PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Lehrbuch der Gynaͤkologie, oder ſyſtematiſche Darſtellung der Lehren von Erkenntniß und Behandlung eigenthuͤmlicher geſunder und krankhafter Zuſtaͤnde, ſowohl der nicht ſchwangern, ſchwangern und gebaͤrenden Frauen, als der Woͤchnerinnen und neugebornen Kinder.
Zur Grundlage akademiſcher Vorleſungen, und zum Gebrauche fuͤr praktiſche Aerzte, Wundaͤrzte und Geburtshelfer,
Erſter Theil.
Mit einer Kupfertafel.
Leipzig,bey Gerhard Fleiſcher. 1820.
[II][III]

Vorrede.

Wenn die Lehre von der Behandlung geſunder und krankhafter Zuſtaͤnde des weiblichen Koͤrpers uͤberhaupt, und beſonders waͤhrend des hoͤchſtwichtigen Zeitpunktes der Geburt, in neuer Zeit, verglichen mit dem Zuſtan - de in welchem ſie ſich noch vor ungefaͤhr hundert Jah - ren befunden, ſo große Fortſchritte gemacht hat, ſo ver - danken wir dieſes unfehlbar außer dem Einfluße des Fortſchreitens geſammter aͤrztlicher Wiſſenſchaft, doch ins - beſondere der auch in dieſem Zweige nach und nach im - mer mehr verloͤſchenden widernatuͤrlichen Trennung zwi -IV ſchen Chirurgie und Medicin. Man darf ſicher behaup - ten daß vorzuͤglich die Behandlung des Geburtsgeſchaͤfts wenig erſprießliche Folgen haben konnte, ſo lange ſie als bloßes Conglomerat gewiſſer mechaniſcher Fertigkei - ten erſchien, die Beobachtung eigentlicher lebendiger Wirkſamkeit des Organismus aber faſt ausgeſchloſſen blieb, und man darf ſogar uͤberhaupt annehmen daß Krankheiten des weiblichen Koͤrpers, ſo lange dem Arzte nicht eine klare Einſicht in die eigenthuͤmliche Natur dieſes Geſchlechts vorſchwebte, nur wenig natur - gemaͤß behandelt werden konnten. Die Erkenntniß dieſer Wahrheiten hat nun allmaͤhlig immer mehr auf Vernichtung der engen Grenzen, worin die Entbindungskunſt ſich eingezwaͤngt ſah, hingewieſen, und darauf gedrungen, die Lehre von der Huͤlfsleiſtung bei der Geburt nur als eine beſondere Disciplin der Lehre von der Natur und Behandlung des weiblichen Koͤrpers uͤberhaupt anzuer - kennen. Maͤnner wie Boër, mein trefflicher ehemaliger Lehrer Profeſſor Joͤrg, Schmidmuͤller, Nolde, Schmitt, Fauſt, haben in dieſem Sinne gelehrt und geſchrieben, und wie ich mich ſelbſt praktiſch mehr mit dieſem Zweige der Heilkunde befaßte, vorzuͤglich aberV ſeit ich 1814 die Direktion einer bedeutenden Entbin - dungsanſtalt uͤberkam, wurde mir dieſes ſo zur feſten Ueberzeugung, daß ich nicht nur nach dieſen Grund - ſaͤtzen meine Vortraͤge ordnete, ſondern fortwaͤhrend darauf bedacht war, Materialien zu ſammeln, um eine Darſtellung der geſammten Gynaͤkologie, welche als Ganzes bisher noch nirgens abgehandelt iſt, einſt daraus zu geſtalten.

Nachdem ich endlich mit der Ausarbeitung meiner naturwiſſenſchaftlichen Studien zu einem Ganzen, durch die Herausgabe meiner Zootomie, nicht ſowohl abgeſchloſ - ſen, ſondern mich nur durch Ordnung des Erworbenen zu weitern Forſchungen vorbereitet und erleichtert hatte, ſchritt ich zur Ausfuͤhrung dieſes Plans, welche Arbeit jetzt dem Publikum zu uͤbergeben ich mich im Begriff ſehe. Ich lege dieſe Schrift fortwaͤhrend meinen Vor - traͤgen zum Grunde, und wuͤrde mich freuen wenn auch andere Lehrer dieſelbe fuͤr gleichen Zweck zu benutzen angemeſſen faͤnden, habe denn auch deßhalb durchgaͤngig einer Praͤciſion nachgeſtrebt, wodurch die Betrachtung der vielfachen hierher gehoͤrigen Gegenſtaͤnde, welche in anderen Werken (z. B. dem in 4 Baͤnden noch nichtVI geſchloſſenen ſchaͤtzbaren Lehr - und Handbuche uͤber Ent - bindungskunſt und Frauenzimmerkrankheiten des H. v. Siebold) in einem groͤßern Umfange abgehandelt worden ſind, in dem Raum zweier Baͤnde zu beendigen moͤglich wurde. Demungeachtet hat mich indeß dieſe Ruͤckſicht auch nicht abhalten koͤnnen, bey moͤglicher Kuͤrze doch den einzelnen Gegenſtaͤnden diejenige Aus - fuͤhrung zu geben, wodurch dieſes Buch zugleich Hand - buch fuͤr angehende Aerzte, und uͤberhaupt zum Nach - ſchlagen fuͤr beſondere Faͤlle im praktiſchen Leben brauchbar werden konnte; denn was den muͤndlichen Vortrag be - trifft, ſo glaube ich nicht, daß er etwa nur dadurch indem er dem Zuhoͤrer einige Kenntniſſe welche in dem abſichtlich gewaͤhlten duͤrftigen Compendium fehlen, mit - theilt (obwohl man ſie in jedem andern Handbuche leicht nachleſen kann), ſondern dadurch ſeine wahre Bedeutung erfuͤllt, daß er durch lebendiges Wort und Wechſelrede den Sinn fuͤr das ſelbſtthaͤtige Eindringen in irgend eine Wiſſenſchaft erwecke.

Mit Beifuͤgung literariſcher Notitzen glaubte ich nur ſparſam verfahren zu muͤſſen, da ich es hier fuͤrVII die Hauptaufgabe hielt, zunaͤchſt die Sache ſelbſt, und zwar das Gepruͤfte und durch Erfahrung Bewaͤhrte, klar und beſtimmt darzuſtellen. Daß die zweckmaͤßige Benutzung des von Andern Geleiſteten hierbei nicht uͤbergangen iſt, wird man hoffentlich bemerken, jedoch auch ſich uͤberzeugen daß ich, wo die Natur mir einen andern Weg zeigte, durchaus keiner bloßen Auto - ritaͤt gefolgt bin. Außer den literariſchen Huͤlfsmitteln und in manchen ſchwierigen Punkten dem Rath gelehrter Freunde, unter denen ich insbeſondre meine verehrten Collegen Hofrath Seiler und Kreyſig zu nennen mich verpflichtet fuͤhle, habe ich ſo viel als moͤglich durchgaͤn - gig auf Naturbeobachtung mich geſtuͤtzt, wozu mir ins - beſondre die ſeit 1814 in den Annalen der Entbindungs - antalt genau aufgezeichneten mehr als tauſend Geburts - faͤle Materialien liefern konnten, und ſo unterwerfe ich nit dem Bewußtſeyn uͤberall das Beſte treu beabſichtigt zu haben, dieſe Arbeit dem Urtheile ſachkundiger Richter.

Der Druck dieſes erſten Theils war uͤbrigens bereits im vorigen Jahre beendigt, und wenn er ſelbſt erſt jetzt erſcheint, ſo iſt es nur um den zweiten Theil,VIII welcher die phyſiologiſchen und pathologiſchen Zuſtaͤnde der Schwangern, Gebaͤrenden, Woͤchnerinnen und Neu - geborenen umfaſſen wird, dieſem erſteren in kurzer Zeit nachfolgen zu laſſen.

Dresden, d. 1. Mai 1820.

Dr. C. G. Carus.

IX

Inhalt des erſten Theils der Gynaͤkologie.

  • EinleitungSeite 1
  • I. Allgemeine Gynaͤkologie.
  • Erſter Abſchnitt. Von den Eigenthuͤm - lichkeiten im Baue und Leben des Wei - bes (allgemeine Phyſiologie) 15
  • 1) Eigenthuͤmlichkeiten in der Geſammtform des weiblichen Koͤrpers
  • 2) Eigenthuͤmlichkeiten im Baue der weiblichen Ge - ſchlechtstheile und des weiblichen Beckens 20
  • I. Zeichenlehre der weiblichen Geſchlechtstheile 35
  • II. Zeichen des regelmaͤßig gebildeten Beckens 40
  • 3) Eigenthuͤmlichkeiten der weiblichen phyſiſchen und pſychiſchen Lebensaͤußerungen
  • Zweiter Abſchnitt. Von der Eigenthuͤm - lichkeit in den Krankheiten des weib - lichen Geſchlechts (allgemeine Patho - logie 57
  • X
  • Dritter Abſchnitt. Von der aͤrztlichen Behandlung des weiblichen Organis - mus im geſunden und kranken Zuſtande (allgemeine Diaͤtetik und TherapieSeite 61
  • I. Von der Perſoͤnlichkeit des Frauenarztes und Geburtshelfers 62
  • II. von der Art und Weiſe die verſchiedenen Zu - ſtaͤnde des weiblichen Koͤrpers auszumitteln und zu unterſuchen.
  • 1) Unterſuchung durch Geſicht und Getaſt. a) die aͤußerliche 68
  • b) Innere Manualunterſuchung. 72
  • 2) Inſtrumental-Unterſuchung 76
  • III. Von den allgemeinen Regeln der Diaͤtetik und Therapie fuͤr das weibliche Geſchlecht.
  • a) Diaͤtetik 80
  • b) Therapie 84
  • II. Specielle Gynaͤkologie. Erſter Theil. Vom Leben des Weibes an und fuͤr ſich, im geſunden und kranken Zuſtande.
  • Erſter, phyſiologiſch-diaͤtetiſcher Abſchnitt.
  • I. Von der normalen Entwickelung, Reife und Er - toͤdtung des Geſchlechtscharakters 89
  • II. Von den Regeln der Diaͤtetik waͤhrend der drei weiblichen Lebensperioden insbeſondere 98
  • Zweiter, pathologiſch-therapeutiſcher Ab - ſchnitt.
  • Erſte Abtheilung. Von den Krankheiten in der erſten Lebensperiode des weiblichen Koͤrpers 101
  • XI
  • I. Von den angebornen Fehlern weiblicher Genitalien. 1) Von krankhaften Bildungen der aͤußern Ge - ſchlechtstheileSeite 101
  • 2) Von krankhaften Bildungen der innern Ge - ſchlechtstheile 104
  • II. Von der krankhaft zu zeitig entwickelten Pubertaͤt 106
  • Zweite Abtheilung. Von den Krankheiten in der Zeit der Geſchlechtsreife 113
  • I. Allgemeine Krankheitszuſtaͤnde.
  • 1) Unregelmaͤßigkeiten der Menſtrualfunktion 114
  • A. Mangelnde oder verzoͤgerte. Entwickelung der Men - ſtrualfunktion 115
  • B. Unvollkommene Menſtruation 127
  • C. Uebermaͤßiges Hervortreten der Menſtrualfunktion 143
  • D. Hemmung oder Unterdruͤckung der Menſtrualfunktion 151
  • 2) Beſondere durch Unregelmaͤßigkeiten der Puber - taͤtsentwickelung begruͤndete Krankheitszuſtaͤnde 156
  • 1. Verſtimmung der Reproduktion waͤhrend der Pu - bertaͤtsentwickelung.
  • Bleichſucht 158
  • 2. Verſtimmung der animalen Funktionen waͤhrend der Pubertaͤtsentwickelung 172
  • 3) Mutterwuth, Manntollheit 216
  • 4) Unfruchtbarkeit 221
  • 5) Hyſterie, Mutterbeſchwerung 231
  • II. Krankheitszuſtaͤnde der einzelnen weiblichen Ge - ſchlechtsorgane 253
  • I. Krankheiten der Gebaͤrmutter.
  • XII
  • A. Stoͤrungen des Bildungslebens. 1) Entzuͤndung der nicht ſchwangern GebaͤrmutterSeite 254
  • 2) Blutfluß der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter 272
  • 3) Weißer Fluß, Schleimfluß der weiblichen Ge - burtstheile 294
  • 4) Waſſerſucht der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter 309
  • 5) Von den verſchiedenen ſpeckigen, fleiſchigen oder knoͤchernen Ausartungen der nicht ſchwangern Ge - baͤrmutter 316
  • 6) Von den polypoͤſen Auswuͤchſen an der innern Flaͤche der Gebaͤrmutter 326
  • 7) Von der boͤsartigen Verhaͤrtung und dem offe - nen Krebſe der Gebaͤrmutter 339
  • B. Abnorme Lagen der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter.
  • 1) Vorfall der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter 364
  • 2) Schieflagen der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter. 1) Vorwaͤrtsneigung 379
  • 2) Ruͤckwaͤrts eigung oder Zuruͤckbeugung 381
  • 3) Umkehrung oder Umſtuͤlpung der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter 383
  • II. Krankheiten der Mutterſcheide 388
  • 1) Von den Mutterſcheidenpolypen
  • 2) Von dem Vorfalle der Mutterſcheide 389
  • 3) Von dem Mutterſcheidenbruche 393
  • Mittelfleiſchbruch 399
  • III. Krankheiten der Eierſtoͤcke 400
  • 1) Entzuͤndung der Eierſtoͤcke
  • 2) Waſſerſucht der Eierſtoͤcke 406
  • XIII
  • 3) Von den Speck - und Fleiſchgeſchwuͤlſten, Verknoͤ - cherungen, ſo wie von Erzeugung fremder Koͤrper in den EierſtoͤckenSeite 412
  • IV. Krankheiten der Bruͤſte 414
  • 1) Krankhafte Entwickelung der Bruͤſte in den Zeu - gungsfaͤhigen Jahren uͤberhaupt.
  • 1) Congeſtionen nach den Bruͤſten und Schmerzhaft - werden derſelben 415
  • 2) Unvollkommene Ausbildung der Bruͤſte und vorzei - tiges Welken derſelben 417
  • 3) Uebermaͤßige Ernaͤhrung und Fettanhaͤufung um dieſelben 418
  • 2) Beſondere Degenerationen im Innern der Bruͤſte 419
  • 1) Von den Milchknoten in den Bruͤſten 420
  • 2) Von den ſkrophuloͤſen Verhaͤrtungen der Bruͤſte 422
  • 3) Von den Balggeſchwuͤlſten der Bruͤſte 423
  • 4) Lymphatiſche und Blutgeſchwuͤlſte der Bruͤſte 427
  • 5) Vom Skirrhus und Krebs der Bruͤſte 428
  • V. Von einigen krankhaften Zuſtaͤnden der aͤußern Geburtstheile 441
  • VI. Von einigen krankhaften Zuſtaͤnden der weiblichen Harnwege 445
  • 1) Von der betraͤchtlichen Erweiterung der Harnroͤhre
  • 2) Gefaͤßgeſchwulſt der Muͤndung der Harnroͤhre und Verdickung der die Harnroͤhre umgebenden Zell - haut, nebſt varikoͤſer Beſchaffenheit ihrer Gefaͤße 447
  • 3) Von den Steinbeſchwerden des weiblichen Ge - ſchlechts 449
  • XIV
  • Dritte Abtheilung. Von den Krankheiten in der letzten Lebensperiode des weiblichen KoͤrpersSeite 454
  • I. Zu zeitiges Erloͤſchen der Menſtrualfunktion 455
  • II. Von der zu lange fortdauernden Menſtrualfunk - tion 457.
  • Erklaͤrung der zum erſten Theile gehoͤrigen Kupfertafel 459.
[1]

Lehrbuch der Gynaͤkologie.

1[2][3]

Einleitung.

§. 1.

Viel des Eigenthuͤmlichen und Beachtungswerthen ſowohl ſeiner Bildung, als ſeinem Leben nach, bietet der weibliche Koͤrper jeder aufmerkſamen phyſiologiſchen und aͤrztlichen For - ſchung dar. Abgeſehen ſogar von den eigentlichen Werkzeu - gen des Geſchlechts, finden wir ſo viel Ausgezeichnetes im Weſen und in der Art weiblicher Organiſation, ſehen dieß Al - les auf ſo regelmaͤßige und merkwuͤrdige Weiſe ſich entfalten, nehmen wahr ſo mannigfaltiger Aeußerungen eines beſondern Lebens, vom Erſcheinen der Geſchlechtsreife an, durch die hoͤchſte Entwicklung des Fortpflanzungsvermoͤgens bis zum Erloͤſchen dieſer Thaͤtigkeit hin, und bemerken endlich in alle dieſen Perioden ſo eigenthuͤmliche, nur in dieſem Koͤrper moͤg - liche Krankheitszuſtaͤnde, daß dieß uns wohl berechtigen darf, auch dieſen Kreis in ſich ſtreng verbundener Naturerſcheinun - gen, gleich ſo manchem andern, als ein geſchloſſenes Ganze, als einen abgeſonderten, fuͤr ſich beſtehenden Zweig der Na - tur - und namentlich der Heilwiſſenſchaft zu betrachten.

§. 2.

Indem es nun in vorliegender Arbeit unſer Zweck iſt, eine Ueberſicht ſaͤmmtlicher hierher gehoͤriger Gegenſtaͤnde, in ſo weit ſie den aͤrztlichen Wirkungskreis beruͤhren, zuſammen -4 zuſtellen; ſo glauben wir dieſelben unter dem Namen der Gynaͤkologie*)Von γυνη, γυναικος Weib und λογος Wort, Lehre. ſchicklich vereinigen zu duͤrfen. Ohne dem - nach das Wort Gynaͤkologie in ſeiner weiteſten Bedeutung zu nehmen (ſo wenig als wir dieß bey andern aͤhnlichen Wor - ten z. B. Phyſiologie zu thun gewohnt ſind) definiren wir es als: die Lehre von der Eigenthuͤmlichkeit des weiblichen Koͤrpers, ſeinem Bau, ſeinem Le - ben, ſeinen Krankheiten und der ihm angemeſſe - nen ſo diaͤtetiſchen als aͤrztlichen Behandlung nach.

§. 3.

So gewiß aber im Allgemeinen der volle Begriff eines Theiles nur erlangt wird aus der wohlaufgefaßten Idee des Ganzen, ſo unmoͤglich es z. B. ſeyn wuͤrde eine treue Vor - ſtellung vom Leben eines beſondern Organs zu erhalten, ohne deutliche Anſicht des geſammten organiſchen Koͤrpers, ſo un - zweckmaͤßig ſcheint es auch zu ſeyn, wenn die Geſchichte ei - niger beſondern Vorgaͤnge des weiblichen Lebens aus dem Ganzen der Gynaͤkologie herausgeriſſen und als eine in ſich beſchloſſene Lehre dargeſtellt werden ſoll. Demohnerachtet hat ein ſolches Verfahren ruͤckſichtlich der Geburtshuͤlfe bisher faſt allgemein Statt gefunden, und wir werden leicht hierin den Grund davon erkennen koͤnnen, daß eben die Geburtshuͤlfe bisher einer ſtrengern wiſſenſchaftlichen Ordnung ſo ſehr er - mangelte, ja ſogar ihr Begriff von Verſchiedenen auf ſo ver - ſchiedene Weiſe erfaßt wurde.

§. 4.

Streng genommen iſt aber Entbindungskunde oder Ge - burtshuͤlfe nur die Lehre von den Huͤlfsleiſtungen bey der Geburt, und doch, wer wird zu jeder dieſer Huͤlfsleiſtungen geſchickt ſeyn, wenn er nicht zugleich die Kenntniß der Schwan - gerſchaft, des weiblichen Beckens und dergl. mit ſich5 bringt? welcher Geburtshelfer wird den an ihn gemachten Anforderungen entſprechen koͤnnen, dafern er nicht vom nor - malen und abnormen Verlauf des Wochenbetts eine naturge - maͤße Anſicht ſich erworben hat? und wie endlich, koͤn - nen alle dieſe merkwuͤrdigen Vorgaͤnge des weiblichen Lebens begriffen werden ohne Erlangung einer klaren Idee vom We - ſen und Charakter des weiblichen Koͤrpers uͤberhaupt?

§. 5.

Dieſe Beduͤrfniſſe fuͤhlend wurde nun das Syſtem der Geburtshuͤlfe oft ein Aggregat der heterogenſten Beſtandtheile. Von einem Verfaſſer wurden ausfuͤhrlichere anatomiſche Be - ſchreibungen mit aufgenommen, von einem Andern die Krank - heiten der Woͤchnerinnen zugleich mit abgehandelt, von einem Dritten blos die Geſchichte normaler und abnormer Geburten mit den noͤthigen Vorkenntniſſen aus der Schwangerſchafts - lehre durchgegangen und die Beſchreibung der geburtshuͤlflichen Operationen beigefuͤgt, wieder andere wollten ſie blos auf Kenntniß mechaniſcher Huͤlfsleiſtungen beſchraͤnken u. ſ. w., kurz man ließ weg, ſetzte zu, richtete ein, alles nach Will - kuͤhr, und wenn auch bey ſo verſchiedenen Richtungen die Kunſt im Ganzen bedeutend gefoͤrdert wurde und das Fort - ſchreiten der Phyſiologie auch auf manche Punkte dieſer Dis - ciplin ein helleres Licht warf, ſo aͤußerte ſich doch noch im Innern der Mangel wahrer wiſſenſchaftlicher Geſetzmaͤtzigkeit, ein Mangel welcher ſo lange gefuͤhlt werden wird, als man etwas, das, gleich der Geburtshuͤlfe, nur Fragment eines groͤßern Ganzen iſt, als ein fuͤr ſich Beſtehendes aufſtellen will.

§. 6.

Bereits haben zwar mehrere ſcharfſinnige Gelehrte in dieſem Fach das Unvollſtaͤndige der Geburtshuͤlfe durch Aus - arbeitung eigener Schriften uͤber die Krankheiten des weibli - chen Geſchlechts zu ergaͤnzen, und ſo aus dieſen beiden Thei - len ein geordnetes Ganze zu ſchaffen geſucht; allein ſelbſt dieſe Trennung ſcheint noch zu gewaltſam, da in der Natur6 das Geburtsgeſchaͤft mitten zwiſchen die Vorgaͤnge der Schwan - gerſchaft und Wochenzeit eingefuͤgt iſt, da Krankheiten ſo oft aus einer in die andere Periode hinuͤberwirken, und da ge - burtshuͤlfliche Unterſuchungen, ja ſogar Operationen, auch bey krankhaften Zuſtaͤnden der Schwangern und Woͤchnerinnen, ja auch ſonſt, vorkommen koͤnnen.

§. 7.

Indem wir nun aber eben dieſe Trennungen zu vermei - den, und die geſammte Maſſe hierhin einſchlagender Kennt - niſſe zu einem Ganzen zu verbinden wuͤnſchten, wird es noͤ - thig ſeyn theils von dem Endzweck und der Eintheilung der Gynaͤkologie, theils von der Art des Studiums und den Ei - genthuͤmlichkeiten in der praktiſchen Anwendung derſelben noch einige naͤhere Schilderungen zu geben.

§. 8.

Endzweck der Gynaͤkologie kann aber kein ande - rer ſeyn, als den naturgemaͤßen Gang der Entwicklung des weiblichen Koͤrpers, ſo wie ſeiner mannigfaltigen eigenthuͤm - lichen Verrichtungen zu erhalten, oder dann wenn Stoͤrungen eintraten, die Entwicklung gehindert iſt, die Funktionen un - terbrochen werden, den naturgemaͤßen Gang wiederherzuſtellen oder jene krankhaften Zuſtaͤnde ſo unſchaͤdlich als moͤglich zu machen. Dieſer Zweck iſt zugleich fuͤr alle Perioden und Zu - ſtaͤnde des weiblichen Lebens derſelbe, und als Endzweck der Geburtshuͤlfe z. B. duͤrfte man daher keinesweges etwa blos das Beendigen der Geburt betrachten, vielmehr bleibt auch hier, Sorge fuͤr die Erhaltung naturgemaͤßen Geburtsver - laufs, und Sorge fuͤr deſſen Wiederherſtellung bey abnormen Verhaͤltniſſen (zuweilen alſo auch Verzoͤgerung der Geburt) oder zum Mindeſten moͤglichſtes Beſeitigen und Unſchaͤdlich - machen vorhandener Abnormitaͤten Hauptaugenmerk des Ge - burtshelfers.

7

§. 9.

Die Eintheilung der Gynaͤkologie wird ſich aus einer Erwaͤgung der verſchiedenen Lebenszuſtaͤnde des weiblichen Koͤrpers leicht ergeben, und vollkommen wiſſenſchaftlich d. i. ſtreng logiſch ſeyn koͤnnen, was bisher in der geſonderten Be - handlung ihrer Theile nirgends moͤglich war. Sie zerfaͤllt aber zuvoͤrderſt in einen allgemeinen und ſpeciellen Theil, von welchen der erſtere a) den beſondern Bau des weiblichen Koͤrpers und ſeine allgemeinern Lebensverhaͤltniſſe b) den gemeinſamen Charakter ſeiner Krankheiten c) die allge - meinen Grundſaͤtze der Behandlung dieſer Krankheiten und der weiblichen Natur im Allgemeinen umfaſſen muß. Die ſpe - cielle Gynaͤkologie hingegen betrachtet den weiblichen Koͤr - per als begriffen in ſeinen beſondern Verrichtungen und zwar er - ſtens den Verlauf ſeiner Lebenserſcheinungen im geſunden und kranken Zuſtande blos an und fuͤr ſich, ohne Ruͤckſicht auf die Zuſtaͤnde erhoͤhter Geſchlechtsthaͤtigkeit bey Schwangerſchaft, Ge - burt u. ſ. w., indem der ganze Kreis des weiblichen Lebens al - lerdings beſchloſſen werden kann, ohne daß dieſe Zuſtaͤnde ein - traten. Es wuͤrden aber drei Perioden in dieſem Leben zu un - terſcheiden ſeyn: a) die der Entwicklung, oder der Kindheit b) die der Geſchlechtsreife und c) die des Abſterbens der Ge - ſchlechtsfunktion oder des Alters.

§. 10.

Zweitens aber wird es Gegenſtand der Gynaͤkologie, das weibliche Leben in dem ihm eigenthuͤmlichſten Zuſtande er - hoͤhter Geſchlechtsthaͤtigkeit, d. i. in dem Verhaͤltniſſe zu einem Erzeugten, und zwar gleichfalls im normalen und abnormen Gange zu betrachten. Es gehoͤrt folglich hierher die Geſchichte der Schwangerſchaft, Geburt und des Wochenbetts; dreier Pe - rioden des weiblichen Lebens, welche auf das Beſtimmteſte jenen allgemeinen Lebenskreis wiederholen, und einen nicht minder be - ſchloſſenen Ring darſtellen, in welchem die Schwangerſchaft der allgemeinen Koͤrperentwicklung, die Geburt der Geſchlechtsreife, ſo wie das Wochenbett und die Stillungsperiode, als Uebergang und8 Ruͤckkehr zu einem fruͤhern Zuſtande, der Periode der Decrepidi - taͤt entſprechen wird. In allen dieſen drei Perioden iſt ſonach nicht mehr das Weib an und fuͤr ſich, ſondern im Verhaͤlt - niß und in Wechſelwirkung, mit einem zweiten in ihm Ent - ſtandenen, Gegenſtand der Unterſuchung, und ſo wie man daher laͤngſt ſich genoͤthigt ſah, den Koͤrper und das Leben des Kindes bey der Geſchichte der Geburt ausfuͤhrlicher zu beruͤckſichtigen, ſo wird es nun, bei einer umfaſſendern Be - handlung nothwendig, das Erzeugte, gleichſam als einen Theil, als ein vom Mutterkoͤrper aus ernaͤhrtes Gebild, ſei - ner mannigfaltigen normalen ſowohl als abnormen Beſchaf - fenheit nach in allen jenen drei Perioden zu betrachten.

§. 11.

Es wird ſich auf dieſe Weiſe der Plan fuͤr die ganze Gynaͤkologie in folgendem Schema darlegen laſſen:9

10

Anmerkung. Es zeigt ſich in dieſem Schema, daß man die Abtheilung II der beſondern Gynaͤkologie auch mit dem gemeinſamen Namen der Entbindungskunde (im weitern Sinne des Worts, denn im engern begriffe es nur die Phy - ſiologie, Diaͤtetik, Pathologie und Therapie der Geburt), ſo wie die phyſiologiſche, diaͤtetiſche und pathologiſche Seite die - ſer Abtheilung als Bereich der Hebammenkunſt anſehen kann. Daß wir uͤbrigens die Phyſiologie, Pathologie und Therapie des Erzeugten waͤhrend der Schwangerſchaft und Geburt ſo wie des Neugeborenen ſelbſt, hier mit aufnehmen, wird außer den §. 10. erwaͤhnten Gruͤnden, auch dadurch nothwendig, daß wir bedenken, wie ſelbſt krankhafte Zuſtaͤnde des Erzeug - ten ſo vielfach auf den muͤtterlichen Koͤrper uͤberwirken. Was endlich die Art und Folge der Abhandlung dieſer Gegenſtaͤnde betrifft, ſo wird es am zweckmaͤßigſten ſeyn ſowohl im erſten als zweiten ſpeciellen Theile, erſt das Phyſiologiſche und Diaͤ - tetiſche durchzugehen und dann das Pathologiſche und Thera - peutiſche deſſelben folgen zu laſſen.

§. 12.

Die Art des Studiums der Gynaͤkologie iſt, gleich dem der uͤbrigen Zweige der Heilkunde, um nicht zu ſagen der Naturwiſſenſchaft uͤberhaupt, eine dreifache. Gy - naͤkologiſche Kenntniſſe naͤmlich werden erworben durch muͤnd - lichen Unterricht, durch Benutzung der vorhandenen Schriften und durch Beobachtung der Natur ſelbſt. Kein Weg von die - ſen dreien allein leitet indeß zum rechten Ziel, denn auf dem letzten verſinken wir leicht in rohe Empirie, auf dem zweiten wird eine praktiſch unhaltbare Gelehrſamkeit erwor - ben, und der erſtere kann das jurare in verba magistri wohl veranlaſſen. Wuͤnſchenswerth bleibt es daher ſtets, alle drei Verfahren zu einigen, obwohl fuͤr die vollkommenere Aus - bildung, das Beobachten der uͤberall unerſchoͤpflichen Natur, in welcher erſt viele Erfahrung uns recht einheimiſch machen kann, das Weſentlichſte bleiben wird. Daß uͤbrigens dem Studium der Gynaͤkologie immer viele und mannigfal - tige Vorkenntniſſe vorhergehen muͤſſen, liegt wohl am Tage,11 und als die wichtigſten hierher gehoͤrigen erwaͤhnen wir 1) die allgemeinen Lehren der Mathematik und beſonders der Me - chanik, 2) menſchliche und vergleichende Anatomie und Phy - ſiologie, 3) Pathologie, Materia medica und Therapie, 4) Chirurgie.

§. 13.

Von der Eigenthuͤmlichkeit in der prakti - ſchen[Anwendung] der Gynaͤkologie wird zum Theil noch ausfuͤhrlicher bei Beruͤckſichtigung derjenigen Eigenſchaf - ten die Rede ſeyn, welche den Frauenarzt und Geburtshelfer auszeichnen muͤſſen, hier nur von der angenehmen, und von der Kehrſeite dieſes Zweiges der Heilkunde einige Worte. Theilt naͤmlich auch die Behandlung des weiblichen und kind - lichen Koͤrpers mit Ausſchluß der Geburtsperiode ziemlich die Vortheile und Nachtheile aͤrztlicher Praxis uͤberhaupt, ſo iſt doch die eigentliche Geburtshuͤlfe um ſo mehr von letzterer unterſchieden. Als angenehme Seite geburtshuͤlflicher Kunſtuͤbungen duͤrfen wir aber namentlich zaͤhlen: eine mehr geſicherte, auf feſtern zum Theil mathematiſchen Grundſaͤtzen beruhende Phyſiologie, Pathologie und Therapie, ſo wie die ſo oft ſich darbietende Moͤglichkeit ſchnelle und entſcheidende, daher auch dankbarer anerkannte Huͤlfe zu leiſten. Als Nach - theile hingegen ſind die vielfachen, mit dieſer Praxis unzer - trennlich verbundenen geiſtigen und namentlich koͤrperlichen Anſtrengungen, die Widerwaͤrtigkeit, um nicht zu ſagen Ekel - haftigkeit mancher Unterſuchungen und Operationen, ja ſelbſt die nicht geringe von Anſteckungen u. ſ. w. zu befuͤrchtende Gefahr zu erwaͤhnen. Ob man uͤbrigens bey Behand - lung von Frauen und Kindern im Allgemeinen fuͤr die dem Arzte durch Unfolgſamkeit, Nachlaͤſſigkeit, Redſeligkeit, uͤber - maͤßige Reizbarkeit u. ſ. w. veranlaßten Beſchwerden, die Beob - achtung und Behandlung einer zaͤrtern und feinern Organiſa - tion als einigen Erſatz gelten laſſen will, wird der Neigung und Eigenthuͤmlichkeit des Arztes uͤberlaſſen bleiben.

§. 14.

So waͤre es denn am Schluſſe dieſer Einleitung viel - leicht nur noch uͤbrig von den Schickſalen der Gynaͤkologie12 bei der Entwicklung der Wiſſenſchaften uͤberhaupt das Wich - tigere zu erwaͤhnen, zugleich aber auf die einzelnen Maͤnner und ihre Werke hinzuweiſen, welchen dieſe Disciplinen ins - beſondre eine weitere Bildung und Bereicherung verdanken; allein die Maſſe hierhergehoͤriger Nachrichten und Angaben iſt groß und weitlaͤuftig; eine ausfuͤhrliche Bearbeitung derſelben kann daher in einem Werke deſſen Beſtimmung es iſt die gepruͤfteſten und moͤglichſt erſprießlichen Grund - ſaͤtze der Wiſſenſchaft ſelbſt aufzuſtellen, keinen Platz finden, und einen fluͤchtigen Abriß davon zu geben (wie es in einigen Handbuͤchern geſchehen iſt) verſchmaͤhen wir um ſo mehr, da durch eine halbe Kenntniß uͤberall wenig gewonnen iſt, und beſondere, das Ganze umfaſſende Schriften hieruͤber nicht fehlen*)Unter den Werken welche die Geſchichte der Gynaͤkologie von den aͤlteſten bis auf die neueſten Zeiten darlegen, verdient unſtreitig ne - ben der auch dieſen Zweig beruͤckſichtigenden Geſchichte der Medicin von C. Sprengel, Fr. B. Oſiander’s Lehrbuch der Entbindungskunſt. 1r Thl. Literariſche und pragmatiſche Geſchichte dieſer Kunſt. Goͤttingen, 1799. 8. den erſten Platz, denn obwohl hierin eigentlich nur ein Theil der Gynaͤkologie ins Auge gefaßt wird, ſind doch auch die Fortſchritte der Wiſſenſchaft in den uͤbrigen Theilen keineswegs unbeachtet ge - blieben. Ferner gehoͤren hierher: theils eine Literarhiſtorie der Ent - bindungskunſt von Le Roi, uͤberſ. 1779, theils die noch beſſere Schrift: Le Sue gelehrte und kritiſche Verſuche einer Geſchichte der Ge - burtshuͤlfe a. d. Fr. Altenburg 1786. 2 Thle. 8. (das Original erſchien 1779.) Ferner geben eine tabellariſche Geſchichtsuͤberſicht der Gynaͤkologie: J. F. Schweighäuser tablettes chronologiques de l’histoire de la médecine puerpérale. Strasb. 1806. 8. ſo wie die (obwohl zunaͤchſt fuͤr Entbindungskunſt berechneten) Zeittafeln im theoretiſchpraktiſchen Handbuche der Geburtshuͤlfe von Lud. Friedr. v. Froriep. 6te Aufl. Weimar 1818. Und endlich ſind auch noch einigen andern Lehrbuͤchern der Geburts - huͤlfe Geſchichtserzaͤhlungen angehangen: ſo unter den aͤltern den Werken von Smellie und Aſtruc, unter den neuern außer dem von Froriep auch dem Verſuche eines vollſtaͤndigen Syſtems d. Geburts - huͤlfe von Fr. Heinr. Martens. (Leipzig 1802.). Indem wir ſonach auf dieſe ſowohl, als13 hinſichtlich der Menge beſonderer Abhandlungen uͤber einzelne gynaͤkologiſche Gegenſtaͤnde auf die Werke uͤber Literatur der Medicin im Allgemeinen verweiſen*)Was die Aufzaͤhlung einzelner uͤber gynaͤkologiſche Gegenſtaͤnde er - ſchienener Schriften betrifft, ſo verweiſen wir vorzuͤglich auf Guil. God. Ploucquet Literatura medica digesta s. Reper - torium medicinac practicae, chirurgiae atque artis obstetriciae T. I IV. Tub. 1808. 4. u. Supplem. Tub. 1813. 4. (Haupt - werk.) K. Fr. Burdach Literatur der Heilwiſſenſchaft. 2 Bde. 1810. 8. J. S. Erſch, Literatur der Medicin ſeit der Mitte des acht - zehnten Jahrhunderts bis auf die neueſte Zeit. Leipz. 1812. (Als kurzes, freilich auch fuͤr dieſen Zeitraum nicht vollſtaͤndiges Hand - buch, zu empfehlen.) Auch erſchienen mehrere literariſche Sammlungen fuͤr Gynaͤkologie insbeſondre, welche indeß meiſt nur kurze Zeit fortgeſetzt worden ſind. Dahin gehoͤren: D. H. Roͤmer Annalen d. Geburtshuͤlfe, Frauenzimmer - u. Kin - derkrankheiten fuͤr 1790 91. Winterthur 1793 94. F. H. Martens kritiſches Jahrbuch der Geburtshuͤlfe 1802. und ein aͤhnliches von J. A. Schmidtmuͤller 1807. So wie denn zum Theil auch die allgem. gelehrten Zeitſchriften und noch mehr die Journale f. Chirurgie u. Geburtshuͤlfe, z. B. die Stein’ſchen Annalen, Murſinna’s Journal f. Chirurgie, Stark’s Archiv, v. Siebold’s Lucina u. deren Fortſetzung als Journal f. Geb. hlf. u. ſ. w., die Salzburger Zeitungen und die Allgemeinen medicin. Annalen hier aufzufuͤhren ſind. Endlich aber iſt zu bemerken daß auch in einzelnen Handbuͤchern, z. B. in v. Sie - bold’s theoret. prakt. Lehrbuche der Entbindungsk. ſo wie in deſſen Handbuche zur Erkenntniß u. Heilung d. Frauenzimmerkrankheiten, und im theoret. prakt. Handbuch d. Geburtshuͤlfe v. Lud. Fr. v. Froriep die Literatur uͤber die meiſten Gegenſtaͤnde der Gynaͤkolo - gie ziemlich vollſtaͤndig aufgefuͤhrt iſt. iſt nur noch zu bemer - ken, daß am Schluſſe oder auch im Texte der einzelnen Ab - ſchnitte ſtets eine Auswahl von den gepruͤfteſten, auch dem angehenden Frauenarzt nothwendigen Wer - ken, wo moͤglich mit einigen den Inhalt kurz andeutenden Worten aufgefuͤhrt werden ſollen. So viel indeß ſcheint hier zu erwaͤhnen unerlaͤßlich, daß, wenn es hier unternom - men wird, die Gynaͤkologie unter den Neuern zuerſt in ih - rer Geſammtheit als mediciniſche Wiſſenſchaft aufzuſtellen,14 doch deshalb dieſes Unternehmen nicht uͤberhaupt als fruͤher gaͤnzlich unverſucht betrachtet werden duͤrfe, indem vielmehr gerade die aͤlteſten Schriften uͤber dieſe Gegenſtaͤnde keine Trennung zwiſchen Geburtshuͤlfe und Frauenkrankheitslehre an - erkannten, wovon theils die dem Hippokrates zugeſchrie - benen Buͤcher, theils Moſchions, theils des Octavii Ho - ratiani Gynäcia, theils des Albertus magnus, und Ande - rer Schriften Zeugniß geben, welche man der Mehrzahl nach in einzelnen Sammlungen*)Eine ſolche Sammlung wurde z. B. von Conrad Gesner be - gonnen, von Caſp. Wolf weiter gefuͤhrt, von Caſp. Bauhin u. ſpaͤter von Iſrael Spach erneut und zwar unter dem Titel: Gynaeciorum sive de mulierum tum communibus, tum gravida - rum parientium, et puerperarum affectibus et morbis, Libri Graecorum, Arabum, Latinorum veterum et recentium quotquot extant etc. Argentin. 1597. Fol. abgedruckt finden kann. Doch iſt es ja wohl das Schickſal der meiſten Wiſſenſchaften, daß zwar ſchon der erſte Blick in ihr Feld den Geſammtkreis derſelben ahnen laͤßt, ſpaͤterhin aber die groͤßere Ausbildung einzelner Zweige mannigfaltige Spaltungen noͤthig macht, bis denn endlich die Vereinigung der getrennten Theile zu einem Ganzen unumgaͤnglich nothwendig wird.

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I. Allgemeine Gynaͤkologie.

Erſter Abſchnitt. Von den Eigenthuͤmlichkeiten im Baue und Leben des Weibes (allgemeine Phyſiologie).

§. 15.

Bevor wir den weiblichen Koͤrper in den einzelnen Stadien ſeines Lebens betrachten und verfolgen koͤnnen, iſt es noͤthig theils ein allgemeines Bild der Eigenthuͤmlichkeit ſeiner Orga - niſation wie ſeines Lebens darzulegen, theils gewiſſe Organe, deren Bildung und Verrichtung fuͤr das weibliche Leben vor - zuͤglich wichtig ſind, einer genauern Betrachtung zu unter - werfen.

1. Eigenthuͤmlichkeiten in der Geſammtform des weiblichen Koͤrpers.

§. 16.

Stellen wir einen wohlausgebildeten maͤnnlichen und ei - nen aͤhnlichen weiblichen Koͤrper einander gegenuͤber, ſo erge - ben ſich alsbald die betraͤchtlichſten und bedeutungsvollſten Verſchiedenheiten, deren Weſentliches, um es ſogleich im Gan - zen anzudeuten, auf Vorwalten der fuͤr Aſſimilation16 und Reproduktion beſtimmten Gebilde, oder (was eben hierdurch begruͤndet wird) auf ein Hinneigen zum Typus des nicht vollkommen ausgebildeten, des kindlichen Koͤrpers zuruͤckgefuͤhrt werden kann.

§. 17.

Wichtig iſt zuvoͤrderſt in dieſer Hinſicht die allgemeine Koͤrpergroͤße. Das Weib iſt der Regel nach kleiner als der Mann, es iſt dieß das Reſultat der fruͤher beendigten, beſchraͤnkten individuellen Entwicklung, deren Urſache wiederum aus der mehr hervorgehobenen geſchlechtlichen Productivitaͤt ſich ergeben wird. Eben aber weil die geringere Koͤrpergroͤße die Folge einer fruͤhzeitiger beſchraͤnkten Entwicklung iſt, zei - gen auch Kopf, Rumpf und Glieder andere Verhaͤlt - niſſe als im maͤnnlichen, laͤnger fortwachſenden, zu groͤße - rer Reife gelangenden Koͤrper, und eben dieſe Eigenthuͤmlich - keit der Verhaͤltniſſe iſt es, welche vorzuͤglich die Annaͤherung an die kindlichen Formen zeigt und jetzt noch eine naͤhere Beſtimmung fordert.

§. 18.

Zunaͤchſt aber das Verhaͤltniß des Rumpfs zu den Glie - dern angehend, ſo ſind die letztern durch die Zartheit und ge - ringere Laͤnge ihrer Knochen, wie durch die weniger ausge - wirkten Muskeln (eine Eigenthuͤmlichkeit des weiblichen Koͤr - pers uͤberhaupt) beſonders ausgezeichnet. Der zartere Bau iſt es, welcher ſich in den obern Gliedmaaßen vornehmlich, und zwar an der ſchlankern Form des Ober - und Vorderarms ſo wie in der ſchmaͤlern Hand zu erkennen giebt; die gerin - gere Laͤnge der untern Gliedmaaßen iſt dagegen namentliche Urſache der verringerten Laͤnge des ganzen Koͤrpers, als wel - che aus dem Baue des Rumpfes allein keinesweges ſich er - geben wuͤrde. Alſo wie bey dem Kinde der Rumpf zu den Gliedern verhaͤltnißmaͤßig groͤßer iſt als bey den Erwachſenen, ſo auch, obwohl in geringerem Verhaͤltniſſe, im weiblichen Koͤrper.

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§. 19.

Am Rumpfe ſelbſt faͤllt ſogleich der groͤßere Umfang des Unterleibes im Verhaͤltniß der Bruſt (wieder wie beym Kinde) in die Augen, der ganze Rumpf, welcher bey dem Manne eine mit der Baſis nach oben gerichtete Pyramide darſtellt, zeigt hier das umgekehrte Verhaͤltniß und wird auf - waͤrts nach der Schultergegend zarter und ſchmaͤler, die Bauchflaͤche ſelbſt tritt gewoͤlbter hervor, die Darmbeine wei - chen mehr auswaͤrts, die Schambeine ſchließen ſich in einem ſtaͤrker gewoͤlbten Bogen und aus dieſer breitern Baſis des Rumpfes ſind ferner die ſtaͤrkern Schenkelmuskeln und breitern Huͤften erklaͤrlich. Junen unterſucht, zeigt die weibliche Bauchhoͤhle ebenfalls, theils groͤßere Laͤnge (von der laͤngern Saͤule der Lendenwirbel abhaͤngig), theils, und zwar beſonders abwaͤrts, groͤßere Weite (oberwaͤrts, wo ſie vom Thorax mit umſchloßen wird, iſt ſie etwas enger als beym Manne). Eben ſo iſt daher der Darmkanal verhaͤlt - nißmaͤßig laͤnger, die Leber (als lungenartiges, als Abſon - derungsorgan, und im oberſten Theile der Bauchhoͤhle lie - gend), kleiner.

§. 20.

Die Bruſthoͤhle betreffend, ſo iſt ſie von ſchlankern, gebogenern Rippen, mit verhaͤltnißmaͤßig laͤngern Rippen - knorpeln und ſchwaͤchern geradern Schluͤßelbeinen umgeben, ihr Raum, der aͤußern Form entſprechend, beſchraͤnkter, und die darin befindlichen Organe, namentlich Herz und Lungen, kleiner. Mit letzterm Umſtande zeigt ſich ferner die Eigen - ſchaft der Stimmwerkzeuge in nothwendiger Verbindung und wir beobachten deßhalb eine engere 5 6 Knorpelringe mehr haltende Luftroͤhre, und einen engern, etwas hoͤhern, elaſti - ſchern, an der Vorderflaͤche mehr abgerundetern Kehlkopf.

§. 21.

Dieſe Verſchiedenheiten ſind nun in Beziehung auf die oben (§. 16.) erwaͤhnten allgemeinen Bildungsmomente von beſonderer Wichtigkeit. 1) Der Koͤrper, ſeinem StoffwechſelI. Theil. 218nach betrachtet, zeigt uns naͤmlich in der Athmungs - und Abſonderungs-Funktion ein ſtaͤtes Verfluͤchtigen und Abſchei - den organiſchen Stoffes, welches eben ſo ſtaͤtig dann durch Aſſimilation eingenommener Stoffe compenſirt wird. Eben deßhalb ſehen wir dann das Verhaͤltniß uͤberwiegender Pro - duktivitaͤt im Weibe durch das Ueberwiegen der, namentlich der Aſſimilation beſtimmten Bauchhoͤhle uͤber die der Athmung beſtimmten Bruſthoͤhle ausgeſprochen, ja in der doch im Ganzen groͤßern Bauchhoͤhle wieder die Leber verhaͤltnißmaͤßig kleiner. 2) Wie die niedern Thiergattungen, z. B. Fiſche, einen Rumpf beſitzen, welcher noch faſt nichts als Bauch - hoͤhle iſt, wie die Bauchhoͤhle auch im Rumpfe des menſch - lichen Foͤtus die Bruſthoͤhle außerordentlich und je fruͤher um ſo mehr uͤberwiegt, ſo erſcheint auch im Weibe dieſes Ver - haͤltniß als eine zum Typus niederer oder unvollendeter Or - ganiſation ſich hinneigende Eigenthuͤmlichkeit. 3) Wie in den niedriger ſtehenden Thiergattungen, z. B. Fiſchen, oder in den noch unvollkommen entwickelten Foͤtus die Knochen und Muskeln, kurz die Bewegungsorgane verhaͤltnißmaͤßig weniger ausgearbeitet ſind, wie uͤberhaupt groͤßere Muskelthaͤtigkeit und ſtaͤrkere ſo wie ausgedehntere Reſpiration gewoͤhnlich (z. B. bey dem Vogel) ſich verbunden finden, ſo haͤngt mit dieſer Beſchraͤnkung der Reſpiration und uͤberwiegenden Pro - duktivitaͤt, der ſchlankere, zartere Knochen*)Am Weibe haben die Knochen nur ungefaͤhr 3 / 100, im Manne 10 / 100 der geſammten Koͤrperſchwere. - und Muskelbau des Weibes zuſammen. 4) Die groͤßere Bauchhoͤhle ferner, ſo wie der laͤngere Darmkanal, entſpricht eben ſo der ſtaͤr - kern Aſſimilation, als 5) die geringere Entwicklung der Bruſteingeweide, die Neigung zu Bruſtkrankheiten und der zartern (kindlichern) Stimme.

§. 22.

Die Verhaͤltniße am Kopfe des Weibes endlich, zeigen abermals ein deutliches Hinneigen zur kindlichen Form, und zwar theils in dem feinern Knochenbau deſſelben, theils in den weniger entwickelten Zuͤgen des Geſichtes, der kleinern19 Naſe, den nicht ſo hervorgehobenen Wangenbeinen, vorzuͤg - lich aber in dem, dem Kinde ſo eigenthuͤmlichen Ueberge - wichte des Schaͤdels gegen das Antlitz, welches Verhaͤltniß, obwohl in geringerem Grade, auch am Weibe bemerklich iſt. Es ſteht ferner wieder mit dem Bau des Schaͤdels in ge - nauſtem Zuſammenhange, wenn das Gehirn im Weibe ver - haͤltnißmaͤßig groͤßer und ſchwerer als im Manne gefunden wird, ſo daß, obwohl das Ruͤckemnark in beiden ziemlich gleich iſt*)Ich fand es bey einigen Waͤgungen ganz gleich., doch im Weibe das Gehirn, auch im Ver - haͤltniß zum Ruͤckenmark, mehr als im Manne praͤdomi - nirt, wobey wir wieder an das im Manne groͤßere, im Weibe ſchwaͤchere Vermoͤgen willkuͤhrlicher Bewegung denken muͤßen.

§. 23.

Was die Nerven und Gefaͤße des Weibes betrifft, ſo finden die erſtern ſich im Allgemeinen, und ihrem Verhaͤlt - niße zum Gehirn nach, ſo wie das Ruͤckenmark ſelbſt, fei - ner, mit Ausnahme der Riechnerven, welche durch ihre groͤ - ßere Staͤrke wieder an die ſtarken Riechnerven des Kindes erinnern. Eben ſo ſcheinen dann endlich auch die Arterien im Verhaͤltniße des kleinern Herzens von geringerer Weite (die zu den Geſchlechtsorganen gerichteten Staͤmme ausge - nommen); wenn hingegen die Venen offenbar ein Erweite - rungsvermoͤgen beſitzen, welches im maͤnnlichen Koͤrper nur ſelten beobachtet wird, und wodurch dieſe Gefaͤße an den wichtigſten Funktionen des weiblichen Koͤrpers auf das Ent - ſchiedenſte Theil nehmen. Eine aͤhnliche Bewandtniß ſcheint es mit den Saugadern zu haben, deren hier groͤßere Ent - wicklung und Thaͤtigkeit mit dem ſchnellern organiſchen Stoff - wechſel des weiblichen Koͤrpers in genauer Verbindung ſteht.

§. 24.

Endlich, nachdem wir allgemeine Koͤrpergroͤße, ſo wie die Verhaͤltniße der einzelnen Koͤrpergegenden und der wich - tigern innern Organe betrachtet haben, bleibt uns noch die20 Eigenthuͤmlichkeit der Koͤrperoberflaͤche zu beruͤckſichtigen uͤbrig. Auch dieſe aber deutet durch ihre Beſchaffenheit wie - der beſtimmt auf die oben (§. 16. u. 21.) angegebenen Hauptmomente. Die Hautflaͤche naͤhmlich iſt weicher, wellenfoͤrmiger, weniger Umriſſe von Knochen und Muskeln zeigend, theils wegen geringerer Entwicklung der letztern, theils wegen ſtaͤrkerer Unterlage von Fett und Zellgewebe in Folge der vermehrten Produktivitaͤt, zugleich aber wieder ſelbſt im zartern Baue des Hautorgans, die Annaͤherung an den Typus eines kindlichen Koͤrpers darſtellend. Daſſelbe gilt endlich auch von den Produktionen der Haut; das Haar iſt weicher, feiner, laͤnger, uͤppiger hervorkeimend, allein wie im Kinde auf kleinere Flaͤchen beſchraͤnkt, ſo daß Mund, Kinn und After unbedeckt von Haaren bleiben, ja auch am uͤbrigen Koͤrper auf Bruſt, Ober - und Unterſchenkel eine ſparſamere Entwicklung beobachtet wird.

2. Eigenthuͤmlichkeiten im Baue der weibli - chen Geſchlechtstheile und des weiblichen Beckens.

§. 25.

Ohne die ausfuͤhrlichere anatomiſche Beſchreibung hier zu beruͤckſichtigen, haben wir fuͤr jetzt nur auf diejenigen Momente in der Entwicklungs-Geſchichte und in der vollen - deten Form dieſer Theile zu achten, welche fuͤr die Phyſio - logie des weiblichen Koͤrpers uͤberhaupt und namentlich fuͤr die Geſchichte der Schwangerſchaft und Geburt von Wich - tigkeit ſeyn koͤnuen.

§. 26.

Die Geſchlechtstheile betreffend, ſo nehmen wir hier zuerſt auf die Bildung der innern Geſchlechtstheile, und zwar insbeſondere auf die des Fruchtbehaͤlters und ſeiner Fortſe - tzungen Ruͤckſicht, indem von den Eyerſtoͤcken nur eben die Einfachheit und Gleichfoͤrmigkeit ihrer Struktur Erwaͤh - nung verdient. Unterſuchen wir naͤmlich die Eyerſtoͤcke21 anderer Thierklaſſen, z. B. der Voͤgel, der Amphibien u. ſ. w. ſo nehmen wir wahr, daß ſie bey dieſen als aus wirklichen Eykeimen zuſammengeſetzt erſcheinen, welche, indem ſie nach, oder auch vor der Befruchtung ſich abſondern, das deutlich ſichtbare Material zur Bildung des Foͤtus abgeben. Selbſt bey mehreren Saͤugethieren iſt eine ſolche Zuſammenhaͤufung von Eyblaͤschen am Eyerſtocke noch ſichtbar; z. B. bey meh - reren Nagethieren, den Haſen, Kaninchen u. ſ. w., da hin - gegen in den menſchlichen Ovarien bekanntlich die Eyblaͤschen ſo undeutlich werden, daß mehrere Phyſiologen (neuerlich Wilbrand) die Bildung des Embryo aus einem von den Ovarien kommenden Keime gelaͤugnet haben, womit wir in - deß um ſo weniger uͤbereinſtimmen koͤnnen, da auch an den menſchlichen Ovarien die Narben abgeloͤster Eykeime deutlich zu ſehen ſind. Von der Bedeutung dieſer Eigenthuͤmlichkeit der Ovarien und namentlich des menſchlichen Weibes kann indeß erſt ſpaͤterhin bey der Geſchichte der Empfaͤngniß und Schwangerſchaft die Rede ſeyn.

§. 27.

Was ferner die Bildung der Fallopiſchen Roͤh - ren, des Fruchthaͤlters und der Scheide betrifft, ſo iſt es zuvoͤrderſt nothwendig, um eine naturgemaͤße Vor - ſtellung von Entſtehung ihrer Form, und der Eigenthuͤmlich - keit ihres Lebens zu erhalten, alle drei Theile, als ein Continuum, als einen aufwaͤrts getheilten Y foͤrmigen Gang zu betrachten, wie wir im Embryo, und in tiefern Thierklaſſen dann dieſe Form wirklich, naͤmlich als bloßen Eyergang (Oviductus), und zwar entweder einfach (wie bey den Voͤgeln), oder doppelt (wie bey den Amphibien und Fiſchen) antreffen. *)S. mein Lehrbuch der Zootomie S. 611 u. f.In dieſer Geſtalt erſcheint ein ſolcher Kanal vollkommen darmartig, muͤndet noch oft (wie bey den Amphibien und Voͤgeln) in den untern Theil des Darmkanals, erſcheint dadurch gleichſam als Anhang deſſel - ben und erinnert dadurch eines Theils an die Fortpflanzung der niedrigſten Thiergattungen, wo, wie bey vielen Pflanzen -22 thieren, der Darmkanal ſelbſt Geſchlechtshoͤhle iſt, ſo wie andern Theils dadurch der in der Thaͤtigkeit von Geſchlechts - und Verdauungswerkzeugen, als urſpruͤnglich gleichartigen Theilen, ſo deutlich bemerkbare Consensus erklaͤrt wird.

§. 28.

Wie nun uͤberhaupt die fortſchreitende organiſche Aus - bildung weſentlich in immer groͤßerer Theilung nach verſchie - denen Richtungen begruͤndet iſt, ſo zeigt ſich nun auch bey der Entwicklung des Thierkoͤrpers das Trennen dieſes einfa - chen oder doppelten Eyerganges in mehrere Theile. Bey der Mehrzahl der Saͤugethiere naͤmlich bildet ſich die untere Abtheilung beider Ovidukten (Fallopiſchen Roͤhren) in einen Fruchthaͤlter aus, welcher ebendeßhalb als zweihoͤrnig (Uterus bicornis), d. i. Vfoͤrmig erſcheint. Dieſe Hoͤrner werden dann bey der aufſteigenden Thierreihe immer kuͤrzer, bis im menſchlichen Uterus (obwohl auch dieſer jene Bildungsſtadien durchlaͤuft) nur die Stelle des Zuſammentreffens beyder Eyer - gaͤnge ſich beſtimmter als Fruchthaͤlter entwickelt, weßhalb dann auch die Bildung deſſelben am unterſten Ende, naͤmlich am eigentlichen Punkte der Vereinigung beyder Gaͤnge, d. i. am Muttermunde fruͤher als an den obern Theilen vervoll - ſtaͤndigt wird. Unterſucht man daher den Uterus eines neu - gebornen Maͤdchens, ſo findet man den Grund deſſelben noch ſehr klein, die Hoͤhle wenig, d. i. nicht mehr als den Kanal des Mutterhalſes entwickelt, den aͤußern Muttermund hinge - gen ſehr groß, die Waͤnde des Mutterhalſes ſtaͤrker, als die des Gebaͤrmutterkoͤrpers, kurz man darf ſagen, daß in dieſer Periode die Region des Scheidentheils des Uterus, die Re - gion der Fruchthoͤhle, eben ſo beſtimmt uͤberwiegt, als bey vollendeter Entwicklung der Fruchthaͤlterkoͤrper und Grund den Scheidentheil uͤberwiegt; ja es wird dieß noch auffallen - der, wenn man an die Entwicklung des Uterus in der Schwangerſchaft denkt, wo die Hoͤhle eine ſo außerordentliche Ausbildung erlangt und die Vaginalportion zuletzt voͤllig ver - ſchwindet (vergl. Tab. I. Fig. I. u. II.).

23
§. 29.

Weit entfernt indeß, daß der Uterus, als mehr ent - wickelter Theil des geſammten Fruchtganges (Fallopiſche Roͤh - ren, Uterus und Scheide), von der darmartigen Struktur dieſes urſpruͤnglichen Gebildes gaͤnzlich abweichen ſollte, ſo zeigt ſich vielmehr in dieſem Organe die Urbildung des ge - meinſamen Ganzen in ihrer vollſten Ausbildung, ohngefaͤhr auf gleiche Weiſe, wie das Herz die ausgezeichnetſt entwi - ckelte Stelle des Gefaͤßſyſtems genannt werden kann. Gerade ſo naͤmlich wie der Ovidukt eyerlegender Thiere gleich dem Darmkanale 1) aus einer aͤußern, vom Bauchfelle herruͤh - renden Haut, 2) aus einer Muskelhaut, 3) aus einer Ge - faͤß - und Nervenhaut, und 4) aus einer innerſten Flocken - haut beſteht, ſo auch der geſammte Fruchtgang des menſch - lichen Weibes, und namentlich der aus ihm entwickelte Ute - rus, an welchem man den untern Theil, die Vaginalpor - tion, gleichſam als eine Einſchiebung in die Mutterſcheide (Intussusceptio) betrachten kann; ſo wie die bedeutende Lage der (namentlich venoͤſen) Gefaͤßgeflechte als Gefaͤßhaut, und die, vorzuͤglich zur Zeit der Schwangerſchaft ſo aͤußerſt be - ſtimmt entwickelte Faſerlage, als Muskelhaut betrachtet wer - den muß.

§. 30.

Im Uterus finden wir ſonach alle die Gebilde, welche der ihm eigenthuͤmlichen Thaͤtigkeitsform entſprechen, mir vollkommenſter Beſtimmtheit vor: naͤmlich 1) Gefaͤße, als der bildenden Thaͤtigkeit entſprechend (wobey vorzuͤglich das am allerſtaͤrkſten waͤhrend der Schwangerſchaft bemerkbare Ueber - gewicht der Venen phyſiologiſch wichtig iſt, indem die Venen uͤberhaupt als die fruͤhern und verhaͤltnißmaͤßig weniger ent - wickelten Gefaͤße des weiblichen Organismus vorherrſchend ſind (§. 13.), und an ſeiner ſtaͤrkern Produktivitaͤt mehr, als man wohl bisher gemeynt hat, Antheil nehmen); 2) Ner - ven, obwohl in minderer Anzahl, und verhaͤltnißmaͤßig zum Uterus (namentlich denſelben in ſchwangerm Zuſtande ge - dacht) keineswegs bedeutend. Auch dieſer Punkt ſeiner Or -24 ganiſation iſt aber in ſo ferne wichtig, als damit gerade das außerordentlich thaͤtige Bildungsvermoͤgen des Organs zuſammenhaͤngt. Im ganzen Thierreiche ſehen wir naͤmlich die Thaͤtigkeit der Reproduktion, und die Entwicklung des Nervenſyſtems im umgekehrten Verhaͤltniße; Thiere, bey welchen gar kein, oder nur ein ſehr unvollkommenes Nerven - ſyſtem nachzuweiſen iſt, zeigen das groͤßte Reproduktionsver - moͤgen (man denke z. B. an die ungeheuere Regenerations - kraft der Polypen, der Krebſe, Schnecken, Salamander u. ſ. w.), ja ſelbſt im Menſchen ſehen wir die nervenloſen Ge - bilde der groͤßten Regeneration faͤhig, z. B. der Haare, Naͤ - gel u. ſ. w. Es iſt alſo hiermit vollkommen im Einklange, wenn der Uterus uͤberhaupt, und namentlich in der Gegend des Koͤrpers und Grundes, nervenaͤrmer gefunden wird, die Gegend des Muttermundes aber empfindlicher und nerven - reicher ſich zeigt, indem das letztere eben ſowohl mit der zur Empfaͤngniß noͤthigen Reitzung, als das erſtere mit der außerordentlichen Entwicklung des obern Gebaͤrmuttertheils in der Schwangerſchaft zuſammenhaͤngt.

§. 31.

Die Muskelfaſern endlich ſind als integrirende Theile des Uterus bekanntlich von mehreren Anatomen und Phy - ſiologen (noch neuerlich von Wenzel) gelaͤugnet worden, wir haben daher die Gruͤnde anzufuͤhren, welche uns zu de - ren Annahme berechtigen. Naͤmlich 1) die Bildungsgeſchichte des Uterus als eines vollkommen darmartigen Gebildes, 2) die Analogie, indem bey dem darmartigen Uterus der groͤßern Saͤugethiere, ſelbſt im ungeſchwaͤngerten Zuſtande, die Muskelfaſern deutlichſt erſcheinen; 3) die unlaͤugbare Anwe - ſenheit von ſtarken Faſerlagen am ſchwangern menſchlichen Uterus, welche ihrer Farbe, Geſtalt, und ihrem Verlaufe nach ganz mit den Faſerlagen der Harnblaſe u. ſ. w. uͤberein - ſtimmen, und welchen man nicht etwa aus dem Grunde die muskuloͤſe Beſchaffenheit abſprechen darf, weil ſie außer der Schwangerſchaft beynahe unmerklich ſind, indem a) der Ute - rus in der Schwangerſchaft erſt als in ſeiner wahrhaften und vollkómmenen Ausbildung begriffen anzuſehen iſt, und25 es folglich damit ſehr uͤbereinſtimmt, wenn wir außer dieſer Periode nicht alle ſeine Gebilde beſtimmt entwickelt finden, eben ſo, wie z. B. niemand im Stande ſeyn wird, an dem noch nicht vollkommen entwickelten Darmkanal des Embryo, die Muskelfaſern ſichtlich darzuſtellen; b) ferner kann aber auch das Ausbilden der Muskelfaſern in der Schwanger - ſchaft, und ſpaͤterhin das wieder Verwiſchtwerden derſelben, ſo wie ihre Reproduktion in einer kuͤnftigen Schwangerſchaft keineswegs als etwas der Natur ſo widerſprechendes ange - ſehen werden, indem in einem Gebilde deſſen Produktivitaͤt im Allgemeinen ſo ſehr uͤberwiegt, auch Erſcheinungen dieſer Art, ſo wenig als das Wiedererzeugen von Gliedern mit allen Muskeln bey Krebſen und Salamandern, unmoͤglich bleiben. 4) Die Thaͤtigkeitsaͤußerungen des Uterus, in welchen wir das Wirken einer außerordentlich ſtarken Bewegkraft nicht ver - kennen duͤrfen, als eine Kraft, deren Organ im ganzen thieriſchen Organismus eben die Muskelfaſer iſt. 5) Das Aufregen dieſer Thaͤtigkeit durch Reitze, welche uͤberhaupt Muskularthaͤtigkeit zu erwecken pflegen, wohin theils mecha - niſche Reitzung gehoͤrt (ſo z. B. erwecken Friktionen des Un - terleibes Wehen), theils aber inbeſondere der galvaniſche Reitz als das eigentlichſte Reagens fuͤr Muskelfaſer zu rechnen iſt (bekanntlich ſah Reil ſchon das Zuſammenziehen des darm - artigen traͤchtigen Uterus in friſch getoͤdteten Kaninchen unter Anwendung des Galvanismus; Verſuche, welche ich mit glei - chem Erfolge wiederholte).

§. 32.

Ruͤckſichtlich der Fallopiſchen Roͤhren und der Scheide, ſo ergiebt ſich nun ferner ſchon aus dem Vorigen, daß dieſe als weniger entwickelte Theile des allgemeinen Fruchtganges (§. 27. 28. ) angeſehen werden muͤſſen, folglich das Weſent - liche ihrer Organiſation noch mit der des Fruchthaͤlters uͤber - einſtimmen wird, beiden daher auch dieſelben Lagen von Mem - branen eigen ſind, mit Ausnahme der Scheide, welcher der Ueberzug des Bauchfelles abgeht. Unſtreitig iſt es hingegen, daß beiden, gleich dem Uterus, Gefaͤße und Muskelfaſern zukommen, von welchen letztern, daß ſie in den Fallopiſchen26 Roͤhren vorhanden ſind, die bey Saͤugethieren beſtimmt nach - zuweiſende periſtaltiſche Fortbewegung des Eyes, Zeugniß ab - giebt, ſo wie von der muskuloͤſen Struktur der Scheide an - dern Theils, die am Eingange derſelben verdichteten Faſer - lagen (Constrictor cunni), ferner die Querfaltung der in - nern Haut (gerade dieſelbe Erſcheinung zeigt ſich auch am entleerten Darme), und endlich mehrere, z. B. bey der Ge - burt, der Nachgeburt, wahrnehmbare Thaͤtigkeitsaͤußerungen derſelben Beweiſe liefern.

§. 33.

Der Bruͤſte endlich gedenken wir hier unter den Ge - ſchlechtstheilen noch insbeſondere, um theils auf die Gruͤnde ihres fuͤr die praktiſche Anwendung der Gynaͤkologie ſo wich - tigen Consensus mit dem Uterus hin zu weiſen, theils ge - wiſſe Eigenthuͤmlichkeiten ihrer Struktur bemerklich zu ma - chen. Wenn naͤmlich uͤberhaupt das Geſchlechtsſyſtem gleichſam nur als ein dem lebendigen Koͤrper eingepflanzter Theil anzuſehen iſt, ſo daß auch ohne daſſelbe die indi - viduelle organiſche Exiſtenz allerdings moͤglich bliebe (ob - wohl nicht die Exiſtenz der Gattung), ſo gilt dieß vorzuͤg - lich auch von den Ernaͤhrungsorganen des Foͤtus im menſch - lichen Weibe, und namentlich von den Bruͤſten. Auf ſehr merkwuͤrdige Weiſe naͤmlich iſt die Bruſtdruͤſe gleichſam wie der Mutterkuchen an den Uterus, ſo auf die aͤußere Flaͤche des Thorax geheftet (die Placenta wurde daher ſchon von alten Phyſiologen als Mamma uterina bezeichnet); dort empfaͤngt ſie die Saͤfte, welche noch nach der Geburt zur Ernaͤhrung des Kindes erfordert werden, und welche in niedern Klaſſen dem Jungen ſogleich vom Eyerſtocke aus als Dotterſack, als gemeinſamer Chylusbehaͤlter mitgetheilt zu werden pflegen, hier aber, nachdem ſie zuvor im Fruchthaͤl - ter ſelbſt dem Foͤtus zugefuͤhrt worden, zu den Bruͤſten ſich wenden. Fruchthaͤlter und Bruͤſte ſind alſo in dieſer Hin - ſicht von gleicher Bedeutung, und daher der im Leben derſelben deutlich bemerkbare Zuſammenhang; denn nicht ſo - wohl in Verbindung von einzelnen Nervenfaͤdchen und Ge - faͤßen (z. B. wollten Einige den Consensus zwiſchen Uterus27 und Bruͤſten aus der Anaſtomoſe der epigaſtriſchen Gefaͤße und der Art. mammaria interna erklaͤren) iſt die Begruͤn - dung ſolcher Mitleidenſchaft zu ſuchen, ſondern eben in der organiſchen Bedeutung und urſpruͤnglichen Gleichartigkeit oder Entgegenſetzung verſchiedener Theile, weßhalb dann auch manche durch Nerven und Gefaͤße nahe verbundene Theile keinen Consensus zeigen, da hingegen bey andern, wo dieſe Verbindung als ſehr unerheblich erſcheint, die Mit - leidenſchaft bedeutend iſt.

§. 34.

Bey der Bildung der Groͤße insbeſondere iſt ferner theils auf ihre, dem Uterus voͤllig gleichmaͤßige Entwicklung uͤber - haupt Ruͤckſicht zu nehmen, theils die Gleichmaͤßigkeit des Verlaufes der Milchadern nach der Warze, und der Blut - adern nach dem Nabelſtrange an der Placanta zu bemerken; in welcher letztern Hinſicht auch erwaͤhnt zu werden verdient, daß ſelbſt bey Thieren eine Uebereinſtimmung der Placenta und Bruͤſte in ſo weit ſtatt findet, ſo daß demnach bey Thieren, wo das Chorion am Eye die Stelle der Placenta vertritt, auch die Bruͤſte ſehr platt ſind (z. B. beym Pferde), da hingegen, wo am Eye viele Placenten ſich finden, auch die Zahl der Zitzen ſich vervielfacht (z. B. bey der Kuh mit 4 Zitzen fuͤr ein Junges), und endlich bey mehrfach werfen - den Thieren die Zahl der Jungen (folglich auch die Zahl der Placenten) mit der der Zitzen uͤbereinſtimmt (Z. B. bey Hunden). Es wird hierdurch erklaͤrlich, daß und warum auch bey verſchiedenen menſchlichen Individuen die Eigen - thuͤmlichkeit der Bruͤſte in der Regel mit der der Placenten uͤbereinſtimmen werde, ſo wie umgekehrt die Placenta fuͤr die Prognoſe des Stillungsgeſchaͤftes wichtig wird, wovon weiter unten das Naͤhere.

§. 35.

Wir kommen nun zur Betrachtung des Beckens, als eines knoͤchernen Kanals, durch welchen das Kind bey der Geburt hindurchgetrieben wird, und in welchem die innern Geſchlechtsorgane enthalten ſind. In erſterer Hinſicht werden28 uns ſonach die Dimenſionen und verſchiedenen Richtungen der einzelnen Beckengegenden intereſſiren, in letzterer phyſio - logiſcher Hinſicht muß uns die der Entwicklung der Ge - ſchlechtstheile gleichmaͤßige Entwicklung der geſammten Be - ckenform merkwuͤrdig ſeyn. Wir beginnen, mit Uebergehung der Zuſammenſetzung deſſelben aus Knochen und Baͤndern, bey der Eintheilung und Ausmeſſung deſſelben.

§. 36.

Das ganze Becken alſo theilen wir in das große und kleine Becken (Cavitas pelvis major s. superior et minor s. inferior), ſo zwar, daß die uͤber den Vorberg (Pro - montorium) und den obern Rand des Schambogens ver - laufende ungenannte Linie (Linea innominata) die Graͤnze beyder abgiebt. Die Hoͤhle des großen Beckens nun insbeſondere betrachtet, welche von hinten durch die Lenden - wirbelſaͤule, von der Seite durch die ſchieflaufenden Darm - beinflaͤchen, und von vorne durch die weichen Bauch - waͤnde begraͤnzt wird, zeichnet ſich aus durch eine, oben breite und weite, abwaͤrts verengerte, alſo beynahe trichter - foͤrmige Hoͤhle, deren Querdurchmeſſer im wohlgebauten weib - lichen Koͤrper, von der Mitte eines Huͤftbeinkammes bis zum andern, 9 bis 10 Pariſer Zoll betraͤgt, wo dagegen ihre Breite am Eingange ins kleine Becken bis auf 5 Zoll ver - ringert erſcheint. Fuͤr den Verlauf des Geburtsgeſchaͤftes nun, ſo wie fuͤr den Zuſtand der Schwangerſchaft, iſt dieſe Trichterform in mehrerer Hinſicht wichtig; einmal naͤmlich, indem dadurch der ſchwangere Uterus die ſicherſte und ange - meſſenſte Unterſtuͤtzung erhaͤlt, andern Theils, indem durch dieſe ſchiefen Flaͤchen, namentlich das Einrichten der Laͤngen - achſe des Kindes in die Fuͤhrungslinie des Beckens, und das Eintreten des Kindeskopfes in das kleine Becken vorbereitet und erleichtert, ja ſogar bedingt wird.

§. 37.

Mannigfacher begraͤnzt, und deßhalb ſchwerer auszu - meſſen, iſt der Raum des kleinen Beckens, an welchem folgende drei Gegenden daher beſonders betrachtet und ausge -29 meſſen werden: 1) der Eingang (Apertura pelvis supe - rior), eine von der ungenannten Linie begraͤnzte Flaͤche; 2) die Hoͤhle (Cavitas pelvis minoris), eine Flaͤche, deren Umfang durch eine in die Verbindung des zweiten und dritten falſchen Kreuzwirbels und in die Mitte des Schambogens gelegte Kreis - linie beſtimmt wird; 3) der Ausgang (Apertura pelvis infe - rior), welcher von den untern Raͤndern des Ossis sacri und coccygis, ſo wie den Ligamentis sacrotuberosis und sacro - spinosis, und endlich von den ossibus ischii, pubis und der symphysis ossium pubis beſtimmt wird.

§. 38.

Die Dimenſionen dieſer Gegenden ſind beym wohlge - bauten weiblichen Koͤrper, und zwar nach dem hierbey uͤbli - chen Pariſer Maaß, folgende: 1. im Eingange a) der geraden Durchmeſſer Diameter recta s. conjugata) vom obern Rande der Schamfuge bis zum Vorberge = 4 Zoll, b) der Querdurchmeſſer (Diameter transversa) von den aus - geſchweifteſten Stellen zu beiden Seiten der ungenannten Linie = 5 Zoll, c) die ſchraͤgen oder Deventer’ſchen Durch - meſſer (Diametri obliquae), deren erſter von der rechten Krenz - und Darmbeinverbindung (Symphysis sacro-iliaca) bis zur linken Scham - und Darmbeinverbindung (Synostosis pubo-iliaca), deren zweiter von der linken Kreuz - und Darmbeinverbindung bis zur rechten Scham - und Darmbein - verbindung reicht = Zoll. 2.) In der Beckenhoͤhle a) der gerade Durchmeſſer, von der Verbindung des zweiten und dritten falſchen Kreuzwirbels bis zur Mitte der Scham - fuge = Zoll, b) der Querdurchmeſſer, von einem Sitz - beinſtachel (spina ossis ischii) zum andern = 4 Zoll. (Auch zieht man wohl noch eine Diagonalconjugata, Behufs der Anwendung innerer Beckenmeſſer, von der Mitte der Schamfuge bis zum Vorberge, eine Linie, welche dann der Conjugata der Beckenhoͤhle gleich, alſo Zoll, gefunden wird, und folglich aus ihrer Groͤße auch einen Schluß auf die Conjugata des Beckeneinganges erlaubt. ) 3. Im Be - ckenausgange: a) der gerade[Durchmeſſer], vom untern Rande der Schamfuge bis zur Spitze des Schwanzbeines30 = Zoll (beym Zuruͤckweichen des Schwanzbeines jedoch auf 4 bis , ja Zoll vergroͤßert); b) der Querdurch - meſſer, von einem Sitzhoͤcker (Tuberositas ossis ischii) zum andern = 4 Zoll (vergl. Tab. I. Fig. III. IV. V.).

§. 39.

Man findet ſonach bey dieſen Ausmeſſungen, daß Be - ckeneingang und Hoͤhle, als Ellipſen, der Beckenausgang hin - gegen (bey zuruͤckgebogenem Schwanzbein) mehr als Kreis - form ſich darſtelle, daß jedoch ferner der groͤßte Durchmeſſer dieſer Elipſen nicht die gleiche Richtung habe, ſondern im Eingange quer, in der Beckenhoͤhle gerade geſtellt ſey, eine fuͤr die Bewegung des Kindes durch das Becken aͤußerſt wich - tige Bemerkung. Endlich aber hat man auch zu beachten, daß der Eingang des kleinen Beckens in der Natur nicht als regelmaͤßige Ellipſe ſich darſtelle, ſondern durch das Hervor - ragen des Vorberges mehr die Geſtalt eines im Ausſchnitte ſowohl, als an der Spitze abgeſtumpften Kartenherzens er - halte, ſo daß man eine etwas kleinere Ellipſe von Zoll Laͤnge, und 4 Zoll Breite, am angemeſſenſten auf zweyerley Weiſe, naͤmlich nach der Richtung der zwei ſchiefen Durch - meſſer, und folglich in die zu beyden Seiten des Vorberges befindlichen Ausbiegungen auf den Kreuz - und Darmbeinver - bindungen legen koͤnne.

§. 40.

Ferner haben wir die Hoͤhe des Beckens, den Scham - bogenwinkel, ſo wie Abſtand und Richtung der Schenkelkoͤpfe, und endlich auch Neigung und Kruͤmmung des Beckens ge - nauer zu beſtimmen. 1. Die Hoͤhe des geſammten Be - ckens betreffend, ſo mißt ſie 7 Zoll, wovon dem kleinen Be - cken an der Ruͤckwaͤnd Zoll, an der Seitenwand Zoll, an der Vorderwand Zoll zukommen. 2. Der Winkel, welcher unter der Schamfuge durch Scham - und Sitzbeine gebildet wird, iſt ein Winkel von 90° d. i. ein rechter Win - kel (er unterſcheidet insbeſondere nebſt der groͤßern Woͤlbung des Schambogens und der auswaͤrts gedruͤckten Raͤnder der aufſteigenden Sitzbeinaͤſte, das weibliche vom maͤnnlichen Be -31 cken, und iſt namentlich fuͤr die Entwicklung des Kindeskopfes aus der untern Beckenoͤffnung von Wichtigkeit.)

§. 41.

3. Ruͤckſichtlich der Verbindung der Schenkel - knochen mit dem Becken achtet man theils auf den Winkel, welchen der Schenkelknochen und deſſen Hals bildet; er betraͤgt 120°; theils auf den Winkel, welchen die Fort - ſetzung der Direktionslinie der Schenkelhaͤlſe vor dem Vor - berge bildet; er betraͤgt 100°. Eine Linie vom aͤußern Umfange des großen Rollhuͤgels am Schenkelknochen (Tro - chanter major) bis zu dem gleichen gegenuͤberliegenden Punkte betraͤgt 13 Zoll.

§. 42.

4. Die Neigung (Inclinatio) des Beckens wird durch die Verbindung deſſelben mit der Wirbelſaͤule und ſein Verhaͤltniß zur Laͤngenachſe des Koͤrpers beſtimmt. Es fin - den ſich naͤmlich die Seitenwandknochen des Beckens (Ossa innominata) unter ziemlich rechtem Winkel an das Kreuzbein geheftet; allein, da letzteres ſelbſt ruͤckwaͤrts gebogen iſt, ſo kann auch die Richtung jener Knochen nicht horizontal, ſie muß vorwaͤrts geneigt ſeyn, welches ſo viel betraͤgt, daß der obere Rand der Schambeinverbindung bey aufrechter Stellung gegen 3 Zoll tiefer als der Vorberg gefunden wird. Die Flaͤche des Beckeneinganges iſt ſonach ſtark nach vorwaͤrts abhaͤngig (geneigt), und will man dieſe Neigung nun noch genauer beſtimmen, ſo muß man den Winkel meſſen, welchen die verlaͤngerte Conjugata des Beckeneinganges mit der Hori - zontalebene bildet (vergl. uͤber Neigung und Kruͤmmung Tab. I. Fig. VI.). Dieſen Winkel nun erklaͤren die meiſten Lehrbuͤcher der Geburtshuͤlfe, alle Levret*)Man darf nur das ganz verzeichnete Becken bey Levret (l’art des accouchemens. Paris 1766. Tab. 4.) anſehen, um das Unrichtige dieſer Augabe zu fuͤhlen. folgend, fuͤr 35° betragend, H. Froriep ſetzt ihn dagegen auf 40 43°; indeß uͤberzeugen mich meine Beobachtungen, daß auch dieß noch viel zu gering iſt, wie man leicht ſehen wird, wenn32 man genau nach dieſer Annahme einen Beckendurchſchnitt aufzeichnet, oder an Skeletten dieſen Winkel mißt, wo man ihn bey uͤbrigens ganz regelmaͤßiger Koͤrperform wohl bis zu 60 65° vergroͤßert ſieht. Ich glaube daher der Regel am naͤchſten zu kommen, wenn ich denſelben, als die Mittelzahl aus mehreren Meſſungen, auf 55° feſtſetze. Was dagegen die Flaͤche des Beckenausganges betrifft, ſo findet man auch dieſe ſchief gegen den Horizont geſtellt, und zwar wieder ſo, daß die vordere Seite tiefer als die hintere ſteht, und folg - lich in gleicher Richtung ein Winkel mit dem Horizont ge - bildet wird, welcher 18° zu betragen pflegt. Subtrahirt man nun von dem Winkel des Beckeneinganges mit dem Horizont, den Winkel des Beckenausganges, ſo erhaͤlt man den Winkel, unter welchem die verlaͤngerten Conjugaten des Beckeneinganges und Ausganges zuſammenſtoßen, naͤmlich ei - nen Winkel = 55° 18° = 37°.

Anmerkung. Faſt in ſaͤmmtlichen Saͤugethieren iſt die Neigung des Beckens ſo ſtark, daß die ganze Schamfuge bloß dem Schwanzbeine, und gar nicht mehr dem Kreuz - beine gegenuͤberſteht, woher dann eben die ſtark ruͤckwaͤrts gerichteten Geſchlechtstheile und die veraͤnderte Begattungs - weiſe (Coitus a posteriori) ſich erklaͤren.

§. 43.

5. Endlich die Beckenkruͤmmung betreffend, ſo iſt es ſowohl zur Verſtaͤndniß des Geburtsmechanismus, als auch fuͤr zweckmaͤßiges Vollfuͤhren aller im und durch das Becken vorzunehmender Operationen und Unterſuchungen wichtig, die Richtung derſelben, welche man in Form einer durch das Becken gefuͤhrten Linie ſich vorſtellt, auf das genaueſte zu beſtimmen. Fruͤher nannte man nun dieſe Linie Achſe des Beckens, und Levret beſtimmte ſie als eine ſenkrechte, auf die Mitte der Eingangsflaͤche fallende Linie, welche ſich folglich zur ſenkrechten Laͤngenachſe des weiblichen Koͤrpers genau eben ſo verhalten muß, als die verlaͤngerte Conjugata zur Horizontalebene, d. i. welche mit derſelben einen Winkel von 55° bilden, und deren Verlaͤngerung vom Beckenein - gange aufwaͤrts ohngefaͤhr den Nabel treffen wuͤrde. Offenbar33 verdient nun aber dieſe Linie den Namen der Beckenachſe keineswegs, indem fuͤr einen durchaus gekruͤmmten Gang keine gerade Linie als eigentliche Achſe dienen kann. Um da - her die Hoͤhle des Beckens genauer zu beſtimmen, zog Roͤ - derer eine zweite Linie ſenkrecht auf die Mitte der untern Beckenoͤffnung, welche um 18° von der Laͤngenachſe des weiblichen Koͤrpers ruͤckwaͤrts abweicht, und folglich in der Beckenhoͤhle mit der Levret’ſchen Achſe unter einem Winkel von 143° ſich kreuzt. Allein auch dieſe beyden Achſen zu - ſammen genommen beſtimmen die Beckenhoͤhle, ſo wie die Bewegung des Kindes und die Fuͤhrung der Inſtrumente noch nicht genau, ja zum Theil ganz falſch (denn das Kind tritt nicht nach Roͤderers Achſe nach hinten, ſondern vielmehr nach vorwaͤrts aus dem Becken), und man ſah ſich daher genoͤthigt, die Idee einer oder mehrerer Beckenachſen ganz zu verlaſſen, dagegen aber eine gekruͤmmte Linie (Fuͤhrungs - linie) anzunehmen.

§. 44.

Um nun dieſe Fuͤhrungslinie wahrhaft geometriſch, und alſo vollkommen genau zu beſtimmen, finde ich folgendes Ver - fahren am augemeſſenſten: Man nimmt die Mitte der Schambeinverbindung, da, wo die Conjugata der Becken - hoͤhle ausgeht, braucht von dieſer Conjugata die Haͤlfte (alſo eine Linie von Zoll) als Radius, und beſchreibt nun mit dieſem Halbmeſſer einen Kreis um die Synchondroſe herum, wo ſich dann ergeben wird, daß der in die Becken - hoͤhle fallende Abſchnitt dieſes Kreiſes ſowohl die Mitte des Einganges als Ausganges durchſchneidet, als uͤberhaupt durch - gaͤngig in der Mitte der Beckenhoͤhle verlaufend, die wahre Fuͤhrungslinie auf das Beſtimmteſte angiebt, woraus ſich dann zugleich ergiebt, daß die Ruͤckwand des Beckens, alſo die innere Flaͤche des Kreuzbeines und des im zuruͤckge - bogenen Zuſtande betrachteten Schwanzbeines, einen Kreis - abſchnitt darſtellen muͤſſe, deſſen Radius die ganze Conjugata der Beckenhoͤhle iſt; was dann beym vollkommen regelmaͤßi - gen Becken auch wirklich der Fall ſeyn wird.

I. Theil. 334

Anmerkung. Weit ſeltner, als man gewoͤhnlich zu glauben ſcheint, iſt es, daß ein weibliches Becken in aller Hinſicht als normal gebildet ſich zeigt, und insbeſondere habe ich dieß von der Kruͤmmung der Beckenhoͤhle beſtaͤtigt gefun - den, wo man oft unter einer betraͤchtlichen Reihe, uͤbrigens ziemlich wohlgebauter Becken, kaum eines vorfindet, deſſen Kruͤmmung ganz der wahren Norm entſpraͤche.

§. 45.

