤnne Schichte eines fluͤſſigen Koͤrpers bewirkt wird. Es iſt bekannt, daß zwei recht ebengeſchliffene Metallplatten, aneinander gedruͤckt, ſchon trocken mit einiger Kraft zuſammenhaͤngen, daß aber dieſer Zuſammenhang ſehr vermehrt wird, wenn man eine ſehr duͤnne Schichte Oel zwiſchen ſie bringt. Wir ſind gewohnt, den Oeltheilen, als Theilchen eines fluͤſſigen Koͤrpers, nur einen ſehr geringen Zuſammenhang zuzuſchreiben, und dennoch trennen ſie ſich in dieſem Falle nicht ſo leicht; hier alſo muß wohl, unter der Ein - wirkung der einander ſo ſehr nahen feſten Oberflaͤchen, ſich die Natur des fluͤſſigen Koͤrpers veraͤndert haben und dieſer dem Aus - einanderreißen dadurch mehr Widerſtand entgegenſetzen. Aus aͤhn - lichen Ueberlegungen mag ſich auch das feſte Anhaften der Moͤrtel - Arten, des Kittes und ſo weiter erklaͤren laſſen, die eine ſo feſte Verbindung fuͤr gewiſſe Koͤrper bewirken, daß ſie eher in der Mitte ihrer eignen Maſſe zerreißen, als von dem Koͤrper, an welchem ſie anhaften, ſich trennen. Kalk, der ohne Zuſatz von Sand trocken geworden iſt, erlangt keine erhebliche Feſtigkeit; aber die genaue Miſchung mit Sand giebt ihm die Eigenſchaft eines ſo feſten Ver - bindungsmittels; es muß alſo die Einwirkung der Sandkoͤrner auf die zwiſchen liegende, ſehr duͤnne Kalkſchichte dieſen Kalktheilchen die Eigenſchaft, feſter zuſammenzuhaͤngen, ertheilt haben.

Es laͤßt ſich hieraus einigermaaßen uͤberſehen, wie die Ver - ſchiedenartigkeit der Koͤrper Urſache iſt, daß gewiſſe Leim-Arten, Kitte und andere Verbindungsmittel zwar dienen, einige feſte Koͤr - per feſt zu verbinden, andre aber nicht; denn es iſt gewiß, wie wir ſogleich ſehen werden, daß die hier in Betrachtung kommende Anziehung in den allerkleinſten Entfernungen ſehr verſchieden iſt nach der ungleichen Natur der Koͤrper.

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Dieſer wichtige Einfluß, den theils ſchon eine ungleiche Glaͤtte der Oberflaͤche, ganz vorzuͤglich aber die ungleiche innere Beſchaffen - heit der feſten Koͤrper zeigt, wird am deutlichſten ſichtbar bei der Beruͤhrung feſter und fluͤſſiger Koͤrper. Es iſt bekannt, daß gewiſſe Koͤrper vom Waſſer nicht naß werden, ſondern daß das Waſſer ſich von ihnen zuruͤckzieht, und wo es etwa nicht ganz ſich von der Ober - flaͤche entfernen kann, ſich in Tropfen zuſammenzieht, ſtatt daß andre Koͤrper benetzt, mit einer Waſſerſchichte uͤberzogen, aus dem Waſſer hervorgehn. Wenn eine duͤnne Waſſerſchichte auf einer ho - rizontalen Oberflaͤche eines fetten Koͤrpers angebracht wird, ſo zieht ſie ſich in Tropfen zuſammen, und wir ſehen hier deutlich, daß die fette Oberflaͤche das Waſſer wenig anzieht, daß dagegen die irgend - wo etwas mehr angehaͤuften oder zufaͤllig etwas mehr feſtgehaltenen Waſſertheilchen die umgebenden Waſſertheilchen heran ziehen und ſo die groͤßeren Tropfen bilden. Da hingegen, wo eine Befeuch - tung der Oberflaͤche ſtatt findet, halten dieſe Oberflaͤchen die Fluͤſ - ſigkeit mit bedeutender Gewalt feſt, und dieſe Kraft laͤßt ſich in mehreren merkwuͤrdigen Erſcheinungen nachweiſen.

Erſcheinungen in den Haarroͤhrchen.

Eine der auffallendſten dieſer Erſcheinungen iſt das Aufſteigen der Fluͤſſigkeiten in Haarroͤhrchen. Es iſt bekannt, daß wir in einer befeuchteten Feder die Dinte uͤber die Oberflaͤche im Gefaͤße heraufſteigen ſehen, daß in einer Reißfeder, deren Seitenflaͤchen einander nahe ſind, die Fluͤſſigkeit, in welche wir ſie eintauchen, hinauftritt; daß im Loͤſchpapier die Befeuchtung, indem wir es in Waſſer tauchen, viel hoͤher als die Oberflaͤche geht; und das, was wir hier oft ſehen, zeigt ſich uns noch genauer in engen Glasroͤhren, die wir in Waſſer, Alcohol und andre Fluͤſſigkeiten eintauchen. Dieſe Roͤhren, die man ihres engen Durchmeſſers wegen Haar - roͤhrchen nennt, fuͤllen ſich, wenn ſie etwas befeuchtet in ſolche Fluͤſſigkeiten eingetaucht werden, bis uͤber die umgebende Ober - flaͤche des Fluͤſſigen mit dieſem an, und zeigen uns dadurch, daß die Roͤhrenwaͤnde eine groͤßere Anziehungskraft auf die Fluͤſſigkeit ausuͤben, als die Theilchen des Fluͤſſigen unter ſich, indem nur durch dieſe Anziehungskraft jenes den Geſetzen der Hydroſtatik an - ſcheinend widerſprechende Hinaufſteigen erklaͤrlich iſt. Dieſes Hin -7 aufſteigen findet gewoͤhnlich bei voͤlliger Trockenheit der Waͤnde der Roͤhre nicht ſtatt, weil die Luft ſo feſt an den Waͤnden anhaͤngt, daß ſie erſt mit einiger Gewalt weggetrieben werden muß; hat ſie aber einmal ihren Platz dem Fluͤſſigen eingeraͤumt, ſo uͤbt nun die Wand ihre ganze Anziehungskraft auf den fluͤſſigen Koͤrper aus.

Dieſe Anziehungskraft, die man in der Anwendung auf dieſes Phaͤnomen Haarroͤhrchenkraft, Capillar-Anziehung, genannt hat, aͤußert ſich nur in den allerkleinſten Entfernungen, denn ein Fett-Ueberzug von der geringſten Dicke hindert jene Einwirkung der Oberflaͤche, die alſo in hoͤchſt enge Grenzen muß eingeſchloſſen ſein. Aber wie geringe auch die Entfernung ſein mag, bis zu wel - cher die Wirkſamkeit dieſer Kraft merklich iſt; ſo erhellt doch, daß (Fig. 3.) die an der Muͤndung a der Roͤhre ab liegenden Waſſer - theilchen von der Roͤhrenwand hinauf, von der unteren Waſſermaſſe hinabwaͤrts gezogen werden, daß dadurch, indem der Zug hinauf groͤßer iſt als der Zug herab, dieſe zunaͤchſt an a liegenden Theilchen nicht mit ihrem vollen Gewichte herabwaͤrts druͤcken, alſo dem von der freien Waſſermaſſe her entgegen wirkenden Drucke nicht das Gleichgewicht halten koͤnnen, ſondern zu einigem Steigen des Waſ - ſers in der Roͤhre, wodurch die Gleichheit des von innen her wir - kenden Druckes und des aͤußern Druckes hergeſtellt wird, Veran - laſſung geben. Dieſes Steigen des Waſſers uͤber die Oberflaͤche des umgebenden Fluͤſſigen iſt am ſtaͤrkſten im Innern der Roͤhre, weil hier die Theile der Wand, indem jeder zum Heben einer und derſelben Waſſerſaͤule beitraͤgt, ſich einander unterſtuͤtzen; aber in einigem Grade ſehen wir dieſe Hebung der Oberflaͤche des Fluͤſſigen auch an der aͤußeren Wand der Roͤhre, ja an jeder Wand, die eine Befeuchtung des Fluͤſſigen angenommen hat, und der Grund, warum ſie hier ſehr geringe iſt und ſchon in einer geringen Entfer - nung von der Wand ſich in die Horizontal-Ebne der uͤbrigen Ober - flaͤche verlaͤuft, iſt leicht einzuſehen.

Die Hoͤhe, bis zu welcher ſich in derſelben Roͤhre verſchieden - artige Fluͤſſigkeiten erheben, iſt ſehr ungleich, und richtet ſich nicht nach den ſpecifiſchen Gewichten der Fluͤſſigkeiten, ſondern nach der eigenthuͤmlichen Verſchiedenheit der anziehenden Kraft, die auf den fluͤſſigen Koͤrper ausgeuͤbt wird, oder nach dem Unterſchiede der an - ziehenden Kraͤfte, welche die Theilchen des Fluͤſſigen unter ſich und8 welche die Theilchen der Wand auf den fluͤſſigen Koͤrper ausuͤben. So ſteigt, nach Schmidts Verſuchen*)G. G. Schmidt Lehrbuch. S. 267. Gilb. Ann. XXXIII. 97. in Glasroͤhren von 1 Lin. weit, Waſſer 4,68 Linien, Weingeiſt 2,13 Linien, Schwefel - Aether 1,77 Linien, alſo die letztern, leichteren Fluͤſſigkeiten weni - ger hoch als Waſſer; und wenn gleich die Maaße der Hoͤhen nicht bei allen Verſuchen und bei allen Glas-Arten ganz genau gleich gefunden werden, ſo findet man doch dieſe ſo ſehr bedeutende Un - gleichheit fuͤr verſchiedene Fluͤſſigkeiten immer deutlich beſtaͤtiget. Und ſo wie hier bei einerlei Materie der Roͤhre die Hoͤhen der ver - ſchiedenen Fluͤſſigkeiten ungleich ſind, ſo ſind dieſe es auch, wenn man ungleichartige, aber gleich weite Roͤhren in einerlei Fluͤſſigkeit eintaucht.

Wenn man gleichartige Haarroͤhrchen von verſchiedenem Durch - meſſer in einerlei Fluͤſſigkeit eintaucht, ſo ſteigt dieſe in den engeren Haarroͤhrchen hoͤher, und zwar ſo, daß die Hoͤhe doppelt ſo groß iſt in der halb ſo weiten, dreimal ſo groß iſt in der ein Drittel ſo weiten Roͤhre und ſo ferner. Der Grund hievon laͤßt ſich ſo uͤber - ſehen. Da es nur der Umfang der Roͤhre iſt, welcher an der Muͤn - dung der Roͤhre in a das Heben bewirkt, ſo ſteigt freilich dieſe he - bende Kraft auf das Doppelte, wenn der Durchmeſſer der Roͤhre und folglich ihr Umfang doppelt ſo groß iſt; aber wenn unter dieſen Umſtaͤnden eine gleich hohe Saͤule gehoben wuͤrde, ſo woͤge dieſe bei doppeltem Durchmeſſer viermal ſo viel**)Weil ein Kreis von doppeltem Durchmeſſer viermal ſo viel Flaͤche hat., und es laͤßt ſich daher leicht erachten, daß jene doppelt ſo große Kraft nur eine halb ſo hohe (dabei dennoch das doppelte Gewicht beſitzende) Saͤule hebt. Dieſes Geſetz findet ſich mit großer Genauigkeit in den Verſuchen beſtaͤtigt.

Wenn man, ſtatt das Waſſer in einer cylindriſchen Roͤhre aufſteigen zu laſſen, zwei ebne Platten parallel und vertical ein - taucht, ſo ſteigt es zwiſchen dieſen nur halb ſo hoch als in einer cy - lindriſchen Roͤhre, deren Durchmeſſer dem Abſtande der beiden pa - rallelen Platten gleich iſt. Daß es niedriger ſtehen muß zwiſchen den parallelen Platten iſt offenbar, da ein Heben der Saͤule durch9 die rund um gehende Begrenzung in der Roͤhre, dagegen nur durch die Begrenzung an zwei Seiten zwiſchen den Platten ſtatt findet. Aber auch daß die eine Hoͤhe die genaue Haͤlfte der andern iſt, laͤßt ſich zeigen. Wenn die Platten 1 Lin. von einander ent - fernt ſind, und wir unſre Aufmerkſamkeit auf einen Theil = 1 Lin. lang richten, ſo tragen hier zwei Waͤnde, die zuſammen 2 Lin. in der Richtung des Umfanges oder des Horizontes lang ſind, eine Saͤule von 1 Quadratlinie Querſchnitt; der Kreis-Umfang iſt bei 1 Lin. Durchmeſſer 3,14 Linien und ſein Inhalt 3,14 Viertel - Quadratlinien. Die hebende Kraft iſt alſo reichlich mal (genau $$\frac{3,14}{2}$$ = 1,57 mal) ſo groß im letzten Falle als im erſten, alſo muß auch das getragene Gewicht reichlich mal (genau 1,57 mal) ſo groß ſein, und wenn jener Plattentheil eine Waſſerſaͤule von 2 Li - nien Hoͤhe, das iſt 2 Cubiclinien trug, ſo muß die cylindriſche Roͤhre 1,57 mal 2 Cubiclinien, das iſt 3,14 mal 2 halbe Cubicli - nien oder 3,14 mal 4 Viertel-Cubiclinien tragen, das iſt eine Hoͤhe von 4 Linien, weil der Querſchnitt der Saͤule 3,14 Viertel-Qua - dratlinien betrug.

Auch zwiſchen parallelen Platten alſo ſinkt die Fluͤſſigkeit auf die halbe Hoͤhe herab, wenn man jene doppelt ſo weit aus einander ruͤckt, auf ein Drittel der Hoͤhe, wenn man ſie dreimal ſo weit aus einander ruͤckt, und ſo weiter; und dieſes kann man ſehr be - quem ſichtbar machen, wenn man die verticalen Ebnen nicht mehr parallel, ſondern ſo aufſtellt, daß ſie ſich an der einen Seite HI beruͤhren, an der andern einen erheblichen Zwiſchenraum laſſen. Alsdann naͤmlich nimmt die Oberflaͤche (Fig. 4.) die Geſtalt ABCF an, wo die Hoͤhen BD, CE, FG, im umgekehrten Verhaͤltniß des Abſtandes von der Seite HI ſind, in welcher beide Flaͤchen ſich einander beruͤhren.

Laplace's Theorie der Erſcheinungen in Haarroͤhrchen.