So weit denn die mathematiſche Betrachtung des Be - ckens; was das in phyſiologiſcher Hinſicht noch Bemerkungs - werthe betrifft, ſo muß theils die Art ſeiner Knochenverbin - dungen, theils die Entwicklung deſſelben beruͤckſichtigt wer - den. Die Art der Beckenverbindungen angehend, ſo ſind von den vier Knochenverbindungen drei (naͤmlich zwei Darm - und Kreuzbeinfugen und die Schamfuge) im normalen Zu - ſtande keiner Bewegung, keines Auseinanderweichens (worauf man ſonſt wohl bey der Theorie der natuͤrlichen Geburt Ruͤck - ſicht nahm) faͤhig, dahingegen bey einigen Saͤugethieren (ſo nach Le Gallois beym Meerſchweinchen) die Schamfuge ſich wirklich oͤffnet, folglich die Seitenwandbeine ſich allerdings bewegen, worin wir eine Aehnlichkeit mit dem beweglichen Becken niederer Thiergattungen, z. B. der Schildkroͤten, be - merken. Daß jedoch die Verbindung des Schwanz - und Kreuzknochens hinlaͤngliche Bewegung zulaſſen muͤſſe, um eine normale Weite der untern Beckenoͤffnung zuzulaſſen, ergiebt ſich ſchon aus §. 38. Ruͤckſichtlich der Entwicklung der gan - zen Beckenform endlich bemerken wir, daß diejenige Geſtalt, welche wir im Vorhergehenden als die eigentlich normale fuͤr den ausgebildeten weiblichen Koͤrper beſchrieben, nicht gleich im Kinde etwa nur im verjuͤngten Maaßſtabe vorhanden ſey, ſondern ihre Eigenthuͤmlichkeit erſt ſpaͤterhin erhalte. Unter - ſucht man naͤmlich das Becken des neugebornen Maͤdchens, ſo iſt allerdings wegen aͤußerſt geringer Hervorragung des Vorberges und Schmalheit der Huͤftgegend auch die obere Beckenoͤffnung mehr ein der Laͤnge, als der Breite nach liegendes Oval; ſpaͤterhin wird dann der ganze Beckenraum mehr kreisrund, bis erſt waͤhrend des Eintrittes der Ge -35 ſchlechtsreiſe das Becken (die Knochenhoͤhle fuͤr Geſchlechts - organe, wie es der Thorax fuͤr Reſpirationsorgane iſt) ſeine querovale Geſtalt erhaͤlt, ja ſeine volle Ausbildung erſt waͤh - rend der erſten Schwangerſchaft erreicht, woher wir es leiten muͤſſen, daß die Taille des weiblichen Koͤrpers eine andere iſt im jungfraͤulichen Zuſtande und eine andere nach der erſten Geburt, ein Unterſchied, welchen ſchon die alten plaſtiſchen Kuͤnſtler in der verſchiedenen Bildung der Venus anadyomene (die dem Meere entſtiegene) und der Venus genetrix (der Er - zeugerin) ſehr wohl ausgedruͤckt haben.

§. 46.

Es iſt jetzt, bevor wir zur Betrachtung der Eigenthuͤm - lichkeiten des weiblichen Lebens uͤbergehen, nothwendig, zuvor noch die Kennzeichen zu beruͤckſichtigen, aus denen am leben - den Koͤrper das wahrhaft normale Befinden und der verſchie - dene Zuſtand der einzelnen, vorher betrachteten Theile zu er - kennen iſt, als welches dann das Geſchaͤft einer beſondern Zeichenlehre der weiblichen Geſchlechtstheile und des weiblichen Beckens ſeyn wird.

I. Zeichenlehre der weiblichen Geſchlechtstheile.
§. 47.

1. Zeichen der normalen, zu Zeugung, Er - naͤhrung des Kindes und Geburt uͤberhaupt ge - ſchickten weiblichen Geſchlechtstheile. Hierher gehoͤren a) hinſichtlich der aͤußern Schamtheile: an - einanderſchließende, doch nirgends verwachſene oder ſonſt ver - unſtaltete, innerlich geroͤthete und glatte, aͤußerlich mit Haar bewachſene, große Schamlefzen; hinlaͤnglich weite, weder zu ſehr ruͤckwaͤrts noch vorwaͤrts gerichtete Schamſpalte (Rima genitalium); nicht zu weit vorragender und breiter, noch auch allzuſchmaler oder zerriſſener Damm (Perinaeum), und kein allzubreites Schambaͤndchen (Frenulum vulvae). Ferner re - gelmaͤßig gebildete, weder zu ſtarke und vorragende, noch zu kleine oder unempfindliche, lebhaft geroͤthete, maͤßig feuchte,36 nicht mit dickem Schleim uͤberzogene, oder ſonſtigen Krank - heitszuſtand verrathende kleine oder Waſſerlefzen, empfindliche ohngefaͤhr ¼ Zoll lange Klitoris, welche wenig vor dem Prae - putio Clitoridis vorragt, und unter dieſer, ohngefaͤhr in der Tiefe von ¾ Zoll, der weder zu ſehr erſchlaffte und erwei - terte, noch allzuſehr verengerte Eingang in die Harnroͤhre (Orificium urethrae).

§. 48.

b) Hinſichtlich der Scheide und Gebaͤrmutter: eine am Eingange 1 bis Zoll weite, weder durch ein zu feſtes, noch allzugroßes Hymen verſchloßene Scheide, welche da, wo das Hymen mangelt, die myrthenfoͤrmigen Karun - keln erkennen laͤßt, und ein maͤßig weiter, gegen 4 Zoll lan - ger, nach der Richtung des untern Theiles der Beckenfuͤh - rungslinie ſanft gebogener, maͤßig durch Schleim befeuchteter, weder zu ſehr, noch zu wenig erwaͤrmter, weder mit zu ſtar - ken oder gar herabgeſunkenen Querfalten verſehener, noch ganz glatter Scheidenkanal. Ferner eine verhaͤltnißmaͤßig ge - bildete, hinter Schamfuge und Harublaſe, und vor dem Maſtdarme, zwiſchen Eingang und Hoͤhle des kleinen Beckens liegende Gebaͤrmutter, deren Laͤngenachſe der Levret’ſchen Be - ckenachſe entſpricht, und deren unteres Segment mittelſt des 1 Zoll langen Mutterhalſes (Cervix uteri) in die Scheide (welche dieſe Vaginalportion ſelbſt aͤußerlich bekleidet) herab - ragt, woſelbſt der aͤußere Muttermund von gleicher elaſtiſcher Textur, ohne Verhaͤrtungen und Auswuͤchſe, etwas ruͤckwaͤrts gerichtet, mit etwas verlaͤngerter vorderer Lippe, und zwar als Querſpalte, oder zur Zeit der Menſtruation als runde Oeffnung bemerkt wird.

§. 49.

c) Hinſichtlich der Bruͤſte: weder allzugroße, mit zu vielem Fette uͤberkleidete Bruſtdruͤſen; gleichfoͤrmige Halb - kugelgeſtalt beyder Bruͤſte, welche weder platt aufliegend, noch zitzenartig herabhaͤngend, weder innerlich Verhaͤrtungen zeigend, noch allzuſehr erſchlafft, dagegen elaſtiſch, mit einer zarten reinen Haut uͤberzogen gefunden werden. Ferner re -37 gelmaͤßig geſtaltete, hinlaͤnglich große, nicht geſpaltene, mit roͤthlicher oder brauner Haut uͤberdeckte, empfindliche, leicht turgescirende Warzen, und ein gegen ¾ Zoll breiter glatter, gleichmaͤßig mit den Warzen gefaͤrbter Hof um dieſelben.

§. 50.

2. Zeichen des jungfraͤulichen Zuſtandes die - ſer Theile insbeſondere. Obwohl es unlaͤugbar iſt, daß der wahrhaft jungfraͤuliche Zuſtand des weiblichen Koͤr - pers ſchon in ſeiner allgemeinen Bildung dem ſchaͤrfern Beob - achter ſich mit ziemlicher Beſtimmtheit darſtellt, ſo kann doch von dieſem Geſammtuͤberblick namentlich fuͤr gerichtliche Faͤlle wenig Anwendung gemacht werden, indem die Entſcheidung hierbey zu ſehr der Individualitaͤt des Beobachters uͤberlaſſen bliebe, es waͤre denn, daß in dieſer Hinſicht noch beſtimm - tere Merkmale aufgefunden wuͤrden, etwa gleich dem, welches nach Winkelmann bereits den Alten bekannt geweſen: daß naͤmlich die Schlankheit des Halſes als Zeichen jungfraͤulichen Zuſtandes gelten kann, und, ſobald ein um den Hals gemeſſener Faden, leicht uͤber den Kopf weggefuͤhrt werden koͤnne, dieß als Andeutung verlorener Jungfrauſchaft zu betrachten ſey. Sicherer als dieſe Merkmale bleibt daher zur Beſtimmung des jungfraͤulichen Zuſtandes noch der Zuſtand der Genitalien, obwohl auch hier im Voraus bemerkt werden muß: erſtens, daß wenn man, wie Einige thun, zwiſchen phyſiſcher und moraliſcher Jungfrauſchaft unterſcheiden will, die zu erwaͤh - nenden Kennzeichen natuͤrlich blos fuͤr die erſtere guͤltig ſind; zweitens, daß ungewoͤhnliche urſpruͤngliche Bildungen der Ge - nitolien, Krankheiten derſelben, z. B. Leucorrhoe, Verletzun - gen, Entzuͤndungen, Eiterungen u. ſ. w. ſehr leicht einen Zuſtand herbeyfuͤhren koͤnnen, welcher, indem er die Zeichen der Jungfrauſchaft auch ohne ſtatt gehabten Coitus zerſtoͤrt, ſehr leicht zu irrigen Urtheilen verleiten kann, weßhalb dann, indem auch viele der zu nennenden Kennzeichen, ſelbſt das unverletzte Hymen auch nach gepflogenem Coitus bemerkt worden iſt, in jeder Hinſicht bey den uͤber dieſen Gegenſtand zu ziehenden Reſultaten mit moͤglichſter Umſicht und Benutzung aller Anhaltungspunkte zu verfahren iſt.

38
§. 51.

Als Zeugen jungfraͤulichen Zuſtandes an den Geſchlechts - theilen betrachten wir aber: unverletztes, auch nicht allzuſehr erſchlafftes Hymen; wulſtige, dicht an einander ſchließende, elaſtiſche, innerlich glatte und lebhaft geroͤthete große Scham - lefzen, welche die kleinen nicht allzuſchlaffen oder verhaͤrteten und gleichfalls lebhaft geroͤtheten Scham - oder Waſſerlefzen bedecken. Ferner eine kleine, groͤßtentheils von der Vorhaut bedeckte und zwiſchen den Schamlefzen verborgene Klitoris; ein enger, etwas wulſtiger Rand der Harnroͤhrenoͤffnung, und ein uͤberhaupt zuſammen gezogener, kaum 1 Zoll weiter Ein - gang der Scheide. Ferner der engere, ſtark quergefaltete Scheidenkanal, der ſchlankere 1 Zoll lange Fruchthaͤlterhals von feſter Subſtanz und glatter Oberflaͤche, nebſt dem mit dichtſchließenden Lippen (einer hintern kuͤrzern und einer vordern laͤngern) verſehenen, eine Querſpalte (zur Zeit der Men - ſtruation jedoch bey wulſtigern Lippen wehr gerundete Oeff - nung) zeigenden, etwas ruͤckwaͤrts gekehrten Muttermunde; wobey durch das Scheidengewoͤlbe ſo wie durch den Maſt - darm der Gebaͤrmutter-Koͤrper und Grund, obwohl nur un - deutlich, ebenfalls klein und von ſtarker Subſtanz wahrge - nommen werden. Endlich der glatte, gewoͤlbte, weder be - ſondere Hautfalten noch Flecken zeigende Unterleib und die kleinern elaſtiſchen, halbkuglichen Bruͤſte mit hellrothen War - zen und Hoͤfen um dieſelben verſehen.

§. 52.

3. Kennzeichen des ſtatt gehabten Beyſchlafs. Es gilt von ihnen, ruͤckſichtlich ihrer Unſicherheit, bey - nahe daſſelbe, was uͤber die Zeichen des jungfraͤulichen Zu - ſtandes bemerkt wurde, und man darf annehmen, daß, wenn die zu erwaͤhnenden Kennzeichen beſtimmt vorhanden ſeyn ſollen, theils mehrere Male wiederholter Coitus ſtatt gehabt haben, theils derſelbe vollſtaͤndig (nicht etwa sine immissione penis) geweſen ſeyn muͤſſe. Die Veraͤnderungen, welche in dieſem Falle an den Geſchlechtstheilen wahrgenommen werden, ſind aber folgende: Schlaffes, zerriſſenes oder ganz ver -39 ſchwundenes Hymen, ſchlaffere innerlich braͤunlich gefaͤrbte mehr mit Schleim uͤberzogene große Schamlefzen, laͤngere oder haͤrtere ebenfalls braͤunliche mehr hervorragende Nymphen, empfindlichere weniger bedeckte Klitoris, weitere Harnroͤhren - muͤndung, ſchlaffere weniger dicht gefaltete Scheide, tiefer ſtehender, oft auch mehr angeſchwollener Muttermund und Mutterhals, etwas ſchlaffere Bruͤſte, dunklere Warzen und etwas vermehrtes Volumen der Schilddruͤſe.

§. 53.

4. Kennzeichen vorausgegangener Geburten. Auch ruͤckſichtlich dieſer muß bemerkt werden, daß wir eigent - lich kein einziges haben, welches einzig und allein vollkom - mene Sicherheit der Unterſcheidung gewaͤhrte, und daß durch vorausgegangene krankhafte Zuſtaͤnde der Genitalien, Polypen, Eiterungen, Syphilis, Waſſerſucht des Uterus u. ſ. w. meh - rere Zeichen herbeygefuͤhrt werden koͤnnen, welche ganz den Zuſtand vorhergegangener Geburten nachbilden, obwohl im Ganzen genommen, zumal da aͤhnliche Krankheitszuſtaͤnde doch ſeltner ſind, ſich auch ſonſt zu erkennen geben, dieſe Kennzeichen doch noch mehr Zuverlaͤßigkeit als die vorherge - henden gewaͤhren. Es ſind folgende: Mehr von einander klaffende große und kleine Schamlefzen und erweitertere Schei - denmuͤndung bey ſtark ausgedehntem oder verletztem Scham - baͤndchen, oder eingeriſſenem Damme; ſchlaffere, weitere, glat - tere, oft mit theilweiſem Vorfalle behaftete Mutterſcheide; wulſtigere, ſchwammigere Vaginalportion des Fruchthaͤlters; groͤßerer, durch das Scheidengewoͤlbe leichter fuͤhlbarer Gebaͤr - mutterkoͤrper und dickerer Muttermund, an deſſen weniger genau ſchließenden Lippen die Spuren fruͤherer Einriſſe als Narben ſich darſtellen. Endlich ſchlaffere Bauchbedeckungen mit Querfalten oder veraͤnderter Hautfarbe bezeichnet, Spuren waͤhrend der Schwangerſchaft vorhanden geweſener Venenge - ſchwuͤlſte der Schenkel; ſchlaffere, zuweilen mit fuͤhlbaren vom Stillungsgeſchaͤft zuruͤckgebliebenen Milchknoten verſehene Bruͤſte mit dunkelfarbigen mehr hervorragenden Warzen.

40
II. Zeichen des regelmaͤßig gebildeten Beckens.
§. 54.

Als hierher gehoͤrige Kennzeichen ſind zunaͤchſt die all - gemeine regelmaͤßige Bildung des Koͤrpers und insbeſondre des Skeletts nach aͤcht weiblichem Typus zu bemerken, in - dem Verbiegungen der Wirbelſaͤule, gekruͤmmte Gliederkno - chen oder gehinderte Bewegungen der Glieder, wie beym Hinken, ſehr haͤufig mit fehlerhafter Beckenbildung ſich ver - binden. Ferner hinlaͤngliche Breite der Huͤften - (9 10 Zoll) und Rollhuͤgelgegend (13 Zoll), regelmaͤßige Woͤlbung des Schambogens und Kreuzbeines, regelmaͤßige Tiefe des gan - zen Beckens (7 Zoll), normale Vorwaͤrtsneigung der Darm - beinkaͤmme, und weder zu weit vorwaͤrts noch zu weit ruͤck - waͤrts gerichtete aͤußere Schamtheile (Genitalia quoad situm media). Außerdem giebt vorzuͤglich die Geſchichte vorher - gegangener Geburten (namentlich kurz vorhergegangener) uͤber die Beſchaffenheit des Beckens Aufſchluß, indem die normale Geburt eines ausgetragenen normal gebauten Kindes undenkbar iſt ohne ein regelmaͤßig gebildetes Becken, obwohl auch ein ſolches ſpaͤterhin ſich veraͤndern und vom Normal - baue betraͤchtlich abweichen kann. Das ſicherſte Merkmal bleibt daher immer die Anſtellung einer genauen innern ge - burtshuͤlflichen Unterſuchung (von welcher ſpaͤterhin die Rede ſeyn wird), auch wegen moͤglicher Weiſe vorhandener innerer Geſchwuͤlſte und Knochenauswuͤchſe, welche in der aͤußern Form ſich nicht andeuten.

3. Eigenthuͤmlichkeit der weiblichen phyſiſchen und pſychiſchen Lebensaͤußerungen.

§. 55.

Wenn wir uͤberhaupt an dem wichtigen phyſiologiſchen Satze feſthalten, daß der Organismus nur eins ſey und folglich ſeine Thaͤtigkeit nicht etwas vom Organe weſent - lich verſchiedenes, ſondern beydes nur verſchiedene Seiten eines Einzigen, ſo werden auch die §. 16 24 betrachteten41 Individualitaͤten der weiblichen Form uns im Voraus die wichtigern Eigenthuͤmlichkeiten dieſes Lebens andeuten koͤnnen, unter welchen letztern wir uͤbrigens die allgemeinern Momente wieder zuerſt einer naͤhern Betrachtung unterwer - fen. So wie aber in der Natur uͤberhaupt eine zwey - fache Richtung allgemeiner Thaͤtigkeit bemerkbar iſt, eine naͤm - lich, welche auf die Geſtaltung des Einzelnen, auf Individua - litaͤt abzweckt, und eine zweite, welche auf das Allgemeine und Geſetzmaͤßige ſich bezieht, als Beſtreben nach Einheit, nach Totalitaͤt erſcheint, ſo wiederholt ſich auch ein ſolcher Gegenſatz von Kraͤften in den beſondern Naturweſen auf die mannigfaltigſte Weiſe. So naͤmlich ſehen wir das Reich der Pflanzen und Thiere ſich entgegengeſetzt, wo im erſtern die Exiſtenz ſelbſt der Hauptzweck der Lebensverrichtungen iſt, und daher alle einzelnen Thaͤtigkeiten der Pflanzen nur auf Naͤhren und Ausſondern, Wachſen, Fortpflanzen und Ab - nehmen gerichtet ſind, wenn hingegen der Zweck des thieriſchen Organismus mehr das Beſtimmen der Exiſtenz in Em - pfindung und Bewegung, die Willkuͤhr iſt. Eben ſo wieder - holt ſich dieſer Gegenſatz in der phyſiſchen und pſychiſchen Natur des Menſchen ſelbſt, indem die erſtere auf Bildung, Erhaltung und Wechſel des Stoffes gerichtet, die zweite aber auf Einheit und Freyheit gegruͤndet iſt, und will man dieſe Unterſcheidung endlich noch mehr auf das koͤrperliche des Or - ganismus beziehen, ſo beruht auch darin der Gegenſatz der vegetativen oder produktiven, und der animalen Sphaͤre, wo wir zur erſtern die gleichſam aus der Pflanzenwelt entlehn - ten Organe der Aſſimilation, Cirkulation, Reſpiration und Secretion ſo wie der geſchlechtlichen Reproduktion rechnen, wenn wir unter der zweiten die Gebilde der Sinneswerk - zeuge, Bewegungswerkzeuge und des Nervenſyſtems begreifen.

§. 56.

Endlich aber wiederholt ſich dieſer Gegenſatz auch auf das Beſtimmteſte in dem Verhaͤltniße der beiden Geſchlechter. Wie naͤmlich das Univerſum eben nur durch die wechſelſeitige Durchdringung von geſetzmaͤßiger Einheit und Mannigfaltig - keit, von Ewigkeit zu Ewigkeit beſteht, und in einer ſtaͤten42 Umwandlung, d. i. in einem ſtaͤten Hervortreten, Erzeugen, und Aufloͤſen, Sterben begriffen iſt (welches ausfuͤhrlicher nachzuweiſen, Sache der hoͤheren Philoſophie der Natur iſt), ſo muͤſſen auch, wo ein Individuelles neu hervortreten, d. i. erzeugt werden ſoll, Entgegengeſetzte ſich verbinden, um in ihrer Durchdringung eine neue Verwendung der ewigen Subſtanz (keine eigentlich neue Erſchaffung, als welche undenkbar iſt) zu bewirken, und wir ſehen daher denn ſchon in der Pflanzenwelt das Hervortreten verſchiedenartiger Gebilde, von denen einige die materielle Anlage zur kuͤnftigen Frucht in ſich tragen (Staubwege, Pistilla), wenn andere die befruchtende, d. i. begeiſtigende Thaͤtigkeit, die Idee der Geſetzmaͤßigkeit, der Beſtimmung einer regelmaͤßigen Entwicklung, enthalten (Staubfaͤden, Stamina).

§. 57.

Wenn indeß dieſes Verhaͤltniß in der Pflanze, welche der Erde eingewurzelt gleichſam noch weniger in ſich beſchloſ - ſen iſt, mit minderer Klarheit erſcheint, ſo tritt es dagegen in der Sexualverſchiedenheit der hoͤheren Thiere, und am ſchoͤnſten im Menſchen mit vollkommenſter Freiheit hervor; und wie wir in der Fortpflanzung das Weib als rein em - pfangend, das Koͤrperliche geſtaltend, den Mann aber als befruchtend, als begeiſtigend finden, ſo iſt auch in ihrem ge - ſammten Leben ein ſolcher Gegenſatz ausgeſprochen, welcher, obwohl der Gattungscharakter in Thaͤtigkeit und Geſtalt bey - den gemeinſam iſt, doch in dem Weibe das phyſiſche, das auf vegetatives oder produktives Leben ſich Beziehende eben ſo beſtimmt uͤberwiegen laͤßt, als im Manne das pſychiſche, das animale Leben vorherrſchend erſcheint. Es wird ſich dieß bey der nun erforderlichen Betrachtung der beſondern Aeußerungen weiblichen Lebens am ſicherſten und deutlichſten ergeben.

§. 58.

Beruͤckſichtigen wir aber das weibliche Leben, in wie fern es ſich durch Aſſimilation, Cirkulation und Reſpiration, Se - und Excretion, ſo wie durch Geſchlechtsfunktion aus -43 zeichnet, ſo finden wir 1) die Aſſimilation, die Stoffauf - nahme betreffend, daß dem Weibe eine ſtaͤrkere aſſimilative Kraft der Verdauungswerkzeuge eigenthuͤmlich ſey, welches erwieſen wird durch das geringere aber oͤfter wiederkehrende Beduͤrfniß an Nahrungsmitteln bey nichts deſto weniger ſehr reichlicher Chylusbereitung und raſcher Erſetzung verlorener Stoffe. Zugleich muß indeß auch bemerkt werden, daß die Senſibilitaͤt der weiblichen Verdauungsorgane ſtaͤrker ſey, als die der maͤnnlichen, weßhalb oͤftere Stoͤrungen der Verdauung und groͤßere Wirkung aufgenommener, reitzender, erregender Stoffe auf das allgemeine Befinden. Endlich pflegen ſelbſt die Stuhlausleerungen, wegen der groͤßern Thaͤtigkeit der Aufſaugung, feſter und ſeltner zu ſeyn. Was 2) die den organiſchen Stoffwechſel unterhaltende Gefaͤßthaͤtigkeit betrifft, ſo haͤngt es eben von der raſchen Aſſimilation ab, daß ſich die Blutmaſſe im Weibe ſchneller als im Manne wieder erzeugt; ja uͤberhaupt iſt der Umtrieb der Saͤfte ge - ſchwinder, der Pulsſchlag daher frequenter, obwohl gemeinig - lich etwas kleiner, auch die Neigung zu Wallungen und leichtern Fieberbewegungen in dieſem Geſchlechte groͤßer, und die Thaͤtigkeit und Wichtigkeit des Nervenſyſtems bedeutender als im Manne.

§. 59.

3) Die Athmung und Ausſcheidung betreffend, ſo iſt die Aushauchung der Lungen im weiblichen Geſchlechte ſchwaͤcher, dagegen die Ausduͤnſtung und druͤſige Abſonderung der zartern Haut verhaͤltnißmaͤßig allerdings bedeutender*)Wenn man nicht ſelten bemerkt, daß maͤnnliche Fruͤchte leichter als weibliche unter der Geburt aſphyktiſch werden und ſchwerer zu er - wecken ſind, ſo ſcheint dieß allerdings mit dem groͤßern Athmungs - beduͤrfniße im maͤnnlichen Koͤrper in Verbindung zu ſtehen., ferner wird auch in den groͤßern innern Abſonderungsorganen gleichwie in den Lungen geringere Excretion wahrgenommen, die kleinere Leber laͤßt auf ſchwaͤchere Gallabſonderung ſchlie - ßen, und von den Nieren finden wir die Ausſonderung einer geringern Quantitaͤt eines dunkler gefaͤrbten, ſtaͤrker riechen -44 den Harnes bewerkſtelligt. 4) Was endlich die Geſchlechts - funktion angeht, ſo werden die folgenden Abſchnitte dieſer Schrift die einzelnen hierher gehoͤrigen Erſcheinungen ſo aus - fuͤhrlich durchzugehen haben, daß eine beſondere Eroͤrterung derſelben ſchon deßhalb hier uͤberfluͤßig wird, und ſo begnuͤgen wir uns daher jetzt nur im Allgemeinen zu bemerken, daß auch in der Reproduktion der Gattung, eben ſo wie in der individuellen Reproduktion, die uͤberhaupt vorherrſchende Thaͤ - tigkeit der Stoffbildung ſich deutlichſt zeige, ja wie es phy - ſiologiſch hoͤchſt merkwuͤrdig ſey, daß der Bildungsſtoff, durch welchen das Weib bey der Fortpflanzung thaͤtig iſt, nicht ſowohl wie beym Manne als ein abgeſonderter Stoff, wie das Sperma, erſcheint, ſondern vielmehr durch das Blut ſelbſt dargeſtellt wird, wie die Ausſonderung des Blutes in der Periode nicht reger Geſchlechtsthaͤtigkeit (als Menſtrua - tion), und die hoͤchſt bedeutende Anhaͤufung des Blutes im ſchwangern Uterus, Behufs der Foͤtusernaͤhrung beweiſet.

§. 60.

Wir kommen nun zu den charakteriſtiſchen Erſcheinun - gen des weiblichen Lebens, welche auf ſenſibele und Be - wegungsſunktion, ſo wie auf hoͤheres Nervenleben d. i. pſy - chiſche Eigenthuͤmlichkeit ſich beziehen. Was hier aber zu - voͤrderſt die ſinnliche Wahrnehmung betrifft, ſo iſt dieſe im Allgemeinen allerdings feiner zu nennen als im maͤnnlichen Koͤrper, jedoch nicht ſo, daß die Reitzbarkeit und die Schaͤrfe und Genauigkeit der Wahrnehmung in gleichem Maaße ſich entwickelt zeigten. Gewiß naͤmlich iſt das Auge des Weibes gegen helles Licht, ſcharf entgegengeſetzte Far - ben u. ſ. w. empfindlicher, aber es iſt weniger fuͤr unmit - telbare Auffaſſung richtiger Verhaͤltniſſe, großer Geſammtein - druͤcke u. ſ. w. geeignet; eben ſo wird das Ohr des Weibes gegen irgend einen heftigen Schall empfindlicher, fuͤr gewiſſe einzelne Klaͤnge reitzbarer gefunden, dagegen ihm das ſcharf unterſcheidende muſikaliſche Gehoͤr doch ſeltner zukommt, und es ſtimmt mit jener groͤßern Reitzbarkeit (ſo wie ſelbſt mit dem durch engern Gehoͤrgang ausgezeichneten Baue des weib - lichen Ohres) allerdings uͤberein, daß in dieſem Geſchlechte45 haͤufigere Abſtumpfung dieſes Sinnes und oͤftere Schwerhoͤ - rigkeit bemerkt wird. Endlich was die Sinnesarten des Ge - taſtes, Geruchs und Geſchmacks beym Weibe anbelangt, ſo iſt auch in dieſen eine groͤßere Erregbarkeit und leichter moͤg - liche Ueberreitzung deutlich wahrnehmbar. Die groͤßere Recep - tivitaͤt ſenſibeler Organe iſt uͤbrigens auch in aller andern Hinſicht, z. B. der Wirkung der Arzneymittel, der Einfluͤſſe aͤußerer Temperatur und Witterungsveraͤnderungen, der groͤ - ßern Neigung zu exaltirten Zuſtaͤnden des Nervenſyſtems, der groͤßern Empfaͤnglichkeit gegen thieriſchen Magnetismus u. ſ. w. ſo unverkennbar und folgt aus der mehr hervorgehobenen ve - getativen Natur, und ſomit weniger ausgeſprochenen indivi - duellen Selbſtſtaͤndigkeit ſo beſtimmt, daß wir noch weitere Erlaͤuterungen hieruͤber fuͤr uͤberfluͤßig halten.

§. 61.

Die Bewegkraft angehend, ſo iſt aus denſelben Gruͤn - den, welche die erhoͤhte Senſibilitaͤt dieſes Geſchlechts erklaͤ - ren, auch die zwar ſchwaͤchere, dafuͤr aber auch dem Ner - venſyſteme mehr unterworfene Muskelkraft zu folgern, und wir finden demnach in Uebereinſtimmung mit der fruͤher be - merkten geringern Entwicklung des Muskel - und Knochenſy - ſtems, daß die Bewegungen des weiblichen Koͤrpers, obwohl mit geringerer Energie, doch mit groͤßerer Zierlichkeit und Leich - tigkeit ausgeuͤbt werden; wobey uͤbrigens ſelbſt der parallele Stand der verminderten Reſpiration und der ſchwaͤchern Mus - kelkraft in ſo fern merkwuͤrdig iſt, als ſchon in der Thier - reihe eine ſolche Gleichſtellung nachgewieſen werden kann, und ſchwaͤchere Reſpiration auch insgemein mit geringerer Mus - kelkraft verbunden iſt. Als Erzeugniß endlich von Bewe - gung und Athmung, von Sinneswahrnehmung und Reflexion zugleich, gehoͤrt noch hierher der Ton, die Sprache, als welche wir dann in Folge verminderter Athmung (§. 20.) und Bewegung auch ſchwaͤcher und hoͤher (kindlicher), zu - gleich aber auch gemuͤthvoller als die maͤnnliche finden.

§. 62.

Endlich ruͤckſichtlich des hoͤhern Nervenlebens, auf welches wir die Eigenthuͤmlichkeit weiblicher Gemuͤthsſtimmung,46 weiblicher Temperamente und Leidenſchaften beziehen, ſo iſt auch hier das Pſychiſche ein wahrer Spiegel des Koͤrperli - chen, ja vielmehr die ideale Seite des Organismus ſelbſt. Wenn daher uͤberhaupt im Reiche des geiſtigen Lebens (ganz gemaͤß den drei Richtungen oder Syſtemen im Organiſchen der animalen Sphaͤre) unterſchieden werden kann zwiſchen Gemuͤth (Empfindungs -, Gefuͤhlsvermoͤgen), Geiſt (Re - flexions -, Erkenntnißvermoͤgen) und Willen (Thatkraft, Vermoͤgen zur freien Beſtimmung), ſo wird ſich nun bereits aus dem Vorhergegangenen abnehmen laſſen, welche Seiten im Weibe hervorgehoben, welche weniger ausgebildet ſeyn muͤſſen. Wenn naͤmlich im Weibe uͤberhaupt Animalitaͤt, und folglich ſchaͤrfere Individualitaͤt ſo wie Selbſtſtaͤndigkeit weniger vorherrſcht, ſo wird ſich dieß auch im Pſychiſchen aͤu - ßern, und wir finden daher die Energie der Geiſteskraft im Weibe nicht, welche dem Manne moͤglich iſt. Das eigent - liche Feld der Wiſſenſchaft und Spekulation, die Schaͤrfe des Urtheils, die Tiefe der maͤnnlichen Vernunft, ſind der weib - lichen Seele unzugaͤnglich; dahingegen iſt der Geiſt des Wei - bes feiner, ſchneller in der Auffaſſung, zur richtigen Erkennt - niß der einzelnen und naͤheren Verhaͤltniſſe des menſchlichen Lebens mehr geeignet, und ein gewiſſer Scharfſinn, Neigung zur Liſt, ſo wie Fertigkeit im Uebergehen aus einer Vorſtel - lungsreihe in die andere, iſt ihm natuͤrlich.

§. 63.

Im Gemuͤth hinwiederum iſt die groͤßere Reitzbar - keit, die Weichheit, Lebendigkeit des Gefuͤhls, die Regſam - keit der Phantaſie allerdings dieſem Geſchlechte charakteriſtiſch, allein eben dieſe zu große Beweglichkeit laͤßt die Tiefe des Gefuͤhls, die ſchoͤpferiſche Kraft der Phantaſie, welche die Seele faͤhig macht zur Hervorbringung großer und hoher Werke der Dichtung und bildenden Kunſt, vermiſſen. Ueber - dieß iſt hierin die vorherrſchende Neigung zum Anmuthigen, Zierlichen und Kleinen begruͤndet, da große und erhabene Ge - genſtaͤnde zu gewaltſam die Seele des Weibes erſchuͤttern, als daß ein reines Wohlgefallen hieran ihm wenigſtens ganz natuͤrlich ſeyn koͤnnte. Vorzuͤglich endlich werden die Aeu -47 ßerungen weiblichen Gemuͤths durch die Geſchlechtsverhaͤlt - niſſe des Weibes ſelbſt beſtimmt. Die Beſtimmung, ſich an einen Gatten anzuſchließen, die Beſtimmung, Mutter zu werden, iſt ſchon in den Puppenſpielen des Maͤdchens ſicht - bar, und aͤußert ſich ſpaͤter, wenn der Kampf des Selbſt - gefuͤhls und der Neigung gegen das andere Geſchlecht ſich im Buſen regt, als das Gefuͤhl holder jungfraͤulicher Scham, ja oft als ein gewiſſer edler jungfraͤulicher Trotz, bis endlich, wenn der Mann des Verlangens gefunden iſt, alles dieſes in anmuthige und ſeelenvollſte Hingebung ſich aufloͤſt. Noch gewaltiger indeß als die Gattenliebe herrſcht im Buſen des Weibes die Mutterliebe, und hunderte von Beyſpielen laſſen uns die ungemeinen Aufopferungen bewundern, deren Muͤtter fuͤr ihre Kinder faͤhig waren.

§. 64.

An dieſe Grund-Regung und Richtung des weiblichen Gemuͤths ſchließen ſich dann viele andere weibliche Neigungen und Leidenſchaften an. Wir zaͤhlen dahin die aus dem Be - duͤrfniße an einen Staͤrkern ſich anzuſchließen, und aus dem Gefuͤhle der eigenen Schwaͤche hervorgehende Weichheit und Sanftmuth, die aus reger Phantaſie und geringerer Energie des Geiſtes hervorgehende Neugier, die aus Haug zu gefallen und lebhafter Phantaſie ſich erzeugende Eitelkeit und Putzſucht, ſo wie die aus Neigung und Sorgfalt fuͤr Gatten und Kinder entſtehende ſchoͤne Tugend der Haͤuslich - keit; dagegen aber liegt auch in ihnen Faͤhigkeit zu den hef - tigſten Ausbruͤchen des Haſſes und der Rache, wenn jener feurigen Liebe gegen Gatten oder Kind ſich Hinderniſſe in den Weg draͤngen, oder dieſe Liebe ſelbſt ſich unerwiedert, ja betrogen ſieht.

§. 65.

Die Kraft des Willens endlich zeigt in der weib - lichen Seele ohngefaͤhr dieſelben Eigenthuͤmlichkeiten, welche die Kraft der Bewegung im weiblichen Koͤrper wahrnehmen ließ. Im Ganzen wird namentlich die Feſtigkeit und Be - harrlichkeit des Entſchlußes, ſo wie das Vermoͤgen, ſchnell48 nach Willkuͤhr uͤber alle Kraͤfte des Geiſtes und Koͤrpers zu be - ſtimmen (Gegenwart des Geiſtes) vermißt; obwohl dagegen nicht zu laͤugnen iſt, daß das weibliche Geſchlecht bey Ausdauer in klei - nen Dingen, zu deren Ertragung oder Beſiegung nicht ſowohl Muth und Kraft, als Geduld und Ruhe erforderlich ſind, haͤufig den Vorrang vor dem maͤnnlichen behauptet; worin wir (um dieß beylaͤufig zu erinnern) gewiß den Hauptgrund dafuͤr finden koͤnnen, daß das Weib weit mehr als der Mann zum ſtaͤtigen Beyſtande, zur ruhigen Verpflegung und Beſorgung Kranker, Gebaͤrender, der Woͤchnerinnen, ſo wie der Neugebornen ſich eignet.

§. 66.

Noch haben wir nun, bevor wir die allgemeinen phy - ſiologiſchen Betrachtungen der weiblichen Individualitaͤt be - ſchließen, die Entwicklung deſſelben nach ſeinen ein - zelnen Lebensperioden in einer Hauptuͤberſicht zuſam - men zu ſtellen, wobey wir zuerſt die Frage beleuchten muͤſ - ſen, ob wohl uͤberhaupt bereits im erſten Keime ein Unter - ſchied der Geſchlechter anzunehmen ſey, oder ob voͤllige Gleich - heit derſelben uranfaͤnglich vorhanden und vielleicht (wie einige Phyſiologen wollen) zuerſt alle Embryonen des weiblichen Geſchlechts ſeyn moͤchten? Wofern es aber gewiß iſt, daß die organiſche Bildung nur ein Hervortreten, ein Aus - einanderweichen, ein Trennen eines urſpruͤnglich Einfachen in die verſchiedenen Werkzeuge des Lebens ſey, daß folglich in dieſem Einen und Zuerſtgegebenen der Idee nach bereits der ganze Organismus liege, und nur erſt in der Zeit aus dieſem Einfachen wirklich werde (und dieſen Satz ſtellen Vernunft und Erfahrung gleichmaͤßig feſt), ſo kann auch aus dieſem Keime nicht ein qualitativ Anderes hervorge - hen, als der Idee nach darin gegeben war, obwohl quan - titative Abaͤnderungen (z. B. durch unzureichende oder uͤbermaͤßig angefachte Bildungskraft, Hemmungen oder ab - norme Vergroͤßerungen) ſehr leicht moͤglich ſind; und es iſt folglich erwieſen, daß die erſten Keime geſchlechtlich verſchie - dener Individuen keineswegs alleſamt weiblich, oder uͤberhaupt einander ganz gleich ſeyn koͤnnten, wenn nicht alſobald die49 Nothwendigkeit, daß ſie auch ſpaͤterhin ſich gleich ſeyn muͤß - ten, alſo (was doch nicht der Fall) zu lauter weiblichen Koͤrpern anwuͤchſen, gefolgert werden ſollte.

§. 67.

Erſte Lebensperiode. Der Unterſchied des Geſchlechts muß daher als eine Verſchiedenheit des ganzen Keimes noth - wendig zugleich als urſpruͤnglich angenommen werden, und eben wiefern das Ganze verſchieden iſt, wird dieſe Verſchiedenheit auch in den groͤßern organiſchen Verhaͤltniſſen des Leibes uͤberhaupt, fruͤher noch als in den eigentlichen Geſchlechts - organen angedeutet ſeyn. Vergleicht man nun, um die Wahrheit dieſes Vernunftſatzes auch durch die Erfahrung nachzuweiſen, eine Reihe von Embryonen unter einander, ſo ergiebt ſich allerdings, daß ſchon in zwei - und dreimonathli - chen regelmaͤßig gebildeten menſchlichen Fruͤchten, der weibliche Typus an der groͤßern Bauchhoͤhle, dem engern Thorax und den zartern obern Gliedmaaßen kenntlich ſey, wenn dagegen im maͤnnlichen das umgekehrte Verhaͤltniß Statt findet*)Unterſchiede, welche in Soͤmmerings Iconibus embryonum. T. I. ſehr ſchoͤn wiedergegeben ſind.. Obwohl nun alſo bereits in dieſer Periode das Charakteri - ſtiſche der weiblichen Form ausgeſprochen iſt, ſo erſcheint dieſe Bezeichnung doch nur ſehr ſchwach in den Geſchlechts - organen, und aller Geſchlechtsunterſchied in der Lebens - thaͤtigkeit ruht mit den wichtigſten uͤbrigen Funktionen noch vollkommen. Selbſt im Neugeborenen, bis zum beſtimmten Erwachen der ſenſibeln Lebenserſcheinungen, findet die groͤßte Aehnlichkeit zwiſchen beiden Geſchlechtern Statt, und das Geſchlechtsſyſtem liegt als Keim zu neuen Entwicklungen gleichſam noch ſchlafend im Koͤrper des weiblichen Kindes.

§. 68.

Wie indeß die Ausbildung des Koͤrpers im Allgemeinen vorſchreitet, tritt auch der Typus des Geſchlechts allmaͤhlig ſchaͤrfer hervor; der zartere Gliederbau, die Laͤnge des Un - terleibes, die Zierlichkeit und Geſchicklichkeit der BewegungenI. Theil. 450unterſcheiden das Maͤdchen ſchon bedeutend vom Knaben, und eben ſo geben fruͤhere geiſtige Entwicklung, groͤßere Fertigkeit im Auffaſſen und Behalten, bald ſichtbar werdende Neugier (vorzuͤglich wie Pockels bemerkt auch auf Geſchlechtsgeheim - niſſe gerichtet), ferner eigene Spiele, in denen das Muͤtter - liche und die haͤusliche Sorgfalt immer vorherrſchend ſind, bezeichnende Merkmale dieſes Geſchlechts ab. Raſcher ent - wickelt ſich nun bey uͤberwiegender produktiver Kraft der Koͤr - per, einer Pflanze vergleichbar, welche auf beſſerm Boden ſchneller zum Bluͤhen gelangt, und nach und nach, ſo wie Erzeugung plaſtiſcher Stoffe ſich haͤuft, bildet ſich nun auch das Geſchlechtsſyſtem, deſſen ſtufenweiſe Entfaltung wir noch im Speciellen weiter unten zu verfolgen haben, vollkomm - ner aus.

§. 69.

Zweite Lebensperiode. Um vier bis ſechs Jahre zeitiger als der maͤnnliche Koͤrper erreicht nun der weibliche die Zeit ſeiner Reife. Die individuelle Fortbildung wird ge - hemmt und es tritt nun die Fortbildung der Gattung, die Fortpflanzungsthaͤtigkeit hervor. Erſt jetzt iſt nun das Weib ſeinem Koͤrperlichen und Geiſtigen nach, ſo wie wir es im Obigen beſchrieben haben, vom Manne unterſchieden und aus - gebildet. Der groͤßere Reichthum erzeugten Blutes draͤngt ſich periodiſch gegen das Geſchlechtsſyſtem, deutend auf ſeine Beſtimmung zur Ausbildung eines neuen Organismus ver - wendet zu werden, und erzeugt hier einen Zuſtand von Ueber - fuͤllung, welcher, in ſo fern nicht Schwangerſchaft eintritt, gleichſam durch einen kritiſchen Blutfluß, d. i. durch die ih - ren beſondern Erſcheinungen nach weiter unten zu betrachtende Monathsreinigung oder Menſtruation gehoben wird.

§. 70.

In wiefern nun ſchon aus dem Vorhergegangenen ſich ergiebt, daß jene periodiſchen Congeſtionen nach dem Ge - ſchlechtsſyſtem, welche die Menſtruation erzeugen, auf die Fort - pflanzung ſich beziehen, koͤnnte man (mit Cuvier) dieſen Zu - ſtand ohngefaͤhr der Brunſt in den Thieren vergleichen, und51 es knuͤpft ſich ſomit an die Betrachtung dieſer Eigenthuͤmlich - keit des weiblichen Lebens zugleich die eines neuen Cyelus, welcher, indem er auf Reproduktion der Gattung abzweckt, nothwendig die Geſchichte der individuellen Reproduktion mit ihren drei Stadien (Kindheit, Reife und Alter) wiederholt, und die Geſchichte der durch die Empfaͤngniß veranlaßten Veraͤnderungen des weiblichen Koͤrpers, d. i. der Schwan - gerſchaft, der Geburt, ſo wie der Wochen - und Stil - lungsperiode, in ſich faßt, von welchen denn gleichfalls noch die wichtigſten phyſiologiſchen Momente (im Einzelnen werden ſie im zweiten Theile eroͤrtert) hier durchzugehen ſind.

§. 71.

Schwangerſchaft. Von dem Zeitpunkte an naͤmlich, wo durch den Akt fruchtbarer Begattung, die Franſen der Fallopiſchen Roͤhren, von Blut ſtrotzend, die Ovarien krampf - haft umfaßren, um den Urſtoff einer ſpaͤterhin im Uterus auszubildenden Frucht zu empfangen, tritt eine Umaͤnderung im weiblichen Leben ein, in welcher das Ueberwiegen pro - duktiver Thaͤtigkeit (an ſich ſchon dieſem Organismus charak - teriſtiſch) bis zum hoͤchſten Grade ſich entwickelt. Das Ge - ſchlechtsſyſtem und insbeſondere der Uterus wird hierbey der Heerd dieſer neuangeregten Bildung und es erfolgt daher ein Zuſtand von Congeſtion nach dieſen Theilen, welcher ohnge - faͤhr dem der Menſtruation vorausgehenden analog iſt, weß - halb denn ſo viele[Symptome] angehender Schwangerſchaft mit denen angehender Menſtruation uͤbereinſtimmen. Was indeß bey der letztern als Blutfluß ſich entſcheidet, geht hier in einen entzuͤndungsartigen Zuſtand uͤber, welcher ſogar auf den uͤbrigen Koͤrper, gleich einer wahren beginnenden Ent - zuͤndung wirkt, Fieberbewegungen, Nervenleiden, Temperatur - wechſel, Verdauungsſtoͤrungen veranlaßt*)Wie ſehr Entzuͤndungs - und Bildungsprozeß im Weſen verwandt ſind, laͤßt ſich auf vielfache Art nachweiſen; man vergleiche nur z. B. die Gefaͤßbildung im bebruͤteten Ey und die Gefaͤßbildung an der gereitzten ſich entzuͤndenden Hautflaͤche, die Heilung von Wun - den durch Entzuͤndung, die vielen durch Entzuͤndung entſtehenden. Endlich in einem52 Zeitraume, welcher den monathlichen Typus gerade zehn - mal wiederholt, erlangt bey gleichmaͤßiger Entwicklung des muͤtterlichen Bildungsorgans, des Fruchthaͤlters, auch die Frucht ſelbſt ihre Reife, d. i. das Kind erreicht einen ge - wiſſen Grad von Selbſtſtaͤndigkeit, wobey es auch außer dem muͤtterlichen Koͤrper ſein Leben fortzuſetzen faͤhig wird, und dieß iſt der Grund, welcher die Trennung beider Koͤrper herbeyfuͤhrt.

§. 72.

Geburt. Wie naͤmlich etwa zwei Koͤrper von gleich - namiger Elektricitaͤt, wie die gleichnamigen Pole der Mag - netnadel ſich abſtoßen, ſo ſondern ſich am Ende der Schwan - gerſchaft, ſobald der Foͤtus der Moͤglichkeit individueller Exi - ſtenz nach dem muͤtterlichen Koͤrper gleich geworden, beyde Koͤrper von einander ab, und es erwacht ſomit im weiblichen Koͤrper das Beſtreben, wieder in den Zuſtand, in welchem er vor der Empfaͤngniß war, zuruͤckzukehren und ſo dieſen Cyclus zu beſchließen. Vorzuͤglich deutlich tritt dieß im Fruchthaͤlter ſelbſt hervor, und er aͤußert ſich daher bey der Geburt durch Zuſammenziehungen, Contractionen d. i. Wehen, deren Zweck aber zum Theil die Austreibung der Frucht, allein eben ſo ſehr auch die eigene Verkleinerung iſt, weßhalb ſie auch nach der Geburt fortdauern. Die Geburtsthaͤtig - keit ſelbſt, als einen großen Theil mechaniſcher Kraft in Anſpruch nehmend, als den Wendepunkt darſtellend, von welchem aus die in der Schwangerſchaft ſo bedeutend geſteigerte Bildungs - thaͤtigkeit wieder herabſinkt, ergreift und erſchuͤttert faſt alle organiſchen Syſteme des Koͤrpers gewaltſam, iſt daher in vieler Hinſicht Veranlaſſung zu krankhaften Erſcheinungen, und uͤberhaupt eine der merkwuͤrdigſten Revolutionen, welche im Leben des Weibes, und zwar mehrere Male, Statt fin - den kann.

*)krankhaften Gebilde u. ſ. w. (obwohl man allerdings zu weit geht, wenn man mit manchen Pathologen alle krankhaften Verbildungern fuͤr Produkte von Entzuͤndungen haͤlt).
*)
53
§. 73.

Wochenbett und Saͤugungsperiode betreffend, ſo ſind dieß nur Fortſetzungen und Abſchließungen der vorigen Perioden. Im Wochenbett naͤmlich vollendet der Uterus ſeine Zuſammenziehung und Wiederherſtellung in den vorigen Stand, ſowohl ruͤckſichtlich ſeines Parenchyma’s und ſeiner Form, als ruͤckſichtlich ſeiner innern Flaͤchen. Die beſondere Geſaͤßthaͤ - tigkeit im Innern deſſelben verliert ſich, die in Bezug auf geſchlechtliche Functionen uͤberſchuͤßig erzeugten Koͤrperſaͤfte nehmen andere Richtungen, bewirken theils eine vermehrte Thaͤtigkeit in der Haut, theils und hauptſaͤchlich Hervortreten einer zum Behuf fernerer Ernaͤhrung des Kindes geſchehenden Abſonderung in den Bruͤſten, theils endlich bey krankhaften Zuſtaͤnden wohl auch heftige Congeſtionen noch andern Or - ganen, Entzuͤndungen, Fieber u. ſ. w. Am laͤngſten nun erhaͤlt ſich unter jenen fuͤr die Thaͤtigkeit des Uterus eintre - tenden Funktionen die der Milchſekretion; ſie iſt es, welche fortwaͤhrend, und zwar dem Gange der Natur nach ohnge - faͤhr in einem der Schwangerſchaftsperiode ſelbſt entſprechen - den Zeitraum, die Menſtruation erſetzt, und eine Empfaͤng - niß eben dadurch gewoͤhnlich hindert.

§. 74.

Nachdem wir ſofort bemerkt haben, wie am Ende die - ſes Cyclus von Schwangerſchaft, Geburt und Wochenbett, der Koͤrper wieder bis auf wenige uͤbrig gebliebene Spuren, in den vorigen Zuſtand zuruͤckkehrt, wie ſich dieſer Cyclus ſelbſt ein oder mehrere Male, ja ſehr haͤufig wiederholen kann, oder aber im Gegentheile auch wohl ganz fehlt, gar nicht eintritt, und blos die ſtets wiederkehrenden monathli - chen Perioden die Zeit der Geſchlechtsreife ausfuͤllen, ſo iſt es nun noch uͤbrig, den Zuſtand zu betrachten, welcher er - folgt, wenn bey vorruͤckendem Alter der Ueberſchuß jener, Behufs der Reproduktion der Gattung erzeugten Saͤfte ſich allmaͤhlich verliert, und der Koͤrper ruͤckſichtlich der Geſchlechts - funktion ſich wieder dem kindlichen Zuſtande anſchließt.

54
§. 75.

Dritte Lebensperiode. Wie naͤmlich in der erſten die Geſchlechter ſich mehr glichen, die weiblichen Geſchlechts - theile ohne eigentliche Funktion waren, und der Uterus ſelbſt, dieſem angemeſſen, eine andere Geſtalt und verdichtete weni - ger blutreiche Waͤnde zeigte, ſo tritt ein aͤhnlicher Zuſtand nun auch im hoͤhern Alter, in der dritten Lebensperiode des weiblichen Koͤrpers ein. Der Uterus wird feſter, ja beynahe knorpelartig, und die Vaginalportion iſt bey Frauen, welche mehrere Male geboren haben, wulſtig; der Muttermund un - eben, und es erinnert ſo die allgemeine Geſtalt des Frucht - haͤlters wieder einigermaßen an die noch nicht entwickelte Form deſſelben im Kinde. Die Ovarien welken und fallen zuſammen, ja ſogar die aͤußern Geſchlechtstheile erſchlaffen und verlieren die ihnen vorher eigenthuͤmliche Geſtalt. Die aͤußern Schamlippen weichen aus einander, die innern Scham - lippen und die Klitoris werden wieder (wie beym unreifen Maͤdchen) ſichtbar; die Bruͤſte verlieren ihre Elaſticitaͤt, fal - len zuſammen, und ſind, eben ſo wie der Uterus jetzt zur Ausſcheidung der Menſtruation unfaͤhig wird, zu einer er - hoͤhten abſondernden Gefaͤßthaͤtigkeit nicht mehr geeignet. Auf gleiche Weiſe indeß wie die erhoͤhte Thaͤtigkeit der Ge - ſchlechtsorgane in der Periode der Zeugungsfaͤhigkeit nicht ſowohl Urſache als vielmehr Folge allgemeiner Koͤrperveraͤn - derungen war, ſo iſt auch dieſes Hinwelken im Alter nicht als Urſache, ſondern als Folge von Umaͤnderungen anzuſe - hen, welche im allgemeinen Koͤrperbefinden Statt gehabt ha - ben und ſich auf Sinken reproduktiver Thaͤtigkeit beziehen.

§. 76.

Dieſe Verminderung der Aſſimilation und allgemeinen bildenden Thaͤtigkeit, welche dem Organismus uͤberhaupt bey vorruͤckender Lebenszeit nothwendig iſt, und als Folge des Gegenſatzes zwiſchen Individuum und Geſammtheit der Na - tur erſcheint, aͤußert ſich der Regel nach durch wirkliche Stoffabnahme; der Koͤrper faͤllt zuſammen, die reichlichen Ablagerungen von Fett und Zellgewebe verſchwinden, die55 Haut faltet ſich, die Knochen treten mehr hervor, der Cha - rakter weiblicher Form verliert ſich mehr und mehr, die Aehnlichkeit deſſelben mit dem maͤnnlichen wird (wie im Kin - desalter) groͤßer, und indem ſo der Koͤrper nicht einmal fuͤr eigene Erhaltung thaͤtig ſeyn kann, muß nothwendig das Aufrechterhalten der Thaͤtigkeit fuͤr Erhaltung der Gattung ganz unmoͤglich werden. Wie denn nun aber die Aeu - ßerungen des Geiſtes und Gemuͤthes immer weſentlich durch die Organiſation beſtimmt werden, ſo zeigt ſich dieß auch hier: Die Sanftheit, Zartheit, die Erregbarkeit und Anmuth des weiblichen Gemuͤths verlieren ſich, die mindere Energie des Willens und Klarheit der Vernunft machen das Weib empfaͤnglicher fuͤr die Schwaͤchen des Alters, zu wel - chen uͤbrigens eben ſo das maͤnnliche Alter geneigt, obwohl dagegen mehr geſchuͤtzt iſt, und erzeugen dann oft einen Charakter, welcher in eben ſo geringem Grade, als der der bluͤhenden Jungfrau oft in hohem Grade liebenswuͤrdig zu nennen iſt.

  • W. Rouſſel Phyſiologie des weiblichen Geſchlechts. A. d. Franz. v. Michaelis. Berlin 1786. 8.
  • Jac. Fid. Ackermann uͤber die koͤrperliche Verſchieden - heit des Mannes vom Weibe außer den Geſchlechts - theilen. A. d. Lat. von Wenzel. Coblenz 1788. 8. (Bey vielem Intereſſanten leider auf eine unſtatthafte Hypotheſe gegruͤndet, naͤmlich daß das vermehrte oder verminderte Vorwalten des Sauerſtoffs die Grundurſache der Geſchlechtsverſchiedenheit bedinge.)
  • C. Fr. Pockels Verſuch einer Charakteriſtik des weibli - chen Geſchlechts. Hannover 1806. 2te Aufl. in 4 Thln. (Beruͤckſichtigt hauptſaͤchlich die pſychiſche Natur die - ſes Geſchlechts.)
  • Naturgeſchichte des Weibes, ein Handbuch fuͤr Aerzte u. ſ. w. nach J. L. Moreau von Rink und J. K. F. Leune 4 Thle. Leipzig 1810. 8.

(Enthaͤlt vieles Intereſſante uͤber die Verhaͤltniſſe des weiblichen Geſchlechts in verſchiedenen Zeiten und Laͤndern und umfaßt zugleich die Diaͤtetik.)

56
  • Autenrieth uͤber die Verſchiedenheit beider Geſchlechter in Reil’s Archiv f. Phyſ. 7. Bd. 1. Hft.
  • Ueber die Analogie der maͤnnlichen und weiblichen Ge - ſchlechtstheile von Dr. J. Chr. Roſenmuͤller im 1. Bde d. Abhandlungen d. phyſikaliſch-mediciniſchen Societaͤt zu Erlangen.
  • C. L. Creve vom Baue des weiblichen Beckens. Leipzig 1794. 4.
  • S. Th. Soemmering Tabula Sceleti feminini. 1797. Traject. ad M. Fol.
  • J. H. F. Autenrieth p. Fischer diss. sistens nonnul - las observationes de pelvi mammalium. Tub. 1798. uͤberſ. im 2n Hefte 2ten Bds d. Beytraͤge f. Zergliede - rungskunde v. Iſenflamm u. Roſenmuͤller. (Auch dienen zur naͤhern Kenntniß d. weibl. Beckens die kuͤnſtlichen Pelviarien z. B. v. Froriep.)
  • J. G. Walther Betrachtungen uͤber die Geburtstheile des weiblichen Geſchlechts. Berlin 1776.
  • J. Chr. G. Joͤrg uͤber das Gebaͤrorgan des Menſchen und der Saͤugthiere. Fol. Leipz. 1808.
  • J. F. Lobstein Fragment d’anatomie physiologique sur l’organisation de la matrice dans l’espece hu - maine. Paris 1803.
  • J. G. Klees uͤber die weiblichen Bruͤſte. Frankf. a. M. 3te Aufl. 1806.
  • J. Ch. Rosenmüller quaedam de ovariis embryo - num. 1803. 4.
  • J. G. Knebel Grundriß zu einer Zeichenlehre der ge - ſammten Entbindungswiſſenſchaft. 1798.
57

Zweiter Abſchnitt. Von der Eigenthuͤmlichkeit in den Krankheiten des weiblichen Geſchlechts (allgemeine Pathologie).

§. 77.

So wie der weibliche Koͤrper ruͤckſichtlich des Phyſiolo - giſchen zwar ſchon im Allgemeinen durch eigenthuͤmliche Ver - haͤltniſſe ſeiner organiſchen Syſteme und aͤußern Geſammt - bildung von dem maͤnnlichen abweicht, allein nur durch die geſchlechtlichen Funktionen und Organe vollkommen von ihm ſich unterſcheidet, ſo auch ruͤckſichtlich der pathologiſchen Zu - ſtaͤnde. Es veranlaßt dieß die Krankheiten des weiblichen Organismus einzutheilen in ſolche, welche er mit dem maͤnn - lichen gemein hat, und welche in ihrem Verlauf nur modi - ficirt werden durch die Individualitaͤt des Koͤrpers, an wel - chem ſie vorkommen, und in andere, welche als auf die be - ſondere Organiſation des Weibes gegruͤndet, nur in dieſem Geſchlecht moͤglich und ihm ganz eigenthuͤmlich ſind. Zur erſtern Klaſſe gehoͤrt demnach das ganze Heer von Krankhei - ten, welchen der Menſch uͤberhaupt unterworfen iſt, als: Fieber, Entzuͤndungen, Laͤhmungen, Kraͤmpfe, Stoͤrungen organiſcher Bildung u. ſ. w.; zur zweiten Klaſſe hingegen rechnen wir die Stoͤrungen weiblicher Geſchlechtsverrichtung und die daraus ſich ergebenden allgemeinen oder oͤrtlichen Krankheiten.

§. 78.

Hier nur kann es allein unſer Zweck ſeyn, von der zweiten Klaſſe eine ausfuͤhrlichere Darſtellung zu geben, und wir erwaͤhnen daher von der erſtern blos dasjenige, wodurch die Individualitaͤt des weiblichen Koͤrpers auch in den ihr nicht ausſchließend eigenthuͤmlichen Krankheitszuſtaͤnden be - zeichnet wird. Es iſt aber hieruͤber zu bemerken: erſtens, daß die groͤßere Receptivitaͤt des weiblichen Organismus ihn im Allgemeinen fuͤr Einwirkung ſchaͤdlicher Einfluͤſſe empfaͤng - licher, folglich zu Kraͤnklichkeit uͤberhaupt geneigter macht;58 das Weib erkrankt daher haͤufiger, oft in Folge ſcheinbar un - erheblicher Schaͤdlichkeiten, und alles dieß natuͤrlich um ſo mehr, je reitzbarer das Individuum iſt (daher das unaufhoͤr - liche Krankſeyn mancher uͤberfeinen weiblichen Conſtitution) und wir finden auch hier wieder die Aehnlichkeit mit dem Kindeskoͤrper, von welchem daſſelbe gilt. Zweitens: Die geringere Energie in der Reaction des weiblichen Koͤr - pers uͤberhaupt macht es indeß erklaͤrlich, daß die von ein - wirkenden Schaͤdlichkeiten erzeugten Krankheitsſtuͤrme minder heftig, Faͤlle ſchweren Erkrankens im Ganzen ſeltner zu ſeyn pflegen als im maͤnnlichen Geſchlecht; Frauen zeigen eben deßhalb oft unter den beſchwerlichſten Lagen bewunderns - werthe Ausdauer, und werden weniger leicht ganz niederge - worfen aufs Krankenlager als Maͤnner.

§. 79.

Drittens. Das Vorherrſchen vegetativer Funktionen im weiblichen Koͤrper bedingt ferner auch das haͤufigere Vor - kommen von krankhaften Zuſtaͤnden ſowohl in den erſten We - gen des Aſſimilationsprozeſſes und den ſecernirenden Orga - nen, als in der allgemeinen Bildungsthaͤtigkeit, deren Traͤ - ger das Gefaͤßſyſtem iſt, woher denn theils das hier ſo haͤu - fige Vorkommen von Unordnungen in der Art der Blutcirku - lation, theils die oͤftern Faͤlle abnormer, auf pathologiſche Bildung oder Ausſcheidung abzweckender Gefaͤßthaͤtigkeit, und ſomit die haͤufigen Krankheitsformen der Entzuͤndung, Ver - wachſung, Verbildung, Gefaͤßerweiterung, Waſſeranhaͤufung, Eiterung u. ſ. w. erklaͤrlich werden. Viertens wird der Verlauf der Krankheiten in Folge des obenerwaͤhnten Ueber - gewichts produktiver Funktionen auch in ſo ferne modificirt, als der Koͤrper ſelbſt in Hebung und Entſcheidung der Krank - heiten ſich thaͤtiger beweiſet, woher denn die außerordentliche Heilkraft der Natur oft in Faͤllen der bedeutendſten organi - ſchen Zerruͤttungen (z. B. bey Eiterungen, durch Schwan - gerſchaft außerhalb der Gebaͤrmutter veranlaßt) abgeleitet werden kann. Fuͤnftens beruht es in dem beſondern Vorwalten der Senſibilitaͤt dieſes Geſchlechts, daß Symptome, welche vom Nervenſyſtem ausgehen, die meiſten Krankheiten59 der Weiber begleiten, daß Schmerzen, Kraͤmpfe, Laͤhmungen, Sinnes-Taͤuſchungen oder Ueberſpannungen hier ſo ausge - zeichnet haͤufig erſcheinen und Ruͤckwirkungen des Nervenſy - ſtems auf andere Syſteme und Organe auch oͤfters zu wei - tern Verſtimmungen Anlaß geben, wenn hingegen Reaktionen des Muskularſyſtems, in Form von Convulſionen, Ausbruͤ - chen von Manie u. ſ. w. weniger heftig als im maͤnnlichen Geſchlecht zu ſeyn pflegen.

§. 80.

Wie nun durch die erwaͤhnten Momente ſowohl die Aetiologie als Symptomatologie weiblicher Krankheiten man - ches Eigenthuͤmliche erhaͤlt, ſo iſt auch endlich ruͤckſichtlich der Prognoſe noch anzumerken, daß, ſo wie uͤberhaupt der geringern Energie der Reaktionen wegen das weibliche Ge - ſchlecht mehr zu chroniſchen als acuten Krankheiten geneigt iſt, auch acute Krankheiten ſelbſt im Allgemeinen hier min - der leicht eine ſo gefahrdrohende Hoͤhe erreichen; woraus denn die Erfahrung erklaͤrlich wird, daß in typhoͤſen Epide - mieen z. B. der Regel nach mehr Maͤnner als Frauen ver - ſtarben. Unguͤnſtiger hingegen muß eben dadurch die Prog - noſe werden bey chroniſchen Krankheiten, theils wegen der groͤßern Neigung zu organiſchen Verbildungen, Waſſeran - ſammlungen u. ſ. w.; theils wegen der ſchneller eintretenden Atonie, welche haͤufig durch den mehrmals ſich wiederholen - den Cyclus der hoͤhern, ſo tief in den weiblichen Organis - mus eingreifenden Geſchlechtsverrichtungen von Schwanger - ſchaft, Geburt und Wochenbett unterhalten, befoͤrdert, oder doch vorbereitet wird; vorzuͤglich unguͤnſtig muß jedoch die Prognoſe im Allgemeinen bey den chroniſchen Krankheitszu - ſtaͤnden ſolcher Organe werden, deren Funktion ſchon an und fuͤr ſich im weiblichen Koͤrper beſchraͤnkter iſt, z. B. bey Krankheiten der Lungen.

§. 81.

Was die zweite Klaſſe weiblicher Krankheiten, naͤmlich die dieſem Geſchlecht ausſchließend eigenthuͤmlichen betrifft, ſo iſt von ihnen im Allgemeinen zu bemerken, daß, ſo wie die60 Dispoſition dazu uͤberhaupt nur durch den geſchlechtlichen Charak - ter gegeben wird, ihr haͤufigeres oder minder haͤufiges Vorkom - men auch an das Hervortreten oder Zuruͤcktreten weiblicher Indi - vidualitaͤt geknuͤpft iſt. Es wird daher erklaͤrlich, warum z. B. das kindliche Alter, bey minder ausgepraͤgtem Ge - ſchlechtscharakter, auch beynahe gar keine dem weiblichen Ge - ſchlechte ausſchließend eigenthuͤmlichen Krankheitszuſtaͤnde zeigt, wenn hingegen in den zeugungsfaͤhigen Jahren Krankheiten dieſer Art in Menge vorkommen, und zwar auch hier wie - der in groͤßter Mannigfaltigkeit da, wo die Geſchlechtsthaͤ - tigkeit am ſtaͤrkſten hervorgehoben iſt, alſo namentlich waͤh - rend der Schwangerſchaft und dem Wochenbette, am aller - haͤufigſten jedoch bey der Geburt, als deren Abnormitaͤten mit ihrer Behandlung ja ſogar zur Bildung einer eigenen Disciplin die Veranlaſſung gaben. Eben deßhalb ſehen wir im hoͤhern Alter, nach erloſchener Zeugungsfunktion, zwar wohl manche der einer fruͤheren Periode eigenthuͤmlichen Krank - heiten fortdauern oder ſich entwickeln, aber wir vermiſſen Krankheiten, welche in dieſer Lebensperiode des Weibes aus - ſchließend vorkommen koͤnnten, und ſehen vielmehr im Patho - logiſchen wie im Phyſiologiſchen den weiblichen Koͤrper wieder mehr dem maͤnnlichen genaͤhert.

§. 82.

Uebrigens gilt ruͤckſichtlich der Aetiologie, Symptomato - logie und Prognoſe auch von dieſer Krankheitsklaſſe im All - gemeinen wieder was §. 78 80 uͤber die erſtere Klaſſe ge - ſagt iſt, ſo daß auch hier z. B. großes Vorwalten der Nei - gung zu abnormen Bildungen und chroniſchen Zuſtaͤnden, ſo wie zu Stoͤrungen der Senſibilitaͤt bemerklich wird, wobey indeß noch außerdem erwaͤhnt zu werden verdient, daß, ſo wie die weiblichen Geſchlechtsverrichtungen uͤberhaupt entſchie - dener und ſtaͤrker in das Befinden des geſammten Organis - mus eingreifen, auch die Stoͤrungen dieſer Funktionen von groͤßerm Einfluße auf Erregung allgemeiner Krankheitszu - ſtaͤnde ſind, als dieß z. B. vom maͤnnlichen Geſchlechte be - hauptet werden kann. Die Eintheilung dieſer eigentlichen Geſchlechtskrankheiten, deren naͤhere Eroͤrterung nun vorzuͤg -61 licher Gegenſtand des ſpeciellen Theils dieſer Arbeit ſeyn wird, kann uͤbrigens namentlich von zwey Standpunkten aus entworfen werden, d. i. entweder indem man unterſcheidet zwiſchen oͤrtlichen Krankheiten des Geſchlechtsſyſtems: Ent - zuͤndungen, Verbildungen, fehlerhaften Lagen u. ſ. w. und allgemeinen obwohl von der Geſchlechtsindividualitaͤt beding - ten Krankheitszuſtaͤnden, z. B. Bleichſucht, Hyſterie u. ſ. w. Oder indem man ſie ordnet nach den einzelnen Lebensperio - den, wie es geſchehen in dem §. 11. entworfenen Schema. Fuͤr unſern Zweck halten wir es am ſchicklichſten, beide Ein - theilungsgruͤnde zu verbinden, und ſaͤmmtliche Geſchlechts - krankheiten der Weiber uͤberhaupt nach den Lebensperioden, im Beſondern aber nach ihrer Oertlichkeit oder Allgemeinheit zuſammenzuſtellen.

Dritter Abſchnitt. Von der aͤrztlichen Behandlung des[weiblichen] Organismus im geſunden und kranken Zu - ſtande (allgemeine Diaͤretik und Therapie).

§. 83.

Unter den hierher gehoͤrigen Gegenſtaͤnden koͤnnen wir unterſcheiden, erſtens die Beachtung der Perſoͤnlichkeit des Arztes fuͤr das weibliche Geſchlecht, zweitens die Eroͤrterung der Art und Weiſe, ſowohl die verſchiedenen phyſiologiſchen als pathologiſchen Zuſtaͤnde des weiblichen Koͤrpers zu er - forſchen (alſo der Unterſuchungsmethode), und drittens Er - waͤgung der allgemeinen fuͤr die Behandlung ſelbſt aufzuſtel - lenden Maximen.

62

I. Von der Perſoͤnlichkeit des Frauenarztes und Geburtshelfers.

§. 84.

Von einem jeden, der helfend und heilend auftreten will, fordert man mit Recht noch außer den genuͤgenden Kenntniſſen und Fertigkeiten eine geſunde kraͤftige Individua - litaͤt, innere Sicherheit, Gegenwart des Geiſtes, Schaͤrfe ſinnlicher Wahrnehmungen, Rechtlichkeit und Milde in ſeinem Handeln. Auch der Frauenarzt und Geburtshelfer muß da - her mit ſolchen Eigenſchaften ausgeſtattet ſeyn, wenn er ſei - nen Beruf wuͤrdig erfuͤllen ſoll, ja er muß es um ſo mehr, da das weibliche Geſchlecht einen ſehr feinen Sinn fuͤr maͤnn - lichen Werth zu beſitzen pflegt, und ihm leicht das Ver - trauen, und mit ihm eine ſo weſentliche Bedingung der Hei - lung ſchwinden wird, wenn ein unſicheres, ſchwankendes oder wohl gar unſchickliches Benehmen, Mangel eines wohlgegruͤn - deten Selbſtvertrauens errathen laͤßt. Außerdem iſt jedoch noch anzumerken, daß, wie namentlich die Entbindungskunſt bey ihrer Ausuͤbung mit ſo vielen Schwierigkeiten und An - ſtrengungen verknuͤpft iſt, auch ebendeßhalb von dem ſich ih - rer Ausuͤbung Widmenden eine vorzuͤglich dauerhafte Geſund - heit, kraͤftige obwohl nicht allzuvoͤllige Bildung des Koͤrpers, insbeſondere aber kraͤftige, ſchlank - und wohlgebildete Arme und Haͤnde ſo wie feinfuͤhlende Finger erfordert werden; Er - forderniſſe, welche auf laͤngere Zeit nur erhalten werden koͤnnen durch eine ſorgfaͤltige, allen Ausſchweifungen und Unmaͤßigkeiten abſagende zweckmaͤßige Lebensordnung und wohl - geordnete Kultur und Uebung der Glieder.

§. 85.

Obwohl nun der Arzt mit dieſen phyſiſchen und den obenerwaͤhnten pſychiſchen Eigenthuͤmlichkeiten begabt, ſchwer - lich die rechte Art des Benehmens gegen weibliche Kranke verfehlen wird, und wir gern ein kleinliches Savoir faire der Nation uͤberlaſſen, welche auf Aeußerliches ſo ſtreng hal - tend dieſes unuͤberſetzbare Wort gebildet hat (um ſo mehr, da durch aͤhnliche Kunſtgriffe wohl oft ein gewoͤhnlicher Rou -63 tinier*)Moͤchte doch, ſo wenig als auch dieſes Wort in unſerer Sprache ſich unumſchrieben wiedergeben laͤßt, eben ſo wenig die Sache ſelbſt bey uns gefunden werden! groͤßern Eingang als der gruͤndliche und wiſſenſchaft - liche Arzt erhaͤlt) ſo darf man demohnerachtet mit Recht ei - nige beſondere Punkte dieſer aͤußern Behandlung des weibli - chen Geſchlechts noch einer naͤhern Beachtung wuͤrdig erklaͤren.

§. 86.

So gehoͤrt hierher zunaͤchſt ſchon die Aufmerkſamkeit auf aͤußerliche Erſcheinung des Arztes in Kleidung, Haltung und Betragen. Ein Geſchlecht, welches die Sitte als erſte Richterin anerkennt, empfindet jede Unſchicklichkeit dieſer Art nothwendig mehr als der Mann, und eine jede geſuchte, geckenhafte Kleidung eben ſo ſehr als ein allzuvernachlaͤßigtes Aeußere, ein jedes Auffallende, nach konventionellen Grund - ſaͤtzen Unpaſſende des Betragens wird das weibliche Gefuͤhl unangenehm afficiren, ja zuruͤckſtoßen, wenn es von einem maͤnnlichen Individuum kaum bemerkt wuͤrde.

§. 87.

Außerdem hat das Betragen des Arztes ſich insbeſon - dere nach weiblicher Individualitaͤt zu fuͤgen, theils bey Er - forſchung der Krankheitszuſtaͤnde, theils bey Anordnung des Heilplanes. In erſterer Hinſicht iſt es die Aufgabe einer - ſeits, zart und wuͤrdig den Frauen zu begegnen, damit ſie es wagen moͤgen, vertrauenvoll ſelbſt Geheimniſſe, welche weib - liche Schamhaftigkeit ſonſt gern verbirgt, dem Arzt offen darzulegen; ein Vertrauen, welches der Arzt durch eine einzige unſchickliche leidenſchaftliche Aeußerung bey zartfuͤhlenden Frauen verſcherzen wird. Andererſeits iſt aber auch Scharf - blick, ſichere Ordnung im Krankenexamen und vielfache Um - ſicht noͤthig, um durch den gewandten, oft nur zu redſeligen Vortrag der Kranken, ja durch abſichtliche auf Taͤuſchung abzweckende Darſtellung eines zur Liſt geneigten Geſchlechts nicht von der richtigen Anſicht des eigentlichen Zuſtandes ſich abbringen zu laſſen; eine Aufgabe, welche oft namentlich64 bey Ausmittelung von Schwangerſchaften u. dergl. mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden zu ſeyn pflegt. Mit einem Worte: der Mittelweg zwiſchen einer zu regen Theil - nahme und einer abſtoßenden Kaͤlte wird jeder aͤrztlichen Aus - mittelung bey weiblichen Individuen den ſicherſten Erfolg gewaͤhren.

§. 88.

Was zweitens die Anordnung des Heilplanes betrifft, ſo wird auch hier der Arzt theils durch ein gewiſſes Einge - hen in die Individualitaͤt ſeiner Kranken, durch Benutzung ihrer vorherrſchenden Neigungen u. ſ. w. manches zur Ver - vollſtaͤndigung ſeiner Kur beytragen, und ſeine Kranke dadurch zu genauerer Befolgung der ihr vorgeſchriebenen Regeln ver - moͤgen koͤnnen; theils aber iſt nicht zu uͤberſehen, wie der Arzt ſelbſt durch ſeine Perſoͤnlichkeit, durch ſeinen feſten Wil - len oft auf das entſchiedenſte zur Beſeitigung regelwidriger Zuſtaͤnde beytragen koͤnne. Die Einwirkung naͤmlich einer kraͤftigen, geiſtigen Individualitaͤt auf eine ſchwaͤchere ſchon an und fuͤr ſich, iſt (moͤgen wir dieß nun magnetiſche oder andere Kraft nennen) unlaͤugbar und durch vielfache Beob - achtungen erwieſen*)Man gedenke nur des ſchoͤnen Aufſatzes vom Archiater Brandis im[Hufelandiſchen] Archiv f. d. pr. Heilk. 1815. Bd. II. St. 2.; und daß von derſelben nun gerade bey weiblichen Kranken, wo aufgeregte oder verſtimmte Senſibi - litaͤt oft eine ſo große Rolle ſpielt, in vielen Faͤllen kraͤftige Huͤlfe erwartet werden duͤrfe, liegt am Tage. Wie oft hoͤ - ren wir daher nicht die Klagen reitzbarer weiblicher Kranken faſt augenblicklich ſich mindern, ſobald der geehrte vertrau - ensvoll empfangene Arzt ſich ihnen naͤhert? Eben ſo beſtimmt, als das Gefuͤhl des Krankſeyns durch die Annaͤ - herung einer widerwaͤrtigen Perſon geſteigert wird.

65

II. Von der Art und Weiſe, die verſchiedenen Zuſtaͤnde des weiblichen Koͤrpers auszumit - teln und zu unterſuchen.

§. 89.

Wir koͤnnen hierbey unterſcheiden: a) das allgemeine nach regelmaͤßig geordneten Fragen eingeleitete Vernehmen der zu Unterſuchenden, ihrer fruͤhern Geſchichte nach ſowohl, als nach der Art ihrer gegenwaͤrtigen beſonderen Empfindun - gen; und b) die durch den Sinn des Geſichts oder des Getaſts, ja ſelbſt durch Inſtrumente vorzunehmende Unter - ſuchung der weiblichen Koͤrperbildung ſowohl im Allgemeinen, als insbeſondre den Geſchlechtstheilen, ſo wie (bey Hinſicht auf Geburt) dem Becken nach.

§. 90.

Was zuvoͤrderſt die Ordnung und Folge der zum Be - hufe ſolcher Ausmittelungen zu ſtellenden Fragen betrifft, ſo werden zwar im Ganzen wie bey maͤnnlichen Individuen auch hier Alter, Eigenthuͤmlichkeiten bey der Geburt, Ge - ſundheitsumſtaͤnde der Eltern, Kinderkrankheiten, aͤußere Ver - haͤltniſſe, Temperatur, vorherrſchende Neigungen, ſpaͤterhin erfahrene Krankheiten u. ſ. w. eroͤrtert werden muͤſſen; es wird ferner der gegenwaͤrtige Zuſtand nach den einzelnen organi - ſchen Syſtemen zu erwaͤgen ſeyn, ſo daß man z. B. von der Funktion der Dauungsorgane beginnt, uͤbergeht ſodann zur Funktion des Gefaͤßſyſtems, der Abſonderungs - und Ath - mungsorgane, und endlich die Verrichtungen des hoͤhern thie - riſchen Lebens, nach Senſation und Muskularthaͤtigkeit unter - ſucht; allein immer wird nun noch einen ſehr weſentlichen Theil dieſer Unterſuchung die Beruͤckſichtigung der eigentlichen Geſchlechtsverhaͤltniſſe ausmachen, wobey dann auf nachſte - hende Punkte vorzuͤgliches Gewicht zu legen ſeyn wuͤrde.

§. 91.

Zunaͤchſt aber gehoͤrt hierher die Entwicklung des Ge - ſchlechtscharakters im Erſcheinen der Menſtruation, welcheI. Theil. 566durch die Zeit, in welcher ſie erſcheint, durch die Zufaͤlle, mit welchen ſie eintritt, durch die Art ihrer Wiederkehr, durch die Quantitaͤt und Qualitaͤt des abfließenden Blutes, vielen Auf - ſchluß uͤber die urſpruͤngliche Thaͤtigkeit des Geſchlechtsſyſtems, und die mehr oder minder vollkommene Harmonie in den Funktionen des Koͤrpers verheißt. Nahe verbunden iſt hiermit Erforſchung der Regungen des Geſchlechtstriebes, ob ſie ſpaͤt oder fruͤh erwacht, ob ſie in geringem oder hohem Grade, vielleicht zu Ausſchweifungen fuͤhrend, empfunden wurden? Eroͤrterungen, wobey allerdings nur durch be - ſondere Vorſicht und Schonung der Schamhaftigkeit, und oft mehr durch Benutzung der Ausſagen von Eltern, Verwand - ten, Hebammen u. ſ. w. als durch muͤndliches Examen zum Ziel der Erkenntniß des eigentlichen Zuſtandes zu gelangen iſt.

§. 92.

Ferner verdienen bey nicht mehr jungfraͤulichem Zu - ſtande, namentlich bey Verheiratheten theils (unter der er - waͤhnten Vorſicht) die ehelichen Verhaͤltniſſe, theils und na - mentlich die vorausgegangenen oder jetzt Statt habenden Zu - ſtaͤnde von Schwangerſchaft, Geburt, Wochenbett und Stil - lungsperiode die genaueſte Beruͤckſichtigung, da vorzuͤglich von den letztern Zuſtaͤnden aus oft die Entſtehung der ver - ſchiedenartigſten krankhaften Zuſtaͤnde gerechnet werden muß. Es ſind daher theils die Anzahl und Art vorausgegangener Geburten, theils der Verlauf vorausgegangener Schwanger - ſchaften, das Befinden in denſelben, die etwa Statt gehab - ten phyſiologiſchen und pathologiſchen Eigenthuͤmlichkeiten der Wochenbetten ſtets und zwar nach den einzelnen dieſe Perio - den charakteriſirenden Erſcheinungen (von welchen ſpaͤter die Rede ſeyn wird) moͤglichſt genau zu erforſchen; und endlich iſt denn auch bey aͤltern weiblichen Individuen der Eintritt der klimakteriſchen Jahre (das Außenbleiben der Menſtrua - tion) ausfuͤhrlich zu beruͤckſichtigen, da auch in dieſen Zeit - raum mancher Krankheitszuſtand des weiblichen Koͤrpers wurzelt.

67
§. 93.

Anlangend zweitens die Unterſuchung der weiblichen Koͤrperbildung, ſo iſt es dieſe, welche man, da ſie vorzugsweiſe bey Geburten vorgenommen werden muß (ob - wohl ſie in vielen andern Zuſtaͤnden des weiblichen Koͤrpers nicht minder nothwendig iſt), mit dem Namen der geburts - huͤlflichen Unterſuchung (Exploratio obstetricia) be - zeichnet, und nach folgenden Grundſatzen unterſchieden hat. Zunaͤchſt naͤmlich theilt man dieſelbe, je nachdem ſie uͤber die geſammte aͤußere Koͤrperbildung ſich verbreitet, oder vor - zugsweiſe auf die innern Geburtstheile und das Becken be - ſchraͤnkt wird, in die aͤußere und innere Unterſuchung (Ex - ploratio obstetricia externa et interna), welche letztere auch wohl noch insbeſondere mit dem Nahmen des Zufuͤh - lens (Touchement, Touchiren) belegt zu werden pflegt. Zweitens aber unterſcheidet man, je nachdem die Unterſu - chung durch die Hand des Geburtshelfers oder durch Werk - zeuge vorgenommen wird, Unterſuchung durch Geſicht und Getaſt und Inſtrumentalunterſuchung (Exploratio obstetri - cia manualis et instrumentalis).

§. 94.

Wie nun ſchon theils im Allgemeinen ein decentes und ſchonendes Verfahren dem Frauenzimmerarzte zur Pflicht gemacht wurde (§. 86.), theils aͤhnliche Regeln ruͤckſichtlich des Kranken - examens (§. 91.) erwaͤhnt worden ſind, ſo muͤſſen nun ins - beſondre bey dem genauern Erforſchen der koͤrperlichen Bil - dung des Weibes die nachſtehenden Grundſaͤtze beruͤckſichtigt werden: 1) Iſt beym Vortrage der Nothwendigkeit der Unterſuchung ſelbſt mit Anſtand und Vorſicht zu verfahren (ohne wirkliche Nothwendigkeit wird natuͤrlich dieſes jedem unverdorbenen weiblichen Geſchoͤpfe hoͤchſt unangenehme Ver - fahren gaͤnzlich uͤbergangen), und es ſind demnach die Gruͤn - de, welche die Unterſuchung erheiſchen, mit Ruhe und Feſtig - keit darzulegen. 2) Es wird zweckmaͤßig ſeyn, bey der Un - terſuchung ſelbſt irgend eine vertraute Perſon, z. B. eine Verwandtin der zu Unterſuchenden gegenwaͤrtig zu haben. 683) Bey der Unterſuchung ſelbſt wird man alle nicht unum - gaͤnglich nothwendigen Entbloͤßungen oder ſonſtige Beleidungen der auch im gefallenen Weibe zu ehrenden Schamhaftigkeit ſorgfaͤltigſt vermeiden, und was durch Getaſt ausgemittelt werden kann, nicht durch das Geſicht eroͤrtern. 4) Man bereite alle zur Unterſuchung noͤthigen Utenſilien, z. B. das Lager, die zum Beſtreichen der Hand erforderliche Salbe oder des etwas, Tuͤcher, Waſchwaſſer u. ſ. w., und ſehe darauf, daß die zur Unterſuchung ſelbſt am meiſten geeignete Lage oder Stellung des Koͤrpers zuvor angenommen werde.

§. 95.

5) Bevor man zur Unterſuchung ſchreitet, laſſe man die Harnwege ſowohl, als den Darmkanal (letztern mittelſt eines Lavements) entleeren. 6) Man trage Sorge, daß die un - terſuchende Hand weder durch Rauhigkeiten, Ecken der Naͤ - gel, Kaͤlte, Naͤſſe, oder durch Ringe u. dgl. den Koͤrper der zu Unterſuchenden nachtheilig afftcire. 7) Man gewoͤhne ſich die Unterſuchung mit beyden Haͤnden gleich fertig unterneh - men zu koͤnnen, und 8) man verfahre bey der Unterſuchung ſelbſt in einer gewiſſen geſetzmaͤßigen Ordnung (ohngefaͤhr ſo wie wir ſie hier beſchreiben), beginne nach vorausgeſchicktem Examen mit der aͤußern und endige mit der innern oder (wenn ſie noͤthig ſeyn ſollte) mit der Inſtrumentalunterſu - chung; auf welche Weiſe, wenn jeder Punkt ſogleich hinlaͤng - lich genau beachtet wird, man der unangenehmen Nothwen - digkeit der Wiederholung einzelner Theile der Unterſuchung am ſicherſten entgehen wird.

1. Unterſuchung durch Geſicht und Getaſt.
a) Die aͤnßerliche.
§. 96.

Unter den Bereich dieſer Unterſuchung gehoͤrt nun ganz vorzuͤglich und zuerſt die Beruͤckſichtigung der allge - meinen Koͤrperform, der Geſtalt, der Toroſitaͤt, der Beſchaffenheit von Haut und Haar nach, und zwar nament - lich in wiefern ſie dem oben (§. 16. u. f.) angegebenen weib -69 lichen Typus entſpreche oder nicht, ſodann in wie weit etwa Spuren fruͤher Statt gehabter Krankheiten (z. B. der Rha - chitis) daraus ſich abnehmen laſſen, und endlich um auch daraus mit abzumeſſen, welche Conſtitution, welches Tem - perament im Koͤrper der zu Unterſuchenden vorherrſchend ſey. Zunaͤchſt an dieſe allgemeine Unterſuchung ſchließt ſich nun unter den Theilen einer ſpeciellen aͤußern Unterſuchung die der Bruͤſte: Hier naͤmlich iſt durch Beſichtigung ſowohl als Betaſtung, theils uͤber Groͤße, Geſtalt, Elaſtizitaͤt oder Schlaffheit des geſammten Bruſtkoͤrpers, uͤber das regelmaͤ - ßige oder abnorme Parenchyma deſſelben, Abweſenheit von Verhaͤrtungen, Anfuͤllung der Milchadern (welche vielleicht bey gelindem Drucke nach der Warze hin milchigte Fluͤßig - keit ergießen) u. dgl., theils uͤber Beſchaffenheit der die Bruͤſte uͤberkleidenden Haut, ob ſie nicht durch Hautkrank - heiten entſtellt, oder durch Narben fruͤherer Eiterungen be - zeichnet ſey, und insbeſondere endlich uͤber die Farbe und Bildung der Bruſtwarzen, ob ſie klein, tiefliegend, geſpal - ten, ſehr oder nicht ſehr empfindlich, mit kleinem oder gro - ßem, dunkelm oder hellem Hof umgeben ſeyen, zu ent - ſcheiden*)Man kann hierher auch die Unterſuchung der Milch ſelbſt rechnen, und wir werden die Zeichen gutartiger, oder weniger guter Milch bey der Geſchichte des Wochenbettes eroͤrtern..