Gegen die Erklaͤrung dieſer Erſcheinungen, nach welcher ſie als Folge der anziehenden Kraft der Roͤhrenwand anzuſehen ſind, von der wir doch behaupten, daß ſie nur bis zu hoͤchſt kleinen Ab - ſtaͤnden merklich ſei, ſcheint ein Einwurf ſo fern ſtatt zu finden, als man zweifeln koͤnnte, ob eine in ſo enge Grenzen eingeſchloſſene10 Kraft bis in die Mitte des Haarroͤhrchens wirken und dort die Fluͤſ - ſigkeit gehoben erhalten koͤnne. Indeß iſt dieſer Einwurf offenbar leicht zu widerlegen, indem es von ſelbſt erhellt, daß die Roͤhren - wand nur eine ſehr duͤnne Schichte, die mit ihr in unmittelbarer Beruͤhrung iſt, erhaͤlt, dieſe Schichte ſelbſt aber traͤgt die zunaͤchſt anliegende Schichte, dieſe die abermals weiter nach dem Innern liegende u. ſ. w. So bilden ſich Saͤulen, die die ganze Roͤhre fuͤllen, jede naͤher gegen den Mittelpunct zu liegende immer um etwas Geringes niedriger, als die der Wand naͤher liegende, und die Oberflaͤche des Fluͤſſigen in der Roͤhre bildet eine Hoͤhlung, eine Concavitaͤt, deren Entſtehung wohl aus dieſen Bemerkungen deutlich wird. Aber dieſe Form der Oberflaͤche hat durch Laplace's theore - tiſche Unterſuchungen uͤber dieſen Gegenſtand noch eine neue Wich - tigkeit erlangt, indem Laplace's Unterſuchung zeigt, daß die Anzie - hungskraft der oberſten Schichte in der Roͤhre das Gleichgewicht der einmal gehobenen Saͤule erhaͤlt; und da ich die Hoffnung hege, daß eine etwas naͤhere Einſicht in die ſcharfſinnigen Schluͤſſe, auf denen Laplace's Theorie beruht, auch Ihnen angenehm ſein wird, ſo werde ich verſuchen, in populaͤrer Darſtellung Ihnen etwas von dem anzugeben, was den mathematiſchen Rechnungen Laplace's zum Grunde liegt.

Wir denken uns alſo jetzt die gehobene Fluͤſſigkeit, ohne noch zu fragen, woher dieſe Geſtalt der Oberflaͤche entſtehe, als begrenzt an der obern Seite durch die gekruͤmmte Oberflaͤche ACB, (Fig. 5.) die wir als eine Kugelflaͤche anſehen duͤrfen. Die Waſſertheilchen ziehen einander an, und wir muͤſſen alſo zu beſtimmen ſuchen, wie - fern die Theilchen der den Punct C unmittelbar umgebenden Ku - gelſchichte anders wirken, als es bei einer ebnen Oberflaͤche der Fall ſein wuͤrde. Und hier erhellt leicht, daß, ſo eng begrenzt auch die Anziehungsweite der der Axe benachbarten Theilchen iſt, doch die um C oberhalb DE liegenden Theilchen eine Anziehung hinauf - waͤrts ausuͤben, die nicht ſtatt faͤnde, wenn (Fig. 5. ) DE die Oberflaͤche ausmachte. Dieſe aus der kugelfoͤrmigen Geſtalt der Oberflaͤche entſpringende Anziehung auf die unmittelbar unter C in der Axe liegenden Waſſertheilchen iſt deſto ſtaͤrker, je kleiner der Durchmeſſer der Kugel ACB iſt, indem bei einer kleineren Kugel die Dicke der uͤber DE liegenden Schichte in ſehr geringen11 Entfernungen von C ſchneller zunimmt; eine genauere Unterſuchung zeigt, daß dieſe Anziehung das Doppelte wird bei dem halb ſo gro - ßen Kugeldurchmeſſer, das Dreifache bei dem ein Drittel ſo großen Durchmeſſer und ſo ferner; aber dieſer Durchmeſſer ſelbſt iſt der Weite der Roͤhre proportional, und es iſt daher die Anziehung der Waſſertheilchen auf einander doppelt ſo groß bei der halb ſo weiten Roͤhre, dreimal ſo groß bei der ein Drittel ſo weiten Roͤhre und ſo ferner. Dieſe der Kugelſchichte entſprechende Anziehung findet in C in der Axe der Roͤhre ſtatt, ſie findet dagegen offenbar nicht ſtatt in F, in der freien horizontalen Oberflaͤche des Fluͤſſigen; in C vermindert ſie den hinabwaͤrts gehenden Druck der Saͤule CK, die daher der ebenſo tief hinab, bis zu einerlei Horizontallinie IK, reichende Saͤule FI nur dann das Gleichgewicht halten kann, wenn jene hoͤher iſt. Wir duͤrfen alſo behaupten, daß die Saͤule Cc, die oberhalb der Oberflaͤche des umgebenden Fluͤſſigen liegt, durch dieſe gegenſeitige Anziehung der Waſſertheilchen auf einander ge - tragen werde, daß die Einwirkung einer concaven Oberflaͤche einen Zug nach außen hervorbringe, welcher allein dieſer Form der Ober - flaͤche zuzuſchreiben iſt. Daß dieſe hebende Kraft in C, oder allge - mein dieſe nach außen ziehende Kraft einer concaven Oberflaͤche, dem Halbmeſſer der Kruͤmmung der Oberflaͤche umgekehrt propor - tional iſt, erhellt aus dem Vorigen.

Wenn dagegen eine convexe Oberflaͤche ſtatt findet, wie es beim Queckſilber meiſtens der Fall iſt, ſo laͤßt ſich die Betrachtung auf eine aͤhnliche Weiſe fuͤhren. Iſt DCE (Fig. 6.) dieſe Ober - flaͤche, ab die ſie beruͤhrende Horizontallinie, ſo wuͤrden die dicht an C liegenden Theilchen der horizontalen Oberflaͤche eine anziehende Kraft hinaufwaͤrts ausuͤben, welche nicht ſtatt findet, wenn die oberhalb der Kugelflaͤche ihren Platz habenden Theilchen weggenom - men ſind; es findet daher an der convexen Oberflaͤche ein vermin - derter Zug hinaufwaͤrts ſtatt, und folglich kann das Gleichgewicht zwiſchen der Saͤule CH in der Roͤhre und der Saͤule Ff außer der Roͤhre nur dann beſtehen, wenn jene Saͤule eine geringere Hoͤhe hat. Man kann dieſe Betrachtung auch ſo ausdruͤcken: So geringe auch die Abſtaͤnde ſein moͤgen, von welchen her noch eine Einwir - kung auf C ſtatt findet, ſo ſind es doch in der convexen Kugel - Oberflaͤche niedriger liegende Theilchen, die auf C wirken, und alſo12 herabwaͤrts ziehend wirken; ihre Wirkung wuͤrde zum Theil auf - gehoben, wenn der Raum bis zur Horizontalflaͤche mit der Fluͤſſig - keit gefuͤllt waͤre, aber dieſes findet jetzt nicht ſtatt, und die ge - ſammte Einwirkung des Fluͤſſigen auf ſich ſelbſt beſteht alſo an der convexen Flaͤche in einem nach innen gekehrten Zuge, wodurch eine Vermehrung des Druckes hervorgebracht wird. Dieſer nach innen gerichtete Zug bewirkt es, daß das Queckſilber in der Roͤhre DE niedriger ſteht als außerhalb, und haͤlt auch in andern Faͤllen dem nach außen gerichteten Drucke einer hoͤhern Saͤule das Gleichgewicht.

Andere Anwendungen dieſer Theorie.

Daß ganz aͤhnliche Schluͤſſe ſtatt finden, wenn die Oberflaͤche die Geſtalt gh annimmt, (Fig. 5.) und ſich an der Wand hin - aufzieht, oder wie FL, (Fig. 6.) ſich an ihr herabdraͤngt, erhellt nun von ſelbſt. Aber mehrere merkwuͤrdige Erſcheinungen finden hierin auch eine leichte Erklaͤrung und dienen umgekehrt zur Be - ſtaͤtigung der eben behaupteten Einwirkung der gegenſeitigen Anzie - hung der Waſſertheilchen an einer concaven und einer convexen Oberflaͤche. Wenn man zwei verbundene Roͤhren (Fig. 7. ) ABCD, deren eine, CD, ſehr eng iſt, nach und nach mit Waſſer fuͤllt, ſo beobachtet man, daß das Waſſer zuerſt in der engen Roͤhre hoͤher ſteigt, ſo daß die eine Oberflaͤche etwa in LM ſteht, wenn die andere, bedeutend concave, ſich in NO befindet. Dieſes Hoͤher - ſtehen dauert fort, bis die concave Oberflaͤche die Muͤndung erreicht; aber man wuͤrde ſich ſehr irren, wenn man glauben wollte, daß die Roͤhre bei D ein Ausfließen geſtatten wuͤrde, wenn man fortfaͤhrt, auf die etwa in PQ angekommene Oberflaͤche noch mehr Waſſer zu gießen. War PQ die Oberflaͤche in der weiten Roͤhre, als der Rand der hohlen Oberflaͤche die Muͤndung D erreichte, ſo faͤngt, indem man bei PQ mehr Waſſer zugießt, die hohle Oberflaͤche an, ſich abzuflaͤchen, weil keine hoͤher hinauf liegende Roͤhrenwand mehr das Entſtehen der hohlen Kruͤmmung unterſtuͤtzt; wenn die Oberflaͤche RS eben ſo hoch ſteht, als die Muͤndung D, ſo iſt die Oberflaͤche bei D genau eben geworden; aber wenn man auch noch mehr Waſſer langſam zugießt, ſo laͤuft es bei D nicht aus, ſondern wenn die Roͤhre trocken iſt, ſo bildet ſich eine convexe Oberflaͤche bei D, und wenn es gelingt, dieſe bis zu einer vollen Halbkugel hinaufzu -13 treiben, ohne daß ſie ſich uͤber den trocknen Rand der Oeffnung D verbreitet, ſo findet man die Oberflaͤche TU in der weiten Roͤhre nun eben ſo hoch uͤber D, als PQ unter D war, ſo lange die ganze Tiefe der Hoͤhlung dauerte. Hier zeigt ſich alſo recht uͤber - zeugend, daß der in der engen Roͤhre auf die untern Theile der Fluͤſſigkeit ausgeuͤbte Druck vermindert war um das Gewicht der ganzen oberhalb LM liegenden Saͤule des Fluͤſſigen, ſo lange die Oberflaͤche NO ihre ganze Concavitaͤt behielt, daß dieſe Vermin - derung wegfiel, als die Oberflaͤche eben ward, und daß ſie in eine Vermehrung des Druckes uͤberging, ſobald die Oberflaͤche convex wurde. Wenn das Experiment nicht ſo vollkommen gelingt, ſon - dern das Waſſer bei D ſich im Hervordringen uͤber die Dicke der Roͤhrenwand mit verbreitet, ſo daß die Woͤlbung nicht wie abc (Fig. 8.) eine Halbkugel, ſondern wie dbe eine flachere Kruͤmmung bildet, ſo ſteigt das Waſſer im andern Schenkel nicht ganz ſo hoch ohne auszufließen, ſondern nur ſo viel, als der geringern Kruͤm - mung angemeſſen iſt.

Von eben dieſer Einwirkung der Attraction der Kugelſchichte haͤngt eine andere Erſcheinung ab. Man nehme eine nicht zu ſehr von der cylindriſchen Geſtalt abweichende, aber doch im Innern merklich coniſche Roͤhre, und bringe in dieſelbe, indem man ſie vertical und den engern Theil nach oben haͤlt, eine geringe Quan - titaͤt Waſſer in ihr unteres Ende; ſo ſteigt dieſes Waſſer in ihr hinauf und koͤmmt erſt an einer beſtimmten Stelle zur Ruhe. Dies ruͤhrt daher, weil (Fig. 9.) die viel ſtaͤrker gekruͤmmte Ober - flaͤche AB eine ſtaͤrkere Verminderung des Druckes der ſchweren Waſſerſaͤule hervorbringt, als die Vermehrung des herabwaͤrts gehenden Druckes durch die viel flachere Kruͤmmung der Oberflaͤche CD betraͤgt. Iſt nun in dem untern weitern Theile der Roͤhre der Unterſchied dieſer Anziehungen ſo groß, daß der Druck der dort nur kurzen Waſſerſaͤule demſelben nicht das Gleichgewicht haͤlt, ſo zieht ſich die Waſſerſaͤule hoͤher hinauf in den engern Theil der Roͤhre, und da ſie dort eine groͤßere Hoͤhe einnimmt, ſo wird endlich dieſe Hoͤhe groß genug, um dem Unterſchiede beider Anziehungen das Gleichgewicht zu halten. Waͤre die Waſſermenge ſo geringe, daß ſie nie die hiezu ausreichende Hoͤhe erlangen koͤnnte, ſo wuͤrde der Tropfen ſich bis an die obere Muͤndung ziehen und bis ſo weit,14 daß die obere Flaͤche die verminderte Concavitaͤt erhaͤlt, wobei das Gleichgewicht ſtatt finden kann. Ein Queckſilbertropfen wuͤrde ſich in einer Glasroͤhre hinaufziehen, wenn das untere Ende enger iſt. Auf aͤhnliche Weiſe zieht ſich zwiſchen zwei ſchief liegenden Glas - flaͤchen, deren Zwiſchenraum in der obern Gegend enger iſt, ein Waſſertropfen hinaufwaͤrts.

Erſcheinungen, die mit der Anziehungskraft der Haar - roͤhrchen zuſammenhaͤngen.

Ehe ich die uͤbrigen Erſcheinungen erzaͤhle, die von eben dieſen anziehenden Kraͤften abhaͤngen, muß ich Sie noch auf einige uns allen bekannte Phaͤnomene aufmerkſam machen, die mit den bisher betrachteten in unmittelbarer Verbindung ſtehen. Wir tauchen ein Stuͤckchen Zucker in Waſſer und ſehen das Waſſer in demſelben ſich hinaufziehen. Wir legen ein Streifchen Loͤſchpapier uͤber die Raͤnder zweier neben einander ſtehender Glaͤſer, und ſehen, wenn das eine nicht voͤllig mit Waſſer gefuͤllt, das andere leer iſt, daß nicht allein das Waſſer ſich in dem Loͤſchpapier hinaufzieht, ſondern ſogar das Waſſer in das andere Gefaͤß hinuͤbergefuͤhrt wird. Wir ſehen das heiße Oel im Dochte der Lampe hinaufſteigen. Dies alles iſt die Wirkung der Haarroͤhrchenkraft, der Attraction, die alle dieſe Koͤrper auf die fluͤſſigen ausuͤben; ja man kann, wenn man ſich zum Brennen einer in Glas leicht aufſteigenden Fluͤſſigkeit bedient, ſtatt des Dochtes glaͤſerne Haarroͤhrchen anwenden. Wenn wir mit einem Tuche ein Glas austrocknen, ſo iſt es dieſe Anziehungskraft, welche die Feuchtigkeit in die Zwiſchenraͤume des Leinens und aͤhn - licher Subſtanzen hineinbringt, durch welche wir das Austrocknen zu Stande bringen. Man hat das Emporſteigen des Saftes in den Pflanzen durch eben dieſe Kraft erklaͤrt; und wenn man auch darin zu weit gegangen iſt, indem dazu gewiß noch eine Lebens - thaͤtigkeit mitwirkt, ſo iſt doch wenigſtens gewiß, daß auch die gewoͤhnliche Anziehungskraft nicht ganz ohne Einfluß dabei iſt.

Als eine Merkwuͤrdigkeit muß ich doch hier Vera's Waſſer - maſchine erwaͤhnen, wo das Waſſer durch die Befeuchtung von Stricken hinaufgezogen wird. Sie beſteht (Fig. 10.) aus einem uͤber zwei Rollen A, B, gehenden Seile ohne Ende; die um die untere Rolle B gehenden Theile des Seiles tauchen ſich in Waſſer15 und befeuchten ſich damit, und indem man mit ſchnellem Drehen der obern Rolle das Seil zu einem Umlaufe noͤthigt, werden die naſſen Theile b des Seiles hinaufgefuͤhrt und nehmen dabei, ganz mit Waſſer bedeckt, deſto mehr Waſſer mit hinauf, je ſchneller die Bewegung iſt; dieſes ſtreifen ſie an der Rolle A ab, wo es in dem Kaſten C aufgefangen, durch die Roͤhre D abgeleitet und in einem bei E angebrachten Gefaͤße geſammelt wird. Die obere Rolle iſt naͤmlich, wie die Figur zeigt, in ein Gefaͤß eingeſchloſſen, das im Boden zwei Oeffnungen hat, um die Seile durchzulaſſen, das aber dennoch von dem erſt an der obern Rolle ſich ſeines Waſſers ent - ladenden Seile ſo reichlich Waſſer erhaͤlt, daß dieſes in Menge gehoben aus dem Gefaͤße abgeleitet werden kann. Die bedeutende Geſchwindigkeit des Seiles erhaͤlt man dadurch, daß man die Axe der obern Rolle durch Huͤlfe eines groͤßern Rades T in eine ſchnelle Umdrehung ſetzt. Der Erfinder hatte dieſe Maſchine angewandt, um das Waſſer 63 Fuß hoch zu heben; indeß iſt dieſe Vorrichtung mehr merkwuͤrdig als nuͤtzlich zu nennen, da die gehobene Quantitaͤt nicht ſo groß, als bei andern einfachen Hebemaſchinen, iſt.

Das Anhaͤngen des Waſſers am Gefaͤße iſt ein Umſtand, der uns oft ſehr laͤſtig iſt. Will man nur wenig Waſſer aus einem Gefaͤße ausgießen, ſo findet man es ſchwer, zu hindern, daß nicht ein Theil des Fluͤſſigen am Gefaͤße herablaufend verſchuͤttet werde. Der Strahl, der durch den Antrieb des herandraͤngenden Fluͤſſigen die Form ABC (Fig. 11.) annehmen ſollte, wird durch die An - ziehung des Gefaͤßes zuruͤckgehalten und fließt ungefaͤhr, wie AD zeigt, herab; die anziehende Kraft des Gefaͤßes hebt naͤmlich die vorwaͤrts dringende Geſchwindigkeit auf, und man ſieht oft recht deutlich, wie im einen Augenblicke die mit etwas mehr Gewalt andraͤngende und mehr Geſchwindigkeit ertheilende Waſſermaſſe dem Strahle ſeine Richtung nach B zu wiedergiebt, aber im andern Augenblicke der Strahl, weniger lebhaft vorausgetrieben, ſich wieder an die Wand des Gefaͤßes anlegt. Man entgeht dieſer Unbequem - lichkeit faſt voͤllig, wenn man die aͤußere Seite des Gefaͤßes ganz trocken abwiſcht und dann ein vorher benetztes Glasſtaͤbchen in bei - nahe verticaler Richtung an die Ausgußmuͤndung haͤlt, wie Fig. 12. zeigt, dann zieht ſich die Fluͤſſigkeit gegen die Oberflaͤche des Staͤb - chens und fließt an ihr herab, mit deſto weniger Gefahr hinterwaͤrts16 am Gefaͤße herabzufließen, je genauer man das Gefaͤß abgetrocknet hat, vorzuͤglich wenn man dem Strome an dem Staͤbchen ſo viel Breite als moͤglich giebt.

Faſt alle dieſe Bemerkungen bezogen ſich nur auf die Koͤrper, die vom Gefaͤße ſtark angezogen werden und ſich daher an den Waͤnden deſſelben in die Hoͤhe ziehen; aber auch die entgegengeſetzte Erſcheinung verdient unſere Aufmerkſamkeit. Das Queckſilber ge - hoͤrt zu den Fluͤſſigkeiten, die ſich nicht leicht an eine Glaswand anlegen und die daher in Roͤhren eine convexe Oberflaͤche anneh - men. Da wir nun wiſſen, daß eine ſolche Oberflaͤche, ſelbſt mit ihrer hoͤchſten Woͤlbung, nicht ſo hoch ſteht, als der Druck es bei horizontaler Oberflaͤche fordern wuͤrde, ſo muͤſſen wir bei der Beobachtung des Barometers den Luftdruck nicht allein der bis zum hoͤchſten Gipfel gerechneten Queckſilberſaͤule gleich rechnen, ſondern noch etwas groͤßer, und die Zugabe, die wir hinzurechnen muͤſſen, iſt groͤßer in engen, als in weiten Roͤhren. Indeß iſt dieſe Verminderung der Barometerhoͤhe durch die ſo große gegenſeitige Anziehungskraft der Queckſilbertheilchen nicht bei allen Glas-Arten gleich, und es bleibt daher eine kleine Ungewißheit bei der Verglei - chung von Barometern, die man nicht unmittelbar neben einander ſtellen kann, uͤbrig.

Scheinbare Anziehung bis zu groͤßer Entfernungen durch die Kraft der Haarroͤhrchen.

Noch eine andere Reihe von Erſcheinungen, wo ſelbſt in be - deutenden Entfernungen der Schein von Anziehung und Abſtoßung ſtatt findet, gehoͤrt hieher. Sehen wir auf dem Waſſer in einem Gefaͤße Korkſtuͤckchen oder auch nur Blaͤschen ſchwimmen, ſo be - merken wir, daß dieſe ſchnell gegen einander und ſchnell gegen den Rand des Gefaͤßes zu gehen, wenn auch der Abſtand noch ziemlich erheblich war; aber der Anſchein einer ſo weit in die Ferne gehenden Anziehung der Koͤrper beruht nur auf dem eben vorhin betrachteten hoͤhern Stande des Waſſers zwiſchen zwei einander nahe geruͤckten Waͤnden. So lange naͤmlich die ſchwimmenden, vom Waſſer bis uͤber die Waſſerflaͤche hinauf befeuchteten Koͤrper noch ziemlich weit von einander entfernt ſind, ziehen ſie zwar neben ſich das Waſſer etwas hoͤher hinauf, aber doch nicht in erheblichem Grade; kommen17 ſie aber einander nahe, oder kommen ſie nahe an den Rand, ſo ſteigt zwiſchen ihnen, wie zwiſchen zwei Glastafeln, das Waſſer erheblich hoͤher, und uͤbt nun eine die Koͤrper gegen einander zie - hende Kraft aus. Sind AB, CD, (Fig. 13.) ſolche ſchwimmende Koͤrper, ſo ſteht die Waſſerflaͤche zwiſchen ihnen hoͤher als an den aͤußern Seiten, und da beim Eingange des durch ſie begrenzten Raumes, bei a ein Gleichgewicht der Preſſungen ſtatt findet, ſo iſt in jedem oberhalb der Waſſerflaͤche EF liegenden Puncte innerhalb des engen Raumes der Druck niederwaͤrts geringer, als der Zug hinaufwaͤrts. Wir ſahen naͤmlich vorhin, daß das Gewicht der oberhalb EF liegenden Saͤule dem Anziehen der Kugelſchichte AC das Gleichgewicht hielt; der Punkt b alſo, der mit EF gleich hoch liegt, leidet von oben und von unten gar keinen Druck, da die oberhalb liegende Saͤule ACb genau von jenem Anziehen der Schichte AC getragen wird. Aber der Punkt c wird hinaufwaͤrts gezogen, weil die kleinere Saͤule ACc jenem Zuge nicht das Gleich - gewicht haͤlt. So lange die beiden Waͤnde AB, CD feſt gehalten werden, zeigt ſich dieſes Beſtreben zu ſteigen nicht, ſondern c und alle oberhalb b liegenden Puncte werden nur eben ſo hinaufwaͤrts gedruͤckt, wie die tiefer liegenden Puncte e hinabwaͤrts, ohne daß dadurch eine Stoͤrung des Gleichgewichts entſtaͤnde; denn ſollte c dem Zuge hinaufwaͤrts folgen, ſo muͤßte die Waſſerſaͤule uͤber b und a, wo Gleichgewicht ſtatt findet, ſich erhoͤhen, was nicht moͤglich iſt. Aber wenn die Waͤnde beweglich ſind, wie es bei zwei ſchwimmenden, dieſe Waͤnde bildenden Koͤrpern der Fall iſt, ſo hat jener in c hinaufwaͤrts gehende Druck den Erfolg, daß die Waͤnde einander naͤher ruͤcken; denn indem dies geſchieht, wird das Gleich - gewicht in a immer wieder hergeſtellt, weil die allerdings hoͤher geſtiegene Saͤule nun auch von dem mehr gekruͤmmten Theile AC der Oberflaͤche mit mehr Gewalt hinaufgezogen wird. Dieſes Ge - geneinanderdraͤngen der Waͤnde dauert fort bis ſie ſich beruͤhren, und hierin liegt der Anſchein des gegenſeitigen Anziehens.

Dieſes Anziehen findet auch ſtatt, wenn Glastafeln in Queck - ſilber getaucht werden, oder wenn an den beiden beweglichen Waͤn - den die Fluͤſſigkeit niedriger ſteht, als die Horizontalflaͤche in dem weitern Gefaͤße. Dann naͤmlich beſteht in a (Fig. 14.) wieder Gleichgewicht, ſo lange die Waͤnde feſtgehalten werden; b leidetII. B18einen Druck eben ſo groß als c, und ſelbſt die unmittelbar unter der convexen Oberflaͤche c liegenden Theile leiden eben den Druck, wie die in d gleich hoch liegenden; denn die gegen den Mittelpunct der kleinen Kugel gerichtete Anziehung der Kugelſchichte haͤlt dem Drucke der Saͤule df das Gleichgewicht. Unſtreitig aber leiden die oberhalb e liegenden Theile der Waͤnde einen Druck von außen her und die Waͤnde draͤngen ſich daher gegen einander, und dieſer Druck wird immer ſtaͤrker, je naͤher ſie ſchon einander ſind, weil bei groͤßerer Naͤhe das Queckſilber in e immer tiefer ſinkt. Aus dieſem Grunde vermehrt ſich die Schnelligkeit, mit welcher die Koͤrper gegen einander zu gehen, immer mehr, je naͤher ſie einander kommen, und eben dieſer immer ſtaͤrkere Andrang gegen einander wird im vorigen Falle durch den Zug hinaufwaͤrts innerhalb, wie hier durch den Druck hinabwaͤrts von außen, hervorgebracht.

Aber das Umgekehrte findet ſtatt, wenn zwei Waͤnde entge - gengeſetzter Art ſich eingetaucht finden. Waͤre zum Beiſpiel eine Glasplatte (Fig. 15. ) AB neben einer mit Fett beſtrichenen Flaͤche CD in Waſſer eingetaucht, ſo zieht ſich das Waſſer an der Flaͤche AB hinauf, und iſt dagegen an CD hinabgedruͤckt; es ſteht aber gewiß tiefer in I als in H, und hoͤher in K als in G, weil die entgegengeſetzten Einwirkungen in G und H offenbar der Oberflaͤche in dem engen Zwiſchenraume eine halb convexe, halb concave Geſtalt geben, und die Erhoͤhung ſowohl als die Vertiefung der Oberflaͤche nicht ihren vollen Grad erreichen laſſen. Iſt aber dieſes, ſo brauche ich wohl nur, auf das Vorige geſtuͤtzt, mit wenigen Worten zu ſagen, daß AB nach K hin ſtaͤrker gezogen, daß CD von H abwaͤrts ſtaͤrker gedruͤckt wird, und daher die beiden Waͤnde oder die beiden ſchwimmenden Koͤrper einander muͤſſen abzuſtoßen ſcheinen.

Ueber die Figur eines großen Queckſilbertropfens. Abmeſſung der Kraft des Anhaͤngens feſter Koͤrper an fluͤſſigen. Schwimmen ſchwerer Koͤrper.

Noch andere Fragen laſſen ſich aus einer genauer durchgefuͤhr - ten Theorie jener, durch die hoͤchſte gewoͤlbte oder am meiſten vertiefte Schichte ausgeuͤbten Anziehung beantworten. Wenn ein großer Queckſilbertropfen in einer Glasſchale oder ein großer Waſſer -19 tropfen auf einer mit Hexenmehl (semen lycopodii) beſtrichenen Flaͤche liegt, ſo nimmt der eine und der andere ungefaͤhr die Form ACB (Fig. 16.) an. Die Oberflaͤche eines Fluͤſſigen beſteht allemal dadurch als Oberflaͤche, daß in ihr gar kein Druck des fluͤſſigen Koͤrpers ſtatt findet; in den Puncten B oder A iſt, bloß in Bezie - hung auf die Schwere, ein Druck, welchen die hoͤher liegenden Theilchen ausuͤben, gewiß wirkſam, und dieſer muß alſo, wie das Beſtehen der Oberflaͤche in dieſer Form zeigt, durch eine entgegen - wirkende Kraft zernichtet werden. Da die Oberflaͤche auch bei C eine ſchwache Woͤlbung hat, ſo verſtaͤrkt der bei C nach innen ge - richtete Druck noch den durch die Schwere hervorgebrachten Druck; aber bei A und B iſt die Kruͤmmung der Oberflaͤche viel ſtaͤrker, als in C, daher iſt der nach innen gerichtete Zug der die convexe Oberflaͤche bildenden Theile ſehr viel ſtaͤrker als in C, und aus - reichend, jenen beiden vereinigten Preſſungen das Gleichgewicht zu halten. Daß eben hierauf die Geſtalt der gewoͤlbten Oberflaͤche beruht, die wir Waſſer in einem am Rande trockenen Gefaͤße annehmen ſehen, wenn es ſich uͤber den Rand erhebt, erhellt nun von ſelbſt. Der entgegengeſetzte Fall findet da ſtatt, wo eine Me - tallplatte auf die Oberflaͤche AB (Fig. 17.) des Waſſers gelegt und durch eine fremde Kraft hinaufwaͤrts gezogen wird. Hat man hier AB ſich vollkommen befeuchten laſſen und bringt nun vermit - telſt einiger auf die Waageſchale E gelegten Gewichte eine aufwaͤrts ziehende Kraft an, ſo hebt ſich eine Waſſermaſſe mit AB uͤber die eigentliche Waſſerflaͤche CD hervor. Sie nimmt an den Seiten eine concave Oberflaͤche an, ſo wie die Figur zeigt; denn da die Waſſertheile mit bedeutender Gewalt gegen den feſten Koͤrper AB gezogen und dadurch ſo erhalten werden, daß ſie ſelbſt in n, in der Horizontalflaͤche CD, gar keinen Druck ausuͤben, ſo iſt oberhalb a ein hinaufwaͤrts gehender Zug, der an der Seiten-Oberflaͤche als ein Zug nach innen ſich zeigen wuͤrde, wenn nicht die hohle Ober - flaͤche ſich ſo bildete, daß der hinauswaͤrts, gegen die hohle Oberflaͤche zu, gerichtete Zug jenem genau gleich waͤre. Die Kraft, mit welcher eine ſolche Platte von Marmor oder Glas AB am Waſſer feſt - haͤngt, iſt ſo bedeutend, daß ſie nach G. G. Schmidts Verſuchen 51, nach Parrots Verſuche 55 Gran auf den Quadratzoll be - traͤgt, und Schmidts Unterſuchung zeigt, daß dies mit derB 220Berechnung ſehr nahe uͤbereinſtimmt, wenn man dieſe auf die Hoͤhe gruͤndet, zu welcher das Waſſer in Haarroͤhrchen ſteigt; bei Weingeiſt betraͤgt ſie gegen Glas 33 Gran, bei Oel gegen Glas 41 Gran; bei Queckſilber gegen eine polirte Zinnplatte ſogar 497 Gran*)G. G. Schmidts Lehrb. S. 271. 273.. Nach Gay-Luſſacs Verſuchen**)Gilb. Ann. XXXIII. 317. fuͤr Waſſer gegen eine Glasſcheibe 53⅓ Gran.