§. 97.

Fernere Gegenſtaͤnde dieſer Unterſuchung ſind noch die uͤbrigen aͤußern Geſchlechtstheile, der Unterleib und das Becken. In wiefern jedoch die Entbloͤßung dieſer Theile insbeſondere weiblicher Schamhaftigkeit entgegen iſt, wird man hierbey nur in ungewoͤhnlichern, namentlich ge - richtlichen Faͤllen, das Geſicht zu Huͤlfe nehmen, da ſchon das Getaſt hieruͤber in den meiſten Faͤllen genuͤgenden Auf - ſchluß zu geben vermag. Wird jedoch vielleicht wegen Verdacht von Anſteckung, oder um uͤber Zeichen der Jung - frauſchaft zu entſcheiden, die genaueſte Unterſuchung noth - wendig, ſo laͤßt man der Perſon eine horizontale Lage (am70 beßten bey etwas erhoͤhter Kreuzgegend) annehmen, und wird ſo alsbald uͤber den Zuſtand der uͤbrigen aͤußern Genitalien entſcheiden koͤnnen, wobey denn namentlich auf die Stellung derſelben (ob mehr vor - oder ruͤckwaͤrts), auf Turgor oder Erſchlaffung, Integritaͤt oder Verletzung, Verhaͤrtung, oder ſonſtige Entſtellung derſelben zu achten iſt.

§. 98.

Bedarf man indeß der Ocularinſpektion nicht, ſo wird man durch folgendes Verfahren den Zuſtand dieſer Theile am ſicherſten ausmitteln: Kann naͤmlich die zu Unterſuchende außerhalb des Bettes und in aufrechter Stellung verweilen, ſo wird man dieſelbe, leicht angelehnt, an eine Wand treten laſſen, ſich ſelbſt laͤßt man ſodann auf das rechte Knie (wenn man mit der rechten Hand unterſucht, im Gegentheil auf das linke) nieder, und fuͤhrt nun die Hand (gewoͤhnlich die rechte) an dem ihr entſprechenden Schenkel der zu Unterſu - chenden (alſo am linken) unter den Kleidern, jedoch ohne dieſe mehr als bis zum Knie aufzuheben, zur Huͤfte herauf, indem man zugleich auf Richtung und Form der Schenkel - knochen, etwaige Blutaderknoten, oͤdematoͤſe Anſchwellungen u. ſ. w. achtet. Hier angekommen fixirt die Hand erſt den großen Rollhuͤgel, dann den Huͤftbeinkamm, indem mit der zweiten Hand auf der andern Seite, jedoch uͤber der (frey - lich nicht zu dicken) Bekleidung daſſelbe geſchieht. So nun die Breite des Beckens nach der Entfernung beyder Haͤnde zu beſtimmen, fordert allerdings Uebung, iſt aber bis zu ei - nem hohen Grade der Sicherheit ſehr wohl moͤglich. Zugleich dient die Beruͤckſichtigung der Neigung des Huͤftbeinkammes, verbunden mit der ſpaͤtern Beachtung des Schambogens und der Stellung der Genitalien um die Neigung des Beckens zu erforſchen.

§. 99.

Ferner gleitet die unterſuchende Hand ruhig, ohne zu ſtark oder zu leicht und reitzend die Haut zu beruͤhren, nach der Ruͤckwand des Beckens, und indem hier Woͤlbung des Kreuzknochens, Tiefe des aͤußern Eindrucks in der Gegend71 des Vorbergs beachtet wird, fixirt wieder die zweite Hand uͤber der Kleidung den Schambogen, um auf aͤhnliche Weiſe, wie fruͤher die Breite, nunmehr auch die Tiefe des Beckens zu meſſen. Sodann bewegt man die unterſuchende Hand vorwaͤrts nach dem Schambogen, deſſen Stand und Woͤl - bung zu erforſchen, man beachtet zugleich die Leiſtengegend, wegen etwaiger Bruͤche oder Druͤſengeſchwuͤlſte und beſtimmt genauer das Verhalten der aͤußern Schamlippen, ſo wie des Dammes, ihrer Bildung und Richtung nach.

§. 100.

Endlich iſt denn vorzuͤglich die Erforſchung des Unter - leibes, ſeiner Ausdehnung oder Erſchlaffung, und den durch die Bauchdecken zu fuͤhlenden Theilen nach, ein wichtiges Moment der aͤußern Unterſuchung. Man wird auch dieſes durch ſorgfaͤltige Betaſtung der geſammten Unterleibsflaͤche in verſchiedenen Richtungen beendigen, obwohl es, namentlich fuͤr die Ausmittelung angehender Schwangerſchaften oder kurz vorhergegangener Geburten faſt rathſamer iſt, der zu Unter - ſuchenden, wenn man bis hierher in der Exploration gediehen iſt, eine horizontale Lage mit etwas vorwaͤrts gebeugtem Oberkoͤrper annehmen zu laſſen, um ſo bey erſchlafften Bauch - muskeln tiefer eingreifen und den hinter dem Schambogen vielleicht noch verborgenen nicht zu ſehr ausgedehnten Uterus entdecken zu koͤnnen. Außerdem iſt hier auf das Verhalten des Nabels und der Linea alba, auf Gefuͤhl von Fluctua - tion im Uterus oder in der Bauchhoͤhle, auf Wahrnehmung von Kindestheilen oder Kindesbewegungen Ruͤckſicht zu neh - men, und was insbeſondere die letztern betrifft, ſo raͤth man, um dieſelben mehr aufzuregen, theils das abwechſelnde gelinde Heben und Sinkenlaſſen des Uterus, welches noch wirkſamer gemacht werden kann durch das bey gleichzeitig unternommener innerer Unterſuchung Statt findende gelinde Andraͤngen an das untere Segment des Uterus (ein Verfah - ren, welches auch um den weniger ausgedehnten Fruchthaͤlter der von außen unterſuchenden Hand fuͤhlbarer und erkenuba - rer zu machen, zu empfehlen iſt), theils das Auflegen einer etwas kalten Hand auf den bloßen Leib; beyde Verfahren72 fuͤhren jedoch keineswegs immer zum Zwecke. Hat man uͤbrigens auf die angegebene Weiſe die Unterſuchung des Unterleibes bey aufrechter Stellung beendigt, ſo fuͤhrt man nun die unterſuchende Hand nach der andern Huͤfte (welches, wo man mit der rechten Hand unterſucht, die rechte ſeyn wird), betaſtet auch hier Huͤftbeinkamm und Rollhuͤgel, und gleitet nun an dieſem Schenkel aͤußerlich eben ſo herab, wie man an dem andern heraufgegangen war. Wuͤrde uͤbrigens an dieſer Seite noch eine beſonders genaue Betaſtung noͤthig erachtet, ſo waͤhlt man dazu lieber die andere (d. i. die linke) Hand, ſo wie es ſich denn auch von ſelbſt ergiebt, daß bey Kranken oder Gebaͤrenden dieſe aͤußere Unterſuchung ganz im Liegen oder Sitzen vorgenommen werden muß, obwohl dieſe letztere Haltung des Koͤrpers namentlich der Unterſuchung des Beckens weit weniger guͤnſtig iſt als die aufrechte Stellung.

b) Innere Manual-Unterſuchung.
§. 101.

In den Bereich derſelben faͤllt hauptſaͤchlich Erforſchung a) der Mutterſcheide, ihrer Weite, ihrer innern Flaͤche, ihrer Querfalten, Schleimabſonderung, Temperatur u. ſ. w.; ſodann b) der Scheidenportion des Fruchthaͤlters und des Mutter - mundes; c) des vorliegenden Theiles vom Ey uͤberhaupt und insbeſondere vom Kinde, ſo wie anderer vielleicht krankhafter hier wahrzunehmender Geſchwuͤlſte u. ſ. w., und endlich d) des innern Raumes vom kleinen Becken. Am zweckmaͤßigſten wird die innere Unterſuchung blos mit einem Finger, dem Zeigefinger, unternommen; ſelten wird man, um etwas hoͤher herauf zu reichen, den Mittelfinger noch mit hinzu nehmen, und nur im Nothfall der genauſten Beſtimmung eines etwa ſehr verunſtalteten Beckens oder des vorliegenden Kindestheils, gebraucht man die ganze Hand.

§. 102.

Vorbereitungen zur innern Unterſuchung ſind, außer der §. 94. u. 95. angegebenen, erſtens Sorge fuͤr eine zweck - maͤßige Stellung der zu Unterſuchenden. Auch hier naͤmlich73 iſt wieder der aufrechte Stand, bey welchem die Frau an eine Wand oder einen Tiſch ſich etwas anlehnt, und der Unterſuchende auf das rechte Knie (wenn er mit der rechten Hand unterſucht, im Gegentheil auf das linke) ſich niederlaͤßt, der genauen Unterſuchung am guͤnſtigſten; naͤchſt dieſem kann man bey Kraͤnklichen oder Gebaͤrenden auch die ſitzende Stel - lung (am beßten dann auf einem vorne mit einem Aus - ſchnitt verſehenen Seſſel, auf einem Geburtsſtuhle, Sella ex - ploratoria) oder die horizontale Lage waͤhlen, nur daß im letztern Falle der Unterſuchende entweder auf dem Rande des Bettes ſich niederlaſſen oder zur Seite deſſelben ſtehen wird. Zweitens iſt fuͤr Oehl, Fett oder ungeſalzene Butter zu ſor - gen, indem das Einſalben des unterſuchenden Fingers theils um weniger Schmerz zu machen, theils um der Gefahr der Anſteckung ſich nicht auszuſetzen, unumgaͤnglich noͤthig iſt*)Man benutzt wohl auch bey Unterſuchung ſyphilitiſcher Perſonen das Unguentum neapolitanum fuͤr dieſen Zweck, indeß ſchuͤtzt es wohl ſchwerlich viel mehr als gewoͤhnliches Fett.. Und endlich ſind einige Tuͤcher zum Abtrocknen und zum Un - terbreiten auf den Boden des Zimmers bey Unterſuchung in aufrechter Stellung, ſo wie Geraͤthſchaften zum Waſchen vor - raͤthig zu halten.

§. 103.

Die Unterſuchung ſelbſt vollzieht man ſo, daß, nachdem die zu Unterſuchende eine paſſende Stellung angenommen, und Ausleerung von Stuhl und Urin, ſo wie (im Falle et - waiger Verunreinigung der Geſchlechtstheile) Auswaſchung derſelben mittelſt eines Schwammes Statt gehabt hat, man den unterſuchenden Zeigefinger hinlaͤnglich mit einer Fettig - keit beſtreicht, ihn in die Hand einſchlaͤgt, mit Daumen und Mittelfinger bedeckt, und nun ſelbſt eine der Haltung der Frau entſprechende Stellung annimmt. Man fuͤhrt jetzt die geſchloſſene Hand an der innern Flaͤche des Schenkels (wenn man mit der rechten Hand unterſucht, am linken Schenkel) herauf, oͤffnet dieſelbe an den Genitalien, um durch Daumen und Mittelfinger die aͤußern und innern Schamlippen vor -74 ſichtig, ohne Schmerz zu erregen oder die Schamhaare zu dehnen, auseinander zu legen, und bringt nun den Zeige - finger ſelbſt behutſam in die Schamſpalte ein, indem man hierbey theils die Klitoris nicht zu beruͤhren Sorge traͤgt, theils bey jungfraͤulichem Zuſtande das Hymen vermeidet, ſtreckt dann Mittel -, vierten und kleinen Finger nach hinten uͤber den Damm aus, und legt die andere Hand aͤußerlich uͤber die Kleidung an die Bauchflaͤche, um noͤthigenfalls den Uterus mehr zu fixiren oder gelind aufzuheben, wenn er we - gen zu weit vorwaͤrts gerichtetem Grunde die Unterſuchung der Vaginalportion erſchwert.

§. 104.

Indem nun ſo der Finger im Becken aufwaͤrts gefuͤhrt wird, unterſucht man nach den §. 101. bemerkten Ruͤckſich - ten theils die Mutterſcheide, den Mutterhals und Mutter - mund (wobey zum Meſſen des erſtern das insgemein zoll - lange vorderſte Fingerglied als bequemſter Maaßſtab dient) ſo wie den zuweilen durch das Scheidengewoͤlbe fuͤhlbaren Koͤrper oder Grund des Fruchthaͤlters genau, und mittelſt ruhiger, Schritt vor Schritt gehender Betaſtung. Hierauf wendet man ſich zur Ausmittelung der vielleicht zu entdecken - den Kindestheile oder anderer Theile des Eyes, wobey, was das Wahrnehmen des Kindestheils, namentlich in fruͤherer Zeit der Schwangerſchaft betrifft, die Regel gelten kann, daß man denſelben immer am leichteſten erreichen werde, wenn der Finger gerade hinter dem Schambogen heraufgefuͤhrt und hier etwas ſtill gehalten wird, wobey ſich der Kopf oft als bewegliche leichte Kugel, namentlich bey einem aͤußern Drucke von ſelbſt auf die Fingerſpitze auflegt. Endlich aber achtet man genau auf die Durchmeſſer, wie auf Kruͤmmung, Nei - gung, Hoͤhe und ſonſtige Bildung des Beckens, welches durch Hin - und Herbewegen der Fingerſpitze (vorausgeſetzt, daß das Gefuͤhl mittelſt vielfacher Uebungen an trockenen Becken, Leichnamen und lebenden Koͤrpern hinlaͤnglich ge - ſchaͤrft ſey) ſehr wohl, ja am beßten beſtimmt werden kann. Iſt nun alles hierher gehoͤrige genuͤgend unterſ[u] cht, ſo wird der Finger zuruͤckgefuͤhrt, wieder in die Hand eingeſchlagen,75 und die Hand ſelbſt ruhig wieder unter der Kleidung oder Bettdecke hervorgefuͤhrt, um ſie alsbald zu reinigen.

§. 105.

Will man uͤbrigens mit zwey oder mehreren Fingern unterſuchen, ſo verfaͤhrt man zwar im erſtern Falle wieder ohngefaͤhr wie bey der Unterſuchung mit einem Finger, im andern Falle hingegen muß man die ganze Hand mit Oehl beſtreichen, dieſelbe moͤglichſt geſtreckt und coniſch zuſammen - gelegt mit ihrer Breite im geraden Durchmeſſer des Becken - ausganges geſtellt, behutſam, gelind drehend, und in der Fuͤhrungslinie einbringen. Im Becken dienen dann die ein - gebrachten ausgeſperrten oder aneinanderliegenden fuͤnf Finger zu ſehr genauer Schaͤtzung des Beckenraumes, und zwar in - dem man ſich zuvoͤrderſt durch Vergleichung an einem Zoll - ſtabe genau bekannt macht: theils wie viel der Raum zwi - ſchen ausgeſpanntem Zeige - und Mittelfinger, theils wie viel der Raum zwiſchen ausgeſperrtem Zeigefinger und Daumen an der eigenen Hand betrage, dann aber auch mißt, wie breit drei, vier oder fuͤnf Finger der Hand ſind, und nun dieſe Groͤßen mit dem Gefuͤhle bey der Unterſuchung ſelbſt ver - gleicht. Noch iſt denn auch der Unterſuchung durch den Maſtdarm als einer Abart der innern Unterſuchung zu gedenken, in wiefern dieſelbe namentlich bey manchen Krankheiten der innern Genitalien, Schwangerſchaften außer - halb der Gebaͤrmutter u. ſ. w. von Wichtigkeit iſt. Man unternimmt dieſelbe, nachdem vorher ein oder einige Lave - ments gegeben worden ſind, ohngefaͤhr wie die innere Unter - ſuchung der Mutterſcheide mit einem eingeoͤhlten Zeigefinger, laͤßt der zu Unterſuchenden eine Seitenlage oder, noch beſſer, die Lage, auf Knie und Ellbogen geſtuͤtzt, annehmen, und bringt nun den Finger gelind drehend nach der Richtung des Maſtdarmes aufwaͤrts, um ſo das Verhalten des Uterus, des Beckens u. ſ. w. zu erforſchen.

Bey allen dieſen Unterſuchungen iſt uͤbrigens die viel - fachſte Uebung allein faͤhig, einen hoͤhern Grad von Fertig - keit zu gewaͤhren, und den Reſultaten der Exploration eine groͤßere Sicherheit zu verſchaffen, weßhalb denn allen ange -76 henden Frauenaͤrzten, Geburtshelfern und Hebammen dieſelbe nicht dringend genug empfohlen werden kann.

2. Inſtrumental-Unterſuchung.
§. 106.

Sie beſchraͤnkt ſich vorzuͤglich auf die genauere Aus - meſſung des Beckens und theilt ſich wieder, je nachdem dieſe Meſſung von außen oder im innern Beckenraume ſelbſt ver - anſtaltet wird, in die innere und aͤußere: Zwar hat man auch zur naͤhern, durch den Sinn des Geſichts vorzu - nehmenden Unterſuchung der innern weichen Geburtstheile vor einiger Zeit ein Inſtrument empfohlen, welches der von Bozzini*)S. D. Ph. Bozzini: Der Lichtleiter, oder Beſchreibung einer einfachen Vorrichtung und ihrer Anwendung zu Erleuchtung innerer Hoͤhlen und Zwiſchenraͤume d. lebenden animalen Koͤrpers. Weimar, 1806. Fol. erfundene Lichtleiter iſt; allein abgeſehen, daß offenbar hier das Getaſt ſeiner Natur nach wichtigere Ergeb - niſſe als das Geſicht verſpricht, ſo wuͤrde auch dieſer ganze Apparat in ſeiner Anwendung ſo unſchicklich, ja komiſch er - ſcheinen, daß wir ihn geradezu, wenigſtens was Erforſchung dieſer Theile betrifft, in das Reich der praktiſch voͤllig un - nuͤtzen Traͤumereyen verweiſen muͤſſen. Ueberhaupt iſt im Allgemeinen von der Inſtrumental-Unterſuchung weit weniger praktiſcher Vortheil, und ein weniger ſicheres Reſultat zu ziehen, als von der Manual-Unterſuchung, ja viele der er - fundenen Inſtrumente ſind als voͤllig unbrauchbar zu verwer - fen, und wir gedenken daher nur der einigermaſſen nutzbaren, indem wir zugleich bemerken, daß die Idee des Beckenmeſſers als eine deutſche Erfindung zu betrachten, und von G. W. Stein dem aͤltern ausgegangen iſt, welcher ſeinen erſten einfachen Beckenmeſſer 1772 bekannt machte.

§. 107.

Zu den aͤußerlich anwendbaren Beckenmeſſern gehoͤrt zuerſt: der Dickenmeſſer Baudeloque’s (Compas77 d’epaisseur), ein Taſterzirkel mit einem zwiſchen ſeinen Schenkeln angebrachten verjuͤngten Zollſtabe, mittelſt deſſen die Zirkelſchenkel ſelbſt feſtgeſtellt werden koͤnnen. Man be - zweckt dadurch vorzuͤglich die Beſtimmung der Conjugata des Beckeneinganges, indem die mit platten Knoͤpfen verſehenen Schenkel des Zirkels, einer außen auf der Mitte der Scham - fuge, der andere hinten an der Spitze des Stachelfortſatzes vom letzten Lendenwirbel aufgeſetzt werden, und nach feſtge - ſtellten Schenkeln nun das Inſtrument abgenommen, und die Entfernung des Knopfes am verjuͤngten Maaßſtabe gemeſſen wird, von welcher Weite (bey regelmaͤßigem Becken insge - mein 7 Zoll) ſodann Zoll fuͤr die hintere, und ½ Zoll fuͤr die vordere Beckenwand (alſo uͤberhaupt 3 Zoll) abzu - ziehen iſt, um die Conjugata zu finden. Freilich laſſen nun hierbey verſchiedene Dicke der Beckenwaͤnde, innere Knochen - auswuͤchſe u. ſ. w. Gelegenheit zu manchen Irrungen zu*)In meiner Anſtalt z. B. gebar vor kurzem eine Perſon ein wohl - ausgetragenes ſtarkes Kind natuͤrlich, und der Dickemeſſer zeigte nur eine Beckentiefe von 6 Zoll, ließ folglich auf eine Conjugata. von 3 Zoll ſchließen., demohnerachtet ſtimme ich H. v. Siebold bey, welcher es in der Mehrzahl der Faͤlle ein nuͤtzliches und brauchbares Werkzeug nennt**)Lehrb. d. theoret. prakt. Entbindungsk. 2. Thl. S. 29.. Laͤßt man das Inſtrument in nicht zu kleinen Dimenſionen verfertigen (etwa ſo, daß die groͤßte Entfernung beider Knoͤpfe gegen 15 Zoll betraͤgt), ſo kann man es zugleich als Huͤftenmeſſer benutzen, ohne hierzu noch eines beſondern Inſtrumentes zu beduͤrfen, und beſtimmt demnach hierdurch theils den Querdurchmeſſer des großen Be - ckens beynahe unmittelbar, theils den Querdurchmeſſer des Beckeneinganges durch Meſſung der Breite an den Trochan - teren (insgemein 13 Zoll), von welchen man 8 Zoll fuͤr Seitenwaͤnde und Schenkelhals abzieht.

Ferner iſt hier zu erwaͤhnen der Neigungsmeſſer (Cliseometer) von G. W. Stein, ein Quadrantenaͤhnliches Werkzeug, deſſen Zweck iſt, die Neigung der untern Becken - oͤffnung gegen den Horizont zu meſſen, deſſen Anwendung78 jedoch mit zuviel Umſtaͤndlichkeiten verknuͤpft iſt, und deſſen praktiſcher Nutzen ſo gering iſt, daß es hoͤchſtens zur Be - richtigung der Theorie und Anwendung an Skeletten zu em - pfehlen iſt*)S. deſſen Abbildung bey B. N. G. Schreger die Werkzeuge d. Entbindungskunſt. 1. Thl. Erlangen 1799. Fol. Tab. III. Fig. 16.. Etwas leichter anwendbar iſt dagegen der Neigungsmeſſer von B. Fr. Oſiander, allein da er die Neigung des Beckens blos durch die mehr oder weniger ſchief geſtellte Wand der Schamfuge beſtimmt, ſo wird er bey ver - bildetem Becken wieder haͤufig irre leiten**)S. deſſen Handbuch der Entbindungskunſt. Bd. 1. S. 16 u. f..

§. 108.

Zu den innerlich anwendbaren Beckenmeſſern gehoͤrt als eines der einfachſten Inſtrumente, der kleine ver - beſſerte Stein’ſche Beckenmeſſer; ein bloßer geknuͤpfter Zoll - ſtab mit beweglichem Zeiger, mittelſt welchem man, nachdem er eingeoͤhlt, moͤglichſt tief gegen das Promontorium in das Becken gebracht, und der Zeiger an der innern Schamfugen - flaͤche fixirt worden, die Diagonalconjugata der Beckenhoͤhle (ſ. §. 38.) mißt, und folglich um die eigentliche Conjugata des Einganges zu finden, noch ½ Zoll abziehen muß. Beynahe noch einfacher und in jedem Augenblicke zu fertigen iſt ferner der Stark’ſche Beckenmeſſer, welcher aus einem duͤnnen, um den Zeigefinger geſchlungenen ſeidenen Faden, und einer auf dieſem Faden durch den Daumen beweglichen Korkſcheibe beſteht. Man bringt Zeigefinger und Daumen aneinanderliegend, die Korkſcheibe auf dem Daumennagel ge - ſtellt, ein, entfernt nun beyde Finger in der Richtung der Diagonalconjugata moͤglichſt weit, nimmt dann das Werkzeug heraus und mißt die Entfernung der Korkſcheibe von der Zeigefingerſpitze mittelſt eines Zollſtabes.

Endlich gedenken wir noch des groͤßern Stein’ſchen Beckenmeſſers, welcher aus zwei auswaͤrts gebogenen ſcherenartig beweglichen, durch eine Stellſchraube zu fixiren - den Armen beſteht. Er wird erwaͤrmt und eingeoͤhlt, ge -79 ſchloſſen in die Scheide gebracht, der hintere Arm an den Vorberg, der vordere an die innere Flaͤche der Schamfuge geſetzt, die Erweiterung beyder Arme durch die Stellſchraube bezeichnet und alsdann das Werkzeug geſchloſſen und wieder herausgefuͤhrt. Man mißt hierauf die Weite der bis zur Stellſchraube wiederum geoͤffneten Arme, und findet auch ſo die Diagonalconjugata der Beckenhoͤhle*)S. d. Abbildung bey Schreger a. a. O. T. II. F. 2.. Die Anwendung dieſes Inſtruments hat jedoch am lebenden Koͤrper große Schwierigkeit, es erregt leicht Schmerzen, wird in ſeiner Er - weiterung ſehr durch die weichen Theile gehindert (was ſchon von den beiden vorigen einfachern Werkzeugen gilt) und giebt ein falſches Reſultat, weßhalb es zum praktiſchen Behuf gar nicht empfohlen werden kann. Daſſelbe gilt dann auch von den Beckenmeſſern Coutouly’s, Aitken’s, Koͤppe’s, As - drubali’s, Jumelin’s und Anderer, weßhalb wir dieſelben ganz uͤbergehen. **)Auch von dieſem giebt Schreger a. a. O. naͤhere Beſchreibung.

§. 109.

Bevor wir nun die Lehre von der Inſtrumentalunterſu - chung gaͤnzlich verlaſſen, muͤſſen wir noch, in wiefern nach §. 10. u. 11. nicht blos das Weib, ſondern auch die Frucht Gegenſtand der Gynaͤkologie iſt, der zur Unterſuchung des Kindes erfundenen Werkzeuge gedenken, welche wir unter - ſcheiden in ſolche, die zur Ausmeſſung des Kindes noch in - nerhalb des muͤtterlichen Koͤrpers, und in ſolche, die zur Meſſung und Waͤgung deſſelben außerhalb dieſes Koͤrpers be - nutzt werden. Zu den erſtern gehoͤren aber die an den Griffen mehrerer Geburtszangen angebrachten Gradboͤgen oder Maaßſtaͤbe***)Wir werden darauf bey den Geburtszangen zuruͤckkommen., von Stein†)G. W. Stein kurze Beſchreibung eines Labimeters. 4. 1782., ihrem Erfinder, Labime - ter genannt, welche, indem ſie den Grad der Eroͤffnung der Zangenblaͤtter anzeigen, auch das Maaß von dem zwiſchen die Zange gefaßten Kopfe angeben. Aitken, Oſiander, Buſch, haben dieſe Vorrichtung an ihren Zangen benutzt, doch gewaͤhrt ſie wenig Genauigkeit wegen der verſchiedenen80 Faſſung des Kopfes, und im Allgemeinen wird ſchon jeder Geburtshelfer, der ſeine Zange kennt, die bedeutendere oder geringere Kopfgroͤße dem Augenmaaße nach beſtimmen koͤn - nen. Zu dem zweiten Behufe kann allerdings jede groͤ - ßere Wage, jeder Zollſtab und Taſterzirkel benutzt werden, doch hat man auch hierzu beſondere Werkzeuge erfunden, wo - hin der Cephalometer Stein’s (ein Taſterzirkel mit Gradbogen) und deſſen Baromacrometer*)G. W. Stein kurze Beſchreibung eines Baromacrometers und Cephalometers. 4. 1775., Oſiander’s Wage, und die beſonders zweckmaͤßige Vorrichtung (Paedio - meter) von Siebold**)El. d. Siebold De Paediometro Commentarius. 4. Berol. 1318. gehoͤren.

III. Von den allgemeinen Regeln der Diaͤtetik und Therapie fuͤr das weibliche Geſchlecht.

a. Diaͤtetik.
§. 110.

Alle Diaͤtetik oder Hygiaſtik, und ſo auch die fuͤr das weibliche Geſchlecht, hat eines Theils den Zweck, den Willen der Natur ruͤckſichtlich der dem Koͤrper unerlaͤßlichen Beduͤrf - niſſe zu deuten, und die Gewaͤhrung dieſer Beduͤrfniſſe zu leiten und zu ordnen, andern Theils den Zweck, alles der koͤrperlichen und geiſtigen Thaͤtigkeit Nachtheilige und Ge - faͤhrliche zu verhuͤten. In wiefern nun aber die Entwick - lung weiblicher Individualitaͤt eine rein menſchliche, und in ſofern der maͤnnlichen gleiche iſt, welche demnach im Weſent - lichen nur die Beguͤnſtigung durch rechte Anordnung von Nahrung und Luft, Ruhe und Bewegung, Schlaf und Wa - chen, Licht und Waͤrme fordert, ſo koͤnnen auch die Regeln der Hygiaſtik uͤberhaupt, ſehr wohl auf die Leitung des ge - ſunden weiblichen Organismus angewendet werden, und die Modifikationen, welche ſich im ſpeciellen Theile hieruͤber er - geben werden, koͤnnen folglich theils blos auf die dem weib - lichen Organismus ausſchließend eigenthuͤmlichen Funktionen81 (z. B. Schwangerſchaft, Geburt und Wochenbett) ſich bezie - hen, theils werden ſie durch die allgemeinern Eigenthuͤmlich - keiten deſſelben beſtimmt werden. Zu den letztern gehoͤren daher namentlich ſolche Regeln, welche von der individuellen Stimmung weiblicher Senſibilitaͤt, ſo wie des weiblichen Er - naͤhrungsproceſſes herbeygefuͤhrt werden, und nur hieruͤber iſt jetzt einiges Naͤhere zu erinnern, dahingegen die Regeln fuͤr Behandlung des geſunden weiblichen Koͤrpers im Zuſtande der Schwangerſchaft, Geburt, Wochen - und Stillungsperiode durchaus fuͤr den ſpeciellen Theil aufbehalten bleiben muͤſſen.

§. 111.

Bey Entwerfung allgemeiner diaͤtetiſcher Regeln fuͤr das weibliche Geſchlecht werden wir ſonach auf die §. 58. u. f. eroͤrterten Regeln vorzuͤglich fußen. Was alſo 1) Be - ſtimmung der Lebensordnung ruͤckſichtlich der Aufnahme von Nahrungsmitteln betrifft, ſo fordert der weibliche Koͤrper bey ſchnellerem Stoffwechſel, raſcherer Aſſimilation und regerer Senſibilitaͤt der Verdauungsorgane a) das haͤufigere Aufnehmen naͤhrender Stoffe. Den Frauen, beynahe wie den Kindern, ſcheint es daher natuͤrlich, oͤfterer zu eſſen und oͤfterer zu trinken, ſo daß alſo die hin und wieder ein - gefuͤhrte Sitte taͤglich nur eine einzige Mahlzeit zu halten, außer derſelben aber, mit Ausnahme einiges Getraͤnkes, faſt nichts zu genießen, dem weiblichen Koͤrper offenbar am wenigſten ange - meſſen iſt. b) Die Menge aufzunehmender Nahrung betref - fend, ſo ſteht es mit der vorigen Regel ſchon in Ueberein - ſtimmung, daß dieſelbe geringer ſeyn muͤſſe, und c) die Art und Wahl der Nahrung anbelangend, ſo darf man weder eine zu rohe und ſchwerverdauliche Koſt dem Weibe insbe - ſondre zutraͤglich erklaͤren, noch duͤrfen namentlich erhitzende, ſtark reitzende Getraͤnke und Speiſen fuͤr dieſes Geſchlecht gebilligt, und alle ſtarken Gewuͤrze, ſtark geſalzene Speiſen, ſo wie geiſtige betaͤubende Dinge muͤſſen hier moͤglichſt ver - mieden werden, wenn nicht nach und nach hyſteriſche Be - ſchwerden, Kraͤmpfe, Obſtruktionen u. ſ. w. entſtehen ſollen. Ebendeßhalb pflegen daher leichte Fleiſchſpeiſen, Milch, meh - lichte Vegetabilien u. ſ. w. eine dem weiblichen Geſchlecht vor -I. Theil. 682zuͤglich angemeſſene Nahrung zu ſeyn. Die Ausleerungen des Darmkanals endlich, welche wie ſchon erinnert an und fuͤr ſich im Weibe ſparſamer zu erfolgen pflegen, muͤſſen eben deßhalb ſorgfaͤltig beruͤckſichtigt, durch maͤßige Koͤrperbewegung, Vermeidung des den Unterleib beengenden, durch weibliche Arbeiten leider oft veranlaßten zu vielen Sitzens, ſo wie durch Vermeidung aller den Unterleib nachtheilig preſſender Kleidung, in regelmaͤßiger Ordnung erhalten werden.

§. 112.

2) Die Gefaͤßthaͤtigkeit angehend, ſo werden, in wiefern dieſelbe im Weibe uͤberhaupt ſchon verhaͤltnißmaͤßig aufgeregter iſt, alle Einwirkungen, welche in dieſer Hinſicht einen nachtheiligen Erethismus veranlaſſen koͤnnten, vermin - dert werden muͤſſen. Heftige Gemuͤthsbewegungen, Stuͤrme der Leidenſchaften muͤſſen daher nicht minder, als Uebermaaß erhitzender Bewegungen, z. B. des Tanzes, oder erhitzender Speiſen und berauſchender Getraͤnke der Geſundheit nachtheilig ſich zeigen; eben ſo wie ferner auch alle Einfluͤße, welche zur Bildung von lokalen Blutanhaͤufungen fuͤhren, als: ſehr beengende Kleidung, Schlafen in dicken Federbetten, Ueber - ladung mit warmen Getraͤnken, Thee, Kaffee, Schokolade u. ſ. w. hier zu erwaͤhnen, und fuͤr das weibliche Geſchlecht als nachtheilig zu bemerken ſind. 3. Die Athmung und Ausſcheidung betreffend, ſo muß bey den kleinern Reſpirationsorganen und groͤßerer Neigung zu Bruſtkrankhei - ten um ſo ſorgfaͤltiger alles, wodurch die Athmungsthaͤtigkeit geſtoͤrt werden koͤnnte, vermieden werden; hierher rechnen wir denn theils Einathmen ſehr erkaͤlteter reiner Luft, oder ſon - ſtige ploͤtzliche Abkuͤhlung durch Trunk oder Bad nach vor - ausgegangener Erhitzung, vorzuͤglich durch auhaltendes Tan - zen (die Todesurſache fuͤr manche bluͤhende Maͤdchengeſtalt), ferner das Tragen von Schnuͤrbruͤſten, allzuangeſtrengtes Singen u. ſ. w. Ruͤckſichtlich der im weiblichen Geſchlecht uͤberhaupt thaͤtigern Hautausſonderung iſt ferner eine ſorgfaͤl - tige Hautkultur ſowohl, als in allen kaͤltern Klimaten eine dieſen angemeſſene waͤrmere Koͤrperbekleidung vorzuͤglich noth - wendig, und man erklaͤrt mit Recht die Entſtehung vielfa -83 cher Leiden der Frauen aus der Vernachlaͤßigung dieſer bey - den Punkte.

§. 113.

4) Die Regeln, welche endlich in Bezug auf die hoͤ - hern animalen Funktionen im Allgemeinen zu geben ſind, beziehen ſich theils auf die Sinnesthaͤtigkeit, welche eben in wiefern ſie feiner und erregbarer iſt, uͤberall ſchoͤne ſittliche Maͤßigung zur Pflicht macht; theils auf die Bewe - gung, welche, in wiefern ſie von weniger ausgewirkten Or - ganen geuͤbt wird, allzugewaltſame und heftige Anſtrengun - gen verbietet. Was ferner die Erſcheinungen des hoͤhern Nervenlebens und ihre naturgemaͤße Leitung betrifft, ſo iſt eine gewiſſe pſychiſche Hygiaſtik fuͤr das weibliche leicht be - wegliche Gemuͤth ganz vorzuͤglich nothwendig, und man darf wohl hier an den Satz erinnern, welchen J. Paul Fr. Rich - ter uͤber geiſtige Ausbildung im Allgemeinen aufſtellte, daß naͤmlich der Menſch nach der Seite hin, wo er von der Na - tur am wenigſten beguͤnſtigt ſey, ſich vorzuͤglich zu bilden ſtreben ſolle, um ſo das harmoniſche Gleichgewicht im In - nern zu erhalten. Bey den Frauen nun, wo das Ge - muͤth an und fuͤr ſich vorwaltet, wird eben dadurch Kultur des Verſtandes und der Willenskraft Hauptaugenmerk allge - meiner Bildung ſeyn muͤſſen; dahingegen eine auf ſtaͤte Er - regung des Gemuͤths abzweckende geiſtige Beſchaͤftigung, Ro - manenleſerey, falſche Myſtik u. ſ. w. dieſes Geſchlecht ſo leicht zur widrigſten Empfindeley, ja durch ſtaͤte Ueberſpannung des Nervenſyſtems zu ſo vielfaͤltigen ſelbſt koͤrperlichen Krankhei - ten fuͤhren muß. Vertrauungsvolles Haften an einem Hoͤchſten, unerſchuͤtterlich Feſten und Ewigen im Innern, ſtille gleichmaͤßige wohlgeordnete Thaͤtigkeit im Aeußern, bey klarer einfacher aber wohlgegruͤndeter Entwicklung des Verſtandes, dieß moͤgen die Elemente heißen, in denen die Seelengeſund - heit, deren Weſen von dem ſcharfſinnigen Heinroth*)S. in deſſen Lehrbuch der Seelenſtoͤrungen die Vorbegriffe. Thl. I. ſo wahr gezeichnet worden, dem weiblichen Geſchlechte erreicht84 und bewahrt wird, und in welchen die Reinheit und wohl - thuende Ruhe der edlen Frau ſich bewaͤhrt.

b) Therapie.
§. 114.

Nothwendig zwar muͤſſen die allgemeinen Grundſaͤtze, nach denen wir die Heilung menſchlicher Krankheiten einlei - ten, auch fuͤr die Behandlung weiblicher Krankheiten insbe - ſondre guͤltig ſeyn, eben ſo wie die allgemeinen Grundſaͤtze der Hygiaſtik auch fuͤr das weibliche Geſchlecht gegolten hat - ten, demohnerachtet koͤnnen und muͤſſen fuͤr die aͤrztliche Be - handlung, ſelbſt ſolcher Krankheiten, welche beiden Geſchlech - tern gemein ſind, gewiſſe beſondre Regeln aufgeſtellt werden, welche abermals auf die im Vorigen eroͤrterte Individualitaͤt des Weibes im geſunden und kranken Zuſtande ſich gruͤnden werden. Wir gehen die weſentlichſten derſelben hier durch: Es gehoͤrt aber hierher zunaͤchſt eine nach der allgemeinen Indivi - dualitaͤt des Weibes abgemeſſene Lebensordnung bey Krankheiten. Weibliche Kranke verlangen in der Regel beſondere Vorſicht in der Anordnung ihrer aͤußern Umgebungen; ein recht ru - higes freundliches Krankenzimmer, recht ſorgfaͤltige Vermei - dung aller gewaltſamern Sinneseindruͤcke und Gemuͤthsbewe - gungen muͤſſen ſonach hier vorzuͤglich wuͤnſchenswerth ſeyn, und in Verbindung mit angemeſſener Diaͤt (wo auch bey der Reconvaleszenz die erregenden roborirenden Dinge, als Wein u. dgl., bey uͤbrigens gleichen Umſtaͤnden, in weit weniger ſtarken Doſen als beym maͤnnlichen Geſchlecht gegeben wer - den duͤrfen) werden ſie bey einem Koͤrper, wo, faſt wie im kindlichen, die Naturkraft uͤberhaupt zur Heilung von Krank - heiten mehr vermag, vorzuͤglich viel zur Wiederherſtellung der Geſundheit beytragen.

§. 115.

Ferner was die Darreichung von Arzneymitteln u. ſ. w. betrifft, ſo iſt zuvoͤrderſt uͤberhaupt zu bemerken, daß ſehr heftig einwirkende, ſogenannte heroiſche Heilmittel fuͤr das weibliche Geſchlecht im Ganzen am wenigſten ſich eignen,85 daß aber auch von andern Arzneymitteln, der groͤßern weib - lichen Receptivitaͤt gemaͤß, bey uͤbrigens gleichen Umſtaͤnden, weiblichen Kranken immer etwas ſchwaͤchere Gaben als maͤnn - lichen gereicht werden muͤſſen. Die Heilmethoden ſelbſt anbelangend, ſo iſt daruͤber im Allgemeinen wohl nur ſoviel zu erinnern, daß, da zufolge der vorherrſchenden Thaͤtigkeit reproduktiver und insbeſondre der Verdauungs-Organe, auch hier vorzuͤglich die Quelle unzaͤhliger Krankheiten verborgen liegt, die Aufmerkſamkeit und Wirkſamkeit des Arztes ins - beſondre nach dieſer Seite gerichtet ſeyn muͤſſe*)Ueberhaupt bedenkt man wohl zu wenig, daß eigentlich die Krank - heiten des Koͤrpers insgeſammt der bildenden (vegetativen) Seite deſſelben angehoͤren, daß die eigentliche Arzneykunde eben ſo nur die Bildung (den ſtaͤtigen Stoffwechſel), ja zunaͤchſt vorzuͤglich nur den Darmkanal in Anſpruch nehmen koͤnne, und daß die Verirrungen der Nervenpathologie und des Brownianismus hauptſaͤchlich darin begruͤndet waren, daß ſie ſtaͤts das Erkranken von Thaͤtigkeiten vor Augen hatten, ohne die zunaͤchſtliegenden und der Medicin wichti - gern abnormen Bildungsrichtungen zu beachten.. Außer - dem noͤthigt uns indeß die vorwaltende Reitzbarkeit des weib - lichen Koͤrpers, die Neigung zu Schmerzen, Kraͤmpfen u. ſ. w. hier haͤufiger als im maͤnnlichen Koͤrper von Mitteln Ge - brauch zu machen, welche, obwohl wieder zunaͤchſt das ve - getative Leben anſprechend, vorzuͤglich die angeregte Senſi - bilitaͤt herabzuſtimmen vermoͤgen; wohin insbeſondre laue Baͤder, Narcotica u. ſ. w. gehoͤren; wobey jedoch ſehr zu huͤ - ten iſt, daß dieſe, insgemein nur als palliativ wirkende Mit - tel angezeigten Dinge, nicht als Hauptmittel angeſehen wer - den, indem gerade bey weiblichen Krankheiten vorzuͤglich das gehaͤufte Anwenden ſogenannter antiſpasmodiſcher und Ner - ven-Mittel oͤfters gar ſehr zum Nachtheil gereicht. Daß uͤbrigens auch bey dieſem Geſchlecht die eigentlich pſychiſche Einwirkung des Arztes durch Erweckung eines feſten Ver - trauens und durch entſchiedenes Benehmen ſehr viel ausrichte, unterliegt keinem Zweifel, und iſt ſchon §. 88. erwaͤhnt worden.

§. 116.

Endlich aber bleibt es bey Behandlung weiblicher Krank - heiten immer von ausgezeichneter Wichtigkeit, die merkwuͤr -86 digen, ſo tief in das weibliche Leben eingreifenden eigen - thuͤmlichen Funktionen der Menſtruation, Schwangerſchaft, Geburt, Wochen - und Stillungsperiode genau zu beachten, woraus ſich denn die Anzeige ergiebt, nicht nur Unordnun - gen, welche in dieſen Funktionen Statt gehabt haben, zu be - ſeitigen, ſondern auch dann, wenn gerade eine dieſer Perio - den vorhanden iſt, und andere krankhafte Zuſtaͤnde aͤrztliches Eingreifen noͤthig machen, darauf Ruͤckſicht zu nehmen, daß der normale Gang derſelben dadurch keine Stoͤrung erleide. In letzterer Hinſicht geſchieht es daher, daß z. B. zur Zeit der eintretenden Menſtruation der Gebrauch von Arz - neymitteln gewoͤhnlich, und zwar mit Recht zuruͤckgeſetzt wird, und in eben dieſer Hinſicht erfordert die Behandlung der Krankheiten von Schwangern und Woͤchnerinnen, ſeyen es auch gar keine dieſem Geſchlecht ausſchließend eigenthuͤm - liche Krankheiten (alſo z. B. Fieber, Rheumatismen, Diar - rhoͤen u. ſ. w.) beſondere Vorſicht, damit nicht vielleicht ein im Allgemeinen vollkommen zweckmaͤßiges Mittel, in die - ſem Falle durch Unterbrechung einer ſolchen wichtigen Funk - tion nachtheilig werde.

§. 117.

In wiefern wir nun uͤber allgemeine Pathologie, Hygiaſtik und Therapie des weiblichen Geſchlechts keine beſondern Werke beſitzen, ſo halte ich es hier noch fuͤr den ſchicklichſten Ort, der beachtungswertheſten Hand - und Lehrbuͤcher theils uͤber den geſammten Kreis, theils uͤber einzelne Hauptfaͤcher der Gynaͤkologie zu gedenken. Zuerſt nennen wir die Schriften, welche zuſammengenommen ziemlich die ganze Gynaͤkologie begreifen. Dahin gehoͤren:

  • a) Fried. Benj. Oſiander Abhandlungen, Beobach - tungen und Nachrichten von Krankheiten der Frauen - zimmer und Kinder. Tuͤbingen 1787. Dieſer Schrift folgte ſpaͤter von demſelben eine andere: Ueber die Entwicklungskrankheiten in den Bluͤ - thenjahren des weiblichen Geſchlechts. 1. Th. Goͤttingen 1817. 2. Th. Tuͤbingen 1818.
  • 87
  • b) Deſſelben Grundriß der Entbindungskunſt in 2 Theilen. 1) Schwangerſchafts - und Geburtslehre, 2) Entbin - dungs - und Werkzeugslehre enthaltend.) Goͤttingen 1802. 8. Neuerlich iſt an deſſen Stelle getreten das vorzuͤg - lich durch literariſchen Reichthum intereſſante Lehrbuch der Entbindungskunſt von demſelben. Tuͤbingen 1818. 1r Thl.
  • a) J. C. G. Joͤrg Syſtematiſches Handbuch der Geburts - huͤlfe. Leipz. 1807. u. deſſelben
  • b) Handbuch der Krankheiten des menſchlichen Weibes nebſt einer Einleitung in die Phyſiologie und Pſycho - logie des weiblichen Organismus. Leipz. 1809. 8.
  • a) El. v. Siebold Lehrbuch der theoret. prakt. Entbin - dungskunde. 2 Bde. 3te Aufl. Nuͤrnb. 1812. und deſſen
  • b) Handbuch zur Erkenntniß und Heilung der Frauenzim - merkrankheiten. Frankf. a. M. 1811. 2 Bde. (Ebenfalls eine ausfuͤhrliche Phyſiologie und Pſy - chologie des weibl. Geſchlechts enthaltend.)

Ueberſichten der Frauenkrankheiten allein geben:

  • J. Aſtruc theoret. prakt. Abhandlung von den Frauen - zimmerkrankheiten. A. d. Franz. von Otto. Dresden 1768. 6 Bde. (eigentlich gehoͤrt auch hierzu noch eine obwohl ſehr kurze Anleitung zur Geburtshuͤlfe unter dem Titel: L’art des accouchemens reduit à ses principes. Paris 1766.
  • Chambon de Montaux medicin. prakt. Abhandlungen von den Krankheiten verheiratheter und unverheiratheter Frauenzimmer. A. d. Franz. v. Spohr. Nuͤrnb. 1787. 8. u. deſſelben Arzt f. Schwangere. A. d. Franz. 1792.
  • Chr. Ludw. Murſinna Abhandlung von den Krank - heiten der Schwangern, Gebaͤrenden, Woͤchnerinnen und Saͤuglinge.
  • Alex. Hamilton’s Unterricht in der Behandlung der Frauenzimmer und neugeborener Kinderkrankheiten.
  • 88
  • Joh. Ant. Schmidtmiller Handbuch d. mediciniſchen Geburtshuͤlfe (1. Th. die Krankheiten der Schwangern und Gebaͤrenden, 2. Th. die der Woͤchnerinnen und neu - geborenen Kinder enthaltend.)
  • L. J. C. Mende die Krankheiten des Weibes noſologiſch und therapeutiſch bearbeitet. Leipz. 1810. 2 Thle.

Kuͤrzer und unvollſtaͤndiger als die vorhergehenden ſind:

  • Joſ. A. Millmeyer der Arzt f. Frauenzimmer. Lpz. 1800.
  • Mellin der Frauenzimmerarzt. Kempten. 1807.

Mehr mit Hinſicht auf Hygiaſtik und zum Theil mehr populaͤr bearbeitet ſind folgende:

  • Ad. Nolde Gallerien der aͤltern und neuern Geſundheits - lehrer fuͤr das ſchoͤne Geſchlecht. Roſtock 1794.
  • G. Fr. Hoffmann d. j. wie koͤnnen Frauenzimmer frohe Muͤtter geſunder Kinder werden, und ſelbſt dabey ge - ſund und ſchoͤn bleiben. 3 Bde. Frankf. 1791.

Zum Theil gehoͤren auch hierher die fruͤher (§. 76.) an - gefuͤhrten Schriften von Rouſſel, Moreau, Klees u. ſ. w.

Uebrigens werden auch in mehrern Lehrbuͤchern der Ge - burtshuͤlfe wenigſtens die Krankheiten der Schwangern, der Woͤchnerinnen und Neugeborenen mit abgehandelt. Dahin gehoͤren:

  • Theoretiſch-praktiſche Abhandlung uͤber die Geburtshuͤlfe und Krankheiten der Schwangern, Kindbetterinnen und neugeborenen Kinder. A. d. Franz. mit Anmerk. von J. Chr. Stark. 2 Theile. Erfurt 1800.
  • J. J. Plenk Anfangsgruͤnde der Geburtshuͤlfe. 5te Aufl. Wien 1792.
  • Lud. Fr. v. Froriep theoret. prakt. Handbuch d. Ge - burtshuͤlfe. 6te Aufl. Weimar 1818.

(Die Krankheiten d. Woͤchnerinnen u. Kinder mitumfaſſend.)

Was nun uͤbrigens die wichtigern Lehrbuͤcher der Ent - bindungskunde ſelbſt, ſo wie die beſondern Schriften uͤber Kinderkrankheiten u. ſ. w. betrifft, ſo werden dieſe ſpaͤterhin im zweyten Theile der ſpeciellen Gynaͤkologie nahmhaft ge - macht werden.

[89]

II. Specielle Gynaͤkologie.

Erſter Theil. Vom Leben des Weibes an und fuͤr ſich, im geſunden und kranken Zuſtande.

Erſter phyſiologiſch-diaͤtetiſcher Abſchnitt.

I. Von der normalen Entwicklung, Reife und Ertoͤdtung des Geſchlechtscharakters.
§. 118.

Indem wir bereits fruͤher theils von der Entwicklung der Geſchlechtstheile (§. 25. u. f.), theils von den einzelnen Le - bensperioden des weiblichen Geſchlechts im Allgemeinen (§. 66. u. f.) gehandelt haben, bleibt uns fuͤr dieſen ſpeciellen phy - ſiologiſchen Theil hauptſaͤchlich noch die genauere Beachtung der dem Weibe im nicht ſchwangern Zuſtande charakteriſtiſchen Funktion der Menſtruation (Menstruatio, Fluxus mensium, Catamenia), ihrer Evolution, Dauer und Re - volution, ihren Quellen, ihrer Qualitaͤt und Quantitaͤt nach uͤbrig; Gegenſtaͤnde, welche allerdings um ſo genauere Erwaͤ - gung fordern, da wir gerade in Hinſicht dieſer Function auf die mannigfaltigſten krankhaften Zuſtaͤnde ſtoßen werden, de - ren rechte Anſicht doch allein aus der moͤglichſt vollkommnen Kenntniß des Geſunden ſich ergeben kann.

90
§. 119.

Eintritt der Menſtruation. Bedingt von der im Weibe uͤberwiegenden reproduktiven Thaͤtigkeit, welche in wiefern ſie eben das Geſchlecht charakteriſirt, auch bey ſich minderndem und aufhoͤrendem individuellem Wachsthum namentlich durch die Organe fuͤr Fortbildung der Gattung, d. i. durch die Geſchlechtsorgane ſich anzeigen und entladen muß, erſcheint die Menſtruation, gleichſam als kritiſcher Blutfluß, wodurch eine vorausgegangene Congeſtion nach den Genitalien ſich entſcheidet. Ihr Eintritt wird daher von mehreren Symptomen theils verkuͤndet, theils begleitet, welche wir als Vorboten, als Beſtrebungen zur Men - ſtruation (Molimina ad Menstruationem) bezeichnen. Wir unterſcheiden bey dieſen Zufaͤllen theils allgemeine, theils lo - kale Zuſtaͤnde: Zu den erſtern gehoͤren diejenigen Wahr - nehmungen, welche auf Ueberfluß der Saͤftemaſſe hindeuten; d. i. Schwere der Glieder, Roͤthe der Hant, Neigung zu Congeſtionen nach verſchiedenen einzelnen Organen, aus de - nen ſich manche ſchmerzhafte Empfindungen erklaͤren laſſen; z. B. der dumpfe oft klopfende Kopfſchmerz, Zahnſchmerzen, Bruſtbeſchwerden, und insbeſondere die hier faſt nie fehlen - den Kreuzſchmerzen, welche von Anhaͤufung des Blutes in den venoͤſen Geflechten, ſo das Ende des Ruͤckenmarks um - geben, und in der Naͤhe der Beckennerven gefunden werden, ganz wie bey Haͤmorrhoidalbeſchwerden, abzuleiten ſind. Fer - ner gehoͤren hierher das freywillige Entſtehen von roſenartigen oder auch Geſchwuͤre (vorzuͤglich Paronychia) veranlaßenden, in den Jahren der ſich entwickelnden Pubertaͤt ſo haͤufig vor - kommenden Entzuͤndungen; die mannigfaltigen Verſtimmun - gen des Gemuͤths, Ohnmachten, Schlafſucht u. ſ. w. ; Zu - faͤlle, welche oft, wenn ſie in hoͤherem Grade erſcheinen, das Eingreifen aͤrztlicher Kunſt noͤthig machen.

§. 120.

Die oͤrtlichen Vorboten und Begleiter der Menſtruation betreffend, ſo haͤngen ſie nun insbeſondre von der Reitzung der Gefaͤße und Nerven des Fruchthaͤlters ſelbſt, ſo wie91 der ihm zunaͤchſt liegenden Organe ab, und ſind namentlich merkwuͤrdig, in wiefern wir die meiſten derſelben bey an - gehender Schwangerſchaft wieder finden. Am Uterus naͤm - lich bemerken wir zu dieſer Zeit ein Aufſchwellen ſeiner Wandungen, und insbeſondre der Vaginalportion, tie - feres Herabſinken deſſelben ins Becken, Umaͤnderung der Querſpalte des Muttermundes in eine rundliche Oeffnung. Die Empfindungen, welche dieſe Formaͤnderung begleiten, ſind Druck und Spannung im Becken, erhoͤhter Begattungs - trieb, Draͤngen auf den Urin mit oft veraͤnderter Qualitaͤt deſſelben, Turgeszenz und erhoͤhte Waͤrme in den aͤußern Genitalien und der Vagina, verbunden mit vermehrter Schleimabſonderung in letzterer. Zugleich nehmen die Bruͤſte auch an dieſer Erregung des Uterus Antheil, ſchwellen an, erregen Stechen, ja kommen wohl, namentlich bey etwas verzoͤgertem Eintritt des Monatsflußes, zur wirklichen Milch - abſonderung.

§. 121.

Das Lebensalter nun, wo unter ſolchen Zeichen die Regeln wirklich erſcheinen, zeigt in verſchiedenen Laͤndern und Climaten, nach verſchiedener Lebensweiſe und Conſtitution, die groͤßte Verſchiedenheit. Fuͤr unſer Clima duͤrfte als mitt - lere Zeit wohl ziemlich das funfzehnte Jahr als Norm gelten. Bey mehr verfeinerter luxurioͤſer Erziehung, zeitiger Anregung des Geſchlechtstriebes, und ſitzendem Stubenleben ſtellt ſich indeß haͤufig auch bereits im zwoͤlften oder dreizehnten Jahre die Menſtruation ein, fuͤhrt aber hier, ſo wie da, wo ſie von ſehr heißem Clima beguͤnſtigt iſt, oder auch durch ſehr kaltes Clima*)Bey den Tartaren, Tonguſen und Oſtiaken, wie bey Negern und Chineſen werden die Maͤdchen ſehr zeitig mannbar. S. Henke uͤb. d. Entwicklungen d. menſchl. Organismus. S. 131. (wegen fruͤher gehemmter Koͤrperentwicklung) hervor - gerufen, bereits im achten oder zehnten Jahre erſcheint, fruͤh - zeitigeres Altern herbey. Der noch zeitigere Eintritt der Re - geln kann nur als krankhaft angeſehen, und als ſolcher be - handelt werden.

92
§. 122.

Dauer und Wiederkehr der Menſtruation. Nachdem die Menſtruation wirklich erſchienen, pflegt ſie ins - gemein 4 bis 6 Tage anzuhalten, und zwar ſo, daß das Blut ſelbſt zuerſt in etwas mehr ſeroͤſer Beſchaffenheit erſcheint, und gegen das Ende meiſtens*)H. Oſiander ſah es allerdings auch am letzten Tage noch dun - kel ausfließen, doch waren die Geſchlechtstheile krankhaft. S. deſ - ſen Annalen der Entbindungslehranſtalt. Thl. I. S. 176. abermals ſich ver - duͤnnend, aufhoͤrt. Der Koͤrper, welcher waͤhrend dieſer Zeit doch insgemein etwas angegriffen iſt, und dieſes durch ver - aͤnderte Hautfarbe, blauliche Ringe um die Augen, ver - minderten Appetit, veraͤnderten Geruch der Hautausduͤn - ſtung zu erkennen giebt, fuͤhlt ſich nach Statt gehabter Men - ſtruation erleichtert, befreit, die unangenehme Spannung iſt gehoben, und ebendeßhalb der Uterus ſelbſt zur Empfaͤngniß jetzt mehr als vor der Menſtruation geeignet. Allein nach Verlauf einiger Wochen erſcheint die Anhaͤufung plaſtiſcher Stoffe wieder, nach und nach kehren mehrere der obenge - nannten Vorboten zuruͤck, obwohl, der Regel nach, die naͤch - ſten Male in weit geringerer Heftigkeit als das Erſtemal, und die Menſtruation ergießt ſich von neuem, und zwar der Regel nach je nach Ablauf von 4 Wochen, vom Ein - tritte der vorhergehenden Periode an gerechnet.

§. 123.

Dieſe Periodicitaͤt nun, welche einer ſolchen Ausſon - derung den Namen des Monathsflußes erworben hat, iſt ih - ren Urſachen nach, auf verſchiedene Weiſe eroͤrtert worden. Wollen wir eine ganz einfache und auch wohl zureichende Anſicht hieruͤber faſſen, ſo waͤre es vielleicht folgende: Jeder organiſirte Koͤrper auf Erden naͤmlich, muß in gewiſ - ſer Hinſicht gedacht werden als Glied des Erdkoͤrpers, als ſeinem Leben nach bedingt durch das Leben der Erde. Je hoͤher indeß die Organiſation ſteigt, um ſo mehr wird ſich die Abhaͤngigkeit individuellen Lebens vom irdiſchen Leben93 mindern, ja ſelbſt in einem und demſelben Organismus muͤſſen edlere Organe freier, vom irdiſchen Leben unabhaͤngi - ger ſeyn als die niedern. Die Veraͤnderungen im irdiſchen Leben ſelbſt ſind aber regelmaͤßig periodiſch, ja durch ihre Regelmaͤßigkeit zum Grunde unſerer Zeiteintheilung geworden. Dieſen Perioden nun folgt unter den Organismen am ſicht - barſten das Leben der Pflanze, vorzuͤglich ihrer Fortpflan - zung nach, im Thiere aber regt ſich gleichfalls das Repro - duktive zumeiſt nach jenem vom Leben der Erde entlehnten Typus, und inſonderheit gilt dieß auch hier zumal von dem Geſchlechtlichen, welches ſchon, in wiefern es auf das Ganze, auf die Erhaltung der Gattung gerichtet, und der individuel - len Reproduktion entgegengeſetzt iſt, mehr dem allgemeinen Leben der Erde verwandt erſcheint.

§. 124.

Wie daher die Pflanze zu gewiſſen Zeiten bluͤht und Fruͤchte traͤgt, ſo geraͤth das Thier zu gewiſſen regelmaͤßig wiederkehrenden Zeiten in Brunſt, und erzeugt Junge. Auch der Menſch iſt dieſen Einfluͤßen nur zum Theil entzo - gen, und ſo kehrt namentlich beym Weibe die die Erzeugung bedingende Congeſtion nach dem Geſchlechtsſyſtem regelmaͤßig, obwohl ſich durch eine freiwillige Ergießung wieder hebend, zuruͤck. Warum indeß gerade in 4 Wochen die Ruͤckkehr dieſer Congeſtion und dieſes Blutflußes erfolgt bleibt noch die Frage, und, ſo oft das Gegentheil behauptet worden iſt, glauben wir doch hier das Einwirken der durch den Mon - deswechſel im Leben der Erde erzeugten Veraͤnderungen (welche ſich vorzuͤglich durch Wechſel der Witterung und Erſcheinung von Ebbe und Fluth des Meeres ausſprechen) anerkennen zu muͤſſen, um ſo mehr, da der Einfluß des Mondes auf aͤhn - liche auch im maͤnnlichen Geſchlechte vorkommende Ausſchei - dungen, z. B. des Haͤmorrhoidalflußes, unlaͤugbar iſt. Ein - wuͤrfe dagegen, z. B. daß der Monathsfluß nicht durchaus zu einer Zeit bey dem weiblichen Geſchlecht eintrete (ob - wohl er allerdings bey den meiſten im Neumond erfolgt), und daß er bey manchen Individuen ſtatt vierwoͤchentlich, ſtets drei - oder ſechswoͤchentlich wiederkehre, ſind leicht zu be -94 ſeitigen, indem man bedenkt, daß, was das erſtere betrifft, die Menſtruation ja nicht ihrem erſten Eintritt nach (welcher von eigener Koͤrperentwicklung abhaͤngt), ſondern mehr ihrer Wiederkehr nach durch den Mondeswechſel beſtimmt wird*)Ich beobachtete daher, daß, bey recht geſundem Koͤrper, wo die Menſtruation waͤhrend des Stillens ganz wegbleibt, dieſelbe genau vier Wochen nach der ganz willkuͤhrlich beendigten Stillungsperiode, und ebendaher wohl bey anderem Mondesſtande als fruͤherhin wie - derkehrte.. Das zweite aber betrifft offenbar Ausnahmen von der Regel, und dieſe werden durch die weniger naturtreue, ja ſo oft naturwidrige Lebensweiſe vieler Individuen hinlaͤnglich er - klaͤrt. Daß uͤbrigens der Mondesſtand auf weibliche Ge - ſchlechtsfunktion wirkt, ſcheinen die zum groͤßern Theil auch von mir als bewaͤhrt erkannten Bemerkungen Oſiander’s**)S. deſſen Annalen der Entbindungslehranſtalt zu Goͤttingen. 2. Bd. zu beſtaͤtigen, nach welcher im Neumonde erzeugte Kinder mehr maͤnnlichen, die im Vollmonde erzeugten mehr weibli - chen Geſchlechts werden. Wie aber ſelbſt im Menſchenge - ſchlecht nicht nur Mondes - ſondern auch Sonnenſtand auf die Fortpflanzungsthaͤtigkeit einwirke, beweiſen die den Fruͤh - lingsmonathen, der Empfaͤngnißzeit nach, entſprechenden, an Geburten ſo reichen Monathe December, Januar und Februar. Sollte etwa vom Monde mehr die weibliche, von dem von Neuem ſtaͤrker einwirkenden Sonnenlicht mehr die maͤnnliche Zeugungskraft in Anſpruch genommen werden?

§. 125.

Noch iſt endlich die Qualitaͤt und Quantitaͤt des ausfließenden Blutes ſowohl, als die Art und Stelle der Gefaͤße, welche es ergießen, etwas genauer zu er - waͤgen. Fruͤher hielt man naͤmlich dieſes ausfließende Blut fuͤr unrein, fuͤr entmiſcht, und von der Art, daß ſelbſt die Naͤhe der in der Menſtruation begriffenen Perſonen einen nachtheiligen Einfluß auf Vegetations - und Gaͤhrungsprozeſſe aͤußern koͤnne, allein beſtimmte Beobachtungen hieruͤber ſind ſo wenig anzufuͤhren, daß wir dieſe Meynung als ein Vor -95 urtheil betrachten, deſſen Entſtehung nur aus der Voraus - ſetzung erklaͤrlich wird, zu Folge welcher, daß der Koͤrper durch dieſen Blutfluß (daher Reinigung*)Es beruhen auf dieſem Begriffe die Sitten der Neger und anderer Voͤlker, die Weiber in dieſem Zeitraume abzuſondern und als un - rein zu betrachten. S. Moreau’s Naturgeſch. d. Weiber von Leune. 2. Th. S. 150. genannt) ſich von ſchaͤdlichen Stoffen befreie, angenommen wurde. Im Gegentheil finden wir aber an dieſem Monathsblute, welches durch ſeine dunkle Farbe dem Venenblute, und durch ſein Nichtgerinnen**)Nach Lavagna (ſ. Meckels Archiv f. Phyſ. IV. 1. S. 151.) haͤngt dieſes Nichtgerinnen vom Mangel des Faſerſtoffs ab. dem Foͤtusblute gleicht, weder beſondern Ge - ruch noch ſonſtige ungewoͤhnliche Beſchaffenheit, und wenn es zuweilen doch etwas dieſer Art zeigt, ſo iſt dieß mehr auf Rechnung des Aufenthalts deſſelben in der Vagina, der veraͤnderten Druͤſenabſonderung an den aͤußern Geſchlechts - theilen und Unreiulichkeit zu ſetzen. Die Quantitaͤt des in jedem Termin abgehenden Blutes iſt ſchwer genau zu be - ſtimmen und auch aͤußerſt verſchieden, jedoch kann man ſie im Durchſchnitt wohl auf zwei bis ſechs Unzen rechnen.

§. 126.

Was die eigentliche Quelle des Monathsblutes anbelangt, ſo iſt, theils ob daſſelbe aus den Arterien oder Venen hervor - komme, theils ob es aus der Hoͤhle des Fruchthaͤlters oder dem Kanale des Mutterhalſes ausgeſchieden werde, zweifelhaft. Was das erſtere betrifft, ſo kann die Struktur des Uterus ſchon auf den Gedanken leiten, daß wohl nur die Venen es ſeyn moͤchten, welche dieſes Blut ergießen. Das ausnehmende Uebergewicht dieſer Venen uͤber die Arterien, die beſondere Erweiterung derſelben zur Zeit der Schwangerſchaft***)Merkwuͤrdig iſt es, daß man in einigen ſeltnen Faͤllen die Menſtrua - tion, welche doch gewoͤhnlich zur Zeit der Schwangerſchaft ceſſirt, gerade nur waͤhrend derſelben fließen ſah (ſ. Stein’s Annalen der Geburtshuͤlfe. III. S. 156.), welches zu beweiſen ſcheint, daß eben die in der Schwangerſchaft ſich ſtets erweiternden Uterin venen hier auch den Grund der Menſtruation abgeben., das was ſich96 uͤber die Quellen des Blutergußes nach Abtrennung der Pla - centa im Wochenbett ſpaͤter ergeben wird, wo naͤmlich deut - lichſt die geoͤffneten Venenzellen, welche das Blut ergießen, nachzuweiſen ſind, geben dieſer Meynung noch groͤßern Halt. Nehmen wir aber ferner hinzu, wie groß die Aehnlichkeit des Menſtrualflußes mit dem doch offenbar von den Venen abzuleitenden Haͤmorrhoidalfluße iſt, die Aehnlichkeit des Men - ſtrualblutes mit dem Venenblute (ſ. §. 125.), ſo gewinnt dieſe Anſicht immer mehr Gewißheit, und es kann wenig dawider beweiſen, wenn die normale Art der Blutbewegung in Venen entgegengeſetzt wird, da auch bey dieſer, wenn die Venen ſich betraͤchtlich erweitern, eine Ausſchwitzung*)Daß das Ausfließen des Monathsblutes nur ein Ausſchwitzen aus kleinen Muͤndungen ſey, beweiſet der von Oſiander beobachtete Fall einer Menſtruation an einem prolabirten Uterus (ſ. Annalen d. Entbindungslehranſtalt zu Goͤttingen. 1. Bd. S. 175.). durch Seitenoͤffnungen Statt finden koͤnnte, deren Daſeyn uͤberhaupt um ſo weniger gelaͤugnet werden darf, je ſicherer neuere (namentlich die von Prof. Meyer angeſtellten) Verſuche die Einſaugung durch die Venen erweiſen. Ob uͤbrigens der obere Raum des Fruchthaͤlters oder der Kanal des Mutter - halſes die Menſtruation ergieße, iſt wohl nicht ſo leicht mit Gewißheit zu entſcheiden, denn obgleich der Struktur nach man annehmen darf, daß wohl die Waͤnde der Hoͤhle hierzu am meiſten geeignet ſeyn moͤchten, ſo bemerkte doch H. Oſian - der**)A. a. O. deutlich das Ausſchwitzen von Blut aus Gefaͤßen des Mutterhalſes (wodurch zugleich die zuweilen vor - kommende Menſtruation zur Zeit der Schwangerſchaft erklaͤr - lich wird). Am wahrſcheinlichſten ergießen es im geſunden Zuſtande beyde Gegenden zugleich.

§. 127.

Wie nun die Menſtruation als eigenthuͤmliches Produkt allgemeiner Koͤrperentwicklung in dem angegebenen Zeitraume (§. 121.) erſcheint, ſo auch verliert ſie ſich bey erloͤſchender weiblicher Eigenthuͤmlichkeit in den allgemeinen Verhaͤltniſſen97 der organiſchen Funktionen, und erſcheint ſonach uͤberhaupt (was fuͤr die Behandlung der abnormen Menſtruation von groͤßter Wichtigkeit iſt) als aͤußeres Zeichen des ge - meinſamen Zuſtandes in der Bildungsthaͤtigkeit des Organismus. das Lebensalter betreffend, wo dieſes Verſchwinden der Menſtruation und mit ihm das Er - loͤſchen der Zeugungsfaͤhigkeit Statt hat, ſo iſt daſſelbe, dem verſchiedenen Eintritte derſelben gemaͤß, auch in unſerm Clima mannigfachen Abaͤnderungen unterworfen, woruͤber na - mentlich von Haller in den Elementen der Phyſiologie viele Beyſpiele geſammelt worden ſind. Als gemeinguͤltigſte Norm darf man bey uns das 45ſte Jahr betrachten, obwohl auch Abweichungen vom 43ſten bis 48ſten Jahr haͤufig vor - kommen, ja Beyſpiele, wo Weiber noch in den funfziger Jahren concipirt haben, nicht allzuſelten ſind*)Oeffentliche Blaͤtter erzaͤhlten noch neuerlich den Fall, wo eine Frau in Frankreich ihr letztes Kind im 69ſten Jahre gebahr.. Uebrigens verſchwindet gewoͤhnlich die Menſtruation nicht ploͤtzlich, ſon - dern wird allmaͤhlig ſchwaͤcher, und es empfinder der Koͤrper bey dieſer Revolution in der Regel eine Reihe ungewoͤhnlicher Zuſtaͤnde, welche den allgemeinen Vorboten der Menſtruation (§. 119.) oft nicht unaͤhnlich ſind, und ſich leicht erklaͤren, wenn man bedenkt, daß bey beginnender Decrepiditaͤt an - faͤnglich doch immer die thaͤtigere Reproduktion fort wirke, obwohl nicht mehr mit hinreichender Kraft, um das Erſchei - nen ihres aͤußern Zeichens (d. i. der Blutergießung) zu be - wirken, daß daher eine gewiſſe Ueberfuͤllung der Gefaͤße nicht mangeln koͤnne, und ebendadurch Congeſtionen nach Kopf und Bruſt, Stockungen im Pfortaderſyſtem, Haͤmorrhoidalcongeſtio - nen oder Ergießungen, gichtiſche Beſchwerden u. ſ. w. haͤufig ent - ſtehen muͤſſen. Ja als einer beſonders merkwuͤrdigen Erſcheinung iſt hier noch der zuweilen ſogar im hohen Alter wieder erwachen - den Congeſtion nach den Genitalien, und der wiederkehrenden Menſtruation zu gedenken, Faͤlle, welche dem Zahnen im hohen Alter vergleichbar ſind, die Aehnlichkeit, welche in ſo mancher Hinſicht zwiſchen Decrepiditaͤt und Kindheit Statt findet (§. 75.) erhoͤhen, allein gewoͤhnlich fuͤr den Organis -I. Theil. 798mus eben ſo ſehr zum Nachtheil gereichen, als das zu fruͤhe Eintreten der Menſtruation in der Kindheit.

II. Von den Regeln der Diaͤtetik waͤhrend der drei weiblichen lebensperioden insbeſondre.
§. 128.

Je vielfacher die Ruͤckſichten ſind, welche bey Beſtim - mung diaͤtetiſcher Pflege fuͤr Schwangere, Gebaͤrende, Woͤch - nerinnen und Stillende genommen werden muͤſſen, um ſo weniger bleibt uns hier, wo wir das Weib außer dieſen Zu - ſtaͤnden betrachten, den oben (§. 111.) aufgeſtellten allge - meinen diaͤtetiſchen Regeln hinzuzuſetzen uͤbrig, und es koͤn - nen ſich dieſe Zuſaͤtze allein auf die Leitung weiblicher Ent - wicklung, der Menſtrualfunktion und des Geſchlechtsverhaͤlt - niſſes beziehen.

§. 129.

Die individuelle Entwicklung betreffend, ſo bedenke man vorzuͤglich, wie der weibliche Koͤrper, als zaͤrtere und doch uͤppigere Pflanze, raſcher der Zeit ſeiner Bluͤthe entgegengeht, und wie ſchon aus dieſer Ruͤckſicht jede Lebensweiſe, welche, indem ſie den Koͤrper vielartigen Reitzungen ausſetzt, das Reifen folglich noch mehr beſchleunigt, verderbliche Folgen herbeyfuͤhren muͤſſe. Iſt daher irgend etwas ein großes Pal - ladium ſchoͤner und naturgemaͤßer weiblicher Entfaltung, ſo iſt es Sittenreinheit. Hierauf zunaͤchſt ſey daher die Sorgfalt der Erzieher gerichtet! Vermieden werde (und zwar, bey der Neugier junger Maͤdchen nach den Geheimniſſen des Geſchlechts, doppelt vorſichtig), was pſychiſch einwirkend die Phantaſie befleckt, was phyſiſch Congeſtionen nach den Ge - faͤßen der Geſchlechtsorgane veranlaßt, als wohin erhitzende Getraͤnke, ſtark gewuͤrzte Speiſen, Schlafen in dicken Feder - betten und warmen Stuben, ſo wie ſitzende Lebensweiſe ge - hoͤren. Der Geſchlechtsgenuß ſelbſt vor erſchienener Men - ſtruation iſt verderblich. Ueberhaupt aber wird durch ſorg - ſame Leitung in dieſer ganzen erſten Lebensperiode das Er - ſchließen reiner und edler Jungfraͤnlichkeit, und aus ihr die Folge99 wahrer und geſunder Weiblichkeit, bey urſpruͤnglich kraͤftiger Natur, eben ſo gewiß ſich ergeben, als die Vernachlaͤßigung dieſer Periode den Grund zu den vielfachſten Krankheiten phyſiſcher und pſychiſcher Lebensaͤußerungen, ja oft ein durch - aus widernatuͤrlich gewordenes zerſtoͤrtes Leben herbeyfuͤhrt*)Man leſe hieruͤber den intereſſanten Aufſatz von Schlegel uͤber die phyſiſche Erziehung des Menſchen in Stark’s neuem Archiv. I. Bd. S. 516..

§. 130.

Die Zeit des Eintritts der Menſtruation ſelbſt, fordert noch beſtimmter: Auswahl leichter nicht reitzender Nahrungs - mittel und Getraͤnke, Vermeidung erhitzender Bewegungen, z. B. des Tanzens, Verhuͤtung von Erkaͤltungen, namentlich der untern Extremitaͤten, des Unterleibes und der Bruͤſie, von beengenden Kleidungen, Schnuͤrbruͤſten u. ſ. w. So wie endlich bey ſtarkgenaͤhrten Koͤrpern, wo Congeſtionen, Schwindel und andere Vorboten der Menſtruation fuͤhlbarer werden, die Wahl einer beſchraͤnkten, mehr vegetabiliſchen Diaͤt, verduͤnnender ſaͤuerlicher Getraͤnke, und vorzuͤglich der Gebrauch allgemeiner lauer Baͤder empfohlen zu werden ver - dienen. Die erſterwaͤhnten Vorſichten muͤſſen dann ins - beſondre zur Zeit des Menſtrualflußes ſelbſt fortgeſetzt, und alle Einfluͤße vermieden werden, welche dem Koͤrper in einer neuen und ungewohnten Funktion irgend ſtoͤrend werden koͤnnen. Fragt man uͤbrigens, welcher Zeitraum nach ſomit erreichter Pubertaͤt der Geſchlechtsverbindung und dem neu ſich eroͤffnenden Cyclus von Schwangerſchaft, Geburt und Wochenbett am angemeſſenſten ſey, ſo darf man wohl annehmen, daß der Wille der Natur ſie nicht eher fordre, bis der Koͤrper auf das Vollkommenſte der Menſtrualfunction, als wodurch das Geſchlechtsſyſtem auf nachfolgende hoͤhere Thaͤ - tigkeit vorbereitet wird, gewohnt worden iſt; und die Erfahrung beſtaͤtigt es vollkommen, daß jene die geſuͤndeſten Frauen werden, welche zwei bis drei Jahre nach Eintritt der Pu - bertaͤt ſich verheirathen, und daß hingegen eine zu ſchnell nach jener Periode vollzogene Verbindung oft der Geſundheit100 eben ſo nachtheilig werde, als eine zu lang verſchobene oder widernatuͤrlich gaͤnzlich verſchmaͤhte oder verſagte.

§. 131.

Viel endlich liegt fuͤr die Geſundheit der Frau in der Wahl des Gatten ſelbſt. Die Natur fordert eine gewiſſe Gleichartigkeit (d. i. eine gleiche Entwicklung der Geſchlechts - individualitaͤt) unter zwei ſich verbindenden Gatten, und be - deutende Ungleichheit unter beyden kann ſelbſt durch Miß - verhaͤltniß der geſchlechtlichen Organiſation den Zweck der Verbindung ganz unerreicht laſſen*)S. einige Beyſpi[e]le dieſer Art in Stark’s neuem Archiv fuͤr Ge - burtshuͤlfe. Bd. I. S. 376 u. 387., weßhalb denn auch eine Berathung aͤrztlicher Perſonen bey Schließung ehelicher Verbindung wenigſtens als wuͤnſchenswerth anempfohlen wer - den muß. In dieſer Vereinigung ſelbſt wird fruͤher erhal - tene Sittenreinheit am ſicherſten die Myſterien des Geſchlechts gegen Entweihung ſchuͤtzen; denn obſchon der haͤufigere Ge - ſchlechtsgenuß dem weiblichen Koͤrper im Allgemeinen wohl minder als dem maͤnnlichen nachtheilig iſt, ſo entwuͤrdigt er doch im Uebermaaß den Zweck der Verbindung eben ſo ſehr, als er phyſiſch ſelbſt dem Vermoͤgen zu empfangen nachthei - lig und der Entſtehung organiſcher Krankheiten der Geburts - theile guͤnſtig iſt. Zur Zeit der Menſtruation**)Bekannt iſt, daß man in den Ausſchweifungen zwiſchen Europaͤern und Indianerinnen zur Zeit der Menſtruation ſelbſt die Quelle der Syphilis finden wollte. ſowohl als in der Zeit des Wochenbettes iſt der Geſchlechtsgenuß widernatuͤrlich und folglich ſchaͤdlich, zur Zeit der Schwan - gerſchaft und Stillung wenigſtens nicht naturgemaͤß.

§. 132.

Was die Zeit des aufhoͤrenden Monathsflußes, die ſo - genannten klimakteriſchen Jahre betrifft, ſo muͤſſen hier aͤhn - liche Vorſichtsmaaßregeln als bey der Evolution der Men - ſtruation (§. 130.) beobachtet, heftig reitzende Speiſen und Getraͤnke vermieden, namentlich aber haͤufige Aufregungen der Nerven der Geſchlechtsorgane verhuͤtet werden, damit101 dieſe ſo bedeutende Revolution weder unmittelbar Krankheiten anlaſſe (wohin namentlich Blutfluͤße, Schleimfluͤße, Indu - rationen u. ſ. w. gehoͤren), noch fuͤr die ſpaͤtern Lebensjahre eine ſchwankende Geſundheit nach ſich ziehe.

Zweiter pathologiſch therapeutiſcher Abſchnitt.

Erſte Abtheilung. Von den Krankheiten in der erſten Lebens - periode des weiblichen Koͤrpers.
§. 133.

Es iſt ſchon in der allgemeinen Pathologie des weib - lichen Koͤrpers bemerkt worden, warum gerade in dieſer er - ſten Lebensperiode nur wenige dieſem Geſchlecht eigenthuͤm - liche Krankheitszuſtaͤnde vorkommen koͤnnen (ſ. §. 81.), und indem wir nun zu einer naͤhern Betrachtung derſelben uns wenden, finden wir hier allein theils mehrere praktiſch wich - tige urſpruͤngliche Mißbildungen der weiblichen Genitalien*)Vorzuͤglich diejenigen, wodurch die eigentlich weiblichen Funktionen mehr oder minder geſtoͤrt werden, welche zuweilen auch aͤrztliche Huͤlfe zulaſſen, werden wir hierher ziehen, von den zwitterhaften Bildungen wird noch bey den Kinderkrankheiten die Rede ſeyn. aufzufuͤhren, theils die vorſchuelle Entwicklung des Geſchlechts - charakters zu beruͤckſichtigen.

I. Von den angeborenen Fehlern weiblicher Genitalien.
1. Von krankhaften Bildungen der aͤußern Geſchlechtstheile.
§. 134.

Die Bruͤſte, Organe, welche uͤbrigens bey lebens - faͤhigen weiblichen Individuen nie ganz fehlten, bieten ihrer102 Zahl, Form, und namentlich der Bildung ihrer Warzen nach, eine Menge theils weniger, theils mehr einflußreicher Abnor - mitaͤten dar. Man fand*)S. Otto Handbuch d. patholog. Anatomie. S. 238. drei, vier, ja fuͤnf Bruͤſte an einem Koͤrper, zwei Warzen an einer Bruſt, die uͤberzaͤhli - gen Bruͤſte ſaßen zuweilen am Ruͤcken, oder unter den Ar - men, die Form der Bruſt fand man zuweilen zitzenartig, die Bruſtwarzen mangelten mitunter gaͤnzlich oder ſie ent - wickelten ſich wohl auch nach der Geburt nicht vollkommen. Unterſucht man naͤmlich die Bildung der Bruſtwarzen beym neugeborenen Kinde, ſo findet man ſie platt und quergeſpal - ten, gleichſam einwaͤrtsgeſtuͤlpt (auf welche Form ſowohl als auf den ſich darin vorfindenden Milchſaft man die Meynung, daß ſie wohl Einſaugungsorgane des Foͤtus ſeyn koͤnnten, gegruͤndet hat). Nach und nach ſollen nun die Warzen waͤh - rend der erſten Lebensperiode ſich hervorheben und ausbil - den, allein theils durch feſt anliegende Kleider gehindert, theils in Folge unzulaͤnglicher Bildungskraft verharren ſie zu - weilen in dieſem fruͤhern Zuſtand und werden dadurch dem Stillungsgeſchaͤft ſpaͤter aͤußerſt hinderlich. Von allen hier erwaͤhnten Abnormitaͤten waͤre denn nur die letztere einer aͤrzt - lichen Abhuͤlfe faͤhig, und es wird daher theils prophylaktiſch uͤberhaupt auf die Vermeidung eines nachtheiligen Druckes der Bruͤſte in den Kinderjahren zu ſehen ſeyn, theils, wo eine ſolche unvollkommene Entwicklung in den der Pubertaͤt bereits ſich naͤhernden Jahren bemerkt wuͤrde, dieſelbe durch Tragen eines angemeſſenen Warzendeckels (von denen wir ſpaͤterhin die zweckmaͤßigſten Formen betrachten werden) un - terſtuͤtzt werden muͤſſen.

§. 135.

Die Schamlefzen betreffend, ſo bieten dieſe ziem - lich haͤufige, jedoch groͤßtentheils voͤllig unſchaͤdliche Abnormi - taͤten oder vielmehr Varietaͤten dar. So fehlen z. B. die Nymphen zuweilen bey neugeborenen Maͤdchen, zumal in aſiatiſchen Laͤndern, wo das Beſchneiden dieſer hier gewoͤhnlich103 ſehr großen Theile Sitte iſt*)S. daruͤber Oſianders Denkwuͤrdigkeiten fuͤr die Heilkunde und Ge - burtshuͤlfe. II. Bd. S. 66., gleichſo wie auch an maͤnn - lichen Kindern bey beſchnittenen Voͤlkern, der Mangel der Vorhaut zuweilen angeboren erſcheint. Hinwiederum findet ſich zuweilen der Umfang der Schamlippen beſonders groß, namentlich ſind die kleinern haͤufig verlaͤngert und umgaben in einem von Haller erwaͤhnten Falle ſogar den After. Nur Faͤlle der letztern Art waͤren es auch hier, welche durch aͤrztliche Kunſt beſeitigt werden koͤnnten, indem mittelſt einer leichten chirurgiſchen Operation die uͤberfluͤßigen, mancherley Unbequemlichkeiten veranlaſſenden Theile entfernt wuͤrden.

§. 136.

Die Klitoris ferner zeigt mehrere aͤhnliche Abnormi - taͤten, iſt bald zu groß**)Daß dieſer Theil ſehr ſelten betraͤchtlich vergroͤßert iſt, und die meiſten Faͤlle, wo man eine ſolche Vergroͤßerung beobachtet haben wollte, wohl verunſtalteten maͤnnlichen Individuen angehoͤrten, iſt neuerlich von H. Oſiauder (Handbuch d. Entbindungsk. 1r Thl. S. 145.) mit Recht bemerkt worden., bald zu klein, ſelten (welches als eine Annaͤherung an verſchiedene Thierbildungen, z. B. der Beutelthiere betrachtet werden darf) in zwei Spitzen auslaufend. Abhuͤlfe wird wieder nur bey zu betraͤchtlicher Entwicklung durch Abbindung oder Beſchneidung Statt fin - den, und auch dieſer Theil wird daher in mehreren ſuͤdlichen Laͤndern, wo er insgemein groͤßer als in noͤrdlichen wird, einer gewoͤhnlich im zehnten Jahre unternommenen Beſchnei - dung unterworfen.

§. 137.

Das Hymen. So wie es in einigen Faͤllen gaͤnzlich mangelte oder eine ungewoͤhnliche, bald voͤllig ringfoͤrmige Geſtalt, verdickte Subſtanz, oder mehr nach vorwaͤrts gerich - tete Lage zeigte, ſo verſchloß es auch zuweilen die Schei - denmuͤndung vollkommen (Atresia hymenaica) und hinderte dadurch ſpaͤterhin den Ausfluß des monathlichen Blutes ſo - wohl als die Conception. Im letztern Falle wird die Ein -104 ſchneidung der vorgeſpannten Membran, und das Einlegen eines in Eſſig getauchten Baͤuſchchens, um neue Verwachſung zu verhuͤten, unerlaͤßlich, ja ſelbſt bey betraͤchtlicher Ver - dickung ſah man ſich zuweilen, obwohl erſt im vorgeruͤckten Alter, um Conception, ja um die Geburt moͤglich zu ma - chen, zu einer aͤhnlichen Operation genoͤthigt*)Wie H. Oſiander in d. Denkwuͤrdigkeiten II. Bd. S. 70. nach Veſal erwaͤhnt, iſt es auch bey europaͤiſchen Muͤttern fruͤher ge - braͤuchlich geweſen, das Hymen immer abſichtlich als einen unnuͤtzen Theil zu zerſtoͤren (hierher gehoͤrt auch der Phallusdienſt der Alten)..

2. Von krankhaften Bildungen der innern Geſchlechtstheile.
§. 138.

Die Mutterſcheide, als Fortſatz des Fruchthaͤlters, nimmt gewoͤhnlich an den Abnormitaͤten des letztern ſehr be - ſtimmt Antheil. Bey unvollkommener Entwicklung des Ge - ſchlechtsſyſtems uͤberhaupt findet ſich daher auch die Mutter - ſcheide ausnehmend klein und eng, ohne ſich in den ſpaͤtern Jahren dieſer Lebensperiode normal zu entfalten, welches zum Grund bleibender Unfruchtbarkeit wird; oder ſie iſt fer - ner der Laͤnge nach, zuweilen auch nur am Eingange (und zwar beydes mitunter bey doppeltem Uterus) durch eine Scheidewand in zwei Gaͤnge getheilt, Verwachſungen, welche uͤbrigens dieſelbe Kur wie die Atreſie zulaſſen. Auch findet ſich in ſeltnen Faͤllen ein freylich unheilbares Zuſammenmuͤn - den des Scheidenkanals und Maſtdarms (bey der ſogenann - ten Kloakenbildung**)S. daruͤber J. F. Meckel’s Handbuch der patholog. Anatomie. I. Bd. S. 698..

§. 139.

Die Gebaͤrmutter ſah man in mehreren Faͤllen, ſelbſt bey vorhandenen aͤußern Genitalien gaͤnzlich mangeln, oder in den fruͤhern Lebensjahren ſich ſo wenig entwickeln, daß in den Jahren herannahender Pubertaͤt ſie noch in derſelben Groͤße wie beym neugeborenen Kinde gefunden wurde; Miß -105 bildungen, welche nothwendig Unfruchtbarkeit zur Folge ha - hen, und unheilbar ſeyn muͤſſen. Ferner findet man nicht ſelten den der Groͤße nach normal entwickelten Uterus, der Geſtalt nach ganz auf dieſelbe Weiſe gebildet, wie er ſonſt nur in fruͤhern Perioden des Foͤtuslebens oder in niedern Thieren getroffen wird (§. 27. u. 28.). Man findet daher ſowohl die Hoͤhle von oben herab durch eine Scheidewand getheilt (Uterus divisus)*)S. davon ein Beyſpiel in Eisenmann Tab. quat. uteri duplicis. 1752. Fol. Tab. I. Fig. 1. als den Uterus nach beyden Fallopiſchen Roͤhren hin gehoͤrnt (Uterus bicornis)**)S. Walter Betrachtungen uͤber d. Geburtstheile d. weibl. Geſchl. Fig. III. oder denſelben, zuweilen zugleich mit dem Scheidenkanale voll - kommen doppelt (Uterus duplex)***)S. Böhmer observation. anat. Fasc. II. T. VI. u. Eisenmann I. c. Tab. II. , Mißbildungen, welche uͤbrigens Empfaͤngniß, Schwangerſchaft und Geburt zwar kei - neswegs unmoͤglich machen, wie mehrere Faͤlle beweiſen, allein doch den regelmaͤßigen Verlauf dieſer Perioden mehr oder weniger ſtoͤren, ja ſogar in der Mehrzahl aͤhnlicher Faͤlle†)S. Meckel a. a. O. S. 683. den Tod der Schwangern, Gebaͤrenden oder Woͤch - nerinnen herbeyfuͤhrten. Außerdem bemerkte man zuweilen, als nicht minder unheilbare Mißbildung, Einmuͤnden der Ge - baͤrmutter in den Maſtdarm. Endlich kommen wohl auch fleiſchige Verwachſung††)Von der letztern Verbildung findet ſich ein merkwuͤrdiges Praͤparat in der Sammlung unſerer Akademie, wo uͤber die Urſpruͤnglichkeit der Verwachſung die Totalform des Uterus keinen Zweifel geſtattet, demohnerachtet aber Conception Statt gefunden hat, die Frucht jedoch in der Bauchhoͤhle ſich entwickelte, ſpaͤterhin abſtarb und als Lithopaedion nach dem erſt im hohen Alter erfolgten Tode dort gefunden wurde. oder haͤutige Verſchließungen des Muttermundes vor, welche gleichwie die Atresia hymenaica das Ausfließen der Menſtruation und die Conception hindern, und dann bey bloß haͤutiger Verſchließung durch Einfuͤhren und Durchſtoßen einer geknoͤpften Sonde gehoben werden koͤnnen.

106
§. 140.

Die Muttertrompeten mangeln nur bey gaͤnzlich fehlendem Uterus durchaus, haͤufiger fehlen ihnen die Franzen am Abdominalende. Zuweilen ſah man auch nur eine der - ſelben fehlen, oder beide am Abdominalende ſich vereinigen. Auch entſpringen ſie zuweilen auf ungewoͤhnliche Weiſe, z. B. eine aus dem Cervix uteri. Auch dieſe natuͤrlich nur bey der Section zu entdeckenden Abnormitaͤten koͤnnen Un - fruchtbarkeit veranlaſſen.

§. 141.

Die Eyerſtoͤcke endlich fehlen ebenfalls entweder gaͤnz - lich, ſelbſt bey vorhandenem Uterus, oder es betrifft dieſer Mangel nur die eine Seite. Mitunter entwickeln ſie ſich denn auch ſehr unvollkommen, bleiben klein, und veranlaſſen dann, eben ſo wie durch ihren gaͤnzlichen Mangel, Unfrucht - barkeit.

II. Von der krankhaft zu zeitig entwickelten Pubertaͤt.
§. 142.

So wie mehrere der bisher betrachteten Bildungsfehler des Uterus als unvollkommene Entwicklungen des Geſchlechts - ſyſtems anzuſehen waren, ſo finden wir dagegen in andern Faͤllen auch eine zu dem uͤbrigen Syſtem in Mißverhaͤltniß ſtehende beſchleunigte und oft dem geſammten Organismus verderblich werdende Ausbildung deſſelben. Eigentlich charakteriſtiſch iſt dieſem Zuſtande die fruͤher als gewoͤhnlich eintretende Men - ſtruation, welche ſich indeß haͤufig mit gleichzeitig bemerkba - rer Entwicklung der Geſchlechtsorgane, mit Anſchwellung der Bruͤſte, Vergroͤßerung der Schamlefzen und Mutterſcheide, ſo wie mit Entwicklung von Haar auf dem Schamberge ver - knuͤpft, ja wobey der Uterus ſelbſt weit fruͤher als gewoͤhn - lich conceptionsfaͤhig wird*)S. ein Beyſpiel dieſer Art von einer erſt im Alter verſtorbenen, jedoch ſchon im zweiten Jahre menſtruirten und als achtjaͤhriges. In wiefern nun aber die Ent -107 wicklung des Geſchlechtsſyſtems und Erſcheinung der Men - ſtruation, wie fruͤher gezeigt wurde, nur Produkt und Bluͤthe allgemeiner Organiſation ſeyn ſoll, ſo liegt am Tage, wie eine ſolche theilweiſe Entwicklung nothwendig entweder hem - mend in die allgemeine Entwicklung eingreifen, oder ſelbſt zerſtoͤrend auf den Koͤrper wirken koͤnne.

§. 143.

Das Lebensalter betreffend, in welchem die Erſcheinung einer krankhaft beſchleunigten Menſtruation, und der ihr ent - ſprechenden Ausbildung der Geſchlechtstheile beobachtet wurde, iſt ſehr verſchieden. Mitunter, obwohl ſelten, trat ſchon im erſten oder zweiten Lebensjahre*)So in dem oben erwaͤhnten und in dem von Lobſtein beſchriebenen Falle ſ. Lucina von Siebold. I. Bd. 1s St. S. 102. u. IV. Bd. 1s St. S. 163. ein regelmaͤßig wiederkeh - render Blutfluß aus den Geburtstheilen ein, und wenig ſpaͤ - ter erſchien dann die Entwicklung der Bruͤſte und Scham - haare. Haͤufig ſind die Faͤlle in den naͤchſtfolgenden Jahren. So ſah v. Siebold**)Lehrbuch der Frauenzimmerkrankheiten. Thl. 1. S. 171. dieſelbe im ſechſten, Andere ſahen ſie im ſiebenten, achten oder neunten Jahre erſcheinen.

§. 144.

Die Urſachen einer ſolchen zu fruͤhen Geſchlechtsent - wicklung koͤnnen entweder in urſpruͤnglicher Bildungsrichtung, oder in krankhaften Zuſtaͤnden anderer Syſteme und Organe, oder in der Lebensweiſe begruͤndet ſeyn. Was das erſtere betrifft, ſo erſcheint hier der Organismus uͤberhaupt auf ei - ner niedrigern Stufe, ohngefaͤhr vergleichbar den vielen Thier - gattungen, bey denen auch die Fortpflanzungsthaͤtigkeit weit zeitiger als im Menſchen ſich entwickelt, dieſer Zuſtand iſt dann mehr in der Anlage des Ganzen begruͤndet, er wird eben deßhalb weniger leicht dem Ganzen verderblich, und man kennt Beyſpiele, wo unter dieſen Umſtaͤnden Perſonen,*)Maͤdchen gemißbrauchten und geſchwaͤngerten Perſon, im Archiv Schweizeriſcher Aerzte. 1r Bd. 2s Hft.108 wenn auch nicht voͤllig die gewoͤhnliche Koͤrpergroͤße, doch ein betraͤchtliches Alter erreichten (eben ſo wie manche Thiere auch nach der entwickelten Geſchlechtsfunktion immer fortwach - ſen, z. B. die Fiſche). Die Erkenntniß dieſer Urſache ergiebt ſich theils aus der Abweſenheit der andern, z. B. der fehlerhaften Lebensweiſe, theils aus den weit geringern oder ganz fehlenden ſonſtigen Krankheitsſymptomen. Die zweite Urſache anbelangend, welche wir in andern die zu zeitige Pubertaͤtsentwicklung als ſecundaͤren Zuſtand herbeyfuͤhrenden Krankheiten vorfanden, ſo gehoͤren unter dieſelbe ganz vor - zuͤglich die Scrofelkrankheit und die in Folge von Entzuͤn - dung u. ſ. w. entſtandenen Verbildungen der Unterleibsorgane, als bey welchen in Folge von Stoͤrung der Blutbewegung im Pfortaderſyſtem Congeſtionen nach den Haͤmorrhoidal - oder Uteringefaͤßen ſo haͤufig bemerkt werden. Die Erkennt - niß dieſer Urſache geht hervor aus den Zeichen jener Krank - heiten. Kinder mit aufgetriebenem Leibe, aͤußerlich ange - ſchwollenen Druͤſen, bleicher Farbe, gedunſenem Geſicht, mit Neigung zu Verſtopfung, unnatuͤrlichem Appetit, mit Wuͤr - mern behaftet (deren Reitz auf den Darmkanal oft conſenſuell zu Erregung des Geſchlechtsſyſtems viel beytragen kann) ſind es vorzuͤglich, bey denen die unzeitige Pubertaͤtsentwicklung als ſecundaͤre Krankheit vorkommt. Als dritte Urſache endlich fuͤhrten wir die Lebensweiſe auf, und es ſind vorzuͤglich phy - ſiſch ein zu haͤufiger Genuß erhitzender, ſtark gewuͤrzter oder geiſtiger Speiſen und Getraͤnke bey ſitzendem Stubenleben, Schlafen in zu warmen Betten, ſo wie Reitzungen der Ge - ſchlechtsorgane durch Onanie, pſychiſch ein ſchluͤpfriger Umgang und zeitige Romaneulektuͤre. Beguͤnſtigt wird uͤbrigens die Einwirkung dieſer Urſachen durch eine reitzbare ſchwaͤchliche Conſtitution, und erkannt wird dieſelbe theils durch die Ab - weſenheit der unter den vorher eroͤrterten Urſachen aufgefuͤhr - ten Zeichen, theils durch Unterſuchung der aͤußern Lebensver - haͤltniſſe ſelbſt, bey Beruͤckſichtigung der disponirenden Con - ſtitution. Zu bemerken iſt indeß, daß ſehr wohl mehrere der bisher erwaͤhnten Urſachen zugleich einwirken koͤnnen und wirk - lich einwirken, z. B. ſcrofuloͤſe Conſtitution und zeitige ge - ſchlechtliche Ausſchweifungen.

109
§. 145.

Verlauf und Prognoſe iſt bey dieſen Krankheits - zuſtaͤnden eben nach den verſchiedenen urfaͤchlichen Verhaͤlt - niſſen verſchieden. Bey einer in Folge urſpruͤnglicher Bil - dungsrichtung fruͤher erſcheinenden Menſtruation, kann unter guͤnſtigen Umſtaͤnden, wie ſchon erwaͤhnt, die Geſundheit wohl eben ſo ungeſtoͤrt bleiben, als bey Nationen, denen dieſe fruͤhe Pubertaͤtsentwicklung natuͤrlich iſt; oͤfterer indeß wird wenig - ſtens Hemmung des voͤlligen Wachsthums, und ſchwaͤchliche Geſundheit die Folge deſſelben ſeyn, wobey denn die Prog - noſe um ſo guͤnſtiger geſtellt werden darf, je weniger zeitig die Menſtruation erſcheint, je ſchwaͤcher dieſelbe ſich zeigt, je kraͤftiger die urſpruͤngliche Koͤrperconſtitution iſt, und je mehr die aͤußern Lebensverhaͤltniſſe allgemeine koͤrperliche Geſundheit beguͤnſtigen. Weit nachtheiliger hingegen muß ein Blutfluß dieſer Art werden, durch die zweite der erwaͤhnten Urſachen erregt, theils weil ſchon jene Unterleibskrankheiten Gefahr drohen, theils weil ein oft wiederholter Blutfluß, fuͤr deſſen Erſcheinung die allgemeine Koͤrperbildung nicht ſattſame Noͤ - thigung enthaͤlt, die individuelle Reproduktion vollends unter - graben muß. Wirklich ſah man denn auch in Faͤllen dieſer Art die Kinder mit jeder wiederkehrenden Periode mehr ab - zehren und ermatten, ja endlich ſterben; und es wird die Prognoſe hierbey theils zwar wieder nach den oben erwaͤhnten Momenten, theils aber insbeſondre nach dem Grade der Hef - tigkeit oder Heilbarkeit der primaͤren Krankheit ſich richten. Am allerzerſtoͤrendſten jedoch wirkt namentlich die dritte Ur - ſache, indem hier recht eigentlich die Geſchlechtsfunktion, als die individueller Reproduktion entgegengeſetzte, gewaltſam her - vorgerufen wird, welches, verbunden mit einer oft ſchon an ſich ſchwaͤchlichen und reitzbaren Conſtitution, den Koͤrper in kurzer Zeit voͤllig zerruͤttet, ſo daß hierbey, nur wo das Le - bensalter etwas weiter vorgeruͤckt war, wo die Conſtitution urſpruͤnglich beſſer iſt, und die genaueſte Anordnung der Le - bensweiſe vom Arzte vorgeſchrieben und durchgeſetzt werden kann, auch der Krankheitszuſtand ſelbſt noch nicht allzulange angehalten hat, guͤnſtigere Hoffnungen gefaßt werden duͤrfen.

110
§. 146.

Ein Heilverfahren kann bey zu fruͤher Menſtruation nur wo ſie in Folge anderer Krankheitszuſtaͤnde oder durch fehlerhafte Lebensweiſe bedingt iſt, Statt finden, indem, wo ſie als Folge urſpruͤnglich veraͤnderter Bildungsrichtung er - ſcheint, ſich hoͤchſtens durch Auswahl leicht verdaulicher nahr - hafter Diaͤt, durch Landluft, Baͤder und noͤthigenfalls durch den Apparat ſtaͤrkender Arzneymittel, die allgemeine Repro - duktion unterſtuͤtzen, aber die eigentliche abnorm zeitig eintre - tende Pubertaͤtsentwicklung durch keine Art angewendeter Mit - tel ſich hemmen, oder die Organiſation ſich gaͤnzlich zuruͤck - bilden laͤßt.

§. 147.

Die Anordnung des Heilplans uͤbrigens fuͤr die beyden andern Faͤlle ergiebt ſich ſchon beynahe von ſelbſt. Zuerſt die ſcro - fuloͤſen Leiden, die mannigfaltigen Obſtruktionen u. ſ. w. an - gehend, ſo koͤnnen und muͤſſen ſie vorzuͤglich durch angeregte erhoͤhte Thaͤtigkeit des Darmkanals gehoben werden. Der laͤngere Zeit fortgeſetzte Gebrauch gelind abfuͤhrender Mittel, namentlich der Mittelſalze, des Rheum, des Tamarinden - Aufgußes, der ſeifenhaften Extracte, die Seife ſelbſt in Pil - lenform, auch wohl mit Antimonialpraͤparaten verbunden, wirkt hier ausgezeichnet, indem dieſe Methode bey vermehrter Secretion der innern Darmwaͤnde, ſehr viel zur Zertheilung angeſchwollener Druͤſen, und Herſtellung regelmaͤßiger Saͤfte - bewegung in den Unterleibsgefaͤßen beytragen wird, ja, wenn ſie durch Einreibungen des fluͤchtigen Liniments in den Unter - leib, ſorgfaͤltige Hautkultur, Gebrauch von Seifen - oder auch wohl von ſaliniſchen Baͤdern, durch freie Luft, hinlaͤngliche Bewegung, und eine geregelte leicht verdauliche Diaͤt unter - ſtuͤtzt wird, vorzuͤglich geeignet iſt, die voͤllige Geſundheit wieder herzuſtellen, und ſo auch das Symptom jenes Krank - heitszuſtandes, die zu fruͤh erſchienene Menſtruation zu beſeitigen; eben ſo wie wir auf aͤhnliche Behandlung andere, in Leiden einzelner Unterleibsorgane begruͤndete Blutergießungen der Un - terleibsgefaͤße (z. B. Haͤmorrhoidalfluͤße, Blutbrechen, Mor - bus niger) verſchwinden ſehen. Complicationen mit Wurm -111 beſchwerden machen uͤbrigens Anwendung anthelmintiſcher Mit - tel noͤthig, und uͤberhaupt koͤnnen die beſondern Modifikatio - nen dieſes Kurplans nur von der Individualitaͤt der Kranken beſtimmt werden.

§. 148.

Beſondere Bemerkung verdient es daher in dieſen Faͤl - len, daß man nicht etwa das Eintreten des Menſtrualflußes ſelbſt, d. i. hier das Symptom allgemeiner Krankheit zu hoch ſtelle, und in Abſicht der durch die Blutung erzeugten Schwaͤche durch ſogenannte ſtaͤrkende Mittel entgegen zu ar - beiten, den Zuſtand noch mehr verſchlimmere; gewiß es koͤnnte nicht leicht thoͤrichter verfahren werden, als in ſolchen und aͤhnlichen Faͤllen den Blutfluß unmittelbar, etwa durch kalte Umſchlaͤge und Baͤder, ſtaͤrkere Doſen fuͤr den Uterus kon - trahirend wirkender Mittel, z. B. der Zimmttinktur u. ſ. w. ploͤtzlich hemmen, und ſo dem Organismus dieſe oft fuͤr den Augenblick als Kriſis nothwendige Ausleerung entziehen zu wollen! [Und] was ſollen in aͤhnlicher krankhafter Span - nung der Unterleibsorgane die eigentlich toniſchen Mittel aus - richten? Muͤſſen ſie nicht durch ihre ſtimulirende Wirkung die Anſchwellungen der Lymphgefaͤße u. ſ. w. vermehren? Man gebe z. B. einem ſcrofuloͤſen Kinde eine Zeit lang bloße China, und man wird nicht nur keine Beſſerung, man wird wie bey einem vorſchnell unterdruͤckten Wechſelfieber Auftreibungen der Leber, der Milz, des Pankreas u. ſ. w. entſtehen ſehen. Nur fuͤr die Zuſtaͤnde daher, wo, nachdem durch die im vorigen Paragraph erwaͤhnte Methode jene Krankheiten des Lymph - und Pfortaderſyſtems beſeitigt ſind, der Unterleib frey und weich, die Zunge rein, die Auslee - rungen natuͤrlich geworden ſind, und demohnerachtet Schwaͤche und unvollkommene Verdauung andauern, paſſen die leich - tern bittern Extracte, und ſpaͤterhin ſelbſt die Abkochungen der China, verbunden mit dem Gebrauch mineraliſcher, na - mentlich eiſenhaltiger Baͤder, und der ſparſame Genuß eines guten weißen Weins.

112
§. 149.

Der Blutfluß ſelbſt fordert hier ſonach eigentlich nur waͤhrend der Periode ſeiner Erſcheinung beſondere Muͤckſicht; eines Theils naͤmlich wird es nothwendig, hier die Mittel, welche denſelben irgend verſtaͤrken, oder auch gaͤnz - lich und ploͤtzlich hemmen koͤnnten, z. B. die Abfuͤhrmittel, Baͤder, Friktionen u. ſ. w. auszuſetzen, andern Theils iſt aber auch dafuͤr Sorge zu tragen, ihn in moͤglichſt geringem Grade zu erhalten, weßhalb man in dieſer Periode beſondere Ruhe beobachten laͤßt, und die einfachſte Diaͤt, ſo wie den Ge - brauch kuͤhlender Getraͤnke anordnet. Sehr ſelten wird man uͤbrigens hier die Blutergießung ſelbſt zu copioͤs und in ſo - fern augenblicklich gefahrdrohend finden, indeß wuͤrden wir fuͤr einen ſolchen Fall vorzuͤglich den Gebrauch aromatiſcher Fomentationen (aus Hb. Serpilli, Absinthii, Melissae mit Wein vermiſcht) auf den Unterleib, Auftroͤpfeln von Naphtha auf die regio hypogastria, und innerlich die Phosphorſaͤure zu 8 bis 15[Tropfen] in ſchleimigem Getraͤnk empfehlen.

§. 150.

Was nun ferner die Behandlung unzeitiger Pubertaͤts - entwicklung in Folge gewaltſamer, mehr vom Nervenſyſtem ausgehender Erregung betrifft, ſo muß nothwendig fuͤr die Anordnung ſtrengerer Aufſicht, Verhuͤtung unpaßender Lectuͤre, ſchlechten Umganges, der Maſturbation, Verſagung aller er - hitzender Getraͤnke, des Weins, der Chocolade, des Kaffees und gruͤnen Thees, ſo wie ſtark gewuͤrzter Speiſen, erſtes Augenmerk des Arztes ſeyn; allein nicht minder wichtig bleibt es dann ferner, theils die geſteigerte allgemeine und oͤrtliche Senſibilitaͤt herab zu ſtimmen, theils die geſunkene Repro - duktion zu heben. Was das erſtere betrifft, ſo koͤnnen dazu außer der ſchon erwaͤhnteu Entziehung ſchaͤdlicher Reitze, der haͤufige Gebrauch lauer Baͤder mit Chamillen, Valeriana und aͤhnlichen Aufguͤßen vermiſcht, ferner vorzuͤglich der (außer der Periode der Menſtruation) taͤglich mehrere Male veranſtalteten kalten Waſchungen der Geburtstheile, innerlich aber die Anordnung kuͤhlender Emulſionen und aͤhnlicher113 Getraͤnke, ja bey einzelnen heftigern Aufregungen die An - wendung des Dowerſchen Pulvers, kleiner Doſen des Extr. Hyoscyami, des Liq. Cornu Cervi, als nuͤtzlich empfohlen werden. Was hingegen das Foͤrdern der Reproduktion an - belangt, ſo iſt in dieſer Hinſicht zuerſt auf den Stand der Verdauungswerkzeuge, von welchen ja alle individuelle Re - produktion ausgeht, Ruͤckſicht zu nehmen. Gaſtriſche Unrei - nigkeiten ſind daher zuvoͤrderſt zu beſeitigen, und es iſt nicht etwa anzunehmen, daß allgemeine Schwaͤche dadurch ver - mehrt wuͤrde, wenn dieß auf zweckmaͤßige Art geſchieht. Steht aber in dieſer Hinſicht der Aſſimilation nichts mehr im Wege, ſo iſt vorzuͤglich durch zweckmaͤßige Diaͤt aus Bouillon, Gries, Sago, leichten Fleiſcharten, und eben ſo durch die Anwendung rein bitterer Mittel des Extr. Tara - xaci, Centaur. m., Trifolii, Gentianae, und der China, ſo wie ſpaͤterhin ſelbſt des Eiſens (anfaͤnglich als Tr. martis cydoniata, Tr. tonico-nervina u. ſ. w., ſpaͤterhin aber in Subſtanz), verbunden mit dem Gebrauch eiſenhaltiger Baͤ - der, der Landluft, hinlaͤnglicher Koͤrperbewegung und Ge - muͤthsaufheiterung, ſowohl der koͤrperlichen allgemeinen Er - mattung entgegenzuarbeiten, als auch der dem Koͤrper unan - gemeſſene Blutfluß (waͤhrend deſſen Erſcheinen ſelbſt uͤbrigens wieder die §. 149. gegebenen Regeln beobachtet werden muͤſ - ſen) und ein etwa dieſem Blutfluß nachfolgender Schleim - ausfluß aus den Geburtstheilen zu beſeitigen.

Zweite Abtheilung. Von den Krankheiten in der Periode der Geſchlechtsreife.
§. 151.

Mit dem vollen Hervortreten des weiblichen Geſchlechts - charakters iſt auch die Moͤglichkeit ſehr verſchiedenartiger, uͤberhaupt aber der meiſten beſondern, dieſem Geſchlecht ei - genthuͤmlichen Krankheitserſcheinungen gegeben. Wir thei - len die hierher gehoͤrigen abnormen Zuſtaͤnde in ſolche, welche ſich in Stoͤrungen der allgemeinen weiblichen Eigenthuͤmlich -I. Theil. 8114keit ausſprechen, und als Unregelmaͤßigkeiten der Menſtrua - tion, Bleichſucht, Hyſterie, Nymphomanie, Unfruchtbarkeit erſcheinen, und in andere, welche in den Geſchlechtsorganen ſelbſt ihren Sitz haben, und als Krankheiten des Fruchthaͤl - ters, der Mutterſcheide, der Eyerſtoͤcke und Muttertrompeten, ſo wie der Bruͤſte ſich darſtellen.

I. Allgemeine Krankheitszuſtaͤnde.
1. Unregelmaͤßigkeiten der Menſtrualfunktion.
§. 152.

Bevor wir zu dieſen einzelnen Unregelmaͤßigkeiten und ihrer Behandlung uns wenden, ſcheint die gewoͤhnliche Art ihrer Eintheilung noch einige naͤhere Eroͤrterung zu verlangen. Man pflegt naͤmlich hier das aͤußerliche Zeichen des allge - meinen krankhaften Zuſtandes, d. i. den Blutfluß ſelbſt, ſei - ner Periodicitaͤt, Quantitaͤt und Qualitaͤt nach, ziemlich all - gemein zum Maaßſtabe zu nehmen, um darnach zu ſtarke und zu ſchwache, zu haͤufige und zu ſeltene oder verzoͤgerte Menſtruation als beſondere Krankheiten zu unterſcheiden, nicht bedenkend, daß man hier faſt um nichts beſſer verfaͤhrt, als wenn man Fieber nach den dabey erſcheinenden ſtaͤrkern oder ſchwaͤchern Schweiß - Harn - oder Stuhlausleerungen einthei - len wollte. Es geht aber aus ſolcher Eintheilung offenbar der Nachtheil fuͤr die Behandlung dieſer Zuſtaͤnde hervor, daß dieſelbe leicht ebenfalls ganz ſymptomatiſch eingeleitet wird, daß man leicht glaubt, es ſey hinlaͤnglich, bey zu ſchwacher oder verzoͤgerter Menſtruation den Blutfluß auf irgend eine Weiſe zu erregen oder zu verſtaͤrken, oder im entgegengeſetz - ten Falle ihn zu hemmen, welches denn, ſobald es wirklich ausgefuͤhrt wird, oft zum groͤßten Nachtheil der Kranken ge - reichen muß. Wir halten es demnach hierbey fuͤr das Wich - tigſte die Geſammtrichtung des Organismus auf die geſchlechtliche Thaͤtigkeit zum Maaß fuͤr Beur - theilung und Eintheilung dieſer Zuſtaͤnde zu nehmen, und unterſcheiden baher 1) (im Gegenſatz der zu zeitigen Men - ſtruation) mangelnde oder verzoͤgerte Entwicklung, 2) unvoll -115 kommenen Zuſtand der Pubertaͤt und Menſtrualfunktion (wel - ches beydes hervorgehen kann theils aus mangelhafter Re - produktion im Allgemeinen und andern Krankheiten, theils aus mangelhafter Bildung und Erregung des Geſchlechtsſy - ſtems insbeſondere; 3) (im Gegenſatz zu den beiden vorigen und verwandt der zu zeitigen Pubertaͤtsentwicklung) uͤbermaͤ - ßiges Hervortreten der Menſtrualfunktion (theils durch zu reichliche allgemeine Stoffbildung, theils durch andere Krank - heiten, theils durch zu großes Ueberwiegen des Geſchlechts - ſyſtems begruͤndet); 4) ploͤtzliche Hemmungen der Menſtrual - funktion.

A. Mangelnde oder verzoͤgerte Entwicklung der Menſtrualfunktion.
§. 153.

Wie oben (§. 121.) bemerkt wurde, iſt der Eintritt der Pubertaͤt an kein beſtimmtes Lebensalter feſtgebunden, ſondern nach Clima, Nationalitaͤt, Lebensweiſe und Conſtitu - tion verſchieden, und es kann folglich die Verzoͤgerung die - ſes Eintritts, dafern ſie krankhaft genannt werden ſoll, nicht an den Jahren abgemeſſen, ſondern nach dem Grade allge - meiner Koͤrperausbildung beſtimmt werden. Erſcheint naͤmlich das gemeinſame Wachsthum ziemlich beendigt, kuͤndigt ſich das Beſtreben der Natur zur Ausſcheidung des im Koͤrper uͤberfluͤßig erzeugten Bildungsſtoffes durch das Geſchlechts - ſyſtem, inmittelſt mehrerer der oben (§. 119.) erwaͤhnten Vorboten an, erſcheint aber der Blutfluß demohnerachtet nicht, ſtellen ſich vielmehr Stoͤrungen allgemeinen Wohlbe - findens ein, ſo haben wir den Zuſtand, welcher als verzoͤ - gerte Entwicklung der Menſtrualfunktion bezeichnet wird. Gaͤnzlichen Mangel dieſer Funktion finden wir entweder als Idioſyncraſie bey Perſonen, deren Pubertaͤt allerdings ſich entwickelt, obwohl durch eine ſonderbare Naturverirrung ohne ihr aͤußerliches Zeichen (die Menſtruation), wohin denn die Faͤlle gehoͤren, wo zeugungsfaͤhige Frauen entweder gar nicht oder hoͤchſtens nur waͤhrend der Schwangerſchaft men - ſtruirten, oder zweitens bey Perſonen mit ganz unausgebil -116 deten oder verbildeten Geſchlechtstheilen, wo ſonach eine wahre Pubertaͤt eben ſo wenig als das Zeichen derſelben ein - treten kann, aber auch, eben weil hier ein urſpruͤnglicher Bildungsfehler iſt, und alles ſich mehr aus dem Ganzen, aus einem Grunde ergiebt, Stoͤrungen der Harmonie koͤrper - licher Thaͤtigkeiten, d. i. der Geſundheit, eben ſo wenig be - merkt zu werden pflegen, als bey der in Folge urſpruͤnglicher Bildungsrichtung zu fruͤh hervortretenden Pubertaͤt (§. 144.).

§. 154.

Was die blos verzoͤgerte Entwicklung der Men - ſtrualfunktion betrifft, ſo ſind die Zeichen, welche ſie be - gleiten, theils nach den Urſachen der Verzoͤgerung, theils nach der Conſtitution der Kranken aͤußerſt verſchieden, und wir wenden uns deßhalb ſogleich zu den Urſachen, um an deren Betrachtung die Lehre von den aͤußern Zeichen zu reihen. Das wirkliche Erſcheinen der Menſtruation kann aber verhindert werden 1) durch organiſche Urſachen, z. B. Atreſie der Scheide oder des Muttermundes (§. 137. 138. 139.). In dieſen Faͤllen treten zur gewoͤhnlichen, der uͤbri - gen koͤrperlichen Entwicklung entſprechenden Zeit, die allge - meinen und oͤrtlichen Vorboten der Menſtruation ein, ja die Ausſcheidung erfolgt ſpaͤterhin wirklich, allein das Blut wird in der Hoͤhle der Vagina und Gebaͤrmutter zuruͤckgehalten, dehnt dieſe aus, und haͤuft ſich, indem unter periodiſch wie - derkehrenden Vorboten ſtets neue Ergießungen erfolgen, nach und nach bedeutend (oft*)Von Oberteufer wird z. B. in Stark’s neuem Archiv fuͤr Geburtshuͤlfe. 2r Bd. 4s St. S. 637 ein Fall erzaͤhlt, wo 6 Pfund Blut nach Durchſchneidung des Hymens ausfloſſen. zu mehreren Pfunden) in den Geſchlechtstheilen an. Es entſteht dann Auftreibung des Lei - bes, unordentliche Verdauung, Kreuzſchmerz u. ſ. w., Zufaͤlle, welche oft den Verdacht von Schwangerſchaft erregen koͤnnen. Die geburtshuͤlfliche Unterſuchung wird uͤbrigens hier den Zu - ſtand alsbald beſtimmt erkennen lehren.

117
§. 155.

2) Gehoͤrt zu dieſen Urſachen Stoͤrung der Re - produktion entweder in Folge anderer Krankheiten, oder in Folge der Lebensweiſe. Was das erſtere betrifft, ſo - iſt ſehr wohl abzuſehen, wie das Eintreten irgend einer Krankheit, z. B. eines Fiebers, in wiefern dadurch eine pathologiſche Revolution veranlaßt wird, die phyſiologiſche Revolution bey Entwicklung der Menſtrualfunktion hemmen muͤſſe, und eben ſo klar iſt es, daß allgemeine chroniſche Krankheiten, ja ſelbſt der nach acuten oder chroniſchen Krankheiten zuruͤckbleibende Schwaͤchezuſtand dieſer Entwick - lung hinderlich ſeyn muͤſſe. Allein in allen dieſen Faͤllen wird die Verzoͤgerung der Menſtruation an und fuͤr ſich ſel - ten als Krankheit empfunden, indem der Organismus, wo ſelbſt die individuelle Reproduktion unvollkommen iſt, nicht das Beduͤrfniß der Reproduktion der Gattung empfinden kann, und nicht jenen Ueberfluß, welcher die Bedingung der Menſtruation iſt, erzeugt. Nur wo daher Mißverhaͤlt - niſſe in der Reproduktion der einzelnen organiſchen Syſteme Statt finden, wo bey allgemeiner ſchon kraͤftiger gewordener Ernaͤhrung die Ernaͤhrung der Geſchlechtsorgane und nament - lich des Uterus ſelbſt noch unvollkommen bleibt, welches am haͤufigſten bey ſcrofuloͤſen Individuen, bey Auftreibungen ein - zelner Unterleibsorgane (etwa nach intermittirenden Fiebern) oder krankhafter Erregung anderer Gebilde, z. B. aͤußerlichen Geſchwuͤren, Wurm - oder Hautkrankheiten u. ſ. w. vorkommt, erſcheinen die Molimina ad Menstruationem, werden hef - tiger, geben zu Entſtehung von Geiſteskrankheiten, zu den ſonderbarſten Umſtimmungen des Nervenlebens (welche durch Idioſynkraſien, Kraͤmpfe, Epilepſie, Veitstanz, Somnam - bulismus ſich aͤußern), zu Congeſtionen nach andern Gebil - den, Blutfluͤßen, Schleimfluͤßen, Auftreibungen und Verbil - dungen einzelner Organe Veranlaſſung, und indem oft ſo die allgemeine Reproduktion in ihrer urſpruͤnglich auf erhoͤhtes Geſchlechtsleben gerichteten Thaͤtigkeit gehindert wird, ſinkt auch ſie ſelbſt, die Verdauung wird ſchwach, Obſtruktionen oder Diarrhoͤen finden ſich ein, die Blutbereitung wird un - vollkommen, es entwickelt ſich Bleichſucht, in Folge der118 Schwaͤche des Lymphgefaͤßſyſtems geſellen ſich Waſſeranhaͤu - fungen hinzu und auf dieſe Weiſe kann dieſer Zuſtand ſelbſt lebensgefaͤhrlich werden.

§. 156.

Ein aͤhnlicher Zuſtand entwickelt ſich denn[auch] zuwei - len ohne eine andere vorausgegangene Krankheit blos in Folge fehlerhafter Lebensweiſe. Perſonen welche durch anhalten - des Sitzen Stoͤrungen in der Blutbewegung der Unterleibs - gefaͤße veranlaſſen, welche in feuchter unreiner Luft, unter Gram und Sorge, bey ſchlechten Nahrungsmitteln leben, verfallen leicht, wenn die Zeit herannaht, wo die Entwick - lung der Pubertaͤt von der Natur gefordert, obwohl nicht erlangt wird, namentlich in die genannten Cacherien; dahin - gegen Perſonen, welche in fruͤherer Zeit durch Ausſchweifun - gen die Geſchlechtsorgane geſchwaͤcht und dadurch die Faͤhig - keit derſelben zur Menſtrualfunktion und Zeugung großen Theils zerſtoͤrt haben, in dieſer Periode vorzuͤglich mit den gleichfalls genannten Nervenuͤbeln zu kaͤmpfen haben.

§. 157.

3) Finden wir als Urſache der verzoͤgerten Menſtruation haͤufig die Abweichung in der Geſammtform des weiblichen Koͤrpers vom aͤchten Geſchlechtstypus, die Hinneigung zur maͤnnlichen Koͤrperform, bey uͤbrigens regel - maͤßiger Geſtalt der Geſchlechtstheile ſelbſt. Solche Indivi - duen (Mannjungfern, Viragines) zeichnen ſich aus durch die betraͤchtlichere Koͤrpergroͤße, breitere und laͤngere Bruſt, laͤngeres Geſicht, maͤnnlichere Zuͤge, ſtaͤrkere Haarentwicklung auf der Oberlippe, hervorgehobenere Knochenbildung, plattern Unterleib und ſchmaͤlere Huͤften, und es iſt in ihnen uͤber - haupt die Entwicklung der Menſtrualfunktion erſt einem et - was ſpaͤtern Lebensalter natuͤrlich; allein ſelbſt wenn nun im 18ten oder 20ſten Jahre einige Vorboten dieſer Periode er - ſcheinen, ſo iſt demohnerachtet zuweilen die Reproduktion nicht (wie ſie im weiblichen Koͤrper doch eigentlich ſoll) kraͤftig genug, um dieſe Entwicklung zu bewerkſtelligen, weßhalb denn oft die Molimina eine krankhafte Hoͤhe erreichen, und119 die oben (§. 155.) genannten Verſtimmungen des Nerven - ſyſtems und Cacherien ſich entwickeln koͤnnen.

§. 158.

4) Endlich findet ſich auch, obwohl ſeltner, die Er - ſcheinung der Menſtrualfunktion durch uͤberwiegende Thaͤ - tigkeit des arteriellen Syſtems gehindert. Ohnge - faͤhr eben ſo naͤmlich wie in entzuͤndeten Sekretionsorganen, ſobald die Entzuͤndung eine gewiſſe Hoͤhe erreicht hat, die ausſcheidende Thaͤtigkeit ſich zu verlieren pflegt, ſo finden wir auch, namentlich auf dem Lande, bey recht kraͤftigen, an Muskelanſtrengung und reine Luft (beides die Arteriellitaͤt erhoͤhende Momente) gewoͤhnten Koͤrpern (wo uͤberhaupt die Pubertaͤtsentwicklung immer etwas ſpaͤter erfolgt), daß trotz den in ihrem Koͤrper reichlich erzeugten plaſtiſchen Stoffen und manchen eintretenden Vorboten der Menſtruation doch dieſelbe nicht wirklich erſcheint, und wohl aus keinem an - dern Grunde, als weil im Gefaͤßſyſtem des Uterus die Ar - terien ein zu großes Uebergewicht uͤber die Venen erlangt haben. Bey ſolchen Individuen treten dann insbeſondre die - jenigen Molimina welche rein dem Gefaͤßſyſtem angehoͤren, in krankhafter Hoͤhe, und zwar vorzuͤglich periodiſch hervor, ſie[klagen] uͤber Schwindel, Kopfſchmerz, ſind zu Entzuͤndungs - und fieberhaften Krankheiten, apoplektiſchen und aſphyktiſchen Anfaͤllen disponirt, ja erleiden dieſe Krankheiten oft wirklich.

§. 159.

Den Verlauf des Uebels und die Prognoſe bey dieſen Verzoͤgerungen betreffend, ſo ergiebt ſich, was hieruͤber zu bemerken waͤre, beynahe aus dem Vorhergehenden von ſelbſt. Bey der erſterwaͤhnten organiſchen Urſache (§. 154.) naͤmlich wuͤrde allerdings bey laͤngerer Fortdauer der innern Ergießung ohne moͤgliche Entleerung nach außen, die ge - waltſame Vergroͤßerung der innern Geburtstheile, der Druck des angehaͤuften Blutes*)Merkwuͤrdig iſt es, daß dieſes ſtockende[Blut] doch nicht verdirbt und fault, ſondern, wie mehrere Faͤlle beweiſen, als dickliche, auf die benachbarten Organe zu120 vielfachen Unterleibs - und allgemeinen Leiden fuͤhren muͤſſen, und indem die Heilkraft der Natur hierbey faſt unvermoͤgend erſcheint, wuͤrde die Prognoſe ſehr unguͤnſtig geſtellt werden muͤſſen, ließe nicht das Uebel eine leichte und ſichere Heilung zu. Angehend 2) den Verlauf des Krankheitszuſtandes bey der durch geſunkene Reproduktion verzoͤgerten Menſtrualfunk - tion, ſo iſt derſelbe ſchon §. 155. u. 156. eroͤrtert worden und wir fuͤgen hinſichtlich der Prognoſe nur bey, daß die - ſelbe abzuwaͤgen ſey theils nach dem Grade, der Dauer, ſo wie der leichtern oder ſchwerern Heilbarkeit der die Stoͤrun - gen herbeyfuͤhrenden Krankheiten (wobey denn in der Regel acute Krankheiten eine beſſere Prognoſe als chroniſche zulaſ - ſen), theils nach der eigenthuͤmlichen Conſtitution der Kranken, theils nach den aͤußern Verhaͤltniſſen, in wiefern ſie uͤberhaupt der Heilung guͤnſtig ſind oder nicht, und in wiefern ſie, wenn in ihnen der Grund der Verzoͤgerung ſelbſt liegt, gehoben werden koͤnnen.

§. 160.

Die krankhaften Zufaͤlle ferner, welche von der 3ten Urſache herbeygefuͤhrt werden, ſind gewoͤhnlich beſonders lang - wierig, ihr Verlauf jedoch nach ſtaͤrkerm oder ſchwaͤcherm Koͤrperbau, guͤnſtigern oder unguͤnſtigern aͤußern Verhaͤltniſſen verſchieden; nie kann jedoch hier die Prognoſe ſehr vortheil - haft geſtellt werden, indem die Haupturſache, d. i. der un - weibliche allgemeine Habitus, nicht zu beſeitigen iſt, viel - mehr gewoͤhnlich, auch nachdem die Menſtruation endlich er - ſchienen iſt, einen unregelmaͤßigen und unvollkommenen Gang derſelben (wovon noch unten) zu veranlaſſen pflegt. End - lich die 4te Urſache betreffend, ſo ſind zwar die Zufaͤlle, welche hier eintreten, oft ſehr ſtuͤrmiſch, allein theils iſt da - bey die Natur ſelbſt weit mehr als bey andern huͤlfreich, theils gelingt es der Kunſt hier weit leichter und ſicherer Abhuͤlfe zu ſchaffen, und die Prognoſe wird daher im Gan - zen vortheilhafter geſtellt werden koͤnnen.

*)ſchwaͤrzliche, ſonſt aber unverdorbene Blutmaſſe bey der Operation ausfließt. Lavagna haͤlt auch von dieſer Erſcheinung den Mangel des Faſerſtoffes fuͤr die Urſache. S. Meckels Archiv. IV. S. 152.
*)
121
§. 161.

Wir kommen nun zur Heilung dieſer Uebel, welche wieder nach den verſchiedenen urſachlichen Momenten auf ver - ſchiedene Weiſe eingeleitet werden muß. Die Heilung der durch organiſche Urſachen verzoͤgerten Ergießung der Men - ſtruation iſt ſchon oben (§. 137.) erwaͤhnt worden, und da - her hier nur noch beyzufuͤgen, daß wenn das Durchſchneiden der verſchloſſenen Partie zu einer Zeit vorgenommen wird, wo ſchon bedeutende Blutergießungen dahinter ſich geſammelt hatten, es nothwendig wird, mehrmalige Injektionen aus einem Abſud von Hb. Serpilli, Absinthii, Flor. Chamo - mill., allenfalls mit etwas Wein oder Tr. Myrrhae ver - miſcht, in die innern Geburtstheile zu machen, theils um die vollſtaͤndige Reinigung der Theile zu bewirken, theils um die Zuſammenziehung derſelben zu befoͤrdern. Die Heilung der Zufaͤlle betreffend, welche von Stoͤrungen in der Repro - duktion ausgehend die Verzoͤgerung der Menſtruation veran - laſſen, ſo muͤſſen wir zuvoͤrderſt erwaͤhnen, daß kaum irgend ein Verfahren ſchaͤdlicher hierbey ſeyn koͤnne, als direkt das Hervortreten jener monathlichen Blutergießungen durch An - wendung reitzender, das Geſchlechtsſyſtem insbeſondere in Anſpruch nehmender Mittel zu foͤrdern, wie es demohnerach - tet von unwiſſenden Empirikern durch Darreichung der Aloë, der Gummata ferulacea, der Sabina u. ſ. w. nicht ſelten zu geſchehen pflegt. Daß hierbey naͤmlich theils der Dige - ſtionsapparat noch mehr zerruͤttet, und ſowohl hierdurch als durch den etwaigen Blutfluß die Schwaͤche noch mehr ver - mehrt werden, theils aber in Folge der reitzenden Eigenſchaft jener Mittel auch Anſchwellungen der Druͤſen des Unterlei - bes, chroniſche Entzuͤndungen, namentlich der innern Ge - ſchlechtsorgane, und in Folge dieſer, Nymphomanie, Waſſer - ſucht der Ovarien u. ſ. w. veranlaßt werden muͤſſe, liegt am Tage.

§. 162.

Allein auch das Verfahren, welches blos durch die ge - meinhin ſtaͤrkend genannten Mittel ſolchen Zuſtaͤnden zu be - gegnen hofft, und Kranke dieſer Art mit Extrakten, China122 und Eiſen uͤberhaͤnft, iſt keineswegs zweckmaͤßig zu nennen; vielmehr wird es hier die erſte Indikation, die Natur der Krankheit genau ins Auge zu faſſen, welche dieſe Stoͤrung der Reproduktion herbeyfuͤhrte, ſie allein, und ganz abge - ſehen von der Menſtrualfunktion, ihrem Charakter nach zu behandeln, wobey man ſich dann uͤberzeugt halten darf, daß bey hergeſtellter Harmonie allgemeiner koͤrperlicher Kraͤfte ge - woͤhnlich auch das Symptom dieſer Krankheit, die Verzoͤ - gerung der Menſtruation von ſelbſt verſchwinden werde. Scrofuloͤſe Zuſtaͤnde, Leberauftreibungen, Status pituitosus des Darmkanals und aͤhnliche Leiden machen daher die reſol - virende, abfuͤhrende Methode, ohngefaͤhr nach derſelben Weiſe, wie ſie oben (§. 147.) geſchildert wurde, nur wegen vorge - ruͤckterem Alter in etwas ſtaͤrkerer Form nothwendig. Wurm - complicationen erfordern Anthelmintica und nachherige Beſeiti - gung der Verſchleimung des Darmkanals, fieberhafte Krank - heiten die ihnen angemeſſene Behandlung u. ſ. w. Wir gedenken daher hier nur noch derjenigen Faͤlle beſonders, wo entweder, nachdem die Krankheiten beſeitigt ſind, noch allge - meine oder eine oͤrtliche Schwaͤche des Geſchlechtsſyſtems zu - ruͤckbleibt, oder das Darniederliegen reproduktiver Thaͤtigkeit uͤberhaupt nicht Folge von Krankheit, ſondern von unzweck - maͤßiger Lebensweiſe war.

§. 163.

Im erſtern Falle wird bey allgemeinem Schwaͤchezu - ſtande wieder zunaͤchſt auf die Thaͤtigkeit der Verdauungswerk - zeuge zu ſehen, und die uͤbrige Lebensweiſe zweckmaͤßig an - zuordnen ſeyn. Man waͤhlt dann, um die Kraͤfte des Darmkanals zu heben, die bittern Mittel (Extractum Mille - folii, Centaurii min.. Aufguͤße der Quaſſia und China u. ſ. w.) welche man, je nachdem die Conſtitution uͤberhaupt mehr ſchlaff und phlegmatiſch iſt, mir geiſtigen Mitteln (T. Cort. Aurantior, Elix. visc. Wy〈…〉〈…〉[k]ii u. ſ. w.), verbindet, man ſorgt fuͤr regelmaͤßige Unterhaltung der Darmausleerungen, laͤßt den Unterleib warm halten, trockne oder ſpirituoͤſe Frik - tionen auf denſelben machen, man ordnet ferner als allge - meine, die Reproduktion und den Tonus der Muskelfaſer be -123 foͤrdernde Mittel innerlich den Gebrauch des Eiſens, an - faͤnglich als Tinktur, ſpaͤter in Subſtanz an, verbindet da - mit den Gebrauch aromatiſcher Kraͤuterbaͤder, welchen bey mehr phlegmatiſchen Subjekten etwas Wein oder Brandtwein beygemiſcht wird, empfiehlt die fleißige Bewegung in freier Luft, Reiſen, Gebrauch eiſenhaltiger Mineralbaͤder und eine leicht verdauliche nahrhafte Diaͤt, verbunden mit dem Ge - branche eines guten alten Weins.

§. 164.

Zeigt ſich indeß entweder allein oder in Verbindung mit jener allgemeinen Unthaͤtigkeit noch eine oͤrtliche Schwaͤche des Geſchlechtsſyſtems, welche durch Schlaffheit der[aͤußern] und innern Genitalien, ſehr geringe Temperatur derſelben, gaͤnzlich mangelnde Geſchlechtsneigung, ja wohl auch durch Atonie der benachbarten Harnwege und des Dickdarms ſich zu erkennen giebt, ſo werden auch noch außer und nach jenen allgemeinen, mehrere oͤrtlich das Geſchlechtsſyſtem in Anſpruch nehmende Mittel angewendet werden muͤſſen. Innerlich giebt man daher die Zimmtrinde im Aufguß oder als Tinktur, die Caſcarillenrinde, die Aqua Melissae vinosa u. ſ. w., von Zeit zu Zeit laͤßt man, namentlich bey traͤ - gen Stuhlausleerungen, eine Abfuͤhrung aus mehr draſtiſchen Stoffen, den Fol. Sennae, der Rad. Jalappae, der Aloe u. ſ. w. gebrauchen, und kann denn endlich bey torpiden phlegmatiſchen Subjekten auch mit Nutzen die Gummiharze, ja ſelbſt das Decoct. Sabinae (etwa zu ʒII auf IV Colat. mit dem Syrup. Cort. aur. vermiſcht) oder die aus aͤhnlichen Stoffen beſtehenden Praͤparate, z. B. die Pilulae balsamicae Stahlii, ferner aͤhnliche Miſchungen mit zuge - ſetztem Eiſen (z. B. aus dem Gum. ammoniaci ʒI, der Aloe lucida und dem ferr. oxydulat. nigr. von jedem ʒβ zu 3gran. Pillen, wovon 3 4 Stuͤck fruͤh und Abends zu nehmen) in Anwendung ziehen. Aeußerlich aber verordnet man dieſen Perſonen fluͤchtig reitzende Einreibungen in die regio hypogastrica, Tragen eines aromatiſchen Pflaſters daſelbſt, Anwendung der Elektrizitaͤt oder des Galvanismus, wobey die Stroͤmungen durch das Becken geleitet werden,124 Fußbaͤder mit Aſche, Salz oder Senf geſchaͤrft, wollene Be - kleidung der untern Extremitaͤten, reitzende Friktionen (etwa von Spiritus serpilli, formicarum u. ſ. w. mit T. Can - tharid. vermiſcht) an die Fußſohlen, aromatiſche Halbbaͤder, fleißige Bewegung, auch wohl oͤfteres Reiten und Fahren.

§. 165.

Iſt allein unzweckmaͤßige Lebensweiſe die Urſache der gehinderten Entwicklung der Menſtrualfunktion, ſo muß man zunaͤchſt die aͤußern Verhaͤltniſſe zu verbeſſern ſuchen, fuͤr ge - ſuͤndere Luft und Nahrung Sorge tragen, die Aufheiterung des Gemuͤrhs auf alle Weiſe beguͤnſtigen, und uͤbrigens den Zuſtand von Unthaͤtigkeit der Reproduktion im Allgemeinen ſowohl als Beſondern auf dieſelbe Weiſe, wie in den beiden vorhergehenden Paragraphen gelehrt wurde, behandeln.

§. 166.

Die dritte Urſache, den maͤnnlichen Habitus be - treffend, ſo iſt hier das Vermoͤgen der Kunſt allerdings am meiſten beſchraͤnkt, wir koͤnnen und muͤſſen auch hier nur er - innern, daß man nicht etwa die Entwicklung einer nur aus dem Ganzen hervorgehenden Funktion durch gewaltſames Hervorheben des Syſtems der Uteringefaͤße, d. i. durch unzei - tig gegebene Emmenagoga u. ſ. w. beſchleunigen wolle, ſon - dern dieſe Entwicklung, welche einzig Werk der Natur ſeyn muß, auch dieſer ganz zu uͤberlaſſen, und ſich allein auf vorſichtige Unterſtuͤtzung derſelben, ſo wie auf Beſeitigung einzelner ſich darbietender Krankheitszuſtaͤnde zu beſchraͤnken, als Regel annehme. Was aber Unterſtuͤtzung der Reproduk - tion betrifft, ſo werden wieder namentlich die Verdauungs - werkzeuge zu beruͤckſichtigen, durch eine zweckmaͤßige Anwen - dung toniſcher Mittel die aſſimilativen Kraͤfte zu heben, uͤberhaupt aber der Gebrauch von Baͤdern, hinlaͤnglicher Be - wegung und freier Luft von Nutzen ſeyn, wobey uͤbrigens durch wollene Binden um den Leib, waͤrmere Bekleidung der Unterglieder, gelind zur Erhoͤhung der Thaͤtigkeit in den Be - ckengefaͤßen mitgewirkt werden kann; auch wird bey mehr torpidem Habitus, der Genuß eines guten alten Weins, mehr125 erſchuͤtternde Bewegungen (als Reiten, Fahren), geiſtige Friktionen der Regio hypogastrica, elektriſche Baͤder u. ſ. w. ſehr mit Nutzen Anwendung finden. Endlich ſcheint nach den bisherigen Beobachtungen, ſo wie nach phyſiologiſchen Gruͤnden, der thieriſche Magnetismus als ein vorzuͤgliches, die Reproduktion unterſtuͤtzendes Mittel hier nicht uͤbergangen werden zu duͤrfen.

§. 167.

Die Behandlung einzelner hierbey obwaltender Beſchwer - den muß ganz nach der Art der Zufaͤlle ſelbſt eingerichtet werden, und vorzuͤglich bleibt dabey der Stand des Gefaͤß - ſyſtems zu beruͤckſichtigen, indem bey kraͤftigen vollſaftigen Koͤrpern die haͤufigen Congeſtionen, Fieberbewegungen u. ſ. w. vorzuͤglich durch ſehr beſchraͤnkte Diaͤt, verduͤnnendes, ſaͤuer - liches Getraͤnk, gelinde Abfuͤhrungen, mehr vegetabiliſche Diaͤt, Fußbaͤder u. ſ. w. beſeitigt werden muͤſſen, ja ſelbſt mitunter allgemeine oder oͤrtliche Blutentziehungen erfordert werden, dahingegen die bey ſchwaͤchlichen reitzbaren Subjekten haͤufiger erſcheinenden Kraͤmpfe, Gliederſchmerzen, Schlaf - loſigkeit u. ſ. w. mehr ein vorzuͤglich außer den ſtaͤrkern Au - faͤllen ſtreng fortgeſetztes, auf Minderung zu reger Senſibi - litaͤt abzweckendes Heilverfahren verlangen, und daher durch laue Baͤder, zweckmaͤßige einfache Lebensweiſe, Landluft, rein bittere Mittel, Emulſionen, kleine Doſen narkotiſcher Mittel am ſicherſten bekaͤmpft werden. Wir erinnern hierbey nur, daß die heftigern Anfaͤlle bey ſolchen ſenſibeln Conſtitutionen oft weſentlich theils vom Gefaͤß -, theils vom Verdauungs - ſyſteme erregt und unterhalten werden, daß man daher in dieſen Faͤllen nie unterlaſſen darf, hierhin die gehoͤrige Auf - merkſamkeit zu wenden, um durch zweckmaͤßige Anwendung einer gelind antiphlogiſtiſchen oder gaſtriſchen Heilmethode ſchnellere und vollkommnere Huͤlfe als durch Ueberhaͤufung mit den gemeinhin ſogenannten krampfwidrigen Mitteln (T. Castorei, Valerianae, Moschi, Liq. C. C., Opium u. ſ. w.) zu gewaͤhren.

126
§. 168.

Die vierte Urſache der verzoͤgerten Menſtrualfunktion endlich, d. i. die uͤberwiegende arterielle Thaͤtigkeit, macht ein mehr antiphlogiſtiſches Heilverfahren nothwendig, heftigere hier erſcheinende Molimina fordern allgemeine oder oͤrtliche Blutentziehungen, Abfuͤhrungen durch Mittelſalze, verduͤnnende Getraͤnke, laue Baͤder, eine wenig naͤhrende, mehr vegetabiliſche Diaͤt und Verhuͤtung aller zu ſehr an - ſtrengenden Koͤrperbewegungen, ſo wie im Gegentheil des zu vielen Sitzens.

§. 169.

Wir haͤtten nun noch den voͤlligen Mangel der Menſtrualfunktion ruͤckſichtlich ſeiner Behandlung zu er - waͤhnen, allein ſchon aus den oben (§. 153.) erwaͤhnten Urſachen dieſes Zuſtandes ergiebt ſich, daß eine beſondere aͤrztliche Behandlung hier nur ſelten moͤglich ſey. Erſcheint naͤmlich der Mangel der Menſtruation bey uͤbrigens wahrhaft entwickelter Pubertaͤt und regelmaͤßigem Zuſtande der Ge - ſchlechtstheile (von welchen man ſich freilich uͤberzeugt haben muß, damit nicht etwa blos mechaniſche Hinderungen des Ausflußes (ſ. §. 154.) mit eigentlichem Mangel der Funk - tion verwechſelt werden) als bloße eigenthuͤmliche Varietaͤt und als Idioſynkraſie, ſo pflegt dieß auch, eben weil es die - ſem Koͤrper natuͤrlich iſt, keine krankhaften Zufaͤlle zu ver - anlaſſen, und es muͤſſen demnach ſolche Individuen nur im Allgemeinen erinnert werden, eine zu ſtark naͤhrende Diaͤt und ſitzende Lebensweiſe zu meiden, damit nicht bey dem Mangel einer ſolchen Ausleerung Congeſtionen, Stockungen u. ſ. w. um ſo leichter ſich erzeugen. Iſt hingegen bedeu - tende Verbildung oder gaͤnzlicher Mangel wichtiger innerer Geſchlechtsorgane die Urſache jener mangelnden Funktion, ſo werden auch hier nur in den Faͤllen allgemeine Krankheits - zuſtaͤnde befuͤrchtet werden muͤſſen, theils wo bey einem ſehr wohlgenaͤhrten Koͤrper Ueberfuͤllung der Gefaͤße durch ſitzende Lebensweiſe u. ſ. w. beguͤnſtigt wird, theils wo erſt ſpaͤterhin dieſe organiſchen Stoͤrungen erfolgt ſind, wo z. B. durch Exſtirpation der Ovarien oder des Uterus Eintritt oder Fort -127 dauer der Menſtruation unmoͤglich geworden iſt; auch hier muß dann Diaͤt, Lebensweiſe und ſelbſt aͤrztliche Behandlung auf aͤhnliche Weiſe geordnet werden, wie es bey Gelegenheit der durch maͤnnlichen Habitus verzoͤgerten Menſtrualfunktion, ſobald plethoriſcher Zuſtand ſich zeigt, erwaͤhnt wurde (§. 167.).

B. Unvollkommne Menſtrualfunktion.
§. 170.

Ein Zuſtand, welcher viel Verwandtes mit der zuvor betrachteten verzoͤgerten Entwicklung der Menſtrualfunktion hat, ihr oͤfters nachfolgt, und auf ſehr verſchiedene Weiſe ſich aͤußerlich zu erkennen giebt. Wir definiren denſelben im Allgemeinen ſo, daß alle Verhaͤltniſſe dieſer Funktion darun - ter begriffen werden, bey welchen ſie, obwohl wirklich in Thaͤtigkeit getreten, doch ſowohl ihrer Periodicitaͤt, Quan - titaͤt und Qualitaͤt, als ihrer ſie begleitenden Vorboten und Quellen nach, zum Nachtheile des allgemeinen Be - findens, unter das Maaß zuruͤckgeſetzt erſcheint, welches wir oben (§. 119. u. f.) als die allgemeine Norm feſtgeſetzt hatten. Je nachdem nun uͤbrigens dieſe Unvollkommenheit in einer oder der andern Hinſicht ſich offenbart, kann man ſodann Veranlaſſung nehmen, mehrere Unterarten zu unter - ſcheiden, wohin denn ruͤckſichtlich der Periodicitaͤt die zu ſel - tene oder unordentliche, ruͤckſichtlich der Quantitaͤt die zu ge - ringe, ruͤckſichtlich der Qualitaͤt die mißfarbige, ruͤckſicht - lich der begleitenden Moliminum die ſchmerzhafte, und ruͤck - ſichtlich der Quellen die aus andern Organen fließende Men - ſtruation gehoͤren; Trennungen, welche jedoch als ſymptoma - tiſch weniger Gewicht haben und im Einzelnen ſelbſt fuͤr die Behandlung nur wenige Modifikationen erfordern, ſobald das Weſentliche der unvollkommenen Menſtrualfunktion, ſeinen urſaͤchlichen Verhaͤltniſſen, ſeinen Aeußerungen und ſeiner Hei - lung nach zur deutlichen Anſchauung gebracht iſt, wovon wir daher zunaͤchſt im Allgemeinen handeln.

128
§. 171.

Das Weſen (die ſogenannte naͤchſte Urſache) eines ſolchen Zuſtandes kann aber nothwendig nur als eine im Mißverhaͤltniſſe zu allgemeiner Lebensthaͤtigkeit verringert oder geſtoͤrt erſcheinende Lebensthaͤtigkeit des Geſchlechtsſyſtems und des Uterus insbeſondre betrachtet werden, und wir ſchließen durch dieſe urſachliche Beſtimmung zugleich alle jene Zuſtaͤnde als nicht krankhaft aus, in welchen, obwohl die Thaͤtigkeit des Uterinſyſtems geringer iſt, als es der Regel nach ſeyn ſollte, doch dieſes in Uebereinſtimmung mit dem Allgemeinbe - finden ſteht und deßhalb nicht als Krankheit empfunden wird. Es gilt naͤmlich in dieſer Hinſicht wieder ohngefaͤhr daſſelbe, was bereits uͤber den Eintritt der Menſtruation geſagt wur - de, naͤmlich daß das Maaß der Menſtruation, gleich jenem, nach der verſchiedenen Conſtitution, Lebensweiſe u. ſ. w. ohne Nachtheil der Geſundheit ſehr verſchieden ſeyn koͤnne, und es iſt einleuchtend, daß bey einem im Ganzen ſchwaͤchern Koͤr - perbaue, bey Reconvalescenten u. ſ. w. die Menſtruation ſelbſt geringer ſeyn muͤſſe, daß ſie auch wohl ſeltener ein - treten koͤnne u. ſ. w., obwohl dabey ein allgemeines Wohlbe - finden fuͤglich Statt findet; Faͤlle, wobey denn jedes gewalt - ſame Anregen einer ſtaͤrkern oder haͤufigern Menſtruation nothwendig zum groͤßten Nachtheil jener Individuen gereichen wuͤrde. Eben daſſelbe gilt, wenn die Stoͤrung der Men - ſtruation Folge der Schwangerſchaft iſt, deren Symptome anfaͤnglich oft Vieles mit den Zufaͤllen unvollkommner, und zwar krankhafter Menſtruation gemein haben, weßhalb ſtets bey Unterſuchung einzelner Faͤlle hieran zu denken, und die - ſer Zuſtand nicht zu uͤberſehen iſt.

§. 172.

Indem wir alſo jenes Mißverhaͤltniß zwiſchen allgemei - net und Geſchlechtsthaͤtigkeit allein ins Auge faſſen, bleiben uns nur die weitern, ſowohl im Koͤrper, als in aͤußern Ein - wirkungen liegenden Bedingungen (praͤdiſponirende und Gelegenheitsurſachen) zu beruͤckſichtigen uͤbrig, wobey zugleich die Art der durch eine oder die andere Urſache am129 haͤufigſten erzeugten Unregelmaͤßigkeit in der Menſtruation er - waͤhnt werden muß. Zuvoͤrderſt gehoͤren aber hierher die Ab - normitaͤten in der Bildung der Geſchlechtsor - gane, welche entweder urſpruͤngliche oder ſpaͤter entſtandene ſeyn koͤnnen. So findet ſich namentlich bey mehr maͤnn - lichem Habitus des geſammten Koͤrperbaues oft eine ge - ringe Ausbildung des Uterus, welche ſich bey der innern Unterſuchung durch beſondere Duͤnnheit der Vaginalportion und Kleinheit des Gebaͤrmutterkoͤrpers*)Die Dicke des Uterus iſt uͤberhaupt bey verſchiedenen Koͤrpern ſehr verſchieden, und es zeigt ſich dieſes oft bey Schwangerſchaft und Wochenbett vorzuͤglich deutlich. Ich bewahre in der Sammlung der Gebaͤranſtalt den Uterus einer Woͤchnerin von mehr maͤnnlichem Koͤrperbau, welcher nur die Haͤlfte der Dicke eines gewoͤhnlichen Uterus zeigt., und aͤußerlich ge - woͤhnlich durch ſehr ſchwach entwickelte Bruͤſte zu erkennen giebt, und es wird dadurch theils eine zu ſeltene, theils eine zu ſchwache Ausſcheidung monathlichen Blutes zu Wege gebracht, welches dann, wo die allgemeine Ernaͤhrung gut iſt, und vornehmlich etwa durch ſitzende Lebensweiſe, naͤhrende Speiſen u. ſ. w. unterſtuͤtzt wird, Veranlaſſung zu Congeſtionen, Entzuͤndungen, Bruſtkrankheiten, Nervenleiden, ja ſelbſt zu ſtellvertretenden Blutungen giebt. Aehnliche Un - ordnungen werden bey unvollkommener Entwicklung anderer innerer Geſchlechtstheile erfolgen koͤnnen.

§. 173.

Außer den urſpruͤnglichen ſind nun zweytens die ſpaͤter entſtandenen Stoͤrungen in Form und Struktur der Geburts - theile zu erwaͤhnen; es gehoͤren hierher Zerſtoͤrungen, Ab - ſceſſe, Verhaͤrtungen, namentlich Scirrhus, Steatomata und Sarcomata, Waſſeranhaͤufungen u. ſ. w., ſowohl des Uterus, als der Ovarien, Zuſtaͤnde, fuͤr welche die Kennzeichen ſpaͤ - terhin bey Betrachtung der oͤrtlichen Krankheiten angegeben werden. Es iſt hierbey zu bemerken, daß in der Zeit, wo ſolche Verbildungen ſich entwickeln, oft das ſparſamere Er -I. Theil. 9130ſcheinen der Menſtruation, ſowohl der Zeit als der Quantitaͤt und Qualitaͤt nach, nicht als beſondere Krankheit empfunden werde, in wiefern der Verbildungsproceß ſelbſt, als Haupt - ſache, jene Abweichungen nothwendig involvirt, allein daß, wenn die veraͤnderte Struktur als Produkt der Krankheit feſt - ſteht, der normale Zuſtand im allgemeinen Befinden zuruͤck - kehren kann, ſo daß nun die kraͤftigere Reproduktion im Gan - zen oft das Mißverhaͤltniß zu den degenerirten, zur Menſtrual - funktion wenig mehr geeigneten Geſchlechtsorganen auf aͤhn - liche Weiſe wie bey urſpruͤnglichen Mißbildungen (ſ. vorigen Paragraph) durch vielfache Beſchwerden hervortreten laſſen wird.

§. 174.

Andere Urſachen der verringerten Menſtruation ſind das Sinken der reproduktiven Thaͤtigkeit, welches in - deß nur dann die ſchwaͤchere Menſtrualfunktion als Krank - heitszuſtand erſcheinen laͤßt, wenn ſie unverhaͤltnißmaͤßig zum Ganzen im Geſchlechtsſyſtem vermindert iſt. So finden wir z. B. in den meiſten chroniſchen und acuten Krankheiten, in der Reconvalescenz, in uͤberhaupt ſchwaͤchlichen Individuen bey unzulaͤnglicher Nahrung und Pflege des Koͤrpers u. ſ. w. die Menſtruation ſparſam, waͤßerig, kurz zu ſchwach; allein dieſes an und fuͤr ſich iſt nicht Krankheit, indem ja offen - bar, wenn die Menſtruation unter dieſen Umſtaͤnden ſtark waͤre, der Koͤrper darunter leiden muͤßte; iſt hingegen das Leben des Geſchlechtsſyſtems allein geſchwaͤcht, ſo muß daraus allerdings wieder ein Mißverhaͤltniß, wie bey den erwaͤhnten organiſchen Verbildungen, hervorgehen. Solche oͤrtlich die Lebensthaͤtigkeit dieſer Gebilde herabſetzende Momente aber ſind theils krankhaft geſteigerte Thaͤtigkeit anderer Organe, wodurch namentlich die aus abnormen Quellen fließende Men - ſtruation erzeugt wird, theils Schleim - oder Blutfluͤße aus denſelben, ſehr haͤufige Wochenbetten und zu lang fortgeſetz - tes Stillungsgeſchaͤft, ausſchweifende Lebensart (Schwaͤche - zuſtaͤnde, welche namentlich durch Erſchlaffung oder abnorme Anſchwellung, verringerte Temperatur der Genitalien, ſchwaͤ - chere oder widernatuͤrlich heftige Geſchlechtsneigung charakteri - ſirt werden), theils und vorzuͤglich aber die entweder in131 Folge uͤbler Lebensweiſe oder in Folge anderer Krankheiten entſtehenden Unordnungen im Syſtem der Lymphgefaͤße und der Pfortader, indem nicht ſelten bey Druͤſenanſchwellungen und geſtoͤrtem Kreislauf in den Unterleibsgefaͤßen das perio - diſche Anſtroͤmen der Saͤftemaſſe nach den Uteringefaͤßen Hin - derung findet, wodurch denn unter Mitwirkung einer ver - ſtimmten Senſibilitaͤt Congeſtionen nach andern Organen, vicariirende Blutungen, Nervenleiden u. ſ. w. erzeugt werden. Man ſieht dabey uͤbrigens leicht, daß wieder die mit Be - ſchwerden, oder zu ſelten, oder zu ſchwach und mißfarbig erſcheinende Menſtruation hier nur das Symptom jenes er - ſtern Krankheitszuſtandes iſt, und als ſolches auch bey der Behandlung betrachtet werden muß, ſo wie die Zeichen dieſer urſaͤchlichen Verhaͤltniſſe denn auch keine andern als die Zei - chen jener, namentlich in den Unterleibseingeweiden Sitz faſ - ſenden Krankheiten ſeyn koͤnnen, wohin denn der aͤußere ſcrofuloͤſe Habitus, Digeſtionsbeſchwerden, Obſtruktionen, Auf - treibungen einzelner Eingeweide u. ſ. w. gehoͤren.

§. 175.

Endlich kann denn auch die unvollkommene Menſtrual - funktion eben ſo wie Verzoͤgerung derſelben (ſ. §. 158.) durch Ueberwiegen arterieller Thaͤtigkeit veranlaßt wer - den, und gerade ſehr robuſte Koͤrper, in welchen die Mus - kularthaͤtigkeit und Oxydation auf einer Stufe ſteht, welche dieſelben der Individualitaͤt des maͤnnlichen Koͤrpers naͤher bringt, werden oft dadurch an normaler Ausuͤbung der Men - ſtrualfunktion gehindert, und empfinden dieſen mit der eigen - thuͤmlichen Natur des weiblichen Koͤrpers ſo wenig uͤberein - ſtimmenden Zuſtand durch mannigfaltige Beſchwerden, Schmer - zen, Wallungen, Blutungen, Neigung zu Entzuͤndungszu - ſtaͤnden und Fiebern.

§. 176.

Bevor wir nun die Betrachtung der Urſachen unvoll - kommner Menſtrualfunktion ganz verlaſſen, iſt noch von der Beſtimmung der einzelnen Formen derſelben einiges beyzufuͤ - gen, und die Frage zu beantworten, warum nun in einem132 Falle die ſeltene, in andern Faͤllen die ſchwache, in andern die ſchmerzhafte, in andern die mißfarbige, und in noch an - dern die durchaus unordentliche Menſtruation oder die aus andern Quellen fließende ſich zeige? Es ſcheint aber, wenn man dieſe verſchiedenen Faͤlle unter einander vergleicht, allerdings, daß, ob das Eine oder das Andere Statt finde, vorzuͤglich theils durch das Verhaͤltniß zwiſchen Nerven - und Gefaͤßſyſtem, theils durch den Stand der Gefaͤßthaͤtigkeit im Uterus insbeſondre, theils durch das Verhaͤltniß anderer Or - gane zu den Geſchlechtsorganen beſtimmt werde.

§. 177.

Zuvoͤrderſt das Verhaͤltniß zwiſchen Nerven - und Ge - faͤßſyſtem betreffend, ſo iſt klar, daß ein hoͤherer Grad von Torpiditaͤt, namentlich der den Sexualorganen beſtimmten Nerven, unter Einwirkung einer oder der andern der fruͤher erwaͤhnten Urſachen, das ſeltnere Erſcheinen der Menſtrua - tion vorzuͤglich veranlaſſen werde, indem bey geringerer Em - pfindlichkeit ſehr leicht die organiſche Reaktion fuͤr den Reitz der ſich vermehrenden Saͤftemaſſe weiter hinausgeſchoben wird, daher denn bey phlegmatiſchen Conſtitutionen und namentlich unter Einwirkung gewiſſer urſpruͤnglicher abnormer Bildungs - richtungen, ſo wie auch bey ſcrofuloͤſem Habitus, Stoͤrung der Unterleibsfunktionen u. ſ. w. auch dieſe Abnormitaͤt am haͤufigſten erſcheint. Die ſpaͤrliche oder mißfarbige Menſtrua - tion hingegen wird theils einer im Allgemeinen zu geringen oder unvollkommnen Blutbereitung, theils einer oͤrtlich geſun - kenen oder durch krankhafte Verbildung abnorm gewordenen Thaͤtigkeit der Uteringefaͤße angehoͤren, und wir finden ſie daher theils bey allgemeinen acuten oder chroniſchen Krank - heiten, theils bey Geſchwuͤren, Verhaͤrtungen, Waſſerſuchten der Geſchlechtsorgane vorzuͤglich vor.

§. 178.

Ferner die ſchmerzhafte Menſtruation betreffend, ſo kann man bey derſelben theils eine krampfhafte, theils eine ent - zuͤndliche Form unterſcheiden, von welchen die erſte vorzuͤg - lich durch ein an und fuͤr ſich verſtimmtes und uͤberſpanntes133 Nervenſyſtem, die andere hauptſaͤchlich durch das erwaͤhnte Uebergewicht arterieller Thaͤtigkeit, beide indeß namentlich durch geſtoͤrte Bildung und Lage der Geſchlechtsorgane, und vorzuͤglich durch irgend ein zu großes Mißverhaͤltniß zwiſchen ihnen und dem Allgemeinen veranlaßt werden. Ueberhaupt ſind die beſondern Zufaͤlle der ſchmerzhaften Menſtruation eigentlich nur als hoͤher geſteigerte Molimina ad Menstrua - tionem zu betrachten, und es iſt daher zuweilen dieſe Krank - heitserſcheinung auch nur auf einen gewiſſen Zeitraum, z. B. auf die Pubertaͤtsentwicklung ſelbſt eingeſchraͤnkt, mitunter aber auch bey jeder Periode wiederkehrend*)Dieſe Form iſt denn wohl in urſpruͤnglicher Verſtimmung des Se - xualnervenſyſtems begruͤndet, mir ſind daher auch Faͤlle, wo dieſes Uebel erblich war, bekannt, und alle Heilungsverſuche fruchtlos blieben.. Das erſtere iſt dann oft mehr die Folge des Ungewohnten, und gleicht ſich ſpaͤterhin nicht ſelten ohne alle aͤrztliche Huͤlfe von ſelbſt aus. Ferner die uͤberhaupt unordentliche und regelloſe Menſtruation betreffend, ſo deutet dieſes gaͤnzliche Verlieren eines geſetzmaͤßigen Typus in dieſer Funktion immer auf be - deutende Stoͤrungen in den allgemeinen Syſtemen, erſcheint daher als Symptom der Scrofelkrankheit, krampfhafter Krank - heiten, z. B. der Epilepſie, des Veitstanzes u. ſ. w., ſo wie bey angehenden organiſchen Verbildungen der Unterleibseinge - weide oder der Geſchlechtsorgane ſelbſt**)Zu Verſtimmungen dieſer Art kann oft der Grund ſchon fruͤh ge - legt werden; ſo iſt mir ein Fall bekannt, wo ein uͤbrigens geſundes und ſtarkes Maͤdchen ſtets der Zeit nach unordentlich menſtruirte, nachdem ſie im zwoͤlften Jahre aus dem zweiten Geſtock eines Hau - ſes herabgeſtuͤrzt war, und die Kreuzgegend ſich beſonders ver - letzt hatte., und kann nur beſeitigt werden, ſobald der allgemeine Krankheitszuſtand ge - hoben iſt.

§. 179.

Endlich die Menſtruation aus ungewoͤhnlichen Quellen anbelangend, ſo ſind zuvoͤrderſt die Organe ſelbſt, welche hier fuͤr den Uterus vicariirende Thaͤtigkeit ausuͤben, ſehr134 verſchieden; einer der haͤufigſten Faͤlle iſt das Ergießen von Blut aus dem untern Ende des Darmkanals*)Wir werden hier wieder an die phyſiologiſche Verwandtſchaft zwi - Geſchlechtswegen und Darmkanal erinnert. durch die Haͤmorrhoidalgefaͤße, ferner aus der mittlern Gegend deſſel - ben beym Blutbrechen, und aus der oberſten beym Bluten des Zahnfleiſches. Außerdem vertreten zuweilen die Thaͤtig - keit der Uteringefaͤße: die Harnwerkzeuge, die Reſpirations - organe (und zwar durch Bluthuſten oder Naſenbluten ſowohl, als durch veraͤnderte Hautthaͤtigkeit, entweder im Allgemei - nen, wie bey blutigen Schweißen, oder an einzelnen Stel - len, wie bey periodiſch blutenden Wunden oder Geſchwuͤren), endlich auch wohl andere Geſchlechtsorgane, und zwar na - mentlich die Bruͤſte**)Einen Fall dieſer Art, deſſen Heilung gelang, ſ. in Hufeland’s Journal f. d. pr. Heilk. 1816. Novbr.. Seltner iſt, daß blos vermehrte Se - oder Excretionen fuͤr die Menſtrualthaͤtigkeit des Uterus erſcheinen, und Speichelfluͤße, Durchfaͤlle, ſtaͤrkere Harn - oder Schweißabſonderungen ſtatt eines wahren Blutflußes eintre - ten, noch ſeltner indeß, daß bey einer ſolchen periodiſchen Thaͤtigkeit anderer Organe zugleich die eigentliche Menſtrua - tion erſcheint, welche letztere Faͤlle dann mehr zu der in der folgenden Rubrik abzuhandelnden uͤbermaͤßigen Menſtruation gerechnet werden muͤſſen. Die Gruͤnde betreffend, welche nun in irgend einem gegebenen Falle gerade eine oder die andere Art dieſer vicariirenden Blutergießungen herbeyfuͤhren, ſo koͤnnen ſie verſchieden ſeyn; im Allgemeinen aber iſt zu bemerken, daß vorzuͤglich die §. 172. u. 173. angegebenen organiſchen Verbildungen, und uͤberhaupt alles, was direkt oder indirekt die ausſcheidende Thaͤtigkeit der Uteringefaͤße hindert, dieſe Form unvollkommner Menſtrualfunktion her - beyfuͤhren; alſo namentlich die im Folgenden abzuhandelnde Unterdruͤckung der Menſtruation durch aͤußere gewaltſam einwir - kende Momente, zweitens aber die abnorm aufgeregte Thaͤtigkeit anderer Organe entweder mittelſt urſpruͤnglicher Conſtitution (weßhalb z. B. bey phthiſiſchem Habitus vicariirende Lun - genblutfluͤße, bey erblicher Haͤmorrhoidalanlage vicariirende135 Haͤmorrhoiden haͤufiger vorkommen) oder in Folge oͤrtlicher Reitze. Endlich wird auch die vicariirende Menſtruation durch das §. 174 erwaͤhnte Mißverhaͤltniß reproduktiver oͤrt - licher Thaͤtigkeit des Geſchlechtsſyſtems zu einer ſtaͤrkern all - gemeinen Reproduktion, namentlich dann begruͤndet, wenn eine der hier zuletzt genannten Urſachen noch damit ſich ver - bindet.

§. 180.

Gehen wir nun uͤber zu dem bey unvollkommner Men - ſtrualfunktion gewoͤhnlichen Krankheitsverlauf, und der daraus ſich ergebenden Prognoſe, ſo muͤſſen wir wieder den §. 171 175. erwaͤhnten urſaͤchlichen Momenten folgen. Hier finden wir nun, daß namentlich die urſpruͤnglichen or - ganiſchen Fehler eine recht regelmaͤßige und vollkommne Aus - bildung der Menſtruation oft fuͤr alle Zeit hindern, dadurch beſondere Langwierigkeit und Unheilbarkeit der Symptome ver - anlaſſen, und in ſofern eine uͤble Prognoſe bedingen, welche nur dann verbeſſert werden kann, wenn die Stoͤrungen der Menſtruation an und fuͤr ſich nicht zu bedeutend ſind, die urſpruͤngliche allgemeine Conſtitution kraͤftig iſt, und die aͤu - ßern Verhaͤltniſſe dem Wohle der Kranken angemeſſen geleitet werden koͤnnen. Im Gegentheil die unvollkommne Men - ſtruation aus ſpaͤter entſtehenden organiſchen Fehlern betref - fend (denn bey ſchon entſtandenen und nun ſich nicht wei - ter bildenden gilt wieder das Obige), ſo ſind hier dieſe Krankheiten, wie ſchon erwaͤhnt Hauptſache, und Verlauf, ſo wie Prognoſe, richtet ſich nach der ihnen eigenthuͤmlichen Natur, von welcher ſpaͤterhin die Rede ſeyn wird, und welche leider nicht immer die beßten Ausſichten fuͤr das Heil der Kranken gewaͤhrt. Bey der dritten Urſache, naͤmlich der zu ſchwachen localen Gefaͤßthaͤtigkeit gegen die allgemeine, wird ebenfalls der Krankheitsverlauf ſich ſchwerer und hartnaͤckiger zeigen, je mehr die Geſchlechtsorgane in ihrer Thaͤtigkeit ge - ſunken, und je reichlicher demohnerachtet die Chylusbereitung von Statten geht, und es iſt darnach leicht abzunehmen, daß z. B. in Faͤllen, wo die Schwaͤchung des Geſchlechtsſyſtems nur voruͤbergehend, durch ſtarke Blutungen etwa veranlaßt wurde, das136 Geſammtbefinden aber durch ſeinen kraͤftigern Stand je - nen oͤrtlichen Mangel bald zu heben verſpricht, der Krank - heitsverlauf kuͤrzer und die Prognoſe guͤnſtiger ſeyn muͤſſe, als wo bey einer durch ſcrofuloͤſe Dispoſition, ungeordnete Diaͤt, geſchlechtliche Ausſchweifungen untergrabenen Conſtitu - tion der normale periodiſche Blutandrang gegen das Sexual - ſyſtem Hinderniſſe findet, und nun, ſich gegen andere Or - gane wendend, die bedeutendſten Beſchwerden, ſowohl durch Congeſtionen als durch Nervenzufaͤlle herbeygefuͤhrt hat. Am leichteſten endlich voruͤbergehend, und, wenn auch zuweilen mit augenblicklich heftigen Symptomen begleitet, doch bald durch zweckmaͤßige Huͤlfe zur Ordnung ruͤckfuͤhrbar, pflegt die unvollkommne Menſtruation wegen uͤberwiegender Arterien - thaͤtigkeit zu ſeyn.

§. 181.

Was die einzelnen Formen der unvollkommnen Men - ſtrualfunktion betrifft, ſo kann uͤber ſie allein eine beſondere Beſtimmung des Krankheitsverlaufs und der Prognoſe nicht Statt finden, in wiefern ſie nur als aͤußere Zeichen der oben erwaͤhnten urſaͤchlichen Zuſtaͤnde angeſehen werden duͤrfen, und man alſo z. B. nicht ſagen kann, daß die ſpaͤrliche Men - ſtruation an und fuͤr ſich leichter oder ſchwerer heilbar ſey als die ſeltene, oder die mißfarbige, oder die ſchmerzhafte; wogegen es ſich jedoch von ſelbſt ergiebt, daß bey allen die - ſen Zuſtaͤnden die Heilung um ſo eher zu erwarten ſteht, je weniger eingewurzelt und verjaͤhrt, oder wohl gar durch erb - liche Anlagen begruͤndet, dieſelben erſcheinen.

§. 182.

Wir kommen nun zu den Mitteln, welche die Kunſt darbietet, um die Heilung des Krankheitszuſtandes, welcher durch unvollkommne Menſtruation ſich aͤußert, zu bewerkſtel - ligen, und muͤſſen hier wieder zwei Erinnerungen voraus - ſenden, erſtens daß man, bevor man an eine ſolche Heilung denke, ſtets erwaͤge, ob die in einem gegebenen Falle be - merkte zu ſparſame oder ſonſt unvollkommene Menſtruation hier auch wirklich krankhaft genannt werden duͤrfe, oder nicht137 vielmehr in dieſem Maaße gerade fuͤr das Wohlbefinden des Koͤrpers noͤthig ſey, wohin z. B. die verminderte Menſtrua - tion bey angehender Schwangerſchaft, bey acuten oder chro - niſchen Krankheitszuſtaͤnden anderer Organe, waͤhrend der Reconvalescenz u. ſ. w. gehoͤrt; zweitens, daß man nicht etwa glaube, dem Willen der Natur Genuͤge gethan zu haben, wenn man uͤberhaupt die Blutergießung zu Stande bringe, als in welchem Falle ſonſt eine kuͤnſtliche Blutentziehung ja ſchon hinreichen wuͤrde, die Krankheit zu heben, und die Menſtruation zu erſetzen. Offenbar muß es naͤmlich bey die - ſem Heilungsgeſchaͤft Hauptaugenmerk des Arztes ſeyn, die Geneſis des Krankheitszuſtandes von dem die unvollkomne Menſtruation das aͤußere Zeichen abgiebt, ſich klar vor Au - gen zu legen, und dann die Momente, deren Produkt das Uebel iſt, zu beſeitigen.

§. 183.

Wenden wir uns daher zuerſt zur Behandlung ei - ner wegen urſpruͤnglichen Bildungsfehlern der Geſchlechtstheile unvollkommnen Menſtrualfunk - tion, ſo kann allerdings hier die Kunſt am wenigſten aus - reichen, um die Wurzel der Krankheit zu zerſtoͤren, es wird vielmehr Hauptzweck bleiben muͤſſen, die Folgen dieſes Miß - verhaͤltnißes zu verhuͤten oder zu heben, welches am ſicher - ſten auf aͤhnliche Weiſe geſchehen wird, wie es oben (§. 167 u. 169.) fuͤr die verzoͤgerte oder mangelnde Menſtruation an - gegeben worden war, und wobey denn in der zweckmaͤßig eingerichteten Diaͤt und Lebensordnung bey weitem wieder das wichtigſte Moment zur Linderung dargeboten iſt. Was ferner die Behandlung der unvollkommenen Menſtrualfunktion wegen ſpaͤter entſtandener Verbildung der Geſchlechtstheile be - trifft, ſo iſt zu unterſcheiden, ob der Verbildungsproceß noch im Gange, oder ob derſelbe abgeſchloſſen und die Verbildung als fertiges Produkt zuruͤckgeblieben iſt. Im erſtern Falle iſt eher die Ruͤckbildung zu normaler Form, oder doch Ver - minderung des Uebels zu hoffen, und man behandelt daher daſſelbe ganz abgeſehen von der abnormen Menſtruation nach den Regeln, die wir im Folgenden fuͤr jene Bildungskrank -138 heiten durchgehen werden. Im andern Falle, wo die Des - organiſation beendigt iſt, eben daher aber auch aͤrztlicher Huͤlfe wenig Zugang mehr darbietet (z. B. bey Steatomen, Verknoͤcherungen, Verhaͤrtungen, Verwachſungen), bleibt es wieder, wie bey den urſpruͤnglichen Verbildungen, Hauptauf - gabe, den Stand allgemeiner Reproduktion mit der Gefaͤß - thaͤtigkeit des Geſchlechtsſyſtems in Uebereinſtimmung zu brin - gen, eine zu reichliche Chyluserzeugung zu beſchraͤnken, und eingetretene (gewoͤhnlich nur erſt durch fehlerhafte Lebensweiſe herbeygefuͤhrte) Beſchwerden, z. B. Congeſtionen, Kraͤmpfe, ſchmerzhafte Zuſtaͤnde u. ſ. w. durch die §. 167. und 169. erwaͤhnten Mittel und Vorſchriften zu heben.

§. 184.