Zu den kleinen, aber recht anziehenden Verſuchen, die hier ihre Erklaͤrung finden, gehoͤrt auch noch der, wo man ſtaͤhlerne Naͤhnadeln auf Waſſer ſchwimmen laͤßt. Die Nadeln muͤſſen ganz trocken und frei von Roſt ſeyn; wenn man ſie dann ſehr vorſichtig auf die Oberflaͤche des Waſſers legt, ſo druͤcken ſie um ſich das Waſſer zuruͤck und liegen in dieſer Hoͤhlung auf der Oberflaͤche. Sind mehrere einander nahe auf das Waſſer gelegt, ſo gehen ſie zu einander hin, legen ſich parallel und kommen nach einigen Oſcil - lationen, durch welche ſie neben einander hin und her gehen, zur Ruhe. Die glatte Oberflaͤche des Stahles naͤmlich haͤlt die Luft - theilchen ſo feſt an ſich, daß ſie nicht leicht eine Benetzung zulaͤßt, und die einander ſtark anziehenden Waſſertheilchen, die von der Stahlflaͤche ſchwaͤcher angezogen werden, bilden bei e eine convexe Oberflaͤche (Fig. 18.). Der Punct b leidet offenbar einen Druck durch die aufliegende Nadel von außen, durch die Waſſerſaͤule de von innen her, und beide Preſſungen heben einander auf; die Waſſertheilchen bei c leiden, tiefer liegend als d, einen Druck der kleinen, hoͤher ſtehenden Waſſerſaͤule; aber die Anziehungskraft, welche die Fluͤſſigkeit auf ſich ſelbſt an einer convexen Oberflaͤche e ausuͤbt, iſt nach innen gerichtet und zerſtoͤrt jenen Druck. So ruht der viel ſchwerere Koͤrper auf dem leichtern Waſſer, ſo lange er ſich nicht benetzt, und ſo lange ſein Gewicht nicht mehr betraͤgt, als das von ihm und der ihn umgebenden Hoͤhlung aus der Stelle getrie - bene Waſſer. Aehnliche Verſuche gelingen, wenn man Nadeln und aͤhnliche Koͤrper auf eine Waſſer-Oberflaͤche bringt, die mit Aether oder Terpentin-Oel bedeckt iſt.

Sie ſehen aus dieſen mannigfaltigen Erſcheinungen, theils wie folgenreich die von Laplace richtig aufgefaßte Betrachtung21 der gegenſeitigen Anziehung der Theilchen an einer gekruͤmmten Oberflaͤche iſt, theils wie bedeutend ſich die Groͤße dieſer Kraͤfte zeigt. Und doch war hier immer nur von der Differenz dieſer Kraͤfte die Rede; denn wenn das Waſſer an der emporgehobenen Platte AB (Fig. 17.) anliegt, ſo iſt es nur der Ueberſchuß der anziehenden Kraft der Platte gegen das Waſſer uͤber die Anzie - hungskraft der Waſſertheilchen unter einander, welcher die Platte faͤhig macht, das Waſſer zu heben, und eben ſo iſt es in den Haarroͤhrchen nur der Unterſchied der anziehenden Kraͤfte, welche die Roͤhrenwand und welche die Waſſertheilchen ausuͤben, die wir kennen lernen. In andern Faͤllen ſehen wir nur, daß die die krumme Oberflaͤche bildenden Theilchen eine etwas andere Ein - wirkung auf die benachbarten Theilchen zeigen, als es an einer ebenen Oberflaͤche der Fall iſt, und immer lernen wir nur den Unterſchied beider kennen; die ganze Kraft der Anziehung benach - barter Theilchen auf einander muß daher ganz gewiß noch weit groͤßer ſeyn.

Ein Verſuch, wo ſich eine noch groͤßere Anziehungskraft zeigt.

Es giebt einige Phaͤnomene, wo eine viel groͤßere Anziehungs - kraft thaͤtig zu ſein ſcheint, und wo wir alſo wohl glauben duͤrfen, wenigſtens etwas naͤher jene ganze Kraft kennen zu lernen. Dahin rechnet Laplace den ſchon oft angeſtellten Verſuch, daß man eine 4 oder 5 Fuß lange Glasroͤhre, die am einen Ende in einer reinen Woͤlbung zugeſchmolzen iſt, mit Queckſilber fuͤllt, ſie dann, wie eine mit der Muͤndung eingetauchte Barometerroͤhre, umkehrt, ſie vorſichtig mit dem Finger geſchloſſen haͤlt, bis man ſie zu einer ganz ruhigen Stellung gebracht hat, und nun ſehr oft das Queck - ſilber bis zum hoͤchſten Theile der Roͤhre haͤngen bleibend ſieht. Der Verſuch gelingt etwas ſchwer, aber er gelingt doch, und das Queckſilber bleibt oft lange genug haͤngen, um die Ueberzeugung, daß es durch eine Adhaͤſion an der obern Woͤlbung der Roͤhre ge - halten werde, zu begruͤnden, indem der Druck der Luft es nicht ſo hoch erhalten koͤnnte. Laplace ſieht dieſe Wirkung als von der geſammten Groͤße jener Kraft abhaͤngend an, glaubt aber, daß wir ihre wahre Groͤße doch ſelbſt da nur ſehr unvollkommen kennen22 lernen. Ueber ihre wahre Groͤße ſcheinen nur die chemiſchen Er - ſcheinungen einige Auskunft zu geben.

Rotation eines befeuchteten Glaſes.

Ich fuͤge zum Schluſſe dieſes Gegenſtandes noch die Beſchrei - bung eines Verſuches bei, der eine ſehr auffallende Erſcheinung darſtellt. Wenn man ein Uhrglas an der convexen Seite mit einem Tropfen Waſſer naß macht, und es nun ſo, daß der Tropfen an der Beruͤhrungsſtelle liegt, auf einen Spiegel legt, ſo bewegt ſich das Glas bei einer ſchwachen Neigung des Spiegels nicht in gerader Richtung herab, ſondern geraͤth in eine, oft recht ſchnelle, Drehung. Dieſe Drehung entſteht ohne Zweifel dadurch, daß der Schwerpunct des Glaſes von dem durch den Tropfen feſtgehaltenen Puncte etwas abweicht, die einmal entſtandene Drehung ſetzt ſich, wie bei Kreiſeln, leicht fort. Um die Urſache dieſer Rotation des Uhrglaſes recht deutlich zu ſehen, ſcheint mir folgende Anordnung des Verſuches vorzuͤglich zweckmaͤßig. Man legt das Uhrglas auf den Spiegel ſo, daß der Waſſertropfen die Mitte des Glaſes befeuchtet und ſich gleichfoͤrmig um den mittlern Beruͤhrungspunct ausdehnt. Iſt dies genau der Fall, ſo nimmt auch bei einer etwas geneigten Stellung des Spiegels, den ich als mit der niedrigern Seite gegen den Beobachter gekehrt annehme, das Uhrglas keine Rotation an. Aber nun druͤcke man einen Augenblick lang mit dem Finger den rechts liegenden Rand des Glaſes nieder, ſo ſetzt ſich ſogleich das Glas in eine drehende Bewegung, und zwar ſo, daß die links liegenden Theile unterwaͤrts gehen, und dieſe Bewegung dauert nun ohne Aufhoͤren fort, bis man durch einen Druck auf die links liegende Seite eine entgegengeſetzte Bewegung hervorbringt. Die Urſache der Drehung beſteht alſo darin, daß, indem ich das Glas an der rechten Seite niederdruͤcke, der Schwerpunct des Glaſes ohne Unterſtuͤtzung iſt, und alſo, indem er ſinkt, eine Drehung um den durch den Waſſertropfen feſtgehaltenen Punct anfaͤngt; dieſe Drehung dauert, nachdem ſie einmal eingetreten iſt, aus aͤhnlichen Gruͤnden fort, wie die regelmaͤßigen Schwankungen der Axe eines Kreiſels, wenn dieſer einmal um ſeine nicht genau vertical ſtehende Axe in drehende Bewegung geſetzt iſt.

23

Bei einiger Aufmerkſamkeit kann man dieſe Drehung auf einem reinen, ganz ebnen Glaſe lange Zeit fortdauern laſſen, und ſie zu einer großen Schnelligkeit bringen.

Zweite Vorleſung.

Ungleiche Adhaͤſion fluͤſſiger Koͤrper an den Ober - flaͤchen feſter Koͤrper.

Schon bei den Erſcheinungen, die wir an den Haarroͤhrchen beobachten, zeigten ſich Ungleichheiten, die von der Natur der ein - zelnen Koͤrper abhaͤngen; der eine fluͤſſige Koͤrper ward hoͤher, der andre minder hoch in dem Haarroͤhrchen hinaufgezogen u. ſ. w. Dieſe ſtaͤrkere Verſchiedenheit zwiſchen der Anziehung der Glastheil - chen und der Waſſertheilchen die auf Waſſer wirken, die geringere Verſchiedenheit der auf Alcohol wirkenden Glastheilchen und Alco - holtheilchen zeigte ſich hier; alſo ſchon etwas von mehr oder minderer Verwandtſchaft. Dieſe tritt aber deutlicher hervor in einem andern, leicht anzuſtellenden Verſuche. Man gießt in eine flache Schale eine ſehr niedrige Waſſerſchichte, ſo daß der Boden nur wenig bedeckt iſt, und troͤpfelt nun etwas Schwefel-Aether ſo hinzu, daß er, mit einiger Gewalt auf die Waſſer-Oberflaͤche fallend, die Oberflaͤche des Gefaͤßes ſelbſt beruͤhrt, ſo treibt er das Waſſer zur Seite, indem er ſich uͤber einen breiten Theil des Bodens verbreitet, das Waſſer zieht ſich, wie auf einem fetten Koͤrper, in einzelne Tropfen zuſammen und erſt wenn der Aether verdunſtet iſt oder auch ſich mit dem Waſſer gemiſcht hat, nimmt das Waſſer ſeinen Platz wieder ein.

Die Erſcheinung beruht offenbar darauf, daß die Glas-Ober - flaͤche oder Porzellan-Oberflaͤche den Aether mehr anzieht, als das Waſſer, daß ſie alſo, ſobald der Aether nur in einem Puncte ſie beruͤhrt hat, ſich des Tropfens bemaͤchtigt, um ihn uͤber alle benachbarten Theile der Oberflaͤche auszubreiten, wobei dann das Waſſer den Platz raͤumen muß, und anſcheinend abgeſtoßen wird, oder zuruͤckflieht. Dieſe groͤßere Neigung der Glasflaͤche, den Ae -24 ther zu ſich heranzuziehen, widerſpricht nicht der Erfahrung, daß das Waſſer hoͤher in den glaͤſernen Haarroͤhrchen ſteht, als Aether; denn wenn auch die Kraft, mit welcher die Glaswaͤnde den Aether anziehen, 100 waͤre, und die, womit ſie das Waſſer anziehen, nur 50, ſo kann das Waſſer hoͤher ſteigen, wenn die Waſſertheilchen gegen einander nur mit 48, die Aethertheilchen gegen einander mit 99 gezogen werden, indem die Differenz = 2 iſt bei den kleinern Zahlen, die das Waſſer betreffen, und = 1 bei den groͤßern, die den Aether betreffen.

Eben ſolche Verſuche laſſen ſich nun auch mit Fluͤſſigkeiten, die ſich uͤber andre fluͤſſige Koͤrper verbreiten, anſtellen. Ein Tropfen fettes Oel breitet ſich uͤber eine Waſſerflaͤche aus, aber er wird von aͤtheriſchem Oele zuruͤckgetrieben, und einige Tropfen Wolfsmilchſaft treiben wieder das aͤtheriſche Oel zuruͤck. Harze in Weingeiſt aufgeloͤſt wirken ebenſo wie Saft der Wolfsmilch. Link fuͤhrt noch mehr aͤhnliche Verſuche an und zieht aus ihnen den Schluß, daß dieſes Beſtreben, ſich der Oberflaͤche zu bemaͤchtigen, bei den Koͤrpern am ſtaͤrkſten ſei, deren chemiſche Verwandtſchaft auch zu dem die Oberflaͤche bildenden Koͤrper am groͤßten iſt. Es iſt naͤmlich aus chemiſchen Verſuchen bekannt, daß das Waſſer zur Schwefelſaͤure und zum reinen Weingeiſt eine vorzuͤglich ſtarke Ver - wandtſchaft hat, und beide zeigen ſich auch vorzuͤglich wirkſam, um Oele und dgl. von der Oberflaͤche des Waſſers zu vertreiben.

Bewegungen, die dieſer ungleichen Adhaͤſion wegen entſtehen.

Die Staͤrke dieſer Flaͤchen-Anziehung, die einigen Koͤrpern gegen andre Koͤrper eigen iſt, laͤßt ſich auf mehr als eine Weiſe ſichtbar machen. Wenn man auf den trockenen und ganz reinen Boden einer Glasſchale einen Tropfen Weingeiſt bringt, ſo ver - breitet er ſich ſogleich uͤber einen bedeutenden Raum, ſtatt daß ein Waſſertropfen dies in viel geringerem Maaße thut. Wenn man Goldblaͤttchen auf reinem Waſſer ſchwimmen laͤßt, und nun einen Tropfen Weingeiſt oder Aether zwiſchen ſie auf die Oberflaͤche des Waſſers bringt, ſo ziehen die Goldblaͤttchen ſich vor dem die Ober - flaͤche einnehmenden Tropfen Weingeiſt zuruͤck; dagegen wenn man vorher einen Tropfen einer Aufloͤſung von Harz in Weingeiſt auf25 die Oberflaͤche des Waſſers gebracht hat, ſo bleiben ſie ganz ruhig, weil dieſe Aufloͤſung ſich der Oberflaͤche mit ſolcher Gewalt bemaͤch - tigt hat, daß ſie nicht ſie einer andern Subſtanz frei laͤßt.