Ferner iſt die Behandlung der unvollkommnen Men - ſtruation wegen unzulaͤnglicher Erregung reproduktiver Thaͤ - tigkeit des Geſchlechtsſyſtems zu erwaͤgen. Wieder aber wird die Wirkſamkeit des Arztes gegen die Erzeuger der Krank - heit, die veranlaſſenden und vorbereitenden Urſachen zunaͤchſt gerichtet ſeyn muͤſſen. Zeigt ſich daher in andern Organen eine uͤberwiegende Erregung, wie dieß bey habituellen wohl ſelbſt zu Blutergießungen fuͤhrenden Congeſtionen nach Kopf, Bruſt, Haͤmorrhoidalgefaͤßen u. ſ. w., oder bey Wunden, Ge - ſchwuͤren oder Hautkrankheiten der Fall iſt, ſo wird wieder von dieſen Krankheiten die Urſache zu bedenken und zu beſei - tigen ſeyn. Die erwaͤhnten Congeſtionen naͤmlich koͤnnen theils ihren Grund haben in den Zuſtaͤnden der Unterleibs - organe (der Quelle ſo außerſt verſchiedenartiger Leiden) und ſind dann die Folgen unregelmaͤßiger Diaͤt, vorhandener Ob - ſtruktion, Druͤſenanſchwellungen oder anderer Auftreibungen, wo ſodann eine gelind ausleerende Heilmethode, verbunden mit ſtrenger, einfacher Diaͤt, um ſo mehr leiſtet, da eine ſolche Aufregung der Unterleibsorgane zugleich wohlthaͤtig das Geſchlechtsſyſtem mit in Anſpruch nimmt. Sind jene Wal - lungen hingegen mehr Folgen ſehr reichlicher Bluterzeugung und der allgemeinen Koͤrperbildung (wie etwa bey ſtarkem kurzem Koͤrperbau Congeſtionen nach dem Kopfe mit Schwin - del und Naſenbluten, bey phthiſiſchem Habitus Beſchwerung139 der Reſpirationsorgane und Bluthuſten gern vorzukommen pflegen), ſo iſt durch Beſchraͤnkung aller auf die leidenden Theile wirkenden Reitze und durch antagoniſtiſche Erregung anderer Gebilde am meiſten auszurichten. Man ordnet in dieſen Faͤllen ein kuͤhles Regimen an, laͤßt die Kranken nicht in dicken Federbetten ſchlafen, laͤßt eine mehr vegetabiliſche Diaͤt fuͤhren, ſaͤuerliche Getraͤnke, bey Bruſtkrankheiten Mol - ken u. dgl. genießen, reicht von Zeit zu Zeit blande Abfuͤhr - mittel, wendet noͤthigenfalls ſelbſt allgemeine Blutentziehungen durch einen Aderlaß am Fuße an, oder beſtimmt wenigſtens zur Zeit der herannahenden Menſtruation Fußbaͤder oder Blut - igel an das Perinaeum.

§. 185.

Bey andern krankhaften Zuſtaͤnden, als Wunden, Ge - ſchwuͤren, Hautkrankheiten, muß, um die Menſtruation zu ordnen, die Heilung dieſer Zuſtaͤnde vorausgehen, und zwar unter den Vorſichtsmaaßregeln, welche die etwa bereits laͤn - gere Dauer derſelben noͤthig macht, weßhalb dann z. B. bey Heilung ſcrofuloͤſer langwieriger Geſchwuͤre das Tragen eines Fontanells waͤhrend einiger Zeit nuͤtzlich ſeyn wird u. ſ. w. Zugleich aber wird bey ſich hebender allgemeiner Reproduk - tion auf gelinde Erregung des Geſchlechtsſyſtems Ruͤckſicht genommen werden muͤſſen, weßhalb auch hier Fußbaͤder, wol - lene Bekleidung der Unterſchenkel, trockne Friktionen derſel - ben, bey Vollbluͤtigen Blutigel an das Perinaͤum, bey Phleg - matiſchen ſpirituoͤſe Einreibungen in der regio hypogastrica, Elektricitaͤt, das Tragen aromatiſcher Kraͤuterguͤrtel, von Zeit zu Zeit das Darreichen einer Abfuͤhrung aus Senna, Rheum und aͤhnlichen Mitteln gute Wirkung thun. Ueberhaupt ſind bey allen Arten einer auf dieſe Weiſe geſtoͤrten Harmonie koͤrperlicher Thaͤtigkeit, Mittel, welche durch ihre an ſich indifferente Natur Herſtellung des Gleichgewichts befoͤr - dern, aͤußerſt nuͤtzlich, und dahin rechnen wir ganz beſonders die Wirkung des lauen Bades, welches, verbunden mit Sorg - falt fuͤr Erhaltung und Herbeyfuͤhrung einer ruhigen und heitern Gemuͤthsſtimmung, die Heilung ſo weſentlich un - terſtuͤtzt.

140
§. 186.

Weiter fanden wir die unvollkommene Menſtrualfunk - tion (§. 174.) bedingt durch oͤrtliche Schwaͤche des Sexual - ſyſtems in Folge von Erſchoͤpfung oder Ueberreitzung. Bey Behandlung dieſer Zuſtaͤnde iſt nun aber zuerſt immer das Verhaͤltniß allgemeiner Bildungsthaͤtigkeit zu beruͤckſichtigen, welche ſtets, wo ſie zugleich bedeutend gelitten hat, zuerſt die Aufmerkſamkeit des Arztes fordert, da, wie ſchon mehr - mals erinnert worden, die Menſtrualfunktion nur das Er - gebniß allgemeiner Lebensthaͤtigkeit ſeyn kann. Man hat da - her auch hier mit Beruͤckſichtigung des Organs, in welchem die Wurzel der Geſammternaͤhrung ſich findet, d. i. des Darmkanals, den Anfang zu machen, und wenn unter zweck - maͤßiger Behandlung die Aſſimilation wieder regelmaͤßiger von Statten geht, die die Muskelfaſer ſtaͤrkenden Mittel, als China, Eiſen, Wein, Baͤder, Bewegung und freye Luft ohngefaͤhr eben ſo wie oben (§. 162.) gelehrt wurde, anzu - wenden.

§. 187.

Was hingegen die oͤrtliche Schwaͤche betrifft, ſo iſt zu unterſcheiden, ob ſie mit erhoͤhter Empfindlichkeit oder mit Apathie ſich verbunden zeigt. Im erſtern Falle iſt zunaͤchſt auf Beſchraͤnkung aller das Geſchlechtsſyſtem erregender Reitze Ruͤckſicht zu nehmen, der Gebrauch des Thees, der Cho - kolade, gewuͤrzter Speiſen zu unterſagen, bey Frauen die aͤußerſte Maͤßigkeit im Geſchlechtsgenuße zur Pflicht zu ma - chen, und eben ſo ſehr alle Erregung der Phantaſie durch weichliche Romanenleſerey zu unterſagen, vielmehr auf Zer - ſtreuung und Aufheiterung des Gemuͤths mittelſt geregelter Beſchaͤftigung Ruͤckſicht zu nehmen. Wird dieſes hinlaͤnglich befolgt, das allgemeine Befinden durch die paſſende Anwen - dung des erwaͤhnten ſtaͤrkenden Heilplans mehr und mehr zur Norm zuruͤckgefuͤhrt, ſo werden gewoͤhnlich auch die Un - regelmaͤßigkeiten der Menſtrualfunktion ſich verlieren, und wir erwaͤhnen nur noch, daß bey einem hohen Grade von Atonie auch Halbbaͤder oder Waſchungen aus einem Abſud von Ser - pillum, Absinthium, Tragen eines Guͤrtels mit dem Pulver141 der Eichenrinde gefuͤllt, und oͤfters mit rothem Wein befeuch - tet, und beſonders der Gebrauch eiſenhaltiger Mineralbaͤder mit vorzuͤglichem Nutzen angewendet werden koͤnnen.

§. 188.

Iſt hingegen (was vorzuͤglich nach zu haͤufigen Wo - chenbetten, Leucorrhoͤe, ſyphilitiſchen Zuſtaͤnden und phlegma - tiſchen Conſtitutionen, vorzukommen pflegt) die Schwaͤche der Geſchlechtstheile mit bedeutend verminderter Senſibilitaͤt ver - bunden, die Reproduktion im Allgemeinen aber kraͤftig ge - nug, um die Bedingung zu einer reichlichern und zur rech - ten Zeit eintretenden Menſtruation zu enthalten, ſo iſt vor - zuͤglich die Reihe jener Mittel in Anwendung zu ziehen, de - ren Wirkung das Nerven - und Gefaͤßſyſtem der Geſchlechts - organe beſonders in Anſpruch nimmt, und welche im §. 164 bereits ausfuͤhrlich angegeben wurden.

§. 189.

Endlich mußte denn auch die zu ſehr hervorgehobene Thaͤtigkeit des arteriellen Syſtems unter die Urſachen der un - vollkommenen Menſtrualfuntion aufgenommen werden, und wir haben ruͤckſichtlich der Behandlung dieſer Zuſtaͤnde nur wieder die Regeln in Erinnerung zu bringen, welche bey aͤhnlichem Zuſtande §. 168. gegeben worden ſind, und welche in Anordung eines antiphlogiſtiſchen Regimens, beſchraͤnkter Diaͤt, der Abfuͤhrungen und der Blutentziehungen vorzuͤglich beſtanden.

§. 190.

Indem wir nun bisher vorzuͤglich die eigentlichen Ur - ſachen der abnormen Zuſtaͤnde der Menſtruation ins Auge faßten, wurden zugleich auch die eigentlichen Grundzuͤge hier einzuleitender aͤrztlicher Behandlung entworfen, und die ein - zelnen Modifikationen in der aͤußern Erſcheinung dieſer Krank - heitszuſtaͤnde, z. B. das zu ſeltne, zu ſpaͤrliche, das miß - farbige Fließen der Menſtruation, kann ebenfalls nur geringe Modificationen der Behandlung veranlaſſen. Es iſt naͤmlich, ob die eine oder die andere Form der unvollkommenen Men -142 ſtruation erſcheine, vorzuͤglich das Verhaͤltniß zwiſchen Gefaͤß - und Nervenſyſtem, und zwiſchen Geſchlechts - und andern Organen beſtimmend (§. 177 79.), und man thut daher wohl, bey zu ſeltner Menſtruation (welche beſonders bey verminderter Senſibilitaͤt einzutreten pflegt) außer den durch ſonſtige Urſachen indicirten Mitteln, vorzuͤglich den §. 168. angezeigten Heilplan zu befolgen, und gegen die normale Zeit des eigentlichen Eintritts, namentlich die gelind erregen - den Mittel: Fußbaͤder, Meliſſen - und Valeriana-Aufguß, Elektrizitaͤt, aromatiſche Baͤder, trockne Friktionen der Un - terſchenkel u. ſ. w. anzuwenden. Die uͤberhaupt unordentliche Menſtruation iſt mehr Symptom allgemein verſtimmten Befindens, und wird weichen, wenn jenes gehoben iſt. Eben ſo macht die ſpaͤrliche Menſtruation beſonders das Beruͤck - ſichtigen allgemeiner und oͤrtlicher Reproduktion die mißfar - bige vorzuͤglich die Behandlung ſonſtiger Krankheitszuſtaͤnde des Uterus (als mit welchen ſie am haͤufigſten verbunden iſt) nothwendig.

§. 191.

Die ſchmerzhafte Menſtruation hingegen iſt vorzuͤglich an Bildungsfehler des Uterus oder abnorme Lagen deſſelben und allgemeines Vorwalten des Nervenſyſtems geknuͤpft, und verlangt daher theils Behandlung jener organiſchen Urſachen, oder, wo dieſe als unheilbar erſcheinen, moͤglichſte Beſeiti - gung dieſer Symptome, indem man bey mehr entzuͤndlicher Natur derſelben, welche bey reichlicher Bluterzeugung, ſitzen - der Lebensweiſe und kraͤftigem Koͤrperbau vorzuͤglich beobach - tet wird, oͤrtliche Blutentziehungen, kuͤhlende Abfuͤhrungen, antiphlogiſtiſche Diaͤt, laue Baͤder anwendet; dahingegen, wo dieſe Erſcheinungen urſpruͤnglich minder dem Gefaͤßſyſtem als dem Nervenſyſtem angehoͤren, die, die Senſibilitaͤt direkt her - abſtimmenden, oder antagoniſtiſch dieſelbe in den Geſchlechts - theilen durch vermehrte Erregung anderer Organe herabſetzen - den Heilmittel in Anwendung kommen. Wir rechnen zu den erſtern die Halbbaͤder, Dampfbaͤder und Injektionen von Cha - millen -, Valeriana - und Bilſenkraut-Abſud, die von den erſtern Kraͤutern bereiteten und mit oͤhlichten oder ſchleimig -143 ten Mitteln verſetzten Lavements, die Einreibungen von Opiatſalbe in die Kreuzgegend, die warmen trocknen Fomen - tationen und die Cataplasmata aus den Spec. emollienti - bus uͤber die regio hypogastrica, die allgemeinen lauen Baͤder, und innerlich den Gebrauch des Opiums in kleinen Gaben, der Emulſionen, der Valeriana und ihrer Praͤpa - rate, des Liq. C. C., des Moſchus, der Tr. Castorei u. ſ. w. Zu der zweiten Klaſſe hingegen rechnen wir die rei - tzenden Fußbaͤder, die fluͤchtig reitzenden Einreibungen in die Kreuzgegend, die Befoͤrderungsmittel der Transſpiration und Synapismen an die Unterſchenkel.

§. 192.

Zuletzt die Menſtruation aus ungewoͤhnlichen Quellen betreffend, ſo ſind hier vorzuͤglich die §. 184. u. 190. gege - benen Regeln zu bedenken, und es iſt darnach die Behand - lung der einzelnen Faͤlle anzuordnen. Was demnach die Be - handlung von dem die Regeln vertretenden Naſenbluten, Blut - huſten u. ſ. w. betrifft, ſo iſt daruͤber ſchon oben das Naͤhere erwaͤhnt, allein von den uͤbrigen vicariirenden Ausſcheidungen gedenken wir hier noch der Blutungen aus den Bruſtwarzen, wogegen vorzuͤglich das Einreiben vom Oleo camphorato, das Bedecken mit Emplastro de Cicuta und E. mercuriali, verbunden mit dem Gebrauche reitzender Fußbaͤder, der Elektri - citaͤt, der Purgiermittel, ſo wie der ſaliniſchen Mineralquellen und Baͤder empfohlen werden kann.

C. Uebermaͤßiges Hervortreten der Menſtrual - funktion.
§. 193.

So wie die unvollkommne Menſtruation den Verzoͤge - rungen der Pubertaͤtsentwicklung verwandt war, ſo die uͤber - maͤßig erſcheinende der zu fruͤhzeitig entwickelten Geſchlechts - reife. Begriffen werden darunter alle Zuſtaͤnde, wo die Men - ſtrualfunktion zum Nachtheile des allgemeinen Be - findens das oben (§. 119. u. f.) bezeichnete Maaß uͤber -144 ſchreitet. Als verſchiedene Formen, unter welchen dieſer Krankheitszuſtand erſcheint, ſind theils die der Quantitaͤt nach zu ſtarke, theils die der Zeit nach zu haͤufige Menſtruation aufzufuͤhren; beydes kann ſich indeß auch vereinigen oder ab - wechſelnd ſich zeigen, ja ſelbſt (bey der unordentlichen Men - ſtruation) mit der unvollkommnen Menſtruation abwechſeln. Weſentlich bleibt auch hier das Beruͤckſichtigen der urſachlichen Momente, welche ein ſolches Mißverhaͤltniß zwiſchen ge - ſchlechtlicher Thaͤtigkeit und insbeſondre dem Leben der Uterin - gefaͤße und allgemeiner Bildungsthaͤtigkeit hervorrufen; denn auch hier iſt klar, daß nur durch dieſes Mißverhaͤltniß der Zuſtand zur Krankheit wird, indem, wenn die Menſtruation im Einklange mit ſehr reichlicher allgemeiner Bluterzeugung ſtaͤrker oder haͤufiger erſcheint, dieß allerdings mit vollkomm - nem Wohlbefinden verbunden ſeyn kann, und folglich keiner aͤrztlichen Behandlung unterliegen wird.

§. 194.

Innere vorbereitende Urſachen dieſer Abnormi - taͤt ſind aber 1) ſanguiniſches Temperament, kurzer gedraͤng - ter Koͤrperbau mit ſtark entwickeltem Sexualſyſtem, durch die breiten Huͤften und ſehr vollen Bruͤſte, ſo wie durch ſtaͤrkere Geſchlechtsneigung charakteriſirt; oder auch im Gegentheile eine ſchwaͤchliche aber beſonders reitzbare Conſtitution; kurz, ein urſpruͤngliches, in der organiſchen Bildung ſelbſt beding - tes Ueberwiegen der Geſchlechtsthaͤtigkeit, welches, wenn es mehr im Gefaͤßſyſtem ſich ausſpricht, namentlich von der zu ſtarken, wenn es mehr im Geſchlechtsſyſtem ſich kund giebt, mehr von der haͤufiger erſcheinenden Menſtruation begleitet wird. 2) Hoher Grad von Atonie der Geſchlechtsorgane, wo bey unvollkommner Contraktilitaͤt der Uteringefaͤße reich - lichere Blutergießungen, als der Stand allgemeiner Bildungs - thaͤtigkeit fordert, erfolgen, ein Zuſtand, welcher theils durch zu haͤufige Wochenbetten, fruͤhere Haͤmorrhagien, Ausſchwei - fungen und Krankheiten der Genitalien (z. B. Leucorrhoͤe und Syphilis) herbeygefuͤhrt werden kann. 3) Organiſche Verbildungen der Genitalien durch Abſceſſe, Verhaͤrtungen und Carcinoma. 4) Krankheiten benachbarter Organe, wodurch145 der regelmaͤßige Blutlauf in den Unterleibsorganen geſtoͤrt wird, wohin ſcrofuloͤſe Zuſtaͤnde, Krankheiten des Pfortader - ſyſtems, Obſiruktionen und Auftreibungen einzelner Einge - weide gerechnet werden muͤſſen.

§. 195.

Aeußere veranlaſſende Urſachen ſind 1) eine zu reichlich naͤhrende Diaͤt von vielen Fleiſchſpeiſen, ſtarken Bieren, vorzuͤglich bey ſitzender Lebensweiſe, wobey ohne die Ernaͤhrung der organiſchen Gebilde kraͤftig zu foͤrdern, nur die Maſſe des Blutes vermehrt wird, ſich dann vorzuͤglich in den Venen (den eigentlichen Reſervoirs der Blutmaſſe) anhaͤuft, und daher nun, ſo wie mancherley andere Blut - fluͤße auch die zu reichliche Menſtruation erzeugt. 2) Aeußere Einfluͤße, welche durch Erregung der Nerven der Sexual - organe den ſtaͤrkern Blutandrang nach denſelben veranlaſſen, wohin a) pſychiſche Reitze gehoͤren, als haͤufiger Umgang mit dem andern Geſchlecht, Romanenleſerey und ſchluͤpfrige Phan - taſien; b) eigentliche Geſchlechtsreitze, durch vielfache Aus - ſchweifungen; c) Reitzungen der Geſchlechtsorgane durch er - hitzende Bewegungen, z. B. Tanzen, oder erhitzende, gewuͤrzte oder ſpirituoͤſe Speiſen und Getraͤnke; d) Mißbrauch erhitzen - der diaͤtetiſcher und arzneylicher Mittel, innerlich oder aͤu - ßerlich (als Injektionen, ſehr warme reitzende Baͤder, Dampf - baͤder, Kohlentoͤpfe u. ſ. w.) angewendet; e) endlich die Stim - mung der Atmosphaͤre, naͤmlich ſehr heiße Temperatur, trockne Kaͤlte, Fruͤhlings - und Herbſtzeit. 3) Gehoͤren hierher aͤu - ßere, den regelmaͤßigen Blutlauf der Unterleibsorgane be - ſchraͤnkende Einwirkungen, namentlich zu feſt anliegende Klei - der, Einſchnuͤren des Leibes u. ſ. w.

§. 196.

Es iſt ferner von dem Gange, welchen dieſer krank - hafte Zuſtand nimmt, von den fuͤr das allgemeine Befinden zu befuͤrchtenden Folgen und der hieraus ſich ergebenden Prognoſe zu ſprechen, wobey denn leicht zu erkennen ſeyn wird, daß alles dieſes nach der verſchiedenen Entſtehung und Begruͤndung des Uebels verſchieden ſeyn muͤſſe. Man findetI. Theil. 10146naͤmlich, daß, wo eine ſtarke reproduktive Thaͤtigkeit, welche in den Geſchlechtsorganen vorherrſcht, verbunden mit zu reich - licher Diaͤt und weniger Koͤrperbewegung, das Uebermaaß in der Menſtrualfunktion veranlaßt, die Wirkungen derſelben zu - voͤrderſt eher wohlthaͤtig als nachtheilig erſcheinen, allein daß bey ſehr haͤufiger Wiederkehr ſo ſtarker Ausſcheidungen die Uteringefaͤße ſich erweitern, erſchlaffen, und, indem dieſe ha - bituell gewordenen Ausleerungen auch ohne allgemeine reich - lichere Bluterzeugung fortdauern (dann als ſogenannte paſſive Blutungen), zuletzt allgemeine und oͤrtliche Krankheiten, als Waſſerſucht, Gelbſucht, Auszehrung, Unfruchtbarkeit, Vor - faͤlle und weißen Fluß herbeyfuͤhren, weßhalb denn hier alſo die Prognoſe vorzuͤglich auf die Dauer des Uebels Ruͤckſicht zu nehmen hat. Noch leichter und ſchneller entſtehen die erwaͤhnten Zufaͤlle jedoch, wenn die uͤbermaͤßige Menſtruation mehr durch Vorwalten der Senſibilitaͤt der Geſchlechtsorgane, und durch aͤußere die Reitzbarkeit krankhaft erhoͤhende Ein - fluͤße (§. 195. 2. ) erzeugt worden war, als unter welchen Umſtaͤnden Schwaͤche des Muskularſyſtems, Sinken der aſſi - milativen Funktion, Ueberhandnehmen der Reitzbarkeit entſteht und ſo zu Nervenzufaͤllen, Gemuͤthskrankheiten u. ſ. w. der Weg gebahnt iſt.

§. 197.

Iſt ferner die allzureichliche Menſtruation Folge einer durch zu haͤufige Wochenbetten u. ſ. w. verurſachten Atonie der Uteringefaͤße, ſo werden die im vorigen Paragraph er - waͤhnten Beſchwerden nur um ſo raſcher ſich einſtellen, ja dem Leben endlich gefaͤhrlich werden koͤnnen; und es gilt daſſelbe auch dann, wenn dieſer Blutverluſt durch organiſche Verbildungen (§. 194. 3. ) erzeugt wird, wo, obgleich hier der Blutfluß eigentlich nur Symptom einer andern Krankheit iſt, doch das Sinken allgemeiner Reproduktion, welches an und fuͤr ſich ſchon dieſe Krankheiten begleitet, dadurch nur noch mehr beſchleunigt wird. Was endlich die Faͤlle betrifft, wo dieſe Abnormitaͤt der Menſtrualfunktion durch Krankheiten anderer und vorzuͤglich der Unterleibsorgane bedingt wird, ſo richtet ſich hier Verlauf und Prognoſe wieder ganz nach die -147 ſen urſachlichen Krankheitszuſtaͤnden, und es iſt nur zu er - waͤgen, daß eine laͤngere Dauer dieſes Blutverluſtes theils die Geſchlechtsorgane ſelbſt zu andern Krankheiten disponirt, theils die Zerruͤttung des Allgemeinbefindens immer mehr beſchleunigen muͤſſe.

§. 198.

Indem wir nun ferner die rechte Art der Behand - lung uͤbermaͤßiger Menſtrualfunktion erwaͤgen, iſt wieder zu - naͤchſt darauf aufmerkſam zu machen, daß man nicht uͤber - ſehe, wie gewoͤhnlich auch dieſer Zuſtand blos Produkt oder Symptom einer allgemeinen Verſtimmung ſey, und wie we - nig daher auch hier bloßes Zuruͤckhalten des Blutes Abſicht eines aͤchten Heilverfahrens ſeyn koͤnne. Alle Mittel folglich, welche durch Contraktion der Uteringefaͤße oft ploͤtzlich eine bedeutende Blutergießung zu hemmen vermoͤgen, werden auf die Faͤlle eingeſchraͤnkt bleiben, wo die Menſtruation in wahre Haͤmorrhagie uͤbergeht, und werden daher auch erſt bey dieſer Krankheit naͤher durchgegangen werden*)Wie nachtheilig z. B. die Kaͤlte hier wirken kann, beweiſen meh - rere Beiſpiele von Perſonen, die, um eine ſtarke Menſtruation zu beſeitigen, kalte Waſchungen oder Baͤder anwandten, und darauf in Metritis, Nymphomanie und aͤhnliche Zuſtaͤnde verfielen.. Um ſo mehr iſt dagegen auf Lebensordnung und Diaͤt Ruͤckſicht zu nehmen, dieſe ſo maͤchtigen Mittel in der Hand des auch außer dem Receptbuche noch Heil ſuchenden Arztes**)M. ſ. hieruͤber ein Wort zu ſeiner Zeit von Ruſt in deſſen Ma - gazin f. d. geſ. Heilkunde. IV. Bd. 2s Hft., und wir finden daher ſchon von Astruc (wie denn uͤberhaupt die franzoͤſiſchen Aerzte dieſes Feld der Heilkunde ſtets auf lo - benswerthe Art beruͤckſichtigten) und neuerlich von Siebold die diaͤtetiſchen Regeln in der Behandlung dieſes krankhaften Zuſtandes obenan geſtellt, welches ja wohl eigentlich uͤberall geſchehen ſollte, indem dieſe allgemeinſten Einfluͤße ja die Be - dingungen des Lebens enthalten.

§. 199.

Allgemein kann es daher hier zur Regel gemacht wer - den: 1) heftige, anſtrengende Bewegungen des Koͤrpers und148 des Gemuͤths zu vermeiden; 2) erhitzender, ſpirituoͤſer oder gewuͤrzter Getraͤnke und Speiſen ſich zu enthalten; 3) keine engen einzwaͤngenden Kleidungsſtuͤcke zu tragen; 4) ſich da - gegen an kuͤhles Verhalten, leichte mehr vegetabiliſche Diaͤt zu gewoͤhnen; 5) beſonders große Maͤßigkeit hinſichtlich der Geſchlechtsbefriedigung zu beobachten, und 6) vor, in und nach der Menſtruationsperiode mehr die horizontale Lage an - zunehmen. Ueberhaupt alſo die §. 195. genannten veran - laſſenden Urſachen zu vermeiden.

§. 200.

Die mediciniſche Behandlung hingegen wird namentlich die Beſeitigung der innern Verſtimmungen, welche dieſe zu ſtarke Ausſcheidung bedingen, zu bewirken ſuchen, und in ſofern bey verſchiedenen Faͤllen verſchieden ſeyn; iſt daher uͤber - haupt eine reichliche Stofferzeugung vorhanden und mit vor - herrſchender produktiver Thaͤtigkeit der Uteringefaͤße verbunden, ſo wird zwar hier die ſtaͤrkere Blutausſcheidung fuͤr den Au - genblick ſelbſt heilſam werden und nicht zu ſtoͤren ſeyn, allein um fernern Nachtheilen vorzubauen, iſt ſodann noͤthig, außer einem ſtreng antiphlogiſtiſchen Regimen, von gelinden Ab - fuͤhrmitteln (aus Mittelſalzen, Pulpa Tamarindorum u. ſ. w.) Gebrauch zu machen, ja es koͤnnen vorzuͤglich Anfangs der Behandlung ſelbſt allgemeine Blutentleerungen mit dem guͤn - ſtigſten Erfolge angewendet werden; es muß ferner, außer der Periode, durch geregelte angemeſſene Bewegung fuͤr Un - terhaltung einer gelinden Transſpiration und Verarbeitung der aſſimilirten Stoffe geſorgt, beym Herannahen der Periode aber der Gebrauch des Nitrums und der vegetabiliſchen Saͤuren empfohlen werden.

§. 201.

Iſt es hingegen mehr allgemeine und oͤrtlich aufgeregte Senſibilitaͤt, welche die profuſe Menſtruation hervorrief, ſo muͤſſen die weitern, haͤufig in der Lebensart allein liegenden Urſachen, von welchen dieſes abhaͤngt, aufgeſucht und moͤg - lichſt beſeitigt werden, als eigentliche Heilmittel aber dienen dann innerlich die rein bittern Mittel, Extrakte, China, Eiſen,149 welche namentlich außer den Perioden, und bey ſtaͤtiger Ruͤck - ſicht auf die regelmaͤßige Funktion des Darmkanals angewen - det werden muͤſſen; ferner zur Zeit des Eintritts der Periode das verduͤnnte Acidum vitrioli mit Himbeerſaft zum Ge - traͤnk, auch wohl unterſtuͤtzt durch die Wirkung ſtaͤrkerer an - tiſpasmodiſcher Mittel, z. B. des Dowerſchen Pulvers. Aeußerlich wirken in den Zwiſchenraͤumen der Perioden kuͤhle, mit Hb. absinthii u. ſ. w. verſetzte, oder eiſenhaltige Baͤder, kaltes Waſchen der Geburtstheile, Tragen von Guͤrteln mit bittern Rinden - oder Kraͤuterpulvern gefuͤllt, der Genuß einer reinen und mehr kuͤhlen Luft, unter zweckmaͤßiger, die Erhi - tzung der Phantaſie ableitender Beſchaͤftigung, vorzuͤglich wohl - thaͤtig. In der Periode iſt vollkommne Ruhe Pflicht. Zu - gleich iſt uͤbrigens Sorgfalt fuͤr Unterſtuͤtzung der Reproduk - tion nicht zu uͤbergehen, theils weil außerdem leicht die Schwaͤche und Reitzbarkeit bey dem uͤbermaͤßigen Saͤfteverluſt auf einen gefaͤhrlichen Grad ſteigt, theils weil eine kraͤftiger werdende Reproduktion ſchon an und fuͤr ſich die zu große Reitzbarkeit mindert. Man ordnet daher (außerdem, daß ſchon die obgedachten Tonica die Reproduktion unterſiuͤtzen) eine leicht verdauliche Diaͤt von Bouillon, Sago, Gries, Eyern an, laͤßt in den Zwiſchenzeiten der Periode einen kraͤf - tigen alten Rheinwein in angemeſſenen Doſen gebrauchen und empfiehlt Aufheiterung, Landluft u. ſ. w.

§. 202.

Iſt hingegen wahre Atonie der Uteringefaͤße Krankheits - urſache,[ſo] muͤſſen die im vorigen Paragraph angezeigten Mittel mit Ausnahme der Antispasmodicorum, und nach den Umſtaͤnden in verſtaͤrkter Gabe und mit mehr fluͤchtig reitzenden Stoffen vermiſcht gegeben werden, wobey uͤbrigens ſtets wieder der Zuſtand allgemeiner Ernaͤhrung die erſte Ruͤckſicht verdient, indem wir leicht bemerken koͤnnen, daß dieſe Zuſtaͤnde am gewoͤhnlichſten bey aͤltlichen phlegmatiſchen Koͤrpern, deren Verdauung ſchlecht von Statten geht, welche zu Obſtruktionen und Waſſerſuchten geneigt ſind, vorkommen, und ſich, wo ſie ganz rein durch oͤrtliche Urſachen in einem uͤbrigens kraͤftigen Koͤrper veranlaßt wurden, gemeinhin auch150 ſehr bald, ja ohne alle aͤrztliche Huͤlfe, verlieren. Außer den Perioden werden alſo, nach Beruͤckſichtigung des Zuſtan - des im Darmkanal, die Aufloͤſungen der Extrakte in aroma - tiſchen Waͤſſern, die Decokte der China mit geiſtigen Tinktu - ren, oder die weinigten Infusa derſelben, wie auch die Ei - ſenpraͤparate verordnet, geiſtige Einreibungen in die regio hypogastrica und ossis sacri angewendet, eiſenhaltige oder aromatiſche Baͤder gebraucht; zur Zeit der Periode hingegen die mehr coutrahirenden Mittel, als z. B. Acidum Halleri, Acidum phosphori (zu 15 20 Tropfen in einem ſchlei - migen Vehikel) ja ſelbſt bey ſtaͤrkern Blutergießungen die T. Cinnamomi in Gebrauch gezogen; im Allgemeinen end - lich wird die Bildungsthaͤtigkeit durch eine kraͤftige nahrhafte Diaͤt unterſtuͤtzt.

§. 203.

Endlich iſt denn aber auch die profuſe Menſtruation reines Symptom anderer Krankheiten, und zwar theils des Uterus, theils benachbarter Organe, und dann kann es an und fuͤr ſich einer weitern aͤrztlichen Behandlung nicht unter - worfen ſeyn, außer daß waͤhrend der Periode die obigen Re - geln (§. 199.) beobachtet werden muͤſſen, und daß bey zu heftigem Blutabgange zuweilen von innerlich oder aͤußerlich anwendbaren, die Contraktion der Gefaͤße bewirkenden Mit - teln (ſ. davon bey der Metrorrhagie) Gebrauch zu machen iſt. Vorzuͤglich ſind es die mancherley Unterleibskraukhei - ten, welche nur zu haͤufig als Quelle dieſer und aͤhnlicher Stoͤrungen der Menſtruation zu betrachten ſind, und eben weil man hier ſo oft das Symptom fuͤr das Weſentliche nimmt, und, indem man durch Ueberhaͤufung mit ſogenannten Staͤr - kungsmitteln den Blutfluß hemmt, die Obſtruktionen, Auftrei - bungen u. ſ. w. nur noch vermehrt, muͤſſen wir wiederholt auf das Unzweckmaͤßige ſolcher Behandlung aufmerkſam machen.

§. 204.

Den Unterſchied uͤbrigens zwiſchen ſehr ſtarker und ſehr haͤufiger Menſtruation kann in der Regel die Behandlung nur in ſofern beruͤckſichtigen, als er insbeſondre auf das groͤßere151 oder geringere Vorherrſchen des Nervenſyſtems gegruͤndet, und daher im Allgemeinen bey der erſtern Form mehr die das Gefaͤßſyſtem, bey der zweiten Form mehr die die Sen - ſibilitaͤt in Anſpruch nehmende Heilmethode angezeigt iſt.

D. Hemmung oder Unterdruͤckung der Menſtrual - funktion (Menses suppressi s. obstructi).
§. 205.

Wenn die organiſche Thaͤtigkeit, deren Produkt die Men - ſtruation iſt, durch irgend eine Umſtimmung des allgemeinen Lebens, und zwar zu einer Zeit, wo ſie im Normalzuſtande fortwaͤhrend[wirkſam] ſeyn ſollte, ſich zu aͤußern aufhoͤrt, ſo begruͤndet dieß den Zuſtand der ſogenannten Unterdruͤckung der Menſtruation, von welcher alſo das Aufhoͤren der Men - ſtruation in der Schwangerſchaft, ſo wie beym Erloͤſchen der Zeugungsfunktion allerdings und genau unterſchieden werden muß, um ſo mehr da man, wenn man bey dieſen Zuſtaͤnden die Wiederherſtellung der Menſtruation zu bewirken verſuchen wollte, dieß zum großen Nachtheil des Koͤrpers geſchehen wuͤrde. Allein noch außerdem kann die Menſtruation zuwei - len verſchwinden, und dieß, obwohl es in Folge eines Krank - heitszuſtandes geſchieht, doch an und fuͤr ſich mit dem Allge - meinbefinden ſo ſehr in Uebereinſtimmung ſeyn, daß ebenfalls ein Heilverfahren, welches unmittelbar auf Herſtellung dieſer Funktion gerichtet waͤre, nachtheilig werden muͤßte; und es iſt dieſes namentlich dann der Fall, wenn die allgemeine bil - dende Thaͤtigkeit nicht in dem Grade energiſch iſt, um den auf das Geſchlechtsſyſtem gerichteten Ueberfluß zu erzeugen, welches denn z. B. in acuten und chroniſchen Krankheiten, bey anderweitigem Saͤfteverluſt durch Eiterungen, anhaltendes Schwitzen (etwa bey Perſonen, welche in ſtarker Sommer - hitze arbeiten) bey ſehr duͤrftiger Koſt und Lebensweiſe, in der Reconvalescenz u. ſ. w. bemerkt wird. Immer alſo wird dieſes Hemmen der Menſtrualfunktion um ſo krankhafter ſeyn, je mehr der Koͤrper im Allgemeinen fuͤr das Ausuͤben dieſer Funktion geeignet war, und je ploͤtzlicher dieſes Mißverhaͤlt -152 niß der Geſchlechtsfunktion zum Allgemeinbefinden herbeyge - fuͤhrt wurde.

§. 206.

Die Urſachen nun betreffend, durch welche dieſe Stoͤ - rung herbeygefuͤhrt werden kann, ſo gehoͤren dahin theils als geneigt machende: ein hoher Grad allgemeiner und oͤrtlicher Reitzbarkeit, Neigung zu Congeſtionen nach andern Organen, ſo wie Verſtimmung des Lymphſyſtems und der Verdauungs - werkzeuge; theils als veranlaſſende Urſachen, alles, was ei - nen krampfhaften Zuſtand der Uteringefaͤße oder des Mutter - mundes, ja Entzuͤndungszuſtand deſſelben zu veranlaſſen ver - mag, wohin denn wieder theils allgemeine, theils oͤrtliche Einwirkungen gerechnet werden muͤſſen, z. B. heftige Ge - muͤthsbewegungen, Schreck, Aerger, andere gewaltſame Er - ſchuͤtterungen des Nervenſyſtems, z. B. durch Elektricitaͤt*)So iſt mir ein Fall bekannt, wo bey einer acht und zwanzigjaͤhri - gen Frau, indem ſie, um bey einem kranken Kinde die Elektricitaͤt anwenden zu laſſen, dieſes auf dem Schooße hielt, und ſich folglich ſo dem elektriſchen Strome mit ausſetzte, in dieſer Behandlung aber, obwohl geſund, zwei Monathe hindurch, und auch waͤhrend der Regeln verblieb, ploͤtzlich die Menſtruation verſchwand, nie wie - derkehrte, dagegen aber Gicht zur Folge hatte. ferner erhitzende Arzneymittel, Speiſen oder Getraͤnke**)Joſ. Frank erzaͤhlt einen Fall, wo durch Wein und Beyſchlaf die eben fließende Menſtruation verſchwand und Metritis veranlaßt wurde (ſ. deſſen Acta instituti clinici Vilnens. Lips. 1808.). vor - zuͤglich aber Erkaͤltungen, namentlich der untern Extremitaͤten oder der Geſchlechtstheile ſelbſt, durch kalte Baͤder oder kal - tes Waſchen, reitzende Injektionen, Geſchlechtsreitz u. ſ. w. Endlich kann aber die Menſtrualfunktion auch gehemmt wer - den durch andere Krankheiten des Geſchlechtsſyſtems, als Ent - zuͤndung, Skirrhus, Steatomata, Polypen u. ſ. w.

§. 207.

Der Krankheitsverlauf oder die Folgen der ploͤtzlichen Hemmung der Menſtrualfunktion, und die ſofort ſich ergebende Prognoſe, ſind wiederum nach den verſchie -153 denen Entſtehungsarten dieſes Krankheitszuſtandes ſehr ver - ſchieden. Daß naͤmlich, wo die Menſtruation in Folge all - gemein geſchwaͤchter Ernaͤhrung ſich verliert (§. 205.) dieſes Verlieren an und fuͤr ſich betrachtet, eher vortheilhaft als nachtheilig ſeyn muͤſſe, ergiebt ſich leicht von ſelbſt, und das Urtheil des Arztes wird alſo blos jene allgemeinen Zu - ſtaͤnde nach ihrer beſondern Natur zu erwaͤgen haben. Daſ - ſelbe gilt auch bey anderweitigen Krankheiten der Geſchlechts - organe, als Scirrhus uteri u. ſ. w. Ueberhaupt verſchwin - den hierbey die Regeln nicht leicht ſo ploͤtzlich, ſondern ver - lieren ſich nach und nach. Wo hingegen aus dem Zuſam - mentreffen der erwaͤhnten innern und aͤußern Urſachen dieſe Funktion allein geſtoͤrt wird, brechen theils oͤrtliche, theils allgemeine Krankheitszuſtaͤnde bald hervor, deren Charakter, jenachdem mehr das Gefaͤßſyſtem oder das Nervenſyſtem uͤber - wiegt, entweder in der Form von Entzuͤndung und Fieber, oder in der Form der Kraͤmpfe erſcheinen wird. Im erſtern Falle, und vorzuͤglich nach ſtark und ſchnell wirkenden aͤußern Ur - ſachen entſtehen daher ſtechende Schmerzen im Uterus, es ent - wickelt ſich Metritis, es erſcheinen heftige Congeſtionen nach andern Organen, Fieber verſchiedener Art, und bey anhalten - der Unterdruͤckung koͤnnen ſich vicariirende Blutfluͤße, Waſſer - ſuchten, Verbildungen der Geſchlechtsorgane, Gemuͤthskrank - heiten, Auszehrungen, Bleichſucht u. ſ. w. entwickeln; oder im Gegentheil bilden ſich krampfhafte Verſchließungen des Muttermundes, wobey das Blut zwar noch ausgeſchieden, aber nicht ausgeleert werden kann, dann oft in der Gebaͤr - mutterhoͤhle ſich coagulirt, ja oft halb und halb organiſche Bildung annimmt*)Bey einer Dame, wo wegen laͤngere Zeit unterdruͤckter Menſtrua - tion bereits Schwangerſchaft vermuthet worden war, ging endlich eine Maſſe ſolchen geronnenen Blutes ab, welche wegen ihrer ganz fleiſchartigen Bildung von der Hebamme anfaͤnglich fuͤr den Arm eines Kindes gehalten wurde.; oder es tritt eine krampfhafte Verſchlie - ßung der ausſcheidenden Gefaͤßmuͤndungen ſelbſt ein, das Blut treibt (vorzuͤglich bey ſchlaffem Habitus und Neigung zu Venenerweiterungen) die Venen des Fruchthaͤlters auf, und154 heftige Kreuzſchmerzen, Druck auf benachbarte Organe u. ſ. w ſind die Folge davon; oder endlich es treten auch ſogleich heftige krampfhafte Schmerzen der Unterleibseingeweide, Bruſt - kraͤmpfe, ja Zuckungen und wirkliche epileptiſche Anfaͤlle oder Laͤhmungen ein. Die Heftigkeit aller dieſer Zufaͤlle und die Dauer der Unterdruͤckung richtet ſich vorzuͤglich nach der mehr oder minder reichlichen Bluterzeugung, nach dem Grade der Reitzbarkeit und der Heftigkeit der einwirkenden Urſachen, da - her man denn bey kraͤftigen, wenig erregbaren Naturen oft dieſe krankhaften Zuſtaͤnde ſich ganz allein und bald wieder ausgleichen ſieht, dahingegen unter andern Verhaͤltniſſen aller - dings oft nur ſchwierig und langſam der Normalzuſtand zu - ruͤckgefuͤhrt werden kann.

§. 208.

Bey der nunmehr zu erwaͤgenden Behandlung iſt aber wieder zuvoͤrderſt zu erinnern, daß man auch hier nicht etwa blos das zuruͤckgehaltene Blut, ſondern die Stoͤrung einer aus allgemeiner organiſcher Thaͤtigkeit ſich ergebenden wichti - gen Funktion beruͤckſichtige, indem das erſtere leicht zu einer ſehr oberflaͤchlichen Behandlung verleiten wuͤrde, und z. B. eine kuͤnſtliche Blutentziehung allein, keineswegs die Blutſecre - tion des Uterus erſetzt, ja man oft ſogar mit erhitzenden bluttreibenden Mitteln in dieſen Zuſtaͤnden Mißbrauch treiben ſieht, als welches doch bey Entzuͤndungen u. ſ. w. den groͤßten Nachtheil herbeyfuͤhren muß. Eine vernuͤnftige Behandlung wird demnach auch hier zunaͤchſt das Allgemeinbefinden ins Auge faſſen, uͤberzeugt, daß, wenn dieſes geregelt iſt, auch die oͤrtliche Thaͤtigkeit zur Norm zuruͤckkehren muͤſſe, und unter ein - facher Hinleitung bald zuruͤckkehren werde. Es ergiebt ſich hieraus, daß, wenn blos ſtarke Ausleerungen oder geſchwaͤchte Bluterzeugung die Unterdruͤckung veranlaßte, gar keine un - mittelbar auf Wiederherſtellung der Menſtruation gerichtete Behandlung weiter Statt finden koͤnne, ſondern blos die Un - terſtuͤtzungsmittel der Reproduktion uͤberhaupt, durch Verbeſſe - rung der aͤußern Lebensverhaͤltniſſe u. ſ. w. angezeigt ſeyen, und daß bey allgemeinen oder oͤrtlichen Krankheiten, in ſo - fern ſie Urſache, nicht Folge dieſer Abnormitaͤt ſind, dieſe155 ebenfalls ganz abgeſehen von der Verhaltung der Menſtrua - tion behandelt werden muͤſſen.

§. 209.

Was dagegen die heftigern Zufaͤlle betrifft, welche nach ploͤtzlicher Hemmung der Menſtruation eintreten koͤnnen, ſo fordern auch dieſe zunaͤchſt blos die ihrer Eigenthuͤmlichkeit angemeſſene Behandlungsweiſe; Entzuͤndungen, fieberhafte Krankheiten, heftige Congeſtionen, machen daher Blutentzie - hungen, Nitrum, abfuͤhrende Mittel, kuͤhlende Diaͤt und Re - gimen nothwendig, jedoch ſo, daß man zugleich mit auf die Art der aͤußern einwirkenden Schaͤdlichkeiten Ruͤckſicht nimmt, und alſo nach heftigen Erkaͤltungen und bey rheumatiſcher Natur der Zufaͤlle, ein diaphoretiſches Verhalten, aͤhnliche Arzneymittel, Friktionen und warme trockene Fomentationen der leidenden Theile zu Huͤlfe nimmt. Hinwiederum noͤthigen heftige Nervenzufaͤlle, welche ſich gewoͤhnlich mit Erethismus des Gefaͤßſyſtems verbinden, zu lauen Baͤdern, Lavements von Chamillen und Valeriana, beruhigenden warmen naſſen Fomentationen und Cataplasmaten, innerlich aber zur Anwen - dung der Emulſionen, der Valeriana, des Dowerſchen Pul - vers, des Liq. C. C., und ruͤckſichtlich der Aufreitzung des Gefaͤßſyſtems, der mineraliſchen Saͤuern, womit denn uͤbri - gens auch das diaͤtetiſche Verhalten durch moͤglichſte Beſchraͤn - kung aller aͤußern Reitze in Uebereinſtimmung zu bringen iſt.

§. 210.

Nachdem aber auf dieſe Weiſe die allgemeinen Stuͤrme gemaͤßigt worden, hat man zu beobachten, in wie weit der Koͤrper geneigt ſey, die Wiederherſtellung der gehemmten Funktion durch eigene Kraft zu uͤbernehmen. Oft naͤmlich iſt unter jener allgemeinen Behandlung bereits die Menſtruations - periode voruͤbergegangen, alle Beſchwerden verlieren ſich jetzt, und dann iſt es hinreichend, zur Zeit der Wiederkehr dieſer Periode die Erregung des Uterinſyſtems durch Fußbaͤder, warme Bekleidung der untern Extremitaͤten, maͤßige Koͤrperbewegung und einige Taſſen Meliſſenthee zu unterſtuͤtzen. Oder aber, es bleibt auch nach beruhigten allgemeinen Zufaͤllen Auftrei -156 bung des Uterus, ſchmerzhafte Spannung in der Gegend deſſel - ben zuruͤck, es zeigen ſich andauernde Erregungen der Blutmaſſe gegen andere Organe, Neigung zu ſtellvertretenden Blutungen u. ſ. w.; dann unterſuche man naͤher, ob vielleicht krampfhafte Ver - ſchließung des Muttermundes vorhanden ſey, welches theils die Dispoſition, theils die geburtshuͤlfliche Unterſuchung erkennen lehrt, in welchem Falle dann Injectionen von Valeriana, Hyos - cyamus und aͤhnlichen Aufguͤßen, Chamomillen-Halbbaͤder, Ca - taplasmata auf die regio hypogastrica, Einreibungen des fluͤch - tigen Liniments mit Tr. opii vermiſcht, innerlich die Tr. Va - lerian. Lent., Tr. Castorei, das Laudan. liq. in angemeſſe - nen Gaben und Formen Nutzen bringen. Oder aber es zeigt ſich bey ſchlaffer Faſer und phlegmatiſchem Habitus, die Auftreibung des Uterus abhaͤngig von Stockungen des Blutes in den Venen - geflechten deſſelben, womit ſich haͤufig die Auftreibung der Haͤ - morrhoidalgefaͤße verbindet, und dann ſind namentlich wiederholte blande Abfuͤhrungen, Blutigel an das Perinaͤum, Fußbaͤder mit Senf oder Salz geſchaͤrft, fluͤchtig reitzende Einreibungen in die regio hypogastrica und ossis sacri angezeigt; ſeltner, und und nur bey beſonderer Torpiditaͤt, werden denn auch die eigent - lich ſogenannten Emmenagoga, die Aloe, das Gum. Ammo - niacum, das Decoct. sabinae angewendet werden muͤſſen. Ein dem obigen aͤhnliches Verfahren wird Statt finden, wenn bey vorlaͤufig zwar beſeitigten Beſchwerden, doch in der naͤchſten Periode die Menſtruation nicht wieder eintritt, vielmehr andere krankhafte Zuſtaͤnde ſich ausbilden, in welcher Hinſicht wir dann auch theils auf die Behandlung der verzoͤgerten Menſtruation (§. 160 68.), theils auf die Behandlung der aus ungewoͤhn - lichen Quellen fließenden (§. 187. 195. ) verweiſen koͤnnen.

2. Beſondere durch Unregelmaͤßigkeiten der Pu - bertaͤtsentwicklung begruͤndete Krankheitszu - ſtaͤnde.
§. 211.

Wie wir im Vorigen bemerkt haben, liegen in den mannig - faltigen Stoͤrungen der Menſtrualfunktion die Bedingungen zu den verſchiedenartigſten Krantheitsformen oder Aeußerungen157 des Krankſeyns, die meiſten derſelben ſind indeß ſo eng an jene urſachlichen Abnormitaͤten geknuͤpft, daß wir ſie als bloße Symptome derſelben betrachten durften; andere hingegen bil - den ſo merkwuͤrdige in ſich gleichſam zu einem Ganzen geſchloſſene Gruppen krankhafter Zufaͤlle, daß ſie eine ihnen insbeſondre ge - widmete Betrachtung fordern koͤnnen. Es gilt dieſes vorzuͤg - lich von gewiſſen Zuſtaͤnden, deren Entſtehung namentlich vor - bereitet wird durch allgemeine Veraͤnderung des weiblichen Orga - nismus, Veraͤnderungen, welche eben ſowohl den Grund der Menſtrualfunktion ſelbſt und ihrer Abnormitaͤten enthalten, und daher vorzuͤglich der Entwicklungsperiode der Pubertaͤt ange - hoͤren. So wie naͤmlich das Erſcheinen der Menſtruation, gleich der Ausbildung der Koͤrperform und der Entfaltung der weibli - chen Gemuͤthseigenthuͤmlichkeit, Ergebniſſe einer und derſelben innerlich ſchaffenden Kraft darſtellen, ſo koͤnnen Hemmungen die - ſer innern Bildungsthaͤtigkeit auch zugleich durch unvollkommne Menſtruation und Unvollkommenheiten anderer Funktionen ſich ausſprechen, ohne daß gerade das eine als der Grund des an - dern, ſondern das Allgemeine als der Grund dieſer[verſchiedenen] Beſondern anzuſehen, ſonach aber auch das beſondere Aufſtellen anderer Entwicklungskrankheiten neben den Abnormitaͤten der Menſtruation gerechtfertigt iſt. Warum nun aber gerade Stoͤrungen der innern Entwicklungsthaͤtigkeit in gewiſſen Pe - rioden des Lebens haͤufiger als in andern bemerkt werden, ergiebt ſich leicht, wenn wir bedenken, daß, obwohl dieſe Thaͤtigkeit nie ruht, und der Koͤrper nur in wiefern er im Bilden begriffen iſt, exiſtirt, ſie doch Zeitraͤume erkennen laͤßt, wo durch Hervor - treten oder Zuruͤcktreten einzelner Organe und Funktionen das in - nere Verhaͤltniß der Organiſation in kurzem umgewandelt wird. Eben darum muͤſſen nun aber auch (da das Produkt immer ver - aͤndert wird, es mag nun blos der innere oder der aͤußere Faktor veraͤndert worden ſeyn) alle aͤußern Einfluͤße auf den veraͤnderten Organismus anders wirken, ihm gleichſam fremdartig geworden ſeyn, woher denn z. B. die Erregbarkeit der Jugend uͤberhaupt erklaͤrlich wird, indem hier, da die innern Zuſtaͤnde ſchnell wech - ſeln, und alles Aeußere neu und ſtark eingreift, auch Krankhei - ten, durch zu heftige Einwirkung von irgend einer Seite, ſo haͤufig und in ſo verſchiedenen Formen entſtehen.

158
§. 212.

Im vorigen Abſchnitte betrachteten wir aber zunaͤchſt, wie in demjenigen Syſteme, auf deſſen Entwicklung die Thaͤ - tigkeit des jugendlichen weiblichen Koͤrpers vorzuͤglich gerichtet iſt, naͤmlich im Geſchlechtsſyſteme und der ihm eigenthuͤmli - chen Menſtrualfunktion mehrfache Stoͤrungen eintreten koͤnnen, jetzt haben wir nun von einigen krankhaften Verſtimmungen in den allgemeinen Thaͤtigkeiten zu ſprechen, welche, obwohl ſie theils minder haͤufig als jene ſind, theils (wie ſchon oben an mehrern Orten bemerkt worden iſt) ſich mit jenen Ver - ſtimmungen der Menſtrualfunktion verbinden koͤnnen, doch nicht minder merkwuͤrdig ſind, ja zum Theil die ſonderbarſten Erſcheinungen darbieten. Wir unterſcheiden aber dieſe Zufaͤlle, je nachdem ſie ſich in der einen oder der andern Sphaͤre des Organismus darſtellen, in die der Bildungsthaͤtigkeit anheim fallenden, wohin die durch unvollkommne Blutbereitung merk - wuͤrdige Bleichſucht gehoͤrt, und in die der animalen Sphaͤre zugehoͤrigen, wohin die Verſtimmungen und Exalta - tionen der Sinnesthaͤtigkeit (krankhafte Empfindungen) die Regelwidrigkeiten der Bewegungsthaͤtigkeit (Laͤhmungen und Kraͤmpfe) ſo wie die Verſtimmungen und ungewoͤhnlichen Zu - ſtaͤnde des innern Nervenlebens (Somnambulismus, Verzuͤ - ckung, Gemuͤthskrankheiten u. ſ. w.) zu rechnen ſind.

1. Verſtimmung der Reproduktion waͤhrend der Pubertaͤts - entwicklung.
Bleichſucht (Chlorosis).
§. 213.

Beobachten wir den menſchlichen Koͤrper in ſeinen fruͤ - heſten Lebenszuſtaͤnden, ſo bemerken wir an demſelben, na - mentlich waͤhrend ſeines Lebens im Uterus eine reißend ſchnelle Entwicklung, ein Wachsthum, welches (wie z. B. in den er - ſten Monathen der Schwangerſchaft) den Leib des Embryo in wenigen Tagen um das Doppelte vergroͤßert. Spaͤterhin159 nach der Geburt ſehen wir dieſes Wachsthum mehr und mehr ſich verlieren, ja endlich ſtillſtehen, und zwar gehindert durch das Hervortreten von Funktionen, welche anſtatt, wie im fruͤhern Leben faſt Alles, die Reproduktion zu unterſtuͤtzen, ihr vielmehr entgegenwirken, wohin denn namentlich theils das mehr entwickelte animale Leben, theils die ausgebildetere Reſpiration und ſtaͤrkere Abſonderung, theils die Entwicklung des Geſchlechtsſyſtems gehoͤrt*)S. daruͤber ein Mehreres in meinem Aufſatze uͤber das Verhaͤltniß der Reproduktion in Meckel’s Archiv f. Phyſiol. II. B. 2s Hft.. Dem Gange der Natur nach ſoll nun die treibende Kraft des Wachsthums in eben dem Maaße allmaͤhlig vermindert werden, als die aſſimilative Thaͤtigkeit ſich verringert, allein bey irgend einer Verſtim - mung des Organismus, namentlich wo durch unzweckmaͤßige Diaͤt und ſonſtige Lebensweiſe die Thaͤtigkeit des lymphatiſchen Syſtems gelitten hat, tritt denn auch leicht ein Mißverhaͤltniß zwiſchen Ernaͤhrung und Wachsthum ein, wo bald das eine, bald das andere ein krankhaftes Uebergewicht erhalten kann. Am meiſten aber der Natur zuwider und daher auch am ſel - tenſten vorkommend iſt das Uebergewicht der Ernaͤhrung uͤber das Wachsthum, woraus die in einzelnen Faͤllen ſchon bey Kindern**)Salzburger med. chir. Zeitung. 1810. II. Bd. S. 63 wird das Beyſpiel eines Kindes angefuͤhrt, welches zu Straßburg gezeigt wurde, noch nicht 5 Jahre alt war und 208 Pfund wog, bey einem Koͤrperumfange von 48 Zoll., haͤufiger aber ſpaͤterhin ſich bildenden ungeheuren Fettanhaͤufungen abzuleiten ſind; weit oͤfterer hingegen, als dem Weſen dieſer Periode naͤher liegend, bemerken wir das Uebergewicht des Wachsthums uͤber die Ernaͤhrung, und daher denn das Abmagern, die Stoͤrungen des Gemeingefuͤhls, die Verſtimmungen des Gemuͤths, welche ſo haͤufig bey ra - ſchem Wachsthum in den der Pubertaͤt nahen Jahren bemerkt werden, ja ſogar wie auch H. Oſiander***)S. deſſen Schrift uͤber die Entwicklungskrankheiten des weibl. Ge - ſchlechts. 1r Bd. S. 4. anfuͤhrt, zum Theil bey Thieren, z. B. Pferden, Affen u. ſ. w. vor - kommen.

160
§. 214.

Was nun aber zunaͤchſt das weibliche Geſchlecht betrifft, ſo finden wir bey den meiſten weniger kraͤftigen Individuen in der Periode, wo das Wachsthum des Koͤrpers ziemlich be - endigt iſt, daß auch ohne eigentliche Stoͤrung des Wohlbe - findens, doch eine blaßere Hautfarbe, Muͤdigkeit, eine mehr melancholiſche Stimmung, mangelnder Appetit u. ſ. w. dieſe wichtige Epoche bezeichnen, und merkwuͤrdig iſt zugleich die Neigung zu Krankheiten, welche, obwohl ſie dem weiblichen Geſchlecht keineswegs ausſchließend eigenthuͤmlich ſind, doch insbeſondre auf abnormes Hervortreten der der Reproduktion entgegenwirkenden Funktionen ſich beziehen, wohin denn vor - zuͤglich die Bruſtkrankheiten und namentlich die ſo vielen Jung - frauen verderblichen Lungenſchwindſuchten*)S. uͤber dieſe Krankheit junger Maͤdchen vorzuͤglich H. Oſianders intereſſante Bemerkungen a. a. O. Thl. 2. S. 124. gehoͤren. Allein auch ohne ſolche organiſche Zerſtoͤrungen erreichen zuweilen die erwaͤhnten in Folge koͤrperlicher Entwicklung eintretenden Be - ſchwerden eine krankhafte Hoͤhe (ohngefaͤhr eben ſo wie die Molimina Menstruationis zuweilen krankhaft werden) und begruͤnden ſo oft eine Reihe von Erſcheinungen, welche wir unter dem Namen der Bleichſucht, Jungfernkrankheit, des blaſſen Fiebers (Icterus albus) zuſammenfaſſen.

§. 215.

Man bemerkt aber an Perſonen, welche an dieſer Krank - heit leiden: weiße, kreidenhafte, oft auch ins graue oder gruͤnlichte fallende (daher Chlorosis, von χλωρός, gruͤn) Geſichtsfarbe, mit blaͤulichten Raͤndern um die Augen und blaſſen blaͤulichten Lippen, meiſt eine trockene, gedunſene oder wirklich oͤdematoͤſe Haut, verminderte Temperatur, be - legte Zunge, geſtoͤrten Appetit, zuweilen auch wohl mit eigenen Geluͤſten zu ungenießbaren Dingen, wie Erde u. ſ. w. verbunden. Ferner ſchlechte Verdauung, Ueblichkeiten, Saͤureerzeugung, Magendruͤcken, Blaͤhungsbeſchwerden, Un - ordnung in den Stuhlausleerungen, blaßen waͤßrigen Urin,161 geſpannten Leib. Ruͤckſichtlich des Gefaͤßſyſtems bemerkt man einen kleinen, zuweilen langſamen, zuweilen aber auch fieberhaften und frequenten Puls, ſeltener Neigung zu Con - geſtionen oder periodiſchen Blutungen aus ungewoͤhnlichen Organen*)So iſt mir ein Fall bekannt, wo ein bleichſuͤchtiges Maͤdchen, bey welchem die Menſtruation noch gar nicht erſchienen war, mehrere Jahre ſtets in der Fruͤhlingszeit einen ſtarken Haͤmorrhoidalblutfluß bekam; eine andere litt in der Herbſtzeit an Blutbrechen.. Die animalen Funktionen betreffend, ſo zeigt ſich allgemeine Mattigkeit, Kopfſchmerz, Schwindel, Schlaͤf - rigkeit, und doch oft unruhiger aͤngſtlicher Schlaf, melancho - liſche Gemuͤthsſtimmung durch haͤufiges Weinen und weniges Sprechen bezeichnet, ja es bilden ſich zuweilen fixe Ideen, oder der Zuſtand geht ſogar in Wahnſinn uͤber. Das Ge - ſchlechtsſyſtem iſt hierbey gemeiniglich ebenfalls in ſeinen Ver - richtungen gehemmt, die Menſtruation (als das Produkt all - gemeiner Bildungsthaͤtigkeit) erſcheint folglich insgemein nicht, oder iſt mißfarbig, ſelten und ſpaͤrlich; ja die Organe ſelbſt ſind oft nur unvollkommen entwickelt, Bruͤſte und Uterus ſehr klein, und der Geſchlechstrieb mangelt entweder voͤllig, oder iſt krankhaft aufgereitzt und erhoͤht.

§. 216.

Ueber die Urſachen der Bleichſucht iſt man ſtets ſehr verſchiedener Meynung geweſen, namentlich indem man die ſogenannte naͤchſte Urſache derſelben beſtimmen wollte**)So ſagt z. B. v. Siebold (Handb. d. Frauenzimmerkrankheiten. Th. 1. S. 281.): Die Bleichſucht iſt eine Krankheit der Repro - duktion, und ihre naͤchſte Urſache liegt in der ſo ſehr geſunkenen Thaͤtigkeit ihrer einen Seite der Produktivitaͤt. Allein was unter - ſcheidet dann Bleichſucht von jedem andern atrophiſchen Zuſtand, von Auszehrung, Marasmus u. ſ. w.?. Nun iſt aber unter der naͤchſten Urſache nichts anders als die Krankheit ſelbſt, ihrem Weſen nach, in wiefern dieſes Weſentliche den Grund der aͤußerlich wahrnehmbaren Symp - tome enthaͤlt, zu begreifen (weßhalb auch jene Benennung, wie neuerlich von mehrern Seiten erinnert wurde***)S. Heinroth Lehrb. d. Seelenſtoͤrungen. Thl. 1. S. 193., un -I. Theil. 11162paſſend iſt); dieſes Weſentliche ſelbſt aber kann ſo wenig, als etwa das Leben uͤberhaupt, als ein Beſonderes fuͤr ſich Beſtehendes, von dem Organismus Trennbares nachgewieſen werden, ſondern iſt ein Begriff, in welchen die innern und aͤußern Faktoren des Krankheitsprozeſſes als Einheit, als Produkt aufgefaßt werden. Das Weſentliche nun in der Bleichſucht betreffend, ſo iſt es zunaͤchſt offenbar in eine Stoͤrung der bildenden Thaͤtigkeit zu ſetzen; denn daß die Stoͤrungen der animalen Funktionen hierbey nur ſecundaͤr ſind, ergiebt ſich ſehr leicht. Allein, noch genauer, die Stoͤ - rung der Bildungsthaͤtigkeit zeigt ſich namentlich im eigentli - chen Heeroe derſelben, im Gefaͤßſyſtem und im Akt der Blut - bereitung. Indem wir aber geſtoͤrtes Bildungsleben im All - gemeinen, und unvollkommne Sanguifikation insbeſondre als das Weſen des chlorotiſchen Zuſtandes betrachten, iſt doch noch zu bemerken, daß ein ſolcher Grund noch nicht allein das Eigenthuͤmliche der Bleichſucht beſtimmt (indem geſtoͤrtes Bildungsleben und unvollkommne Sanguifikation bey ſo vie - len andern Krankheiten auch des maͤnnlichen Geſchlechts, z. B. Scorbut, morbus maculosus u. ſ. w. bemerkbar iſt), ſondern daß jene Mißverhaͤltniſſe, um in der Form der Chlo - roſe zu erſcheinen, zuſammentreffen muͤſſen a) mit der Indi - vidualitaͤt des weiblichen Koͤrpers, welche auf uͤberwiegende Produktivitaͤt gegruͤndet iſt, b) mit der Zeit der ſich entwi - ckelnden oder vor kurzem entwickelten Pubertaͤt.

§. 217.

Die Art nun, wie Bildungsthaͤtigkeit und Sanguifika - tion in ihren Beziehungen auf die Entfaltung des Geſchlechts - ſyſtems geſtoͤrt werden kann, iſt zwiefach, naͤmlich: es leidet entweder die Gefaͤßthaͤtigkeit urſpruͤnglich, und zeigt ſich zur Erregung der Menſtrualfunktion, wie zur Unterhaltung in - dividueller Reproduktion, unzulaͤnglich, oder es findet die re - produktive Thaͤtigkeit in ihrer Aeußerung, in ihrem Hinwir - ken auf das Geſchlechtsſyſtem Hinderniſſe, es bilden ſich Stockungen, Venenerweiterungen, in Folge deſſen leidet die Aſſimilation und Blutbereitung, und die Zufaͤlle der Bleich - ſucht treten ein.

163
§. 218.

Was nun die entfernten Urſachen des chlorotiſchen Zuſtandes betrifft, ſo ſind dieſe vorzuͤglich nach dem im vo - rigen Paragraph beygebrachten Theilungsgrunde in zwei Klaſ - ſen zu bringen; zu der erſten gehoͤren diejenigen, welche auf die allgemeine produktive Thaͤtigkeit ſtoͤrend einwirken, als: 1) ungeſunde Luft, Feuchtigkeit, Kaͤlte, Mangel an Licht; 2) unzweckmaͤßige, ſchwer verdauliche, ſchlecht naͤhrende Koſt und erſchlaffende Getraͤnke (vorzuͤglich Uebermaaß in Thee und Kaffee); 3) Unthaͤtigkeit oder uͤbermaͤßige Anſtrengung, Unreinlichkeit, Gram, zu fruͤh erregter Geſchlechtstrieb u. ſ. w., Einfluͤße, welche insgeſammt die Wurzeln der Aſſimilation, die Unterleibseingeweide und das Lymphſyſtem angreifen, und beſondere, ſo haͤufig der Bleichſucht vorausgehende Krank - heitszuſtaͤnde, als Status pituitosus, Wuͤrmer, Obſtruktion, oder Durchfall, ja Lienterie, Scrofeln, Waſſeranſammlungen hervorbringen. 4) Andere Krankheiten und Einfluͤße, welche die Reproduktion ſchwaͤchen, als Blutfluͤße, wohin auch die zu ſtarke Menſtruation gehoͤrt, Schleimfluͤße, typhoͤſe oder in - termittirende Fieber, welche eine ſehr langſame Reconvales - zenz zur Folge haben, anhaltende Eiterungen, unzweckmaͤßig angewendete Blutentziehungen oder Abfuͤhrmittel. Zur zwei - ten Klaſſe hingegen rechnen wir die organiſchen Fehler, welche die Erſcheinung der Regeln hindern oder ganz unmoͤglich ma - chen, als: Verſchließungen des Muttermundes oder der Scheide, unvollkommne Entwicklung des Uterus, oder Ausartung deſ - ſelben oder der Ovarien (Zuſtaͤnde, welche vorzuͤglich durch zu zeitigen und unnatuͤrlichen Geſchlechtsreitz veranlaßt wer - den*)S. daruͤber Autenrieth Unterſuchung ausgearteter Eyerſtoͤcke in Reil’s Archiy f. d. Phyſ. VII. Bd. 2s Hft.); endlich aber auch die Hemmungen der bereits ent - wickelten Menſtrualfunktion durch gewaltſame Einwirkungen, als heftige Gemuͤthsbewegungen,[Erkaͤltungen] u. ſ. w., oder ploͤtzliche Entziehung eines zu Beduͤrfniß gewordenen Geſchlechts - genußes (daher die Krankheit auch zuweilen bey jungen Witt - wen beobachtet wurde).

164
§. 219.

Wir kommen nun zur Betrachtung des Krankheits - verlaufs, woraus ſich denn zugleich die Prognoſe mit ergeben wird. Zunaͤchſt aber bemerken wir, daß die Krank - heit haͤufig, und insbeſondre wo ſie bloße Folge raſcher koͤr - perlicher Entwicklung iſt, einen ſehr gutartigen Charakter zeigt, und bald, vorzuͤglich nachdem die Menſtruation wirk - lich erſchienen, und in regelmaͤßigen Gang gekommen iſt, wieder, ohne nachtheilige Folgen verſchwindet; Faͤlle, bey welchen die Bleichſucht als wahre Uebergangsperiode erſcheint und ganz den Moliminibus der Menſtruation verglichen werden kann, ja oft eines derſelben mit ausmacht. Langwie - riger und in ihren Zufaͤllen beſchwerlicher pflegt ſie dagegen zu ſeyn, wenn die §. 218. erwaͤhnten entfernten Urſachen der erſten Klaſſe auf einen ſchon von Anfang ſehr reitzbaren und ſchwaͤchlichen Koͤrper in hoͤherem Grade einwirkten, die Organe der Aſſimilation ſelbſt bereits in ihrer Bildung um - geaͤndert, die Gekroͤsdruͤſen angeſchwollen, die Verdauung zer - ruͤttet iſt; auch hier freylich wird die Bleichſucht nicht an und fuͤr ſich gefaͤhrlich werden, allein ſie macht den Ueber - gang zu andern Cachexien, es entſteht Haut -, Bruſt - oder Bauchwaſſerſucht, es bilden ſich fauligte oder lentescirende Fieber, es entſtehen Eiterungen in den Geburtstheilen, ſcor - butiſche Blutungen, Gangraͤn, und durch dieſe Zufaͤlle ſtirbt die Kranke. Etwas weniger unguͤnſtig iſt meiſtens der Ver - lauf, wenn die Urſachen zweiter Klaſſe, und alſo mehr vom Organ aus, die Krankheit erregten; die Zufaͤlle ſind hier oft mehr acuter Natur, Schwindel, Congeſtionen, Blutungen, werden hierbey haͤufiger beobachtet, dieſe Beſchwerden indeß, wenn ſie nur durch eine zweckmaͤßige Lebensweiſe geleitet werden, gleichen ſich nach und nach wieder aus, vorzuͤglich wenn bereits die Menſtruation fruͤher im Gange geweſen iſt. Nur wo die Verbildungen der Geſchlechtstheile ſehr betraͤcht - lich ſind, die Krankheit bereits laͤngere Zeit gedauert hat, ſcrofuloͤſe Conſtitution und unguͤnſtige aͤußere Verhaͤltniſſe die Heilung erſchweren, wird die Prognoſe ſchlimmer, und aͤhn - liche Zufaͤlle, wie die oben erwaͤhnten, ſtehen zu beſorgen, Daß uͤbrigens auch bey betraͤchtlichen, aber die Operation165 geſtattenden Mißbildungen, z. B. den Atreſien, die Prognoſe guͤnſtig geſtellt werden koͤnne, liegt am Tage.

§. 220.

Nach dem verſchiedenen Gange, welchen die Krankheit genommen, iſt auch, wenn ſie durch herbeygefuͤhrte anderwei - tige Leiden mit dem Tode endigt, der Sektionsbefund verſchieden. Die haͤufigſten Erſcheinungen ſind: die allge - meine Schlaffheit, welche oft, insbeſondre an der Subſtanz des Herzens, bemerkbar iſt, die Waſſeranhaͤufungen, die ver - ringerte, waͤſſerige, mehr venoͤſe Blutmaſſe, die Verhaͤrtungen und Auftreibungen der Druͤſen des Lymphſyſtems und die regelwidrigen Bildungen der Geſchlechtstheile, als Verwach - ſungen des Muttermundes, beſondere Kleinheit des Uterus*)Ich bewahre in meiner Sammlung die innern Genitalien eines 17jaͤhrigen nicht menſtruirten Maͤdchens, welches unter chlorotiſchen Symptomen an ſcrofuloͤſen Geſchwuͤren verſtorben war, wo der Uterus nur etwas uͤber einen Zoll lang, ſeine Hoͤhle zwar geraͤumig, aber die Waͤnde nur einige Linien ſtark ſind., Vergroͤßerungen der Eyerſtoͤcke u. ſ. w.

§. 221.

Behandlung. Um die rechte Art und Weiſe aͤrztli - cher Behandlung in den verſchiedenen abnormen Zuſtaͤnden des Lebens aufzufinden, iſt es ohne Zweifel eines der wich - tigſten und, wie mir ſcheint, der bisher eben nicht vorzuͤglich beachteten Mittel, daß man die Natur genau beobachte in dem Gange, welchen ſie nimmt, indem ſie ohne aͤrztliche Huͤlfe die Ruͤckkehr des Normalzuſtandes bewerkſtelligt, indem doch die Heilung der Krankheit ſtets nur das Werk der Na - tur allein ſeyn kann, und alle aͤrztlichen Mittel blos dazu dienen ſollen, die Hinderniſſe, welche ſich ihr hierbey entge - genſtellen, zu beſeitigen, was indeß blos moͤglich wird durch die genauere Kenntniß dieſes Ganges. Beachten wir nun die Art, nach welcher vorzuͤglich der bleichſuͤchtige Zuſtand von der Natur beſeitigt zu werden pflegt, ſo bemerken wir, daß eines Theils ſchon der endliche Stillſtand des allgemeinen166 Wachsthums Gelegenheit giebt, daß ſich das Mißverhaͤltniß zwiſchen bildender und zerſtoͤrender organiſcher Thaͤtigkeit aus - gleicht, daß von dieſem Zeitpunkte an die Aſſimilation und Blutbereitung wieder in das angemeſſene Verhaͤltniß zur all - gemeinen Organiſation tritt, und endlich das Uebergewicht er - haͤlt, welches das Erſcheinen der Menſtruation begruͤnden kann. Im Gegentheile, wo die Krankheit reines Produkt unguͤnſtiger aͤußerer Verhaͤltniſſe war, ſehen wir ſie ſich ver - lieren, ſobald die Kranke in eine beſſere Lage verſetzt wird, wo die Blutbereitung durch freye Einwirkung von Licht und geſunder Luft, durch vermehrte Muskularthaͤtigkeit und Genuß kraͤftigerer Nahrungsmittel befoͤrdert wird. Ja endlich ſelbſt bey unheilbaren Verbildungen der Geſchlechtstheile und gaͤnz - lichem Mangel der Menſtrualfunktion wird zuweilen die Ge - ſundheit wieder hergeſtellt, indem entweder der Koͤrper ſich an vicariirende Ausleerungen, z. B. regelmaͤßigen Haͤmor - rhoidalfluß gewoͤhnt, oder der Ueberfluß plaſtiſcher Stoffe auf die Ausbildung anderer Organe verwandt wird, weßhalb wir denn oͤfters bey ſolchen unvollkommnen weiblichen Ge - ſchoͤpfen die Muskelthaͤtigkeit in hohem Grade entwickelt, und uͤberhaupt die Bewegungsorgane in einem Grade ausgebildet finden, welcher mehr einen maͤnnlichen, als einen[weiblichen] Koͤrper zu bezeichnen pflegt. Dieſes alles iſt nun bey Anordnung der aͤrztlichen Behandlung zu erwaͤgen.

§. 222.

Hauptanzeige bleibt es aber im Allgemeinen, theils die Sanguifikation und Bildungsthaͤtigkeit auf ihren normalen Standpunkt zu fuͤhren, theils die Richtung der Bildungsthaͤ - tigkeit auf das Geſchlechtsſyſtem und die Menſtrualfunktion zu beruͤckſichtigen, und etwaige hier ſich entgegenſtellende Hin - derniſſe zu beſeitigen. In erſterer Hinſicht nun wird es den Arzt zunaͤchſt beſchaͤftigen muͤſſen, die veranlaſſenden Ur - ſachen der Krankheit auszuforſchen und zu entfernen, wobey denn, da die meiſten dieſer Zufaͤlle von unzweckmaͤßiger Le - bensweiſe ausgehen, auch eine ſorgfaͤltige Anordnung der - ſelben einen der wichtigſten Punkte des Heilplans ausmachen wird. Reine, freie, trockne Luft, maͤßiges Warmhalten,167 maͤßige Koͤrperbewegung, Aufheiterung des Gemuͤths durch freundlichen Umgang, Reinlichkeit und ſorgfaͤltige Hautkultur, befoͤrdert durch den fleißigen Gebranch des lauen Bades, ſo wie die Vermeidung aller den Geſchlechtstrieb erregenden Reitze, werden daher, unterſtuͤtzt durch leichtverdauliche, naͤh - rende, mehr animaliſche Diaͤt, oft, zumal wo das Uebel nicht eingewurzelt, und nicht Produkt anderer Krankheitszu - ſtaͤnde iſt, das Einzige ſeyn, was ein den Gang der Natur ehrender Arzt verordnet, da der voreilige Gebrauch der ſoge - nannten ſtaͤrkenden zuſammenziehenden Mittel, namentlich des Eiſens, der kalten Baͤder u. ſ. w. hier nur dazu fuͤhren kann, daß Nervenſchwaͤche, Verhaͤrtungen der Gekroͤsdruͤſen u. ſ. w. ſich bilden. Man ſchone demnach hier die Krankheit als ei - nen nothwendigen Entwicklungszuſtand; auch das von Hip - pokrates bereits angerathene Mittel der zeitigen Verheira - thung kann nur dann zulaͤſſig erklaͤrt werden, wenn der Koͤrper bereits ſeiner voͤlligen Entwicklung wenigſtens nahe gekommen, oder dieſes der einzige Weg iſt, der Sehnſucht einer ſtets angeregten Phantaſie, oder den unnatuͤrlichen Aus - ſchweifungen Graͤnzen zu ſetzen. Nur bey einer beſondern Atonie der Muskelfaſer, uͤbrigens aber weder bedeutendem gaſtriſchen Zuſtande noch ſonſtigen innern Verbildungen, kann jenes diaͤtetiſche Verfahren durch den Gebrauch eines eiſen - haltigen Mineralwaſſers, (z. B. des Pyrmonter oder Dribur - ger), durch aͤhnliche Baͤder, durch den maͤßigen Genuß ei - nes guten alten Weins, und die bittern Mittel (Extrakte, China u. ſ. w.) unterſtuͤtzt, und ſo die Wiederherſtellung der Geſundheit beſchleunigt werden.

§. 223.

Hartnaͤckiger, und folglich thaͤtigeres Eingreifen erfor - dernd, zugleich aber auch beſonders haͤufig, ſind indeß dieje - nigen Arten der Bleichfucht, welche hervorgehen aus bereits entſtandenen Krankheiten des Lymphſyſtems und einzelner Un - terleibsorgane. Hier iſt es ganz vorzuͤglich, wo die in Folge vorgefaßter Meynung von vorhandener Schwaͤche gewoͤhnlich im Uebermaaß gereichten toniſchen Mittel den entſchie - denſten Nachtheil herbeyfuͤhren muͤſſen, ſo daß wir hieran168 gleich anfaͤnglich dringend zu erinnern fuͤr unumgaͤnglich noͤ - thig hielten. Die ganze Macht aͤrztlicher Wirkſamkeit ſey daher hier zunaͤchſt gegen jene der abnormen Sanguifikation und Bildungsthaͤtigkeit zum Grunde liegenden, obwohl hin - wiederum auch wechſelſeitig von dieſen unterhaltenen und ver - ſtaͤrkten Krankheitszuſtaͤnde gerichtet, und man laſſe ſich nicht abhalten, zur Beſeitigung derſelben auch anſcheinend ſchwaͤ - chende Heilmethoden in Anwendung zu bringen.

§. 224.

Einer der allgemeinſten Krankheitszuſtaͤnde dieſer Art ſind aber die Abnormitaͤten in der Thaͤtigkeit lymphatiſcher Gefaͤße, verbunden mit Anſchwellungen und Degenerationen der Lymphdruͤſen; und wie nun die Erfahrung zeigt, daß hierbey vorzuͤglich die Befreyung des Darmkanals von auf - gehaͤuftem Schleim und Verhaͤrtungen, die Vermehrung einer gleichmaͤßigen Sekretion an der innern Flaͤche deſſelben (als antagoniſtiſcher Reitz) und die Befoͤrderung der Lymphbewe - gung, verbunden mit regelmaͤßiger Thaͤtigkeit des Haut -, Nieren - und Lungenorgans wohlthaͤtig wirken koͤnne, ſo wird es nun auch Pflicht, die aufloͤſenden und abfuͤhrenden Mittel (vorzuͤglich die Mittelſalze, das Rheum, die Radix Jalappae, die Fol. Sennae, den Karlsbader Brunnen, die ſeifenartigen Extrakte, Fel tauri, Sapo venet. u. ſ. w.) den Umſtaͤnden gemaͤß anzuordnen, und damit noͤthigenfalls die Antimonia - lien, den Gebrauch der Seifenbaͤder, der Friktionen des Un - terleibes zu verbinden. Sind Wuͤrmer vorhanden, ſo wird man zwar die Entfernung derſelben durch Anthelmintica nicht verabſaͤumen, vorzuͤglich jedoch auf die Beſeitigung des Status pituitosus als der eigentlichen Quelle derſelben Ruͤck - ſicht nehmen. Eben ſo verlangen ferner Blutfluͤße, Schleim - fluͤße, intermittirende Fieber u. ſ. w., ſobald man ſie als Ur - ſachen der Bleichſucht erkennt, die ihnen angemeſſene Be - handlung, und erſt wenn dieſer Anzeige Genuͤge geſchehen iſt, und der bleichſuͤchtige Zuſtand als ſelbſtſtaͤndige Krank - heitsform zuruͤckbleibt, wird es Zeit ſeyn, die Ende des §. 222. erwaͤhnten Mittel in Anwendung zu ziehen, indem zugleich169 eine die Reproduktion unterſtuͤtzende Diaͤt und ſonſtige zweck - maͤßige Lebensweiſe vorgeſchrieben wird.

§. 225.

In wiefern uͤbrigens, wenn die Bleichſucht Folge aͤhn - licher primaͤrer Krankheitszuſtaͤnde iſt, die reproduktive Thaͤ - tigkeit gewoͤhnlich mehr zerruͤttet, und der Koͤrper in jeder Hinſicht mehr geſchwaͤcht iſt, als in den §. 222. betrach - teten Faͤllen, ſo wird es auch haͤufig nothwendig, die toni - ſchen Mittel ſelbſt laͤnger und in ſtaͤrkern Doſen zu gebrau - chen. Man beobachtet hierbey die Vorſicht mit den gelinden Mitteln (z. B. den leichtern Extrakten, als Extract. Sapo - nar., Trifol. fibr., Cent. minoris) den Anfang zu ma - chen, dann zu den ſtaͤrkern (Extr. Gentianae, Cortex peruv. ) uͤberzugehen, und wenn der Darmkanal hierauf vorbereitet iſt, das Eiſen in Anwendung zu ziehen, von welchem man ent - weder die Tr. martis cydoniata unter einen Loͤffel Wein zu 20 30 Tropfen, die Flor. sal. ammon. martiales, oder, ſobald die Kranke es vertraͤgt, noch lieber die Pulver - form, mit der Flaved. Cort. aurant., Cort. Cinnamomi u. dergl. verbunden, anwendet. Ueberhaupt iſt bey Anord - nung aller dieſer Mittel zugleich auf den Stand der Senſi - bilitaͤt Ruͤckſicht zu nehmen; daher bey phlegmatiſchen Sub - jekten die Anwendung von aromatiſchen Aufguͤßen (der Hb. Melissae, Menth. pip. u. ſ. w.) ſo wie das Verbinden der rein bittern Mittel mit geiſtigen Tinkturen u. ſ. w., oder, na - mentlich bey Neigung zu Durchfaͤllen, mit dem Cort. Cas - carillae, hingegen bey ſehr aufgeregter Senſibilitaͤt die Bey - miſchung antiſpasmodiſcher Mittel, und, vorzuͤglich bey Ere - thismus des Gefaͤßſyſtems, die Anwendung mineraliſcher Saͤuren (Acid. Halleri, Elix. vitr. Mynsicht. ) zweck - maͤßig iſt.

§. 226.

Ferner iſt es zur voͤlligen Beſeitigung des chlorotiſchen Zuſtandes angemeſſen, ſobald theils die vorausgegangenen Krankheiten beſeitigt, theils die reproduktiven Thaͤtigkeiten etwas vollkommner hergeſtellt ſind, auf das Erſcheinen der170 Menſtrualfunktion gelind mit hinzuwirken. Merkwuͤrdig iſt es hierbey zu finden, daß in dieſer Hinſicht aͤltere und neuere Aerzte in der Behandlung dieſer Krankheit faſt ganz auf entgegengeſetzten Wegen gingen, indem bey jenen das Herſtellen der Menſtruation, oder in Ermanglung derſelben die Blutentziehungen*)Chambon de Montaux (des Maladies des filles. T. I. p. 119.) ſagt daher: La premiêre Indication est de diminuer la masse du sang, puisqu’il y a une pléthore réelle dans presque tous les sujets attaqués de la chlorose. faſt eben ſo ſehr als Hauptſache be - trachtet wurde, als von den Neuern im Durchſchnitte das Anwenden ſtaͤrkender Mittel an die Spitze geſtellt wird; ja man glaubte ſogar ziemlich gewaltſame Mittel, um die Her - ſtellung der Menſtruation zu bewirken, erlaubt, wohin na - mentlich das Verfahren Hamilton’s, welches Chambon de Montaux anfuͤhrt, gehoͤrt. Dieſer naͤmlich, als er eine zwanzigjaͤhrige Bleichſuͤchtige behandeln ſollte, deren Regeln ſeit 7 Monaten gehemmt waren, wo der Puls ſchwach und ſelten, die Verdauung geſtoͤrt und die Kraͤfte geſunken wa - ren, glaubte von den gewoͤhnlichen innern Mitteln eine zu langſame Wirkung erwarten zu muͤſſen, dagegegen von einem mechaniſchen Mittel, welches den Blutlauf mehr gegen die innern Genitalien richtete, eine guͤnſtige Umaͤnderung hoffen zu duͤrfen. Nachdem er daher der Kranken eine Abfuͤhrung gegeben, legte er ein Tourniket an den Schenkel**)A. a. O. S. 204. Auch bey einigen Alten ſchon findet ſich das Binden der Glieder als Befoͤrderungsmittel der Menſtruation em - pfohlen. (ohnge - faͤhr wie Behufs der Amputation), komprimirte die Schen - kelarterien maͤßig, ließ zugleich ein Dampfbad an die Ge - nitalien leiten, und ſpaͤterhin ein Cardiacum reichen, worauf alsbald die Regeln floßen. Unter den Umſtaͤnden jedoch, welche wir hier im Sinne haben, koͤnnen ſolche gewaltſame Mittel eben ſo wenig als ſtellvertretende allgemeine Blutent - ziehungen Statt finden, ſondern es empfehlen ſich hier Be - hufs der Befoͤrderung der Menſtruation nur die gelindern Mittel, als Fußbaͤder, Halbbaͤder, weniger die Dampfbaͤder der Genitalien, wollene Bekleidung oder trockene Friktionen171 der Unterglieder, allenfalls bey ſich zeigenden Congeſtionen nach andern Organen, Blutigel an das Perinaeum oder ei - nige blande Abfuͤhrungen.

§. 227.

Leidet dagegen die Aſſimilation und Blutbereitung in Folge von Hinderniſſen, welche dem Hinwirken allgemeiner reproduktiver Thaͤtigkeit auf das Geſchlechtsſyſtem ſich entge - genſtellen, welches erkannt wird, indem hier die Regeln ge - woͤhnlich fruͤher bereits erſchienen waren, oder Verbildungen in den Geſchlechtsorganen vorhanden ſind, dann tritt vorzuͤg - lich die oben gelehrte Behandlung verzoͤgerter, gaͤnzlich man - gelnder oder gehemmter Menſtrualfunktion ein. Dieß ſind daher vorzuͤglich die Faͤlle, wo in Folge einer verhaͤltnißmaͤßig zu betraͤchtlich gewordenen Saͤftemaſſe Blutentziehungen, und andere Saͤfteentleerungen durch vermehrte Darmſekretionen beſondern Nutzen gewaͤhren, kurz wo die aͤltere Behandlungs - weiſe dieſer Krankheit (§. 226.) vorzuͤglich angezeigt iſt. Daß ferner, wo ſolche Verbildungen in Geſchlechtsorganen (deren genauere Unterſuchung daher unerlaͤßlich bleibt) ſich vorfinden, welche, wie z. B. Atreſien, eine operative Huͤlfe zulaſſen, dieſe alſobald werde Statt finden muͤſſen, daß fer - ner eine wohlgeordnete, mehr vegetabiliſche Diaͤt, verbunden mit Baͤdern, angemeſſener Bewegung in freier Luft (wohin insbeſondre auch das Reiten und Fahren zu rechnen iſt) u. ſ. w. vorzuͤglich mit benutzt werden koͤnne, nm ſolche oft ſcorbu - tiſche Entmiſchungen der Saͤftemaſſe zu heben, ergiebt ſich von ſelbſt. Weiter verdient aber hierbey auch die eigentliche Geſchlechtsfunktion Beruͤckſichtigung, indem z. B. wo der bleichſuͤchtige Zuſtand ſich einfindet, entweder wegen eines der allgemeinen Koͤrperentwicklung nach nicht hinlaͤnglich aufgereg - ten Sexualſyſtems, oder in Folge des entzogenen Geſchlechts - reitzes, z. B. bey jungen Wittwen, allerdings die Verhei - rathung eben ſo weſentlich zur Beſeitigung der Krankheit beytragen kann, als, wo die Bleichſucht in Folge des uͤber - maͤßigen oder unnatuͤrlichen Geſchlechtsreitzes ſich entwickelte, die Beſchraͤnkung deſſelben. Welche beſondere Behand - lung ferner einzelne Symptome dieſer Krankheit zuweilen er -172 fordern koͤnnen, daß z. B. Neigung zur Saͤureerzeugung die Anwendung abſorbirender und aromatiſch bitterer Mittel, das Erſcheinen ſcrofuloͤſer Geſchwuͤre, ſo wie der Hautausſchlaͤge eine vorſichtige nicht auf zu ploͤtzliche Unterdruͤckung gerich - tete Behandlung noͤthig mache, laͤßt ſich ſo leicht aus den Regeln der allgemeinen Therapie folgern, daß ausfuͤhrliche Eroͤrterungen hieruͤber unnoͤthig ſcheinen.

§. 228.

Eigentlich wuͤrden nun an dieſem Orte auch die uͤbri - gen, dem weiblichen Geſchlecht in der Periode der Puber - taͤtsentwicklung vorzuͤglich gefaͤhrlichen Reproduktionskrankhei - ten, namentlich die ohne Eiterung erfolgenden langſamen Auszehrungen ſowohl, als die mit Eitererzeugung verbun - denen Schwindſuchten, aufzufuͤhren ſeyn, indeß da dieſe Krankheitsformen im Weſentlichen auf gleiche Weiſe auch dem maͤnnlichen Geſchlecht eigen ſind, auch nicht zu ſagen iſt, daß die Behandlung derſelben in dem einen Geſchlechte auf irgend verſchiedenen Regeln als in dem andern beruhe, ſo muß dem Plane dieſes Werkes gemaͤß, ihre weitere Betrach - tung uͤbergangen werden, und wir wenden uns daher viel - mehr zu den:

2. Verſtimmungen der animalen Funktionen waͤhrend der Pubertaͤtsentwicklung.
§. 229.

Obwohl naͤmlich auch dieſe Zufaͤlle dem weiblichen Ge - ſchlecht weniger ausſchließend angehoͤren, als etwa die Bleich - ſucht oder die Fehler der Menſtrualfunktion, ſo ſind doch die Formen derſelben zum Theil ſo auffallend, und oft an das Wunderbare graͤnzend, zum Theil werden ſie auch durch das Eigenthuͤmliche der pſychiſchen Natur des Weibes ſo ſehr modifizirt, daß wir die Betrachtung derſelben um ſo weniger ausſchließen duͤrfen, da ſie zumal auch als Symp - tome anderer Krankheiten vorkommen, auf alle Weiſe aber dem Arzte fuͤr weibliche Krankheiten die genaue Kenntniß173 derſelben nicht mangeln darf, damit er durch die Neuheit dieſer Erſcheinungen nicht uͤberraſcht, und in der ruhigen Entwerfung ſeines Heilplans gehindert werde*)Es iſt ſonderbar, in den neuern Lehrbuͤchern uͤber Frauenkrank - heiten dieſe merkwuͤrdigen Zufaͤlle immer uͤbergangen zu finden, obwohl andere Schriften (z. B. Henke von den Entwicklungen des menſchlichen Organismus) ſie als krankhafte Entwicklungszuſtaͤnde mit aufgefuͤhrt hatten..

§. 230.

Um aber zuvoͤrderſt das Eigenthuͤmliche vieler hierherge - hoͤriger Zufaͤlle nicht unnatuͤrlich oder vielmehr uͤbernatuͤrlich zu finden, muͤſſen wir immer recht klar vor Augen behalten, daß der menſchliche Organismus zwar eine Einheit, aber nicht ein wahrhaft in ſich beſchloſſenes, den Grund ſeiner Exiſtenz allein in ſich tragendes Ganze ſey, daß er vielmehr nicht einen Augenblick gedacht werden kann außer der Einwirkung der ihn umgebenden Natur, von welcher er ſtets durchdrun - gen iſt, welche er ſtets in ſich aufnimmt, und in welche er ſich ſtets aufloͤſt. Eben aus dieſem Grunde wird er aber auch faͤhig, ſich im Ganzen und das Ganze in ſich zu fuͤhlen, ſo daß, je zarter ſeine Empfaͤnglichkeit, ſein Wahr - nehmen wird, auch um ſo mehr ſein Empfinden aͤußerer Veraͤnderungen ſich ausdehnt, und zwar in eine Weite, fuͤr deren Begraͤnzung wir durchaus kein unverruͤckbares Maaß haben, ſo daß als eitle Anmaßung erſcheint, wenn irgend ein Phyſiolog hier eine Saͤule mit einem non plus ultra aufzurichten gedenkt, denn nur was den Vernunftge - ſetzen widerſtreitet, iſt unmoͤglich. Kann ſich denn etwa ein Menſch, auf deſſen geſunden Koͤrper die Umſtimmungen der Atmosphaͤre, der Witterung, keinen merklichen Eindruck machen, ſinnlich uͤberzeugen, wie es moͤglich ſey, daß ein Anderer, deſſen Senſibilitaͤt in erhoͤhterem Zuſtande ſich be - findet, dieſe Veraͤnderungen, noch ehe ſie wirklich erfolgt ſind, ſchon wahrnimmt? und iſt das Letztere deßhalb etwa weniger in Wahrheit der Fall?

174
§. 231.

Es iſt aber ferner zu bedenken, daß noch ein Unter - ſchied beachtet werden muͤſſe zwiſchen der Erſcheinung der Dinge und ihrem innerſten Weſen, d. i. ihrer innern die Form der Erſcheinung bedingenden Idee. Nun ſind aber die Sinne dem Erfaſſen der Erſcheinung allein beſtimmt, keineswegs aber wird es dadurch ausgeſchloſſen, daß die Idee des Or - ganismus nicht unmittelbar afficirt werden koͤnnte durch die Verhaͤltniſſe und Veraͤnderungen anderer mit ihm in einem unermeßlichen Weltall eingeborener Ideen, ja es iſt noth - wendig, daß der Theil (und ein Organismus iſt ſtets nur ein ſolcher) afficirt werden muͤſſe von den Umſtimmungen des Ganzen, zu welchem er gehoͤrt, und zwar unmittelbar, und auf gleiche Weiſe, wie das Leben und Gefuͤhl eines einzelnen Organes im Koͤrper ſich aͤndert, jenachdem in an - dern Organen, und folglich (da ein Theil nicht umgewan - delt werden kann, ohne in gewiſſer Hinſicht das Ganze mit zu aͤndern) auch im Ganzen weſentliche Umſtimmungen Statt gefunden haben. Dieſes unmittelbare Wahrnehmen der Verwandlungen im Leben anderer Weſen iſt aber um ſo nothwendiger, je mehr der Organismus integrirender Theil der allgemeinen Natur iſt, ſo ſehen wir denn, daß das In - ſekt, welches nie den Winter erlebte, doch ſeine Eyer ge - gen die Kaͤlte deſſelben zu bergen weiß, ſo wird der Fiſch oder Vogel auf ſeinen weiten Wanderungen nach dem ihm geſteckten Ziele gezogen, obwohl er es weder ſehen, noch riechen, noch fuͤhlen kann, ſo vermeidet die geblendete Fle - dermaus das aufgeſpannte Netz, ſo empfinden ſo viele Thiere bevorſtehende Witterungsaͤnderungen, Erdbeben u. ſ. w. lauter Erſcheinungen, deren Verſtaͤndniß ſich uns bald klar eroͤffnen wird, ſobald wir zu einer recht lebendigen An - ſchauung der Natur in der Einheit uns erheben koͤnnen, welches indeß die Seele in ihren eigenen Tiefen erfaſſen muß, welches ihr von außen nicht bewieſen werden kann, und welches daher bey denen, welchen dieſe Anſichten noch nicht eigen geworden waren, Anlaß gab, entweder ſolche Er - ſcheinungen lieber geradezu zu laͤugnen, oder ſich mit hypo - thetiſchen Sinnesarten zu einer ſchwachen Erklaͤrung zu ver -175 helfen, gegen welche uns doch ſogar die eigentlich nur bild - lichen Darſtellungen jener allgemeinen Verbindungen, wohin Meßmer’s Aetherſtroͤmmungen gehoͤren, immer noch vor - zuͤglicher ſcheinen.

§. 232.

Nach dieſen allgemeinen Vorbemerkungen wenden wir uns nun zu naͤherer Betrachtung der der Pubertaͤtsentwicklung zuge - hoͤrigen ungewoͤhnlichen und abnormen Zufaͤlle der animalen Thaͤ - tigkeiten im weiblichen Organismus, und muͤſſen zuvoͤrderſt, wie denn alle animale Thaͤtigkeit dieſen beyden Richtungen folgt, zwiſchen abnormen Empfindungen und abnormen Gegenwirkun - gen unterſcheiden. Beyde Gattungen ſind indeß in der Na - tur keineswegs ſo ſcharf getrennt, daß nicht vielmehr gerade die meiſten beſondern Krankheitsfaͤlle nach dem Vorherrſchen der einen oder andern Abnormitaͤt klaſſificirt werden muͤßten, und wenn wir daher Kraͤmpfe und Laͤhmungen einer - ſeits, und erhoͤhte oder geſunkene Empfindlichkeit andrerſeits, allerdings gleich eigentlichen Grundformen zu be - trachten haben, ſo gehen doch die verſchiedenen Unterarten derſelben nebſt ihren vielfachen Combinationen ins Unendliche, ſo daß wir uns begnuͤgen muͤſſen, nur von den groͤßern Krankheitsgruppen eine allgemeine Charakteriſtik zu entwerfen.

§. 233.

Unterſuchen wir nun zunaͤchſt die in dieſer Periode des weiblichen Lebens vorkommenden Stoͤrungen des Empfin - dungsvermoͤgens, ſo haben wir wieder die krankhaften Er - ſcheinungen des innern Sinnes, in welchem das eigentliche Seelenleben ſich ausſpricht, und des aͤußern Sinnes zu un - terſcheiden. Zu denen der erſtern Art gehoͤren: a) die Ueberſpannungen des Selbſtgefuͤhls im wachen Zuſtande, welche, je nachdem ſich das Gemuͤth der Kran - ken dabey auf die aͤußern menſchlichen Verhaͤltniſſe, oder auf innere geiſtige und religioͤſe Gegenſtaͤnde richtet, zur Sucht bewundert zu werden (ſey es auch nur wegen Ertra - gung vielleicht abſichtlich geſchaffener Leiden) oder zur Fan - taſterey, Sprechſucht, Versſucht und Muſikſucht, oder176 endlich zur religioͤſen Schwaͤrmerey fuͤhrt; b) die Ueberſpannung des Selbſtgefuͤhls im Schlafe, als Schlafrednerey und Schlafwandeln, ſo wie die Ueberwaͤltigung des Selbſtgefuͤhls, als Alpdruͤcken (In - cubus); c) die gaͤnzlichen Abſpannungen des Selbſt - gefuͤhls, als Ohnmacht, Apathie und wirklicher Bloͤd - ſinn. Zu den Abnormitaͤten des aͤußern Sinnes gehoͤ - ren: a) die unverhaͤltnißmaͤßig ſtarke Erregung der Sinneswahrnehmung durch gewoͤhnliche aͤu - ßere Einfluͤße, und hieher rechnen wir theils oͤrtliche Schmerzen, wo ein Organ vermoͤge geſteigerter Empfindlich - keit die fruͤher ihm natuͤrlichen Reitze (ſeyen es nun abſolut oder nur relativ aͤußere, z. B. Einwirkung benachbarter Or - gane) als ſchmerzerregend wahrnimmt, theils Beſtimmungen des Willens durch den zu ſtark empfundenen Reitz, alſo die Nachahmungsſucht. b) Die Erregung der Sinnes - wahrnehmung auf ungewoͤhnlichem Wege, die ſo - genannten Sinnesverſetzungen, als das ſogenannte Sehen durch die Magengegend, oder Hoͤren auf dieſelbe Weiſe oder durch die Fingerſpitzen u. ſ. w. c) Die Wahrnehmung aͤußerer Verhaͤltniſſe, welche im gewoͤhnlichen Zuſtande gar nicht empfunden werden, und zwar des Schauens oder Fuͤhlens in entfernte Orte (Rabdomantie), das Wahrnehmen bevorſtehender Dinge, entweder nur durch ein dunkles Gefuͤhl (Ahnung), oder mit klarem Bewußt - ſeyn (Weiſſagung).

§. 234.

Wir kommen nun zu den Stoͤrungen des Vermoͤgens, auf aͤußere Gegenſtaͤnde durch Muskularthaͤtigkeit zu wirken. Hierher gehoͤren: a) Laͤhmungen, und zwar entweder mit uͤbriggebliebener Senſibilitaͤt in dem gelaͤhmten Gliede, oder mit aufgehobenem Empfindungsvermoͤgen (torpide Paralyſe). b) Erſtarrung, und zwar mit vollkommener Unbeweg - lichkeit der Glieder, Starrkrampf (Tetanus) mit ſeinen Un - terarten (Trismus, Opiusthotonus etc.), oder mit waͤchſerner Biegſamkeit derſelben (Catalepsis), wo ſie jede gegebene Stellung behalten. c) Heftig aufgeregte unwill -177 kuͤhrliche Muskelbewegung, Zuckungen, cloniſche Kraͤm - pfe, Epilepſie, Veitstanz u. ſ. w. Endlich aber halten wir dieſes auch fuͤr den angemeſſenſten Ort, einiger ſonder - baren im vegetativen Leben ſich aͤußernden Abnormitaͤten zu gedenken, welche wir gleichfalls vorzuͤglich von krankhaften Einwirkungen des Nervenſyſtems ableiten zu duͤrfen glauben, und welche in der ungewoͤhnlich langen Suspenſion mehrerer dem Leben ſonſt ununterbrochen nothwendiger Funktionen ſich darſtellen, wohin zu rechnen: a) die lange Entbehrung von Nahrungsmitteln, b) die lange Unterdruͤckung natuͤrlicher Ausleerungen, c) die lange Unterbre - chung des Athemholens.

§. 235.

Es iſt nun im Folgenden unſere Abſicht, dieſe Krank - heitsformen noch im Einzelnen durchzugehen, ſie nach ihrer Entſtehung und ihrem Vorkommen, ſo wie nach der Art ih - rer Erſcheinungen mit den Grundſaͤßen der Phyſiologie moͤg - lichſt in Uebereinſtimmung zu bringen, zu beleuchten, und dann von den Mitteln zu handeln, welche, in wiefern ſie das Nervenſyſtem unmittelbar in Anſpruch nehmen, vorzuͤg - lich zur Behandlung derſelben empfohlen zu werden verdie - nen, in wiefern naͤmlich dieſe Krankheitserſcheinungen ſelbſt nicht vielleicht blos Symptome anderweitiger Stoͤrungen dar - ſtellen; als welches aus der Verbindung oder vielmehr An - reihung dieſer Zufaͤlle an andere primaͤr vorhandene (z. B. Stoͤrungen der Menſtruation u. ſ. w.) ſich ergiebt, und dann weſentlich nur die Behandlung jenes primaͤren Leidens fordert.

§. 236.

1) Die Ueberſpannungen des Selbſtgefuͤhls im wachen Zuſtande betreffend, ſo ſind ſie vorzuͤglich bey ſchwaͤchlichen uͤberreitzten Jungfrauen, deren Geiſtesent - wicklung der koͤrperlichen weit vorgeeilt iſt, zu bemerken; es iſt hier, als ob der Geiſt auf alle Weiſe die Schwaͤche und Unvollkommenheit des Koͤrpers verdecken wollte, und zu - gleich als ob der Geiſt bey der unvollkommnen koͤrperlichen Organiſation, gleichſam des feſten Bodens in der ſinnlichenI. Theil. 12178Welt ermangelte, und daher von einer Erſcheinung leicht un - verhaͤltnißmaͤßig, ja bis zum Aufgeben aller innern Freyheit angezogen wuͤrde. Maͤdchen dieſer Art zeichnen ſich vorzuͤg - lich aus durch einen zarten Koͤrperbau, feine Haut, ſprechende Geſichtszuͤge und vorzuͤglich ein aͤußerſt lebendiges Auge, ſie ſind zu Fieberwegungen und Unordnungen in der Verdauungs - funktion geneigt, haben unruhigen Schlaf und lebhafte Traͤume. Bemerken dieſe Individuen nun (und ſie fuͤhlen es vermoͤge ihrer Reitzbarkeit fruͤher und ſtaͤrker, als gemeinhin geglaubt wird), daß man ſie ihrer unvollkommnern phyſiſchen Ausbil - dung wegen bemitleidet, daß ihnen deßhalb wohl gar weni - ger Anſpruͤche auf kuͤnftiges ehliches Gluͤck verſtattet werden, ſo erwacht ihre Eitelkeit, ſie wollen durch die gewaltſamſten Anſtrengungen die Anſpruͤche auf Beachtung erzwingen, welche ihnen die Natur verſagt zu haben ſcheint, und nur allzuleicht geſchieht dieß dann auf Unkoſten der Wahrheit, ja ſie ſcheuen die heftigſten koͤrperlichen Schmerzen nicht, wenn damit das Ziel, Aufmerkſamkeit, ja Bewunderung zu erregen, erreicht werden kann, daher denn die Faͤlle, wo Perſonen dieſer Art vorgaben, lange Zeit ohne alle Nahrungsmittel zu leben, und allerdings dabey nur ſehr wenig genoſſen*)S. Oſiander uͤber die Entwicklungskrankheiten. 1r Th. S. 188., die Faͤlle, wo andere ungewoͤhnliche Dinge erdichtet wurden (z. B. verſtellte Som - nambulen, oder das Schweitzermaͤdchen, welches eine Natter im Leibe zu haben, und durch die Vagina mit Milch zu er - naͤhren vorgab), ja wo die Perſonen ſogar die ſchmerzhafte - ſten Krankheiten nachbilden, und chirurgiſche Operationen nicht ſcheuen, wie ein Fall beweiſet, wo ein Maͤdchen ſich Kieſel verſchiedener Groͤße in die Harnblaſe einbrachte und ſich den ſchmerzhafteſten Extraktionen der uͤber die Natur dieſer Blaſenſteine nicht wenig verwunderten Aerzte unterwarf**)Man leſe dieſen ſehr merkwuͤrdigen von H. Klein mitgetheilten Fall in Harles Jahrbuͤchern der teutſchen Medicin und Chirurgie. III. Bd. 2s Hft..

§. 237.

Aehnliche Ueberſpannungen hingegen, wenn dabey das Gemuͤth auf innere ideale Gegenſtaͤnde gerichtet iſt, bringen,179 obwohl ſie urſpruͤnglich ziemlich bey denſelben Subjekten und unter aͤhnlichen Verhaͤltniſſen wie die obgedachten entſtehen, dann ganz andere Erſcheinungen hervor, unter welchen vor - zuͤglich die religioͤſe Schwaͤrmerey eine eigene und haͤufig vor - kommende Form darſtellt. Man bemerkt ſie vorzuͤglich bey Maͤdchen, welche bey einer mit unverſtaͤndlichen Religions - begriffen uͤberfuͤllten Phantaſie von irgend einem Ungluͤcksfall ſchwer betroffen werden, oder bey andern Individuen, welche bey reitzbarem Gemuͤth und einem vielleicht fruͤher weniger als recht um goͤttliche Dinge bekuͤmmerten Sinne, nun durch myſtiſche Prediger ploͤtzlich aufgeſchreckt wurden*)So ſah man ja noch neuerlich, durch eine bekannte Schwaͤrmerin angeregt, junge Maͤdchen dem Hauſe ihrer Eltern entweichen, und ſich fuͤr Braͤute Chriſti erklaͤren.. Ihr gan - zes Weſen ſcheint dann dem Irdiſchen entzogen, eine Liebe, deren Inbrunſt an Geſchlechtsliebe erinnert, iſt den Heiligen oder dem Heilande zugewendet, und nur die naͤhere Erwaͤ - gung, daß in dieſem Zuſtande weder Klarheit und Ruhe, noch vernunftgemaͤße Willensfreyheit und Beſonnenheit obwal - tet, kann gegen den leicht beſtechenden Reitz, ja gegen die geiſtige Erhebung einer ſchoͤnen Schwaͤrmerin, dieſen Zuſtand als krankhaft darſtellen. Mitunter aber richtet ſich wohl auch dieſes Beſtreben auf Kunſt der Sprache oder der Muſik, ſo hoͤrte man von ſolchen exaltirten Kranken lange Gedichte improviſiren, und mit feurigem Ausdrucke vortragen, man hoͤrte ſie mit weit ſchoͤnerem Ausdruck und mehr Kunſt als im natuͤrlichen Zuſtande ſingen, ja Inſtrumente ſpielen und Sprachen reden**)Oſiander a. a. O. Th. 1. S. 94., darin ſie ſonſt wenig geuͤbt waren; ob - wohl dieſes insgemein ſchnell voruͤbergehende Zuſtaͤnde ſind, und zum Theil als bloße Symptome mit der Sucht nach Auszeichnung oder der religioͤſen Schwaͤrmerey, oder koͤrperli - chen Krankheiten ſich verbinden.

§. 238.

Wir kommen nun zu den Abnormitaͤten, welche auf der Nachtſeite des Lebens bey weiblichen, in der Entwick - lungsperiode begriffenen Individuen nicht ſelten bemerkt wer -180 den, und als Ueberſpannungen oder Oppreſſionen des Selbſtgefuͤhls im Zuſtande des Schlafs oben bezeichnet worden ſind. Alle dieſe Zuſtaͤnde aber haben etwas beſonders Geheimnißvolles, haben deßhalb zu den ſon - derbarſten Meynungen Veranlaß gegeben, und koͤnnen wohl uͤberhaupt nie dem erwachten Menſchen in allen Beziehungen ſo klar und verſtaͤndlich werden, als es das Wachen ſelbſt iſt, eben weil das ſinnlich Vorhandene nur durch die Erfah - rung erkannt wird, der Schlaf aber mit dem in ihm beſchloſ - ſenen Kreiſe von Erſcheinungen eine zu ſehr in ſich begraͤnzte Sphaͤre darſtellt, als daß ſie vollkommen in den Kreis der freyen Verſtandsthaͤtigkeit, dem erſten Bedingniß der Erfah - rung eingehen koͤnnte; hinwiederum aber der Menſch, wenn er in die Sphaͤre des Schlafs und der Traͤume eingegangen iſt, zu wenig Freyheit und Klarheit hat (eben weil ſeine hier erregten Zuſtaͤnde ſelbſt freyes Spiel der Phantaſie ſind) um, ſo lange er in derſelben befangen iſt, der wiſſenſchaft - lichen Erfahrung faͤhig zu ſeyn.

§. 239.

Suchen wir indeß demohnerachtet tiefer in dieſe Ge - genſtaͤnde einzudringen, ſo kann dieß nur geſchehen, indem wir bedenken, daß uͤberhaupt nicht das Wachen, ſondern der Schlaf der urſpruͤngliche Zuſtand des menſchlichen Organis - mus ſey, daß im Schlaf die Individualitaͤt immer wieder dem großen Ganzen, aus welchem ſie hervorgetreten, naͤher gebracht, mehr von dieſem Ganzen durchdrungen werde, als in der ſtarrern Selbſtſtaͤndigkeit des wachen Zuſtandes moͤglich iſt. So finden wir denn im tiefen Schlafe die der Sinneswelt zugekehrte Wirkung der Seele gleichſam aufgeloͤſt in dem Ganzen der Natur, und das Gefuͤhl des indivi - duellen Daſeyns uͤberhaupt aufgehoben, allein im leichteren Schlafe kann auch das Gefuͤhl des Daſeyns beſtehen, es be - ſteht jedoch dann auf andere Weiſe, naͤmlich wieder beengt von den Schranken der Zeit und des Raumes in wunder - licher Ungebundenheit; kurz der Traum hebt an. Iſt indeß der Traum ſo lebendig, daß er ſelbſt uͤber willkuͤhrliche Reactionen ſeine Herrſchaft verbreitet, ſo erzeugt ſich eine181 widernatuͤrliche Verbindung von Tag - und Nachtſeite, ein Schlafwachen (ſchon der Widerſpruch in dieſem Worte be - zeichnet das Krankhafte) und es tritt hierbey nun ein dop - pelter Fall ein, naͤmlich entweder entſpricht Traum und Wirkſamkeit des Schlafenden den aͤußern Verhaͤltniſſen oder nicht. Das erſtere zeigt ſich in vorzuͤglich hohem Grade im Schlafwandeln (Somnambulismus), wo Schlafende be - kanntlich das leiſeſte Gefuͤhl, ja mehr als dieſes, einen ge - gewiſſen Inſtinkt verrathen, welcher ſie in vielerley Dingen ſich orientiren, und in den gefaͤhrlichſten Stellen ſich erhal - ten und fortbewegen lehrt, und welcher eben aus dem weni - ger bewußten Verſinken der Individualitaͤt in den großen Naturkreis verſtaͤndlich wird (ſ. §. 231.). Dieſes Schlaf - wandeln aber findet ſich vorzuͤglich bey ſehr ſanguiniſchen Maͤdchen und vorzuͤglich wenn die Unterleibsorgane in nicht ganz naturgemaͤßem Zuſtande ſind, bey aufgetriebenen Lymph - druͤſen, Verſchleimungen des Darmkanals, Wuͤrmern u. ſ. w. welches darthun kann, daß allerdings das Ganglienſyſtem, wenn wir auch darin keineswegs den alleinigen Grund dieſer Verſtimmungen ſuchen moͤgen, doch wichtigen Antheil an den - ſelben nehmen muͤſſe. Daß uͤbrigens auch der Einfluß des Mondes auf Erregung dieſer Zuſtaͤnde bedeutend ſey, iſt be - kannt, und daß dieſer Einfluß gerade beym weiblichen Ge - ſchlecht wegen der Einwirkung deſſelben auf die Menſtruation (§. 120 u. f.) bedeutender ſeyn koͤnne, mir ſehr wahrſcheinlich.

§. 240.

Die Schlafrednerey betreffend, ſo iſt dieſelbe offen - bar ſchon mehr dem bloßen Traume genaͤhert und deßhalb auch meiſtens den naͤchſten aͤußern Verhaͤltniſſen weniger ent - ſprechend, ſomit die Tag - und Nachſeite weniger unterein - andermengend, und folglich wieder unnatuͤrlich, uͤbrigens ſind die Bedingungen, unter welchen ſie entſteht, ziemlich dieſel - ben. Dagegen haben wir noch dieſe Erſcheinungen des Traumlebens in anderer Hinſicht zu betrachten, naͤmlich in wiefern ſie ſelbſt durch aͤußere Einwirkungen, oder durch be - ſondere krankhafte Stimmungen des leiblichen Organismus (welche immer fuͤr die Phantaſie ein Aeußerliches ſind) be -182 ſtimmt, und die Freyheit des Phantaſieſpiels, das reine Auf - loͤſen in einen groͤßern Naturkreis beeintraͤchtigt wird. Hier - her gehoͤren nun ſchon die aͤngſtlichen, erhitzenden oder er - mattenden Traͤume, welche von ſchwerer, ungeſunder oder mit ſtark riechenden Dingen geſchwaͤngerter Zimmerluſt, nach ſchweren Speiſen u. ſ. w. erregt werden; vorzuͤglich aber ge - hoͤrt hierher das ſogenannte Alpdruͤcken, welches bey voll - bluͤtigen, in der Entwicklungsperiode begriffenen weiblichen Subjekten nicht ſelten vorkoͤmmt, und mir im Weſentlichen darin zu beſtehen ſcheint, daß durch Anhaͤufung eines nicht hinlaͤnglich oxydirten Blutes in den Gefaͤßen der großen Cen - tralnervenmaſſen die Wirkſamkeit des Nervenſyſtems mehr noch, als ſie es im Schlafe ſeyn ſoll, gehemmt wird, zuletzt ſelbſt die Reſpirationsbewegung zu unterhalten verſagt*)Wie ſehr die Athmungsbewegung vom Hirn abhaͤngt, haben die Experimente von Brodie, le Gallois und Andern hinlaͤnglicher wieſen., und das Gefuͤhl einer ſchweren, auf die Bruſt gelegten Laſt er - zeugt, wobey ſelbſt, wenn durch dieſen Schmerz das Erwa - chen endlich herbeygefuͤhrt wird, die allgemeine Laͤhmung, der gleichſam aſphyktiſche Zuſtand, nicht eher nachlaͤßt, bis es der angeſtrengten Willensrichtung des Kranken gelungen iſt, laut aufzuſchreyen, d. i. die Laͤhmung der zur Athmungsbe - wegung noͤthigen Muskeln zu uͤberwaͤltigen. Es erklaͤrt ſich nun ſehr wohl, warum die einzelnen Anfaͤlle vorzuͤglich nach Ueberladungen des Magens, nach hitzigen Getraͤnken, bey ſchwerer Gewitterluft u. ſ. w. erfolgen**)S. vom Alp Reil’s Fieberlehre. IV. Bd. §. 94 u. f..

§. 241.

Ferner die Abſpannung des Selbſtgefuͤhls iſt, wo ſie in der Entwicklungsperiode, und zwar nicht etwa be - dingt durch andere Krankheiten, vorkommt, gewoͤhnlich die Folge vorausgegangener Ueberſpannung, und zwar entweder durch eine auf zu zeitige Entwicklung pſychiſcher Kraͤfte ge - richtete Erziehung, oder in Folge phyſiſcher Reitzungen, ſo wie heftiger Gemuͤthserſchuͤtt[erungen] herbeygefuͤhrt. Sie aͤu - ßert ſich am gewoͤhnlichſten in der Form der Apathie, die183 Kranken zeigen ein gedunſenes ſchlaffes Anſehen, ihr Auge ſtarrt geiſtlos gerade aus, ſie ſitzen wohl ſtundenlang, ohne eine beſtimmte willkuͤhrlich geregelte Gedankenreihe zu verfol - gen, Nichts regt ihre Theilnahme beſonders an, und ſelbſt die leiblichen Verrichtungen gehen traͤge und unvollkommen von Statten. Der Bloͤdſinn ſelbſt iſt der hoͤhere Grad dieſer Apathie, und die Erſcheinungen deſſelben beduͤrfen hier keiner naͤhern Beſchreibung. Dagegen waͤre noch von den gewoͤhnlich ſchnell voruͤbergehenden Abſpannungen des Selbſtgefuͤhls, welche als leichte oder ſtarke Ohnmacht (Lipothymia und Syncope) erſcheinen, zu ſprechen, allein dieſe, obwohl ſie in den Entwicklungsjahren haͤufig genug vorkommen, ſind ſo gaͤnzlich die aͤußern Symptome koͤrper - licher Krankheit, und vorzuͤglich von krankhaften Zuſtaͤnden des Gefaͤßſyſtems, daß, wenn ſie auch zuweilen faſt allein das Krankſeyn bezeichnen*)So die mit Kraͤmpfen verbundenen Ohnmachten der Prinzeſſin Lamballe, welche H. Oſiauder a. a. O. 1r Thl. S. 190 nach Saifert erzaͤhlt., dieſelben doch in wiſſenſchaft - licher Hinſicht eine beſondere Betrachtung nicht geſtatten.

§. 242.

Nun zu den Abnormitaͤten in Wahrnehmun - gen aͤußerer Gegenſtaͤnde, wohin wir zuvoͤrderſt die erhoͤhte Reitzbarkeit fuͤr gewoͤhnliche Sinneseindruͤcke rechnen**)Die habituellen Schmerzen, an welchen reitzbare Kranke gewoͤhnlich leiden, uͤbergehen wir hier, in wiefern ſie gewoͤhnlich an oͤrtliche Verbildungen, Entzuͤndungen u. ſ. w. geknuͤpft ſind.. Wenn aber der regelmaͤßige Stand ſinnlicher Wahrnehmung abhaͤngt von einer gleichmaͤßigen Durchdrin - gung der Außenwelt und der Individualitaͤt, ſo iſt offenbar eine zu große Reitzbarkeit der Sinne gewiſſermaſſen anzuſehen als ein Verlieren an das Aeußere, womit das ſtufenweiſe Abnehmen der Selbſtſtaͤndigkeit und kraͤftigen Gegenwirkung, beym Zunehmen der Reitzbarkeit, endlich aber das ſo bedeu - tende Erſchlaffen individueller Thaͤtigkeit, daß ſelbſt die Re - ceptivitaͤt gelaͤhmt wird, uͤbereinſtimmt. Wir bemerken da -184 her, daß eine ſehr haͤufige Reitzung, ein vermehrtes Hin - wenden auf das Aeußere veranlaßt, und die Erregbar - keit eben dadurch bis auf einen gewiſſen Grad immerfort ſteigert, dann aber laͤhmt, und werden von hier aus auch uͤber die Urſache der ſo betraͤchtlich geſteigerten Senſibilitaͤt junger, kunſtreich und zaͤrtlich erzogener (d. i. von Jugend auf mit den mannigfaltigſten Reitzen umgebener) Maͤdchen Aufſchluß erhalten koͤnnen, eine Senſibilitaͤt, die ſich dann oft durch die ſonderbarſten Erſcheinungen kund giebt. Hierher gehoͤren die Idioſynkraſien, wo Perſonen dieſer Art den Ge - ruch oder Geſchmack gewiſſer Dinge, ja ſelbſt gewiſſe Farben oder Toͤne, ſo wie die Anweſenheit mancher Thiere (beſon - ders der Katzen, wahrſcheinlich zum Theil ihrer ſtarken Elek - tricitaͤt wegen) nicht vertragen koͤnnen, ſondern davon ohn - maͤchtig, zum Erbrechen gereitzt, oder ſonſt krankhaft afficirt werden; beſonders merkwuͤrdig aber iſt die aus einem zu ſtarken Eindruck entſpringende Nachahmungsſucht, welche in einem gewiſſen Grade auch dem geſunden Menſchen, ja ſchon ſo vielen Thieren eingepraͤgt iſt, und uͤber deren Grund wir noch einige Betrachtungen beyfuͤgen.

§. 243.

Wenn wir naͤmlich die verſchiedenen Arten der Erre - gung uͤberhaupt durchgehen, ſo zeigt ſich, daß da, wo noch die Einheit der Organiſation unvollkommen, ihr leiblicher Re - praͤſentant, das Nervenſyſtem, noch nicht gebildet iſt, eine Erregung von außen auch unmittelbar die Reaktion be - dingt; ein Polyp, ein Blatt der Dionaea Muscipula ziehen ſich daher unfehlbar zuſammen, ſobald ſie beruͤhrt werden. Mit der groͤßern Selbſtſtaͤndigkeit hingegen, der groͤßern Aus - bildung der im Nervenſyſtem wirkenden Kraft, wird es im - mer vollkommner in die Willkuͤhr des Organismus geſtellt, ob eine Reaktion erfolgen ſolle oder nicht. Dieſer Gang wie - derholt ſich vollkommen in einer hoͤhern Sphaͤre. Die ſchwaͤ - chere Individualitaͤt, wie ſie im Kinde, wie ſie zum Theil auch im Weibe erſcheint, erkennt leicht, und zwar eben weil ſie noch inniger im großen Naturkreiſe und weniger iſolirt lebt, den fremden Willen fuͤr den eigenen; unmittelbar, wenn185 ſie auch zunaͤchſt gar nicht auf ſie gerichtet war, folgt ſie der fremden Willensrichtung, und unbewußt ahmt ſie nach. Daher der außerordentliche Nachahmungstrieb der Kinder, daher aber auch das Nachahmen von Thaͤtigkeiten, welche von niedern Organen geuͤbt werden, z. B. der Trieb zum Gaͤhnen, wenn ein Anderer gaͤhnt, die Ueblichkeiten oder das wirkliche Erbrechen, wenn ein Anderer ſich erbricht u. ſ. w.; denn ſtets je niedriger die Funktion, um ſo mehr gehoͤrt ſie der Geſammtheit der Natur an, und um ſo mehr ent - fernt ſie ſich von vernunftgemaͤßer Einheit und Freyheit. So lange nun dieſer Nachahmungstrieb in den Graͤnzen der Naturgemaͤßheit bleibt, iſt derſelbe auch nicht als krankhaft zu betrachten, zeigt es ſich jedoch, daß dadurch in einem Organismus, welcher zu freier Willensrichtung beſtimmt iſt, und ſie durch willkuͤhrlich geregelte Thaͤtigkeit ausſprechen ſollte, dieſe beeintraͤchtigt, die Freiheit aufgehoben werde, ſo iſt ſie krankhaft, und es ergiebt ſich, daß, je hoͤher die Reitzbarkeit uͤberhaupt geſteigert iſt, die Neigung zu dieſem krankhaften Zuſtande um ſo groͤßer ſeyn muͤſſe, Grund genug, um einzuſehen, warum die meiſten auffallenden Beyſpiele krankhafter Nachahmungsſucht*)So Voerhaves bekannter Fall von denen im Waiſenhauſe zu Harlem laus Nachahmungstrieb mit Kraͤmpfen befallenen Maͤdchen, und aͤhnliche mehr. das weibliche Geſchlecht, und zwar beſonders in den Entwicklungsjahren, wo die Erreg - barkeit immer groͤßer iſt (ſ. 211.) darbietet.

§. 244.

Ferner iſt eine der ſonderbarſten und ſeltenſten Erſchei - nungen das Erhalten von Sinneseindruͤcken auf ganz ungewoͤhnlichem Wege, naͤmlich durch die Ma - gengegend, oder andere ſonſt fuͤr dieſe Eindruͤcke unempfindliche Koͤrperſtellen. Manche Schriftſteller zwar haben allen naͤhern Eroͤrterungen hieruͤber mit einem Male dadurch ausweichen wollen, daß ſie alle Beobachtungen dieſer Art geradezu als Taͤuſchungen verwarfen, weil ſie nicht mit ihren vorgefaßten Meynungen von dem, was die Natur vermoͤge, zuſammenſtimm -186 ten. Indeß iſt dieß nicht minder thoͤricht, als bey Aufneh - mung ſo ſeltener Erfahrungen nicht mit der moͤglichſten Um - ſicht und Schaͤrfe zu Werke zu gehen, weßhalb wir H. Oſiander*)A. a. O. 2r Thl. S. 304. ſehr beypflichten, wenn er gegen die erſtern den Montaigne anfuͤhrt, welcher die Art uͤber Aehnliches im Voraus abzuurtheilen bitter tadelt, und gedenken hierbey auch Leibnitzens, welcher bey Gelegenheit des Atheismus be - merkt, daß Leichtglaͤubigkeit und Unglaͤubigkeit ſich oft ſon - derbar vermiſchen, ja daß zuweilen nur der eigene Vor - theil diktirt, was geglaubt und was nicht geglaubt werden ſolle**)S. Geiſt des H. v. Leibnitz u. ſ. w. Aus d. Franz. uͤberſetzt. Wittenberg 1775. 1r Thl. S. 70.; eine Meynung, welche vielleicht ganz beſonders an ſolche Aerzte erinnern koͤnnte, bey denen nichts Glauben findet, was der bequemen Praxis des Receptſchreibeus hin - derlich werden moͤchte.

§. 245.

Fragt man aber zuvoͤrderſt, ob Erſcheinungen dieſer Art wirklich mit der Natur des menſchlichen Koͤrpers, wie wir ſie ſonſt kennen, in vollkommnem Widerſpruch ſtehen oder nicht, ſo ſcheint uns ſoviel ſicher, daß allerdings eigentliches Sehen, eigentliches Hoͤren u. ſ. w. außer mittelſt der fuͤr dieſen Sinn beſtimmten Werkzeuge nicht Statt finden koͤnne; allein dieſes anzunehmen finden wir auch in den zu erwaͤhnenden Beobachtungen keinen Grund, indem man ins - beſondre feſthalten muß, daß die Natur ein Ganzes, in un - endlichen Kraͤften ſich wechſelſeitig Durchdringendes iſt, daß alle Dinge durch einander exiſtiren, daß daher in einem des Gefuͤhls faͤhigen Koͤrper die mannigfaltigen aͤußern Ver - aͤnderungen auch als Umſtimmungen dieſes Gefuͤhls ſich noth - wendig abſpiegeln muͤſſen, wobey es jedoch geſchehen kann, daß nur ein Theil dieſer Umſtimmungen zum Bewußtſeyn kommt, ja daß ſie ſchon ohne Bewußtſeyn die Thaͤtigkeit des Koͤrpers umaͤndern (wohin die Triebe und Inſtinkte niederer Thiere (§. 231.) gehoͤren). Nun iſt aber uͤberhaupt das,187 was wir Wahrnehmen aͤußerer Gegenſtaͤnde nennen, bekannt - lich keineswegs ein Wahrnehmen der Dinge an ſich, ſon - dern das Wahrnehmen eines Bildes, welches die Phantaſie erzeugt, angeregt von den verſchiedenartigen Reitzungen des Koͤrpers; und eines Bildes zwar, welches aus den Farben gemalt iſt, welche die einzelnen Sinnesformen darbieten, und in welchem daher beym Mangel einzelner Sinnesformen auch die Farben mangeln muͤſſen, welche dieſen mangelnden Sin - nen entſprechen, ſo daß ein Blindgeborener daher wohl in Toͤnen, nach Gefuͤhls -, Geruchs - und Geſchmacksempfindun - gen Vorſtellungen haben wird, aber nicht nach Farben und Licht. So wie nun aber z. B. ein Menſch ohne Fuͤße wohl ſich fortbewegen lernt, dieſes Fortbewegen aber nie Gehen genannt werden kann, ſo kann nun wohl der Mangel oder die Unthaͤtigkeit eines Sinnes, z. B. des Geſichts, durch eine andere Wahrnehmung erſetzt werden, allein dieß iſt nicht Sehen zu nennen; und hier liegt nach unſerm Dafuͤrhalten der Hauptknoten in dem Verſtaͤndniß der fraglichen Erſchei - nungen.

§. 246.

Naͤmlich auch die innere, nicht unmittelbar von aͤußern Erſcheinungen angeregte Thaͤtigkeit der Phantaſie bildet in den ſinnlichen Formen, daher glauben wir einen lebhaft gedachten Gegenſtand zu ſehen, wir glauben zu hoͤren, zu ſehen u. ſ. w. im Traume, und doch ſehen wir eigent - lich nicht. So nun auch, wenn das unmittelbare, nicht durch die einzelnen Sinnesformen erregte Gefuͤhl eines aͤußern Einflußes, deſſen Stimmung unſer Inneres mit durchdrungen hat, wirklich zum Bewußtſeyn gelangt, wird es doch ange - ſchaut werden unter der Form der gewohnten Sinne, welches man im gemeinen Leben ſehr paſſend im Geiſte ſehen, hoͤren u. ſ. w. nennt. Z. B. ein Menſch, welcher mit ploͤtzlich gelaͤhmtem Geſicht und Gehoͤr in einen kuͤhlen gruͤ - nen Wald verſetzt wuͤrde, und ſich durchdrungen fuͤhlte von der friſchen Natur, dem eigenen Duft der Blaͤtter und der erquickenden Kuͤhle, deſſen Phantaſie wuͤrde angeregt werden, wenn er fruͤher oft an aͤhnlichen Orten geweſen waͤre, ſich den188 Wald ſelbſt, das Gruͤn der Blaͤtter, das Geraͤuſch des Win - des in den Zweigen auszubilden, ja er wuͤrde bey lebhafter Phantaſie endlich dieſes ſelbſt zu ſehen, zu hoͤren glauben, und es iſt deutlich, daß dieſes Phantaſiebild der Wirklichkeit um ſo mehr entſprechen wuͤrde, je lebendiger der Menſch von dem Gefuͤhle dieſer Natur durchdrungen war.

§. 247.

Nun iſt aber ſchon mehrmals bemerkt worden, daß der niedere Organismus nothwendig zugleich inniger in der Natur lebt, mehr von ihr durchdrungen wird, als der hoͤ - here, und hierauf muͤſſen wir Ruͤckſicht nehmen bey jenen Beobachtungen der ſcheinbaren Verſetzungen der Sinne. Auch der Menſch naͤmlich enthaͤlt zugleich eine niedere und eine hoͤhere Natur in ſich, und es iſt klar, daß die niedere Sphaͤre insbeſondre geeignet ſeyn muͤſſe, von aͤußern Ver - haͤltniſſen dergeſtalt durchdrungen zu werden, daß an dieſen innern Modifikationen unmittelbar, in ſofern ſie durch die vom Aeußern abgezogene und in ihr Inneres ſchauenden Seele wahrgenommen werden, die Erkenntniß jener aͤußern Verhaͤltniſſe moͤglich wird, wobey natuͤrlich wieder durch die Phantaſie eine ſolche Vorſtellung in die gewohnten Sin - nesformen eingebildet werden, und der Menſch glauben muß, dieſe Gegenſtaͤnde zu ſehen, zu hoͤren u. ſ. w., obwohl er ſie eigentlich vielmehr in einem dem Aeußern wahrhaft entſprechenden Traume wahrnimmt. Wie weit uͤbri - gens die Sphaͤre dieſer Wahrnehmung gehen koͤnne, laͤßt ſich a priori durchaus nicht beſtimmen. Der Geiſt iſt uͤber Zeit und Raum, Zeit und Raum ſind vielmehr in ihm, und wenn wir beſtimmte Beyſpiele haben, daß ſelbſt Thiere die Gegenwart von Perſonen, zu welchen ſie große Anhaͤnglich - keit hatten, in einer Entfernung, wo die gewoͤhnlichen Sinne nicht hinreichten, empfanden, wie duͤrften wir hier dem Men - ſchen ein non plus ultra willkuͤhrlich vorſchreiben wollen? Es gilt hierbey viel mehr treu und unbefangen zu beobachten, welche merkwuͤrdige Erſcheinungen die Natur hier uns dar - bietet, als ihr im Voraus Graͤnzen ziehen zu wollen.

189
§. 248.

Fragt man uͤbrigens, welches die niedere Sphaͤre ſey, durch welche der Menſch zu Perceptionen der erwaͤhnten Art faͤhig werde, ſo kann hier keine als die Sphaͤre der Repro - duktion gemeynt ſeyn, welche, in wiefern ihre Senſibilitaͤt ſogar an den Traͤger eines eigenen Nervenſyſtems geknuͤpft iſt, noch mehr zu dieſen Erſcheinungen geeignet wird; womit denn uͤbrigens die Geſchichten dieſer Erſcheinungen ſelbſt uͤber - einſtimmen, indem man immer bemerkt hat, daß vorzuͤglich die den Centralpunkten der Reproduktion, d. i. der Gegend zwiſchen Herz, Magen und Leber am meiſten genaͤherten Partien des Koͤrpers ſolcher Perceptionen faͤhig waren, ob - wohl wir deßhalb dieſer Gegend nicht das Vermoͤgen des Geſichts, des Gehoͤrs u. ſ. w. ſelbſt zuſchreiben koͤnnen. Warum haͤtte man denn wohl nie bemerkt, daß eine Kranke vorgab, mit den Ohren zu ſehen? mit den Augen zu hoͤren? mit dem Gehirn uͤberhaupt Sinneswahrnehmungen zu haben? Warum finden wir uͤberall, ſelbſt bey Perſonen, welche ihrer geringen Bildung nach unwiderleglich von aͤrztlichen Hypo - theſen keine Sylbe wußten, immer wieder die Magengegend als durch dieſe Senſibilitaͤt hervorgehoben?

§. 249.

Ehe wir nun ganz von dieſer Digreſſion zuruͤckkehren (welche wir uͤbrigens nicht gemacht haben wuͤrden, waͤren die hier zur klarern Einſicht doch unumgaͤnglich noͤthigen Ideen in den Phyſiologien bereits allgemein klar genug ent - wickelt zu finden), nur noch einige Worte uͤber die Moͤglich - keit des Wahrnehmens eigener innerer Koͤrpertheile in ſolchen exaltirten Zuſtaͤnden. Auch dieſes naͤmlich koͤnnen wir nur als Phantaſiebilder, oder wenn man lieber will, als Traͤume von den Geſtalten dieſer einzelnen Organe betrachten, und es ſcheint wohl natuͤrlich, daß wenn Umſtimmungen des Ge - meingefuͤhls wahrhafte Vorſtellungen von Außendingen veran - laſſen, auch die Organe an und fuͤr ſich ſelbſt Vorſtellungen, und zwar von ihrem eigenen Zuſtande, erregen. Ja es liegt wohl hierin noch eine beſtimmtere Rechtfertigung obiger An -190 ſicht, denn waͤre es nicht ein Widerſpruch, wenn man ſagte, daß ein Organ ſich ſelbſt ſaͤhe? ſieht ja doch ſogar das Auge nicht ſich ſelbſt. Vielmehr deuten alle dieſe Erſcheinungen ſo wie das Gefuͤhl, welches in ſchweren Krankheiten nicht ſelten bemerkt wird, und mir bey einem boͤsartigen Nerven - fieber durch eigene Erfahrung bekannt wurde, wo der Kranke naͤmlich ſich doppelt glaubte und einzelne ſeiner Glieder als zu einem andern Koͤrper gehoͤrig betrachtete, daß hier Traͤume (welche indeß auch der Wirklichkeit zuweilen in ho - hem Grade entſprechen koͤnnen) ſich geſtalten. Eben deß - halb iſt aber auch auf die Richtigkeit dieſer Vorſtellungen nicht zu viel zu geben, denn wenn ſchon beym wirklichen Sehen viel davon abhaͤngt, wie man ſieht, und das rechte Sehen erſt erlernt werden muß, ja um ſo mehr geſehen wird, je mehr man weiß, ſo koͤnnen in ſolchen ungewoͤhnli - chen Wahrnehmungen, und zwar oft ſehr unwiſſender Men - ſchen, große Taͤuſchungen leicht Statt finden, ohne daß man dieſe Irrthuͤmer deßhalb allein als Belege abſichtlichen Be - trugs aufſtellen darf. Endlich ergiebt ſich aber auch hier - aus, daß auf dieſe Weiſe die Phantaſie keine Bilder erhal - ten wird, deren ſie nicht bereits auf anderem Wege faͤhig geworden iſt; ſo z. B. daß keiner Blindgebornen durch Magengegend oder Fingerſpitzen u. ſ. w. Geſichtsvorſtellungen angeregt werden koͤnnen, obwohl eine Blindgewordene deren hierdurch eben ſo lange erhalten koͤnnte, als ihr die Erinne - rungen des Geſichtsſinnes zuruͤckbleiben.

§. 250.

Was nun die einzelnen Faͤlle ſolcher ſcheinbaren Sin - nesverſetzungen betrifft, ſo ſind deren allerdings noch zu we - nige genau beobachtet, als daß man angeben koͤnnte, unter welchen Umſtaͤnden und bey welchen Individuen ſie vor - zuͤglich bemerkt wurden; jedoch ſcheint es, als ob ſie meiſtens nur in Verbindung mit andern ungewoͤhnlichen Stimmungen der Senſibilitaͤt, naͤmlich entweder in dem durch eigene Na - turthaͤtigkeit oder durch Kunſt entſtandenen Somnambulismus, oder bey krampfhaften Zuſtaͤnden, und namentlich bey der191 hyſteriſchen Catalepſis vorkommen. Als Gelegenheitsurſachen zu Entſtehung dieſer Zufaͤlle hat man vorzuͤglich haͤufig Re - gelwidrigkeiten der Menſtruation, insbeſondre die ploͤtzliche Unterdruͤckung derſelben und heftige Gemuͤthsbewegungen be - obachtet. Die Subjekte waren theils ſchwaͤchliche reitzbare Perſonen von feiner Erziehung, theils aber auch Perſonen aus der niederen Volksklaſſe und an ſtarke koͤrperliche Arbei - ten gewoͤhnt. Zu den letztern gehoͤrt der von Dr. Renard bekannt gemachte, durch das gerichtliche Zeugniß zweier an - dern Aerzte und eines Predigers beglaubigte Fall einer Tag - loͤhnersfrau von 23 Jahren, welche im kataleptiſchen Zu - ſtande durch Magengegend und Fingerſpitzen hoͤrte*)Hufeland’s Journal f. d. pr. Heilk. 1815. 2s St., und zwar nicht nur wo dieſe Theile unmittelbar vom Laute ge - troffen wurden, ſondern auch dann, wenn nur eine Zuleitung zu dieſen Theilen, z. B. durch eine Kette von mehreren Per - ſonen gebildet worden war. Eben ſo gehoͤren zu den Faͤllen der Sinneverſetzung in kataleptiſchen Zuſtaͤnden die von Pe - tetin gemachten Beobachtungen**)Man ſ. dieſe Beobachtungen nebſt andern von D. Renard als Einleitung zum eben angefuͤhrten Aufſatze., welcher zuerſt die Auf - merkſamkeit der Aerzte auf dieſen Gegenſtand lenkte. Von den ſogenannten Sinneverſetzungen bey von ſelbſt entſtandenem oder kuͤnſtlich erregtem Somnambulismus, ſo wie den dabey nicht ſelten beobachteten ziemlich wahrhaften Traͤumen vom in - nern Koͤrperbau enthalten die zahlreichen Schriften uͤber animalen Magnetismus Beyſpiele in Menge. Ein aͤußerſt merkwuͤrdi - ges Beyſpiel einer ohne Catalepſis und Somnambulismus entſtandenen Sinneverſetzung, naͤmlich des Erregens von Ge - ſichtsvorſtellungen mittelſt der Fingerſpitzen, wuͤrde hingegen die neuerlich Aufſehen erregende Miß Mavoy in England darbieten, ſobald die Thatſache ſelbſt hinlaͤnglich feſtgeſtellt waͤre***)Die Bemerkungen, welche H. Nees v. Eſenbeck im Archiv f. d. thier. Magnetism. III. Bd. 2s St. hieruͤber mittheilt, zeigen aller - dings, daß man mehr Urſache habe, die Thatſache fuͤr wahr als fuͤr erdichtet anzunehmen..

192
§. 251.

Endlich kommen wir zu den ſonderbarſten und ſeltenſten Erſcheinungen der aufgeregten Senſibilitaͤt, wo die Schranken des Raumes und der Zeit faſt aufgehoben ſcheinen, und wo - hin zuerſt das Schauen oder Fuͤhlen von Gegenſtaͤnden ge - hoͤrt, welche nach der gewoͤhnlichen Weiſe ſinnlicher Wahr - nehmung nicht zu erkennen waren. Auch dieſes iſt ſelten als einzeln vorkommende Erſcheinung, ſondern gewoͤhnlich als Symptom des Somnambulismus beobachtet worden; jedoch wuͤrde das Beyſpiel der Mad. Pedegache in Spanien, welche das Vermoͤgen beſeſſen haben ſoll, in das Innere der Koͤrper zu ſchauen, hierher gerechnet werden muͤſſen, dafern ſichere und glaubwuͤrdigere Nachrichten daruͤber vorhanden waͤren*)S. daruͤber H. Oſiander uͤber d. Entwicklungskrankheiten im in u. 2n Thle.. Ein merkwuͤrdiges, von erfahrenen Zeugen beglau - bigtes und durch Verſuche erprobtes Beyſpiel einer hohen rabdomantiſchen Senſibilitaͤt bey einem ohngefaͤhr 20 Jahr alten, ſich ſonſt dem Aeußern nach wohl befindenden Frauen - zimmer, von blaßer Farbe, ſchlankem Wuchs und lebhaftem Gemuͤth, iſt dagegen das vom Bergmeiſter F. Glinsberg in Arau bekannt gemachte**)Archiv ſchweizeriſcher Aerzte. 1r Jahrg. 1s Hft. 1816. S. 56., wo eine Richtung von Stein - kohlenlagern durch dieſelbe angegeben wurde, welche dem Bergmeiſter unerwartet und unbekannt, demohnerachtet durch die Nachgrabung beſtaͤtigt worden war. Die Empfindungen, durch welche ſie das Verhaͤltniß der Foſſilien entdeckt, ſind Engbruͤſtigkeit, Zuckungen, Schweiß, bey Steinkohlen ſchwe - felartiger Geruch u. ſ. w. Sie gab zu Elgg die Maͤchtig - keit des Floͤtzes ziemlich beſtimmt an und bezeichnete den Platz einer verborgenen Quelle richtig.

§. 252.

Weit haͤufiger ſind dagegen aͤhnliche Erſcheinungen in den ſogenannten magnetiſchen oder auch in kataleptiſchen Zu - ſtaͤnden beobachtet worden, allwo denn auch das Vorgefuͤhl zukuͤnftiger Dinge oft mit beſonderer Schaͤrfe hervortritt. Von193 beyden wollen wir nur einige Beyſpiele erwaͤhnen. So er - kannte z. B. des Dr. Renard kataleptiſche Kranke Perſo - nen in andern Zimmern und die Beſchaͤftigung derſelben, ſo wie Geldſummen, Schluͤſſel u. ſ. w. in den Taſchen der An - weſenden*)A. a. O. S. 72 u. 75.; ſo ſagte dem Hofmedikus Klein eine von ſelbſt in Somnambulismus gerathene Kranke von 21 Jahren am 30. Juny 1812 auf eine an ſie gerichtete Frage: daß eine gewiſſe Frau den 20. July mit einem Knaben leicht nieder - kommen, der Arzt aber nachher ſich in Acht zu nehmen haben werde, welches puͤnktlich eintraf, indem den 20. July die Geburt eines Knaben ſehr leicht erfolgte, der Hofmedikus Klein hingegen einen ganzen Vormittag wegen Einſackung der Nachgeburt bey der Entbundenen zu thun hatte**)Hufelands Journal d. pr. Heilk. 1815. 2s St. S. 112.. Daß uͤbrigens dieſe Vorgefuͤhle und beſtimmtern Vorausſagungen ebenfalls ohne ſomnambulen Zuſtand vorkommen, iſt wohl unlaͤugbar; Belege davon koͤnnen mehrere von H. Oſian - der uͤber das Ahnungsvermoͤgen geſammelte Erfahrungen werden***)Ueber d. Entwicklungskrankheiten in d. Bluͤthenjahren d. weiblichen Geſchlechts. 1r Thl. S. 111 u. f., ſo wie als einer der ſchoͤnſten Faͤlle des Hin - ausſchauens uͤber die gewoͤhnlichen Schranken der Sinne die Geſchichte des Maͤdchens von Orleans†)Man leſe die aktenmaͤßige Geſchichte derſelben in Gayot von Pitaval ſonderbaren und merkwuͤrdigen Rechtsfaͤllen, deutſch, von C. W. Franz. Jena 1792. 4r. Thl. Sie war nie menſtruirt, obwohl, wie durch die Unterſuchung der Koͤnigin von Sicilien und zwey anderer Damen erwieſen, eine vollkommne und reine Jungfrau. Ihre Seher〈…〉〈…〉 gabe, ihre Kraft und Entſchloſſenheit im Felde, ihre Einfachheit und kindliche Unſchuld leuchten aus jedem Zuge hervor. erſcheint, deren ſittliche Schoͤnheit zugleich aus den trockenſten Kriminalakten ſo rein hervorleuchtet, daß ſie einen großen deutſchen Dich - ter zu einer unſterblichen Schoͤpfung entzuͤnden konnte.

§. 253.

Wirft man aber hierbey wieder die Frage auf, uͤber Vereinbarkeit dieſer, mit den andern phyſiologiſchen Erſchei -I. Theil. 13194nungen, ſo glauben wir weder zu Ausnahmen von uͤbrigens guͤltigen Naturgeſetzen, noch zu einem myſtiſch verzierten Dualismus, welcher den Geiſt hier etwas weiter aus der Kapſel des Koͤrpers hervorſehen laͤßt, unſere Zuflucht nehmen zu muͤſſen, ſondern wir weiſen nur wieder auf die obigen Anſichten (§. 246 u. 47.) von Durchdringung des Einzelnen durch das Ganze, von dem Menſchenleben als integrirendem Theil des Naturlebens zuruͤck, und finden es mit dieſer Ein - heit, in welcher Alles ſich wechſelſeitig beſtimmend fortwirkt, vollkommen uͤbereinſtimmend, daß unter zwey Bedingungen der Wahrnehmungskreis der innerſten menſchlichen Einheit, d. i. der Menſchenſeele, in Zeit und Raum betraͤchtlich erweitert werden koͤnne, naͤmlich: erſtens wenn der Menſch der Natur ſich vollkommen hingiebt, gleichſam in ihr untergeht (in wel - cher Hinſicht wir die wohlthaͤtigen Inſtinkte bey Kranken, die Ahnungen bevorſtehender Naturereigniſſe u. ſ. w.*)Auf dieſe Weiſe ſind ja eben auch die Vorgefuͤhle der Thiere er - klaͤrbar. betrachten); zweytens wenn der Menſch die Natur geiſtig in ſich auf - nimmt, die Natur ſich unterwirft, ohne dadurch Kraft, Frey - heit und Klarheit des Geiſtes aufzugeben, ſondern vielmehr im erhoͤhten Beſitzgefuͤhl derſelben (ein nur Wenigen, von den Banden der irdiſchen Begehrungen Befreiten, eigenthuͤmliches Vermoͤgen, welches das Volk gewoͤhnlich nur Heiligen, und in einem gewiſſen Sinne ſehr mit Recht zugeſchrieben hat). Daß uͤbrigens hier, wenn von Krankheit die Rede iſt, nur das unter der erſten Bedingung entſtandene Fernſchauungs - und Ahnungsvermoͤgen gemeynt ſeyn kann, liegt am Tage.

§. 254.

Noch bleiben uns nun die krankhaften Erſcheinungen der Muskularthaͤtigkeit und Reproduktion, durch abnorme Ner - veneinwirkung veranlaßt, zu betrachten uͤbrig. Was die ab - norme Muskularthaͤtigkeit betrifft, ſo kommen die Zufaͤlle derſelben in den Entwicklungsperioden des weiblichen Ge - ſchlechts vorzuͤglich bey an und fuͤr ſich reitzbaren und ſchwaͤchlichen Subjekten in der Form von Laͤhmungen dann195 vor, wenn durch vorausgegangene fruͤhzeitige Ausſchweifun - gen Ueberreitzung Statt gefunden hat, und durch die ent - ſtandene Schwaͤche die vollkommne Ausbildung des Geſchlechts - charakters gehindert wird; oder wenn ſehr heftige Gemuͤthsbe - wegungen ploͤtzlich einwirkten. Im Ganzen pflegt indeß ge - rade dieſer Krankheitszuſtand doch weit weniger haͤufig, als andere einzutreten, da er zu ſehr mit der in dieſer Zeit fuͤr den Organismus natuͤrlichen Stimmung in Widerſpruch ſteht; wenigſtens iſt er gemeiniglich nur voruͤbergehend, und er - ſcheint dann oft mehr als Erſtarrung, vorzuͤglich als Cata - lepſis. Haͤufiger kommen dagegen die eigentlichen Kraͤmpfe vor, und zwar zuweilen mit einer Heftigkeit, welche alle Beſchreibung uͤberſteigt*)Man leſe z. B. nur die Schilderung der Kraͤmpfe, welche der Ar - chiater Brandis bey einem 19jaͤhrigen Frauenzimmer beobachtete (Hufeland’s Journal d. prakt. Heilk. 41. Bd. 2. St. S. 9.)., man bemerkt hierbey Tetanus, Opiſthotonus, wobey der Koͤrper, voͤllig im Sprenkel gebogen, ſich nur auf Ferſen und Hinterhaupt aufſtuͤtzt, Trismus u. ſ. w. Mit - unter beſchraͤnken ſich wohl auch dieſe Kraͤmpfe auf einzelne Theile, beſtehen z. B. in heftigem Kopfſchuͤtteln**)S. einen ausgezeichneten Fall dieſer Art bey Brandis a. a. O. S. 19., oder taktmaͤßigen Gliederbewegungen (Veitstanz), verbinden ſich mit Somnambulismus u. ſ. w. Auch dieſe Zufaͤlle werden uͤbrigens vorzuͤglich bey ſehr reitzbaren Individuen, und be - ſonders nach Gemuͤthsleiden beobachtet, beſtehen nicht ſelten (wie in dem unten angefuͤhrten erſten Falle von Brandis) mit regelmaͤßiger Menſtruation, ſind gewoͤhnlich aͤußerſt hart - naͤckig und ſpotten oft der wirkſamſten innern Arzneymittel.

§. 255.

Endlich bemerken wir auch den Einfluß ſolcher Ver - ſtimmungen des Nervenſyſtems auf den Gang der reproduk - tiven Funktionen im Ganzen zwar immer, aber in einzelnen Faͤllen an beſonders auffallenden Erſcheinungen. Hierher rechnen wir namentlich das lange Entbehren von Nahrungs - mitteln, welches vorzuͤglich bey weiblichen Individuen bemerkt196 wurde, und allerdings gerade wegen der uͤberhaupt thaͤtigern Reproduktion hier weniger uͤberraſchend, ja im Allgemeinen wohl nicht ſo unbegreiflich ſcheinen kann, als man großen - theils glaubt. Der Koͤrper naͤmlich, deſſen Exiſtenz nur eben in einer ſtaͤten Verwandlung, in einem ſtaͤten Wechſel von Aufnahme und Zerſtoͤrung beſteht, hat zwey Wege, dieſe Exiſtenz zu ſichern, entweder die Aſſimilation zu erhoͤhen, oder die Exkretion zu mindern, durch den Stand welcher Faktoren ſich denn viele Erſcheinungen erklaͤren laſſen. So ſehen wir in acuten Krankheiten oft bey Hemmung ſo vieler Lebensaͤußerungen auch dieſen Stoffwechſel ſehr zuruͤckgetreten und die Exiſtenz durch eine aͤußerſt geringe Stoffaufnahme lange Zeit unterhalten, mit welcher immer noch die, wenn auch oft ſehr merkliche Stoffabnahme des Koͤrpers in keinem Verhaͤltniſſe ſteht; ſo finden wir auch bey vielen Thieren (z. B. Amphibien und Fiſchen) eine lange Lebensdauer ohne merkliche Stoffaufnahme unſchwer moͤglich, und daß dieß ganz beſonders waͤhrend der Entwicklungsperioden vorkomme, ſcheint in der Natur des Organismus begruͤndet, welcher hier (eben ſo wie in Krankheiten, deren Ganzes immer wieder als organiſche Entwicklung betrachtet werden muß) zu ſehr in ſich beſchaͤftigt iſt, und dadurch in ſchwaͤchere Wechſel - wirkung mit der Außenwelt tritt, weßhalb wir vorzuͤglich an Thieren, wenn ſie ſich verwandeln, eine ſehr verminderte Nahrungsaufnahme bemerken. Raupen z. B. hoͤren auf zu freſſen, wenn ſie ſich einſpinnen, und daß gerade, wenn in der Puppe das Thier zum Schmetterlinge umgeſtaltet wird, eine aͤußere Ernaͤhrung gar nicht weiter Statt findet, iſt be - kannt; eben ſo freſſen Voͤgel in der Mauſe weniger u. ſ. w.

§. 256.

Finden wir nun zur Zeit der Entwicklungsperiode aͤhn - liche Erſcheinungen im Menſchen, ſo ſind wir gewiß nicht berechtigt, dieſelben, ihrer Unmoͤglichkeit wegen, ſtets fuͤr abſichtliche Betruͤgerey zu erklaͤren, und wenn gleich in meh - rern Faͤllen theils in Folge unvorſichtigen aͤrztlichen Beneh - mens, theils durch gleichzeitig erwachte Eitelkeit der Kran - ken (ſ. §. 236.) Uebertreibungen der Thatſachen Statt ge -197 funden haben, ſo ſind doch theils dieſe Faͤlle ſelbſt*)S. Oſiander uͤber d. Entwicklungskrankheiten. 1r Thl. S. 188. theils andere**)So erzaͤhlt Adair in ſeinem philoſoph. medicin. Abriß d. Natur - geſchichte d. Menſchen, aus d. Engl. uͤberſ. v. Michaelis. 1788. S. 195. das Beyſpiel einer gewiſſen Johanna Naunton, welche 87 Tage ohne alle Nahrung, außer etwas Limonienſaft von Zeit zu Zeit, zubrachte, ſo wie den Fall einer Schwindſuͤchtigen, welche 35 Tage blos von Waſſer, mit einigen Tropfen Spiritus nitri dulcis vermiſcht, lebte. Beweis genug, daß der weibliche Koͤrper in ge - wiſſen Stimmungen wirklich mit außerordentlich geringer Nahrung lange Zeit ausreichen koͤnne. Weit ſeltner hin - gegen, und nur in Folge außerordentlicher Umaͤnderungen der Organiſation, wird das Hemmen der Athmungsfunktion der Lungen beobachtet, wohin der von H. Oſiander angefuͤhrte Tacconi’ſche Fall gehoͤrt, wo ein Maͤdchen, nachdem es im fuͤnften Jahre einen Sturz aus dem Fenſter erlitten (alſo doch wahrſcheinlich eine heftige Hirnerſchuͤtterung Statt ge - funden hatte), 10 Jahre lang ohne alles bemerkliche Athem - holen (die Athmungsbewegung haͤngt bekanntlich im hohen Grade vom Gehirn ab) zugebracht, und alſo ohne kleinen Kreislauf (demnach auf bloße Hautreſpiration beſchraͤnkt) ge - lebt hatte***)S. Oſiander a. a. O. S. 187.. Eine Erſcheinung, welche indeß, wenn wir das uͤberhaupt geringere Athmungsbeduͤrfniß im weiblichen Geſchlecht (§. 59.) ausnehmen, doch in zu entfernter Ver - bindung mit der Geſchlechtseigenthuͤmlichkeit ſteht um weitere Eroͤrterungen daruͤber hier zu erlauben.

§. 257.

Wir kommen nun, nachdem wir eine Schilderung die - ſer mannigfaltigen, ſonderbaren, vom Nervenleben ausgehen - den, oder in ihm ſich vorzuͤglich aͤußernden Entwicklungskrank - heiten gegeben haben, zu einem ſehr ſchwierigen Punkte, naͤmlich zu der Lehre von der Behandlung derſelben. Es iſt aber hier beynahe derſelbe Fall, wie in der Behand - lung der Gemuͤthskrankheiten und Geiſtesverirrungen uͤber - haupt, wo durch die dunkeln Vorſtellungen vom Verhaͤltniß198 deſſen, was wir Seele nennen, zum Koͤrper, die verſchieden - ſten Anſichten erzeugt worden ſind. Hier koͤnnen und ſol - len nur kuͤrzlich diejenigen Regeln zuſammengeſtellt werden, welche Vernunft und Erfahrung als die mindeſt zweydeutigen und als die einfachſten darſtellen.

§. 258.

Zuerſt aber bemerken wir in dieſer Hinſicht, daß, in - dem offenbar in ſo vielen Faͤllen es ſich erkennen laͤßt, wie Stoͤrungen in den niedern Funktionen auf die hoͤhern zuruͤck - wirken, es das vorzuͤgliche Augenmerk des Arztes ſeyn muͤſſe, in den oben betrachteten Zufaͤllen der Entwicklungsperiode des weiblichen Geſchlechts den Stand der niedern organiſchen Ver - richtungen genau zu unterſuchen, auf krankhafte Zuſtaͤnde der Verdauungswerkzeuge, Verſchleimung, Obſtruktionen, fehler - hafte Gallenabſonderung, hinlaͤngliche Ruͤckſicht zu nehmen, ferner den Zuſtand des Lymphſyſtems ſo wie des Gefaͤßſyſtems und insbeſondre der venoͤſen Gefaͤße, endlich aber die Bil - dung und Thaͤtigkeit der Geſchlechtsorgane zu beachten. Fin - den ſich nun hier auf irgend eine Art bedeutende Stoͤrungen vor, ſo wird die Behandlung und Beſeitigung derſelben, nach den Regeln, welche theils die ſpecielle Therapie, theils die Lehre von den Geſchlechtskrankheiten aufſtellt, den Arzt ſtets zuerſt beſchaͤftigen muͤſſen, indem entweder das Leiden des Nervenſyſtems ſelbſt hierdurch verſchwinden, oder doch eine die Heilung deſſelben erſchwerende oder gaͤnzlich hindernde Complication dadurch entfernt werden wird.

§. 259.

Einen zweyten Hauptpunkt aͤrztlicher Behandlung muß fer - ner die Unterſuchung und Regulirung der geſammten Lebensord - nung der Kranken ausmachen. Es wird ganz vergebens ſeyn, fuͤr die meiſten Faͤlle von Kraͤmpfen, von uͤberſpannter Empfind - lichkeit u. ſ. w. einen noch ſo zweckmaͤßigen Heilplan zu ent - werfen, gelingt es dem Arzte nicht, die vielfachen Diaͤtfeh - ler, den Mißbrauch von warmen, erhitzenden und erſchlaffen - den Getraͤuken, die Reitzung der Phantaſie durch ungewaͤhlte Lektuͤre und unpaſſenden Umgang, das Nachtſchwaͤrmen und199 ſo viele andere Sproſſen eines immer weiter greifenden, im - mer mehr von Naturgemaͤßheit zuruͤckweichenden Luxus zu verbannen. Man eroͤffne daher die Behandlung damit, ſol - chen Kranken, ihren Umſtaͤnden gemaͤß, eine Lebensordnung von der Zeit des Aufſtehens bis zum Schlafengehen vorzu - zeichnen, ihnen, wenn es die Umſtaͤnde erlauben, eine zweck - maͤßige koͤrperliche Beſchaͤftigung, haͤusliche Arbeiten u. ſ. w. zur Pflicht zu machen, und halte mit Feſtigkeit auf der puͤnktlichen Befolgung dieſer Vorſchriften. Findet man aber die Kranken unfolgſam, findet man, daß ſie nach eigenem Gut - duͤnken ſich Abweichungen erlauben, wie dieß wohl namentlich in manchen mit Einbildungen uͤberhaͤuften Individuen aus den hoͤhern Staͤnden der Fall zu ſeyn pflegt, ſo gebe man lieber, wenn Gegenvorſtellungen nicht beachtet werden, eine Behandlung auf, bey welcher weder fuͤr die Kranke Erfolg, noch fuͤr den Arzt Freude zu hoffen iſt.

§. 260.

Ein dritter fuͤr die Behandlung dieſer ſo wie anderer Krankheiten beſonders wichtiger Gegenſtand iſt die Beſeitigung der entfernten Urſachen. Indem nun aber in Krankheiten niederer organiſcher Syſteme, ſo wie in der Lebensweiſe vor - zuͤglich haͤufige Veranlaſſungen zu den genannten Leiden des Nervenſyſtems gegeben ſind, wird allerdings durch die Befol - gung der in den beiden vorigen Paragraphen gegebenen Re - geln ein großer Theil der gegenwaͤrtigen Indikation erfuͤllt, obwohl auch außerdem noch manches zu thun uͤbrig bleibt. Namentlich gehoͤrt aber hierher die allmaͤhlige Verbeſſerung allgemeiner Conſtitution, beſonders Verminderung der ungluͤck - lichen krankhaften Reitzbarkeit, worin allerdings durch anhal - tendes Fortwirken auf dem rechten Wege viel geſchehen kann, namentlich indem man Veraͤnderung des Aufenthalts, Benu - tzung mineraliſcher Baͤder, innerer und aͤußerer Mittel zur Erhoͤhung kraͤftiger Muskularthaͤtigkeit und Reproduktion zu Huͤlfe ruft. Außerdem iſt aber Verhuͤtung der Gelegenheits - urſachen, wohin beſonders heftige Gemuͤthsbewegungen und Ausſchweifungen gehoͤren, zu beruͤckſichtigen, ja es kann ſelbſt, nachdem irgend gewaltſame Gemuͤthserſchuͤtterungen Statt ge -200 habt haben, oder laͤngere Zeit hindurch niederdruͤck[ende] Stim - mungen das pſychiſche Wohlſeyn der Kranken ſtoͤrten, ein ru - higes und angemeſſenes Benehmen des Arztes ſowohl, als der von ihm geleiteten aͤußern Umgebungen, ein Benehmen, durch welches der Kranken das Auffaſſen des rechten Ge - ſichtspunktes fuͤr die Wuͤrdigung widriger aͤußerer Verhaͤltniſſe erleichtert wird, ſehr viel zum Unſchaͤdlichmachen dieſer Ge - legenheitsurſachen beytragen, wobey wir noch bemerken, daß wenn der Arzt in ſich ſelbſt nicht diejenige Individualitaͤt fuͤhlt, welche[auf] dieſe Weiſe fuͤr die Kranken heilbringend werden kann, es dann ſehr zu wuͤnſchen iſt, daß er den Beyſtand eines erleuchteten Geiſtlichen oder erfahrenen Freun - des ſuche, auf keine Weiſe aber die Krankheit von dieſer Seite zu bekaͤmpfen voͤllig unterlaſſe.

§. 261.

Viertens aber iſt es die Aufgabe des Arztes, auf das geſtoͤrte Nervenleben ſelbſt einzuwirken, und ſein Normalver - haͤltniß herzuſtellen, wozu ihm, unſerer Anſicht nach, drei Wege offen ſtehen. Entweder naͤmlich erregt er Veraͤn - derungen in den niedern organiſchen Syſtemen, welche den Einwirkungen der Außenwelt uͤberhaupt am meiſten zugaͤng - lich ſind, und bewirkt dadurch mittelbar wohlthaͤtige Umſtim - mungen im Nervenleben; oder er bedient ſich ſolcher Mittel, welche das Nervenleben unmittelbarer in Anſpruch nehmen, wohin die narkotiſchen, geiſtigen, antiſpasmodiſchen Arzney - ſtoffe gehoͤren, obwohl auch bey dieſen vorzuͤglich und zu - naͤchſt vielleicht mehr das Bildungsleben des Nerven und durch dieſes die ſenſible Thaͤtigkeit afficirt wird, in wiefern dieſe Stoffe als materielle Beſtandtheile des Koͤrpers aufge - nommen werden und in das Gefaͤßſyſtem eingehen muͤſſen, um ihre Wirkung zu zeigen. Drittens endlich benutzt der Arzt die imponderabeln Einfluͤſſe, welche ohne irgend nach - weisbare Stoffuͤbertragung die Umſtimmung des ſenſibeln Le - bens unmittelbar bewirken, und von welchen denn eine Stu - fenfolge ſehr verſchiedener Thaͤtigkeiten aufzufuͤhren iſt, welche wir ſo ordnen moͤchten: Waͤrme und Kaͤlte, Licht und Fin - ſterniß, telluriſcher Magnetismus, Elektricitaͤt, Galvanismus,201 thieriſcher Magnetismus, pſychiſche Einwirkung; und wir be - merken hierbey, daß uns kein wahrer Grund vorhanden zu ſeyn ſcheint, welcher die Meynung einiger Gelehrten recht - fertigen koͤnnte, daß die meiſten dieſer, oder alle dieſe Er - ſcheinungen im Innern gleichartig und nur verſchiedene For - men einer derſelben, namentlich der Elektricitaͤt oder des Galvanismus waͤren; bloße Aehnlichkeit einzelner Aeußerun - gen dieſer Thaͤtigkeit kann hierfuͤr nicht beweiſend ſeyn, und das qualitativ Verſchiedene derſelben leuchtet deutlich genug hervor, zwar ſind ſie insgeſammt Aeußerungen des allgemei - nen Naturlebens, allein ſo wenig wir berechtigt ſind, im in - dividuellen Organismus Gefaͤßthaͤtigkeit, Muskelkraft, chemiſche Vorgaͤnge als bloße Modifikationen etwa der Nerventhaͤtigkeit oder deß etwas zu betrachten, ſondern alles dieſes als eigen - thuͤmliche Zweige des einen Lebens erkennen muͤſſen, ſo auch iſt dieß bey jenen Thaͤtigkeiten der Fall. Wir werden nun dieſe einzelnen Behandlungsweiſen, in wiefern ſie allerdings in den eben betrachteten Krankheiten, ſobald dieſelben wirklich idiopathiſche Nervenleiden ſind, von vorzuͤglicher Wirkung ſeyn, ja die eigentlichen und weſentlichen Heilmittel derſelben darſtellen muͤſſen, naͤher eroͤrtern, und zwar mit Hinſicht auf die abgehandelten beſondern Krankheitszuſtaͤnde, wodurch denn das fuͤr einzelne Faͤlle paſſende Verfahren aus dem Zuſam - menhalten der Natur der Krankheit und der Lehre von der Wirkung dieſer Mittel ſich leicht von ſelbſt ergeben wird.

§. 262.

Zunaͤchſt aber die Behandlung der Nervenleiden durch Einwirkung auf die niedern Syſteme betref - fend, ſo koͤnnte man dieſelbe auch die antagoniſtiſche Methode nennen und mehrere Arten derſelben unterſcheiden. Wir rech - nen dahin: 1) die ausleerende Methode, welche beſtehen kann in der Anwendung von Brech - und Abfuͤhrmitteln, oder in Vermehrung anderweitiger Sekretionen, oder in Blutentzie - hungen. Was die Brech - und Abfuͤhrmittel anbelangt, ſo bemerkt man dieſelben von beſonderer Wirkſamkeit in allen uͤberſpannten Zuſtaͤnden mit kraͤftigem Wirkungsvermoͤgen und zwar insbeſondre wenn die Krankheit nicht blos in ungewoͤhn -202 lichen Geiſtesrichtungen, ſondern auch in Verſtimmung des koͤrperlichen Zuſtandes ſich aͤußert, als z. B. im Schlafreden, Schlafwandeln, Alpdruͤcken und bey mehrern Arten von Kraͤm - pfen, ſobald ſie vollſaftige, kraͤftige Subjekte befallen. Noch mehr wird indeß dieſe Methode angezeigt ſeyn, wenn Nei - gung zu gaſtriſchen Zuſtaͤnden, Obſtruktionen, Druͤſenan - ſchwellungen u. ſ. w. vorhanden iſt, exiſtiren indeß dieſe oder aͤhnliche Krankheiten wirklich, ſo werden reſolvirende und abfuͤhrende Mittel ſchon nach den §. 258. erwaͤhnten Regeln ſich nothwendig machen. Die Wahl der einzelnen Mittel und ihre Doſen muͤſſen ſich nach der Individualitaͤt der vorkom - menden Faͤlle richten, jedoch werden leichtere Brechmittel (Ipecacuanha auch in refracta dosi zur Ekelkur), nament - lich bey den mehr durch gewaltſame Gemuͤthsaufregung ſich aͤußernden Krankheiten, Fantaſterey und Schwaͤrmerey, krank - hafter Reitzbarkeit der Sinnesorgane u. ſ. w. nuͤtzlich wirken, dahingegen draſtiſche Abfuͤhrungen aus Jalappa, Mercur. dulc. Fol. Sennae u. ſ. w. von Zeit zu Zeit angewendet, mehr bey bloͤdſinnigen Zuſtaͤnden, bey phlegmatiſchen Sub - jekten, mit verſchleimtem Darmkanal und Wurmbeſchwerden, blande Abfuͤhrungen (durch Mittelſalze, Elecluaria lenitiva, und was bey ſehr ſenſibeln Koͤrpern ſich vorzuͤglich empfiehlt, durch Oleum Ricini) vorzuͤglich bey entzuͤndlicher Diatheſis, Congeſtionen u. ſ. w. nuͤtzlich werden.

§. 263.

Von den Erregungen anderweitiger Sekretionen erwaͤh - nen wir zuerſt die kuͤnſtlich bewerkſtelligte und unterhaltene Eiterung durch Fontanelle, Haarſeile oder offen erhaltene Ve - sicatoria; Mittel, welche namentlich wo die Krankheit nach ploͤtzlich verſchwundenen andern Krankheiten, z. B. Hautaus - ſchlaͤgen u. ſ. w. entſtand, oder auch nach Gemuͤthserſchuͤtte - rungen eine Verſtimmung des Nervenlebens folgte, beſon - dern Nutzen gewaͤhren, und beſonders bey abnorm aufgeregter Senſibilitaͤt, cloniſchen Kraͤmpfen, Veitstanz u. ſ. w. ange - wendet zu werden verdienen. Weniger haͤufig finden ſich da - gegen Faͤlle, wo von den die Hamausſonderung, die Speichel -203 oder Harnſekretion*)Gelinde Diuretica werden indeß vorzuͤglich, wo noch andere Krank - heitsſtoffe im Koͤrper ſind (namentlich Ausſchlagsmaterien) aller - dings zuweilen mit Nutzen angewendet. befoͤrdernden Mitteln in dieſen Krank - heiten Anwendung gemacht werden kann, zum wenigſten wer - den ſie gewoͤhnlich mehr durch andere dieſe Nervenleiden be - dingende Krankheiten (§. 258.) indicirt ſeyn. Oefterer hinge - gen iſt von Blutentziehungen Nutzen zu erwarten, einem Mittel, welches man zwar ſehr oft als fuͤr Stoͤrungen des Nervenlebens ganz unpaſſend betrachtet hat, und welches demohnerachtet ſo vielfaͤltige Erleichterung ſogar bey an ſich ſchwaͤchlichen und reitzbaren Subjekten gewaͤhrt; denn ſo wie immer die Blutmaſſe gern nach einem in aufgeregter Thaͤtig - keit ſich befindenden Theile hindraͤngt, ſo auch findet ſich bey abnorm geſteigerter Senſibilitaͤt die Nervenſubſtanz (an und fuͤr ſich ſchon eine der blutreichſten), durch Congeſtionen noch mehr in ihrer Thaͤtigkeitsaͤußerung gehemmt, und es erſcheint dadurch Blutentziehung hierbey wohlthaͤrig wirkend. Auf welche Weiſe uͤbrigens die Blutentziehung vorzunehmen ſey, muͤſſen die Umſtaͤnde beſtimmen. Bey vollſaftigen, an Ohn - machten, Alpdruͤcken, heftigen Zuckungen leidenden Perſonen, zumal bey ſparſamer oder verzoͤgerter Menſtruation, ſind ge - woͤhnlich ſtaͤrkere Ausleerungen nothwendig, bey ſehr ſchwaͤch - lichen mit Nervenzufaͤllen behafteten Maͤdchen wird hingegen die Anwendung oft wiederholter kleiner Blutentziehungen, und zwar entweder nach Berlinghieri’s Methode**)S. Oſiander uͤber d. Entwicklungskrankheiten 2r Thl. S. 285. Berlinghieri heilte heftige konvulſiviſche Anfaͤlle eines hyſteriſchem Maͤdchens durch gegen 400 kleiner Aderlaͤße zu einer halben Unze. durch kleine Venaͤſektionen, oder, was vorzuͤglich bey mehrern Lokal - leiden Empfehlung verdient, durch Blutigel oder Schroͤpfkoͤpfe Statt finden.

§. 264.

2) Die irritirende Methode gruͤndet ſich vorzuͤglich auf das Geſetz, daß bey ſehr hervorgehobener Thaͤtigkeit in einem Theile des Koͤrpers, Thaͤtigkeiten anderer Organe herabgeſtimmt204 werden. Sie kann auf ſehr verſchiedene Weiſe in dieſen Krankheiten, und zwar oft mit ſehr großem Nutzen angewen - det werden, und zwar gewaͤhrt ſie hierbey einen doppelten Vortheil, einmal fixirt ſie durch den mit der Anwendung die - ſer Mittel verbundenen Schmerz das Selbſtgefuͤhl mehr auf einen gewiſſen, vorher vielleicht geſchwaͤchten Theil, oder auf den koͤrperlichen Zuſtand uͤberhaupt, und beugt dadurch man - chen Ueberſpannungen deſſelben vor, anderntheils erregt die heftigere Reitzung eine Entzuͤndung, welche oft zu einem noch wohlthaͤtigern Ableitungsmittel der Blutmaſſe vom Ner - venſyſtem wird, als Blutentziehungen an und fuͤr ſich werden koͤnnen. Es gehoͤren hierzu Vesicatoria, Synapismen, die Moxa, das Einreiben mit Tr. Cantharidum, Liniment. volatile, Spirit. sal. ammon. caust. u. ſ. w. Die An - wendung dieſer Mittel betreffend, ſo ſind ſie vorzuͤglich bey oͤrtlichen Schmerzen, Laͤhmungen und partiellen Kraͤmpfen huͤlfreich, nur bemerke man, daß eine Neigung zu Fieberbe - wegungen, und eine ſehr geſteigerte allgemeine Reitzbarkeit den Gebrauch derſelben einſchraͤnken, oft auch wohl ganz verbieten.