Bei einigen Verſuchen zeigen ſich dieſe Bewegungen, die aus dem Zuruͤcktreiben einer Subſtanz auf der Oberflaͤche einer andern entſtehen, noch auffallender. Wenn man einen Tropfen Baum - Oel auf Waſſer fallen laͤßt, ſo daß er nur als ein kleiner Kreis, nicht zu weit ausgebreitet, auf demſelben ſchwimmt, ſo ſieht man, daß dieſer ſich erheblich ausbreitet, wenn man einen Salmiakgeiſt - tropfen, der an einer Glasroͤhre haͤngt, von oben herab demſelben naͤhert; zieht man den Salmiaktropfen, ehe er das Oel beruͤhrt hat, wieder zuruͤck, ſo nimmt das Oel ſeine vorige Geſtalt wieder an, und man kann es ſo abwechſelnd mehr ausgebreitet, oder mehr zuſammengezogen erhalten. Ein andrer Verſuch, den Corradori angiebt, der mir aber nicht ſo auffallende Erfolge zu geben ſcheint, iſt der, daß man Korkſtuͤckchen ſtark mit Oel eingerieben auf dem Waſſer ſchwimmen laͤßt, und ihnen einen Tropfen Salmiakgeiſt auch nur naͤhert, ohne das Waſſer zu beruͤhren. Sie gerathen in eine unregelmaͤßige Bewegung, zuruͤckgeſtoßen von den Daͤmpfen des Salmiaks, und zeigen allerdings dieſe Bewegung deutlich genug, jedoch nicht gerade auffallend lebhaft. Dieſen Bewegungen ganz aͤhnlich ſind nun die, in welche man Kampherſtuͤckchen gerathen ſieht, wenn ſie auf ganz reinem Waſſer ſchwimmen. Bringt man naͤmlich kleine zerbroͤckelte Kampherſtuͤckchen auf Waſſer, ſo gerathen ſie, als ob ſie belebt waͤren, in die mannigfaltigſten Bewegungen, ſie drehen ſich, ſie ſtoßen ſich ab und ſo ferner. Legt man ein Stuͤckchen Kampher auf einen nur ſehr duͤnne mit Waſſer bedeck - ten Teller, ſo vertreibt es das Waſſer um ſich herum, weil, wie Corradori wohl ganz richtig behauptet, die aus dem Kampher hervorgehende aͤtheriſche Subſtanz ſich der Oberflaͤche des Gefaͤßes bemaͤchtigt und ſie dem Waſſer entzieht. Ebenſo nun, wie hier dieſe im Kampherdunſte ſich anlegende Subſtanz das Waſſer von dem Beſitze der Oberflaͤche des Gefaͤßes vertreibt, ſo ſcheint die Ver - breitung der Kamphertheilchen, die ſich dem Waſſer beimiſchen, jene Bewegung der Kampherſtuͤckchen, deren Ausfluͤſſe dieſe Be - deckung bewirken, hervorzubringen, und dieſe Bewegung wird of - fenbar dadurch befoͤrdert, daß die an jedem Spitzchen am lebhaf -26 teſten entſtehende Aufloͤſung auf die mannigfaltigſte Weiſe auf die Kampherſtuͤckchen einwirkt. Das ſchnelle Verdunſten dieſer fluͤch - tigen Materie iſt, nach Corradori's Meinung, der zweite Grund der Bewegung, weil dadurch jene Verbreitung uͤber die Oberflaͤche immer wieder Aenderungen leidet. Indeß dauert es nicht lange, ſo hoͤrt die Bewegung faſt ganz auf, weil die ganze Waſſer - Oberflaͤche genug Kamphertheilchen aufgenommen hat, und nun ganz damit bedeckt iſt. Bringt man die noch uͤbrigen Kampher - ſtuͤckchen auf ganz reines Waſſer, ſo fangen ſie ihre Bewegung wieder an. Dagegen mislingt der Verſuch, wenn ſich nur einige fette oder unreine Beimiſchung im Waſſer befindet*)Runge beſchreibt in Poggend. Ann. XVII. 472. die Bewe - gung kleiner Queckſilbertropfen, die vielleicht auch hieher gehoͤrt..

Browns Beobachtungen uͤber die eigenthuͤmliche Be - wegung der kleinſten Koͤrpertheilchen.

Dieſe Urſachen ſind ohne Zweifel auch die Hauptveranlaſſung derjenigen Bewegungen, auf welche kuͤrzlich durch Brown die Aufmerkſamkeit der Phyſiker gelenkt iſt. Dieſer naͤmlich beobach - tete, zuerſt indem er den Bluͤthenſtaub mehrerer Pflanzen unter dem Microſcope betrachtete, an den aus den Pollenkoͤrnern bei ih - rem Aufbrechen hervorgekommenen kleinen Theilchen, nachher auch bei andern kleinen Theilchen mannigfaltiger Koͤrper, im Waſſer die mannigfaltigſten Bewegungen, ſo als ob dieſe Theilchen belebt waͤren. Er glaubte ſich zu uͤberzeugen, daß dieſe Bewegungen nicht durch aͤußere Umſtaͤnde, nicht durch Verdunſtung der Fluͤſſigkeit u. ſ. w. hervorgebracht wuͤrden, und es ſchien alſo, als ob ſie dieſen kleinen Theilchen der Koͤrper eigenthuͤmlich ſein muͤßten, als ob alle Koͤrper aus belebten Grundbeſtandtheilchen zuſammengeſetzt waͤren**)Poggend. Ann. XIV. 294.. Ueberraſchend iſt es allerdings dieſe mannigfaltigen Be - wegungen unter dem Microſcope zu ſehen, die ganz den zufaͤlligen und willkuͤrlichen Bewegungen kleiner Thierchen gleichen; indeß haben Beobachtungen von Ehrenberg und Schultze wohl hin - reichend gezeigt, daß man ſie mit dieſen nicht verwechſeln darf, und meine eignen Beobachtungen haben mich uͤberzeugt, daß ſo ſehr27 auch dieſe Bewegungen das Anſehen von lebendiger Thaͤtigkeit haben, ſie doch ohne Zweifel nur von aͤußern Umſtaͤnden abhaͤngen. Da Schultze's Beobachtungen*)Microſcopiſche Unterſuchungen uͤber des Herrn Robert Brown Entdeckung lebender Theilchen in allen Koͤrpern von C. A. S. Schultze. Carlsruhe. Herder. 1828. uͤber dieſen Gegenſtand mir vorzuͤglich belehrend ſcheinen, ſo werde ich daraus das Wichtigſte hier mittheilen. Da man die Bewegungen ſehr leicht erkennt, die einem Fortſtroͤmen in den Theilen des Waſſertropfens oder einer Erſchuͤtterung ihren Urſprung verdanken, ſo iſt es kaum noͤthig auf dieſe erſt beſonders aufmerkſam zu machen; dagegen koͤnnen die durch Ausduͤnſtung bewirkten Bewegungen ſchon weit eher zu Taͤuſchungen fuͤhren. Wenn man die Pollenkoͤrner (Schultze beobachtete die des Lamium purpureum) in einem Waſſertropfen unter das Vergroͤßerungsglas bringt, ſo platzen ſie, und die her - vordringenden kleinen Koͤrperchen, eben die, an welchen Brown zuerſt ſeine Beobachtung anſtellte, haben eine drehende, zitternde, auf - und abſteigende Bewegung. Dieſe Bewegung iſt viel leb - hafter in Weingeiſt, noch lebhafter in Schwefel-Aether, aber faſt ganz gehemmt in Mandel-Oel. Hieraus laͤßt ſich allerdings ſchlie - ßen, daß die ſtaͤrkere Verdunſtung der Fluͤſſigkeiten die Bewegung lebhafter macht, wozu das ungleiche Hervorſtroͤmen dieſer Ausduͤn - ſtungen aus den verſchiedenen Theilen der feſten Koͤrper beitragen mag; aber Schultze uͤberzeugte ſich, daß die Ausduͤnſtung nicht die einzige Urſache der Bewegung ſei, denn ſie dauerte fort, auch wenn der Waſſertropfen mit Oel bedeckt war. In dieſem Falle zeigten ſich oft die am lebhafteſten bewegten Theilchen mit kleinen Luftringen oder Dunſtringen verbunden, die erſt nach und nach dem Waſſer geſtatteten, die Theilchen ganz zu durchdringen, und die dabei eintretende Aufloͤſung einiger Theilchen ſchien der Grund der Bewegung zu ſein. Daß wirklich die allmaͤhlige Aufloͤſung und damit verbundene Aenderung der Geſtalt ein Hauptgrund ſolcher Bewegungen, gerade wie bei den Kamphertheilchen, ſei, davon uͤberzeugte er ſich durch das Verhalten von Pulvern in einer mehr oder minder verduͤnnten Saͤure; und ſo ſcheint das Meiſte auch hier auf ſolche Umſtaͤnde, die wir ſchon von groͤßern Koͤrpern her28 kennen, zuruͤckzukommen; doch bemerkt Schultze, daß einige Er - ſcheinungen ihm raͤthſelhaft geblieben ſind. Aus jenen Umſtaͤnden und aus dem endlich eintretenden Ruheſtande der feinen Theilchen ließ ſich mit Recht ſchließen, daß jene Bewegung keinesweges eine allen Koͤrpertheilchen zukommende beſondere Eigenſchaft ſei. Aber nun fanden ſich in eben den Schultziſchen Beobachtungen aller - dings auch Koͤrper mit eigenthuͤmlicher Bewegung, Thierchen, die theils in dem Buͤcherſtaube oder anderen Staube enthalten, durch die Befeuchtung wieder belebt zu werden ſchienen, theils aber aus dieſen Staͤubchen als neu gebohren hervorgingen. Doch von dieſen iſt hier zu reden nicht der Ort.

Adhaͤſion der Luft an feſten Oberflaͤchen.

Nach dieſer Abſchweifung kehre ich zu der wichtigen Bemer - kung zuruͤck, daß einige Koͤrper eine ſehr große Flaͤchen-Anziehung zu andern Koͤrpern zeigen, und daß dabei eine Verwandtſchaft, ein ſtaͤrkeres Anziehen bei dem einen, ein minderes bei dem andern, ſtatt finde. Eben dieſe Flaͤchen-Anziehung ſcheint auch auf die Luft-Arten zu wirken, und ſie in gewiſſen Faͤllen ſelbſt da, wo ſie unter ſchwereren fluͤſſigen Koͤrpern ſich befinden, am Aufſteigen zu hindern. Die Luftblaſen haͤngen ſich feſt an das Glas und es iſt oft ſchwer, ſie im Waſſer oder im Queckſilber fortzutreiben. Da - gegen draͤngt die Luft ſich zuweilen an der Oberflaͤche des Glaſes da ein, wo ſie durch eine Queckſilberſaͤule anſcheinend zuruͤckgehal - ten wird, und Daniell erklaͤrt daraus die in einem laͤngern Zeit - raume ſich im obern Raume der Barometer ſammelnde Luft. Er nimmt naͤmlich an, daß die wenige Neigung, welche das Queck - ſilber zu einem dichten Anſchließen an Glas zeigt, der Luft geſtat - tet, ſich zwiſchen dem Queckſilber und dem Glaſe einzuſchleichen, und in den offenen Theil der Roͤhre eindringend, nach und nach in den obern Theil der Roͤhre, welcher luftleer ſein ſollte, zu ge - langen. Daniell ſchlaͤgt daher vor, einen Platinring in der Roͤhre anzubringen, weil dieſer, ohne eine Aufloͤſung vom Queck - ſilber zu erleiden, doch durch daſſelbe benetzt wird, und den Durch - gang der Luft nicht zulaͤßt. Faraday hat das Entweichen einiger Luft-Arten, obgleich ſie mit Queckſilber geſperrt waren, noch auf eine andre Art nachgewieſen. Er brachte uͤber Queckſilber eine Mi -29 ſchung aus Waſſerſtoffgas und Sauerſtoffgas in Flaſchen, und ließ ſie, mit Glasſtoͤpſeln geſchloſſen, mit der Muͤndung in Queck - ſilber getaucht, 15 Monate ruhig ſtehen. In dieſer Zeit war ein Theil jener Gasmiſchung durch das Queckſilber, oder an der Glas - wand fortgehend, entwichen, und atmoſphaͤriſche Luft dafuͤr einge - drungen*)Poggendorf Ann. VIII. 127..

Abſorption der Luft durch fluͤſſige und feſte Koͤrper.

Ob auf eine aͤhnliche Weiſe die Luft auch durch eine Anzie - hung, wobei ſie ihrer Natur nach ungeaͤndert bleibt, in die fluͤſſi - gen und feſten Koͤrper eindringt, iſt ungewiß; aber bekannt iſt, daß ein vollkommen ausgekochtes Waſſer in einem luftvollen Rau - me aufbewahrt, Luft von der Art, wie die uͤber ſeiner Oberflaͤche befindliche, in ſich aufnimmt, daß es dieſe in ſich behaͤlt, ſo lange eben der Druck der Luft auf die Oberflaͤche fortdauert, aber einen Theil davon unveraͤndert entlaͤßt, ſobald der Druck der Luft auf die Oberflaͤche ſich vermindert. Hiebei findet die Merkwuͤrdigkeit ſtatt, daß ein Waſſer, welches kohlenſaure Luft aufgenommen hat, von dieſer Luft etwas hergiebt, wenn ſich uͤber der Oberflaͤche atmo - ſphaͤriſche Luft befindet, und daß ſie dagegen dann einen Antheil atmoſphaͤriſcher Luft aufnimmt. Ein eben ſolcher Austauſch, aber in nicht immer gleichen Verhaͤltniſſen der frei gelaſſenen und der neu abſorbirten Luft, findet allemal ſtatt, wenn das Waſſer eine andre Luft-Art aufgenommen hat, und eine andre ſich uͤber ſeiner Oberflaͤche befindet; und darin hat Dalton einen Hauptgrund fuͤr ſeine Behauptung, daß jedes elaſtiſche Fluidum nur auf die ihm gleichartigen Theile einen Druck ausuͤbe, gefunden, daß naͤm - lich eine auf die Waſſer-Oberflaͤche druͤckende kohlenſaure Luft dem Beſtreben der im Waſſer enthaltenen kohlenſauren Luft, aus dem Waſſer hervorzudringen, einen Druck entgegenſetze, waͤhrend eine ebenſoviel Elaſticitaͤt beſitzende atmoſphaͤriſche Luft dieſes nicht thue. Die Verſuche uͤber dieſen Gegenſtand ſind ſo ſchwierig, daß man die Entſcheidung uͤber Daltons Anſicht, die wohl vorzuͤglich in dieſen Verſuchen gefunden werden koͤnnte, noch nicht als mit voͤlli - ger Sicherheit gegeben anſehen kann, zumal da doch offenbar ſich30 hier ſchon etwas, das Verwandtſchaft heißen kann, einmiſcht. Dieſe Abſorption von Luft bietet uͤbrigens noch mehr Merkwuͤrdiges dar. Bringt man ganz luftfreies, durch Kochen von Luft befreites Waſſer in einen mit einer gewiſſen Luft-Art gefuͤllten Raum, ſo nimmt es bei ſchwachem und bei ſtarkem Drucke gleich viel Luft derſelben Art dem Volumen nach auf, naͤmlich ebenſoviel Maaß doppelt ſo dichter Luft bei doppeltem Drucke, als Luft von der einfachen Dichtigkeit bei dem einfachen Drucke. Wird das Waſſer waͤrmer, ſo entlaͤßt es etwas Luft. Wenn das luftfreie Waſſer unter dem Drucke einer gemiſchten Luftmaſſe ſteht, ſo nimmt es von allen Luft-Arten etwas auf, und zwar nach Daltons Angabe ſoviel als es aufnehmen wuͤrde, wenn jede der Luft-Arten in ihrer hier vorhandenen Dichtigkeit allein da waͤre. Vermindert ſich der von außen wirkende Druck derjenigen Luft-Art, die im Waſſer enthalten iſt, ſo tritt ſie zum Theil aus dem Waſſer hervor, und dieſes Hervorkommen wird ſchneller befoͤrdert, wenn man feſte Koͤrper, beſonders eckige Koͤrper, hineinbringt; daher ſchaͤumt Bier mehr auf, wenn man harte Koͤrper hinein wirft, und die Blaͤschen entwickeln ſich auch ſonſt am Boden des Glaſes am meiſten und vergroͤßern ſich im Aufſteigen. Die Menge der Luft, welche das Waſſer aufzunehmen faͤhig iſt, findet man bei verſchiedenen Luft-Arten ſehr ungleich. Ein Maaß Waſſer nimmt an Waſſerſtoffluft hoͤchſtens $$\frac{1}{60}$$ Maaß, an Sauerſtoffgas nur un - gefehr $$\frac{1}{30}$$ Maaß, an kohlenſaurem Gas 1 Maaß, an ſalzſaurem Gas gegen 500 Maaß, an Ammoniacgas gegen 700 Maaß auf. Dabei nimmt das Volumen des Waſſers etwas zu, wenn die Ab - ſorption nur geringe, wie bei kohlenſaurer Luft, iſt; aber ſehr er - heblich nimmt es zu, wenn die Abſorption ſo viel, wie bei den zu - letzt erwaͤhnten Gas-Arten, betraͤgt. Auf aͤhnliche Art verhaͤlt es ſich bei andern Fluͤſſigkeiten.

Unter den feſten Koͤrpern hat vorzuͤglich die Kohle die Eigen - ſchaft ſehr viele Luft in ſich aufzunehmen. Die verſchiedenartigen Kohlen ſind ſich in dieſer Hinſicht nicht gleich; aber 1 Maaß Buchs - baumkohlen, die vorher durch Ausgluͤhen ganz von Luft befreit worden, nimmt uͤber 1 Maaß Waſſerſtoffluft, 9 Maaß Sauer - ſtoffluft, 35 Maaß kohlenſaure Luft, 90 Maaß Ammoniacgas auf. Bei vermindertem Luftdrucke geht ein Theil der abſorbirten Luft wieder hervor, und auch wenn die mit abſorbirter Luft gefuͤllte31 Kohle in eine andre Luft-Art gebracht wird, entlaͤßt ſie etwas von der Luft, die ſie ſchon aufgenommen hatte, und nimmt dagegen etwas von der zweiten Luft-Art auf. Auch bei andern feſten Koͤr - pern findet etwas Aehnliches ſtatt.

Ob hiebei bloß die Adhaͤſion, eine ebenſolche Anziehungskraft, wie bei den Haarroͤhrchen, thaͤtig iſt, laͤßt ſich zwar nicht ganz ent - ſcheiden; aber die dem mechaniſchen Drucke ſo genau folgende Ab - ſorption, und das unveraͤnderte Hervorgehen der abſorbirt geweſenen Luft ſcheint hiefuͤr zu ſprechen. Indeß verdichtet ſich die Luft offen - bar ſehr bedeutend in den Poren der feſten Koͤrper und ſelbſt in den fluͤſſigen, und dieſe anziehende Kraft der Koͤrper uͤbt alſo ohne Zweifel eine ſehr bedeutende Gewalt auf die Luft aus. Auch iſt dieſe Anziehungskraft nach der Verſchiedenheit der Luft-Arten ſehr ungleich, was uns, da ſchon bei den Haarroͤhrchen eben das ſtatt findet, nicht ſehr befremden kann*)Umſtaͤndlicher iſt dieſer Gegenſtand abgehandelt in Gehlers Woͤrterbuch I. 40..

Chemiſche Anziehung. Veraͤnderung der Koͤrper bei chemiſchen Verbindungen.

Und nun iſt es wohl Zeit, endlich zu den chemiſchen Anzie - hungen und den chemiſchen Verbindungen uͤberzugehen. Die Stu - fenfolge von Wirkungen der Anziehung, wo zuerſt nur unbedeu - tende Erfolge durch die Differenz der Wirkung feſter und fluͤſſiger Koͤrper auf fluͤſſige entſtanden, wo die Wahl-Anziehung einer Ober - flaͤche gegen eine Fluͤſſigkeit mehr als gegen die andre ſichtbar wurde, wo die Luft in hohem Grade verdichtet, aber auch mit einer nach der Natur der Luft-Art verſchiedenen Gewalt, von fluͤſſigen und feſten Koͤrpern aufgenommen wurde, dieſe Stufenfolge von Wirkungen ſcheint uns zu jenen maͤchtigen Wirkungen gleichſam hinuͤber zu fuͤhren; aber dennoch iſt der Uebergang zu den chemi - ſchen Wirkungen dadurch noch keinesweges aufgeklaͤrt. Das laͤßt ſich wohl einſehen, daß die Theilchen eines Fluͤſſigen, einer Saͤure zum Beiſpiel, indem ſie einen feſten Koͤrper innig beruͤhren, ſeine Theilchen ſo anziehen koͤnnen, daß ſie dieſelben noͤthigen, die Ver - bindung mit ihren naͤchſten Nachbaren aufzugeben, ſich aufzuloͤſen,32 in den fluͤſſigen Koͤrper uͤberzugehen; es laͤßt ſich einſehen, daß dieſe Anziehungskraft des fluͤſſigen Koͤrpers auf die nun ſchon getrennten Theile des Feſten viel groͤßer ſein mag, wenn dieſe einzeln im Fluͤſ - ſigen ſchweben, indem nun nicht mehr von der Differenz der Wir - kung benachbarter Theile des fluͤſſigen und des feſten Koͤrpers die Rede iſt, ſondern der fluͤſſige Koͤrper ſeine ganze, volle Wirkſamkeit ausuͤbt; aber daß bei dieſer großen Einwirkung auf einander nun beide Koͤrper ihre Natur veraͤndern, daß ihre kleinſten Theilchen ſo mit einander in Verbindung treten, daß ein ganz neuer Koͤrper entſteht, das bleibt immer gleich dunkel. Und doch iſt eben dies der Erfolg ſo ſehr vieler chemiſcher Verbindungen. Bei einigen iſt dies weniger auffallend oder findet uͤberhaupt noch nicht ſtatt; denn Salz in Waſſer aufgeloͤſt zeigt noch immer die eigenthuͤmlichen Ei - genſchaften des Salzes, und obgleich man nicht durch mechaniſche Mittel das Waſſer mehr davon trennen kann, ſo laͤßt doch das durch Waͤrme, durch Abdampfen fortgetriebene Waſſer wieder daſ - ſelbe Salz zuruͤck; aber bei andern Verbindungen iſt die Natur des Koͤrpers ganz veraͤndert, das feſte, glaͤnzende Metall iſt in ein Salz uͤbergegangen, indem es ſich mit einer Saͤure verband; in dieſer Verbindung iſt es aufloͤslich im Waſſer u. ſ. w.

Beiſpiele dieſer Art giebt es unzaͤhlige. Wenn man ein Stuͤck Kalk (Kreide zum Beiſpiel), in Schwefelſaͤure legt, ſo loͤſet ſich nicht nur die Kalk-Erde voͤllig auf, ſondern je mehr nach und nach aufgeloͤſet wird, deſto mehr verliert die Saͤure von ihrem ſauern Geſchmacke, und verliert dieſen gaͤnzlich, wenn ſie ſoviel Kalk, als ſie uͤberhaupt aufloͤſen kann, aufgeloͤſet hat, oder damit geſaͤttigt iſt. Durch dieſe Aufloͤſung entſtehet ein Niederſchlag, der ſich im Waſſer nicht aufloͤſet, Gyps, ſchwefelſaurer Kalk; ein Koͤrper, in welchem ſich Kalk mit Schwefelſaͤure verbunden hat, aber ſo innig verbunden, daß man keinen der beiden Beſtandtheile mehr in ſeiner fruͤheren Beſchaffenheit darin wahrnimmt. Soda in Salzſaͤure gelegt, loͤſet ſich mit großer Lebhaftigkeit aufſchaͤumend auf, die Saͤure verliert dabei ihren ſauern Geſchmack, die Soda ihren laugenhaften Geſchmack, und immer mehr, je naͤher die Aufloͤſung der Saͤttigung koͤmmt, geht der Salzgeſchmack unſers gewoͤhnlichen Kochſalzes hervor, das ſich auch beim Abdampfen zeigt, und alſo als eine Verbindung beider Koͤrper erkannt wird.

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Chemiſche Wahlverwandtſchaft.

Daß auch bei dieſen chemiſchen Einwirkungen ſich Ungleich - heiten, die von der eigenthuͤmlichen Natur der Koͤrper abhaͤngen, zeigen, laͤßt ſich wohl erwarten; ſie zeigen aber hier noch auffallen - dere Erfolge, als in den fruͤher angefuͤhrten Erſcheinungen. Wenn man Kalk in Salpeterſaͤure aufgeloͤſt hat, ſo iſt eine gleichfoͤrmige ungetruͤbte Aufloͤſung, die keinen Kalk mehr als unveraͤndert ent - haͤlt, entſtanden. Setzt man aber dieſer Aufloͤſung Schwefelſaͤure zu, ſo faͤllt ſogleich ein Niederſchlag zu Boden, der im Waſſer unaufloͤslich iſt, und der ſich ganz dem Gypſe, der ſchwefelſauren Kalk-Erde gleich zeigt, die wir eben vorhin als aus der Aufloͤſung des Kalkes in Schwefelſaͤure entſtehend kennen lernten. Es zeigt ſich alſo die Anziehungskraft der Schwefelſaͤure gegen Kalk-Erde maͤchtiger, als die der Salpeterſaͤure gegen Kalk-Erde, und daher nimmt die Schwefelſaͤure die Kalktheilchen zu einer Verbindung mit ſich auf, indem ſie dieſelben der Aufloͤſung in Salpeterſaͤure entreißt.

Man ſpricht daher von einer Verwandtſchaft der Koͤrper unter einander und von einer Wahlverwandtſchaft, vermoͤge welcher hier die Kalk-Erde ſich vorzugsweiſe, gleichſam aus Wahl, wegen naͤherer Verwandtſchaft, der Schwefelſaͤure hingiebt, waͤhrend ſie die Salpeterſaͤure verlaͤßt. Eine ebenſolche Wahlverwandtſchaft, bei welcher die Schwefelſaͤure den Vorzug hat, zeigt ſich ſchon bei der Aufloͤſung der Kreide in Schwefelſaͤure. Kreide iſt kohlenſaure Kalk-Erde, das heißt, die Kalk-Erde iſt hier ſchon mit einer Saͤure, die wir in Luftform, als kohlenſaure Luft, kohlenſaures Gas, kennen, verbunden; begießt man dieſe kohlenſaure Kalk-Erde mit Schwefelſaͤure, ſo loͤſt dieſe, vermoͤge ihrer ſtaͤrkern Verwandt - ſchaft, die Kalk-Erde auf, befreiet aber dadurch die Kohlenſaͤure von ihrer Verbindung mit der Kalk-Erde, und wir ſehen dieſe in Luftform, in Blaſen, unter ſtarkem Aufſchaͤumen entweichen. Ebenſo geſchieht es bei der Aufloͤſung der Sode, des kohlenſauern Natrum, in Salzſaͤure, und in unzaͤhligen andern Faͤllen. Eine ganz aͤhnliche Erſcheinung zeigt ſich dann, wenn zwei Fluͤſſigkeiten, deren eine einen feſten Koͤrper aufgeloͤſt enthaͤlt, eine groͤßere Ver - wandtſchaft zu einander, als zu dem feſten Koͤrper haben. Wein - geiſt loͤſet Harz auf, aber ſobald man Waſſer zu dieſer AufloͤſungII. C34gießt, entſteht ein Niederſchlag; das Waſſer naͤmlich hat eine ſtaͤrkere Verwandtſchaft zu dem Weingeiſte und noͤthigt daher die Harztheile, ihre Verbindung mit dem Weingeiſte aufzugeben, ſo daß ſie wieder als Harz die Fluͤſſigkeit truͤben und nicht mehr mit dem Weingeiſt verbunden bleiben. Dieſe einfache Wahlverwandt - ſchaft tritt da ein, wo ein zuſammengeſetzter Koͤrper durch einen einfachen zerlegt, einer jener Beſtandtheile durch dieſen dritten Koͤrper aufgenommen, der andere aber freigelaſſen wird. Dagegen nennt man es doppelte Wahlverwandtſchaft, wenn zu einem zuſammengeſetzten Koͤrper ein zuſammengeſetzter Koͤrper ge - miſcht wird, und dieſer ſo beſchaffen iſt, daß ſein einer Beſtandtheil ſich mit dem einen Beſtandtheil des erſtern, ſein zweiter Beſtand - theil ſich mit dem zweiten Beſtandtheile des erſtern verbindet. Blauer Vitriol, eine Verbindung von Kupfer mit Schwefelſaͤure, loͤſet ſich im Waſſer auf; ebenſo loͤſet ſich Soda, eine Verbindung von Natron und Kohlenſaͤure, im Waſſer auf. Bringt man beide Aufloͤſungen zuſammen, ſo entſteht eine doppelte neue Verbindung, indem die Kohlenſaͤure mit dem Kupfer (eigentlich mit dem Kupfer - Oxyd) einen im Waſſer unaufloͤslichen Koͤrper bildet, der zu Boden faͤllt, waͤhrend die Schwefelſaͤure mit dem Natron in Verbindung eingeht, aber als aufloͤsliches Salz im Waſſer aufgeloͤſt bleibt, ſo daß man es erſt durch Abdampfen aus dem Waſſer herſtellen koͤnnte.

Wenn die Verwandtſchaft des einen Koͤrpers zu einem zweiten nicht hinreicht, um dieſen zweiten von einem dritten zu trennen, ſo wird dieſe Trennung zuweilen dadurch, daß noch eine Mitwir - kung eines neuen Koͤrpers zu Huͤlfe koͤmmt, zu Stande gebracht. Eiſen zum Beiſpiel hat ein ſtarkes Beſtreben, den Sauerſtoff an ſich zu ziehen, aber dennoch iſt der Sauerſtoff als Beſtandtheil des Waſſers zu innig mit dem zweiten Beſtandtheile des Waſſers, dem Waſſerſtoff, verbunden, als daß jene Anziehung des Eiſens ihn von dieſem trennen koͤnnte. Miſcht man aber Schwefelſaͤure zu dem Waſſer, in welches das Eiſen gelegt iſt, ſo wird das Waſſer zerſetzt. Die Schwefelſaͤure naͤmlich hat zu dem mit Sauerſtoff verbundenen Eiſen (dem Eiſen-Oxyd,) eine ſo ſtarke Verwandt - ſchaft, daß indem dieſe ſich mit der Verwandtſchaft des Eiſens zum Sauerſtoff verbindet, der im Waſſer ſo feſt gebundene Sauerſtoff35 ausgeſchieden wird. Wir haben von dieſer Zerſetzung des Waſſers ſchon bei einer andern Gelegenheit Gebrauch gemacht, naͤmlich bei dem Fuͤllen der Luftballons mit einer leichten Luft-Art. Dieſe Luft-Art iſt naͤmlich das Hydrogengas oder Waſſerſtoffgas, und man erhaͤlt ſie, indem man ein Metall, Eiſenfeile zum Beiſpiel, in verduͤnnte Schwefelſaͤure thut; hier wird das Waſſer in ſeine zwei Beſtandtheile, Oxygen oder Sauerſtoff und Hydrogen oder Waſſerſtoff, zerlegt; der erſtere mit dem Metalle verbunden geht in eine Verbindung mit der Schwefelſaͤure ein, der zweite Beſtand - theil des Waſſers (mit Waͤrmeſtoff verbunden,) giebt eben jene ſehr leichte Luft-Art.