§. 265.

Wir kommen ferner zur Behandlung jener Krankheitszuſtaͤnde durch innere oder aͤußere, das Nervenſyſtem vorzuͤglich in Anſpruch nehmende Arzneymittel. Wir unter - ſcheiden vorzuͤglich die indifferenzirenden, abſpannenden, indi - rekt oder direkt die aufgeregte Nerventhaͤtigkeit mindernden, und die erregenden Mittel. Unter den erſtern ſetzen wir den indifferenteſten der Stoffe, welche uns die aͤußere Natur dar - bietet, oben an, naͤmlich das Waſſer, deſſen treffliche Wir - kung als laues Bad bey aufgeregter Senſibilitaͤt, Schmerzen, Kraͤmpfen, ja ſelbſt nach ſtuͤrmiſchen Gemuͤthsbewegungen, durch die vielfaͤltigſten Beobachtungen anerkannt iſt*)Man leſe hieruͤber beſonders H. M. Marcard uͤber d. Natur und d. Gebrauch d. Baͤder. Hannov. 1793. vorzuͤglich das 7. Kap. wo auch der Schlaf machenden Wirkung des Bades gedacht iſt.. Eben ſo wohlthaͤtig aber wirkt das Waſſer in einer der Koͤrper -205 waͤrme entſprechenden Temperatur innerlich, und der große Nutzen, welchen Theeaufguͤße und Lavements (eigentlich nichts als warme Baͤder fuͤr Magen und Darmkanal) bey aͤhnlichen Leiden gewaͤhren, iſt keinem Arzte unbekannt.

§. 266.

Zunaͤchſt an die allgemein indifferenzirende Wirkung des Waſſers ſchließt ſich die nun ſchon mehr individuelle vieler Produkte des Pflanzenreichs, welche, in wiefern ſie auch im thieriſchen Organismus die vegetative Seite (das ruhige in ſich gekehrte Bildungsleben der Pflanze) hervorrufen, die uͤbermaͤßigen Erregungen des animalen Lebens herabſtimmen. Wir zaͤhlen hierher zunaͤchſt die milden Oehle, entweder rein als ſolche innerlich oder aͤußerlich angewendet, oder in der Ver - bindung mit Schleim und Waſſer als Emulſionen; ferner den Pflanzenſchleim und Zucker, dann aber die betaͤubenden Mittle, welche, obwohl oft anfaͤnglich eine lebhafte Reaktion gegen ihre Einwirkung bemerkt wird, doch in zureichender Quantitaͤt bald den Organismus dem Pflanzenleben naͤher bringen, d. i. beruhigen, einſchlaͤfern. Hierher gehoͤrt denn das Opium vorzuͤglich, deſſen vorſichtiger*)Zuweilen vertragen Maͤdchen, an verſtimmter Senſibilitaͤt leidend, dieſe Narcotica gar nicht. Ich ſah einſt ſchon nach ¼ Gr. die aller - heftigſten Kraͤmpfe entſtehen. (insbeſondre die Abwe - ſenheit von Congeſtionen nach den Hirngefaͤßen, ſo wie von Neigung zu Obſtruktionen fordernder) Gebrauch, bey nervoͤſem Gliederſchmerz und geſteigerter Empfindlichkeit einzelner Sin - nesorgane oft großen Nutzen gewaͤhrt. Aehnlich iſt ihm der Crocus, das Extractum Hyoscyami**)Dieſe Mittel ſind es auch beſonders, welche in mehrern dieſer Krankheiten in Rauchform mehr als geſchieht, angewendet zu werden verdienen. S. Hufeland, uͤb. d. Anwendung d. Heilmittel als Rauch in deſſen Journal f. d. pr. Heilk. 1809. 5s St. und das bey Bruſtkraͤmpfen vorzuͤglich wirkſame Extractum Lactucae vi - rosae***)S. daruͤber Schleſinger in Hufelands Journal f. d. pr. Heilk. XXI. Bd. 1s St.. Weniger ſcheinen fuͤr dieſe Krankheiten zu paſ - ſen: Aconitum, Stramonium, Cicuta und Fol. Lauro -206 cerasi, zum mindeſten hat die Erfahrung noch nicht ſo ent - ſchieden fuͤr dieſelben geſprochen. Mehr mit ſcharfem Stoffe verbunden iſt das Narkotiſche in der Belladonna, indeß wirkt ſie gerade deßhalb wohl in convulſiviſchen Krankheiten ſehr nuͤtzlich*)S. Oſiander uͤber d. Entwicklungskrankheiten. 2r Thl. S. 297. und Harles Jahrbuͤcher d. teut. Medic. u. Chir. II. Bd. 1s Hft..

§. 267.

Weniger narkotiſch, aber durch ihre Miſchung aus bit - tern und aͤtheriſch-oͤhligten Stoffen zugleich das Muskel - und Nervenſyſtem in Anſpruch nehmend, und deßhalb den krankhaften Conflict beider (Krampf) vorzuͤglich zu beſeitigen geeignet, ſind die Valeriana, die Flor. Chamomill., Hb. Melissae u. ſ. w. Beſonders iſt der Baldrian ein mit Recht geſchaͤtztes Mittel fuͤr viele der oben beſchriebenen Entwicklungszufaͤlle, ſobald er nur in hinlaͤnglich ſtarker Gabe (etwa nach Oſiander zu einer halben bis ganzen Unze taͤglich) und in Pulverform an - gewendet wird. Verwandt in der Wirkung ſind den ge - nannten ferner einige thieriſche Subſtanzen, naͤmlich das Ca - storeum und der Moschus, von welchen das erſtere mehr den Senſibilitaͤtsſtoͤrungen in den Unterleibsnerven, das zweite mehr den Stoͤrungen im Centralnervenſyſtem angemeſſen ſcheint; und einige Mittel aus der Reihe der metalliſchen, als die Flor. Zinci und Magisterium Bismuthi, welche bey Abweſenheit von gaſtriſchen Zuſtaͤnden und Saͤureerzeugung, ſo wie von entzuͤndlicher Diatheſis beſonders in Krampfzufaͤllen mit Nutzen gebraucht werden. Alle dieſe Mittel bilden uͤbrigens durch ihre ſchon mehr erregende Wirkung den Ueber - gang zu den eigentlichen fluͤchtigen Reitzmitteln, von welchen jedoch gerade in dieſen[Entwicklungskrankheiten] im Ganzen ſeltner Gebrauch zu machen iſt. Zuerſt aber iſt hier der arzneylichen Anwendung des Weins zu gedenken, welcher durch eine beruhigende, der erregenden bald nachfolgende Wirkung ſich noch den narkotiſchen Mitteln in etwas verwandt zeigt, und daher bey ſchwaͤchlichen, reitzbaren, kleinmuͤthigen, mit Zittern, Sinnesſchwaͤche und aͤhnlichen Beſchwerden behafteten207 Subjekten ſo aͤußerſt wohlthaͤtig wird. Ferner hat man den Campher ſeit laͤngerer Zeit bey Gemuͤthskrankheiten uͤberhaupt, vorzuͤglich aber auch in den durch Gemuͤthserſchuͤtterungen er - regten oder nach andern Krankheiten ſich ausbildenden melan - choliſchen Zuſtaͤnden junger Frauenzimmer nuͤtzlich gefunden. Er wird vorzuͤglich phlegmatiſchen Individuen wohlthun, bey entzuͤndlicher Diatheſis hingegen nicht gegeben werden duͤrfen. Indem wir die uͤbrigen hierher gehoͤrigen Mittel, als Ser - pentaria, Imperatoria, die Naphthen, die verſchiedenen Tink - turen u. ſ. w. uͤbergehen, erwaͤhnen wir nur noch des fluͤchti - gen Laugenſalzes, welches als Liquor C. C., Spirit. sal. ammon. foeniculat. u. ſ. w., vorzuͤglich in Verbindung mit narkotiſchen Subſtanzen, mit dem beßten Erfolg, namentlich in den krampfhaften Entwicklungskrankheiten angewendet wird.

§. 268.

Endlich haben wir noch die Klaſſe der impondera - beln Heilmittel fuͤr dieſe Krankheiten zu betrachten, welche ſo wichtig und ſachgemaͤß ſie auch immer erſcheinen moͤgen, doch eben in ihrer Imponderabilitaͤt, darin daß ſie nicht nach einem Recepte verordnet werden koͤnnen, darin, daß ſie rei - nen Willen zu helfen, Beharrlichkeit und Aufopferung in ih - rer Anwendung fordern, den Grund davon enthalten, daß ſie weit weniger als billig benutzt, ja oft wohl gar zu Mode - thorheiten herabgewuͤrdigt werden. Wir haben aber hierher gerechnet zuerſt Licht und Finſterniß, Waͤrme und Kaͤlte. Dieſe maͤchtigen Einfluͤße, denen der Organismus fortwaͤhrend unterworfen iſt, von welchen in der ganzen uns umgebenden Natur Leben und Entwicklung abhaͤngt, deren Wirkung insbeſondre auf das Nervenleben ſowohl im geſunden als kranken Zuſtande ſo bedeutend iſt, werden auch fuͤr die gegenwaͤrtig betrachteten Krankheitsformen in vieler Hinſicht wohlthaͤtig, wenn ſie von der Hand eines umſichtigen Arztes geleitet ſind. Waͤrme und Licht (wohin auch die Inſolatio - nen oder das Sonnenbad gehoͤrt) wirken vorzuͤglich bey ſchwaͤchlichen, melancholiſchen Subjekten in angemeſſenem nach und nach geſteigertem Grade vorzuͤglich, ja ſie ſind ſelbſt zur208 Verhuͤtung krampfiger Anfaͤlle mit Nutzen anwendbar*)So beobachtete H. Naſſe einen Fall, wo epileptiſche Anfaͤlle, nur wenn der Kranke im Dunkeln gelaſſen wurde, wiederkehrten. Auch ſehe man hieruͤber von H. Oſiander (Neue Denkwuͤrdigkeiten I. Thl. 1s Hft. S. 120 u. f.) die ſchon von den Alten fuͤr hoͤchſt wichtig gehaltene Einwirkung von Licht oder Finſterniß bey kram - pfigen Krankheiten eroͤrtert.. Kaͤlte und Finſterniß hingegen werden zu Beſeitigung mancher exal - tirten Zuſtaͤnde, zu Zwangsmitteln bey eingebildeten oder vor - gegebenen Nervenkrankheiten manches wirkſame Mittel an die Hand geben, nicht zu gedenken, daß die ploͤtzliche oͤrtliche Anwendung der Kaͤlte ſo wie der Waͤrme zu einem der wirk - ſamſten Reitzmittel wird, und daher bey Paralyſen, Kraͤm - pfen u. ſ. w. viel zur Heilung beytragen kann.

§. 269.

Ferner den telluriſchen oder metalliſchen Mag - netismus betreffend, ſo iſt dieſes ſchon ſeit einigen Jahr - hunderten von Mehrern empfohlene und angewendete Mittel beſonders gegen Laͤhmungen, Schmerzen und Kraͤmpfe von Nutzen befunden worden, und verdient gewiß auch in den genannten Entwicklungskrankheiten haͤufigern Gebrauch, als neuerlich davon gemacht zu werden pflegt. Die Form ſeiner Anwendung muß uͤbrigens der Natur dieſer Krankheit ange - meſſen ſeyn, und ſchwerlich wird daher jemand den Magnet als Pulver und in Pflaſterform, wie er von den alten Aerz - ten haͤufig gebraucht wuͤrde, noch jetzt anwenden. Am ſchick - lichſten ſind Staͤbe, eyfoͤrmige oder herzfoͤrmige Platten, oder Garnituren von Magnettaͤfelchen, wo immer Nord - und Suͤd - Pol ſich beruͤhren muͤſſen, welche in Seide eingeſchlagen auf den leidenden Theilen getragen werden. Bey Anwendung von Magnetſtaͤben muß uͤbrigens namentlich die Richtung derſelben beachtet werden, da bekannt iſt, daß die Richtung eines Ei - ſenſtabes in den magnetiſchen Meridian allein ſchon denſelben magnetiſch machen kann, und ſonach erwartet werden muß, daß auch bey dem bereits magnetiſch geweſenen Stabe die Heilkraft verſtaͤrkt oder geſchwaͤcht werde, je nachdem die209 Richtung deſſelben paſſend oder unpaſſend iſt. Am beßten ſcheint es zu ſeyn, die Nordpolſpitze an den leidenden Theil, die Suͤdpolſpitze aber gegen den Nordpol der Erde zu halten. Hell, Unzer*)J. C. Unzer’s Beſchreibung eines mit dem kuͤnſtlichen Magnete angeſtellten medicin. Verſuches. Hamb. 1775. und einige franzoͤſiſche Aerzte (Andry und Thouret)**)Andry’s n. Thourets Beobachtungen u. Verſuche uͤb. d. Gebrauch d. Magnets in d. Arzueyk. Aus d. Franz. Leipz. 1785. haben neuerlich ſich des Magnets, und zwar zum Theil auch in den genannten Entwicklungskrankheiten des weiblichen Geſchlechts vorzuͤglich bedient. Beſonders wich - tig aber wuͤrde es ſeyn, wenn die von H. Kieſer***)Archiv. f. d. thier. Magnetismus. III. Bd. 2s St. ge - machte Beobachtung uͤber die Kraft des Eiſens einen Zu - ſtand von Schlaf, ja von Schlafwachen, und durch dieſen Schlaf die Heilung von Krankheiten zu bewirken, durch wei - tere Erfahrungen hinlaͤnglich beſtaͤtigt wuͤrde, indem davon gewiß fuͤr die Behandlung der hier betrachteten Nervenzufaͤlle ausgezeichneter Nutzen erwartet werden duͤrfte. Ueberhaupt naͤmlich ſcheint der telluriſche Magnetismus herabſtimmend auf den Organismus zu wirken, der individuellen Kraft deſſelben, als eine vom Erdorganismus ausgehende Thaͤtigkeit, entge - gengeſetzt, aus welchem Geſichtspunkte wir denn vorzuͤglich ſeine hinreichend beſtaͤtigte ſchmerzlindernde Kraft erklaͤrlich, und namentlich auch die von groͤßern Maſſen des Eiſens (des vorzuͤglichen Traͤgers dieſer Kraft) bemerkte ſchlafma - chende Wirkung begreiflich finden.

§. 270.

Noch haben wir auch des Galvanismus und der Elektricitaͤt als Heilmittel fuͤr die Nervenleiden gedacht, jedoch muß der Gebrauch derſelben hier allerdings manche Einſchraͤnkungen erleiden, da die meiſten jener Zuſtaͤnde auf abnorm geſteigerter Senſibilitaͤt beruhen, und Galvanismus wie Elektricitaͤt an ſich ſtark erregende Einfluͤße ſind. Vor - zuͤglich verdienen ſie daher nur bey Laͤhmungen, Schwaͤchezu - ſtaͤnden, Torpor und Bloͤdſinn angewendet zu werden; alleinI. Theil. 14210auch dann nie ohne die gehoͤrigen phyſikaliſchen Kennt - niſſe, ohne hinlaͤngliche Ordnung und Ausdauer in der Kur, ohne Beachtung der in den beſſern Schriften uͤber dieſe Ge - genſtaͤnde*)Fr. H. Martens vollſtaͤndige Anweiſung zur therapeutiſchen An - wendung des Galvanismus u. ſ. w. Weißenfels 1803. Ebender - ſelbe uͤberſetzte eine kleine Schrift von Geiger (Abhandlung uͤber den Galvanismus und deſſen Anwendung v. Dr. C. Fr. Geiger. Leipz. 1803.), in welcher unter andern S. 42. die Heilung einer Amaurosis bey einer 20jaͤhrigen an unterdruͤckter Menſtruation lei - denden Perſon durch Galvanismus erzaͤhlt iſt. Tib. Cavallo’s Verſuch uͤber d. Theorie und Anwendung d. medi - ciniſchen Elektricitaͤt. Aus d. Engl. Leipz. 1799. C. G. Kuͤhn Geſchichte d. medicin. u. phyſikal. Elektricitaͤt. Leipzig 1783. 2 Thle. nebſt 2 Fortſetzungen. 1796. u. 1805. vorzuͤglich empfohlenen und durch Erfahrung be - waͤhrten Methoden, und nur unter der gehoͤrigen Beruͤckſichti - gung des Zuſtandes der uͤbrigen organiſchen Syſteme, nament - lich des Gefaͤßſyſtems, indem z. B. bey vollbluͤtigen, zu Congeſtionen und Entzuͤndungen geneigten Subjekten von der Anwendung dieſer Mittel leicht gefahrorohende Zufaͤlle beſorgt werden muͤßten. Das Verfahren bey der Benutzung dieſer Mittel hier uͤbrigens ausfuͤhrlicher zu beſchreiben, wuͤrde zu viel Raum beduͤrfen, und wir verweiſen daher auf die an - gefuͤhrten Schriften.

§. 271.

Endlich iſt noch von der Behandlung dieſer Krankheiten durch die mittelbare Einwirkung eines Menſchen auf den an - dern zu ſprechen, wohin der ſogenannte animale Mag - netismus und die pſychiſche Behandlung gehoͤrt. Daß nun aber uͤberhaupt eine ſolche Wirkung lebendiger Koͤr - per auf einander Statt haben koͤnne, laͤßt ſich ſchon aus ſo mancherley Idioſynkraſien, aus den Beyſpielen, welche ſelbſt als Zufaͤlle anderer Krankheiten ſo haͤufig bemerkt werden und eine natuͤrliche Abneigung oder Zuneigung gegen gewiſſe Individuen ausſprechen, erkennen. Wirkt nun auf willkuͤhrlich beſtimmte Weiſe der Inbegriff geſammter organiſcher Lebens - thaͤtigkeit auf den Geſammtorganismus der Kranken, ſo giebt211 dieſes den Begriff des neuerlich ſo vielfach beſprochenen thie - riſchen Magnetismus, des Mesmerismus oder Lebensmagne - tismus; wirkt hingegen die Kraft der Vernunft des Arztes mit Freyheit auf die geiſtige Thaͤtigkeit der Kranken gerichtet, auf die Verbeſſerung koͤrperlicher Zuſtaͤnde, ſo nennen wir dieß die pſychiſche Behandlung.

§. 272.

Was den thieriſchen Magnetismus betrifft, ſo wird wohl jetzt nicht leicht mehr irgend ein unpartheyiſcher Mann, welcher die verſchiedenen Schriften*)Heilkraft des thieriſchen Organismus nach eigenen Erfahrungen v. D. Arnold Wienholt. 3 Thle.Verſuch einer Darſtellung des animaliſchen Magnetismus als Heil - mittel von C. A. F. Kluge. Berlin 1811.Ferner mehrere Zeitſchriften, das aͤltere Archiv f. d. thier. Magne - tismus von Nordhoff, d. neuere von Kieſer, Wolfarts Aſklepiaͤon, ferner Brandis uͤber pſychiſche Heilmittel und Magne - tismus, 1818. und das neuere, beſonders in Meſmers Geiſt be - arbeitete Werk uͤber den Magnetismus von Ennemoſer. uͤber dieſen Gegenſtand verglichen, oder ſelbſt einige Beobachtungen hieruͤber zu ſammeln Gelegen - heit hatte, in Abrede ſtehen, daß die durch magnetiſche Ma - nipulation (deren ausfuͤhrliche Beſchreibung man ebenfalls in den unten angefuͤhrten Schriften nachſehen moͤge) hervor - gerufenen Zuſtaͤnde, nicht nur keineswegs etwa immer Taͤu - ſchung ſeyen, ſondern hoͤchſt merkwuͤrdige, oft den eben er - waͤhnten von ſelbſt entſtandenen ungewoͤhnlichen Phaͤnomenen krankhaft aufgeregten Nervenlebens aͤhnliche Erſcheinungen ab - geben. Es beſtehen aber bekanntlich die an und in dem magnetiſirten Individuum wahrzunehmenden Veraͤnderungen zunaͤchſt im Gefuͤhl vermehrter Waͤrme, wohlthaͤtiger allgemei - ner Anfregung und nachfolgender Abſpannung, endlich in ruhigem Schlaf, welcher dann oft in Schlafwachen, Ver - ſetzung der Sinne, Verzuͤckung u. ſ. w. uͤbergeht, immer aber erſt wieder durch gewoͤhnlichen Schlaf in das Wachen zuruͤck - gefuͤhrt wird, und dadurch beweißt, daß (wie dieß nament - lich von H. Kieſer dargeſtellt wurde) alle jene ungewoͤhn - lichen Erregungen des Nervenlebens der Nachtſeite des212 Lebens angehoͤren, und daher auch nicht (wie dieß Andere gern haͤtten behaupten moͤgen) uͤber den Zuſtand des natuͤr - lichen Wachens geſetzt zu werden verdienen. Wenn dieß nun aber anerkannt iſt, ſo erſcheint dagegen die eigentliche Heilkraft dieſer Zuſtaͤnde weit mehr in Zweifel gezogen, und wenn ſich nun aus dem Vergleich einer Anzahl von Krankheitsfaͤllen, durch Magnetismus behandelt, allerdings ergiebt, daß erſtens die Kuren ſaͤmmtlich ungewoͤhnlich lange Zeit, oft ein und mehrere Jahre dauerten, zweitens die Krankheiten oft nur augenblicklich in ihren auffallendſten Symptomen gemaͤßigt wurden, uͤbrigens aber oft ganz im alten Zuſtande blieben, manche Krankheiten wohl auch ver - ſchlimmert, wenige aber wahrhaft geheilt wurden, ſo muͤßte gewiß das Zutrauen zu dieſem Mittel ſehr erſchuͤttert werden, wenn wir nicht zugleich die Urſachen, welche das Nichtgelin - gen vieler magnetiſcher Kuren bedingen, beruͤckſichtigen woll - ten. Es ſcheinen dieſe aber zu ſeyn: 1) nicht hinlaͤngliche Beachtung der Indikation des Magnetismus. Jedes Arzney - mittel naͤmlich wirkt nur da, wo es nach wiſſenſchaftlichen und Erfahrungsgrundſaͤtzen wirklich angezeigt iſt, allein bey dem Magnetismus hat man oft ſehr wenig an Indikation oder Contraindikation gedacht, ſondern bey Krankheitszuſtaͤn - den, ſie mochten Namen haben und Conſtitutionen betreffen, welche ſie wollten, aufs gerathewohl, namentlich wenn etwa einige andere Kurmethoden ohne Erfolg geblieben waren, magne - tiſirt, und zwar wohl aus dem ſchwer zu vertheidigenden Grunde, weil der Magnetismus ein Univerſalmittel ſey. 2) Hat man zu viel Fremdartiges den Kuren beygemiſcht, die Erſcheinun - gen des Schlafwachens nur hervorzubringen getrachtet, um ſeine Neugierde an den ſonderbaren Aeußerungen der Kranken zu befriedigen. 3) Iſt man oft mit zu weniger, ja ohne alle aͤrztliche Kenntniß dabey zu Werke gegangen, und 4) endlich werden bey ſo langen Kuren oft andere Verhaͤlt - niſſe, angeregte Neigungen zwiſchen Magnetiſeur und der Magnetiſirten, Gemuͤthsleiden, Fehler der Lebensordnung u. ſ. w. leicht irgend einmal vorkommen koͤnnen, dann aber, wenn ſie gerade einen entſcheidenden Zeitpunkt treffen, wohl die Be - muͤhungen ganzer Monathe fruchtlos machen.

213
§. 273.

Wird daher der Magnetismus mit reinem Willen zu helfen, abgeſehen von aller Sucht nach wunderbaren Erſchei - nungen, Vorherſagungen u. dgl. mit hinreichender aͤrztlicher Umſicht, am rechten Orte, mit ſchicklicher Leitung der aͤußern Verhaͤltniſſe, und ſattſamer Staͤtigkeit (welche freylich oft Aufopferungen fordert, deren der praktiſche Arzt nicht leicht faͤhig iſt) ausgeuͤbt und angewendet, ſo muß er gewiß als ein großes Mittel geachtet werden, und wir fuͤrchten auch nicht*)H. Oſiander uͤber die Entwicklungskrankheiten. 2. Thl. S. 222 und 223., daß er, wenn man ſo ſtrenge Anforderungen macht, alsbald aus der Reihe haͤufig gebrauchter Mittel verſchwin - den werde. Was nun aber insbeſondre die Anwendung**)Die verſchiedenen Methoden der Anwendung ſind namentlich in dem oben angefuͤhrten Werke von Kluge ſehr gut neben einander geſtellt. des Magnetismus in den genannten Entwicklungskrankheiten betrifft, ſo fordert ſie gewiß die Beruͤckſichtigung der im vo - rigen Paragraph genannten, der Kur nachtheiligen Einfluͤße in vorzuͤglich hohem Grade und uͤberhaupt beſondere Vorſicht; viele dieſer Zuſtaͤnde beruhen naͤmlich an ſich ſchon auf ab - norm geſteigerter Nervenwirkung, werden daher durch eine ſtark eingreifende magnetiſche Behandlung betraͤchtlich ver - ſchlimmert, und koͤnnen nur von einer einfachen, beruhigen - den, den vom natuͤrlichen nicht ſehr verſchiedenen Schlaf be - wirkenden Einwirkung Huͤlfe erhalten***)So erzaͤhlt Wienholt (drei Abhandlungen uͤber den thieriſchen Magnetismus, herausg. v. D. J. Chr. F. Scherf. Brem. 1807.) die Geſchichte eines eilfjaͤhrigen an Melaucholie und einzelnen, ge - waltſame Geiſtesvetwirrung drohenden Anfaͤllen leidenden Kindes, welches durch den unter Wienholts Leitung vom Vater oder von der Mutter angewendeten Magnetismus, welcher hier blos taͤg - lich einige Stunden Schlaf bewirkte, gaͤnzlich geheilt wurde. . Beſonders beruhi - gend ſcheint die vorſichtige Anwendung des Magnetismus aber immer bey krampfhaften Zufaͤllen dieſer Perioden gewe - ſen zu ſeyn, wovon die genannten Schriften uͤber den thie -214 riſchen Magnetismus viele Beyſpiele enthalten, dann muß aber insbeſondre die kraͤftige Atmosphaͤre und Einwirkung eines geſunden Organismus bey den an allgemeiner Schwaͤche, Zittern, partiellen Laͤhmungen und darnieder liegender Repro - duktion leidenden Subjekten, wo anhaltende deprimirende Affekte, uͤberfeine phyſiſche Erziehung, fruͤhe Ausſchweifun - gen u. ſ. w. die Krankheitsurſachen abgeben, vorzuͤglich nuͤtzlich werden, allein es wird deßhalb hierbey auch die Wahl des Magnetiſirenden von Wichtigkeit ſeyn, in welcher Hinſicht denn gewiß beſonders eine geiſtig und koͤrperlich moͤglichſt geſunde, der Kranken ſonſt auch nahe und werthe Perſon (Mutter, Vater, ein aͤlterer Bruder z. B.) in vieler Hin - ſicht den Vorzug verdient.

§. 274.

Die rein pſychiſche Behandlung dieſer Krankheiten angehend, ſo iſt zuvoͤrderſt zu bemerken, daß ihre Anwen - dung immer noch eine gewiſſe Empfaͤnglichkeit von Seiten der Kranken vorausſetzt, denn es iſt leicht zu erkennen, daß z. B. im ausgebildeten Bloͤdſinn, uͤberhaupt ſchon bey ſehr verminderter Geiſteskraft auch die Wahrnehmung fremder gei - ſtiger Einwirkung vermindert ſeyn muͤſſe. Ferner wird dieſe Behandlung mehr fuͤr Faͤlle paſſen, wo die Krankheit durch abnorme Gemuͤthsrichtung, alſo z. B. durch Nachahmungsſucht, durch religioͤſe oder poetiſche Schwaͤrmerey u. ſ. w. ſich aͤußert; und endlich ſcheint ſie auch vorzuͤglich da geeignet, wo ploͤtzliche heftige Eindruͤcke*)Auf dieſe Weiſe heilte man oͤfters ploͤtzlich durch Mittheilung ent - ſtandene Kraͤmpfe durch Drohungen; ſo Boerha[v]〈…〉〈…〉im Harlemer Waiſenhauſe. Mehrere aͤhnliche Faͤlle, auch den ziemlich komiſchen von Al Raſchid’s Beyſchlaͤferin erzaͤhlt Reil, Fieberlehre IV. Bd. S. 108 u. 655. dieſe und aͤhnliche Zufaͤlle erregt hatten, obwohl ſie auch mitunter in langwierigen und all - maͤhlig entſtandenen krampfhaften Krankheiten**)Mehrere Faͤlle dieſer Art ſind von Brandis, in dem ganz hier - her gehoͤrigen Aufſatze uͤber die Heilung von Krankheiten durch im - ponderable Arzneymittel (Hufeland’s Journ. d. pr. Heilk. 41. Bd. 2s St.) mitgetheilt. mit Nutzen215 angewendet worden iſt. Laſſen ſich jedoch uͤber irgend eine Methode im Allgemeinen ruͤckſichtlich ihres Gebrauchs wenig Vorſchriften geben, ſo iſt es dieſe. Alles beruht naͤmlich hierbey faſt auf der Individualitaͤt des Arztes, welcher ſie anwendet. Nur der mit Kraft des Geiſtes, mit energiſchem. Willen und reiner Theilnahme an fremden Leiden Ausge - ruͤſtete wird auf dieſe Weiſe zum Wohle ſeiner Kranken wir - ken koͤnnen, fuͤr ihn aber bedarf es auch keiner Regeln, denn es ſagt ihm die Erwaͤgung vorliegender Umſtaͤnde bald, was in dieſem Falle zu thun ſey. Man moͤchte daher wohl, wie J. Paul den Dichtern, hier den Aerzten zurufen: Vor allen Dingen habt Genie! und wir finden daher auch gluͤckliche Anwendung dieſer Methode immer nur bey wenigen aber ausgezeichneten Aerzten in der Geſchichte der Heilkunſt bemerkt*)Mehrere intereſſante Bemerkungen hieruͤber finden ſich in Hein - roth de voluntate medici, medicamento insaniae. Lips. 1818.. Erinnert muß jedoch werden, daß wir unter ſolcher pſychiſcher Behandlung keineswegs blos das gewaltſame Erſchuͤttern der Kranken durch einzelne Macht - ſpruͤche im Sinne haben, ſondern vorzuͤglich glauben, daß die ruhige aber feſte und ſtaͤtige Einwirkung einer geſunden geiſtigen Individualitaͤt auf eine verſtimmte, kleinmuͤthige, geſchwaͤchte nicht anders als hoͤchſt wohlthaͤtig fuͤr das in - nerſte, und in wiefern dieſes die Wurzel des aͤußern Lebens iſt, auch fuͤr das aͤußere Leben ſolcher Kranken wirken muͤße. Wobey wir an des trefflichen Leſſing Ausſpruch gedenken, welcher ſagt, daß der Umgang mit einem kraftvollen weiſen und guten Menſchen die eigentliche Seelenarzney ſey.

§. 275.

Nachdem nun alſo die verſchiedenen Methoden, welche die Kunſt zur Behandlung jener Entwicklungskrankheiten dar - bietet, ihrer Natur nach im Einzelnen erwogen worden ſind, kann ſich aus der Vergleichung mit dem, was oben uͤber die Natur der Krankheit ſelbſt erinnert worden iſt, leicht die Wahl der fuͤr beſondere Faͤlle ſchicklichen Heilverfahren erge -216 ben, und wir fuͤgen daher ſchluͤßlich nur noch zwey Bemer - kungen bey: erſtens, daß man nicht uͤberſehen duͤrfe, wie manche jener Zuſtaͤnde, welche in der Entwicklungsperiode des weiblichen Geſchlechts von Zeit zu Zeit beobachtet wor - den ſind, uͤberhaupt gar keiner aͤrztlichen Behandlung unter - worfen ſeyn koͤnnen. Wer moͤchte die edle Begeiſterung einer Johanna von Orleans krankhaft nennen? wer die Ei - geuthuͤmlichkeit der rabdomantiſchen Senſibilitaͤt, welche in das innerſte Leben des Organismus verflochten ſeyn kann, durch Arzneymittel heben wollen? Zweytens, daß viele dieſer Entwicklungszuſtaͤnde, durch das Fortſchreiten des Le - bens ſelbſt gehoben werden, zu raſches aͤrztliches Einwirken folglich, in wiefern es einen nothwendigen organiſchen Prozeß ſtoͤrt, leicht zum Nachtheil der Kranken gerathen koͤnne, und daß daher, bevor uͤberhaupt die aͤrztliche, oft allerdings auch ſehr nothwendige Behandlung Statt finden kann, die genaueſte Erforſchung der Individualitaͤt des Falles beſonders wichtig, und ſtets die einfachere, die Natur mehr leitende als zwingende Behandlung die angemeſſenſte ſeyn werde.

§. 276.

Wir wenden uns jetzt zu einigen andern Krankheits - erſcheinungen, welche nun ganz beſonders der Periode aus - gebildeter Weiblichkeit angehoͤren und entweder in dem mit krankhafter Heftigkeit herrſchenden Geſchlechtstriebe, oder in dem voͤllig gehemmten Fortpflanzungsvermoͤgen, oder endlich in dem verſtimmten Verhaͤltniß zwiſchen Senſibilitaͤt und Reproduktion begruͤndet ſind, und in den Formen der Nymphomanie, Unfruchtbarkeit und Hyſterie er - ſcheinen.

3) Mutterwuth, Manntollheit (Nymphomania, Andromania, Furor uterinus).
§. 277.

Eine traurige, der auf Sitte und Schamhaftigkeit gegruͤndeten weiblichen Natur Hohn ſprechende, und eben217 deßhalb einen hoͤchſt widrigen Anblick gewaͤhrende Krankheit, welche in uͤbermaͤßig hervorbrechendem, Verſtand und Ge - wiſſen faſt oder vollkommen uͤberwaͤltigendem Triebe zur Geſchlechtsluſt ſich zu erkennen giebt. Man bemerkt die - ſelbe bey juͤngern und aͤltern Perſonen, vorzuͤglich ſanguini - ſchen oder choleriſchen Temperaments, mit kraͤftigem Koͤrper, theils, obwohl ſeltner, noch in den Entwicklungsjahren und zuweilen mit chlorotiſchen Symptomen verbunden, theils waͤh - rend der ganzen, jedoch vorzuͤglich waͤhrend der ſpaͤtern Pe - riode der Geſchlechtsreife, ja ſogar waͤhrend der Schwanger - ſchaft, und es koͤnnen fuͤglich mehrere Grade dieſes Uebels unterſchieden werden. Erſter Grad naͤmlich, die Geilheit (Salacitas), wo zwar noch nicht alles Schamgefuͤhl verloren iſt, aber theils das Aeußere des Koͤrpers (das erhitzte Ge - ſicht, die ſchwimmenden Augen, die ſtarkgeroͤtheten aufgewor - ſenen Lippen u. ſ. w.) die angeregte Sinnlichkeit offenbaret, theils kein Mittel, die Befriedigung zu erzwecken, verſchmaͤht wird, wohin wir Putz, unzuͤchtige Kleidung und Reden vor - zuͤglich rechnen, obgleich auch die Maſturbation ſolchen Kran - ken ſehr gewoͤhnlich iſt.

§. 278.

Der zweyte Grad iſt die eigentliche Melancholia ute - rina, indem die Kranke, welche die Ueberwaͤltigung ihres beſſern Selbſt durch einen rohen gewaltſamen Trieb empfin - det, in Truͤbheit des Gemuͤths verſinkt, ein ſtilles vor ſich hin Starren eintritt, der Koͤrper ſelbſt leidet, abmagert, die Verdauung und der Schlaf geſtoͤrt werden, demohnerachtet aber alle Gedanken auf Geſchlechtsbefriedigung gerichtet ſind, auch wohl ſchamloſe Entbloͤßungen und Anerbieten verſucht werden, bey Annaͤherung maͤnnlicher Individuen aber, die innere Begier durch Unruhe, unſtaͤte Blicke, Worte und Gebaͤrden ſich vorzuͤglich kund giebt. Der dritte Grad endlich verdient den Namen Mania; die Freiheit des Willens iſt hier gaͤnzlich aufgehoben, die Kranke wuͤthet, reißt ſich die Kleidung ab, faͤllt Mannsperſonen mit Raſerey an, ſchreiet, die Ausleerun - gen erfolgen oft bewußtlos, und wenn durch ſolche Anſtren - gungen die Kraͤfte erſchoͤpft ſind, folgt ſtilles Hinbruͤten,218 Melancholie oder ſelbſt ſoporoͤſer Zuſtand. Gewoͤhnlich pflegt uͤbrigens der dritte Grad, wenn er nicht bald gehoben wird, den Tod zu beſchleunigen, indem dabey die Reproduktion immer mehr ſinkt, Bloͤdſinn, Auszehrung, Waſſerſucht oder Apoplexie eintritt und das hier gewiß wuͤnſchenswerthe Ende herbeyfuͤhrt; auch Selbſtmord iſt hier nicht ungewoͤhnlich.

§. 279.

Ueber das eigentliche Weſentliche dieſer traurigen Krankheit (die ſogenannte naͤchſte Urſache) haben bisherige Unterſuchungen noch zu wenig Aufſchluß gegeben. Die aͤltern Aerzte ſuchten ſie in der Schaͤrfe und Gaͤhrung des weibli - chen Samens, die Neuern gewoͤhnlich in uͤbermaͤßigem Ge - ſchlechtstriebe, mit Wahnſinn oder Melancholie verbunden*)Ueber Literatur und die verſchiedenen Anſichten von dieſer Krank - heit darf folgende kleine Schrift empfohlen werden: F. A. Peschek Diss. in. de furore uterino. Lips. 1810. Nur daß der Verfaſſer den eigentlichen Sitz der Krankheit in die aͤußern Genitalien ver - legt, iſt wohl eben ſo wenig zu billigen, als wenn man den Sitz des Hungers in die Mundhoͤhle verlegen wollte.. Betrachtet man indeß theils die disponirenden, theils die Ge - legenheitsurſachen der Nymphomanie, theils was die Erwaͤ - gung der verſchiedenen Ausgaͤnge der Krankheit zeigt, theils endlich was die Phyſiologie uͤber den Sitz der Geſchlechtsluſt im weiblichen Koͤrper lehrt, ſo wird es mehr als wahrſchein - lich, daß namentlich chroniſche Entzuͤndungen der Ovarien die Urſache aller jener Erſcheinungen darſtellen, welche den Begriff der Nymphomanie geben. Nicht zu laͤugnen naͤmlich iſt es, daß die Ovarien eben ſo der erſte Grund der weiblichen Zeugungsfaͤhigkeit, und ſomit auch des Zeu - gungstriebes ſind als die Hoden der maͤnnlichen. Viele der niedern weiblichen Thiere entbehren daher alle Geſchlechtsor - gane, nur die Ovarien nicht, ja daß ſelbſt im Menſchen die Ovarien allein der Erzeugung und Ausbildung eines neuen Individuums faͤhig ſind, beweiſen die ſpaͤter zu betrachtenden Eyerſtocksſchwangerſchaften. Nun ſehen wir aber aller - dings, wie ſich dieſes in der ausfuͤhrlichen Geſchichte der219 normalen Schwangerſchaft noch beſtimmter ergeben wird, in beginnender Schwangerſchaft, alſo bey der ſtaͤrkſten geſchlecht - lichen Erregung des weiblichen Organismus, die Ovarien in einem Zuſtande, welcher dem der Entzuͤndung in vieler Hin - ſicht verglichen werden kann, und es iſt alſo leicht begreiflich, wie umgekehrt der entzuͤndliche pathologiſche Zuſtand der Genitalien, die aͤußerſte Steigerung der Geſchlechtsbegierde (gleichſam den Trieb den im Normalzuſtande dieſer erhoͤhten Gefaͤßthaͤtigkeit verbundenen Zuſtand angehender Schwanger - ſchaft herbeyzufuͤhren) zur Folge haben koͤnne und muͤſſe.

§. 280.

Sollte man vielleicht dieſer Anſicht entgegenſtellen, daß es mit ihr unvereinbar ſey, daß, wie die Erfahrung zeigt, Schwangerſchaft gerade bey dieſer Krankheit doch ſo ſelten eintrete, ſo kann erwiedert werden, daß dieſes vielmehr zur Beſtaͤtigung diene, indem wir aͤhnliche Erſcheinungen auch in den Entzuͤndungen anderer Organe nur allzuhaͤufig finden. So wird z. B. bekanntlich die Magen - und Darmentzuͤndung vom heftigſten Durſte begleitet, und demohnerachtet gewoͤhn - lich alles Getraͤnk ausgebrochen und nicht aſſimilirt, und eben ſo finden wir ſehr einleuchtend, daß die Ovarien, wenn ſie in einem wahren krankhaften Entzuͤndungsproceſſe begrif - fen ſind, der normalen Erregung, welche zur Conception noͤthig iſt, unfaͤhig werden. Was die Sektionen betrifft, ſo hat man ſie uͤberhaupt ſelten angeſtellt, auch die Ovarien dabey weniger beachtet; jedoch werden wir bey den ſpaͤter zu beſchreibenden Krankheiten der Eyerſtoͤcke finden, in wie naher Verbindung heftiger, zu Ausſchweifungen fuͤhrender Geſchlechtstrieb und abnormer Zuſtand der Genitalien zu ſte - hen pflegen; auch ſah ich in zwey Faͤllen die Ovarien von Perſonen, welche einer ausſchweifenden Lebensweiſe beſchuldigt wurden, etwas vergroͤßert, geroͤthet und mit kleinen Puſteln, faſt wie mit einem chroniſchen Hautausſchlage, bedeckt.

§. 281.

Ueber die entfernten Urſachen iſt zu bemerken, daß ſowohl die disponirenden als die Gelegenheitsurſachen220 namentlich auf zweyerley Wege die Krankheit zu erzeugen vermoͤgen, naͤmlich entweder vom Gemuͤth aus, oder vom Organ. Zu den disponirenden Urſachen gehoͤren aber lebhafte Phantaſie, auf wolluͤſtige Gegenſtaͤnde durch haͤufige unſchickliche Lektuͤre, durch ſchluͤpfrigen Umgang und vieles Tanzen gerichtet; ferner Vollbluͤtigkeit, lebhaftes Tempera - ment, Genuß ſtark naͤhrender und zugleich erhitzender, Con - geſtionen nach den Geſchlechtsorganen herbeyfuͤhrender Speiſen und Getraͤnke, Schlafen in ſehr warmen Betten, Mißbrauch der Kohlentoͤpfe, uͤbermaͤßige Befriedigung des Geſchlechtstrie - bes, zumal waͤhrend der Schwangerſchaft (wo um ſo eher bey der an ſich ſtaͤrkern Erregung des Geſchlechtsſyſtems und Unſtatthaftigkeit neuer Conception die chroniſche Entzuͤndung der Ovarien eintreten kann), Wurmbeſchwerden, vorzuͤglich Aſkariden (welche ſich zuweilen wohl ſelbſt zu den Geſchlechts - organen verbreiten), ſcharfer weißer Fluß, Steine in den Harnwegen u. ſ. w. Gelegenheitsurſachen koͤnnen faſt die meiſten derer, das Gemuͤth oder die Geſchlechtsor - gane afficirenden heftigen Reitze werden; wir zaͤhlen dahin namentlich Ungluͤck in der Liebe (eine ſehr haͤufige Veran - laſſung), ploͤtzliche Entziehung des gewohnten Geſchlechtsge - nußes (weßhalb die Krankheit bey jungen Wittwen nicht ſel - ten beobachtet wird), Reitzung der Genitalien durch unpaſſend ſchlecht verfertigte oder gelegte Peſſarien, durch draſtiſche Ab - fuͤhrmittel, durch Emmenagoga, zur Unzeit bey Amenorrhoͤe vollſaftiger Perſonen angewendet, durch ſtark reitzende Einſpri - tzungen, ſyphilitiſche Anſteckung, heiße Dampfbaͤder u. ſ. w. Alles Urſachen, deren Natur dem oben angegebenen entzuͤnd - lichen Charakter der Krankheit vollkommen entſpricht.

§. 282.

Die Prognoſe iſt bey dieſer Krankheit immer mißlich, jedoch am uͤbelſten, wenn ſie bereits den zweiten oder gar den dritten Grad erreicht hat, in welchem letztern ſie in der Regel unheilbar zu ſeyn pflegt, vielmehr in vollkommner Tollheit, durch Epilepſie oder die uͤbrigen §. 278. erwaͤhnten Arten ſich endigt: guͤnſtiger wird daher die Vorausſagung nur da ſeyn koͤnnen, wo die Krankheit auf einer niedern221 Stufe verweilt, noch nicht von langer Dauer iſt, und die veranlaſſenden Urſachen eine leichte Beſeitigung geſtatten. Selten beobachtete man, daß die Krankheit ohne aͤrztliche Huͤlfe ſich gluͤcklich entſchied, und dann vornehmlich unter folgenden von Astruc*)Maladies des Femmes. T. II. p. 570. aufgezeichneten Umſtaͤnden, welche uͤbrigens ſaͤmmtlich von der Art ſind, daß ſie mit unſerer oben aufgeſtellten Anſicht von dem eigentlich Weſentlichen der Krankheit vollkommen uͤbereinſtimmen: 1) naͤmlich hob ſich die Krankheit zuweilen, indem ein ſtarker Gebaͤrmutter - blutfluß entſtand, 2) bey eintretendem ſtarken Haͤmorrhoidal - fluße, 3) durch langwierigen ſchwaͤchenden weißen Fluß (wel - ches alles auf Beſeitigung entzuͤndlicher Leiden hinweiſt), 4) durch eintretende wirkliche Schwangerſchaft (welche indeß aus oben erwaͤhnten Gruͤnden kaum anders als im erſten Grade des Uebels Statt finden wird); 5) wenn der Uterus einen betraͤchtlichen Vorfall erlitt und nun der Einwirkung kaͤlterer aͤußerer Temperatur ausgeſetzt iſt (wo die Kaͤlte an - tiphlogiſtiſch wirkt).

§. 283.

Die Regeln zur Behandlung der Mutterwuth muß - ten uͤbrigens ebenfalls hoͤchſt ſchwankend bleiben, ſo lange man uͤber das Weſentliche der Krankheit noch keinen beſtimm - ten Begriff gefaßt hatte, und es ſcheint allerdings, als wenn auch hier theils die bisher durch Erfahrung bewaͤhrten Re - geln mit der Meynung von der entzuͤndlichen Natur des Uebels vollkommen uͤbereinſtimmten, theils dieſe Anſicht ſelbſt zu neuen Behandlungsweiſen nicht unwichtige Fingerzeige ge - waͤhrt. Im Allgemeinen darf man daher wohl ſagen, daß die Behandlung zwar nach den verſchiedenen Stadien ver - ſchieden, aber doch immer vorzuͤglich antiphlogiſtiſch werde ſeyn muͤſſen, wobey indeß zugleich die ſpeciellen veranlaſſen - den Urſachen beruͤckſichtigt werden muͤſſen, und namentlich auch die allgemeinen diaͤtetiſchen Regeln fuͤr dergleichen Un - gluͤckliche von beſonderer Wichtigkeit ſind, deren wir daher hier zunaͤchſt gedenken. Es gehoͤrt aber hierher 1) Aufent -222 halt in reiner kuͤhler Luft, 2) Vermeidung zu warmer Schlaf - ſtellen, daher leichte Bedeckung, Matrazen u. ſ. w. empfohlen werden muͤſſen; 3) kuͤhlende Diaͤt, Obſt, ſaͤuerliche waͤſſerige Fruͤchte, als Gurken, Melonen u. ſ. w.; 4) reichliches ver - duͤnnendes Getraͤnk, aus Dekokten von Althaͤa und Quecken - wurzel, der Gerſtentrank mit Cremor tartari, Limonade u. ſ. w. 5) Hinlaͤngliche Beſchaͤftigung der Koͤrperkraͤfte durch Arbeiten, namentlich Gartenarbeiten; 6) Zerſtreuung durch veraͤnderten Aufenthaltsort und Umgebungen, weßhalb kleine Reiſen ſehr wohlthaͤtig zu ſeyn pflegen; 7) ſtrenge Bewah - rung vor allem, wodurch Geſchlechtsluſt erregt werden koͤnnte, als z. B. haͤufiges Sehen maͤnnlicher Individuen, weßhalb nichts der Heilung hinderlicher ſeyn kann, als wenn in uͤbel - geleiteten Irrenanſtalten ſolche arme Geſchoͤpfe neugierigen Fremden zur Schau dargeboten werden; vorzuͤglich aber muß hierher die Bewachung der Perſonen, um ſie von der ihnen ſo gewoͤhnlichen Selbſtbefriedigung abzuhalten, gerechnet wer - den, welche Aufgabe indeß oft ſchwer genug auszufuͤhren iſt, indem ſie ihrem krankhaft herrſchenden Triebe auf alle Weiſe genug zu thun ſuchen*)Man beobachtet z. B., daß dieſe Perſonen, wenn ſie an Neitzung der Schamtheile gehindert werden, durch Neitzung der Bruſtwarzen, ja durch Neitzung der Naſenloͤcher, ihre traurige Luſt zu buͤßen ſuchen. und oft das Anlegen von Zwangs - weſten und aͤhnlichen Vorrichtungen noͤthig macht.

§. 284.

Die eigentlich aͤrztliche Behandlung muß nun insbe - ſondre und zunaͤchſt die veranlaſſenden Urſachen beruͤckſichti - gen, und, in wiefern dieſe doppelter Art ſind, d. i. theils vom Gemuͤth, theils vom Organ ausgehen, auch theils auf die Seele, theils auf den Koͤrper wirken. In erſterer Hinſicht, welche beſonders in Faͤllen, wo die Krankheit durch pſychiſche Einfluͤße herbeygefuͤhrt wurde, wichtig iſt, kann namentlich bey geringerem Grade des Uebels die kraͤftige Er - weckung des im Weibe doch ſo maͤchtigen Schamgefuͤhls durch eindringende Vorſtellungen des verſtaͤndigen Arztes oder223 auch wohl eines erfahrenen Geiſtlichen, ſehr viel ausrichten. Außerdem ſind mehrere andere entgegengeſetzte, vorzuͤglich de - primirende Gemuͤthsbewegungen als Heilmittel zu Huͤlfe zu nehmen; hierher gehoͤrt namentlich in dem erſten Grade der Krankheit Erregung der Furcht vor den traurigen Ausgaͤngen derſelben, auch ſpaͤterhin Schreck durch Drohungen.

§. 285.

In Ruͤckſicht auf den Koͤrper verlangt die Krankheit zunaͤchſt Entfernung fortwaͤhrend einwirkender localer Urſachen. Tragen die Perſonen Peſſarien, ſo ſind dieſe entweder ganz herauszunehmen (indem, wie oben bemerkt wurde, bey Ge - baͤrmuttervorfaͤllen oft die Nymphomanie von ſelbſt verſchwand), oder, wenigſtens wenn ſie anderer Urſachen wegen nicht ganz entbehrt werden koͤnnen, ſind ſie durch minder reitzende Un - terſtuͤtzungsmittel, z. B. durch einen eingelegten Schwamm, zu erſetzen. Eben ſo muͤſſen Wurmcomplicationen gehoben, Ausſchlagskrankheiten, jedoch mit Vorſicht, geheilt werden. Scharfer weißer Fluß macht beſonders haͤufige Reinigung der Genitalien durch kaltes Auswaſchen mit bittern Decokten noth - wendig, obwohl Schleimfluͤße ſelbſt, gleich andern vielleicht ein - tretenden Blutfluͤßen, hierbey nicht zu ſchnell unterdruͤckt werden duͤrfen. Waͤre uͤbrigens Entziehung des naturgemaͤßen oder gewohnten Geſchlechtsgenußes Krankheitsurſache, und hat das Uebel noch keinen hoͤhern Grad erreicht, wie nament - lich gleich nach entwickelter Pubertaͤt, ſo muß allerdings, wenn es ſonſtige Umſtaͤnde erlauben, baldige Verheirathung empfohlen werden, indem dann oft die Veraͤnderungen der Geburtstheile durch Schwangerſchaft, Geburt und Wochenbett das Uebel am gruͤndlichſten heben koͤnnen, dahingegen bey weiter vorgeruͤckter Krankheit, auch die natuͤrliche Befriedi - gung der Geſchlechtsluſt nur die Krankheit erhoͤhen wuͤrde.

§. 286.

Ferner muß in Hinſicht der entzuͤndlichen Natur der Krankheit außer dem oben erwaͤhnten antiphlogiſtiſchen Regi - men vorzuͤglich auch eine antiphlogiſtiſche aͤrztliche Behand -224 lung durch innere und aͤußere Mittel empfohlen werden. Wir rechnen dahin, bey kraͤftigen vollſaftigen Individuen, die von Zeit zu Zeit wiederholten Blutentziehungen und kuͤhlen - den Abfuͤhrungen aus Mittelſalzen, Pulpa tamarindorum u. ſ. w., die kuͤhlen Baͤder, die kalten Waſchungen der Ge - nitalien, die Umſchlaͤge von Camphoreſſig uͤber dieſelben. Ferner wirken antagoniſtiſch erregte Abſonderungen ſehr vor - theilhaft, als: die Ekelkur durch haͤufige kleine Doſen der Ipecacuanha, ja ſelbſt Merkurialeinreibungen in die Leiſtenge - gend, ſogar bis zur Erregung eines leichten Speichelflußes, oder oberflaͤchliche Eiterungen durch Einreibungen von Tar - tarus emeticus (welche wir hier in hoͤhern Graden des Uebels empfehlen moͤchten). Was nun den hoͤchſten Grad der Krankheit und oft ſchon den zweyten betrifft, ſo kann allerdings, namentlich bey ſchon betraͤchtlicher Dauer oft uͤber - haupt keine vollkommne Heilung gehofft werden, und zwar immer um ſo weniger, je mehr ſich die geiſtigen Thaͤtigkei - ten dabey geſtoͤrt zeigen, und dann bleibt das Unterbrin - gen ſolcher Ungluͤcklichen in eine zweckmaͤßige Verſorgungs - anſtalt, um ſie den Augen der neugierigen Menge zu ent - ziehen, oft das einzige Geſchaͤft des Arztes; obwohl man vielleicht auch hier noch die Frage aufwerfen koͤnnte, ob nicht durch eine laͤngere Zeit noch anhaltend fortgeſetzte antiphlo - giſtiſche Behandlung, ja im aͤußerſten Falle wohl ſelbſt durch die Exſtirpation der Ovarien (eine anerkanntermaaßen ohne allzugroße Gefahr des Lebens vorzunehmende Operation) Huͤlfe moͤglich ſey?

4) Unfruchtbarkeit (Sterilitas).
§. 287.

Wir bezeichnen auf dieſe Weiſe denjenigen Zuſtand des dem Alter nach zeugungsfaͤhig ſeyn ſollenden weiblichen Koͤr - pers, wo unter den aͤußern, im Normalverhaͤltniß die Em - pfaͤngniß zur Folge habenden Bedingungen dieſelbe demohn - erachtet gar nicht erfolgt; diejenigen Faͤlle daher ſchließen wir vom Begriffe der Unfruchtbarkeit aus, wo die Empfaͤngniß225 durch Mißverhaͤltniß beiderſeitiger Geſchlechtstheile*)Einen Fall dieſer Art ſ. in Stark’s neuem Archiv f. Geburts - huͤlfe. I. Bd. IV. St. S. 376., durch Abneigung zweier Gatten, oder durch maͤnnliche Impotenz verhindert wird, indem unter ſolchen Umſtaͤnden wohl die Ehe, aber nicht das Weib unfruchtbar ſeyn kann, uͤber welche Verhaͤltniſſe die naͤhere Eroͤrterung in die gerichtliche Medicin gehoͤrt**)S. daruͤber den 7. Abſchnitt in dem kurzgefaßten Syſtem der ge - richtlichen Arzneywiſſenſchaft von J. D. Metzger. Vierte, von Gruner beſorgte Auflage. 1814..

§. 288.

Die Unfruchtbarkeit des Weibes iſt nun aber eigentlich nicht an und fuͤr ſich als Krankheit zu betrachten, ſondern kann vielmehr nur die Folge allgemeiner oder oͤrtlicher Krankheitszuſtaͤnde ſeyn, welche jedoch, da ihnen dieſe fuͤr das weibliche Leben ſo einflußreiche Wirkung gemeinſam iſt, unter dieſem Geſichtspunkt beſonders zuſam - mengeſtellt zu werden verdienen. Es gehoͤren aber hierher: 1) allgemeine ſehr phlegmatiſche oder mehr maͤnnliche Con - ſtitution, oft durch mangelnde Menſtruation und ſehr ſchwa - chen oder gaͤnzlich fehlenden Geſchlechtstrieb noch naͤher charakteriſirt. 2) Urſpruͤngliche bedeutende Bildungsfehler der Geſchlechtstheile, als Mangel der Ovarien, der Gebaͤrmutter, bedeutende Verwachſungen der Vagina oder des Muttermun - des (obwohl wir ſchon fruͤher bemerkt haben, daß dieſe Ver - wachſungen allein doch wohl die Conception nicht immer un - moͤglich machen [ſ. Anmerk. zu §. 139.], wohin auch ein von H. Oſiander***)Deſſen neue Denkwuͤrdigkeiten. I. Thl. 1s Hft. S. 259. Eine Perſon hatte vor 8 Jahren zum zweiten Male geboren, und war 4 Jahre nachher von veneriſcher Kraͤtze, weißem Fluß und Augen - entzuͤndung durch Queckſilber gruͤndlich kurirt worden, dann wohl geweſen, nun ſchwanger geworden, hatte auch in der Schwanger - ſchaft nichts krankhaftes empfunden, und demohnerachtet fand man die Vagina uͤber zwei Zoll lang verwachſen. Haͤtte hier nicht ver - muthet werden ſollen, daß die Verwachſung waͤhrend der Syphilis erzaͤhlter, und ein noch wichtigerer vonI. Theil. 15226Dr. Boͤniſch*)Berger Diss. Ad Theoriam de foetus generatione analecta. Lips. 1818. Die Perſon hatte nie gehoͤrig menſtruirt, lange in der Ehe gelebt und bey endlich doch erfolgter Schwangerſchaft zeigte ſich nach langen Geburtswehen durchaus kein Muttermund. beobachteter Fall gehoͤrt), allgemeine ſehr betraͤchtliche Verengerung des Scheidenkanals, ſehr großes und feſtes Hymen, ja ſelbſt ein außerordentlich verengertes Becken. 3) Spaͤter entſtandene Verbildungen der Genitalien, welche den Coitus uͤberhaupt, oder wenigſtens die normale Aufnahme und Zuruͤckbehaltung des maͤnnlichen Sperma’s hindern. Hierher gehoͤren: ſtarke Einriſſe des Mittelfleiſches bis in den After, betraͤchtlicher Scheidenvorfall, Schieflagen, Umſtuͤlpung oder Vorfall des Uterus, und bedeutende Zer - reiſſungen, Verhaͤrtungen, Geſchwuͤre des Muttermundes**)Daß uͤbrigens ſelbſt bey offnem Krebs der Gebaͤrmutter zuweilen doch noch Conception erfolgen koͤnne, hat die Erfahrung gelehrt.. Beſonders aber auch Ausartungen der Eyerſtoͤcke (z. B. Waſ - ſerſucht derſelben), Verwachſungen der Muttertrompeten u. ſ. w. oder wohl gar Zerſtoͤrungen oder Exſtirpationen einzelner Theile der innern Genitalien.

§. 289.

4) Fremde Koͤrper in den Genitalien, als uͤbelgelegte Peſſarien, Polypen von betraͤchtlichem Umfange in der Va - gina oder im Uterus (kleinere Polypen des Uterus geſtatten wohl zuweilen die Conception, hindern jedoch in der Regel das Austragen der Frucht), Reſte der Placenta, Schleim - pfroͤpfe u. ſ. w. 5) Ein hoher Grad von Atonie der Ge - burtstheile, welcher entweder als torpide Schwaͤche, mit gaͤnzlich geſunkener Senſibilitaͤt (durch Kaͤlte, Schlaffheit, Unem - pfindlichkeit der Genitalien charakteriſirt) oder als Schwaͤche mit krankhaft geſteigerter Senſibilitaͤt (durch Schmerzhaftigkeit und Kraͤmpfe in den Geſchlechtsorganen, und oft auch in den ihnen nahe liegenden Theilen, als im Darmkanal oder***)vor 4 Jahren geſchehen ſey? oder darf man annehmen, daß eine Vagina waͤhrend der Schwangerſchaftszeit und ohne an - dere Zufaͤlle 2 Zoll weit verwachſen koͤnne?227 in den Harnwegen ſich aͤußernd) erſcheinen kann. Dieſe Schwaͤche ſelbſt kann denn wieder durch verſchiedene Veranlaſſungen herbeygefuͤhrt worden ſeyn, z. B. durch ausſchweifende Le - bensart, langwierigen weißen Fluß, uͤbermaͤßige Menſtrua - tion, ſehr haͤufige Wochenbetten, oͤfteres Abortiren, ſchwere Entbindungen, Metrorrhagien, Syphilis, Waſſerſucht des Uterus u. ſ. w. 6) Allgemeine bedeutende Krankheiten aller Art, Fieber, Waſſerſ[u] chten, hoher Grad von Bleichſucht u. ſ. w. 7) Der zu haͤufige Coitus.

§. 290.

Die Prognoſe uͤber Heilbarkeit oder Unheilbarkeit der Unfruchtbarkeit, welche namentlich in gerichtlicher Hin - ſicht oft, z. B. um das Urtheil in Eheſcheidungsſachen zu beſtimmen, von beſonderer Wichtigkeit iſt, richtet ſich natuͤr - lich ganz nach der Art der erwaͤhnten verſchiedenen, hierbey moͤglicher Weiſe zum Grunde liegenden Urſachen. Unguͤn - ſtig muß ſie daher ausfallen bey betraͤchtlichen, keine Abhuͤlfe durch Operation geſtattenden Mißbildungen, oder ſpaͤter Statt gehabten Zerſtoͤrungen einzelner Geſchlechtstheile, Waſſerſuch - ten der Eyerſtoͤcke u. ſ. w.; guͤnſtiger hingegen bey Verbildun - gen der Geſchlechtstheile, welche aͤrztliche Huͤlfe geſtatten, z. B. Scheidenpolypen, kleinern Vorfaͤllen und Schieflagen des Uterus. Ueberhaupt aber werden dynamiſche Urſachen (z. B. Atonie der Geſchlechtstheile) immer eine weit guͤn - ſtigere Prognoſe geben, als organiſche.

§. 291.

Eben ſo wie die Prognoſe wird ſich nun auch die aͤrztliche Behandlung der Unfruchtbarkeit nach den ver - ſchiedenen urſachlichen Verhaͤltniſſen richten, ſo daß denn einleuchtend iſt, wie bey maͤnnlichem Habitus, verbunden mit Mangel der Menſtruation und des Geſchlechtstriebes, bey Mangel einzelner Geſchlechtstheile, beſonderer Kleinheit des Becken - oder Scheidenkanals, uͤberhaupt gar keine Huͤlfe Statt finden kann, dahingegen andere heilbare Krankheiten der Geſchlechtstheile, als Atreſie der Scheide oder des Ute - rus, Leucorrhoͤe, Gebaͤrmutter - und Scheiden-Polypen, nach -228 gebliebene Reſte der Placenta u. ſ. w. theils ſchon eroͤrterte, theils noch zu eroͤrternde Heilungsmethoden nothwendig ma - chen, weßhalb uns denn nur die hier ein beſonderes Heilver - fahren gebietenden Urſachen noch etwas naͤher zu erwaͤgen uͤbrig bleiben.

§. 292.

Wir rechnen hierher zunaͤchſt die allgemeine phlegma - tiſche Conſtitution, durch ſchwammigen Koͤrperbau, langſamen Puls, traͤges Temperament u. ſ. w. charakteriſirt. Hier wer - den denn namentlich eine mehr reitzende Diaͤt, der Gebrauch eines guten alten Weins, aromatiſche Kraͤuterbaͤder, ſpirituoͤſe Waſchungen des Ruͤckgraths und der Kreuzgegend nach den - ſelben, die Anwendung der Elektricitaͤt, innerlich der China - abkochungen mit der Tr. Cinnamomi, Cortic. aurant. u. ſ. w., ferner das Reiſen, das Trinken des Driburger oder Pyrmonter Mineralwaſſers, verbunden mit Aufheiterung des Gemuͤths, nuͤtzlich werden. Zweitens bey beſonderer (ob - wohl nicht abſoluter) Engigkeit der Genitalien muͤſſen laue ſeifenhafte Baͤder, Dampfbaͤder, eingebrachte, mit erweichen - den, ſchleimigen, oͤhligen Dingen befeuchtete Schwaͤmme, Einreibungen des Perinaͤi mit mildem Fett oder Oehl be - ſonders empfohlen werden. Vorzuͤglich iſt jedoch auch zu bemerken, daß bey ſo engen Genitalien oft die Befruchtung am erſten Statt finden wird, wenn der Coitus in der letz - ten Zeit der Menſtruation, oder gleich nach Beendigung der - ſelben vollzogen wird, indem hier die Genitalien noch mehr erweicht und erweitert zu ſeyn pflegen, und zugleich, wie ſchon oben bemerkt wurde, der weibliche Koͤrper zu dieſer Zeit am meiſten der Conception faͤhig iſt.

§. 293.

Was drittens die verſchiedenen abnormen Lagen des Uterus betrifft, ſo machen dieſe zwar die Behandlung noͤthig, von welcher noch ſpaͤterhin bey den organiſchen Krankheiten des Uterus beſonders die Rede ſeyn wird, allein es iſt doch auch zu bemerken, daß bey gewiſſen fehlerhaften Lagen deſ - ſelben auch durch eine beſondere Haltung des Koͤrpers waͤh -229 rend des Coitus ſelbſt (z. B. nach Schmidtmuͤller*)S. deſſen Handbuch der mediciniſchen Geburtshuͤlfe. Thl. I. S. 46. wo uͤberhaupt die Lehre von der Unfruchtbarkeit ſehr vollſtaͤndig ab - gehandelt iſt. bey Schieflagen des Uterus nach ruͤckwaͤrts, wegen des nach dem Schambogen gedraͤugten Muttermundes durch den Coi - tus a posteriori) der Zweck der Empfaͤngniß eher erreicht werden kann. Zuweilen kann wohl auch eine betraͤchtliche Weite und Schlaffheit die Urſache ſeyn, welche die zur Er - zeugung noͤthige Erregung, ſowohl der maͤnnlichen als weib - lichen Genitalien hindert; es ſind dann die Bedingungen der Schlaffheit aufzuſuchen, bey betraͤchtlichen Einrißen des Mit - telfleiſches wird daher eine neue Skarifikation der Wundraͤn - der, Anlegung der blutigen Nath und ruhige Lage nothwen - dig, um die Wiedervereinigung zu bewerkſtelligen; außerdem hingegen bey bloßer Schlaffheit iſt Anwendung adſtringirender Mittel, des Waſchens mit rothem Wein, der Einſpritzungen der Dekokte von Eichen -, Weiden -, Ulmenrinde, der Tormen - tillwurzel, der Gallaͤpfel, oder ſchwacher Eiſenvitriolaufloͤſun - gen zu empfehlen.

§. 294.

Wo ferner anderweitige allgemeine Krankheiten, Unre - gelmaͤßigkeiten der Menſtruation, Bleichſucht, Syphilis, Skir - rhus, Krebs, Waſſerſuchten u. ſ. w. die Conception hindern, muß theils nach oben entwickelten Grundſaͤtzen, theils nach den Regeln, welche die ſpecielle Therapie hieruͤber ertheilt, die Heilung derſelben bezweckt, und nachbleibende allgemeine Atonie nach den §. 292. angegebenen Ruͤckſichten behandelt werden. Beſonders haͤufig iſt die oͤrtliche Schwaͤche der Genitalien Urſache der Unfruchtbarkeit, und der Arzt muß daher trachten, erſtens die Urſachen derſelben, als Haͤmor - rhagien, zu haͤufige oder zu ſtarke Menſtruation, Schleim - fluͤße u. ſ. w. zu entfernen, theils den Schwaͤchezuſtand ſelbſt ſeiner Natur angemeſſen zu behandeln. Stellt ſich daher die Schwaͤche, verbunden mit ſehr erhoͤhter Senſibilitaͤt dar, ſo entſtehen vorzuͤglich leicht krampfhafte Zuſammenziehungen230 der Muskelfibern des Scheidenkanals (Vaginalkrampf nach Schmidtmuͤller) machen den Coitus hoͤchſt ſchmerz - haft, zumal wenn ſich zugleich in Folge mangelhafter Sekre - tion der Vagina eine Trockenheit derſelben hinzugeſellt und die Befruchtung findet nicht Statt. Bey dieſem Leiden iſt ſodann vorzuͤglich auf den Stand der Senſibilitaͤt uͤberhaupt Ruͤckſicht zu nehmen, indem es am haͤufigſten bey hyſteriſchen Individuen, bey Perſonen, welche an ſchmerzhafter Men - ſtruation leiden u. ſ. w. vorkommt. Man muß daher die allgemeine Conſtitution durch beſſere Lebensordnung und Diaͤt zur Norm zuruͤckfuͤhren, dabey laue Baͤder, Landluft, robo - rirende Mittel zu Huͤlfe nehmen, und endlich, um die ab - norme Reitzbarkeit der Genitalien zu mindern, erweichende Dampfbaͤder*)Auch die oͤrtlichen Baͤder durch den Weidlich’ſchen Badeſtuhl (ſ. deſſen kleine Schrift uͤber den Badeſtuhl. Wien 1818.) verſpre - chen hier beſondern Nutzen., Einreibungen des Olei hyoscyami, oͤfteres Einbringen eines Schwammes in laue mit Opiattinktur ver - miſchte Milch getaucht, Einſpritzungen von Abkochungen der Mohnkoͤpfe, von Aufguͤßen des Bilſenkrautes, der Ka - millen, der Valeriana u. ſ. w. anwenden.

§. 295.

Im Gegentheil aber kann auch torpide Schwaͤche vor - handen ſeyn, und dann iſt vorzuͤglich theils im Allgemeinen[auf] Erregung einer kraͤftigern Reproduktion durch ſtaͤrkende Diaͤt, Reiſen, Beſuchen mineraliſcher Baͤder und die uͤbrigen §. 292. angezeigten Mittel Ruͤckſicht zu nehmen, theils von den das Geſchlechtsſyſtem insbeſondre in Anſpruch nehmenden Mitteln Gebrauch zu machen, welches vorzuͤglich diejenigen ſeyn werden, deren bey Betrachtung der aus Torpiditaͤt ver - zoͤgerten oder zu ſchwachen Menſtruation oͤfters gedacht wor - den iſt. Wir rechnen dahin namentlich die Verbindung des Extraktiv - und harzigen Stoffes mit aͤtheriſch oͤhligten Be - ſtandtheilen, alſo die China mit der Zimmttinktur, der Cas - karille, den Gummiharzen, ja bey ſehr hohem Grade der Atonie, der Sabina, und der Cantharidentinktur; gleichzeitig231 den Gebrauch aͤußerer Mittel, der geiſtigen Einreibungen, des Einreibens vom fluͤchtigen Liniment mit Tr. Canthari - dum in die Kreuzgegend, die Urtikation (das Streichen mit Neſſeln, ſo daß die Blaͤtter in einer den feinen Haͤckchen derſelben entgegengeſetzten Richtung die Haut beruͤhren) das Tragen eines mit aͤtheriſchen Oehlen geſchaͤrften Emplastri aromatici, das trockne Frottiren der Schenkel, oͤrtliche aro - matiſche Baͤder, die Anwendung der Elektricitaͤt u. ſ. w. Auch von draſtiſchen Abfuͤhrmitteln, aus Rad. Jalappae, Rheum, Senna u. ſ. w., wenn ſie von Zeit zu Zeit, als Erregungsmittel des dem Geſchlechtsſyſtem ſo nahe verwand - ten Darmkanals, dargereicht werden, hat man in Verbin - dung mit den uͤbrigen Mitteln, vorzuͤgliche Wirkungen bey dieſem Zuſtande von Atonie beobachtet. Endlich wird es der Arzt, wo er uͤber den Zuſtand der Unfruchtbarkeit zu Rathe gezogen wird, nie umgehen koͤnnen, ruͤckſichtlich des ehlichen Umganges ſelbſt beiden Gatten zweckmaͤßige diaͤte - tiſche Vorſchriften zu ertheilen, vorzuͤglich das Uebermaaß deſſelben, eine gar nicht ſeltne Urſache der Unfruchtbarkeit, einzuſchraͤnken, die ſonſtigen Regeln aber nach den einzelnen vorkommenden Faͤllen zu beſtimmen.

5) Hyſterie, Mutterbeſchwerung (passio hysterica, adscensus uteri).
§. 296.

Die Hyſterie iſt eine von denen Krankheiten, welche der außerordentlichen Vielgeſtaltigkeit ihrer Symptome wegen ſchwer eine vollſtaͤndige Beſchreibung, faſt gar nicht eine kurze Definition zulaſſen, und welche, demohnerachtet ſo kenntlich ſind, daß, wer ſie nur einigemal geſehen hat, ſie wenigſtens nicht leicht wieder verkennen wird. Vorzuͤg - lich hat man ſie mit der Hypochondrie des maͤnnlichen Ge - ſchlechts zuſammengeſtellt, und es hat dieß ſogar Veranlaſ - ſung zu der Streitfrage gegeben, ob beide nicht eins und daſſelbe ſeyen? Bejahend wurde dieſe Frage ſchon von mehreren aͤltern Aerzten, als Sydenham, Tissot232 und Selle entſchieden, und unter den Neuern tritt ihnen auch H. Joͤrg bey*)Krankheiten des menſchlichen Weibes. S. 586., welcher ſelbſt der Meynung iſt, es ſey beſſer, den Namen der Krankheit zu vertilgen, zumal da ihr Sitz nicht im Geſchlechtsſyſtem (worauf ihr Name von ὑστέρα, uterus, deutet) und es daher ſchicklicher waͤre, ſie als weibliche Hypochondrie zu bezeichnen, deren Charakter von der maͤnnlichen Hypochondrie nur indem er durch den Geſchlechtscharakter modificirt werde, ſich unter - ſcheide. Entgegengeſetzter Meynung ſind Andere, z. B. H. Haaſe**)Ueber die Erkenntniß und Kur der chroniſchen Krankheiten. 2r Th. S. 282., welcher ſowohl in den weſentlichen Krankheitser - ſcheinungen, als in der Art ſie zu behandeln wichtige Unter - ſchiede zwiſchen beiden findet. Wir gedenken nun hier zuerſt die Art des Vorkommens und die Aeußerungen der Hyſterie zu ſchildern, und hoffen, daß ſich ſodann aus der Betrachtung uͤber das Weſentliche und Urſachliche dieſer Er - ſcheinungen auch das Verhaͤltniß dieſer Krankheit zur Hypo - chondrie ergeben werde.

§. 297.

Der hyſteriſche Zuſtand alſo, von welchem wir vorlaͤufig nur erinnern, daß er vorzuͤglich durch Stoͤrungen aſſimilativer und reproduktiver Thaͤtigkeit, verbunden mit Verſtimmungen im Leben des centralen und insbeſondre des ſympathiſchen Nervenſyſtems ſich ausſpreche, kommt zwar namentlich in der eigentlich zeugungsfaͤhigen Lebensperiode, vorzuͤglich zwi - ſchen dem 20 46ſten oder 48ſten Jahre vor, pflanzt ſich jedoch zuweilen auch auf das ſpaͤtere Lebensalter fort, ſo wie er mitunter wohl auch in der Entwicklungsperiode unter den hier einheimiſchen, oben beſchriebenen Nerveuleiden eine Stelle mit einnimmt, ja viele derſelben wohl erſt ſelbſt hervorruft. Ein lebhaftes Temperament, eine reitzbare Koͤrperconſtitution, wie ſie namentlich zartgebauten Bruͤnetten eigen zu ſeyn pflegt, bilden ferner, verbunden mit ſtark entwickelter Geiſtesthaͤtig - keit, diejenige Individualitaͤt, welche dieſer Krankheit am mei -233 ſten unterworfen zu ſeyn pflegt; uͤbrigens kommt ſie bey Frauen und Jungfrauen vor, und obwohl vorzuͤglich nicht verheirathete oder ungluͤcklich verheirathete, kinderloſe Frauen, beſonders aber junge Wittwen, daran zu leiden pflegen, ſo bleiben doch ſelbſt Schwangere, Woͤchnerinnen und Stillende von dieſen Anfaͤllen nicht ganz befreyt.

§. 298.

Bey den Aeußerungen der Krankheit haben wir zuvoͤr - derſt der Periodicitaͤt ihrer Anfaͤlle zu gedenken, durch welche ſie an andere ebenfalls in gewiſſen Zeitraͤumen wiederkehrende Nervenkrankheiten, z. B. die Epilepſie und den Veitstanz erinnert. Dieſe Periodicitaͤt aber iſt in ſofern zwiefach, als in einem Falle die Wiederkehr der Anfaͤlle durch aͤußere Veranlaſ - ſungen, Gemuͤthsbewegungen, ſtarke Sinneseindruͤcke u. ſ. w. herbeygefuͤhrt wird, ohne dieſe Einfluͤße aber die Anfaͤlle auf unbeſtimmte Zeit außen bleiben, und dieſes Periodiſche iſt dann ganz Produkt der Reitzbarkeit des Nervenſyſtems und des aͤußern Moments; oder im andern Falle, wird die Wiederkehr des Paroxysmus mehr nach regelmaͤßigen Zeitraͤu - men (ohngefaͤhr wie die Wiederkehr eines Wechſelfieberan - falls) beſtimmt, und iſt das Urſachliche davon mehr der an - dere Faktor der Krankheit, d. i. das reproduktive Syſtem, welches als ein Niederes dem wechſelnden Gange des aͤußern Naturlebens mehr hingegeben iſt, und von ſeinen Perioden mit afficirt wird, wohin denn ganz beſonders die bey vielen Hyſteriſchen zur Zeit der Menſtruation ſtaͤrkern Anfaͤlle ge - hoͤren. Uebrigens darf die Periodicitaͤt dieſer Krankheit nicht ſo verſtanden werden, als ob außer den Anfaͤllen ein vollkommnes Wohlbefinden Statt habe, indem vorzuͤglich die krankhafte Nervenreitzbarkeit, Gemuͤthsverſtimmung, die Ver - dauungsbeſchwerden, die Kranken nie zu verlaſſen pflegen.

§. 299.

Wir gehen nun zur Schilderung der verſchiedenen Krank - heitsſymptome nach den einzelnen organiſchen Syſtemen uͤber, und werden ſodann von der Erſcheinung des hyſteriſchen Anfalls insbeſondre handeln: Animale Sphaͤre. 1) Symp -234 tome geſtoͤrter Senſibilitaͤt. Ein vorzuͤglich gewoͤhn - licher Zufall iſt die ſehr geſteigerte Receptivitaͤt der Sinnes - organe, ſo daß das ſchwaͤchſte Geraͤuſch, das Fallen eines Buchs, das Oeffnen einer Thuͤre, eine ſtarke Anrede u. ſ. w. die Kranken wirklich ſchmerzhaft oder ſchreckhaft afficirt; eben ſo pflegt es mit den uͤbrigen Sinnen zu ſeyn: das Auge vertraͤgt weder helles Licht noch kraͤftige Farbe, nur was matt, ſchwaͤchlich, ſchmachtend aber zierlich iſt, gefaͤllt ſolchen Kranken. Beſonders aber iſt auch die Empfindlichkeit im Geruch und Geſchmack geſteigert; ſchon der Geruch einer Blume, noch weit mehr aber der von ſtaͤrkern fluͤchtigen Arzneyſtoffen, Campher, Moſchus u. ſ. w. erregt oft Schwindel und Ohnmachten, und uͤberhaupt ſind die ſonderbarſten Idio - ſynkraſien hier ganz in der Ordnung, ſo daß dagegen oft wieder andere ſehr widrige Dinge, z. B. Castoreum, Asa foetida, ganz leicht genommen werden. Zu dieſer geſchaͤrf - ten Senſibilitaͤt gehoͤrt auch das feinere Gefuͤhl fuͤr die In - dividualitaͤt anderer Perſonen, und ſonſtige aͤußere Verhaͤlt - niſſe, welche auf die Sinne eines geſunden Koͤrpers keinen Eindruck machen, in welcher Hinſicht wir wieder an das erinnern muͤſſen, was oben uͤber Nervenzufaͤlle in den Ent - wicklungsperioden geſagt iſt. Ferner gehoͤren hierher die mannigfaltigen Sinnestaͤuſchungen, und die ſehr erhoͤhte Em - pfindlichkeit des innern Sinnes gegen alle Arten von Krank - heitszuſtaͤnden. Als Folgen der erſtern naͤmlich ſind die Fle - cken, Funken, Bilder, Phantasmata vor den Augen, das Doppeltſehen, das Brauſen vor den Ohren u. ſ. w., als Fol - gen der letztern die haͤufigen Klagen, zum Theil uͤber ganz eigene Krankheitsempfindungen, zu betrachten.

§. 300.

Dieſe beſondern Krankheitsempfindungen beziehen ſich vornehmlich auf Kopf und Unterleib. Im erſtern ſtellen ſich oft heftige, bohrende, immer auf einem Punkt fixirte Schmerzen ein (Clavus hystericus), oder der Schmerz erſcheint als heftiges beſchwerliches Ziehen in der Hinterhauptsgegend, als Migraͤne, auch als aͤußerliches Reißen, Gefuͤhl von Kaͤlte, Schmerzen laͤngſt des Ruͤckenmarks, Empfindung von Amei -235 ſenkriechen in demſelben; im Unterleibe als ſchmerzhafte Span - nung in den Praͤcordien, Gefuͤhl von Zuſammenſchnuͤrung an einzelnen Stellen des Darmkanals, welches oft den Ort wechſelt, und daher von den Kranken mit der Empfindung einer ſich fortbewegenden Kugel verglichen wird (Globus hy - stericus), vorzuͤglich aber von Schmerz im Uterus ſelbſt, vielleicht oft durch Krampf der Muskelfibern in den runden Mutterbaͤndern veranlaßt, welches von den Kranken als ſchmerzhaftes Aufgehobenwerden des Uterus beſchrieben wird.

§. 301.

Ueberhaupt aber muͤſſen hierher auch noch die Verſtim - mungen des hoͤhern Nervenlebens, ſowohl im Schlafe, als im wachen Zuſtande gerechnet werden. Der Schlaf naͤmlich iſt gewoͤhnlich hoͤchſt unruhig bis zur wahren Agrypnie, un - ruhige, aͤußerſt lebhafte Traͤume, Schlafrednerey, und ſelbſt Nachtwandeln kommen nicht ſelten vor. Im wachen Zu - ſtande zeigt ſich eine außerordentliche Erregbarkeit des Ge - muͤths, die verſchiedenſten Stimmungen wechſeln ſehr raſch, die unbedeutendſten Veranlaſſungen erregen Aergerlichkeit, Truͤbſinn, Weinen; aus Melancholie, welche jedoch im Gan - zen vorherrſchend iſt, ſpringt oft eine Kranke dieſer Art zur Luſtigkeit uͤber, beſonders aber werden hyſteriſche Individuen durch eine ungemeine Redſeligkeit charakteriſirt, mit welcher ſie oft, zu nicht geringer Qual des Arztes alle, auch die unbedeutendſten Krankheitsſymptome, ja oft dieſe gerade am meiſten, eroͤrtern, hierbey auch es ſich angelegen ſeyn laſſen, alles recht gewaltig, gefahrdrohend und unertraͤglich zu ſchildern, ja oft zu Erdichtungen ihre Zuflucht nehmen, und ſich beleidigt fuͤhlen, wenn der Arzt nicht mit derſelben Wichtigkeit wie ſie, die Krankheit betrachtet.

§. 302.

2) Die Symptome geſtoͤrter Muskularthaͤtig - keit betreffend, ſo ſind hierher die vielfachen Arten von Kraͤmpfen zu rechnen, woran hyſteriſche Kranke zu leiden pflegen, Zufaͤlle, deren eigentliche Natur in vieler Hinſicht noch eine wichtige Aufgabe fuͤr Phyſiologen und Patho -236 logen iſt, und woruͤber denn zuvoͤrderſt im Allgemeinen noch einige Betrachtungen hier ſtehen moͤgen. Nehmen wir aber zuvoͤrderſt die Erſcheinung des Krampfes in einem willkuͤhr - lichen Muskel, wo er ſich am deutlichſten verfolgen laͤßt, ſo finden wir denſelben in einem ſonſt ganz geſunden Koͤrper namentlich unter zwey Bedingungen, entweder naͤmlich bey zu heftig einſtroͤmender Blutmaſſe, oder bey zu ſtark einſtroͤ - mender Nervenwirkung; hat z. B. ein Muskel geruht, oder iſt er auch ſchon ermuͤdet, und wirkt ploͤtzlich eine heftige Willenserregung auf denſelben, ſo tritt Krampf ein, die Muskelſubſtanz, durch ploͤtzlich geſteigerten Einfluß des Ner - ven gewaltſam gegen die nervige Mitte angezogen, erſtarrt gleichſam, preßt den Nerven, erzeugt Unbeweglichkeit (Starr - krampf) oder bey ſchwaͤcherer Muskularthaͤtigkeit nur perio - diſches Angezogenwerden, Zittern (Zuckungen) und hef - tigen Schmerz, wie dieß Jeder zuweilen beſonders in den groͤßern Muskeln, z. B. den Wadenmuskeln, erfahren haben wird. Etwas aͤhnliches geſchieht aber auch, wenn der Blut - lauf gegen eine ruhende Muskelpartie laͤngere Zeit einiger - maſſen durch Druck gehindert war, nun dieſer Druck auf - hoͤrt, und eine verhaͤltnißmaͤßig groͤßere Blutmenge, als die, woran der Muskel bereits ſich gewoͤhnt hatte, zuſtroͤmt; auch hier iſt der Muskel geſpannt, ſeiner freien Bewegung beraubt, es entſteht ein prickelnder Schmerz (das ſogenannte Einſchlafen der Glieder) und nur erſt wenn das Gleichge - wicht der Blutvertheilung wieder hergeſtellt iſt und dieſer Theil ſich wieder an die ihm zugetheilte Menge gewoͤhnt, tritt die freye Bewegung wieder ein, welche jedoch hier uͤber - haupt nicht in dem Maaße, als im erſtern Falle, geraubt zu ſeyn pflegt, hier aber auch nicht wie im erſtern Falle durch Zuckungen, ſondern nur durch mehr oder minder ge - laͤhmte Bewegung (Starrkrampf) ſich aͤußern wird.

§. 303.

So wie nun auf dieſe zweyerley Weiſe im geſunden Koͤrper ein ſchnell voruͤbergehender Krampf entſtehen kann, ſo entſtehen durch dieſe Veranlaſſungen, die ſich wohl auch zum Theil mit einander verbinden koͤnnen, im krankhaft ver -237 ſtimmten Organismus heftigere Krampfzufaͤlle, wobey die Urſache der ſtaͤrkern Nervenerregung entweder in aͤußern, die Nervenenden afficirenden Reitzen, oder in innern, auf die Centralmaſſen des Nervenſyſtems wirkenden Momenten liegen kann, in welchem letztern Falle die Kraͤmpfe (Starrwerden oder konvulſiviſche Bewegungen) allgemein zu werden pflegen. Eben ſo kann denn auch die Gefaͤßthaͤtigkeit entweder im Allgemeinen heftig aufgeregt ſeyn und Kraͤmpfe bewirken (wohin die krampfhaften Zuſtaͤnde in entzuͤndlichen Fiebern gehoͤren) oder oͤrtlich angeregt krampfhafte Erſtarrungen ver - anlaſſen (wohin die Krampfzufaͤlle bey Entzuͤndungen[und] Congeſtionen gehoͤren). Im Ganzen ſcheinen auf die letztere Weiſe (vom Gefaͤßſyſtem aus) vorzuͤglich die Kraͤmpfe in den unwillkuͤhrlichen Muskeln zu entſtehen, ſo daß wir die krampfhaften Einſchnuͤrungen des Darmkanals in der Kolik, die krampfhaften Zuſtaͤnde in den Harnwegen, die Einſchnuͤ - rungen des Uterus u. ſ. w. vorzuͤglich aus dieſem Geſichtspunkt betrachten moͤchten, womit das Geſellen dieſer Zufaͤlle zu entzuͤndlichen Zuſtaͤnden und Congeſtionen, und die hierbey oft ſo entſchieden huͤlfreiche antiphlogiſtiſche Behandlung in vollkommnem Einklange ſteht.

§. 304.