Reagentien. Aufloͤſungen und Niederſchlaͤge.

Aus dieſen Beiſpielen erhellt ſchon, daß es Grade der Ver - wandtſchaft giebt, indem ein Koͤrper zwar eine Verbindung mit einem zweiten eingeht, alſo eine Verwandtſchaft zu ihm zeigt, aber dieſe Verbindung verlaͤßt, wenn ſich ihm ein ihm naͤher verwandter dritter darbietet, und auch von dieſem ſich wieder trennt, wenn ein ihm noch naͤher verwandter vierter ihm Gelegenheit zu einer neuen Verbindung geſtattet. Auf dieſer Kenntniß der Wahlverwandtſchaf - ten und der Grade dieſer Verwandtſchaften beruht ein großer Theil der Kunſt der analytiſchen Chemie. Man hat naͤmlich fuͤr ſehr viele Koͤrper ſo nahe verwandte Koͤrper kennen gelernt, daß man hoffen darf, durch Huͤlfe dieſer die Gegenwart jener kennen zu lernen. Von ſolchen Koͤrpern, die man anwendet, um die Gegen - wart eines beſtimmten Koͤrpers auszufinden, ſagt man, ſie reagi - ren auf dieſen, und deshalb heißen ſie Reagentien. Eine der bekannteſten Subſtanzen, die als die Gegenwart des Eiſens nach - weiſend dient, iſt die Gallaͤpfeltinctur; die Gallusſaͤure iſt ſo nahe mit dem Eiſen verwandt, daß ſie aus den meiſten Aufloͤſungen das Eiſen trennt, und da das mit dieſer Gallusſaͤure verbundene Eiſen eine ſehr leicht kenntlich werdende, blaͤulich ſchwarze Faͤrbung her - vorbringt, ſo erkennt man die Gegenwart des Eiſens in einer Auf - loͤſung durch das Hinzuthun dieſer Saͤure, und durch den ſich alsdann zeigenden Niederſchlag. Ebenſo hat man andere Reagen - tien, die die Gegenwart anderer Stoffe kenntlich machen. Dieſe Pruͤfungsmittel koͤnnen jedoch dann keine Entſcheidung geben, wennC 236z. B., der nahen Verwandtſchaft der Gallusſaͤure auf Eiſen unge - achtet, dennoch das Eiſen an die Koͤrper, von welchen man es zu trennen hoffte, feſter gebunden waͤre, ſo daß die Trennung nicht ſtatt faͤnde, und ſo in aͤhnlichen Faͤllen bei Reagentien fuͤr andere Koͤrper*)So z. B. iſt das Eiſen mit der faͤrbenden Subſtanz des Blutes ſo feſt verbunden, daß es ſich durch die gewoͤhnlichen Reagentien nicht davon trennen laͤßt. Poggend. Ann. VII. 84..

Die Reagentien ſind deſto brauchbarer, je ſicherer ihre Ver - wandtſchaft zu dem aufzuſuchenden Koͤrper das Uebergewicht uͤber die meiſten oder uͤber alle Verwandtſchaften eben des Koͤrpers hat, und je deutlicher ſelbſt ſehr kleine Quantitaͤten des aufzuſuchenden Koͤrpers durch deutliche Faͤrbung und aͤhnliche Veraͤnderungen ſicht - bar werden. Einige Beiſpiele ſind ſchon bei Gelegenheit der großen Theilbarkeit der Koͤrper vorgekommen.

Die verſchiedenen Mittel, deren man ſich bedient, um bald in den durch Hitze geſchmolzenen, bald in den durch Aufloͤſung in fluͤſſigen Zuſtand verſetzten, zuweilen auch in den in feſter Geſtalt unter einander gemiſchten Koͤrpern diejenigen Aenderungen hervor - zubringen, welche durch die Verwandtſchaft hervorgehen koͤnnen, laſſen ſich hier nicht umſtaͤndlicher angeben, indem es hier nur mein Zweck iſt, die allgemeinſten Grundlagen der Chemie anzudeuten. Wenn ein den feſten Koͤrper beruͤhrendes Fluidum die Theilchen des feſten Koͤrpers ſtaͤrker anzieht als dieſe einander, und ſo ſtark, daß die Cohaͤſionskraft uͤberwunden wird, ſo gehen die Beſtandtheile des feſten Koͤrpers nicht allein in die zunaͤchſt anliegenden fluͤſſigen Theile uͤber, ſondern dieſe treten ſie auch an die entfernteren ab. Jedes Theilchen des fluͤſſigen Koͤrpers, das noch keinen Theil des feſten Koͤrpers erhalten hat, uͤbt ſeine ganze Gewalt auf dieſe ihm nahe verwandten Theile, die ſich in den benachbarten fluͤſſigen Theilen ſchon befinden, aus, und indem die dem feſten Koͤrper anliegenden fluͤſſigen Theilchen die Beſtandtheile des feſten Koͤrpers den entferntern abtreten, werden ſie ſelbſt deſto mehr wieder faͤhig, mehr Theile des feſten aufzunehmen. Haben nach und nach alle Theilchen ſchon viel von dem aufzuloͤſenden Koͤrper aufgenommen, ſo geht die Aufloͤſung immer langſamer fort, die Kraft, mit welcher37 die Theilchen des feſten Koͤrpers angezogen werden, vermindert ſich in dem Maaße, wie die Verbindung zu Stande gebracht iſt, und endlich tritt eine Saͤttigung ein, wobei alle fernere Einwirkung aufhoͤrt.

Die Umſtaͤnde, welche die ſchnellere Aufloͤſung eines feſten Koͤrpers in einem fluͤſſigen befoͤrdern, laſſen ſich hieraus leicht er - klaͤren. Iſt der feſte Koͤrper durch Pulveriſirung in kleine Stuͤcke zerlegt, ſo bietet er mehr Oberflaͤche als in groͤßern Stuͤcken dar, und iſt daher dem Aufloͤſen mehr ausgeſetzt. Wenn man die Fluͤſ - ſigkeit umruͤhrt oder umſchuͤttelt, ſo befoͤrdert man die Aufloͤſung, weil die noch ungeſaͤttigten Theile beſſer mit dem aufzuloͤſenden Koͤrper in Beruͤhrung kommen. Auch die Erhoͤhung der Tempe - ratur wirkt zum Theil mechaniſch auf die ſchnellere Befoͤrderung der Aufloͤſung, theils indem ſie eine innigere Beruͤhrung der Ober - flaͤche des aufzuloͤſenden Koͤrpers bewirkt, theils indem ſie durch Stroͤmung eine fortwaͤhrende Miſchung der noch ungeſaͤttigten Theile mit den geſaͤttigten hervorbringt; aber allerdings zeigt die Waͤrme auch noch einen andern weſentlichen Einfluß, indem ſie in vielen Faͤllen das aufloͤſende Mittel faͤhig macht, eine groͤßere Menge des aufzuloͤſenden Koͤrpers in ſich aufzunehmen. Dieſe Verſchiedenheit zwiſchen einem ſehr erhitzten fluͤſſigen Koͤrper und eben dem Koͤrper im abgekuͤhlten Zuſtande iſt oft ſo groß, daß ſich beim Abkuͤhlen zahlreiche Cryſtalle des vorhin aufgeloͤſten Koͤrpers niederſchlagen. Alaun zum Beiſpiel loͤſet ſich in kochendem Waſſer ſo reichlich auf, daß faſt auf jeden Gewichtstheil Waſſer auch ein Gewichtstheil Alaun koͤmmt, dagegen bei Reaum. ungefaͤhr 18 Theile Waſſer nur 1 Theil Alaun aufloͤſen; er cryſtalliſirt daher in der Kaͤlte, wenn eine kochende Aufloͤſung der Saͤttigung nahe war. Dieſer Umſtand macht die Darſtellung von Koͤrbchen, die wie aus Cryſtall zuſammengeſetzt ausſehen, moͤglich, wenn man durch Metallſtaͤbchen, die ein Koͤrbchen bilden, die Cryſtalle veran - laßt, an dieſe angelegt, eine regelmaͤßige Anordnung anzunehmen.

Nicht bloß die Waͤrme, ſondern auch das Licht hat in manchen Faͤllen Einfluß auf die Affinitaͤts-Erſcheinungen, wovon in der Folge Beiſpiele vorkommen werden. Aber einen noch wichtigern Einfluß zeigt die Electricitaͤt, ſo daß die electriſche Beſchaffenheit der Koͤrper als hoͤchſt wichtig in Beziehung auf die Verwandtſchafts -38 grade anzuſehen iſt; doch davon kann erſt bei den electriſchen Phaͤnomenen die Rede ſein.

Alle dieſe einzelnen Umſtaͤnde und ſelbſt die genaueſten Be - ſtimmungen aller Umſtaͤnde, die bei der Aufloͤſung vorkommen, geben uns nur wenig Aufſchluß uͤber das Weſen dieſes Proceſſes. So offenbar es iſt, daß hier die kleinſten Theile der Koͤrper mit vieler Gewalt auf einander wirken, ſo bleibt uns doch die Art, wie ſie ſich ſo innig vereinigen, wie ſie einander ganz zu durchdringen ſcheinen, und wie dadurch die Natur des neuen Koͤrpers ſo ganz anders beſtimmt wird, endlich wie ſie bei dieſer innigen Vereinigung doch noch immer trennbar bleiben, und unter gehoͤrig angeordneten Umſtaͤnden wieder einzeln hervortreten, ſehr dunkel. Die atomi - ſtiſche Anſicht, welche den Koͤrpern eine weit uͤber die Grenzen unſerer ſinnlichen Wahrnehmung hinaus gehende Theilbarkeit bei - legt, kann uns zwar zu einer Verdeutlichung dieſer Erſcheinung dienen, aber die Unſicherheit, ob wir das, was die Grenzen unſerer ſinnlichen Wahrnehmung uͤberſchreitet, richtig anſehen, wird wohl nie gehoben werden. Stellen wir uns indeß die Koͤrper als in ihre feinſten Theilchen zerlegt, und nun das eine Theilchen des einen Koͤrpers mit einem, zwei oder mehr Theilchen des andern feſt ver - bunden vor, ſo koͤnnte unſerer Wahrnehmung der neue Koͤrper allerdings als ein gleichfoͤrmiger, von beiden vorigen ganz verſchie - dener Koͤrper erſcheinen, weil dieſe Verbindung ungleichartiger Theilchen weit uͤber die Grenzen deſſen hinausliegt, was wir noch erkennen. Bei dieſer engen Verbindung bliebe aber dennoch die Eigenthuͤmlichkeit der einen Materie wahrhaft ungeaͤndert, obgleich das vereinte Wirken zweier Materien auf unſere Sinne uns nicht mehr geſtattet, jene Eigenthuͤmlichkeit wahrzunehmen; die doch immer nur neben einander liegenden, wenn gleich durch ſtarke Anziehungskraͤfte an einander geknuͤpften Beſtandtheile blieben immer faͤhig, einzeln wieder in neue Verbindungen einzugehen, ſobald ſtaͤrkere Kraͤfte als die, welche die vorige Verbindung erhiel - ten, dazu Veranlaſſung gaͤben. Wenn wir es uns ſo denken, ſo iſt es zwar freilich moͤglich, daß wir in unſerm Schließen von dem Bekannten auf das Unbekannte irren; aber doch ſcheint es immer der am wenigſten unſichere Weg in der Naturforſchung zu ſein, wenn wir die Erſcheinungen unter ſinnliche Vorſtellungen bringen,39 und uns die Vorſtellung von dem, was unſere Sinne nicht mehr erkennen, durch Vergleichung mit dem deutlich Erkennbaren er - leichtern.

Cryſtalliſation.

Noch dunkler bleiben uns die Urſachen, warum die Koͤrper bei dem Ausſcheiden aus fluͤſſigen Aufloͤſungen in ſo beſtimmten Ge - ſtalten hervortreten, wie es bei dem Cryſtalliſiren der Fall iſt. Es iſt bekannt, daß eine große Menge von Koͤrpern, zum Beiſpiel die Salze, ſich immer nur in gewiſſen Formen darſtellen, daß dieſe Formen regelmaͤßig ſind, und, wenn gleich hie und da an der vollkommenen Ausbildung gehindert, durch Nebenumſtaͤnde abge - aͤndert, doch dem Weſentlichen nach immer wieder ſo hervorgehen. Selbſt in dem Innern mancher Koͤrper, die uns gewoͤhnlich keine cryſtalliſche Bildung verrathen, findet dieſe, in vielen Faͤllen we - nigſtens, ſtatt, und ſie tritt oft bei der Aufloͤſung ſo hervor, daß einige Theile des feſten Koͤrpers, eines Metalles zum Beiſpiel, leichter aufgeloͤſt werden, und einen cryſtalliſch geformten Koͤrper uͤbrig laſſen. Einer der bekannteſten und leicht anzuſtellenden Ver - ſuche, der ſolche Cryſtallformen, wenn auch nur unvollkommen, zeigt, iſt die Darſtellung des ſogenannten Metall-Moors (Moirée métallique), wo man eine recht rein abgewaſchene Tafel verzinnten Eiſenbleches mit einer verduͤnnten Salpeterſaͤure uͤbergießt oder benetzt, und in kurzer Zeit die mannigfaltigen bald baumartigen, bald anders geformten, cryſtalliniſchen Gefuͤge hervorgehen ſieht, deren Schoͤnheit man durch oͤrtliche Erhitzung auf der andern Seite des Bleches befoͤrdert. Die Cryſtallformen, die man hier hervor - treten ſieht, ſind diejenigen, welche das Zinn durch die Erſtarrung beim Verzinnen des Bleches angenommen hat, die aber ohne jene Einwirkung der Saͤure unſerm Auge unkenntlich geblieben waͤren. Eine aͤhnliche Cryſtallbildung in Koͤrpern, die ſie gewoͤhnlich nicht zeigen, kann man erhalten, wenn man bei Schmelzung durch Waͤrme die beim Erkalten entſtandene Rinde durchſtoͤßt, ehe noch die innern Theile erhaͤrtet ſind, indem dann durch das Ausfließen des noch unerhaͤrteten Koͤrpers die bis dahin entſtandene Cryſtall - bildung frei liegend wird.

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Die Bildung der Salzcryſtalle, ſie moͤgen nun beim Ab - dampfen, oder beim Erkalten in den Faͤllen, wo die kalte Aufloͤſung nicht ſo viel Salz als die warme Aufloͤſung enthaͤlt, entſtehen, iſt im Allgemeinen bekannt genug. Die Cryſtalle bilden ſich deſto groͤßer aus, je langſamer die Zuruͤckfuͤhrung in den feſten Zu - ſtand ſtatt findet, und je mehr die Fluͤſſigkeit dabei in Ruhe bleibt. Merkwuͤrdig iſt dabei, daß, ſo weit unſere Beobachtungen gehen, die Geſtalt der Cryſtalle gleich vom kleinſten Anfange an dieſelbe iſt, wie bei der nachherigen Vergroͤßerung, und daß man die Ausbildung dieſer Form ſelbſt unter dem Microſcop nicht eigentlich verfolgen kann.

Welche Kraͤfte wir uns hier als wirkend denken muͤſſen, was fuͤr Eigenſchaften die kleinſten Theilchen beſitzen muͤſſen, um ſich gerade in ſo beſtimmter Ordnung an einander anzulegen, das ſcheint dem Scharfſinn der Naturforſcher noch ganz und gar ein Raͤthſel zu ſein. Es iſt offenbar, daß wir die ganze Natur der feſten Koͤrper, die Urſache ihrer mannigfaltigen Bildung, den Grund ihres in gewiſſen Richtungen groͤßern, in andern Richtungen geringern Zuſammenhanges verſtehen wuͤrden, wenn wir eine Einſicht in die Wirkungs-Art dieſer Kraͤfte beſaͤßen.

Aber ſelbſt uͤber das naͤher liegende, uͤber die verſchiedenen Formen, die bei der Cryſtalliſirung ſtatt finden, uͤber die ſyſtema - tiſche Ueberſicht dieſer Cryſtallformen u. ſ. w. kann ich Sie hier nicht unterhalten, weil der Gegenſtand viel zu weitlaͤufig iſt, um hier eingeſchaltet zu werden, und in der That die Cryſtallographie zu einer ziemlich ſchwer zu uͤberſehenden, ausgedehnten Wiſſenſchaft geworden iſt. Nur die Bemerkung mag hier noch Platz finden, die Hauͤy zuerſt als Begruͤndung einer vollkommenen Cryſtallographie gemacht hat, daß aus einerlei Grundform ſehr ungleiche Cryſtalle durch bloße Zuſammenſetzung aus jener Grundform hervorgehen koͤnnen.

Die Cryſtalle laſſen ſich in gewiſſen Richtungen ſehr leicht, in andern Richtungen ſchwer zerlegen, und bieten daher natuͤrliche Durchgangsſchichten dar. Wenn man dieſe Blaͤttchen nach und nach abhebt, ſo findet man ſie nicht allemal den Seitenflaͤchen parallel, ſondern ſie koͤnnen zum Beiſpiel bei einem pyramidaliſch zugeſpitzten Theile gar wohl gegen die Axe dieſer Pyramide ſenkrecht41 ſein, ſtatt daß ſie in andern Faͤllen den Oberflaͤchen parallel ſind. Betrachtet man dieſe natuͤrlichen Schichten des Cryſtalles als aus lauter gleichen regelmaͤßigen Koͤrpern beſtehend, die man integrirende Theilchen genannt hat, ſo koͤnnen alle dieſe uͤber einander liegenden Schichten entweder ſaͤmmtlich aus einer gleichen Anzahl ſolcher Theilchen beſtehen, und dann bleibt jede folgende Schichte, alſo auch die die letzte Oberflaͤche bildende gleich groß, die Oberflaͤche ſelbſt iſt den Schichten parallel; oder dieſe Schichten beſtehen nach der Laͤngenrichtung aus immer gleich vielen Theilchen, waͤhrend ihre Zahl nach der Querrichtung abnimmt; dann bilden dieſe immer ſchmaͤleren, endlich bis zu einer bloßen einfachen Reihe von Theilchen abneh - menden Schichten eine dachfoͤrmige Geſtalt; oder die Schichten nehmen zugleich an Laͤnge und Breite ab, bis ſie ſich in eine Spitze endigen und eine Pyramidenform hervorbringen. Dies reicht hin, um einen Begriff von den ungleichen Geſtalten zu geben, die aus gleichen integrirenden Theilchen hervorgehen koͤnnen, und um oben - hin zu uͤberſehen, daß die Mannigfaltigkeit der Formen theils nach der Verſchiedenheit der integrirenden Theilchen, theils nach dieſem Geſetze der Zuſammenſetzung ſehr groß ſein kann; daß aber be - ſtimmte integrirende Theilchen doch nur beſtimmte Formen geben koͤnnen, und daher gewiſſe Koͤrper zwar zu verſchiedenen Cryſtall - formen, aber doch nur zu denen, die einer einzigen Art integrirender Theilchen entſprechen, geneigt ſind. Ein Beiſpiel von der einfachſten Art wird dies deutlich machen. Wenn man ſehr kleine Wuͤrfel ſo auf und an einander ſchichtet, daß alle Schichten zehn Reihen in der Laͤnge und zehn Reihen in der Breite haben, ſo gelangt man durch zehn Schichten zu einem großen Wuͤrfel, der tauſend jener kleinen Wuͤrfel enthaͤlt, und der Wuͤrfel, Cubus, iſt alſo eine der Cryſtallformen, die aus jenen Wuͤrfelchen hervorgehen kann. Aber nun laſſe man auf jede aus hundert Wuͤrfelflaͤchen gebildete Seite des Wuͤrfels eine Schichte von 9 mal 9, auf dieſe eine Schichte von 8 mal 8, von 7 mal 7, von 6 mal 6 Wuͤrfeln, ſo aufgeſetzt ſein, daß die Seitenreihen jedesmal frei bleiben; ſo entſteht auf jeder Wuͤrfelſeite eine vierſeitige Pyramide, und bei dem angenom - menen Geſetze findet ſich, daß die Ebenen sOI, tOI eine einzige vierſeitige Seitenflaͤche bilden (Fig. 18 *), und daß dies an allen Seiten ſo der Fall iſt. Bei dem Uebereinanderſchichten mit gleich -42 maͤßiger Abnahme hat ſich alſo aus Wuͤrfeln ein regelmaͤßiger Cryſtall mit 12 gleichen Seitenflaͤchen gebildet; denn die vier Sei - tenflaͤchen, die uͤber jeder der 6 Wuͤrfelflaͤchen entſtanden, wuͤrden 24 dreiſeitige Flaͤchen geben; da aber immer zwei derſelben ſich zu einer vierſeitigen vereinigen, ſo hat der Koͤrper 12 gleiche vierſeitige Seitenflaͤchen.

Doch dieſe Betrachtung iſt nur ein geringer Anfang deſſen, was die Cryſtallographie und Cryſtallonomie leiſtet. Ueber die, wie es ſich aus den Lichtphaͤnomenen zu ergeben ſcheint, nicht nach allen Richtungen gleiche anziehende Kraft der Theilchen, und uͤber die Moͤglichkeit, daraus die Bildung der Cryſtalle abzuleiten, wage ich nicht etwas weiter zu ſagen, da dieſer Gegenſtand mir noch viel zu wenig klar entwickelt zu ſein ſcheint.

Dritte Vorleſung.

So wenig es auch meine Abſicht iſt, m. h. H., und ſo wenig ich, als weit davon entfernt, mich fuͤr einen Chemiker auszugeben, es wagen darf, mich in eine tiefere Entwickelung chemiſcher Gegen - ſtaͤnde einzulaſſen, ſo ſcheint es mir doch, daß einige in der neuern Chemie mit Gluͤck beantwortete Hauptfragen hier noch erwaͤhnt werden muͤſſen, und von einigen Koͤrpern und ihren Verbindungen hier geredet werden muß, ſo ſehr auch immer dieſe fragmentariſche Darſtellung das Anſehn der Willkuͤhr und der Unzulaͤnglichkeit haben mag.

Von der Auffindung der einfachern Beſtandtheile zuſammen - geſetzter Koͤrper habe ich Ihnen einen Begriff zu geben geſucht; aber die Frage, welche Koͤrper ſollen wir denn als einfach anerken - nen, in welche Claſſen laſſen ſich dieſe einfachen Koͤrper eintheilen, nach welchen Geſetzen gehen ſie Verbindungen ein, habe ich noch gar nicht beruͤhrt.

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Imponderable Stoffe.

Was die einfachen Koͤrper betrifft, ſo ſind wir genoͤthigt, ma - terielle Einwirkungen auch da einzuraͤumen, wo wir keine waͤgbare Subſtanzen als wirkend antreffen. Licht, Waͤrme und Electricitaͤt, obgleich ſie ſich nicht durch Schwere als Materie zeigen, obgleich wir nur ihre Wirkungen wahrnehmen und ihre Materialitaͤt nicht mit den Mitteln, wie bei andern Stoffen, nachweiſen koͤnnen, zeigen ſich doch ſo einwirkend auf die Koͤrper, daß wir ſie nicht anders als fuͤr Materie anſehen koͤnnen. Die Chemie ſpricht am haͤufigſten vom Waͤrmeſtoff als Beſtandtheil der Koͤrper, und ob - gleich ich ſpaͤter auch von der Einwirkung des Lichtes und der Electricitaͤt werde reden muͤſſen, ſo wird die Gelegenheit, ſie zu erwaͤhnen, ſich hier doch noch nicht gerade darbieten.

Ponderable einfache Koͤrper.

Die Eintheilung der waͤgbaren einfachen Koͤrper hat bei den jetzt ſehr erweiterten und tiefer gehenden chemiſchen Kenntniſſen große Schwierigkeit, und wenn gleich von der einen Seite die große Reihe metalliſcher Koͤrper ſich ziemlich leicht als eine Hauptclaſſe darſtellt, ſo iſt es doch dagegen gar nicht leicht, bei den uͤbrigen als einfach erkannten Koͤrpern gewiſſe gleiche Eigenthuͤmlichkeiten anzu - geben, oder bequeme Merkmale, nach welchen ſie wieder eingetheilt werden koͤnnten, nachzuweiſen. Gmelins Bemerkung, daß bei jeder Verbindung zweier Stoffe der eine mehr als chemiſch for - mendes Princip, der andere mehr als chemiſch geform - tes Princip angeſehen werden koͤnne, und daß die nicht metalli - ſchen Stoffe den Character des formenden Princips vorzugsweiſe beſitzen, ſcheint die Eintheilung noch am meiſten ins Licht zu ſtellen; doch da ich hier nicht in den ganzen Umfang dieſer Unter - ſuchung einzugehen wagen darf, ſo will ich mich mehr bemuͤhen, von einigen bekanntern und wichtigern, mit andern Zweigen der Phyſik in naͤherer Beziehung ſtehenden Stoffen etwas zu ſagen, als mich uͤber alle zu verbreiten.

Sauerſtoff.

Manche Stoffe kennen wir nur in luftfoͤrmiger Geſtalt und nehmen, aus Gruͤnden, die in der Lehre von der Waͤrme vor -44 kommen, an, daß ſie dieſe gasfoͤrmige elaſtiſche Natur ihrer Ver - bindung mit dem Waͤrmeſtoffe verdanken. Ein ſolcher Stoff iſt der Sauerſtoff, das Oxygen, der mit Waͤrmeſtoff verbunden in der Sauerſtoffluft (dem Oxygengas, der Lebensluft) vorhanden iſt. Man hat ihn Sauerſtoff genannt, oder Oxygen, Saͤure erzeugend, weil man eine Zeit lang ſich berechtigt glaubte anzu - nehmen, daß die Saͤuren nur durch ſeine Verbindung mit andern Koͤrpern entſtaͤnden. Der Sauerſtoff iſt in der groͤßten Menge auf der Erde vorhanden, indem er einen Hauptbeſtandtheil der Atmoſphaͤre, einen Hauptbeſtandtheil des Waſſers ausmacht und faſt mit allen Koͤrpern Verbindungen eingeht. Bei der Verbindung mit gewiſſen Koͤrpern, z. B. Kohlenſtoff, Phosphor, Schwefel und andern, bildet er Saͤuren, die ſich nicht allein durch ſauern Geſchmack, ſondern auch durch ihre Eigenſchaft mehrere blaue Pflanzenfarben zu roͤthen und mit alcaliſchen Koͤrpern und Metallen Salze zu bilden, auszeichnen. Der Sauerſtoff iſt derjenige Be - ſtandtheil der Luft, welcher das Verbrennen unterhaͤlt und beim Athmen das Leben zu erhalten dient. Er verbindet ſich mit den Metallen zu Oxyden, mit der Kohle beim Verbrennen zu kohlen - ſaurer Luft u. ſ. w.

Waſſerſtoff.

Ihm in gewiſſer Hinſicht gegenuͤberſtehend (bei der electriſchen Beſchaffenheit der Koͤrper koͤmmt er als dem poſitiven Ende nahe ſtehend, vor, ſo wie der Sauerſtoff dem negativen) iſt der Waſ - ſerſtoff, das Hydrogen, den wir auch nur in Luftform einfach darſtellen koͤnnen. Er iſt im Waſſer mit dem Sauerſtoff zu einem Koͤrper verbunden und hat daher, als Waſſer bildend, ſeinen Namen. Die Waſſerſtoffluft, das Hydrogengas, iſt eine brenn - bare Luft, die erhitzt ſich entzuͤndet und fortbrennt, wenn der Zu - tritt des Sauerſtoffgas ſtatt findet. Bei dieſer Verbrennung ver - binden ſich die ſchweren Beſtandtheile dieſer Luft-Arten zu Waſſer, und zwar ſo, daß ein Maaß Sauerſtoffgas verzehrt wird, indem zwei Maaß (dem Volumen nach,) an Waſſerſtoffgas verbrennen. Da das ſpecifiſche Gewicht des Sauerſtoffgas 15,077 mal ſo groß, als das des Waſſerſtoffgas iſt, ſo machen alſo 15,077 Gewichts - theile Sauerſtoff und 2 Gewichtstheile Waſſerſtoff zuſammen Waſ -45 ſer, oder in 1000 Gewichtstheilen Waſſer ſind 883 Gewichtstheile Sauerſtoff, 117 Gewichtstheile Waſſerſtoff. Obgleich ſich der Waſſerſtoff hier ſo wie der Sauerſtoff, als eine geſchmackloſe, ge - ruchloſe Subſtanz, das reine Waſſer darſtellend, zeigt, ſo hat doch auch er die Eigenſchaft, durch ſeinen Zutritt Saͤuren zu bilden, die zum Theil von eben ſo kraͤftigen Wirkungen ſind, als die Sau - erſtoffſaͤuren. Mit dem Chlor bildet der Waſſerſtoff die Salzſaͤure, oder das ſalzſaure Gas, als eine ſehr ſtarke Waſſerſtoffſaͤure.

Das Waſſer entſteht durch Verbrennen des Waſſerſtoffgas in Sauerſtoffgas, und umgekehrt kann man Waſſerſtoffgas aus dem Waſſer darſtellen, theils in den oben ſchon erwaͤhnten Proceſſen, wo Waſſer mit Huͤlfe einer Saͤure, die auf ein Metall einwirkt, zerſetzt wird, theils indem man Waſſer durch eine weißgluͤhende eiſerne Roͤhre gehen laͤßt, wo der Sauerſtoff des Waſſers ſich zu einem Eiſen-Oxyd mit dem Eiſen verbindet, und der Waſſerſtoff als Waſſerſtoffgas frei wird.

Stickſtoff.

Ein dritter Stoff, den wir nur luftfoͤrmig kennen, iſt der Stickſtoff. Die Stickſtoffluft macht einen ſehr großen Theil der atmoſphaͤriſchen Luft aus; ſie iſt allein nicht geeignet, das Ver - brennen zu unterhalten und ebenſo wenig iſt ſie tauglich zur Er - haltung des thieriſchen Lebens. Der Stickſtoff verbindet ſich che - miſch in verſchiedenen Verhaͤltniſſen mit dem Sauerſtoff und bildet<