Was nun die Krampfzufaͤlle hyſteriſcher Individuen ins - beſondre anbelangt, ſo gehoͤren ſie beiden erwaͤhnten Gattun - gen an und erſcheinen uͤberhaupt hier faſt in allen moͤglichen Formen, Starrkrampf, Convulſionen, Catalepſis, Veitstanz, Sardoniſches Lachen, Hundskrampf, beſonders aber die Kraͤmpfe in den der Willkuͤhr im Normalzuſtande entzogenen Gebilden, Bruſtkraͤmpfe, Schluchzen, Magenkrampf, Kolik, Gebaͤrmut - terkrampf ſind bald einzeln, bald mehrere zugleich, in den Anfaͤllen der Hyſterie oͤfters bemerkbar, und bringen mehrere der oben genannten beſondern Schmerzgefuͤhle hervor. Die Kraͤmpfe ſelbſt erreichen uͤbrigens auch hier oft eine un - gemeine Heftigkeit, ſo daß wir wieder an Mehreres oben bey den Krampfzufaͤllen in der Entwicklungsperiode Erwaͤhnte (§. 254.) erinnern koͤnnen.

238
§. 305.

Reproduktive oder vegetative Sphaͤre. 1) Symptome geſtoͤrter Gefaͤßthaͤtigkeit ſind zu - naͤchſt der ſowohl außerhalb als namentlich innerhalb der Anfaͤlle veraͤnderte Pulsſchlag, gewoͤhnlich durch Frequenz und Kleinheit, ſeltner durch Langſamkeit, dagegen oft durch Unordentlichkeit ausgezeichnet, ferner große Neigung zu Con - geſtionen und Fieberbewegungen, haͤufiges Herzklopfen, ſchnel - ler Wechſel der Temperatur an der Oberflaͤche des Koͤrpers, ſo wie der Hautfarbe, namentlich aber die vielfachen Ruͤck - wirkungen, welche die abnorme Gefaͤßthaͤtigkeit auf andere Syſteme aͤußert, wohin die Anfaͤlle von Schwindel, Ohn - machten, ja vollkommen aſphyktiſcher Zuſtand, ſo wie meh - rere der oben erwaͤhnten Sinnestaͤuſchungen u. ſ. w. zu rech - nen ſind.

§. 306.

2) Die Symptome geſtoͤrter Verdauung be - treffend, ſo fehlen ſie faſt nie und aͤußern ſich auf die verſchiedenſte Weiſe, naͤmlich: 1) durch Appetitloſigkeit oder widernatuͤrliche Appetite; 2) verdorbenen, bald bittern oder fauligten, bald ſalzigen oder ſauren Geſchmack; 3) eine be - legte ſchleimige Zunge; 4) durch oͤfteres Aufſtoßen und uͤberhaupt ganz beſondere Neigung zu ſtarker Luftentwicklung im Darmkanal; 5) Erzeugung von Saͤure in den erſten We - gen (obwohl es mir ſcheint, als ob dieſes Symptom der Hypochondrie, und zwar vielleicht der im Manne uͤberhaupt vorwaltenden Oxydation wegen weit mehr als der Hyſterie eigenthuͤmlich ſey); 6) ſchlechte Verdauung, wo entweder die Nahrungsmittel zum Theil unveraͤndert wieder abgehen, oder Druck, Schmerzen und Kraͤmpfe veranlaſſen, auch wohl uͤberhaupt die Aſſimilation ſehr langſam von Statten geht, ſo daß daher Kranke ſolcher Art mitunter eines ungewoͤhnlich langen Faſtens faͤhig ſind; 7) fehlerhafte Gallenabſonderung theils der Menge nach (Polycholie), theils der Qualitaͤt nach (wo ſich zuweilen Gallenſteine erzeugen); 8) Unord - nung in den Stuhlausleerungen, daher oft ſtaͤter Wechſel von theils fluͤßigen, theils verhaͤrteten Stuhlausleerungen,239 obwohl die ſeltnen traͤgen knotigen Darmexcretionen dieſen Kranken am gewoͤhnlichſten zu ſeyn pflegen.

§. 307.

3) Symptome geſtoͤrter Athmung ſo wie ab - normer ſecernirender Thaͤtigkeit. Zu den erſtern rechnen wir namentlich die gewoͤhnlich durch abnorme Reitz - barkeit der Bronchien begruͤndeten aſthmatiſchen Anfaͤlle, den krampfigen Huſten u. ſ. w. Zu den letztern theils die abnormen Zuſtaͤnde der Hautausduͤnſtung, durch haͤufigen Schweiß oder auch im Gegentheil durch ſehr trockne Haut bezeichnet, theils abnorme Verhaͤltniſſe in der Thaͤtigkeit der uͤbrigen groͤßern Ausſcheidungswerkzeuge, unter welchen wir noch der Harnwege insbeſondre gedenken muͤſſen, indem die Nieren vorzuͤglich in und nach den Anfaͤllen eine abnorme Menge hellen waͤßrigen Urins auszuſcheiden pflegen, und ſelbſt in der Blaſe eine Menge krampfhafter und ſchmerzhaf - ter Zuſtaͤnde bey Hyſteriſchen nicht ſelten bemerkt werden.

§. 308.

Ob endlich 4) das Geſchlechtsſyſtem an dieſer Krankheit bedeutenden Antheil nehme, daruͤber ſind wieder die Meynungen getheilt, indem die aͤltern Aerzte faſt alle uͤbri - gen Zufaͤlle von dieſem Syſtem ableiteten, mehrere Neuere hingegen behaupten, daß der Antheil deſſelben aͤußerſt unbe - traͤchtlich ſey. Erwaͤgt man nun aber genauer, wie bey den meiſten Hyſteriſchen beobachtet wird, daß wenn auch die Bil - dung der Geſchlechtsorgane, ja ſelbſt die Menſtruation keine hervorſtechenden Regelwidrigkeiten zeigt, doch gewoͤhnlich der eigentliche Zweck des Geſchlechtsorganismus, die Erzeugung, unvollkommen erreicht wird, indem es unverheirathete, vor - zuͤglich aber verheirathet geweſene, oder ungluͤcklich verheira - thete, auch die den klimakteriſchen Jahren ſich naͤhernden In - dividuen ſind, bey welchen die Krankheit am oͤfterſten vor - kommt, erwaͤgt man ferner, wie tief das Geſchlechtsſyſtem uͤberhaupt in das Weſen des weiblichen Koͤrpers eingreift, welches eben durch die vorwaltende Produktivitaͤt deſſelben ausgeſprochen iſt, und wie nothwendig es allgemeine Zerruͤt -240 tung und Verſtimmung veranlaſſen muß, wenn die eigentliche Beſtimmung, der Zweck, auf welchen alles hinweiſt, gar nicht oder unvollkommen erreicht wird, ſo muß man wohl mehr der aͤltern Anſicht von dieſer Krankheit beypflichten, wovon noch bey der Unterſuchung der ſogenannten naͤchſten Urſache weiter die Rede ſeyn wird. Uebrigens iſt denn doch auch nicht zu laͤugnen, daß Unordnung der Menſtruation, vorzuͤglich die zu haͤufige, oder zu ſeltne, oder unterdruͤckte Menſtruation, ferner anderweitige Krankheiten der Geſchlechts - theile, als: weißer Fluß (ein beſonders haͤufiger Begleiter der Hyſterie), Verhaͤrtungen, Kraͤmpfe im Uterus u. ſ. w. ſo wie abnormes Verhaͤltniß des Geſchlechtstriebes, gar nicht ſelten bey ſolchen Kranken wahrgenommen werden.

§. 309.

Wir kommen nun zur Eroͤrterung des Weſens (der naͤchſten Urſache) der Hyſterie und Beſtimmung ihres Ver - haͤltniſſes zur Hypochondrie, eine bey der Vielgeſtaltigkeit des Gegenſtandes allerdings ſchwierige Aufgabe; demohner - achtet ſcheint uns in folgender Beſtimmung das Weſentlichſte aufgefaßt werden zu koͤnnen, indem wir ſagen, daß die Er - ſcheinungen der Hyſterie zunaͤchſt bedingt werden: durch eine Verſtimmung des Nervenſyſtems, welche eine Folge iſt des Mißverhaͤltniſſes zwiſchen all - gemeiner und geſchlechtlicher Produktivitaͤt. Auf dieſen Krankheitsgrund weiſen auch die entfernten, ſowohl disponirenden als Gelegenheitsurſachen hin, denn alles, was Mißverhaͤltniſſe in der reproduktiven Thaͤtigkeit erzeugt, und zugleich die Erregbarkeit des Nervenſyſtems ſteigert, fuͤhrt die hyſteriſchen Beſchwerden herbey; hierhin gehoͤrt: ſchwaͤch - liche, reitzbare, angeborene, oder durch luxurioͤſe Erziehung, zu zeitig angeſtrengte Geiſtesthaͤtigkeit und ſonſtige unpaſſende Lebensweiſe erworbene Conſtitution; ferner unordentliche Diaͤt (Koͤchinnen leiden deßhalb nicht ſelten an Hyſterie), das in den hoͤhern Staͤnden gewoͤhnliche Untereinandermiſchen von Thee, Kaffee, Backwerk, Chokolade u. ſ. w., dabey vieles Sitzen und Beſchaͤftigung mit weiblichen Arbeiten, wodurch eben ſo wie durch beengende Kleider, Schnuͤrbruͤſte u. ſ. w.241 der Unterleib zuſammengepreßt und die Verdauung geſtoͤrt wird, auch uͤble Luft, ſchwerverdauliche Nahrung; dann pſy - chiſche Einfluͤße, als: Erregungen der Phantaſie durch unge - waͤhlte Lektuͤre, Einwirkung verſchiedenartiger Leidenſchaften oder deprimirender Affekte, ungluͤckliche Liebe und endlich ge - ſchlechtliche Ausſchweifungen oder gaͤnzlicher Mangel an na - turgemaͤßer Befriedigung des Geſchlechtstriebes, Stoͤrungen der Menſtruation, Krankheiten der Geſchlechtsorgane, Un - fruchtbarkeit oder zu haͤufige Wochenbetten, ja auch wohl zuweilen ploͤtzlich gehemmte andere Krankheiten, Gicht oder chroniſche Hautausſchlaͤge.

§. 310.

Das Verhaͤltniß aber der Hyſterie zur Hypochondrie betreffend, ſo ſcheint es kein anderes als das des weiblichen Geſchlechts zum maͤnnlichen uͤberhaupt; auch die Hypochon - drie naͤmlich iſt zwar in Verſtimmung des Nervenlebens in Folge abnormer Zuſtaͤnde der reproduktiven Funktionen be - gruͤndet, allein wie im maͤnnlichen Koͤrper uͤberhaupt die aſſimilativen Funktionen weniger uͤberwiegen, wie das Ge - ſchlechtsſyſtem hier weniger als im Weibe in das Ganze ein - greift, wie dagegen gerade hier die Produktivitaͤt und Kraft mehr in einer hoͤhern Sphaͤre ſich offenbaren ſollen, ſo neh - men nun auch Stoͤrungen dieſer Thaͤtigkeiten hier eine ganz andere Form als im Weibe an, aͤußern ſich in Verfinſterun - gen des Gemuͤths (beſonders in Menſchen, welche uͤberhaupt mit ſich nicht zu Klarheit und Frieden gekommen ſind) und durch alle jene Beſchwerden, welche vorzuͤglich auf geſtoͤrte Unterleibsfunktionen hinweiſen, indeß gerade hier wegen dieſer Unklarheit des Gemuͤths mit ſolcher Heftigkeit empfunden werden.

§. 311.

Den Krankheitsverlauf des hyſteriſchen Zuſtandes anbelangend, ſo iſt er im Ganzen langwierig, im Beſon - dern ein remittirender zu nennen. Die Krankheit pflegt naͤmlich, wie ſchon oben (§. 299.) erinnert wurde, Anfaͤlle zu machen, welche theils der Art ihrer Erſcheinung, theilsI. Theil. 16242dem Grade ihrer Heftigkeit nach, aͤußerſt verſchieden ſeyn koͤn - nen. Sind dieſe Anfaͤlle durch innere Zuſtaͤnde, herannahende oder fließende Menſtruation, gaſtriſche Zuſtaͤnde, Flatulenz u. ſ. w. veranlaßt, ſo kuͤndigen ſie ſich oft durch erhoͤhte Reitzbarkeit, veraͤnderte Gemuͤthsſtimmung, Mattigkeit, Ziehen in den Gliedern, unſtaͤte krampfige Bewegung der Augaͤpfel u. ſ. w. an, dahingegen nach aͤußern veranlaſſenden Momenten ſie ganz ploͤtzlich einzutreten pflegen. Die Anfaͤlle ſelbſt ah - men oft die Erſcheinung anderer Krankheiten ſo vollkommen nach, daß der Arzt, welcher ſeine Kranke zuerſt in dieſem Anfalle erblickt, oft nicht wiſſen wird, ob er eine Maniaca, eine Epileptiſche, eine am heftigſten Fieber, oder eine am Wundſtarrkrampfe Leidende vor ſich habe, wobey nur ein ſcharfer Blick auf den geſammten Habitus der Kranken, ihre Art des Benehmens, wenn die Heftigkeit des Anfalls ſich etwas mindert, namentlich aber Beruͤckſichtigung der vorher - gegangenen Umſtaͤnde, das Eigenthuͤmliche dieſer Krankheit bemerken laſſen wird.

§. 312.

Die Symptome, welche in den Anfaͤllen er - ſcheinen, ſind uͤbrigens wieder die oben angefuͤhrten, nur immer gewiſſe Gruppen derſelben, z. B. entweder vorzuͤglich die Symptome abnormer Muskelthaͤtigkeit (Kraͤmpfe) und zwar entweder in den willkuͤhrlichen Muskeln oder in den reproduktiven Organen, oder beſonders Leiden des Gefaͤßſy - ſtems, als Congeſtionen, Ohnmachten, Herzklopfen, oder Leiden der Verdauungswerkzeuge, Blaͤhungsbeſchwerden bis zur Tympanitis, wochenlange Obſtruktionen, Erbrechen u. ſ. w.; oder endlich werden zuweilen die Anfaͤlle auch durch bloße Symptome geſteigerter Senſibilitaͤt charakteriſirt, als durch Weinen, Lachen, Singen, Reden in Verſen, Viſionen u. ſ. w. Die Dauer der Anfaͤlle iſt ſehr verſchieden, von einer Vier - telſtunde bis zu drei und mehrern Stunden, ſie endigen ſich gewoͤhnlich mit Erſchoͤpfung, Schlaf oder ſelbſt mit tiefer Ohnmacht.

243
§. 313.

Die Prognoſe iſt in dieſer Krankheit eines Theils guͤnſtig, andern Theils unguͤnſtig; guͤnſtig iſt ſie, weil die Krankheit an ſich nicht toͤdtlich iſt, ja ſelbſt die heftigſten Kraͤmpfe, welche oft augenblickliche Apoplexie zu drohen ſcheinen, periodiſch wiederkehrend Jahre lang von hoͤchſt ſchwaͤchlichen Individuen ausgeſtanden werden, ohne daß ſie, ſo lange ſie blos Symptome der Hyſterie ſind, dem Leben der Kranken wirklich Gefahr braͤchten. Unguͤnſtig hingegen iſt die Prognoſe 1) weil die Hyſterie oft ſo in die Wurzeln des Lebens der Kranken verflochten iſt, daß ſie in der Re - gel eine aͤußerſt langwierige Dauer zeigt, ja oft nur zu he - ben iſt, nachdem im innern Leben ſelbſt irgend ein bedeuten - der Wendepunkt voruͤber war, z. B. nach den klimakteriſchen Jahren. 2) Weil theils durch unendliche Reitzbarkeit der Kranken, verbunden oft mit großer Lebhaftigkeit und Unfolg - ſamkeit, das Einwirken neuer Schaͤdlichkeiten faſt gar nicht vermieden werden kann, und daher oft ſchon auf dem Wege der Beſſerung von neuem das alte Leiden herbeygefuͤhrt wird. 3) Weil oft die Unterhaltung der Krankheit von aͤußern Verhaltniſſen der Kranken bedingt wird, welche abzu - aͤndern nicht in der Macht des Arztes ſteht. 4) Weil die Krankheit eben ihres veraͤnderlichen Charakters, ſo wie der Gemuͤthsart der Kranken wegen, zu nicht geringer und lang - wieriger Qual der Kranken ſelbſt, ihrer Umgebungen und ihres Arztes zu gereichen pflegt. 5) Weil eine ſehr lange Dauer des Uebels oft, namentlich durch immer groͤßere Zer - ruͤttung in den Funktionen der reproduktiven Sphaͤre, zuletzt andere wirklich gefaͤhrliche Krankheiten veranlaſſen muß, wo - hin Verhaͤrtungen und Auftreibungen der Unterleibsorgane, Waſſerſucht und Auszehrung, oder Gemuͤthskrankheiten, Bloͤd - ſinn, Melancholie u. ſ. w. gehoͤren.

§. 314.

Die Abwaͤgung, ob in einem gegebenen Falle die Hei - lung der Hyſterie leicht oder ſchwer gelingen werde, richtet ſich aber 1) nach der Conſtitution der Kranken; je ſchwaͤch -244 licher dieſelbe iſt, je mehr erregt die Receptivitaͤt des Ner - venſyſtems erſcheint, je mehr vielleicht das Uebel ſelbſt durch erbliche Anlage als begruͤndet angenommen werden kann, oder auf unvollkommen erfolgter Entwicklung des ganzen Koͤrpers beruht, um ſo geringer iſt die Ausſicht auf baldige Gene - ſung. 2) Nach dem Stande der Digeſtions - und Aſſimila - tionsorgane; je weniger dieſe etwa durch eine ſehr lange Dauer des Uebels zerruͤttet ſind, um ſo groͤßer wird die Hoffnung zur Heilung ſeyn. 3) Nach dem Zuſtande der ge - ſchlechtlichen Funktionen, welche, je regelmaͤßiger ſie von Statten gehen, auch um ſo mehr die Heilbarkeit des Uebels erwarten laſſen (daher zuweilen Wiedereintritt der Menſtrua - tion, oder beginnende Schwangerſchaft die Hyſterie beſeiti - gen). 4) Nach dem Verhaͤltniſſe zu andern Krankheiten, indem der Eintritt ſckundaͤrer Krankheiten (§. 313.) natuͤr - lich die Prognoſe verſchlimmern muß, dahingegen die Wie - derkehr vorher unterdruͤckt geweſener Krankheiten, z. B. von Hautausſchlaͤgen, Haͤmorrhoiden, Gicht, auch vortheilhaft wir - ken kann. 5) Nach den Urſachen der Krankheit und den ſon - ſtigen Verhaͤltniſſen der Kranken, ob es uͤberhaupt moͤglich oder wenigſtens in der Gewalt des Arztes iſt, die letztern fuͤr ſeinen Zweck guͤnſtiger zu ordnen, und die erſtern zu beſeitigen.

§. 315.

Behandlung. Wie bey Behandlung der Nervenzu - faͤlle in den Entwicklungsperioden (§. 274.) iſt auch bey Hyſteriſchen, ja vielleicht hier, der groͤßern Erfahrenheit der Kranken wegen, noch mehr, die Individualitaͤt des Arztes von wichtigem Einfluß. Ernſte, ruhige, Vertrauen erregende Beſonnenheit des Arztes, uͤbrigens ohne abſtoßende Kaͤlte, wirkt auf ſolche Kranke aͤußerſt wohlthaͤtig, und oft mindert dann ſchon die Gegenwart deſſelben den Anfall um Vieles. Wie nun aber ein ſolches Benehmen eines Theils den Kran - ken aͤußerſt nuͤtzlich wird, ſo iſt dieſe Beſonnenheit auch dem Arzte beſonders nothwendig, um bey den gewaltſamen Stuͤr - men der Krankheit nicht des Vermoͤgens einer ruhigen Er - waͤgung des eigentlich Weſentlichen verluſtig zu gehen, um aus den wortreichen Berichten der Kranken das Wichtige245 herauszunehmen und es von dem minder Wichtigen zu ſchei - den, wobey man denn oft finden wird, daß gerade diejeni - gen Symptome, worauf die Kranken in ihren Erzaͤhlungen das meiſte Gewicht legen, und die ſie oft mit unermuͤd - licher Redſeligkeit ſchildern, weit weniger beachtet zu werden verdienen als andere, welche ſie oft waͤhrend ihrem Berichte ganz unwillkuͤhrlich verrathen oder nur nebenbey erwaͤhnen.

§. 316.

Ferner iſt nicht zu uͤberſehen, daß dieſe Kranken eine große Neigung haben, ihre Krankheitsſymptome als recht ge - faͤhrlich vorzuſtellen, ja deren wirklich mitunter, aus einer gewiſſen Sucht bewundert zu werden, erdichten; welches in - deß den Arzt auch nicht dahin bringen darf, ihnen das Ge - hoͤr gaͤnzlich zu verſagen, als wodurch leicht eine nachtheilige Spannung zwiſchen der Kranken und dem Arzte erzeugt, und wenigſtens die pſychiſche Einwirkung des letztern gaͤnzlich gehemmt wird, ja welches zum Theil auch deßhalb ungerecht waͤre, da die Kranke ihr eingebildetes Leiden oft nicht min - der heftig als ein wirkliches empfindet.

§. 317.

Bey der Behandlung ſelbſt verdienen nun zwei Punkte vorzuͤglich beruͤckſichtigt zu werden: Erſtens daß der Arzt alle Gewalt, welche er uͤber die Kranke beſitzt, zunaͤchſt darauf verwende, die Feſtſtellung einer zweckmaͤßigen Lebensordnung und Diaͤt zu erhalten. In Vergehungen gegen ſolche Regelmaͤßigkeit iſt ja in den meiſten Faͤllen die Urſache des Krankſeyns zu ſetzen und daher auch keine Hoffnung zur Heilung zu faſſen, wenn nicht die Kranken dahin zu bewe - gen ſind, zweckmaͤßigen Verordnungen in dieſer Hinſicht ſich zu fuͤgen. Zweitens aber muß im Allgemeinen gegen die bey dieſen Krankheiten ſo gewoͤhnliche blos ſymptomatiſche oder palliative Behandlung gewarnt werden. Wie wir naͤm - lich erinnert haben, iſt zwar die Erſcheinung der Krankheit oft eine bloße Kette von Symptomen aufgeregter Senſibilitaͤt, allein das Bedingende derſelben iſt vielmehr die Stoͤrung der Reproduktion, und zwar ſicher nicht blos in wiefern das246 Nervenſyſtem dieſe Stoͤrungen wahrnimmt, ſondern auch in wiefern ſeine Bildung ſelbſt leidet. Wird daher die Krankheit fortwaͤhrend mit ſogenannten Nervenmitteln, krampf - widrigen Mitteln u. ſ. w. bekaͤmpft, auf die Wurzel aller Bil - dungsthaͤtigkeit aber, d. i. auf Digeſtion und Sanguifikation keine oder nicht genuͤgende Ruͤckſicht genommen, ſo kann es leicht der Fall ſeyn daß, obwohl hin und wieder die Krank - heit etwas erleichtert wird, ſie doch im Ganzen immer tiefer einwurzelt, immer mehr die Quellen des Lebens untergraͤbt, und immer unheilbarer wird.

§. 318.

Es wird ſonach auch hier Aufgabe der Behandlung, zuvoͤrderſt dem Gange der Krankheit, den in irgend einem gegebenen Falle vorhandenen beſondern Urſachen ihrer Entſte - hung nachzuſpuͤren und dieſe zu bekaͤmpfen. Finden ſich da - her, was hier ſo haͤufig bemerkt wird, in Folge fruͤherer ſcrofuloͤſer Zuſtaͤnde Auftreibungen der Unterleibseingeweide, verſchleimter Zuſtand des Darmkanals, fehlerhafte Gallenbe - reitung, Obſtruktion u. ſ. w., ſo muß abgeſehen von allen andern Symptomen (von palliativer Behandlung der drin - gendſten ſprechen wir weiter unten), durch zweckmaͤßige An - wendung reſolvirender Mittel, des Extract. Taraxaci, Sa - ponariae, Chelidonii, der Mittelſalze, mit Rheum, Senna u. ſ. w., der Seife, der Antimonialien, der friſchen Kraͤuter - ſaͤfte, durch Beſuchung des Karlsbades, durch Anordnung einer ſehr einfachen ſtrengen Diaͤt, bey fleißiger Koͤrperbewe - gung im Freien, aͤußerlich durch Friktionen des Unterleibes und Seifenbaͤder, zunaͤchſt die Beſeitigung der abnormen Zu - ſtaͤnde des Darmkanals, Zweck der Behandlung bleiben. Gleichermaaßen kann aber auch das Gefaͤßſyſtem ſelbſt der Sitz der Krankheit ſeyn, die Blutbereitung iſt bey Hyſteri - ſchen oft ſehr reichlich, das Blut ſelbſt oft, aus der Ader gelaſſen, dick und ſehr wenig geroͤthet, es bilden ſich dann Ueberfuͤllungen, namentlich des Venenſyſtems, und ganz be - ſonders des durch einen Zwiſchenkreislauf (in der Leber) vom allgemeinen Kreislaufe und der Einwirkung des Herzens mehr entfernten Pfortaderſyſtems, es wird dadurch das Gan -247 glienſyſtem nachtheilig afficirt, ja es werden Congeſtionen nach Bruſt und Hirn veranlaßt. Dieſen Zuſtand bemerken wir vorzuͤglich bey kurzen gedraͤngten Koͤrpern, welche eine reichliche Diaͤt fuͤhrten, beſonders mit Abnormitaͤten der Men - ſtruation, Verbildungen der Geſchlechtstheile, welche Em - pfaͤngniß hindern, verbunden, und er pflegt ſich dann auch namentlich durch Schwindel, Alpdruͤcken, Ohnmachten und heftige Kraͤmpfe der willkuͤhrlichen Muskeln zu aͤußern.

§. 319.

Unter ſolchen Verhaͤltniſſen wird dann auch das Heil - verfahren zunaͤchſt gegen die Abnormitaͤten des Gefaͤßſyſtems gerichtet ſeyn muͤſſen. Den Anfang der Kur wird man oͤf - ters durch eine oder einige allgemeine Blutentziehungen zu machen genoͤthigt ſeyn, obwohl der Vortheil den ſie gewaͤh - ren, in der Regel nur voruͤbergehend iſt, vorzuͤglich aber iſt durch wenig naͤhrende, mehr vegetabiliſche Diaͤt, durch reich - liches ſaͤuerliches Getraͤnk, durch hinlaͤngliche Bewegung zur Verminderung der Blutmaſſe zu wirken. Dabey ſind na - mentlich Obſtruktionen im Darmkanale zu verhuͤten, oͤftere blande Abfuͤhrungen erweiſen ſich wohlthaͤtig, und nach den - ſelben iſt ſodann insbeſondre von den die Contraction im Ge - faͤßſyſtem erregenden Mitteln, den mineraliſchen Saͤuren (Elixir. vitrioli Mynsicht. z. B.), ſo wie von den rein bittern Mitteln Gebrauch zu machen. Außerdem gehen jedoch nicht ſelten die Stoͤrungen der Reproduktion in der Hyſterie von krankhaftem Zuſtande der Geſchlechtsfunktion ſelbſt aus, und dann muß auch gegen dieſe die Behandlung vorzuͤglich gerichtet ſeyn; Abnormitaͤten der Menſtruation muͤſſen ſodann nach oben eroͤrterten Grundſaͤtzen beſeitigt, Krankheiten des Uterus, der Ovarien u. ſ. w., nach ſpaͤter durchzugehenden Regeln behandelt werden, bey einer dem Allgemeinbefinden unangemeſſenen erzwungenen geſchlechtlichen Enthaltſamkeit, muß der Arzt zur Verehlichung rathen, indem bey Indivi - duen dieſer Art oft Beſchwerden, welche keinerley Mitteln weichen wollten, in der eintretenden Schwangerſchaft oder wenigſtens nach der Geburt verſchwinden. Eben ſo ſehr koͤnnen indeß andern Theils Ausſchweifungen, namentlich248 Selbſtbefriedigung, Mißverhaͤltniſſe der Reproduktion und Verſtimmung der Senſibilitaͤt veranlaſſen, und dann muͤſſen theils eindringende Vorſtellungen, theils genaue, freylich oft ſchwer moͤgliche Aufſicht als weſentliche Mittel der Heilung in Ausfuͤhrung gebracht werden.

§. 320.

Endlich aber bemerken wir, daß oft die Hyſterie auf ganz aͤhnliche Weiſe an die klimakteriſchen Jahre, wie die oben erwaͤhnten Nervenzufaͤlle an die[Pubertaͤtsentwicklung], geknuͤpft ſind. In wiefern naͤmlich bey herannahendem Alter die Produktivitaͤt immer ſtufenweiſe abnimmt, bey einer ge - wiſſen Stufe aber unfaͤhig wird, die Menſtruation als gleich - ſam kritiſchen Blutfluß monathlicher Congeſtionen zu erzeugen, obwohl eine im Verhaͤltniß zum Koͤrper reichlichere Saͤfteerzeu - gung nichts deſtoweniger noch eine Zeitlang Statt findet, wie ſich nun ſelbſt bey geſunden Koͤrpern um dieſe Periode mancherley ob - wohl gewoͤhnlich bald voruͤbergehende Beſchwerden erzeugen, ſo kann dadurch bey krankhaft geſteigerter Senſibilitaͤt oft die ganze Reihe hyſteriſcher Zufaͤlle rege gemacht werden. Dieſer Zuſtand giebt dann zwar, in wiefern man erwarten darf daß nach beendigter Revolution auch jene krankhaften Erſcheinungen ſich verlieren werden, im Ganzen eine guͤn - ſtige Prognoſe, laͤßt jedoch auch nur ein ſehr beſchraͤnktes, faſt allein auf Minderung der hervorſtechendſten Symptome ab - zweckendes Heilverfahren zu, und in wiefern nun uͤberhaupt bey der Hyſterie, namentlich waͤhrend der Anfaͤlle oͤfters die ein - zelnen Symptome eine beſondre augenblickliche Behandlung noͤthig machen, gehen wir jetzt noch die hierfuͤr geltenden Regeln in der obigen Ordnung (§. 300. u. f.) durch.

§. 321.

1) Fuͤr die Behandlung der Zufaͤlle von geſteigerter Sen - ſibilitaͤt aber, welche, theils wo den fruͤhern Anzeigen hin - ſichtlich der Reproduktionsſtoͤrungen bereits Genuͤge geleiſtet iſt, zur Hauptindikation wird, theils in den Stuͤrmen der Anfaͤlle dringend noͤthig erſcheint, moͤchten wir zwei Wege unterſcheiden, welche man den negativen und poſitiven nennen249 koͤnnte. Der erſtere naͤmlich wird auf Minderung aͤußerer Erregungen abzwecken, es wird dahin gehoͤren Aufenthalt der Kranken an einem ruhigen, weder zu hellen noch zu dunkeln, maͤßig erwaͤrmten, mit reiner Luft erfuͤllten Ort, Entfernung von Perſonen, welche widrig oder uͤberhaupt erregend auf die Kranke wirken. Der andere wird auf die Anwendung von Mitteln gerichtet ſeyn, welche die allgemeine oder lokale abnorme Erregung herabſtimmen, und hierher gehoͤrt nun wieder der ganze Heilapparat, welchen wir bey den der Hyſterie nahe verwandten Nervenzufaͤllen der Entwicklungs - periode durchgegangen haben (ſ. §. 265. u. f.), alſo laue all - gemeine Baͤder, oͤrtliche Dampfbaͤder, Fomentationen, Cata - plasmata, Friktionen, die narcotica, antispasmodica und die imponderabeln Arzneymittel, von denen allen am ange - fuͤhrten Orte bereits das Naͤhere angegeben worden iſt.

§. 322.

2) Da die Stoͤrungen der Muskularthaͤtigkeit vorzuͤglich Produkte abnormer Einwirkungen des Nerven - und Gefaͤß - ſyſtems auf die Muskelfaſer ſind, ſo werden ſie auch nur von dieſen Seiten her behandelt werden koͤnnen. Kraͤmpfe alſo, von abnormer Nerventhaͤtigkeit erregt, machen wieder das im vorigen Paragraph erwaͤhnte Verfahren nothwendig, dahingegen die durch Congeſtionen, entzuͤndliche Reitzungen u. ſ. w. bedingten, die Behandlung krankhafter Gefaͤßthaͤtig - keit fordern. 3) Die Stoͤrungen der Blutbewegung ſelbſt betreffend, ſo kann, wie oben bemerkt wurde, in der Be - handlung dieſer Abnormitaͤt allerdings oft die Hauptindikation liegen, oft aber wird ſie auch nur ſymptomatiſch gefordert, da ſchon fruͤher bemerkt iſt, wie haͤufig ſelbſt bey anſcheinend reinem Nervenleiden das Gefaͤßſyſtem im Spiel zu ſeyn pflegt. Blutentziehungen, namentlich oͤrtliche, machen dann waͤhrend der Anfaͤlle, nebſt ableitenden Mitteln, ſich noth - wendig, zu welchen letztern die kuͤhlenden Fomentationen des leidenden Theils (z. B. des Kopfes), verbunden mit Fußbaͤ - dern, Befoͤrderung der Hautausduͤnſtung durch trockne warme Friktionen, Cataplasmata; ferner innerlich blande Abfuͤhrun -250 gen, verduͤnnte vegetabiliſche oder mineraliſche Saͤuren, Emul - ſionen, der Cremor tartari, das Nitrum u. ſ. w.

§. 323.

4) Ruͤckſichtlich der geſtoͤrten Verdauungsfunktion iſt hier wieder nur von den einzelnen belaͤſtigenden Symptomen der Anfaͤlle die Rede, welche oft beſondere Maaßregeln zu ihrer Beſeitigung fordern; hierhin gehoͤren wieder Kolikanfaͤlle, Magenkrampf, Blaͤhungsbeſchwerden, Obſtruktionen, Diar - rhoͤen, Erbrechen u. ſ. w. In allen dieſen iſt aber vorzuͤg - lich auf drei Punkte Ruͤckſicht zu nehmen: erſtens auf Ent - leerung des Darmkanals von ſchaͤdlichen Stoffen, wo nun die Umſtaͤnde anzeigen muͤſſen, ob die Entleerung durch Brech - mittel (deren Wirkung auf das geſammte Nervenſyſtem hier - bey zugleich in Anſchlag zu bringen iſt), oder durch Abfuͤhr - mittel, oder durch Lavements, deren aͤußerſt wohlthaͤtige, krampf - loͤſende Wirkung in dieſen Krankheiten zur Genuͤge bekannt iſt, geſchehen muͤſſe. Zweitens auf Verhuͤtung der Wiedererzeu - gung ſolcher Stoffe theils durch Erhoͤhung des Tonus in der periſtaltiſchen Thaͤtigkeit, theils durch Verbeſſerung der Sekretionen des Darmkanals, wohin denn die bittern, abſor - birenden und Digeſtivmittel: Mentha crispa und piperita, die roͤmiſchen Chamillen, Extract. Taraxaci, Saponariae, Centaurii minoris, Cascarillae, die Kaͤmpf’ſchen Viſceral - klyſtiere, mehrere Mittelſalze, die Magneſia, aͤußerlich Waſchen der Magengegend mit Miſchungen aus Spirit. serpilli, Spi - rit. Sal. ammon. caust. und einigen Tropfen vom Oleo Menth. p., Tragen aromatiſcher Pflaſter, Kraͤuterguͤrtel u. ſ. w. gehoͤren. Drittens auf Beruͤckſichtigung der verſtimmten Ner - ven - und Gefaͤßthaͤtigkeit der Unterleibseingeweide, in wel - cher Hinſicht, jedoch erſt nach gehoͤriger Erfuͤllung der erſten Indikation, vorzuͤglich von den krampfwidrigen und ableiten - den Mitteln Gebrauch gemacht werden kann, wohin wir theils die Valeriana und Flor. Chamomill, in Aufguͤßen, den Liq. C, C., das Opium, die milden Oehle, die ſchlei - migen Mittel, Emulſionen, die Lavements aus Valeriana - Aufguͤßen, die Einreibungen einer Opiatſalbe oder des Ka - millenoͤhls in den Unterleib, die warmen Fomentationen und251 Cataplasmata mit antiſpasmodiſchen Mitteln vermiſcht, und bey Congeſtionen, vorzuͤglich in Folge der Haͤmorrhoidaldispo - ſirion, oder gehemmter Menſtruation, Anlegung von Blut - igeln an das Perinaͤum, Friktionen und warme Bedeckungen der Unterſchenkel rechnen.

§. 324.

5) Die Symptome geſtoͤrter Athmung und Abſonderung ſind im Ganzen abermals vorzuͤglich die Folgen von Unord - nungen im Gefaͤß - oder Nerven - und Muskularſyſtem, und hiernach zu behandeln; nur fordern einige derſelben verſchie - dene Modifikationen dieſer Behandlung, ſo Krampfhuſten oder aſthmatiſche Anfaͤlle als Folgen abnormer Contraction in den Faſern der Lungenzellen und Bronchien oder in den groͤßern den Reſpirationsbewegungen dienenden Muskeln fordern warme Fomentationen der Bruſt, ſchleimiges demulcirendes Getraͤnk, Inhalationen durch die von Mudge erfundenen Einathmungs - maſchine*)S. daruͤber auch H. Oſiander’s Entwicklungskrankheiten. 2r Thl. S. 142. auch d. Abbildung einer ſolchen in Thom. Hayes War - nung vor d. Folgen der Katarrhe, uͤberſ. v. Michaelis. Lpz. 1787., die Anwendung von Extract. Hyoscyam., Lac - tucae viros., ableitender Reitzmittel, reitzender Einreibungen der Veſikatorien u. ſ. w. Werden hingegen dieſe Zuſtaͤnde, was haͤufig der Fall iſt, mehr vom Gefaͤßſyſtem bedingt, von Congeſtionen nach der Bruſt, wohl gar von Abnormitaͤ - ten des Herzens, dann ſind allgemeine und oͤrtliche Blutent - ziehungen, leichte Abfuͤhrungen, Fußbaͤder und der uͤbrige fuͤr dieſe Faͤlle geeignete Heilapparat in Anwendung zu ziehen. Auf aͤhnliche Weiſe ſind auch die oͤftern Anfaͤlle von Ohn - machten zu behandeln, wobey wir nur noch erwaͤhnen, daß dieſe Anfaͤlle, vorzuͤglich wenn ſie auf heftige Stuͤrme von Kraͤmpfen u. ſ. w. folgen, nie zu ploͤtzlich durch Anwendung der gewoͤhnlichen Erweckungsmittel, ſtarker Geruͤche, der Frik - tionen u. ſ. w. verſcheucht werden duͤrfen, indem, worauf na - mentlich H. Naſſe aufmerkſam gemacht hat, ihnen unter dieſen Umſtaͤnden allerdings eine wohlthaͤtige heilende Kraft zugeſchrieben werden muß, in ihnen der Organismus recht ei -252 gentlich ausruhen, ſich erholen ſoll, daher durch zu zeitige Unterbrechung der Ohnmacht neu aufgeregt und beunruhigt werden muß.

§. 325.

Auf ziemlich gleiche Weiſe ſind denn auch ihren Urſa - chen nach die verſchiedenen Stoͤrungen der Abſonderungen zu behandeln. Hautkraͤmpfe, trockne brennende Haut, fordern laue Baͤder und gelinde Friktionen in oder nach denſelben; bey Blaſenkraͤmpfen ſind Emulſionen, kleine Doſen Opium, ſchleimige Getraͤnke, Fomentationen, Cataplasmata, allgemeine und Halbbaͤder, ſo wie Ruͤckſicht auf etwaige Stoͤrungen im Pfortaderſyſtem, Haͤmorrhoidalcongeſtionen, oder wohl gar ent - zuͤndliche Zuſtaͤnde vorzuͤglich angezeigt. Endlich 6) die Stoͤ - rungen der Geſchlechtsfunktionen betreffend, ſo iſt davon bereits fruͤher (§. 319.), in wiefern die Beruͤckſichtigung derſelben oft einen Haupttheil der allgemeinen Kur ausmacht, gehandelt worden. Einzelne ſchmerzhafte Zuſtaͤnde aber, welche in den Anfaͤllen erſcheinen, als Kraͤmpfe im Uterus, krampfhafte Verſchließung des Muttermundes waͤhrend der Menſtruation u. ſ. w. erfordern ziemlich dieſelbe Heilmethode, wie die vor - her erwaͤhnten Blaſenkraͤmpfe, nur daß man hier noch die mehr direkt auf den Uterus wirkenden Injektionen aus Kamil - len, Valeriana, Bilſenkraut oder Schierlingsaufguß, Abko - chung der Mohnkoͤpfe in Milch u. ſ. w. oft mit Nutzen zu Huͤlfe nehmen kann. Daß uͤbrigens auch bey allen dieſen oͤrtlichen ſchmerzhaften Symptomen der Hyſterie die Einwir - kung des animalen Magnetismus oft von großem Nutzen befunden iſt, kann nur der Befangene laͤugnen, und daß daher auch in dieſer Hinſicht von einem Mittel, welches zu - weilen die Stuͤrme, welche keinem andern weichen, doch noch beruhigt, unter hinlaͤnglicher Beruͤckſichtigung der weſentlichen Krankheitsurſachen, Anwendung gemacht zu werden verdiene, liegt am Tage.

253
II. Krankheitszuſtaͤnde der einzelnen weiblichen Geſchlechtsorgane.
§. 326.

Wir duͤrfen es als ein Geſetz fuͤr die Lebenserſcheinung menſchlicher Organiſation betrachten, daß je vollkommner eine gewiſſe Seite derſelben der vegetativen Sphaͤre angehoͤrt, ſie um ſo mehr der Einwirkung aͤußerer Natur, folglich auch den ſchaͤdlichen Einfluͤßen der Außenwelt unterworfen, um ſo mehr zu Krankheiten geneigt ſey; und zwar dieſes in demſelben Grade als die Thaͤtigkeit, die Wichtigkeit dieſes Organs ge - ſteigert iſt. Daher z. B. die ſo vielfachen und ſo haͤufigen Krankheiten der Verdauungswerkzeuge, welche mehr als alle andere Syſteme denſelben ausgeſetzt ſind, daher aber auch im weiblichen Geſchlecht, wo die Geſchlechtsfunktion, wie ſchon fruͤher bemerkt wurde, allerdings tiefer in das geſammte Leben eingreift als im maͤnnlichen, das oͤftere Vorkommen der Krankheiten der Geſchlechtsorgane, unter welchen Orga - nen ſodann wieder keines haͤufiger und auf ſo verſchiedenar - tige Weiſe afficirt wird als der Uterus, eben weil er, wenn auch nicht die Wurzel (denn dieſe liegt in den Ovarien), doch den eigentlichen Heerd geſchlechtlicher Produktivitaͤt ent - haͤlt. Unter den Abnormitaͤten nun, welche der Uterus und zum Theil auch die uͤbrigen Geſchlechtsorgane darbieten, hat man, in ſofern der nicht ſchwangere Zuſtand beruͤckſichtigt wird, vorzuͤglich zweierley Klaſſen, naͤmlich Abnormitaͤten ihres Bildungslebens und Abnormitaͤten ihres raͤum - lichen Verhaͤltniſſes zu andern Organen, d. i. ihrer Lage zu unterſcheiden. Zu den erſtern gehoͤren theils die Er - ſcheinungen abnorm aufgeregter Gefaͤßthaͤtigkeit, als Ent - zuͤndungen, Blutungen, abnorme Sekretionen, und die Folgen der abnorm aufgeregten Gefaͤßthaͤtigkeit: Eite - rungen, Geſchwuͤlſte, Auswuͤchſe, Waſſeranhaͤu - fungen, Verhaͤrtungen, Krebsgeſchwuͤre; zu den letztern gehoͤren die Senkungen (namentlich in Bruchge - ſchwuͤlſte), und die vorzuͤglich auf den Uterus, zum Theil auch auf die Vagina ſich beſchraͤnkenden Vorfaͤlle, Vor -254 waͤrts - und Ruͤckwaͤrtsbeugungen, Schieflagen und Umſtuͤlpungen.

I. Krankheiten der Gebaͤrmutter.
A. Stoͤrungen des Bildungslebens.
1. Entzuͤndung der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter (Metritis).
§. 327.

Wenn uͤberhaupt im vorigen Paragraph geſagt wurde, daß die Haͤufigkeit der Krankheiten vorzuͤglich mit abhaͤnge von dem Grade der Thaͤtigkeit und Wichtigkeit eines Organs, ſo gilt dieß insbeſondre von der Entzuͤndung, und was daher den Uterus betrifft, ſo finden wir ihn auch ſtets, um je an - geregter ſeine Thaͤtigkeit iſt, um ſo mehr zur Entzuͤndung geneigt. Faſt nie entzuͤndet ſich daher der Uterus im jung - fraͤulichen Koͤrper vor dem Eintritte der Catamenien, außer etwa ſekundaͤr ergriffen von der Entzuͤndung benachbarter Ge - bilde, oder unmittelbar durch mechaniſche Verletzung gereitzt*)P. Frank ſagt (Epitom. d. curand. hom. morbis (Lib. II. p. 217.): Hoc ipsum viscus in virginibus necdum menstruatis raris - sime, neque conspecto unquam a nobis exemplo, in - flammatur. . Etwas leichter ſchon kann dieſe Krankheit ſich ausbilden nach voͤllig entwickelter Pubertaͤt, jedoch auch hier am leichteſten zu der Zeit, wo, mit Ausnahme der Schwangerſchaft, das Gefaͤßleben dieſes Organs am hoͤchſten geſteigert iſt, d. i. zur Zeit der Menſtruation ſelbſt. Es iſt aber die Metritis nicht blos an ſich, ſondern vorzuͤglich auch wegen der viel - fachen an ſie ſich anſchließenden andern Bildungskrankheiten eine der wichtigſten Krankheitserſcheinungen, welche das weib - liche Leben außerhalb des Cyklus von Schwangerſchaft, Ge -255 burt und Wochenbett darbietet, und es wird deßhalb noͤthig, ihre Geſchichte mit beſonderer Genauigkeit zu verfolgen.

§. 328.

Entzuͤndung uͤberhaupt aber, dieß duͤrfen wir wohl als des Reſultat ſowohl der geſunden Naturanſchauung dieſer Krankheit, als der vielfachen Unterſuchungen daruͤber betrach - ten, iſt ihrem Weſen nach: oͤrtlich abnorm hervorge - hobenes Gefaͤß - oder Bildungsleben; allein weniger beachtet ſcheint es, daß man den Satz nicht umkehren darf, und daß es zu einem falſchen Begriffe fuͤhren muß, wenn man ſagt: jedes abnorm hervortretende Bildungsleben ſey Entzuͤndung, indem offenbar eine Menge krankhafter Aus - wuͤchſe (z. B. Polypen, Fettgeſchwuͤlſte), Verwachſungen u. ſ. w. unter Erſcheinungen entſtehen, welche auch nicht eines der charakteriſtiſchen Zeichen der Entzuͤndung (Roͤthe, turgescirende Anſchwellung, vermehrte Waͤrme und Schmerz) darbieten, und daher nur in Folge gefaßter Vorurtheile zur Entzuͤndung gerechnet werden koͤnnen. Demohnerachtet iſt nicht zu ver - kennen, wie ſchwer es ſey, die Graͤnze zwiſchen dieſer fal - ſchen Bildungsthaͤtigkeit (Degeneratio) und wahrer Entzuͤn - dung zu beſtimmen, ja man darf uͤberzeugt ſeyn, daß in der Natur eine wahre Graͤnze zwiſchen beiden gar nicht exiſtire, daß ſie vielmehr unmerklich in einander uͤbergehen und ſogar gleichzeitig an einer Stelle vorkommen koͤnnen, denn wie oft ſehen wir nicht krankhafte Geſchwuͤlſte ſich entzuͤnden. Will man indeß eine ſchaͤrfere Bezeichnung der Entzuͤndung, ſo kann es wohl nur die folgende ſeyn, welche ſagt: Entzuͤn - dung ſey oͤrtlich abnorm hervortretendes Bil - dungsleben, in der Erſcheinung beſtimmt durch Roͤthe, erhoͤhte Waͤrme, turgescirende Anſchwel - lung und vermehrte Empfindlichkeit, im Weſen begruͤndet durch Beſchraͤnkung auf den beſtehen - den Begriff des Organs, bey welcher wahrhafte Metamorphoſen dieſes Organs nur als Folge ſich anſchließen koͤnnen, dahingegen bey der falſchge - richteten Bildungsthaͤtigkeit die Metamorphoſe ſelbſt die Haupt - ſache iſt.

256
§. 329.

Durch dieſe Anſicht ſcheint zugleich die acute Natur, die Intenſitaͤt der wahren Entzuͤndung verſtaͤndlich zu werden, in - dem es deutlich iſt, daß gerade dieſes Beſchraͤnken, dieſes Concentriren, welches der Entzuͤndung natuͤrlich iſt, die Hef - tigkeit der Zufaͤlle und die ſo leicht daran ſich anknuͤpfende Erſcheinung wahrer innerer Zerſtoͤrung, entweder durch orga - niſche Zuruͤckbildung in einen koͤrperlichen fluͤßigen Urſtoff (Eiterung), oder durch unorganiſche faͤulnißartige Aufloͤſung (Brand) bedingen muß, weßhalb wir auch Zertheilung, Ei - terung und Brand als die drei eigentlich der Natur der Ent - zuͤndung allein rein angehoͤrenden Ausgaͤnge betrachten, Aus - ſchwitzungen aber, ſie moͤgen nun von plaſtiſcher Lymphe ge - bildet, die Verhaͤrtung oder den Skirrhus, oder aͤußere Ver - wachſungen, oder als ſeroͤſe Fluͤßigkeit die Waſſeranhaͤufung bedingen, ſchon als weniger rein der Entzuͤndung angehoͤrig, und mehr als Uebergaͤnge zu bloßer falſchgerichteter Bildungsthaͤ - taͤgkeit ſich darſtellend anſehen koͤnnen. Es ergiebt ſich fer - ner, daß die ſogenannte chroniſche Entzuͤndung das eigent - liche Mittelglied zwiſchen acuter Entzuͤndung und abnormer Produktivitaͤt ſey, und wenn es oft ſchon ſchwer oder un - moͤglich iſt, in der Natur den Graͤnzpunkt, wo acute Ent - zuͤndung aufhoͤrt und chroniſche Entzuͤndung beginnt, anzuge - ben, ſo wird denn endlich ein ſolcher feſter Punkt zwiſchen chroniſcher Entzuͤndung und reiner Degeneration um ſo mehr vermißt werden, je gewoͤhnlicher das Eine anfaͤngt, wenn das Andere noch nicht aufgehoͤrt hat.

So weit denn alſo das Glaubensbekenntniß des Ver - faſſers uͤber die Entzuͤndung im Allgemeinen, worauf im Fol - genden oͤfters wird verwieſen werden muͤſſen, und welches hier gleich bey der zuerſt abgehandelten Entzuͤndungskrankheit niedergelegt iſt, damit dem Leſer die Entſcheidung, ob er dieſe Anſicht zur Seinigen machen koͤnne, oder ob nicht, und ob er dem zu Folge Modifikationen auch der weitern Darſtellun - gen ſich zu machen noͤthig habe, erleichtert werde.

257
§. 330.

Die Entzuͤndung der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter aber, eine Krankheit, deren beſondere Kennzeichen weiter unten auf - gefuͤhrt werden ſollen, hat man auf verſchiedene Weiſe ein - getheilt, einmal Ruͤckſicht nehmend auf die verſchiedenen Ge - bilde am Uterus, in die roſenartige (Metritis erysipela - tosa), welche durch Ergriffenſeyn des Bauchfells, in wie - fern es den Uterus uͤberzieht, charakteriſirt wird (denn eine beſondere roſenartige Entzuͤndung auch der innern Gebaͤr - mutterflaͤche anzunehmen, iſt man wohl uͤberhaupt ſchwerlich, und außer der Schwangerſchaft und Wochenperiode gar nicht anzunehmen berechtigt), und in die phlegmonoͤſe (Me - tritis phlegmonosa), wo das geſammte Parenchyma der Uterin - waͤnde leidet. Ein andermal nimmt man Ruͤckſicht auf die Gegend der Gebaͤrmutter, welche von Entzuͤndung befallen iſt, und unterſcheidet ſonach Entzuͤndung des Gebaͤr - muttergrundes, des Mutterhalſes, der Vorder - und Hinterflaͤche, oder der rechten oder linken Seitenflaͤche des Gebaͤrmutterkoͤrpers. Dieſe letz - teren Unterſcheidungen, welche uͤberhaupt im nicht ſchwangern Uterus mit geringer Deutlichkeit erſcheinen, ſind weit weniger weſentlich, und werden daher von Mehreren*)So bey C. Wenzel von den Krankheiten des Uterus. Fol. 1816. S. 23. gaͤnzlich uͤber - gangen.

§. 331.

Ferner unterſcheidet man, und zwar mit mehr Recht, die urſpruͤngliche Entzuͤndung des Uterus (Metri - tis idiopathica s. primaria) und die uͤbertragene oder nachfolgende (Metritis secundaria s. symptomatica) welche letztere vorzuͤglich an Krankheiten benachbarter Gebilde, an Entzuͤndung des Darmkanals, der Harnblaſe, der uͤbrigen Strecken des Bauchfells, der Mutterſcheide u. ſ. w. ſich eben ſo anſchließt, wie denn andrer Seits auch die Gebaͤrmutter -I. Theil. 17258entzuͤndung auf jene Gebilde ſich fortpflanzen kann. Endlich glauben wir auch unterſcheiden zu muͤſſen zwiſchen der acuten und chroniſchen Entzuͤndung der Gebaͤrmutter, unter denen die letztere beſonders in einem Organ, welches ſo ſehr zu Degenerationen ſeiner Subſtanz und Form geneigt iſt, von großer Wichtigkeit erſcheint und eine ausfuͤhrlichere Beruͤck - ſichtigung, als ſie bisher in den Schriften uͤber Frauenkrank - heiten gefunden hat, verdient.

§. 332.

Die Symptome, welche als Kennzeichen theils die Metritis uͤberhaupt, theils ihre einzelnen Gattungen beglei - ten, ſind nun folgende: Zuvoͤrderſt die acute Form be - treffend, ſo tritt ſie mit nach Grad und Ausbreitung der Entzuͤndung bald mehr bald minder heftigem Fieber ein, wel - ches durch Froſt und nachfolgende Hitze, einen nach der Conſtitution der Kranken zwar verſchiedenartigen, im Allge - meinen jedoch frequenten und geſpannten Puls, heftigen Durſt, verſtimmtes Gemeingefuͤhl u. ſ. w. charakteriſirt wird. Ihre beſondern Zufaͤlle ſind druͤckender ſtechender Schmerz im afficirten Organ, deſſen Sitz gewoͤhnlich auf einen kleinen, nach dem Herde der Entzuͤndung verſchiedenen Ort beſchraͤnkt iſt, und durch einen aͤußerlichen Druck uͤber der Schambein - verbindung ſowohl, als durch die innerliche Unterſuchung auf das Aeußerſte geſteigert wird. Ferner werden mehrere andere Organe in ihrer Function geſtoͤrt und ſonſt ſchmerzhaft affi - cirt; ſo, wenn vorzuͤglich mehr die Ruͤckwand des Uterus ent - zuͤndet iſt, werden die Schmerzen vorzuͤglich auf die Kreuz - und Lendengegend ſich erſtrecken, der Maſtdarm leidet, es treten Stuhlverhaltungen, ſchmerzhafte Ausleerungen, und im Verfolg der Krankheit leicht heftige, zuweilen eiterartige Durchfaͤlle ein. Iſt dagegen mehr die vordere Gebaͤrmutter - flaͤche ergriffen, ſo wird dies theils durch den veraͤnderten Sitz des Schmerzes, theils durch das Leiden der Harnblaſe (ſchmerzhaftes Uriniren, Urinverhaltung, ſpaͤterhin eiterartige Sedimente im Urin und unwillkuͤrlichen Ausfluß deſſelben) bezeichnet. Die Entzuͤndung des Gebaͤrmuttergrundes und259 vorzuͤglich des hier ihn begleitenden Bauchfelles kommt mit den Zufaͤllen der Peritonitis uͤberhaupt ſehr uͤberein, und giebt ſich durch ſtaͤrkere Auftreibung des Unterleibes zu erkennen. Halb - ſeitige Entzuͤndung wirkt vorzuͤglich auf die ſeitlichen Becken - muſkeln und dadurch auf die Bewegung des Schenkels; Ent - zuͤndung der Vaginalportion endlich iſt beſonders mit großer Empfindlichkeit beim Unterſuchen, erhoͤhter Temperatur und Geſchwulſt des Muttermundes und gleichzeitigem Leiden des Scheidenkanals, wenigſtens in ſeinem obern Theile (Trocken - heit, brennender Schmerz, ſpaͤterhin gern Abfluß von eiter - artigem, oft mißfarbigem Schleim aus demſelben) bezeichnet.

§. 333.

Die chroniſche Entzuͤndung der Gebaͤrmutter betreffend, ſo kann ſie entweder an die acute, bey unvollkommen erfolgter Zertheilung, ſich anſchließen, und zwar wird ſie vor - zuͤglich bemerkt, wenn eine Metritis bey Woͤchnerinnen in Folge heftiger Reizung oder wohl ſelbſt Verletzung des Mut - termundes unter der Geburt entſtanden war, ohne ſich recht vollſtaͤndig zu zertheilen, oder ſie entwickelt ſich in Folge ſpecifiſcher, den Uterus in Anſpruch nehmender Einwirkungen auch ſelbſtſtaͤndig. Ihre Zufaͤlle aber ſind weit weniger her - vorſtechend, als die der acuten Metritis, und ſie wird daher oͤfters uͤberſehen (z. B. als bloße Menſtrualkolik betrachtet) oder mit andern Krankheiten verwechſelt, welches doch um ſo uͤbler iſt, als gerade an dieſe Form ſich vorzuͤglich die Degenerationen der Uterinſubſtanz anzuknuͤpfen pflegen. Kranke dieſer Art ſind es vorzuͤglich, bey welchen die Menſtruation fortwaͤhrend mit Schmerzen, allgemeinem Mißbehagen, Fie - berbewegungen, geſtoͤrter Verdauung und Darmausleerung ein - tritt, indem durch die periodiſche Congeſtion gegen die Uteringe - faͤße die chroniſche Entzuͤndung dann oft der acuten naͤher geruͤckt wird; auch außer der Zeit der monatlichen Perioden bleibt indeß oft ein Gefuͤhl von Schwere im Becken, unvollkommne Stuhlausleerung, oder beſchwertes Urinlaſſen, bey Frauen ſchmerzhaftes Gefuͤhl beym Coitus, große Empfindlichkeit bey der innern Unterſuchung, ſo wie Aeußerung von Schmerz260 bey tieferm Eingreifen der Hand uͤber den Schambogen, Nei - gung zu Kreuzſchmerzen, vermehrte oder zu ſehr verminderte Schleimabſonderung aus der Vagina, geſpannter Puls, oͤftere leichte Fieberbewegungen und belegte Zunge zuruͤck, ſo wie denn die monatlichen Perioden leicht ſelbſt in ihrer Ordnung geſtoͤrt werden. Zufaͤlle, welche dann oft noch mit allge - meinen hyſteriſchen Leiden ſich verbinden oder gleichſam da - durch maskirt werden.

§. 334.

Verlauf und Ausgaͤnge der Krankheit. Be - faͤllt die acute Gebaͤrmutterentzuͤndung junge kraͤftige Indivi - duen, wird ſie nicht durch allzugewaltſam einwirkende Urſachen bedingt und richtig geleitet, ſo bemerkt man zwar, daß Schmerz und Fieber oft bis gegen den ſiebenten oder neun - ten Tag anhalten, ja geſteigert werden, und dabey zugleich die Stoͤrungen des Gemeingefuͤhls, Beaͤngſtigung, Ueblichkei - ten, Erbrechen, Durchfall, Angegriffenſeyn des Kopfs, alſo Schwindel, Ohrenbrauſen, Delirien u. ſ. w. zunehmen; allein am Ende dieſer Periode, und zwar gewoͤhnlich nach reichlich ausbrechenden Schweißen, reichlichem Harnabgange, vermehr - tem Abgange aus den Geburtstheilen, vorzuͤglich aber mit dem Wiedereintritt der vielleicht gehemmt geweſenen Men - ſtruation, laͤßt der Schmerz nach, die Zeichen des Fiebers maͤ - ßigen ſich, ruhiger Schlaf, reinere Zunge u. ſ. w. erfolgt, die Zertheilung der Entzuͤndung und die Reconvaleſcenz hebt an. Je robuſter uͤbrigens der Koͤrper, um ſo heftiger und acuter pflegt dieſer Krankheitsverlauf zu ſeyn, je ſchwaͤchlicher und reizbarer, um ſo anhaltender, wobey zugleich der Ueber - gang in die chroniſche Entzuͤndung ſehr leicht erfolgt, indem bey weniger bemerklichen kritiſchen Erſcheinungen zwar das Fieber allmaͤhlig abnimmt und der Schmerz nachlaͤßt, allein dagegen die §. 333. eroͤrterten Symptome eintreten.

§. 335.

Der Ausgang der Metritis in Eiterung wird wohl uͤber - haupt nur ſehr ſelten bemerkt, denn ſelbſt in der Metritis der Woͤchnerinnen gehoͤren Eiteranſammlungen in dem Gewebe261 des Uterus zu den ſeltenſten Erſcheinungen, wie von H. Wen - zel*)a. a. O. S. 52. gewiß mit Recht behauptet wird, und wir koͤnnen daher nur annehmen, daß, wo auch im nicht ſchwangern Koͤrper dieſe Wendung der Krankheit vorkaͤme, ſie auf gleiche Weiſe, wie andere innern Eiterungen, durch neu anſetzendes Fieber mit Froſt, pulſirendem Schmerz, Spuren von Eiter - abſetzung im Urin, Abendfieber u. ſ. w. bezeichnet werden duͤrfte. Der Ausgang in Brand hingegen, obgleich bey nicht Schwangern (ſchon wegen der Seltenheit der Metritis uͤber - haupt) ebenfalls nur in wenigen Faͤllen beobachtet, kommt doch hier, ſo wie auch bey Woͤchnerinnen, haͤufiger als die Eiterung vor. Er wird bedingt durch eine ſchlechte Conſti - tution, unguͤnſtige aͤußere Verhaͤltniſſe, epidemiſch herrſchende boͤsartige Fieber, und vorzuͤglich durch verſaͤumtes, kraͤftig einwirkendes antiphlogiſtiſches Verfahren in den erſten Stadien der Krankheit. Es giebt ſich dieſer Ausgang vorzuͤglich durch den veraͤnderten Charakter des Fiebers zu erkennen, welches aus einer Synocha oder einem Synochus in den Charakter des Typhus uͤbergeht und durch aͤußerſt frequenten, oft in - termittirenden Puls, klebrige profuſe Schweiße, unwillkuͤr - liche Ausleerungen, trockne braune Zunge, Meteorismus, Sehnenhuͤpfen, Schluchzen und Kaͤlte der Extremitaͤten ſich erkennen laͤßt und gewoͤhnlich bald das Ende herbeyfuͤhrt.

§. 336.

Dagegen kann dann auch die Eatzuͤndung ohne organi - ſche Zerſtoͤrung durch Ausſcheidungen ſich endigen, wodurch denn vorzuͤglich der Uebergang in andere Krankheiten und namentlich in Degenerationen bewirkt wird. Es gehoͤrt hier - her die Ausſchwitzung plaſtiſcher Lymphe in die Zellen der Uterinſubſtanz und daran ſich knuͤpfende gutartige oder ſkirrhoͤſe Verhaͤrtung, oder die Ausſchwitzung aͤhnlicher Stoffe auf der Oberflaͤche, und die dadurch bewirkte Verwachſung des Ute - rus mit benachbarten Theilen, oder endlich die Ergießung ſeroͤſer Fluͤſſigkeit entweder in der Gebaͤrmutterhoͤhle oder in262 den Waͤnden derſelben, welches zur Waſſerſucht der Gebaͤr - mutter fuͤhrt. In allen dieſen Faͤllen erfolgt die Zertheilung unvollkommen, der heftigere Schmerz, das Fieber und die ſonſtigen, daſſelbe begleitenden Symptome mindern ſich zwar, aber es treten an deren Stelle die Zeichen dieſer Folgekrank - heiten ein, von welchen die Geſchichte der Waſſerſucht, der Verhaͤrtung und des Skirrhus ſpaͤter ausfuͤhrlicher betrachtet werden muͤſſen, ſo daß wir hier nur uͤber die Verwachſung bemerken, wie ſie ſich vorzuͤglich durch Stoͤrung der Funktion derjenigen Organe, mit welchen ſie Statt gefunden hat, zu erkennen giebt. Haben ſich daher bedeutende Verwachſungen mit den Windungen des Darmkanals oder dem Netze ge - bildet, ſo bleiben gewoͤhnlich Unordnungen in den Stuhlent - leerungen, vorzuͤglich Obſtruktionen, Neigung zu Congeſtio - nen u. ſ. w. im Pfortaderſyſtem zuruͤck; ſind Verwachſungen zwiſchen Gebaͤrmutterkoͤrper und Grund und den gleichnami - gen Theilen der Blaſe zugegen, ſo giebt ſich dies durch be - ſchwertes Urinlaſſen, Blaſenkraͤmpfe, Iſchurie u. ſ. w. zu er - kennen. Endlich wirken aber dieſe Verwachſungen auch auf die Gebaͤrmutter zuruͤck, werden die Veranlaſſungen zu ſchie - fen Lagen derſelben, und bedingen endlich insbeſondere, wie alle uͤbrigen Degenerationen, ſolche Veraͤnderungen der innern Strukturverhaͤltniſſe derelben, welche ihren weitern Thaͤtig - keiten auf vielfache Weiſe hemmend werden muͤſſen, wohin denn Stoͤrungen der Menſtruation, Unfruchtbarkeit oder Dis - poſition zu den heftigſten, ja lebensgefaͤhrlichen Beſchwerden bey angehender Schwangerſchaft gerechnet werden muͤſſen.

§. 337.

Wir kommen nun zu den Urſachen der Gebaͤrmutter - entzuͤndung, wohin wir jedoch hier bloß die disponirenden und Gelegenheitsurſachen zaͤhlen, indem die Anſicht des Ver - faſſers vom Weſen, oder wenn man will, von der naͤchſten Urſache der Entzuͤndung uͤberhaupt und folglich auch der Ge - baͤrmutterentzuͤndung, ſchon oben (§. 328. 329. ) ausgeſpro - chen worden iſt. Zu den disponirenden Veranlaſſungen alſo muß zunaͤchſt die allgemeine, vollſaftige, robuſte, zu Ent -263 zuͤndungskrankheiten im Allgemeinen neigende Conſtitution ge - zaͤhlt werden, welche namentlich die Entſtehung der acuten Metritis beguͤnſtigt; ferner die reizbare ſchwaͤchliche Conſti - tution, welche insbeſondre zur chroniſchen Form dieſer Krank - heit geneigt macht, außerdem die epidemiſche, der Entſtehung von Entzuͤndungskrankheiten guͤnſtige allgemeine Krankheits - Conſtitution und die Jahreszeit; endlich aber ganz vorzuͤglich die Zeit der herannahenden oder wirklich eingetretenen Men - ſtruation, als der Zeitpunkt groͤßter Gefaͤßthaͤtigkeit in der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter, außerhalb welchem demnach auch, wie ſchon oben im Eingange bemerkt worden, dieſe Krankheit faſt gar nicht beobachtet wird. Ob uͤbrigens Jung - frauen oder Frauen, welche bereits geboren haben, haͤufiger an der Metritis leiden und groͤßere Dispoſition dazu verra - then, iſt wohl ſo leicht nicht zu beſtimmen, demohnerachtet glauben wir annehmen zu duͤrfen, daß allerdings theils des jugendlichen Alters im Allgemeinen, theils der groͤßeren Derb - heit und Elaſticitaͤt des Uterus im jungfraͤulichen Koͤrper we - gen, zur acuten Gebaͤrmutterentzuͤndung bey erſtern die Nei - gung groͤßer ſey, wenn dagegen in dem ſchlaffern Uterus bey Frauen, welche bereits geboren, und vorzuͤglich oft durch vorausgegangene Geburten ſelbſt bedingt, eine groͤßere Neigung zur chroniſchen Entzuͤndung und daran ſich ſchließende Dege - neration nicht gelaͤugnet werden kann.

§. 338.

Die Gelegenheitsurſachen betreffend, ſo muß zu dieſen alles, was pſychiſch oder phyſiſch das Geſchlechtsſyſtem heftig erregt, oder was den Uterus ſelbſt mechaniſch heftig reizt, gezaͤhlt werden. Alſo ungluͤckliche Liebe in ſinnlichen Indivi - duen, auch andere heftige Gemuͤthsbewegungen, beſonders waͤhrend der Menſtruation, Nymphomanie, unterdruͤckte Men - ſtruation, erhitzende Arzneymittel, vorzuͤglich zur Unzeit an - gewendete Emmenagoga (z. B. bey der wegen uͤberwiegender arteriellen Thaͤtigkeit Statt findenden Verzoͤgerung der Men - ſtruation), draſtiſche Abfuͤhrmittel, Uebermaß geiſtiger Ge - traͤnke oder ſtark gewuͤrzter Speiſen, Erhitzungen (z. B. durch264 Tanz) und nachfolgende Erkaͤltungen (beſonders kalte Baͤder, Injektionen oder Waſchungen waͤhrend der Menſtruation), ploͤtzlich gehemmte Blutfluͤſſe oder Schleimfluͤſſe der Geburts - theile, oder Hautausſchlaͤge; ferner: Druck des Uterus bey falſchen Lagen, durch fremde Koͤrper, z. B. Peſſarien, Poly - pen, Reizung des Uterus durch unpaſſende Injektionen, zu haͤufigen, mit Rohheit vollzogenen Coitus, durch Onanie, end - lich anderweitige Krankheiten, Syphilis, Metaſtaſen, Ent - zuͤndung benachbarter Organe, Geſchwuͤre der Mutterſcheide u. ſ. w.

§. 339.

Die Prognoſe der Gebaͤrmutterentzuͤndung iſt zwar nach der Individualitaͤt der Koͤrper, nach ihren verſchiedenen Urſachen u. ſ. w. ſehr verſchieden, im Ganzen muß jedoch dieſe Krankheit, gleich andern innern Entzuͤndungen, theils wegen der Wichtigkeit des Organs, theils wegen der Heftig - keit des damit ſich verbindenden Fiebers ſtets zu den gefahr - vollen gezaͤhlt werden, obwohl nicht zu laͤugnen iſt, daß durch ein zu rechter Zeit eintretendes kraͤftiges antiphlogiſtiſches Heil - verfahren ſehr wohl ein guͤnſtiger Ausgang, und zwar in der Mehrzahl der Faͤlle, herbeygefuͤhrt werden kann. Am un - guͤnſtigſten wird die Prognoſe bey der phlegmonoͤſen Entzuͤn - dung, namentlich unter innern und aͤußern Verhaͤltniſſen, welche zum typhoͤſen Fieber und Brande fuͤhren koͤnnen. Was das Alter betrifft, ſo erſcheint zwar gewoͤhnlich bey juͤngern Perſonen die Entzuͤndung mit mehr Heftigkeit, ent - ſcheidet ſich aber auch in der Regel vollkommner und geht weniger leicht in Nachkrankheiten uͤber, als bey aͤltern. Vor - zuͤglich aber wird der Arzt bey der acuten Metritis Urſache haben, die Prognoſe nach dem Zeitpunkte, in welchem die Krankheit, als er gerufen wurde, ſich befand, zu beſtimmen, indem hiervon außerordentlich viel abhaͤngt. Endlich die chroniſche Entzuͤndung betreffend, ſo wird hierbey auf die Dauer der Krankheit, auf den Grad derſelben, vorzuͤglich aber auf die etwa ſchon eingetretenen oder noch nicht vor - handenen Degenerationen, Verhaͤrtungen, Verwachſungen,265 Waſſerergießungen u. ſ. w. Ruͤckſicht genommen werden muͤſſen, um den wahrſcheinlichen fernern Gang der Krankheit, ſo wie die Heilbarkeit zu beurtheilen.

§. 340.

Die Behandlung der Metritis muß gleichfalls nach Urſachen, Grad und Charakter der Krankheit verſchie - den ſeyn. Zuvoͤrderſt aber gedenken wir des alten bewaͤhr - ten Ausſpruchs: principiis obsta! und betrachten daher das Verfahren, welches ſogleich im Beginn der Krankheit ange - wendet zu werden verdient, um den Keim derſelben vor ſei - ner weitern Verbreitung zu erſticken. Entſteht aber nach Unterdruͤckung der Menſtruation, nach Erkaͤltung zur Zeit der herannahenden Menſtruation oder aͤhnlichen Einwirkungen, und zwar vorzuͤglich bey ſehr reizbaren Naturen, Schmerz im Uterus, Abſpannung, vermehrter Durſt und erhoͤhte Tem - peratur, ſo ordne man ſogleich vollkommenſte Ruhe an, ſehe auf Entleerung der Harnblaſe und des Darmkanals, in wel - cher letztern Hinſicht einige erweichende Lavements ſehr zweck - maͤßig ſind, laſſe ein laues Bad nehmen, warme Fomentatio - nen uͤber die regio hypogastrica und die Geburtstheile le - gen, oder auch ein Dampfbad bereiten; Injektionen in die Vagina ſind bey jungfraͤulichen Individuen unpaſſend, machen Schmerz und heben durch ihren mechaniſchen Reiz den Nuz - zen auf, den ſie in dynamiſcher Hinſicht gewaͤhren koͤnnten; bey Frauen, welche geboren haben, koͤnnen ſie hingegen unter dieſen Verhaͤltniſſen ebenfalls mit Nutzen gebraucht werden, und werden dann aus dem Aufguſſe der Hb. Hyoscyami, Cicutae, Flor. Chamomill., aus warmer Milch mit einigen Tropfen Laudanum liq. S. und aͤhnlichen Mitteln bereitet. Innerlich laͤßt man, außer ſtreng antiphlogiſtiſcher Diaͤt, eine Mohnſamen-Emulſion, einen Tamarindenaufguß mit etwas Nitrum und aͤhnliche, den Eretismus des Gefaͤßſy - ſtems herabſtimmende Mittel nehmen, ſucht, namentlich wo Erkaͤltungen vorausgegangen ſind, die Hautthaͤtigkeit zu be - foͤrdern durch Anwendung des Fliederaufguſſes, des Liq. Mindereri, des Liq. C.C., und trachtet endlich durch Be -266 folgung der oben fuͤr Behandlung der unterdruͤckten Men - ſtruation aufgeſtellten Regeln, dieſe Funktion wieder hervor - zurufen.

§. 341.

In gar manchen Faͤllen nun wird allerdings, wo die Krankheit noch im Stadio irritationis verweilte, die gedachte Behandlung hinreichen, den Eintritt eines eigentlichen Sta - dii inflammationis gaͤnzlich abzuwenden; iſt jedoch beym Erſcheinen des Arztes dieſer erſte Zeitraum bereits voruͤber, oder die Kraukheit mit ſolcher Heftigkeit eingetreten, daß ein ſolches vorbereitendes Stadium uͤberhaupt nicht fuͤglich unter - ſchieden werden konnte, ſo muß dann ſogleich eine ſtaͤrker eingreifende Behandlung dem Weitergreifen des Uebels Schran - ken ſetzen. Allgemeine Blutentziehungen namentlich ſind dann, vorzuͤglich bey jungen vollſaftigen Individuen, nicht zu ent - behren; bey ſchwaͤchlichen Koͤrpern, bey geringerm Grade des Uebels, oder wenn, nachdem durch allgemeine Blutentlee - rung zwar der erſte Anfall der Entzuͤndung gemaͤßigt iſt, nun bey Wiedererzeugung der Blutmaſſe auch der Schmerz wieder an Heftigkeit zunimmt, ſind dann oͤrtliche Blutent - ziehungen noͤthig, welche mittelſt Anlegung von 6 8 10 Blutigeln an die ſchmerzende Stelle am ſchicklichſten be - wirkt werden, ja bey nochmaliger Wiederkehr und noch nicht hinlaͤnglich beſeitigten Schmerzen wohl abermals wiederholt werden muͤſſen, wogegen Ruͤckſicht auf anſcheinende Entkraͤf - tung ja nicht zu hoch angeſchlagen werden darf, indem das Gefuͤhl von Schwaͤche Folge iſt des Fiebers, das Fieber aber Folge der Entzuͤndung, und gegen die Entzuͤndung als ab - norm geſteigerte Thaͤtigkeit des Gefaͤßſyſtems die Herabſtim - mung dieſes Syſtems durch Blutentziehung das wirkſamſte Mittel bleibt.

§. 342.

Die innern Mittel betreffend, ſo ſind hier vorzuͤglich diejenigen angezeigt, welche theils als der produktiven orga - niſchen Kraft uͤberhaupt entgegen wirkend erſcheinen, theils267 durch vermehrte Sekretionen des Darmkanals die Erregung anderer Organe vermindern, theils uͤberhaupt beruhigend auf das Gefaͤßſyſtem wirken. Zu den erſtern rechnen wir vor - zuͤglich das Queckſilber, welches, gleich andern minerali - ſchen Giften, vorzuͤglich der Reproduktion unmittelbar ent - gegengeſetzt iſt (eben dadurch in groͤßern Gaben und in ge - wiſſen Verbindungen als eins der zerſtoͤrendſten Gifte ſich darſtellt), daher als Beſchraͤnkungsmittel abnorm aufgeregter Thaͤtigkeit in den feinern Verzweigungen des Gefaͤßſyſtems (ſowohl bey Entzuͤndung als Degeneration, in welcher letz - tern Hinſicht beſonders an die Wirkung des rothen Queckſil - berpraͤcipitats bey ſchwammigen Auswuͤchſen erinnert werden kann), einer ſchon von H. Hegewiſch*)Hufeland’s Journal d. pr. Heilkunde. XXI. Bd. 3. St. aufgeſtellten An - ſicht zu Folge, ſo außerordentlich huͤlfreich ſich erweiſt. Auch in der Gebaͤrmutterentzuͤndung daher, und zwar vorzuͤglich der Neigung dieſes Organs zu Degenerationen wegen, zeigt das Queckſilber, und insbeſondere das Calomel, ſich von ausgezeichnetem Nutzen; nur muß die Gabe nach der Indi - vidualitaͤt des Kranken abgemeſſen werden, damit vorzuͤglich ſtaͤrkere Doſen (2 4 Gran) nicht etwa zu ſchnell uͤber - maͤßige Darmausleerungen hervorbringen, und ſo die weitere Anwendung verhindert wird. Beym Nachlaß der acuten Me - tritis und vorzuͤglich bey Symptomen, welche einen Ueber - gang in die chroniſche verrathen, iſt namentlich auch von den aͤußerlichen Einreibungen des Unguenti mercurial. in Ver - bindung mit dem Linimento volat. Gebrauch zu machen.

§. 343.

Was die den uͤbrigen Heilanzeigen (ſ. vorigen §. ) ent - ſprechenden Mittel betrifft, ſo ſind von den den Darmkanal insbeſondere in Anſpruch nehmenden vorzuͤglich das Nitrum und die blanden Abfuͤhrmittel zu erwaͤhnen; erſteres kann zu 5 10 Gran pro dosi mit dem Calomel oder in Emulſio - nen aufgeloͤſt gegeben werden. Noch ſtaͤrkere Doſen paſſen nur fuͤr die acuteſten Faͤlle, indem bey andern dadurch theils268 heftige Diarrhoͤen zu ſchnell erregt werden, theils ſelbſt der Conſenſus zwiſchen Darm und Uterus dieſe heftigern Reizun - gen verbietet. Von den Abfuͤhrungsmitteln muͤſſen aber wegen letzterer Ruͤckſicht nur die weniger reizenden, als Manna, Oleum Ricini, Pulpa Tamarindorum, Pulpa Cas - siae, auch wohl bey groͤßerer Unempfindlichkeit die Senna, ferner die leichtern Mittelſalze, als Tartarus tartarisatus u. ſ. w. in Anwendung gezogen werden. In der Regel pflegt es fuͤr die Milderung des Fiebers am zweckmaͤßigſten zu ſeyn, wenn taͤglich drei bis ſechs mehr fluͤſſige Ausleerungen erfol - gen, welche zum Theil auch durch gegebene Lavements zu bewerkſtelligen ſind.

§. 344.

Allgemein beruhigende Mittel ſind theils mittelbar ſchon die in den beiden vorigen §§. genannten im hohen Grade, theils koͤnnen hierher noch einige beſondere Mittel gerechnet werden, un - ter welchen dann das diaͤtetiſche Verhalten mit Recht obenan geſtellt wird. Man ſorgt daher fuͤr den Aufenthalt der Kran - ken in reiner, maͤßig erwaͤrmter Luft und nicht zu erhitzender Bedeckung, erlaubt bloß ſchwach naͤhrende, kuͤhlende Speiſen und Getraͤnke, leichte Suppen, Kalteſchalen von Waſſer, Zitronenſaft, Zucker und Zwieback, Flieder - und Kamillenthee, abgekochtes Waſſer mit Himbeerſaft, Zitronenſaft u. ſ. w. zum Getraͤnk, laͤßt zwiſchen den uͤbrigen Mitteln die ſchon fuͤr das Stadium irritationis empfohlenen Mittel, vorzuͤglich die Emulſionen, fortgebrauchen, und wendet eben ſo auch die oͤrtlich beruhigenden Mittel, Fomentationen, Cataplasmata, Dampfbaͤder und (unter der angegebenen Einſchraͤnkung) auch Injektionen noch fortwaͤhrend bis zur Linderung des Schmer - zens an.

§. 345.

So wie nun unter ſolchem Verfahren die Zufaͤlle der Krankheit ſich mindern, geht man mit demſelben gleichfalls zuruͤck, und wenn endlich bey Eintritt des ſiebenten oder neunten Tages kritiſche Ausleerungen ſich zeigen, treten die269 ſtaͤrker einwirkenden Mittel voͤllig zuruͤck, und es bleibt nun die Hauptindication, dieſe Beſtrebungen der Natur zu unter - ſtuͤtzen. Bey erleichternden Schweißen giebt man deshalb gelind diaphoretiſche Mittel, z. B. Liquor Mind. mit dem Fliederblumenaufguſſe; bey ſich wieder zeigender Menſtruation befoͤrdert man dieſelbe durch Dampfbaͤder, Fußbaͤder, Me - liſſenthee, Friktionen der Schenkel u. ſ. w. ſtaͤrkere Harn - abſonderung unterſtuͤtzt man durch verduͤnnende Getraͤnke und laͤßt die obige antiphlogiſtiſche Diaͤt dabey fortfuͤhren. Geſchieht indeß die Zertheilung unvollſtaͤndig, ſo daß inner - licher Schmerz, Abendfieber, Durſt, belegte Zunge zuruͤck - bleiben, ſo kann man dann mit Nutzen auch ſtaͤrkere ablei - tende Mittel zu Huͤlfe nehmen, unter welchen ganz vorzuͤg - lich die Sinapismen auf die Waden, bey torpidern Subjekten auf die Regio hypogastrica ſelbſt, empfohlen werden muͤſſen. Veſikatorien und fluͤchtig reizende Einreibungen ſind hier we - niger paſſend, erſtere wegen ihrer reizenden Einwirkung auf Nieren und Geſchlechtsſyſtem, letztere wegen des damit ver - bundenen mechaniſchen Reizes; dagegen iſt hier die fortge - ſetzte Anwendung des Calomels, verbunden mit reizmindern - den Mitteln, z. B. kleinen Doſen Opium, Extract. Hyo - scyami oder Cicutae, Infusum Valerianae und aͤhnlichen Mitteln ganz zweckmaͤßig. Geht (was indeß ſelten der Fall iſt) die Entzuͤndung in Eiterung uͤber, ſo muß durch erwei - chende Umſchlaͤge, ſchleimige Injektionen und Dampfbaͤder die Entleerung des Abſceſſes durch die Vagina befoͤrdert und ſodann fuͤr Erhaltung gutartigen Eiters und allgemeinere kraͤf - tige Reproduktion durch mehr naͤhrende Diaͤt, China u. ſ. w. geſorgt werden.

§. 346.

Am wenigſten vermag die heilende Kunſt, wo bey an - faͤnglicher Vernachlaͤſſigung oder ganz irriger erregender Be - handlung, oder auch typhoͤſer, epidemiſch herrſchender Con - ſtitution die Entzuͤndung zur Gangraͤn ſich neigt, dem gemaͤß auch der Fiebercharakter ſich aͤndert und die ſogenannten ner - voͤſen Symptome bereits eingetreten ſind. Es wird dann270 vorzuͤglich die Aufgabe des Arztes, die organiſche Reaktion zu erhoͤhen und das Ueberwinden und Schrankenſetzen oͤrtli - cher Abſterbung durch das Lebendige zu befoͤrdern. Innerlich iſt daher in dieſen Faͤllen von den mineraliſchen Saͤuren, dem Elix. Halleri (vielleicht auch namentlich von der Phos - phorſaͤure) in Verbindung mit der Valeriana, Serpentaria, dem Campher, dem Moſchus, den Naphten u. ſ. w. Gebrauch zu machen. Das Calomel, welches hier leicht zu colliquati - ven Durchfaͤllen Veranlaſſung giebt, muß gewoͤhnlich ausge - ſetzt und fuͤr hinlaͤngliche Darmentleerung durch Lavements geſorgt werden. Die Diaͤt erfordert nur in ſofern einige Ab - aͤnderung, als fuͤr Kranke dieſer Art als Zumiſchung zu Kalte - ſchalen und zum Getraͤnk, der Wein ein vortreffliches Mittel wird. Aeußerlich ſind gleichfalls die mehr erregenden Mittel in Anwendung zu ziehen, als Sinapismen uͤber den Leib, Fomentationen von Aufguͤſſen der Hb. Menth. crisp., Me - liss., Majoran. u. ſ. w., mit Wein vermiſcht, uͤber die Ge - burtstheile, ja ſelbſt bey ſehr trockner brennender Haut allge - meine aromatiſche Baͤder.

§. 347.

Was die Behandlung der chroniſchen Entzuͤndung be - trifft, ſo muß hier vorzuͤglich auf dem oben (Ende 345. §. ) angezeigten Wege fortgegangen werden, und namentlich wenn die Krankheit nur in der Tiefe fortſchleicht, nur durch perio - diſch eintretende Schmerzen, erhoͤhte Empfindlichkeit und all - gemeine Beſchwerden ſich zu erkennen giebt, vorzuͤglich durch Abwendung aller Erregungen und fortdauernde Ableitungen gewirkt werden. Solchen Perſonen daher, obwohl ſie ſich zu Zeiten recht wohl befinden, muß doch eine ſehr genaue, mehr vegetabiliſche kuͤhlende Diaͤt, Vermeidung aller erhitzen - den Bewegung, vorzuͤglich Vermeidung aller Reizungen des Geſchlechtsſyſtems zur Pflicht gemacht werden; man laͤßt da - bey das Calomel mit dem Extrakt der Cicuta in kleineren Doſen fortnehmen, wendet Einreibungen mit dem Unguent. neapolit. an, laͤßt vom Infuso Hyoscyami, Cicutae und Valerianae vorſichtig Einſpritzungen, oder durch den Weid -271 lich’ſchen Badeſtuhl innere oͤrtliche Baͤder gebrauchen, einen Schwamm, mit ſolchen Aufguͤſſen getraͤnkt, in die Geburts - theile legen, vorzuͤglich aber empfehlen ſich dann auch Fon - tanelle an den Schenkeln, bey ſtaͤrker erregten Schmerzen Blut - igel an das Perinaͤum und oͤfters dargereichte blande Ab - fuͤhrungen.

§. 348.

In allen Faͤllen endlich, wo die Metritis als ſekundaͤre Krankheit erſcheint, oder von beſondern, noch fortwirkenden Gelegenheitsurſachen erregt wird, muß hierauf auch die Be - handlung noch beſondere Ruͤckſicht nehmen. Vorausgegangene Entzuͤndungen benachbarter Organe muͤſſen daher zwar im Allgemeinen gewoͤhnlich nach aͤhnlichen Ruͤckſichten, wie die Entzuͤndung der Gebaͤrmutter, jedoch zugleich nach denjenigen Modificationen, welche die Natur des afficirten Organs for - dert, behandelt werden, druͤckende Peſſarien, Auswuͤchſe am Muttermunde, Polypen muͤſſen entfernt, fehlerhafte Lagen des Uterus nach unten anzugebenden Regeln beſeitigt, und Unterdruͤckungen der Menſtruation, der Leucorrhoͤe, der Haͤ - morrhoiden gehoben, ſo wie ſyphilitiſche und andere Geſchwuͤre der Geburtstheile geheilt werden. Bleibt uͤbrigens nach gehobener Metritis (welches vorzuͤglich bey typhoͤſem oder chroniſchem Charakter der Fall zu ſeyn pflegt) allgemeine oder oͤrtliche bedeutende Schwaͤche zuruͤck, ſo fordert dies den bey den Regelwidrigkeiten der Menſtruation mehr erwaͤhnten roborirenden Heilplan, und was die zuweilen ſich anſchließen - den Folgekrankheiten und Degenerationen betrifft, ſo wird von deren Behandlung noch ſpaͤter ausfuͤhrlicher gehandelt werden.

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2. Blutfluß der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter (Haemorrhagia uteri, Metrorrhagia).
§. 349.

Ein Organ, gleich der Gebaͤrmutter, zu deſſen norma - ler Verrichtung ſo haͤufige Blutausſcheidungen gehoͤren, deſſen Reichthum an Gefaͤßen ſo groß iſt, deſſen Gefaͤße vorzuͤglich in Ven